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Full text of "Deutsche Agrarpolitik 1.1932-1933, Teil 2 (Hefte 7-12)"

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UNIVERSITY OF ILLINOIS LIBRARY AT URBANA-CHAMPAIGN 


MAR 0 7 ß 


L161—O-1096 


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Inhaltsverzeichnis 


Seite 
Bohrer 3 483 
R. Walther Darré / Warum würdigen wir Guſtav Ruhland? . . 484 
Karl Scheda / Zu Guſtav Ruhlands Gedächtnis 485 
Leopold Plaichinger / USA. - UdSSR.. . . 497 


Ragnar Berg / Die Berwertung des deutfchen ere . 508 
Walter Bohm / Richtlinien zur Schöpfung deutſchen Bodenrechts 519 
Fritz Zweigelt / Die Zukunft der Direktträgerfrage im mitteleuro- 


päifhen Weinbuu . a ae DZO 
Karl Motz / Blut und Boden 335 
Das ArchiuVuVu 858342 
Das Buch „ 4 


Anſchriftenverzeichnis 


Jedes Heft RM. 1.50 - Vierteljährlich 3 Hefte RM. 3.00 


zuzüglich Beſtellgeld. Beſtellungen durch den Verlag oder bei jeder Poſtanſtalt. 
Poſtvertrieb ab Detmold 


2 #¢ — 
= 2 u 
a Ee * — — 


Deullche Agrarpolitil 


WMonatefcheift fürDeutlches-Bauerntum 
Hauptichriftleitung Dr. Hermann feilchle 


„Zeitgeſchichte Verlag und Vertriebs⸗Geſellſchaft m. b. H., Berlin 15 


Heſt 7 


Meinekeſtraße 20 


„die Verwirklichung des vom National- 
ſozialismus wieder erweckten fundamenta- 
len volkspolitiſchen Gedanken, der in der 
Thefe von „Blut und Boden“ feinen Aus- 
drud findet, wird die tiefgehenöfte revolu⸗ 
tionäre Umgeſtaltung bedeuten, die jemals 
ftattgefunden hat.“ 


Adolf Hitler in feiner Rede auf der agrarpoli⸗ 
tischen Tagung der ISDAP. am 3. Januar 1933. 


— — 


E as 
8858801 


Januar 1933 


R. Walther Darre: 
Warum würdigen wir Guſtav Ruhland? 


Zu ſeinem Todestag am 4. Januar 


Mit der Franzöſiſchen Revolution von 1789, wenn auch nicht urſächlich von 
ihr ausgelöſt, zieht über Europa ein neuer politiſcher SEN herauf: die 
Nation. Hatte im Mittelalter die Einheit des germaniſchen Blutes für ein 
Gemeinſamkeitsgefühl des Abendlandes die Grundlage abgegeben, ſo hatte 
doch die ichſüchtige Entwicklung des Territorialfürſtentums dieſe Einheit zer⸗ 
ſtört und im Abſolutismus der Fürſten die politiſche Zerſtückelung des Abend⸗ 
landes verankert. Hiergegen wandte ſich eine Gegenbewegung, die die Nation, 
d. h. das Volk, zur Grundlage ihrer ſtaatspolitiſchen Aberlegungen machen 
wollte. In der Franzöſiſchen Revolution von 1789 fing dieſe Idee erſtmalig 
an, politiſch greifbare Formen zu bekommen. Das 19. Jahrhundert vollendete 
im weſentlichen dann dieſe Entwicklung, und in der heutigen Zeit ringt ſich 
dieſe Idee zu klaren Vorſtellungen durch. 

Mit dieſer Entwicklung hielt nicht ſtand die Entwicklung volks wirt ⸗ 
ſchaftlicher Vorſtellungen. Das iſt verſtändlich, wenn man berüdfichtigt, 
daß das Wort „Volkswirtſchaft“ ja ſagt: „Wirtſchaft des Volkes“: was 
immerhin zur Vorausſetzung hat, daß es erft einmal ein „Volk“ als Vor⸗ 
1 und Begriff geben muß, ehe man feine „Wirtſchaft“ begreifen ler⸗ 
nen kann. 

So hat es bisher aus naheliegenden Gründen eine eigentliche Volkswirt⸗ 
ſchaftslehre nicht gegeben. Wohl haben aber gewiſſe Männer die Entwicklung 
klar erkannt und ihrerſeits den Verſuch unternommen, zu Grundlagen volks- 
wirtſchaftlicher Betrachtungsweiſen zu kommen. In der Reihe dieſer Männer 
nimmt der unmittelbar vor dem Weltkrieg verſtorbene Gu ſtav Ruhland 
wohl eine der bedeutendſten Stellungen ein. And zwar im weſentlichen des⸗ 
halb, weil er als einer der erſten klar erkannte, daß die Vorausſetzung aller 
„volkswirtſchaftlichen“ Aberlegungen die Sorge um die Sicherſtellung der Er⸗ 
nährung des Volkes zu fein hat. Da nun alle „Volkswirtſchaft“ „National- 
wirtſchaft“ ſein muß, wenn ſie Wirtſchaft des Volkes ſein will und nicht zur 
Wirtſchaft ſchlechthin werden ſoll, fo erhellt dies, daß die Landwirtſchaft 
zur Grundlage der „Volkswirtſchaft“ wird, wenn die Volks wirtſchaſt wirklich 
als Begriff und als Tatſache Geltung beanſprucht. Ruhland hatte alſo erkannt, 
daß die „Agrarpolitik“ eines Volkes die Achſe feiner wirtſchaft⸗ 
lichen Aberlegungen zu fein hat, wenn er als Volk beſtehen blei- 
ben will. 

Es iſt mithin falſch, Guftav Ruhland zum Agrarpolitiker zu ſtempeln; er 
iſt einer der erſten wirklichen Volkswirtſchafter geweſen, die das deutſche 
Volk hervorbrachte. Gerade wir Landwirte haben alle Arſache, dies ſo laut 
wie nur irgend möglich immer und immer wieder zu betonen, um die durch den 


‘ 10 — 


OD 
I Karl Scheda, Zu Gustav Ruhlands Gedächtnis 485 


Liberalismus und die Freihandelslehre üblichen, völlig verfahrenen Vorſtel⸗ 
Jungen von der Wirtſchaft zu berichtigen und um zu verhüten, daß man aus 
u. und Bequemlichkeit am Weſen der volkswirtſchaftlichen Dinge vor- 
eidenkt. 

Wir haben aber auch allen Anlaß zu verhüten, daß Ruhland der Ver⸗ 
Ageſſenheit anheimfällt, wie es ſyſtematiſch verſucht worden iſt; man fürchtete 
Soffenbar den ſcharffinnigen Kritiker beſtehender liberaliſtiſcher Wirtſchaftsvor⸗ 
„stellungen! Daher nehmen wir die Wiederkehr feines Todestages am 4. Ja- 
S nuar zum Anlaß, feiner in dieſer Monatsſchrift zu gedenken, ift doch die 
3, Deutſche Agrarpolitik“ die geeignetſte Stätte, um im Geiſte Guſtav Ruh⸗ 
Hlands zu arbeiten und zu wirken und fein Andenken lebendig zu erhalten. 


Cc 


— 


Karl Scheda: 
Zu Guſtav Ruhlanoͤs Gedächtnis 


Am 4. Januar jährte ſich wieder der Todestag Gu ſtav Ruhlands, der 
es durch Genie und Fleiß vom Jungbauern zum Profeſſor der National- 
ökonomie gebracht und durch ſeine wiſſenſchaftlichen Arbeiten ſich die größten 
Verdienſte um die deutſche Volkswirtſchaftslehre und insbeſondere um die Er⸗ 
kenntnis von der grundlegenden Bedeutung der Deutſchen Landwirtſchaft für 
das Wohl des geſamten Volkes erworben hat. Mit Rückſicht auf den verfüg⸗ 
baren Naum können wir hier allerdings nur die Hauptpunkte feines eigen- 
artigen Werdegangs ſchildern. 

Leider iſt Ruhlands Bedeutung weiten Kreiſen unſeres Volkes bisher noch 
unbekannt geblieben, weil die Zunftgelehrten, mit denen er die ſchwerſten 
Kämpfe ſiegreich beſtanden hat, dieſen hervorragenden Mann und ſein Werk 
völlig totſchweigen. Bekanntlich haben die deutſchen Gelehrten fich der gleichen 
Pflichtverletzung gegenüber unſerem erſten großen Nationalökonomen Fried⸗ 
rich Lift ſchuldig gemacht; auch feine Werke waren über 30 Jahre völlig ver- 
geſſen, bis ſie von Eugen Dühring wieder ausgegraben wurden. Es iſt 
heute außer Zweifel, daß unſere geſamte wirtſchaftliche Entwicklung durch das 
Totſchweigen der Werke Liſts um mehr als 30 Jahre zurückgeblieben iſt. Der 
unermeßliche Schaden, den unſere wirtſchaftliche und ſoziale Entwicklung durch 
das Totſchweigen Ruhlands und ſeiner Werke erlitten hat, läßt ſich heute noch 
gar nicht überſehen. 

Guſtav Ruhland wurde am 11. Juni 1860 auf einem Einödhofe zu 
Heſſenthal im bayeriſchen Speſſart als Sproß einer alten Bauernfamilie 
geboren. Er beſuchte die Realſchule in Mainz, kurze Zeit das Technikum 
zu Langenſalza und erwarb ſich dann durch eine mehrjährige Ausbildung auf 
verſchiedenen Gütern eine ſehr gründliche, praktiſche und theoretiſche Kenntnis 
der Landwirtſchaft. Der frühe Tod ſeines Vaters brachte ihm die ſelbſtändige 
Bewirtſchaftung des väterlichen Bauernguts. Hier lernte er nun die Notlage 


486 Karl Scheda 


der Speſſarter Kleinbauern gründlich kennen, was ihn bei feiner hohen get- 
ſtigen Begabung und idealen Gefinnung veranlaßte, nach den Arſachen dieſer 
Notlage zu forſchen, um eine Beſſerung der bäuerlichen Lebensverhältniſſe 
herbeizuführen. Das damalige volkswirtſchaftliche Schrifttum, das er nun mit 
heißem Bemühen ſtudierte, brachte ihm jedoch faſt nur Enttäuſchungen. Denn 
die Anſichten der Gelehrten ſtanden in unüberbrückbarem Widerſpruch zu ſei⸗ 
nen praktiſchen Erfahrungen in der Landwirtſchaft. And er bekannte ſich zu 
Juſtus v. Liebigs Anſicht, daß gerade in der Volkswirtſchaft die Erfahrungen 
der Praktiker der Stoff ſein müſſen, aus dem die Wiſſenſchaft das edle Metall 
vom tauben Geſtein zu ſcheiden hat. Ruhland wandte ſich deshalb an den da⸗ 
maligen erſten Nationalökonomen Albert Schäffle in Tübingen, der als 
öſterreichiſcher Gewerbeminiſter ſich auch gründliche Kenntniſſe der praktiſchen 
olkswirtſchaft angeeignet hatte. Dieſer Altmeiſter der deutſchen Sozialwiſſen⸗ 
ſchaft riet dem jungen Landwirt Ruhland, ſeine Erfahrungen und Anſichten 
ſelbſt zu ſchildern, und veröffentlichte 1883 drei Abhandlungen Nuhlands, die 
er als „groß gedacht und weitblickend“ beurteilte, in der Tübinger 
„Zeitſchrift für die geſamten Staatswiſſenſchaften“. Dieſer Erfolg ermutigte 
Ruhland, ſeine volkswirtſchaftlichen Arbeiten mit Eifer fortzuſetzen, wobei er 
durch die damals erſchienene bahnbrechende Badiſche Agrarenquéte Buchen- 
bergers wertvolle Anregungen erhielt. Er veröffentlichte noch 1883 ſeine erſte 
mehr theoretiſche Schrift: „Aber das natürliche Wertverhältnis des landwirt- 
ſchaftlichen Grundbeſitzes“. Mit dieſer Schrift hatte Ruhland feinen Wert- 
begriff und die Grundlinien feines ſpäteren Syſtems der „volksorga⸗ 
niſchen“ Volkswirtſchaftslehre „Hinter Pflug und Senſe“ bereits gefunden. 
Er veröffentlichte dann „Die Löſung der landwirtſchaftlichen Kreditfrage im 
Syſtem der agrariſchen Reform“, eine Schrift, die auch heute noch von größter 
Bedeutung iſt. Ruhland hatte erkannt, daß der Bauer bei der heutigen Wirt⸗ 
ſchaftsordnung der Zinsknecht des Großkapitals iſt, und daß ſich zwiſchen den 
Landwirt und den Verbraucher der Börſenſpekulant als überflüſſiges 
Zwiſchenglied ſchiebt, der bald den Bauern, bald den Verbraucher ausbeutet. 
„Schon die erſten Schriſten Nuhlands“, ſagt Profeſſor Dr. Beck, „waren 
unmittelbar aus der Erfahrung geſchöpft und vertraten mit zwingender Aber. 
zeugungsgewalt die Forderungen des praktiſchen Lebens.“ Dieſer Vorzug, der 
ſeinem Schreiben und Auftreten den Zauber der Friſche, Aktualität und Wahr⸗ 
haftigkeit gab, errang dem jugendlichen Sozialpolitiker die Anerkennung ſei⸗ 
ner Berufsgenoſſen. Auf Schäffles Rat übergab Ruhland den Bauernhof 
ee Bruder und vervollſtändigte feine wiſſenſchaftlichen Studien an den 
niverfitäten in München und Tübingen. In dieſer Zeit wurde feine Schrift: 
„Welchen Einfluß hat die Reichsgeſetzgebung auf die Entwicklung der bay⸗ 
riſchen Landwirtſchaft gehabt?“ preisgekrönt, und ſeine Denkſchrift über „Die 
Entwicklung von Handel und Verkehr mit Getreide in Bayern in den letzten 
100 Jahren“ fand größte Beachtung. 
Die Getreidepreiſe waren damals, trotzdem ſeit 1879 die Getreidezölle mehr⸗ 
12 erhöht waren, immer mehr zurückgegangen. Damit war die Agrarfrage als 
rage der natürlichen Preisbildung für landwirtſchaftliche Erzeugniſſe und 
damit als Frage des gerechten und natürlichen Arbeitslohnes des ſelbſtändigen 
Landwirts entſtanden, welche die Exiſtenz der Landwirtſchaft bedrohten. Da 
von Deutſchland aus die Arſachen des Getreidepreisſturzes durch die auslän- 
diſche Konkurrenz nicht zuverläſſig zu ermitteln waren, ſchlug Ruhland eine 


Zu Gustav Ruhlands Gedächtnis 487 


Studienreiſe durch alle wichtigen Kornländer der Erde vor. Auf Empfehlung 
der Bayriſchen Regierung und Albert Schäffles, der Ruhland als den „beit 
vorbereiteten Volkswirt für dieſe Studienreiſe“ bezeichnete, gewährte Für ft 
Bismarck Reichsmittel für dieſe Studienreiſen, nachdem er mit Ruhland 
verhandelt und einen fehr günſtigen Eindruck von ihm erhalten hatte. „Der 
Kerl gefällt mir“, ſagte der Altreichskanzler in ſeiner geraden Art, „er hält die 
Getreidezölle nicht für geeignet, die Landwirtſchaft dauernd zu retten. Ich bin 
derſelben Meinung, aber ich habe bis jetzt noch niemanden gefunden, der mir 
etwas Beſſeres hätte vorſchlagen können.“ Ruhland unternahm ſeine großen 
Studienreiſen von 1887 bis 1890 nach Rußland, den Donauländern, Agypten, 
Indien, Auſtralien und Amerika und ſchließlich nach England, als dem Haupt⸗ 
handelsplatz für das ausländiſche Getreide. Auf dieſen Reifen hat Ruhland 
mit mehr als tauſend hervorragenden Volkswirten aller Länder alle volkswirt⸗ 
ſchaftlichen Fragen eingehend erörtert. Als er mit feinem ungeheuren volks⸗ 
wirtſchaftlichen Stoff heimkehrte, war Fürſt Bismarck entlaſſen, und fein Nach- 
folger, General v. Caprivi, hatte „als Mann ohne Ar und Halm“ 
kein Verſtändnis für die landwirtſchaftlichen Fragen. Trotz Ruhlands War⸗ 
nung wurden in Caprivis Handelsverträgen die Getreidezölle herabgeſetzt und 
dadurch die landwirtſchaftliche Notlage erheblich vergrößert. 
Aber die Getreidepreiſe hatte Ruhland folgende Feſtſtellungen gemacht: 
1. Die von den Gelehrten behauptete Aberproduktion von Greide iſt nicht 
vorhanden. 
2. Die Notlage der Landwirte iſt international. Grenzzölle find deshalb 
nicht geeignet, die Arſachen des herrſchenden Abels dauernd zu beſeitigen. 
3. Die Getreidepreiſe find deshalb fo ruinös, weil die Bildung der Preiſe 
in der Hand des internationalen, ſpekulativen Kapitalismus liegt. 
4. Die Landwirte ſollten deshalb danach ſtreben, die Preisbildung ihrer Er« 
zeugniſſe ſelbſt in die Hand zu nehmen. | 
5. Es wäre von größter allgemeiner Bedeutung, daß ſich die Landwirte 
international über die Sätze verſtändigen und ausſprechen könnten. 
6. Als nächſtes praktiſches Ziel iſt die Abſchaffung des Börſenterminſpiels 
in Getreide zu erſtreben. | 
Der dann 1893 durch landwirtſchaftliche Not entſtandene „Bund der 
Landwirte“, der Vorgänger des Reichslandbundes, hat das geſetz⸗ 
liche Verbot des Blankoterminhandels 1896 erreicht. Als Ergebniſſe ſeiner 
Studienreiſen veröffentlichte Ruhland noch mehrere Schriften, fo: „Aber Wir⸗ 
kung und Bedeutung der Schutzzölle“, „Aber die Zukunft des Goldes und die 
Süßſche Theorie“, „Aber den achtſtündigen Arbeitstag und die Arbeiterſchutz⸗ 
geſetzgebung der auſtraliſchen Kolonien“, „Aber die Auſtraliſche und Nord- 
amerikaniſche Landgeſetzgebung“, „Aber das Verfaſſungs⸗ und Verwaltungs- 
recht des Anglo⸗Indiſchen Kaiſerreichs“. Von 1890 an leitete Ruhland vor- 
übergehend noch einen öſterreichiſchen Großgrundbeſitz, wo er ſeine landwirt⸗ 
ſchaftlichen Kenntniſſe vervollſtändigte und praktiſche Proben auf feine Erfah⸗ 
rungen der Studienreiſen machte. So ſtellte er feſt, daß die Marxiſtiſche 
Konzentrationstheorie für die Landwirtſchaft völlig un⸗ 
richtig iſt, und daß gerade der Mittelſtand am vorteilhafteſten in der 
Landwirtſchaft fet. Im Sommer 1893 habilitierte ſich Ruhland als Privat- 
Dozent der Nationalökonomie an der Aniverſität in Zürich. In feiner Antritts- 
rede führte er u. a. aus: Die eigentliche Agrarfrage iſt „die Frage nach 


488 Karl Scheda 


der Funktion des Grund und Bodens im Leben des Volkes“. 
Die Ideen von Freihandel und Weltwirtſchaft bezeichnete er als die gefähr- 
lichſten Irrtümer, die der menſchliche Geiſt je geboren. Alle Agrarſtaaten lehn⸗ 
ten die engliſche Irrlehre der internationalen Arbeitsteilung zwiſchen Agrar- 
und Induſtrieſtaaten unbedingt ab und ſchufen ſich mit rückſichtsloſer Energie 
eine eigene Sr ide Er warnte mit eindringlichen Worten vor der falſchen 
Wirtſchaftspolitik der einſeitigen Förderung der Induſtrie auf Koſten der 
Landwirtſchaft, die früher oder ſpäter geradezu verhängnisvoll werden müſſe. 
„Die Selbſtändigkeit eines Staates“, ſagte er, „iſt kein bloß juriſtiſcher Be⸗ 
griff; ſie muß einen wirtſchaftlichen Kern umſchließen, der der feſte Körper iſt, 
um den ſich das Imperium ſchlingt. And dieſer Körper braucht wie ein gutes 
Haus ein feſtes Fundament auf Grund und Boden. Eine Aberwucherung der 
oberen Stockwerke für Induſtrie und Handel muß namentlich bei gleichzeitiger 
Rückbildung des landwirtſchaftlichen Fundaments über kurz oder lang das 
ganze Gebäude zerſtören. Nicht der induſtrielle Reichtum, ſondern die har⸗ 
moniſche Entwicklung des Ganzen in Selbſtändigkeit bewahrt das Glück den 
Völkern. Der gleichmäßige Fortſchritt von Induſtrie und Handel mit der 
Landwirtſchaft bildet die höchſte Aufgabe aller Wirtſchaftspolitik. Für die 
Einhaltung dieſer harmoniſchen Entwicklung gibt es einen untrüglichen Maß⸗ 
ſtab: das iſt das Verhältnis zwiſchen Erzeugung und Bedarf 
an Brotgetreide. Das Land muß in der Regel das Brotgetreide für das 
Volk bauen!“ Seine Studienreiſen hatten ihm die Erfahrung gebracht, daß 
auf der ganzen Erde, wo Freihandel mit Grundeigentum beſteht, genau die 
gleichen Verſchuldungserſcheinungen auftreten, die bis zu / als Reſtkauf⸗ 
oder Erbſchaftsgelder entſtünden. Die landwirtſchaftliche Kreditnot könne nur 
durch Anderung des Agrarrechts beſeitigt werden vermittels Einführung des 
natürlichen Grundſatzes: „Der freien Arbeit auf eigenem Grund 
und Boden ungefhmälert ihren Arbeitsertrag als Ar- 
beitslohn!“ Hierzu fei erforderlich, daß an Stelle der heutigen freien Preis⸗ 
bildung für Grund und Boden bei jeder Handänderung der „wahre Wert“ 
unbedingt maßgebend bleibe. Ruhland führt dann weiter aus, was er unter 
„wahrem Wert“ verſteht, und wie der heutige Abelſtand beſeitigt werden 
könne, daß das Kapital einen Raub an dem Arbeitsertrag des Landwirts be⸗ 
geht. Der Arbeit ihren Lohn, und dem Volke ſein Brot! Bei Durchführung 
dieſer Grundſätze würde die heutige Agrarfrage gelöſt ſein und wieder Lebens⸗ 
friſche und Sonnenſchein in der Zukunft der Völker herrſchen. 

Ruhland wurde ſpäter Profeſſor der Nationalökonomie an der Aniverſität 
zu Freiburg in der Schweiz. Sowohl von Zürich wie von Freiburg aus wurde 
er jedoch als wiſſenſchaftlicher Berater vom Bund der Landwirte nach Berlin 
geholt. Diefe Berufung erfolgte auf Empfehlung des bekannten National- 
ökonomen Adolf Wagner, für den das Arteil ſeines Lehrers Albert 
Schäffle über die hervorragende Begabung Ruhlands maßgebend war. 1895 
erſchien Ruhlands Schrift „Die Wirtſchaftspolitik des Vaterunſer“, worin 
er feine ſittliche Auffaſſung der Volkswirtſchaft unter Hinweis auf die urchriſt⸗ 
lichen Lehren darlegte. Er entwickelte als Geſetz der normalen volkswirtſchaft⸗ 
lichen Entwicklung den Grundſatz, daß die Löſung der Agrarfrage in 
der rechten Weiſe die Löſung der ſozialen Frage bedeute. 
And daß heute, wo die germaniſchen Völker am Scheidewege ihrer Entwick⸗ 
lung zwiſchen Aufſtieg oder Antergang ſtehen, ſie ſich vor dem Verderben nur 


Zu Gustav Ruhlands Gedächtnis 489 


durch Einführung einer neuen, auf Gerechtigkeit und Sittlichkeit beruhenden 
Rechts⸗ und Wirtſchaftsordnung ſchützen könnten. 

Das Studium der landwirtſchaftlichen Kreditverhältniſſe veranlaßte Ruh⸗ 
land, durch eine Denkſchrift vom 1. Februar 1885 die Errichtung einer ge⸗ 
N Zentralbank vorzuſchlagen. Der Finanzminiſter 

iquel zeigte ſofort das größte Intereſſe für dieſe Idee, ſo daß bereits 
am 1. Oktober 1895 die „Preußenkaſſe“ ihre ſegensreiche Tätigkeit be⸗ 
ginnen konnte. 

1896 hatte der erſte „Internationale Agrarkongreß“ zu Buda⸗ 
peft ſich den Ruhlandſchen Auffaſſungen über die Agrarfrage angeſchloſſen. Er 
konnte deshalb mit Hilfe des Bundes der Landwirte und anderer agrariſcher 
Verbände verſchiedener Länder im Herbſt 1899 zu Freiburg in der Schweiz 
eine „Internationale Getreidepreis warte“ errichten. Daraus 
gingen dann die „Internationalen Mitteilungen zur Regu- 
lierung der Getreidepreiſe“ hervor, die bald darauf wegen der Aber⸗ 
ſiedlung Ruhlands nach Berlin zur Wochenſchrift „Getreidemarkt“ um⸗ 
gewandelt wurden. Da Ruhland die Agrarfrage als internationales Problem 
erkannt hatte, jo machte er die landwirtſchaftlichen Verbände faſt aller euro- 
päiſcher Staaten mit ſeinen Ideen bekannt. Es gelang ihm, 1901 in Paris 
von 29 dort vertretenen landwirtſchaftlichen Verbänden 6 europäiſcher Staaten 
die „Internationale landwirtſchaftliche Vereinigung für 
Stand und Bildung der Getreidepreiſe“ zu bilden, die dann zur 
Gründung des „Internationalen Agrarinſtituts“ in Rom führte. 
Im März 1905 kam es in Rom auch unter Teilnahme amerikaniſcher Land⸗ 
wirte zur Bildung der „Welt⸗Agrarkammer“. Die amtliche Italie⸗ 
niſche Denkſchrift bat die wefentliche Mitarbeit Rublands hierbei mit beſon⸗ 
derer Anerkennung hervorgehoben. 

Ruhlands Förderer, der hervorragende badiſche Volkswirt Miniſter 
Buchenberger, hatte ihn darauf hingewieſen, daß bei aller Anerkennung des 
weitblickenden Agrarprogramms Ruhlands ein ſolches für ſich allein nicht 
beſtehen könne, wie es auch ausgeſchloſſen ſei, die eine Hälfte des menſchlichen 
Körpers einer gründlichen Kur zu unterziehen, ohne die andere Hälfte zu berück⸗ 
ſichtigen. Als Ruhland darauf feinen Plan entwickelte, fein Agrarprogramm 
als „Reformprogramm für das ganze Volk“ zu Ende zu denken, 
und zwar in Verbindung mit der Entwicklungsgeſchichte aller bedeutſamen 
Kulturvölker, erkannte Buchenberger dieſen Plan als großartig an, hielt ihn 
aber für viel zu groß, um durch die Arbeitsleiſtung eines Menſchenlebens 
beendet zu werden. Ruhland jedoch ſchuf ſich einen Stab von wiſſenſchaftlichen 
Mitarbeitern, die ſeine Fragen nach den beſten Quellen ſorgfältig bearbeiten 
mußten, während er die Ergebniſſe dieſer Arbeiten überprüfte. Trotz emſiger 
Tagesarbeit beim Bund der Landwirte und großer Kämpfe mit feinen zahl ⸗ 
reichen Gegnern ſchuf er in den Jahren 1903 bis 1908 ſein Meiſterwerk, das 
dreibändige „Syſtem der Politiſchen Okonomie“. Leider haben die 
beiden Volkswirte Schäffle und Buchenberger, die den Werdegang diefes 
Syſtems beeinflußt hatten, feine Vollendung nicht mehr erlebt. 

Im 1. Bande ſeines Syſtems gibt Ruhland eine meiſterhafte Entſtehungs⸗ 
geſchichte und Kritik der bisherigen nationalökonomiſchen Schulſyſteme, wobei 
er namentlich auch die Zeitverhältniſſe ihres Arſprungs klar ſchildert und 
damit erſt das richtige Verſtändnis für die Schulſyſteme ermöglicht. Für ſein 


490 Karl Scheda 


Syſtem geht Ruhland vom Getreide aus, weil dasfelbe die wichtigſte 
Güterkategorie der menſchlichen Wirtſchaft iſt, denn ohne Getreide iſt das 
Leben der Menſchen undenkbar. Die Ernährungsphyſiologie lehrt, daß eine 
Ernährung des Menſchen mit ausſchließlich tieriſcher Koſt unmöglich ijt, daß 
aber ſchon ganze Völker mit Vorteil nur von Getreidekoſt gelebt haben, weil 
das Getreide die zur Ernährung des Menſchen notwendigen Grundſtoffe in 
der rationellſten Miſchung enthält. Jene gewaltigen geſchichtlichen Ereigniſſe, 
die wir als „Völker wanderungen“ bezeichneten, waren nicht, wie 
früher fälſchlich angenommen wurde, aus einem Mangel an Weideplätzen 
hervorgegangen, ſondern im Grunde getreidepolitiſche Maßnahmen. Vor der 
Begründung größerer Städte haben die Völker es unterlaſſen, durch Anſamm⸗ 
lung von Getreidevorräten den Folgen ungünſtiger Erntejahre vorzubeugen. 
Wenn dieſe kamen, ſo wanderten die Völker mit ihrer leichten Habe nach 
ſolchen Gegenden, die genügend Getreide hatten. Dieſe Getreidepolitik der 
Wanderung findet ihren formellen Abſchluß gewiſſermaßen erſt im Jahre 1362 
durch das Gebot des Kaiſers Karls IV. an Städte und Klöſter, Kornſpeicher 
anzulegen. Ruhland fügt ſeinem Werk eine Karte bei, in der die Weizenpreiſe 
in Straßburg für 500 Jahre in Jahresdurchſchnitten wie in einunddreißig⸗ 
jährigen Durchſchnitten aufgezeichnet ſind. „Dieſe Bewegungslinie 
der Getreidepreiſe bietet den bezeichnendſten Ausdruck der geſchichtlichen 
Ereigniſſe und der geſamten kulturellen Entwicklung. Was die Temperatur- 
kurve in dem phyſiſchen Leben des einzelnen Menſchen bedeutet, das bedeutet 
im Wirtſchaftsleben des Volkes die Kurve der Getreidepreiſe. Wie jene Sid- 
zackbewegung in der Temperaturkurve des einzelnen Menſchen eine ernſte 
Kriſis bedeutet, der bald entweder die Wiedergeneſung oder die Auflöſung 
folgt, ſo bedeutet auch jene Zickzackbewegung der Getreidepreiskurve mit voller 
Sicherheit eine tiefeinſchneidende wirtſchaftliche Kriſis, die bei häufiger Wie⸗ 
derkehr auch das Wirtſchaftsleben des Volkes vor die Wahl ſtellt, entweder 
den Weg zur Beſſerung zu finden oder zugrunde zu gehen.“ 

Die zweite Hälfte des 1. Bandes und der ganze 2. Band enthalten die 
Entwicklungsgeſchichte der bedeutſameren Kultur völker, 
der Juden, Griechen, Römer und des Islamiſchen Weltreichs. Es folgt das 
Mittelalter mit der Geſchichte des „Kapitalismus auf päpſtlichem 
Thron“, des „Kapitalismus auf den Fürſtenthronen“, dann die 
Geſchichte der italienischen Handelsrepubliken und der Handels und Kolonial- 
ſtaaten nach dem Ausgang des Mittelalters (Portugal, Spanien, Holland, 
Frankreich und England). 

Ruhland zieht aus dieſer Weltgeſchichte die Lehre, daß der Niedergang und 
Antergang aller Völker, deren Leichen ſchon auf dem Seziertiſch der Geſchichte 
liegen, ſtets dieſelbe Arfache hatte, den „Kapitalismus“, den er jedoch 
völlig anders als Marx beſtimmt. Dieſer verſteht unter „Kapitalismus“ die 
private Ertragswirtſchaft von Anternehmern unter Verwendung von Kapital 
und Hilfsarbeitern, die angeblich dabei vom Arbeitgeber um den Mehrwert 
betrogen würden. Ruhland verſteht unter „Kapitalismus“ die Aneignung 
fremder Werte in einem Rechtsgeſchäftsverkehr, bei dem Leiſtung und Gegen⸗ 
leiſtung nicht gleichwertig ſind. Auch die Weimarer Reichsverfaſſung fordert 
wirtſchaftliche Gerechtigkeit für den Geſchäftsverkehr. Die bisher 
herrſchenden demokratiſchen Parteien haben es aber unterlaſſen, die zur Rechts- 
wirkſamkeit jener Verfaſſungsbeſtimmung erforderlichen Geſetze zu erlaſſen. 


Zu Gustav Ruhlands Gedächtnis 491 


Infolgedeſſen herrſcht auch heute noch bei uns völlige Wucher⸗ und Raubfrei- 
heit. Bei den Zwangsverſteigerungen wird den Urmſten ihre letzte Habe, 
ohne Rückſicht auf deren Wert, für Schleuderpreiſe weggenommen. Alle Vor⸗ 
ſtellungen gegen dieſe ſchandbaren Zuſtände waren bisher erfolglos. Ruhland 
verlangt auch für die Landwirtſchaft als „gerechten Arbeitslohn“ 
Preiſe, welche die Koſten decken und einen angemeſſenen Gewinn dem Land- 
mann einbringen. Nur für den „Vollarbeiter“, der Eigentümer ſeiner 
Produktionsmittel ijt, gilt der Satz, daß das Arbeitserzeugnis den natürlichen 
Arbeitslohn bildet. Die Lohnhöhe der Hilfsarbeiter richtet ſich nach dem 
Arbeitserfolg der Vollarbeiter, denn kein Anternehmer kann mehr Arbeitslohn 
bezahlen, als fein Unternehmen verdient. Er fordert deshalb für den Voll⸗ 
arbeiter einen guten Arbeitsertrag und für den Hilfsarbeiter hohen Arbeits- 
lohn. Nach ſeiner Auffaſſung ſind „hohe Arbeitslöhne ein Zeichen 
hoher Kultur und ein Beweis dafür, daß die breiten Volks- 
maſſen den gerechten Anteil am Volkseinkommen erhalten“. 
Für Ruhland iſt eine Volkswirtſchaft mir dann geſund, wenn die überwiegende 
Mehrheit des Volkes zum „echten“ Mittelſtand gehört, der Kapital und Arbeit 
in einer Perſon vereinigt, und wo deshalb der Gegenſatz zwiſchen beiden Fak⸗ 
toren verſchwindet. Der Kapitalismus (Geldkrebs) bewirkt die Auflöſung 
dieſer Grundzellen einer geſunden Volkswirtſchaft und die Aufteilung des 
Volkes in eine kleine Anzahl ſehr Reicher und die große Maſſe beſitzloſer 
Proletarier. Ruhland verwirft den öden Mechanismus des Marxismus, der 
durch die Verſtaatlichung der Produktionsmittel die ſoziale Frage angeblich 
löſen will, während er in Wahrheit nur volksverderbend ſein würde. Durch 
eine mehrtauſendjährige Entwicklung ift aus der Sklavenarbeit die freie Arbeit 
entſtanden. Der Marxismus würde wieder zur unfreien Arbeit führen und 
damit zur Vernichtung aller Kultur. 


Jedermann weiß, daß ſowohl auf einem Bauernhof wie in einem gewerb⸗ 
lichen Unternehmen die Perfon des Unternehmers, ſeine Fähigkeiten und fitt- 
lichen Eigenſchaften für den Arbeitserfolg entſcheidend ſind. In demſelben 
Anternehmen mißglücken viele, während andere erfolgreich find. Die Güter⸗ 
welt iſt daher das natürliche Arbeitsfeld für die individu- 
ellen Kräfte, und von ihren Arbeitserträgen müffen die⸗ 
ſelben einen Teil für die gemeinfamen Aufgaben des Staa- 
tes abgeben. Seit dem Amſturz hat man die umgekehrte Politik betrieben, 
die Gütererzeugung zu verſtaatlichen oder zu kollektivieren und die Privatunter- 
nehmungen zu bezuſchuſſen. Der Mißerfolg mußte zwangsläufig eintreten. 
Nuhland verlangt die Löſung der ſozialen Frage auf organiſchem Wege, d. h. 
durch den Aufſtieg der befähigten Arbeiter zur wirtſchaftlichen Selbſtändigkeit. 
Es iſt wohl zweifellos, daß auch unſere Wahlen ganz anders ausfallen wür⸗ 
den, wenn die Mehrheit der Wähler die wirtſchaftliche Selbſtändigkeit hätte, 
der ja auch die Selbſtverantwortlichkeit entſpricht. Die heutigen unſelbſtän⸗ 
digen und verantwortungsloſen Wählermaſſen müſſen auf die Dauer das Reich 
zerftören, zumal auch das Wahlrecht ein rein individuelles iſt, d. h. 
vom Intereſſe des einzelnen Bürgers aus geregelt iſt. Der Erſatz dieſes ſchlech⸗ 
ten Wahlrechts durch ein ſoziales Wahlrecht ijt deshalb eine Lebensfrage 
für unſer Volk. Ruhland als hervorragendſter Vertreter einer ſittlichen Volks. 
wirtſchaftslehre lehnt es deshalb ab, daß dieſelbe eine Lehre vom Reichtum der 
Völker fein fol. Er begründet feine Forderung, daß nicht der Geld- und Güter⸗ 


492 Karl Scheda 


reichtum, fondern die Menſchen in erſter Linie berüdfichtigt werden müßten, 
und daß deshalb die Volkswirtſchaftslehre eine „Lehre vom geſunden 
und kranken Volkskörper“ fein müſſe. Nuhland weiſt ferner darauf 
hin, daß es ein Irrtum ſei, den Marxismus als einen Gegenſatz zum frei⸗ 
händleriſchen Kapitalismus der Schule Adam Smiths zu betrachten. Schon 
Schäffle hat nachgewieſen, daß der Marxismus ein ebenſo einſeitiger Indi⸗ 
vidualismus wie der reine Liberalismus iſt und ebenfalls auf rückſichtsloſem 
Klaſſenegoismus beruht. Er ſetzt die Individuenmaſſe an Stelle des geglie⸗ 
derten Volkes, während der Liberalismus die bürgerlichen Individuen an 
Stelle des Volkes geſetzt hat. Jener will durch den Staat alles für den vierten 
Stand, dieſer will den Staat von allem weghaben, was die Gewinnſucht des 
Einzelnen einengt. Nach Ruhlands volksorganiſcher Auffaſſung ijt die Volks. 
wirtſchaft auch nicht die bloße Summe von Privatwirtſchaften, ſondern die 
einheitliche Gliederung von unſelbſtändigen Teilen zu 
einem gemeinſamen Leben. Die Einzelwirtſchaften find nur orga- 
niſche Grundzellen, die vor allem dem Leben des ganzen Volkskörpers ihr 
Leben verdanken. Ebenſowenig gibt es nach organiſcher Auffaſſung Volks⸗ 
klaſſen (Arbeiterklaſſe, Erzeugerklaſſe, Verbraucherklaſſe), zwiſchen deren ver⸗ 
ſchiedenen Intereſſen ein Ausgleich etwa auf der mittleren Linie geſucht werden 
müſſe. Nach organiſcher Auffaſſung gibt es nur „verſchiedene Glieder 
an demſelben Volkskörper“. Die Lehren und Ziele des Marxismus 
ſind daher einfach ſinnlos. Dies gilt beſonders auch von der Irrlehre des 
Klaſſenkampfes, aus dem angeblich die ganze Geſchichte beſtehen ſoll. Nicht 
aus dem Kampf der einzelnen Glieder gegeneinander, ſondern nur aus ihrer 
Harmonie und gegenſeitigen Anterſtützung kann die Wohlſahrt des Ganzen 
in allen ſeinen Teilen erwartet werden. Dieſe Erkenntnis iſt uralte Weisheit 
und ſchon vor 2400 Jahren in der berühmten Fabel des Menenius Agrippa 
ausgeſprochen worden. Auch die politiſch beſonders begabten Griechen haben 
die Begriffe „Organ“, „organiſch“ und „Organismus“ als politiſche 
Begriffe ſehr gut formuliert. Jedes Organ hat den Grund ſeines Daſeins 
nur im Ganzen, dem es angehört, und es beſitzt auch nur im Zuſammenhang 
mit dem Ganzen Leben. Die Vereinigung einer Anzahl von verſchiedenen 
Organen zu einem lebensfähigen Ganzen heißt Organismus. Die einzelnen 
unter ſich verſchiedenen Organe erhalten ſich gegenſeitig, deshalb iſt ein har⸗ 
moniſches Verhältnis zwiſchen ihnen notwendig. Deshalb verlangt ſchon 
Pythagoras mit Recht für die volkswirtſchaftliche Entwicklung ein har⸗ 
moniſches Verhältnis zwiſchen Ackerbau, Handel und Induſtrie. 

Auch die deutſche Geſchichte beweiſt die Richtigkeit der volksorganiſchen 
Auffaſſung. Anſer Volk hat eine eigenartige, von anderen Völkern verſchiedene 
Entwicklung durchgemacht. Während die griechiſchen Staaten und das NRö⸗ 
miſche Weltreich aus Stadtſtaaten hervorgingen, iſt unſer Volk ſaſt ein 
Jahrtauſend ein Bauernvolk geblieben und dank dieſer glücklichen 
Entwicklung organiſch, d. h. ganz allmählich, zu ſeinen weiteren Aufgaben 
herangereift. Der Freiheitsſinn der Germanen konnte ſich auf Grund feind- 
licher Einfälle nur ſchwer entſchließen, Städte zu bilden und ſie mit Mauern 
zu umgeben. And dann entſtand in den Städten ein freies Bürgertum, 
von deſſen Kulturhöhe noch heute zahlreiche Bauten ſowie andere Erzeugniſſe 
des Kunſtgewerbes beredtes Zeugnis ablegen. Es war wohl die denkbar größte 
ſoziale Amwälzung, als ſich der unfreie Landarbeiter, der „Hörige“ in einen 


Zu Gustav Ruhlands Gedächtnis 493 


freien Stadtbürger verwandelte. Und diefe großartige Umwandlung iſt völlig 
ohne Klaſſenkampf, ohne das geringſte revolutionäre Bewußtſein erfolgt, ledig⸗ 
lich als natürliche Folge der allmählich entſtandenen Organiſation der Gefell- 
ſchaft neben dem Staate. Dieſe Amwandlung ging ſo allmählich wie alles 
organiſche Wachstum und fo unbemerkt vor fic, daß faſt gar keine Geſchichts⸗ 
quellen darüber vorhanden ſind. Auf einmal war die Stadtmitihrem 
freien Bürgertum da. 

Jeder Menſch wird einmal krank und muß ſterben; deshalb darf man 
doch nicht ſagen, daß das menſchliche Leben nur aus Krankheit beſtehe. Ebenſo 
find auch unſerem Volke ſoziale Klaſſenkämpfe nicht erſpart geblieben. Es ſei 
nur an die Bauernkriege und an den entſetzlichen Dreißigjährigen Krieg er⸗ 
innert. Aber dies waren eben Zeiten ſozialer Krankheiten; deshalb darf man 
nicht ſagen, die ganze Geſchichte beſtehe nur aus Klaſſen⸗ 
kämpfen. 

Die berechtigten Kritiken, die heute an der liberalen Wirtſchaftsordnung 
geübt werden, überſehen aber meiſt, daß auch der Liberalismus eine 
geſchichtliche Aufgabe zu erfüllen hatte. Er hat uns befreit von 
den Feſſeln des alten Polizeiſtaates und der Bevormundung durch eine bor- 
nierte Bürokratie, die ſogar in allen volkswirtſchaftlichen Fragen entſcheiden 
wollte. Schließlich iſt der Kernpunkt des wirtſchaftlichen Liberalismus, die 
Idee der Selbſtverantwortlichkeit des Einzelnen für ſein Schickſal 
und damit der Selbſtändigkeit, d. h. der freien wirtſchaftlichen Arbeit 
als Schöpferin aller Fortſchritte doch eine dauernde Errungenſchaft der Kultur. 
Damit ſoll nicht bezweifelt werden, daß die Schattenſeiten der liberalen Ent⸗ 
wicklung ihre Lichtſeiten je länger deſto mehr verdunkeln. Die Auf⸗ 
löſung der alten geſellſchaftlichen Organiſationen, der Innungen uſw. hat den 
Einzelnen vereinſamt, ihm die wirkſame Hilfe, die ihn früher von der Wiege 
bis zum Grabe begleitete, entzogen und ſchließlich den Kampf aller gegen alle 
erzeugt, der unſer Volksleben zerſetzt und es mit Antergang bedroht. Deshalb 
ſagt Ruhland, daß das neue Jahrhundert ein Zeitalter großartiger 
Organiſationen ſein würde, das die einzelnen Wirtſchaften wieder zu⸗ 
ſammenfaßt. Er entwirft einen Plan für eine neue Rechts⸗ und Wirtſchafts⸗ 
ordnung auf der Grundlage von Gerechtigkeit und Sittlichkeit. Der Fort- 
ſchritt unſerer Kultur von der „Libertät“, d. h. der abſoluten Freiheit, 
kann niemals in der Rückkehr zur Anfreiheit nach den Lehren des Marxismus 
erfolgen, ſondern einzig und allein in dem Aufſtieg von der abſoluten zur 
ſittlichen Freiheit. Näheres hierüber zu bringen, verbietet leider der ver- 
fügbare Raum. Anſere Ausführungen haben aber vielleicht bei vielen den Er⸗ 
folg, ſich mit Ruhlands Schriften ſelbſt vertraut zu machen. Ruhland hat 
1910 noch „eine Orientierungstafel der volkswirtſchaftlichen Grundbegriffe 
der verſchiedenen volkswirtſchaftlichen Syſteme“ für den „Internationa⸗ 
len Verband zum Studium der Verhältniſſe des Mittel- 
ſtandes“ verfaßt, ſowie „Leitſätze für Mittelſtands politik, für 
wirtſchaftliche und ſoziale Reformen der deutſchen Land- 
wirtſchaft ſowie für vaterländiſche Berufs vereine“ entworfen, 
welche die Kerngedanken ſeiner volksorganiſchen Anſchauungen enthalten. 

Auf Grund feiner Studien der wirtſchaftlichen Verhält⸗ 
niſſe auf ſeiner dreijährigen Weltreiſe hatte Ruhland 
auch die Erkenntnis des unvermeidlichen Ausbruchs des 


494 Karl Scheda 


Weltkrieges gewonnen. Er hat den Weltkrieg ſchon 1907 
als einen „Geldkrieg“, einen Kampf um die induſtrielle 
Weltherrfdhaft vorausgeſagt und ebenſo die Revolution 
für den unterliegenden Teil. Aber alle ſeine Mahnungen, 
unſere Rüftungen für den unvermeidlichen Kampf zu ver- 
ſtärken, blieben unbeachtet. 

Ruhlands neue und eigenartige Ideen brachten ihm ſchwere Kämpfe mit 
den auf deutſchen Hochſchulen herrſchenden Kathederſozialiſten ein, vor allem 
mit Schmoller-Berlin, Conrad-Halle und Brentano⸗München. Dieſer war 
durch die Reklame der Freihandelspreſſe zu einer großen volkswirtſchaftlichen 
Autorität emporgelobt worden, deren großer Einfluß namentlich darin beſtand, 
daß er das Prüfungsmonopol für die jungen Studierenden ſeiner Aniverſität 
hatte und dieſe daher mit ſeinen Anſchauungen anſteckte. Später haben dann 
dieſelben in Amt und Würden die falſchen Anſchauungen Brentanos weiter- 
vertreten. Selbſt ein Fürſt Bismarck mußte ſeine ganze Titanenkraft auf⸗ 
wenden, um die ſchädlichen Einflüſſe der mancheſterlichen, freihändleriſchen 
Geheimräte zu beſeitigen. Auch unſere heutige verkehrte Wirtſchaftspolitik iſt 
ein Erzeugnis jener falſchen Lehren der Kathederſozialiſten. Als Heinrich 
von Treitſchke von einer Reiſe nach England zurückkam, war er entſetzt 
über „das ſteinreiche Land ohne Bauern“. Brentano dagegen hat 
ſich von dem britiſchen Reichtum blenden laſſen und die Wohlfahrt des deut⸗ 
ſchen Volkes in der kritikloſen Nachahmung engliſcher Verhältniſſe geſucht. 
Er behauptete, daß die engliſchen Gewerkvereine, deren Organiſation in den 
Schieds- und Einigungsämtern gipfeln, zur vollſtändigen Löſung der Arbeiter- 
frage führen. Er verlangte, daß Deutſchland wie England zum Exportindu⸗ 
ſtrieſtaat werde und hatte keine Bedenken, für dieſes Ziel die deutſche Land⸗ 
wirtſchaft zu opfern. Er ſah auch keine Gefahr für die Volksernährung darin, 
weil die chemiſch⸗techniſche Herſtellung aller weſentlichen Nahrungsmittel nur 
eine Frage kurzer Zeit ſei. Dieſen Anſinn, den er in mehreren Büchern aus⸗ 
führlich begründet hat, mußten ſeine Studenten zum Examen auswendig 
lernen, „als diktierte es der heilige Geiſt“, und je überzeugter die 
Studenten von dieſer Weisheit waren, deſto beſſer war ihre Laufbahn. Sie 
wurden ſehr bald ebenfalls Profeſſoren der Nationalökonomie oder Manda⸗ 
rine in einflußreichen Miniſterialſtellen, wo ſie unſerem unglücklichen Volke 
die Kraft ſolcher Wiſſenſchaft einimpfen konnten. Ruhland hat deshalb auch 
gerade mit Brentano die ſchwerſten Kämpfe geführt, wobei er ſich auch als 
Meiſter der Ironie und der Satire gezeigt hat. Namentlich in ia Aufſätzen 
„Brentanos Agrarpolitik“ und „Der hochberühmte Profeſſor Lujo 
Brentano“ hat er Brentanos Afterwiſſenſchaft klar nachgewieſen und ſeine 
wiſſenſchaftliche Bedeutungsloſigkeit überzeugend dargeſtellt. 

Dieſe ſchweren Kämpfe mit ſeinen wiſſenſchaftlichen Gegnern, die ſchließlich 
zu ſeinen perſönlichen Feinden wurden, zwangen Ruhland, gegen den ſeitdem 
auch ſchon verſtorbenen Profeſſor Dr. Biermer in Gießen einen Verleum⸗ 
dungsprozeß anzuſtrengen, weil er von dieſem in einer Broſchüre als Menſch 
und Wiſſenſchaftler aufs ſchwerſte beleidigt und beſchimpft worden war. Die⸗ 
ſer Prozeß dauerte etwa 7 Jahre; in ihm wurden die Profeſſoren Brentano, 
Conrad, Lexis, Sombart und Adolf Wagner als Sachverſtändige gehört. Der 
Richter erſter Inſtanz hatte trotz des berechtigten Einſpruchs Ruhlands, daß 
ſeine Gegner und Feinde als Sachverſtändige gehört würden, Brentano und 


Zu Gustav Ruhlands Gedächtnis | 495 


Conrad gehört und war ihren einfeitigen und befangenen Gutachten gefolgt. 
Er erklärte deshalb Biermer für zwar der Beleidigung ſchuldig, aber für ſtraf⸗ 
frei, weil ſeine Beſchuldigungen gegen Ruhland von ihm in der Hauptſache 
erwieſen ſeien. Dieſes Arteil erweckte in der ganzen internationalen Jobber⸗ 
preſſe hellen Jubel. Die Frankfurter Zeitung verkündete das ruhmreiche Ereig⸗ 
nis unter dem ſchönen Titel: „Der Antiſemit Ruhland ein toter 
Mann!“ In der Berufungsinſtanz vor der Strafkammer wendete ſich aber 
das Blatt. Der berühmte Ausſpruch: es gibt noch Richter in Berlin! fand 
feine Beſtätigung. Der Vorſitzende hatte nämlich ſämtliche Schriften Nub- 
lands gründlich ſtudiert und daraus die Aberzeugung gewonnen, daß Biermers 
Anſchuldigungen völlig unbegründet waren. Zu ſeiner Genugtuung wurde ſeine 
Anſicht von den neuen Sachverſtändigen, den Profeſſoren Adolf Wagner und 
Werner Sombart, trotzdem fie betonten, eine andere wiſſenſchaftliche Anficht 
als Ruhland zu haben, völlig beſtätigt. Nach langen Verhandlungen ſah Vier⸗ 
mer ſich genötigt, einen Vergleich abzuſchließen, durch den er Ruhland vollſte 
Genugtuung gewähren mußte. Der Wortlaut des Vergleichs ſei hier ange⸗ 
führt, weil er erkennen läßt, welch großen Kränkungen und Beſchimpfungen 
der geniale, ſchöpferiſche Volkswirt Ruhland ſeitens der Zunftgelehrten aus⸗ 
geſetzt war, und weil es dann begreiflich erſcheint, daß dieſer Prozeß, den 
Ruhland zur Verteidigung feiner menſchlichen und wiſſ enſchaftlichen Ehre zu 
führen gezwungen war, ſchließlich ſeine Lebenskraft, die durch eine ſaſt über⸗ 
menſchliche Arbeitsleiſtung ein Vierteljahrhundert hindurch verbraucht war, 
völlig zerſtört hat. Er ſtarb am 4. Januar 1914 zu Bad Tölz, wo er auch ſeine 
letzte Ruheſtätte gefunden hat, die feine Freunde mit einem Denkmal ge- 
Ihmüdt haben 

Der Vergleich lautete: 

1. Profeſſor Dr. Biermer erklärt: Ich habe mich im Gange der zweitinſtanz⸗ 
lichen Hauptverhandlungen davon überzeugt, daß der Hauptvorwurf, den 
ich Profeſſor Dr. Guſtav Ruhland gemacht habe, nämlich, daß er per⸗ 
ſönlich, wiſſenſchaftlich und politiſch charakter und 
geſinnungslos gehandelt habe, von mir nicht aufrechterhalten 
werden kann. Insbeſondere nicht nach der Richtung, daß er um per- 
ſönlicher Vorteile willen ſeine Aberzeugung verkauft 
habe. Auch nehme ich meine Behauptung, daß Herr Profeſſor Dr. Ruh⸗ 
land an der Einreichung des Antrages Köhler (im heſſiſchen Landtag, 
Ruhland eine Profeſſur in Gießen zu übertragen) direkt oder indirekt 
beteiligt geweſen ſei, als unzutreffend zurück. Für ebenſo unzutreffend 
erkläre ich meine in der Broſchüre aufgeftellte Behauptung, daß der 
Privatkläger Ruhland an den Schmidtmannſchen Anternehmun⸗ 
gen Pinzgau nach der Richtung des Bauernlegens aktiv 

eteiligt geweſen und aus ſeiner dortigen Stellung 
Knall und Fall entlaſſen worden ſei. Auch nehme ich die 
Behauptung, daß Profeſſor Dr. Guſtav Ruhland niemals wiſſen⸗ 
ſchaftlich ernſt zu nehmen fei, nach Anhörung eines fo hervor⸗ 
ragenden und von mir hochgeſchätzten Fachmannes, wie der Wirkliche 
Geheime Rat Profeſſor Dr. Adolf Wagner es iſt, zurück. Endlich nehme 
ich alle in meiner Broſchüre vielfach enthaltenen formalen 
Beleidigungen des Privatklägers auch mit dem Ausdruck 
des Bedauerns zurück. 


* 


496 Karl Scheda, Zu Gustav Ruhlands Gedächtnis 


2. Der Privatkläger Rubland erklärt: Ich erkläre hiermit, daß es mir fern- 
gelegen hat, durch den Aufſatz vom 4. 2. 1903 (die Antwort auf Biermers 
Broſchüre) die perſönliche oder wiſſenſchaftliche Qualität des Herrn Pro⸗ 
feſſor Dr. Giermer in Zweifel ziehen zu wollen. Soweit dies aus dem 
Inhalt des Artikels gefolgert werden kann, bedaure ich es. 

3. Die Koſten des Verfahrens übernimmt Profeſſor Dr. Viermer. 

Den erſten Deutſchen Nationalökonomen Friedrich Lift haben die Zunft- 
gelehrten zum Selbſtmord getrieben, den zweiten, Guſtav Ruhland, zu Tode 
gehetzt. Wahrlich eine Rieſenſchuld, die zum Himmel ſchreit. Ein wahrer 
Skandal iſt es aber, daß ſelbſt nach Ruhlands Tode der Haß ſeiner Gegner 
noch über das Grab hinaus währt. Es gibt kein weſentliches Werk der 
Nationalökonomie, das den Namen Ruhlands oder ſeine Werke erwähnt. 
Dieſer Haß beruht vor allem darauf, daß Ruhland den Gelehrten ihre Anfähig⸗ 
keit und Unfruchtbarkeit nachgewieſen hat. Schmoller hat in feierlicher Nek⸗ 
toratsrede behauptet, daß allein die Ereigniſſe der hiſtoriſchen Schule der 
Nationalökonomie als „feſtſtehende“ Wiſſenſchaft zu betrachten fei. 
Ruhland erwiderte darauf, daß ein noch ſo großer Haufen Bauſtoffe von der 
denkbar beſten Qualität noch immer keine Vorſtellung von einem fertigen 
Gebäude gibt, das allein den Bedürfniſſen der Menſchen voll entſpricht. Des⸗ 
halb verwirft Ruhland die Anſicht der Hiſtoriker, daß die Volkswirtſchafts⸗ 
lehre ſich nur zu beſchäftigen habe mit dem, was iſt und geweſen iſt, 
aber nicht mit dem, was ſein ſoll. Demgegenüber betont Ruhland, 
daß die Fürſorge für die Zukunft die wichtigſte Aufgabe der Wiſſenſchaft ſein 
müſſe nach dem bekannten Satze: „Die Wiſſenſchaft iſt die Magd, die mit der 
Fackel der Wahrheit der Praxis vorausleuchtet“. Nach einem zutreffenden 
Ausſpruch des Miniſters Miquel ſind die nationalökonomiſchen Schulſyſteme 
entſtanden aus der Summe der Konſequenzen der jeweiligen Zeitverhältniſſe. 
So das phyſiokratiſche Syſtem aus den Verhältniſſen Frankreichs vor der 
Franzöſiſchen Revolution. So das Adam Smithſche Syſtem aus den engliſchen 
Verhältniſſen zu Ausgang des 18. Jahrhunderts. And Karl Marx hat ſeine 
Theorien aus der Lage der engliſchen Lohnarbeiter bis ins 6. Jahrzehnt des 
19. Jahrhunderts abgeleitet. Seitdem haben ſich unſere von den engliſchen Ver⸗ 
hältniſſen von vornherein abweichenden wirtſchaftlichen und ſozialen Verhält⸗ 
niſſe derartig von Grund auf verändert, daß man Ruhland beipflichten muß, 
daß jetzt endlich ein neues, den heutigen Verhältniſſen entſprechendes Wirt⸗ 
ſchaftsſyſtem geſchaffen werden muß. Die deutſchen Gelehrten haben ſich hierzu 
als unfähig erwieſen. Der Profeſſor Dr. med. v. Bardeleben in Jena 
ſchrieb einſt: „Wenn die Zerſplitterung, die Auſlöſung der Medizin in immer 
kleinere Einzelfächer ſo weitergeht, wie ſeit einigen Jahrzehnten, ſo wird es 
bald keine wiſſenſchaftliche Medizin mehr geben“. Ruhland hält ſich für berech⸗ 
tigt, genau dasſelbe von der heutigen Nationalökonomie zu ſagen. Auch in ihr 
iſt der Grundſatz der Spezialiſierung in verhängnisvoller Weiſe eingeführt. 
Die modernen Handbücher der Nationalökonomie entſtehen durch die Zuſam⸗ 
menarbeit einer möglichſt 3 Zahl von Gelehrten, von denen faſt jeder eine 
andere Anſchauung vertritt. In Conrads „Handwörterbuch der Staatswiſſen⸗ 
ſchaften“ findet man in der erſten Auflage, daß dort von über 100 verſchiedenen 
Gelehrten etwa 240 verſchiedene Krankheiten des ſozialen Körpers behandelt 
und über 900 verſchiedene Heilmittel zu ihrer Heilung verordnet werden, die 
ſich zum Teil auf das ſchärfſte widerſprechen. Man wird Nuhland beipflichten 


Leopold Plaichinger, USA.— UdSSR. 3 497 


miiffen, wenn er das als eine Afterwiſſenſchaft bezeichnet. Man kann 
auch unmöglich die wirtſchaftlichen und fozialen Fragen der Gegenwart an der 
Hand veralteter Theorien beantworten. Anentwegt wird aber der Schutzzoll 
z. B. mit den Argumenten Adam Smiths aus dem Jahre 1776 bekämpft. Marr 
kennt nur die Lohnarbeiterfrage als ſoziale Frage; von der Landwirtſchaft 
befitzt er keine Kenntnis. Trotzdem vertreten die heutigen Nationalökonomen 
die Anſchauungen des Adam Smith und des Karl Marx in verſchiedenen 
Miſchungen. Wenn die Anſichten zu 24 von Marx und zu ½ von Smith 
entlehnt find, fo nennt man das einen „Kathederſozialiſten“; und bei 
umgekehrter Miſchung einen „gemäßigten Freihändler“, und wenn 
er etwas agrariſch „angehaucht“ iff, einen „gemäßigten Schutz- 
zöllner“. Daß Ruhland es nun durchgeführt hat, ein unſeren heutigen Ver⸗ 
hältniſſen Rechnung tragendes „volksorganiſches Syſtem der poli- 
tiſchen Okonomie“ zu ſchaffen, hat natürlich auch den Neid der geiſtig 
befitzloſen Kollegen erweckt. Bei der Cliquenwirtſchaft der Profeſſoren werden 
ja grundſätzlich befähigte Leute, wie Liſt und Ruhland, ſchon deshalb bekämpft, 
weil „ſie nicht einmal das Abiturientenexamen gemacht haben“. Hierzu kommt 
die bekannte Anzugänglichkeit der Gelehrten für neue und eigenartige Ideen, 
ſobald dieſelben nicht von einem verehrten Herrn Kollegen herſtammen, mit 
dem fie durch eine ſtille Geſellſchaft auf gegenſeitige Lobhudelei verbunden 
find. Ruhland lehnt es auch ab, die ſoziale Frage als bloße Gutterfrage zu 
betrachten. Für ihn i ſt die ſoziale Fragekeine Magenfrage, ſon⸗ 
dern eine Frage der Amwandlung eines jeden Menſchen 
aus einem Egoiſten in ein dienendes Glied des nationalen 
Volkskörpers. Mit größter Sorgfalt ſollte daher die Gefinnung des 
nationalen Gemeinſchaftsbewußtſeins gepflegt und ſchon in das Gemüt der 
Kinder verſenkt werden durch eine große, nationale Schulreform, die in einem 
modernen Religionsunterricht gerade dieſe Geſinnungspflege mit einer befon- 
deren Weihe zu umgeben hat. Jedem Deutſchen muß von Jugend auf gelehrt 
werden, mit ſeinem geiſtigen Auge zu erkennen, daß unſer Dichter Hoff⸗ 
mann v. Fallersleben die volle Wahrheit geſagt hat, als er ſang: 
5 ich bin und was ich habe, dank’ ich Dir, mein Vater- 
and!“ 


Zeopold Plaichinger: 
USA. - UdSSR. 


USA. iſt beleidigt. Gekränkt wie ein angealtertes Mädchen, das wohl reich 
iſt, aber mit einemmal entdeckt, daß nicht einmal mehr der Reichtum die Freier 
anlockt, das mit einemmal entdeckt, daß ſelbſt ein Balkaneintänzer der Politik 
ſich vom Tanz zu verdrücken ſucht. Letzthin haben wir die ſeeliſche Verkramp⸗ 
fung in den Beziehungen zwiſchen Europa und USA. dargeſtellt. Karikiert mit 


498 Leopold Plaichinger 


Abſicht, um durch die Karikatur Klarheit zu ſchaffen. Der „wahre Kern“ wird 
durch die Abertreibung nicht wahrer, aber anſchaulicher, und die größere An⸗ 
ſchaulichkeit bedeutet ein beſtimmtes Maß von Wahrheit. Alles war über⸗ 
trieben durch ein Vergrößerungsglas geſehen, und dennoch blieb alles Geſagte 
richtig. Das optimiſtiſche Lächeln der Innenpolitik in USA., jenes Pflicht⸗ 
lächeln, das eine Weltanſchauung erſetzen muß, iſt in der Außenpolitik ver⸗ 
ſchwunden. Die Schminke iſt abgefallen, und der verhärmte und vergrämte 
Mund eines vielfach enttäuſchten älteren Mädchens iſt das Charakteriſtiſche 
des Bildes. 

Solange die USA. nur Nutznießer des Weltkrieges geweſen, ſolange ein 
Wirtſchaftserfolg ſich auf den andern türmte und das tauſendjährige Reich des 
Wirtſchaftsglückes anzubrechen ſchien, da war auch die Politik, die man in den 
USA. betrieb, ungefähr darauf eingeſtellt: Gute Wirtſchaft iſt gute Politik, 
beſſere Wirtſchaft iſt noch beſſere Politik, welch glänzende Politik muß erſt 
entſtehen, wenn die Wirtſchaft an der Spitze marſchiert! 

Daß man den Krieg gewonnen hatte, das wußte man, hat es mit freudigem 
Erſchauern erlebt (älteres Mädchen, ſpät gepflückter Kuß !). Aber da fett die 
Altjungferntragödie der Politik ein. Man war ja ſo reich, daß man zunächſt 
nur immer wieder die Hand den Bewerbern zum Kuß hinhalten brauchte, die 
es übrigens gerne taten, wenn dieſer Handkuß mit einem Lächeln und mit 
einem Scheck quittiert wurde. Aber eines Tages waren es ſo viele, daß nie⸗ 
mand mehr wußte, wer Favorit ſei, und die Lady ſelbſt erſt das Scheckbuch zu 
Rate ziehen mußte. 

Kurz geſagt, ihre überſchüſſigen Kriegsgewinne inveſtierten die Vereinigten 
Staaten in Europa nicht nur als Anlagekapital, ſondern auch als politiſches 
Druckkapital. Morgan und ſein Bankhaus z. B. wollten nur die vornehme 
Liaiſon mit Frankreich, eine Liaiſon, die den Franzoſen das Leben gerettet 
und die Amerikaner in jenen Zwieſpalt der Gefühle und der Politik hinein⸗ 
geriſſen hat, in dem fie ſich heute befinden. Hätte Morgan während des Krieges 
nicht die Rieſenkredite an Frankreich gewährt, fo hätten wahrſcheinlich die 
USA. niemals in den Krieg eingegriffen. Der Krieg war die Rettungsaktion 
für das bereits verloren erſchienene Kapital. Friedensſchluß und Friede (Sta⸗ 
biliſierung des Franken unter Poincaré) konnte nur durch weitere Kredit⸗ 
gewährung Morgans durchgeführt werden. Welche Zwiſchengewinne er an 
den Kursdifferenzen dieſer Finanztransaktionen gemacht, wird man wohl erſt 
erfahren, wenn Mr. Morgan eine ſchwache Stunde haben ſollte und es als 
einziger, der es weiß, ausplaudert. Tröſten wir uns, es wird nicht geſchehen. 
Doch dieſe finanzielle Bindung bedeutete durch Jahre hindurch gleichzeitig eine 
ſtarke politiſche Bindung, und von den Gefühlsduſeleigründen, die wir ſchon 
ſkizziert, abgeſehen, ſchien es, als wenn Paris der Mittelpunkt der 
europäiſchen Politik der Vereinigten Staaten ſei. 


USA. — UdSSR. | 499 


Andere Bankhäuſer und Induſtriegruppen näherten ſich dem Gretchen 
Deutſchland. Es tat allen Herzen ſo wohl, von Liebe und Wohltätigkeit zu 
reden und ein ſicheres 15prozentiges Geſchäft zu machen. Dann flatterte Ka⸗ 
pital in den Orient, man wollte dort nicht nur Petroleumintereſſen, ſondern 
auch ein ganz klein wenig weltpolitiſche Intereſſen fic) fichern. And welcher 
Staat immer ſich an die USA. richtig anzubiedern verſtand, bekam feine An⸗ 
leihe mit jenen politiſchen Bindungen, die nichts und alles beſagen, wie ein 
Heiratsverſprechen, das Gigolo einer alten Schachtel gibt. 

Die Vereinigten Staaten haben bis zur Weltkriſe nicht nur Geld in Europa 
inveſtiert, um ein gutes Geſchäft zu machen, ſondern Geld inveſtiert, um da⸗ 
durch eine politiſche Vorherrſchaft zu erringen. Aber eben, weil man allen 
Geld gab und damit glaubte, alle an die Strippe zu bekommen, erreichte man 
nur eines, daß ſich wieder niemand bevorzugt fühlte und niemand wußte, 
woran er eigentlich ſei. Von einer Vorherrſchaft über Europa politiſch kann 
keine Rede mehr ſein. So zerriſſen Europa in ſich iſt — bei rechtem Licht be⸗ 
trachtet, ein jämmerliches Kleinſtaatengewimmel —, ſo iſt es dennoch heute 
politiſch von USA. wieder unabhängig geworden. Das kränkt das Mädchen. 

And dieſe Frage iſt noch viel wichtiger, als ſie im erſten Augenblick erſcheint. 
In Oſtaſien lauerte der zum Todeshaß aufgepeitſchte Gegner Japan. Seit der 
Einwanderungsſperre für die Gelben in Nordamerika, ſeit den politiſchen 
Schwierigkeiten, die die Vereinigten Staaten den Japanern überall bereitet 
haben, gab es für Japan nur noch eine Politik, jeweils einen Schlag gegen 
Amerika, ihm zuvorkommend, zu führen, ehe Amerika in der Lage iſt, dieſen 
Schlag wirkſam abzuwehren. Dazu follte Europa helfen; aber man hat es 
reichlich ungeſchickt angefaßt. Man hatte ſeinerzeit geglaubt, es genüge, zwi⸗ 
ſchen Oſten und Weſten zu ſitzen, angebliche Wohltaten zu erweiſen und da⸗ 
mit die Möglichkeit zu haben, den Schiedsrichter der Welt zu ſpielen. Doch 
die Beine des Schiedsrichterſtuhles find gebrochen, und man ſitzt raunzend 
und gekränkt auf der Erde. 

Amerika hatte knapp nach dem Krieg die Möglichkeit, nicht nur die Schwer⸗ 
punktsverlagerung der Politik, die zunächſt ſowieſo nach Amerika gegangen, 
bei ſich zu ſtabiliſieren, ſondern die Möglichkeit, die weiße Raſſe Europas 
und Amerikas und der Kolonialgebiete Afrikas und Aſiens unter feiner Füh⸗ 
rung zuſammenzufaſſen. Eine weltpolitiſche Perſpektive von unausdenkbarem 
Ausmaß! 

And nun? Führer der weißen Raffe für den Planeten bleibt nach wie vor 
England, aber England nicht als Freund, ſondern als Gegner von USA. mit 
dem klaren politiſchen Bewußtſein, daß der Tag der Auseinanderſetzung kom⸗ 
men muß. Die Revolutionen, die in Südamerika wie die Vulkane ausbrechen, 
find der bereits in Gang befindliche Kampf zwiſchen den beiden Weltmächten. 


Agrarpolitik Heft 7, By. 2 


500 Leopold Plaichinger 


Amerika ift iſoliert! Darum auch die ſchlechte Laune, darum der plötzliche 
Auftrag, das Flottenprogramm dennoch zum Ausbau zu bringen, darum die 
Sperre über alle europäiſchen Waren, darum der Verſuch, beim Völkerbund 
einzugreifen, damit er in Oſtaſien Ruhe ſchaffe. 

Amerika war nach dem Krieg überzeugt, daß es durch die Weltwirt⸗ 
ſchaftsherrſchaft, die es errungen, gleichzeitig die politiſche Welt⸗ 
herrſchaft erzielt habe. (Bezeichnend, daß amerikaniſche Schriftſteller ernſt⸗ 
lich den Vorſchlag machten zur Befriedung der Welt, daß man, wie im Mit⸗ 
telalter eine „treuga dei“, einen Gottesfrieden, nun eine „pax americana“ 
proklamieren ſollte, einen amerikaniſchen Frieden, der Geltung haben ſollte für 
die ganze Welt. Im Plan war vorgeſehen, daß Amerika die dazu erforder⸗ 
lichen Waffen in Referve halte und Friedensſtörern, gleichgültig, wer es iſt, 
ſofort das Höschen ſtramm ziehe und gut ausklopfe.) Ein Literatenwunſch! 
Aber Literatenwünſche ſind oft Ausdruck für Tatbeſtände oder für Möglichkeiten. 

Solange noch Europa zu Boden lag, hatten die USA. auch machtpolitiſch 
viel Ausſichten. Jetzt, nachdem die Wirtſchaftslage beiderſeits um den Null⸗ 
punkt pendelt, entſcheidet natürlich die machtpolitiſche Lage, ausgedrückt durch 
die Waffenmacht der einzelnen Staaten. Kellogpakt uſw. waren ja Ausdruck für 
dieſe irgendwie ſentimental abgefafte und dennoch verflucht real genommene 
pax americana. Zwei, drei gummidehnbare Verträge ſollten genügen, um je 
nach Wunſch der USA. einen europäiſchen Staat zur Verantwortung und zur 
amerikaniſchen Vernunft ziehen und bringen zu können, d. h. ihn entweder 
durch Geld in das Rang- und Abhängigkeitsverhältnis einer Kolonie zu 
drücken oder, falls es gelingen ſollte, andere Staaten mit heranzuziehen, dieſen 
Staat mit Waffengewalt niederzuwerfen. 

Man glaubte, einige Staaten fangen zu können, wie man in Afrika Affen 
ſängt: 

Man hängt einen ausgehöhlten Flaſchenkürbis auf einen Baum, ſteckt in 
den Kürbis eine wohlriechende Nuß oder eine Banane, und nun greift der 
Affe mit ſeinen ſchlanken Händen durch den Flaſchenhals und ergreift mit 
Wonnezittern die ſüße Banane. Sie iſt fo ſüß, daß er ſich nicht entſchließen 
kann, die Fauſt wieder aufzumachen, aber die Fauſt iſt durch die Banane ſo 
groß geworden, daß er ſie nicht mehr durch den Flaſchenhals zurückbringt. Eine 
hübſche und amüſante Methode, alle Inſtinkte auszunützen, um Affen zu fangen. 

Doch ſo affig der eine oder andere europäiſche Staat ſich auch benahm, die 
Methode hatte man bald durchſchaut und entweder den Kürbis durchgebiſſen 
oder zunächſt auf die Banane verzichtet oder ſie mit dem Kürbis zur Weiter⸗ 
verwertung in ein Verſteck verſchleppt. (Siehe Kriegsanleihen, Moratorien, 
Sonderabkommen uſw.) Mit dieſer Jagd war es alſo nichts, obwohl ſie ſich 
anfangs recht gut anließ. 


USA. — UdSSR. | 501 


And nun zum Wefentlichen der Außenpolitik der USA. Der Hochlapitalis- 
mus regiert und entſcheidet: d. h. das Land will Kapital exportieren dahin, 
wo es den beſten Ertrag ſich erhofft und mit dem Ertrag aber auch gleichzeitig 
größtmögliche Sicherſtellung des Kapitals. Der Inlandsmark iſt nach kapi⸗ 
taliſtiſcher Meinung ſowohl induſtriell wie agrariſch — alle Nohprodukte mit 
eingeſchloſſen — überſättigt. Export allein entweder von Ware oder von Ka⸗ 
pital kann den Kapitaliſten die erwünſchte Verzinſung ihres Kapitals ge⸗ 
währen. And all die rückfließenden Zinſen wollen wieder angelegt ſein, ſo daß 
zwangsweiſe das USA.-Kapital den Weltmarkt ſucht, aber ſich ſelbſt vom 
Weltmarkt abzuriegeln beſtrebt iſt. Am das eigene Territorium errichtet man 
eine chineſiſche Mauer der Zollpolitik, wackelt mit dem Zöpfchen und hält fich 
für gefichert, erwartet aber, daß die ganze Welt freudeſtrahlend den 
Schund, der vom laufenden Band in den Topf der Abzahlungsgeſchäfte fällt, 
aufnehmen würde. Nebenbei bemerkt, die Exportquote der Vereinigten Staa- 
ten iſt in bezug auf ihren geſamten Handelsumſatz recht klein, aber bei der 
Größe des Handelsumſatzes ſpielt dieſe Summe dennoch jene Rolle, um andere 
europäifche Staaten vor den Abgrund zu bringen, in den Ruin zu zerren. Aber 
es handelt ſich ja weniger um den Export der Ware, als vielmehr um den 
Export des Geldes, um die kapitaliſtiſche Anlage, die noch viel mehr dazu 
zwingt, immer weiter und weiter Ausbreitung zu ſuchen und zu finden. 

Bringen wir es auf eine kurze Formel, ſo lautet ſie: Die Außenpolitik der 
USA. gehorcht den Geſetzen des liberaliſtiſchen Kapitalismus und führt 
zwangsweiſe zu imperialiſtiſcher Außenpolitik. 

„Nanu“, ſagt der eine, „wo doch Kellogpakt und fo ... Die Vereinigten 
Staaten unterſtützen doch alle Friedensbeſtrebungen weiteſt gehend ... die 
Bemühungen der von Carnegie und Rockefeller geſtifteten Inſtitute zur inter- 
nationalen Zuſammenarbeit und zur Erhaltung des Friedens find doch auch 
nicht von Pappe!“ ... „Nein, die Inſtitute find reichlich mit Mitteln ver- 
ſehen, bearbeiten ſehr intereſſante Doktorfragen, die ſelbſt wieder in hundert 
Jahren Gegenſtand von Doktorfragen ſein werden, aber mit dem lebendigen 
politiſchen Leben haben ſie nicht das mindeſte zu tun!“ „Ja, aber die unge⸗ 
heure Friedenspropaganda, die gerade von USA. über die Welt geht?“ „Ge⸗ 
rade dieſe Propaganda iſt es, die die Welt nervös macht.“ 

Die Welt ſagt ſich, kein Staat der Erde hat ſo günſtige Möglichkeiten, 
ſelbſtgenügſam als Großmacht zu leben, zunächſt jenſeits jeder Gefahr, ange⸗ 
griffen zu werden, wie eben die Vereinigten Staaten. And das iſt wiederum 
der Irrtum der Welt; denn nirgends auf der Welt lebt das Kapital ſelbſt⸗ 
genügſam, ſondern drängt zur Anlage, zur Ausbreitung, zur Machtentfaltung, 
überſetzt alfo wirtſchaftliche Vorgänge in politiſche, und zwar in nackte macht⸗ 
politiſche. 

So iſt es auch. Nur der Fehler der Politik der USA. iſt der Fehler des 


2* 


502 Leopold Plaichinger 


falſchen oder noch nicht gefundenen Anſatzpunktes. Einerſeits beanſpruchen die 
Vereinigten Staaten für ſich das Geſetz der Monroedoktrin, was gewiſſer⸗ 
maßen ein außenpolitiſches Autarkiegeſetz bedeuten würde, und dennoch haben 
ſie ihre Finger in allen Fettnäpfchen der Weltpolitik. Die Doktrin beſagt, daß 
niemand in amerikaniſche Angelegenheiten ſich einmiſchen dürfe, beſagte aber 
auch lange Zeit hindurch, daß Amerika verzichte, in außeramerikaniſche poli⸗ 
tiſche Angelegenheiten einzugreifen. Die diesbezügliche Auffaſſung ſiehe ſpa⸗ 
niſch⸗amerikaniſcher Krieg, Weltkrieg, Konflikte mit Mexiko, Eingreifen mit 
Waffen in Nicaragua ufw. 

Das Kennzeichen der augenblicklichen amerikaniſchen Außenpolitik iſt dieſes, 
daß kein Kennzeichen vorhanden iſt. Würde man einen größenwahnſinnig ge⸗ 
wordenen Babbitt fragen, was Amerika außenpolitiſch tun ſolle, ſo würde er 
ungefähr zur Antwort geben, es ſei beruſen, den Frieden der Welt zu erhalten, 
und dazu ſei es notwendig, daß es die ſtärkſte politiſche Macht werde. And 
dies könne es, indem Europa freiwillig ſich ſeiner Führung unterordne und 
damit USA. gleichzeitig der Vorkämpfer der weißen Raffe werde. Unter Europa 
meint Gabbitt zunächſt den Kontinent. 

Eine andere Frage iſt's mit England, und da glaubt Yabbitt, England 
habe nach dem Weltkrieg noch ſo viel zu tun mit der notdürftigen Erhaltung 
ſeiner eigenen Weltmacht, ſo daß es jeder Auseinanderſetzung mit USA. aus 
dem Wege gehen werde. Dieſen politiſchen Freibrief rein pſychologiſcher Art 
benutzten aber die USA., um in Gebieten nicht nur wirtſchaftlich, ſondern auch 
politiſch zu wildern, die ſeit Menſchengedenken kapitaliſtiſche Jagdgründe von 
John Bull find. (Südamerika, wo England ungefähr vierzig Milliarden Gold- 
mark inveſtiert hat im Gegenſatz zu den Vereinigten Staaten mit knapp zehn, 
die USA. fi aber aufſpielen, als wenn fie hundert angelegt hätten.) Welch 
ſchwerwiegende Motive zu dieſer Politik drängen, wollen wir bei nächſtem 
Vulkanausbruch als chemiſche Aſchenanalyſe der Politik darſtellen. Am gleich 
richtig verſtanden zu werden: beide Staaten ſuchen und ſuchten in Südamerika 
nicht nur günſtige Kapitalanlagen, die heute zwar zu einem großen Teil als 
verloren zu betrachten find, ſondern fie ſuchen Rohftoffquellen, die für den 
Kriegsfall unentbehrlich find. 

Nur ein kleines Beiſpiel: Keine Armee der Welt kann Krieg führen, ohne 
ihre Truppen mit Konſerven zu verſorgen. Visher iſt es der Technik noch 
nicht gelungen, eine andere Methode zu erfinden als die, die Konſervenbüchſen 
mit Zinn zu verlöten. Außerdem iſt Zinn unentbehrlich für die Autoinduſtrie, 
vor allem als Lagermetall. And nun das Weſentliche, daß man auf dem Ge⸗ 
ſamtterritorium der ‚USA. bisher kein Zinn gefunden hat. Das will beſagen, 
gelänge es einer Macht, die Vereinigten Staaten vollſtändig zu blockieren, ſo 
wären fie militäriſch ſehr geſchwächt, weil fie den erforderlichen Zinnbedarf 
nicht aufbringen könnten. Von andern Hauptvorkommen des Zinns (Nieder- 


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USA.— UdSSR. Ä 503 


ländiſch⸗Indien, England felbft) abgeſehen, ift eines in Bolivien. Neben dem 
inländiſchen Kapital, das in dieſer Induſtrie inveſtiert iſt, find über eine 
Viertelmilliarde Goldmark an engliſchem und amerikaniſchem Kapital außer⸗ 
dem beteiligt. Der ſtärkſte Weltverbraucher an Zinn find die USA., weil fie 
die größten Automobilfabrikanten der Welt find und außerdem die größte 
Konſerveninduſtrie der Welt aufgebaut haben. (Corned Beef, Lachs, kalifor⸗ 
niſche Früchte uſw., mit denen ſie den Weltmarkt überſchwemmen.) 

Seit Monaten leſen wir, daß zwiſchen Bolivien und Paraguay fo 
etwas wie Kriegszuſtand herrſcht, und ich machte einmal den Scherz, daß dort 
im Gran Chaco Spatzen erſt den Kriegsſchauplatz ausroden, auf dem ſpäter 
ſich die Adler meſſen werden. Dort wird entſchieden werden, ob England oder 
USA. die Herrſchaft über das Zinn in ihre Hand bekommen werden. Ühnliches 
gilt für Kautſchuk und ähnliches für Petroleum. Man nehme eine Landkarte 
zur Hand, auf der die Rohſtoffvorkommen der Erde eingezeichnet find und 
ziehe gleichzeitig die politiſchen Schnittlinien zwiſchen USA. und England. 
Man wird überraſcht ſein, welch unerwartete Gegenſätze ſich da auftun. 

Ludwell Denny, ein Amerikaner, ſchreibt in ſeinem Buch „Amerika 
ſchlägt England“: „Wir waren einmal Englands Kolonie. England wird 
unſere Kolonie fein, bevor feine Tage gezählt find, nicht dem Namen nach, 
aber in Wirklichkeit. Maſchinen haben England zum Herrn der Welt gemacht. 
Jetzt machen beſſere Maſchinen Amerika zum Herrn der Welt und Englands. 
Der Befitz des reichſten Landes der Welt genügt uns nicht.“ 

So fieht ein Imperialiſt die kommende Entwicklung. Nur, was er überſehen, 
iſt vielleicht das Weſentlichſte an der Politik. Es iſt etwas anderes, wenn 
ein Bauernſtaat, der für ſeine nachgeborenen Söhne nicht mehr genug Grund 
und Boden hat, zur Waffe greift und über die Grenze drängt, als wenn ein 
Staat, nur um Kapitalanlagen zu machen, Grenzen zu mißachten anfängt. 
Eben das Zielloſe, das Grenzenloſe des Einſetzens ſeiner politiſchen Macht 
iſt im Augenblick die politiſche Schwäche von USA. 

Der Verſuch, den größten noch offenen Weltmarkt, nämlich den chineſiſchen 
Markt, für ſich zu erobern, kann jetzt ſchon als geſcheitert betrachtet werden. 

USA. ſchickte Miffionare und Kommis, aber die Chineſen zeigten weniger 
Intereſſe ſowohl für die Bibel wie für den Muſterkatalog, als man erwartet 
hatte. Panzerkreuzer, Stoßtrupps und Flugzeuge machen auf die Chineſen 
letzten Endes dennoch, wenn auch wider Willen, den größeren Eindruck. Mag 
China noch immer einen japaniſchen Warenboykott durchführen, er bleibt letz ⸗ 
ten Endes undurchführbar, weil die Japaner in den eroberten Gebieten ſowieſo 
ihre Waren unbehelligt auf den Markt bringen können, und die nicht eroberten 
Gebiete zum Teil derart unintereſſiert an dieſer Frage find, daß fie einfach 
jene Ware kaufen, die ihnen billigſt angeboten wird. 

Würde man Babbitt weiter fragen, ſo hätte er geſagt, Amerikas Aufgabe 


504 Leopold Plaichinger 


fet die, den chineſiſchen Markt mit nahezu einer halben Milliarde Menſchen zu 
erſchließen, und das ſei natürlich eine heilige Kulturaufgabe ſeines Landes. 
And ſein Land ſei nicht minder berufen, in der Sowjetunion Schrittmacher der 
kulturellen Entwicklung zu ſein, wobei man natürlich zunächſt davon abſehen 
müſſe, daß man eigentlich mit den Bolſchewiken nichts zu tun haben wolle, 
aber die Bolſchewiki ſich ſicher wandeln werden, wenn fie am verbotenen Apfel 
des US A.⸗ Kapitalismus geknabbert haben. Auch hier gut ausgerichtete Rich- 
tungslofigkeit nach allen Nichtungen! 

Zuſammengefaßt: Die Ausſichten einer politiſchen Wirkſamkeit auf dem 
europäiſchen Kontinent werden immer geringer und geringer. Die das letzte⸗ 
mal gezeichneten pſychologiſchen Vorausſetzungen ſollten nur aufdecken, daß 
die Welt zu erkennen beginnt, daß USA. nicht jene Macht darſtellt, die man 
ihm unter einem pſychologiſchen Zwang zuzuſchreiben geneigt gewefen. 

England, ſein großer Gegenſpieler, hat ſich ſelbſt wiedergefunden. Seit dem 
Abgehen vom Goldſtandard und ſeit der Konferenz von Ottawa geht es gewiß 
England noch nicht ſo, daß es Grund hätte zum heimlichen Jubilieren, aber 
es hat allen Grund zu wiſſen, daß es jeder Machtauseinanderſetzung mit 
Nordamerika gewachſen tft, wirtſchaftlich wie militäriſch. Natürlich denkt 
England nicht daran, auch nur einen Schuß abzugeben, denn es hat zunächſt 
eine Weltmacht zu erhalten, die unter Kriſe ſteht. Es wird jedem Kampf mit 
USA. ausweichen, ſolange es irgend möglich iſt, aber wenn nicht mehr mög⸗ 
lich, dann mit Einſatz jener Kräfte, die wir aus der Geſchichte Englands nach⸗ 
gerade gelernt haben ſollten. Ein friſch⸗fröhlicher Krieg, Arm in Arm mit 
Japan, wenn es notwendig wird, und zwar nur, wenn es notwendig wird, 
kann England unter Amſtänden jene Entlaſtung bringen, die es heute ſelbſt 
weltpolitiſch braucht. 

And in Oftafien iſt die Richtungsloſigkeit Trumpf. Man weiß zwar, daß 
man Japan niederwerfen will, weiß aber, daß man es allein nicht kann und 
ſucht hilflos ſchnüffelnd nach etwaigen Bundesgenoſſen. Die man findet, ver⸗ 
dienen höchſtens das Wort: politiſche Zuhälter. And die den Wert hätten, 
Bundesgenoſſen zu fein, denken nicht daran, für USA. ihre Knochen zu Markt 
zu tragen für eine Sache, die ſie in ihre eigene Scheune einbringen wollen. 
Frankreich z. B. würde feine Hilfe in Oſtaſien nur verkaufen gegen Zugeſtänd⸗ 
niffe in Europa in einem Ausmaß, vor dem ſelbſt Babbitt erſchrecken würde. 
Sonſt aber hat Frankreich nur das Intereſſe, daß ſein eigener Oſtaſienbeſitz 
wohl erhalten bleibt, damit es machtpolitiſch zwiſchen USA., Japan, England 
und Rußland munter Jo⸗Jo ſpielen kann. Es allein ift dazu in der Lage im 
Augenblick, denn alle bewerben ſich um ſeine Gunſt, und die europäiſche Lage 
brauchte Frankreich nicht zu hindern, eine größere Flotte nach Indochina aus- 
laufen zu laſſen. 


* * 


USA. — UdSSR. 505 


Was ift Nußlands Außenpolitik? Der Ideologie nach der „per⸗ 
manente“ Verſuch, die Weltrevolution durchzuführen. Auch wenn Trotzky 
hundermal Stalin den Verrat an der „permanenten Revolution“ vorwirft. 
Am es klar zu ſagen, Trotzky ſieht die bolſchewiſtiſche Revolution noch lange 
nicht beendet, während Stalin durch den Fünfjahresplan und durch den nach⸗ 
folgenden Plan die Beendigung der Revolution ſah und zur Sicherſtellung 
der Ergebniſſe der Revolution die Evolution, d. h. den inneren Auf⸗ und Aus⸗ 
bau ſowohl der Wirtſchaft wie der Politik ſetzte. 

Will Rußland wirklich die Weltrevolution? Oder die Frage noch ſchärfer 
geſtellt: Könnte Rußland politiſch im Augenblick die Weltrevolution über⸗ 
haupt gebrauchen? Es will die Weltrevolution, weil es weiß, daß ſie undurch⸗ 
führbar iſt, das will beſagen, man hat jeweils ein ideologiſches Machtmittel 
in der Hand gegen den Staat, mit dem man jeweils verhandelt, weiß, daß man 
mit dieſem Machtmittel ſich ganz angenehme Zuſicherungen verſchaffen kann, 
ift fic) aber vollſtändig darüber im klaren, daß von einer „Weltrevolu⸗ 
tion“ keine Rede ſein kann. 

Geſetzt den Fall, ſie würde von heute auf morgen ausbrechen, die ganze 
Erde würde die Regierungsform des VBolſchewismus, die Räteregierung an⸗ 
nehmen. Kann ſich jemand vorſtellen, daß die bolſchewiſtiſchen Amerikaner 
ſich von Moskau aus Wirtſchaftspläne diktieren ließen? Selbſt der begeiſtertſte 
engliſche Bolſchewiſt würde es für zweckmäßig erachten, London zur Haupt⸗ 
ſtadt der Weltrepublik zu machen. Wir brauchen von Deutſchland nicht zu 
ſprechen, noch von Frankreich und andern Staaten, ſondern wollen nur eines 
ganz kurz feſtlegen: Wo immer in irgendeinem Staat in der 
nächſten Zeit die kommuniſtiſche Staatsform ſich durch 
ſetzen ſollte, fo wird fie niemals ruſſiſchen Charakter tra- 
gen, wohl die eine oder andere Maßnahme Nußlands nachahmen. Aber kein 
Staat wird jemals bolſchewiſtiſch, weil er nicht ruſſiſch werden kann, und hier 
haben wir die Kernfrage, die wir für die Außenpolitik brauchen. Mag Ruß⸗ 
land noch ſo ſehr im Innern den Idealſtaat marxiſtiſcher Forderungen erfüllt 
haben, fo wenig hat es dieſes als Staat nach außen. Seine Außenpoli⸗ 
tik trägt rein nationale Prägung, und es muß auch nationale 
Außenpolitik betreiben, ſonſt würde dieſer Staat im Handumdrehen in ſich 
ſelbſt zerfallen oder von den Nachbarn bei beſter Gelegenheit angegriffen 
werden. 

In der Tagebuchnotiz über Rußland im Novemberheft dieſer Zeitſchrift 
machte ich die Bemerkung, daß man vieles vom Fünfjahresplan als unfinnig 
ablehnen müſſe, wenn man nicht den tieferen Sinn durchſchaue, und zwar den 
militäriſchen. Stalin hat am 7. Januar in ſeiner achtſtündigen Rede über die 
Ergebniſſe des Fünfjahresplanes gleichzeitig den Schleier gelüftet über die 
militäriſchen Maßnahmen, die Rußland im Plane vorgeſehen hatte. Voll 


506 Leopold Plaichinger 


erfüllt ift nur der militäriſche Plan. Unfer Hinweis, daß ſoundſo viele Indu⸗ 
ſtriemaßnahmen im europäiſchen Sinn des Wortes unfinnig wären, wenn 
nicht der tiefere Sinn militäriſcher Bedeutung ihnen unterläge, wurde von 
Stalin in nackten, dürren Worten geſagt. Es iſt auffallend, wie ſehr Stalin 
betonte, daß Rußland mit den modernſten Waffen und vor allem mit einer 
ſtarken Luftflotte ausgerüſtet ſei. Den Zwang zu dieſer Hochrüſtung leitet 
Stalin vor allem ab aus den Vorgängen im Fernen Oſten. 

Viel intereſſanter wäre jener Teil der außenpolitiſchen Begründung, den 
Stalin verſchwiegen oder nicht hat veröffentlichen laſſen. Es iſt auf Jahre 
hinaus unwahrſcheinlich, daß Japan eine kriegeriſche Angriffspolitik gegen 
Rußland unternehmen wird. Japan hat mit China reichlich genug zu tun und 
muß auf der Hut ſein, ſeine militäriſchen Kräfte ſo zuſammenzuhalten, daß ſie 
im Notfall ſchlagartig eingeſetzt werden können. Eine Verzettelung der mili⸗ 
täriſchen Macht kommt für Japan zunächſt nicht in Frage, weil die Etappen 
linien im Falle eines Krieges mit Rußland ſich auf drei⸗ bis viertauſend Kilo⸗ 
meter erſtrecken würden. Bei dem gleichzeitigen Krieg aegen China eine für 
Japan ſehr ſchwierige Frage. Aber wir glauben, daß Stalin Japan genannt 
hat, weil es zunächſt nicht in Frage kommt. Intereſſanter wäre geweſen, von 
ihm zu hören, wie die Beziehungen der Sowjetunion zu England ſtehen. 
Dieſes Schweigen beſagt, daß die Sowjetunion nach wie vor in England ihren 
gefährlichſten Gegner ſieht. Der Hinweis Stalins auf den Fernen Oſten hat 
feine Richtigkeit in bezug auf China, weil Rußland genau fo wie die kapita⸗ 
liſtiſchen Mächte auf die endgültige Aufteilung Chinas wartet. Die wenigen 
roten Provinzen in Innerchina haben nach dem bisherigen Verſagen der 
Sowjetpolitik in China zunächſt an unmittelbarer Bedeutung verloren. Dieſe 
können aber wieder an Bedeutung gewinnen, wenn Japan zu größeren Schlä⸗ 
gen ausholt, der Krieg größere Menſchenmaſſen in Bewegung ſetzt und da⸗ 
durch die an ſich kaum noch vorhandene innere Regierungsgewalt reſtlos be⸗ 
ſeitigt wird. Dann fallen natürlich die roten Provinzen Chinas wie Paradies: 
äpfel in den Schoß Sowjetrußlands. 

Im Weſten ijt Rußland abgeriegelt. Die nach Krieg und Revolution neu 
entſtandenen Staaten Finnland, die drei baltiſchen Staaten, Polen und — 
zwar nicht neu erſtanden, aber zur Großmacht geworden — Rumänien bilden 
einen Wall zwiſchen Europa und der Sowjetunion. Gibt ſich Rußland mit 
dieſem Zuſtand zufrieden, oder wird es eines Tages Anſprüche erheben auf 
die ihm weggenommenen Gebiete? D. h. wird Rußland wieder ſlawiſtiſche 
Politik betreiben, dann muß es mit den Nachbarſtaaten in Konflikt geraten 
und damit auch mit dem übrigen Europa. 

Gibt es überhaupt noch einen Panſlawismus? Denkt man an den Vor⸗ 
kriegspanſlawismus, an die Pilgerfahrten des Tſchechen Kramaf nach Ruß⸗ 
land, an die Verbrüderungsfeſte in Serbien mit dem ruſſiſchen Geſandten 


USA. — UdSSR. 507 


Hartwig, denkt man an Montenegro und an die ſlawiſch⸗irredentiſche Be⸗ 
wegung im ehemaligen Südöſterreich, dann kann man nur ſagen, der Pan⸗ 
ſlawismus iſt ausgeſtorben. Die Tſchechoſlowakei will ein ſelbſtändiger Staat 
bleiben, nicht minder Sugoflawien, und was vor dem Kriege für fie zweck⸗ 
mäßig geweſen, um das alte Ofterreich-Ungarn zu zertrümmern, iſt nicht mehr 
zweckmäßig, weil es ſie ſelbſt zertrümmern würde. 

Aber in einem verfolgt die Sowjetregierung dieſelbe Politik wie das Zaren⸗ 
reich und muß dieſe Politik um ſeiner eigenen Exiſtenz willen durchſühren. Es 
ift der Drang nach dem Meer, der Drang nach offenen Ausfuhrhäfen. Im 
Often ift die Entſcheidung gefallen, da hat Rußland verzichtet. Im Weſten 
iſt es noch nicht ſtark genug, fühlt ſich aber ſtark genug, die entſcheidende Durch⸗ 
bruchſtelle Beſſarabien weiterhin für ſich in Anſpruch zu nehmen. Rumänien 
wird unweigerlich den Machtkampf um das Schwarze Meer mit Rußland 
austragen müſſen, entweder durch ein Nachgeben, ehe es zum Kriege kommt, 
wodurch Rußland wieder in die Nangſtellung der Vorkriegszeit einrücken 
würde, oder durch kriegeriſche Auseinanderſetzung, die im Augenblick keiner der 
beiden Staaten wünſcht, aber auf die ſich beide vorbereiten. 

And nun iſt die weltpolitiſch entſcheidende Stoßrichtung einer ruſſiſchen 
Außenpolitik zu unterſuchen, die Stoßrichtung nach dem Süden, nach Perſien 
und Indien. Dieſe Frage rückt nun immer näher und näher an den Bereich der 
unmittelbaren Aktualität. Zunächſt iſt die Aberlegenheit Englands noch immer 
fo groß, daß von unmittelbarer Rriegsgefabr keine Rede fein kann, aber 
irgendein Zufallsereignis kann Auslöſer ſein eines großen aſiatiſchen Krieges. 

USA. wie Ad SSR. find beide als Weltmächte ſtark genug, jeden Angriff 
abzuwehren, befinden ſich aber in einem Zuſtand einer auch nicht annähernd 
beruhigten Außenpolitik. Iſt's bei den USA. das Ausbreitungsgeſetz des Ka⸗ 
pitalismus, das die Vereinigten Staaten doch eines Tages zu einer Angriffs- 
politik zwingen wird, ſo geſchieht es in Rußland durch den „negativen“ 
Kapitalismus, der denſelben Geſetzen zu gehorchen hat. 


Ragnar Berg: 
Die Verwertung des deutfchen Brotgefreides 


Eine volkswirtſchaftlich richtige Steuerung der landwirtſchaftlichen 
Geſamterzeugung hat auszugehen von zwei hauptſächlichen Gefidts- 
punkten: Einmal den natürlichen Vorausſetzungen, wie ſie durch 
Bodengüte, Klima uſw. gegeben ſind, zum andern von den geſicherten 
Erkenntniſſen der Ernährungsphyſiologie. Wir begrüßen es daher, 
daß der bekannte Ernährungsphyſiologe Dr. h. c. Ragnar Berg unſerer 
Bitte nachgekommen iſt, ſeine Meinung über die beſtmögliche Verwer⸗ 
tung der deutſchen Getreideernte vom Standpunkte der er 
Ernährung aus zu entwideln. 


Die Schriftleitung hatte die Freundlichkeit, mich aufzufordern, hier einmal 
meine Gedanken über die Verwertung der deutſchen Getreideernte zu ent⸗ 
wickeln. Während ich jetzt darangehe, meine Gedanken niederzuſchreiben, merke 
ich am beſten ſelbſt, daß ich weder Landwirt noch Volkswirt bin, und muß 
dementſprechend um Nachſicht für die einſchlägigen Teile meiner Arbeit bitten. 
Ganz um das Land- und Volkswirtſchaftliche komme ich aber nicht herum, denn 
die grundlegende Frage iſt ja, ob die deutſche Landwirtſchaft eine überreichliche 
oder nur eine knappe Ernährung garantieren kann, oder ob wir gar als über⸗ 
induſtrialiſiertes Land auf die Zufuhr von außen angewieſen ſind. 

Ich gebe zunächſt eine Aberſicht der Erzeugung und Verwertung des deut⸗ 
ſchen Getreides, wie ſie in dem „Statiſtiſchen Jahrbuch für das Deutſche 
Reich“ enthalten iſt (Tabelle 1). Dazu iſt zu bemerken, daß die Angaben ſich 
nur auf das jetzige Reichsgebiet ohne das Saargebiet beziehen; die Werte der 
Vorkriegsjahre ſind ebenfalls auf dasſelbe Landgebiet und dieſelbe Bevölke⸗ 
rung bezogen, ſo daß alle Werte vergleichbar ſind. 

Wir ſehen, daß die Kriegs- und Inflationszeit durchgängig eine Verminde⸗ 
rung der Ernte herbeiführte, die am ſtärkſten bei den Hauptgetreidearten be⸗ 
merkbar iſt: die Roggenernte des Jahres 1924 betrug nur 56,5 % von der im 
Jahre 1914, die allerdings eine Rekordernte darſtellt. Für Weizen finden wir 
nur 60,1% der 1914er Ernte, während die Anterſchiede bei Gerſte und Hafer 
weniger auffällig ſind. Forſchen wir nach den Arſachen dieſes Rückganges, ſo 
finden wir — außer bei Gerſte — überall eine Verminderung der Anbaufläche 
und durchgängig eine Verſchlechterung des Hektarertrages. Wir können dies 
in verſchiedener Weiſe deuten: Mangel an Arbeitskräften, Betriebskapital 
und Düngemitteln, teilweiſe wohl auch ſchlechte Witterungsverhältniſſe; die 
letzteren können jedoch bei der Verminderung der Anbaufläche nicht mitfprechen. 

Im Laufe der folgenden Jahre beſſern ſich die Verhältniſſe in jeder Hinſicht 
bis zum Jahre 1928; von da ab finden wir wieder Anzeichen einer Verſchlech⸗ 
terung, die ſich am Pune beim Hektarertrag bemerkbar macht. Da dieſe Er⸗ 
tragsminderung z. T. nicht einmal durch vergrößerte Anbaufläche wettgemacht 


Die Verwertung des deutschen Brotgetreides 509 


werden kann, müffen wir fie in Anbetracht der recht günftigen Wetterlage als 
Folge der mangelnden Arbeitskräfte und Düngemittel betrachten. 

Daß der Verbrauch an Düngemitteln tatſächlich in demſelben Maße wie 
der Ernteertrag pro Hektar zurückgegangen iſt, alſo als Arſache dieſer Ver⸗ 
ſchlechterung angenommen werden muß, geht aus folgender Aberſicht hervor, 
wobei allerdings die Ziffern des Jahres 1932 noch nicht berückſichtigt find: 


Düngemittel 1927 1928 1929 1930 1931 


Stickſtoff . . 4105 418,4 419,9 394,9 302,2 
Kalkk . . 432,9 1587,9 1701,0 1446,6 970,4 
Phosphor. . . 3793 516,0 5100 514,1 4245 
Kali. 608,1 744,0 754,0 743,0 596,4 


Zufammen . . 2905,8 3266,3 3384,9 3098,6 2293, 5 


Bis 1928 bzw. 1929 Steigerung des Verbrauches, dann ſtarke Verminde⸗ 
rung, genau wie bei dem Ernteertrag! 


Jetzt hat die Produktion von Roggen bei weitem nicht die alten Ausmaße 
erreicht, die von Gerſte und Hafer ſind ungefähr dieſelben wie früher, während 
die Weizenproduktion trotz ſchlechteren Hektarertrages erheblich die der Vor⸗ 
kriegszeit überſteigt. Nebenbei iſt gleichzeitig der Fleiſchkonſum mächtig ge⸗ 
ſtiegen: 1913 Fleiſchverbrauch pro Kopf 36,06 gegen 44,85 kg pro Kopf im 
Jahre 1931. Wir ſehen hier eine Tendenz, die für die Ernährung aller zivi⸗ 
liſierten Völker kennzeichnend iſt: Rückgang des Noggenverbrauchs, ſtatt deſſen 
Zunahme des Verbrauchs an Weizen und Fleiſch. Es braucht gerade hier nicht 
näher ausgeführt zu werden, wie ſchädlich dieſe Entwicklung für die deutſche 
Landwirtſchaft ſein muß. Sie iſt es aber hauptſächlich, die ins Feld geführt 
wird, wenn man die Bedeutung der deutſchen Landwirtſchaft verneinen will: 
Deutſchland ſei kein Agrarſtaat mehr, ſondern ein Induſtrieſtaat, weshalb die 
Belange der Landwirtſchaft hinter denen der Induſtrie (lies: Stadtbevölke⸗ 
rung) zurückſtehen müßten. 

Wir müſſen auch bedenken, daß hierzulande wie faſt überall in Europa eine 
Amſchichtung der Bevölkerung in den letzten 50 Jahren ſtattgefunden hat: 


Es lebten 1882 1931 
in Städten in Landbezirken in Städten in Landbezirken 
Menſchen, Millionen 11,7 35,1 44,9 19,4 
oder % der Bevölkerung 25,0 75,0 70,0 30,0 


Während die Stadtbevölkerung alſo auf faft das Vierfache anſtieg, ift die 
Landbevölkerung auf faft die Hälfte zuſammengeſchmolzen. Gewiß iſt in dieſer 
Berechnung ein Fehler enthalten: die Werte für 1882 ſind gültig für das ganze 
damalige Reichsgebiet, die von 1931 nur für den verſtümmelten Staat, das 
Saargebiet eingeſchloſſen. Irgendwelche weſentliche Anterſchiede in der prozen⸗ 
tualen Verteilung zwiſchen Stadt und Land ſind aber dadurch kaum entſtanden. 

Es könnte nun ſo ſcheinen, als wäre die erwähnte Behauptung richtig: die 
heutige deutſche Landwirtſchaft ſei außerſtande, das eigene Volk zu ernähren. 
Sie iſt trotzdem und trotz der geſteigerten Ernährungsanſprüche doch nicht zu⸗ 
treffend. Durch Nationaliſierung iſt es gelungen, die Verſorgung mit Nah⸗ 


Ragnar Berg 


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511 


Die Verwertung des deutschen Brotgetreides 


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512 Ragnar Berg 


rungsmitteln faſt auf derfelben Höhe wie früher zu halten. Zur Verfügung 
ſtanden für alle Zwecke, abzüglich Ausſaat, pro Kopf und Jahr: 


1882 1913 
kg Kalorien kg Kalorien 


Kopf und Jahr: Kalorien 


Getreide 352,75 | 1058 250 — 322,64 967 920 
Hackfrüchte 773,63 | 502860 sat 836,60 | 543 790 
Rind⸗ und Schweinefleisch 
(ohne Einfuhr). — = 43,72 | 113672 
EE OT ASRS 


Zuſammen Kalorien 1652318 1625 382 


(Da ich keine Angaben über die Fleiſchproduktion von 1882 beſitze, habe ich die 
von 1913 eingeſetzt; dadurch wird der Stand für 1931 verhältnismäßig ver⸗ 
ſchlechtert, weil die Produktion vor 50 Jahren mit Sicherheit viel geringer als 
zur Zeit der „Fleiſchnot“ war.) Die jetzige Produktion iſt alſo trotzdem um 
26 931 Kal. / Kopf und Jahr oder täglich um 74 Kal. / Kopf geringer. Berück- 
ſichtigen wir, daß der eingeſetzte Wert für Fleiſch 1913 ſicher zu hoch für 1882 
war, fo kommen wir zu dem Refultat, daß wahrſcheinlich die Produktion pro 
Kopf und Jahr heute höher als früher iſt. 

Wenn man bedenkt, unter welchen Laſten die Landwirtſchaft heute im Ver⸗ 
gleich mit 1882 ſeufzt und daß die Zahl der Produzenten auf die Hälfte zu⸗ 
ſammengeſchrumpft iſt, trotzdem aber der Beitrag der deutſchen Landwirtſchaft 
zur Ernährung des Volkes pro Kopf der Bevölkerung praktiſch derſelbe ge⸗ 
blieben iſt (der oben berechnete, ſicher zu große Anterſchied beträgt ungünſtigſten 
Falles eine dünne Schnitte Brot täglich), wird der tendenziöſe Anſinn der oben 
erwähnten Behauptung erſt recht klar: 1882 haben 35,1 Millionen 
in der Landwirtſchaft 46,8 Millionen Menſchen ernährt, 
und 1931gewährleiſteten 19,4 Millionen in der Landwirt 
ſchaft diefelbe Ernährung für 64,3 Millionen! 

Berückſichtigen wir jetzt, daß die Lebensmitteleinfuhr heute das Vielfache 
von der im Jahre 1882 beträgt, ſo ſollte eigentlich das deutſche Volk 1932 
glänzend verſorgt fein. Das Gegenteil fcheint aber der Fall zu fein; woher 
kann das kommen? 

Ganz abzuſehen iſt ja von der Tatſache, daß heute Millionen in Deutſch⸗ 
land mehr oder weniger ausgeſprochen hungern müſſen, weil fie infolge der 
Arbeitsloſigkeit einſach nicht die Mittel zu einer ausreichenden Verſorgung 
erwerben können. Das iſt nicht die Schuld der Landwirtſchaft und ändert nichts 
an der Tatſache, daß genügend Lebensmittel pro Kopf der Bevölkerung her⸗ 
vorgebracht werden. 

Der Lebensſtandard iſt aber heute viel höher als damals: man will nicht 
nur leben und eſſen, ſondern man will gut eſſen und leben. Die Leute, die 
heute noch etwas verdienen, geben bedeutend mehr aus für ihre Ernährung als 
ihre Vorfahren vor 50 Jahren. Sie verlangen vor allem „feinere“ Waren, 
wobei die Feinheit mehr in dem Ausſehen als in der Beſchaffenheit der Ware 
geſucht wird. Dadurch wird eine große Menge Nährwerte vergeudet, die in 
alten Zeiten dem Menſchen zunutze kamen, jetzt aber nur als Viehfutter Ver⸗ 
wendung finden. 

Schuld daran wie auch an dem unmäßig geſteigerten Fleiſchkonſum hat zum 
großen Teil die Ernährungswiſſenſchaft. Es iſt ja eine junge Wiſſenſchaft, 


Die Verwertung des deutschen Brotgetreides 513 


und leider wurden die erften Errungenſchaften derſelben als der Weisheit 
letzter Schluß ins Volk getragen, lange bevor die Ergebniſſe wirklich feſtſtanden. 
Die Folge wurde zunächſt eine übermäßige Wertſchätzung des Nahrungs- 
eiweißes: man müßte viel Eiweiß verzehren, um leben zu können. Deshalb 
"wurde Fleiſch als das wichtigſte Nahrungsmittel eingeſchätzt, feines Weizen⸗ 
brot höher als feines Roggenbrot uſw. Daraus ergab ſich wieder der Aber⸗ 

laube, daß Weizen überhaupt ein beſſeres Nahrungsmittel als Roggen ſei. 
Dieſe Meinung hat ſich aber durch die neueren Anterſuchungen als irrig her⸗ 
ausgeſtellt: gerade das Gegenteil iſt der Fall. 

Ganz beſonders mäkelte man an dem Roggenvollfornbrot herum, dem alten 
Hauptnahrungsmittel des größten Teils von Deutſchland. Die Aberſchätzung 
von Fett, Kohlehydraten und beſonders Eiweiß hatte dazu geführt, daß man 
möglichſt konzentrierte Nahrungsmittel bevorzugte und einen höheren Gehalt 
an Füllſtoffen, alſo Zellſtoff, als ſchädlich beurteilte. Beſonders Rubner 
hat die Behauptung aufgeſtellt, daß viel Rohfaſer, vor allem in Form von 
Kleie, der Ernährung dadurch abträglich ſei, weil der Darm zur vermehrten 
Tätigkeit gereizt würde und infolgedeſſen Eiweißverluſte eintreten. Noch 1925 
hat Rub ner in einer großangelegten Experimentalarbeit zu beweiſen verſucht, 
daß es wirtſchaſtlich vorteilhafter wäre, nur Feinbrot herzuſtellen und die Kleie 
auf dem Amwege der Verfütterung ans Vieh in Form von Fleiſch der menſch⸗ 
lichen Ernährung zuzuführen. Ich habe in mehreren Arbeiten gezeigt, daß nur 
ein ganz befangener Beurteiler zu dieſem Schluß kommen kann, denn Rub- 
ners eigene Zahlen beweiſen das Gegenteil. Wenn Vollkornbrot an Geſunde 
verabreicht wurde, wurde die Kleie ebenſogut von Menſchen als ſelbſt vom 
Wiederkäuer ausgenutzt. Durch einen Verſuchsfehler kam Rubner zu dem 
Schluß, daß die Kleie in Form von Hammelfleiſch wieder zu 70% der menſch⸗ 
lichen Ernährung zugeführt werden konnte; tatſächlich bekommt man, wie durch 
unzählige Verſuche ſchon ſeit langem ſicher feſtgeſtellt iſt, nur 14 bis höchſtens 
20% (beim Schwein) in Form von Fleiſch wieder. Nur das direkte Verzehren 
des Vollkornbrotes gewährleiſtet eine größtmögliche Ausnutzung der im Ge⸗ 
treidekorn ſteckenden Werte. 

Es iſt ſchon richtig, daß Magen ⸗ und Darmkranke Vollkornbrot oft nicht ver- 
tragen. Die Arſache iſt, daß das Brot häufig viel zu ſauer und die Kleie in dieſem 
Brot faſt immer zu grob iſt und darum die empfindlichen Schleimhäute reizen 
muß. Aber zunächſt kann man aus Rückſicht auf die wenigen Kranken doch nicht 
dem ganzen Volk ein minderwertiges Weißbrot aufzwingen. Weiter aber ver⸗ 
fügen wir über verſchiedene Verſahren, die eine ſolche Feinmahlung der Kleie 
ohne Schädigung der Vackfähigkeit des Mehles geſtatten, daß ſelbſt Kranke ein 
fo hergeſtelltes Brot vertragen können. Dabei wird, wie Rub ner ſelbſt durch 
Verſuche feſtgeſtellt hat, die Ausnutzung ſo weſentlich verbeſſert, daß kaum noch 
ein Anterſchied zwiſchen ſolchem Vollkornbrot und Brot aus feinſtem Weizen- 
mehl beſteht: ſtatt 35—45% Verluſt bei gewöhnlichem Vollkornbrot nur noch 
21%. Aber auch im gewöhnlichen Vollkornbrot werden die Nährſtoffe doch fo 
gut ausgenutzt, daß dadurch ein höchſt wefentlicher Gewinn an z. B. Eiweiß 
gegenüber Weißbrot entſteht, ſelbſt bei Leuten, die ſonſt nicht an grobes Brot 
gewöhnt ſind. 

Alles ſpricht alfo dafür, daß das Hauptbrot ein Vollkornbrot ſein ſoll, gleich⸗ 
gültig, ob es ſich um Roggen- oder Weizenbrot handelt. Dabei muß aber feſt⸗ 
geſtellt werden, daß nur ſolches Brot als „Vollkornbrot“ bezeichnet werden 


514 Ragnar Berg 


darf, wo bei der Vermahlung das ganze Getreidekorn ohne weitere Abzüge, 
außer den natürlichen Verluſten durch Reinigung, Verſtauben uſw., zu einem 
Mehl verwandelt worden iſt. Insbeſondere müſſen die Keime und die eiweiß- 
haltigen Randſchichten des Kornes voll und ganz im Mehl enthalten fein. Oft 
hört man Brot aus z. B. 70— 75% Ausmahlung als Vollkornbrot bezeichnen, 
aber das iſt falſch: da handelt es ſich um ſogenanntes Graubrot. Bei dieſem 
iſt gewöhnlich u. a. gerade der Keim, der wertvollſte Teil des Kornes, heraus- 

enommen, weshalb ein ſolches Brot viel geringere Nähreigenſchaften beſitzt. 

nalytiſch bezeichnend iſt der Gehalt an ſogen. Zellmembranen (im Vollkorn⸗ 
brot 3,34, 1%, im Roggenbrot 1. Sorte 2— 30%) und Zellſtoff (1,1% bzw. 
0,8%). Beim Weizenbrot ſind die Anterſchiede noch größer: Zellmembranen 
im Vollkornbrot 3%, im Weißbrot 0,8%, und Zellſtoff 1,0 bzw. 0,6%. 

Der Anterſchied im Gehalt an Eiweiß iſt nicht ſo groß: 


— — . 


Es enthalten 100 g Kalorien 


Weizenbrot, Vollkornn . 234 
Weizenbrot, Weiß 266 
Roggenbrot, Vollkorn s 231 
Moggenbrot, Gran: 257 
Moggenbrot, Weif- . . . . . 320 


Trotzdem ift die wirtſchaftliche Bedeutung dieſes Anterſchiedes gewaltig. 
Ein Kilogramm Getreide ergibt bei 94% Ausmahlung 1288 g Vollkornbrot, 
aber bei 60% Ausmahlung nur 822 g Brot und bei 30% ſogar nur 411 g fein- 
ſtes Weißbrot. Wir erhalten dann in Form von Nahrungsmitteln 


Aus 1 kg Mogger Aus 1 kg Weizen 
Bei Ausmahlung a Kohle⸗ 
von 5 Hydrate | Kalorien 
R 8 
94% 100,5 14,2 592,5 | 2975 | 114,6 12,9 $92,5 | 3014 
60 % 53,4 8,2 419,2 | 2112 — — — — 
30 % 24,7 3,3 22:,9 | 1315 27,9 3,7 234,3 | 1093 
Der Verluſt beträgt alfo bei jedem Kilogramm verarbeitetes Korn 
60% 47,6 6,0 183,3 | — | — | — | — | — 
30 % 75,8 10,9 370, 1 660 86,7 9,2 358,2 | 1921 
ober in Prozenten der Mengen im Vollkornbrot 
60 % 47,3 42,2 30,9 | 29,0 | — | — | — | — 
30% 74,7 76,7 62,6 55,7 75,7 71,3 60,5 63,7 


Es find alfo gewaltige Mengen von Nährwerten, die hierbei verlorengehen. 
Was das für das ganze deutſche Volk bedeutet, können wir mit Hilfe der 
Tabelle 1 berechnen. Dort finden wir die Mahlverluſte durch Ausſcheiden von 
Kleie und Keimen bei Roggen zu 33,02% und bei Weizen zu 28,25% des 
Vermahlenen. Die Ausmahlung war alſo durchſchnittlich 66,98% bei Roggen 
und 71,75% bei Weizen. Würde alles Mehl zu Brot verbacken worden ſein, 
ſo ergäbe dies aus 1000 t Roggen 917,626 t und aus 1000 t Weizen 982,975 t 
Brot. Die vermahlene Getreidemenge hätte alſo 4 281 368 t Roggenbrot und 
4 997 936 t Weizenbrot ergeben. Es enthielte dann: 


Die Verwertung des deutschen Brotgetreides | 515 


Eiweiß Kohlebydrate 
t t 
der gereinigte Moggen (94°/, des Vers 
mablenen) . 2. 2 2 2 2. 381 561 65 786 3 157 746 
das Brot darauns 278 289 12811 2 183 489 


alfo Verluſt 103 272 22 972 974 248 


Millionen 
Kalorien 


15 130 865 
10 489 352 


4 641 513 


16 680 211 
12 194 964 


4 485 247 


90 809 
44 981 


3 250012 
2 448 989 


der gereinigte Weizen (ebenſo 94%) 602 208 
das Brot darauns 2. 419 827 


alfo Verluſt 


oder zuſammen ein Verluſt von 9126760 Millionen Kalorien. Ganz ſtimmt 
dieſe Berechnung nicht, denn der Abfall iſt ja nicht weggeworfen, ſondern ver⸗ 
füttert worden. Nehmen wir an, daß von dem Kraftſutter durchſchnittlich 16% 
in Form von Fleiſch der menſchlichen Ernährung wieder augeführt wurden, 
bedeutet dies eine Verminderung des Verluſtes auf 7 666478 Kalorien, ent- 
ſprechend den ganzen Jahresbedarf von 7 001 350 Menſchen, wenn dieſe nichts 
anderes als Brot verzehren würden. Das ſtimmt aber wieder nicht. Der Arbei⸗ 
ter mit niedrigſtem Einkommen verzehrt durchſchnittlich nur 128 kg Brot, ent« 
ſprechend 259 680 Kalorien jährlich. Durch den Mahlverluſt hätte 
alſo der jährliche Brotbedarf von noch 25 928 294 Menſchen 
mehr gedeckt werden können, mehr als einem Drittel des 
ganzen deutſchen Volkes! 

Weiter: die vermahlene Roggenmenge betrug 4 665 700 t Roggen, wovon 
542 400 t eingeführt wurden. Der Mahlverluſt betrug bei Roggen 1 540 400 t; 
berechnen wir den unvermeidlichen Verluſt beim Vermahlen zu Vollmehl zu 
279 942 t, fo hätte man damit 1 260 458 t Roggen geſpart, d. h. 2,3mal mehr, 
als jetzt eingeführt werden mußte! Beim Weizen hätte die Verarbeitung auf 
Vollkornmehl einen unvermeidlichen Verluſt von 305 070 t verurſacht, wodurch 
1 131 130 t geſpart wären, d. h. ſtatt 2 642 000 t hätte man nur 1 510 870 t ein- 
führen müſſen. Der größte Teil davon hätte wiederum vermie⸗ 
den werden können, wenn die Deutſchen in den Gegenden, 
wo hauptſächlich Roggenböden vorkommen, etwas weniger 
Brötchen und mehr Brot eſſen wollten. 

Wir kommen alſo auf verſchiedenen Wegen zu demſelben Reſultat: die 
deutſche Landwirtſchaft iſt ſehr wohl imſtande, den Bedarf 
an Brotgetreide voll zu decken, falls die im Laufe der letz⸗ 
ten 50 Jahre eingeriſſenen Ernährungsunſitten vermie- 
den werden. 

Dies um ſo ſicherer, falls wir die Volksernährung auf anderen Gebieten ver- 
beſſern könnten. Dieſe Möglichkeit beſteht tatſächlich. Zu zwei Zeiten des 
Tages iſt die moderne Ernährung fo dumm und unpraktiſch, daß eine energiſche 
Propaganda ſehr wohl imſtande fein wird, da weſentliche Beſſerung herbei⸗ 
zuführen. Sowohl das Frühſtück als das Abendeſſen ſind in den letzten Jah⸗ 
zehnten entſchieden verſchlechtert worden. Früher wurde als erſtes Mahl eine 
dicke Mehlſuppe, gewöhnlich von Roggen- oder Hafermehl, oder eine Grütze 
mit Milch verzehrt, wie es heute noch in Skandinavien, Schottland, übrigens 
auch in allen engliſch ſprechenden Ländern geſchieht. Hier in Deutſchland aber 
iſt dieſes kräftige und geſunde Eſſen von dünnem Kaffee und Brötchen mit oder 


Agrarpolitik Heft 7, Bg. 3 


516 Ragnar Berg 


ohne Butter verdrängt worden, ſehr zum Nachteil unſerer Leiſtungsfähigkeit. 
Die Folge iſt, daß der Deutſche nicht bis zum Mittageſſen durchhalten kann, 
ſondern eine Zwiſchenmahlzeit einſchieben muß, die wieder aus Brötchen oder 
Weißbrot mit Belag beſteht. Gewiß würde die Rückkehr zur alten Morgen- 
fuppe oder Grütze eine Verminderung des Brotkonſums bedeuten. Aber fie 
würde in der Hauptſache den Weizenkonſum treffen — und das wäre ja das 
Wünſchenswerte. Weiter würde aber auch der Bedarf an Fleiſchbelag vermin⸗ 
dert werden, was ebenfalls nur in jeder Hinſicht vorteilhaft wäre. Wir brauch⸗ 
ten weniger Fleiſch einzuführen und könnten eher mit unſeren eigenen Vorräten 
auskommen. Nebenbei würde die Grützekoft auch der ausgebreitetſten Volks⸗ 
krankheit, der chroniſchen Darmträgheit, entgegenarbeiten. 

Auch die letzte Mahlzeit des Tages beſtand früher hauptſächlich aus einer 
Mehlſuppe oder Grütze oder aus Kartoffeln, früher wohl auch aus Rüben mit 
Gurken, Sauerkraut, Käſe oder Milch. Ich würde aus geſundheitlichen Grün⸗ 
den bei dieſer Mahlzeit lieber Kartoffeln als Getreideſpeiſen empfehlen. Da⸗ 
durch würde wiederum eine Erſparnis an Fleiſch, aber auch an Brotgetreide 
eintreten, während Kartoffel- und Milchkonſum verſtärkt werden würden. 

Ganz würde man bei dieſen beiden Mahlzeiten das Brot nicht auszuſchalten 
brauchen, aber das Wichtige wäre, daß als Zugabe zu Brei oder Kartoffeln 
ein gutes Vollkornbrot beſſer mundet als das geſchmackloſe Weißbrot — ganz 
im Sinne des oben Geſagten. 

Ich weiß wohl, daß in den weiteſten Volkskreiſen, nicht zuletzt bei den Arz⸗ 
ten ſeit dem Kriege große Abneigung gegen das Vollkornbrot herrſcht. Das 
Kriegsbrot aber war kein reines Getreidebrot, ſondern enthielt Streckungs⸗ 
mittel der verſchiedenſten Art, von Kartoffeln bis zu Kohlrüben. Die an ſich 
ſchon gänzlich degenerierte Backkunſt konnte dieſes Gemiſches nicht Herr werden, 
und ſo wurde dieſes Brot klebrig, knatſchig, kurz ungenießbar und für ſchwache 
Verdauungsorgane gefährlich. Ein gutes Vollkornbrot läßt ſich mit jenem elen⸗ 
den Machwerk gar nicht vergleichen, wie jeder ohne weiteres zugeben wird, der 
ein wirklich gutes Brot gekoſtet hat. 

Aberhaupt wird in der Bäckerei heute viel geſündigt. Dadurch, daß die 
Bäckerei eine Großinduſtrie geworden iſt, hat man das Gefühl der Achtung 
vor dem Brot verloren und bringt jetzt alles Mögliche und Anmögliche hinein, 
was ſicher nicht zum Brot gehört. Da ſoll die Backfähigkeit des durch Speku⸗ 
lationskäufe überalterten Getreides verbeflert werden, die Gärfähigkeit ver- 
mehrt und die Ausbeute erhöht werden. Aberaus häufig finden wir in den 
Bäckereizeitungen Angebote von Mitteln, von Chemikalien bis zum Sojamehl 
oder Eiweißprodukten, wodurch die Ausbeute verbeſſert werden ſoll, d. h. daß 
man mehr Waſſer in dem Brote belaſſen kann, ohne daß das Brot teigig wird. 
Es läuft dies alſo direkt auf einen Betrug aus: der Käufer gibt ſein gutes Geld 
und glaubt dafür Brot zu erhalten, bekommt aber zu einem nicht geringen Teil 
überflüſſiges Waſſer. Früher betrachtete man einen Waſſergehalt von etwa 
37% als das Höchſtmaß des Zuläſſigen, während man heute Brot finden kann, 
das zu mehr als zur Hälfte des Gewichtes aus Waſſer beſteht. 

Auch ſonſt iſt das Brot heutzutage oft ſehr ſchlecht. Gewiß gibt es auch gutes 
Brot, es iſt aber tatſächlich, ſobald es aus einer Bäckerei oder einer Brotfabrik 
ſtammt, eine Ausnahme. Die Krume iſt oft viel zu ſauer und zu waſſerhaltig, 
auch wenn ſie ſich trocken anfühlt. Legt man eine Schnitte von einem ſolchen 
Brote einige Stunden an die Luft, wird die obere Schnittfläche hornartig zu⸗ 


Die Verwertung des deutschen Brotgetreides | 517 


fammentrodnen und fic ſchalenförmig nach oben krümmen. Bei einem guten 
Brot darf dies nur ſehr wenig bemerkbar ſein, d. h. die Krume hat alles über⸗ 
flüſſige Waſſer ſchon während des VBackens verloren. 


Sehr große Bedeutung hat die Beſchaffenheit der Brotkruſte. Gewöhnlich 
iſt fie nur wenige Millimeter ſtark, ſehr glänzend, anfangs glaſig hart und 
ſpäter lederartig zähe. Die jetzt epidemieartig zunehmende Paradentoſe, das 
Lockerwerden der Zähne ohne ſichtbare Arſache, wird von den Zahnärzten nicht 
zuletzt auf die elende Beſchaffenheit unſeres Brotes zurückgeführt, das den 
Zähnen nicht genügend Arbeit gibt, das Zahnfleiſch nicht genügend mafftert, 
die Speichelſekretion vermindert und an den Zähnen kleben bleibt. 

Ein gutes Brot ſoll eine 15—20 Millimeter dicke, harte, aber auch nach 
Lagern knuſprige, matte und poröſe Kruſte beſitzen. Dieſe ermöglicht während 
des Backens dem Waſſer, aus dem Brote herauszutreten, ſo daß die Krume 
gut austrocknet, gewährleiſtet gute Zähne und leiſtungsfähige Speicheldrüſen, 
regt die Magenſaſtſekretion und damit den Appetit mächtig an und macht 
dadurch das Brot viel leichter verdaulich. Man ſieht dies Letztere ſchon an dem 
Anterſchied in der Verdaulichkeit des feinſten Weizenbrotes und der Brötchen: 
je dicker die Kruſte, deſto beſſer iſt die Verdaulichkeit. 

Die Arſache zur jetzigen Brotverſchlechterung liegt auf rein ökonomiſchem 
Gebiete: man will aus einer beſtimmten Mehlmenge ein möglichſt großes 
Gewicht Brot in kürzeſter Zeit und mit geringſtem Verbrauch an Heizmaterial 
erzielen und doch ein Brot herſtellen, das wenigſtens gut ausſieht. Daher die 
dünne, glänzend lackierte, für Waſſerdämpfe undurchdringliche Kruſte und die 
ſich trocken anfühlende und doch ſtark waſſerhaltige Krume. Die erzielten Cre 
ſparniſſe in der Fabrikation find auch gewaltig: früher wurde das Brot bei 
nicht ſtarker Hitze 18, 24 Stunden oder noch länger in dem vorher geheizten 
Backofen belaſſen, während jetzt das Brot ſchon nach 20—30 Minuten ver⸗ 
kaufsfertig den Ofen verläßt. 

Es iſt doch aber ſelbſtverſtändlich, daß bei einem ſo wichtigen Volksnah⸗ 
rungsmittel wie dem Brot die Verbilligung der Herſtellung feine Grenzen hat, 
daß fie nicht auf Koſten der wirklichen, inneren Beſchaffenheit der Ware erzielt 
werden darf. Mit Rückſicht ſowohl auf die Volksernährung als auf die Volks- 
geſundheit müſſen wir gewiſſe Bedingungen an die Beſchaffenheit des Voll- 
kornbrotes ftellen, die unbedingt erfüllt werden müſſen: 

1. Als Vollkornbrot darf nur Brot aus Mehl von 93— 94% Ausmahlung 
bezeichnet werden. 

2. Die Kleie in dem Vollkornmehl ſoll möglichſt fein, am liebſten ſtaubfein 
zerkleinert fein. 

3. Die Brotausbeute aus 100 kg Mehl darf 138 kg Brot nicht überſteigen, 

4. d. h. der Waſſergehalt fol 37% nicht überſteigen. 

5. Die Krume ſoll ſich trocken anfühlen, darſ nicht am Meſſer kleben, ſoll 
fein und möglichſt gleichmäßig porös ſein. 

6. Die Kruſte fol mindeſtens 15 Millimeter did fein, außen raub-porög, 
zwiebackartig knuſprig, nicht glänzend, ſpröde und ſpäter lederig ſein. 

7. Bei der Herſtellung dürfen außer Mehl, Waſſer, Kochſalz, evtl. Gewür⸗ 
zen, Hefe oder Sauerteig keinerlei Zuſätze ſtattfinden. Beſonders gilt dies für 
Chemikalien. Ausnahme für das ſog. Kartoffelbrot, wo Kartoffeln in fein zer⸗ 
tiebenem Zuſtande zugeſetzt werden dürfen: ſolches Brot muß aber die oben⸗ 


30 


518 Ragnar Berg, Die Verwertung des deutschen Brotgetreides 


genannten Bedingungen mit Ausnahme für die Ausbeute erfüllen und deutlich 
deklariert werden. 

Mit Ausnahme der Punkte 1 und 2 gelten dieſe Forderungen auch für 
Weißbrot und Brötchen. 

Schließlich möchte ich auf eine Brotform aufmerkſam machen, deren allge⸗ 
meine Einführung in Deutſchland lebhaft zu begrüßen wäre: das ſchwediſche 
Dauerbrot oder Knäckebrot, wie es hier genannt wird. Man hat es als ein 
Brot bezeichnet, das nur aus Kruſte beſteht oder, wie in England, es als Zwie⸗ 
back angeſehen, aber beides iſt falſch. Durch den eigenartigen Zubereitungs⸗ und 
Backvorgang wird das Mehl in feiner Geſamtheit in eine trockene (nur 7% 
Feuchtigkeit), ſehr harte aber ſpröde, gut kaubare Maſſe von höchſtem Wohl⸗ 
geſchmack und Verdaulichkeit verwandelt. Dieſes Brot beſitzt alle Vorteile des 
Vollkornbrotes, aber darüber hinaus noch andere wichtige Eigenſchaften. Durch 
das kurze Erhitzen (nur 6—7 Minuten) bleiben die Vitamine des Korns erhal⸗ 
ten; es ijt reich an Geſchmackſtoffen, lockt deshalb 4—5mal mehr Speichel und 
Magenſaft hervor und wird dadurch leichter verdaulich als gewöhnliches Voll- 
kornbrot. Die Kleiezellen ſind auseinandergeſprengt und in einem quellbaren 
Zuſtande überführt, weshalb die Nährſtoffe beſſer ausgenutzt werden können 
und der Stuhlgang ohne Reizung doch befördert wird. Es klebt nicht an den 
Zähnen, ſondern ſcheuert und reinigt dieſe und maſſiert das Zahnfleiſch. Es 
ſchimmelt nie, iſt vielmehr bei trockener Aufbewahrung unbegrenzt haltbar. 

Es wäre ein ſchwerer Fehler, zu glauben, daß die oben geſchilderten Miß⸗ 

55 für Deutſchland eigentümlich wären. Landflucht, Aberſchätzung der 
nduſtrie, Anterſchätzung der bodenſtändigen Landwirtſchaft, Aberbeſteuerung 
des Bodens, eine falſche, das „Feine“ und Eiweißreiche überſchätzende Ernäh⸗ 
rungsweiſe ſind alles Merkmale unſerer ſog. Ziviliſation und demgemäß über⸗ 
all zu finden. Schon ſeit langem haben einſichtige Männer hierauf und auf 
die daraus entſtehenden Gefahren für Volkswirtſchaft und Geſundheit aufmerk⸗ 
jam gemacht, aber bislang haben fic) die Regierungen dieſer Erkenntnis ver- 
ſchloſſen. Nur in einem Lande finden wir eine leuchtende Ausnahme: in Sta- 
lien. Muſſolini hat die Wahrheit voll erkannt und iſt auch beſtrebt, dem⸗ 
entſprechend Abhilfe zu ſchaffen. „Hebung der Landwirtſchaft“ bedeutet aber 
bei dieſer Perſönlichkeit nicht ein Schlagwort, ſondern eine wahre Aufgabe, 
für die er ſich mit ganzer Kraft einſetzt. Dabei iſt es nicht genug, neues Kul⸗ 
turland zu ſchaffen, um die überſchüſſige Landbevölkerung dort anſiedeln zu 
können, nein, vor allem muß das im Lande Hervorgebrachte auch voll und ganz 
ausgenutzt werden. So hat der Duce eine ſtärkere Ausmahlung des Getreides 
befohlen. Anfangs hat man wohl an ein Vollkornbrot auch hier gedacht, aber 
ganz ließ fic) dieſer Gedanke nicht verwirklichen. Italien iſt ja ein Touriſten⸗ 
land, und die Touriſten wollen nur feines weißes Brot. Deshalb wurde die 
Ausmahlung nur auf wenigſtens 70 % feſtgeſetzt, was aber doch einen gewal⸗ 
tigen Fortſchritt bedeutet. Dazu kommt, daß das italieniſche Brot an ſich viel 
beſſer als das deutſche ausgebacken und auch nicht ſo mißhandelt wird wie in 
Deutſchland. Selbſt in Rom kann man überall ein noch ganz gut zu nennendes 
Mundbrot bekommen, das gut ausgebacken und kaum glaſiert iſt. Mit beſon⸗ 
derem Vergnügen gedenke ich des Brotes in Bozen, das zwar ein feines Wei⸗ 
enbrot war, aber eine dicke, poröſe und knuſperige Kruſte beſaß. And in der 
internationalen Brotausſtellung, die Muſſolini Ende Juni vergangenen 
Jahres in Rom ins Leben gerufen hatte, ſah man zwar entſprechend der Eigen⸗ 


Walter Bohm, Richtlinien zur Schöpfung deutschen Bodenrechts 519 


art der italieniſchen Landwirtſchaft faft nur Weizengebäck, aber es war im 
allgemeinen ſehr gut gebacken. Da ſah man auch mehrfach aus entlegeneren 
Landesteilen wirkliches Vollkornbrot in prächtiger Beſchaffenheit. Man 
brauchte übrigens nicht weit zu gehen, um ſolches Brot zu finden; ich erinnere 
mich, daß wir nach einer Wanderung über die Campagna und in den Aus- 
läufern der Apenninen in den Dörfern erhielten: ein ausgezeichnet ausgebackenes 
Vollkornbrot mit mehr als zentimeterdicker ſchöner Kruſte, das zuſammen mit 
einem Glas Zitronenwaſſer und etwas Olivenöl (die guten Leute entſchuldigten 
1 oat fie kein hochrafſiniertes Ol hatten!) eine ausgezeichnete Mahlzeit 
abgab. 

Auch auf dem gleichzeitig tagenden Internationalen Kongreß für Brotſabri⸗ 
kati on und NV] zeigten die Italiener ein wohltuendes Verſtänd⸗ 
nis, das ſcharf gegen die Vorſchläge der Franzoſen abſtach. Beſonders ein 
franzöfifcher Profeſſor tat fic) hervor mit einem Vortrag über ein Konſer⸗ 
vierungsverfahren für Brot, einem zweiten über ein Mittel zur Verbeſſerung 
der Backfähigkeit von Mehl und einem dritten über ein Verfahren zur Ver⸗ 
größerung der Brotausbeute, alles Geheimverfahren. Als er jedesmal auf An⸗ 
frage verſchmitzt antwortete: „Ja, das iſt eben das Geheime“, ſtand ſchließlich 
ein italieniſcher Profeſſor auf und erklärte unter jubelnder Zuſtimmung feiner 
Landsleute: „Wir lehnen alle folche Verfahren reſtlos ab. Wir wollen Brot 
nur aus Getreide, Hefe, Salz und Waſſer und wollen nichts hören weder von 
Geheimverfahren noch von Chemikalien noch von Streckungsmitteln.“ Ich 
habe mich mächtig darüber gefreut, aber ich ſchämte mich, als ich dann an das 
Verhalten des Reichsgeſundheitsamtes in ſolchen Fragen dachte. Ich brauche 
ja nur an die Auslaſſungen über das Goloverfahren zur Bleichung von Mehl 
zu denken, um zu empfinden, wie weit wir hier in Deutſchland von einem wirt. 
lichen Verſtändnis für alle dieſe Fragen entfernt ſind. Wird es wohl einmal 
beſſer werden? 


Walter Bohm: 
Richtlinien zur Schöpfung deutfchen Bodenredts 


(Gleichzeitig eine Beſprechung des Buches von Pest: „Das Anerbenredht”) 


Von verſchiedenen Seiten ift in der letzten Zeit zur Frage des An- 
erbenrechts Stellung genommen worden, deſſen Notwendigkeit ins- 
beſondere R. Walther Darré ſeit Jahren verfochten hat. Wir haben 
daher unſeren Mitarbeiter Walter Bohm gebeten, ſeine perſönlichen 
Gedanken zu dieſem Thema als Grundlage zu einer Ausſprache zu⸗ 
ſammenzufaſſen und bitten um dieſe. H. R. 


Im Adelsbuch *) ſtellt R. Walther Darré für ein deutſches Bodenrecht 
Mindeſtforderungen auf mit den Worten: „Jedes Bauernrecht iſt im Grunde 


) N. Walther Darré: „Neuadel aus Blut und Boden“, J. F. Lehmanns Ver- 
lag, München. 


520 Walter Bohm 


gut, welches die hypothekariſche Belaſtung des Hofes begrenzt, die Anteilbar⸗ 
keit des Hofes ausſpricht, das Anerbenrecht geſetzlich feſtlegt und dafür ſorgt, 
daß die Auszahlung der weichenden Erben nur im Nahmen der wirtſchaftlichen 
Tragfähigkeit des Hofes erfolgt“. Darüber hinaus aber geht ſeine Maximal ⸗ 
forderung: Der Hegehofl Der Hegehof fol ein Landgut fein, entſprechend 
etwa der altgermaniſchen Großhufe, einem Großhofe, auf dem der edelfrete 
(ſchöffenbare) Bauer ſeinem landwirtſchaftlichen Beruf nachging, einem Groß- 
bofe, der aber neben dem landwirtſchaftlichen Berufe dem Hofbeftter (Hovet⸗ 
ling, Hövedmann) die Möglichkeit verſchaffte, auf feine eigenen Koften und 
auf eigene Gefahr hin am Kriegsdienſt des Reiches teilzunehmen, im Ehren⸗ 
amt den Gerichtsdienft und die Selbſtverwaltung des Landes zu beſtreiten 
und an den Reichs⸗ und Landesverſammlungen, am Königsthing und am 
Gauthing, teilzunehmen. Solch eine Großhufe umfaßte im altdeutſchen Gebiet 
etwa 75 ha nebft der entſprechenden Allmendeberechtigung (3. B. Hutungs⸗ 
gerechtſame, Holzgerechtigkeit, Jagd⸗ und Fiſchereirecht) in der gemeinem Mark. 
Heute müßten wir unter Geriidfidtigung aller Veränderungen, die die Zeiten 
mit ſich brachten, wohl ſagen, daß der der alten Großhufe entſprechende Hof 
je nach feiner Lage und der Güte des Bodens etwa 75 bis 750 ha umfaſſen 
müßte, allerdings einſchließlich Wald, Wieſe und Weide. Ein ſolcher Hof gibt 
ſeinen Herren die Möglichkeit zur perſönlichen Ausübung des großbäuerlichen 
Berufes, zur Wahrnehmung der ehrenamtlichen Selbſtverwaltung und zum 
freiwilligen Heeresdienſt. Das letztere iſt beſonders wichtig; denn wenn wir 
wohl auch an dem Berufsheer, unſerer Reichswehr, dem Heere der Zukunft, 
werden feſthalten müſſen, ſo bleibt doch darüber hinaus unſere unverrückbare 
Forderung, neben den Berufskrieger wieder das Volksheer zu ftellen, dem 
freien deutſchen Manne die Waffenehre wiederzugeben; und niemand iſt 
berufener, dem Volksheer die Führerſchaft zu ſtellen, als der Freibauer. 

R. Walther Darré fordert nun, daß am Hegehof dem Hofbefiger kein 
gemeinrechtliches Eigentum (proprietas) zuſtehen ſoll, ſondern nur ein deutſch⸗ 
rechtliches erbliches Nutzungsrecht (die Gewere), wohingegen das eben 
deriſche Eigentum der Standesgenoſſenſchaft zuſtehen fol. Auf dem Hegehofe, 
der nicht verkauft oder belaſtet werden kann, ſoll nur geſetzliche Erbfolge mög⸗ 
lich ſein, doch ſoll der Vater zu ſeinen Lebzeiten oder teſtamentariſch aus der 
Zahl ſeiner Söhne, wenn kein Sohn vorhanden, der Töchter, ſeinen Nach⸗ 
folger, den Tüchtigſten, ſelbſt beſtimmen, und er foll — falls er das ſechzigſte 
Lebensjahr erreicht — mit Vollendung dieſes Jahres ſeinem Nachfolger den 
Hof übergeben und ſelber aufs Altenteil ziehen. Der Erbe übernimmt den Hege⸗ 
hof wie ein öffentliches Amt, genau ſo wie ſein Vater gewiſſermaßen als 
Amtswalter auf dem Hofe geſeſſen hat. Eine gemeinrechtliche Erbſchaft 
tritt hier ebenſowenig ein, wie wenn etwa nach Emeritierung eines Profeſſors 
oder Pfarrers deſſen verdienter Sohn nun zum Lehrſtuhl, zur Kanzel des 
Vaters berufen wird. And daraus folgt, daß der neue Hofbeſitzer auf dem 
Hegehofe ſeinen Geſchwiſtern ebenſowenig eine Abfindung zu zahlen hat, wie 
etwa der neue Profeſſor oder Pfarrer nun ſeinen nicht zu Lehrſtuhl oder 
Predigtamt berufenen Geſchwiſtern zur Abfindung verpflichtet wäre. Alle 
Söhne ſollen eine ordentliche Berufsausbildung, alle Töchter eine anſtändige 
Ausſteuer erhalten; aber ein gemeinrechtliches Erbrecht am Hegehof ſoll nicht 
beſtehen. Stirbt der Hofbeſitzer ohne Kinder, Enkel, Arenkel, oder will kein 
Kind den Hof übernehmen, ſo ſällt er an die Standesgenoſſenſchaft zurück, die 


Richtlinien zur Schöpfung deutschen Bodenrechts _ 521 


ihn dem erſten Hofbefiger anvertraut hatte. Der Staat vergibt in Abereinſtim⸗ 
mung mit der Standesgenoſſenſchaft den Hof wieder nach dem geſchilderten 
Recht einem Volksgenoſſen, der als der Beſte und Tüchtigſte durch feine Gee 
währung im N gegen den Feind, im Lebenskampfe, im Führerberuf, 
erkannt worden ift. Und fo ſoll auf den Hegehöfen die Pflege bewährten deut⸗ 
ſchen Blutes gewährleiſtet, gehegt werden, ſollen die GVeften des Volkes, die 
Edelinge, mit Haus und Hof belehnt werden, ſo ſoll ſich aus gutem deutſchem 
Blute durch immer wieder im Leben bewährte Tüchtigkeit, erprobt auf den 
Hegehöfen, ein neuer Bauernadel bilden, befähigt, dem deutſchen Volke den 
Führernachwuchs fiderguftellen, ein Bauernadel, der durch die immer wieder 
ins Volk zurücktretenden nichterbenden Geſchwiſter aufs engſte mit dem Volke 
in Verbindung bleibt, ein deutſcher Adel, in den jeder tüchtige und im Führer⸗ 
beruf bewährte Volksgenoſſe aufſteigen kann. In welcher Weiſe die Standes⸗ 

enoſſenſchaft die Aufficht führen, wie die Pflicht zur Eheſchließung, zur 
Familiengeiindung, zur treuen Erfüllung aller Hegepflichten überwacht werden 
ſoll, insbeſondere auch woher das Land kommen wird, welche alten Geſchlechter 
mit ihren Höfen in den Verband aufgenommen werden können, welche neuen 
Leute dazukommen ſollen, das alles auseinanderzuſetzen, verbietet uns hier der 
Raum. Wir empfehlen aber jedem Agrarpolitiker, jedem Gelehrten und über⸗ 
haupt jedem Volksgenoſſen, der um ein deutſches Bodenrecht, um deutſches 
Bauernrecht ringt, ſich eingehend mit R. Walther Darrés Adelsbuch „Neu- 
adel aus Blut und Boden“ bekannt zu machen. Für den Laien bemerken wir, 
daß das Buch große Richtlinien gibt und Fernziele zeigt, ſeiner Zeit alſo 
voraneilt. Was davon ſchon jetzt durchgeführt werden kann, das iſt eine Frage 
der praktiſchen Politik. Hervorgehoben muß aber werden, daß Ungarns Reids- 
verweſer Horthy uns bereits mit der ungariſchen Heldenſiedlung vorangegan⸗ 
gen iſt; und unſere Politiker ſollen zuſehen, daß Deutſchland nicht auch in 
der Siedlungsfrage, in der radikalen Abkehr von römiſch⸗- rechtlichen Anſchau⸗ 
ungen und in der Neuſchöpfung eines nordiſchen Vodenrechtes hinter anderen 
Völkern zurückbleibt. Die Zeit eilt; und der Morgen beginnt zu grauen. Die 
Frage nach Leben oder Sterben des deutſchen Volkes muß beantwortet werden, 
wenn der Tag anbricht. 

And noch etwas muß hervorgehoben werden, und das iſt für Darré etwas 
Selbſtverſtändliches: Im nordiſchen Männerſtaat ſteht immer das Weib als 
Herrin im Mittelpunkt von Haus und Hof, findet das Weib als Frau und 
Mutter ſeinen Beruf, und es iſt die verdammte Pflicht und Schuldigkeit des 
Mannes, das Weib dieſem Beruf 5 ihm diefen Beruf zu ermög⸗ 
lichen. Ein König ohne Königin, ein Bauer ohne Bäuerin ſind dem deutſchen 
Volke undenkbar. Eine Freiheit zu heiraten oder nicht zu heiraten, gibt es 
nicht. And fo ift denn auch auf dem Darréſchen Hegehof ein unverheirateter 
Hofbeſitzer undenkbar. Freilich ſoll der Hofbeſitzer (wie jeder andere deutſche 
Mann) anftändig heiraten, d. h. ein Mädchen, das feiner wert iſt. And die 
Eheſchließung des Erben auf dem Hegehofe fol der Genehmigung der Standes- 
genoſſenſchaft unterliegen, ſo wie ehedem für den preußiſchen Offizier zur Ehe⸗ 
ſchließung die durch die Hand des Kommandeurs zu erbittende königliche 
Genehmigung notwendig war. And damit hier kein Irrtum entſteht: Ein 
„Kommißvermögen“ wird nicht gefordert, im Gegenteil, es iſt unerwünſcht. 
Der Hegehof gewährt die Ackernahrung für die Familie. Nur die perſönliche 
Tüchtigkeit und Fähigkeit der Braut zur Erfüllung ihrer fraulichen und mütter- 


522 Walter Bohm 


lichen — aber auch herrſchaftlichen — Pflichten wird maßgebend fein. Und 
damit iſt auch das Zweikinderſyſtem auf dem Hegehof undenkbar. And ein 
Hofbefitzer, der böswillig die Kinderzahl beſchränkt, den fein Weib nicht von 
ſolcher Miſſetat, ſolchem Verbrechen am Volke fernhält, ein ſolcher Böſewicht 
wird von der Standesgenoſſenſchaft nicht auf dem Hofe geduldet werden, und 
er muß zugunften eines tüchtigeren Geſchwiſters oder Geſchwiſterkindes vom 
Hofe weichen, ohne Entſchädigung natürlich! 

Doch nun wollen wir uns wieder den von Darré übermittelten Mindeft- 
„ für ein deutſches Bodenrecht zuwenden: „Jedes Bauernrecht ift 
m Grunde gut, welches die hypothekariſche Belaſtung des Hofes begrenzt, die 
Anteilbarkeit des Hofes ausſpricht, das Anerbenrecht geſetzlich feſtlegt und 
dafür ſorgt, daß die Auszahlung der weichenden Erben nur im Rahmen der 
wirtſchaftlichen Tragfähigkeit des Hofes erfolgt.“ Dieſer klar wie ein Kanon 
des Kirchenrechtes formulierte Satz muß jedem Agrarpolitiker als Richtſchnur 
dienen, der ſich mit der Frage des Bodenrechtes beſchäftigt, den Weg zu einem 
deutſchen Bodenrecht bahnen will. And viele deutſche Volksgenoſſen ringen 
heute mit dieſem Gedanken. Iſt es doch ein ſchönes Ziel für den deutſchen 
Juriſten, mitzuhelfen an der Abſtellung der Schäden, die römiſches Recht dem 
deutſchen Bauern zugefügt hat, mitzuarbeiten an der Wiederherſtellung deut⸗ 
{hen Bodenrechtes. 

So liegt auch uns eine Arbeit von Ludwig D. Pest vor, betitelt „Das 
Anerbenrecht“, erſchienen in Friedrich Manns Pädagogiſchem Magazin in 
den Schriften zur politiſchen Bildung bei Hermann Beyer und Söhne (Beyer 
und Mann), Langenſalza, 1932. Der Verfaſſer, Doktor der Rechte und der 
Staatswiſſenſchaften und Profeſſor der Nationalökonomie an der Aniverſität 
Würzburg, gibt zunächſt eine geſchichtliche Aberſicht über Anerben⸗ und Alten- 
teilsrecht in älterer und neuerer Zeit, ſtellt dann den Inhalt des geltenden 
Anerbenrechtes dar und macht Vorſchläge zur Neuregelung, faßt das Ergebnis 
ſeiner Arbeit zuſammen und ſtellt dann Leitſätze de lege ferenda (für Neu- 
ſchöpfungen) auf, mit denen wir uns an Hand der Darréſchen Richtſchnur 
auseinanderſetzen wollen. Ludwig D. Pesl gedenkt in der genannten Arbeit 
auch der Stellungnahme des Nationalſozialismus zum Anerbenrecht — er 
zitiert Darrés „Bauerntum als Lebensquell der nordiſchen Raſſe“ und das 
von uns oben ſchon mehrfach erwähnte Darreihe Adelsbuch „Neuadel aus 
Blut und Boden“ und ſchließt feine Arbeit mit den Worten: „Die Landwirt⸗ 
chaft iſt die Grundlage unſerer nationalen Wirtſchaft. Wir müſſen unter allen 

mſtänden unſere Landwirtſchaft retten aus wirtſchaftlichen, ſozialen und 
politiſchen Gründen. Der Landwirt klebt an der Scholle, heißt es mit Recht; 
ſorgen wir dafür, daß er es auch weiterhin kann und nicht zugrunde geht. Auch 
die Neuregelung des Anerbenrechtes iſt eines der Mittel zur Erhaltung unſeres 
Bauernſtandes. Nicht privatwirtſchaftliche Intereſſen verlangen die allgemeine 
Einführung des Anerbenrechtes, ſondern die Intereſſen unſerer ganzen Volks⸗ 
wirtſchaft. Der Bauer ſoll noch mehr als in der Vergangenheit auf feiner 
Scholle geſichert ſitzen, zum Segen unſeres Volkes.“ 

Wir wollen zunächſt dankbar anerkennen, daß Pesls Arbeit durchaus 
bauernfreundlich gehalten iſt, wenngleich er doch das Weſen des Bauern nicht 
ganz erkannt hat. Zunächſt etwas Außerliches: Wir leſen immer wieder das 
Wort „Gutseigentümer“, wenn es nach unferem Gefühl „Bauer“ hätte heißen 
milffen. Vielleicht hat Pesl das Wort „Gutseigentümer“, das in der Am⸗ 


Richtlinien zur Schöpfung deutschen Bodenrechts 523 


gangsſprache bisher glücklicherweiſe unbekannt geblieben ift, gewählt, um fich 
juriſtiſch korrekt auszudrücken, weil ja dem Juriſten „Bauer“ heute kein Begriff 
iſt; dann hätte es aber doch beſſer „Gutsherr“ geheißen; denn dieſes Wort iſt 
juriſtiſch korrekt und auch in der Amgangsſprache bekannt. Beſſer wäre es aber 
eweſen, Bauer zu ſagen und in einer Anmerkung oder in Klammern dem 
uriſten mitzuteilen, daß unter dem Bauern hier immer der Herr (dominus) 
des fraglichen kleinen oder großen Gutes (Acker⸗, Forſt⸗ oder Weinbergs⸗ 
nahrung) gemeint ſei. Wer ein neues Bauernrecht ſchaffen will, muß auch den 
Mut haben, den Bauern beim rechten Namen zu nennen. And in dem genann⸗ 
ten juriſtiſchen Sinne wollen wir nun weiter das Wort Bauer, den Ehren⸗ 
namen unferes Standes, gebrauchen. Dann aber ſetzt Pest die Worte Land- 
wirt und Bauer noch gleich; und das ſollte kein Gelehrter mehr tun, ſeitdem 
an bot: Anterſchiede zwiſchen Landwirt und Bauer ſo ſcharf herausgear⸗ 
eitet hat: 

„Bauer iſt, wer in erblicher Verwurzelung ſeines Ge⸗ 
ſchlechts mit Grund und Boden fein Land beſtellt und feine 
Tätigkeitals eine Aufgabe an feinem Geſchlecht und an fei- 
nem Volke betrachtet.“ 

„Landwirt iſt, wer ohne erbliche Verwurzelung ſeines 
Geſchlechts mit Grund und Boden fein Land beſtellt und in 
dieſer Tätigkeit nur eine Aufgabe des Geldverdienens 
erblickt.“ 

Wir verweiſen des weiteren auf die Aufſätze Darrés „Das Ziel“ und 
„Bauer und Landwirt“ im Suli- bzw. Auguſt⸗Heft der Deutſchen Agrarpolitik, 
Jahrgang 1932. 

And Pesl meint ja auch den Bauern, wenn er ſchreibt: „Der Landwirt 
klebt an der Scholle... Er wollte ſagen: „Der Bauer klebt an der Scholle“. 
Denn für den Landwirt, der nicht zugleich Bauer iſt, iſt die Wirtſchaft ja 
nur ein beliebiger „Betrieb“, eine beliebige Unternehmung, der Hof eine Vee 
triebsſtätte, die man beliebig verkaufen kann, die man vom Standpunkte des 
Geldverdienens aus verkaufen muß, wenn man vom Erlös anderswo einen 
vorteilhafteren „Betrieb“ kaufen kann, den man auch verkauft, ſobald man ſich 
mit dem erlöſten Gelde vorteilhafterweiſe ins Privatleben zurückziehen kann. 
Der Bauer aber iſt nie Privatmann, ſo wenig wie ein König je Privatmann 
ſein kann. And wenn der Bauer ſeinen Hof verkauft, ſo hört er eben auf, 
Bauer zu ſein. „Den Hof hat der Bauer von ſeinen Vorfahren erhalten und 
betrachtet ihn als von Gott zu treuen Händen verliehen. Er fühlt ſich verant- 
wortlich für die rechte Bewirtſchaftung. Er lebt und wirtſchaftet auf dem Hofe, 
ſeinem Hofe, in guten und ſchlechten Tagen. Er arbeitet, ſpart und darbt und 
kämpft um die Erhaltung ſeines Hofes, um ihn dereinſt wieder weiterzugeben 
an ſeinen Sohn.“ Dieſe Sätze Pesls müſſen wir durchaus bejahen; wenn er 
dann aber für dieſen ſelben Bauern das römiſch⸗-rechtliche Eigentum (proprie- 
tas) an ſeinem Hofe fordert, das Recht, den Hof beliebig verpfänden, ja ſogar 
verkaufen zu dürfen, dann fehlt uns jedes Verſtändnis für ſo widerſprechende 
Ausführungen. Entweder iſt der Bauer Gottes Lehnsmann, ſein Hof ihm 
„von Gott zu treuen Händen verliehen“, oder er iſt es nicht; wenn nicht, dann 
iſt aber der Hofbeſitzer ein beliebiger Privatmann, kein Bauer, der mit ſeinem 
gemeinrechtlichen Privateigentum tun und laſſen kann, was er will. Bauer 


524 Walter Bohm 


und König aber find nie Privatleute. So bleibt dem Verfaſſer mit Bezug auf 
dieſe Dinge nur übrig, an Ludwig D. Pesl Goethes Natſchlag zu richten: 


„Mein guter Freund, ich rat Euch drum, 
Zuerſt Collegium Logicum.“ 


Schließlich wäre dazu auch noch zu bemerken, daß es in Deutſchland in 
gemeinrechtlicher Zeit kaum noch wirkliche Freibauern gegeben hat, daß aber 
ur Zeit des echten Freibauerntums die proprietas, das römiſch⸗ rechtliche 
Bede gen en unbekannt war, und daß anſtatt deſſen dem Freibauern nur 
ein erbliches Nutzungsrecht (die Gewere) an ſeinem Hof, an ſeiner Hufe, zu⸗ 
geftanden hat. Mit Bezug auf die römiſch⸗ rechtliche (gemeinrechtliche) Eigen- 
tumsforderung alſo können wir Pesl nicht zuſtimmen. Dagegen iſt ſeine For⸗ 
derung, jede ſelbſtändige Ackernahrung und die entſprechenden Forſt⸗ und 
Weinbergs⸗Güter von Geſetzes wegen zu Anerbengütern zu machen und auf 
dieſen Anerbengütern nur geſetzliche Erbfolge zuzulaſſen, bereits nach unſerem 
Sinne. Ebenſo können wir ſeinem Vorſchlage, wonach die Miterben keinen 
Rechtsanſpruch auf Barauszahlung ihrer Abfindung haben, vielmehr mit 
Rente und Amortiſation abgefunden werden ſollen, zuſtimmen. And gleichfalls 
müſſen wir zuſtimmen Pesls Forderung, daß dieſe Rente bei kataſtrophal 
finfender Vermögensrente des Bauern dieſer bäuerlichen Vermögensrente 
angepaßt werden müßte, ſo daß alſo der Bauer nur ſoviel anteilig den Mit⸗ 
erben auszuzahlen hat, wie er ſelbſt bet ordentlicher Bewirtſchaftung an Rente 
aus dem Hofe erzielen kann. Eine entſprechende Forderung hat mit Bezug 
auf die auf unſeren Landgütern laſtenden Hypothekenzinſen in Abereinſtim⸗ 
mung mit Claus Heim bereits Walter zur Ang nad in feinen „Deutſchen 
Freibauern, Kölmern und Koloniſten“ erhoben. Aber dieſe Forderung hat 
trotz mancher diesbezüglichen Notverordnung noch keinen rechten Erfolg gehabt. 
Während die bäuerliche Vermögensrente heute vielleicht 2% beträgt, muß die 
deutſche Landwirtſchaft nach einer Mitteilung in der Nationalſozialiſtiſchen 
Landpoſt vom 23. 10. 32 immer noch durchſchnittlich 7,2% Zinſen zahlen, fo 
daß wir auch an dieſer Stelle wie immer und überall die Brechung der Zins⸗ 
knechtſchaft zu fordern gezwungen ſind; und in dieſer Sache hat es allerdings 
längſt zwölf Ahr geſchlagen. 

Doch um nun zu der Peslſchen Arbeit zurückzukehren, ſo wollen wir allen 
Intereſſenten angelegentlichſt empfehlen, ſie ſelber zu leſen, um Pesls Gedan⸗ 
ken kennenzulernen und ſich das umfangreiche Material anzueignen. Wir 
können hier nicht alles einzeln vortragen, weil der in einer Monatsſchrift zur 
Verfügung ſtehende Raum das verbietet. 

Zum Schluß unſerer Arbeit wollen wir nun aber kurz zuſammenfaſſend 
mitteilen, welche Maßnahmen wir denn zur Erreichung der Mindeſterforder⸗ 
niſſe eines deutſchen Bodenrechtes, das heißt Bauernrechtes, gutheißen wür⸗ 
den, und wir wollen folgende Theſen aufftellen: 

1. Alle in den Landkreiſen gelegenen Ackernahrungen einſchl. der entſprechen⸗ 
den Forſt⸗ und Weinbergs⸗Güter können auf Grund eines entſprechenden 
Geſetzes auf Antrag des Eigentümers dem Anerbenrecht unterſtellt werden. 
Wir ſchlagen für ſolche Anerbengüter den Namen „Erbhof“ vor; ihr Beſitzer 
heißt „Bauer“. — 

2. Für alle dieſe Güter (Erbhöfe und Hegehöfe) iſt Verkauf, Verpfändung 
und Verfügung von Todes wegen ausgeſchloſſen. 


Richtlinien zur Schöpfung deutschen Bodenrechts 525 


3. Dem Bauern ſteht es frei, unter feinen Söhnen, find keine vorhanden, 
unter feinen Töchtern, beim Fehlen von Kindern unter den ſonſtigen geſetz⸗ 
lichen Erben den Anerben zu beſtimmen; es iſt ihm unbenommen, ſchon zu 
Lebzeiten gegen Gewährung eines Altenteils den Hof dem Anerben zu über⸗ 
geben. Auch die Witwe des Bauern iſt altenteilsberechtigt. Den nicht zu Hof⸗ 
erben berufenen Geſchwiſtern hat der Vater eine angemeſſene Berufsausbil- 
dung bzw. Ausſteuer zu gewähren. 

4. Schlägt der Anerbe das Anerbenrecht aus, fo geht es auf den näͤchſtberech⸗ 
tigten Anerben über, wofern nicht der Bauer für dieſen Fall einen anderen 
Anerben beſtimmt hat. Schlagen alle Erben das Anerbenrecht aus oder iſt außer 
dem Staat kein geſetzlicher Erbe vorhanden, ſo fällt das Gut dem Staate zu, 
der es als Anerbengut neu auszugeben hat. 


5. Dem Anerben ſteht als erbſchaftsſteuerfreies „Voraus“ die Hälfte des 
Nutzungswertes des Anerbengutes zu. 


6. Die Geſchwiſter des Anerben teilen ſich in die andere Hälfte. Kein Mit⸗ 
erbe kann die Barauszahlung feines Anteils verlangen, vielmehr muß er ſich 
mit Rente und Amortiſation zufrieden geben. Der Anerbe kann aber jederzeit 
die Miterben voll auszahlen. 


7. Die den Miterben zuſtehende Rente wird entſprechend der Vermögens- 
rente des Bauern feſtgeſetzt. Fällt die bäuerliche Vermögensrente nachhaltig 
oder kataſtrophal, ſo kann der Anerbe die entſprechende Herabſetzung der von 
ihm den Miterben zu zahlenden Rente verlangen. 


8. Das Anerbengut darf nur ſoweit geteilt werden, als die Teilſtücke ſelb⸗ 
ſtändige Nahrungen bleiben; im Falle ſolcher Teilungen ernennt der Bauer 
unter den geſetzlichen Erben die Anerben. 


9. Sofern der Miterbe dem Anerben gegenüber auf Amortiſation ſeines 
Erbteils verzichtet, alſo ſein Kapital im Anerbengute ſtehen läßt, ſoll er außer 
dem Wohnrecht auf dem Hofe ein Recht auf ſtandesangemeſſene Arbeit im 
Haus- und Wirtſchaftsbetrieb haben, fo wie fie Bruder oder Schweſter, Onkel 
oder Tante, Mutter oder Großmutter des Herrn und Bauern zukommt, und 
zwar gegen ortsübliche Vergütung. And neben dieſer Vergütung ſollen ihm 
die auf ihn entfallenden 1 ſeines Erbteils regelmäßig ausgezahlt werden. 
Iſt zwiſchen dieſem Miterben und dem Bauern nichts anderes vereinbart 
worden, ſo ſällt nach dem Tode des Miterben ſein im Anerbengute ſteckendes 
Miterbe dem Bauern oder Anerben oder, ſoſern kein Anerbe vorhanden, dem 
Staate zu; es tritt dann alſo das alte deutſche Heimfallsrecht in Kraft. 

Nach dieſen Richtlinien müßte das Reichsgeſetz betr. die Anerbengüter aus- 
gearbeitet werden. Und nach Erlaß eines ſolchen Geſetzes und des von R. Wal- 
ther Darré gedachten Hegehofgeſetzes würden wir dann folgende Landgüter in 
Deutſchland kennen: 1. Domänen, 2. Hegehöfe, 3. Erbhöfe, 4. Büdnereien 
und Häuslerſtellen. And nur die letzteren, die Büdnereien und Häuslerſtellen, 
blieben im freien Markt als gemeinrechtliches Eigentum ihrer Inhaber. And 
dagegen ließe ſich auch vom Standpunkt des anzuſtrebenden deutſchen Boden- 
rechtes nichts ſagen, weil dieſe Kleinſtellen ja nur das Sprungbrett ſein ſollen, 
von dem aus der kleine Mann, wenn vielleicht auch erſt in Generationen, ins 
Bauerntum, den eigentlichen deutſchen Landſtand, aufſteigen fol; der Prüf. 
ſtein aber darf nicht geſetzlich gebunden fein, ſondern muß jedem, der die Prü⸗ 
fung wagen will, zugänglich ſein, wie ja auch in deutſchrechtlichen Zeiten immer 


526 Fritz Zweigelt 


genügend freies Land zur Anlage von Büdnereien und Häuslerftellen zur Vere 
fügung geſtanden hat. 

And wenn es vielleicht auch noch lange dauert, bis die von R. Walther 
Darré im Hegehofgedanken geſteckten Fernziele erreicht werden, wenn manches 
vielleicht auch ein unerreichbares Ideal bleibt, unter allen Amſtänden wird es 
bei gutem Willen möglich ſein, die Mindeſtforderung Darrés durchzuſetzen, 
die Forderung nach dem deutſchen Bodenrecht, deren Leitſatz wir hier als 
Schluß unſeres Aufſatzes, damit er ſich allen recht feſt einprägt, nochmals wie⸗ 
derholen wollen: 

„Jedes Bauernrecht iſt im Grunde gut, welches die hypo⸗ 
thekariſche Belaſtung des Hofes begrenzt, die Unteilbar- 
keit des Hofes ausſpricht, das Anerbenrecht geſetzlich feſt⸗ 
legt und daſür ſorgt, daß die Auszahlung der weichenden 
Erben nur im Rahmen der wirtſchaftlichen Tragfähigkeit 
des Hofes erfolgt.“ 


Fritz Fweigelt: 
Die Zukunft der Direktträgerfrage im mitteleuropäiſchen 
Weinbau 


Es gibt kaum eine zweite Frage im Weinbau, die ſeit einer Reihe von 
Jahren mit ſolcher Wucht aufgetreten iſt und zugleich ſo große Schwierig⸗ 
keiten wie Gegenſätze der Meinungen gebracht hat, wie die Direktträger⸗ oder 
Hybridenfrage: Wollen wir den Hybridenbau reſtlos und für alle Zukunft ver⸗ 
bieten, ſollen oder dürfen wir ihn jetzt oder ſpäter unter beſtimmten Bedin⸗ 
gungen zulaſſen, was iſt die Folge, wenn andere Länder ganz oder teilweiſe 
zum Hybridenbau übergegangen fein werden, Oſterreich und Deutſchland 
aber nicht. 

Vorerſt einige Worte der Aufklärung für diejenigen Leſer, die der Sache 
etwas ferner ſtehen: Was find Hybriden? Hybriden find ganz allgemein 
Kreuzungen zwiſchen verſchiedenen Sorten oder eventuell Arten. Nachdem es 
außer der ſortenreichen europäiſchen Edelrebe zahlreiche amerikaniſche Wild⸗ 
reben gibt, aber auch amerikaniſche Rebſorten, die zum Genuß Verwendung 
finden, ſind hier ſchon dreierlei Kreuzungen möglich. Woher und ſeit wann 
aber haben wir im Weinbau Hybriden? Ihr Erſcheinen hängt auf 
das engſte mit dem Hereinbrechen größerer Schädlingskataſtrophen zuſammen. 
Das verheerende Auftreten der Reblaus in Europa in den ſechziger Jahren 
des vorigen Jahrhunderts und die in ihrem Gefolge reißende Vernichtung von 
hunderttauſenden Hektar Weinlands erheiſchte durchgreifende Maßnahmen. Der 
Franzoſe Planchon hat 1873 von feiner Studienreiſe durch Nordamerika zahl⸗ 
reiche Rebſorten mitgebracht, darunter auch Hybriden zwiſchen amerikaniſchen 


Die Zukunft der Direktträgerfrage im mitteleuropäischen Weinbau 527 


Wildreben und Edelreben, von deren unmittelbarer Verwendung infolge von 
Nichtanfälligkeit er ſich die Aberwindung der Neblauskataſtrophe verſprach, 
während die Wildreben als Anterlagsreben gedacht geweſen waren, auf denen 
die bisherigen Edelſorten veredelt werden ſollten. Dieſe amerikaniſchen Hybri⸗ 
den würden ſonach, ohne veredelt werden zu müſſen, brauchbare Trauben geben, 
ſie würden direkttragend verwendet werden können. Von den Hybriden 
unter den Rebſorten würden alſo bloß die Direktträger für unſere beſon⸗ 
dere Frage in Betracht kommen: Sie vereinigen in ſich die Widerſtandsfähig⸗ 
keit gegen die Reblaus von der Wildrebe her mit der Güte des Erzeugniſſes 
von der Edelrebe her. 

In den ſiebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ſind alſo zahlreiche ameri⸗ 
kaniſche Hybriden nach Frankreich und damit auch in das übrige Europa ge⸗ 
kommen. Ihre Beſprechung würde den Rahmen dieſes Themas weit über⸗ 
ſchreiten. Im großen und ganzen haben ſie außerordentlich enttäuſcht. Die Reb⸗ 
lausfeſtigkeit war nur eine bedingte, in wenigen Jahren ſind viele Pflanzun⸗ 
gen zugrunde gegangen, dazu vertrugen ſie viele Böden überhaupt nicht und, 
was das entſcheidende war, die Güte der Trauben und des Weines war ſo 
minderwertig, daß der Verbraucher ſie wegen des widerlichen Fremdgeſchmackes 
(Himbeer Wanzengeſchmach) ablehnte. 

Dieſe Mißerfolge riefen franzöſiſche Züchter auf den Plan, einheitliche 
und beharrliche Züchtungsarbeit ſollte auf dem Wege wiederholter und ſchwie⸗ 
riger Kreuzungen die verſchiedenen Mängel überwinden. Anter den zahlreichen 
Züchtern leuchten beſonders zwei Namen hervor: Couderc und Seybel. 

Kaum waren einige Jahre vergangen und ſchon begründete Ausſicht vorhan⸗ 
den, auf dieſem Wege die Reblausfrage zu löſen, als eine neue Geißel den 
Weinbau heimſuchte: Die Peronoſpora oder der falſche Meltau. Was 
die Reblaus übriggelaſſen hatte, fiel der Peronoſpora zum Opfer. Die Chemie 
trat auf den Plan, und ſchließlich find in den Kupferkalkpräparaten Subſtanzen 
gefunden worden, die Ausſicht boten, den Pilz wirkſam zu bekämpfen. Aber 
auch hier gab es viele Enttäuſchungen, und die Tatſache, daß gewiſſe amerika⸗ 
niſche Reben peronoſporafeſt ſind, haben frühzeitig die Züchter, dieſelben, die 
fih eben die Reblausſeſtigkeit zum Ziel geſetzt hatten, veranlaßt, ſich auch mit 
der Peronoſpora zu befaſſen. So ſind die bisherigen Arbeitserfolge über den 
Haufen geworfen worden, das Hauptzuchtziel wurde die Pero- 
noſporafeſtigkeit, das Intereſſe für die Neblausfeſtigkeit trat zurück, 
weil man inzwiſchen im Veredlungs verfahren ein brauchbares Mittel zur 
Aberwindung der Reblausfrage gefunden hat. Anders liegen die Dinge in 
Deutſchland ſelbſt, wo das Vernichtungsverfahren ſolange in Geltung 
bleibt, bis eine allgemeine Amſtellung der Weinberge ohne Gefahr möglich ſein 
wird. Daß in dieſem ſchwierigen Zeitabſchnitt nur Anterlagen und Direktträger 
Verwendung finden können, die ſich als praktiſch immun gegen die ſchon be- 
kannten oder noch zu entdeckenden Reblausraſſen erweiſen, iſt ſelbſtverſtändlich. 

Der Name „Hybriden“ iſt nach der ganzen Sachlage zu allgemein, der Name 
„Direktträger“ hat bei der Betonung der Peronoſporawiderſtandsfähigkeit 
ſeinen eigentlichen Sinn verloren, er hat ſich indeſſen ſo eingebürgert, daß wir 
ihn wohl beibehalten können; eine zutreffende Bezeichnung für dieſe Gruppe 
von Sorten haben wir heute noch nicht. 


528 Fritz Zweigelt 


Wie fieht es nun um alle die Direktträger aus? 


Wir werden nicht fehlgehen, wenn wir die Zahl der bisher geſchaffenen 
Züchtungen auf etwa 20 000 ſchätzen. Viele haben ein unbeachtetes Daſein ge⸗ 
führt und ſind von der Bildfläche wieder verſchwunden, andere haben eine ver⸗ 
hältnismäßig gute Verbreitung gefunden, in Frankreich ſelbſt, aber auch in 
anderen ſüdlichen Weinbauländern. Neben einer Verbreitung dieſer verſchie⸗ 
denen franzöſiſchen Hybriden hat aber auch eine ſolche der alten amerifa- 
niſchen Direktträger wie Noah, Iſabella, Othello und anderer ſtattgefunden, 
und beſonders die Nachkriegszeit hat das Weinbaubild ganzer Länder um⸗ 
gewandelt. Die Bodenreform, die in Jugoſlawien und Rumänien den Groß- 
grundbeſitz zum großen Teile zerſchlagen und die Gründe Kleinbefitzern zu⸗ 

ewieſen hatte, hat bei dem Mangel an geſetzlichen Veſtimmungen gegen die 

ybriden auf dieſen neuen Beſitzungen Direktträgerweingärten wie die Pilze 
aus dem Boden ſchießen laſſen, was eine unheimliche Abererzeugung an 
Hybridenwein zur Folge hatte, zum ungeheuren Schaden für die Edelweine, die 
einem ſchweren Wettbewerb durch billige Hybridenweine ausgeſetzt, nicht nur 
ſelbſt im Preiſe gedrückt waren, ſondern auch unlauteren Machenſchaften mit 
ſolchen zum Opfer fielen. In dieſen Fällen handelt es fic faft ausſchließlich um 
die alten, minderen, amerikaniſchen Hybriden. Aber auch die ſtarke Zunahme 
an Direktträgern in gewiſſen Gebieten von Steiermark nach dem Kriege geht 
ebenſo auf alte Amerikanerhybriden zurück (Noah, Othellom Clinton), wie 
jene in der Rheinpfalz und in Baden (Kiliansrebe und Taylor). Neuere Züch- 
tungen ſpielen daneben eine mindere Rolle: In Deutſchland die Oberlin 595 
von dem deutſchen Züchter Oberlin im Elſaß. | 

Bevor wir die Frage nach dem Werte der heutigen franzöſiſchen Züchtungen 
anſchneiden, find die Gründe zu prüfen für die mächtige Hybriden⸗ 
werbung, die, wie auf ein gemeinſames Signal, in allen Kulturländern 
Europas eingeſetzt und die ihrerſeits die Behörden und Fachleute auf den Plan 
gerufen hat, geeignete Maßregeln zu ergreiſen, den heimiſchen Edelweinbau zu 
ſchützen und zu unterſtützen. Der Ruf nach dem Direktträger iſt eine 
unmittelbare Folge der durch den Krieg geſchaffenen allgemeinen Lage: Die 
zunehmende Reblausverſeuchung in Gemarkungen, welche bisher unverſeucht 
geweſen waren, oder durch geeignete Maßnahmen wie das Schwefelkohlenſtoff⸗ 
verfahren in Niederöſterreich zu halten geweſen waren, der Mangel an geeig⸗ 
neten Bekämpfungsmitteln, ganz beſonders aber der Mangel an Setzreben 
und Veredlungen zum Wiederaufbau der durch den Krieg verwahrloſten Wein⸗ 
gärten, in Rumänien ſpeziell jener, die durch die Kriegsführung ſelbſt zerſtört 
worden waren. Dazu kam ein immer kritiſcher werdendes Mißverhältnis zwi⸗ 
ſchen Geſtehungskoſten und Weinpreis in Verbindung mit einer immer ſchärfer 
zutage tretenden Weltweinübererzeugung, ganz beſonders unter dem Drucke 
des reißend zunehmenden Weinexportes aus Nordafrika. So ſind die Weltwein⸗ 
preiſe geſunken, und auch die Inlandspreiſe mußten, da keine hinreichenden Zoll⸗ 
ſätze einen Ausgleich ſchaffen konnten, nachgeben: Die Weiner zeugung 
wurde verhältnismäßig zu teuer. Der Weinbau, einſt die Quelle 
des Wohlſtandes, der Wein, einſt die Sparkaſſe des Bauern, wurde un- 
rentabel, der Staat mußte und muß mit Beihilfen, mit Winzerkrediten, 
mit Stundung von Steuern zu Hilfe kommen, die Exiſtenz des Bauern zu 
fihern. Die Rebkultur ift mit einem Schlage zu teuer geworden: Das notwen⸗ 
dige Veredeln der Reben bedeutete Koſtenauſwand, anteilmäßig großen Ma⸗ 


Die Zukunft der Direktträgerfrage im mitteleuropäischen Weinbau 529 


terialverluft, die Verwendung von Edelreben macht zahlreiches Beſpritzen bzw. 
Geftduben gegen die Peronoſpora, gegen das Didium, gegen den Heu⸗ und 
Sauerwurm notwendig und vieles mehr. 

All das macht das lebhafte Intereſſe für Sorten verſtändlich, die 
nicht veredelt, nicht geſpritzt und nicht geſchwefelt zu werden brauchen, und die 
doch ein weinähnliches Getränk ergeben: Die Direktträger wurden 
als Retter des Weinbaues geprieſen! In Ermangelung anderen 
Materials haben die früher erwähnten Gebiete zu den alten amerikaniſchen 
Direktträgern gegriffen, geſchäftstüchtige Händler taten das ihrige und kamen 
den Intereſſenten auf halbem Wege entgegen. Ein gewiſſer Teil des Wein⸗ 
handels trat gleichermaßen fördernd auf den Plan und kaufte das an und für 
ſich unbrauchbare oder bloß für Haustrunk verwendbare Getränk zuſammen 
und braute in feinen Kellereien, zuſammen mit ſtarkem Importwein, jenes 
Getränk, welches der weinunkundige Stadtverbraucher in feinen Gaſtwirtſchaf⸗ 
ten als Tiſchwein vorgeſetzt erhalten hat. Mit dem Gleichmachen des Typus ging 
der Geſchmack und das Verſtändnis für den Wein immer mehr verloren. Große 
Weinpantſcher, die Obftmoft und Hybridenwein zuſammen zu Wein ver⸗ 
arbeitet haben, bildeten in Steiermark das Rückgrat der Direktträgerbauern, 
ſo daß ſich das groteske Bild ergab, daß die Hybridenbauern beim Eingreifen 
des Staatsanwaltes für die Pantſcher leidenſchaftlich Partei ergriffen und der 
Juſtitia in den Arm fielen. 

Der Betriebſamkeit der Direktträgerbauern der meiſten Länder ftand und 
ſteht eine gewiſſe Gleichgültigkeit oder doch mangelnde Schlagkraft der Edel- 
weinbauern gegenüber, wozu kommt, daß politiſche Dinge ein entſcheidendes 
Wort bekommen und Parteien, bloß um der Stimmen im Direktträgergebiet 
willen, ſich der Forderungen der Direktträgerbauern annehmen, dieſe ohne 
Rückſicht auf das Geſamtintereſſe des Weinbaues gutheißen und Maßnahmen 
zum Schutze des Edelweinbaues geradezu aufheben. Ja, es iſt ſogar vor⸗ 
l daß aus denſelben Gründen mehrere Parteien gleichzeitig ſich als 

nwälte der finnloſen Forderungen der Hybridenbauern aufgeſpielt haben. 

Bevor wir von den neueren franzöſiſchen Sorten ſprechen wollen, ſcheint es 
notwendig, noch das Bild vorbeiziehen zu laſſen, das die einzelnen 
Länder in ihrer Einſtellung zur Hybridenfrage in der Nachkriegszeit dar⸗ 
ſtellen, aber auch internationaler Vereinbarungen zu gedenken, welche die Ver⸗ 
treter des Edelweinbaues Europas geſchaffen haben. 

In Deutſchland hat die Hybridenfrage ihr beſonderes Geſicht. Neben, 
die nicht als vollſtändig reblausfeſt gelten, dürfen ſchon der Reblausgefahr 
wegen nicht gepflanzt werden, bzw. ſolche Anlagen müſſen verſchwinden und 
umgeſtellt werden. Die ſehr ſtrengen Beſtimmungen des Reblausgeſetzes ſor⸗ 
gen dafür, daß von ſeiten der Direktträger dem Geſamtweinbau keine Gefahr 
erwächſt. Das Weingeſetz hat zunächſt Deklarationszwang und ein Verſchnitt⸗ 
verbot geſchaffen, ſchließlich ein völliges Verkaufsverbot, um dieſe ſo ganz aus 
dem Markte zu verdrängen. 

In Oſterreich hat bloß das Burgenland ein teilweiſes Anbauverbot er⸗ 
laſſen, durch welches beſonders die Noah zum Verſchwinden gebracht wird; 
das neue Weingeſetz hat den Deklarationszwang für Hybridenwein und Hybri⸗ 
denweinverſchnitt eingeführt, um ſo ein Antertauchen dieſer in der Maſſe der 
Edelweine zu verhindern. Irgendwelche Sondermaßnahmen in Steiermark ſind 
bis jetzt geſcheitert. 


530 Fritz Zweigelt 


In Sugoflawien befteht ein Anbauverbot, das allmählich gum Were 
ſchwinden der Direktträgerpflanzungen führt, was überdies durch beſondere 
Banalſteuern beſchleunigt wird. Ferner find die Direktträgerweine einem 
Deklarationszwang unterworfen, ihr Handel ſchließlich gänzlich verboten. 

Italien hat ſeinerſeits ebenfalls ein Anbau⸗ und Handelsverbot für 
Direktträger erlaſſen und für den Ankauf des Weines zunächſt den Deklara⸗ 
tionszwang eingeführt. Nach dem Jahre 1936 wird ein völliges Verkaufs⸗ 
verbot erfolgen. 

Rumänien hat in einer Reihe von Beſtimmungen den Anbau von Direkt- 
trägern verboten, ebenſo iſt ein ſcharfer Deklarationszwang eingeführt worden. 
Leider hat Rumänien in jüngſter Zeit aus politiſchen Gründen das Geſetz 
weſentlich gelockert und ſo jenem Teil der Weinbauern nachgegeben, die über 
die ſchon beſtehenden 109 000 ha, das find 31,7% der Geſamtfläche, hinaus 
dieſe Sorten weiter anpflanzen wollen. 

Die zwiſchenſtaatliche Zuſammenarbeit hat aber noch weiteren 
Ausdruck gefunden: Am Weinbaukongreß in Conegliano 1927 hat die Hybri- 
denfrage einen breiten Raum eingenommen. Im gleichen Jahre hat der Ver⸗ 
ſaſſer dieſer Zeilen zum Hauptreferat über dasfelbe Thema eine Einladung 
zum deutſchen Weinbaukongreß nach Dürckheim erhalten. 1929 hat die Hybri- 
denfrage am internationalen Landwirtſchaſtskongreß die Verhandlungen der 
Sektion Weinbau in Bukareſt beherrſcht. Dort iſt es gelungen, den Vorſtoß 
der Hybridenanhänger zum Stehen zu bringen und gemeinſame Richtlinien 
auszuarbeiten. Der Verfaſſer dieſer Zeilen hat gleichzeitig ein von ihm zuſam⸗ 
men mit Profeſſor Stummer verfaßtes grundlegendes Werk über die Direkt- 
träger, in dem zum erſtenmal kritiſch das ganze Material verarbeitet worden 
war, vorgelegt. In Paris hat der Verfaſſer ſchließlich im Rahmen des inter⸗ 
nationalen Weinamtes in der Sommerſitzung 1930 über die Hybridenfrage 
berichtet und die Zuſtimmung der dort verſammelten zwiſchenſtaatlichen Ver⸗ 
treter gefunden. 

Dieſe Maßnahmen betrafen zum großen Teile auch ſchon die neueren Direkt⸗ 
träger franzöſiſcher Herkunft, deren Prüfung bereits weit gediehen iſt, wenn 
wir uns auch vor Augen halten müſſen, daß bei der Fülle der alljährlichen neu⸗ 
geſchaffenen Formen ein wirklicher Abſchluß nie erreicht werden kann. In 
Frankreich ſelbſt ſpielen die alten Amerikanerhybriden tatſächlich eine viel 
geringere Rolle als die neueren Züchtungen, insbeſondere jene von Seibel, die 
in Mittelfrankreich, aber auch in etlichen Gebieten von Südfrankreich, wo die 
Maſſenweinerzeugung zu Hauſe iſt, Verbreitung gefunden haben. Hat nun 
ſchon der maſſenweinbautreibende Süden gegen ein zu ſtarkes Auftauchen ſol⸗ 
cher Stellung genommen, ſo noch viel energiſcher die Qualitätsgebiete von 
Frankreich, welche durch den Schutz der Herkunftsbezeichnung und der Vee 
ſchränkung dieſer auf beſtimmte Sorten ein Einſchmuggeln der Direktträger⸗ 
weine unter die Qualitätsweine auch für den Fall ausgeſchaltet haben, wenn 
erſtere innerhalb der gleichen Gemarkung gewachſen ſind. Wir ſehen alſo den 
franzöſiſchen Weinbau, insbeſondere den Edelweinbau, in Abwehrſtellung 
gegen die Hybriden. Am ſo heftiger tobt auf der anderen Seite die Propaganda 
der Hybridenerzeuger, insbeſondere der Rebhändler, die am Verkauf derſelben 
unmittelbar intereſſiert ſind. 

Ein Arteil über die Brauchbarkeit franzöſiſcher Züchtun⸗ 
gen für den nördlichen Weinbau iſt nur möglich bei Prüfung von 


Die Zukunft der Direktträgerfrage im mitteleuropäischen Weinbau 531 


zus in den nördlichen Weinbauländern felbft. Infolgedeſſen haben 
ſterreich und die Tſchechoflowakei bereits vor einer Reihe von 
Jahren Verſuchspflanzungen errichtet, die allmählich weinbautechniſch geprüft 
und deren Erzeugniſſe in gemeinſamen Weinkoſten fachlich beurteilt werden. In 
Deutſchland haben Württemberg und insbeſondere Baden im Laufe der 
letzten Jahre viel zur Klärung der Frage beigetragen. Daß bei der Schwierig⸗ 
keit, das komplexe Zuchtziel zu erreichen, eine raſche Löſung nicht erwartet 
werden darf und kann, iſt wohl ſelbſtverſtändlich, und lauten auch die meiſten 
Gutachten mehr oder weniger hoffnungslos und in der großen Linie ablehnend. 
Aber eine Tatſache aber kommen wir nicht hinweg, daß bei allen dieſen 
Schwankungen und Rückſchlägen die franzöſiſche Hpbridenzucht dem 
noch vorwärts ſchreitet, das heißt, daß heute ſchon Erzeugniſſe vor⸗ 
handen find, die man, von anderen Mängeln der Pflanze zunächſt abgefehen, 
für gewöhnliche Verbrauchszwecke verwenden kann. Einzelheiten über die ge⸗ 
wonnenen Bilder gehören nicht in den Rahmen dieſes Aufſatzes. 

Das urſprünglich verfolgte Ziel der Neblausfeſtigkeit verliert immer mehr 
an Intereſſe, wenigſtens für Oſterreich. Und in dem Augenblicke, wo man 
zielbewußt auch in Deutſchland zur Veredlung auf amerikaniſcher Anterlage 
übergegangen ſein wird, wird auch dort nach völliger Amſtellung des Wein⸗ 
baues auf Anterlagsreben die Reblausfrage aufgehört haben, eine Rolle zu 
ſpielen. Ganz unabhängig von der Reblaus aber hat das Veredeln bei den 
meiſten Direktträgern eine weitere Bedeutung: Sehr viele Sorten vermögen 
auf eigenem Fuß bloß im Getreideland zu wachſen, auf den Berghängen jedoch 
nicht, und aus volkswirtſchaftlichen Gründen müſſen wir es ablehnen, den 
Getreidebau vom Weinbau verdrängen zu laſſen. 

Es bleibt ſonach unſer Intereſſe auf folgende Fragen vereint: Güte, 
Peronoſporafeſtigkeit, Ertrag. 

Die Güte gehört zu den ſchwierigſten Fragen im ganzen Bereich 
der um den Direktträgerbau gruppierten Probleme, die wenigſten Weine find 
wirklich neutral, die meiſten haben fremdartiges ſtörendes Bukett, wieder 
andere machen mit zunehmendem Alter des Weins eigentümliche Geſchmacks⸗ 
veränderungen durch. Alle dieſe Fragen müſſen im einzelnen ſtudiert werden. 
Die Güte ſelbſt muß mindeſtens jene der heimiſchen Maſſenträger erreichen, 
ſoll Ausſicht auf Verwendungsmöglichkeit ſolcher Sorten beſtehen. 

Die Peronoſporafeſtigkeit iſt einer unſerer wichtigſten Programm⸗ 

kte geworden. Sie iſt bei vielen Sorten bereits weitgehend erreicht, die 
eſtändigkeit aber bleibt noch zu prüfen. 

Jede Steigerung der Feſtigkeit bedeutet eine Verminderung der Zahl der 
notwendigen Beſpritzungen bzw. Beſtäubungen, mithin eine Verbeſſerung 
der Rentabilität des Betriebes. 

Der Ertrag der Direktträger iſt viel umſtritten. Tatſache iſt, daß wir die 
Mehrzahl der Sorten zu den Maſſenträgern zählen dürfen, ohne daß ſie jedoch 
den Ertrag der heimiſchen Maſſenträger erreichen oder gar übertreffen. Die 
Güte ſollte gewiſſermaßen durch die Menge erſetzt oder ausgeglichen werden. 
Sicher iſt, daß bei einem Aberhandnehmen der Direktträger im Vergleiche mit 
den ſtets geringen Erträgen der Edelweinbaugebiete die Geſamtproduktion 
eines Landes zunimmt. 

Die Produktionszunahme aber ift einer der Geſichtspunkte, welche 
die Weltweinkriſe heraufbeſchworen haben; die Welt erzeugt im Vergleich zum 


Agrarpolitik Seft 7, By. 4 


532 Fritz Zweigelt 


Weinverbrauch zuviel Weine, namentlich zuviel Weine mittlerer oder gerin- 
gerer Güte. Aus dieſer Erkenntnis hat Frankreich, in welchem feit einem Jahre 
ein Weinbauſtatut in Kraft iſt, die Folgerungen gezogen und eine ſo 
gewaltige fortſchreitende Beſteuerung des Weinertrages eingeführt, daß jede 
Maſſenerzeugung von Wein ihren Anreiz verloren hat. War nun dieſe Maß⸗ 
nahme ficher auch als Schlag gegenüber den Direktträgern gedacht, die ja an 
einem Weinüberfluß mitſchuld find, fo muß das Weinbauſtatut vom Stand- 
punkte der Direktträger doch als ein Fehlſchlag bezeichnet werden. Denn unter 
den vielen Tauſenden von Sorten mit brauchbaren Trauben gibt es und gab es 
recht viele, ja vielleicht mehr, die hinter den Maſſenſorten zurückblieben, und 
die eben durch das Schlagwort vom Rieſenertrag ſeinerzeit ihre Bedeutung 
verloren hatten. 

Auf dieſe, gütemäßig teilweiſe beſſeren Sorten greifen die franzöſiſchen Hy⸗ 
bridenbauern zurück, als eines der Hauptbeweismittel der Hybridengegner: Die 
Hybriden ſeien am Weinüberfluß ſchuld, wird ausgeſchaltet, ohne daß des⸗ 
wegen die Hybriden zu beſtehen aufgehört haben. Ja, wenn wir die Hybriden⸗ 
geſchmacksſtoffe zunächſt ausſchalten, fo iſt das Weinbauſtatut dem Hybridenbau 
geradezu förderlich geweſen, denn nach dem Güte⸗Mengegeſetz iſt die Güte 
bei geringerer Menge im allgemeinen meiſt weſentlich höher. 

Ein gewaltſames Niederringen der Hybriden zunächſt in Frankreich iſt aus⸗ 
ſichtslos und bei voller Objektivität der Sache gegenüber nicht einmal wün⸗ 
ſchenswert. Frankreich hat ja tatſächlich Gebiete, in denen der Weinbau infolge 
der koloſſalen Niederſchläge und der völligen Unmöglichkeit, in manchen Jah⸗ 
ten der Peronoſpora Herr zu werden, ohne Hybriden für die Dauer nicht zu 
halten fein wird. Wir müſſen darum damit rechnen, daß in gewiſſen Hundert⸗ 
ſatzverhältniſſen die Hybriden das Feld behaupten, ja nach Maßgabe der Güte⸗ 
ſteigerung bei neuen zu erwartenden Züchtungen vielleicht ſogar ihre An⸗ 
lagen vergrößert werden, wir müſſen damit rechnen, daß der Weinhandel des 
Südens in Zukunft zum Teile auch mit Hybridenwein arbeiten wird, mit Wei⸗ 
nen, die infolge der geringeren Geſtehungskoſten eine Preisſenkung ermög⸗ 
lichen und eine ſolche im zwiſchenſtaatlichen Verkehr auch anderwärts hervor⸗ 
rufen können. 

Trotz aller ſcharfen Beſtimmungen haben aber auch die anderen Länder das 
Hybridenproblem nicht zur Gänze ausgeſchaltet, ſondern gewiſſermaßen bloß 
aufs Eis gelegt, und ſich in den ſtaatlichen Verſuchsanlagen ein Ventil ge⸗ 
Idaffen, um fpdter rechtzeitig die Freigabe beſtimmter Züchtungen zu er- 
möglichen. 

Wenn wir nun im nördlichen Weinbau zunächſt für Oſterreich in unferen 
ſtaatlichen Verſuchsanlagen auf Sorten ſtoßen werden, welche die heute in 
Steiermark noch immer geduldete Noah weſentlich übertreffen, dann gibt es 
bei der Tatſache, daß die beſondere Lage in Steiermark ein Eingreifen der Vee 
hörden unmöglich gemacht hat, bloß den einen Weg, den Bauern an Stelle der 
Noah eben beſſere Sorten zu geben, die ebenfalls ohne Bekämpfung durch⸗ 
kommen, deren Erzeugnis jedoch dem Noahwein weit überlegen iſt und einerſeits 
dem Bauern ſelbſt eine wirtſchaftliche Beſſerſtellung ermöglicht, andererſeits 
aber nicht die Gefahr in ſich birgt, durch Verſchnitte mit Edelwein dieſen zu 
entwerten. And haben wir dann entweder durch Erprobung und Anerkennung 
ausländiſcher Züchtungen oder im Wege eigener Züchtungen eine oder mehrere 
Sorten, welche billigen Anſprüchen an den Begriff Wein genügen und die 


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Die Zukunft der Direktträgerfrage im mitteleuropäischen Weinbau 533 


Rentabilität des Weinbaues eines Gebietes fichern, dann liegt fein Anftand 
vor, ihnen in der gemifchten Wirtſchaft oder aber an der vertikalen Grenze des 
Weinbaues, wo andere Rebkulturen oder Kulturen überhaupt verſagen, einen 
beſcheidenen Platz einzuräumen. 

In Deutſchland geht man einen etwas anderen Weg. Die ganze Frage 
der Direktträgerzüchtung iſt in Müncheberg zuſammengefaßt, wo am Kaiſer⸗ 
Wilhelms ⸗Inſtitut Sämlingsprüſungen ſolcher Kreuzungen mit ungeheuer 
großer Individuenzahl zunächſt auf Peronoſporafeſtigkeit durchgeführt werden. 
Das Material, das dort ſelbſtverſtändlich bloß in geringen Hundertſätzen den 
Anforderungen genügen wird, kommt ſodann nach Naumburg zur Prüfung 
auf Reblausfeftigkeit und erſt das, was ſich in beiden Belangen bewährt hat 
und die Gewähr in ſich birgt, weder veredelt noch geſpritzt werden zu müſſen, 
bzw. wenn wir die Adaptierung hier ausſchalten — von der Reblaus nicht an⸗ 
gegriffen werden kann, kommt zur weingartenmäßigen Prüfung des Wertes 
des Erzeugniſſes ins Weingebiet. Dieſer ſchwierige Weg iſt das Ergebnis der 
beſonderen Verhältniſſe in Deutſchland. Es iſt darin allerdings einem Faktor 
zu wenig Rechnung getragen worden: Dem Zeitfaktor. Viele Jahre, ja 
vielleicht Jahrzehnte werden vergehen, ehe man greifbare Reſultate gewonnen 
haben wird, und eine zweite Gefahr vielleicht liegt darin, daß die Pflanzen 
oder ihre vegetativen Nachkommen ihr Verhalten den natürlichen Feinden 

egenüber verändern können. Es iſt ſehr leicht möglich, daß Sämlinge in der 

ugend peronoſporafeſt waren, diefe Feſtigkeit ſpäter einbüßen. Solche Ver⸗ 
ſchiebungen bei beſtimmten Sorten find uns bekannt. Inzwiſchen wird ſich 
jedoch der Ambau des deutſchen Weinbaues auf amerikaniſche Reben voll⸗ 
zogen haben und das Schreckgeſpenſt der Reblaus fein wildes Geſicht aber 
auch für den deutſchen Weinbau für immer verloren haben, ſo daß auch dort 
die Peronoſporafeſtigkeit das wichtigſte Ziel der Immunzüchtung bleibt. Eines 
darf darum dem deutſchen Weinbau empfohlen werden: auf den Erfolgen 
anderer weiterzubauen. Es ſcheint ausſichtsreicher, die durch mindeſtens fünf 
Jahrzehnte gewonnenen franzöſiſchen Züchtungen mitzuverwerten, als von der 
Pike auf neu zu beginnen und den dornenvollen Weg der Züchtungsarbeit 
von der erſten Phaſe an zu gehen. Belege für die Schwierigkeiten haben wir 
in Oſterreich wie in Deutſchland. Wir find darum daran, in Bſterreich vor 
allem die franzöſiſchen Züchtungen kritiſch zu prüfen, um mit ihnen oder aber 
mit Kreuzungen, in denen ſie mitverwendet werden, auf dem Wege nach 
brauchbaren Direktträgern fortzuſchreiten. 

And noch ein Faktor, der die Arbeiten der Zukunft erſchweren wird: Die 
örtlich beſchränkte Verwendbarkeit der einzelnen Sorten. Noch 
viel weniger wie bei Edelreben wird hier an Aniverſalreben zu denken ſein. 
Gebietsweiſe werden andere Hybriden in ihre Rechte treten, um den Bedarf 
an Haustrunk bzw. Tiſchwein, ſpäter vielleicht auch beſſerem Wein zu decken. 

Ein neuer und erfolgreicher Vorſtoß der Direktträger beſonders in den ſüd⸗ 
lichen Ländern iſt eine Frage der Zeit. Wir müſſen mit ihm rechnen, wir 
müſſen darauf vorbereitet fein, daß unſere ſüdlichen Weinbaunachbarn in viel⸗ 
leicht größerem Maße als bisher ihre Weinberge auf Direktträgerſorten um⸗ 
ſtellen werden. 

Können wir dieſem Vorgang ſchon aus Gründen der Zuſammenhänge zwi⸗ 
ſchen Weinproduktion und Weinpreiſen aller Länder nicht untätig zuſehen, 
ſo noch aus einem ganz anderem Grunde, der vor allem zunächſt rein wiſſen⸗ 


4° 


534 Fritz Zweigelt 


ging ae Natur iſt, fich aber ſpäter — Wiſſenſchaft und Wirtſchaft läßt fich 
in der Hybridenfrage überhaupt nicht trennen — auch wirtſchaftlich auswirken 
wird: Die Peronoſporabekämpfung trägt alle Anzeichen dafür, da 
ſie von Jahrzehnt zu Jahrzehnt ſchwieriger und weniger erfolgrei 
wird. Hier herrſchen die ewigen Geſetze von Anpaſſung und Raſſenſpeziali⸗ 
ſierung, in Verbindung mit dem Eingreifen der paſſiven Immuniſierung, ge⸗ 
ſteigerter Hinſälligkeit andererſeits. Wer weiß, wieviele Peronoſporaraſſen 
es heute ſchon gibt? Die Peronoſpora als lebender Organismus führt ſeit 
Jahrzehnten einen verzweifelten Daſeinskampf gegen die Kupferkalkmittel; 
daß fie ſich bis heute trotz intenfiver und allgemeiner Behandlung der Reben 
gepalten hat, ift zum Teil darauf zurückzuführen, daß fie gelernt hat, dieſe 

ifte zu überwinden. Ihre Virulenz hat zugenommen. Gleichzeitig 
damit hat die Pflanze, durch die ſtändige Behandlung verwöhnt, es verlernt, 
mit dem Pilz fertig zu werden, ihre Reaktivität hat abgenommen. 
And wer weiß, wie nahe der Zeitpunkt iſt — nahe im Sinne immerhin von 
Jahrzehnten — daß wir den Kampf gegen die Peronoſpora nicht mehr wer⸗ 
den führen können. Dann werden einzig und allein Direktträger es ſein, die 
den Weinbau weiter werden ermöglichen laſſen. Aber auch dieſe neuen Züch⸗ 
tungen werden vom Standpunkte der Feſtigkeit und anderen Momenten keine 
Dauererzeugniſſe fein und bleiben, auch fie werden ſpäter von weiteren Züch⸗ 
tungen abgelöſt werden müſſen. 

So ſteht dann die Direktträgerfrage — weit entfernt, durch geſetzliche Be⸗ 
timmungen aus der Welt geſchafft werden zu können — nach wie vor im 

ittelpunkte der Intereſſen des Weinbaues im allgemeinen, des nördlichen, 
des deutſchen und öſterreichiſchen Weinbaues ganz beſonders. Aufgabe unferer 
Fachanſtalten muß es ſein, alles daranzuſetzen, um im gegebenen Augenblick 
wiſſenſchaftlich gewappnet zu ſein, der Wirtſchaſt zu helfen. 


Karl Motz: 
Blut und Boden 


In Anweſenheit des Führers der NSDAP. hat unſer Mitarbeiter Karl 
Motz auf der Tagung des agrarpolitiſchen Apparates am 3. Januar 1933 
einen ausgezeichneten Vortrag gehalten, deſſen Zweck die Vorführung einer 
neuen Methode der Werbung für den nationalſozialiſtiſchen Grundgedanken 
von Blut und Boden mittels Wort und Bild war. Anter Hinweis auf die 
Arbeit von Motz im Auguſtheft 1932 unſerer Monatsſchrift „Aufgaben der 
Agrarpolitik im Rahmen der Oſtraumidee“ bringen wir nachſtehend einen 
Auszug aus dem ſehr wirkſamen Material zum Abdruck. H. R. 


Wachstum des deutschen 
Volkes in einem halben 


Jahrtausend: 5 


K 
* | 
900 1913 1928 


* 1500 * 1800 1850 


Während des Wachstums des deutſchen Volkes wuchs fein Lebensraum nur un- 
genügend. Deshalb find wir ein Volk ohne Raum. 


536 Karl Motz 


Bevölkerundsdichte 


bei uns und im Auslande 


Auf 4 akm enHallen Einwohner in: 


902 Bi coca ta acl 


von der deutschen Bevölkerung. om: 
oa — 


in Landgemeinden 


1875 


1900 


Der Liberalismus verſuchte durch Aberinduſtrialiſierung und Exportpolitik trotz 
des Zuſtandes „Volk ohne Raum“ eine Ernährungsgrundlage zu ſchaffen. Der 
Verſuch mißlang, wie die geſchichtliche Entwicklung zeigt. Aus dem überwiegend 
bodenſtändigen deutſchen Volke war aber infolge dieſes Verſuches mit der Mber- 
induftrialifierung ein überwiegend bodenentwurzeltes Volk geworden. 


Blut und Boden 537 


Die Verſtädterung bedeutet den Volkstod! Dieſe Zahlen Burg- 
dörffers vom Statiſtiſchen Reichsamt Berlin beweiſen die Unmöglichkeit, auf dem 
Wege des Liberalismus die Zukunft des deutſchen Volkes zu ſichern. 


Die Vermehrungs-Kraft des 
Bauerntums: 
Vermehrung in der Siid-Ost+Kolonigation 


: im Jahre 1900: 
70 000 Schwaben 500 000! 
iim Banat/ 
Jn 100 Jahren versiebenfacht ! 


Ein Beifpiel für die bevölkerungspolitiſche Bedeutung des Bauerntums zur Ver- 
anſchaulichung der Burgdörfferſchen Zahlen. Das Bauerntum iſt der 
Lebensquell des deutſchen Volkes. 


338 Karl Motz 


Bevolkerungsentwicklung 
des Deutschen Reiches 


Deutschland hat nach Clemenceau 
20 Millionen Menschen zu viel: 


1930 


In OO Jahren wird 
die Volkszalhl um 

65 20. Millionen 
* gesunken sein! 


Die „Verſtädterung“ hat aus dem deutſchen Volk ein ſterbendes 
Volk gemacht. Nur der Staatsgedanke von „Blut und Boden“ bildet eine 


Zukunftsmöglichkeit! 
Ost:West-Umschichtang d. Bevölkerung 


......... 


eee eee a ee 


„5 „„ „ „aussen Herren sc 


... 
|... 


, 


. 


N] Bevö 


ichte 
auf 1 qkm 


Der Liberalismus ſaugte die Menſchen in die Stadt. Da der deutſche Often faft 

ausſchließlich bäuerlich iſt, war die geopolitiſche Linie dieſer ſozialen Amſchichtung 

von Oſten nach Weſten gerichtet. Daher die dünnbeſiedelten Oftgebiete und 
die wahnfinnige Abervölkerung des Weſtens. 


3 . 3 — 


Blut und Boden 539 


Wegen der ftändigen Abwanderung des bodenſtändigen Menſchen von Often nach 

Weſten ſtagniert die Bevölkerungsdichte des Oſtens ſchon ſeit Jahrzehnten oder 

ſinkt gar. Der Exiſtenzkampf des deutſchen Volkes wird alſo ftändig an der am 
meiſten gefährdeten Front geſchwächt. 


Kindersegen im Osten! 


Auf 1000 Einwohner entfallen: | 


53,3 


Auf der anderen Seite der Grenzpfähle wählt das fremde Volkstum ungeheuer. 
Eine gewaltige Slawenflutbrandet gegen den durch den Liberalis- 
mus immer ſchwächer werdenden deutſchen Oſten heran. Es ſei beſonders 
hingewieſen auf die ebenfalls dargeſtellte Tatſache, daß der deutſche Oſten an ſich 
noch eine Geburtenzahl hat, die weit über der des übrigen Reiches liegt. Es 
handelt ſich eben um Bauernland — den Lebensquell des deutſchen Volkes. 


540 Karl Motz 


Rückgang des 
Germanentums: 
65 


Germanen 


Slaven 


Romanen 


Der Liberalismus hat auch bei allen anderen nordiſchen Völkern das Ergebnis, 

Totengräber des Bevölkerungswachstums zu fein. Der Erfolg iſt ein reißendes 

Abfinken des Prozentſatzes der Nordiſchen Menſchen gegenüber der ſonſtigen euro; 

päifhen Bevölkerung. Die Bedeutung des Staatsgedankens von „Blut und 

Boden“ iſt alſo nicht auf das deutſche Volk beſchränkt, ſondern die Lebens 
frage des Nordiſchen Menſchen überhaupt. 


* ‘ 4 
— x 
ge‘ a. — 1 \ N 
a) Ga N 4 — 
— —é— 


Aber auch wirtſchaftlich verſagt der Liberalismus. Am politiſch frei zu werden, 
bauen alle fremden Staaten und Völker ihre eigenen Induſtrien. Nicht nur 
Kanada, auch Indien, China, Sowjetrußland, ganz Europa, Amerika, kurz: die 
ganze Welt. Damit verliert auch die deutſche Exportinduſtrie 
ein für allemal die Möglichkeit, eine ſichere Grundlage 
der Volksernährung zu fein. Die „Weltwirtſchaft“ ging zugrunde. 
Weil man auf ihr die Lebensgrundlage des deutſchen Volkes aufbauen wollte, 
haben wir die wahnfinnige Arbeitsloſigkeit und das daraus ſich ergebende Elend. 
Wer aber glaubt, daß die fremden Völker einſt ihre Maſchinen in die Luft ſpren⸗ 
gen werden, um uns Arbeit und Brot zu geben? 


Blut und Boden 541 


Mit der wirtſchaftlichen Vernichtung des deutſchen Arbeiters, der Zerjtörung der 
Kaufkraft der Stadt verband ſich nun eine geradezu irrſinnige Agrarpolitik: Aber⸗ 
ſteigerung der Inlandspreiſe für Induftriewaren und Schleuder aus fuhr, 
um den zuſammengebrochenen Export wenigſtens noch eine Zeitlang künſtlich am 
Leben zu halten. Das bedeutet: Vernichtung der Lebensfähigkeit 
der Landwirtſchaft, weitere Entwurzelung, doppelte Arbeits- 
lofigkeit auch der Induſtrie, denn der Binnenmarkt wird ebenfalls ſyſte⸗ 
matiſch vernichtet. 
Auch hier hilft nur die Amkehr: Binnenmarkt oder „autarkiſche 
Politik“ ftatt Weltwirtſchaft und Erportillufion. 
Der nationalſozialiſtiſche Weg von Blut und Boden allein ſichert das 
Deutſchtum 

1. bevölkerungspolitiſch vor dem Ausſterben, 
2. allgemein nationalpolitiſch vor der anbrandenden Slawenflut, 
3. wirtſchaftlich durch Sicherung ſeiner Ernährungsgrundlage aus dem 
eigenen Grund und Boden und damit ſeiner politiſchen Handlungsfähigkeit. 


Das Ardiv 


In der vergangenen Berichtszeit hat 
die Preſſe wieder reichlich Gelegenheit 
gehabt, ſich mit der Agrarpolitik zu be- 
ſchäftigen. Die Landwirtſchaft iſt zum 
Angelpunkt der geſamten deutſchen In⸗ 
nenpolitik geworden. Die Not dieſes 
wichtigſten Wirtſchaftszweiges des deut- 
ſchen Volkes hat in den letzten Wochen 
eine ſolche Steigerung erfahren, und 
unter den deutſchen Bauern iſt über 
die Antätigkeit und Anfähigkeit des 
Reichskabinetts von Schleicher auf 
agrarpolitiſchem Gebiet eine ſolche Er⸗ 
bitterung entſtanden, daß man in man⸗ 
chen Teilen Deutſchlands direkt von 
einer beginnenden Bauernrevolution 
ſprechen kann. Anter dem Druck dieſer 
verzweifelten Lage ſeiner Mitglieder 
hat der Reichslandbund ſich entſchloſſen, 
einen energiſchen Vorſtoß gegen die 
Reichsregierung zu unternehmen, der 
natürlich in den politiſchen Kreiſen ein 
allgemeines Aufſehen hervorgerufen hat. 
Am 11. 1. veröffentlichte der Zei 
tungsdienſt des Reichsland⸗ 
bundes folgenden Kampfappell: 

„Der Bundesvorſtand des Reichs- 
landbundes hat am 11. Januar 1933 
zur Lage folgende Entſchließung ange⸗ 
nommen: 

Die Verelendung der deutſchen Land⸗ 
wirtſchaft, insbeſondere der bäuerlichen 
Veredlungswirtſchaft, hat unter Dul- 
dung der derzeitigen Regierung ein 


ſelbſt unter einer rein marxiſtiſchen Re - 


gierung nicht für möglich gehaltenes 
Ausmaß angenommen. Die Ausplün⸗ 
derung der Landwirtſchaft zugunſten der 
allmächtigen Geldbeutelintereſſen der 
international eingeſtellten Erportindu- 
ſtrie und ihrer Trabanten dauert an. 
Seitens der Reichsregierung hört die 
Landwirtſchaft im weſentlichen nur 
Rundfunfreden und inhaltloſe Formu- 
lierungen, denen trotz längſt vorhan⸗ 
dener ſachlicher Möglichkeiten entſchei⸗ 
dende Taten nicht gefolgt ſind. 


Obwohl mit Ende des Jahres 1932 
die Holland gegenüber beſtehenden 
Zollverbindungen abgelaufen find, iſt 
bis heute dieſe Erleichterung der zoll⸗ 
politiſchen Lage nicht durch Inkraftſetzen 
von Zollerhöhungen, fiber deren Aus. 
maß eine auf nationale Wirtſchaft ein⸗ 
geſtellte Reichsregierung nicht mehr im 
Zweifel ſein kann, ausgenutzt worden. 

Die daneben notwendigen Kontin⸗ 
gentierungsmaßnahmen zum Schutze ge- 
gen ausländiſche Aberſchwemmung find 
auch von der jetzigen Reichsregierung 
nicht ergriffen worden. Eine Regierung, 
die den Willen zur Erhaltung deutſchen 
Bauerntums hat, mußte wenigſtens 
durch ſofortige Erklärung eines voll. 
ſtändigen und generellen Zahlungs- 
moratoriums die Vertreibung des 
Bauern von Haus und Hof verhüten. 
Nichts dergleichen iſt geſchehen. 

Durch das Verſagen der Reichsregie- 
rung in den lebenswichtigſten Fragen 
der Agrarpolitik werden auch die vom 
Herrn Reichskanzler aufgeſtellten Ziele 
der Arbeitsbeſchaffung und Siedlung zu 
reinen Illuſionen. Die bisherige Be⸗ 
tätigung der Reichsregierung wird da⸗ 
her auch den wiederholten Aufträgen, 
die der Herr Reichspräſident erteilt 
hat, nicht gerecht. 

Die Notgemeinſchaft des deutſchen 
Landvolks ſteht zum Außerſten bereit. 
Die Führung des Reichs- Landbundes 
fordert von jedem einzelnen den letzten 
Einſatz in dem dem geſamten Berufs- 
ſtand aufgezwungenen Kampf um die 
nackte Exiſtenz!“ 

Es iſt natürlich, daß dieſe Erklärung 
bei der Reichsregierung ſowie 
bei der Export ⸗Induſtrie ungeheuer ver- 
ſtimmend gewirkt hat, um ſo mehr, als 
dieſe Kreiſe ſich bewußt find, daß ſie die 
Schuld an der Verelendung der Land- 
wirtſchaft tragen. Die Reichsregierung 
hat nun eine Erklärung gegen den 
Reichs landbund veröffentlicht, aus der 


Das Archiv 


folgende Stelle als beſonders bezeich⸗ 
nend hervorgehoben werden muß. „Die 
Reichsregierung wird ſich durch dieſe 
ovale Handlungsweiſe des Vorſitzen⸗ 
den des Reidslandbundes nicht davon 
abbringen laſſen, alles ſachlich Mögliche 
für die Landwirtſchaft zu tun. Sie ſieht 
ſich jedoch gezwungen, von jetzt an die 
Verhandlungen mit den Mitgliedern 
des Vorſtandes des Reichs landbundes 
abzulehnen.“ Weiter hat ſich die Reichs 
regierung gezwungen geſehen, durch den 
Druck des Vorgehens des Reidsland- 
bundes „weitere Maßnahmen für die 
Landwirtſchaft“ bekanntzugeben. Dieſe 
follen ſich vor allem auf eine Ausdeh⸗ 
nung des Vollſtreckungsſchutzes über 
das ganze Reichsgebiet erſtrecken, es 
wird aber ausdrücklich folgende Ein⸗ 
ſchränkung gemacht: „Betriebe, bei 
denen alsdann eine Defatierung zu ge ⸗ 
wärtigen wäre, würden dieſen Schutz 
nicht erfahren“. Befonders bemerkens⸗ 
wert iſt, daß außerdem noch darauf bin- 
gewieſen wird, daß bezüglich der Soll- 
politik man keineswegs beabſichtige, 
autarkiſchen Tendenzen breiten Raum 
zu geben. Der Reichsland bund 
hat daraufhin eine Gegenerfldrung ver⸗ 
Hffentlidt, die zum Schluß folgender. 
maßen lautet: „Wenn jetzt die Neichs⸗ 
regierung die Tatſache der Veröffent⸗ 
lichung des Bundesvorſtandes glaubt 
dazu benutzen zu ſollen, die Beziehun⸗ 
gen zum Reichslandbund abzubrechen, 
ſo erſcheint das lediglich als ein Ver⸗ 
ſuch, ſich der Verantwortung, die die 
Reichsregierung gegenüber dem land- 
wirtſchaftlichen Berufsſtande hat, zu 
entziehen, um im Dunkel der Regie- 
rungskonklaven ihren bisherigen ver- 
hängnisvollen wirtſchaftlichen Weg fort. 
zuſetzen. Vertrauen zu dieſer Politik ließe 
ſich nur rechtfertigen, wenn fle Taten auf- 
weiſen könnte, die eine erfolgreiche Ab- 
kehr von der bisherigen verhängnis- 
vollen Wirtſchaftspolitik bringen. Daß 
dieſe bisher völlig fehlen, iſt der Grund 
der Verzweiflungsſtimmung im Lande. 
Der Abbruch der Beziehungen zum 
Reichslandbund iſt ein Beweis dafür, 
daß die Reichsregierung den Notruf 
des Landvolkes nicht hören will oder 


543 


völlig die wahre Sachlage verkennt. Der 
Reichs landbund wird ſich dadurch nicht 
beirren laſſen, ſeinen Kampf für die 
Geſundung der Landwirtſchaft mit allen 
gebotenen Mitteln fortzuſetzen.“ 

Wie ſchon oben erwähnt, hat auch die 
Export- Induſtrie ſich gegen den Reichs. 
landbund gewandt und zwar durch Erflä- 
rungen des Reichsverbandes der deut- 
ſchen Induſtrie, ſowie des Reichsverban⸗ 
des des deutſchen Aberſeehandels. Die 
Erklärung des Reichsverbandes der 
deutſchen Induſtrie ſpricht von „größter 
Empörung“ und „ſchwerſter gefährden- 
der Beſchimpfung eines unentbehrlichen 
Teiles der deutſchen Wirtſchaft“. Es iſt 
ſelbſtverſtändlich, daß dieſer Kampf, 
Reichsregierung gegen deutſche Land. 
wirtſchaft, in der geſamten Preſſe den 
ſtärkſten Widerhall gefunden hat. 

So veröffentlicht die NS K. (Na- 
tionalſozialiſtiſche Partei ⸗ 
Korreſpondenz) in ihrer Folge 
295 vom 12. 1. 33 einen Artikel von 
Dr. H. Reiſchle „Die Abſage der 
Landwirtſchaft“. Dieſer Artikel kann als 
offizielle Stellungnahme der NSDAP. 
in dem Kampf „Reichsregierung gegen 
Landwirtſchaft“ angeſehen werden. Be⸗ 
achtenswert find folgende Stellen aus 
dem Artikel: „Anſtatt nun die Pofition 
des Reichslandbundes, der mühevoll die 
Empörung in den Reihen des Land- 
volkes in ruhigem Nahmen zu halten 
verſucht, regierungsſeitig zu ſtärken, iſt 
der Herr Reichspräfident von ſeinen 
Beratern veranlaßt worden, ſozuſagen 
das Tafeltuch zwiſchen ſich und dem im 
Reichs landbund vertretenen Landvolf 
entzweizuſchneiden.“ — „Die Fronten 
klären ſich alſo mit der für eine baldige 
Entſcheidung erforderlichen Deutlichkeit. 
Man möge fid an amtlicher Stelle kei⸗ 
nerlei Illufionen hingeben: Der Reichs- 
landbund hat das öffentlich zu bekennen 
gewagt, was das geſamte deutſche Bau- 
erntum von Nord bis Süd und Oſt bis 
Weſt denkt.“ 

An dieſer Stelle ſei auch auf den 
offenen Brief des verantwortlichen 
Leiters der nationalſozialiſtiſchen Agrar. 
politik, R. Walther Darré an den 
Reichskanzler von Schleicher (am 13. 
Januar veröffentlicht) hingewieſen. Die⸗ 


544 


fer Brief nimmt die Ereigniffe während 
des Empfanges des Prdfidiums des 
Reichslandbundes beim Reichspräſiden⸗ 
ten zum Anlaß, um eine vernichtende 
Kritik an der geſamten liberaliſtiſchen 
und landwirtſchaftsfeindlichen Politik 
zu üben und ſtellt in kurzen Amriſſen 
die ganze wirtſchaftspolitiſche Entwick⸗ 
lung Deutſchlands nach 1871 dar. Der 
dadurch entſtandene wirtſchaftspolitiſche 
Wirrwarr in Deutſchland könne nur 
dadurch behoben werden, daß ein neuer 
Abſatzmarkt vom Binnenmarkt her auf⸗ 
gebaut würde. Ein Binnenmarkt baue 
fich jedoch nur von der Landwirtſchaft 
her auf und deshalb fei ein entichlof- 
ſenes Herumwerſen des Staatsruders 
notwendig. Dazu gehöre aber eine Tat, 
ein klares Wiſſen vom Notwendigen 
und eine willensſtarke Zielſtrebigkeit. 
Solche Politik könne nur von Män- 
nern, aber niemals von einer Regie- 
rung vollbracht werden, die vor lauter 
Zweifel nicht weiß, wohin fie ſich drehen 
und wenden ſoll. Die Verantwortung 
für den bedauerlichen Vorfall bei dem 
Empfang des Reichslandbundes beim 
Reichspräfidenten trage weder das 
Präfidium des Reichslandbundes noch 
der Herr Reichspräfident, ſondern der 
Reichskanzler ganz allein. Es fei die 
Aufgabe des Reichskanzlers, den Herrn 
Reichspräſidenten über die wahre Lage 
in der Landwirtſchaft zu unterrichten 
und dieſen zu warnen. Beim ehrwür⸗ 
digen Alter des Herrn Reidsprafiden- 
ten könne niemand von ihm verlangen, 
daß er von ſich aus die ihm geläufigen 
Anſchauungen des 19. Jahrhunderts ab- 
ſtreife und die völlig neuen Grundlagen 
des 20. Jahrhunderts richtig ſieht und 
einſchätzt. Hierfür hat er eben Reichs- 
miniſter, die ihm zu raten hätten. We⸗ 
nigſtens ſei dies die Auffaſſung des 
deutſchen Volkes von den Pflichten und 
Aufgaben der Reichsminiſter, insbefon- 
dere des Reichskanzlers. Mit dem Ge. 
neral von Caprivi hätte die Leidenszeit 
der deutſchen Landwirtſchaft angefan- 
gen. Es wäre zu wünſchen, daß die un- 
glückſelige und landwirtſchaftsfeindliche 
Zeit und Wirtſchaftsepoche mit dem 
General von Schleicher beendet würde. 

Die „Deutſche Tageszeitung“ 
vom 12. 1. überſchreibt ihren Leitartikel 


Das Archiv 


mit „Ein unmöglicher Konflikt“. Ich 
möchte aus dieſem Artikel nachfolgende 
Stellen anführen: „Unter den gegen- 
wärtigen Amſtänden bedeutet es für 
jede Reichsregierung Lebensgefahr, 
wenn ſie die Landwirtſchaft in offene 
Feindſchaft gegen ſich zwingt. — Das 
Pronunciamento der Reichsregierung 
iſt, wohlwollend geſprochen, ein Tem⸗ 
peramentsausbruch, der überdies an der 
einen oder anderen ſachlichen Angenauig⸗ 
keit leidet.“ — „Einen Kriegszuſtand 
dieſer Art zwiſchen der Regierung, ob 
ſie von Schleicher oder anders heißt, 
und einer führenden landwirtſchaftlichen 
Organiſation darf es einfach nicht geben. 
Erſt recht nicht, wenn er aus Mißver⸗ 
ſtändniſſen entſtammt, deren Beſei⸗ 
tigung doch wahrlich keine Herfules- 
arbeit vorausſetzt.“ 

Auch die „Landwirtſchaftliche 
Wochenſchau“ (T. A.) nimmt in 
einem Artikel „Nervöſe Agrarpolitik“ 
Stellung gegen die Reichsregierung. 
Beachtenswert iſt vor allem folgende 
Stelle: „Auch im Jahre 1903 hat der 
Landwirtſchaftsminiſter von Podbielſki 
mit ſeiner nervöſen Antwort an Dietrich 
Hahn (Bund der Landwirte) letzten 
Endes nur den fpäteren Sturz der Re- 
gierung vorbereitet. Der Vergleich mit 
1903 drängt ſich auch dadurch auf, daß 
damals Dietrich Hahn ſeine ſcharfe Kri- 
tik ausgeſprochen hatte, weil die Regie; 
rung im Zuſammenhange mit der Han- 
delspolitik auf die nötige Förderung 
der Landwirtſchaft verzichtet hatte und 
daß damals wie heute die Regierung 
dem Landbund das Recht der Vertre⸗ 
tung der Landwirtſchaft abſprach, und 
nur noch mit den amtlichen Gerufsver- 
tretungen zu arbeiten gewillt war. Daß 
Reichskanzler von Schleicher dieſe hiſto⸗ 
riſche Erinnerung ſich nicht eine Lehre 
hat fein laſſen, wird beſonders auch des 
halb bedauert, weil Anlaß zu der Er⸗ 
wartung beſteht, daß die aus formellen 
Irrtümern entſtandene Verſtimmung 
des Reichspräſidenten zerſtreut wird, 
zumal es auch auf ein Verſagen der 
Preſſeabteilung der Reichsregierung, 
die dem Reichskanzler unterſteht, zurück⸗ 
zuführen iſt, daß die zuſtändigen Stel⸗ 
len erſt verjpätet von der Landbund⸗ 
Entſcheidung Kenntnis erhielten. Man 


Das Archiv 


verweift auch darauf, daß noch keine 
Reichsregierung und auch nicht der 
Reichskanzler von Schleicher gegenüber 
der Vertretung eines anderen Berufes 
oder gegenüber politiſchen Parteien 
ſelbſt bei ſehr viel maffiveren und ſach · 
lich völlig unberechtigten Angriffen 
ähnliche Schlußfolgerungen gezogen 
hat.“ An einer anderen Stelle heißt es: 
„Da auf der anderen Seite die vielfäl- 
tigen und in dem heutigen Amfang frü⸗ 
her unbekannten Schutzmaßnahmen für 
die Induſtrie zu einer Hochhaltung der 
Produktionsmittelpreiſe für die Land- 
wirtſchaft weit über den Vorkriegs⸗ 
ftand geführt haben, iſt es ſchon ver⸗ 
ſtändlich, daß die weitere Verzögerung 
der Agrarpolitik zu einer jeder Be⸗ 
ſchreibung ſpottenden Verzweiflung des 
Landvolks geführt hat. Daß dieſe Ver⸗ 
zweiflung in der Entſchließung einer 
freien wirtſchaftspolitiſchen Organiſa⸗ 
tion noch deutlicher zum Ausdruck kom⸗ 
men mußte als beim Landwirtſchafts⸗ 
rat, ift ebenſo verſtändlich wie die ent- 
ſprechende ſcharfe Sprache anderer freier 
Berufsvertretungen des Landvolks.“ 

Eine weniger klare Haltung nimmt 
die Deutſchnationale Preſſe ein. So 
ſchreibt „Der Tag“ in feiner Aus⸗ 
gabe vom 13. 1. in einem Kommentar 
zu der Nachricht über den Bruch der 
Regierung mit dem Reidhslandbund 
u. a.: „So gehört eine Reichsregierung, 
die ſich zu dieſen Grundſätzen bekennt, 
und das Landvolk zuſammen. Am fo ge⸗ 
fährlicher iſt dann ein folder Konflikt, 
wie der jetzt entbrannte, bei deſſen Zu⸗ 
ſpitzung der Mangel an geſundem Maß 
halten und an Geſchick eine wichtige 
Rolle ſpielt.“ 

Eine ebenfalls eigenartige Einſtellung 
nimmt das Schleicher⸗Blatt „Tägliche 
Rundſchau“ ein. And zwar verſucht 
dieſe Zeitung die ganze Schuld des Zu⸗ 
ſammenbruchs der Agrarpolitik dem 
Reichsernährungsminiſter Frhr. von 
Braun in die Schuhe zu ſchieben. Da⸗ 
durch ſoll gewiſſermaßen der Reids- 
kanzler Schleicher gedeckt werden. 
An einer Stelle ſchreibt ſie: „Der 
Reichskanzler von Schleicher wird ein⸗ 
geſehen haben, daß es mit den kleinen 
unzulänglichen Maßnahmen des heu- 
tigen Reichsernährungsminiſters nicht 


545 


weitergeht. Man wird ihm den guten 
Glauben nicht abſprechen können, wenn 
man die ganze Verbindung zwiſchen 
Braun und Kalckreuth bedenkt. Aber 
dieſe ſcharfe Stellung des Landbund- 
Vorſtandes wird auch ihm klar gemacht 
haben, daß nur eine ganz einheitliche 
binnenwirtſchaftliche Linie das Agrar- 
problem endgültig löſen kann.“ Ganz 
offenſichtlich geht auch aus dieſem Ar⸗ 
tikel hervor, daß man von dieſer Seite 
auch den Rücktritt des Grafen Kalck⸗ 
reuth als Landbundvorfigenden wünſcht. 
Man geht ficherlich nicht fehl, wenn 
man annimmt, daß dieſer Artikel von 
der „Pommern -Gruppe“ der „Täglichen 
Rundſchau“ zur Verfügung geſtellt wor- 
den iſt. 

Das Blatt der Schleicher freundlichen 
Induſtrie „Deutſſche Allgemeine 
Zeitung“ wittert natürlich Morgen- 
luft und glaubt eine endgültige land- 
wirtſchaftsfreundliche Politik verhin- 
dern zu können. So ſchreibt fie: „Sach- 
lich wird die Reichsregierung gezwun⸗ 
gen ſein, jetzt die Zweckmäßigkeit des 
bisherigen Kurſes zu überprüfen. Vor 
allem an dem Beiſpiel der Margarine- 
verordnung, die einen wichtigen Gegen- 
ſtand der Ausſprache bildete, hat ſich 
gezeigt, daß mit der bisherigen Methode 
nicht weiterzukommen iff. Der Reichs⸗ 
kanzler hat offenbar die Erkenntnis ge⸗ 
wonnen, daß in der Wirtſchaftspolitik 
mit dem mannigfachen Gegeneinander 
der letzten Monate Schluß gemacht wer⸗ 
den muß. Die Ausſprache beim Reichs- 
präfidenten wird daher als Einleitung 
zu einer neuen wirtſchaftlichen Entwick⸗ 
lung betrachtet.“ 

Die Linkspreſſe jubiliert natürlich 
über dieſe Entwicklung. Die „Ber 
liner Morgenpoſt“ vom 12. 1. 
ſchreibt: „Seit Jahr und Tag iſt es 
ſtets die Gepflogenheit der Landbund⸗ 
herren geweſen, im Miniſterzimmer 
bittend und fordernd eine offene Hand 
zu machen und gleichzeitig draußen im 
Land die Fauſt gegen den Miniſter, mit 
dem verhandelt wird, kräftig zu ballen. 
Diesmal iſt dieſes Spiel mißglückt. Es 
wäre ſehr unvorſichtig vom Landbund, 
eine Schimpfkanonade ins Land hinaus- 
zuſchicken und unmittelbar darauf unter 
Verſchweigung dieſer Tatſache mit de⸗ 


546 


mütig gekrümmten Rüden vom Reichs⸗ 
präfidenten weitere Forderungen der 
Landwirtſchaft zu erbitten. Das ver⸗ 
ſtößt gegen die guten Sitten und war 
ſelbſt dieſer Regierung zuviel. In ihrer 
Agrarpolitik wird die Negierung, wie 
ſie ſelbſt erklärt, nichts ändern. Sie 
wird alſo weiterhin eine Agrarpolitik 
treiben, mit der der Landbund ſehr zu⸗ 
frieden ſein könnte, wenn er nicht ſtets 
mehr fordern würde als er wirklich 
haben will. Trotzdem bleibt dieſe 
Kampfanſage vom Reidsprdfidenten 
und Reichsregierung an dieſe allmächtige 
Grofgrundbefigergruppe ein Ereignis 
von großer Bedeutung, das möglicher⸗ 
weiſe auch die Gefamtpolitik der Regie- 
rung nachhaltig beeinfluſſen kann.“ 
Dieſes hochpolitiſche Ereignis, 
Reichsregierung gegen Reids- 
land bund, deſſen Arſachen auf tief- 
liegende grundſätzliche Gegenſätze zurück⸗ 
gehen, hat ſeine Auslöſung durch den 
vollkommenen Zuſammenbruch des 
Butterpreiſes und damit der 
Grundlage der Veredlungswirtſchaft ge- 
funden. Der Verſuch der Reichsregie⸗ 
rung, durch einen Butterbeimiſchungs⸗ 
zwang zur Margarine im letzten Augen⸗ 
blick die Lage zu retten, mißlang voll ⸗ 
kommen. Es iſt ſehr bemerkenswert, daß 
der „Völkiſche Beobachter“ vom 
7. 1. in einem Artikel „Warum lehnt 
die NSDAP. den Butterbeimiſchungs⸗ 
zwang ab?“ dieſe Entwicklung voraus- 
ſieht. So heißt es u. a.: „Es iſt eine 
Atopie, mit dieſen Maßnahmen eine 
Preiserhöhung bei den Milch. und 
Fleiſchprodukten erreichen zu wollen, 
die Praxis hat bereits gezeigt, daß 
dieſe Maßnahmen das Gegenteil be⸗ 
wirkt haben.“ Weiter wird in dieſem 
Artikel anſtatt eines Butterbei⸗ 
miſchungszwanges ein Verwendungs- 
zwang von tieriſchen Fetten bei der 
Margarineherſtellung gefordert und da⸗ 
bei auf folgende Tatſache hingewieſen: 
„Hätte die Regierung ſchon immer ein 
wachſames Auge auf die Verwendung 
tieriſcher Fette gehabt, und durch einen 
feſten Preis deren Erzeugung geſichert, 
dann wäre ſie nicht auf den Plan der 
Butterbeimiſchung gekommen.“ — Der 
Margarine - Verband e. V. 
veröffentlichte in der geſamten Preſſe 


Das Archiu 


eine Erklärung: „Margarine-Induftrie 
gegen Butterbeimiſchung“. Aus dieſer 
Erklärung möchten wir folgenden Abſatz 
anführen: „Die Hintergründe der Ver⸗ 
ordnung find uns unbekannt. Die bäuer- 
liche Landwirtſchaft, der jeder gute 
Deutſche helfen will, ſträubt fid, wie 
aus zahlreichen Außerungen dieſer 
Kreiſe hervorgeht, gegen das Geſetz. 
Paradox erſcheint es, die Butterbei⸗ 
miſchung anzuordnen und gleichzeitig 
bei hoher Gefängnisſtrafe zu verbieten, 
davon zu ſprechen. Ab 1. April ſoll ſo⸗ 
gar nicht mehr geſagt werden dürfen, 
Margarine enthalte Milch und ſei ein 
Buttererſatz!“ 

Zuſtimmend zur Butterbeimiſchung 
hat ſich eigentlich nur der Deut ſche 
Landwirtſchaftsrat geäußert. 
In der „Berliner Börſenzei⸗ 
tung“ Nr. 8 vom 5. Januar 1933 ver- 
öffentlicht der Deutſche Landwirtſchafts⸗ 
rat einen Aufſatz „Warum Butterbei⸗ 
miſchung?“ In dieſem Artikel wird vor 
allem gegen die Margarine-Induftrie 
polemiſiert und wird behauptet, daß die 
15 000 Tonnen Butter, die der Mar- 
garine beigemiſcht werden ſollen, zur 
Zeit die überſchüſſige Buttermenge in 
Deutſchland darſtellen. Der 
miſchungszwang würde alſo unbedingt 
den Butterpreis ſtützen. Am Schluß des 
Artikels wird dann noch für eine Ver⸗ 
wendung deutſcher tieriſcher Fette ein- 
getreten. — Außerſt beachtlich iſt, daß 
auch die Deutſchnationalen gegen die 
Butterbeimiſchung find. So hat lt. Be⸗ 
richt der „Deutſchen Tageszei 
tung“ vom 9. Januar der Vorſitzende 
der Deutſchnationalen Reichstagsfrak⸗ 
tion, Dr. Oberfohren, in einer 
Rede in Kiel ausgeführt, daß die 
Deutſchnationalen den Butterbei⸗ 
miſchungszwang als eine der Landwirt⸗ 
ſchaft ſchädliche Maßnahme ablehnen. — 
Daß die geſamte liberale und marxi⸗ 
ſtiſche Preſſe ebenfalls den Butterbei⸗ 
miſchungszwang ablehnt, iſt natürlich, 
hier find aber die Gründe ganz andere 
wie bei den Nationalſozialiſten. 

Zum Schluß möchte ich noch auf einige 
beachtenswerte Artikel hinweiſen. In 
der „Berliner Börſenzeitung“ 
vom 4. Januar von Dr. Karl Fried- 
rich „Finanzierungs⸗Inſtitut und Lil 


Das Buch 


gungskaſſe“. — In dem Sonderheft der 
Sterteljabrsbefte für Ron- 
„ von Dr. Rolf 

Wageführ „Die Bnduftrie-Wirt- 
ſchaft, Entwicklungstendenzen der deut 
ſchen und internationalen Snduftrie- 


Produktion“. — „Berliner Tage 
blatt“ Nr. 6 „Export- Propaganda, 
aber wie?" — „Landwirtſchaft⸗ 

Das 


Adolf Meſchendörfer: Die 
Stadt im Oſten. Albert Langen (Gg. 
Müller, ). 

Eines voraus: Nie habe ich ein Buch 

geleſen, das in einem ebenſo kräftigen, 
männlichen Stil geſchrieben war. Man 
könnte das Buch erfdiltternd nennen, 
wenn nicht die Gefahr beſtünde, daß 
dieſes Wort ins Sentimentale ausge- 
legt werden könnte. 

Adolf Meſchendörfer, jetzt 55 Jahre 
alt, iſt ſeit 1927 Direktor des berühm- 
ten Honterus⸗Gymnaſiums in Kron⸗ 
ſtadt, der „Stadt im Often”. Um dieſe 
Schule, um dieſe Stadt herum rankt 

eine großartige geſchichtliche Zu⸗ 
* des Lebens und Da⸗ 
ſeinskampfes der Siebenbürger Sach⸗ 
ſen, geſchildert an der Entwicklung 
einiger markanter Perſönlichkeiten. 

Es ſteckt mehr Wirklichkeit in dieſer 
dichteriſchen Geſtaltung, als ee flüch⸗ 
tige Leſer vielleicht glaubt. Es darf 
wohl verraten werden, daß die Haupt; 

geſtalten ſtark gezeichnete Parallelen zu 
Ben allerneueften politiſchen Wusein- 
anderſetzungen dieſes auslanddeutſchen 
Bruderſtammes in ſich tragen. 3. 
halb wurde das Werk im Heimatlande 
des Dichters vielfach natürlich nach der 


politiſchen Färbung des Leſers beur- 
teilt. r aber 1 Diſtanz hat, die in 
dieſem Falle alle anderen Deutſchen 


beſitzen dürften, für den wird das Buch 
ein ganz ſtarkes künſtleriſches Erlebnis 
werden. Die Kämpfe des 55 


gegen Magpariſierung und Romani- 
Agrarpolitik Heft 7. Bg. 5 


547 


liche Wochenſchau“ vom a 1. 
von Dr. von Grandes-Saupern „Der 
letzte Anker“. („Nückkehr zur agrariſchen 
Grundlage“.) — In der „Landwirt 
ſchaftlichen Wochenſchau“ vom 
5. 1. von Freiherrnuvon Lünind 
„Der Struktur⸗Fehler der deutſchen 

Wirtſchaft“ 
Dipl. Landwirt Roland Schulze. 


Buch 


flerung werden ihm lebendig, die inne⸗ 
ren Auseinanderſetzungen im Menſch⸗ 
lichen fo nahe gebracht, als ftände er 
ſelbſt mitten darinnen. 

Seine beſondere Note trägt das 
Werk für uns noch deshalb, weil den 
Mittelpunkt der fpannenden Handlung 
eine Auseinanderſetzung von verftädter- 
tem Aberintellektualismus und ſchollen · 

nn Denken bildet. Nach dem 

Suren dee Verfaſſers trägt das ge⸗ 
rade erliche Leben des Bauern. 
ſohnes den Sieg davon. 

Die Siebenbürger Sachſen, von denen 
die Deutſchen im Reiche ja leider im 
allgemeinen nur zu wenig wiſſen, wer⸗ 
den einem vertraut. Damit iſt das Buch 
eine Brücke von Stamm zu Stamm un⸗ 
ſeres Geſamtvolkes. In dieſer Tatſache 
liegt ſeine politiſche Bedeutung. 


Karl C. v. Loeſch: Das Antlitz 
der Grenzlande. Verlag F. Bruckmann 
A. G., München. Geb. RM. 5.50. 

Anter dieſem Titel erſchien der erſte 
Band eines Werkes des ehemaligen 
Präfidenten des Schutzbundes, das in 
Bild und erklärendem Text uns allen 
das deutſche Grenzland nahebringen 
ſoll. Der erſte Band befaßt fid mit dem 
deutſchen Nordoſten. Typiſche Land- 
ſchaftsbilder, die den Eindruck des öſt⸗ 
lichen Deutſchlands lebendig vermit- 
teln, Bilder von Kultur und Geiſt des 
deutſchen Oſtens, ſchließlich Kriegsbil⸗ 
der von feiner Serftörung und vor 


548 


allem Darſtellungen der irrfinnigen 
Grenzlandzerreißung von Verſailles 
zeichnen eine große Geſamtlinie: eben 
das Antlitz des oſtdeutſchen Grenz⸗ 
lands. Alles iſt getragen von einer gro⸗ 
ßen Liebe für die bedrohten Oſtgebiete, 
von dem Gefühl der zukünftigen Bedeu⸗ 
tung gerade dieſes deutſchen Oſtrau⸗ 
mes, in dem uns der Rhythmus der 
großen geſchichtlichen Aufwärtsentwick⸗ 
lungen unſeres Volkes heute noch 
lebensnah entgegenſchlägt. Es gilt nur 
anzuknüpfen an tatſächlich Vorhan⸗ 
denes. 

Wer den deutſchen Oſten, ſeine Ge⸗ 
ſchichte und ſeinen Charakter liebt, dem 
wird dieſes Buch Freude und Erholung 
bedeuten. Ein zweiter Band wird den 
Norden und Weiten, ein weiterer ſpä⸗ 
ter den Süden und Südoſten erfaſſen. 
Wenn die weiteren Bilder des erſten 
würdig ſein werden, fo find fie geeig- 
net, einen umfaſſenden Ein- und Aber. 
blick über das Antlitz aller deutſchen 
Grenzlande und die Deutung ihrer 
Züge zu geben. M. 


Wer kann ſiedeln? „Berufskreiſe und 
Bauernſiedlung“, mit einer Einführung 
von G. R. Sering unter Mitarbeit von 
Dr. Goyens, Dipl.-Landwirt Kann, Dr. 
Koch⸗Weſer, von Machui und N. R. 
Maßmann, herausgegeben von Dr. Joh. 
Schauff. Deutſcher Siedlungsverlag, 
Berlin W 9, Leipziger Platz 17. 1932 
Preis RM. 0.90. 

Im Gegenſatz zu der gleichfalls beſpro⸗ 

chenen Schrift von Dr. Flörke, der nur 
Kleinfiedlung behandelt, iſt die vorlie⸗ 
gende Schrift ausſchließlich für Gauern- 
fiedler geſchrieben. Der Bauernſiedlung 
wird auch allein das Recht, ſich Sied⸗ 
lung zu nennen, vorbehalten (S. 11 
und 20). Wie weit die Meinungen aus- 
einandergehen, zeigt ſich darin, daß Dr. 
Flörke die Kleinſiedlung als Exiſtenz⸗ 
möglichkeit ſpeziell für die Intelligenz 
empfiehlt, während hier feſtgeſtellt 
wird, daß alle Verſuche im Rahmen der 
Stadtrandfiedlung, auf kleinen und 
kleinſten Stellen volle Lebensmöglich⸗ 
a zu ſchaffen, ſcheitern müſſen (S. 

). 


Das Buch 


Das Buch ift gut. Doch iſt es kein 
praktiſcher Wegweiſer für bäuerliche 
Siedler, ſondern mehr eine akademiſche 
Auseinanderſetzung für intelligente und 
ideale Siedlungsintereſſenten. Die Aus⸗ 
führungen über Siedlung beruhen auf 
reichen Erfahrungen und können, mit 
mancherlei Ausnahmen, ohne weiteres 
angenommen werden. Es iſt für den 
Nationalſozialiſten geradezu erfreulich, 
in der Schrift auf ſo viel Erkenntnis 
zu ſtoßen, die auch ihm aus feinen 
Ideen heraus geläufig iſt. So z. B. 
die ſchwere, aber nicht länger hinaus⸗ 
ſchiebbare Aufgabe, das Siedlungswerk 
von einer kraftvollen und zielſicheren 
Bewegung her zu erneuern (S. 58). 
Freiheit und Anabhängigkeit, geſundes 
Familienleben, Gemeinſchaft von Are 
beitsſtätten und Wohnung, Heimat- 
bewußtſein find Werte, die das Bau ⸗ 
erntum ſozuſagen (dieſes Wort würden 
wir ſtreichen A. N.) aus dem kapitali⸗ 
ſtiſchen Wirtſchaftsprozeß herausheben 
(S. 24). „Der Siedler muß für ſeine 
Kinder Opfer bringen“ (S. 25). Beſon⸗ 
ders gefallen haben aber die Satze von 
den „geſchäftstüchtigen Nutznießern der 
Siedlung“ (S. 21). Die Kulturpolitik, 
die „dem Bauerntum die ſeeliſchen und 
geiſtigen Kräfte erhalten und fort ⸗ 
vererben hilft“ (S. 29). And ganz 
beſonders „an die Stelle einer Sozial⸗ 
politik, die allzu überwiegend auf 
Schutz der hoffnungslos Armen und 
Schwachen und Kranken abgeſtellt iſt, 
müßte eine treten, die auch auf För- 
derung der ſtarken geſunden Volkskräfte 
bedacht iſt“ (S. 26). — Aber, Aber! 
Wo bleibt da die Weltan- 
ſchauung? Das iſt ja direkt heid⸗ 
niſch, wie es uns zugeſchrieben wird! 

Die poſitiven Ergebniſſe der Schrift 
werden nun hineingeſtellt in das beu- 
tige kapitaliſtiſche Syſtem. Wo immer 
fie einen Ausweg ſuchen aus den in- 
neren Schwierigkeiten der Aufgabe, 
ſtoßen ſie an die Wände dieſes Syſtems. 
Zwar iſt der Tiefpunkt der Weltkriſe 
erreicht (S. 6), doch wird vorſichtige 
Kapitalverwendung verlangt (S. 7), 
ſelbſt eine Währungsreform wird 
(S. 6) erhofft. Aber in allen Aufſätzen 
wird betont, daß natürlich Siedlung 


Das Buch 


ohne Barkapital unmöglich iſt (S. 12, 
34, 38, 42, 53). Ja, daß der Kapital- 
bedarf möglichſt eingeſchränkt werden 
muß, beſonders im Gebdudebau (S. 3, 
27, 79). Der Siedler ſoll zu einer Be⸗ 
dürfnisloſigkeit herangezogen werden, 
wie die Polen über der Grenze (S. 27), 
um den Kampf mit ihnen aufnehmen 
zu können. Aber die Rente muß her⸗ 
ausgearbeitet werden. An anderen 
Stellen und in anderem Sufammen- 
hang ſteht der furchtbare Satz: „Die 
Siedlungsbewegung, auf fid allein ge- 
ſtellt, wird an den praktiſchen Schwie⸗ 
rigkeiten und den unerbittlichen Ge⸗ 
ſetzen eines von ſchwerſten Kriſen er- 
ſchütterten Wirtſchaftslebens ſcheitern 
und in zahlreichen mißglückten Experi⸗ 
menten verſanden“ (S. 72). Scheitern 
und verſanden nicht ſeit der Nevolution 
alle Verſuche zu einer Wirtſchaftsan⸗ 
kurbelung in zahlloſen Experimenten, 
denen allen die geſunden Grundlagen 
fehlen, weil ſie in das unerbittliche 
. Syſtem hineingebaut wer⸗ 
d 


en 

Wir fangen es anders an. Wir be⸗ 
handeln nicht den Menſchen in der 
Siedlung (S. 3, 21), ſondern wir neh- 
men den Menſchen und bilden nach fei- 
nen Bedürfniſſen die Siedlung. And 
wenn wir dabei an die Wände des 
Syſtems ftoßen, dann ſchlagen wir die 
Wände hinaus, um freie Luft zu fchaf- 
fen. Wie eine ſolche Einſchränkung den 
Blick verdunkeln kann, erſehen wir aus 
der merkwürdigen Feſtſtellung (S. 31): 
„Es kam (von ſeiten der aus dem 
Kriege zurückgekehrten Landarbeiter⸗ 
ſchaft in Oſtpreußen) zu offener Aufleh⸗ 
nung, zu Gewalttätigkeiten, zu Brand⸗ 
ſtiftungen“ (gegen den Großgrundbeſitz). 
And weiter: „Es liegt etwas Merk. 
würdiges darin, daß es gerade die 
Freikorps ſein mußten, deren Führer 
heute vielfach Anhänger der Agrar⸗ 
Revolution geworden find, welche in 
den erſten Jahren nach dem Kriege da⸗ 
für geſorgt haben, daß die beſtehende 
Ugrar-Verfaffung Oſtdeutſchlands nicht 
gewaltſam durch die Landarbeiter ab- 
geändert wurde.“ Es liegt etwas 
Merkwürdiges darin, was hier alles 
durcheinandergeworfen wird. Marxi⸗ 
ſtiſch verhetzte Landarbeiter wollen den 


3 


549 


Grundbeſitz nach ihrer Art teilen. Die 
Freikorps unterdrücken den Aufruhr, 
der großen Schaden zu ſtiften drohte, 
um dieſen Schaden und ungeſetzlichen 
Zuſtand zu verhüten, nicht um die be⸗ 
ſtehende Agrarverfaſſung Oſtdeutſch⸗ 
lands zu retten. Später ſchließen fi 
die Führer dieſer Freikorps grofen- 
teils der Bewegung an, die eine legale 
Revolution gegen das beſtehende Sy- 
ſtem auf ihre Fahne ſchreibt, nicht bloß 
eine Agrar- Revolution. Iſt das nicht 
ganz konſequent? And tft es nicht merk. 
würdig, daß der Verfaſſer, wenn er 
ſchon dieſe Dinge berührt, nicht er⸗ 
wähnt, wo die Siedlung heute ſtände, 
wenn nicht damals die Freikorps jene 
Bewegung unterdrückt hätten, und wenn 
nicht heute dieſe revolutionäre Bewe⸗ 
gung inzwiſchen jene aufrühreriſchen 
Elemente zum großen Teile zu Dilzi- 
plin und Ordnung gebändigt hätte? 
Mit ſolcher nachdenklichen Objektivität 
kommt man heute nicht weit. Heute 
heißt es ja oder nein ſagen, was da⸗ 
zwiſchen iſt, iſt von höchſtem Abel. Nur 
mit ja oder nein kann auch der Schluß⸗ 
ſatz der Schrift gelöſt werden. „Alle 
Kreiſe des Volkes müſſen nämlich 
irgendeine Beziehung zur Siedlung 
finden, damit die Siedlung zur Volks⸗ 
ſache wird. Sie muß Volksſache werden, 
wenn ſie die Aufgabe erfüllen ſoll, den 
Often national zu ſichern und der ge⸗ 
ſamten Volkswirtſchaft eine geſunde 
Ausgeglichenheit zwiſchen Landwirt ⸗ 
ſchaft und Induſtrie zu bringen, wenn 
ſie beitragen ſoll zur Geſundung 
Deutſchlands.“ 

Nun wohlan, dieſe deutſche Volks. 
bewegung iſt da und marſchiert. Sie 
wird auch die Siedlung zur Volksbe⸗ 
wegung machen, zur großen, alles mit- 
reißenden Bewegung. 

Sie, alle Herren Mitarbeiter an der 
Schrift, können nach den poſitiven Er- 
gebniſſen Ihrer Aufſätze mitarbeiten 
an dieſem Ziel, ſobald Sie ſich frei⸗ 
machen von den Gebundenheiten Ihrer 
Arbeit, allein das Ziel ins Auge faſſen 
und die Hinderniſſe beiſeite räumen, die 
ſich Ihnen in den Weg ſtellen. Es be⸗ 
darf nur eines Entſchluſſes, allerdings 
eines ſtarken, männlichen Entſchluſſes. 


850 


Wie iſt es, meine Herren, wollen Sie 
nicht auch den Rubifon überfchreiten? 
Wir haben's ſchon getan, ſtehen ſchon 
vor den Toren Noms. Wer mit dabei 
ſein will, muß mit marſchieren und mit 
kämpfen, fo wie Sie ſagen, daß der 
Siedler um ſeine Exiſtenz kämpfen und 
opfern muß. A. R. 


Dr.-Ing F. Flörke: Wege 
und Grundfragen für Siedler und 
Siedlung. 

Der Titel der Schrift muß etwas 
eingeengt werden. Die ländliche Gied- 
lung, die der Landarbeiter eingeſchloſ⸗ 
ſen, kommt gar nicht zur Behandlung. 
Der Verfaſſer beſchäftigt ſich aus⸗ 
ſchließlich mit der Kleinſiedlung, die 
ihm Schrebergärten, Gartenſiedlung 
und kleinſte landwirtſchaftliche Sied⸗ 
lung mit Kleintierzucht, höchſtenfalls 
mit 1—2 Kühen umfaßt. Auch von die⸗ 
ſen behandelt er nur die Ergänzungs⸗ 
fledlungen, nicht die Erwerbsfiedlun⸗ 
gen. In dieſer Einſchränkung iſt die 
Schrift eine Anweiſung eines Mannes, 
der alles ſelbſt ausprobiert und prak⸗ 
tiſch verſucht hat, wie ein Arbeitsloſer 
oder Kurzarbeiter ſich eine Kleinſied⸗ 
lung einrichten kann und ſoll. Der 
Wert der Schrift wird etwas beein- 
trddtigt durch den vegetariſchen Stand. 
punkt des Verfaſſers, den er den Sied⸗ 
lern ſogar als Zwang auferlegt ſehen 
möchte. Ausgangs und Nidtpuntt find 
die heutigen wirtſchaftlichen und ſozial⸗ 
politiſchen Verhältniſſe und die per⸗ 
fonlide Nutzbarmachung der Siedlung. 
Höhere Geſichtspunkte find da und dort 
angeſchlagen. Wer heute ſiedeln will, 
wer einen praktiſchen Wegweiſer für 
Kleinſiedlung haben will, dem wird die 
Schrift gute Dienſte leiſten. 

„Bebaut die Erde“, Zeitſchrift für 
bodenſtändige Neugeſtaltung in Dorf 
und Stadt, für neuzeitlichen biolo- 
giſchen Land- und Gartenbau, Obſtbau, 
Obſtverwertung, ländliche Hauswirt⸗ 
ſchaft und Siedlungsweſen. Erſcheint 
ſeit 1925 monatlich zweimal, reich be⸗ 
bildert. Monatlich 70 Pfg. im gleichen 
Verlag wie oben, Herausgeber Ewald 
Könemann. Die Inhaltsangabe für 
1931, die uns vorliegt, zeigt eine um- 


Das Buch 


faffende und äußerſt reichhaltige Ar. 
tikelreihe, wie uns ſcheint, Hauptfählich 
für Garten ⸗ und Kleinbauern. Für die 
praktiſche Bedeutung der Zeitſchrift 
garantiert der Name des Heraus- 
gebers, der ſeinerzeit einen Preis er- 
hielt für die Beantwortung des Preis. 
ausſchreibens des deutſchen Studenten 
werkes: „Wo findet Deutſchlands Ju⸗ 
gend neuen Lebensraum?“ Kleinſiedler 
ſinden viel praktiſche Belehrung und 
Anregung in der Zeitſchrift. 

Als dritte im Bunde erſcheint „Der 
Hochwart“, Monatsſchrift für geiſtigen 
Austauſch und ſchöpferiſchen Aufbau, 
für ſachliche Verſtändigung und ſeeliſche 
Vertiefung. Herausgegeben von Karl 
Auguſt Walther. Landſchule Schloß 
Oberellen bei Eiſenach. Jährlich 10 Mk., 
Einzelheft 1 Mk. Ang liegt ein Aus. 
ſchnitt aus dem Auguſtheft 1932 vor, 
der die Bedingungen und Ziele der 
Landſchule Schloß Oberellen behandelt, 
einer 1932 gegründeten „Volkshoch⸗ 
ſchule für bodenſtändige Land. und 
Lebenserneuerung“. Die Schüler bei- 
derlei Geſchlechts im Alter von 18—25 
Jahren, allen möglichen hauptſächlich 
ſtädtiſchen Berufskreiſen entſtammend, 
ſollen in gründlicher Belehrung und 
harter Arbeit der Siedlung zugeführt 
werden. Ein zeitgemäßes und nützliches 
Ziel. Die jungen Menſchen, die es zum 
Lande drängt, nicht die Anbrauchbar⸗ 
ften der heutigen Jugend, mögen nähere 
Nachrichten dort ſelbſt N 


Karl Aloys Schenzinger, 
Der Hitlerjunge Quer. Zeitgeſchichte⸗ 
Verlag, Berlin. 

Quer! Sein Spitzname, weil er in 
Temperament und Tat ſo quedfilberig 
ift. Er ift ſtolz auf den Spitznamen, und 
hunderte Kameraden beneiden ihn 
darum. Aber was beſagt dem Leſer die- 
ſer Name? Daß es einem Dichter ge- 
lungen iſt, den Typus des Hitlerjungen 
zu zeichnen. Dieſer Hitlerjunge, deſſen 
Vater Kommuniſt iſt, der in der Pro- 
letarierwohnung ein kümmerlich muffe⸗ 
liges Daſein erlebt, der miterleben 
muß, daß feine Mutter bis zum Selbſt⸗ 


Das Buch 


mord arbeiten muß, da der Vater ar- 
beitslos iſt, dieſer Junge kommt zur 
Hitlerjungend wie von ſelbſt. Es iſt 
Drang aus ſeinem Blut, der ihn dahin 
treibt. Er ſieht die Jungens in ihrer 
Diſziplin, in ihrer freien, offnen, fröh⸗ 
lichen, kampfluſtigen Art und vergleicht 
damit im Inſtinkt die „Jugendeliquen“ 
der Kommuniſten. Seine eigene blitz⸗ 
blanke Jungenſeele entſcheidet gegen alle 
Widerſtände von zu Hauſe, gegen alle 
Widerſtände der Amgebung, und der 
Junge kommt zur Hitlerjugend, nachdem 
er fie gewarnt vor einem fommu- 
niſtiſchen Aberfall, und damit aber das 
Wagnis eingegangen iſt, von ſeinen 
ehemaligen kommuniſtiſchen Kameraden 
ermordet zu werden, ein Schickſal, dem 
er auch zuletzt nicht entgeht. 

Will man wiffen, wie der deutſche 
Junge im Alter von 15 bis 20 heute 
fühlt und denkt, will man wiſſen, welche 
Jugend das kommende Deutſchland ge- 
ſtalten und tragen wird, dann leſe man 
dieſes Buch und ſehe ſich das Titelbild 
des Amſchlages an. Gerade dies iſt das 
Erſchütternde am Buch, daß die Sun- 
gens Jungens find und nicht fo tun, als 
wären fie Erwachſene, die politiſches 
Bierbankgeſchwätz von ſich geben, daß 
fie heiter find und fröhlich, wie eben 
Jugend von Natur aus iſt (gerade die 
humoriſtiſchen Stellen ſind dem Ver⸗ 
faſſer glänzend gelungen), und dieſe 
Jugend aber viel tiefer als Erwachſene 
erfaßt hat, worauf es ankommt für ihre 
eigene und für Deutſchlands Zukunft. 
Glänzend dargeſtellt iff das Ehr ⸗ 
gefühl, das in den Jungens lebt, 
und wenn man einen Antertitel für das 
Buch ſchreiben wollte, fo müßte er lau⸗ 
ten: Das deutſche Ehrgeſühl in der 
Jugend. Sie handeln um der Ehre 
willen, ohne es ſelbſt zu wiſſen, daß 
eine Erneuerung eines Volkes nur 
möglich iſt, wenn eine Gruppe von 
Menſchen nur um der Ehre willen lebt 
und handelt. Für ſie iſt Ehre eben 
ſelbſtverſtändlich. 

Ich gab meinem Jungen zu Weih⸗ 
nachten das Buch und ſagte ihm nichts 
über den Inhalt. Nachdem er es ge⸗ 
leſen, fragte ich ihn, wie es ihm gefallen. 
Zur Antwort gab er mir: „Vati, das 


351 


ift das feinſte Buch, wo es auf der 
Welt gibt.“ Der Jüngere ſtand daneben 
mit glühenden Augen und ſagte nur: 
„Pfundig, ſchneidig!“ Ich glaube, auch 
Ihre Söhne werden fo urteilen. (pl. 


Thor Goote: Die Fahne hoch! 
Zeitgeſchichte⸗Verlag, Berlin. 

Fünfzehn Jahre Nachkriegsgeſchichte 
Deutſchlands find in dieſem Roman gue 
ſammengepreßt. All das Grauenhafte 
vom Zuſammenbruch bis zu den Zrie- 
densverträgen, all das Erſchütternde der 
innerpolitiſchen Kämpfe, dann das Nin- 
gen um Oberſchleſien und um Rhein 
und Ruhr, während ein Großteil 
Deutſchlands in Wehr. und Chrlofig- 
keit verſunken war, all dies erſteht plöß- 
lich wieder lebendig vor einem auf. 
Man glaubt es eben geſtern erlebt zu 
haben. So wie in dem andern Roman 
„Quex“ als Typus der kommenden 
Jugend angeſehen werden kann, ſo iſt 
Lingen, die Hauptfigur des Ro- 
mans, ebenfalls ein Typus, und 
zwar jener Männer, die den Krieg bis 
zur Neige durchkämpft, aber ſofort, als 
Not an der Grenze war, ſich wieder 
einſetzten, ohne zu fragen, ob man es 
ihnen danken wird oder nicht, ja, fid 
einſetzten, als ſie genau wußten, daß 
man es ihnen nicht danken wird, fon- 
dern daß ſie Gefahr laufen würden, 
vom eigenen Vaterlande verraten zu 
werden. (Schlageter l) 

Lingen, der den Krieg hinter ſich hat, 
muß auf die techniſche Hochſchule, er ſoll 
und muß ja einen bürgerlichen Beruf 
finden. Dieſer Abſchnitt des Nomans, 
wie er und feine Kameraden ſich durch- 
pauken, ihr Diplom machen, fpäter den 
Doktor, Stellung finden, wieder ver⸗ 
lieren, inzwiſchen heiraten, arbeitslos 
werden, all dieſes gibt uns die Zeit von 
23 bis 31 mit einer unglaublichen Pla- 
ſtik wieder. Das Spießertum Deutſch⸗ 
lands, die feigen Konjunkturwürmer, 
das Pack, das in Ewigkeit Pack bleibt, 
weil es innerlich hohl iſt und darum 
geſinnungslos bleiben muß, iſt meifter- 
haft gezeichnet. 

Lingen wird Nationalſozialiſt, und 
auch da wiederum dieſelbe Einſtellung 


552 


wie im Kriege, wie in Oberſchleſien und 
im Ruhrkampf. Das ſelbſtverſtänd liche 
Sicheinfügen, das Sicheinſetzen, frei von 
Sentimentalität, fern jeder Phraſe. Da 
wird einem klar, dieſer Typus und nur 
dieſer konnte Schöpfer und Träger der 
Millionenbewegung werden; denn er 
wollte nichts für ſich, er wollte nur alles 
für ein reines, reinliches, ehrliches, an- 
ſtändiges Deutſchland. Haben wir in 
dieſem Roman den Schöpfertypus des 
kommenden Deutſchland, ſo haben wir, 
wie geſagt, im Quex den Typus des 
kommenden Erfüllers. Ipl. 


Karl Franz Jurda: Der 
Kampf um den deutſchen Often. „Zeit⸗ 
eſchichte Verlag und Vertriebs ⸗Geſell · 
chaft m. b. H. Berlin W 15 und Leip- 
zig. Preis RM. 3.60. 

Von allen anderen Bildwerken, die 
über den Oſten bisher erſchienen ſind, 
unterſcheidet fic) dieſes Werk des Su- 
detendeutſchen Karl Franz Jurda grund- 
legend dadurch, daß die Betonung ganz 
unverkennbar auf dem Textteil des 
Buches liegt, den die „100 Bilddoku⸗ 
mente deutſcher Not und deutſcher Hoff- 
nung“ lediglich untermalen. Dem Gan- 
zen liegt eine heute beſonders intereſ⸗ 
ſante politiſche Aufgabenſtellung zu⸗ 
grunde: die Klärung des deutſchen Oſt⸗ 
raumgedankens gehört in das Gebiet der 
Außenpolitik hinein. Dabei wird manches 
ausgeſprochen, was klar zu faſſen, man 
bisher vermieden hat. Anter dem großen 
Geſichtswinkel der Naumgeſetze zeichnet 
der Verfaſſer die geſchichtliche Pro- 
blematik im Oſten und ſtellt die Frage 
nach zukünftigen Aufgaben des Deutfd- 
tums im Oſtraum. Dabei ergibt ſich die 
Auseinanderſetzung mit allen Cingel- 
fragen in diefem Rahmen von ſelbſt. 

Das Grundübel für den 
ganzen europdifden Often 
liegt in der Tatſache, Daf der 
Liberalismus des Weſtens 
zu einer weltanſchaulichen 
Grundlage geworden iſt. Po- 
litiſch hieß der Weg des Li- 
beralismus 
mungsred 


Das Buch 


deutet die wirkliche Durchführung dieſer 
Forderung Auffplitterung und Vernich⸗ 
tung jeglicher auch kurzbefriſteter Le⸗ 
bensmöglichkeit. Es iſt ein offenes Ge- 
heimnis, daß praktiſch von einer Durd- 
führung dieſes Schlagwortes nicht die 
Rede ſein kann, wie an dem Beiſpiel 
des Auslandsdeutſchtums nachgewieſen 
wird. Vielmehr war dieſe Formel ledig; 
lich ein bequemes Mittel zur 
Serreifung des Deutſch⸗ 
tums. Allerdings hat ſich auch die tat- 
ſächlich durchgeführte Aufſpaltung des 
geopolitiſch geſchloſſenen Oſtraumes 
als Kataſtrophe für die einzelnen foge- 
nannten „Nationalſtaaten“ ausgewirkt 
— fie mußte es, weil das Raumgeſetz 
anders lautet, als dem franzöſiſchen 
Chauvinismus angenehm iſt. 

Der zerſetzende und im großen ge- 
ſehen widernatürliche Gedanke vom 
„Selbſtbeſtimmungsrecht“ der Völker 
führte alſo auf der einen Seite zur Auf⸗ 
löſung eines lebensgeſetzlich einheit. 
lichen Raumes in „Nationalſtaaten“. 
Andererſeits wurde er durch die Auf⸗ 
ſtellung der dogmatiſchen Min ⸗ 
derheitsfrage weiterhin über- 
ſpitzt und iſt in dieſer Form heute noch 
am Werk. Hier meint der Verfaſſer 
wörtlich: „Aus der Pflege der Minder. 
heit einen Kult zu machen und auf Min- 
derheitenkonferenzen und tagungen faſt 
eine Philoſophie der Minderheit zu 
entwickeln, heißt aber Minderwertig⸗ 
keitskomplexe über einen theoretiſchen 
Anterbau abgureagieren. Das Weſent⸗ 
lichſte geht nicht in der feinfühlig bis 
ins kleinſte gehenden Beſonderung, 
fondern im Wiederbewußtwerden des 
Gemeinſamen, das aus der ſchickſals. 
mäßigen Verbundenheit im Raume 
reſultiert.“ 

Damit hat im Grundſatz der Ver⸗ 
faſſer zweifellos recht. Es heißt tatfad- 
lich Minderwertigkeitskomplexe züchten, 
wenn man einen Volksteil ſtändig als 
„Minderheit“ bezeichnet und ihn damit 
mehr oder minder in den Gedanken- 
gang zwingt, als ſei die Zahl als ſolche 


»das die Lage beſtimmende Element. Da 
„Selbftbeftim- liegt dann der Aufbau einer allgemei- 


t“ der Völker. Bei nen „Moral“ zu dem angedeuteten 


dem gegebenen Aufbau des Oſtens be⸗ wech (nicht nur aus praktiſcher Not- 


Das Buch 


wendigfeit heraus) fehr nahe. Dod ein 
Mißverſtändnis muß hier von vorn- 
herein ausgeſchaltet werden: Wird vom 
Verſaſſer der Minderheitentheſe gegen- 
übergeſtellt, es genüge „nationale, fon- 
feſſionelle und territoriale Autonomie“, 
ſo darf man nicht überſehen, daß ja 
dieſe Ziele gerade durch die Praxis der 
Minderheitenpolitik erreicht werden 
ſollen — wenn ſie auch vermutlich auf 
dieſem Wege allein kaum erreichbar 
find. Die grundſätzliche Werbung iſt 
alſo unſeres Erachtens anzuerkennen. 
Das Dogma als ſolches wirkt zerſplit⸗ 
ternd auf geopolitiſche Einheiten und 
wird überdies nur zu gewiſſen Teilen, 
nicht aber in der großen Linie den 
ical Lebensnotwendigkeiten ge- 
recht. — 


In ähnlich grundſätzlicher Weiſe wird 
die Frage „Nordoſtlinie oder 
Südweſtentwicklung“ zugunſten 
des Nordoſtens entſchieden, behandelt 
weiterhin der Vf. die grundſätzliche 
Frage der Kolonialpolitik. Was wün⸗ 
ſchenswert, doch nicht lebensnotwendig 
iſt, muß hinter dem Lebensnotwendigen 
zurücktreten in Zeiten, wo es um Sein 
oder Nichtſein geht. Das iſt der Ge⸗ 
ſichtswinkel, unter dem die heute wie ; 
der moderne Frage geſehen wird. 


Dieſes ſeien kurze Ei die wir 
mit einem Satz der Sufammenfaffung 
Jurdas beſchließen: „Die notwendige 
Neugeſtaltung und einheitliche Aus- 
richtung des oſteuropäiſchen Gefamt- 
raumes erfolgt durch Deutſchland fried- 
lich mit den kleinen Völkern oder ge- 
waltſam gegen ſie — die dritte Mög⸗ 
lichkeit iſt nur der Zuſammenbruch der 
geſamten Oſtgebiete, ihr Verſinken in 
rettungsloſes Chaos und damit Ver⸗ 
nichtung aller fie bewohnenden Vöͤlker⸗ 
ſchaften.“ 


So tft dieſes Buch in feiner Grund- 
ſätzlichkeit ganz hervorragend geeignet, 
in die Fragen und Aufgabenſtellung der 
Oſtpolitik einzuführen. Bei der grund ⸗ 
legenden Bedeutung der geopolitiſchen 
Weft—Oftlinie wird dieſes Werk ſicher 
die Beachtung der Offentlichkeit finden, 
die ſeinen Problemen zukommt. 


553 


Neues Schrifttum 


1. Allgemeines, Geſchichte, Statiſtik, 
Grund beſitzverhältniſſe; Vereinsweſen, 
Abſchätzungslehre; Mechaniſierung der 
Landwirtſchaft. 
Kaliſcher, Hellmuth: Die Pro- 
bleme d. dt. Agrarpolitik in d. Nahe 
kriegszeit u. die ſtaatl. Verſuche ihrer 
Löſung (unter Ausſchl. d. Zollprobl.) 
83 S. Gießen. Diff. 1931. 


2. Ländliche Siedlung, Bevölkerungs⸗ 
lehre, Landarbeiterfragen und Vauern⸗ 
tum. 


Eigenmann, Alb.: Neues Bau- 
erntum. „Rerum Novarum” u. d. Bau · 
ernftand. Eine Abh. üb. das Rundſchr. 
Leo XIII. üb. die Arbeiterfrage u. das 
N. Pius XI. üb. die geſellſch. Ordnung 
in ldw. Betrachtung. Azwill: Fiſcher 
1932. IV., 59 S. Fr. 1.—. 

Hauſer, Heinr.: Wetter im Oſten. 
Jena: Diederichs 1932. 234 S. 3.60. 

(Stand d. oſtpr. Siedlung) — Archiv 
f. inn. Kol., Berlin. 24. 1932, H. 10/11. 
521 —525. 

Preuß, Evalotte: Die oſtpr. Land- 
arbeiterſchaft. Ihre Entw. v. d. Gründ. 
d. Ordensſtaates b. z. Gegenw. 128 S. 
Königsberg. Diſſ. 1932. 

Zur Angnad, Walter: Deutſche 
Freibauern, Kölmer u. Koloniſten. M. 
51 Abb. 212 S. Hamburg: Hanfeat. 
Verl.⸗Anſtalt 1932. 6.50. 


3. Das landw. Anterrichts⸗ und Bil- 
dungsweſen, Wirtſchaftsberatung. 


4. Ernährungspolitik. 

Schäffer, Otto, Dr.⸗Ing.: Der 
Milchtransport. 1. Die techniſch. Hilfs⸗ 
mittel d. Milchtransp. M. 64 Abb., 
12 Tab., 62 S. Hildesheim: Molkerei⸗ 
ztg. 1932. = RRIL. Schr. d. Neichs⸗ 
kurat. f. Technik in d. Landw. (Anter⸗ 
ausſch. f. Molkereiweſen) H. 31a. 2.50. 

Schmitt, Ludw., Dr. med.: Deut- 
{he Ernährung. München: Dorn ⸗Verl. 
(1932). 39 S. 1.—. 


5. Marktwirtſchaft (Abſatzkunde); 
Handels und Preispolitit). 
Althoff, K.-H., Dipl.⸗Ldw.: Der 
Handel mit Molkereiprodukten im rhei⸗ 


554 


niſch⸗weſtf. re atte 109 Seit. 
Bonn -⸗Po. Lag. Diff. 1932. 

Dietrich, Wilh.: Die Erzeug.- u. 
Abſatzverh. d. Obſtbaues im Koblenzer 
Anbaugebiet a. 81 0 aA Mofel. 119 
S. Gonn-Po. Diff. 1931. 

Jasny, Ni: Die Standardifierung 
von Getreide. Berlin N 4: Inſt. f. [dw. 
Marktſorſchung. 1932. 151 S. 5.80. 
= ee d. J. f. ldw. M. H. 4. 

Zeitſchr. f. d. geſamte Getreideweſen, 
Bln., 19, 1932, H. 5, 110 (Seidel). — 
Fortſchritte d. Ldw., Bln. u. Wien, 7, 
1932, H, 20. 521 (Kobligk). 

Morgen, Herb.: Die Obſterz. u. 
d. Obſtabſatz im Rheingaukr. u. in d. 
Stadt Wiesbaden. E. Beitrag z. Dw. 
Marktlehre. VII, 93 S., 3 Tab. Gött. 
Diſſ. 1931. 

Stalter, Karl: Erzeug.- u. Abſatz⸗ 
verh. im pfälz. Obſtbau. 89 S., 1 Rte. 
Bonn-Po. Diff. 1931. 

Wilbrand, W.: Erz. u. Abſatz 
v. Obſt u. Gemüſe in Helfen u. Gr.- 
Frankf. 1926—1929. 112 1 Darmſtadt 
1931. 1.50. = Arb. d. LK. f. Heſſen 
H. 48. — Gießen. Diff. 


6. Kredit, Zins, Zölle, Steuern, 
Monopole. 


Hog, Denn: Min.Dir., Dr.: Be 
lebung d. Wirtſchaft. Verordn. des 
Reichspräſ. v. 4. 9. 1932. Steuergut- 
ſcheinverordn. f. Steuerzahl. u. Mehr- 
beſch., V. z. Berm. u. Erh. d. Arbeits- 

Durchſch (Tariflockerungsverordn.) m. 

Burgh run me erl. a Mitt- 
ler 193 VII. 4.50. 


Riefom, Wilh., 1 Min. 
Rat: (dw. Vermittlungsverfahren 
ae d. 5 d. Reichspräſ. v. 
27. 9. 1932 (RG Bl. I, S. 473) nebſt 
eee ee v. 17. Nov. 


Das Buch 


1932. Erl. Berlin: Vahlen 1932. 105 
S. 3.75. 


Rögind, Sven, Lektor: Die Mo- 
nopolbetriebe a. d. Gebiet d. Spiritus. 
induſtrie. E. Stud. üb. die Organiſ. u. 
d. Ergebniſſe d. Staatsmonopole u. d. 
monopl. Betriebe. a. u. Leipzig: 
de Gruyter 1932. 88 ©. 

Wirkungen u. Aſachen d. hohen 
Zinsfußes in Deutſchland. A. Mitarb. 
von ... Hrsg. von Karl Diehl u. a. 
M. 12 Abb. im Text, = 928 ©. Sena: 
Fiſcher 1932. 44.—, Lw. 46.—. 


7. Privat- und Sozialverſicherung; 
ö 
8. Verſchiedenes. 

Reiners, Ludwig, Dr.: Die a 
felt Wirtſchaft. Mit 75 . 

a 4. Aufl., München: C. H. Bed 
193 XI, 304 S. 4.20; Lw. 5.80. 

Salin, Edgar: Wirtſchaft und 
Staat. 3 5 zur dt. Weltl e. 
Berlin: en 1932. 206 ©. 
4.20; Lw. 5.40. — Die 1. Schrift if 
erw. aus „Weltwirtſch. Archiv“, 1932, 
die 2. ein Abdr. aus „Deutſche Agrar ⸗ 
politik“. Ebd. 1932. 

Schloz, Wilh.: Wirtſchafts⸗Will⸗ 
für od. Wirtſchafts⸗Ordnung. E. Aus⸗ 
einanderſ. mit d. Wirtſchaftsfragen d. 
Gegenwart. V 1): 
8 Verl. 1933 (Ausg. 1932). 


Schomerus, Joh., Ldw.-Rat: 
Die biologiſch⸗dynam. Wirtſchaftsweiſe 
im Obſt- u. Gartenbau. Düſſeldorf: 
Pflugſchar⸗ Verl. 1932. 120 S. 1.85. 

Wörterbuch d. Volkswirtſchaft, 
in 3 Bdn. Bearb. von ... Hrsg. von 
Prof. Dr. Ludw. Elſter. 4. Aufl. 
Bd. 2. Jena: Fiſcher 1932. 1214 S., 
8 Abb. 49.50; Hldr. 56.50. 


Druckfehlerberichtigung. 


Im Dezemberheft im Artikel „Amerika, Kriegsſchulden, Bauerntum“ iſt ein 
finnentſtellender Druckfehler unterlaufen. Auf Seite 432, poe 12, muß es 
beißen: Das Böſeſte war, daß der Europäer anfing 


uptſchriftleitung und verantwortlich für den geſamten textlichen Inhalt: Dr. ann Netfdle, 
2 1 5 a og - Wilhelm Straße 59. a eas age Verlag un git b eumlebg. 
§., Berlin W 15. Druck der Meperſchen Bofbuchdru py fn Detmold. 


Anſchriftenverzeichnis der Mitarbeiter der Monatsſchrift 
„Deutſche Agrarpolitik“, Heft Januar 1933 


R. Walther Darré, M. d. R., Solln b. München, Hofbrunnſtraße 50 

Karl Scheda, Syndikus, Berlin⸗Charlottenburg, Gieſebrechtſtraße 14 

Leopold Plaichinger, München, Von⸗der⸗Tann⸗Straße 22. 

Dr. h. c. Ragnar Berg, Dresden, Weißer Hirſch 

Walter Bohm, Altona⸗Bahrenfeld, Gieſeſtraße 23 

Dr. Fritz Zweigelt, Regierungsrat, Leiter der Bundesrebenzüchtungs— 
ſtation in Kloſterneuburg (Oſterreich) 

Dipl.⸗Landwirt Roland Schulze, München, Herzog-⸗Wilhelm⸗Straße 32 

Dipl.⸗Inl. Karl Motz, München, Hollandſtraße 7, I 


Wirtſchaftlicher Beobachter 


Nationalſozialiſtiſche Wirtſchaftszeitung für die Schaffenden 
aller Stände und Berufe 


Herausgeber Fritz Reinhardt 


Vorſitzender des Haushaltsausſchuſſes des Reichstags und e des 
Reichswirtſchaftsrats der NSDAP. 


Laufende Behandlung aller Wirtſchaftsfragen. Außer den 
Leitaufſätzen und ſonſtigen Aufſätzen die folgenden Abteilungen: Reichsregie⸗ 
rung, Reichstag, Parteien — Länder, Gemeinden, Gemeindeverbände — 
Schulden und Zinſen — Banken — Induſtrie — Handel, Handwerk, Gewerbe 
Hausbeſitz — Warenhäuſer und Konſumvereine — Landwirtſchaft — GForft- 
wirtſchaft — Außenhandel — Arbeit, Löhne, Soziales — Stand der Arbeits- 
loſigkeit — Börſe — Börſenbericht — Außenpolitiſche Wochenüberſicht — 
Statiſtiſche Aberſichten, insbeſondere: Einnahmen des Reiches an 
Steuern, Zöllen und Abgaben — Einnahmen und Ausgaben des Reichs — 
Reichsbank — Bilanzüberſichten deutſcher Kreditbanken und Girozentralen — 
Sparkaſſen des Deutſchen Reichs — Pfandbriefe, Kommunalobligationen, 
Hypotheken, Kommunaldarlehen — Geld und Kreditbewegung — Konkurſe 
und Vergleichsverfahren — Meßziffern der Großhandelspreiſe in Deutſchland 
und im Ausland — Ernährungs- und Lebenshaltungskoſten — Deutſchlands 
Außenhandel in Gruppen — Marktverkehr mit Vieh — Deutſche Seefiſcherei 
und Bodenſeefiſcherei ufw. — Jegliche Anträge der National: 
ſozialiſten im Reichstag und im Preußiſchen Landtag, ge 
ordnet nach Landwirtſchaftspolitik, Siedlungspolitik, Mittelſtandspolitik, 
Sozialpolitik, Arbeitsmarktpolitik ufw. — Ausführliches Sachregiſter, 
das vierteljährlich erneuert wird. — Mit Wirkung ab Januar 1933 Beilage 
„Steuerpraxis“, die den Leſer in das Gebiet des geſamten Steuerrechts 
einführt und ihm in allen Steuerfragen auf dem laufenden hält. 


Der Wirtſchaftliche Beobachter befindet ſich im zehnten Jahrgang, erſcheint 
wöchentlich und koſtet vierteljährlich 3,60 RM. und 18 Rpf. Zuftellgebühr. 
Zu beſtellen am Schalter jedes Poſtamtes. 


Verlag Fritz Reinhardt, Herrſching am Ammerſee 


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UNIVERSITY OF IELINGIS. 


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onatsſchrißt 
Heraus 


Inhaltsverzeichnis 


Seite 

DOOM. 2 4 Kh fa eee oe oa owe Se we ee 555 
Herbert Backe / Der Zuſammenbruch der unvölkiſchen Wirtſchafts⸗ 

err ðͤ SS ee 556 
Walter Granzow / Siedlung in Medlenburg. Schwerin . . . . 575 
Barriſter / Weltwirtſchaftskriſe — eine Raflenfrage . . . . . . 578 
G. v. M. / Oftfeeraum und Oftraumpolitit . . . . 2 22... 586 
Kurt Fachmann / 1933, das Schickſalsjahr des deutfchen 

Gartenbaunininingasddsssnnnsssnssse. 590 
Magermilchverwertung durch Kaſeinherſtellunn g.. 604 
Wie können Ergebniſſe der Landarbeitsringe bevölkerungspolitiſch 

ausgewertet werdeedn)))ds. 609 
Feldgemüſebau und Flurbereinigunnlnn sass 613 
Das Ar cht) 615 
Neues Schrifttunnnnnn0ʒmʒnʒum Un 619 
Anſchriſtenverzeichn iiii s 621 


— 


Jedes Heft RM. 150 . DPierteljährlih 3 Hefte RM. 3.60 


zuzüglich Beſtellgeld. Beſtellungen durch den Verlag oder bei jeder Poſtanſtalt. 
Poſtvertrieb ab Detmold 


arpolitif 
Monatelchriſt für Deutſches Bauerntum 
Hauptlchriſtleitung Dr. Hermann keilchle 


—ů zen a IE ͤ—ͤ—! .' KK POF ES EE SS ee SS Pe ea So 
„Zeitgeſchichte“ Verlag und Vertriebs⸗Geſellſchaft m. b. h., Berlin 1015 
Meinekeſtraße 20 


Deullche. Agr 


Heft 8 Februar 1933 


Bauer iſt, wer in erblicher Verwurzelung 
feines Geſchlechts mit Grund und Boden 
fein Zand beſtellt und feine Tätigkeit als 
eine Aufgabe an feinem Geſchlecht und feis 
nem Volk betrachtet. Zandwirt ijt, wer ohne 
erbliche Verwurzelung ſeines Geſchlechts 
mit Grund und Boden fein Land beftellt 
und in diefer Tätigkeit nur eine Aufgabe 
des Geldverdienens erblickt. 


R. Walther Darré 


Herbert Bade: 
Der Zuſammenbruch der unvölkiſchen Wirtſchaſtsſtruktur 


Vorbemerkung der Schriftleitung: Vom 11. 
bis 14. Februar fand in Bad Oeynhauſen die agrarpolitiſche 
Konferenz der Friedrich-⸗Liſt⸗Geſellſchaft unter Leitung von 
Bernhard Harms⸗Kiel ſtatt. Der Verfaſſer des vorliegenden 
Aufſatzes nahm gemeinſam mit dem Anterzeichneten als Beob- 
achter an der Konferenz teil, über deren Ergebnis zu gegebener 
Zeit an dieſer Stelle noch Näheres zu ſagen ſein wird. Wie 
erwartet werden mußte, vermochte die Konſerenz nicht zu den 
grundlegenden Problemen vorzuftoßen, die nach unſerer Mei ⸗ 
nung in die Zeitenwende der Wirtſchaftswirtſchaft geſtellt ſind. 

Die vorliegende Arbeit Herbert Backes, die bereits 14 Tage 
vor der Konferenz geſchrieben wurde, bringen wir unver- 
ändert zum Abdruck, weil durch fie u. E. am ſchärfſten unter- 
ſtrichen wird, was auf der Konferenz zur Erörterung ſtehen 
mußte, aber nicht erörtert wurde. Nach dem Verlauf der Kon- 
ferenz geben wir uns noch weniger als vorher der Hoffnung 
hin, die Vertreter der deutſchen Wirtſchaftswiſſenſchaften und 
noch viel weniger die mit der Wahrung unterſchiedlicher In⸗ 
tereſſen beauftragten Vertreter der Wirtſchaft für die völ⸗ 
kiſche Auffaſſung aufſchließen zu können. 


Hermann Reiſchle. 


Der Reichskanzler von Schleicher ſtürzte, weil er die Lage, in der ſich das 
deutſche Volk befindet, und damit auch die Aufgabe einer deutſchen Regierung 
völlig verkannte. Wenn der Reichskanzler von Papen immerhin ahnte, daß es 
ſich in Deutſchland um einen Kampf der Weltanſchauung handelte, und wenn 
er daher — in der Abſicht, den ſterbenden Liberalismus nochmals zu retten — 
bewußt und mit Nachdruck auf die „letzte Chance“ des Anternehmertums hin- 
wies, ſo zeigte bereits die Rundfunkrede des Reichskanzlers von Schleicher, 
daß er dieſen Kampf der Weltanſchauungen überhaupt nicht ſah. Er verſtand 
deshalb auch nicht, daß ein Kampf wie dieſer ausgetragen werden muß, daß 
die Aufgabe einer jeden Regierung ſein mußte: für die aufbrechende völkiſche 
Idee ſich einzuſetzen, oder — wenn man ſie ablehnte — gegen dieſe und für den 
ſterbenden Liberalismus mitſamt allen ſeinen marxiſtiſchen Zerſtörungspro⸗ 
dukten. Reichskanzler von Schleicher mußte in dieſem Kampf Stellung neh⸗ 
men, wenn überhaupt ſeine Regierung einen Sinn haben ſollte. Das verkannte 


a — — $8 —— 


— 63. rZ . — — . — — 


Der Zusammenbruch der unvölkischen Wirtschaftsstruktur 557 


er völlig und kam deshalb — ftatt den weltanſchaulichen Gegenſatz anzuerkennen 
und ihn auszutragen — zu der Parole des „Ausgleichs“, „der mittleren Linie“, 
die „frei von Dogmen“ ſein ſollte. Während die in Deutſchland ringenden 
Kräfte Entſcheidung forderten und erzwangen, machte der Reichskanzler Sau- 
berkunſtſtücke mit „Konklave“ und „Schäferhund“, glaubte — unter tatkräftiger 
Anregung des „Tatkreiſes“ — ſich unter der Hand eine Mehrheit zu ſchaffen 
mit Volksteilen, die mitten im Austrag des Gegenſatzes ihrer Weltanſchau⸗ 
ungen ſtehen. Nicht Ausgleich, ſondern Entſcheidung — das 
hatte eine Regierung dem Volke in dieſer Lage zu bringen. 
Weil Herr von Schleicher das verkannte, deshalb war ſeine Regierung von 
vornherein ein totgeborenes Kind. 

Die Anerkennung deſſen, daß es ſich um einen Kampf zweier Weltanſchau⸗ 
ungen — der ſterbenden liberalen und der aufbrechenden völkiſchen — handelt, 
iſt Vorausſetzung dafür, daß man überhaupt die Nöte des deutſchen Volkes 
begreift und den Weg findet, fie zu meiſtern. Da Weltanſchauung nicht „ent 
wickelt“ wird, ſondern als Sehnſucht oder Geſtaltungswille aus der Erbmaſſe 
wächſt, iſt dieſer Kampf der Weltanſchauungen zutiefſt ein Kampf des Blutes, 
ein Kampf der Raffe. Es liegt auf der Hand, daß es ſich bei einem ſolchen 
Kampf nicht um Ausgleich handeln kann. Wir ſtehen nicht in einer organiſchen 
„Fortentwicklung“ des Liberalismus, ſondern im Zeichen einer völkiſchen Ne⸗ 
volution. Das Kennzeichen der Revolution iſt aber die Amwertung der bis⸗ 
herigen Werte, das Aufſtellen „neuer Tafeln“, ein neues Wertmaß. Des⸗ 
halb iſt der Nationalſozialismus eine revolutionäre Be- 
wegung, denn er ſetzt aus einem dem herrſchenden Libera⸗ 
lismus entgengengeſetzten und abgewandten Wertmaß 
einen neuen Anfang, der nicht auf der vergangenen liberalen Entwick⸗ 
lung aufbaut oder ſie zur Vorausſetzung hat, ſondern einen mit den Lebens⸗ 
geſetzen in Einklang ſtehenden neuen Wachstumskern bildet. Deshalb ſind 
aber auch die marxiſtiſchen Sprößlinge des Liberalismus trotz revolutionärer 
Taktik evolutionär, denn ſie bejahen die liberale Entwicklung, ſehen darin eine 
Entwicklungsphaſe, eine notwendige Vorausſetzung der marxiſtiſchen Entwick⸗ 
lung. Der Marxismus iſt fomit als evolutionäre Bewegung 
nicht Anfang mit einem neuen Wertgefühl, ſondern Ende 
einer — vom Marxismus aus gefehen — notwendigen libe⸗ 
ralen Entwicklung; das letzte Zerſetzungsprodukt einer 
ſterbenden Idee der Gleichheit und Freiheit der Menfſchen. 
Indem der Marxismus die materialiſtiſche Geſchichtsauffaſſung zu ſeiner 
Grundlage machte, bewies er nur feine Abſtammung vom Liberalismus (Mi- 
lieutheorie) und muß zwangsläufig deſſen Schickſal auch teilen. Die liberale 
Front von den „Nationalen“ bis zur KPD. unterſcheidet ſich nur in der 
Wahl des Nutznießers, nicht aber in der Idee; ihr Schickſal iſt beſiegelt durch 


558 Herbert Backe 


das Sterben des Liberalismus. Sie würde fterben auch dann, wenn feine völ- 
kiſche Gegenfront da wäre, nur würde dann das ganze Volk in den Untergang 
hineingezogen; ſo brennt heute Nußland aus, wo die weſenloſe Apparatur — 
die Sache — über das Blut — den Menſchen — geſiegt hat. Daß dieſes Aus- 
brennen ſich ſolange hinzieht, liegt an der, infolge völkiſcher Anfruchtbarkeit der 
Ruffen — fehlenden Gegenfront, deren Aufgabe das wäre, was Nietzſche in 
den Worten ausdrückt: „Was fällt, das ſoll man auch noch ſtoßen!“ 

Es entſteht nun die Frage: Hat denn dieſer Weltanſchauungskampf, der 
ſich doch nur auf das Gebiet der Politik und der Kultur bezieht, etwas mit 
Wirtſchaft zu tun? Die Wirtſchaft — fo halten uns die Liberaliſten vor — 
iſt doch ein in Jahrzehnten natürlich entſtandener, komplizierter und gegen alle 
politiſchen Störungen empfindlicher Mechanismus. Gerade die politiſchen Ein⸗ 
griffe — Krieg, Revolution, Reparationen uſw. — hätten ja dieſen Mecha⸗ 
nismus ſo geſchädigt, daß nun die große Wirtſchaftsnot entſtanden wäre, die 
nur behoben werden kann, wenn wieder „wirtſchaftliche Vernunft“ einkehre, 
wenn „Sachkenntnis“ und ſachliche Arbeit — die ſogenannte ,,pofitive Mit. 
arbeit“ — zu ihrem Rechte kämen, wozu alle, die guten Willens find, freund- 
lichſt eingeladen werden. 

Man kann nicht ſcharf genug dieſem Irrtum entgegentreten. Die Wirt⸗ 
ſchaft, ihre Struktur und Formen ſind durchaus nicht ein Ding an ſich, ein 
„Rührmichnichtan“, das ſich unter eigenen unabänderlichen Geſetzen entwickelt 
bat, ſondern auch die Wirtſchaft iſt raſſebedingt; fie iſt nur eine unter den ver⸗ 
ſchiedenen Geſtaltungsformen des Volkes, und zwar diejenige, welche es mit 
der materiellen Bedürfnisbefriedigung eines Volkes zu tun hat. Wirtſchaft 
iſt nicht losgelöſt von völkiſcher Bedingtheit, ſondern Geſtaltungsform der 
weltanſchaulichen Idee, die im Volke herrſcht oder — in völkiſchen Verfalls⸗ 
zeiten — über das Volk herrſcht (Judentum). And ſoweit eine Wirtſchafts⸗ 
ſtruktur ſich losgelöſt von völkiſcher Bindung „entwickelt“, folgt zwangsläufig 
zu irgendeiner Zeit ihr Zuſammenbruch, da ihre Formen und ihr Zweck infolge 
dieſer „Entwicklung“ ſich gegen das Volk ſelbſt richten müſſen, gegen deſſen 
Lebensgeſetz, überhaupt gegen jedes organiſche Wachstum. Es iſt der große 
Irrtum unſerer Gegner zu glauben: die Wirtſchaftsnot hätte erſt den Welt⸗ 
anſchauungskampf hervorgerufen, die politiſche Kriſe nach ſich gezogen; der 
Nationalſozialismus wäre aus einer wirtſchaftlich bedingten Verzweiflungs⸗ 
ſtimmung heraus geboren und gewachſen. Sicher war die Wirtſchaftskataſtrophe 
mit ein Anlaß des Anwachſens der Bewegung, weil Teile des Volkes erſt 
durch dieſe Kataſtrophe aus jahrzehntelangem Trott aufgerüttelt wurden. Je⸗ 
doch iſt es nicht ſo, daß die weltanſchauliche Ausrichtung des Volkes im Natio⸗ 
nalſozialismus eine Folge des Wirtſchaftszuſammenbruchs und der daraus 
geborenen Verzweiflungsſtimmung iſt, ſondern der Wirtſchaftszu⸗ 
ſammenbruch iſt eine konſequente Folge deſſen, daß man 


Der Zusammenbruch der unvölkischen Wirtschaftsstruktur 559 


die Wirtſchaft außerhalb der völkiſchen Bedingtheit „ent- 
wickelte“, daß ſie aufgebaut wurde durch einen Geiſt, der 
dem deutſchen Volke artfremd war, daß fich in ihr eine 
Weltanſchauung ſpiegelte, die ſich bewußt von „engen und 
engſtirnigen“ völkiſchen Belangen abſetzte. Die Verkennung 
der völkiſchen Bedingtheit auch des Wirtſchaftslebens ſeitens der Geſtalter 
und Führer der Wirtſchaft führte zu der wirtſchaftlichen Kataſtrophe. Der 
Liberalismus jedoch erſtarb in Ehrfurcht vor feinem grandioſen Wirtſchafts⸗ 
aufbau; heute zeigt ſich, daß dieſer Aufbau in bezug auf das Volk und damit 
in bezug auf jedes einzelne Glied des Volkes eine „Fehlinveſtierung“ war. 
Nun ſteht dieſe wunderbare, ach jo komplizierte Apparatur da und .. . läuft 
nicht, weil ſie ja dem Volke gar nicht zu dienen vermag, mit einer ſolchen 
Zielſetzung gar nicht erbaut wurde. Was liegt näher für dieſe Führer als der 
Gedanke des „Ankurbelns“; denn nur wenn dieſe Apparatur läuft, hat ja das 
Daſein dieſer „Führer“ überhaupt einen Sinn, der ſich ſachlich in klingendem 
Profit und Tantieme äußert. Dabei verkennen fie, daß dieſe Maſchine ſtill 
liegt, weil ſie nicht für das Volk, ſondern gegen deſſen Lebenswillen und 
Lebensgeſetz errichtet iſt. Erſt wenn die Wirtſchaft ſich dem neuen Geiſt beugt 
und wieder erkennt, daß ſie für das Volk da iſt, wird ſie auch vom Volk den 
Impuls — die „Ankurbelung“ — erfahren. Nicht früher. Daß das eine ge⸗ 
waltige Amformung der heutigen Wirtſchaftsſtruktur, ihrer Formen und des 
Geiſtes, der in ihr herrſcht, bedeutet, braucht wohl kaum erwähnt zu werden. 
Gerade „nationale Kreiſe“ müßten ſich über die raſſiſche oder völkiſche Be⸗ 
dingtheit der Wirtſchaft klar werden. „National“ und „liberal“ find unüber⸗ 
brückbare Gegenſätze; einem inſtinktloſen deutſchen Weltbürgertum nebſt wiſſen⸗ 
ſchaſtlichem Anbau iſt es vorbehalten geblieben, dieſe Gegenſätze zu einem 
Begriff — „Nationalliberal“ — zuſammenzukoppeln, der noch heute als gei⸗ 
ſtiger Nähr⸗ und Mutterboden den „Nationalen“ bis zu ihren Ausläufern 
in der Wirtſchaftspartei dient. Ein abſurder Begriff: denn „national“ ſetzt 
voraus: Bindung in Blut und Boden; „liberal“ aber heißt: Löſung von Blut 
und Boden, Emanzipation, Freizügigkeit, Weltbürgertum; „national“ ſetzt 
voraus: Anerkennung der Angleichheit auf blutsmäßiger Grundlage und damit 
Anerkennung der Raſſe, Anerkennung des Volkes als gegliederter Blutsgemein⸗ 
ſchaft, Anerkennung geborenen Führertums; „liberal“ aber heißt: Gleichheit 
aller Menſchen und damit Nichtanerkennung des Raſſeprinzips, Zerſtörung 
und Auflöſung des Volkes, Führertum durch Wahlarithmetik. In der Be⸗ 
jahung der heutigen Wirtſchaftsformen, in der Warnung vor „Experimenten“ 
zeigt ſich nur, wie ſehr die „nationalen Kreiſe“ dem Liberalismus verhaftet 
find, zeigt ſich, daß fie glauben, ſich von Natur ausſchließende Gegenſätze durch 
eine Formel „Halb und Halb“ zu überbrücken. And in dem Maße, als man ſich 
den „ſachlichen Notwendigkeiten“ der Wirtſchaft beugt, wird das „Nationale“ 


560 Herbert Backe 


zur Phraſe, zum Deckmantel. Aus der Inkonſequenz dieſer Schorle⸗Morle 
heraus entſtand die ſogenannte „pofitive Mitarbeit“ der „nationalen“ Par⸗ 
teien mit Zentrum und SPD., die fic erwies als eine pofitive Mitarbeit am 
Zuſammenbruch des Staates, an der Pleite der Wirtſchaft. And jeder, der die 
weltanſchauliche Bedingtheit der Wirtſchaft auch heute noch verkennt, arbeitet 
weiter pofitiv am Zuſammenbruch. 

Der Irrtum des Liberalismus auf dem Gebiete der Wirtſchaft war der 
Glaube, daß aus der Summe von Millionen von Eigennutzen — Gemeinnutz 
entſtehen könnte. Hier verkannte man die völkiſche Gebundenheit der Wirt⸗ 
ſchaft; man glaubte, es entſtünde ſchon automatiſch eine Harmonie, wenn nur 
die Wirtſchaft ſich „frei“ — d. h. losgelöſt von den Belangen des Volkes — 
entwickele. Man glaubte, daß Dienſt am Geſamten durch Verdienen der Ein⸗ 
zelglieder entſtehen könne und forderte deshalb den „Nachtwächterſtaat“, dem 
man nur die Sorge um diejenigen aufbürdete, die bei dieſem Verdienen auf der 
Strecke blieben. Dieſer Irrtum blieb äußerlich während des ganzen vorigen 
und Anfang des jetzigen Jahrhunderts verborgen. Man beraufchte ſich an der 
Wirtſchaftsblüte, am ſteigenden Volkswohlftand und nahm die Symptome der 
Krankheit — die Kriſen — als in der Natur der Wirtſchaſt liegende Reini- 
gungsvorgänge auf die leichte Schulter. Tatſächlich überſtand die Wirtſchaft 
auch die Kriſen, und jeder Kriſe folgte eine um ſo größere „Blüte“. So wurde 
die Richtigkeit der privatkapitaliſtiſchen Erwerbswirtſchaft zum Dogma er- 
hoben. Zukunftsſinn wurde erſetzt durch obligatoriſchen Optimismus. And 
heute? Auch heute find dieſe Menſchen geblieben, was ſie waren: Liberaliſten. 
Deshalb wird ſeit Jahr und Tag von der nun bald eintretenden Wirtſchafts⸗ 
belebung geſprochen, von dem tiefſten Punkt der Kriſe, der nun überwunden 
iſt, von der Beendigung des Konjunkturabſchwungs und der Erreichung „jener 
Talſohle, nach deren Durchquerung ein neuer Anſtieg, der Konjunkturauf⸗ 
ſchwung beginnen kann“. (Bericht des Konjunkturinſtituts zum Jahresende.) 
Der ganze „Papenplan“ beruht auf dieſem Optimismus, auf dem uns ſo 
wohlbekannten „Silberſtreifen“. Wie man durch jahrelange Pumpwirtſchaft 
zukünftige Kaufkraft vorweggenommen hat (um — und das iſt die Tragik des 
Arbeiters — mit dieſer Kaufkraft über die Rationalifierung die Väter derer, 
denen man die Kaufkraft vorwegnahm, die man mit Schulden belaſtete, die ſie 
einſt abzahlen müſſen, ſchon jetzt auf die Straße zu werfen), genau ſo werden 
nun im Papenplan zukünftige Steuerermäßigungen vorweggenommen, um als 
„Kaufkraft“ die Wirtſchaft zu beleben, „anzukurbeln“. Wie all die Jahre und 
Jahrzehnte: Optimismus! Optimismus um jeden Preis. Man iſt ſich ſo 
wenig klar über dieſen Optimismus, daß man verkennt, daß er nur eine not⸗ 
wendige Begleiterſcheinung tatſächlicher Vorgänge in der „Wirtſchaftsent⸗ 
wicklung“ war, der Erſchließung immer neuer Kaufkraft durch Erſchließung der 


Der Zusammenbruch der unvölkischen Wirtschaftsstruktur 561 


Welt. Jetzt wird diefer Optimismus zum Fetiſch, aus Begleiterſcheinung 
macht man Arſache der prosperity und warb nun ſogar regierungsfeitig um 
Vertrauen: habt Vertrauen, dann iſt der liebe und für uns fo notwendige Opti- 
mismus da, und dann läuft die Karre wieder. Man könnte an Hänschen denken, 
der mit dem Finger auf die Quedfilberfäule des Barometers drückt, weil er 
gutes Wetter haben will. 

Der Liberalismus und damit die ſeinem Geiſte entſprungene Wirtſchaft 
konnten dieſem uferloſen Optimismus anheimfallen, weil die, durch aufein- 
anderfolgende techniſche Erfindungen erfolgte Erſchließung der Welt, d. h. die 
Mobilmachung aller ruhenden Kaufkraft ſowohl der im Großmutterſtrumpf in 
Europa als derjenigen in den Weltverkehr einbezogenen Kolonialländer, der 
Produktionsſteigerung einen dauernden Auftrieb gaben. So raſend die Pro- 
duktionsſteigerung auf induſtriellem Gebiet auch ſtattfand, die Waren fanden 
Kaufkraft und damit Abſatz. Der Fluß des Geldes nach dem induſtriellen 
Europa hob hier wieder den Wohlſtand und die Kaufkraſt. Dabei iſt von aus⸗ 
ſchlaggebender Bedeutung, daß ein erheblicher Teil der Induſtrie⸗Produktion 
der Erzeugung von Inveſtitionsgütern (Eiſenbahnen, Fabrikanlagen, Flotten, 
ſtädtiſcher Wohnungsbau, Fabrikausrüſtungen) diente und nur ein Teil der 
Erzeugung von Verbrauchsgütern. Gerade dieſe Zuſammendrängung der 
Schaffung von Gebrauchsgütern (Inveſtitionsgütern) auf einige Jahrzehnte 
ſpannte den Rahmen der induſtriellen Erzeugung über das Maß weit hinaus, 
das ihr nach Abſchluß dieſer Inveſtierungsperiode zukommen konnte. Nachdem 
aber der Bedarf an Inveſtitionsgütern im induſtriellen Europa zu erlahmen 
begann, kam der letzte große Auftrieb durch den Ausbau nationaler Induſtrien 
in den Agrar- und Kolonialländern, der bis in die Nachkriegszeit hineinreichte. 
Hier ſchaufelte Induſtrie⸗Europa bereits ſchon das Grab feiner eigenen Indu⸗ 
ſtrie. Praktiſch äußerte ſich dieſe Kolonialinduſtrialiſierung — was ſehr wich⸗ 
tig iſt — wiederum als eine auf kurze Zeitſpanne zufammengedrängte Erzeu⸗ 
gung von Inveſtitionsgütern, die in dem Maße des Anwachſens nationaler 
Induſtrien an Stoßkraft verlieren mußte. Es liegt auf der Hand, daß einmal 
infolge Mangels neu zu erſchließender Länder und damit Kaufkraft und in- 
ſolge der nationalen Dezentraliſation der zunächſt in Weſteuropa, dann auch 
in USA. entſtandenen Hochinduſtrie der Zeitpunkt kommen mußte, wo der 
Bedarf an Gebrauchsgütern ſich theoretiſch dem Nullpunkt näherte. War alſo 
bis in die Jahre nach dem Kriege ein dauernder Auftrieb der induſtriellen Er- 
zeugung gegeben, der über zeitweilige Aberproduktionskriſen hinweghalf, ſo 
trat der Moment der Aberſättigung, der induſtriellen Aberſetzung wenige 
Jahre nach dem Kriege ein. 

Nur andeutungsweiſe und durchaus nicht Anſpruch auf Vollſtändigkeit er⸗ 
hebend iſt hier der Anterſchied zwiſchen dem induſtriellen Dauerauftrieb des 


562 Herbert Backe 


letzten Jahrhunderts bis nach dem Kriege und der nun einſetzenden Schrump- 
fung gekennzeichnet. Am Rande ſei noch erwähnt, daß jener Auftrieb und die 
jetzt einſetzende Schrumpfung nicht nur die Induſtrie erfaßte, ſondern von 
dieſer ausgehend auch Handel, Beamtenſchaft, freie Berufe uſw. 

Die Verkennung der Arſachen des induſtriellen Auftriebs im letzten Jahr⸗ 
hundert und damit das Aberſehen, daß dieſer Auftrieb nur für die Zeit des 
Aufbaus der Induſtrie mit allen damit verknüpften Begleiterſcheinungen in 
dem bisherigen Maßſtab aufrechterhalten bleiben konnte, erzeugte die opti⸗ 
miſtiſche Geiſtesſtruktur der Wirtſchaftsführer. Statt klarer Erkenntnis der 
Arſachen der prosperity — gefühlsmäßig bedingter kindlicher Glaube an eine 
Zukunftsentwicklung. Man unterſchätze dieſe bei den Wirtſchaftskapitänen 
herrſchende Geiſtesrichtung nicht: ſie iſt es, die noch heute die Grundlage der 
falſchen Handels- und Wirtſchaftspolitik ausmacht und gerade bei den „ſach⸗ 
lichen Wirtſchaftsköpfen“ noch heute ein krampfhaftes Feſthalten an einer 
längſt überholten Entwicklungsrichtung erlaubt. Es ift für die Zuſpitzung der 
Lage bezeichnend, daß nun auch von wiſſenſchaftlicher Seite das Problem einer 
Durchleuchtung unterzogen wird. Im „Weltwirtſchaftlichen Archiv“ (Januar 
1933) ſchreibt Profeſſor Monoilesco )): 

„Es ſei jedoch feſtgeſtellt, daß wir die naive und vereinfachende Theorie aufs 
entſchiedenſte ablehnen, die in dem Aufgeben liberaler Methoden die vor⸗ 
herrſchende, wenn nicht fogar die alleinige Arſache der Weltkriſis erblickt und 
von der Rückkehr zu dieſen Methoden erwartet, ſie werde automatiſch das alte 
Gleichgewicht wiederherſtellen. Eine ſo oberflächliche Auffaſſung verſäumt es, 
die tiefgreifende und weſentliche Wandlung in Betracht zu ziehen, die ſich in 
der nachkriegszeitlichen Weltwirtſchaſt vollzogen hat. Vor dem Kriege erheiſch⸗ 
ten die gewaltige Ausdehnung der Abſatzgebiete und die unbegrenzte Entwick⸗ 
lungsmöglichkeit der Induſtrieländer eine individualiſtiſche Organiſation, weil 
ſie dieſen Ländern eine raſche Bedürfnisbefriedigung und erweiterung gewähr⸗ 
leiſtete. Für jenes intenfive, ſchier grenzenloſe wirtſchaftliche Vorwärtsſtürmen 
erwies ſich das Syſtem des Individualismus und der freien Konkurrenz als 
mögliche, ja als unerläßliche Wirtſchaftsform. Nun erhebt ſich die Frage: Iſt 
dieſe Wirtſchaftsform auch der nachkriegszeitlichen Weltwirtſchaft in gleicher 
Weiſe adäquat? Es ſei ein Schlußergebnis bereits vorweggenommen: Die 
vorkriegszeitliche individualiſtiſche Methode war Folge, nicht Arſache der 
weltwirtſchaftlichen Lage. Sie bildete gleichſam den Schatten der damaligen 
Weltwirtſchaft. Eine Amformung des Schattens aber vermag nicht die Am⸗ 
formung des ihn werfenden Gegenſtandes zu bewirken.“ 


1) Die Zerſplitterung und Wiederergänzung der Weltwirtſchaft, „Weltwirt- 
ſchaftliches Archiv“, Januar 1933. 


Der Zusammenbruch der unvölkischen Wirtschaftsstruktur 563 


Prof. Monoilesco ftellt weiter feft, „daß das Syſtem der induftriellen Sen- 
tralifation mit einem ſtetigen Aufſchwung der Induſtrieländer verbunden, die 
auf Koſten anderer noch nicht induftrialifierter Länder ihren Reichtum mehren, 
während letztere auf unbegrenzte Zeit hinaus weiterhin einen niedrigen Lebens⸗ 
ſtandard behalten. Diefe Behauptung wird ſicherlich Widerſpruch finden, da 
ja die klaſſiſche Außenhandelstheorie (Smith und Ricardo) gerade das Gegen⸗ 
teil zu beweiſen ſucht, daß ſich nämlich im internationalen Güteraustauſch die 
Vorteile gleichmäßig auf die induſtriellen und die primitiven Länder ver⸗ 
teilen und ſogar eher noch für letztere überwiegen.“ 

„Solange die Wirtſchaftswiſſenſchaft den internationalen Tauſch zwiſchen 
Induſtrie- und Agrarprodukten durch die Vorteile rechtfertigen zu können 
glaubte, die den beiden tauſchenden Parteien in gleichem Maße zuteil wür⸗ 
den, konnte man noch die Auffaſſung teilen, daß die primitiven Länder ihre 
Induſtrialiſierungsbeſtrebungen wieder aufgeben würden, ſobald man aber 
erkennt, daß der weitaus größere Vorteil bei dieſem Tauſch dem Exporteur der 
Induſtrieprodukte zufällt, muß man zugeben, daß es vom Standpunkt der primi⸗ 
tiven und Agrarländer durchaus nur verftändlich iſt, die Induſtrialiſierung wei⸗ 
terzutreiben. ... Die der Induſtrie innewohnende Aberlegenheit iſt von den 
Völkern in der Regel bald erkannt worden und — merkwürdigerweiſe — auch 
inſtinktiv von den führenden Staatsmännern, die entgegen den Geſetzen der 
Wirtſchaftstheorie ſtets dahin ſtrebten, den in ihrer wirtſchaftlichen Entwick⸗ 
lung zurückgebliebenen Völkern durch Errichtung von Induſtrien die Bedin⸗ 
gungen für einen Aufſchwung zu ſchaffen. Die induſtrielle Dezentraliſation 
nahm dann während des Weltkrieges erheblich zu.“ 

„Die Arbeitsteilung in einem Betrieb übt die folgenden günſtigen Wirkungen 
aus: ſie bewirkt eine Steigerung der Produktivität der Arbeit und ermöglicht 
eine außerordentliche Verbilligung der Erzeugniſſe. Dieſer aus der Arbeits- 
teilung innerhalb einer Produktionseinheit entſpringende Vorteil drückt fid 
aber in der Steigerung der geſamten Produktivität des Betriebes aus und in 
der Verbilligung ſeiner Geſamtproduktion. Die Entgelte der Arbeiter dagegen 
weiſen untereinander eine ſtarke Differenz auf. Diejenigen Arbeiter, die einen 
einfachen elementaren Teilprozeß verrichten müſſen, etwa die Träger, erhalten 
einen niedrigen Lohn, während die qualifizierten Arbeiter, etwa die mit der 
Aberwachung komplizierter Maſchinen betrauten Perſonen, einen hohen Lohn 
beziehen. Ein großer Anterſchied hinſichtlich der Einkommen beſteht alſo im 
Vergleich zu den Zeiten, als noch jede Arbeit in ihrer Geſamtheit von ein und 
demſelben Arbeiter ausgeführt wurde. Damals konnten alle Arbeiter für ihre 
gleiche Arbeitsleiſtung in gleicher Höhe entlohnt werden. Heute bekommen die 
innerhalb desſelben Produktionsprozeſſes tätigen Arbeiter der verſchiedenen 
Qualität der Arbeit entſprechend verſchiedene Löhne. Die Spezialiſierung be⸗ 
deutet ſomit nicht bloß eine Qualitätsdifferenzierung der Arbeit, 


564 Herbert Backe 


ſondern auch eine Arbeitspreisdifferenzierung. ... Bei der inter⸗ 
nationalen Kooperation in einem Kontinent oder in der geſamten Welt wird 
ſich auf Grund der unter den verſchiedenen Ländern herrſchenden Arbeitsteilung 
der gleiche Vorgang abſpielen wie in einem arbeitsteiligen Produktions- 
prozeß und in einer arbeitsteiligen Volkswirtſchaft. Wie dort die Spezialifie- 
rung zu einer Differenzierung der Einkommen und Erträge führt, ſo wird bei 
internationaler Kooperation eine Differenzierung der Volkseinkommen ein⸗ 
treten, die um ſo ſtärker ſein wird, je größer die Produktivität von Land zu 
Land variiert. Welches Land wäre aber nun geneigt, ſich für den Gedanken 
der internationalen Kooperation aufzuopfern, und die Erzielung eines inter⸗ 
nationalen Maximalertrages im Weltkonzern dadurch zu fördern, daß es ſelbſt 
auf einer niederen, unrentablen Wirtſchaftsſtufe ſtehen bleibt? Jedes Land 
wünſcht gewiß für die Menſchheit einen Maximalwirtſchaftsertrag — jedoch 
nur unter der Bedingung, daß er ſich mit ſeinem eigenen Maximalwirtſchafts⸗ 
ertrag identifiziert. Dieſer Einſtellung zufolge hat die induſtrielle Dezentrali- 
ſierung eingefetzt und zu dem Ergebnis geführt, daß die weſtlichen Staaten 
ihrer induſtriellen Monopolſtellung verluſtig gegangen find. Angeſichts dieſer 
Sachlage hätte folgerichtig ein großer Anpaſſungsprozeß ſtattfinden müſſen. 
Die Induſtrieländer hätten die Preiſe ihrer Erzeugniſſe erheblich herabſetzen 
müſſen, um das ungleiche Austauſchverhältnis zu mildern, ſtatt deſſen aber 
leiſteten ſie einer entgegengeſetzten Entwicklung Vorſchub und ſchufen dadurch 
die folgenſchwerſte und entſcheidende Vorausſetzung der gegenwärtigen Welt⸗ 
wirtſchaftskriſis. Die durch den Verluſt der Monopolſtellung geſchaffene wirt⸗ 
ſchaftliche Lage hätte eine Senkung der Induſtriepreiſe auf ein bedeutend nie⸗ 
drigeres Niveau als dasjenige der Agrarpreiſe erfordert. Doch die vereinigten 
Anſtrengungen des Kapitalismus und des Arbeitsſyndikalismus arbeiteten 
dieſer Tendenz entgegen, ſtatt ſie zu begünſtigen.“ 

Mit voller Abſicht find hier die Ausführungen von Prof. Manoilesco aus- 
führlicher wiedergegeben als es bei Zitaten üblich iſt, denn es kam darauf an, 
den Standpunkt eines, wenn auch noch vereinzelt daſtehenden Gelehrten mög⸗ 
lichſt vollſtändig wiederzugeben. Wir unterſtreichen auch die Folgerung: „Die 
induſtrielle Dezentraliſierung ſchreitet, innerlich notwendig, ſtändig und unauf⸗ 
haltbar fort. Auch wenn der Krieg nicht den Welthandel lahmgelegt hätte, wäre 
fie angewachſen, allerdings wohl ohne jenen Rhythmus, den ihr der Krieg und 
die Nachkriegsperiode aufgeprägt haben.“ Die Auflöſung der Weltwirtſchaft, 
die „Weltwirtſchaftskriſe“, kennzeichnet ſich nun als das, was ſie iſt: nicht ein 
Naturereignis, aus dem man durch Silberſtreiſenoptimismus in die Zukunft 
flüchten kann, ſondern als logiſches und konſequentes Endreſultat einer unvöl⸗ 
kiſchen Entwicklung der Wirtſchaft. And die Kräfte, die über die „Dezentrali⸗ 
ſierung der Induſtrie“ die Kriſe bewirkten, liegen auf völkiſchem Gebiet: 
Gegenwehr der einzelnen Völker gegen induſtrielle und damit wirtichafts- und 


Der Zusammenbruch der unvölkischen Wirtschaftsstruktur 565 


machtpolitiſche Vergewaltigung ſeitens einiger Induſtrieſtaaten. Das Ent⸗ 
ſtehen autarker Volkswirtſchaften bildet den Schlußſtein dieſer „Entwicklung“. 
Die völkiſche Bedingtheit der Einzelvolkswirtſchaften erweiſt ſich eben ſtärker 
als ſogenannte „Wirtſchaftsgeſetze“, ja ſie ſpannt die Wirtſchaftsführer, die 
dieſen „Geſetzen“ verhaftet ſind, ohne daß ſie es ahnen, als Werkzeug für völ⸗ 
kiſche Volkswirtſchaft und gegen eine weſenloſe Weltwirtſchaft ein. 

Grob gekennzeichnet entſteht alſo zunächſt durch die liberale Wirtſchafts⸗ 
auffaſſung eine induſtrielle Monopolſtellung in einigen Staaten Weſteuropas. 
Die Vormachtſtellung dieſer Staaten baut ſich auf auf der Ausbeutung der 
Agrarländer bzw. Kolonien. Dieſer Ausbeutung ſtellen ſich die Völker inſtinkt⸗ 
mäßig entgegen, bauen trotz „Anrentabilität“ unter dem Schutze von Zöllen 
und unter Mithilfe ihrer liberal orientierten Induſtriegegner, deren ganze 
Weisheit ſich im privatwirtſchaftlichen Geldverdienen erſchöpft, eigene Indu⸗ 
ſtrien auf. Mit Fertigſtellung dieſer induſtriellen Aufrüſtung verliert die In⸗ 
duſtrie den jahrzehntelang dauernden Produktionsauftrieb. Neben der Induſtrie 
in Weſteuropa und USA., deren Erzeugung bisher den größten Teil des Welt⸗ 
bedarfs deckte, treten die von dieſer großgezogenen nationalen Induſtrien in der 
ganzen Welt als Erzeuger auf. Damit ſchon iſt der Rahmen der Induſtrie viel 
größer geſpannt, als der Bedarf das erfordert. Hinzu kommt als weſentlichſtes 
Moment der Wegfall des Bedarfs nach Gebrauchsgütern (Inveſtitionsgütern), 
da ja die induſtrielle Aufrüſtung beendet iſt. Die geſamte Produktionskraft der 
an ſich ſchon zu großen Induſtrie wird damit mehr und mehr auf das Gebiet 
der Verbrauchsgüter geſchoben. Damit find die Vorausſetzungen einer dauern⸗ 
den Aberproduktionskriſe gegeben. Der ſcharfe Wettbewerb um den Abſatz führt 
nun im letzten Jahrzehnt zu der induſtriellen Konkurrenz, die ſich ſür die In⸗ 
duſtrieſtaaten in einer Förderung des Exports um jeden Preis äußert. Dieſer 
Wettbewerb führt zum Verfall der Preiſe auf dem Weltmarkt, der ausgeglichen 
wird durch Preiszuſchläge auf den Inlandsmärkten. Der Kampf um den Welt⸗ 
marktabſatz bei fallenden Preiſen führt ſchließlich zur Rationalifierung der 
Induſtrie, die in den dichtbevölkerten weſteuropäiſchen Induſtrieſtaaten ein 
Ausſparen von Arbeitskraft bedeutet. Damit wird der Innenmarkt noch mehr 
zertrümmert, als er bereits durch Preisgabe der Hauptſtütze des Binnenmarktes 
— der Landwirtſchaft — in dieſen Staaten zertrümmert wurde; eine Preis- 
gabe, die mit der ſcheinbaren Notwendigkeit begründet wurde, durch billige 
Nahrungsmittel die Selbſtkoſten der Induſtrie ſoweit herabzuſetzen, daß einmal 
die Erzeugniſſe der Exportinduſtrie auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig blieben 
oder wurden, zum zweiten damit der infolge der Exportverſchleuderung not- 
wendige Aufſchlag auf die Induſtriepreiſe des Binnenmarktes durch einen 
Abſchlag an den Selbſtkoſten eingeſpart werden konnte, um die Kaufkraft für 
Induſtrieerzeugniſſe auf dem Binnenmarkt nicht zu ſchmälern, und damit den 
Binnenmarkt für den Induſtrieabſatz zu erhalten. Man überſah nur, daß die 


566 Herbert Backe 


Kaufkraft der Landwirtſchaft der entſcheidende Faktor eines gefunden Binnen⸗ 
marktes war und der Ausfall dieſer Kaufkraft, hervorgerufen durch die Indu⸗ 
ftrieerportpolitif, den Binnenmarkt zertrümmern mußte. Dieſe Veränderungen 
zeigt die Entwicklung des Eiſen⸗ und Stahlabſatzes der deutſchen Eiſen⸗ 
induſtrie ): 


Geſamt⸗ 0 Inlands⸗ 0 0 

i 0 en agun in 1 00 in : fo 75 . in 5 iy 
1927 1555 100 1025 100 530 100 
1928 1392 90 803 78 588 111 
1929 1544 99 863 84 681 130 
1930 1097 71 513 50 584 110 
1931 758 49 240 23 518 98 


Während die Ausfuhr künſtlich hochgehalten wurde und in den Jahren 1928 
bis 1930 zum Teil erheblich gegenüber der Ausfuhr 1927 geſteigert wurde — 
der zwangsläufige Rückſchlag deutet ſich erſt 1931 an —, iſt die Geſamterzeu⸗ 
gung ſeit 1927 ſtetig geſunken und erreichte 1931 noch nicht die Hälfte der- 
jenigen 1927. Dieſes kataſtrophale Abgleiten der Erzeugung findet ſeine Er⸗ 
klärung in dem völligen Zuſammenbruch des Inlandmarktes, deſſen Aufnahme 
unter der falſchen Wirtſchaftspolitik im Jahre 1930 auf die Hälfte des Jahres 
1927 abſackt, im Jahre 1931 ſogar auf nicht einmal ein Viertel. 

Die Sinnloſigkeit dieſer Politik ergibt ſich erſt, wenn man die Inlandspreiſe 
mit den Ausfuhrpreiſen vergleicht ?): 


Entwicklung der deutſchen Eiſenpreiſe (in RM. je Tonne) im In⸗ und 
Ausland, in 1000 t. 


Stabeiſen Knüppel Grobbleche 

inländ. ausländ. inland. ausländ. inländ. ausländ. 
1926 (Mon.⸗Durch.) 133,6 104,0 116,4 — 148,8 111,8 
1927 5 er 134,0 96,8 112,5 898 149,9 121,6 
1928 1 1 139,5 114,5 117,5 98,1 157,3 127,2 
1929 3 5 141,0 115,8 119,0 102,7 160,0 126,4 
1930 ra 1 138,7 97,2 116,9 859 1571 1165 
1931 2 r 126,5 694 109,3 628 147,3 81,4 
1932 (Januar) 110,0 54,3 96,5 48,8 129,1 65,3 
1932 (Juli) 110,0 42,9 96,5 387 129,1 52,3 

110,0 52,5 96,5 40,7 129,1 61,3 


1932 (Oktober) 


1) „Hannoverſcher Landbund“ Nr. 51 vom 17. 12. 32. 
2) „Hannoverſcher Landbund“ Nr. 51 vom 17. 12. 32. 


Der Zusammenbruch der unvölkischen Wirtschaftsstruktur 567 


Die Steigerung oder Behauptung der Ausfuhr von Eiſen und Stahl erſcheint 
jetzt als das, was ſie iſt: ein Verluſtabſatz, der ausgeglichen werden mußte 
durch überhöhte Inlandspreiſe, die wiederum den Inlandsabſatz ſyſtematiſch 
zerrütteten und ſo — um den Verluſt der gleichbleibenden Ausfuhr auszu⸗ 
gleichen — in dem Maße des Fallens des Inlandsabſatzes zu immer größeren 
Aufſchlägen auf den Inlandspreis (im Vergleich zum Auslandspreis) führen 
mußten. Die Folge: weiterer Rückgang des Inlandsabſatzes und weitere Er⸗ 
höhung des Preisaufſchlages. 

Bemerkenswert — weil folgerichtig — iſt die analoge Entwicklung auf dem 
agrarwirtſchaftlichen Gebiet mit der Amkehrung, daß hier die Agrarländer — 
ſoweit dieſe extenſiv wirtſchafteten, hatten ſie an ſich ein natürliches Aber⸗ 
gewicht über die intenfive deutſche Landwirtſchaft, in bezug auf die Preis- 
geſtaltung — die Rolle der Ausfuhr um jeden Preis übernehmen. Obwohl 
dieſe Länder durch eigene induſtrielle Aufrüſtung, entgegen den „wirtſchaft⸗ 
lichen Geſetzen“, der Autarkie zuſtreben, wollen ſie trotzdem den überſpannten 
Rahmen ihrer Agrarwirtſchaft beibehalten, der nur folange Sinn und Berech⸗ 
tigung hatte, als dieſe Staaten Induſtrieeinfuhrländer waren und mit ihrem 
Agrarexport das Leben und die Arbeit der Induſtriemonopolſtaaten bezahlten. 
Dieſe unnatürlichen Spannungen kennzeichnen eben die erſte — noch nicht klar 
ins Bewußtſein getretene — Phaſe der Auflöſung der Weltwirtſchaft; wie 
die Agrarſtaaten verkennen, daß ihre induſtrielle Aufrüſtung — aus dem natür⸗ 
lichen völkiſchen Autarkieſtreben heraus — zwangsläufig zu einer Schrumpfung 
ihrer überſetzten Agrarausfuhrſtruktur führen muß und führen wird, genau ſo 
verkennen unſere „Wirtſchaftsköpfe“, daß jenes völkiſche Autarkieſtreben 
zwangsläufig zu einer Schrumpfung der induſtriellen Struktur und gleichzeitig 
einer Aufrüſtung unſerer Agrarſtruktur führen muß und führen wird, wobei — 
ſelbſt bei einem Nichtvorhandenſein völkiſcher Treibkräfte in Deutſchland — 
die von den Agrarländern ausgelöſte Autarkiebeſtrebung zwangsläufig die 
Wirtſchaftsſtruktur auch Deutſchlands im Sinne der Autarkie umformen 
müßte. Nebenbei ſei nur darauf hingewieſen, wie die induſtrielle Preisdifferenz 
zwiſchen Auslands- und Inlandspreis in Deutſchland dazu dient, der aus⸗ 
ländiſchen Landwirtſchaſt Sondervorteile gegenüber der eigenen Landwirt- 
ſchaft zu verſchaffen (auf dem Gebiete des künſtlichen Düngers erleben wir das 
womöglich in noch ſchärferer Weiſe) und damit den kommenden Ausgleich auf 
Koſten des Geſamtvolkes erſchwert. Es liegt auf der Hand, daß genau fo wie 
jene Agrarländer ihre völkiſchen Belange durch ein Streben nach (induſtrieller) 
Autarkie über den Weg von Induſtrieſchutzzöllen erreichen, auf der anderen 
Seite die völkiſchen Belange der Induſtrieländer nur durch Agrarſchutzmaß⸗ 
nahmen gewahrt werden können; hier wie dort iſt der Feind dieſer völkiſchen 
Entwicklung das Ausfuhrſtreben bisher durch den Weltwirtſchaſtsverkehr über- 
ſetzter Wirtſchaftszweige: dort die Agrarausfuhr — hier die Induſtrieausfuhr, 


568 Herbert Backe 


die in beiden Fällen ihren privatwirtſchaftlichen Schleuder⸗Export erzwingen, 
indem ſie den Inlandspreis und damit ihr Volk belaſten. Der einzige Anter⸗ 
ſchied (der ſeine Arſache in der induſtriellen Ausbeutung von Agrarländern hat) 
iſt, daß dort eine Erhöhung der Inlandsagrarpreiſe möglich iſt, da der Binnen⸗ 
markt durch die Induſtriealiſierung nach Menge und Güte wächſt; hier aber 
die überhöhten Induſtrie⸗Inlandspreiſe auf einen zuſammengebrochenen und 
ſich abbauenden Binnenmarkt ſtoßen und deſſen Verfall weiter beſchleunigen. 

Welche Schlüffe find für Deutſchland aus dieſem Zerfall der Wirtſchaft und 
ihrer Auflöſung in echte Volkswirtſchaft zu ziehen? 

Das Hineinwachſen in die Weltwirtſchaft machte Deutſchland zu einem In⸗ 
duſtrieſtaat. Die Induſtrie und damit zuſammen der Handel und alle arbeits⸗ 
teiligen Berufe, die ihre Exiſtenzgrundlage aus der gewachſenen Stadtwirt⸗ 
ſchaft erhielten, waren ſomit aufgebaut nicht auf der ſchmalen Baſis des deut⸗ 
ſchen Raumes, der deutſchen Landwirtſchaft, ſondern ein erheblicher Teil ihrer 
Baſis — ſowohl als RNohſtoffverſorger als auch als Fertigwarenabnehmer — 
lag außerhalb des deutſchen Raumes. In dem Moment, wo dieſe außerdeutſche 
Baſis nun der Stadtwirtſchaft entzogen, zwangsläufig entzogen wird, iſt das 
bisher unter den Spielregeln der Weltwirtſchaft vorhanden geweſene Gleich- 
gewicht der innerdeutſchen Berufsſchichtung zuſammengebrochen: einer zu 
großen und überſetzten Stadtwirtſchaft ſteht eine zu ſchmale Landwirtſchaft 
gegenüber. Das Verhältnis 70% Landvolk zu 30% Städtern um die Mitte 
des vorigen Jahrhunderts hat ſich inzwiſchen umgekehrt und nur 23% der 
Geſamtbevölkerung entfielen 1925 auf die Land- und Forſtwirtſchaft. Es ift 
klar, daß ein Gleichgewicht — deſſen Vorausſetzungen gefallen ſind — nicht 
künſtlich konſerviert werden kann; daß vielmehr das Leben eine neue ſtabile 
Gleichgewichtslage erzwingen wird. And dieſe Gleichgewichtslage läuft in der 
Richtung entweder einer Schrumpfung der Stadtwirtſchaft auf das für die 
Landwirtſchaft tragbare Maß, oder einer Erweiterung der Landwirtſchafts⸗ 
baſis in einem ſolchen Maße, daß der bisherige ſtädtiſche Aufbau für ſie trag⸗ 
bar wird; oder — der wahrſcheinlichſte Fall — beide Tendenzen wirken gleich⸗ 
zeitig in der Richtung der Erzielung einer neuen tragbaren und ſtabilen 
Gleichgewichtslage. 

Nur wenn man ſich über dieſe Konſequenzen im klaren iſt, verſteht man den 
Wirtſchaftszuſammenbruch in Deutſchland und erkennt, daß es ſich hierbei um 
eine innerdeutſche Angelegenheit handelt, die zu ordnen Sache der eigenen 
Kraft iſt und nicht Sache einer Weltwirtſchaftsankurbelung. Man begreift 
dann erſt, nicht nur wie nutzlos die ganze Exportankurbelung, ſondern wie 
verbrecheriſch eine ſolche Wirtſchaftspolitik in bezug auf die deutſche Zukunft 
iſt. Die Zukunft des deutſchen Volkes wurde jahrelang in die Hände einer 
Geldſackklique geſpielt, die ohne Inſtinkt für völkiſche Belange, aber mit deſto 
größerem Inſtinkt für eigenes Geldverdienen es fertigbrachte, ſelbſt die boden⸗ 


Der Zusammenbruch der unvölkischen Wirtschaftsstruktur 569 


ſtändige deutſche Induſtrie, den bodenſtändigen Handel gegen deren ureigenſtes 
Lebensgeſetz in feine Gefolgſchaft zu zwingen, um im Namen der Geſamt⸗ 
induſtrie und des Geſamtvolkes „von hoher Warte“ in die deutſche Wirt⸗ 
ſchaftspolitik beſtimmend einzugreifen. 

Erſt unter dem Kennwort: Schrumpfung der Stadtwirtſchaft, wird man die 
Arſachen der Arbeitsloſigkeit, die Stillegung von Betrieben richtig verſtehen. 
Dabei ſei hervorgehoben, daß das ſtarre Feſthalten an einer falſchen Wirt⸗ 
ſchaftspolitik den Binnenmarkt ſo zerrüttete, daß die bodenſtändige Induſtrie 
auf Koſten der Erhaltung eines nicht tragfähigen Exportes mehr und mehr zum 
Erliegen gebracht wurde. Es ſeien hier einige Auszüge einer Denkſchrift des 
Abwehrausſchuſſes gegen die Stillegung der Zeche Sachfen in Heeſſen i. W. 
angeführt, die ſchlaglichtartig dieſe Lage beleuchten: 


Entwicklung der Kohlenförderung und Leiſtung auf der Gewerkſchaft Sachſen: 


Jahr ä Borderung ae A gl 
1915 600 50 000 — 

1920 2332 379 000 — 

1923 3670 590 000 0,634 t 
1925 2063 540 000 1,009 t 
1930 2001 608 000 1,274 t 
1932 vorausſichtl. 1616 590 000 1,557 t 


Hierzu ſchreibt der Abwehrausſchuß: „Der bisher vor der Offentlichkeit 
gebrauchte Vorwand der Unrentabilität ift nicht haltbar. Die obige Aufftellung 
zeigt, daß die Kurve der Belegſchaft bedeutend gefallen, während die Leiſtungs⸗ 
kurve erheblich geſtiegen iſt. Eine weitere Beſſerung kann ſicher erwartet wer⸗ 
den, da erft in jüngſter Zeit nach modernen Abbaumethoden gearbeitet wird... 
Die Rentabilität der Betriebe wird ſich bei einer geringen Steigerung des 
Amſatzes beſſern ... die Leiſtung befindet ſich in ſteter Aufwärtsentwicklung 
und wird im Monat Dezember 1,6 t betragen.“ 

Die Tabelle zeigt die unter der Rationalifierung fallende Belegſchaftszahl, 
die 1932 auf 44% derjenigen von 1923 abfſinkt; die Geſamtſörderung aber 
bleibt in beiden Jahren genau dieſelbe, weil der rationaliſierte Betrieb die 
Leiſtung je Mann und Schicht faſt verdreifachte. Hier kennzeichnet ſich der 
Widerfinn der privatkapitaliſtiſchen Rationalifierung, die Leute ausſpart, ohne 
volkswirtſchaftliche Verwendung für die ausgeſparten Kräfte zu haben; ein 
Widerfinn, den ich bereits vor 1144 Jahren in den Worten zuſammenfaßte: 
„Man braucht Millionen von Verbrauchern, aber nur Tauſende von Erzeu⸗ 
gern.“) And es iſt eine beſondere Tragik, daß dem Abwehrausſchuß, für den 


3) Deutſcher Bauer erwache, Die Agrarkriſe, ihre Arſachen und Folgerungen, 
Deutſcher Volksverlag, München. 


570 Herbert Backe 


u. a. der Vorſitzende des Betriebs⸗ bzw. Angeſtelltenrats zeichnet, wie die 
Ausführungen zeigen, ſelbſt heute nicht bewußt iſt, daß gerade die geſtiegene 
Leiſtungskurve den Abſatz abdroſſeln mußte, wenn den durch die Umitellung 
eingeſparten Arbeitern kein neues Arbeitsfeld erſchloſſen würde; daß dieſe 
Rationalifierung gar keinen Sinn hatte, wenn ihr Erfolg in der Minderung 
der Kaufkraft, der Verengung des Abſatzes um die entlaſſenen Arbeiter ſich 
ausdrückte. Welche Rolle ſpielte wohl hierbei die jahrelange Nationaliſierungs⸗ 
Parole der Gewerkſchaften?! Der Abwehrausſchuß glaubt umgekehrt gerade 
in der Leiſtungsſteigerung den Grund zur Erhaltung der Zeche ſehen zu dürfen 
und begibt ſich damit auf das Feld der Konkurrenz gegen verwandte deutſche 
Betriebe: Arbeitsſtelle wird gegen Arbeitsſtelle ausgeſpielt, die Exiſtenz eines 
Arbeiters gegen ſeinen deutſchen Kameraden im Nachbarbetrieb. Wir begeg⸗ 
nen hier den gleichen Parolen unter dem Stichwort „Selbſthilfe“, die uns 
Bauern ein Jahrzehnt von unſeren liberalen Führern vorgeſchwatzt wurden: 
„Dienſt am Kunden“, „Markenware“, „beſſere Aufmachung und Verpackung“; 
als wenn mit Markenkartoffeln, Markenbutter uſw. das Abſatzproblem der 
deutſchen Landwirtſchaft volkswirtſchaftlich gelöſt werden konnte; gelöſt wird 
nur das privatkapitaliſtiſche Abſatzproblem für einige Wenige, die Marken⸗ 
artikel verkaufen auf Koſten des Abſatzes all derjenigen, die hierzu nicht oder 
noch nicht in der Lage find. 

Das Ausſparen von Arbeitskräften aber in Verfolg der Rationaliſierung 
mußte und wurde begleitet von einer ſtarken Kapitalinveſtierung zur Her⸗ 
ſtellung der arbeitsſparenden Anlagen, Maſchinen uſw. Das im Ausland 
hierzu gepumpte Geld erzeugte eine Konjunktur inſofern, als es die Gebrauchs⸗ 
güterinduſtrie „ankurbelte“, in der ein Teil der entlaſſenen Arbeiter zunächſt 
und nur ſolange neue Beſchäftigung fand, als der Umbau dauerte und das 
Geld reichte. Der Abwehrausſchuß der Gewerkſchaft Sachſen beſchreibt dieſen 
Vorgang — wiederum ohne den Sinn zu erkennen — wie folgt: „Die An⸗ 
lagen der Zeche Sachſen ſind von vielen Fachſchulen beſucht, in eng⸗ 
liſchen Fachblättern und in einer Syndikatswerbeſchrift als Mufter- 
anlagen abgebildet und beſchrieben worden. Die ausländiſchen Gee 
ſucher des Ruhrgebietes werden ſehr gerne zur Zeche Sachſen geführt. Der 
amerikaniſche Journaliſt Knickerbocker bewundert die deutſchen Induſtrie⸗ 
anlagen und ſagt, daß wir durch ſie einen gewaltigen Vorſprung gegenüber 
der Induſtrie anderer Länder hätten ... Die Kohlenwäſche der Zeche, die 
größte Europas, wurde 1924 in Betrieb genommen und iſt auf eine Stunden- 
leiſtung von 2mal 220 t eingerichtet. Die moderne Kokerei (70 Groß⸗Kammer⸗ 
öfen), die Nebengewinnungsanlagen für Ammoniak, Benzol und Teer wurden 
im Jahre 1925 erbaut. Im Anſchluß daran errichtete man noch die Werkſtätten⸗ 
gebäude, muſtergültige Waſchkauen, das Magazin und Betriebsbüros (1929). 
Der Kokslöſchturm wurde immer als beſonderes Wunderwerk 


Der Zusammenbruch der unvölkischen Wirtschaftsstruktur 571 


gezeigt. Der ganze Betrieb ift fo großzügig angelegt, daß er 
für eine Belegſchaft von 5000 Mann ausreicht.“ 

Welche Welt von Optimismus und Inſtinktloſigkeit gegenüber wirtſchaft⸗ 
lichen Vorgängen liegt in den Inveſtierungen von 1924 bis 1929, in der An⸗ 
lage eines großzügigen Wunderwerks, das für 5000 Mann Belegſchaft erbaut 
wurde, 1932 nur noch 1600 Mann beſchäftigte und 1933 ſeine Pforten aus 
Abſatzmangel ſchließen ſollte. In der amtlichen Sprache heißt es dann: eine 
Scheinkonjunktur hat zu Fehlinveſtierungen geführt. 

Was will es beſagen, daß der preußiſche Landtag dem Stillegungsantrag 
der Zeche Sachſen nicht ſtattgegeben hat, wenn der Konzern nunmehr ſtatt⸗ 
deſſen die Zeche Neumühl ſtillegen will, womit der Stadtteil Neumühl von 
Duisburg ⸗Hamborn feine Erwerbsloſenzahl von 48% der Geſamtbevölkerung 
auf 73% ſteigern würde. Es dreht ſich ja darum, daß die liberale Wirtſchafts⸗ 
theorie am Ende iſt und Millionen von Arbeitern, die ſich durch ihre liberalen 
Marxiſtenführer dem Glauben an „Internationale“, an „Weltwirtſchaft“ und 
„Weltſolidarität“, an die „Rückſtändigkeit“ völkiſcher Weltanſchauung hin⸗ 
gaben, heute die Opfer dieſer „internationalen Entwicklung“ geworden ſind. 
Nur ein völkiſcher Staat, der das Schwergewicht nicht auf 
Sachen, ſondern auf den deutſchen Menſchen, die deutſche Fa⸗ 
milie legt, beſitzt die Vorausſetzung und den Willen, die⸗ 
ſer Tragik des deutſchen Arbeiters zu ſteuern, indem er aus 
Erkenntnis der Gleichgewichtslage, zu der wir ſtreben müſſen, die praktiſchen 
Maßnahmen ſchöpft, um die Spannungen der Abergangszeit aufzufangen, ſie 
in das richtige Bett zu leiten. 

Der Liberalismus hat die einzelnen Wirtſchaftszweige der deutſchen Volks⸗ 
wirtſchaft aus ihrer gegenſeitigen Bindung herausgelöſt, die Stadtwirtſchaft 
überſchätzt und aus dieſer Aberſchätzung fie über das ihr zukommende Maß 
hinaus unter Einbeziehung des Weltmarktes ausgedehnt; die Landwirtſchaft, 
als Grundlage der Volkswirtſchaft, aber verkümmern laſſen. Die Notwendig⸗ 
keit eines harmoniſchen Gleichgewichts zwiſchen den einzelnen Wirtſchafts⸗ 
zweigen einer Volkswirtſchaft fordert den Vergleich mit einer Bauernwirt⸗ 
ſchaft heraus: 

Auch hier beſteht der Betrieb aus einer Reihe verſchiedener Wirtſchafts⸗ 
zweige: Milchwirtſchaft, Schweinehaltung, Getreidebau, Hackfruchtbau uſw., 
die in einem organiſchen Verhältnis zueinanderſtehen müſſen, um den Erſolg 
des Geſamtbetriebes zu gewährleiſten. Wie hier Dienſt am Bauerngeſchlecht 
in Gegenwart und Zukunft der Zweck der Wirtſchaft iſt, ſo dort Dienſt an der 
Geſamtheit des Volkes, Gewährleiſtung ſeiner materiellen Grundlage in 
Gegenwart und Zukunft. Wenn ich nun als Bauer in meinem Betrieb eine 
doppelte Buchführung einführen würde, um jeden Wirtſchaftszweig geſondert 
als Selbſtzweck unter Gut⸗ und Laſtſchrift aller, auch der nichtmarktfähigen 


Agrarpolitik Heft 8, Bg. 2 


572 Herbert Backe 


Erzeugniſſe zu behandeln, fo wäre es ein leichtes — ſelbſt im heutigen Augen⸗ 
blick der Agrarkriſe — einen der Wirtſchaftszweige durch entſprechende Ver⸗ 
buchung auf Koſten der anderen „rentabel“ zu geſtalten. So könnte ich bei⸗ 
ſpielsweiſe meine Milchwirtſchaft ſofort zu einem privatkapitaliſtiſch lukrativen 
Betrieb geftalten, wenn ich die „Nahrungsmittel“ (in dieſem Falle: Runfeln, 
Heu, Stroh, Getreideſchrot) zugunſten des Kuhſtalls und zuungunſten der 
Ackerbauzweige ganz niedrig bewerte, die „Fertigwaren“ (in dieſem Falle die 
an die anderen Viehhaltungen abzugebende Milch und Molklereiabfälle, der 
für den Acker anfallende Stalldung) aber ſehr hoch zugunſten des Kuhſtalles 
und zu Laſten jener Zweige einſetze. Es dürfte dann „buchmäßig“ nicht ſchwer⸗ 
fallen, eine hohe Rente der Milchwirtſchaft auf Koſten der anderen verküm⸗ 
merten Betriebszweige zu erreichen. And der Herr Generaldirektor meines 
Kuhſtalles (mein Oberſchweizer) und ſein Aufſichtsrat (meine Antermelker) 
würden im Bruſtton der Aberzeugung mir die Wichtigkeit der Milchwirtſchaft 
vorhalten. Sie würden mir vortragen, daß nur die Aberſchüſſe, die der Kuhſtall 
dank ihrer Tüchtigkeit abwirft, überhaupt den ganzen Laden noch lebensfähig 
erhalten. Sie werden tief beklagen, daß die Zuſchüſſe der anderen Betriebs⸗ 
zweige, infolge ihrer „Rückſtändigkeit“ und „Unfähigkeit“ leider die Where 
ſchüſſe des Kuhſtalls zu Stützungsaktionen verſchwenden; ja, daß dieſe „Agrar⸗ 
hilfe“ ſogar mehr verſchlingt als die „Veredlungswirtſchaft“ herauswirtſchaf⸗ 
ten kann. Sie werden mich daher zu beeinfluſſen fuchen, den unrentablen Acker⸗ 
betrieb uſw. völlig aufzugeben, da ja die Nahrungsmittel viel billiger beim 
Nachbarn, der gerade zwangsverſteigert wird (Weltmarkt), gekauft werden 
können. Sie werden weiterhin darauf hinweiſen, daß der rückſtändige Ackerbau 
auch ſteuerlich nichts leiſtet, da er ja keinen Amſatz und Einkommen hat und 
folglich nur zu den lumpigen Realſteuern herangezogen wird, während der 
zum Hauptzweig gewordene Kuhſtall am meiſten Fertigwaren auf den Markt 
brächte (Export), ein großes Einkommen aufweiſe und daher faſt die geſamte 
Steuerlaſt aus Amſatz und Einkommen zu tragen habe. Der Generaldirektor 
und Aufſichtsrat (mit welcher Bezeichnung dem ehrbaren Beruf der Schweizer 
nicht zunahegetreten werden ſoll) werden weiter geltend machen, daß eine 
prosperity des Geſamtbetriebes (der Geſamtvolkswirtſchaft) — wie buchmäßig 
und ſteuermäßig nachweisbar — nur durch eine weitere Vergrößerung der 
Milchwirtſchaft gewährleiſtet ſei und daher eine dringende Notwendigkeit 
weiteren Ausbaues und weiterer Inveſtierungen für den Kuhſtall, auf dem 
Wege des Kredits ſelbſtverſtändlich, beſtehe. And wenn ich dann, unter dem 
Einfluß dieſer durch beſte „Sachkenntnis“ und „exakten ſtatiſtiſchen Nachweis“ 
geſtützten Ausführungen, mich entſchließen würde, die Milchwirtſchaft noch 
weiter auszubauen, ſo daß ihr gegenüber die anderen Zweige nur noch als 
unweſentliche und läſtige Anhängſel erſcheinen; wenn dann in Verſolg einer 
ſolchen Steigerung der Milcherzeugung die Molkerei (der Außenmarkt) wegen 


Der Zusammenbruch der unvölkischen Wirtschaftsstruktur 573 


Abſatzſchwierigkeiten den Preis herabſetzt, fo wird mein Generaldirektor mir 
den Rat geben, bei der Verbuchung den Preisausfall aus der Molkereimilch 
durch weitere Aufſchläge auf Magermilch, Molke, Stalldünger uſw. und durch 
noch niedrigere Bewertung der Nahrungsmittel des Ackerbaus auszugleichen. 
And wenn dann zum Schluß die Molkerei nur noch die Hälfte Milch abneh⸗ 
men kann, weil der Abſatz fehlt, und nun zwangsweiſe eine Schrumpfung 
meines Kuhſtalls erfolgen muß, dann werden Generaldirektor und Aufſichtsrat 
an mein Sozialgefühl appellieren, auf die zu entlaſſenden Anterſchweizer hin⸗ 
weifen (die früher einmal in meinen Ackerbaubetriebszweigen ihr Brot vere 
dienten und Käufer meiner Milch waren) und nun im Intereſſe der „breiten 
Maſſen der Bevölkerung“ eine Ankurbelung des Kuhſtalls fordern. And am 
Schluß ſteht die Pleite des Betriebes, trotz „Blüte der Milchwirtſchaft“. Der 
Treuhänder aber (Konjunkturinſtitut) ſtellt ſalomoniſch feſt: es war nur eine 
Scheinblüte, von der ſich der Inhaber hat täuſchen laſſen; ſeine Inveſtierungen 
waren Fehlinveſtierungen. 

Meine Herren Generaldirektoren der Banken, Induftrie und des Handels 
nebft Syndici und fonftigen ſachverſtändigen Trabanten, find Sie ſich denn 
wirklich nicht bewußt, welch ein Schindluder Sie mit dem deutſchen Volke 
treiben? 

Dieſen liberalen Verdienſtintereſſenten reiht ſich würdig und ebenbürtig der 
national-fein-wollende „liberale Landwirt“ an und leiſtet die nötigen Sekun⸗ 
dantendienſte. So ſchreibt Reichsminifter a. D. Schlange ⸗Schöningen in ſei⸗ 
nem neuſten Werk „Acker und Arbeit“: „Es gibt überhaupt keinen Berufsſtand 
in Deutſchland, der die Autarkie ſo ſcharf ablehnen müßte und der ein ſolches 
Intereſſe an einem gefunden Induſtrieexport hat, wie die Landwirtſchaft .. In 
dem Augenblick, wo die Agrarproduktion Deutſchlands den Inlandsbedarf 
deckt, wird die Frage einfach eine Abfatzfrage und damit das Problem der 
ſechs Millionen Arbeitsloſen. Die wieder zum großen Teil in den Produk⸗ 
tionsprozeß einzuſchalten, die wieder kaufkräftig für höher qualifizierte Lebens⸗ 
mittel, für Fleiſch und Brot und Butter zu machen, das iſt das Problem des 
Bauern geworden, und zur Löſung dieſes Problems wird ein ſtarker Wieder⸗ 
aufbau des Exports ſehr viel mehr beitragen als eine Autarkie, die den Indu⸗ 
ſtrieexport ſo gut wie gänzlich unterbinden müßte.“ 

Wenn man ſich daran erinnert, daß Schlange⸗Schöningen noch vor kurzem 
die Parole gegen Einſeitigkeit der Betriebsorganiſation und für breite La⸗ 
gerung des Betriebes ausgab — nicht weil dieſes eine organiſche Notwendig⸗ 
keit einer jeden Wirtſchaft iſt, ſondern mit dem Ziele „konjunkturbereit“ zu 
ſein, dann iſt es klar, warum er hier für Exportinduſtrie eintritt: er erwartet 
hiervon den Konjunkturauftrieb, der ſeiner „konjunkturbereiten“ Wirtſchaft die 
liberale Verdienſtchance geben ſoll. Es iſt kennzeichnend, daß Schlange⸗ 
Schöningen einſt dem rechten Flügel der Deutſchnationalen Partei angehörte; 


2 


574 H. Backe, Zusammenbruch der unvölkischen Wirtschaftsstruktur 


folange eben ein „nationaler Landwirt“ fic) zur völkiſchen Weltanſchauung 
nicht durchringt, anerkennt er den Liberalismus und bleibt verhaftet den libe⸗ 
ralen Spielregeln, die die Exiſtenzfähigkeit eines Betriebes nur in der Waren⸗ 
erzeugung für den Markt ſehen können. And weil der Marktabſatz das Weſent⸗ 
lichſte für den Liberaliſten iſt, deshalb ſtrebt er folgerichtig danach, dieſen 
Markt zu erhalten und zu erweitern. And da dieſe Erhaltung der Stadtwirt⸗ 
ſchaft im bisherigen liberalen Amfang nur möglich iſt, wenn die Weltwirtſchaft 
beſtehen bleibt, ſo verlangt Schlange⸗Schöningen dieſe Weltwirtſchaft, ver⸗ 
langt den Induſtrieexport. Schlange⸗Schöningen ſteht auf gegen das Autarfie- 
ſtreben der Völker. Man kann beruhigt dieſem Kampf zuſehen. 

Das Sterben des Libetalismus mußte auch ſeine Lebensformen, hier ins⸗ 
beſondere die Weltwirtſchaft, in dieſes Sterben hineinziehen. Die Zertrüm⸗ 
merung der Weltwirtſchaft ijt ein organiſcher Prozeß, zutiefft aus völkiſchem 
Inſtinkt und Empfinden heraus geboren. In Deutſchland entſteht hierdurch 
die Kriſe der Berufsſchichtung, da letztere auf den nicht mehr vorhandenen 
Vorausſetzungen des Weltmarktes und der Weltwirtſchaft beruht. Hier liegt 
der weſentlichſte Grund unſeres Wirtſchaftszuſammenbruchs, insbeſondere 
derjenige der Landwirtſchaft. 

Wird die bereits angedeutete Löſung — die Schaffung des organiſchen 
Gleichgewichts zwiſchen Stadt⸗ und Landwirtſchaft — nicht in Angriff ge⸗ 
nommen, fo bedeutet das die Verſchärfung der Spannung, es bedeutet, daß 
man künſtliche Dämme innerhalb der Berufsſchichtung immer höher aufwirft, 
ohne jedoch die drohenden Fluten bannen zu können. Man denke doch einmal 
an die Zehntauſende von Akademikern und Studenten, die heute zurückblickend 
auf die Koſten ihrer Berufsausbildung, ihres Studiums, feſtſtellen müſſen: es 
war eine Fehlinveſtierung. Wieviel Millionen Menſchen ſtehen heute unter 
dieſem Gefühl! Nur die grundſätzliche Erkenntnis dieſer Wurzeln unſerer Not 
kann die Nöte des deutſchen Volkes beheben. Dieſe Erkenntnis ſetzt die An⸗ 
erkennung der völkiſchen Weltanſchauung voraus. Hier liegt der Sinn des 
Kampfes der NSDAP um die Seele des deutſchen Menſchen. Eine ſpätere 
Zeit wird das beſſer erkennen als die heutigen Liberaliſten, die nur in Zahlen 
denken können und daher das Weſen unſerer „Wahlkämpfe“ gar nicht erſaſſen 
können. 

Die Totallöſung des Problems iſt eine außenpoltiſche Aufgabe: Schaffung 
von neuem Raum im Oſten. Seit dem Tode Friedrichs des Großen glaubten 
Die deutſchen Führer fic) um dieſe Frage herumdrücken zu können; der Liberalis⸗ 
mus mit feiner falſchen Parole der „friedlichen Durchdringung“ hat ſchließlich 
das Geſühl für die eiſerne Notwendigkeit der Löſung dieſer Aufgabe im Volke 
völlig ertötet. Heute ſteht ſie wieder rieſengroß auf. And ſie muß gelöſt wer⸗ 
den, wenn das deutſche Volk beſtehen bleiben will. 


Walter Granzow, Siedlung in Mecklenburg-Schwerin 575 


Daß die Löfung der Oſtraumfrage nicht von heute auf morgen erfolgt, ijt 
ſicher. Ebenſo ſicher aber iſt, daß ſie nur erfolgen kann, wenn eine völkiſche 
Regierung ſie als Ziel aufſtellt und die Kräfte frei macht, die zur Löſung not⸗ 
wendig find. Ferner iſt ebenſo ſicher, daß nur eine ſolche Zielſetzung einer Ree 
gierung die Möglichkeit gibt, jene Wege einer ſchrittweiſen Geſundung des 
Volkes zu gehen, die in der Nichtung dieſes Zieles liegen. Es ſei hier nur auf 
die Bedeutung der Siedlung hingewieſen. Sicher iſt ſchließlich, daß, ganz 
gleich, wie ſchwer auch die Wirtſchaftsnöte des Volkes ſein mögen, dieſe Nöte 
nur durch eine Regierung überwunden werden können, die das Geſamtvolk zu 
einer Aufgabe zuſammenfaßt, mit dem liberalen Intereſſenausſpielen eines 
Standes gegen den anderen, eines Menſchen gegen den andern radikal bricht 
und damit auch das ſittliche Recht erwirbt, Opfer — und wenn fie noch fo 
ſchwer ſind — vom Einzelnen für die Geſamtheit und für die Zukunft der Ge⸗ 
ſamtheit zu verlangen. 


Walter Granzow: 
Siedlung in Mecklenburg⸗Schwerin 


Zur Begründung der von mir alsbald nach der Abernahme der Regierung 
eingeleiteten und geförderten Maßnahmen auf dem Gebiete der Siedlung muß 
vorausgeſchickt werden, daß der 13 162 qkm große Freiſtaat Mecklenburg⸗ 
Schwerin nur rd. 700 000 Menſchen beherbergt. Zum Vergleich ſei erwähnt, 
daß der nur 2000 qkm größere Freiſtaat Sachſen die fiebenfache Einwohner⸗ 
zahl aufweiſt. 

Seit dem Beſtehen des Freiſtaates find zwar 57 000 ha Land nach den bis⸗ 
herigen Methoden des Reichsſiedlungsgefetzes durch Siedlungsgeſellſchaften, 
Genoſſenſchaften und private Unternehmer aufgeteilt werden. Trotzdem nimmt 
der Großgrundbeſitz noch mehr als die Hälfte der Geſamtfläche des Landes ein. 
Der Staat allein verſügt noch über 89 000 ha Domänen und 150 000 ha mehr 
oder minder erſtklaſſiger Gorften. 

Durch eine ſinnvolle Siedlungspolitik der Landesfürſten wurden in dem 
ihnen früher eigentümlich gehörigen Domanium (rund 5600 qkm groß) ſeit 
Jahrhunderten Bauern angeſetzt. In dem etwa 6000 qkm großen früheren 
ritterſchaftlichen Gebiet iſt dieſe Siedlungspolitik ohne Erfolg geblieben, da 
es den Landesherrn nicht möglich war, die Widerſtände der Ritterſchaft zu 
überwinden. Die Beſiedlung des Landes hat daher mit der Bevölkerungs⸗ 
zunahme nicht Schritt halten können. In der Vorkriegszeit mußten jährlich 
3000 Mecklenburger außerhalb des Landes ihr Fortkommen ſuchen. 


576 Walter Granzow 


So haben wir das Bild, daß in der an Großbetrieben armen fog. Heide- 
gegend im Süden und Südweſten des Landes ein Bauerndorf an das andere 
fic reiht, während im Often des Landes wir faſt einen ganzen Tag ununter- 
brochen wandern können, ohne ein einziges Dorf zu finden. Hier ſehen wir nur 
landwirtſchaftliche Großbetriebe. 

Auffallend iſt beſonders die große Zahl der landwirtſchaftlichen Klein⸗ 
betriebe im Süden und Südweſten des Landes. Viele dieſer kleinen landwirt⸗ 
ſchaftlichen Beſitzungen erreichen nicht die Größe von einem Hektar. Die 
Eigentümer ſolcher Landſtellen heißen Häusler. Sie waren bis zum Nieder⸗ 

ang der Wirtſchaft im Straßenbau, in der Schiffahrt, bei der Eiſenbahn, in 
Fabriken oder anderen Gewerbebetrieben in den außerhalb des Landes gele⸗ 
genen Großſtädten tätig. 

Infolge des beſtehenden Bodenrechtes und des darauf begründeten Ober- 
eigentums des Staates wurde bei der Vergrößerung ſolcher Stellen ein Zukauf 
kleiner Parzellen nicht geſtattet, ſondern vielmehr die Erweiterung der Häus⸗ 
lerei zu einem ſelbſtändigen landwirtſchaftlichen Betrieb in Größe von etwa 
8 ha (Büdnerei) gefordert. Für einen ſolchen Zukauf von 7 ha bot ſich aber 
ſelten die Gelegenheit, weil etwa freiwerdende Ackerſtücke im Wege des Meift- 
gebotes ſehr teuer verkauft wurden. Dieſe Verhältniſſe waren auch die Arſache, 
daß manche Inhaber von Bauernhöfen des müheloſen geldlichen Gewinnes 
wegen ihre Stellen aufteilten oder ihre Ländereien verpachteten. Dabei find 
ſelbſt auf Sandböden Pachtpreiſe von 70 RM. für den 4 ha noch in den letz⸗ 
ten Jahren gezahlt worden. 

Dieſen völlig unbegründeten Preisſteigerungen durch künſtliche Verknappung 
des Ackerlandes mußte die Regierung ſofort durch Bereitſtellung von Acker und 
Grünland entgegenwirken. Es wurde daher angeordnet, daß in ſämtlichen Ge⸗ 
meinden des Landes der Bedarf der Häusler und Siedler an Acker und Grün⸗ 
land feſtgeſtellt wurde. Dabei wurde als Norm eines ſelbſtändigen Betriebes 
für guten Boden etwa 12,5 ha, für geringeren Boden etwa 15 ha feſtgelegt. 

Der Verkauf der vom Staat bereitzuſtellenden Ländereien geſchieht unter 
günſtigen Zahlungsbedingungen, damit es dem Käufer möglich iſt, den für den 
vergrößerten Betrieb notwendigen Mehrbedarf an totem und lebendem In⸗ 
ventar gegen Barzahlung anzuſchaffen. In den weitaus meiſten Fällen wird 
auch der Anbau einer Scheune oder die Vergrößerung eines Stalles durch die 
Landzuteilung erſorderlich. Somit werden durch dieſe Anliegerſiedlung mittel- 
bar dem Baugewerbe Aufträge zugeführt. Wenn ein Häusler oder Büdner 
nicht in der Lage iſt, die geforderte Anzahlung von etwa 25% des Kaufpreiſes 
zu leiſten, wird ihm die zur Vergrößerung ſeiner Stelle benötigte Fläche mit 
Kaufanwartſchaft verpachtet. Dieſe Pacht mit Kaufanwartſchaft iſt nur ein 
Notbehelf. Sie ſoll dazu dienen, dem Kleinbetrieb das notwendige Land zu 
ſichern und ihm die Möglichkeit geben, die für die ſpäter zu leiſtende Anzahlung 
benötigten Geldbeträge anzuſparen. 

In allen beteiligten Behörden hat ſich eine emfige Arbeit für die Abtrennung 
von Zuwachsflächen aus Staatsbeſitz entwickelt. Soweit beſtehende Pacht⸗ 
verträge über Staatsdomänen der Abnahme von Flächen entgegenſtehen, ſind 
Verhandlungen mit dem Pächter zuerſt zu erledigen. Nachdem dieſe Schwierig- 
keiten behoben ſind, entwickelt ſich zunächſt ein reger Meinungsaustauſch 
zwiſchen den verſchiedenen Wünſchen der Landbewerber. Oft iſt es dem Re- 
gierungsvertreter nur unter ſchweren Mühen möglich, alle Wünſche auf einer 


Siedlung in Mecklenburg-Schwerin | 577 


Linie zu einigen und die Aufteilungspläne für die in ſehr großer Zahl interef- 
ſierten Wirtſchaften feſtzulegen. 

Die Einſchaltung der Fachberater des agrarpolitiſchen Apparates der 
NSDAP brachte bei dieſen Verhandlungen große Erleichterung. Die Mit 
wirkung geſchah in der Weiſe, daß der Staatskommiſſar für Siedlung die 
Fachberater mit ſeiner Vertretung bei den Verhandlungen beauftragte. 

So konnten bei dieſer für die Allgemeinheit ſo überaus wichtigen Maß⸗ 
nahme die oberſten Grundſätze des Nationalſozialismus praktiſch zur Geltung 
kommen. Während der Fachberater ſeine Kenntniſſe und ſeine Arbeit unent⸗ 
geltlich zur Verfügung ſtellte, konnte er unzufriedene ſelbſtſüchtige Antragſteller 
darauf hinweiſen, daß Gemeinnutz vor Eigennutz ſteht. Er erleichterte auf dieſe 
Weiſe den Behörden den Abſchluß der Verhandlungen. 

In einzelnen Gallen iſt ausreichender Staatsbeſitz für den Landbedarf der 
Dörfer nicht vorhanden. In richtiger Erkenntnis nationalſozialiſtiſcher Pflich⸗ 
ten fanden ſich bereits hier und da Hofbeſitzer, die bereit waren, in dem weniger 
bevölkerten öſtlichen Teil des Landes ein Reſtgut oder eine größere Siedler⸗ 
ſtelle zu übernehmen, um ihren Hof für das Landbedürfnis der Gemeinde zur 
Verfügung zu ſtellen. 

Ich habe in dieſen wenigen Monaten bereits feſtſtellen müſſen, daß ohne den 
agrarpolitiſchen Apparat und ſeine Arbeit im Dorfe die Durchführung dieſer 
ſo dringend nötigen und ſtaatspolitiſch wertvollen Aufgabe nicht möglich ge⸗ 
weſen wäre. 

Die widerſtrebenden ſelbſtſüchtigen Anſchauungen bei einigen Großgrund⸗ 
befitzern ſteigerten ſich guerft durch eine von der Preſſe der gegneriſchen Par⸗ 
teien mit großem Eifer geführte Propaganda ſoweit, daß man dieſe Maß⸗ 
nahme als völlig unwirtſchaftlich und bolſchewiſtiſch bezeichnete. Durch ſach⸗ 
liche Aufklärung der Regierung und unter Mitwirkung der Befürworter dieſer 
Entſchlüſſe iſt die Gegnerſchaſt nahezu überwunden, und die Verhandlungen 
wickeln ſich bereits leichter ab. 

Somit iſt die Möglichkeit geboten, daß im Laufe der nächſten Monate eine 
Fläche von etwa 13 000 ha nach den Beſtimmungen des Reichsſiedlungs⸗ 
geſetzes auf dem Wege der Anliegerſiedlung zur Vervollſtändigung der 
Zwergbetriebe und zur Befriedigung der bereits vorliegenden 5000 Anträge 
verteilt werden. 

Durch dieſe WAnliegerfiedlung finden auch die in der Fremde arbeitslos ge⸗ 
wordenen erwachſenen Kinder in der väterlichen Wirtſchaft volle Beſchäf⸗ 
tigung. Die Familie kann in gemeinſamer Arbeit das neu erworbene Land zur 
höchſten Ertragsfähigkeit bringen. 

Hand in Hand mit dieſer Anliegerſiedlung geht die Neuſiedlung. Geplant 
iſt die Schaffung von etwa 2000 Neuſiedlerſtellen im Laufe dieſes Jahres. 

Es erſcheint mir dazu ſelbſtverſtändlich, daß die Reichsregierung die Lage 
der geſamten Landwirtſchaft durch Kontingentierung der überflüſſigen Einfuhr 
beſſert. Gleichzeitig muß der Siedlungsunternehmer die Möglichkeit finden, 
die Abgabekoſten einer Siedlerſtelle weiter zu ſenken. Manches iſt in dieſer 
Hinſicht ſchon erreicht worden. Eine 15 ha große Büdnerei, die 1928 durch 
einen zu großen Aufwand für Haus und Stall noch 34000 RM. koſtete, iſt 
heute bei gleichen Bodenverhältniſſen für etwa 17 000 RM. verkäuflich. 


28 Barrister 


Durch energiſche Förderung der Anliegerſiedlung und rege Verſtärkung der 
Neuſiedlung verſucht der mecklenburgiſche Staat, die wirtſchaftliche Lage der 
landwirtſchaftlichen Kleinbetriebe zu beſſern und Heim und Raum zu ſchaffen 
für weitere Menſchen, um ſo zu ſeinem Teile dazu beizutragen, die Not im 
Vaterland zu mildern. 


Barriſter: 
Weltwirtſchaftskriſe — eine Raffenfrage 


Der „britiſche“ Staatsmann Disraeli hat das Wort geprägt: die 

ae i iſt der Schlüſſel zur Weltgeſchichte. Leider iſt der nordiſchen 

Raſſe das Verſtändnis für die Richtigkeit des Disraeliſchen Wortes erſt 
aufgegangen, als es ſchon faſt zu ſpät war. 

Es iſt das Verdienſt Hans F. K. Günthers, den Begriff der Naſſe 
einem großen Kreiſe Deutſcher nahegebracht zu haben. Weiter iſt es das Ver⸗ 
dienſt R. Walther Darré' s, zum erſten Male in unanfechtbarer Weiſe 
gezeigt zu haben, welchen Einfluß die raſſenmäßige Bedingtheit auf die Ent⸗ 
wicklung der Völker gehabt hat. Die Darréſche Herausarbeitung und Gegen- 
überſtellung zweier eee ee angelegter Raſſentypen 
iſt tatjächlich für das Verſtändnis des menſchlichen Handelns und der menſch⸗ 
aa: Entwidlung entſcheidend. 

Darré ſtellt dem nomadiſch veranlagten Menſchen den bäuer⸗ 
lich veranlagten gegenüber. Der bäuerlich beſtimmte Menſch iſt der 
Werte ſchaffende, welcher dem Stoff in irgendeiner Gorm ſchöpferiſch 
ſeinen Anterhalt abringt. Am ſichtbarſten als der den Boden beſtellende 
Bauer, aber innerlich in gleicher Weiſe beſtimmt als Handwerker, als Unter- 
nehmer (aber im richtigen Sinne), als Ingenieur und in höchſter Form als 
Erfinder. Daraus in Jahrtauſende alter Kultur der Charakter dieſer Menſchen 
gebildet: harte Kämpſer, hingegeben an die Sache, die ſie erfaßt hat, opfer⸗ 
bereit in der Erkämpfung und Verteidigung ihrer Arbeit, geſchlechtsverbunden 
durch ſtarke Aberlieferung, weit in die Zukunft des Geſchlechts denkend, mit 
klarem Sinn für das Natürliche und Richtige, aber auch mit lebhaft geſtalten⸗ 
der Einbildungskraft; in reinſter Form uns geläufig als Nordiſche Raſſe. 
Der Nomade dagegen abgeſtellt auf Ausbeutung, auf das Ernten, wo er 
nicht geſät hat). Daher ſtets die Luft am Raub, am möglichſt müheloſen 
Gewinn, ohne das Wagnis des entſprechenden perſönlichen Einſatzes. Daher 
geneigt, wo offener Raub nicht möglich, mit Lift und Betrug fein Ziel zu 
erreichen. Keine oder andersgeartete 1 keine geſchlechtsverbundene 
Sorge für die Zukunft. Am kennzeichnendſten kommt der Anterſchied dieſer 


1) Gal. Schickedanz, Sozialparaſitismus im Völkerleben. Lotosverlag. 


Weltwirtschaftskrise — eine Rassenfrage __ 579 


Raffentypen in ihrer Einſtellung dem Wald gegenüber zum Ausdruck. 
Der Nordiſche Menſch nutzt den Wald, aber er hegt ihn zugleich. Der 
nomadiſche Menſch raubt ihn aus und denkt nicht an die Wiederaufforſtung. 
Den Erfolg dieſer mühevollen Arbeit würde er ja nicht mehr ernten. Die von 
nomadiſch beſtimmten Völkern bewohnten Länder haben heute noch keinen 
Wald wieder; und wo nomadiſch angelegte Naſſen die Herrſchaft in die Hand 
nehmen, wie in Sowjet⸗ Rußland, da wird der Wald in rückſichtsloſeſter 
und roheſter Form ausgeraubt. 

Die deutſche Volkswirtſchaft iſt wie das fie tragende Volk zunächſt 
nordiſch beſtimmt geweſen. Sie hat dieſen Charakter auch Jahrhunderte 
hindurch bis in die neuere Zeit gehabt. Erſt die auf die franzöſiſche 
Revolution und ihr Gedankengut folgende Zeit, die wir als zunehmend 
liberal und demokratiſch bezeichnen müſſen, hat langſam und ſtändig den Cha⸗ 
rakter des Deutſchen Volkes und damit auch ſeiner Volkswirtſchaft geändert. 
Die entſetzlich ſeichte Lebensbeobachtung und auffaſſung, die in dem bekannten 
demokratiſchen Glaubensſatz von der Gleichheit all defſen, was 
Menſchenantlitz trägt, zum Ausdruck kommt, iſt der Grund für eine 
wachſende Raſſenverſchlechterung geweſen. Nicht nur, daß raſſenfremde Be⸗ 
ſtandteile im Deutſchen Volk ſich heimiſch einrichten konnten, ſondern darüber 
hinausgehend und viel ſchlimmer in der Wirkung ſetzte eine geiſtige und körper⸗ 
liche Verbaſtardierung ein, die allmählich zu einem erſchreckenden Nie⸗ 
dergang auf allen Gebieten geführt hat. Die nomadiſch eingeſtellten Eindring⸗ 
linge verfubren wie auf allen Gebieten, jo ganz beſonders auf dem der Volks- 
wirtſchaft ihrer Veranlagung gemäß: Sie ſuchten immer wieder den die Werte 
erzeugenden Nordiſchen Menſchen auszubeuten. Mit offenem Raub war 
das anfänglich nicht möglich. Begreiflich daher, daß der dem Nomaden 
auch von Geburt her im Blute liegende Weg des Betruges, der heim⸗ 
lichen, liſtigen Abervorteilung gewählt wurde. Erleichternd wirkte dieſem Vor⸗ 
gehen gegenüber die ſeeliſche Veranlagung des Nordiſchen Menſchen. Er, der 
den Betrug als Verletzung von Treu und Glauben blutmäßig ablehnt, 
dem betrügeriſches Weſen in keiner Weiſe liegt, er iſt dem verſteckten, ſchwer 
erkennbaren Betrug gegenüber ziemlich hilflos. Die nomadiſchen Bevölkerungs⸗ 
beſtandteile nutzen dieſen Charakterzug ihrer Nordiſchen Wirte in entſcheiden⸗ 
der, geſchickter Weiſe: nach und nach, in dem Maße wie ihre Zahl und diejenige 
der Baſtarde zunimmt, alſo der Boden für ihre Auffaſſung ſich zunehmend gün⸗ 
ſtiger geſtaltet — in dieſem Maße gelingt es ihnen, die Geſetzgebung des 
Staates zu beeinfluſſen, ſich die rechtliche Plattform zu verſchaffen, 
von der aus die Führung der Volkswirtſchaft im nomadiſchen Sinne mehr und 
mehr möglich wird: ein gigantiſches Aus räuberungsſyſtem, durch 
das „Recht“ getarnt, wird aufgebaut und nach allen nur möglichen Richtun⸗ 
gen durch wiſſenſchaftliche Lehre und ſtaatliche Einrichtungen untermauert. 
Der Nordiſche Menſch aber kann von feiner Veranlagung und Lebensauf- 
faſſung her die heutige moderne Volkswirtſchaft nur als Betrugsſyſtem ver- 
ſtehen, vor deſſen Klugheit und Verſchlagenheit er allerdings erſchüttert ſteht. 

An der Gegenüberſtellung des Wirkens zweier Großinduſtrieller 
ſei beſſer als durch noch ſo viele Worte klar gemacht, daß es zwiſchen 
Bauer und Nomaden niemals einen Ausgleich geben kann, 
daß friedliches Nebeneinander beiden unmöglich iſt. 


580 Barrister 


Rudolf Sad 


„Rudolf Sack) war Bauernſohn und mit vier Jahren vaterlos. Von 
der Dorfſchule kommt er hinter den Pflug. Aber er geht nicht gedankenlos mit 
dieſem Gerät um, wie Tauſende vor und mit ihm. In ihm wird der Gedanke 
lebendig, den Pflug zu verbeſſern. Von einem Feldmeſſer lernt er die 
Anfangsgründe der Mathematik und Mechanik. Achtzehnjährig treibt es ihn 
in die Fremde, um an andern Orten andere Landwirtſchaftsmethoden kennen⸗ 
zulernen. Nach fünf Jahren unermüdlicher Arbeit hat er ſich zu einem leitenden 
Poſten als Gutsangeſtellter herauſgearbeitet. Aber ſein Leitziel, zur Ver⸗ 
beſſerung der Landwirtſchaft auf dem Wege der Technik beizutragen, läßt ihn 
nicht mehr los. Sack läßt feine geficherte gute Stellung im Stich, um mit 
23 Jahren zunächſt zurück zum väterlichen Acker zu gehen. Dort probiert er im 
kleinen Maßſtab, was ihm vorſchwebt. Bei einem Dorfſchmied legt er ſelbſt 
Hand mit an, um dem Pflug eine zweckmäßigere Form zu geben. Drei Jahre 
unermüdlicher Verſuche führen zum Bau der erſten modernen Pflüge. Zuerſt 
von den Nachbarn in ihrem Wert langſam erkannt, werden fie durch Aus⸗ 
ſtellungen und Prüfungen einem weiteren Kreis bekannt gemacht. Ein nach 
Südrußland verſchlagener Pflug erregt das Intereſſe eines fortſchrittlichen 
ruſſiſchen Grafen und Großlandwirts. Er beſtellt 120 Stück. Das bedeutet den 
Wendepunkt im Leben Sads... 39jährig reißt er fic) von der ihm ans Herz 
gewachſenen heimatlichen Scholle los und wagt den endgültigen Sprung in die 
neue Laufbahn des induſtriellen Unternehmers. Er fängt klein an, mit 
eigenen Erſparniſſen. Er iſt ſein eigener Konſtrukteur, Betriebsleiter, 
Kaufmann und Reiſender ... Als in der Gründerzeit nach dem Krieg von 1870 
alle Preiſe, vor allem die des Eiſens, gewaltig ſtiegen, bildete er ſämtliche 
Maſchinen und Geräte völlig um, um Werkftoff zu ſparen. Während die große 
Maſſe der Wirtſchaftenden von dem allgemeinen Spekulationsfieber der Grün⸗ 
derzeit erfaßt war, verhinderte Sack, daß für ſeine Kunden fic der Preis allgue 
ſehr erhöhte. Das brachte vollends die entſcheidende Wendung zuſtande. Nach 
vier Jahren hatte Sad den hunderttauſendſten Pflug ver- 
kauft. 1884 konnte er in ſeiner Fabrik ſchon 650 Arbeiter beſchäftigen, eine 
damals ſeltene Zahl für deutſche Maſchinenfabriken. Sack blieb unermüdlich, 
auch nachdem der volle Erfolg eingetreten war. Für alle Böden, Klimate und 
Betriebsgrößen wollte er den beſtgeeigneten Pflug finden. Zugleich entſtand 
für den Kleinbauern ein billiger, in großen Sätzen hergeſtellter Aniverſalpflug; 
zwecks rafcheren Pflügens großer Flächen baut Sack ſchon 1880 Dreiſchar⸗ 
pflüge. Kaum iſt der Exploſions motor erfunden, hat die Elektro⸗ 
technik ſich zu entwickeln begonnen, da macht Sack Verſuche mit Motor- 
pflügen und über den Einfluß der Elektrizität auf das Pflanzenwachstum. 
74jährig nimmt Sack nach jahrelangen Vorverſuchen noch den Dampfpflugbau 
auf und errichtet dazu einen Fabrikneubau. Die Haupturſache des erfolgreichen 
Aufſtiegs Sacks zum Großinduſtriellen war zweifellos, daß er ſich voll für 
einen Gedanken einſetzte, den er ſelbſt als ſeine heilige Lebensaufgabe 
bezeichnete: nämlich durch Verbeſſerung der landwirtſchaftlichen Maſchinen 
und Geräte, durch Sorge für deren preiswerte Erzeugung und richtigen 
Gebrauch zum Gedeihen der deutſchen Landwirtſchaft beizutragen. Anter die⸗ 


1) Vgl.: Die Sendung des Unternehmers v. Mehmke, J. J. Lehmanns Ver⸗ 
lag, München. 


Weltwirtschaftskrise — eine Rassenfrage | 581 


fem Gedanken ftand fein ganzes Leben, das gewiſſermaßen nicht mehr ihm 
allein gehörte.“ 
Otto Wolff 


Stellen wir nun das Lebensbild des erfolgreichften „Induſtriellen“ der Neue 
zeit, Wolff, dagegen. Otto Wolfſ iſt der Name, vor dem der Großteil der 
Induſtriellen aus der Eifen- und Stahlinduſtrie vor Bewunderung ob ſeiner 
Fähigkeiten glatt auf dem Bauche liegt. Aus dem „Induſtrie⸗Kurier“ Nr. 52, 
1931, erfahren wir über Otto Wolff folgendes: er kommt vom Schrott- 
handel her. Sein Sozius iſt Othmar Strauß. Sein erſtes großes Ge⸗ 
ſchäft iſt die Verſchrottung von Rote Erde. Bei dem Kauf dieſes Werkes 
waren für 150 000 M. in der Erde liegende eiſerne Fundamentplatten nicht 
mit eingerechnet worden, weil ſie den vertragſchließenden Parteien unbekannt 
waren. Ganz fo hatte übrigens Deut ſch von der A. E. G. als junger Kauf⸗ 
mann ſeine „Fähigkeiten“ bewieſen; bei der Verſchrottung einer ſtillgelegten 
Zuckerfabrik hatte er das Glück, beträchtliche, nicht bekannte Kupfermengen zu 
finden und als Sondereinnahme verbuchen zu können. Doch laſſen wir den 
„Induſtrie⸗Kurier“ min ſelbſt reden, der mit feinen Ausführungen Otto Wolff 
nicht etwa an den Pranger ſtellen will, ſondern im Gegenteil bemüht iſt, für 
dieſen großen „Induſtrie⸗Führer“ eine Lanze zu brechen: 

„Der Krieg mit ſeinem Rieſenverbrauch an Heeres⸗ und Rüſtungsmaterial 
brachte natürlich (!) auch der Girma Wolff große Gewinne, die in den 
erſten Nachkriegsjahren dazu verwandt wurden, die Machtpoſition der 
Girma Wolff in der Montan-Induftrie auszudehnen und zu befeftigen. In die 
Reihen der führenden Montan-Induftriellen aber rückte Otto Wolff während 
der Inflation — und in der erſten Nachinflationszeit, in der es ihm 
gelang, nach und nach in die großen und größten Montanunternehmen ein- 
zubrechen (II) ... Den größeren Teil dieſer Aktienpakete hat er, ſobald ihm 
die Gelegenheit günftig erſchien — oft erſt nach Jahren (111) — wieder ab- 
geſtoßen. Er gibt nie eine Poſition auf, auch wenn er Aktienpakete 
abgibt... Dieſer Vorſtoß in die Induſtrie, die Zuſammenballung eines ſo 
rieſigen Aktienbeſitzes in ſeiner Hand, die auf feine Initiative hin vorgenom- 
menen Amgruppierungen innerhalb der von ihm kontrollierten Geſellſchaften 
und Konzerne, und die dann erfolgte Abſtoßung dieſes oder jenes Beſitzes an 
außer der übrigen Großaktionärgruppen ſtehende Intereſſenten hat bisher 
in der Öffentlichkeit meiſt eine für ihn nicht gerade günſtige Beurteilung gefun- 
den. Es wird von dieſen Kritikern eben durchweg überſehen, daß den Trans⸗ 
aktionen und Geſchäften Otto Wolffs Intereſſen und Motive zugrunde liegen, 
die von denen der induſtriellen Großaktionäre ſtark abweichen, ja ihnen häufig 
diametral entgegengeſetzt ſind, denn Otto Wolff iſt in erſter Linie Händler. 
And dann kommt noch hinzu, daß bei ihm alles Handeln von einem ſtark aus⸗ 
geprägten Gewinnſtreben diktiert wird. An die Ausführung und Durchführung 
eines Geſchäftes wird ohne jede Sentimentalität herangegangen, nüchtern wer⸗ 
den die Gewinnmöglichkeiten geprüft — und erſcheinen dieſe günſtig, fo wird 
ſchnell und kräftig zugepackt.“ 

Glaubt jemand, wenn er ſich dieſe beiden Wirtſchafts⸗ 
führer in ihrer Weſensart klargemacht hat, daß es ſich bei 
der Abwendung der „Weltwirtſchaftskriſe“ um die richtige 
konſtruktive Löſung einer Wirtſchaftsaufgabe handelt, 
daß es ſich darum handelt, das gerechte Wirtſchaftsſyſtem 


582 Barrister 


theoretiſch zu ergründen und wiſſenſchaftlich feſtzulegen? 
Das Wirtſchaftsleben iſt keine dem menſchlichen Verſtand geftellte wiſſen⸗ 
ſchaftliche Aufgabe wie 55 B. die Erkenntnis der Elektrizität und ihre Beherr⸗ 
ſchung in der Technik; bei der Volkswirtſchaft handelt es ſich nicht um Vor⸗ 
gänge, die unabhängig vom Menſchen verlaufen und die man nur richtig 
erkennen muß, um ihren Reaktionsverlauf nach Belieben zu beeinfluſſen. Auch 
das gerechteſte Lehrgebäude und der gerechteſte Gewinnverteilungsplan werden 
nicht das Tor zum Wirtſchaftsparadies aufſtoßen — ebenſowenig wie die 
fataliſtiſche Ergebung in den „konjunkturellen Ablauf der Kriſe“, nach deren 
Tiefpunkt wieder ein Höhepunkt ſolgen muß, für den die Notverordnungen nur 
die unvermeidlichen Durchgangsmaßnahmen find. 

„Es wird ſchnell und kräftig . (ſiehe oben) — der 
Gewinnmöglichkeiten des Händlers wegen! bei nicht zu vergeſſen: Der 
Staat von heute ſteht in den Dienſten dieſes Händlers. Er ſchützt dieſe 
geſchäftlichen „Transaktionen“ in ſeiner Rechtſprechung. Wenn dabei der 
Händler erſt dem Bürger, dann dem Arbeiter und jetzt dem Bauern die Kehle 
zudrückt, ſo iſt es eben das perſönliche Pech der Einzelnen, die nicht ſo begabt 
und nicht ſo tüchtig ſind wie er. Man braucht aber nur die Geſchichte der 
Truſts, der Banken in den letzten Jahrzehnten zu verfolgen, um die Richtigkeit 
der Behauptung zu erkennen: der heutige Staat wird vom noma- 
diſchen Menſchen beherrſcht! 

Die übermäßige Preisbildung aller Waren, deren Herſtellung und 
Vertrieb ſich in den Händen der Truſts befinden, auf der einen Seite, die 
Lohn⸗ und Gehaltsdrückerei der Arbeiter und Angeſtellten auf der 
andern Seite ſind Amſtände, die ſich jedem Einzelnen, der ſehen will, klar auf⸗ 
drängen. Diejenige Gütererzeugung dagegen, die noch nicht durch einen Truſt 
beaufſichtigt iſt und mit einem Monopolpreis den Markt für ſich aus⸗ 
beuten kann, lohnt heute nicht mehr. Viel gefährlicher, weil viel ſchwieriger 
durchſchaubar als dieſe Dinge, für die die Weltwirtſchaftskriſe als Arſache 
hingeſtellt wird, ſind aber jene Seiten des volkswirtſchaftlichen Lebens, die die 
Grundlagen der Wirtſchaftsmacht des Nomaden bilden. Es handelt ſich im 
weſentlichen um drei von der Allgemeinheit faſt immer verkannte Rechtsein⸗ 
richtungen, die ineinander verarbeitet ſind und ſich gegenſeitig ergänzen: 

1. die Währungsfrage, 

2. das Kreditweſen und 

3. das Aktienrecht. 
Dieſe drei Dinge können in ihren weitreichenden Folgen und Auswirkungen 
im Rahmen dieſes Aufſatzes, der nur die Kampffront aufzeigen will, 
nicht auseinandergeſetzt werden. An dieſer Stelle ſoll nur ſoviel geſagt werden, 
wie zur Gewinnung der Erkenntnis nötig iſt, daß wir heute tatſächlich ſchon 
in einem vollſtändig ausgebauten nomadiſchen Wirtſchaftsſyſtem 
leben. 

Die Währung iſt heute trotz des ſchönen Wortes „Goldkernwährung“ 
gekennzeichnet durch den Mangel an umlaufendem Gold. Wir alle 
find daran gewöhnt worden, im Geld nicht mehr die Zwiſchentauſch⸗ 
ware „geprägtes Edelmetall“ mit Eigenwert zu ſehen, ſondern vielmehr den 
Begriff „Geld“ in Beziehung zu bringen mit einem bedruckten Stück Papier. 
Ans iſt trotz der ſchmerzlichen Erſahrungen der Inflation das Gefühl dafür 
verlorengegangen, daß unſere Papierſcheine dem Eigenwerte nach ein Nichts 


Weltwirtschaftskrise — eine Rassenfrage 583 


find — und daß ihre Wertung naturgemäß von den Inhabern des Goldes 
abhängt. Dieſe ſind aber — überwiegend Nomaden — jene Bankiers, 
denen die Inflation ſo „ſchlecht“ bekam, daß die Vermögen ihrer Banken ins 
Aferloſe ſtiegen und daß fie Mühe hatten, bei den Goldmark⸗Eröffnungs⸗ 
bilanzen nach der Inflation die Höhe des gemachten Raubes der allgemeinen 
Kenntnis wenigſtens teilweiſe zu entziehen. Wie ungeheuerlich die Raubgier 
des Nomaden ſich auf dieſem Wege der goldloſen Papiergeldwirtſchaft aus⸗ 
wirken kann, haben wir in der Inflation erlebt — und erleben es erneut in der 
heutigen Zeit. Verſchob die Inflation den Wert der Zwifchentauſch⸗ 
ware „Geld“ zu den Waren, ſo haben wir heute die Entwertung 
der Waren an der ſtabil gehaltenen Währung. 

Die Inflation hat eine ungeheuere Verarmung weiter Schichten des deut⸗ 
ſchen Volkes herbeigeführt. Wer leben und das Haus neu aufbauen wollte, 
war meiſtens auf „geldliche Hilfe“ der Begüterten angewieſen, alſo auf das 
Kreditnehmen. Wer waren die Kreditgeber nach der Inflation? Wie⸗ 
derum die Nomaden, denn ſie waren ja die Gewinner in der Inflation ge⸗ 
weſen. And ſie gaben denn auch Kredit. Aber zu Bedingungen, die eben 
nur Schmarotzer ſtellen können und die der Tod jeder Volkswirtſchaft ſein 
müſſen. Ihrer Art gemäß nutzten ſie auch dieſe neue Gewinnmöglichkeit zu 
einem großzügigen Betruge aus. Früher fand jeder Kredit ſeine naturgegebene 
Grenze an der Menge des vorhandenen, umlaufenden Edelmetallgeldes. Der 
Kreditgeber mußte wirkliches Geld herleihen. Die Zahlen im Konto- 
korrent, die im Großhandel die getauſchten Warenmengen wertmäßig verrech⸗ 
neten, dürfen den Blick nicht trüben — wenn fie es auch bei faft allen Wäh⸗ 
rungstheoretikern getan haben. 

Heute hat man ein ſich immer weiter aufblähendes Kreditſyſtem ge⸗ 
ſchaffen, ausgehend von der Goldkernwährung und einem ſich ins Nebelgraue 
verlierenden „Deckungsbegriff“. Die Deckung des unter der Herrſchaft der 
Goldkernwährung umlaufenden Papiergeldes beſteht nicht nur aus Gold, ſon⸗ 
dern auch aus goldgedeckten Deviſen. Letztere ſind aber auch nur Papiergeld 
mit etwa ein Drittel Golddeckung. Nimmt man ſolche Deviſen alſo, wie es bei 
den deutſchen Notenbanken geſchieht, als Deckung für in deutſchem Gelde zu 
gewährende Kredite, fo iſt die tatſächliche Golddeckung für dieſes neue Geld 
nur noch ſehr gering. Aber man hat nun wieder Papiergeld, das man aus⸗ 
leihen kann. 

Dieſe Möglichkeit eines auf Papierdeckung aufgebauten Kre⸗ 
dites iſt zielbewußt vom Nomaden benutzt worden, um allen Menſchen ein⸗ 
zureden, daß das Schulden machen, das Kreditnehmen, die Grundlage 
für jedes wirtſchaftliche Anternehmen ſei, nicht aber die Arbeit und die mit 
der Arbeit erzeugte Ware. Dieſe Ambiegung des geſunden Denkens 
hat zu einer ungeheuren Stärkung der nomadiſchen „Geldſchöpfer“ geführt und 
zu der troſtloſen Lage der meiſten großen und kleinen Anternehmen. Man 
mache ſich doch nur einmal klar, in welch falſche Bahnen durch das vom No- 
maden weiteſt gehend beeinflußte Schrifttum unſer ganzes Denken gelenkt 
worden iſt. Hätten die nordiſchen Deichbauern oder die Wallbauern 
der mittelalterlichen Städte vor Inangriffnahme ihrer „unproduktiven“ Rieſen⸗ 
bauten dieſe fic) erſt Eapitalifiert gedacht, um dann fic) dieſe errechneten Zahlen 
als „Kredit zur Verfügung ſtellen zu laſſen“ — ſie hätten wohl niemals an⸗ 


584 Barrister 


gefangen zu arbeiten. Es hätte ſich ja doch nicht „gelohnt“, weder für fie 
noch für ihre Kinder und Kindeskinder. 

Natürlich ſind die uns heute obliegenden Arbeiten nicht ohne weiteres in 
der Art in Angriff zu nehmen, wie es uns die Vorfahren vorgemacht haben. 
Derjenige Teil der Bevölkerung, der als Bauer das Land beſtellt und 
für ſich und die andern die Nahrung ſchafft, iſt zahlenmäßig zu ſchwach, und 
auch im Handwerk und im Anternehmertum beſtimmt nicht mehr der „ 
die Warenerzeugung, den Warenumſatz und verbrauch. Aber grundſätzlich 
laſſen ſich ſolche Nieſenarbeiten auch heute noch ohne das Dazwiſchenſchieben 
von Geldgebern ausführen; auch ohne öffentliche Kredite und Anleihen und 
dem „Staate“ als Geldgeber. 

Der dritte, den meiſten nicht ſichtbare Pfeiler des nomadiſchen Wirt⸗ 
ſchaftsgebäudes iſt das Aktienrecht. Es iſt heute völlig auf die Art des 
nomadiſchen Menſchen abgeſtellt und zu ſeinem Nutzen umgebogen worden. 
Mit der auch von „nationaler“ Seite geforderten Kleinaktie in den Hän⸗ 
den des Arbeiters und kleinen Sparers ändert man die Dinge nicht, wie denn 
dieſe „Nationalen“ trotz aller Geſten im Grunde eben doch nomadiſch 
beſtimmte Händler find. Das Aktienrecht iſt heute das Machtinſtru⸗ 
ment, mit dem fic der Nomade zum Herrn aller Großunter- 
nehmen gemacht hat, wie er ſich mit dem Papiergeld zum Herrn des 
Staates machte und mit dem Kredit zum Herrn des Grund und Bodens. 
Bereits v. Ihering äußerte ſich über das Aktienrecht etwa 
dahin, daß es mehr Anglück, Not und Verzweiflung über 
die Menſchen gebracht habe als Kriege, Hungersnöte und 
Seuchen. Dabei ftand dem großen Rechtslehrer nur die Erfahrung der 
„Gründerjahre“ nach dem Kriege 1870/71 zur Verfügung. Wie hätte er wohl 
heute geurteilt? Denn die Möglichkeiten eines richtig „ausgelegten“ Aktien⸗ 
rechtes zur Erlangung der Wirtſchaftsmacht ohne die geringſte geldliche, eigene 
Verluſtgefahr ſind erſt in der Inflation voll entwickelt worden. Aktien mit 
hundertfachem Stimmrecht, Vorratsaktien, Dadgefell- 
ſchaften! 

Heute ſteht der Nomade im Endkampf um die dauernde 
Verankerung ſeiner Macht. Es gilt, auch den Bauernſtand endgültig 
zu erledigen. Am den Ausgang dieſes Kampfes muß jeder weiterblickende 
deutſche Menſch bangen, denn bis jetzt hat der Nomade die Geſetze des Han⸗ 
delns in dieſem Kampfe diktiert. Der Bauer führt heute noch den Kampf unter 
dem Geſichtspunkte der Preisbildung für ſeine Waren, damit er beſtehen 
kann. Hitler hat anläßlich des paſſiven Widerſtandes an der 
Ruhr das Wort geprägt: „Durch Faulenzen macht man ſich 
nicht frei!“ Für den heutigen Kampf der Landwirtſchaft gilt: Dadurch, 
daß man ſich mit den Machthabern, deren Erhaltungsinſtinkte denjenigen der 
Beherrſchten ganz entgegengeſetzt gerichtete ſind, um die Pfennige ſtreitet und 
fie um beſſere Bezahlung bittet, erlangt man feine wirtfchaftlihen Lebens⸗ 
bedingungen nicht wieder. Daß wir heute als ganzes Volk da ſtehen, wo 
wir ſtehen, liegt eben daran, daß bis zum heutigen Tage die feindliche 
Kampffront und das Kampfziel nicht erkannt worden find. Der auf 
Grund ſeiner wirtſchaftlichen Lage wenigſtens teilweiſe zum Führertum ver⸗ 
pflichtete Adel hat ſchon ſeit Jahrzehnten verſagt. Schon zu Bismarcks Zeiten 
war der deutſche Adel des Oſtens weitgehend „neutraliſiert“ worden, wie 


Weltwirtschaftskrise — eine Nassenfrage 585 


der techniſche Ausdruck der jüdiſchen Hochfinanz lautete. Ein mitteldeutſches 
Mitglied des Herrenhauſes hat deshalb ſchon damals mit einem 
großen Teil ſeiner Standesgenoſſen in Fehde gelebt. Wenn er in Berlin 
weilte, wurden ihm wiederholt von der jüdiſchen Finanz glänzende Ge⸗ 
ſchäfte angeboten. Auf ſeine Bemerkung, er habe kein Geld, wurde ihm 
dann meiſtens erwidert: „Herr Baron brauchen kein Geld; wir 
ſtrecken Ihnen die Summe vor, und Sie werden trotzdem gut 
dabei verdienen.“ Der betreffende Adelige verzichtete trotzdem auf das 
gute Geſchäft (er hätte tatſächlich gut verdienen dürfen), genau ſo wie er auch 
auf Einladungen zu Schlemmerfrühſtücken verzichtete — um ſtets ohne jede 
„Bindung“ gegen den „Liberalismus“ kämpfen zu können. Von kurzſichtigeren 
Standesgenoſſen wurde ihm dann vorgehalten: „Was du nur immer gegen 
die Juden haft; fie verwalten unſere Gelder, wir bekommen 9— 10 % Zinſen, 
und es wird immer mehr!“ 

Wenn heute von allen Seiten Telegramme an den Reichspräſidenten und 
Reichskanzler geſchickt werden und um Hilfe für die Landwirtſchaft ge⸗ 
beten wird, ſo muß deutlich geſagt werden, daß die Volksgenoſſen in den 
Städten für ſie keine Hilfs gelder mehr aufbringen können. Die troſtloſe 
Lage der Allgemeinheit in den Städten geht nicht zuletzt darauf zurück, daß die 
berufsſtändiſche Körperſchaft des Landbundes dank der „Neutralität“ ſeiner 
Führer ruhig zuſah, als die Inflation Arbeiter und Bürger zugrunde richtete. 
Jede Preiserhöhung für Lebensmittel zu Laſten der verbrauchenden Volks⸗ 
genoſſen, die heute die Machthaber zubilligen würden, müßte die Verzweiflung 
der hungernden Maſſen in den Städten gegen die Landwirtſchaft als Ganzes 
kehren: der Bolſchewis mus hätte ſeine Schlacht gewonnen! 

Wenn heute der Bauer ſich und damit das deutſche Volk in letzter Stunde 
retten will, fo kann er es nicht im eigenſüchtig gebundenen Wirtſchafts⸗ 
kampf eines Berufsſtandes. Der gewerkſchaftlich organiſierte Arbeiter iſt an 
eben dieſer eigenſüchtigen Gebundenheit geſcheitert, trotzdem er für dieſen 
Kampf ganz anders geſchult und zuſammengefaßt war als heute der Bauer. 
Nicht „Margarinekontingente“, ſondern „Macht“ heißt die 
Loſung. Am die Macht kämpft aber heute gegen den Nomaden allein Adolf 
Hitler mit ſeinen Getreuen. Nach Erlangung der Macht aber darf 
es ſich nicht darum handeln, für die eigenen Waren den beſtmöglichen Preis 
zu erlangen, den der Markt noch tragen kann, ſondern dann muß die noma⸗ 
diſche Wirtſchaftsform und jedes nomadiſche Wirtſchafts⸗ 
denken mitallen Machtmitteln des Staates bekämpft wer- 
den. Es muß unmöglich gemacht werden, Reichtum durch „gefchäftliche Trans⸗ 
aktionen“ zu erwerben, oder anders ausgedrückt, wie es in einem leider auch 
in den Kreiſen des Kampfbundes geſchätzten Buche zu leſen iſt, „aus Ver⸗ 
zweiflung darüber, weil ſie (die Juden) nicht artgerecht leben können, erſinnen 
ſie Finanzſyſteme und werden dadurch ungeheuer erfolgreich.“ 

Zum Beweis deſſen, wie weit das nomadiſche Wirtſchaftsſyſtem heute in 
der ganzen Welt aufgebaut iſt, ſei ein Wort angeführt aus Kreifen, die es 
wohl wiſſen müſſen. Alfons Paquet — anſcheinend konnte der Verein 
deutſcher Chemiker wohl keinen geeigneteren Feſtartikelſchreiber finden als 
dieſen Juden — ſchreibt in der Zeitſchrift für angewandte Chemie, Heft 13, 
Jahrgang 1930, folgendes: 


586 G. v. M. 


„Darüber gelagert und in fie (die Bevölkerung Frank- 
furts a. M. D. Verf.) hineinverwoben iſt der neue Adel (II) . . 
der über die Fernbeziehungen (ö) Beſcheid weiß und deſſen 
Aufmerkſamkeit auf die Dinge des Geldes unerſchütterlich 
iſt. Er iſt genau ſo bereit, heute in Berlin wie morgen in 
Paris, London oder New ann Es gibt wohl keine 
herrſchende (1!) Familie in der Welt, die nicht noch ihr Ma- 
machen in Frankfurt a. M. ſitzen hat.“ 

Es iſt ſchon ſo, auch die Weltwirtſchaftskriſe iſteine Naf- 
ſenfrage, nicht nur die Weltgeſchichte, wie Disraeli meinte! 


G. v. M.: 
Oſtſeeraum und Oftraumpolitit 


Man kennt das alte Lied „Nach Oſtland woll'n wir reiten“ und denkt dabei 
an die weiten Räume, die der deutſche Menſch mit dem Kreuz, dem 
Schwert und dem Pflug erwarb. Das waren Zeiten, wo man noch um 
des Glaubens willen zu leiden, um des Deutſchtums willen zu kämpfen, um 
der Scholle willen zu hungern verſtand. Es mag ſein, daß die Not der Zeit 
uns wieder unſeren Vorſahren ähnlicher machen wird. Falſch aber iſt es zu 
glauben, daß die Oſtfrage eine rein kontinentale Frage und daß daher 
das deutſche Schickſal im Oſten zu ſehen einen Verzicht auf Seefahrt bedeuten 
müßte. Weder im Mittelalter war dies, noch iſt es heute der Fall. Das oben⸗ 
erwähnte Lied entſtand im Flamland, dem Lande der Seefahrer im äußerften 
Nordweſten des alten Deutſchen Reiches. Von Welten nach Often, zur See 
und zu Lande ſetzte die früheſte Oſtbewegung ein. Der ſüdliche, kleinere Teil 
des Ordensſtaates, O ſtpreußen, iſt über Land erobert und kolo⸗ 
niſiert worden. Daher wanderten ſpäter vorzugsweiſe Deutſche aus 
Mitteldeutſchland dahin. Ganz anders aber ſteht es um den nördlicheren, 
größeren Teil, das fog. Baltikum. Dieſes Gebiet, fo groß wie Süddeutſchland, 
iſt „auf geſegelt“ worden, und zwar von Lübeck, der urſprünglich führenden 
Hanſeſtadt aus. Brügge im Weſten und das ruffiſche Groß⸗Nowgorod im 
Oſten, jenſeits des Peipusſees, waren die äußerſten Pole der deutſchen Span⸗ 
nung. Wisby auf Gotland war der Stapelplatz für die Roberzeugniffe aus 
dem flawifden Often und dem getreideausführenden Ordensſtaate nach dem 
Weſten, der ſeinerſeits Fertigwaren in dieſe Länder ausführte. Riga und 
Re val ſind nicht nur die öſtlichſten, ſondern auch die älteſten deutſchen 
Einfallstore nach dem Oſten geweſen. Die Beherrſchung der Oſtſee 
war notwendig, wenn man im Oſtraum ſich halten und vordringen wollte. 
Daher iſt das ſog. „Dominium maris Baltici“ ein ſtetes Streben aller derer 
geweſen, die im Nordoſten Machtwirtſchafts⸗ oder Volkspolitik treiben woll⸗ 


Ostseeraum und Ostraumpolitik | 587 


ten. Aber nur für die Deutſchen fielen dieſe Fragen zuſammen, fie bedurften 
dieſes Meeres in höherem Maße als die anderen Anliegerſtaaten. Jahr- 
hundertelang hatte man dieſe Tatſachen vergeſſen; heute ſteht das Problem 
wieder vor uns. 

Oſtſee und Mittelmeer haben gewiſſe Uhnlichkeiten. Den Seeſtädten 
Italiens ging es wie der Hanſa: Die Entdeckung Amerikas entkleidete ſie ihrer 
Bedeutung, und auch das politiſche Schwergewicht verlagerte ſich nach dem 
Weſten (Spanien, Frankreich, die Niederlande, England). Dann entſtand im 
Norden die Großmacht Schweden. Die Beherrſchung des Valtiſchen Meeres 
war die Vorausſetzung für deren Machtpolitik. Am Eſtland und Livland auf 
Grund des Antrages der Stände den Polen zu entreißen, mußte Guſtav Adolf 
Herr der See ſein. Dieſelbe Vorausſetzung galt, um während des Dreißig⸗ 
jährigen Krieges ſein Schwert in die Waagſchale zu werfen. Sein geiſtiger Erbe 
wurde der Große Kurfürſt, der die Grundlagen für den preußiſchen Staat 
legte. Er trieb Oſtpolitik, indem er Oſtpreußen endgültig aus dem polniſchen 
Machtbereich löſte. Fortan baute ſich die Kraft ſeines Staates zwar auf den 
Oſtprovinzen auf, aber für das deutſche Geſamtſchickſal waren ſeine und ſeiner 
Nachfolger Auseinanderſetzungen mit dem Weſten entſcheidend. Der eigent⸗ 
liche Erbe Schwedens und auch Polens im Nordoſtraum wurde Rußland, 
u grat zunächſt weniger aus madt- als aus kultur- und wirtſchaftspolitiſchen 

ründen. 


Peter der Große hat urſprünglich nicht die Abſicht gehabt, ſich an der Oſtſee 
feitzufegen. Eine ſeltſame Verkettung von Amſtänden führte ihn aber doch 
dazu. Er erkannte zwar ſehr wohl, daß das Schwarze Meer für Rußland eine 
viel größere Bedeutung hatte als das Baltiſche. Zweimal belagerte er deshalb 
das im Beſitz der Türken befindliche Aſow vergeblich. Dann aber lenkte er 
ſeinen Blick nach dem Nordweſten. Die Amſtände kamen ihm inſofern ent⸗ 
gegen, als König Karl XI. von Schweden die „Güterreduktion“ auch auf Liv- 
land ausdehnte, was einer Vernichtung des Deutſchtums gleichkam. Da war 
es der livländiſche Edelmann Reinhold von Patkull, der — obwohl Private 
mann — die große Koalition der nordiſchen Mächte, Rußland, Preußen, 
Polen, Dänemark, gegen Schweden zuſammenbrachte, der Schweden unterlag. 
Aber vorher lieferte Auguſt der Starke, König von Polen und Kurfürſt von 
Sachſen, Patkull an Karl XII aus, der ihn grauſam hinrichten ließ. Seltſame 
Vorgange: Zunächſt Schwedens falſche Agrarpolitik (fie ſollte übrigens Letten 
und Eſten nachdenklich machen), dann die politiſchen Fähigkeiten eines Balten 
— d. h. des Angehörigen eines Stammes, der zur Selbſtverteidigung und 
Selbſtverantwortung erzogen war — und ſchließlich der Mißerfolg eines im 
Süden an die See drängenden genialen Herrſchers; dieſe Amſtände alle fielen 
zuſammen, um das ruſſiſche „Dominium maris Baltici“ für zweihundert Jahre 
entſtehen zu laſſen. Die Teilungen Polens ſtärkten die rufſiſche Stellung im 
Nordoſten, denn durch ſie kam Kurland 1795 an Rußland, obgleich es bei 
einer beſſeren preußiſchen Politik auch an Preußen hätte fallen können, was 
dem Wunſche ſeiner Bewohner entſprochen hätte. Der Friede von Breſt⸗ 
Litowſk 1917 machte dieſem 200 jährigen Herrſchaftszuſtande wieder ein Ende. 
Die Oſtſee hatte jedoch für Rußland bereits vorher eine abnehmende politiſche 
Bedeutung. Nachdem es in den Beſitz des Schwarzen Meeres gelangt war, 
zeigte es ſich, daß dieſes wirtſchaftlich für Rußland einen viel höheren Wert 
hatte. Hinzu kam der Wettbewerb der Eiſenbahnen u. a. mehr. Trotzdem ſpielt 


Agrarpolitik Heft 8, Bg. 3 


588 G.v.M. 


die Vorftellung „Rußland kann die Oſtſee nicht entbehren“ in dem politiſch 
noch oft paſſiv denkenden deutſchen Volke eine große Rolle. Von einer ſolchen, 
überdies unzutreffenden Denkungsweiſe ausgehend, kommt man zu dem fal- 
ſchen Schluß, auch der Tſchechei und Polen Seeküſten zubilligen zu müſſen. 

Beide Meere — Oſtſee und Schwarzes Meer — waren ſog. Binnenmeere, 
und durch beide kam die ruſſiſche Politik mit der engliſchen in Berührung. Aus 
vielfochen Gründen war Rußlands Beſtreben auf die Beherrſchung der Dar⸗ 
danellen und Konſtantinopels gerichtet, dasjenige Englands darauf, Rußland 
daran zu hindern. In geringerem Maße galt dies für den Sund und die Belte, 
die aus der Oſtſee in die offene Nordſee führen. Der engliſch⸗ruſſiſche Gegen⸗ 
ſatz in bezug auf das „Dominium maris Baltici“ ließ Preußen, da es über 
keine nennenswerte Seemacht verfügte, trotz ſeiner langen Küſte vollſtändig 
zurücktreten. 

Wenn aber Rußland mehr oder weniger die Oſtſee beherrſchte, ſo hat es 
feinen neuerworbenen Gebieten, den fog. „deutſchen Oſtſeeprovinzen Ruß- 
land“ und Finnland, bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine völlige innere 
Freiheit gelaſſen. Die Verbindung mit Finnland trug den Charakter einer 
Realunion, die mit dem Baltikum baute ſich auf Verträgen mit den Ritter⸗ 
ſchaften auf, wonach die ruſſiſchen Kaiſer die evangeliſche Kirche, die deutſche 
Sprache und das geltende Recht als die Landeskirche, die Landesſprache und 
das Landesrecht anerkannten. Die Demokratiſierung Rußlands und der Pan- 
ſlawismus („ein Zar, ein Glaube, eine Sprache“) ſtellten den Verſuch dar, 
das Slawentum an die Küſte der Oſtſee nicht nur im ſtaatlichen, ſondern auch 
im volklichen Sinne heranzutragen. Der Weltkrieg wurde zum Kampfe um die 
Beherrſchung des Nordoſtraumes, wobei Deutfchland ohne Ziele, Rußland 
mit ſolchen in den Kampf zog. Rußland wußte, daß Oſtpreußen nichts anderes 
als das verlängerte Baltikum darſtellte, das im Siebenjährigen Kriege und 
nach dem Tiſiter Frieden bereits ruſſiſches Kriegsziel geweſen war. Rußland 
war bereit, zwar kein unabhängiges, aber ein autonom mit Rußland verbun⸗ 
denes Polen etwa in ſeinen heutigen Grenzen zu ſchaffen. Ein ſiegreiches 
Rußland wäre für Deutſchland noch ſchlimmer geweſen als der Friede von 
Verſailles, der die Randſtaaten ſchuf und damit — ungewollt — Deutſchland 
vor die Aufgabe ſtellte, den Nordoſtraum neu zu ordnen. Wenn Deutſchland 
ſich dieſer Aufgabe entzieht, werden Polen und Rußland dieſe übernehmen und 
ſich vielleicht mit der gemeinſamen Spitze gegen Deutſchland verſtändigen. 

Ohne Ziele, ohne etwas anderes zu wollen als ſeine Grenzen zu verteidigen, 
zog der deutſche Soldat in den Krieg, was ſicher kein Zeichen der Stärke, ſon⸗ 
dern der Schwäche war. Die Ziele entſtanden erſt, als die ſiegreichen deutſchen 
Truppen in das Baltikum einrückten und dort ein Land faben, das ihrer Hei⸗ 
mat ähnelte, deſſen Aufbau, Verwaltung und Führung trotz der undeutſchen 
Mehrheitsbevölkerung doch deutſch war. Der Friede von Breſt⸗Litowſk be⸗ 
deutete die Löſung des Nordoſtraumes von Rußland, eines Raumes, der Ruß- 
land nur äußerlich angehört hatte. Nach Sprache, Geſchichte, Konfeſſion und 
Wirtſchaft gehörte er zu Mitteleuropa oder war ein Abergangsgebiet nach dem 
Oſten. Auch nach dem Zuſammenbruch boten ſich noch Möglichkeiten, denn die 
Balten griffen zu den Waffen, um ihre Heimat gegen die anrückenden Bol⸗ 
ſchewiki zu verteidigen. Ihnen ſchloſſen ſich deutſche Freiwillige an, und die 
Vernichtung der Noten gelang. Hierbei zeigte es ſich, daß Städte und Länder 


Ostseeraum und Ostraumpolitik | 589 


wiederum eine Bedeutung erhielten, die fie verloren zu haben ſchienen, ſeitdem 
Rußland die Oſtſee beherrſchte, und wie Preußen (Deutſchland) und die 
Habsburger Monarchie infolge der Teilung Polens an einem ſtatiſchen Zu⸗ 
ftande im Nordoſtraum intereffiert war. Aber der Friede von Breſt⸗Litowſk 
und der Zuſammenbruch der drei Kaiſerreiche rollten alle dieſe Fragen wieder 
auf. Als die Volſchewiki das Baltikum angriffen, verſperrte ihnen die Entente 
den Seeweg. Lloyd George verbot der engliſchen Flotte, deren Stützpunkt 
Kopenhagen war, ſich an der Befreiung Rigas von der roten Herrſchaſt am 
22. Mai 1919 zu beteiligen. So waren die baltiſche Landeswehr und die Frei⸗ 
korps ausſchließlich auf den Landweg durch Litauen angewieſen. Dieſes aber 
nahm eine unfreundliche Haltung an, die zuletzt in offene Feindſeligkeiten über- 
ging, von dem Verhalten der damaligen deutſchen Regierung, die die Volks⸗ 
genoſſen yay Not fallen ließ (Erzbergerabkommen mit den Bolſchewikil) nicht 
zu reden. Memel iſt urſprünglich eine baltiſche Gründung, d. h. der baltiſche 
Teil des Oſtens drang von Norden nach Süden vor und ſchuf fic) dieſen Stüß- 
punkt, um die Landverbindung zwiſchen den beiden Ordensgebieten aufrecht⸗ 
zuerhalten. Litauen an ſich iſt ja die eigentliche Schlüſſel⸗ 
ſtellung im Nordoſten. Dieſer Staat wird ſich endlich entſcheiden 
müſſen, ob er für Deutſchland oder für Polen optieren oder zwiſchen beiden 
einmal zerrieben werden will. 

Als im Sommer 1915 die deutſchen Truppen in Kurland einrückten, ſtellte 
die kurländiſche Ritterſchaft ein Drittel des Großgrundbeſitzes für die Sied⸗ 
lung zur Verfügung. 1918, nach dem Zuſammenbruch, verſprach dann die 
lettiſche Regierung jedem deutſchen freiwilligen Kämpfer Land zu Siedelungs⸗ 
zwecken. Die Balten konnten ihr Angebot nicht aufrechterhalten, weil ſie ſelbſt 
von der Scholle vertrieben wurden. Die lettiſche Regierung brach ihr Ver⸗ 
ſprechen. Hier offenbart ſich aber wiederum die enge Verbundenheit von Scholle 
und Politik im baltiſchen Raum. Die Erörterung der Beſitzgrößen liegt nicht 
im Rahmen dieſes Artikels. Es ſei daher hier nur darauf hingewieſen, daß ein 
Bauerntum ohne Großgrundbefitz, d. h. ohne eine politiſch zur Führung wirk⸗ 
lich geeignete Oberſchicht, von einer höheren Warte aus geſehen, bereits eine 
bedenkliche Erſcheinung iſt. Im Nordoſten wäre das Bauerntum allein ver⸗ 
loren. Dieſe Feſtſtellung mag wie jede politiſche Wahrheit den Wunſch⸗ 
träumen vieler nicht entſprechen, aber ſie entſpricht den Tatſachen. Anbedingt 
notwendig jedoch iſt die Schaffung eines neuen weder kapitaliſtiſchen noch 
kollektiven Bodenrechts. Ohne ein ſolches kann auf die Dauer kein Bauerntum 
und kein Volkstum beſtehen. Eine der Arſachen der deutſchen Erfolge im Often 
war die Verbreitung des lübiſchen Rechtes in den See⸗ und des magde⸗ 
burgiſchen in den Binnenftädten, weit über die Grenzen des alten Reiches 
hinaus. Die Deutſchen brachten eben ein beſſeres Recht, das einem jeden zu⸗ 
gute kommen konnte. Heute läßt ſich dies nicht mehr behaupten. 

Am das Deutſchtum im baltiſchen Raume zu vernichten, mußte man es 
feiner Bodenſtändigkeit berauben. Man machte damit die Befitzer und deren 
Angeſtellte zu Bettlern, zerſchlug alles, was mittel⸗ oder unmittelbar in Stadt 
und Land von der deutſchen Landwirtſchaft abhing und beraubte das Balten⸗ 
tum der Schicht, die ihm die beſten und weitblickendſten Führer geſtellt hatte, 
die zum Wohle aller durch Jahrhunderte das Land regiert hatten. Ob dies 
letztere tatſächlich gelungen iſt, wird die Zukunſt lehren. 


3 


590 Kurt Fachmann 


Das Nordoſtproblem iſt kein rein kontinentales und kein maritimes, es ift 
die Verbindung beider. Vom deutſchen Standpunkt aber iſt es ein Problem 
der Führung, der Leiſtung. Regieren, nicht verwalten, fiedeln, nicht koloniſie⸗ 
ten, Führung und nicht Maſſe (die kommt dann von ſelbſt), Kunſt und nicht 
Technik — das machte einſt das Weſen jener aus, die dem deutſchen Volk den 
Weg nach Oſten wieſen. So wie es einſt war, ſo iſt es heute noch. 


Kurt Fachmann: 


1933, das Schickſalsjahr des oͤeutſchen Gartenbaues 
Eine handelspolitiſche Betrachtung 


Die Frage, ob der deutſche Gartenbau einer ausſichts⸗ 
reichen Entwicklung entgegengehen kann oder aber in den 
Kümmerzuſtand der Vorkriegszeit zurückfallen muß, hängt 
in erfter Linie von der zukünftigen Geſtaltung der deut 
ſchen Handelspolitik ab. Seit Jahren fordern die deutſchen Gärtner 
deshalb mit aller Eindringlichkeit Maßnahmen gegen die Aberflutung der deut⸗ 
ſchen Märkte mit Erzeugniſſen des ausländiſchen Gartenbaues, nachdem fie 
zuvor dafür Sorge getragen haben, daß alle Maßnahmen zur Verſorgung des 
deutſchen Marktes aus Eigenerzeugung in Angriff genommen wurden. Seit 
Jahren warten ſie nunmehr auf die Gegenleiſtung, auf den ſtaatlichen Schutz 
dieſer geſteigerten Eigenerzeugung, damit die Leiſtungsfähigkeit ihrer Betriebe 
wiederhergeſtellt wird und der Erfolg ihrer Arbeit nun auch ihnen zugute⸗ 
kommt. 

Wiederholt wurde ihnen auch ſeitens der maßgebenden Stellen Hilfe auf 
handelspolitiſchem Gebiete in Ausſicht geſtellt, aber ebenſooft mußten fie es 
erleben, daß ſtärkere Kräfte im Hintergrunde ſtanden, die über den Willen des 
zuſtändigen Fachminiſteriums den Sieg davontrugen, ſo daß die Fahrt in den 
ausgefahrenen Geleiſen liberaliſtiſcher Handelspolitik weiterging. Der weniger 
kampfbereite Teil des deutſchen Gartenbaues hatte ſich demzufolge ſchon an den 
Gedanken gewöhnt, für andere Zweige der Wirtſchaft jeweils geopfert zu 
werden. 

Die deutſchen Gärtner horchten deshalb auf, als Herr von Papen als 
Reichskanzler am 10. Juni 1932 vor dem Deutſchen Landwirtſchaftsrate davon 
ſprach, daß „eine ſtarke, zielbewußte Agrarpolitik das Fundament jeder geſun⸗ 
den Entwicklung ſei“; mancher von ihnen ſah ſchon die endliche Erfüllung lang⸗ 


— U ————̃ . — — — —— — —ͤ—ö— — — — —— 1 —— — AEs c —— ree ae ae ees na 


1933, das Schicksalsjahr des deutschen Gartenbaues 591 


gehegter Wünſche, als dieſes Kabinetts Reichsminifter für Ernährung und 
Landwirtſchaft, Frhr. von Braun vor der bayeriſchen Landwirtſchaft am 
26. September 1932 in München glaubte, die Rontingentierung 
gartenbaulicher Erzeugniſſe zuſagen zu können; das Prä- 
ſidium des Reichsverbandes des deutſchen Gartenbaues e. V. war ſogar fo 
hoffnungsvoll, daraufhin ſogleich in der „Gartenbauwirtſchaft“ (Nr. 40/1932) 
eine Mitgliederwerbung unter dem Stichwort: Die Einfuhr wird kontin⸗ 
gentiert! — anzuſetzen. Aber — die Kontingentierung ließ doch noch auf ſich 
warten! 

Dem ftugig gewordenen Beruſsſtande wurde zwar in einer Tagung, die die 
Fachabteilung für Gartenbau der Preußiſchen Hauptlandwirtſchaftskammer 
mit großem Aufgebot flugs einberufen hatte, ſeitens desſelben Herrn Reichs⸗ 
miniſters für Ernährung und Landwirtſchaft am 13. Oktober 1932 erneut ver⸗ 
fichert, daß „er ſich für den deutſchen Gartenbau einſetze, weil es ein ungeheuer 
wichtiger Zweig der deutſchen Volkswirtſchaft ſei“ und — bezüglich der han⸗ 
delspolitiſchen Seite — daß er „den Weg, den er eingeſchlagen habe, ſelbſt⸗ 
verftändlich weitergehen werde“. Aber — es kamen nur die Reichtstagswahlen 
vom 6. November 1932. Manchem Gärtner ging jetzt ein Licht auf, denn die 
vor den Wahlen verſprochene Kontingentierung, die der deutſche Gartenbau 
zur Beſſerung der troſtloſen wirtſchaftlichen Verhältniſſe ſehnlichſt erwartete, 
kam nicht! 

Der Herr Reichskanzler von Schleicher beftätigte in feiner Rundfunk- 
rede vom 15. Dezember 1932 dem Gartenbau wohl erneut, daß „es unerläßlich 
ſei, dem vom Weltmarkte ausgehenden Druck auf die Preiſe der landwirtſchaft⸗ 
lichen Erzeugniſſe, insbeſondere der Vieh⸗ und Milchwirtſchaft, des Garten⸗ 
baues und der Forſtwirtſchaft, möglichſt ſchnell und wirkſam entgegenzutreten.“ 
Das wäre fraglos am ſicherſten erreicht worden, wenn dem Gartenbau die vom 
Herrn Reichsminiſter für Ernährung und Landwirtſchaft gegebene Zuſage um⸗ 
gehend erfüllt wurde. Das jedoch tat Herr von Schleicher nicht; er 
ſchaltete vielmehr die Frage der Kontingentierung aus 
dem Programm des Reichskabinetts überhaupt aus und ſtellte 
dafür als völlig unzureichenden Erſatz in Ausſicht, daß „die Reichsregierung 
von ihrer Zollautonomie im Intereſſe der Landwirtſchaft in dem erforderlichen 
Ausmaße Gebrauch machen würde, ſobald die handelspolitiſchen Schwierig⸗ 
keiten fortfallen und weſentliche Erleichterungen eintreten“. 

Die Gärtner, die im Laufe des letzten Jahrzehnts in ſteigendem Maße 
gelernt haben, neben den Notwendigkeiten für ihren Betrieb auch die Zuſam⸗ 
menhänge ihres Berufsſtandes mit Politik und Wirtſchaft zu ſehen, werden 
auf dieſen Köder nicht anbeißen, ſondern ſie werden den richtigen Schluß aus 
dieſer Ambiegung ihrer Forderungen dahingehend gezogen haben, daß ein fol- 


592 Kurt Fachmann 


ches Reichskabinett überhaupt nicht gewillt war, dem Gartenbau einen wirklich 
wirkſamen Schutz zuteil werden zu laſſen. Die deutſchen Gärtner ſehen 
deutlich das Verhängnis, das in dieſem Schickſalsjahre 
drohend über ihrem Berufeſteht undüber ihn hereinbrechen 
wird, wenn nicht noch in letzter Minute der richtige Kurs- 
wechſel ſtattfindet. 


Am den für den Gartenbau richtigen Kurs der Handelspolitik zu erkennen, 
wollen wir deshalb nun — fern von jeder Tagespolitik — prüfen, ob und 
inwieweit dem deutſchen Gartenbau auf dem von Herrn 
von Schleicher anempfohlenen Wege überhaupt „ſchnell 
und wirkſam“ geholfen werden kann. Dazu bedarf es einer Vee 
trachtung der Entwicklung, die der deutſche Gartenbau auf Grund der jeweils 
gegebenen handelspolitiſchen Vorausſetzungen genommen hat. — 

In einem knappen Jahrhundert hat ſich Deutſchland von einem Agrarſtaat 
zu einem Induſtrieſtaat entwickelt. Dieſe Wandlung der wirtſchaftlichen Struk⸗ 
tur hatte zwar zur Folge, daß ſich der Handelsverkehr mit den europäiſchen und 
überſeeiſchen Ländern gewaltig ausdehnte, aber Deutſchland wurde damit mehr 
und mehr von ausländiſchen Zufuhren an Nohſtoffen und Lebensmitteln ab⸗ 
hängig; feine einſtige Selbſtgenügſamkeit ging in entſprechendem Ausmaße 
verloren. — 

Wie ſah es zu jener Zeit im deutſchen Gartenbau aus? — 
Noch bis zum Jahre 1885 war Deutſchland ein ausgeſprochenes Gemüſe⸗ 
Aus fuhrland, denn die Ausfuhr an friſchen Gemüſen überſtieg deren Einfuhr 
um ein Mehrfaches; an Erzeugniſſen der Ziergärtnerei blieb die Einfuhr bis 
zu jener Zeit in ſehr beſcheidenen Grenzen; ſelbſt an friſchem Obſt hielten ſich 
— je nach dem Ernteausfall — Einfuhr und Ausfuhr bis in die 1880er Jahre 
hinein ungefähr die Waage, während an getrocknetem Obſt im gleichen Zeit⸗ 
raum bis zu 20 000 t jährlich hereingenommen wurden; ſchließlich erſcheint es 
uns heute kaum glaubhaft, daß die Jahreseinfuhr an friſchen Südfrüchten bis 
zum Jahre 1885 noch unter 10 000 t geblieben iſt, denn wir ſind ja ſeit 1924 
an Südfrucht⸗Jahreseinfuhren von 400 000 t bis 600 000 t gewöhnt worden. 
Wir können auf Grund dieſer Zahlenergebniſſe alſo feft- 
ſtellen, daß et wa bis zum Jahre 1885 der Bedarf an Garten- 
bauerzeugniſſen insgeſamt aus Eigenerzeugung gedeckt 
werden konnte. 

Die oben gekennzeichnete ſtrukturelle Wandlung der deutſchen Wirtſchaft 
mußte ſich nun aber auf die einzelnen Zweige des Gartenbaues in ganz beſon⸗ 
derem Grade auswirken, weil die im Zeichen des wachſenden Weltverkehrs 
ſich vollziehende Verbilligung, Verbeſſerung und Beſchleunigung der Ver⸗ 
kehrsmöglichkeiten den leichtverderblichen Erzeugniſſen des Gartenbaues beſon⸗ 


1933, das Schicksalsjahr des deutschen Gartenbaues 593 


ders zugute kamen und die klimatiſch bevorzugten ausländiſchen Gartenbau- 
zentren damit gewiſſermaßen näher an den deutſchen Markt herangebracht wur⸗ 
den. Es kam hinzu, daß aus anderen Gründen — auf die hier nicht näher ein⸗ 
gegangen werden kann — ein erheblicher Mehrverbrauch an Gartenbauerzeug⸗ 
niſſen aller Art einſetzte, ſo daß die Einfuhrziffern rieſenhaft anſchwollen. 

So ſtieg die Einfuhr an friſchem Gemüſe im Jahre 1889 erſtmals auf mehr 
als 50 000 t, im Jahre 1898 auf mehr als 100 000 t und im Jahre 1911 auf 
mehr als 300 000 t an; die Ziergärtnerei zeigte eine gleiche Tendenz in der 
Entwicklung, fo daß hier ſchließlich im Jahre 1913 eine Einfuhr von 32 173 t 
im Werte von 27,9 Mill. M. erreicht wurde; die Einfuhr von Obſt und Süd- 
früchten überſchritt 1891 erſtmals 200 000 t, um dann im Jahre 1897 auf über 
300 000 t, im Jahre 1903 auf über 500 000 t und im Jahre 1913 ſchließlich 
auf über 1 000 000 t zu ſteigen. 

In der kurzen Zeitſpanne von 1880 bis 1913 waren wir 
damit von einer nahezu ausgeglichenen gartenbaulichen 
Handelsbilanz zueiner Einfuhr von 13471964 dz im Werte 
von 320,911 Mill. M. und einem Einfuhrüberſchuß von 
12486109 dz im Werte von 294,087 Mill. M. gekommen. 
Die Eigenverſorgung mit gartenbaulichen Erzeugniſſen 
war verlorengegangen, während das deutſche Volk in die⸗ 
fer Zeitſpanne Milliardenwerte dem ausländiſchen Gar- 
tenbau zugeführt und damit die Widerſtands fähigkeit des 
deutſchen Gartenbaues in ungeheuerem Maße geſchwächt 
hatte. — 

Wer trägt die Verantwortung für dieſe Entwicklung? — 
In gewiſſem Maße zunächſt der deutſche Gärtner ſelbſt! Wohl iſt er 
bemüht geweſen, dem wachſenden Bedarf durch Steigerung und Verbeſſerung 
ſeiner Erzeugung zu folgen; aber er hat dabei ſeinen Blick nicht über den 
eigenen Gartenzaun erhoben, er hat im Kollegen eher den Widerſacher, nicht 
aber den von gleichem Geſchick betroffenen Volksgenoſſen geſehen und dem⸗ 
zufolge auch nicht den Weg zum berufsftändifchen Zuſammenſchluß auf 
genügend breiter Grundlage gefunden, der allein ausfichtsreichen Widerſtand 
ermöglicht hätte. Alleinſtehend dagegen war er der Entwicklung der Vor⸗ 
kriegszeit hoffnungslos preisgegeben. 

Am ſo mehr hätten Staat und Reich die Verpflichtung gehabt, den 
intenfivften Zweig der Bodenbewirtſchaftung in eigene Obhut zu nehmen und 
ihm in dem ungleichen Kampfe zur Seite zu ſtehen. Eine vorausſchauende 
Regierung hätte an den in jedem Jahre anwachſenden Einfuhrziffern bei ſtei⸗ 
gender Eigenerzeugung ſchon zu Beginn des Jahrhunderts erkennen müſſen, 
daß die Entwicklung zu einem völligen Preiszuſammenbruch führen mußte, 


594 Kurt Fachmann 


denn allein in den Jahren von 1890 bis 1902 ift — nach einer Denkſchrift des 
Deutſchen Landwirtſchaftsrates) — ein Preisrückgang bei Topfpflanzen von 
50 v. H., bei Baumſchulartikeln von 40 v. H., bei Schnittblumen und Gemüfe 
jedoch noch weit ſtärker, ja bei vielen Arten, beſonders bei Treibgemüſe und 
Gurken bis zu 90 v. H. eingetreten, weil dem deutſchen Gartenbau der not- 
wendige handelspolitiſche Schuß verſagt blieb. 

Dieſe kataſtrophale Entwicklung des deutſchen Garten 
baues mußte kommen, weil die deutſche Handelspolitik von 
1871 bis 1914 jeden angemeſſenen Schutz gartenbaulicher 
Erzeugniſſe vermiſſen ließ. Die verſchiedenen Zolltarifreformen der 
Bismarckſchen autonomen Handelspolitik von 1879, 1885 und 1887 brachten 
wohl Zollerhöhungen für Getreide und andere landwirtſchaftliche Erzeugniſſe, 
fie gingen aber an denen des Gartenbaues vorüber. Auch in der Nach⸗Bis⸗ 
marckſchen Zeit war keine Anderung zu erwarten; die Handelsverträge Capri- 
vis, die in den Jahren von 1890 bis 1894 abgeſchloſſen wurden und mit ihren 
Bindungen z. T. bis zum Jahre 1906 liefen, verhinderten vielmehr die baldige 
Inkraftſetzung eines neuen autonomen Tarifs. Die Notwendigkeit eines ſolchen 
Rüftzeugs war von Bülow zur Abwendung der ſchädlichen Auswirkungen der 
Freihandelspolitik Caprivis erkannt worden; der Bülowſche Zolltarif 
vom 25. Dezember 1902, der am 1. Januar 1906 in Kraft trat, ſollte 
dieſer badrohlichen Entwicklung der deutſchen Wirtſchaft entgegenwirken. Auch 
dieſe günſtige Gelegenheit blieb aber für den deutſchen 
Gartenbau ungenutzt! Die Begründung zu dieſem Zolltarif⸗Entwurf 
zeigte das mangelnde Verſtändnis der Regierung für die Bedeutung und für 
die Notwendigkeiten des deutſchen Gartenbaues in hellſtem Lichte. Es iſt 
geradezu erſchütternd, angeſichts unſerer heutigen Verhältniſſe darin u. a. leſen 
zu müſſen, „daß ein Zollſchutz deshalb beſonders bedenklich erſcheinen müſſe, 
weil der Gärtnerei dadurch ein Anreiz zu verhältnismäßig hohen Aufwendun⸗ 
gen für Anlagen und Betriebskapital ſowie für Arbeitslöhne geboten werde, 
um den ſich ſtetig ſteigernden Bedarf der Bevölkerung an Friſchgemüſe, an 
Blumen und ſonſtigen gärtneriſchen Erzeugniſſen unter Zuhilfenahme der 
Treibhauskultur zu decken“. And ſchließlich verkriecht ſich die Regierung ſogar 
hinter der mangelnden Einficht damaliger Führer des Berufes, wenn fie in der 
Begründung zum Zolltarif⸗Entwurf zu ihrer Entlaſtung erklärt, „daß die Ane 
ſichten innerhalb der Gärtnerei ſelbſt über die Zweckmäßigkeit eines Zoll⸗ 
ſchutzes geteilt ſeien“. Es nimmt nach alledem nicht wunder, daß die Vor⸗ 
ſchläge der Regierung für den Entwurf bezüglich der Erzeugniſſe des Garten⸗ 
baues völlig unzureichend waren; wurde doch nach wie vor für die wichtigſten 


1) Der Schutz der landwirtſchaftlichen Erzeugung als Vorbedingung des Wie- 
deraufbaues der deutſchen Wirtſchaft; Berlin, 1925. 


1933, das Schicksalsjahr des deutschen Gartenbaues 595 


Erzeugniſſe, insbeſondere für friſches Gemüſe aller Art, für Blumenzwiebeln, 
Schnittblumen und Schnittgrün, für friſches Maſſenobſt und Beeren aller Art 
an der Zollfreiheit feſtgehalten. 

Der Reichstag zeigte zwar für die gartenbauliche Entwicklung beſſeres Ver⸗ 
ftändnis; er feste gegenüber dem Regierungs⸗Entwurf weſentliche Ver⸗ 
beſſerungen durch und ſtellte ſich damit grundſätzlich bereits zu jener Zeit auf 
den Standpunkt, daß ein handelspolitiſcher Schutz des Gartenbaues anzu⸗ 
ſtreben fei. Dem Gartenbau aber war damit nur wenig gedient, denn die Ree 
gierung machte von der Ermächtigung, die autonomen Zollſätze unterſchreiten 
zu dürſen, in den Handelsvertragsverhandlungen weiteſtgehenden Gebrauch. 
„Dabei hat — nach Miniſterialrat Dr. Walter!) — zweifellos auch die poli⸗ 
tiſche Seite der Beziehungen Deutſchlands zu ſeinen Vertragsgegnern eine 
große Rolle geſpielt; zweifellos haben infolge der politiſchen, aus dem Drei⸗ 
bunde fic ergebenden Notwendigkeiten an Oſterreich⸗Angarn und Italien 
gerade auf dem Gebiete des Gartenbaues Zugeſtändniſſe gemacht werden 
miiffen, die — rein wirtſchaftlich und rein handelspolitiſch geſehen — in die⸗ 
ſem Amfange vielleicht nicht notwendig geweſen wären.“ 

Für den deutſchen Gartenbau blieb danach ſo wenig an 
handelspolitiſchem Schutz übrig, daß die oben gekennzeich- 
nete verhängnisvolle Entwicklung nicht aufgehalten wer⸗ 
den konnte; die Zufuhren ſtiegen weiterhin an und erſchwerten den Abſatz 
der Eigenerzeugniſſe in ſteigendem Maße. Die gärtneriſchen Kulturen wurden 
unlohnend; der Obft- und Gemüſebau ſtellte fic auf landwirtſchaftliche Kul⸗ 
turen um; der deutſche Blumengärtner wurde zum Zwiſchenhändler auslän- 
diſcher Erzeugniſſe, die er zur Weiterkultur und oft auch nur zum Vertrieb 
einführte. Viele der Gärtner verloren bei dem unverſchuldeten Niedergang ihres 
Berufsſtandes ihre Verbundenheit mit dem Boden; ihr Berufsſtolz ſchwand 
dahin; ſie bezeichneten ſich oft ſelbſt mit Recht als „Kaufmann“, denn ſie 
handelten ja mit fremder Erzeugung und zu guter Letzt mit dem eigenen Grund 
und Boden, der allmählich auf Grund der Ausdehnung der Städte — in deren 
Weichbild einbezogen — im Werte ſtieg. Oberflächliche Betrachter kamen da⸗ 
durch zu dem irrigen Schluß, daß es dem deutſchen Gartenbau gut gehe. 

Die Regierungen jener Jahrzehnte haben für dieſen 
Kampf des deutſchen Gartenbaues nicht das erforderliche 
Verſtändnis aufgebracht; lag doch für ſie die Zukunft 
Deutſchlands — nach jenem bekannten Kaiſerwort — auf 
dem Waſſer. So iſt manchem zu jener Zeit wohl überhaupt 
nicht zum Bewußtſein gekommen, daß ſich eines Tages das 


1) Der Gartenbau in der deutſchen Soll- und Handelspolitik. — Berichte über 
Landwirtſchaft. Neue Folge. Band V Heft 4. Berlin 1927. 


596 Kurt Fachmann 


Verkümmern eines für die Volksernährung unentbehr- 
lichen Zweiges der deutſchen Wirtſchaft in verhängnis⸗ 
voller Weiſe rächen mußte. 

So lagen die Verhältniſſe im deutſchen Gartenbau bei Ausbruch des Welt⸗ 
krieges! — 

Mit einem Schlage war die deutſche Wirtſchaft vor die rieſenhafte Aufgabe 
geſtellt, Heer und Heimat, umgeben von einer Welt von Feinden, mit Nah⸗ 
rungsmitteln zu verſorgen. Soweit Zölle für Gemüſe und Obſt in der Zeit 
vor dem Kriege in Geltung getreten waren, wurde angeſichts dieſer Aufgabe 
ſofort ihre einſtweilige Aufhebung verfügt. Der gewaltige Bedarf an 
Nahrungsmitteln aller Art ſowie der Ausfall der bedeu- 
tendſten gärtneriſchen Wettbewerbsländer — ausgenom- 
men Holland — bedeuteten für den deutſchen Gartenbau 
eine ſolche Belebung des Abſatzes, daß eine erhebliche Aus- 
dehnung der Erzeugung die Folge ſein mußte; lediglich der 
Mangel an Betriebsmitteln aller Art ſowie der Mangel an Arbeitskräften 
ſetzte dieſer Entwicklung zwangsläufig eine beſtimmte nahe Grenze. Es ſteht 
aber außer jedem Zweifel, daß der deutſche Gartenbau dennoch während der 
Kriegsjahre einen erheblichen Anteil an der Sicherung der Ernährung des 
Volkes gehabt hat. Dieſer Anteil wäre noch beträchtlich größer geweſen, wenn 
durch produktionsſchützende Maßnahmen vor dem Kriege dieſer Aufgabe be⸗ 
wußt vorgearbeitet worden wäre. In dieſen Kriegs jahren hatte der 
deutſche Gartenbau erneut unter Beweis geftellt, daß er 
bei normaler Anforderung und verſtändnis voller Förde⸗ 
rung ſehr bald wieder in der Lage ſein würde, die dem deut⸗ 
ſchen Volke ſeit Jahren aufgezwungenen Einfuhren ent⸗ 
behrlich zu machen und den Bedarf der Märkte aus Eigen- 
erzeugung zu decken. Die volkswirtſchaftliche und ernäh⸗ 
rungspolitiſche Bedeutung des Gartenbaues wurde jetzt 
allgemein mehr und mehr anerkannt. 

Auch in den führenden Kreiſen des Gartenbaues ſelbſt fing man an, ſich 
wieder auf dieſe bedeutſame allgemeinwirtſchaftliche Aufgabe und damit auch 
auf den eigenen Wert zu beſinnen; arbeitsfreudige Kräfte gingen ans Werk, 
ſchloſſen die zerſplitterten und vielgeſtaltigen Berufsgruppen des Gartenbaues 
zu einem einheitlichen Block zuſammen und gingen gegen den Händlergeiſt an, 
dem der Gärtner ſeit jenen Vorkriegszeiten, von ſeiner Regierung preisgegeben 
und in den Strudel „weltwirtſchaftlichen“ Denkens gezogen, verfallen war. 
Von der Regierung wurde tätige Mitwirkung an der Wiederaufrichtung der 
in der Vorkriegszeit geſchwächten Produktionskraft verlangt; die Forderung 
nach handelspolitiſchem Schutz wurde als die entſcheidende Voraus etzung an 
die Spitze geſtellt. — 


1933, das Schicksalsjahr des deutschen Gartenbaues 597 


Die erſten Jahre der Nachkriegszeit waren diefem Auf- 
bauwillen günſtig, weil der Wettbewerb des Auslandes 
zunächſt in erträglichen Grenzen blieb. Die geringere Einfuhr 
war jedoch keineswegs darauf zurückzuführen, daß ſich etwa in der Reichs⸗ 
regierung eine Wandlung bezüglich der einzuſchlagenden Handelspolitik voll- 
zogen hätte; im Gegenteil, ihr waren ja die Hände durch das Verſailler Diktat 
dahingehend gebunden, daß für die Zeit bis zum 10. Januar 1925 die niedrig⸗ 
ſten Zollſätze in Geltung bleiben mußten, die für die einzelnen Erzeugniſſe am 
31. Juli 1914 in Handelsverträgen gebunden geweſen waren. Wenn die Ein⸗ 
fuhren bis in das Jahr 1923 hinein trotzdem geringer als in der Vorkriegszeit 
blieben, ſo lag es vielmehr daran, daß die über die Kriegszeit hinaus laufende 
und erſt allmählich dem Abbau verfallende Zwangswirtſchaft ihre Wirkung 
ausübte, und daß ſich dem Außenhandel bis zum Ablauf des Jahres 1923 in 
ſteigendem Maße die Folgeerſcheinungen der Markentwertung hemmend ent⸗ 
gegenſtellten. 

In trübſter Zeit deutſcher Wirtſchaftsgeſchichte war es 
dadurch möglich, die Grundlagen der gartenbaulichen Er- 
zeugung zu feſtigen; die Not der Wirtſchaft wurde hier zum Schutze 
der Wirtſchaft. Auf zollpolitiſchem Gebiete wurde dieſe Entwicklung für die 
Ziergärtnerei dadurch gefördert, daß durch Verordnung vom 29. September 
1923 die für lebende Pflanzen (Pof. 38) beſtehenden Zollſätze verdoppelt und 
an Stelle der bis dahin autonom geltenden Zollfreiheit für ſonſtige Erzeug⸗ 
niſſe der Ziergärtnerei beachtliche Zollſätze neu feſtgelegt wurden. Damit gab 
man dem Anternehmungsgeiſt der Blumengärtner und Baumſchuliſten einen 
ſtarken Auftrieb, obwohl bereits im Jahre 1924 nach Aufhebung des Cinfubr- 
verbotes und nach Stabiliſierung der Währung an dem Ausmaße der wieder⸗ 
beginnenden Einfuhr zu erkennen war, daß dieſe Sätze nicht als genügender 
Schutz angeſprochen werden konnten. Weſentlich ſchwieriger geſtaltete ſich da⸗ 
gegen die Entwicklung im Gemüſe⸗ und Obſtbau, weil die Aufhebung des 
Einfuhrverbotes für Gemüſe und Obſt bereits weſentlich früher erfolgt war 
und weil zolltarifariſche Anderungen zum Schutze des Gemüſe⸗ und Obſtbaues 
aus innerpolitiſchen Gründen verſagt blieben. Mit der Währungsſtabiliſie⸗ 
rung ſetzte deshalb ſofort eine geradezu erdrückende Aberlaſtung der Märkte 
ein, ſo daß bereits im Jahre 1924 die Einfuhrziffern im Vergleich zu den 
letzten Vorkriegsjahren mengenmäßig im allgemeinen wieder erreicht, 
wertmäßig ſogar durchweg überſchritten wurden. Allerdings muß auch 
hervorgehoben werden, daß ſich Abwehr⸗ und Aufbauwille in den Kreiſen des 
Gemüſe⸗ und Obſtbaues langſamer Bahn brachen als in den Kreiſen des 
Blumen- und Zierpflanzenbaues; berufsſtändiſches Wollen und Handeln ſetzte 
ſich ſchwerer durch; Gemüſe⸗ und Obſtbau hatten zu lange unter dem Schutze 
der großen Schweſter Landwirtſchaft, aber auch zu lange in deren Schatten 


598 Kurt Fachmann 


geſtanden, um ſchnell an ihre eigene Kraft zu glauben und nun felbftverant- 
wortlich ihre Entwicklung zu beſtimmen. — 

Am 11. Januar 1925 gewann Deutſchland mit dem Ablauf der erzwun⸗ 
genen, einſeitigen Meiſtbegünſtigung für die Regelung ſeiner Zoll⸗ und Han⸗ 
delspolitik die Freiheit ſeines Handelns zurück. Man könnte meinen, daß die 
verantwortlichen Stellen dafür Sorge getragen hätten, rechtzeitig in Form 
eines auf die völlig veränderten Verhältniſſe zugeſchnittenen Zolltarifes ein 
geeignetes Werkzeug für den nun beginnenden neuen Abſchnitt deutſcher Han⸗ 
delspolitik in Händen zu haben. Das war nicht der Fall! Die Entſcheidung 
wurde hinausgezögert; man ließ die Wirtſchaft in banger Angewißheit und 
ſetzte ſie dem Anſturm ausländiſcher Zufuhren weiterhin aus. Die Einfuhr 
gartenbaulicher Erzeugniſſe ſtieg inzwiſchen erheblich an. Erſt durch die am 
1. September bzw. 1. Oktober 1925 erfolgte Inkraftſetzung 
der Kleinen Zolltarifnovelle wurde eine neue, geſetzliche 
Grundlage für die Regelung der Handelsbeziehungen ge⸗ 
ſchaffen. Den Bemühungen des geeinten Verufsftandes war es gelungen, 
für alle Zweige des Gartenbaues weſentliche Erhöhungen der autonomen 
Sätze zu erreichen. Die Begründung der Regierung zu dieſer Novelle ließ 
im Gegenſatz zur Begründung des Zolltariſes von 1902 erkennen, daß der 
entſchloſſene Wille des Berufsſtandes zur Eigenverſorgung deutlichen Nieder⸗ 
ſchlag darin gefunden hatte. Bezüglich des Gemüſebaues erkannte die Regie 
rung in der Begründung an, „daß die frühere Auffaſſung, ein beſonderer 
Schutz für den deutſchen Gartenbau fet nicht notwendig und die deutſche Pro⸗ 
duktion ſei zur völligen Deckung des heimiſchen Bedarfs nicht in der Lage, 
ſich als irrig erwieſen habe. Klima und VBodenverhältniſſe der Heimat ermög⸗ 
lichten vielmehr, insbeſondere nach den Erfahrungen der Kriegszeit, eine 
Deckung des Inlandsbedarfs, wenn nur die deutſche Produktion durch aus⸗ 
reichenden Schutz gegen den Wettbewerb des klimabegünſtigten Auslandes 
einigermaßen rentabel geſtaltet und dadurch zu einer technifch ſchnell durch⸗ 
zuführenden Steigerung ihrer Leiſtungsfähigkeit ermuntert werde.“ Auch bei 
Betrachtung des Obſtbaues wurde betont, „daß ein erheblicher Zollſchutz not⸗ 
wendig ſei, um den deutſchen Obſtbau in die Lage zu ſetzen, ſich ſo auszu⸗ 
dehnen, daß er den inländiſchen Bedarf decken könne“. 

Mit Recht durfte der deutſche Gartenbau nun annehmen, 
daß die Reichsregierung bereit ſein würde, den Schutz der 
gartenbaulichen Erzeugung allen Widerſtänden zum Trotz 
nach dieſem eindeutigen Bekenntnis weiter zu verfechten. 
Der Reichsverband des deutſchen Gartenbaues e. V. ging deshalb daran, die 
zu erwartenden Maßnahmen der Reichsregierung durch ein umfaſſendes 
Programm zu unterſtützen, das alle notwendigen innerwirtſchaftlichen 
Maßnahmen für die Bedarſsdeckung aus heimiſcher Scholle aufzeigte und vom 


1933, das Schicksalsjahr des deutschen Gartenbaues 599 


gefamten Berufsſtand im Jahre 1926 gutgeheißen wurde, obwohl ſchon zu 
jener Zeit zu überſehen war, daß der Wunſch nach genügendem Zollſchutz nicht 
mit einem Zuge in Erfüllung gehen würde. 

Inzwiſchen hatten die Handels vertragsverhandlungen mit den 
wichtigſten Anliegerſtaaten eingeſetzt, unter recht ungünſtigen Vorbedingungen. 
Einesteils war bei Beginn der Verhandlungen der Entwurf der Kleinen 
Zolltarifnovelle vom Reichstag noch nicht verabſchiedet worden, ſo daß die 
Verhandlungspartner ihm nicht die notwendige Beachtung beizumeſſen gewillt 
waren; zum anderen waren deutſche Delegationen zu gleicher Zeit in ver⸗ 
ſchiedenen Ländern tätig, ſo daß der ſchnelle Nachrichtenaustauſch unterein⸗ 
ander nicht genügend geſichert war. Der Gartenbau ſtand überall 
zeitweilig im Brennpunkte der Verhandlungen; er erwar⸗ 
tete, daß die Regierung zu ihrem Bekenntnis in der Begründung zur Zoll⸗ 
tarifnovelle ſtehen würde, aber in den einzelnen Handelsabkommen und Han- 
delsverträgen mit Spanien, Belgien, Italien, Holland, Frankreich, der 
Schweiz und weiteren Ländern wurden immer tiefere Breſchen in die auto⸗ 
nome Schutzwehr für gartenbauliche Erzeugniſſe gelegt, ſo daß insgeſamt wohl 
— im Gegenſatz zur Vorkriegszeit — ein lückenloſer Zollſchutz 
grundſätzlich durchgehalten worden war, aber die einzelnen 
rertraglich gebundenen Zollſätze weit unter der erforder- 
lichen Mindeſthöhe blieben. Mit dieſem Ergebnis konnte der Einfuhr 
der nachfolgenden Jahre nicht mit Erfolg begegnet werden; ſie ſtieg für die 
gartenbaulichen Pofitionen von 377,442 Mill. RM. im Jahre 1924 auf 
649,833 Mill. RM. im Jahre 1928 an und blieb bis 1930 trotz abfinfender 
Preiſe auf 600 Mill. RM. ſtehen. 

Der Erfolg der innerwirtſchaftlichen Maßnahmen des Beruſsſtandes wurde 
damit in Frage geſtellt; die begonnene Arbeit konnte und durfte er aber um 
ſo weniger preisgeben, als auch die zuſtändigen Fachminiſterien alle dieſe 
Maßnahmen in der Erwartung unterſtützten, daß die handelspolitiſchen Vor⸗ 
ausſetzungen in abſehbarer Zeit doch noch geſchaffen würden. Der Ablauf des 
deutſch⸗italieniſchen Handels vertrages im Jahre 1930 war nach der gegebenen 
Sachlage der früheſte Zeitpunkt, zu dem eine Erhöhung der entſcheidenden 
Zarifpofitionen angeftrebt werden konnte. In den dazwiſchen liegenden Jah⸗ 
ren mußte auf den Märkten ein erbitterter Kampf mit dem überſtarken Aus⸗ 
land ausgefochten werden, bei dem der deutſche Erzeuger wohl etwas an 
Boden gewinnen, aber ihn doch nur unter ſchweren Verluſten behaupten 
konnte. Die Lage des geſamten Berufsſtandes wurde immer gefahrdrohender. 

Im Frühjahr 1930 wurde wohl erreicht, daß der Reichs- 
tag in einer Entſchließung die Reichsregierung auffor- 
derte, eine Löſung der in den verſchiedenen Handelsver⸗ 
trägen eingegangenen Bindungen anzuſtreben, aber die 


600 Kurt Fachmann 


zu dieſem Swede angeſetzten Bemühungen konnten für 
einen Erfolg nicht ausreichen. Das Fachminiſterium ver- 
mochte ſich mit feinen Wünſchen gegen die Tendenz des Ge⸗ 
ſamtkabinetts in der Folgezeit immer weniger durchſetzen, 
ſo daß ſich die Selbſthilfemaßnahmen des Berufes nicht in dem erwarteten 
Maße auswirken konnten; der Zuſammenbruch vieler Betriebe war nicht mehr 
aufzuhalten. Wenn die Einfuhr im letzten Notjahr 1932 wertmäßig auf 
361,222 Mill. RM. zurückgegangen iſt, ſo kann daraus nicht auf eine Beſſerung 
geſchloſſen werden, denn mengenmäßig iſt die Einfuhr mit 13 707 357 dz 
höher als im Jahre 1913 und nur um ein Geringes unter den Höchſteinfuhren 
der Jahre 1928 bis 1930. Dabei darf nicht vergeſſen werden, daß die Kauf⸗ 
kraft des deutſchen Volkes einen Tiefſtand erreicht hat. — 

Wir haben durch die Jahrzehnte hindurch verfolgen kön⸗ 
nen, daß die Entwicklung des deutſchen Gartenbaues mit 
der Einfuhr in unmittelbarer Wechſelwirkung geſtanden 
hat und von ihr in entfcheidender Weiſe beſtimmt worden 
i ſt. Der fehlende handels politiſche Schutz hat den deutſchen 
Gartenbau in allen feinen Zweigen vor dem Kriege ver- 
kümmern laſſen; die unzureichenden handels politiſchen 
Maßnahmen der Nachkriegszeit haben ihn trotz zäheſter 
Gegenwehr bis ans Ende ſeiner Kräfte gebracht. In der 
Kontingentierung der Einfuhr ſah der Berufsſtand eine 
letzte Möglichkeit, dem wirtſchaftlichen Niederbruch zu 
entgehen. Die politiſche Entwicklung des Jahres 1932 iſt dieſen Weg, 
wie wir es in der Einleitung zu unſerer Betrachtung ſahen, nicht gegangen. 
Das Kabinett von Schleicher hat einen anderen Weg: Ablauf der beſtehenden 
Handelsverträge; Anwendung der Zollautonomie — in der Meinung empfoh- 
len, daß er „ſchnell und wirkſam“ helfen könne. Nachdem wir die enge Ver⸗ 
bundenheit der Entwicklung des Gartenbaues mit den jeweiligen Maßnahmen 
der Handelspolitik kennengelernt haben, werden wir die Frage: Kann dieſer 
Weg mit Erfolg beſchritten werden? — beantworten können. — 

Als im Dezember 1932 ein [older Weg in Vorſchlag ge- 
bracht wurde, hat an allen Stellen durchaus Klarheit dar- 
über beſtanden, daß nur einige der mit anderen Ländern 
abgeſchloſſenen Handelsverträge in kurzer Friſt aufge⸗ 
hoben werden konnten; nämlich die Handelsverträge mit Holland 
zum 31. 12. 1932, mit Schweden zum 15. 2. 1933, mit Jugoſla wien 
zum 7. 3. 1933 und mit Frankreich zum 31. 3. 1933 (bzw. gemäß dem 
Zuſatzabkommen vom 28. 12. 1932 bereits zum 15. 2. 1933). Die Aufhebung 
der übrigen Handelsverträge würde längere Friſten in Anſpruch nehmen, ſo 
daß deren Aufhebung dem Gartenbau „ſchnelle“ Hilfe nicht bringen könnte. 


1933, das Schicksalsjahr des deutschen Gartenbaues 601 


Bei genauer Betrachtung der Bindung der gartenbaulichen Zarifpofitionen im 
einzelnen zeigt ſich jetzt aber die Auswirkung der bereits früher erwähnten 
Tatſache, daß die Verbindung der deutſchen Handelsvertrags⸗Delegationen 
untereinander und mit Berlin während der Verhandlungen zu wünſchen 
übrig ließ. Es ſind dadurch ohne zwingende Notwendigkeit 
Bindungen eingegangen worden, die die Wiederherſtel⸗ 
lung der Zollautonomie für manche Erzeugniſſe faſt zur 
An möglichkeit machen. — Sehr viele Erzeugniſſe des Gartenbaues find 
trotz der eingeräumten allgemeinen Meiſtbegünſtigung zu jener Zeit verſchie⸗ 
denen Ländern gegenüber gebunden worden: ſo z. B. Apfel (in der Zeit vom 
25. 9 bis 31. 12.) an Belgien, Italien, die Schweiz, Frankreich und Jugo⸗ 
ſlawien; oder aber: Gurken (in der Zeit vom 16. 4. bis 15. 9.) an Holland, 
Frankreich, Italien und Oſterreich. — Bei anderen Erzeugniſſen wiederum 
überſchneiden ſich die Bindungen in ihrer zeitlichen Begrenzung. Bohnen 
ſind z. B. in der Zeit vom 1. 5. bis 30. 9. an Italien und Frankreich, vom 
1. 10. bis 31. 10. an Frankreich und vom 16. 6. bis 31. 10. an Belgien mit 
Zollſätzen in verſchiedener Höhe gebunden worden. — Dieſe wenigen Bei⸗ 
ſpiele ſind nicht etwa Einzelerſcheinungen, ſondern ſie überwiegen! 

Es iſt deshalb nicht verwunderlich, daß ſich eine in Ausſicht genommene 
Aufhebung der Bindungen eines Handelsvertrages durchaus nicht ſo auswirkt, 
wie es zunächſt bei Betrachtung nur dieſes Handelsvertrages ſcheinen 
möchte, und es wird verſtändlich, daß ſelbſt bei Aufhebung der oben aufgeführ- 
ten vier Handelsverträge verhältnismäßig wenig Bindungen von Gartenbau- 
erzeugniſſen tatſächlich frei werden. Es kämen in Frage bei Aufhebung der 


Holland gegebenen Bindungen zum 31. 12. 1932: 
Weißkohl; Tomaten (vom 1. 10 bis 30. 4.); Pelargonien, Fuchſien, 
Cinerarien und Reſeden in Töpfen; Magnolien und Kirſchlorbeer mit 
Erdballen; Ilex, Aucuben, Rhododendron und Azaleen m. E.; Taxus 
und Buxus m. E.; Blautannen und Chamaecyparis m. E.; Hyaginthen-, 
Zulpen- und Narziſſen⸗Zwiebeln; 


bei Aufhebung der Schweden gegebenen Bindungen zum 15. 2. 1933: 
gartenbauliche Erzeugniſſe werden nicht frei; 


bei Aufhebung der Frankreich gegebenen Bindungen zum 15. 2. 1933: 
Rotkohl; Wirſingkohl; Champignons und Trüffeln; Zwiebeln; Rofen- 
kohl; Auberginen; Kopfſalat (vom 1. 4. bis 30. 11.); Mohrrüben; Cham- 
pignons, einfach zubereitet; aus getrockneten Küchengewächſen nur: un⸗ 
reife Speiſebohnen, unreife Erbſen und Karotten; Blumenzwiebeln, 
knollen und -bulben (in Poſtſendungen bis 5 kg); Weintrauben (in ge- 
ringen Mengen und in begrenzten Zeiten!); Himbeeren, Johannis ⸗ und 


602 Kurt Fachmann 


Stachelbeeren; Apfelpülpe; Erdbeerpülpe (in Behältniſſen mit 5 kg und 
mehr); Bananen, getrocknet; Mandeln, friſch; Datteln; 


bei Aufhebung der Jugoſlawien gegebenen Bindungen zum 7. 3. 1933: 
getrocknete Pflaumen aller Art. — 


Demgegenüber würde in den Handelsverträgen mit Bel⸗ 
gien, Italien, Oſterreich, der Schweiz, Spanien und ande 
ren Ländern die überwiegende Zahl gerade der wichtigſten 
gartenbaulichen Erzeugniſſe nach wie vor gebunden blei⸗ 
ben; genannt ſeien nur wenige: 


Tomaten (Ausnahme fiehe oben); Blumenkohl; grüne Bohnen; grüne 
Erbſen; Salat aller Art (Ausnahme fiehe oben); Gurken; Schnittblumen 
und Schnittgrün; Weintrauben (Ausnahme ſiehe oben); Apfel, Birnen; 
Erdbeeren; Aprikoſen; Pfirſiche; Pflaumen; Kirſchen; Bananen; Apfel⸗ 
finen; Zitronen; Ananas und viele andere mehr. 


Allein ſchon die namentliche Aufführung aller der Gartenbauerzeugniſſe, 
für die wir die Zollautonomie zurückgewinnen würden, gegenüber der Auffüh- 
rung nur der wichtigſten Gartenbauerzeugniſſe, die nach wie vor ge⸗ 
bunden blieben, vermittelt den Eindruck, daß der Gartenbau von einem ſolchen 
Weg nicht viel erhofſen kann. Wenn wir nun gar zahlenmäßig überſchlagen, 
für welchen Hundertſatz der Einfuhr des Jahres 1932 unter Zugrundelegung 
der Mengenziffern bzw. der Wertziffern der Einfuhr die Zollautonomie zu⸗ 
rückgewonnen würde, ſo kann dieſer Eindruck nur erhärtet werden. Eine 
„ſchnelle und wirkſame“ Hilfe iſt auf dem Wege des Herrn 
von Schleicher nicht zu erwarten! — 

Wir find nun für unfere bisherige Betrachtung von der Annahme aus⸗ 
gegangen, daß eine reſtloſe Aufhebung aller Bindungen dieſer Handelsver- 
träge tatſächlich vorgenommen wird. Die bisherige Handhabung hat jedoch 
gezeigt, daß in Wirklichkeit aus dem Kompromiß Warmbold — von Braun 
weitere Kompromiſſe erwachſen find und wohl auch noch erwachſen können, 
die das Geſamtergebnis für den Gartenbau noch weiter beeinträchtigen würden. 

Vorläufig iſt z. B. eine endgültige Entſcheidung über die 
Bindungen im deutſch⸗franzöſiſchen Handelsvertrag noch keineswegs ge⸗ 
fallen. Durch das Zuſatzabkommen vom 28. 12. 32 iſt wohl die Möglichkeit 
gegeben, Bindungen durch eine Sonderkündigung mit vierzehntägiger Kün⸗ 
digungsfriſt jederzeit — erſtmals zum 15. 2. 32 — zu beſeitigen. Es iſt jedoch 
noch nicht bekannt geworden, daß bezüglich der gartenbaulichen Erzeugniſſe 
von dieſer Möglichkeit Gebrauch gemacht werden wird. (Wir möchten aller- 
dings annehmen, daß es geſchieht.) 


1933, das Schicksalsjahr des deutschen Gartenbaues 603 


Man muß weiter abwarten, wie die wiedergewonnene 3ollauto- 
nomie für die einzelnen Poſitionen gehandhabt wird. In der Rundfunk. 
rede war nur geſagt worden, daß „die Reichsregierung von ihrer Zollautonomie 
im Intereſſe der Landwirtſchaft in dem erforderlichen Ausmaße Gebrauch 
machen würde“. Aber das erſorderliche Ausmaß wird man ſehr geteilter Mei⸗ 
nung ſein können. Die bisherigen Ergebniſſe ſind für den Gartenbau nicht 
ermutigend; denn bislang iſt lediglich mit Wirkung vom 1. 2. 1933 eine Ere 
höhung des autonomen Zolles für Weißkohl von bislang 4 RM. auf jetzt 
6 RM. vorgenommen worden, obwohl der Gerufsftand eine Erhöhung auf 
10 RM. für erforderlich gehalten hatte. And es iſt noch weniger ermutigend, 
wenn die bei Holland wiedergewonnene Zollautonomie für Tomaten (vom 
1. 10. bis 30. 4.) dazu geführt hat, daß in Vereinbarungen mit Spanien kurz 
danach der nunmehr autonome Zoll von 20 RM. für gewiſſe Zeit auf 10 RM. 
herabgeſetzt wurde. — 

Der Weg: Ablauf der beſtehenden Handels verträge; An⸗ 
wendung der Zollautonomie — iſt zur Wiedergewinnung 
einer autonomen Handelspolitik an fich erforderlich, aber 
er ſichert nach dem Vorhergeſagten dem Gartenbau weder 
eine ſchnelle noch eine wirkſame Hilfe, ſo daß für ihn nach 
wie vor eine wirkliche und rechtzeitige Beſſerung nur durch 
Feſtſetzung von Einfuhr⸗Jahreskontingenten unter Gee 
rückſichtigung der ſaiſonmäßigen Verſorgungslage des 
deutſchen Marktes erwartet werden kann, wenn feine Be⸗ 
triebe vor dem Zuſammenbruch bewahrt werden ſollen. 
Dieſe Kontingentierung muß ſchnell kommen; wir ſtehen 
im Schickſals jahr des deutſchen Gartenbaues. — 

Die deutſchen Gärtner haben es am eigenen Leibe erfahren, daß ihre Ve⸗ 
triebe nur dann vor dem Niedergang bewahrt werden können, wenn die deutſche 
Zoll- und Handelspolitik den bisherigen Weg der einſeitigen Vegünſtigung 
der Exportwirtſchaft zu Laſten des Binnenmarktes verläßt. Die Kräfte, die 
die deutſche Zoll⸗ und Handelspolitik bislang maßgeblich beſtimmten, haben 
hundertſältig unter Veweis geſtellt, daß fie keineswegs gewillt find, dieſer 
Notwendigkeit Rechnung zu tragen. Sie kämpfen vielmehr mit allen ihnen zu 
Gebote ſtehenden Mitteln für die Erhaltung einer liberaliſtiſchen Wirtſchafts⸗ 
politik und haben ſeit jeher erkannt, daß die Entſcheidungen auf dem politiſchen 
Kampfplatze fallen, während der deutſche Gartenbau glaubte, allein mit ſach⸗ 
licher Arbeit die Sicherung der Lebensnotwendigkeiten des Verufes zu er⸗ 
reichen. 

Die hinter uns liegende Zeit härteſter politiſcher Kämpfe hat der deutſchen 
Landwirtſchaft mit aller Deutlichkeit gezeigt, daß eine bewußte Amſtellung der 
deutſchen Wirtſchaftspolitik unter Hervorkehrung der Vedeutung des Vinnen⸗ 


Agrarpolitik Heft 8, Bg. 4 


604 


marktes nur von Kräften vorgenommen werden wird, die aus ihrer Welt. 
anſchauung heraus in der Erhaltung der bodenftändigen Berufe der Bauern 
und Gärtner die Grundlage für die Wiedererſtarkung der Wirtſchaft ſehen. 
Dieſe Kräfte müſſen zum Siege kommen, wenn die Zukunft des deutſchen 
Gartenbaues geſichert werden ſoll! Der deutſche Gärtner kann infolgedeſſen in 
dieſem Kampfe nicht tatenlos zwiſchen den weltanſchaulichen Mächtegruppen 
ſtehen. In Ausübung ſeiner berufsſtändiſchen und ſeiner ſtaatsbürgerlichen 
Rechte muß er im Endkampf allen Kräften entgegenwirken, die auf Grund 
ihrer weltanſchaulichen Einſtellung — auch wenn fie in der Maske des Freun⸗ 
des und Förderers des deutſchen Gartenbaues auftreten — letzten Endes die 
erklärten Feinde eines ſtarken deutſchen Gartenbaues ſein müſſen. 


Mager milchuerwertung durch Kaseinherstellung 


Magermilchverwertung durd Kaſeinherſtellung 


Die deutſche Milchwirtſchaft iſt der 
größte Zweig der landwirtſchaftlichen 
und induſtriellen Gütererzeugung 
Deutſchlands und ſteht vor dem Ge⸗ 
treidebau und der Kohlenför⸗ 
derung. 10 Millionen Kühe erzeugen 
23 Milliarden Liter Milch jährlich. Da- 
von werden 3,14 Milliarden Liter zur 
Aufzucht von jungen Tieren verwendet, 
6 720 000 000 Liter Friſchmilch fließen 
dem menſchlichen Verzehr zu. Faſt die 
Hälfte der Geſamtmilcherzeugung wird 
zur Herſtellung von Butter verwendet, 
außerdem noch 1,97 Milliarden Liter 
zur Käfeerzeugung. 

Aber die Verwertung der Mager 
milch gibt die Statiſtik ſehr ungenü⸗ 
gend Auskunft. Wir haben darum ver⸗ 
ſucht, den Verwertungsgang der Ma- 
germilch in Zahlen feſtzuhalten: 

Geſamterzeugung 7 500 000 000 Liter 
Magermilch; davon werden 50% in den 
Molkereien und 507 in der Bauern⸗ 
wirtſchaft erzeugt. Dazu kommen 
1500 000 000 Liter Buttermilch, die 
beinahe ausſchließlich bei der Mäſtung 
Verwendung finden. Die Geſamtrück⸗ 
ſtände bei der Butterung betragen alſo 
9 000 000 000 Liter. Die Magermilch 
findet Abſatz: 


zu 15% im Verkauf an 

Bäckerelen, Anſtalten ufw. = 112500000 Ltr. 
zu 9,9% tn der Herſtellung 

von Magerfettkaͤſe und 


Quark = 742500000 Str. 
zu 15 a in Der Margarines 
induſtrie = 112400000 Str. 
zu 0,35% in der Kaſein⸗ 
induſtrie = 26664000 Ltr. 
es verbleiben alfo zur 
Fütterung = 6505936000 Lr. 
7500000000 Ltr. 


Davon entftehen im Bauern» 


betrieb 50 %, alfo 3750000000 Ltr. 
in der Molkerei werden 

13,25 % bereits weitere 

verarbeitet 994064000 Ltr. 
Somtt bleiben für tnduftrielle 

Verwertung 2755936000 Ltr. 


die bisher natürlich den Milchlieferan⸗ 
ten zurückgegeben werden mußten. Die 
Magermilch, die bei der Hausbutter- 
bereitung anfällt, kommt für den Verkauf 
nicht in Frage, weil die Landwirtſchaft 
fie zur Aufzucht der Jungtiere und Füt⸗ 
terung der Schweine braucht, da ſie 
ſonſt Vollmilch verwenden müßte. Die 
Transportkoſten dieſer Magermilch find 
ſo hoch, daß ſie eine induſtrielle Ver⸗ 
wertung unmöglich machen. 


Magermilchverwertung durch Kaseinherstellung 


Magermilch, die auf dem 
Hofe erzeugt wird, iſt und 
ſoll auch in Zukunft nicht 
marktgängig werden, ſon 
dern der landwirtſchaftli 
chen Veredelungswirtſchaf 
dienen. Wenn erſt wieder da 

. { 
Jwiſchen Getreide, Milch un 
Fleiſchprodukten hergeſtell 
ſt, dann wird für die 
r 
e 


geſunde t 


ebseigene Magermilch 
rwertung und die indu- 
ftrielle Magermilchverwer⸗ 
tung wohl der gleiche Ren 
tabilitätsgrad erreicht wer⸗ 
den können. Wenn Schwan 
kungen auftreten, ſo können 
durch Sonderleiſtungen be- 
ftimmter Verarbeiter dieſe 
Preisabweichungen ausge 
glichen werden. 

Die Erzeugung von Magerfettläfe 
darf nicht als Notbehelf wegen über- 
ſchüſſiger Magermilch erfolgen, ſondern 
hat ſich dem Bedarf anzupaſſen. Eine 
ſolche Anpaſſung an den tatſächlichen 
Bedarf iſt aber nur unter der Voraus- 
ſetzung einer klaren Regelung der Aus- 
landszufuhren durch handelspolitiſche 
Maßnahmen möglich. Wenn die bis⸗ 
herigen Regierungen ſchon zu ſchwach 
waren, die Käſeeinfuhr aus dem Aus⸗ 
lande einzudämmen, fo ſollten fie wenig 
ſtens im Inland die Ausgleichsweichen 
der Magermilchverwertung offen ge⸗ 
laſſen haben. 

Die Beſtrebungen, Magermildtroden- 
pulver in größeren Mengen herzuſtel⸗ 
len, müſſen vorerſt am Abſatzmangel 
ſcheitern. Iſt es doch nicht einmal gelun- 
gen, während der Notjahre des Krieges 
der getrockneten Vollmilch größeren 
Eingang in die deutſchen Haushalte zu 
verſchaffen. Wenn daher die deutſchen 
Molkereien erſt ſeit kurzem wieder 
darangehen, der getrockneten Mager- 
milch in Verbindung mit anderen Nähr- 
mitteln durch großzügige Werbung 
einen größeren Abſatz zu verſchaffen 
(Närmil z. B.), ſo iſt das nur zu be⸗ 
grüßen, weil dadurch ein weiterer Pro- 
zentſatz Magermilch marktgängig ge- 


4° 


605 


macht wird. Der Abſatz der Mager- 
milch als Volksnahrung aber wird in 
Zeiten ſteigender Kaufkraft und Milch- 
erzeugung zugunſten der Vollmilch ab- 
nehmen; wir müſſen daher, wenn wir 
zu einer größeren Ausgeglichenheit des 
Abſatzes und der Preisbildung in der 

Milchwirtſchaft im Rahmen der deut⸗ 
ſchen Nationalwirtſchaft kommen wol⸗ 
len, unſer Hauptaugenmerk auf die bis- 
I vernachläſſigte Kaſeinherſtellung 
lenken. 

Das Kaſein iſt ein durch Ausfällung, 
Preſſung und Trocknung aus der ent⸗ 
fetteten Rohmilch gewonnenes Erzeug⸗ 
nis, das ſich in der deutſchen Wirtſchaft 
ſehr vielſeitig verwenden läßt, wobei 
die Entwicklung der Verwendung noch 
keineswegs abgeſchloſſen iſt. Das Kaſein 
findet heute hauptſächlich Verwendung 
zur Herſtellung von Kunſthorn, als 
Binde- und Klebemittel in der Möbel- 
induſtrie zur Erzielung dauerhafter 
Furniere. An . Maueranftride find 
Käfefarben. Auch in der Papiererzeu- 
gung iſt Rafein ein viel begehrtes Mite 
tel, gutes Kunſtd ruck, Chromo-, Bunte, 
Kartonagen ⸗ und Glanzpapier herzu⸗ 
ſtellen. Anentbehrlich iſt es auch als Zu⸗ 
ſatz zu beſtimmten Sorten Rafe. Der 
Allgemeinheit nahezu unbekannt iſt, daß 
Kaſein als Bindemittel in der Wurſt⸗ 
induſtrie ſtark verwendet wurde, vor 
dem Kriege bis zu einer Million Rilo- 
gramm. Durch eine falſche Geſetzgebung 
ift der Verbrauch an Käſeſtoff bei den 
Metzgern wieder eingeſtellt worden. In 
unſeren Guppen- und Fleiſchbrühwür⸗ 
feln findet man das Milcheiweiß eben⸗ 
ſalls. Seine nahe Verwandtſchaft mit 
dem tieriſchen Eiweiß macht das Kaſein 
zu einem hervorragenden Nähr- und 
Kräftigungsmittel, weshalb es in vie⸗ 
len Heilproduften (3. B. Plasmon, Sa⸗ 
natogen) als Hauptbeſtandteil enthalten 
iſt. Selbſt in der Photographie benutzt 
man Kaſein zur Herſtellung lidtempfind- 
licher Schichten, und die Technik erprobt 
zur Zeit Kaſein zur Herſtellung nicht 
brennbarer Filmſtreifen aus. Daß wir 
Menſchen ſaſt täglich auf Fußboden- 
belag gehen, deſſen Ausgangsprodukt 
die Magermilch iſt, wiſſen nur wenige. 


606 


Der Kamm, die Knöpfe an den Klei⸗ 
dern, Schmuckſachen, Zahnbürſten, Haar- 
ſpangen, Lichtſchalter, Radioapparate, 
Meſſergriffe uſw. beſtehen aus Käſe⸗ 
Manche „angehübſchte“ Frau 
würde erblaſſen, wenn ſie wüßte, daß 
Puder, Hautcreme und Salben nahe 
verwandt find mit dem „wohlriechen⸗ 
den“ Limburger Rafe. Schließlich fet 
noch erwähnt, daß Kaſein auch in der 
Textilinduſtrie angewandt wird, und 
zwar zum Imprägnieren und Färben 
von Stoffen. Selbſt die Flugzeugpro⸗ 
peller können nur mit Näfeleim fo 
dauerhaft zufammengeleimt werden. 

Mit dieſer Aufzählung der Verwen- 
dungsmöglichkeiten des Kaſeins iſt ſeine 
Vielſeitigkeit noch nicht erſchöpfend be- 
handelt. In unſerem täglichen Leben ſind 
wir jedoch ftändig von Gebraudsgegen- 
ſtänden umgeben, die aus der Mager- 
milch abzuleiten ſind. Trotzdem wird der 
ſtändig ſteigende Kaſeinbedarf faſt voll- 
ſtändig aus dem Ausland eingeführt, 
weil die Behandlung des Kaſeins in 
der Handelspolitik die eigene Erzeu⸗ 
gung unmöglich macht. Der Zuſammen⸗ 
bruch der Butter und Milchpreiſe im 
Dezember 1932, der z. B. im Allgäu 
jetzt einen Werkmilchpreis von 4 Pfen- 
nig ſür den Liter Vollmilch bedingt, 
zwingt uns zum Schutz unſerer Erzeu⸗ 
gung gegenüber der ausländiſchen 
Schleuderkonkurrenz. 

Die Entwicklung der Einfuhrſtatiſtik 
von Kaſein, die ſich faſt über 3 Jahr⸗ 
zehnte erftredt, iſt geradezu ein Muſter⸗ 
beiſpiel für eine Handelspolitik, deren 
Schwerpunkt händleriſch ausgerichtet iſt. 
Hervorgehoben muß werden, daß trotz 
der vergangenen Kriſenjahre in der 
Milchwirtſchaft die Einfuhr von Kaſein 
immer noch zugenommen hat. In den 
Jahren 1931 und 1932 iſt zwar wert 
mäßig die Einfuhr ſehr abgefallen, und 
zwar 1931 um 60% und 1932 um 77%. 
Hier macht ſich jedoch ſchon ſeit 1930 der 
finfende Weltmarktpreis geltend. 

Der Rückgang der Preiſe mußte 
natürlich die im Aufbau begriffene 
deutſche Kaſeinerzeugung wieder zer⸗ 
ſchlagen. Es iſt daher die Tatſache zu 
verzeichnen, daß trotz großer Mengen 


Magermilchverwertung durch Kaseinherstellung 


unverwertbarer Magermilch die Rafein- 
erzeugung in Deutſchland wieder ein- 
geſchlafen iſt. Genaue Zahlen über die 
deutſche Käſeſtoffherſtellung find nicht 
vorhanden, doch hat man die Inlands- 
produktion 1929 mit 15 000 dz und 1932 
mit 8000 dz angenommen; mithin er- 
zeugte Deutſchland 1932 nur 4% ſeines 
geſamten Verbrauchs. 

Ein anſchauliches Bild dieſer finn- 
loſen Einfuhr bekommen wir erſt, wenn 
wir die Einfuhr von Kaſein in Liter 
Magermilch und ihren Wert in Dollar 
umrechnen. 


Deutſche Magermilch ⸗Einfuhr 1932 
in Dollar. 


Aus Argentinten 312743000 Ltr. 461666 3 
503000 . 


„ Frankreich 155 „ 395716 
„England 3476000 „ 10238 „ 
„ Neuſeeland 42800000 „ 122143 , 
„Norwegen 1207300 „ 42380 „ 
» fonftigen 

Laͤndern 98640000 „ — 
Geſamteinfuhr 625235000 Qtr. 1082857 3 


Dagegen wurden 
in Deutſchland 
nur 26664000 Ltr. verarbeitet. 


Vor allem aber zeigt uns die Stati- 
ſtik, daß der Einwand der Kaſeinindu⸗ 
ſtrie, daß in Deutſchland nicht die ge⸗ 
wünſchte Qualität von Kaſein zu er⸗ 
halten fei, nicht ſtichhaltig tft. Denn 
wenn es möglich iſt, von 25 Staaten, ja 
aus der ganzen Welt Kaſein abzuneh- 
men, dann kann man ſich nicht darauf 
verſteifen, daß gerade deutſches Kaſein 
untauglich ſei. 

Die Milchinduſtrie in Argentinien 
hat ſich auch erſt nach dem Kriege ent- 
wickelt. Zuerſt wurde in geringem Maße 
Butter und Käſe produziert, und erſt 
als ſich die Erzeugung und der Abſatz 
von Kaſein nach Deutſchland und Ame ⸗ 
tifa als einträglicheres Geſchaft erwies, 
ſtellte ſich die argentiniſche Milhwirt- 
ſchaft ganz auf Kaſeinerzeugung um. 

Die Entwicklung der Kaſeininduſtrie 
in Argentinien und Frankreich unter 
deutſcher Zollbegünſtigung zeigt folgen- 
des Bild: 


Magermilchverwertung durch Kaseinherstellung 


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608 
Rafeinerport in Tonnen. 
Als 
Rranle Vergleich Argen⸗ 35 
reich deutſcher tinlen S 
Import 2 
19022 — — 94 8 
107: — 2881 205 Es. 
1910: — 4313 2973 Sst 
19132 — 663 3446 RE 
1918: — — 3584 £<5 
1923: — = 10690 52 
1924. 6132 — 1458 ©,;% 
1925: 6914 11809 16501 x 
1926: 7852 9552 19846 2 
1927: 14706 13814 14385 * 
1928: 11025 14829 17570 5 
199: 6788 16701  6150* 85 
1930: 6954 14809 457 « 


Während der Weltumſchlag 
von Kaſein rückläufig iſt, 
zeigt ausgerechnet die 
deutſche Einfuhr ſteigende 
Nichtung. 

Die in Deutſchland im Januar 1933 
endlich verfügte Zollerhöhung trat aber 
nicht fofort, ſondern erſt nach 14 Tagen 
in Kraft, um den Händlern eine wirk⸗ 
ſame Voreindeckung möglich zu machen. 
Nachdem der Verbrauch an Nähr- und 
Futtermittelkaſein im Vergleich zu In ⸗ 
duſtriekaſein nicht beſonders hoch iſt, 
dürfte durch die Voreindeckung die Zoll ⸗ 
erhöhung auf Monate hinaus unwirk⸗ 
ſam ſein. 

Vergleicht man dazu die Maßnahmen 
des Auslandes auf dem Milch-, Käfe- 
und Kaſeinmarkt, dann müſſen wir 
Deutſche vor Neid erblaſſen. So haben 
die Vereinigten Staaten, die im Ver⸗ 
brauch von Kaſein an erſter Stelle 
ſtehen, durch Zölle erreicht, daß ſich eine 
eigene Kaſeininduſtrie entwickeln konnte, 
die heute bereits die Hälfte des 
Bedarfs deckt. Im Juni 1929 wandten 
die USA. zum 1. Mai einen prohibitiven 
Zoll von RM. 51.06 für 100 kg bei 
Kaſein an. Daraufhin iſt die Rafeinein- 
fuhr nach den USA. um 75% zurüdge- 
gangen. Die USA. will ihren Zoll fo- 
gar auf 90 RM. per dz erhöhen, um 
jede Einfuhr zu unterbinden. Bei uns 
in Deutſchland aber hat man im Ja- 
nuar 1933 den Zoll für Lab-, Nähr- 
und Futterkaſein von 6 RM. auf 60 
RM. erhöht, entſprechend der drei⸗ 


Magermilchverwertung durch Kaseinherstellung 


fachen Ausbeute von Kaſein bei der 
Quart und Käſeherſtellung, den Zoll 
für „zum menſchlichen Genuß unbrauch⸗ 
bar gemachtes“ Induſtriekaſein von 
6 RM. auf 2 RM. ermäßigt. Die amt- 
lichen Vertreter der Landwirtſchaft und 
Milchwirtſchaft ſuchen dieſe Zollände⸗ 
rung der Regierung mit dem Hinweis 
auf die Ausfuhrwettbewerbsfähigkeit 
zu entſchuldigen. Sie überſehen, daß der 
Kaſeinzoll nur ein Teilausſchnitt der 
Magermilchverwertungsfrage iſt. Aber 
auch die anderen Länder haben hohe 
Zölle auf Kaſein gelegt, z. B. die 
Schweiz 20 RM. auf 1 dz, in Ofter- 
reich wurden Kaſeinwerke errichtet. 

Wenn wir die Entwicklung der Soll- 
maßnahmen Deutſchlands gegenüber 
der Kaſeineinfuhr betrachten, dann 
wundern wir uns nicht mehr, daß es 
von ausländiſcher Magermilch über- 
ſchwemmt wird. 

Im Vorkriegsdeutſchland hatten wir 
bereits einen allgemeinen Zollſatz von 
10 Mark pro dz Kaſein. Weshalb die 
Regierung dann im Jahre 1925 den 
Kaſein⸗ und Quarkzoll von 10 Mark 
auf 6 Mark herabgeſetzt hat, konnte bei 
den täglich wechſelnden handelspoli⸗ 
tiſchen „Grundſätzen“ unſerer Regie- 
rungen nicht in Erfahrung gebracht 
werden. Der Zollſatz von 6 RM. für 
100 kg aller Kaſeinſorten als da find: 
Milchſäurekaſein und Rohkaſein (die 
hauptſächlich in der Kunſthorninduſtrie 
Verwendung finden), Labkaſein für die 
Käſeinduſtrie und Nährkaſein für die 
Nahrungsmittel- und Kräftigungsmit- 
telinduſtrie, hat ſichim Laufe der 
letzten Jahre ſogar zu einer 
ernſten Gefahr fürdie Milch ⸗ 
wirtſchaft und die Käfeindu- 
ftrie im beſonderen entwik⸗ 
kelt. Es konnte ſich unter dieſem 
Kaſeinzoll nicht nur keine deutſche Ka⸗ 
ſeinherſtellung entwickeln, ſondern der 
niedere Zollſatz war ein Anreiz dafür, 
ausländifhes Kaſein zur Herſtel⸗ 
lung von Magerkäſe in 
Deutſchland ſelbſt zu ver- 
wenden. Alle Vorſtellungen der 
milchwirtſchaftlichen Verbände wurden 
jahrelang übergangen, bis der Mangel 
an ausländiſchen Zahlungsmitteln uns 


Ergebnisse der Landarbeitsringe 


zu teilweiſen Einfuhrbeſchränkungen 


zwang. 

Schiele und Brüning aber haben in 
der Kaſein⸗ und Quarkzollfrage ein 
Muſterbeiſpiel falſcher Zollgeſetzgebung 

eliefert. Am 23. 1. 32 wurde der 
Suartyoll von 6 RM. auf 17 RM. er- 
höht, um die Sauermilchkäſerei vor der 
Auslandskonkurrenz zu ſchützen. Man 
hat damals aber vergeſſen, auch die 
Hintertür zu ſchließen. Denn durch die 
erfolgte Heraufſetzung des Quarkzolles 
wurde die Käſeinduſtrie verleitet, ſtark 
gefteigerte Mengen ausländiſchen Ka⸗ 
ſeins ſtatt inländiſchen Quarks zu ver- 
wenden. Genau ein Jahr haben die Ver⸗ 
antwortlichen gebraucht, um dieſe An. 
terlaffungsfünde zu entdecken, denn erſt 
durch die Zolländerungen vom 19. Sa- 
nuar 1933 hat man dieſes Zollkurioſum 
beſeitigt. 

Am endlich eine planmäßige Entwick- 
lung der deutſchen Kaſeinerzeugung zu 
ermöglichen, iſt notwendig, die Einfuhr 
von denaturiertem Induſtriekaſein zu 
beſchränken in dem Maße wie unſere 
Milchwirtſchaſt ihre Erzeugung ſteigert. 
Dabei müſſen wir verlangen, daß man 
die Argentinier auf ihrem Warenvor- 
rat figen läßt und nur von Frankreich 
abnimmt, damit die erſteren darüber 
nachdenken können, wohin ein Zollkrieg 
mit Deutſchland führt. Wir aber könn- 
ten bei der einſeitigen Bevorzugung 
Frankreichs ein Entgegenkommen in 
der Frühgemüſeeinfuhr aushandeln. 

Wir ſetzen uns felbftverftändli dafür 
ein, daß für die Kunſthorninduſtrie und 
verwandte Betriebe, ſoweit ſie nur für 
den Export arbeiten, die Arbeitsmög⸗ 


609 


lichkeit unter zollpolitiſcher Aufſicht 
offengehalten wird. Ja, es wäre ſogar 
zu verantworten, daß das Reich nade 
weisbaren Schaden durch Ausfubr- 
bebinderung rüdvergütet. 

Für das deutſche Kaſein aber ift ein 
feſter Preis zu beſtimmen, der eine 
ſtändige Magermilchverwertung von 
34 Pfennig gewährleiſtet. Dabei fol 
der Wert der Rückſtände bei der 
Kaſeinerzeugung mit einem 105 
bewertet werden. Nachdem aus 10 
Liter Magermilch 3 kg Kaſein gewon- 
nen werden und dabei 14 Pfg. General- 
unkoſten entſtehen, darf der Preis für 
1 kg deutſches Kaſein zwiſchen 0,70 
RM. und 1,05 RM. liegen. Zefon- 
dere Qualitäten Kaſein (3. B. für Kräf- 
tigungsmittel) find natürlich höher zu 
bezahlen. Wird den Kaſeinerzeugern 
dieſer Preis garantiert, dann wird die 
Milcherzeugung die techniſchen und die 
Molkereigenoſſenſchaften die Abſatz⸗ 
fragen löſen. Für die verarbeitende Sn- 
duſtrie aber wird fid der Nohſtoff nicht 
zu ſtark verteuern, weil ja die bisher 
ſehr hohen Handelsunkoſten von 20 bis 
25 RM. nur mehr 6—8 RM. betragen 
werden. 

Mag es auch für einen kleinen Kreis 
von Händlern hart ſein, einen Teil 
ihres Geſchäftes zu verlieren, das In⸗ 
tereſſe der Volksgemeinſchaft verlangt, 
daß wir den Weg zur Kaſeinſelbſtver⸗ 
ſorgung einſchlagen und damit errei- 
chen, daß die Verwertung von weiteren 
500 Millionen Liter Magermilch ge⸗ 
ſichert iſt. 


Georg Reichart, München. 


Wie können Ergebniſſe der Zand- 
arbeitsringe bevölkerungspolitiſch ausgewertet werden? 


Im Schaubild iſt die monatliche Ver ⸗ 
teilung des Jahresarbeitsaufwandes 
einer mit 2 Pferden und Bindemäh⸗ 
maſchine arbeitenden, nach der verbefler- 


ten Dreifelderwirtſchaft organiſierten 
bäuerlichen Körnerwirtſchaft Mittel- 
deutſchlands dargeſtellt. Der Betrieb iſt 
ein bäuerlicher Durchſchnittsbetrieb, wie 


610 


es deren viele gibt und wie ich deren 
viele bei meinen demnächſt zu veröffent- 
lichenden „Anterfuchungen über den Be⸗ 
trieb der Mähmaſchinen bäuerlicher Ve- 
triebe durch Einbaumotor“ angetroffen 
habe. Die größten Anſprüche an den Ar- 
beitsbedarf fallen in die Zeit der Ge⸗ 
treide- und Hackfruchternte. Da der Be⸗ 
trieb mit Bindemähmaſchine arbeitet, 
liegt die Auguſt⸗Arbeitsſpitze der 
Frauenarbeitskurve tiefer als ihre Ok. 
tober⸗Arbeitsſpitze, zumal keine Kartof⸗ 
felrodemaſchine vorhanden und das Rü- 
benernteverfahren unzweckmäßig iſt. Im 
ganzen werden die menſchlichen Arbeits- 
kräfte, wie die Kurven erkennen laſſen, 
ebenſo ungleichmäßig beanſprucht wie 
die beiden Pferde, die im Jahresdurch⸗ 
ſchnitt nur zu ca. 60%, aber ſelbſt im 
8 nicht zu 100% ausgenutzt wer⸗ 
en. | 


In ſolchen Betrieben werden mitunter 
auch andere Betriebsmittel ſchlecht aus · 
genutzt, fo z. B. die Gebäude. Es fehlt 
zwar infolge Vergrößerung der dem 
Getreide eingeräumten Fläche und in⸗ 
folge Steigerung der Hektarerträge im 
Getreidebau ſehr häufig an Scheunen⸗ 
raum, dafür aber iſt ſehr oft mehr 
Wohnraum vorhanden als nötig iſt, 
oder aber es find Räume vorhanden, 
die ſchlecht ausgenutzt werden und ſich 
mit geringem Koſtenaufwand als 
Wohnraum herrichten laſſen. Dann ent- 
ſteht die Frage, ob die ſchlecht aus⸗ 
genutzten Gebäude zum Vermieten her⸗ 
gerichtet werden können. (Der Städter, 
der zu teuer wohnt, pflegt auch ans 
„Abvermieten“ zu denkenl) 

Außer den Gebäuden aber iſt ſehr 
häufig noch Grund und Boden vorhan⸗ 
den, der ſchlecht ausgenutzt wird, z. B. 
die mit alten, vermooſten Obſtbäumen 
beſtandenen Obft- und Grasgärten und 
die mehr oder weniger verwahrloſten 
Küchengärten hinter dem Gehöft. 

Außerhalb des Bauerngehöftes gibt 
es arbeitſuchende Erwerbslofe, die ganz 
aufs Land zurückkehren möchten, um 
ihre Arbeitskraft verwerten zu können. 
Das Problem der „Auflockerung der 
Großſtädte“ iſt Programmpunkt in 
jeder Regierungserklärung. Nicht fel- 
ten beſchäftigt man ſich auch innerhalb 


Ergebnisse der Landarbeitsringe 


des Bauernhofes mit der Frage, wie 
man in der Stadt erwerbslos gewor- 
denen Verwandten helfen kann. Wir 
wollen daher an Hand unſeres mittel- 
bäuerlichen Betriebes unterfuchen, wie 
die Arbeitsorganiſation zu geſtalten 
wäre, wenn man eine geeig- 
nete (ſolche gibt esl) Erwerbs 
lofenſamilie in die ſchlecht 
ausgenutzten Gebäude ſetzt, 
ihr das ſchlecht ausgenutzte Garten 
land zur Verfügung ſtellt oder ein 
Stück Ackerland verpachtet mit 
der Verpflichtung, darauf 
Gemüfe- und Obſtbau zu 
treiben und dieſen kleinen Er- 
werbsloſenbetrieb fo zu organifieren, daß 
die Familie nach Bedarf in dem 
Bauernbetriebe auf Arbeit 
kommen kann. Wenn man eine 
tüchtige Familie erwiſcht, kann man ihr 
durchaus etwas Ackerland überlaſſen, 
weil dafür bei gärtneriſcher Nutzung 
ebenſoviel Pacht bezahlt werden kann, 
wie man bei landwirtſchaftlicher 
Nutzung Reinertrag davon erzielt. Am 
die Auswirkung einer ſolchen Maß⸗ 
nahme auf den bäuerlichen Betrieb an- 
zudeuten, genügt es, eine beſonders 
wichtige Jahreszeit, die Erntezeit, her. 
auszugreiſen. 

Erinnern wir uns, daß in unſerm 
Beiſpielsbetriebe eine Bindemäh⸗ 
maſchine, aber keine Kartoffelrode- 
maſchine vorhanden iſt, und ſehen wir 
an Hand des Schaubildes 1 nach, wie ſich 
die Arbeitswirtſchaft geſtalten würde, 
wenn an Stelle der teuren Bindemäh⸗ 
maſchine die weſentlich billigere Ablege 
Mähmaſchine angeſchafft worden wärel 
Der Verlauf der Pferdearbeitskurve 
würde derſelbe fein. Auch die Männer- 
arbeitskurve würde ſich nicht weſentlich 
ändern, weil das vom Bindemäher be⸗ 
ſorgte Binden des Getreides Frauen- 
arbeit ift. Die Auguſtſpitze der Frauen- 
arbeitskurve alſo würde in die Höhe 
getrieben, was nicht viel ausmacht, weil 
die Oktoberſpitze den Bedarf an 
Frauenarbeitskraft beſtimmt. Arbeits- 
wirtſchaftlich iſt, im ganzen geſehen, 
durch die Anſchaffung der Bindemäh⸗ 
maſchine nicht viel gewonnen. Da für 
ihre Beſpannung aber nur 2 Pferde 


611 


Ergebnisse der Landarbeitsringe 


— — 


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612 


zur Verfügung fteben, ift der VBetriebs- 
leiter geneigt, fid) die jüngften Erfah⸗ 
rungen mit Einbaumotoren zunutze zu 
machen und den Bindemäher zur Ent. 
laſtung der 2 Pferde mit Einbaumotor 
auszurüften. Das heißt: Er wird durch 
den Bindemäher verleitet, nod mehr 
Kapital an einer Stelle ein. 
zuſetzen, wo dieſe Snveftie- 
rung arbeitswirtſchaftlich 
wenig vorteilhaft iſt. 

Nehmen wir an, das bei Anſchafſung 
einer Ablege⸗Mähmaſchine erſparte 
Geld werde zur Herrichtung einer Woh. 
nung für einen Erwerbsloſen benutzt 
und ihm ſolle mit Gemüfe- und Obſtbau 
die Grundlage einer Exiſtenz geſchaffen 
werden, dann wird man das Arbeits. 
tagebuch in der Weiſe aufarbeiten 
milffen, daß man die Verteilung der 
Männer- und Frauenarbeit in den ein- 
zelnen Monatshälften erkennt. Man 
fieht dann, in welchen Monatshälften 
ſich die Arbeiten zuſammendrängen und 
wo noch „Löcher“ find, die durch Obſt⸗ 
bau ausgeflickt werden können. In der 
folgenden Aberſicht iſt die monatliche 
Arbeitsverteilung eines bäuerlichen 
Betriebes aufgeführt und zugleich an- 
gedeutet, in welde Seiten die Ernte- 
termine einiger für dieſen Betrieb in 
Betracht zu ziehender Obftarten fallen. 


Relde Hofe Berfonen» 


nden 
arbeit arbeit inégefamt 


1310 

1422 Zweite Monatshaͤlfte: 
imbeerernte 

1548 


Monatshälfte: 
Kirſchenernte 
1766 Zweite Monatshalfte: 
Aprifof., Pflaumen 
1611 Smette Monatshaͤlfte: 
Sommerbirnen, 


Junt 601 821 
Juli 257 1291 
Aug. 842 924 
Sept. 562 1049 


Apfel 
Okt. 738 907 1645 pet 
Nov. 189 1037 1226 
De. 80 1109 1189 
Gerade der Obft- und Gartenbau mit 
feinen zahlreichen Sorten von Kultur. 
pflanzen bietet für ſolchen arbeitswirt⸗ 


Ergebnisse der Landarbeitsringe 


ſchaftlichen Ausgle weiten Spiel- 
raum, was im einzelnen näher auszu⸗ 
führen hier unterbleiben kann, weil 
hier nur Anregungen gegeben werden 
ſollen. Es ſei nur darauf hingewieſen, 
daß bei der Organiſation des kleinen 
Erwerbsloſenbetriebes auch auf zweck; 
mäßige Verteilung von Männer und 
Frauenarbeit Rüdfiht zu nehmen iſt. 
Die Himbeer -, Aprikoſen⸗ und Pflau- 
menernte als Frauen- und Kinderarbeit 
fällt z. B. nicht mit Spitzen der Frauen⸗ 
arbeit, die übrige Obſternte nicht mit 
Spitzen der Männerarbeit im bäuer- 
lichen Stammbetriebe zuſammen. 


Es tft natürlich einfeitig, die hier an ⸗ 
geſchnittene Frage nur vom Stand- 
punkte der arbeitswirtſchaftlichen Ge⸗ 
ſtaltung des Betriebes zu betrachten, 
indeſſen — ſie iſt das am meiſten ver⸗ 
nadlaffigte und für den bäuerlichen Be⸗ 
trieb wie auch volkswirtſchaftlich wich. 
tigſte Problem. Deshalb darf es in 
einer ſolchen Anregung zur Verbeſ⸗ 
ſerung der Betriebsergebniſſe in den 
Vordergrund gerückt werden. Aus die⸗ 
fer Anregung kann man zugleich entneh- 
men, von welchem Stand 
punkte allein die Frage der 
Wiedereingliederung der 
Menſchen in den volkswirt⸗ 
ſchaftlichen Produktions- 
vorgang zu beurteilen iſt. 
Herr Dr. Hillmann hat im Sommer in 
den D. L. G.⸗Mitteilungen zu beweiſen 
verſucht, daß die Landwirtſchaft durch 
fleißige Maſchinenanſchaffung zur Am⸗ 
ſatzſteigerung beiträgt, wobei der Ge⸗ 
dankengang etwa der geweſen iſt: Mehr 
Maſchinen in der Landwirtſchaft — 
mehr Arbeiter in der Induſtrie — grö. 
ßere Kaufkraft der Arbeiterbevölkerung 
— mehr Amſatz in der Volkswirtſchaft. 
Leider hat ſich bislang kein Kritiker 
hierzu zu Worte gemeldet! Herr Dr. 
Hillmann ſtellt die Amſatzſteigerung in 
den Landmaſchinenfabriken in den Mite 
telpunkt, und das iſt ein Irrtum und 
ein Umweg. Ich dagegen ſtelle die Am⸗ 
ſatzſteigerung im landwirtſchaftlichen 
Betriebe in den Mittelpunkt und ſehe 
in der Maſchinenanwendung nur ein 
Mittel zum Zwecke, und das iſt allein 
richtig. Die Eingliederung der Men- 


Feldgemüsebau und Flurbereinigung 


ſchen in den landwirtſchaſtlichen Erzeu- 
gungsvorgang iſt der natürliche und 
gerade Weg zur Amſatzſteigerung in 
der Volkswirtſchaft. Er führt von Stei⸗ 
gerung der landwirtſchaftlichen Ar⸗ 
erzeugung — nicht der landwirtſchaft⸗ 
lichen Betriebsmittelerzeugung — zur 
Arbeitsbeſchaffung und damit zur Stei⸗ 
gerung des volkswirtſchaftlichen Um- 
ſatzes, und damit auch zur Stei⸗ 
gerung des Amſatzes in der Land- 
maſchineninduſtrie. Dieſer Weg iſt der 
dauerhaftere und geſündere. Wir wer 
den nicht umhin können, ihn mehr als 
bisher zu beſchreiten, weil wir uns die 
lururidfe bisherige Methode der Er- 
werbsloſenunterſtützung, die dem 
Bauernhofe die Betriebsmittel durch 
hohe Steuern und Wohlfahrtslaſten 
entzieht, nicht länger leiſten können. 
Wenn die Bauernhöfe am Zuſammen⸗ 
brechen find und dennoch ſich der Pflicht, 
erwerbsloſe Volksgenoſſen durdgubal- 
ten, nicht entziehen können, dann kön⸗ 
nen ſie das nicht auf dem koſtſpieligen 
Amwege der Anterſtützung durch Geld- 
abgaben an die Stadt, ſondern ſie 
müſſen verfuden, den Geldſchleier hin⸗ 
wegzureißen und die Anterſtützung auf 


613 


naturalwirtſchaftlichem Wege durch Ge- 
währung von Wohnraum, Land und 
Arbeitsmöglichkeit zu bieten. And wer 
dabei die vorhandenen betriebseigenen 
Erzeugungsmittel einer beſſeren Aus- 
nutzung zuführen kann, fährt auch finan⸗ 
ziell nicht ſchlechter als jetzt. Er be- 
laftet aber feinen Betrieb erheblich, wie 
das Zeifpiel der Bindemähmaſchine in 
unſerm bäuerlichen Betriebe zeigt, wenn 
er glaubt, durch Maſchinenanſchaffun⸗ 
gen ſeinen Teil zur Bekämpfung der 
ne Urbeitslofigteit und zur Am⸗ 
atzſteigerung in der Induſtrie beitragen 
zu müſſen, wie man ihm das einreden 
will. Die Maſchine iſt nicht Selbſt⸗ 
zweck, ſondern Mittel zum Zwecke der 
landwirtſchaftlichen Gilterergeugung, 
und die Hebung des Volkswohlſtandes 
und die Steigerung des volkswirtſchaft. 
lichen Amſatzes geht nicht von der Stei- 
gerung des Amſatzes und Verbrauches 
von landwirtſchaftlichen Erzeugungs- 
mitteln aus, ſondern von der Stei⸗ 
gerung der Ausnutzung des volfswirt- 
ſchaftlichen Bodens. Inſofern hat Ques- 
nay recht gehabt! 


Dipl.⸗Landw. K. Kermann, Pößneck. 


Feloͤgemüſebau und Flurbereinigung 


In der Abhandlung „Autarkie in 
Treibgemüſe“ (Juliheft) wurde vom 
Verfaſſer (Kurt Fachmann) die Frage 
aufgeworfen, ob der deutſche Gemüſe⸗ 
bau in der Lage ſei, die erforderlichen 
Mengen an Freilandgemüſe und an 
Treibgemüſe zuſäͤtzlich aus eigener Pro⸗ 
duktion auf den Markt zu bringen. 

Zweifellos bedarf es zur Erreichung 
dieſes Zieles noch einer erheblichen An⸗ 
derung des Geſchmacks für einen großen 
Teil des Volkes, denn unſere klima⸗ 
tiſchen Verhältniſſe erlauben den Frei⸗ 
landbau hochwertiger Gemüſe im Win- 
ter und Vorfrühling nicht. Die Finanz ⸗ 


lage zwingt unbedingt zu einer Drof- 
ſelung der Einfuhr aller entbehrlichen 
Waren. Wenn auch durch den in den 
letzten Jahren ſtark vermehrten Anbau 
unter Glas erhebliche Mengen von 
Treibgemüſe auf den Markt kommen, 
fo find doch bei dem großen Bedarf an 
Gemüſe, vor allem im Frühjahr, und 
den hohen Geſtehungskoſten des Treib⸗ 
gemüſes die Preiſe für viele Volks. 
genoſſen unerſchwinglich. Es iſt deshalb 
ein dringendes Gebot der Stunde, bil- 
liges und gutes Frühgemüſe und dauer- 
haftes Herbſtgemüſe zu erzeugen. Dies 
iſt nur durch feldmäßigen Anbau mög ⸗ 


614 


lich. Welche e hierfür 
nötig find, ſei an einem iſpiel aus 
der Praxis erläutert: 


In der Gemeinde Anterpleichfeld, 
einem 12 km von Würzburg an der 
Straße nach Schweinfurt gelegenen 
Dorſe, wird nachweislich mindeſtens ſeit 
dem Jahre 1796 (ältere Arkunden wur- 
den bei der damaligen Beſchießung ver⸗ 
nichtet) feldmäßig Kraut angebaut und 
zwar bis vor wenigen Jahren ein fpd- 
ter, von den Bauern aus Samen felbft- 
gezogener milder Weißkohl, der ſich zur 
Sauerkrautbereitung vorzüglich eignet, 
auf dem tiefgründigen Lößboden bei nor- 
malem Waſſerſtand ſehr gut gedeiht, 
aber wenig haltbar iſt. Hier wurde in 
den Jahren 1923 —27 eine Slurbereini- 
gung (Zuſammenlegung der Grundſtücke) 
durchgeführt, die eine Amwälzung im 
Anbau zur Folge hatte. Nach den Er- 
bebungen zu Beginn der Arbeiten 
konnte eine Geſamtſläche von ungefähr 
300 ha als für den Krautbau geeignet 
angeſehen werden, die jedoch kaum zur 
Hälfte in dreijährigem Wechſel mit 
Kraut beſetzt wurden. Die fpäte Ernte, 
die ſich meiſt bis Mitte November Hin- 
zog, wirkte hemmend auf die Beſtellung 
der übrigen Grundſtücke, ſo daß faſt kein 
Wintergetreide gebaut werden konnte. 


Hierin und im Krautbau iſt ſeit der 
Abſteckung der neuen Flureinteilung im 
Jahre 1927 ein völliger Wandel ein⸗ 
getreten. Während vorher alljährlich 
nur 50—60 ha mit Herbſtkraut beſtellt 
wurden, ſtieg im Jahre 1932 die Anbau- 
fläche auf 130 ha mit einem durchſchnitt⸗ 
lichen Hektarertrag von mindeſtens 600 
Doppelzentnern. Hiervon wurden un⸗ 
gefähr 12 ha mit Frühkraut beſtellt, das 
in günſtigen Lagen ſchon Ende Juni 
bis Mitte Juli eine Ernte lieferte, ſo 
daß die Felder noch mit Spätkraut oder 
Futterpflanzen beſetzt werden konnten. 
Angefähr 20 ha wurden mit Blaukraut, 
Wirſing und ſonſtigen beſſeren Gemüſe⸗ 
forten angebaut, der Reft entfiel zum 
größten Teil auf die eingebürgerte 
Krautart. Die Ware fand in der Haupt. 
ſache in den fränkiſchen Städten, vor 
allem auf dem Würzburger Markt Ab. 
ſatz, ein geringer Teil wurde in den 
beiden im Jahre 1925 errichteten 


Feldgemũsebau und Flurbereinigung 


Sauerkrautfabriken am Orte verar- 
beitet. Die ſchlechte Lagerfähigkeit der 
bisher angebauten Sorte hat zum ver- 
mehrten Anbau des ſpätreifenden 
Dauer- oder Dänenkohls geführt; zur 
Zeit wird zur beſſeren Lagerung eine 
Kohlſcheune errichtet. 

Nur in einer bereinigten Flur war 
eine vier- bis fünſmalige gründliche Be⸗ 
arbeitung des Bodens möglich, die 
Vorausſetzung für den Krautbau iſt. 
Erſt hierdurch war es möglich, tieriſche 
und pflanzliche Schädlinge energiſch zu 
bekämpfen und — allerdings unter ſehr 
ſtarken Gaben an Stallmiſt und Kunſt⸗ 
dünger — Hektarerträge von 700 bis 
800 dz zu erreichen. Die Anbaufläche 
wäre noch größer, wenn nicht in den 
letzten Jahren die Preiſe unter dem 
Druck der eingeführten Mengen ſtark 
herabgeſetzt wären. 

Die Erfolge in dieſer Gemeindeflur 
einerſeits und die Fehlſchläge in den 
Nachbargemeinden laffen den feldmäßi⸗ 
gen Gemüſebau nur unter folgenden 
Vorausſetzungen angezeigt erſcheinen: 


a) günftige Abſatzverhältniſſe; 

b) mildes Klima; 

c) tiefgründiger, am beſten Lößlehm- 
boden mit geringem Kalkgehalt und 
mäßig tiefem Grundwaſſerſtand; 

d) geſchloſſener Anbau wegen beſſerer 
Bekämpfung der Schädlinge (vor 
allem Erdflöhe und Kohlweißlinge); 

e) bereinigte Flur wegen leichterer 
Beſtellung und Ernte. 


Nur unter dieſen Vorausſetzungen 
kann — bei entſprechendem Schutz gegen 
die Einfuhr — zum feldmäßigen Ge⸗ 
müſebau geraten werden. Trockenere, 
vor allem kalkhaltige Lagen, erfordern 
eine Bereinigungsanlage, wie dieſe in 
Anterpleichfeld von einem Beteiligten 
mit gutem Erfolge angelegt wurde. 

Die guten Erfahrungen, die in dieſer 
Gemeinde unter dem Beiſpiele einiger 
fortſchrittlicher, den Vorſtellungen des 
Beamten zugänglicher Landwirte ge⸗ 
ſammelt wurden, laſſen mich die ein⸗ 
gangs geſtellte Frage beſtimmt bejahen. 


Regierungsbaurat Anton Haas, 
Bamberg. 


Das Archiv 


Die Betrauung Adolf Hitlers 
mit dem Reichskanzleramt iſt für die 
Preſſe ſo überraſchend gekommen, daß 
die meiſten Leitartikler es bis zum Seit- 
punkt dieſer Niederſchrift noch nicht 
fertiggebracht haben, dies Ereignis vom 
agrarpolitiſchen Standpunkt aus zu be⸗ 
handeln. Bezeichnend iſt jedoch, daß die 
geſamte landwirtſchaftsfeindliche Preſſe 
das Kabinett Hitler ablehnt, während 
die Preſſe, die ſtets ehrlich für die Ve- 
lange des Deutſchen Bauerntums ein- 
getreten iſt, ſich vorbehaltlos hinter den 
neuen Reichskanzler geſtellt hat. Aus 
dem Aufruf der Reichsregie⸗ 
rung, der von Adolf Hitler im 
Rundfunk verkündet wurde, iſt klar und 
deutlich der ſtarke Wille, das Bauern- 
tum zur Grundlage des Staates zu 
machen, heraus zuhören. Folgende Stelle 
möchte ich hier wörtlich anführen: „Die 
nationale Regierung will das große 
Werk der Reorganiſation der Wirt⸗ 
ſchaft unſeres Volkes mit zwei großen 
Vierjahresplänen löſen: Rettung des 
deutſchen Bauern zur Erhaltung der 
Ernährungs- und damit Lebensgrund- 
lage der Nation. Rettung des deut⸗ 
ſchen Arbeiters durch einen gewaltigen 
und umfaſſenden Angriff gegen die Ar- 
beitslofigfeit. In 14 Jahren haben die 
Novemberparteien den deutſchen Bau⸗ 
ernftand ruiniert. In 14 Jahren haben 
fie eine Armee von Millionen Arbeits- 
loſen geſchaffen. Die nationale Regie- 
rung wird mit eiſerner Entſchloſſenheit 
und zäheſter Ausdauer folgenden Plan 
verwirklichen: Binnen vier Jahren muß 
der deutſche Bauer der Verelendung 
entriſſen ſein. Binnen vier Jahren muß 
die Arbeitsloſigkeit endgültig überwun⸗ 
den ſein. Gleichlautend damit ergeben 
ſich die Vorausſetzungen für das Auf⸗ 
blühen der übrigen Wirtſchaft. Mit 
dieſer gigantiſchen Aufgabe der Sanie⸗ 
rung unſerer Wirtſchaft wird die natio- 
nale Regierung verbinden die Aufgabe 


und Durchführung einer Sanierung des 
Reiches, der Länder und der Kommu- 
nen in verwaltungsmäßiger und fteuer- 
techniſcher Hinſicht. Damit erſt wird der 
Gedanke der föderativen Erhaltung des 
Reiches blut ⸗ und lebens volle Wirklich⸗ 
keit. Zu den Grundpfeilern dieſes Pro- 
gramms gehört der Gedanke der Ar- 
beitsdienſtpflicht und der Siedlungs- 
politik. Die Sorge für das tägliche 
Brot wird aber ebenſo die Sorge ſein 
für die Erſüllung der ſozialen Pflichten 
bei Krankheit und Alter. In der Spar- 
ſamkeit ihrer Verwaltung, der Förde⸗ 
rung der Arbeit, der Erhaltung unſeres 
Bauerntums ſowie der Nutzbarmachung 
der Initiative des einzelnen liegt zu⸗ 
gleich die befte Gewähr für das Ver⸗ 
meiden jedes Experimentes der Gefähr- 
dung unſerer Währung.“ 

Von den wenigen Zeitungen, die auf 
die agrarpolitiſche Bedeutung der poli- 
tiſchen Wende in Deutſchland eingegan- 
gen find, möchten wir folgende hier an · 
führen: Die „Deutſche Tages 
zeitung“ vom 31. Januar ſchreibt, 
daß das neue Kabinett genau wie ſeine 
Vorgänger eine gewiſſe Anlaufzeit be⸗ 
nötige. Es gäbe aber einige dringliche 
Aufgaben, für die die Anlaufzeit auf 
ein Minimum verkürzt werden müſſe. 
Zu dieſen Dringlichkeiten rechneten in 
erſter Linie die Agrarfragen und die 
Arbeitsbeſchaffung. Was die erftere an- 
beträfe, ſo habe die neue Regierung 
von vornherein ein Aktivum zu ver⸗ 
zeichnen, da man in fie das ſtarke Ver⸗ 
trauen auf die Hilfsbereitſchaft gegen- 
über dem deutſchen Bauern fege. — In 
einer Würdigung der Regierungsüber- 
nahme durch Adolf Hitler ſchreibt die 
„NS.⸗Landpoſt“ (offizielles agrar- 
politiſches Organ der NSDAP.) in 
ihrer Folge 6 vom 5. Febr. u. a.: „Das 
deutſche Bauerntum hat beſondere Ver⸗ 
anlaſſung, ſich dieſes Tages zu freuen. 
Sit es doch in der blutsbedingten Er- 


616 


kenntnis wahren Führertums in den 
letzten beiden Jahren die feſteſte Kern⸗ 
truppe des Führers im Kampfe um den 
Staat von Blut und Boden geworden. 
Das deutſche Bauerntum weiß, daß 
dieſer Führer, ſelbſt ſtolz auf ſeine 
bäuerliche Abkunft, es niemals im 
Stiche laſſen wird, weil er niemals ſei⸗ 
ner ſelbſtgewählten Aufgabe untreu 
werden kann. Das deutſche Bauerntum 
nimmt ſeinerſeits dafür die Pflicht auf 
ſich, mit der Nahrungsfreiheit die wich⸗ 
tigſte Vorausſetzung der Freiheit dieſes 
feines Staates zu gewährleiſten und fei- 
ner ſchickſalhaften Aufgabe Quell und 
Hort des Blutes dieſes Volkes zu fein, 
ſtets eingedenk zu ſein. So geht der 
deutſche Bauer ohne große Worte an 
ſeine harte Arbeit an Boden und Volk, 
durch feiner Hände Arbeit Brot zu ſchaf⸗ 
fen. Wenn er es aber morgen mit einem 
zukunftsfrohen Leuchten in den Augen 
tut, ſo deshalb, weil er im Glauben an 
den Führer wieder Glauben an die Su- 
kunft hat.“ 


Die „Landwirtſchaftliche 
Wochenſchau“ vom 2. 2. geht eben ; 
falls in einem Artikel „Wirtſchafts⸗ 
politik ohne Wenn und Aber“ auf den 
neuen Kurs der Wirtſchaftspolitik ein. 
Hugenberg würde als Leiter beider 
Wirtſchaftsminiſterien ein leichteres 
Arbeiten haben als ſeine bisherigen 
Amtsvorgänger, es müſſe aber unbe- 
dingt ein Wechſel in den wichtigen Be⸗ 
amtenpoſten in beiden Miniſterien ftatt- 
finden. Als erſtes müſſe das Kabinett 
einen allgemeinen Schutz vor Zwangs⸗ 
verſteigerungen erlaſſen und gleichzeitig 
einen Entſchuldungsplan vorlegen, denn 
es könne dem Bauern nicht weiter zu⸗ 
gemutet werden, daß er die Folgen 
einer falſchen Wirtſchaftspolitik tragen 
müſſe. Neben dem Vollſtreckungsſchutz 
und Entſchuldungsplan müßten gleich- 
zeitig poſitive Maßnahmen zur Wie⸗ 
derherſtellung der Rentabilität ergrif- 
fen werden. Es ſei ſehr klug von der 
Reichsregierung, einen Vierjahresplan 
aufzuſtellen, der Erfolg werde davon 
abhängen, ob man gewillt ſei, eine 
Wirtſchaftspolitik ohne „wenn und 
aber“ zur Durchführung zu bringen. — 
Erwähnt ſei hier auch die Stellung⸗ 


Das Archiu 


nahme der dem Zentrum naheſtehenden 
Chriftliden Bauernvereine, 
die eine Erklärung unter dem Titel 
„Das Ende der Konklavepolitik“ in der 
Preſſe veröffentlicht haben. VGefonders 
beachtenswert aus dieſer Erklärung iſt 
folgende Stelle: „Der neuen Reichs. 
regierung dürfte es nur zu bekannt ſein, 
welche ſchweren Enttäuſchungen der 
Bauer gerade im letzten halben Jahr 
regierungsſeitig erfahren mußte, und 
zu welcher Erregung und Verbitterung 
die Vernachläſſigung feiner Belange 
durch die verantwortlichen Stellen ge- 
führt hat. Durch entſchiedenes Handeln 
der Reichsregierung kann dem Bauern- 
ſtande der Glaube wiedergegeben wer · 
den, daß es der Reichsregierung ernſt 
iſt um die Rettung der deutſchen Land- 
wirtſchaft. Aber nur durch ſchnelles und 
durchgreifendes Handeln. Nicht nach 
ihren Worten und Programmen, fon- 
dern allein nach ihren Taten wird der 
Gauernftand die neue Regierung Bee 
urteilen.“ 


Die agrarpolitiſchen Preffeverdffent- 
lichungen rein tagespolitiſcher Art, die 
vor dem Regierungswechſel erſchienen 
find, haben vollkommen an Aktualität 
verloren, ſo daß es ſich erübrigt, dieſe 
hier anzuführen. Ich möchte nur auf 
einige mehr grundſätzliche Artikel ein- 
gehen. Der Streit v. Schleicher / Reichs. 
landbund hatte auch einen von beftimm- 
ter Seite geſchürten Gegenſatz Indu⸗ 
. erzeugt. In der 

„Berliner Börſenzeitung“ 
Nr. 41 vom 25. Januar nimmt Graf 
Kanitz zu dieſer Angelegenheit Stel- 
lung und bemerkt, daß man mit größter 
Beſorgnis den fi andauernd verihär- 
fenden Konflikt zwiſchen ne 
und Induſtrie beobachten müſſe. Die 
heutige Not der Landwirtſchaft bedeute 
gwangsldufig auch die Kataſtrophe aller 
anderen Gerufsftdnde. Wirkſame Not - 
maßnahmen für die Landwirtſchaft, 
wenn fie richtig angeſetzt würden, ftell- 
ten auch wirkſame Maßnahmen für die 
geſamte Wirtſchaft dar. Wir müßten 
exportieren, um Deviſen für die Sndu- 
ſtrierohſtoffe zu bekommen, ebenſo wäre 
es aber auch erforderlich, daß im In⸗ 
tereſſe der geſamten Wirtſchaft die 


Das Archiv 


deutſche Landwirtſchaft geſchützt werden 
müſſe. 


Aber das Problem „Induſtrie- oder 
Agrarſtaat“ hielt Geheimrat Wagemann 
auf der Wintertagung der DLG. 
am 2. Februar in Berlin einen Vor⸗ 
trag. Er führte u. a. aus, daß der Ge⸗ 
genſatz zwiſchen Induſtrie und Land- 
wirtſchaft dadurch entſtanden ſei, daß 
— gemeſſen an der geſamten Volks. 
wirtſchaft — dem Arbeitsanteil der 
Landwirtſchaft von rd. 25% ein Ein- 
kommensanteil von nur 15 % gegen- 
fiberftebe. Die Arſache des Auseinander- 
klaffens von Arbeit und Einkommen der 
Landwirtſchaſt liege in der Angunſt der 
marktwirtſchaftlichen Verhältniſſe. Die 
Autarkie wäre durchaus zu begrüßen 
und hätte in der Hinſicht, ein Gleid- 
gewicht herzuſtellen, ihre volle Bedeu⸗ 
tung. Man ſolle der Autarkie aber nur 
das zuweiſen, was wir im Inland ſelbſt 
rentabel erzeugen können. Prof. Wage 
mann behauptete dann, daß die Bedeu⸗ 
tung der Landwirtſchaft für den indu⸗ 
ſtriellen Abſatz nur noch 15% ausmache, 
während der Anteil der Induſtrie am 
landwirtſchaftlichen Abſatz 100% be⸗ 
trage. Graf Kayſerlingk ſowie Geheim; 
tat Sering widerlegten in der Diskuſ⸗ 
ſion dieſe Behauptung. Sie führten aus, 
daß es zu den Eigenſchaften der indu⸗ 
ſtriellen Produktion gehöre, daß ſie zum 
großen Teil für den Abſatz an andere 
Induſtriezweige beſtimmt ſei. Die Land- 
wirtſchaft als Arproduktion ſei das 
Fundament jeder Volkswirtſchaft und 
damit auch der Induſtrieproduktion. 
Weiter hat die Landwirtſchaft die Auf⸗ 
gabe, für das Wirtſchafts⸗ und Volks⸗ 
ganze als Geſundbrunnen und als Ge⸗ 
gengewicht gegen die ſtädtiſche Gemüts⸗ 
und Denkform zu dienen. 

In einer Sondernummer anläßlich 
der „Grünen Woche“ veröffentlicht die 
„Deutſche Tageszeitung“ in 
Nr. 28 vom 28. Januar einen Artikel 


des Präſidenten des Deutſchen Land⸗ 


wirtſchaftsrates Dr. Dr. h. c. Brandes, 
der ſich mit den Schickſalsfragen und 
Zukunftsausſichten der deutſchen Land⸗ 
wirtſchaft beſchäftigt. Brandes ver⸗ 
urteilt den durch die bisherigen Reichs- 
regierungen verurſachten Zuſtand, daß 


617 


gegen den eigentlichen Grund der land⸗ 
wirtſchaftlichen Not, das Klaffen der 
Preisſchere, bis heute nichts getan ſei. 
Während die Preisſchere im Jahre 
1926/27 um 8 Punkte betragen habe, 
ſei ſie heute auf 14 Punkte geſtiegen. 
Weiter ſei eine Senkung der öffent⸗ 
lichen Laſten und Abgaben, vor allem 
die Senkung der Grundſteuer, Gefeiti- 
gung der Schlachtſteuer und Senkung 
des Amſatzſteuer⸗Satzes auf Vieh und 
ſämtliche Veredlungserzeugniſſen not⸗ 
wendig. 


Freiherr von Lüninck, Prä⸗ 
fident der Rheinifhen Landwirtſchafts⸗ 
kammer hielt auf einer Bauernverſamm⸗ 
lung in Cleve ein Referat über die 
Bauernnot, die er als Arſache der 
Wirtſchaftskriſe und Arbeitsloſigkeit 
im allgemeinen bezeichnete. Die Indu⸗ 
ſtrie wäre bisher in jeder Weiſe gegen · 
über der Landwirtſchaft begünſtigt wor- 
den, vor allem der übermäßige indu- 
ſtrielle Zollſchutz wäre an der weitflaf- 
fenden Preisſchere ſchuld. Könne die 
Induſtrie heute ihre Fertig⸗Erzeugniſſe 
zu immer noch 13— 15 % über den Vor⸗ 
kriegspreiſen verkaufen, ſo liege das 
Einkommen des deutſchen Landwirts, in 
Mark gerechnet, faſt um 20% unter den 
Vorkriegspreiſen, ja in Schlachtvieh⸗ 
preiſen ſogar 43 % tiefer. In der Ge⸗ 
ſamtheit erleide die deutſche Landwirt- 
ſchaft, verglichen mit den Vorkriegs⸗ 
preiſen, einen Einnahme⸗Ausfall von 3 
bis 3,5 Milliarden Reichsmark jährlich. 

Erhebliches Auffehen hat der ſehr 
durchſichtige Angriff auf die deutſchen 
Getreidepreife, hinter dem der deutſche 
Weizenverband ſteht, hervorgerufen. In 
der „Täglichen Rundſchau“ vom 
19. Januar veröffentlicht der Geſchäfts⸗ 
führer des vorgenannten Verbandes, 
Wolfgang Eſſen, einen Artikel unter der 
Aberſchrift „Neuer Ausbruch der Ge⸗ 
treidekriſe — Millionen⸗Vorräte in 
Händen der Landwirtſchaft — Unter- 
gang am Überfluß?“ Eſſen verſucht hier 
an Hand der Vorratserhebung der 
Preisberichtsſtelle beim Deutſchen Land⸗ 
wirtſchaftsrat nachzuweiſen, daß in die⸗ 
fem Jahre 3,7 Millionen Tonnen Ge- 
treide⸗Mehrbeſtände gegenüber dem 
Vorjahr vorhanden ſeien. Mit ziem⸗ 


618 


licher Sicherheit fet anzunehmen, daß 
am Schluß eines Jahres weſentliche 
Aberſchüſſe von mindeſtens 2 Millionen 
Tonnen vorhanden ſein werden. Dieſe 
Behauptungen wurden zugleich mit der 
verſteckten Mahnung verbunden, jetzt 
möglichſt ſofort noch alles verfügbare 
Getreide zu verkaufen. — Die „NS. 
Landpoſt“, Folge 5 vom 29. Januar, 
enthält eine ſcharfe Entgegnung auf 
dieſen Artikel unter der Aberſchriſt: 
„Was geht hinter dem Getreidemarkt 
vor?“ Es ſei offenſichtlich, daß der 
Weizen ⸗ Verband mit diefer Veröffent ⸗ 
lichung verſuche, den Getreidemarkt in 
die Hand zu bekommen. Die „Tägliche 
Rundſchau“ jedoch hätte dieſe ſenſatio⸗ 
nelle Veröffentlichung nur gebracht, um 
Herrn von Braun zum Sündenbock für 
die Fehler des Reichskanzlers v. Schlei ⸗ 
cher zu machen. Es ginge aber auf kei⸗ 
nen Fall, daß man den Reichskanzler 
von der Verantwortung für eine zum 
Zuſammenbruch treibende Agrarpolitik 
freiſchreibe. — Der Deut ſche Land⸗ 
wirtſchaftsrat nimmt ebenfalls 
zu dem Artikel Eſſens Stellung und 
ſchreibt in ſeinem . Nr. 22 
vom 19. Januar u. „Die Außerun⸗ 
gen der erwähnten Stelen, die augen- 
ſcheinlich einem Sonderintereſſe einzel- 
ner Kreiſe Rechnung tragen ſollen, ſind 
deshalb aufs ſchärfſte zu verurteilen. 
Dies gilt um fo mehr, als fie obendrein 
von einer völlig falſchen Beurteilung 
der wahren Marktlage ausgehen. Als 
Geſamtergebnis der von unverantwort- 
lichen Gerüchtemachern als fo fataftro- 
phal bezeichneten Marktlage ſtellt fi 
ſomit heraus, daß rd. 350 000 Tonnen 
Hafer zuviel vorhanden ſind. Es kann 
jedoch keinem Zweifel unterliegen, daß 
dieſer Lage am Hafermarkt in der Ent- 
wicklung der Preiſe zu ihrem derzei⸗ 
tigen Tiefſtand bereits in weiteſtgehen⸗ 
dem Maße Rechnung getragen iſt und 
daß dieſe Menge außerdem ohne weite- 
res als Vorrat mit in das neue Jahr 
übernommen werden kann.“ — Auch die 
„Deutſche Tageszeitung“ ver- 
öffentlicht in ihrer Nr. 19 vom 19. Jan. 
eine Entgegnung. Sie weiſt darauf hin, 
daß der Weizenverband aus egoiſtiſchen 
Gründen eine Panikſtimmung auf dem 


Das Archiv 


Getreidemarkt erzeugen wolle. Abſchlie⸗ 
ßend ſchreibt ſie: „Man könne wohl 
über Ziele in der Getreidepolitik ftrei- 
ten, aber ſolle ſich doch heute um alles 
in der Welt davor hüten, ſeine Forde⸗ 
rungen durch eine Schwarzmalerei zu 
begründen, die ſogar die Marktmeinung 
der gewerbsmäßigen Baiſſiers noch 
weit übertrifft! Eins aber wollen wir 
noch einmal klar herausſtellen: Mit den 
bisherigen Methoden wird die amtliche 
Getreidepolitik ihre Aufgaben nicht er⸗ 
füllen können; man muß ſchleunigſt an 
die Verwirklichung der oben ſkizzierten 
Forderungen herangehen. Die Land- 
wirtſchaft ſelbſt wird ſich jedoch den 
ſchlechteſten Dienſt erweiſen, wenn ſie 
ohne Kritik Kataſtrophenparolen — und 
mögen ſie kommen, von wem ſie wollen 
— einen Einfluß auf Tig Wirtſchaſts⸗ 
dispofitionen gewährt!“ 

Die von Reichskanzler v. Schleicher 
noch kurz vor feinem Rücktritt ver- 
öffentlichte Verordnung über Zollände- 
rung und Vollſtreckungsſchutz hat eine 
denkbar ungünſtige Preſſe gefunden. 
Sowohl die landwirtſchaftsfeindlichen, 
wie die landwirtſchaftsfreundlichen Sei- 
tungen fritifieren ſcharf die Maßnah- 
men. Die „Deutſche Tageszei⸗ 
tung“ ſpricht in Nr. vom 24. San. von 
einer „Zollerhöhung mit Zeitzünder“. — 
Der Zeitungsdienſt des Reichs- 
land bundes Nr. 5 vom 25. Januar 
geht ſpeziell auf die einzelnen Punkte 
der Verordnungen ein. Zum Schluß 
wird folgende Bilanz gezogen: „Viel 
Lärm — wenig Pofitives.“ 

Auf bevölkerungspolitiſchem Gebiet 
möchte ich auf zwei ſehr wertvolle Gei- 
träge hinweiſen. In der „NS.⸗Land⸗ 
poſt“, Folge 6 vom 5. Februar, ver- 
öffentlicht Walter zur Angnad einen 
Artikel „Der Bauer und die Großſtadt“. 
Er ſchildert hier, wie noch vor hundert 
Jahren die Städte durchaus organiſch 
gegliedert und die Stadtbevölkerung 
bodenſtändig geweſen ſei. Jetzt hätten 
wir etwa 50 Großſtädte mit ca. 20 Mil- 
lionen Einwohnern, die heute hilflos 
dem Antergang nahe ſeien, denn die 
Bevölkerung ſei dem Lande und Leben 
entfremdet und finde deshalb keinen 
Ausweg aus der Kriſe. Der Bauer 


Neues Schrifttum 


müſſe nun verhindern, daß die Groß⸗ 
ſtädte weiter zunehmen. Das könne 
leicht dadurch geſchehen, daß vom Lande 
niemand mehr in die Stadt ziehe. Wei⸗ 
ter müſſe es verhindert werden, daß die 
Verwaltungen aus den Landſtädten 
nach den Großſtädten verlegt würden. 
Die arbeitswillige Großſtadtjugend 
müſſe umgeſchult werden, um ſo das 
gute Blut, welches noch in der Groß⸗ 
ſtadt vorhanden iſt, wieder auf das 
Land zurückzuführen. Angnad ſchließt 
mit einer Mahnung, den Bauern⸗ 
ſproſſen Adolf Hitler in ſeinem Kampf 
zu unterſtützen. Wir müßten ſtets 
ſeiner Worte eingedenk ſein: „Das 
Dritte Reich wird entweder ein Bau⸗ 
ernreich ſein oder untergehen, wie die 
Reiche der Hohenſtaufen und Hohen⸗ 
zollern!“ — Eine Ergänzung zu dieſem 
Artikel ift die Arbeit, die im Februar- 
Heft der Monatsſchrift „Der Bau⸗ 
ernſtand“ aus der Feder von Dr. 
Burgdörfer unter dem Titel „Das 
Stadt- Land ⸗Problem“ veröffentlicht 
worden iſt. Burgdörfer geht hier eben- 
falls auf die Entvölkerung der Groß⸗ 
ftädte näher ein. Mit vielem ſtatiſtiſchen 
Material, das ihm als Direktor des 
Statiſtiſchen Reichsamtes zur Ver⸗ 
fügung ſteht, zeigt er, wie die Entwid- 
lung auf bevölkerungspolitiſchem Ge⸗ 
biet augenblicklich vor ſich geht. Er führt 
drei Fälle der vermeintlichen Entwick⸗ 
lung aus. 

Fall 1: Bevölkerungsentwicklung bei 
völliger Anterbindung der Wanderun⸗ 
gen. 


619 


Fall 2: Bevölkerungsentwicklungen 
bei Fortdauer der bisherigen Wan- 
derungsintenſität und Richtung. 

Fall 3: Bevölkerungsentwicklung bei 
einer auf ein Drittel reduzierten Zin- 
nen wanderung. 

Wie die Entwicklung nun tatſächlich 
in der Zukunft vor ſich gehe, könne man 
nicht wiſſen. Auf alle Fälle müſſe es 
vom biologiſchen Standpunkt aus als 
eine volfs- und ſtaatspolitiſche Aufgabe 
erſten Ranges gelten, dieſe noch relativ 
geſunde Fortpflanzungs⸗Grundlage un- 
ſeres Landvolkes im Intereſſe des Ge⸗ 
ſamtvolkes zu erhalten und nach Kräf⸗ 
ten zu ſtärken. Möglichſte Feſthaltung 
und Seßhaftmachung des ländlichen 
Nachwuchſes auf dem Lande, auf der 
heimiſchen Scholle ſei darum ein Ziel, 
das im Hinblick auf den Geburten- 
ſchwund und die Aberalterung des 
Volkskörpers heute dringlicher denn je 
erſcheint. 

Sum Schluß möchten wir noch auf 
den Artikel von Prof. Dr. Ludwig 
Pesl- Würzburg in der Monats- 
ſchrift „Das Grundeigentum“ 
vom 4. Oktober 1932 unter dem Titel 
„Boden⸗ Sozialismus“ hinweiſen. Pest 
unterzieht hier die Bodenreform⸗Be⸗ 
wegung Damaſchkes einer gründlichen 
Kritik und weiſt nachdrücklichſt darauf 
hin, daß die NSDAP (Pesl begrün- 
det dieſe Behauptung durch Zitierung 
von Schriften R. Walther Darrés) 
Damaſchke ablehnt. 

Roland Schulze. 


Neues Schrifttum 


L Allgemeines, Geſchichte, Statiſtik, 
Grundbeſitzverhältniſſe, Vereinsweſen, 
Abſchätzung, Medanifierung des land⸗ 

wirtſchaftlichen Betriebes. 


Avizonis, K.: Die Entſteh. und 
Entw. d. litauiſchen Adels bis zur lit. 
poln. Anion 1385. Berlin: Ehering 


1932. VI, 174 S. — Hiſtoriſche Studien 
H. 223. 7 


Grote, Ernſt: Betrachtungen zum 
ſozialdemokratiſchen Agrarprogramm d. 
Kieler Parteitages. 94 S. Berlin, 
Staatswiſſ. Diſſ. 1930. 

Malotki, Mart. v.: Die Entw. d. 
Landw. Hinterpommerns bis zum Ende 


620 


d. 18. Jahrh. u. Berückſ. d. durch Fried- 
rich d. Gr. geſchaff. großen Melioratio- 
nen. Stolp: Eulitz in Komm. 1932. 
141. S. 4.— Hlw. 5.—. 

Statiſtik d. Landw. (Anbau u. Ernte, 
Viehſtand, Viehſchlachtungen) im Frei ⸗ 
ſtaat Preußen. Bearb. von Quante, 
Buhl und Reuber. Verlin: Verlag d. 
Pr. Stat. Landesamts 1932. VI, 251 
S. — Pr. Statiſtik Bd. 303. 10.—. 

Arbanczyk, Joh.: Ziele u. Er- 
folge d. ländlichen Siedlung in Ober⸗ 
ſchleſien ſeit Friedr. d. Gr. bis zur Ge- 
ae 108 S. Berlin: Phil. Diff. 


30. 

Wilke, Clifabeth: Die Arſachen d. 
preuß. Bauern- und Bürgerunruhen 
1525 mit Stud. z. oſtpr. Agrargeſchichte 
a EN 93 S. Göttingen: Diff. 


II. Ländliche Siedlung, Bevölkerungs⸗ 
weſen, Landarbeiterfrage, Bauerntum. 


Bahlow, Hans, Zibl.-Rat, Dr.: 
Deutſches Namenbuch. Ein Führer d. 
Deutſch. Familiennamen. Neumünſter: 
Wachholtz 1933. 194 S. 6.—. 

Klatt, Willi: Geſch. Entwickl. d. 
Landarbeiterverhältn. in Oſtpr. 77. S. 
Frankfurt, Diſſ. 1929 (1930). 

Pabſt, Heinr.: Die Methoden d. 
heutigen bäuerlichen Oſtmarkenſiedlung 
u. Beſchränk. auf die Tätigk. d. gemein ⸗ 
nützigen prov. Siedlungsgeſellſchaften. 
1950 S., Taf. Bonn ⸗Po., La9. Diff. 

Rintelen, Paul, Dipl.-Ldw., Dr. 

hil.: Deutſchl. Bevölkerungsentwickl., 
ahrungserzeugung u. Nahrungsver- 
brauch. Ein Beitrag z. Frage d. Selbſt⸗ 
verſorgung d. dt. Volkes m. Nahrungs- 
mitteln. M. 14 graph. Darſt. Münſter: 
Fahle. 93 S. 4.20. 

Ronge, Paul: Die Winsdorfer 
Bauerngeſchlechter u. ihre Scholle. Nebſt 
Ahnentaf. d. Lehrers P. Ronge. Wins⸗ 
dorf b. Deutſchwette. (Maſchſchr.) XI. 
227 S. gez. Bl. 


IV. Ernährungspolitik. 
Deitmer, Wilh.: Die ſtädtiſche 
Milchverſorgung in d. Schweiz u. die 
Tätigkeit d. milchw. Organiſationen. 
73 S. Bonn Po., La9. Diff. 1930. 


Neues Schrifttum 


V. Marktweſen, Abſatz, Handels- und 
Preispolitik. 


Abel, Wilh.: Die Träger d. dtſch. 
Getreidehandels. X, 135 S. Kiel, R. 
u. ſtaatswiſſ. Diff. 1930. 

Dahm, Erwin: Die Organiſation 
d. internat. Getreidehandels. 119 S. 
Berlin, La9. Diff. 1932. 


Jacobſohn, Gerh.: Die welt. 
wirtſchaftlichen Grundlagen d. Süd⸗ 
fruchthandels in d. Nachkriegszeit u. 
beſ. Berückſ. d. dt. Marktes. VI, 104 S. 
Berlin, La. 1930. 

Fried, Ferd.: Autarkie. Jena: 
Diederichs 1932. 159 S. 3.40. Lw. 4.60. 

Meisner, Andr.: Wirtſchafts⸗ 
autokratie u. Weltwirtſchaft. Vortrag. 
Anh.: Mitteleuropa u. d. dtſch. Landw. 
von Frz. Hilmer. Brünn: Org. d. 
dt. Landw. Mährens. 1932. 55. S. 
Ke. 3.—. — Otſch.⸗mähr. Dw. Hefte 
Nr. 156/158. 

Aberſicht üb. d. Stand d. wirt⸗ 
ſchaftspolitiſchen Beziehungen Deutſchl. 
Hrsg. v. Reichswirtſch.⸗Miniſt. 1932. 
Berlin W 9 (Potsdamer Str. 10/11). 
— Eildienſt f. amtl. u. priv. Handels- 
nachrichten (1932). 98 S. 3.60. 


VI. Kredit, Zins, Steuern, Monopole, 
Zölle. 


Dietrich, Kurt, Dr., Reg.⸗Rat: 
Das Vermittlungsverfahr. f. d. Landw. 
nebſt Vollſtreckungsſchutz u. Pächter 
ſchutz. Verordnung v. 27. 9. 1932. Nur 
Durchführungsverordnung. Mannheim, 
Berlin, Leipzig: Bensheimer 1933. 
e mit Erl. 17. S. 
—.30. 


Lichtenwald, Hans: Das dtſche. 
Branntweinmonopol in feiner Bedeu⸗ 
tung f. Wirtſchaft u. Fiskus. VIL 76 S. 
München, Staatswirtſch. Diſſ. 1930. 

Münchhauſen, G. Frhr. v.: Die 
Entw. d. ldw. Realkreditorganiſation 
in der Nachkriegszeit (Autogr.) 82 S. 
Halle, Diſſ. 1930. 

Treiber, Herm.: Die Beurteilung 
d. Getreide⸗Einfuhrſcheine in Deutſch⸗ 
Er 77 ©. Erlangen, Phil. Diff. 1929 
(1930). 


Neues Schrifttum 


VIL Privat- und Sozialverſicherung; 
Genoſſenſchaftsweſen. 

Padberg, Kurt, Dr.: Die Sozial- 
laſten d. dtſch. Landw. Berlin: Deutſche 
Verlagsgeſ. 1932. 10 S. Dt. Landw. 
Rat. Veröff. H. 30. —.50. 

Seul, Alfons: Si Raiffeifenorga- 
nifation in der diſch. Volkswirtſchaft. 
160 S. Bonn, Diff. 1929 (1930). 

Bude ann. Ernſt: Neue Auf- 
gaben d. ditſch. Iw. Genoffen{dafts- 
weſens. 118 S. Greifswald, Diſſ. 1930. 


VIII. Verſchiedenes. 
Brutzkus, B., W. v. Poletika u. 
A. v. Agrimoff, Prof.: Die Getreide ⸗ 


621 


wirtſchaft in d. Trockengebieten Ruß; 
lands. Stand u. Ausſichten. M. 10 Kt. 
u. 2 Abb. Berlin: P. Parey 1932. 138 
S. — Berichte üb. Landw. N. F. Son⸗ 
derh. 67. 15.—, Vorb. 13.50. 


Führer durch d. dt. Gemüſe⸗ u 
Obſtbau. Zfgeft. u. Mitarb. d. Land- 
wirtſchafts⸗ u. Bauernkammern uſw. 
vom Reichsverband d. dt. Gartenbaues 
e. V. Berlin. Wiesbaden: Bechtold 
1932. XI. 333 S. 8.—. 


Müller- Einhart, Emil, Dr.: Muſ⸗ 
ſolinis Getreideſchlacht. Ital. Landw. 
im Zeichen d. Diktatur. Regensburg: 
Manz 1933. XV. 188 S., 1 Taf. 2.85. 


Anſchriften verzeichnis der Mitarbeiter der Monatsſchrift 
„Deutſche Agrarpolitik“, Heft Februar 1933 


Herbert Backe, Domäne Hornſen, Poſt Alfeld (Leine⸗Land) 
Minifterpräfident Walter Granzow, Severin, Poſt Baumbühl, Meckl. 
Kurt Fachmann, Berlin-Steglitz, Albrechtſtraße 88 


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n Inhalt: Dr. Hermann Reif le, 
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Inhaltsverzeichnis 


Seite 
Nachruf: Leopold Plaichingeegkx᷑;) 623 
Hans F. K. Günther / Volk und Staat gegenüber Vererbung 
und Aus leꝶdeeeeeeeeeeeeeeeeeeeee 624 
Heinz Konrad Haushofer / Lorenz von Stein 642 
Otto Jüngſt / Die „Oſthilfe“ am Scheideweg 649 
Edmund Schmid / Letzte deutſche Koloniſationsarbeit in Rußland 666 
Erich Netſchert / Auf dem Wege zum Monopoll?ʒ . . 676 
Hermann Polzer / Flüſſiges Obſt — eine Lebensfrage für den 
deutſchen Obſt⸗ und WeinbaMQü nns 689 
Karl Scheda / Guſtav Ruhlands Leitſätze für Mittelſtandspolitik 698 
Das Archrt “ns 705 


Umſchlagbild: Bauer von der Rauhen Alb 
Phot. Erna Lendvai-Dirckſen, Berlin 


Jedes Heft RM. 1.50 . DPierteljährlih 3 Hefte RM. 3.60 


zuzüglich Beſtellgeld. Beſtellungen durch den Verlag oder bei ſeder Poſtanſtalt. 
Poſtvertrieb ab Detmold 


DeuticheAgrarpolitif 
Monatsſchriſt für Deutiches Bauerntum 
Sanptichriftleitung Dr. Hermamfeeilchle 


7 AAA DENE HE OB EL I 2 PLIST ite EGP EAP FEN 
„Beitgefchichte" Verlag und Vertriebs⸗Geſellſchaft m. b. H., Berlin 015 
meinekeſtraße 20 | 

Heft 9 | März 1933 
Leopold Plaichinger 7 

Wie vollziehen die ſchmerzliche Pflicht, den Tod unferes ftändigen 
Mitarbeiters Leopold Plaichinger mitzuteilen. Als wir im Frühſommer 
vorigen Jahres die Herausgabe diefer Monatsſchriſt vorbereiteten, war 
es erſt kurze Zeit her, daß er in engere Zufammenarbeit mit uns 
getreten war, und anfänglich war ihm, der aus nichtlandwirtfchaftlichen 
und nichtbäuerlichen Kreiſen Öfterreihs ſtammte, unſer denken und 
Wollen noch etwas fremd. Mit der ihm eigenen Einfühlungsgabe hatte 
er jedoch ſehr raſch das Befondere unſerer Arbeitsrichtung erfaßt, und 
nun war es bewundernswert zu ſehen, mit welcher Hingabe, Energie 
und nimmermüdem Fleiß er ſich einarbeitete. Er übernahm im beſon⸗ 
deren die Schulung unſeres Mitarbeiterftabes auf außenpolitifchem Ge⸗ 
biet, und wenn unfere Zeitfchrift in kurzer Zeit einen überraſchenden 
Anklang fand, fo ift dies in erſter Linie mit auf die in Inhalt und Stil 
gleich wundervollen Arbeiten Plaichingers zurückzuführen. Noch auf 
ſeinem mehrmonatigen Krankenlager gehörte ſeine ganze Liebe und un⸗ 
ermüdliche Tätigkeit diefer Zeitſchrift, der er, der von diefen Dingen 
wirklich etwas verftand, von Anfang an einen großen Erfolg vorausſagte. 

Die erſchütternde Todesnachricht traf uns unerwartet. Leopold Plais 

inger war uns nicht nur engſter Mitarbeiter, fondern Freund und 

Mitkämpfer geworden. 

Wie ſtehen in tiefer Trauer an dem Grabe diefes unerſetzlichen 
Mannes. gez. R. Walther Darré 

gez. hermann Reiſchle 


Hans F. K. Günther: 
Volt und Staat gegenüber Vererbung und Auslefe 


Die Tatſache der Vererbung, d. h. die Tatſache, daß Vorfahrenanlagen auf 
Nachkommen übertragen werden, ift wohl niemals geleugnet worden. Die Vee 
deutung dieſer Tatſache für Volk und Staat iſt in früheren Zeiten ſogar oft 
betont worden. In der Jahrtauſende alten Tierzucht iſt der Menſch immer 
ausgegangen von der Vorſtellung, welche Macht die Vererbung bedeute und 
daß ſich eine Hochzucht nur erreichen laſſe durch Sonderung der tüchtigen von 
den weniger tüchtigen Tieren, durch Einſchränkung der Fortpflanzung allein 
auf die Beſten der betreffenden Art. Je weiter wir in der Geſchichte der Völker 
indogermaniſcher Sprache zurückgehen, deſto mehr finden wir eine überlieferte 
Achtſamkeit auf Vererbung, auf Siebung und Ausleſe auch beim Menſchen 
ſelbſt, nicht nur bei deſſen Haustieren; deſto mehr ſtoßen wir auf die Aberzeu⸗ 
gung von einer durans originis vis (Tacitus, Agricola 11), auf die Gewiß⸗ 
heit, daß Herkunft entſcheide. 

Die Überzeugung von der Macht der Vererbung mag geſchwächt worden 
ſein durch das Eindringen der chriſtlichen Gedankenwelt mit ihrer Betonung 
einer Zwieſpältigkeit von Leib und Seele, von Geiſt und Fleiſch. Wo das 
Indogermanentum mehr oder minder bewußt betont eine Leib⸗Seele⸗Einheit 
empfand, da haben morgenländiſche Glaubensformen gerne Leib von Seele, 
Fleiſch von Geiſt unterſcheiden und trennen gelehrt. Da nun aber die leib⸗ 
lichen Grundlagen der Vererbung ſozuſagen den finnfälligeren, deutlicheren 
Teil der Vererbungserſcheinung ausmachen, da zur Beachtung der Ver⸗ 
erbung ſeeliſcher Züge im allgemeinen ein größerer Scharffinn gehört, ein fei⸗ 
neres ſeelenkundliches Verſtändnis, ſo konnte leicht die volksläufige Meinung 
aufkommen, als ob ſich die Vererbung im weſentlichen nur im Leiblichen aus⸗ 
wirke, nicht auch im Seeliſchen. 

Das Leibliche war aber durch morgenländifch-hriftliches Denken nunmehr 
entwertet, als etwas Minderwertiges hingeſtellt gegenüber dem Geiſtig ⸗See⸗ 
liſchen. Auf dieſe Weiſe wurde für das allgemeine Bewußtſein die Vererbung 
ſelbſt zu etwas, was gleichſam nur niedrigeren Lebensbereichen angehöre und 
worüber „der Geiſt“ hinwegſehen dürfe. 

Solche Anſchauungen ſtehen heute noch dem Vordringen der Erbgeſundheits⸗ 
forſchung entgegen und zwar beim ſog. Gebildeten mehr als beim gemeinen 
Manne oder gar beim Bauern. Den Forderungen der Erbgefundheitslehre 


Volk und Staat gegenüber Vererbung und Auslese 625 


(Eugenik, Naſſenhygiene) wird von unkundigen Gebildeten gerne entgegen⸗ 
gehalten, es komme für ein Volk doch nicht auf ſtärkere Knochen und dickere 
Muskeln an oder auf Geſundheit des Leibes allein. Demgegenüber muß von 
vornherein betont werden, daß eine Erbgeſundheitslehre als Wiſſenſchaft mit 
völkiſcher Zielſetzung die Steigerung des Menſchen ſchlechthin will, und zwar 
des Menſchen, der — mindeſtens gegenüber der Erblichkeitslehre — eine leib⸗ 
ſeeliſche Einheit darſtellt. Worauf es alſo ankommt, das iſt die Aufſtellung 
eines Ausleſevorbildes vor unſerem Volke: der leiblich und ſeeliſch 
erbtüchtige Menſch deutſcher Prägung. Auch im Lebensgeſetzlichen, im Violo- 
giſchen, gilt, daß ein Volk ſich auf ſeiner Höhe halten oder eine Höhe nur er⸗ 
klimmen kann, wenn es eine Spannung in ſich empfindet zu einem ertüch⸗ 
tigenden leib⸗ſeeliſchen Vorbilde hin. 

Was ich hier Ausleſevorbild genannt habe, iſt das, was die Tierzüchter ein 
Zuchtziel nennen. Wir dürfen uns nicht ſcheuen, die für viele Gebildeten un⸗ 
ſerer Tage unangenehm klingende Tatſache auszuſprechen, daß für den Men 
ſchen grundſätzlich die gleichen Lebensgeſetze gelten wie für das Tier. Es iſt 
eine weitere Auswirkung der mittelalterlich⸗kirchlichen Trennung von Leib und 
Seele, von Fleiſch und Geiſt, wenn heute gerade manche Gebildeten der Erb⸗ 
geſundheitslehre gegenüber verächtlich von „Geſtüt“ oder „Viehzucht“ oder 
„Hundezucht“ ufw. ſprechen. Mir hat es nie einleuchten wollen, daß das Tier 
etwas fo Riedriges fein folle, daß man den Menſchen in keiner Weiſe mehr 
mit ihm vergleichen dürfe. Der Erbgeſundheitslehre muß daran gelegen ſein, 
daß in unſerem Volke wieder eine Würde alles Lebendigen erkannt 
werde, denn nur durch ein gewiſſes Erfaſſen der großen Geſetze, denen alles 
Lebendige unterworfen iſt, nur hierdurch wird eine Bildung, eine Geſittung 
(Kultur), geſchaffen werden können, die ſich darin ausdrücken, daß ſie nach den 
Mitteln zu einer erblichen Steigerung des Menſchen ſuchen. 

Ich habe geſagt, daß die Achtſamkeit auf Vererbungserſcheinungen im Be⸗ 
reiche des Menſchen, wie ſie jeder Frühzeit eines Volkes indogermaniſcher 
Sprache im beſonderen Maße eigen war, daß dieſe Achtſamkeit geſchwächt 
worden iſt, mindeſtens geſchwächt werden konnte durch Glaubenslehren, welche 
Leib und Seele zu trennen verſuchten. Es kann aber im Abendlande nur zu 
einer Schwächung dieſer Aufmerkſamkeit gekommen ſein, nicht zu einer gänz⸗ 
lichen Verdrängung: wir können ſehen, wie das volkstümliche Denken der 
abendländiſchen Völker eigentlich bis ins 19. Jahrhundert hinein durchaus mit 
den Tatſachen der Erblichkeit rechnete. Auf dem Lande haben fich bis heute 
mehr oder minder deutliche und finnvolle Vorſtellungen gehalten, wen man 
heiraten folle, wen nicht; Vorſtellungen, die fic) mit den üblichen wirtſchaft⸗ 
lichen Abſichten auseinanderſetzen müſſen, die aber in Reften doch noch ſpürbar 
find. Die Gebildeten in den Städten hingegen ſpüren im allgemeinen kaum 
noch ein Bedürfnis, an Vererbung und Ausleſe zu denken. Wir müßten nicht 


626 Hans F. K. Günther 


über die Gattenwahl fo manches ſogenannten hochgebildeten Mannes den Kopf 
ſchütteln, wenn heute nod mit „Bildung“ irgendeine volkstümliche Aberlie⸗ 
ferung über die Macht der Vererbung verbunden wäre. 

Mir erſcheint der dichteriſche Stil Nietzſches im großen ganzen ebenſo über- 
ſteigert wie der tonkünſtleriſche Stil feines Widerſachers Richard Wagner; 
aber in dieſem Zuſammenhange möchte ich doch an einen Satz aus dem 
„Sarathuftra” erinnern, der die Anachtſamkeit vieler Gebildeten gegenüber den 
Fragen der Ausleſe — und d. h. beim Menſchen der Gattenwahl und Kinder⸗ 
zahl — treffend kennzeichnet: | 

„Würdig ſchien mir diefer Mann und reif für den Sinn der Erde: aber als 
ich fein Weib ſah, ſchien mir die Erde ein Haus für Anfinnige.“ 

Nietzſche ſcheint ſomit auch beobachtet zu haben, daß gebildete Frauen in der 
Regel beſſer wählen als gebildete Männer und daß ſie in vielen Fällen eher 
ledig bleiben als hinabheiraten — ich meine hier „hinab“ im Sinne der Höhe 
der Erbanlagen, nicht natürlich des Beſitzes oder des erworbenen Wiſſens. 
Erworbenes dient ja nur allzuoft zur Hinwegtäufchung über Angeborenes. 
Das Erworbene an einem Menſchen oder in einer Familie zu erkennen 
und abzugrenzen gegenüber dem Angeboren⸗Ererbten, gehört zu der⸗ 
jenigen Achtſamkeit auf die Tatſachen der Vererbung, die wir der Jugend 
wünſchen müſſen, wenn ſie lebensgeſetzlich richtig heiraten ſoll, lebensgeſetzlich 
richtiger heiraten ſoll, als dies ſeit dem 19. Jahrhundert Üblich geworden iſt. 

Seit dem 19. Jahrhundert etwa hat die Allgemeine Bildung den Zuſam⸗ 
menhang mit dem überlieferten lebensgeſetzlichen Denken des Volkes, beſon⸗ 
ders des Bauern, verloren. Im 17. und 18. Jahrhundert bereiteten ſich die⸗ 
jenigen Gedanken vor, die zur Franzöfiſchen Revolution geführt haben: die 
Gedanken der naturrechtlichen Schule, die der ſogenannten Aufklärungszeit, 
dann die Gedanken, denen Nouffeau die wirkſamſte Faſſung gegeben hat. In 
dieſer ganzen Gedankenwelt waren es zwei Vorſtellungen, die ſich gegen die 
überlieferte, aus Erfahrungen gewonnene Betonung der ererbten Anlagen des 
Menſchen richteten: der Gedanke der Gleichheit aller Menſchen und 
der Gedanke einer weitgehenden Bildbarkeit aller Menſchen. 
Beide Gedanken haben ſich verbunden zu den Lieblings vorſtellungen des 
19. Jahrhunderts, die zu kennzeichnen find durch das Schlagwort von der 
Allgemeinen Bildung, von deren Ausbreitung man ſich eine durch⸗ 
gehende Veredlung der Menſchheit verſprach. 

Wohl gemerkt: man wollte nicht etwa die Menſchheit veredeln durch Meh⸗ 
rung der Erbanlagen zu beſſerer Bildbarkeit und tieferer Arteils fähigkeit, fon- 
dern durch Mehrung der Bildungseinrichtungen und des übertragbaren 
Wiſſensſtoffes. Man wurde dementſprechend gar nicht beforgt, als im 19. Jahre 
hundert nun die durch ererbte Bildbarkeit aufgeſtiegenen Familien gerade die 
kinderarmen Familien wurden, ſondern man gab ſchließlich für unterdurch⸗ 


Volk und Staat gegenüber Vererbung und Auslese 627 


ſchnittlich Begabte viel mehr ſtaatliche Mittel aus als für Überdurchſchnittlich 
Begabte — in der Meinung, daß Bildungsausbreitung und Bildungsein⸗ 
löffelung zur Veredelung der Menſchheit beitrügen. Wir erkennen heute immer 
beſſer, daß Veredelung nur von „geborenen“ Edlen kommen kann, daß eine 
Veredelung der Menſchheit — oder meiden wir die Schlagwörter und bleiben 
wir bei unferem Volke — daß eine Veredelung unſeres Volkes nur durch den 
Kinderreichtum der Erblich⸗Beſten aller Stände vorbereitet werden kann. 

Staatliche Geldmittel, die zur Bildungseinlöffelung für Begabungsloſe und 
Schwachfinnige ausgegeben werden, werden die Bildungshöhe des Volkes — 
die eben auf Erbanlagen und deren Mehrung oder Minderung beruht — ſo⸗ 
lange ſenken, bis nicht eine geſetzliche Anfruchtbarmachung der 
Schwachſinnigen durchgeführt iſt. Wenige Geſchlechterfolgen ſpäter würden 
große Geldmittel, die heute zur Senkung der Bildungshöhe dienen, frei were 
den, zum Beiſpiel auch für Kinderzulagen an wirtſchaftlich ſchwache Familien 
mit guten Erbanlagen, d. h. an Familien, die trotz ihren guten Erbanlagen 
in Not geraten find. 

Der Gedanke der Gleichheit und der Gedanke der weitgehenden Bildbarkeit 
aller Menſchen, beide haben dazu beigetragen, das abgeſchwächt noch vorhan⸗ 
dene Gefühl der Verpflichtung gegenüber den künftigen Geſchlechtern auf⸗ 
zulöſen, haben ferner dazu beigetragen, ein Gefühl der Spannung zu einem 
völkiſchen Vorbilde vom edlen, ſchönen und tüchtigen Menſchen aufzulöſen, 
alſo die Spannung zu löſen von der gegebenen Wirklichkeit zu einem anerkann⸗ 
ten Zielbilde hin. Der Gedanke der Gleichheit und der Bildbarkeit aller Men⸗ 
ſchen hat gewiß ausgleichend gewirkt; wohl auch da und dort verſöhnend 
gewirkt; er hat Einzelnen wohlgetan — aber dem Ganzen geſchadet durch 
die Entſpannung und Einebnung, die er gebracht hat. Jedes Volk und jeder 
Staat find für ihre Erhaltung und Stärkung an das Beſtehen eines Wert⸗ 
gefälles gebunden: dieſen Vergleich hat einmal der Erbgeſundheitsforſcher 
Willibald Hentſchel gebraucht: eine Turbine arbeitet durch das Gefälle 
des Waſſers von oben nach unten; in dem ausgeglichenen Waſſerſtand eines 
Flachſees bewegt ſich nicht das kleinſte Turbinenrädchen mehr. Die künſtliche 
Einebnung aller Wertgefälle, die der Gleichheitsgedanke gebracht hat, hat 
ſchließlich den liberaliſtiſchen Staat des 19. Jahrhunderts zu dem ſtehenden 
Gewäſſer gemacht, deſſen Faulen wir heute bemerken. 

Der Gleichheitsgedanke derjenigen, die dieſen Gedanken zum erſtenmal aus⸗ 
geſprochen haben, iſt entſprechend der beachtungswerten Gedankenſchärfe des 
18. Jahrhunderts noch durchaus wirklichkeitsnahe und ſtaatsrechtlich fruchtbar: 
er bedeutet nämlich bei den großen Denkern und Staatsrechtslehrern des 
18. Jahrhunderts nichts weiter als Gleichheit aller Staatsbürger vor dem 
Geſetz. Egalité hat bei den großen franzöſiſchen Denkern nie etwas anderes 
bedeutet als dieſen ſelbſtverſtändlichen Gedanken. Bei Voltaire in ſeinem 


628 Hans F. K. Günther 


„Traité de métaphysique“, bei dem Baron von Holbad in feinem 
„Systeme de la nature“ finden wir die Tatſache der Angleichheit, der Ver⸗ 
anlagungs⸗Verſchiedenheit der Menſchen, betont. Selbſt bei dem mehr ſeinen 
Gefühlen und ſeinen Wünſchen als dem Verſtande folgenden Nouſſeau 
finden ſich Stellen, welche die Veranlagungsungleichheit der Menſchen betrach⸗ 
ten. Soviel ich ſehe, findet fic der Gedanke der Gleichheit aller Menſchen — 
fie ſeien von Geburt alle anlagengleich und die fpäter fich zeigenden Anter⸗ 
ſchiede ſeien nur durch verſchiedene Amwelt bewirkt — dieſer gänzlich durch⸗ 
geführte Gleichheitsgedanke findet ſich, ſoviel ich ſehe, nur bei dem kleineren 
franzöſiſchen Denker Helvétius (1715— 1771) und dann bei dem Revo- 
lutionspolitiker Marquis de Condorcet (1743 — 1794). Bei einzelnen 
Philoſophen, wohl auch bei John Locke, beſtehen Neigungen, die Dinge ſo 
zu ſehen, als ob erſt die Lebensläufe der Menſchen, die ihnen von außen zu⸗ 
ſtoßenden Geſchicke, den Menſchen ihr Gepräge gaben. Auffällig ift auch, daß 
die „Declaration of Independence“, die Grundurkunde der Vereinigten 
Staaten von Amerika vom Jahre 1776, wirklich gleich zu Beginn behauptet, 
that all men are created equal, daß alle Menſchen gleich beſchaffen ſeien. 
Ich vermute aber, daß die Männer von hervorragendem Wirklichkeitsſinn, 
welche die nordamerikaniſche Verfaſſung geſchaffen haben, beſonders Jeffer⸗ 
ſon, mit dieſem „created equal“ die Ablehnung ſogenannter „angeborener“ 
Standesunterſchiede ausſprechen, nicht alſo eine von jeder täglichen Erfahrung 
widerlegte Anlagen⸗Gleichheit aller Menſchen behaupten wollten. 

Jedenfalls war es dem — bei aller Bildungsmehrung — an Gedanken- 
ſchärfe nachlaſſenden und an Schlagwortmengen zunehmenden 19. Jahrhundert 
vorbehalten, die Gleichheitslehre zu einem Gleichheitswahn zu ent- 
wickeln, einem Gleichheitswahn, der ſchließlich ſo mächtig wurde, daß ſchon die 
Erwähnung einer erblichen Ungleichheit der Menſchen als eine Rüdftändig- 
keit, wenn nicht eine Verruchtheit, angeſehen wurde — als eine Entweihung 
des Menſchheitsgedankens und Humanitätsgedankens. Der große Gobineau 
ſtand ganz einſam, als er Mitte des 19. Jahrhunderts eine „inegalit& des 
races humaines“ behauptete. Gerade die unklare Faſſung des Begriffes 
„Gleichheit“ ermöglichte die breite Auswalzung dieſes Schlagwortes. Es lie⸗ 
fen ungeſchieden mehrere Vorſtellungen durcheinander: die Menſchen find 
gleich; die Menſchen ſollen gleich fein; die Menſchen find von Veranlagung 
gleich und nur ungleich geworden durch ihre verſchiedene Amwelt: durch Beſitz 
oder Armut, Bildung oder Anbildung, hohe oder niedrige geſellſchaftliche 
Schicht. Angeſchieden und unentſchieden blieb, ob dieſe „Gleichheit“ — eine 
behauptete oder geforderte „Gleichheit“ — im Geiſtigen gelten ſolle oder im 
Sittlichen, ob ſie ſich auf das Geſellſchaftliche oder das Staatlich⸗Politiſche 
beziehen ſolle. 


Volk und Staat gegenüber Vererbung und Auslese 629 


Aber durch dieſe begriffliche Anklarheit war die Wirkung des Schlagworts 
geſichert. Seine Wirkung war ſchließlich die, daß nicht nur die unbelehrten 
Volksmaſſen, ſondern nahezu ſchon die ſogenannte Allgemeine Bildung — 
bewußt oder unbewußt — ausgingen von der Vorſtellung, die Menſchen feien 
von Natur alle gleich veranlagt, und manche ſetzten hinzu: alle gut veranlagt; 
erft verſchiedene Umwelt bewirke ihre nicht abzuleugnenden Verſchiedenheiten. 
Im marxiſtiſchen Sozialismus wurde dieſe Auffaſſung ein unveräußerlicher 
Glaubensſatz, der ſich, beſtimmt ausgedrückt, wohl zum erſten Male bei 
Proudhon finden läßt. Es gibt heute vereinzelte marxiſtiſche Sozialiſten, 
die von der Tatſache der erblichen Angleichheit der Menſchen ausgegangen 
find und eine Staatliche Erbgeſundheitspflege fordern. Der neulich verftorbene 
bedeutende Alfred Grotjahn iſt hier zu nennen und ebenſo Karl 
Valentin Müller, der erſt kürzlich wieder verſucht hat, von den (anti- 
ariſtokratiſchen) Anſchauungen der Sozialdemokratie zu der (ihrem Weſen nach 
ariſtokratiſchen) Erbgeſundheitslehre eine Brücke zu ſchlagen. Ich fürchte aber, 
dieſe Brücke wird unbetreten bleiben, denn die Gedankenwelt des marxiſtiſchen 
Sozialismus hat ſich in den Gleichheitsvorſtellungen des 19. Jahrhunderts 
ebenſo feftgefabren wie der demokratiſche Liberalismus des Bürgertums. Beim 
marxiſtiſchen Sozialismus kommt, wie ich angedeutet habe, hinzu, daß dieſer 
bei feinen Anhängern jede Möglichkeit zu einem ariſtokratiſchen Denken erftidt 
hat. Ein führender Sozialdemokrat hat von einer Erbgeſundheitspflege gerade- 
zu befürchtet, ſie werde die Schaffung eines neuen Geburtsadels anbahnen. 
Eine ſolche Auffaſſung läßt wohl keine Hoffnung auf ein Weiterlernen 
mehr zu. 

Sowohl Liberalismus wie Marxismus haben ſich im 19. Jahrhundert ver- 
bunden mit damaligen als wiſſenſchaftlich und fortſchrittlich angeſehenen 
lebenskundlichen Lehrmeinungen. Zu ihnen gehört vor allem der Lamarckis⸗ 
mus, d. h. die Lehre von der ausſchlaggebenden Bedeutung 
der Amwelt. Man kann mit einiger Abertreibung ſagen, daß nahezu alles 
Denken des 19. Jahrhunderts — und zwar gilt dies auch für die einander 
entgegengeſetzten Anſchauungen dieſes Jahrhunderts — auf bewußten oder 
unbewußten lamarckiſtiſchen Anſchauungen beruht. Nur durch den herrſchenden 
Lamarckismus, durch den Glauben an eine ausſchlaggebende Macht der Am⸗ 
welt und an allerlei Möglichkeiten der Menſchheitsveredelung durch Am⸗ 
weltverbeſſerungen — mir durch dieſen Lamarckismus iſt der bekannte 
Gortidrittswahn des 19. Jahrhunderts möglich geworden. Daher auch die 
Anmaſſe von Vorſchlägen zur Hebung des Erziehungs- und Schulweſens, die 
für das 19. Jahrhundert bezeichnend ſind und ſich bis heute fortſetzen, als ob 
durch andere Verfahren andere Menſchen geſchaffen werden könnten. Auf dem 
bewußten oder unbewußten Lamarckismus beruht der Bildungswahn, ja 
Bildungsfimmel des deutſchen Volkes, der erſt ſeit neueſter Zeit als ein An⸗ 


630 Hans F. K. Günther 


heil für unfer Volk durchſchaut worden ift. Zum Bildungswahn rechne ich 
auch ſolche Forderungen, wie die eines pflichtmäßigen akademiſchen Bildungs⸗ 
ganges der Volksſchullehrer. 

Die Naturwiſſenſchaft kam dem volksläufigen Lamarckismus des 19. Jahr- 
hunderts zunächſt zu Hilfe; denn lamarckiſtiſches Denken ſchrankenloſer Art 
ſchien vor Darwin und Galton, vor allem aber vor Mendel, noch 
weithin möglich zu ſein. Der Darwinismus, d. h. die Lehre von der 
ausfhlaggebenden Macht von Vererbung und Ausleſe, 
konnte ſich nur langſam durchſetzen und erhielt ja eine tiefere Beſtärkung erſt 
durch Mendel. Mendels Ergebniſſe aber lagen bekanntlich ein Menſchenalter 
lang unerkannt und unbenutzt, bis ſie endlich im Jahre 1900 wieder entdeckt 
wurden. Erſt von 1900 an haben ſich die Grundlagen ergeben, auf denen jede 
Erbgeſundheitslehre ſich aufbauen muß. 

Die Entſcheidung, ob zur Erklärung der Stammesgeſchichte der Organis- 
men, ob für die Abſtammungslehre auch lamarckiſtiſche oder nur darwiniſtiſche 
Vorſtellungen heranzuziehen ſeien, iſt noch nicht gefallen, wenn auch nicht 
mehr ernſthaft beſtritten werden kann, daß für das Schickſal aller Lebeweſen 
nicht die Amwelt, fondern Erbanlagen ausſchlaggebend find. Ich möchte an⸗ 
nehmen, daß zur Deutung der Stammesgeſchichte der Organismen beide Er⸗ 
klärungsweiſen heranzuziehen find, ſowohl die lamarckiſtiſche wie die dar⸗ 
winiſtiſche, und möchte mich darin den ſog. Altdarwiniſten anſchließen, die in 
Jena durch Herrn Profeſſor Plate maßgebend vertreten find. | 

Wenn ſich aber herausſtellen wird, daß für die Erklärung der Stammes⸗ 
geſchichte der Organismen auch lamarckiſtiſche Vorſtellungen heranzuziehen 
ſeien, fo iſt der Lamarckismus mit feiner Betonung der Umwelt ficherlid nicht 
am Platze, wo es gilt, nach den uns gegebenen Mitteln zu einer Veredelung 
des Menſchengeſchlechtes zu ſuchen. Gibt es ſo etwas wie eine „Vererbung 
erworbener Eigenſchaften“, ſo vollziehen ſich folche Vorgänge in erd⸗ 
geſchichtlichen Zeiträumen. Für unſere völkiſchen und ſtaatlichen Ziel⸗ 
ſetzungen, wenn dieſe im Bereich der uns gegebenen Möglichkeiten bleiben 
wollen, können lamarckiſtiſche Vorſtellungen nicht herangezogen werden. Wir 
können nichts tun, um irgend etwas vom Einzelmenſchen Erworbenes — die 
durch Abung erzielte beſondere Ausbildung einer leiblichen oder geiſtigen 
Fertigkeit — vererbbar zu machen. Hunderterlei Amweltverbeſſerungen werden 
zwar den Einzelnen zugute kommen; eine erbliche Hebung der Geſamt⸗ 
heit werden ſie nicht bewirken. Für unſere Zielſetzung bleibt nur der dar⸗ 
winiſtiſche Weg, d. h. die Ausleſe bzw. Ausmerze: der Kinderreichtum 
der Erblich-Hochwertigen aller Stände und die Kinder- 
armut bzw. Kinderloſigkeit der Erblich⸗Minderwertigen 
aller Stände. 


Volk und Staat gegenüber Vererbung und Auslese 631 


Solange die vielerlei Arten ſozialer Fürſorge nicht mit der geſetzlichen Une 
fruchtbarmachung der Erblich⸗Minderwertigen verbunden werden, ſolange wird 
jegliche Fürſorge gerade die Abel mehren, die fie angeblich verhüten will. Am⸗ 
weltverbeſſerung, foviel fie für den Einzelnen bedeuten mag, wird ohne gleich⸗ 
zeitige geſetzliche Anfruchtbarmachung der Erblich⸗Minderwertigen zu einer 
Tortpflanzungsbeihilfe für Erbſtämme, die einen Staat ſchließlich bis zum Er⸗ 
liegen belaſten können. Auch ein Mehrſtimmenwahlrecht für Familienväter, 
wie es neulich von einem Reichsminiſter vorgeſchlagen worden ift, ließe ſich 
als finnvolle Maßnahme erft dann durchführen, wenn vorher — und zwar 
eine Reihe von Jahren vorher — die geſetzliche Anfruchtbarmachung der Erb⸗ 
lich⸗Minderwertigen eingeführt worden wäre. Heute ſteht es ja nach entſpre⸗ 
chenden Anterſuchungen in Deutſchland ſo, daß die Schulkinder, die wegen 
Begabungslofigkeit in Hilfsſchulen erzogen werden müſſen, die durchſchnittlich 
größte Anzahl von Geſchwiſtern haben; woraus hervorgeht, mit was für Fa⸗ 
milienvätern heute zu rechnen ijt. 

Glücklicherweiſe hat der Sozialdemokrat Grot jahn die Verbindung von 
Fürſorge und Anfruchtbarmachung gefordert. Ich ſage: glücklicherweiſe, denn 
noch empfindet die Mehrzahl unſerer Zeitgenoſſen — in einem liberaliſtiſch⸗ 
individualiſtiſchen, einzig den Einzelmenſchen betrachtenden Denken befangen 
— ſolche Forderungen wie die geſetzliche Anſruchtbarmachung der erblich Min⸗ 
derwertigen als etwas Anerhört⸗Reaktionäres, als einen Eingriff in irgend⸗ 
welche Menſchenrechte. Ein Staat aber wird lernen müſſen zu unterſcheiden 
zwiſchen dem „Recht zu leben und dem Recht, Leben zu geben“ (Mjöen). Ein 
unbeſchränktes Menſchenrecht zu heiraten und ein unbeſchränktes Menſchen⸗ 
recht auf Fortpflanzung kann es in einem nach wahrer Ertüchtigung ftreben- 
den Staate nicht geben. 

Wit milffen uns daran erinnern, daß behördliche Eheverbote, aus altdeut- 
ſchem Rechtsempfinden entſtanden, fic) noch bis in die Mitte des vorigen 
Jahrhunderts hinein verfolgen laſſen. Dieſe Geſetze find für uns heute nicht 
wegen ihres Inhaltes wertvoll, ſondern wegen einer ihnen zugrunde liegenden 
nicht⸗individualiſtiſchen Lebensauffaſſung, die es wieder zu beleben gilt, wenn 
aus Verfall ein neuer Auſſtieg werden ſoll. Eheverbote gehen heute, wo 
Mittel zur Empfängnisverhütung und Anfruchtbarmachung zur Verfügung 
fteben, mehr die Geſundheitspflege an, weniger die Erbgeſundheitspflege. 
Gegen kinderloſe Ehen zweier Erblich⸗Minderwertiger wird der Staat nichts 
einzuwenden haben. Dem Staat wird aber viel daran gelegen ſein müſſen, 
in der Jugend den Sinn für eine richtige Gattenwahl zu wecken und die 
Jugend ſelbſt wird in ihren Reihen dafür ſorgen müſſen, 
daß künftighin das Hinabheiraten eines jungen Mädchens 
oder eines jungen Mannes — ich meine das Hinabheiraten 


632 Hans F. K. Günther 


in eine erblich minderwertige Familie hinein — als eine 
Schande gelten wird. 

Nebenbei erinnern wir uns daran, daß „erblich minderwertig“ zwar in 
vielen Fällen zugleich ſoviel bedeutet wie überhaupt minderwertig, auch als 
Einzelmenſch minderwertig; daß „erblich minderwertig“ in vielen Fällen ſo⸗ 
viel bedeutet wie „geſellſchaftsfeindlich“. Unter den Erblich⸗Minderwertigen 
iſt die große Zahl der „Antermenſchen“ zu finden — um ein zuerſt von Fon⸗ 
tane gebrauchtes Wort anzuwenden — der Antermenſchen, d. h. der werte⸗ 
verneinenden, gefittungs-unterwühlenden Erblich⸗Minderwertigen. Wir er⸗ 
innern uns andererſeits aber auch daran, daß in vielen Fällen Menſchen, die 
als Einzelweſen hochwertig find, als Erbträger minderwertig fein können. 
Vielleicht gilt das gerade für eine kleine Zahl unter den Höchſtbegabten ent⸗ 
ſprechend jenem — zuviel behauptenden — Satze Senecas: non est magnum 
ingenium sine mixture dementiae. Hier gilt es eben, unterſcheiden zu lernen 
zwiſchen dem Wert eines Menſchen als Einzelmenſchen und 
feinem Wert als Erbträger. Der Bedeutung z. B. Kants wird nichts 
abgezogen, wenn man ausſpricht, daß es für ſein Volk wahrſcheinlich beſſer 
war, daß er keine Nachkommen hinterlaſſen hat, als daß er Nachkommen Hine 
terlaſſen hätte. Wir werden es erleben, daß geiſtig hochſtehende Einzelmen⸗ 
ſchen, die aber als Erbträg er minderwertig find, die Notwendigkeit einer 
gewiſſen ſtaatlichen Lenkung der Gattenwahl und einer geſetzlichen Anfrucht⸗ 
barmachung eher einſehen werden als die Maſſe der Halbgebildeten, der der 
Individualismus und die ihm entſprechenden liberaliſtiſchen Schlagwörter 
noch als eine „Weltanſchauung“ teuer ſind. Wir müſſen bedenken, daß ein 
geſunder Verſtand — die Art von Verſtand, die beim Bauern eher zu finden 
tft als beim halbgebildeten Städter — dazu gehört, die ererbten Angleichheiten 
der Menſchen zu erkennen und anzuerkennen. Gegenüber dem Gedanken der 
Gleichheit oder der Angleichheit aller Menſchen gilt ja vielfach ein Satz 
Pascals: „Die Flachköpfe finden keine Verſchiedenheiten zwiſchen den 
Menſchen.“ (Les gens du commun ne trouvent pas de différence entre 
les hommes.) 

Ich habe geſagt, das 19. Jahrhundert ſei gekennzeichnet durch ſein bewußtes 
oder unbewußtes, jedenfalls in faft allen feinen geiſtigen Äußerungen ſich 
regendes lamarckiſtiſches Denken, Amwelt und nicht Erbanlagen betonendes 
Denken. Es iſt bedauerlich und ein immer noch fortwirkender Schaden für die 
deutſche Geiſtesentwicklung und vor allem für die deutſche Staatsentwicklung, 
daß diejenigen philoſophiſchen Lehren, die als „deutſcher Idealismus“ zuſam⸗ 
mengefaßt werden, im ganzen auch einem lamarckiſtiſchen Denken entſprechen, 
wie ja leider dieſer „deutſche Idealismus“ auch gerne den Geiſt trennend ab- 
gehoben hat vom minderbewerteten Leib, und wie leider dieſer „deutſche Idea⸗ 
lismus“ ſich gerne in Vorſtellungen einer ſehr weiten Bildbarkeit aller Men⸗ 


Volk und Staat gegenüber Vererbung und Auslese 633 


ſchen erging. Der „deutſche Idealismus“ ift damit eher eine Art Beiftesphilo- 
ſophie geblieben, als daß er ſich zu einer Lebensphiloſophie erweitert hätte. 
Ich ſage dies als Philoſophiſch⸗Mindergebildeter und ohne den Anſpruch, 
mich terminologiſch auszudrücken. Jedenfalls führt eine gewiſſe Lebensphilo⸗ 
ſophie gewiſſermaßen an der Schule des deutſchen Idealismus vorüber, von 
Goethe und einigen Anſätzen der ſogenannten Naturphiloſophie der Nomantik 
her über Schopenhauer zu Nietzſche und, wie manche wollen, zu Ludwig 
Klages. Bei dieſen Denkern iſt ein gewiſſer Darwinismus, die Betonung des 
Angeboren⸗Ererbten, zu finden und iſt eine Ahnung oder eine Gewißheit dere 
jenigen Leib⸗Seele⸗Einheit zu finden, die altindogermaniſchem Denken ent⸗ 
ſpricht, die aber auch von der Lebensforſchung (Biologie) unſerer Tage be⸗ 
ſtärkt wird. 

Es mag Einzelne erſtaunen, wenn ich vom 19. Jahrhundert ſage, es ſei 
mehr lamarckiſtiſchen Vorſtellungen gefolgt als darwiniſtiſchen. Gerade der 
„Darwinismus“ erſcheint ja vielen als ein Kennzeichen der verſchiedenen fla⸗ 
chen naturaliſtiſchen Maſſendenkweiſen des 19. Jahrhunderts. Dem iſt aber 
nicht ſo, vielmehr was im 19. Jahrhundert als „Darwinismus“ von Freund 
und Feind beſchrien wurde, iſt der kleine Ausſchnitt aus Darwins großem 
Werke, die Erörterungen über den Anſchluß des Menſchen an die antropo- 
morphen Affen, Erörterungen, denen ſich übrigens damals ein Huxley und 
ein Haeckel viel eindringlicher gewidmet haben. Dieſer Erörterungen hat 
ſich das 19. Jahrhundert begeiſtert bemächtigt, um ſie ſeinem Fortſchrittswahn 
dienſtbar zu machen. Dort die Affen, hier der Menſch: für das 19. Jahrhun- 
dert ein begeiſternder Fortſchritt! Vor allem aber für das 19. Jahrhundert die 
Aufforderung, möglichſt ſchnell alle beſtehenden Verhältniſſe zu unterſuchen, 
ob fie nicht irgendwie „fortſchrittlich“ verbeſſert werden könnten. Die Abe 
ſtammungslehre, aus der bei beſonnener Betrachtung auch für das Staats- 
leben große Einſichten gewonnen werden können, hat ſeltſamer Weiſe — wie 
wir heute fagen müſſen — ſich im 19. Jahrhundert mit den Lehren vom demo⸗ 
kratiſchen Fortſchritt verbunden — ausgenommen bei einem tieferen Denker, 
bei Friedrich Nietzſche, der aus ihr die ariſtokratiſchen Folgerungen 
zog, die allein aus ihr gezogen werden können. 

Dieſer ganze „Fortſchritt“ von einem vormenſchlichen Weſen bis zum Men⸗ 
ſchen iſt ja nur möglich geworden durch einen Siebungsvorgang, dem die 
Natur das Menſchengeſchlecht unterworfen hat. Es find ausgeleſen worden 
die tüchtigſten Vertreter ihrer Gattung, und es find ausgemerzt worden die 
Antüchtigen, die zur Anpaſſung an harte Lebensbedingungen minder An⸗ 
gepaßten. Zur Entſtehung der Gattung Menſch hat gerade eine Reihe von 
Amweltverſchlechterungen beigetragen. Noch kein dauerhaft fort⸗ 
wirkender Fortſchritt ijt durch „humane“ Mittel erreicht worden — das Wort 
„human“ im flachen Sinne des Schlagwortes aufgefaßt. Darum hat Nietzſche 


634 Hans F. K. Günther 


vom Sieg der ſortſchrittlichen Demokratie die Hinabzüchtung der abendlän- 
diſchen Völker erwartet, hat erwartet „die Geſamtentartung des Menſchen“, 
die Züchtung des „vollkommenen Herdenmenſchen“, die Züchtung eines „zur 
Sklaverei feinſt vorbereiteten Menſchenſchlages“. Nietzſche hat aus ſeiner 
Kenntnis der Geſchichte und aus den damals ſich verbreitenden Abſtammungs⸗ 
lehren für Staat und Völker den richtigen Schluß gezogen: „Jede Erhöhung 
des Typus „Menſch' war bisher das Werk einer ariſtokratiſchen Geſellſchaft 
— und jo wird es immer fein.” 

Aus der Abſtammungslehre, überhaupt der ganzen Lehre vom Leben, läßt 
ſich für den Staat nur eine ariſtokratiſche Folgerung ziehen: die Anerken⸗ 
nung eines Ausleſevorbildes von erblich⸗ tüchtigen, edlen 
und ſchönen Menſchen: die kalok ’agathia der Hellenen, 
die Schaffung eines in Lebensführung und Gattenwahl 
dem Ausleſevorbild zuſtrebenden Geburtsadels. 

Das demokratiſch⸗fortſchrittliche Denken des 19. Jahrhunderts hat fi 
immer wieder auf die „Wiſſenſchaftlichkeit“ feiner Lehrmeinungen berufen. 
Man könnte an mehreren Beiſpielen zeigen, daß dieſe Wiſſenſchaftlichkeit 
nicht tiefer gründete als etwa die ganz oberflächliche Verbindung des Tort⸗ 
ſchrittswahns mit der Abſtammungslehre. Nur ſo war es möglich, daß man 
im 19. Jahrhundert wähnen konnte, „darwiniſtiſch“ zu denken, während man 
doch der Amwelt und nicht, wie Darwin, den Erbanlagen und der Ausleſe 
ausſchlaggebende Bedeutung zumaß. Otto Ammon, der bedeutende badiſche 
Sozialanthropologe (1842 — 1915), hat ſchon hervorgehoben, welches Urteil 
über unſere ſogenannte Bildung damit ausgeſprochen ſei, daß der deutſche 
Reichstag die lange Rede Bebels über die Entwicklungslehre — oder was 
Bebel darunter verſtand — angehört habe, ohne daß unter den Volksvertretern 
einer imſtande geweſen wäre, Darwin ſelbſt, den richtig verſtandenen Darwin, 
gegen Bebel ins Feld zu führen. In der Tat ſprechen alle Geſetze des Lebens 
eine ariſtokratiſche Sprache, und darum eben haben lebenskundlich Belehrte 
und völkiſch denkende Männer wie der eben genannte Otto Ammon und wie 
Alexander Ville (1866-1912) ſchon vor einem Menſchenalter einen 
Staat gefordert, der eine „Sozialariſtokratie“ darſtellen ſolle. (Alexander 
Tille, Volksdienſt, 1893; Von Darwin bis Nietzſche, 1895; Otto Ammon, 
Die Geſellſchaftsordnung und ihre natürlichen Grundlagen, 1. Auflage 1895). 

Die Erneuerung des deutſchen Volkes hängt davon ab, 
ob die heutige deutſche Jugend einen ſolchen ,fogial-ari- 
ſtokratiſchen“ Staat wird verwirklichen können. 

Die Erneuerung hängt davon ab, ob wir nach dem Zeitalter der gleich- 
macheriſchen Einebnung einerſeits den Mut finden zur entſchloſſenen Be⸗ 
hauptung und Verwirklichung des Gedankens der Ungleichheit und anderer. 


Volk und Staat gegenüber Vererbung und Auslese 635 


ſeits die Demut finden zur Anerkennung einer Wertabſtufung alles Leben- 
digen nach göttlichen Geſetzen. 

Dazu wird die Weckung einer auf Adel gerichteten Geſinnung in unſerem 
Volke nötig fein, einer auf Adel gerichteten Gefinnung, die fic) bei der Jugend 
nicht nur kundtun wird in der einzelmenſchlichen Lebensführung, ſondern ſich 
beſonders zu bewähren hat in den Fragen der Gattenwahl. Auch für die Er⸗ 
tüchtigung des deutſchen Volkes gilt, was Leonidas dem ſpartaniſchen Volke 
wie ein Vermächtnis zurieſ, als er nach Thermopylai in die Schlacht zog: 
„Tüchtige heiraten und Tüchtiges gebären!“ (Plutarchos, de Herod, mal. 
XXXII). And beſonders der erbtüchtigen weiblichen Jugend iſt gegenüber dem 
Bildungswahn unſerer Zeit zu ſagen, daß es für das deutſche Volk ſehr viel 
mehr bedeutet, wenn ein erblich hochwertiges Mädchen nach entſprechender 
Gattenwahl ihre Erbanlagen in einer Schar eigener Kinder wieder erſtehen 
fiebt, als daß fie durch Ausbildung ihrer verſchiedenen Sonderbegabungen den 
üblichen akademiſchen Weg zur Kinderloſigkeit zu Ende gehe. Ein ſpartaniſch 
ftrenger Staat würde wahrſcheinlich nur diejenigen Mädchen eine akademiſche 
Laufbahn einſchlagen laſſen, die zwar als Einzelmenſchen hochwertig, als Erb⸗ 
trägerinnen aber bedenklich wären. In allen Fällen wird eben ein auf wirkliche 
Ertüchtigung bedachter Staat — und das heißt ein Staat, der nicht nur auf 
Ertüchtigung der Einzelmenſchen ausgeht oder ſich gar im ſchlagwortreichen 
behördlichen Sportwahn unſerer Tage verliert — eine wirkliche Ertüchtigung, 
d. h. Mehrung höherwertiger Erbanlagen erſtrebender Staat, wird ſeine 
Einzelmenſchen auf ihre Erbwerte hin zu erkennen und zu fieben trachten — 
immer aus der Aberzeugung von der Angleichheit der Menſchen und von der 
Notwendigkeit eines züchteriſch wirkenden Ausleſegedankens. 

Jeder Staat iſt für ſeine Erhaltung und noch mehr für 
ſeine Machtſteigerung angewieſen auf das Beſtehen einer 
ziemlich breit gelagerten Schicht erblich⸗ höherwertiger 
Familien. Ein Staat germaniſcher Prägung iſt auf das Beſtehen eines 
Geburtsadels angewieſen, ich ſage: eines Geburtsadels, ſpreche alſo nicht von 
irgendwelchem Titeladel, zumal nicht von dem Briefadel, der ſeine Titel Wil⸗ 
helm II. verdankt. Die erblich hochwertigen Familien aller Stände können wir 
als den heimlichen Adel unſeres Volkes bezeichnen. Wir werden 
nicht überſehen, daß der deutſche Titeladel immer noch — trotz den Geld- 
heiraten des 19. Jahrhunderts — zum Kreiſe der erblich⸗ hochwertigen Fami⸗ 
lien vermutlich eine überdurchſchnittlich große Anzahl zu ſtellen hat. Wir wer⸗ 
den andererſeits nicht überſehen, daß infolge dauernden Aufſteigens überdurch⸗ 
ſchnittlich begabter und willensſtarker Familien in höhere Schichten — die 
unteren Stände verhältnismäßig weniger erblich hochwertige Familien ſtellen 
werden als die oberen Stände. Das hat auch der Sozialdemokrat Grotjahn 
ausgeſprochen. Aber bei allen dieſen Betrachtungen kommt es nicht auf Titel, 


636 Hans F. K. Günther 


auf fog. alte Familien, auf Stand oder Beſitz an, ſondern allein auf Erb⸗ 
anlagen. 

So wird der deutſche Titeladel zu dem zu ſchaffenden deutſchen Geburts⸗ 
adel ebenſoviel beitragen, wie er erblich hochwertige Familien zu ſtellen hat. 
Aber als ein geſchloſſener Titeladelsſtand wird der Titeladel im lebensgefeg- 
lich begründeten Staat keine Rolle mehr ſpielen. Das verlangt gerade der ari⸗ 
ſtokratiſche Gedanke, denn Adel, der nicht auf Ausleſe höherwertiger Erb⸗ 
anlagen beruht, iſt einfach ein Widerfinn und kann ſchließlich ein ſchlechter 
Witz werden. Wenn man z. B. bei Hochzeiten oder anderen Feſtlichkeiten 
fürftlicher Kreiſe die Kutſcher und Förſter der auftretenden Fürſtlichkeiten als 
Menſchen ſieht, die dem Ausleſevorbilde vom tüchtigen, ſchönen und edlen 
Menſchen näher ſtehen als die betr. Durchlauchten, fo iſt die witzige Veleuch⸗ 
tung ſchon gegeben — für denjenigen ſchon gegeben, der erkannt hat, worauf 
Adel allein begründet werden kann. 


Der germaniſche Adel hat wie aller indogermaniſche Adel urſprünglich eine 


lebensgeſetzliche Grundlage gehabt, und Ebenburt hat in den Frühzeiten dieſer 
Völker einmal ſoviel bedeutet wie gleiche Höhe der erblichen Tüchtigkeit und 
gleich ſtarkes Hervortreten von Merkmalen der nordiſchen Naſſe. Später tft 
jeweils aus lebensgeſetzlich ſinnvoller Ebenbüttigkeit die rein ſtändiſch begrif⸗ 
fene und lebensgeſetzlich finnlos werdende Ebenbürtigkeit entſtanden, und noch 
ſpäter ſind jeweils die Geldheiraten mit den „Töchtern reicher Schurken“ hin⸗ 
zugekommen, wie Theognis aus Megara die vom Adel ſeiner Zeit geheirateten 
Mädchen gern bezeichnet hat. Auf dieſe Weiſe kommen ein Volk und ein 
Staat ſchließlich dahin, daß ſie wohl noch irgendwelchen Titeladel, aber keinen 
zur Führung geeigneten Geburtsadel im lebensgefetzlichen Sinne mehr haben. 
Als der blonde, blaudugige und — nach erhaltenen Münzbildern zu ſchließen 
— ſo überwiegend nordraſſiſche Sulla aus dem patriziſchen Geſchlechte der 
Cornelier die Rettung feines Staates mit den Reſten der römiſchen Nobilitas 
durchführen wollte, da drängte ſich etwas um ihn von der Art eines Herren⸗ 
klubs, nicht aber eine geborene Führerſchicht. Für Rom war es damals ſchon 
zu ſpät. | 

Auf eine „geborene“, d. h. erblich beſt⸗ausgerüſtete Führerſchicht ift aber 
das Beſtehen eines Staates angewieſen. Der Sozialdemokrat Grotjahn hat 
geſchrieben: „Wir brauchen nicht nur Eugenik, ſondern Ariſtogenik.“ Das hat 
Napoleon I. anſcheinend erkannt. Die franzöſiſche Revolution hatte ja einen 
Titeladel entrechtet, der wohl noch zum Teil Geburtsadel im lebensgeſetzlichen 
Sinne war. Angeborenes ſollte fortan nach den Lehren dieſer Revolution 
nichts mehr gelten. Die Folge war die Herrſchaft von etwas Erworbenem 
und Erwerbbarem, die Herrſchaft des Geldes, die gemeinhin noch ſchlimmer 
iſt als die eines entadelten Adels, und die Herrſchaft der großſtädtiſchen 
Maſſen, die gemein die ſchlimmſte iſt. Napoleon I. muß dieſe Folgen voraus⸗ 


Volk und Staat gegenüber Vererbung und Auslese 637 


geſehen haben, als er fagte: „Die Errichtung eines volkstümlichen Adels ift 
zur Aufrechterhaltung der Geſellſchaftsordnung notwendig.“ 

Notwendig iſt der ariſtokratiſche Gedanke überhaupt: 
der Gedanke der Herrſchaft der Tüchtigſten und Edelſten. 
Dieſe Seite des ariſtokratiſchen Gedankens zu fallen, find auch heute noch oder 
vielleicht gerade heute — nach dem Zeitabſchnitt der liberaliſtiſchen Demo- 
kratie — wieder ziemlich viele Menſchen gewillt und befähigt. Aber der ari⸗ 
ſtokratiſche Gedanke darf nicht beim Einzelmenſchen ſtehenbleiben; er muß 
feinem Weſen nach ſich auf Vorfahren und Nachkommen erſtrecken. Indivi⸗ 
dualiſtiſches Denken kann niemals im vollen Sinne ariſtokratiſches Denken 
werden; damit find Einwände gegen einige Sätze Nietzſches ausgeſprochen. 

Der Staat kann ſich zur Bildung einer führenden Schicht nicht dem Zufall 
gelegentlichen Auftauchens hochwertiger Menſchen überlaſſen, zumal ja ge⸗ 
legentlich durch eine günſtige Zuſammenſtellung von Erbanlagen zweier an 
ſich im ganzen nicht wertvoller Familien auch einmal ein als Einzelmenſch 
Wertvollerer geboren werden kann, deſſen Nachkommenſchaft jedoch mit großer 
Wahrſcheinlichkeit wieder auf eine geringere Höhe guritdfinfen wird. Der 
Staat iſt alſo angewieſen, einen verhältnismäßig breit und ficher gelagerten 
Keimboden für höherwertige Erbanlagen zu ſchaffen: eine ziemlich breit ge⸗ 
lagerte Schicht hochwertiger Familien, aus denen heraus erblich⸗ hochwertige 
Menſchen nicht nur als ſeltene Zufallserzeugniſſe erwartet werden können, 
ſondern als kennzeichnende Sproſſen erwartet werden dürfen. Das Auffteigen 
der Geſchlechter iſt von jeher durch eine förderliche Gattenwahl bedingt ge⸗ 
weſen. Nur haben ſich ſolche Vorgänge meiftens unbewußt vollzogen, wenig ⸗ 
ſtens nach Verblaſſen alter volkstümlicher lebensgeſetzlicher Weisheit. Nun 
müſſen wir der Jugend die Steigerung ihrer Familie durch Gattenwahl als 
bewußte Aufgabe ſtellen. Es muß den Ehrgeiz der Jugend ausmachen, 
und dieſer Ehrgeiz muß ſich durch Vorbildgebung auswirken bis in die unteren 
Stände hin, ſeine Familie hinaufzuſteigern oder — ſprechen wir dieſes Wort 
ohne falſche Scheu aus — hinaufzuzüchten, hinaufzuzüchten, bis Kinder oder 
Enkel den Anſpruch erheben können, zum Geburtsadel des deutſchen Volkes 
gerechnet zu werden. 

Wie viele deutſche Geſchlechter können heute mit ſtillem Stolze von ſich 
ſelbſt ſagen, was Euripides (Hekabe 375 f.) fo ausgedrückt hat: „Erhab'ne 
Zierde, die mit Ruhm das Leben ſchmückt, von Edlen abzuſtammen!“? — 
Wir müſſen für den Anbruch eines Zeitalters kämpfen, in 
dem wieder viele deutſche Geſchlechter auf edle Vorfahren 
zurückblicken dürfen. Die Aufgabe lebensgeſetzlich richtiger Gattenwahl 
wäre auch, wenn das Deutſche Reich wieder einmal ein Kaiſerreich wird, dem 
kaiſerlichen Geſchlecht und vor allem dem kaiſerlichen Geſchlechte zu ſtellen. 
Es darf kein Kaiſerhaus mehr möglich ſein, das nicht — nach Ablehnung aller 


638 Hans F. K. Günther 


lebensgeſetzlich ſinnlos gewordenen ftändifchen Ebengeburtsmeinungen — fi 
ſelbſt ein erbgeſundheitlich und raſſiſch begründetes Hausgeſetz gegeben hat. 
Eine törichte Gattenwahl muß künftighin mindeſtens ebenſo ſchänden wie eine 
ſchmutzige Lebensführung, und das muß um ſo ſtärker gelten für diejenigen, 
die anderen als hochgeboren erſcheinen wollen und an deren tatfächlicher . 
geborenheit — eugéneia — dem Staate viel gelegen ſein muß. 

Aber ich ſpreche hier vom ariſtokratiſchen Gedanken nicht als von einer 
Lebensauffaſſung, die nur für eine gehobene Schicht zu gelten hätte und nur 
für einzelne nach erblichem Aufſtieg ſtrebende Familien, ſondern ich denke an 
nicht mehr und nicht weniger als die Erfaſſung des ganzen deut 
ſchen Volkes durch den Auslefe- und Adelsgedanken. Zur 
Erfaſſung eines ganzen Volkes bis hinab in feine unterſten Schichten hat aber 
von jeher das Beiſpiel von oben am meiſten beigetragen, damit auch das Bei⸗ 
ſpiel durch die Kreiſe der akademiſchen Bildung. Wenn in dieſen Schichten 
fic lebensgeſetzliches Denken als ein ariſtokratiſches Denken durchſetzt, wenn 
von dieſen Schichten aus eine neue, mit lebensgeſetzlichem Sinn erfüllte Vor⸗ 
nehmheit als bildende, Vorbilder ſchaffende Macht ſich ausbreitet, dann 
wird nach allen geſchichtlichen Erfahrungen das Beiſpiel, das oben gegeben 
wird, ſich nach unten hin auswirken. Daß eine fo erfaßte Vornehmheit fich 
nicht auf Erworbenes, etwa auf Beſitz und Wiſſensmenge, berufen kann, fon- 
dern allein auf dem Angeborenen beruhen wird, das brauche ich jetzt nicht mehr 
auszuführen. Adel wird immer im Angeborenen wurzeln; Scheinadel wird 
gerne mit Erworbenem prahlen. 

Nun aber zum Beſchluß unſerer Erwägungen die Fade wie kann nach 
Schaffung einer neuen Führerſchicht, eines Neuadels, diefe 
Schicht vor dem Ausſterben bewahrt werden? Bisher war ja 
jede Geſittungsſchöpfung eines Volkes erkauft mit dem Ausſterben der zur 
Geſittungsſchöpfung und erhaltung befähigten Erbſtämme. Gefittung (Kul⸗ 
tur) iſt ja bisher faſt immer der unheimliche Vorgang einer Verbrennung von 
höherwertigen Erbanlagen geweſen. Somit wäre uns die Aufgabe geſtellt, 
nach einer Gefittungsform zu ſuchen, die zugleich auf die Erhaltung oder gar 
Mehrung derjenigen Familien hinwirkt, aus deren Erbgut die Schöpfer und 
Träger dieſer Gefittung ſtammen. Mit diefer Aberlegung find wir bei dem 
bedeutungsvollen Fragenkreiſe angelangt, den ich kennzeichnen möchte durch 
den Titel eines richtunggebenden Buches, das mein Freund Darre verfaßt 
hat; ich meine „Neuadel aus Blut und Boden“ (1930). Es kann für ein 
Volk germaniſcher Prägung keinen Adel geben, deſſen Familien nicht im 
Landbefitz wurzeln. Das Wort „Adel“ leitet fi) her von „odal“, d. h. Erbe 
gut, Erbhof. Solange der Adel der Völker indogermaniſcher Sprache jeweils 
geſund war, ſolange war feine Lebensauffaſſung bäuerlich. Bäuerlich dachten 
die alt⸗attiſchen eugéneis, die Spartiaten, die patricii und der ganze Stand 


Volk und Staat gegenüber Vererbung und Auslese 639 


der Freien bei den Germanen, und ebenſo kennzeichnend war für fie alle die 
Abneigung gegen alles Händleriſche und die Verachtung erwerbbaren Geld⸗ 
reichtums. Ein germaniſcher Staat bleibt ſolange geſund, 
wie er aus dem Erbgute eines gewiſſen Adelsbauerntums 
ſchöpfen kann. Ich meine hier wiederum nicht etwa einen Stand adeliger 
Grundbeſitzer, ſondern den Geſamtkreis auserleſener ländlicher Familien, ob 
titeladelig oder nicht. 

Nur von einem ſolchen Adelsbauerntum her kann eine wirkliche Erneuerung 
kommen. Daher die Pflicht für einen nach Ertüchtigung ſtrebenden Staat, 
ausgeleſenen ſiedlungswilligen Familien den Erbhof zu ſchaffen, auf dem 
ſie gedeihen und ſich erhalten können. Dazu gehört, daß dieſer Erbhof nach 
Anerbenrecht jeweils vom Vater auf einen der Söhne übergehe. Kein 
Siedlungswilliger oder Siedler ſollte aber ſtaatliche Anterſtützung erhalten, 
der nicht etwa den leiblichen und ſeeliſchen Bedingungen entſpricht, die bei 
der Aufnahme in die Reichswehr geſtellt werden, und ebenſo ſollten die ſtaat⸗ 
lichen Förderungen gebunden werden an eine richtige Gattenwahl. Der 
Staat hat bisher übergenug getan zur „Züchtung des riſikoloſen Maſſen⸗ 
menſchen“ (Jenſen). Nun ſoll er ſeine Fürſorge beſonders den wirtſchaftlich 
ſchwachen Familien mit höherwertigem Erbgute zukommen laſſen. Der Staat 
muß ferner erkennen, daß alles, was er für die Städte tut, dem abſterbenden 
Leben zugute kommt. Vom Land her haben ſich die abendländiſchen Völker 
und Staaten aufgebaut, in den Städten zerſetzen ſie ſich und ſterben ſie aus. 
Lebensgeſetzlich ſinnvoll iſt nur die Sorge für den Bau- 
ernſtand. 

Bismarck hat einmal bemerkt, daß das Bauerntum eigentlich allein ein 
nährender Stand fei, alle anderen ſeien zehrende Stände. Dieſe Auffaſſung 
könnte auch ein patriziſcher Senator der römiſchen Frühzeit ausgeſprochen 
haben. Bei Betrachtung aller der koſtſpieligen ſtaatlichen und ſtädtiſchen 
Anternehmungen, die dem Ausbau von Städten und gar Großſtädten dienen, 
aller der ſtädtiſchen Errungenſchaften, bei deren Schilderung die großſtädtiſche 
Preſſe in Wort und Bild ſo gerne verweilt, fällt mir immer wieder der Vers 
eines Dichters ein: „Soviel Arbeit um ein Leichentuch!“ (v. Platen.) Es wird 
ſich nie verhindern laſſen, daß in dem Verbrennungsvorgang, den wir Kultur 
zu nennen gewohnt find, gerade zur Führung begabte Menſchen in den Städten 
ehelos, kinderarm oder kinderlos enden werden. Gerade deshalb tut eine ſicher 
gelagerte Schicht ausgeleſener ländlicher Familien auf unveräußerlichen und 
unteilbaren Erbhöfen not. Mögen dann die aus dieſen ländlichen Familien 
zu erwartenden „geborenen“ Führer dem ſtädtiſchen Schickſal der Kinderarmut, 
Kinderloſigkeit und Eheloſigkeit auch immer wieder geopfert werden: der länd⸗ 
liche Keimboden iſt doch geſichert. Das Geſchlecht gedeiht weiterhin und aus 
den Verbindungen ausgeleſener ländlicher Geſchlechter werden immer wieder 


Agrarpolitik Heft 9, Bg. 2 


640 Hans F. K. Günther 


die Nachkommen ſtammen, die dem Volke Führer werden können. Ein Volk 
aber braucht dieſe geborenen Führer in Zehntauſenden von wichtigen beruf⸗ 
lichen Stellungen und braucht ſie nicht nur in ſeinen oberen Schichten, ſondern 
als Führungsbegabte innerhalb jedes einzelnen Standes. Hiermit iſt die Be⸗ 
deutung der Frage von „Blut und Boden“ angedeutet. Einzelheiten mag 
Darrés Buch vermitteln! 

Aus dem Erwähnten folgt aber, daß das Bauerntum für den völkiſchen 
Staat etwas ganz anderes bedeutet als für den liberaliſtiſchen Staat. Für den 
liberaliſtiſchen Stand gab es einen Bauernſtand neben anderen Ständen, und 
dem kam ſoviel Einfluß zu, wie er mit ſeiner Stimmenzahl erreichen konnte. 
Man ſprach gerne von der „Landwirtſchaft“, und dieſe Bezeichnung verriet, 
wie Darré gezeigt hat, daß man auch den Bauernſtand einbezog in das 
ſogenannte wirtſchaftliche Denken, d. h. in die ſtädtiſchen Profitabſichten, in 
die „Mentalität“ der Vörſe. 

Das Bauerntum iſt aber kein Stand neben anderen oder gar unterhalb 
anderer, ſondern es iſt die Lebensgrundlage von Volk und Staat ſchlechthin. 
Ein Volk erzeugt ſich auf dem Lande und ſtirbt aus in den Städten. 
Damit iſt geſagt, daß ein weitblickender Staat germaniſcher Prägung in ſeinem 
Bauerntum den erſten Stand überhaupt erblicken muß. Was ein Staat für 
das Bauerntum leiſtet, das leiſtet er für ſeine Stärkung, und ein anderes 
dauerhaſtes Mittel für ſeine Stärkung gibt es überhaupt nicht. 

Bei dieſer Einſicht wollen wir aber nicht einer gewiſſen ſtädtiſchen Bauern⸗ 
romantik verfallen und wollen uns auch nicht verhehlen, daß Teile des gegen⸗ 
wärtigen Bauerntums und wohl auch manche ländlichen Gegenden als Keim⸗ 
boden für das, was ich Adelsbauerntum genannt habe, kaum noch geeignet 
ſind. Wir dürfen nicht überſehen, daß durch die Abwanderung regſamerer 
Menſchen in die Städte, die Abwanderung aufſtrebender, zur Führung hin⸗ 
ſtrebender Menſchen und Familien manche ländliche Gegend an höherwet⸗ 
tigem Erbgut verarmt iſt. Am ſo dringlicher iſt die Landſiedlung ausgeleſener 
ſiedlungswilliger und fiedlungsfähiger Familien ländlicher und ſtädtiſcher 
Herkunft, die Begründung von Erbhöfen für Erblich⸗Höherwertige, und wich⸗ 
tig iſt es, daß die Beſten der akademiſchen Jugend nach Möglichkeit Berufe 
ergreifen, die ihnen das Leben und die Familiengründung auf dem Lande ge⸗ 
ſtatten. Es ſollte eine Art Hausgeſetz und Vermächtnis in den beſten Familien 
aller Stände werden, dahin zu trachten, daß einmal wenigſtens für einen der 
Söhne ein Familienerbhof oder erbgut begründet werden kann. 

Zur Verbreitung ſolcher Anſchauungen wird es aber einer gewiſſen Am⸗ 
wertung vorhandener Wertungen bedürfen. Hat das 19. Jahrhundert allem 
ſtädtiſchen Leben einen, wenn auch flitterhaften, Glanz verliehen, ſo müſſen 
wir nunmehr dem ländlichen Leben ſeinen hohen Wert zuſprechen. Der Staat 
wird das Anſehen des Landes erhöhen, die Einſchätzung der Städte ſenken 


Volk und Staat gegenüber Vererbung und Auslese 641 


milffen. Hierzu wäre — fpäter einmal — vielleicht ratſam: die Arbeitsdienſt⸗ 
pflicht der ſtädtiſchen Bevölkerung, die Heeresdienftpflicht der ländlichen Bee 
völkerung — die größte Ehre kommt nach germaniſchem Empfinden dem Trä⸗ 
ger der Waffe zu — und ferner die Dauerbewaffnung der ſelbſtändig wirt⸗ 
ſchaftenden ländlichen Familienväter — nach germaniſchem Empfinden iſt nur 
der Familienvater ein Vollbürger. 

Ariſtokratiſches Denken kann ſich nur aus bäuerlichem 
Denken erheben. Nietzſche hat durchaus recht, wenn er der Vorſtellung 
von einer „Geiſtesariſtokratie“ mißtraut, dieſer Vorſtellung, die vielen unſerer 
Gebildeten fo angenehm iſt: „Wo von Ariſtokraten des Geiftes’ geredet wird, 
fehlt es zumeiſt nicht an Gründen, etwas zu verheimlichen; es iſt bekannter⸗ 
maßen ein Leibwort unter ehrgeizigen Juden. Geiſt allein nämlich adelt nicht; 
vielmehr bedarf es etwas, das den Geiſt adelt. — Weſſen bedarf es dazu? 
Des Geblüts“. Geblüt aber hat man nie als Einzelmenſch, ſondern immer nur 
als Nachkomme einerſeits und als möglicher Ahnherr künftiger Geſchlechter 
andererſeits, und für einen Staat kommt Geblüt letzten Endes und auf die 
Dauer immer nur von landſtändiſchen Geſchlechtern. Ariſtokratiſches Denken 
kann ſich nur aus bäuerlichem Denken erheben, und die Schafſung einer „ge⸗ 
borenen“ Führerſchicht iſt nur vom Lande her möglich. 

Dieſe Einſicht wird für viele unter unſeren Gebildeten zu einer neuen 
Faſſung ihres Begriffes „Bildung“ führen müſſen. Ans tut eine Bildung not, 
die fi) ausdrückt in einer erhöhten Aufmerkſamkeit auf die Geſetze des Lebens. 
Es iſt in Deutſchland immer noch ſehr viel Geiſt am Werke, leider auch ſolcher 
Geiſt, der ſich erhaben fühlt über die Erſcheinungen von Vererbung und Aus. 
leſe, der gerne höhniſch von „Geſtüt“ redet, wenn die Frage der Aufartung 
erörtert wird. Letzten Endes iſt aber nur derjenige Geiſt wirklich fruchtbar, 
der den völkiſchen Willen zur Aufartung ſtärkt, und letzten Endes verdient nur 
diejenige Kultur eine Kultur, eine Wertpflege, genannt zu werden, der es 
gelungen iſt, die ihr eigenen ſeeliſchen Werte in vorbildlichen 
Geſchlechtern verleiblicht vor Augen zu ftellen. Wir find zum 
Mißtrauen berechtigt gegenüber den verſchiedenen Glaubens- und Weisheits⸗ 
lehren, die „Geiſt“ und „Seele“ betonen, ja überbetonen, ohne den Weg zu 
einer Verleiblichung geiſtiger und ſeeliſcher Werte anzugeben, zu einer Dar- 
ſtellung dieſer Werte in menſchlichen Geſchlechtern. Von ſolchen Aberlegungen 
aus erſcheint vieles als Angeiſt, was uns als Geiſt angeprieſen wird. And 
von ſolchen Aberlegungen aus muß ſich für unſeren Staat auch ein Abbau des 
allgemein⸗deutſchen Bildungswahnes ergeben, des Bildungswahnes und der 
Aberſchulung, durch die nach einer neulich erſchienenen Schrift Hartnackes 
nur der „Volkstod“ vorbereitet wird. Hartnacke iſt ja einer der wenigen lebens⸗ 
kundlich Geſchulten unter den Vertretern unſeres Erziehungsweſens. (Hart- 


2° 


642 | Heinz Konrad Haushofer 


nade, Naturgrenzen geiftiger Bildung, 1930; Bildungswahn — Wolfs- 
tod, 1932.) 

Aber nicht nur die Bildungs einrichtungen werden zu überprüfen fein, 
ſondern die Bildungs richtung ſelbſt. Noch find in dem Gemiſch unſerer 
Bildung da und dort lebensfeindliche Wertungen halb oder ganz verborgen. 
Zur Geſundung von Volk und Staat ift aber eine durchaus lebens 
förderliche Bildung nötig. 

Wie aber find die Wertungen für eine ſolche Bildung zu finden, wie zu 
beſtimmen? | 

Wenn wir uns nad den Werten fragen, die für eine gefunde und gefun- 
dende deutſche Bildung, für eine Ertüchtigung des deutſchen Volkes, feines 
Geiſtes und ſeines Staats, richtunggebend werden müſſen, ſo ergibt ſich, daß 
die Lebenswerte des deutſchen Volkes abzuleſen ſind vom Daſeinsbilde 
der erblich⸗tüchtigen deutſchen Sippe in ländlicher Amwelt. 


Heinz Konrad Haushofer: 


Torenz von Stein 
Ein Vorkämpfer für ein deutſches Bodenrecht 


Wer im „Handwörterbuch der Staatswiſſenſchaften“ nach Lorenz von Stein 
ſucht, wird ſeine Lebensdaten finden und die Titel ſeiner Schriften, aber nichts, 
was irgendwie die Bedeutung dieſes Mannes für die deutſche Agrarpolitik 
ahnen läßt. Stein ift 1815 in Eckernförde geboren und ſtarb 1890 in Meid⸗ 
ling bei Wien. 1855 — 1885 arbeitete er als Profeſſor der politiſchen Okonomie 
in Wien. Die Arbeit dieſer dreißig Jahre hates letzten Endes 
ermöglicht, daß das agrarpolitiſche Erbe von Adam Müller 
an unſere Zeit weitergereicht wurde. Was das bedeutet, geht 
ſchon daraus hervor, daß Moeller van den Brucks Staatstheorie mit auf den 
Grundſteinen beruht, die Adam Müller gelegt hatte. | 

Der Anteil Oſterreichs an der Entwicklung der deutſchen Staatswiſſenſchaft 
iſt ungemein groß. Es liegt dazu in den Verhältniſſen Oſterreichs begründet, 
daß die öſterreichiſchen ſtaatswiſſenſchaftlichen Schulen in erſter Linie auf die 
Agrarpolitik Gewicht legen mußten. Beſonders die ausgeſprochen bäuerliche 
Agrarſtruktur der Alpenländer hat wegen ihrer Eindeutigkeit die agrarpolitiſche 
Erkenntnis ſtets erleichtert, wie ich dies ſelbſt in einem Beiſpiel erfahren 


— — ke = 


A OF DE GE 


Lorenz von Stein | 643 


konnte. („Die bäuerliche Verödung in den Alpenländern“, im Landw. Jahr- 
buch für Bayern, 1932.) Dieſe Eindeutigkeit Oſterreichs hat auch Zugewan- 
derte ſtets in den Bann ihrer agrarpolitifchen Haltung gezwungen. Adam 
Müller, der Freund von Gentz und Schlegel, war in Berlin geboren; Lorenz 
von Stein, wie geſagt, in Eckernförde. Aber von den „Agronomiſchen Briefen“, 
mit denen Adam Müller 1812 ſeine Agrartheorie (in Friedrich Schlegels Zeit⸗ 
ſchrift „Deutſches Muſeum“) hinſtellte, bis zu Othmar Spanns „Herdflamme“ 
geht eine logiſche Gedankenkette, deren ſtärkſtes Mittelglied eben Lorenz 
von Stein iſt. Ä 


Die drei wichtigen agrarpolitiſchen Schriften Steins find: 


1. „Die drei Fragen des Grundbeſitzes und feiner Zukunft. Die irifche, 
die continentale und die transatlantiſche Frage.“ 1881. 

2. „Bauerngut und Hufenrecht. Gutachten erſtattet an die K. u. K. Mi⸗ 
niſterien des Ackerbaus und der Juſtiz, mit Anhang, betreffend die Er⸗ 
laſſung eines Agrarrechtes für das Herzogtum Salzburg.“ 1882. 

3. „Die Landwirtſchaft in der Verwaltung und das Prinzip der Rechts- 
bildung des Grundbeſitzes.“ 1883. 


Schon dieſe drei Titel werfen ein Licht auf die Probleme, die ſich Stein 
ſtellte, und die bis auf uns die gleichen und ungelöſt geblieben ſind. Während 
die Titel der zweiten und dritten Schrift ſchon die Fanfare klar erkennen laſſen, 
die ſie waren, iſt der Titel der erſten Schrift, des Hauptwerkes, dunkel. Er 
enthält aber in gedrängteſter Kürze die Dreigliederung des geſchloſſenen agrar⸗ 
politiſchen Syſtems, das Stein vorträgt; es bezeichnet nämlich: 


1. Die irländiſche Frage: das Problem der Agrarſtruktur. 
Der völlige Untergang des freien VBauernſtandes in einer Maſſe ver⸗ 
‘armter Kleinpächter und die Entvölkerung des flachen Landes durch Aus⸗ 
wanderung hatte ſich nirgends ſo erſchütternd gezeigt wie in Irland. 
Irland, urſprünglich eines der reichſten und ſchönſten Agrarländer Euro- 
pas, hatte 1841: 8,2, 1845 gegen 9, 1880 kaum 5,5 Millionen Einwohner. 
Die Zahl der eigentlichen Agrarbevölkerung hatte in der gleichen Zeit 
um 3 Millionen oder 40 % abgenommen. 

2. Die kontinentale Frage: das Problem der Auseinan- 
derſetzung zwiſchen Geldkapital und Grundkapital. 
Was Stein hier ſieht, zeigt er ſelbſt am gedrängteſten mit den folgenden 
Stichworten an: Arſprüngliche Ausſchließung des Geldkapitals vom 
Grundbeſitz. Eintreten des Geldkapitals in den Grundbeſitz. Zinspflicht 
des Grundbeſitzes und arbeitsloſes Einkommen des Geldkapitals aus dem 
Grundbefig. Macht des Geldkapitals, den Grundbeſitz zu beherrſchen. 
Der Grundbefig wird Ware. Die Gefahr dieſer Entwicklung. 


644 


3. 


Heinz Konrad Haushofer 


Die transatlantiſche Frage: das Problem der welt- 
wirtſchaftlichen Verflechtung und des Kampfes um den 
Marktpreis. Niemand hat ſeinerzeit die zukünftigen Auswirkungen 
des Weltverkehrs auf die Landwirtſchaft produktionstechniſch benachtei⸗ 
ligter Gebiete ſo deutlich geſehen wie Stein. Im Anſchluß an eine genaue 
Prognoſe der ſteigenden überſeeiſchen Getreideeinfuhr unterſuchte z. B. 
Stein damals, als die Kühltechnik in ihren erſten, wenig beachteten An⸗ 
fängen ſtand, die zukünftigen Gefahren der Gefrierfleiſcheinfuhr mit einem 
erſtaunlichen Weitblick. Zum erſtenmal bezeichnet hier ein deutſcher 
Agrarpolitiker den „Kampf um den Marktpreis“, d. h. die Abwehr des 
überſeeiſchen Druckes und die Ordnung der innereuropäiſchen Handels- 
beziehungen, als eine gemeinſame europäiſche Aufgabe. 


Das ſind die drei „Fragen“, um die Stein ſein Syſtem einer deutſchen 
Agrarpolitik mit einem ungeheuren Gedankenreichtum aufbaut. Aber wo ſtand 
Stein ſelbſt? Er zitiert am Schluß ſeines Hauptwerkes (alſo mit dem ganzen 
Gewicht, das einem Zitat an ſolcher Stelle zukommt) Turgenieff aus 
deſſen Roman „Neue Generation“, und zwar ein Zwiegeſpräch über die Bau⸗ 
ernbefreiung und die Mobiliſierung des Bodens. Wir wiſſen heute, daß es 
kein Zufall war, daß Lorenz von Stein hier den Ruſſen Turgenieff zitiert, 
um im Anſchluß daran den Grundgedanken ſeines Werkes zu formulieren. Mit 
einem ungeheuren Fingerſpitzengefühl für kommende Entwicklungen hatte Stein 
den Kernpunkt auch unſerer heutigen Probleme vorweggenommen, wenn er 
auf der letzten Seite, Seite 305, ſchreibt: 


„Nur eines iſt neu in dieſem kühlen Nihilismus, und das iſt es, weshalb 
der Nihilismus der Gefittung des heutigen Europas furchtbar ernſt er- 
ſcheint. Wir fangen an zu fühlen, daß das Geldkapital keine 
dauernde Widerſtandskraft gegen die ſoziale Amwäl⸗ 
zung beſitzt, und daß wir doch die einzig erhaltende ſoziale Kraft, 
den Grundbeſitz, durch dasſelbe Geldkapital unter unſeren Füßen ſich zer⸗ 
bröckeln ſehen. In der großen Frage der Zukunft iſt daher die Frage nach 
der Zukunft des Grundbeſitzes ſelbſt wieder nur ein, wenn auch entſchei⸗ 
dender Moment. Was foll werden, wenn das Geldkapital (mit ſeinem, 
gegen den Ertrag ſeiner Darlehen abſolut gleichgültigen Recht auf ſeinen 
Zins) von denen erſchüttert wird, welche ihm im Namen des Privatrechts 
unbedingt zinspflichtig find, und nun auch der Grundbeſitz durch dasſelbe 
Geldkapital die Fähigkeit verliert, ſeine große ſoziale Funktion zu er⸗ 
füllen? Das iſt das Anbehagen Europas gegenüber jener 
Erſcheinung, welche beide Arten des Kapitals zugleich 
negiert.“ 


Lorenz von Stein | 645 


Aus diefer Außerung fieht man die außerordentliche Klarheit, mit der Stein 
aus den noch ſpärlichen Anhaltspunkten feiner Zeit die Zukunft erſchloß. Zu⸗ 
gleich offenbart ſich die Aufgabe der Agrarpolitik als Wiſſenſchaft: die Pro- 
gnoſe und das Aufſtellen von Leitlinien für bevorſtehende praktiſche agrar⸗ 
politiſche Arbeit. Weiterhin wird beſtätigt, daß es durchaus möglich iſt, Jahr⸗ 
zehnte vorauszudenken — und was liegt doch alles in den vergangenen Jahr⸗ 
zehnten, ſeit Stein dieſe Sätze niederſchrieb! 

Stein war im beſten Sinn des Begriffes objektiv. Er kannte die hiſtoriſche 
Bedeutung des Kapitals, der volkswirtſchaftlichen und weltwirtſchaftlichen 
Arbeitsteilung durchaus. Er begriff die Wirtſchaftsgeſchichte als einen un⸗ 
zerlegbaren organiſchen Prozeß und hütete ſich vor dem weitverbreiteten Denk⸗ 
fehler, eine nach dem Tagesbedarf beliebig herausgegriffene Epoche abzulehnen. 
Man kann ihn durchaus nicht „antikapitaliſtiſch“ nennen, und er wußte, da ß 
der Landwirt, der mit fremdem Kapital „ kapitaliſtiſch“ 
arbeitet, auch den Geſetzen dieſes Kapitals unterſtehen 
muß. Stein hätte den Gedanken grundſätzlich abgelehnt, als Landwirt 
Fremdkapital zuerſt zum Zwecke einer Verbeſſerung der Rente oder einer Ver⸗ 
größerung des Gefiges, alſo auf privatwirtſchaftlich kalkulierter Baſis einzu⸗ 
ſetzen, dann aber die Zinszahlung unter Berufung auf den beſonderen Cha⸗ 
rakter des Grundeigentums abzulehnen. Aber Stein dachte in erfter Linie für 
den Bauern: 


„Jene dauernde Verbindung des Beſitzers mit feinem Eigen; jene Er⸗ 
füllung des tüchtigen Mannes mit den erſten Aufgaben ſeiner neu wieder⸗ 
kehrenden alten Arbeit; jenes Genügen für das, was er fordern konnte, 
mit dem, was durch ſeinen Beſitz ihm dauernd geſichert ward, wenn er 
verſtand, Maß zu halten; das ergänzte innerhalb der Gemeinſchaft, was 
als das höchſte, aber ſchwer erreichbare Ziel aller öffentlichen Zuſtände 
von jeher von jedem Staatsmanne erſehen ward: ein feſter und lei⸗ 
ſtungsfähiger Stamm im Volk, der mit ſeiner Stellung 
zufrieden war. Mit dem entſtandenen Eigentum am Grundbeſitz 
ſchied ſich das erhaltene Prinzip in der Gemeinſchaft vom beweglichen. 
And, weil das nicht auf der wechſelnden Perſönlichkeit, ſondern auf der 
dauernden organiſchen Gewalt des Eigentums beruht, ward dem Gefamt⸗ 
leben Europas erſt dieſer organiſche Faktor gewonnen und wird ſolange 
bleiben, als das Eigen bleibt. Darum aber iſt die Erhaltung des bäuer⸗ 
lichen Beſitzes eine Sache, die hoch über bloß nationalökonomiſchen For⸗ 
derungen ſteht; was jenen gefährdet, gefährdet ein unſchätzbares Gut in 
feiner Gefittung!” (S. 48.) 


Wenn Stein ſich darüber klar war, daß die europäifche ziviliſatoriſche Ent⸗ 
wicklung ſeit der Renaiſſance nicht rückgängig zu machen war, wenn er wußte, 


646 Heinz Konrad Haushofer 


daß dem Anteil des Bauern am modernen Kapitalismus zuliebe diefer ohne 
eine völlige ſoziale Amwälzung nicht grundſätzlich zu ändern war, ſo ſah er 
nur einen gangbaren Ausweg: Dem Bauern ſollte eine Ausnahme 
ſtellung geſchaffen werden, und eine ſolche fah er in einem 
deutſchen Agrarrecht. Der Vauer ſollte grundſätzlich aus dem „Kampf 
der eigentumslofen Arbeit mit dem arbeitsloſen Eigentum“ herausgehalten 
werden, d. h. er ſollte davor bewahrt werden, ſich mit Kapitalismus oder 
Sozialismus zu identifizieren. Der Herausarbeitung dieſer Sonderſtellung des 
Bauern widmete Stein einen langen Abſchnitt: „Die Geſchichte des Grund⸗ 
beſitzes und ſeines Rechts bei den germaniſchen Völkern bis zur Mitte des 
neunzehnten Jahrhunderts“, eine der geiſtreichſten Durchleuchtungen der Agrar⸗ 
geſchichte, die mir bekannt iſt. Hier ſtehen Sätze wie die folgenden: 


„Es ſteht feſt und gerade der Grundbeſitz und feine Geſchichte beweiſen 
es, daß es niemals zwiſchen Kapital und Arbeit, ſondern, daß es ewig 
nur zwiſchen dem arbeitsloſen Kapital und der kapital⸗ 
los gewordenen Arbeit jenen tiefen, noch auf keinem Punkte aus- 
getragenen Gegenſatz gibt, den wir die ſoziale Frage nennen.“ (S. 103.) 


And dann in Beantwortung der Frage: „Gibt es noch ein anderes Recht 
als das bürgerliche?“: 

„Die römiſche Jurisprudenz iſt, nicht etwa weil die Romaniften perſön⸗ 
lich ſo borniert wären, ſondern vermöge ihres eigenſten Prinzips gänzlich 
unfähig den Gedanken zu faſſen, daß es in dem Weſen des 
Grund beſitzes an und für ſich etwas gibt, was jene ab- 
ſolute Souveränität des juriſtiſchen Eigentums und 
Vertrages nicht auf allen Punkten zuläßt.“ (S. 110.) 


Das Ergebnis der Entwicklung faßt er in dem einen lapidaren Satz zu⸗ 
ſammen, der ſeinem Stil nach bei Tacitus ſtehen könnte: 

„Die Freiheit des Eigentums hat durch die abſolute 

Herrſchaft feiner Kapitalsqualität die Freiheit des 
kleinen Beſitzes vernichtet.“ (Seite 121.) 


Lorenz von Stein ließ es bei der theoretiſchen Erfaſſung dieſer Entwicklung 
nicht bewenden. Er ſah ſeine — und unſere — Aufgabe in der agrarpolitiſchen 
Praxis nicht ſo ſehr darin, in die augenblickliche Lage verändernd und wo⸗ 
möglich zerſtörend einzugreifen, ſondern darin, durch die Geſetzgebung für die 
zukünftige Entwicklung vorzubauen. Er wußte, daß dies nur ganz kon⸗ 
kret durch ein Agrarrecht, niemals allgemein möglich iſt: 

„Eine landwirtſchaftliche Verwaltung in höherem Sinn iſt ohne einen 
mittleren Beſitz nicht möglich und iſt durch gar keine, auch noch 
fo freie Verfaſfung zu erſetzen. Jede wahre, ihrer Idee ent⸗ 


Lorenz von Stein | 647 


ſprechende landwirtſchaftliche Verwaltung muß den mittleren Beſitz ent⸗ 
weder in ſein Recht einſetzen, oder ihn, wo er nicht vorhanden iſt, durch 
eine öffentlich⸗ rechtliche Ordnung möglich machen.“ (S. 137.) 


Der Vorbereitung dieſes deutſchen Agrarrechtes diente das an die k. k. Mi⸗ 
nifterien des Ackerbaues und der Juſtiz erſtattete Gutachten: „Bauerngut und 
Hufenrecht“. Stein bezieht ſich zwar auf die ähnlichen Vorgänge in Hannover 
und Weſtfalen. Er hebt aber einen grundlegenden Anterſchied hervor: Im 
Gegenſatz zu den dortigen Höferollen wollte Steins öſterreichiſche Schule keines⸗ 
wegs eine Erftarrung der geſamten Grundbefitzverhältniſſe in lauter unteil- 
baren und unantaſtbaren bäuerlichen Fideikommiſſen. Denn: 


„Alle, die darüber nachdenken, werden bald mit uns zu der Aberzeugung 
gelangen, daß allenthalben in der ganzen Welt das ernſte Leben erſt da 
beginnt, wo die lebendige Kraft in Geiſt und Hand noch etwas gewinnen 
und darum auch verlieren kann.“ (S. IV.) 


In ſeinen theoretiſchen Vorunterſuchungen hatte Stein es als die Aufgabe 
jeder Verwaltung bezeichnet, zunächſt denjenigen Punkt zu finden, „auf wel⸗ 
chem die abſolute individuelle Freiheit mit den großen Geſamtbedingungen 
unſerer Entwicklung in Widerſpruch tritt“. Auf dieſem Punkt müſſe die neue 
Rechtsbildung gegenüber dem reinen Privatrecht ihre Aufgabe ſuchen. Die 
eigentliche Frage für die Bildung eines Agrarrechtes beſtehe in der Be⸗ 
ſtimmung der Grenze, an welcher dieſes ſtatt des rein bürgerlichen 
Eigentumsrechts einzutreten habe. Stein baut dieſen Gedanken für ſein Hufen⸗ 
recht logiſch aus: 

„Anſere Aufgabe ſchien es zu ſein, denjenigen Punkt zu bezeichnen, auf 
welchem das erhaltende Prinzip dem bewegenden die Hände reicht und 
ein Anverlierbares neben dem Verlierbaren, eine feſte Geſtaltung des 
mittleren Beſitzes neben der beſtändigen Bewegung innerhalb desſelben 
beſtehen könne.“ 


Der praktiſche Grundgedanke Steins war infolgedeſſen, neben der geſchloſſe⸗ 
nen Hufe etwa ein Drittel von Grund und Boden dem freien Verkehr bei 
Erbteilungen und für den Kredit zu überlaſſen. Sein Entwurf eines Agrar⸗ 
geſetzes zerfiel in vier Teile: 


1. Der erſte Teil ſollte das Hufen⸗ oder Bauernbuch, d. h. die Codt- 
fizierung der bäuerlichen Beſitzordnung enthalten. Anabänderlicher Grundſatz 
ſollte ſein, daß das Bauerngut (abgeſehen von begründeten Ausnahmen) mit 
dem Rücken beſeſſen werden muß. Das Bauerngut ſollte unteil- 
bar fein, und es ſollte von keiner Schuld belaſtet werden können. Ein Drittel 
des Beſitzes ſollte in Geſtalt fog. „walzender“ Grundſtücke dem freien Ver⸗ 
kehr überlaſſen bleiben. 


648 Heinz Konrad Haushofer, Lorenz von Stein 


2. Der zweite Teil follte das bäuerliche Anerbenrecht enthalten, das 
ſich eng an das Hufenrecht anſchloß, d. h. dem Erbrecht wurde der Anterſchied 
zwiſchen dem (gebundenen) Bauerngut und dem (walzenden) freien Verkehrs- 
gut zugrunde gelegt. 

3. Das dritte Hauptſtück ſollte das Schuldenweſen in der Weiſe ord- 
nen, daß die Rechte der Gläubiger die Ordnung des Beſitzes und der wirt⸗ 
ſchaftlichen Selbſtändigkeit der Hufe nicht mehr bedrohen konnten. Stein ging 
grundſätzlich davon aus, daß auch der mittlere und kleine Grundbefiß. nicht 
ohne Kredit beſtehen kann und daß jeder Schutzgegen Verſchuldung 
mit dem ebenſo wichtigen Kreditbedürfnis in Einklang ge⸗ 
bracht werden muß. Den Weg hierzu ſah er gleichfalls in der Durch⸗ 
führung der Trennung zwiſchen gebundenem und freiem Beſitz auch im Kredit⸗ 
recht. Entſchuldung durch Abverkauf z. B. bedingte nach feinem Entwurf fofor- 
tigen Eintritt des ſanierten Hofs in das Hufenbuch. 

4. Im letzten Abſchnitt ſollte das Geſetz das Exekutions⸗ und Pfän- 
dungsrecht gleichfalls im Sinne der vorhergegangenen Hauptſtücke anpaſſen. 

Das Gutachten Steins war verfaßt auf Wunſch des Landesausſchuſſes des 
Herzogtums Salzburg, der in einem Bericht an den Salzburger Landtag am 
19. September 1881 den Antrag ſtellte „um Anderung des Agrarrechtes und 
um Erlaſſung eines bäuerlichen Sonderrechtes“. Stein hoffte, daß dieſe Ini⸗ 
tiative zu einer weiteren Bewegung im ganzen deutſchen Sprachgebiet führen 
würde. Dieſe Hoffnung trog. Trotz dem warnenden Fanal der damaligen 
Agrarkriſe war in dem Mitteleuropa der achtziger Jahre kein Platz für ein 
Agrarrecht. Auch in der Lehre der Agrarpolitik auf den Kathedern ging die 
Gedankenwelt Steins unter, oder friſtete ſpäter in der Geſchichte der Doktri⸗ 
nen ein Schattendaſein. Die Gründe ſind bekannt, die Aufrollung einer gei⸗ 
ſtigen Schuldfrage iſt gegenüber einer abgeſchloſſenen Epoche, wie dem Vor⸗ 
kriegs⸗Deutſchland, müßig und wahrſcheinlich nicht einmal gerechtfertigt. 

Aus den Arbeiten Steins geht oft genug hervor, daß er das Gefühl hatte, 
auf einem Poſten zu ſtehen, den er zwar nie als einen verlorenen bezeichnet 
hätte, von dem er aber ahnte, daß erſt eine ſpätere Zeit deſſen zähe Verteidi⸗ 
gung werten würde. In feiner letzten größeren agrarpolitifchen Arbeit um⸗ 
grenzte er dieſe ſeine Stellung noch einmal, und zwar vor dem Kreis, der am 
eheſten in der Lage war, ihn zu verſtehen: 1882 hielt er vor dem Club der 
Land- und Forſtwirte in Wien den Vortragszyklus über „Die Landwirtſchaft 
in der Verwaltung und das Prinzip der Rechtsbildung des Grundbeſitzes“. 
Hier ſtellt er der „rein nationalökonomiſchen Auffaſſung 
des Grundbeſitzes“ mit höchſtem ethiſchen Bewußtſein die 
„organiſche und ſoziale Funktion des Grundbeſitzes“ gegen⸗ 
über. And wieder kulminiert eine glänzende und leidenſchaftliche Deduktion 
in dem Appell, als Folgerung dieſer ſozialen Funktion auch ein entſprechendes 


Otto Jüngst, Die ,,Osthilfe“ am Scheidewege 649 


Recht zu Schaffen. Lorenz von Stein ſchließt dieſe letzte Arbeit mit der zeit- 

loſen und unabdingbaren Forderung: 
„Der Grundbefitz ſoll wiſſen, daß es keine ſozialen Rechte ohne ſoziale 
Pflichten gibt. Das iſt das größte in der Anſchauung jenes großen Leh⸗ 
rers, des Ariſtoteles, bei dem Jahrhunderte unſerer Bildung dankbar 
in die Schule gegangen ſind, daß er zuerſt alles Recht der Menſchen mit 
der fittlihen Pflicht, dem Ethos, unzertrennlich für alle Zeiten ver- 
bunden hat. And wenn wir jetzt das Recht des Grundbeſitzes erſtreben 
und verwirklichen, fo wird die zweite Aufgabe uns nie er- 
laſſen werden, das ſpezifiſche Ethos des Grundbeſitzes, 
wie es Xenophon geahnt, zu einem dominierenden Teile 
unſeres Bewußtſeins und unſerer Lehre zu machen! Auch 
dieſes Ethos, dieſe Idee des Grund befitzes, hat ihre Geſchichte! Laſſen 
Sie mich mit dem Ausdruck der Aberzeugung ſchließen, daß ſie auch ihre 
Gegenwart hat!“ 

Hier brennt ein Richtfeuer, das für unſere Zeit ebenſo wegweiſend ift wie 
für die damalige. Eine Haltung wie die Lorenz von Steins verpflichtet die 
Nachfahren in Agrarpolitik und Wiſſenſchaft. Es iſt unmöglich, geiſtig mehr 
zu geben, als er gegeben hat. Die äußeren Bedingungen für die Durchführung 
ſeiner Gedanken mögen ſich verändern; die Aufgaben, die er aus einer ge⸗ 
ſchichtsphiloſophiſchen Veranlaſſung der Agrarpolitik ſah, bleiben wohl für 
jede Zeit, unbeſchadet jeweiliger Löſungsverſuche, beſtehen. 


Otto Jüngſt: 
Die „Oſthilfe“ am Scheioͤewege) 


In weiteſten Kreiſen beſteht über den Inhalt des Wortes „Oſthilfe“ große 
Anklarheit. Die einen denken auf Grund alarmierender Zeitungsnachrichten 
lediglich an eine Entſchuldung „verkrachter Großgrundbeſitzer“, die andern 
wieder denken, daß es ſich um eine allgemeine Hilfe für bedrängte Oſtgebiete 
handele. Wieder andere — und das dürfte die bei weitem größte Zahl aller 
Volksgenoſſen fein — machen ſich überhaupt keine eingehenderen Gedanken 
über das Weſen der Oſthilfe und haben deshalb auch keine Vorſtellung von ihr. 


) Unter Hinweis auf den Aufſatz von Graf von der Goltz im Novemberheft 
1932 veröffentlichen wir als weiteren Beitrag zur Ausſprache die vorliegende 
Arbeit von Otto Jüngſt, der wie von der Goltz in der praktiſchen Oſthilfearbeit 
ſteht. H. R. 


650 Otto Jüngst 


Angeſichts der Wichtigkeit der „Oſthilfe“ für das Volksganze und der in den 
letzten Wochen durch die Preſſe gegangenen Berichte über Teilergebniſſe der 
„Oſthilſe“ erſcheint es aber notwendig, einem möglichſt großen Kreiſe einen 
Geſamtüberblick über die „Oſthilſe“ zu gewähren. 


Das urſprüngliche Ziel 


Arſprünglich hat ihr Ziel darin beſtanden, die Landwirt 
ſchaft des Oſtens, die durch die für Deutſchland unglückliche Grenzziehung 
und dabei ganz beſonders durch Anterbindung der Verkehrswege, Abtrennung 
großer Verbrauchsgebiete uſw. benachteiligt worden iſt, der Landwirtſchaft 
des übrigen Deutſchlands gegenüber wieder wettbewerbsfähig zu 
machen. Dementſprechend hat ſich die Oſthilfe zunächſt auf das ganz beſon⸗ 
ders benachteiligte Oſtpreußen und ſodann auf beſtimmte an Polen und den 
polniſchen Korridor angrenzende Teile der Provinzen Pommern, Grenzmark 
und Schleſien erſtreckt. Im Laufe der Zeit iſt der Geſichtspunkt der Hilfe für 
Grenzgeſchädigte mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt worden. Nach 
mehrfacher Erweiterung des Oſthilfegebietes ijt jetzt faſt das geſamte Land öſt⸗ 
lich der Elbe einbezogen. Es gehören heute zum Oſthilſegebiet nicht nur Oft- 
preußen, Grenzmark, Oberſchleſien, Niederſchleſien, ſondern auch Schleswig⸗ 
Holſtein, Mecklenburg, Brandenburg, die rechtselbiſchen Teile Anhalts und 
der Bayriſche Wald. Die ganze Maßnahme trägt infolgedeſſen rein gebiets⸗ 
mäßig geſehen die Bezeichnung „Oſthilfe“ keineswegs mehr zu Recht. 
Die Gefährdung der oſtdeutſchen Landwirtſchaft, um die es ſich zunächſt 
gehandelt hat, iſt in ihrer, vielfach auf Kriegsſolgen zurückführbaren Aber⸗ 
ſchuldung und dem mit dieſer verbundenen drückenden Zinſendienſt zu er⸗ 
blicken. Eine ſehr große Zahl von Betrieben hatte nicht nur ihre grundbuch⸗ 
liche Belaſtung bis zur erreichbaren Höchſtgrenze geſteigert, ſondern darüber 
hinaus unter dem Druck der ungünſtigen Verhältniſſe auch alle ſonſt noch er⸗ 
denklichen Möglichkeiten der Geldaufnahme in Form kurzfriſtigen Perfonal- 
kredites ausnützen müſſen. Diefer Perſonalkredit hat dadurch für die Land- 
wirtſchaſt eine beſonders gefährliche Geſtalt angenommen, daß er, gemeffen 
am langſamen Amſchlag landwirtſchaftlicher Gütererzeugung, viel zu ſchnell 
rückzahl bar, alfo zu kurzfriſtig und außerdem vielfach noch gegen Hergabe von 
Wechfeln eingeräumt worden war. 

Dieſer Lage entſprechend ift die geſamte Oſthilfegeſetzgebung, ſoweit fie ſich 
auf landwirtſchaftliche „Entſchuldung“ bezieht, auf eine Ablöſung der die Be⸗ 
triebe gefährdenden kurzfriſtigen Verbindlichkeiten durch langfriſtig tilgbare 
Hypothekendarlehn abgeſtellt. Der Grundgedanke dieſer „Entſchuldung“ iſt — 
normale Verhältniſſe vorausgeſetzt — durchaus geſund. Schwierigkeiten ern⸗ 
ſteſter Art waren nur dann zu befürchten, wenn die Frage der Tragbarkeit der 
mit den neuen Hypotheken naturnotwendig verbundenen Zinslaſten nicht klar 
beantwortet werden konnte. Dieſer Fall mußte aber in dem Augenblick ein⸗ 
treten, in dem normale landwirtſchaftliche Erzeugungs⸗ und Abſatzbedingungen 
durch anormal-ungünftige abgelöſt wurden. Dann mußte ein mehr oder minder 
weitgehender Zuſammenbruch der bis dahin umgeſchuldeten Betriebe erfolgen. 
Dieſer Fall iſt jetzt eingetreten. Daß das Abſinken der Preiſe auf dem Markt 
faſt aller landwirtſchaftlichen Erzeugniſſe für die ganze Wirtſchaftslage unſeres 
Volkes ſchwere Erſchütterungen mit ſich gebracht hat, iſt bekannt, daß es jedoch 
auf die Oſthilfe verheerend eingewirkt hat, iſt weniger Allgemeingut geworden. 


Die „Osthilfe“ am Scheidewege 651 


Die Durchführung 


Die Durchführung der Oſthilfe ijt bislang einem „Reichskommiſſar für die 
Oſthilfe“ übertragen geweſen, dem als Ausführungsorgane „Landſtellen“ in 
den einzelnen gefährdeten Gebieten unterſtellt find. Dieſe Landſtellen, vor- 
nehmlich in den Provinzialhauptſtädten mit Zuſtändigkeit für die ganze Pro— 
ving, find es, die die eigentlichen Amſchuldungsarbeiten zu leiſten haben. Bei 
der außerordentlich großen Zahl zu bearbeitender Anträge iſt eine Abgrenzung 
in Groß⸗ und Kleinbetriebe erfolgt dergeſtalt, daß die Kleinbetriebe mit einem 
Einheitswert unter 40000 RM. nach beſtimmten, von den Landſtellen aus- 
gegebenen Richtlinien durch die Landräte der einzelnen Kreiſe bearbeitet wer— 
den, während die Erledigung der Angelegenheiten der Betriebe mit einem Ein- 
heitswert über 40 000 RM. durch die Landſtellen ſelbſt erfolgt. Jeder Land- 
wirt, der eine Amſchuldung erſtrebt, hatte — innerhalb der inzwiſchen längſt 
abgelaufenen Anmeldefriſt — einen Antrag zu ſtellen, in dem feine Verſchul— 
dung und ihre Arſachen im einzelnen dargelegt ſind. Sofern eine Kürzung 
von Gläubigerforderungen notwendig erſcheint und ein entſprechender Plan 
hierfür bereits beſteht, iſt dieſer dem Antrag beizufügen. Es iſt nicht etwa ſo, 
wie vielfach vermutet wird, daß jeder einzelne Landwirtſchaftsbetrieb, der ſich 
im Bereich einer Landſtelle befindet, von vornherein Amwandlung feiner furz- 
friſtigen Verbindlichkeiten in langfriſtige, tilgbare Hypothekendarlehn erfährt, 
fondern mit Rückſicht auf die beſchränkten Amſchuldungsmittel find lediglich 
diejenigen Betriebe zur Oſthilfe zugelaſſen, die vor Ablauf der Anmeldezeit 
ordnungsgemäß zur Amſchuldung angemeldet worden ſind. Der Antrag wird 
De durch die Landſtelle — bei Kleinbetrieben durch die Landratsämter — 
m einzelnen in bezug auf die Richtigkeit der Größen⸗ und Schuldangaben und 
dabei namentlich auch hinſichtlich der für die Darlehenseintragung wichtigen 
Grundbuchverhältniſſe geprüft. Erſcheint die Amſchuldung durchführbar, was 
meiſt erſt nach Ablauf einer Reihe von Monaten feſtgeſtellt wird, jo wird der 
Antrag an die Bank für deutſche Induftrie- Obligationen weitergegeben. 

Der Außenſtehende wird zunächſt erſtaunt ſein, in Verbindung mit der land⸗ 
wirtſchaftlichen Entſchuldung den Namen einer Bank zu hören, die während 
der unangenehmſten Nachkriegszeit — nämlich bei Liquidation des Ruhrein⸗ 
bruchs 1924 — auf Verlangen der Feindbundmächte ins Leben gerufen wor- 
den iſt und deren Hauptbeſtimmung, wie der Name vermuten läßt, auf indu- 
ſtriellem Gebiete liegt. Am die Forderungen der Feindbundmächte im Sinne 
der damaligen „Erfüllungs politik“ befriedigen zu können, iſt ſeinerzeit nicht nur 
die Landwirtſchaft mit der Rentenbankbelaſtung zwangsläufig belegt, ſondern 
auch die Induſtrie ebenſo zwangsweiſe geſetzlich zur Zahlung der ſogenannten 
Aufbringungsumlage verpflichtet worden. Aus dieſer Aufbringungsumlage, 
vermehrt durch ſtarke Zuſchüſſe des Reiches, ſtehen laufend nicht unerhebliche 
Beträge zur Verfügung, die auf Grund des erſten Oſthilfegeſetzes vorwiegend 
zur landwirtſchaftlichen Entſchuldung im Oſthilfegebiet Verwendung finden 
ſollen. Auf dieſe Weiſe kommt die Induſtrie zur Entſchuldung der Land— 
wirtſchaft! — 

Die Bank für deutſche Induſtrie-Obligationen prüft die ihr von den Land- 
ſtellen zugehenden Entſchuldungsakten und dabei namentlich — nach rein banf- 
mäßigen Geſichtspunkten — die Möglichkeit der Beleihung, gibt notfalls nach 
örtlicher Prüfung, zu der ein großer Stab eigener landwirtſchaftlicher Sachs 
verſtändiger zur Verfügung ſteht, die Höhe des von ihr zu gewährenden Dar- 


652 Otto Jüngst 


lehns und beſtimmt gleichzeitig die Grenze der Zinsleiſtung, die ihr für den 
einzelnen Betrieb tragbar erſcheint. Sobald dieſe beiden Grenzwerte: 
Beleihungs- und Zinsleiſtungsgrenze, feftgelegt worden find, 
geht der Amſchuldungsantrag, der während der inzwiſchen abgelaufenen weite⸗ 
ren Monate in der Mehrzahl aller Fälle zu einer dickleibigen Akte angewachſen 
iſt, an die Landſtelle zurück, die ihrerſeits nunmehr viele Monate oder gar 
Jahre beanſpruchende Verhandlungen mit den Gläubigern zwecks Kürzung 
ihrer Forderungen aufnimmt. In allen ſchwierigen Fällen haben die Land⸗ 
ſtellen einen ausgedehnten aufreibenden Papierkrieg mit den Gläubigern zu 
führen, die ſich begreiflicherweiſe nicht ohne Widerſtand in die Beeinträchti⸗ 
gung ihrer Rechte finden wollen und von denen ein Teil, ebenfalls begreiflicher⸗ 
weiſe, nichts unverſucht läßt, was, notfalls auch unter Benachteiligung der 


übrigen Gläubiger, ihnen zur Hereinholung ihrer Forderung verhelfen könnte. 


Das Sicherungsverfahren 


Aus dieſer Lage heraus hat ſich die Notwendigkeit ergeben, den einzelnen 
Betrieb gegen den Zugriff beſonders gewandter, entſchlußkräftiger und zäher 
Gläubiger zu fihern. Das Ergebnis ijt die Schaffung des „Sicherungs⸗ 
verfahrens“. Es iſt das ein Schutz gegen Zwangsvollſtreckungen, kurz auch 
Vollſtreckungsſchutz genannt, der den einzelnen Landwirtſchaftsbetrieb im Oſt⸗ 
hilfegebiet gegen die Umwelt gewiſſermaßen abgeſperrt und jeden Einzel- 
zugriff eines Gläubigers ohne Einwilligung der Landſtellen verhindert. 

Die Sicherungsverordnung, die allmählich zu einem ungemein wichtigen 
Gliede in der Entſchuldung überhaupt geworden iſt, bedeutet einen Eingriff 
in die perſönlichen Rechte des einzelnen, wie er ſrüher kaum je für denkbar 
gehalten worden iſt. Von allen Seiten — auch der Landwirtſchaft — ſind 
gegen dieſes Verfahren die allerſchwerſten Bedenken erhoben worden. Nicht 
nur deshalb, weil der landwirtſchaftliche Kredit aufs äußerſte gefährdet und 
das Vertrauen in die Vertragstreue der Landwirtſchaft aufs ſchwerſte erſchüt⸗ 
tert worden iſt, ſondern auch, weil es in ſeiner Praxis zu einer oft unerträg⸗ 
faber ee landwirtſchaftlicher Schuldner vor ihren Gläubigern ge- 
ührt hat. 

Man vergegenwärtige ſich zum Beiſpiel folgenden Fall: Ein Ritterguts⸗ 
beſitzer hat durch Vermittlung ſeines Dorfſchmiedes einen Grasmäher gegen 
Wechſel gekauft. Bevor es zur Wechſeleinlöſung kommt, wird über den Be⸗ 
trieb des Rittergutsbefigers das Sicherungs verfahren eröffnet. Bei Fälligkeit 
des Wechſels muß ihn der Dorfſchmied einlöſen, da der Treuhänder des 
Schuldners Zahlung ablehnt und ablehnen muß, auch wenn ſie möglich wäre. 
Gelingt es dem Dorfſchmied nicht, die zur Einlöſung des ihm von der Mas 
ſchinenfabrik vorgelegten Wechſels erforderlichen Beträge aufzutreiben, ſo wird 
er zwangsverſteigert. Während die Landwirte, die ſeine Kunden ſind und mit 
denen er auf Gedeih und Verderb verbunden iſt, von Staats wegen geſchützt 
werden, bleibt der Handwerker völlig ſchutzlos. 

Die Tatſache, daß jeder „geſicherte Betrieb“ von einem Treuhänder über- 
wacht wird, der die Intereſſen der Gläubigerſchaft wahrzunehmen hat, be— 
deutet gegen die ungeheuerlichen Angerechtigkeiten der Sicherungsverordnung 
keine ausreichende Abwehrmaßnahme. Eigenartigerweiſe iſt die Sicherungs⸗ 
verordnung ſeinerzeit als „Verordnung zur Sicherung der Ernte und der land- 


— — 


Die „Osthilfe“ am Scheidewege | 653 


wirtſchaftlichen Entſchuldung im Ofthilfegebiet” bezeichnet worden, obwohl 
damals ſchon vorauszuſehen geweſen iſt, daß eine Gefährdung der Volksernäh⸗ 
rung aus ſchlechter Ernte etwa deswegen, weil eine Anzahl von Oſthilfe⸗ 
betrieben nicht in der Lage geweſen wäre, ihre Beſtellungen ordnungsgemäß 
durchzuführen, unter keinen Amſtänden erwartet werden konnte. Die Deutung 
dieſer irreführenden Bezeichnung wird vielleicht in der einige Monate zuvor 
abgegebenen Erklärung der Reichsregierung zu erblicken ſein, daß an eine 
Wiederholung des „Vollſtreckungsſchutzes“ „wegen feiner jedes Rechts⸗ 
gefühl untergrabenden Wirkung“ nicht zu denken ſei. Als man wenige Monate 
ſpäter kein beſſeres Mittel fand, iſt das Vollſtreckungsſchutzverfahren — nur 
an dem neuen Namen Sicherungsverfahren! — aufs neue notverordnet 
worden 

Das Sicherungsverfahren mit der Einrichtung des Treuhänderweſens 
und der weitgehenden Bevormundung der Betriebseigen- 
t ũ mer hat es mit ſich gebracht, daß ſtarke Kräfte des geſamten Amſchuldungs⸗ 
ſtabes lediglich zur Bearbeitung der Sicherungsfragen in Anſpruch genommen 
und den eigentlichen Entſchuldungsfragen völlig entzogen werden. Praktiſch iſt 
eigenartigerweiſe feſtzuſtellen, daß ſich die Sicherungsverordnung nur in einer 
Verzögerung der ganzen Amſchuldung, nicht aber in ihrer Förderung ausge⸗ 
wirkt hat, obwohl zuzugeben iſt, daß dieſer oder jener Betrieb durch das Siche⸗ 
rungs verfahren vor dem Zuſammenbruch ge 8 worden iſt und der Amſchul⸗ 
dung he hat zugeführt werden können. Das gleiche Ziel hätte aber unſchwer 
unter Amgehung der außerordentlich bedenklichen, die geſamte Landwirtſchaft 
in ihrer Kreditfähigkeit ſchwer ſchädigenden VGeftimmungen des Sicherungs- 
verſahrens dadurch erreicht werden können, daß zunächſt der unerträglich ſchlep⸗ 
pende Gang der Amſchuldung beſchleunigt und gleichzeitig den Landſtellen die 
Befugnis eingeräumt worden wäre, gegen Gläubiger, die ſich zuungunſten der 
übrigen Gläubiger vorweg befriedigen wollen, mit einſtweiligen Verfügungen 
rechtswirkſam vorzugehen. Das Beſtehen dieſer Möglichkeit hätte genügt, faſt 
jede Störung auszuſchalten. 

Nach dieſen kurzen Schilderungen des „Oſthilfeverfahrens“ wird ſich nie⸗ 
mand wundern, daß das allgemeine Arteil über die Oſthilfe dahin geht, daß ſie 
bisher mehr oder minder völlig verſagt hätte. Selbſt der letzte Reichskommiſſar 

r die Oſthilfe, alfo der für das Verſagen letzten Endes verantwortliche höchſte 

eamte, hat kürzlich in einem vor einem Ausſchuß des Reichstages erſtatteten 
Berichte zugeben müſſen, daß das aus der Oſthilfe, ſoweit es bisher vor⸗ 
läge, recht kärglich ſei. 


* 


Was iſt angefichts dieſes bisherigen Verſagens zu tun? Wie ift die Oft- 
hilfe, deren ſchnellſte Durchführung von Tag zu Tag drängender wird, in die 
richtigen Bahnen zu lenken, wie iſt der Oſthilfe zu helfen? 


„Individualverfahren“ oder „Generalverfahren“? 


Da unſchwer zu erkennen iſt, daß nicht zuletzt den außerordentlich verwicdel- 
ten und ſchwerfälligen Behördenapparat, der für die Durchführung der Indi— 
vidualumſchuldung aufgezogen worden iſt, ein gerüttelt Maß der Schuld an 
dem bisherigen Mißerfolg trifft, gehen die meiſten Beſſerungsvorſchläge dar— 


654 Otto Jüngst 


auf aus, die „Individualumſchuldung“ durch eine „Generalumſchuldung“ zu 
erſetzen. An Stelle der Prüfung jeden Einzelfalles ſoll eine allgemeine Schul⸗ 
denſenkung in Bauſch und Bogen erfolgen. 

Bei dieſer Verurteilung der „Individualumſchuldung“ wird nur allzuoft 
vergeſſen, daß der Mißerfolg neben den offenkundigen ſchweren Organifations- 
mängeln auf den langanhaltenden politiſchen Kampf zwiſchen Reid und 
Preußen zurückzuführen iſt und daß es infolgedeſſen von vornherein nicht nur 
an klarer Zielſetzung, ſondern auch an dem klaren Arbeitsplan gefehlt hat, der 
nun einmal Vorausſetzung der Löſung jeder ſchwierigen Aufgabe iſt. Ange⸗ 
ſichts der vielfach erhobenen Forderung nach „Generalumſchuldung“ ſoll dem 
Leſer an Hand einiger tatſächlicher Beiſpiele aus dem Leben 
die Möglichekit gegeben werden, ſich unvoreingenommen ein eigenes Arteil 
über die Zweckmäßigkeit der Anwendung des einen oder anderen Verfahrens 
zu bilden. 

1. Beiſpiel | 

Der Eigentümer eines ſtark verfchuldeten Landgutes verfügt neben feinem 
landwirtſchaftlichen Grund und Boden noch über ein kleines Hausgrundftüd 
in der benachbarten Stadt und über einige Wertpapiere aus beſſeren Zeiten. 
Eine richtige „Einzelumſchuldung“ iſt in der Lage, dieſe betriebsfremden Ver⸗ 
mögensteile zur Amſchuldung heranzuziehen. Die Amſchuldungsmittel, die 
der Staat zur Verfügung ſtellen würde, können dementſprechend zugunſten an⸗ 
derer Betriebe geſtreckt werden. Die „Geſamtumſchuldung“ ſchließt eine ſolche 
Löſung aus. Bei ihr werden die Gläubigerforderungen, ſoweit ſie die Ver⸗ 
ſchuldungsgrenze überſteigen, ganz ohne Rückſicht auf das betriebsfremde Ver⸗ 
mögen gekürzt. Die Gläubiger verlieren alſo zum Teil ihr Geld, während der 
Gutseigentümer im unangetaſteten Beſitz nicht nur feines landwirtſchaftlichen 
Betriebes, ſondern auch ſeines Hausgrundſtückes in der Stadt und der von 
früher erhaltenen Wertpapiere bleibt. 


2. Beiſpiel 

Ein Landwirt, dem die Befriedigung ſeiner Leidenſchaften ſtärker am Herzen 
liegt als die Bewirtſchaſtung des ererbten Beſitzes, hat es allmählich unter 
dauernder Täuſchung ſeiner Gläubiger zu völliger Aberſchuldung gebracht. 
Die „Geſamtumſchuldung“ befreit ihn von ſeinen Schulden, ſoweit ſie die 
Verſchuldungsgrenze überſteigen, während eine richtige „Einzelumſchuldung“ 
in der Lage geweſen wäre, in der weitgehenden Verwertung der vorhandenen 
Vermögensrechte die getäuſchten Gläubiger wenigſtens teilweiſe zu befriedigen. 


3. Beiſpiel 

Ein Großgrundbeſitzer hat ſich bereits vor der Oſthilfe in richtiger Erkennt⸗ 
nis ſeiner Lage und der kommenden Entwicklung der Landwirtſchaft dazu ent⸗ 
ſchloſſen, zur größtmöglichen Entſchuldung ſeines Beſitzes die in früheren Ge⸗ 
ſchlechterfolgen dem Rittergut einverleibten Bauernſtellen, deren Gehöfte zum 
Teil noch vorhanden ſind, zu veräußern. Die „Geſamtumſchuldung“ macht das 
unnötig. Die Forderungen der Gläubiger werden, fofern fie die in der „Ge⸗ 
ſamtumſchuldung“ feſtzuſetzende Verſchuldungsgrenze überſteigen, beſchnitten 
und das, nicht nur privatwirtſchaftlich, ſondern allgemeinwirtſchaftlich richtige 
Verfahren der Selbſtentſchuldung wird eingeſtellt. Die „Geſamtumſchuldung“ 
wirkt ſich hier alſo gegen die Selbſtumſchuldung aus. 


Die ,,Osthilfe“ am Scheidewege | 655 


4. B et piel 

großſprecheriſcher Bauer vermehrt feinen Gefig durch Zukauf eines 
1 Gutes, obwohl feine Mittel an und für fic) dieſe Maßnahme keines; 
wegs rechtfertigen. Im Laufe der Zeit tritt zufolge der Aberſchätzung ſeiner 
Mittel und außerdem dank mangelhafter Betriebs führung eine völlige Aber⸗ 
ſchuldung beider Betriebe ein. Bei „Einzelumſchuldung“ würde immerhin die 
Möglichkeit beſtehen — vorausgeſetzt, daß der Eigentümer noch als entſchul⸗ 
dungswürdig anzuſprechen iſt —, einen Betrieb zur Befriedigung der Gläu⸗ 
biger zu verkaufen und den Stammbetrieb umzuſchulden. Bei der „Geſamt⸗ 
ihr Geld! bleibt der Beſitz unangetaſtet, lediglich die Gläubiger verlieren 

r G 

Es muß dem gefunden Rechtsempfinden jedes einzelnen Volksgenoſſen über⸗ 
laſſen bleiben, aus diefen wenigen, dem Leben entnommenen Beiſpielen, die 
um eine Anzahl von Fällen vermehrt werden könnten, die richtige Schlußfolge⸗ 
rung zu ziehen, ob eine „Geſamtumſchuldung“ zu wünſchen oder abzulehnen iſt. 

Der Landwirt, der im allgemeinen gewöhnt iſt, als freier Mann auf eigenem 
Grund und Boden zu ſchaffen und deſſen Nechts⸗ und Pflichtgefühl dank 
dieſer nur ihm eigenen Daſeinsgrundlage größtenteils beſonders ausgeprägt 
ift, will kein Almoſen. Er iſt der Typ des Menſchen, der gewohnt iſt, 
ſich ſelbſt zu helfen. Iſt er in Schwierigkeiten geraten, jo will er dieſe Schwie⸗ 
rigkeiten nach Möglichkeit aus eigener Kraft überwinden und will im übri⸗ 

gen möglichſt unbehelligt ſeinem Beruf nachgehen können. Dieſe geſunde und 
fittlich ſelbſtverſtändliche Grundeinſtellung der bodenverbundenen Menſchen, 
die heute noch faſt Allgemeingut der Landbevölkerung iſt — ſoweit ſie noch 
auf eigenem Grund und Boden ſchafft — wird der Offentlichkeit verſchwie⸗ 
gen. Statt deſſen werden offenſichtliche Mißſtände, die nie und nimmer, wo 
Menſchen tätig ſind und wo und in welchem Berufsſtande es immer ſei, ganz 
vermieden werden können, zum Schaden des Anſehens des ganzen Berufs⸗ 
ſtandes verallgemeinert. 

Dieſes Anſehen würde einen weiteren, ungemein folgenſchweren Stoß er⸗ 
halten, wenn man dazu übergehen würde, durch eine „Gefamtumfchul⸗ 
dung“, deren Folgen in den vorſtehend erwähnten Einzelbeiſpielen andeu⸗ 
tungsweiſe hervorgehoben worden ſind, zu einem neuen Generalangriff 
auf das Rechtsempfinden weiteſter Kreiſe vorzugehen. Bei Ver⸗ 
gegenwärtigung dieſer Folgen kann niemand, dem der Ruf des größten Stan⸗ 
des Selbſtändiger im Volke wirklich am Herzen liegt, für eine Geſamtumſchul⸗ 
dung eintreten, ſofern es einen Weg gibt, der die mit einer Geſamtumſchul⸗ 
dung naturnotwendig verbundene Vergewaltigung vielfacher Gläubigerinter⸗ 
eſſen vermeidet. 


Vorausſetzungen einer Einzelumſchuldung 


Von den verſchiedenſten, zum Teil perſönlich intereſſierten Seiten wird die 
Auffaſſung genährt, ein brauchbarer Weg zu einer „Einzelumſchuldung“ be⸗ 
ſtände nicht. Dieſe Auffaſſung iſt richtig, ſolange der bisherige Weg als der 
einzig vorhandene Weg betrachtet wird; ſie iſt falſch, wenn man ſich die Mühe 
macht, an Stelle des bisherigen Weges hemmungsloſeſter und damit unfrucht⸗ 
barſter Bürokratie auch einmal nach anderen Wegen zu ſuchen. Denn dann er- 
gibt ſich, daß mindeſtens ein anderer Weg offen iſt; ſtatt zu einem 


Agrarpolitik Heft 9, Bg. 3 


656 Otto Jüngst 


Serrbild der Oſthilfe führt er zu wirklicher Geneſung. Wir Deutſchen ſtehen 
überall in der Welt in dem Ruf, beſonders befähigte Organiſatoren zu haben. 
Wir würden uns ſelbſt ein klägliches Zeugnis ausſtellen, wenn wir erklären 
würden, daß wir zur Löſung der Aufgaben einer „Einzelumſchuldung“ un⸗ 
fähig wären. 

In den Auguſttagen des Jahres 1914 tft das geſamte deutſche Heer in aller⸗ 
kürzeſter Friſt an allen bedrohten Fronten eingeſetzt worden. Der Aufmarſch 
hat ſich reibungslos vollzogen, da man ſich über das Ziel, die Voraus 
ſetzung zu deſſen Erreichung und die verfügbaren Hilfsmittel im 
klaren war, vorher einen bis in alle Einzelheiten aus gearbeiteten Plan 
aufgeſtellt und im übrigen jedem einzelnen Führer bis hinab zum Anteroffizier 
für alle im Aufmarſchplan unvorhergeſehenen Fälle ſelbſtändi ges Han- 
deln zur erſten Pflicht gemacht hatte. Sollte nicht, nachdem dieſe Großtat 
unſerer Heeresleitung in bewunderungs würdiger Weiſe vollbracht worden iſt, das 
unendlich viel einfachere Werk einer wirkſamen deutſchen Oſthilfe durchführbar 
ſein? Dieſe Frage ſtellen und bejahen iſt eins. Nur wird man aus dem eben 
genannten Beiſpiel lernen müſſen, daß vor Inangriffnahme der Arbeit völlige 
Klarheit beſtehen muß über 


1. das Ziel, 

2. die Vorausſetzung, 

3. den leitenden Grundſatz, 
4. die Hilfskräfte, 

5. die Hilfsmittel. 


Das Ziel 


Beſeitigung der die Entwicklung und Leiſtungsfähigkeit der deutſchen Land⸗ 
wirtſchaft untergrabenden Aberſchuldung unter gerechter Abwägung der Inter⸗ 
eſſen aller Beteiligten und unter rückſichtsloſeſter 5 des Grund- 
atzes: Gemeinnutz geht vor Eigennutz! Dieſe Beſeitigung der Aberſchuldung 
ſt notwendig, um eine Wiedergeſundung der für die Volksernährung unent⸗ 
behrlichen Landwirtſchaft zu erzielen und gleichzeitig die nicht minder wichtige 
Wiedergeſundung der durch den Zuſammenbruch der Landwirtſchaft aufs 
ſtärkſte in Mitleidenſchaft gezogenen anderen Berufsſtände und des geſamten 
Binnenmarktes herbeizuführen. 


Die Vorausſetzung 


Vorausſetzung jeder Oſthilfe iſt die vorherige Schaffung allgemeinwirt- 
ſchaftlicher Verhältniſſe, die der Landwirtſchaft bei Durchſchnittswitterung und 
sleiftung einen auskömmlichen Ertrag ſicherſtellen und ihr die Erfüllung ihrer 
volkswirtſchaftlichen Aufgabe, Ernährung des Volkes aus eigener Scholle, er⸗ 
möglichen. Dieſe Vorausſetzung iſt zur Zeit noch nicht erfüllt. Sie wird auch 
nicht durch „Beimiſchungszwang“, „Einfuhrſcheine“, „Kontingentierung“ und 
ähnliche zuſammenhangs⸗ und planlos angewandte Mittelchen erreicht werden 
können. Aber ſie muß geſchaffen werden, wenn die Oſthilfe überhaupt einen 
Sinn haben und nicht, wie bisher, ein Faß der Danaiden fein und bleiben fol. 
Aber die zur Schaffung dieſer Vorausſetzungen anzuwendenden Mittel brau- 
aa beute nicht viel Worte verloren gu werden. n fann fie in den einen 

ag zuſammenfaſſen: Gerechte Abwägung der Geſamtintereſſen des eigenen 


Die „Osthilfe“ am Scheidewege | 657 


Landes gegenüber den wirtſchaftlichen, politifchen, kulturellen und völkiſchen 
Intereſſen der anderen Völker bei bedingungsloſer Anterordnung unter das 
Geſetz, daß das Wohl Deutſchlands allem andern, und daß das Wohl des 
geſamten Volkes dem Wohl einzelner Gruppen vorangehen müſſe. 


Der leitende Grundſatz 


Das bisher wichtigſte und neben Gläubigerkür zungen faſt allein 
angewandte Oſthilfemittel iſt die Bezahlung der gefährlichen Schulden des 
Landwirtes aus Mitteln der Allgemeinheit, d. h., aus Geldern des Reiches 
oder der Amſchuldungsbank. Dieſe Schuldentilgung aus Mitteln 
der Allgemeinheit iſt derart zum Kernſtück der ganzen Oſthilfe gewor⸗ 
den, daß mancher Landwirt dank der verfehlten Handhabung der Oſthilfe 
glaubt, ein verbrieftes Recht auf die Tilgung ſeiner perſönlichen Schulden aus 
öffentlichen Mitteln zu haben und deshalb glaubt, nicht genötigt zu ſein, auch 
aus eigenem zur Schuldentilgung beizuſteuern, obwohl das oft ſehr wohl 
möglich iſt. So iſt zum Beifpiel dem Einſatz betriebseigener Mit- 
tel in Form von Landverkäuſen in der bisherigen Oſthilfe ſo wenig 
Aufmerkſamkeit geſchenkt worden, daß der Nat, zur Schuldentilgung Land ab⸗ 
zuſtoßen, von manchem „führenden“ Landwirte heute noch als Beweis bolſche⸗ 
wiſtiſcher Gefinnung betrachtet wird. In Zukunft iſt grundſätzlich Aus⸗ 
nutzung aller fitch bietenden Schuldentilgungsmöglichkei⸗⸗ 
ten zu fordern. 

Damit wird, ſoweit die Amſchuldungsmittel vom Reich und der Amſchul⸗ 
dungsbank ſtammen, eine ſtarke Streckung der öffentlichen mſchuldungsmittel 
erreicht und ee Sea die Möglichkeit geſchaffen, einem Vielfachen 
der jetzt unterſtützten Betriebe wirkſame Hilfe zu leiſten. Die Landwirtſchaft 
in ihrer Geſamtheit ift an folder Streckung der verfügbaren Mittel am aller- 
meiſten intereffiert, da durch die große Zahl nachträglich, d. h. nad dem bis⸗ 
herigen Anmeldeſchluß notleidend gewordener Betriebe, denen gerechterweiſe 
auch geholfen werden muß, ein ganz ungeheurer Geldbedarf entſtanden iſt, 
der weder aus Mitteln des Reiches, noch aus denen der ebenfalls notleidenden 
deutſchen Snduftrie auch nur annähernd befriedigt werden kann. Die Zahl 
der nach dem Anmeldeſchlußnotleidend gewordenen und der 
dauernd von Tag zu Tag weiter in Notgeratenden Betriebe 
i ſt ungeheuer. Man darf heute von Oſthilfe nicht mehr reden, ohne dieſe 
für die Geſamtheit der Landwirtſchaft viel wichtigere Gruppe zu berückſich⸗ 
tigen; viel wichtiger deshalb, weil in ihr die Landwirte enthalten ſind, die zu⸗ 
nächſt jede Staatshilfe weit von fic) gewieſen haben und fi) aus eigener Kraft 
haben helfen wollen. Wenn auch ſie jetzt in geldliche Schwierigkeiten geraten 
find, und wenn auch ihre Betriebe jetzt in die Oſthilfe einbezogen werden 
müſſen, fo deshalb, weil die Märkte landwirtſchaftlicher Erzeugniſſe in den 
letzten Monaten einen Preiszuſammenbruch in einem Ausmaße erlebt haben, 
wie er den lebenden Volksgenoſſen bei deutſchen landwirtſchaftlichen Erzeug⸗ 
niſſen bisher unbekannt geweſen iſt. 

Damit iſt die Streckung der Geldmittel der öffentlichen Hand zur unabweis⸗ 
baren Notwendigkeit geworden; es muß aufs ſparſamſte mit ihnen umgegan⸗ 
gen werden. Die Ausnutzung aller übrigen Amſchuldungsmittel tritt in den 

ordergrund. Wie beſte Heilmittel und raffinierteſte Operationsgeräte zweck⸗ 


3 


658 Otto Jüngst 


los oder ſogar ſchädlich find in der Hand eines ungeeigneten Arztes, fo wür⸗ 
den auch noch ſo große Geldbeträge und noch ſo viele ſonſtige Amſchuldungs⸗ 
mittel in der „Landhilfe“ — wie die neuen Maßnahmen im Gegenſatz zu 
der bisherigen „Oſthilfe“ genannt werden könnten — erfolglos vertan werden, 
wenn nicht Leute gefunden würden, die es verſtänden, die Amſchuldungsmittel 
kunſtfertig zu handhaben. Deshalb ſoll zunächſt der menſchlichen und dann 
erſt der ſachlichen Hilfen — zuerſt alſo der Hilfskräfte und erſt dann 
der Hilfsmittel — gedacht werden. 


Die Hilfskräfte 


Aberall in den Landſtellen find Diplomlandwirte und Juriſten tätig, die 
nur darauf warten, endlich einmal zu poſitiver, ſelbſtſchöpferiſcher, geſtaltender 
Arbeit zu kommen, die es begrüßen würden, befreit zu werden von dem ſtumpf⸗ 
ſinnigen Befolgen verfehlter, ſich von Monat zu Monat widerſprechender 
„Richtlinien“ und vom Aufſtellen von Voranſchlägen und Rüdberichten über 
immer weiter abſinkende Betriebe. Dieſe Männer kennen die Nöte und Not⸗ 
wendigkeiten. Sie find die geeigneten Kräfte, die neue „Landhilfe“ pofitiv zu 
fördern. Sie werden in Zukunft zu zweien, je ein Juriſt und ein Land- 
wirt, eine Spruchkammer bilden. Sie werden nicht mehr in der Pro⸗ 
vinzhauptſtadt, ſondern in den kleinen und großen Landſtädten ganz nach Be⸗ 
darf, ohne feſten Sitz, tätig werden. Sie werden nach forgfältiger Prüfung 
jeden Einzelfalles unter Zuziehung der Gläubiger und Schuldner in für alle 
Beteiligten zugänglichen Sitzungen ihren Entſchuldungsplan vortragen und 
möglichſt in einer Sitzung eine Entſcheidung herbeiführen. Die Zahl der 
Sitzungen, in denen über einen Fall beraten wird, ſoll drei grundſätzlich nicht 
überſteigen. Ein Vertreter der Amſchuldungsbank iſt an jeder der Sitzungen 
beteiligt, er muß bevollmächtigt fein, jederzeit eine rechts verbindliche 
Erklärung abzugeben. 

Dieſe Spruchkammern ſtellen die Stoßtrupps dar, die die Entwirrung 
der verfahrenen wirtſchaftlichen Verhältniſſe auf dem Lande einleiten ſollen. 
Wie dem Führer eines Stoßtrupps im Felde volle Bewegungsfreiheit ein⸗ 
geräumt wird, für deren Ausmitzung er volle Verantwortung trägt, ſo iſt auch 
jede Spruchkammer mit weitgehender Vollmacht auszuſtatten. Das 
Ziel iſt ihnen bekannt, ſie haben aus den ihnen verfügbaren Mitteln diejenigen 
auszuſuchen und anzuwenden — zum Beiſpiel Erlaß einſtweiliger Verfügun⸗ 
gen — die die Erreichung des Zieles unter gerechteſter Abwägung der Inter⸗ 
eſſen der Geſamtheit und demnächſt der Beteiligten gewährleiſten. Ihr Spruch 
hat die Wirkung eines Arteils, gegen das nur in beſonderen Fällen 
das Recht der Berufung bei der Landſtelle gegeben ift. 

Am die Spruchkammern zu ſchnellſter Erledigung ihrer Aufgaben anzu⸗ 
ſtacheln — denn der Satz „Doppelt gibt, wer ſchnell gibt“ iſt nie ſo berechtigt 
geweſen wie hier —, find ihnen nach oben ſtark zu ſtaffelnde Leiſtungs⸗ 
prämien in Ausſicht zu ſtellen, durch die nebenbei verhindert wird, daß ſich 
die Spruchkammern zu Dauereinrichtungen entwickeln. Auf dieſe Weiſe ſowie 
durch Hervorhebung der perſönlichen Verantwortung wird 
die Arbeits freude jedes einzelnen Gliedes der Spruchkammern einen ge⸗ 
waltigen, der Arbeit zugute kommenden Auftrieb erfahren und wird der Ver⸗ 
bürokratiſierung, dem Tode jeder poſitiven Arbeit, aufs wirkſamſte vorgebeugt. 


Die „Osthilfe“ am Scheidewege | 659 


Die weiteft gehende Heranziehung der Gläubiger zur Regelung der Schuld- 
verhältniſſe wird das ſtark erſchütterte Vertrauen der Offentlichkeit wieder 
beleben und zur wirtſchaſtlichen Wiedergeſundung erheblich mehr beitragen, 
als die immer wiederkehrenden Verſprechungen kommender Hilfe, denen auf 
Grund der bisherigen Erfahrungen letzten Endes doch nur noch deklamatoriſcher 
Wert beigelegt wird. Die weiteſt gehende Heranziehung der Gläubiger zu 
allen Entſchuldungsverhandlungen wird nebenbei den Vorteil haben, daß in 
Zukunft nicht mehr ſo häufig wie bisher Amſchuldungsmaßnahmen bei „ent⸗ 
ſchuldungsunfähigen“ Betrieben in den Händen „entſchuldungsunwürdiger“ 
Eigentümer durchgeführt werden. Der Staat als der Träger der ganzen Am⸗ 
ſchuldungsmaßnahmen hat ein grundlegendes Intereſſe daran, durch Zuſam⸗ 
menarbeit mit den Gläubigern über die Anterſtützungs⸗ und Erhaltungswür⸗ 
digkeit ehrlich unterrichtet zu werden. 

Als Leitfaden für eine Verſtändigung zwiſchen Schuldner und Gläubiger 
kann ſehr wohl das Vermittlungs verfahren für die Landwirtſchaft nach der 
Verordnung vom 27. 9. 32 dienen, aber ohne die dazu erlaſſenen, offenſichtlich 
von Intereſſenten beeinflußten e U Re die die Anwend⸗ 
barkeit des Verfahrens aufs ſtärkſte einengen. Durch verhältnismäßig geringe 
Abänderungen wird das Vermittlungsverfahren zu einem wirklich brauchbaren 
Werkzeug der Verſtändigung zwiſchen landwirtſchaftlichen Gläubigern und 
Schuldnern gemacht werden können. Man wende nicht ein, durch die Schaf⸗ 
fung ſolcher Spruchkammern erführe die jetzige Oſthilfe eine Verzögerung. 
Das iſt nicht möglich, denn fie tritt jetzt ſchon fo gut wie auf der Stelle! 
Im übrigen würde das Ausbleiben einer für alle ſichtbaren ſtarken Beſchleuni⸗ 
gung nichts gegen die Spruchkammern als ſolche beweiſen, ſondern nur er⸗ 
kennen laſſen, daß der „große Generalſtab“ in Berlin ſeiner Aufgabe nicht 
gewachſen iſt. 


Die Hilfsmittel 


Die Hilfsmittel, die den Hilfskräften an der „Landhilfe“ zur Verfügung 
ſtehen, find den Eingeweihten bekannt. Sie ſollen hier nur der Vollſtändigkeit 
und Aberſichtlichkeit halber zuſammengeſtellt werden (Neuerfindungen und 
Patentlöſungen Selbſtintereſſierter find nicht darunter !), und zwar in der 
Reihenfolge, in der ihre Anwendung von den Spruchkammern vorzunehmen iſt. 
Zuerſt iſt zu prüfen, ob ſich der Schuldner nicht aus eigenen Mitteln, ledig⸗ 
lich unterſtützt durch die Spruchkammer, aus ſeiner Notlage befreien kann. 
Erſt wenn dieſe Möglichkeit nicht beſteht oder für ſich allein nicht ausreicht, 
kommt der Gläubiger an die Reihe und dann erſt die Allgemeinheit; alſo 
umgekehrt wie bisher! 


1. Hilfe aus eigener Kraft: 
a) Landverkauf, 
b) ſonſtige Heranziehung des Grundvermögens, 
c) Heranziehung betriebsfremden Grundbeſitzes und 
ſonſtigen Vermögens; 
2. Verwandten und Freundeshilfe; 
3. freiwillige Gläubigervergleiche; 
4. Ablöſungsdarlehn zur Ausnutzung von Kursgewinnen; 
9. nd: Gläubigervergleiche; 
6. Amſchuldungsdarlehn. 


660 Otto Jüngst 


Landverkauf 


Das Hilfsmittel des Landverkaufs wird bei Kleinbetrieben ſo gut wie gar 
nicht, bei Mittelbetrieben wenig, bei Großbetrieben dagegen faſt ſtets ange⸗ 
wandt werden können. Dieſes Hilfsmittel iſt unter dem irreführenden Schlag⸗ 
wort „Siedlung“ auf die Bühne der großen Politik gebracht worden und iſt 
dort bisher Gegenſtand oft recht unſachlicher Behandlung geweſen. Anter 
dem Schlagwort „Siedlung“ wird jeder Landverkauf eines Großgrundbeſitzers 
verſtanden, während es nur dort berechtigt iſt, wo die Errichtung eines neuen 
Bauernhofes die Folge der Landabgabe iſt. Dieſe Art des Landverkaufs, die 
allein die Bezeichnung „Siedlung“ zu Recht trägt, wird an Bedeutung ſtark 
überſchattet durch Landverkauf an Grundbeſitzer — meiſt Bauern — der nähe⸗ 
ren oder weiteren Umgebung. Die Behördenſprache nennt das „Anliegerſied⸗ 
lung“ — was ungefähr fo richtig iſt wie „Spazier fahrt zu Fuß“ —, ob- 
wohl es ſich keineswegs um Schaffung neuer Betriebe, ſondern lediglich um 
Vergrößerung bereits beſtehender Betriebe handelt und obwohl nicht nur „An⸗ 
lieger“, d. h. mit Land angrenzende Nachbarn, ſondern auch Käufer aus der 
weiteren Nachbarſchaft in Frage kommen. 

An erſter Stelle ſteht die Verflüſſigung der im eigenen landwirtſchaftlichen 
Grund und Boden ſteckenden Vermögenswerte durch Verkauf abtrennbarer, 
entbehrlicher, vom Stammgut getrennt liegender oder aus anderen Gründen 
völlig unwirtſchaftlicher Teile, ſowie bei Großgütern und Herrſchaften der 
Verkauf ſelbſtändiger oder unſelbſtändiger Vorwerke oder Nebengüter. Da 
Entſchuldung und Schaffung geſunder lebensfähiger Betriebe das Ziel der 
ganzen „Landhilfe“ fein ſoll, muß bei allen Maßnahmen der Betriebsverklei⸗ 
nerung durch Abtrennung von Ländereien die Berückſichtigung betriebswirt⸗ 
ſchaftlicher Geſichtspunkte oberſtes Gebot ſein. In zahlreichen Fällen bedeutet 
die Abſtoßung von Landteilen keinen Nachteil, ſondern einen betriebs⸗ und 

eldwirtſchaftlichen Vorteil für den Landabgeber. Es würde eine Fahrläſſig⸗ 
eit ſowohl dem Schuldner wie ſeinen Gläubigern gegenüber bedeuten, wollte 
man ſolche Vorteile unausgenutzt laſſen. Das Ausmaß der Land⸗ 
abtrennung wird gemeinſam durch die Erforderniſſe des Reſtbetriebes 
und die wohlabgewogenen Rechte der N beſtimmt werden müſſen, d. h., 
es gibt Fälle, in denen die Hälfte des Grundbeſitzes und mehr verkauft werden 
kann, ohne daß dadurch die Daſeinsgrundlage des Schuldners beeinträchtigt 
wird, während es im Gegenſatz hierzu Galle gibt, in denen ſich aus betriebs⸗ 
wirtſchaftlichen Gründen jedwede Abtrennung von Land verbietet, weil ſie 
and zwar zu einer ſchwachen Befriedigung der Gläubiger führen, den 

etrieb aber — auf die Dauer geſehen — rettungslos dem Zuſammenb 
entgegenführen würde. In ſolchen Gallen kann es richtiger fein, den Betrie 
in ſeiner gegenwärtigen Größe zu erhalten und eine Gläubigerbefriedigung 
durch Feſtſetzung einer laufenden Rente vorzuſehen, die dem nach Zinszahlung 
und Abſpaltung eines angemeſſenen Betrages zur Deckung der perſönlichen 
te des Eigentümers verbleibenden Betriebsüberſchuſſe entnommen 
wird. 

Für die Anwendung des wichtigſten Entſchuldungsmittels, des Landver⸗ 
kaufes, ift eine einheitlich zwingende Vorſchrift unmöglich. Die Verhältniſſe 
liegen in jedem Einzelfall verſchieden und bedürfen jeweils ganz beſonders 
ſachkundiger Prüfung. Sie laſſen ſich in einer „Geſamtumſchuldung“ nicht 
erſaſſen! Bei Landverkäufen muß ein gerechter Intereſſenausgleich zwiſchen 


Die „Osthilfe‘ am Scheidewege | 661 


dem Anbieter und Abnehmer herbeigeführt werden. Jede unnötige Bevor⸗ 
mundung des Abnehmers durch Kulturämter, Siedlungsbanken oder -gefell- 
ſchaften zum Schaden der Gläubiger des Anbieters muß unbedingt vermieden 
werden. Die Landverkäufe werden vorgenommen, um den Landabgeber in 
den Stand Mu ſetzen, ſich zu entſchulden, d. h. feine Gläubiger zu bezahlen. 
Dieſe Gläubiger haben einen Anſpruch darauf, daß ein Preis erzielt wird, der 
mit den Intereſſen ſowohl des Käufers wie des Verkäufers vereinbar iſt. Die 
bisherige Gepflogenheit zahlreicher Siedlungsgeſellſchaften, unter dem Druck 
der Verhältniſſe Grund und Boden vom Landabgeber zu Schleuderpreiſen zu 
erwerben und ihn dann, ſelbſt unter Berückſichtigung der von ihr vorgenomme⸗ 
nen Anlagen an Gebäuden uſw., überteuert zu verkaufen, muß ebenſo auf⸗ 
hören wie das oft durch die Verhältniſſe nicht gerechtfertigte Feſtſetzen völlig 
unzureichender, lediglich einſeitig die Käuferintereſſen wahrender Preiſe. 

Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß auf die Wahnvorſtellung mancher Landwirte, 
ihr Anſehen finke mit der Betriebsgröße, keinerlei Rückſicht genommen werden 
kann, wenn der wohlabgewogene Intereſſenausgleich zwiſchen Gläubiger und 
Schuldner nach ſorgfältiger betriebswirtſchaftlicher Prüfung eine Betriebs- 
verkleinerung erheiſcht. Es ſollte im Gegenteil überall und mit allem Nach⸗ 
druck darauf hingewieſen werden, daß der Ruf und das Anſehen eines Land⸗ 
wirtes einzig und allein an ſeiner Tüchtigkeit und dem Erfolge ſeiner Arbeit 
zu meſſen iſt, und daß die Betriebsgröße für eine ſolche Beurteilung einen 
völlig unbrauchbaren Maßſtab darbietet. Die im Landverkauf liegenden Ent⸗ 
ſchuldungsmöglichkeiten können durch geldliche Anterſtützung der 
Kaufliebhaber ganz außerordentlich geſteigert werden. Zur Streckung 
ihrer . und zur Förderung der Hilfe aus eigener Kraft 
ſollte deshalb die Amſchuldungsbank die Hergabe in zwei bis drei Jahren tilg⸗ 
barer Ankaufsdarlehn an Landkäufer ohne Eintragung der oft ſtörenden Wie⸗ 
derkaufsrechte mit beſonderem Nachdruck betreiben. 

Für diejenigen Flächen, die tatſächlich zur Siedlung in des Wortes richtigem 
Sinne kommen, muß die einfachſte Aus bau ſiedlung überall dort das Ziel 
ſein, wo, wie heute faſt überall, nur geringe Mittel zur Verfügung ſtehen. 
Geringe Mittel dürfen nicht dazu führen, Land zu Schleuderpreiſen zu er⸗ 
werben und die Gläubiger des Landwirtes zugunſten nt bevorzugter 
Siedlungsgeſellſchaften zu ſchädigen, ſondern nur dazu, die Siedlung hinſicht⸗ 
lich der Bauten ſo beſcheiden wie möglich zu errichten. Das deutſche Volk iſt 
zur Zeit ſo arm, daß es ſich Luxusbauten nicht mehr leiſten kann. Die Haupt⸗ 
ſache iſt nicht, die Siedler in maſſiven, beſonders teuren Häuſern anzuſetzen, 
ſondern ſie geſund, wohnlich und ſo unterzubringen, daß der nationalpolitiſche 
und volkswirtſchaftliche Sinn der „Siedlung“ erfüllt wird. Dieſes Ziel läßt 
ſich ſelbſt mit noch viel geringeren Mitteln erreichen, als ſie von dem letzten 
Reichsernährungsminiſter genannt worden ſind. 

Es iſt nicht einzuſehen, warum der im verarmten Deutſchland anzuſetzende 
Siedler nicht eine ähnliche Anſpruchsloſigkeit ſollte aufbringen können, die den 
deutſchen Auswanderer kennzeichnet, der ſich in Amerika, Auſtralien oder Afrika 
eine neue Heimat zu gründen ſucht und dort jahrelang, ohne Schaden an ſeiner 
Geſundheit zu leiden, in den einfachſten Behauſungen lebt. Der einfache Bau 
hat den Vorteil, daß ein möglichſt großer Teil der dem Siedler zur Ver⸗ 
fügung ſtehenden Mittel zur Beſchaffung des für den Betriebserfolg ſeiner 
Stelle ausſchlaggebend wichtigen lebenden und toten Beſatzes dienen kann. Er 


662 Otto Jüngst 


bat weiterhin den Vorteil, daß die Wahl des Bauplatzes für die endgültigen 
Gebäude in aller Ruhe nach gründlicher Vertrautheit mit den örtlichen Vere 
hältniſſen getroffen und damit die ſonſt üblichen Fehlgriffe nach Möglichkeit 
vermieden werden können ). 

Aber nicht nur rein geldlich, ſondern auch pſychologiſch geſehen, erſcheint 
die einfachſte Art der Siedlung wertvoller als ein nach den Plänen einer 
Siedlungsgeſellſchaft fertig hingeſtelltes Haus. Der Siedler, der ſeine Ge⸗ 
bäude in der einfachſten Bauart eigenhändig herſtellt, verwächſt mit ihnen und 
feiner Stelle unendlich feſter als der, für den alles von einer Siedlungsgeſell⸗ 
ſchaft zu hohen Preiſen fix und fertig hergerichtet wird. Der letztere fühlt ſich 
nur allzu leicht als „Staatsrentner“ mit einem „Anſpruch“ auf Anterſtützung, 
wenn die mit Wiſſen der öffentlichen Hand überteuerte Stelle ihre Rente ver⸗ 
ſagt. Der erſtere dagegen, der mit eigener Kraft alles ſchafft, wird zu dem, 
was wir vordringlich brauchen, zum freien Bauern. Der Hinweis auf die bis⸗ 
lang noch völlig unausgeſchöpften Möglichkeiten billigſter Siedlung erſcheint 
notwendig, weil er eine weit ſtärkere Heranziehung der in den umzuſchuldenden 
Betrieben ſchlummernden Mittel ermöglicht und damit gleichbedeutend mit 
einer weitgehenden Erſparnis an öffentlichen Amſchuldungsgeldern iſt. Bei 
Verſuchen der Geſundung aus eigener Kraft treten häufig dadurch Schwierig⸗ 
keiten auf, daß die erſtſtelligen Hypothekengläubiger im Hinblick auf den ge⸗ 
ſunkenen Grundſtückswert Rückzahlungsforderungen als Vorausſetzung ihrer 
Pfandentlaſſungserklärung ſtellen, die ein gerechtes Maß überfchreiten und 
den Entſchuldungsverſuch zunichte machen, weil infolge übertriebener Forde⸗ 
rungen des erſtſtelligen Gläubigers Mittel zur Abfindung weiterer Gläubiger 
aus den Landverkäufen nicht verfügbar bleiben. Am derartige Sabotageakte 
erſtſtelliger und anderer Hypothekengläubiger zu vereiteln, iſt es notwendig, 
daß die vorerwähnten Spruchkammern auch die Befugnis erhalten, über den 
Preis von Pfandentlaſſungserklärungen, wenn eine annehmbare friedliche 
Einigung nicht zuſtande kommt, endgültige Entſcheidungen zu fällen. 

Der Landverfauf als Mittel zur Entſchuldung kann im übrigen hier und da 
ſtark gefördert werden, wenn es gelingt, durch Einſatz des freiwilli⸗ 
an Arbeitsdienſtes bisher mehr oder minder ungenutzte 

lächen der allgemein⸗landwirtſchaftlichen Nutzung zu⸗ 
zuführen, ſo daß dieſe Flächen entweder zum Verkauf geſtellt oder aber 
unter Preisgabe entſprechender anderer Flächen in die Bewirtſchaftung ein⸗ 
bezogen werden können. Daß alle bürokratiſchen Hemmniſſe bei Eintragungen 
in die, neben neuzeitlichen Karteien faſt prähiſtoriſch anmutenden Grundbücher 
und bei den Arbeiten der „Siedlungsbehörden“ beſeitigt werden müſſen, wird 
lediglich der Vollſtändigkeit halber erwähnt. 


Sonſtige Heranziehung des Grundvermögens 


Häufig iſt es aus betriebswirtſchaftlichen Gründen nicht möglich, Land zu 
verkauſen, wohl aber, ſtatt deſſen drängende Inhaber ungedeckter Forderungen 
durch die Eintragung langfriſtig tilgbarer Darlehn zu befriedigen. Auch die 
Fälle find nicht ſelten, in denen, oft ſogar vom Gutseigentümer ſelbſt ver- 


*) Hierzu bitten wir, den Aufſatz von A. Ruf im Novemberheft 1932 dieſer 
Monatsſchrift zu beachten. D. Schriftl. 


Die „Osthilfe“ am Scheidewege | 663 


geſſen, im Geſamtbetriebe früher einmal zugekaufte, dem Stammgrundſtück 
aber nicht zugeſchriebene und dementſprechend auch nicht belaſtete Grundſtücke 
vorhanden ſind. Wenn ſolche Stücke, wie das häufig der Fall iſt, aus betriebs⸗ 
wirtſchaftlichen Gründen im Betriebe verbleiben müſſen, beſteht die Möglich⸗ 
keit der Abtretung an Gläubiger und Anpachtung von dieſen, oder aber der 
Gläubigerbefriedigung durch Eintragung einer grundbuchlichen Sicherheit. 


Heranziehung betriebsfremden Grundbefiges 

Im Rahmen der Oſthilfe iſt der Blick zunächſt ſtets auf die Landwirtſchaft 
gerichtet. Es wird infolgedeſſen hier und da überſehen, daß neben landwirt⸗ 
ſchaftlichem auch ſtädtiſcher Grundbeſitz vorhanden ſein kann. Es iſt ſelbſtver⸗ 
ſtändlich, daß ſolcher Grundbeſitz — ſei es durch Verkauf oder durch Belaſtung 
— zur Entſchuldung in vollſtem Amfange herangezogen werden muß. Für 
Wertpapiere, Hypotheken, Beteiligungen an Erwerbsunternehmen, Bürg⸗ 
ſchaften, für die der Landwirt in Anſpruch genommen iſt und aus denen er 
dementſprechend Forderungen beſitzt, uſw. gilt das gleiche. 


Verwandten und Freundeshilſe 


Oft find Freunde oder Verwandte bereit, durch Betriebszuſchüſſe oder 
Gläubigerbefriedigung zu helfen, wenn ihnen die Gewähr gegeben wird, daß 
mit einer ſolchen Hilfe ein tatſächlicher, endgültiger Erfolg erzielt werden 
kann. Auch dieſe Möglichkeit ſollte mehr als bisher ausgenutzt werden. 


Freiwillige Gläubigervergleiche 

Freiwillige Vergleiche mit Gläubigern find ſchon ſeit jeher eines der Haupt⸗ 
mittel der Entſchuldung nicht nur landwirtſchaftlicher Betriebe, ſondern aller 
Zweige der Wirtſchaft geweſen. Ihre Hervorhebung geſchieht hier nur der 
Vollſtändigkeit halber. Daß freiwilligen Vergleichen der Vorzug vor Zwangs⸗ 
vergleichen gegeben werden muß, iſt ſelbſtverſtändlich. 

Die Vergleichsgeneigtheit muß überall dort, wo im Rahmen der „Land- 
hilfe“ Schuldenablöſung vorgeſehen iſt, durch ſofortige Barauszahlung 
aufs m. angeregt werden. Wenn die Spruchlammer beim Cingeben auf 
ihren Vorſchlag zu ſofortiger Zahlung ermächtigt ift, wird fie Nachläſſe 
von 50 % und mehr erzielen, wo ſonſt nur 25 % zu erreichen find! Dieſe 
Möglichkeit muß unbedingt ausgenutzt werden. Bargeld lachte ſchon immer, 
aber heute mehr denn je! 


Ablöſungsdarlehn zur Ausnutzung von Kursgewinnen 

Die Amſchuldungsbank muß Darlehn zur Ablöſung von Hypotheken und 
ähnlichen Verbindlichkeiten, bei denen durch die Ablöſung ein Kursgewinn zu 
erzielen iſt, der für die Entſchuldung nutzbar gemacht werden kann, in größtem 
Amfange zur Verfügung ſtellen. In erſter Linie kommen hier Amerika⸗Anleihen, 
Landſchaftshypotheken uſw. in Frage. Bei einigen Amerika ⸗Anleihen find 
zur Zeit noch — früher ſind ſie höher geweſen — Kursgewinne von annähernd 
40 % zu erzielen. Wenn auch die Schwierigkeiten, die mit ſolcher Ablöſung 
möglicherweiſe verbunden ſind, nicht unterſchätzt werden, ſo müſſen im Intereſſe 
der Bereinigung der Verhältniſſe doch Mittel und Wege gefunden werden, 
die zu einer möglichſt umfaſſenden Ausnutzung dieſer Hilfsquelle führen können. 


664 Otto Jüngst 


Zwangsweiſe Gläubigervergleiche 


Bei zwangsweiſen Gläubigervergleichen wird zunächſt nur eine Kürzung 
der Zinsrückſtände und erſt, wenn dieſe nicht ausreicht, eine Kürzung der Ka⸗ 
pitalforderungen vorgenommen werden. Da nicht damit zu rechnen iſt, daß 
die große und mächtige Gruppe öffentlich- rechtlicher Hypothekeninſtitute (Land⸗ 
ſchaften, Hypotheken⸗ und Pfandbriefbanken uſw.) in unmittelbaren Verhand- 
lungen mit einzelnen Gläubigern für die Zukunft freiwillig Zinsſenkungen 
bewilligen werden, bleibt nichts anderes übrig, als den bereits durch Not⸗ 
verordnung beſchrittenen, aber nicht zu Ende gegangenen Weg geſetzlicher 
zwangs mäßiger Zinsſenkung weiter zu verfolgen. Angeſichts der 
Gefahren, die durch erneute Zwangszinsſenkungen in Geſtalt von Erſchütte⸗ 
rungen des Vertrauens in deutſche Zinsverſprechungen auftreten können, wäre 
es fraglos vorteilhafter, wenn an Stelle zwangsweiſer Zinsſenkung eine frei- 
willige Zinsſenkung träte. Es beſteht auch kein Zweifel darüber, daß eine 
Vielzahl der Gläubiger der Landwirtſchaft vernünftig genug iſt, fic angefichts 
der Gegenwartsverhältniſſe und Zukunftsausſichten lieber mit verringertem 
Kapital und verringerten Zinſen zufriedenzugeben, als auf ihrem „Schein“ zu 
beſtehen und dabei Gefahr zu laufen, alles zu verlieren. Bei der völlig ab⸗ 
lehnenden Einſtellung der Hypothekenbanken und Landſchaften bleibt jedoch 
nichts anderes übrig, als eine allgemeine Zinsſenkung kraft Geſetzes anzuordnen. 

Die Frage der Kürzung von Kapitalforderungen verlangt die 
Beachtung folgender Geſichtspunkte: Die allgemeine Entwertung landwirt- 
ſchaftlich genutzten Grund und Bodens iſt zu weitgehend, als daß ſie nur als 
Konjunkturerſcheinung gewertet werden könnte. Im Hinblick auf die allge⸗ 
meine Weltwirtſchaftslage kann mit einem Wiederanſtieg der noch vor drei 
Jahren vielfach überhöhten und ſeither jäh abgeſtürzten Bodenpreiſe auf Vor⸗ 
kriegshöhe keinesfalls gerechnet werden. Man wird vielmehr davon ausgehen 
müſſen, die Gegenwartspreiſe als die für den Augenblick richtigen zu betrachten. 
Es ijt unendlich viel wichtiger, die Schuldverhältniſſe ſofort zu bereinigen 
und alle Beteiligten ſofort willen zu laſſen, womit fie in Zukunft zu rechnen 
haben, als ſcheinwiſſenſchaftliche Anterſuchungen und tiefſchürfende Mut⸗ 
— über die Möglichkeiten zukünftiger Vodenpreisentwicklung anzu⸗ 

ellen. 

Die als gegeben anzuſehende Entwertung des Bodens und aller landwirt- 
ſchaftlichen Betriebe bedeutet für alle Darlehnsgeber eine Wertminde- 
tung ihrer Darlehns unterlagen. Dementſprechend find für alle Darlehns⸗ 
geber angemeſſene Abſchreibungen vom Kapital erſorderlich unter gerechter 
Würdigung der gegenwärtigen wahren Werte. Dieſe Notwendigkeit trifft 
den grundbuchlich geficherten ebenſo wie den ungeficherten Gläubiger, nur in 
verſchiedenem Maße. Hier heißt es, einen gerechten Gradmeſſer zu finden, als 
der keinesfalls die grundbuchliche Nangſtelle betrachtet werden kann. Der 
bedingungsloſe Schutz der erſten Hypothek muß eindeutig 
beſeitigt werden. 

Die keinesfalls ſeltenen Fälle von vornherein erfolgter Aberbeleihung ſelbſt 
durch öffentlich⸗rechtliche Darlehnsgeber laſſen den allgemeinen geſetzlichen 
Schutz aller erſten Hypotheken als grobe Angerechtigkeit erſcheinen, die die 
nachſtehenden grundbuchlichen und ungeſicherten Gläubiger in beſondere Ver⸗ 
luſtgefahren bringt. Das Gemeinwohl verlangt in ſolchen Fällen unbedingt 
eine ſtarke Kürzung des keineswegs immer mit der erforderlichen Vorſicht 


Die ,,Osthilfe“ am Scheidewege | 665 


gegebenen erſten Darlehns zugunſten der Folgegläubiger, die ſich — wo es 
ſich um öffentlich⸗ rechtliche Stellen als Geber der erſten Hypothek handelt — 
oft in der Beurteilung des Wertes und der Sicherheit mangels eigener Ein- 
ſichtmöglichkeiten den erſtſtelligen Gläubiger zum Vorbild genommen haben. 

Wenn ſchon allgemein im Hinblick auf den Rückgang aller Werte bei Ka⸗ 
pitalskürzungen vor erſten Hypotheken nicht haltgemacht werden darf, ſo be⸗ 
ſonders nicht bei den ſoeben erwähnten. Es wird Aufgabe des Geſetzgebers 
und der Spruchkammern ſein, eine Staffelung ausfindig zu machen, die den 
verſchiedenartigen Intereſſen der umzuſchuldenden Betriebe und deren Gläu⸗ 
bigern auf der einen und den Pfandbrief- uſw. Gläubigern auf der andern 
Seite gerecht wird. Die völlig willkürlich anmutende und jeder Nedhtsgrund- 
lage entbehrende bisherige verſchiedenartige Behandlung der Gläubiger muß 
unter allen Amſtänden zugunſten einer organiſchen, den jeweiligen Verhält⸗ 
niſſen individuell Rechnung tragenden Intereſſenabſtufung weichen. 

Was beim freiwilligen Vergleich über ſofortige Barauszahlung geſagt 
worden iſt, gilt natürlich auch hier. Im übrigen ſoll unbare Befriedigung 
(Entſchuldungsbriefe) möglichſt nur bei Großgläubigern vorgenommen wer⸗ 
den, die die Möglichkeiten für die Anterbringung der Entſchuldungsbriefe 
beſitzen und keine Gefahr laufen, bei der Verwertung erneute Verluſte zu er⸗ 
leiden. Am den großen Schwierigkeiten zu entgehen, die bei den gegenwärtigen 
Amſchuldungsmaßnahmen durch den während des Verfahrens laufenden Zins⸗ 
zuwachs — der mit dem zu Beginn aufgeſtellten Entſchuldungsplan nicht in 
Einklang zu bringen iſt — entſtehen, iſt in Zukunft einheitlich vom Tage der 
Aufftellung des Entſchuldungsplanes an der Lauf ſämtlicher Zinſen zu unter⸗ 
brechen, d. h. während des Verfahrens, deſſen Dauer in Zukunft nur noch 
einen Bruchteil des bisherigen betragen wird, dürfen keinerlei neue Zinſen 
entſtehen. Bei der Regelung der Schuldverhältniſſe hat man es nur noch mit 
feſtſtehenden und nicht mehr mit täglich ſich vermehrenden Zinsrückſtänden 
zu tun. 


Amſchuldungsdarlehn 


Die hypothekariſch zu ſichernden Amſchuldungsdarlehn, die jetzt ſeitens der 
Bank für deutſche Induſtrie⸗Obligationen gewährt werden, und mit denen 
heute hauptſächlich die Oſthilfe beſtritten wird, find z. 3. auf eine Durch- 
ſchnittsjahresleiſtung an Zinſen und Tilgungsbeträgen von 8,7 % abgeſtellt. 
Dieſer Satz iſt für den verfolgten Zweck entſchieden zu hoch. Es muß erreicht 
werden, ihn erheblich zu ſenken, ohne die jetzige Tilgungsfriſt von 33 Jahren 
weſentlich zu verlängern. Die Auszahlung der Amſchuldungsdarlehn erfolgt 
heute zum größten Teile in Entſchuldungsbriefen. Ohne die Zweckmäßigkeit 
dieſes Verfahrens hier erörtern zu wollen, muß doch für den Fall ſeiner Bei⸗ 
behaltung angeſichts des Zieles tatkräſtiger Wirtſchaftshilfe angeſtrebt wer⸗ 
den, die Auszahlung in Entſchuldungsbrieſen auf Großgläubiger zu beſchrän⸗ 
ken und die vorſtehend bereits erwähnte pſychologiſche Wirkung der ſofortigen 
Vargeldablöſung im Intereſſe der Allgemeinheit aufs äußerſte auszunutzen. 
Daß die Entſchuldungsbriefe bei der Schuldablöſung vollwertig ſein und nicht, 
wie jetzt, nur mit erheblichen Kurseinbußen abzuſetzen ſein dürfen, iſt eine 
Selbſtverſtändlichkeit, weil ſonſt die Gläubiger, die in Entſchuldungsbriefen 
befriedigt werden, neben der — möglicherweiſe im Vergleichswege gewährten 


666 Edmund Schmid 


Kürzung ihrer Forderungen — noch einen weiteren Verluft bei Veräußerung 
der Briefe erleiden, alfo mo geſchädigt würden. 

Gleichzeitig mit der Amſchuldung ſind im Rahmen der „Landhilfe“ zur 
Vermeidung erneuter Verſchuldung landwirtſchaftlicher Betriebe beſtimmte 
Maßnahmen — beiſpielsweiſe Feſtſetzung einer, gegebenenfalls grundbuchlich 
einzutragenden, Verſchuldungsgrenze, Eingliederung der umgeſchuldeten Wee 
dae : Arbeitsgemeinſchaften an Stelle polizeilicher Aberwachung uſw. — 
vorzuſehen. 

Nur auf dieſe Weiſe kann den Hilfsmaßnahmen ein Dauererfolg beſchieden 


fein! 
* 


Die Ausführungen haben, ohne in der Aufzählung erſchöpfend zu fein, be⸗ 
wieſen, daß Hilfskräfte und mittel zur Durchführung einer „Einzelumſchul⸗ 
dung“ zur Verfügung ſtehen. Nicht ein Verſuch wird gefordert, ſondern nur 
die planmäßige, organiſche Durchſührung in der Praxis erprobter Maßnah- 
men! Nicht eine Vergewaltigung, wie ſie eine „Geſamtumſchuldung“ dar⸗ 
ſtellen würde, ſondern gerechte Löfung auf dem Boden gegebener Tatſachen! 

Die Hilfskräfte ſtehen bereit — ſie erwarten den Führer 
und feine Befehle! 


Edmund Schmid: 
Zefte oͤeutſche Koloniſationsarbeit in Rußland 


Die Wende des 19. Jahrhunderts ſah die letzte große, organiſierte Anſied⸗ 
lung deutſcher Bauern im Auslande. Die Zarin Katharina II. hatte weite 
Flächen Landes im Oſten, an der Wolga, und im Süden, am Schwarzen 
Meere, erworben. Am ihren Beſitz zu feſtigen und die Steppenflächen der 
Kultur zu erſchließen, rief ſie Koloniſten herbei. Was lag näher, als daß ſie, 
die deutſche Prinzeſſin, dieſe Koloniſten aus Deutſchland holte, das immer 
fremden Ländern die Koloniſatoren und Kulturträger gegeben hatte? War 
nicht Rußland ſchon von je eine deutſche Kolonie, angefangen von den erſten 
Machtträgern, den ſagenhaften Warägern, die in Wirklichkeit Franken waren, 
bis zu den großen deutſchen Handwerkerkolonien der ruſſiſchen Städte im 
Mittelalter und den Handelsniederlaſſungen der deutſchen Hanſa? So berief 
denn Katharina II. deutſche Koloniſten an die Wolga, und ſpäter ſie und 
Alexander I. an die Afer des Schwarzen Meeres. Die Koloniſation war 
organiſiert von der Werbung an, ebenſo die Reiſe und die erſten Anterkünfte. 
Auf ihren Stellen angelangt, blieben die Koloniſten in ihrer Arbeit ſich ſelbſt 
und dem Elend überlaſſen. Erſt ſpäter wurden für ihre Verwaltung eigene 
Fürſorge⸗Komitees geſchaffen. Neben den beiden Hauptſiedlungen an der 
Wolga und am Schwarzen Meer gingen Nebenſtröme einher, die ſich auf 
verſchiedene Gebiete des ruſſiſchen Reiches verteilten. Arſprung und Art ihrer 


Letzte deutsche Kolonisationsarbeit in Rußland 667 


Niederlaſſung ſowie ihre wirtſchaftliche Entwicklung find ſehr verfchieden. 
Deutſchland kennt in der breiten Offentlichkeit eigentlich nur die deutſchen 
Kolonien an der Wolga. Der Name „Wolga“ iſt eben bekannter, und ſo 
ſchreibt einer dem anderen nach und eine Zeitung der anderen, wenn von deut⸗ 
ſchen Bauern in Rußland die Rede iſt; es ſind dann eben immer die deutſchen 
Koloniſten der Wolga. 

Es gibt aber eine ganze Reihe deutſcher Bauernſiedlungen im ehe⸗ 
maligen ruſſiſchen Reiche, jede von ganz beſtimmtem Charakter und beſonderer 
Eigenart. Herausgeber und Schriftleiter geben mir Gelegenheit, in der „Deut⸗ 
ſchen Agrarpolitik“ neuerdings über dieſe bedeutende agrarpolitiſche Erſchei⸗ 
nung der deutſchen Öffentlichkeit zu berichten). Es ſollen hier zunächſt die 
einzelnen Koloniſationsgruppen angeführt und über ihre Entſtehung, ihre Art 
und ihre wirtſchaftliche Entwicklung kurz berichtet werden. In einem weiteren 
Aufſatz ſoll dann die Verfaſſung der Gruppe am Schwarzen Meer geſchildert 
werden, die im vergangenen Jahrhundert eine ungeheure koloniſatoriſche Tä⸗ 
tigkeit entfaltet hat, die ſelbſt die Koloniſationstätigkeit der Neuen Welt ver⸗ 
hältnismäßig in den Schatten ſtellt. 


Gruppierung der deutſchen Koloniſation in Rußland 


1. Die baltiſche Gruppe 


Sie iſt die älteſte und bekannteſte der deutſchen Kolonien in Rußland. Ihre 
Anlage erſolgte nicht von Rußland, ſondern vom alten Deutſchen Reich, von 
den Hanſaſtädten aus und den deutſchen Nitterorden. Erſt ſpät wurde fie dem 
ruſſiſchen Reiche einverleibt und kann und muß deshalb in unſerer Gruppie- 
rung aufgeführt werden. Geſchichte und Art dieſer deutſchen Niederlaſſung 
find wohl am beſten bekannt und erfahren demnächſt in dieſer Zeitſchrift eine 
eingehende Darſtellung von berufener Seite. Ich kann mich daher hier auf eine 
ganz kurze Charakteriſierung beſchränken, um ſie in ein richtiges Verhältnis 
zu den übrigen deutſchen Gruppen in Rußland zu bringen. Die baltiſche 
Siedlung iſt eine ausgeſprochene Herrſchaftsſiedlung ſowohl in der Stadt, 
noch mehr auf dem Lande. Dieſe Herrſchaftsſiedlung wurde nicht untermauert 
durch den Nachzug und die Anſiedlung deutſcher Bauern, ſondern beließ die 
eingeborenen Völker der Letten und Eſten in ihrem beſchränkten Beſitz. Das 
Feudalſyſtem fand hier eine ganz ausgeprägte Geſtaltung. — 


2. Die polniſch⸗wolyniſche Gruppe 


Dieſe Gruppe bildet in politiſch⸗ſozialer Beziehung genau das Gegenſtück 
der baltiſchen Gruppe. Deutſche Bauern und Arbeiter kamen zu fremden Land⸗ 
befigern, um in ihrem Dienſt oder in Pachtverhältnis das Land zu bearbeiten. 
Schon im 13. Jahrhundert hatte die deutſche Anſiedlung in Polen begonnen 
und dauerte, allerdings mit großen Anterbrechungen, bis zum Ende des 18. 


) Im Jahre 1917 erſchien im Verlage der „Deutſchen Landbuchhandlung, 

G. m. b. H., Berlin“ von dem gleichen Verfaſſer die Schrift: Die deutſchen Bauern 

in Südrußland. Mit Anterſtützung der Geſellſchaft zur Förderung der inneren 

„Koloniſation herausgegeben von E. Schmid Frankfurt a. O. Die Schrift ift in 
6000 Exemplaren erſchienen und dürſte heute vergriffen ſein. D. V. 


668 Edmund Schmid 


Jahrhunderts, um zu dieſer Zeit mit erneuter Kraft einzuſetzen. Dieſe neue 
Anſiedlungsbewegung hält durch das ganze 19. Jahrhundert an. Die älteren 
Anſiedlungen waren auf Einladung der polniſchen Fürſten erfolgt. Die große 
Maſſe der neueren Anſiedler, beſonders im 19. Jahrhundert, iſt dagegen aus 
eigenem Antriebe eingewandert, als Arbeiter, Pächter und Verwalter, in 
fortdauerndem Zuzuge von Preußen aus. Immer weiter drangen ſie in Polen 
vor in breiten Streifen von Weſt nach Oſt, in die Gouvernements Kaliſch, 
Petrikau, Plotzk und Warſchau. Einen beſonders kräftigen Anſtoß gewann 
dieſe Einwanderung in den Jahren 1791 — 1806, als dieſe polniſchen Pro- 
vinzen in der zweiten Teilung Polens Preußen zugeſprochen worden waren. 
Als bei den polniſchen Aufſtänden in den Jahren 1830/31 und 1862/64 die 
deutſchen Bauern ſich den Aufſtändiſchen nicht anſchließen wollten, wurden ſie 
von den Polen ſchwer verfolgt. Viele von ihnen wanderten deshalb weiter 
nach Südoſten, in das Gouvernement Wolynien und in ſchwächerem Strome 
in das Gouvernement Kiew. In Wolynien hatte es auch ſchon vordem deutſche 
Anſiedlungen eee deren ältefte vom Jahre 1765 aus der Gegend von 
Frankfurt a. M. ftammte. 


Alle dieſe deutſchen Siedler waren ſowohl in Polen als auch in Wolynien 
und Kiew in verhältnismäßig ſtark bevölkerte Gegenden mit alteingeſeſſenem 
Landadel von annähernd weſteuropäiſcher Kultur gekommen. Deshalb iſt es 
nur ſelten zur Gründung geſchloſſener deutſcher Dörfer und Gebiete gekommen, 
am häufigſten noch in Wolynien ). And ebenſo iſt es nur wenigen Deutſchen 

elungen, fich ſelbſtändige größere Gutsbefige zu erwerben. Die Mehrzahl, in 
Polen bis zu 90 %, iſt Pächter geblieben. Zerſtreut und eingekeilt zwiſchen 
den kulturell tieferſtehenden polniſchen und ukrainiſchen Bauern und den 
maſſenhaft dort wohnenden Juden, konnten ſie nur in den mittleren polniſchen 
Geſellſchaftsſchichten Anſchluß finden. Als die nationaliſtiſchen Bewegungen 
entſtanden, verfielen die Deutſchen in Polen vielfach dem Einfluſſe dieſer 
Kreiſe. Am fo mehr, als der polniſche Nationalismus beſonders unduldſam 
und agreſſiv iſt, die Agitation aber häufig in der beſtechend liebenswürdigſten 
Gorm erfolgte. Verfielen dieſen Einflüſſen doch ſelbſt proteſtantiſche Paftoren- 
kreife, die ſonſt zu den widerſtandsfähigſten deutſchnationalen Elementen ge⸗ 
rechnet werden. Damit minderte ſich der Widerſtand gegen die Poloniſierung, 
der ſeinen feſteſten Halt im Anterſchiede der Konfeſſion findet. Der Name des 
Paſtorenführers „Burſche“ ſteht in diefer Beziehung in übelſtem Andenken. 
In Wolynien waren die nationalifierenden Einflüſſe ſchwächer. Hier hat ſich 
das Deutſchtum unter den Koloniſten beſſer erhalten. 


Den deutſchen Bauern in dieſen Gebieten fehlten ſomit die geſchloſſene An- 
ſiedlung, der feſtgewurzelte Beſitz und angeſtammte oder verliehene Rechte. 
Selbſt in politiſcher Beziehung kamen ſie zu keinem klaren Verhältnis zum 
ruſſiſchen Staate. Manche von ihnen waren deutſche Staatsangehörige ge⸗ 
blieben, viele hatten die deutſche Staatsangehörigkeit verloren, ohne die ruſſiſche 
zu erwerben. Dieſer letztere Amſtand gab der ruſſiſchen Regierung die Mög⸗ 
lichkeit, hier leichter und erfolgreicher zerſtörend einzugreifen. And als das Rad 
der Verfolgung einmal im Rollen war, wurden in den Topf der deutſchen und 


) Im Gouvernement Warſchau werden in der Zeit von 1880 — 1890 neben 
61 rein deutſchen Dörfern 586 gemiſchte Anſiedlungen gezählt. 


Letzte deutsche Kolonisationsarbeit in Rußland 669 


ſtaatenloſen Koloniſten ohne weiteres auch die ruſſiſchen Untertanen deutſcher 
Nationalität geworfen ). 

Als nun im Kriege Polen und Wolynien zum Kriegsſchauplatze wurden, 
wurden die deutſchen Bauern, ſoweit man ihrer noch habhaft werden konnte, 
ausgefiedelt und in den Often Rußlands und nach Sibirien geſchickt. Nach 
Friedensſchluß durften fie zurückkehren, fanden aber vielfach ihre Höfe, ſoweit 
fie noch beſtanden, von Nuſſen beſetzt vor. Die damalige deutſche Beſatzung 
tat ihr Möglichſtes, um den Zurückkehrenden zu ihrem Rechte zu verhelfen. 
Ihr großes Anglück begann aber erſt nach dem allgemeinen Friedensſchluſſe. 
Ein Teil von Wolhynien blieb bei der Akraine und wurde damit den Volſche⸗ 
wiſten ausgeliefert. Der andere kam zu Polen, wo es ihnen nicht viel beſſer 
erging. Das perfide Vorgehen Polens erhellt aus der Anwendung eines 
polniſchen Geſetzes vom Jahre 1924. Dieſes beſtimmt, daß alle Pächter Eigen⸗ 
tümer werden, wenn ſie nicht länger als ein Jahr abweſend geweſen waren. 
Da nun die deutſchen Pächter drei Jahre nach Innerrußland verſchickt ge⸗ 
weſen waren, verloren ſie ihre Pachten und wurden auf die Straße geſetzt. 
Von der polniſchen Enteignungspolitik wurden über 300 000 ha deutſchen 
Klein- und Großgrundbeſitzes betroffen. Vor dem Kriege wohnten in dieſem 
Gebiete 100 000 Deutſche, jetzt 48 000. 50 deutſche Kolonien find ganz ver⸗ 
ſchwunden, in 60 früher rein deutſchen Kolonien ſind die Deutſchen heute in 
der Minderheit. Von 560 deutſchen Schulen, die 1919 noch beſtanden, find 
heute noch kaum 100 übrig. 

Dem Antergang geweiht! 

Aber Bevölkerungs⸗ und Befitzverhältniſſe im polniſch⸗wolyniſchen Gebiet 
vor dem Kriege geben folgende Ziffern Aufſchluß: Geſamtbewohner 12 391 753; 
Deutſche 700 000, deutſche Bauern 300 000. Geſamtfläche 206787 Quadrat- 
werſt ) = rund 20 Mill. Deßj. Davon in deutſcher Bewirtſchaftung rund 
1000 000 Dßji., in Cigenbefig rund 500 000 Deßi. 


3. Die Petersburger Gruppe 


Im Jahre 1765 gründeten 110 Brandenburger und Württemberger Fa⸗ 
milien 3 deutſche Kolonien im Gouvernement Petersburg. Im Jahre 1768 
bildeten 67 Pfälzer Familien 3 weitere Kolonien. Beide dürften von den 
nach der Wolga wandernden deutſchen Koloniſten abgeſplittert ſein. Im Jahre 
1808 wurde Kronſtadt, in den Jahren 1810— 1812 5 weitere deutſche Kolo⸗ 
nien gegründet, darunter Peterhof und Oranienbaum. Im Jahre 1843 er⸗ 
folgte die letzte Gründung, die Kolonie Suamen. Dieſe 13 deutſchen Kolo⸗ 
nien umfaßten zu dieſer Zeit 3035 Seelen. Sie beſchäftigten ſich mit Land« 
wirtſchaft (Kleinbau) und in der Nähe der Städte mit Lohnfuhrwerkerei. 


4. Die Wolgagruppe 


Dieſe wurde in den Jahren 1764 — 1776 in den Gouvernements Garatow 
und Samara zu beiden Seiten der Wolga gebildet. Die Anzahl der anſänglich 


*) In Wolynien zählte man vor dem Kriege unter den deutſchen Bauern 68 830 
ruſſiſche Staatsangehörige mit 162 872 Deßj. Landbeſitz und 18 301 deutſche 
Staatsangehörige mit 290 912 Deßj. Landbeſitz. 1 Deßj. = 1,09 ha. 

**) 1 Werft = 1,067 km. 


670 Edmund Schmid 


gegründeten deutſchen Kolonien betrug 104 mit 23 184 Seelen. Die Anfied- 
lung dieſer deutſchen Bauern bildete den erſten Verſuch der ruſſiſchen Regie ⸗ 
rung unter Katharina II., durch eine größere Koloniſation die weiten neu⸗ 
erworbenen Provinzen planmäßig zu bevölkern und einer geordneten Wirt⸗ 
ſchaft zuzuführen. Ein Verhältnis von Gutsherrſchaft zu Pächtern oder Hö⸗ 
rigen kam hier nicht in Betracht. Es war eine ausſchließliche Bauernſiedlung. 
Das den Anſiedlern von der Regierung zugewieſene Land (Kronland) wird 
Eigentum der Gemeinde, ſie ſelbſt ſind freie Bauern. Das erlangte ſeine große 
Bedeutung durch den Amſtand, daß die ruſſiſchen Bauern damals noch durch 
hundert Jahre der Leibeigenſchaft unterlagen. Die erſte Generation der Wolga⸗ 
koloniſten hatte ſchwer zu leiden unter Kirgiſeneinſällen und im Pugatſchow⸗ 
ſchen Aufſtand. Als die Zeiten ſicherer wurden, nötigte die Regierung den 
deutſchen Kolonien die altruſſiſche Landordnung des „Mir“ auf (im Jahre 
1816), die die uneingeſchränkte Entwicklung eines freien, ſelbſtändigen Bauern⸗ 
une unterband. Das der Gemeinde zugewieſene Land iſt Gemeinbeſitz. 

lle männlichen Gemeindeangehörigen ohne Anterſchied des Alters, der Be⸗ 
ſchäftigung und des Wohnortes haben gleiches Recht auf gleiche Teile des 
Landes. Alle zwölf Jahre fand die Neuverteilung (Revifion) ſtatt, auf Antrag 
der Gemeindemitglieder auch in kürzeren Abſtänden. Gemeinſamer Befitz 
führte zu gemeinſamer Wirtſchaft. Der Vater behielt ſeine Söhne, auch nach⸗ 
dem ſie ſich verheiratet hatten, bei ſich zu Hauſe und zog ſelbſt die Schwieger⸗ 
ſöhne nach Möglichkeit in ſein Haus, um recht viele männliche Familienglieder 
aufweiſen und ſo möglichſt viele Landanteile auf ſich vereinigen zu können. 
Viele Kinder waren Reichtum. Knaben brachten Land mit ſich, Mädchen 
Arbeitskräfte. Das Land wurde gemeinſchaftlich unter der Leitung des Alt- 
vaters bearbeitet. Es ergab ſich eine patriarchaliſche Familienwirtſchaft mit 
all ihren guten und ſchlimmen Folgen. Anfänglich, ſolange die Bevölkerung 
noch nicht zu ſtark angewachſen war, ergab dieſe Betriebsart ſtarke Gemeinden 
mit gutem Wohlergehen, ſelbſt einer Art Wohlhabenheit. In der Mitte des 
19. Jahrhunderts bekamen die Wolgakoloniſten zur Neugründung von Dör⸗ 
fern einen Teil des Reſervelandes zugewiefen, das ihnen urſprünglich zugeſagt 
war. In die Jahre 1850 — 1880 fällt die Blüte ihres Wohlſtandes. Mit der 
Zeit aber wuchſen die Dörfer über ſich ſelbſt hinaus. Manche kamen auf Gee 
völkerungsziffern von 5000, 8000 und 10 000 Seelen und darüber. Der Land- 
beſitz aber wuchs nicht mit, die Landanteile wurden immer kleiner. Damit 
begann die Verarmung. Gerade in den kritiſchen Jahren zu Ende des 19. Jahr⸗ 
hunderts vernichtete die Regierung den einträglichen Tabakbau der deutſchen 
Wolgakoloniſten durch Einführung der Akziſe. Eine Reihe von Mißernten 
in den Jahren 1887 — 1894 gab den Kolonien den Reft. Die Wirkung war fo 
ſchlimm, daß die ganze Wolgagegend, der Kaukaſus und das Schwarzmeer⸗ 
gebiet von den vor dem Hunger fliehenden armen Saratowern und Samarern 
überſchwemmt wurde. Ganze Familien verfielen dem Vettel. 

Der patriarchaliſche Betrieb im gemeinſamen Haushalte mit den vielen 
Familienangehörigen hatte die Anternehmungsluſt des Einzelnen gebunden, 
hatte bei Männern Faulheit erzeugt, da die Arbeit den vielen Frauen zufiel. 
Die ganze Aufmerkſamkeit war auf Wahrung des Anteils am gemeinſamen 
Beſitz gerichtet. Die Koloniſten empfanden keine Nötigung, ſich eigenes Land 
zu erwerben. Solange es ihnen gut ging, fehlte der Anlaß, und als es ihnen 
ſchlecht ging, das Geld. Ein bedeutender ſelbſtändiger deutſcher Gutsbeſitz 


Letzte deutsche Kolonisationsarbeit in Rußland 671 


in gekauftem Eigentum konnte fid fo in den beiden Gouvernements Saratow 
und Samara nicht entwickeln. Der äußere Zuzug in dieſe Bezirke kam vom 
Süden. So gründeten die Mennoniten von 1858 —1866 eine Reihe von Nie⸗ 
derlaſſungen im Gouvernement Samara. Bei alledem find die deutſchen 
Wolgakoloniſten keineswegs ohne Intelligenz und Tatkraft. Sobald fie ſich 
dem Sumpfe ihrer Familienwirtſchaft 1 und ſich auf eigene Füße ſtell⸗ 
ten, leiſteten ſie nicht ſelten Gutes und Vorzügliches und kamen vorwärts. 
Die vornehmſte Straße in Saratow, die „deutſche Straße“, kennt eine Reihe 

roßer Geſchäfte, die den deutſchen Koloniſten gehören. Stark find fie auch im 
Holz. und Getreidehandel vertreten, und die Mühleninduſtrie in der Wolga⸗ 
gegend wurde faſt ganz von ihnen beherrſcht. In manchen Gegenden wurde 
zur Winterzeit von den deutſchen Koloniſten auch die Weberei als Haus⸗ 
induſtrie ſtark gepflegt. Ihr Produkt, die Saratower Sarpinka, wurde von 
der ruſſiſchen Frauenwelt hoch geſchätzt. 


Kurze Zeit vor dem Kriege, die letzten 10 bis 15 Jahre, fetzte eine wirt⸗ 
ſchaftliche Wiedererſtarkung der deutſchen Wolgakolonien ein. Landwirt- 
ſchaſtliche Maſchinen fanden im Betriebe Benutzung, Anſiedlung in Sibirien 
und Auswanderung nach Amerika erleichterten die Kolonien und vermehrten 
den Landbeſitz der Zurüdbleibenden. — 


Auf der anderen Seite führte dieſe Intelligenz auch zu Erſcheinungen, die 
weniger erfreulich waren. Die Wolgakoloniſten waren immer bekannt durch 
einen bei ihnen vorherrſchenden Radifalismus. Da mag die Mirverfaſſung 
ihren Anteil daran haben. Am ſtärkſten prägte fic) dieſer Nadikalismus aus, 
und zwar nach der politiſchen Seite, in der ſogenannten Intelligenz, den Leh⸗ 
rern und Verwaltungsbeamten. Dieſe neigte ſtark z. T. zu der offiziellen 
ruſſiſchen Seite, z. T. auch zu der kommuniſtiſchen Partei. Das Bewußtſein 
ihres Deutſchtums kam dabei vielfach unter die Nader. So wurde in der erſten 
Revolutionszeit (1905) in einer Lehrerverſammlung darüber abgeſtimmt, ob 
die deutſche Sprache als Anterrichts gegenſtand beibehalten werden ſoll. 
3 ruſſiſche Lehrer ſtimmten dafür, über 20 deutſche Lehrer dagegen. Da war 
es nun nicht auffallend, daß die Wolgakoloniſten unter dieſer Führung nach 
der Revolution mit fliegenden Fahnen zum Bolſchewismus überginge rn. Sie 
wurden belohnt durch die Bildung der autonomen deutſchen Wolgarepublik. 
Heute ſchmachten ſie unter ihrer autonomen Regierung, die nicht von ihnen, 
ſondern von Moskau aus geleitet wird. Selbſt die deutſchen Führer derſelben 
find jetzt vielfach erwacht, das Volk ganz. Dafür wandern die Wolgamänner, 
die fo häufig das „Maul nicht halten können“, zu Tauſenden und Zehntauſen⸗ 
den nach Sibirien und ans Weiße Meer, ſo wie andere auch, die keine auto⸗ 
nome Republik haben. 


Ihrer Sprache nach ſtammen die Wolgakoloniſten zum größeren Teil aus 
Heſſen. Manche nennen auch Sachſen und Württemberg ihr Heimatland. Die 
Koloniennamen Franzoſen, Louis erinnern an franzöſiſche Abſtammung und 
Zürich, Luzern u. ähnl. an Schweizer Herkunft. Der Konfeſſion nach iſt der 
größere Teil lutheriſch, der kleinere katholiſch. Die Geſamtbevölkerung der 
Gouvernements Saratow und Samara betrug vor dem Kriege 5 157 165 Sees 
len, die Geſamtlandfläche rund 20 Mill. Deßj. Deutſche Dörfer gab es zur 
ſelben Zeit 209 mit 554 818 Seelen und einem Landbeſitz von 11% bis 2 Mill. 
Deßj., zum weitaus größten Teil Kronland. — 


Agrarpolltik Heft 9, Bg. 4 


672 Edmund Schmid 


5. Die Kaukaſiſche Gruppe 


Die Gruppe wurde im Jahre 1816/17 von Württemberg aus angeſiedelt. 
Neben wirtſchaftlichen Arſachen wirkten die aus jener Zeit in dieſem Lande 
bekannten ſeparatiſtiſchen und pietiſtiſchen Strömungen in der S 
Landeskirche als Beweggründe für die Auswanderung mit. Von den etwa 
9000 erſten Auswanderern erreichten viele das Land ihrer Hoffnung nicht; 
manche blieben auch in Beſſarabien zurück. Die 7 Anſiedlungen im ſüdlichen 
Kaukaſus hatten anfangs viel unter Aberfällen kaukaſiſcher Völker, beſonders 
aber unter dem Fieber zu leiden. Mehrere Kolonien mußten ein und mehrere⸗ 
mal umgeſiedelt werden, ehe ihre Bewohner ſich an das Klima gewöhnten. 
Das hinderte lange Zeit ihre wirtſchaftliche Entwicklung. Die Anſiedlung war 
nach derſelben Landordnung erfolgt wie im Schwarzmeergebiet, nur waren die 
Landanteile der einzelnen Familien kleiner, durchſchnittlich 30 bis 35 Deßj. 
Die Kolonien erreichten einen ziemlichen Grad von Wohlhabenheit durch 
Spezialbetriebe: in den niedriger gelegenen Kolonien durch Weinbau, in 
den höher gelegenen durch Viehzucht und Molkereibetrieb. Sie konnten 
nicht nur nahe gelegene Grundſtücke ankaufen, ſondern auch einige Tochter⸗ 
kolonien anlegen. Einen beſonderen Aufſchwung nahm ihr Wirtſchaſtsbetrieb 
in den letzten Jahrzehnten durch Gründung von Weinproduzentengenoſſen⸗ 
ſchaften und durch moderne Einrichtungen im Molkereibetriebe. Im Hand- 
werk blühten beſonders der Wagenbau und ſpäter die Küferei. 

Der Südkaukafus zählt im ganzen 4 702 800 Einwohner auf einer Fläche 
von 14 Mill. Deßj. Die Zahl der deutſchen Anſiedler dürfte 15 000 Seelen 
und der Landbeſitz 75 000 Deßj. nicht tiberfteigen. Von letzterem find etwa 
2% Kronland, 44 Eigentum. — 


6. Kleine Gruppen in Innerrußland 


finden ſich in den Gouvernements Wologda, Kaluga, Moskau, Mohilew, 
Tſchernigow, Poltawa und Podolien. Sie ſind zum geringeren Teile urſprüng⸗ 
liche Anſiedlungen, zum größeren Tochtergründungen aus den alten Anſied⸗ 
lungsgebieten. Es find etwa 100 000 Seelen mit 450 000 Deßi. Landbefig. — 


7. Die Gruppe der Schwarzmeerkoloniſten 


Dieſe Gruppe der deutſchen Anſiedlungen in Rußland iſt die einzige, die 
zur vollen wirtſchaftlichen Entfaltung gekommen iſt. Die Koloniſten dieſer 
Gruppe wurden zu Koloniſatoren beſter Art, wie ſie deutſches Blut jemals 
hervorgebracht hat. Sie haben im vergangenen Jahrhundert die Weizenkammer 
Europas am Schwarzen Meer entwickelt, die Liquidation des dortigen ade⸗ 
ligen Grundbeſitzes in Angriff genommen und ein deutſches Wirtſchaftsgebiet 
begründet, das in der Zahl der Träger, in der Größe des Beſitztums und an 
Wert der Produktion alle anderen deutſchen Anſiedlungsgebiete in Rußland 
weit übertrifft. 

Zwiſchen den Jahren 1787 und 1857, zumeiſt aber von 1804 - 1809 und in 
den zwanziger Jahren desſelben Jahrhunderts, wurden im ſüdlichen Teil 
Rußlands, in den eben den Türken abgenommenen Provinzen, die unter dem 


Letzte deutsche Kolonisationsarbeit in Rußland 673 


Namen Neurußland zuſammengefaßt wurden, von der ruſſiſchen Regierung 
eine Reihe von deutſchen Bauernkolonien gegründet. Den Einwanderungs- 
agenten wurde vorgeſchrieben, bei der Auswahl der Aberſiedler vorſichtiger zu 
ſein, als es bei der Beſiedlung der Wolgagegenden geſchehen war, und nur 
ſolche Aberſiedler zuzulaſſen, die in ländlichen Beſchäftigungen und Hand- 
werken erfahren, den ruſſiſchen Bauern als Beiſpiele dienen könnten. Außer⸗ 
dem ſollten die Uberfiedler nur Familien mit Kindern fein und ein Vermögen 
von 300 Gulden in bar oder in Waren nachweiſen können. Die Schwarz⸗ 
meerkoloniſten kamen ſomit nicht arm und beſitzlos nach Rußland. Der Zweck 
ihrer Anſiedlung war nicht ſo ſehr, die öden Steppen zu bevölkern, als den 
anderen dort Seßhaften (Akrainern) und Anzuſiedelnden (Ruſſen, Bulgaren 
und Rumänen) Beiſpiel zu fein in der Bewirtſchaftung ſowie in den notwen⸗ 
digen Handwerken. Wie hoch letztere geſchätzt wurden und wie notwendig ſie 
waren, iſt daraus zu erſehen, daß Herzog Richelieu, der Generalgouverneur 
von Neurußland, im Jahre 1804 42 deutſche Handwerker aus den Aberſiedlern 
auswählte und ſie veranlaßte, ſich in der eben neugegründeten Stadt Odeſſa 
niederzulaſſen. Im ganzen wurden in Südrußland 207 deutſche Kolonien ge 
gründet, denen rund 600000 Deßj. zugewieſen wurden. Die Zahl der 
fiedler dürfte ungefähr 50 000 betragen haben. Stammesmäßig waren es 
Pfälzer, Elſäſſer, Heſſen, Schwaben, aber auch Pommern und Preußen. 
Letztere waren Mennoniten. — 

Das zugeteilte Land war Kronland, das den Einzelgemeinden und Gebieten 
als gemeinſames Eigentum zugewieſen wurde. Die Einzelzuteilung erfolgte 
aber nicht, wie an der Wolga, an die männliche Seele, ſondern an die ein⸗ 
zelnen Familien. Jede erhielt einen Hof, oder wie es dort hieß, eine Wirt⸗ 
ſchaft, mit dem Rechte auf 50—80 Deßj. Das Land wurde von Zeit zu Zeit 
— nach Notwendigkeit des Fruchtwechſels, Weide, Grün⸗ und Schwarzbrache, 
Sommer- und Winterfeld — in gleichen Teilen auf die einzelne Wirtſchaft 
verteilt. Das Weideland blieb zur gemeinſchaftlichen Benutzung. Jede Wirt⸗ 
ſchaft hatte das Recht, eine beſtimmte Zahl von Pferden, Rindern, Jung⸗ 
und Kleinvieh darauf zu treiben. 


Die erfte Generation fühlte ſich tiefunglücklich auf der weiten, unüberſeh⸗ 
baren Steppe. Sie wehrte ſich ſelbſt gegen das viele Land, das ihr zugeteilt 
wurde. Sie wußte nichts damit anzufangen. Wäre es möglich geweſen, ſie 
wären wohl alle wieder heimgekehrt. Dieſe Generation ſtarb mit ſchweren 
Gedanken. Die zweite Generation aber ſchon wurzelte ſich feſt in dem frem⸗ 
den Boden. Es wurde früh geheiratet, große Familien wurden zur Regel. 
Zunächſt wurden die Höfe geteilt in Halbhöfe, mancherorts nochmal in Viertel⸗ 
höfe. Bald aber merkten die Koloniſten, daß das zum Anheil führen müßte, 
und ſie beſchloſſen ſelbſt, daß die Wirtſchaften nicht weiter geteilt werden dürf⸗ 
ten. Bald auch reichte das Land für die vielen Söhne nicht mehr aus. And 
nun erwies ſich die gute Bauernart, die furchtloſe Anternehmungsluſt und der 
Koloniſatorengeiſt. Die jüngeren Söhne blieben nicht in den Kolonien ge⸗ 
drängt beieinanderſitzen, ſuchten nicht in Handwerken und anderen Betrieben 
unterzukommen, dienten nicht den anderen, den glücklichen Hofbeſitzern, als 
Knechte. Bauern waren ſie und wollten Bauern bleiben. Auf der weiten 
Steppe war unbebautes Land genug. So zogen Ende der fünfziger und An⸗ 
fang der ſechziger Jahre die jüngeren Söhne, die in der Kolonie keinen Land- 


4° 


674 Edmund Schmid 


anteil zu erwarten batten, kaum achtzehn bis zwanzigjährig, ſchon mit Weib 
und Kind, hinaus auf die Steppe. Vom Vater waren ſie ausgeſtattet worden 
mit ein paar Pferden, einer Kuh, mit Wagen und Pflug, mit den notwen- 
digen Geräten und Sämereien. Die Frau brachte das Ehebett, die Wag’ 
(Wiege) und ſonſtige Hausbedürfniſſe. So zogen ſie auf die ausgedehnten 
Adelsgüter und pachteten Land um den dritten Haufen. Der Hauptbetrieb der 
neuruſſiſchen Landwirtſchaft beſtand damals in der Schafzucht. Die deutſchen 
Bauern wandelten ihn in Körnerbau um. Extenſiven Betrieb hinderte zu⸗ 
nächſt noch der Mangel an Arbeitern. Da kamen die Maſchinen. Die Schwarz⸗ 
meerkoloniſten griffen mit allen Händen danach. Nun konnten ſie im vollen 
arbeiten und immer mehr jungfräuliche Steppe umbrechen. Drei- und vier⸗ 
ſcharige Pflüge, Säemaſchinen, Erntemaſchinen, Dreſchmaſchinen ermöglichten 
immer mehr einen Großbetrieb. Der Weizenbau verdrängte faſt vollſtändig 
die Schafzucht. 

Nach wenigen Pachtjahren ſchon kauften die jungen Leute das Land, das 
fie bebauten, oder anderes. Der Preis war niedrig, 3—5 Rubel (6— 10 M.) 
die Deßjatine. Zwanzig Jahre ſpäter wurden ſchon 20 —30 Rubel bezahlt, 
anfangs der neunziger Jahre 80 — 100 Rubel und vor dem Kriege 500 Rubel. 
Es bildeten ſich Geſellſchaften unter den jungen Angehörigen einer Kolonie, 
eines Verwandtenkreiſes, die zuſammen foviel Land kauften, daß ſie neue 
Dörfer anlegen konnten. Einzelne zogen hinaus und erwarben ſich ſtattliche 
Gutsbeſitze. Land und Landwirtſchaft wurden beweglich. Mancher dieſer 
deutſchen Koloniſten wanderte Zeit ſeines Lebens von einem Gut zum anderen, 
immer aber vom kleineren zum größeren. Von einem Beſitz von 100 Deßj. 
= er auf 300, 600 und 1000 Deßj. und mehr. Jeder diefer Koloniſatoren 

tebte danach, jedem feiner zahlreichen Söhne mindeſtens ebenfoviel Land zu 
binterlaffen, als er ſelbſt zu Beginn feiner Tätigkeit beſeſſen hatte. Ich hatte 
Gelegenheit, die 50jährige Hochzeit einiger der älteſten Pioniere dieſer Art 
mitzumachen. Die Alten beſaßen ihre 5— 10 000 Deßj. Land, die Söhne eigene 
Güter von 3— 5000 Deßj., und manche der zahlreichen Enkel hatten auch ſchon 
eigene Gutsbeſitze von 1000 Deßj. und mehr. Es ergaben ſich Familienbefitze 
von 50—60 000 Deßj., rechnete man die Schwiegerſöhne dazu, bis zu 100 
Deßj. Beſitz in den Händen einfacher Bauernfamilien. Auch die Bewohner 
der alten Kolonien und die neugegründeten Dörfer kauften, wo freies Land 
in der Nähe vorhanden war, zu ihrem Kronland Eigentum dazu, was ſie 
irgendwo erhaſchen konnten. Wo keines mehr zu haben war, zogen ſie weiter 
und beſiedelten neue Striche. Beſonders ſtark war dieſe Bewegung im 
Gouvernement Cherſon, und hier wieder im Odeſſaer Kreiſe. Im letzteren 
haben die deutſchen Bauern über die Hälfte des geſamten Kulturlandes er⸗ 
worben. Adelsgüter blieben wenig mehr übrig. Der benachbarte Tiraspoler 
und Cherſoner Kreis wurde von da aus beſiedelt, ebenſo Teile des Eliſabet⸗ 
grader und Ananjewer Kreiſes. Von Oſten her reichten die Kolonien der 
Gouvernements Jekaterinoslaw und Taurien, die ſchon die Krim beſiedelt 

atten, die Hand. Gemeinſam bearbeiteten fie die Riefentreife Dnjeprowsk, 
lexandrowsk und Pawlograd. Auch das genügte ihnen nicht. Sie drangen 
nach Norden vor in den Is jumer Kreis des Charkower Gouvernements und 
über den Bachmuter Kreis nach Often in das Gebiet der Doniſchen Koſaken 
bis zum Donez und zum Don. Weiter ging es nach Südoſten. Dort beſie⸗ 


Letzte deutsche Kolonisationsarbeit in Rußland 675 


delten fie Teile des nördlichen Kaukaſus im Ruban- und Terekgebiet und im 
Gouvernement Stawropol. Wieder gogen fie nad) Norden und kauften große 
Ländereien in den Gouvernements Woroneſch, Garatow und Samara. Sie 
überſäten die rieſengroßen Gouvernements Afa und Orenburg, ſchon an der 
afiatifden Grenze. Und dann drangen fie hinein in die ſibiriſchen Steppen, 
nördlich in die Gouvernements Tomsk und Tobolsk, ſüdlich nach Mittelaſien, 
in die Gebiete Akmolinsk, Turgai und Syrdarinsk. Einzelne Gruppen drangen 
bis an die Afer des Stillen Ozeans vor. 

Nicht die Not trieb dieſe Landpioniere hinaus, nicht ruſſiſche Bedrückung, 
nicht der grauſame Steuereinnehmer, wie man's manchmal lieſt. Niemals 
haben die deutſchen Bauern den ruſſiſchen Steuereinnehmer zu fürchten gehabt. 
Selbſt in Mißjahren, da die ruſſiſchen Bauern ſich Steuernachläſſe, Gaate 
getreide und den Lebensunterhalt von den Behörden erbettelten und erzwan⸗ 
gen, haben die deutſchen Bauern niemals die Regierung um Hilfe gebeten; 
ſie haben ſich immer ſelbſt geholfen. Was ſie hinaustrieb, immer weiter, immer 
weiter, war der Drang nach Selbſtändigkeit, nach eigenem Beſitz, nach Land, 
nach billigem und vielem Land. Dieſer Drang führte ſie auch übers Meer, 
nach den Vereinigten Staaten, wo ſie Ohio und die beiden Dakota, in letzter 
Zeit auch Texas und andere weſtliche Staaten bevölkerten. Sie gingen nach 
Kanada in die Provinz Sasketſchewan, und nach Südbraſilien und Argen⸗ 
tinien. Dieſes unerſchöpfliche deutſche, rein deutſche Menſchenreſervoir 
im Süden Rußlands, das ſich ewig neu gebar, gab in den letzten 50 Jahren 
vor dem Kriege ſein überflüſſiges Menſchenmaterial, beſte Bauernkraft, an 
alle Welt ab. Angeſtellte der großen Auswanderungsgeſellſchaften nannten 
Zahlen deutſcher Auswanderer aus Rußland von über 1 Million Seelen. 
Dieſe Maſſenabgabe an Menſchen war nur möglich bei einer Fruchtbarkeit 
der Ehen, die Familien mit 8— 12 Kindern zu den gewöhnlichen Erſcheinun⸗ 

en rechnete, aber auch ſolche mit 16 und 20 und mehr Kindern kannte. Gutes 

skommen, geringe Bedürfniſſe, leichte Verſorgungsmöglichkeit machten die 

Familien ſo fruchtbar wie das Land rings umher. Eine intereſſante Lehre für 
Bevölkerungspolitik und Ehemoral. 

Aus den 209 Kolonien mit 128652 Deßj. Kronland und 50 000 Anſiedlern 
wurden bis zum Jahre 1910 in dem engeren eigentlichen Schwarzmeergebiet: 


Gouvernement Beſſarabien: 258 393 Deßj. Land, 62 875 deutſche Ein- 
wohner, 58 000 Evangelifche, 5000 Katholiken; 

Gouvernement Cherſon: 1 156 254 Deßj. Land, 169 313 Deutſche, davon 
66 663 Evangeliſche, 99 072 Katholiken, 3578 Mennoniten; 

Gouvernement Taurien: 1 385 928 Deßj. Land, 133 924 Deutſche, davon 
56 581 Evangeliſche, 27 050 Katholiken, 50 293 Mennoniten; 

Gouvernement Jekaterinoslaw: 1 012 160 Deßj. Land, 123 160 Deutſche, 
davon 26 811 Evangeliſche, 48 109 Katholiken, 48 240 Mennoniten; 

Gouvernement Charkow: 79 941 Deßj. Land, 6703 Deutſche, davon 2367 
Evangeliſche, 2617 Katholiken, 1719 Mennoniten; 

Dongebiet: 311822 Deßj. Land, 28 346 Deutſche, davon 13927 Evange- 
liſche, 13 879 Katholiken, 540 Mennoniten. 

Sufammen: 4 204 559 Deßi. Land, 524 321 Deutſche, 224 280 Evangeliſche, 
195 671 Katholiken, 104 370 Mennoniten. 


676 Erich Netschert 
Im ganzen ruſſiſchen alten Reich ergeben fid: 


Baltiſche Gruppe .. 165 627 Deutſche mit 4 000 000 Deßj. 
Polniſch⸗wolyniſche Gruppe . 300 000 * „ 1000 000 „ 
Petersburger Gruppe u. Simeriland 100 000 1 „ 450 000 „ 
Wolgagruppe . . . . 554 828 . „ 2000 000 „ 
Südkaukaſusg rue 15000 „ - 7500 „ 
Schwarzmeergruppe . . . 524321 ‘4 „ 4209 559 „ 
Sibirien⸗Mittelaſien 105 000 5 750 000 
Zuſammen Er 764776 Deutſche mit 12 479 550 Debi. 


And all dieſer b Reichtum, die Frucht von hundert und mehr Jah⸗ 
ren Arbeit, iſt heute vernichtet. Tauſende dieſer Bauern find Hungers ge⸗ 
ſtorben und ſterben noch heute Hungers. And nicht nur die Körper find ver⸗ 
nichtet, auch die Seelen find vergiftet. Kann dieſer fo geſunde Zweig am deut⸗ 
ſchen Volkskörper jemals wieder zu Geſundheit, zu Kraft kommen? Es iſt 
der Fluch der Realm im Auslande, der ſich erfüllt. 


Erich Netſchert: 


Auf dem Wege zum Monopol? 


Ein Beitrag zur Agrarpolitik unter befonderer Berückſichtigung 
der Getreidewictfchaft 


Vorbemerkung der Schriftleitung: Die nachſtehenden Mitteilun- 
gen erheben gemäß Mitteilung des Verfaſſers in keiner Weiſe Un- 
ſpruch auf eine erſchöpfende Behandlung des Problems. Sie ſtellen 
einen Beitrag aus der Praxis zur Monopolfrage dar, wie dieſe ſich 
von der Warte eines Landesproduktengroßhändlers aus anſieht. 
Sie verfolgen mit kurzen Worten das Ziel, den beſten Weg zu 
ſuchen in der agrarpolitiſchen Hilfe zum Wohle der geſamten Wirt⸗ 
ſchaft. Wir lege fie zur Ausſprache, ohne fie uns in allem zu eigen 
zu machen. H. R 


Es iſt Tatſache, daß in den letzten Monaten die Einnahmen des Land⸗ 
wirts in keinem Verhältnis zu den Ausgaben ſtanden, und daß ſchon ſeit meh- 
reren Jahren durch die Entwertung des Grundbeſitzes eine Kreditſperre ein ⸗ 
getreten iſt, die untragbar wird. Die Landwirtſchaft iſt heute mit 25 bis 50 % 
1 7 Vorkriegswertes belaſtet, aber ihr Wert liegt weit unter dieſen 50 %. 

as zeigen die häufigen usfälle auf den Verſteigerungen, felbſt bei erſten 
Hypotheken. Kredithilfe allein, wie z. B. bei der Oſthilfe, iſt ein Notbehelf, 
der ſich ſogar ſchädlich auswirken kann und die Zinslaſten nur noch weiter 
erhöht. Es hat keinen Zweck, einen Landwirt umzuſchulden, wenn er nicht 
ſofort nach der Amſchuldung rentabel wirtſchaften kann. Die Ankoſten in der 
deutſchen Landwirtſchaft ſind nur ganz langſam abbaufähig, weil ſie zu ſtark 


Auf dem Wege zum Monopol? 677 


mit den Steuereinnahmen des Reichs verknüpft find. Sie können ſchon aus 
dieſem Grund einem Vergleich mit den Produktionskoſten reiner Agrarländer, 
wie z. B. Kanadas, niemals ſtandhalten. Die Zollſchraube iſt in ihrer Wir« 
kung nun größtenteils erſchöpfend ausgewertet. Trotzdem ſind die Verhältniſſe 
täglich ſchlechter geworden, weil wir zu einer gewiſſen Abererzeugung bei 
gleichzeitigem Verbrauchsrückgang gekommen find. 

Es iſt nur ſehr bedingt richtig, wenn behauptet wird, der deutſche Landwirt 
müſſe viel billiger erzeugen lernen. Man kann eben einen Bauernhof nicht 
ohne weiteres mit einem Induſtriebetrieb vergleichen. Auf deutſche Verhält⸗— 
niſſe umgelegt, iſt es im wahrſten Sinne des Wortes kataſtrophal, wenn der 
Landwirt für den Zentner Kartoffeln 70 bis 80 Pfg., für den Liter Milch 
7 bis 9 Pfg., für das Ei 4 bis 5 Pfg., für ein Kalb 20 RM., für einen 
Zentner Hafer 4,50 RM. erhält. Man könnte die Kette dieſer Preiſe beliebig 
verlängern. Dieſe Verhältniſſe aber allein ſind daran ſchuld, daß man heute 
leider einſehen muß, daß die Oſthilfe, die beſtimmt gut gemeint war, über« 
flüſſig geweſen wäre, wenn man einen richtig geſteuerten Markt für landwirt⸗ 
ſchaftliche Erzeugniſſe in Deutſchland gehabt hätte. 

Ich vertrete die Anſicht, daß das ſich raſch türmende Gebäude der autarken 
Wirtſchaftsform in allen Ländern ſich nicht ſo lange halten wird wie der 
Liberalismus, aber daß man nicht liberal gegen einen Strom ſchwimmen 
kann, in dem ſich alle Wellen autark überſchlagen. Ich behaupte aber, daß 
Deutſchland bei richtiger Steuerung des Anbaus und der Veredelung ſich 
auch bei weiterer Intenſivierung der Landwirtſchaft wird beſſer fortbringen 
können wie die anderen. In dieſer Kriſe ſtehen wir als größter Verbraucher 
Europas. Wenn wir uns unſere handelspolitiſche Bewegungsfreiheit wieder 
erwerben und uns nicht voreilig neuerdings binden, fo wird fic) der Waren- 
austauſch von ſelbſt ſchneller wieder zu unſeren Gunſten regeln als wohl für 
alle anderen Länder. Reine Agrarſtaaten können ſterben durch Mangel an 
Abſatz, Induſtrieſtaaten werden zugrunde gehen durch den Tod der Agrar— 
länder, bevor der Aufſtieg in der Welt wiederkehrt. Wir Deutſche aber können 
uns im Inland notgedrungen ſelbſt helfen, bis etwa eine Ara des Wiederauf— 
ſtieges der Weltwirtſchaft anbricht. 

Der größte Fehler aller bisherigen Regierungen war der, daß man aus 
Angſt vor den anderen Ländern in der Preisſtützung viel zu zaghaft vor« 
gegangen iſt. Man hat diktatoriſch jahrhundertealte Rechtsauffaſſungen über 
den Haufen geworfen, man hat Notverordnungen erlaſſen, Steuern hoch— 
geſchraubt, man hat eine ſoziale Geſetzgebung diktiert, aber man hat ſich an 
das Preisproblem der landwirtſchaftlichen Erzeugniſſe nicht herangetraut. Wir 
haben viele Arzte in der Wirtſchaft gehabt, die die Krankheit erkannten, aber 
vergeſſen haben, den Kranken zu heilen. Wir Deutſche haben immer das Ge- 
fühl, die Welt durch zärtliche und völkerfreundliche Ideen und Grundſätze 
beglücken zu müſſen, um ja nirgends anzuſtoßen. Währenddeſſen bauen die 
anderen Länder für ihren eigenen Vorteil. Dieſes falſche Gefühl hat uns zur 
ungünſtigſten Zeit in den Weltkrieg getrieben und hat uns dann 14 Jahre 
lang wirtſchaftlich durch ungeheure Belaſtungen in den Abgrund gezogen. 

Es gibt heute noch ſehr viele, die den Schlachtruf „Export um jeden Preis“ 
nicht vergeſſen können. Sie haben noch nicht erfaßt, daß die Exportfrage 
nicht nur von unſeren eigenen Maßnahmen, ſondern noch viel mehr von dem 
guten Willen des Auslands abhängt. Was nützt uns unſer Exportwille, wenn 


678 Erich Netschert 


ſich die anderen Länder täglich mehr abſperren? Willen diefe Herren, wieviel 
Werke eigentlich auf Koſten des Inlandsmarktes die ganze Zeit bewußt mit 
Verluſt ausführen in dem Wahn, „durchhalten“ zu müſſen? Das Durch⸗ 
halten aber ijt ein leerer Wahn gegen den Federſtrich einer Zollnovelle irgend⸗ 
eines Landes. And wenn dieſen Erportfreunden die ſchwindenden Ausfuhr⸗ 
zahlen nicht mehr beweiskräftig genug find, dann ſpricht man von dem unge- 
heuren Ausfuhrfolgemarkt. Gibt es aber nicht auch einen Agrarfolgemarkt, 
der unendlich viel größer iſt und der vor allem auch die große Maſſe des 
gewerblichen Mittelſtandes der Handwerker, Kleinkaufleute ufw. retten muß? 
Es ſcheint immer noch genug Leute zu geben, die über das Denken eines 
Hamburger Exporteurs noch nicht hinweggekommen ſind und die noch nie einen 
Inlandsmarkt, eine kleine Landſtadt und all die vielen kleinen und kleinſten 
Betriebe geſehen haben, die heute zu dem Heer der arbeitsloſen Millionen das 
große Kontingent ſtellen. Nachdem wir auf dem Wege der freien Entfaltung 
die Not unſerer Landwirtſchaft innerhalb Deutſchlands nicht nachhaltig lin⸗ 
dern können und wir es uns nicht leiſten können, jedes Jahr direkt und indirekt 
Milliardenbeträge zur Stützung aufzubringen, muß die freie Entfaltung der 
Preiſe durch eine ſtaatliche Planung in die richtigen Wege geleitet werden. 
Es iſt bitter, als freier Kaufmann erkennen zu müſſen, daß nur eine gebundene 
Gorm der Bewirtſchaftung unſerer Agrarprodukte die Lage vorerſt wird mei⸗ 
ſtern können. 

Für eine ſolche ſtaatliche Planungsſtelle — fälſchlicherweiſe Monopol ge⸗ 
nannt, obwohl es nur eine Regulierungsſtelle ſein ſoll — müſſen wir vor 
allen Dingen feſthalten, daß ſie wegen ihrer Exiſtenz und ihres gründlichen 
Ausbaus nur dann einen Sinn bekommt, wenn nicht alle zwei Monate neue 
Regierungen mit entgegengeſetzter Tendenz auf die Bühne des politiſchen 
Geſchehens treten. Ein „Monopol“ darf niemals der Spielball der politiſchen 
Parteikämpfe werden. Die Vorausſetzungen zu einer ſegensreichen Arbeit find 
eine abſolute Ruhe in der Perſonal⸗ wie in der Preispolitik. Es kann nur 
exiſtieren, wenn eine agrarfreundliche nationale Regierung die Zügel auf die 
Dauer in der Hand behält. Der Getreidepreis wird immer ein politiſcher blei- 
ben, ſolange große Staatenwirtſchaften beſtehen und es Zölle gibt. Nur muß 
eben dieſer politiſche Preis ſachlich richtig geſteuert werden. Wenn nun geſagt 
wird, daß in der Welt genügend abſchreckende Beiſpiele von Monopolen vor⸗ 
. — ſind, die Schiffbruch erlitten haben, ſo iſt dem folgendes entgegen⸗ 
zuhalten: 

1. Alle Monopole waren gegründet in einer Zeit des ſchnellen und ſtarken 
Verfalls am Weltmarkt. Die Verluſte waren damals ſo ungeheuer, weil 
der Zuſammenbruch der Preiſe in einem Ausmaß erfolgt iſt, an das 
niemand je gedacht hätte. 

2. Die Monopole, die Schiffbruch erlitten, find meiſt in den reinen Agrar- 
ländern gegründet und durch die plötzliche autarke Strömung in den ande⸗ 
ren Ländern ſowie durch das Sowjetruſſiſche Dumping geſtützt worden. 

3. Sie waren alle nur einſeitig auf den Export aufgebaut und hatten eine 
inländiſche Verbrauchsregelung überſehen. 


All dieſe Faktoren kommen für eine innerdeutſche Planwirtſchaft nicht in 
Frage. Wir haben heute am Weltgetreidemarkt ungefähr den Tiefpunkt er⸗ 
reicht. Rückgänge find wohl immer noch möglich, aber nie mehr in den bis⸗ 
herigen Ausmaßen. Auch berühren ſie uns wenig. Wir haben innerhalb 


Auf dem Wege zum Monopol? 679 


Deutſchlands eine febr Starke Abſatzmöglichkeit, die uns von niemand verfperrt 
werden kann. Aus diefem Grunde find für Deutſchland die Warnungsrufe 
der Planungsgegner als unſachlich zu bezeichnen. Darüber hinaus hat der 
kanadiſche Pool bewieſen, daß eine tatſächliche Erſparnis durch Ausſchaltung 
aller Zwiſchenglieder erzielt werden kann. Wenn es auch nur eine kleine Er⸗ 
ſparnis war, ſo war es doch ſchon das Gegenteil eines Verluſtes, den man 
ihm. immer „ hat. Das Schickſal hing natürlich auch hier von der 
Güte der Leitung ab 


Handelsſtärke des Monopols 


In der heutigen Zeit der Abſperrung aller Länder gegen alle hat das Mo⸗ 
nopol die Aufgabe, große Austauſchbeziehungen zu den anderen Ländern zu 
pflegen und zu erhalten. Der Staat wird dann allerdings, weltwirtſchaftlich 
geſehen, zu einer gemiſchten Warenhandlung, aber welche Möglichkeiten be⸗ 
ſtehen z. B. nur darin, daß wir deutſches Aberſchußgetreide nach oſtaſiatiſchen 
Ländern bringen, die immer Zuſchußbedarf haben, während wir von den Leu⸗ 
ten Zinn, Gummi, Tee uſw. übernehmen. Wir brauchen 3. B. auch ſehr viel 
Salpeter, Kupfererze, Zinn aus Südamerika. Warum ſollen wir in einem 
Gegengeſchäft nicht andere Artikel aus Deutſchland exportieren können? So 
könnte man eine Reihe von Beiſpielen anführen, die nur dann Verwirk⸗ 
lichung finden können, wenn Staat gegen Staat machtvolle Vereinbarungen 
1 Privatwirtſchaft kann dann immer noch die endgültigen Preiſe 
aushandeln. 


Grundſätze der ſtaatlichen Vewirtſchaftung 


Die Steuerung der landwirtſchaftlichen Erzeugerpreiſe durch den Staat 
ſehe ich nicht darin, daß alle Waren in den Beſitz des Staates gehen oder 
durch ſeine Hände vermittelt werden. Der Staat ſoll vielmehr nur als Auf⸗ 
fangvorrichtung fungieren und der Landwirtſchaft möglichſt lange vorher feſt⸗ 
gelegte Mindeſtpreiſe ſichern. Dieſe Preisſicherung hat ſich nicht nur auf die 
Getreidemärkte zu erſtrecken, ſondern muß ſich zwangsläufig gleichzeitig auch 
auf die Erzeugniſſe der Milch, insbeſondere auf Butter und Käſe, auf die 
tieriſchen Fette und die Olfrüchte ausdehnen. Hierbei iſt zu verlangen: 


1. Möglichft freie Entwicklung der Märkte mit Kontrolle der Preiſe nach 
oben, wegen der Aberteuerung für den Konſumenten. 

2. Paritätiſche Stellung von Handel und Genoſſenſchaften, denn nur fo 
bringen fie dem Landwirt in freier Konkurrenz die billigſten Preiſe, nur 
ſo legen ſie beim Ankauf die höchſten Preiſe an, und nur in paritätiſcher 
Gleichheit vermitteln ſie am billigſten an den Konſum. 

3. Preisſicherungen nach unten auf nicht zu hoher Baſis durch ſtaatliche 
Stützungsſtellen, bei Getreide Staffelung der Preiſe. 

4. Bei Anſätzen zu ſtärkerer Aberproduktion rechtzeitige Kontingentierung. 

5. Bei der Erhöhung der Erzeugerpreiſe muß darauf geſehen werden, daß die 
Konſumentenpreiſe nicht im gleichen Maße mitgehen, ſondern daß endlich 
einmal bei dieſer Gelegenheit die Zwiſchenhandelsſpannen verringert 
werden, was beſonders bei den Molkereiprodukten und beim Fleiſch 
wünſchenswert wäre. 


680 Erich Netschert 


Der Grundgedanke eines Monopols gipfelt in der einfachſten Bewirtſchaf⸗ 
tung, in gerechten Preiſen mit möglichſt großer Freiheit bis in die letzten Han⸗ 
delsglieder, und a mit einem Anternehmergewinn, der genügt, um das 
Kapital und den Anternehmergeiſt zu regerer Beteiligung zu binden. Der iſt 
der beſte und erſolgreichſte Leiter der Planwirtſchaft, der es verſteht, die private 
Initiative auf die intenfivfte Weiſe einzuſchalten. 


Wie iſt die Planung des Agrarmarktes zu löſen? 


Es iſt klar, daß nach dem Ebengeſagten der Standpunkt gewahrt bleiben 
muß, daß der Staat nur inſoweit eingreifen darf, als die Spitzenmengen den 
Markt überlaſten. Es wäre aber heute zwecklos, nur von einer Seite mono- 
poliſtiſch preisſichernd zu wirken, der Kreis muß vielmehr geſchloſſen werden. 
Jede Lücke, die den Preisniedergang eines Agrarproduktes zuließe, würde die 
größte Gefahr bedeuten für das geſamte monopoliſtiſche Opfer, das wir brin⸗ 
gen miiffen. Ich ſchlage deshalb folgendes vor: 


1. Molkereiprodukte, insbeſondere Käſe und Butter, erhalten Mindeſtpreiſe. 
Aberſchüſſige Mengen werden durch den Staat angekauft und verwertet. 
Der durch Notverordnung vom 23. Dezember 1932 zuläffige Bei⸗ 
miſchungszwang von Butter zur Margarine wird in Kraft geſetzt. 

2. Tieriſche Fette aus der Rinder ⸗ und Schweineerzeugung werden durch 
Mindeſtpreiſe geſchützt. Beimiſchungszwang bei der Margarine kann 
ausgeſprochen werden. 

3. Es werden mit ſofortiger Wirkung Mindeſtpreiſe für Olfrüchte feſt⸗ 
geſetzt, die in Deutſchland gebaut werden können. 

4. Der Staat übernimmt mit ſofortiger Wirkung die Kontrolle und 
Steuerung der Margarineeinfuhr und des Olfuchenimportes. 

5. Es werden für die neue Getreideernte ſchon heute Mindeſtpreiſe feſt⸗ 
geſetzt, die geſtaffelt werden müſſen. 


Dieſe fünf Punkte werde ich im folgenden kurz erläutern. Auch hier iſt zu 
betonen, daß es nicht der Zweck dieſer Zeilen iſt, die Materie erſchöpfend zu 
behandeln, ſondern nur Beiträge in der großen Linie zu bringen. 


Zu 1. Molkereiprodukte 


Im Jahre 1930 / 31 betrug der Erlös aus dem Verkauf von Getreide in 
an 1,6 Milliarden, aus dem Verkauf von Vieh 3,5 Milliarden, und 
für Milch und Eier ſowie Molkereiprodukte wurden annähernd 2 Milliarden 
eingenommen. Die Einnahmen aus der Viehwirtſchaft waren alſo beinahe 
dreieinhalbmal fo groß wie die aus dem Ackerbau. Der veredelnde deutſche 
Bauer kann auf die Dauer nicht beſtehen, wenn er für ſeine Produkte nur 
60% der Vorkriegspreiſe bekommt. Der Induſtrie⸗Index iſt heute 114, der 
Vieh⸗Index 62. Aus dieſem Grunde muß die Stützung bei der Viehwirtſchaft 
beginnen. Es iſt nicht möglich, Fleiſch monopoliſtiſch zu erfaſſen oder dabei 
Preisſicherungen durchzuführen. Dagegen kann man Molkereiprodukte, ins⸗ 
beſondere Butter und Käſe, zu Mindeſtpreiſen vom Staate aufkaufen laſſen 
und dadurch den Milchpreis heben. Bekommt erſt einmal der Landwirt für 
ſeine Milch ſtatt 7 Pfg. wieder 12 Pfg., dann kann man von ihm auch ver⸗ 
langen, daß er auf ausländiſche Futtermittel verzichtet, die einen Dumping 


Auf dem Wege zum Monopol? 681 


gegen die deutſchen Futtermittel und das ausländiſche Getreide bilden. Die 
Frage des Ankaufs für den Staat iſt verhältnismäßig leicht. Er kann an 
Börſenplätzen Spitzenmengen nach Standardtypen und Normen ſowohl in 
Butter wie in Käſe aufnehmen und dadurch die Notierung halten. Er kann 
auch aufgenommene Mengen in Kühlhäuſer einlagern. Schwierig aber iſt die 
Abſatzfrage. Hier wird die Beimiſchung von Butter zur Margarine nicht zu 
umgehen ſein. Auch wird es ſich notwendig erweiſen, daß Käſe in ſtärkerem 
Maße an Truppenteile, Polizei, Arbeitsdienſt, Strafanſtalten und alle ſtaat⸗ 
lich unterſtützten Anſtalten zur Verköſtigung abgegeben wird. Von beſonderer 
Bedeutung iſt hierbei der Beimiſchungszwang von Butter zur Margarine. 
Dank ihrer ungeheuren Kapitalkraft hat die Margarine⸗Induſtrie, die zu 70% 
in ausländiſchen Händen ift, durch einen un verantwortlichen Propaganda⸗ 
Feldzug die Anſichten im Volk für ihre Intereſſen ſo ſtark verſeucht, daß die 
Notverordnung vom 23. Dezember bis heute noch nicht in Kraft getreten iſt. 
Ich bin nach reiflicher Prüfung des ſehr umfangreichen Fragenkomplexes zu 
der Aberzeugung gekommen, daß eine Butterbeimiſchung zur Margarine zweck⸗ 
mäßig ijt und nicht die Nachteile von Verteuerung, Rückgang des Butterver⸗ 
brauchs uſw. nach ſich ziehen wird, wenn die Dinge ſachlich und techniſch 
richtig angefaßt werden. Ich werde dies in einer kleinen Abhandlung dem⸗ 
nächſt eingehend begründen und die entſprechenden Wege zeigen. 

Es ſind in den letzten Monaten verſchiedene Wege von Kartellierung auf 
dem Gebiete der Molkereiprodukte gezeigt worden. Ich bezweifle als Praktiker 
die Möglichkeit einer ſolchen Kartellierung, die in ihrer Auswirkung den 
Willen von etwa 4 Millionen kleiner und kleinſter Betriebe zufammenfaſſen 
müßte. Ich ſehe dabei gang ab von dem enormen Verwaltungsapparat mit 
zwangswirtſchaftlichem Einſchlag, der dabei alle, felbft in Rußland gemachten 
Verſuche hinſichtlich Umfang in den Schatten ſtellen würde. Wo die privat- 
wirtſchaftliche Initiative zerſtört wird, fängt die intereſſeloſe und daher teure 
Verwaltung an. 


Zu 2. Fettbewirtſchaftung 


Wie auf den Butters und Käſemärkten, fo ift es einer Monopolſtelle auch 
bei Talg, Fett und Schmalz möglich, dieſe Produkte zu gewiſſen Grundpreiſen 
anzukaufen. Ferner kann in der Margarine- wie in der Olfabrikation eine 
ſtärkere Verwendung tieriſcher Fette wieder eingeführt werden, wie ſie ja auch 
vor dem Krieg beſtanden hat. Die moderne Raffinerie hat heute, nach dem 
Urteil erſter Fachleute, Mittel und Wege genug, die infolge Beimifchung von 
tieriſchen Fetten eintretende Verteuerung durch Verwendung billigerer anderer 
Robftoffe zu kompenſieren. Auch hierüber werde ich in der Abhandlung über 
den Margarinebeimiſchungszwang das entſprechende Material vorlegen. Es 
iſt jedenfalls eine nicht zu verantwortende wirtſchaftspolitiſche Angerechtigkeit, 
wenn man rein inländifche Erzeugniſſe, wie Zucker, Salz und Fleiſch uſw., mit 
hohen Steuern belegt, wohingegen man die als Auslandsprodukt anzuſpre⸗ 
chende Margarine ſteuerfrei in beliebiger Menge hereinkommen läßt. 


Zu 3. Ölfrühtebau 


Es iſt des weiteren nicht einzuſehen, warum in Deutſchland zur Entlaftung 
des Getreideanbaus nicht Blfrüchte ſollten gebaut werden können, wenn der 
Landwirt dabei eine beſtimmte Rendite ſieht. Die Margarineinduſtrie hat es 


682 Erich Netschert 


glänzend verſtanden, aus Geſchäftsgründen die ganze Angelegenheit zu baga- 
telliſieren. Wenn auch in Deutſchland nicht gleich überwältigende Flächen in 
Olfrucht angebaut werden können, weil es das Klima und die Bodenverhält⸗ 
niſſe nicht erlauben, fo bin ich doch der Meinung, daß in Kürze die hoch⸗ 
ſtehende deutſche Züchtung eine Olfrucht finden wird, die der Soyabohne die 
Stirne bieten kann. Wir können uns eben den Luxus nicht mehr leiſten, aus 
der Mandſchurei auf die Dauer ohne irgendwelche Gegengeſchäfte Olfriichte 
zu beziehen und damit unſeren geſamten innerdeutſchen Markt von Futter⸗ 
mitteln und Futtergetreide zu ruinieren. Ich halte es deshalb für außerordent⸗ 
lich dringend, daß die Regierung ſofort eine Erklärung abgibt, daß ſie für 
beſtimmte Olfrüchte einen Mindeſtpreis bei der Ernte garantiert und daß dieſe 
Ölfrüchte bei den Fabriken zwangsmäßig verwendet werden müſſen. Wenn 
dabei in dieſem Jahre wenig Erfolg noch zu verſpüren ſein wird, weil die Zeit 
ſchon zu fortgeſchritten iſt, ſo muß doch einmal der Anfang gemacht werden. 


Zu 4. Olkuchenſperre 


Ich habe ſchon feſtgeſtellt, daß der deutſche Milchbauer zum Dank für einen 
erträglichen Milchpreis, den ihm die Regierung ſchaffen wird, rg 
werden muß, im Inland erzeugte Guttermittel zu bevorzugen. Dies erfordert 
eine Droffelung der Olkucheneinfuhr und Olfuchenproduftion in Deutſchland. 
Sie find die beſten Regulatoren für den deutſchen Getreidemarkt. 24 Mil⸗ 
lionen dz Olkuchen haben wir im Jahre 1932 in Deutſchland verbraucht. Welch 
ungeheure Mengen Futtergetreide, Mühlennachprodukte, Gutterguder uſw. 
könnten an deren Stelle verfüttert werden, wenn dem Landwirt anſtändige 
Milchpreiſe garantiert find. Es iſt auch durchaus möglich, die Olkuchen⸗ 
produktion dadurch zu verringern, daß man Trane, die ja billiger ſind wie 
Olſaaten, in der Margarine mehr verwendet wie bisher. In dieſem Zuſam⸗ 
menhang find auch die kürzlich in der Preſſe erſchienenen Vorſchläge zur Aus⸗ 
rüſtung deutſcher Walfangexpeditionen beachtenswert. 


Zu 5. Getreidebewirtſchaftung“) 


Daß wir in Getreidemonopolfragen nicht allein auf dem Marſch find, be⸗ 
weiſt, daß ausgerechnet in Amerika, dem Lande des reinſten Freihandels, ein 
monopolähnliches Gebilde im Entſtehen iſt. Dort will man zwei Millionen 
Weizenfarmen, zwei Millionen Baumwollpflanzungen und 400 000 Tabak⸗ 
plantagen kontrollieren und durch Prämien dazu zwingen, weniger anzubauen. 
Man bedenke die große Organiſation! Auch hier eine Planwirtſchaft wie in 
Rußland, nur mit umgekehrten Vorzeichen: ein Freiheitsverzicht, der bezahlt 
wird. Ich bin der Anſicht, daß ein Vollmonopol mit l aller Betriebe 
heute unmöglich iſt und abſolut den Zweck verfehlen würde. Das weiß jeder, 
der ſich mit praktiſchen Getreidehandelsfragen täglich beſchäftigen muß. Ich 
warne hier alle Theoretiker, die ſich noch nie mit den Fragen der täglichen 
Getreidepraxis berufsmäßig befaßt haben. Die Allgemeinheit wird beſtimmt 
bei einem Vollmonopol die Zeche zu bezahlen haben, denn der Beamten⸗ 


) Zu dieſem Abſchnitt bitten wir, den getreidepolitiſchen Aufſatz im Auguſt⸗ 
heft 1932 dieſer Monatsſchrift zu beachten. Die Schriftleitung. 


Auf dem Wege zum Monopol? | 683 


apparat, der nötig wäre, ift auf die Dauer vom Staate finanziell nicht tragbar. 

Ich bin auf Grund meiner praktiſchen Erfahrungen zu der felſenfeſten Aber⸗ 

zeugung gekommen, daß die Preisſicherung nach unten der einzig gangbare 

Von 197 eine ſtaatliche Planung ſein kann. Die Preisſicherung hat folgende 
orteile: 


1. Die Kalkulation für die Verkaufspreiſe der Mühlen iſt weſentlich ver⸗ 
einfacht, weil das Preisriſiko verringert iſt. Die Bäcker werden ſich durch 
eine Preisfeſtlegung mit ſtarker Staffelung nach oben, wieder mehr für 
die Lagerhaltung und die Vorkäufe intereſſieren, was ja gerade für den 
guten Abfluß des Getreides in der erſten Hälfte der Saiſon von großer 
Wichtigkeit iſt. 

Die Zinskalkulation würde ſich nicht unweſentlich ermäßigen. 

Es bedarf keiner Ausfallbürgſchaften des Reiches mehr für Kunſtdünger 
und keiner Bevorrechtung von Forderungen aus gemachtem Aufwand zur 
Sicherung der Ernte. 

Die Preisſicherung bedeutet eine ſteuerliche Mehreinnahme für den Staat. 

Sie bietet eine weitgehendere Lombardmöglichkeit des Getreides, hierdurch 
ZJinsverbilligung, hierdurch Anlockung von Geldern zur Kapitalsanlage. 

. Sie erfordert keinen beſonders erhöhten Beamtenapparat über das Maß 
der bisherigen D. G. H.⸗Organiſation hinaus. 

.Sie bildet die Grundlage für die Exiſtenz der bäuerlichen Siedlung, be⸗ 
ſonders im Oſten. 

.Sie bietet eine Möglichkeit der weitgehendſten Steigerung des perſön⸗ 
me 1 5 Leiſtungsgedankens im Rahmen einer planwirtſchaftlichen Agrar- 
politik. 


WN 


ao N DD Nm 


Die Preisſicherung hat bei Getreide m. E. nach einer beſtimmten Staffelung 
zu erfolgen. Dieſe Ankaufsſtaffel enthält bereits 25 bis 30 Pfg. per 50 kg für 
den Handel und die Genoſſenſchaften und deren Tätigkeit für Zuſammenkauf, 
Reinigung uſw. Es muß von vornherein dafür geſorgt werden, daß die Spitzen⸗ 
mengen eines Marktes für die aufzunehmende Reichsanftalt möglichſt gering 
bleiben. Aus dieſem Grunde müſſen unter allen Amſtänden der ortsanſäſſige 
Handel und die Genoſſenſchaft ſowie die Mühlen in weitgehendſtem Maße 
intereſſiert werden. Hierzu iſt notwendig: 

a) Eine Staffelung der Mindeſtpreiſe, die dem Handel ermöglicht, bei Ein- 
lagerung, Behandlung, Lombardierung uſw. trotz Schwund noch einen 
kleinen Nutzen für ſich zu erarbeiten. 

b) Eine weitgehendſte Lombardierungsmöglichkeit zu ſehr billigen Zins⸗ 
ſätzen, die der Preisſtaffelung angepaßt ſein müſſen. ö 

c) Das Wiederaufleben des Neexpeditionsverfahrens für Getreide, das in 
amtlichen Lagerhäuſern eingelagert wird. 


Preisfeſtſetzung 


Da es ſich um Mindeſtpreiſe handelt, muß natürlich ein tragbar geringer 
Satz aufgeſtellt werden, wobei es dem Monopol immer noch offen bleiben 
kann, die Mindeſtpreiſe bei ſchlechter Ernte zu erhöhen. Auch die Mühlen und 
der Handel werden ja auch weiterhin eine gewiſſe Marktmeinung haben, und 
dieſe ſorgen ſchon bei ſchlechten Ernteverhältniſſen für eine höhere Einſpielung 


684 Erich Netschert 


über die Monopolpreife hinaus. Die Preisfeſtſetzung ſelbſt müßte ſich nach 
Produktionskoſten und Auskömmlichkeit für die Landwirtſchaft richten. Sie 
dürfte nicht verteuernd für den Konſum wirken und würde ſich nach den Ernte⸗ 
erträgen, den Qualitäten und der Anbaufläche des letzten Jahres zu richten 
haben, wobei es jederzeit der Monopolſtelle möglich iſt, Korrekturen für beſſere 
Preiſe nach oben vorzunehmen. Wie in der Schweiz, ſo darf natürlich ſtark 
abfallende Qualität, brandiges, ſtark mit Unkraut befallenes Getreide uſw. nicht 
abgenommen werden. Iſt durch Hochwaſſer oder andere elementare Gewalt 
irgendein Landſtrich qualitativ ſtark benachteiligt, ſo kann die Regierung Son⸗ 
dermaßnahmen zur Getreideaufnahme mit dem Zwecke der Abſatzverbeſſerung 
ergreifen. Immer aber wird die Preisſicherung und die Preis- 
feſtſetzung ſich auf einen Durchſchnittspreis für mittelgute 
Ware mit beſtimmtem Gewicht und geſunder, handels 
üblicher Beſchaffenheit aufbauen müſſen, in enger Anlehnung 
an die Normen der deutſchen Getreideklaſſifizierung, an die die deutſche Lande 
wirtſchaft immer mehr gewöhnt werden muß. Jedenfalls kann ein Monopol« 
inſtitut nur für die Mindeſtquantität von 15 t Abnahme garantieren, und der 
Preis müßte ſich aufbauen auf einer 15-t-Ladung ab jeder deutſchen Voll⸗ 
bahnſtation. Wenn die Staffelung der Preiſe ſo ſtark iſt, daß eine Ein⸗ 
lagerung von Getreide nicht nur dem Landwirt, nicht nur dem Händler, ſon⸗ 
dern auch den Mühlen Anreiz bietet, ſo wird der Staat vorausſichtlich ſehr 
wenig Material zur unmittelbaren Aufnahme bekommen. Die Klaſſifizierung 
des Getreides wird dabei natürlich zu einigen Schwierigkeiten, vielleicht ſogar 
Härten, führen, aber die Landwirtſchaft wird ſich ſchnell anpaſſen. Dem Handel 
und den Genoſſenſchaften der Provinz müſſen, ſoweit nicht ganze Waggon- 
ladungen dem Landwirt direkt abgenommen werden, die vollen Riſiken für die 
Qualitäten aufgebürdet werden. Sollten ſich Anregelmäßigkeiten ergeben, die 
auf eine Benachteiligung des Landwirts oder des Monopolinſtituts abzielen, 
ſo wird ſchon beim erſten Fall dem unehrlichen Handel, gleichgültig ob Ge⸗ 
noſſenſchaft oder freier Händler, die Handelserlaubnis entzogen und der 
Schuldige ſtreng beſtraft werden müſſen. 

Ich trete für die Preisſtaffelung bei allen Getreidearten ein, da nur Lücken⸗ 
loſigkeit der Maßnahmen Erfolg gewährleiſtet. Als Beiſpiel einer Preis- 
ſtaffelung, das keinen Anſpruch auf die richtig eingeſetzte Höhe des Preiſes 
machen ſoll, gebe ich folgendes Schema: 

Nehmen wir an, daß ein 75-kg- Weizen normaler handelsüblicher Qualität 
als Sicherungsgrundpreis im Auguſt kommenden Jahres mit RM. 9.— zu 
ſtaffeln wäre, ſo ergibt ſich ungefähr folgendes Bild: 


Auguſt RM. 9.— Februar RM. 10.20 
September 8 9.20 März „ 10.35 
Oktober 5 9.40 April „ 10.45 
November ps 9.60 Mat „ 10.50 
Dezember ‘i 9.80 Juni „ 10.50 
Januar „ 10.— Juli „ 10.50 


Dieſe Staffelung könnte natürlich auch enger oder weiter verſchoben werden, 
je nach den Vorräten, Ernteausfall, Haltbarkeit uſw. Weſentlich iſt dabei nur, 
daß der Landwirt eine gewiſſe feſte Kalkulationsbaſis bekommt. Wenn nun 
ſich ergibt, daß eine beſonders große Ernte das Monopolinſtitut in Gefahr 


Auf dem Wege zum Monopol? 685 


bringt, im Mai / Juni eines Jahres unendliche Mengen von Getreide auf 
nehmen zu müſſen, jo kann dieſes jederzeit durch Gewährung von Export- 
ſcheinen, Einfuhrſcheinen oder auch Tauſchabſchlüſſen mit anderen Bedarfs- 
ländern Mengen aus dem Inlandsmarkt herauszuziehen. Die Staffelung 
ſchließt keineswegs die Verwendung von Austauſchkaufſcheinen uſw. aus. Im 
Gegenteil bilden ſie eine wertvolle Ergänzung. Exportſcheine uſw. werden 
beſonders in der erſten Hälfte der Saiſon von großer Wichtigkeit ſein, ebenſo 
wie die Preisſtaffelung der erſten Hälfte größer fein muß, weil der Angebots- 
druck in Deutſchland dann am ſtärkſten iſt. Auf der anderen Seite iſt der Druck 
vom Weltmarkt auf Europa beſonders im Auguſt / September am ſchwächſten, 
ſo daß auch der Exportſchein dann gleichzeitig erhöhte Bedeutung gewinnt. 
Es hat nun den Anſchein, als ob bei einer Preisſtaffelung zwiſchen dem letz⸗ 
ten hohen Preis im Juli und dem neuen niedrigen Preis im Auguſt ein Aus. 
gleich nur ſchwer möglich ſein wird. Es kann vielleicht von mancher Seite der 
Einwurf gemacht werden, daß der Staat dann die ganze Summe der bäuer⸗ 
lichen Getreidereſerve des alten Jahres auf den Hals geladen bekommt. Aber 
auch dieſes kann die Monopolſtelle verhüten. Sie wird bei Beginn der neuen 
Ernte nicht nur wenig Getreide zum billigſten Preis bekommen, ſondern viel⸗ 
leicht gar keines. Die Preisſpanne zwiſchen alter und neuer Ernte wird zur 
beſtimmten Zeit im Auguſt genau ſo verſchwimmen, wie es bisher der Fall 
war. Sollten aber beſonders große Vorräte an Getreide noch vorhanden ſein, 
ſo kann der Staat rechtzeitig dieſe Aberſchußmengen durch Abdroſſelung des 
Olkuchenmarktes in die Wirtſchaft hineinpumpen. Das iſt auch der Grund, 
warum in der Staffelung ab Mai keine Steigerung mehr angenommen iſt. 
Hiermit im VR! auch die Frage der ſtaatlichen Getreide⸗ 
reſerve, die in den letzten Monaten eines Erntejahres am meiſten zur Bil⸗ 
dung kommen wird. Die nationale Getreidereſerve iſt bei einem Staat wie 
Deutſchland in wirtſchaftlicher wie in wehrpolitiſcher Hinſicht unbedingt not⸗ 
wendig. Aber die Größe dieſer Referve fol an dieſer Stelle abſichtlich nichts 
geſagt ſein. Es wird ſich zwangsläufig ergeben, daß die aufgenommene Min⸗ 
deſtmenge des Reiches zu einem Teil in die eiſerne Neſerve wandert. Bei 
Futtermitteln wird dieſe Reſerve nicht entſtehen, dagegen bei Brotgetreide. 
Da Brotgetreide aber nicht unbeſchränkt haltbar iſt, beſonders nicht Roggen, 
ſo muß am Schluß des Jahres und am Anfang des neuen Jahres die Ge⸗ 
treidereſerve in ſolchen Mühlen verwendet werden, die Getreide im Staats. 
auftrag zu vermahlen haben. 


Man kann bei dem Syſtem der monatlichen . noch tulad 
daß eine Gefahr gegeben ift, daß gerade bei Beginn eines Monats die An⸗ 
fuhren und Andienungen größer ſein werden wie gegen Ende eines Monats. 
Es iſt aber leicht die Anfuhr dahin zu ſteuern, daß die Andienungen an die 
Monopolverwaltung, die natürlich nur waggonweiſe kauſen kann, ſukzeſſive 
auf Abruf innerhalb eines Monats erfolgen darf. Wir haben ja nach dieſer 
Richtung hin ſchon genügend Erfahrung im Verkehr mit der D. G. H. gemacht. 
Wichtig iſt, daß durch die Preisſtaffelung die Regierung die Möglichkeit hat, 
den Terminhandel als ſolchen völlig auszuſchalten und daß damit das große 
ſpekulative Moment einer gewiſſen Marktſicherheit und Stabilität der Preiſe 
Platz machen muß. Ich glaube auch, daß es zweckmäßig iſt, wenn zur beſſeren 
Orientierung eines Wirtſchaftsbeirates im R. E. M. auf allen Provinzbörſen 
ein Schlußſcheinzwang eingeführt wird, der von den einzelnen ſtaatlichen Bör⸗ 


686 Erich Netschert 


ſenkommiſſaren ſtatiſtiſch erfaßt werden muß. Inwieweit die außerhalb der 
Börſe getätigten Abſchlüſſe, die ja bekanntlich bei weitem überwiegen, erfaßt 
werden können, wäre zu prüfen. Es ſteht zu erwarten, daß die Preisſtaffe⸗ 
lung den Mühlen einen ſehr bedeutenden Anreiz zur großzügigen Einlagerung 
geben wird. Ich erblicke darin die einzige Möglichkeit, dieſe überhaupt wieder 
mit ihrer eigenen Initiative und ihrem Kapital in die ſtaatlichen Intereſſen 
5 nachdem ſie im letzten Jahre bekanntlich ſo ſchwer geſchädigt 
wurden. 


Haferſtützung 


Eine bedeutende Gruppe landwirtſchaftlicher Fachleute iſt der Anſicht, daß 
man Hafer nicht in die Getreideſtützung mithereinnehmen ſoll. Die Auswir⸗ 
kungen hiervon wären nicht zu begrüßen. Man kann der Anſicht ſein, daß ſehr 
viel weniger Hafer angebaut werden muß, weil wir weniger Pferde haben, 
aber wir können feſtſtellen, daß wir bei beſtimmten Abmachungen mit einigen 
Ländern Hafer am beſten von allen Getreideſorten am europäiſchen Markt 
verwerten können. Mit der Einſchränkung des Haferanbaus taucht ſofort die 
Frage auf, was mit dieſen Bodenflächen geſchehen ſoll, und es beſteht dann 
die Gefahr, daß noch mehr Roggen angebaut wird. Hafer iſt ertragſicher, füllt 
die Lücken in der Fruchtfolge und Arbeitsverteilung und trägt zur G 
erhaltung des Bodens bei, weil er nicht von Pilzarten befallen wird, wie die 
anderen Getreideſorten. Gerſte ſtatt Hafer zu bauen verdirbt in den meiſten 
Fällen das nachfolgende Getreide. Es iſt alſo vielleicht beſſer, unter ſcharfer, 
aber elaſtiſcher Handhabung des Ausfuhrſcheinſyſtems den Hafer mitzuſtützen, 
als dafür einen Brotgetreidemehranbau zu bekommen, der auf der anderen 
Seite einen noch größeren Preisdruck verurſachen würde, als es der Hafer 
am Futtergetreidemarkt tut. Darüber hinaus wäre es eine Angerechtigkeit 
gegen die klimatiſch weniger bevorzugten Gegenden, wenn man ſie ſchlechter 
ſtellen würde wie gute Gegenden mit anders geartetem Getreideanbau. 


Gegen die Produktionsvergrößerung 


Es wird nun eingewendet, daß bei einer Rekordernte wir mit allen Gegen⸗ 
maßnahmen nicht mehr fertig werden. Das letzte und ſtärkſte der Mittel gegen 
die Produktionsvergrößerung, von denen ich weiter unten noch eine Reihe 
aufzählen werde, iſt die Kontingentierung der Übernahme durch das Reich. 
Wer vorſchlägt, daß das Reich bei beginnender Ernte immer noch das Recht 
haben ſoll, die Preiſe geringer anzuſetzen, als ſie in Ausſicht genommen waren, 
ſät Mißtrauen bei allen Ständen und allen Leuten, die mit der Landwirt- 
ſchaft zu tun haben und die doch fo dringend endlich einmal Ruhe haben 
müßten. Wenn es wirklich einmal eine ſolche Rekordernte gibt, daß der Staat 
keine Möglichkeit mehr findet, die Aberſchußmengen abzuſetzen, dann muß 
man ihm das Recht zuerkennen, zu dem geplanten Mindeſtpreis dem Landwirt 
pro Anbaufläche nur eine beſtimmte Menge abzunehmen. Es iſt dann freilich 
notwendig, daß man den Mühlen einen Vermahlungszwang für dieſes Ge⸗ 
treide auferlegt. Aber eine ſolche Maßnahme iſt eben dann eine unvermeidliche 
Notmaßnahme. Für den Landwirt aber iſt es beſſer, er bekommt nur für 
einen Teil, z. B. für 10 Str. pro Morgen, den angeſetzten Mindeſtpreis, als 
daß man ihn im letzten Augenblick durch Amwerfen der Sicherungspreiſe vor 


Auf dem Wege zum Monopol? 687 


den Kopf ſtößt. Bei der heutigen Organiſation unſerer Anbauflächenerhebung 
wird es nicht ſchwer fein, mittels entſprechender Ausweiſe der Bürgermeiſter⸗ 
ämter die kontingentierte Anfuhr und Abnahme des Getreides zu regulieren. 
Es ſoll dies aber, wie ſchon erwähnt, die allerletzte Maßnahme ſein, die man 
tunlichſt umgehen muß. 

Bei der ganzen vorliegenden Frage iſt es beſonders wichtig, ſchon heute 
klarzuſtellen, welche Maßnahmen gegen die Produktionsvergrößerung getroffen 
werden können. Hierzu iſt zu bemerken: Die Umftellung auf eine weſentlich 
A Produktion geht nicht fo ſchnell, denn der Bauer muß fic ja an eine 

eſtimmte Fruchtfolge halten. Tut er es 3 ſo bezahlt er dies bei der Ernte 
mit Mindererträgen. Außerdem führt die Beſſerſtellung der Milchwirtſchaft 
viele Betriebe, deren Böden ſich ja ohnehin nicht zum Getreideanbau eignen, 
wieder zum Grünfutteranbau und zur Grünlandwirtſchaft zurück. Außerdem 
aber dürfen wir nicht vergeſſen, daß wir gar nicht jedes Jahr Rekordernten 
zu verzeichnen haben, und darüber hinaus brauchen wir auch eine bedeutende 
nationale Brotgetreidereſerve in Händen des Staates. Selbſt wenn wir aber 
auch von dieſen Möglichkeiten abſehen, ſo müſſen wir doch nicht zuletzt durch 
die Arbeitsbeſchaffung und die dadurch erfolgende Ankurbelung der Wirt⸗ 
ſchaſt eine Konſumſteigerung im breiteſten Rahmen erwarten. Sollte ſich aber 
trotz allem durch Rekordernten doch eine Aberproduktion in Zukunft erwarten 
laſſen, ſo ergibt ſich folgendes: 


1. Wir haben die Möglichkeit des Aufbaus einer deutſchen Olfruchtproduk⸗ 
tion durch Garantiepreiſe, die, wenn auch nur allmählich, dem Getreide 
Anbauflächen entziehen wird. 

2. Wir haben für die nächſten zwei Jahre die große Droſſelklappe in der 
beliebigen Sperrung der Olkucheneinfuhr und Produktion in einer heu⸗ 
tigen Höhe von 24 Millionen Doppelzentner Kuchen, die durch Getreide 
notfalls erſetzt werden müſſen. Wir haben nicht jedes Jahr gleich große 
Refordernten und brauchen eine bedeutende nationale Reſerve in den 

- Händen des Staates. 

3. Wir haben Tauſch⸗ und Exportmöglichkeiten 
a) innerhalb der Länder durch Austauſch, 
b) durch Ausfuhr mit Scheinen wie bisher. 

4. Wir können auf reinen Sandböden mit Staatshilfe aufforſten, um eine 
Bodenreſerve für den Fall einer Blockade zu bekommen. Wir erwarten 
eine Konſumſteigerung im nn Rahmen Durch die Arbeitsbeſchaf⸗ 
fung und die dadurch erfolgende Ankurbelung der Wirtſchaft. 

5. Wir haben die Möglichkeit, für beſtimmte Nahrungsmittel an Erwerbs- 
loſe Gutſcheine abzugeben, die verbilligten oder koſtenloſen Bezug er⸗ 
möglichen. 

6. Wir haben durch verſchärfte Ausmahlungsvorſchriften die Möglichkeit 
einer verringerten Mehlproduktion und durch Qualitätsverbeſſerung die 
Anwartſchaft auf einen erhöhten Verbrauch. Würden wir z. B. die 
Bäcker früher backen laſſen und wenn z. B. dazu neue Leute eingeſtellt 
werden, auch Sonntags, ſo würde beſtimmt Sonntags ein bedeutend 
vergrößerter Brotkonſum die Folge fein. 

7. Wir können aber auch durch Verwendungszwang nicht nur für deutſches 
Getreide, ſondern auch für deutſche Wolle, Wein, Spiritus, Holz, Flachs 


Agrarpolitik Heft 9, Bg. 3 


688 Erich Netschert, Auf dem Wege zum Monopol? 


u. a. Veredelungsprodukte neue Produktionsmöglichkeiten für die Land⸗ 
wirtſchaft aus dem gleichen Boden ſchaffen. 

8. Zeitlich können wir uns vor übermäßiger Anlieferung durch Abertrag⸗; 
barkeit der Lieferungsberechtigung ſchützen, und wenn dann alle anderen 
Hebel nicht mehr bremſend wirken, kommen wir endlich als letztes zur 
Kontingentierung der Abnahme durch das Reich. 


Es wäre bedauerlich, wenn innerhalb einiger Jahre in einem Aal orga· 
nifierten nationalen Staat dem Bauern nicht fo viel Vernunft beizubringen 
wäre, daß er die Warnungen vor einer finnloſen Aberproduktion, wenn fie 

t drohen ſollte, in den Wind ſchlägt. Die Regierung aber wird Mittel und 

ege finden, rechtzeitig mit aller Schärfe, wenn es notwendig würde, dagegen 
anzugehen. Wenn die Gegner einer Planung die Angſt vor der Aberproduk⸗ 
tion in die vorderſte Linie ſtellen, ſo nen fie, was ein ſtraff organifierter 
Staat mit einem geſunden Wirtſchaftsleben alles zu leiſten vermag. Die 
Landbevölkerung muß wieder beſſer entlohnt werden, damit die Arbeitslofig- 
keit und Erwerbsloſigkeit in der Induſtrie zurückgeht. 


Das Monopolinſtitut 


Die vorliegende Skizze beweiſt, daß die Aufgaben eines NVC 
von enormer Größe und Bedeutung find. Die D. G. H. als Monopolinſtitut 
iſt in ihrem Aufbau grundſätzlich brauchbar. Dagegen iſt K erwägen, ob nicht 
mehrere ſtaatliche und halbſtaatliche Inſtitute, wie die Reichsmaisſtelle, die 
G. J. C. und andere, in dieſer D. G. H. vereinigt werden. Es iſt überflüſſig, 
ſolche Inſtitute weiterhin nebeneinander beſtehen zu laſſen. Für beſonders 
unglücklich erachte ich es aber, wenn eine mit Staatsmitteln aufgezogene 
Aktiengeſellſchaft ſich e auf ihre Art an den Märkten betätigt. Mehr 
wie einmal hat ein Kampf zwiſchen der D. G. H. und der G. J. C. zum großen 
Schaden der Reichsmittel markttechniſche Merkwürdigkeiten ausgelöſt. Man 
bat wohl die G. J. C. wegen des bedeutenden Einfluſſes der Genoſſenſchaften 
im R. E. M. noch nicht aufgelöſt. Es ſcheint aber notwendig, daß hier Sonder⸗ 
beſtrebungen im Intereſſe der geſamten deutſchen Landwirtſchaft ein für alle- 
mal ausgeſchaltet werden. Ich verweiſe hier auf die Vorſchläge von Reiſchle 
im Auguſtheft 1932. 

Die Struktur der D. G. H. bedarf noch einiger interner Verbeſſerungen. Es 
iſt zu prüfen, ob es richtig iſt, daß dem leitenden Direktor des Monopol- 
inſtituts ein Beirat und ein Aufſichtsrat beigegeben wird. Es hat ſich gezeigt, 
daß gerade in den letzten Jahren durch kleinere und größere Indiskretionen 
verſchiedene Mitglieder des Beirats und Verwaltungsrats ſich Sondervorteile 
verſchaffen konnten, was bei einem Monopolinſtitut wie die D. G. H. es dar⸗ 
ſtellt, nicht vorkommen darf. Es müßte deshalb in Erwägung zu ziehen ſein, 
ob die beratenden Praktiker nicht beſſer ſtatt dem Monopolinftitut, dem 
R. E. M. zur Verfügung geſtellt werden, das ſeinerſeits als Vorgeſetzten⸗ 
behörde unterbinden kann, daß ſich Leute innerhalb eines Reichsſtützungs⸗ 
inſtituts unbeanſtandet bewegen können, die ſelbſtſüchtige Zwecke verfolgen. 
Ein ſtaatliches Monopolinſtitut ſollte überhaupt in feiner Betriebsorganiſa⸗ 
tion und ſeiner agrarpolitiſchen Aufgabe getrennt ſein. Man kann einer ſtark 
belaſteten technifchen Organiſation keine agrarpolitiſche Verantwortung auf- 
bürden, wie es teilweiſe geſchehen iſt. Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß die Mo⸗ 


Hermann Polzer, Flüssiges Obst 689 


nopolbeamten qualifiziert hochwertige Kräfte fein müſſen, die in der Lage find, 
die volle Verantwortung für die techniſchen Maßnahmen ihrer Verwaltung 
zu tragen. Die Verantwortung der leitenden Männer eines ſolchen Mono- 
polinſtituts iſt enorm, aber ſie muß eben getragen werden, und man darf ſich 
nicht auf allerlei Ausreden ſtützen, wie es bisher war. Daß auch bei einer 
Monopolverwaltung durch feſtgelegte Preiſe und weiteſt gehende Ausſchal⸗ 
tung des Riſikos ſehr billig gearbeitet werden kann, beweiſen die Hafer ⸗ und 
Noggenankäufe der D. G. H. Bei der Verbreiterung der Aufgabe, wie fie für 
die Monopolſtelle in der vorliegenden Skizze vorgeſehen iſt, bedarf es einer 
Vermehrung der gutgeſchulten, fachlich ganz durchgebildeten und unabhängigen 
Beamten. Die Kontrolle wird nicht durch orts⸗ und regionalanſäſſige Hilfe zu 
bewerkſtelligen fein; hierdurch entſtehen zuviel Begünſtigungs möglichkeiten, 
die auf die Dauer viel ſchlimmer find als einige Härten. 

Die Tätigkeit der Prüfer wird ſich in erſter Linie auf die Prüfung der 
Qualität, der Menge und der richtigen Einlagerung zu erſtrecken haben. Die 
Lombardinſtitute werden ihrerſeits bei den Kontrollen kräftig mitwirken 
können und die ſtaatliche Aufficht entlaſten. Völlige Belaſſung des Qualitäts. 
riſikos bei der privaten Hand und perſönliche Verantwortung von öffentlichen 
Lagerhaltern der D. G. H. werden den Abwicklungsverkehr vereinfachen. 


Hermann Polzer: 


Flüſſiges Obſt — eine Lebensfrage für den deutfchen 
Obſt⸗ und Weinbau 


„Flüſſiges Obſt“, d. h. naturreine, unvergorene Obſt⸗ und Trauben ⸗Moſte, 
waren bei uns noch vor ſechs Jahren nur in kleinen Kreiſen bekannt. Heute 
überraſcht auf jeder Großausſtellung ein fein eingerichteter, reich beſetzter und 
geſchickt geführter Stand mit dieſer Aufſchrift. In vielen unſerer Bahnhöfe, 
unſeres Wiſſens z. B. in allen des Direktionsbezirks Hannover, hängt ſichtbar 
das ſchöne Vildplakat der deutſchen Werbung: „Trinkt Flüſſiges Obſt!“ And 
Tages- und Fachpreſſe bringen immer wieder (wenn auch nicht immer ganz 
ſachkundige) Aufſätze über dieſe Frage. 

Gleichwohl — manches Ausland bewertet dieſe Sache noch ungleich höher. 
Voran die Schweiz. In den letzten fieben Jahren haben drei ihrer Bundes⸗ 
präfidenten dieſe ganze Arbeit, die gärungsloſe Früchteverwertung, „eine 
der wichtigſten nationalen Angelegenheiten“ genannt. Die 
allgemeine Verbreitung dieſer köſtlich⸗leichten, friſchen, naturreinen Getränke, 
nach Schweizerart zumeiſt prickelnd von feinperliger Kohlenſäure, überraſcht 
we lag hr 1 Pedi des 1 Die dortige Gefamt- 

e unſere reichsdeutſche verhältnismäßi 1 
bis achtzehnfache. tſch 5 mäßig um das ſechzehn 
38 


6% Hermann Polzer 


Dann Italien! Neben feiner unermüdlichen Werbung für Wein und 
der großzügigen, ſchlagartig wirkenden für Tafeltrauben, hat unter Muſſolini 
eine tatkräftige für Flüſſige Trauben und deren Zubereitungen erfolgreich ein- 
geſetzt. So gelang es 1931 an einem einzigen Tage, dem Nationalen Trauben- 
tag, ein Siebentel der ganzen reichen Ernte, d. h. etwa neun Millionen Dop- 
pelzentner an Trauben, Traubenſäften u. ä., abzuſetzen. 

Weiter Frankreich! Die gewerbliche Herſtellung auf unſerem Gebiete 
iſt dort zwar erſt in den Anfängen, im übrigen in guten Anfängen! Die hohe 
volkswirtſchaftliche und volksgeſundheitliche Bedeutung der Sache wird aber 
voll erkannt. Die erſte Internationale Konferenz für gärungsloſe Früchtever⸗ 
wertung) wird Oſtern (18.—22. April) in Paris unter dem Ehrenvorfitz 
des Präſidenten der Republik uſw. und unter dem Vorſitz des Erſten Medi⸗ 
ziners Frankreichs tagen. 

Auch aus der amerikaniſchen Anion liegen uns (noch ungedruckte) 
günſtige Berichte erſter Fachleute des Obſtbaues und Obſthandels vor. Die 
greifbare gewerbliche Herſtellung wird dort auf das drei- bis vierfache der 
deutſchen gefchätzt. Bedarf wie Verbrauch ſeien außerordentlich im Steigen. 

Wie ſteht es damit nun aber bei uns? Die rein gewerbliche Herſtellung 
Flüſſigen Obſtes und Flüſſiger Trauben ſchätzten wir 1927 auf über 2, 1929 
auf über 8, 1931“) auf rund 16 Millionen Liter. Daneben beſteht eine raſch 
ſteigende, beſonders für den Kleingartenbau, vielfach aber auch für den länd⸗ 
lichen Anbau, arbeitende freie Lohnmoſterei meiſt vereinlicher oder genoſſen⸗ 
ſchaftlicher Art, deren Herſtellung wir für 1931 auf etwa 4—5 Millionen Liter 
ſchätzen. Die großen Mengen, die — mehr oder weniger vollkommen — in den 
Haushaltungen ſelbſt hergeſtellt werden, laſſen ſich natürlich auch nicht an⸗ 
nähernd erfaſſen. 

Iſt dieſer raſche und ſtarke Anſtieg der Herſtellung ge⸗ 
ſund? Dürfen wir für weiter Gutes erwarten? Ein Blick auf das Weſen 
und die geſundheitliche Bedeutung der neuen Getränke, auf die Verfahren der 
Herſtellung, auf die noch zu gewinnenden Käuferkreiſe wird uns hierauf nur 
mit Ja antworten laſſen. 

Flüſſiges Obſt iſt der naturreine, unvergorene Friſchſaft des Obſtes, 
auf natürlichem Wege haltbar gemacht, mit möglichſt voller Erhaltung der 
naturgegebenen Genuß -, Geſundheits⸗ und Heilwerte des Friſchobſtes. Anſere 
beſten Marken unterſcheidet von dem köſtlich labenden und ſtärkenden friſch⸗ 
gepreßten Saft nur eine durch die Lagerung erworbene edle Reife, die ſie an 
Genußwert mit edlen Weinen durchaus auf eine Stufe, an Nähr- und Kräf- 


) Mitvorbereitet von der Hauptgeſchäftsſtelle für gärungsloſe Früchteverwer⸗ 
tung, Berlin-Dahlem, der (gemeinnützigen) Zentrale der deutſchen Werbung, Auf- 
klärung uſw. 

% In etwa 15 größeren Betrieben mit über 200 000 Liter jährlich, etwa 160 
mittleren mit 20—200 000 Ltr. und ſehr vielen kleinen Betrieben. Einzelne Pionier- 
firmen ſind bereits 25—35 Jahre in Ehren an der Arbeit. Aber auch manche 
neuere Gründung hat ihren Erzeugniſſen Wertſchätzung und Zutrauen erworben. 
Vor größeren Beſtellungen wie überhaupt in jeder dieſes ganze Gebiet be⸗ 
rührenden Frage empfiehlt ſich Anfrage bei der (gemeinnützigen, nach allen Seiten 
unabhängigen) Hauptgeſchäftsſtelle für gärungsloſe Früchteverwertung in Zerlin- 
Dahlem (Poſtgeld beifügenl). 


Flüssiges Obst | 691 


tigungswert natürlich weit über fie ſtellt. Sm Deutſchen Reich find für 
ihre Herſtellung zwei Verfahren gebräuchlich: das der Warmentkeimung, d. h. 
vorſichtigſter und raſcheſter Paſteuriſierung auf niedrigſtmöglichen Wärme⸗ 
graden unter Abſchluß von Luft und Licht (nach Baumann); und das der 
Kaltentkeimung mittels feinftporiger Bakterienfilter (nach Dr. Schmitthenner). 
Die warmentkeimten Säfte ſchmecken voller, ſüßer, runder, ſind eine Freude 
vor allem der Kinder, auch der Frauen; ihre Herſtellung iſt einfacher und 
weſentlich billiger. Die kaltentkeimten ſind leichter, etwas nüchterner, herber, 
ſpitzer und werden, wohl auch wegen ihrer Weinähnlichkeit, von Männern 
meiſt vorgezogen. Die Anlagekoſten ſind nicht gering, das Verfahren erfordert 
beſondere Sorgfalt. Eine Kombination des Warm⸗ und Kaltverfahrens hat 
ſich bereits gut bewährt. Beide liefern in der Hand tüchtiger, ſauberer und 
gewiſſenhafter Praktiker, die wirkliche Liebe zur Sache haben, ausgezeichnete 
„Süßmoſte“ (wie die Schweizer und Süddeutſchen, nun auch ſchon unſere 
Reichsgeſetzgebung, das Flüſſige Obſt wegen der vollen Erhaltung ſeiner 
natürlichen Süße nennen); anderenfalls ergeben ſich noch manche Rückſchläge. 
Denn Tun. guten Süßmoſt herſtellen iſt kein Handwerk, ſondern 
eine Kunſt“. 


Der hohe geſundheitliche Wert des Flüſſigen Obſtes liegt auf der 
Hand. Vom Friſchobſt (deſſen Saft übrigens an ſich ziemlich vitaminarm, da⸗ 
gegen an kraftſpendendem Fruchtzucker und nervenſtärkenden, geſunderhalten⸗ 
den bafifden Nährſalzen reich iſt) kaum verſchieden, zeigt es fo ziemlich alle 
Werte desſelben für den Geſunden und für den Kranken. Aus dem reichen 
mediziniſchen Schrifttum darüber ſei ein glänzender Vortrag Prof. C. von 
Noordens-⸗Wien (22. 2. 33 in Berlin) hervorgehoben. Danach iſt das 
Flüſſige Obſt oft mehr noch als Friſchobſt eine ideale Zwiſchenverpflegung 
und Ergdngungsfoft für Geſunde, mit vorzüglich abhärtender, milde regelnder 
Wirkung auf Darm und Nierentätigkeit. Namentlich bei allen fieberiſchen 
Erkrankungen und Kreislaufſtörungen iſt es als Erfriſchung und Nahrung 
zugleich einfach unerſetzlich. Aberraſchende Erfolge erzielte von Noorden damit 
nach Magen- und Darmkatarrhen, bei Leber⸗ und Gallenblaſenleiden und 
Nierenentzündung, beſonders auch, wenn periodenweiſe ausſchließlich genom⸗ 
men, bei harnſaurer Gicht, Fettleibigkeit ufw. Nerven⸗ und Gemütsleidenden 
bringt regelmäßiger Genuß wohltuende Erleichterung. Zur Geſunderhaltung 

iehlt von Noorden jedermann einen ausſchließlichen Obſt⸗ und Obſtſaft⸗ 
tag in jeder Woche. Erfahrene Arzte haben den beſonderen Wert des Flüſſigen 
Obſtes für die werdende und ſtillende Mutter und als regelmäßige Beinah⸗ 
rung für den Säugling feſtgeſtellt. Namentlich in obſtarmen Zeiten kann es 
ſämtliches Auslandsobſt, außer etwa den Apfelſinen, erſetzen. 


Dabei ſtehen wir heute er ſt in den Anfängen einer großen Ent- 
wicklung. Ein großer Verbraucherkreis wird ſich jedenfalls bald und ohne 
weſentliche Mühe für die Süßmoſte erobern laſſen. Von den wertloſen fabrik⸗ 
mäßig hergeſtellten Selterwäſſern, von den kaum wertvolleren, meiſt aber 


) Das — ſcheinbar ſehr bequeme — Verfahren der chemiſchen Konfer- 
vierung, das allerdings keinerlei Kunſt erfordert, wird von der geſamten 
deutſchen Süßmoſtbewegung und den Reichsverbänden der ſtädtiſchen und länd- 
lichen Hausfrauenvereine als geſundheitlich nicht unbedenklich und der allgemeinen 
Einführung abträglich unbedingt abgelehnt. 


692 Hermann Polzer 


ebenſo überteuerten künſtlichen Limonaden, die im beſten Galle nur ſehr geringe 
Mengen eines itberguderten Fruchtſirups (nicht etwa Fruchtſafts !) enthalten, 
werden die Millionen ihrer heutigen Verbraucher ſich mehr und mehr auf 
naturreine, unvergorene Süßmoſte hinüberlenken laſſen. Selbſt wenn dies nur 
bis zur Hälfte gelingt, würde der deutſche Süßmoſtverbrauch auf et wa das 
Zehnfache des heutigen fteigen. 

Dies iſt für uns die eine gewichtige volkswirtſchaftliche 
Tatſache: Durch die gärungsloſe Früchteverwertung werden unſerem Obſt, 
unſeren Trauben weite, ganz neue Abſatzkreiſe gewonnen, die ihnen 
andernfalls völlig verſchloſſen bleiben würden. Die Maſſe unſerer Jugend 
trinkt keinen Wein, auch die meiſten Sportleute und Turner wiſſen, daß fie 
ohne Wein (und erſt recht ohne Bier) ſicherer und länger leiſtungsfähig find. 

on uns allen ferner, die wir heute noch Arbeit haben, zumal von jedem an 
. oder leitender Stelle, fordern die Zeit und der Wettkampf Tag für 

g Einfag der vollen Kraft. Auch der Mann auf der Lokomotive, am 
Lenkrad, am Steuer weiß Dinge, die ſeine Vorgänger vor 20 Jahren noch 
nicht wußten. Alle dieſe trinken vor und während der Arbeit oder zum Teil 
überhaupt nur mehr ſolche Getränke, die nicht müde machen, die nicht in ihren 
feinſten Wirkungen noch lange nachher nachteilig zu ſpüren find; d. h. heute 
trinken ſie leider noch meiſtens Selter, Limonaden u. ä. — ſehr zum Nachteil 
unſerer Landwirtſchaft. 

Die andere volkswirtſchaftliche Tatſache fällt hier noch mehr 
ins Gewicht. Während unſer Tafelobſt zumeiſt guten Abſatz findet, iſt das 
Wirtſchaftsobſt in guten Erntejahren nur unter dem Selbſtkoſtenpreis, unan⸗ 
ſehnliche Ware an Apfeln, aber namentlich auch an Beeren und Sauerkirſchen 
überhaupt nicht verkäuflich. Außer aus den eigentlichen Moſtobſtſorten wird 
aber gerade aus fold) kleinem, unanſehnlichem, dafür aber meiſt um fo wür⸗ 

igerem Obſt der beſte Süßmoſt gewonnen. Was iſt darum natürlicher, ver⸗ 
ſtändiger, wirtſchaftlicher, was liegt mehr im Intereſſe der Volksgeſundheit, 
als alle ſolche Aberſchüſſe zu unvergorenen Moſten zu verarbeiten und in obft- 
armen Zeiten oder Jahren der Volksernährung zuzuführen. Heute drücken 
ſie gundchft lange Zeit auf die Marktpreiſe und müſſen endlich zum großen 
Teil an das Vieh verfüttert oder zu Schnaps gebrannt werden, oder man läßt 
ſie, oft in Anmaſſen, am oder unterm Baume verfaulen. | | 

Ein einziges Beiſpiel für vielel In einem dünnbeſiedelten Kreiſe 
nahe unſerer Oſtgrenze mit wenig über 10 000 Einwohnern ſind 1931 etwa 
8—9000 Zentner Obſt teils verfault, teils als Viehfutter verwendet worden, 
weil eine andere Verwertung unmöglich war. Der dortige Obft- und Garten- 
bauverein erkennt es nun „als ſeine Pflicht und Aufgabe, hier zum allgemeinen 
Nutzen durch Gründung einer kleinen, aber tüchtigen Lohnſüßmoſterei reſtlos 
Wandel zu ſchaffen“. 

Das heißt in der Tat: Dienſt am Volke! Erſt wenn der Obſtbau ſo denkt 
und handelt, kann er ſeine Aufgabe im Leben des ganzen Volkskörpers als 
erfüllt anſehen. 

Wir brauchen auch nus einmal zu rechnen: Was in jener obſt⸗ 
baulich bedeutungsloſen Grenzgegend in einem Jahre an Obſt verfaulte oder 
an das Vieh verfüttert werden mußte, hätte hingereicht, um jeden ein⸗ 
zelnen Einwohner des ganzen Gebietes, die Säuglinge eingeſchloſſen, 
in dem ſchlimmen Vierteljahr von Weihnachten bis Oſtern Tag für Tag 


Flüssiges Obst | 693 


3—4 Apfel oder noch viel beſſer — weil frifh bleibend, etwa 2 Glas 

Flüſſiges Obſt zu verſchaffen. Die Verteilung an alle wäre zunächſt viel- 

leicht ſchwierig. Alle Obſtbauer, Landwirte, Kleingärtner, Landarbeiter aber 

8 un wenigſtens ihren herrlichen, Leben und Geſundheit gebenden 
Strunk. 


Wie die Dinge heute liegen, kann und darf die Zeit nicht ferne Dit wo 
Staat und Gemeinden es als ihre ſelbſtverſtändliche Pflicht 
anſehen werden, nirgends im Reiche, am wenigſten in Gebieten, wo Armut 
oder Trunkſucht herrſcht, auch nur einen Zentner der edlen Gottesgabe, unſeres 
deutſchen Obſtes, verkommen zu laſſen, vielmehr alles reſtlos der Volksernäh⸗ 
rung nutzbar zu machen. : 
Solche billigſte Verarbeitung zu Süßmoſt — unmittelbar für den Gere 
braucher — kann auf zwei Arten erfolgen. 
Der ländliche 17 obſtbauliche Haushalt wird ſeine Obſtüberſchüſſe zu 
Siipmoft für den eigenen Bedarf umwandeln laſſen: fet es von einem 
gelernten Süßmoſter, der mit einfachem Apparat von Haus zu Haus wandert, 
oder mittels unferer guten Süßmoſtkanone, die, von 1—2 ausgebildeten Män⸗ 
nern begleitet, in den Obſtbaugebieten von Ort zu Ort zieht bzw. dorfweiſe 
an feſtem Standorte arbeitet, oder Sag in einer fachmännifch geleiteten Süß⸗ 
moſtküche oder Lohnmoſterei am Orke. In allen ſolchen Fällen muß ein Orts- 
oder Kreisausſchuß der Sache Halt und Stütze geben und einwandfreie Arbeit 
verbürgen. Der ſtädtiſch e Haushalt dagegen läßt billig gekauftes Obſt in 
der örtlichen oder einer nahegelegenen Süßmoſterei — gewerblich oder verein⸗ 
lich — vermoſten und lagert es entweder bei der Herſtellerin auf Abruf oder 
im eigenen Keller ein. Beides iſt in vielen Gebieten des Reiches, vor allem 
im Süden und Weſten, ſchon weithin im Gebrauch. 

Nur nebenbei ſei hier auf ein großinduſtrielles Verfahren zu raſcheſter, 
billigſter und großzügiger Aufarbeitung ganz großer Ernteüberſchüſſe hinge⸗ 
wieſen. Der friſchgepreßte Saft wird dabei ſofort im Vakuum bei niedrigen 
Wärmegraden (30 —35 C) auf ein Achtel feiner Maſſe zu dünnflüſſigem 
Dickſaft . der infolge feines hohen Zuckergehaltes (65 —68 v. H.) 
auch offen unbegrenzt haltbar, auf ſehr geringem Raume lager und leicht 
und billig beförderungsfähig iſt. Dickſaft, beſonders von Upfeln, iſt eine aus⸗ 
gezeichnete Sache für Sportler, Wanderer, Touriſten, Militär, Polizei, 
Kraftfahrer. Die vollkommenſten neuen Anlagen dafür erlauben eine faſt 
völlige Erhaltung des natürlichen Fruchtgeſchmacks und der natürlichen Duft⸗ 
ſtoffe, ſo daß ſolcher Dickſaft mit Waſſer oder Selters verſetzt ſehr angenehm 
und erfriſchend mundet. Bezeichnenderweiſe haben wir bei uns im Reiche 


keine einzige neuzeitliche Anlage, wohl aber eine ſolche ausgeführt nach und 


eingerichtete in Sowjetrußland, der Schweiz, Südafrika uſw. Außer dieſen 
Staaten zeigen namentlich Frankreich und Italien für die hohe Bedeutung 
dieſer Art Obſtverwertung Verſtändnis. | 

Die hohe Bedeutung der gärungsloſen Früchteverwertung für unſeren Obſt⸗ 
und Weinbau wie für unſere Volksgeſundheit iſt augenſcheinlich. Man ſollte 
darum meinen, daß Reich, Länder und Landkreiſe ſich ſeit Jahren alle Mühe 
gegeben haben, die Herſtellung im großen einzuführen oder zu fördern, den 
Erzeugniſſen großzügige Verbreitung zu ſchaffen, namentlich aber Groß⸗ 
abnehmer wie Reichswehr und Neichsmarine (nach dem Beiſpiel etwa der 
engliſchen Kriegsmarine), Krankenanſtalten, Krankenverſicherung, Gaſtſtätten 


694 Hermann Polzer 


uſw., mittelbar oder unmittelbar zu dauerndem Verbrauch in fteigendem Maße 
zu veranlaſſen. Gis heute find wir aber, von Ausnahmen abgeſehen, davon 
noch weit entfernt. Eine Menge Sympathien — eine an kleiner Maß- 
nahmen —, aber nirgends Großes, irgendwie Durchgreifendes! Die Schwei⸗ 
zeriſche Eidgenoſſenſchaft freilich dagegen verbürgt ihren Obſtbauern 
bei gärungsloſer . annehmbaren Mindeſtobſtpreis; fie unter · 
ſtützt in großem Maße die Arbeit der „Propagandakommiſſion für die Er⸗ 
zeugniſſe des ſchweizeriſchen Obſt⸗ und Weinbaus“, die z. B. Jahr für Jahr 
an jedes Schulkind bzw. jeden Rekruten der Schweiz glänzend ab⸗ 
gefaßte, packend bebilderte Flugſchriften über und für Flüſſiges Obſt verteilen 
läßt. Bei uns ſand in dieſem Jahre zum erſten Male die mit großem Ge⸗ 
ſchick und ſeltener Hingabe, aber mit verzweifelt geringen Mitteln arbeitende 
Werbung für Flüſſiges Obſt von ſeiten des Reichs eine — dankbar begrüßte, 
aber noch ſehr geringe — Förderung. Im übrigen bleibt die ganze Aufklärung 
und Werbung den — noch oder zur Zeit geldſchwachen — wirtſchaftlich oder 
gemeinnützig intereſſierten Verbänden und Stellen überlaſſen. 

Die Frage iſt berechtigt: Woher dieſe Zurückhaltung, dieſe in der Hauptſache 
nur platoniſche Sympathie? Bevor wir eine Antwort darauf verſuchen, ſei 
ein Blick auf die für gärungsloſe Früchte verwertung bei uns 
tätigen Kräſte geworfen. 

Bis etwa 1927 waren dies, abgeſehen von einzelnen, weitblickend geleiteten 
Obftbauverbänden und vereinen, faft ausſchließlich Verbände und Gruppen 
alkoholgegneriſcher Richtung. Flüſſiges Obſt galt — neben und gleichen 
Ranges mit Limonaden, Mineralwäſſern, Kaffee, Tee, Milch uſw. — als 
alkoholfrei, als „Erſatzgetränk“ (1), gewertet i. a. nur von ſolchen, die Alkohol 
ablehnten oder ablehnen mußten. 1927/28 erfolgte ein gewaltiger Schritt nach 
vorwärts, aus dieſer Enge hinaus in die Weite des Volkslebens. Der große 
und einflußreiche Deutſche Verein gegen den Mißbrauch geiſtiger Getränke 
(gegen den Alkoholismus) machte ſich damals für diefes volkswirtſchaftlich ſo 
wichtige Gebiet von allen alkoholgegneriſchen Gedankengängen und Amklam⸗ 
merungen frei und gründete — mit Anterſtützung von Reich und einzelnen 
Ländern und Provinzen — der gärungsloſen Früchteverwertung zwei große 
Zentralen tendenzlos⸗ſachlicher Arbeit: die Hauptgeſchäftsſtelle für gärungsloſe 

teverwertung Berlin Dahlem, Zentrale vor allem der deutſchen Sorat 
und Aufklärung, und die ihr organifatoriſch unterſtellte — einzige europäifche 
— Spezialanſtalt für die techniſche Arbeit, Ausbildung und Beratung ), die 
Lehr⸗ und Verſuchsanſtalt für gärungsloſe Früchteverwertung in Obererlen⸗ 
bach b. Frankfurt a. M. Was dieſe beiden Einrichtungen ſeither in offenkun⸗ 
diger und beſonders in ſtiller Arbeit für die Sache geleiſtet haben, läßt fich 
ſchwer Überſchätzen. 

Eine Zuſammenarbeit der wirtſchaftlich intereſſierten Verbände — Reichs⸗ 
verband des deutſchen Gartenbaues und Deutſcher Weinbauverband einer⸗ 
ſeits, Verband der deutſchen Süßmoſtkeltereien andererſeits — mit den ge⸗ 


*) Neben ihren vielen anderen Aufgaben wird dies zum Teil ſeit Jahren mit- 
beſorgt von den beſtehenden Anſtalten für Objt- und Gartenbau, den beiden 
höheren Lehranſtalten in Dahlem und Pillnitz an der Spitze. Die Spezialanſtalt 
in Obererlenbach aber, in der die techniſche Erfahrung von zwei Jahrzehnten 
konzentriert iſt, arbeitet ausſchließlich auf dieſem und für dieſes Gebiet. 


Flüssiges Obst | 695 


nannten gemeinnützigen Zentralen war nun gegeben. Die 1931 gegründete 
Reichsarbeitsgemeinſchaft „Deutſcher Süßmoſt“, geleitet von 
Prof. Dr. Ebert, dem Führer des deutſchen Erwerbsobſtbaues, hat u. a. als 
Aufgaben: Schutz der Naturreinheit durch Schaffung gefetzlicher Begriffs⸗ 
beſtimmungen, rationelle Zuſammenarbeit zwiſchen Anbau, Induſtrie und 
Verbraucher, Schutz gegen unerwünſchte und Schleudereinfuhr, Erleichterung 
und Verbilligung des Vertriebs und Ausſchanks, Organiſierung der Lohn⸗ 
ſüßmoſterei, Werbung für und allgemeine Einführung der Süßmoſte als 
Volksgetränk. Auf allen dieſen Gebieten wurde bereits Wertvolles und Wich⸗ 
tiges erreicht. Aufklärung und Werbung — in Zuſammenarbeit mit der tech⸗ 
niſchen Arbeit, mit wiſſenſchaftlicher Forſchung und ärztlicher Erprobung — 
wurde nun auch amtlich der genannten Hauptgeſchäftsſtelle für gärungsloſe 
Früchteverwertung und den ihr angeſchloſſenen Landes⸗ und Provingialaus- 
ſchüſſen übertragen. 


Warum machen nun, trotz der beſten Ausſicht und all dieſer rührigen Kräfte, 
Verbreitung und Abſatz des Süßmoſtes — ſo ſtark ſie auch zunehmen — nicht 
noch weſentlich raſchere Fortſchritte? Ein Hauptgrund liegt darin, daß die 
Werbung für Flüſſiges Obſt noch keinerlei öffentliche Un- 
terſtützung findet. Irren wir nicht, dann zum guten Teile deshalb, weil 
viele im Süßmoſt noch immer den gefährlichſten Nebenbuhler des Weines 
ſehen. Denkende Führer des Weinbaues und Weinhandels urteilen hier frei⸗ 
lich anders. Der entſcheidende Mann im weitaus größten deutſchen Weinland- 
befitz ſagte uns z. B. vor Jahresfriſt: „Anſeren Wein können wir ſeit Jahren 
nur mit Mühe und Verluſt verkaufen; unſer Süßmoſt aber geht immer glatt 
ab. Darum find wir Freunde des Süßmoſtes.“ And ein Großkeltereibeſitzer, 
ſelbſt feiner Kenner und begeiſterter Liebhaber des Weins, vielleicht mehr noch 
aber Freund unſeres wackeren Winzerſtandes, erklärte uns: „Durch den Trau⸗ 
benſüßmoſt erobern wir unſeren Winzern viele Tauſende von neuen, zumeift 
zahlungsfähigen und treubleibenden Kunden.“ Auch für den Weinbau gilt, 
natürlich mit einiger Einſchränkung, die Erklärung des Deutſchen Obſtbau⸗ 
tags 1930: „Der Sieg der gärungsloſen Früchteverwertung iſt eine Lebens⸗ 
frage für unſeren Wirtſchaftsobſtbau.“ Oder wie ein anerkannter Führer des 
deutſchen Obſtbaues es kürzlich ſagte: „In der Bewegung für Flüffi- 
ges Obſt ſieht unſer darniederliegender Obſtbau den ein- 
zigen wirklich ausſichtsreichen Weg zur Rettung.“ Schon 
aus dieſem Grunde ſollten die leitenden Männer ſich raſch zu entſchiedener, 
tatkräftiger, großzügiger Förderung der gärungsloſen Früchteverwertung und 
aller tüchtigen Werbearbeit für Flüſſiges Obſt (Trauben) entſchließen. 

Ein zweiter Grund für manche Zurückhaltung liegt in der und jener min⸗ 
derwertigen oder gar gefälſchten Ware, die jeweilen, wie üblich, 
mehr und lauter getadelt werden, als man die Mengen wirklich gute Ware 
loben will. Solange Süßmoſt eine kleine Sache für kleine Kreiſe war, bee 
gegnete man minderwertigen Erzeugniſſen nur vereinzelt. Erſt als infolge 
jener geſchickten und weitverzweigten Werbung das öffentliche Intereſſe für 
Flüſſiges Obſt plötzlich außerordentlich zunahm, tauchten bald da und dort 
gewiſſenloſe Geldmacher auf, die hier eine neue Konjunktur witterten und das 
Schaf möglichſt für ſich allein ſcheren wollten, bevor es noch recht geboren war. 
Erleichtert wird fold elendes Handwerk durch das Fehlen geſetzlicher Begriffs 
beſtimmungen über die Beſchafſenheit einwandfreier Süßmoſte. Ein vom 


696 Hermann Polzer 


Reichsgeſundheitsamt und den beteiligten Fachſtellen genehmigter Entwurf 
dafür ſchlummert, wenn wir recht berichtet ſind, ſchon ſeit etwa einem Jahr 
in den Aktenſchränken des zuſtändigen Reichsminiſteriums. Es fei übrigens 
51080 daß einerſeits der Verband der gewerblichen Keltereien, andererſeits 
die Zentrale der freien Lohnſüßmoſtereien kürzlich den Anfang mit einer frei⸗ 
willigen Wertkontrolle ihrer Erzeugniſſe gemacht haben. 

Ein nicht unwichtiger Grund mag für viele auch in den Verkaufs 
preiſen liegen. Gis 1931 waren dieſe für die meiſten Käuferkreiſe ent⸗ 
ſchieden zu hoch. Heute find fie, ſoweit nicht durch Zwiſchenhandel überteuert, 
im Reichsdurchſchnitt gerecht, in einzelnen Gebieten, beſonders in dem mit 
Betrieben zu reichlich geſegnetem Württemberg, infolge ſinn⸗ und gewiſſenloſer 
Preisunterbietung ſogar zu niedrig, ſo daß dabei entweder ein ehrliches Be⸗ 
ſtehen oder eine redliche Arbeit auf die Dauer unmöglich iſt. Jede Kritik an 
den Süßmoſtpreiſen wird ſich freilich folgende Tatſachen vor Augen halten 
müſſen: Jeder Liter Süßmoſt ſtellt den vollen reinen Saft von 3—4 Pfund 
Friſchobſt (-trauben) dar; Süßmoſten ift eine Kunſt und muß mit beſonderer 
Sorgfalt geſchehen; die Lagerung (und Beobachtung) erfordert ſehr viel Zeit 
(3—4 Monate) und große Gewiſſenhaftigkeit; das für die Anlagen und die 
großen Lagerräume aufgewendete Kapital läßt ſich im Jahre in der Regel nur 
einmal ausnützen; für ſehr weite Gebiete des Reichs treten zu den Erzeuger⸗ 
preiſen noch hohe Frachtkoſten; endlich ſind die Ernteerträge und damit die 
Nohſtoffpreiſe bei uns ſehr verſchieden (z. B. zwiſchen 1 und 15 Mark für 
den Zentner Wirtſchaftsäpfel). Berückſichtigt man all dies, fo find die heutigen 
Preiſe für vorzüglichen Apfelſüßmoſt (Berlin frei Haus 80 Pfg. für die 
/ Flaſche, Stuttgart frei Haus 65 Pfg.) eher billig zu nennen. 

Für eine weitere Verbilligung ſtehen u. E. vier Wege offen: Geſetz⸗ 
liche Zulaſſung von Zubereitungen (aus naturreinem Süßmoſt, leicht mit 
Waſſer — mit oder ohne feinperlige Kohlenfäure — verdünnt) ); Einführung 
des Offenausſchanks (aus Aluminium- und V2 A-Tankfäſſern bereits gelöſt; 
die billigen Ballonflaſchen freilich mit Antenanſtich empfehlen ſich auf die 
Dauer nur bei ſorgfältiger Bedienung); zweckmäßige Regelung des Vertriebs 
unter möglichſter Ausſchaltung unnötiger oder mindertüchtiger Zwiſchen⸗ 
händler; endlich (was allerdings zunächſt nur für den Haustrunk in Frage 
kommt) Anterlaſſung der Schönung oder Klärung, wie ja der Kenner über⸗ 
haupt den naturtrüben Süßmoſt als weit gehaltvoller und vollmundiger vor⸗ 
zieht. And natürlich: ſtarke Ausdehnung des Verbraucherkreiſes. 

Bei planmäßiger Anwendung aller dieſer Mittel wird ſich der Süßmoſt⸗ 
preis in jedem Normaljahr zweifellos auf die Höhe des Bierpreiſes 
ſenken laſſen: eine Grenze, die uns überhaupt für jedes Volksgetränk not⸗ 
wendig erſcheint. | 

Warum ſoll nun nicht aud das ſchlimmſte Hindernis für eine allge 
meine Einführung des Flüſſigen Obſtes genannt ſein? Es iſt der Mangel 
an Mut, an Zielſicherheit, an entſchloſſenem Willen bei 
Männern, die für dieſe Sache einzuſtehen berufen ſind, 
auf die es gerade ankommt! Einige Belege nur für hunderte! Eine 
große Obſtbautagung mitten in einem Süßmoſtgebiet. Drückende Sommerhitze, 


*) Vorzuſchreiben wäre dafür ein ſcharf zu unterſcheidender eigener Name 
und genaue Kennzeichnung des Waſſerzuſatzes. 


Flüssiges Obst | 697 


lange ſchwierige Verhandlungen, faft alle die Hunderte tranken wertloſes, aber 
teures künſtliches Mineralwaſſer. Süßmoſt gab es überhaupt nicht. Ebenſo⸗ 
wenig an ſo gut wie allen neueren Tagungen des Obſtbaues und Obſthandels, 
überhaupt der „Grünen Front“. Auch an keiner großen Urztetagung der letz⸗ 
ten Jahre iſt uns Süßmoſt irgend begegnet). Die fortſchrittlichen Männer 
im ſchweizeriſchen Bauernſtand dagegen, vor allem die auf ihren Stand und 
ſeine Aufgaben ſtolze Jungbauernſchaft, fordert bei Feſten und Tagungen die 
naturreinen Erzeugniſſe des Heimatbodens, voran den Süßmoſt. Ebenſo die 
ſchweizeriſchen Hygieniker und Arzte. 

So muß es bald auch beiuns werden! Gerade an uns National- 
ſozialiſten iſt es — für die überlegter Einkauf nur vollwertiger, heimiſcher 
Ware und Käuferhilfe für den deutſchen Bauer, Gärtner, Winzer ſelbſtver⸗ 
ſtändliche Pflichten find —, gerade an uns iſt es, das Flüſſige Obſt einzu- 
führen und durchzuſetzen. Möge jeder nach Willen und Belieben ſein Glas 
Wein oder Vier weitertrinken! Wer aber, aus Gründen der Leiſtung, der 
Geſundheit, der Aberzeugung für den Arbeitstag oder für die Regel oder über⸗ 

upt einen anderen Weg vorzieht, der wähle, fordere, empfehle Flüſſiges 
Obſt, ſetze es, wo er irgend Einfluß hat, durch: Neben Wein und Bier überall 
Flüſſiges Obſt, für den Feſttag Flüſſige Trauben! 

Gaffen wir zuſammen: 

Flüſſiges Obſt iſt der naturreine, unvergorene, auf natürlichem Wege 
haltbar gemachte Saft des Friſchobſtes (friſcher Trauben); 

nach dem Stande der Wiſſenſchaft iſt es ein idealer Nähr⸗ und Kraft- 
quell und zugleich, da nach Sorten und Verfahren jedem Geſchmack 
anpaßbar, ein ideales Volksgetränk, gegeben beſonders für Jugend, 
Frauen, Sport; 

bei der Behandlung, Ernährung, Heilung des Kranken und des Genefen- 
den iſt es vielſeitig und in hohem Maße wertvoll; 

der Verbrauch ſteigt raſch, die Ausfichten für Vervielfachung des Abſatzes 
find ſehr günſtig; 

unanſehnliches und beſonders kräftig ſäuerliches Obſt ergibt die beſten, 
dem Volksgeſchmack am meiſten zuſagenden Süßmoſte; 

nur die Herſtellung von Flüſſigem Obſt im großen kann den heimiſchen 
Obſtmarkt von den ihn ſchwer drückenden, kaum oder nicht verkäuflichen 
Warenmengen entlaſten und damit Ertrag und Rente ſteigern; 

großzügige Herſtellung von Obſt⸗Dickſäſten erlaubt eine Vorratswirt⸗ 
ſchaft im großen für obſtarme Jahre; 

zur Durchführung der Obſtverſorgung, der Herſtellung, der Aufklärung 
und Werbung genügen i. a. die vorhandenen Kräfte; 

von den Behörden iſt dringend zu erhoffen: VBaldige Herausgabe der 
Begriffsbeſtimmungen über Flüſſiges Obſt; Anterſtützung und Aus⸗ 
bau der beſtehenden Einrichtungen für Wertkontrolle; ausgiebige geld- 
liche und moraliſche Förderung der Werbung für Flüſſiges Obſt. 


) In Maſſen, in beſter Güte und zu billigem Preiſe hoffen wir ihn beſtimmt 
zu finden auf dem Deutſchen Turnfeſt in Stuttgart 1933, mitten im 
Süßmoſtlande Württemberg. 


698 Karl Scheda 


Zur allgemeinen Einführung des Flüffigen Obftes als Volksgetränk wür⸗ 
den durchſchlagend beitragen: 


Verſtändnisvolles Mitgehen der großen Beamtenkörper und der Heeres⸗ 
und Flottenverwaltung; | 

Bereitwilligkeit von Krankenbehandlung und Krankenverſicherung; 

vor allem aber das Vorbild der Führer: 

Flüſſiges Obſt auf den Alltags-, erft recht auf den Feſttiſch! 

Neue Sitten kommen immer von oben. Anſer Obft- und 
Weinbau verdienen es und haben es dringend nötig, daß 
Flüſſiges Obſt, Flüſſige Trauben in Deutſchland „Mode 
werden und Sitte bleiben. 


Karl Scheda: 
Guſtav Ruhlands Leitſätze für Mittelſtanoͤs politik 


Wir haben zum Gedenken an den großen deutſchen Volkswirt 
Ruhland im Januar eine mehr lebensbeſchreibende Studie Schedas 
veröffentlicht. Am die Erkenntnis zu vertiefen, bringen wir, gleid- 
falls von Karl Scheda bearbeitet, die nachſtehenden Leitſätze Nuh - 
lands zur Mittelſtandspolitik. H. R. 


1. Der „echte“ Mittelſtand iſt die wirtſchaftlich ſelbſtändige Mittelklaſſe, die 
wiſſenſchaftlich mit dem ſogenannten „modernen“ Mittelſtande der beſſer⸗ 
geſtellten, abhängigen Leute nicht verwechſelt werden darf. Er tft heute zwi⸗ 
ſchen zwei Mühlſteine geraten; zwiſchen die unbeſchränkte Reichtumsmeh⸗ 
rung der Oberſchichten der modernen Geſellſchaft und zwiſchen die politiſchen 
Erfolge der unteren, abhängigen Leute (Proletarier). Der Kernpunkt unſerer 
Mittelſtandsauffaſſung liegt darin, daß die Angehörigen des echten Mittel- 
ſtandes ihre erſten Arbeiter und zugleich Eigentümer ihrer 
Produktions mittel find. Dabei ijt entwicklungsgeſchichtlich das Auf⸗ 
ſteigen dieſer Mittelſtandsleute aus der Arbeiterſchaft das Normale. Lehrling, 
Fra Meiſter — Bub, Knecht, Bauer — Praktikant, Verwalter, Guts⸗ 

eſitzer. | 

2. Bei der wiſſenſchaftlichen Beurteilung des Mittelſtandsproblems fteben 
ſich zwei philoſophiſche Auſfaſſungen des Menſchen gegenüber: die indivi⸗ 
dualiſtiſche und die volksorganiſche Auffaſſung. Nach der indivi⸗ 
dualiſtiſchen Auffaſſung ſteht das einzelne Individuum im Mittelpunkt 
aller Erwägungen. Ihr iſt die Volkswirtſchaft nur die Summe aller Private 
wirtſchaften; der Wille der Staatsgemeinſchaft kommt durch die Mehrheit der 
Staatsbürger zum Ausdruck. Die Forderungen der verſchiedenen Intereſſenten⸗ 
gruppen ſind „gleichberechtigt“. Der politiſche Ausgleich der Gegenſätze 
muß auf der mittleren Linie geſucht und gefunden werden. Alle Politik 


Gustav Ruhlands Leitsätze für Mittelstandspolitik 699 


aft im weſentlichen Gegenwartspolitik. Das Endziel aller Entwid- 
VJ Mehrung des Reichtums an materiel. 
en ern. 


Nach der volksorganiſchen Auffaſſung — die ſchon ſeit Plato und 
Ariſtoteles vertreten wurde — iſt „ein Menſch kein Menſch“ (unus homo 
nullus homo). Nur der „größere Menſch“, wie er im Laufe der Sabr- 
hunderte geworden als „nationales Gebilde“ allen vor Augen ſteht mit 
dem unverkennbaren Einſchlag einer menſchheitlichen Entwicklung, iſt der 
„Menſch“ im wiſſenſchaftlichen Sinne. Hiernach iſt die Volkswirtſchaft un⸗ 
endlich viel mehr als nur die „Summe der Privatwirtſchaften“; und der ver⸗ 
antwortliche Wille der Staatsgemeinſchaft iſt etwas ganz anderes als nur der 
„Wille der Mehrheit der Staatsbürger“. Die Forderungen der verſchiedenen 
Intereſſentengruppen find als „geſund“ oder „krank“ zu bezeichnen. Von 
ihrer Gleichberechtigung oder einem Ausgleich auf der mittleren Linie kann gar 
keine Rede fein. Die Gegenwarts politik muß die ganze Sorge 
für die Zukunft des Volkes mit umſchließen, und ihr haben ſich 
alle gegenwärtig lebenden Einzelnen mit ihren Intereſſen ſchlechthin unterzu⸗ 
ordnen. Die Politik wird ſo zu einem gewaltigen Entwicklungsproblem, als 
deſſen Endziel nicht der „größere Reichtum“, ſondern die 
eg abl menſchenwürdige Entfaltung Aller zu bezeich⸗ 
nen iſt. 


3. Die individualiſtiſche Auffaſſung des Menſchen ſieht in dem 
heutigen Mittelſtandsproblem nur ei ne der vielen gleichberechtigten Spezial⸗ 
fragen der Gegenwart und ſteht deshalb dieſer ratlos gegenüber. Folgerechter⸗ 
weiſe haben eine Reihe von Vertretern dieſer Auffaſſung erklärt: der alte 
Mittelſtand ſei nicht zu halten, er müſſe nach und nach ver⸗ 
I Hwinden. So die Freihändler, der Marxismus und der Kathederſozia⸗ 

is mus. 


Die volksorganiſche Auffaſſung des Menſchen führt zur Erkenntnis, 
daß die Lebensbedürfniſſe des „größeren Menſchen“, des Volkes, 
abſolut unvereinbar find mit dem heutigen Auflöſungsprozeß des Volkes in die 
Reichen auf der einen — und die Maſſe der abhängigen Leute auf der anderen 
Seite. Das geſunde Leben aller Kulturvölker der Geſchichte hatte ſtets das 
Vorhandenſein einer möglichſt breiten Schicht wirtſchaftlich unabhängiger 
Exiſtenzen zur Vorausſetzung. Dieſes Lebensintereſſe des „grö- 
ee Menſchen“ muß ein unbeſchränktes Erwerbsrecht der 

eichſten ausſchließen; denn durch dasſelbe gelingt es der Oberſchicht 
der modernen Geſellſchaft, die jährlich zuwachſenden, neuen felb- 
ſtändigen Arbeitsgelegenheiten in Syndikaten und Truſts 
aller Art ſchon im voraus für ſich zu mon opoliſieren. Deshalb 
fehlt heute der wirtſchaftliche Raum zum Sichemporarbeiten, zum Selbſtändig⸗ 
machen, für die Tüchtigen der unteren Volksſchicht, und die Mittelſchicht wird 
gleichzeitig nach und nach vernichtet. Verſchwindet aber durch Beſeitigung des 
unbeſchränkten Erwerbsrechts der Reichften der Grundbegriff des „Kapita⸗ 
liſten“, jo kommt damit auch der Grundbegriff des „Proletariers“ aus 
dem Syſtem der Nationalökonomie in Wegfall. So z. B. durch ein allgemei⸗ 
nes Kontingentierungsgeſetz mit individuellem Kataſter für die ſelbſtändigen 
Erwerbsgelegenheiten. 


700 Karl Scheda 


4. Unfere moderne, individualiſtiſche Proletarierpolitik ſucht Durch Ge⸗ 
ſetze aus den Taſchen der Arbeitgeber und des Staates wie der Kommunen mit 
ergänzenden Beiträgen der Verſicherten das Einkommen der Proletarier etwas 
beſſer zu ſtellen und den verſchiedenen Anglückslagen zu begegnen. Dabei wird 
das Gefühl der wirtſchaftlichen Selbſtverantwortlichkeit im Volke gemindert. 
Die Bahn zum Aufrücken der tüchtigen Hilfsarbeiter in den 
unabhängigen Mittelſtand iſt nicht freigehalten worden. 
Deshalb die zunehmende Verbitterung der Proletarierbewegung, die ſichtlich 
abnehmende Arbeitsfreudigkeit der unteren Volksſchichten mit allen bekannten 
weiteren Entartungserſcheinungen am ganzen Volkskörper. 

Die volksorganiſche Auffaſſung der Mittelſtandspolitik als leitender 
Gedanke unſerer geſamten Wirtſchaftspolitik würde alſo darin liegen: einem 
jeden Mitbürger, der ſich dienend an die große ſoziale Arbeitsgemeinſchaft 
des nationalen Volkskörpers anſchließen will, auch Arbeitsgelegenheit zu geben. 
Für die tüchtigen unter dieſen Hilfsarbeitern muß ſich 
dann die Möglichkeit zur wirtſchaftlichen Verſelbſtändi⸗ 
gung bieten. Es muß alſo für tüchtige Leiſtungen dem Gehilfen (Hilfs⸗ 
arbeiter) ein Emporarbeiten auf der ſozialen Stuſenleiter zur wirtſchaftlichen 
Freiheit und Selbſtverantwortlichkeit offengehalten bleiben. Nur ſo wird 
die Arbeitsfreudigkeit im Volke wachgerufen, der Klaſſen⸗ 
haß beſeitigt, und an feine Stelle tritt das Gefühl der Zu- 
ſammengehörigkeit des Einzelnen mit dem Ganzen. 

5. Daß für eine ſolche volksorganiſche Neuordnung unſerer geſamten Er⸗ 
werbsverhältniſſe ähnliche Abergangsbeſtimmungen Platz greifen müßten, wie 
ſolche ſeinerzeit für den Abergang aus der feudalen in die individualiſtiſche 
Geſellſchaftsordnung eingetreten ſind, iſt ſelbſtverſtändlich. 


Nuhlands Leitſätze für wirtſchaftliche und ſoziale Reformen in der 
Deutſchen Landwirtſchaft 

1. Ruhland verwirft ſowohl die Grundſätze der ſreihändleriſchen, großkapi⸗ 
taliſtiſchen Wirtſchaftsanſchauung als auch die Grundſätze des Marxismus. 
Er vertritt eine ſelbſtändige, die „volksorganiſche Weltanſchauung“. 
Seine Forderungen ſind daher eigenartig und ſtehen, die wahrhaft berechtigten, 
dauernden Belange Aller vereinigend, auf germaniſch⸗chriſtlicher Grundlage. 

2. Ruhland erſaßt daher in dem weiteren Ausbau ſeiner reformatoriſchen 
Beſtrebungen nicht nur die Belange der Landwirte, ſondern nach der chriſtlich⸗ 
organiſchen Auffaſſung die Lebensintereſſen des ganzen Volkes, aber nicht wie 
der Freihändler vom Kapital ausgehend und nicht wie der Marxismus vom 
Induſtriearbeiter ausgehend, ſondern von der natürlichen Grundlage aller wirt⸗ 
1 Dinge vom vaterländiſchen Grund und Boden aus: 
gehend. 

3. Die für die Geſamtheit erſprießliche Nutzung des vaterländiſchen Grund 
und Bodens ſchafft und erhält die ſelbſtändigen Einzelwirtſchaften, die das 
notwendige wirtſchaftliche und ſoziale Gleichgewicht eines Volkes bedingen. 
Nur auf eine blühende Landwirtſchaft geſtützt, vor allem auf einen unabhän⸗ 
gigen und wohlhabenden Bauernſtand, findet der Mittelſtand in Handwerk, 
Induſtrie und Handel den ſicheren Halt zu ſeinem Blühen und Gedeihen. Nur 
durch möglichſte Ausbreitung eines geſunden Mittelſtandes wird die ſoziale 


Gustav Ruhlands Leitsätze für Mittelstandspolitik 701 


Frage gelöſt, weil nur der Mittelſtand Kapital und Arbeit organisch in einer 
Perſon vereinigt und damit die Grundzelle einer gefunden Volkswirtſchaft 
bildet. Auch das Gedeihen der Arbeiterſchaft iſt mit dem Beſtehen eines ge- 
ſunden, kräftigen Mittelſtandes aufs engſte verknüpft, denn der Aufſtieg der 
dazu befähigten Arbeiter in den ſelbſtändigen Mittelſtand verſchafft ihm auf 
organiſche Weiſe das Arbeitsprodukt als den natürlichen Arbeitslohn, was der 
Marxismus rein mechaniſch durch die Verſtaatlichung der Produktionsmittel 
erſtrebt. Durch dieſelbe würde aber nicht nur die auf jahrtauſendjährige Ent- 
wicklung beruhende Freiheit der Arbeit vernichtet werden, ſondern auch Volk 
und Vaterland. 

Die Marriften unterſtützen in ihrem Irrwahn die jetzige großkapitaliſtiſche 
Entwicklung in ihrer ungehinderten RNeichtumsmehrung und ihrer Vernichtung 
des Mittelſtandes in Stadt und Land. Indem die Not die ſo vernichteten 
Exiſtenzen auf den Arbeitsmarkt treibt, übt ſie auf dieſen einen für die Arbeiter 
höchſt ſchädlichen Druck aus. Kapitalismus und Marxismus bekämpfen alle 
Maßnahmen zur Geſundung unſeres Volkskörpers durch Erhaltung und Ver⸗ 
mehrung des Mittelſtandes. So erklärte der Begründer des Hanſabundes (zur 
Bekämpfung der Landwirtſchaft), weiland Geheimrat Rießer, „daß man hinter 
einem Leichenwagen weder philoſophieren, noch Geſetze machen und die Wir- 
kungen der Börſenkriſen auf den nationalen Wohlſtand nicht zum Ausgangs- 
punkt von Reformen wählen dürfe.“ Die Befolgung dieſes Rates würde aber 
nach Ruhland die ſchwerſte Pflichtverletzung gegen Volk und Vater— 
land bedeuten. 

4. Somit baut ſich die Löſung aller großen wirtſchaftspolitiſchen Fragen der 
Gegenwart organisch auf der Löſung der Agrarfrage auf. Die ſyſtematiſche 
Ausgeſtaltung des Agrarrechts mit Rückſicht auf die Bevölkerungszunahme 
fordert vor allem eine rationelle bäuerliche Beſitzverteilung mit einer Enteignung 
ſolcher Beſitzungen zugunſten der inneren Koloniſation, die aus bäuerlichen 
Händen während der letzten 20 bis 30 Jahre in Großgrundbeſitz übergegangen 
ſind. Eine zweckdienliche Behandlung unſerer Bevölkerungszunahme fordert 
ferner die Einführung des Inſtitutes des antizipierten Erbrechts im Sinne 
eines beſcheidenen Pflichtteilrechts durch eine obligatoriſche Volksverſicherung 
nach den Vorſchlägen Marlows und Schäffles. Eine andere Quelle der Ent— 
eignung ſoll zugunſten der inneren Koloniſation aus jenem Luxusbeſitz fließen, 
der wiederholt zu ſteigenden Preiſen die Hand gewechſelt hat. 

5. Die Landbevölkerung wird durch eine obligatoriſche Volksverſicherung 
als Ausſteuer- und Einrichtungsverſicherung in drei Gruppen geteilt: 


a) die ländlichen Lohnarbeiter, die mit einer Verſicherungsſumme von 2 bis 
3000 Mark ausgerüſtet ſind; 

b) der ländliche Mittelſtand, der mit einem Betrage von 20 bis 30 000 Mark 
je Kopf ausgeſtattet iſt, und 

c) die Großgrundbeſitzerfamilien, deren Angehörige je Kopf mit einem Be— 
trage von 100 000 Mark verſichert ſind. 


Alle dieſe Verſicherungsbeträge werden den betreffenden jungen Leuten aus— 
gezahlt, wenn fie 24 Jahre alt geworden und ſich bis dahin für die Landwirt⸗ 
ſchaft zum dauernden Aufenthalt auf dem Lande vorbereitet haben. 

6. Die Arbeiter, die aus der öffentlich⸗rechtlichen Verſicherung einen Betrag 
von 2—3000 Mark auf Grund jährlicher Zahlungen ihrer Eltern von je 60 


702 Karl Scheda 


bis 80 Mark erhalten, bekommen dieſe Beträge natürlich nicht zur inneren 
Koloniſation, ſondern um nicht als Proletarier geboren zu werden und als 
Spareinlage für das Lebensziel einer wirtſchaftlichen Verſelbſtändigung. Sue 
gleich haben ſie die Verpflichtung, nicht vom Lande nach der Stadt abzuwan⸗ 
dern oder den Verſicherungsbetrag zugunſten anderer Landarbeiter, die dieſe 
Verpflichtungen erfüllen, zurückzuzahlen. Endlich bleibt auch der Anſchluß an 
4 Arbeiterorganiſationen oder andere Klaſſenkampfverbände unter- 
agt. 

7. Ruhland verfolgt in zielbewußter Einwirkung auf die Getreidepreiſe die 
Intereſſen ſowohl der Erzeuger als auch der Verbraucher. Seine Forderungen 
richten ſich gegen den herrſchenden, freihändleriſchen Großkapitalismus, der das 
Wirtſchaftsgebiet der Völker der durchaus unchriſtlichen, ſpekulativen Ausbeu⸗ 
tung überliefert und hierbei bald die Erzeuger, bald die Verbraucher ausbeutet. 
Ruhland erſtrebt eine geſetzliche Förderung nationaler Syndikate auf öffent- 
lich⸗ rechtlicher Grundlage, insbeſondere auch nationale Verkaufsvereinigungen 
der deutſchen Müller zum Mehlvertrieb zum gerechten Preiſe. 

8. Die gleiche beſſere Regulierung der Preiſe muß auch bei Vieh und Fleiſch 
erreicht werden. Denn nur ſtetige, mittlere Preiſe können allen berechtigten 
Intereſſen gleichmäßig gerecht werden. Nach dieſer Richtung erſtrebt Ruhland 
zweckentſprechende Vereinbarungen zwiſchen den Metzgerzünften als Vertreter 
der nationalen Verkaufsvereinigungen und der Viehverwertungszentrale der 
deutſchen Landwirte. 

9. Durch eine ſolche moderne Ordnung der Preisbewegung auf mittlerer 
Preislinie zunächſt für Brot und Fleiſch wird zwar der einzelne, indirekte 
Händler im heute üblichen Sinne nach und nach verſchwinden, aber durch den 
C der Verkaufsvereinigungen mit geſichertem Einkommen erſetzt 
werden. 


Ruhlands Leitſätze für vaterländiſche Verufsvereine 


1. Die „volksorganiſche“ Arbeit — als die redliche, wertſchaffende Ar⸗ 
beit des Einzelnen in harmonifcher Verbindung mit jener der großen ſozialen 
Arbeitsgemeinſchaft — iſt die Quelle aller wirtſchaftlichen Werte. Der Idee nach 
umſchließt dieſe große ſoziale Arbeitsgemeinſchaft die ganze Menſchheit mit 
ihrer geſamten geſchichtlichen Entwicklung. Aber praktiſch⸗politiſch kann heute 
nur die nationale Volksgemeinſchaft erfaßt werden. Wenn der Einzelne in 
dieſer gewaltigen Arbeitsgemeinſchaft „arbeiten“ will, dann muß er ſich als 
„dienendes“ Glied der nationalen Volksgemeinſchaft anſchließen. So hat 
ſich ſchon Friedrich der Große als erſten Diener des Staates bezeichnet. Im 
gleichen Sinne muß fi) auch jeder „Arbeiter“ — gleichviel in welcher Stel- 
lung — der Volksgemeinſchaft in irgendeiner Weiſe „dienend“ anſchließen. 
„Arbeiten“ im volksorganiſchen Sinne heißt daher „dienen“. Wer nicht 
dient, ſondern als reiner Egoiſt „ſpekuliert“, ſchafft keine Werte, ſondern 
überträgt nur Werte aus anderer Leute Taſche in ſeine Taſche, wie dies ſelbſt 
David Ricardo eingeräumt hat. Ein ſolcher Mann ſtellt ſich tatſächlich außer⸗ 
halb der nationalen Volksgemeinſchaft. Seine gemeinſchädliche Erwerbsart iſt 
leider heute möglich, weil viele unſerer Geſetze teils aus fremden Rechten her⸗ 
rühren, teils auf Grund falſcher volkswirtſchaftlicher Theorien entſtanden ſind. 


Gustav Ruhlands Leitsätze für Mittelstandspolitik 703 


Die leider auch heute noch in der Wiſſenſchaft allgemein übliche, nur indi- 
vidualiſtiſche Betrachtung, die nur den einzelnen Menſchen arbeiten 
fleht, verſchließt ſich dem wahren Kern des gewaltigen Arbeitsprozeſſes und 
verdunkelt und verwirrt deshalb das Problem der gerechten Arbeits. 
entlohnung, ſtatt es wiſſenſchaftlich zu klären und zu löſen. 

2. Im Sinne dieſer „volksorganiſchen Auffaſſung“ iſt die Frage 
nach dem „gerechten Lohne“ des einzelnen Arbeiters nur aus dem Ganzen 
der nationalen Rechtsordnung zu löſen. Satz für Satz unſerer Geſetze muß 
. ſeiner lebendigen Wechſelbeziehungen zur gerechten Entlohnung der 

beit einer grundsätzlichen Prüfung unterzogen werden. So ſagte auch Paul 
Anton de Lagarde: „Sind Bürger, d. h. organiſch eingefügte Glieder eines 
Gemeinweſens, ſo geht jeden Einzelnen von uns die Krankheit jedes Teiles 
dieſes Gemeinweſens genau ſo viel an, wie das Herz die Krankheit des Kopfes 
und die Hand das Abelbefinden des Fußes. Kein Glied leidet, ohne daß das 
Ganze leidet. Darum hat jedes Glied das Beſtreben und die Befugnis, jedem 
anderen Gliede von ſeiner Krankheit zu helfen. Daraus folgt mit zwingender 
Notwendigkeit, daß jedes im Staat geſchehene Anrecht nicht bloß den Ein⸗ 
zelnen trifft, dem es zugefügt wird, nicht bloß das ſtark unperſönliche Ganze, 
worin es vorkommt, ſondern durchaus jeden, neben dem es geſchieht. Es iſt 
ſchier Albernheit, nicht ans Löſchen zu denken, wenn des Nachbarn Haus brennt; 
denn eine Wendung des Windes, ein verzettelter Funken kann mein eigenes 
Dach in Flammen ſetzen. In der ſittlichen Welt haben wir es noch dazu nie 
mit einem Nebeneinander, ſondern ſtets mit „Organismen“ zu tun, deren 
Glieder ſich weit näher angehen, als die Häuſer der Nachbarn. Das Gute wie 
das Böſe iſt nun einmal nach Zarathuſtra und dem Evangelium ein Reich. 
Aberdies iſt Gift um ſo zerſtörender, je höher der Ort iſt, wo es erzeugt wird. 
Die aus Menſchen entſtandenen Krankheitsſtoffe ſind auf körperlichem wie ſitt⸗ 
lichem Gebiete gefährlicher als alle anderen Krankheitsſtoffe und darum unbe⸗ 
dingt ſofort, wie ſie ſich zeigen, zu verjagen und möglichſt zu vernichten. 

3. Die Entwicklungsgeſchichte der Völker lehrt uns, daß alle höher ent ⸗ 
wickelten Kulturvölker am Klaſſenhaß und Klaſſenkampf 
zugrunde gegangen ſind, nachdem unter der Herrſchaft des individua⸗ 
liſtiſchen Kapitalismus das nationale Gemeinſchaftsbewußtſein der Volks⸗ 
W verlorengegangen war. Der Weg hierzu war ſtets mit allgemeinen 

euerungserſcheinungen und wiederkehrenden Wirtſchaftskriſen gepflaſtert. 
Beides haben wir heute wieder und gleichzeitig den organiſierten Klaſſenhaß 
und Klaſſenkampf, hervorgerufen durch die wieder allgemein herrſchend gewor⸗ 
dene kapitaliſtiſche Entwicklung. Im Intereſſe der Rettung unſeres Vater⸗ 
landes muß es deshalb möglichſt bald gelingen, dieſe entſchieden kapitaliſtiſche 
Entwicklung mit ihrem entſchieden egoiſtiſchen Grundtone wieder zu beſeitigen. 
Der „Kapitalismus“ in unſerem Sinne entſpricht keineswegs der Marx⸗ 
ſchen Theorie der angeblichen Ausbeutung der Lohnarbeiter durch den Arbeit⸗ 

eber bei der Privatwirtſchaft, ſondern der echte Kapitalismus war immer die 

neignung der Vermögensrechte Anderer in einem Verkehr, bei dem Leiſtung 
und Gegenleiſtung ſich nicht entſprechen. Die Möglichkeit einer ſolchen ver⸗ 
traglichen Aneignung der Vermögensrechte Anderer unter Mitwirkung un⸗ 
ſerer RNechtsorgane beruht auf dem ganzen Syſtem unſerer Geſetze, die dem guten 
Geiſte unſeres angeſtammten Deutſchen Rechts durch eine ganze Reihe von 
Rezeptionen fremder Rechte untreu geworden find. Es muß daher wieder der 


Agrarpolitik Heft 9, Bg. 6 


704 Karl Scheda, Gustav Ruhlands Leitsätze für Mittelstandspolitik 


Aquivalenzwert (Buchwert oder Sachwert oder gerechter Preis) in die Geſetz⸗ 
gebung eingeführt werden. Dadurch wird dann der heutige Aberſtand verhütet, 
daß alljährlich viele Milliarden Mark als mühe- und arbeitsloſer Gewinn 
vereinnahmt werden. Aus der Luft können dieſe Summen nicht gegriffen wer⸗ 
den, alſo müſſen andere dafür aufkommen. Im Sinne der volksorganiſchen 
Auffaſſung verdichten ſich dieſe mühelos vereinnahmten Milliarden Mark zu 
regelmäßig wiederkehrenden Teuerungserſcheinungen und allgemeinen Wirt⸗ 
ſchaftskriſen. Dieſen tieferen Zuſammenhang und unſere ungeſunde Ver⸗ 
mögensverteilung hat der berühmte Nationalökonom Albert Schäffle ſchon 
nach der Kriſis von 1873 mit den Worten gekennzeichnet: „Anſere allgemeinen 
Wirtſchaftskriſen müſſen unter dem Geſichtswinkel ungeſunder Vermögens⸗ 
verteilung als eine förmliche Methode der Vernichtung der kleineren Vermögen 
as das große Börſenkapital mittels organiſierter Spielkuppelei betrachtet 
werden.“ 

Auch die materialiſtiſche Geſchichtsauffaſſung des Marxismus iſt abzu- 
lehnen, die bei einſeitiger Betonung der materiellen Produktivkräfte die idealen 
Lebenskräfte des nationalen Volkskörpers Pee überſieht und deshalb im 
weſentlichen als falſch bezeichnet werden muß. Gänzlich unhaltbar iſt daher 
auch die Anficht Engels’: „Die Ideen ſeien bloße Kleider, die getragen werden, 
aber nicht ſelbſt tragen.“ 

4. Anſere Reichsfinanzreform von 1909 hat auch den „un verdienten 
Wertzuwachs“ zur Steuerleiſtung herangezogen. Das war ein weſentlicher 
Gort{dritt, und dadurch iff das Problem des „müheloſen Wertzuwachſes“ 
einer eindringlichen Prüfung nähergerückt worden. Aber es iſt zu bedauern, 
daß dieſes Geſetz nur den Wertzuwachs beim Grund beſitz erfaßt, die 
genau gleiche Erſcheinung aber bei allen Formen des beweglichen Be⸗ 
ſitzes unberückſichtigt läßt. Leider find auch noch alle müheloſen Bereicherun⸗ 
gen, die mit einer Wertminderung ſo häufig verknüpft ſind, gleichfalls nicht 
erfaßt worden. Vom Standpunkte der volksorganiſchen Betrachtungsweife 
muß endlich geſagt werden, daß dieſe bedauerlichen Aneignungen der Ver⸗ 
mögensrechte Anderer niemals dadurch „ſanktioniert“ werden können, daß die 
Staatskaſſe gewiſſe Prozente davon als Steuern vereinnahmt. Die volks⸗ 
organiſche Auffaſſung verlangt unbedingt, jede dieſer vielen Arten des mühe⸗ 
loſen Erwerbs grundſätzlich zu verhüten, denn in irgendwelcher Form müſſen 
dieſe müheloſen Gewinne von der ehrlichen, wertſchaffenden Arbeit als eine 
Verkürzung ihres gerechten Lohnes getragen werden. N 

5. An der baldigen und richtigen Löſung der Frage des gerechten Lohnes 
find alle Volksglieder vom Herrſcher bis zum letzten Arbeiter gleich ſtark inter⸗ 
eſſiert. Es iſt deshalb ein großer Irrtum, dieſe Frage nur für die Proletarier⸗ 
maſſen als die Klaſſe der Lohnarbeiter löſen zu wollen. Wenn aber die Frage 
des gerechten Lohnes Alle angeht, die in ehrlicher Arbeit ihr Auskommen finden 
wollen, dann kann auch von einer ſozialen Berechtigung des Klaf- 
ſenkampfes keine Rede fein. Statt des Klaſſenhaſſes und der Selbſt⸗ 
ſucht ſollte mit Eifer die Geſinnung des nationalen Gemeinſchaftsbewußtſeins 
gepflegt werden und ſchon in das Gemüt der Kinder verſenkt werden durch eine 
groß angelegte Schulreform, die in einem modernen Religionsunterricht gerade 
dieſe Geſinnungspflege mit einer beſonderen Weihe zu umgeben hat. Denn 
die ſoziale Frage iſt keine Magenfrage, fondern eine Frage 
der Amwandlung eines jeden Menſchen aus einem Egoiſten 


705 


in ein dienendes Glied des nationalen Volkskörpers. Diefe 
volksorganiſche Auffaſſung hat ſchon vor Jahrhunderten in dem Satz: ein 
Menſch iſt kein Menſch! den richtigen Ausdruck gefunden. Damit wird keines⸗ 
wegs eine Geringſchätzung des Einzelnen als Perſönlichkeit verbunden. Schon 
Friedrich Rückert hat mit Recht geſagt: „Wie groß für Did) Du feift, vorm 
Ganzen biſt du nichtig, doch als des Ganzen Glied bift du als kleinſtes wichtig.“ 
„Mache ein Organ aus dirl“ ſagt auch Goethe. Lerne deshalb ſchon in 
der Schule die Pflichten kennen, die du der nationalen Volksgemeinſchaft 
gegenüber zu erfüllen haſt, um ein rechtes Organ derſelben zu werden. Lerne 
mit deinem geiftigen Auge erkennen, daß der Dichter des ſchönen Vaterlands⸗ 
liedes, Hoffmann von Fallersleben, die volle Wahrheit geſagt hat, als er ſang: 
ne id bin und was ich habe, dank’ ich dir, mein Vater: 
a n u 


Das Archiu 


Das Archiv 


In der vergangenen Berichtszeit hat 
durch die Ernennung Adolſ Hitlers 
zum Reichskanzler eine ſo umfaſſende 
Amwälzung auf ftaats- ſowie wirt- 
ſchaftspolitiſchem Gebiet eingeſetzt, daß 
dieſe eine ganz neue Lage geſchaſfen hat. 
Trotz des Reichstagswahlkampfes hat 
die Reichsregierung auf agrarpoliti- 
ſchem Gebiet umfaſſende Maßnahmen 
ergriffen, um die Not der Landwirt- 
ſchaft zu beheben. Es iſt nun natürlich, 
daß die Preſſe dieſe Maßnahmen wäh⸗ 
rend des Wahlkampfes in ihren Rom- 
mentaren rein agitatoriſch ausnutzte. 
Vor allem die Links. und Gewerk- 
ſchaftspreſſe verſuchte eine Hetze gegen 
die Reichsregierung mit dem Einwand 
in Szene zu ſetzen, daß durch die Maß⸗ 
nahmen der Reichsregierung die Le- 
bensmittelpreiſe verteuert würden. 
Die Zentrumspreſſe leiſtete ſich den 
Spaß in ihren bäuerlich eingeſtellten 
Zeitungen, die Maßnahmen der Re- 
gierung als zu gering zu kritiſieren, 
während die Zeitungen des zentrüm- 
lichen Gewerkſchaftsflügels, wie z. B. 
„Der Deutſche“, dasſelbe Argument 
gegen die agrarpolitiſchen Maßnahmen 
ins Feld führt wie die Marxiſtenpreſſe. 

Es iſt natürlich, daß die Zeitungen, 
die hinter der Reichsregierung ſtehen, 
die Maßnahmen der Reichsregierung 
für die Landwirtſchaft nicht nur be⸗ 


6* 


grüßten, ſondern ſie als Anfang eines 
neuen wirtſchaftlichen Aufſtieges des 
deutſchen Volkes mit gutem Recht be⸗ 
zeichneten. 

Ein lebhaftes Echo in der Preſſe 
hat vor allem die landwirtſchaftliche 
Vollſtreckungsſchutz Verordnung vom 
15. Februar gefunden. Aus der Fülle 
der Preſſe⸗Kommentare möchten wir 
hier nur einige wenige anführen. Die 
„JS. Landpoſt“ Folge 10 vom 5. März 
ſchreibt: „Der Zweck des Vollſtreckungs⸗ 
ſchutzes ſoll ſein, eine ſeeliſche Entſpan⸗ 
nung innerhalb des durch Steuerbüt⸗ 
telei und Zwangseingriffe vollſtändig 
zermürbten Bauerntums zu erzielen 
und dafür Sorge zu tragen, daß die 
kommenden Hilfsmaßnahmen noch den 
derzeitigen Beſitzern und nicht dem wie 
ein blutſaugeriſcher Vampyr über den 
Höfen liegenden Leihkapital zugute 
kommen.“ Die „Deutſche Zeitung“ vom 
15. 2. veröffentlicht einen Aufſatz über 
den Titel „Atempauſe“. A. a. heißt es 
in dieſem Aufſatz: „Der neue Voll⸗ 
ſtreckungsſchutz bringt endlich die von 
der Landwirtſchaft fo dringend bend- 
ligte Atempauſe. Er hält auch nach der 
unzulänglichen Sanuar-Notverordnung 
des Kabinetts Schleicher die noch wei- 
ter drohende Zwangsverſteigerungs- 
Lawine auf und ſchafft ſomit endlich 
die Vorausſetzungen, die für eine wei⸗ 


706 


tere ruhige Aufbauarbeit zur endgül- 
tigen Sanierung der deutſchen Land- 
wirtſchaft und damit zur Wiedergefun- 
dung unferes geſamten Wirtſchaftskör⸗ 
pers erforderlich find.” Im „Reichs- 
landbund“ Nr. 7 vom 18. 2. verdffent- 
licht Regierungsrat a. D. Fritz Wen⸗ 
zel Berlin den Aufſatz „Echter Voll⸗ 
ſtreckungsſchuz“. Nach vielen Fehl 
{lagen und halben fog. Hilfsmaßnah⸗ 
men, zu denen frühere Regierungen 
allenfalls ſich bereit fanden, habe die 
neue Reichsregierung Maßnahmen er- 
griffen, die die Vorausſetzung für die 
Durchführung des Sanierungswerkes 
ſchafft. Die Notverordnung ſtelle aber 
keinen einſeitigen Landwirtſchaftsſchutz 
dar, vielmehr verhindere fie, daß der 
Landwirt von der Scholle vertrieben 
würde, ohne daß der größte Teil der 
Gläubiger davon Nutzen hätte. In den 
weitaus meiſten Fällen war der Zu⸗ 
ſchlag zu einem Preis erteilt, der noch 
nicht einmal den gewiß recht niedrigen 
Einheitswert auch nur annähernd er- 
reichte. Der Vollſtreckungsſchutz foll 
ſolange in Kraft bleiben, bis die 
Rentabilität der Landwirtſchaft wie⸗ 
der zu ſteigen beginnt. Zum Schluß 
heißt es dann wörtlich: „Nach dem 
Geſagten kann die ganze Verordnung, 
auf die auch der Reichslandbund un⸗ 
ermüdlich hingearbeitet hat, nur wärm- 
ſtens begrüßt werden. Die Schutz- 
beſtimmungen ſind ſo umfaſſend, daß 
fie der Landwirtſchaft die Verpflich- 
tung auferlegen, wirklich nur in dem 
unbedingt notwendigen Amfang von 
ihnen Gebrauch zu machen, damit un- 
nötige Störungen des Wirtſchafts⸗ 
ablaufs unterbleiben. Am beſten wäre 
es, wenn der Rechtsſchutz durch Not. 
verordnung fobald als möglich über- 
flüſſig wird, weil der wirtſchaftliche 
Schutz durch Maßnahmen der Wirt- 
ſchaftspolitik wieder Produktionskraft 
und Ertrag der Landwirtſchaft ſichert.“ 


Es iſt hier unmöglich, auf die Fülle 
der Preſſe⸗Kommentare für die anderen 
agrarpolitiſchen Maßnahmen der 
Reichsregierung einzugehen. Eine ſehr 
gute Zuſammenſtellung über die bis 
zum 3. März ergriffenen Maßnahmen 
bringt die „NS. Landpoft“ Folge 


Das Archiv 


10 vom 5. März unter dem Titel 
„Hitlers Bauernpolitik marſchiert“, von 
Dr. Hermann Reiſchle. 

Wir möchten hier auch auf die 
Rundfunfrede des Staatsſekretärs 
Herrn von Rohr vom 22. 2. hinweiſen, 
die in der Zeitſchrift „Reichsland⸗ 
bund“ Nr. 8 vom 25. 2. veröffentlicht 
iſt. Herr von Rohr hat in dieſer Rund ; 
funkrede in großen Zügen über die be 
abſichtigten Maßnahmen der Reichs- 
regierung geſprochen. Er führte u. a. 
aus, daß auf agrarpolitiſchem Gebiet 
zunächſt die Reichsregierung Wufräu- 
mungsarbeiten zu leiſten habe. Dazu 
gehöre vor allem die Zuendeführung 
der Amſchuldung, und zwar nicht nur 
im Gebiet der Oſthilfe, ſondern auch 
noch darüber hinaus. Die Amſchuldung 
bedeute keine Bereicherung des Be⸗ 
ſitzers, fondern eine Auszahlung an die 
Gläubiger. Es ſei erforderlich geweſen, 
die Welle der Zwangsverſteigerung 
anzuhalten durch Verhängung eines 
Vollſtreckungsſchutzes bis zum 31. 10. 
Der geſamte Mittelſtand hätte ein 
großes Intereſſe an dieſem Vollftrek · 
kungsſchutz, denn auf den Zwangsver⸗ 
ſteigerungen hätten die kleinen Gläu- 
biger immer das Nachſehen gehabt. Es 
miiffen zunächſt Maßnahmen in der 
Zwiſchenzeit ergriffen werden, um Die- 
jenigen landwirtſchaftlichen Betriebs- 


zweige, die noch einen offenſichtlich ge- 


funden Zug zeigen, vor dem allgemei- 
nen Strudel der Verelendung zu be⸗ 
wahren. Vor allem gehöre die Ge- 
treideſtützung hierher. Herr von Rohr 
ging dann beſonders auf die Be⸗ 
kämpfung der Arbeitsloſigkeit durch 
die Landwirtſchaſt ein, und er kündigte 
an, daß die Reichsregierung den Bau- 
ern, die zuſätzliche Hilfskräfte einftel- 
len, geldliche Anterſtützungen zuteil 
werden laſſe. Weiter behandelte Herr 
von Rohr dann die Preisgeſtaltung 
der landwirtſchaftlichen Produkte, die 
vor allem für den ſtädtiſchen Verbrau⸗ 
cher von ganz großer Bedeutung ſei. 
In der „Kreuz⸗ Zeitung“ vom 
28. 2. hat der geſchäftsführende Prä- 
ſident des Reidslandbundes, Graf v. 
Kalckreuth, einen Artikel „Agrarpoli⸗ 
tiſche Notwendigkeiten“ veröffentlicht, 


Das Archiv 


der ebenfalls eingehend die zu ergrei- 
fenden Maßnahmen für die Landwirt- 
ſchaft behandelt. Er führt u. a. aus: 
Die Regierung des nationalen Zufam- 
menſchluſſes hätte ſich vor allem zur 
Aufgabe gemacht, die kataſtrophalen 
Folgen der 14jährigen Mißwirtſchaft 
der Nachkriegszeit zu überwinden. 
Dieſe Verſprechungen hätten die Re- 
gierungen vorher auch ſchon gemacht, 
die neue Reichsregierung habe aber 
durch die eingeleiteten agrarpolitiſchen 
Maßnahmen in erfreulicher Weiſe be⸗ 
wieſen, daß ſie die Verſprechungen 
durch die Tat einlöſen wolle. Durch 
den erfolgten bzw. unmittelbar bevor 
ftebenden Abruf der Handelsverträge 
mit Holland, Schweden und Südſlawien, 
ſowie durch die Reviſion des deutſch⸗ 
franzöſiſchen Tarif⸗Abkommens fei in 
der Tat ein Teil des Nattenkönigs 


von Zollbindungen beſeitigt worden. 


Vor allem käme es nun darauf an, daß 
bei den ſchwebenden Handelsvertrags- 
Verhandlungen die Landwirtſchaft 
nicht etwa erneut mit Zollbindungen 
belaſtet wird. Die Einführung von 
Einfuhr⸗Kontingenten ſei bei all den 
Produkten unentbehrlich, deren Zölle 
noch für längere Zeit gebunden ſeien. 
Bei allen landwirtſchaftlichen Produk- 
ten, bei denen Deutſchland mindeſtens 
z. Z. noch einen gewiſſen Zuſchuß⸗ 
Bedarf habe, würden Zollerhöhungen 
die notwendige elaſtiſche, den eigenen 
Bedürfniſſen angemeſſene, einfuhr- 
regelnde Wirkung verfehlen. Man 
müßte deshalb alſo die Einfuhrmenge 
nach dem vorhandenen Bedarf regeln. 
Die Lage der Landwirtſchaft ſei in den 
vergangenen Jahren gerade dadurch 
außerordentlich verſchlechtert worden, 
daß man glaubte, den fog. Neben⸗ 
produkten nur eine geringe Aufmerk- 
ſamkeit widmen zu ſollen. Von großer 
Bedeutung ſei es, daß die Wirkung 
der goll- und handelspolitiſchen Maß⸗ 
nahmen durch innere wirtſchaftliche 
Abſatzmaßnahmen unterſtützt und un⸗ 
terbaut würden. Am dieſe Maßnahmen 
alle zur Wirkung zu bringen, ſei es 
unerläßlich geweſen, durch Erweiterung 
des Vollſtreckungsſchutzes in ſachlicher 
und zeitlicher Beziehung eine Atem- 


707 


pauſe zu ſchaffen. Dieſe Atempauſe 
miiffe dazu ausgenutzt werden, eine all- 
gemeine Amſchuldung der Landwirt- 
ſchaft durchzuführen. 


Zu dem durch das Kabinett Schlei- 
cher hervorgerufenen Gegenſatz Indu⸗ 
ſtrie — Landwirtſchaft nimmt in der 
„Berliner Börſenzeitung“ 
Generaldirektor Dr. E. Pietrkowſfki 
Stellung. Er geht von der Forderung 
des Reichsminiſters a. D. Graf Ka⸗ 
nitz aus, die Landwirtſchaft und die 
Induſtrie müßten zuſammenarbeiten. 
Die Induſtrie ſei gerne bereit, in die 
hier gebotene Hand einzuſchlagen, um 
ſo mehr, als ſie einen wirklichen realen 
Gegenſatz in den Intereſſen zwiſchen 
Induſtrie und Landwirtſchaft nicht feft- 
ſtellen könne. Es gäbe einfach keinen 
Gegenſatz zwiſchen Binnenmarkt und 
Exportmarkt. Ein geſunder Export. 
markt könne nur auf einem kräftigen 
Binnenmarkt mit einer rentablen Land- 
wirtſchaft beſtehen. Auf keinen Fall 
dürften aber Störungen der Ausfubr- 
Intereſſen ſtattfinden, da dies zu 
ſchwerſten Rückſchlägen für den Bin⸗ 
nenmarkt und damit für die Landwirt- 
ſchaft führen würde. Pietrkowſki führt 
dann weiter aus, daß die Wiederher- 
ſtellung der Rentabilität in erſter 
Linie eine Preisfrage wäre und damit 
eine Abſatzfrage. So würde z. B. jede 
Exportſchädigung ſofort auf die land⸗ 
wirtſchaftliche Veredlungsproduktion 
zurückſchlagen, da 3 Millionen Men⸗ 
ſchen im Export beſchäftigt ſeien. Die 
Kaufkraft für die landwirtſchaftlichen 
Produkte kämen hauptſächlich durch 
den Export zuſtande. Die Landwirt- 
ſchaft könne der Induſtrie den Abſatz⸗ 
ausfall nicht erſetzen. Der Abſatz der 
Landwirtſchaft könne nur ſteigen, wenn 
die Kaufkraft der Induſtriebevölkerung 
wieder wachſe. And dies könne nur 
durch vermehrten Export kommen. Un- 
ſchließend nimmt auch Dr. Hillmann, 
geſchäftsführendes Vorſtandsmitglied 
des Verbandes der Deutſchen Land- 
maſchineninduſtrie, zu demſelben Punkt 
Stellung. Auch er führt aus, daß die 
Kriſe der Landwirtſchaft in erſter Linie 
eine Kriſe des Abſatzes ſei. Er macht 
verſchiedene Vorſchläge, wie man der 


708 


Landwirtſchaft helfen könne, ohne die 
Belange der Induſtrie zu ſchädigen. 


1. Verbeſſerung der landwirtſchaft⸗ 
lichen Technik und Rationalifie- 
rungs maßnahmen. 

2. Standardiſierung Agrar- 
erzeugniſſe. : 

3. Abmachungen mit den Cinfubr- 

ländern, die die Einfuhr den 
deutſchen Marktverhältniſſen ent- 
ſprechend zeitlich regeln. 

4. Verbeſſerung des landwirtſchaft⸗ 
lichen Abſatzweſens durch Hebung 
der Qualität. 

5. Erleichterungen für die Landwirt⸗ 


ſchaft in den Zinſen, Krediten, 
8 Steuern und ſozialen 


en. 

6. Ausgeftaltung des landwirtſchaft⸗ 
lichen Bildungs. und Beratungs- 
weſens. 

7. Verminderung der Handels. und 
Verarbeitungsſpannung. 


Das „Berliner Tageblatt“ 
vom 28. 2. veröffentlicht die Rede des 
Auffichtsrats⸗Vorſitzenden Karl Fried- 
rich von Siemens, die dieſer in der 
5 der Siemens & 
Halske AG. hielt. Von Siemens ging 
ebenfalls auf den Gegenſatz zwiſchen 
Exportinduſtrie und Landwirtſchaft 
ein und führte u. a. wörtlich aus: „Ich 
kann nicht vorübergehen an der Er- 
klärung einer Wirtſchaftsgruppe, des 
Bundesvorſtandes des Reichslandbun⸗ 
des, die ausdrücklich als auf einſtim⸗ 
migen Beſchluß gefaßt, bezeichnet wird. 
Sie ftellt wohl das tiefſte bis jetzt er ⸗ 
reichte Niveau des Intereſſenkampfes 
dar, beſonders wenn man den Kreis 
der Beteiligten berückſichtigt, von denen 
viele ſicherlich ſtolz auf Abſtammung 
und Kinderſtube ſind und den Anſpruch 
eines hohen und alten Bildungsgrades 
für ſich erheben. Dinge, die im Leben 
Verpflichtungen auferlegen“. An an- 
derer Stelle ſagte er: „Aber ebenſo 
ſicher iſt es auch, daß wir für einen 
auch nur beſcheidenen Beſchäftigungs⸗ 
grad unſerer großen Bevölkerung nicht 
auf den Export verzichten können, der 
uns auch die Austauſchmittel liefern 
muß für das, was die heimiſche Erde 
uns verſagt, um unſere Kinder einmal 


der 


Das Archiv 


in die Lage zu verſetzen, frei von aus ⸗ 
ländiſcher Verſchuldung und Abhängig · 
keit zu leben, und um den Wohlſtand 
des Volkes und damit ſeine Lebens⸗ 
haltung einmal wieder zu erhöhen. Ich 
warne vor der Aberhebung, daß die 
Welt in irgendeinem größeren Maße 
auf die deutſche Prod n angewieſen 
iſt, wie vor kurzer Zeit erſt von einem 
der neuen politiſchen Staatsſekretäre 
als Beweis für die Angefährlichkeit 
des heutigen einſeitigen Weges be⸗ 
hauptet worden iſt. Für die von ihm 
zum Beweis u. a. angeführte Elektro- 
technik muß ich leider fagen, daß die 
Welt auch ohne deutſche Produkte aus- 
kommen kann.“ And zum Schluß ſagte 
er: „Die Ankündigung der neuen Rich- 
tung unſerer Handelspolitik und die 
bisher ſchon getroffenen Maßnahmen 
haben, wie einwandfrei feſtſteht, ihre 
Wirkung ſchon ausgeübt; es bleibt dem 
Anternehmer wohl nichts übrig, als den 
harten Weg weiterer Zuſammen⸗ 
ſchrumpfung fortzuſetzen, nachdem er in 
letzter Zeit glaubte, daß der Druck 
dieſer Laſt nunmehr bald von ihm ge- 
nommen würde.“ 


Es iſt nun Äußerft intereſſant, daß 
im Gegenſatz zu dieſer Anbelehrbarkeit 
der Induſtrie immer weitere Teile der 
Wiſſenſchaft ſich auf den Standpunkt 
des Binnenmarktes ftellen. So iſt das 
Februar⸗Heft der „Geo- 
politik“ ganz auf die Behandlung 
der Neu⸗ Orientierung der Volksſtruk⸗ 
turen in allen Ländern eingeſtellt. Ich 
möchte hier folgende Aufſätze aus die⸗ 
ſem Heft anführen: Karl Helbig „Be⸗ 
völkerungsprobleme von Niederlän⸗ 
diſch⸗Indien“, Albrecht Haushofer „Die 
ländliche Entvölkerung in Großbri- 
tannien“, „Das Abſterben der Städte“, 
Friedrich Burgdörffer „Stadt oder 
Land“, Eliſabeth Pfeil „Die deutſchen 
Juden als Beiſpiel für das Ausfter- 
ben bei Verſtädterung“, Hans Harm- 
ſen „Verſtädterung und Entvölkerung 
Frankreichs“ und zum Schluß von 
Hans Harmſen „Das bevölkerungs⸗ 
politiſche Programm Muſſolinis, Ent- 
völkerung der Städte und Verländ⸗ 
lichung“. Sämtliche Aufſätze führen an, 
daß die ſtarke Induſtrialiſierung und 


Das Archiv | 709 


die damit verbundene Verſtädterung 
den Tod eines Volkes bedeutet und 
deshalb alles getan werden müſſe, um 
dem Volke auf dem Lande wieder grö⸗ 
ßere Lebensmöglichkeiten zu geben, was 
nur A eine folgerichtige VGinnen- 
marktspolitik möglich fet. 


Auf dem Gebiete des Siedlungs- 
weſens möchte ich auf den Artikel in 
der „NS. Landpoſt“ Folge 7 vom 
12. 2. von A. Ruf (Siedlung) ganz be- 
fonders hinweiſen. Die Siedlung fei 
Verwurzelung des Menſchen mit Grund 
und Boden. Anſer deutſches Volk ge⸗ 
deihe nur, wenn es in breiteſter Maſſe 
mit dem heimatlichen Boden auf das 
engſte verbunden ſei. Die Sorge des 
Staates müſſe in erſter Linie der 
ſchwer ringenden Bauernſchaft gehören. 
Die zweite Sorge des Staates aber 
gehöre der wohlbedachten Siedlung, die 
den Segen der Scholle allen jenen zu⸗ 
gänglich mache, die danach ſtreben und 
ihrer würdig ſeien. Der wichtigſte Teil 
der Siedlung fei die bäuerliche Sied- 
lung. Aber auch der Induſtriebevöl⸗ 
kerung miiffe man auf eigenem Grund 
und Boden eine Heimftdtte errichten, 
die ihr neben ihrer ſonſtigen Tätigkeit 
ländliche Beſchäftigung verſchafft. Die 
ländliche Siedlung müſſe vor allem der 
in landwirtſchaftlicher Arbeit aufge⸗ 
wachſenen Jugend, Bauernſöhnen und 
landwirtſchaftlichen Arbeitern zugäng- 
lich gemacht werden. Für die Heim⸗ 
ſtätten⸗Siedlung könne ſich aber jeder 
melden, der Luft habe, die Rechte und 
Pflichten eines Eigenheimbeſitzers auf 
ſich zu nehmen. Als Landquelle käme 
der überſchuldete Großgrundbeſitz in 
Frage, dann die kultivierbaren Moor,, 
Od- und Waldländereien. Der Sied⸗ 
lung fehlt aber die Wirkungsmoͤglich⸗ 
keit, wenn der Staat nicht dafür ſorge, 
daß ſich die Arbeit des Siedlers wie 
die des Bauern auch lohnt. — In der 
„Deutſchen Tageszeitung“ 
Nr. 43 vom 12. 3. unterſuchte M. W. 
von Schickfus⸗Breslau die Frage, ob 
Mangel an Siedlungsland vorhanden 
wäre und kommt zu dem Ergebnis, daß 
z. B. in Schleſien Güter in überreich⸗ 
lichem Amfang angeboten werden. Die 
Siedlung mache von dieſer Lage des 


Gütermarktes nach Anſicht des Ver⸗ 
faſſers aus dem Grunde keinen genü- 
genden Gebrauch, weil fie für Gied- 
lungsgüter aus Gründen der An⸗ 
rentabilität der bäuerlichen Wirtſchaft 
nicht die gleichen Preiſe wie auf dem 
freien Gütermarkt zahlen könne und 
dürfe. Der Verfaſſer kommt zu dem 
Schluß, daß im Intereſſe der Siedlung 
öffentliche Gelder zum Ankauf von 
Land aufgebracht werden müſſen. Es 
gehe nicht an, die Siedlung allein auf 
dem Rücken der Gläubiger oder 
früheren Befitzer zu betreiben. 
Oberlandwirtſchaftsrat Dr. Lehn⸗ 
hardt⸗ Dresden beſchäftigt fi in der 
„Sächfiſchen Landwirtſchaſtlichen Zeit⸗ 
ſchrift“ Nr. 1 mit Gegenwartsfragen 
der ländlichen Siedlung. Im abgelau- 
fenen Jahre ſei bereits ein merklicher 
Rüdihritt in der Siedlungstätigkeit 
eingetreten. Zunehmende Kapital. und 
Kreditſchwierigkeiten und Mangel an 
geeignetem Siedlungsland als Folge 
der mit der Oſthilfe einhergehenden 
Landſperre hätten den Rückſchritt maß- 
gebend beeinflußt. Am ſchwierigſten 
ſeien die Siedlungsverhältniſſe in den 
dicht bevölkerten Induſtriegegenden. 
Da müßten Möglichkeiten geſchaffen 
werden, um die Siedlungswilligen aus 
dieſen Gegenden nach Gegenden zu 
bringen, wo Siedlungsland in genü- 
gendem Maße vorhanden ſei. Der 
Kaufpreis für eine Vollbauernſtelle von 
60 Morgen, infolge der fogenannten 
Ausbauſiedlung, dürſe ohne Inventar 
nicht mehr als 18 000 bis 24 000 Mark 
betragen. Auch dürfe der Rentenlauf 
nicht vor dem 5. Januar einſetzen. Lei⸗ 
der begehen auch heute noch immer ein 
Teil der Siedler einen betriebswirt⸗ 
ſchaftlich ſehr ſchweren Fehler, über 
ihre finanzielle ee ar hin; 
aus Inventaranſchaffungen zu tätigen, 
die für den Betrieb einfach nicht trag- 
bar ſeien. Für den Siedlerbetrieb ſei 
erſt dann wieder eine Exiſtenzſicherheit 
gegeben, wenn wenigſtens die grund- 
legenden Vorausſetzungen für eine all. 
mähliche Geſundung und einen wirt⸗ 
ſchaftlichen Wiederaufſtieg der geſam⸗ 
ten deutſchen Landwirtſchaft geſchaffen 


wären. Roland Schulze. 


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Ichrıft für Vent (ches Hauerntum 
S - erausgeberA Walther darre 


Inhaltsverzeichnis 


Seite 
Vorſpruh ggg 711 
Adolf Hitler / Bauerntum und nationale Revolution.. 712 
R. Walther Darré / Nomade und Bauer . 716 
Arnold W. Trumpf / Die Genoſſenſchaften. 724 
Dr. Richard Wagner / Staatspolitik und Geopolitik... 730 
Karl Scheda / Folgerungen aus Ruhlands Lehren.. 733 
Robert Dünges / Confederazione nazionale fascista degli 
agricol torte. 738 
Karl Motz / Liberaliſtiſche Donauraumpol litik... 741 
Das Mh 2 2. 745 
Neues SchrifttuununsnnnnU nnn 750 
AnſchriftenverzeichniQss sss un UůꝛU m Un. 754 


Jedes Heft RM. 150 - Vierteljährlich 3 Hefte RM. 3.60 


zuzüglich Beſtellgeld. Beſtellungen durch den Verlag oder bei ſeder Poſtanſtalt. 
Poſtvertrieb ab Detmold 


Drulſche Agrarpolitil 
Monatsichrift für Deutſches Bauerntum 
Hauptichriftleitung Dr. Hermann feilchle 


REED en N EEE SE a ee DEE 1 A 
„deitgefchichte” Verlag und Vertriebs⸗Geſellſchaft m. b. h., Berlin W15 
meinekeſtraße 20 


geſt 10 April 1933 
vorſpruch 


„Die Vernichtung diefes Standes in unferem Volke würde zu den 
denkbar ſchwerſten Konſequenzen führen. Die Wiederherftellung der Rens 
tabilität der landwirtfchaftlihen Betriebe mag für den Konſumenten hart 
fein, das Schickſal aber, das das ganze Volk träfe, wenn der Bauer zu⸗ 
grunde ginge, wäre mit diefer Härte gar nicht zu vergleichen. Nur im 
Zufammenhang mit der unter allen Umftänden zu erreichenden Renta⸗ 
bilität unſerer Zandwirt{dhaft kann die Frage des Vollſtreckungsſchutzes 
bzw. einer Entfchuldung gelöft werden. 

Würde dies nicht gelingen, müßte die Vernichtung unſerer Bauern 
nicht nur zum ZJuſammenbruch der deutfchen Wirtſchaſt überhaupt, fons — 
dern vor allem zum Zuſammenbruch des deutfchen Volkskörpers führen. 
Seine geſunde Erhaltung ift aber auch die erſte Vorausſetzung für das 
Blühen und Gedeihen unſerer Induftrie, für den oͤeutſchen Binnenhandel 
und für den deutjchen Export. Ohne das Gegengewicht des deutſchen 
Bauerntums hätte der kommuniſtiſche Wahnſinn ſchon jetzt Deutfchland 
überrannt und damit die oͤeutſche Wirtſchaſt endgültig vernichtet. Was 
die Geſamtwirtſchaſt einſchließlich unſerer Exportwirtſchaft dem geſun⸗ 
den Sinn des deutfchen Bauern verdanken, kann überhaupt durch kein 
Opfer geſchäſtlicher Art irgendwie abgegolten werden. Es muß daher 
auch der weiteren Befiedlung des oͤeutſchen Bodens in Zukunft die höchſte 
Sorge gelten.” 


Adolf hitler 
in ſeiner Regierungserfldrung vom 23. März 1933 


Aoͤolf Hitler: 
Bauerntum und nationale Revolution 


Wenn wir heute wirklich wieder unter unferer alten ſchwarz⸗weiß · roten Flagge 
und unter dem Symbol der neuen deutſchen Erhebung in Deutſchland tagen 
können, dann hat an dieſer geſchichtlichen Wendung unſeres Schickſals der 
deutſche Bauer vielleicht den größten Anteil. Man redet ſo 
viel von den Motiven, die im einzelnen das Handeln von Negierungen be⸗ 
ſtimmen können und überſieht dabei manchmal ja nur zu leicht, daß alle Hand- 
lungen in beſtimmten Seiten von einer einzigen Wurzel ausgehen, 
daß auch die Handlungen der Zeit, die hinter uns liegt, von einer einzigen 
Wurzel ausgegangen find, und daß genau fo die Handlungen der Zeit, die 
nun vor uns liegt, von einer Wurzel ausgehen müſſen. 

Es ſind in den Jahrzehnten hinter uns oft Entſchlüſſe gefaßt worden, die 
in ihrem geſamten Zuſammenwirken am Ende zu einem Refultat führen muß⸗ 
ten, das man von vornherein vorausſehen konnte, und es find auch in Deutſch⸗ 
land immer Propheten geweſen, die das Refultat genau vorhergeſehen haben. 

Es gab in Deutſchland ſchon vor der Revolution Männer, die das End⸗ 
ergebnis dieſer Entwicklung genau vorhergeſagt haben, die dieſes Ergebnis 
genau kommen ſahen, und es hat vom Tage der Revolution an in Deutſchland 
Hunderttauſende von Männern gegeben, die im öffentlichen Leben oder poli⸗ 
tiſchen Leben ſtanden oder beſtimmten, die genau vorher prophezeiten, wohin 
dieſe Entwicklung führen mußte, nur aus der Erkenntnis, daß die Tendenzen, 
die allen dieſen Handlungen zugrunde lagen, von vornherein Tauſende von 
Entſchlüſſen falſch bewegen, falſch beeinfluſſen mußten. 

Wenn ich nun für die Nationale Regierung hier ſpreche, dann möchte ich 
von der Tendenz reden, die dieſe Nationale Regierung bewegt. 

Wir bezeichnen uns heute als Regierung der nationalen Nevolution, der 
nationalen deutſchen Erhebung. Wir wollen damit ſagen, daß dieſe Negierung 
ſich ganz bewußt als eine Vertretung der deutſchen Volksintereſſen anfieht und 
fühlt, und zwar nur der deutſchen Volksintereſſen. Damit aber muß dieſe 
Regierung auch eine Vertretung des deutſchen Bauerntums ſein. Denn ich 
kann nicht für die Intereſſen eines Volkes eintreten, wenn ich am Ende nicht 
in dem Stand die wichtigſte Stütze ſehe, der nun tatſächlich die Zukunft der 
Nation an ſich bedeutet. 


Bauerntum und nationale Revolution 713 


Wenn ich über alle wirtſchaftlichen Einzelerſcheinungen der Seit, über alle 
politiſchen Wandlungen hinwegſehe, bleibt am Ende doch immet weſentlich 
die Frage der Erhaltung des Volkstuns an ſich. Dieſe Frage wird 
nur günſtig beantwortet werden können, wenn die Frage der Erhaltung 
des Bauerntums geldft iſt. Denn, daß unſer Volk ohne Städter be- 
ſtehen könnte, das wiſſen wir aus der Geſchichte, daß es ohne Bauern beſtehen 
kann, iſt unmöglich. 

Alle Schwankungen ſind am Ende zu ertragen, alle Schick. 
ſalsſchläge find zu überwinden, wenn ein gefundes Bau⸗ 
erntum vorhanden iſt. Wenn ein Volk und folange ſich ein 
Volk auf ein geſundes Bauerntum zurückziehen kann, wird 
es immer und immer wieder aus dieſem Bauerntum heraus 
neue Kraft ſchöpfen. | 


And glauben Sie mir, dieſe Erhebung, die hinter uns liegt, wäre überhaupt 
nicht möglich geweſen, wenn wir nicht immer — Gott fet Lob und Dank — 
einen beſtimmten Prozentſatz unſeres Volkes auf dem Lande gehabt hätten. 
Denn wenn wir heute ganz nüchtern dieſe Erhebung Überſehen, müſſen wir 
feſtſtellen, daß von den Städten aus dieſe Erhebung nicht mög⸗ 
lich geweſen wäre. In den Städten hätten wir nicht dieſe Ausgangsſtellungen 
erobern können, die uns auch in unſerem Handeln das Gewicht der Legalität 
gegeben haben. Da ſind in manchen Gebieten — wir können ruhig ſagen — 
bis zu 95 v. H., wenn auch in verſchiedenen Lagern, aber doch bis zu 95 v. H. 
für die nationale Erhebung eintretende Bauern geweſen. Denen verdankt im 
Grunde genommen das deutſche Volk die Erneuerung, ſeine neue Erhebung 
und damit einen Amſchwung, der zur allgemeinen Geſundung der deutſchen 
Verhältniſſe führen ſoll. Dieſe allgemeine Geſundung hat auch 
diesmal wieder ihten Ausgang genommen vom Voden, von 
der deutſchen Erde, vom deutſchen Bauern. 


Jede Regierung, die die Bedeutung eines ſolchen tragenden Fundaments 
nicht erkennt, kann nur eine Regierung ſein für den Augenblick. Sie kann 
einige Jahre haufen, aber fie wird nicht, unter gar keinen Amſtänden, dau⸗ 
ernde oder ſogar ewige Erfolge erzielen können. Dieſe bedingen 
immer und immer wieder, daß man die Notwendigkeit der Erhaltung des eige⸗ 
nen Lebensraums, der Sicherung des eigenen Lebens und Erhaltung, und ſo⸗ 
mit eines eigenen Bauerntums begreift. 

Eine ſolche Erkenntnis wird, ich möchte ſagen, als Leitgedanke dienen unſe⸗ 
tem ganzen Handeln und allen Entſchlüſſen immer wieder vorangehen. And 
man wird mit einem ſo grundſätzlich richtigen Leitgedanken niemals den Boden 
unter den Füßen verlieren, immer wieder doch und zu allerletzt das Richtige 
treffen, auch wenn vorübergehend Menſchen, die wir ja alle find, das eine oder 


714 Adolf Hitler 


andere Mal vielleicht nicht gerade das ausſchließlich und allein Richtige ge- 
wahlt haben. 

Ich glaube daher, daß, indem dieſe Nationale Regierung ihre Miſſion in 
der Erhaltung des deutſchen Volkstums ſieht und dieſes deutſche Volkstum 
in feiner Erhaltung angewieſen ift auf die Erhaltung des deutſchen Bauern⸗ 
tums, daß, indem dieſe Regierung ſich dann verpflichtet zur Erhaltung des 
deutſchen Bauerntums, daß fie dann niemals grundſätzlich falſche Entſchlüſſe 
faffen kann. Sie kann vielleicht das eine oder das andere Mal im Mittel 
irren, im Grundſätzlichen wird ſie nicht irren. 

Es iſt das allerdings auch eine Frage des Mutes, nicht nur die Dinge 
zu ſehen, wie ſie ſind, ſondern auch zu benennen, wie ſie ſind, und damit der 
Mut zu einer gewiſſen Unpopularität. Man wird naturgemäß 
nun mit vielen übernommenen, wenn auch nicht langfriſtigen Aberliefe⸗ 
rungen brechen müſſen. Man wird in vielen Fällen gegen die öffentliche 
Meinung, das Werk unſerer Demokratie, Stellung nehmen müſſen. 

Man wird das aber um fo mehr und eher tun können, je 
mehr der eine Block der Nation ganz geſchloſſen hinter der 
Regierung ſteht. 

Etwas ift unmöglich: daß am Ende ein Regiment gegen alle Nichtungen 
fechten kann. Wenn dieſes Regiment ſchon für die Erhaltung des deutſchen 
Volkstums und damit für die Erhaltung des deutſchen Bauerntums eintritt, 
dann muß auch gerade dieſes deutſche Volkstum ſich unbedingt hinter die Ne⸗ 
gierung ſtellen. Das gibt dann auch der Regierung die Stabilität, die ſie 
braucht, um Entſchlüſſe zu treffen, die im Augenblick ſchwer zu verteidigen find, 
die aber getroffen werden müſſen und deren Erfolg im erſten Moment ver⸗ 
blendeten Volksgenoſſen nicht gleich ſichtbar werden kann, von denen man aber 
weiß, daß ſie einmal doch zur Rettung der geſamten Nation beitragen werden. 

Wenn der deutſche Bauer nunmehr glücklich einen fo gro⸗ 
Ben Zuſammenſchluß gefunden hat, dann wird er gerade 
dadurch auch in Zukunft das Handeln der Regierung uner- 
hört erleichtern, indem er ſeine gewaltigen Volksmaſſen 
hinter fie ftellt, das Handeln der Regierung etleichtern zu 
ſeiner eigenen Selbſterhaltung. 

Ich glaube, daß in dieſer Nationalen Regierung kein Mann fist, der nicht 
von dieſem aufrichtigen Wunſche nach dieſer engſten Zuſammenarbeit erfüllt 
iſt. Wir ſehen mit der Erfüllung dieſer Aufgabe zugleich die Rettung 
des deutſchen Volkes für die Zukunft, und zwar nicht für das 
Jahr 1933 oder 1934, ſondern für die ſernſten Zeiten. 

Wir möchten heute diejenigen Entſchlüſſe treffen und in den nächſten Jahren 
durchführen, von denen wir wiſſen, daß auch ſpätere Generationen ſie als 
grundſätzlich richtig erkennen werden, daß ſpäterhin die Generationen feſtſtellen 


Bauerntum und nationale Revolution 715 


werden: es war höchſte Zeit, daß man die Kraft bekam, dieſe Entſchlüſſe zu 
treffen, denen wir, im höchſten Sinne des Wortes genommen, die Rettung 
der deutſchen Nation überhaupt verdanken. 

Wir find bereit, dieſen ſchweren Kampf dafür auf uns zu nehmen. Wir 
haben die allgemeinen politiſchen Vorausſetzungen dafür geſchaffen. Durch das 
Ermächtigungsgeſetz iff zum erſten Male vernunftentſprechend die 
Rettungsaktion für das deutſche Volk vielleicht gelöſt worden von den nur 
parteimäßig eingeſtellten Abſichten und Rüdfichten unſerer parlamentariſchen 
Vertretung. Wir werden damit tatſächlich, nunmehr von dieſer Feſſel befreit, 
das tun können, was eben bei klarſter Vernunft und bei kälteſtem Nachdenken 
für die Zukunft der Nation notwendig iſt. 

Es find nun dieſe rein gefegmäßigen Vorausfetzungen geſchaffen. Es iſt 
aber noch eine große Vorausſetzung notwendig, nämlich, daß an dieſem Han- 
deln, das vom Parlament nun nicht mehr gehemmt werden kann, um ſo mehr 
das Volk ſelbſt lebendigen Anteil nimmt, das Volk ih nun nicht 
einbildet, weil das Parlament nicht mehr hemmend in die Entſcheidung treten 
kann, braucht auch die Nation nicht Anteil zu nehmen an der Geſtaltung unſe⸗ 
res Schickſals. 

Im Gegenteil, wir wollen, daß gerade das deutſche Volk durch die Bei⸗ 
ſeiteſtellung des augenblicklich nicht fähigen Inſtruments einen fo lebendi⸗ 
geren Anteil nimmt, daß das deutſche Volk mehr oder weniger nunmehr 
wieder losgelöft wird von dieſer Beengung feines ganzen Denkens, von dieſer 
Vorwegnahme ſeiner Stellungnahme im einzelnen, daß gerade das deutſche 
Volk ſich jetzt auf fic ſelbſt befinnt, lebendig mitarbeitet und hinter die Ree 
gierung tritt. 

Es muß ſo kommen, daß, wenn wir nach vier Jahren wieder an die deutſche 
Nation appellieren, wir uns nicht an ein Volk wenden, das vier Jahre lang 
geſchlafen hat, ſondern das in dieſen vier Jahren endlich aus feiner pare 
lamentariſchen Hypnoſe erwacht iſt, daß unſer Volk dieſe Erkennt⸗ 
nis beſitzt und zum Verſtehen der ewigen Lebens vorausſetzungen und Lebens⸗ 
notwendigkeiten ſich aus dieſer Chloroformierung wieder freigemacht hat. 

Ich glaube, daß die Arbeit, die vor uns liegt, ſicherlich die ſchwerſte iſt, 
weil wir nach einer mindeſtens 15jährigen Zeit des Außerachtlaſſens der natür⸗ 
lichen Lebensvorausſetzungen nun wieder mit ganz primitiven Vernunfts⸗ 
grundſätzen beginnen müſſen. Da im übrigen diefe Zeit außerdem eine un- 
erhörte Intereſſenverflechtung vorgenommen hat und man kaum überhaupt 
irgendeinen Schritt tun kann, ohne daß man ſich an Korruption ſtößt 
und mit Korruption ſich auseinanderſetzen muß, mit geiſtiger 
Korruption und mit materieller Korruption. 

Es iſt eine ungeheure Aufgabe; allein gelöſt werden muß 
fie, und daher wird dieſe Aufgabe gelöſt. 


716 R. Walther Darre 


Wenn das deutſche Volk Hinter ſich min Jahrtauſende Hefist, zwei Jahr⸗ 
tauſende, die wir ſelbſt kennen, Jahrtauſende wechſelvollen Schickſals, dann 
kann es nicht der Wille der Vorſehung ſein, daß Jahrtauſende vor uns ge⸗ 
kämpft wurde, damit ein Volk ſich plötzlich nun ſelbſt den Lebensfaden abe 
ſchneidet und in die Jahrtauſende der Zukunft nicht mehr hineingeht. Dieſes 
große Ringen der Vergangenheit wäre zwecklos geweſen, wenn nun plötzlich 
dieſes Ringen für die Zukunft aufgegeben werden würde. Was wir ſelbſt an 
Opfern brachten für die Erhaltung des Deutſchen Reiches, war ſchwer. Die 
Generation, die den Weltkrieg durchfocht, hat Anerhörtes gelitten. Allein, 
wir dürfen das nicht allein rechnen, wir müſſen auch rechnen das, was Gene - 
rationen ſchon vor uns geleiſtet, vor uns gelitten und geſtritten 
haben. Wir müſſen rechnen die Geſamtſumme der Opfer, die vor uns bereits 
gebracht worden ſind, nicht deswegen, damit eine Generation vor dem Schick⸗ 
ſal kapituliert und tauſend Generationen damit auslöſcht, ſondern in der 
Hoffnung, daß jede Generation ihrerſeits auch in ihrer ewigen Ge⸗ 
ſchlechterfolge ihre Pflicht erfüllt. 

And jetzt wendet ſich dieſe Pflicht an uns. Wir haben 15 Jahre lang uns 
ſchwer verſündigt, ausnahmslos, die einen bewußt, die anderen unbewußt, die 
einen aktiv, die anderen nicht aktiv, durch Duldung. And wir müſſen zuſammen 
bewußt dieſe Zeit überwinden. 

And darum kann eine Aufgabe nicht ſo groß fein, als daß 
ſie eben auch gelöſt werden muß und damit gelöſt werden 
kann. Es gilt auch hier der ewige Grundſatz, daß dort, wo 
ein Wille durch abſolut gar nichts gebeugt werden kann, 
daß dort der Wille abſolut die Not beugen wird. 


R. Walther Darre: 
Womade und Bauer 


Wir werden ruhig ſagen können, daß das Denken des Nomaden, d. h. 
die Vorgänge innerhalb ſeines Bewußtſeins, ſich lediglich mit dem Ablauf 
hintereinander gereihter Bilder beſchäftigt; fein Bewußtſein nimmt nur „Bil⸗ 
der“ auf. Da nun jedes Bild eine zweidimenſionale Fläche iſt, ſo „empfindet“ 
das nomadiſche Bewußtſein oder das nomadiſche Sehen zunächſt auch nur die 
ihm „bewußt“ werdende „Oberfläche“ der Gegenſtände. Das nomadiſche 
Sehen iſt mithin ein „Auf⸗die⸗Dinge“ Sehen, iſt ein ſich ausſchließlich auf die 


Nomade und Bauer | 717 


Oberfläche der Dinge richtendes Sehen, alſo ein „Oberflähen”-Sehen, mithin 
ein echtes „oberflächliches Sehen“. Notwendigerweiſe muß diefes oberflächen- 
hafte Sehen auch ein Denken heranbilden, das an der Oberfläche der Dinge 
haften bleibt und in der Oberfläche deren eigentliches Weſen erblickt. Ein 
ſolches Denken empfindet dann höchſtens nur die Veränderung in der Ver⸗ 
ſchiebung des Vildeindruds im Bewußtſein und neigt dazu, die Veränderung 
der Dinge, wie auch das Weſen diefer Dinge, allein von der Oberfläche aus, 
d. h. in der Anordnung oder Amordnung, kurz im Nebeneinander oder Hinter⸗ 
einander zu ſehen; niemals ſetzt ſich dieſes Denken aber mit dem Weſen der 
Dinge auseinander, denn mit dem Weſen der Dinge hat der Nomade nichts 
zu tun. Man könnte ein ſolches Denken, da es nur an der Oberfläche haſtet 
und fi in einer flächenhaften Bewußtſeins ebene bewegt, als das „flächenhafte 
Denken“ oder das „Oberflächen⸗Bewußtſein“ bezeichnen. Dieſes flächenhafte 
Denken oder Oberflächen⸗Bewußtſein wird auf wiſſenſchaftlichem Gebiet für 
alle jene Wiſſenszweige Begabung mitbringen, die kein räumliches Denken 
vorausſetzen oder aber ſich ausſchließlich auf dem Papier erledigen laffen; 
dazu gehört z. B. das geſamte Zahlenweſen; die Chemie, mit Ausnahme der 
neueſten Atomtheorien, die wieder ein räumliches Denken vorausſetzen; auch 
jene Analytiker gehören hierher, die ſich mit der Atomiſierung der Körper 
begnügen; ohne die Analyſe als Leitfaden für einen Wiederaufbau zu be⸗ 
nutzen; ebenfalls läßt ſich die Sternenkunde hier einordnen. Bezeichnender⸗ 
weiſe haben die Araber ja auch im Mittelalter, trotzdem ihnen die am beſten 
ausgerüfteten Univerfitäten der Welt zur Verfügung ſtanden, wohl die eben 
genannten Wiſſenſchaften mit Verſtändnis getrieben, aber der Menſchheit 
ſonſt nicht gerade Neues geſchenkt. — Auf philoſophiſchem Gebiet wird das 
flächenhafte Sehen und Denken, das Oberflächenbewußtfein, zur Sophiſterei 
neigen, d. h. ſich in Spitzfindigkeiten und Klügeleien erſchöpfen. Dieſes Denken 
beſchäftigt ſich ja nicht mit dem Weſen der Dinge, ſondern nur mit ihrem 
Zueinander und Nebeneinander und bleibt an der Oberfläche haften; es wird 
folgerichtig ſchließlich dazu übergehen, im „Spielen mit Begriffen“, d. h. in 
der fortwährenden Amſtellung der Begriffe, das Weſen der Philoſophie zu 
empfinden, wodurch es letzten Endes — zweifellos ohne das zu beabſichtigen 
— die Philoſophie in ſich ſelbſt auflöft. 

Echtes bäuerliches Denken iſt grundſätzlich anders. Der Bauer bewegt ſich 
nicht über die Dinge hin, ſondern wurzelt an Ort und Stelle. Die ihn in ſeinem 
Leben umgebenden Dinge ſind Größen, die er ſtändig von den verſchiedenſten 
Seiten aus kennenlernt. Dadurch erhalten die Dinge für ihn eine ganz andere 
Bedeutung, als ſie es etwa für den Nomaden tun würden. Für den Bauern 
bekommen die Dinge unter ſich ein feſtes Verhältnis und — was ſehr weſent⸗ 
lich iſt — auch ein mehr oder minder feſtes Verhältnis zu ihm. Der einfache 
kinematographiſche Ablauf der Empfindungswelt, wie ſich die Erſcheinungs⸗ 


718 R. Walther Darre 


bilder in dem zum flächenhaften Denken verurteilten Oberflächen⸗Bewußtſein 
der Nomaden darſtellen, iſt beim Bauern grundſätzlich abgeſtoppt. 

Trotzdem lief das bäuerliche Denken urfprünglich aber auch noch in der 
flächenhaften Ebene eines reinen Oberflächen⸗Bewußtſeins weiter. Nun tritt 
aber beim Bauern etwas Neues hinzu. Er ſieht ja nicht nur die Dinge, wie 
fie find, d. h. er blickt nicht nur auf fie, ſondern er beobachtet auch ihr Werden 
und Vergehen. Am dieſes zu begreifen, genügt ihm das Sehen auf die 
Dinge nicht. Er muß verſuchen, die Dinge von ihrem Weſen her zu er⸗ 
faſſen. Damit wendet er ſich grundſätzlich ab von einer Betrachtungsweiſe, die 
lediglich auf die Dinge fieht und beginnt nunmehr in die Dinge zu feben. — 
Aus einem Saatkorn wird dem Bauern eine Pflanze, und aus der Pflanze 
wird ihm Ernte und daraus wieder neues Saatkorn. Er ſelbſt fühlt ſich plöß- 
lich mit ſeiner Perſon ebenfalls in das Kommen, Werden und Gehen der 
Dinge eingegliedert; der Großvater gab den Hof ſeinem Vater; von dieſem 
erhielt er ſelbſt ihn, und er wird ihn einſt an den Sohn übergeben. Aus der 
Anendlichkeit kommt ſein Geſchlecht, und die Anendlichkeit ſchreitet es weiter. 
So tritt zur flächenhaften Ebene des Oberflächen⸗VBewußtſeins eine lotrechte 
Ebene hinzu und öffnet das Verſtändnis für das Weſen der Dinge. Aus 
der Notwendigkeit des Bauern, ſich mit dem Weſen der Dinge auseinander⸗ 
zuſetzen, wird der Weg der Erkenntnis beſchritten, reift das flächenhafte Den⸗ 
ken zum Bewußtſein des von drei Größen beſtimmten Raumes heran. Zu 
dem Oberfldden-Gewuftfein tritt entwicklungsgeſchichtlich die Fähigkeit hin⸗ 
zu, das Weſen der Dinge in ihrem Werden und Vergehen zu erfaſſen; das 
Gefühl für die organiſchen Zufammenhänge des Lebens war 
damit geboren. 

Natürlich haben an dieſer Entwickelung Geſchlechter gewirkt, um ſolche Er⸗ 
kenntniſſe in dem Erfahrungsſchatz ihrer Raffe zu verankern. Aber wenn etwas 
den bäuerlichen Entwicklungsgang der Nordiſchen Raſſe beweiſen kann, fo 
iſt es ihr bezeichnender Hang, „den Dingen aufden Grund zugehen“, 
um daraus die Geſetze für die weitere Entwickelung der Dinge abzuleiten. 
Echtes Bauerntum iſt daher auch immer philoſophiſch eingeſtellt, und jeder 
echte Bauer iff von Natur aus ein Philoſoph. Was aber der weſentlichſte 
Zug an einer Philoſophie aus bäuerlichem Antergrund ſein dürfte, iſt eben 
ihre Beſchäftigung mit dem Weſen der Dinge, d. h. mit den organiſchen Zu⸗ 
ſammenhängen und Geſetzen auf dieſer Welt. Eine bäuerliche Philoſophie tft 
durchaus immer eine Erkenntnisphiloſophie, die niemals an der Oberfläche 
der Dinge haften bleibt. Hier liegt der Schlüſſel zu der Tatſache, daß nur die 
Nordiſche Raſſe die Menſchheit in der echten Erkenntnisphiloſophie voran- 
gebracht hat; zu dieſem Ergebnis kommt man jedenfalls auf Grund der Aber⸗ 
lieferungen aus der Geſchichte der indogermaniſchen Kulturen. Wie weit die 
Fäliſche Raſſe und die Dinariſche Raſſe als echt bäuerliche Raſſen an dieſer 


Nomade und Bauer | 719 


Begabung ebenfalls beteiligt find, wagt der Verfaſſer nicht zu entſcheiden, 
möchte es aber für die Fäliſche Raffe vermuten und für die Dinariſche mit 
Einfchränkungen annehmen; entſchieden abftreiten muß er es jedoch der Weſti⸗ 
{den Raſſe und der Oſtiſchen Raffe, während man für die Oſtbaltiſche Raffe 
den Verdacht ausſprechen könnte, daß ſie ſich offenbar noch in einer zwiſchen⸗ 
ſtufigen Entwickelung befindet. 

Es liegt ein unendlich feiner Sinn in der Sage vom Sündenfall. Der 
Menſch verliert das Paradies, als er vom Baum der Erkenntnis gekoſtet hat. 
Solange der Menſch — wie das Tier ja immer — nur im flächenhaften 
Denken dahinlebte, ſich feine Nahrung fuchte und den Geſetzen der Natur 
unterworfen blieb, war fein Bewußtſein nirgends beunruhigt. Er lebte dahin, 
wurde geboren, liebte und ſtarb und fühlte kein Bedürfnis, ſich mit den orga⸗ 
niſchen Zuſammenhängen diefer Welt auseinanderzuſetzen. Als aber eine 
Gruppe von Menſchen anfing, ſich vom Oberflächen⸗Bewußtſein zum Bewußt ⸗ 
fein der organiſchen Zuſammenhänge umzuſtellen und auf dieſe Weiſe nicht 
nur zum räumlichen Denken kam, ſondern auch, was damit zuſammenhängt, 
zu einem Bewußtſein ihres eigenen Daſeins als Organismus in dieſem 
Raume, waren diefe Menſchen auch unweigerlich dazu verdammt, auf dem 
Wege der Erkenntnis weiter-, d. h. vorwärtszufchreiten. Damit trat eben der 
Menſch aus dem Paradies, d. h. aus dem Zuſtand des Anbewußten hinaus; 
rückwärts konnte er nicht mehr. Wer anfängt, in die Dinge zu fehen und ihre 
Lebensgeſetze zu überſehen beginnt, muß notwendigerweiſe ſo lange forſchen, 
bis er das Weſen der Dinge erfaßt hat. 

In dem Maße, wie ſich der Geſichtskreis der Nordiſchen Naſſe zu erweitern 
begann und immer neue Erkenntniſſe ihren Erfahrungsſchatz bereicherten, mußte 
dieſe Raffe ihrem bäuerlichen Streben, dem Weſen des Neuen auf den Grund 
zu gehen, folgen, ob fie wollte oder nicht. — Es mochte noch Ruhe herrichen, 
ſolange die Naſſe auf altererbter Scholle ſaß und nur ein Ahnen die Bruſt 
bewegte, daß „weit da hinten“ Dinge ſein mußten, die ſich ihrer Erkenntnis 
noch entzogen und einer Erforſchung wert waren. Meiſterhaft haben Frenſſen 
und nachher andere Bauerndichter ſolche nordiſchen Bauern vor uns hingeſtellt. 
Später, als nordiſche Wanderzüge in Amwelten gerieten, die der Nordifchen 
Raffe fremd und unbekannt waren, ſetzte ſich der bäuerliche Erkenntnistrieb 
langſam mit dem Neuen auseinander; herrliche Blätter der Philoſophie ſind 
dadurch der Menſchheit geſchenkt worden; ob wir nun an die Inder, die Grie⸗ 
chen oder die Germanen denken. Als dann ſpäter die Welt durch Verkehrs- 
mittel anfing bekannt zu werden, brach ſich der Trieb der Nordiſchen Rafe 
zur Erkenntnis hemmungslos Bahn und ſtürmte auf dieſem Wege unaufhalt⸗ 
ſam vorwärts; er folgte ſeinem entwicklungsgeſchichtlich bedingten inneren 
Muß. 

Wie ſehr hat man doch der Nordiſchen Raffe dieſen Trieb zur Erkenntnis 


720 R. Walther Darre 


verdacht! Man fühlte ſich durch dieſe Menſchen beunruhigt. Sie geben 
ſich nie mit der Oberfläche der Dinge zufrieden, nehmen die Dinge nicht ein- 
ſach hin, wie ſie find, ſondern verſuchen immer in ſie hineinzudringen und ſie 
dann weiterzuentwickeln. Der flächenhaft denkende Menſch mit dem Ober⸗ 
flächenbewußtſein empfindet lediglich die von der Nordiſchen Raffe ausgelöſte 
Bewegung unter den Dingen der ihm vertrauten Amwelt. Er folgert — da 
ihm jede Bild⸗Ablöſung in feinem Bewußtſein nur durch die Tätigkeit der 
eigenen Fortbewegung verſtändlich iſt —, daß die von der Nordiſchen Naſſe 
ausgehende Beunruhigung feines Daſeins auch auf eine gleiche Arſache bei der 
Nordiſchen Naſſe zurückgehen müſſe. Er überträgt alſo das, was bei ihm eine 
Veränderung der Bewußtſeinseindrücke auslöſen würde, nämlich die eigene 
Fortbewegung, auf die Nordiſche Raſſe und folgert nun ganz unbewußt aus 
den Geſetzen ſeiner Empfindungswelt heraus: da ich eine durch die Nordiſche 
Rafe ausgelöſte Beunruhigung meines Daſeins erlebe, fo muß die Nore 
diſche Raſſe eine beſonders unruhige und bewegliche Raffe fein. Auf 
den Gedanken, daß die Veränderung eines Bildeindruckes bei einem an Ort 
und Stelle verbleibenden Beſchauer auch dadurch ausgelöft werden kann, daß 
die Erſcheinung von innen heraus verändert wird, kommt er offenbar gar nicht 
von alleine. 

Nun kann man aber eine Erſcheinung nicht von innen heraus ändern, wenn 
man ſie nicht vorher auf ihr Weſen hin unterſucht hat. So iſt es einerſeits 
ganz natürlich, daß jede von einem nordiſchen Menſchen ausgelöſte Amwelt⸗ 
veränderung eine eingehendere Beſchäſtigung dieſes nordiſchen Menſchen mit 
dem Weſen der veränderten Dinge zur Vorausſetzung hatte, während anderer⸗ 
feits gerade dieſe Tatſache dem Menſchen mit dem Oberflähen-Bewußtfein 
am unbegreiflichſten iſt; denn er käme niemals auf den Gedanken, das Weſen 
der Dinge zu erforſchen oder verändern zu wollen. Auf dieſe Weiſe wird der 
Menſch mit dem Oberflächen⸗Bewußtſein gerade durch die Nordiſche Naſſe 
am meiſten beunruhigt. So kommt er dazu, in der Nordiſchen Raffe lediglich 
diejenige Raſſe zu erblicken, die feine Unruhe auslöſt, d. h. das ihm vertraute 
Bild der Wirklichkeit in Bewegung verſetzt und abzuwandeln beginnt. Hierin 
wurzelt letzten Endes jene tragiſche Verdrehung der Tatſache, daß die boden⸗ 
ſtändigſte Raffe der Welt, die aus ihrem Bauerntum heraus der Welt den 
Trieb zu Erkenntnis ſchenkte, zu einer „unruhigen, beweglichen Naſſe“ ge- 
ſtempelt worden iſt. 

Anter gewiſſen Amſtänden wird der Menſch des ausſchließlichen Ober⸗ 
flächenbewußtſeins gelegentlich aber auch den in organiſchen Zuſammenhängen 
denkenden Menſchen für beſonders rückſtändig halten. Das fei an einem Bei⸗ 
ſpiel erläutert. Wenn Henry Ford ein Volksautomobil erſann und baute, 
ſo wird der entwicklungsgeſchichtlich und organiſch denkende Menſch darin 
einen Beitrag zur Entwickelung des Verkehrsweſens erblicken und zweifel⸗ 


Nomade und Bauer | 721 


los einen neuen Zuftand in der Entwicklungsgeſchichte des Verkehrsweſens 
feſtſtellen; dagegen iſt es ihm im Grunde ſehr gleichgültig, wer mit einem 
Gord ſpazierenfährt, denn diefe Frage hat ja mit dem Weſen des GFord- 
wagens gar nichts zu tun. 

Ganz anders wird aber der im flächenhaften Denken befangene Menſch 
dieſer Frage gegenübertreten. Sieht er z. B. heute in Afrika einen Neger⸗ 
häuptling mit einem Ford fahren, nachdem dieſer ſich vorher vielleicht durch 
eine Sänfte fortbewegt hatte, ſo iſt ihm das ein Fortſchritt ſchlechthin. 
Das Wort „Tortſchritt“ iſt in dieſer Beziehung fehr lehrreich. Ein Ober⸗ 
flächen⸗Bewußtſein, das nur in Bildern zu denken verſteht und mit ſeinem 
Denken notwendigerweiſe an der Oberfläche haften bleibt, iſt gewohnt, eine 
Bildveränderung lediglich durch die Tätigkeit der eigenen Fortbewegung zu 
erleben, kommt alſo gar nicht auf den Gedanken, eine Bildveränderung aus 
dem Weſen der Sache heraus zu erwarten. Aus dieſem Grunde iſt für jeden 
Nomaden eine Bildveränderung, die ihm wertvoll dünkt, gleichzeitig ein Fort⸗ 
ſchritt; worin ganz wörtlich zum Ausdruck kommt, daß ihm der Entwickelungs⸗ 
gedanke fremd, die Hinbewegung zum Gegenſtand ſeiner Bewunderung aber 
natürlich iſt. Es iſt im Grunde ſehr unweſentlich für die Fragen der Ver⸗ 
kehrstechnik, ob ein Neger oder Indianer jetzt auch mit einem Automobil fah- 
ren können, denn ſie haben das Automobil weder erfunden, noch werden ſie es 
nach menſchlichem Ermeſſen weiter entwickeln können. Aber dem nomadiſchen 
flächenhaften Denken iſt bereits die Tatſache, daß es zwei voneinander ver⸗ 
ſchiedene Bilder erlebt — nämlich erſt einen zu Fuß gehenden Neger und dann 
einen mit einem Automobil fahrenden Neger, wobei es offenbar dem Neger 
Nr. 2 beſſer geht als dem Neger Nr. 1 —, grundſätzlich ſchon ein Tortſchritt, 
weil es ja auf Grund feiner Natur derartige Bildveränderungen auch nur 
durch Fortſchreiten erleben kann. 

Wenn min der organiſch und entwicklungsgeſchichtlich denkende Menſch 
einen Negerhäuptling, der mit einem Tord ſpazierenfährt, immer noch für 
einen Neger anſieht und gar nicht auf den Gedanken kommt, dem Neger das 
Automobilfahren als Kulturhöhe anzurechnen — weil der Neger ja im Grunde 
für das Vorhandenſein des Automobils nicht verantwortlich gemacht werden 
kann —, ſo empfindet der Nomade eine ſolche Denkweiſe als ſehr rückſtändig. 
Uhnliches gilt auch z. B. für den Fall, daß heute ein Indianerhäuptling den 
Frack zu tragen verſteht und eine amerikaniſche Univerfität aufſucht. Einem 
„oberflächlichen“ Denken iff das natürlich ein „Tortſchritt“, während im 
Weſen der Sache der Indianer weder etwas mit dem Frack noch mit der Uni- 
verſität zu tun hat. Das wird ein Menſch mit ausſchließlichem Oberflächen⸗ 
Bewußtſein allerdings nie begreifen, denn er verſteht nur die Oberfläche zu 
beurteilen, nicht aber das Weſen der Dinge; wenn die Oberflächen ſich gleich 
werden, iſt ſeiner Meinung nach auch das Weſen der Dinge gleich geworden. 


722 R. Walther Darré 


Der Nomade lebt dem Tage, der Bauer der Zukunft. Es 
bat für den Nomaden keinen Zweck, ſich um das Morgen zu kümmern, denn 
das Jetzt, das Heute, das Augenblickliche ſteht vor ihm und muß ausgenutzt 
werden. Amgekehrt hat es für den Bauern keinen Zweck, ſich um das Heute 
groß zu kümmern, denn dieſes iſt immer nur das Ergebnis feiner geſtrigen 
bzw. früheren Maßnahmen, und ſein Sinn muß ſich vom Heute bereits wieder 
auf das Kommende einſtellen, das er zu meiſtern hat und das er nicht, wie es 
der Nomade kann, dem „lieben Gott“ überlaſſen darf. Der Nomade iff Gata- 
liſt, der Bauer muß fagen: „Hilf dir ſelbſt, ſo hilft dir Gott!“ — Aber dieſes 
„Auf⸗das⸗Morgen⸗blicken“ ift das, was dem auf das Heute gerichtete Denken 
allen Nomadentums ſo entgegengeſetzt wie nur möglich und dem Nomaden 
in der tiefften Seele verhaßt iſt. Warum ſoll ſich auch der Nomade über das 
Morgen aufregen? Er iſt durchaus der Menſch der Wirklichkeit und ſchätzt 
es nicht, beim Abgraſen geſtört zu werden. Der Nomade würde denjenigen, 
der dieſe Wirklichkeit abändern wollte, für wirklichkeitsfremd, ja für verrückt 
anſehen und dieſes, von ſeiner biologiſchen Entwicklung aus, auch durchaus 
mit vollem Recht. Der Nomade kann ja weiterwandern, wenn ihm etwas 
nicht mehr paßt. Aber der Bauer kann nicht wandern, und das 
Morgen wird ſo, wie er es anfaßt und heute einleitet. Daher 
iſt der echte Bauer, wie überhaupt jeder echte ſeßhafte Menſch — das gilt 
ſogar in gewiſſer Beziehung für einige farbige Stämme — immer der Menſch 
des Morgen, der vorausſchauenden Sorgfalt für das ihm anvertraute Gut und 
durch ſein Pflichtgefühl notwendigerweiſe eine unbequeme und beunruhigende 
Geſtalt für alle gedankenlos Dahinlebenden; der faule Knecht hat noch immer 
dem tatkräſtigen Bauern geflucht, der ihn zur Arbeit herangezogen hat. 

Der nomadiſch denkende Menſch iſt aber auch durch und 
durch ungeſchichtlich. Ein ſeßhafter Menſch, ein Bauer im 
beſonderen, braucht aber die Erfahrungen der Vergangen- 
heit, um feine Maßnahmen für die Zukunft treffen gu kön⸗ 
nen; wenn er das nicht tut, iſt er ein Narr. Es iſt ein Beweis für das ſehr 
bäuerliche und organiſche Denken bei Goethe, wenn dieſer einmal ſagt: 

Wer nicht von dreitauſend Jahren 
Sich weiß Rechenſchaft zu geben, 
Bleib im Dunkeln unerfahren, 
Mag von Tag zu Tage leben. 

Was aber ſoll der Nomade mit Erinnerungen an abgegrafte Weideflächen 
oder an abgegeſſene Tiſche anfangen? Ja, es wäre geradezu eine biologiſche 
Anverantwortlichkeit, wenn ihn die Natur mit rückwärtsſchauendem Blick aus⸗ 
geſtattet hätte. Vorwärts muß der Nomade, falls er am Leben bleiben will, 
und er wäre ein Narr, wenn er ſich mit der Vergangenheit belaſten wollte. 

Der Bauer leitet ſein Tun von den Notwendigkeiten in ſeinem Betriebe 


Nomade und Bauer | 723 


ber, d. h. aus Erkenntnis heraus. Dieſe Erkenntnis iſt dann dem Bauern 
Richtſchnur für alle ſeine Maßnahmen, und er iſt dazu erzogen, perſönliche 
Anbequemlichkeiten zurückzuſtellen, wenn es die Notwendigkeit in feinem Gee 
triebe erfordert. | 

Das grübleriſche Bauerntum der Nordiſchen Naffe ift gewohnt, das Tun 
am Denken zu prüfen. Hat dieſes nordiſche Bauerntum aber erſt einmal 
aus einer Erkenntnis im Denken die Notwendigkeit einer Ausführung erkannt, 
dann wird auch an die Ausführung herangegangen, ſei dieſe nun mit per⸗ 
ſönlichen Anannehmlichkeiten verknüpft oder nicht. Der Bauer läßt ſich ja auch 
nicht durch das Wetter oder ähnliches abhalten, das zu tun, was er für not⸗ 
wendig erkannt hat. Daher iſt der nordiſche Menſch einerſeits durchaus ein 
Grübler, ein ſchwerfälliger Menſch, andererſeits aber auch der Menſch der 
Tat, während der Nomade, der ſich von Ding zu Ding hinbewegt, weit eher 
der Menſch der Tätigkeit genannt werden könnte, ohne daß er dazu neigt, feine 
Tätigkeit mit einem vernünftigen Gedanken in Einklang zu bringen. Nietzſche 
hat dieſe Art von Tätigkeit einmal ſehr treffend gekennzeichnet: „Es iſt das 
Unglüd der Tätigen, daß ihre Tätigkeit faft immer ein wenig unvernünftig 
iſt. Man darf z. B. bei dem geldſammelnden Bankier nach dem Zweck ſeiner 
raſtloſen Tätigkeit nicht fragen: fie iſt unvernünftig. Die Tätigen rollen, 
wie der Stein rollt, gemäß der Dummheit der Mechanik.“ 
Der nordiſchen Tat entſpricht alfo die nomadiſche Tätigkeit (Betriebſamkeit); 
dem nordiſchen Grübeln würde die nomadifche Indolenz entſprechen. Der nore 
diſche Grübler iſt oft nur ſcheinbar träge und ſchwerfällig, während vorkom⸗ 
mende Trägheit beim Nomaden immer wirklich iſt. 

Die Tat ändert die Zuſtände der Dinge immer, die Tätigkeit braucht das 
noch lange nicht zu tun. Daraus ergibt ſich hier wieder der ſcheinbare Wider⸗ 
ſpruch, daß der im Grunde ſeßhafte Menſch, alfo der Bauer, der Veränderer 
des Weltbildes iſt, während der bewegliche tätige Menſch nichtbäuerlicher 
Herkunft die Dinge zwar zerſtören kann und dadurch das Weltbild wohl nega⸗ 
tiv ändert, aber die Dinge nicht eigentlich verändert oder weiterent⸗ 
wickelt; man vergleiche, was im Abſchnitt I von Frenſſen über die Ahlen 
und Kreien angeführt worden iſt. Der im Erſcheinungsbild unbewegliche 
Moltke war ein Tatmenſch durch und durch, und die Vorſtellung eines täti⸗ 
gen geſchäftigen Feldherren wäre für uns noch heute eine Luſtſpielgeſtalt. Der 
gierig gegen Europa anſtürmende Attila einerſeits und der aus Erkenntnis 
und Grüblertum heraus nach Amerika aufbrechende blonde, helläugige Ko⸗ 
lumbus, ſowie der aus gleichen Gründen die Bezwingung der Luft ver⸗ 
ſuchende Graf Zeppelin andererſeits find vollkommene Gegenſätze. Sie 
handeln auch aus jo vollkommen verſchiedenen Arſachen heraus, daß irgend- 
welche Verwechſelungen ihrer Gründe unmöglich iſt. Wer die Nordiſche 
Raffe als Nomadenraſſe empfindet, hat ihr eigentliches Weſen noch nicht be⸗ 


724 Arnold W. Trumpf 


griffen; Jörn Ahl ift ein Bauer und ein ſehr nordiſcher Menſch, doch nie⸗ 
mals ein Nomade. 

Vielleicht iſt es geſtattet, hier eine Zwiſchenbemerkung einzufügen, die die⸗ 
fem Bilde über die Nordiſche Naſſe einen lebendigen Farbton einfügen könnte. 
Wurde oben erwähnt, daß die Nordiſche Naſſe im Bauerntum ihre Erziehung 
zum raumbewußten und organiſchen Denken erhielt, ſo haben wir mit dieſer 
Erkenntnis vielleicht auch den Schlüffel in der Hand, um das Nätſel zu löſen, 
daß nur die Nordiſche Raffe die eigentliche Schöpferin einer wirklich eben- 
mäßigen, den Raum beherrſchenden körperhaften Kunſt geweſen iſt; dies gilt 
ſowohl für die in den Raum hineingeſtellte Bildhauerkunſt, wie auch beim 
Bilde in der Naumbeherrſchung der Fläche. Jedenfalls iſt ein Verfiegen des 
nordiſchen Blutes in der Kunſt offenfichtlid) immer am leichteſten daran feft- 
zuſtellen, daß die Beherrſchung des Raumes und ſeiner Beziehungen zum 
Gegenſtand nachläßt. 

Hängt es damit vielleicht auch zuſammen, daß bei uns in Deutſchland 
ſchöpferiſche Tierzüchter oder bäuerliche Gegenden mit hochentwickelter 
Tierzucht immer auffallend deutlich noch ihren Zufammenhang mit nordiſchem 
(fäliſchem?) Bauernblut zeigen? In dem noch ſehr nordiſch beſtimmten Eng- 
land ſind tierzüchteriſche Fragen genau ſo wie in Nordamerika einer allge⸗ 
meinen Aufmerkſamkeit ſicher; fie werden dort in den Tageszeitungen fo aus⸗ 
führlich beſprochen, wie bei uns feſſelnde Fragen auf anderen Gebieten. Tat⸗ 
ſächlich verlangt auch nichts einen inbildlich ſo ſicheren Blick für Körperformen 
und Bewegungsausdruck, wie gerade ſchöpferiſche Tierzucht; ein geift- 
reicher Pferdekundiger (Hippologe) wies bereits vor einem halben Jahrhun- 
dert darauf hin, daß die Fähigkeit, edle Pferde zu züchten, in dem Maße ab⸗ 
nehme, wie der gute Geſchmack in der Baukunſt. 

Der vorftehende Abſchnitt iſt dem im Jahre 1929 bei J. F. Leb- 
manns Verlag, München, erſchienenen grundlegenden Werk von 


N. Walther Darré: „Das Bauerntum als Lebensquell der Nor- 
diſchen Raſſe“ entnommen. 


Arnold W. Trumpf: 
Die Genoſſenſchaſten 


Agrarliberalismus oder bäuerliche Schickſalsgemeinſchaft? 


Die verfloſſenen vierzehn Jahre einer korrupten Wirtſchaftsepoche haben 
zwangsläufig diejenigen Organiſationen des Landbaues nicht verſchont ge⸗ 
laſſen, die von der Arväterzeit her dem deutſchen Bauern in ſeinem wirtſchaft⸗ 


Die Genossenschaften | 725 


lichen Daſeinskampf um die Scholle Hilfe und Stütze waren: die Genoſſen⸗ 
ſchaften. Ihre Rückſchläge und Mißerfolge ſtehen vielerorts im Brennpunkt 
der Kritik. Die meiſten Kritiker jedoch waren und ſind jene Vertreter einer 
liberal⸗kapitaliſtiſchen Wirtſchaftsauffaſſung, denen die bodenſtändigen Ge⸗ 
noſſenſchaften gerade zum Opfer fielen. Sie fühlen ſo wenig von dem Bauern 
als Träger der Genoſſenſchaften, daß ihr Arteil für die Erkenntnis der tieferen 
Zuſammenhänge wertlos und abwegig iſt. 

Es iſt ſchon eine Angelegenheit des Bauerntums ſelbſt und ſeiner Führung, 
mit ernſteſter Selbſtbeſinnung aus den bitteren Lehren der vergangenen Jahre 
die Schlußfolgerungen für die zukünftige Arbeitsweiſe in den Genoſſenſchaften 


ſelbſt zu ziehen. 
Die geiſtigen Schäden 


Ein hemmungsloſes Erwerbsſtreben, unter Ausnutzung jeder fic) bietenden 
Gelegenheit des Einzelunternehmers auf Koſten des anderen ſeit Beendigung 
des Krieges, gefördert durch die moraliſchen Auswirkungen der Inflation, 
täufchten auch dem Landvolke jene Nützlichkeits moral vor, die vom Ein⸗ 
zelmenſchen zum Maß aller Dinge gemacht wurde. Die Genoſſenſchaft als 
Gemeinſchaftsbewegung der durch Blut und Boden ſchickſals verbundenen 
Bauern im Dorfe wurde der Tummelplatz eigenſüchtiger Intereſſen auf Koſten 
aller und zum Schaden des einzelnen. Sie wurde zur inhaltloſen Form in ein⸗ 
ſeitiger, ſpekulativ⸗händleriſcher Richtung herabgewürdigt. Die Genoſſenſchaft 
regte nur noch den Inſtinkt nach Streben eines ſofortigen, unmittelbaren Bors 
teils an. Man betrachtete ſie gegenüber dem im Wettbewerb ſtehenden Handel 
lediglich als Objekt feiner angeblichen, perſönlichen, händleriſchen Pfiffigkeit. 
Nicht von ungefähr bildete ſich die Forderung, tüchtige, aus dem Bank- und 
Getreidegeſchäft der Städte ſtammende „Fachleute“ in erſter Linie in die bäuer⸗ 
lichen Genoſſenſchaften als Geſchäftsführer zu beſtellen. Man huldigte eben 
nur einer Moral: „eine mit allen Waſſern getaufte Geriſſenheit in der Ge⸗ 
ſchäftsgebarung“. Hierin ſah man das Heil genoſſenſchaftlicher Betätigung. 
Je mehr die Organe der Genoſſenſchaft ſich ſelbſt bei der Verteilung der Be⸗ 
triebsmittel durch Inanſpruchnahme von Großkrediten (heute pu ihrem eigenen 
Schaden!) bevorzugten, ftatt als Männer des Vertrauens ihrer Mitglieder 
Zurückhaltung zu üben, deſto mehr entwickelten fic die ſogenannten Geſchäfts⸗ 
hrergenoſſenſchaften“, bei denen der Vorſtand, weil innerlich nicht mehr Herr 
einer Entſcheidung, alles andere als führte, vielmehr als willenloſes Werkzeug 
n den meiſten Fällen geführt wurde. Viele landes fremde Geſchäftsführer 
waren dann auch ſo „tüchtig“, die Genoſſenſchaft als Objekt ihrer perfönlichen 
Vorteile willen zu mißbrauchen. Grundſätzlich find daher die gei⸗ 
ſtigen Verfallserſcheinungen im Genoſſenſchaftsweſen 
Teilerſcheinungen einer korrupten Wirtſchaftsepoche ge⸗ 
weſen. Bei den vorgekommenen moraliſchen Anſauberkei⸗ 
ten, der Untreue und Verantwortungsloſigkeit in der 
Führung ſieht man ſchließlich nur in den Spiegel eines 
allgemeinen wirtſchaftlichen Verfalles. 


Materielle Schäden 


Die materiellen Verluſte in den Genoſſenſchaften, vornehmlich bei Spar⸗ 
und Darlehnskaſſen und Warengenoſſenſchaften, ſind hauptſächlich auf drei 
Arſachen zurückzuführen: 


726 Arnold W. Trumpf 


1. Fehler in der Kreditverteilung und Kreditbeurteilung, 
2. ein überſetztes ländliches Geld⸗ und Kreditweſen, 
3. die Deflationskrife als Schickſal. 


Der verfloſſene Agrarliberalismus der Aereboeſchen Ara entwickelte die 
Lehre von der „Intenſivierung und Rationalifierung” des bäuerlichen Be⸗ 
triebes. Er regte die Kreditfreudigkeit um ſo mehr an, als die Inflation die 
flüffigen Betriebsmittel im Landbau vernichtet hatte. Man fragte weder von 
der Seite der kreditſuchenden Bauern, noch der kreditgebenden . 
nach dem Wirtſchaftserfolg aus Leihkapital und Zinfendienſt. Die Belei⸗ 
hungs möglichkeit war die Nichtſchnur des Handelns. Man ſtempelte 
den Grund und Boden zur Ware, aber aud hier nicht nur der Geld- 
geber, ſondern auch der durch den Agrarliberalismus getäuſchte „Landwirt“. 

reditfähigkeit bzw. Beleihungs möglichkeit war Haupte 
ſache, Kreditwürdigkeit Nebenſache. Die Genoſſenſchaft verlor 
den Charakter als Dorffaffe, die allen tn mit Heinen und mittleren 
Betriebskrediten im Geldausgleich des Dorfes helfen foll, fondern wurde eine 
einſeitige Kreditbank, die über eigene Mittel aus der Dorfwirtſchaft hinaus 
in erſter Linie mit fremden Bankkrediten des genoſſenſchaftlichen Mittelbaues 
(Verbandskaſſen), dieſe mit der ſeinerzeit marxiſtiſch verſeuchten „Preußen⸗ 
kaſſe“, arbeitete. Gefördert wurde dieſe von marxiſtiſchem Einfluß abhängige 
Kreditpolitik nach oben durch die durch die verbrecheriſch aufgezogene e 
tion vernichteten Spareinlagen als die wertvollſten Betriebsmittel der Ge⸗ 
noſſenſchaften. Die heutigen Verluſte der Genoſſenſchaften aus notleidend 
1 Krediten ſtammen in faft allen Fällen aus einzelnen Gro fe 

rediten, nicht aus vielen Kleinkrediten! In dem Augenblick, 
als die Dorfkaſſe ihren Rahmen als dörfliche Selbſthilfeeinrichtung ſprengte 
und zur verdienen wollenden „Bank“ mit fremden Mitteln wurde, verlor ſie 
den Boden unter den Füßen und beklagt heute ihre Verluſte. Im Zuge des 
Liberalismus lag es, die bodenſtändigen Dorfkaſſen und Genoſſenſchaften als 
überlebt und für unzeitgemäß anzuſehen. Es entſtanden an Stelle von Kaͤmp⸗ 
fern für den berufsſtändiſchen Gedanken die „Syndizi“, die nach großen Kreis⸗ 
und Wirtſchaftsorganiſationen mit hauptamtlicher Leitung ſtrebten. Die Or⸗ 
ganiſationsfehler haben ſich bitter gerächt. Die Experimente haben den Bauern 
viel Geld . Niemand wollte es hören, daß, wenn man die Aberſichtlich⸗ 
keit über die Leiſtungsfähigkeit der Mitglieder, die man zu betreuen hat, ver⸗ 
liert, die Genoſſenſchaft eines Tages „ kommt. Man ee: 
den Fernabſatz und ließ ſich an den Abnahmeſtellen von geriffenen Abnehmern 
über das Ohr hauen. Eine weitere Arſache der Verluſte aus falſcher Kredit⸗ 
freudigkeit und Kreditfehlleitung war die Ausdehnung der öffentlichen Spar⸗ 
kaſſen als Bankeinrichtungen mit einer von Jahr zu Jahr zunehmenden Grün⸗ 
dungstätigkeit von Geſchäfts⸗ und Annahmeſtellen am gleichen Ort der Gee 
noſſenſchaftskaſſen. Es entſtand der Wettbewerb von Geldgebern faſt auf 
jedem Dorfe. Anfängliche Bedenken der Kreditgewährung wurden in der Zeit 
der Flüſſigkeit der Zahlungsmittel aus Angſt, den Kunden an den konkurrie⸗ 
renden Geldgeber zu verlieren, zurüdgeftelt! Amſatz war die Cofung! 
Wenn heute der Bauer unter den Zinslaſten ſeufzt, die ſeine Verſchuldung 
beſchleunigt haben, ſo wird immer vergeſſen, daß bei der Jagd um den Spar⸗ 
groſchen — auch die dem Lande weſensfremden Großbanken waren ja ſeiner⸗ 
zeit durch Zweigſtellen, beſſer Saugſtellen, auf dem Lande vertreten — der 


_ EEE — . — — — — — — — — .. — ————— — —— —— 1 


Die Genossenschaften | 727 


Sinsfuß für Spareinlagen durch den Überſetzten Wettbewerb von Geldanftal- 
ten in die Höhe getrieben wurde. Das bodenſtändige Kapital wurde künſtlich 
teurer, je höher die Spareinlagen verzinſt wurden. Zinſen für Spareinlagen 
von 10% (1) waren noch vor einigen Fahren keine Seltenheit. Schließlich hat 
die Auswirkung der Kriſe, die Vernichtung des Wirtſchaftserfolges der Bau⸗ 
ernhöfe die Genoſſenſchaften als Schickſalsträger betroffen. 


Geiſtige und ethiſche Erneuerung 


Es wurde feſtgeſtellt, daß die menſchlichen Werte im Genoſſenſchaftsweſen 
verkümmerten. Sie zu wecken, iff Vorausſetzung für die Reformation genoſſen⸗ 
ſchaftlicher Selbſthilfe. Führung und Inhalt der Genoſſenſchaften werden zu⸗ 
künftig von jenem Geiſt getragen fein müſſen, der das durch Blut und Voden 
verwurzelte Bauerntum durch die Genoſſenſchaften ſchickſalsverbunden empfin⸗ 
den und erkennen läßt: „Einer für alle, alle für einen“. Der Gorden 
rung des Nationalſozialismus „Gemeinnutz vor Eigenmitz“ hat nunmehr die 
Tat zu folgen. Wo fände ſich wohl ein beſſeres praktiſches Betätigungsfeld 
für dieſe Geſinnung als gerade in der Genoſſenſchaftsarbeit. Dem heroiſchen 
Kampf der nationalſozialiſtiſchen Bewegung, den Liberalismus in allen ſeinen 
Spielarten für immer zu überwinden, haben die ländlichen Genoſſenſchaften 
durch Pflege einer genoſſenſchaftlichen Geſinnung (völkiſch) ſtatt der bisherigen 
Törderung einer einſeitigen Nützlichkeitsmoral (liberal) zu folgen. Sie ſollen 
die Pflegeſtätte des Amſchmelzungsvorganges von der Form zum Inhalt völ- 
kiſcher Geſinnung werden. Hier zeigen ſich die Zukunftsaufgaben der Genoſſen⸗ 
ſchaften in ihrer ganzen Größe. Der Landwirt ſoll auch in ſeinem bisherigen 
wirtſchaftlichen Denken über die genoſſenſchaftliche Geſinnung wieder zum 
Bauern völkiſcher Prägung werden. Zukünftige Genoſſenſchafts⸗ 
arbeit iſt demnach Ausmerzung agrarliberaliſtiſcher Den⸗ 
kungsweiſe und Pflege echter deutſcher Bauernpolitik. 


Führerfrage 


Zur Durchführung dieſer Aufgabe ſtoßen wir auf die Führerfrage. Soll 
letztere ein Problem bleiben, oder iſt es nicht des Schweißes der Edlen wert, 
es zu löſen? Wenn auch feſtſteht, daß Führer geboren und nicht erſt erzogen 
werden, ſo iſt trotzdem zu ſagen, daß wiederum der Agrarliberalismus manch 
echte Führernaturen verſchüttet hat, die wir freilegen müſſen. Die Möglichkeit 
der Erwerbung des techniſchen Rüftzeuges muß in planmäßiger Weiſe für die 
durch Ausleſe feſtgeſtellten Führer geſchaffen werden (Führerſchulen). Wir 
wollen zukünftig den Führer nicht nach dem hinter ihm ſtehenden Grundbeſitz 
im Bauernſtande beurteilen, ſondern nach ſeiner Charakterſtärke und nach ſei⸗ 
nem ausgeprägten Verantwortungsbewußtſein. Genoſſenſchaften ſind nun 
einmal keine Eitelkeitseinrichtungen. Jeder Bauer, der heute an führende 
Stelle in ſeinen Organiſationen geſtellt iſt, muß jederzeit bedenken, daß er 
ſpäter nur danach gewogen wird, wie er ſeinem Berufsſtande zu dienen ver⸗ 
mochte. Das iſt der tiefere Sinn des Lebens eines völkiſchen, d. h. edlen 
Menſchen. Heute verſtehen ſich Führer und Geführte ſehr oft nicht mehr, aber 


Agrarpolitik Heft 10, Bg. 2 


728 Arnold W. Trumpf 


die Schuld liegt vorwiegend bei den erfteren, die ſich entweder dem bäuerlichen 
Element entfremdeten oder als ſogenannte „Syndizi“ nie einen Hauch von 
bäuerlichem Denken und Fühlen verſpürten. Die fogenannte neutrale Ein- 
ſtellung im Genoſſenſchaftsweſen wurde bis zur fterilen Objektivität als ſtän⸗ 
diges Lippenbekenntnis immer wieder gepredigt. Man verabfdumte jedoch 
nicht, mit getarnter Harmloſigkeit liberale und kapitaliſtiſche Parteipolitik in 
den Spitzenſtellungen mit einer Verfilzung ſondergleichen zu treiben. Soll es 
noch deutlicher geſagt werden? Einen geſunden Kampfgeiſt als ewige Erneue⸗ 
rungsquelle jeglicher organifatoriſcher Arbeit haben die Genoſſenſchaften in 
den letzten Jahren nicht verſpürt. Gewiß find die Genoſſenſchaften an kauf⸗ 
männiſche Grundſätze gebunden, und ihre Beachtung iſt die Vorausfetzung 
mit für den wirtſchaftlichen Erſolg, ſie können ſich aber nur der ethiſchen 
Größe genoſſenſchaftlicher Arbeit unterordnen, nicht aber wie bisher über ſie 
herrſchen wollen (dienen und nicht verdienen). Wir haben es erlebt, daß Ver⸗ 
antwortungsloſigkeit in der Führung den Segen der Selbſtverwaltung zum 
Fluch verwandelte. Das Ergebnis iſt die heutige Vertrauenskriſe im Genoſ⸗ 
ſenſchaftsweſen. Die Folgerung iſt, daß eine planmäßige Säuberung des 
Genoſſenſchaftsweſens von ſolchen Führern vorgenommen wird, die das Ver⸗ 
trauen des Bauern heute nicht mehr verdienen, beſſer geſagt, nie verdient 


haben. 


Organiſatoriſche Grund forderungen 


Aber den organiſatoriſchen Aufbau der ländlichen Genoſſenſchaften iſt zu 
gen, daß zu grundſätzlichen Anderungen kein Anlaß beſteht. Die durch 
eichsmittel krampfartig aufgezogenen Zwecksgründungen, vor allem eine 
überſpitzte Zentraliſierung genoſſenſchaftlicher Abſatzorganiſationen, werden zu 
liquidieren ſein, wenn die wirtſchaftliche Daſeinsberechtigung fehlt. Die Ver⸗ 
luſte aus Fehlgründungen berechtigen zu dieſer Forderung. In dem Vertei- 
lungsvorgang deutſcher Agrarerzeugniſſe auf dem deutſchen Markt wird nach 
allen Lehren ein leiſtungsſähiger und zuverläſſiger Handel zukünftig mehr ein⸗ 
halten fein. Die genoſſenſchaftlichen Verkaufsorganifationen in Bedarfs⸗ 
gebieten haben auf Grund ausreichenden Lehrgeldes nicht jene Daſeinsberech⸗ 
tigung gehabt, die den genoſſenſchaftlichen Abſatzorganiſationen in Aberſchuß⸗ 
en ohne weiteres eingeräumt werden muß. Die Erfolge der letzteren 
erechtigen zum weiteren Ausbau, wie überhaupt der Erfaſſungsvorgang der 
Agrarerzeugniſſe im Unters und Mittelbau das genoſſenſchaftliche Selbſthilfe⸗ 
recht des Bauern bleiben muß. Im übrigen iſt alles, was nicht organiſch 
wächſt und Stein auf Stein ſetzt, für die zukünftige genoſſenſchaftliche Organi⸗ 
ſationsarbeit abzulehnen. Im Anterbau des Genoſſenſchaftsweſens werden die 
Genoſſenſchaften zukünftig nicht größer ſein dürfen, als ſie die Leiſtungsfähig⸗ 
keit der Mitglieder hinſichtlich der Inanſpruchnahme des Betriebskredites aus 
Waren- und Geldverkehr überſehen können, und nicht kleiner, als fie zur 
Deckung der Betriebsunkoſten unbedingt an einen beſtimmten Geſchäftsumfang 
gebunden ſind. Ein dringendes Zeiterfordernis bleibt der Abbau des über⸗ 
ſetzten Geld- und Kreditweſens auf dem Lande. Die öffentlichen Sparkaſſen 
werden an Orten, an denen leiſtungsfähige genoſſenſchaftliche Dorfkaſſen vor⸗ 
handen ſind, ihre Geſchäftsſtellen zurückzuziehen haben. Ferner iſt zu fordern, 


Die Genossenschaften | 729 


daß in Zukunft die einfeitige behördliche Bevorzugung öffentlich⸗ rechtlicher 
Sparkaſſen zum Nachteil der Spar- und Darlehnskaſſen aufhört. Für den Ab⸗ 
bau der Zinslaſten wird man der Senkung der ſachlichen und perfonellen Aus⸗ 
gaben in den Spitzen in erſter Linie mehr Rechnung tragen müſſen. Hier 
dürften die Bilanzen mancher genoſſenſchaftlicher Zentralgeſchäftsanſtalten 
einſchließlich der Deutſchen Zentralgenoſſenſchaftskaſſe noch einer gründlichen 
Nachprüfung unterzogen werden. 


Schlußbemerkung 


Die Staatsführung wird immer nur die grund ſätzlichen 
Vorausſetzungen für den Wirtſchaftserfolg unferer deut- 
ſchen Bauernhöfe ae Wohle des deutſchen Volkes ſchaf⸗ 

en können. Nicht in der Lage iſt ſie, jedem einzelnen zu 

elfen. Dies bleibt auch in „ Aufgabe genoſſen⸗ 
chaftlicher Selbſthilfe: „Vereint iſt auch der Schwache 
mächtig.“ Bei all den aufgezeichneten ißerfolgen im 
ländlichen Genoſſenſchaftsweſen, die zweifellos an die 
Opferbereitſchaft der ö manch harte Anforde⸗ 
rungen ſtellten, darf aber an dieſer Stelle nicht vergeſſen 
werden, daß die Genoſſenfchaften in den harten Krifen- 
jahren ihren Mitgliedern Hilfe und Stütze waren. Ohne 
{te wäre die Not noch härter geweſen, ja tauſende unferer 

eutſchen Bauernfamilien wären vor der Zeit zugrunde 
gegangen. Die Geſamtorganiſation des deutſchen land- 
wirtſchaftlichen Genoſfenfchaftswefens in all ihrer Viel- 

eſtaltigkeit der erwerbswirtſchaftlichen Betätigung mit 
beute 40 000 Genoſſenſchaften und 3 Millionen in ihnen 
organiſierten Bauern iſt eine der tragenden Säulen des 
ländlichen Berufsſtandes, ja fie iſt das Rückgrat im wirt- 
ſchaftlichen Tageskampf des Bauerntums). Dieſe Säule 
als Träger unter das Dach der neuen großen bäuerlichen 
Einheitsorganiſation zu ſtellen, muß das Werk eines ein⸗ 
heitlichen Willens und Wollens des deutſchen Bauern- 
tums für die Regierung Adolf Hitlers vollenden. 


) Nach der Statiſtik des Reichsverbandes find etwa 2,1 Milliarden Reichs. 
mark den genoſſenſchaftlich organiſierten Bauern als Darlehn zur Verfügung ge⸗ 
ſtellt worden. Hiervon ſtammen etwa 1,6 Milliarden aus ſelbſt aufgebrachten 
Spareinlagen und Guthaben in lfd. Rechnung! Damit kommt die wirtſchaftliche 
Bedeutung der genoſſenſchaftlichen Selbſthilfe des Bauern eindeutig zum Aus- 
druck. 


2 


Dr. Richard Wagner: 
Staats politik und Geopolitik 


Geopolitiſche Einwirkungen 


Die junge geopolitiſche Wiſſenſchaft hat ſich in a Seit fo ſtark ent- 
widelt, daf Kor Wiſſensgebiet weite Kreiſe der Intelligenz, aber auch 
der breiten ſſe des Volkes . haben. Die Erkenntnis, daß die 
Geopolitik eine ſehr ernſthafte Wegweiſerin für die geſamte Staatspolitik 
ſein kann, ſetzt ſich durch. Setzt ſich um ſo mehr in einer Zeit durch, in der 
ein organiſcher Aufbau des Staates angeſtrebt und durchgeführt wird. Der 
Staat, der die Seßhaſtigkeit ſeiner Bewohner, die Vermählung mit dem 
Boden zur Vorausſetzung hat, regelt alle Beziehungen der Menſchen, die in 
dem feſtumgrenzten Naum leben, und ſtellt an die Gemeinſchaft den Grund⸗ 
[as der ſtaatsbürgerlichen Pflicht. Dieſer Staat, als Organismus aufgefaßt, 
5 5 unterworfen, die ſich in Einflüſſen verſchiedenſter Art gel- 
end machen. 

Wie das Leben des Menſchen von Amwelt, Klima, Boden und Lage abe 
hängig iſt, wie ein der Natur und den Lebensbedingungen entgegengeſetztes 
. den Organismus zerſtören kann, kann eine Staatspolitik, die gegen 
die Lebensbedingungen der Nation verſtößt, deren Antergang herbeiführen. 

Die Geopolitik vermittelt die Kenntnis der Lebensbedingungen für einen 
Staat, geist Einwirkungen der verſchiedenſten Art. Sie beſchäftigt fid aber 
auch mit dem Staat als lebenden Organismus, mit der Einſtellung der 
Staatsbürger zum Staatsbegriff, mit der Ausſchal geopolitiſcher Einflüſſe 
bei der Staatengeſtaltung und endlich mit den mannigfaltigen Möglichkeiten 
der Verwiſchung der Staatsgedanken ſelbſt. 

In dieſem Aufſatz will ich mich mit den geopolitiſchen Einwirkungen im 
allgemeinen befaſſen. 

Die Natur in ihrer mannigfaltigen Krafteinwirkung iſt nicht nur mit⸗ 
beſtimmend für die Staatenbildung, ſondern oft erzwingt ſie dieſe ſogar. 

Der Engländer James Fairgrieve hat ein Buch geſchrieben „Geographie 
und Weltmacht“, in dem zwar das Wort „Geopolitik nicht erwähnt iſt, das 
aber all dieſe Fragen klar und erſchöpfend behandelt. 

Die Erzwingung der Staatenbildung durch die Natur geſchieht auf der 
Erdoberfläche überall dort, wo der Kampf gegen eine feindliche Natur den 
Zuſammenſchluß der in einem beackerten Raum wohnenden Menſchen er⸗ 
fordert. Ein klaſſiſches Beiſpiel für die Staatenbildung auf obenbezeichneter 
Grundlage iſt das Land Agypten. Der Nil brachte eine Menge fruchtbaren 
Schlamm und Feuchtigkeit in das von der Sonne durchglühte Land und gab 
alah die Bedingungen für die Schaffung einer überaus fruchtbaren Ebene. Die 

rbeit vieler zehntauſender Menſchen ſchuf Kanäle und Schöpfvorrichtungen 
zur gleichmäßigen und gerechten Verteilung des Schlammes und der ſſer⸗ 
mengen, ſchuf Deiche und Dämme zum Schutz gegen Hochwaſſer. 


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Staats politik und Geopolitix 731 


Die erſten echten Staaten entſtanden in ſonnenreichen, aber regenarmen 
Gebieten, durch die ein oder mehrere Ströme floſſen, weil hier die Voraus⸗ 
ſetzung für die Seßhaftigkeit vorhanden war, die Bildung eines Bauerntums 
ermöglichte, das auf der Grundlage „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ die 
techniſchen Maßnahmen unter der Leitung eines ſtrengen Herrſchers zur Be⸗ 
wäflerung und zur Bekämpfung des Hochwaſſers durchführte. 

Gerade bei der Staatenbildung in Agypten war es nicht die n 
der Bewohner, ſondern die oben mehrfach erwähnten geographiſchen Verhält⸗ 
niſſe und die Schutzlage Agyptens, die den großen Tortſchritt ermöglichten. 
Weitere Beiſpiele der Staatenbildung ſind Meſopotamien, das Gebiet in 
Pendſchab (Nordindien), in China das Gebiet des Gwangho. 


Auch in Europa gibt es allerdings erft ſpäter ein Beiſpiel der Staaten⸗ 
bildung, das die Natur erzwingt, die Niederlande. Das Bewußtſein der 
Holländer, ihren Staat gewiſſermaßen dem Waſſer abgerungen zu haben, 
drückt ſich aus in dem Satz: „Gott hat die Welt gemacht mit Ausnahme der 
Niederlande, welche die Holländer ſelbſt geſchaffen haben.“ Noch heute arbei⸗ 
ten die Holländer mit vollem Erfolg an der Gewinnung neuen Bauernlandes. 


Ein weiterer Faktor, der die Staatenbildung weſentlich fördert oder hemmt, 
iſt das Klima. In den Regionen der Arktis und in der ſubtropiſchen Zone 
konnten fic) keine echten Staaten bilden. Nicht der Volkscharakter iſt daran 
ſchuld, ſondern das Klima. 


Die geiſtige und politiſche Führung liegt heute noch überall in den Ge⸗ 
bieten mit 5— 15 Grad Jahresmitteltemperatur mit einem deutlichen Opti⸗ 
nn hr der Nähe der 10 Grad Jahresiſotherme. (New Dork, London, Berlin, 


Im Nahmen eines Aufſatzes iſt es unmöglich, dieſe Einflüſſe geopolitiſcher 
Art auf die Staatenbildung umfaſſend darzuſtellen. Nach der kurzen Dar⸗ 
ſtellung des geopolitiſchen Einfluſſes der Flußläufe und des Klimas ſtellt 
Du usb der Mineralien auf die Staatsbildung den nächſtwichtigſten 

r. | 

Vor allem find es Eifen und Kohlen, deren Beſitz gerade in unſerer Zeit 
die Macht eines Staates weſentlich erhöhen, auch wenn Elektrizität und Ol 
eine immer größere Rolle ſpielen werden. 


Andere ſtaatenbildende und fördernde Mineralien find die Edelmetalle 
und Edelſteine, Salpeter, Kali und Erdöl. 


Der Beſitz eines Staates an Mineralien iſt nicht immer ſein Glück. Er 
erregt den Neid der Nachbarn, und wenn der Staat ſelbſt nicht ſtark genug 
iſt, wird er vom Stärkeren geſchluckt. Starke Staaten im Beſitz reicher Mine⸗ 
talien erhöhen dadurch ihre Macht. Staaten, die keine Mineralſchätze befigen, 
find kaum Angriffen von Gegnern ausgeſetzt, auch wenn fie ſchwach find. 

Amfaſſend iſt die Einwirkung der Geopolitik auf die Staaten. Nicht nur 
die tote Natur, ſondern auch die Tierwelt und die Pflanzenwelt, die großen 
Einflüffe waldreicher Gebiete, die Bedeutung der Gebirge, der Binnen⸗ 
waſſerſtraße und der Meere beſtimmen die Staatenbildung, ihre Erhaltung 
und ihre rung. 

Vorausſetzung für unfere Erkenntniſſe iſt aber, daß wir den Staat als 
lebendigen Organismus auffaſſen. 


732 Dr. Richard Wagner, Staatspolitik und Geopolitik 


Dieſe Auffaſſung iſt durchaus nichts Neues. Schon aus dem Jahr 494 
v. Chr. kennen wir eine Fabel von Menenius Agrippa von dem Magen und 
den rebellierenden Gliedern. | 

Von den Geopolitikern find es der Deutſche Nagel und beſonders der 
Schwede Kjellen (T 1922), der in feinem Werk „Der Staat als Lebensform“ 
klar nachgewieſen hat, daß der Staat nichts Abſtraktes, Totes und Starres 
iſt, ſondern daß er lebt, lebt wie ein Weſen und abhängig iſt von ſeinen orga⸗ 
1 — Lebensbedingungen. Darüber müſſen wir uns von vornherein 

r fein. 


Wir bauen einen organiſchen Staat auf, in dem nicht das Wohlergehen 
der einzelnen Individuen maßgebend iſt, ſondern die Erhaltung und Törde⸗ 
rung der Nation. 

Die Einwirkungen geopolitiſcher Art auf die Staatenbildung, die von der 

flanzenwelt ausgehen, mit Ausnahme der Wälder, die eine beſondere 

tellung einnehmen, ſind mehr bindender oder friedlicher Art. 

Es fehlen zwar in der Geſchichte nicht Konflikte, die um den Beſitz von 
Pflanzen ausgebrochen find, jedoch find dieſe Neibungen viel ſeltener, da man 
Pflanzen auch anderwärts anbauen kann. Wichtig für die Geopolitik find 
Pflanzen, die zu Nahrungs- und Genußzwecken, zu Gewürzen, zur Herftel- 
lung von Bekleidung und Baumaterialien und zu induſtriellen Zwecken ver⸗ 
wendet werden. 

Eine beſondere Stellung bei der Betrachtung der Pflanzenwelt im Hinblick 
auf die Geopolitik nehmen die großen zuſammenhängenden Waldgebiete ein. 
Sie verhindern eine Staatenbildung ſehr lange, aber für vorhandene Staaten 
ſind ſie ein guter Grenzſchutz und beeinfluſſen die klimatiſchen Verhältniſſe 
entſcheidend. Ein intereſſantes Beiſpiel für das Aufhaltsvermögen großer 
Wälder iſt die Verbreitung des Islams. Man kann von einem Steppen und 
Wüſtencharakter des mohammedaniſchen Bekenntniſſes ſprechen. 

Den Gebirgen kommt ſogar eine dreifache geopolitiſche Bedeutung zu. Sie 
find entweder Staatsgrenzen, ihre Verkehrserſchwerung bedeutet eine Kultur⸗ 
und 5 Gebirgsländer wirken im allgemeinen ungünftig für 
ſtaatliche Zuſammenſchlüſſe. Eine militäriſche Bedeutung haben die ſogenann⸗ 
ten Pforten oder Durchbrüche bei Gebirgen. Sie können gut verteidigt werden 
und bilden trotzdem kein Hindernis für den Verkehr. Wo gute ka die Ge⸗ 
birge leicht überwindbar machen, bilden ſich Sattelſtaaten. Der Paß wirkt, 
ähnlich einer Flußbrücke, verbindend. 

Als letzte geopolitiſche Einwirkungen wären die Binnenſtröme und die 
Meere zu behandeln. Da dieſe Einflüſſe gerade in der gegenwärtigen Politik 
und im Verſailler Vertrag eine große Rolle geſpielt haben, würden dieſe Ein⸗ 
flüſſe Gegenſtand eines beſonderen Aufſatzes ſein. 

Noch einmal ſoll die Aufſatzreihe, die heute begonnen hat, in ihren Fort. 
ſetzungen angedeutet werden. Zunächſt wurden und werden die geopolitiſchen 
Einwirkungen auf die Staaten und auf die Bewohner der Staaten dargeſtellt. 
Vorausſetzung iſt immer, daß wir den Staat als lebendigen Organismus aufe 
faſſen. And erſt, wenn wir uns über die geopolitiſchen Einwirkungen auf die 
Staatenbildung klar geworden ſind, wollen wir uns mit dem Staat ſelbſt, mit 
dem Staat als lebenden Organismus befaſſen. Dahin gehören felbitverftänd- 
lich auch Probleme, die ſich mit außenpolitiſchen Fragen, wie Mandates 
ſyſtemen und überſtaatlichen Gedanken befaſſen. 


Kael Scheoͤa: 
Folgerungen aus Ruhlands Lehren 


Heute, wo das Ziel aller vaterlandstreuen Deutſchen, eine nationale 
Regierung, endlich erreicht iſt, mögen die Staatsmänner die Lehren Rub- 
lands wohl beachten. Der Grundzug ſeines Weſens war den Menſchen und 
Tatſachen gegenüber ſtrengſte Wahrhaftigkeit, die keine Anklarheit duldete 
und keine Phantaſtereien. Darum war fein Streben, die Wahrheit zu ere 
forſchen, auch ſo erfolgreich. Gegenüber den immer wiederkehrenden Ver⸗ 
ſuchen von Theoretikern und Praktikern unſerer Volkswirtſchaft, die engliſche 
wirtſchaftliche Entwicklung als vorbildlich für Deutſchland hinzuſtellen, muß 
das Verderbliche dieſes Vorgehens aufs ſchärfſte gekennzeichnet werden. Das 
berühmte Werk des Adam Smith über den Reichtum der Nationen hat, 
wie ſchon ſein Titel ſagt, einen durchaus mammoniſtiſchen Charakter, der 
aber dem Weſen des britiſchen „Krämervolkes“ im höchſten Grade entſpricht. 
Hatte doch der größte engliſche Lyriker Lord Byron den Briten ins 
Stammbuch geſchrieben, daß „ſie die eine Hälfte der Menſchheit 
geſchlachtet, die andere Hälfte geprellt hätten“. Thomas 
Carlyle war der erſte Brite, der die Lehren des Adam Smith und ſeiner 
Schule als „Anheilswiſſenſchaft“ (dismal science) bezeichnete und 
die verheerende Wirkung dieſes „kosmopolitiſchen Individualis⸗ 
mus“, der die Selbſtſucht zur Triebfeder der ganzen Volkswirtſchaft machte, 
ſcharf kennzeichnete. Carlyles Freund und ſchottiſcher Landsmann John 
Nuskin hatte nach langen, eingehenden Studien dasſelbe Urteil wie Carlyle 
über die britiſche Volkswirtſchaftslehre gewonnen. Aber John Ruskin ſagt 
Conrads „Handwörterbuch der Staatswiſſenſchaften“, das ihn vorher 
übergangen hatte, in der 3. Auflage folgendes: „Die geſchichtliche Bedeutung 
von John Ruskin iſt eine dreifache. Zunächſt hat er mitten in einer Welt, 
die faſt ganz von den materiellen Intereſſen beherrſcht wurde, das Banner 
des Idealismus aufgepflanzt. Dann hat er im Leben des engliſchen Volkes 
der Kunſt eine Stätte zurückerobert; und endlich hat er die landläufigen Kate⸗ 
gorien der theoretiſchen Nationalökonomie vom ſittlichen Standpunkte 
aus einer Reviſion unterzogen, deren Entwicklungslinien für unſere deutſche 
Wiſſenſchaft maßgebend werden ſollten.“ Als Ruskin Ende 1860 im Corn⸗ 
hill⸗ Magazine ſeine Aufſätze gegen die Freiwirtſchaftslehre veröffent- 
lichte, entſtand im Publikum wie in der Preſſe gegen ihn die geöhte Ent- 
rüftung, die derartig überhand nahm, daß ſich ſchließlich der Verleger der 
Zeitſchrift weigerte, dar weitere Aufſätze Nuskins zu veröffentlichen. Bei 
der erwähnten großen Bedeutung Ruskins iſt dies Verhalten kennzeichnend 
für den engliſchen Geiſt. Thomas Carlyle konnte daher auch mit Recht ſagen, 
„daß es wahre Freiheit des Geiſtes nur in Deutſchland 
gäbe“, und darum hat er auch mit Recht das Wort geprägt: „Die Zu⸗ 
kunft Deutſchlands iſt die Zukunft der Welt!“ In jenem 


734 Karl Scheda 


öffentlichen Skandal iſt Thomas Carlyle fa 8 als En: für John Rustin 
getreten. Er ſchrieb ihm: „Ich las Ihre Artikel mit Wolluft, mit Jauchzen 
und oftmals mit hellem Gelächter und Braviſſimo⸗Nufen. Ein ſolches Ding, 
plötzlich an einem Tag in eine halbe Million vernagelter, britiſcher Hirn⸗ 
kaſten geſchleudert, wird viel Gutes tun. 500 bewundere an vielen Stellen die 
luchsäugige Schärfe Ihrer Logik, die glühende Beißzange, mit der Sie gewiſſe 
geſchwollene Baden und aufgeblaſene ‘te anpaden. Gebarren Gie die 
nächſten ſieben Jahre bet dieſer Arbeit! ... Inzwiſchen freut es mich, daß = 
mich von nun ab mit Ihnen in einer Minorität von zwei Stimmen 
Carlyle erwartete auch von Deutſchland die Bildung eines neuen, lebens. 
fähigen geſellſchaftlichen Organismus, der die troſtloſe e der 
engliſchen Nationalökonomie ablöſen ſollte. Ans iſt ja Carlyle noch bekannt 
als der Schöpfer einer großen Lebensbeſchreibung Friedrich des Großen, über 
die Fürſt Bismarck ihm zum 80. Geburtstag ſchrieb, „daß er den Deutſchen 
unſeren großen Preußenkönig in ſeiner vollen Geſtalt wie eine lebendige 
Bildſäule hingeſtellt habe.“ Der von ſeinem Helden begründete Orden 
Pour le mérite war die verdiente Belohnung für ſein herrliches Werk und 
ſeine ſtets bewährte Freundſchaft für Deutſchland. 


In England hatte jedoch 1842 bereits der Kapitalismus mit der Abſchaffung 
der Kornzölle ſeinen höchſten Triumph erlebt. Denn dies war, wie Marx 
ſelbſt ſpäter erklärte, ein glänzender Sieg des Kapitals, um die Arbeit aus- 
zurauben und auszubeuten, was zwangsläufig früher oder ſpäter zur Nevolu⸗ 
tion führen müſſe. And nur aus dieſem Grunde war Marx auch für den Frei⸗ 
handel. Die Kapitaliſten in Mancheſter, deren dae die Abſchaffung 
der Kornzölle bewirkt hatte, waren mit der größten 1 und 
Heuchelei hierbei vorgegangen. Ihr Führer Dr. Bo . dieſem kapi⸗ 
taliſtiſchen Vorgehen ſogar eine religiöſe Weihe mit den Worten: „Jeſus 
Chriſtus iſt der Freihandel; der Freihandel iſt Jeſus Chri⸗ 
ſtus!“ And die britiſche Geiſtlichkeit ließ ſich für dieſen Schwindel ein⸗ 
5575 und verhalf dem brutalſten Kapitalismus zum Siege, indem ſie im 

amen Gottes Schulter an Schulter für den ausſchweifendſten Kapitalismus 
und ſeine Ausbeuterintereſſen kämpfte. 


Leider gibt es auch heute bei uns noch viele falſche Propheten, die in der 
redlichſten Abſicht, die Leiden unſeres Volkes zu beſeitigen, falſche Wege 
vorſchlagen, die in Wahrheit nur zum Verderben gereichen müſſen. Hierzu 
gehört vor allem die Irrlehre, daß die wahren und gerechten Preiſe nur 
durch das freie Spiel der wirtſchaftlichen Kräfte von Angebot und Nachfrage 
K erzielen ſeien. Angebot und Nachfrage ſind keine realen 

atſachen. Wir wiſſen, daß an den Getreidebörfen z. B. das Mehrfache 
der Welternte in „Papiergetreide“ angeboten und gefragt wird von 
Spekulanten, die niemals eine Warenlieferung zur Befriedigung der volks⸗ 
wirtſchaftlichen Bedürfniſſe bezwecken, fondern nur Gewinne im Haſardſpiel 
um das tägliche Brot. Die Lehren der britiſchen Wirtſchaftsgeſchichte ſollten 
eindringlichſt warnen, dem Beiſpiele Englands zu folgen. Die 
der Kornzölle hat dort den Bauernſtand völlig vernichtet. An Stelle der Gee 
meindefluren und Bauerndörfer find Schlöſſer mit Wildparks und Villen mit 
Gärten getreten. Das Gold der ſtädtiſchen Kapitaliſten hat das 
platte Land ganz aufgefreſſen. England hat das Brot dem 
Golde geopfert. Die engliſche Jahresernte reicht heute nicht einmal 


Folgerungen aus Ruhlands Lehren 735 


mehr für die Ernährung des engliſchen Volkes auf zwei Monate. In einem 

England ungünſtigen Kriege, der z. B. mit Amerika droht, iſt mit Sicher⸗ 

it eine Hungersnot zu erwarten, die das Ende Englands herbeiführen würde. 

nd die organifierten Arbeitermaſſen, die dann an ihrem eigenen Leibe er⸗ 

ahren würden, daß die Jagd nach dem Golde fie um das tägliche 

rot betrogen hat, werden blutige Abrechnungen mit den 
Ka pitaliſten halten. 


Anſere Gelehrten haben, wie Adam Smith ſelber, nicht erkannt, daß zu 
ſeiner Zeit bereits die engliſche Volkswirtſchaft durch Vernichtung des Mit⸗ 
telſtandes ſchwer erkrankt war. Ja, fie lehren ſogar, daß jener Krankheits- 
guftand eine höhere Entwicklungsſtufe, die von Deutſchland nachzuahmen fei, 
darſtelle. Und die Vernichtung des Mittelſtandes erklären fie als eine zwangs⸗ 
läufige, unvermeidliche Folge der Technik und widerſprechen deshalb nicht den 
verderblichen Bemühungen der Kapitaliſten wie der Marxiſten, den angeb⸗ 
lich unvermeidlichen Antergang des Mittelſtandes zu beſchleunigen. Ruhland 
iſt demgegenüber unermüdlich in der Verkündung der Wahrheit, daß allein im 
echten Mittelſtande, der organiſchen Vereinigung von Kapital 
und Arbeit in einer Perſon, die Löſung der ſozialen Frage und der 
dauernde Friede aller Bürger zu finden ſei. Er beweiſt, daß es nur eine 
Löſung der ſozialen Frage gibt, und das iſt die Verhütung des Ge⸗ 
genſatzes zwiſchen Arbeit und Kapital als Gegenſatz zwi⸗ 
ſchen verſchiedenen Perſonengruppen. Eine wahre und geſunde 
Sozialpolitik kann daher nur in einer energievollen Mittelſtandspolitik be⸗ 
ſtehen. And da die Geſchichte aller Völker und Zeiten uns 
beweiſt, daß ſich der gewerbliche Mittelſtand in den Städ⸗ 
ten nur bei dem Beſtehen eines kräftigen und gefunden 
Bauernſtandes halten kann, fo ift Ruhlands Schlußfolge⸗ 
rung unwiderlegbar: „Der Kern der ſozialen Frage iſt die 
Agrarfrage!“ | 

Nun gibt es viele, die das Heil der Wirtſchaftspolitik zwar in hohen 
Schutzzöllen gegen das Ausland erblicken, aber im Inland nach der Lehre von 
Adam Smith und ſeiner Freiwirtſchaftsſchule das freie Spiel der wirtſchaft⸗ 
lichen Kräfte fordern. Wir haben bereits darauf hingewieſen, daß Angebot 
und Nachfrage im großen Amfange fingierte Faktoren find, demgegenüber 
Vorrat und Bedarf als reale Faktoren ſtehen. Die Lehre aber, daß Vorrat 
und Bedarf die gerechten Preiſe bilden, wird ſchon dadurch widerlegt, daß 
bei einer individuellen Volkswirtſchaft, wo von Millionen Anterneh⸗ 
mern jeder nach ſeinem Gutdünken und Eigennutz handelt, keiner von ihnen 
Vorrat und Bedarf kennen kann. Adam Smith hat ja die Irrlehre von der 
Intereſſenharmonie bei freiem Spiel der Wirtſchaftskräfte auf die falſche 
„ gegründet von der Gleichheit aller Menſchen. Dieſe Irrlehre 
hat in hrheit zum Kampfe Aller gegen Alle geführt, wobei der Kapital- 
kräftigere den Schwächeren einfach vernichtet. Ruhland betont daher mit 
Recht, daß ſelbſt die mittelalterliche Leibeigenſchaft und ſogar die antike 
Sklaverei noch Lichtblicke bieten gegenüber dem kapitaliſtiſchen Syſtem, das 
ſich auf dem Trugbilde angeblich freier Konkurrenz aufbaut. 
Dem Leibeigenen und dem Sklaven mußte doch fein Herr unter allen Am⸗ 
ſtänden das Exiſtenzminimum gewähren. Beim kapitaliſtiſchen Syſtem des 
freien Spiels der wirtſchaftlichen Kräfte beſtimmt aber der wirtſchaftlich 


736 Karl Scheda 


Stärkere feine Gegenleiſtung ohne Rückſicht auf das Eriftenz- 
minimum der anderen Partei. Deshalb fordert Ruhland mit Recht 
die Beſeitigung der kapitaliſtiſchen Grundſätze der freien Preisbildung und 
des angeblich freien Vertrages über Leiſtung und Gegenleiſtung. Denn ſie 
ſind alle nichts weiter als liberale Heucheleien mit dem 
gewollten Zweck zu verſchleiern, daß alle dieſe Freiheiten 
in Wirklichkeit nur die wirtſchaftlichen Werkzeuge des 
Kapitalismus ſind, um ſich in aller Form Rechtens einen 
wucheriſchen Mehrwert aus dem Arbeitsprodukt des Volks- 
ganzen anzueignen. Ebenſo verlangt Ruhland die Beſeitigung des 
durchaus gemeinſchädlichen Grundſatzes, daß für die Preisbildung 
der Waren das Konſumentenintereſſe entfdheidend fet. 
An Stelle dieſer falſchen Grundſätze ſollen daher nach Ruhland folgende auf 
Gerechtigkeit und Billigkeit beruhende Grundſätze treten: 

1. Der Preis der Arbeitserzeugniſſe wird grundſätzlich nach der Höhe der 
Produktions- oder Reproduktionskoſten, alſo nach dem Buch⸗ oder 
Sachwert (justum prätium) feſtgeſetzt. 

2. Die Aufrechterhaltung dieſer Preisgrundlage erfolgt durch den Zu⸗ 
ſammenſchluß der beteiligten Produzentengruppen. 

3. Nicht das Konſumentenintereſſe ijt der Leitſtern, ſondern der Grund- 
ſatz: „Jeder redlichen Arbeit ihren gerechten Lohn!“ 

Erſt dieſe Ausſchaltung der Preisdifferenz fichert die wahre wirtſchaftliche 
Freiheit und Selbſtändigkeit des einzelnen ſowie die harmoniſche Entwick⸗ 
lung der einzelnen Erwerbsſtände im Verhältnis zueinander. 

Ruhland verlangt deshalb Syndikatsbildung auf der ganzen 
Linie des Erwerbslebens. Das Syndikat ſchafft eine planmäßige 
Ordnung der Produktion und der Preisbildung für alle angeſchloſſenen Ein⸗ 
zelwirtſchaften. Mit den Verkaufskontoren der Syndikate fällt auch die ſo 
ſchädlich wirkende Börſe weg. Das Kapital, das heute die Arbeit beherrſcht 
und ausbeutet, wird dann wieder der Diener der nationalen Arbeit. 
Die heutige Syndikatstendenz zur Vertruſtung der Produktion wird gründ- 
lichſt beſeitigt. 

Der verfügbare Naum geſtattete nur eine kleine Skizze des srobartigen 
Planes Nuhlands für eine neue, volksorganiſche Rechts⸗ und Wirt 
ſchaftsordnung zu geben. Eine beſonders wichtige Folge derſelben iſt der 
Wegfall des unter der heutigen kapitaliſtiſchen Wirtſchaftsordnung ſtets 
wirkſamen Anreizes, den Lohn der Hilfsarbeiter ſo niedrig als 
möglich zu halten. Bei der freien Konkurrenz wird der Warenpreis des 
Produzenten durch die anderen Produzenten diktiert. Er wird dadurch ge⸗ 
zwungen, ſeine Produktionskoſten möglichſt zu verbilligen und damit auch 
die Lohnſätze feiner Hilfsarbeiter möglichſt tief * halten. 
Hierdurch entſteht der verderbliche Intereſſengegenſatz zwiſchen Arbeitgebern 
und den Hilfsarbeitern derſelben Berufsgruppe, der zum volksvernich⸗ 
tenden Klaſſenhaß und Klaſſenkampf führt. Nach Ruhlands 
volksorganiſcher Wirtſchaftsordnung wird dem ſelbſtändigen Produzenten 
ſein Geſamtarbeitsertrag gewährleiſtet nach dem „geſellſchaftlichen 
Koſtenwert“, dem „Buch- oder Sachwert“. Erfolgt dann die Syn⸗ 
dizierung der Produktion nicht nach den heutigen privatwirtſchaftli⸗ 
chen Verhältniſſen, ſondern nach allgemeinen volks wirtſchaftlichen 


Folgerungen aus Ruhlands Lehren 737 


Grundſätzen, Dann iff die Feſtſetzung auch guter, ausgiebiger 
Arbeitslöhne im eigenen Intereſſe des Anternehmers und 
ſomit eine Selbſtfolge der neuen Wirtſchaftsordnung. 

Ruhland war, wie alle genialen Menſchen, durchaus beſcheiden. Wiederholt 
führte er den Ausſpruch des Fürſten Bismarck an, „daß die Reviſionen 
der Geſchichte noch viel genauer ſeien als die der Oberrech⸗ 
nungskammer“. Ruhland glaubte auch, daß ebenſo über ſeine Lebens⸗ 
arbeit der unbeſtechliche Richter, die Zeit, entſcheiden würde zwiſchen den 
Leiſtungen, die nur vorübergehende Bedeutung hatten und feinen Wahr⸗ 
heitserkenntniſſen von dauerndem Wert. Seit faſt 20 Jahren ruht dieſer treue 
Sohn unſeres Volkes in feiner letzten Ruheſtätte in Bad Tölz. Die Gelehr⸗ 
ten verſchweigen pflichtwidrigerweiſe die Ergebniſſe feiner Lebensarbeit. Am 
ſo mehr haben die praktiſchen Staatsmänner die Aufgabe 
und die Pflicht, ſich mit Ruhlands Ideen vertraut zu ma- 
chen und feſtzuſtellen, welche derſelben für den Wieder 
aufſtieg unſeres gequälten Volkes von Bedeutung ſind. 
Die Geſchichte beweiſt, daß individualiſtiſche Zeiten und Verhältniſſe 
immer nur verhältnismäßig kurze Zeiträume zwiſchen organiſchen Geſell⸗ 
ſchafts⸗ und Wirtſchaftsordnungen bilden. So iſt heute eine neue, den jetzigen 
Verhältniſſen angepaßte Organiſation unſerer nationalen Arbeit eine Lebens⸗ 
base. Hierfür liegt bisher, nachdem der freiwirtſchaftliche Kapitalismus des 

m Smith und der Marxismus überwunden find, nur ein Plan vor, der 
Plan Ruhlands. 

Gegenüber den Anhängern der ſogenannten „Freiwirtſchaft“ fei hervor- 
gehoben, daß bereits in der Kaiſerlichen Botſchaft vom 17. November 1881, 
die unſere Sozialgeſetzgebung einleitete, Fürſt Bismarck ſelber die Anſicht 
ausgeſprochen hat: „Es iſt eine der höchſten Aufgaben jedes Ge- 
meinweſens, das auf denſittlichen Fundamentendeschriſt⸗ 
lichen Volkslebens ſteht, den engeren Anſchluß an die 
realen Kräfte des Volkslebens durch das Zufammenfaſſen 
desſelben in der Form korporativer Genoſſenſchaften 
N Schutz und ſtaatlicher Förderung zu fin⸗ 
den.“ Dieſe körperliche Eingliederung jedes einzelnen in 
die non. aufder ganzen Linie unferes 
Erwerbslebens bei innigſter V. der ſittlichen 
Freiheit der Arbeit: das bedeutet nach Ruhland auch heute 
noch die eigentliche Löſung unferer ſozialen Fragel 


Robert Dünges: 


CONFEDERAZIONE NAZIONALE FASCISTA 
DEGLI AGRICOLTORI 
(Faſchiſtiſcher Nationalverband der Landwirte) *) 


Statuten 
Abſatz I 
Gründung und Aufgaben 
Art. 1 | 
Auf Grund des Art. 41 der Beſtimmungen zur Anwendung des Geſetzes 


vom 3. April 1926, N. 563, betr. geſetzliche Regelung der kollektiven Arbeits- 
verhältniſſe wird ein Verband höheren Grades mit dem Namen: 

CONFEDERAZIONE NAZIONALE FASCISTA AGRICOLTORI 
gegründet. Ä 

Der Verband, der das Eigentum nicht nur als abfolute Herrſchaft des 
Menſchen über die Sachen betrachtet, ſondern als eine geſellſchaftliche Auf⸗ 
gabe, und die landwirtſchaftliche Produktion nicht als ein Mittel zur Be⸗ 
reicherung, ſondern als Pflicht gegenüber dem Volke, macht es ſich zu ſeiner 
ſteten Aufgabe, die Beziehungen zwiſchen den eigenen Verbänden und denen 
der Arbeiter zum Zwecke einer Zuſammenarbeit zu beeinfluſſen. 

Der Generalverband hat ſeinen Sitz in Rom und iſt für das ganze Gebiet 
des Königreiches zuſtändig. Er übernimmt, juriſtiſch anerkannt, in den von 
Geſetzen, Beſtimmungen der Regierung und den vorliegenden Statuten 
. Grenzen die nationale Vertretung aller ihm angeſchloſſenen 

erbände. 


Art. 2 

Der Generalverband beſteht aus: 

a) den Verbänden erſten Grades der Landwirte und ee eh 
1 die ähnliche oder mit der Landwirtſchaft verbundene gkeit 
ausüben; 

b) den nationalen Verbänden (Federazioni Nazionali di categoria); 

c) den Verbänden, Vereinen und Anterſtützungsinſtituten, die auf Grund 
des Art. 4 des Geſetzes vom 3. April 1926, N. 563, gegründet worden 
ſind. 

Die Verbände zu a und die Inſtitute zu e können ſolche fein, deren Zuftän- 

digkeit ſich auf eine oder mehrere Provinzen, auf eine oder mehrere Regionen 
oder auf das ganze Gebiet des Königreiches erſtreckt. 


*) Als Beitrag zur Frage der berufsſtändiſchen Gliederungen veröffentlichen 
wir im Nachſtehenden eine Abertragung der Statuten des faſchiſtiſchen National- 
verbandes der Landwirte. 


Confederazione nazionale fascista degli agricoltort 739 


Art. 3 
Zuſtändigkeit des Generalverbandes 


Dem Generalverband ſteht die Aufgabe zu, die Intereſſen der Landwirt⸗ 

ſchaft zu nn. und im Einklang mit den höheren der Nation zu ſchützen. 

Für die Erreichung ſeiner Ziele liegt dem Generalverband ob: 

a) die gewerkſchaftliche Eingliederung aller im Verband zuſammengeſchloſ⸗ 
ſenen Anternehmungen nach den Zielen der Nation und gemäß den Ane 
ordnungen der zuſtändigen Regierungsſtellen zu regeln: 

b) in bezug auf Staatsgeſetze und die Notwendigkeit, daß die vertretenen 
Tätigkeiten größte Wirkſamkeit im Intereſſe der nationalen Wirtſchaft 
haben, Leitſätze feſtzuſetzen, die von allen abhängigen Verbänden in ge⸗ 
werkſchaftlichen Fragen, die im ganzen oder zum Teil die zuſammen⸗ 
gel eſchloſſenen Kategorien angehen, beachtet werden müſſen; 

c) Richtſchnur zu geben und Verordnungen zur Zuſammenfaſſung der 
Initiativen der abhängigen e auszuführen, damit eine ein⸗ 
heitliche Tätigkeit derſelben und die beſte Zuſammenarbeit zwiſchen 
ihnen und den anderen Faktoren der Produktion erzielt wird; 

d) die in den von ihm abhängigen Verbänden zuſammengeſchloſſenen Mite 
glieder vor den politiſchen und Verwaltungsbehörden, vor den entſpre⸗ 
chenden gewerkſchaftlichen Vereinigungen und anderen Verbänden der 
Arbeitgeber, vor dem Arbeitsgericht und zuletzt vor Vereinen und Ver⸗ 
bänden geſetzlich zu vertreten, die die Mitglieder intereſſierende Ziele 
haben. Nach vorheriger Zuſtimmung der Regierung kann die Vertretung 
der Mitglieder und der zuſammengeſchloſſenen Verbände auch außer⸗ 
halb des Königreiches von der Confederazione übernommen werden; 

e) ſich auf Verlangen der Parteien für eine gütliche Beilegung der Streit⸗ 
fragen und fälle einzuſetzen, die zwiſchen den abhängigen Vereinigungen 
nn 1 8 dieſen und anderen gewerkſchaftlichen Organiſationen ent⸗ 
te 

f) die wulſchftichen, techniſchen und juriſtiſchen Fragen von Allgemein- 
intereſſe zu ſtudieren; unter den Landwirten das Pflichtbewußtſein 
gegenüber der Nation zu fördern und im ganzen Volke für Verbreitung 
der Kenntnis der nicht nur wirtſchaftlichen Wichtigkeit der Landwirt ⸗ 
ſchaft einzutreten; 

g) kollektive e Arbeitsverträge aufzuſtellen, die die vertretenen Arbeitgeber- 
intereſſen angehen; den von ihm abhängigen Verbänden bei der Abfaſ⸗ 
ſung von Verträgen ihrer Zuſtändigkeit behilflich zu ſein und ſie zu 
erſetzen, wenn die Verträge Allgemeincharakter oder beſondere Wichtig⸗ 
keit für die angeſchloſſene Mitgliedſchaft haben, oder falls die Vereini⸗ 
gungen ſelbſt nicht zu einem Ergebnis kommen; 

h) eigene Vertreter 5 wählen oder vorzuſchlagen für alle Organe, Bere 
einigungen und Verſammlungen mit den zuſammengeſchloſſenen Unter 
nehmungen betreffenden Intereſſen oder Dienſten, wo dieſe Vertretun⸗ 
gen gefordert oder erlaubt find 

i) onl den Geſetzen Kandidaten zu den Parlamentswahlen vorzu⸗ 


gen 
k) die zugehörigen Verbände 8. ermächtigen, Schritte beim Arbeitsgericht 
i een wenn die Verſuche einer gütlichen Einigung geſcheitert 


e 
9 


740 Robert Dünges, Confederazione nazionale fascista degli agricoltori 


) die Gründung von neuen gewerkſchaftlichen Verbänden oder Anter⸗ 
ſtützungsinſtituten zu fördern, wenn es als notwendig oder als zur Ein⸗ 
nn von Mitgliedern oder zur Erreichung der Ziele des Art. 1 

2 des Geſetzes vom 3. April 1926, N. 563, gelegen erachtet wird; 
m) die Erhöhung des landwirtſchaftlichen 1 und die Minderung der 
Herſtellungskoſten zu erreichen, indem er die Bodenumgeſtaltung, den 
Erhalt und Erweiterung des Torſtbeſitzes, die zootechniſche Verbeſſe⸗ 
rung, die Vervollkommnung der Bearbeitungsmethoden, die qualitative 
Verbeſſerung der Produkte, die Verbeſſerung der landwirtſchaftlichen 
Induſtrien, den guten Abſatz und den Agrarkredit fördert, auch durch 
Gründung beſonderer Organiſationen und immer unter Beachtung der 
Vorſchrift des Art. 22 des Kgl. Geſetzes vom 1. Juli 1926, N. 1130; 

n) zum Studium und Verwirklichung der Verordnungen beizutragen, die 
zu einer beſſeren Zuſammenarbeit mit den anderen Faktoren der natio⸗ 
nalen Wirtſchaft beſtimmt find; 

o) in Zuſammenarbeit mit den entſprechenden gewerkſchaftlichen Verbän⸗ 
den der Arbeitnehmer die Maßnahmen zur weiteren Entwicklung der 
vaterländiſchen Erziehung und dem wirtſchaftlichen Wohlergehen der 
Arbeiter zu ftudieren; 

p) all die anderen Aufgaben und Funktionen zu erfüllen, die ihm von Ge⸗ 
ſetzen, Verordnungen und Verfügungen der zuſtändigen Staatsbehörde 
anvertraut werden. 


Abſatz II 
Von den zugehörigen Vereinigungen 
Art. 4 
Zugehörige Vereinigungen, Beſtimmungen für die Zulaſſung 


Am als Mitglied zu dem Generalverband zugelaſſen zu werden, müſſen die 
noch nicht anerkannten Vereinigungen und Anterſtützungsinſtitute an den 
Vorſtand des Generalverbandes einen von den eigenen Satzungen und einem 
Bericht über den Arſprung und die von der Gründung bisher entfaltete Tä- 
tigkeit begleiteten Antrag richten, nebſt der Mitgliederliſte und einer Aufftel- 
lung der mit einem Amt betrauten Perſonen. 

Beſagter Antrag muß eine ausführliche Erklärung enthalten, daß die vor⸗ 
liegenden Statuten ſowie ſämtliche Beſchlüſſe und Anordnungen, die vom 
Generalverband herausgegeben werden, beachtet werden. 

Dem Generalverband ſteht es zu, die Annahme des Antrages von der Ne⸗ 
viſion der Satzungen oder anderen Förmlichkeiten abhängig zu machen. 

Der Antrag wird der Verbands⸗Kommiſſion vorgelegt, wenn er angenom- 
men wird, fo muß der Vorſtand des Generalverbandes vom Korporations⸗ 
miniſterium die geſetzliche Anerkennung der gewerkſchaftlichen Vereinigung 
rn die Zuſchreibung der juriſtiſchen Perſon für Anterſtützungsinſtitute er⸗ 

itten. 

Wenn der Antrag abgelehnt wird, fo unterrichtet der Verband das Korpo⸗ 
rationsminiſterium davon, indem er die genauen Gründe angibt, die zu der 
Ablehnung geführt haben. Es ſteht der in Frage kommenden Vereinigung zu, 
gemäß dem Geſetze bei dem genannten Miniſterium Berufung einzulegen. 


Karl Motz, Liberalistische Donauraumpolitik 741 


Wenn nach feds Monaten von dem Datum der Antragſtellung der Gene⸗ 
ralverband nicht ſeine Entſcheidung mitgeteilt hat, ſo bedeutet das, daß der 
Antrag nicht angenommen worden iſt, und es ſteht jetzt der Vereinigung zu, 
von der im vorigen Abſatz eingeräumten Berufung Gebrauch zu machen. 


Art. 5 
Gebührenerhebung 
Die Gebührenerhebung ſteht nur den regelrecht eingeſchriebenen und ju⸗ 
riſtiſch anerkannten Verbänden zu. Sie find verpflichtet, dem Generalverband 
ſämtliche Anterlagen, Mitteilungen und Daten zu liefern, die von ihm in 
ſeinem Aufgabenbereich angefordert werden. 


Art. 6 
Dauer und Widerruf der Mitgliedſchaft 


Die Einſchreibung bei dem Generalverband verpflichtet die Vereinigungen 
zur zeitlich unbegrenzten Mitgliedſchaft. 

Die Vereinigung, deren juriſtiſche Anerkennung widerrufen wird, ſcheidet 
damit als Mitglied des Generalverbandes aus. 


Art. 7 
Verhältnis und Pflichten der Vereinigungen dem Generalverband gegenüber 


Das Verhältnis der verſchiedenen den Generalverband bildenden Vereini⸗ 
gungen untereinander wird durch Anweiſungen des Generalverbandes geregelt. 
— Alle den Generalverband bildenden Verbände find verpflichtet, dieſen über 
alle befonders wichtigen Fragen zu unterrichten, insbeſondere aber über das, 
was kollektive Arbeitsverträge angeht, die zwiſchen ihnen und den betreffenden 
gewerkſchaftlichen Vereinigungen der Arbeitnehmer entſtehen. 


Karl Motz: 
Liberaliſtiſche Donauraumpolitik 


Die verſchiedenen Pläne der „Donaukonföderation“, von denen in den lege 
ten Jahren fo viel geſprochen wurde, beabfichtigen einen engeren Zuſammen⸗ 
ſchluß der europäiſchen Südoſtſtaaten, die an der Donau liegen. Das find 
Rumänien, Jugoſlawien, die Tſchechoſlowakei, Ungarn 
und Oſterreich. Schließlich wollte man auch noch Bulgarien hinzu⸗ 
nehmen. Der Leitgedanke war die Wiederherſtellung eines Staa⸗ 
tenfompleres, der ungefähr dem der ehemaligen öſter⸗ 
reichiſch⸗ungariſchen Monarchie entſprach. Man ſprach von 
dem eigenen wirtſchaftlichen Geſetz, das in all dieſen Donauſtaaten zum Aus⸗ 
druck käme. Die außenpolitiſchen Kämpfe aber gingen im weſentlichen um die 


742 Karl Motz 


Frage, ob Deutſchland mit feinen 600 Kilometer Donauufer in dieſe 
Föderation einbezogen werden ſollte oder nicht. Während bis zu dieſem 
Punkte „wirtſchaftlich“ begründet wurde, hörte das an 
dieſer Stelle plötzlich auf. Ohne Deutſchland hätte in einem ſolchen 
Staatenkomplex das Schwergewicht von vornherein auf der franzöſiſchen 
Gruppe der „Siegerſtaaten“ gelegen. Der Druck eines 70⸗Millionenvolkes von 
Deutſchland und Oſterreich wäre aber der franzöſiſchen Linie in einem ſolchen 
Zuſammenſchluß um fo gefährlicher geworden, als Millionen von auslands⸗ 
deutſchen Gruppen im weiteren Südoſten dieſem deutſchen Block hingugerech⸗ 
net werden müſſen. Wirtſchaftlich betrachtet liegt allerdings die Sache ſo, daß 
ohne Deutſchland ein wirtſchaftlicher Ausgleich dieſes neuen Staatenbundes 
gar nicht hätte geſchaffen werden können, da die erſtgenannten Gruppen über 
einen unerhörten Aberſchuß an Agrarprodukten verfügen. 

Es ſoll hier zunächſt nicht die Frage geſtellt werden, ob von unſerem natio⸗ 
nalſozialiſtiſchen Geſichtspunkt aus geſehen ein folder Ausgleich — eine Sta⸗ 
biliſierung der heute gegebenen ſozialen Schichtung Deutſchlands — wün⸗ 
ſchenswert iſt oder nicht. Ich möchte lediglich darauf aufmerkſam machen, da 
ja tatſächlich das Problem gar nicht in erſter Linie als „Wirtſchaftsplan 
aufgefaßt werden kann. Wenn man den Gedanken einer von nationalpolitiſchen 
Zielſetzungen ungebundenen Wirtſchaft bejaht, dann hätte es in dieſem Punkte 
nur eine Meinung geben können. Daß das nicht ſo war, iſt ein klarer Beweis 
dafür, daß wirtſchaftliche Geſichtspunkte Eu nur das bekannte fromme 
Mäntelchen für ganz andere Wünſche abgeben. Weil die politiſchen Wünſche 
beiderſeits nach entgegengeſetzten Richtungen zogen, erfolgte — nur natür⸗ 
licherweiſe — ſchließlich praktiſch gar nichts. 

Im Rahmen einer zukünftigen deutſchen Oſtpolitik ſpielt der europäiſche 
Südoſten eine wichtige Rolle. Deshalb kann es nicht wundernehmen, daß 
EN in der augenblicklichen Amwälzung auf allen Lebensgebieten unferes 

olkes die Auseinanderſetzungen über dieſes grundſätzliche Gebiet wieder 
beſonders „aktuell“ geworden ſind. Das iſt — nebenbei geſagt — auch der 
Grund, der uns jetzt gerade zu einer grundſätzlichen Stellungnahme aus un- 
ſerem weltanſchaulichen Geſichtswinkel heraus veranlaßt. 

9 an kurzer Zeit fand ſich in einer einwandfrei nationalen Zeitſchrift etwa 
olgendes: 

„ .. die natürliche wirtſchaftliche Anziehungskraft, die die ſtärkſte Wirt⸗ 
ſchaftsmacht Mittel⸗ und Oſteuropas, Deutſchland, in erſter Linie als 
zu gewinnender Abnehmer von Bodenerzeugniſſen, aber 
auch als Lieferer induſtrieller Erzeugniſſe von welt⸗ 
berühmter Beſchaffenheit auf den Südoſten ausübt ...“, müſſe zur 
treibenden Kraft der deutſchen Oſtpolitik gemacht und damit zur Durchkreuzung 
der deutſchſeindlichen franzöſiſchen Oſtpolitik eingeſetzt werden. 

In dieſer Feſtſtellung fordert der Verfaſſer — und mit ihm alle „nationalen 
Wirtſchaftskreiſe“, die heute die wirtſchaftlich eingeſtellte Donauraumpolitik 
wünſchen — aus politiſchen Gründen eine Entwicklung der 
Wirtſchaftspolitik nach Südoſten. Wir verſtehen uns recht — 
wenn die Wirtſchaft auf der einen Seite als abſolute Kraft ohne nationale 
Bindung angeſehen wird, dann iſt uns immer noch dieſe Auffaſſung lieber. 
And doch ſtecken in einer ſolchen Formulierung zwei Sünden wider 
Tatſachen und Grunderkenntnifſe unſerer Weltanſchau⸗ 


Liberalistische Donauraumpolitik __ 743 


ung. Der Aberſichtlichkeit halber wollen wir die Anhaltbarkeit dieſer zwei 
direkten oder ſtillſchweigenden Behauptungen gleich unmittelbar aufzeigen: 

1. Wenn wir den wirtſchaftlichen Tauſchverkehr mit den Donauftaaten im 
vollen beabſichtigten Amfange ankurbeln, werden dieſe Staaten eine deutſch⸗ 
freundliche oder jedenfalls nicht franzöſiſch eingeſtellte Politik verfolgen. 

Wenn das fo wäre, dann müßte alſo die Politik der wirtſchaft⸗ 
lichen Entwicklung folgen. An der gegenteiligen Tatſache iſt aber 
bereits die „Weltwirtſchaftsidee“ zuſammengebrochen. Die Wirtſchaft iſt nur 
ein Teil der Waffen im Lebenskampfe der Völker. Aberall, wohin wir auf 
der Welt ſehen, muß ſie heute hinter wichtigeren Geſichtspunkten zurücktreten. So 
wird z. B. in allen Staaten der Erde die nationale Unabhängigkeit von der Ein- 
fuhr lebensnotwendiger Verbrauchsgüter erkämpft, entgegen allen Nentabilitäts⸗ 
berechnungen der Wirtſchaftler. Es iſt alſo umgekehrt: Die Politik folgt 
nicht der Wirtſchaft, ſondern die Wirtſchaft bewegt ſich 
notwendiger weiſe in jedem Staat auf den Bahnen, die ihr 
die politiſche Notwendigkeit vorzeichnet. Dieſe Tatſache haben 
es . an dem Beiſpiel unſerer Donaukonföderation auch oben bereits feſt⸗ 
geſtellt. 


Das heißt mit anderen Worten: Auch wenn wir eine Wirtſchaftspolitik des 
möglichſt umfangreichen Tauſches von Induſtriewaren gegen Agrarprodukte 
des Südoſtens treiben würden, wäre deshalb noch lange nicht geſagt, daß 
nun die Nachfolgeſtaaten auch eine deutſchfreundliche Politik treiben müßten. 
Es iſt vielmehr bei Betrachtung der tatſächlichen Lage nach wie vor das 
Gegenteil zu erwarten. Denn wichtiger als alle Wirtſchaftsrechnungen iſt 
das große Geſpenſt „Revifion der Friedensverträge“, das über allen Nach⸗ 
folgeſtaaten ſchwebt. An dieſer Tatſache kommt kein Wirtſchaftler vorbei. 
Die gemeinſame Angſt vor der Revifion treibt bisher die kleinen Staaten⸗ 
gebilde des Südoſtens unter die Fittiche derjenigen Großmacht, die ſie als 
ſicherſten Garanten des heutigen Gebietszuſtandes anſehen. And das iſt eben 
Frankreich. In dieſem Drang, unter den Schutz eines größeren Staates zu 
flüchten, werden ſie beſtärkt durch ihre unmöglichen inneren Verhältniſſe, an 
denen die Nachfolge⸗Siegerſtaaten beinahe ohne äußeren Anſtoß von innen 
her zu zerbrechen drohen. Gegenüber etwa 70% Rumänen ſtehen in Numä⸗ 
nien etwa 30% z. T. feindliche Minderheits⸗ Volksgruppen. In Sugoflawien 
gibt es nur etwa 57,9% Serben. Alles andere ſteht mehr oder minder gegen 
den Staat. In der Tſchechoſlowakei gibt es gar nur 43,2% Tſchechen. Alle 
anderen Volksgruppen werden unterdrückt und find zum großen Teil alles 
andere als Freunde dieſes Staates. 


Das find die politiſchen Triebſedern dieſer Staaten. Was hat dieſen Tate 
ſachen gegenüber die rein wirtſchaftliche Seite zu bedeuten? And es wäre ja 
auch unfinnig zu behaupten, daß etwa wirtſchaftliche Intereſſen heute die 
Nachfolgeſtaaten mit Frankreich verbänden. Kredite ſind ja bekanntlich vom 

anzöſiſchen Rentner nicht mehr zu erwarten. Da Frankreich nahezu autark 
ſt, denkt es auch gar nicht daran, etwa aus den Südoſtſtaaten in nennens⸗ 
wertem Amfang Lebensmittel einzuführen. Die Tatſache aber, daß Frankreich 
von Monat zu Monat wie der Jude Shylock kommt, um ſeine Zinſen ein⸗ 
gutreiben, iſt eher geeignet, die kleine Entente aus dem franzöſiſchen Fahr⸗ 
waſſer herauszudrängen, als eine freundſchaftliche Bindung darzuſtellen. Die 


Agrarpolitik Heft 10, Bg. 3 


744 Karl Motz, Liberalistische Donauraumpolitik 


Bindungen find fomit im wefentlichen . Natur. Die franzöfiſche 
Wirtſchaftspolitik aber hat dieſen Ta 

Es iſt ſomit vollſtändig irrig, eine politiſche Ausgabe wie die der deutſchen 
Oſtpolitik durch Vergleich von Ernteſtatiſtiken in Angriff ua 1 wollen. 
Denn es ſtehen dieſen Dingen wichtigere Geſichtspunkte gegenüb 

2. Die zweite grundſätzlich alſche e die in der beat 
Gormulierung der Linie nach Südoften enthalten iſt, kann etwa fo zuſammen⸗ 
gefaßt werden: 

Da wir ein Induſftrieſtaat find, liegt auch für uns ein folder Austauſch 
von Induſtriewaren gegen Agrarprodukte in unſerem Intereſſe. 

Die Gründe, die eine ſolche Auffaſſung widerlegen, find ſchon fo oft aus⸗ 
einandergeſetzt worden, daß hier eine kurze Zuſammenfaſſung genügt. Die 
deutſche Landwirtſchaft kann die Auslandskonkurrenz auf die Dauer aig 
aushalten, da ihre Produktions⸗ und Raumverhältniffe zu ungünſtig 
Sie muß aber erhalten werden, da das . e Deutſchtum Tröger und 
Treuhänder jahrtauſendealter Erbwerte unſeres Volkstums iſt und w 
ſchaftlich geſehen nur die Sicherung der Ernährung aus eigener Scholle pie 
politiiche Unabhängigkeit vom Auslande gewährleiſtet. 

Wer die völkiſche Zielſetzung anerkennt, daß die Siche⸗ 
rung des Beſtandes des deutſchen Volkes die ufgabe der 
deutſchen Politik ſein muß, kann infolgedeſſen in der libe⸗ 
raliſtiſchen „Donauraumpolitik“ nicht die Zukunftslinie 
der deutſchen Außenpolitik ſehen. Das ſoll natürlich nun nicht 
heißen, daß es falſch hake an der Zuſammenarbeit mit den Südoſtſtaaten zu 
arbeiten. Gegenteil. Deutſchland wird es fider freudig begrüßen, wenn 
es mit ſeinen näheren und weiteren Nachbarn im Südoſten zu guter und 
allen Beteiligten nützlicher Zuſammenarbeit kommt. And das iſt ja auch noch 
zu ſagen, daß die Intereſſen, die die kleinen Nachfolgeſtaaten mit Frankreich 
verbinden, wie oben bereits angedeutet, immer geringer werden. Der Weg 
zu einem vollen Zuſammenklang wird aber erſt nach der 
Klärung der großen politiſchen rage offen ſein. Hüten 
wir uns deshalb mit den Feinden der neuen Staatsidee von 

„Blut und Boden“ zuſammenzugehen, indem wir dem 
Schlag wort „Donauraum“ nachlauſen, wie unſere Vor- 
jahren vor 1000 Jahren der Kreuzzugsidee und das letzte 

ahrhundert der Weltwirtſchaftsilku ion. Als Feinde be⸗ 
zeichnen wir diejenigen, die ſich auch heute noch nicht abgewöhnen können, 
nach der Methode des volksfremden Liberalismus in der Höhe der Ausfuhr- 
ziffern unſerer Exportinduſtrie das weſentlich anzuſtrebende Ziel der deut⸗ 
ſchen Wirtſchaftspolitik zu ſehen und diejenigen, für die grundſätzlich eine 
andere als nationale Zielſetzung den Leitſtern ihres politiſchen enkens abe 
gibt. Anſere Oſtraumidee aber knüpft an an die Tradition der deutſchen Oſt⸗ 
koloniſation über die Jahrhunderte hinweg als neue Raumpolitif eines 
lebensgeſetzlich richtigen Staatsgedankens. — 


Das Archiv 


Noch nie war bisher eine Berichts 
zeit ſo angefüllt von Ereigniſſen, wie 
die vergangene. Das deutſche Volk iſt 
in eine Epoche von gigantiſcher poli- 
tiſcher Geſtaltung getreten. Noch iſt es 
unmöglich, den Wert und die Wichtig⸗ 
keit der einzelnen Geſchehniſſe gegen- 
ſeitig abzuwägen, zu erfaſſen und zu 
begreifen, denn es bleibt dem Betrach- 
ter keine Zeit zum geruhſamen Nach- 
denken. And doch müſſen wir ſchon jetzt 
einzelne Handlungen herausſchälen und 
fie wegen ihrer Bedeutung für die Zu⸗ 
kunft feſtzuhalten verſuchen. Das agrar- 
politiſche Ereignis, welches für die Zu⸗ 
kunft von ausſchlaggebender Bedeu⸗ 
tung für das deutſche Bauerntum ſein 
wird, iſt die Bildung der Reids- 
führergemeinſchaft des deut⸗ 
chen Bauernſtandes unter der 
Führung von R. Walther Darre. 
Dieſer Zuſammenſchluß wird für die 
Zukunft die Grundlage einer einheit- 
lichen Standesorganiſation für den 
deutſchen Bauern bilden und wird aus 
dieſem Grunde die politiſche Geſchichte 
des deutſchen Volkes maßgebend be⸗ 
einfluſſen. 

Es iſt natürlich, daß ein ſolcher Zu⸗ 
ſammenſchluß in der geſamten Preſſe 
eine lebhafte Behandlung gefunden 
hat. Ich werde deshalb nachfolgend ein- 
gehender als fonſt dieſe Preſſeſtimmen 
behandeln. 

Zunächſt iſt die beachtenswerte Sate 
fade feſtzuſtellen, daß die rein partei- 
mäßig eingeſtellte Preſſe der 
Deutſchnationalen Volks- 
partei, vor allem die dem Hugen- 
berg⸗Konzern angehörigen Erzeugniſſe, 
keinerlei Kommentar zu dieſem bedeu- 
tenden Ereignis veröffentlichen. Zum 
Teil wurde die Nachricht in dieſen 
Blättern ſogar in gekürzter Form und 
an möglichſt unauffälliger Stelle ge⸗ 
bracht. Inwieweit hier eine Abſicht 
vorliegt, iſt nicht meine Aufgabe näher 
zu unterſuchen. 


3° 


Am bei der demokratiſchen Preſſe 
anzufangen, führe ich zunächſt einige 
Stellen aus dem Kommentar der 
„Vofſiſchen Zeitung“ vom 5. 4. 
1933 über die Reichsführergemeinſchaft 
der deutſchen Bauern an. Sie ſchreibt: 
„‚Gleichſchaltung,, wie der neue Aus- 
druck lautet, und Vereinheitlichung 
find die Ziele, die in dieſen Wochen bei 
der Amgeſtaltung des öffentlichen Le⸗ 
bens verfolgt werden. Die ſtaatlichen 
und nichtſtaatlichen Körperſchaften fol- 


len vom ſeltenen Geiſt beſeelt ſein, und 


ſie ſollen durch die Zuſammenfaſſung 
ihren Willen kraftvoller durchſetzen kön⸗ 
nen, oder doch dem Willen der Regie⸗ 
renden leichter zugänglich ſein.“ — 
„Die Vereinigung der Deutſchen chriſt⸗ 
lichen Bauernvereine, deren Präſident 
der kürzlich in Haft genommene, von 
jeher viel umſtrittene Miniſter a. D. 
Hermes war, wird alſo in abſehbarer 
Zeit als ſelbſtändige Organiſation ver- 
ſchwinden. Ihr Zweck war urſprünglich, 
ein bäuerliches Gegengewicht gegen die 
im Landbund beſonders wirkſam ver⸗ 
tretenen Intereſſen des Großgrundbe⸗ 
fies zu fein. Hinzu kam die konfeſſio⸗ 
nelle Bindung; die Organiſationen der 
Vereinigung wurzeln im katholiſchen 
Deutſchland, und der Spitzenverband 
ſtand dem Zentrum nahe. Im Gegen- 
ſatz zu der kleineren „Deutſchen Bau⸗ 
ernſchaft“ gehörte die Vereinigung je⸗ 
doch ſeit langem zur „Grünen Front“, 
deren Vorkämpfer der Landbund iſt, 
und ihre Politik unterſchied ſich nicht 
weſentlich von der des Landbundes.“ 
Das „Berliner Tageblatt“ 
vom 5. 4. ſchreibt u. a.: „Rein zahlen⸗ 
mäßig geſehen ſtellt die neue Organi- 
ſation eine impoſante Macht dar. Der 
Reichslandbund hat (nach früheren 
Mitteilungen) 1,7 Millionen landwirt- 
ſchaftliche Betriebe als Mitglieder or. 
ganiſiert; die Bauernvereine, die bis. 
her, unter der Führung von Hermes, 
der Zentrumspartei naheſtanden, wei⸗ 


746 Das Archiv 


fen einen Mitgliederbeftand von 580 000 
Betrieben auf. Die deutſche Bauern- 
ſchaft wird ungefähr 60 000 Betriebe 
organifiert haben, und ebenſo groß mag 
der Mitgliedsbeſtand des Baperiſchen 
Bauernbunds ſein. Insgeſamt ergibt 
ſich damit eine Mitgliederzahl von weit 
über zwei Millionen — immer nach 
landwirtſchaftlichen Betrieben, alſo nicht 
nach Einzelperſonen gerechnet.“ — „Die 
geſtern im Grundſätzlichen geſchaſfene 
Einheitsorganiſation iſt dazu berufen, 
die Erbſchaft jener kartellartigen Ver⸗ 
einigung der großen agrarpolitiſchen 
Verbände anzutreten, die, im Früh⸗ 
jahr 1929 von Schiele und Hermes, 
Brandes und Fehr geſchaſfen, unter 
dem Namen „Grüne Front“ bekannt 
geworden iſt. In einem Punkte aller- 
dings wird fi Der neue Verband von 
jener wenig glüdlichen Inſtitution des 
Vier ⸗Präfidenten⸗Kollegiums grundfäg- 
lich unterſcheiden: nämlich darin, daß 
er nicht mehr von der Oppofition gegen 
die ſtaatliche Agrarpolitik Leben und 
Bedeutung erhält. Die Zeiten, in denen 
ein hemmungsloſer Kampf gegen die 
wirtſchaftspolitiſchen Maßnahmen des 
Staates den alleinigen Inhalt der Ver⸗ 
bandstätigkeit abgeben konnte, find 
wohl jetzt ein für allemal dahin.“ — 
„Wenn jetzt unter veränderten Verhält- 
niſſen der Wille zur berufsſtändiſchen 
Einheit erſolgreich zum Durchbruch 
kommt, ſo glauben wir, dieſe Entwick⸗ 
lung unbedingt begrüßen zu können, 
vor allem in der Hoffnung, daß ſich in 
der neuen Organiſation das Schwer 
gewicht der bäuerlichen Maſſen gegen- 
über den grofagrarifd-feudalen Ein- 
flüſſen durchſetzen wird, die bisher viel- 
fach in der Agrarpolitik, ſpeziell in der 
Siedlungspolitik, dominierten.“ 


Das „Hamburger Fremden 
blatt“ (demokratiſch) vom 5. 4. nimmt 
u. a. folgendermaßen Stellung zu die; 
ſem Ereignis: „Die neugeſchaffene Ein- 
heitsfront der deutſchen Bauern wird 
auch eine Neuorientierung der geſam⸗ 
ten Agrarpolitik notwendig machen. In 
der Vergangenheit haben die Wünſche 
des oſtelbiſchen Großgrundbeſitzes eine 
ſehr viel wirkſamere politiſche Vertre- 
tung gefunden als die Lebensintereſſen 


der Bauern, für die der Stand der 
Vieh ⸗ und Milchpreiſe bedeutungs voller 
iſt als die der Getreidepreiſe und die 
auch auf die billigen eiweißhaltigen 
Kraftfuttermittel des Weltmarktes, 
zum mindeſten in einigen Reichsgebie⸗ 
ten, nicht verzichten können.“ — „In 
Wahrheit beſteht ja kein Gegenſatz zwi⸗ 
ſchen Stadt und Land. Hier die Brücken 
zu ſchlagen, die der inneren Serriffen- 
heit des deutſchen Volkes und künſt⸗ 
lich aufgebauſchten Mißverſtändniſſen 
zum Opfer gefallen find, ift die wich⸗ 
tigſte Aufgabe der Gegenwart.“ — 
„Möge die Einigung der Landwirt- 
ſchaft unter Führung des Kanzlers der 
Beginn zu ihrer organiſchen Cinglie- 
derung in die Geſamtheit der deutſchen 
MWirtihaft fein, die einen gefunden 
Bauernſtand als Kraftquelle ebenſo 
braucht wie eine lebensfähige Induftrie 
und einen Handel, der Deutſchland den 
alten Platz wirtſchaftlicher Weltgel⸗ 
tung zurücdkerobern kann. Wir wollen 
endlich füreinander und nicht mehr 
gegeneinander arbeiten.“ 


Weiter ſchreibt die demokratiſche 
„Deutſche Bauernzeitung“ 
vom 9. 4.: „Zu dieſer Preſſenotiz iſt 
manches zu ſagen. Zunächſt muß hier 
mit aller Klarheit feſtgeſtellt werden, 
daß die Deutſche Bauernſchaft an den 
Verhandlungen beteiligt war und ſich 
grundſätzlich zu loyaler Sujammene 
arbeit bereit erflärt bat. Infolge vor- 
läufig nod nicht ganz durchſichtiger 
Machenſchaften unſerer wirtſchaftspoli⸗ 
tiſchen Gegner, insbeſondere aus dem 
Lager der ſogenannten Chriſtlichen 
Bauernvereine, iſt erreicht worden, daß 
die Deutſche Bauernſchaft in der Reichs. 
führergemeinſchaft bis jetzt nicht ver- 
treten iſt. Aber die Zuſammenhänge 
wird noch beſonders zu reden ſein. Wir 
möchten aber hier in aller Offentlich⸗ 
keit feſtſtellen, daß die beteiligten natio · 
nalſozialiſtiſchen bäuerlichen Führer, 
unter ihnen beſonders Herr Darré 
und Herr Willikens, ſich gegen die 
Bauernſchaft voll und ganz loyal ver- 
halten haben.“ — „Trotz der vorläufig 
durchgeſetzten Zurückdrängung der Deut- 
ſchen Bauernſchaft wird ſie ihrerſeits 
ehrlich an der Verwirklichung der Ein- 


Das Archiv 


heitsorganiſation mitarbeiten, folange 
fie den Glauben haben kann, daß die 
tragenden Kräfte in dieſer Organifa- 
ag wirklich bäuerliche Agrarpolitik 
wollen.“ 


Das chriſtliche Gewerkſchaftsblatt 
„Der Deutſche“ vom 6. 4. ſchreibt 
folgendes: „Sieht man fic dieſe Mit⸗ 
teilung des Reichslandbundes ganz ge⸗ 
nau an, dann beſteht ihr Kern in der 
Mitteilung, daß der organiſatoriſche 
„Zuſammenſchluß des geſamten deut⸗ 
ſchen Bauerntums', der als kurz bevor- 
ftebend angekündigt wurde, vorerſt nicht 
zuſtande gekommen iſt, fondern bis 
Ende des Jahres vertagt wurde. Was 
man gebildet hat, iſt eine Art Kartell, 
das aber nicht die ſelbſtändige organi- 
ſatoriſche Baſis der einzelnen Verbände 
beſeitigt. Auffällig iſt es, daß in der 
Vorankündigung mehr landwirtſchaft⸗ 
liche Verbände genannt wurden, die 
an den Verhandlungen teilnehmen foll- 
ten, als in der Reichsführergemein⸗ 
ſchaft vertreten find. Man kann das 
verſchieden deuten. Entſcheidend für die 
weitere Entwicklung der beabſichtigten 
Gemeinſchaftsorganiſation Landbund — 
Chriſtliche Bauernvereine — National- 
fozialiſten werden natürlich DPerfonal- 
ragen und agrarpolitiſche Grundſätze 
ein. Wir würden es bedauern, wenn 
es einem gewiſſen Typ des Großgrund⸗ 
beſitzes, der bisher mit Erfolg ſeine 
Intereſſen immer wieder durchzuſetzen 
verſtand, gelingen ſollte, die Vertagung 
zur Erringung von neuen Madtpofi- 
tionen zu benutzen. Wir können nicht 
annehmen, daß eine derartige Ent- 
wicklung im Sinne der von den Natio- 
nalſozialiſten betriebenen Politik liegt.“ 


Das rheiniſche Organ des Zentrums, 
die „Kölniſche Volkszeitung“, 
geht in ihrer Nummer vom 6. 4. mit 
einem längeren Artikel auf die Eini- 
gung der deutſchen Bauernſchaft ein. 
Sie ſchreibt, daß die Zielſetzung der 
Reichsbauernſchaft einer berufsftdndi- 
ſchen Tradition entſpreche, die eben ſo 


deutſch, wie chriſtlich ſei. Bleibe dies 


Leitmotiv des Aufbaues und der Ar- 
beit des Einigungswerkes der deut⸗ 
ſchen Bauernſchaft, dann dürfe die 
Hoffnung beſtehen, daß ſich hier ein 


747 


Stück echter berufsſtändiſcher Ordnung 
praktiſch verwirkliche. Dieſe müßte nicht 
nur zu einer einheitlichen Standes ver⸗ 
tretung des gefamten deutſchen Bau⸗ 
erntums, ſondern auch zu einer Am⸗ 
bildung der Landwirtſchaftskammern 
in der Art hinführen, daß die bislang 
von ihnen ausgeſchloſſenen landwirt⸗ 
ſchaftlichen Arbeitnehmer in ihnen eine 
vollgültige Vertretung neben den land⸗ 
wirtſchaftlichen Betriebsunternehmern 
erhielten. An anderer Stelle ſchreibt 
die Zeitung: Darré habe einem Ver⸗ 
treter der NSK. gegenüber ſich dahin⸗ 
gehend geäußert, daß nach dem Zu⸗ 
ſammenſchluß des deutſchen Bauern⸗ 
tums die nationalſozialiſtiſchen Bau- 
ern, beſonders der agrarpolitiſche Ap⸗ 
parat der NSDAP., die Aufgabe hät- 
ten, den Bauerngedanken und den 
Staatsgedanken aus Blut und Boden 
rein zu erhalten. Dieſe Aufgabe dürfte 
eine gemeinſame aller der Organifatio- 
nen ſein, die ſich zum Einigungswerk 
zuſammengeſchloſſen hätten und im ge⸗ 
meinſamen Berufsſtand Bauerngedan⸗ 
ken und Staatsgedanken zu pflegen 
hätten. 

Die liberale „Deutſche Berg- 
werkszeitung“ vom 6. 4. ſchreibt 
u. a., daß perſonelle Veränderungen 
und die Tatſache, daß die bisherige 
Baſis für die in der „Grünen Front“ 
vereinigten Verbände nicht mehr gege- 
ben wäre, die Notwendigkeit des neuen 
Zuſammenſchluſſes der bäuerlichen 
Organiſationen gegeben hätte. Im 
Zuge der nationalen Revolution ſei 
auch innerhalb der verſchiedenen agrar. 
politiſchen Organiſationen eine „Gleich- 
ſchaltung“ erreicht, die den Gegenſatz 
zwiſchen Landwirtſchaft und offizieller 
Regierungspolitik ebenſo hinweggefegt 
habe wie die vielfachen Gegenſätze, die 
zwiſchen den evangeliſchen Landbünden 
und den katholiſchen Bauernvereinen 
erijtiert hätten. Dieſe neue bäuerliche 
Einheitsfront ſei nicht nur für die 
Wirtſchaftspolitik, ſondern ganz allge⸗ 
mein politiſch ein Ereignis von größter 
Bedeutung. 

Die ebenfalls liberale „KNölniſche 


Zeitung“ vom 5. 4. bringt unter 
der Rubrik ,Randnoten” u. a. folgen- 


748 


den Kommentar zur Bauerneinigung: 
„Die einheitliche freie wirtſchaftspoli⸗ 
tiſche Organiſation der deutſchen Land- 
wirtſchaft iſt, rein rational geſehen, ein 
organiſatoriſcher Fortſchritt.“ — „Nach⸗ 
dem die deutſche Landwirtſchaft aus dem 
privatwirtſchaftlichen Sektor ausgeſchie⸗ 
den iſt und in eine ftaatlid-planwirt- 
ſchaftliche Konſtruktion eingebracht wor- 
den iſt, ſcheinen die überlieferten Ge⸗ 
genſätze der Größenklaſſen und Be⸗ 
triebsarten einſtweilen verſchwunden 
zu ſein. Außerdem ſcheint das anfeu⸗ 
ernde und einigende Weſen des Na⸗ 
tionalſozialismus die früheren ſtarken 
landsmannſchaftlichen und konfeſſionel⸗ 
len Anterſchiede überbrücken zu können. 
Trotzdem wird bis zu einer endgül- 
tigen Verſchmelzung noch ein langer 
Weg fein, denn alle Organiſationen 
haben einen ganz erheblichen bürofra- 
tiſchen Apparat ſowohl in den Sentra- 
len wie im Lande draußen, der zum 
Teil auf gegenſeitige Bekämpfung oder 
doch Wettbewerb eingerichtet war.“ — 
„Aber die Willensrichtung der kom ; 
menden Einheitsorganiſationen im ein- 
zelnen etwas zu ſagen, iſt natürlich ſehr 
ſchwer. Wird ſie den Staat noch zu 
weiterem Ausbau der Plan- und 
Zwangswirtſchaft drängen, dergeſtalt, 
daß wir geſetzlich vorgeſchriebene und 
polizeilich gehütete Beſtellungspläne 
erleben werden? Wird ſie die Siedlung 
fördern? Daß gewiſſe öſtliche Kreiſe, 
die bislang im Landbund maßgebend 
waren, Gegner der Siedlung ſind und 
eher einem Pächterſyſtem zuneigen, 
kann nicht beſtritten werden. Im eigent⸗ 
lichen Weſen der Nationalſozialiſtiſchen 
Partei liegt die Bejahung der innern 
Koloniſation auf bäuerlicher Eigen⸗ 
tumsgrundlage. Wir glauben nicht, 
daß ſie durch den öſtlichen Grundbeſitz 
von dieſem Weſenskern abgedrängt 
werden wird. Es iſt im Gegenteil zu 
hoffen, daß die eindeutige Führung 
der Nationalſozialiſten jetzt klarere 
Bahnen in der Frage der Siedlung 
ſchaffen und manchen Großgrundbeſitzer, 
der bei ihr geradezu eine Lebensver- 
ſicherung zu nehmen glauben konnte, 
enttäuſchen wird.“ 


Das Archiv 


Die „Kieler Neueſten Nach 
richten“ vom 6. 4. ſchreiben u. a.: 
„Das Ringen des deutſchen Bauern- 
tums um feine einheitliche Zuſammen⸗ 
faſſung und um feine einheitliche Füh⸗ 
rung iſt jetzt endlich von Erfolg ge⸗ 
krönt worden. Unter dem neuen Re- 
gime geht jetzt alles von ſelbſt, was 
früher unter dem alten Syſtem aus⸗ 
ſichtslos erſchien.“ — „Jetzt iff man 
einen großen Schritt vorwärtsgekom⸗ 
men. Im Laufe dieſes Jahres ſoll die 
große einheitliche Organiſation durch- 
geführt werden. Die zu dieſem Zweck 
gebildete Reichsführergemeinſchaft des 
deutſchen Bauernſtandes iſt unter ein⸗ 
mütiger Zuſtimmung der hauptſächlich 
in Frage kommenden Verbände ins 
Leben gerufen worden. Sie wird ſich 
durchſetzen, und ſie wird das vollenden, 
was Millionen Deutſcher auf dem 
Lande ſo heiß und innig herbeigeſehnt 
haben und herbeiwünſchen: ein einiges 
Bauerntum.“ — „Die Einigung des 
deutſchen Bauerntums bildet aber auch 
weiterhin einen bedeutſamen Schritt in 
der Entwicklung zum Ständeſtaat. Durch 
die korporative Durchgliederung des 
Bauernſtandes vom einzelnen Land- 
wirt bis zur Spitze der Reichsführer⸗ 
ſchaft wird eine einheitliche Standes- 
vertretung des geſamten Bauerntums 
geſchaffen, die eine der tragenden Säu - 
len des deutſchen Ständeſtaates ſein 
wird, deſſen Entwicklung ſich mehr und 
mehr ankündigt.“ 


Die „Deutſche Tageszei⸗ 
tung“ vom 5. 4. ſchreibt u. a.: „Auch 
das deutſche Bauerntum hat darum auf 
feine Einheitsorganiſation warten müſ⸗ 
ſen, bis „die Zeit erfüllet war“; und 
es muß offen anerkannt werden, daß 
die elementare Kraft der nationalſozia⸗ 
liſtiſchen Bewegung mit ihrem Zuge zu 
deutſcher Einheit auch für den Durch- 
bruch des Einheitsgedankens im deut- 
ſchen Landvolke beſtimmend geweſen 
iſt. Es iſt deshalb auch nur natürlich, 
daß dem Leiter des agrarpolitiſchen 
Apparates der NSDAP., Darre, 
der Vorſitz der Reichsführergemein⸗ 
ſchaft angetragen und Adolf Hit ⸗ 
ler gebeten wurde, die Schirmherr⸗ 
ſchaft über dieſe neue Gemeinſchaft des 


Das Archiv. 


deutſchen Bauernſtandes zu überneh⸗ 
men; ebenſo wie es andererſeits na- 
türlich und zweckdienlich erſcheint, daß 
die Federführung der Reichsführer⸗ 
gemeinſchaft in die Hände des Grafen 
Kalckreuth, als Führer des orga⸗ 
niſatoriſch vorzüglich durchgebildeten 
Reichs ⸗Landbundes, gelegt worden iſt.“ 
— Sn ihrer Ausgabe vom 6. 4. ver- 
öffentlicht Präfident Lind einen Auf⸗ 
ſatz unter dem Titel „Der Bauer horcht 
auf!“, in welchem er u. a. auch auf die 
Bauernvereinigung eingeht. Folgender 
Abſatz iſt beachtenswert: „Schon das 
eindeutige Bekenntnis des Herrn 
Reichskanzlers Hitler zum deutſchen 
Bauerntum und die Betonung der 
Staatswichtigkeit dieſes Standes hat 
den geſamten Bauernſtand erkennen 
laſſen, das jetzt im neuen Deutſchland 
der Bauer ſeiner Bedeutung gemäß 
geachtet wird und zu Ehren kommt. 
Ein langer und ſchwerer Rampfab- 
ſchnitt liegt hinter uns; zu allen Zei⸗ 
ten und auf allen Wegen hat der 
Bauer verſucht, ſich politiſch und ins⸗ 
beſondere auch ſtaatspolitiſch Geltung 
zu verſchaffen. Diefer Kampfwille 
wurde verſchiedentlich ausgenutzt, und 
die Bauernfront wurde zu einem poli- 
tiſchen Serrbild, die Stoßkraft wurde 
zerſtört. Erſt unter der Führung von 
Adolf Hitler und unter der Auswir⸗ 
kung einer 14jährigen, den Bauernbe⸗ 
fi zerſtörenden Politik ermannte ſich 
der Bauer zu dem Gelbfterbaltungs- 
kampf, der die Erfolge des 5. März 
zeitigte.“ 


Der „Zeitungsdienſt 
NReichslandbundes“ vom 5. 
April veröffentlicht einen Artikel „Der 
Einſatz des Bauernſtandes“, deſſen 
Schlußabſatz folgendermaßen lautet: 
„Dadurch iſt der Zuſammenſchluß der 
wirtſchaftspolitiſchen Organiſationen 
der Landwirtſchaft, deſſen organiſato⸗ 
riſche Durchführung auch in den ein⸗ 
zelnen Ländern und Provinzen mit 
Energie erfolgen wird, zu dem politi- 
ſchen Willensträger des deutſchen 
Bauernſtandes geworden, der in eng⸗ 
fter Zuſammenarbeit mit der Natio⸗ 
nalregierung die wichtigſte Aufbau- 
arbeit zu leiſten hat, die Fundierung 


749 


des neuen Staates in Herz und Seele 
des deutſchen Bauerntums. Von hier 
aus wird ſich der Kraftſtrom ergießen, 
den die Nationalregierung braucht, 
um die ſchweren Entſchlüſſe, vor die ſie 
der Ernſt der Gegenwart ſtellt, ſo zu 
faſſen, daß ſie die Zukunft der Nation 
ſichern.“ 


Das nationalſozialiſtiſche „Frank 
furter Volksblatt“ vom 5. 
April ſchreibt: „Wir ſagen darum: 
„Gott ſei Dank, daß dieſe ſchmähliche 
Zeit des deutſchen Bauerntums endlich 
hinter uns liegt!“ — „Wir freuen uns 
deſſen aber um fo mehr, als der Ver⸗ 
traute Adolf Hitlers, Walther 
Darré, mit dem Vorſitz der Reids- 
führergemeinſchaft betraut wurde; denn 
es drängt uns, in dieſer Stunde das 
Bekenntnis abzulegen, daß die nun⸗ 
mehr erlangte Einigung einzig und 
allein das Verdienſt Adolf Hitlers und 
des Nationalſozialismus iſt. Ohne daß 
er die Macht in Deutſchland eroberte, 
hätte ſich darin nichts geändert, wäre 
= alten Trott weitergeſchritten wor- 
en.“ 

Das parteioffizielle agrarpolitiſche 
Organ der NSDAP., die „Natio 
nalſozialiſtiſche Landpoſt“, 
behandelt die Bildung der Reichsfüh⸗ 
rergemeinſchaft des deutſchen Bauern- 
ſtandes in ihrer Nummer vom 9. 4. 
ſehr eingehend. Wir führen folgende 
beachtenswerte Stellen an: „An dieſem 
Wendepunkt gilt aber auch nach dem 
Führer Adolf Hitler Glückwunſch 
und Gruß aller Mitarbeiter im agrar- 
politiſchen Apparat dem Anterführer 
R. Walther Darré! Wenn er 
bei Abernahme feines hohen Führer. 
amtes in der neugebildeten Reichsfüh⸗ 
rergemeinſchaft erklärte, daß, wie bis⸗ 
her, ſein ganzes Denken und Fühlen 
der Wiedererweckung eines wahren 
deutſchen Bauerntums gelten werde, ſo 
wiſſen gerade wir, wie tiefernſt es die⸗ 
ſem Manne um die Geſtaltung dieſer 
ſeiner Lebensaufgabe iſt. Welch harter, 
aber auch ſtolzer Weg für den Front 
ſoldaten Darré, der ganz aus 
fich heraus, ohne Mittel und „Kon⸗ 
nexionen“, ſeine Idee vom Blut und 
Boden innerlich erlebt und mit einer 


750 


beinahe phantaſtiſch anmutenden Gider- 
heit und Organiſationsgabe geſtaltet 
hat. Wie allen politiſchen Kämpfern 
Adolf Hitlers iſt auch Darrs nichts 
geſchenkt worden und nichts erſpart gee 
blieben. Es iſt erſt ſehr kurze Zeit her, 
daß feine politiſchen und weltanſchau⸗ 
lichen Gegner ihn in der gemeinſten 
Weiſe durch die Goſſe ſchleiften. Aus 
innerer Gewißheit, eine geſchichtliche 
Aufgabe zu haben, hat ihm aber keinen 
Augenblick die Kraft gemangelt, ohne 
nach rechts und links zu blicken, ſeinen 
Weg zu geben! Diefer Tag, der 4. April 
1933, war ſein Lohn. Gebe Gott ihm 
die Kraft, ſtark zu bleiben und die 
große Kuppel zu Ende zu bauen, die 
dereinſt über einem geeinigten neuen 
Bauernſtand ſich wölben fol im Drit- 
ten Reiche Adolf Hitlers.“ — 
„Was der Tag von Potsdam für die 
geſamte deutſche Nation war, das iſt 
der 4. April für den deutſchen Bauern 
geworden. Endlich haben ſich die Füh- 
rer der Verbände zuſammengefunden 
und eine geſchloſſene Reichsführer. 
gemeinſchaft, die nun die Aufgabe der 
Bildung einer geſchloſſenen, umfaffen- 
den Gauernftands-Organifation begrün- 
den ſoll, gebildet. 

Ohne den Nationalſozialismus und 
ohne feinen Bauernführer R. Wal⸗ 
ther Darré wäre dieſer Zufam- 


Neues Schrifttum 


menſchluß niemals zuſtande gekommen. 
Darre war es, der den Bauern wie- 
der ſeiner eigentlichen Aufgabe näher- 
brachte und ihm mit einer rückſichtsloſen 
Offenheit das Verderbliche des Libera⸗ 
lismus zum Bewußtſein brachte und 
den Gedanken von Blut und Boden in 
die Seele des deutſchen Bauern hinein- 
gebdmmert hat. Darré hat immer 
wieder betont, daß nicht wirtſchaftliche 
Maßnahmen allein den deutſchen Bau⸗ 
ern erretten können, ſondern dazu ſei 
die Eingliederung des Bauerntums in 
den Staat, als Grundlage des gefam- 
ten Volkes, erforderlich. — Aus dieſem 
Grunde iſt es nur eine Selbſtverſtänd⸗ 
lichkeit, wenn neben der Schirmherr 
ſchaft Adolf Hitlers die Führung 
der neuen Reichsführergemeinſchaft des 
deutſchen Bauerntums R. Walther 
Darre übertragen worden iſt und 
fomit dem agrarpolitiſchen 
Apparat der NS DAP. maß 
gebend Einfluß eingeräumt 
worden iſt.“ 

Es iſt mir leider wegen Platzmangel 
nicht mehr möglich, auf die übrigen 
agrarpolitiſchen Ereigniſſe und wich⸗ 
tigen erſchienenen Artikel einzugehen. 
Ich werde dies, ſoweit es unbedingt 
notwendig tft, in der nächſten Num⸗ 
mer der „Deutſchen 5 nach; 
holen. land Schulze. 


Neues Schrifttum 


1. Allgemeines, Geſchichte, Statiſtik, 
Grundbeſitz, Vereinsweſen, Abſchätzung; 
Mech. d. Landw. 


Dopſch, Alf.: Die freien Marken 
in Deutſchland. Ein Beitrag z. Agrar⸗ 
u. Sozialgeſch. d. Mittelalters. Brünn, 
Wien uſw.: Rohrer 1933. 124 S. 4,—. 

Engelbrecht, This, H., Dr.: Die 
Arheimat der Indogermanen. E. prä- 
biltor. geogr. Studie. 30 S. Glückſtadt: 
Selbſtverlag 1933. 1.50. 

Geldern⸗Criſpendorf, G. v.: 
Die Grundſteuerreinerträge d. Acker- 


landes in Schleſien (2 kartogr. Darſt. 
m. erl. Text). Breslau: Marcus 1933. 
16 S., 1 Kte. Gr. 8. — Zur Wirt. 
ſchaftsgeogr. d. dt. Oſtens. H. 4. 2,—. 

Haaſe, Alfons u. Herb. Brieſe, 
Dr., Dipl.⸗Ldw.: Die low. Einheits⸗ 
werte d. Prov. Nieder- u. Oberſchle⸗ 
ſien (2 kartogr. Darſt. m. erl. Text). 
A. Mitw. von A. Krinner. Breslau: 
Marcus 1933. 35 S., 1 Kte. Gr.-8°. — 
Z. Wirtſchaftsgeographie d. Oſtens. 
H. 5. 3,— 


Neues Schrifttum 


Jugend im Volk ohne Naum. Zil- 
der u. Zeugniſſe aus d. freiwill. Ar⸗ 
beitsdienſt. Gef. u. hrsg. von H. Lüſt. 
Heilbronn: Salzer 1933. 47 S., Abb. 
8°. 1,—. = Taten mit Gott. 9. 2. 

Kläbe, Helmut: Die Erſchließung 
d. Moore z. low. Nutzung. E. agrar ⸗ 
politiſche Anterſ. Leipz.: Buske 
1933. 115 S. Gr.-8°. = Anterſuch. z. 
Wirtſchafts⸗ u. Sozialpolitik d. Gegen- 
wart Gd. 2. 4.80; Subſkr.⸗Pr. 4.30. 

Kreutzfeldt, H. Dr.: Das Schick⸗ 
ſal d. Landwirtſchaft — das Schickſal 


Deutſchlands! Berlin: C. Heymann 
1933. 41 S. 2,—. 
Michels, Frz.: Huttrop. Zur 


Geſchichte der Großbauernſchaft u. d. 
Hofes. Eſſen 1932: Fredebeul u. Koe⸗ 
nen. 260 S., 4 Taf., 1 Kt. 6.—. Aus: 
Beiträge z. Geſch. von Stadt u. Stift 
Eſſen. H. 50. 


Nebesky, Georg: Wichtige Zah⸗ 
len a. d. Landw. E. agrarpol. Hand- 
büchlein. Stuttgart: Almer (1933). 30 
S. RI1.-8°, —. 35. 

Raab, Frdr. Prof. Dr.: Deutſchl. 
wirtſch. Lage. Arſachen u. Bekämpfungs⸗ 
möglichkeiten d. Arbeitsloſigkeit. Ber ⸗ 
lin: Der dt. Forſtw. 1933. 30 S. 8°. 
Aus: D. dt. Forſtw. Bd. 14 1932 Nr. 
72—74. —, 50. 

Schafft Arbeit u. Brot! Das Ar⸗ 
beitsbeſchaffungsprogramm d. Landge⸗ 
meindeverbandes. (Vorw.: Dr. [Gün⸗ 
ther! Gereke Preſſel.) 
Landgemeindeverl. ([Komm.: O. Klemm, 
Leipzig] 1932.) 62 S. Gr.- 8. 1,—. 

Stellrecht, Helmut: Der dit. 
Arbeitsdienſt. Aufgaben, Organiſation 
u. Aufbau. Berlin: Mittler 1933. XI, 
158 S. Gr. 8. 3,50. 

Wilbrandt, Hans: Das dtſche. 
Agrarproblem. (Berlin W 35, Schöne⸗ 
8 Afer 32: Der dtſche. Volkswirt 
1933.) 43 S. m. Fig. = Schriftenreihe 
d. dt. Volkswirt 12. 1.50. Aus: D. dt. 
Volkswirt 1932/33, Nr. 12— 15. 

Deutſche Wirtſchaftskunde. 
Ein Abriß d. dt. Reichsſtatiſtik. Bearb. 
im Stat. Reichsamt. 2. Aufl. Berlin: 
N. Hobbing 1933. XI, 418 S., Fig., 
1 Titelbl. Lw. 2,80. 


751 


2. Ländliche Siedlung; Bevölkerungs⸗ 
lehre, Landarbeiterfrage, Bauerntum; 
Meliorationen 


Bauernnot u. Bauernkultur. 
Ergebniſſe d. dt. Volksbildnertag. in 
Hubertendorf, nach d. derz. Stand d. 
Verh. gemeinſam mit führenden Volks. 
bildnern bearb. vom G. Ad. Witt. 
Wien: Agrarverlag (Komm.: C. Fr. 
50 Leipzig) 1932. 208 S. Gr.-8°. 

Buſſe, Walter: Das italieniſche 
Meliorationsweſen (Bonifica integrale). 
H. 1. Berlin: Parey 1933. 4. = Ber. 
üb. Landw. N. F. Sonderh. 74. l. M. 
6 Kt.⸗Skizzen u. 20 Abb. 123 S. 13.50; 
Abonn.⸗Pr. 11.50. 

Goldenbagen, Karl, Probſt: 
Siedlung u. Kirche in Mecklenburg. 
Schwerin. M. e. Vorw. von Landes- 
biſch. D. (F. M.) Rendtorff. Schwerin: 
Bahn [1933] 61 S. 8°. 1,20. 

Gröſſer, Max, Dr. P. S. M.: 
Grundfragen d. dtſch. Auslandsſiedlg. 
Dr. Konrad Theiß: Zuſammenſtellg. 
von Auswanderergruppen. Freiburg: 
Caritasverl. 1933. 24 S. Gr.-8° = Hei- 
mat u. Scholle H. 4. —.60. 


Hein, Joh. Doz. Dr.: Siedlung u. 
Parzellierung mit ihr. Anternehmern 
u. bef. Berückſ. d. Steuer u. Bewer⸗ 
tungsfragen. Berlin ⸗Charlottenburg 2 
(Hardenbergſtr. 13): „Die Grundftüds- 
Warte“. Verl. Rofenthal u. Drews 
1933. 143 S. 6.—. 


Heinemann, Otto, u. Kurt Stü⸗ 
we: Die Bedeutung ldw. Melioratio- 
nen in Oſtpr. im Rahmen e. allgem. 
Arbeitsbeſchaffungs⸗Progr. Denkſchrift 
d. Verb. Dt. Landesk.⸗Genoſſenſchaften, 
Prov.-Gruppe Oſtpr. e. V. (3. Einf.: 
Oberpräſ. a. D. v. Batocki) Königs⸗ 
berg: Gräfe u. Anzer (1933). 40 S. 1.—. 

Heinen, Anton, Dr.: Bauer und 
Politik. [M. -] Gladbach: Selbſt⸗ Verl.; 
[of] Volksvereinshaus 1933. 54 S. 

. = Bauernbiid. d. Volksvereins. 
Nr. 2. —, 60. 

Heinen, Anton, Dr.: Der Bauer 
u. fein Beruf. [M. -I Gladbach: Selbſt⸗ 
Verl.; [hſ.:] Volksvereinshaus 1933. 
47 S. 8° = Bauernbüch. d. Volksver. 
eins. Nr. 1. —, 60. 


752 Neues Schrifttum 


Hwang-Sfong, Dr.: Methode 
u. Ergebniffe d. neueſten Bevölkerungs⸗ 
ſtatiſtik Chinas. Leipzig u. Berlin: 
Teubner 1933. 77 S., 1 Kt.⸗Skizze. Gr.- 
80. = Di. Stat. Zentralblatt. Erg.-9. 
13. 5.—; ſ. Bezieh. d. Stat. Zentralbl. 
3.80. Leipzig, Phil. Diſſ. 

Kaller, Maximilian, Biſchof: 
Wir Katholiken u. Wohnbau mit Sied⸗ 
lung. Geiſtl. R. Pfr. Ludwig Pol - 
zin: Bauer und Siedlung. Freiburg: 
Caritasverl. 1933. 20 S. Gr.-8°. = Hei- 
mat u. Scholle. Nr. 1. —,55. 

Krauſe, Herm. Diplkfm.: Die 
Landarbeiterverhältniſſe im Landkreis 
Altenburg. 108 S. Jena, R.- u. wirt- 
ſchaftswiſſ. Diſſ. 1932. 

Krolzig, Günter: Die Siedlung 
ſpricht. Eine Arbeiter- u. Studenten- 
reportage. Berlin Tempelhof: Bott 
(1933). 164 ©. 8°. 2.65. f 

Lang, Emil: Das Werk d. dl. 
Siedl. in Dtfhl. u. feine Bedeutg. f. 
unſ. Zeit. Königsberg i. Pr.: Gräfe 
u. Anzer 1933. 19 S. — Königsberger 
Aniverſitätsreden 15. —, 60. 

Mikoſch, Lambert, Dr.: Dürfen 
u. müſſen wir auswandern? Eine geo- 
politiſch-volkswirtſchaftlich⸗ſoziol. Abh. 
über öſterr. Auswanderungsfragen. 
Klagenfurt: Leon ſen. in Komm. 1932. 
31 S. Gr.-8°. —,60. Innsbruck, Staats- 
wiſſ. Diſſ. v. 1931. Verkürzter Ausz. 

Polzin, L., Geiſtl. Rat, Pfr.: 
Formen u. Methoden d. Dl. Siedlung 
— Die Aufg. e. Siedlerberatunggitelle, 
von J. Straubinger. Freiburg: Cari- 
tasverl. 1933. 22 ©. Gr.-8°. — Heimat 
u. Scholle H. 13. —, 50. 

Strahammer, Franz Dr.: Das 
Problem d. Inlands- u. Auslandsfolo- 
niſation. Wien (15, Mariahilfer Gür- 
0 Selbſtverl. 1932. 7 S. Gr. 8e. S. 

Wellmann, A. Dr., Diplldw.: 
Die Entw. d. ſtaatl. Maßnahmen z. 
Förderung d. Landarbeiterwohnungs⸗ 
baues u. deren Durchführung u. Ausw. 
i. d. Prov. Sachſen. Leipzig: Jänecke 
1932. 105 S., 2 Kt. Gr.-8°. — Arb. d. 
u f. low. Betriebslehre Halle H. 40. 

Wer kann ſiedeln? Berufskreiſe u. 
Bauernſiedlg. m. e. Einf. v. M. Se ⸗ 


ring. A. Mitarb. hrsg. v. Joh. 
Schauff. Berlin: Dt. Siedlungs- 
verlag (Volckmar Leipz. W 1932. 86 S. 
Gr.- Se. — Flugſchr. d. RNeichsſtelle f. 
Siedlerberat. H. 5/6. —, 90. 

Wilke, Alfred: Das Recht an d. 
Siedlerſtelle. Obereigentum d. Sied- 
lungsträgers u. Antereigentum d. Sied⸗ 
lers am Siedlungsgrundſtück. Münſter 
(Weſtf.), Johannisſtr. 9: Wirtſchafts⸗ 
u. Sozialwiff. Verlag 1932. 46 ©. 8˙. 
— Forſchungsſtelle f. Siedlungs- u. 
Wohnungsweſen an d. Aniv. Münſter. 
M.⸗Slg. Bd. 5. 1,90. 


3. Das low. Anterrichts⸗ u. Bildungs- 
weſen, Wirtſchaftsberatung 
Eichler, Arthur, Dr.: Die Land- 
bewegung d. 18. Jahrh. u. ihre Päd⸗ 
agogik. Langenſalza, Berlin, Leipzig: 
J. Beltz 1933. 139 S. Gr.-8°. = Böttin- 
ger Stud. z. Pädagogik. H. 20. 4,50. 


5. Marktweſen (Abſatz), Handels- 

| und Preispolitik 

Borgmann, Luiſe: Zur Kritik d. 
Roggenſtützungsaktion v. J. 1929/30. 
IV, 50 S. Köln, Wirtſchafts⸗ u. fog. 
Diſſ. 1932. | Ä 

Kaiſer, H., Dipl.-Kfm. Dr.: Die 
Preisfeſtſtellung an d. dt. Produkten⸗ 
börſen u. märkten u. die Fragen e. 
Ref. d. Notierungsweſens. Gelnhau⸗ 
nn F. W. Kalbfleiſch 1932. 191 ©. 


Reichardt, Fritz, Diplldw. Dr.: 
Abſatzwerbung f. dt. (dw. Erzeugniſſe. 
(Aufgaben, Erſolgsmöglichkeiten und 
Grenzen.) M. 25 Abb. Berlin: Parey 
1933. 95 S. 4%. = Ber. über Landw. 
58 95 Sonderh. 73. 6.80; Abonn.⸗Pr. 


Ritter, Kurt, Prof. Dr. u. Dr. 
M. Guttfeld: Weltproduktion u. Welt- 
handel an friſchen Südfrüchten. Zitrus⸗ 
früchte (Apfelſinen, Mandarinen, Zi- 
tronen u. Pompelmuſen), Bananen u. 
Ananas. Berlin: Parey 1933. 139 S. 
4%. = Ber. üb. Landw. N. F. Sonderh. 
68. 13.50; Abonn.⸗Pr. 12.—. 

Samuel, Ludwig: Gemüſe, Obſt 
und Südfrüchte im Dt. Reich. Verſor⸗ 
gungsbilanzen u. Verkehrsbeziehgn. 
(Vorw. Fr. Baade), M. 118 Abb. 
Berlin: Parey 1933. XXI, 492 S. 40. 


Neues Schrifttum 


— Berichte üb. Landw. N. F. Gonderh. 
69. 28,50; geb. 31,—; Abonn.⸗Pr. 
26,40; geb. 28,80. 

Schilling, Kurt: Der Getreide- 
zoll als Mittel d. dtſch. Agrarſchutzes. 
104 S. Leipzig, Phil. Diſſ. 1932. 


6. Kredit, Zins, Steuer, Monopole 

Achterberg, Erich: Verſchuldung 
ohne Ausweg. E. Betrachtung üb. d. 
langfriſt. Kredit in Deutſchland. Frank⸗ 
Br = M.: Societät3-Vertl. 1933 45 ©. 


oz H., u. Fr. Hennig, Re 15 
anw.: Das dw. „ 
ren nach d. Verordnung v. 27. 9. 1832 
nebſt Durchführungsbeſtimmungen. 
Handkommentar. Berlin: Hobbing 
1933. 271 S. — Dt. Wirtſchaftsgeſetze 
Bd. 11. 10,—. 

Meulenbergh, G.: Die Zins- 
ſenkung f. die Landw. (Nur) Nachtr. 
Mannheim uſw.: Bensheimer 1933. — 
Slg. dt. Geſetze. Bd. 152. —, 80. 

Ruge, Herm, H. Fleiſchmann u. 
v. Schlebrügge: Das er Vermittlungs- 
nn Sean: C. Heymann 1933. 
VI, 239 ©. 8°. 

Unold, 9. v., Forftaff.: Das 
Problem d. Beſteuerung d. forſtw. Ge⸗ 
winns. E. Beitrag 3. Lof. 1 Schwie⸗ 
rigkeiten, die ſich b. Anw. d. dt. Ein⸗ 
kommenſteuergeſ. auf die ink aus 
Forſtw. ergeben haben. Berlin: Der 
dt. Forſtwirt. 1933. 102 S. 5.—. Mün⸗ 
chen, Staatswirtſch. Diff. 


a Be wa und verantwortlich für den gefamten textli 
Seſellſhaft a tat ra Straße 32. ze 
b. H., Berlin W 35. Druck der Meyerſchen N 


753 


7. Genoſſenſchaftsweſen; Privat. 
u. Sozialverſicherung; Verkehr 
o pp, Ed. Dipl.-Volksw.: Sozia⸗ 

iferungsbeftebungen in d. Landw. in 

Nachkriegszeit. 83 S. Würzburg. 
N. u. ſtaatswiſſ. Diff. 1932. 

Kehren, Oskar, Dipl.-Volksw.: 
Die Rationalifierung d. dt. bw. Ge⸗ 
e u. ſein Arbeitsgeb. 

S. München, Staatswiff. Diff. 1933. 

1 Alfred, Dr.: Die Revifion 
im Df. Genoſſenſchaftsweſen. Ihre Ge⸗ 
ſtaltung u. Wege e. Neform. Berlin: 
L. Weiß 1933. 138 S. 8%, 5.80. 

Saitzew, Manuel, Dr., Univ.- 
Prof.: Die volksw. Aufgaben u. d. wirt⸗ 
ſchaftspolitiſche Behandlung d. Eifen- 
bahnen. Ein Beitr. zur Beurteil. des 
Wettbewerbes zw. Eiſenbahn u. Auto- 
mobil. Bern: Librairie-Edition S. A. 
1932. 92 S. Gr.-8°. 1.80 


8. Verſchiedenes 


Oelſen, E. S. v.: Währungen, 
Maße, Gewichte d. ganzen Welt. 2. 
Aufl. Wien: Seidel 1933. 93 S., 3 
Tab. Kl.-8. 2,40; Lw. 3,—. 

Saitze w, M. Prof., Dr.: Die 
volksw. Aufgaben u. die wirtſchaftspol. 
Behandlung d. Eiſenbahnen. Ein Bei⸗ 
trag z. Beurtlg. d. Wettbewerbes zw. 
Eiſenb. u. Automobil. Vern: Librai- 
rie-Edition S. A. 1932. 92 S. Gr.-8*. 
Fr. 1,50. 


n Inhalt: Dr. Hermann Reiſchle. 
„Zeitgeſchichte Verlag und Vertriebs- 
t in Detmold. 


Anfchriftenverzeichnis der Mitarbeiter der Monatsſchrift 
„Deutſche Agrarpolitik“, Heft April 1933 


Reichskanzler Adolf Hitler, Berlin, Reichskanzlei. 

R. Walther Darré, M. d. R., Berlin, Deſſauer Straße 16, II. 

Arnold W. Trumpf, Generalſekretär des Hannoverſchen Landwirtſchaft⸗ 
lichen Genoſſenſchaftsverbandes, Hannover. 

Richard Wagner, Diplom⸗Landwirt, Staatskommiſſar für Landwirt⸗ 
ſchaft, Darmſtadt. 

Karl Scheda, Syndikus, Berlin. 

Robert Dünges, Diplom⸗Landwirt, Elsheim (Rhld.). 

Karl Motz, Miniſterium für Volksaufklärung und Propaganda, Berlin, 
Wilhelmplatz. 

Roland Schulze, Diplom-Landwirt, Schriftleiter, München, Herzog⸗ 
Wilhelm ⸗Straße 32. 


. _— 


— — iin 
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7 Th 1 


mn — — — u — — — ~~ - — 


1 
|| § 


UFSCHE FT polit 
u e r ‚pe 3 — g 


HerausncherK Wag 


=y 


Inhaltsverzeichnis 


Seite 

Vorſprununnnn O 757 

Hermann Reiſchle / Der Bauernführer R. Walther Darre . . . 758 

Walter Bohm / Zur Erbhofbe wegung. 763 

Heinz Konrad Haushofer / Die bayeriſchen Stammhöfſfe . . 771 
Manfred von Knobelsdorff / Die neuen Aufgaben des v. Knobels⸗ 

dorffſchen Geſchlechts im völkiſchen Staatsleben . . . 780 

Das bäuerliche Erbhofgefen. - nme 786 

Das Arch 803 

Neues Gehrifttum 2 2 2 ln 805 


Titelbild: Phot. E. Lendvai-Dirdfen, Berlin 


Jedes Heft RM. 150 - DPierteljährlih 3 Hefte RM. 3.60 


zuzüglich Beſtellgeld. Beſtellungen durch den Verlag oder bei ſeder Poſtanſtalt. 
Poſtvertrieb ab Detmold 


arpolitif 
Monatsichrift für Deutſches Sauerntum 
Hauplſchriſtleitung Dr. Hermann Reilchle 


Feitgeſchichte“ Verlag und Vertriebs⸗Geſellſchaft m. b. §., Berlin W35 
ü—Un — ——.:. ¼.üä.... ⁵ Gr:. T——T—.. ee ee Zn 


Deullche Agr 


Lütowftraße 66 
Heft 11 Ä Mai 1933 


Handle als Deutſcher ftets fo, 
daß Dich Dein volk zum vorbild 
erwählen kann. 


R. Walther Darré 


Hermann Reiſchle: 
Der Bauernführer R. Walther Darre 


Der Führer und Reichskanzler Adolf Hitler ſprach in feiner kürzlichen Rede 
vor dem Deutſchen Landwirtſchaftsrat, die ein einziges flammendes Be⸗ 
kenntnis zum Deutſchen Bauerntum war, die folgenden Sätze aus: 


„And glauben Sie mir, dieſe Erhebung, die hinter uns liegt, wäre über⸗ 
haupt nicht möglich geweſen, wenn wir nicht immer — Gott ſei Lob und 
Dank — einen beſtimmten Prozentſatz unſeres Volkes auf dem Lande 
gehabt hätten. Denn wenn wir heute ganz nüchtern dieſe Erhebung über⸗ 
ſehen, müſſen wir feſtſtellen, daß von den Städten aus dieſe Erhebung 
nicht möglich geweſen wäre. In den Städten hätten wir nicht dieſe Aus⸗ 
gangsſtellungen erobern können, die uns auch in unſerem Handeln das 
Gewicht der Legalität gegeben haben. Da ſind in manchen Gebieten — 
wir können ruhig ſagen — bis zu 95 vom Hundert, wenn auch in ver⸗ 
ſchiedenen Lagern, aber doch bis zu 95 vom Hundert, für die nationale 
Erhebung eintretende Bauern geweſen. Denen verdankt im Grunde ge⸗ 
nommen das deutſche Volk die Erneuerung, ſeine neue Erhebung und 
damit den Amſchwung, der zur allgemeinen Gefundung der deutſchen 
Verhältniſſe führen ſoll. Dieſe allgemeine Geſundung hat auch diesmal 
wieder ihren Ausgang genommen vom Boden, von der deutſchen Erde, 
vom deutſchen Bauern.“ 


Mit dieſen prachtvollen Worten hat der Führer Adolf Hitler vor den Ver⸗ 
tretern der Landwirtſchaft aus ganz Deutſchland, alſo vor verſammeltem Offi- 
zierkorps, ſeinem Anterführer R. Walther Darré fozuſagen den „Pour le 
Mérite“ umgehängt. Denn wer die Eigenart des deutſchen Bauern ſo kennt 
wie Adolf Hitler, dem iſt klar, welch ungeheure Schwierigkeiten überwunden 
werden mußten, um zu dieſer nahezu völligen Durchdringung des Bauerntums 
mit den politiſchen Ideen des Nationalſozialismus durchzuſtoßen. And gerade 
weil dieſe Schwierigkeiten ſo unüberwindbar erſcheinen mochten, hat die 
Offentlichkeit ein Intereſſe daran, den Kämpfer für den Gedanken von Blut 
und Boden R. Walther Darre kennenzulernen. 

Darré iſt zunächſt einmal, wie Adolf Hitler ſelbſt und wie fo viele hervor⸗ 
ragende Anterführer der Bewegung, Auslandsdeutſcher. Er iſt 1896 in Argen- 
tinien geboren und entſtammt einer vor 250 Jahren aus Nordfrankreich nach 


Der Bauernführer R. Walther Darré 759 


Preußen überſiedelten Emigrantenfamilie. Seine Mutter entſtammt einem 
alten ſchwediſchen Geſchlecht. Er wurde in Süddeutſchland erzogen und ſollte 
nach dem Wunſche ſeines Vaters Nachfolger in deſſen blühendem Aberſee⸗ 
Handelshaus werden. Das Schickſal ſtellte jedoch Darré zunächſt vor eine 
andere und gewaltigere Entſcheidung als die Berufsausbildung: Mit Millio- 
nen junger Kameraden trat der 18jährige im Auguſt 1914 als Kriegsfreiwilliger 
bei der Feldartillerie ein. Er ſtand, zuletzt als Reſerveoffizier eines Feldartillerie- 
Regiments, vier Jahre an der Front und hat ausweislich feiner Stammrolle ſich 
in dreizehn Großkämpfen an der Weſtfront in hohen Ehren geſchlagen. Hier 
iſt er, Walther Darré, wie wir jungen Frontſoldaten des großen Krieges alle, 
jenen „feurigen Weg“ gegangen, wie ihn Franz Schauwecker geſchildert hat, 
er hat den „Kampf als inneres Erlebnis“ durchgekämpft, wie es Ernſt Jünger, 
Diviſionskamerad von Darré, in jenem ſchmalen Bändchen mit dem gleich⸗ 
lautenden Titel als edelſtes Vermächtnis für alle Zeiten niedergelegt hat. 
Die Regimentsgeſchichte weiß von dem Frontſoldaten Darré Rühmenswertes 
zu berichten. 

Am Kriegsende 1918 ſtand er dann vor der endgültigen Entſcheidung über 
die Berufswahl. Entgegen dem Wunſche ſeines Vaters, von dem er an ſich 
die weite Schau des hanſeatiſchen Kaufmanns überkommen hat, folgte er 
ſeiner inneren Berufung, indem er an der Kolonialſchule zu Witzenhauſen das 
Studium der Land- und Kolonialwirtſchaft abſolvierte, das er mit dem Grade 
eines Diplomkolonialwirts abſchloß. Aus Neigung für tierzüchteriſche Fragen 
und die Vererbungslehre im beſonderen arbeitete er anſchließend bei Fröhlich 
in Halle mit großem Erfolg und ſchloß hier mit dem Diplomlandwirt ab. 
Die bei Fröhlich erworbenen Kenntniſſe der Vererbungslehre ſollten noch eine 
mal von nachhaltigſter Bedeutung für ſein ſpäteres Schaffen werden. 

Während ihn die berufsübliche praktiſche Tätigkeit auf Landwirtſchaften in 
Heſſen, Oberbayern und Oldenburg geführt hatte, ging er nunmehr zum oſt⸗ 
preußiſchen Stutbuch für Warmblut ⸗Trakehner⸗Abſtammung, wo er feine 
züchteriſch⸗vererbungswiſſenſchaftlichen Kenntniſſe weiter vertiefen konnte. In 
dieſe Zeit fallen auch bereits ſeine erſten ſchriftſtelleriſchen Arbeiten, die ſich 
aus der vererbungswiſſenſchaftlichen Erkenntnis heraus ſchon mit raſſekund⸗ 
lichen Problemen auseinanderſetzten. Damals gehörte Darré bereits zu dem 
noch kleinen und in der Öffentlichkeit gänzlich unbeachteten Kreis von Schrift⸗ 
ſtellern, die, mit wiſſenſchaftlichem Rüftzeug verſehen, den überaus harten 
Boden für die völkiſchen Erkenntniſſe auflockerten. Während ſeiner Tätigkeit 
beim Stutbuch wurde man auf den jungen Diplomlandwirt, der fo ganz ohne 
Konnexionen ſeinen Weg ging, aufmerkſam. Im Jahre 1927 wurde er im 
Auftrage des Reichsernährungsminiſteriums zum Studium der finniſchen 
Tierzucht zur Landestierzuchtausſtellung in Lahtis entſandt. Im Anſchluß 
daran benutzte er die Gelegenheit, das alteingeſeſſene oſtfinniſche Bauerntum 


760 Hermann Reischle 


in Karelien zu ftudieren. Er wurde als landwirtſchaftlicher Sachverſtändiger 
der Deutſchen Geſandtſchaft in Riga zugewieſen mit dem Auftrage, die land⸗ 
wirtſchaftlichen Verhältniſſe der baltiſchen Staaten Litauen, Lettland, Eſtland 
zu beobachten und außerdem den gegenſeitigen Austauſch landwirtſchaftlicher 
Erzeugniſſe, wie Zuchtvieh, Saatgut uſw., zu fördern. Aus einer dienſtlichen 
Angelegenheit heraus geriet er ſchließlich in einen Konflikt mit politiſch ein⸗ 
flußreichen Stellen und Perſönlichkeiten des damaligen amtlichen und halb⸗ 
amtlichen Deutſchland, in welchem ſeine völkiſche Einſtellung und ſaubere 
Auffaſſung von Dingen des öffentlichen Lebens offenbar werden mußte. Dies 
aber waren in jenen Jahren Eigenſchaften, die höheren Orts als nicht zeit⸗ 
gemäß empfunden wurden. Sehr bald trat auch ein, was kommen mußte: Die 
Dienſtſtelle Darrés an der Geſandtſchaft mußte eingeſpart oder aus ſonſtigen, 
ſelbſtverſtändlich mit ſeiner politiſchen Einſtellung in keinem Zuſammenhang 
befindlichen Gründen eingezogen werden. Kurzum: Er ſaß auf der Straße und 
ſollte, weil es ſo bequemer ſchien, auf irgendein totes Geleiſe geſchoben wer⸗ 
den. In dieſer Erkenntnis ſchlug er ein amtliches Angebot, ihn zu Studien- 
zwecken nach Südamerika zu ſchicken, aus. Das hilfsbereite Einſpringen ſeines 
Freundes Paul Schultze⸗ Naumburg, der ihm in feinem Haufe Gaſtfreund⸗ 
ſchaft gewährte, ermöglichte es ihm, nunmehr das zu Papier zu bringen, was 
ihn in innerer Schau ſchon längſt bedrängte: ſein Bekenntnis zu den ewigen 
Werten des germaniſchen Bauerntums. So ſchrieb er in einem Zuge fein 
Erſtlingswerk nieder: „Das Bauerntum als Lebensquell der nordiſchen 
Raſſe“, das 1929 in J. F. Lehmann Verlag, München, erſchien. Ich darf 
wohl im Sinne Darrés dem Verleger Lehmann, der hier den Mut aufbrachte, 
ein 500 Seiten umfaſſendes, ſtreng wiſſenſchaftliches und nicht zeitgemäßes 
Werk eines gänzlich unbekannten Autors herauszubringen, vor der Öffentlich 
keit Dank ſagen. Es wäre verlockend, hier aufzuzeigen, was Darré mit dieſem 
ſeinem Buche gewollt hat, dazu wird jedoch ſpäterhin Gelegenheit ſein. Es iſt 
ihm, das mag geſagt ſein, jedenfalls gelungen, den wiſſenſchaftlichen Beweis 
von der Bedeutung der nordiſchen Naſſe für das Deutſche Volkstum zu er⸗ 
bringen. Gelungen aber iſt ihm vor allem der landwirtſchaftlich begründete 
Nachweis aus der Kulture und Wirtſchaftsgeſchichte der alten nordiſchen 
Völker, wie Hellenen, Spartaner, Römer und Germanen, daß dieſe ſchon in 
früher Zeit Ackerbauer und nicht Nomaden geweſen ſind. Eine weitere Er⸗ 
kenntnis ſpricht Darré am Schluſſe ſeines Erſtlingswerkes aus, und zwar 
dieſe: „Mögen es auch zunächſt biologiſche Gründe geweſen ſein, die die nor⸗ 
diſche Raffe in ihrer Herrlichkeit prägten, fo find es doch im weiteren Verlauf 
ihrer Entwicklung ein klarer Wille und überſichtliche Zuchtgeſetze geweſen, die 
fie zu ihrer Kulturhöhe geführt haben.“ Dieſe Erkenntnis bildet die Grund- 
lage für das zweite Werk Darrés, das im Jahre 1930 ebenfalls in Lehmanns 
Verlag erſchienen iſt: „Neuadel aus Blut und Boden“, in welchem er die 


Der Bauernführer R. Walther Darré 761 


praktiſchen volfs- und ſtaatspolitiſchen Folgerungen aus feiner wiſſenſchaft⸗ 
lichen Erkenntnis zieht. Im Titel dieſes Buches prägt er zum erſtenmal den 
Zweiklang der Begriffe, die — damals ein Ruf ins Nichts — heute geradezu 
zum Schlagwort im beſten Sinn geworden ſind. Sie ſind als Parole und 
Feldgeſchrei ſtändig im tagespolitiſchen Kampf der nationalſozialiſtiſchen 
Bauernbewegung der letzten Jahre erſchallt und ſtellen heute nichts mehr und 
nichts weniger dar als das knapp formulierte Staatsgrundgeſetz des werden⸗ 
den Dritten Reichs. 

Im Rückblick auf dieſe Kampfjahre iſt es nun hoch intereſſant zu verfolgen, 
wie der unbekannte Schriftſteller Darré aus den gedanklichen Erkenntniſſen 
ſeiner beiden Werke die praktiſchen Folgerungen zog und den politiſchen Weg 
fand, ſie in der Wirklichkeit zu geſtalten. Daß an dieſer entſcheidenden Wende 
ſeiner Laufbahn ein gütiges Geſchick ſtand und ihm die Hand reichte, wen 
ſollte dies wundern bei einem Manne, der beſeſſen iſt von der inneren Ge⸗ 
wißheit, eine völkiſche Miſſion zu haben? Er lernte Adolf Hitler, der 
damals im Frühjahr 1930 ſelbſt noch ein gegen Tod und Teufel um 
ſeine Anerkennung Ringender war, im Hauſe Schultze⸗Naumburg kennen. 
Am Schluſſe eines Geſprächs, das zur ſtundenlangen Zwieſprache zwiſchen 
beiden Männern wird, erhält Darré das Angebot, nach München zu kom⸗ 
men und den Kampf um das Deutſche Gauerntum im Rahmen der national- 
ſozialiſtiſchen Bewegung zu organifieren. Er greift ohne Bedenken und 
freudig zu. Anbekannt tritt er als politiſcher Soldat der Bewegung im Som⸗ 
mer 1930 feinen Dienſt in der Reichsleitung an. Wer die volle Schwere dieſes 
Kampfes um Geltung, der nun anhebt, erkennen will, muß wiſſen, daß dieſes 
Ringen zunächſt nach innen und außen gerichtet fein mußte. Nach außen ſelbſt⸗ 
verſtändlicherweiſe deshalb, weil das nationalſozialiſtiſche Gedankengut bis 
dahin im Kampfe gegen die wirtſchaſtlich ausgerichteten bürgerlichen und 
Standesparteien auf dem flachen Lande ſo gut wie völlig unbekannt war. Nach 
innen deshalb, weil die Bewegung, von den Städten ausgehend, in ihrer 
Ideologie verſtändlicherweiſe zunächſt ſtädtiſch beſtimmt war. Aus klarer Ge⸗ 
ſchichtskenntnis und aus innerer Beherrſchung der Geſetzmäßigkeit des Orga⸗ 
niſatoriſchen tat Darré nicht das, was jeder angeſichts der Sachlage erwartet 
hätte. Er ging nicht darauf aus, den beſtehenden landwirtſchaftlichen Organi⸗ 
ſationen einen neuen nationalſozialiſtiſchen Verein gegenüberzuſtellen. Aus 
dem Grundſatz „Männer, nicht Maßnahmen“ bildete er vielmehr in aller 
Stille eine neue bäuerliche Führerſchicht heran. Dieſer agrarpolitiſche Apparat 
wurde ſtändig durchgeſiebt, immer wieder kam der im Kampf beſſer Bewährte 
an die Stelle des Minderbewährten. Ein ſtändiger Ausleſevorgang ſchärfte 
die Schlagkraft dieſes Führerkorps, das ſich in kämpferiſcher Gemeinſchaſt zu⸗ 
ſammenſchmolz. Mit dieſem Führerkorps trat Darré erſtmals in den hiſtori⸗ 
ſchen Herbſtwahlkampf 1930 ein. Von da an datiert ein ſtändig ſich ſteigernder 


762 Hermann Reischle, Der Bauernführer R. Walther Darre 


Einſatz im Kampf um Stimme und Seele des deutſchen Bauerntums. Neben⸗ 
her ging die fortgeſetzte geiſtig⸗-weltanſchauliche Schulung. Die „NS. Lande 
poſt“ erſchien damals als unbekanntes Blättchen unter dem höhnenden Ge⸗ 
lächter der politiſchen Gegner. Eine Reihe von kurzgefaßten Broſchüren kam 
aus ſeiner oder ſeiner engſten Mitarbeiter Feder heraus. Im Sommer 1932 
erfolgte die Herausgabe der „Deutſchen Agrarpolitik“, Monatsſchrift für das 
deutſche Bauerntum, ein entſcheidender Schritt zur Werbung für das geiſtige 
Gedankengut der Bewegung. 

Neben der geiſtigen Durchdringung ſeiner Mitkämpfer vergaß Darré aber 
nicht den Wert der Sicherung praktiſcher Machtpoſitionen. Er drang erſt mit 
einigen, dann mit immer mehr ſeiner Gefolgsleute in die Landwirtſchafts⸗ 
kammern ein, ſicherte ſich in raſchem Zugriff bereits im Frühjahr 1932 eine 
Machtpoſition im Präſidium des Reichslandbundes und niſtete fic) von unten 
her in die Antergliederungen der landwirtſchaftlichen Berufsverbände ein, 
die er dergeſtalt zunächſt im politiſchen Kampf neutralifierte, um fie ſpäter 
nüchtern und rückſichtslos als Waffe für ſich auszunützen. Er zerſchlug in 
ganz perſönlichem Einſatz die Machtpoſition der Landvolkpartei an ihrer 
Wurzel in Thüringen. Er warf ſich der Reaktion in ihren Hochburgen ent⸗ 
gegen und vergaß doch über dem Tageskampf im Lande draußen niemals, die 
Früchte auch in diplomatiſch⸗taktiſchem Florettkampf an den Brennpunkten 
der politiſchen Entſcheidungen einzuheimſen. Im Großkampfjahr 1932, begin- 
nend mit Adolf Hitlers gigantiſchem Ringen um den Reichspräſidentenpoſten, 
ſchoß die Saat von Darrés ſyſtematiſcher Arbeit in die Halme. In immer 
großartigerem Ausmaße holte der agrarpolitiſche Sektor Boden auf, und bald 
zeigte ſich, daß das Bauerntum nunmehr die ſtärkſten und ſicherſten Bataillone 
hinter Adolf Hitler ſtellte. Dieſe Bataillone hielten nicht nur ſtand, als der 
Führer im Hochſommer 1932 die Teilergreifung der Macht ausſchlagen 
mußte, nein, dieſe Bataillone erzwangen auch durch ihren rückſichtsloſen Ein⸗ 
ſatz den Sturz der Zwiſchenkabinette vor der endgültigen Machtübernahme 
am 30. Januar 1933. Die nach dem 30. Januar in ſeinem Arbeitsbereich not⸗ 
wendig werdenden Entſcheidungen hatte Darré gut vorbereitet. Deshalb iſt 
auch der Gleichſchaltungsprozeß nirgends fo raſch und reibungslos vorange- 
kommen wie im agrarpolitiſchen Bereich. Nicht nur die Führung des Reichs⸗ 
landbundes als der bisher größten ſtandespolitiſchen Vertretung iſt heute 
völlig in nationalſozialiſtiſcher Hand. Darré ſteht vielmehr bereits ſeit Wochen 
in ſeiner Eigenſchaft als Vorſitzender der Reichsführergemeinſchaft des deut⸗ 
ſchen Bauernſtandes an der Spitze des geſamten deutſchen Bauerntums über⸗ 
haupt. Darüber hinaus iſt vor kurzem die Führung von 40 000 ländlichen Ge⸗ 
noſſenſchaften in ſeine Hand gelegt worden, und es wird lediglich eine Frage 
der formalen Anerkennung eines bereits beſtehenden Zuſtandes ſein, wenn 
ihm demnächſt wohl auch die Führung der öffentlich- rechtlichen Säule der 


Walter Bohm, Zur Erbhofbewegung 763 


landwirtſchaftlichen Selbſtverwaltung übertragen wird. Damit wird er, gee 
tragen vom felſenfeſten Vertrauen von 95 v. Hundert aller deutſchen Bauern 
und anerkannt als ihr alleiniger Standes führer, in ihrem Namen ſeinen letz⸗ 
ten Anſpruch geltend zu machen haben. 

Am Schluſſe dieſes kurzen Abriſſes über den Wiſſenſchaftler und Politiker 
Darré ſoll ſtehen ein kameradſchaftliches Bekenntnis zu dem Menſchen, das 
mir, wohl im Einverſtändnis mit allen feinen Mitarbeitern, herzliches Gee 
dürfnis iſt. Der Menſch Darré kann nicht klarer und eindeutiger gekennzeichnet 
werden als mit dem Begriff „Kamerad“, ſo wie wir ehemaligen Frontſoldaten 
dieſen Begriff in unſerer durch Feuer und Blut gehärteten Schickſalsgemein⸗ 
ſchaft erlebt haben und in uns tragen. 

Möge der Gott, an den er glaubt, ihn die Vollendung ſeines Werkes er⸗ 
leben laſſen. a 


Walter Bohm: 
Fur Erbhofbewegung 


Seit R. Walther Darre fein grundlegendes Werk vom Bauerntum als 
Lebensquell der nordiſchen Raſſe geſchrieben hat, greift die Erkenntnis immer 
mehr um ſich, daß unſer Bauerntum der eigentliche Kern des deutſchen Volkes 
iſt; und der Bauer ſteht heute im Mittelpunkt des ſtaatlichen Geſchehens in 
allen volksdeutſchen Landen. Haben wir politiſch ſeit dem 30. Januar dieſes 
Jahres unſer Volk dem Dritten Reiche einen guten Schritt nähergebracht, ſo 
gilt es nun vor allem, an der Geſundung des deutſchen Volkes und damit 
unſeres Bauerntums zu arbeiten. Die allernotwendigſten wirtſchaftlichen 
Notverordnungen, den Bauern auf ſeiner Scholle zu erhalten, ſind inzwiſchen 
erlaſſen worden. Aber wir treffen beim Bauerntum, um mit Darre zu reden, 
„auf Probleme, die außerhalb aller Wirtſchaftlichkeit ſtehen 
und die nur gemeiſtert werden aus einer Weltanſchauung 
heraus, die klar zum Problem des Blutes und der Raffe 
Stellung nimmt.“ 

Zu dieſen weltanfchaulichen Begriffen gehört auch das Grundeigentum ger⸗ 
maniſchen Rechts; denn: „Der germaniſche Begriff des Eigentums 
tft von dem germaniſchen Grundgedanken der Familie als 
einer Geſchlechterfolge gar nicht zu trennen. Dies hing ur⸗ 
ſächlich zuſammen mit dem germaniſchen Gottumsbegriff, wie überhaupt der 
Weltanſchauung der Germanen. ... Genau fo, wie nun ſeit dem Zuſammen⸗ 
treffen der Germanen mit dem römischen Reiche der Cäſaren ein Kampf ftatt« 
findet zwiſchen germaniſcher und ſpätrömiſcher Staatsauffaſſung und Staats. 
verwaltungsauffaſſung, ſpielt ſich ein Ringen auf dem Gebiet des Eigentums⸗ 


764 Walter Bohm 


begriffes ab. Dies ift natürlich, weil die Auffaſſung vom Staat und vom 
Eigentum mehr oder minder in Wechſelwirkung zueinander ſtehen.“ (Darré, 
Adelsbuch, S. 62.) 

Die Erbhofbewegung nun will diejenigen Bauern auszeichnen, deren 
Familien dem römiſchen Bodenrecht zum Trotz wenigſtens hundert, am beſten 
aber zweihundert Jahre im Mannes- oder Weibesſtamm ihren Grund und 
Boden, ihre Bauernhöfe, feſtgehalten, eigentümlich beſeſſen und ſelbſt bewirt- 
ſchaftet haben. Die Auszeichnung dieſer alteingeſeſſenen Bauernfamilien ſoll 
dadurch erfolgen, daß ihre Bauernhöfe von Geſetzes wegen und von Amts 
wegen als „Erbhöfe“ bezeichnet werden. Sollte ſolch ein Hof aber neuer⸗ 
dings aus der Familie heraus veräußert werden, dann ſoll damit auch von 
felbft die geſetzmäßige Bezeichnung des Hofes als „Erbhof“ erlöſchen. Aber 
die Bewegung leſen wir zum Beiſpiel in den niederſächſiſchen Tageszeitungen 
etwa folgendes: 

„Um die Bezeichnung Erbhof 


Lüneburg, 9. März. Die Anregung des Hofbauern Nobert Sponagel in 
dem Marſchdorf Echem bei Lüneburg, alte Bauernhöfe mit der Bezeichnung 
„Erbhof zu verſehen, iſt auf lebhaften Beifall in den Kreiſen der erbgeſeſſenen 
Bauernſchaft geſtoßen. In der Zentralſtelle für ſächſiſche Familienforſchung in 
Lüneburg wurde wiederholt über dieſe Bezeichnung geſprochen und beſchloſſen, an 
die Landwirtſchaſtskammer heranzutreten, um für Höfe, deren Bauernfamilien 
nachweislich länger als 200 Jahre dort anſäſſig find, dieſen Ehrentitel zu erlan⸗ 
gen. Robert Sponagel hat inzwiſchen viele Zuſtimmungserklärungen auch aus 
anderen Gebieten erhalten. Unter anderen hat ein Paſtor aus Huſum in Schles⸗ 
wig-Holftein bereits im gleichen Sinne gearbeitet. Die Bezeichnung Erbhof“ fol 
auch gelten, wenn der Hof ſich in weiblicher Linie vererbt. Nach Anſicht Sponagels 
bietet ſich deshalb dem Familienforſcher eine unerſchöpfliche Fundgrube, da oft 
der alte Name des Hofes noch erhalten iſt, der Bauernname aber mehrmals durch 
Einheirat gewechſelt hat. Nachdem die Landwirtſchaftskammer Schwerin im 
vorigen Jahre einen ähnlichen Beſchluß auf Auszeichnung alter Bauerngeſchlechter 
gefaßt hat, wird wohl auch die Landwirtſchaftskammer Hannover poſitiv zum 
„Erbhof“ Stellung nehmen.“ 


In der „Nationalſozialiſtiſchen Landpoſt“ hat inzwiſchen Dr. Wilhelm 
Schaare eingehend zur Erbhoffrage Stellung genommen, und in der öſter⸗ 
reichiſchen Preſſe hat Dr. G. S., Linz a. D., über die Bewegung in Kärnten, 
Niederöſterreich, Bayern und Tirol, beſonders aber an Hand des oberöſter⸗ 
reichiſchen Erbhofgeſetzes über die diesbezüglichen Beſtrebungen in Ober⸗ 
öſterreich berichtet. Wir drucken im nachfolgenden das genannte oberöfterrei- 
chiſche Geſetz ab, um ſodann grundſätzlich zu dieſem Geſetz und der ganzen 
Bewegung Stellung zu nehmen: 


„Geſetz vom 19. Dezember 1931, 
betreffend die Kennzeichnung altererbten bäuerlichen Beſitzes 
in Oberöſterreich. 


Der oberöſterreichiſche Landtag hat beſchloſſen: 
8 1. 
Zur ehrenden Hervorhebung von Beiſpielen treuen Feſthaltens an ererbtem 


bäuerlichen Beſitze wird die Bezeichnung Erbhof“ geſchaffen, die ausſchließlich 
jene für den Anterhalt einer Familie hinreichenden landwirtſchaftlichen, mit einem 


— a ee — — — — —— — . ̃ —— ·˙¹ðeñ[— ̃ am — m ——— —_—, — — — — ri 


Zur Erbhofbewegung | 765 


Wohnhaus verſehenen Beſitzungen führen dürfen, die feit mindeſtens 200 Jahren 
innerhalb derſelben Familie im Mannes oder Weibesſtamme übertragen wore 
den find und von dem Eigentümer ſelbſt bewohnt und bewirtſchafiet werden. 


§ 2. 

Das Redht, die Bezeichnung „Erbhof“ zu führen, wird von Amts wegen oder 
über Anſuchen des Eigentümers bei Nachweis der Vorausſetzungen des § 1 von 
der Landesregierung verliehen und ſchließt die Befugnis in ſich, dieſe Bezeichnung 
ſichtbar am Wohngebäude zu führen. 

Aber die Verleihung des Rechtes iſt eine Arkunde auszufertigen. Abſchriften 
dieſer Arkunden find nach Gerichtsbezirken und Gemeinden geordnet im Landes- 
regierungsarchiv zu hinterlegen. i 

§ 


Das Recht zur Führung der Bezeichnung ‚Erbhof‘ ift über anläßlich der Ver⸗ 
leihung von der Landesregierung zu ſtellendes Anſuchen in der Aufſchriſt des 
Gutsbeſtandsblattes des Grundbuches aufzunehmen. 


81. 

Das Recht zur Führung der Bezeichnung ‚Erbhof‘ bleibt inſolange aufrecht, 
als die Vorausſetzungen des 8 1 fortbeſtehen. 

Fallen dieſe Vorausſetzungen ſort, hat die Landesregierung das Erlöſchen 
dieſes Rechtes feſtzuſtellen und das Grundbuchgericht zum Zwecke der bücher⸗ 
lichen Löſchung zu verſtändigen. ‘ 

§ 


Das Grundbuchgericht hat die Landesregierung zu verftändigen, wenn ein 
Wechſel im Grundbuche eintritt oder erhebliche Teile des Grundbuchkörpers ab- 
getrennt werden. § 6 


Die unbefugte Führung der Bezeichnung Erbhof“ iſt von der politiſchen Be⸗ 
zirksbehörde als Verwaltungsübertretung mit Geld bis zu 1000 S. oder mit 
Arreſt bis zu zwei Wochen zu beſtrafen. Auch kann im Erkenntniſſe die Verpflich- 
tung zur Entfernung einer allfällig zu Anrecht erfolgten äußeren Bezeichnung als 
„Erbhof“ ausgeſprochen werden. Dieſer Ausſpruch iſt im Wege der politiſchen 
Exekution vollſtreckbar. 37 


Das Geſetz tritt mit dem Tage der Kundmachung in Kraft. 


Der Landeshauptmann 
Dr. Schlegel. 


Der Landesamtsdireltor 
Attems.“ 


(Vgl. Landesgeſetzblatt für Oberöſterreich vom Jahre 1932. 9. Stück. Nr. 16. 
Ausgegeben und verſendet am 25. Jänner 1932.) 


Soweit das oberöſterreichiſche Geſetz. Wir haben dazu im einzelnen folgen⸗ 
des zu bemerken: Pr 
u 


Es ſoll ehrend hervorgehoben werden das treue Feſthalten des erbgeſeſſenen 
Bauern und ſeiner Vorfahren am Erbhofe des Geſchlechts, und der Erbhof 
ſoll nun dieſe ihm aus der Natur der Sache zukommende Bezeichnung auch 
auf Grund des Geſetzes, auf Grund poſitiven Rechtes alſo, führen. Wir ſtim⸗ 
men der Abſicht des oberöſterreichiſchen Geſetzgebers durchaus zu; aber wir 


766 Walter Bohm 


halten es für gut, wenn auch dem Bauern, der doch nebft feinen Vorfahren 
das Verdienſt der Gründung und Erhaltung dieſes Erbhofes ſich erworben 
bat, ein Ehrentitel wird und eine Anrede, die ihn aus der Zahl der Standes- 
genoſſen rühmend hervorhebt, dieſe zu gleichem Eifer um die Erhaltung der 
Scholle anzuſpornen. 

R. Walther Darré ar im Adelsbuche ausdrücklich die Schaffung einer 
wirklich vorbildlichen Oberſchicht, in der in jedem Falle das Verdienſt die 
ausſchlaggebende Rolle ſpielt, in der aber auch adlige Haltung nicht fehlen 
darf. And die alteingeſeſſenen deutſchgeborenen Hofbauern auf hundert ⸗ und 
mehrjährigem Beſitz ſcheinen uns gerade recht, auf dem flachen Lande zur 
Bildung dieſer Führerſchicht beizutragen. Sie find deutſchen Blutes, ſeit 
Generationen iſt ihre Tüchtigkeit bewährt, ihr Verdienſt iſt die Erhaltung des 
Bauerntums, des Lebensquells unſeres nordiſchen Blutes. 

Wir ſchlagen daher vor, den mit Erbhöfen angeſeſſenen Hofbauern den 
Titel „Freibauer“ mit der Anrede „Edler Herr“ zu verleihen, ein Titel, der 
auch von der Hausfrau als „Freibäuerin“ mit der Anrede „Edle Frau“ zu 
führen iſt. Der bisherige Hofbauer Hinrich Schulte zu Jakobshagen hätte 
daher ein Recht auf die Briefanſchrift: Dem Edlen Herrn Hinrich Schulte, 
Freibauern zu Jakobshagen; ſeine Frau wäre von ihren Leuten, in der Ge⸗ 
ſellſchaft, von den Behörden oder vor Gericht als „Edle Frau“ anzureden, 
und er ſelbſt würde als Berufsbezeichnung den Titel „Freibauer“ führen, 
4 1 — Schriftſtücke als „Hinrich Schulte, Freibauer zu Jakobshagen“ unter⸗ 
zeichnen. 

Der Erbhof müßte u. E. die Größe des 8 Hofes ſächſiſchen 
Rechts, die Größe des Edelhofes nach Ernſt ver (Würzburg) haben, 90 
bis 300 Magdeburger Morgen oder 22,5 — 75 ha; der Erbhof müßte alſo ein 
ee der eine reichliche Ackernahrung ſeinem Bauern ermöglicht, der 
ſeinen Bauern ſo in die Lage bringt, außer der Beſorgung der eigenen Wirt⸗ 
ſchaft auch noch die bäuerlichen Ehrenämter in Gemeinde, Kirchſpiel und 
Landkreis (Bezirk, Amtshauptmannſchaft uſw.) wahrnehmen zu können. Den 
Hufnern und Kleinbauern bliebe die Möglichkeit, ſich zu Hofbauern herauf⸗ 
guarbeiten und dann auch — hundertjährigen Beſitz der Stammſtellen voraus- 
geſetzt — für ihre Stellen die Bezeichnung „Erbhof“, für ſich den Titel „Frei⸗ 
bauer“ und die Anrede „Edler Herr“ zu erwerben, ſobald ſie nämlich ihre Hufe 
oder Kleinſtelle durch Zukauf von Land auf die Größe von 90 Morgen (22,5 
Hektar) gebracht und damit zum Vollhof gemacht hätten. 

Wir ſind der Meinung, daß Titel und Anrede auch der Hofbäuerin zu⸗ 
ſtehen muß, weil ſie gemeinſam mit dem Hofbauern, ihrem Gemahl, alle 
Sorgen, Laſten und Mühen um die Erhaltung des Hofes trägt, weil ihr alſo 
das Verdienſt in demſelben Maße zukommt wie ihrem Eheherrn. Dazu kommt 
folgendes: Jedes Geſchlecht ermüdet in der dritten, vierten Generation; über⸗ 
windet es dieſe Ermüdung, ſo hat daran die eingeheiratete Frau das größte 
Verdienſt. Weiter: In jedem Geſchlecht lebt das Weib länger als der Mann. 
So ſind die Karolinger im Mannesſtamme längſt erloſchen, im Weibes⸗ 
ſtamme hat jedes ehemalige Fürſten⸗ und Adelsgeſchlecht Karolingerblut. So 
find auch die Welfen im Mannesſtamm längſt erloſchen, ſchon Heinrich der 
Löwe hat nur noch im Weibesſtamme Welfenblut gehabt. Denn im Mannes⸗ 
ſtamm iſt das Geſchlecht ſchon im Jahre 1055 mit Welf III., Herzog von 
Kärnten, ausgeſtorben. Dieſes letzten Welfen Tochter war mit Azzo von Eſte 


Zur Erbhofbewegung | 767 


verheiratet, und deren Sohn wurde mit dem Namen Welf IV. der Stifter 
der heutigen Welfenlinie, der Herzöge von Braunſchweig und Lüneburg. 
Heinrich der Löwe iſt alſo im Mannesſtamm Lombarde, ein Herr v. Eſte 
geweſen, aber im Weibesſtamm war er nicht nur Welfe, er hatte auch das 
Blut der Billunger und Brunonen (Braunſchweig⸗Brunswig) und Karls des 
Großen und ſeines großen Gegners, Widukinds, Herzogs der Sachſen. 

So lebt auch in allen alten Geſchlechtern der engliſchen Gentry das Königs⸗ 
blut der Plantagenets, ſo lebt noch heute in hunderteinundzwanzig alten Ge⸗ 
ſchlechtern Hamburgs durch die Töchter der im Mannesſtamme längſt aus- 
geſtorbenen Familie Misler aus Frankfurt a. M. das Blut Philipp Melan- 
chthons und der Reuchling, fo lebt im Weibesſtamm in viel hundert „Lutheri⸗ 
den“ Martin Luthers Blut, ſo hat Erich Ludendorff, deſſen wir uns aus dem 
Weltkrieg erinnern, das ſchwediſche Königsblut der Waſa durch ſeine Ahn⸗ 
frau Virginia Eriksdotter, hat aber auch durch ſeine Großmutter Jeanette 
v. Dziembowſki das Blut der polniſchen Schlachta. 

Weil fo das Blut der alten Geſchlechter im Weibesſtamm ſtärker noch forte 
gepflanzt wird wie im Mannesſtamm, darum ſind wir unbedingt dafür, daß 
es keinen Anterſchied machen darf im hundert⸗ und mehrjährigen Befitz, ob 
der Erbhof im Mannesſtamm oder im Weibesſtamm in der Familie erhalten 
wur 


de. 

„Bekanntlich iſt die Einrichtung der Erbtochter, d. h. die Vererbung eines 
Erbſitzes an eine Tochter, falls ein männlicher Erbe (beſſer: Sohn) nicht mehr 
vorhanden iſt, ein uralter Brauch bei Indogermanen und Germanen. In Eng⸗ 
land hat ſich dieſer Brauch bis auf den heutigen Tag gehalten; d. h. beim 
Ausſterben des Mannesſtammes werden Lohnbeſitz und Adelstitel auf eine 
Tochter vererbt.. (N. Walther Darré, Adelsbuch S. 101). 

Wenn Dibelius in ſeinem Englandbuch auf einen gewiſſen ſteriliſierenden 
Einfluß der Erbtöchter hinweiſt, ein Einfluß, der auch in Sparta in der Ver⸗ 
fallszeit beſtanden hat, ſo ſcheint uns das ein pſychologiſches Phänomen zu 
fein, das nur geiſtig zu überwinden iſt. Bis geſtern ſetzten junge Damen ihren 
Stolz darein, Weltmeiſterſchaften im Sport zu erlangen, im Flugzeug allein 
um die Erde zu fliegen und im Typ des ſterilen Girls ſich über die Männer 
luſtig zu machen nach der Operettenmelodie aus der Dollarprinzeſſin: 


„Ein Hampelmann, wigel, wigel, wag, 
Das iſt mein Geſchmack!“ 


And Präſidenten und Staatsminiſter der untergehenden Zeit gaben ſich dazu 
her, ſolchem Anfug durch Staatsempfänge einen offiziellen Anſtrich zu geben. 

Seit aber die blutroten Fahnen mit dem ſchwarzen Hakenkreuz im weißen 
Felde über Deutſchland wehen, ändern ſich auch die Lebensanſchauungen der 
deutſchen Frauen. Das ſterile Girl und die Dame mit den zwei Kindern ver- 
ſchwinden, und Weibtum und Mutterſchaft wird von den Frauen wieder als 
ihr Beruf erkannt; Mann und Kind ſind der Traum unſerer jungen Mädchen 
und nicht mehr Flugzeug, Auto, Bar und ähnlicher Anfug. And damit endet 
auch die Sterilität der Erbtochter. Was aber ſchlechtes Erbgut, degeneriertes 
Blut anlangt — R. Walther Darré weiſt warnend darauf hin —, fo wird 
künftig durch Geſetz und geſetzliches Vorgehen die Erweckung untüchtigen 
Lebens von vornherein unmöglich gemacht werden. 


768 Walter Bohm 


Und fo können wir in der Erbhoffrage die Erbtochter durchaus bejahen. 

Die Übertragung des Erbhofes im Mannes oder Weibesſtamme kann nun 
durch Erbgang, Kauf, Gutsübergabe oder Schenkung erfolgen; und es ſoll 
auch den Altenteilern Titel und Anrede gewahrt bleiben, nur daß unſer Hin⸗ 
rich Schulte ſich dann Freibauer und Altbeſitzer zu Jakobshagen zu nennen hat. 


82 

Die Feſtſtellung, welcher Hof ein „Erbhof“ iſt, welchem Bauern und welcher 
Bäuerin die Titel „Freibauer“ oder „Freibäuerin“ und die Anrede „Edler 
Herr“ und „Edle Frau“ zuſtehen, ſollte erfolgen in der Regel auf Antrag des 
zuſtändigen Kreishauptmanns (Landrats, Amtshauptmanns, Bezirkshaupt⸗ 
manns, Oberbürgermeiſters) durch Urteil des zuſtändigen Amtsgerichts 
(Grundbuchrichters). Der Kreishauptmann hat die für ſeinen Antrag notwen⸗ 
digen Anterlagen von den Gemeindevorſtänden anzufordern. Dazu gehört 
ſelbſtverſtändlich auch eine Ahnentafel zum Nachweis des deutſchen oder nor⸗ 
diſchen Blutes der betreffenden Bauernfamilie. Das Gericht hat die Unter- 
lagen zu prüfen, nötigenfalls Ergänzungen zu verlangen, Zeugen zu verneh⸗ 
men, ſoweit keine Arkunden zu beſchaffen ſind und das Grundbuch zum Be⸗ 
weiſe nicht ausreicht und hat endlich durch Arteil feſtzuſtellen, daß — um auf 
unſeren Hofbauern Hinrich Schulte zu Jakobshagen zurückzukommen — der 
im Grundbuch der Gemeinde Jakobshagen gelegene Vollhof „Schultenhof“ 
ſeit mehr als hundert Jahren im Beſitz des deutſchgeborenen Hofbauern Hin⸗ 
rich Schulte und ſeiner Vorſahren iſt, daß ſomit genanntem Hofbauern der 
Titel „Freibauer“ und die Anrede „Edler Herr“, ſeiner Ehefrau, der deutſch⸗ 
geborenen Anna Schulte, geb. Hennigs, der Titel „Freibäuerin“ und die An⸗ 
rede „Edle Frau“, ſowie dem Schulteſchen Vollhofe „Schultenhof“ in Jakobs⸗ 
hagen die Bezeichnung „Erbhof“ zuſteht. 

Je eine Ausfertigung des Arteils ijt dem betreffenden Freibauern (Frei- 
bäuerin) und dem Kreishauptmann zuzuſtellen. Das Arteil iſt im Kreisblatt 
und im Landesgeſetzblatt zu veröffentlichen und an dem auf die Ausfertigung 
des Arteils folgenden Sonntag in der Pfarrkirche des Sprengels, zu dem der 
Hof gehört, von der Kanzel zu verleſen. 

Erfolgt ein ablehnendes Urteil, fo kann der Antragſteller Berufung an das 
Landgericht oder Reviſion bei dem Oberlandesgericht einlegen. 

Wir find der Anſicht, daß das Verfahren zur Feſtſtellung der Erbhöfe und 
zur Ehrung der darauf ſitzenden Bauern und Bäuerinnen von Amts wegen 
erfolgen muß; denn der Bauer hat in der Mühe feines ſchweren Berufes 
wenig Zeit für neue Dinge, namentlich wenn ſie außerhalb ſeines eigentlichen 
Wirkungskreiſes und außerhalb der gewohnten ehrenamtlichen Tätigkeit in 
Orts- und Kreisgemeinde liegen. Es liegt dem Bauern auch nicht, ſich ſelbſt 
um eine Ehrung zu bewerben, jo gerne er fie als Anerkennung treuer Pflicht- 
erfüllung wohl auch annehmen mag. 

In der oberöſterreichiſchen Verwaltungspraxis wird dem Bauern die Ini⸗ 
tiative zur Erlangung der amtlichen Bezeichnung ſeines Hofes mit dem 
Namen „Erbhof“ zugeſchoben. Dem Linzer „Morgenblatt“ zufolge hatte ſich 
bis zum 12. Juni 1932 erſt ein einziger Bauer um die gedachte Auszeichnung 
beworben. Ein anderes Beiſpiel aus Bayern: Es hat dort vom 22. Februar 
1855 bis 23. März 1919 ein Erbgütergeſetz beſtanden, deſſen Zweck die Ein- 
führung eines ſehr ſtrengen Anerbenrechts zur Schaffung von Erbhöfen war. 


' Zur Erbhofbewegung 769 


Aber obgleich es in Bayern Tauſende von alteingefeffenen Familien mit hun⸗ 
dertjährigem Beſitz gibt, haben in den 64 Jahren, in denen das Erbgüter- 
geſetz in Kraft war, doch nur 4 Bauern ihre Höfe in die Erbgüterrolle aus- 
tragen laſſen. 

Bei unſerer Erbhofbewegung nun handelt es ſich in keiner Weiſe um An⸗ 
erbenrecht oder Erbfolgeordnung, ſondern nur um die Ehrung alteingeſeſſener 
Bauerngeſchlechter; dieſe muß unbedingt von Amts wegen geſchehen. 

Bei der Feſtſtellung, ob ein Hof die vorgeſchriebene Größe hat, wird man 
ſich nicht zu ſtarr an das Maß 22,5 bis 75 ha zu halten haben. Vielmehr 
werden auch größere Höfe und ebenſo auch Höfe, die die Mindeſtgröße nicht 
ganz erreichen, ſofern man nach der Natur der Sache ihre Eigentümer als 
Vollbauern, die Höfe als Bauernhöfe und die Betriebsweiſe als bäuerlich 
anſprechen kann, zu berückſichtigen ſein. Auch kleinere Höfe kommen in Frage, 
wenn mit ihnen Mühlenbetriebe, Weinberge, Gifcherei-, Forft-, Hutungs⸗, 
Alm-, Butendeichs⸗ oder andere Gerechtigkeiten oder andere Betriebe des 
landwirtſchaftlichen Gewerbes verbunden ſind, ſo daß man das Ganze einem 
Vollhof gleichſetzen, in ſeinem Eigentümer einen Hofbauern ſehen kann. 

Lehnt der Kreishauptmann es ab, beim zuftändigen Richter wegen eines 
beſtimmten Hofes den Antrag auf Einleitung des „Erbhofverfahrens“ zu 
ſtellen, ſo kann auch der Hofbauer den Antrag ſtellen, wenn wenigſtens der 
Gemeindevorſtand die amtliche Erklärung abgibt, daß nach ſeiner Auffaſſung 
der Hof und der Hofbauer den Anforderungen des Erbhofgeſetzes entſprechen. 
In jedem Falle kann der Hofbauer im ſchwebenden Verfahren ſelber Be⸗ 
rufung oder Reviſion einlegen, wenn der Kreishauptmann (Bezirksamtmann) 
dieſes ablehnt. 

Der Freibauer hat das Recht, ee dem Namensſchild feines Hofes die Be⸗ 
zeichnung „Erbhof“ anzubringen. Er hat ferner das Nest und die Pflicht, 
ſein Wappen dem Reichsheroldsamt zur Beſtätigung vorzulegen; und er muß 
dem Erſuchen des Reichsheroldsamtes betr. etwa für notwendig befundene 
Anderungen an ſeinem Wappen nachkommen. 


8 3 

Wegen Eintragung der Bezeichnung „Erbhof“ im Beſtandsverzeichnis 
(Gutsbeſtandsblatt) des Grundbuches iſt zu verlangen, daß der Grundbuch⸗ 
richter dieſe Eintragung von Amts wegen vornimmt, ohne beſonderen Antrag; 
ebenſo haben alle Behörden, beſonders das Standesamt, die Polizeibehörde 
und das Pfarramt, betr. Freibauer und Freibäuerin von Amts wegen ihre 
Regiſter, Seelenliſten und Bücher zu berichtigen. Beſonderer Anträge hierzu 
ſoll es alſo nicht bedürfen; denn dieſe Anträge ſind dem Bauern beſchwerlich, 
unterbleiben deswegen, und es würde dann der Zweck des Geſetzes unter Am⸗ 
ſtänden ganz oder teilweiſe nicht erreicht werden. 


§ 4 und 5 
Wenn die Vorausſetzungen wegfallen, unter denen der Hof als Erbhof be- 
zeichnet, dem Hofbauern und der Hofbäuerin der Titel Freibauer bzw. Frei⸗ 
bäuerin mit dem Prädikat Edler Herr bzw. Edle Frau zuerkannt wurden, ſo 
muß der Kreishauptmann beim Amtsgericht (Grundbuchrichter) den Antrag 
auf Löſchung der gedachten Bezeichnung, Titel und Anreden ſtellen, und der 
Richter hat nach entſprechender Prüfung in feinem Urteil dem Antrage ſtatt⸗ 


770 Walter Bohm, Zur Erbhofbewegung 


ugeben, oder ihn abzulehnen. Der Kreishauptmann ſowohl wie der betroffene 

ver haben das Recht der Berufung an das Landgericht, der Reviſion durch 
das Oberlandesgericht. Iſt ein aberkennendes Arteil rechtskräftig geworden, 
fo erfolgt ſeine Bekanntmachung in derſelben Weiſe wie vorher das zuerken⸗ 
nende Arteil. Alsdann muß der Grundbuchrichter von Amts wegen das 
Grundbuch, ebenſo müſſen alle Behörden, beſonders aber Standesamt, Poli- 
on und Pfarramt, ihre Regifter, Liften und Bücher entſprechend 
erichtigen. s 

6 


Wer fih unbefugt Freibauer oder Freibäuerin nennt und Edler Herr oder 
Edle Frau anreden läßt oder an ſeinem Hofe auf dem Namensſchild die Be⸗ 
zeichnung Erbhof führt, gegen den ſoll der Kreishauptmann Anzeige bei der 
Staatsanwaltſchaft erſtatten. 

87 


Hier iſt nichts Beſonderes zu bemerken. Wegen Bekanntmachung und In⸗ 
krafttreten des Geſetzes werden immer die betr. Verfaſſungsbeſtimmungen zu 
beachten ſein. 

Soweit unſere einzelnen Bemerkungen zum oberöſterreichiſchen Erbhofgeſetz 
vom 19. Dezember 1931 vom geſamtdeutſchen Standpunkt aus geſehen. 

Im allgemeinen haben wir noch zu ſagen, daß wir durch unſere Zuſtim⸗ 
mung zu der gedachten Auszeichnung alteingeſeſſener Bauerngeſchlechter kei⸗ 
neswegs zurückſtellen unſere Beſtrebungen zur Schaffung eines deutſchen 
Bodenrechtes, deren Richtlinien wir im Heft 7 der „Deutſchen Agrarpolitik“ 
zur Diskuſſion geſtellt haben, und daß wir durchaus aufrechterhalten die 
Darréſchen Hegehofgedanken, die Abſicht, einen neuen deutſchen Adel aus 
immer und immer wieder erprobtem Führertum in Verbindung mit Blut und 
Boden erſtehen zu laſſen. Ebenſo erhalten wir durchaus aufrecht den Ge⸗ 
danken der deutſchen Bauerngilden in Verbindung mit der dort dargelegten 
bäuerlichen Gerichts⸗ und Ehrengerichtsbarkeit. Wir behalten uns auch aus⸗ 
drücklich vor die Ehrung alter Familien, die in zähem Kampf größere Güter 
durchgehalten und zum allgemeinen Beſten bewirtſchaftet haben, ähnlich zu 
geſtalten der hier behandelten Ehrung erbgeſeſſener Hofbauern. Denn wir 
wollen alles ſammeln, was irgendwie zur Bildung der angeſtrebten Führer⸗ 
ſchicht beitragen kann. Jedem — auch dem ärmſten und allergeringſten — 
Volksgenoſſen, wenn er nur tüchtig iſt, wollen wir den Auſſtieg ermöglichen, 
alles Antüchtige wollen wir aus der Führung ausmerzen. 

In dieſem Sinne ſtellen wir die hier angedeuteten Richtlinien zur Aus⸗ 
. bevor wir darangehen, einen entſprechenden Geſetzentwurf auszu⸗ 
arbeiten. 

Doch muß ſich die Ausſprache immer im Rahmen der von R. Walther 
Darré im Bauernbuche und im Adelsbuche feſtgelegten Richtlinien halten. 
Denn die Fernziele ſind feſtgelegt. And über nationalſozialiſtiſche Grundſätze 
darf ebenſowenig diskutiert werden wie über das in uns ſelber liegende Grund⸗ 
geſetz von Blut und Boden. And wir wollen auch als Landwirte — und jeder 
Bauer muß Landwirt ſein —, als Agrartechniker alſo, deren Kunſt ange⸗ 
wandte Naturkunde iſt, immer der Worte eingedenk ſein, die Paul Schultze⸗ 
Naumburg dem Adelsbuche vorangeſtellt hat: 

„Es wird eine Zeit kommen, in der man erkennt: der Menſch lebt nicht von 
Pferdekräften und Werkzeugen allein. Es gibt auch Güter, die er daneben 


Heinz Konrad Haushofer, Die bayerischen Stammhöfe 771 


nicht entbehren will und kann. And er wird haushalten lernen, und er wird 
das eine nicht zu gewinnen ſuchen, um mit ihm alles andere zu verlieren. 
Denn, wenn der Menſch alles gewonnen hätte, was ſich mit ſeiner Technik 
gewinnen läßt, dann würde er zu der Erkenntnis kommen, daß das ſo maßlos 
erleichterte und einfach gemachte Leben auf der entſtellten Erde eigentlich nicht 
mehr lebenswert iſt, daß wir zwar alles an uns geriſſen, was unſer Planet 
herzugeben hatte, daß wir aber bei dieſer Wühlarbeit ihn und damit uns 
ſelbſt zerſtört haben. Sorge ein jeder an ſeinem Teile, daß die Amkehr kommt, 
ehe es überall für immer zu ſpät iſt.“ 


Heinz Konrad Haushofer: 
Die bayerifhen Stammhöfe 


An und für ſich iſt jede Familie uralt, und ein Stammbaum wäre, wenn 
er nicht beſondere Leiſtungen regiſtrieren würde, das alltäglichſte. Auch die 
5 Mehrzahl unſerer Siedlungen iſt uralt, ohne daß dieſes Alter 
etwas Beſonderes bedeuten würde. Die reine Tatſache eines Familienſtamm⸗ 
baumes oder das Alter einer Siedlung find noch nicht Agrargeſchichte: indem 
Augenblick, in welchem aber eine Ahnenreihe und die Ent- 
wicklung einer Siedlung zuſammenfallen, ſteht vor uns 
die Agrargeſchichte in ihrer abſoluteſten Form auf. Der 
bäuerliche Altbeſitz gehört deshalb zu den beachtenswerteſten Erſcheinungen 
der Agrarpolitik. 

Von den geiſtigen Werten, die ſowohl in der Tatſache der Erhaltung des 
Beſitzes enthalten ſind, als auch beiſpielgebend nach allen Seiten ausſtrahlen, 
ſoll zunächſt nicht geſprochen werden. Sie verſtehen ſich für uns ſelber, ſollten 
aber bei einer wiſſenſchaftlichen Bearbeitung des Altbeſitzes nicht zur Vor⸗ 
ausſetzung n werden. Zunächſt gehen wir alſo bewußt nicht von der 
Seite des Volkstums, des Familienzuſammenhalts oder der bäuerlichen Kul⸗ 
tur aus, ſondern von den agrarpolitiſchen und betriebswirtſchaftlichen Grund- 
lagen. Es wird ſich dabei zeigen, daß wir zu viel ſchwerer wiegenden Schluß⸗ 
folgerungen kommen, trotzdem oder eben weil die Aufgabe von der theore⸗ 
tiſchen Seite angepackt werden muß, als wenn wir uns durch den Reiz ſchöner 
alter Höfe oder einzelner Familiengeſchichten feſſeln laſſen. Es handelt ſich 
alſo hier um das Allgemeine und nicht um das Beſondere. 

Die Stammhöfe find anerkannt vom Bayeriſchen Landwirtſchaftsrat und 
vom Bayeriſchen chriſtlichen Bauernverein, deren Urmaterial dem Verfaſſer 
in dankenswerter Weiſe zur Verfügung geſtellt wurde. Aber wir ſchrieben 
ſchon früher (Sept. 1932) an dieſer Stelle darüber: „Welche Gelegenheit für 
den Staat, aus der Altbeſitzehrung vielleicht die größte ſtaatliche Anerkennung 
für den ſtändiſchen Grundſatz des Bauerntums zu machen! Nichts geſchahl 
Die Anerkennung ſolcher Stammhöfe blieb nach wie vor ein Privatunter- 
nehmen der betreffenden Organiſationen, denen dafür die Anerkennung aller 


772 Heinz Konrad Haushofer 


ficher ift. Hier iſt eine Aufgabe für den Staat, deren Symbolkraft nicht einmal 
geldlich unterſtützt werden müßte, um große Wirkung zu haben.“ 

Gedacht muß aber auch noch des Mannes werden, auf deſſen Anregung 
a das ganze Werk der Altbeſitzehrungen in Bayern begonnen hat, um von 

pern aus in eine Anzahl deutſcher und öſterreichiſcher Länder auszuſtrah⸗ 
len: des Freiherrn von 2 reyberg. Aus der agrarpolitiſchen Tradition der 
Freiherren von Freyberg ſei an eine der älteren bedeutendſten Quellen zur 
bayeriſchen Agrargeſchichte erinnert, an die Almordnung des Herrn Pangratz 
von Freyberg für das Sachranger Tal in Oberbayern aus dem Jahre 1558. 
Die wirtſchaftspolitiſche Bedeutung diefer Almordnung erhellt daraus, daß 
Pangratz von Freyberg verſuchte, die Bauern der Herrſchaft Aſchau vor der 
Verflechtung in die aufblühende, aber für den Bauern gefährliche Verkehrs⸗ 
und Kreditwirtſchaft der Renaiſſance zu bewahren. Die wirtſchaftspolitiſche 
Geſchichte des Hauſes Freyberg führt weiterhin ſchon im 19. Jahrhundert zur 
Frage des Altbeſitzes; denn Freiherr von Freyberg hielt im bayeriſchen Land- 
tag zu der berühmten Brentanoſchen Enquete über die Vererbung des bäuer⸗ 
lichen Befitzes in Bayern das Referat, das gegenüber der bekannten Brentano⸗ 
ſchen Einſtellung die unbedingt erforderliche Korrektur brachte. Die Frage des 
bäuerlichen Altbeſitzes hat alſo in Bayern bereits eine umkämpfte geiſtes⸗ 
geſchichtliche Tradition. 

Was die Stellung der bayeriſchen Agrarpolitik zur Beſitzerhaltung anlangt, 
ſo iſt wohl anzunehmen, daß ſie während des frühen und Hochmittelalters eine 
ohne weiteres bejahende Stellung eingenommen hat. Aber wahrſcheinlich ſchon 
im Spätmittelalter und nachweislich mit der Renaiffance beginnt ſich eine 
andere Strömung abzuzeichnen. Seitdem die Einheitlichkeit einer ausſchließlich 
ländlichen Volkswirtſchaft mit der Entwicklung des Städteweſens und der 
volkswirtſchaftlichen Arbeitsteilung zu Ende ging, ſehen wir die zwei Ten⸗ 
denzen in der bayeriſchen Agrarpolitik nebeneinander herlaufen: auf der einen 
Seite die Forderung nach Erleichterung des Kredites, Möglichkeit der Mobi⸗ 
liſierung der Werte und ſcheinbarer individueller Freiheit; auf der anderen 
Seite das Verlangen nach Bindungen wirtſchaftlicher Art, Kreditreſtriktion, 
Beibehaltung des Hoffußes uſw., bis herauf in die neueſte Zeit. Es geht z. B. 
aus der Geſchichte der bäuerlichen Verſchuldung in Bayern hervor, eine wie 
alte Verwurzelung die Probleme der Auseinanderſetzung zwiſchen Boden 
und Kapital haben. Zum mindeſten alſo ſeit der langſamen Auflöſung des 
kanoniſchen Zinsverbotes, etwa im 14. und 15. Jahrhundert, mußte um die 
Erhaltung eines Beſitzes in der Familie gekämpft werden. Es iſt aber auch 
gewagt, wenn angenommen würde, daß dem Bauern zu irgendeiner früheren 
Zeit, und ſei es auch nach der bajuvariſchen Landnahme, die Erhaltung ſeines 
Hofes durch die Allgemeinheit gewährleiſtet geweſen ſei; die früheſten Quellen 
laſſen ebenſolche Möglichkeiten, von Haus und Hof zu kommen, erkennen, wie 
die ſpäteren ſeit Ausbreitung des Geld- und Kreditweſens. Es waren 
ſtets eigenſte menſchliche Qualitäten die inneren Voraus- 
ſetzungen für die Erhaltung eines bäuerlichen Familien- 
beſitzes; ohne dieſe war auch die ſtrengſte Agrargeſetz- 
gebung nicht in der Lage, einen Bauern auf der Scholle zu 
halten. Später, im 18. Jahrhundert, war das Syſtem der Vererbung 
großer, geſchloſſener Höfe heftigen Angriffen ausgeſetzt, während unter Marie 
milian III. Joſef, dem letzten der altbayeriſchen Wittelsbacher, die notwen⸗ 


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Die bayerischen Stammhöfe 773 


digen Reformen mit einem großen Verſtändnis für die Weiterbildung des 
hiſtoriſch Gewachſenen durchgeführt wurden, ſchien mit dem ſpäteren Ein⸗ 
dringen halb gewerblicher Wirtſchaftsvorſtellungen auch in die Landwirtſchaft 
die Zertrümmerung der geſchloſſenen altbayeriſchen Höfe zum Paradeſtück der 
Agrarpolitik werden zu wollen. Wie die Anſätze dazu durch die Romantik 
der deutſchen Agrarpolitik unter Adam Müller wieder abgebogen wurden, 
führt uns in eine Zeit, die der heutigen Generation noch gegenwärtig iſt: die 
Ideenkämpfe der Brentanozeit, die heute unendlich ſchärfer und mit vermehr⸗ 
ten Fronten weiter ausgetragen werden. 

Die Zahl der eingetragenen Stammhöfe geht nunmehr hoch in das zweite 
Tauſend. Zufallsergebniſſe dürften ſchon bei einer ſolchen Zahl ausgeſchloſſen 
fein. Aber auch die Erfcheinung des Altbeſitzes ſelbſt iſt angeſichts einer ſolchen 
Zahl von Betrieben keine Zufallserſcheinung mehr. Es erhebt ſich hier ſofort 
die äußerſt ſchwer zu beantwortende Frage, wie groß der Prozentſatz des 
Stammbeſitzes überhaupt in der bayeriſchen Bauernſchaft ijt. Denn es iſt gue 
nächſt nur ein, wenn auch bedeutender, Bruchteil der bayeriſchen Bauernſchaft, 
der in den anerkennenden Verbänden organiſiert war. And ſelbſt in dieſem 
Teil geht erfahrungsgemäß die Kenntnis der eigenen Familiengeſchichte ſelten 
über den Argroßvater der jeweils lebenden Generation hinaus. Es helfen uns 
aber hier die wenigen ganz durchforſchten Orte weiter. Aberall, wo ein Ort 
durch die verdienſtliche Arbeit eines Ortsgeiſtlichen oder eines Gamilienfor- 
ſchers genau bearbeitet wurde, ſehen wir eine außerordentliche Verdichtung 
des Altbeſitzes, ſo daß hier oft ein Dutzend oder ſogar Dutzende von Altbeſitz⸗ 
fällen in einer Gemeinde nachgewieſen werden können. Dieſer Amſtand läßt 
den Schluß zu, daß der bisher anerkannte Altbeſitz wirklich 
nur ein geringer Bruchteil des wirklichen Altbeſitzes iſt. 
Die obere Streuungsgrenze wird kaum anders zu ziehen fein als durch die Aus⸗ 
ſage, daß ein Aberwiegen des Altbeſitzes über „walzende Höfe“ wohl nir⸗ 
gends anzunehmen iſt. Dies iſt alles, was ſich über den Anteil der Stamm⸗ 
höfe an der Geſamtlandwirtſchaft wird ausſagen laſſen. Jedenfalls aber iſt 
der Anteil erheblich größer, als bisher angenommen wurde, läßt ſich aber 
zahlenmäßig nicht faſſen. Allgemein geſehen iſt das maſſenhafte Auftreten des 
Altbeſitzes aber inſofern von der größten Bedeutung, als aus der indi⸗ 
viduellen Erſcheinung des einzelnen Stammgutes tatſäch⸗ 
lich und nicht nur als Phraſe der Begriff des Stammlan- 
des heraus wächſt. 

Fälle wie die obengenannten, bei denen in einzelnen Gemeinden eine 
außerordentliche Häufung des Altbeſitzes eintritt, müſſen naturgemäß Une 
regelmäßigkeiten im geographiſchen Verbreitungsbild des Altbeſitzes hervor⸗ 
rufen. Trotzdem iſt aber die Karte der Verbreitung von größtem Intereſſe. 
Als erſtes fällt die faſt vollſtändige Leere der Rheinpfalz auf. Die Kennzeich⸗ 
nung der Arſachen kann hier nicht beſſer erfolgen als mit einem Wort: „Code 
civil“. Doch ſcheint ſich auf den größeren Hofgütern ſeit Beginn des vorigen 
Jahrhunderts eine bäuerliche Tradition zu feſtigen. 

Auffallend iſt weiter eine gewiſſe Leere in Franken. Sie iſt in erſter Linie 
hiſtoriſch⸗politiſch begründet. Zur Kennzeichnung diene die Außerung einer 
1 Landwirtſchaftsſtelle: „Bei der geſchichtlichen Entwicklung des 

uernſtandes, der jahrhundertelang in völliger Hörigkeit den ..- Grafen und 
den .. Rittern unterworfen war, hat ſich irgendein bäuerliches Selbſtgefühl 


Agrarpolitik Heft 11, Bg. 2 


774 Heinz Konrad Haushofer 


niemals zu entwickeln vermocht, fo daß jede Tradition, jedes Standesbewußt⸗ 
— und damit auch jede Achtung und Ehrung vor überliefertem Befitz voll⸗ 

ändig unbekannte Dinge bleiben mußten. Die kurze Zeit von drei Genera- 
tionen, wo der Bauer frei ijt, hat nicht genügt, eine Löſung dieſer alten Bin⸗ 
dungen zu bewirken. Es iſt oe anzunehmen, daß im Laufe der kommenden 
Geſchlechter allmählich eine Anderung eintreten wird, und dann könnte es ſehr 
wohl möglich ſein, daß durch kluge Pflege des alten Erbtums eine gewiſſe 
Erziehung zum bäuerlichen Adel von Erfolg begleitet ſein kann.“ 

n der Oberpfalz fällt eine außerordentliche Verdichtung des Altbeſitzes 
auf. Dieſe iſt gleichfalls keine Zufälligkeit, ſondern iſt, wie aus den Berichten 
der betreffenden Landwirtſchaftsſtellen hervorgeht, in erſter Linie auf die ziel⸗ 
bewußte Koloniſationsarbeit der Klöſter, wie Speinshardt und Waldſaſſen, 
zurückzuführen. Von den Klöſtern wurden nur fähigſte Familien angeſiedelt, 
und die äußere und innere Verkehrslage der Höfe und das Verhältnis der 
Kulturarten zueinander zeugt noch heute von glänzender Siedlungstechnik. 
Geiſtig ſtehen die Altbeſitzfamilien meiſt über dem Durchſchnitt der Stiftländer. 

Die größte Dichte der Stammhöſe findet ſich endlich, wie nicht anders zu 
erwarten war, in Südbayern und am ausgeſprochenſten im Alpenvorland. Hier 
fällt namentlich der Chiemgau und der Iſarwinkel auf. Bemerkenswert iſt 
eine faft vollftändige Leere um München, Augsburg und Nürnberg. Wir er⸗ 
innern uns in dieſem Zuſammenhang daran, daß der engliſche Staatsmann 
Sir Samuel Pepys in ſeinen Memoiren im Jahre 1669 ſchrieb: „Die alte 
Regel ſei, eine Familie hielte ſich fünfzig Meilen von London hundert Jahre, 
hundert Meilen von London zweihundert Jahre, ferner oder näher von London 
mehr oder weniger Jahre.“ In einem ähnlichen Zuſammenhang ſteht auch die 
Leere in den Bezirken Garmiſch⸗Weilheim⸗Starnberg. Im Werdenfelſer 
Land uy die jahrhundertelange Handelſchaft mit der folgenden Erbteilung des 
Grundbeſitzes und endlich die modernſten Entwicklungen des Grundſtücks⸗ 
marktes dafür verantwortlich, teilweiſe auch in Weilheim und Starnberg. Es 
würde zu weit gehen, die Zuſammenhänge von Siedlungsſtruktur, Verkehrs⸗ 
lage, Altbeſitz und Volkstum darzuſtellen, die jedem Kenner der betreffenden 
Bezirke ohne weiteres geläufig find. Es ſoll nur an die beſonderen Qualitäten 
des Rekrutenerſatzes gerade dieſer Bezirke erinnert werden, in denen die 
Stammhöfe eine fo große Rolle ſpielen. Das beſondere Vorwiegen Alt⸗ 
bayerns zeigt ſich noch deutlicher bei der Eintragung der Altbeſitze nach dem 

heſten urkundlichen Nachweis der Familie auf dem Hof. Gerade in den 

hen Jahrhunderten, alſo im 15. und 16., wird das Zurücktreten Nord- 
bayerns, aber auch Schwabens, offenbar. Im 17. Jahrhundert erſcheint 
Schwaben ſtark neben den drei altbayerifchen Kreiſen, und im 18. Jahrhun- 
dert beginnen die drei fränfifchen Kreiſe in die altbayeriſche Größenordnung 
hineinzuwachſen. Gerade beim Zeitpunkt des früheſten Nachweiſes iſt natür⸗ 
lich zu berückſichtigen, daß die Familie ſchon erheblich länger auf dem Hof 
itzen kann, ehe ſie urkundlich erwähnt wird. Trotzdem iſt das Eintreten des 

Itbefißes in die Beurkundung in dieſer gewiſſen Reihenfolge: Altbayern, 
Schwaben, Franken, kein Zufall, ſondern eine Folge der politiſchen Entwicklung 
der betreffende Gebiete. Es zeigt ſich deutlich, daß die Erhaltung und Wohlfahrt 
des Bauernſtandes mit einer einheitlichen und kräftigen Herrſchaft, wie ſie in 
Altbayern gegenüber den übrigen zerſplitterten Herrſchaften vorhanden war, 
durchaus Hand in Hand geht, wobei geiſtliche Herrſchaſten, wie Kempten oder 


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Die bayerischen Stammhöfe 775 


die großen Stifte, in ihrer Auswirkung den Wittelsbachern etwa gleichzuſetzen 
find. Es beſtätigt ſich alſo das, was Brentano, diesmal zu Recht, in feiner 
Schrift „Warum herrſcht in Bayern bäuerlicher Grundbeſitz?“ feſtgeſtellt 
hatte. Die allgemeinen hiſtoriſchen Geſichtspunkte in der Frage des bäuer⸗ 
lichen Altbeſitzes find alſo die gleichen, die ſeinerzeit zu der bayeriſchen Agrar- 
enquete von 1894 geführt haben und die in den zahlreichen Denkſchriften 
dieſer Zeit ausführlich ausgewertet wurden. Die Frage des bäuerlichen Erb- 
rechtes ſchien lange Zeit zu ſchlafen. Es ſind aber genug Anhaltspunkte dafür 
vorhanden, daß ſie wieder brennend geworden iſt. Dabei wird der ganze 
Fragenkreis um die Stammhöfe äußerſt wertvolles Material liefern können. 

Im beſonderen iſt es eine Reihe von Fragen, die ſich bei der Bearbeitung 
der Stammhöfe ſofort erhebt, die teilweiſe auch in der Offentlichkeit geſtellt 
wurden und die unbedingt geklärt werden müſſen. Dieſe Fragen find die 
folgenden: 

1. Iſt zwiſchen den in 200jährigem Familienbeſitz anerkannten Betrieben 
und den durchſchnittlichen Betrieben ein Anterſchied in der land- 
wirtſchaftlichen Kultur feſtzuſtellen? (Beſonders: Beſteht ein Anter⸗ 
ſchied in den Erträgen, in der Betriebsorganiſation überhaupt? Nehmen die 
Betriebsleiter anerkannte Stellungen in der Landwirtſchaft ihres Bezirks ein? 
Beteiligen fie fi insbeſondere im Organiſationsweſen uſw.?) 2. Wenn ein 
Anterſchied gegenüber dem Durchſchnitt der Betriebe beſteht, a uf welche 
Gründe iſt er zurückzuführen? (Wirtſchaftliche Tüchtigkeit des Be⸗ 
Det ev. Vorbildung; günſtige Verkehrslage oder Abgelegenheit; beſondere 

egünftigung der Betriebe durch Arrondierung, Böden uſw.) 3. Erſcheint ſomit 
das Feſthalten des bäuerlichen Familienbeſitzes als eine hiſtoriſche 
Zufälligkeit, oder iſt ſie durch ſachliche und perſönliche 
Gründe bedingt? 4. Erſcheint der alte bäuerliche Familienbeſitz als 
ein Vorteil oder Nachteil für a) die betreffenden Befitzerfamilien 
(Lebensſtandard)? b) für den Stand der landwirtſchaftlichen Kultur der be- 
nn en e) für den Stand der landwirtſchaftlichen Kultur im 
ganzen Bez 

Es find dies die Fragen, welche einer Rundfrage bei den bayeriſchen Land» 
wirtſchaftsaußenſtellen zugrunde gelegt wurden. Die Nundfrage iſt mit Ob⸗ 
jektivität, aber auch mit Liebe zum Gegenſtand bearbeitet worden. Von einigen 
Landwirtſchaftsſtellen wurden die im Bezirk vorhandenen Stammhöfe einzeln 
durchanalpfiert, fo daß es ſich durchaus nicht um allgemeine ſtimmungsmäßige 
Eindrücke handelt. 

Großenteils gehören die Stammhöfe zu den beſten Be⸗ 
trieben des Bezirks, und zwar trotzdem irgendwelche Begünſtigungen 

egenüber anderen Betrieben im allgemeinen als weſentliche beſitzerhaltende 

mente nicht in Frage kommen. Sie liegen zum mindeſten über den Durch⸗ 
ſchnitt. Die Betriebe zeichnen ſich durch eine ſolide, durchdachte und aus⸗ 
geglichene Betriebsorganiſation aus. Es handelt ſich zum größten Teil um 
größere Höfe, in Altbayern mit einer Größe von an oder über 100 Tagwerke, 
meiſt mit a Waldbeſitz. An einer Landwirtſchaftsſtelle wurde an 
Hand der Betriebe der Schüler feſtgeſtellt, oe alle Betriebe mit 
größerem Wald beſitz ſich ſeit über 100 Jahren in den Fa⸗ 
milien befinden. (Dieſer Amſtand wirft ein bezeichnendes Licht auf 
alle die Verſuche, die Standortsfrage bei den einzelnen Kulturarten mechaniſch 


2 


776 Heinz Konrad Haushofer 


und ohne Rüdficht auf den Einzelbetrieb zu löſen!) Wo es die klimatiſchen 
Verhältniſſe geſtatten, herrſcht gemiſchte Wirtſchaft vor; eine irgendwie 
ſpezialiſierte Wirtſchaft iſt äußerſt ſelten, Konjunkturwirtſchaft wird nicht 
getrieben. Zu der ſehr ſoliden und ruhigen Wirtſchaftsführung kommt vielfach 
ein oft ausgeſprochen zurückgezogenes Leben. Wenn auch oft zahlreiche Ehren⸗ 
ämter im landwirtſchaftlichen Organiſationsweſen auf den Altbefitzer fallen, 
iſt er doch weit entfernt von jeder Organiſationsmeierei. Viele ſind ausge⸗ 
ſprochene Einzelgänger, Sparſamkeit und einfache bäuerliche Lebenshaltung 
ſind ſehr ausgeprägt. Betriebswirtſchaftlich werden alle dieſe Eigenſchaften 
folgendermaßen von einer unterfränkiſchen Landwirtſchaftsſtelle beurteilt: 
„Die ruhige und beſonnene Art, in der die Inhaber Wirtſchaftskriſen über⸗ 
dauern, neue landwirtſchaftliche Erkenntniſſe beurteilen und im Einklang mit 
dem Betriebskapital auswerten, ohne dauernden Amſtellungen oder der Sucht 
nach Höchſterträgen zu verfallen, ſind geradezu vorbildlich für den Durchſchnitt 
der landwirtſchaftlichen Betriebe.“ | 

Die Frucht diefer Art von Wirtſchaftsführung ift die faft allgemein feft- 
geſtellte geringere Verſchuldung oder Schuldenfreiheit. Soweit Schulden vor⸗ 
handen find, find fie in den allermeiſten Fällen auf Geſchwiſteraus zahlungen 
zurückzuführen, oder auf feſtſtellbares Anglück im Stall und dgl., faſt niemals 
auf das Aufrechterhalten einer Lebenshaltung, die mit dem geſchwundenen 
Einkommen nicht im Verhältnis ſteht. Im allgemeinen iſt der perſönliche 
Lebensſtandard nicht höher als der der anderen Betriebe. Die VBildungsfähig⸗ 
keit wird als meiſt ſehr günſtig bezeichnet. Die Durchprüfung der Leiſtungen 
der Söhne der Altbeſitzer auf einzelnen Landwirtſchaftsſchulen ergab durch⸗ 
weg überdurchſchnittliche Leiſtungen. Der Beſuch der Landwirtſchaftsſchulen 
durch die Söhne der Altbeſitzer iſt gleichfalls ein weitaus überdurchſchnitt. 
licher. Von einigen Landwirtſchaftsſtellen werden die Familien der Altbeſitzer 
„förmlich als beſonderer Raſſetyp“ gekennzeichnet. Die Nachteile 
der Wirtſchaftsgeſinnung werden jedoch nicht verſchwiegen: Eine ausgeprägte 
Abneigung gegen gewagtere Amſtellungen und Unterneb- 
mungen, ſoweit ſie einen ſpekulativen Charakter haben. 
Unter anderem wird berichtet: „Doch beſtätigen unſere Fälle die alte Erfah⸗ 
rung, daß rühriger und namentlich an die vom Fortſchritt in der Landwirt⸗ 
ſchaft gebrachten Neuerungen anpaſſungsfähiger die Beſitzer ſind, die ſich nicht 
ins warme Neſt ſetzen können, ſondern ſich ihr Neſt erſt bauen müſſen.“ Es 
wird auch, beſonders aus Schwaben, der Vermutung Ausdruck gegeben, daß 
einem tüchtigen Wirtſchafter das Tätigkeitsfeld auf dem ererbten Hof eher zu 
eng werde. Das geringere Bedürfnis nach Weiterentwicklung wird als aus⸗ 
geſprochener Nachteil angegeben. Alles in allem macht ſich alſo auch die größere 
Tüchtigkeit nicht immer in beſſerer Technik bemerkbar. Wenn die Art der 
Betriebsführung alſo auch im allgemeinen vorbildlich iſt, iſt ſie es nicht ohne 
weiteres, was den techniſchen Fortſchritt anbetrifft. 

Setzt man die ſämtlichen berichteten Züge zuſammen, ſo erhält man ein 
ziemlich einheitliches Bild vom Wirtſchaftstyp des baye- 
riſchen Altbeſitzes. Die Frage nach dem Vorteil oder Nachteil des 
Altbeſitzes für die Beſitzerſamilie, für den Betrieb und die Nachbarſchaft ijt 
von einigen Landwirtſchaftsſtellen negativ beantwortet worden. Doch hat ſich 
bei einer Nachprüfung dieſer Antworten ergeben, daß ſie faſt durchweg aus 
Bezirken ſtammen, in denen nur ganz wenige Altbeſitzfälle vorhanden ſind. 


Die bayerischen Stammhöfe 777 


Ebenſo wurde die Erhaltung des Altbefiges nur in denjenigen Bezirken als 
90 Zufälligkeit bezeichnet, in denen nur ganz wenige ſolcher Betriebe 
find. Aberall da, wo eine größere Anzahl von Stammhöfen eine eingehendere 
Aberprüfung zuließ, wurde feſtgeſtellt, daß eine hiſtoriſche Zufälligkeit als 
Grund der Erhaltung des Hofes in der Familie in allerletzter Linie in Frage 
komme. Vererbte perſönliche Tüchtigkeit und gute Erziehung wurden als die 
letzten Arſachen der Erhaltung bezeichnet. Außere Gründe kommen inſofern 
dazu, als in vielen Gegenden die Mehrzahl der Stammhöfe entweder Einzel- 
böfe find oder in Weilern liegen, daß die Verkehrslage erheblich ſchlechter iſt 
als gewöhnlich, daß die Gründe arrondiert ſind, oder daß die alten Höfe des 
Dorfkerns heute noch über die beſten Gründe aus der erſten Beſiedlung ver⸗ 
fügen. Während im allgemeinen die günſtigen charakterlichen Eigenfchaften 
dieſer Anſätze zu einer bäuerlichen Ariſtokratie hervorgehoben werden, werden 
aber die Kehrſeiten auch hier nicht verſchwiegen. Beſonders durch Verwandt⸗ 
ſchaftsheiraten erſcheinen mancherorts förmlich Degenerationserſcheinungen. 
Wie ja überhaupt eine gewiſſe indirekte Folge des beſitzerhaltenden Denkens 
das Aberwiegen ausgeſprochener Verſtandesheiraten iſt, durch die eine gewiſſe 
Kapitalauffriſchung vorgenommen wird, oder womöglich der Hoferbe ſchon vor 
der Hochzeit ſichergeſtellt wird. 

Im großen ganzen aber ſcheint das Erhalten des Beſitzes zweifellos einen 
Vorteil für die Beſitzerfamilie zu enthalten, wenn andererſeits auch auf 
manche Gewinnmöglichkeit oder auch Bequemlichkeit im Intereſſe der oben 
geſchilderten Betriebsführung verzichtet werden muß. Für den Betrieb ſelbſt 
erſcheint die jahrhundertlange 55 der Familie gleichfalls als Vor⸗ 
teil, wenn auch auf manche Neuerung Verzicht geleiſtet werden muß. Denn 
der Verluſt an Erſahrungen beim Beſitzwechſel, der gleichzeitig auch ſtets 
einen Verluſt an Kapital bedeutet, iſt bei weitem größer als die Nachteile 
einer etwas veralteten Technik. Von den Landwirtſchaftsſtellen wurde der 
Vorteil für den Betrieb vielfach nur als bedingt angegeben. Vom Standpunkt 
der reinen Agrartechnik aus geſehen, mag dies auch ohne weiteres zutreffen. 
Aber wir haben in den letzten Jahren deutlich genug demonſtriert bekommen, 
daß agrarpolitiſch ebenſo wie betriebswirtſchaftlich im bäuerlichen Betrieb ein 
gewiſſes Maßhalten in der Technik und ein geringerer Einſatz von fremdem 
Kapital dem umgekehrten Vorgang bei weitem vorzuziehen iſt. Denn es darf 
ja nicht vergeſſen werden, daß für eine bäuerliche Agrarpolitik größtmögliche 
Produktion vom privatwirtſchaftlichen ebenſo wie vom volkswirtſchaftlichen 
Standpunkt noch lange nicht unbedingtes Ziel iſt, ſondern daß die Erhaltung 
des Familienbetrieborganismus, auch evtl. auf Koſten der Produktionsſpitzen, 
wenn dies e richtig iſt, weit wichtiger iſt. In dem Augen⸗ 
blick, in welchem z. B. bei einer dauernd rückläufigen Bevölkerungsbewegung 
mit ſchrumpfenden Märkten gerechnet werden müßte, würde dieſer Geſichts⸗ 
punkt von eminenteſter Bedeutung. Der Vorteil für die Nachbarſchaft bzw. 
die Landwirtſchaft des Bezirks wird teilweiſe gleichfalls als bedingt angegeben. 
Bedingt, ſoweit es ſich um das rein Techniſche handelt, unbedingt, ſoweit der 
beiſpielgebende Einfluß einer geſchloſſenen Familie, einer unerſchütterlichen 
Tradition von Rechtlichkeit, Arbeitſamkeit und Verläſſigkeit in Frage kommt. 
Alles in allem iſt alſo die Rolle des bäuerlichen Altbeſitzes in 
Bayern auch in der augenblicklichen Wirtſchaftslage als 
durchaus poſitiv zu bewerten, beſonders nachdem gerade die Land⸗ 


778 Heinz Konrad Haushofer 


wirtſchaftsſtellen bei der oben genannten Grageftellung zu einer unvorein- 
genommenen Stellungnahme geradezu prädeſtiniert waren. 

Zur Ergänzung der Berichte der Landwirtſchaftsſtellen wurde an die be⸗ 
arbeiteten Betriebe ein Fragebogen geſchickt, mit welchem Betriebsweiſe und 
größe, innere und äußere Verkehrslage, Familiengefüge und Weitervererbung 
erhoben werden. 

Aus der Beantwortung des Fragebogens ergibt ſich im weſentlichen eine 
Beſtätigung der Berichte der Landwirtſchaftsſtellen. Aus den Zahlen über 
die Stärke der Familien wird ſich ein außerordentlich hoher Durchſchnitt der 
Geſamtmenſchenzahl je Hof ergeben, außerdem auch unter dieſen ein fehr 
hoher Prozentſatz von Familienangehörigen. Die Bedeutung der Familien- 
wirtſchaft für die Erhaltung des bäuerlichen Befiges ſpringt faft aus jedem 
Fragebogen in die Augen. Die Frage nach einem vorhandenen Hoferben 
konnte im allgemeinen bejahend beantwortet werden. Ein ſehr hoher Prozent- 
ſatz der Erben hat, ſoweit ſie das entſprechende Alter erreicht hatten, eine 
Landwirtſchaftsſchule beſucht. Hinſichtlich der Berufe abgefundener Geſchwiſter 
ergibt ſich, daß die weitaus größte Mehrzahl der weichenden Geſchwiſter in 
der Landwirtſchaft geblieben iſt. In den übrigen Fällen iſt eine Verprole⸗ 
tariſierung nur in geringem Prozentſatz feſtzuſtellen. Die Spanne der ane 
gegebenen Berufe umfaßt neben hohen Staatsſtellen, Lehrern und Pfarrern, 
hauptſächlich Handwerker und Beamte des unteren Dienſtes. 

Alles in allem ließe ſich aus der Bearbeitung des bayeriſchen Altbeſitzes 
für jeden Landwirt ein kurzer Katechismus zuſammenſtellen über das Thema: 
„Wie kann ſich meine Familie, zwar ohne jemals reich zu werden, aber in 
Ehren und Sicherheit durch die europäiſche Kulturgeſchichte hindurch erhal⸗ 
ten?“ Wir haben zwar natürlich keinen urkundlichen Nachweis dafür, daß 
die eine oder andere Familie auf ihrem Hof bis zur bajuvariſchen Landnahme 
zurückzuführen wäre. Wohl aber haben wir den Nachweis, den Profeſſor 
Ranke erbracht hat, daß die Beſitzverhältniſſe in Oberbayern teilweiſe ſeit 
der Zeit nach der Beſitzergreifung unverändert geblieben find, und es be⸗ 
ſtehen keine Bedenken dagegen, anzunehmen, daß es auch die erſten Beſitzer⸗ 
familien ſind, die in die beurkundete Zeit heraufreichen. Das von Nanke auf⸗ 
geſtellte leitende Prinzip der bayeriſchen VGefiedlung beſagt: Ein Hof ſollte 
für die Ernährung der Familie eines freien Mannes ausreichen und mit 
der in dieſer Familie ſamt ihren Dienſtboten zur Verfügung ſtehenden Ar⸗ 
beitskraft bewirtſchaſtet fein. Hier leuchtet auf einmal die fo heiß⸗ 
umſtrittene Frage der optimalen Betriebsgröße auch für 
unſere Zeit auf: Dieſe Frage iſt verſucht worden, von ſeiten der Buchfüh⸗ 
rung zu beantworten; man kann dieſer Frage aber auch hiſtoriſch von der 
Seite des bäuerlichen Altbeſitzes aus beikommen. Wenn man ſich zunächſt vor⸗ 
ſtellt, welche Schickſalsſchläge und wirtſchaftlichen Verſuchungen im Laufe 
der Zeit an einem Stammhof vorübergegangen find; und wenn man dann 
feſtſtellt, daß in jedem Wirtfchaftsgebiet gerade eine beſtimmte Größenklaſſe 
behauptet werden konnte, fo find wir der Feſtſtellung eines Betriebsgrößen⸗ 
optimums ſehr nahe. Wir ſind uns aber auch andererſeits darüber klar, daß 
es undenkbar iſt, ausſchließlich Stammgüter haben zu wollen. Wie es bereits 
an anderer Stelle ausgedrückt worden iſt: „Als Ideal der Beſitzverteilung 
galt und ſollte auch heute gelten: Es muß eine lückenloſe Stufenleiter von 
Beſitzgrößen vorhanden ſein, die der Befähigung der Bauernfamilien das 


Die bayerischen Stammhöfe 779 


Heraufarbeiten zu Wohlſtand, wenn nicht in einem, fo doch in mehreren Gee 
ſchlechtern ermöglicht; andererſeits muß bei einem gewiſſen erreichten Größen⸗ 
optimum die Gewähr für ein tüchtiges Geſchlecht gegeben ſein, ſich Jahr 
derte auf dem Hofe halten zu können.“ 

Die Stammhöfe ftellen aber noch einen weiteren agrarpolitiſchen Anſatz⸗ 
punkt dar: den Bauernſtand bilden nicht die zufälligen jeweiligen Cingel- 
individuen, die Landwirtſchaft treiben, ſondern für einen Stand wefentlich 
iſt die 5 von Beſitz und Erfahrung, das heißt, materieller und geiſti⸗ 
ger Tradition. Die Grundlage unſerer agrarpolitiſchen Schule iſt die Aufe 
faſſung des Bauernbetriebs als eines Organismus, der durch jahrhundert⸗ 
lange Selektion entſtanden iff. Die Kontinuität dieſer Selektion war aber 
nur möglich durch das Vorhandenſein eines Standes, der dieſe Entwicklung 
trug. Die Verpflichtung aber, den empiriſchen, hiſtoriſch gewordenen Bauern- 
betrieb durch eine geeignete Agrarpolitik zu erhalten und damit die Fortdauer 
des organiſchen Selektionsprozeſſes zu gewährleiſten, hört in dem Augenblick 
auf, in welchem kein tragender Bauernſtand mehr vorhanden iſt, ſondern nur 
der einzelne Landwirt! And in dieſem Lichte geſehen, gewinnt die Durch⸗ 
leuchtung des Altbeſitzes allerhöchſte Bedeutung. Denn hier kann der 

chlüſſige Nachweis geführt werden, inwieweit noch ein 
auernſtand vorhanden iſt. 

Daß er in Bayern noch da iſt, davon konnten die vorliegenden Tatſachen 
überzeugen, und gerade die nicht verſchwiegenen Schattenſeiten dieſer ſtändi⸗ 
ſchen Bindung haben dieſe Aberzeugung gefeſtigt. 

Wenn aber heute von ſtändiſcher Erneuerung geſprochen wird, ſo kann 
dazu vom Standpunkt der bayeriſchen Stammhöfe aus nur geſagt werden: 
hic Rhodus, hic saltal Aber die ſozialen Pflichten des Grund- 
beſitzes beſteht allgemeine Abereinſtimmung. Anderer⸗ 
ſeits iſt es aber klar, erf dieſe Pflichten nur durch prak- 
tiſche Bindungen innerhalb des Volkskörpers aktiviert 
werden können. Hier ſind die Stammhöfe ein Anſatzpunkt und Eckſtein 
für die agrarpolitiſche Theorie ebenſo wie für die kommende Praxis. Als 
erſtes ergeben ſich folgende Schlußfolgerungen: 


Die Anerkennung als Stammhof kann auf die Dauer 
unmöglich freien Organiſationen vorbehalten bleiben, 
das heißt, von einer Mitgliedſchaft abhängig ſein. Sie iſt Sache des 
Staates oder des Berufsſtandes. 

Das Anerkennungsweſen für die Stammhöfe bedarf einer einheit ⸗ 
lichen Regelung für das ganze Reich. 

Nur der Staat oder der Berufsſtand kann die gewal- 
tige menſchliche Leiſtung des Altbeſitzes in der Geſchichte 
entſprechend anerkennen, fet es nun im Rahmen eines Agrar⸗ 
rechtes oder durch beſondere Pflege. 


Manfred von Knobelsdorff: 


Die neuen Aufgaben des v. Knobelsdorffſchen Geſchlechts 
im völkiſchen Staatsleben 


(Zum 16. Geſchlechtstag 1933) 


Redaktionelle Vorbemerkung. Ein Zufall machte 
uns mit einem Antrag bekannt, den ein Mitglied des v. Rnobels- 
dorffſchen Geſchlechts zum Familientag einbringt. Wir bringen den 
Antrag, ohne zu ſeinen Einzelheiten Stellung zu nehmen oder uns 
mit ihm in allen Punkten gleichzuſetzen, deshalb, weil es ein ent⸗ 
ſprechender Beweis dafür iſt, wie mächtig der revolutionäre Ge- 
danke von Blut und Boden Raum gewinnt und ſich durchzuſetzen 
beginnt. Beſonders wichtig und wertvoll ſind die Stellen, die den 
Zuſammenhang von der Lebensdauer der Familien und ihre Ver- 
wurzelung aufzeigen. 


Heinrich v. Sybel prägte einmal die Worte, daß eine Nation, welche den 
lebendigen Zuſammenhang mit ihrem Arſprung verloren habe, ſo ſicher dem 
Verdorren nahe wäre, wie ein Baum, den man von ſeinen Wurzeln getrennt 
habe. Wenn wir anſtatt des Wortes „Nation“ das Wort „Geſchlecht“ ſetzen, 
ſo treffen dieſe Worte Heinrich v. Sybels auf das Knobelsdorffſche Geſchlecht 
zu, weil ſich dieſes durch eine zwangsläufige Entwicklung immer mehr von 
ſeinem Arſprung entfernt hat, und weil es ſeine Stammeswurzeln nicht mehr 
in der deutſchen Muttererde verankert ſieht. 

Wir haben den heiligen Boden der Vorväter verloren. Gerade die ſtarke 
Bodenverbundenheit, das rein Bäuerliche unſeres Geſchlechts war die ewig 
unverſiegbare Quelle unſerer Kraft. Dieſe Kraft gab den Geſchlechtern den 
Ewigkeitsbegriff. Die gewaltige Natur, welche die Vorväter umgab, zwang 
ſie zur äußerſten Anſpannung im Lebenskampf. So bildete Blut und 
Boden ein für immer untrennbares Ganzes. Die gewonnene Ackernahrung 
diente dazu, der Familie und dem dazugehörigen Gefinde die Ernährungs- 
grundlage zu geben. 

Schon im 17. Jahrhundert begann die allmähliche Entwurzelung unſeres 
Geſchlechts, welche im liberaliſtiſchen Zeitalter des 19. Jahrhunderts er⸗ 
ſchreckende Formen annahm. Zwar konnten noch verſchiedene agrarpolitiſche 
Maßnahmen der preußiſchen Könige dieſer Landverminderung Einhalt ge⸗ 
bieten, aber der Enterbungsprozeß ließ ſich nicht mehr aufhalten. Der Begriff, 
daß der Boden zur Geſchlechtererhaltung nötig wäre, wich immer mehr einer 
rein wirtſchaftlich kapitaliſtiſchen Denkungsweiſe, welche in erſter Linie auf 
die Ausnutzung des Ackers gerichtet war. Bei dieſem Ringen war in den 

meiſten Fällen das jüdiſche Leihkapital der Gewinner. 
Wie ſieht es aber nun heute um das v. Knobelsdorffſche Geſchlecht aus? 
Zwar haben wir noch einen Geſchlechtsverband mit verſchiedenen Satzungen, 


Die neuen Aufgaben des v. Knobelsdorffschen Geschlechts 781 


der die einzelnen Mitglieder loſe zuſammenhält. Wir haben auch einige Fa⸗ 
milieneinrichtungen. Es gibt einen Familienrat, der aus drei Männern be⸗ 
ſteht: dem Oberhauptmann, dem Obmann oder Hiſtoriographen, und deren 
Stellvertreter: dem Hauptmann, Kuſtos und dem Anterſchatzmeiſter, alſo ein 
Sechsmännerkollegium. Es gibt auch einige ſonſtige Maßnahmen, denen man 
namentlich bei der üblichen gedanklichen Einſtellung des Liberalismus, welcher 
den Begriff des Führertums und das Traditionelle treffen wollte, die An⸗ 
erkennung nicht verſagen ſoll, aber niemand wird abſtreiten können, daß der 
gemeinſame Bluts gedanke, wie ihn die Arväter einſt beſaßen, verloren- 
gegangen iſt. Dit Mitglieder tragen nur noch äußerlich den gleichen Namen, 
aber blutsmäßig bedingt kennen ſie die Einheit nicht mehr. Sie fühlen ſich 
als Vetter und Baſen verſchiedener Linien, verſchiedener Häuſer mit verſchie⸗ 
denen Intereſſen, verſchiedenen Aufgaben und Zielen. Das mag hart ſein, 
auszusprechen, iſt aber wahr. Wieviel Anglück, Not und Elend unſeres Ge- 
ſchlechts wäre verhindert worden, wenn niemals dieſer gemeinſame Bluts⸗ 
gedanke eingeſchlafen wäre! Wieviel bäuerlicher Grundbeſitz wäre nicht aus 
+ geil gekommen, wenn man immer zuerſt an das Geſchlecht gedacht 
tte 

Gegenüber dem 17. Jahrhundert — wenn wir zunächſt einmal dieſes Jahr⸗ 
hundert zum Vergleich heranziehen — war der Rückgang des bäuerlichen 
Eigenbeſitzes ungeheuerlich. Die ſchleſiſchen Linien mit den Häuſern Schloin⸗ 
Buchelsdorf⸗Zeisdorf, den Häuſern Altgabel und Ober⸗Poppſchütz beſitzen 
heute keinen Morgen Land mehr. Sie ſind völlig bodenlos. Man muß ſich 
hierbei nur einmal die Tatſache vergegenwärtigen, daß ein Mann, nämlich 
Johann Tobias Frhr. v. Knobelsdorff aus dem Hauſe Hirſchfelde⸗Herwigs⸗ 
dorf, geboren 1648 im ehemaligen Fürſtentum Sagan, 18 Güter beſaß, um 
die Not zu erkennen. Der letzte Grund und Boden aus diefen Linien wurde 
nach dem Tode des kinderloſen Prott von deſſen älterem Bruder Ernſt Frhr. 
v. Knobelsdorff 1922 an den Frhrn. v. Blomberg verkauft. 

Bei den brandenburgiſchen Linien ſteht es hinſichtlich des Eigenbeſitzes nur 
in etwas beſſer. Allein die v. Knobelsdorff⸗Brenkenhoff können ſich noch rüh⸗ 
men, Grundbeſitz ihr eigen nennen zu dürfen, aber auch deren Beſitz iſt ſtark 
zuſammengeſchrumpft. Mansfelde, ein altes Erbgut, mußte vor kurzem unter 
dem Druck der wirtſchaftlichen Lage an eine Siedlungsgenoſſenſchaft verkauft 
werden. Heute beſitzen die v. Knobelsdorff⸗Brenkenhoff nur noch die Häuſer 
Rauden und Schmelzdorf ſowie das Gut Pehlitz in der Neumark. 

Die oſtpreußiſchen Linien, deren Stammväter einſt in der Ordensritterzeit 
vom Deutſchen Orden für ihre dieſem geleiſteten Solddienſte mit Land 
abgefunden wurden, hatten ganz beſonders unter der Bedrängnis zu 
leiden. Hier rächte ſich bei den Enkeln die Entwurzelung ſo ſtark, daß 
ſie geradezu ein Muſterbeiſpiel dafür wurde, welche Folgen eine ſolche 
Entwicklung für ein urſprünglich bodenſtändiges Geſchlecht nehmen kann. 
Beſonders die Häuſer Sauerbaum und Groß⸗Kleeberg bei Seeburg und Allen⸗ 
ſtein wurden durch ſtändige Aufteilung der ererbten Bauernhöfe in ſoundſo 
viele Anteile unter den Geſchwiſtern durch Eingriffe der Geiſtlichkeit und 
durch falſche Wirtſchaftsmaßnahmen der verfloſſenen Regierungen ſchwer ge⸗ 
troffen. Die aus Oſtpreußen weichenden, total verarmten Bauernſöhne zogen 
nun ab in die im Weſten aufblühenden Induſtrieſtädte, wo fie ſich, um eine 
Ernährungsgrundlage zu ſuchen, im Proletariat der Großſtädte verloren. 


782 Manfred von Knobelsdorff 


Wie weit mußte 175 alſo unſer Geſchlecht vom eigentlichen Adelsbegriff 
in germanifdem Sinne entfernen. Der Adelsbegriff verband ſich ja 
gerade mit dem Eigentumsbegriff von Grund und Boden, denn Adel t 
nichts weiter als die, welche auf ihrem Erbgut ſaßen. Statt Adel gebrauchte 
man auch das Wort Odel, althochdeutſch: Aodal, welches in dem Worte Odel 
Vater, d. h. das vom Vater ererbte Stammgut, enthalten war. Blut und 
Boden waren eben beim Adelsbegriff nicht voneinander zu trennen. 

Mit dieſer grauenhaften Entwurzelung hielt der Geburtenrückgang Schritt. 
Ein ehemals nordiſch⸗germaniſches Geſchlecht, welches in der Scholle ver⸗ 
ankert war, mußte in den Städten allmählich entarten und entnorden. Man 
bedenke doch, daß noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts das deutſche Volk ein 
Bauernvolk war, welches ohne Gefahr für ſich ſelbſt Menſchen an fremde 
Länder abgeben konnte. So konnten auch Auswanderungen einzelner Mit⸗ 
glieder unter dem Druck bäuerlichen Notſtandes nach Nordamerika, Holland 
und Rußland den Geſamtbeſtand des Geſchlechtes nicht ſchwächen. 

Dieſer Geburtenſchwund fällt bei unſerem Geſchlecht ſofort ins Auge, wenn 
wir uns einmal in die umfangreichen Stammtafeln der vorigen Jahrhunderte 
vertiefen. Wenn bei den Vorvätern vier Kinder die Regel waren, zehn Kin⸗ 
der aber durchaus keine Seltenheit, ſo haben die heute durch Raum und Not 
bedrängten v. Knobelsdorffs gewöhnlich 055 mehr als höchſtens zwei Kinder. 
Ja manche Ehen find ſogar kinderlos. „Eine Ehe ohne Kinder iſt wie eine 
taube Ahre“, ſagte der germaniſche Bauer. 

Zwar hat ſich die Zahl der v. Knobelsdorffs ſcheinbar gegenüber dem ver- 
floſſenen Jahrhundert gehalten: 


Ende 1883 wurden 259 Stammes- und Geſchlechtsgenoſſen gezählt, davon 
98 männlich und 161 weiblich, 
Ende 1900 lebten 254 Stammesgenoſſen, davon männlich 97, weiblich 157, 
Ende 1913, alſo kurz vor Ausbruch des Krieges, 270 Mitglieder, davon 
104 männlich und 166 weiblich, 
Ende 1928 ige 105 „ 254 Mitglieder, davon 88 männlich und 
66 weibli 


Rein geburtenmäßig hat ſich alſo der Rückgang gegenüber dem Jahre 1883 
nicht ſo vollzogen, wie es auf Grund des Aderlaſſes im Weltkriege angenom⸗ 
men werden könnte. Ein Beweis für die Richtigkeit der Darreichen Auf ⸗ 
faſſung (ſiehe „Das Bauerntum als Lebensquell der Nordiſchen Raffe”, 
S. 466), daß der Antergang eines Adels nicht auf eine Entnordung durch 
Kriege zurückgeführt werden kann und daß der Adel ſich auch nicht durch Kämpfe 
aufgerieben habe. Im Weltkriege 1914 — 1918 fielen 16 v. Knobelsdorffs. 

Jedoch iſt der zahlenmäßige Nückgang gegenüber den früheren Jahrhun⸗ 
derten auffallend groß. Auch kann die heutige Zahl nicht darüber hinweg⸗ 
täuſchen, daß die Sterblichkeitsziffer geringer iſt, d. h. die einzelnen Mit⸗ 
glieder des Geſchlechts ſind an Lebensjahren älter als früher. Wenn wir da⸗ 
gegen z. B. die für eine Neubildung von Familien zukünftige Generation der 
ſchleſiſchen v. Knobelsdorffs heranziehen, ſo müſſen wir erſchüttert feſtſtellen, 
daß ſie nur noch aus 7 Söhnen und 5 Töchtern beſtehen. Das bedeutet 
gegen die Zahl aus dem Jahre 1883 bei demſelben Lebensalter einen Verluſt 
von nahezu 50 %. Auch hat die kleine Zeitſpanne allein genügt, um den oſt⸗ 
preußiſchen v. Knobelsdorffs einen weiteren Geburtenſchwund zu bringen. 


Die neuen Aufgaben des v. Knobelsdorffschen Geschlechts 783 


Zählten dieſe damals 18 Söhne und 18 Töchter, fo beſitzen fie heute nur noch 
12 Söhne und 9 Töchter. Am beſten haben ſich die brandenburgiſchen Linien, 
beſonders die v. Knobelsdorff⸗Brenkenhoff, gehalten, welche trotz der Blut⸗ 
verluſte des Krieges die Zahl ihrer Söhne und Töchter nicht nur behaupten, 
ſondern ſogar erhöhen konnten. Jedoch bleibt dieſe 1928 mit 13 Söhnen und 
18 Töchtern weit hinter den Zahlen der früheren Jahrhunderte zurück. Immer⸗ 
hin iſt dieſes Verhältnis der v. Knobelsdorff⸗Brenkenhoff ein Beweis dafür, 
daß, je mehr Grundbeſitz ſich in einer Familie befindet, deſto größer auch die 
Kinderzahl ſein muß. Auffallend bleibt die eigenartige Verhältniszahl von 
Söhnen und Töchtern. 

Das v. Knobelsdorffſche Geſchlecht, deſſen urkundliches Erwähnen mit der 
Kirche in Knobelsdorf bei Saalfeld 1181 beginnt, hat nahezu ein Jahrtauſend 
feiner Lebensdauer vollendet. Das iſt, wenn man die ungeheuren Lebens- 
kämpfe des deutſchen Volkes betrachtet, immerhin eine Tat, denn wieviele 
Familien ſind in ihrem Mannesſtamm erloſchen! Anſere Aufgabe iſt es aber 
nun, auch dafür zu ſorgen, daß dieſes Geſchlecht, dem wir angehören, ein 
weiteres Jahrtauſend leben kann. 

Ein großes völkiſches Reich iſt im Entſtehen begriffen. Der Baumeiſter 
dieſes Staates iſt Adolf Hitler. In einem ſolchen Reiche wird der Boden 
nicht mehr Spekulationsobjekt ſein, und die Geſchlechter, wenn ſie ein hohes 
völkiſches Endziel verfolgen, werden nicht mehr durch die Machenſchaften 
gewiſſenloſer Einzelner entwurzelt werden können. Der Bauer wird die Säule 
diefes völkiſchen Staates ſein. Es wird aber auch ein neuer Adel entſtehen, 
denn kein völkiſcher Staat kann auf die Dauer ohne einen Adel ſein. Dieſer 
neue Adel wird ſich aber nicht allein auf den alten Geburtsadel ſtützen. Er 
wird ſogar, wenn dieſer alte Adel die neuen Flammenzeichen nicht erkennen 
will, über ihn hinweg eines Tages zar Neuordnung gehen. 

Der Adelsbegriff verbindet ſich auch ausſchließlich mit dem Leiſtungsprinzip. 
Im neuen Staat wird man nicht fragen: „Ward ihr von geſtern, ſondern was 
ſeid ihr von heute? Die Geburt entſcheidet nicht mehr wie in der alten 
Standesherrſchaft. Niemand wird aber verkennen, daß ſich in einem ſo alten 
Geſchlecht, wo ſich der Gedanke von Pflug und Schwert erhalten hat, wie in 
dem unſrigen, auch eine gute Erbmaſſe angeſammelt hat, welche dem völkiſchen 
Staate hervorragende Männer ſchenken könnte. Wir haben bereits dem preu⸗ 
ßiſchen Staate eine Reihe tüchtiger Männer geſchenkt, aber dieſe Tatſache 
darf die Nachkommen nicht dazu führen, ſich nur in der Vergangenheit ſonnen 
zu wollen. Im Gegenteil, unſere Aufgabe muß es jetzt ſein, bei der Einrich⸗ 
tung des neuen völkiſchen Staates aktiv mitzuarbeiten und alle kleinlichen 
Meinungsverſchiedenheiten zurückzuſtellen. 

Wir miiffen das Hochfreie unſeres germaniſchen Bauerntums wieder in 
uns erwecken. Gerade weil in unſerer Familie ſich der Induſtriearbeiter mit 
dem Offizier, der Bauer mit dem Politiker zuſammenfindet, verwiſchen ſich 
bei uns ſchon äußerlich die Standesvorurteile, welche die Einheit des deutſchen 
Volkes zerriſſen hatten. Wir müſſen aber auch den Geſchlechtergedanken wie⸗ 
der aufleben laſſen. Jeder von uns iſt ja nur ein Glied in der langen Kette 
ſeiner Generation. Wir können aber auch nur weiterleben, wenn wir den 
Eigennutz in uns töten. Gemeinnutz geht immer vor Eigennutz. 

Anſere neuen Aufgaben erſtrecken ſich auf Jahrhunderte, denn das neu auf⸗ 
zubauende Dritte Reich wird länger wie das ſtolze Reich der Römer und 


784 Manfred von Knobelsdorff 


Griechen, länger wie das Reich der Hobenftaufen und Hohenzollern dauern 
. wenn wir es endlich begreifen, eine neues Menſchengeſchlecht heran⸗ 
zubilden. 

Ein junges, tatenfrohes, kämpferiſches Bauerngeſchlecht möge ſich in den 
Anfängen eines ſolchen Staates entwickeln. Wir find ein altes Koloniſations⸗ 
geſchlecht. Wenn ich je etwas Großes in unſerer Familiengeſchichte vor meinem 
geiftigen Auge fab, dann war es immer und immer wieder jener gewaltige 

ufbruch der Ahnen in ihren Wanderungen des 12. und 13. Jahrhunderts, 
um Neuland für das Geſchlecht zu ſuchen. Mit Kind und Kindeskegel und 
ihrer Wagenburg zogen ſie dann durch die unwirtlichen Gegenden, von 
Thüringen nach Meißen, vom Bistum Meißen nach Schleſien, von Schleſien 
ſchließlich nach Oſtpreußen und Brandenburg, immer in öſtlicher Richtung, 
den zurückweichenden Slawen nach, um für Deutſchlands Größe aufzu, bauen“. 

Darum heißt heute der Befehl: Knobelsdorffs an die Front! Es gilt, jetzt 
wieder zu zeigen, daß wir einem alten Bauern- und Koloniſationsgeſchlecht 
angehören. 

Die min hier folgenden Vorſchläge ſollen nicht wörtlich aufgefaßt werden, 
ſondern nur als eine Anregung dienen. Sie mußten ausgeſprochen werden, 
weil wir uns mitten in einem Aufbau befinden. Sie wurden aus heißer, ehr⸗ 
licher Liebe zum eigenen Geſchlecht und in weiterem Sinne aus Liebe zum 
deutſchen Volk und Vaterland geſchrieben, denn das Beſtehen eines Staates 
iſt von ſeinen Geſchlechtern abhängig. 

1. Obwohl § 21 eine Anderung der Satzungen nahezu unmöglich macht, 
weil nachweislich die Mehrheit aller Mitglieder erſten Grades bei einem 
Geſchlechtstage perſönlich anweſend ſein müſſen, ſtehe ich auf dem Standpunkt, 
daß eine Anderung der Satzungen erfolgen muß, denn ungewöhnliche Zeiten 
erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. Dann könnte man ja, ſtaatspolitiſch 
gedacht, wenn man jede Anderung als einen Rechtsbruch bezeichnet, von ſoge⸗ 
nannten Rechtsbrüchen ſprechen. Der von den Geſchlechtsgenoſſen gewählte 
Familienrat muß mehr Macht haben. Das Sechsmännerkollegium muß eine 
TFührerausleſe darſtellen. 

2. Ohne die Einwilligung eines ſolchen Familienrates darf in Zukunft kein 
in v. Knobelsdorffſchen Händen befindlicher bäuerlicher Beſitz verkauft werden. 
Bei allen Entſchuldungsvorgängen find zweckdienliche Schritte bei der Regie- 
rung zu unternehmen, daß nicht durch eine voreilige Entſcheidung Verluſt von 
Grund und Boden eintritt. Dieſer Anordnung fügen ſich alle v. Knobelsdorffs, 
welche Grund und Boden beſitzen oder noch erwerben. 

3. Der Familienrat hat das Recht, Einſpruch gegen die bäuerliche Miß⸗ 
wirtſchaft eines v. Knobelsdorff zu erheben, denn der Väter Boden iſt heilig 
und gehört dem deutſchen Volke. Bei ſchweren Fällen hat der Familienrat 
das Recht, den älteſten Sohn zugunſten des nächſtfolgenden zu enterben. 
Wenn keine Söhne mehr vorhanden ſind, fo treten nicht die Töchter oder deren 
angeheiratete Eheleute an die Stelle des Eigentümers, ſondern der nächſte 
verwandte Vetter. 

4. In der Nachfolge des Erbhofes bzw. Gutes tritt grundſätzlich das An⸗ 
erbenrecht wieder ein. Töchter können v. Knobelsdorffſchen Grundbeſitz nicht 
erben. Auch kann die Auszahlung einer Mitgift nur in einer ſolchen Höhe 
erfolgen, daß eine wirtſchaftliche Belaſtung für den Grundbeſitz nicht eintritt. 
Jedoch haben die Töchter grundſätzlich auf dem Hof ihrer Brüder oder ihres 


Die neuen Aufgaben des v. Knobelsdorffschen Geschlechts 785 


Vetters unbeſchränktes Heimatrecht (z. B. in Niederſachſen, wo den Töchtern 
ſtets ein Zimmer zur Verfügung ſteht). 

5. Die militäriſch⸗politiſche Ertüchtigung (Pflug und Schwert) der heran⸗ 
wachſenden Generation gehört in den Pflichtaufgabenkreis eines Familien- 
rats. Entweder es gibt einen politiſchen Adel oder es gibt keinen (Treitſchke). 
Sofern ſich die v. Knobelsdorffs nicht in der Armee, Marine oder Polizei 
befinden, haben fie ſich einer militärifchen oder politiſchen Organiſation an⸗ 
zuſchließen (Schutzſtaffel der NSDAP., SU. oder Stahlhelm). 

6. Die Gattenwahl der jüngeren v. Knobelsdorffs iſt für die Erhaltung 
eines Geſchlechts von einſchneidender Bedeutung. Mitglieder, welche ohne 
Nachkommen ſterben, haben ihr Vermögen der Geſamtheit zuzuwenden und 
nur den etwaig geſetzlichen Erben eine kleine Rente auszuſetzen. (Siehe das 
Geſchlecht von Bünaul) 

Die Gattenwahl wird wie folgt geregelt: Jeder v. Knobelsdorff hat vor 
ſeiner offiziellen Verlobung bzw. ſeiner Verheiratung die Genehmigung des 
Familienrates einzuholen. Braut und Bräutigam haben vor der Verlobung 
ein ärztliches Gutachten einzuſenden. Zwei Bürgen haben dafür zu ſprechen, 
daß auf Grund erbbiologiſcher Ahnenforſchung keine Bedenken gegen die Gat— 
tenwahl vorliegen. Bei aufgedeckten, weniger ſchweren Erbleiden werden die 
Beteiligten auf die Geſahren aufmerkſam gemacht, welche auf Grund von 
Vererbungsgeſetzen bei der Nachkommenſchaft entſtehen können. Bei aus⸗ 
geſprochen ſchweren Erbleiden wird die Genehmigung der Verheiratung jei- 
tens des Familienrates im Einverſtändnis mit dem Elternpaar verweigert. 
Ferner wird die Heirat verſagt, wenn ſich durch Forſchung ab 1. Januar 1800 
farbiges oder fremdraſſiges Blut in der Ahnenfolge befindet. 

An dieſer Maßnahme wird ſich kein Menſch ſtoßen können, wenn immer 
wieder der Geſchlechtergedanke in Betracht gezogen wird. Fehler find vor- 
gekommen. Fehler find aber niemals dazu da, daß fie verewigt werden, fon: 
dern man muß die Fehler abſtellen. Das Geſchlecht will ſich aufarten und 
aufnorden, und nicht etwa entarten oder entnorden. Von uns hängt es ab, 
wie das nächſte Geſchlecht ſein wird. 

7. Die Ehre iſt das Höchſte, was ein Menſch beſitzt. Wer im Kampfe 
ſeinen Schild verlor, war bei den Germanen ehrlos. Wer ſein Wappenſchild 
daher befleckt, darf auch ein ſolches nicht mehr tragen, und wenn er hundertmal 
durch einen Zufall der Natur als Adliger geboren wurde. Ich ſchlage deshalb 
vor, daß, wer ſich gegen das Nationalvölkiſche vergeht, außerhalb des Gee 
ſchlechtsverbandes geſtellt werden muß. Ein ſolches Mitglied verliert ſeine 
Stimmberechtigung. Später gibt es vielleicht ein Geſetz, daß ein ſolcher Kno— 
belsdorff, welcher ſich an den Traditionen der Väter verſündigt, ſein Wap⸗ 
penſchild nicht mehr zu tragen berechtigt iſt. Ich bin überzeugt, daß im Dritten 
Reich ein Adel, der ſich nicht auf dem Prinzip von Ehre aufbaut, gar nicht 
ſein wird. 

8. Der Erwerb von Grundbeſitz für die geſamte v. Knobelsdorffſche 
Familie, welche heute in ihren Mitgliedern überallhin in Deutſchland ver- 
ſtreut iff, muß das höchſte Ziel fein. Sollte im Dritten Reich im großen 
Rahmen eine Oſtkoloniſation durchgeführt werden, fo müßte der v. Knobels⸗ 
dorffſche Familienrat bei der völkiſchen Regierung alle Schritte verſuchen, um 
alle entwurzelten Geſchlechtsgenoſſen wieder auf deutſchem Boden anſäſſig zu 
machen. Opfer müſſen hierbei von der Geſamtheit gebracht werden. Auch bin 


786 Das bäuerliche Erbhofgesetz 


ich der Anficht, daß der Geldbeutel hierbei nicht das Ausſchlaggebende fein 
wird, ſondern ganz allein die Tat einer Perfönlichkeit. Ich erinnere daran, 
daß Friedrich der Große in Anerkennung der Verdienſte ſeines Adels in 
ſeinem politiſchen Teſtamente die Worte prägte: „Es kann wohl einen reiche⸗ 
ren, aber niemals einen treueren Adel geben“, womit der große König aus⸗ 
drücken wollte, daß Reichtum niemals das Entſcheidende fein kann. Nur als 
ein Geſchlecht werden wir wieder ſtark, nicht aber als einzelne Geſchlechts⸗ 
genoſſen. Die geringen Mittel des v. Knobelsdorffſchen Geſchlechtsvermögens 
können bei der Bodengewinnung oder bei der Erwerbung des eiſernen Inven⸗ 
tars vielleicht herangezogen werden. Denken wir an Muſſolinis große Agrar⸗ 
tat, der aus den Pontiniſchen Sümpfen 400 000 Morgen Land machte und in 
kurzer Zeit über 1000 Bauernhöfe gründete. 

Es wird die vornehmſte Zukunftsaufgabe des neuen Staates fein, neue 
Bauerngeſchlechter auf eigener Scholle zu gründen. 


Düſſeldorf, den 1. Mai 1933. 


Das bäuerliche Erbhofgeſetz 


Wir geben hier das vom Preußiſchen Staatsminiſte 
rium verabſchiedete Geſetz wieder, das bekanntlich von 
dem Preußiſchen Juſtizminiſter Kerrl in Zuſammen ; 
arbeit mit feinen Mitarbeitern, Min.⸗Dir. Freisler 
und Min. ⸗Rat Wagemann einerſeits und R. Walther 
Darré, Werner Willikens und Herbert Backe anderer- 
ſeits, vorgelegt worden iſt. Angeſichts der revolutio- 
nären Bedeutung dieſes Geſetzes werden wir noch in 
der kommenden Nummer eingehend Stellung nehmen. 
Wir bringen in Zuſammenhang damit noch einige an- 
dere, in dieſes Gebiet einſchlagende Arbeiten. H. N. 


Die unlösbare Verbundenheit von Blut und Boden iſt die unerläßliche Vor⸗ 
ausſetzung für das geſunde Leben eines Volkes. 

Die bäuerliche Bodenverfaſſung früherer Jahrhunderte fiherte in Deutſchland 
dieſe aus dem natürlichen Lebensgefühl des Volkes heraus geborene Verknüpfung 
auch geſetzlich. Der Bauernhof war das unveräußerliche Erbe des angeſtammten 
Bauerngeſchlechts. 

Artfremdes Recht drang ein und zerſtörte die geſetzliche Grundlage dieſer bäuer- 
lichen Verfaſſung. 

Trotzdem bewahrte der deutſche Bauer mit geſundem Sinn für ſeines Volkes 
Lebensgrundlage im Wege der Sitte in vielen Gauen des Landes den Bauernhof 
von Geſchlecht zu Geſchlecht ungeteilt. 

Anabweisbare Pflicht der Regierung des erwachten Volkes ift die Sicherung 
der nationalen Erhebung durch geſetzliche Feſtlegung der in deutſcher Sitte be⸗ 
wahrten unauflöslichen Verbundenheit von Blut und Boden durch das 


Das bäuerliche Erbhofgesetz | 787 
Bäuerliche Erbhofrecht. 


IJ. Grundgedanken 
81 
Anerbenrecht 

Der in der Erbhöferolle des zuſtändigen Amtsgerichts eingetragene land- und 

forſtwirtſchaftliche Beſitz (Erbhof) vererbt ſich nach Anerbenrecht. 

icc Eigentümer eines Erbhofs heißt Bauer. Mehrere Erbhöfe hat ein Bauer 
nicht. 
Der Bauer hat nur ein Kind, welches den Erbhof übernehmen kann; das iſt der 
Anerbe. 

Die Miterben werden bis zur wirtſchaftlichen Selbſtändigkeit vom Hofe ver- 
forgt. Geraten fie unverſchuldet in Not, jo können fie auch in ſpäteren Jahren noch 
auf dem Hofe Zuflucht ſuchen (Heimatzuflucht). 

Iſt der zur Eintragung in die Erbhöferolle geeignete Hof nicht eingetragen, ſo 
beſteht das Recht zur Abernahme kraft Anerbenrechts. 


82 
Der Vauer 

Einen Erbhof kann als Bauer nur befigen, wer deutſcher Staatsbürger und 
deutſchen oder ſtammesgleichen Blutes iſt. 

Deutf oder ftammesgleichen Blutes ift nicht, wer unter feinen Vorfahren im 
Mannesſtamme oder wer unter ſeinen übrigen Vorfahren bis ins zweite Glied 
eine Perſon jüdiſcher oder farbiger Herkunft hat. Eine in Zukunft erfolgende Ehe⸗ 
ſchließung mit einer derartigen Perfon macht die Nachkommen dauernd unſähig, 
als Gefiger eines Erbhofes Bauer zu fein. 


83 
Der Erbhof 
Der Erbhof muß mindeſtens zur Ernährung und Erhaltung einer bäuerlichen 
Familie ausreichen (Ackernahrung). Er darf nicht ſo groß ſein, daß ſeine Bewirt⸗ 
ſchaftung nicht mehr von einer Hofſtelle aus ohne Vorwerke erfolgen kann; nähere 
mmungen über die Höchſtgrenze kann der Juſtizminiſter im Einvernehmen mit 


dem Miniſter für Landwirtſchaft, Domänen und Forſten für einzelne Wirtſchafts⸗ 
gebiete erlaſſen. ; 
§ 


Unerbenfitte und Eintragung 

Die Eintragung in die Erbhöferolle erfolgt, wenn die vorhergehenden Beſtim⸗ 
mungen dies zulaſſen, in den Landſchaften mit Anerbenſitte (Anlage I) von Amts 
1 in den Landſchaften ohne Unerbenfitte (Anlage II) auf Antrag des Eigen- 

mers. 

Anerbenfitte iſt die überwiegende Gewohnheit der bäuerlichen Bevölkerung, den 
zu einer Ackernahrung ausreichenden land und forſtwirtſchaftlichen Beſitz durch 
Abergabevertrag, Teſtament, Vereinbarung unter den Miterben oder in anderer 
Weiſe ungeteilt auf einen Erben, den Anerben, gegen billige Abfindung oder Ver⸗ 
ſorgung der übrigen Erben zu „ Wird feſtgeſtellt, daß dieſe Anerbenſitte 
in einzelnen Bezirken der in Anlage J verzeichneten Landſchaften nicht vorhanden 
iſt, ſo können der Juſtizminiſter und der Miniſter für Landwirtſchaft, Domänen 
und Forſten durch gemeinſame Verordnung auf Vorſchlag der landwirtſchaftlichen 
Berufsvertretung dieſe Landesteile aus der Anlage I in die Anlage II überfüh- 
ren. Wird feſtgeſtellt, daß in einzelnen Bezirken der in Anlage II verzeichneten 
Landſchaften die Anerbenſitte beſteht, fo erfolgt in gleicher Weiſe die Aberführung 
aus der Anlage II in die Anlage 1; die Aufnahme in die Anlage I hat zu erfolgen, 
wenn die Preußiſche landwirtſchaftliche Hauptberufsvertretung dies verlangt. 


Dieſes lautet: 


788 Das bäuerliche Erbhofgesetz 


85 
Verfügungen unter Lebenden 

Zur rechtsgeſchäftlichen Veräußerung eines Erbhofes oder eines Grundſtücks, 
das zu einem Erbhofe gehört, iſt die Genehmigung des Anerbengerichts erforder- 
lich, ſoweit nicht die Veräußerung zu Siedlungszwecken von Reich oder Staat er- 
folgt. Eine ohne Genehmigung erſolgte Veräußerung iſt unwirkſam. 

Aber die Genehmigung iſt unter dem Geſichtspunkt der Erhaltung der Einheit⸗ 
lichkeit und Leiſtungsfähigkeit des Erbhofes entſprechend dem Zwecke dieſes Ge⸗ 
ſetzes (8 63 Abſ. 2) zu entſcheiden. 

Die Veräußerung von Einzelgrundſtücken kann unter der Auflage genehmigt 
werden, daß das Entgelt zur Bezahlung von Hofesſchulden oder zum Ankauf von 
anderen Grundſtücken für den Erbhof verwandt wird; die Erfüllung der Auflage 
iſt ſicherzuſtellen. 

Die Genehmigung zur Veräußerung des ganzen Erbhofes iſt zu erteilen, wenn 
der Bauer den Hof einem Anerbenberechtigten übergeben will, und der Abergabe⸗ 
vertrag den Erbhof nicht über ſeine Kräfte hinaus belaſtet. Soll die Veräußerung 
des Erbhofes an einen Familienfremden erfolgen, fo fol das Anerbengericht tun⸗ 
lichſt vor der Entſcheidung die ihm bekannten Miterben des Bauern hören. 

Die Genehmigung iſt weiter zu erteilen, wenn jeder der Teile einen zu jelb- 
ſtändiger Bewirtſchaftung ausreichenden Hof bildet und die Erwerber zu den An⸗ 
erbenberechtigten des § 12 gehören. 

Die Entſcheidung des Anerbengerichts erfolgt durch den Vorſitzenden. Wird 
innerhalb einer Woche ſeit Zuſtellung Einſpruch erhoben, fo entſcheidet das An- 
erbengericht endgültig. 

86 


Verfügungen auf den Todesfall 

Der Bauer kann in der Gorm eines Teſtaments oder einer vom Richter, Notar 
oder Gemeindevorſteher beglaubigten Erklärung den Anerben unter den nach § 12 
zum Anerben Berufenen auswählen. Die Urkunde kann zu den Akten des Anerben- 
gerichts überreicht werden. 

In gleicher Form kann er anordnen, daß dem Vater oder der Mutter des An- 
erben über die Volljährigkeit, jedoch nicht über das 25. Lebensjahr des Anerben 
hinaus, die Verwaltung und der Nießbrauch des Hofes nebſt Zubehör zuſtehen 
ſoll unter der Verpflichtung, dem Anerben und deſſen Miterben gegen Leiſtung 
angemeſſener und ihren Kräften entſprechender Arbeitshilfe angemeſſenen Unter- 
halt auf dem Hofe zu gewähren. 

Das Erbhofzubehör (§ 11) kann durch Verfügung von Todes wegen von den Erb- 
hofgrundſtücken nicht getrennt werden, ſolange für dieſe das Erbhofrecht gilt. 

Eine Verfügung von Todes wegen, durch die das Erbhofrecht ausgeſchloſſen 
oder beſchränkt wird, bedarf der Form des öffentlichen Teſtaments oder des Erb- 
vertrags. In eigenhändiger Form errichtete Teſtamente werden mit Inkrafttreten 
des Geſetzes unwirkſam. 


II. Die Erbfolge kraft Anerbenrechtes. 
87 
1. Erbrecht 


Gehört zu einem Nachlaß ein Erbhof und ſind mehrere Erben vorhanden, ſo 
fällt der Erbhof nebſt Zubehör kraft Geſetzes als Teil der Erbſchaft einem der 
Erben, dem Anerben, zu. Die Miterben erhalten hierfür einen Anſpruch auf Ver⸗ 
ſorgung nach näherer Maßgabe der §§ 17 ff. 


Das bäuerliche Erbhofgesetz 789 


88 
2. Nachlaßwerbindlichkeiten 

Die Nachlaßwerbindlichkeiten einſchließlich der auf dem Hofe ruhenden Hypothe ; 
ken, Grund- und Rentenſchulden, aber ohne die auf dem Hofe ruhenden fonftigen 
Laften (Altenteil, Nießbrauch u. a.) find, ſoweit das außer dem Hofe nebft Su- 
behör vorhandene Vermögen dazu ausreicht, aus dieſem zu berichtigen. Soweit fie 
nicht in dieſer Weiſe berichtigt werden, iſt der Anerbe ſeinen Miterben gegenüber 
verpflichtet, ſie allein zu tragen und die Miterben von ihnen zu befreien. 


89 
3. Teilung des übrigen Nachlaſſes 
Verbleibt nach Berichtigung der Nachlaßverbindlichkeiten ein Aberſchuß, ſo iſt 
dieſer auf die außer dem Anerben noch vorhandenen übrigen Miterben nach den 
Vorſchriften des allgemeinen Rechts zu verteilen. Der Anerbe kann eine Beteili⸗ 
gung nur verlangen, inſoweit der hiernach auf ihn entfallende Anteil größer iſt 
als der laſtenfreie Ertragswert (Bürgerliches Geſetzbuch § 2049 Abſ. 2) des Erb- 


hofs. 
8 10 


4. Der Erbhof 
Beſtandteile 


Zum Erbhof gehören alle regelmäßig von der Hofftelle aus bewirtſchafteten 
Grundſtücke, die dem Bauern zu eigen gehören. Eine Verpachtung oder ähnliche 
vorübergehende Benutzung von Hofesgrundſtücken, z. B. als Altenteilsland, 
ſchließt die Hofeszugehörigkeit nicht aus. Insbeſondere gehören zum Erbhof auch 
die Grundſtücke, die an Perſonen verpachtet find, von denen dagegen Dienſtleiſtun⸗ 
gen für die Hofeswirtſchaft erwartet werden (Heuerlings- und Inſtſtellen, De⸗ 
putatland u. ä.). 

Zum Hofe gehören außer den Gebäuden und ſonſtigen geſetzlichen Beſtandteilen 
auch die Realgemeindeberedtigungen des Eigentümers. 


§ 11 
Hofeszubehör 
Das Hofeszubehör umfaßt insbeſondere das auf dem Hofe für die Bewirtſchaf⸗ 
tung vorhandene Vieh, Wirtſchafts⸗ und Hausgerät einſchließlich des Leinen⸗ 
zeugs und der Betten, den vorhandenen Dünger und die für die Bewirtſchaftung 
dienenden Vorräte an Früchten und ſonſtigen Erzeugniſſen fowie die auf den Hof 
bezügliden Urkunden. ; 
§ 1 


5. Der Anerbe 
Anerbenordnung 


Zum Anerben find — wenn der Erblaſſer die Reihenfolge nicht anders beſtimmt 
hat — in folgender Ordnung berufen: 


1) die Söhne des Erblaſſers; an Stelle eines verſtorbenen Sohnes treten deſſen 
Söhne und zu ns 
2) der Vater des Erblaſſers; 
3) die Brüder des Erblaſſers und deren Nachkommen im Mannesſtamme; indeſſen 
nur, wenn auf Antrag des Erblaſſers das Bruderrecht (8 13) in die Erbhöfe- 
4 N bie linge des Erblaff 
mmlinge des Erblaſſers ſowie die Nachkommen von ſo s 
5) die Mutter des Erblaſſers; . n 


Agrarpolitit Heft 11, Bg. 3 


790 Das bduerliche Erbhofgesetz 


6) die Geſchwiſter des Erblaſſers und deren Nachkommen; und zwar vollbürtige 
vor halbbürtigen, Brüder und Brudersſöhne vor Schweſtern, männliche Nach 
kommen vor weiblichen; 

7) die Großeltern ſowie danach die entfernteren Voreltern des Erblaſſers und 
ihre Nachkommen. Der dem Mannesſtamme des Erblaſſers Näherſtehende 
ſchließt den Fernerſtehenden aus. Im übrigen entſcheidet der Vorzug des männ- 
lichen Geſchlechts und der Erſtgeburt. 

Iſt der Hof dem Erblaſſer ganz oder zum größten Teil von ſeiten eines 
Eltern- oder Großelternteils zugekommen, jo gehen die Erben, die ihr Recht 
von dieſem Eltern- oder Großelternteil herleiten können, den übrigen Erben 


vor; 
8) der Ehegatte des Erblaſſers. 


Ein Verwandter iſt nicht zur Anerbenfolge berufen, ſolange ein Verwandter 
einer vorhergehenden Ordnung vorhanden iſt. Innerhalb der gleichen Ordnung 
gilt der Vorzug des männlichen Geſchlechts und der Erſtgeburt. Durch nadfol- 
gende Ehe anerkannte Kinder ſind ehelich. Für ehelich erklärte Kinder des Vaters 
und uneheliche Kinder der Mutter folgen den ehelichen Kindern nach. An Kindes 
Statt Angenommene find nicht zur Anerbfolge berufen. 

Erbunwürdige (Bürgerliches Geſetzbuch §§ 2339 ff.), rechtskräftig zu Zuchthaus 
Verurteilte und Nichtdeutſchblütige, dieſe unbeſchadet des § 40 Abſ. 4, ſcheiden als 
Anerben aus, während Perſonen, die zur Zeit des Erbfalles entmündigt find, hin- 
ter die Anerbenberechtigten der nächſten Ordnung zurücktreten, fofern die Wnfed- 
boben it rechtskräftig abgewieſen oder nicht innerhalb der geſetzlichen Friſt er- 

oben iſt. 

Hat der Anerbe bereits einen Erbhof, ſo treten, wenn er Abkömmlinge hat, 
dieſe unter Vorzug des männlichen Geſchlechts und der Erſtgeburt an ſeine Stelle. 
Anderenfalls ſcheidet er von der Anerbfolge aus. Der Anerbe kann aber auch den an- 
gefallenen Erbhoſ übernehmen, jedoch nur durch Erklärung gegenüber dem An⸗ 
erbengericht binnen 6 Wochen nach dem Erbfall und nur, wenn er in der Erklä⸗ 
rung in rechtsverbindlicher Form ſeinen bisherigen Erbhof der Erbengemeinſchaft 
zur Verfügung ſtellt. In diefem Fall tritt der zur Verſügung geſtellte Hof an die 
Stelle des angefallenen Hofs. 


8 13 
Bruder⸗ und Jügſtenrecht 

Auf Antrag des Bauern kann in die Erbhöferolle eingetragen werden, daß nach 
den Söhnen und Sohnesſöhnen des Erblaſſers zunächſt deſſen Brüder und Bru⸗ 
3 nach dem Rechte der Erſtgeburt als Anerben berufen fein ſollen (Bru⸗ 

errecht). 

In gleicher Weile kann eingetragen werden, daß nicht der Altere, ſondern der 

Jüngere vorgeht (Jüngſtenrecht). 


Die Eintragung hat Wirkung bis zu ihrer Löſchung. Die Löſchung erfolgt, 

wenn der Bauer fie beantragt. 
§ 14 
Auswahl des Anerben 

Der Erblaſſer kann für den Fall, daß bei feinem Tode der Anerbe noch nicht 
25 Jahre alt iſt, durch Verfügung von Todes wegen oder in einer durch Richter, 
Notar oder Gemeindevorſteher beglaubigten Arkunde beſtimmen, daß ſein Vater 
oder der Überlebende Ehegatte befugt fein foll, mit Genehmigung des Anerben- 
gerichtes unter den Abkömmlingen den Anerben auszuwählen. 


Die Auswahl erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Anerbengericht. Sie wird 
mit der Genehmigung wirkſam. 


Das bäuerliche Erbhofgesetz 791 


Die Befugnis erliſcht ſpäteſtens, wenn der geſetzlich berufene Anerbe das 25. 
Lebensjahr vollendet; ſonſt mit dem Tode des zur Auswahl Befugten ſowie mit 
der Wiederverheiratung des auswahlberechtigten Ehegatten. 

Das Eigentum an dem Erbhofe nebſt Zubehör erwirbt im Falle der Ausübung 
der Befugnis der ausgewählte Anerbe mit der Genehmigung der Wahl durch das 
Anerbengericht, im Falle des Erlöſchens der Befugnis der geſetzlich berufene An⸗ 
erbe mit dem Zeitpunkt des Erlöfchens. 


§ 15 


Rechtserwerb und Verzicht 

Der Anerbe erwirbt das Eigentum an dem Hofe nebſt Zubehör mit dem Er- 
werbe der Erbſchaft. 

Der Anerbe kann auf das Anerbenrecht verzichten, ohne im Übrigen die Erbſchaft 
auszuſchlagen. Auf den Verzicht finden die Vorſchriften des Bürgerlichen Geſetz⸗ 
buchs über die Ausſchlagung der Erbſchaft entſprechende Anwendung; der Verzicht 
iſt gegenüber dem Anerbengericht zu erklären. Die Friſt für den Verzicht beginnt 
mit dem Zeitpunkt, in welchem der Anerbe von ſeiner Berufung zum Anerben 
Kenntnis erlangt, wenn jedoch die Berufung auf einer Verfügung von Todes 
wegen beruht, nicht vor der Verkündung der Verfügung. Steht der zum Anerben 
Berufene unter elterlicher Gewalt oder unter Vormundſchaft, ſo iſt zum Verzicht 
auf das Anerbenrecht die Genehmigung des Vormundſchaftsgerichts erforderlich. 

Iſt der zum Anerben Berufene nicht deutſcher Staatsbürger, ſo gilt es als Ver⸗ 
zicht auf das Anerbenrecht, wenn er nicht innerhalb der im Abſ. 2 bezeichneten 
Friſt die Verleihung der deutſchen Reichsangehörigkeit nachgeſucht hat. 

Wird auf das Anerbenrecht verzichtet, ſo gilt der Anfall des Hofes an den Ver⸗ 
zichtenden als nicht erfolgt. Der Hof fällt an den nächſten als Anerben Berufenen. 
Dieſer Anfall gilt als mit dem Erbfall erfolgt. 


8 16 
Hoffolgezeugnis 

Dem Anerben iſt auf Antrag vom Vorſitzenden des Anerbengerichts ein Zeugnis 
über ſeine Folge in den Erbhof auszuſtellen. 

Auf das Zeugnis finden die Beſtimmungen des Bürgerlichen Geſetzbuches über 
den Erbſchein entſprechende Anwendung. In dem Zeugnis find die Grundſtücke an- 
zugeben, die zum Erbhof gehören. Das Grundbuchamt kann zum Nachweiſe des 
Rechts des Anerben die Vorlegung eines ſolchen Zeugniſſes verlangen. 


817 
6. Verſorgung der weichenden Erben 
Anterhalt, Berufsausbildung, Heimatzuflucht 

Die weichenden Erben werden bis zu ihrer Volljährigkeit gegen Leiſtung an⸗ 
gemeſſener Arbeitshilfe auf dem Hofe angemeſſen unterhalten und erzogen. Sie 
ſollen auch, ſoweit es Abkömmlinge des Erblaſſers find und die Mittel des Hofes 
hierzu ausreichen, für einen dem Stande des Hofes entſprechenden Beruf ausge⸗ 
bildet und bei ihrer Verſelbſtändigung ausgeſtattet werden, insbeſondere um fid 
eine Siedlungsſtelle zu beſchaffen. 

Geraten ſie unverſchuldet in Not, ſo können ſie auch in ſpäteren Jahren noch 
. angemeſſener Arbeitshilfe auf dem Hofe Zuflucht ſuchen (Heimat⸗ 
zuflucht). 

Die Rechte aus Abſ. 1 ſind auf Antrag eines Berechtigten in das Grundbuch 
einzutragen, ſoweit dies nach dem Reidsredht zuläſſig iſt. 


3° 


792 Das bäuerliche Erbhofgesetz 


§ 18 
Altenteil des Ehegatten 


Der überlebende Ehegatte des Erblaſſers kann, wenn er auf alle ihm gegen den 
Nachlaß zuſtehenden Anſprüche verzichtet, von dem Anerben lebenslänglich den in 
ſolchen Verhältniſſen üblichen Anterhalt auf dem Hofe verlangen, ſoweit er ſich 
nicht aus eigenem Vermögen unterhalten kann. 

Der Anſpruch des Ehegatten erliſcht mit ſeiner Wiederverheiratung. Iſt in die⸗ 
fem Zeitpunkte der Wert feiner Zuwendungen an die Erbmaſſe durch den Unter- 
halt auf dem Hof noch nicht aufgezehrt, ſo kann er den Aberſchuß von dem Bauern 
zurückverlangen. 819 


Streitfälle 


Bei Streitigkeiten aus den §§ 17 und 18 trifft der Vorſitzende des Anerben- 
gerichts die erforderliche Regelung unter billiger Berückſichtigung der Verhältniſſe 
der Beteiligten ſo, daß der Hof bei Kräften bleibt. Er kann das Verſorgungsrecht 
aufheben oder einſchränken, wenn der Verſorgungsberechtigte anderweit geſichert 
iſt oder wenn dem Verpflichteten die Leiſtung nicht mehr zugemutet werden kann, 
insbeſondere, wenn ſie die Kräfte des Hofes überſteigt. 

Gegen die Entſcheidung des Vorſitzenden iſt binnen einer Woche ſeit Zuſtellung 
der Einſpruch an das Anerbengericht zuläſſig. Deſſen Entſcheidung iſt endgültig. 

Aber die Vollſtreckbarkeit der Entſcheidungen trifft die Ausführungsverordnung 
Beſtimmung. 8 20 


Rechte der Miterben bei Verkauf des Hofes 


Veräußert der Bauer den Erbhof, fo können die gewichenen Erben verlangen, 
von ihm ſo geſtellt zu werden, wie ſie geſtanden hätten, wenn beim Erbfall bereits 
eine Teilung des geſamten Nachlaſſes nach den Vorſchriften des Bürgerlichen Ge- 
ſetzbuchs ſtattgefunden hätte. 

Die Vorſchrift im Abſ. 1 gilt finngemäß, inſoweit einzelne Grundſtücke, deren 
Wert mehr als ein Fünftel vom Hofeswert ausmacht, veräußert werden, es ſei 
denn, daß die Veräußerung zur Erhaltung des Hofes erforderlich war, oder daß 
der Bauer bereits Grundſtücke im gleichen Werte zu dem Erbteil hinzuerworben 
hat oder im Laufe des auf die Veräußerung folgenden Jahres hinzuerwirbt. 

Die Vorſchriften im Abſ. 1 und 2 gelten nicht, wenn die Veräußerung an einen 
anerbenberechtigten Verwandten erfolgt iſt. Sie finden jedoch auf den Erwerber 
entſprechende Anwendung, wenn dieſer den Hof oder die Hofesgrundſtücke inner- 
halb eines Zeitraumes von 10 Jahren an eine ihm gegenüber nicht anerbenberech⸗ 
tigte Perſon weiter veräußert. 

Die vorſtehend beſtimmten Anſprüche verjähren in 3 Jahren. Sie beſtehen auch 
a wenn der Erbhof vor der Veräußerung in der Anerbenrolle gelöſcht wor- 

en iſt. 
821 


Erbloſung 


Verkauft der Bauer den Erbhof an einen nicht anerbenberechtigten Verwandten, 
ſo ſteht den Miterben in der Reihenfolge ihrer Berufung zum Anerben ein gefes- 
liches Vorkaufsrecht zu. 

§ 22 


7. Vorſchriften für beſondere Fälle 
Kleinbeſitz 
Landwirtſchaftlicher Beſitz, der nicht die Größe einer Ackernahrung hat, kann auf 
Antrag des Eigentümers mit Zuſtimmung der landwirtſchaftlichen Berufsvertre⸗ 
tung in die Erbhöferolle eingetragen werden. 


Das bäuerliche Erbhofgesetz 793 


Die Eintragung hat zur Wirkung, daß der Beſitz ſich nach Anerbenrecht vererbt. 
Die Verforgung der weichenden Erben beſchränkt fid auf das im 817 Abſ. 1 Satz 1 
bezeichnete Recht auf Anterhalt. 


§ 22a 


Zur Landwirtſchaft gehören auch der Weinbau und gartenbauliche Betriebe nach 
näherer Beſtimmung des Juſtizminiſters und des Miniſters für Landwirtſchaft, 
Domänen und Gorften. 

8 23 
Mehrere Erbhöfe 

Hinterläßt der Bauer mehrere Erbhöfe, ſo können die als Anerben Berufenen 
in der Reihenfolge ihrer Berufung je einen Erbhof wählen, ſo, daß niemand mehr 
als einen Erbhof bekommt; § 12 Abſ. 4 gilt entſprechend. 

Die Wahl erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Vorſitzenden des Anerben⸗ 
gerichts; die Erklärung iſt in öffentlich ⸗ beglaubigter Form oder zur Niederſchrift 
der Geſchäftsſtelle abzugeben. Der Vorſitzende des Anerbengerichts hat dem Wahl⸗ 
berechtigten auf Antrag eines nachſtehenden Wahlberechtigten eine angemeſſene 
Friſt zur Erklärung über die Wahl zu beſtimmen. Erfolgt die Wahl nicht vor Ab⸗ 
lauf der Friſt, ſo tritt der Wahlberechtigte in Anſehung des Wahlrechts hinter 
die übrigen Wahlberechtigten zurück. 

Sind mehr Erbhöfe als Berechtigte vorhanden, ſo wird die Wahl nach den 
gleichen Grundſätzen wiederholt, ſolange Höfe vorhanden find. Hierbei treten an 
die Stelle eines bereits zur Wahl Gekommenen jeweils deſſen Abkömmlinge mit 
dem Vorzug des männlichen Geſchlechts und der Erſtgeburt ein. Sind Wahlberech⸗ 
tigte in der nächſten Anerbenordnung nicht mehr vorhanden, ſo kommt die folgende 
Ordnung nach den gleichen Grundſätzen zur Wahl. 

Jeder Anerbenberechtigte erwirbt das Eigentum an dem von ihm gewählten Hof 
nebſt Zubehör mit der Vollziehung der Wahl. Mit der Vollziehung der letzten 
Wahl erwirbt zugleich der Nächſtberufene das Eigentum an dem übrigbleibenden 
Hof nebſt Zubehör. 

Die zur Verſorgung Berechtigten (88 17 und 18) können wählen, auf welchem 
Hofe ſie den Anterhalt beziehen wollen. Die Pflicht zur Berufsausbildung und 
Ausſtattung (§ 17 Abf. 1 Satz 2) wird von allen Höfen gemeinſchaftlich nach dem 
Verhaltnis ihres Wertes getragen. Im Streitfall entſcheidet das Anerbengericht. 


8 24 


Geſamtgut ‘ 
Ein Erbhof kann nicht gum Gefamtgut einer ehelichen Gütergemeinſchaft gehören 
oder ſonſt im Miteigentum mehrerer Perſonen ſtehen. 
Gehört ein Hof beim Inkrafttreten dieſes Geſetzes bereits zum Geſamtgut oder 
zum Miteigentum, ſo kann er als Erbhof erſt eingetragen werden, wenn er aus 
dem Geſamtgut oder Miteigentum ausgeſchieden iſt. 


825 


Pflichtteil 
Ein Pflichtteilsrecht beſteht nur gegenüber einer Verfügung von Todes wegen, 
nicht aber gegenüber dem Geſetz. 
Insbeſondere kann ein Pflichtteilsanſpruch gegenüber dem Anerben nicht geltend 
gemacht werden. 


794 Das bäuerliche Erbhofgesetz 


III. Die Übernahme kraft Anerbenrechts 
8 26 
Zuläſſigkeit 
Befindet ſich bei der Erbſchaft ein Hof, der zur Eintragung in die Erbhöſerolle 
geeignet (88 1—3), aber bislang nicht eingetragen iſt, fo kann jeder Miterbe bei 
der Erbteilung verlangen, daß ihm der Hof ungeteilt nach den Regeln des An⸗ 
erbenrechts zugewieſen wird. 9 27 


Das Suweifungsverfahren 

Erhebt einer der Miterben Einſpruch oder erklären ſich mehrere zur Abernahme 
bereit, ſo entſcheidet auf Anrufen eines Beteiligten das Anerbengericht über die 
Zuweiſung. 

Die Zuweiſung ſoll nur an einen Anerbenberechtigten erfolgen, der die Gewähr 
bietet, daß er den Hof ordnungsmäßig bewirtſchaften und ungeteilt erhalten wird; 
der Abernehmer kann ſich zur Sicherſtellung durch entſprechende Eintragung im 
Grundbuch erbieten. Unter mehreren danach Geeigneten hat der nach der Anerben⸗ 
folgeordnung des § 12 näher Berufene den Vorrang. 

Die Entſcheidung des Anerbengerichtes erfolgt nach Anhörung der Beteiligten 
durch begründeten Beſchluß. Spricht der Beſchluß die Zuweiſung aus, ſo ſoll er 
die Hofſtelle, die zum Hofe gehörenden Grundſtücke und die Perſon des überneh⸗ 
menden Anerben bezeichnen. Gegen den die Zuweiſung ablehnenden Beſchluß ſteht 
dem Anerben, gegen den die Zuweiſung ausſprechenden Beſchluß ſteht den Mit- 
erben die Beſchwerde binnen einer Notfriſt von 2 Wochen an das Erbhofgericht 
zu. Auch der Vorſitzende kann den Beſchluß innerhalb der Beſchwerdefriſt an- 
fechten (§ 35 Abſ. 2); er fol dies tun, wenn der Beſchluß dem Zweck des Geſetzes 
(§ 63 Abſ. 2) oder deſſen Grundgedanken nicht gerecht wird. 

Wird der Zuweiſungsbeſchluß rechtskräftig, jo ſteht damit feſt, daß das Eigen- 
tum an dem Hof mit dem Erbfall auf den Anerben übergegangen iſt. Der Hof iſt 
von Amts wegen in die Erbhöſerolle einzutragen. Das Anerbengericht hat zugleich 
auch das Grundbuchamt um die Eintragung des neuen Eigentümers zu erſuchen. 

Anträge auf Zuweiſung find bevorzugt vor allen anderen Sachen vom Anerben⸗ 
gericht und vom Erbhofgericht zu erledigen. Dieſes kann für die Zeit bis zur 
Rechtskraft der Entſcheidung geeignete, den einſtweiligen Zuſtand regelnde An⸗ 
ordnungen treffen. Sft ein Rechtsſtreit über das Erbrecht anhängig, fo kann jeder 
der Beteiligten die Ausſetzung bis zur Erledigung des Verfahrens vor dem Un- 
erbengericht und Erbhofgerichte beantragen. 


§ 28 


Wirkung 
Auf die Übernahme kraft Anerbenrechtes finden die Vorſchriften über die Erb- 
folge kraft Anerbenrechtes finngemäß Anwendung. Der Übernehmer hat die 
Rechtsſtellung des Anerben; für die Miterben gelten die Vorſchriften über die 
weichenden Erben. 


IV. Die Anerbenbehörden und ihr Verfahren 
8 29 
Grundſatz 

Zur Durchführung der beſonderen Aufgaben dieſes Geſetzes werden Anerben- 
gerichte und ein Erbhofgericht gebildet. 

In den durch dieſes Geſetz den Anerbengerichten und dem Erbhofgericht zur 
Entſcheidung überwieſenen Angelegenheiten können die ordentlichen Gerichte nicht 
angerufen werden. 


Das bäuerliche Erbhofgesetz 795 


1. Das Anerbengeridt 
§ 30 


Das Anerbengericht wird bei dem Amtsgericht für deſſen Bezirk gebildet. Der 
Juſtizminiſter kann im Einzelfalle den Bezirk anders beſtimmen. 


831 

Das Anerbengericht beſteht aus dem Vorfigenden und zwei Beiſitzern. 

Zum Worfigenden und ftändigen Stellvertreter wird vom Juſtizminiſter auf 
Vorſchlag des Oberlandesgerichtspräfidenten ein Richter ernannt. Es find nur 
Richter vorzuſchlagen, die mit den Erbgewohnheiten der bäuerlichen Bevölkerung 
beſonders vertraut ſind und volles Verſtändnis für die Notwendigkeit der unge⸗ 
teilten Vererbung der Bauernhöfe haben (§ 63 Ab. 2). Die Ernennung erfolgt 
regelmäßig für die Dauer des Kalenderjahres; ſie verlängert ſich jeweils für das 
folgende Jahr, wenn nicht bis zum 1. Dezember dem Präfidium des Landgerichts 
eine anderweite Verfügung zugegangen iſt. 

Die Beifitzer und die erforderliche Zahl von Stellvertretern werden auf Vor⸗ 
ſchlag der landwirtſchaftlichen Berufsvertretung vom Oberlandesgerichtspräſiden⸗ 
ten ernannt. Es find nur Bauern vorzuſchlagen, die mit einem Erbhof oder, foe 
lange ſolche noch nicht eingetragen find, mit einem nach den SS 1—3 zum Erbhof 
geeigneten Bauernhof im Bezirke des Anerbengerichts angeſeſſen find. 

Für die Rechtsverhältniſſe und die e der Beiſitzer gelten die für 
die Schöffen beſtehenden Vorſchriften der §§ 31—33, 8 35 Nr. 1 u. 5, 8 51—56 
des Gerichtsverfaſſungsgeſetzes finngemäß mit der Maßgabe, daß es einer Mit- 
wirkung der Staatsanwaltſchaft hier nicht bedarf und daß die Entſcheidung des 
Landgerichtspräſidenten über die im § 55 Schlußſatz gegebene Aufſichtsbeſchwerde 
endgültig ift. Wird das Fehlen einer Vorausſetzung für die Berufung zum Bei- 
figeramt nachträglich bekannt oder fällt eine Vorausſetzung nachträglich fort, fo 
enthebt der Oberlandesgerichtspräfident den Beiſitzer feines Amtes; vor der Ent⸗ 
ſcheidung iſt der VGeifiger zu hören. Die Entſcheidung des Oberlandesgerichts⸗ 
präfidenten ijt endgültig. 

8 32 

Die Beiſitzer üben während der beſchließenden Sitzung des Anerbengerichts das 
Richteramt in vollem Amfange und mit gleichen Stimmrecht wie der Vorſitzende 
aus. Die Vorſchriſten der 88 192— 198 des Gerichtsverfaſſungsgeſetzes über die 
Beratung und Abſtimmung und die Vorſchriften der SS 41—48 der Zivilprozeß- 
ordnung über die Ausſchließung und Ablehnung von Gerichtsperſonen gelten 
finngemäß. Wird der Vorſitzende abgelehnt, jo bedarf es einer Entſcheidung nicht, 
wenn er die Ablehnung für begründet hält oder ſich mit dem Eintreten ſeines 
Stellvertreters einverſtanden erklärt; andernfalls entſcheidet das Landgericht. Die 
Entſcheidung über die Ausſchließung oder Ablehnung eines Beiſitzers erfolgt durch 
den Vorfigenden. 


2. Das Erbhofgericht 


8 33 
Das Erbhofgericht wird beim Oberlandesgericht Celle gebildet. Es ift für ganz 
Preußen zuſtändig. 
8 34 
Das Erbhofgericht beſteht aus einem Richter als Vorſitzenden, zwei weiteren 
Richtern und zwei Bauern. Die ſämtlichen Mitglieder und ihre Stellvertreter 
werden vom Juſtizminiſter ernannt; die Bauern auf Vorſchlag der landwirtſchaft⸗ 
lichen Berufsvertretung. Die §§ 31 und 32 finden ſinngemäß Anwendung. 


7% Das bäuerliche Erbhofgesetz 


§ 35 
Das Erbhofgericht iſt zuſtändig zur Entſcheidung über das Rechtsmittel der 
ſofortigen Beſchwerde in den Fällen der 88 27 und 40. 
Das Erbhofgericht hat ferner zu entſcheiden, wenn der Vorſitzende des An⸗ 
erbengerichts deſſen Beſchluß anficht mit der Begründung, daß dieſer den Grund- 
gedanken oder dem Zwecke des vorliegenden Geſetzes nicht gerecht werde. 


8 36 
Beim Erbhofgericht und bei den Anerbengerichten wird eine Geſchäftsſtelle ein 
gerichtet. Ihre Obliegenheiten regelt die Geſchäftsanweiſung. 


3. Verfahren und Koſten. 
8 37 

Das Verfahren vor dem Anerben- und Erbhofgericht wird in Anlehnung an die 
Grundſätze des Verfahrens in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit 
durch 5 Juſtizminiſters geregelt; dieſer kann auch eine Vorentſchei⸗ 
dung durch den Vorſitzenden zulaſſen und einzelne Mitglieder des Gerichts mit 
der Erhebung von Beweiſen beauftragen. Das Erbhofgericht entſcheidet in der 
Regel auf Grund der Akten ohne mündliche Verhandlung, indem es nachprüft, ob 
der vom Anerbengericht feſtgeſtellte Sachverhalt die ergangene Entſcheidung recht⸗ 
fertigt. In Fällen, in denen es ihm zur Verwirklichung der Grundgedanken und 
Zwecke (88 1 ff., 63) des bäuerlichen Erbhofrechts erforderlich erſcheint, kann das 
Erbhofgericht von Amts wegen eine weitere Aufklärung des Sachverhalts und die 
Erhebung geeignet erſcheinender Beweiſe herbeiführen. 


§ 38 
Koſten werden für die im öffentlichen Intereſſe erfolgende Eintragung in die 
Anerbenrolle und für das zur Herbeiführung einer ſolchen Eintragung oder zu 
ihrer grundbuchlichen Durchführung dienende Verfahren mit Einſchluß auch des 
Verfahrens vor dem Anerben- und Erbhofgericht nicht erhoben; dies gilt ing- 
beſondere auch für das Verfahren zur Abernahme kraft Erbhofrechts (88 26—28). 
Im übrigen werden die Koſten in der Verordnung des Juſtizminiſters geregelt. 


V. Die Erbhöferolle 
1. Eintragung und Löſchung 
39 


In den Landſchaften mit Anerbenſitte (Anlage I) find alle zur Eintragung ge- 
eigneten land- und forſtwirtſchaftlichen Beſitzungen von Amts wegen in die Erb- 
höferolle einzutragen. 

In den Landſchaften ohne Anerbenſitte und in den Fällen des § 22 erfolgt die 
Eintragung nur, wenn der Eigentümer ſie ſchriftlich oder beim Anerbengericht 
mündlich beantragt. 

8 40 


Vorausſetzung für die Eintragung iff, daß der Eigentümer deutſcher Staats- 
bürger und deutſchen Blutes iſt (§ 2). Das Vorliegen dieſer Vorausſetzung wird 
vermutet. 

Beſtehen im Einzelfalle Bedenken, ſo iſt die Eintragung auszuſetzen und der 
Sachverhalt aufzuklären. Ergibt ſich hierbei, daß im Mannesſtamme des Cigen- 
tümers ein Vorfahr nicht deutſcher Art iſt, ſo iſt die Eintragung des Hofes in die 
Erbhöferolle durch begründeten Beſchluß abzulehnen. Der Beſchluß iſt dem Eigen⸗ 
tümer zuzuſtellen mit dem Hinzufügen, daß er ſelbſt und ſeine Leibeserben nicht 
das Recht haben, ſich Bauer zu nennen oder die Rechte für ſich in Anſpruch zu 
nehmen, die das Geſetz dem Eigentümer eines Erbhofes zuweiſt. 


Das bäuerliche Erbhofgesetz 797 


Ergibt die Prüfung, daß der Mannesſtamm rein ift, daß aber unter den übri- 
gen Vorfahren des Eigentümers bis hinauf zum 2. Glied (d. h. bis zu den Groß⸗ 
eltern einſchl.) eine Perſon nichtdeutſcher Herkunft iſt, ſo iſt der Hof zwar in die 
Erbhöferolle einzutragen und damit unter den Schutz des Anerbenrechts zu ſtellen; 
es iſt aber zugleich in die Spalte Bemerkungen der Vermerk aufzunehmen „Die 
(folgt Vor und Zuname und nach Möglichkeit auch Geburts⸗ und Todestag der 
Perſon nichtdeutſcher Herkunft) iſt nichtdeutſcher Herkunft. Die von dieſer Perſon 
abſtammenden Eigentümer des Hofes bis ins zweite Glied haben daher nach dem 
Geſetz nicht das Recht, ſich Bauer zu nennen oder die Rechte für ſich in Anſpruch 
zu nehmen, die die Geſetzgebung den Bauern und Eigentümern eines Erbhofes zu⸗ 
weiſt.“ Abſchrift des Vermerkes iſt dem Eigentümer mit der Nachricht von der 
Eintragung zuzuſtellen. Der Eigentümer hat in dieſem Falle und auch im Falle 
des vorigen Abſatzes das Recht zur ſofortigen Beſchwerde. 

Ergibt die Prüfung, daß der Eigentümer nichtdeutſcher Staatsbürger iſt, ſo iſt 
er zum Erwerbe der deutſchen Reichsangehörigkeit innerhalb beſtimmter Friſt auf- 
zufordern unter Hinweis auf die Nachteile, die die Nichteintragung als Anerben- 


hof zur Folge hat. 
841 


Die Hofſtelle und die zum Erbhof gehörenden Grundſtücke ſind nach ihrer Be⸗ 
zeichnung im Grundbuche in die Erbhöferolle einzutragen. 

Zugleich iſt das Grundbuchamt um die Eintragung des Erbhoſvermerks im 
Grundbuch zu erſuchen (8 45). 32 


Die Eintragung des Hofes in die Erbhöferolle iſt zu löſchen, wenn die geſetz⸗ 
lichen Vorausſetzungen für die Eintragung nicht oder nicht mehr vorliegen. 

Stellt ſich nachträglich heraus, daß der Eigentümer nicht deutſcher Staatsbürger 
iſt, ſo iſt ihm eine angemeſſene Friſt zu ſetzen, innerhalb deren er den Erwerb des 
deutſchen Staatsbürgerrechtes (deutſche Reichsangehörigkeit) nachzuweiſen hat. Bei 
fruchtloſem Ablauf der Friſt iſt die Eintragung zu löſchen. 

Stellt ſich nachträglich heraus, daß der Eigentümer nichtdeutſchen Blutes iſt, ſo 
iſt entſprechend dem § 40 Abſ. 3 und 4 zu verfahren. 


8 43 
In den Gallen, in denen die Eintragung nur auf Antrag des Eigentümers er- 
folgt, iſt ſie auch zu löſchen, wenn der Eigentümer es beantragt. 


8 44 
Die Erbhöferolle iſt bei den Grundakten der Hofſtelle zu verwahren. 


Grundbuchliche Behandlung 
8 45 

Die zum Erbhof gehörenden Grundſtücke ſind auf ein beſonderes Grundbuchblatt 
einzutragen und tunlichſt zu einem Grundſtück zu vereinigen. 

In der Aufſchrift des Grundbuchs wird der Erbhofvermerk eingetragen. Die 
Eintragung erfolgt auf Grund des Erſuchens des Anerbengerichts (§ 41 bf. 2). 
Nicht zum Erbhof gehörende Grundſtücke find nicht in das Grundbuch des Erbhofs 
einzutragen. 

8 46 

Für die Abereinſtimmung zwiſchen der Erbhöferolle und dem Grundbuch iſt 
dauernd zu forgen. 

Das Grundbuchamt fol dem Anerbengericht Nachricht geben, wenn der Eigen- 
tümer des Erbhofs ein anderes Grundſtück erworben oder wenn er ein zum Erbhof 
gehöriges Grundſtück veräußert hat. Das Anerbengericht gibt dem Grundbuchamt 


798 Das bäuerliche Erbhofgesetz 


Nachricht, wenn der Erbhof oder wenn einzelne zu ihm gehörige Grundſtücke in der 
Erbhöferolle gelöſcht find; in dieſem Falle ift auch der Erbhofvermerk im Grund- 


8 
buch zu löſchen. 3 47 


Erwirbt der Eigentümer des Erbhofs ein anderes Grundſtück, das offenfidtlid 
mit dem Erbhof eine wirtſchaftliche Einheit bildet, fo iſt es auf deſſen Grundbuch; 
blatt einzutragen; in anderen Fällen iſt die Entſcheidung des Anerbengerichts her⸗ 


beizuführen. 
2. Die Anlegung der Erbhöferolle 
8 48 

Die Gemeindevorſteher haben binnen 2 Monaten nach Inkraſttreten dieſes Ge⸗ 
ſetzes ein Verzeichnis der in ihrem Bezirk gelegenen, nach den 88 1—3 eintragunas- 
fähigen Beſitzungen dem Landrat einzureichen. In das Verzeichnis find ſämtliche 
land- und forſtwirtſchaftlichen Beſitzungen aufzunehmen, die mindeſtens zur Er- 
nährung einer bäuerlichen Familie ausreichen (Ackernahrung) und deren Bewirt⸗ 
ſchaftung von einer Hofſtelle aus erfolgen kann. Beſtehen Zweifel, ob der Eigen⸗ 
tümer deutſcher Staatsbürger oder deutſchen Blutes iſt, ſo iſt dieſes beſonders zu 
vermerken. Das Verzeichnis iſt am Schluß mit der Beſcheinigung zu verſehen, daß 
es vollſtändig iſt und daß weitere eintragungsfähige Beſitzungen nicht vorhanden 

nd. 

: Der Landrat überſendet die Gemeindeverzeichniſſe binnen einem weiteren Mo- 
nat dem zuſtändigen Anerbengericht. Er hat hierbei eine Liſte der ſämtlichen zu 
feinem Kreiſe gehörigen Gemeinden beizufügen und bei den einzelnen Verzeich⸗ 
niſſen ſich darüber zu äußern, ob dieſe vollſtändig find oder ob noch eine Ergän⸗ 
zung von ihm angeordnet wurde. Dem Landrat ſteht frei, zu den einzelnen Num⸗ 
mern des Verzeichniſſes gutachtlich Stellung zu nehmen; er kann auch Einſpruch 
gegen die Eintragung einer beſtimmten Befitzung einlegen. 

In Stadtkreiſen überſendet der Bürgermeiſter das Verzeichnis unmittelbar dem 
Anerbengericht mit der Beſcheinigung ſeiner Vollſtändigkeit. 

8 49 

Der Vorſitzende des Anerbengerichts ſtellt — nötigenfalls nach Vornahme wei- 
terer Ermittlungen und Aufnahme geeignet erſcheinender Beweiſe — die gericht. 
lichen Verzeichniſſe für den Bezirk des Anerbengerichtes auf. Er hat hierbei unter 
Heranziehung auch des Eigentümerverzeichniſſes zum Grundbuch die Vollſtändig⸗ 
keit der Verzeichniſſe nachzuprüfen und dafür zu ſorgen, daß ſämtliche zu den ein- 
zelnen Höfen gehörenden Grundſtücke nach ihrer Bezeichnung im Grundbuche bei 
der betreffenden Hofſtelle in dem Verzeichnis vermerkt werden. 

Das gerichtliche Verzeichnis wird durch Aushang an der Gerichtstafel einen 
Monat lang öffentlich bekanntgemacht. Auch iſt jedem Gemeindevorſteher eine Ub- 
ſchrift des ſeine Gemeinde betreffenden gerichtlichen Verzeichniſſes zuzuſtellen mit 
der Aufforderung, ſie zu jedermanns Einſicht auszulegen und dies in ortsüblicher 
Weiſe bekanntzumachen. Das Verzeichnis und alle Abſchriften find am Schluß mit 
dem Hinweis zu verſehen, daß jeder Eigentümer, der in dem Verzeichnis zu An⸗ 
recht eingetragen oder zu Anrecht nicht eingetragen tft oder deſſen Grundſtücke 
darin nicht richtig angegeben find, zur Einlegung des Einſpruchs beim Anerben- 
“aba 18 einem Monat nach Beendigung des Aushangs an der Gerichtstafel 

efugt iſt. 

Ein Auszug aus dem Verzeichnis ſoll jedem in dasſelbe aufgenommenen Eigen- 
tümer zugeſtellt werden mit der Aufforderung, wenn ſein Hof zu Anrecht in das 
Verzeichnis aufgenommen ſei oder wenn die zum Hofe gehörigen Grundſtücke nicht 
richtig, insbeſondere nicht vollſtändig angegeben ſeien, dieſes binnen einem Monat 
nach der Zuſtellung durch Einſpruch beim Anerbengericht geltend zu machen. Der 
Zuſtellung an den Eigentümer iſt ein Abdruck der hauptſächlichen Vorſchriften des 


Das bäuerliche Erbhofgesetz 799 


bäuerlichen Erbhofrechts nach näherer Beſtimmung des Juſtizminiſters beizufügen 
unter Hinweis darauf, daß ein vollſtändiger Abdruck des Geſetzes beim Gemeinde⸗ 
vorſteher eingeſehen werden könne. Dem Gemeindevorſteher iſt eine angemeſſene 
Anzahl von Geſetzesabdrucken zu überſenden. 


8 50 


Sind die Einſpruchsfriſten abgelaufen, ſo werden die Höfe, gegen deren Eintra⸗ 

gung Einſpruch nicht eingelegt iſt, in die Erbhöferolle eingetragen. 
851 

Aber die Einſprüche entſcheidet das Anerbengericht. 

Dieſes hat die erforderlichen Ermittlungen anzuſtellen und die geeignet erſchei⸗ 
nenden Beweiſe aufzunehmen. Es ſoll vor der Entſcheidung den Eigentümer und 
den Landrat hören. 

Die Entſcheidung des Anerbengerichts iſt endgültig, wenn nicht der Vorſitzende 
die Entſcheidung des Erbhofgerichts anruft. Der Vorſitzende ſoll die Entſcheidung 
des Erbhofgerichts anrufen, wenn das Anerbengericht entgegen den Grundgedan⸗ 
ken und Zwecken des bäuerlichen Erbhofrechtes einem Einſpruch ſtattgegeben hat 
oder wenn es ſich um eine Frage von grundſätzlicher Bedeutung handelt. 

Iſt der Einſpruch zurückgewieſen, ſo erfolgt die Eintragung in die Erbhöferolle. 

8 52 

Im Jahre 1940 und danach im Zwiſchenraum von regelmäßig 10 Jahren hat der 
Vorſitzende des Anerbengerichts ein Verzeichnis der eingetragenen Erbhöfe dem 
Landrat zu überfenden. Dieſer prüft unter Zuziehung des Gemeindevorſtehers, ob 
die Eintragungen in die Erbhöferolle noch zu Recht beſtehen und ob in der Ge⸗ 
meinde noch andere Beſitzungen vorhanden find, die zur Eintragung als Erbhof 
geeignet, aber noch nicht eingetragen ſind. 

Der Landrat teilt das Ergebnis ſeiner Prüfung dem Anerbengericht mit. Dieſes 
entſcheidet nach Anhörung des Eigentümers und nötigenfalls nach Anſtellung wei⸗ 
terer Ermittlungen und Erhebung von Beweiſen über die Berichtigung des Ver⸗ 
zeichniſſes. Die Entſcheidung iſt dem Landrat und dem Eigentümer zuzuſtellen. 
Ihnen ſteht binnen einem Monat nach Zuſtellung der Einſpruch zu. Aber den Ein- 
ſpruch entſcheidet das Anerbengericht. 

Die 88 50 und 51 gelten entſprechend. 

§ 53 

Der Vorſitzende des Anerbengerichts hat aud in der Zwiſchenzeit dafür zu for- 
gen, daß die Erbhöferolle auf dem laufenden bleibt und daß alle zur Eintragung 
pecraneten Höfe und zugehörigen Grundſtücke in die Erbhöferolle eingetragen wer⸗ 

en. 


Vl. Abergangs⸗ und Schlußvorſchriften 
1. Inkrafttreten und Außerkrafttreten 
8 54 
Inkrafttreten 


Das Geſetz tritt am 1. Juni 1933 in Kraft. 
Es hat Wirkung für die Erbfälle, die nach dieſem Zeitpunkt eintreten, ſoweit 
nicht im Einzelfalle die Ausnahmevorſchrift im § 57 Platz greift. 


855 
Geltungsbereich 


Das Geſetz gilt für den ganzen Staat. 

Die nur für einzelne Provinzen oder kleinere Teile des Staates geltenden An⸗ 
erbengeſetze mit Einſchluß auch des Gewohnheitsrechts treten unbeſchadet der Aber. 
gangsvorſchriſt im § 57 außer Kraft. 


800 Das bäuerliche Erbhofgesetz 


8 56 
Außerkrafttreten 
Außer Kraft treten insbeſondere die nachſtehenden Geſetze und Verordnungen: 
1. Alteres Recht 
a) Holftein: 

1. Konſtitution König Friedrichs III für die Herrſchaft ee on 28. 
April 1654 (Corpus Constitutionum Regio-Holsaticarum Bd. II S. 1132) er- 
gänzt durch das Reffript König Friedrichs IV. vom 27. Juni 1707 (Corpus 
Constitutionum Regio-Holsaticarum Bd. II S. 1156). 

2. Die Fürſtliche Verordnung vom 15. März 1704 (abgedr. in der ſyſtemati⸗ 
ſchen Sammlung der für die Herzogtümer Schleswig und Holftein annoch gültig 
königlichen, ſürſtlichen, großfürſtlichen und gemeinſchaftlichen Verordnungen 
und Verfügungen Bd. II Abt. 2 S. 631). Mit Anderungen durch die Verord- 

nung vom 15. Juni 1742 und das Reffript vom 11. Januar 1745 (Corpus Con- 
stitutionum Regio-Holsaticarum Bd. I S. 154, 157). 

3. Verordnung je die Plöner Diſtrikte, d. h. die Amter Plön und Ahrens⸗ 
boek vom Jahre 173 

4. Amtsbefehl des Amtmanns zu Rendsburg für das Amt Rendsburg vom 
11. November 1733 (Corpus Constitutionum Regio-Holsaticarum Bd. II S. 603). 

5. Verordnung Chriſtians VI. für die Herrſchaft Pinneberg vom 20. Gep- 
ro 1737 (Corpus Constitutionum Regio-Holsaticarum Bd. II ©. 1070). 

6. Reſkript Chriftians VII. für das Stat Gegeberg vom 20. Sanuar 1766 
(Chronologiſche Sammlung der königl. Verordnungen und Verfügungen für 
die Herzogtümer Schleswig und Holſtein, Jahrgang 1766, S. 1). 

7. Verordnung des Amtmanns Traventhal für die Amter Reinfeld, Reth- 
wiſch und Traventhal mit Gieſchenhagen vom 18. Juni 1768. 

8. Refolution Chriſtians VII. an den „ zu Preetz vom 17. Ok. 
tober 1786 (Chronol. Sammlung, Jahrg. 1786 S. 162). 

9. Regulativ Chriſtians VII. für die vormals Pioviden Amter vom 27. Fee 
bruar 1789 (Chronol. Samml., Jahrg. 1789 S. 9 

b) Schleswig: 

1. Die Stapelholmer Konſtitution vom 27. Januar 1623 (Corpus statutorum 
Slesvicensium, Schleswig 1794, Bd. I, S. 618). Abgeändert durch die Verord- 
nung vom 8. Juni 1774 und vom 28. Juli 1784 (Esmarch, Samml. der Statute, 
Verordnungen und Verfügungen, welche das Bürgerliche Recht des Herzog⸗ 
tums Schleswig betreffen, Teil II S. 148 und 152). 

2. Verordnung Chriſtians VII. vom 14. April 1766 (Esmarch, Samml. der 
Statute, VO. und Vfg., welche das Bürgerliche Recht des Herzogtums Schles⸗ 
wig betreffen, Teil II S. 127), ergänzt durch die Verordnung vom 26. März 
1772 (Esmarch a. a. O. Teil II S. 133) und durch die Verfügung vom 22. Juni 
1784 (Esmarch a. a. O. Teil II S. 144). 

3. Verordnung Chriſtians VII. betreffend das Näherrecht in den Bonden⸗ 
gütern auf der Geeſt vom 18. Juni 1777 (Esmarch a. a. O. Teil II S. 140). 


2. Neueres Recht 

Geſetz betreffend das Höferecht im Kreiſe Herzogtum Lauenburg vom 21. Fe⸗ 
bruar 1881 (GSS. 19); 

Landgüterordnung für die Provinz Brandenburg vom 10. Juli 1883 (GSS. 111); 

Landgüterordnung für die Provinz Schleſien vom 24. April 1884 (GSS. 121); 

Landgüterordnung für die Provinz ln 775 Ausnahme des 
Kreiſes Herzogtum Lauenburg; vom 2. April 1886 (GSS. 1 

Landgüterordnung für den Regierungsbezirk Kaſſel, mit 8 des Kreiſes 
Rinteln; vom 1. Juli 1887 (GSS. 315); 


Das bäuerliche Erbhofgesetz 801 


Geſetz betreffend das Anerbenrecht bei Landgütern in der Proving Weſtfalen 
und in den Kreiſen Rees, Eſſen (Land), Eſſen (Stadt), Duisburg, Ruhrort und 
Mülheim a. d. Ruhr; vom 2. Juli 1898 (GSS. 139); 

Höfegeſetz für die Provinz Hannover, in der Faſſung der Bekanntmachung vom 
9. Auguſt 1909 (GSS. 662); 

Höfegeſetz für den Kreis N e in der Faſſung der Bekannt- 
machung vom 20. Juli 1910 (GSS. 115); 

Waldeckiſches Geſetz über das Anerbenrecht bei land. und . 
Beſitzungen vom 27. Dezember 1909 (Wald. Reg.⸗Bl. 1910 S 


8 57 


Vorhandene Anerbengüter 

Das Außerkrafttreten der bisherigen Anerbengeſetze tritt für die ihnen bereits 
kraft Eintragung oder kraft Gewohnheitsrechts unterworfenen Höfe, Landgüter 
und anderen Anerbengüter erſt mit dem Zeitpunkt ein, in welchem über die Ein- 
tragung des Hofes, Landgutes oder anderen Anerbengutes in die Erbhöferolle des 
Bauerlichen Erbhofrechts endgültig entſchieden iſt. Die Entſcheidung über die Ein- 
tragung eines gegenwärtig zum Geſamtgut einer ehelichen Gütergemeinſchaft ge- 
hörenden Hofes kann endgültig erſt dann erfolgen, wenn der Hof nicht mehr zum 
Geſamtgut gehört. 

Auf Höfe, Land- und Anerbengüter, für die noch die bisherigen Anerbengeſetze 
fortgelten, kann auch das Recht zur Übernahme kraft Anerbenrechts (§§ 26—28) 
nicht ausgeübt werden. 


§ 58 
Rentengutsanerben- und Zwangsauflöſungsgeſetz 
Das Geſetz betreffend das Anerbenrecht bei Renten- und Anſiedlungsgütern 
vom 8. Juni 1896 (GSS. 124) und die im Zwangsauflöſunggeſetz vom 22. April 
1930 (GSS. 125) 8 165 enthaltenen Vorſchriften über das Anerbenrecht bei 


Waldgütern bleiben in Geltung. Sie ſchließen für ihren ſachlichen Geltungsbereich 
die Anwendung des vorliegenden Geſetzes aus. 


8 59 
Außerkrafttreten der 88 26—28 


In den Landesteilen mit Anerbenſitte (Anlage I) treten die 88 26—28 des vor- 
liegenden Geſetzes betreffend die Abernahme kraft Anerbenrechtes außer Kraft 
mit dem Zeitpunkte, in dem die Erbhöferolle als angelegt anzuſehen iſt. 

Dieſer Zeitpunkt wird vom Juſtizminiſter im Einvernehmen mit dem Miniſter 
für Landwirtſchaft, Domänen und Forſten durch Verordnung in der Preußiſchen 
Geſetzſammlung bekanntgegeben. Er kann für die verſchiedenen Landesteile ver- 
ſchieden ſein. 

2. Abergangs⸗ und Ausführungsvorſchriften 


§ 60 
Staatsverträge 


Dies Geſetz bleibt außer Anwendung, inſoweit ſeine Anwendung einem beſtehen⸗ 
den Staatsvertrage zuwiderlaufen würde. 


8 61 
Aberleitung 


Die zur Überleitung in den Rechtszuſtand dieſes Geſetzes etwa noch erforder- 
lichen Vorſchriften werden durch gemeinſchaftliche Verordnung des Juſtizminiſters 
und des Miniſters für Landwirtſchaft, Domänen und Forften erlaſſen. 


802 Das bäuerliche Erbhofgesetz 


§ 62 


Ausführung 

Die Ausführung des Geſetzes erfolgt im Benehmen mit dem Miniſter für Land⸗ 
wirtſchaft, Domänen und Forſten durch den Juſtizminiſter. 

Dieſer wird ermächtigt, die zur Durchführung erſorderlichen Nechtsverordnun⸗ 
gen und allgemeinen Verwaltungsvorſchriften zu erlaſſen. Er kann, ſoweit er es 
zur Erreichung der Zwecke des Geſetzes für erforderlich erachtet, auch ergänzende 
Vorſchriften erlaſſen und hierbei in Einzelheiten von den Vorſchriften dieſes Ge⸗ 


ſetzes abweichen. 
3. Schlußvorſchriſt 
§ 63 
Auslegungsregel 

Entſtehen bei Anwendung dieſes Geſetzes Zweifel, fo hat der Richter fo zu ent- 
5 8 wie es den Grundgedanken (§§ 1 ff.) und dem Zweck des Geſetzes ent- 
pricht. 

Das Geſetz hat den Zweck, die Bauernhöfe vor Aberſchuldung und ſchädlicher 
Zerſplitterung im Erbgange zu ſchützen, um ſie dauernd als Erbe der Familie in 
der Hand freier Bauern zu erhalten. Zugleich will das Geſetz auf eine geſunde 
Verteilung der landwirtſchaftlichen Beſitzgrößen hinwirken. Eine große Anzahl 
lebensfähiger kleiner und mittlerer Bauernhöfe, möglichſt gleichmäßig über das 
ganze Land verteilt, iſt für die Geſunderhaltung von Volk und Staat notwendig. 
Iſt eine Frage zu entſcheiden, die in dieſem Geſetze nicht beſonders geregelt iſt, ſo 
hat der Richter unter Berückſichtigung des Geſetzeszweckes ſo zu entſcheiden, wie 
wenn er im Rahmen zwingenden Reichsrechts als ordentlicher und gewiſſenhafter 
Geſetzgeber den Fall ſelbſt zu regeln hätte. 


Anlage I 


| (88 4 und 59) 
Als Landſchaften mit Anerbenſitte (Bauerngebiet) gelten: 
1. ſämtliche preußiſchen Regierungsbezirke mit Ausnahme nur von Aachen, Kaſſel, 
Köln, Koblenz, Trier und Wiesbaden; 
2. der Regierungsbezirk Kaſſel mit Ausnahme der Kreiſe Hanau und Gelnhauſen; 
3. im Regierungsbezirk Wiesbaden der Kreis Biedenkopf; 
4. im Regierungsbezirk Köln der Kreis Wipperfürth. 


Anlage II 


(8 4) 
Als Landſchaften ohne Anerbenſitte (Zerſplitterungsgebiet) gelten: 
die Regierungsbezirke 
Aachen, 
Koblenz, 
Köln (ohne den Kreis Wipperfürth), 
Trier, 
Wiesbaden (ohne den Kreis Biedenkopf) 
und vom Regierungsbezirk Kaſſel 
die Kreiſe Gelnhauſen und Hanau. 


Das Ardiv 


Eine Veranſtaltung überſchattet in 
ihrer äußeren Form und ihrem feeli- 
ſchen Inhalt alle anderen Ereigniſſe im 
Monat Mai, eine Veranſtaltung, die 
zu einem wahrhaften Erlebnis des ge⸗ 
ſamten deutſchen Volkes wurde: der 
Tag der nationalen Arbeit! 
Jahrzehntelang war der 1. Mai von 
den Marxiſten zu einem würdeloſen 
Mairummel verfälſcht worden, zu 
einem Tag, an dem die roten Hetzer 
zum Kampf aller gegen alle aufriefen. 
Nun hat das deutſche Volk eine wahr⸗ 
hafte Maifeier der Gemeinſchaft erlebt 
und der deutſchen Arbeit vor der ge⸗ 
ſamten Weltöffentlichkeit die Würdi⸗ 
gung gezollt, die nur ihr gebührt. 

Niemals hat die Welt ähnliche Maſ⸗ 
ſendemonſtrationen unter nationalen 
Symbolen und Leitgedanken erlebt. In 
allen deutſchen Gauen und Provinzen 
ſammelten ſich die werktätigen Maſſen 
zum Bekenntnis untrennbarer 
völkiſcher Gemeinſchaft. Die 
Krönung des Tages der nationalen Ar⸗ 
beit wurde der Aufmarſch der andert- 
halb Millionen auf dem Tempelhofer 
Feld in Berlin, bei dem der Führer 
und Reichskanzler Adolf Hit- 
ler die Ziele der Regierung der deut⸗ 
ſchen Revolution auf wirtſchaftspoliti⸗ 
ſchem Gebiete entwickelte. Von beſon⸗ 
derer Bedeutung war wiederum das 
eindeutige Bekenntnis zum Bauern- 
tum. Durch den jahrelangen Klaſſen⸗ 
kampf, ſo führte Adolf Hitler aus, ſei 
das deutſche Volk in ſich zerfallen, ſeine 
ganze Lebenskraft werde im innern 
Kampf verbraucht. Es ſei notwendig, 
daß die Klaſſen unſeres Volkes ſich 
nahe kennenlernen, indem man die 
Schranken einreiße und über das ganze 
Volk hinweg ohne Stand und Beruf 
eine Idee verkünde. „So wollen wir 
denn in die Städte gehen, um das We— 
fen und die Notwendigkeiten des deut- 
ſchen Bauerntums zu erklären und 
gehen auf das Land und zu unſerer In⸗ 


telligenz, um ihnen die Bedeutung des 
deutſchen Arbeiters beizubringen. Wir 
werden ſie alle belehren, daß es ohne 
deutſchen Geiſt auch keine deutſche Seele 
gibt, daß ſie alle zufammen eine 
Gemeinſchaft bilden müſſen, Geiſt, 
Stirn und Fauſt, Arbeiter, Bauer und 
Bürger.“ Adolf Hitler erklärte, daß 
die Regierung beſchloſſen habe, die Ar- 
beitsdienſtpflicht noch in dieſem Jahre 
einzuführen, um viele wieder zur ehren- 
vollen Handarbeit zu führen. Es ſei un⸗ 
verrückbarer Entſchluß, jeden einzelnen 
Deutſchen, er möge ſein, wer er wolle, 
ob hochgeboren und reich, ob arm oder 
Sohn von Gelehrten oder Sohn von 
Fabrikarbeitern, einmal in ſeinem Le⸗ 
ben zur Handarbeit zu führen, damit 
er ſie kennenlerne und auch leichter be⸗ 
fehlen könne, da er ſelbſt ſchon einmal 
dann gehorchen gelernt habe. Es gebe 
keinen Aufſtieg, ſo fuhr der 
Kanzler fort, der nicht be- 
ginne bei der Wurzel des na- 
tionalen, völkiſchen und ſo⸗ 
zialen Lebens, beim Bauer! 
Von ihm führe der Weg zum Arbeiter 
und weiter zur Intelligenz. 

Nachdem im verfloſſenen Monat un- 
ter dem Porfi von R. Walther 
Darré die Reichsführergemeinſchaft 
des deutſchen Bauernſtandes gegründet 
wurde, und damit der erſte Schritt zur 
Verwirklichung einer langen Sehnſucht 
des deutſchen Bauerntums, einer 
großen Einheitsorganiſation des ge⸗ 
ſamten Bauernftandes getan iſt, wird 
die berufsſtändiſche Neugliederung der 
deutſchen Landwirtſchaft immer drin⸗ 
gender. Grundlegende Ausführungen 
zu dieſer wichtigen Frage machte der 
inzwiſchen auch zum Präſidenten der 
deutſchen landwirtſchaftlichen Genoffen- 
ſchaften gewählte agrarpolitiſche DBe- 
auftragte Pg. R. Walther Darre auf 
einer großen Kundgebung rhei— 
niſcher Bauern in Köln. Das 
Jahr 1933 ſei der Wendepunkt in der 


804 


Geſchichte des landwirtſchaftlichen Or- 
ganiſationsweſens. Hier habe ſich in 
der liberaliſtiſchen Zeitepoche ein Or- 
ganiſationsapparat aufgebläht, der in 
dieſer Form nicht aufrechterhalten wer⸗ 
den könne. Organiſationen, Geſetze, 
Programme und Maßnahmen ſeien 
nichts, wenn nicht verantwortungsbe⸗ 
wußte Führer dieſe Maßnahmen durd- 
führten. In das landwirtſchaftliche Or. 
ganiſationsweſen müſſe wieder der 
Geiſt altpreußiſcher Sparſamkeit ein- 
ziehen. Als eine Aufgabe der freiberuf⸗ 
lichen Organiſation nannte Darré die 
wirklich ideelle Bildung des Bauern- 
ſtandes durch die Bauernhochſchule. 
Leider habe auch in den landwirtſchaft⸗ 
lichen Genoſſenſchaften entgegen den 
alten Grundſätzen eine verderbliche 
Subventionswirtſchaft Platz gegriffen. 
Die Millionen, die z. B. aus dem Not- 
programm in die Landwirtſchaft fließen 
ſollten, ſeien zum großen Teil ſchon im 
Verwaltungsapparat hängengeblieben. 
Wir müſſen zurückkehren zu den be⸗ 
währten genoſſenſchaftlichen Grund- 
ſätzen der Selbſthilfe, Gelbft- 
verantwortung und Gelbft- 
verwaltung. Von beſonderer Be⸗ 
deutung ſei auch die Reform des land- 
wirtſchaftlichen Markt- und Börſen⸗ 
weſens und die Stärke der Vertretung 
der Landwirtſchaft in den Preiskom⸗ 
miſſionen. Die Auswüchſe der Spefula- 
tion und der Einfluß der VGorfianer 
auf die Preiſe ſei in der liberaliſtiſchen 
Epoche oft geradezu ausſchlaggebend 
geweſen. In dieſer Richtung habe die 
NSDAP. in Bayern und auch in 
Württemberg durch ihre Staatskom⸗ 
miſſare beiſpielhaft gewirkt. Schließlich 
müſſe auch eine Neugeſtaltung der 
öffentlich⸗ rechtlichen Berufsvertretung, 
der Landwirtſchaftskammern, durchge⸗ 
führt werden. Sie ſeien 1894 urſprüng⸗ 
lich gegründet worden, um gegen den 
frondierenden Bund der Landwirte, 
aus dem die Landbünde entſtanden 
ſeien, ein ſtaatliches Gegengewicht zu 
ſchaffen. Nachdem die freien berufs- 
ſtändiſchen Organiſationen ſich geeinigt 
hätten, und der Kanzler die Schirm- 
herrſchaft übernommen habe, ſei der 
damalige Sinn der Landwirtſchafts⸗ 


Das Archiv 


kammern hinfällig geworden. Es ergebe 
ſich nun eine grundſätzliche Arbeitstei- 
lung auf verſchiedene Gebiete, wobei 
beide öffentlich anerkannt werden ſollen. 

Mit dieſer bedeutſamen Frage der 
berufsſtändiſchen Neugliederung der 
deutſchen Landwirtſchaft beſchäftigt ſich 
in Nr. 195 der Berliner Börſen⸗ 
Zeitung auch Pg. Diplomland- 
wirt von Zeppelin. Die ſeinerzeit 
ins Leben gerufene „Grüne Front“ ſei 
zum Scheitern verurteilt geweſen, da 
ſie keinen feſten Rückhalt im Lande un⸗ 
ter den Bauern hatte. Sie ſei an ſich 
ein ſchwaches Gebilde geweſen, von den 
Gegnern der Landwirtſchaft wenig ge- 
fürchtet. In ganz entſcheidenden Fra⸗ 
gen habe ſie kaum Erfolge erzielt. Vom 
großen politiſchen Geſichtspunkt aus ſei 
ſie eine Fehlkonſtruktion geweſen, 
ein Gebilde, mit dem ſich eine Schlacht 
nicht gewinnen ließe. Nun vollziehe ſich 
der Umbau innerhalb der berufsftändi- 
ſchen Organiſationen (Landbund, Bau- 
ernvereine, Bauernſchaft) ſchnell und 
reibungslos. Analog der Reichsführer⸗ 
gemeinſchaft des deutſchen Bauernſtan⸗ 
des ſeien bisher in Bayern, Württem- 
berg, Baden, Heſſen, Rheinland und 
den meiſten übrigen preußiſchen Pro- 
vinzen Landesführergemeinſchaften ge⸗ 
bildet worden. Pg. von Zeppelin ver- 
weiſt in 5 Artikel auf einen Auf- 
ſatz von Dr. Kräutle in der Berliner 
Börſen⸗Zeitung aus dem Jahre 1929, 
worin dieſer Kenner unſeres landwirt- 
ſchaftlichen Genoſſenſchaftsweſens genau 
formulierte Aufgaben zur dringenden 
Löſung empfohlen habe. In dieſen bald 
5 Jahren ſeit 1929 ſei man leider in 
dieſen entſcheidenden Punkten nur ganz 
wenig vorwärtsgekommen. Schon im 
Jahre 1929 habe man im Jahrbuch des 
„RNeichsverbandes der deutſchen land⸗ 
wirtſchaftlichen Genoſſenſchaften“ über 
die Mißſtände beim Getreideabſatz ge- 
ſchrieben, daß die genoſſenſchaftliche 
Konkurrenz auf den Märkten aufhören 
müſſe. Dieſe Erklärung ſei, wie ſo oft, 
auf dem Papier ſtehengeblieben. In 
Württemberg habe Staatskommiſſar 
Pg. Arnold in dieſer Hinſicht grund- 
legende Maßnahmen eingeleitet, ins- 
beſondere auch zur Beſeitigung des 


Neues Schrifttum 


ſchädlichen Konkurrenzkampfes zwiſchen 
Darlehnskaſſe und Bezugs⸗ und Ab⸗ 
ſatzgenoſſenſchaft. Zeppelin beſchäftigt 
ſich ſchließlich auch mit der Neuordnung 
der Landwirtſchaftskammern, wobei er 
auf die bürokratiſchen Aberſpannungen 
bei einer Reihe von Landwirtſchafts⸗ 
kammern hinweiſt. Der Abſtand zwi⸗ 
ſchen Landwirtſchaftskammer und Pra- 
xis müſſe in nächſter Zeit unter allen 
Amſtänden überbrückt werden. Man 
müſſe ſich darüber klar werden, inwie⸗ 
weit es möglich ſei, ein ſtärkeres Eigen⸗ 
leben in etwaigen Kreisgebilden zu 
entwickeln, wobei allerdings das baye⸗ 
riſche Beiſpiel keine Nachahmung ver- 
diene. 

Auch die Grüne Wochenſchau 
des Reichslandbundes äußert 
ſich zur Frage der Neuordnung des 
Bauernſtandes. Sie wendet ſich vor 
allem gegen eine Denkſchrift, die von 
dem deutſchnationalen Staatsſekretär 
von Rohr verbreitet wird. Auch die 
Ausführungen, die Herr von Rohr nach 
den „Mitteilungen der deutſchnationa⸗ 
len Volkspartei“ vor der deutſchnatio⸗ 
nalen Reichstagsfraktion gemacht habe, 
gingen von einer irrigen Vorausſetzung 
aus. Die Neuordnung des landwirt- 
ſchaftlichen Berufsſtandes ſei und könne 
nicht Aufgabe des Reichsernährungs⸗ 
miniſteriums ſein, ſondern liege in den 
Händen der freien Standesorganiſa⸗ 
tionen. Das dieſe ihre vordringlichſte 
Aufgabe rechtzeitig erkannt und mit 
Entſchloſſenheit angefaßt habe, beweife 
die Bildung der Reichsführergemein⸗ 
ſchaft unter dem Vorſitz des Leiters 
des Agrarpolitiſchen Apparates der 
NSDAP. R. Walther Darré. Die 
Reichsführergemeinſchaft beſitze das 
Vertrauen des Reichskanzlers Adolf 


805 


Hitler. Das Verhalten des Staats- 
ſekretärs von Rohr in der Frage der 
berufsſtändiſchen Neuordnung rufe 
höchſt überflüſſige Gegenſätze hervor, 
die angeſichts der ſachlichen Leiſtungen 
des Reichsernährungsminiſteriums auf 
agrarpolitiſchem Gebiet um fo bedauer- 
licher ſeien. 

Nunmehr hat die Regierung auch die 
Grundzüge eines landwirtſchaft⸗ 
lichen Entſchuldungsgeſetzes 
bekanntgegeben. Das Geſetz ſoll die 
Möglichkeit für eine allgemeine Ent⸗ 
ſchuldung der Landwirtſchaft ſchaffen 
und eine allmähliche Verringerung der 
Verſchuldung bis zur Mündelficher- 
heitsgrenze, die von den Amtsgerichten 
feſtgeſetzt werden ſoll, herbeiführen. Die 
Entſchuldung ſoll im Gegenſatz zum 
Oſthilfeverfahren nicht durch einen 
bürokratiſchen Apparat zentral erfol- 
gen, ſondern örtlich und individuell vor 
ſich gehen, um nach Möglichkeit ein 
freiwilliges Entſchuldungsverfahren 
zwiſchen Gläubiger und Schuldner her- 
beizuführen. Erſt im Falle der Nicht. 
einigung iſt ein Zwangsvergleich durch 
die zuſtändigen Amtsgerichte beabſich⸗ 
tigt. Die Zinſen für die Sculdver- 
ſchreibungen der landwirtſchaftlichen 
Kreditinſtitute ſollen allgemein auf 
4 Prozent herabgeſetzt werden. 

Bezeichnend iſt, daß während der 
letzten Wochen im Rahmen der Gleich⸗ 
ſchaltungsaktionen der landwirtſchaft⸗ 
lichen berufsſtändiſchen Organiſationen 
immer wieder die Betrauung Darrés 
mit der Führung des Reichsernäh⸗ 
rungsminiſteriums gefordert wurde, 
ein Beweis, wie tief das Vertrauen zu 
dieſem Manne heute in den Bauern 


wurzelt. 
Roland Schulze. 


Neues Schrifttum 


1. Allgemeines, Geſchichte, Statiſtik, 
Grundbeſitz, Vereinsweſen, Abſchätzung; 
Mech. d. Landw. 


Damaſchke, Adolf: Deutſche Bo⸗ 
denreform. Eine Einf. 3. Aufl.: Reclam 


(1933) 78 S. Kl.⸗8. — Reclams Unt- 
verjal-Bibl. Nr. 6972 —.35; Pp. —. 75. 

Miller, LandwRat: Der deutſche 
Landwirtſchaftsbetrieb in d. autarken 
Volkswirtſchaft. Kaiſerslautern: Lincks⸗ 
Cruſius 1933. 170 S. 4°. 4.—. 


806 


Weber, Edmund: Aus d. Geſchichte 
d. Nev. Landes⸗Landwirtſchaftskam⸗ 
mer. Eine Aberſicht. Wien (I, Löwelſtr. 
14/16): Agrarverlag 1932. 23 S. Gr. - 
80 — Bauernſchriften Nr. 39. S. —.80. 


2. Ländliche Siedlung, Bevölkerungs⸗ 
weſen, Landarbeiterfrage, Bauerntum. 

Brix, Wilh. Dr.: Erziehliche Ein- 
flüſſe d. (ol. Milieus u. ihre Bedeu⸗ 
tung f. Landkind u. Landſchule. Ofter- 
wieck: Zickfeldt (1933). 1586. 8° — 
Halliſche pädagog. Studien. H. 17. 3.—. 

Butterſack, F. Dr., Gen.-Arzt: 
Auf- u. Niedergang im Völkerleben. 
Biologiſche Geſetze. Berlin ⸗Charlotten ; 
burg: Pan- Verlagsgeſ. (Ausl.: Volck⸗ 
mar, Leipzig) 1933. 80 S. 1.—. 

Fenſch, Hans Ludwig, Dr.: Der 
Betriebsgrößeneinfluß in d. Bauern- 
wirtſchaft. Beiträge z. bäuerl. Be⸗ 
triebsforſchung. Hrsg. von d. Dt. Ren- 
tenbank-Kreditanſtalt. (Landw. Zen⸗ 
tralbank) Berlin: R. Hobbing 1933. 
36 S. 4°. 4.20. 

Vorſtädtiſche Kleinſiedlung u. 
Eigenheimbau. Beſtimm. u. Erläut. 
Bearb. u. Mitw. d. Sachbearbeiter d. 
Reichsarbeitsminiſteriums u. ſ. Dienſt⸗ 
ſtellen von Prof. Dr. Frdr. Schmidt, 
Min.⸗N. 2. verb. u. erg. Aufl. Ebers⸗ 
walde: Verlagsgeſ. Müller 1933. VIII, 
232 S. 8°. 3.90. 

Land volk. Hrsg. aus Anlaß d. 
50jähr. Beſtehens d. Möllingener Spar - 
u. Darlehnskaſſe von J. Bauſch. 
Paderborn: Schöningh. 1933. 379 S., 
Abb. Gr.-8°. 7.50; Lw. 8.80. 

Marx, H., Domvikar: Der freiwil⸗ 
lige Arbeitsdienſt in ſeiner Beziehung 
zur Siedlung. — Arbeitsdienſt u. Gied- 
lung. Bilder a. d. Praxis. Von Pfr. 


J. Bärtle. Freiburg: Caritasverl. 
55 29 50 Abb. — Heimat u. Scholle 


Müller- Boedner, Erich: Fragen 
u. Aufgaben d. Auslands⸗Siedlung. 
Berlin: Verl. Das Reich (1933). 44 S. 
Kl.⸗§So. 1.20. Zwei Vorträge. 

Pagel, Paul, Reg.⸗Rat Dr.: Ar- 
beit u. Brot durch Siedlung im frei- 
willigen Arbeitsdienſt. Stuttgart: 
Kohlhammer 1933. 31 S. 8%. — Arbeit 
u. Gemeinſch. Schrift 5. 


Neues Schrifttum 


Rohr, v., Staatsſekretär: Bauern⸗ 
politik d. Nationalregierung. Rund- 
funkrede. Leipzig: Quelle u. Meyer 
1933. 21 S. 8°. —. 60. 

Strauch, Wilh.: Deutſche Bauern- 
fiedlungen in Südamerika. Freiburg: 
Caritasverl. 1933. 20 S., Abb. Gr.-8*. 
— Heimat u. Scholle H. 5. —.60. 

Vellguth, L., Med.-Rat, Kreis- 
arzt: Eugeniſche Erfahrungen in e. 
ſchlesw.-holſt. Landkreiſe (Dithmar⸗ 
ſchen). Berlin: R. Schoetz 1933. 36 S., 
2 Bl. Gr.-8°. — Veröff. a. d. Geb. d. 
Med.-Verwalt. Bd. 39, H. 5. 2.—. 


3. Das (dw. Anterrichts⸗u. Bildungs 
weſen, Wirtſchaftsberatung 
Fuchs, Hans, Schulrat, Dr.: Er- 
ziehung zum Lande. Grundlagen u. 
Grundzüge d. Landvolkbildung. Lan- 
genfalga-Gerlin-Leipgig: J. Beltz 1933. 
VIII, 200 ©. Gr.-8°. 4.20; geb. 5.50. 
Landſchulausbau u. Landvoll- 
bildung. Ein Tagungsbericht aus Sa- 
blonken v. 28. u. 29. Okt. 1932. Königs⸗ 
berg: Gräfe u. Unger 1933. 79 S. Gr.- 
80. — Schriften d. oſtpr. Arbeitskreiſes 
5 „ u. Landvolkbildung. 


4. Ernabrungspolitif 

Beitrag zur Frage d. int. Gegen- 
überſtellung d. Lebenshaltungskoſten. 
E. Anterſuch. üb. die Lebenshaltungs⸗ 
koſten beſtimmter Arbeitergruppen in 
Detroit (Ver. Staaten) u. in 14 europ. 
Städten. Genf (Berlin): Internat. Ar⸗ 
beitsamt Genf (Abt. f. Veröff., Zweig ⸗ 
amt Berlin) 1933. VIII, 255 S. Gr.-8°. 
— Int. Arbeitsamt. Studien u. Be⸗ 
richte, Reihe N, Nr. 17. 8.—. Auch in 
franz. u. engl. Sprache erſchienen. 

Brandt, Hans: Am Deutſchlands 
Zukunft. Eine Erwägung über Deutſch⸗ 
lands wirtſchaftl. Wiederaufbau. Ra; 
dolfzell: Heim⸗Verl. (Auslfg.: A. Z. 
Krug, Leipzig) 1932. 55 S. 8°. 1.50. 

Diel, Joſ., Reg.⸗Rat, Dr.: Der 
Standort d. dt. gartenbaulichen Pro⸗ 
duktion. M. 72 Ktn. Berlin: Parey 
1933. 121 S. 4°. — Berichte üb. Ldw. 
N. F. Sonderh. 70. 13.—; Subſkr. 
Pr. 12.—. 


Neues Schrifttum 


Halder, Carl: Eine allgemeinver- 
ſtänd lich geſchriebene belehrende Ab- 
handlung üb. d. Nährwert u. die Heil- 
kraft d. Früchte, Gemüſe u. Kräuter. 
4. Aufl. Philippsburg⸗Rh. (Baden): 
Herbaria⸗Kräuterparadies Philipps⸗ 
burg 1933. 208 S., Abb. 1.—. 


Obwurzer, Herb. v.: Selbſtver⸗ 
ſorgung (Autarkie) im Dritten Reich. 
Mit e. Vorwort von Dr. A. v. Ren- 
teln. Berlin: Nationaler Freiheits- 
verlag. (Komm.: N. Giegler, Leipzig) 
1933. 91 S. 8°. 1.—; Lw. 1.80. 


Thalheim, Karl C., Prof. Dr.: 
Autarkie — weder Ziel noch Schickſal. 
Leipzig: Meiner 1933. 38 S. 80. — 
Neues Deutſchland. —.90. 


Winne, Artur, Dr.: Die volksw. 
Bedeutung d. Erfurter Gartenbaues. 
Vortrag. Erfurt: Stenger 1933. 14 S. 
Gr.-8°: Akademie gemeinn. Wiſſ. zu 
Erfurt. Schriftenreihe d. Abt. f. Wirt⸗ 
ſchaft u. Verwaltg. H. 3. —.50. 


5. Marktweſen (Abſatz), Handel, Preis, 
Verkehr 


Gebhard, Philipp, Dr.: Die Au- 
ßenhandelspolitik (Freihandels⸗ und 
Schutzzollproblem) d. „Rheiniſchen Zei⸗ 
tung“ 1842 — 1843. Leipzig: Aniv.⸗ 
Verl. Noske 1933. 108 S. 8. — Heff. 
pede z. Staats- u. Wirtſchaftskde. 
Bd. 8. 5.—. 


Schaefer, Wilh. Dr.: Reichsbahn 
u. freie Wirtſchaft. Kardinalprobleme 
nat. Verkehrswirtſchaft, V; / monopol ⸗ 
beſtrebungen, Laſtkraftwagenverkehr, 
Kleinbahnen. Hannover: Reſtaſo. Verl. 
1933. XI, 109 S. 8°. — Individualiſt. 
Blich. Bd. 4. 4.—; Lw. 5.—. 


Steden, Ant., Dr.-Ing. agr.: Der 
Agrarmarkt in Europa. Skizze d. Agrar. 
produktion u. d. Außenhandels in 
Agrarerzeugniſſen im europ. Wirt⸗ 
ſchaftsraum. Wien (I, Löwelſtr. 14/16): 
Agrarverlag 1932. 120 S. Gr.-8°. 3.30, 
©. 5.—; Lw. 5.—, ©. 7.50. 


Seupeiärifeleitung und verantwortlich für den 
lin W, Friedrich ⸗Wilhelm Straße 18 UI. 
Seſellſchaft m. b. ., Berlin W 33. 


807 


6. Kredit, Zins, Steuer, Monopole 


Heinrich, Hans, Ober. Reg. ⸗RNat 
Dr. u. Reg.-Aſſ. Dr. W. Otto: Die gef. 
Oſthilfengeſetzgebung. Stand vom 1. 
März 1933. Berlin: C. Heymann 1933. 
VI, 323 S. 8.40. 

Höhne, Frdr. Dr.: Geld u. Ware, 
die Gegenſpieler d. Verkehrswirtſchaft. 
E. Anterſ., u. beſ. Berückſ. d. mod. 
Wirtſchaftsſtruktur u. ihrer Gegen⸗ 
wartsprobleme. Jena: Fiſcher 1933. 
VIII, 232 S., 7 Abb. 12.—. 

Scheffer, Egon, Dr.: Kredit als 
Weltſchickſal. Der Bankenkriſe Sinn u. 
Ausgang. Wien⸗ Leipzig? Reinhold 
1933. 430 S. Kl.-⸗80. 3.35. Aus: Be⸗ 
8 1333 Kultur- u. Zeitgeſchichte, Jahr 


(4 


7. Privat- u. Sozialverſicherung; Ge⸗ 
noſſenſchaſtsweſen; Wohlfahrtspflege 
Verſchiedenes 
Ciller, Allois]: Vorläufer des 
Nationalſozialismus. Geſchichte u. Ent- 
widlg. d. nation. Arbeiterbewegung im 
dt. Grenzland. Wien: Ertl- Verl. 1932. 
159 S., 3 Taf., 1 Kt. 8° [Fl. 2.40, S. 

4.—; Lw. 3.40, ©. 5.50. 

Hoffmann, Heinrich: Der Zri- 
umph des Willens. Kampf u. Aufftieg 
Adolf Hitlers u. ſeiner Bewegung. Mit 
e. Geleitw. von Baldur von Schirach. 
Berlin: „Zeitgeſchichte“ [1933]. 32 Bl. 
mit Abb. 4°. —.50. 


Imhof, Ernſt: Anſere Zukunft? 
Ein Wort f. d. Aufbau von Weltwirt⸗ 
ſchaft u. Weltfrieden. 2. Aufl. Bern 
[Aarberoer Str. 42]: Holenſtein & 
Co. ak Komm. [1933]. 27 S. Gr.-8°. 

1 — 


Ohlemüller, Gerhard, Dr.: Na- 
tionalſozialismus und Katholizismus. 
2. verm. Aufl. Berlin: Verl. d. Evang. 
Bundes 1933. 71 S. 8° [F] = Volks. 
eee d. Evang. Bundes. H. 38. 


Roften, Curt, Dr.: Das ABE des 
Nationalſozialismus. Mit 41 Abb. u. 
1 Taf. d. Parteiabzeichen. Berlin: 
Schmidt & Co. G. m. b. H. in Comm. 
1933. 226 S. Gr. - 8 [J. Lw. 6.80. 


geſamten textlichen Inhalt: Dr. Hermann Reiſchle, 
Verlag: „Seitgefchichte“ Verlag und Vertriebs- 
Druck der Meyerſchen Hofbuchdruckerei in Detmold. 


Boranzeige 
Hermann Reiſchle 


Reichsbauernführer Darre 
der Kämpfer um Blut und Boden 


Erscheint Mitte Juni. 48 S. Text, 10 S. Abbildungen. Preis Rm. 1.— 


Blut und Boden: Das find die beiden Gedanken, die das Leben R. 
Walther Darrés, des Reichsbauernführers und Leiters des agrarpolitiſchen 
Amtes der NSDAB., beſtimmen. Blut und Boden: Beides Begriffe, 
die ihm, dem Auslandsdeutſchen, in der ewigen deutſchen Sehnſucht nach der 
Heimat beſonders tief im Herzen wurzeln mußten. Blut und Boden: 
Beides Urwurzeln alles volkhaften Lebens überhaupt, die von Darre nicht 
nur wieder entdeckt, ſondern durch ſeinen unabläſſigen Uberzeugungskampf 
für das deutſche Bauerntum in das Bewußtſein dieſes wertvollſten Teiles 
des deutſchen Volkes wieder eingefügt wurden. Hermann Reiſchle, einer der 
Mitarbeiter Darrés, die mit ihm den Kampf um die Seele des Bauern⸗ 
tums geführt haben, berichtet hier aus der Kenntnis langer Jahre perſönlichſter 
Verbundenheit von dem Mann, dem er dient und mit dem zuſammen er vor 
Jahresfriſt die „Deutſche Agrarpolitik“ begründete. Das in 7 Abſchnitte: 
1. Familie und Erziehung, 2. Der Frontſoldat, 3. Der Weg durch das 
deutſche Dunkel, 4. Wiſſen und Wille, 5. Der politiſche Kämpfer, 6. Der 
Aufbau beginnt, 7. Die Mitkämpfer gegliederte kleine Buch gibt daher ere 
ſchöpfende, verſtändnisvolle und aus unmittelbarſter 
Nähe erlebte Auskunft über die ſchickſalsvolle Perſön— 
lichkeit des Reichsbauernführers und ſein großes Werk, 
das berufen erſcheint, in ſtärkſtem Maße geſchichtsbildend 
zu wirken. Da dieſe erſte Veröffentlichung über R. 
Walther Darré die Lefer der „Deutſchen Agrarpolitik“ 
beſonders intereffieren wird und das Buch nur in be— 
ſchränkter Auflage herauskommen ſoll, wird ihnen ſein 
Erſcheinen ſchon jetzt angezeigt. In Kunſtdruckſteifdeckel 
48 Seiten Text, 10 Vollbildſeiten koſtet es nur Rm. 1.—. 


Rm 


„ZEIT GESCHICHTE“ 
Verlag und Vertriebs-Gesellschaft m. b. H., Berlin W 35 


r 
— 


— — 


Agrarp olitif‘ 


8 Ei DBaugmufu 
waltzper ar 


ed by aki 1933 


N 
‚sa. 


Inhaltsverzeichnis 


Seite 
Dorfprud B 809 
R. Walther Darré / Nalionalsozialismus und Land frau . . 810 
Paul Krannhals / Geiſtige Verwurzelung und Entwurzelung . 821 
Karl Scheda / Zum Gedenken an Guſtav Ruhland. 830 
Gerhard Kokotkiewicz / Schuldnernot — Glaubigernot . . . . 832 
Adolf Oſtermayer / Der Irrtum von der „Rentabilität“ des 

Bauern tun 840 

J. Aumer / Vergleich der Entwicklung der induſtriellen und | 
landwirtfchaftlihen Erzeugung. J... . 849 


R. Trenkle / Förderung der arbeitsintenfiven 8 
ein wichtiges Mittel zur Steuerung der Arbeitsloſigkeit. 855 


Das Archiv Las ee ee ee et 
Neues Schrifttum . . . . ee = OOO 
Umſchlag⸗Bild: Phot. E. Lendvai⸗Dirckſen 


Jedes Heft RM. 150 - DPierteljährlih 3 Hefte RM. 3.60 


zuzüglich Beſtellgeld. Beſtellungen durch den Verlag oder bei jeder Poſtanſtalt. 
Poſtvertrieb ab Detmold 


DeutltheAor 


arpolitif 


Monatelchriſt für⸗Deutlches Sauernium 
Hanptichriftleitung Dr. HermannKeilchle 


„Zeitgeſchichte“ Verlag und Vertriebs⸗Geſellſchaft m. b. §., Berlin O35 


Heft 12 


Zütowftraße 66 


Davon wie der junge Mann feine Mutter erlebt, 
davon wie er ſeine Schweſter erlebt, ift nicht nur 
allgemein feine Einftellung im ſpäteren Leben 
zur Frau abhängig, ſondern davon iſt weſentlich 
abhängig der Grundgehalt derjenigen Kräfte, die 
ihm überhaupt erft die Vorausſetzungen ſchaffen, 
um ein deutfcher Bürger und ein deutfcher Staats⸗ 
mann zu fein. R. Walther Darre 


Juni 1933 


R. Walther Darré: 


Lationalſozialismus und Zandfrau 


Vorbemerkung: Anläßlich einer Tagung des Reichs ; 
verbandes der landwirtſchaftlichen Hausfrauenvereine während 
der D. L. G.⸗Woche ſprach R. Walther Darré in feiner Eigen- 
ſchaft als Amtsleiter der Reichsleitung der NSDAP. zu den 
Landfrauen. Da den Ausführungen eine grundſätzliche Bedeu- 
tung zuzumeſſen ijt, bringen wir fie nachfolgend zum Abdruck. 

H. R. 


Wenn heute auf dem Programm der Name meines langjährigen Mit⸗ 
kämpfers und Freundes, des jetzigen geſchäftsführenden Reichslandbund⸗Prä⸗ 
ſidenten Meinberg, ſteht, aber ich an dieſer Stelle heute ſpreche, ſo waren 
daran einige Amſtände ſchuld, die ich glaube Ihnen als Einleitung erſt einmal 
darlegen zu müſſen. Es iſt nicht ſo geweſen, daß, als man an mich herantrat, 
heute hier das Referat zu halten, ich mich aus Ankenntnis der Bedeutung der 
landwirtſchaſtlichen Hausfrauenvereine geweigert hätte, es zu übernehmen; 
ſondern ich glaubte, daß die ſehr ereignisreiche Woche es mir techniſch gar 
nicht ermöglichen würde, das Referat zu halten. So bat ich eben Meinberg, 
an meiner Stelle einzuſpringen. Ich habe aber in dem Augenblick, als ich 
feſtſtellen konnte, daß es mir möglich ſein würde, heute an dieſer Stelle zu 
ſprechen, die Gelegenheit ergriffen, und dies hauptſächlich aus zwei Gründen. 
Der eine Grund war ein perſönlicher, der andere betraf mich als Partei- 
politiker. Wenn ich ſage perſönlich, ſo iſt es eigentlich lediglich die Bitte, daß 
Sie, meine ſehr verehrten Damen, ſoweit Sie nicht Nationalſozialiſtinnen 
ſind und in einem anderen Lager ſtehen, meinen Ausführungen und meiner 
Arbeit ein gewiſſes Wohlwollen entgegenbringen. Ich ſage das deshalb, weil 
ich das Pech gehabt habe, durch die parteipolitiſchen Kämpfe der letzten Zeit, 
durch böswillige Verdrehungen und durch andere Amſtände gerade auf der 
weiblichen Seite der nationalen Front ſehr in Mißkredit zu geraten. Da 
wollte ich mich denn wenigſtens einmal perſönlich vorſtellen und bei dieſer 
Gelegenheit die Bitte ausſprechen, nicht nur über mich zu urteilen auf Grund 
der Arteile Dritter, ſondern Sie zu bitten, ſich einmal ſelber das durchzuleſen, 
was ich nun wirklich über die Frauen geſagt habe. Ich glaube, es iſt nicht 
ganz ſo ſchlimm, wenn Sie an die Sache ſelber einmal herantreten, wie es 
mir in der Offentlichkeit vorgeworfen wird. 


Nationalsozialismus und Landfrau 811 


Das ift das Perfönliche, aber nun auch noch etwas Parteipolitiſches. Es 
hat ein gewiſſes Erſtaunen ausgelöſt, daß ich, der ich ſonſt, ſoweit die männ⸗ 
liche Vertretung des Berufsſtandes in Frage kam, ziemlich eindeutig die 
Gleichſchaltungsbeſtrebungen geführt habe, ohne ſie irgendwie zu überſpitzen, 
auf dem weiblichen Gebiet des Berufsſtandes eine ganz andere Haltung ein⸗ 
genommen habe. Das iſt ſowohl von der einen Seite wie von der anderen 
Seite mir übel vermerkt worden. Das iſt natürlich, denn wir wären ja nicht 
in Deutſchland, wenn wir nicht Standpunkte hätten, die man erſt einmal 
hundertprozentig verteidigen müßte. Aber ich habe mir die Verhältniſſe, die 
bier vorliegen, mal in Ruhe angeſehen, und dann bin ich zu der Aberlegung 
gekommen, daß man vor einem ganz beſtimmten Aufgabenkreis ſteht, wenn 
man den Dingen an die Wurzel zu gehen verſucht, daß aber die Voraus⸗ 
ſetzungen für die Erfüllung dieſes Aufgabenkreiſes nicht einfach durch irgend- 
eine ſchematiſche Gleichſchaltung gewährleiſtet find. Es iſt jo, daß die Füh⸗ 
rung, ſoweit es die alte Führung betrifft, oftmals ausgezeichnet in fachlicher 
Hinſicht arbeitete, auf der anderen Seite aber im nationalſozialiſtiſchen Lager 
bei den nationalſozialiſtiſchen Frauenſchaften der Schwerpunkt nicht immer 
notwendigerweiſe bei den nationalſozialiſtiſchen Landfrauen liegt. Hier ſchien 
mir daher eine Gefahr heraufzukommen, die Gefahr nämlich, daß mit einer 
Anordnung oder einem von mir geäußerten Wunſch eine Frauenſchaft eine Gleich- 
ſchaltung vollzieht, ohne dabei aber die ſpezifiſchen Probleme der Landfrauen 
richtig zu bedenken. Dies ſchien mir — und ich werde nachher darlegen, warum 
ich jo urteilte — eine gewiſſe Gefahr in ſich zu ſchließen. Auf der anderen 
Seite nun wiederum — und das muß ich den deutſchnationalen Damen ſagen 
— liegen die Dinge ſo, daß auf deren Seite nicht immer ihr Wirken den Be— 
weis erbracht hat, daß ſie die Zeichen und Vordeutungen des 30. Januar 
überall richtig und rechtzeitig erkannt haben. And wenn nun von dieſer Seite 
mir heute gejagt wird: Ja, wir ftellen uns voll und ganz hinter dieſen Neichs- 
kanzler Adolf Hitler, fo muß ich den deutſchnationalen Damen darauf er— 
widern, daß ich mit dieſem Argument unſeren Nationalſozialiſtinnen gegen« 
über gar nichts anfangen kann, nämlich deswegen nicht, weil ja, nachdem 
unſer Führer Reichskanzler und ſomit Führer des Staates geworden iſt, man 
ja ſowieſo nur die Wahl hat, ſich entweder hinter ihn zu ſtellen oder gegen 
ihn zu ſtehen. 

Das habe ich mir alles einmal überlegt, habe das Gegeneinander abge— 
wogen und habe mir dann gejagt — ich bin ja auch verheiratet —: Nachdem 
ich nun glücklich im Berufsſtand unter den Männern einigermaßen Nuhe und 
Einheit hineingebracht habe, mache ich jetzt nicht die ganzen Frauen rebelliſch, 
die mir doch nur nachher wieder die Männer rebelliſch machen. And 
ſo habe ich verſucht, dadurch zunächſt einmal Anheil zu verhüten, daß ich 
vor allen Dingen die Damen des bisherigen Vorſtandes gebeten habe, die 


812 R. Walther Darre 


Dinge weiterzuführen. Ich habe das deswegen mit ganz beſonderer Freude 
tun können, weil an der Spitze Frau Böhm die von mir ſehr verehrte Vor⸗ 
kämpferin eines Gedankens iſt, eines Gedankens, der ja auch letzten Endes 
unſeren Gedanken darſtellt. 

And damit will ich nun dazu übergehen, unſere Grundeinſtellung zu Ihrem 
Aufgabenkreis darzulegen. Wenn man an die Probleme herangeht, muß man 
vermeiden, wie ich das jetzt immer wieder erlebt habe, von irgendeiner organi⸗ 
ſatoriſchen Frage aus an die Dinge heranzugehen. Es hat keinen Zweck, wie 
ich es erlebt habe, daß man mir zum Beiſpiel ſagt: Wir gehören zur L. H. V., 
das iſt eine Organiſation, die eingeſpielt iſt, wir haben die Erfahrungen, und 
alſo muß man die Organiſation erhalten. And auf der anderen Seite kommen 
meine Parteigenoſſinnen zu mir und ſagen: Wir ſind in der Frauenſchaft, 
wir haben gekämpft um dieſes neue Deutſchland und haben recht behalten mit 
der Entwicklung und legen Wert darauf, jetzt auch zur Geltung zu kommen in 
den Organiſationen, die teilweiſe nicht immer rechtzeitig die Zeichen der Zeit 
verſtanden haben. 

Ich glaube, daß eine ſolche Ausgangsſtellung überhaupt falſch iſt. Ich glaube, 
daß wir von einer ganz anderen Ausgangsſtellung an dieſe Probleme heran⸗ 
gehen müſſen. And zwar müſſen wir zunächſt überhaupt nicht von der Orga⸗ 
niſation ausgehen, auch nicht von den Menſchen, ſondern von dem, was den 
Bauern doch eigentlich das Primäre iſt: vom Hof, vom Betrieb. And wenn 
wir ſo an dieſe Dinge herangehen, dann ſehen wir — und das hat uns letzten 
Endes die Geſchichte ja eindeutig bewieſen —, daß von allen Problemen, die 
uns heute beſchäftigen, vor allen Fragen, die wir jetzt zu beantworten ver⸗ 
ſuchen, ſchon in graueſter Vorzeit der Hof ſteht als das Primäre, als die 
Vorausſetzung des germaniſchen und damit auch des deutſchen Menſchen, als 
Mittelpunkt ſeiner geſamten Kultur und ſeines Denkens. Von dieſem Stand⸗ 
punkt aus betrachtet, wird einem ſofort klar, daß ein Hof den Geſchlechtern 
ganz beſtimmte Aufgabengebiete zuweiſt. Es iſt nie gut, daß zwei befehlen. Es 
muß immer einer etwas zu ſagen haben. And fo hatten ſchon unſere Vorfahren 
— das iſt eindeutig, das hat die vergleichende Nechtsgeſchichte heute ergeben —, 
ich weiß nicht, ob aus beſonderer Lebensklugheit oder aus anderen Gründen, 
ſich geſagt, daß es nicht geht, wenn zwei an einer Stelle befehlen; d. h. es 
ſoll die Zweiheit, die die Hofſührung erfordert, ſo auſgeteilt werden, daß der 
Mann die Vertretung und die Führung des Hofes nach außen hin hat, im 
Kriege, in der Thingverſammlung, in der Männergemeinde. Deswegen iſt 
auch alle germaniſche ſtaatliche Zuſammenfaſſung eine Zuſammenfaſſung von 
Männerbünden. Innerhalb des Hauſes hat dagegen nur einer beziehungs⸗ 
weiſe nur eine zu befehlen, die Herrin, d. h. diejenige, die die Verantwor⸗ 
tung dafür hat, daß, wenn der Mann draußen ſteht, im Inneren des Hofes 
alles ſeinen Weg ſo geht, wie es notwendig iſt. 


Nationalsozialismus und Landfrau 813 


And da ſehen Sie, wie aus der Wurzel eines germanischen Hofes heraus 
die herrliche Gleichſtellung von Mann und Grau, von Eheherrn und Ehefrau, 
ſich ergibt, die keine andere Raffe in dieſer Form wieder hat. Dieſe Wurzel 
iſt germaniſch und iſt indogermaniſch — worauf ich hier nicht näher einzu⸗ 
gehen brauche. Sie ſehen alſo, wie die Ehefrau im germaniſchen Leben und 
germaniſchen Rechtsempfinden eine dem Eheherrn abfolut gleichwertige Stel⸗ 
lung innehat — kraft der Notwendigkeiten, die der Hof, der bäuerliche Be⸗ 
trieb, bedingt. And dieſer Hof, dieſer bäuerliche Betrieb ſteht am Anfang 
unſerer Geſchichte, lange ehe es Kaiſer gegeben hat, lange ehe es irgend etwas 
anderes von dem gegeben hat, was heute iſt. Es ſteht eindeutig im Dunkel der 
Vorzeit der germaniſche Hof und der germaniſche Hausherr als Vertreter 
nach außen und die germaniſche Hausherrin als die Königin in ihrem Bereich. 
And wenn Sie nun durch die Geſchichte weitergehen, dann ſehen Sie, wie 
dieſe Grundauffaſſung ſich durch unſere ganze deutſche Geſchichte zieht. Wie 
auch in den ſtädtiſchen Haushalten des Mittelalters immer dem Hausherrn, 
der die Geſchäfte nach außen hin wahrnimmt, in ſeiner Zunft, im Rat und 
den ſonſtigen Aufgabengebieten, die Hausfrau gegenüberſteht, die ihrerſeits 
die Ordnung im Hauſe zu betreuen und zu verantworten hat. So ſehen Sie, 
wie ſich durch die ganze deutſche Geſchichte aus der bäuerlichen Wurzel des 
Germanentuns jene eigentümliche Stellung unſerer Hausfrau erhält, die auch 
in der Stadt eine beſtimmte und mit Verantwortung erfüllte Aufgabe hat. 
And das iſt geweſen bis in das 19. Jahrhundert hinein; das iſt geweſen bis 
zu jenem Augenblick, als der Einbruch des Liberalismus, der mit Hardenbergs 
wohlwollender Anterſtützung nach Deutſchland gebracht wurde, dazu führte, 
das Leben zu vergeldlichen, d. h. als der Liberalismus dazu überging, die 
Werte des Daſeins umzumünzen in blanke Münze. Das hat zunächſt ſchein⸗ 
bar mit der Frage des Haushalts nichts zu tun. In Wirklichkeit hat hier aber 
die entſcheidende Abbiegung von der alten deutſchen Kulturentwicklung ein⸗ 
geſetzt, als nunmehr eine Verkapitaliſierung des Dafeins begann, das in einer 
Form zwar dem Handel und der Wirtſchaft zugute kam, das aber anderer- 
ſeits die alte Bedeutung der Hausfrau immer illuſoriſcher machte. 

Ich möchte es präziſieren: Ich bitte Sie, meine Damen, nehmen Sie aus 
alten Bibliotheken Lebenserinnerungen aus der Zeit bis 1830 hervor, ver- 
tiefen Sie fic in das Leben des damaligen Berlins, leſen Sie die Lebens- 
erinnerungen des Junkers v. d. Marwitz oder die Lebenserinnerungen unſerer 
großen Dichter jener Zeit, und Sie werden immer wieder ſehen, daß die da- 
malige ſtädtiſche Hausfrau ſich faſt in nichts unterſcheidet von dem, was heute 
noch zu einem guten Teil auf dem Lande angefunden wird. Die Hausfrau 
hat da noch tatſächlich einen Haushalt, ſie hat noch Menſchen ſatt zu machen, 
ſie hat noch Vorrat zu haben, ſie hat noch zu disponieren. Es ſind da noch 
gewaltige Aufgaben, die ihrer harren. Sie kann nicht zum nächſten Geſchäft 


814 R. Walther Darre 


laufen und fid dort eben für den Abendbrottiſch etwas Aufſchnitt beforgen, 
ſondern fie muß noch wirtſchaftliche Vorausſicht walten laſſen. Die Vorrats⸗ 
kammer iſt noch ihr Stolz. Sie ſteht auch noch unmittelbar in der Produk⸗ 
tion drin. 

Dann aber kommt der Liberalismus. And mit der Vergeldlichung, mit der 
Möglichkeit, alles in Geld auszudrücken, muß ſich notwendigerweiſe eine 
immer weitergehende Arbeitsteilung entwickeln im Handel und in der Wirt⸗ 
ſchaft. Das führt ſchließlich dahin, daß es immer unnötiger wird, im eigenen 
Haushalt — ich möchte es mal ſo nennen — eine kleine Haushaltsautarkie zu 
errichten, ſondern es iſt immer zweckdienlicher, ſich den ſtädtiſchen Verhält⸗ 
niſſen anzupaſſen und zu einer immer größeren Vereinfachung des Haus⸗ 
haltes zu kommen. Ich könnte Ihnen das mit einer ganzen Reihe von Anter⸗ 
lagen hier darſtellen, es kommt mir aber hier im weſentlichen darauf an, 
Ihnen dieſe Grundgedanken zu zeigen, daß mit dem Einbruch des Liberalis- 
mus und der Vergeldlichung des Daſeins eine Auſlöſung der ftädti- 
ſchen Haushalte in der Richtung einſetzte, an derem Ende 
wir heute in der Stadt fteben. 

Begünſtigt wurde dieſe Entwicklung unmittelbar dadurch, daß die mit dem 
Liberalismus zuſammenhängende Exportpolitik die Möglichkeit ſchuf, den 
Menſchen von der Scholle fortzubringen und in den Städten Lebensmöglich⸗ 
keiten zu geben, was ein außerordentliches Anſteigen der Städte bewirkte; 
dieſe mußten nun Wohnungen liefern für die dort ſich zuſammenballenden 
Menſchenmaſſen. Während früher in den Städten einfach nicht mehr gehei⸗ 
ratet wurde, als Haushaltsmöglichkeiten gegeben waren, wurde in dem 
Augenblick, wo das Geld den Erſatz eines autarken Haushaltes geſtattete, es 
möglich, in dieſen Städten immer mehr Leute zu ernähren, fchließlich durch 
Austauſch der Nahrungsmittel mit dem Ausland gegen Exportartikel. Dies 
wiederum bewirkte — und ich bitte, zu verſtehen, wie hierbei eins ins andere 
greift —, daß die zuſammengeballten Menſchen logiſcherweiſe dafür immer 
mehr auf Raum verzichten mußten. And fo können Sie die Tendenz beob- 
achten, daß ſeit etwa hundert Jahren mit dem Einbruch des Liberalismus 
eine Verringerung und Verkleinerung des ſtädtiſchen Haushaltes vor ſich geht, 
während auf der anderen Seite aber eine Vermehrung dieſer Haushalte in der 
Stadt ſtattſindet. 

Ich will Ihnen hierzu Zahlen nennen, weil ſie außerordentlich aufſchluß⸗ 
reich ſind, vor allen Dingen, wenn Sie nur die Zeit ſeit 1870 verfolgen. 

Da hat das Bauerntum, alſo der Landſtand, um 1871 noch 26 Millionen 
Menſchen. Das machte damals 63 Prozent des geſamten Volkes aus. Im 
Jahre 1914 hatten wir 25,9 Millionen Menſchen in der Landbevölkerung, 
alſo faſt dasſelbe. Das machte aber, da ſich die übrige Bevölkerung vermehrt 
hatte, nur noch 38 Prozent aus. 1925 iſt ein deutliches Abſinken der ländlichen 


Nationalsozialismus und Landfrau 815 


Bevölkerung um etwa 3 Millionen zu vermerken. Ste ſehen alſo, während 
von 1871 bis 1914 die Landbevölkerung mit ihrer Geſamtzahl ungefähr ſtetig 
blieb, erfolgte ſeit dem Kriege ein Abfallen um etwa 3 Millionen. Gleich⸗ 
zeitig aber ſteigt die Kurve der in der Stadt lebenden Menſchen gewaltig an. 
Wenn Sie z. B. die Mittel- und Kleinſtädte nehmen, fo ergibt fic, daß wir 
1871 rund 12 Millionen Menſchen hatten, die in Mittel- und Kleinſtädten 
bis zu höchſtens 100 000 Einwohnern lebten. Das machte damals 31 Prozent 
aus. 1914 find es bereits 26 Millionen, alſo weit über das Doppelte. Sie 
machen bereits 38 Prozent aus. 1925 find es 23 Millionen, ein Rückgang 
alſo. Sie machen 37 Prozent aus. Sie ſehen, daß die kleinen und Mittel- 
ſtädte bis zum Kriegsausbruch ungefähr auf das Doppelte ihrer Einwohner- 
zahl ſteigen, daß dann aber ein leichtes Abſinken erfolgt. Ganz anders liegen 
die Dinge aber bei den deutſchen Großſtädten. Wir haben 1871 1,9 Millionen 
Menſchen in deutſchen Großſtädten. Das machte damals 4,6 Prozent aus. 
1914 hatten wir bereits 15,6 Millionen, das machte 23,1 Prozent, und 1925 
war die Zahl wieder etwas geſtiegen auf 16,7 Millionen; das find 26,7 Pro- 
zent. Was heißt das? Das bedeutet — und damit verſtehen Sie jetzt vielleicht 
meine Einleitung —, daß ſich im letzten Jahrhundert die ländliche Bevölke⸗ 
rung und damit das Gebiet der ländlichen Hausfrauen im Grundſatz zahlen⸗ 
mäßig nicht verändert hat, denn das Abſinken der 3 Millionen ſeit 1914 iſt 
an ſich bedauerlich und iſt zu vermerken, ſpielt aber im weſentlichen keine 
Rolle. Demgegenüber ſteht nun ein ganz ſteiles Anwachſen der ſtädtiſchen 
Bevölkerung, die heute bereits zwei Drittel der geſamten Bevölkerung aus⸗ 
macht. 

And nun wollen Sie bitte bedenken, was ich vorhin ſagte, daß der ſtädtiſche 
Haushalt in dem Maße ſich von feiner urſprünglichen Bedeutung fortent⸗ 
wickelt hat wie andererſeits die ſtädtiſche Bevölkerung ſich vermehrte. Sie 
verſtehen min, daß der Landfrau und ihrem Aufgabengebiet heute eine Zwei⸗— 
drittelmehrheit des Volkes gegenüberſteht mit Haushaltsbedingungen, die 
nicht nur nichts mehr mit der ländlichen Hausfrau zu tun haben, ſondern ſich 
geradezu ſtellenweiſe im Gegenſatz hierzu befinden. And Sie verſtehen jetzt 
auch, warum ich mich ſcheute, irgendeine ſchematiſche Gleichſchaltung in dem 
Verbande der L. H. V. durchzuführen. Denn hier beftand die Gefahr, daß 
Städterinnen oder von Städterinnen ſehr ſtark beeinflußte Organiſationen in 
das ländliche Gebiet hinübergreifen, wo ihnen an ſich die Vorausſetzungen 
fehlen, um überhaupt das Aufgabengebiet der Landfrau zu begreifen. 

Ich ſehe, daß wir uns doch ganz gut verſtehen. Es beſteht die Gefahr, 
und es beſteht ſogar die ganz große Gefahr, daß dieſe durch den Libe— 
ralismus ausgelöſte Aberentwicklung der Stadt die ländliche Hausfrau ſozu— 
ſagen totſchlägt. And hierin wurzelt die ſittliche — ich betone: die ſittliche — 


816 R. Walther Darré 


Rechtfertigung, aber auch die ſtaatspolitiſche Notwendigkeit, die ländliche 
Hausfrau organiſatoriſch geſondert zu erfaſſen. 

Aber es kommt noch ein anderer Amſtand hinzu. Wenn Sie heute zum 
Beiſpiel die ſehr leſenswerten Zahlen von Burgdörfer ſich anſehen, dann 
können Sie die Beobachtung machen, daß unſere Städte ganz zweifellos im 
Ausſterben begriffen find. Ich würde den verehrten Vorſtand des L. H. V. 
bitten, einmal ſich von uns jenen Film vorführen zu laſſen, in dem wir den 
Verſuch gemacht haben, dieſes grauenhafte Sterben unſeres Volkes in ein⸗ 
fachen, überſichtlichen und jedem verſtändlichen Bildern auf die Leinwand zu 
bringen. Wer dieſen Film geſehen hat und dann nicht verſteht, warum der 
Reichskanzler den Landſtand zum Eckpfeiler des Staates gemacht hat, dem iſt 
— glaube ich — überhaupt nicht mehr zu helfen. Wenn man ſich zum Beiſpiel 
eine Tabelle vornimmt, in der der Geburtenrückgang dargeſtellt wird, dann 
müſſen Sie feſtſtellen, daß Berlin z. B. einen Fehlbetrag hat, um die Ster⸗ 
benden wieder aus ſich ſelbſt zu ergänzen, und zwar von 57 Prozent. Berlin 
müßte 57 Prozent mehr Geburten haben, um überhaupt aus eigener Kraft 
ſeine Bevölkerung in ihrer heutigen Zahl zu erhalten. Von einem Aberſchuß 
ift Schon gar keine Rede mehr. Es iſt mir immer das Furchtbarſte, daß Berlin 
in dieſer Beziehung an der Spitze der europäiſchen Städte heute marſchiert. 
Wir haben uns da einen ſehr traurigen Ruhm erworben. Wenn Sie die 
übrigen deutſchen Großſtädte nehmen, ſo ſtehen ſie im Durchſchnitt etwas unter 
Berlin inſofern, als hier 42 Prozent Geburtenmangel iſt. Wenn Sie die 
Kleinſtädte nehmen, fo haben auch fie einen Anterſchuß von 31 Prozent. Und 
nur das deutſche Landvolk hat noch einen Geburtenüberſchuß von 25 Prozent. 
Das ſind die Tatſachen, vor denen unſer Volk ſteht. Das ſind die Tatſachen, 
die wir augenblicklich regiſtrieren müſſen. Die Städte freſſen unſere Volkskraft 
weg. Die Städte find unſere Särge. And der ländliche Aberſchuß von 25 Pro- 
zent reicht nicht aus, den Stand der Einwohnerzahlen zu halten, ſondern reicht 
nur aus, bis 1990 zu verhindern, daß unſer Volk unter 46 Millionen herab- 
ſinkt. Das ſind ganz furchtbare Tatſachen, meine Damen, die man ſich in der 
ganzen Konſequenz klarmachen muß, und die mich bewogen haben — auch das 
bitte ich bei dieſer Gelegenheit einmal ſagen zu dürfen, der ich ſelber aus einem 
Aberſeerhauſe ſtamme, der ich ſelber die Fragen der Exportpolitik beſſer kenne 
als mancher, der ſie mir jetzt andauernd unter die Naſe hält —, gegen die 
induſtrielle Entwicklung deswegen zu ſein, weil ſie vielleicht zwar auf dieſe 
Weiſe Brot für die heutige Bevölkerung ſchafft, aber das auf Koſten unſerer 
Volkskraft. And wenn die Entwicklung ſo weitergegangen wäre, ohne daß 
Hitler kam, dann konnten wir als Volk am blühenden Export ſterben, meine 
Damen. 

Man muß ſich dieſe Fragen in ihrer ganzen Auswirkung klarmachen, um 
eine ganz eindeutige Stellung ihnen gegenüber zu erhalten. Wir müſſen uns 


Nationalsozialismus und Landfrau 817 


auch klarmachen: Es nützt nichts, was noch vor einigen Jahrzehnten geglaubt 
wurde, ſich einzubilden, daß, wenn die deutſchen Bauern ſterben, wir uns 
irgendwoher aus anderen Ländern Bauern holen können, etwa aus dem kinder⸗ 
reichen Oſten; etwa mit der Begründung: wir haben dann wieder Bauern, 
welche wir in gute Schulen bringen und deren Kindern wir gutes Deutſch lehren. 
Dieſe germaniſierten Slawen liefern uns dann wieder die Menſchen. Nein, 
dem iſt aber nicht fo, ſondern es ift fo, daß, wenn unſer deutſches Blut ver⸗ 
ſiegt, dann verſiegt mit ihm auch die deutſche Kultur. 

Dies iſt das Problem, vor dem wir ſtehen. And von dieſem kulturellen und 
ideellen Standpunkt aus kommt der Landbevölkerung heute eine ausſchlag⸗ 
gebende Bedeutung zu. 

Bevor ich hierüber ſpreche, will ich Ihnen ein ganz intereſſantes Beiſpiel 
für die ungeheure Sterilität der Stadt Berlin geben. Nehmen Sie heute z. B. 
eine bereinigte Einwohnerzahl von 4 Millionen an, d. h. eine Einwohnerzahl 
abzüglich derjenigen, die heute durch Aberalterung noch zur Bevölkerung ge- 
rechnet werden müſſen, die alſo an ſich durch künſtliche Mittel einer beſonders 
glücklichen Hygiene über das normale Alter am Leben erhalten werden. Ich 
will damit nichts gegen die Arzte ſagen, ſondern nur zum Ausdruck bringen, 
daß man für die Beurteilung der Geburtenziffern eben bereinigte Zahlen gus 
grunde legen muß. Rechnen Sie alſo als bereinigte Einwohnerziffer 4 Millio- 
nen. Dann ergibt ſich, daß, wenn man den Zuſchuß vom Lande abdroſſeln 
würde — denken Sie ſich meinetwegen einen Stacheldraht um Berlin herum⸗ 
gelegt —, daß 1960 nur noch 3 Millionen, 1990 nur noch 1½ Millionen und 
2020 nur noch 500 000 Menſchen in Berlin wären. In hundert Jahren wäre 
dieſe Viermillionenſtadt auf 500 000 Menſchen zuſammengeſchrumpft. Wenn 
Sie ſich nun dieſe Dinge vor Augen führen, dann wird Ihnen klar, wenn ich 
jetzt folgendes ſage: diejenige, die ja letzten Endes den deutſchen Nachwuchs 
unſeres Volkes erſtellt, iſt alſo die Land frau. Wenn ich fo auf der einen 
Seite feſtſtelle, daß die Stadt ſteril iſt und auf der anderen Seite feſtſtellen 
muß, daß das Land noch den einzigen Aberſchuß an Geburten liefert, ja daß 
wir ohne dieſe 25 Prozent Geburtenüberſchuß in ganz kurzer Zeit als Volk 
auslöſchen würden, dann iſt folgerichtig, daß die Landfrau aus dieſen Gründen 
heraus geſondert betrachtet und beſonders organiſatoriſch erfaßt werden muß. 

Es kommt ja noch hinzu, daß die Entwicklung leider ſo geht oder gegangen 
iſt, daß in den Städten das Problem der Frau als ſolches immer weniger 
beachtet wird. Nicht nur, daß es ſchon nicht mehr notwendig iſt, in der Stadt 
etwas von Vorratswirtſchaft zu verſtehen; nicht nur, daß es nicht mehr not⸗ 
wendig iſt, Perſonal leiten zu können, alſo wirkliche Führerin zu ſein: Die 
Haushalte find bereits überhaupt nicht mehr mit denen des Landes zu vers 
gleichen. Hier hat das Judentum mit diaboliſcher Aberlegenheit gearbeitet. 


818 R. Walther Darre 


Der ſtädtiſche Haushalt wird architektonisch geradezu fo gemeiſtert, daß man 
in den modernen Wohnungen eigentlich keine Kinder mehr haben kann. Wenn 
Sie mit offenen Augen durch den Stolz der Städte, die Stadtrandwohnungen, 
gehen, jo iſt es zwar richtig, daß eine ſolche Wohnung tauſendmal hygieniſcher 
iſt als die furchtbaren Hinterhöfe; darüber brauchen wir uns gar nicht zu 
unterhalten. Aber daß derjenige, der den Segen des Landlebens für die Kinder 
kennt, in dieſen Zweizimmerwohnungen keine Kinder aufwachſen laſſen 
möchte, iſt Tatſache. And ſo haben wir in den Städten eine Tendenz heute, 
die gegen die Frau und Mutter gerichtet iſt. Wie ſie zu überwinden wäre, 
iſt nicht meine Aufgabe hier darzuſtellen, das iſt auch ein Problem, über das 
ſich die Stadtväter den Kopf zerbrechen mögen. Hierfür bin ich ſozuſagen nicht 
zuſtändig. Aber eins geht mich an, nachdem ich heute aus den freien Selbſt⸗ 
verwaltungskörpern zum Führer des Reichsbauernſtandes gewählt worden 
bin, nämlich darüber zu wachen, daß dieſe ungeſunden Tendenzen der Stadt 
uns nicht die einzige Bluterneuerungsquelle, die wir noch haben, nämlich die 
ländliche Hausfrau, dadurch unterdrücken, daß die Führung der ländlichen 
Hausfrau in ſtädtiſche Hände übergeht. 

So verſtehen Sie aus dieſer zweiten Auffaſſung heraus, warum ich mich 
dazu bekenne, daß die ländliche Hausfrau geſondert heute vom Staat und von 
den Selbſtverwaltungskörpern betreut und beachtet werden muß. 

Damit habe ich an ſich im Grundſatz das dargelegt, was ich Ihnen ſagen 
wollte. Ich weiß nicht, ob hier Zuhörerinnen ſind, die mich bereits in öffent⸗ 
lichen, d. h. in politiſchen Verſammlungen gehört haben. Wenn ja, dann 
werden ſie ſich entſinnen, daß ich noch niemals in einer politiſchen Verſamm⸗ 
lung irgendwie zu irgendeinem Tageskampfgeſpräch geſprochen habe, auch daß 
ich grundſätzlich und immer wieder den Verſuch gemacht habe, aus der Wurzel 
heraus die Dinge logiſch zu entwickeln; ich habe geſagt, daß von einer Wurzel 
her die Dinge angepackt werden müſſen, und daß dann auch der Standpunkt 
klar wird, den wir zu den Tagesfragen als ſolche einzunehmen haben. Es war 
mir heute ein Bedürfnis, ihnen im Hinblick auf die Landfrau ihre Entwick⸗ 
lung aus der Wurzel heraus darzulegen. Es kam mir darauf an, Ihnen zu 
ſagen, daß ich frei von irgendwelchen parteipolitiſchen Scheuklappen die Dinge 
grundſätzlich ſehe und dementſprechend auch behandle. 

Damit will ich zum Schluß kommen und dabei nur ganz kurz ſagen, wie 
ungefähr auch die organiſatoriſche Weiterentwicklung vor ſich gehen foll. Ich 
möchte betonen, daß ich mich hier nicht auf Einzelheiten einlaſſe, denn wenn 
Sie, meine Damen, z. B. irgendeinen vollkommen verwirtſchafteten Hof 
übernehmen, in dem alles drunter und drüber geht, dann fangen Sie und Ihr 
Herr Gemahl nicht damit an, ſich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie die 
Tapete eines Zimmers ausſehen ſoll, ſondern fangen erſt einmal an, Ordnung 
zu ſchaffen. Wenn das geſchehen iſt, dann überlegt man ſich ſo vor dem Schla⸗ 


Nationalsozialismus und Landfrau 819 


fengeben, wie man dies und das einmal machen könnte, und dann wird es 
gemacht, wenn der Augenblick gekommen iſt, wo einem die Arbeit auch die 
Zeit dazu läßt. Daher habe ich mich auch grundſätzlich geweigert, vorzeitig 
mit irgendwelchen Dingen über die Gliederung unſeres Berufsſtandes an die 
Offentlichkeit zu treten. Ich wollte erſt einmal abwarten, wie ſich die Ver⸗ 
bände zur neuen Zeit ſtellen. Das iſt inzwiſchen geſchehen. Ich werde jetzt 
mit einigen wenigen Grundgedanken an die Offentlichkeit kommen. In der 
nächſten Nummer der NS.-Landpoft werde ich darüber kurz ſchreiben, und 
wir werden dann, wenn wir erſt einmal die Grundlinien geſchaffen haben, 
uns weiter darüber klar werden, wie die Einzelheiten werden ſollen. Sehen 
Sie, wir wollen zunächſt einmal dahin ſtreben, das iſt jedenfalls der Wunſch 
des geſamten Landſtandes draußen, des geſamten deutſchen Bauerntums, zu 
einer einzigen Berufsvertretung zu kommen. Nun ſtehen hier folgende Schwie⸗ 
rigkeiten von Anfang an im Wege, die Schwierigkeiten nämlich, daß zwei 
große Organiſationen, die freien Verbände — ich nenne hier beiſpielsweiſe 
nur den Landbund — und auf der anderen Seite die Landwirtſchaftskam⸗ 
mern von Anfang an als Gegenſätze aufgezogen worden ſind. Es iſt im allge⸗ 
meinen weniger bekannt, daß z. B. die Landbünde zurückgehen auf den Bund 
der Landwirte, der ſeinerzeit mit ſeiner Gründung eine Antwort war auf den 
Sturz Bismarcks und auf den ſogenannten neuen Kurs, der hemmungslos 
dem Freihandel und der Exportpolitik frönte. Man ſchloß ſich damals zu- 
ſammen, um ſich zu verteidigen. Hiergegen wurde von oben her durch eine 
halbamtliche Körperſchaft, d. h. die Landwirtſchaftskammer, ſozuſagen ein 
Riegel vorgeſchoben, ſo daß man ſtaatlicherſeits in der Lage war, dieſen fron- 
dierenden freien Vereinigungen in irgendeiner Form die Stirn zu bieten. 
Das hat ſich bis 1918 nicht allzu ſtark ausgewirkt. Es hat aber nach 1918 zu 
einem Gegeneinander der Verbände geführt, was beſtimmt nicht dem Deut. 
ſchen Landſtand als ſolchen zugute gekommen iſt. Tatſächlich hat das 
ſogar außerordentlich die Kräfte gebunden und alſo gehemmt. Da wollen 
wir nun den Verſuch machen, hier einmal auseinanderzuwirren, was eigent« 
lich die Aufgabengebiete des einen und was die Aufgabengebiete des ande- 
ren Teils ſind. Wir glauben, daß die freien Verbände in der Sparte des 
VBerufsſtandes das übernehmen können, was den „Menſchen“ betrifft, 
während alles das, was den „Hof“ angeht, Betriebswirtſchaft, Betriebs— 
technik, im Aufgabenbereich der Kammern bleiben muß. Ich betone aber aus. 
drücklich und bitte dringend, mir hinterher nicht Briefe auf Briefe zu ſchreiben, 
daß in der Kammer „die Dinge fo vorzüglich liefen, Komma, daß ...“ Ich 
mache ausdrücklich darauf aufmerkſam, daß ich treuhänderiſch verſuchen muß, 
die Dinge im ganzen Reich auf einen einheitlichen Nenner zu bringen. And 
da liegen die Verhältniſſe jo, daß während z. B. in Oſtpreußen die Land- 
wirtſchaftskammer ein außerordentlich geachtetes Inſtrument iſt, die Rams 


820 R. Walther Darré, Nationalsozialismus und Landfrau 


mern im Weſten wiederum längſt nicht die Rolle fpielen wie die freien Ver⸗ 
bände. In Oſtelbien, wo an ſich der Staat der Hohenzollern die Bevölkerung 
im Vertrauen zur Staatsführung erzogen hat, wird bei den Bürgern der 
halbamtliche Charakter eines ſolchen Körpers als angenehm empfunden; da⸗ 
gegen iſt man im Weſten, wo man dieſe geſchichtliche Schulung nicht hatte, 
mehr für die freien Vereinigungen, ja der halbamtliche Charakter der Land- 
wirtſchaftskammern ſtößt dort geradezu auf Ablehnung. Sie müſſen alſo 
lernen, daß wir hier bei uns an der Zentralſtelle die Dinge nicht danach er⸗ 
ledigen können, was ſich in einer Gegend als beſonders zweckmäßig erwieſen 
hat, ſondern daß wir allen Teilen des Reiches gerecht zu werden haben und 
daß wir alſo den Verſuch machen müſſen, beide großen Organiſationen zu 
ganz klaren Aufgabengebieten zu führen, auf dieſe Weiſe das Gegeneinander 
in dieſen Aufgabengebieten aus der Welt ſchaffend. Ich ſagte, daß die eine 
Sparte den Menſchen zu betreuen hat; da gehört auch die Landfrau hinein. 
Ich bin der letzte, der ſich dazu bekennt, daß die Frau in die Politik gehört. 
Ich denke da zu ſehr im altdeutſchen Gedankengut, daß die Frau eben ihre 
Königinſtellung im Hauſe hat und nicht in der Politik. Dafür iſt es dann 
Sache des Mannes, den Kopf im Lebenskampfe hinzuhalten. Aber im Berufs⸗ 
ſtand muß die Landfrau in ihren Angelegenheiten mitreden, da muß ſie ſelber 
ſich betätigen und daſür ſorgen, daß dieſe altdeutſche Königinſtellung ihr auch 
erhalten bleibt. Das bedeutet nicht, daß aus der anderen Sparte — Betriebs- 
wirtſchaft und Betriebstechnik — die Hausfrau ausſcheidet. Nein, denn die 
Hausfrau hat ja zu mindeſtens 50 Prozent die Verantwortung für die Wirt⸗ 
ſchaft genau ſo wie ihr Gatte. Es iſt ein gutes altes Bauernwort, daß die 
Landfrau in der Schürze mehr zum Hof hinaustragen kann, als der Mann im 
Erntewagen wieder hineinbringt. And ſo gehören dieſe ganzen Fragen in 
dieſe Sparte, und dazu gehört aber auch die Landfrau. 

Mehr möchte ich zunächſt nicht ſagen; dieſen einen Grundgedanken wollte 
ich Ihnen erſt einmal mitgeben. Ich könnte ihn weiter ausſpinnen, wie z. B. 
meiner Aberzeugung nach auch das Genoſſenſchaftsweſen hierbei eine Rolle 
ſpielt. Nur eins ſei zum Schluß geſagt: Wenn ich Ihnen auf der einen Seite 
dargelegt habe, daß mein Bekenntnis zur ländlichen Hausfrau aus einer 
Wurzel ſtammt, die mich zwingt, in folgerichtiger Auswirkung dieſer Ein⸗ 
ſtellung zu dem Ergebnis zu kommen, welches ich hier dargelegt habe, ſo 
möchte ich doch auf der anderen Seite Ihnen, meine Damen, ans Herz legen, 
daß ich Sie damit auch vor ganz große Aufgaben geſtellt habe, da Sie der 
letzte Hort ſind, in dem ſich bewußt und unbewußt das alte deutſche Frauen⸗ 
leben ſpiegelt. Alles Bisherige muß auf dieſem Gebiete bleiben, ja weiter 
entwickelt werden, von der Hühnerzucht bis zum Kochen, vom Gartenbau bis 
zu der Handarbeit im Haushalt und ähnlichen Dingen. Darüber hinaus möchte 
ich jedoch glauben, daß die andere Sparte, nämlich der Menſch, in ganz 


Paul Krannhals, Geistige Verwurzelung und Entwurzelung 821 


anderem Amfange nunmehr von Ihnen in Angriff genommen werden muß, 
als das bisher geſchehen iſt. Ich glaube, daß viele Frauen unbewußt auch 
hier das Opfer des Liberalismus geweſen ſind und in der Hinwendung zum 
Wirtſchaftlichen Anfang und Ende ihres Aufgabengebietes ſahen, während 
doch tatſächlich, meine Damen, Sie nicht nur die Bauern gebären, ſondern 
Sie doch auch die Bauern erziehen. And hier ruht letzten Endes Ihre gewaltigſte 
Aufgabe, denn darüber beſteht kein Zweifel, darüber hat auch die Geſchichte 
eindeutig entſchieden: Davon, wie der junge Mann feine Mutter erlebt, da⸗ 
von, wie er ſeine Schweſter erlebt, iſt nicht nur allgemein ſeine Einſtellung 
im ſpäteren Leben zur Frau abhängig, ſondern davon iſt weſentlich abhängig 
der Grundgehalt derjenigen Kräfte, die ihm überhaupt erſt die Vorausſetzun⸗ 
gen ſchaffen, um ein deutſcher Bürger und — wenn er das Glück hat — ein 
deutſcher Staatsmann zu ſein. 


Paul Krannhals: 
Geiſtige Verwurzelung und Entwurzelung 


Der Wunſch nach einer möglichſt anſchaulich erlebbaren Darſtellung von 
Ereigniſſen unſeres Kulturgeſchehens veranlaßt uns ſehr häufig, Bilder aus 
dem Naturgeſchehen zu Hilfe zu nehmen. Sprechen wir beiſpielsweiſe von 
einem entwurzelten Menſchendaſein, fo läßt der Begriff Entwurzelung une 
willkürlich das Bild des pflanzenhaften Daſeins vor unſern Augen entſtehen. 
Wir vergegenwärtigen uns dabei, daß der entwurzelte Baum mit anderen 
Augen betrachtet wird als der verwurzelte, deſſen Krone zum Himmel ſtrebt, 
in deſſen Zweigen die Vögel jubilieren. Der Blick, welcher die Nutzbarkeit 
des entwurzelten Baumes, feine Verwendbarkeit zu Bau- oder Brennholz 
prüft, iſt ein anderer als derjenige, welcher den lebendigen Baum in ſeiner 
ſelbſtgenügſamen Form, in feiner Harmonie mit der ihn tragenden und Durch 
dringenden Amwelt und mit dem jahreszeitlichen Rhythmus erlebt. Hier grüßt 
uns das pulſierende Leben, dort ein Etwas, das aus den lebendigen Sujam- 
menhängen, in die es eingegliedert war, herausgeriſſen wurde. Dieſes Her— 
ausreißen aus den lebendigen Zuſammenhängen, das iſt Entwurzelung. And 
umgekehrt heißen wir nicht nur dasjenige verwurzelt, was, wie der Baum, 
buchſtäblich Wurzeln hat. Auch die kleine grüne Pflanze, welche es noch nicht 
zur Wurzelbildung gebracht hat, auch die im Meere zu Milliarden ſchwim— 
menden Algen führen dennoch ſchon ein wurzelhaftes Daſein, da ſie einge— 
ſponnen ſind in die ihnen gemäßen lebendigen Zuſammenhänge, in die ihnen 
gemäße natürliche Amwelt. So iſt auch das Tier als individuelles Glied um— 
faſſenderer Lebensgemeinſchaften, trotz feiner Beweglichkeit, in der Heimate 
landſchaft verwurzelt. 


822 Paul Krannhals 


Auch der Menſch befigt Wurzelkraft, fofern fein Daſein und fein Wirken 
noch in den Geſamtrhythmus der lebendigen Naturordnung eingeſponnen iſt. 
und von ihm unmittelbar ſeine Lebenskraft erhält. So bringt das unverfälſchte 
bodenſtändige Bauerntum in ſeiner zugleich kosmiſch verankerten Heimatgebun⸗ 
denheit nicht nur ein materielles, ſondern auch ein geiſtiges Wurzelgefühl 
zum Ausdruck, mag ſich dieſes auch oft nur in einer ganz inſtinktiven Ein- 
paſſung in die gottgewollte natürliche Ordnung der Dinge ausprägen. Aber 
dieſe Verbundenheit ijt zugleich eine Gebundenheit des ganzen tätigen Arbeits- 
lebens an die ewigen ehernen großen Geſetze, die ſich in den Bau⸗ und Wir- 
kungsformen der lebendigen Naturordnung offenbaren, es iſt ein Leben und 
Schaffen aus dieſer Geſetzmäßigkeit heraus. 

Ganz deutlich zeigt fic) dieſer Einklang auch im bäuerlichen Siedlungs- 
weſen. Werfen wir beiſpielsweiſe einen Blick auf das norddeutſche Tiefland, 
ſo tritt uns bei aller Verſchiedenartigkeit der ländlichen Siedlungsformen als 
herrſchendes Prinzip doch überall das Streben entgegen, ſich an der Amwelt 
im Sinne ihrer natürlichen Lebensgeſetzlichkeit zu betätigen. Dieſes Streben 
ſetzt ein inniges Sicheinfühlen in den jeweiligen Charakter der Landſchaft 
voraus. Darum iſt auch die Siedlungskunſt des Bauern ein Sinnbild ſeines 
innigen Naturerlebens, zugleich durchdrungen von jener perſönlichen Hingabe, 
mit der der Bauer alles ſeiner eigenen Weſenheit gemäß zu geſtalten ſucht. 
Die Natur und er ſchaffen gemeinſam das Werk, nicht auf Grund einer mecha- 
niſchen Abereinkunft, ſondern eines von Geſchlecht zu Geſchlecht immer inniger 
geſtalteten Zuſammenlebens, das die Siedlung organiſch als Bild aus der 
umrahmenden Landſchaft erwachſen läßt. 

„Hier und da zerſtreut, hauſen ſie weit voneinander, wie ihnen gerade eine 
Quelle, ein Feld, eine Waldung behagt. Dörfer legen ſie nicht nach unſerer 
Weiſe an, daß die Gebäude aneinanderſtoßen und zuſammenhängen.“ Nichts 
beweiſt wohl inniger die geſtaltende Kraft der Landſchaft, die ihre eingewur⸗ 
zelten Bewohner gleichſam als ihre Werkzeuge gebraucht, als daß dieſe klaſſiſch 
gewordenen Worte eines Tacitus auch heute noch, nach zwei Jahrtauſenden, 
ihre lebendige Geltung haben. Der bayriſch⸗-alemanniſche „Einödshof“ im 
nördlichen Alpenvorlande, die alten Weſtfalenhöfe im Artlande zwiſchen Hunte 
und Haaſe, die ſelbſtherrlichen Bauernrepubliken der Dithmarſchen und Hadler 
in den Elbmarſchen, die zahlreichen Einzelgehöfte im hinteren Odenwald und 
Schwarzwald künden dieſe ſtummberedte Form tiefſter Naturverbundenheit. 
Solche Einzelhöfe fehlen im mitteldeutſchen Gebiet nicht ohne triftigen Grund. 
Denn zwiſchen dem Charakter der niederdeutſchen Tiefebene und der ober- 
deutſchen Hochebene kündet ſich im Gegenſatz zu den zerſplitterten und zer- 
klüſteten Siedlungsgebieten Mitteldeutſchlands eine tiefe Wahlverwandtſchaft: 
Hier wie dort wurzeln, vom ewigen Meere, vom ewigen Gebirge beherrſcht, 
knorrige, ihre Eigenart hartnäckig bewahrende Volksſtämme; hier wie dort 
dehnen ſich ſchwermutvolle Heiden, düſtere Moore und weite Gewäſſer. Die 
große ernſte Natur bewahrte auch die Arfprünglichkeit ihrer Bewohner und 
ſchuf in der ſchlicht-ernſten Geſchloſſenheit und Monumentalität der von der 
Außenwelt ſich abkehrenden Wohnſtätten ein Sinnbild ihrer eigenen Weſenheit. 

Der Charakter der Ebene, wo kein Berg die Härte eines übergroßen Maß— 
ſtabs mildert, die Wohnſtätten unvermittelt aus der Fläche emporwachſen, 
verlangt in der Formgebung der Siedlungen die Horizontale als beherrſchen⸗— 
des Prinzip. Abermäßig ſenkrechte Baumaſſen, die hoch in die Luft ragen, 


Geistige Verwurzelung und Entwurzelung 823 


oder gar die geſchoßliche Auflöſung der Maſſen in Richtung der Vertikallinie, 
wie wir es in Südweſtdeutſchland oft an den Bauten der Hauſteingotik an⸗ 
treffen, würden die Grundſtimmung der Ebene grell zerreißen. And ebenſo würde 
eine reiche Ausgliederung durch Galerien uſw., die z. B. beim Schweizer und 
* in äſthetiſch⸗harmoniſcher Beziehung zur bewegten ber⸗ 
gigen Amwelt ſtehen, eine unerträgliche Anruhe in den ruhigen, gedämpften 
Charakter der Landſchaft und ihrer Bewohner tragen. Die Ebene geſtattet nur 
eine flächige Geſtaltung, breites maſſiges Hinlagern der Bauformen, die ſich 
der Bodenbewegung anſchmiegen und ſie ſelbſt in den Farben widerſpiegeln. 
„Die Amriſſe“, jagt Natel von der Ebene, „ſchneiden ſcharf von der Luft ab, 
erhalten dadurch ein ſtärkeres Relief, werden dadurch aber zugleich von Luft 
und Licht mildernd umſpielt.“ 

And dieſe äſthetiſchen Geſetze der Ebene, die nichts Aufdringliches dulden, 
werden von dem geſunden Sinn des in ihr wurzelnden Bauerntums mit 
feinem Inſtinkt in den Bauformen befolgt. Nirgends findet man ſtärkere Her- 
vorkragungen, die aus dem flächigen Charakter der Landſchaft herausfallen, und 
wo ſich, wie z. B. beim niederſächſiſchen Hauſe, an der Giebelſeite hin und 
wieder eine maleriſche Architektur entwickelt, die überdies oft nur konſtruk⸗ 
tiver Art iſt, ordnet ſie ſich doch den gegebenen Grundmaßſtäben unter. Das 
mächtige, auf niedrigen Mauern ruhende Dach, das gewichtig ernſt ins weite 
ſchweigende Land hinausſchaut und die Funktion des Schutzes ſo vollendet 
zum Ausdruck bringt, gleichſam als Sinnbild ſeiner erdverwurzelten „bedäch- 
tigen“ Bewohner. Ja, in ſeinem organiſchen Zuſammenhang mit der Arform 
des germaniſchen Hauſes, dem auf die Erde geſtellten Firſtdach, iſt es ein 
Symbol der wandelloſen Sinnesart, der Verflochtenheit mit der Landſchaft 
durch die Jahrtauſende. 

Das iſt geiſtiges Wurzelgefühl, iſt die Verwurzelung des geſtaltenden 
Menſchengeiſtes in der Seele der Heimatlandſchaft. Dieſe wirkt auch in aller 
echten, reinen Kunſt geſtaltend mit. So erſcheint auch das wahre Kunſtwerk 
als ein Zeugnis der lebendigen Einheit von Blut und Heimatboden. Kraft 
dieſer inneren Verbundenheit wird ſich der Heimatcharakter zugleich auch in 
der Weſensart der ihr eingeborenen Bewohner ausprägen. Die geheimnisvoll 
webende Naumtiefe der nordiſchen Landſchaſt der Ferne kündet zugleich auch 
unſere innere Grenzenloſigkeit, die Anausſchöpfbarkeit des Seelengrundes, den 
Fernendrang ins Endloſe. Wenn ein leiſe verdämmerndes Hell-Dunkel alle 
Dinge in ſich hineinſpinnt und die Nähe allmählich zur grenzenloſen Ferne 
abſtuft, dann erwacht im deutſchen Gemüt das geheimnisvolle Raunen und 
Weben des Waldes und ruft die ſchöpferiſche Phantaſie zu ihrer Wirklichkeit. 
Ihr Wirken, Geftalten ſcheint undenkbar ohne dieſes Einsſein mit dem ge- 
heimnisvollen Hell⸗Dunkel, mit dem labyrinthiſchen Weben des Waldes, mit 
dem Brauſen des wilden Weſtwindes, den geſpenſterhaft wogenden Wolken— 
burgen und der Anmut verträumter Täler. Andenkbar ohne die ſchwermutvolle 
Einſamkeit weiter Heideflächen, ohne die Erhabenheit ſtiller Bergeswacht oder 
die raſtloſe Melodie brandender Meereswogen. 

Dieſe unendlich abwechſlungsreich gegliederte maleriſche Bewegtheit der 
deutſchen Landſchaft mit ihren zahlloſen Licht⸗ und Farbenſchattierungen er— 
ſcheint uns als der mütterliche Grund der reichen Gliederung, der ſtark aus— 
geprägten Individualiſierung des darin eingewurzelten deutſchen Volkes. And 
überall aus den labyrinthiſchen Tiefen und ſtillen Winkeln des Heimatbodens 


824 Paul Krannhals 


grüßt uns die deutſche Innerlichkeit, das Sichhineinverſenken in die Tiefen 
der innerſeeliſchen Welt. Ja, offenbart uns die Landſchaft unſerer Seele 
nicht auch all das Knorrige, Querköpfige des deutſchen Charakters, das ab- 
geſchloſſene Tal ſeiner Seele, in dem das ſcheinbar Bedeutungsloſe zur höch⸗ 
ſten Bedeutſamkeit erwacht, wo auch das Problematiſche, Phantaſtiſche, 
Bizarre heimlich- unheimlich umgeht? Das unerſetzbare und unüberfetzbare 
deutſche Wort „Sehnſucht“, dieſes ewig leuchtende und wärmende Licht, das 
die rauhe nordiſche Heimat, die lange dunkle Winternacht im deutſchen Ge⸗ 
müte entzündete, iſt wohl das tiefſte Symbol unſeres Seelentums. Denn in 
ihm kündet ſich das deutſche Voll als ewig Werdender, der im metaphyſiſchen 

rang ins Endloſe, im ewigen Hinausſtreben über ſich ſelbſt ſein innerſtes 
Weſen zu erfüllen ſucht. 

Wie ein Widerhall dieſer ſeeliſchen Verfaſſung und ihres Einklanges mit 
der heimatlichen Landſchaft der Seele mutet uns beiſpielsweiſe die altnordiſche 
Ornamentik an. Jene von ſeltſamer Dynamik erfüllte Linienphantaſie, die den 
Willen zur frei geſchaffenen Form ſo eindringlich zum Ausdruck brachte. Die⸗ 
ſelbe ſeeliſche Grundſtimmung klingt dann nach Jahrhunderten auch in der 
Liniendynamik am Strebewerk des Straßburger Münſters machtvoll wieder 
an. Sie wirkt noch in jenen Kunſtepochen fort, in denen das deutſche Tempe⸗ 
rament ſchon längſt mit der künſtleriſch notwendigen äußeren Begrenzung 
ſeiner inneren Grenzenloſigkeit vertraut war. Der Drang ins Endeloſe, das 
Fugenthema, das in der Polyphonie des Flechtbandornamentes anklingt, erlöſt 
auch die Steinmaſſen in der gotiſchen Architektur, um dann wieder in der 
kontrapunktlichen Verſchlingung der Stimmen und Tonlinien der ſpäteren 
Muſik zu erklingen. | 

So prägt die dauernd innige Wechfelwirkung zwiſchen Blut und Heimat- 
boden nach den verſchiedenſten Richtungen hin und in den verſchiedenſten zeit⸗ 
gebundenen Formen (Zeitſtil) einen lebendig fortwirkenden Heimatſtil aus. 
Dieſer braucht als ſolcher gar nicht bewußt zu werden, auch wird ſeine Wirk⸗ 
ſamkeit zeitweiſe ganz in den Hintergrund treten. Solche Zeiten zeugen dann 
von einer Verdrängung der bodenſtändigen Kultur durch den Einfluß fremder 
Geiſtigkeit, fremden Kulturgutes. Sie zeugen von einer mehr oder minder 
ausgeprägten Entwurzelung des Menſchengeiſtes. 

So bietet der wurzelloſe Aſphaltgeiſt der modernen Großſtädte gleichſam 
das Gegenbild zu dem organiſchen heimatverwurzelten Charakter der bäuer⸗ 
lichen Siedlungs- und Arbeitsweiſe. Der lebendig pulſierende Rhythmus der 
Tages- und Jahreszeiten, den der Bauer als Kompaß ſeines ſchöpferiſchen 
Wirkens ſtändig in ſich trägt, hier wird er von der kalten Front des zu Stein 
gewordenen Menſchengeiſtes erbarmungslos zurückgeworfen. Hier iſt der 
Menſch buchſtäblich nach jeder Richtung und auf allen Lebensgebieten aus 
den naturgemäßen lebendigen Zuſammenhängen herausgeriſſen und damit ent⸗ 
wurzelt. Zwiſchen den Menſchen und den warmen lebenſpendenden Heimat⸗ 
boden ſchiebt ſich eine beide voneinander iſolierende Aſphaltdecke. Aber der 
Ausdruck Aſphalt bedeutet hier noch mehr als dieſe Iſolierſchicht. Der 
Aſphaltgeiſt konſtruiert ja auch jene den Menſchen als Behauſung dienen⸗ 
den geometriſch regelmäßigen Maſſen aus Beton und Eiſen, die in Form 
von Würfeln, Pyramiden uſw. beſonders in den nordamerikaniſchen Rieſen⸗ 
ſtädten ihre höchſte Ausbildung erhielten. Gigantiſch und geſpenſterhaft aus 
dem Aſphaltboden ragend, wirken auch ſie als Iſolatoren, trennen ſie den 


Geistige Verwurzelung und Entwurzelung 825 


Menſchen nun auch vom Himmelslicht des Tages, von dem lebensvollen An- 
blick der phantaſtiſchen Wolkenburgen, von dem demutvollen Sichverſenken 
des Geiſtes in die grenzenloſe Sternenpracht. Ein kaltes, künſtliches Licht, das 
die auch tagsüber dunklen Häuſerſchächte erleuchtet, triumphiert über den 
Wechſel von Tag und Nacht, Sommer und Winter. 

Aber auch die Formen der Arbeitsgeſtaltung ſpiegeln dieſe neue künſtliche 
Amwelt, ſtehen jenſeits einer naturverwurzelten lebendigen Rhythmik. Hier 
übt der monotone Gleichtakt der Maſchinen die Befehlsgewalt auch über die 
Werke von Menſchenhand aus. Hier bringt der konſtruktive Aſphaltgeiſt die 
Maſſen in Form, regiert die Zahl als Magier der Zeit. And dieſe Aber⸗ 
ordnung der Quantität über die Qualität, der ſchon die Konzentration von 
Menſchenmaſſen in Städten als ſolche den Boden bereitet, bleibt auch vor 
der ganzen geiſtig⸗ſeeliſchen Haltung des Großſtadtmenſchen nicht ſtehen. 
Mehr und mehr bildet fic), von der gleichförmigen Amwelt unaufhörlich ge- 
fördert, ein uniformer Maſſengeiſt heraus, der je nach den Amſtänden immer 
neue Ausdrucksformen verwirklicht. An Stelle des Blutes, der eigentlichen 
Lebenswerte, erſcheint das Gelddenken als der abſolute Maßſtab, der auch den 
Sinn und Wert der Menſchen durch die Mittel der Beherrſchung des Maſſen⸗ 
geiſtes beſtimmt. 

eißt es aber nicht andererſeits: Stadtluft macht frei!? Wer wollte die 
Berechtigung dieſes Sehnſuchtsrufes einer leibeigen gewordenen Bauernſchaft 
leugnen? And wer wollte leugnen, daß die aus Burg, Kloſter, Markt uſw. 
als Keimzellen lebendig erwachſenen mittelalterlichen Städte in ihrer Wald- 
architektur, im Gemeinſchaftsgeiſt ihres zünftigen Lebens, in ihrer ganzen 
religiös durchſeelten geiſtigen Betriebſamkeit der Hort kultureller Entfaltung 
wurden, daß in ihnen der Menſch erſt wahrhaft zu feiner ſchöpferiſchen Grei- 
heit erwachte? Aber die ſtetige Steigerung des künſtlich konſtruktiven Gepräges 
der neuen, von der Natur ſich immer mehr abſchließenden Amwelt, die wach⸗ 
ſende Konzentration von Menſchenmaſſen in ihr — beides insbeſondere ſeit 
dem großen Aufſchwung der Naturwiſſenſchaften und Technik — wandelte 
den einftigen lebendigen Organismus der Stadt mehr und mehr in einen un- 
geheuer komplizierten Mechanismus. Dieſer Mechanismus erſetzte mehr und 
mehr auch die einſtige Weſenstotalität der Perſönlichkeit, die in ihrem glied. 
haften Wirken zugleich die Idee des ſtädtiſchen Lebensganzen verkörperte, 
durch immer mechaniſcher und bruchſtückhafter werdende Teilfunktionen. Nicht 
nur die Maſchinen, ſondern eben auch der Menſch ſelbſt wurde in feiner Tä- 
tigkeit immer mehr mechaniſiertes Bruchſtück eines ungeheuren Maſſenappa— 
rates der Daſeinsfürſorge, fremd feinem eigenen, lebendig quellenden Weſens⸗ 
grunde. Ein Sklave eben derſelben künſtlichen Zuſtände, welche die an keine 
Ehrfurcht vor der lebendigen Weltordnung mehr gebundene Freiheit ſeines 
Geiſtes geſchaffen hat. 

Freiheit des Geiſtes! Welch ungeheuer verführeriſches Wort gerade für 
den werdenden Menſchen, der aus dem Dunklen in das Helle ſtrebt. And doch 
kann die Befolgung dieſer Parole das Leben in die allertiefſte Knechtſchaft 
führen. Aber wie geht es zu, daß Geiſtesfreiheit einmal als eine hohe, ja, die 
höchſte Errungenſchaft des Menſchengeſchlechts geprieſen wird, und daß zum 
anderen der befreite, aller Feſſeln ledige Geiſt den Antergang der Völker und 
ihrer Kulturen herbeiführt? Die Auflöſung dieſes ſcheinbaren Widerſpruches 
zeigt uns das Bewußtſein, daß wir als Einzelmenſchen gleichſam Bürger 


Agrarpolitik Heft 12, Bg. 2 


826 Paul Krannhals 


zweier Welten find: der natürlichen und der fittliden Welt. Als Bürger der 
natürlichen Welt heißen wir Individuen und ſtreben in dem Willen zur 
Selbſtbehauptung nach möglichſter Freiheit von der Beherrſchung durch andere 
Menſchen oder durch ſonſtige Naturgewalten, nach der größtmöglichen An⸗ 
abhängigkeit unſerer Exiſtenz. Auf dieſem Wege, den der Wille zur Macht 
kennzeichnet, liegt auch die Beherrſchung der Natur durch Wiſſenſchaft und 
Technik. Auf dieſem Wege liegt aber auch diejenige politiſche und wirtſchaft⸗ 
liche Geiſteshaltung, die in den Schlagworten: Individualismus, Liberalis⸗ 
mus, Marxismus heute jedem bekannt iſt. Auf dieſem Wege liegt ſchließlich 
auch die ſelbſtherrliche Gebärde des Menſchengeiſtes, der ſich für völlig ſelb⸗ 
ſtändig, für abſolut erklärt. 

In dieſer Verſelbſtändigung entwurzelt ſich aber der Menſchengeiſt ſelbſt 
und wendet ſich notwendig gegen das Leben, dem er entſtammt. Das Weſen 
dieſer Selbſtentwurzelung des Menſchengeiſtes können wir aber nur dann von 
Grund aus verſtehen, wenn wir uns zugleich bewußt ſind, daß der Einzel⸗ 
menſch auch Bürger der ſittlichen Welt iſt. Auch hier, in der ſittlichen Welt, 
herrſcht die Freiheit des Geiſtes. Nur weiſt hier die Haltung des Geiſtes in 
die entgegengeſetzte Richtung. Die ſittliche Freiheit fordert nicht die Los⸗ 
löſung des Individuums von den anderen Individuen und von der ſonſtigen 
Natur, ſondern gerade die freiwillige Bindung des Einzelmenſchen an ein 
Höheres, ihm übergeordnetes Lebensganze, wie es vor allem die Gemeinſchaft 
der Volksgenoſſen, das eigene Volk, zum Ausdruck bringt. Hier offenbart ſich 
die Geiſtesfreiheit in der perſönlichen Selbſtverantwortung ſolcher Bindun⸗ 
gen. Die ſelbſtverantwortliche, ſittlich freie Perſönlichkeit ordnet ſich nicht des 
halb der Gemeinſchaft als ein ihr dienendes Glied unter, weil es ihr irgend- 
wie von außen her befohlen wäre, ſondern weil ſie ſich als vernunftbegabtes 
Weſen ſelbſt das Geſetz ihres ſittlichen Handelns gibt und ſich nur dem 
eigenen Gewiſſen gegenüber verantwortlich fühlt. Die Geiſtesfreiheit der ſitt⸗ 
lichen Perſönlichkeit folgt alſo der Parole: frei ſein zu etwas, eben zum 
Dienſte am Volke. Hingegen folgt die Geiſtesfreiheit, welche nur auf die 
Selbſtbehauptung des Individuums gerichtet iſt, der Parole: möglichſte Frei⸗ 
heit von jeglichen Bindungen, ſei es an die übrigen Individuen oder über⸗ 
haupt an die lebendige Naturordnung. Denn die Natur ſoll ja gerade vom 
freien Geiſt beherrſcht werden. 

Auch die Geiſtesfreiheit der ſittlichen Perſönlichkeit wird oft in der Vee 
herrſchung der Natur geſehen. Aber dieſe Naturbeherrſchung bezieht ſich nur 
auf die uneingeſchränkte, die Notwendigkeit ſittlicher Bindungen leugnende 
Selbſtbehauptung des Individuums. Sie iſt nicht Wille zur Macht, ſondern 
Wille zum Dienſt. Ja, in der Bejahung der überindividuellen Bindungen 
durch die ſelbſtverantwortliche ſittliche Perſönlichkeit wird zugleich der über⸗ 
individuelle Lebensſinn, der Geiſt der lebendigen Naturordnung bejaht. Dieſe 
Naturbejahung ſteht durchaus im Gegenſatz zu jener anderen Art Nature 
bejahung, welche der entwurzelte Geiſt des Nur⸗Individuums als fein „Na⸗ 
turrecht“ predigt. Denn hier geht die Naturbejahung nicht auf das Weſen 
der allumfaſſenden, lebendigen Weltordnung, ſondern ſie löſt das einzelne In⸗ 
dividuum aus den lebendigen Zuſammenhängen heraus, in die es gliedhaft 
eingeordnet iſt. In dieſer Herauslöſung des Individuums aus der Gemein⸗ 
ſchaft offenbart ſich eben die ſelbſtherrliche Gebärde des entwurzelten Geiſtes. 
Er will es nicht anerkennen, daß die überindividuelle Weſenheit der Gemein⸗ 


Geistige Verwurzelung und Entwurzelung 827 


fchaft Schon vor dem Individuum, deſſen Anwalt er ift, lebendig wirkſam war, 
daß das Individuum in die Gemeinſchaft gliedhaft eingeboren iſt, ihr aber 
nicht als ſelbſtändiges Weſen gegenüberſteht. Dieſe entwurzelte Haltung des 
fic) verſelbſtändigenden Menſchengeiſtes führt fo mit innerer Notwendigkeit 
zur Atomiſierung des überindividuellen Lebensganzen, das wir Volksgemein⸗ 
ſchaft nennen. Denn wenn wir es nur mit verſelbſtändigten Individuen zu 
tun haben, die kein anderes Lebensrecht als das Recht der individuellen Selbſt⸗ 
behauptung anerkennen, fo kann vom Volk als einem überindividuellen Le⸗ 
bensganzen nicht mehr die Rede ſein. 

Die Bindungen, welche von der Geiſtesfreiheit der ſelbſtverantwortlichen, 
fittlichen Perſönlichkeit anerkannt werden, find — wie ſchon angedeutet — 
gerade ein Ausdruck der lebendigen Naturordnung, der in ihr verwirklichten 
überindividuellen Lebenseinheiten, beiſpielsweiſe der Familie, der Sippe, des 
Stammes, des Volkes, der Raffe. Ja, wir können die natürliche, lebendige 
Weltordnung inſofern auch als eine ſittliche Weltordnung bezeichnen, als ſie 
in ihrem Bauplane wie auch in ihren Wirkungsformen die Höherwertigkeit 
des überindividuellen Lebens gegenüber der Exiſtenz des Individuums aus⸗ 
prägt. Eine ſolche überindividuelle Gerichtetheit des planmäßig und ziel⸗ 
ſtrebig wirkenden Lebens ſehen wir in der Tat überall als Ausdruck der 
lebendigen Naturordnung in Erſcheinung treten. Der Natur kommt es nie⸗ 
mals a die Exiſtenz des einzelnen Individuums an, fondern immer nur 
auf die Erhaltung und Entfaltung der überindividuellen Lebenseinheiten, ja, 
ganz allgemein, der Idee des Lebens überhaupt. Die Natur ſtreut ſcheinbar 
verſchwenderiſch Millionen und aber Millionen individueller Keime aus, damit 
einige wenige von ihnen ihre Beſtimmung, der Arterhaltung zu dienen, trotz 
aller nur irgend möglichen Hinderniſſe erfüllen können. Sie „rechnet“ alſo 
damit, daß viele Individuen zugrunde gehen müſſen. Ihr kommt es eben 
nicht auf die Maſſe an, ſondern auf die Qualität in der Maſſe, auf die Le⸗ 
benskraft, die im Daſeinskampfe obſiegt, die allein die Führung und Fort⸗ 
führung der Art verbürgt. Die Natur verfährt alſo ariſtokratiſch und nicht 
demokratiſch. Sie kennt nicht den Wohlfahrtsſtaat, der auch das Kranke groß⸗ 
züchtet. Ihr liegt nichts am „größten Glück der größten Zahl“, ſondern letzten 
Endes einzig an der Entfaltung der Idee des Lebens überhaupt zu ihren 
höchſten Möglichkeiten. Dieſem Zielſinne werden, wenn es ſein muß, auch 
ganze Arten geopfert. 

Wir müſſen das Leben, trotz der ungeheueren Mannigfaltigkeit ſeiner 
Arten, die ſich gegenſeitig im Gleichgewicht halten, als ein Ganzes, als eine 
Einheit anſehen. Aus dieſem Erlebnis des Allebens heraus erfaſſen wir 
die ganze Welt als einen lebendigen Organismus, der die Idee des Lebens 
verkörpert. Im Bewußtfein dieſer Einheit des Lebens werden wir uns gue 
gleich der Gliedſtellung alles deſſen bewußt, was — wie die Arten, Gattun- 
gen, Völker, Familien, Individuen — dem Stufenreich des Individuellen 
angehören. Denn vom Alleben aus geſehen ſind auch die unterſchiedlichen, 
natürlichen Arten Glieder des Organismus, der die allumfaſſende Idee des 
Lebens Überhaupt verkörpert. Die lebendige Weltordnung ijt ein Stufen⸗ 
reich immer umfaſſendererer Lebenseinheiten, angefangen vom einzelligen 
Lebeweſen, wie es die Amöbe darſtellt, bis zum Alleben. Die Lebensformen, 
welche auf einer niederen Stufe als in fic) geſchloſſene Lebensganze ere 
ſcheinen, wie etwa die Einzeller, offenbaren auf einer umfaſſenderen Lebens 


9° 3 


828 Paul Krannhals 


ftufe, wie etwa in der Art als einheitliches Lebeweſen, ihre Gliedſtellung. 
So iſt jedes Individuum ein Glied ſeiner eigenen Art als eines Groß⸗ 
lebeweſens. So verlieren die Zellindividuen als Glieder mehrzelliger Lebe⸗ 
weſen jene Selbſtändigkeit, welche ſie als einzellige Lebeweſen beſaßen. So 
offenbaren der Wald, die Wieſe, die Heide, die Kleinlebewelt des Dorf⸗ 
teiches uſw. Lebensgemeinſchaften verſchiedener Arten, die nur als Glieder 
in ſolcher Lebensgemeinſchaft exiſtenzfähig ſind. And ebenſo iſt es auch im 
menſchlichen Leben beſtellt, erſcheint das einzelne Individuum als Glied immer 
umfaſſenderer Lebenseinheiten, wie der Familie, der Sippe, des Stammes, 
des Volkes, der Raſſe. 

Dieſe überindividuelle Gerichtetheit, welche uns die lebendige Weltord⸗ 
nung offenbart, dieſe Höherwertigkeit der überindividuellen Lebenseinheiten 
gegenüber den Individuen als ihren Gliedern, dieſe ganze natürliche Hierarchie 
wird nun, wie geſagt, von der ſittlichen Geiſtesfreiheit der ſelbſtverantwort⸗ 
lichen Perſönlichkeit bedingungslos anerkannt. Ja, wir ſehen den Inhalt 
unſerer ſittlichen Verpflichtungen als Einzelmenſchen gerade in der Pflege 
und Erhaltung dieſer natürlichen Lebensordnung, dieſes Weltenplanes. Da⸗ 
mit bejahen wir die natürliche Weltordnung zugleich als eine ſittliche. 
Damit offenbaren wir, daß der ſchöpferiſche Geiſt, der ſich in der planmäßigen 
und zielſtrebigen lebendigen Weltordnung verkörpert, dasſelbe bekundet, das⸗ 
ſelbe wirkt, was unſer eigener Geiſt als vernünftig, als ſittlich bezeichnet. 
Damit erkennen wir an, daß unſer Geiſt im Geiſte der lebendigen Welt⸗ 
ordnung wurzelt, ja, daß er nur dann ſittlich handelt, wenn er — bewußt 
oder unbewußt — aus dieſer Verwurzelung im ſchöpferiſchen Weltgeiſte 
heraus in die Welt zurückwirkt. Damit bejahen wir „das Vernünftige, wo⸗ 
raus die Natur beſteht und wonach ſie handelt“ (Goethe), damit erkennen 
wir aber auch an, daß unſer eigener Geiſt in feiner ſelbſtherrlichen, ſich ab⸗ 
ſondernden Haltung eine Richtung einſchlägt, welche dem Weſen der plan⸗ 
mäßigen und zielſtrebigen lebendigen Weltordnung widerſpricht. And ſo wird 
es uns zum innerſten Erlebnis, warum der entwurzelte Geiſt, warum das 
entwurzelte mechaniſche Denken zum Verfall der Kulturen führen muß. 

Alle Kultur muß ja notwendig eine Grundlage, einen feſten Boden haben, 
auf dem ſie ſich aufbaut, beſſer: aus dem ſie erwächſt, in dem ſie wurzelt. 
Der Grund und Boden aller wahrhaften, lebendig gewachſenen Kultur kann 
ſchlechterdings nichts anderes ſein als der Geiſt, der ſich in der lebendigen 
Weltordnung verkörpert. Denn außer ihm iſt nichts, woraus die Kultur 
erwachſen könnte. Dennoch widerſpricht der Menſchengeiſt von Zeit zu Zeit 
dem Geiſte der lebendigen Weltordnung. Dennoch ſondert er ſich zeitweilig 
von ihm ab und ſucht aus dieſer ſeiner luziferiſchen Haltung heraus — denn 
Luzifer iſt der ſich abſondernde Geiſt — die Welt zu beherrſchen. Aber dieſer 
Ikarusflug des Menſchengeiſtes gereicht ihm gerade zum Verderben. Vom 
Strahl der Weltenſonne getroffen, muß er wieder zu derſelben Erde hinab. 
ſtürzen, über die er ſich vermeſſen erheben wollte. So kehrt er ungewollt, 
vom Weltengeiſt dazu gezwungen, wieder zum Mutterſchoße zurück. And 
allmählich erkennt er in dieſer Berührung mit feinem Urquell wieder feine 
wahre Beſtimmung, die ja nur in ſeiner Wiederverwurzelung in Blut und 
Heimatboden, im fleiſchgewordenen Geiſte der lebendigen Gott⸗Natur zu 
erfüllen vermag. 


Geistige Verwurzelung und Entwurzelung 829 


Dieſe Wende des entwurzelten Geiſtes, zurück zu feinem Mutterſchoße, 
iff auch der lebendige Sinn der „deutſchen Revolution“. Sie ijt der Weg 
von der luziferiſchen Haltung des entwurzelten Geiſtes zu ſeiner Wiederein⸗ 
wurzelung im göttlichen Schöpfergeiſte der lebendigen Weltordnung. And 
dieſe Wiederverwurzelung hat für jeden deutſchen Volksgenoſſen zum Ziele 
die Wirklichkeitsgeſtalt des zu bildenden Organismus der Volksgemeinſchaft. 
Zu dieſem gemeinſamen Dienſt am Lebensganzen des Volkes iff jeder Volks⸗ 
genoſſe, gemäß ſeinem beſonderen Leiſtungscharakter, berufen. Aber dieſes 
gemeinſame Wirken kann nur dann wahrhaft fruchtbar ſein, wenn aus dem 
wirkenden Menſchengeiſte der Schöpfergeiſt der lebendigen Weltordnung 
ſpricht. Denn das Volk als Organismus fol ja denſelben ſchöpferiſchen Welt⸗ 
geiſt offenbaren, der in der planmäßigen Organiſation und im zielſtrebigen 
Wirken einer jeden natürlichen Lebensform tätig ijt. Auch der geiſtige Bare 
plan unſeres eigenen Organismus kündet uns in feiner ungeheueren Rom: 
pliziertheit ebenſo eine ſittliche Leiſtungsgemeinſchaft, wie wir fie in der Ge- 
ſtaltung unſeres Volkes zum Organismus verwirklichen ſollen. Denn was iſt 
das Zuſammenwirken der Milliarden von Zellindividuen unſeres Organis- 
mus zur Erhaltung des Lebensganzen, ſeinem lebendigen Sinne, ſeinem inne⸗ 
ren Ziele nach anderes als der unbewußte Ausdruck desſelben Sittengeſetzes, 
das uns als Volksgenoſſen zum gliedhaſten Dienſt an der Volksgemeinſchaft 
verpflichtet. So erſcheint unſer eigener Organismus als das Vorbild und 
Sinnbild der ſittlichen Aufgabe aller Volksgenoſſen, nämlich der Geſtaltung 
des Volkes zum Organismus, des deutſchen Staatsweſens zu der allumfaſſen⸗ 
den Lebensform der deutſchen Volksgemeinſchaft. And fo iſt ganz allgemein 
unſer Sittengeſetz nichts anderes als die bewußt freiwillige Bejahung der 
allumfaſſenden Weltgeſetzlichkeit. 

Nur der entwurzelte Geiſt trennt in ſeiner eingebildeten Selbſtherrlichkeit 
Natur und Geiſt in zwei Welten, die als grundſätzlich weſensverſchieden be- 
urteilt werden. Hier liegt im tiefſten Grunde die Wurzel alles Anheils, das 
wir uns als Volk felbſt bereiten. In dieſer Trennung von Natur und Geiſt 
liegt die Arſache davon, warum wir Deutſchen bisher noch nie zu einer wahr- 
haft eigenſtändigen Kultur, zu einem einheitlichen, nur vom eigenen ſchöpferi⸗ 
ſchen Seelengrunde geprägten Lebensſtil gelangt ſind. Was wir in der nun 
abgelaufenen ſogenannten abendländiſchen Kulturepoche an ureigenſten Schöp- 
fungen offenbarten, das waren letzten Endes immer nur Bruchſtücke aus einer 
großen Konfeſſion, die ſelbſt niemals Wirklichkeit wurde. 

Gerade unſer nordiſches Seelentum folgt dem Grunderlebnis der Einheit 
von Natur und Geiſt und bedarf ſo der kosmiſchen Verbundenheit auf 
allen Kulturgebieten. nicht zuletzt auch im Charakter feiner Religiofität. 
Denn die nordiſche Religioſität ſtrebt nach der Weltheiligung, nach der Ver⸗ 
wirklichung des Jenſeits im Diesſeits, in der lebendigen Gott⸗Natur. Die 
Bejahung der lebendigen Weltordnung als Gottes Schöpfung im Charakter 
einer Kulturgeſtaltung, die von dem Geiſte Zeugnis ablegt, der als lebendige 
Weltordnung wirkſam iſt — das iſt die unabweisbare Aufgabe des nordiſchen 
Seelentums in der kommenden, von ihm beſtimmten Kulturepoche. Hier grüßt 
das Ziel der nunmehr angebahnten Revolution oder Wiederverwurzelung 
unſeres Geiſtes. Nur in dieſer Richtung, welche dem nordiſchen Grund— 
erlebnis der lebendigen Einheit von Natur und Geiſt Ausdruck gibt, kann 


830 Karl Scheda 


die große Konfeſſion des nordiſchen Seelentums, die bisher nur in Bruch⸗ 
ſtücken in Erſcheinung trat, einheitliche Lebensgeſtalt werden. 


Wir ſtehen im Zeichen des aufſteigenden Lebens aus Gott, im uralten, 
nordiſchen Heilszeichen des Wende- oder Hakenkreuzes. Die nordiſche Ar⸗ 
religion, die aus ihm ſpricht, verkündet die ewige Wiederkehr im kosmiſchen 
Wandel des Werdens und Vergehens, als das große ſittliche Geſetz des 
Weltalls, als die Offenbarung Gottes, des Weltgeiſtes, durch ſeinen Sohn 
in Zeit und Raum. Wie der Gottesſohn als Träger des Himmelslichtes mit 
dem Jahresablauf ſtirbt, um dann in der Winterſonnenwende aus dem „Mut⸗ 
terhaus“, der Erde, wiedergeboren zu werden, ſo bedarf auch der Menſch des 
Mutterhauſes zu feiner kulturellen Wiedergeburt, fo ſteht auch er nach vollen- 
detem Lebenslauf in ſeinen Nachkommen zu neuem Leben auf. Das natürliche 
Licht und Leben ſind für den nordiſchen Menſchen ein Gleichnis des ewigen, 
unſichtbaren Lebenslichtes, des göttlichen Argrundes der Welt, jenſeits von 
Zeit und Raum. In dieſer Bejahung, ſowohl der Immanenz wie der 
Tranſzendenz des Göttlichen, vollendet ſich erſt das Grunderlebnis des kos⸗ 
miſch verwurzelten nordiſchen Seelentums, das Erlebnis der inneren Einheit 
von Natur und Geiſt, von Sinnenwelt und überſinnlicher Welt. Mögen wir 
als deutſches Volk im Zeichen des aufſteigenden Lebens aus Gott zu dieſem 
Grunderlebnis der vollendeten Einheit von Natur und Geiſt wieder zurück⸗ 
finden. Dann ſchließt ſich der geheimnisvolle Schickſalskreis, der die Wieder⸗ 
geburt des nordiſchen Seelentums aus dem „Mutterhaus“ verkündet. 


Karl Scheoͤa: 
Zum Gedenken an Guſtav Ruhland“) 


Die kürzliche Tagung der „Internationalen Landwirtſchafts⸗ 
kommiſſion“ veranlaßt uns, auf die Verdienſte Ruhlands um den inter- 
nationalen Zuſammenſchluß der Landwirte hinzuweiſen. Als Ruhland auf 
Empfehlung Adolf Wagners vom Bund der Landwirte 1894 als volks⸗ 
wirtſchaftlicher Berater nach Berlin berufen war, fanden feine wirtſchafts⸗ 
politiſchen Ideen, daß nicht die Überproduktion in Getreide, ſondern die 
Gründertätigkeit der internationalen Großbanken mit den Machenſchaften 


*) Im Hinblick auf das raſch wachſende Intereſſe an den Arbeiten Ruhlands 
teilen wir mit, daß der Verlag „Zeitgeſchichte“ eine Neuherausgabe des völlig 
totgeſchwiegenen und vergriffenen „Syſtems der politiſchen Okonomie“ vor- 
bereitet. H. R. 


Zum Gedenken an Gustav Ruhland 831 


der verſchiedenen Spekulanten, alfo der Kapitalismus in Nubh- 
lands Sinne, im weſentlichen den Rückgang der Getreidepreiſe bewirkt 
habe, allgemeine Zuſtimmung. Auch der „I. Internationale Agrar- 
kongreß“ zu Budapeſt im September 1896 ſchloß fic) der Ruhlandſchen 
Auffaſſung an. Ruhland wollte die durch die Spekulanten erzeugten 
Preisſchwankungen für Getreide, durch die bald die Erzeuger, bald die 
Verbraucher ſchwer geſchädigt wurden, durch eine moderne Verkaufs- 
organiſation der Landwirte und des ſoliden Handels beſeitigen. Zu dieſem 
Zweck errichtete Ruhland im Herbſt 1899 zu Freiburg in der Schweiz, 
wohin er als Profeſſor für Nationalökonomie berufen worden war, eine 
„Internationale Getreidepreis warte“. Hieraus gingen die 
„Internationalen Mitteilungen zur Regulierung der Ge— 
treidepreiſe“ hervor, die dann bei der Aberſiedlung Ruhlands nach Berlin 
zur Wochenſchrift „Getreidemarkt“ umgewandelt wurden und dann 
ſpäter als „Landwirtſchaftliche Marktnachrichten“ als Beilage 
der „Illuſtrierten landwirtſchaftlichen Zeitung“ erſchienen. Ruhland gehörte 
zu den allererſten, welche die Agrarfrage als ein internationales Pro- 
blem erkannten. Er bewirkte die Gründung der „Internationalen 
land wirtſchaftlichen Vereinigung für Stand und Bildung 
der Getreidepreiſe“ und half weſentlich mit, daß im März 1901 in 
Paris von 29 landwirtſchaftlichen Verbänden aus Oſterreich⸗Angarn, Deutich- 
land, Dänemark, der Schweiz, Frankreich, Spanien und Portugal die gee 
nannte Internationale Vereinigung begründet wurde, die durch ihre verdienſt⸗ 
volle Tätigkeit erſt die Gründung des „Internationalen Agrarinſti⸗ 
tuts in Rom“ ermöglicht hat. Ruhland wurde Sekretär für Deutſchland. 
Die amtliche italieniſche Denkſchrift hat die großen Verdienſte Ruhlands um 
die Begründung des Agrarinſtituts ausdrücklich hervorgehoben. Ruhland 
ſchrieb für die genannte Vereinigung 1903 das noch heute wertvolle Buch 
„Die Lehre von der Getreidepreisbildung“, das in mehrere 
Sprachen überſetzt wurde. 


Als Ergebnis feiner dreijährigen Studienreiſe durch die Hauptgetreide— 
länder der Welt hatte Ruhland die Erkenntnis mitgebracht, daß es den Land⸗ 
wirten in allen Erdteilen, wo Freihandel in Grund und Boden beſteht, gleich 
ſchlecht gehe. Als hervorragendſter Vertreter der ethiſchen Nationalökonomie 
verlangte er die Löſung der uralten Lebensfrage nach der gerechten Ent- 
lohnung der Arbeit dur chdie allgemeine Einführung des „gerechten 
Preiſes“ für alle Arbeitswerkzeuge und Arbeitsprodukte. Dieſes Ziel ſetzte 
voraus Ausſchluß der Mitwirkung des ſpekulativen Privat- 
kapitals bei der Preisbildung und öffentlich-rechtliche Organiſation 
der Geſellſchaft neben dem Staate unter Beibehaltung des Privat- 
eigentums an den Produktionsmitteln in nationale Syndikate, 
die die Preiſe auf ſtetiger, mittlerer Linie zu regulieren haben. 


Wir find überzeugt, daß die landwirtſchaftlichen Verhältniſſe in allen Kul— 
turländern ſich um fo mehr beſſern werden, je mehr Nuhlandſche Ideen ver- 
wirklicht werden. Weitblickende Politiker werden auch die zukünftige, große 
Gefahr erkennen, daß mit dem Fortſchreiten der induſtriellen Entwicklung in 
allen Agrarländern deren Getreideüberſchüſſe von der ſtets wachſenden, nicht 


832 Gerhard Kokotkiewicz 


Ackerbau treibenden Bevölkerung verzehrt werden und die Getreideausfuhr aus 
dieſen Ländern ſich allmählich verringern und ſchließlich ganz aufhören wird. 
Was dann aber aus den reinen Induſtrieländern werden ſoll, die ihre Land⸗ 
wirtſchaft dem kapitaliſtiſchen Großhandel und der Großinduſtrie geopfert haben, 
das iſt leicht zu beantworten. Es iſt zweifellos, daß der Hunger die Bevölke⸗ 
rung jener Länder dazu treiben wird, ihrer kapitaliſtiſchen Staats- und Geſell⸗ 
ſchaftsordnung, die ſie um das tägliche Brot gebracht hat, alſo um die Grund⸗ 
lage des ganzen menſchlichen Daſeins, ein blutiges Ende mit Schrecken zu 
bereiten. 


Gerhard Kokotkiewicz: 
Schuloͤnernot — Gläubigernot 


I. Verſchuldungs⸗ und Zinsdruck 


Acht Jahre nach der Währungsſtabiliſierung haben genügt, um die Ver⸗ 
ſchuldung der Landwirtſchaft auf einen Betrag von bald 12 Milliarden Reichs⸗ 
mark anwachſen zu laſſen. Zwar bleibt dieſe Verſchuldung noch hinter der der 
Vorkriegszeit zurück (1913 betrug die Verſchuldung etwa 17,5 Milld. M.), 
doch muß man bedenken, daß in der Vorkriegszeit der Schuldenſtand das Er⸗ 
gebnis einer jahrzehnte-, ja jahrhundertelangen Entwicklung war, während 
die Anhäufung der 12 Milld. NM. Nachkriegsſchulden ſich auf den kurzen 
Zeitraum von acht Jahren zuſammendrängte, denn die Aufwertungsverſchul⸗ 
dung ſpielt im Rahmen der Geſamtverſchuldung der Landwirtſchaft nur eine 
untergeordnete Bedeutung. Es find auch nicht die Zinſen für die Aufwer⸗ 
tungshypotheken, die den großen Druck auf die Landwirtſchaft ausüben, es 
find vielmehr in erſter Linie die Zinſen für die Perſonalkredite und nach⸗ 
ſtelligen Realkredite, die zu einer Zinsbelaſtung geſührt haben, die z. B. im 
Wirtſchaftsjahr 1931/32 mehr als 1 Milld. RM. betrug, d. h. etwa 300 Mill. 
RM. mehr als die Zinslaſt, die vor dem Kriege für eine weſentlich höhere 
Verſchuldung aufzubringen war. Gigantiſch ſchwollen Verſchuldung und 
Zinslaſt der Landwirtſchaft nach der Währungsſtabiliſierung an. Der Kern 
dieſer unſeligen Verſchuldung fällt aber bereits unmittelbar in die erſten Mo⸗ 
nate nach der Währungsſtabiliſierung, denn damals war die Landwirtſchaft 
von Betriebsmitteln und Betriebskrediten entblößt. Bereits für die Früh⸗ 
jahrsbeſtellung 1924 mußten hochverzinsliche Kredite beanſprucht werden, die 
größtenteils aus dem Ernteerlös nicht zurückgezahlt werden konnten. Anter 
der Parole der Nohertragsſteigerung nahm die Landwirtſchaft in den folgen⸗ 
den Jahren Milliardenkredite auf zu Zinſen, die die Rentabilität der In- 
veſtitionen von vornherein gefährden mußten. Auch Kreditform und Kredit- 


Schuldnernot — Gläubigernot 833 


bedingungen waren meift für die Betriebsbelange der Landwirtſchaft nicht 
zweckentſprechend; die Fälligkeit der kurzfriſtigen Kredite drängte ſich bis 1926 
unmittelbar nach Einbringung der Ernte zuſammen und übte — am ſtärkſten 
im Jahr 1925 — einen erheblichen Druck auf die Preiſe der landwirtſchaſt— 
lichen Erzeugniſſe aus. Vom Jahre 1927 ab wurden — in Anlehnung an 
einen Vorſchlag des Verfaſſers — die Fälligkeiten der kurzfriſtigen Agrar⸗ 
kredite auseinandergezogen und mehr als bisher den Verkaufsterminen der 
Landwirtſchaft angepaßt. 


Schon allein durch die hohen Zinſen wuchs die Schuldenlaſt ſtark an. Die 
Zinſen wurden nämlich, da ſie vielfach nicht einzubringen waren, zum Kapital 
geſchlagen. Neue Kredite wurden zur Beſtreitung der Zinſen für früher aufe 
genommene Kredite und zur Verluſtdeckung beanſprucht. Da ſich mit Hilfe 
der Kredite der Reinertrag meiſt nicht ſteigern ließ, ſetzte bereits 1926 eine 
Senkung der Preiſe des landwirtſchaftlichen Bodens, alſo der Beleihungs— 
grundlagen, ein. Dennoch aber floſſen immer weitere Kredite in die Land— 
wirtſchaft, die zum größten Teil der Deckung von Betriebsverluſten dienten. 
Die aufgenommenen Mittel dienten lediglich der Aufrechterhaltung der Be— 
triebe, einer Aufrechterhaltung, die aus dem Ertrage der Produktion nicht 
möglich war. Das Inſtitut für Konjunkturforſchung hat dargelegt, daß den 
während der Jahre 1924 bis 1928 in die Landwirtſchaft gefloſſenen Krediten 
in Höhe von 6,8 Milld. RM. eine Sachkapitalbildung von nur 2,4 Milld. 
RM. gegenüberſteht. Die Differenz von 4,1 Milld. RM. erklärt ſich zum 
größten Teil eben daraus, daß der Kapitalaufnahme Betriebsverluſte gegen- 
überſtanden. 


Jahrelang zahlte die Landwirtſchaft die Zinſen und Steuern nur mit 
Hilfe neuaufgenommener Kredite. Solange dies der Fall war, wurde die 
wahre Kriſe der Landwirtſchaft verſchleiert. In dem Augenblick aber, als der 
Kreditzufluß an die Landwirtſchaft zum Stocken kam und neue Kredite zur 
Verluſtfinanzierung im allgemeinen nicht mehr gegeben wurden, da wurde 
das Bild entſchleiert, und die bis dahin ſchleichende Kriſe kam zum offenen 
Ausbruch. Die Lage ſpitzte ſich geradezu kataſtrophal zu, als mit dem ſteten 
Anwachſen der Zwangsverſteigerungen, und vor allem im Zuſammenhang mit 
der Bankenkriſis, eine wahre Gläubigerpanik ausbrach. Die Gläubiger ſuchten 
zu retten, was zu retten war. Die Kreditkündigungen überhäuften ſich, mit 
dem Erfolg, daß ſich die Agrarkriſe mehr und mehr verbreiterte. Die Kapital- 
ausfälle bei den Zwangsverſteigerungen ſetzten auch die Gläubiger durchaus 
nicht gefährdeter landwirtſchaftlicher Betriebe in Furcht. Dieſe kündigten die 
Kredite; die Landwirte entblößten ſich, um dieſen Rückforderungen nachkommen 
zu können, immer mehr des lebenden und toten Inventars. Es kam ſo zu einer 
Devaſtierung zahlreicher landwirtſchaftlicher Betriebe. Ein Nad trieb das 
andere. Gläubigerverluſte bei den Zwangsverſteigerungen führten zum Kredit— 
entzug bei noch geſunden Betrieben, brachten auch dieſe dadurch ſchließlich 
zur Zwangsverſteigerung, und durch dieſes Angebot an Zwangsverſteigerungen 
wurde der Druck am Gütermarkt immer ſtärker; die Grundſtückspreiſe ſanken 
immer mehr, und in ſtändig wachſendem Amfang wurden Forderungen der 
Gläubiger in die Ausfallzone gedrängt. Aus der Schuldnernot war mit einem 
Schlage eine ausgeſprochene Gläubigernot geworden. Schutzmaßnahmen für 


834 Gerhard Kokotkiewicz 


die Landwirtſchaft (vor allem Einführung des Vollſtreckungsſchutzes) ver⸗ 
hüteten zwar einen weiteren ſtarken Druck auf die Güterpreiſe. Die Gläubiger- 
rechte wurden aber ſehr eingeengt, und praktiſch beſteht für die Gläubiger 
nunmehr keine Möglichkeit mehr, Kredite aus der Landwirtſchaft zu ziehen. 
In überaus zahlreichen Fällen werden vielmehr die Gläubiger einer Herab— 
ſetzung ihrer Kapital- und Zinsforderungen zuſtimmen müſſen, ohne die 
Möglichkeit zu haben, die ausgeliehenen Kredite in abſehbarer Zeit zurück— 
zuerlangen. a 


Die Zinslaſt der Landwirtſchaft ſtand jahrelang in völligem Mißverhältnis 
zu den Verkaufserlöſen der Landwirte. Während vor dem Kriege nicht ganz 
7% der Verkaufserlöſe durch die Zinſen verſchlungen wurden, war dieſer 
Anteil bereits vom Wirtſchaftsjahr 1925/26 an weſentlich höher als in der 
Vorkriegszeit. Eine beſondere Zuſpitzung erfuhr die Lage im Wirtſchaftsjahr 
1931/32, als die Zinslaſt auf mehr als 1 Milld. RM. ſtieg und bald 14% 
der Verkaufserlöſe verſchlang. Seitdem iſt zwar, durch den Rückgang der 
Zinsſätze, die Zinslaſt etwas geſunken. Für das Wirtſchaftsjahr 1932/33 kann 
man die Zinslaſt der Landwirtſchaft auf 590 Mill. RM. ſchätzen. Da man 
aber die Verkaufserlöſe nur mit 6,5 Milld. anſetzen kann, ergibt ſich auch für 
dieſes Wirtſchaftsjahr noch ein Anteil der Zinslaſt an den Verkaufserlöſen 
von mehr als 9 . 


Tabelle 1 
Verkaufserlöſe und Zinsbelaſtung der Landwirtſchaft 


Verkaufserlös , Zinslaſt 
gl 
Zeit der Landwirtſchaft Sin ty in v. H. des Vers 
(Mill. RM.) (Mill. RM.) kaufserlöſes 


Wirtſchaftsjahr 1924/25. 7 590 425 5,60 
Wirtſchaftsjahr 1925/2 8 130 610 7,50 
Wirtſchaftsjahr 1926/27 ⸗œm1m 8 590 625 7,28 
Wirtſchaftsjahr 1927/28 . . . .. 9 440 785 8,32 
Wirtfhaftsjabr 1928/9 10 300 920 8,93 
Wirtſchaftsjahr 1929/30 . . . .. 9 750 950 9,74 
Wirtſchaftsjahr 1930/31 . . . .. 8 890 950 10,69. 
Wirtſchaftsjahr 1931/32 . ...., 7 270 1005 13,82 
Wirtſchaftsjahr 1932/33 . . . .. 6500 590 9,08 
i 10 750 750 6,98 


Zwar hätte, wenn die durch Notverordnung vom 27. September 1932 
eingeführten Schuldenregelungsverfahren ſchneller in Fluß gekommen wären, 
noch in dieſem Jahr mit einer nennenswerten Senkung von Verſchuldung und 
Zinslaſt gerechnet werden können. Das Schuldenregelungsverfahren iſt jedoch 
jo umſtändlich, daß fein praktiſcher Erfolg bisher ganz gering iſt. Hier iſt, 
ebenſo wie bei der Oſthilfe, vor allem das Tempo zu beklagen. So manche 
Hilfsmaßnahmen für die Landwirtſchaft ſind praktiſch verpufft, großenteils 
aus dem Grunde, weil das Tempo der Durchführung ſo langſam war, daß bei 


Schuldnernot — Gläubigernot 835 


dem ſtarken Preisverfall der landwirtſchaftlichen Erzeugniſſe nach glücklich 
beendeter, ziemlich bürokratiſch durchgeführter Entſchuldung eines Betriebes 
ſich bereits die Notwendigkeit einer neuen Entſchuldung ergab. Bei Bei⸗ 
behaltung der gegenwärtigen Maßnahmen iſt auch kaum damit zu rechnen, 
daß in abſehbarer Zeit mit Hilfe des Schuldenregelungsverfahrens die Ver⸗ 
ſchuldung und Zinslaſt der Landwirtſchaft erheblich geſenkt wird. Dabei 
herrſcht doch allgemein Klarheit darüber, daß unter den heutigen Lebens⸗ 
bedingungen dieſe Zinslaſt für die Landwirtſchaft einfach untragbar iſt. Eine 
Entlaſtung der Landwirtſchaft von dieſer Zinslaſt iſt das Gebot der Stunde. 


Es wird nun im allgemeinen ſo dargelegt, als ob eine Zinsſenkung für die 
Landwirtſchaft ein einſeitiges Geſchenk für die Landwirte und eine einſeitige 
Maßnahme gegen die Gläubiger ſei. Dies iſt jedoch ein Irrtum, begründet 
in der Weiterführung einer althergebrachten, m. E. aber falſchen Theorie. 
Jahrelang haben die Gläubiger aus der Landwirtſchaft Zinſen gezogen, die 
für die Landwirtſchaft untragbar waren. Die Landwirtſchaft hat dieſe Zinſen 
zwar bezahlt, doch haben die Gläubiger den Empfang dieſer Zinszahlungen 
mit einer dauernden Verſchlechterung der Sicherheit ihrer Kredite erkaufen 
müſſen. Wäre nämlich von Anſang an die Zinslaſt für die Agrarkredite in 
einem angemeſſenen Verhältnis zur Leiſtungsfähigkeit der landwirtſchaftlichen 
Betriebe geblieben, fo wären für die Gläubiger niemals die Verluſte ein- 
getreten, die tatſächlich erfolgt ſind und noch bevorſtehen. Heute wirken 
die Höhe des Zinſes und die Sicherheit der ausgeliehenen 
Darlehen einander entgegen. Je höher die Zinſen, deſto 
geringer die Sicherheit der ausgeliehenen Geldkapitalien, 
und umgekehrt, je niedriger die Zins belaſtung, deſto größer 
die Sicherheit. Bei Beibehaltung der gegenwärtigen, für die Landwirt⸗ 
ſchaft untragbaren Zinſen wird ein Heer von Gläubigern über kurz oder lang 
erneut ſeines Kapitals völlig verluſtig werden. In vielen Fällen hätten ſich 
ſolche Kapitalausfälle bereits in den Vorjahren vermeiden laſſen und wären 
auch noch in der Gegenwart vermeidbar, wenn die Aufwendungen der Land- 
wirte, vor allem für Tiere, Steuern und Sozialabgaben, in ein tragbares 
Verhältnis zu ihren Einnahmen gebracht würden. 


Es wird von den Gegnern einer Zinsſenkung im allgemeinen angeführt, 
daß eine Zinsſenkung die Kapitalbildung hemme. Gewiß würde eine Zins- 
fenfung das Renteneinkommen in Deutſchland ſchmälern. Nun gibt es 
aber in Deutſchland nur eine verhältnismäßig dünne Bevölkerungsſchicht, die 
ausſchließlich von Renteneinkommen lebt. Keineswegs aber würde 
eine Zinsſenkung die Kapitalbildung hemmen, im Gegenteil, 
ſie dürfte ſie energiſch fördern. Die Kapitalbildung kann nämlich durch einen 
hohen Zinsfuß dann garnicht gefördert werden, wenn es gerade der hohe Zins 
iſt, der einer Entfaltung der Produktion entgegenſteht und daher zahlreichen 
Volksgenoſſen überhaupt jede Möglichkeit nimmt, in den Produktionsprozeß 
eingeſchaltet zu werden und ſparen zu können; nicht eine Zinsherabſetzung iſt 
es, die die Darlehensgeber gefährdet, ſondern es iſt gerade im Gegenteil eine 
Beibehaltung der überhöhten und für faſt alle Wirtſchaftszweige — beſtimmt 
aber für die Landwirtſchaft — untragbaren Zinsſätze, die die Sicherheit der 
ausgeliehenen Kapitalien gefährdet. Schuldnernot ijt Gläubigernot, Schuldner- 
wohl dagegen iſt auch Gläubigerwohl. 


836 Gerhard Kokotkiewicz 


II. Die Zwangsverſteigerungslawine 


In der zweiten Hälfte der achtziger und in der erſten Hälfte der neunziger 
Jahre des vorigen Jahrhunderts waren die Zwangsverſteigerungen noch ver— 
hältnismäßig hoch. In den folgenden Jahren gingen ſie dann, unter Schwan⸗ 
kungen, erheblich zurück. In Preußen war die zwangsverſteigerte Fläche in 
den letzten Jahren vor dem Krieg etwa um 61 000 ha oder um 75 % geringer 
als die Fläche, die Anfang der neunziger Jahre zur Zwangsverſteigerung 
gekommen war. Der ſtändige Rückgang der Zwangsverſteigerungen landwirt⸗ 
ſchaftlicher Grundſtücke vor dem Krieg hängt damit zuſammen, daß ſeit den 
neunziger Jahren die Landwirtſchaft tatſächlich, wenigſtens im Durchſchnitt 
mehrerer Jahre, Aberſchüſſe erzielte und über die Herauswirtſchaftung des 
Zinſes hinaus den Landwirten noch eine nicht unbeträchtliche Rente blieb. 
Vor dem Krieg hatten die Bodenpreife — im Gegenſatz zu der Zeit nach der 
Währungsſtabiliſierung — ſteigende Tendenz. Die Nachfrage nach Land- 
gütern war erheblich. Zuſammenballungen von Zwangsverſteigerungen in 
beſtimmten Landesteilen, wie ſie jetzt an der Tagesordnung ſind, fanden wir 
in der Vorkriegszeit ſeit den neunziger Jahren nicht mehr. Ein irgendwie 
nennenswerter Druck auf die Güterpreiſe durch ein hohes Angebot aus 
Zwangsverſteigerungen lag ebenfalls nicht mehr vor. Die Zwangsverſteige— 
rungen in der Vorkriegszeit erfolgten zum großen Teil aus Gründen der 
Erbauseinanderſetzung; fie waren ferner der Ausdruck eines normalen Reimi- 
gungsprozeſſes. Sie brachten vielfach tatſächlich den Abergang zum beſſeren 
Wirt, ganz im Gegenſatz zur Gegenwart, wo bei den Zwangsverſteigerungen 
vielfach kein Abergang zum beſſeren Wirt, ſondern lediglich ein Abergang 
zum Inhaber der erſten oder zweiten Hypothek ſtattfindet. 


Tabelle 2 


Durchgeführte Zwangsverſteigerungen land. und forſtwirtſchaftlicher 
Grundſtücke in Preußen 


Im Durchſchnitt der Jahre 


Eee 
1 


1896 bis 190o0o . 54258 
r ar 5 39 381 
1906 bis 1910 . . . ... 24 762 
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Während des Krieges und der Inflation waren die Zwangsverſteigerungen 
landwirtſchaftlicher Grundſtücke ganz gering. Auch bis zum Jahr 1926 hielten 
ſie ſich noch in mäßigen Grenzen. Von da an jedoch ſind ſie von Jahr zu Jahr 
ſprunghaft geſtiegen, bis 1931 der Höhepunkt erreicht wurde. Es wurden im 
Jahr 1931 in Deutſchland rd. 153 000 ha landwirtſchaftlicher Fläche zwangs- 
verſteigert, das find etwa fünfmal fo viel wie im Durchſchnitt der letzten 7 Vor⸗ 
kriegsjahre. 1932 iſt dann zwar unter dem Einfluß des Vollſtreckungsſchutzes 


Schuldnernot —- Gläubigernot 837 


Die zwangsverſteigerte Fläche etwas zurückgegangen. Die Zahl der zwangs⸗ 
verſteigerten Grundſtücke dagegen hat weiter ſehr erheblich zugenommen. Aus 
dieſer Tatſache geht eine Verſchiebung der Zwangsverſteigerungen vom 
Großbeſitz zum klein- und mittelbäuerlichen Betrieb hervor. 


Tabelle 3 


Durchgeführte Zwangsverſteigerungen land- und forſtwirtſchaftlicher 
Grundſtücke im Reich 


Kalenderjahr Fläche (ha) 


ge Mee Hes eS OE RS ‘ 36 713 


1928: <i. te Sr Se SE Aa te 2 292 48 376 

19292 xz: ce h S 3173 91 153 

1930) 6, ͤ 2. 02.08 3G ES 4 350 128 707 

I ͤ 0 % 5 061 152 648 

T9324) a eee aS 6121 141 325 
1) Dorläufg 


Wenn man z. B. die im dritten Vierteljahr 1932 durchgeführten Swangs- 
verſteigerungen denen des gleichen Zeitraums des Jahres 1931 gegenüberſetzt, 
Jo ergibt fic) folgendes Bild der Zu- und Abnahme der Zwangsverſteigerungen: 


Größenklaſſen Anzahl Fläche 
Bue r ee ee a : + 28,1 v. H. 
von 2 bis unn u . ie + 38,3 v. H. 
von 20 bis unter 50 h + 1,2 v. H. 
von 50 bis unter 100 ha — 10,0 v. H. 
von 100 und mehr aaa : — 495 v. H. 
insgeſamt + 14,2 v. H. — 35,6 v. H. 


Die Gründe dieſes Anwachſens der Zwangsverſteigerungen find oben dar- 
gelegt worden. Hier foll lediglich noch betont werden, daß nicht nur die durch“ 
geführten Zwangsverſteigerungen den verheerenden Druck auf die Landwirt⸗ 
ſchaft ausüben, ſondern daß dies ſchon durch die Einleitung des Zwangsver⸗ 
ſteigerungsverfahrens geſchieht. Die Einleitungen von Zwangsverſteigerungs— 
verfahren betragen ein Vielfaches der durchgeführten Verfahren. So wurden, 
um nur ein Beiſpiel zu geben, im Jahre 1931 etwa ſechsmal fo viel Zwangs⸗ 
verſteigerungen eingeleitet wie durchgeführt und die Fläche, über die ein 
Zwangsverſteigerungsverfahren eingeleitet wurde, war dreimal ſo groß wie 
die Fläche, über die eine Zwangsverſteigerung durchgeführt worden iſt. 


Nun iſt der Druck, der aus den Zwangsverſteigerungen auf die deutſche 
Landwirtſchaft ausgeht, in den einzelnen Landesteilen ſehr verſchieden. Den 
größten Anteil an der Geſamtfläche haben die Zwangsverſteigerungen in 
Oſtdeutſchland, und hier wiederum finden wir aus den allzu bekannten und 
hier nicht näher darzulegenden Gründen die größte Ausdehnung der Sub— 


838 Gerhard Kokotklewicz 


baftationen bei den Großbetrieben. Während in ganz Preußen in den Jahren 
1925 bis 1931 17°/,, der Geſamtfläche zwangsverſteigert wurden, waren es 
in der Größenklaſſe von 100 bis 200 ha 41%, in den unteren Betriebs⸗ 
größenklaſſen (bis zu 50 ha), dagegen höchſtens 8°/,., bei den bäuerlichen 
Betrieben von 5 bis 20 ha fogar nur 5% o. Die Ausdehnung der Zwangs⸗ 
verſteigerungen bei den Großbetrieben iſt um ſo bemerkenswerter, als gerade 
in den oberen Betriebsgrößenklaſſen laufend ganze Betriebe oder Teile der- 
elben für Siedlungszwecke nutzbar gemacht wurden, alſo einem erheblichen 
ngebot in dieſer Größenklaſſe eine immerhin nennenswerte Nachfrage gegen⸗ 
überſtand. Zum überwiegenden Teil (nämlich zu 85 %) iſt nämlich das Sied⸗ 
lungsland aus dem Beſitzſtand der großen Güter mit mehr als 100 ha Fläche 
erworben oder bereitgeſtellt worden. In einzelnen Landesteilen, wie z. B. in 
Pommern oder Oſtpreußen, waren es ſogar mehr als 97 v. H. : 

Schon ſeit Jahren fielen bei den Zwangsverſteigerungen landwirtſchaft⸗ 
licher Grundſtücke die Forderungen eines Teils der Perfonalkreditgläubiger 
aus. Etwa ſeit Mitte 1930 wurde der Druck am Markt der landwirtſchaft⸗ 
lichen Grundſtücke aber fo ſtark, daß auch die Hypothekarkredite in die Ausfall⸗ 
zone gerieten. Es zeigte ſich jetzt bereits mit aller Deutlichkeit, welche ſchweren 
Fehler in der Beleihungspolitik der vergangenen Jahre gemacht worden 
waren. Man hatte die Rente, die die landwirtſchaftlichen Betriebe abzu⸗ 
werfen in der Lage waren, bei den Beleihungen ganz außer acht gelaſſen oder 
falſch eingeſchätzt. Man glaubte an ewige Wertſteigerung der Güter und ſah 
nicht, daß unter der hohen Zins⸗ und Steuerlaſt die Landwirtſchaft zwangs⸗ 
läufig zuſammenbrechen mußte. Auch als bereits vereinzelt erhebliche 
Hypothekenausfälle zu verzeichnen waren, wurden der Landwirtſchaft noch 
neue Kredite gewährt, die wiederum größtenteils lediglich den Zweck hatten, 
durch Entzug anderweitiger Kredite entſtandene Lücken aufzufüllen; es han⸗ 
delte ſich alſo um die Gewährung neuer Kredite, die die wahre Lage der 
Landwirtſchaft weiter verſchleierten, den Zuſammenbruch aber nur mit um ſo 
größerer Wucht heraufbeſchworen. 

Die Meiſtgebote, auf die die Zuſchläge bei den Zwangsverſteigerungen 
erteilt wurden, lagen bereits 1930 unter der hypothekariſchen Belaſtung der 
Grundſtücke, ſo daß neben dem Ausfall der geſamten Perſonalkreditgläubiger 
auch ſchon Verluſte der Hypothekenbeſitzer eintraten. 1931 find im Reichs- 
durchſchnitt nur noch 60% der Hypothekenbelaſtung als Erſteigerungspreis 
herausgekommen. In einzelnen Landesteilen, ſo z. B. in Brandenburg, waren 
die Ergebniſſe noch ungünſtiger. Hier find noch nicht einmal 50% der 
Hypothekenlaſt als Meiſtgebot erzielt worden. Teilweiſe wurde ſogar noch 
nicht einmal bei 40% der Zuſchlag erteilt. Es trifſt nun keineswegs zu, wie 
dies vielfach dargeſtellt wird, daß ſich dieſe ungünſtigen Zwangsverſteige⸗ 
rungserlöſe nur bei den Großbetrieben erzielen ließen oder heute noch erzielen 
laſſen. Tatſache iſt vielmehr, daß gerade auch bei den bäuerlichen Betrieben 
die Meiſtgebote bei den Zwangsverſteigerungen weit unter der hypothekari⸗ 
ſchen Belaſtung der Betriebe liegen. Die Gläubigerverluſte erſtrecken ſich alſo 
ſowohl auf den Großgrundbeſitz als auf den bäuerlichen Beſitz. Wenn wir 
nur allein das letzte Vierteljahr 1932 ins Auge faſſen, ſo erſehen wir, daß in 
der Betriebsgrößenklaſſe von 2 bis 5 ha etwa 65 % des Hypothekenkapitals, 
in der Betriebsgrößenklaſſe von 5 bis 20 ha 48% des Hypothekenkapitals 


Schuldnernot — Gläubigernot 839 


ausgefallen find, daß in den oberen Betriebsgrößenklaſſen dagegen der 
Zuſchlag auf ein Gebot erteilt wurde, das nur 40% unter der hypothekariſchen 
Belaſtung der Grundftiide lag. 


Tabelle 4 


Meiſtgebote bei den Zwangsverſteigerungen landwirtſchaftlicher Grundſtücke 
in Preußen (in v. H. der hypothekariſchen Velaftung) 


Meiſtgebote in v. H. der Belaſtung 
Zeit Betriebsgrößenklaſſe (ha) Ins · 


| 2-5 | 5-20 | 20—50 50 100 1100-2001 über 200 geſamt 


1. Okt. bis 31. Dezember 1930 | 55,8 55,7 60,6 70,8 54,5 70,1 63,3 
1. Januar bis 31. März 1931 | 60,3 50,4 56,2 57,9 60,8 63,5 59,0 
1. April bis 30. Juni 1931 .] 57,8 60,3 63,6 60,2 56,3 63,7 61,9 
1. Juli bis 30. September 1931 | 62,0 57,8 65,8 58,5 61,9 63,3 62,1 
1. Okt. bis 31. Dezember 1931 | 61,8 59,4 61,7 59,0 47,2 63,4 52,6 
1. Januar bie 31. März 1932 | 57,3 58,5 61,6 67,3 64,4 68,3 65,0 
1. April bis 30. Juni 1932 . 49,4 60,3 61,9 61,3 64,2 68,1 63,4 
1. Juli bis 30. September 1932 | 54,0 59,7 56,5 59,1 55,4 57,8 57,4 
1. Okt. bis 31. Dezember 1932 | 44,2 52,4 61,4 58,9 63,0 61,2 58,1 


Der Vollſtreckungsſchutz hat den Lauf der Zwangsvollſtreckungslawine zwar 
etwas gebremſt, keineswegs die Lawine aber aufgehalten. Das zeigt uns die 
Statiſtik ganz deutlich. Mit den bisherigen Maßnahmen wird auch das 
Zwangsverſteigerungschaos nicht beſeitigt werden. Die tieferen Arſachen des 
furchtbaren Anſchwellens dieſer Zwangsverſteigerungslawine find die Vers 
ſchuldung und Zinslaſt, und hier muß alſo der Hebel angeſetzt werden, wenn 
man die Zwangsverſteigerungswelle zum Abebben bringen will. 

Es ſei zum Schluß nur noch erwähnt, daß ſeit der Währungsſtabiliſierung 
insgeſamt 12 000 Betriebe unter 2 ha Fläche zwangsverſteigert wurden; von 
den bäuerlichen Betrieben der Betriebsgröße 2 bis 5 ha Fläche verloren 
4000 Bauern durch die Zwangsverſteigerung ihren Hof. Erſchreckend hoch 
find auch die Zahlen bei den Betrieben von 5 bis 20 und 20 bis 50 ha. In 
der erſteren Betriebsgrößenklaſſe gingen 5700 Bauern des meiſt ſeit Genera- 
tionen vererbten Hofes verluſtig, in der Betriebsgrößenklaſſe von 20 bis 
50 ha waren es über 2000 Beſitzer. 


Adolf Oftermayer: 
Der Irrtum von der „Rentabilität“ des Bauerntums 


Walther Darré hat einmal den Satz ausgefprochen *), daß der Bauer nicht 
ein Stand wie alle übrigen im Volkskörper ſei, ſondern die Vorausſetzung 
und Grundlage völkiſchen Daſeins überhaupt. 

Mit dieſem Ausſpruche ift das Tor zur Wiſſenſchaft vom Bauerntum 
geöffnet worden und die „Wirtſchaftslehre“ des Landbaus, welche ſich bisnun 
mit den Exiſtenzbedingungen des Bauerntums beſchäftigt hat, muß auf eine 
neue Grundlage geſtellt werden. Gleichgültig, ob vom „Landwirt“ oder vom 
„Bauern“ die Rede iſt, muß Gemeingut werden, daß der Betrieb des Land⸗ 
baus von der Blut- und Schollenverbundenheit nicht getrennt werden kann. 

Da dieſes Axiom des Landbaus von der Wiſſenſchaft bisher vernachläſſigt 
worden iſt, ſo muß geſagt werden, daß die Wirtſchaftslehre des Landbaus 
ſeit mehr als 100 Jahren einen Irrweg gegangen iſt. Sie hat auf dieſem 
Wege eine Reihe von wirtſchaftlichen Theſen aufgeſtellt, die ebenſo dem 
Bauerntume, wie der geſamten übrigen Landwirtſchaft weſensfremd geblieben 
ſind. Dieſer Irrweg wurde ſchon von dem Begründer der Wiſſenſchaft von 
der Landgutwirtſchaft, Albrecht Thaer ““), betreten, als er dem Landwirte 
das Ziel ſteckte, nach „Neinertrag zu ſtreben“. Damit fol kein Tadel 
ausgeſprochen fein, denn Albrecht Thaer war es vor allem darum zu tun, die 
Zweckmäßigkeit neben der Vollkommenheit der „Technik“ zur Geltung zu 
bringen. Es iff außerdem gewiß kein Zufall, daß Thaers Zielſetzung im 
Jahre 1815, d. i. 26 Jahre nach dem Ausbruche der Franzöſiſchen Revolution, 
erfolgt iff, von der die materialiſtiſch⸗liberaliſtiſche Weltanſchauung ihren 
Ausgang genommen hat und die damals auch die größten Geiſter erfaßte. 

Man kann die ſeinerzeitige Zielſetzung Albrecht Thaers in dem Werde⸗ 
gange der Wirtſchaftslehre des Landbaus bis zum heutigen Tage verfolgen. 
Denn noch 100 Jahre ſpäter umſchreibt Waterſtradt den Aufgabenkreis der 
Wirtſchaftslehre des Landbaus durch die „möglichſt beſte Anpaſſung“ an die 
natürlichen und wirtſchaftlichen Bedingungen, um ſo das privatwirt- 
ſchaftliche Ziel der Anternehmung, die dauernd hohe Ver⸗ 
zinſung und Ausnutzung der eingeſetzten Kapitalien zu 
erreichen. Auch bei zahlreichen anderen Autoren wird das Studium der 
Landgutswirtſchaft, einſchließlich demjenigen des bäuerlichen Landgutes, aus 
der Betrachtungsweiſe als „Ertragsquelle“ geführt und dadurch die berr- 
ſchende kapitaliſtiſche Denkungsweiſe beibehalten. Der „Reinertrag“ als 


*) Vorwort zu „Nationalſozialiſtiſche Agrarpolitik“ von Werner Willikens, 
Deutſcher Volksverlag Dr. Ernſt Boepple, München. 
**) Gewerbslehre 1815. 


— - 


Der Irrtum von der ,,Rentabilitat“ des Bauerntums 841 


„objektiver“ Maßſtab für den Betriebserfolg, d. h. die durch den Betrieb 
erzielte Verzinſung des „Aktivkapitals“ der Landgutswirtſchaft wird als 
Mittel angeſehen, um Einblicke in den Produktionsprozeß zu gewinnen. Man 
iſt der Meinung, daß die Fragen nach der „Rentabilität“ der Einzelbetriebe 
unter verſchiedenen Produktionsbedingungen und bei verſchiedenen Betriebs⸗ 
ſyſtemen, ſowie für verſchiedene Gutsgrößen gelöſt werden können, wenn man 
das Landgut als eine auf Ertrag gerichtete Anternehmung als „Ertragsquelle“ 
betrachtet. 

Es ſoll zunächſt gezeigt werden, daß dieſe Betrachtungsweiſe eine Bers 
kennung des Landbaus überhaupt und des Bauerntums im beſonderen 
beinhaltet. 


Der Irrtum liegt ſchon in der Voranſtellung der Objektivität. 
Selbſt die „Rentabilitätslehre“ des Landbaus anerkennt, daß der „objektive“ 
Reinertrag von der Individualität des Betriebsleiters nicht getrennt werden 
könne. Sie gibt damit zu, daß es nicht richtig ſei, im Reinertrage einen 
Betriebserfolg zu erblicken, der von den perſönlichen Momenten gänzlich 
losgelöſt iſt. Man braucht außerdem nur daran zu erinnern, daß in allen 
Landgutsbetrieben neben dem Kapitalsertrage, der von der Wirtſchaftslehre 
des Landbaus in den Vordergrund gerückt wird, ſtets auch der Arbeitslohn 
für körperliche und geiſtige Betätigung des Unternehmers und die Natural- 
lieferung im Wege der Selbſtverſorgung eine Rolle geſpielt haben und daß 
beide Momente von perſönlichen Einflüſſen beherrſcht werden. Sobald aber 
der Einfluß derartiger perſönlicher Momente überhaupt zugegeben wird, muß 
es als unwiſſenſchaftlich bezeichnet werden, auf Grund von Rentabilitätg- 
vergleichen Schlüſſe auf die Organiſationszweckmäßigkeit des Landguts⸗ 
betriebes zu ziehen, weil dieſe nicht nur von dem Ertragsprinzip, fondern 
auch von anderen Zweckprinzipien beherrſcht wird. 

Vielleicht iſt es auch auf dieſe Tatſachen zurückzuführen, daß — wie die 
Geſchichte der Wirtſchaftslehre des Landbaus lehrt — die rein materialiſtiſche 
Betrachtungsweiſe des Landgutes durchaus nicht immer unwiderſprochen 
geblieben iſt. 

Schon Friedrich Gottlob Schulze hat im Jahre 1826 in ſeiner Schrift 
„Aber Weſen und Studium der Wirtſchafts⸗ oder Kameralwiſſenſchaften“ 
den Gedanken vertreten, daß dem phyſiſchen Menſchen und der Ethik ein 
entſprechender Einfluß bei den Grundprinzipien des Landgutsbetriebes 
zugemeſſen werden müßte. Johann Pohl war es dann vorbehalten, als 
Grundlegung für die Führung des Landgutes, die Erreichung des Lebens- 
zweckes anzuerkennen und neben das Erwerbsprinzip auch das äſthetiſche 
und ethiſche Prinzip zu ſtellen. Wenn Pohl dieſe Prinzipien als „Zweck“. 
prinzipien bezeichnet, ſo iſt damit ein wichtiger Schritt in der Richtung 
geänderter Erkenntnis getan, weil bei der Steckung des Landbauzieles die 
„Zweckmäßigkeit“ des Betriebes an die Stelle der „Rentabilität“ geſetzt 
erſcheint. Leider hat Pohl aus ſeiner Betrachtung nicht die letzte Konſequenz 
gezogen, da auch er trotz feiner Prinzipienlehre die Landnutzung zur Bedürf⸗ 
nisbefriedigung nur dann als erfolgbringend bezeichnet, wenn Reinertrag 
angeſtrebt wird. Es wird daher ſchließlich auch hier der Irrtum der 


Agrarpolitik Heft 12, Bg. 3 


842 Adolf Ostermayer 


Wirtſchaftslehre des Landbaus aufrechterhalten und das „Erwerbsprinzip“ 
zur Vorherrſchaft erhoben. 

Im Verlaufe ihrer geſchichtlichen Entwicklung hat ſich die Wirtſchaftslehre 
des Landbaus ſodann mehr in die Richtung des Einkommens eingeſtellt und 
dieſes als „Erwerbsziel“ bezeichnet. Aber auch hier wird dem Reinertrag 
noch immer eine unberechtigte Bedeutung zugemeſſen. Denn es iſt wohl kaum 
aufrechtzuerhalten, das Ziel landwirtſchaftlicher Tätigkeit im Erwerb von 
Einkommen aus Kapitaleinſatz und Arbeitsbetätigung zu 
erblicken. Ganz gewiß iſt es ferner unrichtig, dem Aktivkapital und dem Rein- 
ertrag eine entſcheidende Rolle zu geben, weil nur das Vermögen und 
ſeine Rente ein wahrhaftes Zweckmäßigkeitsurteil zulaſſen, ſonach nicht 
objektive, ſondern ſubjektive Maßſtäbe ausſchlaggebend ſind. Schließlich aber 
vermitteln nicht die Höhe der Vermögensrente und die Höhe des 
ins Verdienen gebrachten Lohnſatzes den Landwirten und 
Bauern den Begriff des Nutzens, welchen ihr Lebensberuf abwirft, ſondern 
es kommen auch äſthetiſche und ethiſche Genüſſe und Vorteile, die Einflüſſe 
des Landlebens auf die Geſundheit, die Erleichterung einfacher Lebenshaltung 
und andere Momente in Betracht, die mit der liberaliſtiſch⸗materialiſtiſchen 
Ertragsmentalität gar nichts gemeinſam haben. Daher iſt es auch unrichtig, 
daß der Bauer als „privatwirtſchaſtlicher Unternehmer” feinen Betriebs- 
erfolg am Gütererwerbe allein meſſe. Vielmehr kann es niemals die einſeitige 
Aufgabe des Landgutsbetriebes ſein, nach „Ertrag“ zu ſtreben, ſondern nur 
die allſeitige Befriedigung der Familienbedürfniſſe iſt es, welche dem Bauern 
bei dem Betriebe ſeines Landgutes vorſchwebt. „Geldverdienen“ mit 
Hilfe des Landgutes iſt nicht der Zweck, ſondern nur eines 
der dabei in Betracht kommenden Mittel. 

Auf dem Irrwege, den die Wirtſchaftslehre des Landbaus bisher gegangen 
iſt, hat ſie den Bauern als Anternehmer im kapitaliſtiſchen Sinne, ferner als 
Arbeitgeber, jedenfalls als Wirtſchafts ſubjekt betrachtet. Sie iſt ſonach 
an die Probleme des Landbaus nur nach den Grundſätzen des Materialis- 
mus herangetreten. Indem ſie den Reinertrag zum herrſchenden Zweckprinzip 
erhob, wurden auch alle Bauſteine des Landgutsbetriebes zu einem Tempel 
des „wirtſchaftlichen Ertrages“ aufgetürmt. Der Boden und alle mit ihm 
feſtverbundenen Erſcheinungen, wie Meliorationen, Gebäude, Pflanzen, 
wurden zum „Kapital“ gemacht, deſſen Nutzbarmachung durch ein anderes 
Kapital (Geräte, Vieh, Vorräte, Geld) zu erſolgen hat. Selbſt die „Arbeit“ 
erhielt nur die Beſtimmung, das Kapital auszunutzen. Man bezeichnete es 
als höchſte Zweckmäßigkeit auf einer gegebenen Bodenfläche, den Aufwand ſo 
einzuſetzen, daß höchſtmöglicher Rohertrag und höchſter Reinertrag erzielt 
werde. Am die materialiſtiſche Denkungsweiſe aufrechtzuerhalten, mußte 
auch die Arbeit des Anternehmers bewertet und der Bauer als ſein eigener 
Lohnarbeiter betrachtet werden. Das Familienvermögen wurde mit dem 
Leihkapital dem Aktivkapital gleichgeſtellt. Alle dieſe Gedankengänge find 
aber vom volkswirtſchaftlichen Standpunkte nur zu rechtfertigen, wenn der 
herkömmlichen liberaliſtiſchen Anſchauung gehuldigt wird. Dagegen müſſen 
ſie vom privatwirtſchaftlichen Standpunkte der nach Bedürfnisbefriedigung 
ſuchenden Bauernfamilie abgelehnt werden. Dieſe Ablehnung hat ſich bisher 


Der Irrtum von der „Rentabilität“ des Bauerntums 843 


praktiſch in der Weiſe ausgedrückt, daß zwar die Lehren der landwirtſchaft⸗ 
lichen Technik in dem Bauerntume Eingang gefunden haben, daß aber die 
Lehrmeinungen der Wirtſchaftslehre des Landbaus dieſen Anſchluß in 
befriedigender Weiſe nicht zu finden vermochten. Er könnte nur erreicht 
werden, wenn die Wiſſenſchaft vom Landbau daranginge, ihr bisheriges 
Lehrgebäude in ſeine Bauſteine zu zerlegen und aus dieſem und ihrem 
geſamten Begriffspark ein neues, den Tatſachen entſprechenderes Lehrgebäude 
zur Aufrichtung zu bringen. 

Das hätte freilich eine revolutionäre Veränderung zur Vorausſetzung, für 
welche bei den Wirtſchaftswiſſenſchaften in ihrer bisherigen Verfaſſung, weil 
ſie der Deduktion aus Beſtehenden immer mehr zugeneigt ſind, als der 
Induktion aus Neuerkenntniſſen, von Vorneherein keine beſondere Neigung 
vorhanden iſt. Demgegenüber kann aber nicht geleugnet werden, daß den 
Wirtſchaftswiſſenſchaften nichts mehr geſchadet hat, als das Verharren in 
jenen eingefahrenen Bahnen des Materialismus, auf welche ſie das Ende 
des 18. Jahrhunderts gelenkt hat. Wenn an feine Stelle nunmehr, als Er- 
ſcheinung des 20. Jahrhunderts, die nationalſozialiſtiſche Denkart der Zukunft 
geſetzt werden ſoll, dann ſind revolutionäre Entwicklungen unvermeidbar, weil 
ſich neue Weltanſchauungen nur auf dieſem Wege durchſetzen können. Aus 
dieſer Notwendigkeit wird der Mut geboren werden, den Karren aus den ein⸗ 
gefahrenen Geleiſen herauszureißen, um ihm neue Wege zu geben. Erſt 
wenn dies geſchehen iſt, wird ſich auch für die Wiſſenſchaft zeigen, daß der 
Beſtändigkeitsſinn des Bauern dem neuen Wege immer nähergeſtanden iſt 
als den alten Lehrmeinungen und daß die Wirtſchaftslehre des Landbaus 
bei ihrer Reform eigentlich nichts anderes tut, als die Bahn einzuſchlagen, 
auf der ſie allein imſtande iſt, dem Bauerntume jene Hilfe zu bringen, die in 
ihrer Abſicht liegt und die von jeher hätte gepflegt werden müſſen. 

Am Anfange dieſes Weges ſteht der Satz: „Nicht die Wirtſchaft, 
ſondern der Menſch, nicht die Bewirtſchaftung, ſondern die 
Bevölkerung ſind die Grundlagen des Bauerntums“. Daher 
iſt ſchon die Bezeichnung „Wirtſchaftslehre des Landbaus“ unrichtig und 
irreführend, weil der Bauer das Land nicht bewirtſchaftet, ſondern bebaut. 
Wenn es ſich darum handelt, die Arquellen zu erſchließen, aus welchen bäuer⸗ 
liches Wirken ſtrömt, wenn es darum geht, den Gründen und Zielen nach— 
zuforſchen, welchen den Bauern in ſeinem Wirken bewegen, und wenn alles 
dies in einer Lehre ee werden ſoll, dann kann es keine Wirt⸗ 
ſchaftslehre ſein. Es muß eine „Lehre von der Zweckmäßigkeit 
bäuerlichen Landgutsbetriebes“ aufgebaut werden. Dieſe hat vor 
allem zu zeigen, wie der Landbau vom Bauern zu nutzen iſt, um der Erbale 
tung von Bauernblut und Bauernboden zu dienen. Die Wiſſenſchaft iſt vor 
die Aufgabe geſtellt, aus einer Wirtſchaftslehre des Landbaues eine 
„Nutzungslehre des Landbaus mit den vorhandenen Bau- 
fteinen der Wirtſchaftslehre des Landbaus aufzubauen. 

Schon durch die Neubezeichnung des Wiſſensgebietes muß ein Strich 
unter die bisherige Lehrmeinung gemacht werden, und wenn einleitend ein 
Ausſpruch R. Walther Darrés als das Tor zur Amgeſtaltung der Wirt⸗ 
ſchaftslehre des Landbaus bezeichnet worden iſt, ſo werden die Richtlinien 


3° 


844 Adolf Ostermayer 


des neuen Weges durch einen zweiten Ausſpruch R. Walther Darrés geſteckt: 
Wir wollen wieder den Blick klarmachen, daß Bauerntum, eine Frage im 
weſentlichen des Familienrechtes und der Weltanſchauung tit und mit land⸗ 
wirtſchaftlichen Fragen zwar einiges zu tun hat, mit der intellektuell aus⸗ 
getiſtelten höchſtmöglichen Rohertragsgewinnung bei einer Mindeſtbemeſſung 
von zugeteilten Quadratmetern Landes aber ganz beſtimmt gar nichts ). 

Wenn nur dieſer einzige Satz zur Grundlage der Nutzungslehre des Land⸗ 
baus gemacht wird, ſo ſtürzt durch ihn allein das ganze Gebäude der bis⸗ 
herigen Wirtſchaftslehre des Landbaus zuſammen, denn er ſpricht als neue 
Grundlage für Forſchung und Lehre des Landbaus die ſe aus: 
Bauer iſt kein wirtſchaftlicher, ſondern ein familien- 
rechtlicher Begriff, Bauerntum bedeutet nichts anderes, 
als familienrechtliche Sicherung der Geſchlechtsfolge auf 
der Scholle. 

Aus Erwägungen volkspolitiſcher und raſſenkundlicher Natur ergibt ſich 
dieſe Erkenntnis als Selbſtverſtändlichkeit. Mit ihr ſinken aber die wirtſchaft⸗ 
lichen Ziele, und an ihrer Stelle ſteigen neue Ziele empor. In ihrem Ange⸗ 
ſichte iſt die Amſtellung und Neuordnung der „Nutzungslehre des Landbaus“ 
vorzunehmen. Zu dieſem Zwecke hat ſie zuerſt mit der Theſe abzurechnen, 
welche für das bäuerliche Landgut den Reinertrag als erſtrebenswertes Ziel 
hinſtellt. Sie hat dieſer Theſe die Antitheſe gegenüberzuſtellen, daß der Bauer 
nur in den ſeltenſten Fällen für den Erwerb ſeines Beſitzes Kapital hingibt, 
weil er die Scholle mit allem, was zu ihrer Bebauung nötig iſt, in der Folge 
des Geſchlechtes, ohne dafür Geld zu zahlen, zu übernehmen pflegt. Der Geld- 
wert ſeines Beſitzes kommt ihm daher nur in ſehr unbeſtimmter Form zum 
Bewußtſein, d. h. in der Regel nur dann, wenn Belaſtungen und Leihkapi⸗ 
talien, die vom Vorgänger übernommen wurden oder durch Anerbenverpflich⸗ 
tungen neu beſchafft worden ſind, vorliegen. Infolgedeſſen tritt in der Men⸗ 
talität des Bauern ein Mangel kapitaliſtiſchen Bewußtſeins und ein Mangel 
an Zahlenmäßigfeit des Kapitalwertes in Erſcheinung, der um fo bemerkens⸗ 
werter wird, je kleiner der Beſitz zu ſein pflegt. Es wird dergeſtalt die 
Grundlage erſchüttert, auf welche ſich die „Angemeſſenheit des Reinertrages“ 
aufbaut, denn da dem Bauern der „Aktivkapitalswert“ ſeines Landgutes 
nichts zu ſagen vermag, ſo bedeutet das „Aktivkapital“ für ihn auch keinen 
Begriff, und die Freude an ſeinem Beſitze iſt keine wirtſchaft⸗ 
liche Freude an Kapitalbeſitz, ſondern die Freude an einem 
Stück Erde, auf dem ſich die Arkraſt der bäuerlichen Fami- 
lie betätigen kann. 

Dadurch wird aber die Arbeit zum Maßſtabe des bäuerlichen Berufes ge- 
macht, und die Freude an dem Beſitze wird auf ideelle Grundlage geſtellt. 
Man kann in dieſer Erkenntnis noch weitergehen und ſagen, daß alle aus 
dem Arbeitsdrange der Bauernfamilie entſpringenden Handlungen der Bauern- 
familie dem völkiſchen Streben entſpringen. 

Die Verbreitung der Wirtfchaftlichkeitsidee im Bauernſtande dagegen 
müßte zur Entwurzelung des Bauerntums führen. Es iſt aber eine Tatſache, 


*) Deutſche Agrarpolitik, Berlin 1932, Heft 1, S. 15. 


Der Irrtum von der „Rentabilität“ des Bauerntums 845 


daß die Bauernfamilie, um die ideelle Freude am VBauernbeſitze erleben zu 
können, ſogar Opfer an Kapital und Kapitalnutzen übernimmt, weil ſie ent⸗ 
weder teilweiſe oder ganz auf den Kapitalsertrag aus eigenem Vermögen zu⸗ 
gunſten von Rentenzahlungen für aufgenommenes Leihkapital verzichtet, und 
zwar mitunter zu einem Zinsfuße, deſſen Einhaltung Rückläſſe von Quoten 
des Arbeitseinkommens erforderlich macht. Man kann dies aus dem Zahlen- 
material der landwirtſchaftlichen Buchführung nachweiſen, auf welche die 
Wirtſchaftslehre des Landbaus viele ihrer bisherigen Lehrſätze aufbaut, 
und man kann dieſes Material, welches bisher für das Studium der bäuer⸗ 
lichen Landgüter im materialiſtiſchen Sinne benutzt wurde, ebenſogut auch 
gegen das Produktivitäts- und Rentabilitätsprinzip verwenden, d. h. gegen 
die Herrſchaft von Aufwand, Robertrag und Neinertrag und deren gegen- 
ſeitiges Verhältnis. Der „Reinertrag“ iff für den Bauern kein Erfolgs- 
begriff, weil der Bauer ſeinen Beſitz nicht in Wertzahlen denkt. Auch der 
Betriebsaufwand iſt es nicht, weil er nicht in Geld, ſondern in Natural- 
größen der Arbeitsleiſtungen gemacht wird. Schließlich tritt auch der Roh⸗ 
ertrag als maßgebender Beurteilungsgrund zurück, weil er im bäuerlichen Gee 
trieb hauptſächlich die Bedeutung der Selbſtverſorgungsquelle hat. Seine 
Höhe und feine Zuſammenſetzung werden vornehmlich aus dieſem Geſichts— 
punkte beſtimmt. Aberhaupt lehrt die bäuerliche Buchführung, wenn ſie aus 
dem Geſichtspunkte der Familien wirtſchaft ſtatiſtiſch verarbeitet wird, 
daß der Robertrag in feiner Eigenſchaft als Produkt des Aufwandes und als 
Index für die Produktivität entwertet wird, weil der Bauer feinen Sach— 
aufwand in entſcheidender Weiſe nach den Bedürfniſſen der Familie und nicht 
nach denjenigen der Rohertragshöhe regelt. „Produktiv“ iſt für ihn, was der 
Familienwirtſchaft den höchſten Nutzen bringt. „Wirtſchaftlich“, d. h. „zweck 
mäßig“, erſcheint dem Bauern nur das in dieſem Sinne Produktive. Erſt 
wenn der Bauer über die Hilfsmittel des Betriebes oder über die Arbeitskräfte 
der Familie hinaus Betriebsmittel zukauft oder familienfremde Arbeitskräfte 
verwendet, wenn er alfo zum Marktkäufer und Arbeitgeber wird, ſtrebt 
er die „Produktivität“ als Grundlage der Rentabilität an. Dieſer Fall ſteht 
aber in zweiter Linie, und er kommt nur in beſchränktem Amfange zur Erſchei⸗ 
nung. Insbeſondere aber rücken alle Grundſätze der Produktivität in den Hin- 
tergrund, wenn es ſich um die Betätigung der Familienkräfte handelt. In 
dieſem Falle iſt die Erzielung eines möglichſt hohen Arbeitseinkommens, alſo 
der Arbeitsverdienſt der im Betriebe tätigen Familienmitglieder, das Maß⸗ 
gebende. Das „ertragsmäßige“ Denken im Sinne des Kapitals aber beginnt 
bei dem Bauern erſt, wenn er Arbeitgeber wird. Sonſt muß es dem 
„familienmäßigen“, alſo dem „blutmäßigen“ Denken weichen. Dieſes wird 
höher geſtellt als der Ertrag. 


Die Ablehnung materialiſtiſcher Denkungsart durch den Bauern iſt aber 
auch bei der Entlohnung der geleiſteten Arbeit zu beobachten. Auch hier ſtehen 
die Zweckmäßigkeitserwägungen des Bauern auf dem Boden familienrecht— 
licher Grundſätze. Schon wenn man ſich vergegenwärtigt, daß es ſich bei dem 
Arbeitseinkommen der Bauernfamilie um unbedungenes Einkommen handelt, 
deſſen er nicht von vornherein vereinbart ift, fondern für die Arbeitseinheit 
aus dem Aberſchuſſe des Betriebes und der Zahl der Arbeitsſchichten errechnet 


846 Adolf Ostermayer 


wird, muß man einſehen, daß es fic hier um Dinge handelt, die dem zahlen⸗ 
mäßigen Denken der „Rentabilität“ entrückt find. Bei eingehender Unters 
ſuchung zeigt ſich dann die typiſche Erſcheinung, daß nicht der je Arbeitstag 
entfallende Verdienſt, alſo die Höhe des Lohn ſatzes für die Erwägungen 
der Zweckmäßigkeit entſcheidend iſt, ſondern daß vielmehr das bei dem erzielten 
Lohnſatze ſich ergebende Jahreseinkommen der Familie bzw. des einzelnen 
Familienarbeiters die Organiſationsrichtung angibt. Selbſt wenn je Ar⸗ 
beitstag ein kleineres Einkommen erreicht wird, pflegt 
dies in Kauf genommen zu werden, wenn auf dem bäuer- 
lichen Landgute nur die Möglichkeit beſteht, durch eine 
größere Zahl von Arbeitsſchichten und durch eine verlän- 
gerte Arbeitszeit, alſo durch Fleiß, den geringeren Lohn 
ſatz wieder wettzumachen. Stärkere Arbeitsanſpannung iſt dem 
Bauern das Mittel, um die Befriedigung ſeiner Einkommensbedürfniſſe auch 
bei niedrigem Lohnſatze für die Arbeitseinheit zu finden. Zu dieſem Zwecke 
pflegt, bewußt oder unbewußt, der Betrieb derart organiſiert zu werden, daß 
er möglichſt ganzjährig reichliche Arbeitsgelegenheit bietet. Wir haben auch 
hier wieder eine Mentalität vor uns, die im Widerſpruche mit matertalifti- 
ſcher Weltanſchauung ſteht und in ihrer Eigenart beſonders dem deutſchen 
Bauern weſensgemäß iſt. Die Wirtſchaftslehre des Landbaus aber hat dieſer 
Mentalität bisher nichts anderes gegenüberzuſtellen gewußt als die Gedanken⸗ 
folge aus „Bankzins“ und „Lohnſatz“. Sie hat unterſchätzt, daß das Landgut 
für den Bauern nicht Kapitalsanlage, ſondern Lebensraum der Familie und 
Werkzeug für ihren Arbeitswillen und ihren Arbeitsfleiß iſt. Sie iſt über 
die Weſenheit hinweggegangen, daß der Bauernbetrieb in ſeiner Geſamtheit 
und mit allen ſeinen Möglichkeiten immer darauf organiſiert ſein muß, bei 
höchſter Anſpannung der Familienkräſte ſür das Verbrauchsbedürfnis der 
Familie genügende Güter abzuwerfen und daß außerdem das bäuerliche Land⸗ 
gut „Kraftquelle“ für das auf dem Hofe ſiedelnde Bauerngeſchlecht iſt, das 
ſich ſeinen Beſitz weder für „Bankzinſen“ noch für „Arbeitslohn“ abhandeln 
läßt. Im Blute, nicht im Golde wurzelt das deutſche Bauerntum. Wenn es 
ſich aber um Blut und Boden handelt, können Lehrſätze über Wirtſchaftlich⸗ 
keit keine Rolle mehr ſpielen. 

Die Volkswirtſchaft kann zwar die Atmoſphäre ſchaffen, in welcher ein 
Bauerntum zu gedeihen vermag. Die Nutzungslehre des Landbaus aber muß 
den Bauern als Menſchen und in ſeiner Betätigung auf der Scholle 
betrachten. Sie muß den Bauern inmitten wirtſchaftlicher Geſchehniſſe als 
Geſtalter völkiſchen Lebens ſehen. Sie kann ihm gar nicht lehren, wie er zu 
„wirtſchaften“ hat, weil das Landgut nicht zu bewirtſchaften, ſondern zu 
nutzen iſt, und zwar derart, daß es den Familienbedürfniſſen und der 
Geſchlechterfolge Rechnung zu tragen vermag und daß es gleichzeitig zur 
Ernährungsgrundlage des Volkes wird. Nur wenn alles, was die Wirt⸗ 
ſchaftslehre des Landbaus an Materialien und Erfahrungen geſammelt hat, 
in dieſe Denkungsrichtung eingeſtellt wird, wird es nicht mehr an der 
richtigen Erkenntnis fehlen, daß der Bauer nicht Wirtſchafter, ſondern 
Arbeiter iſt und daß er Kämpfer um das Brot ſeines Volkes iſt. Erſt wenn 
man ſich zu dieſem Schluſſe durchgerungen hat, wird ſchließlich auch der Blick 
für das Arweſen des Bauern klar werden, und man wird dann erſt begreifen, 
warum der Bauer manches tut und manches unterläßt, was vom reinen 


Der Irrtum von der „Rentabilität“ des Bauerntums 847 


„Rentabilitätsſtandpunkte“ nicht vertretbar ift und daß er trotz dieſer Anter⸗ 
laſſung nur deshalb nicht zugrunde gehen kann, weil ſeine Beſtimmung nicht 
auf der Wirtſchaftlichkeit fußt, ſondern im Boden und im völkiſchen Staate, 
dem er Ernährer und Bluterneuerer iſt und von dem er nur Eines berechtigter 
Weiſe zu fordern hat: Bedingungen, welche das Bauerntum in ſeiner 
urwüchſigen Geſundheit und Freiheit erhalten. 

Das Bauerngut und die Bauernfamilie tragen dergeſtalt aber in ſich ſelbſt 
die Sicherheiten ihres Beſtandes. Denn es iſt ein von Gott und Natur gewoll⸗ 
ter Segen, daß das bäuerliche Landgut nicht Rententräger, ſondern Arbeits- 
werkzeug und Selbſtverſorgungsquelle iſt, daß die Familienarbeit zum großen 
Teile nicht mit Geld, ſondern mit Naturalbelieferung aus dem Landgute 
bezahlt wird. Es iſt nicht materialiſtiſch, ſondern idealiſtiſch, wenn der Bauer 
die Dauerhaftigkeit der Arbeit und den Reichtum der Arbeitsgelegenheit, das 
Gedeihen des Beſitzes, ſeine Befeſtigung und Verſchönerung höher ſchätzt, 
als den Kapitalwert des Landgutes. Die Möglichkeit für dieſe Einſtellung 
des Bauern iſt ſelbſt dann gegeben, wenn der Bauer ſich den Einflüſſen der 
wirtſchaftlichen Amwelt nicht gänzlich zu entziehen vermag. Sie liegt in 
ſeiner Genügſamkeit, in der Einfachheit ſeiner Lebensführung, fowie ſchließ⸗ 
lich in ſeinem blutmäßigen Inſtinkt für bäuerliche Zweckmäßigkeit. Das iſt 
ein Schatz, der ihm jene Anpaſſungsfähigkeit verleiht, aus der die Krifen- 
feſtigkeit der Bauernexiſtenz geboren wird. Dieſe Kriſenfeſtigkeit in Ver— 
bindung mit der Tradition des Bauerngeſchlechtes hat den Bauer davor 
bewahrt, im Kampfe mit allen Widrigkeiten des Lebens zu unterliegen. Die 
Wirtſchaftslehre des Landbaus hat ihm für dieſen Kampf bisher nichts 
anderes zu bieten vermocht, als die Lehre vom Streben nach dem Reinertrag, 
der mit dem geringſten Aufwand erreicht werden ſoll. 

Eine Nutzungslehre des Landbaues hätte ihm mehr bieten können, und ſo 
kam es, daß die Wiſſenſchaft auf dem Irrwege der Rentabilitätslehre 
wandelte und der Bauer den Weg des inſtinktmäßigen Handels bäuerlicher 
Zweckmäßigkeit gegangen iſt. Jene Bauern, welche ſich von den Irrlehren der 
Rentabilität gefangennehmen ließen, gingen in dieſer Gefangenſchaft zu— 
grunde. An ihre Stelle traten andere und blieben andere, welche ſich den Kern 
bäuerlicher Entſchloſſenheit und Blutmäßigkeit unverfälſcht bewahrt hatten. 
Eine wunderbare Zuverſicht blüht aus dieſen geſchichtlichen Begebenheiten 
empor: Die Zuverſicht auf den ewigen Beſtand des Bauerntums. 

Auch aus der Geſchichte läßt ſich beweiſen, daß das Bauerntum mit der 
Wirtſchaftlichkeit nichts zu tun hat. Denn Jahrtauſende ſind über die 
Bauerngeſchlechter dahingegangen, und immer blieb das Bauerntum unver- 
fälſcht beſtehen, weil der Bauer im Reiche ſeines Beſitzes trotz allen Druckes 
von auswärts ſtets der freie Herr und der Ernährer des Geſamtvolkes blieb, 
das ohne ihn nicht leben kann. So kam es, daß der Bauer in ſeinem Weſen, 
unberührt durch den Lauf der geſchichtlichen Ereigniſſe, mit ſeiner Sippe all 
feine Kraft dem Boden weihen konnte. Wenn es ihm auch nicht immer 
beſchieden war, die Frucht zu ernten, die er geſät hatte, wenn er auch oft 
Weib und Kind ſich ſelbſt überlaſſen mußte, um hinauszuziehen zur Ver— 
teidigung ſeiner Scholle gegen den Feind, alle damit verbundene Not war, 
ſelbſt wenn fie zum Teile wirtſchaftliche Erſcheinungen trug, nicht kapitali⸗ 
ſtiſch, ſondern wurde als Familiennot empſunden. Sie hat daher den Bauer 
und ſeine Sippe nur geſtählt, und zwar geſtählt durch Arbeit, Sorge und 


848 Adolf Ostermayer, Irrtum von der „Rentabilität“ des Bauerntums 


Kampf, niemals aber durch „Wirtſchaftlichkeit“. Liebe zu Familie, Volk und 
Heimaterde waren die Triebfedern der Machtäußerung. And wenn ſchließlich 
im Zeitalter des Materialismus der Bauer mit dem Rüſtzeuge der Ren⸗ 
tabilität „gefördert“ wurde und dabei in ſchwerſte Not geriet, ſo iſt auch aus 
dieſer Entwicklung der Beweis zu erbringen, daß dieſe Not aus dem Prinzip 
der Wirtſchaſtlichkeit und aus der Verſtändnisloſigkeit für völkiſche Ziele 
geboren worden iſt. 

Denn wir ſehen, daß die Völker in dieſer Zeit ihren Heimatboden ver- 
laſſen und in die Städte ziehen. Der Welthandel und der Internationalismus 
gelangen an die Herrſchaft. Die aufſtrebende Induſtrie ſieht ihren Beſtand 
nur in der Belieferung der Welt, wo ungeahnte jungfräuliche Bodenflächen 
faſt ohne Arbeit ihre Produkte für die Ernährung der Induſtriearbeiter 
darbieten. Die Bauern ſtrömen in die Städte, die Heimatſcholle verödet. 
Gleichgültigkeit für das Schickſal des Heimatbodens wächſt als böſe Frucht 
aus dem Materialismus. Der blutbewußte ſchollenhaftende Bauer wehrt ſich 
dagegen. Wer kümmert ſich aber um ſeine ſeeliſche Not? Für ſeinen 
Idealismus iſt im materialiſtiſchen Taumel kein Ohr und kein Herz geöffnet. 
Die Wirtſchaftslehre des Landbaus verkündet vielmehr, daß nun auch der 
Bauer in das Weltgetriebe eingetreten ſei. Dadurch ſei die Selbſtgenügſamkeit 
des Bauerngutes, das mit der Bauernfamilie und deren Bedürfniſſen auf 
das engſte verbunden war, von der Marktverbundenheit abgelöſt. Das 
Kapital tritt in die Bauernwirtſchaft, und an die Stelle der Bauernfauſt ſetzt 
man die Maſchine. Wenn auch zugegeben werden muß, daß dieſe Entwicklung 
durch die Landflucht gefördert wurde, ſo kann andererſeits doch nicht geleugnet 
werden, daß die Landflucht nur eine Folge des Abermaßes der Induſtri⸗ 
aliſierung war. Es iſt außerdem feſtzuſtellen, daß auch die Landwirtſchafts⸗ 
maſchine die Landflucht weiter förderte, weil ſie ſich nicht darauf beſchränkte, 
die Menſchenarbeit zu vervollkommnen, ſondern — inſoferne ſie arbeitsſparend 
wirkte — auch Arbeit raubte, vor allem aber die Sicherheit und Gleich- 
mäßigkeit des Arbeitsbedarfes untergrub. 

Dieſe Entwicklung hat ſchließlich zur Kriſe der „Rentabilitätslehre“ geführt. 
Sie beginnt damit, daß die Seelennot des Bauern deſſen Rückzug vom 
Markte auslöſte. Während die Induſtrie den Weltmarkt zu erobern glaubte, 
hatte ſie den Heimatsmarkt verloren und war ſchließlich doch nicht imſtande, 
den Auslandsmarkt zu behaupten. Die Lehre von der Wirtſchaftlichkeit, welche 
verkündet hatte, daß jene Produktion die zweckmäßigſte ſei, welche am billigſten 
und „rentabelſten“ zu erzeugen vermag, mußte ihre Niederlage erleben: 
Arbeitsloſigkeit und Bauernnot waren die Ergebniſſe eines falfchen Evan⸗ 
geliums, und überall bricht ſich die Autarkie Bahn, um die Weltwirtſchaft 
abzulöſen. Sie iſt nichts anderes als Volksverbundenheit, d. h. Verbundenheit 
aller Glieder eines Volkes miteinander und mit ihrem Heimatboden. Bauer 
und Arbeiter kommen wieder zu ihrem Rechte, das Material, der kapitaliſtiſche 
Reichtum, wird zur Seite geſchoben. Zwar wehrt ſich das Kapital noch 
dagegen, und auch die Wirtſchaftslehre mit ihrem Irrtum von der Rentabilität 
kämpft den letzten Gang gegen die Niederlage des Kapitals. Der Bauer aber, 
der niemals Kapitaliſt, ſondern immer Arbeiter geweſen iſt, der niemals 
Materialiſt war, ſondern ſtets blutmäßiger Idealiſt geweſen iſt, ſteht im 
vorderſten Gliede für die Wiedergewinnung des völkiſchen Staates, den er 
gegründet und in ſeinen Grundfeſten erhalten hat. Der Bauer ſteht als 


J. Aumer, Vergleich der Entwicklung ... 849 


Element des Volkskörpers mit feiner vollen Kraft auf dem Plan des heimat⸗ 
lichen Bodens. Er formt das Landgut nicht nach Rentabilitätsgrundſätzen, 
ſondern wie es die Erhaltung ſeiner Erbmaſſe gebeut. Dadurch tritt das 
Große und Edle des Bauerntums in Erſcheinung und verkündet, daß ſeine 
Erhaltung keine wirtſchaftliche Frage, ſondern eine Pflicht der Volks 
gemeinſchaſt für ihre eigene Exiſtenz iſt. Auch dieſe Pflicht entbehrt aber in 
ihrem innerſten Weſen jedes eigennützigen Geſchehens, weil der Bauer 
kein Gewinner, ſondern ein Arbeiter, kein Raffer, ſondern ein Schaffer iſt. 
Nur wer ſich dieſe Einſtellung zu eigen gemacht hat, und nur wenn das 
Bauerntum ſelbſt dieſe Erkenntnis zum oberſten Geſetz erhebt, wird dem 
Volksganzen und dem Bauerntume jene Würdigung gegeben werden, ohne 
welche keines von beiden beſtehen kann. 

Die Verwurzelung dieſer Erkenntnis muß das hohe Ziel ſein, das ſich die 
Nutzungslehre des Landbaus ſteckt. Nur dann wird ſie auch der Agrarpolitik 
die Wege weiſen können. Aus der Nüchternheit wirtſchaſtlicher Induktion 
und Deduktion wird dann Leben und Urkraft des ſchaffenden Bauernmenſchen 
entſtrömen. Die Lehre von der Herrſchaft der „Rentabilität“ im Bauerntume 
iſt Irrtum und kalter Materialismus. Die Nutzungslehre des Landbaus aber, 
die ſich der Lebenszelle des Bauerntums zuwendet, iſt völkiſcher Idealismus. 
Aus ihm wird die deutſche Nation neu geboren werden und zu nie geweſener 
Kraft emporſteigen. 


J. Aumer: 


Vergleich der Entwicklung der induftriellen und 
lanoͤwirtſchaſtlichen Erzeugung 


Die Lehren des Krieges und der Inflation hätten nach ihrer Eindringlich— 
keit und Dauer ſtark genug ſein müſſen, um den verantwortlichen Leitern der 
deutſchen Wirtſchaftspolitik die Aberzeugung einzuhämmern, daß ein Volk 
auf die Dauer und für alle Wechſelfälle der Geſchichte nur dann genug zu 
eſſen hat, wenn die Erzeugung aus der eigenen Scholle dem Volke genügend 
Lebensmittel nach Menge und Art zu liefern vermag. 

Das Deutſchland der Vorkriegszeit ſchon war durch die unglücklichen Aus» 
wirkungen der Capriviſchen Wirtſchafts⸗ und Handelspolitik, die es in erſter 
Linie auf eine einſeitige Förderung der induſtriellen Erzeugung und des 
Aberſeehandels abgeſehen hatte, in feiner Volksernährung abhängig vom Aus- 
lande geworden. Die Folge davon war, daß bei Kriegsausbruch 
mit der engliſchen Seeblockade und der durch ſie bedingten Abſchnürung 
Deutſchlands von der überſeeiſchen Nahrungsmittelzufuhr nicht wir, ſon⸗ 
dern der Feind den Grad der Ernährung des äußerſt ſchwer 
kämpfenden Frontheeres und der Heimat beſtimmte, Dieſe 


850 J. Aumer 


Vernachläſſigung der Sicherſtellung unſerer Nahrungsfreiheit für den vor⸗ 
auszuſehenden Fall kriegeriſcher Verwicklungen brachte als zwangsläufige 
Folge mit ſich die Brot-, Fleiſch⸗ und Fettkarte bei Kriegsausbruch, d. h. alfo 
die Rationierung des Lebensmittelverbrauches für das um ſeine politiſche, 
kulturelle und wirtſchaftliche Freiheit gegen eine Welt von Feinden ringende 
deutſche Volk. So ausgiebig auch für die Verteidigung unſe⸗ 
rer Intereſſen mit der Waffe geſorgt war, ſo mangelhaft 
war auf der anderen Seite für die Ernährung und damit 
für die körperliche Widerſtandsfähigkeit in dieſem äußerſt 
bitteren Ringen Vorſorge getroffen worden. Das hungernde Volk 
wurde durch die Dauer des Krieges empfänglich für zerſetzende Einflüſſe poli- 
tiſcher Art. Dem Zuſammenbruch folgte nicht der Friede 
und das Brot, ſondern die folgerichtige Fortſetzung des 
von unſeren Gegnern in jahrzehntelanger diplomatiſcher Arbeit aufgezogenen 
zuſammengefaßten Vernichtungskampfes gegen das 
Deutſchtum in wirtſchaftlicher Hinſicht. Nicht Brot wurde uns gegeben, 
ſondern Land, Menſchen und materielle Werte wurden aus dem deutſchen 
Lebensraum herausgeriſſen. Die Inflation endlich — als Abſchluß der 
Epoche des über den Waffengang hinaus fortgeſetzten Wirtſchaftskrieges — 
ließ jeden Deutſchen erkennen, daß unſere Gegner nicht nur die politiſche und 
kulturelle Freiheit, ſondern auch das tägliche Brot uns vorenthielten. Nie⸗ 
mand gab uns Brot für Papier. In grellſtem Scheinwerſerlicht zeigte ſich 
damals der hohe ſtaatspolitiſche Wert der Nahrungsfreiheit für jeden den⸗ 
kenden Deutſchen. 

Welche Nutzanwendung nun zogen wir aus dieſer nahezu zehnjährigen, an 
traurigen Erfahrungen geſättigten Epoche? 

Anſtatt die anerkannt wundeſte Stelle des zurückliegenden Verteidigungs- 
kampfes mit allen zu Gebote ſtehenden Mitteln auszuheilen und fo das Rin- 
gen um unſere künftige Freiheit vorzubereiten, ſchleppten wir nach Feſtigung 
unſerer Währung mit dem uns verbliebenen Reſtvermögen an Sachwerten 
ungeheure und jährlich wachſende Mengen an Lebensmitteln vom Ausland 
herein, verdrängten damit den bodenſtändigen Bauern in jährlich zunehmen 
dem Ausmaße von der Verſorgung des deutſchen Volkes und erweiterten jenen 
Krankheitsherd am deutſchen Wirtſchaftskörper, der uns nicht zuletzt den Bere 
luſt unſeres heldiſch geführten Freiheitsringens gebracht hatte. Die Paſſivität 
der deutſchen Agrarbilanz der Nachkriegsjahre mit 25,6 Milliarden Mark für 
den Abſchnitt 1924 bis 1932 legt dafür ein unwiderlegbares Zeugnis ab. 

Mit gepumptem, teurem Gelde füllte man auf der anderen Seite unſere 
durch den Kriegsverbrauch geſchwundenen induſtriellen Robftofflager auf 
(1924 und 1925) und hing in der Folgezeit mit verhängnisvoller Zähigkeit 
dem Irrtum nach, daß damit die Ausgangsgrundlage für eine ſchrankenloſe 
Wiederaufrüſtung der deutſchen induſtriellen Erzeugung und der deutſchen 
induſtriellen Ausfuhr geſchaffen wäre. Man vergaß dabei vollſtändig, daß 
unſere europäiſchen Gegner im Weltkriege den weißen und farbigen Völkern 
der Aberſee die Herſtellungsweiſen deutſcher und europäiſcher Induſtrien bei- 
gebracht batten und daß die im Kriege eingeleitete Induſtrialiſierung der bis. 
herigen Hauptbezugsländer europäiſcher Fertigwaren fie in der Folgezeit 
hierin zu Selbſtverſorgern machen mußte. 

Bewußt oder unbewußt alſo verkannten die verantwortlichen Leiter der 


Vergleich der Entwickl. der industriellen u. landw. Erzeugung 851 


deutſchen Wirtſchaftspolitik die durch den europäiſchen Krieg gezogenen Gren⸗ 
zen der vordem ſo blühenden induſtriellen Fertigwarenausfuhr nach Aberſee. 

Anter vollkommener Verleugnung dieſes gewordenen weltwirtſchaftlichen 
Tatbeſtandes glaubte man, die deutſche Fertigwarenausfuhr durch ſchranken⸗— 
loſe Hereinnahme von ausländiſchen Agrarerzeugniſſen nicht nur auf den 
Friedensſtand, ſondern darüber hinaus für immer wiedergewinnen und ftet- 
gern zu können. — And man förderte auf dieſe Weiſe mit deut- 
ſcher Arbeit und deutſchem Gelde auch noch die agrarwirt⸗ 
ſchaftliche Aufrüſtung der überſeeiſchen Völker und der 
Gegnerſtaaten; denn der jährlich ſich ſteigernde Abſatz von Agrarproduk— 
ten dieſer Länder nach Deutſchland hin war für ſie ja nichts anderes als ein 
Anreiz und eine Prämie dazu. Es wäre Kanada niemals eingefallen, ſeinen 
Weizenanbau 300 Kilometer nach Norden für die ganze Breite des amerika— 
niſchen Kontinents zu verlegen, wenn es nicht einen willigen Abnehmer für 
die ſo geſteigerten Erntemengen in Europa, vor allem aber in Deutſchland, 
gefunden hätte. 

Was nun ſtand am Ende dieſer verhängnisvllen Ent- 
wicklung? 


Der Strom deutſcher Fertigwaren bedrohte die Induſtrien der Bezugs 
länder; eines nach dem anderen riegelte ſich automatiſch gegen die deutſche 
Warenzufuhr ab, der deutſche Fabrikant glich mit deutſcher Anpaſſungs⸗ 
fähigkeit ſeine Erzeugung den ſinkenden Abſatzmöglichkeiten an und — ſetzte 
den deutſchen Arbeiter auf die Straße. — 

Was tat der deutſche Bauer? Mit dem ihm eigenen kon- 
ſervativen Geiſt und der inſtinktiven Erkenntnis ſeiner 
Daſeins aufgabe ließ er ſichtrotzſinkender Preiſe für feine 
Erzeugniſſe nicht zu gleicher Nutzan wendung bewegen. Er 
wußte, daß das Aberangebot an Nahrungsmitteln auf dem deutſchen Markte 
nicht eine Folge deutſcher Abererzeugung, ſondern nur ungeſunder Abereinfuhr 
aus dem Auslande fein konnte und fein mußte. Unbeirrbar pflügte 
und beſtellte er fein Land und ſuchte jene Lücken in der Volksernäh⸗ 
rung aus bodenſtändiger Erzeugung auszugleichen, die im Kriege auszufüllen 
uns nicht möglich war. Die Steigerung der deutſchen Weizenanbaufläche 
um mehr als 500 000 Hektar im Zeitraum der letzten vier Jahre und die 
Hebung der Weizenerzeugung von 40 auf 51 Millionen Doppelzentner 
pro Jahr, die der Kartoffelerzeugung von rd. 400 auf 460 Millionen 
Doppelzentner pro Jahr, die des Schweinebeſtandes von 17 Millionen 
auf 23 Millionen Stück pro Jahr ſind leuchtende Zeugen der Be— 
harrlichkeit des deutſchen Bauernſtandes in der VWerfol- 
gung eines einmal geſteckten Zieles. Wenn man dieſen Daten 
noch den Tatbeſtand einer gerade in dieſen Jahren progreſſiv fortſchreitenden 
Verſchuldung des deutſchen Bauernſtandes gegenüberſtellt, dann bedeuten die 
obenſtehenden Tatſachen mehr: ſie ſind Zeugen dafür, daß der 
deutſche Bauer in der Verfolgung eines wirtſchaftlichen 
und nationalen Zieles, unter Hintanſetzung ſeiner eigenen Exiſtenz 
(er hat die letzten fünf Jahre nur mehr von der Subſtanz gelebt!), eine 
ſtaatspolitiſche Tat ſondergleichen getan hat. 

Trotz des erdrückenden Wettbewerbes ausländiſcher Agrarerzeugniſſe, trotz 
ſinkender Preiſe für alle feine Erzeugniſſe, trotz der fortgejegten Verſchärfung 


852 


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J. Aumer 


Vergleich der Entwickl. der industriellen u. landw. Erzeugung 853 


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854 J. Aumer 


des beſtehenden Mißverhältniſſes von Geſtehungskoſten und landwirtſchaft⸗ 
lichen Produktenpreiſen hat der Bauer den Kampf um ſeine Scholle und um 
die Nahrungsfreiheit des deutſchen Volkes forte und fiegreich zu Ende gee 
führt. Die Brot-, Milch- und Fleiſchverſorgung des deutſchen Volkes aus 
eigener Scholle iſt allen Hinderniſſen zum Trotz ſichergeſtellt. Die Fettſelbſt⸗ 
verſorgung — eine der wichtigſten agrarwirtſchaftlichen Aufgaben der Gegen⸗ 
wart — kann nur die Frage weniger Jahre ſein. Der bahnbrechende Eingriff 
unſerer Nationalregierung unter Adolf Hitlers Führung in das wirtſchafts⸗ 
politiſche Geſchehen wird dafür Sorge tragen, daß der deutſche Bauer in 
ſeinem Ringen um die Scholle und die Nahrungsfreiheit des Volkes nicht 
unmittelbar vor dem Ziele zum Erliegen kommt. 

Nicht der Bauer war es, der die Menſchen von der Scholle 
auf den Aſphalt der Großſtädte verſetzt hat. Wunden Herzens 
mußte er zuſehen, wie ſeine nachgeborenen Söhne und Töchter, verlockt durch 
die Löhne und geringe Arbeitszeit der Induſtrie einerſeits und durch die Une 
möglichkeit der Seßhaftwerdung andererſeits, zur Stadt abwanderten und pro- 
letarifiert wurden. Er ſelbſt war ja nur durch äußerſte Sparſamkeit und 
Arbeitsüberſpannung in der Lage, den ererbten Beſitz mit Schuldenmachen 
zu erhalten. Die bewußte Vernachläſſigung der heimatlichen Landwirtſchaft 
durch die verantwortlichen Führer der deutſchen Wirtſchaftspolitik marrifti- 
ſcher Methode war der breiten Maſſe des Volkes mit der ſchönen Redewen- 
dung „nur der induſtrielle Export ſchafft Arbeit und Brot für unſeren Be⸗ 
völkerungszuwachs“ mundgerecht gemacht worden. Die Entwurzelung der 
Menſchen und ihre Proletariſierung war ja das beabſichtigte Ziel ihres Stre⸗ 
bens, von dem alle Maßnahmen ftaats-, kultur- und wirtſchaftspolitiſcher Art 
beeinflußt waren. Eine verderbliche und gründliche Arbeit iſt wahrhaftig in 
den letzten vierzehn Jahren geleiſtet worden! Die geradezu planmäßige Ver⸗ 
nichtung der bäuerlichen Kaufkraft zog die Vernichtung des Binnenmarktes 
nach ſich. Ein durch den Weltkrieg für europäiſche und beſonders deutſche 
Produkte eingeengter Weltmarkt verhinderte eine Erſatzbeſchaffung für dieſen 
zerſtörten Binnenmarkt durch Ausdehnung des induſtriellen Fertigwaren⸗ 
exportes; die Menſchen aber waren ſyſtematiſch dem flachen Lande entzogen 
worden, fo daß fie nun im Verlauf weniger Jahre, bedingt durch den zwangs- 
läufigen Niedergang der Fertigwarenausfuhr, brotlos auf die Straße geſtellt 
wurden. 

Mit Fug und Recht alſo verlangt unſere Nationalregierung eine Wieder⸗ 
herſtellung der Rentabilität unſerer Landwirtſchaft, auf daß fie in ihrer Kauf⸗ 
kraft wieder erſtarke. Mit gleicher Logik ſtrebt fie über ein großzügiges Sied⸗ 
lungsprogramm die Wiederſeßhaftmachung der verproletariſierten Bauern⸗ 
kinder an; in gleichem Arbeitszuge entlaſtet ſie damit das Aberangebot an 
Menſchen auf dem ſtädtiſchen und induſtriellen Arbeitsmarkte, gibt ſie dem 
gelernten Arbeiter die Möglichkeit der Rückkehr zu ſeiner Arbeitsſtätte, ſchafft 
ſie Arbeit und Brot für alle! 


RN. Trenkle: 


Förderung der arbeitsintenfiven Gartenbaukulturen, ein 
wichtiges Mittel zur Steuerung der Arbeitsloſigkeit 


Obwohl man ſich allmählich auch in den Kreiſen der Induſtrie darüber klar 
geworden iſt, daß ein großer Teil der während der Hochkonjunktur der Nach⸗ 
kriegszeit in der deutſchen Induſtrie beſchäftigten und jetzt erwerbsloſen Men- 
ſchen nie mehr in der Induſtrie beſchäftigt werden kann, verkennt man in 
dieſen Kreiſen auch heute vielfach nicht nur die Bedeutung, welche dem Bin⸗ 
nenmarkt für die Induſtrie zukommt, ſondern vor allem auch die große Be— 
deutung der Arproduktion, d. h. einer gefunden Landwirtſchaft, für die gefamte 
Volkswirtſchaft, für Volksleben und Volkskraft. 

Niemand wird abſtreiten wollen, daß nach Lage der Dinge in Deutſchland 
nicht auch der Export induſtrieller Erzeugniſſe nach Möglichkeit gefördert wer- 
den muß. Aber es darf dies nicht wie bisher einſeitig auf Koſten der deut— 
ſchen Landwirtſchaft und zum Schaden der geſamten Binnenwirtſchaft ge- 
ſchehen. Dies um fo weniger, als das Maß des Exportes deutſcher Induftrie- 
erzeugniſſe von der immer ungünſtiger werdenden Aufnahmefähigkeit und 
Aufnahmewilligkeit des Auslandes abhängt, ſo daß die allmähliche Aufſaugung 
der Hauptmaſſe der heutigen Erwerbsloſen durch die Exportinduſtrie eine ſehr 
fragliche Sache iſt. Die Entwicklung der letzten Jahre hat ja auch gezeigt, 
daß die meiſten Länder ſich im Intereſſe ihrer Binnenwirtſchaft durch hohe 
Zölle, Einfuhrverbote und Einfuhrkontingentierung immer ſtärker gegen die 
deutſche Induſtrie abzuſchließen ſuchen. Auf alle Fälle kann das Arbeitsloſen⸗ 
problem in Deutſchland auf einer ſolch unſicheren Grundlage für die Dauer 
niemals befriedigend gelöſt werden. Abgeſehen davon, daß es das Ausland 
(bei einem künſtlich überſteigerten und nur künſtlich aufrechterhaltenen Export 
Deutſchlands) jederzeit in der Hand hätte, unſere ganze Volkswirtſchaft durch 
einfache Zollerhöhungen, Einfuhrverbote uſw. vollſtändig in Anordnung zu 
bringen und Wirtſchaftskriſen herbeizuführen, wäre es im Falle kriegeriſcher 
Verwicklungen in Europa um die Ernährung des deutſchen Volkes ſchlecht 
beſtellt. 

Es war daher ein Fehler der früheren Regierungen, die Exportförderung 
als Hauptmittel zur Löſung des Arbeitsloſenproblems zu betrachten, und daß 
darüber Wege, auf denen vielleicht nicht fo raſch, aber um fo ſicherer und 
dauerhafter ein großer Teil der Arbeitsloſen wieder in den Wirtſchaſts⸗ 
prozeß eingeſchaltet werden kann, ganz vernachläſſigt wurden. 

Die wichtigſte Dauerlöſung iſt und bleibt aber die Schaffung von Arbeit 
in der Arproduktion zur Steigerung der Leiſtungsfähigkeit der deutſchen Land⸗ 
wirtſchaft und ihrer Nebenzweige, wodurch zugleich die landwirtſchaftliche Er⸗ 


856 R. Trenkle 


zeugniſſe verarbeitende und landwirtſchaftliche Produktionsmittel herſtellende 
Induſtrie ſtark befruchtet und gefördert wird. Nur auf dieſe Weiſe wird es 
möglich fein, die keinesfalls zu umgehende Rückbildung der überſteigerten In- 
duſtrieentwicklung herbeizuführen und durch die Rückführung eines großen 
Teils der heutigen Erwerbsloſen zur Arproduktion auch wieder ſtabilere Pro⸗ 
duktions⸗ und Abſatzverhältniſſe für Induſtrie und Landwirtſchaft zu ſchaffen. 

Vor einigen Jahren glaubten die Führer der Induſtrie und auch die Land⸗ 
wirtſchaftswiſſenſchaftler der deutſchen Landwirtſchaft und dem Gartenbau 
keinen beſſeren Rat geben zu können, als durch Abernahme amerikaniſcher 
Wirtſchaftsmethoden, insbeſondere durch weitgehendſte Mechaniſierung und 
Ausſchaltung menſchlicher Arbeitskräfte, die Rentabilität der Landwirtſchaft 
wiederherzuſtellen. Man überſah dabei aber, daß es ſich bei der landwirt⸗ 
ſchaftlichen und gartenbaulichen Erzeugung um einen naturgebundenen Pro- 
duktionsprozeß handelt, und daß die natürlichen (Klima und Boden) und 
abſatzwirtſchaftlichen Vorausſetzungen in Deutſchland ganz andere ſind als 
in Amerika. 

Weitgehendſte Rationaliſierung und Mechaniſierung der Betriebe mag in 
der Exportinduſtrie notwendig und zweckmäßig ſein. Auch in der deutſchen 
Landwirtſchaſt und im Gartenbau wird die fortſchrittliche Weiterentwicklung 
der Maſchinenarbeit nicht zu entbehren ſein, ſei es, um dadurch eine entſpre⸗ 
chende Produktionsverbilligung oder eine raſchere Durchführung beſtimmter 
an die Zeit und Witterung gebundener Arbeiten (beſonders in größeren Be⸗ 
trieben) zu gewährleiſten, oder ſei es auch nur, um dem Bauern und Gärtner 
ſeine ſchwere körperliche Arbeit zu erleichtern. Im übrigen erfordert aber die 
derzeitige Wirtſchaftslage Deutſchlands, daß möglichſt viele Arbeitskräfte in 
der Produktion für den Binnenmarkt und hier nicht zuletzt auch in der Ur- 
produktion eingeſetzt werden. 

In bezug auf die Arbeitsintenſität ſpielen aber in der Landwirtſchaft von 
jeher nicht nur die vorwiegend auf die landwirtſchaftliche Veredelungswirt⸗ 
ſchaft (Eier⸗, Milch- und Käſeproduktion uſw.), ſondern ganz beſonders die 
auf Intenſivkulturen, wie Obſt⸗ und Weinbau, eingeſtellten klein- und mittel- 
bäuerlichen Betriebe eine große Rolle, und nicht zuletzt die eigentliche Gärt⸗ 
nerei. Letztere weiſt wohl die größte Arbeitsintenſität auf. Dr. Laupheimer“) 
hat auf Grund zweier vergleichender Aufzeichnungen in verſchiedenen land- 
wirtſchaftlichen und gärtneriſchen Betrieben der Umgebung von Alm feft- 
geſtellt, daß auf 1000 ha landwirtſchaftlich genutzter Fläche 190 Männer, auf 
1000 ha intenſiv gärtneriſch genutzter Fläche aber 5170 Männer, alſo 27mal 
ſoviel Männer, Beſchäftigung finden. 

Leider fehlt uns bisher eine genaue und neuere Gartenbauſtatiſtik. 

Bei der letzten Betriebszählung vom Jahre 1925 find als Gartenbau- 
betriebe nur ſolche Betriebe geſondert aufgeführt worden, die nach ihren An⸗ 
gaben vorwiegend den Verkauf gärtneriſcher Erzeugniſſe betreiben oder vor- 
wiegend der Anterhaltung öffentlicher Gartenanlagen, Friedhöfe uſw. dienen. 
Obwohl in der Statiſtik bei der von den Gartenbaubetrieben genutzten Fläche 


*) Dr. G. Laupheimer, Berichte über Landwirtſchaft, Neue Folge Band V, 
1927. P. Parep, Berlin. 


Förderung der arbeitsintensiven Gartenbaukulturen 857 


auch die landwirtſchaftlich genutzten Flächen und die öffentlichen Anlagen und 
Friedhöfe mit einbezogen ſind, tritt doch in der Betriebsſtatiſtik des Jahres 
1925 die große Arbeitsintenſität der Gartenkulturen gegenüber der reinen 
Landwirtſchaft deutlich in Erſcheinung, wie die nachfolgenden Tabellen zeigen: 


I. Arbeitsintenfität der Gartenbaubetriebe. 


Garten⸗ 


Zahl der baulich und Insgeſamt | Auf 100 ha gartenbaue 
Gartenbau⸗ landw. genutzte] beſchäftigte an a Ma ae 
Geſamtfläche hen 
betriebe Perfonen ſchäftigte Perſonen 


Deutſches Reich 

Pfalz (ohne Saarpfalz) 246 
Stadt Berl n 265 
Hamburg Staat 327 
Proving Rheinheſſen 337 


II. Arbeitsintenfität der landwirtſchaftlichen Betriebe. 


Auf 100 ha 
landw. genußter 
Flache treffen bee 


Landwirtſch. Zahl der land · Zahl der in der 
genutzte Fläche wirtſchaftlichen] Landwirtſchaft 


Bezirk insgeſamt Betriebe beſchäftigten 


ſchaͤftigte Berſo⸗ Bemerkungen 
nen bei Betrie⸗ 


ben unter 2 ha 


in ha insgeſamt Perſonen 


Land Mecklenburg ⸗ 


Schwerin 833 184 90 754 227 887 27 er en an 
Bezirk Königsberg. | 2323088 84 382 795 795 34 
Bezirk Straubing 37 045 2.965 13 336 36 ehe 
bduerlid. Berit 
Wayern. . . . . 3 949 040 639 124 2 134 266 54 
Preußen 16 108 678 3020 807 8 390 344 52 
Deutſches Reich . | 25598 160 5143083 | 14355 362 56 


Auf je 100 ha vorwiegend gartenbaulich genutzter Fläche ſind ſomit in den 
Gartenbaubetrieben im Reichsdurchſchnitt 117 Perſonen, in einigen Gebieten 
aber bis 377 Perſonen beſchäftigt, während demgegenüber auf 100 ha land- 
wirtſchaftlich genutzter Fläche im Reichsdurchſchnitt nur 56 und in den Gee 
bieten mit reinem Ackerbau und vorwiegenden Großbetrieben, wie in Med. 
lenburg⸗Schwerin, insgeſamt ſogar nur 27 Perſonen beſchäftigt find. Dabei 
iſt zu berückſichtigen, daß in der Statiſtik bei der Gefamtlandwirtſchaft auch 
der Gartenbau wieder mit einberechnet iſt. Zu berückſichtigen iſt ferner, daß 
im deutſchen Gartenbau ſeit dem Jahre 1925 eine ſehr ſtarke Intenſivierung 
der Betriebe durch den Bau von Gemüſetreibanlagen, die einen erhöhten 
Arbeitsauſwand erfordern, ſtattgefunden hat. Immerhin wird auch durch die 
Betriebsſtatiſtik des Jahres 1925 beſtätigt, daß im Gartenbau 8—12mal fo- 
viele Menſchen auf gleicher Fläche beſchäftigt werden wie in der Landwirt- 


Agrarpolitik Heft 12, Bg. 4 


858 R. Trenkle 


ſchaſt. Wichtig dabei iſt, daß der Gartenbau nicht nur überhaupt verhältnis- 
mäßig mehr Menſchen auf gleicher Fläche beſchäftigt, ſondern daß er verhält 
7 auch mehr fremde Arbeitskräfte aufnimmt wie die reine Land⸗ 
wirtſchaft. 

Während bei der Geſamtlandwirtſchaft (einſchließlich des Gartenbaues) 
in Deutſchland auf 100 in der Landwirtſchaft beſchäftigten Perſonen 22,9 
fremde Arbeitskräfte treffen, kommen in den Gartenbaubetrieben auf 100 be⸗ 
ſchäftigte Perſonen 48 fremde Arbeitskräfte, alſo doppelt ſoviele als in der Gee 
ſanmlandwirtſchaft. In den Gartenbaubetrieben von 2—5 ha Größe 
treffen ſogar von 100 beſchäftigten Perfonen 64 auf 
fremde Arbeitskräfte, in der gleichen Größenklaſſe der 
Landwirtſchaft dagegen nur rund 8. 

Als Intenſivkulturen ſind aber nicht nur die rein gärtneriſchen Kulturen 
ſowie der gärtneriſche Obft- und Gemüſebau, ſondern auch der bäuerliche 
Obſt⸗ und Gemüſebau anzuſprechen. Die bäuerlichen Obſt⸗ und Ge⸗ 
müſebetriebe find jedoch bei der Berufſsſtatiſtik nicht ausgeſchieden, ſondern 
mit in die Landwirtſchaft eingerechnet. Trotzdem kommt in der Berufsſtatiſtik 
auch die Arbeitsintenſität dieſer Betriebe bis zu einem gewiſſen Maße zum 
Ausdruck, wenn man die Verhältniſſe der in nachfolgender Tabelle III auf- 
geführten obſt⸗ und gartenbaulich wichtigen Bezirke und Gemeinden mit der 
in Tabelle II dargelegten Verhältniſſe in der Geſamtlandwirtſchaft Deutſch⸗ 
lands bzw. in einigen Bezirken und Gemeinden mit rein landwirtſchaftlichen 
Betrieben vergleicht. 


III. Arbeitsintenfität der landwirtſchaſtlichen Betriebe in einigen 
obit- und gartenbaulich wichtigen Bezirken und Gemeinden 


Landwirtſch.] Zahl der Iand- Zabl der in der Auf 100 ha 


land at 
genutzte Fläche wirtſchaftlichenſ Landwirtſchaft Rade treffrm 155 


Diet insgefamt Betriebe beſchäftigten ſchaͤftlate Perſo · Bemerkungen 
in ha insgeſamt Perſonen 1 5 

Würzburg Stadt . 17°86 817 2 298 131 

Bamberg Stadt. 1583,3 1091 2147 136 

Bezirk Speyer. 6 330,0 3553 8 981 142 „ Stadt und 
Bezirk Dürkheim 9 688,0 5534 15 169 157 Landkreis Bonn 
Gemeinde Schifferſtabt“ 1 663,9 1177 2 269 178 une "mat 1410 
Bezirk Karlsruhe. . 102 474,0 75 884 184 740 180 55 
Berlin Stadt. „| 24 198,0 51593 44 166 183 male, 
Stadtkreis Bonn. . 11038 1 229 2333 211°) | Bette 78 auge. 


Darnach beträgt die Zahl der in der Landwirtſchaft auf 100 ha Fläche be⸗ 
ſchäftigten Perſonen in den obft- und gemüſebaulich oder weinbaulich bedeu⸗ 
tenderen Bezirken und Gemeinden das 5—7fache gegenüber den Bezirken und 
Gemeinden mit reiner Landwirtſchaft. 

Daß der Gartenbau der reinen Landwirtſchaft in der Beſiedlungsmöglich⸗ 
keit überlegen iſt, geht auch aus der in nachfolgender Tabelle IV aufgeführten 
Dichte der Familienbetriebe in den einzelnen Gebieten Deutſchlands hervor. 


— — — — — — 


Förderung der arbeitsintensiven Gartenbaukulturen 859 


Tabelle IV. 


Zahl der Fa-] Flächenanteil 
milienbetriebe | der Familien- 


Verwaltungsbezirk auf 1000 ha ber] betriebe an der Bemerkungen 
Geſamtfläche ] Geſamtfläche 
des Bezirkes in v. H 
Land Mecklenburg⸗Stre litt 23,4 12,0 
Megierungs-Bezirf Stralſund . 24,2 14,6 reiner Ackerbau 
Land Mecklenburg⸗Schwerin 328 15,8 
Regierungs-Bezirk Oberbayern 57,1 55,1 — . ungtine 
Regierungs⸗Bezirk Niederbayern 74,2 62,8 
Regierungs⸗Bezirk Unterfranken 151,5 82,2 Obſt⸗, Gemilfes und Welnban 
Degierungs-Bezirf Erfurt 177,6 69,9 viel Gartenbau 
MNegicrungs-Bejzir! KRobleny . . . 198,8 86,6 
Regierungs-Bezirk Wiesbaden 227,2 89,3 
GNC. : Se 3 4 83 257,1 89,3 rg Gemäfe und 
FP 4 4S ] 292,6 925 
Bezirk Karlsrufe. . . 2 2 0. 376,2 92,3 


Wir ſehen alſo auch hier wieder, daß die größte Dichte der Familien- 
betriebe und die arbeitsintenſivſten Betriebe vornehmlich in den klimatiſch 
günſtigeren Gebieten Süd- und Weſtdeutſchlands zu finden find. Für dieſe 
bildet der Objt- und Gemüſebau bzw. der Weinbau eine mehr oder weniger 
ſtarke Einnahmequelle, in vielen Gemeinden überhaupt die Einnahmequelle. 
Ja, die kleinbäuerlichen Betriebe und die zahlreichen Parzellenwirtſchaften 
der klimatiſch günſtigeren Gebiete find auf ſolche Intenſivkulturen direkt an- 
gewieſen, da fie mit Ackerbau und Viehzucht auf ihrer kleinen Scholle über- 
haupt nicht mehr exiſtenzfähig ſind. 

Welche Bedeutung z. B. dem Obſtbau in den bäuerlichen Betrieben Süd— 
deutſchlands zukommt, zeigt ferner u. a. folgende Zuſammenſtellung von der 
Badiſchen Landwirtſchaftskammer über den Anteil des Obſtbaues an dem 
Geſamtrohertrag von 10 landwirtſchaftlichen Mittel⸗ und Kleinbetrieben 


Badens: 
. EN EI EI ENEIKIKAEN EN 


Seſamtgröße des Betriebes in ha. . 65,5 30,0 18,5 131,0 3,0] 2,9] 2,2] 2,0| 1,8] 1,0 


Anteil der obſtbaulich genutzten Fläche 

P 6,9] 88] 4,3] 3,7] 6,3 34,5 15,9] 15,0 | 15,5 31,5 
Obſtbaulicher Anteil am Rohertrag 

FFP 28,0 | 16,2 | 12,6 | 13,2 | 26,4 | 61,8 | 42,7 | 58,7 | 54,3 | 54,6 


*) jährige Durdf[Gnittszahlen. 


Das Ausland weiß, warum es ſeine Intenſivkulturen mit allen Mitteln zu 
fördern ſucht. Im Frühjahr 1930 hat in München der Staatsſekretär im 
italieniſchen Landwirtſchaftsminiſterium Marescalchi einen Vortrag über die 
ne Förderung der Landwirtſchaft in Italien gehalten. Er hat dabei 
mmer wieder betont, daß die Regierung Muſſolinis ſich die Förderung der 
Landwirtſchaft und ganz beſonders der landwirtſchaftlichen Intenſivkulturen, 


4* 


860 R. Trenkle 


Obft- und Gemüſebau zur Hauptaufgabe gemacht habe, um auch der in 
Italien ſich bemerkbar machenden Landflucht vorzubeugen. Er ſührte ferner 
wörtlich folgendes aus: 

„Dieſe Entwicklung (die Ausdehnung des Objt- und Gartenbaues) kommt 
auch aufs beſte dem Anwachſen der Bevölkerung entgegen, da durch ſie die 
Landbevölkerung mehr lohnendere Arbeit findet. Während das Getreide 
50 —60 Tagſchichten pro Hektar erfordert, braucht die Tomate 180 —200, die 
Pfirſichpflanzung 270, der Orangenhain 280 — 350; der Frühgemüſebau und 
die intenſive Gartenwirtfchaft 400 — 600. Außerdem tft die Tätigkeit ab⸗ 
wechſlungsreicher und verteilt ſich beſſer über das Jahr und bringt einen 
höheren Nutzen dee 

Muſſolini ift z. Z. dabei, große Flächen brachliegendes Land, insbefondere 
die Pontiniſchen Sümpfe, unter einem Aufwand von 212 Mill. Lire, in 
ſruchtbares Kulturland zu verwandeln, wovon ein großer Teil bereits dem 
Obſt⸗ und Gemüſebau dienſtbar gemacht wurde. 

Noch früher haben die Niederlande die große Bedeutung des Gartenbaues 
als Intenſivkultur für die Volkswirtſchaft erkannt. Hier haben die ganzen 
wirtſchaftspolitiſchen Verhältniſſe ſchon lange vor dem Krieg zur Entwicklung 
eines intenſiven Gartenbaues gedrängt, da die Niederlande keine Bodenſchätze 
und keine Induſtrie beſitzen, um die wachſende Bevölkerung aufzunehmen, die 
Bevölkerung ſuchte von jeher ihre Exiſtenz in Bodenbewirtſchaftung. An⸗ 
nähernd die Hälfte des Kulturlandes der Niederlande liegt in Händen von 
Kapitaliſten, die an Eigenbewirtſchaftung des Grund und Bodens kein Inter- 
eſſe haben, weil die Verpachtung in kleinen Parzellen an die große Zahl der 
vorhandenen exiſtenzſuchenden jungen Bauern und Gärtnern weſentlich höhere 
Einnahmen ermöglicht. Die Pächter wieder ſind infolge hoher Pachtſummen 
zu Intenſivkulturen gezwungen. Daher die raſche Zunahme von Glas haus- 
kulturen in den Niederlanden. 

Im heutigen Deutſchland mit feinem Volk ohne Raum drängen die Ver⸗ 
hältniſſe genau wie in den Niederlanden oder wie in Italien und in den 
Balkanländern nach einer Intenſivierung der Bodenkultur, da wo die natür- 
lichen Vorausſetzungen dafür günſtig ſind. Während aber Italien und Holland 
ihre Intenſivkulturen längſt über das für ihren eigenen Bedarf notwendige 
Maß hinaus geſteigert haben und mit den Erzeugniſſen ihrer Intenſivkulturen 
auf die Ausfuhr angewieſen ſind, wobei ſie es hauptſächlich auf den deutſchen 
Markt abgeſehen haben, befindet ſich Deutſchland in der günſtigen Lage, nicht 
nur für die derzeitige Produktion ſeines Gartenbaues, ſondern bei entſprechen⸗ 
den Schutzmaßnahmen auch noch einer ſtark vermehrten Obſt⸗ und Gemüfe- 
produktion Abſatz auf dem eigenen Markt bieten zu können und damit gleich⸗ 
zeitig jährlich über 300 Mill. RM., die für fremdländiſche Gartenbauerzeug- 
niſſe in das Ausland wandern, der eigenen Volkswirtſchaft zu erhalten. 

Das kleine Holland hat heute 25,6 Mill. qm Bodenfläche unter Glas, das 
große Deutſchland nur etwa 4,5 Mill. qm. Würde für den deutſchen Treib- 
gemüſebau“) und Blumenbau durch einen angemeſſenen Zollſchutz eine beſſere 
Rentabilität dieſer Kulturen gewährleiſtet und würde er dadurch in die Lage 
verſetzt, nur annähernd die gleiche Fläche wie Holland unter Glas zu legen, 


*) Siehe Kurt Fachmann: „Autarkie in Treibgemüſe“. Deutſche Agrarpolitik 
Heft 1. 


Förderung der arbeitsintensiven Garienbaukulturen 861 


jo würde dadurch eine reſpektable Ankurbelung der Wirtſchaft erreicht, denn 
es würden in kurzer Zeit mindeſtens 600 Mill. RM. für Erſtellung neuer 
Betriebsanlagen und jährlich weitere große Beträge für die Anterhaltung 
dieſer Betriebsanlagen (Glas, Koks uſw.) der deutſchen Induſtrie zufließen. 
Wird außerdem durch einen angemeſſenen handelspolitiſchen Schutz die Ren⸗ 
tabilitätsgrundlage für den geſamten Obft- und Gemüſebau wieder hergeſtellt, 
dann würden erſt die Vorausſetzungen und Möglichkeiten für umfangreiche 
landwirtſchaftliche und gärtneriſche Siedlungen gegeben ſein. Vor allem aber 
würden dann die vorhandenen gartenbaulichen Betriebe, die zum Teil infolge 
der durch die ſchrankenloſe Auslandskonkurrenz verurſachten Anrentabilität 
vieler Kulturen ihre Betriebe überhaupt nicht voll ausnutzen können, ſehr 
bald eine große Zahl von Arbeitskräften mehr einſtellen, ſo daß in kurzer Zeit 
mehrere hunderttauſend Menſchen im Gartenbau neue Arbeit und Verdienſt— 
möglichkeit finden würden. Der deutſchen Induſtrie und dem Gewerbe würden 
durch den Ausbau der Betriebsanlagen und deren Unterhaltung neue Auf- 
träge zufließen, wobei zu berückſichtigen iſt, daß der prozentuale Anteil der 
Aufwendungen für Produktionsmittel (einſchließlich der Verpackungsmateria⸗ 
lien) nicht nur in der eigentlichen Gärtnerei, ſondern auch im Obſt⸗ und Ge- 
müſebau ein weſentlich größerer iſt als in der reinen Landwirtſchaft. Durch 
den Mehrverbrauch an Dünger, Schädlingsbekämpfung, Verpadungsmateria- 
lien uſw. wäre dauernd eine größere Zahl von Arbeitern beſchäftigt, wie auch 
die deutſche Obſt⸗ und Gemüſekonſerveninduſtrie wieder einen neuen Auftrieb 
erhielte und zur Entlaſtung des Arbeitsmarktes beitrüge. 

Bisher haben ſich die zahlreichen Mittel-, Klein- und Zwergbetriebe mit 
Intenſivkulturen als am kriſenfeſteſten gezeigt, trotzdem die Preiſe für ihre 
Erzeugniſſe (insbeſondere für Gemüſe) ſtändig zurückgingen und zeitweiſe weit 
unter den Produktionskoſten ſanken. Die Intenſivbetriebe konnten ſich jedoch 
bisher überhaupt nur dadurch noch über Waſſer halten, daß die Betriebs- 
inhaber und ihre Familienmitglieder die ſtändig ſinkenden Preiſe für ihre 
Erzeugniſſe durch entſprechende Mehrarbeit wieder wettzumachen fuchten. Für 
ſie gab und gibt es keine achtſtündige und zehnſtündige Arbeitszeit, ſondern 
in zäher Arbeit ringen ſie von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang um ihr 
täglich Brot. Dabei darf man ſich keinem Zweifel darüber hingeben, daß die 
körperliche Anſtrengung und die Einſchränkung der geſamten Lebenshaltung 
dieſer Familienbetriebe heute ſchon längſt ein geſundheitlich und völ⸗ 
kiſch noch erträgliches (ſtatiſtiſch nur ſchwer erfaßbares) Maß erreicht hat. 

Daraus ergibt ſich von ſelbſt die zwingende Notwendigkeit eines aleich- 
mäßigen und möglichſt lückenloſen handelspolitiſchen Schutzes für alle land- 
wirtſchaftlichen Betriebszweige, ganz beſonders auch für die vielen Tauſende 
von mittleren, kleineren und kleinſten Intenſivbetrieben mit vorwiegendem 
Objt- und Gartenbau oder Weinbau. 


Das Archiv 


Von überragender Bedeutung für 
die Zukunft der geſamten Nation iſt 
die im verfloſſenen Monat erfolgte 
Annahme des Gefetzes über das bäuer⸗ 
liche Erbhofrecht. Zum erſten Male iſt 
mit dieſem Erbhofrecht eine grundſätz⸗ 
liche nationalſozialiſtiſche Idee in das 
deutſche Rechtsleben hineingetragen 
worden, ein Grundſatz, für deſſen Ver. 
wirklichung insbeſondere der Reichs- 
bauernführer R. Walther Darre ſeit 
Jahren gekämpft hat. Der „Völkiſche 
Beobachter“ ſchreibt in ſeiner Berliner 
Ausgabe vom 12. Mai, daß ſchon bei 
einer flüchtigen Prüfung des Gefeb- 
werkes erſichtlich ſei, daß es ſich um 
eine geſetzgeberiſch große Tat handelt, 
auf die der das Volk befreiende, dem 
Volk dienende Nationalſozialismus mit 
Recht ſtolz ſein dürfe. Für das Land 
werde wieder der Begriff des Erb- 
hofes als germaniſche Rechtsnorm auf⸗ 
gerichtet. Während nach römiſcher 
Rechtsauffaſſung der Grund und 
Boden vom Erben willkürlich wie eine 
verkäufliche Sache behandelt werden 
könne, galt der Bauernhof den Ger⸗ 
manen immer als Erbe der Sippe, als 
Erbe des ganzen Volkes, über das der 
einzelne nicht verfügen konnte und das 
auf Kinder und Kindeskinder zu ver— 
erben der Bauer verpflichtet war. „Der 
Bauer hat ein Kind!“, lautet ein alter 
germaniſcher Rechtsſatz, der jetzt nach 
langen Jahrhunderten wieder Leben 
und Gültigkeit erlangen werde. Der 
Erbhof, ſo heiße es in dem Geſetz, ver— 
erbe ſich nach Anerbenrecht. Der Eigen- 
tümer heiße Bauer. Mehr Erbhöfe 
als einen habe der Bauer nicht. Der 
Bauer habe nur ein Kind, dem er den 
Erbhof vermachen könne. Dieſes Kind 
iſt der Anerbe. Anerbe könne nur ſein, 
wer deutſchen Blutes iſt und die 
deutſche Staatsangehörigkeit beſitze. 
Der Erbhof dürfe nicht ſo groß ſein, 
daß ſeine Bewirtſchaftung nicht mehr 
von einer Hofſtelle aus ohne Vorwerke 
durchgeführt werden kann. Zur Ver— 


äußerung eines Erbhofes oder eines 
Teiles dieſes Erbhofes fei die Gee 
nehmigung des Anerbengerichts erfor- 
derlich. Das Anerbengericht beſtehe 
aus dem Amtsrichter und zwei Bau⸗ 
ern. Es habe ſeine Entſcheidungen 
unter dem Geſichtspunkt der Erhaltung 
und der Einheit des Hofes zu treffen. 
Als Erbhof gelte nur der Beſitz, der 
in die Anerbenrolle eingetragen iſt. 
Dazu ſchreibt die „Deutſche Tages⸗ 
zeitung“ am 12. Mai: „Die Ein- 
führung des ‚Erbhofrechts“ für den 
größten Teil des Landes Preußen 
bedeutet im Zuge der Entwicklung des 
deutſchen Bodenrechts, damit aber zu- 
gleich des deutſchen Bauerntums, 
eine Tat, die Juſtizminiſter Kerrl mit 
Recht in Vergleich zu der Bauern- 
befreiung durch Freiherr vom Stein 
ſtellt. Sie iſt zugleich eine revolu- 
tionäre Tat; aber die Tat einer 
Revolution, die nichts Lebensfähiges 
und Aberkommenes niederreißt, fon- 
dern uraltes germaniſchs Recht zu 
neuem Leben erweckt und auf dieſer 
Grundlage natürliche Bindungen wie⸗ 
der herſtellt, die unter dem Einfluß 
undeutſchen Rechts weithin verloren- 
gegangen waren. Damit alſo die Tat 
einer wahrhaft deutſchen Revolution. 
Revolutionär iſt auch das Tempo 
dieſer geſetzgeberiſchen Arbeit. In 
wenigen Wochen iſt ſie, in aller Stille, 
im preußiſchen Juſtizminiſterium zur 
Reife gediehen. Der preußiſche Gefeß- 
geber iſt ſich völlig klar darüber, daß 
dieſe Regelung des bäuerlichen Erb- 
rechts, wenn auch ein grundſätzlicher 
Schritt von hiſtoriſchem Ausmaß, ſo 
doch nur ein Anfang iſt. Damit das 
Erbhofrecht wirkliches Leben gewinnt, 
muß vor allem die Verſchuldungsfrage 
für den bäuerlichen Beſitz von Grund 
auf geordnet werden, mit der Unver- 
ſchuldbarkeit deutſcher Bauernhöfe als 
oe wenn auch leider wohl fernem 
iel.“ 


Das Archiv 


Anläßlich der Eröffnung der 39. gro- 
ßen ch der Deutſchen 
Landwirtſchafts⸗Geſellſchaft in der 
Reichshauptſtadt Berlin veröffentlicht 
der Reichsbauernführer R. Walther 
Darré in der Sonderbeilage des „Völ— 
fifhen Beobachters“ einen Artikel, in 
dem es heißt, daß die 39. Wanderaus⸗ 
ſtellung der D. L. G., die zu den größten 
und bedeutendſten ihrer Art in der 
Welt zählte, eine doppelte Aufgabe 
habe. Sie ſolle dem Bauern neue An⸗ 
regung und neues Rüſtzeug zu ſeinem 
ſchweren Kampf vermitteln und dare 
über hinaus verbindend wirken zwi⸗ 
ſchen Stadt und Land. Nur zu treffend 
habe der Führer und Reichskanzler 
Adolf Hitler vor kurzem in feiner pro- 
grammatiſchen Rede am Tage der 
nationalen Arbeit geſagt, daß das 
deutſche Volk ſich zunächſt unterein- 
ander wieder kennenlernen müſſe. Der 
Bauer müſſe lernen, die Sorgen des 
Städters verſtehen und der Städter 
die Sorgen des Bauern. Die Bauern 
kämen diesmal unter den Fahnen des 
Nationalſozialismus zur D. L. G.⸗Wan⸗ 
derausſtellung. Zwiſchen den 27 Sab- 
ren, da die D. L. G. zum letzten Male 
ihre Wanderausſtellung in Berlin ver- 
anſtaltet habe, liege ein Stück wechſel⸗ 
vollſter deutſcher Geſchichte, ein gigan⸗ 
tiſches Ringen um die Erneuerung der 
deutſchen Nation, deren erſte Etappe 
durch den beiſpielloſen 14 jährigen 
Kampf Adolf Hitlers nunmehr abae- 
ſchloſſen fei und in deſſen zweiten Ab⸗ 
ſchnitt wir jetzt eintreten. Dem Bau⸗ 
erntum würde in dieſem Ringen um 
die Neugeſtaltung Deutſchlands unge» 
heuer große Aufgaben erſtehen. Es 
gelte nicht nur, Deutſchlands Erneue⸗ 
rung reſtlos auf eigener Scholle ficher- 
zuſtellen, ſondern auch den Leitgedanken 
des Bauerntums von Blut und Boden 
zum Leitgedanken des geſamten Volkes 
zu machen. Denn allein aus den Ur- 
kräften der Natur ſei eine Erneuerung 
des Volkes möglich. Das zu verwirk- 
lichen, und damit die Zukunft des deut— 
ſchen Volkes für die fernſten Zeiten 
ſicherzuſtellen, fei die hiſtoriſche Auf- 
gabe, die ſich das deutſche Bauerntum 


863 


unter den Fahnen des Nationalſozia⸗ 
lismus geſtellt hat. 

Die „Deutſche Allgemeine Zeitung“ 
ſchreibt in ihrer Ausgabe vom 27. Mai 
zur Wanderausſtellung der D. L. G., 
daß man ohne Abertreibung ſagen 
könne, daß die Reichshauptſtadt Berlin 
und die deutſche Landwirtſchaft in die- 
ſen Tagen eine untrennbare Einheit 
darſtelle. Aber dieſe Ausſtellung fet 
nicht auf Augenblickswirkung berechnet. 
Sie habe den hohen Sinn und Zweck, 
dem Großſtadtbewohner das Land nicht 
nur materiell, ſondern auch ſeeliſch 
näherzubringen, ihm ein klares Bild 
zu geben von den Aufgaben, die der 
Landmann im Dienſt der deutſchen 
Volksgemeinſchaft zu erfüllen hat und 
von den ſchweren Kämpfen und Nöten, 
die er zu beſtehen hat, um dieſen Auf⸗ 
gaben gerecht zu werden. Es ſei tau⸗ 
ſendmal geſagt worden, daß der Stdd- 
ter kein Verſtändnis für den Bauern 
aufbringen könne und daß der Bauer 
umgekehrt auch den Städter nicht ver- 
ſtehe. Mit der Wiederholung dieſer 
Behauptung ſei weder dem einen noch 
dem andern Teil gedient. Städter und 
Landmann müſſen ſich verſtehen, 
denn beide ſeien aufeinander angewie⸗ 
fen als Produzent und Konſument, fo- 
wohl als auch als Menſchen gleichen 
Blutes und gleichen Schickſals. 

Auf einer Gautagung des Gaues 
Brandenburg der NSDAP. teilte der 
Reichskommiſſar Herbert Daßler, M. 

R., im Rahmen einer Rede mit, 
daß er die Anklage gegen den früheren 
Reichsminiſter Dr. h. c. Schiele der 
Staatsanwaltſchaft übergeben habe. 
Der frühere Reichsernährungsminiſter 
wird beſchuldigt, während feiner Amts- 
zeit und als Mitglied des Verwal— 
tungsrates der Deutſchen Getreide 
Handels-Geſellſchaft fowie als Reichs- 
landbund⸗Präſident mehrere Waggon— 
ladungen ſeiner Roggenernte an die 
von ihm reichsbetreute Deutſche Ge— 
treide⸗Handelsgeſellſchaft zu weit über 
dem täglichen Kurs liegenden Preiſen 
verkauſt zu haben. Die Anzeige beſagt 
weiter, daß Schiele gewußt habe, daß 
er zu ungerechtfertigten Preiſen ſeinen 
Roggen an die D. G. H. verkauft habe. 


864 


Die Anklage lautet auf Beihilfe zur 
handels rechtlichen Antreue gegen die 
Direktoren der D. G. H., Kurt Kozuſzek 
und Rudolf Möller, auf handelsrecht⸗ 
liche Antreue. 

Auf einer großen Bauernkundgebung 
am 14. Mai ſprach der Reichsbauern⸗ 
führer R. Walther Darré in Meinin- 
gen über die Bauernpolitik des neuen 
Staates. Es gebe keinen andern Weg 
zur Rettung des Bauerntums, als 
den, den Hitler beſchritten habe, näm⸗ 
lich erſt den Staat Ändern, ehe an wirt⸗ 
ſchaftliche Maßnahmen des Bauern⸗ 
tums herangetreten werden könne. Das 
Bauerntum fet zu einem nebenſäch⸗ 
lichen Wirtſchaftsfaktor gemacht wor- 
den, während es in Wirklichkeit den 
wichtigſten Beſtandteil der Nation aus- 
mache. Der einzige politiſche Garant 
für eine zielbewußte Bauernpolitik ſei 
der Reichskanzler Adolf Hitler. Von 
der Geſchloſſenheit, mit der ſich das 
deutſche Bauerntum heute zu ſeinem 
Volkskanzler bekenne, hänge weſentlich 
Hitlers Stellung dem Ausland gegen- 
über ab. Sie müffen draußen wiſſen, 
daß das deutſche VBauerntum ſich zu 
dieſem Manne bekenne und entſchloſſen 
ſei, mit ihm zu ſiegen und zu fallen. 
Ohne ihn habe es heute keinen Zweck 
mehr, deutſcher Bauer zu ſein. Es 
dürfe künftig in Deutſchland, ſo betonte 
Darré, nur Führer werden, wer ein 
„Kerl“ fei. Es fei unſere Aufgabe, ber- 
auszufinden, wer in der kommenden 
Generation ſolche Kerle ſind. Die Zu— 
kunft, alles, was der Bauer heute 
baue, hänge davon ab, ob es gelinge, 
dieſe „Kerle“ unter den Jungbauern 
ausfindig zu machen. Man müſſe dem 
Jungbauerntum die Tradition der 
Front vermitteln, damit es als Stand 
am Leben bleiben könne. 

In der „Nationalſozialiſtiſchen Land- 
poſt“ vom 28. Mai veröffentlicht der 
Reichsbauernführer R. Walther Darre 
einen grundlegenden Aufſatz über die 
Neugliederung des deutſchen Land— 
ſtandes. Danach ſoll der Grundplan 
etwa folgendermaßen ausſehen: „Als 
Aufgabe ſteht vor uns, aus der Wiel: 
heit der freien und halbamtlichen Ver— 
bände eine Standesvertretung des 


Das Archiv 


deutſchen Landſtandes zu ſchaffen. In 
dieſen einen Stand müſſen die be⸗ 
ſtehenden Verbände auf einige wenige 
Sparten, Hauptabteilungen oder wie 
man es nennen will, zuſammengefaßt 
bzw. aufgeteilt werden. Von dieſem 
Standpunkt aus ergeben ſich folgende 
Sparten bzw. Hauptabteilungen: 

1. Die Hauptabteilung, welche den 
Menſchen im Landſtand betreut, 
alſo die eigentlich ſtändiſchen Aufgaben 
übernimmt. — In dieſe Hauptabteilung 
wären die freien Verbände einzuglie⸗ 
dern, alſo etwa das, was ſich in der 
Reichsführergemeinſchaft des deutſchen 
Bauerntums zuſammengeſchloſſen hat. 

2. Die Hauptabteilung, welche den 
Hof, den landwirtſchaftlichen Betrieb 
betreut, alſo die eigentlich betriebs- 
wirtſchaftlichen und betriebstechniſchen 
Aufgaben übernimmt. — In dieſe 
Hauptabteilung wären die halbamt⸗ 
lichen und amtlichen Selbſtverwal⸗ 
tungskörper, wie es z. B. die Lande 
wirtſchaftskammern darſtellen, hinein⸗ 
zunehmen. 

3. Die Hauptabteilung, welche das 
Genoſſenſchaftsweſen betreut 
und alſo die heutigen Genoſſenſchaften 
eingliedert. Allerdings iſt dann eine 
Vorausſetzung hierzu, daß die Genof- 
ſenſchaften ſich wieder auf ihre alte 
Aufgabe beſchränken. 

4. Die Hauptabteilung, welche die 
Warenbewegung betreut, alſo 
der Handel mit Erzeugniſſen des 
Landſtandes und Betriebsmitteln des 
Hoſes. In dieſe Hauptabteilung wäre 
der Deutſche Landhandelsbund einzu⸗ 
gliedern. 

5. Die Hauptabteilung, welche das 
Geldweſen des Landſtandes be⸗ 
treut. Aber Einzelheiten dieſer Haupt⸗ 
abteilung ſoll im Augenblick nichts 
näher geſagt ſein. 

Ob fonſt noch Hauptabteilungen ge- 
bildet werden ſollen, oder wie die innere 
Aufteilung der Hauptabteilungen vor ſich 
gehen ſoll, iſt im Augenblick nicht we⸗ 
ſentlich zu entſcheiden. Weſentlich iſt 
nur, daß jeder einzelne anfängt, an den 
Aufgaben mitzudenken und von ſeinem 
Teil aus an der Entwirrung der Lage 
mitarbeitet.“ 


Das Archiv 


Aber die Zinsfrage fand am 11. Mai 
zwiſchen dem Reichsernährungsminiſter 
und dem Reichsbauernführer R. Wal⸗ 
ther Darré eine Anterredung ſtatt, die 
zu keinem abſchließenden Ergebnis 
führte. Die Schlüſſelfrage, ſo wurde 
vom Amt für Agrarpolitik vorgetragen, 
ſtecke im Zinsproblem. Der Ertrag der 
Arbeit dürfe nicht ausſchließlich zur 
Befriedigung der Kapitalſchuld und 
damit der kapitaliſtiſchen Intereſſen 
dienen, ſondern zum Wiederaufbau des 
in feinen Grundlagen durch die Schä⸗ 
den des vergangenen Syſtems erſchüt⸗ 
terten landwirtſchaftlichen Betriebes. 
Anterſtelle man die Verhältniſſe der 
Landwirtſchaft vor dem Kriege, dann 
ergebe fid, daß ſelbſt eine geſunde 
Landwirtſchaft ſich nur mit etwa 20 % 
verzinſen konnte und alſo heute dieſe 
2% zuzüglich einer Amortiſationsquote 
beſtenfalls die Höchſtgrenze darſtelle, 
welche man heute der Landwirtſchaft 
zumuten könne, um neben der Verzin⸗ 
jung des Kapitals einen Teil des Ar⸗ 
beitsertrages für den Wiederaufbau 
und Inganghaltung des landwirtſchaft⸗ 
lichen Betriebes zur Verfügung zu 
ſtellen. 

Die „National- Zeitung“, Halber⸗ 
ſtadt, bringt in ihrer Ausgabe vom 
27. Mai einen Aufſatz, nach dem das 
preußiſche Landvolk eine rein national⸗ 
ſozialiſtiſche Landwirtſchaftspolitik for- 
dert. Das deutſche Landvolk habe in 
den letzten Wochen mit wachſender 
Beſorgnis und Befremden erleben 
müſſen, daß auf feinen für das Ge- 
ſamtwohl des deutſchen Volkes ent- 
ſcheidenden Arbeitsgebieten ſo gut wie 
nichts geſchehen ſei. Die zweite Phaſe 
der nationalſozialiſtiſchen Revolution, 
der Aufbau des neuen Deutſchlands, 


865 


habe auf allen Gebieten pofitive Um- 
wälzungen und grundlegende Neubau- 
ten gezeitigt. Allein auf dem Gebiete 
behördlicher und miniſterieller Maß⸗ 
nahmen für die Landwirtſchaft ſei eine 
einzige Fehlanzeige zu beobachten. Die⸗ 
ſes Fehlen ſei um ſo befremdlicher, als 
das deutſche Landvolk in ſeinen bisher 
zerſplitterten Organiſationen und 
Ständen in einem einzigen großen or- 
ganiſatoriſchen und perſonellen Zuſam⸗ 
menſchluß die Einheitsfront geſchaffen 
habe, die zu niemals vorher vorhan⸗ 
dener poſitiver Arbeit jedem Miniſter 
zur Verfügung ſtehe, der in der Lage 
fet, die Vorausſetzungen für das Ver- 
trauen des deutſchen Landvolkes mit in 
fein ſchweres und verantwortungs⸗ 
volles Amt zu bringen. Es ſei Herrn 
Hugenberg in Preußen Gelegenheit ge- 
geben worden, ſich in der bisher zur 
Verfügung ſtehenden Zeit zu bewäh⸗ 
ren. Dieſe Bewährungsfriſt ſei ver- 
ſtrichen, ohne daß für die Landwirt- 
ſchaft irgendwelche Ereigniſſe eingetre- 
ten ſeien, die eine Verlängerung des 
gegenwärtigen Zuſtandes irgendwie für 
erträglich erſcheinen ließen. Es gehe 
bei der Aufbauarbeit, als deren Grund- 
pfeiler die Geſundung der deutſchen 
Landwirtſchaft Vorausſetzung für das 
Gelingen fet, um das Schickſal des gan⸗ 
zen deutſchen Volkes. Das deutſche 
Landvolk fei bereit, ſich mit feiner gan- 
zen Kraft für das Gelingen des großen 
Zieles einzuſetzen und fordere deshalb 
eine Führung, deren Perſönlichkeit die 
Gewähr dafür biete, daß die Arbeit 
und die großen Opſer, die von dem 
ganzen deutſchen Volke gebracht wer- 
den müſſen, nicht umſonſt verpuffen. 


Roland Schulze. 


Neues Schrifttum 


1. Allgemeines, Geſchichte, Statiſtik, 
Grundbeſitz, Vereinsweſen, Abſchätzung; 
Mechanik der Landwirtſchaft. 


Böning, Aug.⸗Heinr.: Die Ver⸗ 
erbung des (dl. Kleingrundbefitzes in 
Mecklenburg⸗Schwerin. Roftod, 91 ©. 
N. u. wirtſchaftswiſſ. Diff. v. 4. 12. 31. 


Boffe, Heinr.: Der lol. Bauer am 
Ausgang der Ordenszeit (bis 1561). 
Riga: Bruhns in Komm. 1933. VIII., 
S. 281-511. 8°. 4. — Mitt. a. d. liv- 
länd. Geſchichte Bd. 24, H. 4. 4.—. 

Damaſchke, Adolf: Bodenreform 
u. Landwirtſchaft. Von d. „Zinsknecht⸗ 
ſchaft“ u. ihrer Aberwindung. 2. Aufl. 
Berlin: Hobbing 1933. 64 S. 1.60. 


Hartwich, Carl, Dr.: Rittergut 
oder Bauerndorf? Bevölkerungspol. u. 
wirtſch. Tatſachen z. Grundbeſitzvert. im 
dt. Oſten. Hamburg: Hartung 1933. 
70 S. 1.40. 

Pauli, Wlt. Aniv.⸗Prof. Dr.: Zur 
1 in d. Schweiz. E. Vorſchlag 

Löſung. Bern: Verbandsdr. 1933. 
36 S. Fr. —.50. Aus: Neue Berner 
Stg. 1933, Nr. 30—34. 

Wentz, Gottfr.: D. geiſtl. Grund- 
beſitz in d. Mark Brandenburg u. an- 
grenz. Gebieten im Bereich d. Diözeſe 
Halberſtadt, Verden u. Magdeburg um 
d. Jahr 1535. 1: 350 000. M. 1 Ne 
benkte.) Berlin: D. Reimer 1933. 
41x32,5 cm (Farbendr.) 3.50. — Hiſt. 
Atlas d. Prov. menu Reihe 1. 
Kirchenkarten, Kt. Nr. 2, Bl. 3. 

Wilden, Otto, Landger Rat, Dr.: 
Die Oſthilfe unt. beſ. Berückſ. d. Gläu⸗ 
biger ldw. Betriebe. Berlin: Heymann 
1933. 51 S. 1.20. 

Wörterbuch d. Volkswirtſchaft 
in 3 Gon. Bearbeitet von ... Hrsg. 
v. L. Elſter. 4. Aufl. Bd. 3 (Schluß). 
Jena: Fiſcher 1933. 49.50; vollſt. 139.50. 

Zörner, Hans, Prof. Dr.: Das 
Agrarexperiment Sowjetrußl. Berlin: 
Parey 1933. 30 S. 1.20. 


Ländliche und ſtädtiſche Siedlung, 
be e Landarbeiterfrage, 
Vauerntum. 


Frenſſen, Guſtav: Von Saat u. 
Ernte. Ein Buch vom Bauernleben. 
M. 112 ganzſ. Bildern in Kupfertiefdr. 
von Herm. Fiſcher⸗Braunſchweig. Ber. 
lin: Safari⸗Verl. (1933). 134 S. Der 
Text ift z. T. älteren Werken Fr. ent- 
nommen. 4.80. 


Vorſtädtiſche Kleinſiedlung u. 
Eigenheimbau. (Beſtimmgn. u. Erläu- 
tergn. Bearb. unter Mitw. d. Sach- 
bearbeiter des Reidsarbeitsminifteri- 
ums u. and. Dienftftellen v. Prof. Dr. 
Frdr. Schmidt, Min. N.) 2. Aufl. (Nur) 
Nachtr. Eberswalde⸗Berlin: Verlags- 
geſ. Müller 1933. Nachtr. Vorſtädt. 
Kleinſiedlg. u. Eigenheimbau u. d. Be⸗ 
reitftg. von Kleingärten f. Erwerbsl. 
Richtlinien d. Reichsarbeitsminiſteri⸗ 
ums v. 20. Febr. 1933. Mit Kommen 
tar. 45 S. —.75. 


Küppers Sonnenberg, G. A.: 


Dtſche. Siedlung. Idee u. Wirklichkeit. 


Einblick, Aberblick, Ausblick. 2 Teile. 
Bln. (Charlottenburg 2, Hardenberg⸗ 
ſtraße 13): Die Grundft.-Warte 1933. 
1. Geſamtdarſt. d. dtſch. Siedlungsweſ. 
et Formen u. Spielarten. 124 ©. 

Louis Ferd. Prinz v. Preußen: 
Theorie d. Einwanderung dargeſtellt 
am Beiſpiel Argentiniens. 143 S. m. 
Beil. Berlin, Phil. Diſſ. v. 19. 5. 31. 

Lück, Kurt: Die dtſch. Siedlungen 
i. Cholmer u. Lubliner Lande. Plauen: 
Wolff [in Komm.] 1933. 306 S. = 
Dtihe. Gaue im Often Bd. 6. 8.—; 
Lw. 9.—. 

Mirow, Kurt, Dr. jur.: Die inn. 
Koloniſation von Neu⸗Vorpommern u. 
Rügen u. bef. Berückſ. d. Rentenguts- 
geſetze, auf Grund d. Spezialakten d. 
Landeskulturämt. in Greifswald, Dem- 
min u. Stralſund. 133 S., 1 Rte. Like 


Neues Schrifttum. 


bingen, R. u. ala Diff. v. 
28. 7. 1925 (1931). 

Naß, Otto, Dipl. -Bartenbauinfp.: 
Ratgeber f. Siedler u. Kleingärtner. 
M. etwa 120 Abb. 122 S. Nürnberg: 
Spandel (1933). —. 90. 

Neumann, Erw., Prof. Dr.: Das 
ſtädtiſche Siedlungsweſen. Allgemein- 
verſtändl. dargeſtellt. M. 20 Abb. Stutt- 
gar: Wittwer 1933. VI, 56 S. Gr.-8°. 
Pommerende, Erich: Die Land- 
arbeiterverhältniſſe in DMedlenburg- 
Schwerin f. d. Revolution. 93 S., Tab. 
Leipzig, Staatswiſſ. Diſſ. v. 13. 10. 31. 

Siedlungstempo und Gied- 
lungserfolg. Ergebniſſe e. Studienreiſe 
durch Lettland. Vorw. von Prof. Dr. 
H. J. Seraphim. 1. Das Gefamtfied- 
lungsverfahren als Schulbeiſpiel d. Ar- 
beit e. Pflanzungszentrale, v. H. Wol⸗ 
lenweber. 2. Die beſ. Blickpunkte d. 
Siedlungsverfahrens, Reſtgutbildung 
u. Neuwirtanſetzg., v. H. J. Seraphim. 
M. 28 Abb., 3 Kt. Berlin: Parey 1933. 
100 S. 4°. 10.40; Abb.⸗Pr. 8.80. — 
Ber. üb. Ldw. Sonderheft 75. 


3. Das ländliche Unterrichts. und Bil⸗ 
dungsweſen, Wirtſchaftsberatung. 
Dörfler gen. Six, Hans: Die 

bäuerliche Berufsbildung, ihre Ver— 

gangenheit, Gegenwart u. Zukunft in 

Bayern. München: Gerber 1932. 688 

S. 7.50; geb. 10.—. 


4. Ernährungspolitik. 
Ereydt, Gerh.: Die Fleiſchver⸗ 
ſorgung d. Stadt Magdeburg. 147 S. 
Jena, R.- u. wirtſchaftswiſſ. Diff. v. 
24. 1. 1931. 


5. Marktweſen e Handel, Preis, 
Verkehr. 


Feiſtle, Otto: Rauchwarenmarkt 
und Rauchwarenhandel. 131 S. Züs- 
DS R.- u. wirtſchaftswiſſ. Diff. v. 
24. 2. 1931 
Henzel, Fritz, Dr.: Marktanalyſe 
u. Budgetierung. Berlin, Wien: In- 
duſtrieverl. Spaeth u. Linde 1933. 105 
S. 4. Lw. 2.50. — Aus: „Die Han- 
delshochſchule“. Lehrb. d. Wirtſchafts. 
wiſſ. Erg.⸗Bd. 


867 


Mackenroth, Gerh. Dr., Priv. 
Doz.: Theoretiſche Grundlag. d. Preis- 
bildungsforſchung u. Preispolitik. Ber- 
lin: Junker u. Dünnhaupt 1933. VIII, 
251 S. Gr.-8°. 10.—. Sozialwiſſ. Stud. 

Schmidt Friedländer, (R.): 
Grundzüge e. Lehre vom Standorte d. 
Handels. E. Beitrag z. betriebswirtſch. 
Standortslehre. Prag: Calve 1933. 
150 S. 5.—, Kc. 40. —. 

Spiller, M. H., Dr.: Neue Wege 
zum Markt. Ein Vorſchlag zur Her- 
ausarbeitg. e. dw. Geſamtplans. M. 
e. Vorwort v R. v. Flemming⸗Paatzig. 
rs Dtſch. Verlagsgeſ. 1933. 60 ©. 


Thiede, Gerh., Diplldw. Dr.: Er- 
zeugung u. Abſatz d. altmärk. Genof- 
ſenſchaftsmolkereien. Leipzig: Sdnede 
1933. 93 S., 10 Taf. Gr.-8°. 3.— 

Arb. d. Inſt. f. Low. Betriebslehre a. d. 
Aniv. Halle. H. 43. 


6. Geld, Kredit, Zins, Steuern, 
Monopole, Zölle. 


Budge, Sſiegfried], Prof. Dr.: 
Lehre vom Geld. Bd. 1: Theorie des 
Geldes. Halbbd. 2. Jena: Fiſcher 1933. 
Gr..8°. = Grundriffe zum Studium d. 
Nationalökonomie. Bd. 5,2. 1, 2. Bank- 
kredit und Valuta IV, 456 S. 20.—; 
Lw. 21.50. 

Deutler, Karl: Kreditbanken e. 
Agrarlandes vor u. nach dem Kriege. 
120 S. Roftod, R.- u. wirtſchaftswiſſ. 
Diſſ. v. 30. 1. 1931. 

Gebhardt, Joſ., Ober-Reg.-Rat: 
Steuergutſchein, Buchführg. u Steuer- 
bilanz. Berlin: C. Heymann 1933. 
VII, 83 S. 3.—. 

Halaſi, Adalb., Dr.: Die Gold- 
währung. Grundzüge der Währungs- 
theorie. Ant. Mitw. von N. Leites. 
Berlin: C. Heymann 1933. XI, 145 S. 
4.50; geb. 5.—. 

Petzold, Wilh.: Vranntweinwirt- 
ſchaft und B/ſteuer⸗Geſetzgebung in 
Deutſchl., insbeſ. d. d. heutige B / mono- 
pol. 208 S. % Staatswiſſ. 
Diſſ. v. 27. 1. 193 

Walter, A., Min. Rat Dr. u. 
Min.⸗Dir. Dr. 9. Engel: Die Entw. 
d. low. Zölle ſ. 1902. (Stand vom 1. 4. 


868 


1933.) Berlin: Parey 1933. 141 ©. 
4°, 8.80; Abb.⸗Pr. 8.—. — Berichte 
üb. Ldw. Sonderh. 78. 

Allgemeiner und vertragsmäßiger 
Zolltarif nach d. Stande v. 1. 4 
1933. Wien: Staatsdr. 1933. 264 S. 


7. Privat- u. Sogialverfiderung, 
Genoſſenſchaftsweſen. 


Bolik, Egon: Das (dw. Genoffen- 
ſchaftsweſen in Schleſien (Maſchſchr.) 
145 S., Taf. Breslau, R.- u. ſtaatsw. 
Diſſ. v. 2. 1. 1931. 

Frank, Karl Friedrich von: Adolf 
Hitler. Leipzig [C 1, Deutſcher Platzl: 
Zentralſtelle f. dt. Perſonen⸗ u. Fami- 
liengeſchichte 1933. 4 S. 4° [F u. Ant.] 
1.50. Aus: Ahnentafeln berühmter 
Deutſcher N. F. Lfg. 3. 

Marx, Hans, Alb.: Landw. u. Ar⸗ 
beitsloſenverſicherung. VI, 100 S. 
Köln, Wirtſch.⸗ u. ſozialwiſſ. Diff. v. 
12. 2. 1930 (1931). 

Roſenberg, Alfred: Das We⸗ 
ſensgefüge des Nationalſozialismus. 
Grundlagen d. dt. Wiedergeburt. 4. 
N 1 Eher 1933. 80 S. 8 

Schierbaum, Heinrich, Dr.: Die 
„Weiße Wehr“ und ihr Kampf ums 
Deutſche Reich und den 5. Weltwirt- 
ſchaftsraum. 1.—5. Tſd. Osnabrück 
[Rrabnftr. 30 a]: Drei ⸗Stern. Verl. 
az Wehr 1933]. 94 S. 8°. [F] 


Schrönghamer⸗Heimdal, Franz: 
Das kommende Reich. Entwurf e. 
Weltordng. aus d. dt. Weſen. Neu⸗ 
ausg. (2. Aufl.) Niederalteich, Nieder- 
bayern: Dreiberg -Verl. 1933. XI, 203 
ere Titelb. 8° [F]. nn 3.20; geb. nn 


8. Landw. u. wirtſch. Zuſtände einz. 
Länder, Betriebslehre. Kulturmaßnah⸗ 
men, Induſtrie, ldw. Gewerbe, Vau⸗ 
weſen; Geſetzgebung. 
Berthold, Hans: Die räumliche 
Verteilung d. Flachswirtſchaft. II, 67 
S., 1 Tab. Köln, Wirtſch.⸗ u. ſozialwiſſ. 
Diſſ. v. 30. Juli 1930 (1931). 
Brunn, Alois: Die Melioratio- 
nen im Landkr. Recklinghauſen u. ihre 


Neues Schrifttum 


betriebswirtſchaftliche Bedeutung. VIII, 
96 S., 1 Kte. Bonn⸗Po. Lah. Diſſ. 
Mai 1931. 

Dehnel, Erich: Verflechtungen in 
d. Stickſtoff⸗Induſtrie u. ihre Gründe. 
94 S. m. Taf. Heidelberg, Staatswiſſ. 
Diſſ. v. 19. 3. 1931. 


Hartig, Hans: Die wirtſchaftliche 
Eigenart d. Pfalz. 83 S. Köln, Wirt- 
ſchafts⸗ u. ſozialwiſſ. Diff. v. 30. Juli 
1930 (1931). 

Radel, Aug.: Die volksw. Bedeu⸗ 
tung e. ſachgemäßen Anwendung der 
künſtlichen Düngemittel in d. Klein- 
betrieben. Darmſtadt: C. F. Winter 
1933. V, 54 S. —.90. 

Kampfmeyer, Ernſt: Anterſuch. 
über die wirtſchaftliche Berechtigung 
einer „Endres“ Anlage in einem ldw. 
Großbetriebe. N, 71 S. m. Tab. Kö- 
nigsberg, Phil. Diſſ. v. 12. 2. 1931. 

Keppler, Rid.: Die milchwirt⸗ 
ſchaftl. Verhältniſſe in d. Prov. Ober- 
ſchleſien. 90 S. Berlin LaH., Diff. v. 
28. 2. 1930 (1931). 

Keßler, Heinz-Joachim, Diplldw. 
Dr.: Betriebsorganiſation und Rein- 
ertrag nach Anterſ. an Rübenwirtſchaf⸗ 
ten Mitteldeutſchl. Leipzig: Jänecke 
1933. 143 S., Fig., 1 Taf. Gr.-8. 3.—. 
— Arb. d. Inſt. f. ow. Betriebslehre 
a. d. Aniv. Halle H. 44. 


Krämer, Theo: Die deutſche Ge- 
treidemüllerei (m. beſ. Berückſ. d. Wei⸗ 
gene u. Roggenmüllerei). 143 S. Frank - 
furt, Wirtſch. u. ſozialwiſſ. Diſſ. v. 
2. 2. 1931. 


Mügge, Wilh.: Exiſtenzbedingun⸗ 
gen kleiner bäuerlicher Betriebe. 115 
S. Kiel, Phil. Diſſ. v. 17. 4. 1931. 


Reiher, Erwin: Die landw. Ver- 
hältniſſe d. Kr. Görlitz u. bef. Berück⸗ 
ſicht. pflanzenbaul. Fragen. (Autogr.) 
52 S. Breslau, Phil. Diſſ. Nov. 1930 
(1931). 

[Sa'id Ra’uf Vej] Rauf Bey, 
Said: Probleme d. türkiſchen Land- 
wirtſch. 44 S. Hamburg, R.- u. ftaats- 
wiſſ. Diſſ. Auguſt 1930 (1931). 

Scheu, Hans: Die Förderungs- 
maßnahmen d. badiſchen Rindviehzucht 
vom Geſichtspunkt d. heutigen Beur⸗ 


Neues Schrifttum 


teilung aus. 64 ©. Gießen, Phil. Diff. 
v. 30. 3. 1931. 


on Otto, Dr.: Die Kriſe 

d. ſozialiſtiſchen Landwirtſchaft in der 
Sowjetunion. Berlin: Parey 1933. 
82 S. 4°. 6.40; Abb.⸗Pr. 5.60. — Ber. 
üb. Landw. Sonderh. 79. 

Schneider, Oswald, Dr., Prof.: 
Die Frage d. wirtſchaftlichen Anabhän⸗ 
gigkeit Polens. Eine wirtſchaftspol. 
Studie. Königsberg: Gräfe und Anzer 
(1933). 107 ©. Gr.-8° = Schriften d. 


869 


e f. oſtdeutſche Wirtſchaft an 
3 d. Aniv. Königsberg Pr. N. F. Bd. 6. 


Stoffens, Joh., Ludwig: Die 
Landw. d. holſt. Kreiſes Stormarn im 
Weltkriege 1914/18. Hamburg, R u. 
ſtaatswiſſ. Diſſ. 1924 (1931). 

Das preußiſche Waſſergeſetz v. 
7. 4. 1913. Eingel. v. Frdr. Wilke. 
Berlin: Waiſenhaus 1933. 361 S. 
Kl.⸗8. = Die i Bes Landesgeſetzgebg. 
Bd. 8. 6.—3 


Doranzeige: 


R. Walther Darré, der Kämpfer um Blut und Boden 
Eine Lebens beſchreibung 


Mit dem Siege der nationalſozialiſtiſchen Revolution iſt von den engeren 
Mitarbeitern des Reichskanzlers Adolf Hitler beſonders der Mann in den 
Vordergrund des politiſchen Lebens gerückt, dem die Einigung des geſamten 
deutſchen Bauernſtandes geglückt iff: der Reichs bauernführer R. 
Walther Darre Darré iff nach der politiſchen Amwälzung, getragen 
von dem Vertrauen des geſamten deutſchen Bauernſtandes, zum Präſidenten 
des Deutſchen Landwirtſchaftsrates, der Reichsführergemeinſchaft des deutſchen 
Bauernſtandes, des Reichsverbandes der deutſchen landwirtſchaftlichen 
Genoſſenſchaften und des deutſchen Landhandelsbundes gewählt worden, und 
ſtellt damit unbeſtritten eine der einflußreichſten und aktivſten 
Perſönlichkeiten des neuen Deutſchlands dar. Oft iſt das 
Bild und die Zielſetzung dieſes Mannes unter der Herrſchaft des zuſammen⸗ 
gebrochenen Syſtems in der Offentlichkeit bewußt verzerrt worden. Handelte 
es ſich doch hier um einen Mitkämpfer Adolf Hitlers, der der verflachten 
großſtädtiſchen Ziviliſation den Grundſatz der Erneuerung der Nation durch 
das Bauerntum entgegenſtellte. Darré iſt kein Mann ſchöner Worte. Ein 
zäher Kämpfer, der im Gegenſatz zu oft von ihrer Arbeit redenden „Wirt⸗ 
ſchaftsführern“ tatſächlich, ohne Lärm und Aufhebens davon zu machen, 
arbeitet und, ausgerüſtet mit gründlichſtem Wiſſen und praktiſcher 
Erfahrung, immer wieder neue Wege zur Löſung der Agrarkriſe gezeigt hat. 
Weil dieſem Manne das ſchöne Wort nicht liegt, iſt das Bild feiner Per- 
fönlichkeit in der Offentlichkeit leider noch zu wenig bekannt. Jetzt hat 
Dr. Hermann Reiſchle — als Stabsleiter des von Darré geführten Amts 
für Agrarpolitik der Neichsleitung, deſſen engſter Mitarbeiter — eine neue 
Schrift „Reichsbauernführer Darré, der Kämpfer um Blut und Boden“, als 
Lebensbeſchreibung verfaßt, die foeben im Verlag „Zeitgeſchichte“, Berlin 
W 35, im Umfang von 64 Seiten Text und 10 Vollbildſeiten (Preis 1 RM.) 
erſchienen iſt und allen denen, die die Bedeutung des Bauerntums im neuen 
Staate erkannt haben, ein eingehendes Bild über den Reichsbauernführer 
entwirft. Wir lernen hier Familie und Erziehung Darrés kennen, den Front⸗ 
oldaten, ſein Ningen in der erſten Nachkriegszeit, Wiſſen und Wille des 

annes, den politiſchen Kämpfer, den Aufbau des von ihm gegründeten agrar- 
politiſchen Apparates und ſchließlich ſeine unmittelbaren Mitkämpfer. Alles 
in allem eine Schrift, die ein Stück Zeitgeſchichte enthält und zu den 
Büchern jedes Deutſchen gehört, der die Grundgedanken Darrés von Blut 
und Boden als den Kernpunkt der Erneuerung der deutſchen Nation kennen- 
gelernt hat oder noch kennenlernen will. 


Für unverlangt eingefandte Manuſkripte keine Sewähr 


Hauptſchriftleitung und verantwortlich für den geſamten textlichen Inhalt: Dr. Hermann Reiſchle, 
Berlin W, Friedrich⸗Wilbelm Straße 18111. Verlag: „Jeitgeſchichte“ Verlag und Vertriebs⸗ 
Seſellſchaft m. b. H., Berlin W 35. Druck der Meyerſchen Hofbuchdruckerei in Detmold. 


Boranzefge 
Hermann Reifdle 


Reibsbauernführer Darré 
der Kämpfer um Blut und Boden 


Soeben erschienen. 64 S. Text, 10 S. Abbildungen. Preis Rm. 1.— 


Blut und Boden: Das find die beiden Gedanken, die das Leben R. 
Walther Darrés, des Reichsbauernführers und Leiters des agrarpolitiſchen 
Amtes der NS D Ap., beſtimmen. Blut und Boden: Beides Begriffe, 
die ihm, dem Auslandsdeutſchen, in der ewigen deutſchen Sehnſucht nach der 
an befonders tief im Herzen wurzeln mußten. Blut und Boden: 

eides Urwurzeln alles volkhaften Lebens überhaupt, die von Darre nicht 
nur wieder entdeckt, ſondern durch ſeinen unabläſſigen Uberzeugungskampf 
für das deutſche Bauerntum in das Bewußtſein dieſes wertvollſten Teiles 
des deutſchen Volkes wieder eingefügt wurden. Hermann Reiſchle, einer der 
Mitarbeiter Darrés, die mit ihm den Kampf um die Seele des Bauern⸗ 
tums geführt haben, berichtet hier aus der Kenntnis langer Jahre perſönlichſter 
Verbundenheit von dem Mann, dem er dient und mit dem zuſammen er vor 
Jahresfriſt die „Deutſche Agrarpolitik“ begründete. Das in 7 Abſchnitte: 
1. Familie und Erziehung, 2. Der Frontſoldat, 3. Der Weg durch das 
deutſche Dunkel, 4. Wiſſen und Wille, 5. Der politiſche Kämpfer, 6. Der 
Aufbau beginnt, 7. Die Mitkämpfer gegliederte kleine Buch gibt daher er⸗ 
ſchöpfende, verſtaͤndnisvolle und aus unmittelbarfter 
Nähe erlebte Auskunft über die ſchickſalsvolle Perſön⸗ 
lichkeit des Reichsbauernführers und ſein großes Werk, 
das berufen erſcheint, in ſtärkſtem Maße geſchichtsbildend 
zu wirken. Da dieſe erſte Veröffentlichung über R. 
Walther Darre die Lefer der „Deutschen Agrarpolitik“ 
beſonders intereſſieren wird und das Buch nur in be⸗ 
ſchränkter Auflage herauskommen foll, wird ihnen fein 
Erſcheinen ſchon jetzt angezeigt. In Kunſtdruckſteifdeckel 
64 Seiten Text, 10 Vollbildſeiten koſtet es nur Rm. 1.—. 


Rm 


„ZEIT GESCHICHTE“ 
Verlag und Vertriebs-Gesellschaft m. b. H., Berlin W 35 


22 
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