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Harvard College Library
BOUGHT WITH INCOME
FROM THE BEQUEST OF
HENRY LILLIE PIERCE
OF BOSTON
Under a vote of the President and Fellows,
October 24, 1898
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Deutſche Buchhändler
Deutſche Buchdrucker
Beiträge zu einer Firmengeſchichte
des deutſchen Buchgewerbes
| Unter Subvention
des Börfen:Dereins der Deutſchen Buchhändler zu Leipzig
herausgegeben von
Rudolf Smidt
5. Baud: Puſtet Vahlen
Eberswalde 1908
Verlag von Rudolf Schmidt
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Puſtet. Die urſprüngliche Heimat der Familie Puſtet iſt auf
italienichem Boden zu ſuchen. Im 17. und 18. Jahrhundert ſcheinen
die Püſtets in Baiern eingewandert zu fein. In Hals bei Paſſau
erblickte der Gründer der Regensburger Firma, Friedrich
Puſtet als Sohn der Buchbinderseheleute Anton und Anna Maria
Puſtet am 25. Februar 1798 das Licht der Welt.
Neben der Buchbinderei, die wenig abwarf, betrieb Anton
Puſtet ſeit dem Jahre 1784 den Handel „mit alten und neuen, ge—
bundenen und ungebundenen Büchern“, auch übertrug ihm in dieſem
Jahre das kurfürſtliche Generalſchul- und Studiendirektorium in
München den Verſchleiß der deutſchen Schulbücher. Allmählich er—
weiterte er den Handel auf die ganze Gegend; er mietete ſich in der
außerhalb Paſſau befindlichen Hofmark St. Nikola ein eigenes
Zimmer nebſt Buchladen. Hier lag er mit des Kloſters, als der Vogt—
und Grundherrſchaft, Erlaubnis ſeinem Gewerbe ob und erbaute ſich
mit Einwilligung des Prälaten und Konvents 1799 ein Haus, nach—
dem er ſein in Hals gelegenes Anweſen ſeinem Bruder überlaſſen
hatte. Zur Buchbinderei und zum Buchhandel fügte er eine Leih—
bibliothek. Ueberdies wurde ihm unterm 29. Oktober 1802 von der
kurfürſtlich-bairiſchen Landesdirektion das Privileg eingeräumt,
bildende Volksſchriften herausgeben zu dürfen.
Friedrich Puſtat zählte bei des Vaters Tod, 1805, erſt fünf
Jahre. Er beſuchte die Pfarrſchule in St. Nikola, wo er den erſten
deutſchen Sprachunterricht erhielt, es war der einzige öffentliche
Unterricht ſeines ganzen Lebens.
Unterm 17. Auguſt 1805 desſelben Jahres wurde der „Buch—
führerswitwe Anna Puſtet“ geſtattet, auch ferner, wie ihr Mann
auf Grund ſeines Privilegs, bildende Volksſchriften zu verlegen und
andere ungebundene Bücher zu verkaufen. Des Buchhändler Palms
— 778 —
Beſchwerdeführung wegen Gewerbsbeeinträchtigung wurde abſchlägig
beſchieden.
Für Paſſau beſaß Anna Puſtet eine Filiale des Kgl. Haupt—
ſchulbücher⸗Verlages in München. Von dieſem bezog fie die normal-
mäßigen Schulbücher gegen vierteljährliche Abrechnung und Be:
zahlung. Der Zentralſchulbücher-Verlag glaubte jedoch in dieſer
Einrichtung keine genügende Sicherheit zu ſehen, weshalb er die
Witwe Puſtet zur Hinterlegung einer Kaution von 300 Gulden auf—
forderte; ohne eine ſolche müßten inskünftig alle Schulbücher und
Verlagsartikel ſogleich bei der Beſtellung bar bezahlt werden. Auch
wurden keine Remittenden geſtattet.
Frau Anna erlegte die 300 Gulden in Form einer Paſſauer
Domkapitelſchen Schuldobligation, die ſie von ihrem Vater geerbt
hatte, und bemerkte in ihrem Schreiben an den Zentralſchulbücher—
Verlag, wie ſchwer ihr, die Aufbringung der Kaution geworden fei und
daß wiederholte Unglücksfälle ſie hart heimgeſucht hätten; ſie habe
ihr Haus durch Demolition verloren, durch Diebſtahl ſei ihr ein be—
trächtlicher Bücher- und Papiervorrat entwendet worden und un—
längſt ſei ihr Haus in Hals abgebrannt. Jetzt beſäße ſie nur noch
geringe Barſchaft.
In München aber verſchloß man ſich gegen die Klagen der
Witwe. Man wies ſogar ihre Obligation zurück, weil dieſe nur einem
realen Wert von 160 Gulden gleichkam.
Trotz ſeiner großen Jugend begriff Friedrich Puſtet die Not—
wendigkeit, ſo raſch als möglich für die Familie eine Beſſerung der
Lage zu bewirken, ſollte ſie nicht dem Verderben anheimfallen. Es
regte ſich in ihm bereits jene Energie, die ſeinem ganzen ſpäteren
Schaffen und Streben ihr charakteriſtiſches Gepräge verlieh, und
jener friſche Wagemut der Jugend, der vor Schwierigkeiten nicht
zurückſchreckt, weil er ſie nicht mit kühlem Verſtand überſchaut.
Zunächſt glückte es ihm, als Lotterieſchreiber Verwendung zu
finden. 1812 ſchloß Friedrich, der kaum 15 Jahre zählte, mit dem
Kgl. Rechnungskommiſſär Stubeus einen Kontrakt ab, der ihm die
Lieferung aller neuen Steuerbücher für den Unterdonaukreis über—
trug. Dies war fein erſtes Buchhandelsgeſchäft. Im Jahre 1817
begann Puſtet einen Papierhandel, wozu ein Paſſauer Bürger,
namens Rothbauer, ihn mit Kapital unterſtützte. Puſtet hatte die
Freude, aus ſeinem Handel einen hübſchn Gewinn zu erzielen. 182!
erwarb Puſtet aus dem Selbſtverlage des Halloberbeamten Fürſt zu
Straubing die von dieſem 1818 begründete „Bauernzeitung“. Die—
ſelbe erfreute ſich hoher Unterſtützung und es währte nicht lange, ſo
hatte ihr Abonnentenſtand die anſehnliche Zahl 9000 erreicht. Ihre
Verbreitung erſtreckte ſich über das ganze Königreich Bayern, die
— 779 —
Rheinpfalz mit inbegriffen. Das Geheimnis ſeines Erfolges hat
Puſtet ſelbſt mit den einfachen Worten erklärt: „Der Volksſchrift—
ſteller muß mit dem Bildungsgrad der Volksklaſſen, für die er
ſchreibt, genau bekannt ſein und ſich in ſeinen Darſtellungen zu den
Begriffen derſelben herabzulaſſen wiſſen.“
Als Organ der praktiſchen Gartenbaugeſellſchaft gaben Fürſt
und Puſtet, nachdem letzterer inzwiſchen eine eigene Druckerei ein—
gerichtet hatte, mit dem Jahre 1823 eine „Allgemeine deutſche
Gartenzeitung“ heraus, deren Abonnentenſtand im erſten Jahrgange
die beträchtliche Zahl 13 000 aufwies.
1826 ſiedelte Puſtet unter gänzlicher Verzichtleiſtung auf
alles Erworbene nach Regensburg über. Gleich das erſte Werk,
deſſen Verlag er hier unternahm, war des mecklenburgiſchen Lega—
tionsrates Chr. G. Gumpelzhaimer „Regensburgs Geſchichte,
Sagen und Merkwürdigkeiten“ in 4 Bänden. Dazwiſchen hinein
druckte Puſtet einige entomologiſche Bücher, auch übernahm er den
buchhändleriſchen Vertrieb der von der kgl. botaniſchen Geſellſchaft
in Regensburg herausgegebenen Fachzeitſchrift „Flora“ 1832—50).
Für das Anſehen, deſſen die junge Verlagsfirma ſich anderwärts be—
reits erfreute, ſpricht der Umſtand, daß der bayeriſche Miniſter
Eduard von Schenk, bekannt als Dichter, vier Jahrgänge ſeines
Muſenalmanachs „Charitas“ (1834—38) bei Puſtet herausgab. —
Wiſſenſchaftlich die gehaltvollſten Werke, die der Erſtlingskatalog
zu Beginn der dreißiger Jahre aufweiſt, ſind unbeſtritten die von
dem gelehrten Exjeſuiten Joſ. Ferd. Damberger entworfene und von
Serz und Spieß geſtochene „Fürſtentafel der Staatengeſchichte“.
(731—1830) und das von demſelben Verfaſſer herrührende „Fürſten—
buch zur Fürſtentafel der europäiſchen Staatengeſchichte“.
Den Druck ſeiner Verlagswerke beſorgte Puſtet ſelbſt. Bereits
1833 hatte er ſich ein eigenes Haus erworben und darin eine der erſten
Schnellpreſſen aufgeſtellt. Drei Jahre ſpäter vermehrte er ſein
erblühendes Geſchäft mit einem neuen Induſtriezweig, der Papier—
fabrikation. Veranlaßt wurde er hierzu durch die damals herr—
ſchende Not an Druckpapier. Zwei Stunden von Regensburg, bei
dem Orte Alling, errichtete er eine Papiermühle
Was der berühmte Antwerpener Drucker Plantin und ſein
Nachfolger durch die Herausgabe ihrer liturgiſchen Bücher für das
16. und 17. Jahrhundert geweſen waren, das ſollte Friedrich Puſtet
und ſein älteſter Sohn Friedrich für das 19. und 20. Jahrhundert
werden. Die Tätigkeit dieſer beiden Männer auf dem erwähnten
Gebiete nahm, indem ſie neue Pfade öffnete, einen epochalen Cha—
rakter an, ſie trug den Namen Regensburgs in die entfernteſten
Weltteile.
Allerdings war Friedrich Puſtet nicht der erſte liturgiſche
Typograph Regensburgs. Nicht lange nach Erfindung der Buch—
druckerkunſt ließ im Jahre 1480 der Fürſtbiſchof Heinrich von Abs—
berg durch einen wandernden Buchdrucker eine korrekte Ausgabe des
Breviers herſtellen. Fünf Jahre ſpäter verlegten auf Anregung des;
ſelben Kirchenfürſten die Drucker Johann Senſenſchmidt
von Bamberg und Johann Benkenhaupt von Mainz ihre
Offizin dauernd nach Regensburg, um hier das erſte größere litur—
giſche Werk, ein Miſſale (Liber missalis secundum breviarum
chori eccles. Ratisbon.) zu drucken.
Puſtets Anſchauungen von dem Einfluſſe der katholiſchen
Kirche in allen ihren Lebensäußerungen entſprach es, dem Verlage
von kirchenmuſikaliſchen Artikeln ſchon früh große Aufmerkſamkeit
zuzuwenden. So entſtand in demſelben das Fundamentalwerk
Musica divina von Carl Proske und das Enchiridion chorale von
Mettenleiter, Werke, deren Ausführungen an der Domkirche zu
Regensburg Aufſehen und Bewunderung in der ganzen Welt
erregten.
Vom 1. Januar 1866 an gab der eigentliche Bahnbrecher auf
dem Gebiete der katholiſchen Kirchenmuſik Dr. Witt die „Fliegenden
Blätter für katholiſche Kirchenmuſik“ im Puſtetſchen Verlage heraus,
denen er im gleichen Verlage von 1868 an die Zeitſchrift Musica sacra
folgen ließ. Beide Fachblätter erwarben ſich raſch Freunde und es
gab Jahre, in denen ihr Abonnentenſtand die Zahl 3000 erreichte.
Zu welch großartiger Ausgeſtaltung der Puſtetſche Verlag unter
dem Einfluſſe der von Dr. Witt durchgeführten Reformbeſtrebungen
auf kirchenmuſikaliſchem Gebiete gedieh, das zeigt am klarſten ein
Vergleich der Puſtetſchen Verlagskataloge. Während der älteſte, die
Jahre 1830 bis 1851 umfaſſende Katalog, nur eine einzige Ton—
dichtung kirchlichen Charakters anführt, ſetzt ſich das neueſte, bis
zum Jahre 1903 reichende Verzeichnis muſikaliſcher Werke aus
nicht weniger als 82 Oktapſeiten zuſammen. Die klangvollſten
Namen katholiſcher Kirchenkomponiſten der Neuzeit finden ſich dort
vertreten, davon ſeien erwähnt: Dr. Witt, der die meiſten ſeiner
zahlreichen und großartigen Tonſchöpfungen: Meſſen, Litaneien,
Gradualien bei Fr. Puſtet verlegte, Dr. Frz. X. Haberl, Michael
Haller, Joſ. Haniſch, der große Meiſter des Orgelſpiels, C. Greith,
Stehle, Singenberger, Mitterer, Oberhoffer, Könen, Bernh. Kothe,
Joſ. Renner, der ſich neben ſeinen kirchlichen Kompoſitionen durch
Herausgabe ſeiner methodiſch vortrefflichen „Zwölf Wandtafeln zum
Geſangunterrichte“, durch ſeine gediegenen Sammlungen: „Mutter
Donau“, „Regensburger Oberquartette“ und nicht zum wenigſten
durch feine „Auswahl deutſcher Madrigale” Orlandos di Laſſo,
— 781 —
Haslers und anderer großer Meiſter des 16. Jahrhunderts, auch um
die Pflege des weltlichen Geſanges bleibende Verdienſte erworben
hat.
Im Jahre 1860 erachtete es Puſtet an der Zeit, den Weg in
ſeinem Geſchäftsleben für jüngere Kräfte frei zu machen, weshalb er
ſeine Buchhandlung nebſt Verlag und Druckerei in Regensburg ſowie
die Papierfabrik in Alling an ſeine Söhne abtrat. Friedrich
Puſtet widmete ſich den Aufgaben des liturgiſchen Faches, Kle—
mens Puſtet übernahm die Leitung des Papiergeſchäftes, Karl
Puſtet ſtellte ſeine Arbeitskraft im allgemeinen zur Verfügung.
Für ſich behielt der Vater die einige Jahre früher erworbene J. E.
v. Seidelſche Buchhandlung in Sulzbach. 1862 verkaufte er jedoch
ſein Anwſen in Sulzbach und ſiedelte alsdann nach München über,
wo er den Königlich Bayeriſchen Zentral-Schulbücher—
Verlag erwarb, mit dem er eine eigene Druckerei verband, in
großem Stile die illuſtrierte Unterhaltungszeitſchrift: Deutſcher
Heimgarten gründete, die er jedoch nicht auf der Höhe der Zeit
zu halten vermocht hat, weshalb das Unternehmen nach nur zwei—
jährigem Beſtehen aufgegeben werden mußte.
Am 6. März 1882 ſchied der Gründer der großen Puſtetſchen
Firma im hohen Alter von 84 Jahren, aber im Vollbeſitze ſeiner
geiſtigen Kräfte, in München aus dem Zeitlichen.
Friedrich Puſtet (II), geboren am 25. Juli 1831 in Re—
gensburg, geſtorben am 4. Auguſt 1902 ebenda, wurde für ſeinen
Beruf von Jugend auf erzogen, beſuchte die Volksſchule, dann das
Gymnaſium und begann darauf im väterlichen Geſchäfte ſeine buch—
händleriſche Lehre. Zwei weitere Jahre verbrachte der junge Puſtet
in der Fehrſchen Buchhandlung in St. Gallen. 1856 rief ihn der
Vater nach Hauſe und betraute ihn alſobald mit einer wichtigen ge—
ſchäftlichen Sendung, mit einer Reiſe nach Rom, wo er dem Papſte
Pius IX. das erſte Regensburger Miſſale des väterlichen Verlages
überreichte. 1860 trat er mit ſeinem Bruder Karl an die Spitze des
Geſchäftes.
1868 erhielt Friedrich Puſtet aus Rom den Brief einer gewiſſen
Alfieri, die ihm mitteilte, daß ihr kürzlich verſtorbener Bruder das
Manuffript eines Graduale und Antiphonarium Romanum Hinter-
laſſen habe, das nächſtens von der S. Rit. Congr. approbiert und für
die ganze Kirche vorgeſchrieben werde. Das Mannſkript bot die
Briefſchreiberin um 60000 Franks zum Kaufe an. Puſtet wandte
ſich um nähere Auskunft an einen zuverläſſigen Fachmann in Rom.
Nähere Nachforſchungen ergaben jedoch die gänzliche Unbrauchbarkeit
des angebotenen Manuſkripts, welches Monſignore Alfieri auch der
2 e
Ritenkongregation vorgelegt gehabt hatte, das aber von dieſer abge-
lehnt worden war.
Den Abſichten der Kirche entſprach jedoch die Herausgabe von
Choralbüchern, durch welche Einheit im Kirchengeſange für die ganze
katholiſche Welt hergeſtellt werden ſollte, und es wurde auf Anord—
nung Papſt Pius IX. eine Kommiſſion ernannt, welche die Manu—
ſkripte anzufertigen und die Herausgabe zu überwachen hatte. Ein
Verleger dafür, der das Unternehmen ganz auf eigene Koſten über—
nehmen ſollte, fand ſich nicht gar leicht. Puſtet aber hatte den Mut
dazu und hatte es auch nicht zu bereuen, obwohl die urſprüngliche
Abſicht der allgemeinen Einführung dieſer Choralbücher Roms
großen Hinderniſſen begegnete und nicht ausführbar war.
Auf Grund eines 30jährigen Privilegs entſtand nun im
Puſtetſchen Verlage eine Reihe von liturgiſchen Geſangbüchern, deren
ſchöne Ausſtattung großen Beifall fand. Mehrere davon wurden in
großen Auflagen gedruckt und verbreitet. Papſt Pius IX. ehrte den
Verleger mit dem Titel: Typographus Sacrorum Rituum Con—
gregationis und ein Jahr darauf zur Zeit des Konzils mit zwei
goldenen Medaillen. | |
Die typographiſchen Erzeugniſſe der Puſtetſchen Firma er—
rangen auf allen Ausſtellungen, wo ſie ſich zeigten, die erſten Preiſe,
die in goldenen oder ſilbernen Medaillen und Diplomen beſtanden.
überall erregte die Pracht und Eleganz der Puſtetſchen Bücher, dic
Feinheit ihrer künſtleriſchen Ausführung, die tadelloſe Sauberkeit
des Druckes Bewunderung, jo daß fic) der Ruf von der außerordent—
lichen Leiſtungsfähigkeit des Hauſes immer weiter verbreitete.
Im Jahre 1880 ging aus der Puſtetſchen Offizin ein litur—
giſches Werk hervor, mit dem ſich kein anderes Erzeugnis der Typo—
graphie in dieſer Art meſſen konnte und das daher buchſtäblich
second to none war: Der große Canon Missae ad usum Epi-
scoporum ac Praelatorum, eine Prachtleiſtung erſten Ranges, oder
wie die offizielle Approbation der Ritengongregation ſich ausdrückte:
„Nitidissima editio solerti studio elaborata“. Angefangen von
der prächtigen Schrift, deren kleinſte Buchſtaben 9 Millimeter meſſen,
und den 10 Millimeter breiten Randeinfaſſungen Kleins bis zu dem
ebenfalls von Klein gezeichneten Titel- und Kanonbild und dem
wunderbaren Einband, griff alles ineinander, um ein Werk von
ſeltenſter Schönheit zu ſchaffen.
Vereine, gemeinnützige Stiftungen, Kirchen, Klöſter und
Miſſionen beſaßen an Puſtet einen unermüdlichen Gönner. Die
Wohltätigkeitsſtiftungen Regensburgs hätten keinen opferfähigeren
Freund beſitzen können als Friedrich Puſtet. Insbeſondere lag ihm
ae no en
— 783 —
der Marienverein, eine Verſorgungsanſtalt für alte, gebrechliche
Dienſtboten weiblichen Geſchlechts, ſehr am Herzen. Aus eigenen
Mitteln bewerkſtelligte er ferner Ende der achtziger Jahre des ver—
gangenen Jahrhunderts die Wiederherſtellung eines der intereſſan—
teſten Baudenkmäler Regensburgs, der im 12. Jahrhundert erbauten
Kirche St. Leonhard.
Durch Ankauf, An- und Umbau hatten ſich die Geſchäfts—
gebäude fortwährend erweitert und ausgedehnt, ſo daß ſie heute
einen ſehr anſehnlichen Flächenraum umſpannen. Die Einrichtungen
ſind muſtergiltig. In den Maſchinenſäſen, Setzereien, in der Buch—
binderei, Stereotypie, Galvanoplaſtik, Kupferdruckerei und chromo—
rylographiſchen Anſtalt herrſcht bei voller Ausnützung aller neueren
praktiſchen Hilfsmittel der rührigſte Betrieb, dem, abgeſehen von
dem in den Verlagsabteilungen beſchäftigten Perſonal, 280 Arbeits-
kräfte dienen.
Friedrich Puſtet ſtarb am 4. Auguſt 1902, nachgefolgt von
dem jetzigen Mitbeſitzer der Firma, ſeinem Sohne Friedrich (III).
| Quellen: Denk, Friedr. Puſtet, Vater und Sohn, Regensburg 1904.
Quaas, Eduard, der Begründer der E. Quaasſchen Buch- und
Kunſthandlung in Berlin, Stechbahn 2, wurde am 22. Oktober 1823
in Breslau als Sohn eines Apothekers geboren, wandte ſich nach
ſechsjährigem Gymnaſialbeſuch dem Buchhandel zu und hatte während
ſeiner Lehrjahre bei Aug. Schulz & Co. in Breslau die Gelegenheit,
mit Männern wie Friedr. v. Gallet, Hoffmann von Fallersleben,
Karl von Holtei, Johannes Ronge u. a. in Berührung zu kommen.
Die Wanderjahre führten Quaas 1844 zunächſt nach Frankfurt a. M.
zu Guſtav Oehler, deſſen Buchhandlung und Leſekabinett für Frank—
furter Literaturkreiſe, u. a. für Karl Gutzkow, Th. Creizenach, Braun⸗
fels und den „Struwelpeter“-Hoffmann einen lebhaften Anziehungs—
punkt bildete.
Dr. Hoffmann zeigte im Dezember 1844 ſein folgenſchweres
Dichter- und Künſtlerwerk, das Weihnachtsgeſchenk für feine Kinder,
dem Freunde Oehler; die Diskuſſion im Verkaufsladen lockte den
Dr. Rütten (Liter. Anſtalt) heran und Quaaas war Zeuge der Jn-
ſtallierung des im Herbſt 1845 zum erſtenmale auftretenden Bilder—
Buch⸗Phänomens. Eine zweite Stellung bei J. D. Sauerländer da—
ſelbſt, wo Fr. Rückert, Dräxler-Manfred, Oertel (Horn) ihm De-
gegneten, mußte Quaas im Spätſommer 1846 wegen Nervenleidens
aufgeben. Ueber Weimar nach Breslau zurückgehend, wurde er von
J. P. Eckermann zur Verlagsvermittelung des Bd. III der „Ge—
ſpräche mit Goethe“ beauftragt; dieſelbe ſcheiterte zunächſt an Ecker—
manns Forderung von 2000 Talern Honorar.
In Breslau hörte dann Quaas mehrere Semeſter hindurch
Univerſitäts-Kollegien und wurde nach 10 jähriger Führung der
A. Goſohorſkyſchen Buchhandlung (L. F. Maske) Teil-
haber derſelben. Im Jahre 1867 ſiedelte Quaas nach Berlin über,
um nach zwei in den Jahren 1858 und 1863 durchgeführten Reiſen
nach Italien hier ein Kunſtgeſchäft zu begründen, was neben repro—
duktiven Stichen auch Originalphotographien, nach Gallerien zu—
ſammengeſtellt, zum erſten Male in Betrieb nahm. Gegen Ende der
70er Jahre wurde Quaas vom Großherzog von Oldenburg zum
Hofkunſthändler ernannt. Der Verluſt eines Auges bewog ihn 1884
zum Verkauf ſeines Geſchäftes an Ernſt Frensdorff und
Wilh. Schulz. |
Quellen: Prager, Ed. Quaas, Berlin 1903.
Quaritch, B. Bernard Quaritch wurde am 23. April
1819 in der Stadt Worbis als Sohn eines preußiſch. Militärbeamten
geboren. Er verlor frühzeitig den Vater, beſtand feine fünfjährige
Lehrzeit in der Buchhandlung von W. Koehne in Nordhauſen und
arbeitete dann als Gehilfe in der Verlagshandlung von Karl
J. Klemann in Berlin. Der Entſchluß, ſich dem Antiquariatsbuch—
handel zu widmen, trieb ihn 1842 nach London; es gelang ihm, bei
einem der bedeutendſten dortigen Buchhändler und Antiquare, Henry
George Bohn, eine Stelle zu finden, welche er nach zwei Jahren auf—
gab, um ein Jahr in dem Haufe von Theophile Barrois in Paris
zu arbeiten. Nach London zurückgekehrt, war er weitere zwei Jahre
bei Bohn tätig. Im April 1847 gründete er in London ſein eigenes
Geſchäft mit einem Anlage-Kapital von 10 Pfund St. in einem
kleinen Laden in Castle Street, , penny books“ verkaufend. Un-
gewöhnliche Geſchäftsgewandtheit, eiſerner Fleiß, eiſerne Geſundheit,
mäßigſte Lebensweiſe ließen das Geſchäft einen raſchen Aufſchwung
nehmen; mit unentwegtem Selbſtvertrauen zog Quaritch den Handel
mit neuen engliſchen, den Import ausländiſcher Bücher, den Ankauf
von Reſtauflagen (Remainders) und eigenen Verlag in den Kreis
ſeiner raſtloſen Tätigkeit. Seine Firma hatte bereits in der alten
und in der neuen Welt einen guten Klang, als er 1860 ſeinen Ge—
ſchäftsſitz mit Beibehaltung des alten — inzwiſchen in ſein Eigentum
übergegangenen — Lokals nach Piccadilly 15 verlegte. Hier ſam—
melte er im Laufe der nächſten zwei Jahrzehende jenes wunderbar
reiche Bücherlager an, dem ſich kaum ein zweites wird ebenbürtig an
die Seite ſtellen laſſen — eine Schatzkammer nicht nur ſeltener und
ſeltenſter Bücher für den verwöhnteſten Bibliophilen, ſondern auch
der wertvollſten, brauchbarſten, unentbehrlichen Werke aus allen
Wiſſenſchaften für den Gelehrten. Die unvergleichlichen Mittel Lon—
dons als Weltmarkt mit ſicherem Takte ausnutzend, verſammelte er
— 785 —
bei ſich die Schriftdenkmäler auch der entlegenſten Kulturvölker, ins—
beſondere des Orients. Eine unverſiegbare Quelle der Erwerbungen
boten und bieten ihm fortwährend die Londoner Bücher-Auktionen;
aber auch in franzöſiſchen, belgiſchen, holländiſchen, deutſchen und
italieniſchen Verſteigerungen iſt er der gefürchtetſte Konkurrent für
koſtbare und feltene Bücher — nicht felten ohne Rückſicht auf den
Preis kaufend, nur von dem Ehrgeiz getrieben, dieſes oder jenes
vielleicht in langen Jahren nicht wieder auf dem Markte erſcheinende
Buch auch einmal auf ſeinem Lager gehabt zu haben. Freilich gehört
die Elite der reichſten und wähleriſchſten Bücherfreunde Englands
und des Auslandes zu den Getreuen ſeines ausgedehnten Kunden—
kreiſes; die höchſt geſtellten Staatsmänner wie die berühmteſten
Gelehrten verkehren oft und gern in ſeinem Laden und betrauen
ihn mit der Beſorgung ihrer literariſchen Wünſche, die in den be—
kannten Deſideraten-Liſten ſeiner Kataloge ein zweckmäßiges Organ
der Verbreitung finden. Aber auch für ſeine zahlreichen anderen
minder gewichtigen Geſchäftsfreunde in- und außerhalb des Buch—
handels iſt er der zuverläſſigſte und ſachkundigſte Agent auf dem
Londoner Markte, gleichviel ob es ſich um ein Shilling- oder um ein
Zehn⸗ Pfund⸗ Buch handelt.
Die Annalen des OQuaritcch'ſchen Geſchäftes werden gebildet
durch jene ſtattliche Reihe von Katalogen, welche er außer vielen
kleineren Liſten veröffentlichte. Nach, dem Vorbilde ſeines Lehr—
meiſters Bohn, welcher im Jahre 1841 mit feinem fog. Guinea-
Catalogue [1948 Seiten] die Bücherfreunde beſchenkte, gab er von
Zeit zu Zeit Geſamtkataloge (General-Catalogues) ſeines Lagers
in ſolid gebundenen Banden aus. Der immer wachſende Umfang
dieſer Geſamtkataloge und ihr ſtets koſtbarer werdender Inhalt legen
entſprechendes Zeugnis ab von der in immer größerer Progreſſion
fortſchreitenden Entwickelung des Geſchäfts. Der Katalog von 1860
zählte z. B. 440 Seiten, der von 1864 deren 557; ihm folgte 1868 ein
ſolcher von 1130 Seiten inkl. Index (Preis 1 Guinea). Derjenige
von 1880 enthält gar 21 809 Nummern auf 2166 Seiten und einen
Index von 230 Seiten; dieſes dreiſpaltige Regiſter enthält über
fünfzigtauſend Verweiſungen, indem die meiſten Titel nicht bloß
nach dem Stichwort des Verfaſſers, ſondern auch nach dem des In—
halts aufgeführt ſind. Dieſe mit großer Sorgfalt und entſprechendem
Zeit- und Koſtenaufwand angefertigten Regiſter ſichern den Quaritch—
ſchen Geſamtkatalogen — ganz abgeſehen von der Koſtbarkeit des
Inhalts — einen ehrenvollen und dauernden Platz in der langen
Reihe des bibliographiſchen Handwerkszeugs, welche der rieſige Um-
fang der literariſchen Erzeugniſſe aller Zeiten und aller Völker als
unentbehrliches Hilfsmittel zur Orientierung ins Leben gerufen hat.
Schmidt, Buchhändler, V Band 50
— 786 —
€
Auch auf dem Gebiete des Verlags war Quaritch's Tätigkeit
ſeit 1855 eine ausgedehnte und erfolgreiche. Außer einer Anzahl
rühmlichſt bekannter Werke, die ſeiner eigenen Initiative ihre Ent⸗
ſtehung verdanken, z. B. Catafaco's arabic dictionary, Redhouse's
turkish dictionary, Hawkin's silver coins, Dirck's Marquis of Wor—
cester, Sclater u. Salvin's exotic ornithology u. a., erwarb er im
Laufe der Jahre die Auflagereſte und zum Teil das Vervielfältigungs⸗
recht folgender hervorragender Publikationen: Gruner's ornamental
art, Italian frescoes und Terra cotta architecture, Pugin's glossary
of -ecclesiastical ornament, Owen Jones’ grammar of ornament,
Humphry’s art of printing, Westwood’s facsimiles of mss.,
d' Agincourt’s history of art, die Meiſterwerke der Lithographie:
die Boifjeree- und Münchener Gallerien (mit den Steinen, welche
nach Abzug einer kleinen Anzahl von Exemplaren vernichtet wurden),
eine Partie Exemplare des koſtbaren Dresdener Galleriewerkes, die
Turner gallery, Stothard’s monumental effigies, Owen Jones’ Al
hambra, Rosini’s Storia della pittura italiana, 7 vol., aus dem
Verlage von H. G. Bohn eine Reihe von Prachtwerken: Hogarth,
Gillray, Meyrik, Shaw, Strutt, Pugin, Claude's Liber veritatis,
Knight’s eccles. architecture of Italy, Silvestre’s universal palaeo-
graphy. ` Im Jahre 1866 kaufte er den aus mehreren Tauſend
Bänden beſtehenden Reſtvorrat der wichtigen Publikationen des
Oriental translation fund (73 vols.), 1874 den waliſiſchen Verlag
von W. Rees of Llandovery und die großen ichthyologiſchen Werke
des Profeſſors Agaſſiz; an anderen naturhiſtoriſchen Werken gingen in
feinen Beſitz über: Murchison's geology of Russia, Westwood’s
arcana entomologica, Sowerbys genera of shells, Prichard's natural
history of man, Owen’s odontography, Faraday’s researches in
electricity, u. A. |
Quellen: Börſenblatt für den deutſchen Buchhandel 1880. |
Quentell. Heinrich Quentell, einer der hervor—
ragendſten Kölner Buchdrucker, überragte an Leiſtungsfähigkeit und
Unternehmungsgeiſt die meiſten ſeiner Zeitgenoſſen, er war der Be—
gründer einer Offizin, die noch die Stürme des 30-jährigen Krieges
erlebt hat.
Quentell ſtammte aus Straßburg, wo er vermutlich die
Buchdruckerkunſt erlernte; vor ſeiner Druckertätigkeit ſcheint er
bereits als Verleger tätig geweſen zu ſein. Er betrieb ſein Geſchäft
in der Nähe des Doms im Hauſe „Zum Palaſt“. Ueber die weiteren
Schickſale Quentells ſind wir nicht unterrichtet, er muß ſpäteſtens im
Herbſte 1501 geſtorben ſein.
22 : 0 ——— e a ——«d —— ——— —
787
Der Beginn der Quentell'ſchen Druckertätigkeit wird neuer:
dings in das Jahr 1477 verlegt, während man bisher als das erſte
der 400 bekannten Drucke des Meiſters den 1479 erſchienenen 500
Seiten ſtarken Folianten der Summa Astesani nannte. In 15 von
den 22 mit den Typen ſeiner deutſchen Bibel in den Jahren 1479
bis 82 hergeſtellten Werken hat ſich Quentell ausdrücklich als Drucker
genannt, dann verſchwindet plötzlich ſein Name, um erſt 1489 wieder
in Druckwerken zu erſcheinen, obſchon während dieſer Zeit Quentell
keinesfalls ſtill gelegen haben kann.
Seine berühmte „Kölner Bibel“, eines der bekannteſten
Druckwerke des 15. Jahrhunderts, erſchien um 1479 in einer hollän-
diſchen und kölniſchen Mundart, und leitete eine neue Epoche der
Bilder-Bibeln ein. Sie enthält 113 Bilder und ijt mithin die erſte,
welche die Bezeichnung „Bilderbibel“ auch wirklich verdient. Warum
Quentell bei ſeiner Bibelüberſetzung ſich nicht genannt hat — am
Ende des koſtbaren Bandes befindet ſich nur die Bemerkung, daß
das Werk „nicht geſchrieben, ſondern mit großem Fleiß und Arbeit
gedruckt ſei“ — iſt bis jetzt noch nicht feſtzuſtellen geweſen. Daß er
der Bibeldruder geweſen fet, galt feither bei den meiſten Biblio—
graphen als bewieſen durch die große Ahnlichkeit, wenn nicht Gleich—
heit der Typen, Holzſchnitte und Randverzierungen mit anderen
Quentell'ſchen Drucken, während neuerdings Zaredtzky Quentell nur
als Verleger des Werkes anerkennen will und Götz von Schlett—
ft a Ò t für feinen Drucker hält. Dieſer fol Quentel, der das Papier
zum Druck geliefert hatte, eine namhafte Summe geſchuldet haben.
Welche Ausdehnung der Quentell'ſche Verlag allmählich nahm,
iſt aus einem 1501 veröffentlichten Verzeichnis des Kölner Biblio—
graphen L. v. Büllingen erſichtlich, das nach Merlo bereits 134 Ver—
lagswerke mit Quentells Namen anführt. Die meiſten ſeiner Bücher
ſind religiöſen oder religionsphiloſophiſchen Inhalts, in Bezug auf
die Ausſtattung iſt von Holzſchnitten, beſonders auf den Titel—
blättern, ausgiebiger Gebrauch gemacht, die Datierung geſchieht noch
mehrfach nach dem römiſchen Kalender, Signatur bildet nahezu die
Regel. Quentells Geſchäftsteilhaber war fein Schwiegervater X o -=
hannes Helman, von dem nur der Druck: „Dyt is die Paſſie
ons heren Iheſu chriſti“ von 1505 bekannt ift. |
Quentells Offizin wurde von feinen Kindern fortgeführt.
1520 erſcheint Peter Quentel als alleiniger Leiter; unter ihm
nahm das Geſchäft einen bedeutenden Aufſchwung, ſodaß er neben
den eigenen auch noch fremde Preſſen dauernd beſchäftigen konnte.
Unter den zahlreichen Erzeugniſſen dieſer Zeit iſt vor allem der aus
neun Blättern beſtehende, von dem Maler und Holzſchneider Anton
Woenſam von Worms nach der Natur aufgenommene und in Holz
50°
geſchnittene große Proſpekt der Stadt Köln zu nennen, von dem zwei
Ausgaben, aus dem Jahre 1531 und 1557 ſtammend, bekannt ſind.
Ratsherr Peter Quentell ſtarb am 29. 2. 1546; das Geſchäft wurde
von ſeinem zweiten Sohn, Johann Quentell fortgeführt, der
mit dem bekannten Buchhändler Arnold Birkmann verſchwägert war.
Nach feinem ſchon 1551 erfolgten Tode erſcheint die Firma Hae-
redes Joannis Quentel, bis 1557, die aber infolge einer
zweiten Heirat von Johanns Frau mit dem Senator und Lizenziat
der Rechte Gervin Calenius (geft. 1600) von dieſem bis zur
Volljährigkeit von dem aus erſter Ehe ſtammenden Arnold
Quentell fortgeführt wurde.
Calenius verſtand es, das Geſchäft auf der alten Höhe zu
halten. Unter den damals herausgekommenen Verlagswerken ver—
dienen beſondere Erwähnung die prachtvoll ausgeſtattete 1564 er-
ſchienene Dietenbergerſche Bibelüberſetzung und des Leonhard Surius
De probatis sanctorum historiis, 1570. Etwa ums Jahr 1596
hat dann Arnold Quentell das Geſchäft übernommen. 1598 gab er
einen Verlagskatalog, betitelt: Quentelianae officinae librorum
tam suis typis guam expensis excusorum Catalogus heraus, der
181 Werke hiſtoriſchen, juridiſchen, theologiſchen, mediziniſchen und
vermiſchten Inhalts verzeichnet, von denen nur 61 in deutſcher
Sprache gedruckt ſind. Arnold Quentell ſtarb 1623. Leiter des
Geſchäfts wurde durch Teſtamentsverfügung Arnolds Johann
Krebs, dem Heinrich Berchem als Geſchäftsnachfolger und
letzter Inhaber des alten Quentellſchen Geſchäftes folgte.
Quellen: Heitz⸗Zaretzkyh, Kölner Büchermarken, Straßburg 1898; Voul⸗—
lieme, der Buchdruck Kölns, Bonn 1903; Zeitſchrift für Bücherfreunde 1899;
Niederrheiniſche Annalen Heft 42. :
Raabe, F. Im Jahre 1791 begründete Chriſtian Frie—
drich Kindler zu Königsberg i. Pr. ein Antiquariat, das ſich
in kurzer Zeit ſehr ausdehnte. Kindler beſaß ein bedeutendes Lager
und „hat ſich — wie Ferd. Raabe, ſein Nachfolger, in der Vorrede
zum erſten Katalog ſchreibt — in unſerer Stadt das Verdienſt er—
worben, zuerſt eine geordnete Bücherſammlung aufzuſtellen und die—
ſelbe nach und nach durch gedruckte Verzeichniſſe bekannt zu machen;
daß er dadurch der Gelehrſamkeit nützlich und der Verbreitung allge—
meiner Bildung durch erleichterten Ankauf literariſcher Werke be—
förderlich geweſen, wird durch das Andenken an ihn von gelehrten
und geachteten Perſonen beſtätigt“.
Kindler, deſſen Familie aus Thüringen ſtammte, war 1760
geboren. Nach ſeinem 1813 erfolgten Tode — ſeine Frau war ihm
acht Tage ſpäter in den Tod nachgefolgt — wurde das Geſchäft zum
— 789 —
Verkauf geſtellt und im Oktober 1814 von Ferdinand Raabe
erworben.
Als Sohn eines Riemermeiſters am 29. 1. 1780 geboren,
beſuchte Raabe das Friedrichskollegium und verließ die Schule als
Primaner, um nach dem Willen des Vaters das Riemerhandwerk zu
erlernen. Während der Lehrzeit beſchäftigte ſich Raabe viel mit den
neueren Sprachen und ging nach beendigten Lehrjahren auf die
Wanderſchaft. Er durchſtreifte Deutſchland, Oeſterreich, Italien,
Frankreich und kam 1804 gerade zu Napoleons Kaiſerkrönung nach
Paris. Das Leben hier zog ihn mächtig an, beſonders das Theater.
Er beſchloß, Schauſpieler zu werden und bildete ſich zu dieſem Zweck
mehrere Jahre in Paris aus. 1813 kehrte er als Schauſpieler Berg—
heim nach der Heimatſtadt zurück. Sein Vater war ſchon 1810 ge—
ſtorben; Raabe beſchloß nun den Ankauf des Kindlerſchen Anti—
quariats, da er glaubte, ſich damit eine gute Exiſtenz ſichern und
weil er als Antiquar ſeinen Wiſſensdrang am eheſten meinte damit
befriedigen zu können. Er richtete auch bald eine Leihbibliothek ein,
welche aber 1839 einging. Raabe war ſehr vertrauensſelig, und da
er kein Geſchäftsmann war, unredlichen Geſchäftsführern faſt ganz
ausgeliefert. Er lebte, wie in ſeiner Jugend, ganz den ſchönen
Wiſſenſchaften, las und ſtudierte viel, ſchrieb Theaterſtücke, Novellen
und Gedichte. Seine Tragödie „Hans von Sagan“ wurde 1843 am
Königsberger Stadttheater aufgeführt und ſeine für das Königs—
berger Unterhaltungsblatt geſchriebenen Novellen und Gedichte
wurden gern geleſen. 1828 gab er eine Zeitſchrift für Gebildete „Der
Luftballon“ heraus. Vom Jahre 1839 ab war Raabes Tochter
Gaecilic 20 Jahre lang Leiterin des Geſchäfts. Am 22. 1. 1859
ſtarb Raabe. Caecilie Raabe behielt auch jetzt noch die Leitung der
Firma und hat bis 1875 im Ganzen 36 Kataloge, durchſchnittlich
3000 Nummern enthaltend, veröffentlicht. Im Herbſt 1875 über—
nahm ein Sohn ihrer jüngeren Schweſter, Eugen Heinrich, das
Geſchäft und dieſer ſetzte es, indem er jetzt auch mit dem Geſamtbuch—
handel in Verkehr trat, unter der neuen Firma F. Raabes Nad-
folger fort.
Große und koſtbare Bibliotheken bedeutender Gelehrten,
Theologen und Aerzte, wie Bohn, E. Burdach, E. Burow, Carus,
Rob. Caspary, Herbart, Hildebrandt, Joh. Jacobi, A. Kahle, K. Ro⸗
ſenkranz uſw. wurden angekauft und in die Kataloge aufgenommen.
Die Spezialität des Antiquariats iſt Prussica.
Quellen: Geſch. d. Antiqu. F. Raabes Nachf. Königsberg 1892.
Radetzti. Im Jahre 1872 begründete Adolf Emil
Alexander Radetzki in Berlin eine Verlagsbuchhandlung
== 700 =
unter der Firma A. E. Radetzki und verlegte Belletriftif. Im
Jahre 1873 kaufte derſelbe die Verlagsbuchhandlung C. F. Weiß
nebſt Druckerei (1852 begründet). Der Verlag beſtand in Kalendern
aller Art, darunter 6 verſchiedene Buchkalender, und in einer großen
Anzahl ſogenannter populärer Schriften (Kochbücher, Liederbücher,
Briefſteller uſw.). Später wurde noch Elektrotechnik und Schießſport
verlegt. Im ſelben Jahre wurde R. Beuckert als Teilhaber auf—
genommen und die Firma in Beuckert & Radetzki umge-
wandelt. Nachdem Beuckert im Jahre 1888 wieder ausgetreten,
trat Richard Radetzki an ſeine Stelle als Teilhaber ein und
die Firma lautete von da ab Gebr. Radetzki. Nach dem Tode
von Rich. Radetzki (1890) blieb A. E. A. Radetzki alleiniger Inhaber
bis 1901, wo er ſeinen Schwiegerſohn Walter Otto als Teilhaber
aufnahm, ohne daß dieſer im Geſchäft tätig war oder iſt.
Radetzki trug ſich mit dem Gedanken, ein Blatt, analog dem
Buchhändler-Börſenblatt, zu begründen, welches dem Handel und
Verkehr der Gärtner unter ſich, zugleich als Fachblatt, dienen ſollte.
Zu dieſem Zwecke ſtudierte er 4 Semeſter Botanik unter gleichzeitiger
Begründung einer größeren Privatgärtnerei, um die Praxis zu er—
lernen. So wurde alsdann ein rein gärtneriſcher Verlag begründet
und der geſamte Verlag anderer Richtung nach und nach verkauft.
Der heutige Verlag beſteht in 38 gärtneriſchen Kulturwerken,
Dünger: und Bodenkunde, Obſtbau uſw. und einer in jetzt 16 000
Auflage wöchentlich erſcheinenden Fachzeitſchrift von 4—5 Bogen
pro Nummer, der „Berliner Gärtnerbörſe“. Der Verlag wird faſt
ohne Ausnahme mittelſt dieſer Zeitſchrift direkt vertrieben, nicht
mehr als 10 Prozent im Buchhandel. Radetzki ift feit 24 Jahren
Redakteur feines Blattes und Verfaſſer von 14 gärtneriſchen fad-
wiſſenſchaftlichen Büchern. Es werden jährlich von den Verlagswerken
11—14 000 einzelne Exemplare abgeſetzt, das wöchentlich erſcheinende
Blatt wird nur an Gärtner geliefert.
Die Druckerei arbeitet mit 7 modernſter Buchdruckpreſſen
größten Formates, zu 75 Prozent für eigenen Bedarf; die Buch—
binderei mit 6 Hilfsmaſchinen, darunter eine Falzmaſchine, bis
jetzt Unicum, welche das Wochenblatt in Stärke von 5 Bogen, Format
50 zu 67, auf 9 zu 25 falzt, fertig bis zum Umlegen des Streifbandes.
Der Betrieb wird mit 6 Elektromotoren zu insgeſamt 24 Pferde—
kräften bewirkt. Der Verbrauch von Papier beziffert ſich auf jährlich
ca. 60 000 Mark.
Raſpe, G. N. Der verdienſtvolle Nürnberger Buchhändler
Gabriel Nicolaus Raſpe wurde am 4. 12. 1712 auf dem
Rittergut Crelpa, wo ſein Vater, der ſpätere Bürgermeiſter von
—— — — — — —— —— ¶ kl: —
== Oh (aes
Lauche an der Unſtrut, Verwalter war, geboren. Er beſuchte die
Lateinſchule in Naumburg, erlernte den Buchhandel in derCörneri—
ſchen Buchhandlung in Leipzig und war als Gehilfe tätig zu Helm—
ſtädt, Wittenberg, Zerbſt und Leipzig. 1739 wurde er zum Leiter
der Johann Stein ſchen Buchhandlung in Nürnberg
(gegr. 1603, vergl. Band IV S. 739 ds. W.) berufen, die er 1743 für
eigene Rechnung übernahm und ſie aus einer Sortiments- in eine
Verlagsbuchhandlung umwandelte, die bereits über 600 Verlags-
artikel umfaßte. Darunter ſind namentlich folgende anzuführen:
die juridiſchen Schriften J. J. Moſers; P. Daniels Geſchichte von
Frankreich, 16 Quartbände 1781 uff.; Heiſters Chirurgie mit 38
Kupferſtichen 1779; C. von Linne vollſt. Naturſyſtem, von P. L.
St. Müller, 9 Bde.; desſelben Pflanzenſyſtem, 13 Bde.uſw., iber-
haupt viele Schriften aus dem Gebiete der Naturwiſſenſchaft; das
noch heute unerreichte bekannte Monumentalwerk Siebmachers
Wappenbuch, 6 Teile und 12 Suppl. groß Folio 1785 (2. Ausg. 1855
uff. von Dr. O. Titan von Hefner; die neueſte 3. Ausgabe dieſes
Nationalwerkes umfaßt nicht weniger als 525 Lieferungen); daneben
noch eine große Auswahl von Schriften auf dem Gebiete der ſchönen
Wiſſenſchaften und Künſte, Muſikalien, Schul- und Wörterbücher,
Kupferſtiche, Landkarten uſw. uſw. Vor allem aber muß hier ſein
großes Conchilienwerk, ein Ehrenunternehmen, genannt werden. Er
hat es ſelbſt als ſolches angeſehen, denn er ſchreibt an ſeinen Autor,
daß er aus Erfahrung wiſſe, daß ſolche großen Werke gemeinhin
keinen Gewinn bringen, denn auch „die letzten Teile anderer Werke
blieben mir größtenteils auf dem Halſe und wurden Ladenhüter.
Das iſt gemeiniglich das Schickſal weitläufiger Werke, welche ein
Verleger endlich in Makulatur verwandeln muß. Das will ich aber
von unſerm großen conchiliologiſchen Werke nicht hoffen, noch hin—
gedeutet wiſſen, ob ich gleich aus langer Erfahrung weiß, daß 200
Exemplare bey Werken, die von Corallen, Inſecten und Conchylien
handeln, vollkommen hinreichen, die ganze entomologiſche und conchy—
liologiſche Welt zu befriedigen.“ Das gewaltige Werk, herausgegeben
von Martini und Chemnitz, in neuer Vervollſtändigung unter Mit—
wirkung von Philippi, Pfeiffer, Dunker, Troſchel u. a., bearbeitet
von Dr. H. C. Küſter, fortgeſetzt von Dr. W. Kobelt, iſt unter dem
jetzigen rührigen Verleger Küſter bereits bis Lieferung 522 gediehen.
Im Jahre 1763 hatte Raſpe die Auslieferung des geſamten
Verlages der Firma Johann Friedrich Gaum in Ulm und
Joh. Mich. Seiz in Nürnberg übernommen. Nach feinem am
25. 10. 1785 erfolgten Tode wurde dies Kommiſſionslager wiederum
aufgelöſt. Das Geſchäft wurde durch die Witwe weitergeführt und
demnächſt an ihren Tochtermann Gſpahn abgegeben. Deſſen Witwe
4
Sophia Barbara Gſpahn veräußerte 1819 die Handlung an
Johann Michael Bauer, von wo ab die bisherige R a f p e fde
Kunſt⸗ und Buchhandlung unter der neuen noch heute
exiſtierenden Firma Bauer &Raſpe fortgeführt wurde. Bauers
Nachfolger war Julius Merz, der Beſitzer der ſeit 1780 in
Nürnberg beſtehenden Firma Schneider & Weigel. Unter
Merz nahm der Verlag wiederum einen erheblichen Aufſchwung und
auch die Zahl der Verlagswerke vermehrte ſich bedeutend. Genannt
feien aus dieſer Zeit: v. Hefner, Wappenkunſt; Eye-Jalke, Kunſt und
Leben der Vorzeit, 36 Hefte; S. v. Praun, Europäiſche Schmetter—
linge; Zeitſchrift für Kulturgeſchichte, herausgegb. von Joh. Müller
und Joh. Falke, 1856 uff.; die literarhiſtoriſchen Arbeiten des
Studienlehrers J. L. Hoffmann. 1838-39 erſchien das „Athenäum
für Wiſſenſchaft, Kunſt und Leben“, welche Zeitſchrift infolge der
Zenſurplackereien geſchloſſen werden mußte. Aus dem alten über—
nommenen Verlage von Schneider & Weigel ſeien erwähnt: Bech—
ſteins Abbildungen naturhiſtoriſcher Gegenſtände; Bibliothek der
neueſten Reiſebeſchreibungen, 21 Bde.; die Schriften Gleichen-Ruß⸗
worms; Köhlers hiſtoriſche Münzbeluſtigungen, 24 Bde., 50 Tlr.;
ſowie endlich eine größere Reihe von Kinder- und Jugendſchriften.
1839 vereinigte Merz den Verlag der letzteren Firma mit derjenigen
von Bauer &Rajpe. Seit dem Jahre 1872 iſt Emil Küſter Be⸗
ſitzer der altangeſehenen Firma, der, hauptſächlich Naturwiſſenſchaft
pflegend, die Spinnenwerke von Koch und Keyſerling, die Käfer von
Küſter, die Molluskenſauna von Clebbs und Kobelt uſw. zur Aus—
gabe brachte.
Quellen: Waldau, Beyträge zur Geſchichte der Stadt Nürnberg, 1787
Selbſtverlg.; Raspes Lebensgeſchichte, Nürnberg 1787; Verlagskataloge 1819,
1835, 1847 und 1857; Chemnitz, G. N. Raspe, Nürnberg 1787. |
Ratdolt, E. Erhard Ratdolt wird als Augsburgs be-
rühmteſter Frühdrucker bezeichnet. Er fol gelernter Armbruſt—
ſchnitzer geweſen ſein und entſtammte einer Künſtlerfamilie, welche
ſich durch Anfertigung plaſtiſcher Figuren aus Gips auszeichnete.
Von 1469—73 erſcheint Ratdolt nur mit ſeinem Namen in den
Steuerliſten, 1474 aber als Buchbinder Erhard, dann als Drucker,
von 1486—1528 fei es als Meiſter Erhard, fei es als Erhard Rat-
dolt. Er zahlte zu Anfang des 16. Jahrhunderts bereits 30 Gulden
Einkommenſteuer. Wahrſcheinlich in der Abſicht, ſich künſtleriſch
weiter zu bilden, ging er nach Italien, wo er fih alsbald ausſchließ—
lich der in der Heimat erlernten ſchwarzen Kunſt zuwandte und zu
dieſem Zweck ſich in Venedig anfangs mit dem Augsburger Maler
Bernhard, dann mit Peter Loslein von Langenzenn
verband. Eins ſeiner ſchönſten hier gedruckten Werke iſt der Appian
— 793 —
von 1477, welcher durch ſeine Vollendung ſelbſt den Editio princeps
Wendelins von Speyer den Rang ſtreitig macht. Ratdolt lieferte in
Venedig auf eigene Koſten, wie er ſagt, eine Menge Prachtwerke,
wie man ſie bis dahin weder in Italien, noch in Deutſchland geſehen
hatte. Seine ſchon im Renaiſſancegeſchmack ausgeführten Initialen
und Titelblätter waren ſowohl durch ihre Verzierungen als ihre An⸗
ordnung Kunſtwerke erſten Ranges. Selbſt unter den erſten Künſt⸗
lern der ſtolzen Lagunenſtadt nahm Ratdolt eine hervorragende
Stellung ein und ſein unerhörter Erfolg ſpricht zugleich für ſeine
beſondere Bedeutung. Die Augsburger Biſchöfe drängten ihn lange
vergebens zur Rückkehr in die Heimat. Erſt 1486 folgte er dem Ruf
des Biſchofs Johann von Werdenberg zu Augsburg und kehrte nach
Hauſe zurück. Hier gab er zuerſt unter der Bezeichnung „Index
characterum dinersarum manerierum impressioni para-
tarum“ ein vom 1. April desſelben Jahres datiertes, Miſſaltypen
und mehrere andere kleinere, auch griechiſche Schriften zeigendes
Blatt mit Proben ſeiner Schriften aus und druckte dann im Auftrage
des Biſchofs für die Augsburger Diözeſe eine Rituale.
Als Drucker der ſchwierigſten mathematiſchen Werke erwarb
er ſich den Namen eines Beſchützers und Vaters der Mathematik.
In der berühmten Ausgabe des Euclid von 1482 druckte er die Zu—
eignung an den Doyen Moceniyo von Venedig ſogar in Gold. Ebenſo
widmete ſich Ratdolt auch dem Druck muſikaliſcher Werke, wie er
denn auch der Erfinder des Notendrucks mit beweglichen Typen iſt.
In Augsburg wurde er durch den Druck ſeiner unvergleichlich ſchönen
Chorbücher ſo berühmt, daß ihm von weit und breit Aufträge von
Stiftern und Klöſtern zur Herſtellung von Kirchenbüchern zuteil
wurden, die er in brillantem Rot- und Schwarzdruck die 40 Jahre
ſeiner Tätigkeit hindurch gleich ausgezeichnet durchführte. Als ein
ſehr vermögender Mann ſtarb er im 85. Jahre ſeines Lebens im
Jahre 1528. Sein Buchdruckerſignet zeigt einen nackten Mann, der
in der Rechten zwei Schlangen en Die rn durch einen roten
Stern verdeckt.
Des Vaters Buchdruckerei hat noch eine zeitlang fortgeführt
Georg Ratdolt, dann verſchwindet das Geſchäft vollſtändig.
7 5 ut En Buchhandel I; Archiv für Geſch. d. dtſchn. Buchhandels
Reclam. „Veillez, sans peur“, „ſeid wachſam und furcht—
los“, das iſt der Wappenſpruch des aus Savoyen ſtammenden alten
Geſchlechts der Reclam, deſſen nn bis über das Jahr en
hinaus zurückführen.
Aber ſo zahlreich die Glieder der Familie Reclam find, fo
gering war verhältnismäßig die Zahl der Berufsarten, die fie er-
794
griffen; denn es gibt ganze Generationsfolgen, die dem gleichen Beruf
angehörten. Ob ſie Juwelenhändler, Goldſchmiede, Kaufleute, Buch—
händler, Prediger, Gelehrte oder Soldaten, ob ſie bürgerlich oder
adelig waren, allen iſt eins gemeinſam: das ernſte Streben, mehr
als Durchſchnittliches zu erreichen.
Carl Heinrich Reclam (1776—1844), der Sohn des
Juweliers Friedrichs des Großen, kam nach Leipzig und eröffnete
mit ſeiner, urſprünglich franzöſiſcher Literatur dienenden Buchhand—
lung die Reihe der Buchhändler unter den Reclams. Er iſt der Be—
gründer dieſer Buchhändler-Dynaſtie und der Firma C. H. Reclam
jen., die er ſpäter an feinen Schwiegerſohn Jul. Altendorf
abtrat, und die ſchließlich in die Firma Philipp Reclam jun.
aufging.
Carl Heinrichs älteſter Sohn war Anton Philipp
Reclam. Er wurde am 28. 6. 1807 in Leipzig geboren. Er er⸗
lebte als ſechsjähriger Knabe die Völkerſchlacht, er ſah ſchaudernd,
wie aus den zum Lazarett dienenden Kirchen Leichen in Maſſen auf
Leiterwagen geladen wurden. Er ſah aus der am Markt gelegenen
Wohnung die Franzoſen ihre Gewehre von ſich werfen, als die Ko—
ſaken und Baſchkiren in die Stadt ſprengten, und warf letztern in
Ermangelung anderer Nahrungsmittel Apfel aus dem Fenſter zu,
die jene freudig auffingen. Eine Szene war ihm beſonders in Er-
innerung geblieben: Als einer der Reiter den erbettelten Apfel in
ſeiner ſpitzen Mütze aufgefangen hatte, teilte er dieſen mit dem gleich
ihm hungernden Pferd. Hinter den Koſaken rückten andere Truppen
in Leipzig ein und mit ihm die verbündeten Monarchen.
Nach Abſolvierung der Schule trat Philipp, vom Vater zum
Buchhändler beſtimmt, 1823 als Lehrling in die Schulbuchhandlung
von Friedrich Vieweg & Sohn in Braunſchweig, mit deren Beſitzern
er durch ſeine Mutter, eine geborene Campe, verwandt war. Hier
war er als Lehrling vier Jahre tätig, ſowohl in der Buchhandlung
als auch in der Buchdruckerei.
Nach Leipzig zurückgekehrt, ſtreckte ihm ſein Vater ein Kapital
von 3000 Talern vor, das er ihm zu verzinſen hatte, und dafür
erwarb er am 1. April 1828 das mit einer Leihbibliothek verbundene
„Literariſche Muſeum“, Verlags-Buchhandlung, Leſe—
bibliothek und Journaliſtikum, das ſich in der Grimmaiſchen Straße
gegenüber dem Naſchmarkt befand.
»Da das Muſeum der Sammelpunkt der Gelehrten und Lite⸗
raten wurde, verdankte der damals 22-jährige Buchhändler dem Ver—
kehr mit ihnen viel Anregung. Bald regte ſich die Luſt zum Verlegen
in ihm, und mit den erſten erſparten 30 Talern erwarb er das erſte
Manuſfkript, eine Überſetzung aus dem Franzöſiſchen, dem bald
ss 705. ==
andere Verlagswerke folgten, unter anderen: Julius Moſen, No—
vellen; Heinrich der Finkler Gedichte; Heinrich Laubes hiſtoriſch—
politiſche Skizzen „Das neue Jahrhundert“.
1837 verkaufte er das „Literariſche Muſeum“ wieder, um fih
ganz dem Verlag zu widmen; er firmierte jetzt „Philipp Reclam
jun.“. 1839 erwarb er, von Freunden unterſtützt, die gut einge—
richtete Haackſche Buchdruckerei, eine Akzidenzdruckerei, in
der er zunächſt für fremde Auftraggeber druckte. Schlechte Er—
fahrungen und größere Verluſte ließen ihn daran denken, ſich von
fremden Aufträgen zu emanzipieren und einen eigenen Verlag zu
ſchaffen. Die Druckerei befand ſich Königsſtraße 4, im Gartengebäude.
Jetzt beginnt die eigentliche Verlagstätigkeit Philipp Reclams. Es
entſtehen die Bibel-Ausgaben, das Schmidtſche franzöſiſche Hand-
wörterbuch, ſowie „Das ſingende Deutſchland“, Unternehmungen,
die ſehr gut einſchlugen.
Es ſeien aus dieſer Zeit noch erwähnt: Brennglas, Eckenſteher,
Miß Pardoe, Ungarn und ſeine Bewohner. In den nächſten Jahren
von 1842—49 erſchienen neben „Oettingers Charivari“ von Dem-
ſelben Verfaſſer: Helene, Ein Fehdebrief an die Geſellſchaft, —
Joujoux, — Narrenalmanach, — Potsdam und Sansſouci, —
Spontini. Eine kleine Broſchüre: „Mola Lontez“ erzielte großen
Erfolg. Vor allen Dingen aber fallen in dieſe Zeit die zahlreichen
Schriften politiſchen Inhalts, die nach der Revolution von 1848 zu
dem famoſen Metternichſchen Dekret Veranlaſſung gaben, durch das
die Reclamſchen und Otto Wigandſchen Publikationen den öſter⸗
reichiſchen Buchhändlern verboten wurde.
Durch Fürſt Metternichs Dekret wurden Reclam viel Schaden
und große Verluſte zugefügt, und jene Zeit war für ihn eine recht
ſorgenvolle. Er mußte nun beſtrebt ſein, durch Unternehmungen,
deren Vertrieb ein dauernder war, dem N eine geſicherte
Grundlage zu ſchaffen.
So erſchienen nun die ſtereotypierten Ausgaben Der grie-
chiſchen und lateiniſchen Klaſſiker von Koch; Mühlmanns lateiniſches,
Koehlers engliſches Wörterbuch und das von dieſem neu bearbeitete
Schmidtſche franzöſiſche Lexikon; ferner die Opernbibliothek (Kla—
vierauszüge mit deutſchem Text), Härtels deutſches Lieder-Lexikon,
ſowie als Vorläufer der billigen Klaſſiker-Ausgaben Shakeſpeares
Werke, überſetzt von A. Böttger u. a., und zwar zu dem damals un⸗
erhört billigen Preiſe von 1% Talern. .
1862 erbaute Reclam ein neues Geſchäftshaus Dörrienſtr. 4
und zog hier ein mit der Hoffnung, daß der bis dahin beiſpielloſe
Erfolg der immer neue Auflagen nötig machenden Shakeſpeare—
Ausgaben auch bei andern billigen Klaſſiker-Ausgaben ſich ein:
— 796 —
ſtellen werde. Da trat mit dem November 1867 das neue Geſetz in
Kraft, das die Werke aller ſeit 30 Jahren und länger verſtorbenen
Autoren zum Gemeingut der Nation machte, und nun bereitete
Reclam für dieſen Termin eine Geſamtausgabe von Schillers Werken
vor, denen ſich ſpäter die von Leſſing, Goethe, Körner, Hauff, Börne,
Moliere und Byron anſchloſſen.
Neben dieſen wohlfeilen Klaſſiker-Ausgaben, vermehrt durch
die Werke Grabbes, Heines, Herders, Kleiſts, Lenaus, Longfellows,
Miltons, begann er gleichzeitig das Unternehmen, das ſeinen Namen
zu einem der geachtetſten machen und den Weltruf der Firma be—
gründen ſollte, — die Univerſalbibliothek.
Infolge des von Anbeginn an ſteigenden Abſatzes dieſer mit
dem Goetheſchen Fauſt (ſeinem Lieblingswerk) begonnenen Uni—
verſalbibliothek und der Klaſſiker war eine Vergrößerung des Ge—
ſchäftshauſes nötig geworden. Es wurde daher das Nachbargrundſtück
angekauft, und nachdem bald beide Häuſer bis zum Giebel mit Vor—
räten von gebundenen und gehefteten Büchern gefüllt waren, ſo daß
ſich für die neu anzuſchaffenden Schnellpreſſen kein Raum mehr fand,
wurde zu einem Neubau Kreuzſtraße 7 geſchritten, der 1887 bezogen
wurde. -
Den Segen feines Werkes für die Menſchheit und den Auf—
ſchwung feines aus kleinen Anfängen entſtandenen, zu einem Welt-
hauſe ſich entwickelnden Unternehmens hat er noch ſelbſt erlebt, und
als er am 5. Januar 1896 die Augen ſchloß, da ſchied er aus einem
langen, 89⸗jährigen, an Erfolgen reichen Leben.
Über die Bedeutung von Anton Philipp Reclams Werk, der
Univerſalbibliothek, für die Volksbildung und Aufklärung ein Wort
zu verlieren iſt überflüſſig; dafür ſpricht die beiſpielloſe Verbreitung
und der heute, vierzig Jahre nach dem Beginn — es ſind weit über
5000 Nummern erſchienen — ins Ungeahnte ſteigende Abſatz. Wenn
man bedenkt, wie genau Anton Philipp Reclam bei der Herſtellung
der Bändchen kalkulieren mußte, und daß ſein Nutzen nur nach
Pfennigen und Pfennigteilen berechnet werden konnte; wenn man
bedenkt, daß die Summe dieſer verdienten Pfennige ihren Ausdruck
nicht nur in dem Weltruhm der Firma findet, ſondern in ſichtbarer
Weiſe in dem Monumentalbau des Geſchäftshauſes mit feinem weit-
verzweigten Betriebe, dann begreift man erſt, welchen koloſſalen
Nutzen das Unternehmen auch für den Buchhandel gehabt hat, der
doch an dieſem Gewinn in hervorragender Weiſe teilnahm.
Seit 1863 ſtand Anton Philipp Reclam ſein einziger Sohn
Hans Heinrich Reclam, der jetzige Seniorchef des Hauſes,
zur Seite, der zunächſt im väterlichen Hauſe (1856—57) die Buch⸗
druckerei erlernte, dann als Lehrling in die J. C. Hinrichs'ſche Buch⸗
— 797 —
handlung eintrat, in der er nach beendeter dreijähriger Lehrzeit noch
bis Michaelis 1860 als Gehilfe arbeitete. 1860—62 war er bei
Orell Füßli & Co. in Zürich, dann bei Muquardt in Brüſſel und in
der Filiale in Genf tätig. 1863 trat er in die väterliche Buchhand⸗
lung ein und wurde 1868 Teilhaber der Firma.
Die bildende Kunſt hat er dadurch in ſichtbare Beziehungen
zu ſeinem Verlage gebracht, daß er im Jahre 1896 die illuſtrierte
Zeitſchrift „Univerſum“ von Alfred Hauſchild in Dresden
erwarb. Reclams Univerſum hat ſich unter ſeiner Leitung zu einer
textlich wie illuſtrativ bedeutenden Zeitſchrift entwickelt.
Wie fein Vater ihn ſchon in jungen Jahren zum Teilhaber
ſeines Geſchäftes machte, ſo hat auch er 1906 ſeine beiden Söhne,
Dr. Ernſt und Hans Emil Reclam zu Teilhabern auf:
genommen.
Quellen: „Geſchichte der Familie Reclam, zuſammengeſtellt von Carl
von Reclam“, Leipzig, April 1895 (nicht im Handel); Börſenblatt für den deutſch.
Buchhandel 1907 (H. Franke): Die Familie Reclam, Leipzig 1906.
Regiomontanus, J. Der ausgezeichnete Mathematiker
Johann Regiomontanus, eigentlich Johann Mül:
ler aus Königsberg in Franken, wo er am 6. 6. 1436 geboren wurde,
auch Molitor, Kunsperg, Johannes Germanus oder Francus ge—
nannt, errichtete 1471 mit Unterſtützung eines begüterten Nürn-
bergers, Bernhard Walther, eine Druckerei, welche ausſchließlich die
Hebung der mathematiſchen Wiſſenſchaften ins Auge faßte. Die
erſten Erzeugniſſe ſeiner Preſſe waren ein deutſcher und ein latei—
niſcher Kalender, die in Holztafeldruck ausgeführt, dann mit Typen
gedruckt wurden, und mehrere mathematiſche Werke, unter welchen
die „Ephemeriden“ für 1474—1506 die vornehmſte Stelle ein-
nahmen. |
Das Aufſehen, welches die letzte Publikatjon (in der er feine
aſtronomiſchen Beobachtungen, durch tägliche Tafeln die Conſtellation
der Geſtirne bis zum Jahre 1506 voraus zu verzeichnen, niederlegte)
erregte, war ſo groß, daß Regiomontanus durch Papſt Sixtus IV. das
Bistum von Regensburg übertragen und er ſomit zum Biſchof von
Regensburg ernannt und gleichzeitig nach Rom berufen wurde, um
dort eine Reform des Kalenders auszuführen. 1475 verließ Regio-
montanus Nürnberg, reiſte nach Italien und ſtarb am 6. 7. 1476 an
der Peſt, oder der Sage nach durch griechiſches Gift, welches ihm die
Söhne des Georg von Trapezunt für die Beſchimpfung ihres Vaters,
in deſſen Ueberſetzungen Regiomontanus grobe Fehler aufgedeckt, bei—
gebracht hätten.
Regiomontanus Druckerei befand ſich in der Karthäuſergaſſe
zu Nürnberg. Ziegler nimmt an, daß er ſelbſt garnicht gedruckt,
ſondern nur die Leitung und Aufſicht in der B. Waltherſchen
Druckerei daſelbſt geführt habe. Dem ſteht aber eigentlich der
vorkommende Ausdruck ex officina de monte regio entgegen.
Jedenfalls aber ift die Druckoffizin nach des Regiomontanus Abgang
aus Nürnberg verſchollen.
Quellen: Ziegler, Regiomontanus, Dresden 1874; Klemm, Beſchreibender
Katalog, Dresden 1884; Kapp, Buchhandel; Haſe, die Koberger, Leipzig 1885;
Panzer, Bruchſtücke zu R. Leben, Nürnberg 1797.
Reich, Ph. E. Philipp Erasmus Reich wurde am
1. 12. 1717 in Laubach in der Wetterau als Sohn des gräflich fol-
miſchen Leibarztes Reich geboren. Nachdem er in Frankfurt am
Main bei Franz Varrentrapp, einem der bedeutendſten Buchhändler
damaliger Zeit, jedoch von einem etwas rohen Benehmen, den Buch—
handel erlernt, fuchte er, ausgerüſtet mit guten Schulkenntniſſen und
einem durchdringenden Verſtande, auf einer im Intereſſe des Ge—
ſchäfts unternommenen Reiſe nach London, ſowie durch längeren
Aufenthalt in einer Stockholmer Buchhandlung durch unermüdlichen
Fleiß ſeine Geſchäftskenntniſſe immer mehr zu bereichern. 1756 kam
er in das Weidmann'ſche Geſchäft, deſſen Chef, der Hofrat Moritz
Georg Weidmann, 1743 geſtorben war. Durch unregelmäßige
Führung war dasſelbe ſchnell zurückgekommen, hob ſich aber unter
Reichs einſichtsvoller und energiſcher Verwaltung ebenſo ſchnell, ſo
daß die Beſitzerin, die Tochter Weidmanns, ſich veranlaßt ſah, ihn
1762 als Teilhaber aufzunehmen mit der kontraktlichen Beſtimmung,
daß das Geſchäft dem Ueberlebenden zufallen ſollte, worauf die
Firma in M. EQ. Weidmanns Erben & Reich umgeändert
wurde. Auf Reichs Anraten war der Meßkatalog ſchon 1759 ange—
kauft, der bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts im Beſitz der
Firma blieb.
Reich ſorgte für eine würdige Ausſtattung ſeines Verlags und
ließ die ſchönwiſſenſchaftlichen Werke mit Kupferſtichen der beſten
Meiſter zieren. Er war nicht allein Verleger, ſondern auch Freund
einer Anzahl der bedeutendſten Geiſter, z. B. Erneſti, Weiße, Zolli—
kofer, Oeſer, Ramler, Sulzer, Lavater, Gellert, Wieland u. a., und
ſein Haus war der regelmäßige Sammelplatz der geiſtigen Elite
Leipzigs. Gellert und Sulzer haben von Reich auf ſeinem Land—
gütchen zu Sellerhauſen ein Denkmal erhalten: ein bekränzter
Aſchenkrug, dem Palmen und Lorbeeren unter einem aufgeſchlagenen
Buche zur Seite liegen. Die Inſchrift beſagt: Gellerts und Sulzers
Andenken gewidmet 1781. Das Denkmal war von Profeſſor Oeſer
geſchaffen und in ſächſiſchem Marmor ausgeführt. Durch ſeine Eigen—
ſchaften erwarb er ſich ein großes perſönliches Anſehen unter den
Buchhändlern und ſein Wort hatte eine bedeutende Geltung in allen
— 799 —
Angelegenheiten des Buchhandels, deſſen Reform er mit großem und
ausdauerndem Eifer ſeine beſten Kräfte widmete.
Mit dem Fortſchreiten der Literatur hatte es nicht ausbleiben
können, daß neben manchen Berufenen auch eine ziemliche Zahl Un—
berufenener, von den anſcheinend großen Vorteilen gelockt, ſich in den
Buchhandel einniſteten. In einer 1733 erſchienenen Broſchüre:
„Eines aufrichtigen Patrioten unparteiiſche Gedanken uſw.“ heißt
es: „Verdorbene Magiſtri, halb oder gar nicht ſtudierte Studenten
und Quackſalber, verlaufene Buchdruckerjungen, fallit gewordene
Kaufleute, liederliche Kaufdiener, armſelige Schneider, herren- und
ehrloſe Laquaien wollen bei der aus Noth erwählten Buchhandlung
glücklich, reich und ehrlich werden“. Jeder Schwindel, der zu er—
denken war, um Abſatz zu erzielen, wurde damals in vollem Maße
angewendet. Betrügeriſche Proſpekte, Maſſenverkäufe um jeden
Preis, Auktionen, Lotterien waren an der Tagesordnung, dazu der
unverſchämteſte Nachdruck ſelbſt der durch kaiſerliche Privilegien ge—
ſchützten Bücher.. Als Mittel, um dieſen Uebeln zu ſteuern, ſchlägt
der Verfaſſer der patriotiſchen Gedanken einen innungsmäßigen Ver—
band der Buchhändler vor.
1764 (ſiehe Archiv f. Geſch. d. Deutſch Buchh. Bd. XII S. 224)
erſchien wiederum ein Zirkular, das wahrſcheinlich Reich zum Ver—
faſſer hatte, worin energiſch aufgefordert wurde, nunmehr endlich
dem Unweſen entgegenzutreten, und diesmal mit beſſerem Erfolge.
Durch raſtloſe Bemühungen brachte es Reich trotz der heftigen Oppo—
ſition von vielen Seiten dahin, daß ſich in der Meſſe 1765 der erſte
Buchhändlerverein, die „Buchhandelsgeſellſchaft in Deutſchland“ kon—
ſtituierte. Der Zweck derſelben war, Ordnung und feſte Regeln in
den geſchäftlichen Verkehr zu bringen, der Schleuderei und Unregel—
mäßigkeit in den Rabattbedingungen eine Grenze zu ſetzen, vor allem
aber durch gemeinſchaftliche Maßregeln energiſch gegen den Nach—
druck aufzutreten. Sechsundfünfzig Buchhandlungen, worunter die
angeſehendſten Firmen, waren die Begründer der neuen Kampf-Ge—
ſellſchaft. An der Spitze des Vereins ſtand ein Sekretär, wozu Reich
erwählt wurde, und er ſcheint dieſes Amt bis zu ſeinem Tode be—
kleidet zu haben.
Reich ſtarb hochgeehrt am 3. 12. 1787, ſiebzig Jahre alt.
Vertragsmäßig ging die Handlung auf die ihn überlebende Geſell—
ſchafterin über, welche nunmehr das Geſchäft unter der Firma
Weidmannſche Buchhandlung fortſetzte (vgl. über Reichs
Verlags⸗Unternehmungen und geſchäftliche Tätigkeit den Artikel
Weidmann). |
Der erſte Verſuch, eine Korporation zu bilden, die ſich über
das ganze Gebiet des deutſchen Buchhandels erſtreckte, ſcheint mit
— 800 —
Reichs Tod ſich im Sand verloren zu haben. Aber die einmal
angeregte Idee konnte nicht wieder untergehen, und noch vor dem
Schluß des Jahrhunderts trat ein zweiter Verein ins Leben, der,
durch Paul Gotthelf Kummer angeregt, dauernden Beſtand haben
ſollte (vergl. Ausführliches über Reichs Reformbeſtrebungen in
„Archiv für Geſchichte des Buchhandels Bd. 5 uff. — ſowie die grund—
legende Zuſammenfaſſung dieſer Vorgänge in dem von Dr. Gold⸗
friedrich in Leipzig bearbeiteten 2. Band der Kappſchen Geſchichte
des Deutſchen Buchhandels).
Quellen: Lorck, Druckkunſt und Buchhandel in “einzig, 1879; Neues
ano. Lex. II 1 (um 1820). Weitere Quellen ſiehe oben und Börſenvereins⸗
atalog
Reimarus, H. Hans Reimarus wurde am 2. 4. 1843
als älteſter Sohn von Carl Reimarus, des Beſitzers der Gropiusſchen
Buchhandlung in Berlin geboren. Er verlor früh ſeinen Vater und
ſiedelte danach mit ſeiner Mutter nach Bromberg über, wo er das
Realgymnaſium beſuchte, das er im Jahre 1862 mit dem Reife-
zeugnis verließ. Seine Neigung führte ihn dem Buchhandel zu, den
er bei Ed. Weber in Bonn erlernte. Nach beendeter Lehrzeit ging er
1865 als Gehilfe nach Prag, und als ihn 1866 der deutfch-öfter-
reichiſche Krieg von dort vertrieb, zu Georg nach Genf und ſpäter zu
Aſher & Co. in Berlin. Dieſe Stellung mußte Reimarus 1870 bei
Ausbruch des Krieges verlaſſen, um feiner Pflicht gegen das Bater-
land zu genügen. Er hat den Feldzug bis zu Ende mitgemacht und
trat dann in die Nicolaiſche Buchhandlung ein, die ſeinem Onkel
Fritz Borſtell gehörte. Dieſer nahm ihn am 1. Januar 1872
als Teilhaber in die Firma auf, die bis zu Borſtells Tode im Jahre
1896 in ihrem gemeinſamen Beſitz geblieben iſt. Von da an bis zum
Eintritt von Reinhold Borſtell am 1. Januar 1901 war
Reimarus alleiniger Vertreter der Nicolaiſchen Buch i and-
lung (vergl. Bd. IV S. 724 dieſes Werkes).
Die geſchäftliche Tätigkeit Reimarus war von außer:
ordentlichen Erfolgen gekrönt. Die Nicolaiſche Buchhandlung hatte
durch das von Borſtell ins Leben gerufene, nach ganz neuen Grund—
ſätzen eingerichtete Leſeinſtitut einen neuen Antrieb erhalten (vergl.
Bd. I S. 80 ds. Werkes). In dieſem großen Betriebe, der in Bezug
auf das Leſeinſtitut in Deutſchland an Bedeutung von keinem andern
erreicht wird, hatte Reimarus vollauf Gelegenheit, ſich nach jeder
Richtung zu betätigen. Sein Intereſſe an allem, was ſeinen Beruf
anging, machte ihn ſtets bereit zur Mitarbeit, wo er glaubte, der
Allgemeinheit nützen zu können. Der Korporation der Berliner
Buchhändler diente er viele Jahre als Vorſtandsmitglied, ferner hat
er jahrelang das Amt des Vorſitzenden im Sortimenterverein ver—
— 801 —
waltet, und eine opfervolle Tätigkeit entfaltete er in Gemeinschaft
mit R. L. Prager bei der Errichtung und Leitung des im Jahre 1884
begründeten Berliner Vereinsſortiments. Reimarus ſtarb am
19. 6. 1902.
Quellen: Korporationsbericht der Berliner Buchhändler 1902.
Reimer, D. Das Geſchäft wurde am 1. 1. 1845 von Die-
trich Arnold Reimer unter der Firma: Buch- und Qand-
kartenhandlung von Dietrich Reimer in Berlin begründet und
blieb in den erſten Jahren nur auf den Sortimentsbetrieb beſchränkt.
Im Jahre 1847 übernahm die Firma den größten Teil der geogra—
phiſchen Werke und des Kunſt-Verlages von Georg Reimer.
1851 wurde das geographiſche und topographiſche Inſtitut von
A. von Meyer in Berlin käuflich übernommen.
Es begann von dieſem Zeitpunkt an eine ſelbſtändige Verlags-
tätigkeit, welche bald eine größere Ausdehnung gewann. Infolge
dieſer Erweiterung des Verlages wurde das Sortiments Geſchäft
im Jahre 1858 aufgegeben und an Herm. Quaas (ſeit 1884 im
Beſitze von Wilhelm Schulz) verkauft (vergl. S. 783 d. Bods.
Gleichzeitig erfolgte die Verlegung der Reimerſchen Handlung
nach der Anhaltſtraße Nr. 11 und ſpäter nach Nr. 12, von wo ſie am
1. 10. 1896 nach dem jetzigen Lokal Wilhelmſtraße 29 überſiedelte.
Am 1. 1. 1868 trat Hermann Auguſt Höfer als Mit—
beſitzer in das Geſchäft ein und wurde die Firma von dieſem Zeit—
punkt an in Dietrich Reimer (Reimer & Hoefer) ge—
ändert.
Hermann Hoefer, geboren 1835, erlernte den Buchhandel bei
Brünslow in Neubrandenburg und war dann als Gehilfe in Nord—
hauſen, Mainz, Frankfurt a. M., Berlin und Prag tätig. 1861—65
leitete er die Weidemannſche Buchhandlung in Berlin und trat darauf
als Prokuriſt bei der Firma Dietrich Reimer ein. Nach Jahresfriſt
machte ihn der damalige Alleininhaber zum Mitbeſitzer des Geſchäfts.
In unermüdlichem Fleiß waren beide beſtrebt, die vorhandenen
großen Kartenwerke zu verbeſſern, neue große wiſſenſchaftliche Unter—
nehmungen auf dem Gebiete der Erd- und Länderkunde zu fördern
und anzuregen, und der Fabrikation von Erd- und Himmelsgloben
einen neuen Aufſchwung zu geben. 1891 ſchied Reimer aus der
Firma aus, ſeinen Geſchäftsanteil Konſul E. Vohſen überlaſſend,
1895 folgte ihm Hoefer nach.
Unmittelbar nach ſeinem Ausſcheiden erwarb Hoefer den
Rentelſchen Verlag in Potsdam, gegr. 1848 (fcit 1868
getrennt in J. Rentels Verlag und J. Rentels Buchhand—
lung, die feit 1883 unter der Firma Paul Dienemann fort:
51
— 802 —
geführt wird), der weſentlich aus gut eingeführten Schulbüchern
beſtand und baute dieſen ſorgfältig aus, vorzugsweiſe durch den An—
kauf von E. Gruihns Verlag in Danzig, der vorzüglich die
Schulbücher von Rektor Krüger in Königsberg enthielt. Hermann
Hoefer war langjähriges Mitglied des literariſchen Sachverſtändigen—
vereins und gerichtlicher Sachverſtändiger in Verlagsangelegen—
heiten. Neben dem eigenen Geſchäft ſtand er ſeit 1900 als Vertreter
mit Generalvollmacht an der Spitze der Firma Carl Regenhardt in
Berlin.
Dem Vorſtande der Korporation der Berliner Buchhändler
hat Hoefer (T 16. 7. 1901) in den Jahren 1884 bis 1886 angehört.
Auch der Börſenverein hat ihn wiederholt in den Rechnungs- und
Vereinsausſchuß gewählt, und als im Jahre 1888 die Vereinigung
der Berliner Mitglieder des Börſenvereins als Organ des Börſen
vereins gegründet wurde, da war es Hermann Hoefer, der an di—
Spitze des neuen Vereins trat.
Mehr als zwei Jahrzehnte hat Hoefer das mühevolle Amt eines
Schriftführers des Unterſtützungsvereins deutſcher Buchhändler und
Buchhandlungsgehilfen verwaltet.
Am 1. 10. 1891 ſchied der Gründer der Firma D. Reimer
infolge hohen Alters und aus Geſundheitsrückſichten aus; an ſeine
Stelle trat Konſul Ern ſt Vohſen als Mitinhaber ein, in deffen
Alleinbeſitz, nachdem auch Hoefer, wie oben mitgeteilt, aus der Firma
ausgeſchieden, das Geſchäft am 1. 1. 1895 überging und unter der
Firma Dietrich Reimer (Ernſt Vohſen) weitergeführt
wird.
Mit Verlegung der Geſchäftsräume nach Wilhelmſtraße 29
wurde mit der Verlagshandlung eine Lithographiſche Anſtalt mit
Steindruckerei und eine Buchbinderei verbunden, und die bisher in
Potsdam beſtehende Fabrik für Erd- und Himmelsgloben nach
Berlin übernommen. Das Kartographiſche Inſtitut wurde vom
1. Januar 1900 ab in der Art erweitert und ausgeſtaltet, daß die
Abteilung für Klein-Aſien und die alte Geſchichte unter Richard
Kiepert in der Lindenſtraße verblieb, die Abteilung für die Karto—
graphie der Deutſchen Schutzgebiete und die allgemeine Kartographie
unter die Leitung von Paul Sprigade und Max Moiſel geſtellt
wurde.
Vom 1. April 1902 ab wurden eine eigene Kupferſtecherei
und Kupferdruckerei und in Verbindung mit ihnen eine Verſtäh—
lungsanſtalt und Stätte für galvaniſche Einlagerungen dem Betriebe
angegliedert, vornehmlich zur Herſtellung der von dem Reichs—
Marine⸗Amt herausgegebenen Deutſchen Admiralitätskarten, deren.
Hauptvertriebsſtelle fich in den Händen der Verlagsanſtalt befindet.
— 803 —
Insgeſamt beſchäftigte die Verlagshandlung in den verſchie—
denen Betrieben am 1. Januar 1908 ein Perſonal von über hundert
Köpfen.
Aus dem umfangreichen Verlag können wir hier nur die
hervorragendſten Unternehmungen nennen. An der Spitze ſtehen
die berühmteſten Namen der erdkundlichen Forſchung. Im Einzelnen
ſeien genannt: H. Kiepert (Atlanten); Kiepert-Partſch, Deutſcher
Kolonialatlas; Zeitſchrift für allgemeine Erdkunde, 1853 uff.; H.
Berghaus, See-Atlas; eine umfangreiche Sammlung Berliner Pläne,
Provinzial- und Geſamtkarten von Preußen und Deutſchland ſowohl
als den übrigen Ländern Europas ſowie der anderen Erdteile; die
vom Richsmarineamt herausgegebenen Segelhandbücher; E. Curtius,
Stromkarten der deutſchen Flüſſe; Ritters Atlas von Aſien uſw.
Hieran ſchließt ſich ein bedeutender Schulverlag (Atlanten, Welt—
karten, Sternkarten, Bücher) ſowie die Sammlung der von R. Kie—
pert redigierten Erd- und Himmelsgloben. Aus dem Gebiete der
ſpeziellen Länder- und Völkerkunde ſeien noch erwähnt: A. Baſtian,
Verhandlungen der Deutſchen Kolonialgeſellſchaft; O. Kunhardt
(Wanderjahre eines jungen Hamburger Kaufmannes); Zeitſchrift
für afrikaniſche und ozeaniſche Sprachen; Humann-Puchſtein, Reiſen
in Kleinaſien; Deutſch-Oſtafrika, Wiſſenſchaftliche Forſchungsreſul-
tate über Land und Leute (etwa 300 M. Ladenpreis); Stuhlmann,
Mit Emin Paſcha ins Herz von Afrika; Dames, Geologiſcher Erd—
globus; Die Schriften H. W. Doves; F. Richthofen, China; R. Lep⸗
ſius, Geologie von Attika; Lades Relief-Mondgloben. Hierzu
kommen noch Kunſtſachen und architektoniſche Werke wie: Abbil—
dungen und Beſchreibung ſämtlicher Ritterorden und Ehrenzeichen,
M. 540 Ladenpreis; Abbildungen ſämtlicher Wappen der Staaten,
M. 300 uft.
Quellen: Verlagskatalog Reimers 1899; Korporationsbericht der Berl.
Buchhändler 1901.
Reimer, G. Georg Andreas Reimer war der Sohn
eines Kaufmanns in Greifswald , wo er am 27. 8. 1776 das Licht
der Welt erblickte. Mit ſeinem 14. Jahre verließ er das mütterliche
Haus; den Vater hatte er ſchon frühzeitig verloren. Er erlernte den
Buchhandel in der Greifswalder Filiale der Langeſchen Buchhand—
lung in Stralſund. Gottlieb Auguſt Lange [F 1796] beſaß
auch ein Geſchäft in Berlin, in das Reimer als Geſchäftsführer ein-
trat. — Nachdem er fih am 28. 12. 1800 verheiratet hatte, wurde fein
Haus der Mittel- und Anziehungspunkt der hervorragenden Berliner
Gelehrten- und Schriftſtellerwelt. Der Mediziner Adolph Müller,
der in Reimers Hauſe viel verkehrte, ſchreibt am 15. 6. 1807 über ihn:
„In Reimers Haufe verſammeln ſich die lieblichſten und geſcheidteſten
| aT
— 804 —
e
Leute . . .. Dieſer Reimer, der gebildetſte Buchhändler, den es
wohl geben möchte, iſt mir ſehr lieb.“ Schleiermachers Freund
Jonas rühmt von Reimer „Sein Haus blieb die geſuchte, immer
offene Stätte für die ausgezeichnetſten Männer des deutſchen Vater—
landes“.
Der Verlag Georg Andreas Reimers iſt ein wiſſenſchaftlicher
von Anfang an geweſen und gehört heute noch zu den Führenden
dieſer Gruppe. Den Grundſtock ſeines Verlages bildeten die Publi—
kationen der Realſchulbuchhandlung. Dieſes Geſchäft
beſtand ſeit dem 29. 10. 1749 und zählte zu den angeſehenſten Ber-
liner Geſchäften. Oſtermeſſe 1818 erwarb es den größten Teil des
ehemaligen Himburgſchen Verlages. Der Buchhändler
Chriſtian Friedrich Himburg war wegen ſeiner Derb—
heit im geſchäftlichen Verkehr im ganzen deutſchen Buchhandel be—
kannt, als Verleger aus der Zeit unſerer Klaſſiker kennt man ihn in
weiteren Kreiſen. Auch ſein Geſchäft iſt aus einem anderen hervor—
gegangen, nämlich aus der Firma Johann Jacob Kanter,
einer Filiale des Kanterſchen Geſchäftes in Königsberg i. Oſtpr., die
Himburg am 1. 1. 1770 erworben hatte und unter ſeinem Namen
weiterführte.
Im Juni 1800 hatte er die Leitung der Realſchulbuchhand—
lung in Berlin übernommen. Dieſelbe hatte in den Jahren 1784
bis 1796 unter der Verwaltung eines der Lehrer nur eine Geſamt—
einnahme von 57 897 Talern erzielt, und dagegen eine Ausgabe von
56013 Talern verurſacht. Reimer übernahm die Handlung im
Erbpachtsvertrage vom 1. 1. 1801 gegen eine jährliche Pacht von
500 Talern, die nach den Rechnungen der Schule bis zum Jahre 1823
gezahlt wurde. Noch 1800 bot ihm Schleiermacher einen Band Pre—
digten an, und 1801 erſchienen die berühmten Monologe in Reimer's
Verlag. Bald ſchloſſen ſich andere berühmte Autoren an Reimer an,
wie die Gebrüder Schlegel, Fichte, Tieck, Novalis, Kleiſt, Arndt,
Fouqué, Jean Paul, Niebuhr, die Gebrüder Grimm, Humboldt,
Bekker, Lachmann, Ritter und andere. Auch der Kunſtverlag wurde
gepflegt: in lithographiſchem Farbendruck erſchienen die Zahn'ſchen
Wandgemälde aus Pompeji, und in Kupferſtich die Cornelius'ſchen
Entwürfe zu Goethe's Fauſt und den Nibelungen. Zugleich ver—
mehrte der unternehmende Mann ſeinen Verlag durch Ankauf ganzer
Verlagshandlungen ſowie Teile ſolcher. So gingen durch Kauf in
ſeinen Beſitz über Teile des Verlages von Breitkopf und
Härtel in Leipzig, Matzdorf in Berlin, Joachim Pauli
in Berlin, Quien Verlag in Berlin, Maureri h e Buch—
handlung in Berlin, Ungerſche Buchhandlung in Ber⸗
lin, Schoene-Berlin und endlich Beygang Berlin, ſo daß
== 805: =:
beim Tode Reimer’s feine Fachgenoſſen in einem Nachruf ihm nach⸗
rühmen konnten, daß er durch eigene Kraft von kleinen Anfängen ſich
bis zum Beſitze einer Verlagshandlung heraufgearbeitet habe, die an
Wert und Umfang höchſtens einer, an Ehrenhaftigkeit und Gediegen—
heit des Verlages keiner weiche. In das Jahr 1822 fällt der Erwerb
der Weidmannſchen Buchhandlung (vergl. dieſ. Artikel).
1815 kaufte Reimer das ſtattliche Sacken'ſche Palais in der Wilhelm-
ſtraße Nr. 73, verlegte im folgenden Jahre die Buchhandlung in
dieſes Haus und richtete dort auch eine eigene Druckerei ein — ſpäter
kaufte er auch die früher Göſchenſche Druckerei in Grimma.
— Kaum hatte er ſein Geſchäft begründet, als der große Korſe die
Welt beunruhigte und bald auch unſer Vaterland unterjochte. Berlin
wurde eingenommen, von den Feinden und den Bürgern die Waffen
abgefordert. Ob Reimer auch viele Waffen im Hauſe hatte, er lie—
ferte ſie nicht aus und ſoll, wie Fouqué berichtet, den warnenden
Freunden trotzig entgegnet haben: „Laßt ſie ſuchen bei mir, ich kann
ihnen nicht wehren. Und wenn ſie was finden, laßt ſie mich er—
ſchießen, wenn ſie wollen und können. Ich überliefere mich nicht
freiwillig, wehrlos in ihre Gewalt; die Wehr bedingt den Mann, kein
Mann ohne Wehr.“ Und entſprechend dieſen Worten war ſein
ganzes Verhalten und Tun. Sein Haus wurde der Sammelplatz
für alle, welche an der Wiederbefreiung des Vaterlandes im Stillen
arbeiteten, auch für diejenigen unter ihnen, die vom Eroberer ge—
ächtet und verfolgt, nur unter großer Gefahr beherbergt werden
konnten. Und als dann der von ihm und allen Patrioten heiß er—
ſehnte Befreiungskampf endlich vom Könige gewagt wurde, da ſtellte
ſich der Sechsunddreißigjährige freiwillig mit Hintanſetzung ſeiner
geſchäftlichen Intereſſen und mit Zurücklaſſung ſeines Weibes und
ſeiner damals ſechs lebenden Kinder der Landwehr. Geſund kehrte
er heim und widmete fich von Neuem mit aller Kraft feinen Verlags-
unternehmungen. |
Für die Geſamtheit des Buchhandels war er ebenfalls un-
ermüdlich tätig: als Komiteemitglied des Börſenvereins für den
Bau eines Börſengebäudes, als Teilnehmer an der Beratung buch—
händleriſcher Reformen uſw. Reimer gilt auch als der Verſender
der erſten gedruckten Remittendenfaftur. Im Kampf mit der
Zenſur ſehen wir ihn oft in der vorderſten Reihe ſtehen.
Sowohl als Stadtverordneter wie auch als unbeſoldeter Stadt—
rat hat Reimer der Reichshauptſtadt lange Jahre gedient. Nebenbei
war ihm ein großer Kunſtſinn eigen. Ganze Sammlungen von be—
deutendem Umfange, wie namentlich die des Freiherrn von Hutten
in Würzburg, kaufte der unternehmungsluſtige und ſammeleifrige
Mann an, auch wenn es ihm nur um einzelne darin befindliche
— 806 --
Kunſtwerke zu tun war. So hinterließ er bei ſeinem Tode eine An—
zahl von mehr als 2000 Gemälden, von denen bei der 1843 erfolgten
Verſteigerung mehrere für die Sammlung des Berliner Muſeums
erworben wurden. Die in ſeinem Beſitz befindlichen Original—
zeichnungen ſeines Freundes Cornelius zu den Nibelungen ſind
ſpäter an das Stadelſche Inſtitut zu Frankfurt a. M. übergegangen.
Reimer ſtarb nach kurzem Kränkeln in voller Lebenskraft am 26. 4.
1842. Voll Schmerz widmen ihm ſeine Freunde alsbald folgenden
ſeltenen Nachruf: „Reimer iſt todt! Dieſes Wort geht unter
den Kollegen, die hier verſammelt ſind, von Mund zu Mund
durch die Hallen der Börſe, auf der Straße, wenn Einer dem Andern
begegnet, bei den abendlichen Zuſammenkünften — wo Buch—
händler ſind, da gedenken ſie des verſtorbenen Kollegen, da erfüllt
ſie das Gefühl deſſen, was der Buchhandel an ihm verloren
hat. Wir ſagen: des Kollegen, denn das war und blieb er von
Anfang bis zu Ende, er wollte nie etwas anderes ſein oder vorſtellen
als einen Buchhändler. Mühſam und mit der ganzen Anſtrengung
ſeines kräftigen und feurigen Geiſtes hat er ſich heraufgearbeitet von
kleinen Anfängen bis zum Beſitze einer Verlagshandlung, die an
Wert und Umfang höchſtens einer, an Ehrenhaftigkeit und Ge—
diegenheit des Verlags im Vaterlande keiner weicht. Aber immer
blieb er ſich darin gleich, daß er nur Buchhändler ſein wollte. — Er
ſchätzte keinen Kollegen gering, unterſtützte ſtets die Anfänger mit
Kredit, Fürwort und freundſchaftlichem, väterlichen Rathe. An unſern
Börſenangelegenheiten nahm er den wärmſten Antheil und vertrat
auch hier die Intereſſen der Maſſe, namentlich der kleinen Buch—
händler, mit der ihm eigenen Energie gegen die Anmaßungen der—
jenigen Richtung unter uns, welche man die ariſtokratiſche nennen
könnte, wenn das Wort nicht zu leicht mißverſtanden werden würde.
Die böſe Vornehmheit, welche, wo ſie ſich einniſtet, ſo leicht den
reinen Stahl der Bürgerlichkeit anfrißt und ihren Glanz verdunkelt,
war ihm gänzlich fremd. Und er war ein Bürger, ein patriotiſcher
Bürger ſeines Vaterlandes. Sein Haus war zur Zeit der Fremd—
herrſchaft der Sammelplatz vaterländiſch geſinnter Männer, es war
eine Schmiedewerkſtatt, in welcher die Waffen des Geiſtes, wodurch
das Vaterland befreit werden ſollte, geſchmiedet wurden; Männer
wie Fichte, Schleiermacher, Arndt und andere ihm perſönlich be—
freundete, führten den Hammer. — Dieſer Geſinnung iſt er treu
geblieben bis zum Tode, er iſt ihretwegen oft verkannt worden, theils
weil Andere anders wurden, theils — wir wollen dies gern ein—
geſtehen — weil ſein Feuereifer, wie er ihm Verſtellung unmöglich
machte, ſo wohl auch mitunter der Mäßigung entbehrte. Aber der
Grund ſeiner Geſinnung war immer edel und männlich. Ja! Er
— 807 —
war ein Mann; er beſaß Muth, Ausdauer und unbeugſame Willens:
kraft, die zuweilen wohl in Hartnäckigkeit überſchlug, aber wollte
der Himmel, wir hätten mehr ſolche eiſerne Naturen, wenn wir uns
auch manchmal an ihren ſcharfen Ecken wund ſtoßen ſollten; und ihm
fehlte es auch nicht an Weichheit und Wärme des Gefühls, an herz—
gewinnender Freundlichkeit und an freudiger Bereitwilligkeit zu
großartigen Opfern für ſeine Freunde und für die Freunde des Va—
terlandes. Er war auch ein Mann der Arbeit, der er ſich nie entzog,
ſondern mit Leidenſchaft oblag, und ein Mann von ſeltenem Scharf—
blick, großer Umſicht und Klugheit und glücklicher Vorausſicht. Das
beweiſt der Erfolg ſeiner Unternehmungen, die minder begabten und
kräftigen Naturen oft gewagt ſchienen, ehe er ſie gemacht und glücklich
hinausgeführt hatte. Aber er war klug genug, ſeine Klugheit nicht
zur Schau zu tragen.“
Nach des Vaters Tode übernahm Georg Ern ſt Reimer,
geb. am 25. 11. 1804, die Buchhandlung und die damit verbundene
Druckerei. Er hatte in Berlin die Plamannſche Schule beſucht und
ſodann das Friedrich-Wilhelms-Gymnaſium abſolviert. In Berlin
und Bonn beſuchte er die Univerſität und trat dann 1826 in die
Buchhandlung ſeines Vaters ein, der ihn bald nachher als Teil—
haber aufnahm. Reimer war weniger kühn und wagemutig als ſein
Vater; aber dieſe Eigenſchaften waren auch für den Fortführer des
bereits zu großartigem Umfange angewachſenen Verlagsgeſchäftes
nicht ſo wichtig, als ſie es für den Begründer geweſen waren. In
den anderen Tugenden, der Ehrenhaftigkeit, Zuverläſſigkeit und Um—
ſicht ſtand er dem Vater keineswegs nach. So mannigfaltig ſein
Verlag war und ſo wenig Reimer die freie Bewegung der Heraus—
geber, mit denen er in Verbindung trat, beſchränkte, ſo einheitlich
blieb fein Verlag doch darin, daß er ein vornehm wiſſenſchaftliches
Gepräge trug. Alle blos buchhändleriſche Spekulationsware, alle
unwiſſenſchaftliche, geſchweige denn alle dem Inhalt oder dem Tone
nach niedrige Literatur blieb aus Reimer's Verlage ausgeſchloſſen,
ſo daß ſeine Firmabezeichnung an und für ſich ſchon jedem Buche als
Empfehlung galt, und andererſeits die Geſchichte der Wiſſenſchaft
das Andenken an ſeine Wirkſamkeit dauernd in Ehren halten wird.
Aus der Fülle der Verlagsautoren aus dieſer zweiten Periode der
Verlagsentwicklung nennen wir F. A. von Ammon, A. Baſtian,
Chr. Bellermann, J. J. Bernoulli, Th. Billroth, Fr. Bleek, Ch. A.
Brandis, H. Burmeiſter, Du Bois-Reymond, E. Förſter, Jul. Fried-
länder, A. Furtwängler, W. Gak, J. Grimm, E. Haeckel, Fr. Köſtlin,
K. Lachmann, R. Lepſius, H. v. Moltke, J. Müller, B. G. Niebuhr,
W. C. H. Peters, G. H. Pertz, E. und O. Pfleiderer, Riedel (Codex
Diplomaticus Brandenburgensis), C. Ritter, G. Schweinfurth,
— 808 —
H. v. Treitſchke, H. Virchow, W. Wattenbad uſw. Zu der Ueber-
nahme des Verlags der Proteſtantiſchen Kirchenzeitung und der
Preußiſchen Jahrbücher, die er auch in Zeiten, wo ſie Opfer erfor—
derten, nicht fallen ließ — traten im Laufe der Jahre hinzu: Archiv
für pathalogiſche Anatomie 1847 uff.; Fortſchritte der Phyſik 1845
uff.; Jahrbuch über die Fortſchritte der Mathematik 1868 uff.; Reit-
ſchrift für Pſychiatrie 1870 uff.; Archäologiſche Zeitung 1843 uff.
uſw. uſw.
Neun Jahre lang war Reimer Mitglied des preußiſchen Ab—
geordnetenhauſes und über ein Vierteljahrhundert Mitglied der Per-
liner Stadtverordnetenverſammlung. Reimer ſtarb am 5. 1. 1885.
Die Korporation der Berliner Buchhändler, die in ihm ihren Neſtor
verehrte, widmete einen Nachruf, wie er glanzvoller kaum dem Vater
zugedacht worden war. „G. E. Reimer,“ ſo leſen wir darin, „hat
faſt zwei Menſchenalter unſerm Berufe angehört in einer eminenten
Wirkſamkeit ohne Gleichen! Dies Bild buchhändleriſchen Wirkens,
es gehört gewiſſermaßen der Geſchichte der Wiſſenſchaft ſelbſt an:
denn mit dieſer war und iſt dasſelbe für alle Zeit verbunden. Kein
Gebiet wiſſenſchaftlicher Arbeit unvertreten in ſeinem Geſchäftskreiſe,
und faſt auf jedem Gebiet von erſten geiſtigen Größen im Vertrauen
umſtanden! Und wie groß auch die Mannigfaltigkeit der Disziplinen,
der Namen, der Erzeugniſſe ſeines Bereiches: — das Ganze durch—
webt von einem, dem Reimerſchen Geiſt!
Und in dem ganzen Bereich ſeiner Lebensarbeit: im Beruf,
bei den Arbeiten in unſerer Korporation, deren Mitbegründer und
erſter Vorſteher er geweſen, im Börſenverein des Deutſchen Buch—
handels, zu deſſen Vertretung er mehrmals berufen, im Litterariſchen
Sachverſtändigen-Verein, wo ſein erleuchtetes Wiſſen viele Jahre
Gehör gefunden, in der Stadtverordneten-Verſammlung, der er über
ein Vierteljahrhundert angehört, und in Rückſchau auf ſein parla—
mentariſches Wirken als Vertreter der Stadt Berlin, — allüberall
erſcheint der Heimgegangene als ein Mann von reicher Begabung
und ſtrengſter Pflichttreue, als ein Urbild jeder Bürgertugend —
inmitten alles Glückes und aller Ehren den Grundzug ſeines Weſens,
Anſpruchsloſigkeit, niemals verleugnend! Und darum wird ſein
Name: der Name Georg Reimer überall, wo immer Spuren ſeiner
Wirkſamkeit zu finden, in Ehr' und Dank genannt; ihm iſt ein ge—
treues Angedenken ſicher in dem allerweiteſten. Umfange, auf lange
Zeit, im deutſchen Buchhandel, in der deutſchen Wiſſenſchaft, in der
Chronik von Stadt und Staat!“ —
Seit 1876 hatte G. E. Reimer ſein Sohn Ernſt Reimer,
geb. 5. 7. 1833, geſtorben 19. 10. 1897 in Jena, treu zur Seite ge—
ſtanden, ſeit 1885 das Geſchäft als alleiniger Inhaber fortgeführt.
— 809 —
Am 1. 1. 1897 übergab er es an den jetzigen Inhaber Walter de
Gruyter, geb. 10. 5. 1862. Im Jahre 1902 erwarb dieſer den
archäologiſch und orientaliſchn Teil des Verlages von W. Spe-
mann in Stuttgart und hat ſeitdem eine umfangreiche Verlags⸗
tätigkeit entfaltet.
Quellen: Neuer Nekrolog der Deutſchen 20. Jahrg; Arndt, G. A. R., Berlin
1842; Buchhändler⸗Almanach 1863; Frommann, Geſch. d. Börſenvereins, Leipzig
1875; Korporationsbericht der Berliner Buchhändler 1886; Schulz, Adreßbuch
1887; H. Reimer, G. A. R., Berlin 1900; Archiv f. Geſch. d. deutſch. Buchh. 1,
2, 6, 8, 9; Allgem. deutſche Biographie; Verlagskataloge 1831, 1885, 1903 u. ff.;
Allgem Big, vom 11. Dez. 1891 (G. Hirzel); Börſenblatt f. d. deutſchen Buch⸗
handel 1876; G. Kreyenberg, die Weidmann'ſche Buchh. u. G. A. R. in Buchh.⸗
Akademie 1885; Nachrichten aus dem Buchhandel 1897 Nr. 1 (vergl. außerdem
Börſen⸗Vereins⸗Bibliothekskatalog).
Reimmann, A. Aug. Reimmann wurde als jüngſtes der
fünf Kinder des StrafanſtaltsdirektorsR. zu Ueckermünde am 4. De⸗
zember 1817 geboren. Sieben Jahre alt, verlor er den Vater; mit
der Mutter zog er nach Stargard, wo er im dortigen Pfarrhauſe eine
freundliche Aufnahme fand. In Stargard erlernte er auch den Buch—
handel und trat 1841 ſeine erſte Gehilfenſtelle in Bamberg an. Ende
1843 übernahm Reimmann die Geſchäftsführerſtelle in der Buch⸗
handlung von Craz und Gerlach in Freiberg (vergl. Bd. I
S. 158 d. W.), machte aber vier Jahre ſpäter ſich ſelbſtändig durch
Errichtung einer dritten Buchhandlung am dortigen Platze. Unter
ſeinen Mitbürgern ſehr beliebt, wählten ihn dieſelben zum Stadt⸗
verordneten, ſpäter zum Stadtrat und im Jahre 1848 wurde er als
Landtagsabgeordneter in die ſächſiſche Kammer entſandt. Die Grün⸗
dung einer politiſchen Zeitung, des „Freiberger Tageblattes“, und
einer eigenen Druckerei gaben dem ſchaffenden Geiſte neue Nahrung.
1849 beteiligte fic) Reimmann an dem Maiaufſtand in Dres-
den und zog ſührend in den Kampf. Beinahe hätte die Kugel eines
Wachtpoſtens ſeinem Leben ein vorzeitiges Ende bereitet. Er mußte
fliehen, verlor Hab und Gut und fand erſt in der Schweiz eine neue
Heimat. Die Reimmannſche Buchhandlung in Freiberg
war inzwiſchen an einem Bruder ſeiner Frau, Carl Julius
Frotſcher, verkauft worden. Seit 1894 befindet ſich die r o t-
ſcherſche Buchhandlung im Beſitze von Wilhelm Jahn.
Kaum mit dem Nötigſten verſehen betrat der flüchtige Rei-
mann den ſchweizeriſchen Boden. Ein Bruder Freimaurer, den er
auf der Reife kennen lernte, nahm ihn mit nach Aarau, wo Reim⸗
mann in der Sauerländerſchen Buchhandlung ein Unterkommen
fand. Nach Aufgabe dieſer Stellung ſiedelte er 1852 nach Frauen⸗
feld über und errichtete hier unter der Firma Verlags-
Com toir wiederum ein eigenes Geſchäft. Mit aller Energie wurde
das neue Unternehmen begonnen, die noch heute weit verbreiteten
— 810 —
Zähringerſchen Rechenhefte verlegt und die Heute noch beſtehende
„Thurgauer Zeitung“ ins Leben gerufen. 1855 ging die Sortiments-
abteilung an Alexander Louis über, von dem ſie 1860 an
Otto Linnekogel und J. Huber kam und nunmehr unter der
Firma J. Hubers Buchhandlung fortgeführt wurde.
| In Gemeinschaft mit feinem Landsmann Philipp Knoch
erwarb Reimmann nunmehr die damals dem Konkurs nahe Buch—
handlung von Meyer u. Zeller in Zürich. Mit unentwegtem
Fleiße baute Reimmann ſeinen von Frauenfeld überführten Verlag
aus. Sein Hauptaugenmerk richtete er auf die Einführung guter
Schulbücher, mit denen er auch großen Anklang fand. Unter det
gleichen Firma Meyer u. Zeller gründete Reimmann ein Filial—
geſchäft in Glarus, das er 1873 ſeinem Geſchäftsführer J. J. Baeſch—
lin überließ. Auch einen größeren Teil feines Verlages trat Reim-
mann 1873 an J. Vogel in Stuttgart ab, der denſelben unter der
Firma Meyer u. Zellers Verlag in Stuttgart fortſetzte.
Reimmann ſtarb am 13. 12. 1878, das Geſchäft ging an au
Eu Hg und Otto Reim mann über. ERGY SE
Quellen: Och. ä e der ey an > R. Fe 1879.
Rein, G. C. W. eat Carl b Rein wurde
am 5. 11. 1767 in Potsdam geboren, wo fein Vater Sekretär und
Regiſtrator am Militärwaiſenhaus war. Da der Vater ſehr früh
ſtarb, wurde der junge Rein ſelbſt in das Waiſenhaus aufgenommen,
wo er unter der beſonderen Aufſicht Profeſſor Müchlers heranwuchs.
Dieſer brachte ihn auch 1785 in die buchhändleriſche Lehre zu G. A.
Lange in Berlin, von: wo er nach Leipzig zu Heinſius als Gee
hilfe! ging. ö
Als Schwiegerſohn von + Heinſtus⸗ machte Rein ſich 1795 ſelbſt⸗
ſtändig und warf ſich vorzüglich auf das Kommiſſionsgeſchäft, das
bald eins der angeſehendſten wurde. Auf Veranlaſſung ſeines
Schwagers aſſocierte er ſich mit dem Kommiſſionsrat Heun, dem
unter dem Pſeudonym Clauren ſo beliebt gewordenen damaligen
Modeſchriftſteller, welcher ein Kapital von 10 000 Talern in das
Reinſche Geſchäft einlegte. Die Firma wurde nun in W. Rein & Co.
geändert. Heun machte im Intereſſe des Geſchäftes fortwährend
ausgedehnte Reifen “und fammelté fo tatſächlich eine europäiſche
Kundſchaft. Die Handlung, die namentlich nach Rußland brillante
Geſchäfte machte (ſie hatte für dieſe Abteilung allein 4 Angeſtellte),
hatte einzelne Abnehmer, die an Sortiment jährlich für 5—12 000
Taler bezogen. Dieſen guten Geſchäftsgang umterbrachen' jäh die
politiſchen Ereigniſſe der Jahre 1806-07, die das ganze Sortiments⸗
geſchäft brach legten und die Handlung faſt an den Ruin brachten.
— 811 —
Mit der durch die Leipziger Völkerſchlacht. e neuen Beit
wurde auch das Geſchäft wieder lukrativer.
Seit 1819 wurde die Firma unter dem Namen Rei aes 0 e
Buchhandlung gert und im Jahre 1840 (Rein ſtarb am 19. 4.
1844) an Karl Heubel verkauft. 1873 ging das Geſchäft durch
Kauf an L. A. Colditz u. Wilhelm Maule über, während
1893, nach Ausſcheiden des erſtgenannten, Carl Friedrich
Lücke als neuer Geſellſchafter eintrat und die Buchhandlung von da
ab unter ſeinem Namen fortführte. Lücke löſte das Kommiſſions—
geſchäft auf und widmete ſich ausſchließlich dem Verlag. Im Lückſchen
Verlag erſcheinen auch die Briefmarken-Albums von Schaubek, Fidora,
Hugo, Richard, Victoria und Lücke ſowie Albums für Anſichts—
poſtkarten. or U on 4 |
Quellen: Neuer Nekrolog der Deutſchen 1844, Weimar 1846.
Reindl, J. B. Bambergs bedeutendſte Druckoffizin iſt die im
Jahre 1695 von dem akademiſchen Hofbuchdrucker Georg An-
dreas Gertner begründete Reindlſche Buchdruckerei,
die 1753 von Georg Chriſtoph Gertner übernommen wurde.
Dieſer Drucker, der nebenbei noch die Aemter eines „Lieutnants und
Auditors“ verſah, der als Gaſtwirt ſein Gewerbe ausübte und als
Poet ſich bemerkbar machte, rief 1754 die erſte Bamberger Zeitung,
die „priviligirten wöchentlichen Frage- und Anzeige-Nachrichten“ ins
Leben. 1770 erſchien bei ihm der erſte „Hof-Standes- und Staats-
Kalender“ des fürſtlichen Hofſtiftes Bamberg. 1789 ging die Offizin
an Joh. Michael Kaſimir Gertner über und nach deſſen
Tode, 1798, erſcheint durch Wiederverheiratung ſeiner Witwe mit dem
Stadtrat Johann Baptiſt Reindl letzterer als Inhaber des
Geſchäftes. Reindl war bis dahin Geſchäftsführer der Göbhardt—
ſchen Buchhandlung in Bamberg geweſen. 1806 ließ
Napoleon I. in Reindls Druckerei — zwangsweiſe von feinen Staats-
druckern — jene bekannte Kriegserklärung an Preußen drucken, der
die Schlacht von Jena folgte. 1814 erſchien das erſte Bamberger
„Adreßhandbuch“ bei Reindl, und alljährlich ein ſehr verbreiteter
Lokal⸗Kalender; Carullos kurzer Unterricht über den „Jubelablaß
nebſt Liedern“ wurde in 40 000 Auflage verbreitet. 1831 wurde das
Geſchäft von Johann Michael Reindl übernommen, der,
humaniſtiſch gebildet, mit dem Bibliothekar Jäck ſehr befreundet war.
Aus dieſer Verbindung floß eine reiche verlegeriſche Wirkſamkeit.
So wurden gedruckt und verlegt von Reindl Jäcks bekannte Bam—
berger Annalen; ferner ift die 1834 erfolgte Begründung des „Täg—
lichen Anzeigers“ auf die Anregung Jäcks zurückzuführen. Von
1848—1857 ließ Reindl neben dieſem Platte die „Bamberger Zei—
ae B =:
tung“, eine Zeitſchrift größeren Umfangs und Stils erſcheinen. 1841
ſtellte J. M. Reindl (geſt. 1882) die erſte Schnellpreſſe in Bam⸗
berg auf.
Heute werden in dem Betrieb der J. M. Reindlſchen
Buchdruckerei, die ſich ſeit 1882 im Beſitze von J. B. Reindl
befand und ſeit 1902 dem Kommerzienrat Dr. jur. Richard
Michel gehört, durchſchnittlich 30 Perſonen beſchäftigt.
Quellen: Schuſter, Erfindung der Buchdruckerkunſt in Bamberg, 1890.
Renger (Leipzig). Als der Gründer des bekannten Leipziger
Verlages Rengerſche Buchhandlung (Gebhardt und
Wiliſch) wird Simon Johann Hübner in Halle a. S. ge⸗
nannt, deſſen Firma im Jahre 1672 zum erſten Male und zwar mit
2 Verlagsartikeln im Meßkataloge erſcheint. Hübner war der
Schwiegerſohn des Buchhändlers Chriſtoph Saalfeld des
Aelteren in Halle, welcher von 1625 bis 1670 vorkommt. Mög⸗
licherweiſe hat Hübner das Geſchäft ſeines Schwiegervaters nach
deſſen Tode übernommen. Hübners Verlagstätigkeit ſcheint keine
allzu bedeutende gewefen zu fein, denn feine Jahresproduktion hob
fidh felten über 6—8 Verlagswerke; nur die Jahre 1676—78 machen
eine Ausnahme inſofern, als fie 58 Verlagsartikel der Hübnerſchen
Buchhandlung als erſchienen im Meßkatalog verzeichnen. Hübner
ſtarb 1695; im folgenden Jahre erſcheint auf den Verlagsartikeln des
Hauſes die Firma Johann Hübners Erben. Aber ſchon am
20. September 1697 verkauften dieſe das Geſchäft an Hübners
Schwiegerſohn Johann Gottfried Renger, der es unter
ſeinem Namen weiterführte und deſſen neue Firma zuerſt 1698 mit
4 Verlagsartikeln im Meßkatalog hervortritt. Er gab dem Geſchäft
einen bedeutenden Aufſchwung und entwickelte bald eine außerordent—
liche Verlagstätigkeit. So erſchien er ſchon 1699 mit 14, 1700 mit
16, 1701 mit 22, 1702 mit 19 Verlagsartikeln auf der Meſſe. Renger
ſtarb am 3. 3. 1718. 1705 firmiert das Haus Rengers Buchladen
und 1707 Rengers Buchhandlung (mit 59 Verlagsartikeln). Nach
dem Tode Rengers wurde das Geſchäft von ſeinem Schwiegerſohn
Vick unter der Firma Rengers Erben fortgeſetzt. Viele Jahre hin⸗
durch hielt ſich die Firma in hoher Blüte und erſcheint jährlich mit 20
bis 50 Artikeln auf der Meſſe. Erſt von den Jahren 1750 an ver⸗
mindert fih die Verlagstätigkeit wieder auf durchſchnittlich 5 bis 7
Verlagswerke im Jahr.
Als infolge des ſiebenjährigen Krieges eine Verſchlechterung
der ſächſiſchen Courantmünzen gegen die Reichsmünzen eingetreten
war und Philipp Erasmus Reich, der Beſitzer der Weidmann'ſchen
Buchhandlung in Leipzig ſeine Preiſe erhöhte, indem er das ſächſiſche
— 813 —
Courant nach dem Reichskurs annahm, ſchloß fih die Rengerſche
Buchhandlung als die erſte außerhalb Leipzigs am 2. September 1762
dieſem Vorgehen an und trat auch 1765 dem von Ph. E. Reich in
Leipzig begründeten erſten Buchhändlerverein bei.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts kam die Buchhandlung in
den Beſitz von J. H. Schiff, welcher dieſelbe wieder lebhafter be-
trieb und aus deſſen Freundeskreiſen ſpäter ihr bis dahin angeſehen⸗
fter Leiter hervorging. Das war Dr. Chr. Aug. Gottl. Eber-
hard, der Verfaſſer von „Hannchen und die Küchlein“. Er über⸗
nahm das Geſchäft im Jahre 1807 und entwickelte daneben eine
umfangreiche ſchriftſtelleriſche Tätigkeit. Geſchäftlich ließ er ſich be-
ſonders die Bekämpfung des Nachdrucks angelegen ſein und war auch
hervorragend beteiligt bei der Gründung einer genoſſenſchaftlichen
Organiſation des deutſchen Buchhandels. |
Behufs perſönlicher Arbeitsentlaſtung trat er am 1. April
1822 die Sortimentsabteilung käuflich an Friedrich Ruff, den
ſeitherigen Geſchäftsführer ſeines Verlags ab.
Vorgerücktes Alter und zunehmende Kränklichkeit, dazu
ſchwerer Kummer in feinem Familienkreiſe haben es ſchon im darauf-
folgenden Jahre für Eberhard wünſchenswert gemacht, ſich aus
ſeinem bisherigen Geſchäftsverhältniſſe zurückzuziehen. So trat er
denn im April 1835 ſeinen Verlag, worunter ſich 15 verſchiedene
Werke ſeiner eigenen Feder befanden, käuflich an Friedrich
Volckmar in Leipzig (vergl. dieſen Artikel) ab, welcher zu dieſem
Zwecke Bernhard Trinius und Heinrich Poppe als Teil-
haber aufnahm. Volckmar vereinigte nunmehr die ſchon in ſeinem
Beſitz befindlichen Verlagsteile der Firmen Schaarſchmidt
und Volckmar (früher Hartmannſche Bchhdlg.) ſowie
Moritz Böhme in Stettin mit der Rengerſchen Buchhandlung.
Er ſtieß zugleich die nicht gangbaren Werke ab und brachte den fo ge-
bildeten neuen Verlag bald zu höchſter Blüte. Aber ſchon im Juli
1845 löſte Volckmar das Verhältnis mit ſeinen beiden Kompagnons
auf, die Rengerſche Buchhandlung ging gleichzeitig käuflich in den
Beſitz von Oskar Vand wig in Leipizg über. Dieſer verkaufte
1855 einen Teil ſeines Verlages mit der Firma an Wilhelm
Otto Struwe in Berlin, den andern Teil an Otto Emil
Graul in Leipzig, der ihn unter der Firma Emil Graul in
Leipzig fortführte (ſpäter weiter verkauft an E. A. Seemann in
Leipzig).
Von Struwe ging die Rengerſche Buchhandlung 1882 käuflich
an Robert Gebhardt und Max Wiliſch in Leipzig über.
Außer einer größeren Anzahl Verlagsunternehmungen ver-
ſchiedener Richtung, brachten dieſe von Anfang an ihr Hauptintereſſe
811 —
dem Gebiete der Modernen Sprachen entgegen. Mit dem 1882 ge—
gründeten Hauptunternehmen dieſer Richtung „Franzöſiſche und
engliſche Schulbibliothek, herausgegeben von Dr. O. E. A. Dickmann“
(ca. 230 Bändchen) leitete dieſe ausgeprägte Verlagsrichtung ein.
Am 22. 11. 1906 ſtarb Robert Gebhardt, der Leiter des Geſchäfts,
und da deſſen Teilhaber Max Wiliſch durch ſeine Druckerei in Chem-
nitz ſchon genügend in Anſpruch genommen war, ging die Rengerſche
Buchhandlung am 1. Januar 1907 in den Beſitz der Firma Vel—
hagen u. Klaſing in Bielefeld und Leipzig über.
Ueberblicken wir den Verlag der Firma, ſo fällt uns, manent
lich in der älteren Zeit, eine große Reichhaltigkeit auf allen Gebieten
der Literatur auf. Neben der ſchon genannten ausgeprägten päda—
gogiſchen Richtung, welcher die Firma in der Neuzeit ſich faſt aus—
ſchließlich zugewendet hat, finden wir u. a. vertreten: Gilberts An—
nalen der Phyſik; die neue Bibliothek oder Nachrichten und Urteile
von neuen Büchern, 110 Teile; Fr Butterwecks Schriften; Romberg—
Fabers Converſationslexikon für bildende Kunſt, 6 Bde.; Ferdinand
Freiligrath und Lewin Schücking, das maleriſche und romantiſche
Weſtfalen; F. H. v. d. Hagens deutſches Narrenbuch; Wilhelm Henſes
ſämtl. Schriften, her. von H. Laube; Kruſes berühmte Geſchichts—
tabellen; A. Lafontaines Werke; A. Mahlmanns Schriften; Joh.
Sporſchils Geſchichtswerke und des Chr. Thomaſius Schriften uſw.
| Eine Reihe dieſer und anderer Verlagsſchriften ift inzwiſchen
an andere Beſitzer verkauft worden, ſo an Emil Strau ß in Bonn,
an Guſtav Fock in Leipzig, Dr. P. Stolte in Leipzig u. a. m.
treiſ Quellen: Verlagskataloge 1846, 1898 uff. . Chronik des Saal⸗
reiſes. l .
Reußner. Der erſte nachweisliche Ratsbuchdrucker in Roſtock war
der im Jahre 1596 erſtmals vorkommende Buchdrucker Chriſtoph
Reußner aus Neuſtadt im Voigtland gebürtig. Seit 1597 in
Roſtock tätig, erwarb er ſich den Ruf eines ſo geſchickten Mannes, daß
er im Jahre 1608 zur Einrichtung der königlichen Druckerei nach
Stockholm berufen wurde, doch ſcheint er erſt 1612 vollſtändig dorthin
übergeſiedelt zu fein. Mit Johann Hallervord stand Reußner
in fruchtbarer Geſchäftsverbindung, aber er verlegte * ſelbſt, zum
Teil umfangreiche Schriften.
Sein Sohn Johann Reußn er übernahm im Jahre 1632
die Roſtocker Ratsbuchdruckerei. Dieſer, von ſeinem Großvater er—
zogen, hatte bei Jacob Lucius in Helmſtadt eine dreijährige Lehrzeit
durchgemacht und ſich dann 16 Jahre lang in verſchiedenen Offizinen
Dänemarks, Schwedens und Deutſchlands umgeſehen. Aber er blieb
Roſtock nicht lange erhalten, indem er ſchon 1639 von dem Kurfürſten
von Brandenburg nach Königsberg berufen wurde, wo man am 8. 6.
— 815 —
mit ihm einen vorläufigen Vertrag abſchloß und wohin er im Oktober
desſelben Jahres definitiv überſiedelte. Er iſt dort als Univerſitäts⸗
und Kurfürſtlicher Drucker der Begründer eines blühenden Geſchäftes
geworden, deſſen ſich Sohn und Enkel erfreuten, bis das Privileg
im Jahre 1742 auf einen Kriegs- und Stadtrat l'Eſtocg überging,
mit dem ſich die Witwe des letzten Beſitzers zweiter Ehe vermählte
(vergl. die ferneren Schickſale der Firma Bd. II S. 382 d. W.).
Quellen: Archiv a ees des deutſchen n a 17 u. 19.
Rhan, G. Der Wittenberger Buchdrucker Georg Rhau
ſtammte aus Eisfeld in Thüringen, wo er 1488 gebören wurde. 1508
finden wir ihn in Erfurt, 1512 in Wittenberg eingetragen; anſcheinend
war er ein Verwandter Grünenbergs (vergl. dief. Art. Bd. II S. 342),
der ihn offenbar ſpäter auch nach ſich zog. 1518 wurde Rhau an der
Leipziger Hochſchule immatrikuliert und leitet im folgenden Jahre
als Thomaskantor die Choraufführungen bei der berühmten Dis-
putation zwiſchen Eck einerſeits und Karlſtadt und Luther ander⸗
ſeiks. 1520 geht er als Ludimagiſter nach Eisleben, bald darauf
ſiedelte er nach Wittenberg über. eee
Johannes Grunenberg in Wittenberg, welcher im
Jahre 1529 ſtarb, ſcheint ſich 1525 — aus dieſem Jahre kennt man
noch drei Drucke von ihm — vom Geſchäft zurückgezogen zu. haben.
Georg Rhau erſcheint zugleich zum erſtenmal als Drucker (vergl.
Panzer Annalen II, 2666 und 2678). Ob Rhau ſchon früher als
Drucker in einem andern Orte tätig war, iſt bis jetzt nicht nachge⸗
wieſen. Wenn man indes einem Briefe des Hildburghauſener Schul⸗
meiſters Ditrich vom 23. 8. 1523 Glauben ſchenken will, ſo hat Rhau
ſich ſchon früher als Drucker betätigt. Ditrich ſchreibt nämlich, Rhau
habe ſchon ſelbſt mehrere treffliche Elementarbücher verfaßt und ge⸗
druckt. Kettnern erwähnt folgende eigene Schrift Rhaus „Euchi-
ridion utriusque Musicae practicae Wittebergae 1532” und er
ſchreibt dann weiter „Es hat die Stadt und das Rathaus nicht allein
einen klugen Ratsherrn, ſondern auch die Akademie und gelehrte
Welt einen ſehr nützlichen Mann an ihm gehabt, weil er zugleich ein
Buchdrucker geweſen und die erſten Schriften aus ſeiner Offizin zum
Druck befördert hat“. |
Von befonderem Intereſſe iſt Rhaus Geſchäftsverkehr mit.
ſeinem Schwager, dem Magiſter Stephan Roth zu Zwickau, deſſen
literariſch⸗ buchhändleriſche Bedeutung Lic. Dr. Buchwald (im Archiv.
f. Geſch. d. Buchhandels Bd. 16) eingehend geſchildert hat. Rhau
unterhielt eine rührige Korreſpondenz mit ſeinem Schwager, der ihm
eine große Reihe Druckaufträge verſchaffte. Rhau wird öfter auch
als theologiſcher Schriftſtellre genannt. Vuchwald ſagt dazu, daß
= 616. =
Rhaus „Schriftſtellerei über theologiſche Gegenſtände“ weniger auf
Selbſtändigkeit Anſpruch erheben darf, ſondern vielmehr dem Gebiete
kompilatoriſchen Verfahrens zuzuweiſen iſt.
Quellen: J. Joachim im Centralblatt für Bibliotheksweſen 1904; Kettnern,
Hiſtor. Nachricht von Wittenberger Ratskollegen, Wolfenbüttel 1734; Allgemeine
Deutſche Biographie Bd. 28 (Eitner); Archiv f. Geſchichte d. deutſch. Buchhandels
Bd. 16 u. 19 (Buchwald); Börſenblatt f. d. deutſchen Buchhandel 1904 (Clemen).
Richel, B. (Familie Rie). Bernhard Ridel von
Ehenweiler, der 1474 das Baſeler Bürgerrecht erwarb, druckte dort
ſchon ſeit 1472. Er hat teils allein, teils in Verbindung mit Mi-
chael Wensler, ſehr namhafte Werke gedruckt, auch war er der
erſte Baſeler Drucker, welcher Veröffentlichungen in deutſcher Sprache
brachte. Unter ihnen iſt vor allem der 1474 erſchienene Sachſen⸗
ſpiegel zu nennen, zugleich das erſte Buch, welches in Baſel mit An⸗
gabe des Jahres und des Druckers erſchien. Außerdem müſſen ge⸗
nannt werden die 1478 erſchienenen vier Ausgaben der Vulgata.
Richels Buchdruckerſignet ſtellt zwei Schilde dar, welche
an einem Aſt hängen; das linke ſchwarze zeigt ein Richtſchwert und
die Buchſtaben B. R., während das rechte weiße Schild drei Plait-
ornamente aufweiſt.
Richel ſcheint Anfang 1482 geſtorben zu ſein, ſeine Druckerei
„zum Blumen“ ging an ſeinen Schwiegerſohn Nickel Keßler
über, deſſen Sohn, Bernhard Keßler, ſpäter als Buchführer
vorkommt (vergl. Archiv f. Geſch. d. dtſchn. Buchh. Bd. 12).
Nach einer zweiten vielfach verbreiteten Annahme iſt Richel
mit der Straßburger Buchdruckerfamilie der Rihel verwandt. Danach
geſtaltete ſich das äußere Schickſal der Familie folgendermaßen:
Schweizeriſch der Abſtammung nach, wandert ſie am Anfang des 15.
oder 16. Jahrhunderts in Straßburg ein, wo Wendelin Rihel
die Familientraditionen fortſetzt. Er beginnt 1535 in Straßburg
ſeine Tätigkeit mit einem Nachdruck der Wittenberger Ausgabe von
Luthers Bibelüberſetzung. Bis zu ſeinem Tode, Ende März 1555,
hat er ca. 40 Werke verlegt, darunter ſolche von Martin Burcer, Jo-
hannes Sturm, Calvin, Sleiden u. a. Den größten Erfolg hatte des
letzteren Buch „de statu religionis et republica, Carolo quinto
Caesare, commentarii“, welches im Jahre 1555 fogar in 4 Auf-
lagen erſchien.
Nach dem Tode Rihels wird das Geſchäft zunächſt eine zeit
lang unter der Firma Wendel Rihels Erben fortgeführt,
dann erſcheinen aber die Söhne Theodoſins Rihel, von dem
Stieda aus den Jahren 1558—1614 18 Drucke, darunter prächtige
Holzſchnittbücher, aufzählt — und Joſias Rihel, von dem über
30, meiſt lateiniſche Druckwerke, bekannt find. Er war der bedeu-
— 817 — ;
tendere der beiden Brüder, bekleidete hervorragende Aemter in der
Straßburger Stadtverwaltung und ſtarb 1597. Die Rihel, welche zu
den namhafteſten Buchdruckern und Buchhändlern ihrer Zeit ge—
hörten, hatten eigene Formſchneider zur Illuſtration ihrer Verlags-
werke und laſſen ſich in Straßburg noch bis zum Jahre 1639 ver-
folgen. |
Ihre Buddrudermarfen haben alle als Hauptfigur eine ge-
flügelte Sophroſyne, welche in der einen Hand ein Winkelmaß, in
der anderen einen Zaum mit Gebiß hält. Auf einem Schilde, welcher
entweder auf dem Poſtamente angebracht ijt oder nebenan ſteht, be-
findet ſich, allerdings nicht immer, eine Pflugſchar mit Monogramm.
Die von Wendelin Rihel verwandten Druckpapiere tragen als
Waſſerzeichen ebenfalls ſeine Marke.
Die Druckerei der Rihel in Straßburg kam im 17. Jahr⸗
hundert — der Meßkatalog von 1625 nennt noch die Firma Joſias
Rihels Erben — an die weibliche Linie, an J. P. Mülb und
ſpäter an Joſias Städel (vergl. Bd. III S. 401 d. Werkes).
Seit 1528 gab es einen Buchhändler Conrad Rühel in
Wittenberg, deſſen Geſchäftsanteil an dem Verlage der Lutherſchen
Bibelüberſetzung an den Magiſter Johann Rühel, und von
dieſem ſpäter an Andreas Hoffmann übergeht. Kettnern in
ſeiner Hiſtoriſchen Nachricht vom Wittenberger Ratskollegio (Wolfen—
büttel 1734) ſchreibt über Rühel: „Conrad Rühel war gebürtig aus
Nauen in der Wetterau, ließ ſich in Wittenberg nieder und war hier
einer der renommierteſten Buchhändler. 1559 wurde er zum Rat-
herrn, 1574 zum Bürgermeiſter von Wittenberg erwählt.
In den Jahren 1681—1708 erſcheint in Kiel der Buchhändler
Johann Sebaſtian Riechel, ebenda tritt 1640 in Ver⸗
bindung mit Johann Hallervord der Buchdrucker Johann
Richel auf, vermutlich iſt es derſelbe, der 1639 bis 1671 in Roſtock
erſcheint und ſich auch rühmte, für Hallervord gearbeitet zu haben.
Von 1613—18 kommt als Roſtocker Ratsbuchdrucker Johann
Riechel ſen. vor, während Jacob Riechel als Roſtocker
Ratsbuchdrucker von 1671—99 fungierte.
Quellen: Archiv f. Geſchichte des deutſchen Buchhaodels Bd. 5, 9, 10, 18,
17; Stockmeyer u. Reber, Baſeler Buchdruckergeſchichte, Baſel 1840; a
Elſäſſiſche Büchermarken, Straßburg 1892; vergl. auch Kapp, Geſch. d. deutſch.
Buchhandels; Heitz⸗ Zen a Büchermarten, Straßburg 1895; Bernoulli,
Geiſtiges Leben zu Baſel, !
Richter (Hamburg). Am 1. 9. 1841 wurde von Frau
Maria Thereſia Richter unter der Firma „Hamburg—
Altonaer Volksbuchhandlung“ eine mit Verlag verbundene Buch—
handlung in Hamburg-St. Pauli begründet. Es war dies das erſte
R
52
25. SIR? ts
Papier- und Buchhandlungsgeſchäft in St. Pauli überhaupt. Der
erſte Verlagsartikel waren von Wurzbach angfertigte lithographiſche
Anſichten von Hamburg, welche unter dem Titel „Die Roſe von
Hamburg“ erſchien. Bald darauf folgten verſchiedene andere volks—
tümliche Schriften. Als im Mai 1812 durch den großen Brand in
Hamburg die in der Stadt befindlichen Buchhandlungen teils vom
Feuer gänzlich zerſtört, teils in ihrer Tätikeit brach gelegt waren,
nahm der Richterſche Verlag einen ungemeinen Aufſchwung. 1848
gründete J. F. Richter die „Reform“, welche noch heute in einer
großen Auflage erſcheint und eine der größten Hamburger Tages—
zeitungen iſt. 1859 ſiedelte das Geſchäft nach der Ecke der Gr. Jo—
hannisſtraße und der Schauenburgerſtraße und von dort nach der
Ecke der Kl. Johannisſtraße und der Schauenburgerſtraße über.
Bald darauf wurde Richter Teilhaber und ſpäter Beſitzer der Buch—
druckreei von H. G. Voigt. Das Geſchäft wurde nunmehr in die
Räume dieſer Druckerei nach den Großen Bleichen 33 verlegt, nach—
dem das urſprüngliche Gebäude neuen, großen Baulichkeiten hatte
Platz machen müſſen. 1862 übernahm Dr. Eugen Richter von
ſeinem Vater den Verlag, nachdem J. F. Richter kurz zuvor den
Koberſchen Verlag in Prag und damit die Werke von Fried—
rich von Sallet, Holtei, Chamiſſo u. A. erworben hatte. Auch von
Rob. Hamerling befand ſich ein kleines Werk untr den erworbenen
Verlagsartikeln und wurde Veranlaſſung zu der Uebernahme ſämt—
licher aus der Feder dieſes Schriftſtellers weiterhin hervorgehenden
Manuſkripte. 1868 ging der Verlag wieder an J. F. Richter
zurück. 1875 ſtarb der Beſitzer, nachdem er ſeinen Schwiegerſohn Dr.
E. B. Banks zum Verwalter des Geſchäfts eingeſetzt hatte mit der
Befugnis, ſeinerſeits bei ſeinem Ableben einen Verwalter wählen zu
dürfen. Als Dr. Banks 1883 aus dem Leben ſchied, hatte er ſeinen
Kompagnon Dr. S. A. Belmonte zu ſeinem Nachfolger beſtimmt.
Unter Dr. Belmontes Leitung ſtand das Geſchäft bis zu deſſen im
Jahre 1888 erfolgten Tode.
Unter die Leitung des Dr. Banks fällt die Vereinigung der
Firmen Karl Grädener Verlags-Conto und Karl Grä—
dener & J. F. Richter zur Firma J. F. Richter, während unter
Dr. Belmonte der rechtswiſſenſchaftliche Verlag und derjenige der
„Sammlung gemeinverſtändlicher wiſſenſchaftlicher Vorträge“ ſowie
der „Zeit- und Streitfragen“ von C. Habel in Berlin erworben
wurden.
Im April des Jahres 1888 wurde das Geſchäft in eine Aktien—
geſellſchtft unter der Firma „Verlagsanſtalt und Druckerei
A.⸗G. (vormals J. F. Richter) in Hamburg“ ungewandelt, deren
Geſchäfte neben dem Zeitungs- und Buchverlag umfaßten:
819 —
Buch- und Steindruckerei, Stereotypie, Galvanoplaſtik, Xylographie,
Lithographie, Chemigraphiſches und Photographiſches Atelier, Buch—
binderei und Liniiranſtalt, ſowie (nur für den eigenen N)
Schriftgießerei, Tiſchlerei und mechanische Werkſtätte.
Es wurde in dieſen Betrieben mit 3 Dampfmaſchinen von zu—
ſammen 240 Pferdekraft, 3 Rotationsmaſchinen, 15 Schnellpreſſen,
6 Tiegeldruckpreſſen und zahlreichen Hilfsmaſchinen gearbeitet, ſo daß
neben den drei Kraftmaſchinen und fünf Dynamos für elektriſche Be—
leuchtung der Geſchäftsräume und die der Firma gehörigen Grund—
ſtücke und für die Galvanoplaſtik über 100 Arbeitsmaſchinen in Ge—
brauch ſind. Das Perſonal der Firma beläuft ſich durchſchnittlich
auf 300 Mitarbeiter.
Der Verlag erfuhr unter dem neuen Beſitz beträchtliche Er⸗
weiterung, teils durch eigene Unternehmungen, teils durch die Er—
werbung des Verlages von Rudolf Seelig in Hamburg, ſowie
eines großen Teils des Verlages der Firma Neſtler & Melles
Verlag in Hamburg und A. Hof mann & Co. in Berlin.
Im Einzelnen mögen hier von den Autoren der Firma, ſoweit
fie nicht ſchon genannt find, angeführt werden, Gräfin Eufemia
Balleſtrem, Tiermaler Jean Bungartz, Gerhard von Amyntor,
R. Elcho, Alfred Friedmann, Rudolph Genée, Hans Hopfen, Hiero-
nymus Lorm, Alfred Meißner, Oskar II., König von Schweden und
Norwegen, Levin Schücking, H. Riemann, R. Schmidt-Cabanis,
F. Wehl, Schmidt-Weißenfels, Julius Stettenheim, Julius Stinde
u. ſ. w. Dazu kommen eine große Anzahl Jugendſchriften und Bilder—
bücher, unte denen der Dunckerſche Kinderkalender „Buntes Jahr“
vorteilhaft bekannt geworden ſind. Ueberall beliebt und geſchätzt ſind
auch die C. A. Görnerſchen Kindertheaterftücke. Von anderen Lite—
raturgebieten verdienen beſonders Erwähnung die anthropologiſchen
Schriften C. Lombroſos; ferner Esmarch-Keulenkampff, elephan—
tiaſtiſche Formen; Charlotte Böttchers Kochbuch „Kraft und Stoff“;
das von Holtzendorff und Jagemann im Verein mit bedeutenden Ge—
lehrten herausgegebene „Handbuch des Gefängnisweſens“, die Hand—
bücher des Strafrechts und Strafprozeßrechts ſowie endlich das „Hand—
buch des Völkerrechts“. Von den Zeitſchriften und Zeitungen, den
Sammelwerken und periodiſchen Unternehmungen überhaupt ſind zu
nennen: die Bibliothek deutſcher Curioſa; Lohmeyers Deutſche Ju—
gend; Die Neue deutſche Schule; Klaſſiker des In- und Auslandes,
ſowie die Sanderſche Zeitſchrift für deutſche Sprache, Völſchaus
„Hühner- und Entenbücher“, Nanſen „Auf Schneeſchuhen durch
Grönland“, Daniel Bartels „Grillenſcheucher“, Piening „De Reis
nahn Hamborger Dom“, Liliencron „Up ewig ungedeelt“, v. D. Poft
„Piet Nijs“ uſw.
52˙
— 820 —
Unterm 5. 5. 1905 beſchloß die Generalverſammlung der
Aktionäre, die Verlagsanſtalt in Liquidation treten zu laſſen, worauf
das Geſchäft am 31. 3. aufgelöſt wurde. Der geſamte techniſche Ne-
trieb ging in den Beſitz der neugegründeten Firma: Druckerei—
geſellſchaft Hartung & Co. m. b. H. über. Von dem Ver-
lag erwarb Mar Heſſe in Leipzig die geſamte Hamerling Lite—
ratur, der Hamburger Verlag, Harlay, Hartung & Co. m. b. H.
Richters (Seeligs) Führer und den Reformkalender, die übrigen
Verlagswerke erwarb ohne Ausnahme Wolfgang Mecklen⸗
burg in Berlin.
Quellen: Verlagskataloge 1888, 1890 u. ff.
Richter (Würzburg). Der Begründer der J. M. Richter⸗
ſchen Buchdruckerei verbunden mit Verlag, Stephan
Richter, wurde am 30. November 1780 zu Marktbreit geboren.
Durch Ankauf der Stahelſchen Druckerei in Würzburg
(vergleiche Artikel Stahel) legte er 1815 den Grund zu dem aus-
gedehnten heutigen Geſchäfte, welches bereits 1820 ein neues größeres
Heim beziehen mußte, das 1880 durch einen modernen Neubau an
derſelben Stelle erſetzt wurde. 1836 ſtellte Richter die erſte Schnell-
preſſe in Würzburg auf, um damit den Druck und die Auflage der
„Würzburger Zeitung“ zu fördern.
1852 übergab er das blühende Geſchäft ſeinem Sohne
Johann Michael Richter. Als dieſer 1886 ſtarb, über—
nahmen ſeine beiden Söhne Carl und Auguſt Richter, denen
ſpäter der jüngſte Bruder Otto Richter zur Seite trat, die Fort—
führung der Offizin.
Im Jahre 1883 wurde, gleichzeitig mit der Aufſtellung einer
Rotationsmaſchine, der „Würzburger General-Anzeiger“ begründet.
Zunächſt nur dreimal wöchentlich in kleinem Format erſcheinend,
wurde ſchon nach wenigen Wochen die tägliche Ausgabe zur Not-
wendigkeit. Bereits nach den erſten Monaten des Erſcheinens war
die Auflage des Blattes auf 15 000 geſtiegen. Noch in demſelben
Jahre wurde die „Süddeutſche Eiſenbahnzeitung“ begründet, die
ebenfalls einen ungeahnten Erfolg hatte. Als letztes Zeitungs-
unternehmen begründete die Firma den inzwiſchen an Auguſt Scherl
in Berlin verkauften „Praktiſchen Ratgeber“.
Quellen: Feſtſchrift zur Feier des 75 jährigen Beſtehens, 1890.
Ricker (Gießen). Der Begründer der „dritten“ Gießener
Buchhandlung Jofeph Rider aus Villmar im ehemaligen Her-
zogtum Naſſau eröffnete am 20. März 1832 ſein Geſchäft, wozu ihm
die Konzeſſion eine zeitlang hartnäckig verweigert worden war.
Ricker hatte bei Heyer in Gießen (vergl. Bd. III S. 306 ds. Werkes)
a) a
den Buchhandel erlernt und war ſeit 1827 mit der Leitung des Sorti—
ments betraut worden. „Im Verlage der dritten Buchhand—
lung“, fo heißt es auf einigen der älteſten, noch im Gründungsjahre
veröffentlichten Bücher und tatſächlich hieß die Firma auch anfäng—
lich ſo, deren Inhaberin Rickers mutige Braut Johanette Chriſtine
Eckſtein war, weil Ricker als Ausländer keine Buchhandlung beſitzen
durfte (vergl. hierzu Ed. Zernins intereſſante Ausführungen im
„Börſenblatt“ 1882 Nr. 212/13, welche den Kampf der Jungfrau
Eckſtein um die Erlangung der Buchhandelskonzeſſion ſchildern).
Aber nur kurz ſollte ſein Wirken ſein, denn ſchon zwei Jahre nach
der Gründung ſtarb er. Sein jüngerer Bruder Anton Ricker
(geſtorben 1892) ſprang in die Lücke ein, und länger als fünfzig
Jahre hat er, bis 1850 zunächſt als Geſchäftsführer, für ſeine Schwä—
gerin Chriſtine geborene Eckſtein, dann als ihr Teilhaber, endlich,
ſeit 1863, als alleiniger Inhaber, das vom Bruder überkommene
Erbe geleitet.
Am 1. Januar 1887 ging das Geſchäft käuflich an Fried—
rid Hermann Reimer aus dem bekannten Berliner Buch—
händlergeſchlecht dieſes Namens über.
Unter Rickers Verlagswerken ragen hervor der von Juſtus
Liebig während ſeiner glanzvollen Gießener Zeit 1847 begonnene
„Jahresbericht über die Fortſchritte der Chemie“, den Reimer dann
an Friedr. Vieweg & Sohn ſſiehe dieſen Artikel) verkaufte,
Weigands Deutſches Wörterbuch, das aus dem ältern Schmitthenner—
ſchen Buche hervorgegangen war, die im Jahre 1881 vom Reorgani—
ſator der Gießener theologiſchen Fakultät, Profeſſor D. Bernhard
Stade, begründete „Zeitſchrift für die altteſtamentliche Wiſſenſchaft“,
die Werke des Juriſten Wilh Sell, Ed. Heyer, A. v. Klipſtein,
Hundeshagen, und die „Zeitſchrift für die geſamte Tierheilkunde“.
Unter Reimer ſiedelte die Firma aus dem alten, kleinen und
winkligen Haus inmitten der Altſtadt in den eigenen prächtigen,
für ihre Zwecke beſonders erſtellten Neubau an den ſchönen Anlagen
über, die die Altſtadt im Kreiſe umziehen, und gliederte ſich hier,
wo Raum in Fülle vorhanden war, als dritten Geſchäftszweig ein
wiſſenſchaftliches Antiquariat an.
Aber Reimers Kränklichkeit, die ihn oft vom Geſchäft fern—
hielt, ließ nach wenigen Jahren den Wunſch in ihm aufkommen, ſich
ganz davon zurückzuziehen. Als ſein Nachfolger erſcheint 1894
Alfred Töpelmann aus Leipzig.
Zuſehends vergrößerten ſich Umfang und Umſatz des Ge—
ſchäfts; immer mehr wurde es das akademiſche Sortiment am Ort,
das insbeſondere den geſamten Lehrkörper der Ludoviciana und ihre
Inſtitute ſich zu Kunden warb und ſie dauernd an ſich zu feſſeln
— 82 —
wußte. Und auch die äußern Ehren fehlten nicht: die heſſiſche Regie-
rung ernannte auf Antrag der Univerſität den dritten Inhaber der
Firma um die Jahrhundertwende zum Großherzoglich heſſiſchen
Univerſitäts⸗Buchhändler. — Der Verlag, der feit 1899 J. R i der-
fhe Verlags buchhandlung (Alfred Töpelmann)
firmierte, wurde nun auf das Gebiet der wiſſenſchaftlichen Theologie
und orientaliſchen (ſpeziell ſemitiſchen) Sprachwiſſenſchaft begrenzt
und in dieſer Beſchränkung kräftig gepflegt. So wurden im Jahre
1900 das Schweſterorgan der um neunzehn Jahre ältern altteſta—
mentlichen Zeitſchrift fürs Neue Teſtament, die von Profeſſor D.
Erwin Preuſchen ſeitdem herausgegebene „Zeitſchrift für die neu—
teſtamentliche Wiſſenſchaft und die Kunde des Urchriſtentums“, und
gleichzeitig die „Ephemeris für ſemitiſche Epigraphik“ von Profeſſor
Dr. Mark Lidzbarski ins Leben gerufen. 1903 begannen unter
Leitung der bekannten Philologen Albrecht Dieterich und Richard
Wünſch die „Religionsgeſchichtlichen Verſuche und Vorarbeiten“ zu
erſcheinen. — Das Antiquariat erkor das Geſamtgebiet der Philo—
ſophie zu ſeinem Spezialfach und errang ſich durch Ankäufe bedeu—
tender Bibliotheken, wie der des Bonner Profeſſors Jürgen Bonne
Meyer und des hervorragenden Pädagogen und Schulmannes Dr.
Ludwig Wieſe in Potsdam u. a. m., ſowie durch die Veröffentlichung
mit größter bibliographiſcher Akkurateſſe zuſammengeſtellter Kata—
loge über ſein reiches Lager bald autoritären Ruf im In- und
Auslande.
Am 1. April 1905 vollzog ſich die Trennung des inzwiſchen
zu großem Umfang herangewachſenen Geſchäftes, indem die
J. Rickerſche Univerſitäts-Buchhandlung von
Ernſt Legler aus Leipzig erworben und der Verlag allein vom
bisherigen Inhaber unter der Firma Alfred Töpelmann
(vormals J. Rickers Verlag) fortgeführt und in das erworbene Nach—
bargrundſtück verlegt wurde.
Wie dieſer ſeither die von ihm bebauten Gebiete zu fördern
getrachtet hat, iſt dem wiſſenſchaftlichen Sortiment bekannt; erinnert
ſoll hier nur werden an die inzwiſchen neben zahlreichen bedeutſamen
Einzelwerken (wie dem zum „Corpus“ der babyloniſch-aſſyriſchen
Religion ſich auswachſenden Werke von Profeſſor Morris Jaſtrow jr.
und den ſchon in 2. Auflage erſchienenen „Reden und Aufſätzen“
Adolf Harnacks) entſtandenen neuen Sammlungen und Zeit—
ſchriften: an die Bremer Beiträge zum Ausbau und Umbau der
Kirche, deren Herausgeber der bekannte Schillerprediger Paſtor
Julius Burggraf in Bremen iſt; an die von Profeſſor Lic. Dr. Carl
Clemen in Bonn in Verbindung mit Profeſſor D. Karl Eger und
Paſtor Lic. Dr. M. Schian herausgegebenen Studien zur praktiſchen
— 823 —
Theologie; an die von den Privatdozenten Lic. Dr. Hch. Hoffmann
und Lic. Leop. Zſcharnack begründeten Studien zur Geſchichte des
neueren Proteſtantismus und an die Philoſophiſchen Arbeiten der
beiden hervorragenden Marburger Gelehrten Hermann Cohen und
Paul Natorp.
Quellen: Börſenblatt f. d. dtſchn. Buchhandel 1882 und 1907; Verlags-
kataloge von 1834, 1845, 1869, 1878, 1890.
Ricker (Petersburg). Carl Ricker wurde 1833 in St. Goars⸗
hauſen am Rhein geboren und erlernte den Buchhandel bei ſeinem
Onkel A. Ricker in Gießen (vergl. S. 820 d. Bds.). Während ſeiner
Wanderſchaft kam er nach Prag, Zürich und Wien. 1858 nahm er
eine Stellung als Geſchäftsführer bei A. Münx in Petersburg an.
Gar bald erwarb er ſich das Vertrauen und die Zuneigung ſeines
Prinzipals, und als dieſer im Jahre 1861 krankheitshalber ſich
vom Geſchäfte zurückziehen mußte, überließ er ſein Geſchäft
käuflich an Ricker. Damals, 1861, war das Geſchäft noch klein und
beſcheiden; aber die rührige und nie ermüdende Arbeitskraft des
neuen Geſchäftsinhabers, zu welcher ſich ſtrenge Gewiſſenhaftigkeit
und Sachkenntnis geſellten, führten gar bald zu einem ſehr erheb—
lichen Aufſchwung der Buchhandlung, die anfänglich ſich ausſchließ—
lich mit Sortiment befaßte. Ricker begann ſeine Tätigkeit als Ver—
leger mit der Herausgabe der Pharmaceut. Zeitſchrift, deren erſte
Nummer 1862 erſchien und ſeit 1879 auch in ruſſiſcher Sprache
herausgegeben wird. Dieſem erſten größeren Unternehmen ſchloß
ſich 1869 der Ruſſiſche mediziniſche Kalender an, womit zugleich
Rickers verlegeriſche Tätigkeit eine feſt vorgeſchriebene Richtung
erhielt, denn Medizin und Naturwiſſenſchaft ſind die ſeither von ihm
vertretenen Hauptdisziplinen geblieben. Aber Ricker verlegte auch
naturwiſſenſchaftliche und technologiſche, ſowie geſchichtliche und
literargeſchichtliche Literatur.
Ricker ſtarb am 11. 3. 1895.
Rieger (Stuttgart). Im Jahre 1835 begründeten L. F.
Rieger und F. G. Schulz unter der Firma L. F. Rieger
& Comp. in Stuttgart eine Verlagsbuchhandlung. Der erſte Ver-
lagskatalog der jungen Firma wurde zur Michaelismeſſe 1838
herausgegeben, zu welchem Zeitpunkte Schulz Thon wieder aus der
Firma ausgetreten war. Von Anfang war der Kunſtverlag von
dem raſch emporblühenden Geſchäfte beſonders gepflegt worden; er
war 1838 bereits ſo umfangreich geworden, daß er unter der beſon—
deren Firma L. F. Riegers Kunſtverlag in Leipzig ver—
trieben wurde. Genannter erſter Verlagskatalog verzeichnet
Schriften aus allen Gebieten, darunter: Büchele, Vaterlandskunde;
— 824 —
Canovas Werke; F. v. Gentz ausgew. Schriften; Gförer, Guſtav
Adolf; die vielen geſchichtlichen Schriften Dr. Groß-Hoffingers; eine
Ueberſetzung der Werke Victor Hugos von Seybold; desgleichen eine
ſolche von Paul des Kocks Romanen von Elsner; C v. Rottecks
Schriften uſw.
1842 überließ Friedrich Franckh (vergl. Bd. II S. 262
d. W.) die Brodhagſche Buchhandlung in Stuttgart an
J. Scheible und L. F. Rieger, welche nunmehr ihre Firmen
damit vereinigten und Paul Sattler in das neue Geſchäft
Scheible, Rieger & Sattler aufnahmen. Als 1848 dieſe
Verlagsbuchhandlung an Adolph Benedict käuflich überging,
wurde die von da ab verbliebene Firma Rieger ſche Verlags-
buchhandlung wiederhergeſtellt. Das ſeit einigen Jahren in
kleinem Umfange betriebene Sortimentsgeſchäft war bereits 1843
an Adolph Becher übergegangen.
Bis zum Jahre 1869, in welchem Jahre Benedict das Ver—
lagsgeſchäft an Ludwig Ebner in Firma Ebner & Seu—
bert abtrat, hat die Handlung eine reiche Verlagstätigkeit entfaltet.
Wir nennen nur: B. Auerbach; Brommes Geographie Nordameri—
kas; K. v. Eckartshauſens religiöſe Schriften; J. Freiherr v. Eichen—
dorff; Fr. Baron de la Motte Foque; Ferd. Freiligrath; die von
A. Lewald herausgegebene weitverbreitete Zeitſchrift „Europa“;
Blumenhagens ſämtl. Schriften; Jung-Stillings Werke; technolo-
giſche Schriften von Poppe; Schmidlins Küchengärtnerei; ein
18 Bände umfaſſendes Volks-Converſations-Lexikon; die 1843 be⸗
gonnenen, bis 1849 in 300 Teilen erſchienenen „Wochenbände für
das geiſtige und materielle Wohl des deutſchen Volkes“; Springers
Handbuch der Kunſtgeſchichte (1855); ſowie endlich neben Romar-
überſetzungen aus fremden Sprachen ein umfangreicher Verlag von
Jugendſchriften. Unter dieſen ſind uns in unſerer Jugend viele
lieb und vertraut geworden. Es ſei nur erinnert an 1001 Nacht,
Der letzte Mohikaner, Hauffs Lichtenſtein, Eulenſpiegel u. v. a. m.
1874 verkaufte Ebner das Geſchäft an Wilhelm Brecht,
der einen großen Teil des Verlags ſpäter an die Gebrüder
Kröner abtrat, während der übrige Verlag ſich zerſplitterte (an
Albert Koch & Co. in Stuttgart u. a.).
Quellen: Verlagskataloge 1838, 1844, 1849, 1857, 1866, 1875, 1877.
Röder, C. G. Carl Gottlieb Röder, geboren am
22. Juni 1812 zu Stötteritz bei Leipzig, war als Sohn eines wenig
bemittelten Bäckers frühzeitig auf eigenen Erwerb angewieſen. Nach
verſchiedenen vergeblichen Verſuchen, ſich einen ſichern Lebensunter—
halt zu beſchaffen, erlernte er — bereits 26 Jahre alt — die Noten-
— 825 —
ſtecherei und eröffnete im Oktober 1846 ohne Mittel, und nur von
einem Lehrling unterſtützt, eine Werkſtatt für Notenſtich und-Druck.
Die erſte Zeit ſeiner geſchäftlichen Tätigkeit war unter ſolchen Ver—
hältniſſen mühevoll und ſorgenſchwer, vermochte jedoch das Vertrauen
auf die ſeiner Perſönlichkeit als hervorragende Eigenſchaft inne-
wohnende nie raſtende Tatkraft nicht zu erſchüttern; gar bald erwarb
er ſich durch die ſaubere und geſchmackvolle Ausführung der ihm
übertragenen Arbeiten einen kleinen Kundenkreis, den er trefflich
ſich zu erhalten verſtand. Dank weiterer Anſtrengungen dehnte ſich
in den nächſten Jahren die Kundſchaft immer mehr aus, und der
Beſtand des Geſchäftes war geſichert.
Der Ruf der Offizin breitete ſich allmählich weit über die
Grenzen Deutſchlands aus, wozu das ausgezeichnete Geſchick des
Inhabers, durch eigene praktiſche Anleitung und Lehre tüchtige
Arbeiter heranzubilden, weſentlich beitrug. Von allen Teilen des
In- und Auslandes gingen immer zahlreichere Aufträge ein, jo daß
die gemieteten Räumlichkeiten der Offizin ſich bald als zu klein
erwieſen und von Jahr zu Jahr vergrößert werden mußten.
Schon 1860 und 1861 hatte Röder, weil nicht weniger als
24 Notendruckhandpreſſen die immer mehr wachſende Arbeit nur
ſchwer bewältigen konnten, Verſuche gemacht, die von G. Sigl in
Berlin und Wien gebauten Steindruck-Schnellpreſſen auch für den
Notendruck einzurichten. Dieſe Verſuche gelangen ihm endlich nach
vielen Mühen.
1863 wurde die erſte Notendruckſchnellpreſſe in Gang geſetzt
und damit zuerſt die Möglichkeit geſchaffen, die ſchnell zu allgemeiner
Beliebtheit gelangenden, trotz ihrer bis dahin unerhörten Billigkeit
doch durch Korrektheit und Eleganz ausgezeichneten muſikaliſchen
Klaſſiker⸗Ausgaben herzuſtellen. Der erſten Schnellpreſſe folgte
1864 die zweite und 1865, nachdem eine kleine Dampfmaſchine ange—
ſchafft worden war, die dritte.
Am 1. März des Jahres 1863 nahm Röder ſeinen Schwieger—
ſohn L. Hugo Wolff (geboren am 8. September 1835) in das
Geſchäft auf.
Nicht am wenigſten trug zu dem damaligen Aufblühen der
Firma das Erſcheinen der „Edition Peters“ bei, die 1867 durch
Herausgabe von Beethovens Sonaten (in 1 Groß-Oktav-Bande
a 1% Taler) ihren erſten Erfolg erzielte, dem weitere mit vielen
andern Ausgaben folgten, welche der inzwiſchen weſentlich verbeſſerte
Schnellpreſſendruck erſtehen ließ (vergl. Bd. IV S. 766 ds. W.).
1871 nahm der Geſchäftsinhaber auch feinen zweiten Schwie—
gerſohn Chriſtian Erdmann Max Rentſch (geboren am
7. Dezember 1836) in das Geſchäft auf.
— 826 —
Gelegentlich der Feier des 25jährigen Beſtehens der Offizin,
welche Röder Anlaß zu humanitären Haushilfskaſſen gab, ernannte
ihn König Johann zum Königlichen Kommerzienrat.
Im Mai 1874, nach faſt dreißigjähriger ſegensreicher Tätig—
keit, überließ Röder das Geſchäft der ſelbſtändigen Führung ſeiner
Schwiegerſöhne. Er ſtarb am 29. Oktober 1883 zu Gohlis bei
Leipzig. Ein Schlaganfall ſetzte ſeinem an Mühe und Arbeit reichen
Leben ein Ende.
Nach mehreren Umzügen aus kleineren in immer größere
Geſchäftsräume ſiedelte die Firma im Jahre 1874 nach dem Gerichts-
weg in eigene Gebäude über und mußte auch hier ihr Areal bis auf
den heutigen Tag mehr und mehr ausdehnen. Im Jahre 1881 wurden
der Firma durch Uebernahme einer kleinen ſchon beſtehenden
Druckerei (Graichen & Riehl) eine Buchdruck-Abteilung ein-
verleibt, die ſich ſeither zu einer wichtigen Branche neben den übrigen
Abteilungen ausgebildet hat. 1881 wurde ferner an Stelle der nicht
mehr zureichenden 40 pferdigen Dampfmaſchine eine Zwillings-
maſchine von 100 Pferdekräften aufgeſtellt, fünf Jahre ſpäter außer—
dem noch eine Zwillingsmaſchine von 75 Pferdekräften e zum
Betriebe der elektriſchen Anlage.
1889 trat der Schwiegerſohn Wolffs, Carl Johannes
Reichel (geb. 15. Auguſt 1853), in das Geſchäft als Teilhaber ein.
Am 19. Februar 1889 verſtarb Rentſch infolge eines Herzſchlages.
Seine Erben traten als Kommanditiſten dem Geſchäft bei, und 1893
trat der alteſte Sohn des Verſtorbenen, Max Rentſch, als offener
Geſellſchafter in die Firma ein. Mit Anfang des Jahres 1894 aber
ſchieden Rentſch's Erben ſämtlich aus der Firma aus. — 1896 wurde
der bisherige Transmiſſionsantrieb der Maſchinen umgewandelt in
elektriſchen Betrieb vermittels Motoren, und durch Hinzunahme der
Lichtdruckabteilung im Jahre 1890 fügte die Firma einen neuen
Zweig den ſchon vorhandenen Branchen zu. Die Entwickelung der
Anſichtspoſtkarten-Induſtrie brachte dieſer Abteilung einen unge—
ahnten Aufſchwung. —
In London wurde im Jahre 1900 eine Zweiganſtalt unter
der Firma C. G. Röder Ltd. gegründet, die jetzt ſchon gegen 180 Mr-
beiter und Beamte beſchäftigt.
| Das jetzige Geſchäftslokal am Gerichtsweg hat einen Flächen:
raum von ca. 25 100 qm. Ende 1907 betrug die Zahl der Arbeiter
und Arbeiterinnen ca. 1100 Perſonen, und in Betrieb waren folgende
Maſchinen: 31 Rotationsmaſchinen für Notendruck, 34 Flachdruck—
ſchnellpreſſen für Steindruck reſp. Zinkdruck, 34 Buchdruckſchnell—
preſſen, 34 Lichtdruckſchnellpreſſen und eine große Zahl Handpreſſen,
Setzmaſchinen, Schleifmaſchinen, Papierſchneidemaſchinen, Falz—
— 827 —
maſchinen, Heftmaſchinen etc., die von 2 Dampfmaſchinen mit
600 PS durch zwei große Dynamos angetrieben werden. —
Im Jahre 1905 vollzog fih die Umwandlung der Firma in
eine Geſellſchaft mit beſchr. Haftung, deren gegenwärtige Geſchäfts—
führer die vorerwähnten Kommerzienrat L. H. Wolff und Carl
Reichel ſind. —
Quellen: Erinnerungsblätter an die Feier des 50 jährigen Beſtehens der
Firma C. G. R. 1896.
Rommerskirchen. Die Entſtehung der alten Kölner Buch—
handelsfirma „zum Einhorn“ reicht in das Jahr 1516 zurück. Der
Geſchäftsbetrieb begann mit dem Buchhändler und Buchdrucker
Johann Gymnicus, welcher ein Schüler des Alexander
Hegius, Humaniſt und mit den beſten Köpfen des nordweſtlichen
Deutſchlands bekannt war. L. v. Büllingen verzeichnet 173 Drucke,
welche dem Johann Gymnicus 1. (geſt. 1544) angehören. Ihm
folgte 1545, nachdem zwiſchenzeitlich drei Drucke unter der Firma
Haeredes Gymnici erſchienen waren, fein Sohn Martin Gym—
nicus, gleichfalls ein Mann von gelehrter Bildung. Von ihm
ſind 24 Drucke bekannt, einen Zeitraum von ungefähr 6 Jahren um—
faſſend. Sein Bruder und Geſchäftsnachfolger Johann Gym—
nicus II., von Hartzheim „celebris in patria sua Typographus“
genannt und ausgezeichnet durch die Dedikation, welche der berühmte
Züricher Gelehrte Conrad Geßner ſeinem Werke: „Pandectae de
Metaphysica“ porausſchickt, hat feine buchhändleriſche Wirkſamkeit
in Köln nur durch eine ſpärliche Anzahl von Verlagswerken bezeugt.
Er trat auch in Antwerpen als Verleger auf. Als nächſter Geſchäfts—
inhaber erſcheint Gualtherus Fabritius, der Gatte der
Witwe des jung verstorbenen Johann Gymnicus II. Fabritius
ſtarb 1589 als Doktor der Rechte und Herzoglich Jülichſcher Rat,
nachdem er bereits 1572 vom Geſchäfte zurückgetreten war, welches
nunmehr Johann Gymnicus III., fein Stiefſohn, übernahm.
Der Letztere findet ſich bereits in der ſpäteren buchhändleriſchen
Wirkſamkeit des Gualtherus Fabritius als Beteiligter genannt. Die
von ſeinen Vorfahren eroberte angeſehene Stellung wußte Johann
Gymnicus III. noch zu ſteigern. Mit den Erben des Andreas Wechel
in Frankfurt a. M. verband er ſich zu gemeinſchaftlichem Verlag.
Er beſchäftigte auch auswärtige Preſſen für ſein Geſchäft und ver—
ſtarb am 21. Januar 1596. Seine Wirkſamkeit hat über 200 Werke
mit ſeiner alleinigen Verlagsfirma geliefert. Gleich nach ſeinem
Ableben erſcheint die Adreſſe Haeredes Ioannis Gymnici
M. D. X CVI. Drei Jahre ſpäter nennt ſich die Witwe Johann Gyn-
nicus III. als Inhaberin des Geſchäfts, welche ein neues Ehebündnis
einging. Ihr Schwiegerſohn Johann Kinckius, mit der
— 828 —
zweiten Tochter Eliſabeth des Johann Gymnicus III. vermählt,
erwarb bald nach des Letzteren Tode, jedenfalls nicht ſpäter als 1605,
bei Regelung der verwickelten Gymnichſchen Familienverhältniſſe das
ſogenannte Einhornhaus zum ausſchließlichen Eigentum. von
Büllingen macht mehr als 560 Werke ſeines Verlags namhaft,
darunter viele bedeutende Bücher. Von Kaiſer Ferdinand geadelt
und u. a. vom Kölner Senate durch die Erhebung zum Stimmeiſter
ausgezeichnet, ſtarb Johann Kinckius als hochgeachteter Mann im
Jahre 1656. Nach ſeinem Tode wurde das Geſchäft eine zeitlang
für gemeinſchaftliche Rechnung der Erben unter Leitung des Schwie—
gerſohnes und vieljährigen Gehilfen des Verſtorbenen, des Johann
Widenfeldt, fortgeführt, nach deſſen 1661 erfolgtem Ableben
ſeine Witwe Gertrud geb. Kinckius an die Spitze des Geſchäftes trat.
Seit 1672, dem Todesjahre der Witwe Widenfeldt, nimmt die Buch—
handlung nunmehr die Firma „Johann Widenfeldt's
Erben“, von 1681 die Firma „Erben Johann Widenfeldt's
und Gottfried de Berges“ und nach de Berges' Tode wieder
die erſtere Adreſſe an.
Mit dem Beginne des neuen Jahrhunderts führt Heinrich
Rommerskirchen J. das, wie Mangels des Nachweiſes einer
verwandtſchaftlichen Beziehung anzunehmen, durch Vertrag erwor—
bene Geſchäft. Rommerskirchen, der am 1. Auguſt 1732 verſtarb,
unterhielt beſtändig einen großen Vorrat von literariſchen Werken,
den er durch gedruckte Verzeichniſſe zur Kenntnis der Bücherfreunde
brachte.
Nach ſeinem Tode ging das Geſchäft auf den Ehegatten ſeiner
Tochter Catharina und frühern Geſchäftsgenoſſen Chriſtian
Simonis über. Pei deffen frühzeitigem Tode (geſt. 1737) ſteigt
die Zahl der bei ihm verlegten Werke nicht über ſechs. Seine Witwe
heiratete in zweiter Ehe ihren Geſchäftsgehilfen Krakamp, und es
beginnt die neue Firma „Johann Wilhelm Krakamp und
Erben Chriſtian's Simonis“. Krakamp, welcher den Ruf
eines tüchtigen und unternehmenden Buchhändlers genoß, ſtarb im
Mai 1755. Er hat zur Herausgabe ſchätzbarer Schriften, welche die
vaterländiſche Geſchichtsforſchung bereicherten, die Hand geboten.
Dazu gehören der bekannte Conatus chronologicus des Karthäuſers
Michael Mörkens, ſowie die Historia Rei Nummariae Coloniensis
von Joſ. Hartzheim. Krakamp und ſeine Witwe, welche Anfangs
Mai 1775 ſtarb, hatten zwiſchen 40 und 50 Verlagswerke. Nunmehr
erhielt Krakamps Stiefſohn Heinrich Joſeph Simonis die
von ſeinem Vater geführte Buchhandlung und Buchdruckerei. Er
erſcheint ſchon 1776 als Verleger und zwar mit dem „Directorium
Romanum et Romano - Coloniense pro anno bissextili
— 829 —
M. D. CCLXXVI“. Die Geſchäftsperiode von 1731 bis 1794 ift
ausgezeichnet durch eine Reihe kaiſerlicher Privilegien, welche den
Inhabern des Einhornhauſes Unter Fettenhennen Nr. 13 verliehen
worden ſind. Simonis verſtarb unverehelicht im Jahre 1800 und
alsdann tauchte nach einer Unterbrechung von etwa ſiebenzig Jahren
der Name Rommerskirchen von neuem als Geſchäftsfirma auf. Der
obengenannte Heinrich Rommerskirchen hatte einen jüngeren Bruder,
Leonard Rommerskirchen, welcher in den 1720er Jahren
ein Buchhändlergeſchäft ebenfalls in Köln betrieb. Dann findet man
ihn nach der Reſidenzſtadt Honn verzogen, wo er die Stelle eines
kurfürſtlichen Hof-Buchhändlers und Buchdruckers einnimmt. Sein
erſtes Auftreten in dieſer Eigenſchaft findet ſich 1726 mit einigen
die Rechtsverhältniſſe des Kurſtaates betreffenden Schriften in Fol.
Dazu gehört eine „Erneuerte Chur-Cöllniſche Hoff-Cantzley-Ord⸗
nung“. Nach dem 1740 erfolgten Tode Leonard Rommerskirchens
finden ſich als Inhaber der Druckerei zunächſt ſeine Witwe und von
1754 bis 1757 die „Erben Leonardi Rommerskirchen“ genannt. Des
Letzteren Sohn Ferdinand Rommerskirchen, welcher
bereits 1757 in des Vaters Stelle eintrat, gab 1759 den erſten Jahr⸗
gang des von dem kurfürſtlichen Rat Vogel bearbeiteten „Chur—
Cölniſchen Hof-Calenders“ heraus, der bis 1794 fortgeſetzt worden
und durch Vogels beigegebene Chorographien wertvoll geblieben iſt.
Er war verheiratet mit Magdalena Theodora Simonis aus Cöln,
deren obenerwähnter Bruder Heinrich Joſeph Simonis bei Annähe⸗
rung des Alters den Sohn ſeines Bonner Schwagers und Fach—
genoſſen Ferdinand Rommerskirchen, den talentvollen und ſtreb—
ſamen Heinrich Rommerskirchen II. als Gehilfen zu ſich
nahm und mangels eigener Deszendenz ſowie in Anerkennung ſeiner
Dienſte zum Univerſalerben einſetzte.
Rommerskirchen war am 16. Juni 1770 zu Bonn geboren.
Die Stelle eines kurfürſtlichen Hof-Buchdruckers und Buchhändlers,
welche ſich in der Familie vom Großvater her vererbt hatte, war
auch ihm zugedacht, aber ſie verſchwand, als die franzöfiſche Republik
den Kurſtuhl von Köln zum Sturze gebracht hatte. Die Gewogen—
heit ſeines Kölner Oheims Simonis erſetzte ihm das Verlorene,
indem er dadurch in den Beſitz eines Geſchäftes kam, das ſich ſeit
lange des beſten Rufes erfreute. Mit den beſſeren Leiſtungen der
deutſchen Dichter hatte er ſich genau vertraut gemacht und als Frucht
ſeiner Beleſenheit gab er in ſieben Bändchen eine geſchmackvoll ge—
wählte Ausleſe der gediegenſten Produktionen der neueren deutſchen
poetiſchen Literatur unter dem Titel „Geiſtesblüten“ von 1812 bis
1823 heraus. Es gingen mehrere Werke von E. M. Arndt aus
ſeinem Verlag hervor, namentlich auch die Zeitſchrift „Der Wächter
— 830 —
am Rhein“, wovon drei Bände erſchienen ſind. Unabläſſige geiſtige
und körperliche Anſtrengungen haben ſeine Kräfte vor der Zeit auf—
gerieben; nach längerem Leiden iſt er am 20. März 1823 infolge
eines Schlaganfalles geſtorben. Die Zahl feiner Verlagswerke
beträgt weit über hundert Nummern. Die Witwe ſetzte das Geſchäft
mit der veränderten Firma „Rommerskirchen's Buchhand—
lung und Buchdruckerei“ fort; nach ihrem am 28. Mai 1848
erfolgten Ableben kam der einzige Sohn Peter Heinrich
Rommerskirchen in den Alleinbeſitz und 1868 übertrug dieſer
das Geſchäft feinen: Neffen Julius Mellinghaus.
Seit 1901 befindet ſich das Geſchäft im Beſitze von Ferdi—
nand Sohn u. Jacob Friedrich Laué.
i Quellen: Merlo, Die Buchhandlungen u. Buchdrudereien „Zum Einhorn“
Köln 1876.
Roſenthal, L. Der Begründer der weltbekannten Buch—
handelsfirma L. Koſenthals Antiquariat in München,
Ludwig Roſenthal, wurde am 2. Juli 1840 in Fellheim in
Bayern geboren. Die Mittelloſigkeit des Vaters geſtattete den Beſuch
einer höheren Schule nicht, dagegen nahm Roſenthal von ſeinem
13. Jahre ab Unterricht im Engliſchen und Franzöſiſchen; trat mit
15 Jahren bei Heß in Ellwangen in die buchhändleriſche Lehre. Wab-
rend der Lehrzeit bildete ſich Roſenthal weiter in Franzöſiſch und Laz
tein, ſtudierte daneben bis ſpät in die Nacht Literatur, um ſeine Allge—
meinbildung zu heben. Kurze Zeit arbeitete er in Liegnitz als
Gehilfe und machte ſich 1859 in Fellheim ſelbſtändig; er begründete
ein Antiquariat durch den Ankauf der erſten Bibliothek. 1863 trat
er mit dem Geſamtbuchhandel in Verkehr, gleichzeitig erſchien der
erſte Antiquariatskatalog mit der ſtattlichen Anzahl von 3000
Nummern älterer Literatur. 1867 ſiedelte Roſenthal nach München
über. Geſchäftsreiſen im engeren Vaterlande, in Deutſchland,
Oeſterreich, Frankreich, Italien, Spanien und England erweiterten
den Geſichtskreis immer mehr, führten zur Auffindung und Exwer—
bung ſeltener typographiſcher Erzeugniſſe und Handſchriften und
brachten den gewandten Geſchäftsmann mit Gelehrten und Biblio—
philen zuſammen.
1874 nahm Roſenthal ſeine Brüder Jacques und Na—
than Roſenthal, die bei ihm das Antiquariatsgeſchäft erlernt
hatten, zu Teilhabern auf. Große Ankäufe von hervorragenden
Bibliotheken, der Bibliothek des Benediktinerkloſters St. Veit bei
Neumarkt a. Rott, der Stadtbibliothek Leutkirch in Württemberg,
der Bibliothek der Familie Hoermann von Gutenberg, der Bibliothek
des Jeſuiten-Kollegiums Landsberg, der Bibliothek des Freiherrn
Karl Maria von Aretin, Direktors des Königlichen Bayeriſchen
— 8 —
National⸗-Muſeums in München, eines Teils der Bibliothek des
Karthäuſerkloſters Buxheim bei Memmingen, der Bibliothek des
Rittergutes Lobris in Schleſien, brachten mit der Zeit eine Aus—
dehnung des Geſchäfis, daß das Bücherlager der Firma Roſenthals
Antiquariat in München an Inkunabeln, ſeltenen Drucken, Hand—
ſchriften, Einzelblättern das größte Deutſchlands geworden iſt und
einen Weltruf erworben hat. Ja, die Größe des Geſchäfts ließ es
wünſchenswert erſcheinen, eine Teilung zu ſchaffen, und ſo gingen
die Brüder, die über 20 Jahre an dem großen Bau gemeinſam gear—
beitet hatten, im Jahre 1895 auseinander und führten, jeder für ſich
unter eigener Firma, ein Antiquariat weiter. Ludwig Roſenthal
behielt, ſeinem Hauptanteil am Geſchäft entſprechend, die alte Firma
und führte ſie mit aller Kraft in den für richtig erkannten Bahnen
weiter, bis er im Jahre 1905, 50 Jahre nach Eintritt in den Buch—
handel, ſeine drei Söhne Adolf, Norbert und Heinrich
Roſenthal zu ſeinen Teilhabern ernannte.
Quellen: Börſenblatt für den Deutſchen Buchhandel 1905 (Paul Bürger).
Roßberg. Die Roßbergſche Buchhandlung in
Leipzig wurde am 20. Februar 1854 durch Ludwig Roßberg
begründet. Derſelbe hatte bei Serig in Leipzig den Buchhandel
erlernt, war in Halle und Nördlingen als Gehilfe geweſen und
begründete mit 27 Jahren ſeine geſchäftliche Selbſtändigkeit. Schul—
bücher und Jurisprudenz waren die Hauptfächer ſeines Sortiments—
betriebes, ſie gaben ihm bald eine gewiſſe Ueberlegenheit gegen die
Konkurrenz, die er geſchickt auszunutzen verſtand. Seine rationelle
Betriebsweiſe mit eigen gebundener Literatur brachte ihn zur Grund—
lage eines erſten ſogenannten Barſortiments.
Faſt gleichzeitig mit dem Sortiment hatte der Verlag ein—
geſetzt, dem Roßberg durch Ankauf einiger älterer Verlagslager eine
feſte Grundlage gab. Der vorherrſchend juriſtiſche Charakter des
Verlags trat erſt gegen Ende der 50er Jahre deutlich in die Erſchei—
nung. Bedeutende Werke und Zeitſchriften zeigt der Verlagskatalog
aus dieſem Gebiete, jo die „Annalen des Kgl. ſächſ. Oberappellati—
onsgerichts“, die „Zeitſchrift für Verwaltungspraxis“, denen ſich die
Handausgaben ſächſiſcher und deutſcher Geſetze anſchloſſen; ferner
finden wir Schriften von Pöſchmann, Siegmann, Puchelt (Kommen:
tare zum Handelsgeſetzbuch und Zivilprozeßordnung) u. a. Nicht
vergeſſen ſei die Bibliotheca juridica und die „Juriſtiſchen Repeti—
torien für Studierende“.
Die zunehmende Verlagstätigkeit bewog Roßberg zur Be—
gründung einer eigenen Druckerei. Am 1. Januar 1865 entſtand
die Leipziger Abendpoſt, ein in größerem Format täglich erſcheinen—
— 832 —
des Blatt, das die ſächſiſch⸗öſterreichiſche Politik gegen die preußiſche
vertrat, aber nach 1866 unterdrückt wurde. Als Fortſetzung dieſes
Blattes ift die Sächſiſche Zeitung, von 1870 —74 die Reichszeitung
zu betrachten, welch letztere mit dem Zurückdrängen der partifula-
riſtiſchen Beſtrebungen den Boden verlor.
Ludwig Roßberg ſtarb am 4. April 1877 und mit ihm verlor
der Buchhandel „eines ſeiner intelligenteſten, erfahrenſten und ftreb-
ſamſten Mitglieder“. Sein älteſter Sohn Curt Roßberg,
welcher im väterlichen Geſchäfte gelernt, dann in Prag und Zürich
fih weiter ausgebildet hatte, übernahm mit. 22 Jahren die ſchwere
und verantwortungsvolle Arbeitslaſt des Vaters. Doch ſchon nach
einem Jahre entriß ihn ein Nierenleiden dem Geſchäfte, er ſtarb am
5. Februar 1878. Bis zum Jahre 1894 ſtand nunmehr das aus—
gedehnte Verlags⸗ und Sortimentsgeſchäft unter der Leitung des
Prokuriſten Theodor Leibing, der das Anſehen und die Aus—
dehnung der Firma ſtetig förderte.
Am 1. Oktober 1894 übernahm der dritte Sohn des Begrün—
ders, der 1869 geborene Arthur Roßberg zunächſt als Proku—
rift, feit 1898 als Teilhaber die Leitung des Geſchäftes. 1899 wurde
die bisher im Verlage von Craz & Gerlach in Freiberg erſchie—
nene „Zeitſchrift für Praxis und Geſetzgebung der Verwaltung“ an-
gekauft und der Verlag im Jahre 1900 bedeutend erweitert durch
Angliederung von Meinholds juriſtiſcher Handbibliothek. Dieſe ſeit
Anfang der 60 er Jahre im Verlag von C. C. Meinhold u.
Söhne in Dresden erſchienene Sammlung war 1894 an die
Serigſche Buchhandlung in Leipzig (gegr. um 1856) über-
gegangen. Der Beſitzer dieſer Firma, Albert Berger, trat
gleichzeitig als Teilhaber in die Roßbergſche Handlung ein, ſo daß
er ſeine Kenntniſſe dem gemeinſamen Unternehmen, das mit ſeinen
350 Bänden wohl einzig in der juriſtiſchen Literatur daſteht, zur
Verfügung ſtellen konnte. Berger ſtarb bereits 1902; den ganzen
Verlag übernahm nun Arthur Roßberg, während das Sortiment an
Walther C. Jäh und Wilhelm Schunke überging.
Der Roßbergſche Verlag vereinigt heute mit ganz verſchwin—
denden Ausnahmen den geſamten ſächſiſch-rechtlichen Verlag, im be-
ſonderen auch alle Zeitſchriften. In den letzten 20 Jahren hat ſich
der Verlag auch wiederum der Schulbücherliteratur zugewandt, vor—
nehmlich auf dem Gebiete der neueren Sprachen. 1894 gingen die
Bierbaumſchen franzöſiſchen und engliſchen Lehrbücher aus dem
Selbſtverlag an Roßberg über, ferner wurde die Neuſprachliche
Reformbibliothek ins Leben gerufen. Es iſt dies eine einſprachige
Sammlung von Schulausgaben, die als erſte eine Forderung der
— — o ——
— 833 —
Reformmethode, Erläuterungen zu den Texten ausſchließlich in der
betreffenden fremden Sprache zu geben, zu erfüllen ſucht.
1898 übernahm der vierte Sohn des Firmenbegründers,
Alexander Roßberg, die Druckerei für eigene Rechnung und
gliederte ihr 1902 eine Buchbinderei an. Druckerei und Verlag be—
ſchäftigen jetzt über 150 Perſonen. |
l co Denkſchrift zum 50 jährigen Beſtehen der Firma Roßberg, Leip-
zig 4.
Roth, E. Die Verlagsbuchhandlung Emil Roth in Gießen
wurde 1822 durch B. C. Ferber zunächſt als Sortimentsbuch—
handlung gegründet. Nach Ferbers 1844 erfolgtem Tode trat deſſen
Witwe 1846 in eheliche Verbindung mit Emil Roth aus Weißenburg
a. Sand in Bayern. Dieſer führte das Geſchäft unter der Firma
„Ferberſche Univerſitäts buchhandlung (Emil
Roth)“ weiter. Durch den Anfang 1860 erworbenen Verlag von
Alexander Pabſt und Carl Wilhelm Leske (vergl.
Bd. IV S. 608 d. W.) in Darmſtadt lenkte er in den Uebergang ſeines
Sortiments zum Verlagsgeſchäft ein. Einen ferneren erweiterten
Aufſchwung erfuhr die Geſchäftsfirma durch ihre in den 1860er
Jahren vollzogene Verbindung mit zwei Gelehrten von bedeutendem
Ruf, nämlich mit den Profeſſoren Jac. Moleſchott und Geh. Juſtizrat
Profeſſor Dr. v. Schulte in Bonn, deren Werke in jener Zeit ein
berechtigtes Anſehen genoſſen. Bis zum Jahre 1864 führte Roth
das Doppelgeſchäft weiter; von da ab übertrug er das Sortiment
feinem Stiefſohn Wilhelm Ferber in Gießen, während die
Verlagsbuchhandlung von ihm unter feinem Namen weitergeführt
und immer vielſeitiger ausgebaut wurde. Als Roth 1876 aus dem
Leben ſchied, war ſeine Firma im Verlagsbuchhandel weit über die
Grenzen des Großherzogtums Heſſen hinaus zu rühmlichem Anſehen
und hervorragender Bedeutung gelangt.
Am 15. Juli 1876 übernahm Otto Roth die Firma des
Vaters. |
Er trat alsbald mit praktiſchen heſſiſchen Volksſchulmännern
in Verbindung, um den Plan zu entwerfen zu einem dem amtlichen
Lehrplan entſprechenden Leſebuch, welches die Verfaſſer mit dem
Erſcheinen einer „Heſſiſchen Fibel“ einleiteten. Dieſe liegt heute
in der 39. Auflage, deren jede in 10000 Exemplaren erſchien, vor.
Hieran reihte ſich in aufſteigender Folge das „Heſſiſche Leſebuch“,
welches in 4 Ausgaben in einer Reihe von Auflagen in faſt allen
Schulen des Großherzogtums in Gebrauch genommen iſt.
Einen gleich glücklichen Griff tat Roth mit der gründlichen
Umarbeitung des ſchon von dem Gründer des Verlagsgeſchäfts erwor—
: 53
= 631. =
benen „Niepothſchen Rechenbuches“, welches bereits in 19. reſp.
25. Auflage in 2 Ausgaben erſchienen iſt.
Auch in der Kartographie hat der Rothſche Verlag in der
jüngſten Zeit große Ausdehnung gewonnen und beſonders in den
Schulwandkarten des Prof. Wamſer, in den Handkarten, Kreiskarten,
Stadtplänen und Umgebungs- und Touriſtenkarten desſelben Autors
hervorragende kartographiſche Leiſtungen geſchaffen, ſo daß die Ver—
lagsbuchhandlung falt ſämtliche Unterrichtsgegenſtände, welche das
heſſiſche Volksſchulgeſetz vorſchreibt, in vorzüglicher Weiſe pflegt und
mit Recht auf den Namen eines „heſſiſchen“ Schulbuchverlags An-
ſpruch machen darf. |
Der Verlagskatalog weiſt aber auch eine ſtattliche Reihe von
Verlagswerken auf, die ſich in den Dienſt der Pflege und der Erhal—
tung der Gefühle für Heimat und Vaterland ſtellen. Jurisprudenz,
Medizin und Naturwiſſenſchaft werden vom Verlage eifrigſt gepflegt.
Die in der ganzen Welt bekannten „Fuchsbergerſchen Entſcheidungen“
ſowie die rechtswiſſenſchaftlichen Werke des berühmten Univerſitäts—
profeſſors Geh. Juſtizrat Gareis, die Lehrbücher des Kirchenrechts—
lehres von Schulte und in neuerer Zeit die Veröffentlichungen des
bekannten Nationalökonomen Prof. Dr. Biermer find befonders
hervorzuheben. Ferner auf dem Gebiet der Medizin und Natur-
wiſſenſchaft die Werke eines Moleſchott, Ludwig Büchner, Eckhard
und Kehrer.
Neben der Wiſſenſchaft iſt auch die ſchöne Literatur nicht zu
kurz gekommen, wie die Gedichte des Waldpfarrers Knodt, das
Goethebrevier des Prof. Heinemann, Schlägers Schillerworte, die
vaterländiſchen Romane von Bechtolsheimer, Becker, Buxbaum und
Francke zur Genüge dartun. In den deutſchen Familien iſt der Ver—
lag von Emil Roth wegen ſeiner Jugendſchriften gern geſehen. Ein
junger, aber gut gepflegter Zweig des Verlages, welcher der perſön—
lichen Vorliebe des Beſitzers entſprang, iſt der bereits 10 Nummern
umfaſſende Führerverlag „Roths illuſtrierte Führer“, dem ſich die
dem Verlag zugefügte Odenwaldgruppe in charakteriſtiſcher Weiſe
anſchließt. .
1902 erwarb Otto Roth die bereits im 24. Jahrgange ſtehende
„Heſſiſche Feuerwehrzeitung“ und vereinigte fi mit dem Bud-
druckereibeſitzer Kindt zur Weiterführung derſelben.
1904 gliederte der Beſitzer ſeinem Verlage die „Heſſiſche Lehr—
mittelanſtalt“ (Emil Roth) an. Dieſelbe umfaßt jetzt 12 Aus⸗
ſtellungsräume für eine permanente Lehrmittel-Ausſtellung und darf
ſich in ihrem Aufbau und ihrer Ausſtattung den bedeutendſten Lehr—
mittelanſtalten Deutſchlands an die Seite ſtellen.
Quellen: Verlagskatalog 1876, 1896, 1906.
— 835 —
Rothe. Im Jahre 1526 errichtete der aus Halle a. S. gebiir-
tige Buchdrucker Carl Gotthilf Röthe, bisher Faktor der
Wedelſchen Hofbuchdruckerei in Danzig, in Graudenz eine Bud-
druckerei, welcher er alsbald eine Buchhandlung angliederte. Er ver—
knüpfte damit die Gründung einer Wochenſchrift und Sonnabend,
den 8. Juli 1826 erſchien die erſte Nummer des heute ſo angeſehenen
Blattes „Der Geſellige“. Der Begründer der Firma ftarb im
76. Lebensjahre am 19. März 1859, nachdem bereits drei Jahre
früher ſein Sohn Guſtav Röthe das Geſchäft käuflich über—
nommen hatte. 1854 war der von J. Gäbel begründete „Grau—
Denger Anzeiger“ mit dem „Geſelligen“ verſchmolzen worden.
Quellen: 50 Jahre der Geſellige, Graudenz 1876.
Röwer, J. F. Johann Friedrich Röwer wurde am 15. No—
vember 1773 zu Berlin geboren und erhielt ſeine erſte Bildung auf
der Realſchule daſelbſt. Für den Buchdruckerſtand beſtimmt, fand
er ein Unterkommen in der Kgl. Hofbuchdruckerei. Der Beruf ſagte
ihm jedoch nicht zu und fo trat er dann “ Jahr ſpäter als Lehrling
in die Himburgſche Buchhandlung zu Berlin ein. Nach Beendigung
feiner Lehre wandte er feine Schritte 1794 nach Göttingen, wo er
eine Stelle in der Dieterichſchen Buchhandlung angenommen hatte.
5 Jahre blieb er hier, da ſtarb im Sommer 1799 der Buchdrucker
und Verlagsbuchhändler Roſenbuſch. Die Verhältniſſe ſeines
Verlages befanden ſich nicht in beſter Ordnung, beſonders wegen der
Herſtellung des großen Werkes „Geſch. d. Künſte u. Wiſſenſchaften“,
das einen großen Zuſchuß erforderte. Zur Regulierung der Ver—
pflichtungen des Geſchäftes wurde ein tatkräftiger Mann gebraucht
und der wurde bald in Röwer gefunden. Bereits zur Oſtermeſſe
1800 konnte Röwer das Arrangement als geſichert betrachten. Er
gab nun dem Geſchäft einen neuen großen Aufſchwung. 1800 ſchloß
er mit der Witwe Roſenbuſchs die Ehe und übernahm ganz den
Verlag, die Druckerei dagegen nur erga taxatum, bis er 1822 dem
nunmehr volljährigen Sohn Roſenbuſchs die Druckoffizin abtrat.
Röwer ſtarb am 3. Dezember 1837, ſein Verlagsgeſchäft war ſchon
vorher mit demjenigen der Firma Vandenhoek u. Ruprecht
in Göttingen (ſiehe dieſen Artikel) vereinigt worden.
Aus Röwers Verlag find eine Reihe wichtiger und großange—
legter Werke hervorgegangen. Genannt ſeien hier: Bouterweks Ge—
ſchichte der Poeſie 9 Bde.; Buhles Geſchichte der neueren Philoſophie
6 Bde.; die Schriften von J. G. Eichhorn (Geſchichte der Cultur,
Weltgeſchichte uſw.); ferner Schriften von J. F. Gmelin, A. H. L.
Heeren, Herbert (Allgem. Pädagogik); C. G. Mitſcherlich, F. B. Ofi-
ander, W. Planck, Platen, L. Wachler, C. F. Ammon u. v. a.
Quellen: Verlagskatalog 1813, 1830.
53*
— 836
Runge. Im Jahre 1599 berief Kurfürſt Friedrich Joachim
den bis dahin zu Neudamm bei Cüſtrin tätig geweſenen Christoph
Runge als ſeinen Drucker nach Berlin, wo er ihm im Grauen
Kloſter Räumlichkeiten für ſeine Offizin anwies. Runge arbeitete
hier, mit vielen Widerwärtigkeiten kämpfend, arm und dürftig bis
zu ſeinem 1607 erfolgten Tode.
Zunächſt ſetzten ſeine Erben, dann ſein Sohn Georg
Runge allein, von 1610 an, das väterliche Geſchäft fort, welches
aber durch das Elend des dreißigjährigen Krieges immer mehr in
Verfall geriet. Georg Runge ſtarb 1639. Seine Witwe folgte ihm
1643 und übergab dann die Druckerei ihrem Sohn, dem erſten Ber—
liner Hofbuchdrucker, Criſto ph Runge (II), der fie bis zu
ſeinem Tode, 1681, beſaß und bedeutend erweiterte. Er war ein
tätiger und unternehmender Mann, der auch als Verleger ſich hervor—
tat und nur durch Mangel an Mitteln vielfach gelähmt wurde. Im
Februar 1648 geſtattete ihm der große Kurfürſt, den eigenen Verlag
in ſeinem Hauſe zu verkaufen, „dafern ihm die Berliner Buchhändler
ſolche Werke umb einen billigen Preis abhandeln wollten“. Einen
Monat ſpäter gewährte ihm der Kurfürſt ferner in Anbetracht der
traurigen Zeiten ein dreijähriges Moratorium gegen ſeine harten
Gläubiger. Runge ſcheint ſich aber bald darauf erholt zu haben,
denn er gab 1655 die erſte, regelmäßig einmal die Woche erſcheinende
Zeitung heraus. Schon früher, von 1617 an, hatten die Runges
gelegentlich einzelne Flugblätter, Aviſen, Relationen und neue Zei—
tungen veröffentlicht. Nach Chriſtoph Runges Tode 1681 fiel das
Geſchäft an ſeine Witwe Maria Catharina Runge, geb.
Theſendorf, welche es, als ſie ſich 1685 wieder verheiratete, ihrem
zweiten Ehemann David Salfeld aus Halle a. S. überließ. Da
dieſer aber ſchon 1686 ftarb, fo führte die Witwe die Druckerei bis
1704 fort, wo ſie dieſe ſamt dem Verlage für 2500 Taler an
Johann Lorenz verkaufte. Letzterer war bis 1734 tätig, Witwe
und Sohn folgten ihm bis 1747 reſp. 1757, wo das Geſchäft in die
Hände von Karl Friedrich Rellſta b ſ überging.
Quellen: Deutſchland 1903 II (Consentius); Archiv für Geſchichte des deu⸗
ſchen Buchhandels Bd. III und VII.
Ruppel, B. Für den erſten Baſeler Drucker wurde bisher
Bernhard Ruppel (auch Rüpel, Röpel, Rupolt, Rupold und
Rüpold genannt) von Hanau gehalten, während indeſſen neuere
Unterſuchungen dieſe Würde dem Michael Wenssler (vergl.
dieſen Artikel) zuteilen.
Ruppel iſt 1455 Fuſts „Diener und Druckerknecht“ und als
Prozeßbeteiligter im Streite Fuſt-Gutenberg wird er gleich darnach,
zuſammen mit dem ſpäter nach Nürnberg ausgewanderten Hein:
— —
See BST ee
rich Kefer als Zeuge vorgeladen. Gegen Ende der 60er Jahre
des 15. Jahrhunderts begegnen wir Ruppel in Baſel, während
„Berchtold Ruppell von Gannouw der Trucker“ erſt am 14. Februar
1477 das Bürgerrecht daſelbſt erlangte. Das um 1466 erſchienene
„Repertorium Vocabulorum exquisitorum“ des Conradus de
Mure bezeichnet einen Bertoldus in Bafilea als Drucker, ohne Zweifel
unſeren Berthold Ruppel. Zwei Jahre früher erſchien das Folio—
werk Gregori Magnis „Moralia seu Expositio in Jobum“, das erſte
Werk mit einem „Druckfehlerverzeichnis“ am Ende und wahrſchein—
lich eins der älteſten Druckdenkmäler der Stadt Baſel. Noch ein
halbes Dutzend weiterer undatierter Drucke führen die Bibliographen
als Ruppelſche Erzeugniſſe an, ohne vollſtändige Sicherheit darüber
zu erhalten.
Ruppel, welcher in Baſel an der Frygſtraß im Hauſe „zem
Palaſt“ wohnte, Scheint auch mit Bernhard Richel (vergl.
S. 816 d. Bandes) in Verbindung geſtanden zu haben, da ein Teil
der von erſterem gedruckten lateiniſchen Bibeln anidemend mit
Charakteren Ruppels gedruckt ift.
1495 ſcheint Ruppel geſtorben zu ſein, denn am 14. April
dieſes Jahres gibt ſeine Witwe Magdalene ihrem Bruder Auftrag
zur Einziehung aller ihrer Guthaben. 1505 vermacht ſie einem
Baſeler Domherrn die größere Hälfte ihres Vermögens. Kurz nach—
her ſcheint ſie geſtorben zu ſein, denn am 21. April 1505 tritt ihr
Bruder „Wilhelm Verlin von Repperswill us dem Elſaß“ die
Hinterlaſſenſchaft Magdalenens an.
Quellen: Streckmann & Reber, Baſeler Buchdruckerkunſt 1840; Kapp, Buch—
handel I; Klemm, SC oi Dresden 1884; Archiv für Geſchichte des Deutschen
Buchhandels Bd. V. XII.
Ruſch, A. Zu den bekannteſten Straßburger Buchdruckern
gehört auch Adolph Ruſch, ein Gehilfe Mentels, der deſſen
Tochter Salome heiratete und dadurch Teilhaber an dem umfang—
reichen Mentelinſchen Geſchäfte „im Hauſe zum Tiergarten“, das
er 1478 ſelbſtändig übernahm, wurde. Buchdrucker und Buchhändler,
vielleicht auch noch Handſchriftenhändler, betrieb Ruſch, ſo erzählt
Schmidt, auf großartige Weiſe ſein Geſchäft. Wenn ſeine eigenen
Preſſen nicht ausreichten, half er ſich aus, indem er den kleinen, in
der Stadt angeſeſſenen Druckern Arbeit gab. Ruſch übernahm Auf—
träge für Anton Koberger in Nürnberg und Johann
Amerbach in Baſel. Eigentümlich mutet es an, daß Amerbach,
wenn er bei Ruſch etwas drucken ließ, dieſem Typen und einen Setzer
ſchickte (vergl. auch Artikel Amerbach Bd. I S. 6 d. Werkes).
Ruſch war einer der bedeutenſten Papierhändler ſeiner
Gegend, ſelbſt Baſeler Drucker deckten bei ihm ihren Bedarf. Für
= 838 =
Bücher, die Ruſch bei anderen kaufte, zog er vor, Statt Geld ſtets
Papier zu liefern. In Ingweiler beſaß Ruſch eine ſchloßartige Villa,
die „Ruſchenburg“. Auf einer Reiſe nach Baden erkrankte er ſchwer,
wurde nach Straßburg zurückgebracht und ſtarb hier am 26. Mai
1489.
Dziatzko identifiziert den myſtiſchen Straßburger Drucker mit
dem bizarren K mit Adolf Ruſch, welcher in jener bizarren R-Form
eine Art Monogramm ſeines Namen verſucht habe. Es wäre dies
die einzige Art, wie er in ſeinen Drucken wenigſtens eine Andeutung
feines Namens hinterlaſſen hat. Sonſt iſt Ruſch nie in einem feiner
Drucke genannt, ſo zuverläſſige Nachrichten wir auch anderweitig von
ſeiner Druckertätigkeit beſitzen. Sehr beachtenswert iſt Ruſchs Druck—
tätigkeit nicht allein durch den frühen Gebrauch der Wntiquatype,
vielleicht der früheſten innerhalb Deutſchlands, ſondern noch mehr
durch eine gewiſſe Vorliebe für humoriſtiſche Literatur, die er gerade
in der älteren Reihe ſeiner Drucke behandelt.
Ein lateiniſches Lobgedicht ſeines Freundes Rudolf von
Langen verrät uns, daß Ruſch die große vierbändige „Biblia latina
cum glossa ordinaria Walafridi Stabonis et interlineari Anselmi
Laudunensis“ für Koberger druckte. Ein bewundernswertes Dent:
mal für die Ausdauer und Geſchicklichkeit des Kunſtfleißes damaliger
Zeit, nennt es Klemm, indem er hinzufügt, daß es eins der groß—
artigſten Bibelwerke aller Zeiten ſei. Zum Druck dieſer gloſſierten
Bibel wurden viererlei Typen benutzt. Den Bibeltext umgibt auf
jeder Seite die „glossa ordinaria“ des Walafrid Strabo, während
zwiſchen die Zeilen desſelben die Interlineargloſſe des Anſelm von
Laon eingeſchoben iſt.
Quellen: C. Schmidt, älteſte Bibliotheken und Buchdrucker zu Straßburg,
1882; Kapp, Buchhandel Bd. I; Haebler, Beiträge zur Kenntnis des Schrift ꝛc.-
Wefens, VII (Der Druder mit dem bizarren R., von K. Dziatzko), Halle 1904;
Klemm, Katalog, Dresden 1884.
Rütten. Am 1. Juli 1844 errichtete Joſeph Rütten
unter Mitwirkung von Dr. Loewenthal eine Verlagsbuchhand⸗
lung. Eines ſeiner erſten Verlagswerke war der „Struwwelpeter“
von Dr. med. Heinr. Hoffmann-Donner. Seine Geſchichte iſt die
Geſchichte des Verlages. Das Entſtehen des berühmten Kinder—
buches ſchildert Hoffmann ſelbſt in einer Zuſchrift an die Redaktion
der Gartenlaube. Das Originalexemplar machte ſeinen Kindern
Weihnachten 1844 die erſte Freude. Im Druck erſchien das Buch in
einer Auflage von 1500 Exemplaren erſt im nächſten Jahre, an
Honorar hatte der Verleger 80 Gulden bezahlt. Innerhalb 4 Wochen
war die erſte Auflage vergriffen, der Ruhm des Buches war begrün—
det. 1846 erſchien die 2., 1876 die 100ſte, 1895 die 200ſte Auflage.
— 839 —
Nachdem 1857 Dr. Loewenthal, der feinen Namen in Loening
umänderte, Prokuriſt geworden, nahm ihn Rütten 1859 als Teil-
haber in das Geſchäft auf, das von da ab Literariſche
Anſtalt Rütten u. Loening firmierte. Nachdem am
19. Juni 1878 Joſ. Rütten geſtorben, trat im Dezember des gleichen
Jahres auch Loening aus und die Handlung ging an Heinrich
Oswalt und Gottfried Loening über Letzterer ſtarb am
4. Juni 1887 und das Geſchäft kam in den alleinigen Beſitz Heinrich
Oswalts. Dieſer war geboren am 5. Auguſt 1830 zu Frankfurt
a. M. als Sohn einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie. Nach
Beſuch der Schule ergriff er den gleichen Lebenslauf und war bis
zur Auflöſung des väterlichen Geſchäftes Ende der ſechziger Jahre
in demſelben tätig. Nachdem er ſich nach ſeiner Verheiratung mit
Brandine Deichler, Tochter des Frankfurter Pfarrers Deichler, einige
Jahre ins Privatleben zurückgezogen, ergriff er mit Freuden das
Anerbieten ſeines Oheims Rütten, ihm in ſeinen Arbeiten zur Seite
zu ſtehen. Als Alleinbeſitzer hat er neben dem Bilderbuchverlag der
Firma auch dem Buchverlag einen großen Aufſchwung gegeben; er
führte demſelben das bekannte Künſtler-Lexikon, die G. Brandes ſchen
Eſſays⸗Sammlungen, Windſcheids Pandektenwerk und das Goethe—
Jahrbuch, herausgegeben von Prof. L. Geiger, das ſich als ſein
Haupterfolg erwies, u. v. a. zu.
Im Mitteldeutſchen Buchhändler-Verband ſowohl als im
Frankfurter Buchhändler-Verein war er lange Jahre im Vorſtand
tätig, wo er ein reiches Wirken entfaltete. Er ſtarb am 30. November
1891 und ſeitdem iſt ſeine Witwe Brandine Oswalt Beſitzerin, welcher
der einzige Sohn Wilhelm Ernſt Oswalt als Prokuriſt zur
Seite ſteht.
Quellen: Börſenblatt für den Deutſchen Buchhandel 1887, 1891; Garten-
laube 1893; Berliner Tageblatt 1894.
Rynmann, J. Johann Rynmann wurde zu Oehringen,
der Reſidenzſtadt einer der damals gräflich Hohenloheſchen Linien.
mutmaßlich in den ſechziger Jahren des fünfzehnten Jahrhunderts
geboren. 1498 hatte er ſchon: „etliche Jare ein Henndel vnnd
gewerbe mit gedruckten buchern vnnd anderm In vßwendig konnig—
reichen und Nationen, auch In Nidern vnd Hohen Teutzſchen Landen
gefurt.“ Rynmanns Geſchäfte können daher ſchon 1498 keineswegs
mehr unbedeutend geweſen ſein, da ſein Wirkungskreis ſo ausgedehnt
war, daß er ſogar die Grenzen Deutſchlands überſchritt.
Durch Geldopfer löſte er ſeine drückenden Verhältniſſe in
Oehringen und wanderte nach Augsburg aus. Mit Rynmanns
Ueberſiedelung nach dieſer mittelalterlichen Handelsſtadt begann nun
erſt die größere Ausdehnung und Blüte ſeines Geſchäftes. Nicht
— 840 —
mehr durch drückende Verhältniſſe eingeengt, konnte er ſeinem Unter—
nehmungsgeiſte freieren Spielraum laſſen, dabei unterſtützt von
vollkommen ausreichenden Mitteln. Schon 1498 zeigt er ſich als
wohlhabender Mann, der, ohne ſeine liegenden Gründe anzugreifen,
im Stande war, für ſeine Freiſprechung von der Leibeigenſchaft die
für die damalige Zeit ſehr bedeutende Summe von 800 Gulden zu
entrichten. Auf ſeinen verſchiedenen Geſchäftsreiſen hatte er die
beſte Gelegenheit gehabt, die literariſchen Bedürfniſſe des Publikums
kennen zu lernen und war dadurch in den Stand geſetzt worden, ſeine
Spekulationen denſelben beſſer anzupaſſen, als mancher andere Buch—
führer und Buchdrucker. Sein Verlag zeigt daher auch Werke aus
allen Fächern der Wiſſenſchaften, wenn er gleich die klaſſiſche und die
ſchnell emporblühende philologiſche Literatur faſt ganz vernachläſſigte
und obwohl die theologiſche Literatur, namentlich homiletiſche und
asketiſche Werke, bedeutend überwiegen. In dem Vertriebe dieſer
letzteren Schriften beſtand ſein Hauptgeſchäft, und daß er für ſeine
Zeit und ſeinen nähern Wirkungskreis richtig ſpekuliert hatte,
beweiſen die wiederholten Auflagen, die von der Mehrzahl derſelben
notwendig wurden.
Rynmann beſchäftigte für ſeinen bedeutenden Verlag nicht
allein die Preſſen von Augsburger Buchdruckern, wie Johann
Ottmar, Sylvan Ottmar und Erhard Oeglin
(Ocellus), ſondern er ließ auch außerhalb Augsburgs drucken, und
und Jacob von Pfortzheim in Baſel, Renatus Beck in
Straßburg, Georg Stuchs und Hieronymus Hölzel in
Nürnberg, Peter Lichtenſtein (Levilapis) in Venedig erhielten
mehrfach Aufträge von ihm. Vor allen war es aber Heinrich
Gran in Hagenau, der für Rynmanns Verlag tätig war und ihm
ſeine Preſſen faſt ausſchließlich widmen mußte. Bei der überwiegen—
den Zahl von Werken, welche Heinrich Gran für Rynmann im Ver—
hältnis zu anderen Verlegern druckte, dürfte faſt die Vermutung
gerechtfertigt erſcheinen, als ob ſämtliche Erzeugniſſe der Granſchen
Preſſen, die nicht ausdrücklich den Namen eines anderen Verlegers
tragen, für Rechnung Rynmanns gedruckt wurden, zumal auch die
Tätigkeit Heinrich Grans ſehr bald nach dem letzten Auftreten
Johann Rynmanns ihr Ende erreichte.
Bis zum Jahre 1522 ſetzte Rynmann ſeine geſchäftliche Tätig—
keit fort, obwohl die drei letzten ein auffallendes Erſchlaffen erkennen
laſſen. Vermutlich erfolgte auch 1522 ſein Tod, denn nach dieſer Zeit
findet ſich weiter kein Verlagsartikel von ihm. Sein Wirken in
Augsburg war übrigens von dem nachhaltigſten Einfluß auf die
Entwicklung des dortigen Buchhandels geweſen. Seit ſeiner Ueber—
ſiedelung dorthin entfaltete ſich, jedenfalls durch ſein Beiſpiel ange—
— 841 —
regt, zu Augsburg ein reges Leben im Buchhandel; eine Menge von
allerdings größtenteils nur kleinen Buchführern, inſofern man nam-
lich nur nach ihren bekannten Verlagsartikeln urteilen kann, tauchte
auf, darunter auch Wolfgang Präunlein. Er war anſcheinend
der Schwiegerſohn Johann Rynmanns und hat deſſen Geſchäfte
fortgeſetzt. Er hatte nämlich zufolge der beiden Grabſchriften, die ſich
in der Kirche zu Oehringen befinden, eine Agathe Rynmann zur
Frau. Bis ungefähr zum Jahre 1556 betrieb Präunlein den Buch—
handel zu Augsburg, muß ſich aber ſchon dann nach Oehringen be—
geben haben, wo er 1558 geſtorben iſt.
Kirchhoff zählt im ganzen 145 Verlagsartikel von Rynmann
auf, worunter ſich große und bedeutende Werke befinden. :
Quellen: Börjenblalt für den Deutſchen Buchhandel 1850 (Kirchhoff); vergl.
Artikel Pantzſchmann Bd. IV S. 745 d. Werkes.
Sauerländer. Die Geſchichte der Buchdrucker- und Bud-
händlerfamilie Sauerländer läßt fih erft von der Mitte des 18. Jabr-
hunderts ab genauer verfolgen.
Johann Chriſtoph Sauerländer, geboren am
31. 3. 1745 zu Erfurt als Sohn des dortigen Buchdruckers Elias
Sauerländer, kam 1770 um die Erlaubnis ein, ſich in Hanau
etablieren zu dürfen. Er erhielt dieſe Erlaubnis, wurde auch alsbald
zum Hof- und Lotteriebuchdrucker ernannt, blieb aber ſelbſt in Frank—
furt a. Main, woſelbſt er 1771 Bürger geworden war und mit der
Tochter feines Prinzipals, des Buchdruckers Schepper, verehelicht
hatte. Da er dauernd ſich in Hanau nicht ſehen ließ, wurde ihm 1776
bei Einrichtung der Hanauer Waiſenhausbuchdruckerei
Prädikat und Titel entzogen. Er lebte nun ganz ſeiner Frankfurter
feit 1613 beſtehenden und durch Caspar Rotel gegründeten
Druckerei, die er zu bedeutender Blüte brachte. Sauerländer ſtarb
am 15. 11. 1805.
Sein Sohn Heinrich Remigius Sauerländer
wurde am 13. 12. 1776 zu Frankfurt geboren. Er erhielt eine ſehr
ſorgfältige Erziehung im Elternhauſe und wurde nach zurückgelegten
Gymnaſialſtudien in des Vaters Buchdruckerei als Lehrling ein—
geſtellt. Er erlernte dann auch den Buchhandel und trat als Gehilfe
bei Eßlinger in Frankfurt a. M. ein. Seine Stellung führte ihn auf
ſeinen Reiſen auch für längere Zeit nach Paris und zwar zu einer
Zeit der politiſchen Sturmflut. Der von den Ideen ſeiner Zeit
mächtig angeregte junge Mann wandte ſich nach der Schweiz, die ihn
durch ihr freieres politiſches und geſellſchaftliches Leben ſehr anzog.
Hier nahm er eine Gehilfenſtellung bei Flick in Baſel an. Schon
1802 wurde er Teilhaber der Flickſchen Buchhandlung in
Baſel und gründete nun zur weiteren Ausdehnung des Geſchäftes mit
24. BI i
jeinem Kompagnon eine Filiale in Aarau, in deren Leitung ſich
beide abwechſelnd teilten, bis 1805 eine Trennung dergeſtalt erfolgte,
daß Flick das Stammgeſchäft in Baſel, Sauerländer die Filiale in
Aarau übernahm. In diefe Beit fallt feine Geſchäftsverbindung mit
Heinrich Zſchokke und des um feine Vaterſtadt verdienten Vater
Meyer, die beide als Mittelpunkt eines größeren Kreiſes von Gelehr—
ten galten. Zſchokke wohnte damals zurückgezogen vom Staatsdienſte,
worin er aus treuer Liebe für das Vaterland ſeiner Herzenswahl
ſchon ſo manches geleiſtet hatte, auf dem Schloſſe Biberſtein. Er be—
abſichtigte mit Neujahr 1804 den „aufrichtigen und wohlerfahrenen
Schweizerboten“ herauszugeben; allein es fehlte ihm dazu ein Ber-
leger in der Nähe. In dieſe Lücke trat nun ſein Freund Sauer⸗
länder, mit dem ihn lebenslang aufrichtige Freundſchaft verband.
Großen und dauernden Erfolg hatten namentlich Zſchokkes „Stunden
der Andacht“.
1838 trat Sauerländer ſein Sortiment und die Druckerei
ſeinen beiden Söhnen Carl Auguſt und Friedrich Fer—
dinand Sauerländer ab, während er ſelbſt den Verlag nebſt
neu eingerichteter Papierfabrikation noch bis zu ſeinem am 2. 6. 1847
erfolgten Tode fortführte.
Carl Sauerländer war am 10. 12. 1806 zu Aarau geboren
und ſollte ſich nach dem Wunſche des Vaters einem wiſſenſchaftlichen
Berufe widmen. Mit 17 Jahren bereits bezog er die Univerſität
Baſel, kam von hier nach Genf, wo er viel mit Theodor Zſchokke ver—
kehrte, und 1825 nach Berlin, um auf der dortigen Univerſität weiter
zu ſtudieren. Er ſaß hier zu den Füßen eines Hegel, Böckh, Schleier—
macher, Raumer, Ritter u. a., bis ihn ein Brief des Vaters nach der
Heimat rief. Er mußte zunächſt anſtelle ſeines unluſtigen älteren
Bruders das Geſchäft des Vaters übernehmen, bis er zuſammen mit
ſeinem jüngern Bruder die oben ſchon genannten beiden Abteilungen
vollſtändig vom Stammgeſchäft ablöſte. Nach dem Tode des jüngeren
Bruders nahm Carl Sauerländer ſeinen Freund Guido Zſchokke als
Geſellſchafter auf. Am 27. 10. 1873 ſtarb Carl Sauerländer, die
Handlung übernahm damit gleichzeitig ſein Sohn Remigius
Sauerländer, welcher noch heute Beſitzer der Verlagsbuchhand—
lung H. R. Sauerländer & Co. in Aarau iſt. Die Sortiments⸗
abteilung, Sauerländers Sortiments buchhandlung
befindet ſich ſeit 1900 im Beſitze von Max Krauß und G. Brack.
Das Frankfurter Stammgeſchäft war nach dem Tode des
J. C. Sauerländer von ſeinem zweiten und dritten Sohn, den Ge—
brüdern Philipp Friedrich und Johann David Sauer—
länder (geboren 1789), übernommen und unter der Firma Ge—
brüder Sauerländer fortgeführt worden. Ihr Verlagskatalog
‘ee, BIB) e
verzeichnet hauptſächlich Schriften von L. F. Huber (Poſſen und Luft-
ipiele), daneben eine Anzahl Frankfurtenſien. Nach der 1819 er-
folgten Auflöſung des Sozietätsverhältniſſes führte J. D. Gauer-
länder die Firma unter eigenem Namen weiter. Der im Jahre 1850
erſchienene Verlagskatalog des allmählich zu großer Ausdehnung
herangewachſenen Geſchäfts verzeichnet in 18 Abteilungen alle Lite—
raturzweige. Der proteſtantiſchen und katholiſchen Theologie ſchließen
ſich mehrere israelitiſche Kultzeitſchriften an. Die Rechtswiſſenſchaft
iſt durch Bender, Jagemann, Schäffner u. a. und die Staatswiſſen—
ſchaft iſt nicht minder umfangreich vertreten. Unter den naturwiſſen—
ſchaftlichen Verlagswerken ragen diejenigen von Geubek, Wilbrandt,
Freſenius und Friedleben hervor. Sehr umſangreich iſt auch die
Rubrik Pädagogik und Schulbücher nebſt einer Reihe Jugendſchriften.
Die Forft- und Jagdwiſſenſchaft verzeichnet die feit 1832 erſcheinende
Forſt⸗ und Jagdzeitung, ferner Einzelſchriften ihrer Herausgeber,
des Forſtmeiſters Behlen u. a. Auf dem Gebiete der Schönen Lite—
ratur finden wir vor allem Fr. Rückerts und Clemens Brentanos
Schriften, ſodann die Namen Ludwig Pfau, Biedenfeld, Dalberg,
Doring, Duller, C. Gutzkow, die feit 1846 erſchienene (ſpäter an
Julius Nied ner in Wiesbaden, dann an Stephan Geibel
in Altenburg übergegangene) Hornſche „Spinnſtube“, ein echter und
rechter Volkskalender, der ungeheure Verbreitung fand, ſowie des—
ſelben Autors prächtige Dorfgeſchichten und geſammelte Erzählungen.
Ferner A. Graf von Platen (in den Cottaſchen Verlag in
Stuttgart übergegangen); J. Schopenhauer (ſpäter Verlag von F. A.
Brockhaus in Leipzig); Thümmel u. v. a. Sauerländer verlegte
auch die Druckſchriften der deutſchen National-Verſammlung 1848-49,
In den Jahren 1837—50 veranftaltete Sauerländer in 258 Bändchen
eine Ueberſetzung der Werke J. F. Coopers, denen ſich andere eng—
liſche Autoren anſchloſſen.
1855 trat Heinrich Remigius Sauerländer in die
Firma ein, deren alleiniger Beſitz 1864 an ihn überging, während die
Druckerei 1867 an Mahlau & Waldſchmidt (vergl. Bd. IV
S. 653 ds. Werkes) kam. Seit 1893 iſt Robert Sauerländer
Inhaber der angeſehenen Verlagsbuchhandlung.
Quellen: Zſchokke, Zur Erinnerung an Carl S., Aarau 1873, Koennecke;
Heſſiſches Buchdruckerbuch, Marburg 1894; Süddeutſche Buchhändlerztg 1847,
Verlagskataloge 1819, 1825, 1832, 185", 1869, 1881.
Scheitlin, C. Pp. Carl Peter Scheitlin wurde am
8. 2. 1809 als Sohn des Profeſſors Peter Scheitlin zu St. Gallen,
wo ſeine Familie ſeit Anfang des 16. Jahrhunderts eingebürgert
war, geboren. Er empfing eine gute Schulbildung und trat dann
== pii =
bei Wallis in Konſtanz ein, um Buchhändler zu werden. Anfangs
1830 ging Scheitlin zur weiteren Ausbildung nach Augsburg, dann
zu Korn nach Breslau. Der Glanzpunkt ſeiner Breslauer Erinne—
rungen bildeten, wie ſein Biograph erzählt, die Reiſen zur Leipziger
Meſſe in eigener Equipage der Firma. Da ging es hoch her in
Leipzig. Korn brachte für ſeine dortigen Freunde immer von den
geſchätzten ſchleſiſchen Likören ein zahlreiches Muſterſortiment mit
und es entwickelte ſich ſtets ein munteres Meßleben. — Von Breslau
ging Scheitlin nach Düſſeldorf, um ſich 1835 dann in ſeiner Heimats—
ſtadt St. Gallen durch Etablierung eines kleinen Buchladens ſelſt—
ſtändig zu machen. Das Geſchäft blühte in kurzer Zeit auf, die
Sortimentsbuchhandlung war in wenigen Jahren eine der erſten in
der Schweiz und in Süddeutſchland.
1839 verband ſich Scheitlin mit Chriſto ph Zollikofer
und wandelte das ſeit 1801 beſtehende „St. Galler Wochenblatt“ im
Jahre 1841 in das noch heute erſcheinende „Tageblatt“ um. Die
Firma Scheitlin und Zollikofer widmete ſich eifrig der
Verlagstätigkeit und verlegte u. a. viele Schriften von Profeſſor
Scheitlin. |
1850 verkaufte Scheitlin — Zollikofer hatte ſich inzwiſchen
mit der Buchdruckerei abgezweigt — ſein Geſchäft an den hervor—
ragenden Kenner der Alpenwelt, den bekannten Verfaſſer des treff—
lichen Schweizerführers Jman von Tſchudi. Die Beſitzverhält—
niſſe dieſer Firma waren ſpäter folgende: 1888 erwarb das Geſchäft
von der Witwe Tſchudis Otto Limberger, der es 1892 an
Ludwig Kirſchner abtrat, welcher gleichzeitig Adolf Hart—
mann als Teilhaber aufnahm. Gegenwärtig befindet ſich die
Firma Scheitlins Buch-, Kunſt⸗ und Antiquarhand⸗
lung im Beſitze von L. Kirſchner-Engler. —
Der Begründer der Firma wandte ſich nach Stuttgart, wo er
zuſammen mit J. A. Krais die Verlagshandlung Scheitlin
und Krais begründete. Das Geſchäft gelangte ſchnell zu Anſehen
und Bedeutung, namentlich durch die Herausgabe der naturwiſſen—
ſchaftlichen Prachtwerke von F. Berge und der Erzählungen von
Franz Hoffmann. Ferner erſchienen damals Eiſenlohrs Phyſik und
Küblers Hausweſen. Noch in demſelben Jahre aber trennte ſich
Scheitlin von Krui, letzterer verband ſich dann zur Fortführung
der Firma mit Carl Hoffmann (vergl. Band III S. 480
ds. Werkes).
Scheitlin gründete nunmehr ein neues Verlagsgeſchäft unter
eigenem Namen. Sein Hauptartikel war die großartig angelegte
Realencyklopädie der Theologie von Herzog, daneben kultivierte er
Erbauungsliteratur und Jugendſchriften. Unter den Autoren ſeines
„ - — —— — — — — —— —
a e
— 845 —
Verlages treffen wir Namen wie Bogatsky, Staudenmeyer, Staudt,
Teichmann, Corrodi, Charlotte Späth uſw. Uebrigens erſchienen
auch Die erſten Schriften von Ottilie Wildermuth inScheitlins Ber-
lag. Geſchäftliche und private Mißhelligkeiten verleideten Scheitlin
den Aufenthalt in Stuttgart, ſodaß er ſich 1854 entſchloß, das Geſchäft
an R. Beſſer aus Hamburg zu verkaufen (vergl. Band I S. 60
ds. Werkes).
Scheitlin war aber ſo an die buchhändleriſche Tätigkeit ge—
wöhnt, daß er nochmals ein neues Unternehmen ins Leben rief.
Unter der Firma Gebrüder Scheitlin wurde ein neues Ver—
lagsgeſchäft mit nominellem Sitz in Stuttgart begründet, deſſen
Leitung indes von St. Gallen aus ſtattfand. Aus dieſem neuen
Verlag ging eine ſtattliche Reihe von Jugendſchriften hervor, die ſich
beſonders durch geſchmackvolle Illuſtrationen und Farbendruck aus—
zeichneten. Bekannte Namen finden wir in Scheitlins Verlags—
katalog, darunter Iſabella Braun, Louiſe Pichler, Steub, Graf Pocci
u. v. a. Großen Erfolg hatte auch das Staatswörterbuch von Blunt—
ſchli und Brater, das jedoch Später in den Verlag von Fr. S Hul-
theß in Zürich überging. Das Geſchäft ſelbſt verkaufte Scheitlin 1870
an Otto Riſch. Der Bilderbücherverlag ging 1876 an Eger
und Diſtler in Stutttgart über und wurde 1882 von Car!
Wilh. Fr. Eg ler ebenda erworben.
Nach einem vielbewegten Leben, das ihn auch im kommunalen
und Staatsleben ſeiner Heimat zu einem hevorragenden Kämpfer
heranwachſen ließ, ſtarb Scheitlin am 23. 9. 1901.
Quellen: Aus dem Leben von C. P. Sch., St. Gallen 1902; Börſenblatt
d. deutſch. Buchhandel 1902.
Schloſſer (Augsburg). Gegründet wurde das Geſchäft von
Johann Alois Schloſſer aus Mößkirch in Baden. Dieſer
war 19 Jahre lang ununterbrochen in der Herderſchen Buchhandlung
in Freiburg tätig geweſen, und zwar vom Lehrling bis zum Teilhaber.
(vergl. Bd. III S. 421 ds. Werkes).
Am 31. 12. 1827 wurde ihm auf Grund eines Beſchluſſes des
Augsbuger Stadtmagiſtrats die Uebernahme des Chriſtian
Wilhelm reſp. Martin Engelbrechtſchen Kunſtver—
lags genehmigt und Schloſſer nach Erfüllung der geſetzlichen Vor—
bedingungen die Konzeſſion zur Fortſetzung beſagter Kunſthandlung,
womit auch ein Sortimentsbuchhandel und ein Induſtrie- und Lite—
raturfoutor verbunden war, wofür er an die Krämer-Innung 40 Fl.
zu erlegen hatte.
Am 1. 1. 1850 trat Georg Kurth in das Geſchäft als
ſtiller Teilhaber ein. |
Am 1. 11.1858 ſtarb Schloſſer nach einem arbeitſamen Leben
— 846 —
im 71. Lebensjahr. Da damals ſein Teilhaber Kurth kränkelte,
wurde L. Fröſchlen ſeitens der Witwe Schloſſers zum Prokuriſten
der Firma beſtellt. Fröſchlen heiratete ſeine Prinzipalin und wurde
ſo am 1. 2. 1860 alleiniger Inhaber des Geſchäfts, doch mußte er am
1. 5. 1868 das Geſchäft an Hermann Bacheber le verkaufen,
während er ſelbſt wieder Prokuriſt der Firma wurde.
Schon im Jahre 1871 fand ein neuer Beſitzwechſel ſtatt, indem
Eduard Sandmeyer das Geſchäft erwarb. Doch auch er
konnte fih nur etwa Jahre halten und verkaufte am 1. 1. 1873 das
Geſchäft an Ludwig Schulze.
Damit trat ein völliger Umſchwung ein Das Geſchäft, als
rein katholiſches gegründet und faſt 50 Jahre weitergeführt, wurde
unter der tatkräftigen und zielbewußten Leitung des neuen Inhabers
vor dem drohenden Verfall gerettet und zu einem ſtetig aufblühenden
Geſchäft mit der Spezialrichtung proteſtantiſch-religiöſe Literatur
umgewandelt.
23 Jahre lang lag die Leitung des Geſchäftes in den Händen
Schulzes, bis ihn die Fürſorge für ſeine Geſundheit zwang, dasſelbe
an Friedrich Schott abzutreten. Dieſem konnte es um ſo
weniger ſchwer fallen, das Geſchäft weiter auszubauen, als er den
Boden durch ſeinen Vorgänger auf das trefflichſte bearbeitet fand.
In ſeinem Beſitz iſt die angeſehene Firma auch heute noch.
Schmaltz, J. K. St. Johann Karl Stephan Schmaltz,
geboren 10. 6. 1810 als Sohn eines Schuhmachermeiſters in Quedlin—
burg, beſuchte das Gymnaſium ſeiner Vaterſtadt und trat 1827 als
Schreiber bei einem Juſtizkommiſſar ein. Da bot ihm ein Jahr
ſpäter der Buchhändler N. Baſſe in Quedlinburg Aufnahme in ſeinem
Kontor an; er machte bei Baſſe die buchhändleriſche Lehre durch und
brachte es bis zum Geſchäftsführer der ziemlich ausgedehnten Hand—
lung (vergl. Bd. I S. 32 ds. Werkes).
Mit beſonderer Vorliebe aber betrieb er den Plan der Heraus—
gabe eines „Lexikons der Buchdrucker und Buchhändler ſeit Erfindung
der Buchdruckerkunſt“, den er auch zu verwirklichen ſuchte, als er fid
1840 in Leipzig ſelbſtändig machte. Seine Verlagshandlung eröffnete
er mit der „Miniaturbibliothek neuerer deutſcher Klaſſiker“, die ein—
ſchlug. Eine ziemliche Anzahl von Verlagsartikeln verſchiedenen
Inhalts, die meiſtens durch ihn ſelbſt entſtanden, von ihm allein
überſetzt, verfaßt, zuſammengetragen, geſchrieben und korrigiert
waren, bildeten ſeinen Verlag, der auch guten Abſatz fand. Schmaltz
ſtarb am 22. 10. 1843. Das Geſchäft ging an Rudolf Harit:
mann in Leipzig über. |
Quellen: Nekrolog der Deutſchen, 1843.
— 847 —
Schmidt (Döbeln). Carl Schmidt wurde am 14. 8. 1829
zu Waldheim als Sohn eines Bäckers während eines Gewitters und
einer Feuersbrunſt geboren, ſo daß das Kind aus dem brennenden
Hauſe gerettet werden mußte. Der Knabe war von früh an körperlich
ſchwächlich, lernte jedoch ſehr leicht, ſo daß ſich der Vater entſchloß,
ihn mit 9 Jahren zum Beſuch der Selekta nach Leipzig zu ſchicken,
wo er zugleich Aufnahme bei einem Onkel fand. Seinem Lieblings-
wunſch, Bäcker und Diakonus zu werden, mußte er hier allerdings
entſagen; er kam im Jahre 1843 zu der angeſehenen Buchhandlungs⸗
firma E. F. Steinacker in die Lehre. Hier widmete er ſich mit Liebe
und Begeiſterung dem Beruf; der Inhaber des Hauſes, Konſul Cin-
horn, iſt ihm von Beginn ſeiner Laufbahn ein Gönner und ſpäter⸗
hin ein treu beratender und helfender Freund geweſen. Bei Be:
, endigung feiner Lehrzeit empfing er von feinem Chef als beſondere
Auszeichnung eine Taſchenuhr. Kurze Zeit war er bei Steinacker
noch als Gehilfe tätig und nahm alsdann Stellung bei Craz & Ger—
lach in Freiberg an, bei denen er bis 1849 verblieb. Da regte ſich in
ihm der Wunſch nach Amerika zu gehen, nach dem Lande der goldenen
Freiheit — wohl eine Nachwirkung der Freiheitsideen, für die er im
Jahre 1848 mit auf den Barrikaden in Dresden geſtanden hatte.
Sein Chef Stettner ſtattete ihn mit Empfehlungen an Fl. Schuſter
in St. Louis aus; aber der Plan zerſchlug ſich und Schmidt ging ſtatt
nach Amerika nach Altona zu A. Lehmkuhl, alsdann nach Nürnberg
in die Zeh'ſche Buchhandlung, wurde aber ſeines freiheitlichen Sinnes
wegen, wie er ihn auf der Barrikade erwieſen hatte, aus Nürnberg
ausgewieſen. 1851 nahm er abermals Stellung bei Craz & Gerlach
in Freiberg als erſter Gehilfe an und verblieb dort bis April 1857.
Im Mai desſelben Jahres gründete er in Döbeln ſein Geſchäft, dem
er ſich mit aller Hingebung, Fleiß und Schaffensfreudigkeit widmete.
Ein goldener Buchhändlerbrief iſt jenes Schreiben, das er wenige
Wochen vor feinem Tode mit Bezug auf fein fünfzigjähriges Pu-
händlerjubiläum an einen Freund richtete. Er ſchrieb darin u. a.:
„Wenn auch viele von den Idealen, die mir einſt vorgeſchwebt
haben, verſchwunden ſind, ſo bin ich doch auch heute noch ſtolz darauf
ein deutſcher Buchhändler und zwar in dem Sinne zu ſein, wie es mir
damals vorgeſchwebt, und ich freue mich, wenn ich auch kein großer
Buchhändler geworden bin und heute noch im Schweiße meines An—
geſichts mein Brot und das für meine zahlreiche Familie, die mir
ein lieber Gott geſchenkt, verdienen muß, daß ich ſagen kann, daß ich
nicht die breite Bahn, die jetzt leider von ſo manchem Kollegen nicht
zur Ehre unſeres Berufs betreten wird, gewandelt, ſondern auf dem
ſchmalen, arbeitsreichen, aber befriedigenden Weg geblieben bin, der
den Beruf nicht als melkende Kuh anſieht, ſondern auch ſeine Arbeit
— 818 —
in den Dienſt eines geſunden, alle Kreiſe befriedigenden Fortſchritts
ſtellt.“ —
Mit ſeinem Sortiment vereinigte Schmidt eine Lehrmittel—
anſtalt, der er gleichfalls große Sorgfalt zuwendete, und deren Be—
darf, wie Rechenmaſchinen, geometriſche Körper, Hölzer- und Rinden—
ſammlungen uſw. er ſelbſt fabrizieren ließ. Beruflich war er eifrig
für das Gemeinwohl tätig. Als Mitglied der zum Schutze des deut—
ſchen Sortiments berufenen Kommiſſion, unter der Führung Adolf
Enslins, als Vorſtandsmitglied des ſpäter wieder aufgelöſten Sorti—
mentervereins und als Mitbegründer und Vorſtand des ſächſiſchen
Buchhändler-Verbandes, deffen Schriftführer er lange Jahre war,
iſt Schmidts Perſönlichkeit den weiteſten Kreiſen bekannt geworden.
Schmidt ſtarb am 28. 4. 1893. Die Buchhandlung ging 1895 an ſeine
beiden Söhne Hermann und Arno Schmidt über. Letzterer
zweigte die Verlagsabteilung, vorwiegend pädagogiſche Schriften,
ab und führt dieſelbe ſeitdem unter der Firma Carl Schmidts
Verlag weiter, während Hermann Schmidt eine Sortiments-Buch—
handlung unter der eigenen Firma betreibt Er hatte dieſelbe ſchon
1890 gegründet, während das alte Schmidtſche Sortimentsſtamm—
geſchäft ſich ſeit 1902 im Beſitze von Hermann Jache befindet.
Quellen: Börſenblatt f. d. deutſch. Buchhandel, 1893.
Schmidt (Helmſtedt). Die Buchdruckerei von J. C. Schmidt
in Helmſtedt beſaß ihre hervorragendſte Bedeutung, als Helm:
jiedts Mauern noch die als ausgezeichnete Wiſſenſchaftsſtätte bekannte
Univerſität beherbergte, deren Gründung in das Jahr 1576 fällt.
Die Offizin wurde um 1661 von Jakob Müller aus
Stettin begründet, der 1676 auch die Druckerei des berühmten Theo—
logen Georg Calixtus (1586—1656) pachtete und {pater mit
der ſeinigen vereinigte. Calixtus war kein Fachmann und ließ des—
halb ſeine Offizin durch Pächter verwalten. Unter den letzteren er—
erſcheinen 1634—1658 Henning Müller (Vater und Sohn). —
Müllers Witwe verkaufte 1681 die Offizin an Heinrich Heß,
von dem fic 1716 an Johann Stephan Heß und nach deffen
Tode, 1725, an Sebaſtian Buchholtz kam. 1737 erwarb ſie
deſſen Tochtermann Michael Günther Leuckhardt der fr
1792 an feinen Sohn, den Ratsbuchdrucker Sig is mund Chriſt.
David Leuckhardt vererbte. Dieſer erkaufte 1801 die alte
von Jakobus Lucius 1579 gegründete Buchdruckerei, die erſte
Helmſtedts, dic fic) damals im Beſitze von Johann GA. Kühn—
[in befunden hatte. 1815 wurde die Helmſtedter Zeitung (jeki
Kreisblatt) begründet. 1826 kam das Geſchäft durch Erbgang an
J. R. G. Leuckhardt, der 1840 ſtarb. 1848 erwarb der Buchdrucker
— 849 —
J. C. Schmidt aus Heiligenſtadt die Offizin, der dem Geſchäfte bald
einen neuen Aufſchwung gab, die alten Preſſen durch eiſerne erſetzte
und die Helmſtedter Zeitung vergrößerte und ſeit 1860 wöchentlich
dreimal herausbrachte; ſeit 1886 erſcheint ſie täglich.
Quellen: Irmiſch, Buchdruckereien im Herzogtum Braunſchweig, 1890.
Schmidt (Straßburg). Carl Friedrich Schmidt wurde
am 28. 10. 1787 zu Saarbrücken geboren; Großvater und Vater
waren Geiſtliche; jener Generalinſpektor der naſſau-ſaarbrückiſchen
Kirche; dieſer zuerſt Lehrer am Gymnaſium, dann Pfarrer zu St.
Johann-Saarbrücken. In den harten Zeiten der franzöſiſchen Re—
volutionhatte die Familie oft drückende Not zu leiden; nur mit Mühe
konnte der Vater für den leiblichen Unterhalt der Kinder ſorgen,
an ihrer Erziehung wollte er nichts ſparen. Carl Friedrich, das
dritte von acht Kindern, von denen die meiſten früh ſtarben, beſuchte
das Saarbrücker Gymnaſium mit trefflichem Erfolg; er hätte ſich
gern dem Studium der Medizin gewidmet, mußte aber, wegen Un—
möglichkeit die Koſten aufzubringen, früh darauf bedacht ſein, ſein
Brot zu verdienen. 1802 trat er daher als Lehrling in eine bedeu—
tende Kolonialwaren-Handlung in ſeiner Vaterſtadt ein, wo er ſich
bald als tüchtiger Rechner auszeichnete und nicht minder durch ſeine
Ordnungsliebe und ſtrenge Sittlichkeit. Nach ſechs Jahren kam er
als Kommis nach Metz und 1809 in ein Haus zu Straßburg. Hier,
nachdem ihm bereits Vater und Mutter geſtorben waren, verheiratete
er ſich im Januar 1811 mit Margaretha Salome, der Tochter des
Buchhändlers Johann Pfähler, der als kleiner Buchbinder im
Jahre 1789 angefangen und durch raſtloſe Tätigkeit ein angeſehener
Papier- und Buchhändler geworden war. Den Antrag ſeines Schwie—
gervaters, in deſſen Geſchäft zu treten, nahm Schmidt zuerſt nur un—
gern an, denn bisher nur an Großhandel gewöhnt, ſchien es ihm
unbehaglich, fic) mit einem Detailgeſchäft zu befaſſen; er fand fih
indeſſen bald zurecht und durch ſeine kaufmänniſchen Kenntniſſe trug
er nicht wenig dazu bei, der neuen Firma Pfähler & Co. auch
in weiteren Kreiſen Achtung zu verſchaffen. 1813 trat Johann
Guſtav Grucker, der die zweite Tochter Pfählers heiratete, als
dritter Aſſociè ein. |
Als zwei Jahre ſpäter der Schwiegervater ſich zurückzog, ward
ein zweiter Laden angelegt, um beſonders dem deutſchen Buchhandel
eine größere Ausdehnung zu geben; 1830 kam auch ein Muſikalien—
geſchäft dazu, deſſen ſpezielle Beſorgung Schmidt übernahm. Aus der
Firma Pfaehler & Co. war bereits 1827 Schmidt & Gru derge
worden. Die Verbindung der Schwäger dauerte bis 1849, wo ſie über—
einkamen, ſie aufzulöſen, ohne daß jedoch ihre Freundſchaft die ge—
54
— 850 —
ringſte Beeinträchtigung erlitt. Von dieſer Zeit an war Schmidt
alleiniger Beſitzer der Buchhandlung. Eigenen Verlag hatte er
wenig; 1863 zog er fih vom Geſchäft zurück; er übergab es Fried-
rich Bull, der ſeit 1854 ſein Gehilfe war und der ſich beſtrebte,
es in demſelben Geiſte fortzuſetzen. Schmidt ſtarb am 21. 1. 1870
(vergl. als Ergänzung Artikel Bull Bd. I Seite 122 d. W.).
Quellen: Börſenblatt für den deutſchen Buchhandel, 1870.
Schmitzdorff. Es war im Beginn des Winters 1827, als ein
Hamburger, den der große Brand in ſeiner Vaterſtadt um Hab und
Gut gebracht und der ſich nach Rußland gewandt hatte, um hier das
ihm treulos gewordene Glück wiederzufinden, als Heinrich
Schmitzdorf im Stoljarnyj-Pereulok in St. Petersburg ein Ge—
ſchäft eröffnete, das bald vortrefflich gedieh. Seine frühere Beſchäf—
tigung als Lehrer der alten Sprachen und Kalligraph aufgebend,
gründete er in jenem Jahre eine Leibibliothek, mit welcher teine
lithographiſche Anſtalt verbunden war Es war ein glücklicher Ge—
danke. Der ſtets leſebedürftigen und wiſſensdurſtigen deutſchen Ko—
lonie der Reſidenz genügte die eine beſtehende deutſche Buchhandlung
ſchon nicht mehr, die Gründung einer zweiten war wirklich ein Be—
dürfnis und mußte auch für den Unternehmer von Vorteil ſein. Mit
der beifälligen Aufnahme, mit dem eifrigen Zuſpruch des Publikums
wuchs auch die Tätigkeit, die Unternehmungsluſt Schmitzdorffs und
die urſprüngliche Leihbibliothek ward zu einer Kommiſſions- und
Verlagsbuchhandlung erweitert.
Nach Schmitzdorffs Tode ging das Geſchäft zunächſt an
Julius Gillig über, der es 1856 Eduard Min los übergab
Im Jahre 1860 trat Carl Röttger als Teilhaber ein und über-
nahm die Buchhandlung dann am 14. 4. 1863 käuflich auf eigene
Rechnung.
Röttger hatte es ſich ſtets angelegen ſein laſſen, nach zwei
Seiten hin zu wirken. Nicht mehr ſollte das Geſchäft bloß eine
Schleuſe ſein, durch welche uns der befruchtende Strom weſtlichen
Wiſſens und Forſchens zugänglich gemacht wird, nein, es ſollte und
wollte jetzt auch die Quelle bilden, aus welcher alle, denen das weite
ruſſiſche Reich, ſeine Kultur, ſein Wollen und Können am Herzen
liegt, die ſich für die Entwickelung des Volkes der „Moskowiter“
intereſſieren — Kenntnis und Belehrung zu ſchöpfen vermöchten.
„In objektiver Darſtellung autentiſches Material für die Kenntnis
Rußlands zu geben“ — das war das Beſtreben des Handlungshauſes,
neben dem früheren, die Einheimiſchen ſtets über das Neueſte und
Beſte auf allen Gebieten der Literatur und der vervielfältigenden
Künſte auf dem Laufenden zu erhalten.
— 851 —
Dieſes Beſtreben fand endlich in der Gründung eines ent—
ſprechenden Journals ſeinen beredten Ausdruck, in der Herausgabe
der ſeit 1872 erſcheinenden „Ruſſiſchen Revue“. Einen gleichen Zweck
verfolgten auch die „Statiſtiſchen und anderen Mitteilungen aus
Rußland“. Die erhöhte Verlagstätikeit rief dann die Gründung
einer eigenen Druckerei hervor, und ließ die ſeit 1865 beſtandene
Typographiſche Anſtalt von Röttger & Schweider außer den
ſchon genannten periodiſchen Schriften, namentlich noch die „Medizi—
niſche Wochenſchrift“, den „Herold“ und den wohlbekannten „St.
Petersburger Kalender“ aus ihrer Preſſe hervorgehen.
Von 1865—75 Stand mit der Buchhandlung das geographiſche
Magazin des Generalſtabes in Verbindung, und in der Sphäre der
Kunſt haben die Bemühungen Röttgers hüben und drüben die vollſte
Anerkennung gefunden. Beiſpielsweiſe fei verwieſen auf die 1866 er-
folgte Veröffentlichung der „Kunſtſchätze der Kaiſerlichen Eremitage“,
welche dem Herausgeber auf der Wiener Ausſtellung die Verdienſt—
medaille eingetragen haben, auf die „Gallerie de la maison des
Romanoff“ u. A.
1883 erwarb die kaiſerliche Hofbuchhandlung H. Schmitzdorff
der Buchhändler R. Hammerſchmidt, der fie 1890 an Otto
Röttger und Oscar Kranz abtrat.
Quellen: Börſenblatt f. d. deutſch. Buchhandel 1877.
Schmorl und von Seefeld. Es war Anfang 1852 als Ernſt
Viktor Schmorl und Alfred von Seefeld die Konzeſſion
zum Betriebe einer vierten Buchhandlung in Hannover erhielten.
Energie und rege Schaffensfreudigkeit brachte das junge Geſchäft
bald zu hoher Blüte.
Schmorl war am 6. 3. 1822 in Meißen geboren und hatte
eine vierjährige buchhändleriſche Ausbildung bei Helm in Halber—
ſtadt erhalten. Faſt ſieben Jahre arbeitete er als Gehilfe in der
Helwingſchen Hofbuchhandlung in Hannover, von wo er ſich alsdann
nach Teplitz und ſchließlich nach Leipzig wandte.
Obwohl in der Hauptſache das Sortiment gepflegt wurde,
entſtanden doch durch die guten Beziehungen zu den wiſſenſchaftlich
gebildeten Kreiſen bald einzelne Verlagswerke, die guten Abſatz
fanden und fo entwickelte fih allmählich ein recht ausgedehnter Ber-
lag, der Schriften und Werke aller Wiſſenſchaften enthielt. Der
Verlag brachte den größten Teil der Schriften, welche aus dem
Architekten- und Ingenieurevrein, der Polytechniſchen Schule, der
Tierarzneiſchule, dem Bezirksverein deutſcher Ingenieure und dem
Gewerbeverein hervorgegangen, ſowie in den ſechziger Jahren die
Warnſtedtſchen Schriften über Schleswig⸗Holſtein, dann die Schul:
54*
852 —
bücher von Blancke, Seinecke, Raydt, das Möllerſche Kursbuch uſw.
Auch Zeitſchriften erſchienen, wie das „Hannoverſche Gewerbeblatt“,
die „Zeitſchrift des Architekten- und Ingenieurvereins“, „Die Volks—
kirche“, ſowie die berühmten „Wegekarten der Provinz Hannover“
u. ſ. w.
Nach dem 1881 erfolgten Tode Schmorls ſetzte von Seefeld
das Geſchäft fort. Sortiment und Verlag dehnte er noch weiter aus,
verkaufte aber das blühende Geſchäft bereits 1890 an ſeine Pro—
kuriſten Carl und Georg Knothe, welche das Geſchäft unter
der Firma Schmorl & von Seefeld Nachfolger fort—
ſetzten. von Seefeld ſtarb am 12. 8. 1892 plötzlich am Herzſchlage.
Die neuen Beſitzer richteten ihr Hauptaugenmerk auf die Ent—
wickelung des Sortiments. Eine Beſonderheit des Verlages blieben
die Kursbücher, wovon eins der älteſten beſtehenden unter dem
Namen „Moellers Kursbuch“ wohlbekannt ift. Das „Fahrplanbuch“
und „Hannover im Portemonnai“ erreichten mehr als 25 Jahrgänge.
Uebrigens können dieſe Taſchenfahrpläne als die Erfindung von See—
felds gelten, da er der erſte wär, der ſie auf den Markt brachte. Die
in Norderney errichtete Filiale ging ſpäter an Hermann
Braams über. —
Carl Knothe ſtarb am 22. 6. 1900; das Geſchäft wurde von
Georg Knothe fortgeführt, dem 1904 Oscar Schmorl zur
Seite trat.
Quellen: Börſenblatt f. d. deutſch. Buchhandel 1902.
Schnuphaſe (Altenburg). Die Schnuphaſe' Jade Hofe
buchhandlung wurde am 1. 1. 1800 von Dr. jur. Johann
Chrift. Rink und Dr. jur. Adolph Chriſtian Shnup-
haſe in Altenburg begründet, indem die genannten Herren ihre
ſeither zu Langenſalza und Erfurt beſtandenen Buchhandlungen nach
Altenburg verlegten und dazu unterm 19. 10. 1800 die landesherrliche
Konzeſſionsbeſtätigung zum Betriebe der Buchhandlung in der Stadt
Altenburg erhielten. Wie aus allen Büchertiteln von Verlagswerken
hervorgeht, firmierte dieſelbe zuerſt Rink'ſche Buchhand—
lung, 1801 Rink & Schnuphaſe, 1804 Schnuphaſe'ſche Bud-
handlung. Sehr bald erfreute ſich die Handlung eines gedeihlichen
Aufſchwunges und guten Rufes im Buchhandel jener Zeit. Das
Verlagsgeſchäft, das ſchon von Erfurt mit herübergenommen war,
wurde vergrößert durch fortgeſetzten Ankauf von Verlagsrechten und
Vorräten ſowohl einzelner Werke wie ganzer Bücherverläge. 1808
trat Dr. Rink aus der Firma aus und der Verlag der Rinkſchen
Buchhandlung ging durch Kauf in denBeſitz der J. C. Hin richs—
ſchen Buchhandlung in Leipzig über. Am 4. 11. 1823 ſtarb
— 853 —
Dr. Schnuphaſe im Alter von 66 Jahren und das Geſchäft ging an
ſeinen Sohn, den Advokaten und Ratsarchivar, ſpäteren Hofadvokaten
und Stadtſyndikus Chriſtian Philipp Schnuphaſe über,
der es jedoch ſchon 1824 an den Buchhändler Carl Rudolph
Stauffer aus Leipzig verkaufte. Wie ſein Geſchäftsvorgänger war
er beſtrebt, der Firma größere Ausdehnung durch Ankauf und Ueber—
nahme anderer beſtehender Geſchäfte, reſp. ihrer Verlags- und Sorti-
mentsvorräte zu geben. Nach Stauffers Ableben (1855) ging das
Geſchäft durch Kauf an den Poſtſekretär und ſpäteren Poſthalter und
Poſtſtallmeiſter Carl Friedr. Otto Hager aus Altenburg
über, welcher 17 Jahre, bis zu Ende 1872, Inhaber der Firma war.
Beſondere Verdienſte erwarb ſich der neue Beſitzer um die Leih—
bibliothek, die auf 17 000 Bände anwuchs. Ebenſo organiſierte er
den aus kleinen Verhältniſſen erwachſenen Journal-Leſezirkel, den er
zu großer Blüte brachte.
Einen bemerkenswerten Aufſchwung nahm das Sortiment
1870—71, während des erfolgreichen Krieges mit Frankreich und den
folgenden Jahren bis 1880, einen Aufſchwung, der beſonders dem
Sohne des Beſitzers, Otto Hager, zu danken war. Leider war
es dieſem nur kurze Zeit vergönnt, dein Geſchäfte ſeine Tätigkeit zu
widmen; er ſtarb nach kurzem Krankenlager am 30. 12. 1872 in
jugendlichem Alter. Aus Schmerz über dieſen Verluſt verkaufte Otto
Hager ſen. ſein Geſchäft und trat in ſtädtiſchen Dienſt als Ratsherr
und Standesbeamter, welche Aemter er bis zu ſeinem 1898 erfolgten
Tode bekleidete. Die Buchhandlung, der ſchon 1865 das Prädikat
Hofbuchhandlung verliehen worden war, ging im Januar 1873 an
Franz Friedrich Max Lippold aus Altenburg über.
1875 gliederte Lippold den beſtehenden Geſchäftsbranchen eine Mu—
ſikalienhandlung und Leihinſtitut für Muſik an, und unterhielt
ſeitdem ein gutgewähltes Lager klaſſiſcher und moderner Muſik. Aber
auch den anderen Zweigen ſeines umfangreichen Geſchäfts wandte er
ſeine Aufmerkſamkeit zu und Dank ſeinem Fleiße und ſeiner uner—
müdlichen Arbeitskraft gelang es ihm, die Schnuphaſe'ſche Hofbuch—
handlung zu einer der beſtangeſehenen Firmen des deutſchen Buch—
handels zu erheben.
Nach dem am 17. 1. 1907 erfolgten Tode Lippolds wurde das
Geſchäft von dem Buchhändler Bruno Fiſcher, ein Sohn des
bekannten Verlagsbuchhändlers Franz Fiſcher (früher Inhaber
der alten angeſehenen Firma Alfred Oehmigkes Verlag
in Leipzig) erworben. Unter dem Beiſtande feines Vaters und
ſeines Bruders Wilhelm Fiſcher führt er nun die Schnuphaſe—
ſche Hofbuchhandlung weiter. Die Leihbibliothek iſt inzwiſchen auf
25 000 Bände angewachſen. Auch iſt der Buchhandlung ein Anti—
— 854 —
quariat, welches in der Hauptſache ein reichhaltiges Lager Alten-
burgica aufweiſt, darunter feltene und wertvolle Bücher und Bilder,
angegliedert worden.
Quellen: Allgem. Buchhändler-Zeitung 1900.
Schoeffer. Unter dem Dreigeſtirn Gutenberg-Fuſt-Schoeffer
ifi der letztere ſicher nicht der geringſte. Peter Schoeffer der
Aeltere ward zu Gernsheim a. Rh. um 1430 geboren, weswegen
er ſich in den Schlußſchriften feiner Drucke Schoeffer von
Gernsheim, kurzweg auch Peter Gernsheim nannte. Er
widmete ſich dem Stande der Schönſchreiber. Von der erſten Stätte
ſeiner Wirkſamkeit, Mainz, wandte er ſich nach Paris, wo er 1449
für Studienzwecke Handſchriften ſchrieb.
Von Paris kam Schoeffer wieder nach Mainz zurück, lernte
vor 1455 Gutenberg und deſſen Genoſſen Johann Fuſt kennen
und wurde deren Gehilfe.
Ein Schönſchreiber von Beruf wie Schoeffer und ein Mann,
der nebenbei des Lateins kundig, Handſchriften für den Abdruck zu—
richten und die Korrekturen beſorgen konnte, auch die Bedürfniſſe
des Handſchriftenhandels von Paris her und die Art des Abſatzes
kannte, konnte in der Firma recht vielſeitige Verwendung finden.
So hat er wahrſcheinlich die Buchſtaben und Initialen für den Schnitt
und Guß geſchrieben und gezeichnet, Drucke rubriziert und als Re—
daktor, Anagnoſt und Korrektor ſeines Amtes gewaltet. Schoeffer
war ſomit der Faktor der erſten Druckerei und offenbar die Seele der
Firma Gutenberg-Fuſt. In ihm haben wir den Zeichner der ſoge—
nannten Donatustype und der Type der ſogenannten 42zeiligen
heiligen Schrift der Firma Gutenberg-Fuſt zu ſehen. Als Geſchäfts—
gehilfe erſcheint Schoeffer auf Seiten Fuſts als Zeuge in dem dent-
würdigen Prozeß am 6. 11. 1455 gegen Gutenberg, in welchem Prozeß
er Cleriker Mainzer Bistums heißt, alſo in den Beſitz der niederen
geiſtlichen Weihen gekommen war und dem geiſtlichen Stande an—
gehörte.
Fuſt⸗Schoeffer bildeten ſeit 1455 eine neue Gemeinſchaft, die
erſte in Drucken mit Namen auftretende Firma. Die erſte Frucht
dieſes Zuſammenwirkens war der Pſalter 1457. Beide gingen nun
für den Druck wiſſenſchaftlicher Werke einen Schritt in der Technik
voran, indem ſie die kleine Durandustype und die abgeſtuft größere
Clemenstype ſchufen, beide vom nämlichen Duktus und dem Schnitt
nach Meiſterſtücke. Wir ſehen 1462 bis 1465 Fuſt⸗Schoeffer auf der
Höhe ihrer Leiſtungen, das rationale Durandi, die Bibel, die Clemen-
tinen beendet, und im Begriff, weiteres zu leiſten, bis am 28. 10.
1462 die Druckerei infolge der Einnahme der Stadt Mainz durch
— 855 —
Kurfürft Woolf II. von Mainz gegen Diether von Sfenburg in der
bekannten Biſchofsfehde, nicht allein lahm gelegt, ſondern auch durch
die Zerſtreuung der Arbeiter in alle Himmelsgegenden jeder ener—
giſchen Fortſetzung im Betrieb beraubt wurde.
Schoeffer hatte als Leiter der Druckerei und unentbehrlicher
Mitarbeiter ſich ſo im Vertrauen Fuſts befeſtigt, daß dieſer um 1465
ihm ſeine Tochter Chriſtine zur Gattin gab. Fuſt hatte bisher die
buchhändleriſchen Reiſen nach Paris und in den Norden Deutſchlands
beſorgt. 1466 begab er ſich ebenfalls dorthin, ſtarb aber dort bereits
ihon am 14. 2. an der Peſt; zu Paris wurde er jedenfalls begraben.
Schoeffer ehrte den Toten durch Stiftung eines Seelgedächtniſſes bei
den Predigern zu Mainz und gab dem Konvent die 1470 gedruckten
Hyronimusbriefe und die Clementinen aus 1467 im Jahre 1473 als
Entgeld für das Seelgedächtnis. Er führte die Firma nun allein
fort, nannte in den Schlußſchriften nur ſeinen Namen allein, be—
Diente fih aber noch der früheren Druckmarke der hängenden ujt-
Schoefferſchen Schilde als Rotabzug zur Bezeichnung.
Als Gutenberg 1468 ſtarb, erwarb Schoeffer aus deſſen Nach—
laß, der dem Dr. Homery verpfändet war, die Reſtauflagen der Drucke
Gutenbergs: Matthaeus de Cracovia, tractatus rationis et cons—
cientie und des bekannten Catholicon aus 1460.
Es folgten nun ſehr belangreiche Drucke, die Summa des
Thomas von Aquin 1. Teil in Durandustype 1471, der Valerius
Maximus in der Clemenstype im gleichen Jahr, die Bibel, der
Gratian decretum mit Gloſſe, die Decretalen Gregors IX. in den
Jahren 1472 und 1473, die Auguſtinusausgabe de civitate dei und
der liber sextus decretalium 1473, Herp, speculum 1474, Ber-
nardi sermones und die novellae constitutiones Justiniani 1477,
die Decisiones rotae 1478, das scrutinium scripturarum und der
Bartholomaeus de Chaymis confessionale 1477—1478, fo daß
Schoeffer ſeit 1466 nochmals ein Dezennium auf der Höhe der
Leiſtung ſtand und trotz Konkurrenz aus Köln, Straßburg, Nürn—
berg, Baſel, Augsburg zu den leiſtungsfähigſten Druckern gehörte.
Um ſeinen Buchhandel zu erweitern, wurde Schoeffer 1476
Bürger der Stadt Frankfurt a. Main und für den Buchhandel in
Heidelberg wußte ſich Schoeffer einen Geleits- und Schutzbrief beim
Kurfürſten der Pfalz zu erwerben.
1480 wandte er ſich dem Liturgiedruck wieder zu und lieferte
in dieſem Jahre die Agenda in usum ecclesiae Moguntinensis in
Kleinfolio. Auch amtliche Drucke ſtellte Schoeffer her, ſo beſitzt die
Frankfurter Stadtbibliothek ein Verzeichnis der Teilnehmer und eine
Beſchreibung des zur Wahl des Erzherzogs Max zum römiſchen
— 856 —
König 1486 nach Frankfurt einberufenen Reichstags, die von
Schoeffer gedruckt ſind.
In feinem Alter wandte ſich Schoeffer dem Amte eines welt—
lichen Richters der Stadt Mainz zu. Sein Geſchäft erlebte 1485 einen
neuen Aufſchwung durch Einführung einer herrlichen Schwabacher
Type und Druck volkstümlicher Schriften mit Holzſchnitten geziert.
Schoeffer druckte in dieſer Type 1485 den Hortus sanitatis uff
teutſch eyn gart der geſundheit, das erſte naturwiſſenſchaftliche Werk
in deutſcher Sprache, ſodann 1486 eine lateiniſche und eine deutſche
Ausgabe von Breidenbachs Reiſen. 1495 erfolgte der Druck der
amtlichen Ordnung des Kammergerichts, beendet am Montag nach
Michaelis in Schwabacher Type als Auftrag des Reichskanzleramts,
1497 „uff ſant ſymon und Jude abent“ oder den 27. 10. beendete
Schoeffer die Gerichtsordnung des Landgrafen Wilhelm III. von
Heſſen in Folio, wovon das bislang einzige bekannte Exemplar das
Staatsarchiv zu Darmſtadt bewahrt. Im Ganzen hat Schoeffer
etwa 160 nachweisbare Drucke geliefert.
Ende 1502 oder Anfang 1503 muß Schoeffer geſtorben ſein,
denn am 16. 3. 1503 lieferte deffen Sohn Johann Schoeffer
als Erbe des Geſchäfts bereits ſeinen erſten Druck mit Zeitangabe.
Sein zweiter Sohn, Peter Schoeffer der Jüngere,
der die Buchdruckerkunſt in Worms eingeführt haben ſoll, obſchon
ſich andere für Peter Drach (vergl. Bd. 1 S. 181 d. Werkes) ent⸗
ſchieden haben, war um 1460 zu Mainz geboren und erhielt eine ge—
lehrte Bildung. 1590 begründete er ſein Geſchäft im Hauſe zum
Korb zu Mainz und führte dasſelbe bis 1523 fort. Ein zweites
Geſchäft legte Schoeffer um 1512 zu Worms an, das aber einſtweilen
infolge der vielen Kriegs- und Religionswirren nicht recht vorwärts
kam. Mitten in der Bewegung ſich anfeindender Lutheraner und
Wiedertäufer ſtellte ſich Schoeffer auf die Seite der letzteren. Schoeffer
iſt mit Othmar in Augsburg und Froſchauer in Zürich der Verleger
einer Reihe geiſtiger Erzeugniſſe der Wiedertäufer geworden. Die
Vertreibung der Wiedertäufer ließ auch Schoeffer abwandern, im De-
zember 1529 hatte er ſich zu Straßburg niedergelaſſen und das
Bürgerrecht dieſer Stadt erworben.
Er druckte hier mit Johann Apronianus, dem
Schwenkfeldianer Johannes Schweintzer und mit Mat—
thias Apiarius zuſammen.
In Worms hatte Schoeffer Männer wie Ludwig Haver, Hans
Denk, Sebaſtian Münſter und Ludwig Vives für ſeinen Verlag ge—
wonnen. Für eine gute Ausſtattung ſeiner Verlagsbücher ſorgte
Schoeffer in jeder Weiſe, in der Geſchichte der Buchilluſtration br-
haupten ſie einen hohen Ruf und werden, wie alle ſeine Erzeugniſſe,
— 857 —
von den Liebhabern mit enormen Preiſen bezahlt. Schoeffer war
einer der erſten und bedeutendſten Muſiktypendrucker Deutſchlands.
Die Druckermarke Schoeffers, die in drei verſchiedenen Aus—
führungen vorkommt, ſtellt einen Schild mit ſeinem Familienwappen,
Winkelhaken und. drei Roſetten dar. Die zweite Marke zeigt einen
ſitzenden Dudelſackbläſer im Gewande eines Schäfers, rechts Hund,
links zwei Schafe, oben einen Engel, die Geburt Chriſti verkündend,
mit dem Spruchbande Gloria in Excelsis deo. Hominibus bona
voluntas dar; endlich zeigt die dritte Marke das Spruchband Soli
deo gloria.
Quellen: F. W. E. Roth, Die Buchdruckereien zu Worms im 16. Jahr-
hundert, 1892; desſelben „Zum 400 jährigen Gedächtuis P. Sch. des Aelteren“ im
Klimſchen Anzeiger für Druckereien; vergl. dazu die betr. Abhandlungen von
Dahl, Külb, Künzel, Schaab, Fiſcher, Weller, Umbreit u. a. (ſiehe genaue Titel-
angaben im Katalog der Leipziger Börſenvereins-Bibliotheh.
Schöningh (Paderborn). Ferdinand Friedrich Jofeph
Chriſtoph Schöningh war geboren am 16. März 1815 zu Meppen
als zweiter Sohn des dortigen Juſtiz-Amtmannes Dr. Schöningh.
Seine Vorbildung genoß Schöningh am Gymnaſium ſeiner Vater—
ſtadt. Von ſeinen Eltern und durch eigene Neigung für den Buch—
handel beſtimmt, trat er 1831 als Lehrling in die Coppenrathſche
Buch- und Kunſthandlung zu Münſter ein, deren Inhaber fein Groß—
vater und deſſen Söhne waren. Dort war er vier Jahre als Lehrling
und ſieben weitere Jahre als Gehilfe tätig. Die Stellung zur ſelbſt—
ſtändigen Führung eines Geſchäftes fand er im Herbſte 1842 zu Soeſt
in der Naſſeſchen Buchhandlung nebſt Buchdruckerei, deren Inhaber
F. W. Naſſe geſtorben war, und an der außer deſſen Witwe auch die
Mutter Ferdinand Schöninghs, die damals bereits verwitwete Frau
Amtmann, einen Anteil hatte. In dieſer Stellung ſah Schöningh
ſeine Aufgabe darin, das in ſeinem Umſatze, namentlich was die
Buchhandlung betraf, ſehr geſunkene Geſchäft zu heben. Mit über—
raſchender Schnelligkeit gelang es ihm, dieſes auf eine Höhe zu
bringen, wie ſie in früherer Zeit nicht erreicht war.
Am 26. Juni 1846 reichte Schöningh ein Geſuch um Kon—
zeſſion zur Begründung einer Buchhandlung und einer Buchdruckerei
in Paderborn bei der Regierung in Minden ein. Dieſe wurde
bereits unter dem 14. des folgenden Monats erteilt. Die vier
dortigen Buchhändler richteten unter dem 7. November 1846 eine
ſehr ausführliche Denkſchrift an Schöningh, in der ſie ihm dringend
abrieten, ſich in Paderborn niederzulaſſen, da er keinerlei Ausſicht
habe, hier voranzukommen. Zugleich wurde ihm, wenn er von ſeinem
Vorhaben nicht abſtehe, der gemeinſame Kampf in Ausſicht geſtellt,
der auf das entſchiedenſte geführt werden ſolle; auch wollten in dieſem
Falle die genannten Buchhändler die Hilfe des geſamten Buchhandels
— 858 —
in Anſpruch nehmen. Schöningh war jedoch nicht der Mann, der
ſich von einem einmal als richtig erkannten Vorhaben abſchrecken
ließ; er traf vielmehr ungeſäumt die notwendigen Vorbereitungen
zur Einrichtung eines vorläufig kleinen und beſcheidenen Geſchäftes.
Im Hauſe von Louis Everken am Markte mietete er unter dem
24. Februar 1847 „unten rechts zwei Zimmer und einen Behälter
zum Aufbewahren verſchiedener Sachen“ zum Preiſe von
125 Talern für das erſte und 150 Taler für das folgende Jahr.
Unterm 12. Mai 1847 teilte Schöningh dem Geſamtbuchhandel die
Eröffnung ſeiner Buch- und Kunſthandlung mit.
Obwohl das neue Geſchäft ſich aus den kleinſten Anfängen
entwickelte, hatte Schöningh vom Beginne an höhere Ziele im Auge
und richtete namentlich fein Beſtreben neben dem Sortiments-Buch—
handel auf den Verlag, in dem er im Laufe ſeiner ferneren Tätigkeit
ſo Großartiges zu leiſten wußte. |
Die Zeit der Gründung des Schöninghſchen Geſchäftes fällt
mit der Wiegenperiode der katholiſchen Zeitungs- und Zeitſchriften—
Literatur zuſammen, und Ferdinand Schöningh hatte mit ſeinem
klaren Blicke alsbald die Bedeutung geahnt, welche gerade diefe für
das katholiſche Volk gewinnen mußte. Deshalb war ſein erſtes
Streben auf dem Verlagsgebiete darauf gerichtet, ein katholiſches
Wochenblatt ins Leben zu rufen, welches er ſelbſt leitete und dem er
einen Stab von Mitarbeitern zu ſchaffen verſtand, der die beſten
Namen der damaligen katholiſchen Publiziſtik unter den Seinen
zählte, davon nicht wenige, vielleicht die größere Zahl, welche Schö—
ningh ſelbſt heranzog und ſozuſagen heranbildete. Bei dieſem Blatte,
dem „Weſtfäliſchen Kirchenblatt“, deſſen erſte Nummer am 5. Auguſt
1848 erſchien, zeichnete Schöningh ſelbſt als verantwortlicher
Redakteur.
Das erſte eigentliche Verlagswerk, welches in dem Schöningh-
ſchen Geſchäft erſchien, war der erſte Schematismus der Paderborner
Diözeſe, Ende 1849 herausgegeben, eine Publikation, zu der Schö—
ningh den Anſtoß gab. Von 1850 an konnten die Verlagsartikel auf
eigener Preſſe gedruckt werden. Unter Schöninghs vielen Mit-
arbeitern nimmt die hervorragendſte Stelle Joſeph Honcamp ein,
ein Name, der mit dem Werden und Blühen des Schöninghſchen
Hauſes untrennbar verbunden iſt. Ihm iſt in erſter Linie das Auf—
blühen des „Weſtfäliſchen Volksblattes“ zu danken, als deſſen ver—
antwortlicher Redakteur er an Stelle von Schöningh von 1860 ab
zeichnete.
Seiner Neigung entſprechend verfolgte Schöningh von An—
fang an in ſeinen Verlagsunternehmungen eine wiſſenſchaftliche
Richtung. Schon bald nach ſeinem Etabliſſement verlegte er die
— 859 —
lateiniſchen Lehr- und Uebungsbücher des Geh. Regierungs- und
Provinzial-Schulrats Dr. Schultz in Münſter, die einen durchſchla⸗
genden Erfolg hatten, in zahlreichen Auflagen erſchienen und in viele
Sprachen überſetzt ſind. Einige Jahre ſpäter unternahm er es im
Vereine mit dem Profeſſor an der Univerſität Baſel, Dr. Moritz
Heyne, die älteſten deutſchen Literaturdenkmäler in billigen Aus—
gaben mit Anmerkungen und Gloſſar zu veröffentlichen, ein Gedanke,
der von der gelehrten Welt mit Freude begrüßt wurde. Endlich ver—
legte Schöningh in den fünfziger und ſechziger Jahren viele wertvolle
katholiſch-theologiſche Werke aus der Feder nahmhafter Autoren. Es
ſei hier nur erinnert an die Katechismus-Erklärung pon Deharbe,
die dogmatiſchen Werke Oswalts, die Ueberſetzungen der meiſten
Werke des franzöſiſchen Theologen Nicolas, die Predigtwerke von
Nagelſchmitt und Schuen. .
Dieſen drei Richtungen blieb er bei feinen Verlagsunter—
nehmungen auch ferner treu. An die Werke von Schultz für die
lateiniſche Sprache reihten ſich auch ähnliche für die griechiſche und
deutſche, die faſt ſamtlich zu den beiten Lehrmitteln gezählt werden.
Auch die übrigen Schuldisziplinen: Geſchichte, Geographie, Mathe-
matik ꝛc. waren bald durch treffliche Werke vertreten. Der germa-
niſtiſche Verlag erhielt Zuwachs durch Werke von Weinhold, Heinzel,
Martin, Suchier, Piper u. a. Indeſſen fanden auch die übrigen
Zweige der Literatur die Beachtung des weitſehenden Geſchäfts—
mannes, der, um ſich ganz der Verlagstätigkeit widmen zu können,
im Jahre 1876 ſein großes Sortimentsgeſchäft an J. Eſſer aus
Meſchede verkaufte. Er verfolgte aufmerkſam die Bewegungen und
Richtungen der Literatur und ſtudierte die Bedürfniſſe des Publi—
kums; er ſuchte die Autoren, anſtatt fic) von ihnen ſuchen zu laffen,
und ſo ging aus ſeiner Anregung manches wichtige Buch hervor auf
dem Gebiete der Rechtswiſſenſchaft und Politik, der Naturwiſſenſchaft
und Philoſophie.
Die katholiſche Dichtung hat durch Ferdinand Schöningh eine
ganz hervorragende Förderung erfahren: die beſten Namen der
neuern Periode ſind mit den wertvollſten Werken vertreten; es
braucht bloß an Grimme, Brill, Luiſe Henſel, Antonie Jüngſt
erinnert zu werden, vor allem aber an Friedrich Wilhelm Weber,
deſſen „Dreizehnlinden“ bereits das Dreiviertelhundert an Auflagen
überſchritten hat.
Auf dem Zeitſchriften-Gebiete ſind außer den bereits erwähn—
ten zu nennen die homiletifche Zeitſchrift „Chryſologus“ (ſeit 1860),
die „Blätter für kirchliche Wiſſenſchaft und Praxis“ (ſeit 1867) und
die Zeitſchrift „Gymnaſium“, die Schöningh 1883 ins Leben rief.
Bei ſeinem Lebensende fand ſich kaum ein Gebiet oder eine Disziplin,
— 860 —
welche nicht in feinen Verlagskataloge vertreten geweſen wäre.
Dieſer wies damals ſchon 673 Werke in 935 Bänden auf.
Schöningh ſtarb am 18. Auguſt 1883. Seine Witwe übertrug
die Leitung des geſamten Geſchäftes ihrem älteſten Sohne Ferdi:
nand Schöningh. Die bis dahin von dieſem geleiteten Naſſe⸗
ſche Verlagshandlung in Münſter wurde mit dem Pader—
bornſchen Hauptgeſchäſte verſchmolzen und unter der Firma Ferdi—
nand Schöningh in Münſter i. W. als Filialgeſchäft weitergeführt.
Durch die 1885 erfolgte Uebernahme der Naſſeſchen Verlagshandlung
hatte der Schöninghſche Verlag einen bedeutenden Zuwachs erhalten.
Letztere wurde in Soeſt im Jahre 1815 gegründet, eine Zeitlang bis
zum Jahre 1847 von Ferd. Schöningh, dem Gründer der Pader—
borner Firma, geführt, in welchem Jahre der Schwager desſelben,
Albrecht Ziegler, das Geſchäft übernahm. Letzterer ſiedelte
nach Verkauf des Sortimentsgeſchäftes, des Verlages des Soeſter
Kreisblattes und der Buchdruckeeri im Jahre 1873 mit dem Verlage
nach Münſter über. 1882 übernahm Ferdinand Schöningh (II) den-
ſelben und leitete ihn ſelbſtändig bis zur Vereinigung mit dem väter—
lichen Geſchäfte im Jahre 1885. 1888 wurde die zweite Filiale in
Osnabrück durch Erwerbung der Buchhandlung von B. Wehberg
errichtet; ihr folgte 1891 die dritte Niederlaſſung in Mainz durch
Ankauf der Faberſchen Buchhandlung daſelbſt. Der mit
der Erwerbung der Mainzer Handlung verbundene kleine Verlag
von Franz Frey wurde mit dem Stammgeſchäft vereinigt.
Zu den bisher erſchienenen Zeitſchriften geſellten ſich 1887 das
„Jahrbuch für Philoſophie und ſpekulative Theologie“, 1888 die
„Monatsſchrift für katholiſche Lehrerinnen“, und das „Anzeigeblatt
für den katholiſchen Klerus“, 1889 der „Katholiſche Seelſorger“ und
1890 die „Katholiſche Lehrerzeitung“.
1891 wurde der jüngere Sohn Joſeph Schöningh
gleichfalls als Teilhaber aufgenommen.
ö Mit der ſteten äußeren Ausdehnung des Geſchäftes hielt auch
ſeine innere Entwickelung, die Ausbreitung des Verlages, gleichen
Stand. Die vom Gründer begonnene Sammlung der griechiſchen
und römiſchen Klaſſiker-Ausgaben ſowie von Ausgaben deutſcher
Klaſſiker mit Erläuterungen wurde vervollſtändigt und vermehrt.
Hieran reihen ſich die nach ſeinem Tode begonnene Sammlung der
bedeutendſten pädagogiſchen Schriften (bisher 23 Bände), und die
wiſſenſchaftliche Handbibliothek (bisher 20 Bände), welche die
theologiſchen und philoſophiſchen Disziplinen und andere Wiſſen—
ſchaften in ihr Programm aufgenommen hat und unter ihren Auto—
ren Gelehrte erſten Ranges zählt. Zu den bisher behandelten Lite-
raturgebieten geſellte ſich auch das der Geſchichte, auf welchem das
— 861 —
von der Görres-Geſellſchaft herausgegebene Sammelwerk: „Quellen
und Forſchungen auf dem Gebiete der Geſchichte“ einen hervorragen—
den Platz einnimmt.
Einen beſonders gepflegten Zweig des Verlages bilden die
auf Weſtfalen oder einzelne Teile des Landes, Städte, Perſonen,
Religion, Geſchichte, Literatur, Geſetzgebung ꝛc. bezüglichen Werke.
Der philoſophiſche ſowie der ſchönwiſſenſchaftliche Verlag erfuhren
weitere Bereicherung, der letztere namentlich durch Herausgabe der
illuſtrierten Prachtausgabe von Webers „Dreizehnlinden“. Ende
1896 umfaßte der Verlag 1420 Werke in 2056 Bänden.
Quellen: F. Sch., Ein Lebensbild, 1897; Verlagskataloge 1891, 1898 mit
Nachträgen.
Schönlein, H Hermann Schönlein wurde am 2. De-
zember 1833 zu Leipzig geboren, wo er auch den Buchhandel bei
Herbig erlernte und in dieſem Geſchäft dann noch bis Ende 1856 als
Gehülfe blieb. 1857 ging er zu Eduard Hallberger nach Stuttgart,
wo er bis Ende April 1865 tätig war. Im September 1865 grün—
dete Schönlein eine eigene Verlagsbuchhandlung und Buchdruckerei,
in der Abſicht, den mitteleren und unteren Volksklaſſen gediegene
Unterhaltung und Belehrung in Form künſtleriſch ausgeſtatteter
illuſtrierter Journale zu bieten, und zwar zu einem auch dem
Aermſten erſchwinglichen, damals für unmöglich gehaltenen billigen
Preiſe, von dem Schönlein den Aufſchluß neuer ausgedehnter Abſatz—
kreiſe in den weniger bemittelten Volksſchichten erhoffte. Dieſe Er—
wartungen gingen gleich bei ſeinem im Herbſt 1865 begonnenen
erſten Unternehmen, dem „Buch für Alle“, glänzend in Erfüllung.
Die Auflage desſelben ſtieg von Jahr zu Jahr zu enormer Höhe,
ſodaß es bald den geſamten Markt beherrſchte. Aehnlichen Erfolg
hatte die im Jahre 1871 ins Leben gerufene „Illuſtrierte Chronik
der Zeit“. 1873 gab Schönlein das „Illuſtrierte Unterhaltungs-
blatt“ und 1874 das „Illuſtrierte Sonntagsblatt“ heraus. Beide
Journale ſollten als Unterhaltungsbeilagen für politiſche Zeitungen
dienen, um die Verleger letzterer der großen Mühe, welche Redaktion
und Herſtellung eigener Beilagen verurſacht, zu entheben und zugleich
bedeutende Erſparniſſe zu bieten. Der Gedanke fand großen An—
klang und das Unternehmen hatte bald eine nach Hunderttauſenden
zählende Verbreitung. Die hohen Preiſe der in Buchform erſcheinen—
den Unterhaltungsliteratur gab Veranlaſſung zur Herausgabe der
vom Herbſt 1876 an erſchienenen „Bibliothek der Unterhaltung und
des Wiſſens“, die ſoſort den größten Beifall fand und reformierend
wirkte. Schönlein leitete während des größten Teils ſeiner buch—
händleriſchen Selbſtändigkeit die Redaktion der von ihm heraus—
— 862 —
gegebenen Journale perfonlid. Seine Buchdruckerei, die im
Illuſtrationsdruck Vorzügliches leiſtete, umfaßte ſchließlich
28 Schnellpreſſen. Durch Ueberarbeitung kränklich geworden, ver—
kaufte Schönlein ſein geſamtes Geſchäft am 1. Mai 1888 an die
Gebrüder Kröner, welche dasſelbe anfänglich unter der Firma
Hermann Schönleins Nachfolger fortführten, zwei
Jahre ſpäter jedoch mit der Union Deutſche Verlags—
geſellſchaft in Stuttgart verſchmolzen (vergl. Artikel Kröner
Bd. IV Seite 584 d. W.).
Schönſperger, H. Hans Schönſperger, der berühmte
Drucker des Theuerdank, kommt in den Augsburger Steuerliſten
ſchon 1474 vor; er entfaltete in einem Zeitraum von 44 Jahren
eine überaus reiche Tätigkeit. Sein Theuerdank wird einſtimmig
als ein in ſeiner typographiſchen Ausführung unübertroffenes
Meiſterwerk geprieſen, das inſonderheit auch durch prachtvolle Holz—
ſchnitte von Schäufelein, Burgkmair und Dienecker geziert iſt. Die
erſte Ausgabe dieſes Prachtwerkes, das die Brautfahrt und Abenteuer
Maximilians, des letzten deutſchen Ritters, zum Gegenſtand hat und
nach Aufzeichnungen des Kaiſers von Melchior Pfinzing dichteriſch
bearbeitet wurde, iſt von Schönſperger im Jahre 1517 zu Nürnberg
gedruckt worden. Die Drucke dieſes Typographen weiſen überhaupt
eine ſolch vortreffliche Ausſtattung auf, daß ihnen hinſichtlich des
Holzſchnittſchmuckes kaum ähnliches an die Seite zu ſetzen iſt. Neben
dem Theuerdank ſind es hauptſächlich noch die beiden deutſchen
Bibeln, die elfte von 1487 und die zwölfte von 1490 mit prächtigen
Holzſchnitten, ferner das Lutherſche Neue Teſtament von 1523 mit
Holzſchnitten von Schäufelein, u. v. a.
Von Nürnberg ging Schönſperger nach Augsburg, wo er 1519
die zweite Theuerdankausgabe druckte. Sein Sohn Hans Schön—
ſperger der Jüngere druckte ebenfalls in Augsburg, hat ſich
ſpäter aber mehr dem Verlagsbuchhandel gewidmet und ließ dann
meiſtenteils bei Johann Othmar in Augsburg drucken. Der
jüngere Schönſperger erſcheint 1497 bis 1530 in den Augsburger
Steuerliſten, ſein erſtes Werk 1510, nach 1523 ſcheint er ſich nur noch
mit Verlag beſchäftigt zu. haben.
1523 begründete er die erſte Zwickauer Druckerei, verbunden
mit Papiermühle und Zeugdruckerei in einem am Markt belegenen
Hauſe und ſetzte Jörg Gaſtel als Drucker ein.
Gaſtel lieferte 1523 bis 25 über 80 Drucke, darunter viele
anonyme Flugſchriften, Luther, auch Schriften der Waldenſer, böh—
miſchen Brüder und Zwickauer Propheten, ſo daß 1524 die Stadt
vom Nürnberger Rate verwarnt wird.
— 863 —
Ende 1524 trat Schönſperger feine Zwickauer Druckerei an
Georg Lurtz in Leipzig ab. 1527 erwirbt fie Gabriel Kanz.
Er verlegt das Geſchäft auf den Schönen Anger, wo es im
Februar 1528 abbrennt. Nach ſeinem 1529 erfolgten Tode heiratet
die Witwe ſeinen Geſellen Wolf Meyerpeck, der bis 1550 in
Zwickau druckt und dann der erſte Drucker von Freiberg wird (vergl.
Band 1 S. 159 ds. Werkes).
Quellen: Goetze, Hochdeutſche Drucker der Reformationszeit, Straßburg
1905; Fabian, Einführung der Buchdruckerkunſt in Zwickau, in Mitteilungen des
Zw. Altertumsvereins 1899, Heft 6; Kapp, Buchhandel; Klemm, Katalog; Archiv
f. Geſch. des deutſch. Buchhandels, Bd. 12 u. 13.
Schott (Straßburg). Der von 1481 bis 1499 in Straßburg
vorkommende Typograph Martin Schott, Sohn eines Holz—
ſchneiders, druckte vorzugsweiſe in deutſcher Sprache, darunter als
erſtes ſehr ſchönes Werk ein „Plenai nach Ordnung der chriſtlichen
Kirchen“ 1481. Seine Druckwerke haben eine ungemein reiche Aus—
ſtattung und ſind meiſt mit prächtigen Holzſchnitten geziert. Schott
ſtarb am 22. November 1499. Sein Signet bildet einen Kohlkopf
mit offenen Wurzeln, darin das Familienzeichen mit den Anfangs⸗
buchſtaben des Namens zu beiden Seiten.
Sein Sohn, der Enkel Mentelins, Johannes Schott,
geboren am 19. Juni 1477, beſuchte ſchon mit 13 Jahren die Frei—
burger Hochſchule, ſpäter die Heidelberger Univerſität und übernahm
dann das Geſchäft ſeines Vaters Martin Schott. 1503 ſiedelte er
nach Freiburg über, druckte hier die Margarita philosophica des
Karthäuſerpriors Gregorius Reiſch, kehrte aber 1504 nach Straßburg
zurück. Er ſcheint fih ſpäter in Baſel aufgehalten zu haben, wo er
auch die 3. Ausgabe des erwähnten Buches zuſammen mit
M. Furter druckte. Von 1509—45 kommt er wieder in Straß—
burg vor, wo er zahlreiche Werke, darunter Ausgaben des Ptole—
mäus, Geiler von Kaiſersberg Poſtille, die mediziniſchen Schriften
des H. Gersdorff, eine Schrift Thomas Murners, uſw. druckte.
Die von Jacob Oeßler und Georg Uebelin beſorgte mit Karten ver—
ſehene Ausgabe des Ptolomäus gehört zu den beſten Straßburger
typographiſchen Erzeugniſſen. Seine Preſſen bewältigten auch viele
Aufträge von auswärts, z. B. der Gebrüder Alantſee. Seine
Druckerei, möglicherweiſe hat er eine Zeitlang in Geſchäftsgemein—
ſchaft mit Johannes Prüß gedruckt — befand ſich im Haus zum
Baumgarten, wo Eggeſteins Offizin geweſen war, ſodann im Haus
zum Tiergarten, wo auch Mentelin gedruckt hatte.
Heitz führt nicht weniger als 11 verſchiedene Signete von ihm
an, darunter wohl das vornehmſte: Ein auf einem geſtürzten Pferde
liegender Ritter, auf deſſen Rücken die aus den Wolken ragende Hand
— 864 —
Gottes eine Szepter ſtützt, auf deſſen oberen Ende ein Storchenneſt
mit 3 Störchen ſich befindet. Die Inſchriften ſind verſchieden.
Quellen: Schmidt, Zur Geſchichte der älteſten Bibliotheken in Straßburg
1882; Archiv f. Geſch. d. deutſch. Buchhandels Bd. 5 u. 13; Zentralblatt für
Bibliotheksweſen, 1887 S. 294.
Schotte, E. Der Berliner Hofbuchhändler Friedrich
Moritz Ernſt Schotte war am 11. Dezember 1829 zu Halle
a. Saale geboren, wo er anfänglich das dortige Gymnaſium des
Waiſenhauſes bis zur Prima beſuchte und Michaelis 1846 als Lehr—
ling in die Knappſche Sortiments-Buchhandlung in Halle eintrat.
Nach beendeter 4jähriger Lehrzeit verblieb er in derſelben als Ge-
hilfe noch bis Oſtern 1851.
Nach 4jähriger Tätigkeit in der Firma Steinthal in Berlin
begründete Ernſt Schotte am 25. Oktober 1855 ein eigenes Verlags—
geſchäft unter der Firma Ernſt Schotte & Co., dem er ſehr
bald durch die Fabrikation von Erd- und Himmelsgloben, Tellurien,
Planetarien und Reliefkarten eine große Bedeutung verſchaffte.
Am 1. Oktober 1873 nahm er Hugo Voigt aus Leipzig
als Teilhaber ſeines Buchverlages auf und firmierte für dieſen Zweig
ſeines Geſchäftes E. Schotte & Voigt bis zum 16. Dezember
1874, an welchem Tage das Sozietätsverhältnis wieder gelöſt wurde,
und der Buchverlag in den Alleinbeſitz von Hugo Voigt überging.
Seit jener Zeit widmete Schotte ſeine ganze Kraft dem
Globen-Verlage, den er, in vollem Verſtändnis der Forderungen des
Anſchauungsunterrichts in der Schule und der Bedürfniſſe der Häus—
lichkeit in den gebildeten Ständen, ſehr bald zu einem der bedeutend—
ſten in Deutſchland wie auch im Auslande machte.
Ein Schlaganfall zwang Schotte, 1893 das Geſchäft und die
Firma feinen Söhnen Rudolf und Max Schotte zu übergeben,
welche das Geſchäft in den wohlvorgezeichneten Bahnen noch heute
fortführen. Ernſt Schotte ſtarb am 28. März 1895.
Quellen: Korporationsbericht der Berliner Buchhändler 1896.
Schottlaender, S. Im Jahre 1876 begründete S. Schott—
laender in Breslau ein Verlagsgeſchäft mit dem ausgeſprochenen
Zweck, den im allgemeinen geſunkenen Romanverlag wieder mehr
zu Ehren zu bringen. Die Mitwirkung der namhafteſten deutſchen
Autoren wurde ihm von Anfang an zu teil, neben dem Roman auch
auf den verſchiedenſten Wiſſensgebieten. Aus dieſer langen Reihe
nennen wir folgende Namen: E. v. Adlersfeld-Balleſtrem, L. Anzen—
gruber, Karl Biedermann, Fr. Bodenſtedt, Ida Boy-Ed, M. G. Con-
rad, Felix Dahn, Th. Fontane, K. E. Franzos, Gerhardt-Amyntor,
Rudolf Gottſchall, Karl Gutzkow, Wilhelm Jenſen, Moriz Jokai,
— 865 —
Paul Lindau, Herm. Lorm, Wilh. Lübke, Max Nordau, Anton
Ohorn, Felix Philippi, Ludw. Philippſon, Eliſe Polko, Otto
Roquette, Leop. von Sacher-Maſoch, Gregor Samarow, Lewin
Schücking, K. Telmann, E. Vely, Hans Wachenhuſen u. v. a.
In den erſten Jahren ſtellte ſich Schottlaender u. a. durch
Herausgabe der von Hermann Kurz beſorgten und von Paul Heyſe
redigierten deutſchen Bearbeitung von Arioſts „Raſender Roland“
mit Illuſtrationen von G. Dorré keine leichte Aufgabe; aber fic
gelang vortrefflich.
Unter den periodiſchen Unternehmungen Schottlaenders
nimmt die vornehme von Paul Lindau begründete Monatsſchrift
„Nord und Süd“ den erſten Rang ein. Neben ihr trat in neuerer
Zeit ein neues periodiſches Unternehmen ins Leben, die Bibliothek
„Unterwegs und Daheim“, die in origineller und gediegener Aus—
ſtattung und bei mäßigen Preiſen belletriſtiſche Werke von höherem
literariſchen Wert bietet, als er der gewöhnlichen Reiſelektüre, die
lediglich das Unterhaltungsbedürfnis befriedigen will, zugeſprochen
werden kann. Im Dezember 1906 vereinigte ſich der Verlag mit der
Verlagsgeſellſchaft „Harmonie“ in Berlin und wird
von den Inhabern derſelben, den Alex. Jadasſohn und Lud—
wig Friedmann als Geſellſchaft mit beſchränkter Haftung
ſelbſtändig geleitet.
S. Schottlaender, welcher ſich ſeitdem von ſeiner Tätigkeit als
Verlagsbuchhändler vollſtändig zurückgezogen hat, beſchäftigt ſich
nur noch, neben der Verwaltung ſeiner Ehrenämter, als Kgl. Griech.
Konſul und Amtsvorſteher, feiner Güter Benkwitz-Klein Saegewitz⸗
Radwanitz, mit dem Betriebe ſeiner großen Buchdruckerei unter der
Firma „Schleſiſche Buchdruckerei, Runft und Ver-
lags-Anſtalt von S. Schottlaender“, Breslau.
Quellen: Verlagskataloge 1886 uff.
Schrag (Nürnberg). Johann Leonhard Schrag
wurde zu Landshut am 27. Januar 1783 geboren und trat nach Ab—
ſolvierung der Schule in die Krüllſche Univerſitätsbuchhandlung
daſelbſt in die Lehre. Nachdem er ſeine Lehrzeit überſtanden und
längere Zeit noch als Gehilfe in dieſem Geſchäfte geweſen war, nahm
er die Stelle als Geſchäftsführer einer Buchhandlung in Wien an,
welche Stadt er infolge der franzöſiſchen Invaſion verließ und ſich
nach Nürnberg begab, woſelbſt er anfänglich der Steinſchen Buch—
handlung als Geſchäftsführer vorſtand, deren Beſitzer, Joh. Philipp
Palm, 1806 zu Braunau den Märtyrertod durch die Kugeln eines
franzöſiſchen Exekutionskommandos fand. Schrag bekleidete dieſe
Stellung bis zu ſeiner eigenen Niederlaſſung im Jahre 1810. Er
55
— 866 —
gründete unter feinem Namen eine Verlagsbuchhandlung in Nürn—
berg, welche ſich infolge feiner Umſicht und Tätigkeit ſowohl, als durch
glückliche Geſchäftsverbindungen mit vielen namhaften Schriftſtellern
bald einen weitverbreiteten Ruf erwarb. In der Geſchichte der deut—
ſchen Literatur ſpielt Schrag eine nicht unwichtige Rolle, ſein Verlag
wurde einer der Mittelpunkte der ſpäteren Romantik. Der Schrag—
ſche Verlagskatalog weiſt Namen auf, wie Berzelius in Stockholm,
Prof. Biſchof in Heidelberg, Buchner in München, Chamiſſo, Che—
mifer Dumas in Paris, de la Motte-Foqué, v. Eichendorff, Prof.
Goldfuß in Bonn, Hegel, Jean Paul, Kaſtner, Prof. Kittel, v. Kobell,
v. Martius, Prof. v. Nägelsbach, Nees v. Eſenbeck, Schubert,
Schweigger u. a. Unter den ſchönwiſſenſchaftlichen Werken, welche
in der Schragſchen Buchhandlung erſchienen, find insbeſondere Cha-
miſſos Peter Schlemihl, Foqués Zauberring und eine Reihe Jahr—
gänge des vielgeleſenen „Frauentaſchenbuchs“ zu nennen, für welches
faſt alle deutſchen Dichter und belletriſtiſchen Schriftſteller Beiträge
lieferten. Im Bereiche der ernſteren Wiſſenſchaft iſt es außer Buch—
ners Inbegriff der Pharmazie vornehmlich das Repertorium für die
Pharmazie, ältere Reihe, welches Schrag als das erſte Journal dieſer
Gattung herausgab, und das anfänglich Prof. Gehlen, ſpäter Buchner
in München redigierte. Außerdem ſind viele auf Nürnberg und ſeine
Kunſtſchätze bezüglichen Werke im Schragſchen Verlage erſchienen,
welcher Geſchäftszweig ſpäter an ſeinen als Kunſthändler etablierten
Sohn Heinrich Schrag überging.
G. L. Schrag ſtarb am 30. April 1858; ein Jahr früher war
der Verlag, mit Ausnahme des lokalen Kunſtverlags, der von
Heinrich Schrag unverändert fortgeführt wurde, an Friedrich
Brandſtetter in Leipzig übergegangen (vergl. Bd. I Seite 84
ds. W.), der ihn 1859 an Albert Guſtav Hoffmann abtrat.
An den in Nürnberg verbliebenen Lokalkunſtverlag ſchloß ſich
im Laufe der Jahre ein neuer Verlag der verſchiedenſten Werke.
Seit 1888 wird dieſes Geſchäft von dem Kgl. Hofbuchhändler Jo—
hann Georg Carl Schrag fortgeführt, während das 1847
gegründete Sortiment von dem gleichen Inhaber unter der Firma
Heinrich Schrag betrieben wird.
Quellen: Börſenblatt f. d. deutſch. Buchhandel 1858; Sauer, J. L. Schrag
und Jean Paul.
Schreiber (Eßlingen). Unter den ſüddeutſchen Verlagsfirmen
iſt der Verlag von J. F. Schreiber in Eßlingen einer der bekann—
teſten. Im Jahre 1831 gründete in Eßlingen der 1809 geborene
Lithograph Joh. Ferd. Schreiber eine lithographiſche Kunſt—
und Verlagsanſtalt. Er war geſchickt in ſeinem Fache und erkannte
die Dürftigkeit des bildlichen Lehrmaterials jener Zeit, ſowohl für
— 867 —
die Schule als für das Volk. Es war der richtige Griff, als er mit
den für die damalige Zeit groß angelegten Unternehmungen: „Die
zwölf Monate des Jahres“ (1833), „Eßlinger Bilder zum Anſchau⸗
ungs⸗Unterricht für die Jugend“ (1835), „Arbeitsſtätten und Wert-
zeuge der wichtigſten Handwerke“ (1840) und anderen mehr, hervor-
trat und dadurch die junge Kunſtanſtalt in kurzer Zeit überall wohl⸗
bekannt machte. Dieſe Werke fanden in ihrer farbigen Ausſtattung
und Herſtellung bald den vollſten Beifall der Lehrerwelt, und viele
dieſer trefflichen Darſtellungen gelten heute noch trotz aller Nach—
ahmungen als muſtergültig. Sämtliche Bilder waren mit Hilfe
einer aus Nürnberg gekommenen Erfindung mit Waſſerfarben
mittelſt Schablonen koloriert. Das Verfahren, wie es J. F. Schrei⸗
ber mit Erfolg und Geſchick anwandte, iſt wohl als der Anfang der
fabrikmäßigen Herſtellung des Kolorits zu bezeichnen — ein nicht
vollkommener, aber brauchbarer Erſatz für die dann in ſpäteren
Jahren zur Ausbildung gekommene Chromo-Lithographie. Vorher“
mußten alle Bilder mit der Hand einzeln bemalt werden, was natür—
lich ſehr zeitraubend und koſtſpielig war.
Der immer mehr fic) vergrößernde Betrieb machte es not-
wendig, daß Schreiber ſich nach einer Hilfskraft umſehen mußte.
Die Leitung und Ueberwachung der graphiſchen Abteilungen nahm
ſeine Kraft zu ſehr in Anſpruch, ſo daß er eine Unterſtützung nach
der buchhändleriſchen Seite hin bedurfte. Er fand dieſe in Karl
Thienemann aus Gotha. Derſelbe beſaß eine vortreffliche Bil—
dung und war dichteriſch beanlagt, was dem Verlage zu ſtatten kam,
indem er unter die Bilder reizende, von feinem Verſtändnis für die
Kinderſeele zeugende Verschen ſetzte. Fielen doch auch gerade in dieſe
Zeit die erſten Anfänge des J. F. Schreiberſchen Bilderbücherverlags,
zu deſſen geiſtigem Mitarbeiter Thienemann wie geſchaffen war. Ein
bleibendes Denkmal hat er ſich dann in ſeinen ſinnvollen „Bilder—
geſchichten“ geſetzt: einem gut illuſtrierten Bilderbuche des J. F.
Schreiber ſchen Verlages, das heute noch von vielen Müttern und
Großmüttern, die als Kinder ſelbſt dieſe Verſe auswendig gelernt
haben, immer und immer wieder für ihre Kinder und Enkel ver—
langt wird.
Als 1846 Karl Thienemann aus der Firma austrat und in
Stuttgart die Firma K. Thienemanns Verlag gründete,
aſſoziierte fid J. F. Schreiber mit dem Buchhändler C. Schill in
Stuttgart. Die Firma hieß nun Schreiber & Schill. Der
letztere übernahm die Expedition in Stuttgart, während Schreiber
ſich der Fabrikation in Eßlingen widmete. Nach dem Beitritt Schills
ergänzte der Verlag das von Schreiber angefangene Unternehmen
„v. Schubertſche Naturgeſchichte des Tierreiches“ in 90 farbigen
a
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Folio-Tafeln durch die „v. Schubertſche Naturgeſchichte des Pflanzen:
reiches“ in 52 Folio-Tafeln, ſo daß mit der „v. Kurrſchen Natur⸗
geſchichte des Mineralreiches“ mit 22 kolorierten Folio-Tafeln die
Geſchichte der drei Naturreiche vollſtändig war.
Weiter erſchienen damals die „Sechzig Bibliſchen Bilder“,
hübſch koloriert und nach und nach in Tauſenden von Exemplaren
in allen Ländern der Welt verbreitet.
1862 wurde Schill dem aufblühenden Geſchäfte durch den Tod
entriſſen, und Schreiber führte es nun wieder allein unter der alten
Firma fort. Inmitten ſchöner Erfolge ſtarb Schreiber im Jahre
1867 und ſein Sohn Ferdinand Schreiber war nunmehr
berufen, das Geſchäft weiterzuführen.
Dieſer hatte den Buchhandel in ſeiner Vaterſtadt von 1849
bis 1852 in der C. Weychhardtſchen Buchhandlung erlernt. Darauf
konditionierte er bei Hörnecke & Lohſe, jetzt Leuſchner in Graz, um
dann, ins väterliche Geſchäft zurückgekehrt, die techniſche Herſtellung
lithographierter Bildwerke zu erlernen. Nachdem er das Jahr 1856
feiner techniſchen Ausbildung als Steindrucker gewidmet hatte, ging
er 1857 nach Paris, um dort ſich weiter zu vervollkommnen. Schrei—
ber hatte hier Gelegenheit viel zu lernen, und er brachte von Paris
einen großen Schatz von lithographiſchen Kenntniſſen nach Hauſe,
die ihm ſein ganzes Leben von außerordentlichem Nutzen waren.
Durch ihn hielt die erſte lithographiſche Schnellpreſſe im Jahre
1864 in Deutſchland ihren Einzug.
1869 gründete Ferd. Schreiber die „Eßlinger Zeitung“, die
noch heute mit Erfolg (8000 Aufl.) beſteht, aber als nicht in die
Verlagsrichtung des Hauſes paſſend, verkauft wurde. Die immer
wachſende Ausdehnung des Betriebes machte nach 1870 die Er—
werbung ausgedehnter Baugründe notwendig, auf denen nun nach
und nach neue Betriebsgebäude errichtet wurden.
Schon 1870 machte der Verlag den Verſuch, den Märchen
bildern des großen englischen Illuſtrators Walter Crane in Deutſch—
land Eingang zu verſchaffen. Er fand aber damals wenig Anklang
— der deutſche Geſchmack zeigte ſich noch nicht reif für ſolche
Schöpfungen.
Neue Unternehmungen für den Schulunterricht folgten an—
fangs der 1870er Jahre, z. B. die „Wandtafeln der Naturgeſchichte“.
1872 trat der zweite Sohn des Gründers, Max Schreiber, in
die Firma ein. Der Jugendſchriftenverlag erfuhr 1872 eine neue
Bereicherung durch die Erwerbung des großen Verlagsgeſchäftes von
Hofmann & Hohl in Stuttgart. Durch dieſe Angliederung
gelangte der Schreiberſche Verlag in den Beſitz der Schriften von
Iſabella Braun, Nieritz, Pichler uſw., verkaufte dieſe aber, da er
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Die Richtung nicht verfolgen wollte, 1890 und widmete ſich ſtatt deſſen
der Herausgabe humoriſtiſcher Bilderbücher, zu welchem Zwecke die
Firma den beliebten Münchener Kunſtmaler Lothar Meggendorfer
gewann. 1889 erfolgte die Gründung der „Meggendorfer-Blätter“,
farbig illuſtrierte Zeitſchrift für Humor und Kunſt. Dieſe der deut—
ſchen Familie gewidmete humoriſtiſche Zeitſchrift, die beſonders den
feinen farbigen Illuſtrationsdruck pflegt, hat es verſtanden, ſich
überall heimiſch zu machen, ſo daß ſie heute in einer Auflage von
mehr als 55 000 Exemplaren über die ganze Welt verbreitet ift.
Die durch Herausgabe der Meggendorfer-Blätter entſtandenen Ver—
bindungen führten denn auch 1899 zur Gründung einer Zweignieder—
laſſung in München. Es muß hier ausdrücklich bemerkt werden,
daß es der 1903 ausgetretene Bruder des Kommerzienrats, Max
Schreiber (jetzt Beſitzer des Verlages Paul Neff) war, der die
Meggendorfer Blätter zu ihrer Berühmtheit brachte. Er hat anfangs
ſogar unter dem Widerſpruch ſeines Bruders die Zeitung begründet
und in die Höhe gebracht. Die meiſten großen Unternehmungen
während feiner 30 jährigen Tätigkeit in der Firma ſind ausſchließlich
ſeinem Unternehmungsgeiſt und ſeiner Initiative zu verdanken. Er
war ſtets die „Seele“ des Geſchäftes.
Der Wandtafel-Verlag wurde vermehrt durch neue Unter—
nehmungen, namentlich durch die große farbige Englederſche Samm—
lung von 133 Nummern der Tier- und Pflanzenkunde, die großen
künſtleriſchen Wandbilder zum Anſchauungs-Unterricht, Matzdorffs
ökologiſche Wandtafeln zur Tierkunde und Dodels Biologiſchen Atlas
der Botanik in 7 Tafeln. An hervorragenden Neuerſcheinungen des
Buchverlags ſind zu nennen: Dalitzſch, Pflanzenbuch, Weiler, Phyſik—
buch, Baur, Geſundheitspflege, Schmid, Lehrbuch der Mineralogie
und Geologie. Meerwarth, Photographiſche Naturſtudien, Plehn,
Fiſche, Lampert, Großſchmetterlinge und viele andere.
Seit dem am 15. Oktober 1903 ſtattgefundenen Austritte von
Max Schreiber, welcher den Verlag von Paul Neff in Stuttgart
(vgl. Bd. IV S. 723 d. W.) erwarb, war Kommerzienrat Ferdinand
Schreiber der alleinige Beſitzer der Firma. Im Jahre 1906 nahm
er ſeine beiden Söhne Robert und Ferdinand Schreiber jun.
als Teilhaber auf. Beide Söhne haben ſich viele Jahre in bedeu—
tenden Firmen des In- und Auslandes eine umfaſſende Berufsbildung
angeeignet, die ſie in die Lage ſetzt, ihrem Vater mit Rat und Tat
in den verſchiedenen Reſſorts zur Seite ſtehen.
Heft 7 Quellen: Verlagskatalog 1906/07; Deutſche Buchhandelsblätter 1904,
Schultheß. Friedrich Schultheß, der Sohn des Chor—
herrn und bekannten theologiſchen Schriftſtellers Johannes Schult⸗
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heß, wurde im Jahre 1804 zu Zürich geboren. Nach einer zwei⸗
jährigen Lehrzeit, welche Schultheß am Setzkaſten zubrachte, über⸗
nahm er im Alter von 17 Jahren ſelbſt die Leitung des 1776 be⸗
gründeten Geſchäftes. Es bedurfte der eiſernen Energie und der
unermüdlichen Tätigkeit, welche Schultheß während ſeines ganzen
Lebens auszeichneten, um dieſer Aufgabe gerecht zu werden.
Nachdem fih Schultheß durch einige glückliche Verlagsunter⸗
nehmungen von lokalem Intereſſe aus den beengenden Verhältniſſen
einigermaßen herausgearbeitet hatte, ſuchte er ſeinem Geſchäfte eine
größere Ausdehnung zu geben, und trat 1826 in direkte Verbindung
mit dem deutſchen Buchhandel. Nach den zahlreichen theologiſchen
Schriften ſeines Vaters gab Schultheß nunmehr auch mehrere größere
Verlagswerke heraus, unter denen in erſter Linie Zuinglii opera,
cur. Schulero et Schulthessio zu nennen ſind. Zugleich mit dem
Verlage begann ſich ſeit 1830 auch das Sortimentsgeſchäft zu heben.
1832 aſſoziierte er ſich mit Salomon Höhr unter der
Firma „Schultheß & Höhr“ — eine Verbindung, die indeſſen
ſchon im Jahre 1835 in freundſchaftlicher Weiſe gelöſt wurde.
Die Buchdruckerei, mit welcher Schultheß im Jahre 1835 auch
eine lithographiſche Anſtalt verband, wurde in den folgenden Jahren
hauptſächlich durch die Herausgabe der Zürcheriſchen Großratsver—
handlungen, ſowie durch verſchiedene Zeitungsunternehmungen in
Anſpruch genommen. Unter den letzteren nennen wir den „Conſti—
tutionellen“, den geiſtreich redigierten „Republikaner“ und die von
1845—1860 erſcheinende Eidgenöſſiſche Zeitung, — letztere beſonders
ein in der ganzen Schweiz ſehr geſchätztes und verbreitetes Journal
von liberal-konſervativer Tendenz.
Von den zahlreichen Verlagsunternehmungen, welche Schult—
heß nun ausführte, fei erinnert an Vögelins Schweizergeſchichte,
Schulers Schweizergeſchichte, verſchiedene hiſtoriſche und juridiſche
Werke Bluntſchlis; dann die große „Schweizeriſche Volksbibliothek“,
Mouſſons Phyſik, das Staatswörterbuch von Bluntſchli und Brater,
Rüſtows kriegsgeſchichtliche Werke, welche den Schultheßſchen Verlag
namentlich im Auslande bekannt machten; verſchiedene Schriften
von A. E. Fröhlich, Heers Urwelt der Schweiz u. a. m. — Schultheß
pflegte hauptſächlich die ſchweizeriſche Richtung ſeines Verlages, und
war ſtets mit Erfolg bemüht, die beſten ſchriftſtelleriſchen und wiſſen—
ſchaftlichen Kräfte ſeines Vaterlandes an ſich zu ziehen. Ein großes
Intereſſe wandte er auch der Verbreitung guter Lehrmtitel zu, wo—
durch die Bedeutung ſeines Verlags für die Schweiz noch verdoppelt
wurde; einzelne Lehrbücher, wie die franzöſiſchen von J. Schultheß
und die engliſchen von Behn-Eſchenburg erlangten auch in Deutfd)-
land einen bedeutenden Namen.
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1855 nahm der Geſchäftsgründer feinen älteften Sohn X o-
hann Friedr eich Schultheß in das Geſchäft und machte ihn
1862 zu ſeinem Teilhaber. Dieſer war am 20. November 1832 zu
Zürich geboren.
Nach Abſolvierung der Realſchule trat Schultheß 1845 ins
Gymnaſium, wo neben der lateiniſchen Sprache vornehmlich der Ge—
ſchichtsunterricht ſowie die Geographie, ſpeziell das Kartenzeichnen den
Jüngling feſſelten. Bei dem blühenden Aufſchwung, in dem ſich das
väterliche Geſchäft gerade damals befand, war es eine ausgemachte Sache,
daß der Sohn dieſes einſt übernehmen ſollte, und ſo finden wir ihn denn
auch bald auf feiner Wanderſchaft, erft in Stuttgart, wo er die Lehr—
zeit abſolvierte, dann in der Metropole des deutſchen Buchhandels,
Leipzig, wo die Schultheßſche Verlagsfirma hohes Anſehen genoß,
ſpäter in Mainz und Wien; überall hat er Bekanntſchaften und
Freundſchaften geſchloſſen, die teilweiſe bis an fein Lebensende Dau-
erten. Nach einem kurzen Aufenthalt in London und Paris trat
der damals 24 Jahre zählende Mann in das väterliche Geſchäft ein,
um nach wenigen Jahren als Aſſocié feines Vaters zulgeich die
Hauptarbeit zu übernehmen.
Ein bleibendes Verdienſt hat ſich Schultheß fen. erworben,
indem er an der Gründung des Schweizeriſchen Buchhändlervereins
im Jahre 1849 einen hervorragenden Anteil nahm, und dadurch den
ſchweizeriſchen Buchhandel einer ſehr kläglichen Lage entreißen half.
In gerechter Anerkennung ſeiner Verdienſte wählte ihn auch der
Verein bis zum Jahre 1863 ſtets in den Vorſtand, und übertrug ihn:
mehrmals das Präſidium, das er mit vielem Takte verſah.
Während aber Schultheß den Obliegenheiten ſeines Berufes
mit größter Gewiſſenhaftigkeit nachkam, nahm er auch den lebhaf—
teſten Anteil an den Geſchicken ſeines Vaterlandes, dem er in ſchwie—
rigen Zeiten, und mit vieler Selbſtverleugnung ſeine Dienſte lieh.
In den bewegten dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts bedurfte
man ſolcher Männer, die wie Schultheß mit Entſchloſſenheit den Ge—
fahren der Parteileidenſchaft ins Auge ſahen und zugleich ihren
beſänftigenden Einfluß auf die erhitzten Gemüter geltend machten.
Obwohl keineswegs gleichgültig gegen die damaligen Zeitſtrömungen,
vielmehr ein offener Freund der konſervativen Sache, wußte Shuli-
heß doch ein ſchroffes Auftreten zu vermeiden und auch dem Gegner
durch die ihm eigene Energie und Kaltblütigkeit Achtung zu gebieten.
Namentlich fand er als Militär Gelegenheit, dieſe ſeine Eigenſchaften
aufs wirkſamſte zu betätigen. Seine militäriſche Befähigung wurde
auch vollkommen gewürdigt, und ſchon 9 Jahre nach ſeinem Eintritt
ins Militär avanzierte er, nachdem er ſich mehrerer ſchwierigen
Miſſionen mit Geſchick entledigt, 1832 zum Oberſt-Leutnant. Als
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ſolcher machte er noch im Jahre 1847 den Sonderbundsfeldzug mit.
Das Jahr 1849 brachte ihm die Wahl zum eidgenöſſiſchen Ober-Kriegsrat.
Schultheß bekleidete auch verſchiedene bürgerliche Aemter, und
machte ſich als Mitglied des großen Stadtrates, Vizepräſident der
Zunft zu Safran und Kommandant der ſtädtiſchen Feuerwehr um
ſeine Vaterſtadt Zürich ſehr verdient. Er ſtarb am 29. Auguſt 1869,
das Geſchäft übernahm der ſchon genannte älteſte Sohn. Auch er
fand neben ſeiner reichen geſchäftlichen Tätigkeit noch Zeit, ſich öffent—
lichen Angelegenheiten zu widmen. Der ſchweizeriſchen Armee diente
er als Stabsoffizier der Infanterie, der Stadt Zürich eine Reihe von
Jahren als Oberpannerkommandant und Chef der ſtädtiſchen Feuer:
wache, ferner war er Präſident der Zunft zur Saffran. Seinem
hohen Anſehen, das auch Friedrich Schultheß junior in der zü-
richeriſchen Handelswelt beſaß, verdankte er im Jahre 1887 die Wahl
zum Mitglied des züricheriſchen Handelsgerichtes. Dem ſchweizeriſchen
Buchhändlerververein ſtand auch er, gleich ſeinem Vater, mehrmals
als Präſident vor; dem ſüddeutſchen Buchhändlerverein gehörte er
lange Zeit als Vorſtandsmitglied an.
Von Hauſe aus konſervativ, blieb er dem politiſchen Leben
und Treiben ferne, obwohl ihm als Mitglied des großen Rates dazu
Gelegenheit gegeben war. Dagegen nahm er regen Anteil an den
kirchlichen Angelegenheiten feiner Vaterſtadt; er war der Typus des
im Getriebe der Großſtadt immer ſeltener werdenden politiſch und
kirchlich konſervativ denkenden Alt-Zürichers und dieſem Hauptzuge
ſeines Charakters entſprach denn auch die durchaus vornehme Natur
ſeines Verlages.
Schultheß richtete bei ſeiner verlegeriſchen Tätigkeit ſein
Hauptaugenmerk auf literariſche Erzeugniſſe auf dem Gebiet der
Rechtswiſſenſchaft, Geſchichte, Militärwiſſenſchaft und Pädagogik,
und die Namen eines A. v. Orelli, Schneider und Fick, Meyer von
Knonau, Oechsli und Dändliker, Wilhelm Meyer-Ott, Breitinger,
Eberhard und Largiader 2c. ꝛc. beweiſen am beiten die Bedeutung
des Verlags. In dem gegen 1500 Verlagsartikel zählenden Schult—
heßſchen Verlagskatalog findet ſich als Kurioſität neben zumeiſt
ſchweizeriſchen Autoren auch der Name Richard Wagners, der im
Jahre 1851 eine Arbeit über „Ein Theater in Zürich“ herausgab.
Im Jahre 1900 ſah ſich Schultheß infolge eines ſchon feit
längerer Zeit auftretenden Nervenleidens genötigt, ſich vom Geſchäft
zurückzuziehen, was bei deſſen Uebergang an ſeine beiden jüngeren
Söhne, den jetzigen Inhabern Wilhelm und Hans Schult—
hek, die Firmaänderung in Schultheß & Co. zur Folge hatte.
Schultheß ſelbſt ftarb am 8. September 1904.
Quellen: Börſenblatt f. d. deutſch. Buchhandel 1869 u. 1904.
“= (879. u
Schulz, O. A. Otto Auguſt Schulz wurde am 2. Oktober
1803 zu Leipzig geboren. Er beſuchte die dortige Ratsfreiſchule und
widmete ſich dann dem kaufmänniſchen Berufe. Mit Ablauf ſeiner
Lehrzeit quittierte er auch die bisherige Tätigkeit. Durch Vermitte—
lung ſeines früheren Lehrchefs erhielt er ein Unterkommen bei dem
bekannten Leipziger Verleger Joh. Friedr. Gleditſch, in deſſen leb—
haftem Geſchäftshauſe er ſich eine tüchtige buchhändleriſche Vorbil—
dung erwarb. Schulz, der kaum die kaufmänniſche Lehrzeit beendet
hatte, begann hier nochmals eine 4jährige buchhändleriſche Lehrzeit.
Nach ſeinem Austritte aus dem Gleditſchſchen Hauſe arbeitete er als
Gehülfe bei Leop. Voß, Breitkopf & Härtel und endlich bei F. A.
Brockhaus in Leipzig. In letzterem Hauſe wirkte er als Herausgeber
des bekannten „Heinſiusſchen Bücherlexikons“ und nebenbei zugleich
betrieb er auch die erſten ſelbſtändigen buchhändleriſchen Geſchäfte
als Auktions-Kommiſſionär. Als man eines Redakteurs zu dem
neubegründeten Buchhändler-Börſenblatte bedurfte, übernahm dieſen
Poſten Schulz. Mit allem Eifer widmete er ſich dem neuerſtandenen
Organe; aber der an Freiheit gewöhnte Mann ertrug nicht lange
die vielſeitig bedrückte und gehemmte Tätigkeit; bereits nach einem
halben Jahre legte er freiwillig ſein ſchwieriges Amt wieder nieder,
fic) wieder ganz literariſchen Arbeiten widmend. Damals ſchrieb
Schulz ſeine Abhandlung „Der Buchhandel“ für „Schiebes Univer—
ſallexikon der Handlungswiſſenſchaften“, ſowie zur vierten Säkular—
feier der Erfindung der Buchdruckerkunſt ſeine „Geſchichte der Buch—
druckerkunſt“. Während dieſer Zeit reifte auch in Schulz der Plan
zur Herausgabe des „Adreßbuchs für den deutſchen Buchhandel“.
Der erſte Jahrgang dieſes äußerſt brauchbaren Handbuchs erſchien
1839 und fand ſofort die wohlverdiente Würdigung. Der Abſatz
war ein ſehr befriedigender und ermunterte zur Fortſetzung. Mit
dem Adreßbuch trat Schulz in die Reihe der ſelbſtändigen Buch—
händler ein. 1839 aſſoziierte ſich Schulz mit ſeinem Schwager The—
odor Thomas unter der Firma Schulz & Thomas . Bereits
nach einem Jahre trennten ſie ſich in freundſchaftlicher Weiſe. Schulz
widmete ſich nun neben ſeinem Verlag vorwiegend dem Buchhändler—
Adreßbuch, blieb nebenbei noch literariſch tätig und beſchäftigte ſich
in ſehr erfolgreicher Weiſe auch mit dem Antiquar- und Autographen—
handel. Die zunehmende Entwickelung ſeines Adreßbuchs, ferner der
erhöhte Umſatz im Antiquarhandel, ſowie der Ankauf des Kerſten—
ſchen (vorher S. Schmerber) Verlages in Frankfurt, wozu
ſich eine Anzahl neuer ſehr gangbarer Verlagsartikel geſellte,
darunter Feller & Odermanns Kaufmänniſche Arithmetik, und
„Günther & Schulz, Handbuch für Autographenſammler“ verſchaff—
ten der Handlung eine anſehnliche Ausdehnung, bürdeten Schulz
— 874 —
aber eine Arbeitslaſt auf, der für die Dauer aud) die kräftigſte Natur
nicht hätte widerſtehen können. Mitten im rüſtigſten Alter, am
11. November 1860, 57 Jahre alt, wurde er ein Opfer ſeiner Berufs—
pflicht. Erwähnt ſei noch, daß Schulz zuſammen mit Eduard Ave—
narius den „Leipziger Buchhandlungs-Gehilfen-Verein“ gründete.
Die nunmehrige Geſchäfts-Inhaberin, Emma verw. Schulz,
übertrug die Leitung des Geſchäftes ihrem damals einzigen, noch
unmündigen Sohne Johannes Otto Hermann Schulz.
1867 übernahm letzterer dasſelbe für alleinige Rechnung. Seit 1861
lag die Bearbeitung des Adreßbuchs in ſeinen Händen. Mit dem
51. Jahrgang ging das Adreßbuch käuflich in den Beſitz des Börſen—
vereins der Deutſchen Buchhändler über.
1896 verkaufte Schulz den geſamten Verlag an Gottwalt
Schiller, während er den Autographenhandel unter der alten
Firma fortſetzte.
Quellen: Börſenblatt f. d. deutſch. Buchhandel 1860, 1896.
Schulze (Oldenburg). Der Begründer der Schul zeſchen
Hofbuchhandlung in Oldenburg, Johann Peter
Schulze, wurde als Schullehrerſohn am 9. Januar 1768 zu
Teſchendorf bei Wittingen unweit Celle geboren. Er genoß eine
ausgezeichnete Schulbildung, die er auf der Univerſität Göttingen
vervollſtändigte, um demnächſt die Predigerlaufbahn einzuſchlagen.
Er verſuchte ſich auch als Hauslehrer, was ihm aber auf die Dauer
nicht zuſagte. Seine Teilnahme und das Intereſſe an einem kleinen
literariſchen Zirkel, der ſich unter dem Namen der „Gumaner Ge—
ſellſchaft“ in Oldenburg gebildet hatte, brachte ihn auf die Idee, eine
Buchhandlung zu errichten. Er führte dieſen Gedanken im Jahre
1800 aus und vergrößerte 1804 ſein Geſchäft durch Angliederung
einer Druckerei.
Die Geſchäftsverhältniſſe geſtalteten ſich ſo glücklich, daß der
Beſitzer bald in der Lage war, das ihm durch fürſtliche Gnade unter
günſtigen Bedingungen vorgeſchoſſene Kapital nach und nach zurück—
erstatten zu können. Durch fein am 14. November 1827 erfolgtes
Ableben wurde er einem ſegensreichen Wirkungskreiſe entzogen.
Der für damalige Zeit ziemlich umfangreiche Verlag, der fic)
unter Schulzes umſichtiger Geſchäftstätigkeit bald geſund entwickelte,
ſchlug ſeine Wurzeln zunächſt in eng vaterländiſchem Boden, dem
auch bald die von Gramberg und v. Halem herausgegebene „Olden—
burgiſche Zeitſchrift“ entſproß. Dabei wurden Pädagogik, Philologie,
Theologie, Jurisprudenz und ſchöne Wiſſenſchaften mit Vorliebe ge—
pflegt, ſo daß die Verlagsrichtung bald eine auch über die Grenzen
Oldenburgs hinausgehende allgemeine wurde. Recht ſtörend griff
— 875 —
1811—13 die franzöſiſche Okkupation in die Geſchäftsverhältniſſe
ein und Schulze benutzte die ihm durch die Geſchäftsſtockung auf—
erlegte unfreiwillige Muße zum Studium der Chemie. Auch beſchäf—
tigte er ſich mit der Holzſchneidekunſt und brachte es in derſelben
ſo weit, daß er Figuren zu einem naturhiſtoriſchen Buche ſchneiden
konnte. Die Figuren zu den in ſeinem Verlage erſchienenen Brandes—
ſchen Lehrbüchern ſind von ihm ſogar in Kupfer geſtochen. Als
hervoragende Autoren ſeines Verlages mögen hier Brandes, Gram—
berg, v. Halem, Kruſe, Ricklefs, Runde und Schaffer genannt ſein.
Im Jahre 1809 ſchrieb er ſelbſt, ohne ſeinen Namen zu nennen,
eine Schrift, betitelt: „Iſt die Wiedervereinigung der beiden chriſt—
lichen Hauptpartheien zum Wohl der Chriſtenheit notwendig und
welche Folgen würden daraus entſtehen?“ Dieſelbe fand damals
viel Anerkennung.
Zwei Jahre nach Schulzes Tode, am 13. Juli 1829, heiratete
der am 24. November 1808 in Stralſund geborene Buchhändler
Johann Wilhelm Berndt, nachdem er die Buchhandlung
und Buchdruckerei übernommen, die Witwe Schulze und führte das
Geſchäft in muſterhafter Weiſe weiter. |
Berndt war ein hervorragend tüchtiger Buchhändler, als ziel:
bewußter Verleger war er ein Feind jeglicher Reklame und ging
darin ſo weit, daß er einen gewiſſen Stolz darin ſuchte, womöglich
ohne allgemeine Ankündigungen ſeinen Verlag wirkſam zu ver—
treiben. Dabei war er den Preisherabſetzungen und dem ſogen. Ver—
ramſchen ſeines Verlages ſehr abgeneigt. Er legte auch die Grund—
lage zu dem nautiſchen Verlage der Firma; dann rief er zunächſt
durch Hettner mit ſeinem leider nicht vollendeten Werke „Vorſchule
zur bildenden Kunſt der Alten“, weiter durch das 1840 erſchienene
vorzügliche Werk „Neapel und die Neapolitaner“ von dem Hiſtoriker
Karl Auguſt Mayer und endlich durch die bekannten Werke von
Adolf Stahr über Italien die bis zum heutigen Tage mit großer
Vorliebe und vielem Erfolg entwickelte Italienliteratur der Firma
ins Leben.
Ein ganz bedeutendes Verdienſt aber erwarb ſich Berndt durch
die in Gemeinſchaft mit dem erſten Herausgeber, Hauptpfarrer
Gröning, im Jahre 1838 ins Leben gerufene Herausgabe des „Volks—
boten“, eines Volkskalenders, der jetzt bei ſeiner großen Beliebtheit
eine Weltverbreitung erlangt hat. Daß neben dem laufenden Druck
der „Oldenburgiſchen Anzeigen“ und anderer amtlicher und privater
Druckwerke für die Preſſen ſtets genügend Beſchäftigung vorhanden,
dafür ſorgte der umſichtige Blick des tüchtigen Verlegers.
Nach langjährigem Wirken ſtarb Berndt am 5. November
1877, nachdem er am 1. Oktober 1864 ſchon ſeine Geſchäfte an ſeinen
— 876 —
am 18. Auguſt 1833 geborenen Sohn Karl Berndt und feinen
Schwiegerſohn Auguſt Schwartz aus Dortmund, geboren am
29. Mai 1837, käuflich übertragen hatte. Herzog Peter Friedrich
Ludwig erhob die Firma anläßlich ihres 75jährigen Geſchäftsjubilä—
ums zur „Hofbuchhandlung und Hofbuchdruckerei“.
Karl Berndt wurde am 21. Januar 1884 dem Geſchäft durch
den Tod entriſſen und die Handlung ging durch Kauf in den Allein—
beſitz von Auguſt Schwartz über, der die Geſchäfte fortan unter der
Firma Schulzeſche Hofbuchhandlung und Hofbuch—
druckerei — A. Schwartz — leitete und am 1. Dezember 1893 ſeinen
Sohn Rudolf Schwartz, geboren am 5. November 1865, als
Teilhaber in die Firma aufnahm. Auguſt Schwartz ſtarb im
67. Lebensjahre am 24. Mai 1904.
Die neueſte Seite des Kolonialverlags wurde im Anſchluß
an den Italienverlag der Firma in den letzten Jahren beſonders
geſchaffen und ausgebildet. Erwähnt mag hier werden, daß die
erſten 50 Bilderpoſtkarten im Jahre 1875 im Verlage der Schulze—
ſchen Hofbuchhandlung erſchienen und dadurch die illuftrierte Poſt—
karte in 2 Sammlungen zuerst als buchhändkeriſcher Verlagsartikel
der Welt zugänglich gemacht wurde.
Wenn die Verlagsrichtung bei Ausſchluß beſtimmter Fächer
und Wiſſenſchaften im allgemeinen auch die alte vielſeitige geblieben
iſt, ſo wird von den Inhabern doch mit Vorliebe diejenige Seite be—
vorzugt und ausgebildet, welche ſie beide auf Grund ihres gründlichen
philologiſchen Studiums am meiſten beherrſchen und am beiten zu
beurteilen vermögen.
Aus dem reichen Verlage der Firma ſeien außer den ſchon
genannten Verlagsartikeln erwähnt die Schriften des Marſchen—
dichters Hermann Allmers, Friedr. Breier, Heinrich Bulthaupt,
Karl Engel, A. Fitger, K. Neumann-Strela, des Landrichters Dr. A.
H. Poſt, Emil Rittershaus, Dr. L. Salomon, Willrath Dreeſen,
Ludw. Geiger, Eug. Wolff, Dr. E. M. Kronfeld, Eug. Zabel, A.
Schwartz. Der im Jahre 1900 ausgegebene Verlagskatalog umfaßt
71 Seiten.
Quellen: Jubiläumsverlagskatalog 1800/1900; Neuer Nekrolog der Deutſchen,
1827 S. 945; Strackerjan, Buchdruckereien in Oldenburg, 1840.
Schumann (Zwickau). Der Schriftſteller und Buchhändler
Friedrich Auguſt Gottlob Schumann wurde als Paſtor—
ſohn am 2. März 1773 zu Entſchütz bei Gera geboren. Von den
Eltern für den Handelsſtand beſtimmt, wurde Schumann in ſeinem
15. Lebensjahre einem Kaufmann in Ronneburg zur Ausbildung
übergeben. Mit 19 Jahren kehrte er für längere Zeit ins Vaterhaus
zurück, wo er ſich ausſchließlich mit Lektüre und eigenen ſchriftſtelle—
l
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riſchen Verſuchen beſchäftigte. Das erſte Erzeugnis letzterer Art war
das ländliche Schauſpiel „Die Familie Thalheim“. Seine Schrift—
ſtellerei ſetzte er auch als Kontoriſt in ſpäteren Kaufmannshäuſern
fort, daneben widmete er ſich eifrig dem Studium der neueren
Sprachen. Die „Liebe zu den Wiſſenſchaften“ ließ ihn 1792 als
Studiosus humaniorum an die Univerſität Leipzig gehen, wozu, da
er von Hauſe keine Unterſtützung erhielt, ſeine ſchriftſtelleriſchen
Arbeiten die Mittel hergeben mußten. Gedichte, philoſophiſche Auf—
ſätze, dramatiſche Spiele, hiſtoriſche Skizzen entſtrömten in bunter
Miſchung ſeiner Feder. Aber die Mittel reichten zu dauerndem Uni—
verſitätsſtudium nicht hin, deswegen ſuchte er abermals das väter—
liche Haus auf, hier mit Eifer ſeiner ſchriftſtelleriſchen Lieblings—
beſchäftigung ſich hingebend. Seinen Roman „Ritterſcenen und
Mönchsmärchen“ hatte er zur Begutachtung an den Dichter Heinſe
geſandt. Dieſer war damals im Begriff, in Zeitz eine Buchhandlung
zu errichten und bot Schumann die Buchhalterſtelle an. Ein Liebes—
verhältnis mit der Tochter ſeines dortigen Wirtes hatte die eigen—
artige Folge, daß er 1795 einen Materialladen in Ronneburg eröff—
nete. Merkwürdigerweiſe hatte der Vater ſeiner Angebeteten dieſe
Bedingung geſtellt und mit ſeinem ſchriftſtelleriſchen Gewinn von
18 Monaten, mit 1000 Talern, begründete er dieſe feine Exiſtenz.
Um den Gewinn ſeines Geſchäftes zu erhöhen, hatte Schumann den
Einfall, ſeine umfangreiche Bücherſammlung zu einer öffentlichen
Leihbibliothek einzurichten. Daneben war er außerordentlich frucht—
bar in literariſchen Arbeiten, deren Verwertung ihn 1799 zur Be—
gründung einer Buchhandlung bewog. Sein erſter Verlag beſtand
faſt ausnahmslos aus Produkten ſeiner Feder.
1808 bewog er ſeinen Bruder Friedrich Schumann,
bei ihm einzutreten, zugleich verlegte er ſeine Buchhandlung nach
Zwickau, wo die Firma unter dem Namen Gebrüder Schu—
mann weiterbetrieben wurde. Eine ſeiner wichtigſten Unterneh—
mungen war die damals ins Leben gerufene Taſchenausgabe der
Klaſſiker aller Nationen. Es iſt ſein Verdienſt, daß er dadurch zum
erſtenmal im Großen das deutſche Volk auf die beſten europäiſchen
Schriftſteller aufmerkſam gemacht hat. Von ihm ſelbſt redigiert,
begründete er das ſächſiſche Provinzialblatt „Der erzgebirgiſche Bote“.
Sein Verlag vergrößerte ſich ins Rieſenhafte. Die Herausgabe der
Bildnisſammlung „ausgezeichneter Fürſten, Staatsmänner und
Militärs“ legte den Grund zu beſſerem Emporkommen und ſetzte
ihn in den Stand, bald größere Unternehmungen ausführen zu
können. Von ihm ſelbſt überſetzt erſchienen Teile von Scotts und
Byrons Werken. Vom Jahre 1880 ab gab er unter dem Titel „Das
gewerbfleißige Deutſchland“ ein Kaufleute- und Fabrikantenadreß⸗
— 8/8 —
buch heraus, das ſpäter viele Nachahmungen gefunden hat. Es
erſchienen ferner bei ihm Schriften von G. A. Bürger, F. G. Klop—
ſtock, Langbein, Muſäus uſw. Schumann ſtarb am 10. Auguſt 1826,
als Nachfolger führte Eduard Schumann die Firma fort.
Tiefer trat 1837 die „Taſchenausgaben“ an J. G. Lindemann
in Zwickau ab. 1840 erwarb das Geſchäft Hd. Erhard und
verlegte es nach Leipzig. l
Quellen: Neuer Nekrolog der Deutſchen, 1826 1; Verlagskataloge 1813, 1824.
Schünemann (Bremen). Im Jahre 1815 begründete Carl
Schünemann in Bremen eine Buchdruckerei, der er gleichzeitig
einen kleinen Verlag anfügte. Nach ſeinem im Jahre 1835 erfolgten
Tode kam die Handlung zunächſt an ſeine Witwe und nach deren
Tode, am 8. Mai 1836, an ſeinen Sohn Guſtav Bernhard
Schünemann (geb. 1815), unter welchem ſie durch Gründung
der „Weſer-Zeitung“, im Jahre 1844, einen großen Aufſchwung
nahm. Das inzwiſchen begründete Sortiment ging 1847 an Jo-
hannes Kühtmanmüüber und wurde unter der Firma Küht—
mann & Co. fortgeführt. Im Jahre 1885 erſtand dieſes Geſchäft
Guſtav Winter.
1865 ſtarb Schünemann, und nun wurde die Schünemannſche
Firma für Rechnung der überlebenden Witwe von Georg Suf-
hing weitergeführt. Die im gleichen Verlage erſcheinenden „Bremer
Nachrichten“, bis 1870 nur Amtsblatt der Bremiſchen Behörden,
nahmen, nachdem man ſie in dem Jahre durch Anfügung politiſchen
und lokalen Textes, ſowie gediegenen Feuilletons inhaltlich erweitert,
einen gewaltigen Aufſchwung, ſo daß ſie bereits nach wenigen Jahren
das erſte Lokalblatt Bremens und deſſen weiterer Umgebung wurden.
1879 trat der inzwiſchen herangewachſene Sohn Carl E d. Schü—
nemann, geboren 1855, nachdem er in Leipzig zunächſt eine tech—
niſche Ausbildung genoſſen, dann in der Dürrſchen Verlagshandlung
daſelbſt ſeine buchhändleriſchen Kenntniſſe erweitert und zum Studi—
um, namentlich des Zeitungsweſens, ein Jahr lang die Vereinigten
Staaten von Nord-Amerika bereiſt hatte, als Teilhaber in die Firma
ein, die er 1884 für alleinige Rechnung übernahm. Der Verlag
pflegt hauptſächlich die nautiſche und handelswiſſenſchaftliche Lite—
ratur; von erſterer nennen wir die Tecklenbergſchen Schriften, Dr.
Breuſings „Nautik der Alten“ uſw. Ferner ſeien erwähnt das in
verſchiedenen Ausgaben erſchienene Evangeliſche Geſangbuch der Bre—
miſchen Gemeinden und die Wochen-Ausgabe der Wefer-Zeitung,
die als das älteſte Wochenblatt der deutſchen Preſſe bekannt iſt.
—
Schürer, M. Der Straßburger Friihdruder Matthias
Schürer von Schlettſtadt war cin Vetter Martin Flachs des
Jüngeren (vergl. Bd. II S. 249 ds. Werkes). Er hatte zu
Erfurt ſtudiert, dort ſein Doktorexamen beſtanden und 1501 bei
ſeinem Vetter eine kleine lateiniſche Grammatik erſcheinen laſſen.
1502 erwarb Schürer das Straßburger Bürgerrecht und war von
1505—07 Korrektor bei Prüß und Knoblauch. Das erſte von Schürer
gedruckte Buch erſchien erſt am 8. Juni 1508, es war eine kleine von
Thomas Wolf veranſtaltete Sammlung alter religiöſer und philoſo—
phiſcher Traktate. Er hat zuerſt als Straßburger Drucker griechiſche
Lettern angewandt. Aus ſeiner Preſſe gingen vorzugsweiſe Klaſſiker
und Schriften der Humaniſten (von Beatus, Rhenanus, Wimphe—
ling, Erasmus u. a.) hervor, im ganzen zählt man 240 Drucke,
worunter ſich nur 4 deutſche befinden. Die letzten Schürerſchen
Drucke ſind aus dem Jahre 1521.
Das Druckerſignet Schürers kommt in vierfacher Anordnung
vor: Auf eine Handelsmarke ſtützt ſich ein von zwei in der Luft
ſchwebenden Löwen gehaltener Schild mit dem kaiſerlichen Adler,
unten eine griechiſche Sentenz. Die zweite Marke iſt dieſer faſt
gleich, nur kunſtvoller ausgeführt. Auf der dritten finden wir
wiederum die Handlsmarke, als Schild an einen Baum gelehnt, auf
dem ein nackter Knabe zu ſehen, daneben ein Jüngling mit dem
Stabe Merkurs. Als viertes Zeichen kommt endlich das Schürer—
ſche Wappen mit der Garbe, die auch im Helmſchmuck angebracht iſt.
Schürer ſtand in beſonders enger Verbindung mit den Ge—
brüdern Alantſe in Wien (vergl. Bd. 1 S. 5 ds. Werkes),
für die er in den Jahren 1513—16 zahlreiche Verlagswerke druckte.
Ein Neffe Schürers, ein junger Gelehrter, Lazarus
Schürer, gründete 1519 eine Offizin in Schlettſtadt, die aber 1522
bereits wieder einging. Er druckte Schriften von Wimpheling,
Sapidus, Spiegel und gab ſolche von Luther und Erasmus heraus.
1527 wird er als Rektor der Schlettſtadter Schule erwähnt.
Quellen: Schmidt, Aelteſte Bibliotheken und erſte Buchdrucker zu Straß—
burg, 1882; Archiv für Geſchichte des deutſchen Buchhandels V. Bd.
Schuſter und Loeffler. Die Verlagsbuchhandlung von
Schuſter u. Loeffler in Berlin wurde am 25. November 1895
gegründet durch den Ankauf der Schriften Detlevs von Liliencron
aus dem Verlage von Wilhelm Friedrich in Leipzig. Der
heute zu unſern gefeiertſten Dichtern zählende holſteiniſche Lyriker
hatte damals nur eine kleine Gemeinde; es war mühevoll, ihm den
großen Freundeskreis zuzuführen, der ihn heute verehrt. Lilien—
crons engſter Freund Richard Dehmel ſchloß fih 1896 dem jungen
Verlage an. Die vier älteſten Bücher dieſes Dichters wurden von
— 880 —
verschiedenen Verlegern erworben und durch feine ſpäter entſtan—
denen Werke vervollſtändigt. Einer der erſten Vorkämpfer für die
Anerkennung dieſer beiden Dichter: Otto Julius Bierbaum, ward
mit ſeinen humorſtarken Proſawerken der dritte in dem Triumvirat,
das zunächſt den Kern der ſich ſchnell vergrößernden Firma bilden
ſollte. Der Ankauf des geſamten Münchener Verlages Dr. E. Al-
bert & Co. Sep.⸗Konto brachte einen Zuwachs von etwa 40 Mu-
toren, unter denen neben dem bedeutſamen Schweizer Erzähler
Walther Siegfried, M. G. Conrad, Anna Croiſſant-Ruſt, Heinrich
von Reder, Ludwig Scharf, Ernſt Rosmer und andere Dichter ver—
treten waren. Gewonnen wurden darauf drei der verbreitetſten
Reiſewerke von Pierre Loti, Romane von Maupaſſant, Huysmans,
des Finnen Juhani Aho, des Dänen Karl Larſen, der Italienerin
Neera, der Norweger Johann Bojer, zuletzt des populärſten hollän⸗
diſchen Dichters Frederik van Eeden; ſie beweiſen, daß der Verlag
nicht nur dem deutſchen Schrifttum eine Heimſtätte zugedacht hat.
Eine höchſt wertvolle Bereicherung war der Erwerb der bald zu an—
ſehnlicher Verbreitung gelangenden Memoiren- und Eſſayswerke der
„Idealiſtin“ Malwida von Meyſenbug, deren Nachlaß fih nachträg⸗
lich der Verlag ebenfalls ſichern konnte.
Als dann der eine Mitinhaber Ludwig Loeffler aus der
Firma ausſcheiden mußte, konnte der verbleibende Inhaber
Richard Schuſter einen feit lange vorbereiteten Plan zur Aus-
führung bringen: die Gründung einer Muſikzeitſchrift größten Stils.
„Die Muſik“, vom Kapellmeiſter Bernhard Schuſter mit organiſa—
toriſchem Scharfblick geleitet, wurde als das bedeutendſte Fachorgan
anerkannt und gewann ſchnell eine ungewöhnliche Verbreitung. Die
Erweiterung des Verlages nach der muſikwiſſenſchaftlichen Seite
brachte den Erwerb einer Reihe wichtiger Schriften mit ſich, unter
denen diejenigen von Arthur Seidl, Paul Marſop, Alfr. Chr. Ka-
liſcher, Ernſt Decſey, Friedrich Kerſt, Otto Erich Deutſch, Paul
Moos und Edgar Iſtel in erſter Linie zu nennen ſind.
Inzwiſchen wurde der belletriſtiſche Teil des Verlages durch
viele wertvolle Werke bereichert: durch mehrere Proſawerke von
J. J. David, deſſen außerordentliche Schöpfungen nach Ankauf von
fünf ſeiner älteren Bücher aus Georg Heinrich Meyers
Verlag in Leipzig nunmehr ſaſt ſämtlich hier vereinigt wurden;
durch die Uebernahme des vielſeitigen Schaffens von John Henry
Mackay aus den Händen der Verleger S. Fiſcher und Karl
Henckell, nachdem die Stirner-Biographie Mackays und ſeine
groß angelegte Anthologie, die „Meiſterdichtungen auf einzelnen
Blättern“: Freunde und Gefährten, vorangegangen waren. Eine
beſondere Hervorhebung verdienen ferner die erfolgreichen Romane
— 881 —
von Georg Reicke, die „Geſammelten Werke“ von Peter Hille, die
nach dem Tode dieſes merkwürdigen Dichters von Freundeshand
geſichtet und zuſammengeſtellt hier endlich ihren ſchützenden Hafen
fanden. Auch der erzählenden Werke von Eliſabeth Dauthendey,
Dora Hohlfeld, Hennie Raché, Betty Winter und Meta Schoepp,
den talentvollſten Schriftſtellerinnen der jüngeren Generation, ſei
hier gedacht.
Eine Reihe bemerkenswerter eſſayiſtiſcher Schriften von
Franz Servaes, Willy Paſtor, Marie Herzfeld, Anton Lindner,
Arthur Moeller-Bruck, Carl Hagemann und eine große Anzahl vor-
nehmer Versbände, die eigentliche Domäne des Verlages, brachte
ihm die erſtrebte Rundung. Von den Lyrikern ſeien beſonders her—
vorgehoben: Paul Verlaine, Hans Bethge, Paul Remer, Franz
Evers, Chriſtian Morgenſtern, Bruno Wille, Stefan Zweig, Guſtav
Kühl, Alberta von Puttkamer, Hedwig Lachmann, Margarete Sus—
mann, Thekla Lingen, Gabriele d'Annunzio, Emile Verhaeren und
Alfred Mombert.
Die letzten Jahre brachten der Firma noch den Komödien—
dichter Adolf Paul, den Nachlaß des feinſinnigen Lyrikers Hierony—
mus Lorm, Maximilian Fuhrmanns Satiren und die ergreifenden
Memoiren von Frau Wanda von Sacher-Maſoch.
Dem neuzeitlichen Bedürfnis nach wohlfeilen illuſtrierten
Monographien wurde ebenfalls entſprochen. Nachdem der Verlag mit
dem von Franz Hermann Meißner herausgegebenen „Künſtlerbuch“
ſchon vorher ſeine Stellung zur modernen bildenden Kunſt betont
hatte, entſtand unter Paul Remers fein abwägender Redaktion die
ſo ſchnell populär gewordene Monographien-Sammlung „Die Dich—
tung“, die es in kurzer Zeit auf 60 Bände brachte und an der
Dichter wie Guſtav Falke, Ricarda Huch, Hans Hoffmann, Hugo
von Hofmannsthal, Hermann Heſſe, Fritz Mauthner, Gabriele
Reuter, Paul Scheerbart, Johannes Schlaf, Wilhelm Hegeler,
Richard Schaukal, Wilhelm Holzamer, Otto Ernſt, Leo Greiner,
Fritz Lienhard, Timm Kröger, Hermann Stehr mitarbeiten. Eine
ähnliche Sammlung: „Das Theater“, die Carl Hagemann heraus—
gibt, umfaßt 20 Bände, für die Forſcher und Darſteller wie Berthold
Litzmann, Carl Fr. Glaſenapp, Wolfgang Golther, Richard Stern—
feld, Rudolph Lothar und andere gewonnen wurden. Eine weitere
Kollektion iſt die Brevier-Bibliothek, die ſich ebenfalls ſchnell einen
dankbaren Liebhaberkreis erwarb. Sie repräſentiert heute bereits
die Anzahl von 16 Bänden.
Die Geſamtziffer der gedruckten Bände ſtellt eine Summe von
etwa 1“ Million Büchern dar. Die größte Verbreitung — von der
56
— 882
„Muſik“ abgeſehen — erreichten Liliencrons „Kriegsnovellen“, von
denen über 60 000 Exemplare verkauft worden find.
Die letzten Erwerbungen find mehrere hochbedeutſame Brief-
ſammlungen Richard Wagners, die Vorarbeiten zu einer Geſamtaus—
gabe der Briefe des Meiſters darſtellend, ſowie die ſämtlichen Briefe
Beethovens und eine ſich an dieſe anſchließende umfaſſende Beethoven—
literatur. 1906 gingen Dehmels Bücher in den Verlag S. Fiſcher über.
Dagegen wurden noch Erwerbungen einzelner Verlagswerke gemacht
von Carl Ruprechts Verlag in München; Auguft Deub⸗—
ner in Berlin; Verlag der Genoſſenſchaft Pan in
Berlin; R. Taendler in Berlin; Hugo Storm in Berlin;
Gebrüder Paetel in Berlin; G. J. Göſchenſche Verlags-
buchhandlung in Leipzig und Deutſche Schriftſteller—
genoſſenſchaßft in Berlin.
Quellen: Verlagskataloge 1905 uff.
Schwan, F. C. Schillers Verleger, F. C. Schwan, wurde
am 12. Dezember 1733 in Prenzlau geboren, wo fein Vater, Ana:
nias Schwan, welcher aus Kroſſen eingewandert war, einen
kleinen Buchhandel, verbunden mit Buchbinderei, betrieb. Seinen
Unterricht empfing er auf dem Gymnaſium ſeiner Vaterſtadt, nach
beendetem Beſuch trat er als Zögling in das Waiſenhaus zu Halle
ein. Auf den Wunſch ſeines Vaters widmete er ſich dem Studium
der Theologie, und zur Vollendung desſelben bezog er 1753 die
Univerſität Jena. Die Theologie ſcheint aber ſeiner Neigung wenig
entſprochen zu haben, denn, wenn er auch die Kanzel einige Male
mit Erfolg betrat, ſo gab er doch dieſe Laufbahn bald auf und
begann eine zwölfjährige faſt abenteuerlich zu nennende Wander—
periode, während welcher er ſeinen geiſtigen ne ſchärfte und
reiche Lebenserfahrungen ſammelte.
Die damaligen kriegeriſchen Verhältniſſe zwangen ihn, einen
Aufenthaltsort zu wählen, wo er den preußiſchen Werbern nicht in
die Hände zu fallen fürchten mußte, und er konnte aus dieſem Grunde
auch eine ihm angebotene Hofmeiſterſtelle in Neuenburg nicht vor
dem Jahre 1756 annehmen, während welcher Zeit er ſich in Ham—
burg aufhielt und dort ſchriftſtelleriſch tätig war.
1756 wurde ihm von Kopenhagen Hoffnung auf eine An—
ſtellung gemacht. Da er ſich durch perſönliche Anweſenheit die Stelle
ſichern zu können glaubte, ſo reiſte er dorthin, fand ſich aber in
ſeiner Hoffnung getäuſcht. Er machte ſich nun nach Petersburg auf.
Auf der Reife dorthin lernte Schwan den Sekretär Witte aus Med-
lenburg kennen. Dieſem vertraute ſich Schwan an und erhielt deſſen
Reiſepaß, mit dem er ſpäter ungehindert nach Rußland gelangte.
es ee
In Petersburg glückte es ihm, eine Anſtellung an der Aka—
demie als Korrektor zu erhalten, in welcher Stellung er einige Jahre
verblieb. Der Tod der Kaiſerin Eliſabeth war auch für Schwan
bedeutungsvoll. Kaum hatte die Herrſcherin aller Reußen die Augen
für immer geſchloſſen, fo hatte ihr Nachfolger, Peter III., in richtiger
Erkenntnis der überlegenen preußiſchen Politik und vorzüglichen
taktiſchen Ausbildung der preußiſchen Truppen nichts Eiligeres zu
tun, als mit dem großen Friedrich Frieden zu ſchließen, wie er
denn überhaupt ein blinder Verehrer Friedrichs war. Schon als
Großfürſt-Thronfolger bewies er dadurch ſeine Vorliebe für das
preußiſche Militärweſen, daß er ſein holſteiniſches Dragoner-Regi—
ment vollſtändig nach preußiſchem Muſter einübte, und er ernannte
dieſes Regiment unter dem Oberbefehl ſeines Oheims, des Prinzen
Georg Ludwig von Holſtein-Gottorp zu ſeinem Leibregiment, als
ihn der Tod Eliſabeths auf den Thron berief. |
Bei dieſer Gelegenheit bewarb ſich Schwan um Die Stelle
eines Auditeurs bei dem genannten Regimente und war ſo glücklich,
ſie zu erhalten. Es gelang ihm, die Gunſt des Prinzen Georg
Ludwig zu erlangen, der ihn, als das Regiment nach dem gewalt—
ſamen Tode Peters III. aufgelöſt wurde, mit Empfehlungen nach
Holſtein verſah. Nachdem er ſich in Holſtein vergeblich nach einer
Anſtellung umgeſehen hatte, trat er noch einmal als Auditeur bei
einem preußischen Regimente ein, bis der Friede von Hubertusburg,
der bald darauf erfolgte, auch dieſer Stellung ein Ende machte.
Er wandte ſich nun nach dem Haag, wo er mit dem Buche:
Anecdotes russes ou lettres d'un officier allemand, an die Oeffent—
lichkeit trat. Von dem Aufſehen, das es erregte, liefern verſchiedene
Nachdrucke den beſten Beweis; der Verfaſſer aber wurde gezwungen,
von neuem den Wanderſtab zu ergreifen. Wir finden ihn kurz
darauf in Frankfurt wieder.
Seine dortige ſchriftſtelleriſche Tätigkeit, deren Mittelpunkt
die Herausgabe der Zeitſchrift „Der Unſichtbare“ war, brachte ihn
in nähere Beziehung zu ſeinem Verleger Eßlinger, und nach kaum
einhalbjähriger Anweſenheit in Frankfurt hatte er das Vertrauen
desſelben in dem Maße erworben, daß er Schwan ſeine Tochter zur
Frau gab und ihm zugleich die Filiale der Eßlingerſchen
Buchhandlung in Mannheim übertrug.
Schwans Laden, der ſich in der Mitte der Stadt befand, war
der Verſammlungspunkt vieler hervorragender Perſönlichkeiten, die
Intereſſe an neuen Erſcheinungen hatten; hier wurden literariſche
Ereigniſſe beſprochen und ein gegenſeitiges Geben und Empfangen
geſtaltete den Verkehr zu einem recht lebhaften. Von hier ging
die erſte Anregung zu jener Vereinigung von Männern aus, die
N 56˙
— 884 —
ſpäter unter dem Namen „Churfürſtlich deutſche Geſellſchaft“ unter
dem Protektorate des Kurfürſten Karl Theodor ſich einen bedeu—
tenden Ruf verſchaffte und die ſich kein geringeres Ziel auserwählt
hatte, als unſere Mutterſprache, die zu einem Chaos aller möglichen
Sprachen herabgeſunken war, zu reinigen und ihr die ihr gebührende
Stellung wieder zu verſchaffen.
Dieſe Beſtrebungen mochten auch “wohl Schwan veranlaſſen.
ſeine ſchriftſtelleriſche Tätigkeit fortzuſetzen. In den Jahren bis
1770 gab er die beiden Zeitſchriften „Der Unſichtbare “und „Neue
Auszüge aus den wichtigſten Zeitſchriften des In- und Auslandes“
heraus; daneben entſtand eine Anzahl kleiner Sing- und Luſtſpiele,
die zum Aufführen auf einem kleinen Liebhabertheater beſtimmt
waren und die teils eigene Arbeiten, teils Ueberſetzungen aus dem
Franzöſiſchen waren. Trotz aller dieſer Arbeiten fand er noch Zeit,
die Vorbereitungen zu einem großen Wörterbuch der franzöſiſchen
Sprache zu treffen, deſſen Vollendung erſt die ruhigeren Tage ſeines
Lebensabends erleben ſollten und das als die beſte Erſcheinung auf
dieſem Gebiete von allen Zeitgenoſſen anerkannt wurde.
Der kleine Kreis um Schwan genoß in der damaligen gelehr—
ten Welt eines bedeutenden Rufes, und jeder fremde Gelehrte oder
Künſtler, der fich kürzere oder längere Zeit in Mannheim aufhielt,
ſuchte ſich Zutritt zu verſchaffen. Unter vielen anderen war auch
Goethe, deſſen Bekanntſchaft Schwan ſchon bei ſeinem Aufenthalte in
Frankfurt gemacht hatte, zu wiederholten Malen bei ſolchen Ver—
ſammlungen zugegen, und dieſe Abende waren dann wohl die glanz—
vollſten, denn Goethe entzückte alle Anweſenden durch ſeine Schön—
heit und Liebenswürdigkeit. Auch von der Hand Leſſings beſitzen
wir aus dem Jahre 1778 einen Brief, in dem er Schwan für die
liebreiche Aufnahme in ſeinem Hauſe dankt.
Um dieſe Zeit hatte ſich auf der Solitude bei Stuttgart das
Dichtergenie Friedrich Schillers ausgebildet, das ſeiner Unzufrie—
denheit mit den Verhältniſſen in den Räubern Luft machte.
Kein Stuttgarter Buchhändler wagte dieſe Dichtung in Verlag zu
nehmen, und Schiller war gezwungen, das erſte Kind ſeiner Muſe
mit geliehenem Gelde auf ſeine eigene Gefahr drucken zu laſſen.
Von den Vorgängen in Mannheim mochte wohl auch Kunde nach
der Solitude gelangt ſein, namentlich mag Schiller die Nachrichten
von Schwans Wirken mit Intereſſe entgegengenommen haben. Er:
blickte er doch darin einen neuen Hoffnungsſtern! Er überſandte
Schwan die erſten ſieben Bogen ſeiner Dichtung und bat ihn, für
dieſelbe in ſeinem Kreiſe zu wirken. In welcher Weiſe Schwan dem
Wunſche Schillers nachkam, geht aus einem Briefe Schwans an
Schiller hervor.
l — 885 —
„Bei meiner Freundſchaft,“ ſo ſchreibt Schwan, „denke ich
nie an den Kaufmann. Ich liebe und ehre den Mann und die Sache
um des Mannes und der Sache willen, ohne die mindeſte Abſicht auf
Intereſſe. Dies iſt nun auch der Fall zwiſchen uns beiden. Hören
Sie deshalb, was ich Ihnen als Freund rathe: Ohne ſich gleich die
Hände zu binden, laſſen Sie ſich einmal Vorſchläge von dem Herrn
Dalberg machen. Sie können ihm dabei nicht undeutlich zu verſtehen
geben, wie Sie gegen mich geſinnt ſind. Vielleicht macht man Ihnen
Vorteile, die ich Ihnen nicht machen könnte, und dann würde ich
Ihnen ſelbſt raten, dort zu entriren. Nur laffen Sie fih mit nic-
mand anders ein, wer es auch ſei, als unmittelbar mit dem Herrn
von Dalberg ſelbſt. Er iſt ein rechtſchaffener, braver Herr, um den
es mir leid tut, daß er ſich mit gewiſſen Leuten eingelaſſen hat, von
denen, wenn aus zwei Uebeln eins gewählt werden muß, ich lieber
wünſche, daß ſie meine Feinde, als daß ſie meine Freunde ſeien;
wenigſtens hätte ich von den letzteren weniger Ehre. Ich war der
erſte, der den Herrn von Dalberg mit den Räubern bekannt machte.
Voller Enthuſiasmus lief ich gleich zu ihm, als ich von Ihnen die
erſten ſieben Bogen erhielt, und las ſie ihm brühwarm vor, und es
reut mich nicht, Sie mit dieſem Manne bekannt gemacht zu haben,
der ebenſo viel durch ſeine eigenen Verdienſte als durch ſeinen Stand
der pfälziſchen Literatur Ehre macht, und den ich ebenſo hochſchätze,
als er mich, von üblen Ratgebern geleitet, ſeit einiger Zeit verkennt.
Ohne ihn würde unſer hieſiges Theater ſchon längſt nicht mehr ſein
was es ift, und da er reich genug ift, um aus Liebe zur Kunſt einigen
Verluſt von ſeinen eigenen Mitteln nicht zu achten, ſo wird er auch
den Schaden, den er am Ende bei dem ihm zum Nutzen der Theater—
kaſſe von dem Herrn Profeſſor Klein vorgeſchlagenen Verlag der
für die hieſige Bühne bearbeiteten Schauſpiele ſicher leiden muß,
leicht verſchmerzen. Doch das geht Sie, mein Freund, nichts an;
wenn Sie gut und richtig bezahlt werden, woran Sie, wenn Sie
mit dem Herrn von Dalberg ſelbſt zu thun haben, nicht zweifeln
werden, fo bekümmert Sie das Uebrige wenige. i
Die Räuber gelangten auf der Mn er Bühne zur Dar—
ſtellung; Schiller ſelbſt entledigte ſich ſeiner Feſſeln und widmete
ſich ganz der Muſe zunächſt in Mannheim oder doch in deſſen Nähe.
Während ſeines ganzen dortigen Aufenthaltes verkehrte er mit
Schwan ſo freundſchaftlich, und Schwan nahm ſich ſeiner ſo liebreich
an, daß ſich Schillers Vater in einem Briefe an Schwan hierfür ganz
beſonders bedankte.
Seit dem Weggange Schillers begann Mannheim merklich
bon feiner Höhe herabzuſteigen. Nachdem der kurfürſtliche Hof nach
München verlegt war, fehlte der geiſtige Mittelpunkt, und ſo war
— 886 —ͤ—
es nur zu erklärlich, daß ſich Künſtler wie Gelehrte eine neue Heimat
ſuchten. Auch Schwan fühlte wohl jetzt das Bedürfnis nach Ruhe;
wenigſtens zog er ſich mehr und mehr vom öffentlichen Leben zurück
Hund widmete ſich ganz feinen literariſchen Arbeiten.
Zunächſt ließ er ſich die Vollendung ſeines Wörterbuches der
franzöſiſchen Sprache angelegen ſein, von dem der erſte Teil im Jahre
1783 erſchien und dort im Jahre 1793 vollendet vorlag. Es war ein
großes Unternehmen, faſt zu groß für ihn; aber auf je mehr Schwie—
rigkeiten er ſtieß, deſto mehr wuchs ſeine Ausdauer und Liebe zu der
ſchwierigen Arbeit.
1779—81 beſchäftigte er ſich mit der Herausgabe der „Abbil—
dungen aller geiſtlichen und weltlichen Orden nebſt einer kurzen
Geſchichte derſelben“, ſechsundvierzig Hefte, durch welches Werk er
ſich auch um die Koſtümgeſchichte ein hervorragendes Verdienſt er—
warb. Nach dieſer Zeit aber beſchränkte er ſeine publiziſtiſche Tätig—
keit auf eine neue Bearbeitung ſeines franzöſiſchen Wörterbuches
und die Herausgabe eines Auszuges aus demſelben, der im Jahre
1800 erſchien.
Bis 1797 hatte Schwan ſeinen Wohnſitz in Mannheim; von
da ab hielt er ſich zuerſt in Stuttgart und ſpäter in Heidelberg auf.
wo er am 19. Juni 1815 im Alter von faſt 82 Jahren ſtarb.
Quellen: Schwan, Kurze Nachricht von meinem Leben (nicht vollendet);
Börſenblatt f. d. deutſch. Buchhandel (Kellner); desgl. 1904 05 (J. G. Eckardt).
Schwann, L. Leonhard Schwann war ſeines Zeichens
ein Goldſchmied. Erſt in ſeinem 43. Lebensjahre, als ſeine kinder—
reiche Familie ihn nötigte, ſich nach einem zweiten Erwerbszweige
umzuſehen, wandte er fih der Buchdruckerkunſt zu. Durch Empfehlung
eines Oheims wurde er durch den Kanonikus in Kevelaer, der die
ſchwarze Kunſt als Dilettant betrieb, in die Geheimniſſe des Setzens
und Druckens eingeweiht. Am 31. 3. 1821 trat Schwann die
Reiſe an, ein Tag wurde zur Hinreiſe, ein Tag zur Rückreiſe ge—
braucht, und da der Lehrling am 2. April abends ſchon wieder in
Neuß eintraf, ſo hatte die ganze Lehrzeit nur dieſen einzigen Tag
gedauert. Schwann hatte ſich die Handgriffe beim Setzen und
Drucken zeigen laſſen und von der Handpreſſe eine genaue Zeichnung
mit Maßen mitgebracht, auf Grund deren er nun ſelbſt eine Preſſe
bauen wollte. Schon am 22. Juli war alles ſoweit gefördert, daß
die Konzeſſion einer Buchdruckerei bei der Kgl. Regierung nachgeſucht
werden konnte. Im November 1821 begann die L. Schwannſche
Druckerei, deren ganze Einrichtung einſchließlich der Kevelaerer
Reiſe 218 Reichstaler 39 Stüber gekoſtet hatte, ihre Tätigkeit. Die
erſten Erzeugniſſe waren naturgemäß ſehr beſcheidener Art; die Aus⸗
— 887 —
führung einer Tabelle für einen Steuerempfänger, der erſte Schritt
zu dem ſpäter ſo bedeutenden Formulargeſchäft, machte viel Kopf—
zerbrechen. An Perſonal waren außer dem Gründer nur die älteſten
Kinder und der Oheim, ein Geiſtlicher, vorhanden, welch letzterer
eifrig mitſetzte und auch als Verfaſſer eines kleinen Gebetbüchleins
der erſte Autor der Firma wurde.
Das Geſchäft dehnte ſich, wenn auch in beſcheidenem Maße,
aus und Leonard Schwann, mit ſcharfem Blicke die Entwickelungs—
fähigkeit desſelben erkennend, beſtimmte, daß ſein vierter Sohn,
Franz, für die Buchhandlung und Druckerei ausgebildet werde, um
in demſelben ſpäter Stütze und Nachfolger zu haben.
Franz Schwann wurde zu Neuß am Rhein am 1. Auguſt 1815
geboren. Nachdem er einige Jahre die Volksſchule feiner Bater-
ſtadt beſucht, trat er in das Progymnaſium ein, war aber auch ſchon
damals in Vorbereitung auf ſeinen ſpäteren Beruf in ſeinen Neben—
ſtunden in der von ſeinem Vater im Jahre 1821 gegründeten Buch—
druckerei tätig. Ja, um ſich auch in der damals im Aufblühen be—
griffenen Steindruckerei auszubilden, wanderte er in den ſchulfreien
Nachmittagen nach dem benachbarten Düſſeldorf und erhielt in der
lithographiſchen Anſtalt von Arnz & Cie. die erſte Unterweiſung in
der Kunſt Senefelders. Nachdem Franz Schwann alle Klaſſen des
Progymnaſiums mit Glanz durchlaufen hatte, trat er in Köln in die
Sortimentsbuchhandlung von Renard & Dubyen als Lehrling ein,
wo er ſich in kurzer Zeit mit dem Sortimentsbuchhandel vertraut
machte. Von dort kehrte er nach Neuß in das väterliche Geſchäft zu—
rück, um dieſem von nun an bis zu ſeinem Tode ſeine ganze Kraft
zu widmen.
Schwann wandte ſich nun, um für die Druckerei genügend
Veſchäftigung zu haben, der Ausdehnung des Formulargeſchäfts zu.
Der Verlag entwickelte ſich nach zwei Hauptrichtungen, katholiſche
Literatur und Schulbücher. Für den Verlag der Schulbücher war
die Verbindung mit dem Schullehrerſeminar in Kempen von großer
Bedeutung. Die Büſcherſche Fibel, welche es auf 100 Auflagen
brachte, die Leſebücher desſelben Verfaſſers, die Rechenbücher von
Kentenich u. ſ. w. fanden größte Verbreitung.
Franz Schwann hatte nach dem 1867 erfolgten Tode des Ge—
ſchäftsgründers das umfangreiche Geſchäft für eigene Rechnung
übernommen.
Die große Ausdehnung des Verlags mit all den Arbeiten,
Korreſpondenzen, Reiſen uſw., welche dieſelbe im Gefolge hatte und
welche von Franz Schwann ſämtlich perſönlich beſorgt wurden, hin—
derte ihn nicht, auch der Druckerei ſeine Aufmerkſamkeit zu widmen
— 888 —
und fic) hier keineswegs mit der Herftellung der Druckſachen, jo
ſchlecht und recht, zufrieden zu geben. Vielmehr ging auch hier fein
Streben dahin, in Accidenzen und in Ausſtattung der von ihm ver—
legten Werke nach Form und Material Muſtergiltiges zu bieten.
In den illuſtrierten Werken, wie Rheinlands Baudenkmale uſw.,
wurde auf den Druck der Holzſchnitte die äußerſte Sorgfalt ver—
wandt. Im Farbendruck, der von ihm unter großen Opfern an
Zeit und Arbeit gepflegt wurde, leiſtete die Schwann'ſche Druckerei
bald ſo Hervorragendes, das häufig aus den bedeutendſten Centren
des deutſchen Buchhandels, aus Leipzig, Berlin ꝛc., ſogar aus Paris,
Druckaufträge für feinere Farbendruckſachen nach dem entlegenen
Neuß kamen. Die Wiener Ausſtellung 1873 und die Düſſeldorfer
im Jahre 1880 erkannten die Leiſtungsfähigkeit der L. Schwann—
ſchen Druckerei durch Verleihung hoher Auszeichnungen an, wie auch
die kunſtſinnige Kaiſerin Auguſta Franz Schwann das Prädikat
eines Königlichen Hofbuchhändlers verlieh.
Als die Falk'ſche Aera einen Teil der im L. Schwannſchen
Verlage erſchienenen Schulbücher aus den Schulen entfernte, wurde
in einem neuen Zweige der Literatur, dem juriſtiſchen, dafür Er-
ſatz geſucht und gefunden. Die großen Grotefendſchen Geſetzſamm—
jungen, preußiſche, deutſche, hannoverſche ꝛc., nebſt einer ganzen
Reihe von Einzelausgaben von Geſetzen mit Kommentar traten in
die Lücke, ohne daß es darum verſäumt wurde, das verlorene Ter—
rain im Schulbücherverlage wiederzugewinnen.
l Mittlerweile war das L. Schwann'ſche Geſchäft af einem
Punkte angelangt, wo es, follte feine natürliche Weiterentwickelung
nicht Schaden leiden, abſolut notwendig wurde, dasſelbe nach einer
größeren Stadt zu verlegen. Dies geſchah 1878 durch den Umzug
nach Düſſeldorf. Die Sortimentsbuchhandlung in Neuß wurde an
J. Dom Haag verkauft, und nur der älteſte Verlagsartikel, die
im Jahre 1826 gegründete Neußer Zeitung, mit Zeitungsdruckerei
dort belaſſen.
Das Wiederaufleben der älteren ſtrengeren Richtung in der
katholiſchen Kirchenmuſik gab Schwann Veranlaſſung, ſeinen Verlag auch
auf dieſes Gebiet auszudehnen, ſowie den Verlag des „Gregorius—
blattes“ und des „Gregoriusboten“ zu übernehmen. Nebenher
gingen Verhandlungen zur Uebernahme einer neuen „Zeitſchrift für
chriſtliche Kunſt“, die gleichfalls zum Ziele führten. Jahrelang be—
ſchäftigte er ſich mit einer reich illuſtrierten Prachtausgabe des Tho—
mas von Kempen. Das Erſcheinen des erſten Heftes der „Zeitſchrift
für chriſtliche Kunſt“ ſollte er jedoch nicht mehr erleben. Franz
Schwann ſtarb bereits am 5. 5. 1888. Das Geſchäft wurde von
— 889 —
ſeinem Neffen Theodor und Peter Francken fortgeführt.
Als Spezialität pflegt der Verlag außer der Unterrichts—
literatur Jurisprudenz und Kunſtwiſſenſchaft, mit beſonderer Vor—
liebe die Kirchenmuſik. Den Anfang dieſer Entwickelung bildete
der Ankauf der erſten Werke P. Piels aus dem Verlage von
P. J. Tonger in Köln. Bald traten die hervorragendſten Kapa—
zitäten auf dieſem Gebiete in den Kreis des Verlages und im Jahre
1894 gab der Ankauf des Joſ. Seilingſchen Kirchenmuſik—
verlages in Münſter dieſer Verlagsabteilung die notwendige Ab—
rundung.
Aus dem Gebiete der Geſchichte und Kunſtwiſſenſchaft seien
folgende Namen genannt: Stadtarchivar Ennen, Kanonikus Bock,
Paul Clemen, Firmenich-Richartz, Joh. Jak. Merlo u. a.
Die Jurisprudenz zeigt neben dem ſchon genannten Namen
Grotefends, diejenigen von Rudorff, Schoeller, Wendt u. a.; auch
die Schwann'ſchen e preußiſcher und deutſcher Geſete
ſeien hier erwähnt.
Quellen: Börſenblatt für den deutſchen Buchhandel 1888; Hoefler, Feſt⸗
ſchrift zum 50⸗jährigen Jubiläum v. Bernd. Hermann, Leipzig 1889; Verlags-
kataloge 1847, 1859, 1876, 1894, 1898.
Schwerin, J. ö. John Henry Schwerin wurde am
23. 5. 1843 als Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns zu Berlin
geboren, machte 1860 fein Abiturientenexramen und trat dann als
Volontär in ein Berliner Kaufhaus, während er ſeine Freiſtunden
auf volkswirtſchaftliche Studien verwandte. Die Früchte dieſer
Studien verwertete er literariſch, ging aber bald, um die Welt zu
ſehen, nach England und Frankreich. Mit dem Jahre 1872 beginnt
die praktiſche Tätigkeit Schwerin's, die mehr als ein Jahrzehnt
dahin gerichtet war, Unternehmungen zur Erleichterung der poli—
tiſchen Preſſe, insbeſondere der kleineren in den Provinzen ins Le—
ben zu rufen und durchzuführen. So wurde die „Correſpondenz
Schwerin“ gegründet, welche den Zeitungen Material für den Han-
delsmarkt bot, daneben wurden Kurs-, Gemüſe-, Frucht- und Woll-
berichte der Preſſe zugänglich gemacht. Dann gab Schwerin die ſo—
genannte kopfloſe Zeitung heraus, wohl die erſte ihrer Art, d. h.
eine Zeitung mit leerem Raum ſtatt eines Titels und weißem un—
bedrucktem Papier an gewiſſen Stellen, während der übrige Teil
mit Leitartikeln, politiſchen Neuigkeiten, wirtſchaftlichen Notizen
Feuilleton u. ſ. w. beſetzt war. Die Empfänger, durchweg Provin—
zial⸗ Zeitungsverleger, benutzten die leer gelaſſenen Stellen, um nad-
träglich einen Titel, Lokalnachrichten und Inſerate ſelbſt hinein⸗
zudrucken. Noch weitere Verbreitung fanden Unterhaltungsblätter,
— 890 —
die Schwerin begründete und literariſch leitete, um ſolche als Zei⸗
tungsbeilagen zu ſehr billigen Preiſen an kleinere Zeitungen zu ver—
kaufen. Zur Uebernahme dieſer verſchiedenen Unternehmungen
wurde die Aktiengeſellſchaft John Schwerins Verlag ge—
gründet, deren Leitung Schwerin zunächſt übernahm, indeſſen bald
niederlegte. 1885 wandte Schwerin ſich einem Unternehmen zu,
welches für die Frauenwelt berechnet war, und die Arbeiten in dieſer
Richtung feſſelten ihn derart, daß er ihnen bis an ſein Lebensende treu
blieb. Die 1885 gemeinſam mit Dr. Hugo Ruſſak geſchaffene
Frauenzeitung war betitelt „Mode und Haus“ und erſchien im Ver⸗
lage der Deutſchen Verlagsgeſellſchaft Ruſſak &
Co. Ihr folgte die „Kleine Modenwelt“, die „Große Modenwelt“,
„Frauenfleiß“, „Kindergarderobe“ und „Illuſtrierte Wäſchezei—
tung“. Eine jede der genannten Zeitſchriften fand den Beifall des
Publikums; einzelne derſelben erfreuten ſich ganz außerordentlich
großer Verbreitung. 1893 zog ſich Dr. Ruſſak vom Geſchäft zurück,
welches er ſeinem Sozius Schwerin überließ, der es unter ſeinem
eigenen Namen fortſetzte.
Am 23. Mai 1894 traf Schwerin ein Schlaganfall, von dem
er ſich vollſtändig niemals ganz wieder erholt hat, und der ihn
zwang, einen großen Teil feiner geſchäftlichen Tätigkeit aufzugeben
uud in die Hände feines nahen Verwandten und langjährigen Mit—
arbeiters Ernſt Eugen Calé zu legen. Am 29. November 1900
ſtarb Schwerin.
Quellen: Korporationsbericht der Berliner Buchhändler 1901; Mode und
Haus 1900.
Seehagen, O. Oswald Seehagen wurde am 26. 8.
1831 zu Berlin geboren, wo er auch die Realſchule beſuchte und danach
von 1846 an ſeine buchhändleriſche Lehrzeit in Berlin durchmachte.
1860 erwarb er die 1854 von Hugo Bieler begründete Ver—
lagsbuchhandlung von Hugo Bieler & Co. in Berlin und 1866
begründete er den ſeinen Namen tragenden Verlag. Er wandte ſich
dem Verlage geſchichtlicher Werke zu und begründete auch zwei Zeit—
ſchriften, deren eine: „Deutſches Magazin zur Unterhaltung und Be—
lehrung“ von Julius Rodenberg herausgegeben wurde. Sie brachte
es jedoch nur auf drei Jahrgänge. 1864 kaufte Seehagen den Col—
portage-Verlag von Carl Gierth und verlegte in den Kriegs—
jahren 1866 und 1870/71 vaterländiſche Romane, die in Lieferungen
erſchienen und durch Colportage die weiteſte Verbreitung fanden.
Ganz weſentlich wuchs der Verlag durch den 1876 erfolgten Ankauf
von Schloſſers „Weltgeſchichte“ und „Geſchichte des achtzehnten
— 891 — l
Jahrhunderts“ ſowie von Jaegers „Geſchichte der neueſten Zeit“
aus dem Verlage von Ad. Spaarmann (gegründet 1862 in
München-Gladbach) in Oberhauſen und J. C. B Mohr (vergl.
Bd. IV Seite 701 ds. W.) in Tübingen. Dieſe Werke wurden die
Hauptſtützen des Verlages; in immer neuen Ausgaben brachte ſie
Scehagen heraus, und immer von neuem wußte er das Publikum
dafür zu intereſſieren. Mit unabläſſigem Eifer war er für den Ver—
trieb der von ihm verlegten, meiſt populären Literatur bemüht, bis
er 1896 das Geſchäft an R. Hoefer verkaufte. Seehagen ſtarb
am 22. 6. 1902.
Quellen: Jahresbericht der Korporation der Berliner Buchhändler 1903.
- Seemann, E. A. Ernſt Elert Arthur Heinrich
Seemann war der Sohn des Gerichtsrates Juſtus Seemann in
Herford. Geboren am 9. 3. 1829, arbeitete er im Laufe ſeiner buch—
händleriſchen Wanderjahre in Bielefeld, Leipzig, Berlin und Alten—
burg. Am 1. 12. 1858 eröffnete er in Eſſen a. Ruhr unter der
Firma E. A. Seemann eine Verlags- und Sortimentsbuchhand—
lung. Unter den Verlagsartikeln mit denen er begann, befanden
lich bekannte bedeutende Werke, u. a. Geſenius' hebräiſche Gramma-
tik, Geſenius' hebräiſches Leſebuch, Tiedge's Urania, Lübke's Ge—
ſchichte der Architektur und Lübke's Vorfehule zur Kirchenbaukunſt.
Im Beginn des Jahres 1861 übergab er das Sortiment an Julius
Deiter aus Halberftadt (Feit Auguft 1900 im Beſitz von Bice
tor Wernaer). Mit dem Verlagsgeſchäft ſiedelte er im Auguſt
desſelben Jahres nach Leipzig über, wo ſich ihm ein reiches Feld ver—
legeriſchen Schaffens erſchloß. 1865 erfolgte die Gründung der
„Zeitſchrift für bildende Kunſt“, und ſeitdem hielt Seemann die
Pflege der Kunſt, der Kunſtgeſchichte und des Kunſtgewerbes als
Leitſtern ſeines Verlages feſt im Auge. 1868 erwarb er dazu die
im Schweighauſerſchen Verlage in Baſel erſchienenen
bedeutenden Werke des Kunſtgelehrten Jakob Burckhardt.
Seit 1885 half dem überlafteten Vater als Teilhaber des Ge—
ſchäfts ſein Sohn und Nachfolger Artur Seemann die Bürde
der Arbeit tragen. Zu Weihnachten 1898 ſchied Eruſt Seemann aus
dem Geſchäfte aus und zog ſich nach ſeinem Landhaus zu Großbothen
an der Mulde zurück, wo er am 5. 10. 1904 verſtarb.
Ungeachtet der beſtändigen Anſpannung ſeiner Kräfte durch
das wachſende eigene Geſchäft hat ſich Seemann ſtets bereitwillig in
den Dienſt der öffentlichen Angelegenheiten geſtellt und hat mit
dieſem Wirken insbeſondere dem Beruf dankenswerteſte Förderung ge—
bracht. Wie er ſchon 1863 durch ſein lehrreiches Buch „Fingerzeige
— 892 —
zur Abſchätzung von Sortiments- (Antiquariats-) und Berlagsge-
ſchäften“ und durch die Eröffnung einer „Agentur zur Vermitte—
lung von An- und Verkäufen buchhändleriſcher Etabliſſements“ ſich
in den Dienſt der Oeffentlichkeit geſtellt hat, ſo hat er auch in
Ehrenämtern des Vereins der Buchhändler zu Leipzig, insbeſondere
aber des Börſenvereins ein großes Maß von Arbeit und perſönlicher
Aufopferung geleiſtet. Dem Vorſtand des Vörſenvereins der Deut-
ſchen Buchhändler hat er von 1883 bis 1884 als zweiter,
und von 1884 bis 1889 als erſter Schatzmeiſter angehört,
in beſonders arbeitsreichen und ſorgenerfüllten Johren, in denen
es galt, den großen Bau des Deutſchen Buchhandlerhauſes in
die Wege zu leiten und ſein Fortſchreiten zu beaufſichtigen. Ernſt
Seemann hat ſich dieſer Aufgabe mit voller Hingebung gewidmet.
1890 war er im außerordentlichen Ausſchuß zur Ausarbeitung einer
Verlagsordnung tätig, von 1893 bis 1896 im Außerordentlichen
Ausſchuß zur Reviſion der Geſetze über das Urheberrecht. 1887, noch
während ſeines Amtes als erſter Schatzmeiſter, wirkte er gleichzeitig
auch im Außerordentlichen Ausſchuß zur Reviſion der Satzungen des
Börſenvereins, deren Entwurf in der Frankfurter Hauptverſamm—
lung einen entſcheidenden Sieg errang.
Ernſt Seemann war ein Mann von unvergleichlicher Mr-
beitsluſt und Arbeitskraft. Immer voller Pläne, die er vorſichtig
reifen ließ, immer arbeitend, wägend, wagend und geiſtig aufs
äußerſte angeſtrengt, machte ſein Auftreten doch den Eindruck voll—
kommenſter, heiterer Ruhe. Große Lebenserfahrung, Klarheit
des Urteils und niemals ihn verlaſſende Beſonnenheit befähigten
ihn zu dieſem außerordentlichen Maß beſtändiger Tätigkeit, die ihn
die verſchiedenartigſten Dinge gleichzeitig erwägen, leiten und er—
ledigen ließ. Im perſönlichen Verkehr zeichnete ihn Offenheit und
greche Liebenswürdigkeit aus.
Seit 1899 gehört dem Verlag als zweiter Teilhaber
Guſtav Kirſtein an. Auf den umfangreichen Verlag möge
hier noch kurz eingegangen werden, denn einige der Seemann'ſchen
Unternehmungen ſind ſo ſehr ſein eigenes Werk, daß ſie wie wichtige
Charakterzüge zu ſeinem Bilde gehören. Vor allem ſind zu nennen
die Deutſche Renaiſſance, Dohmes Kunſt u. Künſtler und die Kunſt—
hiſtoriſchen Bilderbogen. Eine der glücklichſten Ideen hatte See—
mann, als er Anton Springer bat, ihm einen Leitfaden zu dieſer
loſen Bilderfolge zu ſchreiben. Daraus iſt nach und nach das be—
kannte „Handbuch der Kunſtgeſchichte“, der Stolz des Hauſes, er—
wachſen. Seit 1871 erſcheint pünktlich zur Weihnachtszeit See-
— 893 —
manns Literariſcher Jahresbericht, an dem ſich der Verleger viele
Jahre lang eifrig als Kritiker beteiligte.
Quellen: G. K., Ernſt Seemann, Leipzig 1904; Börſenblatt für den
deutſchen Buchhandel 1904.
Seidel (Wien). Ludwig Wilhelm Seidel wurde
als der jüngſte Sohn des Rentamtmannes Philipp Seidel, des Ver—
trauten Goethes, zu Weimar am 18. 6. 1802 geboren, wo er das
Gymnaſium ſeiner Vaterſtadt auch beſuchte. Durch den Tod des
Vaters veranlaßt, wählte er den Buchhandel zu ſeinem Beruf. Seine
Lehrzeit 1821 bei Friedr. Fleiſcher in Leipzig beginnend, vollendete er ſie,
durch die Militärpflicht in ſeine Vaterſtadt zurückberufen, in der
Hoffmannſchen Buchhandlung in Weimar. 1824 zog es ihn nach
Paris, wo er ein Jahr bei Ponthier & Co. weilte; darauf kam er
nach Wien zu Carl Gerold, wo er bis zur Uebernahme der
Haller'ſchen Buchhandlung in Brünn (gemeinfam mit
Carl Winiker unter der Firma Seidel & Co.), 1833, ver⸗
blieb. Bald nahm dieſes Geſchäft einen derartigen Aufſchwung,
daß es als die erſte Sortimentsbuchhandlung Mährens galt. In
dieſer Zeit trat Wilhelm Braumüller als ſtiller Ge-
ſellſchafter ein.
Im Jahre 1836 kauften Seidel und Braumüller gemeinſam
die Buchhandlung der Witwe Edle von Mösle in Wien (vergl.
Bd. I Seite 85 d. W.), während das Brünner Geſchäft 1841 von
Carl Winiker allein übernommen wurde. Durch die damaligen
ſchwierigen Verhältniſſe wurde es erſt 1841 möglich, die Firma
Braumüller und Seidel zu protokollieren; bald darauf war das
Geſchäft den beſten Wiener Firmen ebenbürtig. Das Jahr 1848
führte die Trennung der zwölfjährigen Verbindung herbei; der Ver—
lag wurde geteilt, und Seidel gründete ein eigenes Geſchäft am
Graben, wo es ſich noch heute befindet.
Immer mehr entwickelte ſich nun das Geſchäft und beſonders
der Verlag. Der militäriſche Verlag wurde bald zur Hauptrichtung
der Firma L. W. Seidel, und noch heute nimmt dieſe die erſte Stelle
auf dem militäriſchen Gebiete Oeſterreich-Ungarns ein. Seit 1857
wurden ſämtliche Verlagsartikel in der eigenen, die gleiche Firma
führenden Druckerei gedruckt. 1861 trat der älteſte Sohn Ludwig
als Teilhaber in die Firma ein, die von nun ab unter der Firma
L. W. Seidel u. Sohn fortgeführt wurde. Im Jahre 1886
wurde den Inhabern der Firma der Hoftitel verliehen. Der Be—
gründer des Geſchäftes ſtarb am 26. 5. 1894 im 92. Lebensjahre.
— 891 —
Ludwig Seidel ſtarb am 13. April 1900. Der Enkel
L. W. Seidels, Heinrich Tachauer, k. und k. Hofbuchhändler,
Prokuriſt ſeit 1. Januar 1892, öffentlicher Geſellſchafter ſeit 11. De—
zember 1896, iſt ſeit 10. Oktober 1900 alleiniger Inhaber der Firma,
deren Druckerei 1883 an Kreiſel u. Gröger verkauft wurde.“
Quellen: Börſenblatt für den deutſchen Buchhandel 1894.
Seippel, Hermann. Seippel begründete im Februar 1869 in
Gemeinſchaft mit G. A. Leopoldt eine Buch- und Muſikalienhandlung
in Hamburg. Nach 5 Jahren wurde das Sozietätsverhältnis gelöſt und
Seippel übernahm die buchhändleriſche Abteilung des Geſchäfts, während
Leopoldt die Muſikalienhandlung weiterführte. Als Sortimenter
pflegt Seippel vorzugsweiſe Jurisprudenz, Belletriſtik und Alpine
Literatur. Der Verlag umfaßt bis jetzt etwa 100 verſchiedene
Bücher und Schriften, die der Jurisprudenz, der liberalen proteſtantiſchen
Theologie und mit einigen Nummern der Belletriſtik angehören.
Als Mitglied des Hamburg-Altonaer Buchhändler-Vereins,
jowie des Buchhändler-Verbandes Kreis Norden bekleidete Seippel
in dieſen beiden Vereinen Vorſtandsämter und war ebenfalls in
denſelben erſter Vorſitzender. In beiden Vereinen herrſchte von
jeher nicht nur ein reges inneres Leben, ſondern ſie beteiligten ſich
ſtets an allen den Geſamtbuchhandel jeweilig bewegenden Fragen.
Auf den Verſammlungen in Leipzig zu Kantate waren Hamburg—
Altona und Kreis Norden ſtändig durch eine Anzahl ihrer Mitglieder
vertreten, und darunter befand ſich ſtets auch Seippel, der mit ſeinen
Landsleuten vor Allen als Kämpfer für das Wohl des Sortiments
ſich bemerkbar machte. So wurde er auch in weiten Kreiſen des
Buchhandels bekannt. Durch 6jährige Tätigkeit als Mitglied des
Vereinsausſchuſſes wuchs in ihm das Intereſſe für alle Fragen und
Angelegenheiten des deutſchen Buchhandels. Viele Freundſchaften
wurden angeknüpft mit hervorragenden Perſönlichkeiten. Daneben
erſtanden aber auch Gegner, namentlich in neuerer Zeit, als Seippel
im Jahre 1900 in Gemeinſchaft mit einigen Kollegen aus Hannover—
Braunſchweig, Königreich Sachſen uſw. eine Neuorganiſation des
Verbandes der Kreis- und Ortsvereine im deutſchen Buchhandel
anſtrebte. 1903 wurde Seippel der Vorſitz im Verbande der Kreis—
und Ortsvereine angetragen. Mit ſeinen Kollegen, den Freunden
Juſtus Pape und Otto Meißner, hat er die Leitung des Verbandes
damals übernommen und bis zum heutigen Tag behalten. Durch
enge Fühlung mit dem Börſenvereins-Vorſtande iſt der Verband
heute anerkannt als ein treuer Mitarbeiter bei allen Aufgaben, die
an den Buchhandel in den letzten Jahren herangetreten ſind. Das
— 895 —
hat fich gezeigt z. B. in dem Kampfe des Buchhandels gegen Prof.
Bücher und Genoſſen, woran ſich der jetzige Verbands-Vorſtand
lebhaft beteiligte; ſeine Gegenſchrift „Theorie und Praxis“ hat auch
im Kreiſe von vorurteilsfreien Akademikern Anerkennung gefunden.
Seit' mehreren Jahrzehnten ſteht Seippel nun im Kampfe für Hod-
haltung der idealen Güter des Buchhandels, ein wackerer Streiter,
der dem deutſchen Buchhandel zur Ehre gereicht.
Selfiſch, S. Samuel Selfiſch, geb. am 8. Nov. 1529,
ſtammte aus einer Erfurter Buchführerfamilie. Sein Vater, Johannes
Selfiſch, wie auch ſein Großvater, Laurentius Selfiſch, waren
angeſehene Bürger der Stadt, die ihren Buchhandel in ausgedehntem
Maße betrieben.
Im 16. Lebensjahre begann Selfiſch ſeine buchgewerbliche
Laufbahn. Er machte zunächſt bei dem Wittenberger Buchhändler
Vogel eine ſiebenjährige Lehrzeit durch und widmete dann noch 12 Jahre
ſeine Dienſte dem damaligen Bürgermeiſter und Buchhändler Rühel,
wobei ſich Selfiſch durch Zuverläſſigkeit und Tüchtigkeit ſo aus—
zeichnete, „daß ihn Conrad Rühel ſeiner Verwandtſchaft für
würdig erachtete“.
1564 machte ſich Selfiſch durch Kauf der Sortiments- und
Verlagsbuchhandlung des verſtorbenen Buchführers Chriſtoph
Schramm in Wittenberg ſelbſtändig. Er übernahm, wie die Erb—
kaufsurkunde beſagt: „alles gehöfft und gerechtigkeith, ſambt Haus,
u. was darin Nagel und nidfeſt iſt, damit auch die Bücher inhalts
eines Imwentarij in etzlichen Feſſern eingepact . . . umb 4050 Gulden.“
Selfiſch begann alsbald dem Verlage eine größere Ausdehnung zu
geben und er hieß es ſehr willkommen, als er durch Zufall in den
Beſitz einer Druckerei gelangte. Er erwarb die 1578 von Schwerdel
gegründete Buchdruckerei von des Buchdruckers Matthes Welacks
Witwe für 500 Gulden meißniſcher Landeswährung. Zur Erweiterung
ſeines Geſchäftes erwarb Selfiſch ſodann 1602 von Burg
Kammerberger eine Buchbinderei, für die er 260 Gulden bezahlte.
Auch als Papierhändler hat Selfiſch Geſchäfte gemacht; beſonders an
Leonhard Thurneyſſer in Berlin lieferte er größere Poſten.
Der Verlag Selfiſchs war mit der Zeit ein ſehr umfangreicher
geworden, ein noch vorhandener Katalog verzeichnet für einen Zeit—
raum von 86 Jahren 807 Novitäten, worunter zehn verſchiedene
Sprachen vertreten ſind. Die von Selfiſch verlegten Geiſtesprodukte
gehören nahezu zur Hälfte der Theologie an — darunter 17 Bibel—
ausgaben und 49 Bücher von Martin Luther. Ferner wurde von
ihm die Philoſophie, Rhetorik, Rechtswiſſenſchaft, Geſchichte, Mathematik,
— 896 —
Medizin, Phyſik, Aſtronomie und Pädagogik vornehmlich gepflegt.
Auch find einige Werke der Muſik und Aſtrologie gewidmet. Be-
ſondere Erwähnung verdient ferner die große Anzahl lateiniſcher,
griechiſcher und römiſcher Grammatiken und endlich ſind die alten
Klaſſiker in reichlicher Auswahl vertreten. Mehrmals hat Selfiſch
n Gemeinſchaft mit Zacharias Schurer, Johannes Berger
u. a. Verlagswerke auf den Markt gebracht. So ſehen wir, bemerkt
ſein Biograph, daß Selfiſch einer der hervorragendſten Förderer der
reformatoriſchen und klaſſiſchen Literatur war und zur Hebung der
allgemeinen Bildung ſeiner Zeit weſentlich beitrug.
Selfiſch betrieb einen weitverzweigten Bücherhandel; mit den
Meßplätzen Frankfurt a. Main und Oder, ſowie Leipzig unterhielt
er einen ſtändigen und lebhaften Verkehr.
Im bürgerlichen Leben bekleidete Selfiſch eine ſehr angeſehene
Stellung. 1569 wählten ihn ſeine Mitbürger zum Ratsherrn; als
ſolcher verwaltete er das Kämmereramt. 1585 wurde er zum Bürger—
meiſter der Stadt Wittenberg gewählt und bekleidete er dieſe Ver—
trauensſtellung 30 Jahre lang. 86 Jahre alt, ſtarb Selfiſch ant
7. Januar 1615.
Unter ſeinen Nachfolgern blühte das Geſchäft noch eine Reihe
von Jahren weiter. Die Buchhandlung des Vaters übernahm Mattheus
Selfiſch. Am 2. November 1572 geboren, bezog er, 15 Jahre alt,
die Univerſität und wurde 1601 ins Ratskollegium aufgenommen,
1619 zum Ratskämmerer und 1628 zum Stadtrichter ernannt. Nach
ſeinem 1636 erfolgten Tode ging das große Geſchäft immer mehr
zurück, eine große Reihe von Nachkommen halfen außerdem an der
Vermögensverkleinerung und zwei Jahre ſpäter liquidierte die ehemals
ſo ſtolze Handlung. Hatten ſchon die Kriegsjahre ihr Teil am
Verfall getan, das Fehlen eines intelligenten Geſchäftsleiters geriet
dem Geſchäfte ſchließlich endgiltig zum Ruin.
Quellen; Leonhard, Samuel Selfiſch, Leipzig 1902.
Senefelder, A. Der Erfinder der Lithographie und des ſo—
genannten Moſaikdruckes, Inſpektor bei der Königl. Steuerkataſter—
kommiſſion zu München, Aloys Senefelder, wurde am 6. Nov. 1771
zu Prag geboren, wo ſein Vater Schauſpieler war. In München,
wohin der Vater ans Hoftheater berufen wurde, beſuchte
Senefelder Gymnaſium und Lyceum, um mit einem Jahrgeld der
Kurfürſtin Maria Anna verſehen, danach die Ingolſtadter Hochſchule
zu beziehen, und ſich da dem Rechtsſtudium zu widmen. Aber ehe er
ſeine, vom beſten Erfolge ausgezeichneten Studien zu Ende führen
konnte, ſtarb 1791 ſein Vater, die Familie in dürftigen Verhältniſſen
ze BT <8
zurücklaſſend. Er fah fih genötigt, ſofort einen praktiſchen Beruf
zu ergreifen und nach einigen mehr oder minder mißglückten Ver⸗
ſuchen ging er unter die Theaterdichter. Sein Erſtlingswerk, das
Luſtſpiel „Die Mädchenkenner“, erzielte am kurfürſtlichen Hoftheater
zu Mannheim 1792 einen guten Erfolg und es erſchien 1793 bei
Lentner in München im Druck, der dem Verfaſſer — was für dieſen
die Hauptſache war — auch ein gutes Honorar dafür zahlte.
Weniger ſchlug dagegen ſein nachfolgendes Ritterſchauſpiel „Mathilde
von Altenſtein oder die Bärenhöhle“ ein, das er zudem noch, weil
er mit der Lieferung des Manuſkriptes im Rückſtande blieb, auf
eigene Koſten drucken laſſen mußte. Dieſer Mißerfolg hielt ihn aber
nicht ab, noch eine ganze Reihe anderer dramatiſcher Werke mit
wechſelndem Erfolge zu verfaſſen. Während des Druckes dieſer
Arbeiten hielt ſich Senefelder oft in den Drucker-Offizinen auf und
„hätte ich das nötige Geld gehabt“, ſagte er ſpäter, „ſo würde ich
mir damals Lettern, eine Preſſe und Papier gekauft haben und die
Steindruckerei wäre wahrſcheinlich ſobald noch nicht erfunden worden.“
In ſeiner mißlichen pekuniären Lage ließ ihn jetzt der Gedanke
nicht mehr los, ein billigeres Druckverfahren zu erfinden. Durch
eine Menge von Verſuchen ſuchte er dies Ziel zu erreichen, bis es
ihm endlich gelang, das auf einer mit Atzgrund überzogenen Kupfer-
platte Geſchriebene in letztere mit Scheidewaſſer einzuätzen und ſo
eine Matrize zu erhalten. Da kam ihm, wie man erzählt, der Zufall
zu Hilfe. Im Juli 1796 ſchrieb er in Ermangelung von Tinte und
Papier einen Wäſchezettel mit ſeiner aus Wachs, Seife und Kienruß
beſtehenden Verſuchsflüſſigkeit auf ein Stück einer Kelheimer Stein—
platte, die er zufällig erhalten hatte. Später wurde er von Neugier
getrieben, den beſchriebenen Stein zu ätzen, und ſiehe da, die Schrift
wurde erhaben und es ließen ſich Abdrücke davon machen. Dieſer
Erfolg gab dem Erfinder indes nur einen Anſtoß zu ferneren Ver—
ſuchen, die er mit einer Geduld und Ausdauer fortführte, welche ihn
in allen Lebenslagen in bewundernswürdigem Maße auszeichnete.
Dabei hatte er ſtets mit finanziellen Sorgen zu kämpfen, und ſelbſt
ein Verſuch, ſich 200 Gulden zur Anſchaffung einer Druckerpreſſe
dadurch zu verſchaffen, daß er für einen Konſkribierten bei der
Ingolſtädter Artillerie ſechs Jahre lang ſeine Freiheit verkaufen
wollte, ſchlug fehl, weil man den „Ausländer“ nicht annahm.
In fortdauernden finanziellen Nöten ſchloß er ſich nun an
einen Hofmuſikus Franz Gleißner an, welcher mit Profeſſor Simon
Schmid bekannt war. Dieſer Profeſſor war ein Münchener Geiſt—
licher, der außer Theologie noch Naturwiſſenſchaften ſtudiert und
gleichfalls eine Art Steindruck erfunden hatte, ja, es iſt zweifellos,
57
— 898 —
daß er vor Senefelder, der übrigens ohne Kenntnis des Schmid'ſchen
Verfahrens ſeine Experimente machte, Abbildungen und ſogar eine
Landkarte von Afrika von Steinen druckte, die er vorher mit Scheide—
waſſer geätzt hatte. Mit dem Verfahren Schmid's war der genannte
Hofmuſikus bekannt, als er ſich mit Senefelder verband zur praktiſchen
Ausnutzung und Vervollkommnung des von dieſem erfundenen Ver—
fahrens: der Polyautographie, wie die Druckmanier nunmehr
genannt wurde.
Die neue Firma Gleißner & Senefelder druckte anfangs
meiſtens die muſikaliſchen Erzeugniſſe des Hauptteilhabers, der
übrigens auch das Geld zur Einrichtung des Geſchäftes hergegeben
hatte. Die techniſche Ausſtattung dieſer Kompoſitionen gefiel allgemein
und Kurfürſt Karl Theodor gewährte für die Widmung derſelben
100 Gulden. Auch die Akademie der Wiſſenſchaften, welcher die
Lieder zur Prüfung vorlagen, ſprach ihre Befriedigung aus und
ſchenkte den Druckern — 12 Gulden!
Der unermüdliche Fleiß und das fortgeſetzte Experimentieren
Senefelders brachten in der Folge noch manche Erfindung und Ver—
vollkommnung des Steindruckes zu Tage, wovon die Herſtellung
einer chemiſchen Tinte im Jahre 1796 die bedeutendſte iſt, ſo be—
deutend, daß das Jahr als der Zeitpunkt der Erfindung der
Lithographie in unſerm Sinne gelten muß.
Die neue Firma erhielt bald von dem Kurfürſten Maximilian
ein privilegium exclusivum, welches ihr das alleinige Druck- und
Verkaufsrecht der lithographiſchen Erzeugniſſe für fünfzehn Jahre
ſicherte. Ein Hofrat André aus Offenbach kaufte das Druckrecht
für 2000 Gulden an und Senefelder reiſte nach dort, um eine große
Offizin einzurichten, die ſich freilich weniger mit der Kunſt, als mit
dem Kattun- und Notendruck beſchäftigte. André hatte große Pläne:
In London, Paris, Berlin und Wien ſollten Niederlaſſungen ent—
ſtehen und Privilegien erworben werden. Der Erfinder ſelbſt begab
ſich auf Reiſen zu dieſem Zwecke, aber die Erwerbung der Druck—
rechte und Einrichtung der Preſſen war mit vielen Widerwärtigkeiten
verknüpft und die ſchönen Ausſichten für die Zukunft ſollten ſich
nicht verwirklichen. Die Verbindungen, die Senefelder mit aller
Welt eingegangen war, endeten 1804 in Wien damit, daß er nach
Ablöſung ſeiner Schulden noch — 50 Gulden herausbekam!
Wieder nach München zurückgekehrt, verband er ſich 1806 mit
einem Baron v. Aretin, der ihm die Mittel zur Einrichtung einer
lithographiſchen Anſtalt gewährte, aus welcher nun eine ganze Reihe
von Karten, Plänen uſw., ſowie auch eine berühmt gewordene Aus—
gabe von Dürers ſogen. Gebetbuch hervorging. Aber die Anſtalt,
809 —
ſo vorzügliche Drucke ſie auch hervorbrachte, rentierte ſich wenig,
nicht zum mindeſten infolge der überall auftauchenden Konkurrenz,
welche ſelbſt durch eine ſtaatliche Steindruckerei dem Erfinder geboten
wurde. So trat er nach wenigen Jahren bereits von dem Aretinſchen
Unternehmen zurück und von neuem drohte die Not an ſeine Tür
zu pochen. Da erhielt er endlich 1809 eine Anſtellung als Inſpektor
der lithographiſchen Anſtalt der Steuer-Kataſterkommiſſion mit einer
lebenslänglichen Beſoldung von 2000 Gulden.
Das Jahr 1815 ſah ihn vorübergehend wieder in Wien, wo
er für die Geroldſche Buchhandlung eine lithographiſche Anſtalt ein—
richtete. 1818 erſchien dann auch bei Gerold fein ſchon vor einem
Jahrzehnt anugekündigtes „Lehrbuch“ der Lithographie, in deſſen
Autobiographie er bewies, daß ſeine Feder ſeit der Zeit ſeiner
dichteriſchen Tätigkeit nichts von ihrer Gewandtheit verloren hatte.
In Paris, wohin ſich Senefelder nach Erſcheinen ſeines
Lehrbuches begab, wurde er mit Ehrenbezeugungen überhäuft und
die engliſche Society of Encouragement verlieh ihm die große
goldene Medaille mit der Inſchrift: The Inventor of Lithography
Mr. Alois Senefelder 1819. Noch viele ähnliche Medaillen und
wertvolle Geſchenke heimſte er ein und als er 1830 mit der Er—
findung des Olfarbendruckes hervortrat, gewährte ihm der bayeriſche
König Ludwig eine Ehrengabe von 1000 Gulden.
Gleißner war 1824 am Schlaganfall geſtorben und Senefelder
ließ ſich drei Jahre ſpäter in den Ruheſtand verſetzen. Unermüdlich
blieb er nichtsdeſtoweniger tätig, ſtets mit der Ausführung neuer
Gedanken beſchäftigt, bis der Tod infolge von Gehirntuberkeln am
26. Februar 1834 dieſem arbeits-, aber auch bewunderungswürdig
erfolgreichen Leben ein Ziel ſetzte. Sein Grabmal auf dem Münchener
Friedhof ſchmückt ein Solnhofer Stein, deſſen Berühmtheit Senefelders
Tätigkeit über das ganze gebildete Europa verbreitet hatte; denn
dieſe bayeriſche Steinart war die zur Lithographie einzig geeignete.
Die bedeutendſte Inkunabel der Lithographie iſt ein von
Senefelder auf chemiſche Weiſe gezeichnete und ebenſo abgedruckte
Beilage zu einer Flugſchrift „Der Brand von Neu-Oetting“, auf der
ſich zehn Oktavzeilen Muſiknoten und Text, ſowie als Schlußzeichen
ein brennendes Haus befinden. Die Datierung dieſes chemiſchen
Flachdruckes it der 30. Auguft 1797.
Quellen: Neuer Nekrolog der Deutſchen 1834 1; Hölſcher, Zum Andenken
an A. S. in Buchhändler-Akademie 1896; vergl. hierzu: Rudolf Schmidt, Zur
Jubelfeier der Erfindung der Lithographie, in Buchhändler-Akademie, ebenda.
57*
— 900 —
Senſenſchmid, J. Von einem Gehilfen Gutenbergs, dem Mainzer
Heinrich Kefer oder Keffer, welcher in dem Prozeß Fuſts gegen
Gutenberg als Zeuge mit Berthold von Hanau aufgeführt iſt, wurde
die Kunſt nach Nürnberg überführt. Kefer begründete hier in
Gemeinſchaft mit dem Deutſch-Böhmen Johann Senſenſchmid
(ſchon 1458 wird in der Erfurter Matrikel ein Peter Senſenſmyt
aus Nürnberg verzeichnet) von Eger die erſte Buchdruckerei. In.
Verbindung mit Senſenſchmid ſteht der 1470 auftretende erſte
Nürnberger Verleger Heinrich Rumel, welcher ſpäter mit
Senſenſchmid in einem jahrelangen Rechtsſtreit verwickelt war. Der
erſte Nürnberger Druck von 1470 entbehrt zwar der Firma der
Drucker, iſt aber durch die Schriftcharaktere als Erzeugnis von
Senſenſchmid und Kefer erkannt: es iſt entweder das große
„Comestorium vitiorum“ des Franciscus de Retza von 289 Blättern,
oder noch wahrſcheinlicher ein in demſelben Jahre gedruckter kleinerer
Traktat des Kanzlers Gerſon über „Cantica canticorum“ von nur
39 Blättern. Die Genoſſenſchaft der beiden Drucker dauerte bis
zum Jahre 1473, in welchem auch das einzige Werk herauskam,
das ihre gemeinſchaftliche Firma trägt; es iſt dies die große
„Pantheologia“ des Reynerus de Pisis, ein Rieſenwerk in zwei
großen Foliobänden von 439 und 421 Blättern, zugleich ein mufter-
haft ſchönes Druckdenkmal, deſſen zierliche und geſchmackvolle
Charaktere die höchſte Bewunderung verdienen. Nach 1473 verſchwindet
Heinrich Kefer vom Schauplatze und Johann Senſenſchmid gewann
einen neuen Geſellſchafter in der Perſon des Andreas Frisner
aus Wunſiedel, der von 1465 ab an der Leipziger Univerſität
immatrikuliert geweſen war und es zum Magister artium gebracht
hatte. Als Senſenſchmids Teilhaber übernahm er zunächſt die
gelehrten Geſchäfte bei Herſtellung der Bücher, wie er auch auf dem
erſten Druck der neuen Geſellſchaft, Thomae Aquinatis Quodlibeta
duodecim 1474 „Corrector“ genannt wird. Bis 1478 waren beide
vereint tätig und gaben eine beträchtliche Anzahl bedeutender Werke
heraus, unter welchen die undatierte (vierte) deutſche Bibel eine
hervorragende Stelle einnimmt. Alsdann aber verließen ſie beide
den bisherigen Ort ihrer Wirkſamkeit, Senſenſchmid, um nach
Bamberg, wo er 1481 als Miſſaldrucker vorkommt, überzuſiedeln,
Frisner, um nach Leipzig zurückzukehren, wo er Profeſſor der
Theologie und 1482 Rektor der Univerſität wurde.
In Gemeinſchaft mit Johann Beckenhub aus Mainz druckte
Senſenſchmid im Jahre 1485 zu Regensburg ein Miſſal, der einzige
Regensburger Druck dieſes Jahres. Beckenhub hatte bereits 1473
mit dem Straßburger Goldſchmied Georg Hußner das Durandi
— 901 —
speculum indiciale in Folio gedruckt; aber auch hier hat er nur die
Rolle eines Herausgebers bezw. Korrektors geſpielt. Von Straßburg
war Beckenhub nach Würzburg und von da nach Nürnberg gekommen,
wo er mit Senſenſchmid in Regensburg die erwähnte Verbindung
eingegangen war. 1487 hat er als Buchführer das Bürgerrecht zu
Regensburg erhalten. 1489 finden wir Beckenhub bei Anton
Koberger in Nürnberg tätig, wo er die Herausgabe des Kommentars
des Bonaventura über die Sentenzen des Lombardus beſorgte.
Um 1490 finden wir Senſenſchmid als Drucker in Gemeinſchaft
mit Heinrich Petzenberger in Bamberg.
Quellen: Archiv für Geſchichte des Deutſchen Buchhandels Bd. 4, 10, 20;
Kapp, Buchhandel; Klemm, Katalog.
Siegismund, K. Der Berliner Verlagsbuchhändler Karl
Siegismund wurde am 23. Januar 1861 in Neuſchönefeld bei
Leipzig geboren. F. Volckmar in Leipzig war ſein Lehrmeiſter und
in ſeinen Wanderjahren hatte Siegismund leitende Stellungen bei
Emil Strauß in Bonn, R. Lechner's K, K. Hofbuchhandlung in Wien
und Stuhrſche Buchhandlung in Berlin inne. 1886 übernahm Siegis—
mund die 1868 gegründete „Internationale Buchhand—
lung“, die von da an unter eigenem Namen geführt wurde.
Während die alte Firma ausländiſche Literatur und
Kunſthandel pflegte, wird von jetzt an beſonders deutſches Sorti—
ment betrieben. Ein Antiquariat gliederte ſich bald an und wurde
eins der erſten unter den modernen Antiquariaten, viele Kataloge,
ca. 50, werden herausgegeben. 1887 begann die Verlagstätigkeit
Siegismunds, die ſich bald durch Gründung der allbekannten militä—
rischen Zeitſchrift Deutſcher Soldatenhort (1890) derart entwickelte,
daß 1897 das Sortiment abgegeben wurde. Der Deutſche Soldaten—
hort, deſſen Chefredakteur 1892—1905 Generalleutnant von Below
war, ſeitdem Oberſt von Below ift — wurde bald durch kriegsminiſte—
rielle Verfügung als Lehrſtoff in der Armee eingeführt; im Laufe
der Jahre wurde der Soldatenhort auch von Miniſterium und Regie—
rung für Volksbibliotheken angeſchafft. Zahlreiche hiſtoriſche und
militäriſche Werke wurden herausgegeben, ſo z. B. die militäriſchen
Schriften des Generals der Infanterie v. Kretſchman, die in hohen
Auflagen in der Armee verbreitet werden. Ferner wurde 1904 der
Anfang gemacht mit der Ausgabe einer Memoiren- Bibliothek; es
erſchienen die deutſchen Ausgaben der Memoiren von Lord Roberts,
Lord Wolſeley, Herzog von Cambridge, Admiral Sir Fremantle
und 1907 die ebenfalls autoriſierte deutſche Ueberſetzung von Königin
Victorias Briefwechſel und Tagebuchblätter, die ein gewaltiges Auf—
ſehen in der ganzen europäiſchen Preſſe erregten.
9902 ee |
Neben den hiſtoriſchen und militärischen Werken wird eine
Gartenbaubibliothek von Prof. Dr. Dammer herausgegeben, von
welcher bis 1908 bereits 36 Bände erſchienen ſind.
Die Firma wurde bis 1907 im ganzen 15 mal auf Weltaus—
stellungen und Fachausſtellungen preisgekrönt mit einer goldenen,
verſchiedenen ſilbernen Medaillen und Auszeichnungen. Karl Sie—
gismund wurde 1899 vom Prinzen Friedrich Auguſt von Sachſen,
dem damaligen präſumtiven Thronfolger, zum Hofbuchhändler und
1905 vom König Friedrich Auguft zum Kgl. Hofbuchhändler ernannt.
1902 wurde ihm vom Könige Albert von Sachſen der Albrechtsorden,
Ritterkreuz 1. Klaſſe verliehen, wozu 1907 König Friedrich Auguſt
die goldene Krone fügte.
Während der auſtrengenden und erfolgreichen Geſchäftstätig—
keit hatte Siegismund viele Reiſen in der Welt unternommen, um
Land und Leute und ihre Tätigkeit kennen zu lernen: ſo beſuchte er
Dänemark, Belgien, Holland, England, Schweden, Rußland, Oeſter—
reich, Schweiz, Frankreich, Spanien, Italien, Griechenland, Serbien,
Bulgarien, Türkei, Vereinigte Staaten von Nordamerika bis Kali—
fornien, Mexiko, Kleinaſien, Tunis, Algier uſw. Trotzdem fand er
noch Zeit zu umfangreicher öffentlicher, kommunaler und Wohl—
fahrtsbetätigung. Siegismund war Mitbegründer und Kurator
kaufmänniſcher Fortbildungsſchulen in Berlin, im Vorſtand vom
Kinderheim, Vaterländiſchen Frauen-Verein; an ſeinem Wohnort
Steglitz zuerſt Gemeinde-Verordneter, dann feit 1906 Gemeinde:
Schöffe.
Seit 1897 war er auch beſonders für den Buchhandel tätig;
ununterbrochen iſt er ſeitdem Vorſitzender der Vereinigung der Ber—
liner Mitglieder des Börſenvereins, er war 1902—1905 Schatzmeiſter
der Korporation der Berliner Buchhändler; ſeit 1905 wirkt Siegis—
mund im Vorſtand des Börſenvereins der deutſchen Buchhändler
als 1. Schriftführer.
In die Rabattfrage hat Siegismund entſcheidend eingegriffen,
und namentlich durch Verhandlungen im Miniſterium die Ermäßi—
gung bezw. gänzliche Abſchaffung des von Behörden bisher bean—
ſpruchten Rabattes erreicht. Gleiche Erfolge hatte er bei den
Magiſtraten von Berlin, Schöneberg und Charlottenburg für die
Schulen, ein großes Unternehmen, das viele bereits vergeblich ver—
ſucht hatten, das von Siegismund aber mit eiſerner Konſequenz
durchgeführt und zum Beſten des Buchhandels auch erreicht wurde.
Quellen: Allgem. Buchhändlerzeitung vom 28. 6. 1900; Börſenblatt f.
d. deutſchen Buchhandel.
— 903 —
Simion, L. Leonhard Simion wurde am 2. November 1842
als der Sohn des Verlagsbuchhändlers M. Simion in Berlin
(Firma um 1850 gegründet und 1854 an Voigt & Günther in
Leipzig verkauft) geboren. Nach vorzüglich beſtandenem Abiturienten—
examen trat er als Lehrling in eine Aachener Firma ein, von wo
er nach Berlin und ſpäter als Gehilfe nach Riga kam. Von hier
kehrte Simion nach Berlin zurück, um zunächſt in Gemeinſchaft mit
Franz Duncker das „Sonntagsblatt“ herauszugeben und dann aͤm
1. Juni 1870 eine Verlagshandlung unter ſeinem eigenen Namen
zu gründen. In den Jahren 1874 — 1882 war Simion außerdem
Mitinhaber von A. Asher & Co. in Berlin (vergl. Bd. I Seite 12
ds. Werkes); von da an galt ſeine ganze Tätigkeit dem eigenen
Verlage, dem er ſpäter noch eine Druckerei angliederte. Von feinen
Verlagswerken ſtanden ſeinem Herzen wohl am nächſten der
„Arbeiterfreund“, den er faſt 30 Jahre lang verlegt hat, und die
Veröffentlichungen des „Vereins zur Beförderung des Gewerbe—
fleißes“, deſſen Vorſitzender, der Miniſter Rudolf Delbrück, ihm
beſonders freundlich geſinnt war. Überhaupt nahmen die volks—
wirtſchaftlichen Schriften, denen Simion ſein lebhafteſtes perſönliches
Intereſſe entgegenbrachte, in dem Verlage den breiteſten Raum ein;
daneben wurde beſonders noch die Schulbücherliteratur mit
Erfolg gepflegt.
Simion hat 22 Jahre lang eine ehrenamtliche Tätigkeit für
den Berliner Buchhandel ausgeübt, und in dieſe Jahre fiel die
überaus arbeitsreiche Zeit des Baues des Buchhändlerhauſes. Mehr
wie zehn Jahre iſt Simion auch als Handelsrichter tätig geweſen.
Er ſtarb am 19. November 1902, die Firma ging an Siegfried
Landau über. l
Quellen: Korporationsbericht d. Berl. Buchhändler 1903.
Simrock, N. Um 1770 begründete Nicolaus Simrock,
Mitglied der damaligen kurfürſtlichen Kapelle in Bonn ebendaſelbſt
eine Muſikalienverlagsfirma. Seine perſönlichen intimen Beziehungen
zu Beethoven, Carl M. von Weber u. A. kamen ihm dabei ſehr zu
ſtatten. Er ſtarb hochbetagt — 84 Jahre alt — im Jahre 1833.
Einer ſeiner Söhne, Peter Joſef Simrock, der bei Lebzeiten
ſeines Vaters in Köln im Jahre 1812 ein ſelbſtändiges Muſik—
Verlagsgeſchäft begründet hatte, ſiedelte nach dem Tode ſeines Vaters
nach Bonn über und übernahm die väterliche Firma. Er ſtand in
einem außerordentlich freundſchaftlichen Verhältnis zu Mendelsſohn,
wie er denn auch die hervorragendſten und populärſten Werke
desſelben, die „Lieder ohne Worte“, den „Paulus“, den „Elias“ u. A.
— 904 —
für ſeinen Verlag erwarb. Er ſtarb im Alter von 76 Jahren am
13. Dezember 1868. — Sein jüngſter Sohn, Friedrich Auguſt
Simrock, geb. am 2. Januar 1837 in Bonn, ſeit 1861 in Verlin
etabliert, übernahm die Bonner Firma am 1. Januar 1870 für
eigene Rechnung und ſiedelte mit derſelben im Herbſt desſelben
Jahres nach Berlin über. Die Werke hochbedeutender Komponiſten,
wie Johannes Brahms, Max Bruch, Anton Dvoräk, Johann Strauß
u. v. a. wurden unter ſeiner Leitung dem Verlag zugeführt. Im
Jahre 1900 nahm Fritz Simrock ſeinen Neffen und langjährigen
Mitarbeiter Hans Simrock als Teilhaber in die Firma auf. Fritz
Simrock ſtarb im Jahre 1901 und Anfang des Jahres 1902 nahm
die Firma die Form einer Geſellſchaft m. b. H. an. Unterdeſſen
hat die Firma, welche nach wie vor von Hans Sim rock geleitet
wird, eine Zweigniederlaſſung in Leipzig errichtet ſowie in London
und Paris dauernde Niederlagen etabliert. Der Ankauf der altbe—
kannten Verlagsfirma Bartholf Senff in Leipzig (gegründet
im Jahre 1847 durch Wilhelm Bartholf Senff durch
Uebernahme der Artikel, die das Literariſche Muſeum unter
der Firma Expedition der Signale debitiert hatte) hat den
Wirkungskreis der Firma bedeutend erweitert. —
Singriener. Johann Singriener (Singrenius) war
zu Oetting in Bayern geboren und gehört zu den hervorragendſten
Wiener Druckern. Seine 35jährige Tätigkeit begann er 1510 in Ge—
meinſchaft mit Hieronymus Vietor (1510—1531), allein
druckte er ſeit 1514; datierte Drucke von ihm finden ſich aber erſt von
1522 ab. Die Zahl ſeiner Druckwerke (er druckte deutſch, ungariſch,
franzöſiſch, griechiſch, hebräiſch) wird auf 414 angegeben; fie umfaſſen
faſt alle Wiſſenſchaften. Sein erſtes deutſches Buch erſchien 1519:
Seneca von den vier Cardinaltugenden, dem 1521 die Rochus-Le—
gende folgte. Sein erſtes Druckwerk überhaupt iſt die „Philosophie
naturalis“ des Albertus Magnus.
Singriener ſtarb Ende 1545, ihm folgte als Geſchäftsnach—
folger fein älteſter Sohn Matthäus Singriener, der ſich ein
Jahr ſpäter mit ſeinem Bruder Johann Singrie ner verband,
um die väterliche Druckerei unter der Firma Singrienerſche
Erben bis 1549 fortzuſetzen. Von da ab kommt Johann als allei—
niger Firmeninhaber vor. Aus den Preſſen der Firma gingen von
1546—1562, ihrem Erlöſchen, 148 Drucke hervor.
Hanns Singriener war auch Buchhändler und hatte ſeinen
Buchladen im Biſchofshofe.
Quellen: Meyer, Wiens Buchdruckergeſchichte, Wien 1883.
— 905 —
Soſadt, H. Während Michael Lotter 1529 mit der Leip⸗
ziger Druckoffizin feines Vaters Melchior Lotter nach Magde-
burg zog (vergl. Bd. IV Seite 646 d. W.), übernahm den in Sachſens
Hauptſtadt zurückgebliebenen Buchhandel der aus Braunſchweig
ſtammende Henning Soſadt, der ſich nach 1532 „melchior Lot—
thers diener“ nennt. Soſadt wohnte in der Burgſtraße und hielt
ſeine Bücher auch in einer Bude auf dem Markte feil. 1537 erhielt
er das Leipziger Bürgerrecht. 1547 ſcheint er Kommiſſionär Hans
Löfflers in Wittenberg geweſen zu ſein, deſſen Güter damals
bekummert wurden. Ueber ſeine buchhändleriſche Tätigkeit, welche
ſehr bedeutend geweſen ſein muß, iſt bis jetzt nichts bekannt geworden.
Er ſtarb 1551, fein Bücherlager ging auf Chriſtoph Bird über
vergl. Bd. I Seite 63 ds. Werkes).
Quellen: Archiv f. Geſchichte d. deutſchen Buchhandels Bd. 11—13, 15, 17.
Spamer, Hugo. Der Berliner Verleger Hugo Spamer
wurde am 5. Juni 1846 in Leipzig geboren als Sohn des bekannten
Leipziger Verlagsbuchhändlers Otto Spamer, der ihn von An—
fang an zum buchhändleriſchen Berufe beſtimmte. Nach Abſolvierung
der höheren Schule in Leipzig trat Hugo als Lehrling in die Jaeger—
ſche Buchhandlung in Frankfurt a. M. ein. Seine Wanderjahre
führten ihn zu F. Volckmar in Leipzig und dann nach Zürich, wo
er als Geſchäftsführer der Firma Orell Füßli & Co. tätig war. 1876
trat an ihn das Anerbieten heran, als Vertreter mehrerer großen
Firmen während der Weltausſtellung in Philadelphia tätig zu ſein.
Spamer willigte ein und blieb auch nach Beendigung der Ausſtellung
noch einige Jahre im Dollarlande. 1879 eröffnete er unter feinem
Namen in Berlin eine Verlagsbuchhandlung, deren Grundlage eine
Berliner Vertretung des väterlichen Geſchäfts in Leipzig bildete.
Daneben pflegte er einen Verlag, der zwar keinen beſonders großen
Umfang annahm, ihm aber doch ſchöne Erfolge brachte. Namentlich
die Herausgabe muſtergültiger Schulbücher, beſonders ſolche für kauf—
männiſche Fortbildungsſchulen, betrachtete er als ſeine Hauptaufgabe.
Spamer hat aber auch neben ſeiner geſchäftlichen Tätigkeit
eine umfangreiche Wirkſamkeit entfaltet. Im Berliner Kommunal—
leben war er eine bekannte und hochgeſchätzte Perſönlichkeit, tief er—
füllt von der Pflicht, der notleidenden Menſchheit mit allen ſeinen
Kräften zu dienen. So ſehen wir ihn in einer großen Reihe von
Ehrenämtern: im Vorſtande des Berliner Armenvereins, des See—
mannsheims, als Vorſitzender des Kuratoriums der kaufmänniſchen
Fortbildungsſchulen, als Beiſitzer des Berliner Gewerbegerichts uſw.
— 906 —
Er ſtarb am 30. 1. 1901; die Firma verblieb im Beſitze feiner Witwe
Emilie Spamer geb. Amelung.
Quellen: Korporationsbericht der Berliner Buchhändler 1901.
Spamer, Otto. Der bekannte Verlagsbuchhändler Johann
Chriſtian Gottlieb Franz Otto Spamer ſtammte aus
Heſſen und wurde am 29. Auguſt 1820 in Darmſtadt als der Sohn
eines Forſtbeamten geboren. In dieſer Stadt genoß er auch den
erſten Unterricht, den der Lerneifer des Jünglings und des Mannes
ſpäter durch Selbſtſtudium ergänzte; in Darmſtadt trat er auch,
14 Jahre alt, in den Buchhandel, der ihn mächtig anzog, ein. Er
erlernte denſelben bei Eduard Heil und war dann als Gehilfe in der
Krebs'ſchen Buchhandlung in Aſchaffenburg, in Frankfurt a. M.,
Landau und Leipzig in Stellung. Hier 1842 eingezogen, in der
Metropole des deutſchen Buchhandels, erhielt er nicht nur Einblick
in den buchhändleriſchen Großverkehr, ſondern machte auch insbeſon—
dere hinſichtlich der illuſtrierten Literatur bei J. J. Weber eine nit-
liche Vorſchule für ſeine ſpäteren Unternehmungen durch.
Mit dem Jahre 1847 begann er ſeine ſelbſtändige Tätigkeit.
Sein früherer Lehrer, Dr. W. Waegener, beſchreibt in der „Wormſer
Zeitung“ dieſen Vorgang folgendermaßen: Unſer Spamer wollte
in die neue Welt auswandern, um dort des „Glückes Gunſt“ zu er—
ringen. Da warf ihm Weber das Wort hin: „Etablieren Sie ſich!“
— „Womit?“ fragte der junge Mann. „Ich beſitze keinen Marawedi.“
— „Ich gebe Ihnen die „Agronomiſche Zeitung“ und die „Gewerbe—
zeitung“. Ein Mann von Ihrer Geſchäftskenntnis und Arbeitskraft
kommt vorwärts.“ Im Vertrauen auf Erfahrungen, Kenntniffe,
Fleiß, Willenskraft und jene Ausdauer, welche ſich durch Beſiegung
von Schwierigkeiten mannigfacher Art erprobt hatten, unternahm er
das Wagnis. Indeſſen waren ihm zu Anfang Zeit und Verhältniſſe
nicht günſtig. Das verlegeriſche Schaffen Spamers bewegte ſich da—
mals noch in ſehr beſcheidenen Grenzen; von einer beſtimmt ausge—
ſprochenen Verlagsrichtung zeigte ſich noch keine Spur. Seine erſte
Publikation, welche er im Börſenblatt anzeigte, war „ein Porträt der
Sennora Lola Montez“. Erſt ſpäter fanden alle Beſtrebungen und
Wünſche Spamers ihren Mittelpunkt in dem einen Gedanken: der
Ausführung ſeiner Jugend- und Volksbildungspläne näher zu
kommen.
Ins Jahr 1851 fallen die früheſten Anſtrengungen, und als
deren Ergebnis die erſten Serien der „Illuſtrierten Jugend- und
Hausbibliothek“. Sie ſind gegenwärtig allenthalben bekannt, wo die
— 907 —
deutſche Sprache klingt. Dieſe Verbreitungs- und Fortbildungs—
ſchriften für das Haus und das Leben ſollten Unterhaltung bieten
durch neue Auffaſſung, Auswahl und Mannigfaltigkeit der Stoffe,
ſie ſollten das ganze Fortſchrittsleben der Gegenwart mit ſeinen alle
Schranken des Raumes überwindenden neuen Einrichtungen und
Ergebniſſen weltbewegender Erfindungen abſpiegeln. Es traten
dann die unter dem Sammeltitel „Maleriſche Feierſtunden“ ver—
einigten populären naturwiſſenſchaftlichen und geographiſchen Be⸗
lehrungsſchriften ins Leben.
Aus der Reihenfolge des „Illuſtrierten goldenen Kinder—
buches“ erſchienen raſch aufeinander L. Thomas' „Illuſtrierter
Kinderfreund“ und „Illuſtrierter Jugendfreund“, das nachmals
mächtig emporgewachſene „Buch denkwürdiger Erfindungen“, dann
das „Buch der Entdeckungen“ u. dergl.
Die ermunternde Aufnahme, deren fih das ſchon im Jahre
1851 in erſter Auflage erſchienene „Taſchenbuch für Kaufleute“ zu
erfreuen hatte, förderte die Idee der „Kaufmänniſchen Bibliothek“
zur Reife, und raſch entſtanden mehrere gleichfalls wohl aufge—
nommene, dem kaufmänniſchen Unterrichtsbedürfniſſe entſprechende
Werke, ſo der für das Aufblühen der Firma ſo wichtige Verlags—
artikel „Rothſchilds Taſchenbuch für Kaufleute“, deſſen ſtete Gang—
barkeit ſeit dem erſten Erſcheinen die Baſis ji viele weitgreifende
Unterndhmungen ſicherte.
Ein weiterer Markſtein in der Geſchichte der Firma bildet das
Inslebentreten der „Schule der Baukunſt“, an welches ſich natur—
gemäß die ſeitdem herangezogene gewerblich-techniſche Richtung an—
ſchloß, hinſichtlich derer ſich beiſpielsweiſe ſehr erfreuliche Ergebniſſe
in Bezug auf „Dr. E. Wincklers Rezepttaſchenbuch“ verzeichnen ließen.
Ein eigentümliches Zuſammentreffen unerwarteter Vorkomm—
niſſe beim Erſcheinen einiger Bändchen des „Illuſtrierten goldenen
Kinderbuches“ führte zur Vereinigung mehrerer Stoffe und Ideen
und gab den erſten Anſtoß zur Geſtaltung und Weiterführung des
„Buchs der Erfindungen, Gewerbe und Induſtrien“ in ſeinem heu—
tigen Umfange.
Die erſte Idee zu Otto Spamers „Illuſtriertem Konverſa—
tions-Lexikon“ an zurück bis in das Jahr 1846. Damals noch
im Geſchäfte von J. J. Weber angeſtellt, regte Spamer zum erſten
Male die 1 eines ſolchen Werkes an. Indeſſen blieb die
Sache auf ſich beruhen. Im Jahre 1868, im November, nahm jedoch
Otto Spamer den früheren Plan ſelbſt Wieder auf. Er begann die
Vorbereitung zur Herausgabe eines überſichtlichen und handlichen
— 908 —
illuſtrierten Nachſchlagebuches für den täglichen Gebrauch, das zu—
gleich ein „Orbis pictus“ für die reifere ſtudierende Jugend ſein
ſollte, und kaum fünfzehn Monate nach dem Erſcheinen des erſten
Heftes, kurze Zeit vor dem deutſch-franzöſiſchen Kriege, hatte ſich
die Auflage des Werkes auf 35 000 Exemplare gehoben.
Während des Kriegsjahres 1870 —71 erſchienen die erſten
„Illuſtrierten Kriegsberichte“ und die „Wacht am Rhein“. Daraus
ging eine „Illuſtrierte Chronik des deutſchen Nationalkrieges“
hervor. .
Infolge des Umſtandes, daß im Jahre 1874 ein eigenes
Grundſtück entſtand, war dem Geſchäfte eine weſentliche Erweite—
rungsfähigkeit gegeben; fie erſtreckte fich auf alle Teile der von Otto -
Spamer gepflegten graphiſchen Künſte, zog die artiſtiſche Anſtalt in
größerer Ausdehnung in ihren Bereich, ebenſo die Buchbinderei, und
wandte ſich vor allem der Errichtung einer eigenen Buchdruckerei zu.
Ein Blick auf die vielbändigen Werke wie: „Buch der Er—
findungen, Gewerbe und Induſtrien“, „Illuſtriertes Konverſations—
Lexikon“, „Illuſtriertes Bau-Lexikon“, „Illuſtrierte Weltgeſchichte“,
„Illuſtrierte Literaturgeſchichte“, „Illuſtrierte Geſchichte Preußens“,
„Unſer deutſches Land und Volk“ und das auf Anregung des königl.
preuß. Handelsminiſteriums herausgegebene „Adreßbuch deutſcher
Export⸗Firmen“ beweiſt zur Genüge dieſe das Haus rühmende Tat—
ſache; nicht minder die Herausgabe einzelner größerer, für Salon
und elegante Welt gedachter Prachtwerke, wie z. B. der großen Bio—
graphien über Kaiſer Wilhelm und Fürſt Bismarck, mehrerer um—
fangreicher Publikationen über das Sportweſen, insbeſondere Reit—
und Fahrſport.
Hätte Otto Spamer während der faft vierzig Jahre ſelbſtän—
digen Schaffens nur eine Reihenfolge guter und ſchöner Bücher her—
geſtellt, ſo wäre dies immerhin rühmenswert geweſen: er hätte aber
doch nur getan, was vor ihm eine Anzahl tüchtiger Fachgenoſſen auch
und nach manchen Richtungen vielleicht ſelbſt beſſer zuſtande gebracht
haben. Aber er hat einen guten Teil ſeiner gangbaren Bücher ſelbſt
und nicht nur dem Plane nach geſchaffen; ſeine „rechte Hand“ war,
wie er es mit eigenen Worten ſagte: „Franz Otto“, juſt derſelbe
ſchriftſtelleriſche Name, deſſen er ſich ſchon als junger Mann bei ſeinen
erſten literariſchen Verſuchen in unterfränkiſchen Blättern bediente.
Die Zahl der von Franz Otto herrührenden Werke iſt nicht gering.
Schon Mitte der fünfziger Jahre erſchien, durch Franz Otto ver—
beſſert, die zweite, und 1865 die folgende Auflage des „Skalpjägers“;
dieſem Buche folgte 1857 auf dem Fuße „Die Buſchjäger“. Weiterhin
— 909 —
N
in Verbindung mit anderen Autoren die „Vorbilder der Vaterlands—
liebe, des Hochſinns und der Tatkraft“, das „Buch denkwürdiger
Kinder“, im Winter 1864 die hiſtoriſche Erzählung „Der große König
und ſein Rekrut“, im Frühjahr 1863 das „Vaterländiſche Ehren—
buch“.
Im Jahre 1865 ward, gleichfalls mit Ed. Große, heraus—
gegeben das Buch „Wohltäter der Menſchheit“. Von 1868 bis 1869.
traten, von Franz Otto bearbeitet, hervor die „Neueren deutſchen
Geſchichten für die Kinderſtube“ und die „Neueſten deutſchen Ge—
ſchichten“. In die Jahre 1866 bis 1869 fällt das Erſcheinen des
großen Werkes „Das Buch berühmter Kaufleute“. Einer ſpäteren
Zeit entſtammen die Bändchen „Das Buch vom Alten Fritz“, „Der
neue Cäſar“, „Joſef II., der Menſchenfreund auf dem Throne“. MIs-
bald folgten „Tugendhafte Bürger der alten und neuen Welt“, dann
„Deutſche Dichter und Wiſſensfürſten“ und das „Vaterländiſche
Ehrenbuch“. Sodann bearbeitete Franz Otto „Aus dem Tabaks—
kollegium und der Zopfzeit“ und gab weiter heraus: „Wunderglaube
und Wirklichkeit“, „Unter Kobolden und Unholden“, „Reiſen im
Finſtern“.
Franz Otto war ebenſo vielſeitig als wähleriſch in ſeinen
Stoffen. |
Im Herbft 1873 erſchien von ihm ein neues prächtiges Buch:
„Der Jugend Lieblings-Märchenſchatz'. Es hat einen ſichtbar
dauernden, überaus günſtigen Erfolg gefunden. Franz Otto ver—
ſenkte ſich tief in den Gedanken, der Jugend durch auserwählte und
gediegene Märchen zu dienen. Er wollte die deutſche Jugend atemlos
lauſchen laſſen auf das Geflüſter der Sage, auf den Klang heimiſcher
Märchenpoeſie — und erreichte dies in wunderbarer Weiſe.
Treffend ſchildert C. Michael in ihrem „Beſuche bei Otto
Spamer“ den Schöpfer des Märchenſchatzes:
„Dort in Spamers Hof,“ ſagt ſie, „ſieht man die kernigen
Geſtalten ſeiner „Mäner eigener Kraft“, ſeiner „Wohltäter der
Menſchheit“ einherſchreiten; dort fühlt man den Geiſt, der das
„Kaiſer Wilhelm-“ und „Bismarckbuch“ geſchaffen hat —, aber in
Maxenſtein (dem Landſitze Spamers) tritt uns der unerſchöpfliche
Märchenerzähler entgegen.
Wer, wie ich, das Glück gehabt hat, Otto Spamer an einem
hellen Vollmondabend auf einem der niedrigen Bänkchen des Heinzel—
männchenſitzes zu ſehen, die kleine graue Geſtalt, halb verſteckt in blü—
henden Sträuchern, umſchwirrt von leuchtenden Johanniswürmchen
— wer ihn da aus fernen, längſt verklungenen Kindertagen erzählen
>=, 2010: ==
gehört, während tief unten die Zſchopau über das Mühlwehr rauſchte
und der Mond ſich tauſendfach in ihren Fluten ſpiegelte — der ver—
ſteht es, wie die duftigen Bilder des „Märchenſchatzes“ und deſſen
unvergleichlich hübſche Einleitung entſtanden ſind, der weiß es, wo
das wirkliche, echte, lebendige Heinzelmännchen zu finden, iſt, dem
Tauſend und Abertauſend vergnügte Lebensſtunden zu danken
haben!“ —
Otto Spamer ſtarb am 27. 11. 1886, das Geſchäft kam an
ſeine Erben, für deren Rechnung es Dr. M. Lange führte. Seit
dem 1. Juli 1889 ift Dr. Joſef Petersmann Beſitzer der alt-
renommierten Verlagshandlung.
; Quellen: Jubiläumskatalog 1872; Theden, F. O. Sp.; Börſenblatt f. d.
deutſch. Buchhandel 1886.
Spemann, W. Der Geheime Kommerzienrat, Verlagsbuch—
händler Johann Wilhelm Spemann wurde am 24. De-
zember 1844 als Sohn eines Rechtsanwalts in Unna in Weſt—
falen geboren. Der ſchwächliche Knabe verlebte ſeine Jugend
im elterlichen Hauſe in Dortmund, verlor ſeinen Vater ſchon
1851 und wurde bereits mit 17 Jahren gezwungen, das Gym—
naſium zu verlaſſen und die Winter 1862 und 1863 am Genfer-
ſee zu verbringen. Die Sommer dieſer Jahre ſtudierte er an
der Univerſität Zürich, wo er Viſcher, Scherr, Wislicenus, Clau—
ſius uſw. hörte. 1864 trat er bei Carl Hoffmann in Stuttgart
in die Lehre, 1866 war er 4 Monate bei F. Volckmar in Leipzig und
mußte, erneuter Anfälle ſeines aſthmatiſchen Leidens wegen, im
Herbſt 1866 Deutſchland verlaſſen und Italien aufſuchen. Er ver—
brachte den Winter 1866—67 in Rom in engem Verkehr mit den
Bewohnern des Kapitols wie mit der deutſchen Malerkolonie. 1867
lebte er in Mentone an der Riviera und trat dann 1868 als Pro—
kuriſt in die Julius Weiſe'ſche Hofbuchhandlung in
Stuttgart (gegr. 1826) ein. Dieſe Firma erwarb er 1870, trat fic
aber bereits 1874, als er ſeinen Verlag 1873 unter der Firma
W. Spemann begründet hatte, an Adolf Schmidt, den Sohn
des Beſitzers der bekannten Jugendſchriftenverlags-Firma Schmidt
& Spring in Stuttgart ab. Von nun an entfaltete Spemann
eine außerordentlich fruchtbare Verlagstätigkeit.
Das erſte größere Unternehmen war „Das Kunſthandwerk“,
herausgegeben von Bruno Bucher und Adolf Gnauth. Der Plan
war, die Schätze der kunſtgewerblichen Muſeen, die damals teils neu
eröffnet waren (Oeſterr. Muſeum in Wien, Kunſtgewerbe-Muſeum
— 911 —
in Berlin), teils neu organiſiert wurden, ſyſtematiſch zu publizieren.
Das geſchah, unterſtützt von dem kunſtverſtändigen Holzſchneider
Adolf Cloß, in muſtergültiger Weiſe. Da die Aetzverfahren noch in
den Anfängen lagen, die Photographie auf Holz kaum geübt wurde,
ſo mußte alles gezeichnet und dann geſchnitten werden. Das war
natürlich eine viel zu teure Herſtellung und das Unternehmen mußte,
nachdem 3 Bände erſchienen waren, aufgegeben werden. Dieſe Bände
ſind aber heute noch eine Muſterleiſtung. Die Redaktion hatte der
Verleger geführt, dem es dadurch beſchieden wurde, eine ſehr ein—
gehende Kenntnis des ee Beſtandes der Sammlungen
zu gewinnen.
Nach dieſem erſten Fehlſchlag, der den jungen unternehmenden
Verleger ein halbes Vermögen koſtete, kamen die Erfolge.
Es exiſtierte keine gute illuſtrierte Geographie, für welche der
Verleger den Herausgeber des „Auslandes“, Friedrich von Hellwald
gewann. Das Werk hatte einen ungewöhnlich ftarfen Erfolg, es
wurden in aller Kürze Ausgaben ia in ſämtlichen lebenden Spra—
chen veranſtaltet.
In die damalige Mode ae Prachtwerke griff Spemann mit
großer Energie ein. „Scherr's Germania, „v. Falke, Hellas und
Rom“, „Poten und Speyer, „Unſer Volk in Waffen“ brachten große
Reſultate.
Ein wachſender Verlag mußte aber darauf ausgehen, eine vor⸗
nehme Zeitſchrift zu beſitzen. Die Gründung der Monatsſchrift „Vom
Fels zum Meer“ war in jener Zeit im Buchhandel ein Ereignis.
1881 begann das Unternehmen, für welches Spemann mit ſicherem
Blick Joſef Kürſchner als Redakteur gewonnen hatte. Dieſer war
damals ein nahezu unbekannter junger Theaterſchriftſteller in Lich—
terfelde bei Berlin. Spemann erkannte aber ſeine Kraft, engagierte
ihn und in Verbindung mit dieſem ſeltenen Organiſationstalent ent-
ſtanden nun eine Reihe von Unternehmungen, welche prone machend
genannt werden durften.
Vom Fels zum Meer erreichte bald eine ſelten hohe Auflage.
Daran ſchloß ſich dann die „Collection Spemann“, welche in ihren
blauen Bänden den Namen des Herausgebers bis in die kleinſten
Orte trug. Alle dieſe Unternehmungen waren der Initiative Spe—
manns entſprungen. „Die deutſche Nationalliteratur“ in über 200
Bänden war ein Plan Kürſchners und wurde glänzend durchgeführt.
Ebenſo plante er das kleine 3 Mark-Lexikon, welches ſofort den
Markt eroberte, während das Quart-Lexikon ſchwerer Boden fand.
„Spemanns Schatzkäſtlein des guten Rats“, die Jugendzeitſchriften
— 912 —
„Der gute Kamerad“, „Das Kränzchen“, „Das neue Univerſum“
ſind noch jetzt ſehr beliebte Unternehmungen.
Während mit der 1882 in Berlin errichteten Zweignieder—
laſſung eine perſönliche Liebhaberei Spemanns, die Pflege der
Archäologie und des Verlags der Kgl. Muſeen betrieben wurde, ent—
wickelte ſich ein anderes Unternehmen zu großer Bedeutung. Die
Einführung der Stuhlmann'ſchen Zeichenmethode in den Volks—
ſchulen Preußens war eine Sache von großer Tragweite. Die Her—
ſtellung der Tafeln und der Holzmodelle erforderte eine ungeheure
Arbeit und die Verbreitung der Spemann-Stuhlmann'ſchen Zeichen—
hefte zählte nach vielen Millionen. Die raſche Durchführung dieſer
Methode war weſentlich der vortrefflichen Organiſation des Unter—
nehmens zu danken.
Die letzte Tätigkeit Spemanns war die Neuherausgabe des
Pierer'ſchen Konverſationslerxikons. Hierfür war Joſef Kürſchner
der richtige Mann und es gelang wirklich, neben den beſtehenden
Unternehmungen auch dieſes älteſte Lexikon wieder zum Leben und
zu einem glücklichen Ende zu bringen.
In der kurzen Zeit von 15 Jahren war das Geſchäft zu einem
der ausgedehnteſten im deutſchen Buchhandel erwachſen.
Nun zeigte es ſich als vorteilhaft, das Geſchäft mit der
Druckerei der Gebrüder Kröner (vergl. Bd. III S. 583) und
dem Hermann Schön lei n'ſchen Verlag (vergl. Seite 861
ds. Bds.) zu einer großen Geſchäftsorganiſation zu verſchmelzen,
welche am 1. Januar 1890 als Union Deutſche Verlags-
geſellſchaft gegründet wurde und in deren Beſitz die J. G.
Cotta'ſche Buchhandlung in Stuttgart überging. Spemann
blieb aber nur wenige Jahre in dieſer Vereinigung, übernahm 1896
ſeine Berliner Publikationen und damit ſeine Firma wieder und
wandte ſich nun wieder eigenen Plänen zu. Früchte dieſer neuen
Tätigkeit ſind das „Muſeum“, von dem 10 Jahrgänge erſchienen ſind,
die „Baukunſt“, „Spemanns Kunſtlexikon“, die „Kunſtkalender“, die
„Hauskunde“ in 7 Bänden uſw. Als einzelne Werke ſind bei ihm
weiter erſchienen „Hermann Grimms Michelangelo“ in großer illu—
ſtrierter Ausgabe, „Jakob Burckhardt's Griechiſche Kulturgeſchichte“,
„Carl Neumanns Rembrandt“, die Anatomie für Künſtler von
„Richer“, die Bücher von „Anton Kiſa“ und viele andere.
Für das Gemeinwohl des Buchhandels hat Spemann ſich ſtets
zur Arbeit bereit finden laſſen. 1883 wurde er im Reichsjuſtizamt
zu den Beratungen über die Literatur-Convention mit Frankreich,
1898 zu den Beratungen über das neue Urheberrecht, 1899 zu denen
—— ͤ—— 3 u m — an
— 913 —
über das Verlagsrecht zugezogen. 1893 war er Preisrichter für das
deutſche Reich auf der Weltausſtellung in Chicago, 1900 in Paris.
Dem Vorſtand des Börſenvereins gehörte er von 1880 bis 1883 an
und in dem Außerordentlichen Ausſchuß für Urheber- und Verlags⸗
recht führt er ſeit der Konſtituierung im Jahre 1893 den Vorſitz.
Sporer, H. Der Formſchneider Hans Sporer, aus Nürn-
berg ſtammend, kommt 1474 ebenda, etwas ſpäter in Bamberg als
„Hanns Buchdrucker“ vor. Hier wohnte er in der „Frauengaſſe
hinter Sankt Martins Pfarrkirche“ und trieb auch nach auswärts
Buchhandel. In Bamberg ſcheint er zeitweiſe der einzige Buchdrucker
geweſen zu ſein. 1493 nennt er ſich ſelbſt „Meiſter Hans Brief⸗
maler“. 1494 finden wir Sporer in Erfurt, wo er „zu den
Eynſideln bei Sant Veit“ wohnte. Er druckte hier bis 1504 und
wandte ſich dann nach Augsburg. Gegen 1519 ſiedelte er nach
Worms über und lieferte dort Drucke bis 1521. Er war unterdeſſen
lutheriſch geworden und betrieb nicht allein den Druck von Ree
formationsſchriften, ſondern auch den Abſatz ſolcher aus anderen
Druckereien. 1522 taucht er in Stuttgart auf und verbreitete, ob—
gleich Stuttgart damals noch katholiſch war, unter den Augen der
Regierung Schriften Luthers durch Druck und Buchhandel. Zuletzt
finden wir den unruhigen Wanderer 1526 in Reutlingen, um dann
ganz zu verſchwinden.
Sporer gehört zu den intereſſanten Perſönlichkeiten aus der
Wende des 15. zum 16. Jahrhundert, die Verleger, Buchdrucker,
Buchführer, Formſchneider und Accidenzarbeiter in einer Perſon
waren, mit geringer Einrichtung arbeiteten, fremde Einrichtungen
zeitweiſe benutzten, Gelegenheitsſchriften druckten, mit ihren und
Anderer Erzeugniſſen der Volksliteratur die Meſſen und Märkte
bezogen und auf ihrem unſtäten Wanderleben mächtige Förderer der
Verbreitung der Volks- und Reformationsliteratur waren.
Nachgewieſen ſind von Sporer mehr als 30 Drucke; u. a.
druckte er 1473 zu Nürnberg eine ganz in 24 Folioholztafeln ge⸗
ſchnitzte „Ars moriendi“, und 1475 eine deutſche Ausgabe der
Biblia pauperum, deren Schlußſchrift lautet: „Hans ſporer hat
diß puch pruff⸗moler“.
Quellen: Archiv f. Geſch. d. deutſchen Buchhandels Bd. 10 u. 20.
Springer, J. Julius Springer wurde zu Berlin am
10. Mai 1817 geboren. Er war das einzige Kind ſeiner Eltern.
Seine Mutter ſtarb wenige Wochen nach ſeiner Geburt. So wurde
ſeine Erziehung dem damals berühmten Cauer'ſchen Pädagogium
58
— 914 —
in Charlottenburg anvertraut, wo er als kaum zweijähriges Kind
in der Familie des Dirigenten die liebevollſte Aufnahme fand. Nach
Abſolvierung des Cauer'ſchen Inſtituts beſuchte er von 1829 ab zu
ſeiner weiteren Ausbildung noch das Berliniſche Gymnaſium zum
grauen Kloſter.
In der erſten Hälfte der dreißiger Jahre trat Springer in
die damalige Enslin'ſche Buchhandlung als Lehrling ein und gewann
in dem Beſitzer derſelben, G. W. F. Müller, einen Lehrherrn, der
bald genug mit dem ihm eigenen klaren Blicke die ganz beſonders
hervorragende geiſtige Befähigung ſeines neuen Zöglings erkannte
und ſich deſſen buchhändleriſcher Ausbildung mit ganz beſonderer
Hingebung und glänzendſtem Erfolge widmete.
Nach einer ſolchen, in hohem Grade fruchtbringenden Lehrzeit
hat Springer einige Jahre als Gehilfe in Zürich, Stuttgart, Paris
und in Berlin zugebracht, bis er im Mai 1842 in ſeiner Vaterſtadt
Berlin ſein eigenes Geſchäft gründete, nachdem er den früher ge—
hegten Plan, ſich in Lauſanne niederzulaſſen, aufgegeben hatte.
Er pflegte zunächſt neben dem Sortiment das Kommiſſions—
geſchäft und hat in beiden Zweigen ſeine Firma ſehr bald zu einer
der angeſehenſten emporgebracht.
Hatte Springer ſchon durch die Energie und ſeltene Arbeits—
tüchtigkeit, die ihn in dem eigenen, ſelbſtbegründeten Geſchäfte in
hohem Grade auszeichneten, die Aufmerkſamkeit unter den Kollegen
auf ſich zu lenken gewußt, ſo mußte ſeine Bedeutung noch mehr bei
perſönlicher Begegnung und in öffentlichen Verſammlungen hervor—
treten. Seine angenehme, gewinnende Perſönlichkeit, ſeine ſtets
ſchlagfertige Redegewandtheit, die Kühnheit und der Mut, mit denen
er ſeine Anſichten gegen Jedermann zu verteidigen wußte, machten
ihn bald zu einem der bedeutſamſten Mitglieder unter den Berliner
Genoſſen. So war er denn auch eifrig beteiligt bei der Begründung
der Berliner Korporation im November 1848, wie bei der Ein—
richtung der Berliner Korporationsanſtalten. Seit 1848 bis Ende
des Jahres 1876 mit alleiniger Ausnahme der Jahre 1869, 1870,
alſo volle 26 Jahre hindurch war Springer Mitglied des Vorſtandes
oder eines der Ausſchüſſe der Korporation der Berliner Buchhändler.
Es gab aber auch in der Tat keine gewichtige Frage im ge—
ſamten Buchhandel, der er nicht ſeine volle Teilnahme, ſein leben—
digſtes Intereſſe entgegengebracht hätte, und ſo iſt es nicht zu ver—
wundern, daß Springer von Mitte der vierziger Jahre an wohl bei
jeder gemeinſamen buchhändleriſchen Debatte, die in Berlin geführt
wurde, ſich lebhaft beteiligte und dabei als geiſtvoller und gewandter
— 915 —
„Verteidiger feiner oft originellen, immer aber hoch beachtenswerten
Anſchauungen unbewußt in den Vordergrund treten mußte.
Es würde zu weit führen, hier auf alle die Verhandlungen
zurückzugreifen, welche einzelne derartige Fragen hervorgerufen
haben. Anfangend bei den erſten Konflikten mit der Polizei infolge
der ſeit 1848 geänderten Geſetzgebung, bei den oft kleinlichen Chi—
kanen, wie ſie damals den Gewerbetreibenden bei Konfiskationen,
bei Bedrohung mit Entziehung der Konzeſſion uſw. geſpielt wurden,
müßte hier die ganze Epoche Hinckeldey geſchildert werden, um
Springer als den ſtets kampfbereiten, unerſchrocken immerfort für
das Recht der Geſamtheit kühn und mannhaft eintretenden Kämpen
hinzuſtellen.
Dann ſei erinnert an die Beſeitigung der Zeitungsſtempel—
ſteuer, an die Umwandlung des Meßagios. Auch dieſen und ähn—
lichen kleineren Anläſſen widmete Springer ſtets ſein volles ein—
gehendes Intereſſe und war ſtets auf dem Platze, wenn es galt, in
irgend welcher Beziehung dem gemeinſamen Weſen des Buchhandels
förderlich zu ſein.
Die Klärung der vielfachen dunklen und unſicheren Punkte
in unſerem Uſancen- und dem ganzen literariſchen Rechtsweſen war
ihm ſtets ein beſonders erwünſchter Anlaß, ſein klares, verſtändnis—
volles, von ſeltener Gedankenſchärfe zeugendes Urteil unbefangen
der allgemeinen Prüfung vorzulegen.
Eine natürliche Folge der lebhaften Anerkennung ſolcher Be—
ſtrebungen um Förderung der allgemeinen buchhändleriſchen In—
tereſſen war Springers Wahl zum Vorſteher des Börſenvereins. In
den ſechs Jahren feiner Amtstätigkeit (von Oſtermeſſe 1867-1873),
die durch ſeine unausgeſetzten Bemühungen zu einer wahren Glanz—
epoche in der Geſchichte des Börſenvereins geworden ſind, liegen
Momente genug, die unter ſeiner perſönlichen Mitwirkung zu dauern—
den Erfolgen geführt haben.
Auf dem Gebiet der Geſetzgebung fällt in jene Epoche das
Zuſtandekommen des Reichsgeſetzes über das Urheberrecht an Schrift—
werken 2c. vom 11. Juni 1870.
Auch die ſo wichtige und mühſelige Vorarbeit zur Aufſtellung
geeigneter Grundbeſtimmungen an Stelle der veralteten landrecht—
lichen Vorſchriften über den Verlagsvertrag iſt urſprünglich aus
Springers Anregung hervorgegangen.
Nicht minder hat ihn aufs lebhafteſte die Herſtellung des
Entwurfs eines internationalen literariſchen Normalvertrages be—
ſchäftigt. Zur Ausarbeitung eines ſolchen Entwurfs berief Springer
ne
— 916 —
im September 1871 eine buchhändleriſche Kommiſſion nach Heidel-
berg, welche ſich in mehrtägigen Beratungen über die Formulierung
der nötigen Beſtimmungen im Einklange mit dem Geſetze des Nord—
deutſchen Bundes vom 11. Juni 1870 einigte und ſo eine hinterher
vom preußiſchen Literariſchen Sachverſtändigen-Vereine geprüfte,
teilweiſe ergänzte und verbeſſerte Arbeit geliefert hat.
In die Zeit ſeiner Amtsführung als Vorſteher des Börſen—
vereins fällt auch der Uebergang des alleinigen Eigentums an dem
Börſengebäude nebſt Inventarium auf den Börſenverein (Oſtermeſſe
1869). Von ſeiner lebhaften Fürſorge für die Bibliothek des Börſen—
vereins zeugen ſeine Beſtrebungen gleichfalls. Die hierzu nötigen
Mittel wurden bereitwillig von der Hauptverſammlung gewährt,
und ſo hat man Springer die verbeſſerte Einrichtung und Auf—
ſtellung der Bibliothek, ſowie die Herausgabe genauer Kataloge zu
verdanken. Ebenſo lag es ihm am Herzen, den redaktionellen Teil
des Börſenblattes reicher auszuſtatten, zu welchem Behufe eine höhere
Etatspoſition dem Vorſtande zur Verfügung geſtellt wurde.
Mehrfach von glücklichen Verlagsunternehmungen angeregt,
übergab er im Januar 1858 das Sortiments- und Kommiſſions—
geſchäft ſeinem Nachfolger Carl Gütſchow und widmete ſich von
da ab ausſchließlich ſeinem Verlage. Nach Gütſchows Tode gingen
jene Zweige des Geſchäfts im Februar 1862 auf George und Max
Winckelmann, ſpäter auf Max Winckelmann allein und
im April 1877 auf Georg Winckelmann (Sohn) über.
„Wenn die Sorge um die Exiſtenz des Einzelnen und ſeiner
Familie beſeitigt, dann tritt an ihn die Verpflichtung heran, ſeine
Kräfte dem allgemeinen Wohle zuzuwenden.“ So etwa ſprach
Springer fich gelegentlich über feine vielſeitige Kommunal-Tätigkeit
aus, die nicht unerwähnt bleiben darf.
Schon 1848 war ihm, dem damals kaum Z31jährigen, von
ſeinen Mitbürgern das Amt eines Berliner Stadtverordneten über:
tragen worden, das er drei Jahre hindurch innehatte. Wie ſehr aber
ſchon in jener jugendlichen Epoche Springers Bedeutung ſich fund-
gab, geht wohl daraus hervor, daß ihm 1848—1849 das Amt des
Schriftführers in der Stadtverordneten-Verſammlung verliehen
wurde, mit welchem Amte damals zugleich die Vertretung des Vor—
ſtehers verbunden war. Später hat Springer die Aemter eines
Bezirksvorſtehers, Schiedsmannes und ähnliche Kommunal-Stellun⸗
gen bekleidet, bis er im Jahre 1869 wiederum in die Stadtverord—
neten⸗kverſammlung gewählt wurde.
———ü—ñ ——— 2 ——— — — — . — — — — —
— 917 —
Es gab kaum ein Amt in der Selbſtverwaltung, in das nicht
Springer durch das Vertrauen ſeiner Mitbürger berufen worden
wäre. Seiner politiſchen Ueberzeugung nach gehörte er von Anfang
an ſtets der entſchieden freiſinnigen Richtung an und iſt derſelben
unwandelbar treu geblieben. Auch der Einführung der neuen Ge—
meindeverfaſſung der evangeliſchen Kirche widmete er ſich mit leb—
haftem Intereſſe und gehörte ſeit dem Beſtehen der neuen Ordnung
dem Kirchenrate der Berliner Sophien-Gemeinde an.
Der Charakter des Springer'ſchen Verlages iſt im Buchhandel
hinlänglich bekannt. Anfangs bot derſelbe lediglich Tagesbroſchüren,
kleine politiſche und volkswirtſchaftliche Erörterungen; bald aber
richtete Springer ſein Augenmerk auf die Herausgabe techniſcher,
pharmaceutiſcher, forſtwiſſenſchaftlicher, juriſtiſcher und ſtaatswiſſen⸗
ſchaftlicher Werke und hat auf dieſen verſchiedenen Gebieten ſehr
Anerkennenswertes geleiſtet. Einer perſönlichen Vorliebe nach—
gebend, hat er auch die Schachliteratur in hervorragenden Erſcheinun—
gen zu bereichern gewußt. Seine Geſchäftsklugheit, die bei aller
Schnelligkeit im Handeln doch eine beſonnene Ueberlegung nie außer
acht ließ, trug ihm hier eine Reihe namhafter Erfolge ein, welche
ſeinem Verlage in den angedeuteten Zweigen der praktiſchen Literatur
eine bevorzugte Stelle einräumen mußten. Von belletriſtiſcher Li—
teratur hat Springer mit beſonderem Glücke eigentlich nur die Werke
des ihm aus feinen mehrfach wiederholten Beſuchen der Schweiz per-
ſönlich bekannt gewordenen Pfarrers Bitzius (Jeremias Gotthelf)
in verſchiedenen Einzel- und Geſamtausgaben verlegt. Es konnte
dieſer Verſuch für einen norddeutſchen Verleger als ein Wagnis be—
trachtet werden, da der Schwerpunkt des Abſatzes hierfür doch nur
in der Schweiz zu ſuchen war. Indeſſen hat Springer bei dem
glücklichen Erfolge dieſes Unternehmens nie das Wagnis zu bereuen
gehabt. |
Eine kurze Ueberſicht über den ausgedehnten Springer'ſchen
Verlag möge erweiſen, daß die Grundſätze, die der Begründer feſt—
gelegt, auch von ſeinen Nachfolgern nicht nur feſtgehalten, ſondern
in ganz hervorragendem Maße erweitert wurden, umfaßt doch der
Geſamtverlagskatalog nicht weniger als 275 Seiten in Groß-Oktav⸗
format. Aus dem Gebiete der Bau- und Ingenieurwiſſenſchaft ein—
ſchließlich der mechaniſchen Technologie erwähnen wir die Namen
Dr. Herm. Grothe, Siemens, Woas, Riedler, Joly, Johow, Huben—
thal, Herzberg, Pfuhl, Rietſchel, Schnabel etc., ſowie den Ingenieur:
kalender (ſeit 1879), Jahrbuch der Schiffbautechniſchen Geſellſchaft,
Kalender für den Berg- und Hüttenmann (1852 uff.), Wochenſchrift
und Zeitſchrift des Vereins deutſcher Ingenieure (ſeit 1882), vordem
— 918 —
Verlag von R. Gaertners Verlag in Berlin) uf. Auf dem
Gebiete der Elektrotechnik treffen ſich im Springer'ſchen Verlage alle
Kapazitäten, wir nennen nur Arnold, Bernſtein, du Bois, Dub,
Grawinkel, Kohlrauſch, Kolbe, Maxwell, May, Niethammer uſw.
Die Chemie und chemiſche Technologie verzeichnet Namen wie
Aßmuß, Belling, Biſchoff, Deite, Elsner, Hager, Huſemann, Jeſerich,
König, Mierzinski, L. Müller, Peterſen, Pubetz, Reimann, Windiſch
uſw., außerdem die Zeitſchrift für angewandte Chemie (ſeit 1888),
für Unterſuchung der Nahrungs- und Genußmittel (ſeit 1898) etc.
Phyſik, Mathematik und Mineralogie ſind ebenfalls reich vertreten,
darunter Namen wie Gauß, Goldſchmidt, Jordan, Riemann,
Thomſen, W. Weber, Weierſtraß, Weinſtein u. v. a. Aus dem
Gebiete der Pharmazie, Medizin und Hygiene nennen wir das Adreß—
buch für den deutſchen Arznei- etc. Handel, Werke von Bell, Biechele,
Böttger, Buchhaiſter, Busley, Elsner, von Esmarch, Flückiger und
Tſchirch, Fränkel, Hager, Huſemann, König, Potonié, Runge,
Schleich, Windiſch, Zopf, ſowie die Pharmazeutiſche Zeitung (ſeit
1886).
Auch die Forſt- und Landwirtſchaft einſchließlich Botanik und
Bodenkunde iſt reichlich im Verlage vertreten. Es ſeien genannt
die Arbeiten von v. Alten, Altum, Behm, Bernhardt, Borggreve,
Danckelmann, v. Fiſchbach, Geyer, Grothe, Hartig, Heck, Kienitz,
Löffler, Mayr, Müttrich, Ramann, Remelé, Runnebaum, Schneider,
Schubert, Schwappach, Weiſe, Weſtermeier und Wieſe. Außerdem
erwähnen wir den Forſt- und Jagdkalender, die Forſtliche Zeitſchrift
und die ſeit 1869 erſcheinende Zeitſchrift für Forſt- und Jagdweſen.
1880 wurde der Verlagsbuchhandlung der Verlag des „Reichs—
kursbuches“ übertragen. Damals betrug die Auflage 36 000, heute
über 120 000 Exemplare.
Der Begründer der Firma, Julius Springer, ſtarb am 17. 4.
1877. Die Führung des Geſchäftes übernahm ſein Sohn Ferdi—
nand Springer. Dieſer war am 21. Juli 1846 zu Berlin
geboren. Nachdem er das dortige Friedrichs-Gymnaſium, ſowie die
Landesſchule Pforta beſucht hatte, erhielt er in den Jahren 1864 bis
1870 ſeine buchhändleriſche Ausbildung in den Firmen W. Hertz
(Beſſerſche Buchhandlung) in Berlin, Carl Ed. Müllers Buchhandlung
in Bremen uſw. und nahm dann am deutſch-franzöſiſchen Kriege teil.
1871 trat er in das von ſeinem Vater gegründete Geſchäft ein, wurde
am 1. Januar 1872 Teilhaber, nach dem Tode des Gründers
alleiniger Inhaber der Firma, in die er am 1. Januar 1880 ſeinen
jüngeren Bruder Fritz Springer als Mitbeſitzer aufnahm.
Der Verlag hatte inzwiſchen einen großen Umfang angenommen.
— 919 —
Namentlich pflegte er die Elektrotechnik; jo find ſämtliche Schriften
von Werner Siemens, auch deſſen Lebenserinnerungen — hier er—
ſchienen. Neben einer Reihe grundlegender Werke hat er auch
mehrere hierher gehörige Zeitſchriften — wir erwähnen u. a. „Thera⸗
peutiſche Monatshefte“, „Elektrotechniſche Zeitſchrift“, „Die Merk—
blätter“ und ſonſtige Veröffentlichungen des Kaiſerlichen Geſund—
heitsamts — ins Leben gerufen. Ferdinand Springer ſtarb am
27. 12. 1906. Kurz vorher waren Julius Springer jr. und
Ferdinand Springer jr. in die Firma als Teilhaber aufge—
nommen worden.
Quellen: Börſenblatt f. d. deutſch. Buchhandel, 1877 uff.; Voſſiſche Bei-
tung 1906; Verlagskataloge 1900 uff. |
Staackmann, L. Johannes Auguſt Ludwig Staadmann
entſtammte einer urſprünglich in Stadthagen in Lippe anſäſſig ge⸗
weſenen bürgerlichen Familie, von der ein Zweig nach dem Braun:
ſchweigiſchen übergeſiedelt war. Staackmann wurde am 3. Juni 1830
als zweiter Sohn des Bäckermeiſters Staackmann zu Wolfenbüttel
geboren. Mit 14 Jahren trat er bei einem Kaufmann in die Lehre,
benutzte aber daneben mit peinlichſter Gewiſſenhaftigkeit jede Frei⸗
ſtunde zum Privatſtudium in Literatur, Sprachen und klaſſiſchen
Wiſſenſchaften. Mit 17 Jahren kam er als Kommis in ein Braun⸗
ſchweiger Bankgeſchäft. Neben ſeiner geſchäftlichen Begabung brach
damals ſeine aeſthetiſch-literariſche Ader durch, er ſchrieb fo treffliche
Theaterkritiken, daß die Braunſchweiger hinter dem wohlbeſchlagenen
Anonymus irgend eine literariſche Größe vermuteten. Nach ein⸗
jährigem Militärdienſt trat Staackmann 1851 in ein Kolonialwaren⸗
haus in Halle a. S. als Kommis ein. 1857 ſiedelte er nach Leipzig
über und war hier 10 Jahre lang in dem Bank- und Speditions⸗
haus A. Lieberoth tätig. In dieſe Zeit fällt ſeine Freundſchaft mit
Friedrich Spielhagen, die ihn 1868 zum Entſchluß brachte Buch—
händler zu werden. Im gleichen Jahre trat er deswegen als
Sozius bei ſeinem Freunde Friedrich Loewe ein, mit dem er
alsbald unter der Firma Loewe & Staackmann das zweite Bar-
ſortiment in Leipzig gründete. Gleich ſeine erſte Idee, die Ein-
führung geſchmackvoll gebundener Muſikalien in der damals auf den
Plan kommenden beiſpiellos billigen und guten Edition Peters hatte
ungeahnten Erfolg. 1869 ſtellte ſich Staadmann mit dem Bar⸗
ſortiment ganz auf eigene Füße und erwarb von ſeinem Freunde
Johann Ambroſius Barth jun. deſſen unter der Firma Hans
Barth geführtes Kommiſſionsgeſchäft, das in ſeinen Grundlagen
aus dem alten Ignaz Jackowitzſchen Kommittendenkreiſe beſtand.
— 920 —
Die Verbindungen mehrten ſich und das Barſortiment wuchs langſam,
aber ſicher heran. In die Anfangsjahre dieſer Unternehmungen fällt
auch die Uebernahme des Verlages der Werke Fr. Spielhagens,
denen ſich 1894 derjenige der Werke Peter Roſeggers zugeſellte.
Staackmann ſtarb am 13. 12. 1896; in der Geſchäftsführung
folgten ihm ſeine Söhne Alfred und Hans Staackmann.
Quellen: Lindner, L. St. t, Bremen 1897.
Stahel, R. Als Stammvater des Buchhändlergeſchlechtes
der Stahel in Würzburg wird der Kaufmann, Rotgerber und Bürger-
meifter Reinerus Stahel genannt, deſſen am 11. November
1723 geborener Sohn, Johann Jakob Stahel, unterm 3. Mai
1753 in Würzburg als Bürger und Buchhändler angenommen wurde
unter den Bedingungen, daß er keine verbotenen oder verdächtigen
Bücher, noch ſolche, welche der katholiſchen Religion und guten Sitten
nachteilig ſein würden, führe, und die bürgerlichen Laſten entrichte.
Am 23. Mai 1753 erhielt er von dem damaligen Fürſtbiſchof Karl
Philipp von Greifenklau, Herzog von Franken, die Konzeſſion zur
Errichtung und Führung einer Buchhandlung in Würzburg, die er
„Sta he l'ſche Buchhandlung“ nannte. |
1763 kaufte er „mit Vorwiſſen der Hochfürſtlichen Regierung“
die Kleyer'ſche Univerſitätsbuchdruckerei in Würz⸗
burg, und da nach damaligen Zunftgeſetzen zur Errichtung einer
Buchdruckerei der Nachweis der erforderlichen Fachkenntniſſe not-
wendig war, entſchloß ſich der bereits im 40. Lebensjahre ſtehende,
wie es in der Urkunde heißt, „berühmte Buchhaendler Johann Jacob
Stahel“, die Buchdruckerkunſt noch zu erlernen. Zu dieſem Zwecke
ſtellte ex fic) der „Buchdrucker⸗Geſellſchaft in der kaiſerlichen freien
Reichsſtadt Frankfurt a. M.“ vor und erhielt die Erlaubnis, bei dem
Buchdrucker und Buchhändler Heinrich Ludwig Brönner von der
Herbſtmeſſe 1763 bis dahin 1766 in die Lehre zu gehen, wobei ihm
im voraus das vierte Lehrjahr erlaſſen wurde. Am 11. September
1765 wurde er in die Buchdrucker-Geſellſchaft aufgenommen. Damit
aber die „Staheliſche Buchdruckerey“ einſtweilen fort-
geführt werden könne, hatte die Buchdrucker-Geſellſchaft Chriſtoph
Wolfgang Kohles zum Faktor eingeſetzt und beſtimmt, daß während
dieſer Zeit die Bücher unter des Faktors Namen gedruckt werden
folen. 1765 begründete Johann Jakob Stahel ſowohl eine Filial⸗
buchhandlung in Bamberg als auch in Fulda. In ſeinem Verlage
erſchien mehrere Jahre das Intelligenzblatt, welches mit dem Jahre
1749 die Juden Schmuel Jonas und deſſen Sohn Hirſch Schmuel
von Heidingsfeld und Feiſt Carlbach von Heidelberg mit fürſtbiſchöf—
— 921 —
licher Bewilligung, gegen eine jährliche Abgabe von 25 fl. an das
Aerar, unter dem Titel „Frag- und Anzeigungs-Nachrichten“ be⸗
gründet und herausgegeben hatten.
Zu den Unzuträglichkeiten jener Zeit gehörten damals die
Viſitationen der Buchläden. Die Durchſuchung des Stahel'ſchen
Buchladens hatte zwei Tage in Anſpruch genommen und bis zum
4. Juli 1781 gedauert. Hierbei wurden im ganzen 54 Schriften
als verdächtig befunden, darunter 16 von Voltaire, 4 von Rouſſeau
und 15 von Wieland.
Am 26. September 1766 wurde Stahel ein Privilegium
exclusivum auf 10 Jahre erteilt für die „Theologia universa
moralis et speculativa” (Bibliothek der Kirchenväter). Auch Stahels
Sohn, Dr. Veit Jofeph Stahel in Wien, erhielt zuſammen
mit Georg Joachim Göſchen in Leipzig unterm 23. März
1787 ein vom Kaiſer bewilligtes und eigenhändig unterzeichnetes
Originalprivilegium für die Goethe'ſchen Schriften (Wien und
Leipzig bey J. Stahel und G. J. Göſchen 1787—1790) nebſt ver:
ſichertem Schutz gegen Nachdruck.
Archivrat Könnecke ſchreibt im „Heſſ. Buchdruckerbuch“:
Stahels Geſchäft in Fulda war — im Verhältniſſe zu ſeinen
Vorgängern — ein bedeutendes, da er mit Kapital arbeitete und
nicht mit Geldnot zu kämpfen hatte. Er hat ſehr viele Univerfitäts-
ſchriften, Schul- und Erbauungsbücher und offizielle Erlaſſe und
Verordnungen für die Regierung gedruckt. Das beſte Geſchäft aber
hat er mit dem Fuldaer Landfalender gemacht. Auf die Ausübung
ſeines Privilegiums als ein für das Fürſtentum Fulda ausſchließ—
liches hielt er ſehr ſtreng. Den Druck der einzigen Fuldaer Zeitung:
„Fuldiſche wöchentliche Polizei-, Kommerzien- und Zeitungsanzeiger“
ſetzte er fort. —
Nach dem am 21. Mai 1787 erfolgten Ableben Johann Jakob
Stahels führte ſeine Witwe die Geſchäfte anfänglich allein fort, nahm
1791 ihren jüngſten Sohn Johann Kaspar Stahel in Fulda
und 1801 ihren Sohn Dr. Veit Joſeph ins Geſchäft auf. Am 1. Juli
1801 war auch Johann Kaspar aus dem Leben geſchieden, ſo daß
Dr. Veit Joſeph nunmehr Alleinbeſitzer der Stahel'ſchen Buchhand—
lungen und Druckereien in Würzburg und Fulda war.
Am 14. Januar 1762 in Würzburg geboren und durch große
Begabung ausgezeichnet, lag Veit Joſeph Stahel mit beſonderem
Eifer ſeinen Studien an der Würzburger Univerſität ob und pro—
movierte hier zum Doktor der Philoſophie. In den Jahren 1780
bis 1801 lebte er in Wien und Graz. In Wien eröffnete er 1783
eine „Stahel'ſche Buchhandlung“, die er ſpäter ſeinem Schwager
Leopold Karl Dietrich Schaumburg übergab, deffen
Sohn Fritz Schaumburg nach dem Tode ſeines Vaters das
Geſchäft erhielt. In Graz war Stahel Stadtrat und zur Zeit der
franzöſiſchen Invaſion „Procureur de la Commune“. Als Depu—
tierter der Landeskommiſſion bei General Bonaparte erwarb er ſich
1797 großes Verdienſt um das Wohl von Graz und ganz Steiermark,
indem er, obwohl umſtellt von franzöſiſchen Bajonetten, durch ſein
energiſches Auftreten gegen dieſen die Leiſtung einer wöchentlichen
Kontribution von 100 000 fl. verhinderte. 4
Nach dem Verkauf des Geſchäftes in Fulda konnte Dr. Stahel
ſeine ganze Kraft nunmehr dem Würzburger Geſchäfte widmen,
welches er zu hoher Blüte brachte. Seit 1803 gab er die Würzburger
Zeitung heraus, welche Profeſſor Klebe unter dem Namen „Frän—
kiſche Staat3- und Gelehrten-Zeitung“ begründet hatte und die zur
Zeit unter dem Titel „Neue Würzburger Zeitung, Würzburger Mn-
zeiger und Handelsblatt“ nebſt dem Beiblatt „Mnemoſyne“ erſcheint.
Auch die rühmlich bekannten theologiſchen Zeitſchriften „Allgemeiner
Religions- und Kirchenfreund“ und „Athanaſia“ erſchienen in ſeinem
Verlage. Welchen Aufſchwung ſchon damals der Verlag genommen
hatte, geht aus einer im Jahre 1803 von ihm verfaßten Schrift
„Ueber den Zuſtand des Buchhandels in Würzburg“ hervor, in
welcher es heißt, daß ſeit der Einrichtung der Buchdruckerei bis dahin
die Summe von 700 000 fl. für Herausgabe von Verlagswerken
verausgabt wurde.
Am 25. Juni 1805 erwarb Dr. Stahel die Geb ch
Buchdruckerei in Mergentheim, die er aber ſchon am 10. De-
zember 1808 an ſeinen Faktor Johann Georg Thom verkaufte.
Im Auguſt 1815 verkaufte er auch die Stahel'ſche Druckerei in Würz—
burg an Stephan Richter aus Marktbreit (vergl. Seite 820
ds. B.). — Im Jahre 1818 zog er ſich vom Buchhandel zurück und
lebte ſeinen Privatſtudien, als deren Früchte u. a. die Ueberſetzung
von „Goldſmith's Geſchichte der Römer“ (1. Aufl. 1790, 3. Aufl.
1828) und „Goldſmith's Geſchichte der Griechen“ (1. Aufl. 1802,
3. Aufl. 1828) hervorging.
Seine beiden älteſten Söhne. Johann Conrad Stahel
(geboren 10. April 1789 in Wien) und Joſeph Ignaz Stahel
(geboren 30. Juli 1790 ebenda) übernahmen nunmehr die Firma
und blieben bis 1832, in welchem Jahre am 27. September ihr Vater
ſtarb, gemeinſame Leiter des Geſchäfts. Zu dieſer Zeit zog ſich auch
Joſeph Ignaz vom Geſchäfte zurück, indem er ſeinen Anteil an ſeinen
jüngeren Bruder Carl Stahel, der erſt 1828 vom Kaufmanns—
ſtande zum Buchhandel übergetreten war, abtrat. Carl Stahel ging
——— een: — . =
— 923 —
am 8. Januar 1845 mit Tod ab, wodurch J. C. Stahel un
Beſitzer der Stahel'ſchen Buchhandlung wurde.
Inzwiſchen hatte 1844 der jüngſte der Söhne des Dr. Veit
Stahel, Ludwig Stahel, eine eigene Buchhandlung errichtet.
die jedoch bereits nach 4 Jahren infolge des Ablebens des Beſitzers
1848 mit dem Stammhauſe vereinigt wurde.
J. C. Stahel, den jahrelanges gichtiſches Leiden ans Zimmer
gefeſſelt hatte, rief im Spätherbſt 1852 ſeinen älteſten Sohn Veit
Joſeph Stahel (II) aus Neapel zurück. Bereits am 16. Fe—
bruar 1853 ſtarb Johann Conrad im 64. Lebensjahre. Die Leitung
des Hauſes übernahm nun Veit Joſeph, bis er 1855 im Alter von
27 Jahren als Teilhaber aufgenommen wurde. Am 15. Januar 1828
in Würzburg geboren, erhielt er in ſeiner Jugend eine vortreffliche
Erziehung und jene weitgehende Ausbildung, die ſein ſpäterer Beruf
als Vermittler der geiſtigen Produktion der Gelehrtenwelt in hohem
Grade erheiſcht. In den Stellungen, welche er in Augsburg, Linz,
Wien, Mailand, Rom und Neapel bekleidete, ſchätzte man ihn als
ebenſo tüchtigen wie liebenswürdigen Kollegen und ſeine geſellſchaft—
lichen Vorzüge trugen nicht wenig zu feiner allgemeinen Beliebtheit
bei. Seiner Schaffensfreudigkeit und Unternehmungsluſt gab er
zuerst dadurch Ausdruck, daß er im Herbſt 1853 den Umbau des Ge-
ſchäftshauſes veranlaßte und für die eigenen Zwecke der Buchhand—
lung am 3. Mai eine Buchdruckerei eröffnete. Er nahm ſeinen jün—
geren Bruder Heinrich Stahel, der vom 25. September 1859
bis dahin in der Buchhandlung tätig war, als Geſchäftsleiter für die
Druckerei auf, in welcher Eigenſchaft er bis zum Jahre 1885 verblieb,
wo er Mitteilhaber der Druckerei wurde.
1862 trat fein jüngerer Bruder Ignaz Stabel als Mit-
teilhaber in Buchhandlung und Buchdruckerei ein. Am 28. Oktober
1834 geboren, hatte dieſer im eigenen Hauſe ſeine Lehrzeit durch—
gemacht, worauf er bei Eduard Hölzel in Olmütz, in der Kaiſer'ſchen
Buchhandlung in Luzern, bei Schnuphaſe in Altenburg, bei Adolf
Münx in St. Petersburg und endlich im väterlichen Sortiments—
geſchäfte tätig war, deſſen Leitung er ſich fortab allein mit ſeltener
Tüchtigkeit und Gewandtheit widmete. — Eine am 1. Juli 1869 in
der benachbarten Stadt Kitzingen von Joſeph Stahel begründete
Filial⸗Buchhandlung ging, als die Würzburger . ihn mehr
und mehr in Anſpruch nahmen, am 1. Januar 1884 an J. Bedacht
über.
Am 1. Juli 1889 erlag Joſeph Stahel einem langſam ſich
ſteigernden Magenleiden. Von ſeinen fünf Söhnen widmeten ſich
zwei dem Buchhandel. Oscar Stahel, am 25. September 1861
in Würzburg geboren, genoß nach dem Beſuch des Gymnaſiums feine
buchhändleriſche Ausbildung in der Baerecke'ſchen Hofbuchhandlung
in Eiſenach, ſetzte dieſelbe in der altangeſehenen Jaeger'ſchen Buch—
handlung in Frankfurt am Main fort, um ſich alsdann auf ſeine
ſpätere verlegeriſche Tätigkeit in der Literariſchen Anſtalt dortſelbſt,
ſowie in Leipzig in der A. G. Liebeskind'ſchen Verlagsbuchhandlung
vorzubereiten.
Gleichzeitig mit ihm trat aud Auguft Joſef Stahel
ein. Geboren am 31. Oktober 1863 widmete ſich dieſer nach Abſol—
vierung des humaniſtiſchen Gymnaſiums den Univerſitätsſtudien in
Würzburg und München, erlernte in der Lindauer'ſchen Buchhand—
lung in München den Buchhandel und befand ſich bei Herm. Seippel
in Hamburg und in der Ricker'ſchen Buchhandlung in St. Peters-
burg in Stellung. Die „Neue Würzburger Zeitung“ ging am 1. Ja-
nuar 1893 im 90. Jahrgange durch Kauf an den bisherigen Redak—
teur C. Huhn über.
Die Veröffentlichungen des Verlags im Verlauf der Zeiten
bewegen ſich im Rahmen verſchiedener Richtungen. — Solange
Würzburg unter geiſtlicher Herrſchaft ſtand, war naturgemäß die
katholiſch⸗theologiſche Richtung die vorherrſchende und blieb es auch
ſpäter noch. Erft Mitte des 19. Jahrhunderts tritt ein Ueberwiegen
der Erſcheinungen der übrigen wiſſenſchaftlichen Gebiete hervor, vor
allem der mediziniſch-naturwiſſenſchaftlichen und der rechts- und
ſtaatswiſſenſchaftlichen. Auf dem Gebiet der Medizin und Natur—
wiſſenſchaften finden wir Arbeiten von Eiſenmann, Siebold, Textor,
dem Orthopäden J. G. Heine, die bahnbrechenden Arbeiten
v. Tröltſch's auf dem Gebiete der Ohrenheilkunde, diejenigen des
Gynacfologen v. Scanzoni, dann J. B. Friedreich, der fih gleidh-
zeitig durch philoſophiſche Werke hervortat, Adolf Kußmaul, mit
mehreren größeren Werken, ferner die Botaniker v. Sachs und Nees
v. Eſenbeck, letzterer mit dem epochemachenden Werk „Syſtem der
Pilze“, von dem Zoologen Semper und in neuerer Zeit die Namen
Adolf Fick, des vergleichenden Anatomen Albert v. Kölliker, des
Pſychiaters Rieger, des Chirurgen und Orthopäden Hoffa, des Ehe-
mikers Emil Fiſcher, des Botanikers Hanſen, des Geologen Sand—
berger u. a. Auch hervorragende periodiſche Erſcheinungen auf dieſem
Gebiete ſind vorhanden: Das „Archiv für Ohrenheilkunde“, „Cann—
ſtatt's Jahresberichte über die Fortſchritte der geſamten Medizin“,
die „Pharmakologiſchen Unterſuchungen“ von Roßbach, „Arbeiten
aus dem phyſiologiſchen Laboratorium der Würzburger Hochſchule“
von Ad. Fick, „Arbeiten aus dem zoologiſch-zootomiſchen Inſtitut
in Würzburg“, herausgegeben von Semper, die „Würzburger medi⸗
— 925 —
ziniſche Zeitſchrift“ und „Würzburger naturwiſſenſchaftliche Zeit—
ſchrift“, die ſpäter als „Verhandlungen“ und „Sitzungsberichte der
Phyſikaliſch⸗mediziniſchen Geſellſchaft“ fortgeführt wurden und in
10 Bänden der alten Reihe und 33 Bänden der „Neuen Folge“ im
Stahel'ſchen Verlage erſchienen ſind. Die für den praktiſchen Arzt
beſtimmten „Aerztlichen Geſchäftsbücher“ wären hier auch noch zu
erwähnen, ferner daß die erſten Veröffentlichungen über eine der
hervorragendſten wiſſenſchaftlichen Entdeckungen der neueren Zeit,
der X⸗Strahlen durch Profeſſor Röntgen, durch den Stahel'ſchen
Verlag ſtattgefunden hat.
Was die Rechts- und Staatswiſſenſchaft anlangt, ſo ſind hier
zunächſt die in den 1860er Jahren erſchienenen „Protokolle der Kom—
miſſion zur Beratung eines allgemeinen deutſchen Handelsgeſetz—
buches“, herausgegeben von dem ſpäteren bayeriſchen Miniſter Lutz,
(9 Bände mit 8 Beilagenheften und 1 Regiſterband) zu verzeichnen,
dann die Arbeiten des Pandektiſten Joh. Adam Seuffert, das
„Syſtem des Verfaſſungsrechts der monarchiſchen Staaten Deutſch—
lands“ und andere Arbeiten Profeſſor Helds, Felix Dahn mit den
„Weſtgotiſchen Studien“, die Schelhaß'ſchen Darstellungen des Würz—
burger Landrechts und des Nachbarrechts; eine ganze Reihe von
Arbeiten Profeſſor Joſ. Kohler's auf dem Gebiet des inländiſchen,
mehr aber noch auf dem des ausländiſchen Rechts, Herm. Frhr. von
Stengel (Grundentlaſtung in Bayern), Oberamtsrichter Rottmann
mit einem vor kurzem in 2. Auflage erſchienenen Handbuch für den
Gerichtsvollzieherdienſt, Handelskammerſekretär Dr. Kittel mit meh—
reren Schriften, einige Veröffentlichungen, die in das Gebiet der
Militär⸗Rechtspflege gehören, ſchließlich die Stahel'ſche Geſetzes—
ſammlung und die Sammlung der Ortspolizeilichen Vorſchriften
der Stadt Würzburg.
Auch noch andere Gebiete der Wiſſenſchaft ſind vertreten; ſo
finden wir die Namen der Philologen v. Urlichs, Grasberger (dieſer
u. a. mit einem Z3bändigen Werk über Erziehung und Unterricht im
klaſſiſchen Altertum), Sittl, Martin Schanz, Goetzeler u. a. unter
den Autoren, die ihre Werke dem Stahel'ſchen Verlage anvertraut
haben, die Zeitſchrift für Philologie „Eos“, und vieles Andere.
Die Katholiſche Theologie hat an den Veröffentlichungen des
Verlags heute ebenfalls noch einigen Anteil. Ueberdies laſſen Namen
wie Denzinger, Hähnlein, Himmelſtein, Hettinger, Schwab, Ruland,
Hergenröder u. a. auch die älteren Erſcheinungen nicht in den Hinter—
grund treten. Hier ſei auch der in 53 Jahrgängen erſchienenen
Predigtzeitſchrift „Philothea“ mit dem Ergänzungsblatt „Theopiſta“
gedacht.
— 926 —
Die Beziehungen zur Univerſität dokumentieren ſich, außer
durch die Verbindungen mit den obengenannten Profeſſoren und
Dozenten, durch den Verlag der Publikationen des „Kunſtgeſchicht—
lichen Muſeums der Univerſität Würzburg“, dann von ſonſtigen
von der Univerſität herausgegebenen Schriften, wie das Werk über
„Das neue Univerſitätsgebäude“.
Heute kommt neben dem P Verlag, der nach
wie vor gepflegt wird, auch den Lehr- und Hilfsmitteln für den
Unterricht eine gewiſſe Bedeutung zu. Die „Stahel'ſche Sammlung
von Prüfungsaufgaben“, Efferts Lehrbücher der Geographie, ver—
ſchiedene Schulwandkarten, Ruckerts Vorbereitungsbuch fürs Gyn-
naſium u. a. gehören hierher. Nebenbei wird auch der Herausgabe
von Erſcheinungen für den Amtsgebrauch der Behörden und von
Büchern für den praftifchen Gebrauch beſondere Aufmerkſamkeit zu
gewandt. Wir nennen nur das Grübel'ſche Gemeindelexikon des
Deutſchen Reichs, den bekannten Stahel'ſchen Schreibkalender, der
pro 1908 im 106. Jahrgang erſchien, das Stahel'ſche Kegelbuch, ver—
ſchiedene Reiſeführer, darunter den beliebten Rhönführer von Dr.
Schneider, Fahrpläne etc.
Eine Spezialität ſei noch erwähnt: Literatur über Franken
und Würzburg. Die zahlreichen Erſcheinungen auf dieſem Gebiete
ſeit dem Beſtehen des Geſchäfts umfaſſen mehrere Spezial-Verzeich—
niſſe und enthalten u. a. auch die Publikationen des „Hiſtoriſchen
Vereins für Unterfranken und Aſchaffenburg“, welche durch den
Stahel'ſchen Verlag vermittelt werden. Hierher gehört auch das
„Hiſtoriſche Album von Würzburg“ und das Prachtwerk: „Die
Kloſterkirche zu Ebrach, ein kunſt- und kulturgeſchichtliches Denkmal
aus der Blütezeit des Ciſterzienſerordens“ von Pfarrer Dr. Johs.
Jaeger.
Das Sinn hat ſich eine aiae Spezialrichtung
nicht gewählt. Mit ee verbunden iſt Stahels Annoncen—
Bureau.
Am 1. April 1897 ſchieden nach beinahe 40 jähriger, raftloſer
Tätigkeit Ignaz Stahel aus der Buchhandlung, am 30. Juni
1897 Ignaz und Heinrich Stahel aus der Buchdruckerei aus. Ein
halbes Jahr ſpäter, am 1. Januar 1898 vollzieht ſich die Trennung
der verbliebenen Geſellſchafter, von denen Oscar Stahel die inzwiſchen
in größere Lokalitäten überführte Verlagsbuchhandlung, ſowie die
Stahel'ſche königl. Hofbuchdruckerei übernahm, für welch' erſtere er
nunmehr Stahel'ſche Verlagsanſtalt, Kgl. Hof- und Univerſitäts⸗
Verlag firmiert, während Auguſt Joſef Stahel die Stahel'ſche königl.
— 927 —
Hof⸗ und Univerſitäts⸗, Bud- und Kunſthandlung mit Annoncen-
Bureau auf eigene Rechnung führt. | | |
Suellen: en der St. B. 1903.
Stalling, G. Als Grüdungstag der Firma Gerhard
Stalling, Verlagsbuchhandlung, Buch- und Steindruckerei in
Oldenburg, wird zwar der 23. Oktober 1789 bezeichnet, doch laſſen
ſich die Anfänge der Druckerei bis auf den zweiten 33 der
Stadt Oldenburg zurückführen.
Der erſte Buchdrucker dieſer Stadt war Warner Be⸗
rendt, von dem Näheres allerdings nicht bekannt ift. Das erſte
Buch, welches in Oldenburg gedruckt erſchienen iſt, war „De Klene
Catechiſmus vor de gemenen Parheren vnde Hußveder. D. Mart.
Luth. Sampt dem klenen Corpore doctrinae Matthaei Indicis.
Gedrücket tho Oldenborch, 1599“ — auf der vorletzten Seite ſteht:
„dorch Warner Berendts Eruen Anno 159." ` |
1633 wurde im Namen des regierenden Grafen Anton
Günther mit dem Buchdrucker Heinrich Conrad Zimmer
ein Kontrakt abgeſchloſſen, der beſtimmte, „daß derſelbe zu Olden⸗
burg eine Truckerey iedoch allerdings auff ſeine eigenen Coſten an⸗
vnd aufrichten möge, vnd ihm von privatperſonen, ſo etwas trucken
laſſen, für einen Bogen in gemein Format von groſſen antiquen
vnd curſiven 1 Rthlr., vnd für einen Bogen von kleinen antiquen
vnd curfiven 11/, Rthlr. . . . bezahlt werden.“ Erſt 1636 war die
Einrichtung einer leidlichen Druckerei möglich, die Zimmer im Auf⸗
trage der Oldenburger Kammer in Rinteln für 268 Taler käuflich
erſtand. Mit dem Jahre 1640 ſetzen dann die von Zimmer ge⸗
lieferten Drucke, mit Muskulus nützlichen Rechnungstafeln, ein.
1664 folgte als Nachfolger Zimmers ſein Sohn Hans
Erich Zimmer, der bis dahin einer Druckerei in Leiden vor—
geſtanden hatte. Aus dem noch vorhandenen Anſtellungsdekret ift
zu erſehen, daß die ihm zugeſicherten Bedingungen bei weitem beſſer
waren, als die ſeinem Vater bewilligten. „Dagegen ſoll er jqährlich
zu genießen haben an geldt dreyſig Rthlr., freye wohnung, Etwaß
fewrung, und wan er ſich fleißig verhalten wirdt, ein Küchenbeeſt,
undt von einem Ballen Papier zu 1000 exemplarien zu ſetzen undt
zu drucken fünff Rthlr.“ Von ſeinen Druckwerken ſind vor allem
zu nennen die Schriften Des Geſchichtsſchreibers Johann Juſtus
Winkelmann. |
1689 finden wir Zimmers Schwiegerſohn Nicolaus
Gödjin (geft. 1698) als Mitbeſitzer der Druckerei, deren Preſſen
— 928 —
ſich damals insbeſondere mit der Drucklegung der im ganzen Lande
verbreiteten Geſangbücher und Katechismen des Generalſuperinten⸗
denten Nicolaus Alardus beſchäftigten.
Nach Wiederverheiratung der Witwe Gödjens führte ihr nun—
mehriger Ehemann Jacob Nicolaus Ad ler die Offizin fort;
er druckte u. a. 1705 die erſte Oldenburger Bibel. 1726 folgte Adler
in der Leitung ſein Stiefſohn Johann Conrad Gödjen und
als dieſer 1742 ſtarb wurde die Druckerei unter der Firma Johann
Conrad Gödjen Erben von der Witwe und ihrem älteſten Sohne bis
1750 fortgeſetzt, in welchem Jahre letzterer, Johann Arnold
Gödjen, ſie allein übernahm. 1746 erſchien in Oldenburg die
erſte periodiſche Schrift unter dem Titel „Oldenburgiſche Nachrichten
von Staats⸗, gelehrten und bürgerlichen Sachen“; fic beſtand jedoch
nur drei Jahre und mit Anfang 1749 ſchloſſen ſich ihr die „Olden—
burgiſchen wöchentlichen Anzeigen“ an.
J. A. Gödjen hinterließ 1758 die Offizin ſeiner Witwe, die
ſich 1772 mit dem Buchdrucker Johann Heinrich Thiele
verheiratete, der nunmehr das Geſchäft fortführte. Als er 1788
ſtarb, war die Witwe bei ihrem hohen Alter nicht im Stande, das
Geſchäft fortzuſetzen. Es ſah daher die Kammer ſich veranlaßt, die
Druckerei wieder zu übernehmen und fie 1789 an Gerhard Stal
ling zu übertragen. Dieſer war in Bergedorf bei Delmenhorſt
als Sohn unbemittelter Eltern geboren. Seine beſondere geiſtige
Begabung ließ ihn den Beruf eines Schullehrers ergreifen, in welchem
er 1781 Stadtſchullehrer in Oldenburg wurde. Durch eine Papier-
fabrik, die er 1807 in der Nähe von Aurich anlegte und Stallingsluſt
nannte, dehnte er ſein Geſchäft immer mehr aus, ſo daß er bei ſeinem
am 21. 9. 1818 erfolgten Tode, der durch einen jähen Unglücksfall
beim Umbau des Geſchäftshauſes, Ritterſtraße 4, welches er 1818
angekauft hatte, erfolgte — die Druckerei, welche damals mit drei
Preſſen arbeitete, ſeinen Erben als Eigentum überlaſſen konnte.
Die erſte Arbeit Stallings war „Die Beſtallungen der Land—
ſchullehrer“, welcher vom 2. November 1789 ab das „Oldenburger
Wochenblatt“ als regelmäßig wiederkehrende Arbeit folgte. Weiter
druckte und verlegte zugleich Stalling den „Unterricht in der chriſt—
lichen Lehre mit Hinweiſung auf Luthers kleinen Katechismus. Zum
Gebrauch für Kirchen und Schulen“, von Mutzenbrecher, welches Buch
bis in die 50er Jahre des Jahrhunderts in den Schulen des Herzog—
tums in Gebrauch geblieben iſt. Durch Erlangung des Privilegiums
zum Druck und Verlag eines neu zur Einführung gelangenden Olden—
burger Geſangbuches am 7. September 1791 hatte Stalling das
Glück, die Buchdruckerei immer mehr emporzubringen. Seit 1768
— 929 —
erſchien alljährlich der Oldenburgiſche Tafelkalender, 1770 eine
Schrift von M. Claudius, „Gedanken über den Urſprung der Seele“
und ſeit 1775 der Oldenburgiſche Staatskalender; zu erwähnen ſind
auch von Halems Geſchichte Oldenburg (1701-96) und desſelben
Bibliographiſche Unterhaltungen (1794).
1819 übernahm Johann Heinrich Stalling (geb
1789, geſtorb. 1822) die Druckerei und ſetzte ſolche, ſolange feine
Mutter lebte, unter der Firma Gerhard Stallings Witwe
fort, nachdem dieſe aber am 25. 4. 1834 geftorben war, und er fih
mit ſeinen Geſchwiſtern auseinandergeſetzt hatte, nahm er 1838, um
das Andenken feines Vaters zu ehren, die alte Firma Gerhard Etal-
ling wieder an. 1822 verband er mit der Druckerei eine lithogra—
phiſche Auſtalt und errichtete 1839 eine Spielkartenfabrik. Auch
fügte er dem Geſchäft eine Sortimentsbuchhandlung hinzu, welche
1860 auf den jüngeren Sohn Karl Stalling überging und ſich
feit 1883 im Beſitze von Max Schmidt Ü befindet. Sein Nachfolger
wurde 1860 ſein Sohn Joh. Heinrich Anton Stalling,
geb. 1825, welcher, ſeit 1850 im Geſchäfte ſeines Vaters tätig, im
Jahre 1851 die Prokura erhalten hatte. Seit ſeinem Tode ſind
Paul Stalling und Heinrich Stalling jr. Beſitzer des
ausgedehnten Geſchäftes.
Der Verlag umfaßt beſonders Schulbücher, darunter das
Rechenbuch von Harms und Kallius (Kuckuck), ferner die Stacke'ſchen
Geſchichtswerke, für den Schulgebrauch verfaßt, die Baskerville'ſchen
Lehrbücher der engliſchen Sprache uſw. Auf Anregung Paul Stal—
lings ſchlug der Verlag auch die belletriſtjſche Richtung ein, es ent-
ſtanden die Werke: „Knieſt, Wind und Wellen (1889)“, „Wat de
Kiewit ſprook“ (plattdeutſche Gedichte 1889), „Freudenthal, In de
Fierabendtied“ (plattdeutſche Erzählungen 1889) ete. Seit 1815
erſcheint die „Oldenburger Zeitung“, feit 1902 die „Buchdrucker—
woche“. Die Zahl der Schnellpreſſen in der Druckerei beträgt fünf.
Das Perſonal der Firma beläuft ſich auf vierzig Mann. Neben der
Verlagsbuchhandlung und Druckerei beſteht auch ein Papier-Engros—
geſchäft.
Quellen: Strackerjan, Geſch. d. Buchdruckerei im Herzogtum Olden—
burg ꝛc., 1840; Buchholtz, Aus dem Oldenburger Lande, 1889.
Staude, E. Elwin Staude wurde am 5. Oktober 1838
zu Hannover als jüngſter Sohn des Kgl. Hannoverſchen Hofkapell—
meiſters Ernſt Staude geboren. Der frühe Tod des Vaters brachte
die Familie in eine ſehr bedrängte Lage, ſo daß Staude recht freud—
loſe und ernſte Kinderjahre durchleben mußte. Nach beendigter
59
— 930 —
Schulzeit trat er als Lehrling in die Meyer'ſche Hofbuchhandlung
zu Detmold ein, in der er auch noch als Gehilfe verblieb, bis er als
ſolcher zu Vieweg & Sohn nach Braunſchweig ging. Danach arbeitete
er vier Jahre in Stockholm und wurde von dort aus von Auguſt
Hirſchwald in Berlin engagiert, in welcher Firma er 7 Jahre bis
zu ſeiner Etablierung verblieb.
Staude begründete ſeine Selbſtändigkeit am 5. Oktober 1870,
nachdem er ſchon vorher einige Verlagswerke erworben hatte. Sein
erſtes Buch war die engliſche Ausgabe der „Grundzüge der Geſell—
ſchafts-Wiſſenſchaft“, welches im Laufe der Zeit 16 Auflagen erleben
konnte. Es folgten dann deutſche Ausgaben der Werke: Smith,
„Natur und Urſachen des Volkswohlſtandes“, Sudre, „Geſchichte des
Kommunismus“ etc. Der erſte größere pekuniäre Erfolg im An—
fange ſeiner Selbſtändigkeit war das kleine, monatlich einmal er—
ſcheinende Büchlein „Berlin im Portemonnaie“. Einige Zeit darauf
kaufte er mit dem hieraus erworbenen Kapital den Verlag von Ott o
Loewenſtein, den er feiner Firma einverleibte. Später verdient
die Veranftaltung der deutſchen Ausgabe der Schriften von Henry
George Erwähnung. Dann begann er in größerem Umfange ein
Vermittelungsgeſchäft unter der Firma „Zentralbureau für
den An- und Verkauf buchhändleriſcher Unter:
nehmungen“. Zu gleicher Zeit gab er den Berliner Wahlzettel
für den deutſchen Buchhandel heraus. Im Jahre 1886 kaufte er die
damals völlig unbedeutende „Berliner Hebammen- Zeitung“, welche
er in die „Allgemeine Deutſche Hebammen-Zeitung“ umwandelte.
Aus dem anfangs ſehr kleinen Blatt iſt mit der Zeit ein bedeutendes
Unternehmen geworden, an das ſich nach und nach ein ebenfalls ſehr
verbreiteter Kalender, ſowie eine ganze Reihe von Fachwerken an—
ſchloſſen. Ein Jahr ſpäter übernahm er den Verlag der „Blätter
für Taubſtummenbildung“, um welche Zeitung ſich auch eine ganze
Anzahl wertvoller Hand- und Unterrichtsbücher gruppierte. Im
Zuſammenhang damit ſtehen die bekannten Gutzmann'ſchen Schriften
und Lehrbücher über das Stottern und ſeine Behandlung. Das letzte
größere Unternehmen Staudes war die 1898 gegründete „Deutſche
Krankenpflege-Zeitung“. Staude ſtarb 1904.
Quellen: Korporationsbericht der Berl. Buchhändler 1905; Verlags-
katalog 1882.
Steinkopf (Stuttgart). Der Buchbinderobermeiſter X o-
hann Chriſtoph Betulius, aus dem Geſchlechte v. Birken,
das bei der Aechtung der Proteſtanten in Böhmen vor dem
dreißigjährigen Kriege dort ausgetrieben wurde, betrieb ſein Geſchäft
— 931 —
in Stuttgart ſeit 1760, daneben auch Antiquariat, wozu ihn ſeine
Kenntniſſe befähigten. Unter dem 24. April 1769 erhielt er mittels
Pergamenturkunde des Herzogs Karl von Württemberg ein aus—
ſchließliches Antiquarprivilegium, betrieb dann nur noch Antiqua—
riat, dem er den Verlag von Erbauungsbüchern und Württem—
bergicis, z. B. Sattlers topographiſche Geſchichte von Württemberg,
Arnds Predigten uſw. hinzufügte. Nach ſeinem Tode erwarb ſein
Enkel und Zögling Johann Friedrich Steinkopf (geb.
17. 5. 1771, geſt. 4. 4. 1852) am 13. März 1792 das Geſchäft käuflich
von den Miterben und führte es unter feinem Namen J. F. Stein:
kopf als Verlag, Sortiment und Antiquariat in dem damaligen
beſcheidenen Maßſtabe, nachdem er 1806 auch noch eine Druckerei
erworben hatte, fort bis 1840. Sein Verlag, aus allen Wiſſen—
ſchaften beſtehend, verzeichnete Werke von Chr. G. Barth, J. C. F.
Burk (welcher auch den Chriſtenboten herausgab), C. A. Dann, G. C. F.
Fiſchhaber, Barth und Hänel (Begründer der noch heute erſcheinen—
den „Jugendblätter“), J. J. Moſer, Dr. Reinhardt Kuriſtiſche
Schriften), Schmid (Handbuch der Bienenzucht und für den Land—
mann); ferner eine große Sammlung Württembergica. |
Das Antiquariat trat Steinkopf 1815 an feinen Bruder Fer—
dinand Steinkopf (geſt. 12. 10. 1828) ab, deffen ſpäterer
Nachfolger Guſtav Süskind wurde, ein Neffe von J. F. Stein-
kopf. Die Buchhandlung und Buchdruckerei übergab Steinkopf 1840
ſeinem Neffen Rudely Karl Louis Hänel. Dieſer war am
15. 8. 1808 als Sohn eines Kaufmanns in Suhl geboren und trat im
17. Jahre bei Steinkopf als Lehrling ein, war 1829 als Gehilfe bei
Vogel in Leipzig tätig und kehrte nach einer mehrmonatlichen Reife
durch Norddeutſchland, Holland und die Rheinlande in die Buch—
handlung ſeines Oheims zurück. 1834 wurde er von dieſem als Teil—
haber aufgenommen und 1840 Eigentümer der J. F. Steinkopf—
iden Buchhandlung und Buchdruckerei. 1845 erwarb er
dazu die Dannheimer'ſche Verlags- und Sortiment
buchhandlung in Eßlingen, die er von ſeinem Stuttgarter Ge—
ſchäft getrennt weiterführte. Er ſtarb am 29. 5. 1847.
Nach Hänels frühem Tod gab ſeine Witwe am 1. Aug. 1848
die Buchhandlung und Buchdruckerei käuflich ab an ihren Vetter
Friedrich Auguſt Steinkopf, geb. 31. Auguſt 1824, den
jüngſten Neffen des Gründers der Firma J. F. Steinkopf und
zweiten Sohn des oben genannten Ferdinand Steinkopf. Seine
Ausbildung hatte Fr. St. in der J. B. Metzler'ſchen Buchhandlung
in Stuttgart erhalten und war dann in der C. P. Scheitlin'ſchen
Buchhandlung in St. Gallen und in der Stiller'ſchen Hofbuchhand—
59˙
— 932 —
lung in Schwerin tätig geweſen, bis ihn 1846 ein Brief ſeines
Oheims nach Hauſe zurückrief. Bis zu ſeinem Tode am 24. 3. 03
führte Fr. Steinkopf das Geſchäft und es gelang ihm, ſolches zu
namhafter Bedeutung und Höhe emporzubringen. Im Jahre 1875
verließen Buchhandlung und Buchdruckerei ungern das alte Familien—
haus in der Holzſtraße, weil dieſes zu der notwendigen Aufſtellung
einer mechaniſchen Triebkraft für die Buchdruckerei keinen Raum bot,
und zogen über in das neu erkaufte Haus Marienſtr. 11, wo ſich
das Geſchäft mehr ausdehnen konnte. Ein Höhepunkt war das
Jubiläum des 100 jährigen Geſchäftsbeſtehens im Jahre 1892, bei
welchem der Beſitzer rühmen durfte:
„Ich war ſo glücklich, treue und tüchtige Mitarbeiter und
namentlich auch eine kleine Schar von Zöglingen gehabt zu haben,
aus denen hochgeſchätzte Männer geworden ſind, die unſern Stand
zieren. Jetzt ſtehen mir zwei Schwiegerſöhne zur Seite, C. Weit—
brecht und K. Guſtorff, und mein Sohn Carl Steinkopf;
dadurch kann ich noch jetzt mitarbeiten, was ohne ſolchen Beiſtand
nicht möglich wäre.“
Gelegentlich dieſes Jubiläums ſchrieb Fr. Steinkopf ſelbſt
fürs Buchhändler-Börſenblatt einen Rückblick, in dem er u. a. jagt:
„Hundert Jahre ſchließen mancherlei Zeiten und Veränderun—
gen in ſich, auch für jedes Geſchäft. Meines Onkels Erinnerungen
gingen zurück auf den großen Friedrich, und ganz lebendig waren
ſeine Erinnerungen von der franzöſiſchen Revolution und ihren
Folgen; er hat auch ein Buch darüber verfaßt, eine Darſtellung der
Ereigniſſe nach den unmittelbarſten Berichten. Bezeichnend ift der
damalige Vertrieb dieſes Buches. Es gab noch nicht von ferne einen
Sortimentshandel wie jetzt, aber es gab eine Unzahl von reichsun—
mittelbaren und von ſouveränen Herrſchaften, geiſtlichen und welt—
lichen Kurfürſten, Fürſten, Grafen, Reichsſtädten, Potentaten jeder
Größe oder Kleinheit; dieſen wurde nach Wahl die Revolutions-
geſchichte zugeſandt, und die meiſten antworteten, nicht mit roten oder
blauen Bändchen oder Diplomen, ſondern mit Medaillen, mit großen
goldenen von der Größe eines Fünfmarkſtücks und mehr; in meiner
Kindheit habe ich noch eine ziemliche Anzahl jener Ehrenthaler ge—
ſehen, die vollends in Silber verwandelt worden ſind. Das Geſchäft
war aber ein ſehr lohnendes und ehrenvolles.
2
=
Die Kriegszeiten von 1792 bis 1815 und die deutſche Schmach
waren ſchwer, der Druck der Zeit lag hart auf jedem einzelnen, von
der Sparſamkeit der damaligen Lebensweiſe hat unſer Geſchlecht
keine Vorſtellung mehr. Mein Onkel pflegte oft zu erzählen, wie das
— 933 —
Starfenbud und der Löfflerin Kochbuch ihm damals das tägliche
Brot ins Haus gebracht.
In hundert Jahren erlebt der Buchhandel, um mit Jean Paul
zu reden, natürlich vieles Traurige in Verlag, Sortiment und Kom—
miſſion; Sorgen und Mühen aller Art ſind auch hier nicht ausge—
blieben; aber auch viel Freudiges und Bedeutendes iſt geworden, auch
im Steinkopf'ſchen Verlage; der Aufſchwung des deutſchen Buch—
handels in dieſer Zeit iſt doch ein großartiger und gewaltiger.“
Der Jubelfeier 1892 folgte ein ſchwerer Schlag durch den
Tod des Teilhabers und Schwiegerſohnes Conrad Weitbrecht
(23. Nov. 1893), der in friſchem, geſegnetem Unternehmungsgeiſt den
Vertrieb beſorgt, den Chriſtenboten neu organiſiert und ſo haupt—
ſächlich zu dem großen Aufſchwung des Geſchäfts beigetragen hatte.
An ſeinerſtatt hatte Fr. Steinkopf die Freude, am 30. März 1899
ſeinen älteſten Enkel Friedrich Weitbrecht als Teilhaber ins Geſchäft
aufzunehmen. Inzwiſchen war Fr. St. zum Kommerzienrat ernannt
und es ward ihm vergönnt, in großer Friſche und Rüſtigkeit das
50 jährige Jubiläum als Inhaber des Geſchäfts (1. Auguſt 1898)
und ſeine goldene Hochzeit (26. Auguſt 1901) zu feiern.
Am 24. März 1903 ſtarb er im 79. Lebensjahr und das
Geſchäft wird ſeither von ſeinen Teilhabern Carl Steinkopf (ſeit 1886),
Konrad Guſtorff (ſeit 1890), Friedrich Weitbrecht (ſeit 1899) im
gleichen Geiſte weitergeführt, denen im Jahr 1905 ſich als weiterer
Teilhaber Otto Weitbrecht, geb. 1. 5. 1880, zugeſellte. Im
Jahre 1906 machte die Vergrößerung des Geſchäfts die Erſtellung
eines großen Neubaues für die Druckerei notwendig, in dem auch
die Redaktionen und Expeditionen der „Deutſchen Reichspoſt, Zentral—
organ der Konſervativen Süddeutſchlands“ und der Fachzeitſchrift
„Der Maler“ Raum fanden. |
Der Verlag war inzwischen zu einem ſehr bedeutenden Geſchäft
herangewachſen und hatte ſich über faſt alle Gebiete der Wiſſenſchaft
ausgebreitet; an der Spitze ſteht naturgemäß die Theologie. Darunter
Namen wie Joh. Arnd, Ludwig Hofacker, Prof. J. T. Beck, Dr.
C. U. Hahn, Julius Köſtlin, Dr. C. Palmer, Prälat G. Weitbrecht,
Karl Gerok, Alexander Maclaren, Prof. Dr. R. Kübel, Prof. Herm.
Cremer, Prof. Dr. J. Robertſon, J. Höffner u. v. a. Die Juris—
prudenz wurde in den letzten zwei Jahrzehnten weniger gepflegt, ſie
iſt vertreten durch Bolley, Klemm, Pfizer, Reinhardt, Stein und
Pelargus. Von der Medizin ſeien genannt die Bücher von Ober—
medizinalrat Dr. Paul von Sick und von Bojanus. Sehr umfang—
reich ijt das Gebiet der Pädagogik einſchließlich der Volks- und
Jugendſchriften vertreten.
-E ) —
An deren Spitze ſteht hier die 1865 begonnene „Deutſche
Jugend- und Volksbibliothek“ (bis jetzt 215 Bändchen) mit Mit-
arbeitern wie Caspari, Grube, Wild, Frommel, Weitbrecht, Barth,
Klee, Zeller, Steurich, Gotthelf u. v. a.
Zu nennen wäre noch die erbauliche und erzählende Literatur;
aus erſterer ſeien die Namen Johann Albrecht Bengel, Fr. Bettex,
Oetinger, Kapff, Baader, Böhme, Culmann genannt. Die Erzählungen
ſind vertreten durch Emil Frommel, Caspari, Ingeborg Maria Sick,
Jan Maclaren, Margarete Spörlin, Emma Marſhall u. a. Zum
Schluß ſeien noch erwähnt die Zeitſchriften „Der Chriſtenbote“, im
78. Jabrgang, herausgegeben vom Stiftsprediger Prälat Weitbrecht
und die „Jugendblätter“, 72. Jahrgang, herausgegeben von Pfarrer
K. Weitbrecht. Das „Chriſtliche Kunſtblatt“, herausgegeben von
Pfarrer David Koch, erſchien von 1867 bis 1907 im Steinkopf'ſchen
Verlag, iſt aber ſeit 1908 an Callwey in München übergegangen.
Der „Süddeutſche Schulbote“ erſchien vom Jahre 1837 bis 1891.
1837 bis 76 debitierte Steinkopf auch die „Süddeutſche Buchhändler—
zeitung“ (Redakteure K. Meſſow — vergl. Bd. 4 S. 677 —
Th. Lieſching, Th. Hartwig).
Quellen: Süddtſche. Buchh. Ztg. 1847: Börſenblatt f. d. dtſchn. Buchh.
1892/3, Verlagskataloge 1815, 1824, 1854, 1868, 1881 und 1895.
Stern, Lüneburg. Als der erſte Lüneburgiſche Buchbinder
und Buchhändler wird ums Jahr 1580 ein gewiſſer Stern genannt,
deſſen Sohn Hans Stern einen ordentlichen Laden unter der
Stube feines Hauſes vor dem Kirchhofe zu St. Johannis im Jahre
1602 anlegte. 1614 begründeten die Brüder Johann und Hein—
rich Stern jene berühmte Verlagsdruckerei, welche ſpäter Weltruf
erlangte. Stand auf dem Titel eines Buches die Firma: Gebrüder
Stern — bey den Sternen — durch die Sterne oder apud Stellas
— ſo galt das damals als die beſte Empfehlung. Die Sterne ver—
dankten ihre Großmachtsſtellung im Buchhandel zum guten Teile
dem Umſtande, daß ſie es verſtanden hatten, den gangbarſten theo—
logischen Verlag anderer Firmen durch Privilegiumerwerb an fid
zu reißen. Die rechtmäßigen Verleger waren in den traurigen Zeiten
des 30jährigen Krieges zum Teil verarmt und ſcheuten die Koſten
für die Erneuerung der Privilegien.
In dem Stern'ſchen Privileg, welches unterm 14. 7. 1625
der Herzog Chriſtian von Braunſchweig-Lüneburg ausfertigte, heißt
es, daß die Sterne „nun etliche Jahre nacheinander viel nützliche,
zumahl aber Theologiſche Bücher verlegt, Auch hernacher ſelbſten in
vnſer Stadt Lüneburg eine Buchtruckerey angeordnet, einen guten
— 935 —
Theil jhres Vermögens, Gott zu Ehren vnd Kirchen, Schulen, vnd
dem gemeinen Weſen zu gutem darein geſteckt, gleichwol mit den
Büchern, die ſie auff ſonderlich gut Papier, mit ſcharffen Schrifften,
offt vmbgegoſſenen Typis, in allerhand, einem jeden in ſeinem
Stande wolbehäglichen Formaten drucken laſſen, Niemand zur Vnge—
bühr damit überſetzet, ſondern ſich in vnd auſſerhalb des H. Römiſchen
Reichs, an einem zimlichen pretio begnügen vnd erſättigen laſſen.“
Demgemäß ward den Gebrüdern Stern und deren Nachkom—
men die Vergünſtigung, in den Herzoglichen Fürſtenthümern und
Ländern nicht allein zu Lüneburg, ſondern auch in den übrigen
Städten eine freie Druckerei aufzuſtellen und ihre Verlagsartikel
öffentlich zu verkaufen, wogegen andere Buchdrucker „bey Pöen
funfftzig Mark Lötiges Goldes“ vor Nachdruck und Vertrieb gewarnt
werden. Dies Privilegium erneuert Herzog Auguſt, poſtulierter
Biſchof zu Ratzeburg, unterm 14. April 1634.
Fünf Jahre darauf, am 26. November, begnadigte Herzog
Friedrich die Sterne mit einem Schutz- und Schirmbriefe, in welchem
ſie bekannte privilegierte Buchführer und Drucker heißen und jede
Beeinträchtigung ihres Geſchäftes, jede Schmähung ihrer Perſon
„bey Straff 200 Goldgulden“ verboten wird.
Nachdem bereits Pfalzgraf Melchior Gerdes von Mondenburg
der Aeltere ihnen, die „wegen ihrer ſchönen ſauberen vnd rainen
Schrifft im gantzen Römiſchen Reich bekhandt vnd berühmbt, dadurch
nit allein die Freien Khünſte, das gemein vnd politiſch weſen trefflich
befördert, ſondern auch der ſtudierenden Jugendt in viel weeg nützlich
gedient“, ein Wappen verliehen hatte, erhob ſie ſogar Kaiſer Ferdi—
nand der Dritte, in Verfolg ſeines am 27. Juni 1645 unterzeichneten
offenen Briefes, den 11. Dezember desſelben Jahres in den erblichen
Adelsſtand, unter Beſtätigung ihres Wappens.
Quellen: Gaedertz, Gebr. Stern, L. 1886. Archiv für Geſchichte des
deutſchen Buchhandels Band 15 und 17.
Stilke, G. Georg Stilke wurde am 14. Oktober 1840
zu Düſſeldorf geboren. Nach Beendigung ſeiner Schulzeit trat er
als Lehrling in das Geſchäft von F. Schneider & Co. in Berlin
(begründet 1846 von Ferdinand Schneider und Dr. H.
Loeſſel), welches er in dem jugendlichen Alter von 22 Jahren
käuflich erwarb. Die Tätigkeit als Sortimentsbuchhändler genügte
indeſſen dem Feuergeiſt Stilke's nicht. Mit dem ehemaligen Ober—
lehrer Dr. v. Muyden gründete er die Verlagshandlung Georg
Stilke & v. Muyden. Im Jahre 1869 verkaufte Stilke ſein
Sortimentsgeſchäft an Emil Goldſchmidt, um ſich mit Schäfer—
— 936 —
Voit für die Herausgabe und den Verlag der bekannten Modezeitung
„Der Bazar“ zu verbinden. In der Redaktion des „Bazar“ lernte
Stilke den Schriftſteller Dr. Paul Lindau kennen und hier wurde
der Plan gefaßt, im Jahre 1872 eine Zeitſchrift „Die Gegenwart“
zu begründen, die Lindau redigieren, Stilke unter ſeiner eigenen
Firma verlegen ſollte. Das neue Blatt machte ungeheueres Auf—
ſehen auf dem Büchermarkte und mit Ungeduld wurde jede neue
Nummer dieſes Blattes, welches durch feine Scharfe Kritik und geift-
reiche Satire ſich neben zahlreichen Freunden auch leidenſchaftliche
Gegner ſchuf, erwartet.
Sechs Jahre ſpäter gründete Stilke, ebenſalls gemeinſam mit
Paul Lindau, eine Monatsſchrift vornehmen Stils „Nord und Süd“
(jetzt Verlag der Schleſiſchen Verlagsanſtalt vormals
Schottlaender in Breslau). 1892 vereinigte Stilke ſich mit
Maximilian Harden zur Herausgabe der „Zukunft“, eines Wochen—
blattes von ätzender Schärfe, während 1896 der Verlag der von Pro—
feſſor Hans Delbrück herausgegebenen „Preußiſchen Jahrbücher“ von
Stilke übernommen wurde. Außer den genannten Zeitſchriften hat
Stilfe eine Reihe wertvoller Bücher und Kunſtwerke verlegt.
1882 hatte Stilke einen neuen Geſchäftszweig begründet, der
aus kleinen Anfängen heraus bald einen ungeahnten Aufſchwung
nahm. Es war der Bahnhofsbuchhandel, den er dank ſeines großen
Organiſationstalents bald über eine Anzahl preußiſcher Bahnlinien
ausdehnen konnte. Als Stilke im Jahre 1900 ſtarb, ging die Firma
an ſeinen Sohn Hermann Stilfe über.
Quellen: Korporationsbericht der Berliner Buchhändler 1901.
Stöckel, W. Wolfgang Stöckel aus München, auch
Stöcklin oder Molitor genannt, beſaß in Erfurt, wo er ſeit 1489
ſtudierte, und Baccalaureus geworden war, in der Zeit von 1493
bis 1495 eine Druckerei. 1495 verlegte Stöckel, der die Witwe des
Leipziger Druckers Arnold Neumarkt von Köln geheiratet
hatte, ſeine Druckerei von Erfurt nach Leipzig und wirkte daſelbſt
ununterbrochen bis 1526. Daneben errichtete er aber auch im Jahre
1503 ein Zweiggeſchäft an der neu begründeten Hochſchule in Witten-
berg, doch ſcheint dieſe Filiale ſchon im darauffolgenden Jahre wieder
erloſchen oder mit dem Hauptgeſchäft in Leipzig verbunden zu fein.
Der erſte aus der Preſſe in Wittenberg hervorgegangene Druck war
das: „Compendium pulcherrimu Juriscanonici clarissimi Juris
utriusque Doctoris et Equitis Petri Ravennatis. in quo innumerabilia
aurea et elegantia dicta continentur.“
— 937 —
Nach 1504 kommt kein Wittenberger Druck Stöckels mehr vor;
Stöckel war ein bedeutender Drucker und zeichnete ſich durch Korrekt—
heit in ſeinen Werken aus; er ſtand an Größe und Pracht ſeiner
Leiſtungen nur wenigen der deutſchen Zunftgenoſſen ſeiner Zeit nach,
weshalb ihn auch Herzog Georg der Bärtige im Jahre 1523 als Hof—
buchdrucker nach Dresden berief. Als Stöckel dieſem ehrenden Ruf
Folge leiſtete, errichtete er allerdings in Dresden eine neue Druck—
offizin, ließ aber daneben ſeine typographiſche Anſtalt in Leipzig
weiter beſtehen.
1527 erſchien in Dresden neben anderen Schriften auch das
gegen Luthers Ueberſetzung gerichtete Neue Teſtament Emſers, das
ſchon im nächſten Jahre neu aufgelegt werden mußte, während vorher
meiſt nur unbedeutende Emſerſche Broſchüren gegen Luther in
Dresden gedruckt wurden. Der Dresdener Wiegendruck Stöckels
lautet: „Wyder den falſchgenannten Eccleſiaſten / vn warhafftigen
Ertzketzer Martinum Luther Emſers getrawe vn nawe vorwarnung
mit beſtendiger Vorlegung aus bewerter / vnd canoniſcher ſchrifft“.
Stöckels Tätigkeit als Buchdrucker darf als eine hervorragende
bezeichnet werden, denn Panzer zählt in ſeinen Annales typogr.
allein 176 Drucke auf, die aus der Leipziger Preſſe Stöckels hervor—
gegangen find. Er druckte hauptſächlich Klaſſiker, wie Ovid, Pris-
cian, Seneca, Ariſtoteles, ſpäter auch viele theologiſche Schriften, von
denen die bis zum Jahre 1522 gedruckten Partei für Luther nahmen,
zum Teil auch von dieſem ſelbſt verfaßt waren. Von da ab wurde
er, gezwungen durch Herzog Georgs Verbot, ein Gegner der Refor—
mation, druckte eine Streitſchrift des Franziskaners Alveld, eines
der erbittertſten Feinde Luthers, und ferner mehrere Broſchüren
Emſers gegen Luther. 1524 gründete Stöckel durch feinen Sohn
Jacob Stöckel und ſeinen Geſellen Widemar eine Filiale in
Eilenburg, auch in Grimma ließ er 1522—23 manches drucken. Offen-
bar wegen finanzieller Schwierigkeiten geht Stöckel 1524 nach Dres—
den. Seine Druckerei daſelbſt florierte unter ſeinem Namen bis
1590, mit welchem Jahre dieſelbe in den Beſitz der Familie Bergen
überging. Im Jahre 1777 erwarb Carl Chriſtian Mein:
hold dieſelbe (vergl. Band IV Seite 666 ds. Werkes).
Quellen: Braun im Börſenblatt f. d. dtſchn. Buchhandel 1884; Goetze,
die hochdtſchn. Drucker der Reformationszeit, Straßburg 1905.
Straub, L. In der erſten Hälfte des Jahres 1578 ſtellte der
1550 geborene Buchdrucker Leonhard Straub in ſeiner Wohnung
an der Webergaſſe die erſte Buchdruckpreſſe in St. Gallen auf. Er
ſcheint ſich zuerſt als Kalenderdrucker verſucht zu haben. Aus dem
.— 983 —
Jahre 1580 ſtammt der in Aldiniſcher Manier hergeſtellte Druck
„Sestimonia de pralcipuis etc.“, verſchiedene Kalender, ſowie der
„Gerichtsteufel, darinnen gezeigt und gehandlet wird, wie und in
was maßen der leidig fathau bißweylen unordnung . . . . anrichten
tut“. 1581 druckte er einen „Totentanz“.
Mit ſeiner Druckerei verband Straub einen ſich ſchnell aus—
dehnenden Bücherhandel, mit dem er beſonders nach dem Auslande
große Geſchäfte machte. Unweit Rorſchach, am Goldachflüßchen,
legte Straub 1581 auch eine Papiermühle an. Wegen wiederholten
Druckes verbotener Bücher wurde Straub, der die Buchdruckerkunſt
in feiner Vaterſtadt eingeführt hatte, im Jahre 1584 des Bürger—
rechtes entkleidet und ſamt Frau und Kindern „aus der Stadt und
deren Gerichten für immer verbannt.“
Straub zog mit ſeiner Druckerei an den Ort ſeiner Papier—
fabrik, ſiedelte aber bald mit einem Teile derſelben nach Rorſchach
und nicht lange danach nach Konſtanz über. Er richtete fich hier
auch einen Buch- und Papierladen ein und führte bedeutende Druck—
arbeiten hier aus. Dieſe beſtanden hauptſächlich in Meßbüchern,
Brevieren und anderen Kirchenbüchern, die er für die katholiſche
Welt⸗ und Ordensgeiſtlichkeit druckte. Seine großen Unternehmungen
ſcheinen Straub in Geldverlegenheiten geſtürzt zu haben, ſodaß er
ſich nach einem Geldgeber umſehen mußte, den er auch in dem
Konſtanziſchen Edelmann Macharius Keller von Steinberg ſand.
Inzwiſchen war auch ſein Bruder Georg Straub (geb. 1568,
geſt. 1611) ins Geſchäft eingetreten. Dieſem lag vor allem der
Beſuch der Meſſen und Märkte ob. 1598 kaufte indes Georg von
dem Buchhändler Oswald Geßner zu Baſel eine Preſſe ſamt
Lettern und eröffnete wiederum in St. Gallen eine Druckoffizin,
wo er ſich auch als Holzſchneider auszeichnete.
. Um 1615 erſcheint in Konſtanz Jakob Straub, dem
Leonhard Straub (I) folgte. Mit Franz Xaver
Straub verſchwindet im Jahre 1705 die Straubſche Offizin gänzlich.
Quellen: Wegelin, Buchdruckereien der Schweiz, St. Gallen 1836.
Strauß, E. Emil Strauß war am 18. Auguſt 1845 in
Köln geboren, beſuchte die Gymnaſien in Oehringen und Darmſtadt.
Er begann dann in Bonn in der Buchhandlung von Adolf Marcus
den Buchhandel zu lernen, war ſpäter in Frankfurt am Main und
in Berlin tätig, kehrte aber am 1. Juli 1870 nach Bonn zurück, um
fortan hier ſtändig zu bleiben. Er übernahm das Sortimentsgeſchäft
ſeines früheren Lehrherrn unter der Firma Marcus dhe Sorti-
mentsbuchhandlung (Emil Strauß). Als ſelbſtändiger Ver—
—— —
— 939 —
leger begann er kurz darauf, am 1. Januar 1873, indem er die Werke
ſeines geiſtesgewaltigen Vorfahren David Friedrich Strauß über—
nahm. Ernſt Hacckel hat ausdrücklich beſtätigt, „ohne Emil Strauß
wären die „Welträtſel“ nicht geſchrieben, er hat ſie angebahnt und
durchgeſetzt.“ Auch Carmen Sylva hat ihre Werke bei Strauß ver—
legt. Dazu kamen im Laufe der Jahre, wie das die Verhältniſſe der
Univerſitätsſtadt mit ſich brachten, hauptſächlich fachwiſſenſchaftliche
Werke aus allen Disziplinen, ferner Zeitſchriften wie das Archiv
für die geſamte Phyſiologie, das Geheimrat Pflüger, das Zentral—
blatt für allgemeine Geſundheitspflege, das früher Finkelnburg,
Lent und Wolffberg herausgaben und jetzt Lent, Stübben und Dr.
Kruſe bearbeiten. Daneben bildete Strauß einen landwirtſchaft—
lichen Provinzialverlag aus (Rhein. Jahrbuch für Gartenkunde und
Botanik, Karnicke und Werners Handbuch des Getreidebaues, Samm—
lung landwirtſchaftl. Kompendien in 11 Bou. uſw.). Dieſer Verlag
ging bald darauf — mit Ausnahme des an Paul Parey in
Berlin verkauften Handbuches des Getreidebaues — an Gebrüder
Haering in Braunſchweig über, die ihn dann zum Teil an J.
Neumann in Neudamm weitergaben. Der Strauß'ſche Kunſt—
verlag zeichnete ſich insbeſondere durch die Pflege der maleriſchen
Originalradierung aus. Unter ihnen ſind die Mannfeld'ſchen Ori—
ginalradierungen rheiniſcher Städtebilder zu beſonderer Bedeutung
gelangt. An Mannfeld ſchloß fich der ſchleſiſche Malerradierer Hugo
Ulbrich an. Auch Carmen Sylva hat ihm ihre Werke anvertraut.
Die Sortimentsbuchhandlung ging am 1. Juli 1891 in den
Beſitz von Röhrſcheid und Ebbecke über. Im Jahre 1892
trat Strauß eine Zweigſtelle, die er 1889 in Godesberg errichtet hatte,
an den Buchhändler Emil Paſſarge ſ ab. Seitdem erweiterte er
ſeinen Verlag; mit ihm verband er ein wiſſenſchaftliches Antiquariat,
1894 errichtete er eine Zweigniederlaſſung in Leipzig, in feinen letzten
Lebensjahren betrieb er beſonders eifrig den Kunſtverlag. Pracht—
volle Anſichten vom Rhein, darunter wunderbare Anſichten von Bonn,
teils von Mannfeld, teils von Ulbrich, erſchienen in ſchneller Reihen—
folge. Der Bedeutung ſeines Verlags entſprechend wurde Strauß
vielfach in Ehrenſtellungen des Buchhandels berufen: in verſchiedene
Ausſchüſſe des Börſenvereins, als Vorſitzender in den Wahlausſchuß,
zum Schatzmeiſter des Verbandes der Kreis- und Ortsvereine im
deutſchen Buchhandel. Strauß hat in dem kaufmänniſchen und
öffentlichen Leben der Stadt Bonn eine hervorragende Rolle geſpielt.
Er war einer der eifrigſten und opferwilligſten Vorkämpfer des Li—
beralismus; für ihn raſtlos und ſelbſtlos zu wirken, war ihm Her—
zensbedürfnis. Die Aufklärung in immer weitere Kreiſe zu tragen,
— 940 —
das war überhaupt das Biel feines Trachtens und Strebens. Die
Bonner Bücher- und Leſehalle in der Quantiusſtraße iſt vornehmlich
ſein Werk, für ſie überwand er die größten Schwierigkeiten, für ſie
warb und wirkte er mit nicht erlahmender Ausdauer. Und neben
dem Verein und neben der Leſehalle galt ſein Eifer vor allem der
Bonner Zeitung. Er hat zu ihren Gründern und zu ihren Aufſichts—
räten gehört. Wenn heute in Bonn ein ausgebreitetes Fernſprechnetz
beſteht, wenn in den Alpen eine Hütte den Namen Bonns trägt, ſo
iſt auch das zumeiſt ſein Werk; er, der Begründer der Bonner Sek—
tion des deutſch-öſterreichiſchen Alpenvereins, betrieb die Einweihung
dieſer Schutzhütte mit raſtloſem Eifer.
Strauß ſtarb am 31. 8. 1903; der Verlag ging an Alfred
Kröner in Stuttgart über.
Unter dem Titel „Emil Strauß, ein deutſcher Buchhändler
am Rhein“ hat Dr. O. von Haſe ein prächtiges Lebensbild von
Strauß erſcheinen laſſen. Der Verfaſſer faßt ſeine Aufgabe zuſam—
men, indem er ſagt: „Emil Strauß hat in ſeinem ſchonungslos
klaren Kopfe dieſen Zeitwandel treu widergeſpiegelt und ſich am
Ringen um ſeine Durchführung hervorragend beteiligt. Die aus
friſchen Quellen fließende Schilderung ſeiner Jugend und ſeines
Kampfes, ſeiner Verlagsbetätigung und Lebensführung kann den
kurz vor ſeinem Tode unter ſeiner Mitwirkung friedlich beendeten
Reformkampf innerhalb des Buchhandels wohl auch weiteren Kreiſen
verſtändlich machen.“
Quellen: O. v. Haſe, Emil Strauß, Leipzig 1907.
Tauchnitz, Bernhard. Chriſtian Bernhard Tauch—
nitz wurde am 25. Auguſt 1816 auf dem ſeinem Vater gehörigen
Rittergute Schleinitz bei Naumburg a. S. geboren. Zweifellos hat
ſein Onkel, der Buchdrucker und Verleger Carl Tauchnitz (vergl.
S. 944 dieſes Bandes), einen weſentlichen Einfluß auf die Berufs⸗
wahl des Neffen ausgeübt. Nachdem Tauchnitz in einem kleineren
Geſchäfte ausgebildet war, arbeitete er eine Reihe von Jahren bei
ſeinem Onkel. Auch nach deſſen Tode blieb er noch eine Zeitlang
in dem Geſchäft, machte ſich aber dann, 21 Jahre alt, ſelbſtändig.
Er gründete ſein Geſchäft, Buchdruckerei und Buchhandlung,
unter der Firma Bernhard Tauchnitz jun., welcher Name
ſeinem Unternehmen bis 1852 verblieb; erſt von da ab lautete die
Firma Bernhard Tauchnitz.
Sein älterer Bruder, der Oberappellationsrat Dr. Theod.
Tauchnitz, leitete ihn auf die juriſtiſche Verlagsrichtung hin, indem
er ſelbſt als Autor und Redakteur mitwirkte. Auch von anderer
|
= Oy; es
Seite fand der junge Verleger kraftvolle Unterſtützung. Vor allem
hatte er einen einflußreichen Freund in dem berühmten Kirchen—
rechtslehrer Prof. Dr. Amilius Richter gefunden, deſſen Schüler und
Nachfolger ebenfalls Tauchnitz zu ihrem Verleger erkoren. Richters
„Corpus juris canonici“ ſchloſſen ſich eine Reihe bedeutender
Quellenwerke an, wie der ſächſiſche Kirchen- und Schulrechts-Coder
des ſpäteren ſächſiſchen Kultusminiſters Paul von Seydewitz, Otto
Lenels „Palingenesia juris civilis“ u. a. Ein Werk von großer
Bedeutung war auch die 1870 erſchienene „Genealogie der in Europa
regierenden Fürſtenhäuſer“ von Dr. K. von Behr. Aus Tauchnitz
juriſtiſchem Verlage feien ferner genannt die Werke von Fr. Berner,
Aug. Biener, Emil Friedberg, Kultusminiſter Fr. von Gerber,
R. Oſterloh, G. F. Puchta, A. Ruddorf, Kanzler G. v. Wächter u. v. a.
Von den rechtswiſſenſchaftlichen periodiſchen Unternehmungen feien
genannt: Archiv für deutſches Wechſel- und Handelsrecht 1851—74;
Zeitſchrift für Rechtspflege und Verwaltung, 1837—77, und das
Wochenblatt für merkwürdige Rechtsfälle, 1841—73.
Unter den theologiſch-kritiſchen Verlagswerken nehmen die
Arbeiten Konſtantin von Tiſchendorfs den erſten Rang ein. Beſon—
dere Erwähnung verdient auch die Biblia hebraica. Nicht minder
berühmt iſt der lexikaliſche und altklaſſiſche Verlag der Firma. Den
bekannten Tauchnitzſchen Wörterbüchern von Tolhauſen, Rigutini,
Bulle, James und anderen ſchließt ſich dem Sinne nach Köhlers
großes Logarithmenwerk an. Ein Sammelwerk erſten Ranges bil—
dete die auf kritiſcher Grundlage ruhende „Sammlung römiſcher und
griechiſcher Klaſſiker“, in drei Ausgaben erſcheinend.
Das großartigſte Tauchnitzſche Unternehmen aber war die
1841 begonnene „Tauchnitz Collection of British Authors“.
Seine Bedeutung möge am beſten eine engliſche Stimme dartun. Es
ift der in London erſcheinende „Bookseller“, welcher bereits im
Jahre 1883 folgendes ſchrieb: Die beiden Hauptſachen, allgemeine
Verbreitung engliſcher Bücher auf dem Feſtlande und die Verminde—
rung des Preiſes, den engliſche Original-Ausgaben zu haben pflegen,
bewogen den Baron Tauchnitz in Leipzig vor mehr als vierzig
Jahren, ſeine wohlbekannte „Collection of British Authors“ zu
gründen, von welcher jetzt die ganze Welt weiß. Die Werke der her—
vorragendſten engliſchen und ſpäter auch amerikaniſchen Schriftſteller
werden in der Tauchnitz-Collection in dauerhaften, handlichen und
hübſchen Bänden zum Preiſe von 1 M. 60 Pf. = 1 sh. 6 d. „un:
mittelbar nach dem Erſcheinen ausſchließlich für die Verbreitung
auf dem Feſtlande“ veröffentlicht; darunter die Werke von W. H.
Ainsworth in 53 Bänden; W. Black in 24, Miß Braddon in 64, Mrs.
—
— 942 —
Henry Wood in 58 Bänden; George Eliot in 17, James Payn in 35,
Edmond Yates in 27, Lady Georgiana Fullerton in 21, Miß Kava—
nagh in 35, „Ouida“ in 36, Miß Moja Broughton in 12, Miß Yonge
in 20, Anthony Trollope in 79, Wilkie Collins in 39, Chs. Kingsley
in 12, Lord Beaconsfield in 17 Bänden; daneben die Erzählungen
von Thackeray und Dickens u. ſ. w. Dieſe Unternehmung gereicht
Tauchnitz zu um ſo größerer Ehre, als er der erſte deutſche Verleger
war, welcher, trotzdem noch keine internationalen Verträge oder Ge—
ſetze das literariſche Eigenthum ſchützten, private Abkommen mit
engliſchen Schriftſtellern traf, die gewillt waren, ihre Geiſteserzeug—
niſſe ſeiner Collection einzuverleiben. Er wußte alſo die pecuniären
Intereſſen fremder Schriftſteller mit den literariſchen Intereſſen der
Gönner engliſcher Sprache wohl zu verbinden. Auf ſolchem Grund—
ſatze fußend errangen die Tauchnitz'ſchen Ausgaben raſch einen wohl—
verdienten Erfolg und wurden bald ein blühender Zweig des Ge—
ſchäfts. Der erſte Band „Pelham“ von Sir Edward Bulwer Lytton,
erſchien im September 1841; ihm folgten Chs. Dickens' „Pickwick
Papers“, andere von Bulwer's Romanen und Werke von Byron,
Shakeſpeare, Swift, Thomſon u. a. m. Schon im Februar 1860
wurde der 500. Band ausgegeben, einen bedeutungsvollen Abſchnitt
in der Collection bildend; es war „Five Centuries of the English
Language“ von Dr. C. Vogel. In dem Vorworte dazu drückt der
Verleger feine dankbare Genugthuung aus über die Gunſt, welche
Schriftſteller und Leſer ſeinen Bemühungen zuwenden. Einer der
Autoren, gleichgefeiert als Erzähler und Staatsmann, ſchrieb: „Mit
außerordentlichem Vergnügen habe ich dem Wunſche des Herrn
B. Tauchnitz gewillfahrt, eine Ausgabe meines . . . . für den Feſt—
landsvertrieb, im Beſonderen für das deutſche Publicum vorzube—
reiten. Die Zuneigung einer großen Nation iſt der werthvollſte
Lohn eines Autors und die Werthſchätzung, welcher uns ein fremdes
Volk würdigt, hat etwas von der Art und Geltung, die wir dem
Urtheilsſpruche der Nachwelt beimeſſen.“ Mit dem Verſprechen,
„ſein Unternehmen in demſelben Eifer und Geiſte, welche es bisher
gekennzeichnet, zu verfolgen“, ſchließt der Verleger ſeinen Vorbericht
und wandte ſich mit neuer Energie ſeiner Aufgabe zu. Im Jahre
1869 erſchien denn auch der 1000. Band, mit der aufrichtigſten Theil—
nahme von Seiten des Publikums und der Preſſe begrüßt, wie die
herzlichen Kundgebungen bezeugen, welche dem erfolgreichen Verleger
bei dieſer Gelegenheit dargebracht wurden. Band 1000. (ſowohl als
Band 2000.) iſt nicht auf den continentalen Vertrieb beſchränkt,
ſondern darf auch auf engliſchem Gebiete verkauft werden. Es iſt
das Neue Teſtament in autoriſierter engliſcher Ueberſetzung mit ein—
u O18 2
leitendem Berichte über die drei bekannteſten Manuſkripte in griechi—
ſchem Originaltext von Conſtantin Tiſchendorf, der ſich vor Allen
zu dieſer andächtigen und ſchwierigen Aufgabe eignete. Denn Tiſchen—
dorf war es, welcher das Glück hatte, in den Jahren 184-4 und 1859 im
St. Catharinen-Kloſter auf dem Berge Sinai den Sinaitiſchen Codex
des Alten und Neuen Teſtaments zu entdecken. Der 1000. Band
bekundet in andachtsvoller Weiſe des Herausgebers Dank für die
ſchützende Güte Gottes und ferner ſeine Erkenntlichkeit für ſeine eng—
liſchen und amerikaniſchen Autoren, indem er das Buch dazu be—
ſtimmte, „den Lebenden ein Zeichen der Achtung und den Todten
ein Zoll des Dankes und der Erinnerung zu ſein“. Schon zu jener
Zeit hatte die „FTauchnitz- Edition“ an 250000 Stereotypplatten
zum Drucke der verſchiedenen Bände erforderlich gemacht. Aber die
Tatkraft und der Geiſt des Verlegers waren beſtimmt, einen noch
höheren Punkt des Erfolges zu erreichen, als die vielgenannte und
reichhaltige „Collection“ im Dezember 1881 die erſtaunliche Anzahl
von 2000 Bänden abrundete. Band 2000 iſt betitelt: „Die engliſche
Literatur unter der Regierung Victoria's mit einem Streifblicke auf
die Vergangenheit, von Henry Morley ꝛc. Mit einem Titelbilde und
gewidmet Ihren Majeſtäten dem Könige Albert und der Königin
Carola von Sachſen“. Der Band enthält eine Sammlung von 178
Fakſimiles der Handſchriften zeitgenöſſiſcher Schriftſteller, ein Vor—
wort von Tauchnitz, Einleitung von Profeſſor Morley und Zuſätze
zu den Fakſimiles, welche die Namen der falſch- und unbenannten
Schriftſteller enthält. Der zweiten Auflage dieſes höchſt intereſſanten
Buches iſt ein wertvolles Namenverzeichnis beigefügt. In ſeinem
Vorworte dazu drückt Tauchnitz „Gott ſeine tiefſten Dankgefühle aus,
da es ihm vergönnt geweſen, ſein Unternehmen die lange Zeit von
40 Jahren zu leiten und zwar 15 Jahre hindurch gemeinſam mit
ſeinem älteſten Sohne Bernhard, der ihn mit größter Hingebung
dabei unterſtützte“. Ebenſo gedenkt der Schreiber dankbar der Teil—
nehmer an ſeiner Collection, die bereits heimgegangen ſind, aber
in ihren Werken Denkmale ihres Talents und Ruhmes hinterlaſſen
haben. Er ſpricht die Hoffnung aus, „daß dieſe Sammlung fori-
fahren wird, ihre Beſtimmung zu erfüllen, indem ſie die Vorliebe
für engliſche Literatur außerhalb Englands und ſeiner Colonien
kräftige“. Man begrüßte den 2000. Band mit allgemeinem Beifall,
und in engliſchen, deutſchen, amerikaniſchen, italieniſchen und fran—
zöſiſchen Blättern wurden zahlreiche freundliche und wohlwollende
Stimmen laut, ſowohl über Morley's Arbeit als im allgemeinen
über die Tauchnitz-Edition. Die Sammlung, zur Zeit auf die
ſtattliche Anzahl von über 2100 Bänden angewachſen, ſchließt alle
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großen Namen der. englifchen und amerikanischen Literatur der Ber-
gangenheit und Gegenwart ein; von Chaucer bis zu Tennyſon, von
Waſhington Irving und Nathaniel Hawthorne bis zu Mark Twain
— ein prächtiges Denkmal von Fleiß und Tatkraft.“ — So der
„Bookseller“. Man darf fortfahren: eines deutſchen Buchhändlers
und zugleich ein Beweis für die Univerſalität deutſcher Bildung im
engern und weiteren Sinne.
1860 wurde Tauchnitz in Anerkennung ſeiner Verdienſte um
die engliſche Literatur der erbliche Freiherrntitel verliehen, dem 1872
die Ernennung zum britiſchen Generalkonſul folgte. 1866 nahm
er ſeinen älteſten, 1841 geborenen Sohn Dr. Corian Carl
Bernhard en. von Tauchnitz als Teilhaber in fein
Geſchäft auf. Nach einer ae Krankheit auf feinen Gütern — es
gehörten ihm die Rittergüter Klein-Zſchocher bei Leipzig und Tratt-
lau mit Reutnitz in der ſächſiſchen Lauſitz, welch letzteres als Fidei—
kommiß von ihm errichtet wurde — ſtarb Tauchnitz am 13. Auguſt
1895. Das Geſchäft wurde von ſeinem Sohne in den alten Tra—
ditionen der Firma fortgeführt. |
Quellen: 50 Jahre der Verlagshandlung B. T. 1837—1887; Lore,
B. T. im Adreßbuch des deutſchen Buchhandels Jahrgang 1897; Vörſenblatt für
den deutſchen Buchhandel 1883.
Tauchnitz, Carl. Carl Chriſtoph Traugott Taud-
nitz wurde am 29. Oktober 1761 als Sohn eines unbemittelten
Schullehrers geboren, der ſeinem Sohne, trotzdem dieſer gern ſtudie—
ren wollte, eine gelehrte Bildung nicht geben konnte. 1777 wurde
der junge Tauchnitz als Lehrling in die Offizin des Buchdruckers
Sommer in Leipzig aufgenommen. Seine Wanderjahre führten ihn
zunächſt zu Unger nach Berlin, wo er zu aufmerkſamer Beachtung
der Stempel- und Formſchneidekunſt angeregt wurde. 1792 kehrte
Tauchnitz in das Haus ſeines Lehrherrn als tüchtiger Faktor zurück.
In ſeinem 35. Jahre begann er mit einer Preſſe ſein eigenes
Geſchäft; ſchon 1800 konnte er der Offizin eine Schriftgießerei an-
fügen und bald darauf eine Verlagsbuchhandlung. Mit raſtloſem
Eifer baute er ſein Geſchäft aus. Tauchnitz war der erſte deutſche
Typograph, welcher die längſt in England und Frankreich heimiſche
Stereotypie zu uns verpflanzte. Er errichtete 1816 eine Stereotypie—
gießerei nach Stanhopes Methode und machte ſpäter auch den Ver—
ſuch, die Stereotypie auf den Muſikalienhandel zu übertragen.
Ueber die Richtung ſeines Verlages mag hier erwähnt ſein,
daß Tauchnitz in den erſten zehn Jahren des Beſtehens ſeines Ver—
lags ſeine Kräfte der Schule und dem Gymnaſium widmete. Unter—
— 945 —
ſtützt durch einen namhaften Pädagogen, Direktor Karl Lang, war
Tauchnitz unabläſſig bemüht, der Literatur der Kinder- und Jugend—
ſchriften den Charakter und das Gepräge zu geben, welches der auf—
geklärte Geiſt der Zeit erheiſchte. Zu dieſen Jugendſchriften ge—
hörten die „Gallerie der unterirdiſchen Schöpfungswunder“ —
„Haushaltung der Menſchen unter allen Himmelsſtrichen“ — „Das
Fabelbuch der kleinen Bildromane“ u. v. a., alle waren mit geſchmack—
vollen Kupfern geſchmückt. 1808 begann Tauchnitz feine „Samm—
lung griechiſcher und lateiniſcher Klaſſiker“, die nach und nach alle
klaſſiſchen Schriftſteller des Altertums in neuen eleganten, Drud-
techniſch vorbildlichen, dabei billigen Textausgaben brachten. Er
verlegte ferner die chriſt-gläubigen Schriften Johannes Goßners und
ließ von 1819 ab teils in Auftrag und für Rechnung der britiſchen
Vibelgeſellſchaft nach eigenem Plan die heilige Schrift in einer Reihe
von Ausgaben erſcheinen. Das hebräiſche alte Teſtament erſchien,
beſorgt von Auguſt Hahn, in einem geſchmackvollen, die engliſchen
Schriften in Schärfe und Deutlichkeit weit übertreffenden Abdrucke.
1834 gab Tauchnitz in dem Koran, herausgegeben von Profeſſor
Flügel, ein Muſterbild arabiſcher Schrift. Von dem Koloſſalwerk
der von Julius Fürſt unternommenen Umarbeitung der Burtorfi-
ſchen Concordanz zum Alten Teſtamente erlebte Tauchnitz nur den
Anfang. Er ſtarb am 14. Januar 1836.
Der Erbe des Geſchäfts war ſein Sohn Carl Chriſtian
Philipp Tauchnitz (geb. 4. März 1798, geſt. 16. April 1884).
Er führte zwar die Firma noch eine Zeitlang fort, gedachte aber
dann ganz ſeinen wiſſenſchaftlichen Neigungen und beſonderen Paſſi—
onen zu leben. Er verkaufte deshalb 1854 die Buchdruckerei an
F. L. Metzger (ſeit 1868 Metzger & Wittig). 1855 gingen
der Wörterbuchverlag ſowie die Stereotyp-Ausgaben der griechiſchen
und lateiniſchen Klaſſiker an die kurz vorher durch Ankauf des Ver—
lages von Adolph Müller in Brandenburg gegründete Firma
Otto Holtze über (ſeit 1891 Otto Holtzes Nachfolger,
Inhaber Richard Brandſtetter).
Einen Teil des älteren Verlages hatte Tauchnitz bereits 1844
an G. L. Lang in Speyer und H. W. Schmidt in Halle abge—
treten. Die Firma Otto Auguft Schulz in Leipzig hatte die
Bilderbücher und Jugendſchriften übernommen, während der Muſi—
kalienverlag an C. A. Klemm in Leipzig, die Bibeln und Tefta-
mente an Ernſt Bredt in Leipzig übergegangen waren.
Tauchnitz hinterließ bei ſeinem Tode ſein Vermögen von
4% Millionen Mark der Stadt- Leipzig.
Quellen: Neuer Nekrolog der Deutſchen 1856, Ilmenau 1838; Journal
für Buchdruckerkunſt 1836 Nr. 2.
co
— 946 —
Tempsky, F. Carl Friedrich Rudolph Tempsky
wurde am 18. Februar 1821 in Prag geboren. Sein Vater war der
Beſitzer der J. G. Cal ve'ſchen Buchhandlung, Friedrich
Tempsky.
Die Calveſche Buchhandlung wurde im Jahre 1786 von
Johann Gottfried Calve, einem Brauermeiſtersſohn aus
Halle a. S. begründet. Nach ſeinem 1806 erfolgten Tode ging die
Handlung im Jahre 1808 an den Geſchäftsführer der Witwe Calve,
an Joh. Gottfr. Lebrecht Koch über, nach deffen Tod fie im
Jahre 1810 der aus Langenſalza ſtammende obengenannte Vater
unſeres Tempsky kaufte.
Friedrich Tempsky verlor ſeinen Vater bald nach ſeiner
Geburt. Die Mutter überſiedelte 1827 nach Stuttgart, wo ihr Vater,
der bekannte Volksſchriftſteller Chriſtian Carl André wohnte. 1828
nahm ſie Fr. Ehrlich als Geſellſchafter auf, der bis 1840 das Ge—
ſchäft für gemeinſame Rechnung weiterführte und ſich dann eine
eigene Firma gründete (ſeit 1888 im Beſitze von Bernhard
Knauer).
In Stuttgart beſuchte Tempsky das Gymnaſium und kam!
dann in die eben begründete Ergiehungsanſtalt Stetten bei Stutt-
gart. Nach dem Tode ihres Vaters zog ſich die Mutter nach Wien
zurück, wo der Sohn fie 1834 beſuchte. Da es aber damals nicht
erlaubt war, Kinder im Auslande erziehen zu laſſen, ſo durfte der
junge Mann nicht mehr nach Stetten zurück gehen. Er wählte daher
die Wiener Technik zu ſeinem weiteren Studienort, lag kommerziellen
Wiſſenſchaften ob und hörte auch Botanik bei Jacquin. Am 1. No—
vember 1836 trat er in den Verlag C. Gerold ein. Gerold, der ein
Freund von Tempskys Vater war, faßte das Chefverhältnis ſehr
milde auf und geſtattete dem jungen Manne, zur Vervollkommnung
ſeiner Kenntniſſe nach Brüſſel und Frankfurt am Main zu gehen.
Einige Reiſen nach London, Paris und der Schweiz erweiterten
ſeinen Geſichtskreis gewichtig. Neunzehn Jahre alt, kam er 1840
nach Prag und war bis Ende dieſes Jahres in der Buchhandlung
Borroſch und André beſchäftigt. 1841 übernahm er die Leitung
der nunmehr ſeiner Mutter allein gehörigen Calve'ſchen Buchhand—
lung, 1846 ging ſie in ſein Eigentum über. In jener Zeit erwarb
er ſich durch den Verlag der mediziniſchen Werke von v. Kiwiſch und
der Balling'ſchen Gärungschemie große Verdienſte. Nach der Auf—
hebung der Zenſur im Jahre 1848, als gleichzeitig die Reorganiſation
des Schulweſens eintrat, überreichte Tempsky im Namen des Buch—
händlergremiums ein Memorandum, indem die Notwendigkeit der
Aufhebung des Monopols des Schulbücherverlages und die freie
— 947 —
Konkurrenz der Buchhändler erörtert wurde. Damals begann er
denn auch mit dem Verlage von jenen ausgezeichneten Schulbüchern,
die in unzähligen Auflagen und Ueberſetzungen bald eine geradezu
umfaſſende Geltung in der pädagogiſchen Welt erlangten. So er—
ſchienen in ſeinem Verlage die vortreffliche Griechiſche Schul—
grammatik von Georg Curtius, die nachher in der Bearbeitung des
Unterrichtsminiſters Dr. von Hartel dem neueſten Stande der grie—
chiſchen Sprachforſchung angepaßt wurde. Dann ſeien noch beſon—
ders das griechiſche Uebungsbuch und das Elementarbuch von Schenkl
erwähnt, die ebenfalls beide vom Tempskyſchen Verlage aus die Reiſe
um die ganze Schulwelt machten. Ferner erſchienen hier alle die
Ausgaben der Naturgeſchichte von Pokorny, Gindelys Lehrbücher
der Geſchichte, die Lehrbücher der Mathematik von Mocnif uſw.
Die Aufhebung des Monopols des Schulbücher-Verlages für
die Volksſchulen eröffnete ein neues Feld zu bedeutenden Unter—
nehmungen. Die czechiſche Literatur iſt nicht nur durch zahlreiche
Schulbücher, ſondern auch durch viele ihrer vorzüglichſten Werke in
Tempskys Verlage vertreten; ſo kamen in demſelben faſt alle Werke
Palackys heraus, namentlich deffen Geſchichte Böhmens in czechiſcher
Sprache in zehn Bänden.
Von Tempskys deutſchem wiſſenſchaftlichen Verlag ſind vor
allem zu nennen: Gindelys „Geſchichte des 30jährigen Krieges“,
Baron Helferts „Geſchichte Oeſterreichs“, ſowie deſſen „Geſchichte
der öſterreichiſchen Volksſchule“, des Biſchofs Frind „Kirchengeſchichte
von Böhmen“, vier Bände, A. Beers „Werke über die öſterreichiſchen
Finanzen“, Beckers „Sprachwiſſenſchaftliche Werke“, Ludwigs
„Rigveda“, Ettinghauſens und Pokornys „Physiotypia plantarum
austriacarum“, zehn Bände in Folio und zwei Bände in L, „Die
allgemeine Erdkunde“ von Hann, Hochſtetter und Pokorny, die
prächtig ausgeführten „Alpenpflanzen“ von Seboth, Schultes „Kir—
chengeſchichtliche Werke“, einige Schriften des Grafen Leo Thun;
ſodann insbeſondere das populär-wiſſenſchaftliche Sammelwerk „Das
Wiſſen der Gegenwart“, welches in nahezu hundert Bänden die
Schätze der Wiſſenſchaft dem gebildeten Teile des deutſchen Publi—
kums vermittelte uſw. Der eigentliche Aufſchwung ſeines Verlages
datiert erſt von dem Verkaufe des Sortimentsgeſchäftes der J. G.
Calve'ſchen Buchhandlung im Jahre 1855 an Fr. Becke, der das
Sortiment 1865 an Ottomar Beyer käuflich abtrat (jetzt, fcit
1894, im Beſitze von Robert Koch). Von 1856 ab firmierte
Tempsky mit ſeinem eigenen Namen. Aus ſeiner Feder floſſen die
im Druck veröffentlichte „Eingabe über das Verhältnis des k. k.
Schulbücherverlages zum Buchhandel. Als Manuffript gedruckt“
60*
— 948 —
(Prag 1876), die „Denkſchrift über die Preiſe der Lehrbücher jir
die Mittelſchulen“ (ebd. 1876) und die „Vergleichung der Preiſe $
vom k. k. Schulbücherverlage herausgegebenen Lehrbücher mit den
im Verlage von F. Tempsky in Prag erſchienenen Lehrbüchern“
(Prag 1878, 4°).
Schon der erſte Geſamt-Verlagskatalog der Firma
F. Tempsky, ausgegeben im November 1856, umfaßt 60 Oktapſeiten,
bis zum Jahre 1903 hatte er ſich bis zu 118 Seiten in Großoktav
erweitert. 1868 ging der größte Teil der Verlagsartikel der Joh.
Chr. Hermanniſchen Verlags buchhandlung in
Frankfurt a. M. in den Verlag von Tempsky über, wodurch jene
Firma gänzlich erloſch. 1871 trat der ſpätere Jenaer Verleger Dr.
Theodor Hofmann als Geſellſchafter ein, verließ das Geſchäft
aber bereits 1878 wieder. —
Bei aller Vielſeitigkeit geiſtiger Intereſſen wandte Tempsky
doch ſeine beſondere Vorliebe der Botanik zu. Er war Freund und
Schüler des . Botanikers Corda und trat dann in intimen
Verkehr mit Sachs, Braun, Nägeli, Opiz, Freyer, Purkyné, die alle
feine botaniſchen Studien förderten. Sein trefflich geordnetes Her-
bar zählt 20000 Spezies. Darin befindet ſich bemerkenswerterweiſe
auch eine von Tempsky aufgefundene und nach ihm benannte Spezies
der Farrnkräuter, „Tempskya“. Corda hat ſie in ſeinen Beiträgen
zur „Flora der Vorwelt“ ausführlich beſchrieben. Tempskys jüngſte
Tochter Helene iſt die Gattin des jetzigen Seniorchefs der Firma,
Georg Freytag, der dem Unternehmen ſeit 1882 angehörte.
Am 31. Dezember 1888 trat Tempsky aus der Firma aus und über—
gab ſeinem Schwiegerſohne Georg Freytag den alleinigen Beſitz;
dieſer nahm 1904 Robert Hillig als Teilhaber auf.
Friedrich Tempsky ſtarb am 23. Juli 1902 in St. Wolfgang
bei Iſchl.
Quellen: Börſenblatt für den deutſchen Buchhandel 1891, 1892; Verlags-
kataloge 1856, 1872, 1886, 1903
Thurneyſſer zum Thurn. Der Leibarzt des brandenburgiſchen
Kurfürſten Johann Georg, Leonhard Thurneyſſer zum
Thurn, den ſeine Zeitgenoſſen einen weitberühmten, merkwürdi—
gen und geheimnisvollen Mann nennen, intereſſiert uns hier nur
ſoweit, als ſeine Tätigkeit mit der Druckkunſt in Berlin in Ver—
bindung ſteht.
Thurneyſſers buchdruckeriſche Tätigkeit im Berliner Grauen
Kloſter ift in vieler Beziehung ein Novum, die Art feines Schaffens
dort genau ſo merkwürdig wie ſein eigener abenteuerlicher Lebens—
Pa
— 949 —
gang. Aus dieſem fei kurz erwähnt, daß Thurneyſſer 1530 in Baſel
geboren wurde und ſchon in früheſter Jugend jenem Berufe zige-
führt wurde, der in der Eigenart der mittelalterlichen Abenteurer
begründet liegt. Eine fehlgeſchlagene Heirat, die er mit 17 Jahren
einging, verleideten ihm die Heimat und führten ihn einem unſtäten
Leben zu. Er bereiſte England und Frankreich, verſuchte auch ſein
Glück als Kriegsmann im Heere des Markgrafen Albrecht Alcibiades
von Brandenburg und tauchte dann wieder in nordiſchen Bergwerken
und Schmelzhütten unter. Als Wappenſtecher und Goldſchmied
treffen wir ihn 1555 in Straßburg i. E., bald nachher iſt er Auf—
icher in einem tiroler Bergwerk. Als Schmelg- und Schwefelhütten—
beſitzer im oberen Inntal übertrug ihm Graf Ladislaus von Hag
die Aufſicht über ſeinen Bergwerksbeſitz. Durch dieſen Edlen wurde
er auch am kaiſerlichen Hofe eingeführt, wo ſich ſeiner ganz beſonders
der etwas myſtiſch veranlagte Erzherzog Ferdinand annahm. Auf
deſſen Veranlaſſung machte er umfaſſende Reiſen in aller Herren
Länder. Thurneyſſer beſuchte Schottland, Spanien und Portugal,
ging dann nach Afrika, Athiopien und Aegypten. Von da zog er
nach Aſien, Arabien, Syrien und Palaftina und wählte die Rückreiſe
über Randia und Griechenland, Italien und Ungarn. Auf dieſen
Reiſen bemühte er ſich, Sprachen — er ſprach deren angeblich nicht
weniger als 32 — und insbeſondere Arzneiwiſſenſchaft zu erlernen.
Bis 1569 ſehen wir ihn noch in erzherzoglichen Dienſten. Dann
wandte er fic) nach Münſter i. W., wo er 1569 feine Archidoxa
und 1570 feine Quinta Essentia in der Offizin Oſſenbrugs drücken
ließ. Kurze Zeit ſpäter treffen wir ihn in der Mark Brandenburg,
in der er ſein Glück machen ſollte.
In Frankfurt a. Oder, wo er ſich niedergelaſſen hatte, ließ
er 1570 fein großes Werk „Pison oder Beſchreibung der Waſſer“
drucken. Hier lernte ihn auch Kurfürſt Johann Georg kennen. Er
übertrug dem bereits weithin bekannten Wunderdoktor die Behand—
lung ſeiner kranken Gemahlin, die auch in Thurneyſſers Pflege ge—
naß. Der Kurfürſt ernannte ihn nunmehr zu ſeinem Leibarzt und
überhäufte ihn mit Gunſtbezeugungen aller Art. Thurneyſſer arbei—
tete ſich unter dieſen günſtigen Verhältniſſen raſch empor. Er ver—
kaufte parazelſiſche Heilmittel zu hohen Preiſen, ſtellte die Nativität,
verfertigte Amulette, gründete ein Leihhaus, errichtete ein Labora—
torium und legte zunächſt für eigene Zwecke 1572 oder 1573 in dem
ihm vom Kurfürſten eingeräumten grauen Kloſter eine Buchdruckerei
und Schriftgießerei an, welche er mit deutſchen, lateiniſchen und
morgenländiſchen Lettern, vortrefflichen „Formen“ und Zierraten
aller Art ausſtattete. Wie bedeutend ſeine Druckerei war, geht aus
— 950 — :
der Tatſache hervor, daß fie in ihrer Blütezeit über 200 Arbeitern
Brot gab. Seine beſten Verlagsartikel waren ſeine Kalender, welche
in verſchiedenen Ausgaben erſchienen und in ganz Deutſchland reichen
Abſatz fanden. 1577 lieferte die Druckerei Werke im Geſamtumfang
von 440 Bogen, darunter eigene Schriften mannigfachſter Art. Auch
der Kurfürſt beſchäftigte die Druckerei in reichlicher Weiſe. Thur—
neyſſer, deſſen Arbeiten an künſtleriſcher Ausſtattung für die dama—
lige Zeit unerreicht daſtanden, ift überhaupt der erste Drucker in
der Mark, welcher auf den Namen eines Meiſters ſeiner Kunſt und
eines bedeutenden Verlagsbuchhändlers Anſpruch erheben darf.
Friedländer hat in feinen „Beiträgen zur Buchdruckergeſchichte Ver-
lins“ (Berlin 1834) die Verlagswerke Thurneyſſers bibliographiſch
beſchrieben.
Widrige Familienverhältniſſe zwangen Thurneyſſer, Berlin
zu verlaſſen und im Juli 1577 ſeinem erprobten Setzerfaktor
Michael Hentzke die Druckerei unter nicht ſchwer zu erfüllenden
Bedingungen für 1100 Taler zu verkaufen. Er ſelbſt ging zunächſt
nach Baſel und kehrte 1581 vorübergehend nach Berlin zurück. An—
geblich iſt Thurneyſſer nach einem längeren Aufenthalte in Italien
1595 oder 1596 in einem Kloſter zu Köln a. Rh. geſtorben.
Sein Geſchäftsnachfolger Michael Hentzke ſtarb bereits 1580
und die Witwe übertrug durch ihre Verheiratung mit Nikolaus
Voltz aus Erfurt das Geſchäft auf dieſen, der jedoch bald darauf
ſeinem Schwiegerſohn, dem Rektor des Gymnaſiums vom grauen
Kloſter, Wilhelm Hilden, den Gebrauch und die Nutznießung
der Druckerei überließ. Nach dem Tode Hildens, 1587, übernahm
Voltz wiederum die Offizin, ſiedelte aber nach Frankfurt a. Oder
über, wo er noch bis zu ſeinem 1619 erfolgten Tode gedruckt hat.
Quellen: Möhſen, Geſchichte der Wiſſenſchaften in der Mark Branden-
burg, Berlin 1783: Friedlaender (ſiehe oben); Bellermann, Das graue Kloſter,
Berlin 1823; Archiv für Geſchichte des deutſchen Buchhandels, Band 2, 7, 10,
11, 13, 16 und 17, woſelbſt auch die näheren Einzelheiten ſeiner beſonderen
buchhändleriſchen Tätigkeit hinſichtlich der techniſchen Seite nachzuleſen find;
vergl. auch Kapp, Buchhandel Band 1.
Tonger, P. J. Die Gründung des Hauſes Tonger datiert
aus dem Jahre 1822, in welchem Jahre Auguft Sof. Tonger
das Geſchäft als Buch- und Kunſthandlung ins Leben rief. Das
Plätzchen, welches man damals den Muſikalien großmütig gewährte,
muß ein ſehr beſcheidenes geweſen ſein, denn es genügten einige
Fächer zur Unterbringung dieſes „Muſiklagers“. Kein Wunder,
nur wenige konnten ſich die teueren Noten anſchaffen und man be—
half ſich lieber mit Abſchreiben, was in der guten alten Zeit noch
ungeſtraft geſchehen durfte. Der Muſikalienhandel ſteckte damals
— 951 —
noch arg in den Kinderſchuhen und verblieb darin, bis die Vervoll—
kommnung der Technik im Herſtellungsverfahren anfangs der fich-
ziger Jahre des verfloſſenen Jahrhunderts einen gewaltigen Auf—
ſchwung nahm und dadurch dem Notenhandel ganz andere Bahnen
anwies. 1838 wurde von der Firma Gaul und Tonger das
Pfennigmagazin für Geſang und Guitarre übernommen und damit
der neueren Richtung des Verlages die Wege geebnet. 1872 wurde
eine Trennung des Geſchäftes vorgenommen, die Muſikalien- und
Inſtrumentenhandlung zweigte fih unter der neuen Firma P. J.
Tonger ab. ö
Mit weitſehendem Blick ſetzte der neue Beſitzer ſich von An—
fang an ein beſtimmtes Ziel, das er unverrückt im Auge behielt
und das Geſchäft zur jetzigen Höhe erhob, nämlich die Verbreitung
guter, volkstümlicher Muſik in tadelloſen, billigen Ausgaben.
Die Firma P. J. Tonger faßte dieſen Geſchäftsgrundſatz
gleichzeitig als eine kulturelle Aufgabe auf, und ihr iſt es nicht
zum wenigſten zu danken, wenn gegenwärtig die Pflege der Muſik
in die breiteſten Volksſchichten eingedrungen iſt. Es dürfte wohl
nur wenige muſiktreibende Familien geben, die fih nicht im Beſitz
eines oder des andern jener ſchönen Albums für Klavier, für Vio—
line oder Geſang befindet, die in ſo reichem Maße den Anſprüchen
im Familienkreiſe Rechnung tragen. Daneben wirkte die vorzüglich
redigierte „Neue Muſikzeitung“, die in einer Auflage von 54000
Exemplaren erſchien, als mächtiges Hebemittel zur Erweckung des
muſikaliſchen Sinnes im Volke. |
Der Tongerſche Verlag — der Verlagskatalog umfaßte im
Frühjahr 1907 160 Seiten in Oktav — umfaßt Tauſende von Wer—
ken, namentlich guter populärer Muſik und Unterrichtswerke, auch
gegen 1000 aufführungsfreie Chöre ſowie in neuerer Zeit die als
eine beſondere Eigenart des Verlags zu betrachtenden Taſchen-Muſik—
Albums, die, ebenſo wie die Werke für den Unterricht, zum Teil in
erſtaunlich hohen Auflagen gedruckt werden mußten. So hat die
bekannte Hohmann-Heimſche Violinſchule bereits das 200. Tauſend
erreicht und die Taſchenalbums ſind in über 600 000 Exemplaren
verbreitet.
Die Sortimentsabteilung der Firma ging 1880 an
G. Grüttner über; 1893 verkaufte dieſer fic an Hugo Inde—
rau, der das Geſchäft ſeitdem unter der Firma Kölner Lehr—
mittelanftalt Hugo Inderau fortführt.
Quellen: Verlagskatalog 1907.
— 952 —
Trewendt, E. Eduard Trewendt wurde am 19. Suni
1817 als Sohn des Kaufmanns und Packhofinſpektors Friedrich
Trewendt in Breslau geboren. Seine Lehrzeit hatte er bei Max &
Co. in Breslau beſtanden, war dann drei Jahre bei Carl Jügel in
Frankfurt a. M. und ein Jahr bei Alexander Duncker in Berlin
geweſen. Anfang 1843 kam er zu Carl Gerold nach Wien, wo er
bis Mitte 1844 blieb, um dann durch eine für die damalige Zeit
große Reiſe nach Oberitalien, der Schweiz und Frankreich ſeine Aus—
bildung zu vervollſtändigen. Am 19. Februar 1845 eröffnete Tre—
wendt in Breslau ein Sortimentsgeſchäft, doch begann ſchon im
erſten Jahre eine verlegeriſche Tätigkeit, die im Jahre 1846 durch
den Kauf des Verlages von Leopold Freund in Breslau und
1847 durch Kauf des O. B. Schumann'ſchen Deutſchen Volkskalen—
ders, aus dem die weit verbreiteten Trewendt'ſchen Kalender ent—
ſtanden, bedeutend bergrofyrt wurde.
Der Verlag nahm bald einen bedeutenden Aufſchwung. Da—
mals wurden Strachwitz' Neue Gedichte und Holtei's Schleſiſche Ge—
dichte veröffentlicht, ferner das Sudeten-Album, für welches Tre—
wendt von Friedrich Wilhelm IV. die goldene Medaille für Kunſt
und Wiſſenſchaft erhielt. Durch den ſich raſch vermehrenden Verlag
wurde Trewendt's Tätigkeit bald ganz in Anſpruch genommen, ſo
daß er für das Sortiment ſich einen Sozius ſuchte, welchen er vom
Jahre 1850 an in Julius Granier fand. Die Firma wurde
infolgedeſſen in Trewendt & Granier umgewandelt, und auch
die Verlagswerke erſchienen von 1850 bis 1857 unter dieſer Flagge.
Julius Granier war ein treuer und gewiſſenhafter Mitarbeiter, und
die Zeit, in der er mit Trewendt zuſammen wirkte, wurde auch für
den Verlag die ſegensreichſte. In dieſer Periode erſchienen die erſten
Bände von Trewendt's Jugendbibliothek, Holtei's Vagabunden und
Lammfell, Gottſchall's Nationalliteratur, Julius Hoffmann's Wald—
läufer und Stein's Prärieblume. Am 1. Juli 1857 trennten ſich
die beiden Teilhaber. Granier übernahm das Sortiment für eigene
Rechnung, und Trewendt führte ſeinen Verlag fortan wieder unter
ſeinem Einzelnamen fort. In dieſes und die nächſten Jahre fällt
die Herausgabe der „Argo“, eines Berliner Künſtleralbums, an dem
ſich Maler wie Adolf Menzel, Guſtav Richter, Riefſtahl, Steffeck,
Hoſemann, Hoguet, Kretzſchmer, Ludwig Burger u. a. und Dichter
wie Emanuel Geibel, Paul Heyſe, Theodor Storm, Rudolf Gott—
ſchall, Hermann Grimm, Hermann Lingg, Fontane, Blomberg,
Rittershaus, Chr. Friedrich Scherenberg u. a. beteiligten.
In eine ganz neue Bahn wurde der Verlag durch den Erwerb
der „Breslauer Zeitung“ gelenkt, die Trewendt am 1. April 1859
— 953 —
zuſammen mit dem Schleſiſchen Bankverein in Breslau kaufte und
bis zu ſeinem Tode leitete. Eine Folge dieſer Richtung war die
Begründung der Schleſiſchen landwirtſchaftlichen Zeitung im Jahre
1860, welche Wilhelm Janke anregte und gemeinſam mit Eduard
Trewendt erfolgreich durchführte. Dieſe Verbindung mit der ſchle—
ſiſchen Landwirtſchaft zeitigte eine Reihe hervorragender Verlags—
werke, von denen Roſenberg's Ackerbau, May's Schaf, Janke's und
Körte's Jahrbuch der Viehzucht und Stammer's Jahresbericht für
die Zuckerfabrikation hier erwähnt werden ſollen. Das ereignis—
reiche Jahr 1866 brachte Unruhe und kriegeriſches Treiben nach
Breslau und Schleſien. Hier erwachte im Volke zuerſt das Bewußt—
ſein für den nationalen Beruf Preußens und fand ſeinen richtigen
Ausdruck in der von Julius Stein, dem Chefredakteur der „Bres—
lauer Zeitung“, verfaßten Zuſtimmungsadreſſe der ſtädtiſchen Be—
hörden Breslaus an König Wilhelm J. vom 15. Mai 1866, während
der Breslauer Profeſſor Felix Eberty in feiner gemeinverſtändlich
geſchriebenen, ſiebenbändigen „Geſchichte des preußiſchen Staats“
für die Verbreitung preußiſch-deutſcher Geſchichtsauffaſſung auch
außerhalb Altpreußens ſorgte. Den Verlag dieſes bedeutenden und
zeitgemäßen Werkes übernahm Trewendt, ſah es aber nicht mehr
vollſtändig, da ihn ein plötzlicher Tod am 22. Juli 1868 im 52. Le-
bensjahre dahinraffte. Er ſtarb am Herzſchlage in Altwaſſer auf
einer Fußpartie im Gebirge begriffen, welche er wenige Tage vorher
mit ſeinen drei älteſten Söhnen angetreten hatte.
Seine Gattin, Frau Auguſte Trewendt, unternahm es auf
Rat einſichtiger Freunde des Verſtorbenen, den Verlag perſönlich
fortzuführen und zwar in den Bahnen, die Eduard Trewendt ein—
geleitet hatte, bis die Söhne, welche ſich dem Buchhandel widmen
ſollten, für ſie eintreten könnten. Die Ausführung dieſes Ent—
ſchluſſes wurde durch weitere Schickſalsſchläge erſchwert, denn ſchon
bei Beginn des Jahres 1869 ftarben der langjährige Gehilfe Tre—
wendt's, der Prokuriſt Oskar Arene, und der literariſche Leiter der
landwirtſchaftlichen Abteilung des Verlages, Wilhelm Janke. Es
war in der Folge keine kleine Aufgabe für eine Frau, den umfang—
reichen Verlag mit Geſchäftsführern, die ſich erſt einarbeiten mußten,
erfolgreich fortzuſetzen. Die Leitung der „Breslauer Zeitung“ wurde
freilich an den Direktor des Schleſiſchen Bankvereins, Heinrich
Fromberg, abgegeben, doch wurde damit dieſes Unternehmen
vom Ganzen abgetrennt und hat ſich niemals wieder völlig der Ver—
lagsrichtung angeſchloſſen. Am 12. Auguft 1874 nahm Frau Tre-
wendt ihren zweiten Sohn Ernſt Trewendt als Teilhaber in
ihr Geſchäft auf. Dieſer hatte ſeit 1868 bei Carl Friedrichs in der
= O54 125
Schwers'ſchen Buchhandlung in Kiel, bei Otto Janke in Berlin,
Huber & Co. in Bern und Faeſy & Frick in Wien den Buchhandel
kennen gelernt, war Soldat geweſen und hatte ſich durch Reiſen zu
bilden geſucht. Ihm wurde für die Folge die ſelbſtändige Leitung
der Verlagsbuchhandlung übertragen, in die im Jahre 1875 auch
ſein Bruder Hans Trewendt als Teilhaber eintrat. Man
ſuchte das Alte, ſoweit es ſich nicht überlebt hatte, zu konſervieren,
namentlich den Kalender, Trewendt's Jugendbibliothek und den
Schulbücherverlag, in dem ſich die trefflichen Kolde'ſchen Religions-
bücher und Eduard Cauer's Geſchichtstabellen befanden, und fügte
neue Zweige in den Verlag ein, ſo die Encyklopädie der Naturwiſſen—
ſchaften und den daraus hervorgehenden naturwiſſenſchaftlichen Ver-
lag und die hiſtoriſch-politiſche Abteilung mit Werken wie Adler,
Geſchichte der ersten ſozialpolitiſchen Arbeiterbewegung in Deutſch—
land, Feldmarſchall Roon, Denkwürdigkeiten, Wilmowski, Feld—
briefe, Poſchinger, Fürſt Bismarck und die Parlamentarier, denen
andre intereſſante Veröffentlichungen folgten. Hans Trewendt
begründete als neuen Verlagszweig im Jahre 1876 eine Buch—
druckerei, deren Leitung er bis 1893 inne hatte. Als 1880 der Schle—
ſiſche Bankverein ſeinen Anteil an der „Breslauer Zeitung“ an Dr.
Paul Lion verkaufte und infolgedeſſen der Geheime Kommerzien—
rat Heinrich Fromberg von der Leitung des Blattes zurücktrat,
wurde die „Breslauer Zeitung“ auch äußerlich von der Buchhand—
lungsfirma Trewendt abgetrennt.
Ernſt Trewendts Tätigkeit wurde bald darauf in außerordent—
licher Weiſe durch den Verlag und die verantwortliche Redaktion der
„Deutſchen Revue“ in Anſpruch genommen, die nach mehrfachem
Verlagswechſel zuletzt dem Herausgeber Richard Fleiſcher ge—
hört hatte und nun auf dringenden Wunſch desſelben zur Hälfte
Eigentum der Firma Eduard Trewendt wurde. Leider fand die faſt
12jährige angeſtrengte und opfervolle Tätigkeit der letzteren für das
ehrenvolle aber ſchwierige Unternehmen nicht die Anerkennung des
Miteigentümers, ſo daß, nach dem vergeblichen Verſuche der Ver—
lagsbuchhandlung, das Eigentum dieſer Zeitſchrift vollſtändig zu er-
werben, Richard Fleiſcher am 1. März 1594 das Verlagsrecht zurück—
kaufte und es an die Deutſche Verlagsanſtalt in Stutt-
gart weitergab. Inzwiſchen hatte Ernſt Trewendt am 1. Oktober
1893 die Verlagsbuchhandlung und Buchdruckerei für eigene Red-
nung erworben. Frau Auguſte Trewendt — geſtorben am 21. Sep—
tember 1894 — und Hans Trewendt ſchieden aus der Firma aus.
Hans Trewendt behielt gemeinſam mit den Lion'ſchen Erben den
Verlag der „Breslauer Zeitung“. In die Firma Eduard Trewendt
— 955 —
trat Hermann Andree als Teilhaber ein, der älteſte Sohn des
Geographen Dr. Richard Andree. Damals an eine Reihe neuer
literariſcher Unternehmungen, fo Valentiner's Handwörterbuch der
Aſtronomie und Kriegsminiſter von Roon als Redner, heraus—
gegeben und erläutert von Waldemar Graf Roon uſw.
Nach dem Eintritt von Felix Bagel ſiedelte die Firma
1903 nach Berlin über. Auch dort hat ſie eine reiche Verlagstätigkeit
entwickelt. —
Die Firma Trewendts Buch- und Kunſthandlung
wurde 1872 an Bernhard Hir ſch und Max Woywod käuf—
lich abgetreten. Letzterer machte ſich 1883 durch Gründung eines
eigenen Verlages . Seit 1891 befindet fih Trewendt
und Graniers Sortimentsbuchhand lung im Beſitze
von Alfred Preuß.
Quellen: Verlagskatalog 1895.
Trübner, N. Nikolaus Trübner wurde als der älteſte
Sohn eines Goldſchmieds am 16. Juni 1817 in Heidelberg geboren,
beſuchte das Gymnaſium dortſelbſt und erlernte den Buchhandel bei
Mohr ebenda. Nach ſechsjährigem Aufenthalte verließ er die Hand—
lung, um zu Vandenhoeck und Ruprecht nach Göttingen zu gehen,
von da aus zu Hoffmann & Campe nach Hamburg. Hatte Trübner
bei Mohr in Heidelberg Bekanntſchaft gemacht mit berühmten Ge—
lehrten der neu aufblühenden Univerſität, ſo lernte er in Hamburg
die unruhigen Geiſter des jungen Deutſchlands kennen; beides hat
ſeine Wirkung auf ihn nicht verfehlt. In Frankfurt a. M., wohin
er nunmehr überſiedelte, machte er als Angeſtellter des Fremden—
und Hofgeſchäftes Wilmanns, das einen beträchtlichen Import fran—
zöſiſcher und engliſcher Luxuswerke betrieb, Bekanntſchaft mit dem
Senior des berühmten Verlagshauſes Longmann & Co. in London,
der ihn bald darauf für die ausländiſche Abteilung ſeines großen
3 engagierte. Als Trübner 1843 in England landete, hatte
r 30 Schillinge in der Taſche. Mit Eifer warf er ſich u) auf
ſprachliche und bibliographiſche Studien.
1852 verließ Trübner das Longmannſche Geſchäft und be-
gründete mit höchſt beſcheidenen Mitteln einiger Heidelberger
Freunde und Angehörigen eine Buchhandlung, in die ſpäter
D. Nutt als Teilhaber eintrat.
Das nächſte Ziel, das ſich die neue Firma Trübner & Co.
ſteckte, war der Import amerikaniſcher Literatur. Trübner unter—
nahm zu dieſem Zwecke eine mehrmonatige Reife über den Ozean,
um die großen amerikaniſchen Verlagshäuſer ſelbſt kennen zu lernen.
— 956 —
Ueberall wurde er gut aufgenommen; die damals von ihm ange—
knüpften Bekanntſchaften waren dauernd für das ganze Leben. Die
literariſche Frucht dieſer Reiſe und eines dreijährigen angeſtrengten
Studiums war ſein im Jahre 1855 veröffentlichter „Biblio graphi—
cal Guide to American Litterature“, der die geſamte ſelbſtändige
Literatur der Nordamerikaner feit Beginn des Jahrhunderts ver-
zeichnet und als Beigabe wertvolle Mitteilungen über die Bibliothe—
ken der Vereinigten Staaten enthält. 1859 erſchien bereits eine
zweite Auflage des Werkes. Zum geſchäftlichen Aufſchwunge der
jungen Firma trug dieſe Publikation viel bei.
Eine der früheſten Unternehmungen ſeines Verlags war die
Verbindung mit dem. bekannten engliſchen Romanſchriftſteller
Charles Reade, deſſen erſte Romane Trübner verlegte.
Der Gedanke, die Literaturſchätze des Orients durch einen
geregelten Verkehr der europäiſchen Wiſſenſchaft zugänglich zu
machen, verſuchte zum erſtenmal ſein ſeit 1865 erſchienener „Ameri—
can and Oriental Literary Record“, der mit annähernder Voll—
ſtändigkeit die literariſche Produktion Nord- und Südamerikas,
ſowie die von Indien, Perſien, China, Auſtralien, Nord- und Oſt—
afrika des 3. Viertels des 19. Jahrhunderts verzeichnet. Neben
dieſer fortlaufenden Bibliographie gingen aus dem Geſchäft wert—
volle bibliographiſche Verzeichniſſe hervor, wie der Catalogue of
Sanskrit Litterature und der Catalogue of Dictio naries and grammars.
Ferner erſchienen in ſeinem Verlage die bedeutenden Werke von
Muir, Legge, Wheeler, Elliot, Cuningham, Beal, Beames, Caldwell.
Childers, Max Müller u. a. Viele der in England ſehr zahlreichen
literariſchen Geſellſchaften ließen bei Trübner ihre Publikationen er-
ſcheinen, ſo die Early English Text Society, Chaucer Society,
Ballad Society, New Shakespeare Society u. v. a. Die engliſche
Regierung und die der Kolonien betrauten Trübner mit dem Debit
der amtlichen Publikationen, von denen hier nur als Gegenſtück zu
unſerer Monumenta Germaniae die Chronicles and Memorials
genannt ſeien.
Trübner, der am 30. März 1884 ſtarb, war, trotzdem er ſich
in England vollſtändig einheimiſch gemacht hat, ſtets ein warmherzi—
ger deutſcher Patriot und hat als ſolcher z. B. den hervorragendſten
Anteil an der großartigen Sammlung, die in England und den
Kolonien für die Wiederherſtellung der Straßburger Bibliothek zu—
ſammengebracht wurde.
Trübner hat die Weltſtellung Londons im Buchhandel mit
ſcharfem Blick erkannt; er ſchrieb einmal: „Ich hoffe den Engländern
durch meine Tätigkeit zu zeigen, was die Weltherrſchaft dieſes Landes
— 957 —
buchhändleriſch bedeutet, und was der Buchhandel für die Förderung
des literariſchen Verkehrs zwiſchen Mutterland und Kolonien, ſowie
für die Verſchmelzung der gegenſeitigen geiſtigen Intereſſen tun
kann.“
Nach dem Tode Trübners wurde die Firma von Edwards und
»Duffing, die ſchon früher als Teilhaber eingetreten waren, fort-
geführt.
Quellen: Centralblatt für Bibliotheksweſen 1884.
Ullſtein. Im Zeitungsviertel Berlins ſteht ein gewaltiger
Gebäudekomplex, von dem ein Haus, Kochſtraße 23/24, mit ſeinem
ſchmucken Uhrtürmchen und der ſtolzen Sandſteinfaſſade jedem
Berliner als das Haus der Morgenpoſt bekannt iſt. Der Block
Charlottenſtraße 9—12 und Kochſtraße 22—25 ift der Sitz des
Ullſtein'ſchen Verlages, deſſen weitverzweigte Unternehmungen ihre
Blüte zwei Generationen verdanken, dem Begründer des Hauſes,
Leopold Ullſtein, und ſeinen fünf Söhnen, Rechtsanwalt Hans
Ullſtein, Louis Ullſtein, Dr. Franz Ullſtein, Rudolf und
Hermann Ullſtein.
In knapp 30 Jahren iſt das Rieſenwerk geſchaffen worden.
Der Gründer der Firma, Leopold Ullſtein, der, von Haus aus
Papierfachmann, dem Verlagsweſen ſchon mehrere Jahrzehnte nahe
geſtanden hatte, übernahm im Auguſt 1877 das „Neue Berliner
Tageblatt“ nebſt einer Druckerei und wandelte es bald darauf in
die „Deutſche Union“ um; an deren Stelle trat am 1. Januar 1878
die „Berliner Zeitung“, der es bald gelang, in Berlin das Organ
aller an einer freiheitlichen Entwickelung des Reiches Intereſſierten
zu werden und vornehmlich in kommunalpolitiſchen Fragen Einfluß
zu erlangen. Die „Berliner Zeitung“ war ein echt demokratiſches
Organ, ein Blatt von äußerſter Volkstümlichkeit, das ſtets jene fort—
ſchrittlichen Grundſätze vertrat, von dem ſich der Verlag in allen
ſeinen Unternehmungen leiten ließ. Die große Anhängerſchaft, die
es ſich erwarb, machte erweiterte Räumlichkeiten nötig und ſo wurde
denn gebaut. In den Jahren 1885/86 erſtand das oben erwähnte
Gebäude Kochſtraße 23/24 und bald wurde noch eine neue Zeitung
daneben gegründet, die „Berliner Abendpoſt“, die ſich die Vorzüge
des damals geltenden billigen Poſtzeitungstarifes zunutze machte.
Mit ihr ſtellte ſich der Verlag die Aufgabe, den Beamten und kleinen
Kapitaliſten außerhalb Berlins eine reichhaltige und billige Tages—
zeitung zu liefern. Obwohl die Berliner Abendpoſt im Laufe der
Jahre mancherlei Nachahmung gefunden und obwohl ſie infolge der
Erhöhung des Poſtzeitungstarifs ihren urſprünglichen, beiſpiellos
„ ¾ r ²˙ r ̃˙ m ̃˙—7⅜̃ SRN ‚ h —·˙ edt ig thy Bt
— 958 —
billigen Bezugspreis von M. 1.— pro Quartal in die Höhe ſetzen
mußte, dringt ſie noch immer in jeden Winkel der kleinſten Poſtorte
Deutſchlands und iſt überall die gern geſehene Botin, die geſchickt
und knapp über die Weltereigniſſe berichtet.
Aufwärts ging es. 1889 traten Rechtsanwalt Hans Ullſtein
und Louis Ullſtein in die Firma ein und das Jahr 1891 fab die
Begründung einer modernen Akzidenzdruckerei, die 1892 in das Haus
Charlottenſtraße 9/10 überſiedelte. 1894 kam die „Berliner Illuſtrierte
Zeitung“ in den Beſitz der Firma und 1898 wurde die „Berliner
Morgenpoſt“ gegründet, deren beiſpielloſer Erfolg noch des näheren
geſchildert werden ſoll.
Es war dem Senior-Chef noch vergönnt geweſen, das Gin-
ſchlagen der dem neuen Blatt zugrunde liegenden Idee zu beobachten.
Als Leopold Ullſtein im Dezember 1899 die Augen ſchloß, konnte
er das Bewußtſein mit hinübernehmen, daß er fein Lebenswerk in
guten Händen zurückließz. In der Tat wurde der Verlag planmäßig
und zielbewußt ausgebaut. Die alten Unternehmungen wurden
weiter entwickelt und neue ihm angegliedert.
Die „Berliner Morgenpoſt“ iſt ziffernmäßig die geleſenſte
aller deutſchen Tageszeitungen. 5 Monate nach ihrer Gründung
hatte ſie die erſten hunderttauſend Abonnenten, nach einem Jahr
wurde das zweite Hunderttauſend erreicht uud im 6. Jahre ihres
Beſtehens wurde das dritte Hunderttauſend überſchritten und damit
ein Rekord im Deutſchen Zeitungsweſen geſchaffen. Die „Berliner
Morgenpoſt“ iſt aus dem Berliner Geiſt herausgeboren und wird
ohne beſtimmte Parteirichtung in volkstümlichem, fortſchrittlichem
Sinne redigiert. Sie wird ihren Abonnenten im Wochenabonnement —
es war dies bei Gründung des Blattes eine für Berlin neuartige
Einrichtung — durch eigene Boten ins Haus geliefert. Das macht
einen gewaltigen Apparat nötig, zu dem allein 1500 Botenfrauen
gehören. Dieſe Spedition erſtreckt fich nicht nur über Groß, Berlin,
ſondern auch über Vororte, die dazu noch nicht gerechnet werden,
nimmt alfo ein grœatest-Berlin voraus.
Legte man das Papier einer Sonntagsnummer der Morgen—
poſt bogenweiſe aneinander, ſo ergäbe das eine Strecke, zu deren
Bewältigung der ſchnellſte deutſche 1) Zug 36 Stunden Fahrt braucht.
Ihr zur Seite it die „B. 3. am Mittag“, die alte Berl.
Zeitung im neuen Gewande getreten, das einzige Mittagsblatt
Berlins, das durch den Straßenhandel vertrieben, den Fremden
ganz beſonders in die Augen fällt und fo herauskommt, daß es
gerade noch die Anfangskurſe der um 12 Uhr beginnenden Berliner
Börſe bringen kann. Es iſt das Orgau des modernen Großſtädters,
— 959 —
das ihm die erſt am Morgen oder im Laufe des Vormittags bekannt
gewordenen Ereigniſſe auf politiſchem und geſellſchaftlichem Gebiete
meldet. Groß vor allem iſt die Gemeinde, welche die reichhaltige
Sportbeilage der B. Z. am Mittag um ſich verſammelt. Hier gibt
es keine Parteiunterſchiede, denn das Intereſſe für den Sport
nivelliert und demokratiſiert. Ä
Eine Klaſſe für ſich bildet die „Berliner Illuſtrierte Zeitung“,
die nicht bloß, was ihre Abonnentenziffer von faſt 400000 beſagt,
an der Spitze aller aktuell illuſtrierten Wochenſchriften ſteht. Sie
iſt die verkörperte Aktualität. Ihren Photographen und Zeichnern
entgeht nichts, was des Abbildens wert iſt und ſo bildet jede
Nummer eine Wochenchronik aller Ereigniſſe und Perſonen, die von
ſich reden machen. Anfang der 90er Jahre bereitete ſich jene
Wandlung der Illuſtrationstechnik vor, welche durch die Fortſchritte
der Autotypie und Momentphotographie bedingt war. In jener
Zeit entſtand die Berliner Illuſtrierte Zeitung und wie an Stelle
des Zeichenſtiftes die Camera, an Stelle des ſubjektiven Künſtler—
auges der objektive photographiſche Apparat trat, das iſt bei ihr
am beſten zu ſtudieren. Und doch hat die Berliner Illuſtrierte
Zeitung auf den Crayon des Zeichners niemals ganz verzichtet,
ſondern überläßt ihm jene Aufgaben, die ihm vorbehalten bleiben müſſen.
Zwei Frauenzeitungen „Dies Blatt gehört der Haus—
frau“ und „Die praktiſche Berlinerin“ wenden ſich in erſter
Linie als Modeblätter an die Damenwelt, ſind aber auch durch
praktiſche Winke aller Art und durch die eigenartigen Ullſtein'ſchen
Schnittmuſter zu treuen Helferinnen im wirtſchaftlichen Leben ge-
worden. Daneben pflegen ſie den Roman und ſorgen für intereſſante
Unterhaltung. Von „Dies Blatt gehört der Hausfrau“ erſcheint
eine Ausgabe für Oeſterreich-lngarn in Wien, woſelbſt für dieſen
Zweck eine Zweigniederlaſſung der Firma Ullſtein & Co. beſteht.
Ein ganz neues originelles Unternehmen bildet die „Muſik
für Alle“, die in monatlichen Heften eine ſorgfältige Auswahl der
beſten Muſik aller Zeiten, natürlich auch moderner Muſik, bringt
und auch über einen vorzüglich redigierten Textteil verfügt.
Durch die letztgenannten Zeitſchriften hat die Firma Ulllſtein & Co.
mit dem deutſchen Buchhandel enge Fühlung genommen, aber auch
auf dem Gebiete des Buchverlages iſt ſie neuerdings mit hoch—
intereſſanten und vielbegehrten Publikationen hervorgetreten. Das
größte Unternehmen dieſer Art iſt „Ullſteins Weltgeſchichte“,
das ſechsbändige illuſtrierte Prachtwerk, zu dem 26 denutſche
Univerſitäts-Profeſſoren ihre Beiträge geliefert haben.
— 960 —
Dem fortſchrittlichen, im beſten Sinne modernen Geiſte, der
den Verlag beſeelt, entſprechend, hat ſich die Firma immer auf das
lebhafteſte aller techniſchen Neuerungen angenommen, alles geprüft
und das Beſte behalten. In der Druckerei, die nur noch den eigenen
Zwecken des Verlagshauſes nutzbar gemacht wird, dienen zur Her—
ſtellung der Tageszeitungen mehr als 20 Setzmaſchinen, über ein
Dutzend Zwillings-Rotationsmaſchinen und, ſchon wieder zu deren
Erſatz beſtimmt, eine raſch wachſende Zahl der in das Rieſenhafte
getürmten Vierrollenmaſchinen, die in der Minute 200 Exemplare
einer 8 Bogen ſtarken Nummer auszuwerfen vermögen. Zur Her—
ſtellung der Zeitſchriſten laufen eigens konſtruierte Rotationsmaſchinen,
die z. B. die Rieſenauflage der Berliner Illuſtrierten Zeitung in
kürzeſter Zeit fix und fertig liefern, gedruckt, gefalzt, aufgeſchnitten
und geheftet. Zur Erzielung einwandfreier Illuſtrationen ſind
Lizenzen auf die beſten Zurichteverfahren erworben. Die Beleuchtung
der Arbeitsſäle mit indirektem Bogenlicht erleichtert die Nachtarbeit.
Bagger-Werke zur ſelbſttätigen Beförderung der Papierrollen aus
dent Papierlager zur Maſchine wirken zeiterſparend bei der Druck—
legung der Tageszeitungen. Auch die Trocken-Apparate, die die
Herſtellung der Matern übernehmen und die automatiſchen Gieß—
maſchinen, die jede Nacht mehrere hundert Druckplatten liefern, ſind
von der Firma Ullſtein & Co. zuerſt auf dem Kontinent aufgeſtellt
worden. Auf mehreren Ferndruckern fließen unausgeſetzt die De-
peſchen aus allen Teilen der Welt direkt vom Haupt-Telegraphenamt
der Redaktion zu. Ein großer Fuhrpark, dem auch Automobile und
Motorräder und gegen hundert Radfahrer dienen, ſorgt für eine
ſchnelle Auslieferung der Zeitungen.
Das dreißigſte Jahr ihres Beſtehens ſchloß die Firma
Ullſtein & Co. mit einem Perſonal von etwa 3000 Perſonen.
Quellen: Feſtſchrift I. und Co., Berlin 1903.
Ulm, A. Adolph Ulm wurde im Jahre 1824 zu Weil-
burg in Naſſau geboren. Nach genoſſener Gymnaſialbildung wid—
mete er ſich dem Studium der Philologie, mußte dasſelbe aber eines
körperlichen Leidens wegen aufgeben und trat 1847 in die Buchhand—
lung von J. D. Sauerländer in Frankfurt a. M. Die zwei Jahre,
die er in dieſer Stellung zubrachte, gehörten zu den anregendſten
ſeines Lebens. Bei ſeiner ideal veranlagten Natur mußten die poli—
tiſchen Vorgänge, die ſich damals in Frankfurt abſpielten, den leb—
hafteſten Eindruck auf ihn machen — einen Eindruck, dem er ſelbſt
dauernden Einfluß auf ſeine ſpäteren politiſchen und ſozialen An—
ſchauungen zuſchrieb. Sein einſichtsvoller Chef erkannte jedoch bald,
daß für den wiſſenſchaftlich gebildeten jungen Mann in ſeinem
— 961 —
eigenen, vornehmlich die Romanliteratur pflegenden Verlagsgeſchäft
nicht der rechte Wirkungskreis zu finden ſei, und veranlaßte ihn, im
Jahre 1849 nach Leipzig zu gehen, wohin er ihm warme Empfeh—
lungen an ſeinen Kommiſſionär K. F. Koehler mitgab.
Dieſer hatte damals gerade in Verbindung mit Armbruſter
den Grund zu einem Antiquariat gelegt, welches bald ganz für
eigene Rechnung zu übernehmen er ſich genötigt ſah; da er ſich jedoch
perſönlich demſelben nicht widmen konnte, ſo glaubte er mit richtigem
Blick in Ulm den geeigneten Mann hierfür gefunden zu haben. Nicht
ohne ſchwere Bedenken ging dieſer auf den Plan ſeines Chefs ein,
denn er ſagte ſich, daß ihm ſo gut wie alle Vorkenntniſſe hierzu ab—
gingen. Wohl war er mit den klaſſiſchen und humaniſtiſchen Studien
vertraut und beſaß in ſeiner allgemeinen Bildung die Grundlage
für eine richtige Erkenntnis und Beurteilung der Literaturerzeug—
niſſe auch anderer Gebiete; dagegen ſah er ſich in allen praktiſchen
Fragen ganz und gar auf ſich ſelbſt angewieſen, ohne die Möglichkeit
zu haben, ſich irgendwo Rats zu holen, wie die Sache anzufaſſen ſei.
Jedoch er wagte es, und der Erfolg, den er errang, bewahrheitete
aufs neue die alte Erfahrung, daß ernſter Wille und unermüdliche
Arbeitſamkeit auch der ſchwierigſten Verhältniſſe Meiſter zu werden
im Stande ſind.
Seine ſcharfe Beobachtungsgabe fand bald, in welcher Rich—
tung eine gedeihliche Entwickelung des jungen Geſchäfts zu finden
ſein würde; er bemerkte, daß der wiſſenſchaftlichen Literatur in den
beſtehenden Antiquariatsgeſchäften nicht die Beachtung zuteil wurde,
wie ſie im Intereſſe der Gelehrtenwelt lag. Hierher verlegte er alſo
den Schwerpunkt ſeiner geſchäftlichen Tätigkeit, und daß er das Rich—
tige getroffen, zeigte der Erfolg ſchon nach wenigen Jahren. Viele
Nachfolger hatte er in dieſer von ihm zuerſt eingeſchlagenen Richtung
gefunden, und das deutſche „wiſſenſchaftliche Antiquariat“ ſteht jetzt
auf einer Höhe der Leiſtungsfähigkeit, wie ſie der Buchhandel keiner
anderen Nation aufzuweiſen vermag. Ulm gebührt das Verdienſt,
dies zuerſt erkannt und praktiſch verwertet zu haben.
Die fernere Lebensgeſchichte Ulm's fällt zuſammen mit der
Geſchichte der Firma K. F. Koehler's Antiquarium in
Leipzig; ſie iſt niedergelegt in den erſten 400 Katalogen dieſer
Firma, von denen kein Bogen, ohne Ulm's Korrektur paſſiert zu
haben, zum Druck kam; ſie iſt ferner niedergelegt in einer Reihe
ſchriftlicher Aufzeichnungen, die im Laufe der Jahre entſtanden,
und die für ſpätere Zeiten von hohem Intereſſe ſein dürften, denn
es war dem Verſtorbenen ein Bedürfnis, alles ſchriftlich zu fixieren,
was ihn — freudig oder ſchmerzlich — im Geiſte bewegte. Dieſe
61
— 962 —
Aufzeichnungen und Erinnerungen zu einer kritiſchen Geſchichte der
Entwickelung des deutſchen Antiquariatsgeſchäftes zu verwerten und
zu veröffentlichen — dazu war er leider nicht zu bewegen. Bis
zum Tode ſeines Chefs im Jahre 1872 leitete er — ſeit 1859 als
Prokuriſt — das Geſchäft, und ein auf gegenſeitiger Hochachtung be—
ruhendes Freundſchaftsverhältnis, wie es ſelten in ſolcher Ungetrübt—
heit vorkommt, verband beide Männer. Dieſem ſchönen Verhältnis
gegenüber ließ Ulm ſein perſönliches Intereſſe in den Hintergrund
treten; die ihm von einem reichen Bücherliebhaber entgegengetragene
Gelegenheit, ſich in dem ſelbſt errungenen Berufskreiſe ſelbſtändig
zu machen, lehnte er — pietätvoll gegen ſeinen verehrten Chef —
ab. Seit 1873 war er Teilhaber der Firma. Ulm ſtarb am
22. April 1884.
Quellen: Centralblatt für Bibliotheksweſen 1884.
Ulmer, E. Im Jahre 1864 ging der Pomologiſche Verlag
der Firma Eb'ner & Seubert in Stuttgart durch Kauf an
Carl Maier, weiland Aſſocie der Dor n'ſchen Buchhand—
[ung in Ravensburg, dem Schwager von Eugen Ulmer fen. über.
Nach dem im November 1867 erfolgten Tode Maiers erwarb dieſen
Verlag Eugen Ulmer fen. (geb. 30. Juni 1837). Er führte
ſolchen vom 1. Januar 1868 bis September 1874 unter ſeinem
Namen in Ravensburg weiter, ſiedelte aber im Oktober 1874 nach
Stuttgart über.
Zur Komplettierung des Verlages erwarb die Firma neben
der Maierſchen Buchdruckerei im Jahre 1868 zwei bei A. Lubrecht
in Stuttgart erſchienene Jahrgänge des „Pomologiſchen Taſchen—
buchs“, ferner von Julius Maier ebenda Seuberts Exkurſions—
floren für Baden (früher Verlag von J. Engelhorn in Stutt—
gart) und Südweſtdeutſchland. Einige weitere Verlagswerke gingen
aus dem Beſitz von J. F. Schreiber in Eßlingen, C. Aue c in Stutt-
gart und der Ca ß'ſchen Buchhandlung in Heilbronn in den
Verlag Ulmers über. Heute hat der Verlag, welcher ſich ausſchließ—
lich mit Landwirtſchaft, Obſt- und Gartenbau beſchäftigt, einen
großen Umfang angenommen. Aus dem 64 Seiten ſtarken Verlags-
katalog ſeien beſonders angeführt: Martin-Zeebs Handbuch der
Landwirtſchaft in 6. Auflage; Rörig, Tierwelt und Landwirtſchaft;
die große Sammlung, umfaſſend 84 Bände Belehrendes und Unter—
haltendes aus allen Zweigen der Landwirtſchaft „Des Landmanns
Winterabende“; Kraus, Die Lagerung der Getreide; Tubeufs pflan—
zenpathologiſche Wandtafeln und Kirchner-Boltshauſers Atlas der
Krankheiten und Beſchädigungen unſerer landwirtſchaftlichen Kultur—
2 — — —
— 963 —
pflanzen; die weitbekannten obſtkundlichen Vücher von Ed. Lucas;
Chriſt-Lucas Gartenbuch in 15. Auflage, forte eine weitere große
Reihe bon Schriften über Obſtbau, Gemüſeverwertung, Gartenbau,
Weinbau, Tierzucht jeder Art, Milchwirtſchaft, Buchführung und
Genoſſenſchaftsweſen, landwirtſchaftliche Rechtskunde uf. An Beit-
ſchriften ſeien noch genannt: „Zeitſchrift für Pflanzenkrankheiten“,
herausgegeben von Sorauer; „Fühlings landwirtſchaftliche Zei—
tung“, im Jahre 1851 begründet und jetzt von Profeſſor Dr. Edler
herausgegeben; „Naturwiſſenſchaftliche Zeitſchrift für Land- und
Forſtwirtſchaft“, herausgegeben von Carl Freiherr von Tubeuf etc.
1898 nahm der Geſchäftsgründer ſeinen Sohn Eugen
Ulmer jun., geb. 13. September 1865, und 1900 ſeinen Sohn
Richard Ulmer, geb. 4. Mai 1871, als Teilhaber in das um—
fangreiche Geſchäft auf.
Quellen: Verlagskataloge 1869 u. 1907.
Unger, J. G. Johann Georg Unger wurde am
26. Oktober 1715 als der jüngſte Sohn eines Pächters in dem ſäch—
ſiſchen Dörflein Goos bei Pirna geboren. Nach Beſuch der Stadt—
ſchule Pirna gaben ihn ſeine Eltern in die Lehre zum Buchdrucker
Grütze; trotzdem der junge Unger viel mehr Neigung zum Studium
zeigte. In ſeinen Freiſtunden beſchäftigte den Jüngling das Holz—
ſchneiden. Dieſe Kunſt, die dazumal ſehr in Verfall geraten war,
ſollte durch Unger wieder zu neuem Leben erweckt werden. Er fer—
tigte zunächſt ein Alphabet in großen, geſchnörkelten Buchſtaben und
fuhr um ſo eifriger in ſeiner Kunſt fort, als auch ſein Prinzipal ihn
fortwährend ermunterte. 1738—40 arbeitete Unger in Buchdrucke—
reien in Dresden und ging dann nach Berlin, wo er in der Kunſti—
ſchen Buchdruckerei mit einem wöchentlichen Arbeitslohn von drei
Talern von morgens 6 bis abends 8 Uhr feine Tätigkeit entfaltete.
Deswegen erlahmte aber ſein Intereſſe an der angefangenen Holz—
ſchneidekunſt keineswegs. Mit raſtloſem Fleiße ſuchte er zunächſt
das Zeichnen zu erlernen, worin er gar keine Uebung beſaß, und als
er kraft ſeines eiſernen Willens über dieſe Schwierigkeit hinweg war,
wandte er ſein Hauptaugenmerk auf die Verbeſſerungen der ſoge—
nannten Buchdruckerſtöcke, die damals als Buchverzierung gang und
gäbe waren. In der Zeichnung und Zuſammenſetzung von Buch—
druckerleiſten, Kartuſchen und Finalſtöcken wurden ſeine Leiſtungen
bald ſo bedeutend, daß er dem Buchdruck Valet ſagte und ſich 1757
ganz feinem Lieblingsfache, der Holzſchneidekunſt, zuwandte. Er-
wähnt ſoll noch werden, daß er ſich ſeine ſämtlichen Werkzeuge mit
eigener Hand anfertigte. Von großem Einfluſſe wurde ſeine nun—
gu
— 964 —
mehrige Bekanntſchaft mit Wilhelm Meil, einem Berliner Künſtler,
der ungemein viele Verdienſte auf dem Gebiete der damaligen Buch—
illuſtration hat. t
Trotz alledem kam Unger aber nicht aus den Nahrungsſorgen
heraus, umſoweniger als ſeine Familie ſich fortwährend vergrößerte.
Dabei machten fich gerade damals die drückenden Folgen des ſieben—
jährigen Krieges ſehr bemerkbar. Da kam ihm eine Rettung durch
die Berliner Tabaksfabrikanten, die von ſeiner Kunſt gehört hatten
und ihm nun die Anfertigung von Etiketts für ihre Tabakspakete
aufgaben. Bisher hatten dieſe Fabrikanten ihre Etiketts in dem
weit teureren Kupferabdruck herſtellen laſſen. Unger wollte ſich
naturgemäß den Gewinn, den das Drucken neben dem Schneiden
einbrachte, nicht entgehen laſſen. Zur Anſchaffung einer Buchdruck—
preſſe fehlte ihm aber das Geld und daher konſtruierte er eine wohl—
feilere Preſſe mit 2 Walzen, womit zwar keine Lettern gedruckt wer—
den konnten, die aber dennoch ſich für den Etikettendruck als brauch—
bar erwies. Ja er konnte auf ihr ſogar ein Dritteil mehr drucken,
als dies mit der Buchdruckpreſſe möglich geweſen wäre. So von
den drückendſten materiellen Sorgen befreit, widmete er ſich nebenbei
wieder mehr der Formſchneidekunſt, vervollkommnete ſein Wiſſen
über das Weſen der bildenden Künſte und begann in ſeinem 64. Jahr
die bekannten fünf landſchaftlichen Vorſtellungen zu ſchneiden, die
ihn durch 5 volle Jahre beſchäftigten, allerdings auch als Meiſter—
werke aus feiner Hand hervorgingen.! Diefe 5 Blätter begleitete er
mit einer Abhandlung, die darlegte, mit wieviel und mit wie ver-
ſchiedenen Schwierigkeiten man beim Holzſchneiden zu kämpfen habe.
Seinem Freunde, dem Buchhändler Gottlieb Auguſt Lange, gab er
das Schriftchen in Kommiſſionsverlag. Nach Abzug der Kommiſſi—
onsgebühren von 66% % erhielt Unger als Erlös nach einem Jahre
bare 50 Taler, wovon er nicht einmal die teueren Zeichnungen, ganz
zu ſchweigen von ſeiner koſtbaren Arbeit, bezahlen konnte.
Von neuem traf ihn ein unerwarteter Schlag in der Auf—
hebung der Tabaksadminiſtration, der ihm den Verdienſt raubte.
Auch ſeine Bitte um Entſchädigung, die doch den anderen Angeſtell—
ten gewährt wurde, wurde ihm abgeſchlagen. Mit 72 Jahren konnte
er Neues nicht mehr beginnen und ſo legten ſich trübe Schatten auf
den gebrochenen Mann. Er hat ſich von dieſem Schlage nicht wieder
erholt. Am 15. Auguſt 1788 ſtarb er.
Quellen: J. F. U. der Jüngere, Denkmal eines berliniſchen Künſtlers,
Berlin 1788. |
— 965 —
Vahlen, Frz. Der bekannte Berliner Verleger Franz
Vahlen wurde am 12. Dezember 1833 zu Bonn a. Rhein geboren,
trat zu Oſtern 1849 bei Eduard Weber in Bonn in die Lehre und
blieb in der Firma nach beendigter vierjähriger Lehrzeit noch bis
zum Jahre 1859 als erſter Gehilfe, um dann weitere Erfahrungen
zu ſammeln und ſich in der Welt umzuſchauen. Nachdem er ein Jahr
lang bei Heinrich Mercy in Prag, doch ohne Befriedigung über die
ihm dort zugefallene Tätigkeit, gearbeitet hatte, fand er in der Firma
Mitſcher & Röſtell in Berlin Stellung als erſter Gehilfe, die er
zwei Jahre hindurch, bis zum 1. April 1862, bekleidete.
Inzwiſchen war am 21. Februar 1862 J. Guttentag
geſtorben, und bei dem Suchen ſeitens der Erben des Verſtorbenen
nach einer umſichtigen, energiſchen Arbeitskraft zur Leitung dieſes
bedeutenden Verlagsgeſchäftes fiel die Wahl auf Franz Vahlen,
welcher der Berufung auf den ſchwierigen Poſten willig Folge leiſtete
und ihn, zunächſt für Rechnung der Erben bis zum 1. Januar 1865,
von da ab bis zum November 1869 als Mitbeſitzer, mit der ihm
eigenen Arbeitsluſt und Arbeitsfähigkeit im vollſten Maße ausfüllte
(vergl. Bd. II Seite 350 ds. Werkes).
Familienverhältniſſe veranlaßten ſeinen Austritt aus dem
Geſchäft, das ſich unter ſeiner Leitung in erfreulicher Weiſe weiter
entwickelt hatte, und am 1. Januar 1870 begründete er unter eigenem
Namen einen Verlag, zu deſſen Grundlage er die juriſtiſchen Werke,
darunter die von Dr. J. A. Gruchot begründeten Beiträge zur Er—
läuterung des Preußiſchen bezw. Deutſchen Rechts, 13 Bände, aus
G. Grotes Verlag in Berlin und Hamm i. W. erwarb (vergl.
Bd. II Seite 338 ds. Werkes).
Im Beſitz geringer eigener Mittel hatte er Jahre hindurch
mit ſchweren Sorgen zu kämpfen, da war denn die Erwerbung der
Reſte und des Verlagsrechtes von „David Müllers Geſchichte des
deutſchen Volkes“, eines Werkes, dem er hinfort ſeine ganze Kraft
widmete und in ſteter vorſorglicher Arbeit zu ungeahnter Blüte ver—
half, für ihn in ſeinem jungen Verlagsgeſchäft von höchſter Bedeu—
tung. Die materiellen Erfolge des Werkes, deſſen beide erſte Muf-
lagen in der Mylius ſchen Verlagshandlung zu Berlin
erſchienen waren, gaben ihm die Möglichkeit, im Laufe der Zeit die
bedeutendſten Autoren auf juriſtiſchem Gebiet heranzuziehen und
ſeinem Verlage Werke erſten Ranges einzureihen. Viele ſeiner Ver—
lagswerke haben in der Praxis der Gerichte und Anwälte eine her—
vorragende und bleibende Bedeutung. v. Wilmowski und Levy's
Ausgaben der C. P. O., von welchen der große Kommentar bereits in
5., die Handausgabe in 2. Auflage vorliegt, v. Wilmowski's Aus⸗
— 966 —
gaben der Konkursordnung, Jaeckel's Bearbeitungen des Anfech—
tungsgeſetzes und der Pr. Subhaſtationsordnung, Olshauſen's viel—
gerühmter Kommentar zum Str. G. B., H. Meyer's Schriften zur
Prozeßpraxis, Bahlmann's Ausgabe der Pr. Grundbuchgeſetze und
Johow's Jahrbücher ſind jedem Praktiker geläufig. Von anderen
hervorragenden Autoren heben wir noch hervor: Stölzel mit
ſeinen Werken über preußiſche Rechtsgeſchichte und ſeiner Studie
über das Eheſchließungsrecht, Kurlbaum und Eccius mit Schriften
zum Vormundſchaftsrecht, Kloſtermann's Commentar der Urheber—
geſetze, Strützti und Genzmer's Leitfaden des Preuß. Privatrechts,
ferner Kindel, Meiſcheider, Philler, Mathis, Daubenſpeck, Wohlers
u. a. Wie dieſe kurze Zuſammenſtellung erſehen läßt, kommt die
Mehrzahl der Werke, von Praktikern geſchrieben, den Bedürfniſſen
der Praxis entgegen. Aber auch die Theorie iſt vertreten durch
Bekker (Actionen), Jörs (röm. Rechtswiſſenſchaft), Siegel (deutſche
Rechtsgeſchichte und Verſprechung als Verpflichtungsgrund) u. a.
Franz Vahlen, welcher am 18. Mai 1898 ſtarb, hatte es ver—
ſtanden, ſeine Firma zu einer der geachtetſten und angeſehenſten im
deutſchen Buchhandel zu erheben. Nach ſeinem Tode ging die Firma
an den jetzigen Inhaber Friedrich Gebhardt über.
Suellen: Korporationsbericht der Berliner Buchhändler 1899; Verlags-
katalog 1870 — 1894.
Redaktionsſchluß dieſes Bandes 15. Juni 1908.
—
Sur Vachricht.
Der Schlußband des vorliegenden
Werkes mit dem Generalregiſter für
das geſamte Werk wird im September
dieſes Jahres zur Ausgabe gelangen.
Der Herausgeber.
Satz und Druck der Offizin
W. Jancke in Eberswalde.
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