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Full text of "Deutsche Geschichtsblätter"

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Deutsche  GescMchtsblätter 

Monatsschrift 

zur 

f  öFdevung  der  landesgesohiGhtliohen  fopsohung 

unter  Mitwirkung  von 

Prof.  Bachmann-Prae,  Prof.  BreTBig-Bcrlin,  Prof.  Krler-Königiberg, 

Prof.  Flnke-Frdbnrg  i.  B.,  Arcliiin  Prof.  Huiseii-K»ln,  Prof.  v.  Helgel- München, 

Prof.  Hejrck-Manchen,  Sectianschef  v.  InAma-Slemegg-Wien, 

Gjnmasialdirelitor  O.  Jlgar-Köln,  Gynuiuialrektor  O.  KJtmmel-Leiptie, 

BibliotbckiT  Prof.  KoBBinnk-Berlin,  Prof.  Lamprecht-Leipzig,  ArchiTar  Mera-Osnabrtlck, 

Prof.  Ilühlbacher-Wien,  Prof.  t.  Ottenthal-Innibrack,  Prof.  Obw.  RedUch-Wieo, 

ProC  V.  d.  Ropp-Marbn^,  Prof.  A.  Schalte-Brealan,  ArduTTat  SeUo-OIdenbnrK, 

Geh.  Archiirat  StUin-Stiitt^rt,  GrmDutalrektor  Vogt-Nürnberg,  Prof.  WebefPrtg, 

Prof.  W«iick-Mvbiir£,  Arcfaivral  Wintei-Stettin,  Archivar  Witte-Schwerin, 

Prof.  T.  ZwiedlDcck-Sndeiihont-Gntt 

faenusgegeben  von 

Dr.  Armin  Tille 

V 

Z.  BaacL 


Goüia 

Friedricli  Andreas  Perthes 
1900 


BTANFDRD  UNlVffRSlTV 

STANFqjißiHUWttinaiTv 

7  1970 


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Inhalt. 

Aufsatze:                        ~'  sete 

Breysig»  Kort  (Berlin):   Terriiorialgeschichte i  — 12 

Bronner,  Karl  (Karlsruhe):  Fünf  zig  Jahre  oberrheinischer  Geschichtsforschung  229 — 239 
Forst»    Hennann  (Coblcnz):   Der  Reichskrieg  gegen   die  Türken  im  Jahre 

1664 76—80  u.  176 

Frankfurter,  S.  (Wien):  Limesforschung  in  Österreich 195 — 199 

Qmelin»  Julius  (Grofealtdorf):  Die  Verwertung  der  Kirchenbücher  .  .  .  157—170 
Hansen,  R.  (Oldesloe):  Zur  landesgeschichtlichen  Forschung  in  Schleswig- 
Holstein .  211  — 214 

Hantssch,  Viktor  (Dresden):   Die   landeskundliche  Litteraiur  Deutschlands 

im  Refortnationsaeitalter 18 — 22  u.  41 — 47 

KOtsschke,  Rudolf  (Leipzig):  Die  Technik  der  Grundkarteneinzeichnung    .  113 — 131 

Lamprecht,  Karl  (Leiprig):  Zur  Organisation  der  Grundkartenforschung  .  33 — 41 

Liebe,  Oeorg  (Magdeburg):  Das  Kriegswesen  mittelalterlicher  Städte  .  .  12  — 17 
Polacsek,   Ernst  (Strafsburg):   Die  Denkmäler  -  Inventarisation  in  Deutsch- 

land 270 290 

Redlich,  Oswald  (Wien):  Über  Traditionsbücher 89—98 

Schuhe,  Aloys  (Breslau) :  Wer  war  um  1430  der  reichste  Bürger  in  Schwaben 

und  in  der  Schweiz  f 205  —  210 

Tille,  Armin  (Leipzig):  Stadtrechnungen 65 — 75 

„           „                „          Die  Historikertage 137 — 145 

WSschke,  Hermann  (Dessau):  Ortsnamenforschung 253  —  370 

Wehrmann,  Martin  (Stettin) :  Die  landesgeschichtliche  Forschung  in  Pommern 

während  des  letzten  Jahrzehnts 98 — 104  u.  132 — 133 

Weller,  Karl  (Stuttgart):  Der  gegenwärtige  Stand  der  landesgeschichtlichen 

Forschung  in  Württemberg 47 — 55 

Witte,  Hans  (Schwerin):  Studien  zur  Geschichte   der  deutsch •  romanischen 

Sprachgrenze 145 — 157 

V^nttmann,  Pius  (München):  Archivbenutzungsordnungen 181 — 194  n.  243 

Mitteilungen: 

Archive :  Allgemeiner  Arehivtag  25,  56 — 61,  291;  Thüringer  Archivtag  25, 
247 — 248;  Archiv  zu  Mühlhausen  i.  Th.  26,  109,  247,  Detmold 
26,  Hennebergisches  in  Meiningen  85,  Lüneburg  108,  Bonn  108, 
Hamburg  175,  243 — 244,  Karlsruhe  175,  der  Universität  Frei- 
burg i.  B.  175,  Danzig  227  —  228,  Landesarchiv  in  Sondershausen 
248 ;  Archivwesen  im  Königreich  Bayern  245—247 ;  Inventarisation 
kleinerer  Archive  26,  85 — 86;  Mitteilungen  der  königl.  preufs. 
Archiwerwaltung  86 — 87, 171 — 172 ;  Mitteilungen  aus  dem  Archiv 


von  Köln   172 — 175;  Mitteilungen  aus  dem  Stadtarchiv  Breslau  Seite 

292  —  293 ;  Inventare  des  Frankfurter  Stadtarchivs  293  -  295 ; 
Revaler  Stadtarchiv  295  —  296 ;  Inventar  des  Staatsarchivs  Zürich 
296;  Stadtarchiv  Pforzheim  297;  Egerer  Stadtarchiv  297 — 298. 

Ausgrabungen iio 

Berichtigungen 64,  112 

Bibliographie 136 

„  der  Reiselitteratur 302 

Denkmalspflege 109,  291 

Eingegangene  BUcher    32,  63,  88,  111,  136,  177—180,  204,  228,  250—252,  303—304 
Oeeamtverein  der  deutschen  Oeschichts-  und  Altertumsvereine    22 — 24,  81 — 85,  291 

Hansischer  Oeschichtsverein 204,  239 — 240 

Historikertag  in  Halle ^33^134)  ^99 — 204 

Historische  Kommissionen :  H.  K.  fUr  Hessen  und  Waldeck  26,  298 ;  Steier- 
mark 27;  K.  zur  Herausgabe  von  Akten  und  Korrespondenzen 
zur  neueren  Geschichte  Österreichs  27,  200;  Reichskommission 
fUr  römisch-germanische  Altertumsforschung  27;  H.  K.  bei  der 
königl.  bayer.  Akademie  der  Wissenschaften  104 — 105;  ThOringi- 
sehe  H.  K.  105 — 106;  Badische  H.  K.  106;  Königl.  sächs.  K. 
für  Geschichte  107;  H.  K.  und  Altertumskommssion  der  Provinz 
Westfalen  107  —  108;  Gesellschaft  für  rheinische  Geschichtskunde     298 — 299 

Historischer  Atlas  der  österreichischen  Alpenlttnder 28 

Museen  87,  175  —  176;  Frankfurt  214 — 217;  Köln  217—218;  Leipzig  218  bis 
221;  Breslau  221 — 223;  Stade  248;  Arnstadt  248—249;  des 
Vereins  „Carnuntum"  in  Deutsch -Altenburg  (Österreich)  249. 
Vgl.  „Vereine". 
Nekrologe:  H,  v.  Zet/sberg  (von  Oswald  Redlich)  28 — 31 ;  G.  v,  Mevüsen 
(H.  Keussen)  31;   7%.  Flathe  (W.  Lippcrt)  223 — 227. 

Personalien 31,  88,  1 10,  176—177,  249—250,  302—303 

Politische  Korrespondens  Karls  V 200,  241  —  243 

Reiseberichte  und  Tagebücher 299 — 302 

Vereine:  Rügisch  •  Pommerscher  Geschichtsverein  87;  Verein  fUr  Sächsische 
Volkskunde  87—88;  Verein  für  Historische  Waffenkunde  134 
bis  135;  Mannheimer  Altertumsverein  135;  Oberländischer  Ge- 
schichtsverein 135;  Vereine  in  Mühlhausen  i.  Th.  135,  Prenzlau, 
Alsfeld,  Delitzsch,  Reichenhall,  Harburg,  Detmold  176,  Leipaig 
218—221,  Stade  248,  Arnstadt  248 — 249,  Deutsch -Altenburg 
249.  VgL  „Museen". 
Versammlung  deutscher  Philologen  und  Schulminner  in  Br«men  24 — 25,  61—63 
Zeitschriften:  Trierisches  Archiv  31—32;  Nassovia  ixo;  Oberländische 
Geschichtsblätter  135;  Mühlhäuser  Geschichtsblätter  135. 


Deutsche  Ceschichtsblätter 

Monatsschrift 


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f  ördenmg  der  landesgeschichtlichen  Forschung 


I.  Band  Oktober  1899  i.  Heft 


Territorialgesehiehte 

Von 
Kurt  Breysig 

In  der  Geschichte  der  deutschen  Historiographie  spielt  die  Terri- 
torialgesehiehte durchaus  keine  unbedeutende  Rolle.  Hätte  Wegele 
in  seinem  so  ungemein  fleifsigen  und  so  ungemein  unübersichtlich  an- 
-gelegten  Buche  statt  des  einzig  möglichen  Einteilungsprinzips  des  me- 
thodischen Fortschrittes  nicht  wunderlicherweise  allgemeine,  deutsche 
Axnd  territoriale  Geschichtsschreibung  getrennt  behandelt,  so  würde  dieser 
Umstand  auch  in  seiner  Darstellung  viel  stärker  hervortreten.  Das 
deutsche  Geschichtswerk,  in  dem  auf  dem  Gebiet  der  politisch-sozialen 
Historie  der  Entwicklungsgedanke  zum  erstenmal  praktisch  verwirklicht 
Tund  im  grofeen  Sinne  verwirklicht  worden  ist,  ist  einem  deutschen  Terri- 
torium gewidmet.  Justus  Mosers  Osnabrückische  Geschichte,  die 
1768  erschien,  macht  in  der  Entwicklung  der  deutschen,  ja  der  europäi- 
schen Staats-  <und  Sozialgeschichte  fast  in  demselben  Ma(se  Epoche, 
wie  das  vier  Jalwie  zuvor  erschienene  gewaltige  Werk  Winckelmanns, 
rund  Moser  hat  sich  im  mindesten  nicht  überhoben,  wenn  er  in  dem 
Vorwort  zu  -seinem  Buche  ein  allgemeines  Programm  der  Geschichts- 
schreibung aufrollte.  Was  er  dabei  gegen  Voltaire  vorbrachte,  mag  in 
^mehr  als  einem  Betracht  einseitig  und  ungerecht  gewesen  sein,  aber 
der  Syndikus  in  der  entlegenen  niedersächsischen  Bischofsstadt  über- 
schritt nicht  im  kleinsten  seine  geistigen  Kompetenzen,  wenn  er  sich 
mit  dem  Haupte  der  europäischen  Aufklärung  auseinandersetzte,  denn 
•in  ihm  fand  er  den  einzigen  ebenbürtigen  Vorgänger  seiner  neuen 
Methode.  Und  was  er  am  heftigsten  an  Voltaire  angriff,  das  macht 
ihn  auch  wieder  zum  ahnenden  Vorläufer  der  Niebuhr- Rankeschen 
«Periode:  er  tadelte  alles  Arbeiten  aus  zweiter  Hand  und  hatte  damit 
«freilich  am  letzten  Ende  ebenso  viel  und  ebenso  wenig  recht  wie 
Voltaire,  .da  er  mit  seinem  Essay  Sur  les  mceurs  zum  erstenmal  eine 
weite   und  grofee  P^crspektive   über   die  Universalgeschichte   eröffnete. 

1 


—     2     — 

Es  ist  der  alte  Streit  zwischen  spezieller  und  allgemeiner  Forschung^ 
der  da  in  seiner  fruchtbaren  Unfruchtbarkeit  wieder  entbrannte;  aber 
was  die  beiden,  im  übrigen  gewifs  in  jedem  Zoll  ihres  Wesens  verschie- 
denen Männer  einigte,  war  wichtiger ;  das  Verständnis  für  das  organische 
Werden,  das  pflanzenhaft  langsame  und  stetige  Wachsen  menschlicher 
Einrichtungen  und  Meinungen.  Und  es  gereicht  der  deutschen  Terri- 
torialgeschichtsschreibung zum  Ruhme,  dafs  ihr  neuer  Aufschwung 
gegeben  wurde  durch  ein  Buch,  das  mit  einem  so  fruchtbaren  Ge- 
danken zum  erstenmal  Elmst  machte  und  das  denn  auch  auf  seinem 
begrenzten  Gebiete  die  methodisch  bedeutsamsten  Einzelerfolge  in 
Hinsicht  auf  Verfassungs- ,  Klassen-  und  Wirtschaftsgeschichte  auf- 
zuweisen hat. 

Die  Göttinger  Schule  hat  um  die  Wende  des  Jahrhunderts  den- 
selben Ideen  weit  extensivere  Wirksamkeit  gegeben,  aber  sie  hat  sich 
in  der  Hauptsache  ganz  allgemeinen,  am  öftesten  universalgeschicht- 
lichen Aufgaben  zugewandt.  Nur  ein  sehr  bedeutendes  territorial- 
historisches Werk  ist  aus  diesem  Kreise  hervorgegangen,  aber  es 
ist  nicht  das  schlechteste,  ja  es  ist  dasjenige,  das  auch  heute 
sicher  am  häufigsten  von  allen  Werken  der  Schule  benutzt  wird: 
Spittlers  „Geschichte  von  Hannover**.  Sie  verdankt  diese  ihre  Dauer- 
haftigkeit sicher  dem  Umstände,  dafs  sie,  recht  im  Sinne  Mosers 
und  40  Jahre  vor  Ranke,  zu  den  ursprünglichen  Quellen  herabstieg 
und  umfassendes  archivalisches  Material  benutzte.  Spittler  zeichnete 
sich  selbst  dadurch  aus,  dafs  er  ganz  in  göttingischem  Geiste  um- 
fassende und  generelle  Angaben  aufzusuchen  liebte,  und  dieser  Drang 
zum  allgemeinen  hat  doch  auch  dem  ganz  speziellen  Thema,  das  er 
hiermit  zu  bearbeiten  unternahm,  Nutzen  gebracht.  Er  bewirkte,, 
dafs  Spittler  sich  von  aller  einseitigen  Bevorzugung  der  Haupt-  und 
Staatsaktionen,  der  Kriegs-  und  Diplomatiegeschichte  freihielt,  dafs  er 
vielmehr  von  neuem  den  Weg  zu  den  Feldern  der  Territorial- 
geschichte fand,  in  dem  die  starken  Wurzeln  ihrer  Kraft  liegen,  zur 
Verfassungs-  und  Verwaltimgsgeschichte ,  hier  und  da  auch  zur  Wirt- 
schafts- und  Klassengeschichte. 

Von  Seitenstücken  zu  diesem  Werke  ist  in  ganz  Deutschland  in 
diesen  Jahrzehnten  vielleicht  nur  eins  zu  nennen:  Baczkos  umfassende 
„Geschichte  von  Preufeen**,  ein  Buch,  das  durch  seine  archivalischen 
Nachrichten  noch  heute  über  lange  Strecken  der  ostpreu(sischen  Ge- 
schichte allein  authentische  Kunde  giebt,  die  sonst  ganz  unaufgehellt 
geblieben  sind.  Aber  trotzdem  wird  man  sagen  müssen,  dafe  die 
herrschende  Strömung  der  Epoche  von  1770  bis   1820  sicherlich   ia 


—     8     — 

kürzerer  oder  längerer  2^it  kraft  ihrer  kulturhistorischen  Ziele  zu  einer  viel 
breiteren  und  tieferen  Verfolgung  territorialgeschichtlicher  Probleme 
geführt  haben  würde,  wenn  sie  sich  hätte  auswirken  können.  Doch 
das  hat  sie  nicht  ganz  gekonnt,  denn  die  Neuerungen  der  Niebuhr- 
Rankeschen  Periode,  die,  formaler  Natur  wie  sie  waren,  im  Grunde 
sehr  wohl  in  ihren  Dienst  hätten  gestellt  werden  können,  gewannen 
doch  auch  materielle  Bedeutung,  insofern  sich  zwar  noch  nicht  Niebuhr, 
wohl  aber  Ranke  mit  angesprochener  Vorliebe  der  Geschichte  der 
europäischen  Staatskonfiikte  und  der  zu  ihnen  hinleitenden  diplomatischen 
Beziehungen  widmete.  Eine  Geschichtsschreibung  aber,  die  eine  so  aus- 
gesprochene Neigung  für  Diplomatie-  und  Kriegsgeschichte  hatte,  konnte 
natur^emäis  für  die  innere  Entwicklung  der  Völker  nicht  allzu  viel 
Interesse  mehr  übrig  haben.  Eben  dieser  Umstand  aber  mufete  wiederum 
auf  das  Verhältnis  zwischen  Historie  und  Territorien  Einfiuis  üben;  er 
konnte  der  Entwicklung  dieser  lokal  spezialisierten  Geschichts- 
schreibung nicht  günstig  sein,  so  spezialistisch  auch  zwar  nicht  Ranke 
selbst,  wohl  aber  seine  Schule  allmählich  wurde. 

Nicht  als  ob  nun  die  Arbeit  an  diesen  Au%aben  jahrzehntelang 
geruht  hätte:  das  hat  sie  weder  damals  noch  früher  gethan.  Sie  ist 
in  der  Hauptsache  erst  seit  dem  XVII.  Jahrhundert,  aber  von  da  ab 
ununterbrochen  ruhig  ihres  Weges  dahin  geschritten  und  hat  im  Ver- 
ein mit  der  verwandten  Stadt-  und  der  sehr  viel  spärlicher  vertretenen 
Geschichte  ländlicher  Bezirke  viel  stille  und  flei&ige  Arbeit  vollbracht. 
Aber  es  war  doch  für  sie  wichtig,  über  alles  wichtig,  in  welchem 
Verhältnis  sie  zur  grolsen,  allgemeinen  Historie  stand.  Und  da  ist 
aufMUg,  dafis  so  mächtige  Querriegel  zwischen  beiden  Entwicklungs- 
reihen, wie  sie  Mosers  und  SpitÜers  Bücher  darstellen,  den  60  Jahren 
nach  1820  fast  ganz  abgehen.  Aus  dem  Rankeschen  Kreise  ist 
eigentlich  nur  einer  als  Territorialhistoriker  greisen  Stiles  hervor- 
getreten: bezeichnenderweise  der,  der  mit  der  stofflichen  Grund- 
richtung der  Schtile  zuerst  brach,  der  zuerst  ganz  andere  Gebiete  als 
der  Meister  aufsuchte,  Waitz,  mit  seiner  Schleswig-Holsteinischen  Ge- 
schichte (185 1). 

Im  übrigen  sind  abseits  der  generellen  Geschichtsschreibung  eine 

Anzahl  bedeutender  Territorialgeschichten  entstanden:   namentlich  die 

Stämme,   die  von  jeher  eng  zusammengehalten   hatten,    haben  sich 

henroigethan.    Treitschke  pflegte  als  so  selbstbewulste  Stämme  immer 

vier  zusammen  zu  nennen :  Schleswig-Holsteiner  und  Schwaben,  Preutsen 

und  Schlesier,   und  bei  ihnen  allen  hat  sich  ein  besonders  intensives 

Interesse  für  die  eigene  Stammesgeschichte  geregt.     Es   mag    auch 

1* 


—     4      — 

kein  ZuCall  sein,  dafe  der  einzige,  Waitz,  der  zugleich  unter  den  Ver- 
tretern der  allgemeinen  und  nationalen  Geschichtsschreibung  gewirkt  hat, 
einem  und  zwar  dem  vielleicht  am  zähesten  zusammenhaltenden  unter 
diesen  deutschen  Stämmen  angehörte.  Doch  auch  sonst  kam  es  zu 
liebevoller  Pflege  der  Territorialgeschichte.  Schliephakes  nassauische 
Rommels  hessische,  Walters  kurkölnische  und  manche  andere  Provinzial- 
geschichte  sind  de(s  Zeuge. 

Trotzdem  ist  für  beide  Parteien  wichtig  und  für  beide  vermutlich 
sehr  wenig  erspriefslich  gewesen,  dafs  in  der  Hauptsache  jede  von 
ihnen  für  sich  vorwärts  schritt.  Gewifs  die  methodischen  Errungen- 
schaften der  Rankeschen  Schule  sind  allmählich  auch  der  Territorial- 
und  Lokalgeschichte  zugeflossen  und  hier  und  da  hat  auch  die  all- 
gemeine Geschichte  von  den  Ergebnissen  der  speziellen  Akt  genom- 
men, im  ganzen  aber  lebt  diese  ihr  eigenes  Leben.  So  sehr  sich  auch 
im  Laufe  der  Zeit  in  ganz  naturgemäfser  Fortbildung  der  ursprünglich 
deskriptiven  Grundsätze,  die  von  Ranke  ausgehende  Richtung  dem  Spe- 
zialismus  zuwandte,  sich  auf  territoriale  oder  gar  auf  lokale  Aufgaben 
einzulassen,  hatte  man  wenig  Neigung.  Und  auf  ganz  verwunderliche 
Unternehmungen  ist  andererseits  die  Tenitorialhistorie  da  gekommen» 
wo  sie  sich,  in  völliger  Verkennung  ihrer  eigentlichen  frucht- 
bringenden Aufgaben,  nach  Art  der  allgemeinen  Geschichtsschreibung 
auf  die  hohe  Politik  warf.  Ein  Vertreter  der  grofsen  Historie  gab 
dann  wohl  mit  herablassendem  Lächeln  zu  verstehen,  es  sei  sehr 
interessant,  die  europäische  Politik,  die  man  sonst  —  in  wunderlicher 
Caprice  —  von  den  Zentren  der  Grofsstaaten  aus  zu  betrachten  pflege, 
einmal  von  einem  abgelegenen  Winkel  aus  zu  erforschen;  im  Grunde 
aber  wurde  dem  nun  ganz  beglückten  Lokalforscher  doch  mit  solcher 
halben  Aufmunterung  ein  übler  Dienst  erwiesen.  Auf  diesem  Wege 
sind  bis  zur  Absurdität  imfruchtbare  Bücher  geschrieben  worden :  giebt 
es  doch  Arbeiten  von  mehreren  hundert  Seiten,  in  denen  Kriegs- 
operationen im  Kreise  X  oder  im  Fürstentum  Y  während  einiger  Mo- 
nate im  dreifisigjährigen  Kriege  geschildert  werden. 

Inzwischen  haben  sich  neue  Kräfte  geregt:  die  benachbarten 
systematischen  Geisteswissenschaften  waren  seit  dem  Verfall  der  äl- 
teren von  der  Ranke-Schule  fast  ganz  beiseite  geschobenen  Kultur- 
geschichte genötigt  gewesen,  die  ihren  Fächern  analogen  historischen 
Disziplinen  selbst  auszubilden.  Rechts-  imd  Wirtschaftsgeschichte  waren 
durch  Juristen  und  Nationalökonomen  ins  Leben  gerufen,  Verfassungs- 
und Verwaltungsgeschichte  waren  von  ihnen  weit  nachdrücklicher 
als  von  den  Historikern  gefördert  worden,    und   diese  Bewegung  hat 


—     5     — 

allmählich  das  Bild  völlig  verändert.  Nitzscbs  groises  Verdienst  ist 
es,  diese  Anregungen  von  rechts  und  links  zuerst  für  die  gro(se  natio- 
nale Forschung  fruktifiziert  zu  haben ;  aber  er  hat  den  Historikern,  die 
ihm  folgten,  auch,  wie  seine  Arbeiten  über  städtische  Verfkssungs- 
und  Klassengeschichte  und  seine  Abhandlimg  über  die  oberrheinische 
Tiefebene  bezeugen,  den  Weg  zur  Territorial-  und  Lokalgeschichte 
gewiesen.  In  Hinsicht  auf  die  mittelalterliche  Stadtgeschichte,  die  am 
ehesten  diese  Bahn  betreten  hat,  haben  neben  Nitzsch  und  Hegel 
doch  auch  noch  die  Juristen  Arnold,  Heusler  und  Maurer  in  dieser 
Richtung  wirken  müssen,  ehe  die  eigentliche  Historie  dazu  vermocht 
wurde,  ihnen  nachzufolgen. 

In  den  letzten  zweieinhalb  Jahrzehnten  ist  dann  auf  diesem 
Sondergebiet  zuerst  die  Schranke  durchbrochen  worden,  und  es  ist 
sehr  interessant,  festzustellen,  wie  sich  die  allgemeine  Forschung  hier 
nur  allmählich  dem  Standpunkt  der  Lokalgeschichte  genähert  hat. 
Man  verfuhr  nämlich  offenbar  in  den  ersten  Stadien  der  fast  allein 
mittelalterlichen  Stadtgeschichtsforschung  zu  allgemein;  man  strebte 
ganz  entsprechend  dem  systematisch -juristischen  Ursprung  dieser 
Untersuchungen  und  ganz  berechtigterweise  danach,  Typen  aufzu- 
finden, aber  man  griff  noch  allzu  sehr  ins  Weite.  Allmählich  ent- 
schloß man  sich,  die  Städte  nach  Gattungen  oder  territorial  zu 
beschreiben,  und  zuletzt  ist  man  bei  sehr  genauen  Forschungen  über 
einzelne  Orte  angelangt.  Der  im  raschen  Tempo  um  sich  greifenden 
mittelalterlichen  Stadtgeschichte  ist  dann  die  vorwiegend  neuere  oder 
doch  spätmittelalterliche  Territorialforschung  langsam  nachgekommen: 
eine  Anzahl  namentlich  verfassungs-  und  agrargeschichtlicher  Einzel- 
untersuchungen hat  hier  wenigstens  den  Grund  zu  weiterem  Ausbau 
gelegt. 

Die  Konsequenz  dieser  Wandlung  ist  klar.  Denn  —  wenn  ich  die 
Worte  zweier  1891  und  1892  veröffentlichter  Rezensionen,  mit  denen  ich 
eine  bezirks-  und  eine  stadtgeschichtliche  Arbeit  anzeigte  *) ,  hier 
wiederholen  darf  —  „Je  mehr  die  historische  Forschung  sich  der  inneren 
Entwicklung  der  Staaten  und  Völker  zuwendet,  desto  gründlicher 
wird  sie  sich  mit  deren  Teilen,  Territorien,  Städten  und  Landbezirken 
beschäftigen  müssen."  Und  „sobald  einmal  die  Anschauung  durch- 
gedrungen sein  wird,  dafe  die  Geschichte  in  demselben  Mafse  der 
materiellen   und    geistigen   Entwicklung    jedes    Landes,   jeder    Stadt, 


I)  Harlefs  (Amt  Hückeswagen)  uud   Hertzberg  (Halle),    LiUerarisches   Zentral- 
blttt  31.  Oktober  1891,  16.  Januar  1892. 


—     6     — 

jedes  Territoriums,  deren  Verg^angenheit  sie  darzustellen  unternimmt, 
gerecht  werden  mu(s,  wie  der  politischen,  werden  Aufgaben  dieser 
Art  zu  Ehren  kommen.  Denn  um  feste  Fundamente  für  die  Geschichte 
der  gTofeen  Komplexe  von  Land  und  Leuten  zu  gewinnen,  wird  man 
auf  die  der  kleineren  zurückgehen  müssen".  Mit  anderen  Worten 
hier  ist  das  Terrain  gegeben,  auf  dem  allgemeine  und  lokale  Ge- 
schichtsforschung zusammentreffen  müssen,  wo  sie  beide  einander 
nötig  haben  und  wo  sie  deshalb  gut  thun  werden,  in  stetem  Kontakt 
zu  bleiben.  Die  eine  wird  dabei  methodische  Schulung  gewinnen  — 
und  wenn  einem  Beteiligten  hier  erlaubt  ist,  einen  Wunsch  auszu- 
sprechen, so  ist  es  der,  dafs  die  thätigen  Liebhaber,  denen  die  Ge- 
schichtsforschung auf  diesem  Gebiete  mit  offenen  Armen  entgegen- 
zukommen alle  Ursache  hat,  auch  in  höheren  Jahren  die  Mühe  nicht 
scheuen  mögen,  sich  das  Handwerkszeug  der  Forschung,  falls  es  ihnen 
noch  fehlen  sollte,  etwa  auf  der  nächsten  Provinzialuniversität  in  kurzen 
Kursen,  die  ja  nicht  ein  Semester  zu  dauern  brauchen,  zu  verschaffen. 
Denn  fast  auf  jedem  Fleck  deutscher  EIrde  bietet  sich  Gelegenheit, 
historische  Studien  verfassungs-  oder  wirtschaflsgeschichtlicher  Art 
anzustellen,  aber  die  Mühe,  die  zu  solchem  Zweck  aufgewandt  wird, 
kann  leicht  halb  oder  ganz  verschwendet  sein,  wenn  sie  nicht  sach- 
gemäfs  aufgewandt  wird. 

Doch  nicht  von  dem  Interesse  dieser  lokalen  Partei  der  Geschicht- 
schreibung wollte  ich  auf  diesen  Blättern  handeln,  sondern  von  dem 
der  anderen,  der  allgemeinen,  der  Fachforschung.  Ich  möchte  an 
einem  mir  besonders  vertrauten  Beispiel  erweisen,  wie  unendlich  reich 
wenigstens  in  günstigen  Fällen  schon  heute  der  allgemein  zugängliche, 
gedruckt  vorliegende  Schatz  von  Nachrichten  und  Einzelarbeiten  ist, 
über  den  die  Territorialgeschichte  verfügt  —  ein  Reichtum,  den  sich 
anzueignen  die  allgemeine,  d.  h.  deutsche  Geschichtsschreibung  bisher 
freUich  fast  völlig  verschmäht  hat,  wenigstens  soweit  die  neuere  Zeit 
in  Betracht  kommt. 

Um  fiir  einige  territorialgeschichtliche  Pläne  die  ersten  Grundlagen 
zu  gewinnen,  habe  ich  in  den  Jahren  1889  und  1890  umfangreiche 
bibliographische  Nachforschungen  zur  Geschichte  Ostpreufsens 
im  XVI.  und  XVII.  Jahrhundert  angestellt.  Ich  kann  mich  durchaus 
nicht  rühmen,  Vollständigkeit  erstrebt,  geschweige  denn  erreicht  zu 
haben,  um  so  mehr  wird  vielleicht  mancher  auch  unter  den  sach- 
kundigen Lesern  dieser  Zeilen  erstaunen,  dafs  ich  55  Oktavseiten  mit 
Buch-  und  Abhandlungstiteln  füllen  könnte,  deren  Zahl  ich  auf  un- 
gefähr 700  schätze   und   die  durch   die   seither   erschienene  Litteratur 


—     7     — 

und  ^DMge  noch  ausstehende  VervoUständiguiigen  ^)  leicht  auf  900  bis 
1000  zu  biingen  sem  wird.  Freilich  haben  die  Ostpreulsen,  die  jähr- 
fauKlätelang'  fast  ganz  getrennt  vom  Mntteriande,  harte  Zeiten  für 
sich  dnrchkampfen  molsten,  durch  diese  besonderen  Schicksale  einen 
der  ausgeprägtesten  deutschen  Stammescharaktere  ausgebildet,  und 
eiiie  natürliche  Folge  davon  war,  da&  sie  von  jeher  für  die  Partikular- 
g^schichte  ihres  Landes  eine  vielleicht  ebenso  exzeptionell  starke 
Teilnahme  bewiesen  haben.  Von  dem  Erläuterten  Preu/sen,  das 
1723  zu  erscheinen  begann  und  bis  1742  erschien,  reicht  bis  auf  den 
heutigen  Tag  eine  nur  zeitweise  unterbrochene  und  von  1829  ab,  seit 
dem  eisten  Hefl  des  Vaterländischen  Archivs,  mit  dem  bekannteren 
Nebentitel  der  Preu/sichen  Provinzialblätter ,  eine  ununterbrochene 
Reihe  von  historischen  Zeitschriften  oder  zeitschriflenähnlichen  Samm- 
lung^. Und  es  ist  charakteristisch,  dafs  noch  wahrend  die  erste  von 
ihnen  nicht  abgeschlossen  vorlag,  schon  eine  zweite,  freilich  viel 
kurzlebigere,  die  der  Acta  Borussica,  zu  erscheinen  begann.  Mit 
einigen  Pausen  sind  dann  die  Preu/sischen  Merkwürdigkeiten,  die 
Preu/sische  Sammlung,  die  Preu/sische  Lieferung,  der  Preufsische 
Sammler,  die  Preu/sischen  Nationalblätter ,  die  von  Baczko  und 
Schmalz  1792/93  herausgegebenen  Annalen  des  Königreichs  Preu/sen, 
die  Notizen  von  Preu/sen,  das  Preu/sische  Archiv,  die  Beiträge 
zur  Kunde  Preußens  gefolgt.  In  den  Jahren  1829  bis  1845  ^^^^  ^^ 
Preu/sischen  Provinzialblätter,  1846  bis  1866  die  Neuen  Preu/sischen 
Provinzialblätter  ausgegeben;  heute  besteht  die  Altpreu/sische  Monats^ 
Schrift,  die  1864  zu  erscheinen  b^ann.  Daneben  giebt  noch  die 
Kön^berger  Altertumsgesellschaft  ihre  Sitzungsberichte  heraus. 

Eher  noch  als  dieser  allmählich  immer  breiter  werdende  Strom 
der  2^t8chriften  setzt  eine  sehr  gründliche  Einzelforschung  ein.  Von 
aller  früheren  stillen  Chronistenarbeit  abgesehen,  fallt  Hartknochs  ge- 
wissenhafte und  ausgebreitete  Sammlerthätigkeit  schon  in  das  Ende 
des  XVII.  Jahrhunderts;  im  XVIII.  folgen  Amoldt  als  Kirchen-  und 
Pisanski  als  Litterarhistoriker  mit  umfassenden  Werken  der  Spur 
dieses  Vorgängers.  Gegen  die  Wende  des  Jahrhimderts  erscheint 
Baczkos  „Geschichte  von  Preulsen*',  von  deren  mehr  als  territorialer 
Bedeutung  schon  die  Rede  war.  Voigts  grofses  Werk  (1827),  Töppens 
umfassende  Editions-  und  Sammelthätigkeit  und  in  letzter  Zeit  Lohmeyers 


i)  Auch  die  nun  folgenden  Angaben  sind  Welleicht  hier  und  da  der  VervoUständigong 
«od  also  der  Korrektor  bedürftig.  Ihnen  liegen  im  wesentlichen  die  Bestände  der 
KAnigüchen  Bibliothek  in  BerUn  zu  Grande,  zu  deren  Eigftnznng  ich  fUr  meine  Kollek- 
taneen  die  Königsberger  Universitätsbibliothek  nur  an  einigen  Stellen  herangezogen  habe. 


—     8     — 

präzise  und  tüchtige  Geschichte  der  Ordenszeit  (1880)  beschliefeen  die 
Reihe.  Doch  sie  sind  umgeben  von  einem  Schwärm  von  Einzelarbeiten, 
der  in  den  letzten  fünfzig  Jahren  besonders  dicht  wird,  aber  schon  im 
vorigen  Jahrhundert  wertvolle  Beiträge  aufzuweisen  hat. 

Ordnet  man  den  Schatz  dieser  an  Art  und  Bedeutung  freilich 
sehr  verschiedenartigen  Arbeiten,  so  ist  man  doch  an  mehr  als  einer 
Stelle  erstaunt  über  die  Summe  an  gut  beglaubigtem  und  vielfach  treff* 
lieh  gesichtetem  Nachrichtenmaterial,  das  sie  darbieten.  Um  bei  der 
historischen  Geographie  zu  beginnen,  so  kann  sich  wohl  kaum  ein  anderes 
deutsches  Territorium  einer  so  trefTlichen  Arbeit  rühmen,  wie  sie  das 
Buch  Töppens  darstellt.  Aber  auch  er  hat  Vorgänger  bis  rückwärts 
zu  Hennenbergers  Landesbeschreibung  aus  dem  Jahre  1584;  Lydicius 
im  XVII.,  Goldbeck  im  XVIII.  Jahrhundert  stellen  die  Bindeglieder  dar. 
In  neuerer  Zeit  hat  Hoppe  zwei  umfassende  Monographieen  über  die 
Ortsnamen,  Selasinski  eine  sehr  bemerkenswerte  Arbeit  über  Stadt-  und 
Landkarten  geliefert.  Über  die  preufsischen  Littauer  und  ihr  Schicksal 
in  neuerer  Zeit  ist  viel  geschrieben,  eine  Fülle  ethnographisch- 
historischer Forschungen  ist  angestellt  worden. 

Das  sonst  so  übel  vernachlässigte  platte  Land  hat  eine  merk- 
würdige grofse  Zahl  geschichtlicher  Darsteller  gefunden.  Der  un- 
ermüdliche  Toppen  hat  allein  eine  ganze  Reihe  von  Monographieen 
über  kleine  ländliche  Bezirke  abgefa&t:  über  die  Weichsel-Niederung^ 
bei  Marienwerder,  über  das  Kirchspiel  Heidekrug*),  über  die  frische 
Nehrung  und  den  grofeen  Werder,  über  das  Amt  Hohenstein  tmd 
schliefslich  über  einen  ganzen  Bezirk  Ostpreuüsens,  über  Masuren.  Er 
hat  über  die  Domänenverwaltung  und  über  die  Pferdezucht  des  Ordens 
gearbeitet.  Rogfge,  ein  auch  sonst  sehr  verdienter  Spezialforscher,  hat 
für  ein  einziges  Amt  (Balga)  eine  sehr  ausführliche  Geschichte  ge- 
schrieben *) ,  eine  Anzahl  Kreis-  und  Amtsgeschichten  sind  gefolgt. 
Mangelsdorff  hat  in  seinen  Nationalblättem  schon  1787  ein  Ver- 
zeichnis der  preufeischen  Mühlen  aufgestellt,  und  er  eröffnet  auch  die 
Reihe  der  Forscher,  die  sich  der  Geschichte  des  befestigten  Grund- 
besitzes angenommen  haben.  Denn  im  selben  Jahre  veröffentlichte 
er  ein  Verzeichnis  der  adligen  und  bäuerlichen  Lehensgüter  *).  Neuer- 
dmgs hat  sich  Mülverstedt  durch  eine   sicherlich  sehr  mühevolle  Zu- 


1)  „Altprcufs.  MonaUschr."  X  (1873),  S.  219 ff.,  307 ff.  „Neue  Prov.- Blätter "  X 
(1858),  S.  193  ff.  Ich  gedenke  einige  der  wichtigeren  in  Zeitschriften  Tersteckten  Ar- 
beiten (keine  Bücher)  za  eitleren. 

2)  „Altprenfs.  MonaUschr."  V  (1868),  S.  iisff.  bis  XV  (1878),  S.  289ff. 

3)  „Prenfs.  Nationalblätter"  Ii  (1787),  S.  ij  ff. 


—     9     — 

saxmnenstellung  der  in  dem  Zeitraum  von  1740  bis  1840  „nach  lang- 
jährigem Grundbesitz'^  ausgestorbenen  Geschlechter  verdient  gemacht  ^)^ 
und  Meckelburg  ist  ihm  mit  dem  Entwurf  einer  prcufsischen  Adels- 
matrikel  gefolgt ').  Von  Geschichten  der  Adelsfamilien  seien  wenigstens- 
die  beiden  wichtigsten  und  umfassendsten  erwähnt,  die  der  Eulenburgs, 
die  Mülverstedt,  und  die  der  Grafen  Dohna,  die  ein  Mitglied  der  FamiUe 
selbst  bearbeitet  hat,  beides  sehr  ausfiihrUche  mit  reichen  Urkunden- 
anhängen  ausgestattete  Werke.  Der  Agrargeschichte ,  zu  der  sie  in 
ihren  Aktenbeilagen  öfters  Beiträge  bringen,  haben  mit  eigenen 
Forschungen  ehemals  Haxthausen  und  neuerdings  Brünneck  die  wert- 
vollsten Dienste  geleistet,  ersterer  mit  seinem  Buch  über  die  länd- 
liche Verfassung,  letzterer  mit  seinen  Studien  zur  Geschichte  der  Leib- 
eig^enschaft ')  und  namentlich  mit  seinen  in  der  neuen  deutschen 
Rechtsgeschichte  ganz  vereinzelt  dastehenden  Arbeiten  zur  Geschichte 
des  Grundeigentums. 

Die  stadtgeschichtliche  Litteratur  ist  vielleicht  nicht  im  selben 
Verhältnis  reicher  als  anderwärts,  doch  haben  für  Königsberger  Bürger- 
familien  Beckherm,  Meckelburg  und  neuerdings  Gallandi  reiche  Ma- 
terialien gesammelt,  die  Studien  von  Conrad  über  die  Finanz-,  Ge- 
richts- und  Verfassungsgeschichte  von  Königsberg  im  XVIII.  Jahr- 
hundert *)  haben  in  der  übrigen,  bekanntlich  sehr  spärlich  angebauten 
neueren  Stadtgeschichte  Deutschlands  leider  wenig  Seitenstücke,  und 
die  sehr  übersichtlich  angeordneten  Untersuchungen  Meiers  zur  Handels- 
geschichte Königsbergs  sind  vollends  ungewöhnlich  wertvoll.  Die 
kleinen  Städte  Ostpreufsens  haben  neuerdings  auch  hier  und  da  sach- 
kundige Bearbeiter  gefunden. 

Von  den  verschiedenen,  das  ganze  Land  angehenden  Entwick- 
lungsreihen ist  für  die  Verfassungsgeschichte  ganz  ungewöhnlich  früh 
eine  treffliche  Grundlage  geschaffen  worden  in  der  Sammlung  der 
Privilcgia  der  Stände  des  Herzogthutns  Preu/sen,  die  schon  1616 
in  Braunsberg  erschienen  ist.  Mit  dem  ihren  Ursprung  sehr  deutlich 
offenbarenden  Motto:  turpe  est  homini  praesertim  nobili  ignorare 
jus,  in  quo  ipse  nahis  sit  geschmückt,  sind  sie  ein  Erzeugnis  eines 
historischen  Sinns  von  sehr  praktischen  Zielen.  Die  preußischen 
Stände,  unter  dem  Schutze  des  polnischen  Lehensherrn,  mit  dessen 
Privileg  das  Werk  erschien,  wollten  sich  dadurch  ein  Bollwerk  gegen 


1)  „Nene  ProviDzialbl."  IX  (1850),  S.  92 ff.  bis  And.  Folg.  II  (1852/53),  S.  73 ff. 

2)  „Neue  ProvinzialbL",  And.  Folg.  FV  (1853),  S.  45  ff.  bis  XI  (1857),  S.  44  ff. 

3)  „ZeiUchrift  f.  Rechtsgesch.«,  Genn.  Abt  XXI  (1887). 

4)  „Altpreuft.  MonatSÄchr."  XXV  (1888),  S.  63ff.,  XXIV  (1887),  S.  193 ff. 


—     10     — 

alle  absolutistischen  Angriffe  ihrer  neuen  brandenbuigischen  Herzoge 
aufrichten,  wie  denn  überhaupt  in  ihren  Verhandlungen  mit  grofser 
Hartnäckigkeit  immer  wieder  auf  uralte  Rechtsdokumente  rekurriert 
wurde.  Wenn  heute  noch  im  englischen  Unterhause  auch  wohl  ein 
Gesetz  Eduards  I.  als  gültig  zitiert  wird,  so  findet  sich  in  der  Epoche 
des  älteren  deutschen  Parlamentarismus  vielleicht  nirgends  ein  Landtag, 
der  so  zähen  historischen  Sinn  bekundet  hätte  wie  der  preuisische.  Er 
hat  noch  dem  Grofsen  Kurfürsten  mit  nichts  das  Leben  so  sauer  ge- 
macht, als  durch  diese  ihm  sehr  unbequeme  Gedächtniskraft.  Für  uns 
Nachlebende  aber  ist  damit  ein  vortrefflicher  Ausgangspunkt  für  alte 
verfassungsgeschichtliche  Studien  gegeben  worden;  Toppen  hat  dann 
nachträglich  für  diese  Sammlung  durch  sein  ausgezeichnetes  Quellen- 
werk die  Fundamente  in  die  Ordenszeit  hinein  rückwärts  geführt,  und 
durch  eine  lange  Reihe  editionsartiger  Zusammenstellungen  für  die  Ge- 
schichte der  Landtage  bis  ins  XVIL  Jahrhundert  wenigstens  die  Grund- 
lage geschaffen.  Dort  schliefst  sich  der  betreffende  Band  der  Akten- 
publikation zur  Geschichte  des  Grofsen  Kurfürsten  mit  einer  auch  die 
Vergangenheit  nochmals  neu  beleuchtenden  Einleitung  an.  Eine 
Arbeit  über  die  nicht  allzu  rühmlichen  Ausgänge  des  ostpreufsischen 
Ständetums  vom  Jahre  1688  ab  wird  demnächst  erscheinen. 

Die  Verwaltungsgeschichte  pflegt  sonst  ein  übel  verwahrlostes 
Stiefkind  der  Historie  früherer  Zeiten  zu  sein,  aber  auch  für  sie  sind 
wenigstens  fragmentarische  Beiträge  schon  sehr  alten  Datums  vor- 
handen. Das  Erläuterte  Preu/sen  hat  bereits  1724  eine  Geschichte 
der  preufsischen  Regierung,  1725  eine  des  samländischen  Konsistoriums 
gebracht.  Die  Preufsischen  Merkwürdigkeiten  haben  jene  dann  noch 
ei^^änzt  *),  und  Mangelsdorff  hat  gegen  Ende  des  Jahrhunderts  dasselbe 
Thema  noch  einmal  aufgenommen  *).  Toppen  hat  in  seiner  historisch- 
comparativen  Geographie  sehr  mühselige  Forschungen  über  die  Ge- 
schichte der  administrativen  Bezirksteilung  niedergelegt.  Mülverstedt 
hat  ein  Verzeichnis  der  Amtshauptleute  und  ihrer  landrätlichen  Nach- 
folger geliefert,  das  von  1526  bis  1806  reicht*),  Lohmeyer  neuestens 
eine  treffliche  kommentierte  Quellenarbeit  zur  Finanzgeschichte  des 
XVI.  Jahrhunderts. 

Selbst  die  neuere  Rechtsgeschichte,  sonst  ein  Schmerzenskind  der 
inneren  Geschichte  und  leider  bis  auf  den  heutigen  Tag  von  Histo- 
rikern   und  Juristen   gleich   sehr  vernachlässigt,    ist   von    den  Tagen 


1)  1741,  S.  347. 

2)  „Preufs.  Nttionalblättcr"  I,  2  (1787),  S.  86  ff. 

3)  „Nene  ProvinzialbL",  And.  Folg.  X  (1855),  S.  32 ff.,  182 ft,  364«. 


—    11    — 

Hartknochs  ab  nicht  ganz  leer  ansgeg'ang'en ,  Kurella  und  Sahme  im 
XVIII.,  Leman,  Voigt,  Brünneck*),  Steffenhagen,  Güterbock  haben 
sich  ihrer  angenommen. 

Am  aufjfalligsten  ist  vielleicht,  wie  reich  die  geistige  Entwicklung 
des  Landes  mit  freilich  meist  monographischer  Behandlung  bedacht  ist; 
sie  nimmt  in  meinen  bibliographischen  Kollektaneen  einen  sehr  umfäng- 
lichen Platz  ein.  Nicht  die  eigentliche  Litteratur  und  die  Kunst- 
geschichte zwar  sind  viel  vertreten;  diese  seltenen  Blumen  sind  in 
dem  hyperboräischen  Lande  nicht  so  oft  aufgesprossen,  dafs  der 
Historiker  von  ihnen  allzu  viel  zu  erzählen  gehabt  hätte,  selbst  wenn 
er  —  was  namentlich  in  der  Kunstgeschichte  zu  sagen  ist  —  seine 
Pflicht  sehr  eifrig  erfüllte.  Die  Baukunst  der  Ordenszeit  und  der 
gute  Simon  Dach  sind  eigentlich  doch  die  einzigen  Besitztümer  der 
Provinz,  denn  Herder  ist  ihr  zu  schnell  entfremdet  worden.  Aber 
wie  viel  ist  für  Kirchen-  und  Unterrichtsgeschichte  geschehen  seit 
Hartknochs  und  Amoldts  Tagen.  Die  Universität  Königsberg  hat 
durch  letzteren  frühzeitig  eine  stattliche  Urkundengeschichte  erhalten, 
Tschackert  ist  neuerdings  der  Reformationshistoriker  des  Landes  ge- 
worden, und  es  giebt  wenig  bedeutende  Kirchen  und  Schulen,  die 
nicht  ihren  Chronisten  gefunden  hätten.  Und  auch  die  Geschichte  der 
Wissenschaften  als  solche  hat,  ganz  abgesehen  von  der  nicht  eigentlich 
Ostpreufsen  angehenden  Kantlitteratur ,  merkwürdig  eifrige  Pflege  ge- 
funden. Pisanski  namentlich,  der  gegen  Ende  des  XVIII.  Jahrhunderts 
schrieb,  war  ein  unerhört  erfolgreicher  Sammler.  Er  hat  eine  preulsi- 
sche  Litteraturgeschichte  der  älteren  Zeit  geschrieben,  und  für  das 
XVII.  Jahrhundert  sind  dann  noch  lange  nach  seinem  Tode  immer 
neue  Beiträge  veröffentlicht  worden. 

Man  sieht,  unsere  altpreufsischen  Landsleutc  haben  das  Wort 
ihres  alten  Chronisten  nicht  umsonst  gesagt  sein  lassen:  kunt  mich 
darinnen  nicht  müde  lesen,  den  mir  ist  also  zcu  mut,  nicht  weis 
tch,  wie  ander  lewt  gesinnt:  je  mehr  ich  von  meinem  lieben  vater- 
land  höre  ader  lese ,  je  lenger,  je  lustiger  ich  werd  davon  czu 
hören  und  lesen. 

Und  wäre  es  auch  thörichte  Verblendung,  zu  glauben,  dafe  nicht 
auch  auf  diesem  einen  abgegrenzten  Felde  der  deutschen  Territorial- 
geschichte noch  unendlich  viel  gearbeitet  und  nicht  nutzlos  gearbeitet 
werden  könnte,   hier  liegt  doch   unzweifelhaft  ein  gutes  Beispiel  vor, 


I)  „Zur  Geschichte  des  ehelichen  Güterrechts "(,, Altpreufs.  Monatsschr.**  Xu  [1875]), 
S.  21 7  ff. 


—      12     — 

das  die  jetzigen  Ostpreufsen  stolz  machen,  das  andere  Stämme  zur 
Nacheiferung  anspornen  und  das  schliefslich  die  Pfleger  der  neueren  all- 
gemeinen Geschichte  mahnen  kann,  nicht  mehr  so  achtlos  wie  bisher 
an  diesen  bereits  gehobenen  Nachrichtenschätzen  vorüberzugehen. 


Das  KHegsw^esen  mittelalterlicher  Städte 

Von 
Georg  Liebe  (Magdeburg) 

Der  einst  von  Arnold  *)  ausgesprochenen  Aufforderung  zu  regerer 
Bearbeitung  des  städtischen  Kriegswesens  ist  nicht  die  wünschenswerte 
Beachtung  zuteil  geworden.  Nur  in  allgemeineren  Werken  über  das 
Kriegswesen  oder  solchen  über  die  Gesamtgeschichte  einer  Stadt  fanden 
die  mUitärischen  Zustände  der  Stadtgemeinden  lange  Zeit  einzig  Be- 
achtung. Die  ersten  Werke,  die  sich  ihre  Erforschung  allein  zum  Ziel 
setzten,  konnten  bei  ihrer  allgemeinen  Fassung  die  verschiedenen  Seiten 
des  Themas  nur  streifen  ').  Allmählich  begann  man  einzusehen,  dafs  wie 
auf  dem  vielumstrittenen  Felde  der  städtischen  Verfassungsgeschichte 
auch  hier  eine  gründliche  Einzelforschung  den  Boden  bereiten  müsse. 
In  der  That  ist  kaum  ein  Gebiet  lohnender  für  den  Anbau  selbst  einer 
kleinen  Strecke.  Denn  das  Material  liegt  bei  der  in  alle  Zweige 
städtischen  Lebens  einschneidenden  Bedeutung  des  Kriegswesens  in 
den  Archiven  bequem  zu  Tage,  keineswegs  nur  in  den  eigentlichen 
Kriegssachen ,  den  Musterrollen ,  Geschützinventaren ,  Soldquittungen, 
sondern  vor  allem  in  den  Rechnungen  *).  Aber  dieser  vielfach  in  den 
verschiedensten  Richtungen   verlaufende  Einflufs   läfet  es  nützlich   er- 

1)  „VerfMsangftgeschichte  der  deutschen  Freistädte  *^,  II.  S.  232. 

2)  Moj  ean.  Städtische  Kriegseinrichtungen  im  XIV.  und  XV.  Jahrhundert,  Progr.  1876; 
von  der  Nahmer,  Wehrverfassungen  der  deutschen  Städte  in  der  zwieiten  Hälfte  des 
XW.  Jahrhundert»,  Disß.  88. 

3)  lUltzcr,  Zur  Geschichte  des  Danziger  Kriegswesens  im  XIV.  und  XV.  Jahr- 
hundert, Progr.  1893;  Otto,  Die  Wehrverfassung  einer  kleinen  deutschen  Stadt  im  späterer» 
Mittelalter  („Zeitschrift  für  Kulturgeschichte",  Bd.  IV,  S.  54.  155),  1897.  Verzeichnisse 
itei  HUri^or,  welche  Harnische  halten  müssen,  sind  aus  dem  XV.  Jahrhundert  erhalten  in 
Wftttt),  Vgl.  R  « i  n  h  o  1  d ,  Verfassungsgeschichte  der  Stadt  Wesel  (Gierke,  Untersuchungen^ 
lHH8),  S.  53. 


—     13     — 

scheinen,  wenigstens  das  Kriegswesen  der  gröiseren  Städte  mehr  als 
bisher  im  Verlaufe  ihres  gesamten  historischen  Lebens  zu  betrachten  *). 
Denn  nicht  nur  ist  die  Bethätigung  im  Kampfe  eine  der  höchsten 
Lebensthätigkeiten  für  ein  Gemeinwesen  wie  fiir  den  einzelnen:  hier 
liegt  eins  der  Gebiete  vor,  auf  denen  die  straffe  Konzentration  der 
städtischen  Verwaltung  dem  modernen  Staat  vorgearbeitet  hat:  in 
dreifacher  Hinsicht  hat  sie  die  Entwickelung  gefordert,  in  rechtlicher, 
organisatorischer  und  technischer. 

Der  wehrhafte  Charakter  der  mittelalterlichen  Stadt  bedingte  stete 
Kampfbereitschaft  der  Einwohner;  Schossen  und  Wachen  erscheinen 
in  den  Quellen  als  Grundlagen  der  Bürgerpflicht.  Es  sind  die  un- 
erlälslichen  Forderungen  moderner  Staatsanschauung,  direkte  Besteue- 
rung und  allgemeine  Wehrpflicht,  die  sich  hier  zuerst  durchgebildet 
finden.  Aber  die  Pflicht  bedeutete  im  Anfange  auch  ein  Recht;  wie 
der  Mauerring  den  von  ihm  Umschlossenen  eine  neue  Freiheit  schuf 
anabhängig  von  den  früheren  Standesverhältnissen,  so  machte  seine 
Verteidigung  sie  alle  teUhaftig  der  Waffenehre.  Die  ersten  städtischen 
PrivUegien,  Worms  imd  Speier  von  Heinrich  IV.  verliehen,  sind  durch 
kaisertreue  WafTenhUfe  verdient  worden  trotz  gegnerischen  Hohnes 
über  die  kriegerischen  Kaufleute.  Dies  Waffenrecht  den  Städten  zu 
bestreiten,  wie  es  den  Bauern  geschah,  ist  keinem  Stadtherrn  je  ein- 
^fallen.  Wie  die  Reichsstädte  dem  Kaiser  Zuzug  leisteten,  so  boten 
die  Landesherren  ihre  Städte  auf,  und  bis  in  das  XVII.  Jahrhundert 
stellen  für  die  neben  dem  Lehndienst  bestehende  Landfolge,  den 
letzten  Rest  des  alten  Heerbanns,  die  Bürger  das  wertvollste  Kon- 
tingent *).  Wohl  aber  boten  die  immer  gesteigerten  fürstlichen  An- 
sprüche den  Städten  dauernd  Anlafs  zu  Beschwerden.  Denn  nur  bei 
•gemeiner  Landesnot  wurde  die  Verpflichtung  unbedingt  anerkannt,  der 
Ausnutzung  zu  gunsten  dynastischer  Politik  suchten  die  Städte  durch 
Beschränkung  in  2^hl  imd  Dauer  des  Auszugs  zu  begegnen.  That- 
sächliche  Befreiung  erlangten  allerdings  nur  die  mächtigeren. 

War  die  Verteidigung  der  Stadt  bedingungslose  Pflicht  jedes  In- 
wohners, so  unterlag  die  Organisation  des  Auszugs,  sei  es  im  Dienste 
des  Stadtherm  oder  in  eigner  Fehde,  wechselnden  Änderungen.  Hier 
lag,  den  Forderungen  zeitgenössischer  Taktik  entsprechend,  das  Haupt- 
gewicht  bis   ins  XTV.  Jahrhundert  bei   der  schwergerüsteten  Reiterei. 


i)  Liebe,  Das  Kriegswesen  der  Stadt  Erfurt  von  Anbeginn  bis  zam  Anfall  an 
Preofsen,  1896. 

2)  „Aufgebote  der  Stadt  Sangerhausen  durch  ihre  sächsischen  Herren  im  XV.  Jahr- 
hundert".    Bei  Schmidt,  Sangerhausen  als  Festung  II,  1896. 


—     14     — 

Im  Anschlufs  an  die  erste  städtische  Besatzung,  die  Ministerialen  des 
Stadtherm,  pflegten  daher  auch  später  die  Patrizier,  in  denen  jene 
häufig  aufg^angen  waren,  die  Tradition  des  Rofsdienstes.  Aristo- 
kratische Genossenschaften  wie  die  Zirkelbrüderschaft  in  Lübeck,  die 
Lilienvente  in  Braunschweig,  die  Artushöfe  der  preufsischen  Städte 
wahrten  streng  ritterliche  Sitte.  In  Strasburg  wie  in  Magdeburg  er- 
wuchs aus  dieser  Ehrenpflicht  der  Name  Konstabel  für  die  Patrizier, 
die  1280  in  letzterer  Stadt  ein  Turnier  in  den  höfischen  Formen  des 
Grals  feierten.  Der  wachsende  Einflufs  der  Zünfte  aber  zeitigte  in  der 
ersten  Hälfte  des  XIV.  Jahrhunderts  eine  Demokratisierung  wie  der 
Verfassung,  so  auch  der  Heeresmacht,  die  mit  der  durch  Schweizer- 
und  Hussitenkriege  erwiesenen  Überlegenheit  des  Fufsvolks  den  Platz 
behauptete.  Die  Masse  der  Bürgerschaft,  bisher  hauptsächlich  defensiv 
oder  bei  Belagerungen  verwendet,  lernte  jetzt,  unterstützt  von  den  ent- 
wickelten Femwafien,  offensiv  im  Felde  aufzutreten  und  erwies  sich  in 
den  Kämpfen  mit  den  vorwärts  drängenden  Territorialgewalten  am 
Elnde  des  XIV.  Jahrhunderts  als  achtungswerter  Gegner.  Die  Ein- 
teilimg  der  bürgerlichen  Streitmacht  blieb  auch  jetzt  noch  häufig  die 
althe^ebrachte  in  Viertel  *),  deren  Zahl  freilich  nicht  immer  dieser  Be- 
nennung entsprach,  mit  ebenfalls  lokalen  Unterabteilungen  wie  die 
Gassenhauptmannschaften  in  Nürnberg,  die  Pfarren  in  Erfurt.  Häufig 
aber  imd  vermutlich  da,  wo  der  Sieg  der  Zünfte  ein  entschiedener 
war,  wurden  diese  wie  auf  politischem,  so  auf  militärischem  Gebiete  zur 
neuen  Grundlage.  Auch  jetzt  blieb  schärfste  Beobachtung  der  Dienst- 
pflicht Regel;  schon  in  Friedenszeiten  wurde  jedem  Bürger  auf  Mauer 
und  Turm ,  wie  in  der  Schlachtordnung  sein  Platz  angewiesen  *) ,  und 
immer  wiederholte  Musterungen  wachten  über  die  Bereitschaft  von 
Mann  tmd  Rüstung.  Bei  letzterer  wurde  ein  gewisses  timokratisches 
Prinzip  beobachtet,  indem  das  Mafs  der  Rüstung  nach  dem  Vermögen 
bemessen  und  so  die  gesamte  Mannschaft  in  mehrere  Klassen  geteilt 
wurde. 

So  kemhaft  tüchtig  die  bürgerliche  Streitmacht  war,  ihren  Lei- 
stungen war  eins  hinderlich :  jede  kriegerische  Aktion  schädigte  daheim 
die  gewerbliche  Existenz  des  Abwesenden.  So  war  ihre  gesammelte 
Kraft  wohl  gewaltiger  Schläge  fähig,  aber  unfähig  zu  dem  aufreibenden 


i)  So  in  Dresden,  vgl.  O.  Richter,  Verfassangsgeschichte  der  Stadt  Dresden  (1885), 
S.  283. 

2)  „Verzeichnisse  ans  dem  XV.  Jahrhundert".     Bei  Meyer,   Die  Reichsstadt  Nord- 
hausen (Zeitschrift  des  Harzvereins  21),  1888. 


—     16     — 

„täglichen  Kriege"  *),  wie  Um  das  Bürgertum  des  Mittelalters  vor  allem 
der  Ritterschaft  gegenüber  fuhren  muüste,  der  das  Städtewesen  als 
Vertreter  einer  neuen  Wirtschaftsordnung  rettungslos  die  Lebensadern 
unterband.  Diesem  Gegner  war  nur  eine  ständig  gerüstete  Truppe 
gewachsen,  ihr  Material  konnte  sich  nur  aus  den  feindlichen  Reihen 
rekrutieren.  Der  Beweglichkeit  des  Angriffs  muiste  eine  gleiche  Ab- 
wehr begegnen,  darum  sehen  wir  bei  den  städtischen  Söldnern  die 
Reiterei  noch  im  Übergewicht,  als  dies  bei  der  Bürgerwehr  längst  be- 
seitigt war  ^).  Stehendes  Militär  allerdings  hielten  auch  bedeutende 
Städte  nur  in  geringem  Mafse;  aufser  den  Thorwächtem  war  in  der 
Regel  nur  eine  Anzahl  reisiger  Knechte  zu  Polizei-  und  Botendiensten 
vorhanden.  Vielmehr  sicherten  sich  die  Städte  eine  stets  bereite  ge- 
übte Mannschaft,  indem  sie  durch  Verträge  auf  Grund  einer  Geldrente 
benachbarte  Edelleute  verpflichteten,  auf  das  Gebot  der  Stadt  in  den 
Stegreif  zu  treten.  Es  ist  die  Stellung  des  Gleven-,  Edel-,  Aus- 
bürgers, in  der  wir  den  Fürsten  wie  den  Edelknecht  finden,  ver- 
gleichbar der  dauernden  Bestalltmg  späterer  Landsknechtshauptleute, 
die  sie  auch  in  Friedenszeiten  einzelnen  Fürsten  verband.  In  Kriegs- 
läuften  wurden  aufserdem  Reisige  fiir  den  besonderen  Fall  angeworben 
als  Gleven  oder  Helme,  wobei  auf  den  Ritter  ein  bis  zwei  Knechte 
gerechnet  wurden,  oder  als  Einspänniger.  An  Zuzug  fehlte  es  einer 
zahlimgskräftigen  Stadt  nie,  denn  die  Überzahl  der  erbelosen  Schild- 
geborenen fand  hier  den  einzigen  standesgemäfsen  Nahrungszweig.  In 
typisch  geschäftsmäfsiger  Form  bestimmen  die  zahlreich  vorhandenen 
Soldbriefe  die  Bedingungen,  durch  die  sich  beide  Teile  vor  Schaden 
zu  wahren  suchen.  Die  Stadt  behält  sich  Musterung  von  Mann  und 
Rofe  und  Verfugung  über  Beute  und  Gefangene  vor,  der  ritterliche 
Söldner  sucht  möglichst  viel  an  Verpflegung  und  Schadenersatz  neben 
dem  Solde  herauszuschlagen.  Ende  des  XIIL  Jahrhunderts  beginnend 
hat  das  Soldrittertum  im  folgenden  geblüht,  um  an  dessen  Ende  in 
das  Soldreitertum  überzugehen.  Es  bildete  sich  ein  militärisches  Unter- 
nehmertum aus,  Condotderen,  die  beständig  eine  Schar  Reisiger  unter 


i)  Eine  recht  deutliche  Definition  dieses  im  Mittelalter  Üblichen  Wortes  giebt  eine 
Urkunde  von  1369,  Okt.  18.,  mittels  der  sich  Wilhelm  v.  Jülich  and  die  Stadt  Köln 
gegen  den  Kölner  Erzbischof  verbünden,  (Lacomblet,  Urkondenbuch  für  die  Geschichte 
des  Niederrheins  III.  Bd.  Nr.  693).  Beide  Teile  verpflichten  sich  dort  zur  Stellung  von 
100  glaygen  zu  degelichem  kriege,  van  dage  zu  dage  zu  schedigen  dat 
gestichte  van  Colne. 

2)  Mendheim,  Das  reichsstädtische,  besonders  Nürnberger  Söldnerheer  im  XlV. 
and  XV.  Jahrhundert     Diss.  89. 


—  le- 
iden Waffen  hielten  und  sie  jedem  zur  Verfügung'  stellten;  das  adelige 
Privileg  des  Rofsdienstes  wurde  dabei  immer  weniger  gewahrt.  Fu(s- 
•söldner  treten  erst  hundert  Jahre  später  auf,  zuerst  in  Nachahmung 
-der  Schweizer  in  Süddeutschland;  für  sie  bürgert  sich  vom  Ordens- 
lande her  der  Name  Trabanten  ein.  Über  die  Kosten  des  Söldner- 
-wesens  geben  die  Stadtrechnungen  ausgiebigen  Aufischlufs  ^). 

Auf  technischem  Gebiete  haben  die  Städte  es  allezeit  verstanden, 
sich  jeden  Fortschritt  auf  das  Schnellste  zu  nutze  zu  machen.  Das 
galt  vor  allem  der  Entwicklung  der  Fernwaffen.  Die  aus  den  Kreuz- 
zügen  heimgebrachte  Armbrust  wurde,  vielfach  verbessert,  die  bürger- 
liche Lieblingswaffe,  erst  bei  der  Verteidigung  der  Mauern,  dann  auch 
-im  Felde,  wo  sie  in  Anlehnung  an  den  gewohnten  Gebrauch  hinter 
SetzschUden  (Pavesen)  Anwendung  fand.  Oft  wertvoll  gehörten  sie  meist 
nicht  dem  einzelnen  sondern  einer  Gesamtheit.  Die  Aufnahme  in  eine 
Zunft  bedingt  zuweilen  einen  Beitrag  für  die  Armbrüste,  und  die  In- 
ventare  der  städtischen  Zeughäuser  führen  sie  mit  mancherlei  anderen 
Waffen  in  stattlicher  Zahl  an.  Der  Übung  dienten  die  Schützenbrüder- 
-schaften,  die  meist  nur  nach  ihrer  späteren  Gestalt  von  der  geselligen 
Seite  gewürdigt  worden  sind,  früher  aber  Vorbereitung  für  den  Krieg 
•waren*).  Denn  sie,  die  bis  in  den  Anfang  des  XIV.  Jahrhunderts 
-zurück  reichen,  stellten  nicht  nur  der  Stadt  eine  stets  geübte  Mann- 
schaft, sondern  aus  ihnen  rekrutierten  sich  zum  Teil  die  städtischen 
Söldner,  die  schon  früh  überwiegend  mit  Schufswaffen  gerüstet  sind  •). 
Die  Armbrust  blieb  auch  noch  lange  nach  Einführung  der  Feuer- 
waffen in  Brauch,  deren  Schwerfälligkeit  die  Handhabtmg  erschwerte. 
-Stahl-  imd  Büchsenschützen  sind  getrennt.  Bis  weit  in  das  XV.  Jahr- 
hundert hat  die  ältere  Waffe  das  Übergewicht.  Früher  gelangten 
die  Geschütze  im  Festungskriege  zur  Bedeutung,  zuerst  1326  in 
Metz,  schon  1348  fiel  die  Rudelsburg  durch  eine  Naumburger  Büchse, 
und  um  1400  besitzen  gröfsere  Städte  schon  eine  stattliche  Artillerie, 
für  die  ebenfalls  schon  in  Friedenszeiten  die  Plätze  auf  den  Festungs- 
werken bestimmt  waren.  An  Stelle  des  Blidenmeisters  erscheint  im 
städtischen  Dienst  der  Büchsenmeister.   Die  für  Infanterie  und  Artillerie 


1)  „Deutsche  Städtechroniken'*,  NOrnbergl;  Knipping,  Ein  mittelalterlicher  Jahres- 
liaoshalt  der  Stadt  Köln  (1379)  („Beitr.  z.  Gesch.  Kölns  u.  d.  Rheinlande<<  1895). 

2)  Gehrke,  Danzigs  Schfitzenbrttderschaften  in  alter  und  neuer  Zeit,  1895;  Neu- 
bauer, Geschichte  der  Zerbster  Schützengesellschaft,  1897;  Schoop,  Geschichte  der 
Ewaldns-SchÜtzengilde  in  Düren,  1896. 

3)  Vgl.  die  Notiz  aus  dem  Archive  von  Wipperfürth,  bei  Tille,  Übersicht  über  den 
Inhalt  der  kleineren  Archive  der  Rheinprovinz  I,  S.  282,  Nr.  3  (1456). 


—     17     — 

flötigen  Transportmittel  führten  früh  ztir  Ausbildung  eines  starken 
Wagentrosses  ^)^  den  die  Bürger  ftir  die  in  Nachahmung  der  Hussiten 
geübte  Taktik  der  Wagenburg  nutzbar  zu  machen  wulsten.  Bei  den 
städtischen  Kontingenten  zuerst  findet  sich  eine  Einrichtung,  die  uns 
tmtrennbar  von  soldatischem  Wesen  erscheint,  bis  ins  XVII.  Jahr- 
hundert aber  nur  in  Verbindung  mit  der  allgemeinen  Wehrpflicht  auf- 
tritt, die  Uniform  *). 

Mit  dem  XVI.  Jahrhundert  geht  wie  die  poUtische  auch  die  mUi- 
tärische  Blüte  der  Städte  zur  Rüste  gegenüber  dem  machtvollen  Auf- 
streben der  Territorien.  Das  herrschende  Kampfmittel,  die  Lands- 
knechte, sind  sie  bei  dem  Rückgang  ihrer  finanziellen  Bedeutung  nicht 
mehr  im  stände,  für  sich  zu  gewinnen,  und  die  Bürgerwehr  war  dem 
kriegsgeübten  Söldner  nicht  mehr  gewachsen.  Nur  die  Geschütz- 
bedienung, das  Konstablerwesen,  blieb  bei  der  Kostbarkeit  des  Ma- 
terials in  den  Händen  der  Bürger.  Der  grofse  Krieg  brach  völlig  die 
kriegerische  Kraft  des  Bürgertums;  zwischen  Nähr-  imd  Wehrstand 
war  eine  unheilvolle  Kluft  geöffnet.  Die  Stadtsoldaten  werden  nicht 
mit  Unrecht  ein  Gegenstand  der  Satire,  als  Kontingente  der  Reichs- 
armee «teilen  sie  verkümmerte  Reste  veralteter  Zustände  gegenüber 
<iem  modernsten  Staatswesen  dar,  dem  preu&ischen. 

Dankbarste  Aufgaben  bieten  sich  hier  der  Lokalforschung;  viel- 
fach liegt  das  Material  schon  im  Drucke  vor*)  und  bedarf  nur  noch 
xler  systematischen  Bearbeitung,  aber  auf  Grund  archivalischen  Ma- 
terials läfst  sich  noch  manches  Neue  über  die  städtische  Wehrver- 
fassung beibringen. 

i)  Neben  den  GeschüUen  waren  auch  zahlreiche  Kriegsmaschinen  zu  transportieren. 
In  Strafsbnsg  wurden  1359  neben  schlangen-  und  steinbüchsen  die  katzen  (Wurfgeschütze), 
«benhöher  (bretteme  Schutzdächer  zum  Mauerstürmen),  dumbler  (Schleudermaschinen), 
iiürden  (Stofswerke)  genannt.     VgL  Schmoller,    Strafsburg   zur  Zeit   der  Znnftkämpfe 

^1875),  s.  34. 

2)  Liebe,  Zur  Geschichte  der  Uniform  in  Deutschland  („Zeitschrift  fUr  Kultnr- 
jgcschichte"  II,  1895). 

3)  Z.  B.  Döbner,  Hildesheimer  Urkundenbuch  V,  Stadtrechnungen. 


18     — 


Üie  landeskundliche  Iiitteratur 
Deutschlands  im  t^eformationszeitalter 

Von 
Viktor  Hantzsch  (Dresden) 

Während  des  Mittelalters  gab  es  in  Deutschland  keine  landeskund- 
liche Litteratur  im  geographischen  Sinne,  also  weder  topographische  Be- 
schreibungen noch  gesonderte  kartographische  Darstellungen  des  ge- 
samten Reichsgebietes  oder  einzelner  Teile  desselben.  Zwar  finden 
sich  in  den  zahlreichen  Chroniken  und  anderen  Geschichtsquellen,  so- 
wie in  den  Erzeugnissen  der  poetischen  Litteratur  hier  und  da  zer- 
streut nicht  wenige  vereinzelte  Notizen  landeskundlichen  Inhalts,  die 
ein  gründlicher  Kenner  der  Monumenta  Germaniae  imd  der  mittel- 
alterlichen Dichtungen  sicherlich  mosaikartig  zu  einem  Ganzen  ver- 
einigen könnte,  aber  eine  zusammenhängende  Schilderung,  die  den 
Namen  einer  Landeskunde  von  Deutschland  verdienen  würde,  fehlt. 
Auch  nach  einer  mittelalterlichen  Karte  von  Deutschland  sehen  wir 
uns  vergebens  um.  Auf  den  uns  erhaltenen  Weltkarten  jener  Zeit^ 
die  in  den  grofsen  Reproduktionswerken  von  Lelewel,  Jomard, 
Santarem,  Kretschmer  und  Nordenskiöld  vorliegen,  selbst 
auf  denen  deutschen  Ursprungs,  wie  auf  der  von  Andreas  Wals- 
perger *)  1448  gezeichneten,  ist  Deutschland  ganz  imbestimmt  und 
ungenügend  abgebildet  und  zeigt  nur  eine  sehr  geringe  Zahl  von 
Namen. 

Ein  Umschwung  in  diesen  Verhältnissen  trat  erst  durch  die  Re- 
naissance ein.  Dieser  verdankt  gleich  den  übrigen  Wissenschaften 
und  Künsten  auch  die  Geographie,  insbesondere  die  Landeskunde,  eine 
wesentliche  Förderung.  Das  neu  erwachende  Studium  der  antiken 
Geographen  veranlafete  die  deutschen  Gelehrten,  deren  Notizen  über 
das  alte  Germanien  zu  sammeln  und  mit  den  Zuständen  der  Gegen- 
wart zu  vergleichen.  Da  die  letzteren  den  meisten  nur  ungenügend 
bekannt  waren,  mufsten  sie  untersucht  werden,  und  die  Widersprüche,, 
die  sich  aus  dem  Vergleiche  der  antiken  und  modernen  Verhältnisse 
ergaben,  regten  zu  neuen,  immer  tiefer  eindringenden  Studien  an. 
Auch  die  Kunde  von  den  wunderbaren  neuen  Entdeckungen  der  Spa- 
nier und  Portugiesen  im  westlichen  und  östlichen  Indien  mag  manchen 


1)  Kretschmer,  Eine  mittelalterliche  Weltkarte  der  Vatikanischen  Bibliothek  toh 
Andreas  Walsperger  (Zeitschrift  der  Gesellschaft  fiir  Erdkunde  zu  Berlin  1891). 


\ 


i 


—     19     — 

deutschen  Forscher  angeregt  haben,  auf  Entdeckungen  im  eigenen 
Lande  auszugehen  und  diese  den  Facbgenossen  und  dem  gro&en 
Publikum  durch  landeskundliche  Schriften  mitzuteilen.  Es  kann  natür- 
lich nicht  die  Aufgabe  der  vorliegenden  kurzen  Skizze  sein,  die 
Enzeugnisse  dieser  neu  auftretenden  landeskundlichen  Litteratur  in 
vollständiger  Reihe  aufisuzählen  *).  Vielmehr  wird  es  genügen,  die  be- 
deutendsten selbständigen  und  in  irgend  einer  Hinsicht  besonders  merk- 
würdigen Werke  dieser  Litteraturgattung,  die  Deutschland  während 
des  Reformationszeitalters,  also  vom  Ende  des  XV.  bis  um  die  Mitte 
des  XVII.  Jahrhunderts  hervorgebracht  hat,  zu  erwähnen  und  im  Zu- 
sanmienhange  kurz  zu  charakterisieren.  Bemerkt  sei,  dafs  der  Begriff 
Deutschland  hier  im  modernen  Sinne  zu  verstehen  ist,  so  daCs  also 
die  Schweiz,  Österreich  und  die  Niederlande,  die  eine  verhältnismäisig 
reiche  Zahl  hierher  gehöriger  Schriften  aufweisen,  unberücksichtigt  ge- 
blieben sind.  Auch  wurden  die  aufserhalb  Deutschlands  erschienenen 
Werke  übergangen. 

Die  älteste  landeskundliche  Arbeit  über  Deutschland,  De  situ,  ritu, 
moribus  et  condittone  Teutoniae  descriptto,  rührt  von  dem  als  Papst 
Pius  II.  bekannten  Enea  Silvio  Piccolomini  her  imd  ist  1496  zu 
Leipzig  gedruckt.  Weniger  zusammenhängend,  jedoch  reich  an  indi- 
viduellen Zügen  sind  die  geographischen  Notizen,  die  der  humanistische 
Dichter  Conrad  Celtis  in  seinen  Amores  (1502),  seinen  Oden  und 
Epigrammen  als  Ergebnis  mehrjähriger  Reisen  niedergelegt  hat  und 
die  er  zu  einer  groisen  Germania  illustrata  vereinigt  hätte,  wenn  er 
nicht  allzu  früh  gestorben  wäre  ^).  Systematischer  in  der  Anlage  und 
die  modernen  Verhältnisse  zu  den  antiken  in  Beziehimg  setzend,  wenn 
auch  das  historische  Moment  gegenüber  dem  geographischen  vorzugs- 
weise betonend,  waren  die  Germaniae  exegesis  des  Franz  Irenicus 
(1518),  die  SchoUen  zur  Germania  des  Tacitus  von  Andreas  Alt- 
hamer  (1529),  die  Germaniae  descriptio  des  Kosmographen  Se- 
bastian Münster  (1530)  und  die  Germaniae  explicatio  des  Wili- 
bald  Pirckheimer  (1571).  Volkstümlich  gehalten  und  von  nationaler 
B^eisterung  durchweht  ist  Matthias  Quads  Deutscher  Nation 
Herrlichkeit  (1609).  Umfangreiche  SchUderungen  Deutschlands  ent- 
halten auch  die  groisen,  einst  vielgelesenen  kosmpgraphischen  Werke 
Sebastian  Münsters   (1544),   Georg  Frenzeis  (1592)   imd  Jo- 


1)  Reichliche   Litteratamachweise   bietet   P.  E.  Richter,    Bibliotheca   geographica 
Gcrmsoiae,  1896. 

2)  Geiger,  Conrad  Celtis  in  seinen  Beziehungen  zur  Geographie.     München  1896. 

2* 


—     20     — 

hann  Rauws  (1597).  Den  Höhepunkt  und  Schlufestein  der  landes- 
kundlichen Litteratur  jener  Zeit  aber  bildet  die  grofse  Zeill ersehe 
Topographie,  die  seit  1642  in  33  Bänden  erschien  und  noch  heute 
w^en  ihres  historischen  Wertes  und  ihrer  prächtigen,  von  Matthäus 
Merian  gestochenen  Kupfer  und  Karten  geschätzt  wird.  Ein  Auszug 
aus  diesem  groCsen  Werke,  „Verzeichnis  der  Kurfürsten,  Fürsten  und 
Stände  des  heiligen  römischen  Reiches  deutscher  Nation"  blieb  bis 
tief  ins  XVIII.  Jahrhundert  hinein  das  beliebteste  und  verbreitetste 
Lehrbuch  der  Geographie  von  Deutschland. 

Neben  diesen  allgemeinen  Werken  gab  es  noch  eine  grofse  Zahl 
von  Spezialarbeiten  über  einzelne  Landschaften.  Da  dieselben  jedoch 
vorzugsweise  historisches  und  nur  gelegentlich  geographisches  Material 
darbieten,  sind  sie  im  allgemeinen  den  Lokal-  und  Territorialchroniken 
beizuzählen  und  deshalb  hier  nüt  Stillschweigen  zu  übei^ehen.  Nur  einige 
von  ihnen,  wie  die  Streitschriften  Jakob  Wimphelings  und  Thomas 
Murners  über  die  Westgrenze  Deutschlands  und  über  die  Zugehörig- 
keit des  Eisais  zu  Deutschland  oder  Frankreich  (1501  und  1502),  die 
Vandalta  und  Saxonia  des  Albert  Krantz  (1519),  die  Beschreibung 
des  Fichtelgcbirges  von  Kaspar  Brusch  (1542),  der  in  Distichen 
geschriebene  Rhenus  des  Bernhard  Moller  (1570)  und  die  trotz 
ihres  geschichtlichen  Kernes  auch  vieles  Geographische  bietenden 
Res  Fristae  des  Ubbo  Emmius  (161 6)  verdienen  als  brauchbare 
landeskundliche  Werke  im  geographischen  Sinne  hervorgehoben  zu 
werden. 

Wichtiger  als  diese  wenigen  Spezialwerke  sind  für  die  Landes- 
kunde jener  Zeit  die  Rcisebücher  imd  zwar  sowohl  Beschreibungen 
von  ausgeführten  als  Anweisungen  für  vorzunehmende  Reisen  durch 
Deutschland.  Zu  den  ersteren  gehören  beispielsweise  das  Hodoeporicon 
des  Humanisten  Eobanus  Hessus  (1518),  des  Micyllus  (1527), 
des  Melchior  Lorichius  (1541),  des  David  Chyträus  (1575) 
und  des  Peter  Lindeberg  (1586),  Beyrlins  Reise  durch  Deutsch- 
land  {i6o6)y  die  Itinerare  des  Cuselius  (1607)  und  des  Paul  Hentzner 
(1617),  sowie  das  Iter  saxonicum  des  Michael  Barth  (1563),  zu  den 
letzteren  Wintzenbergers  Reisebüchlein  von  Dresden  aus  durch 
ganz  Deutschland  (1577),  die  Deliciae  Germaniae  des  Matthias 
Quad  (i6oo),  des  Cyprian  Eichovius  (1602)  und  des  Kaspar 
Ens  (1609),  die  Germaniae perlustratio  des  Heinrich  von  Stange 
(1607),  sowie  das  Itinerarium  Germaniae  des  Matthias  Quad 
(1602),  Martin  Zeillers  (1632)  und  der  beiden  Brüder  Georg  Kon- 
rad und  Johann  Georg  Jung  (1641).    Alle  diese  Reisewerke,  die 


—      21     — 

für  die  Kenntnis  der  älteren  Topographie  von  hohem  Interesse  sind, 
aber  bisher  (lir  landeskundliche  und  ortsgeschichtliche  Zwecke  nur 
wenig"  ausgenutzt  wurden,  beschäftigen  sich  weniger  mit  den  einzelnen 
Territorien  im  allgemeinen  und  deren  geographischen  Eigentümlich- 
keiten, als  vielmehr  vorzugsweise  mit  den  gröfeeren  Städten.  Dafe 
diese  überhaupt  damals  im  Vordergrunde  des  geographischen  Interesses 
standen,  beweisen  nicht  nur  die  trefflich  ausgeführten  Städte-Ansichten 
in  den  späteren  Ausgaben  von  Sebastian  Münsters  Kosmographie 
seit  1550  und  in  der  grofsen  Topographie  vonMerian  und  Zeiller, 
sondern  auch  mehrere  Werke,  die  sich  ausschliefslich  mit  der  Dar- 
stellung von  deutschen  und  ausländischen  Städten  in  Wort  und  Bild 
befassen,  so  die  in  mehreren  Ausgaben  verbreiteten,  wegen  ihrer  schönen 
Kupfer  noch  heute  sehr  gesuchten  Civitates  orbis  terrarum  von  Georg 
Braun  und  Franz  Hogenberg  (1572),  das  Städtebuch  des  Abra- 
ham Säur  (1593)  und  das  Theatrum  urbtum  des  Romanus  (1595), 
die  Urbes  imperiales  des  Nikolaus  Reusnex  (1602)  und  Mat- 
thäus Dressers  Buch  Von  den  fürnehmsten  Städten  Deutsch- 
lands  (1607). 

Dies  wären  in  Kürze  die  wichtigsten  landeskundlichen  Werke,  die 
Deutschland  im  Reformationszeitalter  hervorgebracht  hat.  Überblicken 
wir  an  der  Hand  derselben  den  Entwicklungsgang,  den  die  landes- 
kundliche Litteratur  in  jenen  beiden  Jahrhunderten  zurückgelegt  hat, 
so  ergeben  sich  etwa  folgende  Gesichtspunkte.  Am  Beginn  des  Zeit- 
raumes war  das  landeskundliche  Wissen  äufserst  mangelhaft  und  sehr 
wenig  verbreitet.  Wohl  nur  vereinzelte  deutsche  Gelehrte  besaisen 
damals  eine  so  allgemeine  Kenntnis  ihres  Vaterlandes,  wie  sie  heute 
jeder  einigermafsen  befähigte  Mittelschüler  sein  Eigen  nennt.  Noch 
im  Anfang  des  XVI.  Jahrhunderts  wimmeln  selbst  die  besten  landes- 
kundlichen Schriften  von  groben  Fehlem.  Auch  spricht  aus  ihnen 
fast  durchgängig  ein  blinder  Autoritätsglaube,  namentlich  gegenüber 
der  Bibel  und  den  alten  Klassikern,  der  sie  veranlafst,  die  wider- 
sinnigsten und  abgeschmacktesten  Fabeln  für  unumstöfsliche  Wahrheit 
auszugeben,  ferner  eine  bemerkenswerte  Kritiklosigkeit,  eine  weitgehende 
Leichtfertigkeit  in  der  Behandlung  der  Quellen,  die  nicht  selten  ohne 
jede  Rücksicht  auf  handgreifliche  Irrtümer  und  ofTenbare  Widersprüche 
einfach  wörtlich  aneinander  gereiht  werden,  endlich  ein  oft  lächerlich 
wirkendes  heifses  Bemühen,  durch  Zitate  und  gelehrte  Spezialunter- 
suchungen mit  reichem  philologischem  und  antiquarischem  Wissen  zu 
prunken.  Aufserdem  ermüden  manche  dieser  Schriften  den  modernen 
Leser    durch    übermäfsige   Weitschweifigkeit   der   Darstellung,    durch 


—     22     — 

langatmige,  oft  gar  nicht  zur  Sache  gehörige  Exkurse,  durch  unglück- 
liche Versuche,  die  vorkommenden  geographischen  Eigennamen  ety- 
mologisch zu  erklären,  und  vor  allem  durch  jene  innere  Ungleich- 
mäfsigkeit,  die  das  Wesentliche  nicht  vom  Unbedeutenden  zu  scheiden 
versteht  und  darum  beides  mit  gleicher  Liebe  und  Umständlichkeit 
oder  aber  auch  mit  gleicher  Kürze  und  Dürftigkeit  behandelt.  Je 
weiter  wir  zeitlich  vorangehen,  desto  mehr  verschwinden  diese 
Übelstände.  Die  Kenntnis  der  geographischen  Thatsachen  nimmt 
rasch  zu,  die  Kritik  beginnt  sich  hier  und  da  zu  regen,  der  gesunde 
Menschenverstand  kommt  nicht  selten  zum  Durchbruch.  Ein  lang- 
samer, doch  sicherer  Fortschritt  ist  trotz  aller  gelegentlichen  Rück- 
falle unverkennbar.  Am  Schlüsse  der  Epoche,  also  um  die  Mitte  des 
XVn.  Jahrhunderts,  zeigen  die  landeskundlichen  Schriften  achtungs- 
werte Gelehrsamkeit,  namentlich  diejenigen  Zeillers  sind  wahre  Fund- 
gruben poly historischen  Wissens.  Aber  sie  sind  mit  wenigen  Aus- 
nahmen nicht  im  lebendigen  vorurteilslosen  Anschauen  der  Wirklich- 
keit entstanden,  sondern  vorwiegend  in  der  Studierstube  mühselig  aus- 
geklügelt und  aus  himdert  anderen  Büchern  abgeleitet.  Nirgends  weht 
uns  aus  ihnen  der  gesunde  Erdgeruch  des  Heimatbodens  an.  Eins  fehlt 
ihnen  vor  allem :  der  Geist.  Selten  findet  sich  eine  glückliche  und 
originelle  Idee,  selten  ein  Versuch,  aus  vielen  gleichartigen  Erschei- 
nungen ein  allgemein  gültiges  geographisches  Gesetz  abzuleiten,  fast 
niemals  ein  Schimmer  von  der  Erkenntnis  der  Wechselwirkung  zwi- 
schen Land  und  Volk,  von  der  Abhängigkeit  des  Kulturlebens  von 
Boden,  Klima  und  Natiuprodukten.  Hierin  Wandel  geschaffen  und  das 
tote  geographische  Wissen  durch  geistreiche,  Ideen  fördernde,  Ver- 
gleiche anregende  und  Probleme  aufstellende  Behandlung  belebt  zu 
haben,  ist  das  unvergängliche  Verdienst  des  genialen  Bernhard 
Varenius,  dessen  Geographta  generalis  von  1650  eine  neue  Epoche 
auch  für  die  Landeskunde  einleitete.  (ScMufs  folgt.) 


Mitteilungen 

Tersanuillungeil«  —  Der  „Gesammtverein  der  deutschen  Ge- 
schichts-  und  Altertumsvercine",  welcher  seit  1852  besteht,  hielt 
in  den  Tagen  vom  2.  bis  5.  Oktober  1898  seine  Generalversammlung  zu 
Münster  i.  W.    ab.  Die  Verhandlungen,  deren  Protokolle  in  Buchform  (BerÜa, 


—     28     — 

Mittler  &  Sohn,  1899)  veröfifentlicht  sind,  beschäftigen  sich,  abgesehen  Ton 
den  Vorträgen  allgemeineren  Inhalts,  mit  verschiedenen  Fragen  der  lokalen 
Geschichtsforschimg  und  ihrer  Organisation,  imd  zwar  wurde  über  Aus« 
grabungen,  Denkmalspflege,  Gnmdkartenarbeit ,  Ortsnamenforschung  und 
Archhrinyentarisation  gehandelt  Die  Ausgrabungen  des  Museiunsdirigenten 
fiaum  (Dortmund)  an  der  Lippe,  von  denen  ein  grofser  Teil  zur  Erläuterung 
des  Vortrags  ausgestellt  war,  geben  wichtige  Aufschlüsse  über  die  Vergangen- 
hdt  Westfalens  und  zwar  aus  ganz  verschiedenen  Kulturepochen,  deren 
genauere  gegenseitige  Abgrenzimg  eine  der  wichtigsten  Aufgaben  der  Forschung 
überhaupt  sein  dürfte.  Bedeutsam  sind  sie  aber  auch  in  methodischer  Hinsicht 
deshalb,  weil  genaue  Beschreibungen  der  Fundstätten  vorgenommen  worden 
sind  tmd  durchgängig  die  Fundstücke,  Bronze  oder  Eisen,  bei  d  e  r  Urne  ge- 
blieben sind,  bei  der  sie  gefunden  wurden.  Nur  bei  allgemeiner  Anwendung 
dieser  Prinzipien  ist  es  möglich,  aus  den  Ausgrabungen  wirklich  Nutzen  fUr 
die  Kenntnis  der  Vergangenheit  zu  ziehen.  Die  Mitteilungen  über  vorgeschicht- 
liche Kultusstätten,  namentlich  bei  lindenfels  im  Odenwald,  im  Vogtlande 
und  anderwärts  (Anthes,  Florschütz)  zeigten  jedem  Unbe&ngenen  deudich, 
da&  die  Forschimgen  auf  diesem  Gebiete  noch  in  den  Kinderschuhen  stecken« 
dais  jedenfalls  von  gesicherten  allgemeinen  Ergebnissen,  die  Gemeingut  der 
gebildeten  Welt  werden  könnten,  heute  noch  nicht  die  Rede  sein  kann.  Das- 
selbe gut  für  die  grundlegenden  Unterschiede  zwischen  den  Lebensgewohnheiten 
der  deutschen  Stämme,  deren  Besprechung  durch  eine  These  des  Dr.  Flor- 
schütz (Welche  durchgreifende  Unterschiede  bestehen  zwischen  den  Funden 
aus  alemannischen  und  aus  fränkischen  Reihengräbem ?)  angeregt  wurde:  es 
fehlte  auch  hier  an  genügenden  Unterlagen  für  eine  tiefere  Erörterung;  nur 
das  eine  liefs  sich  feststellen,  dafs  die  Unterschiede  zwischen  den  Funden 
von  Schierstein  und  Sindlingen  sich  durch  neuere  Entdeckungen  geringer  er- 
wiesen haben,  als  es  anfangs  schien.  Wie  sehr  es  gerade  auf  dem  Gebiete 
der  deutschen  Vorzeit,  Urzeit  imd  Stammeszeit  noch  gründlicher  Forschung 
und  Verbreitung  der  wenigen  gesicherten  Resultate  bedarf,  ergiebt  sich  auch 
aus  dem  rein  objektiven  Bericht  über  die  Vermehrung  der  Sammlungen  des 
„Römisch-Germanischen  Zentralmuseums  in  Mainz ^':  denn  die  Gegenstände 
germanischer  Herkimft  verschwinden  an  Zahl  völlig  gegenüber  den  römbchen, 
und  imter  letzteren  handelt  es  sich  auch  durchaus  nicht  nur  lun  Gegenstände 
aus  spätrömischer  Zeit,  welche  tms  die  auf  die  Germanen  wirkenden  Kultur- 
einflüsse au&udecken  geeignet  sind,  sondern  auch  eine  Menge  an  sich  sicher 
interessante  cyprische  Altertümer,  NachbUdungen  von  Bronzen  aus  Olympia, 
phrygischer  Grefli£se  und  altägyptischer  Geräte  haben  die  Sammlungen  vermehrt 
Man  sollte  an  dieser  Stelle  —  der  vorgeschichtlichen  AbteUung  des  römisch- 
germanischen Zentralmuseiuns  —  doch  am  ehesten  Fimde  vorgeschichtlicher 
Zeit  aus  den  Gegenden  erwarten,  wo  später  Römer  und  Germanen  auf  einander 
stieisen  tmd  eine  eigentümliche  Kultur  entwickelten,  denn  diese  Dinge  sollten 
doch  eigentlich  im  Mittdptmkte  der  deutsch-nationalen  prähistorischen  Forschung 
stehen.  • —  Der  Denkmalpflege  dienten  eingehende  Erörterungen  über 
den  Entwurf  eines  Denkmalschutzgesetzes,  während  über  die  Herstellung 
eines  praktischen  Leitfadens  für  die  Denkmalpflege  aus  Zeitmangel  nicht 
weiter  beraten  wm-de.  Der  Bericht  über  die  Lage  des  Denkmalschutzes 
(Wall^   belehrte  ausführlich   über    den  gegenwärtigen   Stand    der   Denkmal- 


—     24     — 

ioventarisation  in  allen  Teilen  Deutschlands  und  unterrichtete  zugleich  über 
verschiedene  Erfolge,  welche  Einsprüche  seitens  Kunstverständiger  bei  ge- 
planten Beeinträchtigungen  historischer  Denkmäler  durch  andere  Bauten  auf- 
zuweisen gehabt  haben.  —  Über  den  Stand  der  Grundkartenarbeiten 
berichtete  Professor  Thudichum  (Tübingen),  indem  er  auf  die  Wichtigkeit  der 
historischen  Karten  überhaupt  und  —  als  unbedingt  nötiges  Hilfsmittel  dazu  — 
auf  die  Herstellung  von  Kartenblättem  im  Maüsstabe  i  :  100000,  in  denen 
nur  die  Flufsläufe,  Ortsnamen  und  Gemarkungsgrenzen  eingetragen  sind,  hin- 
wies. Mitteilimgen  über  den  Fortschritt  dieser  Arbeiten  in  den  verschiedenen 
Landesteilen  sowie  über  die  Technik  der  Herstellung  dieser  Karten  imd  ihrer 
Vervielfältigungen  schlössen  sich  an.  Auf  Antrag  von  Ermisch  (Dresden) 
wurde  femer  beschlossen,  i.  landschaftliche  Sammelstellen  für  die  Auf- 
bewahnmg  von  Grundkartenformularen  und  Blättern  mit  Eintragungen  zu  be- 
gründen, sowie  2.  den  Vorstand  zu  beauftragen,  wegen  Begründung  einer 
Hauptsammelstelle  für  diese  Karten  in  Verbindung  mit  dem  historisch- 
geographischen Seminar  an  der  Universität  Leipzig  mit  der  Universität  in 
Verhandlungen  zutreten.  (Diesem  Antrag  ist  mitüerweile  entsprochen 
worden,  und  die  entsprechenden  Einrichtungen  sollen  soeben  getrofifen 
werden.)  —  Die  Forschungen  auf  dem  Gebiete  der  Orts-  und  Flur- 
namen  behandelte  Sanitätsrat  Weifs  (Bückeburg)  imd  stellte  dabei  die 
Fordenmg  auf,  sich  nicht  mit  Feststellung  der  ältesten  Namensform  zu  be- 
gnügen, sondern  zur  Gewinnung  einer  Erklärung  für  einen  Namen,  der  meist 
auf  einfache  sinnliche  Wahrnehmungen  zurückzuführen  sein  wird,  alle  ver- 
wandten Benennungen  im  ganzen  deutschen  Sprachgebiet  heranzuziehen.  — 
Die  Inventarisation  der  kleineren  Archive  in  allen  Gauen  ist  als 
Grundlage  für  eine  umfassende  Geschichtsforschung  schon  längst  als  not- 
wendig anerkannt  worden,  und  die  historischen  Vereine  werden  diese  Arbeit 
ab  Nächstinteressierte  am  besten  in  die  Hand  nehmen.  Über  die  Fort- 
schritte der  Inventarisation  in  Tirol,  Steiermark,  Oberösterreich,  Baden  imd 
der  Rheinprovinz  berichtete  Armin  Tille  (Bonn)  und  fafste  seine  Forde- 
rungen in  drei  Thesen  zusammen,  die  allgemeinen  Anklang  fanden.  Wie 
auf  gewissen  Gebieten  naturgemäfs  nur  die  Privatarchive  Aufschlufs  geben 
können,  erläuterte  an  einem  Beispiel  der  Vereinsvorsitzende  Archivrat  Bailleu 
in  seinem  Vortrag  über  die  Rosenkreuzer  im  XVIII.  Jahrhundert  —  Unter  den 
geschäfdichen  Fragen,  die  Erledigung  fanden,  verdient  der  vom  Archivdirektor 
Wolfram  (Metz)  gestellte  Antrag,  am  Tage  vor  der  nächsten  Generalversamm- 
lung einen  allgemeinen  Archivtag  abzuhalten,  Beachtung,  auf  Grund  dessen 
für  den  25.  September  1899  der  erste  allgemeine  deutsche  Archiv- 
tag nach  Straüsburg  einberufen  worden  ist.  Am  26.  bis  28.  September  wird 
ebendort  die  diesjährige  „  Generalversammlung  des  Gesamtvereins  der  deutschen 
Geschichts-  imd  Altertumsvereine"  stattfinden.  Unter  den  Fragen,  die  dort 
behandelt  werden  sollen,  seien  hier  genannt:  Die  deutschen  Siedelungsfragen 
(Henning),  Fortgang  der  Grundkartenarbeit  (Thudichum,  Lamprecht),  Die  Sprach- 
karte des  Elsafs  (Lienhart),  Aufgaben  der  Westdeutschen  Geschichtsvereine 
nach  Auflösung  der  Reichs-Limes-Kommission  (Wolflf),  Wie  können  Vereine 
und  Archive  beitragen  zur  Förderung  der  mittelalterlichen  Kalender-  imd 
Festkunde?  (Grotefend). 

Die    45.  Versammlung    deutscher   Philologen    und    Schul- 


—     25     — 

mann  er  findet  in  den  Tagen  vom  36.  bis  30.  September  in  Bremen  statt. 
Das  reiche  Programm  berücksichtigt  sowohl  bei  den  Vorträgen  in  den  Plenar- 
sitzungen als  auch  bei  denen  der  Sektionen  —  es  besteht  auch  eine  historische 
Sektion  unter  dem  Vorsitz  von  Dietrich  Schäfer  (Heidelberg)  und  v.  Bippen 
(Bremen)  —  die  allgemeine  und  lokale  Geschichtsforschung.  Von  einschlägigen 
Fragen  wird  behandelt  werden :  Die  germanisch-römische  Forschung  im  nordwest- 
lichen Deutschland  (Schuchardt-Hannover) ;  Die  Ortsnamenforschung  als  Hilfs- 
mittel der  Geschichtsforschung  (Rohde-Cuxhaven) ;  Über  die  Deutung  der  Völker- 
namen (Hirt-Leipzig) ;  Außerdem  sind  Air  den  Historiker  die  das  Bibliothekswesen 
betreffenden  Besprechungen  von  hohem  Interesse :  Beziehungen  des  Bibliotheks- 
wesens zur  Philologie  imd  zum  Schulwesen  (Dziatzko-Göttingen) ;  Über  Ziele  imd 
Grenzen  des  Leihverkehrs  der  Bibliotheken  nach  auswärts  (Gerhard-Halle). 

ArchiTe.  —  Gelegentlich  des  ersten  allgemeinen  deutschen 
Archivtages  in  Straisburg  (s.  o.)  sollen  folgende  archivalische  Fragen  be- 
handelt werden :  Über  Archivinventare  und  deren  Veröfifenthchimg  (v.  Weech) ; 
Über  die  wissenschaftliche  Vorbildung  des  Archivars  (Wiegand) ;  Über  Archiv- 
benutzungsordnimgen  (VVittmann);  Über  die  Beziehungen  der  Staatsarchive 
zu  den  Registraturen  und  Archiven  der  Verwaltungs-  und  Justizbehörden 
(Ennisch);  Ausgabe  von  Strafsburger  Handschiftenproben  des  XVL  Jahr- 
hunderts (Ficker,  Winckelmann).  Aufserdem  sind  Besichtigungen  des  Bezirks- 
archivs  und  Stadtarchivs  unter  Führung  ihrer  Vorsteher  geplant 

Thüringer  Archivtag.  Die  territoriale  Vielgestaltigkeit  Thüringens 
bat  auch  in  der  Menge  der  vorhandenen  historischen  Archive  Ausdruck  ge- 
funden. Jedes  der  thüringischen  Länder  besitzt  ein  oder  zwei  Staatsarchive,, 
desgleichen  die  ehemaligen  Reichsstädte  Mühlhausen  imd  Nordhausen  sowie 
Erfurt  Dazu  kommen  einige  ganz  ansehnliche  Archive  von  anderen  Städten, 
geistlichen  Körperschaften  und  einstigen  Standesherren.  Durch  das  Bedür&is,, 
zwischen  den  Verwaltungsbeamten  aller  dieser  Anstalten  eine  regelmäfsige 
persönliche  Berührung  und  Aussprache  herbeizuführen  und  dadurch  auch 
weitere  Anregungen  zu  geben,  ist  die  Gründung  eines  „Thüringer  Archiv- 
tages'^  veranlafst  worden.  Auf  Einladimg  des  Archivrates  Mitzschke  (Weimar) 
traten  am  14.  Juni  1896  in  Erfurt  Vertreter  der  hauptsächHchsten  Archive 
Thüringens  zusammen  und  stifteten  die  Vereinigung,  welche  die  Vorsteher 
und  wissenschaftlichen  Beamten  der  historischen  Archive  Thüringens  umfassen 
soll  tmd  den  Zweck  hat,  „  die  persönliche  Bekanntschaft  und  Aussprache  der 
KoUegen  anzuregen,  wechselseitigen  Rat  und  Beistand  in  Fachangelegenheiten 
zu  vermitteln  und  die  gemeinsamen  Literessen  zu  wahren  und  zu  fördern.'* 
Die  erste  Jahresversanmilung  in  Weimar  am  20.  Juni  1897  beschäftigte  sich 
noch  vornehmlich  mit  der  Organisation  des  Archivtages,  auf  der  zweiten 
Versanmilung  zu  Gotha  am  19.  Juni  1898  wurde  über  die  Versendung  von 
Archivalien  nach  auswärts,  auf  der  dritten  Versammlung  zu  Arnstadt  am 
4.  Juni  1899  über  die  Ansprüche  der  Benutzer  an  die  Archivbeamten  ge- 
sprochen. Sein  nächstes  Augenmerk  hat  der  Thüringer  Archivtag  auf  Herbei- 
führung besserer  Ordnung  und  geregelter  Verwaltung  der  kleineren  Stadt- 
archive Thüringens  gerichtet  Femer  ist  die  Herausgabe  eines  Wegweisers 
durch  die  historischen  Archive  Thüringens  beschlossen  und  bereits  in  An- 
griff genommen  worden.     Durch  Besuch   der  Versammlungen   und  Zahlung 


—     26     — 

der  Jahresbeiträge  haben  ihre  Beteiligung  am  Thüringer  Archivtage  bisher 
kundgethan  die  Beamten  der  Staatsarchive  zu  Arnstadt,  Gotha,  Coburg, 
Meiningen,  Rudolstadt,  Schleiz,  Sondershausen  und  Weimar,  der  städtischen 
Archive  zu  Arnstadt,  Erfurt,  Langensalza,  Mühlhausen  und  Nordhausen  sowie 
des  Domarchivs  zu  Naumburg  a.  S.  Die  nächste  Versammlung  soll  in  Rudol- 
stadt am  i8.  Jimi  1900  stattfinden.  Obmann  des  Thüringer  Archivtages  ist  zur 
Zeit  Archivrat  P.  Mitzschke  in  Weimar.  Mit  der  verwandte  Ziele  verfolgenden 
Vereinigimg  südwestdeutscher  Archivare  steht  der  Thüringer  Archivtag  in 
gelegentlicher  Verbindung. 

Das  städtische  Archiv  zu  Mü  hl  hausen  i.  Th.  ist  seit  Ende  des  Jahres 
1898  von  Archivar  Dr.  v.  Bulmerincq  (Göttingen)  zu  ordnen  begonnen  worden, 
jedoch  hat  genannter  Herr  nur  die  Ordnimg  der  Urkunden  vollendet,  während 
die  Fortführung  der  Ordnungsarbeiten  Professor  Dr.  Heydenreich  (Marburg) 
tibertragen  worden  ist. 

Der  bisherige  Assistent  am  Staatsarchiv  zu  Königsberg,  Dr.  Kiewning, 
welcher  mit  der  kommissarischen  Verwaltung  des  Detmolder  Staatsarchivs 
beauftragt  war,  ist  jetzt  als  Leiter  dieses  Archivs  mit  dem  Titel  Archivrat 
in  Fürstl.  Lippesche  Dienste  getreten. 

Die  Inventarisation  der  kleineren  Archive  macht  immer  weitere 
Fortschritte.  Die  „Historische  Kommission  für  Nassau"  hat  sie  in  ihi 
Arbeitsprogramm  aufgenommen,  ebenso  die  für  Westfalen  und  Thüringen.  — 
Der  XXXV.  Jahresbericht  des  Vorarlberger  Museumsvereins  über  das  Jahr 
1896  (Bregenz,  Teutsch)  enthält  den  Anfang  von  „Archivberichten  aus  Vor- 
arlberg" von  G.  Fischer,  die  nach  dem  trefiflichen  Muster  der  Tiroler  Archiv- 
berichte von  V.  Ottenthai  und  Redlich  gearbeitet  sind.  Es  liegt  bis  jetzt  das 
Archivalienverzeichnis  der  Orte  Altach,  Altenstadt,  Düns,  Dünserberg  und 
Feldkirch  aus  dem  Gerichtsbezirke  Feldkirch  vor.  Dasselbe  Heft  bietet  auch 
den  Schlufs  der  „Mitteilungen  aus  den  Akten  des  Archives  zu  Hohenems 
über  Bludens  und  Montafon"  von  H.  W.  Graf  v.  Walderdorff,  k.  u.  k. 
Kämmerer.  —  Von  der  „Übersicht  über  den  Inhalt  der  kleineren  Archive 
der  Rheinprovinz"  ist  der  erste  Band,  bearbeitet  von  Dr.  Armin  Tille,  als 
XDC.  Publikation  der  Gesellschaft  für  Rheinische  Geschichtskunde  (Bonn, 
Hermann  Behrendt,  1899)  erschienen.  Der  Band  enthält  die  Übersicht  über 
die  Archivalien  in  16  Kreisen  nebst  Nachträgen  sowie  Namen-  und  Sach- 
register. Über  die  Fortfuhrung  dieser  Inventarisationsarbeiten  ist  Näheres 
noch  nicht  bestimmt 

Kommissionen.  —  Die  „Historische  Kommission  für  Hessen 
und  Wal  deck",  welche  seit  dem  10.  Juli  1897  besteht,  hat  im  Mai  1899 
ihren  zweiten  Jahresbericht  ausgegeben.  Es  liegen  gegenwärtig  sorgfaltig  aus- 
gearbeitete „Editionsgrundsätze  der  Historischen  Kommission  für  Hessen  und 
Waldeck**  vor,  welche  neben  anderen  ähnlichen  Bestimmungen  (vgl.  des  ver- 
dienstlichen t  Felix  Stieve  „Grundsätze,  welche  bei  der  Herausgabe  von 
Aktenstücken  zur  neueren  Geschichte  zu  befolgen  sind**)  die  Gleichartigkeit 
der  Edition  fördern  und  die  Verwertung  anderwärts  gemachter  Erfahrungen 
erleichtem  werden.  Der  erste  Band  des  Fuldaer  Urkundenbuchs  (Professor  Tangl) 
soll  bereits  bald  zum  Drucke  gehen,  ebenso  der  erste  Band  der  Landtagsakten, 
zu  welchen  gewissermafsen  als  Einleitung  eine  selbständige  Schrift  „  Anna  von 


—     27     — 

Hessen.  Eine  deutsche  Fürstin  als  Vorkämpferin  landesherrlicher  Macht  ^'  von 
Dr.  Glagau  druckfertig  vorliegt.  Die  hessischen  Chroniken  wird  ein  erster  Band 
eröffiien«  welcher  die  Chronik  von  Konrad  Klüppel,  den  Gatalogtis  abbaium 
Fleekdorpensium  (um  1500)  und  die  lateinische  Familienchronik  des  Jonas 
Trygophorus  (152 1 — 1563)  enthalten  soll.  An  den  Landgrafenregesten,  dem 
historischen  Ortslexikon,  dem  Urkundenbuch  der  Wetterauer  Reichsstädte 
und  dem  Hessischen  Trachtenbuch  ist  mit  Erfolg  gearbeitet  worden,  dock 
ist  ein  Abschlufs  dieser  Arbeiten  noch  aufserhalb  der  Berechnung. 

Der  VI.  Bericht  der  „Historischen  Landeskommission  für 
Steiermark"  umfefst  die  Zeit  von  Juli  1897  bis  Ende  März  1899.  Die 
Arbeiten  dieser  Kommission,  welche  sich  namentlich  auf  gründliche  Archiv- 
forschungen erstrecken,  nehmen  ihren  Fortgang,  in  Wiener  und  Münchener 
Archiven  wurde  mit  Erfolg  nach  steirischen  Geschichtsquellen  gesucht,  deren 
sachliche  Ergebnisse  in  Anhang  II  und  lU  veröffentlicht  werden.  Die 
„Forschungen  zur  Verfassungs-  und  Verwaltungsgeschichte 
der  Steiermark**  werden  ab  Band  III  eme  „Geschichte  des  Landes- 
wappens** (Anthony  v.  Siegenfeld)  und  als  Band  IV  „  Landesfiirst,  Behörde« 
und  Stände  des  Herzogtums  Steier  1283 — 1411**  (Krones  v.  Marchland) 
enthalten.  Studien  von  Dr.  Kapper  über  die  Sprachgrenze  gehen  ihrem  Ab- 
schlüsse entgegen  und  sollen  nebst  Kartenbeilagen  von  der  Konmiission  ver- 
öffentlicht werden. 

Eine  „Kommission  zur  Herausgabe  von  Akten  und  Korre- 
spondenzen  zur  neueren  Geschichte  Österreichs**  ist  1897  noch 
unter  dem  Vorsitze  A.  v.  Ameths  begründet  worden.  Arbeitsgebiet  ist  die 
Geschichte  Österreichs  von  1526  bis  ins  XIX.  Jahrhundert,  eine  umfassende 
Materialsammlung  hat  bereits  begonnen,  welche  zugleich  die  Arbeiten  in  den 
einzelnen  Kronländern  unterstützen  und  ergänzen  soll,  wie  auch  letztere  ihre 
Sammlungen  der  „Wiener  Kommission**,  wie  die  erstere  kurz  genannt  wird,  zur. 
VerfUguhg  stellen.  Die  Organisation  lehnt  sich  an  das  an  der  Universität 
Wien  bestehende  „Institut  für  österreichische  Geschichtsforschung**  an. 

Die  Gründung  einer  „Reichskommission  für  römisch-germani- 
sche Altertumsforschung*'  wurde  von  der  Spitze  des  Reiches  her  im 
Laufe  des  verflossenen  Sommers  veriangt,  und  zwar  sollte  von  der  Dotation 
des  Archäologischen  Instituts  ein  gewisser  Betrag  gestrichen  und  dem  Reichs- 
amt des  Innern  als  besonderer  Fonds  fiir  diese  Kommission  überwiesen 
werden.  Der  deutsche  Reichstag  hat  diese  Forderung  in  erster  Lesung  ab- 
gelehnt, aber  dafür  den  Zuschufs  für  das  Archäologische  Institut  erhöht,  um 
demselben  damit  die  Mittel  zur  Errichtung  eines  dritten  Sekretariats  neben 
den  beiden  bestehenden  in  Rom  und  Athen  zu  geben,  welches  seinen  Sitz 
in  Deutschland  haben  und  dem  germanischen  Altertum  seine  Thätigkeit  zu- 
wenden soll.  Näheres  darüber,  wie  sich  die  Reichsbehörden  den  Ort  und 
die  Wirksamkeit  des  Sekretariates  denken,  ist  bisher  noch  nicht  bekannt  ge- 
worden, die  Aufgaben  aber,  welche  einer  solchen  Zentralstelle  für  römisch- 
germanische Altertumsforschung  erwachsen,  umschreibt  in  zutreffender  Weise 
ein  Aufsatz  der  Kölnischen  Zeitung  in  Nr.  450  (11.  Juni  1899).  Hoffentlich 
zieht  die  deutsche  Altertumswissenschaft  aus  der  Neugründung  den  erwünschten 
Nutzen. 


—     28     — 

Historischer  Atlas  der  österreichischen  Alpenländer.  —  Die 

„Historische  Kommission  bei  der  Kaiserlichen  Akademie  der 
WissenschafteninWien**  hat  beschlossen,  dem  Problem  eines  geschicht- 
lichen Atlasses  der  österreichischen  Alpenländer  nach  dem  von  Prof.  E.  Richter 
bei  mehreren  (Gelegenheiten  entwickelten  Programme  näher  zu  treten^).  Es 
wurden  nicht  unbeträchtliche  Geldmittel  dafür  in  Aussicht  genommen  imd 
eine  Spezial  -  Kommission  bestehend  aus  den  Akademie -Mitgliedern  Prof. 
Mühlbacher,  Prof.  Constantin  Jireöek  und  Hofrat  Winter  eingesetzte 
Diese  ernannte  Prof.  Richter  zum  Leiter  des  Unternehmens.  Mit  der 
Arbeit  wurde  in  Steiermark  und  Kämthen  begonnen.  Der  Privatdozent  der 
Grazer  Universität  und  Adjunkt  am  steiermärkischen  Landes- Archiv  Dr.  A.  M  e  1 1 
hat  in  den  letzten  Jahren,  schon  im  Hinblick  auf  den  historischen  Atlas,  die 
Grenzbeschreibungen  der  einzelnen  Landgerichte,  Burgfriede,  Hofinarken 
u.  s.  w.  gesammelt,  wobei  ihm  der  vortreffliche  Zustand  des  Steiermark. 
Landes-Archivs  zu  statten  kam.  Ein  als  Hilfsarbeiter  für  den  historischen 
Atlas  bestellter  Schüler  Prof.  Richters,  Dr.  H.  Pirch egger,  ist  nun  damit 
beschäftigt,  aus  diesem  Materiale  die  einzelnen  Landgerichte  u.  s.  w.  zu  rekon- 
struieren und  ihre  Grenzen  auf  der  „Übersichtskarte  der  Katastralgemeinden 
j  :  115200'^  die  als  Arbeitskarte  dient,  einzutragen.  Man  kann  hofifen,  auf 
diese  Weise  nicht  blofs  den  Stand  der  Gerichtseinteilung  am  Schlüsse  der 
feudalen  Periode  (für  Ino erÖsterreich  1849),  sondern  die  Geschichte  der 
judiziellen  und  administrativen  Einteüungen  für  die  letzten  drei  bis  vier  Jahr- 
hunderte in  erschöpfender  Weise  zu  erfahren.  Text  und  Karte  sollen  in 
dieser  Richtung  zusammenwirken.  Über  Mafsstab  und  Zahl  der  Karten  sind 
die  Beschlüsse  noch  vorbehalten;  ebenso  über  die  Verwertimg  der  „Land- 
gerichtskarte" zu  weiteren  historischen  Karten  früherer  Geschichtsperioden. 
Was  die  Organisation  der  Arbeit  betrifil,  so  sind  3  gesonderte  Arbeitsgebiete 
in  Aussicht  genommen:  das  innerösterreichische  (Steiermark,  Kämthen  und 
Krain),  das  österreichische  (Land  Ob  und  Unter  der  Enns)  und  das  tirolische. 
Von  den  Lokal-Kommissionen,  die  dem  Leiter  der  Unternehung  in  jedem 
Gebiete  an  der  Seite  stehen,  ist  vorläufig  nur  die  innerösterreichische  kon- 
stituiert Im  ganzen  soll  das  Prinzip  herrschen,  dafs  womöglich  allen  an 
der  Sache  interessierten  Forschern  und  Fachmännern  Gelegenheit  gegeben 
sein  soll,  ihren  Rat  und  ihre  Erfahrung  dem  Unternehmen  zu  gute  kommen 
zu  lassen,  dafs  aber  die  Arbeiten  selbst  von  jüngeren,  honorierten  Kräften 
ausgeführt  werden.  In  Tirol  und  den  österreichischen  Herzogtümern  werden 
die  Arbeiten  und  deren  Organisierung  erst  dann  in  Angriff  genommen  werden, 
wenn  in  Innerösterreich  einige  Erfahrungen  gesammelt  sind. 

Personal  feil*  —  Ein  halbes  Jahr  nach  dem  plötzlichen  Tode  Alfons 
Hubers  ist  am  27.  Mai  1899  Heinrich  v.  Zeifsberg  ebenso  unerwartet 
unserer  Wissenschaft  entrissen  worden,  abermals  ein  schwerer  Verlust  im 
besondem  für  die  österreichische  Geschichtsforschung.  Wie  Huber  an  terri- 
torialhistorischen Arbeiten  emporgewachsen  ist  zu  den  umfassenden  Werken 
seiner  späteren  Zeit,  so  wurde  auch  Zeifsberg  wirksam  beeinflufst  von  den 
Fragen,    die    sich    an    die    geschichtliche    Entwicklung    der    Stätten    seiner 


*)  S.  Festschrift  zam  60.  Geburtstage  F.  v.  Krones,  Historiker-Tag  in  Innsbruck  1896. 


—     29     — 

WiriLsamkeit  und  seiner  engeren  niederösterreichischen  Heimat  knüpften. 
Zdisberg  hat  seine  ausgezeichnete  historische  Schulung  und  seine  hohe  Be- 
gabung lange  Jahre  in  den  Dienst  solcher  Arbeiten  gestellt  und  hat  bis  in 
seine  letzte  Zeit  ab  und  zu  immer  wieder  gerne  diese  Forschungen  verfolgt 
Auch  er  wurde  ja  dann  zu  weit  ausgreifenden  Themen  geführt,  und  so  er- 
scheint ims  sein  Wirken  ab  ein  glückliches  Beispiel  fruchtbarer  Wechsel- 
wirkung streng  wissenschaftlich  betriebener  territorialer  und  allgemeiner  histo- 
rischer Forschimg. 

Zeifsberg,  am  8.  Juli  1839  ^^  Wien  geboren,  erwuchs  in  der  Schule 
Albert  Jägers  und  Theodor  Sickels  im  Institut  für  österreichische  Geschichts- 
forschung; er  hat  aber  auch  Philologie  bei  Vahlen  betrieben.  Noch  Student, 
hatte  er  sich  schon  erstaunliche  Kenntnisse  erworben,  welche  die  Aufmerk- 
samkeit seiner  Lehrer  auf  ihn  lenkten.  In  den  Jahren  1863  und  1864 
erschienen  seine  ersten  Arbeiten  über  Erzbischof  Arno  von  Salzburg,  über 
Thomas  Ebendorfer,  über  österreichische  Geschichte  im  Zeitalter  der  Baben- 
berger,  ausgezeichnet  durch  feine  und  sorgfaltige  kritische  Forschung  und 
durch  anziehende  Darstellung.  Mit  24  Jahren  schon  wurde  Zeifsberg  zum 
Supplenten  der  Lehrkanzel  für  allgemeine  und  österreichische  Geschichte  an 
der  Universität  Lemberg  bestellt,  und  1865  bereits  erfolgte  seine  Ernennimg 
zum  ord.  Professor. 

Diese  Stellung  wurde  von  bestimmendem  Einflufs  für  die  Richtung  seiner 
weiteren  wissenschaftlichen  Thätigkeit.  Er  eignete  sich  die  Kenntnis  des 
Polnischen  an  und  wandte  sich  der  polnischen  Geschichte  zu.  Nach  einigen 
Arbeiten  über  die  Beziehungen  Deutschlands  zu  Polen  im  X.  und  XI.  Jahr- 
hundert (1867,  1868)  griff  er  in  das  Gebiet  der  Historiographie,  das  ihm 
immer  besonders  sympathisch  und  kongenial  blieb,  behandelte  Vincenz  Kadlu- 
bek  den  polnischen  Historiker  des  XUI.  Jahrhunderts  (1869)  und  schlofs  mit 
einer  umfangreichen  und  sehr  wertvollen  Arbeit  diese  seine  polnische  Periode 
im  wesentlichen  ab.  Dies  ist  sein  von  der  Jablonowskischen  Gesellschaft 
preisgekröntes  Werk  Die  polnische  Geschichischreibung  des  MitiekUters 
(1873).  ^  sorgsamster  Kritik  und  Darstellung  wird  die  polnisch-schlesische 
Historiographie  behandelt,  von  der  Passio  Adalberti  und  den  Krakauer  Annalen 
des  X.  bis  Xu.  Jahrhunderts  angefangen  bis  zu  den  Quellen  des  XV.  Jahr- 
hunderts, dem  grofsen  Geschichtswerke  des  Johannes  Dlugosz  und  den  pol- 
nischen Humanisten.  Es  ist  ein  grundlegendes,  auch  von  den  polnischen 
Historikern  warm  anerkanntes  Werk. 

Von  Lemberg  kam  Zeifsberg  187 1  an  die  Universität  Innsbruck,  um 
aber  schon  1872  einem  Ruf  nach  Wien  zu  folgen.  Auch  diese  kurze  tiro- 
lische Episode  blieb  nicht  ohne  ein  paar  Früchte.  In  einer  kritischen  Studie 
über  die  Vita  Hartmanni  wies  er  Neustifb  bei  Brixen  als  Entstehtmgsort  nach 
(1878)  und  edierte  eine  Aufzeichnung  über  die  Gründung  des  Klosters 
Stams  (1880). 

In  Wien  war  Zeifsbergs  akademische  Thätigkeit  zum  Teil  an  das  Institut 
für  österreichische  Geschichtsforschung  geknüpft,  dem  er  von  1874  an  als 
Dozent  für  österreichische  Geschichte  angehörte  und  nach  dem  Abgange 
Sickels  von  1891  bis  1896  als  Direktor  vorstand.  Aus  den  Bedürfiiissen  des 
Instituts  entsprang  sein  KoUeg  über  österreichische  Geschichtsquellen,  und 
dies  führte  Zeifsberg  zu  einer  Reihe  von  Arbeiteu,  die  sich  romehmlich  mit 


—     30     — 

nekrologischen  Quellen  beschäftigeiu  Die  bedeutendste  ist  das  im  41.  Band 
der  Fontes  rerum  Äustriacarum  edierte  Totenbuch  des  ELlosters  Lilienfeld  (1879), 
worin  Zeifsberg  scharfsinnig  eine  Reihe  von  Fälschungen  Hanthalers  nach- 
gewiesen hat  Auch  das  darf  Zeifsberg  nicht  vergessen  werden,  dafs  er 
gerade  auf  diesem  Gebiete  verschiedene  Arbeiten  seiner  Schüler  angeregt  hat, 
so  jene  über  Ebendorfer,  Hinderbach  und  Wolfgang  Lazius.  Nebenher  gingen 
ganz  vortreflTliche  Abhandlungen  aus  der  mittelalterlichen  Geschichte  Öster- 
reichs, wie  über  den  österreichischen  Erbfolgestreit  von  1457 — 1458  (1879), 
Rudolf  von  Habsburg  imd  der  österreichische  Staatsgedanke  (1882),  das 
Rechtsverfahren  Rudolfs  gegen  Ottokar  (1887)  und  seine  allerletzten  Arbeiten 
zur  Geschichte  Friedrichs  d.  Seh.  (1897,  1898),  auf  wertvolles  unbenutztes 
Material  in  Barcelona  gestützt 

Seit  den  ersten  achtziger  Jahren  aber  hatte  sich  Zeifsberg  im  ganzen  mehr 
der  neueren  Geschichte  Österreichs  zugewandt,  indem  er  die  Fortführung 
des  Werkes  von  Vivenot  übernahm  und  die  stoffreichen  Bände  III — V  der 
Quellen  zur  Geschichte  der  deutschen  Kaiserpolitik  Österreichs  wäfirend  der 
Französischen  Revolutionskriege  von  1790 — 1801  (1882  ff.)  herausgab.  Das 
Werk  jedoch,  welches  Zeifsberg  seit  Jahren  ganz  in  Anspruch  nahm,  war 
eine  grofs  angelegte  Biographie  Erzherzog  Karls.  Seit  1889  erschien  eine 
Reihe  ungemein  eingehender  Vorarbeiten,  und  1896  kamen  die  ersten  zwei 
Bände  heraus,  welche  in  freilich  etwas  breit  angelegter  Darstellung  die  Früh- 
zeit Erzherzog  Karls  umfassen. 

Aber  noch  einer  Seite  von  Zeilsbergs  Wirksamkeit  müssen  wir  gerade 
an  dieser  Stelle  gedenken.  Seit  1890  war  er  mit  der  Redaktion  des  grofsen 
Werkes  Die  österreichisch-ungarische  Monarchie  in  Wort  und  Bild  betraut, 
eines  Werkes,  das  bei  all  dem  begreiflichen  Wertunterschied  seiner  einzelnen 
Teile  im  ganzen  doch  ein  monmnentales  genannt  werden  darf.  Zeifsberg 
war  der  Geschichtslehrer  des  verstorbenen  Kronprinzen  Rudolf  gewesen, 
der  ja  jenes  Werk  ins  Leben  gerufen  hat  Zeifsberg  selbst  hatte  schon 
früher  einen  Einleitungsband  dazu  geschrieben,  die  Geschichtliche  Über- 
sicht der  österreichisch  -  ungarischen  Monarchie.  Wenn  man  sonst  Zeifsberg 
vor  allem  als  den  Historiker  kannte,  der  sich  mit  liebevoller  Sorgfalt  ins 
Detail  einzelner  Fragen  und  engerer  Gebiete  versenkte,  so  zeigt  diese 
meisterhafte,  schön  geschriebene  Darstellimg,  dafs  er  gar  wohl  im  stände 
war,  in  grofsen  imd  klaren  Zügen  auch  weite  geschichtliche  Entwicklimgen 
zusammenzufassen.  Und  wenn  man  sonst  gewohnt  war,  in  Zeifsberg,  seinem 
ganzen  Wesen  und  all  seinen  Äufsenmgen  einen  imgemein  reservierten  Mann 
zu  finden,  so  erkennt  man  in  diesem  Buche,  wie  nicht  minder  in  seinem 
wirklich  schönen  Festvortrag  über  Kaiser  Franz  Joseph  (1888)  mit  wahr- 
hafter Befriedigung,  dafs  hinter  Zeifsbergs  feinen  und  inmier  liebenswürdigen 
Formen  auch  eine  feste  Überzeugung  des  Mannes  und  Historikers  stak,  die 
er  mit  Würde  und  Freimut  zu  äufsem  verstand. 

Im  Jahre  1896  wurde  Zeilsberg  an  Stelle  W.  v.  Harteis  zum  Direktor 
der  Wiener  Hotbibliothek  ernannt  Infolge  dessen  schied  er  zuerst  von  der 
Direktion  des  Instituts  für  österreichische  Geschichtsforschung,  dann  über- 
haupt von  seinem  Lehramt  an  der  Universität  Allein  nur  kurze  Zeit  war 
ihm  noch  vergönnt,  der  plötzliche  Anfall  eines  Herzleidens  machte  seinem 
arbeits-   und   erfolgreichen  Leben   in  der  Nacht  vom  26.  auf  den  27.  Mai 


—     31     — 

1899    ^    erschütternd  schnelles  Ende.     Wer  hätte   nicht  mit  den  Worten 
des  Redners  am  ofifenen  Grabe  gefühlt:  have  jna  anima! 

Osw.  Redlich. 

Am  13.  August  starb  zu  Godesberg  der  Geh.  Kommerzienrat  Dr.  iur.  et 
phiL  Gast  v.  Mevissen  in  dem  hohen  Alter  von  84  Jahren.  Von  den 
zahlreichen  Verdiensten  dieses  hochbedeutenden  Mannes  kann  an  dieser  Stelle 
nur  die  Förderung  erwähnt  werden,  welche  die  rheinische  Geschichte  ihm 
zu  verdanken  hat  Seit  etwa  20  Jahren  ist  ihr  sein  Interesse  und  seine 
tfaatkräftige  Unterstützung  in  hervorragendem  Mafse  zu  Gute  gekommen.  An 
der  Gründung  der  Gesellschaft  für  Rheinische  Geschichtskunde  i.  J.  1881 
hatte  er  im  Verein  mit  Lamprecht  den  Hauptanteil.  Mit  einer  Stiftung  von 
3000  Mark  und  mit  einem  jährlichen  Patronatsbeitrage  von  300  Mark 
Heb  er  der  jungen  Gründung  eine  erste  finanzielle  Stütze.  In  seiner  Be- 
scheidenheit lehnte  er  stets  eine  Wahl  in  den  Vorstand  ab,  nahm  da- 
gegen regelmäfsig  an  den  Hauptversammlungen  der  Gesellschaft  teil,  bis 
ihm  die  Beschwerden  des  Alters  das  Fembleiben  vom  öftendichen  Leben 
geboten.  Bedeutende  Summen  bestimmte  er  alljährlich  ftlr  Stipendien,  die 
in  festerer  oder  loserer  Anknüpftmg  an  das  Historische  Archiv  der  Stadt  Köln 
jüngeren  Kräften  es  ermöglichten,  ihre  Arbeit  der  kölnischen  und  rheinischen 
Geschichte  zu  widmen.  Die  Ordnung  und  Benutzung  des  Kölner  Archivs 
wurde  dadurch  ganz  aufserordendich  gehoben,  mehrere  verdienstvolle  Publi- 
kationen der  Gesellschaft  (die  Kölner  Schreinsurkunden  von  Höniger,  die 
Akten  der  Kölner  Verfassung  und  Verwaltung  von  Stein,  die  Kölner  Stadt- 
rechnungen von  Knipping)  aufs  wirksamste  unterstützt.  Mit  freudiger  per- 
sönlicher Anteilnahme  verfolgte  M.  alle  diese  Arbeiten  und  ihre  Verwertung 
ftir  die  wissenschaftliche  Forschung.  Im  Jahre  1890  krönte  er  seine  auf 
die  Förderung  der  rheinischen  Geschichte  gerichteten  Bestrebungen  durch 
die  Begründung  einer  Preisstiftung.  £r  erlebte  auch  die  Freude,  dafs  die 
erste  Preisschrift,  welche  die  Gesellschaft  mit  dem  Bildnisse  des  Stifters 
schmücken  konnte.  Die  Enitvickelung  der  kommunalen  Verfassung  und  Ver- 
Wallung  von  Köln  bis  xwn  Jahre  1396  von  Fr.  Lau,  von  der  Kritik  ein- 
stinmiig  als  eine  grundlegende  und  des  Preises  in  vollstem  Mafse  werte  Arbeit 
bezeichnet  wurde.  Der  Tod  dieses  hochherzigen  Gönners  ist  für  die  ge- 
schichdichen  Arbeiten  in  Köln  und  im  Rheinlande  ein  unersetzüicher  Verlust. 

H.  Keussen. 

Im  Laufe  der  letzten  zwei  Semester  haben  sich  an  den  deutschen  Uni- 
versitäten für  Geschichte  habilitiert:  Alexander  Cartellieri  in  Heidelberg, 
Ludwig  Schmitz  in  Münster  i.  W.,  Viktor  Ernst  in  Tübingen,  Rudolph  Kötzschke 
in  Leipzig,  Georg  Küntzel  in  Bonn,  Ludwig  MoUwo  in  Göttingen,  Schäfer 
io  Rostock,  Hans  Glagau  in  Marburg. 

Zeitschriften.  —  Die  Mehrzahl  der  lokal-  und  provinzialgeschicht- 
Kchen  Veröfifendichungen  Deutschlands  werden  von  Vereinen  oder  ähnlichen 
Korporationen  herausgegeben.  Deshalb  ist  es  bemerkenswert,  dais  neuer- 
dings als  buchhändlerische  Unternehmung  im  Verlage  von  Fr.  Lintz  in  Trier, 
in  welchem  auch  die  „Westdeutsche  Zeitschrift  für  Geschichte   und  Kimsf 


—     32     — 

«erscheint,  —  unabhäogig  von  irgend  welchem  Verein  wie  einst  (i  832 — 1870)  das 
von  Lacomblet  herausgegebene  „Archiv  für  die  Geschichte  des  Niederrheins  — 
-eine  periodische  Publikation  für  Stadt  und  Land  Trier  herausgegeben  wird, 
das  Trierische  Archiv.  Herausgeber  ist  der  Bibliothekar  und  Archivar 
der  Stadt  Trier,  Dr.  Max  Keuffer;  erschienen  sind  bisher  zwei  Hefte  (1898 
imd  1899).  Der  Inhalt  des  Archivs  ist  mannigfaltig,  Darstellungen  und 
Quellenveröffentlichungen  stehen  neben  einander  imd  bereichem  unsere  Kennt- 
nis von  Triers  Vergangenheit.  Für  weitere  Kreise  ist  neben  der  „  Geschichte 
-des  Trierer  Schöffengerichtes"  (H.  Isay)  von  Wichtigkeit  in  Heft  i  die  vom 
Domkapitular  Dr.  Lager  veröffentlichte  „  Dienstordnimg  für  die  Beamten  und 
Diener  des  trierischen  Domkapitels  aus  der  zweiten  Hälfte  des  XIIL  Jahr- 
hunderts", eine  wirtschaftsgeschichtlich  recht  bedeutende  Quelle,  welche  in- 
haltlich in  vielen  Stücken  dem  Ministerialenstatut  eines  weltiichen  Herrn  (des 
von  Blankenheim)  aus  dem  XV.  Jahrhundert  entspricht  (gedruckt  in  „  Annalen 
<les  Historischen  Vereins  für  den  Niederrhein",  Heft  9/10  [1861],  S.  122 — 126). 
In  Heft  2  beginnt  eme  kritische  Darstellung  der  Geschichte  des  Trierer  Erz- 
bischofs und  Kurfiirsten  Jakob  von  Sirk  (seit  1439)  von  Lager,  deren  Fort- 
setzung noch  zu  erwarten  ist,  und  eine  Abhandlung  über  den  Ursprung  des 
Archidiakonates  bezw.  Klosters  Tholey  (J.  Marx)  ftihrt  auf  die  Probleme  der 
älteren  Klostergeschichte  überhaupt.  Von  grofsem  Werte  ist  ein  Anhang 
^, Verzeichnis  der  Handschriften  des  historischen  Archivs  der  Stadt  Trier", 
von  welchem  der  erste  Bogen  mit  selbständiger  Seitenzählung  vorliegt.  Jedes 
künftige  Heft  soll  einen  weiteren  Bogen  enthalten,  so  dafs  allmählich  ein 
Katalog  der  Handschriften  des  Trierer  Stadtarchivs  entsteht. 

Eingegangene  BBcher. 

ßorchling,  C. :  Mittelniederdeutsche  Handschriften  in  Norddeutschland  tmd 
den  Niederlanden.  Aus  den  Nachrichten  der  K.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften zu  Göttingen.  Geschäftliche  Mitteilungen  (1898),  Heft  2,  S.  79 
bis  316.     40. 

Breitner,  Anton:  luvaviae  rudera.  Römische  Fundstätten  im  Salzburger 
Flachgau.  Mit  Tafeln,  gezeichnet  von  Franz  Kulstrunk.  Leipzig-Reudnitz, 
Verlag  von  Robert  Baum,   1898.      17  S.  8<>. 

Bruchmüller,  W. :  Der  Kobaltbergbau  und  die  Blaufarbenwerke  in  Sachsen 
bis  zum  Jahre  1653.  Crossen  a.  O.,  Druck  und  Verlag  von  Richard 
Zeidler,   1897.     78  S.  8«. 

Derselbe:  Die  Folgen  der  Reformation  und  des  30jährigen  Krieges  fiir 
die  ländliche  Verfassung  und  die  Lage  des  Bauernstandes  im  östlichen 
Deutschland,  besonders  in  Brandenburg  und  Pommern.  Crossen  a.  O., 
Vertag  von  Richard  Zeidler,   1897.     37  S.  8®. 

Gramer,  Julius:  Die  Geschichte  der  Alamannen  ab  Gaugeschichte.  Breslau, 
Verlag  von  M.  &  H.  Marcus,  1899.  579  S.  8®.  [Untersuchungen  zur 
Deutschen  Staats-  und  Rechtsgeschichte,  herausgegeben  von  Dr.  Otto 
Gierite.     57.  Heft.]     Ji  15. 

Dobenecker,  R. :  Aus  der  Vergangenheit  von  Stadt  und  Pflege  Ronne- 
burg.  Ronnebuig,  Kommissionsvertag  von  Leopold  Brandes,  1899. 
136  S.  80. 

Herausgeber  £>r.  Armin  Tille  in  Leiptig.  —  Druck  und  Verlag  von  Friedrich  Andreas  Perthes  in  Gotha. 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsschrift 


cur 


Forderung  der  landesgeschicMchen  Forschung 


=e 


I.  Band  November  1899  2.  Heft 


Zur  Organisation  der  Grundkartenforsehung 

Von 
Karl  Lamprecht 

Gmndkarten  sind  bekanntlich  Karten,  welche  je  zwei  Sektionen 
der  Generalstabskarte  des  Deutschen  Reiches  im  Maisstabe  von 
1 :  100  000  umfassen,  von  den  Einzeichnungen  der  Generalstabskarte  aber 
nichts  wiedergeben  als  das  hydrographische  Netz  und  die  Eintragungen 
der  Gemeindeorte.  Hinzugefugt  sind  diesen  Einzeichnungen  dann  noch 
die  Ge£neinde-(Gemarkungs-)Grenzen,  die  sich  in  der  Gener^tabskarte 
nicht  finden.  Auf  diese  Weise  entstehen  Karten  mit  einem  Netz  von 
Einzeichnungen,  dem  an  sich  schon  ein  hoher  Wert  innewohnt,  das 
aber  für  historische  Zwecke  doch  vor  allem  die  Bedeutung  einer  Grmid- 
Jage  (eines  „Canevas  **)  hat,  welcher  weitere  Eintragungen  einverleibt  wer- 
den sollen.  Derartige  weitere  Eintragungen  sind  dann  teils  singulärer 
Natur:  Einzeichnungen  z.  B.  von  politischen  Grenzen,  teils  und  haupt- 
sächlich aber  typischer  (vergleichender)  Art:  Angaben  administrativer 
Grenzen  z.  B.  und  namentlich  Einzeichnungen  historisch -statistischen 
Charakters :  über  die  Verbreitung  gewisser  Flurverfassungsformen  z.  B. 
oder  gewisser  Arten  der  Industrie,  über  die  lokale  Geltung  gewisser 
Rechtssätze,  gewisser  Erscheinungen  in  Sprache  und  Sitte  u.  s.  w. 

Ganz  kurz  wird  man  sagen  können,  dafis  die  Grundkarten  einen 
überall  gleichmäisigen ,  weil  auf  identischen  Eänzeichnungen  beruhen- 
den Kartencanevas  zur  Eintragung  historischer  Daten  jeder  Art  bieten ; 
und  die  allgemeineste  Bedeutung  der  Grundkarten  wird  man  daher 
zunächst  darin  zu  suchen  haben,  dafs  sie  das  geographische  Moment 
in  jedem  Sinne  in  die  historische  Forschung  einfuhren  ^). 


x)  Genaner  aaf  das  Wesen  der  Gnmdkarten  braucht  hier  nach  der  Tendenx  dieses 
AnfMtzes  nicht,  und  im  aUgemeinen  um  so  weniger  eingegangen  za  werden,  weil  sich  das 
in  dieser  Richtung  Notwendige  neuerdings  ausgezeichnet  zusammengestellt  findet  in  dem 
Ideincn  Schriftchen  Yon   H.  Ermiscb,  Erlfiutemngen  zur   historisch-statistischen  Grund- 

3 


—     34     — 

• 

Die  Grundkarten  sind  ein  Elrzeugnis  der  immer  mächtiger  an- 
schwellenden landesgeschichtlichen  Bewegung,  die  auf  deutschem  Bo- 
den mit  der  Gründung  des  Reiches  und  der  Wendung  der  historischen 
Studien  ins  Zuständliche  eingesetzt  hat.  Namentlich  Studien,  die  auf 
verfassungs-,  oder  rechts-  oder  wirtschaftsgeschichtlichem  Gebiete 
intensiv  bis  in  das  lokale  und  landesgeschichtliche  Detail  hinabstiegen, 
mufsten  ohne  weiteres  auf  den  Gedanken  führen,  ein  HUfsmittel  in  der 
Art  der  Grundkarten  zu  entwickeln,  um  die  bei  näherer  Betrachtung^ 
einerseits  fast  stets  so  verwickelten,  andrerseits  immer  mit  Momenten 
identischer  Entwicklungstendenzen  versehenen  Thatsachen  klar  über- 
schauen und  das  Besondere  wie  Gemeinsame  in  ihnen  abgrenzen 
zu  können.  Hat  sich  doch  selbst  für  städtegeschichtliche  Unter- 
suchungen neuerdings  ein  solches  Bedürfnis  herausgestellt  ^). 

So  sind  Versuche  und  Bestrebungen  zur  Entwicklung  der  Grund- 
karten an  verschiedenen  Orten  unter  denselben  oder  verwandten  Ver- 
anlassungen seit  den  achtziger  Jahren  aufgetaucht.  Am  frühesten  fer- 
tig war  man  in  gewissem  Sinne  in  der  Rheinprovinz,  wo  die  Begrün- 
dung der  Gesellschaft  für  rheinische  Geschichtskunde  den  landes- 
geschichtlichen Studien  seit  i88i  einen  besonders  kräftigen  Anstofs 
zu  geben  begonnen  hatte.  Hier  ergab  sich,  nachdem  man  imter  dem 
Einflufe  Nissens  den  Gedanken  eines  grofeen  Geschichtsatlas  der  Pro- 
vinz gefafst  hatte,  mit  zwar  anfangs  verkannter,  bald  aber  gebieterisch 
wirkender  Notwendigkeit  der  Gedanke  der  Grundkarten;  und  die  Rhein- 
provinz ist  noch  heute  das  einzige  Land,  dessen  Grundkarten  ganz, 
vollständig  abgeschlossen  vorliegen.  Aber  freilich  waren  diese  Grund- 
karten doch  wieder  nur  als  internes  Hilfsmittel  für  die  Herstellung  des  Atlas 
gedacht;  die  Absicht,  sie  auch  nur  der  landesgeschichtlichen  Forschung^ 
allgemein  zugänglich  zu  machen,  hat  anfangs  nicht  bestanden;  und 
noch  weniger  war  der  Gedanke  gefafst  worden,  dafs  die  rheinischen 
Karten  Teil  eines  allgemeinen  deutschen  Gnmdkartenimtemehmens  seia 
könnten;  der  gewählte  Mafsstab  (i  :  80000)  entsprach  dem  lokalen  Be- 
dürfnis des  Anschlusses  an  die  besonderen  rheinischen  Kartenverhält- 
nisse (Licbenowsche  Karte)  und  nicht  einem  allgemeinen  deutschen  Be- 
dürfnis, das  sofort  auf  den  Mafsstab  i  :  100  000  (Generalstabskarte)  hätte 
führen  müssen. 


karte  für  Deatschland  im  Mafsstabe  von  i  :  100 000  (Königreich  Sachsen);  heraasg.  voa 
der  k.  sächs.  Kommission  f.  Geschichte,  1899;  Druck  von  B.  G.  Tenbner  in  Leipzig;. 
16  SS. 

i)  S.  Hnnd,  Verfassungsgeschichte  von  Colmar;  1899. 


—     35     — 

Das  Verdienst,  die  allgemeine  Bedeutung  der  Sache  erkannt  und 
g^en  die  zahlreichen  anfangs  auftauchenden  Bedenken  energisch  ver- 
fochten zu  haben,  gebührt  Thudichum.  Er  ist  es  auch  gewesen,  der, 
aus  seinen  wetterauischen  Studien  heraus  aufs  innigste  von  der  Not- 
wendigkeit des  Grundkartenwesens  überzeugt,  dieses  dem  Interesse  der 
zunächst  in  Betracht  kommenden  Instanz,  des  Gesamtvereins  deutscher 
Geschichtsvereine  nahelegte:  viele  Jahre  hindurch  hat  er  in  den  Ver- 
sammlungen des  Gesamtvereins  für  die  Sache  gewirkt. 

Damit  war  denn  gegenüber  den  lokalen  Anfangen  die  erste  all* 
gemeine  Aussicht  auf  die  Dm-chfiihrung  der  Grundkarten  gewonnen. 
Ein  zweites  Moment  dieser  Art  kam  hinzu,  als  sich  die  1894  begründete 
Konferenz  deutscher  Publikationsinstitute  seit  dem  Innsbrucker  Histo- 
rikertag (1896)  der  Frage  annahm  und  auf  dem  Nürnberger  Historiker- 
tag (1898)  Beschlüsse  fafste,  welche  der  weiteren  Verbreitung  des 
Grundkartenuntemehmens,  namentlich  auch  über  die  deutschen  Grenzen 
hinaus,  sehr  zu  Gute  gekommen  sind. 

Heute  kann  die  Grundkartensache  als  über  allen  Zweifel  hinaus 
gehoben  und  thatsächlich  vollkommen  fundiert  gelten.  Als  Mafsstab  der 
Grundkarten  steht  jetzt  i  :  100 000  fest;  auch  die  Rheinprovinz  wird 
sich  ihm  bei  einer  neuen  Bearbeitung  ihrer  Grundkarten  voraussichtlich 
anschliefsen ;  und  er  ist  schon  über  die  Grenzen  des  Reiches  hinaus 
von  Holland  angenommen  worden.  Beschlossen  ist  weiterhin  die  Her- 
stellung von  Grundkarten  für  ganz  Süddeutschland  und  für  Norddeutsch- 
land links  der  Elbe  mit  Ausnahme  von  Hessen,  Braunschweig,  Han- 
nover und  Oldenburg ;  für  Thüringen  sind  die  Verhandlungen  im  Zuge. 
Der  deutsche  Nordosten  (rechts  der  Elbe)  ist  freilich  noch  im  Rück- 
stand, nur  Schleswig-Holstein,  wenn  wir  dies  hierher  rechnen  wollen, 
Mecklenburg,  Brandenburg  und  teU weise  Posen  sind  an  der  Arbeit; 
Pommern,  die  beiden  Preuisen  und  Schlesien  scheinen  einstweilen  ver- 
sagen zu  wollen.  Doch  ist  zu  bedenken,  dafs  hier  bei  dem  besonderen 
Charakter  der  Gemeindegrenzen  infolge  der  Entwicklung  der  Guts- 
bezirke in  der  That  noch  manche  Bedenken  zu  heben  sind,  ehe  man 
in  eine  Arbeit  eintritt,  der  man  sich  freilich  nach  Lage  der  allge- 
meinen Verhältnisse  auf  die  Dauer  nicht  mehr  wird  entziehen  können. 
Aufserhalb  des  Reiches  ermöglichen  femer  in  Osterreich  die  schon 
seit  langem  bestehenden  Katastralgemeindekarten  die  Entwicklung 
aller  der  Forschungen,  welchen  im  Reich  die  Grundkarten  dienen 
sollen ;  es  bedarf  also  keiner  besonderen  Grundkarten ,  und  nur  eine 
angemessene  Preisermäfsigung  der  Katastralgemeindekarten  für  den 
Fall  ihrer  gelehrt-historischen  Verwertung  wäre  zu  wünschen;  Schritte,  um 

3* 


—     36     ~ 

dies  zu  erreichen,  sind  seitens  der  letzten  Versammlung  des  Gesamt- 
vereins deutscher  Geschichtsvereine  beschlossen  worden.  In  Holland 
und  Belgien  endlich  ist  in  sehr  dankenswerter  Weise  die  Herstellung 
von  Grundkarten  nach  deutschem  Muster  beschlossen  worden;  Reichs- 
archivar Muller  in  Utrecht  und  Professor  Pirenne  in  Gent  haben  sich 
in  dieser  Hinsicht  grofee  Verdienste  erworben.  In  der  Schweiz  ist 
ein  erstmaliger,  von  der  Konferenz  deutscher  Publikationsinstitute  im 
Einverständnis  mit  der  Allgemeinen  geschichtsforschenden  Gesellschaft 
der  Schweiz  an  den  Bund  gestellter  Antrag  auf  Unterstützung  eid- 
genössischer Grundkarten  ohne  Erfolg  geblieben;  doch  ist  die  Allge- 
meine geschichtsforschende  Gesellschaft  nach  wie  vor  bereit,  die 
Grundkarten  herzustellen,  falls  sie  die  nötige  Unterstützung  erhält,  und 
es  steht  zu  hoffen,  dais  der  Bund  sie  ihr  gewähren  werde,  sobald  er 
von  der  Brauchbarkeit  der  Grundkarten  auch  für  die  Zwecke  der 
Gegenwart  und  insbesondere  staatliche  und  militärische  Zwecke  ^)  mehr 
als  bisher  überzeugt  werden  kann.  Mit  Frankreich  schweben  Ver- 
handlungen wegen  Übertragung  der  Grundkartenidee;  auch  mit  den 
skandinavischen  Ländern  ist  ein  Ideenaustausch  eröffnet.  Zahlreicher 
fertig  liegen  Grundkarten  schon  an  so  vielen  Stellen  vor  (Elsafs- 
Lothringen,  Württemberg,  Grofsherzogtum  Hessen,  Rheinland,  Nassau, 
Königreich  Sachsen,  Schleswig -Holstein,  Mecklenburg,  Brandenbui^, 
Posen),  dafe  jetzt  die  Fragen  nach  ihrer  Verwertung  allmählich  die 
Sorgen  der  blolsen  Herstellung  abzulösen  beginnen. 

Die  Probleme  in  dieser  Hinsicht  sind  nun  doppelter  Natur :  da  es 
sich  bei  der  Benutztmg  der  Grundkarten  —  sollen  grofse  Resultate  er- 
reicht werden,  sollen  z.  B.  landesgeschichtliche  Atlanten  der  politischen 
und  Kulturgeschichte  und  schliefslich  ein  nationaler  deutscher  Atlas 
dieser  Art  Ziele  sein  —  ganz  zweifelsohne  um  Kollektivarbeit  vieler 
handelt,  so  mu(s  einmal  die  Arbeit  dieser  vielen  in  ihrem  äußer- 
lichen Ineinandergreifen  organisiert  werden,  und  mufs  weiter  ein  inneres 
System  der  Au£zeichnung ,  eine  Technik  der  Eintragung  geschaffen 
werden,  die  diesen  vielen  gemeinsam  ist.  Dabei  hängen  diese  beiden 
Aufgaben  in  der  Weise  miteinander  zusammen,  da(s  Vorschläge  zur 
Einrichtung  der  Eintragungstechnik  am  einfachsten  von  der  Stelle  aus- 
gehen werden,  in  welche  als  obersten  TeU  die  äuCsere  Organisation  ausläuft. 
Hieraus  folgt  dann  wieder,  dafs  zuerst  die  äulsere  Organisation  zu  ent- 
wickeln ist,  ehe  an  der  Durchbildung  der  inneren  Organisation,  der 
Technik,  mit  dauerndem  Erfolg  gearbeitet  werden  kann. 

i)  Im  Königreich  Sachsen  werden  die  Gmndkarten  von  den  Militär-  wie  den  Zivil* 
befaörden  fttr  Aoixeichnangen  der  verschiedensten  Art  in  Ansprach  genommen. 


—     37     — 

Im  Gebiete  der  äufseren  Organisation  versteht  es  sich  von  selbst, 
dais  jedes  Land,  für  welches  Grundkarten  hergestellt  werden,  auch 
bestrebt  sein  wird,  diese  Grundkarten  dadurch  als  Ganzes  nutzbar  zu 
machen,  dafs  es  in  urgend  einer  Weise  die  auf  Grundkarten  eingetragenen 
Notizen  der  verschiedenen  Forscher  an  einer  Stelle  zusammenbringen, 
ordnen  und  für  den  allgemeinen  Gebrauch  sachverständiger  Kreise  offen 
l^en  lälst  Je  nach  dem  Landesinstitut,  das  die  Herstellung  der 
Grundkarten  übernommen  hat,  kann  das  natürlich  in  sehr  verschiedener 
Weise  geschehen.  Um  den  Voi^[ang  an  irgend  einer  Stelle  konkret 
zu  schildern,  so  sei  die  schon  funktionierende  Einrichtung  im  König- 
reich Sachsen  angeführt.  Hier  werden  von  zwei  Stellen  im  Lande, 
nämlich  von  dem  Geschäftszimmer  der  historischen  Kommission  im 
historischen  Seminar  der  Universität  zu  Leipzig  und  von  dem  Haupt- 
staatsarchiv zu  Dresden,  Grundkarten  an  Forscher  zu  dem  sehr  billigen, 
noch  unter  den  Herstellungskosten  stehenden  Preis  von  30  Pfennig 
für  die  Karte  verkauft,  doch  unter  der  Bedingung,  dafs  diese  eine 
Kopie  der  von  ihnen  zu  Eintragungen  benutzten  Grundkarte  nebst 
einem  Beweisheft  für  die  eingetragenen  Thatsachen  dem  Hauptstaats- 
archiv in  Dresden  übermitteln.  Das  für  diese  Kopie  notwendige  zweite 
Exemplar  der  Grundkarte  wird  zusammen  mit  dem  ersten  unentgeltlich 
überiassen.  Auf  diese  Weise  wird  es  möglich  gemacht,  alle  Forschungs- 
e^ebnisse,  zu  deren  Erreichung  sächsische  Grundkarten  in  Anspruch  ge- 
nommen werden,  auf  dem  Dresdner  Hauptstaatsarchiv  zu  konzentrieren 
und  damit  einen  stetig  wachsenden  Grundstock  zu  gewinnen  für  die 
Bearbeitung  eines  historisch-politischen  und  historisch-statistischen  Atlas 
des  Königreichs.  Es  ist  ein  Ziel,  dem  man  anderswo  mit  andern,  im 
ganzen  aber  doch  wohl   verwandten  Mitteln  wird  zustreben  müssen. 

Indes  liegt  auf  der  Hand,  da(s  mit  dieser  landesgeschichtlichen 
Ordnung^  die  Organisation  des  Grundkartenwesens  nicht  abgeschlossen 
ist.  Über  die  Landesoiganisationen  hinaus  bedarf  es  eines  Zentral- 
organs, das  in  irgendeiner  Weise  den  allgemeinsten  deutsch-nationalen, 
ja  mitteleuropäischen  Anforderungen  an  die  Grundkarten  gerecht  wird. 
Das  Bedürfnis  einer  solchen  Zentralstelle  liegt  so  nahe,  dafs  es  schon 
verhältnismäisig  früh  empfunden  und  ausgesprochen  worden  ist,  und 
dafs  schon  die  Münstersche  Versammlung  des  Gesamtvereins  deutscher 
Geschichtsvereine  im  Herbst  1898  in  dieser  Hinsicht  einen  eingehenden 
Beschluiis  gefafst  hat.  Dieser  Beschlufe  lief  darauf  hinaus,  bei  der 
Universität  Leipzig,  als  derjenigen  Universität,  die  sich  einer  historisch- 
geographischen Professur  erfreue,  wegen  Aufnahme  der  Zentralstelle 
vorstellig  zu  werden.     Eine   dementsprechende  Bitte   ist   dann   in   der 


-     38     — 

That  im  Laufe  der  ersten  Monate  des  Jahres  1899  bei  der  Universität 
eingelaufen  und  hat  bei  dieser  und  den  in  Betracht  kommenden  Fach- 
männern sowie  bei  der  könig-lich  sächsischen  Regierung  entgegen- 
kommende Aufnahme  gefunden.  Der  weitere  Verlauf  des  Jahres 
hat  darauf  die  Organisation  der  Zentralstelle  gebracht,  und  diese  ist 
jetzt,  dank  der  opferbereiten  und  wohlwollenden  Haltung  des  sächsischen 
Kultusministeriums,  das  auch  bedeutendere  Ausgaben  iiir  dies  im  besten 
Sinne  allgemein-nationale  Werk  nicht  gescheut  hat,  soweit  vollendet,  dafs 
alle  jetzt  zu  übersehenden  dringlichen  Bedürihisse  befriedigt  sind.  Das 
historisch-geographische  Seminar,  bisher  ein  Annex  des  geographischen 
Seminars,  ist  von  diesem  abgetrennt  worden  und  hat,  nunmehr  als 
Historisch-geographisches  Institut,  eigene  schöne  Räume  erhalten, 
die  derart  gelegen  sind,  dafs  sie  leicht  mit  den  Räumen  des  Seminars 
für  mittlere  und  neuere  Geschichte  verbunden  werden  können.  Diese 
Verbindung,  welche  die  ungehinderte  Benutzung  der  grofsen  Bibliothek 
dieses  Seminars  durch  diejenigen  ermöglichen  wird,  welche  im  Histo- 
risch-geographischen Institut  arbeiten,  soll  während  der  nächsten  Oster- 
ferien  hergestellt  werden.  Das  Institut  selbst  ist  zwei  Direktoren  unter- 
stellt, deren  einem  das  Gebiet  der  antiken  Geographie,  deren  anderm 
das  der  mittleren  und  neueren  Geographie  zugewiesen  ist,  während 
beiden  das  Gebiet  der  Geschichte  der  Geographie  gemeinsam  bleibt. 
Beiden  Direktoren  ist  ein  Bibliothekar  zur  Verwaltung  der  Bibliothek 
und  zur  Aufrechterhaltung  der  Ordnung  in  den  Institutsräumen  unter- 
geordnet. Mit  diesem  Ausbau  des  Instituts  ist  zunächst  ein  möglichst 
allseitiger  Lehrbetrieb  auf  allen  Feldern  der  historischen  Geographie 
gewährleistet:  und  damit  die  unentbehrliche  Grundlage  für  eine  wahr- 
haft wissenschaftliche  Entwicklung  auch  der  Grundkartenforschung  ge- 
wonnen. Die  Zentralstelle  für  Grundkarten  selbst  ist  dann  der  Ab- 
teilung für  mittlere  und  neuere  Geographie  angegliedert,  und  dem 
Direktor  dieser  Abteilung  in  dem  Privatdozenten  Dr.  Kötzschke  ein 
Assistent  beigegeben  worden,  dessen  Name  aufs  Engste  mit  der  jüngsten 
Förderung  des  Grundkarten wesens  verknüpft  ist;  Herr  Dr.  Kötzschke  wird 
speziell  auch  der  Grundkartenstelle  vorstehen.  Für  die  Zentralstelle 
selbst  ist  weiterhin  ein  besonderer  Raum  hergestellt,  in  dem  vor  allem 
ein  Schrank  mit  hunderten  von  Fächern  zur  Aufnahme  des  Grundkarten- 
materials Platz  gefunden  hat. 

Was  soll  nun  aber  die  Zentrabtelle  in  diesem  Zusammenhang  und 
in  dieser  Ausstattung  leisten?  Eine  ihrer  ersten  Aufgaben,  die  teilweis 
schon  gelöst  ist,  besteht  darin,  als  Depot  für  alle  Grundkarten  zu 
dienen.    Die  Grundkarten  sind  in  den  verschiedenen  Ländern  bekannt- 


—     39     — 

lieh  von  sehr  verschiedenen  Instituten  unternommen  worden,  hier  und 
da,  wie  z.  B.  in  Holland,  verdanken  sie  auch  dem  gesellschaftlichen 
Zusammentreten  sehr  verschiedener  Kräfte  ihr  Dasein :  und  demgemäß 
ist  es  für  den  einzelnen  Forscher  nur  unter  g^ofeem  Zeitverlust,  wenn 
überhaupt,  möglich,  ihre  Bezugsstellen  und  Bezugsart  im  einzelnen 
Falle  festzustellen.  Hier  soll  nun  die  Zentralstelle  vermittelnd  ein« 
treten.  Sie  soll  durch  Verhandlungen  mit  den  einzelnen  Instituten 
dafür  soigen,  dais  von  jeder  Karte  eine  Anzahl  von  Exemplaren  in 
Leipzig  deponiert  sind,  die  jeder  Forscher  jederzeit  zu  den  Original- 
preisen und  Originalbedingungen  beziehen  kann.  Zugleich  ist  damit 
erreicht,  dafs  jeder  Forscher  alle  Karten  in  den  Räumen  des  Instituts 
zusammen  vorfindet  und  —  damit  kommen  wir  zu  einer  zweiten  Auf- 
gabe —  mit  ihrer  Hilfe  in  jedem  Gebiet  der  Grundkartenforschung  an 
Ort  und  Stelle  arbeiten  kann.  Denn  nicht  blofs  Depot  soll  die  Zentral« 
stelle  sein,  sie  soll  auch  alle  Mittel  zur  Grundkartenforschung  in  ihren 
Räumen  in  möglichster  Vollkommenheit  vereinigen.  Da  sind  denn 
freilich  neben  den  Grundkarten  selbst  noch  eine  grofse  Anzahl  littera- 
rischer Hilfsmittel  nötig:  die  Generalstabskarten,  aus  denen  heraus  die 
Grundkarten  bearbeitet  sind,  als  deren  für  viele  Forschungen  unumr 
gängliche  Ergänzung;  die  Reihe  der  wichtigsten  in  Deutschland  seit 
dem  i6  Jh.  erschienenen  Karten  und  Atlanten,  soweit  sie  fiir  die 
deutsche  historische  Geographie  von  Bedeutung  sind;  eine  gröisere 
Anzahl  der  wichtigsten  Ortslexika  u.  dergl.  der  letzten  Jahrhunderte; 
endlich  eine  ausgewählte  Bibliothek  von  Werken  zur  historischen  Geo- 
graphie und  Landeskunde  Deutschlands  wie  zur  Geschichte  der  Geo- 
graphie. Das  alles  muls  also  die  Zentralstelle  und  das  Historisch-geo- 
graphische Institut  der  Universität  Leipzig,  mit  welchem  die  Zentral- 
stelle verbunden  ist,  dem  sie  aufsuchenden  Benutzer  bieten:  und  die 
unerläfslichen  Kredite,  die  zur  Beschaffung  dieser  Hilfsmittel  nötig  sind, 
sind  von  der  sächsischen  Regfierung  schon  mit  so  viel  Wohlwollen  gewährt 
worden,  daCs  die  nötigen  Anschaffungen  binnen  spätestens  zwei  Jahren  ge- 
macht werden  können.  Zu  alledem  aber  mufs,  soll  die  Zentralstelle  ihre 
vollste  denkbare  Bedeutung  erhalten,  noch  ein  drittes  kommen:  es 
mtt&  möglich  sein,  in  ihr  die  gesamte  Grundkartenforschung,  auch  so- 
weit sie  nur  handschriftlich  vorliegt,  zu  übersehen;  oder  mit  andern 
Worten :  es  mufs  dafür  gesorgt  werden,  dafs  in  Leipzig  Kopieen  aller 
der  Eintragungen  auf  Grundkarten  vorhanden  sind,  welche  den  einzelnen 
Landesstellcn  zugehen.  Gewifs  wird  damit  eine  schwer  zu  verwirklichende 
Forderung  aufgestellt  Allein  die  Forderung  trägt  nichts  Unmi^Uches 
hk  sich;    und    es  bedarf  nicht  erst  der  Ausführung,   dafs   ihre  Durch- 


—     40     — 

führung'  einen  aufserordentlichen  Fortschritt  der  historischen  Forschung- 
überhaupt  bedeuten  würde.  Freilich:  verwirklichen  läfet  sich  die  Sache 
nur  bei  entschiedener  und  zwar  auch  opferwilliger  Bereitschaft  der 
Landesstellen  und  darüber  hinaus  der  einzelnen  Forscher.  Die  Zentral- 
stelle kann  wohl  von  sich  aus  für  gewissenhafte  Unterbringung  des 
einlaufenden  Materials  sorgen,  und  in  dieser  Hinsicht  ist  schon  alles 
bereit.  Sie  kann  femer  auch  allenfalls  hier  und  da  die  Herstellung^ 
ihr  zu  überweisender  Kopieen  erleichtem.  Aber  sie  kann  nicht  gmnd- 
sätzlich  und  durchaus  die  Verpflichtung  zur  Beibringung  aller  dieser 
Kopieen  übernehmen :  das  übersteigt  die  Mittel,  die  ein  einzelnes  Land 
im  Interesse  der  Sache  aufwenden  kann.  Hier  werden  also  die  einzelnen 
Landesstellen  und  vielleicht  auch  das  Reich  einmal  mit  einsteheii 
müssen.  Vorläufig  aber  ist  ein  Anfang  auch  mit  diesem  Archiv 
der  Grundkartenzentralstelle  schon  gemacht:  Thudichum  hat  ihm 
eine  grofse  Anzahl  der  von  ihm  bearbeiteten  Karten  aufs  Bereitwilligste 
überwiesen. 

Freilich  wird  nun  das  Archiv,  ja  man  kann  sagen  die  ganze 
Zentralstelle  erst  dann  zu  ihrer  wahren  Bedeutung  gelangen,  wenn 
auch  den  Forderungen  der  inneren  Organisation  des  Gmndkarten- 
Wesens  voll  Genüge  geleistet  ist.  In  erster  Linie  handelt  es  sich  hier 
um  die  Ausbildung  der  Eintragungstechnik;  es  müssen  gemeinsame 
und  schlechthin  bindende  Siglen  und  Normen  für  die  symbolische 
und  abgekürzte  Bezeichnung  gewisser  Daten  u.  dergl.  entwickelt 
werden:  hier  vor  allen  liegen  die  nächsten  organisatorischen  Auf- 
gaben. Natürlich  können  solche  Aufgaben  nicht  von  einem  Einzelnen 
gelöst  werden;  es  bedarf  hier  kollektiver  Arbeit,  um  allgemeine  Zu- 
stimmung herbeizuführen.  Immerhin  hat  aber  auch  hier  irgend  eine 
Stelle  die  Initiative  zu  ergreifen  und  vorzuschlagen  und  vorzuarbeiten, 
wenn  das  Ganze  vom  Flecke  kommen  soll.  Und  da  liegt  es  denn 
—  wie  schon  oben  einmal  bemerkt  —  in  der  Natur  der  Sache,  dafe 
auch  auf  diesem  Gebiete  die  Zentralstelle  eine  gewisse  Bedeutung  er- 
hält; denn  die  Arbeit  an  ihr  giebt  zu  fortwährendem  Nachdenken  über 
die  Eintragungstechnik  Anlafs,  die  einlaufenden  Karten  führen  zu 
reicher  Erfahmng  aus  dem  Bereiche  des  Geleisteten,  und  die  im 
Historisch-geographischen  Institut  schon  jetzt  stattfindenden  Übungen  an 
Gmndkarten  bedingen  ständig  fortgesetzte  Experimente  an  Aufgaben, 
deren  Bewältigung  erst  noch  zu  leisten  ist  So  ist  denn  kaum  zu  ver- 
kennen, dafs  die  Zentralstelle  derjenige  Ort  sein  wird,  von  dem  auch 
Vorschläge  über  die  innere  Organisation  des  Gmndkartenwesens ,  zu- 
nächst und  vor  allem  über  die  Eintragungstechnik  am  besten  ausgehen 


—     41      — 


werden:  ja  gerade  auf  diesem  Gebiete  kann  im  jetzigen  Stadium  der 
ganzen  Entwicklung  zunächst  ein  wesentlicher  Teil  der  Bedeutung  der 
Zentralstelle  gesucht  werden  ^). 


Die  landeskundliche  liitteratur 
Deutsehlands  im  t^eformationszeitalter 

Von 
Viktor  Hantzsch  (Dresden) 

(Schlafs)  S) 

Eine  Übersicht  über  die  landeskundliche  Litteratur  Deutschlands 
während  des  Reformationszeitalters  würde  sehr  einseitig  und  unvoll- 
ständig sein,  wenn  sie  neben  den  Druckschriften  nicht  auch  die  da- 
mals erschienenen  Karten  berücksichtigen  wollte.  Die  Zahl  derselben 
ist  eine  überaus  grofse,  doch  würde  es  zu  weit  führen,  wenn  man  alle 
autzählen  wollte,  die  bis  ums  Jahr  1650  von  zahlreichen  ausländischen, 
anfangs  meist  italienischen,  später  auch  holländischen  und  französi- 
schen Zeichnern,  Kupferstechern  und  Verlegern  teils  als  Einzelblätter^ 
teils  in  Atlanten  eingeschaltet  herausgegeben  wurden.  Wer  sich  mit 
diesen  Karten  beschäftigen  wUl,  findet  sie,  wenn  auch  nicht  lückenlos, 
so  doch  verhältnismäisig  am  vollständigsten  in  dem  gedruckten  Karten- 
katalog des  Britischen  Museums  aufgezählt  ^).  Hier  möge  es  genügen, 
die  wichtigsten  im  Inlande  erschienenen  und  von  Deutschen  herge- 
stellten Karten  Deutschlands  und  seiner  einzelnen  Landschaften  kurz 
zo  erwähnen  ^). 


1)  Eines  der  nächsten  Hefte  wird  eiDeo  Aufsatz  von  Herrn  Dr.  Kötzschke 
fiber  die  Technik  der  Eintragung  in  Grundkarten  bringen.  D.  Red. 

2)  Vgl.  Heft  I  Seite  18  bis  22. 

3)  Catalogne  of  the  prioted  Maps,  Plans  and  Charts  in  the  British  Museum.  Lon- 
don 1885. 

4)  Die  Karten  Österreichs,  der  Schweiz  und  der  Niederlande  sind  des  beschränktem 
Raumes  halber  ausgeschlossen  worden.  Sie  werden  aufgezählt  bei  Haradauer,  Eot- 
wicklnsg  der  Kartographie  von  Osterreich  •  Ungarn  (Verhandlungen  des  Deutschen  Geo- 
graphentaga  1891,  259),  in  der  Bibliographie  der  Schweizerischen  Landeskunde,  2.  Teil, 
Bern  1892,  und  bei  Niermeyer,  Zur  Geschichte  der  Kartographie  Hollands.  Rotter- 
dam 1893. 


-      42     — 

vervielfältigen  und  in  einem  grofeen  Sammelwerke  herauszugeben. 
Diese  Karten  stellen  teils  ganz  Deutschland,  teils  einzelne  deutsche 
Landschaften  und  Territorien  dar.  Die  älteste  gedruckte  Karte  von 
ganz  Deutschland,  die  zugleich  grofse  Teile  der  Nachbarländer  mit 
umfafst,  ist  die  Germania  des  Kardinals  Nicolaus  Cusanus.  Sie  ist 
wohl  als  eine  Frucht  seines  Verkehrs  mit  Toscanelli  anzusehen  und 
stammt  etwa  aus  dem  Jahre  1460.  Erst  nach  dem  Tode  ihres  Ur- 
hebers kam  sie  1491  zu  Eichstädt  als  Kupferstich  heraus  ^).  Einige 
Jahre  später  erschien  eine  weniger  bedeutende  Karte  in  Hartmann 
Schedels  Weltchronik  (1493)  und  eine  Strafsenkarte  des  heiligen  rö- 
mischen Reiches  deutscher  Nation,  herausgegeben  von  Georg  Glocken- 
don in  Nürnberg  (1501).  Nach  längerer  Pause  gab  Sebastian  Mün- 
ster 1530  eine  Nachbildung  der  Karte  des  Cusaners  in  Holzschnitt 
heraus,  die  auch  der  Tafel  des  deutschen  Landes  von  Tilemann 
Stella  (1560)  und  einer  gleichartigen  kleineren  Karte  des  Kölner 
Kupferstechers  Franz  Hogenberg  (1594)  zum  VorbUd  diente.  Der 
ersten  Hälfte  des  XVIL  Jahrhunderts  gehören  an  die  ohne  Jahres- 
angabe erschienene  Karte  von  Heinrich  Zell,  die  des  Christoph 
Hurter  (1625),  des  Peter  Overrat  (1630)  und  des  Matthäus 
Merian  (1633),  endlich  die  Reisekarte  der  Brüder  Jung  (1641). 

Während  alle  diese  Übersichtskarten  infolge  ihres  kleinen  Mafs- 
stabes  ein  ziemlich  armseliges  und  oft  recht  fehlerhaftes  Detail  auf- 
weisen, zeigen  die  in  gröfeerem  Mafsstabe  entworfenen  Landschafts- 
«nd  Territorialkarten  nicht  selten  eine  reiche  Fülle  von  Einzelheiten  •). 
Allerdings  ist  das  Erdbüd,  das  sie  bieten,  nur  von  relativer  Treue,  da 
sie  auf  wenig  genauen  Vermessungen  beruhen,  deren  Methoden  bei- 
spielsweise in  Sebastian  Münsters  Schrift  über  das  neue  Instrument 
der  Sonnen  (1528)  und  ein  Jahrhundert  später  in  Wilhelm  Schick- 
hart s  Kurzer  Anweisung,  künstliche  Landtafeln  zu  machen  (1629) 
auseinandergesetzt  werden.  Die  erste  nachhaltige  Anregung  zur  Her- 
stellung solcher  Spezialkarten  verdankt  man  hauptsächlich  dem  ver- 
dienten Sebastian  Münster,  der  1528  eine  Aufforderung  an  alle 
Liebhaber  des   deutschen  Vaterlandes   ergehen   liefs,   die  Umgegend 


1)  Reproduziert  von  Rage  im  Globus,  Band  LX  (1891),  S.  4,  sowie  von  Norden- 
•kiöld  im  Bidrag  üll  Nordens  äldsta  Kartografi  1892,  Tafel  4  und  im  Periplos  1897, 
Tafel  35. 

2)  Die  Angaben  Über  die  einzelnen  Karten  habe  ich  teils  den  Kartenbeständen  der 
Dresdener  Bibliothek,  teils  dem  gedruckten  Kartenkatalog  des  Britischen  Museums,  Rieh* 
ters  Bibliotheca  geographica  Germaniae  und  dem  Autorenrerzeichnis  im  Theatrum  des 
Ort el ins  von  1570  entnommen. 


—     43     — 

von  Strafsbtug  heraus.    Die  Kurpfalz  fand  um  1600  an  Johann  Busse- 
mecher,    das  Bistum  Speier   1618    in   Georg  Keller,    Kurköln   in 
Cornelius  Adger  1583   und  Elias  Hofmann  1588,   der  Rhein   in 
Theodor  de  Bry  1597  und  Jakob  von  Heyden    1630   einen  Kar- 
tographen.    Über  Franken  erschien   1533   eine  Landtafel  von  Seba- 
stian von  Rotenhan,    1547  eine   solche   von  David  Zeltzlin  und 
1641    eine   neue  Delineation  von  den  Brüdern  Konrad  und  Georg 
Jung.     Eine  Karte  von  Hessen  hatte  schon  vor  1540  der  Marbui^er 
Arzt  Johann  Dryander  entworfen,  die  1575  durch  eine  von  Julius 
Jasolinus  gezeichnete  ersetzt  wurde.    Das  Bistum  Fulda  stellte  1574 
Wolfgang  Regrwill,    die  Wetterau    um    1630  Matthäus  Merian 
dar.     Eine  rege  kartographische  Thätigkeit  herrschte  im  westfälischen 
und  niedersächsischen  Kreise.     Das  Herzogtum  Westfalen  wurde  1572 
durch   Christian  Schrot  gezeichnet,   der   einige  Jahre  später   auch 
Karten   von  Niedersachsen  und  JüUch-Cleve-Berg  entwarf,   dann  1590 
durch  Heinrich  Nagel   und  1620  durch  Johann  Gigas.     Das  Bis- 
tum  Münster  bearbeitete    1558    Gottfried   Mascopius,   das  Bistum 
Hildesheim   und  das  Herzogtum  Braunschweig  1593  Matthias  Quad 
und  um  1620  David  Custos,   die  Grafschaft  Waldeck  1575   Justus 
Mors   und  die  Grafschaft  Oldenburg    1579  Lorenz  Michaelis.     Ein 
Entwurf   des  Weserstromes    von    einem  Ungenannten  erschien   1633,^ 
Eine   schöne  Karte  von  Ostfriesland,   gezeichnet  von  David  Fabri- 
cius  *),  kam  seit  1592  in  zahlreichen,   allerdings   meist  holländischen 
Ausgaben,   eine  andere    von  Ubbo  Emmius    1616    heraus.     Gleich 
tüchtige  Leistimgen  waren  die  ausführlichen  Karten,  die  Johann  Meier 
seit  1648  von  Schleswig-Holstein,  Dithmarschen ,  der  Insel  Helgoland 
und    den    benachbarten   Teilen  Niedersachsens    entwarf.     Eine    ältere 
Karte   von  Dithmarschen  hatte  bereits   1559  Peter  Böckel  heraus- 
gegeben.    Den  Lauf  der  Elbe  veranschaulichte  1568  Melchior  Lo- 
rich imd  1628  Christian  Moller  durch  eine  Landtafel.    Der  älteste 
Kartograph   von  Meifsen    und   Thüringen  *)    war  Hiob  Magdeburg 
1566.     Ihm   folgte  bereits  1568  Johann  Criginger,   in   demselben 
Jahre  auch  für  Thüringen  Johann  Mellinger  und   für  Meifsen  und 
die  Lausitz  Bartholomäus  Scultetus.     1586  begann  die  grofse  kur- 
sächsische Landvermessung  durch  Matthias  öder,  deren  Ergebnisse 
allerdings    drei    Jahrhunderte    lang    unveröffentlicht    blieben ').      Der 

i)  Sello,  Die  Karte  des  David  Fabricios.     Norden  1896. 

2)  Rage,    Geschichte    der    sächsischen   Geographie   im   XVI.    Jahrh.   (Zeitschr.   Hir 
Wissenschaft!.  Geogr.  Bd.  II). 

3)  Rage,  M.  Oders  Landvermessong  von  Korsachsen.     Dresden  1889. 


—     44     — 

• 

Die  ältesten  deutschen  Atlanten  enthalten  nur  sehr  wenige  Karten 
Deutschlands  und  seiner  Territorien,  so  der  Ulmer  Ptolemäus  von 
1482  und  i486  keine  einzige  und  der  Strafsburger  von  1513,  1520, 
1522  und  1525  nur  drei  (Germania,  Provincia  Rheni  superioris  und 
Lotharingia).  Einen  erheblichen  Fortschritt  zeigt  der  Basler  Ptole- 
mäus Sebastian  Münsters,  denn  er  bringt  1540  und  1542  neun 
deutsche  Karten  (Germania,  V  Rheni  tabulae,  Suevia  et  Bavaria,  Fran- 
conia  und  Lacus  Constantinus),  1545  ebenso  viele  (die  5  Tafeln  des 
Rheines  sind  in  3  zusammengezogen,  neu  dagegen  Nigra  Sylva  und 
Slesia)  und  1552  zehn  (neu  Pomerania).  Überhaupt  hat  sich  Münster 
um  die  Kartographie  Deutschlands  wesentliche  Verdienste  erworben. 
Von  seinen  142  Karten  *),  die  sich  aufser  im  Ptolemäus  hauptsächlich 
in  den  verschiedenen  Ausgaben  der  grofsen  Kosmographie  finden, 
stellen  39  deutsche  Landschaften  dar.  Einen  Rückschritt  bedeutet  der 
von  Gerhard  Mercator  gezeichnete  Atlas  zum  Kölner  Ptolemäus 
von  1578  und  1584,  der  keine  deutschen  Karten  enthält,  sowie  der 
von  1597  und  1608,  der  nur  eine  (Germania)  bietet,  die  überdies  ita- 
lienischen Ursprungs  ist.  Dagegen  umfafet  der  grofse  weltberühmte 
Atlas  Mercators  von  1595  nicht  weniger  als  20  deutsche  Karten, 
die  sich  überdies  in  den  folgenden,  nicht  mehr  in  Deutschland 
erschienenen  Ausgaben  noch  vermehrten,  hauptsächlich  im  Wett- 
bewerb mit  dem  Theatrum  orbis  terrarum  des  Abraham  Ortelius, 
das  schon  bei  seinem  ersten  Erscheinen  1570  dreizehn  deutsche  Karten, 
fast  durchgängig  Kopieen  wichtiger,  in  Deutschland  entstandener  Ori- 
ginale aufwies.  Um  die  Wende  des  XVI.  Jahrhunderts  machte  sich 
hauptsächlich  Matthias  Quad  um  die  Kartographie  Deutschlands  ver- 
dient. Seine  Atlanten  Europae  descriptio  (1594),  Enchtridion  cos- 
tnographüum  [i^gg).  Geographisch  Handbuch  [1600)  Mnd  Fctsctculus 
geographicus  (1608)  boten  zwar  fast  nur  Nachstiche,  verbreiteten  je- 
doch die  Kartenkenntnis  in  weiten  Kreisen  des  Volkes,  denen  die  Ori- 
ginale infolge  ihrer  Seltenheit  imd  Kostspieligkeit  unzugänglich  waren. 

Diese  Originalkarten,  die  in  der  Regel  als  Einzelblattdrucke  ver- 
öffentlicht wurden,  verdienen  wegen  ihrer  hohen  landeskundlichen 
imd  geschichtlichen  Bedeutung  wenigstens  eine  kurze  Erwähnung. 
Leider  sind  sie  äufeerst  selten,  dazu  nirgends  vollständig  vereinigt, 
am  besten  noch  im  Britischen  Museum.  Es  würde  eine  sehr  dan- 
kenswerte Aufgabe  sein,  ihre  ersten  Drucke  zu  ermitteln,  diese 
mit  den  vollkommenen  Mitteln    der   modernen  Reproduktionskunst   zu 


i)  Aufgezählt  bei  Hantzsch,  Seb.  Münster.     Leipzig   189S,  S.  72  ff. 


~     45     — 

ihres  Wohnortes  kartograpbfach  aufzunehmen.     Zuerst  kamen  nur  ein- 
zelne Gelehrte  dieser  Anregung  nach,  allmählich  jedoch  entschlossen 
sich  auch  viele  Fürsten  und  Regierungen,   ihre  Länder  mappieren  zu 
lassen,  und  so  finden  wir  um  die  Mitte  des  XVII.  Jahrhunderts  kaum 
ein  gröfseres  deutsches  Territorium,   das  nicht  seine  gedruckte  oder 
wenigstens   handschriftlich   in   den  Archiven  liegende  Spezialkarte  be- 
sessen   hätte.     Selbst   ganz    unbedeutende  Herrschaften  wurden    von 
Lokalpatrioten  kartographisch  dargestellt,   so   die  Amter  Lichtenau  in 
Franken  und  Hersbruck  in  Hessen  durch  Paul  Pfintzing  1592  und 
1596  und  die  Grafschaft  Wertheim  durch  Bernhard  Cantzler  1603. 
Den  Anfang   machte   man  in  Bayern').     Bereits   1523   liels  Jo- 
hann Aventin  in  Landshut  seine  Landtafel  von  Ober-  und  Nieder- 
bayem  drucken,   zu   der  sich  später  Philipp  Apians  Chorographia 
Bavartae   (1568),   das  gleichbetitelte   Werk  Peter  Weiners   (1579) 
und  die  DelmeaÜo  Bavartae  des  Raphael  Custos  (1632)  gesellten. 
Dieser  letztere  gab  auch    16 19   eine  Karte  des  Flusses  Hier  heraus, 
wahrend    sein  Verwandter  David  Custos   162 1    eine  Landtafel   der 
Oberpfsdz  veröfTentlichte ,   die  auch  Erhard  Reych  schon  1540  dar- 
gestellt hatte.    Später  als  in  Bayern  begann  die  kartographische  Thä- 
tigkeit   in  Schwaben.     Zwar   hatte   hier  Sebastian  Münster   schon 
einige  Vorarbeiten  geliefert,  aber  erst  1561  erschien  Wolfgang  La- 
zios' Karte  der  vorderösterreichischen  Besitzungen  und  im  folgenden 
Jahre  die  Karte  des  schwäbischen  Kreises  von  David  Zeltzlin,  end- 
lich 1625  die  des  Christoph  Hurter.    Eine  Karte  von  Württemberg 
war  schon  1558  ohne  Angabe  eines  Autors  in  Tübingen  herausgekom- 
men.   Bereits  1575   aber  wurde  sie  durch  Georg  Gadner  überholt. 
Eine  sehr  eingehende  Aufnahme  Württembergs,   die  11  Jahre  in  An- 
8i»iich   nahm,   begann  1624  Wilhelm   Schickhart*).    Den  Boden- 
see hatten  vor   1540  zwei  Konstanzer  Bürger,  Johann  Zwick  und 
Thomas  Blaurer  gezeichnet,  deren  Arbeit  Sebastian  Münster  ver- 
öffentlichte.   Später  mappierten  ihn  noch  Johann  Georg  Schinbain 
(1578)    imd  Altmannshausen    (1647).     Die   oberrheinischen    Land- 
schaften wurden  zuerst  von  Münster  bearbeitet.     1576  gab  Daniel 
Speckel  eine  Karte  des  Elsafs,  um  1595  eine  solche  der  Umgegend 


i)  Walteoberger,  LiUermtar  der  Karten  tod  Bayern  (8.  Jahre«bericht  der  geogr. 
Gesellsdiaft  in  München).  —  Luts,  Zur  Geschichte  der  Kartographie  in  Bayern  (ebend. 
Bd.  XI).  —  Ein  Verzeichnis  der  vom  Mosenm  in  Speyer  erworbenen  Karten  der  Pfalz 
ßUeste  1585)  siehe  in  „Mitteilongen  des  Historischen  Vereins  d.  Pfalz"  XVI  (1892),  S.  216. 

2)  Regelmann,  Die  Schickhartsche  Landesaufnahme  Württembergs  (Württ  Jahr- 
bmch  1893). 


—     46     — 

Vater  der  schlesischen  Kartographie  wurde  Martin  Helwig  1561  '). 
Um  die  Darstellung  Brandenburgs  machten  sich  vor  1570  Elias  Ca- 
merarius  und  Leonhard  Thurneysser,  um  diejenige  Pommerns 
vor  1550  Peter  Artopöus,  später  Eilhard  Lubin,  um  das  Her- 
zogtum Preufeen  endlich  Heinrich  Zell  imd  1576  Kaspar  Henne- 
berger verdient. 

Auch  einige  Bemerkimgen  über  das  Aussehen  dieser  Karten,  ihre 
Eigentümlichkeiten  und  den  Fortschritt  in  ihrer  Entwicklimg  dürften 
von  Interesse  sein.  Mit  Ausnahme  der  Germania  des  Nikolaus  Cusanus 
sind  die  meisten  älteren  Karten,  insbesondere  alle  von  Münster  heraus- 
gegebenen, in  Holzschnitt  ausgeführt.  Da  die  Formschneiderei  da- 
mals noch  vielfach  von  künstlerisch  wenig  durchgebildeten  Handwer- 
kern ausgeübt  wurde,  so  sind  sie  ziemlich  roh  ausgefallen,  so  dafe  bei- 
spielsweise die  Feinheiten  der  Küstengliederung  und  der  Flufsläufe  in 
ihnen  nicht  zum  Ausdruck  kommen  und  dafs  sie  hinsichtlich  der  Tech- 
nik weit  hinter  den  gleichzeitigen  italienischen  Kupferstichkarten  zurück- 
stehen. Erst  nach  1550  kam  der  Kupferstich  auch  in  Deutschland 
und  zwar  besonders  durch  das  Beispiel  des  Abraham  Ortelius  und  des 
Gerhard  Mercator  in  steigendem  Mafse  in  Aufaahme.  Eine  Projektion 
lag  wohl  nur  den  wenigsten  deutschen  Territorialkarten  zu  Grunde. 
Bei  den  meisten  begnügte  man  sich,  die  abzubildenden  Gegenden  ein- 
fach in  ein  viereckiges  Feld  einzuzeichnen.  Ein  ausgezogenes  Grad- 
netz fehlt  meist.  Mehrfach  findet  sich  eine  Längen-  und  Breitenskala 
am  Rande.  Indessen  weichen  die  Breitenangaben  in  der  Regel  min- 
destens um  mehrere  Minuten,  die  Längenangaben  namentlich  in  Nord- 
und  Ostdeutschland  häufig  um  mehrere  Grade  von  den  wahren  ab, 
da  zuverlässige  astronomische  Ortsbestimmungen  für  viele  Gegenden 
überhaupt  nicht  vorhanden  waren.  Zur  Feststellung  des  Mafsstabes 
ist  meist  am  Rande  ein  Meilenzeiger  angebracht,  doch  ist  es  bei  der 
Verschiedenheit  der  damab  üblichen  Meilen  fast  unmöglich,  mit  seiner 
Hilfe  die  Entfernungen  annähernd  genau  zu  ermitteln.  Die  Terrain- 
zeichnung ist  in  der  Regel  eine  sehr  mangelhafte.  Die  Gebirge  er- 
scheinen als  Felsen,  als  Reihen  von  Maulwurfshügeln  oder  als  raupen- 
förmige  Gebilde.  Die  Wälder  werden  je  nach  ihrer  Beschaffenheit 
meist  durch  einzelne  Laub-  oder  Nadelbäume,  untermischt  mit  Busch- 
werk, die  Sümpfe  mehrfach  durch  Schraffierung  angedeutet.  Die 
Flüsse  erblickt  man  als  ziemlich  willkürlich  gewundene,  allmählich  di- 


1)   Heyer,   Die   kartographischen   Darstellungen   Schlesiens    bis    1720    (Zeitschrift 
d.  V.  f.  Gesch.  u.  Altertümer  Schlesiens,  Bd.  XXffl). 


—     47      — 

vergierende  Doppellinien.  Die  Grenzen  der  Länder  sind  teils  gar 
nicht,  teils  durch  punktierte  Linien  bezeichnet.  Die  Ortschaften  wer- 
den durch  Kreise,  Kreuze  oder  einzelne  Bauwerke  dargestellt.  Leere 
Stellen  findet  man  zuweilen  durch  erklärende  Inschriften  ausgeiullt» 
Die  Orientierung  ist  namentlich  in  der  älteren  Zeit  eine  durchaus  will- 
kürliche. Norden  liegt  bald  rechts  oder  links,  bald  oben  oder  unten. 
Die  Richtigkeit  der  Karten  ist  in  den  ersten  Stadien  der  Entwickelung 
eine  sehr  geringe.  Allmählich  aber  zeigen  zuerst  die  auf  wirklichem 
Vermessungen  beruhenden  und  in  grofsem  Ma&stabe  gezeichneten 
Spezialkarten  und  dann  auch  die  nach  ihnen  bearbeiteten  Übersichts- 
blätter unverkennbare  Fortschritte,  so  dafe  man  um  die  Mitte  des 
XVII.  Jahrhunderts  eine  Reihe  von  kartographischen  Bildern  des  deut- 
schen Landes  besafs,  die  eine  wenigstens  für  jene  Zeit  genügende 
Genauigkeit  aufwiesen. 

Die  Seltenheit  dieser  älteren  Karten  und  Landesbeschreibungett 
ist  der  Grund,  weshalb  sie  bei  landesgeschichtlichen  Studien  verhältnis- 
mäisig  wenig  benutzt  werden,  doch  ist  es  zweifellos,  dafs  sie  wohl 
geeignet  sind,  die  übrigen  Quellen  wesentlich  zu  ergänzen,  und  des- 
halb sollte  der  Forscher  es  nicht  unterlassen,  auch  sie  von  Fall  zu 
Fall  einer  gründlichen  Durchsicht  zu  unterziehen. 


Der  gegenvy^ärtige  Stand 
der  landesgeschichtlichen  Forsehung  in 

Württemberg 

Von 
Karl  Weller  (Stuttgart) 

Es  ist  ganz  unverkennbar,  dafs  in  den  letzten  30  Jahren  die  Kennt- 
nis der  Landesgeschichte  imter  den  Gebildeten  Württembergs  ziemlich 
zurückgegangen  ist;  die  Eingliederung  unseres  Landes  in  das  neue 
Deutsche  Reich  liefs  natürlicherweise  das  Interesse  für  die  Vergangen- 
heit des  gesamten  deutschen  Vaterlandes  stärker  hervortreten;  eine 
Betonung  der  besonderen  Geschichte  des  Landes  konnte  beinahe  als 
ein  Zeichen  unnationalen,  partikularistischen  Sinnes  gelten.  In  der 
That  hatte  auch  die  einheimische  Forschung  meist  einen  ganz  beson- 


—     48     — 

ders  provinziellen  Standpunkt  eingenommen;  es  fehlte  in  der  Regel 
der  Blick  nach  aufsen,  das  Be\¥ulstsein ,  da(s  Württemberg  nur  der 
Teil  eines  Ganzen,  seine  Geschichte  nur  ein  Ausschnitt  aus  der  des 
deutschen  Volkes  war.  Eme  allgemeinere  Betrachtungsweise  war  nur 
langsam  und  nur  von  wenigen  gewonnen  worden.  Für  die  ältere  Zeit 
bis  zur  zweiten  Hälfte  des  XVI.  Jahrhunderts  hat  hier  die  Wirtem" 
bergische  Geschichte  von  Christoph  Friedrich  Stalin,  ein  fiir 
eine  deutsche  Spezialgeschichte  lange  vorbildliches  Werk,  die  Bahn 
gebrochen  (1841 — 1870),  und  seine  Resultate  sind  in  der  von  seinem 
Sohne  Paul  Friedrich  Stalin  verfafeten,  überaus  sorgfaltigen  Ge^ 
schichte  Württembergs  (1882  und  1887)  auf  den  Stand  der  neueren 
Forschung  ergänzt  worden ;  für  die  späteren  Jahrhunderte  der  württem- 
bergischen Herzogszeit  hatte  schon  L.  Th.  Spittler  vor  über  100 
Jahren  einen  breiteren  Grund  zu  legen  gesucht,  und  Gustav  Rümelin 
in  seiner  fruchtbaren  Abhandlung  Aliwürttemberg  im  Spiegel  /rem- 
der  Beobachtung  (Württembergische  Jahrbücher  1864)  hat  die  neue 
weitere  Auffassung  der  früheren  Enge  der  Betrachtung  gegenüber 
in  geistvoller  Weise  durchgeführt,  übrigens  nicht  ohne  eine  zum 
Teil  überscharfe  Kritik  der  altwürttembergischen  Verfassung  und  des 
altwürttembergischen  Wesens.  Diesen  universaleren  Charakter  hat  auch 
die  neueste  gute  Darstellung  der  württembergischen  Geschichte  von 
dem  Stuttgarter  Archivrat  Eugen  Schneider  (1896);  sie  ist  dadurch 
besonders  ausgezeichnet,  dafs  in  ihr  zum  erstenmal  die  wichtige  Ge- 
schichte des  XIX.  Jahrhunders  in  ausführlicher  Weise  zusammenfassend 
behandelt  ist.  Leider  beschränkt  sie  sich  fast  ganz  auf  die  politische 
Entwicklung.  Es  war  seinerzeit  ein  grofser  Fortschritt,  als  man  von  einem 
niedrigeren  Standpunkt  der  Betrachtung  zu  einer  Darstellung  mit  höheren 
politischen  Gesichtspunkten  gelangte,  wie  sie  Spittler  zuerst  gegeben 
hat,  und  es  ist  gewifs  wohlbegründet,  dafe  auf  die  politisch  ungemein 
bedeutende  und  wandlungsreiche  Zeit  des  Königs  Friedrich  in  der  For- 
schung gegenwärtig  ein  besonderes  Gewicht  gelegt  wird,  vor  allem 
mit  den  gehaltreichen  Schriften  des  Generals  Albert  P fister  (König 
Friedrich  und  seine  Zeit,  1888;  Atis  den  Tagen  des  Rheinbundes 
1812  und  jSij,  1896;  At^  dem  Lager  der  Verbündeten  18 14  und 
181$,  1897^.  Das  wirtschaftliche  und  geistige  Leben  in  eine  Ge- 
samtdarstellung hereinzuziehen  und  seine  stete  Wechselwirkung  mit 
der  politischen  Geschichte  aufzuzeigen  ist  bis  jetzt  nicht  versucht 
worden;  hier  liegt  eine  Aufgabe  der  Zukunft.  Denn  der  Bedeutung 
Württembei^  im  Rahmen  des  gesamten  deutschen  Vaterlandes  wird 
man   nicht  gerecht,   wenn  man  nur  die  politischen  Zustände  und  Ge- 


—     49     — 

schehnisse  behandelt;  zum  g-röfseren  Teil  liegt  sie  auf  dem  kulturellen 
Gebiet,  und  hier  wird  eine  genauere  Erforschung  auch  für  die  all- 
gemeine deutsche  Geschichte  reiche  Früchte  tragen.  Wie  in  der 
deutschen  Dichtung  oft  die  besten  Schöpfungen  aus  dem  engeren 
Heimatboden  hervoi^ewachsen  sind,  wie  recht  aus  der  Eigenart  des 
einzelnen  Landes  heraus  das  Geistesleben  des  deutschen  Volkes  zu 
so  reicher  und  vielseitiger  Entfaltung  sich  auszugestalten  vermochte, 
so  hat  auch  die  schwäbische  Kultur  in  Wirtschaft  und  Recht,  in  Kunst 
und  Litterattur,  im  kirchlichen  wie  im  sittlichen  Leben  eine  kraftvolle 
Selbständigkeit  bis  in  die  neuere  Zeit  behauptet,  die  dem  gesamten 
Deutschland  zugute  gekommen  ist  imd  gegenüber  den  nivellierenden 
Tendenzen  der  Gegenwart  noch  weiter  von  Nutzen  sein  mag.  Der 
Stoff,  den  der  Forscher  bearbeitet,  kann  räumlich  und  zeitlich  be- 
schränkt sein,  tmd  bei  gründlichen  Untersuchungen  ist  eine  solche 
Begrenzung  oft  geradezu  notwendig;  der  Sinn,  in  dem  geforscht  wird, 
die  Gesamtauffassung  muis  freilich  eine  grofse  und  weite  bleiben  und 
darf  das  Leben  der  ganzen  Nation  nicht  aus  den  Augen  verlieren. 

Nur  langsam  ist  in  Württemberg  die  Herausgabe  der  geschicht- 
lichen Quellen  in  Flufis  gekommen.  Das  von  Kau s  1er  begonnene, 
von  dem  Geheimen  Archivrat  P.  F.  Stalin  fortgesetzte,  in  seiner  Art 
musterhafte  Württembergtsche  Urkundenbuch  bildete  lange  Zeit  fast 
die  einzige  wichtige  Quellenedition ;  es  ist  nun  bis  zum  7.  Bande  fort- 
geschritten, der  heuer  noch  erscheint  imd  die  Jahre  1269 — 1276  um- 
faist  Für  die  Fortsetzung  des  Urkundenbuches  ist  dem  Herausgeber 
seit  einigen  Jahren  von  der  Württembergischen  Kommission 
für  Landesgeschichte  ein  HUfsarbeiter  in  der  Person  des  treff- 
lichen Gebhardt  Mehring  zur  Verfügung  gestellt  worden.  Denn 
gerade  in  der  Sammlung  und  Veröffentlichung  der  Quellen  hat  die 
Arbeit  der  im  Jahr  1891  gegründeten  Kommission  eingesetzt.  Die 
treibende  und .  organisierende  Kraft  in  den  ersten  Jahren  war  der  da- 
malige Tübinger  Professor  Dietrich  Schäfer,  dessen  energische  und 
allenthalben  Mitarbeiter  aufmunternde  imd  gewinnende  Thätigkeit  auch 
nach  seiner  Übersiedelung  ins  badische  Nachbarland  noch  bei  uns  er- 
folgreich fortwirkt.  Von  den  Württembergtschen  Geschichtsquellen, 
die  er  anger^  hat,  sind  bis  jetzt  4  Bände  erschienen  (Bd.  I:  Kolb, 
Geschichtsquellen  der  Stadt  Hall.  Bd.  II:  Bessert,  Aus  dem 
Codex  Laureshamensis ,  den  Traditiones  Fuldenses,  aus  Wei/sen- 
burger  Quellen,  Schneider  und  Käser,  Württembergisches  aus 
römischen  Archiven.    Bd.  III:   Günter,   Urkundenbuch  der  Stadt 

Rottweil.    Bd.  IV:  Diehl,    Urkundenbuch   der  Stadt  E/slingen); 

4 


—     50     — 

ein  fünfter  Band,  die  Urkimden  der  Stadt  Heilbronn  enthaltend,  ist 
in  Vorbereitung.  Ein  bedeutendes  Unternehmen  der  Kommission  ist 
die  früher  schon  von  Rümelin  mit  Nachdruck  geforderte  Herausgabe 
der  umfangreichen  Korrespondenz  des  Herzogs  Christoph,  der  eine 
über  die  Bedeutung  seines  Landes  weit  hinausreichende  Stellung  in 
den  politischen  und  kirchlichen  Fragen  seiner  Zeit  eingenommen  hat; 
die  Bearbeitung  der  Briefe  ist  dem  Tübinger  Privatdozenten  Victor 
Ernst  übertragen,  der  heuer  den  ersten  Band  hat  erscheinen  lassen. 
Die  von  der  Kommission  früher  in  Angriff  genommene  Herausgabe 
der  Briefe  des  Herzogs  Ulrich,  die  für  die  Reichsgeschichte  ebenso 
wertvoll  wäre,  mufste  leider  vorderhand  wieder  auf  gegeben  werden. 
Von  den  geschtchtliehen  Liedern  und  Sprüchen  Württembergs, 
die  der  Stuttgarter  Bibliothekar  Professor  Karl  Steiff  im  Auftrag 
der  Kommission  sammelt  und  herausgiebt ,  ist  heuer  die  erste 
Lieferung  veröffentlicht  worden.  Möchten  alle  diese  schönen  Anfänge 
eines  nachhaltigen  Fortschreitens ,  der  Fortsetzung  durch  weitere 
Quellenwerke  sich  erfreuen  dürfen ;  wie  dankenswert  für  die  Aufhellung 
der  Reichsgeschichte  wäre  z.  B.  die  Sammlung  der  Urkunden  der 
schwäbischen  Städtebünde,  wie  fruchtbringend  fiir  die  Kenntnis  der 
engeren  Landesgeschichte  die  Herausgabe  von  Regesten  der  Grafen 
von  Wirtemberg,  der  Akten  des  altwürttembergischen  Landtages.  Eine 
gewichtige  Veröffentlichung  der  Kommission  ist  die  zweibändige  Biblio- 
graphie der  württembergischen  Geschichte ,  die  der  frühere  Direktor 
der  kgl.  öffentl.  Bibliothek,  Wilhelm  Heyd,  bearbeitet  hat.  Aber 
dieses  Werk  wie  alle  die  genannten  Quelleneditionen  können  eben 
nur  Vorarbeiten  sein,  die  noch  ausgeschöpft  werden  müssen,  und  nur 
ein  weit  vorausschauender  Blick  vermöchte  frohgemut  mit  Goethe  zu 
sprechen:  „Nein,  es  sind  nicht  leere  Träume,  Jetzt  nur  Stangen,  diese 
Bäume  Geben  einst  noch  Frucht  und  Schatten."  Darstellende  Werke 
sind  bis  jetzt  recht  wenige  unterstützt  und,  wie  es  scheint,  gar  keine 
angeregt  worden.  Wenn  man  die  Thätigkeit  der  Kommission  mit  der 
erfolgreichen  Wirksamkeit  der  badischen  vergleicht,  die  allerdings  auch 
schon  länger  besteht,  so  mufs  man  offen  sagen,  dafs  die  württem- 
bergische Kommission  nach  der  Fülle  ihrer  Leistungen  bis  jetzt  ent- 
schieden zurückgeblieben  ist.  Der  Grund  ist  wesentlich  der,  dafs  die 
verwilligten  Geldmittel  viel  zu  gering  sind;  in  Baden  ist  der  staatliche 
Beitrag  ein  weit  höherer.  Es  ist  ein  dringendes  Erfordernis,  dafs  an- 
statt der  vom  Landtag  genehmigten  iiooo  Mark  etwa  die  doppelte 
Summe  in  den  Etat  eingesetzt  wird,  wenn  Württemberg  die  seiner 
Bedeutung  angemessene  Thätigkeit  auch  hier  entfalten  soll. 


—     51     — 

Es  ist  mit  Freude  zu  begrüfsen,  da{s  nun  als  Mitglieder  der  histo- 
rischen Kommission  die  Dozenten  für  Geschichte  an  der  Landesuniver- 
sität Tübingen  auch  zur  Teilnahme  an  der  landesgeschichtlichen  For- 
schung herbeigezogen  worden  sind,  und  es  ist  weiter  sehr  erfreulich, 
dals  Historiker,  die  lange  Zeit  der  Erkundung  der  heimischen  Ge- 
schichte sich  ferne  hielten,  wie  Gottlob  Egelhaaf,  der  Rektor 
des  Karlsgymnasiums  in  Stuttgart,  in  den  letzten  Jahren  mit  derselben 
sich  eingehender  befalst  haben.  Gesammelt  werden  die  einzelnen 
Untersuchungen  in  den  von  der  Kommission  herausgegebenen  und 
von  Oberstudienrat  Julius  Hartmann  redigierten  Württetnhergtschen 
Vierteljahrsheften  für  Landesgeschichte,  die  jetzt  in  halbjähriger 
Ausgabe  erscheinen.  Die  gröfeeren  Vereine,  die  meistens  das  erste 
halbe  Jahrhundert  ihres  Bestehens  hinter  sich  haben,  der  Württem- 
bergische Altertumsverein,  der  Verein  für  Kunst  und  Altertum  in  Ulm 
und  Oberschwaben,  der  Historische  Verein  für  das  württembergische 
Franken,  der  Sülchgauer  Altertumsverein  entfalten  je  nach  den  vor- 
handenen Arbeitskräften  eine  gröfeere  oder  geringere  Thätigkeit;  die 
Vereine,  welche  durch  Verfügung  über  bedeutendere  Mittel  besonders 
leistungskräftig  sind,  haben  auch  wertvolle  Publikationen  unternommen, 
der  Württembergische  Altertumsverein  z.  B.  das  Württembergische 
Adels-  und  Wappenbuch  des  Archivrats  Otto  v.  Alberti,  das  nun 
zur  Hälfte  vollendet  ist  und  ein  unentbehrliches  Hilfismittel  besonders 
für  die  Erforscher  unserer  Kunst-  und  Altertumsdenkmale  bildet.  Es 
ist  immer  von  Wert,  wenn  die  Organisation  der  Vereine  auch  durch 
Zeiten  geringerer  Beteiligung  und  mattere  Jahre  hindurch  erhalten 
bleibt  So  lange  noch  die  romantische  Stimmung  in  der  Betrachtung 
der  Vergangenheit  vorherrschte,  als  Gemüt  und  Phantasie  noch  stär- 
keren Anteil  nahmen,  war  natürlich  die  Begeisterung  der  einzelnen 
Mitglieder  gröfeer;  es  liegt  in  der  Natur  der  Sache,  dafs  die  lebendige 
Hingabe,  die  persönliche  Wärme  sich  um  so  mehr  zurückzieht,  je 
wissenschaftlicher  die  Lokalforschung  wird,  je  mehr  an  die  Stelle  der 
Freude  am  Altertümlichen  eine  wirklich  historische  Auffassimg  treten 
soll.  Immerhin  leistet  auch  heute  noch  die  begeisterte  Thätigkeit 
einzelner,  wie  z.  B.  des  unermüdlich  fieifsigen  Pfarrers  Gustav  Bossert 
in  Nahem  Bedeutendes  auf  den  verschiedensten  Grebieten.  Leider  fehlt 
häufig  selbst  da,  wo  der  beste  Wille  und  die  Begabung  vorhanden 
wäre,  die  methodische  Vorbereitung  zu  historischer  Forschung,  und 
es  ist  sehr  zu  beklagen,  dais  besonders  in  der  evangelisch-theolog^' 
VorbQdungsanstalt  unserer  Universität,  dem  für  das  geisüp^ 
Württembergs  seit  Jahrhunderten  so  unendlich  einfluCsr«'* 


V 


—     52     — 

Stift,   die  Schulung  zu  wissenschaftlich  produktiver  Arbeit  ungebühr- 
lich vernachlässigt  wird. 

Betrachten  wir  die  einzelnen  Felder,  auf  denen  die  Forschung 
thätig  ist,  so  sind  einige  in  wirklich  schöner  Weise  angebaut,  vor  allen 
die  Kirchen-  und  die  Litteraturgeschichte ;  hier  reizt  der  Stoff  durch 
die  verhältnismäßig  bedeutende  Stellung,  die  das  Land  auf  diesen 
Gebieten  in  der  deutschen  Kulturgeschichte  eingenommen  hat;  auch 
die  wissenschaftliche  Vorbildung  ist  hier  bei  Theologen  und  Philologen 
noch  am  ehesten  vorhanden.  Seit  langer  Zeit  vielfach  in  Angriff 
genommen  ist  die  Geschichte  der  Römerherrschaft  auf  dem 
jetzt  württembergischen  Boden,  die  durch  die  Gründung  der  Reichs- 
limeskommission neue  Anregung  und  in  den  vom  Württembergischen 
Anthropologischen  Verein  unter  der  Leitung  von  Professor  G.  Sixt 
in  Stuttgart  herausgegebenen  Fundberichten  aus  Schwaben  seit  1893 
eine  eigene  Zeitschrift  erhalten  hat.  Auch  die  württembergische 
Kirchengeschichte  hat  seit  längerer  Zeit  ein  eigenes  Oj^an  in  den 
jetzt  alle  Vierteljahre  unter  der  Redaktion  des  Pfarrers  Friedrich  Keidel 
in  Degerloch  erscheinenden  Blättern  für  württembergische  Kirchen-^ 
gesc/iichte,  die  sich  tüchtiger  Mitarbeiter,  wie  des  Dekans  R.  Günther 
in  Langenburg,  erfreuen  dürfen;  eine  solide  Grundlage  für  alle  wei- 
teren Untersuchungen  ist  in  der  1893  vom  Calwer  Verlagsverein 
herausgegebenen  Württembergischen  Kirchengeschichte  vorhanden, 
zu  deren  Abfassung  sich  die  bereits  genannten  Gustav  Bossert,  Friedrich 
Keidel,  Julius  Hartmann  und  der  Stuttgarter  Stadtpfarrer  Christoph 
Kolb  verbunden  haben.  Die  katholische  Geistlichkeit  besitzt  eine 
kirchengeschichtliche  Zeitschrift  im  Diözesanarchiv  aus  Schweden. 
Die  württembergische  Litteraturgeschichte  hat  in  dem  Stutt- 
garter Archivassessor  Rudolf  Kraufs  einen  Bearbeiter  gefunden,  der 
1897  ^^Q  ersten  Band  einer  Schwäbischen  Litteraturgeschichte  der 
Öffentlichkeit  übergeben  hat  und  in  Bälde  den  zweiten  folgen  lassen 
will.  Leider  fehlt  es  an  einem  besonderen  württembergischen  Organ 
fiir  Utterargeschichtliche  Studien;  so  werden  die  einzelnen  Abhand- 
lungen in  alle  möglichen  Blätter  verstreut  und  recht  verzettelt.  Zu 
bedauern  ist,  dafs  die  in  Schwaben  sonst  so  rtigt  Pflege  des  Andenkens 
seiner  bedeutenderen  Dichter  fast  gar  keine  g^ölseren  biographischen 
Arbeiten  hervorruft;  es  fehlt  noch  an  ausführlichen  Lebensbeschrei- 
bungen von  Justinus  Kemer,  von  Edtiard  Mörike,  und  selbst  das  Ge- 
dächtnis Ludwig  Uhlands  hat  alle  die  Jahrzehnte  seit  seinem  Tode 
keine  wissenschaftliche  Biographie  gezeitigt,  bis  endlich  aniserhalb 
Württembergs  das  Bedürfius  erkannt  worden  ist  und  man  nun  von 


—     53     — 

Erich  Schmidt  ein  Leben  Uhlands  erwarten  darf.  Um  die  Samm- 
Inng*  und  Erhaltung  von  handschriftlichen  Aufzeichnungen  und  inte- 
ressanten Briefwechseln  ist  die  Verwaltung  der  kgl.  öflFentl.  Bibliothek 
in  Stuttgart  und  der  Schillerverein  in  Marbach  mit  schönem  Erfolge 
bemüht.  Für  die  Geschichte  der  schwäbischen  Mundart  sind  die  Tü- 
binger Professoren  Hermann  Fischer  und  Karl  Bohnenberger 
thätig  und  haben  zum  Teil  recht  überraschende  Resultate  gewonnen. 
Die  ältere  württembergische  Kunstgeschichte  hat  durch  Eduard 
Paulus  und  Eugen  Gradmann,  den  früheren  und  jetzigen  Landes- 
konservator, und  einige  weitere  Forscher  treue  Pflege  gefunden;  auch 
die  neuere  Kunstgeschichte  ward  wenigstens  durch  ein  inhaltreiches  Buch 
in  Anbau  genommen,  das  den  jetzigen  Vorstand  der  kgl.  öflFentl.  Bib- 
liothek, Oberstudienrat  August  Wintterlin,  zum  Verfasser  hat:  es 
sind  die  im  Jahre  1895  erschienenen  Württembergtschen  Künstler  in 
Lebensbildern,  Im  argen  aber  liegt  die  württembergische  Rechts- 
und Verfassungsgeschichte  die  früher  in  so  glänzender  Weise  von 
den  beiden  Moser,  von  Spittler,  von  Wächter,  Reyscher,  Mohl 
u.  a.  behandelt  worden  ist  Die  Juristen  versagen  seit  der  Gründung  des 
neuen  deutschen  Reiches  für  solche  Studien  gänzlich ;  von  dem  Archiv- 
sekretär Friedrich  Wintterlin  ist  jedoch  eine  Geschichte  derwürttem- 
be^ischen  Verwaltung  zu  erwarten.  Fast  ebenso  schlimm  steht  es  mit 
der  Wirtschaftsgeschichte,  von  der  noch  kaum  die  rohesten  äufseren 
Umrisse  gezeichnet  sind ;  doch  ist  für  die  Besiedlungsgeschichte  neuer- 
dings ein  reges  Interesse  erwacht,  und  zur  Behandlung  der  württem- 
bergischen Finanz-  und  Gewerbegeschichte  hat  in  dankenswerter  Weise 
der  Tübinger  Nationalökonom  Professor  Neu  mann  seine  Schüler  auf- 
zumuntern gesucht;  aus  seiner  Anregung  heraus  hat  die  Geschichte 
der  Calwer  Zeughandlungscompagnie  und  ihrer  Arbeiter  durch  Walter 
Tröltsch  1897  ^^^^  erschöpfende  Bearbeitung  gefunden.  Beinahe 
ganz  unbehandelt  ist  die  Geschichte  der  Ackerwirtschafl;  ein  1898 
erschienenes  Werk  über  das  Pflanzenleben  der  Alb  von  Stadt- 
p£arrer  Robert  Gradmann  in  Forchtenberg  konnte  in  einigen  merk- 
würdigen geschichtlichen  Ergebnissen  zeigen,  wie  ausgiebig  hier  eine 
eindringende  Untersuchung  wäre.  Für  die  wirtschaftliche  Entwicklung 
Württembei^s  im  XIX.  Jahrhundert  ist  wenigstens  in  den  vom  Stati- 
stisch-topographischen Landesamt  herausgegebenen  Württembergischen 
Jahrbüchern  ein  reichhaltiges  statistisches  Material  gesammelt;  es  wirkt 
hier  die  epochemachende  Thätigkeit,  die  Gustav  Rümelin  in  den 
sechziger  Jahren  entfaltet  hat,  fruchtbringend  nach.  Für  die 
hmg  der  Volksüberlieferungen  ist  seit  dem  Tode       c 


—     54     — 

listen  Ernst  Meyer  und  des  Germanisten  Birlinger  sehr  wenig  ge- 
schehen ;  nun  aber  ist  eben  durch  das  rührige  Vorgehen  des  Professors 
Bohnenberger  in  Tübingen  eine  Vereinigung  für  Volkskunde  entstanden 
und  hat  mit  dem  Statistischen  Landesamt  eine  Übereinkunft  geschlossen, 
nach  der  beide   die  Verarbeitung  der  volkstümlichen  Überlieferungen 
gemeinschaftlich    veranstalten    wollen.     Mit    der   Anhänglichkeit    der 
Schwaben  an  ihr  schönes  Heimatland  hängt  es  zusammen,  dafs  allent- 
halben ein  reges  Interesse  für  die  Lokalgeschichte  vorhanden  ist. 
Es  bestehen  in  den  bedeutenderen  Städten  rührige  Lokalvereine,  so  in 
Heilbronn,  in  Reutlingen,  in  Cannstatt  und  Ludwigsburg.     Stadt-  und 
Ortschroniken  werden  da  und  dort  bearbeitet;   so  sind  in  den  letzten 
Jahren  schöne  Arbeiten  von  Meifsner  [Das  Dorf  Kleinbottwar,  1896) 
\MA\a2,n%{Hatü)ersbronn  an  der  Wieslauf,  1899)  herausgekommen; 
die  Geschichte  der  Reichsstadt  Schwäbisch-Hall  ist  von  Julius  Gmelin 
dargestellt  worden  (Hällische  Geschichte,    1896 — 1899^.     Einzig  in 
ihrer  Art  ist  aber  die  eingehende  Bearbeitung  der  Orts-  und  Bezirks- 
geschichte in  den  64  vom  statistisch-topographischen  Landesamt  heraus- 
gegebenen Oberamtsbeschreibungen,  von  denen  nun  die  ältesten  unter 
der  sachkundigen  Redaktion   von  Julius  Hartmann   bereits  in  zweiter 
Auflage   erscheinen;    eine  kurze  Zusammenfassung  haben  sie  erfahren 
in    dem    dreibändigen    sehr    zuverlässigen    Werk    Das    Königreich 
Württemberg,    das    ebenfalls    in    zweiter   Auflage    vorliegt.     Unsere 
Übersicht  mag  mit  einem  Blick  auf  den  Stand  der  Geschlechter- 
geschichte geschlossen  werden.     Dem  Interesse,   das   die  Familien 
unseres  hohen  Adels  an  der  Geschichte  ihrer  Ahnen  nehmen  und  das 
sie  die  sehr  bedeutenden  Kosten  nicht  scheuen  läfst,  um  die  Quellen 
sammeln  und  sie  in  systematischen  Darstellungen  bearbeiten  zu  lassen, 
verdanken   einige  in  der  jüngsten  Zeit  begonnene  Publikationen  ihre 
Entstehung;   so  die  Geschichte  des  fürstlichen  Hauses  Waldburg  von 
Pfarrer  Vochezer  in  Hofis,   deren  zweiter  Band  bald  erscheinen  soll, 
ferner  das  von  dem  Verfasser  dieser  Übersicht   bearbeitete  Hohen- 
lohischc  Urkundenbuch ,  dem  eine  Geschichte  des  Hauses  Hohenlohe 
noch  folgen  wird. 

Verhältnismäfsig  viel  geschieht  für  die  Popularisierung  des  ge- 
schichtlichen StoflFes,  was  durch  den  hohen  Stand  unserer  allgemeinen 
VolksbUdung  imd  die  allenthalben  verbreitete  Lust,  mit  der  Vergangen- 
heit der  Heimat  bekannt  zu  werden,  hervorgenifen  ist.  Die  Tages- 
zeitungen, besonders  der  „Schwäbische  Merkur*'  mit  seiner  Schwä- 
bischen Chronik  und  der  „Staatsanzeiger'*  mit  seiner  besonderen 
Beilage,  widmen  der  Landesgeschichte  verhältnismäfsig  viel  Raum,  und 


~     66     — 

die   Blätter    des    Schwäbischen   Albvereins ,    des   Württembergischen 
Schwarzwaldvereins,  femer  das  „  Schwabenland  **,  ersetzen  weiten  Volks- 
kreisen die  früher  beliebteren  Darbietungen  der  Altertumsvereine,  die 
vielen  jetzt  zu  wissenschaftlich  gehalten  sind.     Eine   dem  populären 
Bedürfriis   dienende  Publikation  sind  die    von  Julius  Hartmann    nach 
Schweizerischem  Vorbild  im  Jahre  1884  ins  Leben  gerufenen  Würt- 
tembergtschen  Neujahrsblätter.     Im   allgemeinen  ist  es  nur  zu  bil- 
ligen, dais  die  früher  übliche  Art,  auch  rein  wissenschaftliche  Unter- 
suchungen  durch  populären  Stil  zugleich   einem  gröfeeren  Publikum 
mundgerecht  zu  machen,  ein  Bestreben,  das  notwendig  zu  Halbheiten 
iuhren   mu(s,   neuerdings  mehr  und  mehr  einer  Scheidung  der  rein 
wissenschaftlichen  und  der  rein  populären  Darstellung  weicht,   womit 
aber  nicht  gesagt  sein  wUl,    dafs    nicht  auch  die  wissenschaftlichen 
Werke   und  Abhandlungen  in  sorgfältig  ausgearbeiteter  und  schöner 
Form  vor  ihre  Leser  treten  sollen.     Dem  regen  Interesse  an    dem 
populär  gefaxten  Geschichtsstoff  entspricht  in  Württemberg  die  wissen- 
schaftliche Durcharbeitung  wohl  zu  wenig;  es  ist  jedoch  kein  Zweifel, 
dafe,  wie  die  Forschung  leidet,  wo  ihr  nicht  die  Teilnahme  lebendig  inter- 
essierter Kreise  entgegenkommt,  so  auch  die  populäre  Geschichtsdarstel- 
long  verkümmern  muis,  wenn  sie  nicht  immer  an  der  fortschreitenden 
Wissenschaft  sich  erfrischen  und  orientieren  kann.    Die  geringere  Be- 
teiligung  an  der  wissenschaftlichen  Erforschung  ist  auch  der  Grund, 
dais  die    arbeitenden  Kräfte  fast  gänzlich  in   der  noch  viel  zu  wenig 
tief  ausg-eschöpften  Landesgeschichte  aufgehen,    dafe   diese  so  selten 
den  Ausgangspunkt  für  umfassendere  Untersuchungen  bUdet,  auch  da, 
wo  wie    in   der  Geschichte  der  Alamannenzeit ,   der  hohenstaufischen 
Periode,  der  Minnesänger,  des  Schwäbischen  Städtebundes,  des  Bauern- 
krieges  sich   die  Landes-   und  Reichsgeschichte   besonders  nahe  be- 
rühren,   dafe  infolge  davon   verhältnismäfeig  wenig  neue  Anregungen 
für  die  Forschung  aus  Württemberg  in  die  anderen  deutschen  Länder 
kommen.     Es  bleibt  doch  der  Eindruck,  dafs  die  reichen  Begabungen 
nicht  voll  ausgenützt  sind.    Die  hoch  angesehene  Stellung,  die  unser 
Land  im  deutschen  Geistesleben  über  die  ganze  erste  Hälfte  unseres 
Jahrhunders  eingenommen  hat,  erscheint  heute  vielfach  verloren;   das 
gut  für  die  Wissenschaft  wie  für  die  schöne  Litteratur.     Es  können 
aber  die  Vorbedingungen,  unter  denen  die  Talente  sich  zu  entfalten 
im  Stande  sind,   mit  weiser  Einsicht  geschafTen,   die  Hemmnisse  ent- 
fernt,  die  Aufgaben  klar  erkannt  werden;   dann  wird  ein  neues  Auf- 
blühen auch  nicht  ausbleiben. 


1 


56 


Mitteilungen 


Yersaniinllingeil.  —  Die  Konferenz  deutscher  Archivare 
in  Dresden  und  der  erste  deutsche  Archivtag  in  Strafsburg. 
Am  i8.  und  19.  September  d.  J.  trat  in  Dresden  die  vom  Kgl.  Sächsischen 
Kriegsministerium  einberufene  Konferenz  deutscher  Archivare  zusammen^ 
welche  das  vom  Oberstabsarzt  Dr.  Schill  im  dortigen  hygienisch-chemischen 
Laboratorium  erprobte  Ver^ihren,  zerfallende  Archivalien  durch  Imprägnierung 
mit  Zapon  zu  fixieren  und  zu  konservieren,  prüfen  sollte.  Dr.  Schill  hat 
das  Zapon,  eine  Lösung  völlig  farblosen  Celluloids  in  ebenso  rasch  wie  spur- 
los verdunstendem  Amylacetat  oder  verwandten  Lösungsmitteln,  zuerst  und 
zwar  seit  etwa  9  Jahren  mii  Erfolg  benutzt,  um  Manöverkarten  wasser-  und  wetter- 
beständig zu  machen;  noch  überraschender  war  die  Wirkung  des  Mittels 
auf  die  modernden  Schreibstofife ,  deren  Erhaltung  für  die  Archivare  bisher 
eine  endlose  Sorge  war.  Systematisch  angestellte  und  hinreichend  lange 
fortgesetzte  Versuche  haben  gezeigt,  dafe  die  Zapon-Imprägnierung  dem  Fort- 
wuchem  der  Schimmelpilze  Einhalt  thut,  und  die  mit  ihm  behandelten  Stofife 
gegen  die  Einwirkung  von  Wasser  und  Säuren  schützt.  Am  bedeutsamsten 
für  die  Praxis  ist  aber  die  Thatsache,  dafs  selbst  das  mürbste  Papier,  welches 
schon  bei  leichter  Berührung  sich  in  Staub  auflösen  möchte,  durch  die 
Zaponienmg  gewissennafsen  seine  alte  Natur,  d.  h.  Konsistenz  und  Biegsam- 
keit, wieder  erhält,  und  dafs  zugleich  bei  der  in  der  Regel  erwünschten 
Festigung  und  Egalisierung  der  zerfetzten  Ränder,  am  zweckmäfsigsten  mittels 
japanischen  Pfianzenpapiers ,  das  Zapon  selbst  das  Bindemittel  abgiebt,  das 
lästige,  unsaubere  und  stets  mit  einem  gewissen  Risiko  verbundene  Hantieren 
mit  anderen  Klebstoffen  also  ganz  fortfällt. 

Ja  bei  einzelnen  Blättern,  welche  durch  Modem  schon  in  Bruchstücke 
zerfallen  sind,  die  der  leiseste  Hauch  durcheinander  zu  werfen  droht,  lassen 
sich  diese  in  ihrer  gegenseitigen  Lage  durch  Übergiefsen  einer  hinreichenden 
Menge  Zapons  fixieren,  welches  die  Fragmente  durch  Celluloidhäutchen  an- 
einanderheftet, die  zwar  äufserst  fein  sind,  aber  doch  genügende  Sicherheit 
bis  zu  demnächstiger  gründlicher  Behandlung  mit  Überfiamgpapier  bieten. 
Gewisse  Schwierigkeiten  können  nur  bei  dickeren  Aktenheften  oder  Manu- 
skripten entstehen.  Das  Auseinandernehmen  derselben,  tun  die  einzelnen 
Bogen  getrennt  zu  behandeln,  wird  selten  ratsam  erscheinen,  vielfach  dagegen 
durch  den  Zustand  des  Materials  sich  direkt  verbieten.  Eine  befriedigende 
Methode  zur  „Zaponienmg  im  Ganzen'*  ist  noch  nicht  ermittelt;  z.  Z.  ist 
allein  bedächtiges,  wenn  auch  langwieriges,  allmähliches  Fortschreiten  an- 
zuraten, indem  man  nicht  mehr  als  je  zwei  einander  gegenüberstehende  Blätter 
gleichzeitig  präpariert;  zur  Isolierung  der  in  Behandlung  befindlichen  Blätter 
von  den  übrigen  empfehle  ich  Paraffin-Papier.  Die  in  Dresden  zu 
diesem  Zwecke  vorgeführten  Drahtnetze  sind  bei  gleichzeitiger  Inangriff- 
nahme einer  gröfseren  Anzahl  von  Blättern  nicht  zu  entbehren,  weil  sie  die 
zum  Verdunsten  des  Lösungsmittels  notwendige  Luftzirkulation  gestatten ;  ich 
halte  jedoch  ein  solches  Engros -Verfahren  aus  verschiedenen  Gründen  nicht 
für  zweckmäisig,  zumal  die  Drahtnetze  die  Operation,  insbesondere  für  kleinere 
Archive,   umständlicher  und  kostspieliger  machen.     Das  Verfahren  ist  sonst 


—     57     — 

das  denkbar  einfachste ;  eines  gröfseren  Apparates  von  Tauchcylindem,  Tauch- 
schalen, Trockengestellen  und  dergleichen  bedarf  es  nicht.  Da  ich  unter 
allen  Umständen  das  Übergiefsen  empfehle,  genügen  einige  Bogen  immer 
wieder  zu  verwendenden  Paraffinpapiers,  eine  mit  Ausgufs  versehene  Schale^ 
ein  Pinsel  zum  Verteilen  und  eventuell  einige  Streifen  dicken  Glases  von  ver- 
schiedener Länge,  tun  sich  zu  möglichst  ökonomischer  Verwendung  des  Zapons 
auf  dem  zu  präparierenden  Objekt  selbst  eine  Art  von  Schale  herstellen  zu 
können. 

Mit  der  bisher  besprochenen,  allerdings  bedeutsamsten  Verwertung  des 
Zapons  ist  aber  seine  Anwendung  in  der  archivalischen  Praxis  durchaus  nicht 
erschöpft,  es  scheint  dasselbe  vielmehr  berufen,  eine  Art  von  archivalischem 
Universalmittel  zu  werden.  Proben  von  der  Fixierung  modernder  Wachssiegel 
durch  Zapon  habe  ich  in  Dresden  und  Strafsburg  vorlegen  können;  für  iüle 
Alten  von  Metallsiegeln  liegt  der  Vorteil  der  Zaponierung  auf  der  Hand ;  da 
das  Zapon  weder  Tinten  noch  Farben  angreift,  andrerseits  aber  auf  zaponierten 
Unterlagen  geschrieben  und  gemalt  werden  kann,  so  eignet  sich  das  Mittel 
zum  Fixieren  von  Zeichnungen  und  Handschriftengemalden  sowie  zum  Festigen 
der  Wasserfarben  bei  der  Bearbeitung  von  Karten,  wenn  es  sich  darum 
handelt,  mit  neuen  Farben  über  Schrift  oder  Kolorit  hinwegzugehen ;  Signaturen 
an  Schränken,  auf  Manuskripten  tmd  Akten  werden  vor  der  allmählichen 
Zerstörung  durch  Luft  und  Staub,  blanke  Metallteile  vor  dem  Rosten  ge- 
schützt (die  in  meinem  Archive  vielfache  Anwendung  findenden  eisernen 
Lmeale  habe  ich  auf  das  wirksamste  so  behandelt)  u.  s.  w.  u.  s.  w. 

Was  die  gegen  das  Zaponverfahren  erhobenen  Bedenken  anlangt,  so 
vermag  ich  denselben  für  die  Praxis  keine  Bedeutung  beizulegen.  Sollte  die 
Brennbarkeit  eines  zaponierten  Papiers  wirklich  etwas  gröfser  sein  als  die 
eines  unzaponierten,  was  übrigens  nicht  der  Fall  zu  sein  scheint  —  bei  von 
mir  angestellten,  anscheinend  das  Gegenteil  bekundenden  Versuchen  konnte 
noch  nicbt  das  von  Dr.  Schill  ausschliefslich  empfohlene  tadellose  Präparat 
der  Fabrik  von  Dr.  Perl  &  Co.  in  Berlin  benutzt  werden  — ,  so  ist  dem 
g^enüber  hervorzuheben,  dafs  es  doch  eine  der  Hauptbestrebungen  der 
modernen  Archivtechnik  ist,  die  Archive  überhaupt  gegen  Feuer  zu  sichern. 
Da  es  femer  niemand  einfallen  wird,  ganze  Archive  zu  zaponieren,  so  kann 
es  sich  immer  nur  um  einzelne,  verhältnismäfsig  sehr  kleine  Gruppen  handeln, 
die  mehr  gefährdet  wären.  Aber  auch  da  schwindet  alle  Sorge  gegenüber 
der  Thatsache,  dafs  man  immer  mehr  und  mehr  sich  angelegen  sein  läfst, 
auch  den  Akten  eine  feste  Umhüllung  durch  Mappen,  Kartons,  Enveloppen 
zu  geben,  deren  schwer  entflammbares  Material  einen  nicht  zu  verachtenden 
Schutz  gegen  das  erfehrungsmäfsig  bei  Feuersgefahr  meistens  nur  an  den 
Rändern  stattfindenden  Verkohlen  von  Aktenpacketen  bietet.  Gebe  man 
also,  wenn  man  ängsdich  ist,  zunächst  allen  zaponierten  Stücken  eine  solche 
besondere  Schutzhülle! 

Es  wurde  weiter,  an  sich  mit  Recht,  eingewendet,  dafs  nach  der  Zapon- 
imprägniemng  die  Anwendimg  von  Reagentien,  resp.  die  von  der  Chemie 
zu  erhoffende  Beseitigung  der  durch  unverständiges  Wüten  mit  Reagentien 
angerichteten  Schäden  unmöglich  sei.  Solche  Fälle  bilden  aber  in  der  Archiv- 
wie  in  der  Bibliothekspraxis  doch  nur  Ausnahmen;  die  Entscheidung  über 
die  Anwendung  des  Zapons   soll  nicht  von  den  alles  nach  einem  Schema 


—     58     — 

behandelnden  Subaltemorganen ,  sondern  von  dem  seiner  Verantwortung  be- 
wufsten  Fachmanne  abhängen,  der  es  sich  zur  Pflicht  machen  wird,  alle 
Schriftstücke,  über  deren  Inhalt  aus  schreibtechnischen  Gründen,  wie  die  er- 
örterten, Zweifel  bestehen  oder  entstehen  können,  vorläufig  von  der  Im- 
prägnierung auszuschliefsen.  Er  wird  auch  in  diesen  Fällen  stets  in  der 
Lage  sein,  einen  provisorischen  Schutz  durch  feste  Bettung  zwischen  durch- 
sichtigen, biegsamen  Celluloidplatten ,  schlinmisten  Falles  durch  Überlegen 
von  Glas  zu  schaffen.  Feste  Regeln  lassen  sich  hier  nicht  geben,  der  Findig- 
keit und  technischen  Geschicklichkeit  der  Beamten  mufs  alles  überlassen 
bleiben. 

In  der  überwiegenden  Mehrzahl  praktischer  Fälle  wird  aber  das  Zapon 
sich  als  ein  überaus  segensreiches  Mittel  in  den  Händen  derer  erweisen, 
welchen  die  Hut  und  die  Pflege  der  schriftlichen  Denkmäler  der  Vergangen- 
heit anvertraut  ist  Aus  den  in  Dresden  stattgehabten  Erörterungen  und  Vor- 
flihnmgen  hat  sich  denn  auch  diese  Perspektive  für  alle  Teilnehmer  an  der 
Konferenz  sichtlich  ergeben.  Es  mufste  daher  einigermafsen  überraschen, 
dafs  als  Ergebnis  der  Verhandlungen  beschlossen  wurde,  die  auf  der  Kon- 
ferenz vertretenen  Regienmgen  pp.  zu  ersuchen,  „durch  ihre  Archivare 
Versuche  mit  der  Zaponimprägnierung  anstellen  lassen  zu 
wollen". 

Der  Archivar  ist  gar  nicht  in  der  Lage,  die  von  Dr.  Schill  systematisch 
im  Laboratorium  angestellten  Versuche  experimentell  nachzuprüfen.  Der 
chemische  Teil  der  Frage  ist  für  ihn  durch  Schills  Untersuchungen  erledigt, 
die  praktische  Anwendbarkeit  steht  aufser  Frage;  es  bleibt  ihm  nur  übrig, 
durch  eigene  Versuche  sich  mit  der,  übrigens  spielend  leichten,  Technik  ver- 
traut zu  machen.  Ihrer  Anerkennung  der  überraschenden  Zweckmäßigkeit 
des  Verfahrens  und  zugleich  ihrem  Dank  für  die  Bemühungen  der  Dresdener 
Gelehrten  tun  dasselbe  hätte  die  Versammlung  entsprechenderen  Ausdruck 
geben  können,  indem  sie  den  Regienmgen  pp.  die  Zaponmethode  empfahl 
mit  dem  Ersuchen,  durch  ihre  Archivare  praktische  Versuche  zu  möglichster 
Vereinfachung  und  Verallgemeinerung  der  Methode  anstellen  zu  lassen,  fUr 
welche  der  von  Dr.  Schill  im  Auftrage  des  Sächsischen  Kriegsministeriimis 
bearbeitete  Leitfaden  (Dresden  1899,  Verlag  des  „Apollo",  Franz  Hoflönann) 
als  Grundlage  zu  dienen  habe. 

Immerhin  ist  durch  den  Schlufssatz  der  Resolution,  wonach  um  Mit- 
teilung der  Resultate  der  bezüglichen  Erhebungen  an  das  Sächsische  Haupt- 
staatsarchiv gebeten  wird,  dafür  gesorgt,  dafs  die  Angelegenheit  in  Fluüs 
bleibt.  Freilich  wäre  es  erwünscht  gewesen,  wenn  zugleich  der  Hoffiiimg 
Ausdruck  gegeben  worden  wäre,  die  beteiligten  Regierungen  möchten  ihre 
Geneigtheit  zu  weiterer  wirksamer  Mitarbeit  dadurch  bekunden,  dafs  sie  ihre 
Archivare  in  die  Lage  setzen,  auf  einer  neuen,  von  Amts  wegen  zu  berufenden 
Konferenz  die  gemachten  Erfahrtmgen  zu  diskutieren. 

Die  Konferenz  beschlofs  weiter,  die  beteiligten  Regierungen  zu  ersuchen, 
über  die  Ergebnisse,  welche  fUr  die  Liefenmg  und  Prüfung  von  Papier  zu  amt- 
lichen Zwecken,  bezw.  fUr  Verwendung  von  guten,  das  Papier  nicht  gefähr- 
denden Tinten  u.  s.  w.  etwa  erlassene  Vorschriften  gehabt  haben,  Erhebtmgen 
anzustellen,  dieselben  bekannt  zu  geben,  und  ebenfalls  dem  Sächsischen  Haupt- 
staatsarchiv mitzuteilen. 


—     59     — 

Stand  dieser,  schon  in  dem  einleitenden  Referat  des  Oberregierungsrats 
Dr.  Posse  ausführlich  behandelte  Gegenstand  mit  dem  Programm  der  Kon- 
ferenz nur  in  losem  Zusammenhange,  so  hätte  dagegen  die  im  Laufe  der 
Verhandlung  auf  den  Plan  getretene  wichtige  Frage  nach  dem  Wesen  und 
der  Anwendung  der  Tintenreagentien  es  wohl  verdient,  durch  ausdrückliche 
Aufioahme  in  die  Resolution  der  amtlichen  Fürsorge  der  beteiligten  Regie- 
mngen  u.  s.  w.  empfohlen  zu  werden.  Statt  dessen  wurden  Oberregierungsrat 
Dr.  Posse  und  Corpsstabsarzt  Dr.  Schneider  (welcher  durch  Vorführung  der 
bisher  üblichen  Reagentien  sich  ein  grofses  Verdienst  imi  die  Versammlung 
erwarb)  gewissermafsen  privatim  gebeten,  die  Reagentienfrage  wissenschaftlich 
zu  prüfen.  Die  Benutzung  des  Laboratoriums  des  Sächsischen  Kriegs- 
ministeriums wurde  dafür  in  Aussicht  gestellt,  und  damit  scheint  wenigstens 
die  chemisch  -  fachmännische  Behandlung  dieses  bisher  wildem  Empirismus 
anheim  gefallenen  Schmerzenskindes  der  Handschrif^enkunde  gesichert. 

Von  den  gesellschaftlichen  Genüssen,  welche  nach  des  Tages  Arbeit  in 
vornehmster  Form  der  Versammlung  geboten  wurden,  soll  hier  nicht  die 
Rede  sein,  zu  gedenken  ist  aber  der  Besichtigung  des  bei  reichen  Mitteln 
mit  Verwertung  aller  modernen  technischen  Erfahrungen  neuerbauten  Kriegs-  ^ 
archivs.  Eines  vielleicht  altmodischen  Gedankens  vermochte  ich  mich  bei 
der  Betrachtung  des  schönen  Bauwerks  nicht  zu  erwehren.  Während  in  den 
Arbeitszimmern  alles  für  eine  praktische  und  zugleich  vornehm -behagliche 
Einrichtung  geschehen  ist,  machen  die  Aufbewahrungsräume  der  Archivalien, 
wie  sie  hier  imd  bei  anderen  archivalischen  Neubauten  überhaupt  angeordnet 
sind,  mit  den  nackten  Eisenkonstruktionen,  den  erdrückend-niedrigen  eisernen 
Gitterfuisböden  den  Eindruck  eines  Gefängnisses,  nicht  einer  Rüstkanmier 
freier  Forschimg.  Der  Archivar  kann  hier  nicht  mehr  unter  seinen  Archivalien 
leben;  sie  sind  so  lange  tote  Ntunmem,  bis  die  Hand  des  Dieners  sie  heraus, 
ans  Licht  im  eigentlichen  Sinne  befördert  —  gerade  die  Beleuchtungsfrage 
schien  mir  in  dem  Magazin  des  Dresdener  Kriegsarchivs  nicht  überall  glück- 
lich gelöst.  Die  Fachgenossen  seien  übrigens  auf  die  sinnreich  und  einfach 
konstmierten  zusammenschiebbaren  Fenstergitter  in  den  dortigen  Arbeitsräumen 
besonders  aufmerksam  gemacht. 

An  die  Dresdener  Versammlung  schlofs  sich  bald  der  erste  Deutsche 
Archivtag,  welcher  am  25.  September  inStrafsburg  eröfl&iet  wurde.  Den 
Angelpunkt  der  dortigen  Verhandlungen  bildete  der  nachträglich  auf  die 
Tagesordnung  gesetzte  Vortrag  des  vom  Sächsischen  Kriegsministerium  ent- 
sandten Dr.  Schill  in  dem  prächtigen  Lesesaale  der  neuen  Universitätsbibliothek, 
wiederum  über  das  2^ponverfahren.  Der  Eindruck,  den  derselbe  auf  die 
ungemein  zahlreich  versanmielten  Fachgenossen  machte,  wird  für  die  Ein- 
führung und  Ausbildung  der  ausgezeichneten  Konservierungsmethode  förder- 
samer  sein  als  die  diplomatisch  gefafste  Resolution  der  Dresdener  Konferenz. 
Die  übrige  Tagesordnimg  mufste  sich  wegen  dieser  nicht  vorhergesehenen 
willkommenen  Erweiterung  starke  Einschränkungen  gefallen  lassen.  Die  geist- 
reichen, scharf  und  klar  die  Zustände  darlegenden  und  das  Notwendige 
formulierenden  Vorträge  des  Archivdirektors  Prof.  Dr.  Wiegand- Strafsburg 
über  die  wissenschaftliche  Vorbildung  des  Archivars,  und  des  Regierungsrats 
Dr.  Ermisch -Dresden  über  die  Beziehungen  der  Staatsarchive  zu  den  Re* 
gistraturen   und  Archiven  der  Verwaltungs-   und  Justizbehörden,   bei  denen 


—     60     — 

auch  die  vielfach  noch  so  unzulängliche  Fürsorge  der  deutschen  Staaten  fiir 
standesgemäfse  Dotierung  ihrer  Archivbeamten  gewürdigt  wurde,  werden  ihren 
Eindruck  auf  den  Einzelnen  nicht  verfehlt  haben.  Da  sie  sich  aber  lediglich 
als  akademische  Erörterungen  de  lege  ferenda  gaben  und  bezügliche  Reso- 
lutionen nicht  gefafst  wurden,  dürften  ihre  Anregimgen  leicht  verfliegen,  wenn 
nicht  der  zweite  Archivtag,  welcher  im  Herbst  1900  in  Dresden  tagen  soll, 
die  Fragen  von  der  praktischen  Seite  anfafst.  Reichsarchivrat  Dr.  Wittmann- 
München  schränkte  seinen  Vortrag  über  Archivbenutzungsordnungen  dahin 
ein,  dafs  er  die  Fortschritte  schilderte,  welche  die  jüngste  Bayrische  Archiv- 
benutzungsordnung bietet;  im  übrigen  verhiefs  er  Mitteilung  seines  Vortrages 
durch  den  Druck. 

Eine  solche  wäre  überaus  erwünscht.  Um  das  Bewufstsein  organischer 
Zusammengehörigkeit  unter  den  deutschen  Archiven  und  Archivaren  zu 
fördern,  um  nicht  zu  sagen:  zu  wecken,  ist  es  von  Bedeutung,  dafs  ein 
jeder  xpm  anderen  wisse,  nach  welchen  Regeln  sich  ihm  der  Verkehr  mit 
dem  wissenschaftlichen  Publikum  gestaltet.  Aber  noch  anderes  ist  von 
nöten.  Wir  bedürfen  einer  Statistik  der  deutschen  Archive  und  ihrer  Be- 
amten. Das  Burkhardtsche  Adressbuch  (1887)  ist  veraltet;  das  Jahr  1900 
bildet  einen  so  prägnanten  Markstein  unserer  Zeitgeschichte,  dafs  es  zur  Neu- 
aufstellung  eines  solchen  Verzeichnisses  geradezu  herausfordert;  in  bestimmter 
Wiederkehr  wären  Neuredaktionen  vorzunehmen;  die  inzwischen  stattfindenden 
Personalverändenmgen  hätten  etwa  die  Deutschen  Geschichtsblätter  zu  re- 
gistrieren. In  das  Detail  der  Repertorien  eindringende  Inhaltsübersichten  der 
Archive  —  nicht  Inventare  —  nach  gemeinsamem  Plane  wären  zu  veröffent- 
lichen ;  nicht  minder  aber  Berichte  über  die  technischen  Einrichtungen  jedes 
Archivs. 

Die  Vertrautheit  mit  allen  üblichen  Methoden  der  Archivtechnik  ist  die 
beste  Gewähr  für  eine  gesunde  Entwicklung  des  Archivwesens.  Der  Strafs- 
burger  Archivtag  schien  diesem  Zwecke  förderlich  werden  zu  sollen,  da  mit 
ihm  eine  Ausstellung  von  Archivutensilien  verbunden  wurde.  Der  Erfolg  war 
jedoch  kläglich.  Von  Archiven  hatten  sich  das  Oberösterreichische  Landes- 
archiv in  Linz,  das  GrofsherzogUch  Oldenburgische  Haus-  und  Zentralarchiv 
und  das  Gräflich  Erbachsche  Archiv  beteiligt.  Die  Überfülle  der  Tages- 
ordnung des  Archivtages  und  der  Umstand,  dafs  die  meisten  der  anwesenden 
Archivare  auch  als  Delegierte  der  zugleich  ihre  Generalversammlung  abhalten- 
den Geschichtsvereine  fungierten,  dadurch  aber  übermäfsig  in  Anspruch  ge- 
nommen waren,  wurde  Veranlassung,  dafs  die  wenn  auch  kleine,  so  doch  immer- 
hin lehrreiche  Ausstellung  im  Gebäude  des  Bezirksarchivs  so  gut  wie  vergessen 
wurde.  Aufser  den  Vertretern  zweier  beteiligter  Archive  habe  ich  während 
der  nachträglich  zur  Besichtigung  angesetzten  Stunde  drei  Archivare  nebst 
einem  Universitätsprofessor  als  Besucher  registriert  Und  doch  verzeichnete 
die  Präsenzliste  des  Archivtages  81  Namen! 

Soll  den  vorgetragenen  Wünschen,  mit  denen  ich  sicherlich  nicht  allein 
stehe,  Rechnung  getragen  werden,  so  ist  es  notwendig,  dafs  aus  den  Archiv- 
tagen sich  bald  eine  Zentralvertretung  für  die  wissenschaftlichen  und  praktischen 
Aufgaben  und  Interessen  des  deutschen  Archivstandes  entwickele,  wie  andere 
wissenschaftiiche  Berufsstände  sie  bereits  besitzen. 

Aus  den  Verhandlungen  der  Generalversammlung   der   deutschen  Alter- 


—     61      — 

tums-  und  Geschichtsvereine  hebe  ich  hier  nur  den  Bericht  über  das  erfreuliche 
Fortschreit^i  der  Grundkarten  —  über  den  gegenwärtigen  Stand  dieser  Frage 
unterrichtet  Lamprechts  Aufsatz  oben  S.  33  —  hervor,  um  die  Bemerkung  an- 
zuknüpfen, dafs  ich  den  Eindruck  empfangen  habe,  als  stünden  die  deutschen 
Archiwerwaltungen  im  allgemeinen  diesem  überaus  wichtigen  Unternehmen  noch 
zu  kalt,  ja  teilweise  sogar  ablehnend  gegenüber.  Wo  Archivare  dabei  thätig 
sind,  erscheinen  sie  wohl  stets  als  Vertreter  intelligenter  imd  leistungsfähiger  Ge- 
schichtsvereine. Und  doch  läfst  sich  eine  wirklich  erfolgreiche  Arbeit  auf 
vielen  Gebieten  der  archivalischen  Thätigkeit  ohne  begleitendes,  die  Grenzen 
der  modernen  Staatsverbände  oft  genug  überschreitendes  Kartenzeichnen  gar 
nicht  denken;  dieses  wird  aber  ungemein  erleichtert,  oft  genug  erst  ermög- 
licht werden,  vor  allen  Dingen  aber  wird  es  der  Geschichtswissenschaft  im 
allgemeinen  in  Wahrheit  erst  dann  zu  gute  konmien  können,  wenn  der 
Archivar  bei  dieser  Arbeit  sich  für  das  eigene  Land  wie  für  die  Nachbar- 
territorien der  auf  einheitlichen  Mafsstäben  beruhenden  Grundkarten  be- 
dienen kann. 

£^e  schöne  Aufgabe  wäre  es  für  die  deutschen  Archiwerwaltungen 
gewesen,  die  Leitung  der  Grundkarten-Bewegung  gemeinsam  in  die  Hand  zu 
nehmen;  so,  wie  die  Dinge  jetzt  liegen,  mögen  sie  es  sich  wenigstens  an- 
gelegen sein  lassen,  mit  allem  Nachdruck  für  ihre  Förderung  einzutreten. 

G.  Seile  -  Oldenburg. 

Von  den  Vorträgen,  welche  die  45.  Versammlung  deutscher 
Philologen  und  Schulmänner  während  ihrer  Tagung  in  Bremen  vom 
26.  bis  30.  September  gebracht  hat,  seien  hier  drei  besonders  erwähnt,  die 
in  engerer  Beziehung  zur  landesgeschichtlichen  Forschung  stehen,  während 
wir  im  übrigen  auf  die  in  Vorbereitung  befindlichen  und  bei  B.  G.  Teubner 
in  Leipzig  erscheinenden  offiziellen  Verhandlungsberichte  verweisen.  Prof. 
Hirt  (Leipzig)  behandelte  die  Herkunft  der  indogermanischen 
Völkern-amen  und  führte  etwa  aus:  Die  Völkemamen  der  Indogermanen 
bieten  ein  sprachlich  wie  geschichtlich  wertvolles  Material,  aber  die  vielen 
jüngeren  Erklänmgsversuche  verdienen  kein  allzu  grofses  Vertrauen,  weü  ihre 
sprachhche  Behandlung  grofse  Mängel  aufweist  Will  man  den  Sinn  von 
Worten  feststeUen,  deren  Bedeutung  nicht  überliefert  ist,  so  gilt  es  zuerst  die 
Suffixe  zu  betrachten,  weÜ  wir  deren  Bedeutung  am  ehesten  bestimmen  können. 
Für  die  Völkemamen  ergiebt  sich  so  zweierlei:  erstens  finden  wir  Suffixe, 
die  deutlich  patronymisch  sind,  wie  germ.  -ing,  -ung  (Thuringi,  Mero- 
^j^gi)»  -aeon  (Ingwaeones,  Frisaeones),  -jo  (Frisii,  vgl.  gr. 
Aia^  TtXufidviog) ^  ital.  -Inus,  die  Zugehörigkeit  bezeichnend,  u.  a.,  imd 
zweitens  finden  wir  solche,  die  in  Kosenamen  verwendet  werden.  Fürs  Indo- 
germanische gilt  aber  die  Regel,  dafs  der  Dual  und  Plural  eines  Wortes 
zwei  oder  mehrere  zusammengehörige  Wesen  bezeichnete.  So  heifst  hom. 
AufLPx^  eigentlich  die  beiden  Ajas,  in  Wirklichkeit  aber  Ajas  und  sein 
Bruder  Teukros;  lat  Castores  bedeutet  Castor  und  Pollux.  Der 
Plural  konnte  den  Geschlechtsherm  und  das  ganze  Geschlecht  bezeichnen, 
lat  Cornelii,  imd  dann  das  Geschlecht  allein. 

Das  Prinzip  der  indogermanischen  Namengebung  ist  längst  erkannt  (vgl. 
Fick,   Oriechisäie  Personennamen).     Alle    Namen  waren  zweistämmip"     -^^ 


—     62     — 

Sigifrid,  Sigimund,  Qf^iaxo-xXrig  u.  s.  w.  Daher  bedeutet  Ermun- 
duri  das  Geschlecht,  die  Sippe  des  Ermundurus,  oder  Sugambri, 
die  Sippe  des  Sugambros.  Zu  diesen  VoUnamen  werden  aber  gern  Kose- 
namen gebildet  So  ist  Wolfo  die  Koseform  zu  einem  zweistämmigen 
Wolf-hart,  Wolfgör  u.  s.  w.  Ebenso  kann  Teuto  zu  Dietrich, 
Diethart  gehören.  Teutones  bedeutet  also  nichts  anderes  als  die  Sippe 
eines  Teuto  (Teutobodus);  Irminones  ist  der  Plural  zu  Irmino, 
der  Koseform  etwa  zu  Ermundurus  oder  anderen  mit  Ermun  zusammen- 
gesetzten Worten.  Auch  -jo  bildet  Kosenamen,  namentlich  im  Italischen, 
Lucius  zu  ^vxo-x,  lat.  Cassius  zu  gall.  Cassi-velaunus.  Unser 
Name  Hessen,  urgerm.  ;(fassioi  ist  also  mit  Cassius  vollständig  iden- 
tisch. Wenn  nun  auch  die  Wiu-zel  kad,  die  dem  Namen  zu  Gnmde  liegt, 
„glänzen"  bedeutet,  so  darf  doch  in  dem  Völkernamen  diese  Bedeutung 
nicht  mehr  gesucht  werden.  Hessen  bedeutet  nichts  anderes  als  die  Nach- 
kommen eines  Cassius.  Mit  diesem  Prinzip  lassen  sich  sehr  viele,  ja  die 
meisten  Völkemamen  erklären,  wenn  auch  nicht  alle.  Jedenfalls  hat  auch 
eine  Erklärung  des  Restes  von  Suffixen  auszugehen.  Was  die  Betrachtung 
der  Sprachform  mit  zwingender  Notwendigkeit  nahelegt,  wird  durch  die 
Heranziehung  der  kulturhistorischen  Thatsachen  auf  das  beste  bestätigt  Die 
Bedeutung  der  Sippe  ist  allbekannt  und  wurde  nur  kurz  angedeutet  Zum 
Schlufs  wurde  darauf  hingewiesen,  dafs  die  Alten  selbst  und  auch  die  nord- 
europäischen Völker  ihre  Stämme  fast  stets  von  einem  gemeinsamen  Stamm- 
vater herleiten,  und  dafs  gar  kein  Grund  vorliegt,  diese  Überlieferung  bei- 
seite zu  schieben.  Der  Vortragende  gedenkt,  das  ganze  Völkernamenmaterial 
der  indogermanischen  Völker  systematisch  zu  bearbeiten,  weil  nur  durch  die 
vergleichende  Betrachtung  der  Grund  festgelegt  werden  kann.  —  Direktor 
Schuchardt  (Hannover)  sprach  über  die  germanisch-römische 
Forschung  im  nordwestlichen  Deutschland  und  zog  darin  die 
Folgerungen  aus  den  seit  Jahren  von  ihm  vorgenommenen  Ausgrabungen. 
Infolge  der  Untersuchungen  Schuchardts  sind  die  sog.  Moorbrücken  d.  h. 
schwinmiende  Wege  im  Moor,  die  bisher  allgemein  für  eine  Erfindung  der 
Römer  galten,  nicht  in  einem  einzigen  Falle  als  römisch  erwiesen  worden, 
wohl  aber  als  germanisch,  und  zwar  gehören  sie  nach  Mafsgabe  der  dabei 
gemachten  Funde  z.  T.  in  karolingische  Zeit,  z.  T.  ins  zweite  und  dritte 
Jahrhundert  vor  Christus,  also  in  die  Zeit  vor  der  Berührung  der  Germanen 
mit  den  Römern.  Auch  die  Grenzwälle,  und  mithin  auch  im  Prinzip  den 
Limes  beansprucht  Redner  als  eine  Einrichtung  der  Germanen.  Die  bisher 
ebenfalls  als  römisch  betrachteten  Kastelle  an  Lippe  und  Ems,  welche  in 
ihrer  Bauart  sich  grundsätzlich  von  den  bekannten  und  als  solche  erwiesenen 
Sachsenburgen  unterscheiden,  zeigen  merkwürdigerweise  engste  Verwandtschaft 
mit  den  nachgewiesenermafsen  von  Karl  dem  Grofsen  während  der  Sachsen- 
kriege  angelegten  Kastellen,  werden  mithin  als  fränkisch  zu  betrachten  sein, 
so  dafs  auch  hier  der  römische  Einfiufs  sich  geringer  erweist,  als  gemeinhin 
angenommen  wird.  Die  Ausfuhrungen  klangen  aus  in  dem  Wunsche,  sich 
mit  dem  germanischen  Altertum  ebenso  lebhaft  zu  beschäftigen  wie  mit  dem 
römischen,  und  nicht  nur  das  Römische  auf  deutschem  Boden  zu  suchen, 
wie  auch  in  einem  Aufsatze  Eömisch- germanische  Altertumsforschung  von 
Alexander  Tille  (Deutsche  Stimmen,  Köln,  Nr.  ii  vom  i.  Sept  1899)  *^" 


—     63     — 

gefuhrt  wurde.  —  Der  Vortrag  von  Direktor  Rohde  (Cuxhaven)  über  die 
Ortsnamenforschung  als  Hilfsmittel  der  Geschichtsforschung 
brachte  eine  Fülle  von  Material  bei,  jedoch  ohne  die  Methode  der  Orts- 
namenforschung zu  behandeln.  Diesem  Mangel  suchte  Dr.  Armin  Tille  (Leipzig) 
durch  einige  Bemerkungen  abzuhelfen,  indem  er  namendich  auf  die  Ver- 
bindung mit  der  Besiedlungsgeschichte  hinwies  und  die  im  Volksmunde 
übliche  Aussprache  des  Ortsnamens,  phonetisch  genau  wiedergegeben,  ab 
Grundlage  für  Untersuchungen  empfahl  und  nicht  die  offiziellen  Namen- 
schreibungen; alle  erreichbaren  älteren  Namensformen  und  auch  der  nicht 
seltene  völlige  Namenswechsel  seien  dabei  zu  berücksichtigen.  Jedenfalls  zeigte 
sich  auch  hier,  dafs  die  Methode  der  Ortsnamenforschung  noch  wenig  ent- 
wickelt ist  und  dafs  sie  wohl  einmal  gründliche  Behandlung  durch  emen  Mann 
verdient,  der  als  Philolog  und  Historiker  gleich  tiefe  Kenntnisse  besitzt. 

£io  gegangene  BQcher. 

Gmelin,  Julius:  Hällische  Geschichte.  Geschichte  der  Reichsstadt  Hall 
und  ihres  Gebietes  nebst  einem  Überblick  über  die  Nachbargebiete. 
Schw.  Hall,  Verlag  von  Ferd.  Staib  (W.  Stöver)  1897.     830  S.  80. 

Hengstenberg,  Hermann:  Das  ehemalige  Herzogtum  Berg  und  seine  nächste 
Umgebung,  beschreibende  und  geschichtliche  Übersicht  Zweite  durch- 
gesehene und  vermehrte  Autlage.  £lberfeld,B.  Hartmann,  1897.   137S.  8<>. 

XXXV.  Jahrcs-Bericht  des  Vorarlberger  Museums- Vereins  über  das  Jahr 
1896.     Bregenz,  im  Selbstverlage.     97  S.  40. 

Käser,  Kurt:  Politische  und  soziale  Bewegung  im  deutschen  Bürgertum  zu 
Beginn  des  16.  Jahrhunderts  mit  besonderer  Rücksicht  auf  den  Speyerer 
Aufstand  im  Jahre  15 12.  Stuttgart,  Druck  und  Verlag  von  W.  Kohl- 
hammer,  1899.     270  S.  8<>.     J^  5. 

Köberlin,  Dr.  Alfred:  Der  Obermain  als  Handelsstrafse  im  späteren  Mittel- 
alter. Erlangen  und  Leipzig,  A.  Deichertsche  Verlagsbuchhaöidlung  Nachf. 
(Georg  Böhme),  1899.  70  S.  8<>.  Ji  1.80.  [Wirtschafts-  und  Ver- 
waltongsstudien  mit  besonderer  Berücksichtigung  Bayerns.  Herausgegeben 
von  Georg  Schanz  IV.] 

Kötting,  G. :  Etymologische  Studien  über  deutsche  Flufsnamen.  24  S.  40. 
[Beilage  zu  dem  Programm  des  Königl.  Gymnasiums  zu  Kreuznach. 
Ostern   1899.] 

Kraaz,  Albert:  Bauerngut  und  Frohndienste  in  Anhalt,  vom  16.  bis  zum 
19.  Jahrhundert  Jena,  Verlag  von  Gustav  Fischer  1898.  273  S.  8®. 
M   7.  50. 

Levec,  Wladimir:  Pettauer  Studien.  Untersuchungen  zur  älteren  Flur- 
verfassrmg.  I.  Abteilung.  Mit  einer  Karte.  Wien  1898,  S.  171 — 189.  4<>. 
[Separatabdnick  aus  Band  XXVm  (der  neuen  Folge  Band  XVIIl)  der 
Mitteilungen  der  Anthropologischen  Gesellschaft  in  Wien.] 

Meister,  Dr.  AI.:  Akten  zum  Schisma  im  Strafsburger  Domkapitel  1583 
bis  1592.  Strafsburg,  vorm.  R.  Schultz  &  Co.,  1898.  81  S.  8<>.  [Se- 
paratabdruck aus  den  Mittheilungen  der  Gesellschaft  fUr  Erhaltung  der 
geschichtlichen  Denkmäler  im  Elsafs,  Band  XDC,  I.  Lieferung.] 

Müller-Mann,  Gustav:  Die  auswärtige  Politik  Kaiser  Ottos  II.     ^^  ' 

Dissertation  zur  Erlangung  der  philosophischen  Doktorwürde 


—     G4     — 

der  Hohen  Philosophischen  Fakultät  der  Universität  BaseL  Lörrach^ 
Verlag  von  C.  R.  Hutsch,   1898.     68  S.  8®. 

Petersen,  Adolf:  Maximilian  von  Baiem  und  die  Kurwürde,  mit  Berück- 
sichtigung der  bayerischen  Flugschrift  „die  Anhaltische  Kanzlei,  162 1". 
27  S.  4^.  [Beilage  zum  Programm  des  Kgl.  Gymnasiums  zu  Luckau 
1898/99]. 

Petry,  Joh. :  Die  Hausordnung  der  Fraterherren  und  der  Tabemakelstiftung 
zu  Emmerich.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  Intematserziehung.  19  S. 
40.  [Beilage  zum  Programm  des  städtischen  Progymnasiiuns  zu  Steele 
1898/99.] 

P  i  r  e  n  n  e ,  Henri :  Note  sur  un  passage  de  van  Velthem  relatif  a  la  bataiUe 
de  Courtrai.  Bruxelles,  Hayez,  imprimeur  de  Tacaddmie  royale  de 
Belgique,   1899.     23  S.  8^ 

Pyl,  Dr.  Theodor:  Nachträge  zur  Geschichte  der  Greifewalder  Kirchen  und 
Klöster.  Heft  3:  Geschichte  des  Georghospitals.  Greifswald,  Kommis- 
sions-Verlag von  Julius  Abel,  1900.  125  S.  8®.  [Vereinsschrift  der 
Rügisch  Pommerischen  Abtheilung  der  Gesellschaft  für  Pommerische 
Geschichte  und  Alterthumskunde.] 

Ribbeck,  Dr.  Konrad:  Geschichte  des  Essener  Gymnasiums.  I.  Teil  bis 
1564.  Essen  1896.  11.  Teil:  Die  lutherische  Stadtschule  1564 — 161 1. 
Essen  1898.  [Beitr.  zur  Geschichte  von  Stadt  und  Stift  Essen,  herausgeg. 
von  dem  Historischen  Verein  für  Stadt  und  Stift  Essen.     16.  u.  19.  Heft] 

Schafstaedt,  Heinrich:  Die  Festung  Mühlheim  am  Rhein  zu  Ende  des 
16.  und  zu  Beginn  des  17.  Jahrhunderts.  33  S.  4®.  [Beilage  zum 
Programm  des  Gymnasiums  zu  Mühlheim  am  Rhein   1899.] 

Schaube,  Adolf:  Proxenie  im  Mittelalter.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  des 
Konsularwesens.  21  S.  4  0.  [Abhandlung,  beigegeben  dem  Bericht  über 
das  Schuljahr  1898/99  am  Königl.  Gymnasium  zu  Brieg.] 

Derselbe :  Die  Wechselbriefe  König  Ludwigs  des  Heiligen  von  seinem  ersten 
Kreuzzuge  imd  ihre  Rolle  auf  dem  Geldmarkte  von  Genua.  [Sonder- 
abdnick  aus  den  „Jahrbüchern  für  Nationalökonomie  und  Statistik*'  Band 
70,  S.   603  flf.  und  Band  71,  S.    145  ff.] 

Strna dt,  Julius:  Felix Stieve,  der  Geschichtschreiber  des  oberösterreichischeo 
Bauernkrieges.  [Sonderabdruck  aus  dem  3.  Hefte  des  „Kyffhäuser*^ 
Deutsche  Monatshefte  für  Kunst  imd  Leben.     Linz  a.  d.  D.] 

Thoma,  Prof.  D.  Albrecht:  Geschichte  des  Klosters  Frauenalb,  ein  Beitrag 
zur  Kulturgeschichte  von  7  Jahrhunderten.  Freiburg  L  Breisgau,  Verlag 
von  Paul  Waetzel,  1898.     104  S.  8<>.     Jt  1.60. 

Tille,  Alexander:  Yule  and  Christmas,  their  place  in  the  Germanic  year. 
London,  David  Nutt,  1899.     218  S.  4<>.     Ji  2\. 


BerichtigriUlg«  Durch  Schuld  der  Redaktion  ist  io  dem  Nekrolog  fiir  Gustav  v.  Mevisseo 
aus  der  Feder  von  Hermann  Keussen  (Köln)  —  Heft  i.  S.  31  —  dort,  wo  von  der 
Gründung  der  „Gesellschaft  fiir  Rheinische  Geschichtskunde"  die  Rede  ist,  der  Name 
Höhlbaums  nicht  genannt  worden.  In  Keussens  Manuskript  lauteten  die  Worte: 
„...  hatte  er  im  Verein  mit  Höhlbaum  und  Lamprecht  den  Hauptanteil". 

Die  Redaktion. 

Herausgeber  Dr.  Armin  Tille  in  Leipzig.  —  Druck  und  Verlag  von  Friedrich  Andreas  Perthes  in  Gotha. 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsschrift 


zur 


Förderung  der  landesgeschiclitliclieii  Forschung 

I.  Band  Dezember  1899  3.  Heft 

Stadtreehnungen 

Von 
Armin  TUle  (Leipzig) 

Die  verschiedenen  Quellengattungen  besitzen  bereits  ihrer  Natur 
nach  eine  verschiedene  Glaubwürdigkeit  und  damit  einen  verschiedenen 
Wert  für  die  Geschichtsforschung.  Bei  jedem  Chronisten  ist  sein 
Stand  und  seine  Parteistellimg  zu  berücksichtigen,  bei  Urkunden  gilt 
es,  abgesehen  von  der  nackten  Thatsache  des  Rechtsgeschäfts,  in  der 
Regel  allen  Nebenbemerkungen  und  besonders  dem  Inhalte  der 
Arengen  mit  Vorsicht  zu  begegnen,  Prozefsakten  neben  Zeugen- 
verhören und  Rechtsgutachten  nehmen  in  den  meisten  Fällen  bereits 
Partei,  kurz  überall  hat  der  Benutzer  die  Pflicht,  umsichtig  und  kritisch 
ans  Werk  zu  gehen.  Erheblich  besser  ist  er  daran,  wenn  ihm  Papiere 
zur  Verfugung  stehen,  die  für  den  Tag  geschrieben  waren,  bei  denen 
niemand  daran  dachte,  dafs  sie  Zeitgenossen  der  Nachlebenden  als 
Unterlage  bei  der  Beurteilung  des  Falles  jemals  dienen  würden.  Hierzu 
sind  Briefe,  Verhandlungsprotokolle  oder  Bittschriften  zu  rechnen, 
kurz  alle  solche  Aufzeichnungen,  die  ihrer  Natur  nach  nur  für  eine 
beschränkte  Zahl  von  Personen  und  nicht  für  die  Öffentlichkeit  be- 
stimmt waren.  In  diese  Kategorie  von  Quellen  gehören  auch  die 
alten  Rechnungen,  die  naturgemäfs  sehr  verschiedener  Art  sein 
können,  je  nachdem  sie  über  die  Einnahmen  und  Ausgaben  einer 
Privatperson,  einer  Korporation  oder  einer  Gemeinde  Rechenschaft 
ablegen,  sei  es  für  einen  näher  bestimmten  Zeitraum  Verschieden- 
artiges umfassend,  sei  es  für  einen  näher  bezeichneten  Zweck. ')     Zu 


i)  Unter  den  Ansgaberechnnngen  fUr  bestimmte  Zwecke  sind  neben  Reise« 
rechnongen  eine  Reihe  Banrechniingen  bekannt  geworden,  so  Der  KohUnter  Mauerhau^ 
Rtcknungen  1276 — J28g,  bearbeitet  Ton  Max  Bär,  Leipzig  1888;  Neawirth,  Die 
WocheHrechnungen  und  der  Beirieb  des  Prager  Dombaues  1372 — 1378  t  Prag  1890; 
St.  Beissel,   Die  Baugeschichte  der  Kirche  des  h.    Viktor  zu  Xanten  (Stimmen   aus 

5 


—  Bö- 
den ersteren  wären  z.  B.  die  Ausgabe-  und  Einoahmerechnungen 
für  den  Haushalt  der  Herren  vom  Drachenfels  aus  der  Zeit  1395  bis 
1398  *)  zu  zählen  oder  auch  die  ähnlichen  Rechnungen  der  Tiroler 
Herren  von  Schiandersberg  *),  zu  den  zweiten  etwa  Kirch-  und  Bruder- 
schaftsrechnimgen,  deren  wenigstens  aus  dem  XV.  Jahrhundert  eine 
ganz  beträchtliche  Zahl  bekannt  ist '),  und  zu  den  letzteren  die  Stadt- 
rechnungen, welche  an  Alter  und  Bedeutung  wohl  zu  den  wichtigsten 
älteren  Rechnungen  überhaupt  gehören.  Auf  Grund  des  in  alten 
Rechnungsbüchern  überlieferten  Materials  ist  der  mo- 
derne Forscher  in  der  Lage,  für  vergangene  Zeiten, 
denen  eine  Vorstellung  von  Massenerscheinungen  und 
eineKenntnis  des  Mittels  sie  zu  bewältigen,  der  Statistik, 
noch  nicht  eigen  sind,  mit  Hilfe  der  von  der  modernen 
Statistik  entwickelten  Methoden  thatsächlich  statistische 
Übersichten  zu  liefern,  welche  mehr  bieten,  als  die  Zeit- 
genossen zu  begreifen  vermochten.  Wenn  die  Ergebnisse 
solcher  Untersuchungen  auch  nicht  vollständig  denen  der  modernen 
Statistik  entsprechen  können,  so  sind  sie  'doch  in  hohem  Ma(se 
geeignet,   unsere  Kenntnis  in   der  Vergangenheit  zu   vervollständigen 


Maria-Laach,  Ergänzungsheft  23);  Vancsa,  Die  Baureparaturen  der  Burg  Loa  im 
XVL  Jahrhundert  und  ihre  Kosten  (Berichte  und  MiUeiloDgen  des  Altertmnsvereins  in 
Wien  1899);  Rechnungen  über  den  seit  1559  ausgeführten  Ausbau  des  Hauses  Horst  in 
Westfalen  siehe  TiUe,  Übersicht  über  den  Inhalt  der  kl.  Archive  der  RheinproTins,  i.  Bd.^ 
(1899),  S.   122,  Nr.   I. 

i)  Armin  Tille,  Übersicht  Ober  den  Inhalt  der  kleineren  Archive  der  Rhein^ 
Provinz^  I.  Bd.  (1899),  S.  52,  Nr.  2,  teilweise  veröffentlicht  von  Korth  in  den  Annalen 
des  historischen   Vereins  für  den  Niederrhein^  54.  Hefl  (1892),  S.   i  ff. 

2)  v.  Ottenthai  und  Redlich,  Archivberichte  aus  Tirols  2.  Bd.  (1896),  S.  4 — 5 
teilweise  veröffentlicht  in  den  Mitteilungen  des  Instituts  für  österreichische  GeschichU'- 

forschung,  2.  Bd.  (1881),  S.  551  —  614  (1366—67). 

3)  Vgl.  Armin  Tille,  Übersicht  über  den  Inhalt  der  kl,  Archive  der  Rhein^ 
Provinz  j  wo  Kirchrechnungen  1465  ff.  aas  Wipperfürth  S.  283,  Nr.  15;  1478  £L  ans 
Wickrath  S.  77,  Nr.  25 ;  1483  ff.  aus  Siegburg  S.  329,  Nr.  5 ;  1490  ff.  aus  Lindlar 
S.  276,  Nr.  I  verzeichnet  sind.  Hospitalsrechnungen  aus  Mttnstereifel  1456  ff.  siehe 
S.  192,  Nr.  12;  Bruderschaftsrechnnngen  XVI.  Jahrhunderts  (1504,  1536,  1578)  ebenda. 
S.  192,  Nr.  13;  S.  86,  Nr.  i;  S.  198,  Nr.  5.  —  In  Tirol  sind  wesentlich  ältere  Kirch- 
rechnungen vorhanden,  so  in  Hötting  1366  ff.,  Göflan  1435  ff.,  Schlanders  1476  ff.,  KU 
drans  1482  ff.,  vgl.  Archivberichte  aus  Tirols  2.  Bd.,  S.  235.  34.  48  und  225.  —  Eine 
ganze  Sammlung  von  Rechnungen,  worunter  sich  auch  solche  der  Bürgermebter  befinden^ 
ist  als  Band  l  der  „QueUen  zur  Geschichte  Siebenbürgens  ans  sächsischen  Archiven'*  1881 
veröffentlicht  worden  mit  dem  Titel  Rechnungen  aus  den  Archiven  der  Stadt  Hermann-- 
Stadt  und  der  sächsischen  Nation  J380 — 1516,  Vgl.  die  Anzeige  in  „Mitteilungen  des. 
Instituts  fUr  österreichische  Geschichtsforschung'*,  2.  Bd.  (1881),  S.  650 — 53. 


—     67     — 

und   direkt  unrichtige  Angaben   der  übrigen   Quellen   als    solche  zu 
erweisen '). 

Was  die  Stadtrechnungen  betrifft,  so  ist  von  vornherein  klar,  dafe 
Einträgen  in  derartigen  Büchern  eine  Zuverlässigkeit  innewohnt  wie 
wenigen  anderen  Aufzeichnungen,  wenn  man  nicht  gerade  der  Mög- 
lichkeit einer  bewuisten  Fälschung  ein  übergrofses  Gewicht  beilegen 
will.  Diesen  Erwägungen  hat  sich  die  Forschung  nie  verschlossen 
und  deshalb  die  sonstige  Überlieferung  gern  und  mit  gutem  Erfolg 
durch  die  Angaben  der  Rechnungsbücher  ergänzt:  es  seien  hier  nur 
Gemeiners  R^ensburgische  Chronik  *)  und  Kriegks  Frankfurter  Bürger- 
zwiste *)  als  solche  Werke  genannt.  So  wichtige  Nachrichten  aber  auch 
im  einzelnen  aus  den  Rechnungen  gewonnen  werden  mögen,  an  eine 
Ausbeutung  des  überreich  darin  dargebotenen  StofTes  ist  doch  nur 
bei  einer  systematischen  und  womöglich  statistischen  Durcharbeitung 
zu  denken;  auf  diesem  Wege  wird  es  dann  möglich  vor  allem 
vom  Finanzwesen  einer  mittelalterlichen  Stadt  in  allen  seinen  Zweigen, 
dann  aber  auch  von  allen  möglichen  anderen  Zuständen  ein  der  Wahr- 
heit sich  näherndes  Gesamtbild  zu  gewinnen,  und  gerade  daran  muiste 
der  Forschung  in  den  letzten  Jahrzehnten  unendlich  viel  gelegen  sein, 
^ne  solche  intensive  Bearbeitung  ist  zwar  auf  Grund  der  Original- 
rechnungen in  einer  Darstellung  wohl  möglich,  aber  die  grofseMühe, 
welche  einmal  darauf  verwendet  werden  muis,  würde  teilweise  veig'eudet 
sein,  wenn  der  Bearbeiter  nicht  zugleich  einen  modernen  Editionsgrund- 
sätzen entsprechenden  Abdruck  wenigstens  der  ältesten  vollständigen 
Rechnungen  besorgen  wollte.  Denn  es  ist  nicht  zu  vergessen,  dafs 
gerade  in  den  Rechnungen  für  so  aufserordentlich  verschiedene  Gebiete 
neuer  Quellenstofi'  erschlossen  wird,  dais  eine  allseitig  genügende  Be- 
arbeitung durch  eine  einzelne  Person  fast  ausgeschlossen  erscheint. 
Andrerseits  ist  klar,  dafe  die  Veröffentlichung  vollständiger  Jahres- 
rechnungen stets  von  einem  erläuternden  Texte  begleitet  sein  mufe,  welche 
über  die  rein  örtlichen  Zustände,  namentlich  über  die  vorkommenden 

1)  Am  meisten  aasgebildet  auf  Girmd  Terscbiedenartigsten  Materials  ist  die  Beröl- 
kenmgs-  and  Sozialstaüstik,  Tgl.  z.  B.  A.  Doren,  Nettere  Arbeiten  nur  BevSlkerungS' 
und  Sonalstatisiik  des  XV,  und  XVI.  Jahrhunderts  in  der  Deutschen  Zeitschrift  ftlr 
Getdiicbtswissenschaft,  Neae  Folge.    L  Jahrgang  (i  896/1897)  Monatsblfitter,  S.  97—112. 

2)  Carl  Theodor  Gemeiner,  Reichsstadt  Regensburgische  Chronik,  Regens- 
bvg'PiSoo.  Vom  zweiten  Bande  an  lautet  der  Titel  Der  Regensburgischen  Chronik 
rweiterZu.  jTw.  Band.  Der  dritte  (1820)  and  vierte  Band  (1824)  haben  noch  den  be-^ 
sonderen  Titel  Stadt  Regensburgische  /ahrbOcher. 

3)  Georg    Ludwig   Kriegk,    Frankfurter   Bürgertwiste   und   Zustäf 
MäUlaiter,  i86a. 


I 


i 


—     68     — 

Münzen,  Mafse  und  Gewichte  sowie  über  die  Hauptpunkte  der  Ver- 
fassung so  unterrichtet,  dafs  jeder  Benutzer  den  Wortlaut  der  Ver- 
öffentlichung vollständig  zu  verstehen  vermag. 

Dieser  Einsicht  hat  man  sich  nie  ganz  verschlossen,  aber  die 
Wege,  auf  denen  man  der  gestellten  Anforderung  gerecht  zu  werden 
versuchte,  sind  verschieden  gewesen.  Die  älteste  der  mir  bekannt 
gewordenen  Veröffentlichungen  deutscher  *)  Stadtrechnungen  ist  die 
des  Henriciis  Pauper  genannten  lateinisch  geschriebenen  Breslaner 
Rechnungbuches  (1299  bis  1358),  welche  Grünhagen  besoi^  hat*). 
Der  Herausgeber  hat  den  Text  mustergültig  gestaltet,  zahlreiche  er- 
klärende Anmerkungen  sowie  ein  gutes  Personen-,  Orts-  und  Sach- 
register, aber  leider  keine  systematische  Darstellung  des  Finanzwesens 
beigegeben.  Im  Sachregister  sind  auch  nur  im  Texte  vorkommende 
Worte  als  Stichworte  verwendet,  während  moderne  Sammelbegriffe 
wie  etwa  Accise  oder  Kriegswesen  fehlen.  Der  Text  giebt  übrigens 
keine  ausfuhrlichen  Rechnungen,  sondern  vielmehr  Übersichten  über 
die  Stadtfinanzen  ohne  viel  Details :  wir  haben  es  hier  wohl  überhaupt 
nicht  mit  den  Rechnungen  selbst  zu  thun,  sondern  mit  einer  sach- 
gemäfsen  zeitgenössischen  Bearbeitung  '),  die  für  uns  um  so  wertvoller 
ist,  weil  sie  zeigt,  dafs  ein  tüchtiger  Finanzbeamter  des  beginnenden 
XIV.  Jahrhunderts  bereits  im  stände  war,  das  ganze  Rechnungswesen 
zu  bemeistem  und  wenigstens  in  seinem  Kopfe  die  Grundlage  für 
einen  auf  Erfahrung  gegründeten  Haushaltplan,  den  das  Mittelalter 
sonst  nicht  kennt,  zu  gewinnen.  —  Eine  recht  ausführliche  Einleitung, 
die  erste  ihrer  Art,  die  über  die  verschiedensten  Dinge  handelt  — 
u.  a.  über  Geldwert,  Weinkultur,  Tagelohn  und  Preise  der  Lebens- 
mittel, Armenpflege,  Besoldimgen,  Faustkämpfe,  Kirchenfeste,  Ge- 
schenke, Flagellanten,  Pest,  Juden,  Krönung  König  Wenzels,  Land- 
friedensbund von  135 1,  Pulvergeschosse  — ,  dabei  aber  auch  eine 
Übersicht  über  die  städtischen  Einnahmen,  nach  Materien  geordnet, 
giebt,  besitzen  wir  für  Aachen  in  den  von  J.  Laurent  herausgegebenen 


i)  Die  aoiserordentlich  wichtigen  VeröffenÜichangen  aas  niederlfindischen  und  belgi- 
schen Städten  soUen  hier  nicht  mit  behandelt  werden,  es  sei  nor  knrs  aof  die  wichtigsten 
dieser  edierten  Rechnungen  hingewiesen,  die  Ton  Dordrecht,  bearb.  von  Dozj;  Kampeo, 
bearb.  ron  Uitterdijk  1875;  G^nt,  bearb.  ron  Vnylsteke;  Deventer,  bearb.  von  van  Door- 
ninck;  Groningen,  bearb.  von  Blök  1896;  Rotterdam,  bearb.  von  Unger  imdBezemer  1899. 

3)  Codex  diplomaücns  SUesiae,  3.  Band  (1860). 

3)  Etwas  Ähnliches  mögen  die  Dresdener  „Wachstafelrechnongen^*  sein,  die  für 
»437  «ind  1456  erhalten  sind  mid  nach  O.  Richter,  Verfassungsgeschichte  der  Stadt 
Dresden  (1885),  S.  155  die  Hauptergebnisse  der  Jahresrechnnng  darbieten. 


Aachener  Stadtrechnungeft  aus  dem  XIV.  Jahrhundert  nach  den 
Stadtarchiv-Urhunden  mit  Einleitung,  Register  und  Glossar  (Aachen 
iS66).  EsistnureinkleinesBäiidchen,  welches  neben  denEinaatiinenuDd 
Au^aben  auch  einige  Urkunden  und  Briefe  mitteilt  und  dadurch  alle 
Zweige  städtischen  Lebens  in  einer  wichtigen  Reichsstadt  beleuchtet. 
Die  Gesellschaft  für  Rheinische  Geschichtskunde  hat  längere  Zeit  die 
Vervollständigung  von  Laurents  Edition  namentlich  durch  die  Rech- 
umgen  des  XV.  Jahrhunderts  geplant,  doch  bisher  noch  nicht  wesent- 
lich gefördert:  hoffentlich  wird  auch  dieser  Plan  in  absehbarer  Zeit 
einmal  ausgeführt. 

Die  umfangreichste  von  allen  bisherigen  Stadtrechnungs-Publi- 
kationen  ist  die  der  Stadt  Hainl>nrg,  die  in  sieben  Bänden  (18Ö9  bis 
1894).  von  Koppmann  bearbeitet,  vorlief]  und  die  Stadtfinanzen  in 
ihrer  Entwicklui^  von  1350  bis  1562  behandelt.  Welche  Fülle  von 
Material  darin  geboten  wird,  lälät  schon  der  Umfang  ahnen,  und  ihr 
ei&igstes  Studium  kann  dem  Kulturhistoriker  nicht  genug  empfohlen 
werden.  Bereits  dem  ersten  Bande  (1S69)  hatte  der  Herausgeber  eine 
umfassende  Einleitui^  beig^eben,  welche  die  stadtische  Finanzwirt-. 
Schaft  charakterisiert,  aber  auch  Abschnitte  über  Stadtverfassung, 
Wesen  des  Kämmereramtes,  Zünfte  (hier  Amter  genaimt),  Biirgeigeld 
und  Steuern,  Vogtei  und  Münze  enthält.  Das  beim  Fortschritt  der 
Arbeit  neu  angehäufte  Material  liegt  im  dritten  Bande  (1878}  ver- 
arbeitet vor:  von  besonderer  Bedeutung  ist  hier  die  Gesamtübersicbt 
über  Einnahmen  und  Au^aben  fürs  XV.  Jahrhundert,  die  fiir  das 
vorbeigehende  nicht  beizubringen  war.  Der  siebente  (SchlufB-)Band 
(1894.)  enthält  abermals  eine  umfangreiche  Verarbeitung  des  Stoffes 
(278  Seiten)  und  zwar  aus  dem  XVI.  Jahrhundert,  und  es  finden  sich 
darin  Dinge,  die  der  Forscher  schwerlich  gerade  hier  suchen  wird, 
z.  B.  ein  Überblick  über  die  Kosten ,  welche  der  Stadt  durch  ihre 
Teilnahme  am  Schmalkaldiscben  Bunde  erwachsen  sind  *). 

Der  Herausgeber  der  Hildeslielmer  Rechnuncren  ■),  Doebner,  hat 
leider  nicht  in  dieser  trefflichen  Arbeit  Koppmanns  sein  Vorbild  ge- 
sehen und  nur  dem  zweiten  Bande  eine  knappe  Übersicht  von  54  Seiten 
vorangestellt,    die   natuigemäfs   grölscre   Zusammenstellungen    des   im 

■  )  Kämmereirtchnunge«  der  Sladt  Hamburg,  hiratugtgtbt. 
Hamburgäche  Gttckühle. 

a)  S.  CCLXXIL 

3)  ÜrktttuUnbtuk  der  Sladt  Hildakäm.  Im  Außragt  des  M 
keim  kertaagtgtbtH  von  Dr.  Richard  Doebner.  5.  Teil:  Stadirechi 
(1893);  6.  Teil:   1416—1450  (1896). 


—     70     — 

Text  gebotenen  Zahlenmaterials  oder  vergleichbare  Budgets  für  mehrere 
Jahre,  wie  sie  unerläßlich  sind,  nicht  bieten  kann.  Dafe  der  Heraus- 
geber eine  solche  Bearbeitung  unterlassen  hat,  ist  sehr  zu  bedauern, 
denn  auch  der  fleüsigste  Benutzer  kann  schwerlich  so  tief  in  den 
Stoff  eindringen  wie  der  Herausgeber,  dem  jeder  Eintrag  mehrmals 
zu  Gesicht  kommt  und  dem  noch  eine  Fülle  ergänzendes  Material 
zur  Verfügung  steht.  Das  Register,  welches  allerdings  recht  erheb- 
lichen Umfang  hat,  kann  eine  Darstellung  nicht  ersetzen,  da  unter 
manchem  Stichwort  dreiisig  und  mehr  Stellen  aufzusuchen  sind,  die 
sich  bei  der  Druckart  auf  der  entsprechenden  Seite  durchaus  nicht 
mit  besonderer  Leichtigkeit  finden  lassen.  Die  Rechnungen  werden 
überdies  nur  bis  1450  geboten,  sind  aber  im  letzten  Vierteljahrhundert 
schon  gekürzt,  um  den  Band  nicht  allzu  sehr  anschwellen  zu  lassen. 
Mir  kann  dies  nicht  als  das  richtige  Verfahren  erscheinen,  wenn  schon 
vielleicht  aus  sonstigen  Gründen  von  einer  vollständigen  Veröfientlichung- 
abgesehen  werden  muiste.  Dann  mag  man  in  der  Hauptsache  von  der 
Zeit  an,  wo  sich  ein  ganz  bestimmtes  Rechnimgsschema  entwickelt 
hat,  in  gröfeerer  oder  geringerer  Ausführlichkeit  die  Abschlu&summen 
in  tabellarischer  Übersicht,  etwa  auch  einzelne  Kapitel,  wie  Kriegs- 
wesen, in  moderner  und  damit  kürzerer  Umschreibung  vollständig 
imd  höchstens  aller  zehn  Jahre  eine  vollständige  Rechnung  drucken. 
Wichtig  ist  aber  vor  allem  eine  Fortführung  bis  ins  XVI.  Jahrhundert  und 
am  liebsten  darüber  hinaus,  denn  gerade  die  Periode  des  Niederganges 
im  Städteleben  Deutschlands  ist  noch  recht  wenig  durchforscht.  Jeden- 
falls Gesichtspunkte  wie  der,  dafs  das  Urkundenbuch,  deren  TeUe  die 
Stadtrechnungen  bUden,  nur  bis  1450  geführt  wird,  dürfen  niemalt 
für  derartige  wichtige  wirtschaftsgeschichtliche  Publikationen  mab- 
gebend  werden. 

Kurze  Zeit,  nachdem  Koppmanns  und  Doebners  Arbeiten  zum 
Abschluls  gelangten,  hat  eine  der  wichtigsten  deutschen  Städte,  K5111, 
eine  Publikation  ihrer  ältesten  Stadtrechnungen  in  zwei  stattlichen 
Quartbänden,  bearbeitet  von  Richard  Knipping*),  gesehen.  Ein- 
mütig hat  bei  dieser  Veröffentlichung  die  Kritik  die  Mustergültigkeit 
und  den  Fortschritt  der  Edition  gegenüber  den  älteren  Werken  an- 
erkannt.     Die    Darstellung    der   Finanzverwaltung   in    übersichtlicher. 


i)  Die  Kölner  Stadtrechnungen  des  Mittelalters  mit  einer  Darstellung  der 
Finanverwaltung  [XV.  Publikation  der  Gesellschaft  fUr  rheinische  GetchichUkande], 
I.  Band  (1897):  Die  Einnahmen  und  die  Entwicklung  der  Staatsschuld.  2.  Band  (1898): 
Die  Ausgaben. 


—     71     — 

aber  Ittterarischer  Form  *) ,  die  Trennung  von  Einnahmen  und  Aus- 
l^^aben,  das  ausführliche  Register,  in  solches  für  Orte  und  Personen 
und  solches  für  Sachen  gegliedert,  der  technisch  vollendete  Druck, 
das  Herausrücken  der  Einnahme-  und  Ausgabebeträge,  die  sämtlich 
in  eine  Währung  umgerechnet  sind,  erleichtem  die  Benutzung  so  und 
geben  dem  Forscher  so  reichen  und  raschen  Aufschlufs,  dafe  diese 
Edition  in  jeder  Hinsicht  geeignet  erscheint,  künftigen  ähnlichen  Ar- 
beiten zum  VorbUd  zu  dienen.  Aber  auch  für  Köln  wäre  es  wün- 
schenswert, dafe  aus  dem  XV.,  XVI.  und  XVII.  Jahrhundert  ebenfalls 
(ur  ein  Jahrzehnt,  oder  wenigstens  für  drei  aufeinander  folgende  Jahre 
eine  Veröffentlichung  ähnlicher  Art,  wenn  auch  nur  in  tabellarischen 
Übersichten  bestehend,  geboten  würde,  denn  nur  so  wäre  ein  Über- 
blick über  die  städtische  Wirtschaft  durch  Jahrhunderte  hindurch  zu 
gewinnen. 

Neben  den  monumentalen  Werken,  wie  sie  für  Hamburg  und 
Köln  vorliegen  und  natui^emäfe  nur  in  grofeen  und  reichen  Gemein- 
wesen möglich  sind,  giebt  es  noch  eine  ganze  Reihe  kleinere  aber 
trotzdem  nicht  weniger  beachtenswerte  Stadtrechnungspublikationen 
von  verschiedenem  Umfang  und  verschiedener  Behandlungsart,  denn 
merkwürdigerweise  ist  jeder  Herausgeber  seine  eigenen  Wege  gegangen, 
und  keiner  hat  sich,  wie  es  so  nahe  gelegen  hätte,  ältere  Arbeiten 
zum  anfeuernden  oder  warnenden  Beispiele  genommen.  Unter  diesen 
kleineren  Veröffentlichungen  ist  an  erster  Stelle  die  Stüves  aus  Osna- 
brBek  *)  zu  nennen ,  welche ,  so  weit  ich  sehe ,  überhaupt  die  älteste 
unter  den  bisher  in  Deutschland  bekannten  Stadtrechnungen  darbietet, 
nämlich  die  von  1285.  Die  knappe  Fassung  und  die  noch  wenig  ent- 
wickelte Gliedenmg  der  Positionen  sind  recht  lehrreich  für  die  Ge- 
schichte des  Rechnungswesens  überhaupt,  denn  hier  sehen  wir  an 
einem  konkreten  Beispiel,  welche  Fülle  von  Geschäftserfahrung  in  einer 
dem  modernen  Denken  ganz  selbstverständlichen  Rechnungseinrichtung 
niedergelegt  ist,  wie  sie  etwa  die  älteste  der  in  Köln  erhaltenen  Rehnungen 
(1370)  zeigt,  welche  sicherlich  eine  gröfsere  Reihe  Vorläuferinnen  besessen 


i)  Bereits  1895  ^*^^^  der  Heraasgeber  einen  Aufsatz  Ein  mittelalterlicher  Jahrei- 
Maushait  der  Stadt  KSln  (1379)  veröffentlicht  and  dadarch  seine  Darstellung  nach  dieser 
Seite  hin  entlastet  Vgl.  „Beiträge  zor  Geschichte  Toraehmlich  Kölns  and  der  Rhein- 
lande. Zam  80.  Geburtstag  Gustav  v.  Mevissens  dargebracht  von  dem  Archiv  der  Stadt 
Köln«'.     (Köln,  Da  Mont-Schanberg  1895.) 

a)  Dr.  C  Stttve,  Stadtrechnungen  von  Osnabrück  aus  dem  13,  und  14,  Jahr- 
hundert in  „  MitteHnngen  des  Vereins  für  Geschichte  und  Landeskunde  von  Osnabrück  *% 
14.  Bd.  (1889),  S.  9^  —  135  und  1$.  Bd.  (1890),  S.  75—164. 


—      72     — 

hat.  Eine  eingehende  Veigieichung  mit  den  Breslauer  Rechnungen  und 
späteren  Rechnungszusammenfiassungen  würde  gewifs  lehrreiche  Etgeb* 
nisse  bieten,  wie  unter  dem  Gesichtspunkte  der  Vei^leichung  auch 
die  jüngeren  Osnabrücker  Rechnimgen  von  1358  und  1383  erhöhte 
Bedeutung  gewinnen,  denn  hier  ist  deutlich  erkennbar,  wie  sich 
innerhalb  des  für  die  städtische  Entwicklung  so  bedeutenden  Jahr- 
hunderts das  städtische  Finanzwesen  und  die  Rechnungstechnik  aus* 
gestaltet  haben.  Letztere  ist  bisher  ganz  unberücksichtigt  geblieben^ 
etsteres  immer  nur  für  einen  Ort ')  höchstens  mit  gelegentlichen  Seiten- 
blicken auf  andere  behandelt  worden;  in  jeder  der  vielen  Stadt- 
geschichten *)  nimmt  es  einen  mehr  oder  weniger  breiten  Raum  ein^ 
aber  es  fehlt  noch  an  einer  gröfseren  Zusammenfassung  dessen,  was 
in  den  Einzeluntersuchungen  notwendigerweise  mit  lokalem  Kolorit  aus- 
gestattet niedergelegt  ist,  sowie  an  der  Feststellung,  was  davon  als 
typisch  bezeichnet  werden  muis.  Wenn  man  eine  gröfsere  Reihe  von 
Städten  überblickt  und  in  jedem  Falle  feststellt,  aus  welchem  Jahre 
die  älteste  jetzt  noch  vorhandene  Stadtrechnung  stammt'),  so  drängt 


i)  Ohne  etwms  Vollständiges  bieten  so  wollen,  seien  hier  genannt:  für  Nttrn* 
berg  —  Hegel,  Chroniken  der  deutschen  Städte,  i.  Bd.,  S.  363—296,  Beilage  XII: 
Nürnbergs  StadthaushaU  und  Ftnanzverwaltung ;  für  Mainz  —  Hegel,  ebenda 
Bd.  XVin,  2,  S.  91  —  115,  Beilage  Xffl:  Der  StadthaushaU  und  die  Finansverwaltung ; 
ür  Aagsbarg  —  Frcnsdorff,  ebenda  IV.  Bd.,  S.  157  —  165:  Das  Ungeld  in  Augs- 
burgs sowie  R.  Hoffmann,  Die  Augsburger  Baumeisterrechnungen  1320 — 1331  in 
der  „Zeitschrift  des  historischen  Vereins  fUr  Schwaben  and  Neubnrg''.  5.  Jahrg.  (1878)» 
S.  I — 220;  für  Brannschweig  —  H.  Mack,  Die  Finanwerwaltung  B^  bis  1374 
(G i e r k e ,  Untersuchungen ,  Nr.  32,1 889) ,  sowie  A.  v.  Kostanecki,  Der  öffentliche 
Kredit  im  Mittelalter  (Schmoll er,  Forschungen,  IX,  i,  1889),  S.  44—55  ;  für  Basel  — 
Schönberg,  Finanzverhältnisse  der  Stadt  B,  im  14,  und  1$.  Jahrhundert,  S.  79ff. ; 
fttrDresden  —  Richter,  Verfassungsgeschichte  der  Stadt  D,,  S.  I52ff. ;  für  Wesel  — 
Reinhold,  Verfassungsgeschichte  der  Stadt  W.  (Gierke,  Untersuchungen  1888),  S.  29. 

2)  So  behandelt  Gemlin,  Geschichte  der  Reichsstadt  I^all  und  ihres  Gebietes 
(Schw.  Hall  1897),  S.  617  ff.  wenigstens  die  direkte  Steuer  ausführlich.  Ähnlich  ist  es 
bei  V.  Gramich,  Verfassung  und  Verwaltung  der  Stadt  Würzburg  vom  /j.  bis 
J 5.  Jahrhundert  in  „Festgabe  zur  dritten  Säkularfeier  der  Julius -Maximilians -Universität 
in  Würeburg"  (W.  1882). 

3)  Um  ein  vorläufiges  Bild  davon  zu  geben,  seien  hier  von  den  Städten,  über  die 
mir  gerade  die  Angaben  mrHand  sind,  die  entsprechenden  Jahre  genannt:  Dordrechtia84; 
Osnabrück  1285;  Breslau  1299;  Aachen  1328  ß);  Regensbuig  1338  (Gemeiner  II,  S.  14); 
Wesel  1342  (Reinhold,  S.  loi);  Frankfurt  a.  M.  1348  (Kriegk,  S.  213);  Hamburg  ijSo; 
Duisburg  etwa  1360  (Annalen  d.  hist  Vereins  f.  d.  Niederrhein,  59.  Heft,  S.  171); 
Brannschweig  1354,  ein  Weichbild  (Mack,  S.  13);  Basel  1361  (Schönberg,  S.  79); 
Köln  X370;  Nürnberg  1377  (älteste  bei  Hegel  erwähnte);  Hildesheim  1379;  Dresden  Ende 

IV.  Jahrh.  (Richter,  S.  155);   Mainz  1410  (Hegel,  S.  91);   Goch  1428  (Annalen  d.  hist. 


—     75     — 

sich  vohl  jedem  vad  auch  demjenigen,  der  sich  die  Vertuste  von 
Aichhralien  eriiebüch  grofiser  voistelit,  als  sie  in  der  That  geweaen 
sein  mögen,  die  Uberzeiignng  auf,  da£s  erst  seit  der  Mitte  des  XIV.  Jahr- 
hunderts sdbst  in  bedentenderen  Städten  von  einem  geordneten  Rech- 
nongswescn  die  Rede  sein  kann.  In  wie  weit  dies  eine  natürliche 
Folge  der  VerCissimgsentwickiang  *)  sein  mag,  ist  hier  nicht  zu  untere 
suchen,  aber  das  eine  steht  ohne  weiteres  fest,  dals  ein  derartig- 
schwieriges  Geschäft  wie  die  dauernde  Rechnungsluhrung  nur  einiger^ 
mafeen  r^reimafiag  und  ordentlich  besorgt  werden  konnte,  wenn  einem 
Beamten  die  Rechnungsführung  zum  wenigsten  im  Hauptamt,  besser 
noch  als  alleiniges  Amt  auf  die  Dauer  und  nicht  nur  für  ein  Jahr  über- 
tr^en  war.  Der  Name  des  Beamten  ist  bisweilen  Baumeister,  Rentmeister 
oder  Rechenmeister  —  so  in  Frankfurt  a.  M.  — ,  häufiger  aber  Kämmerer, 
wie  schon  der  Titel  der  Hamburger  Rechnungen  ericennen  läfst  In 
Dresden  ist  das  Amt  eines  Kämmerers  erst  1409  bezeugt  ^),  wenn  es  wohl 
anch  schon  einige  Jahre  früher  vorhanden  war,  aber  in  Kassel  ist  thatsäch- 
lieh  erst  1468  eine  Kämmerei  als  oberste  Finanzbehörde  eingerichtet 
worden,  denn  die  erste  der  von  Stölzel  herausgegebenen  Kasseler 
Stadtrechnungen  ')  ist  als  „erste  Kämmereirechnung**  bezeichnet.  Unter 
Berücksichtigung  dieser  bestimmten  Angaben  werden  in  vielen  der 
genannten  Städte  die  erhaltenen  Rechnungen  als  die  ersten  regulär 
und  sorgfaltig  geführten  betrachtet  werden  dürfen,  wenn  sie  natürlich 
auch  weniger  gut  au^earbeitete  und  mehr  für  den  Tag  geschriebene 
Vorläuferinnen  gehabt  haben  werden. 


Vereins  f.  d.  Niederrhein,  64.  Heft,  S.  93);  Bamberg  1437  (Köberlin,  Fränkische  Mttnt- 
Terhältnisse ,  S.  34.  Eine  RechnuDg  von  1435  [soll  verschollen  sein,  ebenda  S.  47); 
Kempen  1446  (Annalen  d.  hist.  Vereins  f.  d.  Niederrhein,  64.  Heft,  S.  80);  Siegburg  145t 
(Tille,  Arcbirübersicht,  S.  329,  Nr.  6);  Lins  a.  Rh.  1461  (Annalen  59,  S.  258);  Rees  14S4 
(Annalen  64,  S.  206);  Kalbe  1465 ;  Kassel  1468;  Bingen  1483  (Zeitschr.  f.  Knltar- 
geschicbte,  1897,  S.  452};  Neols  1493  (Annalen  64,  S.  244);  Andernach  1496  (Annale» 
59,  S.  168);  Kaikar  i5o4  (Annalen  64,  S.  148);  St.  Goar  1S39  (Tille,  ArchivUbersicht» 
S.  43,  Nr.  4);  DOren  1544  (Annalen  64,  S.  349);  Münstereifel  1550  (Tille,  Archivttber- 
siebt,  S.  191,  Nr.  3). 

i)  In  Strafsborg  herrschte  noch  grofse  Unordnung  in  der  Rechnangslegong  uns 
1400,  erst  nach  der  Reformation  von  1405  wnrde  es  besser,  als  die  Dreier  vom  Pfennig* 
ihurm  als  Finanzbebörde  auftreten.  Vgl.  Schmoller,  Strassburg  »ur  Zeit  der  Zun/t» 
kämpfe   und  die  Reform   seiner    Verfassung  und    Vervfaltung  im   XV,  Jahrhundert 

(1875),  S.  47  ttnd  59. 

2)  O.  Richter,   Verfassungsgeschichte  der  Stadt  Dresden  (1885),  S.  122. 

3)  StöUel,  Casseler  Stadtrechnungen  aus  der  Zeit  von  1468  bis  tsS3  i»  «i*** 
„Zeitschrift  des  Vereins  ftir  hessische  Geschichte  und  Landeskunde'*,  Nene  Folge.  Dritte» 
Supplement,  Kassel  187 1. 


—     74     — 

Den  Kasseler  Rechnungen  hat  der  Herausgeber  eine  kurze,  aber 
inhaltsreiche  Einleitung  und  ein  bei  einer  so  kleinen  Veröffentlichung 
doppelt  willkommenes,  ausführliches  Sachregister  beigegeben,  während 
Stüve  den  Osnabrücker  Rechnungen  eine  ganz  vortreffliche  wirtschafts- 
geschichtliche Studie  beifügt,  die  für  alle  Fälle,  wo  es  sich  nicht  um 
massenhafte,  sondern  einzelne  Rechnungen  handelt,  als  mustergültig 
empfohlen  werden  kann.  In  Kalbe  a.  8.  hat  die  älteste  Rechnung 
fast  dasselbe  Alter  wie  in  Kassel  (1465),  und  das  Gesamtbudget  dieser 
Stadt  lernen  wir  aus  einer  recht  belehrenden  Übersicht  für  das  Jahr 
1478  kennen  '),  welcher  der  Bearbeiter  —  der  Überlieferung  folgend  — 
recht  zweckentsprechend  die  wichtigeren  Ausgabeposten  für  die  Jahre 
1480  und  1488  gegenüberstellt. 

Überall,  bei  den  gröfeeren  wie  bei  den  kleineren  Veröffentlichungen, 
haben  sich  die  Herausgeber  bedauerlicherweise  auf  die  älteren  Rech- 
nungen beschränkt,  ohne  auch  nur  flüchtig  die  jüngeren  zu  charak- 
terisieren oder  eine  davon  zur  Vei^leichung  heranzuziehen.  Um  so 
wichtiger  erscheint  daher  eine  Arbeit  von  Georg  Conrad,  welche 
den  ersten  (1724)  Kämmerei-  und  Salarienetat  der  Stadt  Königsberg ') 
behandelt.  Es  wird  darin  die  Reorganisation  der  städtischen  Finanzen, 
die  auf  die  unmittelbare  Anregung  Königs  Friedrich  Wilhelm  I.  zurück- 
geführt wird,  geschildert  und  so  ein  Beispiel  für  einen  wirklichen  Vor- 
anschlag gegeben,  während  wir  auf  Grund  der  erhaltenen  Rechnungen 
aur  nachträglich  für  bestimmte  Zeiten  einen  solchen  zu  bearbeiten  in 
der  Lage  sind.  Nur  als  auf  ein  abschreckendes  Beispiel  einer  Ver- 
öffentlichung aus  den  wichtigen  Jahren  des  Dreifsigjährigen  Krieges 
sei  hier  auf  die  Auszüge  aus  dem  Stadtrechenbuche  von  M,- Glad- 
bach^) von  Noever  hingewiesen,  in  denen  aus  den  Jahren  161 7  bis 
1645  einige  Kuriosa  mitgeteilt  werden.  Die  einzig  richtige  Art  der 
Veröffentlichung  wäre  in  diesem  Falle  eine  auch  noch  so  kurze  sta- 
tistische Bearbeitung  gewesen,   die  Einnahmen   und  Ausgaben,   wena 


i)  G.  Hertel,  Einnahmen  und  Ausgaben  der  Stadt  Kalbe  a.  S,  1478  in  „Ge- 
schichtsblätter  fUr  Stadt  und  Land  Magdeburg",  17.  Jahrgang  (1882),  S.   128^149. 

2)  In  der  „ Altpreofsischen  Monatsschrift'*,  25.  Bd.  (der  „  Prenfsischen  Provinzial- 
blätter'S  91.  Bd.),  1888,  S.  62—108.  Ein  anderer  Aufisatz  Conrads  Die  Rats-  und  Ge- 
richtsverfassung von  Königsberg  um  das  Jahr  1722  ergänzt  die  erste  Arbeit  und  bietet 
teilweise  eine  Bearbeitung  des  Etats.    Dieselbe  Zeitschrift,  24.  Bd.  (1887),  b^^*  S*  3i~~3^* 

3)  „Annalen  des  historischen  Vereins  für  den  Niederrhein",  9./ 10.  Hefl  (1861), 
S.  127 — 134.  Gegen  die  Editionsmethode,  einzelne  Items  als  Kuriosa  herauszuheben  und 
■icht  das  Ganze  zu  bearbeiten,  wendet  sich  mit  Recht  die  scharfe  Kritik,  die  Koppmana 
schon  1875  ^^  ^^^  Ausgabe  der  Kampener  Rentmeisterrechnnngen  von  Uitterdijk  übte. 
VgL  „Hansische  Geschichtsblätter",  Jahrgang  1875,  S.  252. 


-     76     — 

auch  nur  je  in  zehn  Kapitel  gegliedert,  und  dann  die  Gesamtsummen 
hätte  erkennen  lassen.  Ein  Jahr  hätte  man  vielleicht  auch  ausfuhr- 
lich behandeln  und  im  übrigen  durch  Heraushebung  einzelner  Items 
dem  Lokalinteresse  entsprechen  können.  So  wie  sie  vorliegt  ist  die 
Veröffentlichung  wissenschaftlich  wertlos,  zumal  nicht  einmal  fest- 
zustellen ist,  wo  sich  heute  das  Stadtrechenbuch  j  aus  dem  geschöpft  • 
wurde,  befindet  —  im  Stadtarchiv  zu  M.-Gladbach  jedenfalls  nicht.  *) 
Gerade  aus  den  bewegten  2^iten  des  XVII.  Jahrhunderts  würden 
derartige  zusammenfassende  Bearbeitungen  von  Rechnungen  ^)  von 
hohem  Werte  sein,  zumal  wenn  einem  als  normal  zu  betrachtendem 
Wirtschaftsjahre  ein  solches,  wo  die  Kriegsfurie  in  der  betreffenden 
Gegend  besonders  gewütet  hat,   gegenüber  gestelll  werden  kann. 

Zu  thun  ist  in  Bezug  auf  die  Bearbeitung  von  Stadtrechnungen 
noch  unendlich  viel ,  denn  noch  längst  nicht  für  jeden  Städtetypus 
und  für  jede  Landschaft  liegt  eine  Publikation  vor,  wenn  mir  vielleicht 
auch  manches  in  Zeitschriften  Vergrabene  entgangen  sein  mag,  ja  es 
besteht  die  Möglichkeit,  dafs  sich  in  den  Archiven  noch  ältere  als  die 
Osnabrücker  Rechnungen  finden.  An  jedem  Orte  sollte  deshalb  dieses 
Rechnungsmaterial  einer  Prüfung  unterzc^en  und  der  archivalische  Be- 
fund auch  in  Fällen,  wo  an  eine  Veröffentlichung  vorläufig  noch  nicht 
zu  denken  ist,  in  den  Vereinszeitschriften  kurz  mitgeteUt  werden  und 
zwar  bis  heran  an  die  Zeit,  wo  eine  strengere  staatliche  Kontrolle  der 
Stadtfinanzen  eintritt  und  das  Budget  an  Wichtigkeit  die  Rechnung 
übertrifft.  Überall  da,  wo  eine  Publikation  auch  von  nur  bescheidenem 
Umfange  bewerkstelligt  werden  kann ,  sollte  sie  bald  in  Angriff  ge- 
nommen werden:  begleitender  Text,  der  über  die  Verfassung  der 
Stadt  wie  über  die  der  Finanzen  im  besonderen,  über  das  Münzwesen,  das 
oft  wechselnde  Rechnungsjahr  ')  und  einzelne  sonst  besonders  wichtige 
Materien  Auskunft  giebt,  darf  natürlich  nie  fehlen,  im  übrigen  aber  wird 
wenigstens  eine  oder  die  andere  der  hier  genannten  Veröffentlichungen 
für  jeden  Fall,  der  in  Frage  kommt,  ein  brauchbares  Muster  abgeben. 

1)  Vgl.  Armin  Tille,  Übersicht  über  den  Inhalt  der  klettteren  Archive  der 
Rheinpruvinz^   l.  Bd.  (1899),  S.  45. 

2)  Es  sei  hier  noch  auf  ein  Bmchsttick  der  Rechnungen  ans  dem  Dorfe  Königs- 
Winter  von  1645  hingewiesen,  a.  a.  O.  S.  171,  Nr.  38. 

3)  Der  (Ur  die  Chronologie  im  allgemeinen  recht  wichtige  Anfang  der  Geschäfts- 
jahre, dem  zufolge  oft  ein  Jahr  viel  länger  ist  als  das  andere,  ist  bisher  recht  wenig  be- 
achtet worden.  In  Aachen  u  B.  worden  die  Bürgermeister  am  25.  Mai  vereidigt,  mit 
dem  36.  Mai  b^[ann  das  nene  Rechnungsjahr,  welches  in  13  Monate  zu  je  4  Wochen 
eingeteilt  wurde,  so  dafs  es  in  den  Rechnungen  z.  B.  heilst:  ditz  dat  uissgeven  des  ydu 
mointz. 


—   Te- 


uer Heiohskrieg  gegen  die  Türken  im  Jahre 

1664 

Von 
Hermann  Forst  (Coblenz) 

Bevor  Ludwig  XIV.  seine  Raubkriege  begann,  galten  die  Türken 
als  der  gefährlichste  Feind  des  deutschen  Reiches.  Im  Jahre  1529 
war  ihr  Heer  zum  erstenmale  vor  den  Mauern  von  Wien  erschienen; 
seitdem  erkannte  man  in  Deutschland  es  für  notwendig,  das  Haus 
Habsburg-Osterreich  in  seinem  Kampfe  um  den  Besitz  von  Ungarn  zu 
unterstützen  und  damit  eine  Schutzwehr  für  die  südöstliche  Reichsgrenze 
zu  schaffen.  Doch  muiste  man  nach  langem  Ringen  den  Türken  die 
ungarische  Tiefebene  überlassen;  die  Hauptstadt  Ofen  selbst  wurde 
der  Sitz  eines  Paschas ;  nur  Ober-Ungarn  und  ein  schmaler  Landstrich 
im  Westen  sowie  Kroatien  verblieben  dem  Kaiser.  Dieses  Verhältnis 
wurde  durch  den  im  Jahre  1606  geschlossenen  Frieden  rechtlich  fest- 
gestellt und  blieb  im  wesentlichen  unverändert  bis  über  die  Mitte  des 
Jahrhimderts  hinaus.  Da  versuchte  im  Jahre  1660  der  Fürst  von  Sieben- 
bürgen sich  der  türkischen  Oberherrschaft  zu  entziehen;  er  unterlag 
im  Kampfe,  und  seine  Anhänger  suchten  Hülfe  bei  Kaiser  Leopold  I. 
Dieser  sandte  in  der  That  ein  Heer  nach  Siebenbürgen ;  es  war  nicht 
stark  genug,  um  die  Türken  zu  vertreiben;  aber  die  Pforte  erblickte 
darin  einen  Friedensbruch  und  erklärte  ihrerseits  dem  Kaiser  den  Krieg. 
Leopold  sah  sich  nun  genötigt,  das  Reich  um  Unterstützung  anzugehen 
und  zu  diesem  Zwecke  den  Reichstag  nach  Regensburg  zu  berufen. 

Über  den  Verlauf  des  so  ausgebrochenen  Krieges  können  wir  zur 
Orientierung  zunächst  auf  den  diese  Dinge  behandelnden  Abschnitt 
bei  Erdmannsdörffer,  Deutsche  Geschichte  vom  Westfälischen 
Frieden  bis  zur  Thronbesteigung  Friedrichs  d,  Gr.,  Bd.  I  (Berlin, 
1892),  S.  354 — 372,  verweisen.  Die  zwischen  dem  Kaiser  und  der 
Pforte  vom  Jahre  1653  bis  1664  geführten  Verhandlungen  sind  neuer- 
dings von  Huber  im  85.  Bande  des  Archivs  für  österreichische 
Geschichte  genauer  dargelegt  worden  *).  Die  einschlägigen  älteren 
Werke  über  die  Geschichte  Österreichs,  Ungarns  und  der  Türkei  in 
jenem  Zeitraum  zählt  W.  Nottebohm  in  seiner  Abhandlung :  Monte* 
cuccoli  und  die  Legende  von  St.  Gotthard  {Berlin,  1887,  wissen- 
schaftliche Beilage  zum  Programm   des  Friedrichs-Werderschen  Gym- 


1)  Notiz  in  Sybcls  „Historischer  ZciUchrift",  Bd.  LXXXll,  S.  371. 


—     77     — 

nasiums),  S.  4,  auf.  Während  wir  aber  über  den  Gang  der  Ereigfnisse 
im  allgemeinen  sowie  über  die  österreichische  Politik  im  besonderen 
gnt  unterrichtet  sind,  erheben  sich  für  den  Forscher  eine  Reihe  noch 
nicht  genügend  beantworteter  Fragen  in  Bezug  auf  die  Teilnahme  des 
Reichs  an  dem  Kriege.  Wir  wissen,  dafs  der  Reichstag  die  Leistung 
der  Hülfe  von  der  Bewilligung  gewisser  Forderungen  abhängig  machte, 
da(s  er  nicht  nur  eine  dauernde  Ordnung  des  Reichskriegswesens, 
sondern  auch  eine  alle  künftigen  Kaiser  bindende  Wahlkapitulation, 
also  eine  Verfassungsurkunde,  schaffen  wollte,  dafe  endlich  eine  Menge 
einzelner  Streitigkeiten  zu  schlichten  waren.  Sehr  gegen  den  Willen 
des  Kaisers  wurden  diese  Fragen  mit  derjenigen  der  „Türkenhülfe"  in 
Verbindung  gesetzt;  das  Jahr  1663  verlief  unter  wenig  ergiebigen  Ver- 
handlungen. Die  Beschlüsse  des  Reichstags  und  die  Erklärungen  der 
kaiserlichen  Vertreter  liegen  in  den  älteren  Sammelwerken,  vor  allem 
in  Londorps  Acta  publica,  im  Theatrum  Europaeum  und  in  der 
bei  Koch  in  Frankfurt  a.  M.  1 747  erschienenen  Neuen  und  vollstän- 
digen Sammlung  der  Reichsabschiede  vor;  dagegen  fehlt  es  noch 
an  Material  zu  einer  genügenden  Kenntnis  der  unter  den  Reichsständen 
selbst  gepflogenen  Beratungen  und  der  Stellung,  welche  die  einzelnen 
gröfeeren  und  kleineren  Staatswesen  zu  den  schwebenden  Fragen  ein- 
nahmen. Eingehende  Arbeiten  besitzen  wir  über  die  Politik  Kiu-- 
Brandenburgs  in  dem  bekannten  Werke  von  J.  G.  Droysen  sowie 
in  den  Urkunden  und  Aktenstücken  zur  Geschichte  des  Grofsen 
Kurfürsten,  ferner  über  die  Politik  der  weifischen  Fürsten  in 
K.  Köchers  Geschichte  von  Hannover  und  Braunschweig  1648 
bis  17 14,  Bd.  I  (Publikationen  aus  den  Preufsischen  Staatsarchiven, 
Bd.  XX,  Leipzig  1884),  endlich  über  diejenige  von  Kur-Mainz  indem 
Buche  von  G.  Mentz,  Johann  Philipp  von  Schönborn,  Kurfürst 
von  Mainz,  2  Bände,  Jena  1896 — 98.  Eine  dankenswerte  Aufgabe 
dürfte  es  sein,  in  gleicher  Weise  die  Politik  der  andern  Kurfürsten  und 
bedeutenderen  Fürsten  zu  untersuchen.  Kur-Köln  und  Kur-Trier  ge- 
hörten allerdings  zu  dem  unter  dem  Namen  der  „Rheinischen  Allianz** 
bekannten  Sonderbunde,  der  unter  der  Leitung  des  Kurfürsten  von 
Mainz  stand ;  es  finden  sich  aber  Andeutungen,  dafs  sie  daneben  eigene 
Zwecke  verfolgten  und  selbständig  mit  dem  Kaiser  unterhandelten. 
Noch  weniger  wissen  wir  über  die  Politik  der  Reichsstädte  und  die 
Art,  wie  die  bei  Londorp  mitgeteflten  Beschlüsse  des  städtischen 
Kollegiums  zu  stände  kamen. 

Während  der  Reichstag  noch   über  Vorfragen  beriet,   drang  im 
Sommer  1663  ein  türkisches   Heer,  von  dem   Grofevezir  gefuhrt,   in 


—     78     — 

Ungarn  ein  und  eroberte  nach  langer  Belagerung  die  Festung  Neu- 
häusel.  Die  kaiserlichen  Truppen  waren  zu  schwach,  um  dem  Feinde 
im  offenen  Felde  entgegenzutreten;  sie  mufsten  sich  begnügen,  Prefe- 
burg  zu  decken.  Tataren,  die  sich  beim  türkischen  Heere  befanden, 
durchstreiften  Ober- Ungarn  plündernd  und  brennend  und  fielen  in 
Mähren  ein.  Die  Kunde  davon  rief  in  manchen  Gegenden  Deutsch- 
lands einen  panischen  Schrecken  hervor.  So  verbreitete  sich  im  Sep- 
tember in  Schwaben  und  der  Pfalz  das  Gerücht,  die  Tataren  seien 
bereits  durch  Böhmen  nach  Franken  vorgedrungen  und  bei  Nürnberg 
erschienen.  Die  pfalzischen  Beamten  zu  Mosbach  boten  deswegen 
schon  die  Landmiliz  auf  (v.  Weech,  Der  Türkenschrecken  in  der 
Pfalz,  Zeitschrift  für  Geschichte  des  Oberrheins,  Bd.  XXII,  S.  3 80 ff.). 
Auch  in  Niedersachsen  herrschte  gleiche  Furcht  (Köcher,  a.  a.  O., 
S.  325).  Nun  entschlossen  sich  zunächst  die  Kurfürsten  von  Branden- 
burg, Sachsen  und  Bayern,  dem  Kaiser  Hülfstruppen  zu  senden.  Ihrem 
Beispiele  folgte  die  rheinische  Allianz ;  sie  stellte  ein  Korps  von  7000 
Mann  auf,  welches  im  Dezember  nach  der  ungarischen  Grenze  zog. 
Über  die  Zusammensetzung  desselben  sind  wir  ziemlich  genau  unter- 
richtet durch  die  Liste,  welche  das  Theatrum  Europaeum  in  dem 
Berichte  über  die  Schlacht  bei  St.  Gotthard  giebt.  Danach  bestand 
das  „allüerte"  Korps  aus  Kontingenten  der  Kurfürsten  von  Köln,  Trier 
und  Mainz,  der  Bischöfe  von  Münster,  Strafsbui^  und  Basel,  der  Krone 
Schweden  (für  die  Herzogtümer  Bremen  und  Pommern),  der  Herzöge 
von  Braunschweig  und  von  Württemberg,  der  Landgrafen  von  Hessen 
und  der  Pfalzgrafen  von  Neuburg  (für  Jülich-Berg)  und  Zweibrücken. 
Was  aber  die  Leistungen  und  Schicksale  der  einzelnen  Kontingente 
betrifft,  so  wissen  wir  Genaueres  nur  über  dicbraunschweig-lüneburg^chen 
Truppen  (v.  d.  Decken  im  Vaterländischen  Archiv  des  Historischen 
Vereins  für  Nieder  Sachsen  183g  ;  v.  Sichart,  Geschichte  der  han- 
noverschen Armee,  Bd.  I).  Aulserdem  hat  der  Führer  des  kurköhii* 
sehen  Regiments,  der  spätere  hannoversche  General  Andreas  Melvill, 
Denkwürdigkeiten  hinterlassen,  in  denen  er  Jauch  über  diesen  Krieg 
berichtet  {M^moires  de  M.  le  Chevalier  de  Melvill,  g^n^al- major 
des  troupes  de  S.  A.  E.  monseigneur  le  duc  de  Cell,  Amsterdam, 
1704). 

Im  Januar  1664  endlich  bewilligte^auch  der  Reichstag  dem  Kaiser 
eine  Hülfe  von  20000  Mann,  die  von  den  Reichskreisen  nach  der  au» 
dem  XVI.  Jahrhundert  stammenden  Matrikel  aufgebracht  werden  und  von» 
eigenen,  dem  Reiche  verpflichteten  Offizieren  gefuhrt  werden  sollten 
In  Wirklichkeit  ist  dieses  Heer  jedoch  nicht  vollzählig  zusammengetreten 


—     79     — 

Die  Truppen  des  burgundischen  Kreises  blieben  ganz  aus;  die  des 
obersächsischen  hätten  hauptsächlich  von  Brandenburg  und  Sachsen 
gestellt  werden  müssen;  die  Streitkräfte  beider  Kurfürsten  aber  waren 
schon  längst  in  Ungarn.  In  den  anderen  Kreisen  gingen  die  Rüstungen 
nicht  gleichmäfsig  vorwärts;  da  nun  die  Türken  im  Frühjahre  wieder 
vordrangen,  so  mufsten  die  einzelnen  Kreiskontingente,  sobald  sie  for- 
miert waren,  nach  Ungarn  gesandt  werden.  Darum  konnte  der  Reichs- 
Feldmarschall,  Markgraf  Leopold  Wilhelm  von  Baden,  nur  die  Truppen 
des  bayrischen,  schwäbischen,  fränkischen,  westfälischen  und  nieder- 
sächsischen Kreises  unter  seinem  Befehl  vereinigen.  Jeder  dieser 
Kreise,  mit  Ausnahme  des  schwäbischen,  hatte  ein  Infanterie-  und 
ein  Kavallerie-Regiment  gestellt,  der  schwäbische  dagegen  anstatt  der 
Reiter  ein  zweites  Infanterie-Regiment,  welches  als  das  württembergische 
bezeichnet  wird.  Mit  diesen  Truppen  stiefs  der  Markgraf  zu  der  kaiser- 
lichen Hauptarmee,  die  unter  dem  Befehl  des  Grafen  Montecuccoli  an 
der  Mur  kämpfte;  hier  befand  sich  bereits  das  von  Graf  Hohenlohe 
kommandierte  Korps  der  rheinischen  Allianz.  Die  Brandenburger, 
Sachsen  und  Kurpfalzer  aber  verstärkten  die  zweite  kaiserliche  Armee, 
welche  unter  Führung  des  Generals  de  Souches  Ober-Ungarn  deckte. 
Der  Ehrentag  dieser  Truppen  wurde  der  19.  Juli  1664:  an  diesem 
Tage  zersprengten  sie  bei  dem  Schlosse  Lewenz  den  abgesondert  vor- 
gehenden rechten  Flügel  des  türkischen  Heeres.  Inzwischen  zog  der 
Gro&vezir  mit  seiner  Hauptmacht  von  der  Mur  nach  der  Raab  und 
versuchte  am  i.  August  diesen  Flu(s  beim  Kloster  St.  Gotthard  zu 
überschreiten.  Hier  trat  ihm  Montecuccoli,  dessen  Streitkräfte  noch 
durch  ein  französisches  Hilfscorps  einen  wertvollen  Zuwachs  erhalten 
hatte,  entg^en.  Die  Kreistruppen,  die  der  erste  Stofs  der  Türken 
traf,  hielten  sich  schlecht;  aber  Kaiserliche,  AUüerte  und  Franzosen 
griffen  rechtzeitig  an  und  trieben  den  Feind  über  den  Flufs  zurück. 

Die  über  diese  Schlacht  vorhandenen  älteren  Darstellungen  sind 
von  M.  Nottebohm  in  seiner  oben  angeführten  Schrift  einer  ein- 
schneidenden Kritik  unterzogen  und  durch  Heranziehung  einer  tür- 
kischen Quelle  ergänzt  worden.  Gegen  Nottebohms  Auffassung  wandte 
sich  H.  V.  Zwiedinek-Südenhorst  [Die  Schlacht  bei  St  Gott- 
hardt,  Mittheilungen  des  Instituts  für  österreichische  Geschichts- 
forschung, Bd.  X,  S.  443  ff.).  Beide  Forscher  haben  aber  den  von 
V.  Mülverstedt  (Die  Magdeburger  in  der  Schlacht  bei  St,  Gott- 
hard, Geschichtsblätter  für  Stadt  und  Land  Magdeburg,  2.  Jahr- 
gang 1867,  S.  142  ff.)  veröffentlichten  Originalbericht  des  magde- 
buxgischen  Leutnants  Joachim  Huldreich   übersehen.     Dieses  Schrift- 


—     80     — 

stück  enthält  gerade  über  den  ersten  Teil  der  Schlacht  wertvolle  Nach- 
richten. Mülverstedt  hat  demselben  noch  eingehende  aus  den  Akten 
des  Archivs  geschöpfte  Mitteilungen  über  das  magdeburgische  Kon- 
tingent hinzugefugt.  Leider  fehlen  uns  bis  jetzt  ähnliche  Arbeiten  über 
die  anderen  Kreisregimenter,  welche  an  der  Schlacht  teilgenommen 
haben.  Hier  kann  die  lokale  Geschichtsforschung  einsetzen  und  aus 
den  Archiven  der  Territorien,  Reichsstädte  und  Adelsfamilien  neue 
Aufschlüsse  zutage  fördern;  auch  Notizen,  die  für  sich  allein  unbedeu- 
tend scheinen,  können  doch  im  Zusammenhange  mit  anderen  dazu 
dienen,  das  GesamtbUd  zu  berichtigen  und  zu  vertiefen.  Eine  der- 
artige Untersuchung  hat  Referent  selbst  über  die  Reiterei  des  ober- 
rheinischen Kreises  angestellt  (in  den  Annalen  des  Vereins  für 
Nassauische  Alterthumskunde  und  Geschichtsforschung,  Bd.  XX, 
S.  112  ff.,  und  Bd.  XXIX,  S.  225  fr.);  die  Truppen  dieses  Kreises  haben 
freilich  den  Kriegsschauplatz  erst  nach  der  Schlacht  eireicht.  Immer- 
hin zeigt  jene  Arbeit,  wie  lohnend  es  ist,  nach  Korrespondenzen  der 
Generale  und  StabsofOziere  zu  suchen.  In  der  von  J.  J.  v.  Rauch  bar 
verfafsten  Biographie  des  Fürsten  Georg  Friedrich  von  Waldeck, 
der  als  Generalleutnant  bei  der  Reichsarmee  stand,  finden  sich  zwar 
interessante  Einzelheiten  über  den  Marsch  von  der  Mur  bis  nach 
St.  Gotthard;  aber  unmittelbar  vor  der  Schlacht  bricht  die  Erzählung 
ab  {Leben  und  Thaten  des  Fürsten  Georg  von  Waldeck,  von 
J.  J.  V.  Rauch  bar,  herausgegeben  von  L.  Curtze  und  A.  Hahn, 
Arolsen  1867 — 187 1,  Bd.  I,  S.  219 — 229).  Eine  Ergänzung  dieser 
Lücke  wäre  sehr  erwünscht. 

Die  Schlacht  bei  St.  Gotthard  bietet  endlich  auch  ein  Beispiel 
dafür,  dafs  an  historisch  bedeutende  Ereignisse  sich  Sagen  knüpfen. 
Eine  solche  Sage  ist  es,  dafs  die  Entscheidung  durch  einen  Reiter- 
angriff  des  Generals  Johann  Sporck  herbeigeführt  worden  sei  {AU- 
gemeine  Deutsche  Biographie,  Bd.  XXXV,  S.  266).  Der  whrkliche 
Sachverhalt  ergiebt  sich  aus  dem  kaiserlichen  Diplom,  durch  welches 
Sporck  für  seine  Verdienste  in  den  Grafenstand  erhoben  wurde  (bei 
Rosenkranz,  Graf  Johann  von  Sporck,  2.  Aufl.,  Paderborn  1877, 
S.  171).  Eine  andere  Sage,  die  noch  im  Jahre  1854  in  einem  Ge- 
dichte von  O.  F.  Gruppe  ihren  Ausdruck  gefunden  hat,  schreibt 
jenes  Verdienst  den  Brandenburgern  zu.  Und  doch  haben  diese  nicht 
bei  St.  Gotthard,  sondern  bei  Lewenz  gefochten.  Um  solche  Sagen 
endgültig  zu  beseitigen,  wird  man  sie  stets  bis  zu  ihrem  Ursprünge 
verfolgen  müssen. 


—    bl    — 


TerBaMMlllllgeB«  —  Die  Tagung  des  „Gesamtvereins  der  deut- 
sehen  Geschichts-  und  Altertumsvereine'*  zu   Strafsburg  i.  E.    in 
der  Zeit  vom  25.  bis    28.  September  zeigte   wiederum,   mit  welchem  Eifer 
überall   die   landschaftliche   Geschichte  gepflegt    wird.      Die   Zahl  der  Tdl- 
nehmer  bdief  sidi  auf  216,   während    55  Vereine   durch  Abgeordnete  ver- 
treten waren«    Wer  das  überreiche  Programm  sah,  dem  muiste  Ton  vornherein 
klar  werden,  dafs  an  eine  Erledigung  alles  dessen,  was  versprochen   wurde, 
nicht  zu  denken  war,  und  so  sind  denn  einige  Punkte,  und  es  möchte  von 
unserem  Standpunkte  aus  scheinen  gerade   die   wichtigsten,   gar  nicht  zur 
Verhandlung    gdcommen:    das    gilt   namentlich   von   dem   Referat  über  die 
deutschen   Siedelungsfragen   (Prof.    Heiming),    über  den   Stand  der 
Forschungen    auf   dem  Gebiete    der    deutschen    Stadtverfassung   (Prof. 
ßrefslau)  und  über  die  Kolonisation  des  Ostens  (Prof.  Meitzen).    Aber 
auch  im  übrigen  ist  zu  beklagen,  dafs  einerseits  die  an  sich  schon  zu  zahl- 
reichen Vorträge  allzu  viel  Einzelheiten  bringen,  welche  sich  nur  bei  aufinerk- 
samem  Lesen  voQständig  geniefsen  lassen,  während  andrerseits  eine  eingehende 
Erörterung  der  einschlägigen  Fragen  durch  Vertreter  aus  allen  Landesgebieten 
aus  'Zeitmangel  &st  ganz  unterbleibt  oder   nur  in   gröfster  Eile   und  Kürze 
besorgt  wird.     Dem  sollte  in  der  Folge  mehr  Rechnung  getragen   und   na- 
mendich  Zeit  für  eine  Debatte  reichlich  vorgesehen  werden!    Vielleicht  wäre 
es  auch  zeitgemäfser,  die  Sektionen  ganz  zu  beseitigen  und  die  wissenschaft- 
lichen Fragen  nur  vor  dem  Plenum  zu  verhandeln,    denn  gerade   die  Teil- 
nehmer, -die  der  Sache  das  gröfste  Interesse  entgegen  bringen,   sehen   sich, 
da  in  den  Sektionen  gleichzeitig  beraten  wird,  nur  zu  oft  um  den  einen  oder 
anderen  Vortrag   betrogen.     Die   Erörterungen   auf  der   Generalversammlung 
des  Gesamtvereins   sollen  gerade   der  Anregung  dienen,    und   dieser   Zweck 
wird    sich    nicht    besser    erreichen    lassen    als    gerade    dadiu-ch,    dafs    der 
einer  bestimmten  Frage  bisher   femer   stehende  Forscher  gerade   durch    die 
Erörterung  den  besonderen  Problemen  näher  gebracht  wird. 

Auf  den  Inhalt  der  Vorträge  selbst  näher  einzugehen,  ist  unnötig,  da 
die  offiziellen  Berichte  bereits  bald  erscheinen  werden ;  es  seien  hier  nur  die 
Themen  genannt,  über  die  gesprochen  wurde,  wobei  unberücksichtigt  bleibt, 
ob  die  Vorträge  in  Hauptversammlungen  oder  vor  den  Sektionen  stattfanden : 
Strafsburgs  Einwirkung  auf  Goethes  historische  Anschau- 
ungen (Prot  Varrentrapp) ;  Die  Schlettstadter  Stadtrechtc  (Abb^ 
GÄiy);  Burggraf  Friedrich  III.  von  Nürnberg  und  der  alt- 
zollernsche  Besitz  in  Österreich  (Prof.  Wittc-Hagenau) ;  Der  Hortus 
deliciarum  der  Herrad  v.  Landsperg  (Domherr  Keller);  Aus  der 
Vorgeschichte  des  Elsafs  (Prof.  Henning);  Die  geschichtliche 
Einheit  des  Elsafs  (Privatdozent  Bloch);  Die  deutsche  Nation  in 
Padua  (Prof.  Knod).  In  allen  diesen  Vorträgen  wurden  Forschtmgsergcb- 
nisse  mitgeteilt,  die  abgesehen  von  den  unmittelbar  in  die  geschichtliche 
Vergangenheit  des  Landes  einführenden  wohl  jeder  Teibchmer  lieber  lesend 
zu  sich  genommen  hätte,  während  eine  Reihe  anderer  Erörterungen  zur  Be- 

6 


—     82     — 

lebung  und  besseren  Organisation  künftiger  Forschung  anregen  sollten,  und 
darin  müssen  wir  den  fruchtbarsten  Teil  der  Verhandlungen  erblicken.  Über 
die  Herstellung  der  Grundkarten  und  die  Einrichtung  einer  Zentralstelle 
für  Grundkartenforschung,  worüber  Prof.  Thudichum  und  Lamprecht  berich- 
teten, ist  bereits  in  Nr.  2  dieser  Zeitschrift  Näheres  mitgeteilt  worden,  hier 
können  wir  uns  auf  die  Resolutionen  beschränken,  die  in  dieser  Frage  ge- 
fafst  worden  sind,  nämlich:  I.  Die  Generalversammlung  nimmt  mit  Freuden 
Kenntnis  davon,  dafe  der  im  vorigen  Jahr  in  Münster  geäufserte  Wunsch  auf 
Schaffimg  einer  Zentralstelle  zur  Sammlung  der  Grundkarten  und  historischen 
Karten  aus  ganz  Deutschland  mit  dem  Sitz  in  Leipzig  bereits  erledigt  ist 
und  fühlt  sich  gedrungen,  sowohl  der  Universität  Leipzig  als  der  kgL  säch- 
sischen Regierung  für  diese  wichtige  Förderung  des  nationalen  Kartenplans 
den  lebhaftesten  Dank  auszusprechen.  IL  Die  Generalversanmilung  giebt  ihrer 
Freude  darüber  Ausdruck,  dafs  die  Niederlande  und  Belgien  beschlossen 
haben,  auch  für  ihre  Gebiete  Grundkarten  und  historische  Karten  nach  über- 
einstimmenden Grundsätzen  herzustellen,  und  sie  hegt  die  Hoffnung,  dafs 
die  Vorteile  des  Unternehmens  bald  auch  in  der  Schweiz  und  anderen  Nach- 
barländern Deutschlands  zu  allgemeiner  Annahme  gelangen  werden.  III.  Die 
Versammlung  spricht  die  Bitte  aus:  die  k.  k.  österreichische  Regierung  möge 
die  in  Wien  erschienenen,  die  Gemarkungsgrenzen  enthaltenden  sogen.  Ka- 
tastralgemeindekarten  zum  Herstellungspreise  für  den  Zweck  der  geschichtlich- 
geographischen Forschung  abgeben  und  der  in  Leipzig  bestehenden  Zentral- 
stelle für  die  Grundkarten  eine  gröfsere  Anzahl  dieser  Karten  zum  Verkauf 
an  Forscher  zur  Verfügung  stellen. 

Über  eine  Sprachkarte  des  Elsafs  handelte  Realschuldirektor  Lien- 
hart  (Markirch)  und  legte  als  Ergebnis  seiner  Untersuchungen  einige  zwanzig 
Karten  vor,  deren  jede  die  Verbreitung  der  Aussprache  bei  bestimmten 
Wörtern  (ding,  Kind,  Kirche,  Kirsche,  gewesen  bezw.  gesin  u.  s.  w.)  ver- 
anschaulicht. Es  ergeben  sich  dabei  vier  bis  fünf  gleich  den  Flüssen  von 
Südwesten  nach  Nordosten  verlaufende  Unterabteüungen,  von  denen  drei  auf 
Oberelsafs  fallen,  während  Niederelsafs  von  Schlettstadt  an  bis  zum  Hagenauer 
Wald,  jenseit  dessen  überhaupt  bereits  fränkisches  Idiom  einsetzt,  eine  ziem- 
lich geschlossene  Einheit,  wenn  auch  mit  Inseln  durchsetzt,  darstellt.  Auch 
der  Vortrag  Blochs  (Geschichtliche  Einheit  des  Elsafs)  streifte  die  hier  be- 
handelten Fragen  und  zeigte,  welche  Ergebnisse  die  Einzelforschung,  nament- 
lich bei  systematischer  Behandlung  der  Ortsnamen  erzielen  kann.  Lienharts 
Sprachkarten  verdienen  für  alle  ähnlichen  Untersuchungen  als  Vorbüder  die 
gröfste  Beachtung.  —  In  der  hier  angegebenen  Richtung  weiterzuarbeiten, 
wird  als  allgemeines  Bedürfnis  empfunden;  um  aber  auch  praktisch  etwas 
zu  leisten,  wurde  der  von  Archivdirektor  Wolfram  (Metz)  gestellte  Antrag, 
der  sich  mit  einem  ähnlichen  des  Amstadter  Museumsvereins  deckt,  unter 
allgemeiner  Zustinmiung  angenommen.  Der  Antrag  selbst  lautete:  „Die 
deutschen  Geschichts-  und  Altertumsvereine  wollen  die  An- 
fertigung historischer  Ortsverzeichnisse  in  Angriff  nehmen 
und  einen  einheitlichen  Plan  über  die  Abgrenzung  dör  Be- 
zirke entwerfen."  Die  Aufstellung  eines  speziellen  Schemas  für  diese 
Arbeiten  wurde  einer  viergliedrigen  Kommission  (Wolfram,  Bloch,  Reimer, 
Brefslau)  übertragen:  es  sollen  die  jetzigen  Wüstungen  natürlich  eben&Us  auf- 


—     83     — 

genommen,  fernerhin  nicht  nur  die  ältesten,  sondern  möglichst  viele  Wort- 
formen angeführt  werden,  auch  die  territoriale  Zugehörigkeit  mufs  bei- 
gefügt sein,  kurz  es  sollen  dem  Forscher  Mittel  an  die  Hand  gegeben  wer- 
den, um  die  Identifizierung  heutiger  Ortsnamen  mit  historischen  alten  Formen 
zu  erleichtem.  Ein  brauchbares  Vorbild  liegt  bereits  im  Dictionnaire  topo- 
graphique  de  la  France  vor,  aber  auch  für  kleine  Gebiete  giebt  es  bereits  in 
Deutschland  Vorarbeiten,  unter  denen  hier  namentlich,  was  die  tiber- 
lieferte Schreibung  der  Ortsnamen  betrifft,  auf  eine  kleine  Arbeit  von  Prof. 
Heilig  in  Kenzingen,  Die  Ortsnamen  des  Kaiserstuhls  (Festschrift  zur  Feier 
der  Eröffnung  des  Real-  imd  Volksschulgebäudes  in  K.  1899)  hingewiesen 
sein  mag.  Im  Alpengebiet  hat  sich  der  deutsch-österreichische  Alpenverein 
bereits  mit  ähnlichen  Fragen  beschäftigt,  und  in  Passau  sind  auch  schon 
Geldmittel  für  entsprechende  Arbeiten  bewilligt  worden.  —  Eine  Lösung  aller 
bisher  gestellten  Aufgaben  ist  nur  möglich,  wenn  alles  zu  Gebote  stehende  Ma- 
terial auch  wirklich  benutzt  wird.  Deshalb  ist  es  eine  der  wichtigsten  Aufgaben, 
neben  den  staatlichen  und  kommunalen  auch  die  Privat archive,  die  ihrer 
Natur  nach  schwerer  zugänglich  sind,  zu  durchforschen.  Was  in  dieser  Hin- 
sicht in  Österreich  geschehen  ist,  darüber  berichtete  Prof.  v.  Zwiedineck- 
Südenhorst  (Graz)  und  konnte  von  ganz  erstaunlichen  Funden  in  den  vier- 
undvierzig bisher  in  Cisleithanien  untersuchten  Archiven  (darunter  die  der 
Adelsgeschlechter  Wurmbrandt,  Windischgrätz,  Liechtenstein,  Schwartzenberg, 
Lobkowitz,  Caunitz)  erzählen.  Die  namentlich  von  Prof.  Finke  (Freiburg  i.  Br.) 
lebhaft  unterstützte  Anregung  führte  zu  dem  Ergebnis,  dafs  der  Vorstand  des 
Gesamtvereins  beauftragt  wnrde,  für  die  nächste  Versammlung  Berichte  von 
den  zuständigen  Stellen  über  die  Inventarisation  der  Privatarchive  einzuholen 
und  die  für  ihre  Einrichtung  geltenden  Grundsätze  festzustellen.  —  Auch  die 
Ausgrabungen  und  die  aus  ihnen  zu  gewinnenden  Aufschlüsse  kamen  nicht 
zu  kurz  weg:  so  erläuterte  Dr.  Anthes-Darmstadt  an  der  Hand  von  !Zeich- 
nungen  und  Plänen  das  Wesen  einer  Anzahl  von  Bauwerken  militärischen 
Charakters,  kleiner,  zur  Zeit  des  Antoninus  Pius  erbauter  Türme,  die  am 
Limesgebiet  ausgegraben  wurden.  Aus  einem  Sandsteinunterbau  tmd  Ober- 
geschofs  in  Holz  bestehend,  dienten  sie  als  Stützpunkte  für  die  Grenzwache, 
die  ihre  Zuflucht  zu  ihnen  auf  Leitern  genommen  haben  mufs,  denn  Thüren 
finden  sich  nicht  vor.  Prof.  Mehlis  gab  eine  Zusammenstellung  seiner  bis- 
her an  der  nordelsäfsischen  Grenze  und  in  der  Pfalz  gemachten  Ausgrabungen. 
Prof.  Riese-Frankfurt  legte  eine  Anzahl  von  interessanten  aus  Rom  stam- 
menden terra  sigillata-Scherben  vor,  während  Prof.  Thr  am  er  über  die  Lage 
des  römischen  Strafsburg  und  Dr.  Kohl  (Worms)  über  neolithische  Keramik 
mit  Unterscheidung  von  drei  Perioden  mittelrheinischer  neolithischer  Band- 
omamentik  handelte.  Für  die  künftige  Organisation  der  Ausgrabungsarbeiten 
und  sonstiger  dahin  gehöriger  Thätigkeit  ist  die  Stellung  von  grofser  Be- 
deutung, welche  die  westdeutschen  Altertumsvereine  zu  der  neu  zu  begrün- 
denden Reichskommission  für  römisch -germanische  Altertumsforschung  (vgl. 
oben  S.  27)  einnehmen  werden.  Prof.  Wolf  (Frankfurt)  stellte  deshalb  unter 
Hinweis  darauf,  dafs  1891  bei  der  Gründung  der  ReichsUmeskommission  die 
Altertumsvereine  nicht  gebührenderweise  berücksichtigt  worden  sind,  die 
Forderung  auf:  i.  Die  Generalversammlung  des  Gesamtvereins  der  deutschen 
Geschichts-  und  Altertumsvereine   spricht  die  Erwartung   aus,   dafs   bei  der 


—     84     - 

endgültigen  Organisation  der  Reichskommission  für  römisch-germanische 
Altertumsforschung  die  Geschichtsvereine  imter  voller  Wahrung  ihrer  Selb- 
ständigkeit durch  eine  Anzahl  von  ihnen  selbst  gewählter  Mitglieder  ver- 
treten sein  werden.  2.  Die  Generalversammlung  erklärt  es  für  wünschens- 
wert, dafs  auch  bei  den  mit  Unterstützung  der  Reichskommission 
imtemommenen  Nachforschungen  bezw.  Ausgrabungen  die  zu  Tage  ge- 
förderten Fundstücke  —  einschliefslich  der  auf  fiskalischen,  kirchlichen  und 
Gemeindegrundstücken  erhobenen  —  prinzipiell  den  Provinzial-  und  Lo- 
kalmuseen tiberwiesen  werden,  in  deren  Forschungsgebieten  sie  gefunden 
sind.  Zur  allgemeinen  lebhaften  Befriedigung  fanden  die  von  dem  bewähr- 
ten Forscher  ausgesprochenen  Forderungen  bei  den  anwesenden  Mitgliedern 
des  archäologischen  Instituts,  Generalsekretär  Prof.  Conze  und  Prof.  Mi- 
chaelis bereitwillige  Zustimmung.  Ersterer  erklärte  ausdrticklich ,  dafs  für 
ihn  die  Lokalvereine  die  festgewurzelten  Organisationen  für  die  Fortentwicke- 
lung der  römischen  Forschung  seien,  und  dafs  er  sich  eine  erspriefsliche 
Arbeit  des  neuen  Reichsmstituts  nur  in  Zusammenhang  mit  denselben  denken 
könne.  Auch  in  der  Museenfrage  war  er  einverstanden,  wünschte  allerdings 
Zentralisiertmg  des  auf  den  Funden  beruhenden  wissenschaftlichen  Apparates 
an  einer  Stelle,  als  welche  zunächst  Mainz  in  Aussicht  genommen  sei,  da 
dort  schon  ein  Gnmdstock  vorhanden  ist  Hier  soll  denn  auch  jüngeren 
Kräften  Gelegenheit  zur  Ausbildung  gegeben  werden.  —  Die  seit  Jahren  vom 
Gesamtverein  so  lebhaft  geforderte  Erhöhung  des  Denkmalsschutzes  behandelten 
zwei  Berichte  von  Architekt  Wall d  (Berlin)  und  Geh.-Rat  Loersch  (Bonn). 
Ersterer  begrüfste  freudig  neue  Bauordnungen,  wie  sie  für  Nürnberg  und 
Hildesheim  jüngst  ergangen  seien,  und  forderte  die  Umwandelung  des  Kon- 
servatoramtes in  ein  Hauptamt,  letzterer  konnte  mitteilen,  dafs  von  dem  im 
vorigen  Jahre  in  Münster  eingesetzten  Ausschufs  eine  an  die  deutschen  Re- 
gienmgen  gerichtete  Denkschrift  ausgearbeitet  worden  sei,  die  diesen  die 
Sache  des  Denkmalsschutzes  ans  Herz  legen  soll.  —  Über  die  Art,  wie 
kulturgeschichtliche  Publikationen  zu  bewerkstelligen  seien,  ver- 
breitete sich  schliefslich  Prof.  Lamprecht  (Leipzig)  und  führte  aus,  dafs 
solche  Veröffentlichungen,  welche  „Quellen  der  Zustände"  genannt  werden 
dürfen,  äufserst  notwendig  aber  nicht  weniger  schwierig  seien.  Zunächst 
haben  die  meisten  solchen  Quellen  lokalen  Charakter  und  werden  demgemäfs 
am  besten  von  lokalen  Organisationen  veröffenüicht.  Aber  darüber  hinaus 
giebt  es  auch  solche  Quellen  allgemeinen  Charakters,  nur  ist,  um  einiger- 
mafsen  festzustellen,  was  an  solchen  vorhanden  ist,  eine  systematische  Durch- 
arbeitung der  vorhandenen  Quellenmasse  notwendig.  Wenn  aber  Quellen,  in 
lokale  und  allgemeine  gegliedert,  thatsächlich  veröffentlicht  werden  sollen,  so 
ist  in  erster  Linie  Geld  notwendig,  denn  die  ausführenden  Kräfte  sind  heute 
meist  vorhanden.  Um  Geld  zu  beschaffen,  empfiehlt  der  Redner  Heranziehung 
der  reichen  Leute  als  Subskribenten,  wie  sie  bei  der  „Kgl.  Sächsischen  Kom- 
mission für  Geschichte  "  vorhanden  sind.  Diese  erhalten  bis  zum  Jahresbetrag 
von  50  Mark  sämüiche  Publikationen  der  Kommission  zum  halben  Laden- 
preis, und  300  solcher  Leute  geben  jährlich  15000  Mark  für  Publikations- 
zwecke in  die  Hand.  Um  diese  Subskribenten  leichter  zu  gewinnen  und 
festzuhalten,  empfehlen  sich  wieder  besonders  illustrierte  Quellen,  die  er- 
fahrungsgemäfs    stets  gröfseren   Absatz   finden.      Vielleicht  sind   auch    diese 


—     85     — 

Gedanken  hier  oder  da  auf  günstigen  Boden  ge&Uen  und  regen  zu  lebhafter 
finanziell  gut  fundierter  Publikationsthätigkeit  an. 

Ein  fUr  die  Organisation  des  Gesamtvereins  höchst  wichtiger  Punkt  wurde 
in  der  dazu  berufenen  Deligierten-Sitzung  erörtert  Bisher  herrschte  das  Vor- 
ortsystem, welches  sich  heute  fast  bei  allen  gröfseren  Verbänden  als  nicht 
mehr  zweckdienlich  erwiesen  hat,  und  der  Verein  für  die  Geschichte  Beriins 
ist  fünfzehn  Jahre  lang  Vorortsverein  gewesen.  Gegenwärtig  hat  nach  dem  Tode 
des  Geh.  Archivrats  Reuter  dieser  Verein  die  Leitung  des  Gesamtvereins 
angegeben,  und  eine  siebengliedrige  Kommission  (Ermisch,  Wolfram,  Anthes, 
Grotefend,  v.  Pfister,  Prümers,  Bezold),  die  sich  beliebige  Mitglieder  zuwählen 
kann,  soll  über  die  Schafiung  einer  neuen  Organisation  beraten.  Vorläufig 
führt  Archivrat  Bailleu  die  Geschäfte  weiter.  Die  Kassenverhältnisse  des  Ge- 
samtvereins sind  gut  zu  nennen,  die  Zahl  der  Abnehmer  des  „  Korrespondenz- 
blattes** ist  gewachsen,  und  hundertvierundzwanzig  Vereine  gehören  der  Or- 
ganisation an.  Eine  Annäherung  an  die  seit  1893  tagenden  Historiker- 
versammlungen ist  insofern  erfolgt,  als  Prof.  v.  Zwiedineck  über  diese  be- 
richten und  unter  allgemeiner  Zustimmung  eine  gemeinsame  Tagung  und  gegen- 
seitige Förderung  empfehlen  konnte.  Fürs  Jahr  1900  ist  allerdings  an  eine 
solche  Vereinigung  nicht  zu  denken,  da  beide  Versammlungen  bereits  vor- 
bereitet sind:  der  Historikertag  wird  Ostern  zu  Halle  a.  S.  und  die  Ver- 
sammlung des  Gesamtvereins  deutscher  Geschichts-  und  Altertumsvereine  im 
September  in  Dresden  stattfinden. 

ArchlTe»  —  Bei  der  Teilung  der  gefürsteten  Grafschaft  Henneberg  im 
Jahre  1660  wurde  bestinmit,  dafs  diejenigen  Archivalien,  die  für  die  Ge- 
samterben des  Landes  wichtig  seien,  von  der  Verteilung  ausgeschlossen  imd 
in  Meiningen  als  gemeinschafdicher  Besitz  bleiben  sollten.  Dieses  „Ge- 
meinschaftliche Hennebergische  Archiv*'  gehört  gegenwärtig  zu 
7/48  dem  Grofsherzogtum  Sachsen-Weimar,  zu  «»/^g  dem  Königreich  Preufsen 
und  zu  8^/48  den  Herzogtümern  Sachsen  -  Meiningen  und  Sachsen  -  Coburg- 
Gotha.  Die  bestehende  Ordnung  des  Archivs  rührt  von  dem  Archivrat 
Ludwig  Bechstein  (1847 — 1860)  her,  genügt  aber  jetzt  nicht  mehr,  da  sich 
namentlich  herausgestellt  hat,  dafs  mindestens  1500  Originalurkunden  noch 
gar  nicht  bearbeitet  sind  und  viele  andere  nur  ungenau.  Auf  Anregung  des 
gegenwärtigen  Archivars  Prof.  E.  Koch,  dem  bisher  die  Verwaltung  dieses 
Archivs  nur  im  Nebenamt  übertragen  war,  hat  die  Regierung  von  Sachsen- 
Meidngen  bei  den  Besitzern  des  Hennebergschen  Archivs  den  Antrag  ge- 
stellt, dafs  vorläufig  auf  fünf  Jahre  gröfsere  Mittel  ausgeworfen  werden,  um 
den  gemeinschaftlichen  Archivar  die  Durchführung  der  Ordnung  in  vollem 
Dienste  aufzutragen.  Die  Angelegenheit  ist  zuerst  vor  den  Landtag  von 
Sachsen-Weimar  gekommen,  und  dieser  hat  in  der  Sitzung  vom  6.  November 
dem  Meiningenschen  Antrage  zugestimmt 

Inventare  der  nichtstaatlichen  Archive  der  Provinz  West- 
falen haben  soeben  in  den  „Veröffentlichungen  der  Historischen  Kommission 
der  Provinz  Westfalen**  zu  erscheinen  begonnen,  und  zwar  liegt  das  i.  Heft 
des  ersten  Bandes  (Regierungsbezirk  Münster)  vor,  welches  die  Archive  des 
Kreises  Ahaus  in  der  Bearbeitung  von  Dr.  Ludwig  Schmitz  enthält  (Mün- 
ster i.  W.,   Verlag  der   Aschendorffschen  Buchhandlung,   1899,  56  S.  8**). 


—     86     — 

Ein  neuer  Landesteil  beginnt  hiermit  die  systematische  Abgrasung  der  nicht- 
staatlichen Archive  in  dem  Sinne,  wie  v.  Zwiedineck  es  noch  vor  kurzem 
in  Strafsburg  forderte  (vgl.  oben  S.  83).  Die  Erfahrungen,  welche  in  Tirol, 
Baden  und  Rheinland  gemacht  worden  sind,  haben  gewissenhafte  Berück- 
sichtigung gefunden,  und  die  vorliegende  Veröffentlichung  bedeutet  deshalb 
technisch  zweifellos  einen  Fortschritt  gegenüber  den  älteren  Arbeiten,  nament- 
lich in  Bezug  auf  Übersichtlichkeit  in  der  Anordnung  und  Druckweise.  Für 
den  Benutzer  ist  das  Heft  viel  mehr  eine  Quellenveröffentlichung  als  ein  la- 
konisches Inventar,  ein  ganz  gewaltiger  Vorzug !  Man  hat  sich  deshalb  auch 
nicht  gescheut,  einige  alte  Stücke  (so  S.  4  eine  Urkunde  von  12 12  oder 
S.  43  eine  von  1231,  ebenso  S.  15  und  26)  sofort  im  vollen  Wortlaut  ein- 
zufügen, wo  streng  nach  der  Theorie  lediglich  ein  Regest  zulässig  gewesen 
wäre.  Ob  sich  für  die  genau  nach  dem  Originale  wiedergegebenen  deutschen 
Worte  nicht  doch  Antiqua  besser  geeignet  hätte,  mufs  dahin  gestellt  bleiben. 
Der  Ausdruck  „Kirchenbücher"  für  Tauf-,  Trau-  und  Sterberegister,  so  all- 
gemein er  jetzt  verwendet  wird,  eignet  sich  für  die  Inventarisation  nicht,  da 
nun  einmal  das  Wort  „Kirchenbuch"  in  etwas  abweichendem  Sinne  ge- 
braucht wird.  Der  Bearbeiter  mufs  bei  seiner  Terminologie  S.  7  in  Nr.  3 
und  Nr.  7  zweimal  dasselbe  Wort  in  verschiedenem  Sinne  verwenden,  und 
das  ist  nicht  vorteilhaft.  Die  dem  Hefte  vorausgeschickte  „Anweisung  zur 
Fertigung  der  Inhaltsangaben  (Regesten)  von  Urkunden "  wird  sicher  in  wei- 
teren Kreisen,  die  gelegentlich  bei  der  Inventarisation  behüflich  sind,  freudig 
begrüfst  werden  und  manchen  anspornen,  Regesten  abzufassen,  der  sich  bis- 
her für  nicht  dazu  fähig  hielt  Die  ebenfalls  beigefügte  Denkschrift,  welche  im 
allgemeinen  die  Bearbeitung  von  Archivinventaren  behandelt,  erregt  hingegen 
in  einigen  Punkten  Bedenken.  So  werden  nach  1500  nur  „übersichtliche 
Nachweise"  gewünscht,  wonach  es  fast  scheinen  könnte,  als  ob  man  vor- 
wiegend mittelalterliche  QueUen  kennen  lernen  wollte ,  während  doch  unter 
den  jüngeren  Akten  oft  recht  wichtige  Stücke  zu  finden  sind,  die  gerade  aus 
der  Masse  herausgehoben  werden  müssen.  Die  Praxis  der  Bearbeitung  zeigt 
auch  ein  ganz  anderes  Büd:  es  sind  in  der  That  in  reichem  Mafse  jüngere 
Akten  mit  verzeichnet,  wenn  auch  die  inhalüich  mit  der  Zeit  immer  weniger 
wichtig  werdenden  Urkunden  nicht  mehr  berücksichtigt  sind.  Trotzdem  wäre 
es  z.  B.  doch  ganz  interessant,  wenn  man  S.  26  über  die  etwa  25  Urkunden 
des  15.  bis  17.  Jahrhunderts  im  Pfarrarchiv  zu  Legden  etwas  erführe!  Ob 
es  bei  kleineren  Archiven  grundsätzlich  zweckmäfsig  ist,  Urkunden  und  Akten 
zu  trennen,  wie  es  S.  VI,  Anm.  2  empfohlen  wird,  mufs  auch  fraglich  er- 
scheinen. Namentlich  ältere  Adelsarchive,  die  im  XVIII.  Jahrhundert  geordnet 
worden  sind,  kennen  diese  Trennung  nicht,  u.  E.  mit  gutem  Grund,  da  sie 
die  Archivalien  über  jedes  Gut  zusammen  lassen.  Für  den  Benutzer  ist  es 
heute  viel  bequemer,  wenn  er  Urkunden  und  Akten,  so  wie  sie  sich  inhalt- 
lich ergänzen,  beisammen  findet,  und  um  der  archivalischen  Theorie  wiUen 
soU  man  die  Benutzung  der  Bestände  nicht  erschweren.  Für  die  Publikation 
der  Inventare  selbst  sind  diese  Fragen  von  geringerer  Wichtigkeit,  die  ge- 
schichtsforschende  Welt  hat  vielmehr  allen  Grund,  das  neue  westfälische 
Unternehmen  freudig  zu  begrüfsen  und  auf  das  recht  baldige  Nachfolgen 
weiterer  Hefte  zu  rechnen. 

Von  Beginn  des  Jahres  1 900  an  werden  im  Verlag  Ton  Hirzel  (Leipzig) 


—      87     — 

Mittheilungen  der  Kgl.  Preufsischen  Archivverwaltung  in  zwang- 
losen Heften  erscheinen. 

Vereine.  —  Die  bisherige  „Rtigisch-Pommersche  Abteilung 
der  Gesellschaft  für  pommersche  Geschichte  und  Altertums- 
kunde*' hat  sich  am  28.  Oktober  imter  dem  Namen  ,yRUgisch-Pom- 
merscher  Geschichtsverein"  zu  Grei£swald  und  Stralsund  als  selb- 
ständiger Verein  konstituiert  Nach  dem  S  i  der  Satzungen  bezweckt  der 
Verein,  die  Geschichte  und  Altertumskunde  Pommerns,  insbesondere  Neu- 
Vorpommerns  und  Rügens,  zu  erforschen  und  die  Teilnahme  daran  zu  för- 
dern und  zu  verbreiten.  Unter  den  sechs  Vorstandsmitgliedern  finden  sich 
erfreulicherweise  zwei  akademische  Lehrer  der  Universität  Greifswald,  Prof. 
Bernheim  und  Prof.  Frommhold  sowie  der  Stralsunder  Ratsarchivar 
V.  Baensch. 

In  Sachsen,  wo  seit  Anfeng  1897  ein  „Verein  für  sächsische 
Volkskunde"  thätig  ist,  das  Interesse  für  die  Altertümer  und  Eigenart 
der  Heimat  zu  wecken,  haben  kurz  nacheinander  in  den  Städten  Pegau, 
Würzen  imd  Döbeln  kleine  Altertumsausstellungen  stattgefunden,  die  ein 
Bild  davon  abgeben,  was  noch  von  älteren  Gegenständen  im  Besitz  der  Be- 
völkrung  ist  Sind  es  auch  zum  weitaus  gröfsten  Teile  keine  Kostbarkeiten 
und  Seltenheiten,  so  zeigen  doch  gerade  diese  Dinge,  wie  man  noch  vor 
einem  Jahrhundert  und  später  in  der  eigenen  Gegend  lebte.  Die  Erhaltung 
einer  solchen  Sammlung,  wie  sie  bei  Ausstellungen  zustande  konunt,  bt 
natürlich  oft  nicht  möglich,  da  die  einzelnen  Eigentümer  naturgemäfs  an  ihren 
Stücken  hängen,  aber  ein  Teil  der  dargebrachten  Sachen  wird  stets  gern 
hingegeben  werden  —  und  der  Grundstock  zu  einem  Lokalmuseum  ist  da. 
Viele  Geschichtsvereine  haben  ein  solches  leider  nur  oft  recht  schlecht  zu- 
gän^ch  au^estellt,  so  dafs  es  mit  Ausschlufs  der  Öffentlichkeit  sein  Dasein 
fristet  — ,  das  Interesse  fUr  eine  Ausstellung  führt  aber  auf  der  andren  Seite 
auch  oft  zur  Entstehung  eines  Vereines,  wie  er  kürzlich  in  Delitzsch  ins  Leben 
getreten  ist,  denn  nur  ein  Verein  ist  ja  in  der  Lage,  auf  die  Dauer  eine 
Sammlung  zu  unterhalten,  zu  vermehren  und  auszugestalten.  Die  Bewegimg, 
wie  sie  in  Sachsen  entstanden  ist,  verdient  als  Mittel  zur  Belebung  des  histo- 
rischen Verständnisses  in  weiteren  Kreisen  und  zugleich  als  Anregung  für 
gelegentlichen  Besuch  gröfserer  Museen,  allgemeine  Beachtung,  sie  bietet  aber 
zugleich  die  einzige  Handhabe,  um  einzelne  hervorragende  Stücke  für  die 
Wissenschaft  „zu  entdecken".  Der  Katalog  der  Döbelner  „Altertums- 
Ausstellung",  die  vom  29.  Oktober  bis  5.  November  währte,  liegt  uns  vor. 
Er  führt  nacheinander  auf  vorgeschichtliche  Funde,  Bücher  und  Gegenstände 
zur  Stadtgeschichte,  kirchliche  Altertümer,  Urkunden,  Bücher  und  Schriften, 
Gläser,  Porzellan  und  Thongefäfse,  Zinn  und  Silber,  Schmucksachen,  Münzen, 
Putzgegenstände,  Web-  und  Nadelarbeiten,  eine  Schulgruppe,  Einzelgegen- 
stände, Bilder,  eine  Spinnstube,  Uhren,  eine  Gildestube  und  Kriegserinnerungen. 
Die  von  den  Einheimischen  fleifsig  besuchte  Ausstellung  wurde  auch  im  Auf- 
trage des  Kgl.  Sächsischen  Ministeriums  von  Prof.  Gurlitt- Dresden  sowie 
im  Auftrage  des  Kgl.  Sächsischen  Altertumsvereins  von  Regierungsrat  Ermisch- 
Dresden  nut  Befriedigung  besichtigt,  und  in  dem  Gelingen  dieser  Veranstaltung 
wird  man  anderwärts  einen  Anlafs  zur  Nacheiferung  finden.    Der  Fortbestand 


—     88     — 

und  Ausbau  des  Döbelner  Altertumsmuseums  ist  gesichert,  und  zwar  nimmt 
dasselbe  geschenkte  Gegenstände  an,  stellt  aber  auch  gegen  Verwahrungs- 
schein solche  Gegenstände  aus,  deren  Eigentum  die  bisherigen  Besitzer  sich 
vorbehalten. 

Personalien.  —  Der  frühere  Innsbrucker  Professor  Josef  Hirn, 
zuletzt  im  Unterrichtsministerium  thätig,  ist  an  Stelle  Alfons  Hubers  zum 
ordentlichen  Professor  der  österreichischen  Geschichte  an  der  Universität 
Wien  ernannt  worden.  —  Der  bisherige  Professor  der  Geschichte  an  der 
deutschen  Universität  in  Prag,  AugustFournier,  wurde  in  gleicher  Eigen- 
schaft an  die  Technische  Hochschule  in  Wien  versetzt.  —  Der  bisherige 
aufserordentliche  Professor  der  Geschichte  in  Erlangen,  Richard  Fester 
wurde  zum  Ordinarius  befördert.  —  Der  bisherige  aufserordentliche  Professor 
für  österreichische  Reichsgeschichte  in  Wien,  Sigmund  Adler,  wurde 
zum  Ordinarius  befördert.  —  Der  bisherige  Privatdozent  in  Bonn,  Alois 
Meister,  wurde  zum  aufserordentlichen  Professor  an  der  Akademie  Münster 
ernannt.  Die  Redaktion  der  „Annalen  des  Historischen  Vereins  für  den 
Niederrhein"  wird  Prof.  Meister  vorläufig  noch  weiter  besorgen.  —  Die 
Privatdozenten  an  der  Universität  Berlin  Richard  Stern feld  und  O.  Hintze 
wurden  zu  aufserordentlichen  Professoren  ernannt.  —  Als  Privatdozenten  für 
Geschichte  habilitierten  sich  Dr.  Karl  Heldmann  an  der  Universität  Halle, 
Dr.  Sigmund  Hellmann  an  der  Universität  München  und  Dr.  Karl 
Weller,  an  der  Technischen  Hochschule  Stuttgart,  Dr.  Gustav  Wolf  in 
Freiburg  i.  B.,  Dr.  Johannes  Häne  in  Zürich. 

Prof.  Arthur  Kleinschmidt  in  Heidelberg  siedelt  zu  archivalischen 
Studien  nach  Marburg  über,  behält  aber  seine  Stellung  als  akademischer 
Lehrer  in  Heidelberg. 

Der  bisherige  etatsmäfsige  Hilfsarbeiter  am  Grofsherzogl.  Mecklen- 
burgischen Geheimen  und  Hauptarchiv  zu  Schwerin,  Dr.  Hans  Witte, 
wurde  zum  Archivar  befordert. 

Eingegangene  Bfleher. 

Angst,  H. :  Schweizerisches  Landesmuseum  in  Zürich.  Sechster  Jahres- 
bericht 1897.  Dem  Departement  des  Innern  der  schweizerischen  Eid- 
genossenschaft erstattet  im  Namen  der  eidgenössischen  Landesmuseums- 
Kommission.  Zürich,  Druck:  Art  Institut  Orell  Füfsli  1898.  lOi  S. 
und  Anhang  (Katalog  der  von  Direktor  H.  Angst  dem  Schw.  Landes- 
museum geschenkten  keramischen  Sanmilung,  verfafst  von  W.  H.  Doer) 
77  S.  S^. 

„Anzeiger  für  Schweizerische  Altertumsktmde 'S  amtliches  Organ  des  Schwei- 
zerischen Landesmuseums,  des  Verbandes  der  Schweizerischen  Altertums- 
museen und  der  Gesellschaft  für  Erhaltung  historischer  Kunstdenkmäler. 
Neue  Folge  I.  1899.  Zürich,  Verlag  des  Schweizerischen  Landesmuseums. 
1899.     8®. 

Baasch,  Ernst:  Beiträge  zur  Geschichte  des  deutschen  Seeschiffbaues  und 
der  Schiff baupolitik.    Hamburg,  Lucas  Gräfe  &  Sillem  1899.    351  S.  8^ 

Ji    IG. 

Herausgeber  Dr.  Armin  Tille  in  Leipzig.  —  Druck  und  Verlag  Yon  Friedrich  Andreas  Perthes  in  Gotha. 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsschrift 


cur 


Förderung  der  landesgeschiclitliclieii  Forscbung 

I.  Band  Januar  1900  4.  Heft 


Über 

Von 
Oswald  RedUch  (Wien) 

Einige  Erscheinungen  der  jüngsten  Zeit  sind  geeignet,  neuerdings 
vrieder  einmal  die  Aufmerksamkeit  auf  Traditionsbücher  und  ver- 
wandte Quellen  hinzulenken.  Im  Jahre  1898  erschien  eine  Abhand- 
lung von  Josef  §usta  Zur  Geschichte  und  Kritik  der  Urbaruzlau/- 
Dehnungen  ^),  in  welcher  vom  wirtschaftsgeschichtlichen  Standpunkte 
aus  Entstehen  und  Bedeutung  auch  der  Traditionsbücher  treffend 
charakterisiert  werden.  Seit  1898  begann  dann  femer  die  hochwill- 
kommene Publikation  des  Salzbuiger  Urkundenbuches  durch  P.  Willi- 
bald Hauthaler.  Der  erste  Band,  von  dem  nunmehr  vier  Hefte  vor- 
li^en,  ist  ausschlie&Iich  den  Salzburgischen  Traditionscodices  gewid- 
met. Auch  einer  andern  wichtigen  Gruppe  soll  eine  Neuherausgabe 
zugedacht  werden,  indem  die  Münchener  historische  Kommission  in 
ihrer  letzten  Plenarversammlung  beschlossen  hat,  das  älteste  Freisinger 
Traditionsbuch  aus  dem  IX.  Jahrhundert  zu  edieren  und  damit  eine 
Fortsetzung  der  Quellen  und  Erörterungen  in  AngriflF  zu  nehmen. 
In  allerjüngster  2^it  ist  endlich  eine  Arbeit  von  Ed.  Heydenreich 
über  das  älteste  Fuldaer  Cartular  erschienen,  welche  diese  kostbare 
Überlieferung  der  Fuldaer  Traditionen  einer  ausführlichen  Erörterung 
unterzieht. 

Mancherlei  alte  und  neue  Gedanken  wurden  mir  dabei  rege,  und 
die  freundliche  Aufforderung  der  Redaktion  dieser  2^it8chrift,  einiges 
über  Traditionsbücher  zu  sagen,  giebt  mir  den  Anlafs,  dieselben  aus- 
zusprechen. 

Traditionsbücher  sind  eine  Erscheinung  des  früheren  deutschen 
Mittelalters  *).     Ihr  Aufkommen  und  ihre  Führung  hängt  aufs  innigste 

i)  Sitzangsber.  der  Wiener  Akad.  138.  Bd. 

a)  Vgl.  flir  das  Folgende   meine   Abhandlung    über  bayrische  TraditionsbUchcr    and 
Traditionen  in  Mitteil,  des  Instituts  fUr  Österreich.  Geschichtsforschnng,  5.  Bd. 

7 


—     90     — 

zusammen  mit  dem  ganzen  Urkundenwesen  und  den  Recbtsanschau- 
ungen  jener  Zeit  sowie  andrerseits  mit  dem  Gange  der  wirtschaftlichen 
Entwicklung.  Die  ältesten  derartigen  Bücher  stammen  aus  dem 
IX.  Jahrhundert.  Es  sind  Bücher,  in  welche  die  Schenkungs-  und 
Tauschurkunden  abgeschrieben  wurden,  mittelst  derer  die  Rechts- 
geschäfte abgeschlossen  worden  waren  und  die  zum  Beweise  für  die- 
selben dienten.  Diese  ältesten  Traditionsbücher  sind  also  in  gewissem 
Sinne  Kopialbücher  der  Besitzurkunden,  gehen  aber  doch  schon  über 
das  Wesen  des  reinen  Kopialbuches  hinaus,  indem  die  Sammlung  der 
Erwerbstitel  in  ein  Buch  deren  Sicherung  und  stete  Bereitschaft 
für  rechtliche  Zwecke  zum  Ziele  hatte.  Denn  der  ganze  Beweiswert 
der  Urkunde,  mochte  sie  nun  Carta  oder  Notitia  sein,  beruhte  doch 
auf  den  in  ihr  genannten  Zeugen.  Das  war  die  der  geringeren  Kultur- 
höhe der  Stämme  des  ostfränkischen,  dann  deutschen  Reiches  ent- 
sprechende Rechtsanschauung;  sie  erblickte  im  lebendigen  Zeugen 
das  eigentliche  Beweismittel  für  die  geschehene  Rechtshandlung,  in 
der  Urkunde  nur  eine  Erleichternng  des  Zeugenbeweises.  Das  brachte 
nun  ein  rasches  Abnehmen  der  Urkundenfertig^ng  im  X.  Jahrhundert 
mit  sich.  Nicht  Ausstellung  wirklicher  Urkunden,  sondern  Aufzeich- 
nung blofser  Akte,  also  einfacher,  mehr  oder  weniger  formloser  No- 
tizen über  das  Wesentliche  der  Rechtshandlung  und  ihre  Zeugen^ 
begann  die  Regel  zu  werden.  Man  schrieb  diese  Akte  auf  Einzel- 
blätter und  Blättchen,  oft  auch  mehrere  zeitlich  oder  sachlich  zusam- 
menhängende  auf  ein  Blatt;  da  und  dort  trug  man  die  Akte  gleich 
direkt  in  Hefte  oder  in  ein  Buch  ein,  so  dafs  dieses  Buch  dann  die  un- 
mittelbare und  einzige  Aufzeichnung  über  die  Rechtshandlung  war 
imd  blieb  und  selbst  einen  fortgesetzten  Akt  bildete.  Oder  man 
schrieb  häufig  nachträglich  die  Einzelakte  in  Bücher  ab;  und  da  man 
dann  auf  die  Einzelakte  weiter  keinen  Wert  legte  und  diese  verloren 
gingen,  wurde  wieder  jenes  Buch  die  einzige  Aufzeichnung.  So  ent- 
standen die  Traditionsbücher  seit  dem  X.  Jahrhundert.  Diese  Tra- 
ditionsbücher des  X.,  XI.  und  XII.  Jahrhunderts  sind  also  keine  blofsen 
Kopialbücher  mehr,  sie  sind  die  einzigen  Aufzeichnungen  über  Rechts- 
handlungen, sie  übernehmen  selber  gewissermaisen  urkundliche,  ja 
rechtliche  Funktionen.  Diese  ihre  eigentümliche  Stellung  mufete  aber 
verschwinden,  als  im  XII.  Jahrhundert  mehr  und  mehr  wieder  die 
eigentliche  Urkimde  Boden  gewann,  welche  nunmehr  vermittels  ihres 
allgemein  aufkommenden  Beweismittels,  des  Siegels,  eine  wirkliche 
Beweiskraft  errang.  Zwar  dauert  noch  durch  das  ganze  XII.  Jahr- 
hundert Fortführung  und  Neuanlage  von  Traditionsbüchem,  also  auch 


—     91     — 

Aktaufzeichnung  fort.  Allein  bis  gegen  Mitte  des  XIII.  Jahrhunderts  ist 
dann  dieses  Nebeneinander  der  Übergangszeit  vorüber,  die  Urkunde 
hat  allenthalben  gesiegt,  das  Traditionsbuch  wird  wieder  abgelöst  vom 
reinen  Kopialbuch. 

Als  Aufzeichnungen  über  die  anwachsenden  Erwerbungen  einer 
Grundherrschaft  an  Gütern  und  Rechten,  Hörigen  und  Censualen  sind 
die  Traditionsbücher  aber  auch  ein  charakteristisches  Merkmal  der 
wirtschaftlichen  Entwicklung  jener  Zeiten  *).  Für  Süd-  und  Südost- 
deutschländ,  die  hauptsächliche  Heimat  dieser  Quellen,  waren  die  nächsten 
Jahrhunderte  nach  der  Zurückdrängimg  der  Ungarnstürme  die  Zeit  der 
Wieder-  und  Neukolonisierung,  die  Zeit  der  rasch  erblühenden  grofsen 
Grundherrschaften.  In  diesen  weiten  Gebieten  breiteten  sich  die  geist- 
lichen und  weltlichen  Besitzer  mit  reichen  Erwerbungen  und  gewaltigen 
Rodungen  aus  und  haben  im  X.  und  XI.,  aber  auch  noch  im  XII.  Jahr- 
hundert im  ganzen  grolsartige,  im  einzelnen  ungeheuer  zerstückelte 
Grundherrschaften  geschaffen.  Diese  rasch  anschwellenden  Wirtschafts- 
komplexe  hätten  wohl,  so  möchte  man  meinen,  das  Bedürfnis  nach 
Inventarisierung  und  Übersicht  nahe  legen  sollen,  wie  man  es  in  den 
Inventarien  und  Polyptychen  der  karolingischen  Zeit  befriedigt  hatte. 
Allein  solche  Nachwirkungen  spätrömischen  Wesens  hatten  höchstens 
noch  die  Rheingegenden  ergriffen  und  ein  Zwang  von  sozialpolitisch 
thätigen  Herrschern  war  im  deutschen  Reiche  nicht  mehr  vorhanden. 
Und  in  diesen  kulturell  tiefer  stehenden  östlichen  Gegenden  war,  wie 
schon  angedeutet,  überhaupt  alles,  was  mit  Schrifttum  und  Urkunden- 
wesen zusammenhing,  in  rasche  Abnahme  geraten.  Endlich  war  es 
das  schnelle  Anwachsen  der  Schenkungen,  Erwerbungen  und  Rodungen 
selbst,  welches  an  sich  eine  Übersicht  erschwerte  und  jede  schriftliche 
Zusammenfassung  in  kürzester  Zeit  veralten  liefs.  Für  das  rechtliche 
Bedürfnis  aber,,  den  Nachweis  des  Besitzes  hatten  ohnehin  nicht  Ur- 
bare, nicht  Urkunden  einzustehen,  sondern  die  lebendigen  Zeugen 
der  Handlung  oder  der  Gewere.  Die  kurze  Aktaufzeichnung  genügte. 
Aber  wo  man  nur  einigermafsen  auf  Ordnung  hielt,  wo  etwa  nach 
Zeiten  des  Niederganges  eines  Klosters  wieder  ein  Aufschwung  folgte 
—  und  sittlich-geistiger  und  wirtschaftlicher  Aufischwung  gingen  regel- 
mäisig  Hand  in  Hand  — ,  da  soi^e  man  auch  für  die  Sicherung  dieser 
einzigen  Aufzeichnungen  über  Erwerb  ,'und  Rechte.  Man  sammelte 
sie  und  schrieb  sie  in  Bücher  ab,  trug  sie  auch  direkt  in  diese  Bücher 


i)  Vgl.  für  das  folgende  Mitteil.  d.  Instituts  5,  53  ff.  nnd  die  AosfUhningen  von  Sosta 
a.  a.  O.,  S.  43  ff. 


—     92     — 

ein,  kurz  man  sorgte  für  Anlage  und  Führung  von  Traditionsbüchern. 
Die  Traditionsbücher  waren  so  das  einzige  dauernde  schriftliche  Hilfs- 
mittel der  grofeen  Grundherrschaften  in  ihrer  rasch  aufstrebenden 
Blütezeit  vom  X.  bis  in  das  XII.  Jahrhundert. 

Die  Traditionsbücher  bilden  wirtschaftsgeschichtlich  das  Mittelglied 
zwischen  Polyptychon  und  spätmittelalterlichem  Urbar,  wie  sie  diplo- 
matisch das  Mittelglied  sind  zwischen  der  Urkunde  der  Karolingerzeit 
und  der  besiegelten  Urkunde  seit  dem  Xll.  und  XIII.  Jahrhundert. 

Die  richtige  Erkenntnis  vom  Wesen  der  Traditionsbücher  gewährte 
nun  auch  erst  die  notwendige  Grundlage,  um  diese  Quellen  richtig 
bearbeiten  und  überhaupt  historisch  verwerten  zu  können.  Mit  der 
genauesten  Feststellung  des  palaeographischen  Bestandes  hat  sich  die 
tiefere  Frage  nach  der  Entstehungsart  der  im  Codex  erhaltenen  Auf- 
zeichnungen selbst  zu  verbinden.  Und  dies  wird  wieder  die  erste 
Grundlage  abgeben  zur  Herstellung  der  Chronologie  innerhalb  der  ja 
meistens  undatierten  Traditionsakte.  Die  möglichst  gesicherte  zeitliche 
Fixienmg  aber  ist  die  conditio  sine  qua  non  für  jede  weitere  Be- 
nutzung solchen  Materials.  Neben  diesen  neu  oder  schärfer  formu- 
lierten Forderungen  versteht  sich  für  eine  Ausgabe  von  selber  die 
volle  Zuverlässigkeit  der  Textherstellung ,  die  Erklärung  der  Ortsnamen 
sowie  die  Beigabe  alles  dessen,  was  man  heute  von  einer  Urkunden- 
edition zu  verlangen  hat.  Namentlich  sollte  auch  eine  Karte  nicht 
fehlen. 

Auch  das  ei^ab  sich  unmittelbar  aus  dem  eigentümlichen  Wesen 
der  Traditionsbücher,  dais  das  in  den  einzelnen  jCodices  oder  Gruppen 
erhaltene  Material  als  geschlossenes  Ganzes  zusammenbelassen  und 
veröflFentlicht  werden  müfste;  dafs  eine  AufteUung  der  einzelnen  Tra- 
ditionen unter  die  Masse  anderen  urkundlichen  Stoffes  eben  jenen 
Charakter  gänzlich  verwischen  würde**). 

Diesen  Anforderungen,  denen  ich  in  der  Ausgabe  der  Brbcener 
Traditionsbücher  gerecht  zu  werden  suchte,  entspricht  nun  auch  die 
neue  Gesamtausgabe  der  Salzburger  Traditionscodices  durch  P.  Willi- 
bald Hauthaler  im  allgemeinen  durchaus.  Jetzt  erst  überblickt  man 
die  gewaltige  Masse  dieser  mehr  als  I2CX)  Traditionen  der  Erzbischöfe, 
des  Klosters  St.  Peter  und  des  Domkapitels,  die  sich  vom  Anfang 
des  X.  Jahrhunderts  bis  zur  Mitte  des  XIII.  Jahrhunderts  in  fast  un- 
unterbrochener Folge  erstrecken.  Durch  die  soigfältigen  Beschreibungen 
der  Codices,  durch  die  2^it-  und  Ortsbestimmungen   des   mit  seinem 


I)  Vgl.  AcU  Tirolcnsia  i  Einl.  S.  VIU. 


—     93     — 

Stoffe  aufs  innigste  vertrauten  Herausgebers  ist  dieses  reiche  Material 
erst  benutzbar  gemacht,  während  man  irüher  auch  den  Editionen  Chmels 
im  Notizenblatt  der  Wiener  Akademie  ratlos  gegenübergestanden 
ist  Nur  in  zwei  Punkten  möchte  man  etwas  mehr  und  etwas  anders 
wünschen,  und  der  verehrte  Herausgeber  wird  es  gewifs  nur  gleich 
mir  im  Interesse  der  Sache  und  künftiger  Bearbeitungen  von  Tra- 
ditionsbüchem  finden,  wenn  diese  prinzipiellen  Fragen  hier  berührt 
werden. 

Der  eine  Pimkt  betrifft  die  diplomatische  Seite.  Nicht  so  sehr 
bei  den  Vorbemerkungen  zu  den  erzbischöflichen  Traditionsbüchern 
des  X.  und  XI.  Jahrhunderts,  wo  im  ganzen  alles  Notwendige  gesagt  ist, 
wohl  aber  bei  den  Codices  des  Klosters  St.  Peter  und  denen  des  Dom- 
kapitels wäre  in  dieser  Hinsicht  ein  genaueres  Eingehen  erwünscht  ge- 
wesen. Es  handelt  sich  ja  bei  jeder  Traditionengruppe  immer  wieder  von 
neuem  um  folgende  Fragen.  Hat  überhaupt  und  inwieweit  unmittel- 
bare Eintragung  der  Traditionsakte  in  den  Codex  stattgefunden?  So- 
weit dies  nicht  der  Fall  war,  herrschte  also  nachträgliche  Sammlung 
und  Aufzeichnung;  wann  geschah  nun  dieselbe  und  in  welcher  Weise ? 
Wie  waren  bei  nachträglicher  Aufzeichnung  die  Vorlagen  beschaffen, 
waren  es  vielleicht  protokollarisch  geführte  Traditionshefte  oder  waren 
es  Einzelakte?  Und  femer:  entspricht  die  uns  heute  im  Codex  erhal- 
tene Fassung  den  Vorlagen,  oder  ist  sie  vom  KompUator  des  Codex 
mehr  oder  minder  beeinflufst? 

Diese  Fragen  zu  beantworten  ist  vor  allem  der  Herausgeber  be- 
fähigt, und  diese  Fragen  sind  keineswegs  müssige  und  nicht  blofs  diplo- 
matisch von  Interesse.  Ihre  richtige  Beantwortung  kann  vielmehr  einer- 
seits die  unmittelbaren  und  wichtigen  Anhaltspunkte  bieten,  um  in  dem 
datenlosen  Gewirre  von  Akten  einen  chronologischen  Faden  zu  fin- 
den '),  und  kann  andrerseits  oft  von  Bedeutung  werden  für  die  kritische 
Verwertung  dieses  Materials  überhaupt.  So  hat  Erben  in  einer  scharf- 
sinnigen Arbeit  *)  über  den  Traditionscodex  des  Erzbischofs  Odalbert 
von  Salzburg  (923 — 935)  interessante  Ergebnisse  über  die  Zusammen- 
setzung der  Zeugenreihen  gewonnen  und  ist  auf  Grund  der  chrono- 
logischen Fixierung  zu  unerwarteten  Einblicken  in  die  Beziehungen 
des  Erzbischofs  zum  Herzog'  von  Bayern  und  in  die  Art  der  Erwer- 
bung der  Grafechaftsrechte  durch  die  Kirche  von  Salzburg  gelangt. 
Ahnlich   hat  Bretholz   bei   einer  Untersuchung   der  ganzen  Reihe  der 


i)  Vgl.  i.  B.  Acta  Tirolensia  i  Einl.  S.  XXH  und  XXXl. 

2)  Mitteil,  der  GeseUsch.  f.  Salzburg.  Landeskonde  29.  Bd.  (1890). 


--     94     — 

St.  Emmeramer  Traditionsbücher  *)  merkwürdige  Resultate  über  Doppel- 
ausfertigungen ,  über  die  Behandlung  der  Vorlagen  durch  die  Zu- 
sammensteller des  Codex  und  die  formelle  Fassung  der  Akte  erzielt. 
Wie  bedeutsam  gerade  dieser  letzte  Punkt  werden  kann,  zeigt  eine 
Kontroverse  der  jüngsten  Zeit.  In  der  Frage  nach  der  Abstammung 
der  Grafen  von  Tirol  spielt  ein  in  den  Brixener  Traditionsbüchem  zu 
Ende  des  XI.  und  Anfang  des  XII.  Jahrhunderts  vorkommender  Graf 
Adalbert  eine  Rolle.  Huber  und  auch  Egger  betrachteten  ihn  als 
Stammvater  der  Grafen  von  Tirol.  Neuestens  hat  dies  Michael  Mayr  *) 
bestritten  und  unter  anderm  die  in  den  Brixener  Traditionen  von  Adal- 
bert gebrauchte  Bezeichnimg  nobüttate  sortttus  dagegen  angeführt, 
die  er  als  „frei  und  adelig  geworden**,  „Emporkömmling"  auffafet. 
Allein  wie  schon  in  Acta  Tirol.  I,  Einl.  S.  LVIII  bemerkt  ist,  sind 
diese  und  analoge,  gerade  den  Brixener  Traditionen  jener  Zeit  eigen- 
tümliche Wendungen  ganz  zweifellos  nur  Umschreibungen  für  nobilis 
(liber,  ingenuus),  was  ein  aufmerksames  Studium  des  Diktates  und  der 
Formeln  ergiebt.  Daher  haben  sich  dann  auch  Huber  •)  und  Egger 
dieser  Auffassung  angeschlossen,  und  Mayr  polemisiert  in  dieser  Hin- 
sicht ganz  mit  Unrecht. 

Der  zweite  Punkt,  der  mü-  von  grundsätzlicher  Bedeutung  erscheint, 
betrifft  die  chronologische  Anordnung  der  Traditionen  in  der  Ausgabe. 
Hauthaler  hat  mit  erfolgreicher  und  dankenswerter  Bemühung  die  zeit- 
liche Bestimmung  der  Salzburger  Traditionen  durchgeführt,  hat  speziell 
die  Traditionen  des  Erzbischofs  Odalbert  in  tabellarischer  Übersicht 
chronologisch  zusammengestellt.  Allein  im  Abdruck  behielt  er  den- 
noch eben  bei  diesen  ältesten  Traditionen  die  Reihenfolge  der  Codices 
bei,  welche  durchaus  nicht  der  zeitlichen  Reihenfolge  entspricht.  Die 
Traditionen  des  Klosters  St.  Peter  und  des  Domkapitels  sind  im  all- 
gemeinen wohl  in  chronologischem  Fortgang  gegeben,  aber  nicht  ohne 
mannigfache  Schwankungen  im  einzelnen,  welche  eben  durch  die  zeit- 
lich ungenauen  Folgen  in  den  Codices  bedingt  wurden.  Warum 
dies?  Warum  soll  der  Herausgeber  solcher  Traditionsbücher,  wenn 
er  mit  vieler  Mühe  in  das  Chaos  hunderter  von  undatierten  Akten 
eine  leidliche  zeitliche  Ordnung  gebracht  hat,  dieselbe  nicht  auch  in 
der  Anordnung  der  Edition  zum  Ausdruck  bringen?  Warum  sollte 
er  sich  an  die  Reihenfolge  im  Codex  halten,  von  der  er  eben  be- 
wiesen hat,  dafs  sie  z.  B.  nachträgliche  Zusammenstellung  von  Einzel- 

1)  Mitteil,  des  Instituts   12.  Bd.  (1891). 

2)  Zeitschr.  des  Ferdinandeums  3.  Folge  43.  Heft  {1899),  S.  219  ff. 

3)  Littcrar.  Ccntralblatt   1886,  Dez.  4,  Spalte   17 16  f. 


—     95     — 

akten  war,  bei  welcher  man,  wenn  es  gut  ging,  höchstens  die  Tra- 
ditionen unter  einem  Bischof,  einem  Abte  zusammengenommen  hat, 
ohne  jedoch  im  einzelnen  irgend  eine  zeitliche  Ordnung  herstellen  zu 
können.  Nur  dort,  wo  unmittelbare  Führung  eines  Traditionsbuches 
nachzuweisen  ist,  mufs  man  sich  natüriich  an  die  Ordnung  des  Codex 
halten,  welche  dann  zugleich  auch  die  zeitliche  Aufeinanderfolge  repräsen- 
tiert. Und  dort,  wo  bei  einzelnen  Gruppen  gar  keine  Anhaltspunkte 
zu  einer  näheren  zeitlichen  Begrenzung  vorhanden  sind,  kann  man 
sich  fuglich  an  die  Reihenfolge  der  Handschrift  halten,  wie  das  Hau- 
thaler ganz  mit  Recht  bei  den  Traditionen  unter  den  Erzbischöfen 
Hartwig  und  Thietmar  gethan  hat.  Sonst  aber  möchte  ich  es  doch 
als  Forderung  für  die  Edition  von  Traditionsbüchem  hinstellen, 
dafe  nicht  blofe  die  chronologische  Reihenfolge  mit  allen  Hilfsmitteln, 
welche  die  Handschrift,  die  Traditionen,  ihre  Entstehung,  ihre  Form 
and  ihr  Inhalt  gewähren,  erforscht,  sondern  auch  in  der  Anordnung 
der  Edition  zum  Ausdruck  gebracht  werde.  In  der  Einleittmg  und  in 
Vorbemerkungen  ist  genaue  Rechenschaft  über  dies  Verfahren  zu- 
geben, allenfalls  läfst  sich  ja  auch  eine  Konkordanztabelle  der  Codex- 
und  Editionsnummern  beifügen. 

Auf  der  strengen  Erfüllung  der  allerdings  hochgespannten  Forde- 
rungen an  Herausgeber  von  Traditionsbüchem  mufs  bestanden  werden, 
will  man  anders  Neuausgaben  wirklich  nutzbringend  für  die  ja  auch 
viel  höher  gewordenen  Anforderungen  der  Geschichtswissenschaft  ge- 
stalten. 

Die  Traditionsbücher  haben  uns  ja  den  gröfseren  Teü  des  urkund- 
lichen QuellenstofTes  vom  VIII.  bis  zum  XII.  Jahrhundert  überliefert.  Was 
das  für  jene  in  Deutschland  teilweise  so  urkundenarmen  Saecula  bedeutet, 
braucht  nicht  des  breitern  auseinandergesetzt  zu  werden.  Die  genea- 
logischen Forschungen  z.  B.,  denen  sich  jetzt  wieder  ein  lebhafterer 
Eifer  zuwendet,  finden  in  den  Traditionen  eine  ihrer  ergiebigsten 
Quellen  —  aber  es  ist  klar,  dafe  gerade  für  solche  Untersuchungen 
die  schärfste  Akribie  und  sachlichste  Fürsorge  der  Edition  eine  unbe- 
dingt notwendige  Voraussetzung  bildet.  Der  Hauptquellenwert  der 
Traditionsbücher  beruht  aber  doch  in  dem,  was  sie  für  die  Geschichte 
der  Zustände,  für  Rechts-  und  Wirtschaftsgeschichte  bieten. 

Wir  sind  ja  nun  über  die  Entwicklung  der  grofsen  Grundherr- 
schaft und  über  die  Wandlungen  der  rechtlich -sozialen  Verhältnisse 
des  früheren  Mittelalters  im  allgemeinen  genügend  orientiert.  Weit 
weniger  jedoch  im  einzelnen.  Es  fehlt  gar  vielfach  an  einer  anschau- 
lichen,  eindringlicheren  Erkenntnis  der  Siedlungs-  und  Kolonisattons- 


—     96     — 

geschichte,  der  wirtschaftlichen  und  sozialen  Entwicklung  jener  Jahr- 
hunderte, namentlich  auch  für  den  Süden  und  Südosten  Deutschlands. 
Das  kommt  wesentlich  davon  her,  da(s  das  wichtigste  Quellenmaterial,  die 
Traditionsbücher,  zum  allergröfsten  Teile  in  ungenügenden  Publikationen 
vorliegt,  deren  indigesta  moles  auch  die  zähesten  Urkundenmenschen 
abzuschrecken  im  stände  ist.  Und  über  diesen  sehr  wunden  Punkt  im 
Zustand  unserer  Quellenpublikationen  möchte  ich  hier  noch  ein  nach- 
drückliches Wort  anbringen.  Die  Herstellung  vollständiger 
und  guter  Editionen  von  Traditionsbüchern  ist  das 
dringende;  haben  wir  sie  erst,  dann  stehen  Rechts-  und 
Wirtschaftsgeschichte  mit  ihren  bestimmten  Zielen  und 
Methoden  schon  bereit,  um  den  reichen  Stoff  zu  be- 
arbeiten und  zu  bemeistern. 

Im  bayerischen  Süden  und  Südosten  Deutschlands  lassen  sich 
weit  über  ein  halbes  Hundert  Traditionsgruppen  zählen  *).  Von  diesen 
sind  bisher  zwei  Gruppen  einer  wirklich  modernen  Edition  unterzogen 
worden,  Brixen  und  Salzbui^,  ein  halbes  Dutzend  anderer  li^en  in 
leidlichen  Drucken  vor.  Bei  allen  übrigen  aber  müisen  wir  uns  mit 
den  elenden  Ausgaben  der  alten  Bände  der  Monumenta  Boica,  mit 
den  alten  Drucken  bei  Meichelbeck  und  Pez,  mit  den  unzureichen- 
den Editionen  im  Oberösterreichischen  Urkundenbuch,  in  den  älteren 
Bänden  der  Fontes  rerum  Austrtacarum  u.  s.  w.  b^[iiügen  und  be- 
helfen.  Selbst  bei  einzelnen  der  wichtigsten  Gruppen,  wie  etwa  bei 
Freising  und  St.  Emmeram  steckt  noch  ungedrucktes  Material  in  den 
Handschriften. 

So  schlimm  steht  es  im  Grunde  mit  der  Bearbeitung  dieses  ganzen 
Quellenbestandes.  Es  wäre  daher  mit  Freuden  zu  begrüfsen,  wenn 
die  historische  Kommission  in  München  bei  der  beabsichtigten  Neu- 
au^iabe  des  Kozroh  nicht  stehen  bleiben,  sondern  gleich  auch  die 
Edition  der  übrigen  Freisinger  Codices  ins  Auge  fassen  würde.  Gerade 
das  auf  Kozrohs  Arbeit  nächstfolgende  Traditionsbuch,  der  sog.  Codex 
commutationum,  fafst  das  Material  von  der  Mitte  des  IX.  bis  ins  XII. 
Jahrhunderts  in  sich,  ist  nicht  minder  wichtig  und  wertvoll  als  wie  Koz- 
roh, ja  der  Bearbeittmg  insofern  noch  dringender  bedürftig,  weil  er 
sich  über  drei  Jahrhunderte   erstreckt  und   heute   noch   nicht   einmal 


l)  Eine  kurze  Übersicht  der  wichtigsten  bei  Waitz,  Deutsche  Verfassaogsgesch.  5% 
Vorbemerkungen  S.  XIV;  ein  Verzeichnis  der  auf  dem  Boden  des  heutigen  Bayern  er- 
haltenen Traditionscodices  von  Klöstern  bei  Gengier,  Beiträge  z.  bayer.  Rechtsgesch. 
1,230  ff.  Eine  knappe  Zusammenstellung  aller  mir  bekannten  bayrisch-österreichichischen 
Traditionsgruppen  mit  kurzer  Angabe  der  Drucke  gebe  ich  im  Anhange. 


—     97     — 

inhaltlich  voUständig  bekannt  gemacht  ist ').  Ja  wir  können  den  Wunsch 
nicht  veihehlen,  da(s  überhaupt  eine  systematische  Bearbeitung 
der  ganzen  bayerischen  Traditionsbücher  in  Angriff  genommen  werden 
möge.  Denn  gerade  gegenüber  so  massenhaft  vorhandenem  und  auch 
von  der  Forschung  in  Masse  zu  benutzendem  Material  hat  das  Heraus- 
greifen dieser  oder  jener  einzelnen  Gruppe  geringeren  Wert  Die 
Arbeit  würde  sich  ja  verteilen:  träfe  auch  das  heutige  Bayern  der 
LöwenanteU,  so  hätten  doch  auch  Ober-  und  Niederösterreich  das 
ihrige  zu  thun;  für  Salzburg  ist  ja  gesorgt,  imd  die  vereinzelten  Tra- 
ditionsbücher in  Steiermark,  Kärnten  und  Tirol  sind  bereits  ein  Teil 
der  neueren  Landesurkimdenwerke  oder  werden  einen  Teil  derselben 
bUden.  Genug,  an  den  Traditionsbüchem  und  ihren  Nachfolgern,  den 
Urbaren,  sind  noch  Schätze  zu  heben  mit  zielbewufster,  gemeinsamer 
Arbeit.  Man  sucht  nach  Quellen  zur  deutschen  Kultui^eschichte,  um 
sie  zu  publizieren  —  hier  sind  sie! 

Yerzelehnls  der  bayrisch-Ssterrelehisehen  Traditlonsbfloher. 

Admont  (Zahn,  Steiermark.  ÜB.  i,  Wichner  Gesch.  von  Admont).  — 
Aldersbach  (Mon.  Boica  5).  —  Altaich,  Nieder-  (MB.  ri).  —  Altaich,  Ober- 
(MB.  r2).  —  Aspach  (MB.  5).  —  Au  am  Inn  (Drei  bayer.  Traditions- 
bticher). 

Baumburg  (MB.  3).  —  Beiharting  (MB.  5,  Deutinger  Beyträge  4).  — 
Benedictbeuem  (MB.  7).  —  Berchtesgaden  (Quellen  u.  Erört.  i).  —  Bi- 
burg  (Oefele  in  Sitzungsber.  d.  bayer.  Akad.  1896).  —  Brixen  (Acta  Tiro- 
knsia  i). 

St.  Castulus  in  Moosburg  (Oberbayer.  Archiv  2).  —  Chiemsee  (Herm- 
wörth,  MB.  2). 

Diessen  (MB.  8). 

Ebersberg  (Hundt  in  Abhandl.  der  bayer.  Akad.  14).  —  St  Emmeram 
in  Regensburg  (Pez  Thesaurus  i,  Quellen  u.  Erört.  r,  Bretholz  in  Mitteil.  d. 
Instituts   r2).  —   Ensdorf  (Freyberg  Sammlung  histor.  Schriften  2). 

Falkenstein  (Grafen  von,  Drei  bayer.  Traditionsbticher).  —  St.  Florian 
(Sttilz  Gesch.  von  St.  Florian).  —  Formbach  (Oberösterr.  ÜB.  i).  —  Frei- 
sing (Bischöfe  imd  Domkapitel,  Meichelbeck  Hist.  Frisingensis,  K.  Roths 
Schriften  über  Kozroh  (1853  — 1857),  Hundt  in  Abhandl.  der  bayer.  Akad. 
12,  13,   14  und  im  Oberbayer.  Archiv  34,  Zahn  in  Fontes  rer.  Austr.  II  31). 

Gars  (Drey  bayer.  Traditionsbücher).  —  Garsten  (Oberösterr.  ÜB.  i). 
Geisenfeld  (MB.    14).   —   St    Georgen   a.    d.  Traysen   (Herzogenburg,   Ar- 
chiv ftir  österr.  Gesch.  9,  Notizenblatt  d.  Wiener  Akad.   185 1).  —   St  Ge- 
oigenberg    (Ficcht,    Chronik   von   Georgenberg    nun   Fiecht).    —     Göttweih 
(Fontes  rer.  Austr.  II  8). 

Indersdorf  (Hundt  im  Oberbayer.  Archiv  24).  —  Innichen  (Marian 
Fidler,  Oesterr.  Klerisey  II  4,  295). 


1)  Vgl.  Miüeil.  des  Instituts  5,  12  ff. 


—     98    .— 

KJostemeuburg  (Fontes  rer.  Austr.  II  4),  —  Kühbach  (Öfele  in  Sitzungs* 
ber.  d.  bayer.  Akad.   1894). 

Mallersdorf  (MB.  15).  —  Mattsee  (vgl.  Erben  in  Fontes  rer.  Austr. 
II  49,  S.  100).  —  Melk  (Holzer,  Die  geschichtl.  Handschriften  der  Melker  Biblio- 
thek). —  Metten  (MB.  11).  —  Michaelbeuem  (Filz  Gesch.  von  Michel- 
beuem).  —  Mondsee  (Oberösterr.  ÜB.  i).  —  Münchsmtinster  (Cod.  Mün- 
chen Reichsarchiv,  ungedruckt). 

Neustift  bei  Brixen  (Fontes  rer.  Austr.  II  34).  —  Neustift  bei  Freisiug 
(MB.  9).  —  St.  Nicolaus  bei  Passau  (Oberösterr.  ÜB.   i). 

Obermünster  in  Regensburg  (Quellen  u.  Frört,  i). 

Passau  (Bischöfe  und  Domkapitel,  MB.  28**  und  29^).  —  St.  Paul 
(Fontes  rer.  Austr.  II  39).  —  PoÜing  (MB.  10).  —  Priefling  (Prüfening, 
MB.  13). 

Raitenhaslach  (MB  3  und  6).  —  Ranshofen  (MB.  3  und  Oberösterr. 
ÜB.  x).  —  Reichenbach  (MB.  14).  —  Reichersberg  (Oberösterr.  ÜB.  i).  — 
Rohr  (Verhandl.  d.  histor.  Vereins  f.  Niederbayern  19). 

Salzburg  (Erzbischöfe,  Domkapitel,  Kloster  St.  Peter,  Hauthaler  Salz- 
burger ÜB.  i).  —  Schefüam  (MB.  8).  — -  Scheyem  (MB.  10).  —  Schleh- 
dorf (MB.  9).  —  Suben  (Oberösterr.  ÜB.   i). 

Tegemsee  (MB.  6). 

Victring  (vgl.  Ankershofen  im  Archiv  f.  österr.  Gesch.  5,  226). 

Weihenstephan  (MB.  9).  —  Weltenburg  (MB.  13,  ungedrucktes  in  Cod. 
1234  der  Wiener  Hofbibl.)  —  Wessobrunn  (MB.  7).  —  Windberg  (Braun- 
müller in  Verhandl.  des  histor.  Vereins  f.  Niederbayem  23). 

Zwettl  (Fontes  rer.  Austr.  II  3). 

Die  landesgesehiehtliehe  Forschung  in  Pom^ 
mern  während  des  letzten  Jahrzehnts 

Von 
Martin  Wehrmann  (Stettin) 

Den  engen  Zusammenhang*  der  allgemeinen  und  der  Territorial- 
geschichte nicht  aus  dem  Auge  zu  verlieren,  ist  eine  Forderung,  die 
vor  allem  immer  wieder  zu  betonen  ist  für  die  Lokalforschung  in  den 
Ländern,  welche  äufserlich  von  dem  Gange  der  grofsen  Ereignisse 
wenig  berührt  worden  sind  und  räumlich  dem  Schauplatze  derselben  ferne 
liegen.  Gerade  hier  ist  naturgemäfs  die  Gefahr  nahe,  über  dem  Ein- 
zelnen und  Kleinen  das  Grofse  und  Ganze  zu  vergessen  und  die  feinen 
Fäden  unbeachtet  zu  lassen,  durch  welche  die  Entwicklung  auch 
dieser  Territorien  verknüpft  ist  mit  dem  Fortschreiten  des  grofsen 
Vaterlandes  und  der  benachbarten  Gebiete.  Diesen  Einflüssen  nach- 
zugehen, bietet  aber  auch  wieder  besonderes  Interesse,  eben  weil 
es  gilt,  nicht  an  der  äufeeren  Geschichte  zu  haften,  sondern  tiefer  in 
das  Innere  der  Entwicklung  einzudringen.    Andrerseits  trägt  aber  auch 


—     99     — 

für  die  allgemeine  Forschung  die  Untersuchung,  wie  die  grofeen  Er- 
eignisse auf  ein  solches  Land  gewirkt  haben,  nicht  wenig  zur  tieferen 
Erkenntnis  derselben  bei.  Zu  den  deutschen  Territorien,  die  schein- 
bar der  allgemeinen  Geschichte  Deutschlands  ganz  fem  stehen,  gehört 
in  erster  Linie  wohl  Pommern,  das  Land  am  Meere,  das  lange  2^tt 
teils  deutschen,  teils  slavischen,  teils  nordgermanischen  Charakter  trug. 
Mit  diesem  Lande ,  das  von  den  grofeen  Geschehnissen  kaum  je  berührt 
worden  ist,  hat  sich  die  allgemeine  Geschichtsforschung  eigentlich  nie  be- 
schäftigt, und  umgekehrt  haben  die  pommerschen  Territorialforscher, 
an  denen  es  niemals  gefehlt  hat,  ihre  Blicke  oft  nicht  über  die  Grenzen 
des  Territoriums  hinaus  gerichtet,  sehr  zum  Nachteile  ihrei  flei&igen 
und  mühseligen  Arbeiten.  Dafs  es  aber  auch  nicht  an  Versuchen  ge- 
fehlt hat,  die  pommersche  Geschichte  in  weiterem  Sinne  aufzufassen, 
ist  zwar  nicht  zu  leugnen,  jedoch  haben  diese  Versuche,  wie  z.  B.  die 
für  ihre  2feit  recht  tüchtige  Geschichte  von  Pommern  und  Rügen 
von  F.  W.  Barthold  (Hamburg  1839 — 1845),  an  dem  Mangel  würk- 
Hch  brauchbarer  Vorarbeiten  zu  leiden  gehabt.  Daher  hat  Barthold 
mit  dem  Stoffe  noch  so  zu  kämpfen,  dafs  darüber  die  Form  zu  kurz 
kommt.  Trotzdem  man  in  den  seitdem  verflossenen  mehr  als  fünzig 
Jahren  flei&ig,  wenn  auch  nicht  immer  methodisch  an  der  Erschlieisimg 
weiterer  Quellen  gearbeitet  hat,  ist  eine  zusammenfassende  Geschichte 
des  Landes  noch  nicht  zu  stände  gekommen,  und  auch  die  populären 
Darstellungen  (z.  B.  von  K.  Mafs,  Stettin  1899,  oder  die  Geschichts- 
büder  von  R.  Hanncke,  Stettin  1899)  können  nicht  als  gelungen 
bezeichnet  werden.  Es  giebt  eben  überall  noch  zu  viele  offene  Fragen, 
und  es  fehlt  vor  allem  noch  gar  sehr  an  Quellenpublikationen. 

Für  die  mittelalterliche  Geschichte  Pommerns  sind  wir  abgesehen 
von  einigen  sehr  dürftigen  Anfangen  einer  heimischen  Chronistik  und 
den  wenigen  Nachrichten  bei  auswärtigen  Chronisten  fast  ganz  auf  die 
Urkunden  angewiesen.  Das  von  R.  Klempin  begonnene  und  von 
R.  Prümers  dann  weitergeführte  Pommersche  Urkundenbuch  ist  in 
drei  Bänden  bis  zum  Jahre  1300  (Stettin  1868 — 1891)  gelang^.  Seit 
dem  Jahre  1891  hat  die  Arbeit  lange  geruht,  bis  sie  vor  kurzem  im 
Stettiner  Staatsarchive  wieder  aufgenommen  worden  ist,  so  dafs  in 
einigen  Jahren  eine  Fortsetzung  zu  erhoffen  ist.  Bis  dahin  müssen  die 
Urkundenbücher  Mecklenburgs  und  der  Hansa,  die  einen  schnelleren 
Fortgang  genommen  haben,  einigermafsen  aushelfen,  wenn  sie  auch 
gerade  für  die  interessanteste  Seite  der  Territorialforschung,  die  innere 
Entwicklung  des  neu  gewonnenen  deutschen  Koionialgebietes ,  natur- 
gemäfs  fast  nichts  bieten.     Einigen  Ersatz  dagegen  finden  wir  in   ein- 


—     100     .— 

zelnen  fleilsigen  Urkundensammlungen  zur  Geschichte  pommerscher 
Geschlechter,  wie  sie  neuerdings  die  Familien  v.  Wedel  oder  v,  Züze- 
witz  u.  a.  haben  erscheinen  lassen.  Eine  dringende  Forderung  gerade 
.  für  Pommern  ist  eine  Inventarisierung  der  kleineren  Archive,  die  noch 
nicht  in  das  Staatsarchiv  zu  Stettin  gekommen  sind.  Ein  kleiner 
Anfang  in  dieser  Richtung  ist  durch  das  Verzeichnis  der  erhaltenen 
mittelalterlichen  Stadtbücher  (Baltische  Studien  XL  VI,  45^^-102)  und 
die  Zusammenstellung  der  Kirchenbücher  (Balt.  Studien  XLII, 
201 — 280)  gemacht  worden.  Für  die  Entwicklung  der  deutschen 
Städte  im  Kolonialgebiet  ist  von  besonderer  Bedeutung  das  Archiv 
der  Stadt  Stralsund ,  die  ja  im  Mittelalter  die  führende  Rolle  unter 
den  pommerschen  Städten  spielte.  Aus  demselben  ist  nach  dem 
ersten  von  Fabricius  herausgegebenen  Stadtbuche  nun  auch  das 
zweite,  die  Jahre  13 10 — 1342  umfassende  Buch,  zunächst  wenigstens 
zum  Teil  veröffentlicht  (von  Reuter,  Lietz  und  Wehner,  Stralsund 
1896).  Eine  Quelle  für  die  Erkenntnis  des  geistigen  Lebens  nicht  nur 
Pommerns  ist  die  Matrikel  der  Universität  Greifswald  (Publikationen 
aus  den  K.  Preufe.  Staatsarchiven,  Bd.  LH.  LVII,  Leipzig  1893.  1894), 
deren  Einflufe  ja  allerdings  früher  nie  sehr  weit  gegangen  ist. 

Der  Aufgabe,  nach  Möglichkeit  Quellen  zu  publizieren,  hat  sich 
weder  die  Gesellschaft  für  Pommersche  Geschichte  und 
Altertumskunde,  die  trotz  mancherseits  ihr  bewiesener  Gleichgültig- 
keit oder  gar  Abneigung  den  Mittelpunkt  der  pommerschen  Territorial- 
geschichtsforschung  seit  nunmehr  75  Jahren  bildet,  noch  der  viel  jüngere 
Verein  für  die  Geschichte  der  Neumark  (Landsberg  a.  W,), 
zu  dessen  Arbeitsgebieten  einige  Kreise  der  heutigen  Provinz  Pommern 
gehören,  entzogen.  Urkunden  und  Kopiar  des  Klosters  Neuenkamp 
sind  von  F.  Fabricius,  und  da^  Rügische  Landrecht  von  Matthäus 
Normann  von  G.Frommhold(  Quellen  zur  Pommerschen  Geschichte, 
Bd.  II  und  III,  Stettin  1891,  1896)  veröfTentlicht,  und  E.Joachim  und 
P.  V.  Niefsen  haben  ein  Repertorium  der  im  KönigL  Staatsarchive 
zu  Königsberg  i,  Pr.  befindlichen  Urkunden  zur  Geschichte  der  Neu- 
mark  [Schriften  des  Vereins  für  die  Geschichte  der  Neumark  III, 
Landsberg  a.  W.  1895)  herausgegeben.  Den  beiden  Vereinen  einen 
Vor-wurf  zu  machen,  dafs  sie  nicht  mehr  Quellenpublikationen  aufzuweisen 
haben,  wäre  ungerecht,  da  mit  den  hierfür  vorhandenen  Mitteln  und 
einer  Rücksichtnahme  auf  die  Mitglieder  zu  rechnen  ist,  die  andere 
Veröffentlichungen  gewöhnlich  vorziehen.  Die  Gesellschaft  für  pom- 
mersche Geschichte  ist  trotzdem  in  letzter  Zeit  dieser  Au%abe 
wieder  näher  getreten  und  hat  eine  neue  Ausgabe   der  ältesten   pom- 


—      101     — 

merschen  Chronik,  der  Pomerania  des  Johannes  Bugenhagen, 
in  Angriff  und  eine  Sammlung  der  geringen  chronikalischen  Reste  des 
Mittelalters  in  Aussicht  genommen.  Im  ganzen  weniger  als  historische 
Quelle,  sondern  mehr  als  eine  ganz  vortreffliche  Darstellung  der  pom- 
merschen  Geschichte  aus  der  ersten  Hälfte  des  XVI.  Jahrhunderts  ist 
die  Chronik  des  Thomas  Kantzow  aufzufassen,  deren  zweite  und 
dritte  Bearbeitung  endlich  eine  würdige  Ausgabe  gefunden  hat  (von 
G.  Gabel,  Stettin  1897,  1898).  Hier  ist  auch  namentlich  für  die  Zeit, 
in  welcher  der  Chronist  lebte,  ein  reicher  Stoff  geboten,  den  sich  die 
allgemeine  Geschichte  des  Reformationszeitalters  nicht  entgehen  lassen 
sollte.  Ebenso  ist  kulturgeschichtlich  sehr  wertvoll  das  Reisebuch  des 
Lupoid  V.  Wedel  aus  den  Jahren  1561 — 1606  (herausgegeben  von 
M.  Bär,  Balt.  Studien  XLV). 

Die  wirklich  wissenschaftliche  Thätigkeit  auf  dem  Gebiete  der 
pommerschen  Geschichtsforschung  ist  in  den  letzten  Jahren  recht 
rege  und  intensiv  gewesen,  namentlich  sind  die  Bestände  des  Stettiner 
Staatsarchivs  wohl  mehr  als  früher  benutzt  worden.  Es  sind  dadurch 
einerseits  Arbeiten  mehr  lokalgeschichtlichen  Charakters  entstanden, 
die  zumeist  in  den  beiden  Zeitschriften  der  Gesellschaft  für  pommersche 
Geschichte  und  Altertumskunde,  den  „Baltischen  Studien"  und  den 
„Monatsblättem",  erschienen  sind.  Diese  Beiträge  zur  pommerschen 
Geschichte  haben  schon  manchen  bisher  dunklen  Punkt  aufgehellt  und 
auch  in  ihrem  bescheidenen  Teile  einiges  zur  Kenntnis  der  Vergangenheit 
beigetragen.  Für  die  allgemeine  Geschichte  mag  vieles  davon  gleich- 
gültig und  nichtig  erscheinen,  in  Wirklichkeit  ist  es  schliefslich  doch  nicht 
der  Fall.  Es  sollen  an  dieser  Stelle  solche  kleinen  Arbeiten  nicht  in 
Menge  aufgezählt  werden;  wenn  sie  aber,  wie  es  leider  immer  noch 
geschieht,  von  späteren  Forschem  gar  nicht  beachtet  werden,  so  ist 
das  sicher  zu  bedauern.  Auf  Grund  der  herausgegebenen  Quellen 
oder  archivalischer  Studien  sind  aber  auch  umfangreichere  Arbeiten 
erschienen ,  die  direkt  für  die  allgemeine  Geschichte  von  Bedeutung 
sind.  Ein  zusammenfassendes,  wenn  auch  nicht  vollständiges  Bild 
der  Germanisation  des  Slavenlandes  hat  W.  v.  Sommerfeld  [Ge- 
schichte  der  Germanisirung  des  Herzogthums  Pommern,  Leipzig  1896) 
gegeben,  indem  er  allerdings  mehr  die  historische  Entwicklung  dieser 
Kolonisation,  als  die  wirtschaftliche  Bedeutung  ins  Auge  geüaCst  hat. 
Auch  andere  Arbeiten,  die  sich  mit  dieser  grofeen  That  des  deutschen 
Volkes  beschäftigen,  haben  mancherlei  zur  Klärung  der  ältesten 
Geschichte  unseres  Landes  beigetragen,  indem  teils  mehr  die  Chris- 
tianisierung und  Organisation    der  Kirche,    teils    mehr    die   Germani- 


—      102      — 

saüon  des  Landes  betont  ist.  An  Wieseners  treflFliche  Darstellung- 
der  Geschichte  der  christlichen  Kirche  Pommerns  zur  Wendenzeit 
(Berlin  1889)  schlielsen  sich  ergänzend  und  weiterführend  der  Aufsatz 
Iflands  [Geschichte  des  Bisthums  Camin  unter  Conrad  II L,  Stettin 
1896)  und  meine  mannigfachen  Beiträge  zur  Geschichte  des  Caminer 
Bistums  an.  Noch  gar  nicht  behandelt  ist  aber  die  zweite  Periode  der 
Germanisierung  des  Landes,  die  Zeit,  in  welcher  die  neue  deutsche 
Bevölkrung  wirklich  feste  Wurzel  fadste  und  in  ruhiger  steter  Arbeit 
das  Gebiet  kultivierte.  Hierbei  ist  namentlich  die  Thätigkeit  der  grofeen 
Cisterzienserklöster  in  Betracht  zu  ziehen,  für  die  wenigstens  zum  Teil 
urkundliches  Material  zur  Genüge  vorliegt.  Aus  solchen  Spezialunter- 
suchungen wird  auch  die  allgemeine  deutsche  Wirtschaftsgeschichte 
Nutzen  ziehen  können. 

Staatsrechtlich  von  Bedeutung  ist  die  Frage  nach  der  Stellung 
der  neu  eroberten  imd  gewonnenen  Kolonialgebiete  zu  den  alten  Marken 
des  Reiches  imd  dem  Reiche  selbst,  imd  für  Pommern  ist  sie  beson- 
ders wichtig,  da  mit  derselben  der  langjährige  Kampf  gegen  Branden- 
burg eng  zusammenhängt  und  in  seinem  Ursprung  auf  dieses  Ver- 
hältnis zurückgeht.  Von  der  ältesten  Zeit  an  zieht  sich  die  branden- 
burgische Frage  durch  Pommerns  Geschichte  bis  zu  dem  Jahre,  in 
dem  das  Land  seine  politische  Selbständigkeit  verlor  (1637).  Über 
das  Lehnsverhältnis  zwischen  Brandenburg  und  Pommern  im  XIII. 
und  XIV,  Jahrhundert  giebt  F.  Zickermann  (Forschungen  zur 
Brandenb.  und  Preufs.  Geschichte  IV,  i — 120)  eine  sorgfaltige  Unter- 
suchung, die  aber  in  ihrer  grundlegenden  Auffassung  bei  F.  Räch  fahl 
(Forschungen  zur  Brandenb.  und  Preufis.  Gesch.  V,  403 — 436)  auf  Wider- 
spruch gestofsen  ist.  Eine  zweite  Periode  dieses  grofsen  Streites  hat  in 
ausführlicher  imd  trefflicher  Weise  Räch  fahl  selbst  behandelt  (Der 
Stettiner  Erbfolgestreit  1464 — 1472,  Breslau  1890),  während  P.  Gäht- 
gens  gleichzeitig  die  Beziehungen  zwischen  Brandenburg  und  Pom- 
mern unter  Kurfürst  Friedrich  II  (Giefisen  1890)  dargestellt  hat. 
Durch  die  zum  Teil  verschiedene  Behandlimg  desselben  Stoffes  sind 
viele  Punkte  einer  der  zahlreichen  Territorialstreitigkeiten  im  XV.  Jahr- 
hundert aufgehellt  imd  die  Beziehungen  des  Kaiser  Friedrich  III. 
zum  Norden  Deutschlands  in  schärferes  Licht  gestellt  worden. 
Rachfahl  hat  seine  Auffassung  gegenüber  Gähtgens  verteidigt  und  klar- 
gel^  (Balt.  Studien  XLI,  261—279).  Fortgesetzt  ist  die  Darstellung 
des  Kampfes  von  W.  Brandt,  der  auf  Grund  der  von  F.  Priebatsch 
herausg^ebenen  Politischen  Correspondenz  des  Albreeht  Achilles 
den  Krieg  dieses  Kurfürsten  gegen  Sagan  und  Pommern  1476 — 1479 


—     103     — 

(Greiüswald  1898)  schildert.  la  'gewissem  Sinne  hängen  mit  diesem 
Streite  auch  noch  die  Kämpfe,  die  im  dreifsigjährigen  Kriege  um 
Pommern  geführt  wurden,  und  die  Kriege  zusammen,  welche  Kurfürst 
Friedrich  Wilhelm  zur  Erwerbung  des  ihm  gewaltsam  vorenthaltenen 
Erbes  unternahm.  Die  passive  Rolle,  die  das  umstrittene  Gebiet  und 
sein  letzter  selbständiger  Herzog  spielten,  und  die  Pläne  Gustav  Adolfs 
sind  von  M.  Bär  auf  Grund  neu  herangezogener  Akten  klar  dargestellt 
worden  in  seiner  Schrift  Die  Politik  Pommerns  während  des  Dreifsig- 
jährigen Krieges.  (Publikationen  aus  den  K.  Preufeischen  Staats- 
archiven, Bd.  LXrV,  Leipzig  1896),  und  für  die  Kriege  des  Grofsen 
Kurfürsten  auf  pommerschem  Boden  haben  E.  Müsebeck  {Die 
Feldzüge  des  Grofsen  Kurfürsten  in  Pommern,  Balt.  Studien 
N.  F.  I,  I — 142),  Täglichsbeck  {Die Belagerung  der  Stadt  Anklam, 
Balt.  Studien  XLIII,  i — 60)  und  H.  Prutz  (z.  B.  Die  Eroberung 
Stralsunds  durch  den  Grofsen  Kurfürsten,  Balt  Studien  N.  F. 
II,  I — 20)  Arbeiten  von  weitergehendem  Interesse  geliefert.  Weniger 
klar  li^t  bisher  unsere  Kenntnis  von  der  ersten  Einrichtung  der  schwe- 
dischen und  der  brandenburgisch-preufsischen  Regierung  in  dem  ge- 
teilten Lande,  obwohl  O.  Malmström  (Bidrag  tili  svenska  Pom-^ 
merns  historia  1630 — 1653,  Lund  1892,  und  Bidrag  tili  svenska 
Pommerns  historia  1653 — 1660,  Helsingborg  1894)  aus  schwedischen 
Quellen  wertvolles  Material  mitgeteilt  hat.  Für  die  innere  Regierung 
Friedrichs  des  Grofsen  bringt  in  Bezug  auf  Pommern  mancherlei 
Neues  P.  Wehrmann  [Friedrieh  d,  Gr.  als  Colonisator  in  Pommern, 
Pyritz  1897,  1898),  während  C.  F.  Fuchs  den  Untergang  des  Bauern- 
Standes  in  Schwedisch-Pommern  (Strafisburg  1888  und  Balt.  Studien 
XLI,  204 — 222)  behandelt  hat. 

Die  innere  Entwicklung  des  Herzogtums  Pommern  mag  in  seinen 
Einzelheiten  für  die  allgemeine  Geschichte  weniger  wichtig  sein,  inte- 
ressant bleibt  aber  immerhin  auch  die  Betrachtung,  wie  in  diesem  neu 
gewonnenen  Kolonialgebiete,  dessen  östliche  Teile  immer  noch  vor- 
wi^end  slavisch  blieben  und  unter  polnischem  Einflüsse  standen,  die 
neu  eingeführten  deutschen  Einrichtungen  und  auf  diesem  Boden  der 
Territorialstaat  sich  entwickelten.  Kam  in  den  Städten,  namentlich  im 
westlichen  Teile  Pommerns  das  Deutschtum  zum  vollen  Siege  und 
fand  in  dem  Anschlüsse  derselben  an  den  Hansabund  seinen  deutlichen 
Ausdruck  (R.  Daenell,  Geschichte  der  deutschen  Hansa  in  der 
zweiten  Hälfte  des  XIV.  fahr  hunder ts,  Leipzig  1897),  so  schwankte  die 
Politik  der  Herzoge  durchaus  hin  und  her  zwischen  Polen,  Deutschland 
und  Dänemark.     Erst  in   der  Zeit  der  Reformation   kam  das 


—      104     — 

Gefühl   der  Zug-ehörigkeit  des    Landes  zum   Reiche   zum 
vollen  Durchbruche,  wenn  auch    die  politische  Stellung- 
der  Herzoge  eine  sehr  unsichere  blieb.    Im  Innern  aber  kam 
um  die  Wende  des  XV.  Jahrhunderts  in  Verfassung  und  wirtschaftlicher 
Gestaltung  eine  neue  Ordnung  auf,    und   die  Anfange  des   modernen 
Staates  wurden  in  dem  zerrütteten  und  verkommenen  staatlichen  Gebilde 
das    damals    bestand,    gelegt,    wie    M.    Spahn    in    seiner    fleifsigen, 
aber  nicht  genügend  durchgearbeiteten  Abhandlung  ( Verfassungs-  und 
Wirtschaftsgeschichte  des  Herzogthums  Pommern  von  14^8 — 162^, 
Berlin  1896)  zeigt.    Durch  dieselbe  ist  die   Anregung  gegeben,    das 
in  grofsenund  daher  nicht  immer  zu   treffenden  Zügen  geschilderte 
Bild  weiter  auszumalen  und  im   einzelnen  zu   verbessern.     Namentlich 
auch    die    Einfuhrung    der    Reformation,     für    welche    Arbeiten    von 
O.    Vogt    [Bugenhagens    Briefwechsel,    Balt.    Studien    XXXVIII), 
M.    Wehrmann    [Die    pommersche    Kirchenordnung    von    1^35» 
Balt.  Studien  XLIII,    128 — 210)   und  F.  Bah  low  (Johann  Knips  tro, 
Halle  1898)  vorliegen,   bedarf  es   noch   eingehender  Untersuchungen, 
nm    solchen    tendenziösen    Darstellungen    entgegenzutreten,    wie    sie 
E.   Görig k   [Erasmus  Manteuffel,    der  letzte   katholische  Bischof 
von   Camin,    Braunsberg    1899)    gegeben    hat.     Die    Stellung   Pom- 
merns in   den  späteren  Streitigkeiten   und    Kämpfen    ist    wenig    her- 
vorragend und  von  geringerer  Bedeutung  für  die  allgemeine  Geschichte 
(M.  V.  S\o]^n\.\VL,  Jakob  von  Zitzewitz,  ein  Pomm^rscher  Staatsmann 
aus  dem  Reformations- Zeitalter,  Balt.   Studien  N.  F.  I,  143 — 288); 
auch  im  weiteren  Verlaufe  des  XVI.  Jahrhunderts  ist  eigentlich  nur  ein 
Herzog  in  engere  Beziehung  zum  Kaiser  getreten  (J.  Mueller,  Herzog 
Johann  Friedrich  und  die  Reichshoffahne  i.J.  i$66',  Balt.  Studien  XLII, 
49  —  200)    und    in    den     nordischen    Streitigkeiten    thätig    gewesen 
(O.  Blümcke,    Pommern   während  des  nordischen  siebenjährigen 
Krieges,  Balt.  Studien  XL,  134 — 480 ;  XLI,  i — 98). 

(Schlafs  folgt.) 


Mitteilungen 

Kommissionen.  —  Aus  dem  Berichte  über  die  vierzigste  Plenar- 
Versammlung  der  historischen  Kommission  bei  der  kgl.  baye- 
rischen Akademie  der  Wissenschaften,  die  vom  25.  bis  27.  Mai  1899 
in  München  stattCsuid,   ist  über  den  Fortgang  der  unternommenen  Arbeiten 


—     105     — 

folgendes  zu  ersehen:  Von  den  Deutschen  Reichstagsakten  älterer  Serie 
ist  der  ii.  Band,  bearbeitet  von  G.  Beckmann,  ausgq;eben  worden, 
während  die  Bände  lo  und  12  fiaist  druckfertig  sind.  Mit  Bd.  12  wird  die 
Publikation  bis  1437  geführt  sein,  während  es  ron  dem  Beschlüsse  der 
nächsten  Ptenanrersammlung  abhängt,  wie  das  Unternehmen  fortgesetzt  wird. 
Die  von  Adolf  Wrede  in  Göttbgen  geleitete  Ausgabe  der  Reichstagsakten 
jüngerer  Serie  ist  bis  zum  dritten  im  Druck  befindlichen  Bande  fort- 
geschritten. Von  den  deutschen  Städtechroniken  ist  der  26.  Band,  ent- 
haltend den  gröfsten  Teil  der  von  Koppmann  bearbeiteten  Lübecker  Chro- 
niken, vollendet,  der  27.  Band,  enthaltend  den  zweiten  Teil  der  Magde- 
burger Chroniken  in  der  Bearbeitung  von  Prof.  Hertel,  ist  ebenfiüls  ab- 
geschlossen, und  die  noch  fehlenden  Chroniken  von  Bremen  und  Rostock 
sollen  demnächst  in  Bearbeitung  genommen  werden.  Die  durch  den  Tod 
FeHx  Stieves  schwer  geschädigten  Editionen  der  jüngeren  Bayrisch- 
Pfälzischen  Abteilung  der  Witteisbacher  Korrespondenzen 
ist  durch  Kari  Mayr,  Sekretär  der  kgl.  Akademie  d.  W.,  und  Prof  Chroust 
für  die  Zeit  von  1609  ^^  1613  und  durch  Dr.  Altmann  für  die  Jahre  1629 
bis  1630  in  Bezug  auf  die  Materialsammlung  als  abgeschlossen  zu  betrachten. 
Die  von  Prof.  v.  Bezold  geplante  Herausgabe  von  Briefen  von  Huma- 
nisten ist  im  Laufe  des  Jahres  gut  vorbereitet  worden  und  der  Plan  so 
festgestellt,  dafs  in  drei  Bänden,  welche  den  Kreisen  um  Conrad  Celtis, 
Pirkheimer  und  Peutinger  gewidmet  sind,  der  Stofif  bewältigt  werden  kaim. 
Eine  zeitliche  Grenze,  bis  zu  der  Briefe  Aufnahme  finden  sollen,  kann 
nicht  mechanisch  festgestellt  werden,  aber  im  allgemeinen  soll  die  Generation, 
die  nach  1500  geboren  ist,  nicht  mit  in  Betracht  kommen.  Als  neue  Auf- 
gabe wurde  femer  die  seit  1863  sistierte  Herausgabe  der  Quellen  und 
Erörterungen  zur  bayeriscJien  und  detäschen  Geschihte  beschlossen,  welche 
eine  geeignete  Ergänzung  der  in  den  Monumenta  Germaniae  imd  Monumenta 
Boica  niedergelegten  Veröfifentlichungen  bilden  sollen.  Die  Jahrbücher  des 
Deutschen  Reiches  imter  Otto  IL  bis  Friedrich  IL  und  die  Allgemeine  Deutsche 
Biographie,  welche  ihrem  Abschliifs  entgegengeht,  haben  auch  im  Berichts- 
jahre wesentliche  Fördenmg  erfahren. 

Die  Thüringische  Historische  Kommission  tagte  am  14.  Ok- 
tober unter  dem  Vorsitz  von  Prof.  Rosenthal  zu  Jena.  Für  die  vom  Archiv- 
direktor Burkhardt  vorbereitete  Ausgabe  der  Land  tagsakten  der Emestiner 
zunächst  im  Zeitraum  von  i486  bis  1547  ist  das  Material  gesammelt,  da 
aber  der  Stoff  zu  reich  ist,  so  soll  mit  dem  Jahre  1532  ein  Einschnitt  ge- 
macht und  das  Ganze  auf  zwei  Bände  verteilt  werden.  Die  Publikation  der 
Stadt  rechte  ist  bereits  so  [weit  vorbereitet  dafs  für  1900  die  Drucklegung 
der  Stadtrechte  von  Eisenach  (Prof.  Kühn)  und  Saalfeld  (Prof.  Koch)  ins 
Auge  ge&fst  werden  kann.  Ohrdruf  und  Gotha  sollen  darauf  folgen.  Die 
Inventarisation  der  kleineren  thüringischen  Archive  ist  in  gutem 
Fortgang  begriffen,  aber  dennoch  wird  ein  etwas  beschleunigtes  Tempo  em- 
pfohlen. Die  Drucklegung  soll  so  erfolgen,  dafs  der  Zcitschi-ift  des  Vereins 
für  thüringische  Geschichte  und  Altertumskunde  jährlich  zehn  Bogen  Archiv- 
inventare  mit  besonderer  Seitenzählung  beigegeten  werden.  Femer  soll  eine 
Nachforschung  nach  Materialien  zur  thüringischen  Geschichte  im  Germanischen 
Museum  zu  Nürnberg  in  die  Wege  geleitet  werden.     Zur  Belebung  der  For- 

8 


—     106     — 

-schung  auf  dem  Gebiete  der  Schulgeschichte  ThtinDgens  sind  die  Pfleger 
besonders  angewiesen  worden  ^  einschlägiges  Material  zu  sammeln.  Für 
Eisenach  und  Arnstadt  ist  dies  bereits  geschehen,  und  fUr  Anfang  1900  ist 
das  Erscheinen  eines  speziell  thüringischen  Heftes  der  MUteüungen  der 
Gesellschaft  für  deutsche  Erxiehungs-  und  Schulgeschichie  in  Aussicht  genommen» 
Behufs  des  Grundkartenunternehmens  (vgl.  obenS.  35)  ist  zunächst  für 
jeden  der  thüringischen  Staaten  festzustellen,  ob  bei  den  Behörden  eine  das 
ganze  Staatsgebiet  umfassende  Karte  mit  den  Rurgrenzen  vorhanden  ist  und 
ob  "Kräfte  für  die  Bearbeitung  der  Grundkarten  zur  Verfügung  stehen  würden. 
Ein  Verzeichnis  der  thüringischen  Wüstungen  nebst  Karte  wurde  dem 
Antrage  Dobeneckers  entsprechend  als  wünschenswert  bezeichnet,  aber 
zunächst  zu  genauerer  Beratung  auf  die  Tagesordnung  der  nächsten  Sitzung 
gesetzt.  In  ähnlicher  Weise  wurde  die  Publikation  der  Matrikel  der 
Universität  Jena  angeregt,  aber  die  Beschlufsfassung  darüber  ausgesetzt. 
Publikationen  zur  neueren  Geschichte  aus  thüringischen  Ar- 
chiven zu  veranstalten,  bezweckte  ein  Antrag  von  Dr.  Stoy;  unter  den  ver- 
schiedenen in  Vorschlag  gebrachten  Stoffen  befindet  sich  auch  eine  Geschichte 
der  Universität  Jena.  Über  die  Reihenfolge  dieser  Publikationen  soll  der 
Ausschufs  der  Kommission  Näheres  bestimmen. 

In  Karlsruhe  fand  am  20.  und  21.  Oktober  die  XVIII.  Plenarsitzung 
der  Badischen  historischen  Kommission  statt.  Während  die  Re- 
gesten zur  Geschichte  der  Bischöfe  von  Konstanz  und  der  Mark- 
grafen von  Baden  und  Hachberg  wesendich  fortgeschritten  sind,  ist  die 
Fortführung  der  Regesten  der  Pfalzgrafen  bei  Rhein  vorläufig  ausgesetzt 
worden,  dafür  aber  vrird  Prof.  Wille  eine  darstellende  Pfälzische  Geschichte 
in  Angriff  nehmen.  Von  den  oberrheinischen  Stadtrechten  wird  bereits  bald 
das  fünfte  und  sechste  Heft  der  fränkischen  Abteilung  erscheinen,  wäh- 
rend von  der  schwäbischen  Abteüung  die  Stadtrechte  von  Überlingen, 
Konstanz  und  Freiburg  i.  B.  sich  in  Vorbereitung  befinden.  Prof.  Schulte 
hat  seine  Geschichte  des  mittelalterlichen  Handels  und  Verkehrs  zwischen 
Westdeutschland  und  Italien  unter  Ausschlufs  Venedigs  vollendet,  das  Werk 
befindet  sich  im  Druck;  ebenso  ist  der  von  Archivrat  Obser  bearbeitete 
fünfte  (Schlufs-)Band  der  Politischen  Korrespondenz  Karl  Friedrichs  von  Baden 
unter  der  Presse.  Vom  Oberbadischen  Geschlechierbuch  ist  die  erste  liefe- 
rung des  zweiten  Bandes  erschienen.  In  Vorbereitung  findet  sich  die  Her- 
ausgabe der  Korrespondefiz  des  Fürstabtes  Martin  Gerbert  von  St.  Blasien^ 
die  Geschichte  des  schwäbischen  Kreises  vom  Westfälischen  Frieden  bis  xu 
seiner  Auflösung  und  eine  Geschichte  der  badischen  Verwaltung;  ebenso  ist 
der  zweite  Band  der  Wirtschaftsgeschichte  des  Schwarxvxildes  wid  der  an- 
grenzenden  Landschaften,  bearbeitet  von  Prof.  Gothein,  in  nicht  allzu 
femer  Zeit  zu  erwarten.  Die  Inventarisation  der  kleineren  Archive,  die  in 
Baden  von  den  Pflegern  besorgt  wird,  ist  nahezu  vollendet,  die  Sammlung 
und  Zeichnung  der  Siegel  und  Wappen  der  badischen  Gemeinden  schreitet 
rüstig  voran.  Die  Ausführung  der  ftir  das  badische  Gebiet  von  der  Kom- 
mission beschlossenen  Gruridkarten  wird  das  Grofsh.  Statistische  Landes- 
amt übernehmen.  Zu  Mitgliedern  der  Konmiission  wurden  emaimt  Prof. 
Finke  und  Prof.  Fuchs  in  Freiburg  i.  B.  und  Dr.  Tumbült,  Vorstand 
des  Fürstlich  Fürstenbergischen  Archivs  in  Donaueschingen. 


—     107     — 

Die  Kgl.  Sächsische  Kommission  für  Geschichte  hielt  am 
i6.  Dezember  ihre  rierte  ordentliche  Jahresversammlung  zu  Leipzig  unter 
dem  Vorsitze  des  Kultusministers  v.  Seydewitz  ab.  An  Publikationen 
wurden  im  laufenden  Jahre  ausgegeben  zwei  weitere  Doppelsektionen  der 
Grundkarte  des  Königreichs  Sachsen  nebst  den  ErlätUerungen  zur  hi- 
.ntarisek'SUUisiiscken  Orundkarte  für  Deutschland  von  Hubert  Ermisch 
und  Berichte  des  Kurfürstlichen  BcUes  Hans  von  der  Planitx  in  der  Be^ 
arbeitung  von  Wülcker  und  Virck.  Im  Druck  vollendet  ist  die  Korrespon- 
denz des  Herzogs  und  Kurfürsten  Moritz,  bearbeitet  von  Prof.  Branden- 
burg, sowie  ein  Teil  der  Tafeln  des  von  Flechsig  herausgegebenen  Werkes 
über  Lukas  Cranach.  Der  Druck  der  Akten  und  Briefe  Herzog  Georgs, 
des  Jjcftnbuchs  Friedrichs  des  Strengen  von  1349  sowie  des  Briefwechsels 
der  Kurßirstin  Maria  Antonia  mit  der  Kaiserin  Maria  Theresia  wird  sicher 
im  Jahre  1900  begonnen  und  vielleicht  ganz  vollendet  werden.  Eine  grofse 
Anzahl  anderer  Veröffentlichungen  ist  in  Angriff  genommen  und  bereits 
wesentlich  fortgeschritten,  wenn  auch  über  die  Zeit  der  Vollendung  nichts 
Bestimmtes  angegeben  werden  kann,  so  die  Instruktion  eines  Vorwerksver- 
Walters  1570  und  die  Sächsische  Steuergeschiclite ,  beide  bearbeitet  von 
Dr.  Wuttke,  Akten  zur  Geschichte  des  Bauernkrieges  in  Mitteldeutschland 
von  Archivar  Merx  (Magdeburg),  die  Geschichte  des  Heilbronner  Bundes 
(1632)  und  des  Prager  Friedens  (1635)  von  Archivar  Kretzschmar  (Han- 
nover), die  Dresdener  Illustrierte  Sadisenspiegelhandschrift  und  die  Geschichte 
des  geistigen  Ijebens  der  Stadt  Leipzig.  Die  Zahl  der  Subskribenten  auf 
die  Veröffentlichungen  der  Kommission  ist  erfreulicherweise  auf  230  ge- 
stiegen. 

In  der  Historischen  Kommission  der  Provinz  Westfalen 
ist  an  Stelle  des  nach  Freiburg  i.  B.  berufenen  Prof.  Finke  Archivrat 
Philippi  zum  Vorsitzenden  ernannt  worden.  Mitglieder  der  Kommission 
wurden  Archivar  Krumbholtz  und  Privatdozent  Ludwig  Schmitz, 
beide  in  Münster. 

Vor  vier  Jahren,  zu  Beginn  des  Jahres  1896,  hat  der  Verein  fUr  Ge- 
schichte und  Altertumskunde  Westfalens  eine  besondere  Altertums-Kom- 
mission  eingesetzt,  „um  die  Forschungen  an  den  stummen  Zeugen  der 
Vergangenheit  systematischer  anzuregen,  einheitlicher  zu  fördern".  Das  erste 
Heft  der  Müteüungen  der  Altertumskommission  für  Westfalen  (Münster, 
W.  Aschendorffsche  Buchhandlung,  1899.  124  S.  S^'  und  9  Tafeln.  ^  8,00) 
liegt  gegenwärtig  vor  und  bringt  an  erster  Stelle  aus  der  Feder  von  W  o  r  m  - 
stall  eine  Übersicht  über  die  vor-  und  frühgeschichtlichen  Wallburgen,  Lager 
und  Schanzen  in  Westfalen,  Lippe-Detmold  und  Waldeck.  Es  ist  dies  eine 
(Ur  die  weitere  Forschung  aufserordentlich  wichtige  Zusammenstellung,  da 
aus  ihr  jeder  Lokalforscher  mit  Leichtigkeit  feststellen  kann,  welche  dieser 
Anlagen  bekannt  und  wo  sie  in  der  Litteratur  beschrieben  sind.  Die  For- 
schung würde  eine  unvergleichlich  fruchtbarere  sein  können  ,  wenn  die  zu- 
ständigen Stellen  in  allen  Teilen  Deutschlands  solche  Verzeichnisse  anlegen 
und  darin  eine  Übersicht  über  das  bisher  Bekannte  geben  wollten!  An 
zweiter  Stelle  finden  wir  Untersuchungen  römischer  oder  für  römisch  gehal- 
tener Befestigungen  in  Westfalen,  und  zwar  ist  dies  ein  Brief  über  das  „Varus- 
lager  im  Habichtswalde''   von  F.   Jostes   und   ein   Bericht   des  Museums- 

8* 


—     108     — 

direktors  Schuchhardt  (Hannover)  über  seine  Ausgrabungen  und  Auf- 
nahmen an  der  Lippe,  deren  Ergebnisse  bereits  zum  Teil  in  dem  Vortrage 
des  Verfassers  in  Bremen  (vgl.  oben  S.  62)  mitgeteilt  wurden:  ein  grofser 
Teil  der  Funde  ist  hier  abgebildet  und  der  Befund  der  Ausgrabungen  genau 
beschrieben.  Über  Nachgrabimgen  am  alten  Kreuzthor  in  Münster,  die  über 
die  vormalige  Befestigung  der  Stadt  Auskunft  geben,  berichtet  Max  Gais- 
berg,  über  prähistorische  Funde  und  namentlich  Urnenfriedhöfe  in  der  Nähe 
von  Borken  W.  Conrads.  Den  Schlufe  des  Heftes  bildet  eme  Abhand- 
lung von  F.  Biermann  über  die  Wallburg  bei  Gellinghatisen,  die  er  sorg- 
fältig beschreibt,  deren  Entstehimgszeit  er  jedoch  mangels  irgend  welcher 
Fundstücke  nicht  genauer  anzugeben  vermag.  —  Die  neue  Publikation  ist 
von  hoher  Bedeutung,  da  sie  fiir  das  westfälische  Land  die  Möglichkeit  einer 
mit  der  Geschichtsforschung  Hand  in  Hand  gehenden  Altertumswissenschaft 
erweist  und  dadurch  wohl  geeignet  ist,  auch  anderwärts  befruchtend  und 
anregend  zu  wirken.  Aufserordentlich  freudig  zu  begrüfsen  ist  die  That- 
sache,  dafs  die  Kommission  bei  ihren  Arbeiten  durch  Geldmittel  des  Kaiser- 
lichen Archäologischen  Instituts  unterstützt  wird,  namentlich  um  die 
Untersuchungen  in  Dolberg  und  in  der  Nähe  von  Haltern  weiterzuführen. 

Archlre.  —  In  Lüneburg,  wo  seit  1895  eine  Neuordnung  und 
Durchforschung  des  städtischen  Archivs  beschlossen  und  seit  1897  in  der 
Person  des  Dr.  W.  Rein  ecke  ein  Stadtarchivar  auf  Lebenszeit  angestellt 
worden  ist,  haben  die  Archivalien  in  neuster  Zeit  auch  ein  würdiges  und 
dauerndes  Heim  gefunden.  Ursprünglich  hatte  man  den  Plan,  die  alte  „  Rats- 
küche" durch  einen  Umbau  zum  Archiv  umzuwandeln,  aber  beim  Fortgang 
der  Arbeit  ist  daraus  fast  ein  vollständiger  Neubau  geworden,  der  mit  einem 
Kostenaufwand  von  30  000  Mark  einschliefslich  der  inneren  Ausstattung  auf- 
geführt worden  ist.  Eine  genaue  Beschreibung  des  Äufseren  und  Inneren 
des  neuen  Archives  aus  der  Feder  des  Archivars  enthalten  die  Hannoverschen 
Oeschichtshlätter  2.  Jahrgang  Nr.  6  vom  12.  Nov.  1899.  S.  366/367  Über 
die  Geschichte  des  Archivs  und  seine  wertvollen  Bestände  berichtet  derselbe 
in  den  Jahresberichten  des  Museums-Verems  für  das  Fürstentum  Lüneburg 
1896/98,  S.  29 — 92. 

In  Bonn  sind  im  Laufe  des  Jahres  1898  die  städtischen  Archivalien, 
deren  Hauptmasse  allerdings  erst  aus  der  Zeit  nach  dem  Bombardement  von 
1689  stanmit,  bis  dahin  in  den  verschiedenen  Zimmern  des  Rathauses  auf- 
bewahrt, in  einen  eigenen  dazu  hergerichteten  Archivraum  im  Erdgeschofs 
des  Rathauses  übergeführt  worden.  Die  wüste  Masse  einzelner  Aktenbündel 
und  Blätter,  unter  denen  eine  ältere  Ordnung  nicht  mehr  zu  erkennen  war» 
wurde  seit  Beginn  des  Jahres  1899  zunächst  von  Armin  Tille  gesichtet, 
in  drei  Hauptabteüungen  (Kurkölnische,  Französische,  Preufsische  Zeit)  ge- 
schieden und  innerhalb  der  letzteren  in  sachliche  Unterabteilungen  gebracht 
Seit  Sommer  1899  ist  in  der  Person  des  Oberlehrers  am  städtischen  Gym- 
nasium Dr.  Knickenberg  ein  Archivar  angestellt,  dem  zugleich  die  Ver- 
waltung der  in  Verbindung  mit  dem  Archiv  aufgestellten  Stadtbibliothek  an- 
vertraut ist.  Eine  Vergröfsenmg  der  Räumlichkeiten  tmi  ein  besonderes 
Arbeitszimmer  für  den  Archivar  steht  bevor,  eine  Übersicht  über  die  Bestände 
des  Archivs   enthält  die  Bonner  Zeitung  Nr.  246  vom  15.  Oktober  1899. 


—      109     — 

In  Mfihlhausen  L  Th.  wird,  um  das  aOgcmein«  Interesse  für  das 
Aichnr  zn  bckbcn,  eine  ständige  Archivausstellung  geplant  Magistrat 
und  Stadtrerordnete  haben  die  dazu  eifbrderlichen  Kosten  bewilligt,  und  es 
ist  bcgnindetc  Hoffiiung  vorhanden,  dals  diese  Ausstellung,  welche  bei  dem 
grolsen  Reichtum  des  ehemals  reichsstädtischen  und  jetzigen  StadtarchiTS 
von  M.  an  uneditieiten  Quellen  zur  Geschichte  Thüringens  und  des  Deutschen 
Reichs  (V^  darüber  Heydenreich,  Archivwesen  und Geschichtswissenschatt, 
Marbiug,  Elwert,  1900,  S.  IV  fL)  sehr  interessant  zu  werden  verspricht,  noch 
im  Sonmier  1900  eröffiiet  werden  kann. 

Bemkmalspflege.  —  Die  Eii^be,  welche  der  Gesamtverein  der 
deutschen  Geschichts>  und  Altertumsvereine  (vgL  oben  S.  84) 
zwecks  HerbeÜiihrung  eines  gröfseren  Schutzes  für  historische  Baudenkmäler 
an  die  verbündeten  Regierungen  gerichtet  hat,  hat  folgenden  Wortlaut: 

Der  Gesamtverein  der  deutschen  Geschichts-  und  Altertumsvereine  er- 
kennt dankbar  an,  dafs  die  deutschen  Staaten  in  richtiger  Würdigung  der 
auiserordentUchen  Bedeutung  und  des  unschätzbaren  Wertes  der  geschicht- 
lichen und  kunstgeschichtlichen  Denkmäler  in  den  letzten  Jahren  sich  deren 
Erhaltung  und  Pflege  in  fortschreitendem  Mafse  angenommen  haben;  er 
richtet  aber  wiederholt  an  sie  die  dringende  Bitte,  diesen  Bestrebungen,  welche 
für  die  geschichtlichen  Wissenschaften  und  für  die  Erhaltung  des  nationalen 
Sinnes  eine  Lebensfrage  darstellen,  weitere  Förderung  durch  gesetzliche  Re- 
gelung, Ausbildung  und  Erweiterung  der  ihnen  gewidmeten  Organisation  und 
Aufwendung  gröfserer  Geldmittel  angedeihen  zu  lassen. 

Der  Gesamtverein  erachtet  es  für  notwendig,  dafs  die  zu  erlassenden 
gesetzlichen  Vorschriften  den  folgenden  Grundgedanken  entsprechen: 

1.  Ein  unbewegliches  Denkmal  von  kimstgeschichtlicher  oder  gesehicht- 
lieber  Bedeutung,  das  sich  im  Eigentum  des  Staates  oder  einer  Körperschaft 
im  Sinne  des  öffentlichen  Rechtes  befindet,  darf  ohne  Genehmigung  der 
Aufsichtsbehörde  nicht  zerstört  und  nicht  wieder  hergestellt,  wesentlich  aus- 
gebessert oder  verändert  noch  wissentlich  dem  Verfall  überliefert  werden. 

2.  Ein  beweglicher  Gegenstand  von  kunstgeschichtlicher  oder  geschicht- 
licher Bedeutung,  der  sich  im  Eigentum  des  Staates  oder  einer  Körperschaft 
im  Sinne  des  öffentlichen  Rechtes  befindet,  darf  ohne  Genehmigung  der 
Aufisichtsbehörde  nicht  zerstört  oder  veräufsert  und  nicht  wieder  hergestellt, 
wesentlich  ausgebessert  oder  verändert  werden. 

3.  Archäologische  Ausgrabungen  oder  Nachforschungen  irgend  welcher 
Art  dürfen  auf  Grund  und  Boden,  der  im  Eigentum  des  Staats  oder  einer 
Körperschaft  im  Sinne  des  öffentlichen  Rechtes  steht,  nicht  unternommen 
werden  ohne  Genehmigung  der  Aufsichtsbehörde. 

4.  Im  Eigentum  von  Privaten  stehende,  unter  ihren  derzeitigen  Eigen- 
tümern gefährdete,  unbewegliche  Denkmäler  von  kunstgeschichtlicher  oder 
geschichtlicher  Bedeutung  sowie  im  Eigentum  von  Privaten  befindlicher  Grund 
und  Boden,  der  archäologisch  wertvoUe  unbewegliche  oder  bewegliche  Denk- 
mäler birgt,  können  enteignet  werden. 

Auf  gesetzliche,  dem  letzten  Punkt  entsprechende  Bestimmungen  glaubt 
der  Gesamtverein  im  Einverständnis  mit  allen  Kunst-  und  Geschichtsfreunden 
des  Vaterlands  den  gröfsten  Wert  legen  zu  sollen,  weil  durch  sie  allein  zahl- 


—      110     — 

lose,  bisher  des  Schutzes  völlig  entbehrende  Denkmäler  und  Gegenstände 
der  Zerstörung,  der  Verunstaltung  und  der  Verschleuderung  entzogen  werden 
können. 

Als  wichtiges  Hilfsmittel,  insbesondere  für  die  in  der  Denkmalpflege 
thädgen  Behörden  und  für  die  Aufklärung  weiterer  Kreise,  empfiehlt  der 
Gesamtverein  die  zuletzt  in  den  Gesetzgebungen  von  England,  Frankreich  und 
Rumänien  mit  gutem  ErTolg  zur  Anwendung  gekommene  Klassierung  der 
Denkmäler,  ohne  jedoch  den  staatlichen  Schutz  irgendwie  einseitig  auf  die 
klassierten  Gegenstände  beschränkt  wissen  zu  wollen. 

Der  Gesamtverein  weist  hin  auf  die  Ergänzung  der  behördlichen  Organi- 
sation durch  die  in  verschiedenen  Staaten  mit  bestem  Erfolg  thätigen  frei- 
willigen Mitarbeiter  (Pfleger,  Korrespondenten)  sowie  auf  die  bedeutende 
Unterstützung,  welche  der  gesamten  Denkmalpflege  durch  die  Heranziehung 
der  überall  vorhandenen  Geschichts-   und  Altertumsvereine  erwachsen   kann. 

Der  Gesamtverein  erachtet  es  endlich  für  unerläfslich ,  dafs  in  jedem 
Staate  bei  weitem  gröfsere  Mittel  flir  die  Erhaltung  und  Wiederherstellung 
der  Denkmäler,  als  bisher  geschehen,  aufgewendet  werden,  und  dafs  thun- 
liehst  überall  feststehende,  hierfUr  bestimmte  Summen  alljährlich  in  den  Etat 
eingesetzt  werden. 

Aus^rabungeil.  —  Im  Dorfe  Kirchheim  (Kreis  Molsheim  im  Elsals), 
in  dessen  Nähe  sich  auf  Winklers  archäologischer  Karte  des  Elsasses  (Strafs- 
burg, Noiriel  1896)  zwei  Keltenwege  schneiden,  hat  Dr.  Plath  alte  Baureste 
aufgedeckt  und  daselbst  einen  römischen  Villenbau  nachgewiesen.  Im 
VI.  und  VII.  Jahrhundert  sind  darüber  merowingische  Bauten  entstanden 
—  vielleicht  handelt  es  sich  um  einen  Königshof  der  Könige  Childebcrt 
oder  Dagobert  —  und  im  X.  bis  XII.  Jahrhundert  sind  neue,  allerdings 
nachlässiger  ausgeführte  spätromanische  Bauwerke  hinzugekommen,  die 
zum  Teil  der  Technik  des  gut  erhaltenen  dortigen  Kirchturmes  entsprechen. 
Vgl.  die  näheren  Ausfuhrungen  in  der  Slrafsburger  Post  vom  5.  Dez.  1899, 
Nr.  1038. 

Zeitschriften.  —  Vom  i.  Januar  1900  ab  wird  in  Wiesbaden  im  Verlage 
von  P.  Flaum  eine  Halbmonatsschrift  Nassovia,  Zeitschrifl  fürnassauische  Oe- 
achichte  wid  Heimatkunde,  herausgegeben  von  Dr.  C.  Spiehnann  zum  Preise 
von  I.  20  Uf  vierteljährlich  erscheinen.  Das  erste  bereits  vorliegende  Heft, 
16  Seiten  4^  bringt  u.  a.  einen  Aufsatz  des  Herausgebers  „Der  Werde- 
gang des  Herzogtums  Nassau*',  eine  „Kurze  Geschichte  der  Herzoglich 
Nassauischen  Artillerie**  von  R.  Kolb  und  ist  dazu  angethan,  das  Interesse 
für  die  heimische  Geschichte  in  weiteren  Kreisen  zu  wecken. 

Der  Anzeiger  für  Schweizer  QeschictUe  wird  von  jetzt  ab  von  Prof. 
Wolfgang  Friedrich  v.  Mülinen  in  Bern  redigiert. 

Personalien.  —  Prof.  Walter  Judeich  in  Marburg  ist  als  Professor 
der  alten  Geschichte  an  die  Universität  Czemowitz  berufen  worden.  —  Der 
bisherige  aufserordentliche  Professor  Ludwig  Finkel  in  Freiburg  (Schweiz) 
wurde  zum  Ordinarius  für  österreichische  Geschichte  in  Lemberg  ernannt.  — 
Der  aufserordentliche  Prof.  der  Geschichte  in  Kiel  K.  Rodenberg  wurde 


-    111    — 

zum  Ordinarius  befördert.  —  In  Breslau  starb  am  28.  Nov.  40  Jahre  alt 
der  Staatsarchivar  Walter  Ribbeck,  in  Zürich  am  30.  Okt.  Rudolf 
Maag,  Lehrer  der  Geschichte  am  Obergymnasium.  —  Archivrat  Paul 
Mitzschke  in  Weimar  scheidet  soeben  aus  dem  Dienste  am  grofsherzogl. 
Staatsarchiv  und  zugleich  aus  der  Reihe  der  an  dieser  Zeitschrift  mitwirken- 
den Herren  aus.  An  seiner  Stelle  ist  der  bisherige  Assistent  an  der  Leipziger 
Universitätsbibliothek  Johannes  Trefftz  zum  Archivar  am  grofsherzogl. 
Staatsarchiv  ernannt  worden. 

Eingegangene  Bücher. 

Bartsch,  L. :  Kirchliche  und  schulische  Verhältnisse  der  Stadt  Buchholz 
während  der  ersten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts.  Buchholz  in  Sachsen, 
Verlag  von  Albert  Handreka,  1899.  192  S.  8^  [Sonderabdruck  aus 
Heft  III   und  IV   der  Beiträge  zur  Geschichte  der  Stadt  Buchholz.] 

Beyerle,  Konrad:  Konstanz  im  Dreifsigjährigen  Kriege.  Schicksale  der 
Stadt  bis  zur  Aulhebung  der  Belagerung  durch  die  Schweden  1628 — 1633. 
Heidelberg,  Karl  Winter  1 900.  84  S.  8  ®.  [Neujahrsblätter  der  Badischen 
Historischen  Kommission,  Neue  Folge  3.] 

Bilfinger,  Gustav:  Untersuchungen  über  die  Zeitrechnimg  der  alten  Ger- 
manen. I.  Das  altnordische  Jahr.  Stuttgart,  W.  Kohlhammer,  1899. 
99  S.  4^. 

Brumme,  Franz:  Das  Dorf  und  Kirchspiel  Friedrichswerth  (ehemals  Erffa 
genannt)  im  Herzogtum  Sachsen-Gotha,  mit  besonderer  Berücksichtigung 
der  Freiherrlichen  Familie  von  ErfiGsu  Gotha,  Kommissionsverlag  von 
C.  F.  Windaus,   1899.     393  S.  8^ 

Hansen,  R.:  Über  Wanderungen  germanischer  Stämme  auf  der  Cimbrischen 
Halbinsel.     5  S.  4®  "[Sonderabdruck  aus  Band  LXX,  Nr.  9  des  Globus.] 

Hübbe,  H.  W.  C.:  Zur  topographischen  Entwicklung  der  Stadt  Parchim. 
Parchim,  H.  Wehdemann  1899.  34  S.  8^  und  em  Plan  von  P.  und 
Umgegend. 

K  ob  erlin,  Alfred:  Fränkische  Münzverhältnisse  zu  Ausgang  des  Mittel- 
alters. Bamberg  1899.  52  S.  8^.  [Programm  des  neuen  Gymnasiimis 
in  Bamberg  für  1 898/1 899.] 

Mendel,  Albrecht :  Die  römischen  Altertümer  im  Gymnasialunterricht  Posen 
1899.  23  S.  4^  [Beilage  zum  65.  Programm  des  Königlichen  Friedrich- 
Wilhekns-Gymnasiums  zu  Posen.] 

„Monatsblätter",  herausgegeben  von  der  Gesellschaft  für  Pommersche  Ge- 
schichte und  Altertumskunde,   1899,  Nr.   11.     S.  161 — 176,  8^. 

Platen,  Paul:  Zur  Frage  nach  dem  Ursprung  der  Rolandssäulen.  Dresden 
1899.  51  S.  8^.  [Beilage  zum  Programm  des  Vitzthumschen  Gym- 
nasiums 1 898/1 899.] 

Posse,  Dr.  Otto:  Haiidschriften-Konservirung  nach  den  Verhandlungen  der 
St.  Gallener  Internationalen  Konferenz  zur  Erhaltung  und  Ausbesserung 
alter  Handschriften  von  1898  sowie  der  Dresdener  Konferenz  Deutscher 
Archivare  von  1899.  Dresden,  Verlag  des  „Apollo'*  (Franz  Hoftinann) 
1899.     52  S.  8^  mit  4  photographischen  Kupferdrucktafeln. 

Tille,  Alexander:  Die  Geschichte  der  Deutschen  Weihnacht  Leipzig,  Ernst 
Keils  Nachfolger.     355  S.  8®.     Jt  4,00. 


—      112      — 

Toeppen,  R.:  Des  Bürgermeisters  Samuel  Wilhelmi  Marienburgische  Chro- 
nik 1696  — 1726.  236  S.  8^.  Drei  Teile.  [Beilagen  zu  den  Pro- 
grammen des  Königlichen  Gymnasiums  zu  Marienburg  1897,  1898  und 
1899.] 

Vancsa,  Max:  Die  Grundbücher  der  Tirna-  oder  St.  Morandus-Kapelle  zu 
St  Stephan  in  Wien.  15  S.  [Sonderabdruck  aus  den  Blättern  dps 
Vereines  für  Landeskunde  von  Niederösterreich  1898.] 

Derselbe:  Bibliographische  Beiträge  zur  Landeskunde  von  Niederösterreich 
im  Jahre  1898.  32  S.  [Sonderabdruck  aus  den  Blättern  des  Vereines 
für  Landeskunde  von  Niederösterreich  1899.] 

Derselbe:  Die  Baureparaturen  der  Burg  Laa  im  XVL  Jahrhundert  und 
ihre  Kosten.  12  S.  4®.  [Sonderabdruck  aus  den  Berichten  und  Mit- 
teilungen des  Altertumsvereins  in  Wien   1899.] 

Virmond,  Eugen:  Geschichte  des  Kreises  Schieiden.  Schieiden  (Eifel) 
1898.     Druck  und  Verlag  von  F.  W.  Braselmann,  318  S.  8^ 

Volkmer,  Schulrat:  Geschichte  der  Stadt  Habelschwerdt  in  der  Grafschaft 
Glatz.  Habelschwerdt,  Frankes  Buchhandlung  (J.  Wolf),  1897.  310  S.  8®. 
M  2,50. 
eller,  Karl:  Die  Ansiedelungsgeschichte  des  württembergischen  Frankens 
rechts  am  Neckar.  93  S.  8®.  [Sonderabdruck  aus  den  Württembergischen 
Vierteljahrsheften  für  Landesgeschichte.  Neue  Folge.  III.  Jahrgang  1894, 
S.   iff.] 

Derselbe:  Die  Besiedelung  des  Alamannenlandes.  52  S.  8^  [Sonder- 
abdruck aus  den  Württembergischen  Vierteljahrsheften  ftir  Landesgeschichte. 
Neue  Folge.  VIL  Jahrgang  1898.] 
•"  Derselbe:  Hohenlohisches  Urkundenbuch,  im  Auftrage  des  Gesamthauses 
der  Fürsten  zu  Hohenlohe  herausgegeben.  Band  I:  1153 — 131  o.  Stutt- 
gart, W.  Kohlhammer,   1899.     632  S.  8**. 

Wieg  and,  Wilhelm:  Bezirks-  und  Gemeinde- Archive  im  Elsafs.  Ein  Vor- 
trag. Strafsburg,  Druck  von  J.  H.  Ed.  Heitz  (Heitz  &  Mündel),  1898. 
31   S.  8^ 

Wolff,  Emil:  Grundrifs  der  preufsisch-deutschen  sozialpolitischen  und  Volks- 
wirtschaftsgeschichte vom  Ende  des  Dreifsigjährigen  Krieges  bis  zur 
Gegenwart    (1640 — 1898).      Berlin,     Weidmann,     1899.      ^3^    S*    ^^* 

tM  3,60. 

Wuttke,  Robert:  Die  Probationsregister  des  obersächsischen  Kreises.  [Son- 
derabdruck aus  der  Wiener  Numismatischen  Zeitschrift,  XXDC.  Band, 
S.  237—302.] 

Zeller-Werdmüller,  H.:  Die  Zürcher  Stadtbücher  des  XIV.  und  XV.  Jahr- 
hunderts, auf  Veranlassung  der  Antiquarischen  Gesellschaft  in  Zürich  her- 
ausgegeben.    L  Band  Leipzig,  Hirzel,   1899.     404  S.  8^.     Jl.  12. 

Bericht Igangr.  In  dem  Aufsatze  von  Hantzsch,  „Die  landeskundliche  Litteratar 
Deutschlands  im  Reformaüonszeitalter "  ist  die  durch  ein  Versehen  des  Dracker^  fehler- 
haft "gestaltete  Aufeinanderfolge  der  Seiten  so  zu  berichtigen,  dafs  nach  Seite 
41  Seite  44  und  hierauf  S.  42,  45  und  43  zu  lesen  sind,  um  die  richtige  Textfolge 
zu  gewinnen.  —  Seite  72  Anmerkung  2  lies  Gmelin  statt  Gern I in. 


Herausgeber  Dr.  Armin  Tille  ia  Leipzig.  —  Dmck  und  Verlag  von  Friedrich  Andreas  Perthes  in  Gotha. 


Deutsche  Ceschichtsblätter 

Monatsschrift 


xur 


Fördeniug  der  landesgeschichtlicheu  Forschung 

I.  Band  Februar  1900  5.  Heft 

Die  Technik  der  Gf  undkarteneinzeichnung  ^) 

Von 

Rudolf  Kötzschke 

Die  Aufforderung-,  über  Fragen  der  Zeichentechnik  nachzudenken, 
ist  für  weite  Kreise  der  Historiker  eine  neue  Erscheinung".  Allerdings 
ist  die  Beigabe  von  Karten  und  Skizzen  in  Werken  der  Geschichts- 
wissenschaft längst  nichts  Ungewöhnliches  mehr.  Staatsgebiete,  kirch- 
liche wie  staatliche  Verwaltungsbezirke  sind  schon  vielfach  gezeichnet 
worden,  und  hier  und  da  liegen  auch  Versuche  vor,  über  Besiedelung 
und  Bevölkerungsverhältnisse,  über  Grundbesitz  und  Wirtschaftszustände 
der  Vergangenheit  durch  bildliche  Darstellung  aufzuklären.  Indes  erst 
in  jüngster  Zeit,  seit  der  Betrieb  kritischer  landesgeschichtlicher  Stu- 
dien immer  lebhafter  geworden  ist,  geht  man  mit  regerem  Eifer  daran, 
die  Forderung  des  Höchstmafses  wissenschaftlicher  Gründlichkeit  in 
der  Feststellung  geschichtlicher  Vorgänge  und  Zustände  auch  für  deren 


i)  Folgende  von  fremder  Hand  ausgeführten  Gmndkarten  haben  mir  bei  Abfassung 
dieses  Aufsatzes  vorgelegen:  eine  Reihe  verschiedenartiger  Karten  Professor  v.  Thu- 
dichums  in  Tübingen  (politische  und  kirchliche  Gebiete,  Gaue,  Markgenossenschaften, 
Stadtgründungen,  Rechtszug  von  Städten,  Waldgebiete,  Schulen),  eine  DarsteUung  kur- 
sächsischer Ämter  im  Jahre  1800,  sowie  eine  Darstellung  des  Dohninschen  Besitzes  im 
13. — 14.  Jahrhundert  von  Herrn  Mörtzsch  in  Dresden,  eine  Karte  der  slavischen  Be- 
siedelung Mittelsachsens  von  Professor  Hey  in  Döbeln.  —  Wichtige  Aufschlüsse  über 
die  Veränderlichkeit  der  Gemeindegrenzen  bis  in  die  neuesten  Zeiten  hinein  verdanke  ich 
mündlichen  Mitteilungen  des  Herrn  Professors  Seeliger  (vgl.  dessen  demnächst  erschei- 
nenden Aufsatz  in  der  Beilage  zur  Münchener  Allgemeinen  Zeitung,  „Die  historischen  Grund- 
karten. Kritische  Betrachtungen."),  vielerlei  Anregung  in  den  hier  behandelten  Fragen  dem 
Direktor  der  mittelalterlich-neuzeitlichen  Abteilung  des  Historisch-Geographischen  Insütuts 
an  der  Universität  Leipzig,  Herrn  Professor  Lamprecht,  sowie  auch  den  Teilnehmern 
an  meinen  in  diesem  Institut  abgehaltenen  Übungen  mit  Grundkarten  zur  deutschen  Ver- 
fassungs-  und  Wirtschaftsgeschichte.  Die  Veröffentlichung  dieses  Aufsatzes  erfolgt  im 
gegenwärtigen  Augenblick  darum,  weil  er  dazu  bestimmt  ist,  als  Grundlage  fUr  Verhand- 
lungen zu  dienen,  die  auf  der  Anfang  April  dieses  Jahres  in  Leipzig  tagenden  Konferenz 
deutscher  Publikationsinstitute  Über  die  Grundkartenfrage  gepflogen  werden  sollen. 

9 


—     114     — 

Festiegung  auf  dem  Erdboden  zu  verwirklichen;  erst  jetzt  findet  der 
Gedanke,  die  Karte  zur  Darstellung  von  Ergebnissen  historischer  For- 
schung zu  benutzen,  unter  den  Fachgenossen  weit  über  das  bisher 
übliche  Mafs  hinaus  die  ihm  gebührende,  allgemeinere  Beachtung. 

Eine  Schwierigkeit  für  die  reichliche  Anfertigung  kartographischer 
Skizzen  zur  Geschichte  bestand  bisher  darin,  dafe  auch  die  einfachsten 
Linien  der  Situationszeichnung,  Flufsnetz  und  Ortschaftseintragung,  von 
dem  Zeichner  selbst  dargestellt  werden  mufsten,  —  eine  mühevolle, 
höchst  zeitraubende  Arbeit,  wenn  nur  einige  Genauigkeit  dabei  erzielt 
werden  sollte.  Für  eine  Gruppe  historischer  Karten,  für  solche,  die 
nach  dem  Mafsstab  i  :  looooo  angelegt  werden  können,  wird  nun 
diesem  Mangel  jetzt  abgeholfen,  indem  für  immer  gröfeere  Teile 
Deutschlands,  ja  Mitteleuropas  in  den  historisch-statistischen  Grundkarten 
ein  eigenartiges  Mittel  geschaffen  wird,  von  dem  zu  erhoffen  ist,  dafs 
es  die  Möglichkeit  bisher  unerreichter  Genauigkeit  in  der  räumlichen 
Darstellung  historischer  Probleme  gewährt.  Heute  ist  es  daher  schon 
eine  Frage,  der  die  Aufmerksamkeit  vieler  Historiker  sich  zuwendet: 
wie  bewirken  wir  die  Eintragung  historischer  Forschungsergebnisse  in 
die  Grundkarten? 

Der  kartographischen  Wiedergabe  von  Erdräumen  ist  es  eigen, 
nicht  ein  volles,  wenn  auch  verkleinertes  Abbild  der  Wirklichkeit  zu 
bieten,  sondern  deren  Gegenstände  durch  Zeichen  zu  versinnbildlichen. 
Auch  die  historische  Kartographie  ist  demnach  auf  die  Verwendung 
leicht  verständlicher  Symbole  angewiesen,  und  dies  um  so  mehr,  als 
ihr  ja  nach  der  Natur  ihrer  Quellen  die  volle  und  genaue  räumliche 
Erfassung  der  Beobachtungsgegenstände  nur  selten  möglich  sein  wird. 
Und  so  drängt  sich  das  Bedürfnis  auf,  soweit  möglich,  eine  Verein- 
barung über  die  Wahl  der  Zeichen  und  Darstellungsweisen  zu  erzielen. 
Besonders  aber  gilt  dies  von  der  Eintragung  in  die  Grundkarten ;  sind 
doch  diese  bestimmt,  zwar  nicht  unmittelbar  veröffentlicht,  wohl  aber 
möglichst  vielen  Forschem  benutzbar  gemacht  zu  werden,  um  so  durch 
Vergleichen  und  Zusammenarbeiten  dereinst  die  Herstellung  histo- 
rischer Atlanten,  die  allen  Ansprüchen  der  Wissenschaft  an  Kritik  und 
Genauigkeit  genügen,  erleichtem  zu  helfen.  Denn  gerade  dies  ist  eine 
Eigentümlichkeit  der  Gmndkarte  als  eines  billigen  Blankos  für  karto- 
graphische Darstellung  historischer  Daten,  daCs  sie  für  die  Schaffung 
künftiger  historischer  Karten  und  Atlanten  eine  Arbeitsorganisation 
durchführbar  macht,  die  neben  der  natürlich  notwendigen  Thätigkeit 
spezieller  historischer  Kartographen  auf  der  Kollektivarbeit  der  histo- 
rischen  Forscher   bemht.     Und   darum   ist  das  Bedürfnis  einer  Ver- 


—     115     — 

ständigling  unter  den  Fachgenossen  über  die  Technik  der  Grundkarten- 
einzeichnung dringlich  —  ja  dringlicher  noch  als  z.  B.  bei  den  Fragen 
der  Editionstechnik :  denn  bei  den  Karten  wird  die  Ungleichmäfsigkeit 
in  der  Wahl  der  Symbole  viel  leichter  Verwirrung  stiften,  zu  falschem 
Lesen  der  Eintragungen  verfuhren  oder  doch  unnötigen  Aufwand  an 
Arbeitszeit  und  Mühe  verursachen,  das  wünschenswerte  Mafs  von 
Gleichartigkeit  aber  wird  bei  der  unendlichen  Mannigfaltigkeit  der 
Möglichkeiten  ohne  eine  solche  Verständigung  viel  schwerer  sich  von 
selbst  herstellen. 

Nachdem  nun  auf  den  Antrag  des  Gesamtvereins  der  deutschen 
Geschichtsvereine  eine  Centralstelle  für  Grundkarten  am  Historisch- 
Geographischen  Institut  der  Universität  Leipzig  begründet  worden  ist, 
darf  es  als  ihre  Aufgabe  angesehen  werden,  eine  solche  Vereinbarung 
anzubahnen.  Es  gut  jetzt,  wo  eine  gröfsere  Anzahl  von  Grundkarten  aus 
verschiedenen  Landesteilen  fertig  vorliegt  und  darum  mit  den  Einzeich- 
nungen  in  West  und  Süd  und  Ost  Versuche  angestellt  werden  können, 
die  Frage  nach  der  Technik  der  Grundkarteneinzeichnung  aufzuwerfen, 
den  Austausch  von  Erfahrungen  darin,  sei  es  auf  dem  Wege  der 
öffentlichen  Erörterung  oder  auf  dem  der  privaten  Mitteilung  in  Gang 
zu  bringen,  kurz  von  vornherein  ein  gewisses  Zusammenwirken  derer, 
die  an  diesen  Versuchen  sich  beteüigen,  eine  Arbeitsgemeinschaft  für 
den  Anbau  des  neuen  Gebiets  geschichtswissenschaftlicher  Forschung 
herzustellen.  Später,  nach  längerer  Erfahrung,  wird,  soweit  überhaupt 
ein  gemeinsames  Vorgehen  in  der  Grundkarteneinzeichnung  geboten 
erschemt,  die  endgültige  Aufstellung  gemeinsamer  Regeln  und  Zeichen 
in  einer  Beratung  von  Sachverständigen  in  Aussicht  zu  nehmen  sein. 
Der  gegebene  Ort  für  eine  solche  Besprechung  ist  einmal  die  Jahres- 
versammlung des  Gesamtvereins  der  Deutschen  Geschichtsvereine, 
und  zum  andern  die  im  Verein  mit  der  Deutschen  Historikerversamm- 
limg  tagende  Konferenz  der  deutschen  Publikationsinstitute. 

Als  Grundlage  für  eine  Erörterung  der  Einzeichnung  in  Grund- 
karten, die  auf  der  unmittelbar  bevorstehenden  Tagung  der  Konferenz 
Anfang  April  in  Leipzig  gepflogen  werden  soll,  ist  dieser  Aufsatz  in 
erster  Linie  zu  dienen  bestimmt.  Indes  erscheint  es  bei  dem  gegen- 
wärtigen Stande  der  Grundkartenveröffentlichung  wünschenswert,  auch 
weitere  Kreise  der  deutschen  Historiker  anzuregen,  sich  einmal  mit 
den  technischen  Fragen  der  Grundkarteneintragung  zu  beschäftigen. 
Und  zwar  sind  zuerst  wenige  Bemerkungen  zur  Methode  der  histo- 
rischen Kartographie  überhaupt  vorauszuschicken;  sodann  wäre  von 
einigen  allgemeinen  Grundsätzen  zu  reden,  die  für  das  Verfahren   der 

9* 


—     116     — 

Eintragung  in  die  Grundkarten  mafsgebend  sein  müssen;  und  endlich 
wird  an  ein  paar  Beispielen  darzulegen  sein,  welcher  Mittel  des  Zeich- 
nens man  sich  für  einige  der  wichtigsten  Aufgaben  der  Grundkarten- 
eintragung bedienen  mag. 

I. 

Die  kartographische  Aufnahme  eines  Erdraumes  mit  dem  jeweils 
erforderten  und  erreichbaren  Grade  wissenschaftlicher  Genauigkeit  ist 
im  Grunde  nur  in  Anschauung  der  Beobachtungsgegenstände  selbst 
oder  mit  Benutzung  bildlicher  Vorlagen  ausführbar ;  blofse  Nachrichten 
werden  stets  zu  den  mannigfachsten  Zweifeln  Anlafe  geben. 

Eine  möglichst  vollendete  Darstellung  vergangener  Zustände  im 
Kartenbild,  zumal  für  weiter  zurückliegende  Zeiten,  weist  daher  grofee 
imd  eigenartige  Schwierigkeiten  auf.  Die  Kartographie  des  modernen 
Mitteleuropa  vermag  beim  Mafsstabe  i  :  looooo  die  Lage  eines  Ge- 
höftes, eines  Feldstücks  bis  auf  wenige  Hektar  genau  zu  verzeichnen; 
der  historische  Kartograph  wird  die  Möglichkeit,  die  Lage  auf  ein 
paar  Quadratkilometer  genau  zu  bestimmen,  wenigstens  für  die  älteren 
Zeiten,  als  glückliche  Ausnahme  ansehen  müssen.  Die  moderne  Karto- 
graphie vermag  eine  poHtische  Grenze,  eine  Strafse  in  lückenlosem 
Zusammenhange  darzustellen,  so  dafs  der  Benutzer  sie  Kilometer  für 
Kilometer  bequem  mit  dem  Zirkel  nachmessen  kann;  der  historische 
Kartograph  wird  hier  und  da  ein  Stück  nach  Quellenzeugnissen  oder 
noch  vorhandenen  Überresten  gesichert  einzeichnen  können;  die  Ver- 
bindung der  Stücke  bleibt  der  Vermutung  überlassen.  Die  moderne 
Kartographie  beruht  auf  gleichmäfsiger  Kenntnis  aller  Teile  eines  Ge- 
bietsausschnittes ;  der  historische  Kartograph  kennt  wohl  einzelne  Teile, 
aber  deren  Verhältnis  zum  Ganzen  einer  umgrenzten  Fläche  bleibt 
eine  unbekannte  Gröfse.  Und  —  was  das  Wichtigste  ist  —  der  mo- 
derne Kartograph  arbeitet  mit  den  klar  geprägten  Raumbegriffen  der 
Gegenwart ;  die  Raumvorstellungen  des  deutschen  Volkes  aber  von  den 
Tagen  seines  Altertums  bis  hinein  in  die  neueren  Zeiten  sind  noch 
wenig  erforscht,  und  gewifs  sind  sie  in  der  Frühzeit  mehr  ein  Gebilde 
phantasievoller  Anschauung  als  begrifflich  scharf  ausgestaltet  und  fähig 
zu  zahlenmäfsigem  Ausdruck. 

Der  Unterschied  der  historischen  und  der  modernen  Kartographie 
besteht  nun  aber  nicht  allein  in  einem  verschiedenen  Grade  erreich- 
barer wissenschaftlicher  Genauigkeit;  er  beruht  tiefer  in  einem  wesen- 
haften Gegensatze  historischer  und  kartographischer  Forschungsweise. 
Der    Historiker   wird    aus   den    Angaben    seiner    Quellenzeugnisse   ur- 


—     117     — 

sprünglichster  Art  nie  zur  genauen  Bestimmung  auch  nur  der  Lage 
eines  Ortes  auf  dem  Erdball,  geschweige  denn  zur  Darstellung  eines 
Erdraums  für  einen  vergangenen  Zeitpimkt  gelangen :  nur  die  Benutzung 
der  kartographischen  Aufnahmen  der  Gegenwart  oder  wenig  weit  zu- 
rückliegender Zeiten  bietet  dazu  überhaupt  erst  die  Möglichkeit. 

All  dies  gilt  mm  von  dem  Entwerfen  historischer  KartenbUder 
mit  Hilfe  der  Grundkarten  in  besonderem  Malse,  weil  ja  der  groise 
Mafsstab  i  :  looooo  an  sich  einen  hohen  Grad  von  Genauigkeit  er- 
forderlich macht.  Für  den  Grundkartenhistoriker,  wenn  ich  ihn  einmal 
so  nennen  darf,  erhebt  sich  die  Frage:  widerspricht  nicht  diese  un- 
mittelbare Verwendung  einer  Darstellung  von  Zuständen  der  Gegen- 
wart, wie  sie  die  Grundkarte  enthält,  für  die  Erkenntnis  der  Vergangen- 
heit, diese,  ich  möchte  sagen,  handgreifliche  Vereinigung  von  Zuständen 
verschiedener  Zeitalter  auf  demselben  Blatte  Papier,  widerspricht  dies 
nicht  den  elementarsten  Grundsätzen  historischer  Forschung?  Gewisse 
Zweifel  könnten  schon  auftauchen,  was  die  Flufsläufc  und  Ortschaften 
betrifft.  Sind  nicht  auch  sie  wandelbar,  etwas  historisch  Gewordenes, 
in  ihrer  heutigen  Form  und  Lage  für  die  Darstellung  vergangener  Zu- 
stände unbrauchbar?  Namentlich  aber  richten  sich  starke  Bedenken 
gegen  die  mit  genauester  Wahrung  gegenwärtiger  Verhältnisse  einge- 
tragenen, roten  Gemarkungsgrenzen  —  also  gerade  das  Eigenartigste 
der  Grundkarten,  was  auf  anderen  leicht  zugänglichen  Karten  meist 
fehlt.  Haben  diese  Grenzen  wirklichen  Wert  für  den  Historiker, 
der  Grenzverhältnisse  früherer  Jahrhunderte  eintragen  will?  Verführt 
nicht  deren  Benutzung  geradezu  zu  Fehlem,  die  doch  nicht  so  un- 
erheblich sind,  dafs  sie  bei  der  für  eine  spätere  Veröffentlichung  etwa  in 
Betracht  kommenden  Reduktion  auf  einen  kleineren  Mafsstab  (i :  500000) 
völlig  verschwinden? 

Wer  Eintragungen  in  die  Grundkarten  vornehmen  will,  wird  gut 
thim,  Zweifel  dieser  und  ähnlicher  Art  sich  durch  den  Kopf  gehen  zu 
lassen  —  aber  doch  Zweifel,  die  ihn  nicht  veranlassen,  den  Zeichen- 
stift wegzulegen,  sondern  nur  sorgsam  mit  sich  zu  Rate  zu  gehen,  wie 
er  drohende  Fehler  vermeiden  wird,  zu  denen  unbedachtsame  Benutzimg 
des  in  der  Grundkarte  gebotenen  Stoffes  verleiten  kann. 

Nicht  jedes  Ergebnis  historischer  Forschung  ist  der  Eintragung  in 
Grundkarten  fähig:  umsichtigster  Erwägung  bedarf  es,  ob  die  Bedin- 
gungen für  die  Einzeichnung  in  Grundkarten  erfüllt  sind. 

Ganz  selbstverständlich  liegt  schon  heute  die  Möglichkeit  wissen- 
schaftlich gerechtfertigter  Eintragung  in  Grundkarten  vor,  wo  es  sich 
um   Beobachtungsgegenstände    aus   der   Gegenwart   oder    einer   dieser 


—     118     — 

sehr  nahen  Zeit  handelt,  die  zur  Aufstellung"  der  Vergangenheit  ver- 
wendet werden;  denn  hierfür  sind  ja  gerade  die  jetzt  bestehenden 
Gemarkungen  das  Beobachtungsfeld.  So  z.  B.  bei  den  Funden  ver- 
schiedenster Art,  bei  Angaben  aus  Flurkarten  vor  der  Zusammen- 
legung  der  Grundstücke,  bei  Daten  der  Volkskunde,  die  historischen 
Wert  haben  u.  dergi.  m.  Wieviel  Aufklärung  für  die  Geschichte  der 
ländlichen  Bevölkerung  werden  wir  z.  B.  gewinnen,  wenn  Bauart  und 
Alter  der  Dorfkirchen  und  Bauernhäuser,  die  Anlage  der  bäuerlichen 
Gehöfte  und  Ähnliches  in  Grundkarten  verzeichnet  werden! 

Ebenso  wenig  walten  wissenschaftliche  Bedenken  ob  bei  histo- 
rischen Daten,  die  einfach  bei  dem  Ortsnamen  eingetragen  werden 
können  ohne  Rücksicht  auf  die  Flächenausdehnung,  also  ohne  Ein- 
zeichnung  von  Grenzen;  die  Grundkarte  ist  in  diesem  Falle  weiter 
nichts  als  eine  Art  geographisch  angeordneter  Tabelle,  die  die  Lage 
irgendwelcher  historischer  Begebenheiten  über  den  Erdboden  hin  dem 
Auge  verständlich  macht  —  ein  Darstellungsmittel,  dem  um  so  gröfeere 
Bedeutung  zukommt,  da  der  menschliche  Geist  diese  Verstreuung  im 
Raum  bei  blofeer  Wortbeschreibung  erfahrungsgemäfe  nicht  klar  zu 
erfassen  pflegt. 

Schwieriger  gestaltet  sich  die  Frage  bei  der  Darstellung  um- 
grenzter Gebiete :  erst  bei  dergleichen  Aufgaben  werden  ja  die  Zweifel 
an  der  Verwendbarkeit  der  Gemarkungsgrenzen  des  XIX.  Jahrhunderts 
wirksam.  —  Jede  Zeichnung  einer  historischen  Grenze  ohne  Karten- 
vorlage ist  hypothetischer  Art  und  wird  mehr  oder  minder  belang- 
reiche Fehler  aufweisen;  diese  auf  das  erreichbare  und  je  nach  dem 
Mafsstabe  der  Karte  zulässige  Mindestmafs  mit  aller  kritischen  Umsicht 
zu  beschränken,  ist  unerläfsliche  Aufgabe  einer  wissenschaftlichen  An- 
forderungen genügenden  historischen  Kartographie.  Es  bleibt  dem- 
nach gar  keine  Wahl,  ob  man  Karten  mit  den  Gemarkungsgrenzen 
der  allerjüngsten  Zeit  als  Unterlage  für  das  Bild  der  Vergangenheit 
verwerten  will  oder  nicht.  Der  historische  Kartograph  mufs  diese 
gegenwärtigen  Grenzen  kennen,  von  der  Gegenwart  mufe  ausgegangen 
werden.  Historische  Kartographie  des  XIX.  Jahrhunderts,  das  ist  also 
die  erste  und  dringlichste  Aufgabe,  die  der  Lösung  harrt:  von  hier 
aus  ist  dann  allmählich  unter  sorgsamster  Erforschung  der  jeweiligen 
Grenzverhältnisse  in  frühere  Zeiten  vorzudringen.  So  viel  läfst  sich 
indes  schon  heute  übersehen:  eine  Möglichkeit,  die  vollkommen  ge- 
nauen Gemarkungsgrenzen  auch  nur  des  XVII.  oder  XVI.  Jahrhunderts 
zu  zeichnen,  besteht  —  von  vereinzelten  Fällen  abgesehen  —  durchaus 
nicht;   nur   ein   allgemeines  Urteil   über  das  Mafs   der  Veränderungen 


—     119     — 

wird  zu  gewinnen  sein.  Bevor  diese  Arbeit  geleistet  ist,  wird  die 
Darstellung  umgrenzter  Gebiete  nach  dem  Höchstmafs  der  bei  der 
Beschaffenheit  unserer  Quellen  überhaupt  erreichbaren  Genauigkeit 
ausgeschlossen  sein.  Erinnert  sei  hierbei  daran,  dafs  dieser  Weg  der 
rückwärtsschreitenden  Forschung  überhaupt  bei  Untersuchungen  zur 
Geschichte  der  Wirtschaft ,  des  sozialen  Lebens ,  der  Verfassung  und 
Verwaltung  so  oft  allein  zum  Ziele  fuhrt. 

In  dieser  Hinsicht  ist  also  der  Weg  gewiesen.  Fraglich  hingegen 
könnte  es  sein,  ob  man  unter  klarbewufstem  Verzicht  auf  jenes  Höchst- 
mafs von  Genauigkeit  rohere  Skizzen  wagen  darf,  die  unter  Benutzung 
der  heutigen  Gemarkungsgrenzen  freilich  nicht  die  historische  Wirk- 
lichkeit genau  wiedergeben,  wohl  aber  uns  helfen,  die  Zustände  der 
Vergangenheit  im  Räume  uns  anschaulich  vorzustellen  —  Skizzen,  bei 
denen  es  auf  das  entstehende  Gesamtbild  ankommt,  nicht  darauf,  ob 
überall  die  lo  oder  selbst  einmal  loo  ha  genau  der  historischen  Wkk- 
lichkeit  gemäfs  mit  Farbe  oder  Schraffierung  bedeckt  sind.  Nun  sind 
ja  die  Grundkarten  Arbeitskarten,  nicht  unmittelbar  zur  Veröffent- 
lichung bestimmt,  und  darum  als  Hilfsmittel  blofeer  Veranschaulichung 
für  den  Forscher  verwertbar,  der  die  vorhandenen  Fehler  seiner  Skizze 
zu  bedenken  und  bei  den  Schlüssen,  die  er  daraus  zieht,  auszuschei- 
den versteht.  Die  Belehrung,  die  dergleichen  Entwürfe  über  unsere 
bisherige  Kenntnis  hinaus  gewähren  können,  ist  immerhin  so  reich, 
dafe  die  dagegen  obwaltenden  Bedenken  unterdrückt  werden  dürfen, 
natürlich  unter  der  Voraussetzung,  dafe  der  Zeichner  die  unsicheren 
TeUe  seines  Kartenbildes  durch  geeignete  Darstellungsmittel  kenntlich 
macht.  Und  der  Gewinn,  den  solche  Vorarbeiten  bieten ,  darf  um  so 
eher  eingeheimst  werden,  als  die  dabei  unvermeidlichen  Fehler  in  der 
Mehrzahl  der  Fälle  verhältnismäfsig  unerheblich  sein  werden  und  über- 
dies bei  der  Zeichnung  eines  gröfeeren  Ganzen  sich  zumeist  unter 
einander  aufheben. 

Brauchbar  sind  demnach  die  Grundkarten  für  die  verschiedensten 
historischen  Zwecke  sehr  wohl.  Soviel  aber  ist  klar :  bei  jeder  Einzeich- 
nung  mufs  der  Eintragende  bedenken,  dafs  das,  was  auf  seinem  Blatte 
gedruckt  steht  und  das  hineinzuzeichnende  und  zu  malende  der  Regel 
nach  zwei  verschiedenen  Daseinsperioden  angehört.  Das  historisch 
wirkliche  auf  einer  ausgeführten  Grundkarte  ist  nur  das  gezeichnete, 
keine  Linie,  kein  Buchstabe  des  gedruckten :  was  die  rohe  Grundkarte 
bietet,  ist  nichts  weiter  als  ein  Symbol  des  Erdbodens,  das  ermög- 
lichen soll ,  den  Platz  eines  historischen  Forschungsergebnisses  auf 
einem  oder  mehreren  unter  der  Million  von  QuadratkUometern  Mittel- 


—     120     — 

europas  emigermafsen  genau  zu  bestimmen.  Hält  man  sich  aber  dies 
gegenwärtig',  und  hütet  man  sich,  die  Gebilde  von  Menschenhand  auf 
dem  Erdraum,  die  die  Grundkarte  aufweist,  ohne  weiteres  auch  für  die 
Vorzeit  als  bestehend  vorauszusetzen,  dann  vermag  man  sehr  wohU 
sich  dieses  Hilfsmittels  für  die  Darstellung  der  Vergangenheit  me- 
thodisch unanfechtbar  zu  bedienen. 

I  Bedarf  es  somit  für  den  Grundkartenhistoriker  gewissenhaftester 
Umsicht,  um  die  Gefahren  zu  meiden,  die  in  der  Verwendung  einer 
Karte  des  XIX.  Jahrhunderts  als  Zeichenunterlage  beruhen,  so  gehen 
Schwierigkeiten  anderer  Art  aus  der  Natur  der  historischen  Daten 
selbst  hervor.  Der  Boden,  auf  dem  ein  Ereignis  sich  vollzieht,  ein 
Zustand  besteht,  ist  etwas  Singuläres.  Mag  immerhin  der  Grundkarten- 
benutzer später  seine  allgemeinen  Schlüsse  ziehen  können  —  wie  der 
Statistiker  nach  der  Aufnahme  der  Einzelfalle  — ,  für  den  Grundkarten- 
zeicbner,  der  mit  dem  Stift  in  der  Hand  beim  Anschauen  seiner  Karte 
die  lebensvolle  Wirklichkeit  bis  auf  die  Feldraine  und  Grenzsteine  sich 
im  Geiste  vergegenwärtigt,  wird  sich  immer  das  Streben  aufdrängen, 
den  darzustellenden  Gegenstand  räumlich  bis  ins  einzelnste  zu  er- 
kennen. Hier  aber  versagt  je  älter,  je  mehr  die  historische  Über- 
lieferung. Das  räumlich  Individuelle,  dem  Auge  mit  allen  Feinheiten 
erfafsbar,  ist  mit  den  sprachlichen  Ausdrucksmitteln  selbst  bei  hoch- 
entwickelter Kultur,  bei  begrifflich  geschärften  Raumvorstellungen,  nur 
ungenau  wiederzugeben;  die  Überbleibsel  der  Vergangenheit,  aus 
deren  Beobachtung  der  Historiker  seine  Daten  gewinnt,  erschweren 
die  Erfassung  des  im  Räume  wirklichen  Singulären  erst  recht.  Nicht 
allein,  dafs  die  dem  historischen  Forschungsergebnis  so  oft  anhaftende 
Unsicherheit  der  kartographischen  Fixierung  widerstrebt,  wie  oft  zeigt 
das  Nebeneinander  dessen,  was  als  sicher  in  die  Karte  eingetragen  ist, 
grofse  Lückenhaftigkeit  des  historisch  Erkannten  im  ganz  wörtlichen 
räumlichen  Sinn!  So  entsteht  für  den  Grundkartenzeichner  die  Not- 
wendigkeit, durch  Vermutung  zu  ergänzen,  was  ihm  die  Überlieferung 
vorenthält;  und  wie  es  schon  bei  der  Wiedergabe  von  handschrift- 
lichem Text  gilt,  Konjekturen  des  Herausgebers  im  Druck  augenfällig 
zu  machen,  so  bedarf  es  auch,  wenn  ich  so  sagen  darf,  für  die  Grund- 
^artenkonjektur ,  einer  besonderen  2^ichensprache ,  die  dem  Benutzer 
sofort  verrät,  dafs  es  sich  nur  um  Mutmafsung  des  Zeichners  handelt. 
Ich  möchte  darum  hier  z.  B.  das  Folgende  vorschlagen.  Bei  Wörtern 
und  Zahlzeichen  wird  es  genügen ,  das  Ungewisse  durch  [  ]  und  ? 
kenntlich  zu  machen;  wo  es  angeht,  mag  man  andere  (heilere)  Tinte 
oder  blofsc  Bleistifteintragung  anwenden.    Soll  die  Verbindung  zweier 


—     121     — 

Punkte  vermutungsweise  angegeben  werden,  so  empfiehlt  es  sich,  gleich- 
viel welche  Strichelung  sonst  gebraucht  wird,  die  gebrochene  Linie 
anzuwenden  (Striche  von  der  Gröfse  eines  1/4  cm  mit  entsprechen- 
dem  Zwischenraum;   also   zum  Beispiel: oder 

).     Bei  der  Darstellung  von  Flächen  wird 

Wechsel  der  Farbe  und  Schraffierung  zu  wählen  sein  (wenn  möglich, 
ein  ganz  lichter  Ton),  für  die  Umgrenzung  ein  (hellgraues)  Randkolorit 
in  gebrochener  Ausführung.  Ist  eine  Vermutung  nur  sehr  unsicher 
b^ründet,  so  ist  von  der  Einzeichnimg  in  die  Grundkarte  völlig  ab- 
zusehen, und  nur  auf  einem  beiliegenden  oder  angehefteten  Blatt  Papier 
ist  sie  in  Worten  oder  auch  bildlich  zum  Ausdruck  zu  bringen ;  auf  der 
Karte  selbst  kann  dann  ein  deutliches  [!!]  oder  eine  helle  Schraffierung 
zwischen  farbiger  Umgebung  die  Aufmerksamkeit  des  Benutzers  err^en. 

II. 

So  haben  wir  eine  Reihe  von  allgemeinen  Grundsätzen  gewonnen, 
die  für  die  Eintragung  in  Grundkarten  zu  beobachten  sind,  und  es  ist 
nunmehr  möglich,  in  die  Erörterung  der  technischen  Fragen  selbst 
einzutreten. 

Zunächst  erhebt  sich  die  Vorfrage,  auf  welchen  2^itpunkt  eine 
Grundkartenzeichnung  einzustellen  ist.  Man  hat  gefordert,  dafis  eigent- 
lich jede  historisch-kartographische  Darstellung  die  Zustände  eines  be- 
stimmten Jahres  wiedergeben  solle.  Gewife  ist  dies  recht  oft  die  voll- 
kommenste Form  der  Darstellimg ;  und  gerade  die  Grundkarten  gestatten 
bei  ihrem  billigen  Preise  die  kartographische  Aufnahme  für  möglichst 
viele  einzelne  Jahre  und  damit  eine  weitgehende  Annäherung  an  jenes 
Ziel.  Aber  zumal  für  die  Darstellung  von  Zuständen  aus  den  ver- 
schiedensten Gebieten  des  Volkslebens  ist  die  Erfüllung  jener  Forde- 
rung unmöglich  und  auch  unnötig.  .Ja,  es  wird  sich  bisweilen  das 
entgegengesetzte  Bedürfnis  einstellen,  nämlich,  wenn  man  auf  die 
kartog^phische  Darstellung  und  damit  auf  die  Veranschaulichung  der 
Entwicklung  selbst  nicht  verzichten  will,  geradezu  aufeinanderfolgende 
Entwicklungsperioden  in  einem  Kartenbilde,  natürlich  durch  Farbe 
und  Form  der  2^ichen  geschieden,  zu  vereinigen;  z.  B.  Zuwachs  des 
Grundbesitzes  durch  Rodung  und  Schenkung  oder  auch  Anwachsen 
des  Staatsgebietes,  Aufteilung  von  Klostergut  unter  die  Hauptstellen 
der  Verwaltung,  Verlehnung  ursprünglich  selbstverwalteten  Besitzes 
u.  s.  w.  Kurz,  die  möglichst  genaue  zeitliche  Bestimmung  jedes  ein- 
zelnen einzuzeichnenden  historischen  Datums  ist  allerdings  anzustreben, 
und  jeder  zeitliche  Unterschied  ist  mit  äufserster  Sorgfalt  bei  der  Ein- 


—     122     — 

trag-ung"  zu  beachten.  Aber  für  die  Wahl  eines  bestimmten  Jahres 
oder  eines  mehr  oder  minder  abgegrenzten  Zeitraums  läfst  sich  eine 
bündige  Regel  nicht  aufstellen. 

Welcher  Darstellungsmittel  wird  sich  nun  aber  der  Grundkarten- 
Zeichner  bedienen?  Die  junge  historische  Kartographie  wird  gut  thun, 
soweit  dies  nicht  durch  die  Eigenart  ihrer  Probleme  ausgeschlossen 
ist,  bei  den  Wissenschaften  in  die  Schule  zu  gehen,  die  schon  über 
ausgebildete  Methoden  graphischer  Darstellung  verfügen,  insbesondere 
bei  Geographie  und  Statistik:  nicht  allein  deshalb,  weil  hier  eine  hohe 
Vollkommenheit  genauester  Wiedergabe  der  Wirklichkeit  im  Verein 
mit  Anschaulichkeit,  ja  selbst  mit  künstlerischer  Wirkung  allmählich 
erreicht  worden  ist,  sondern  schon  darum,  weil  es  überhaupt  geboten 
erscheint,  möglichst  an  Bekanntes  anzuknüpfen.  Auf  den  geographi- 
schen Spezial-  und  Generalkarten  sind  in  der  Darstellung  der  Situation 
wie  des  Terrains  eine  Reihe  von  Bezeichnungen  für  Gegenstände  der 
Landesnatur,  wie  für  Schöpfungen  des  Menschen  auf  den  Erdräumen 
eingeführt,  von  denen  manche  recht  wohl  auch  für  die  Eintragung  in 
Grundkarten  verwertbar  sind,  z.  B.  nach  dem  Vorbild  der  deutschen 
Generalstabskarten  die  Zeichen  für  Strafsen,  Wege  und  Brücken,  für 
Laub-  und  Nadelwald,  für  Feld,  Wiese,  Sumpf  und  Ähnliches  mehr. 
Und  wiederum  die  Statistik  lehrt  mit  ihren  Punkt-,  Linien-  und  Flächen- 
diagrammen und  noch  mehr  mit  ihren  Kartogrammen  die  Wiedergabe 
von  Zuständen  der  Bevölkrung,  die  auch  für  den  Historiker  verwend- 
bar und  einer  weiteren  Ausbildung  recht  wohl  fähig  ist.  Wo  also 
eine  schon  bei  Geographen  oder  Statistikern  übliche  Darstellungsweise 
—  zumal  auf  den  Karten  im  Mafsstabe  i  :  looooo  —  für  die  Ein- 
tragung in  die  Grundkarten  nicht  durch  wesentlich  Besseres  oder  we- 
nigstens leichter  Zeichenbares  zu  ersetzen  ist,  wird  der  Historiker  am 
besten  sich  ihrer  für  seine  Zwecke  bedienen.  Und  aufser  der  An- 
nahme einzelner  passender  Zeichen  wird  er  den  Grundsatz  sich  an- 
eignen, bei  der  Wahl  der  Symbole  die  Grundform  der  natürlichen 
Gegenstände ,  des  Hauses  und  Hofes ,  des  Dorfes ,  des  Marktes ,  der 
Burg,  der  Stadt  mit  wenig  Linien  nachzubilden  sowie  das  Wesen  ihrer 
Lage  im  Raum,  Geschlossenheit  und  Zusammenhang  oder  Zerstreuung 
über  eine  Fläche  hin  möglichst  anzudeuten  oder  wenigstens  durch 
Gröfse  und  Form,  durch  helleren  und  dunkleren  Ton,  durch  Striche- 
lung  oder  Farbe  ein  verständliches  Sinnbild  des  natürlichen  Gegenstandes 
zu  schaffen  und  so  die  gedächtnismäfsige  Erfassung  der  gewählten  Zeichen 
zu  erleichtern,  sowie  überhaupt  aus  einfachen  —  immer  wiederkehrenden 
Elementen  —  das  Zusammengesetztere  sinnreich  zu  entwickeln. 


—     123     — 

Die  Formen  der  Eiatragung  in  Gnmdkarten  lassen  sich  in  folgfende 
vier  Gruppen  scheiden: 

i)  Einfaches  Einschreiben  von  Zahlen  und  Namen  u.  s.  w.,  auch 
blo&es  Unterstreichen  des  Ortsnamens.  Dabei  empfiehlt  sich  die  An- 
wendung bunter  Tinten  (rot,  blau,  grün). 

2)  Einzeichnen  von  allerhand  Symbolen  in  schwarzer  oder  farbiger 
Ausführung. 

(In  beiden  Fällen  ist  natürlich  die  Eintragung  aus  rein  äufserlichen 
Gründen  innerhalb  der  Gemarkungsgrenzen  zu  bewirken  ohne  Rück- 
sicht darauf,  ob  diese  zur  Zeit  bestanden  oder  nicht;  die  Lage  ist 
nach  Möglichkeit  genau  anzudeuten,  z.  B.  eine  Wassermühle  am  Bache 
oder  Flusse.) 

3)  Lineare  Darstellungen :  gebrochene  und  laufende  Linien,  Striche- 
lungen der  verschiedensten  Art,  bänderartige  Einzeichnungen ,  auch 
Randkolorit. 

4)  Darstellungen  mit  Flächenbedeckung:  Schraffierung,  Flächen- 
(Streifen-)kolorit. 

Die  Wahl  des  Darstellungsmittels  wird  sich  aus  der  Natur  des 
einzutragenden  Gegenstandes  meist  mit  Leichtigkeit  ergeben;  zu  be- 
achten ist  allerdings,  dais  es  oft  wünschenswert,  ja  notwendig  sein 
wird,  auf  ein  schon  benutztes  Blatt  später  Ergebnisse  andrer,  ver- 
wandter Forschung  einzutragen,  z.  B.  auf  eine  Karte,  die  eine  Grund- 
herrschaft darstellt,  den  Besitz  andrer  Grundherren.  Hier  sei  nur 
bemerkt,  dafs  die  farbige  Ausführung,  als  die  sinnfälligste,  für  die 
Darstellung  der  wichtigsten  Unterschiede  vorbehalten  bleiben  mufs; 
solche  von  mindrer  Bedeutung  können  dann  durch  angebrachte 
Strichelung  oder  Schraffierung  bezeichnet  werden.  Flächenkolorit  ist 
dem  Randkolorit  überall  vorzuziehen,  wo  innerhalb  umschlossener  Ge- 
biete besondre  Unterschiede  nicht  zum  Ausdruck  gebracht  werden 
sollen.  Der  Farbenton  darf  nicht  so  dunkel  sein,  dafs  der  Grundkarten- 
druck schwer  lesbar  werden  könnte. 

Mit  der  Vollendung  der  Zeichnung  auf  der  Grundkarte  ist  indes 
die  Arbeit  des  Grundkartenhistorikers  noch  nicht  gethan.  So  mancherlei 
kritische  Vorarbeiten  waren  ja  vor  der  Ausfuhrung  mit  Pinsel  und  Stift 
anzustellen ,  von  denen  der  wissenschaftliche  Wert  des  Kartenbildes 
abhängt.  Der  Benutzer  mufs  daher  klaren  Aufschlufs  darüber  erhalten, 
und  so  erweist  es  sich  als  unumgänglich  notwendig,  für  eine  jede 
Grundkartendarstellung  eine  ,, Erläuterungsschrift**  zu  verfassen,  die 
der  an  die  betreffende  Landesstelle   einzuliefernden  Kopie  beizugeben 


—     124     — 

oder  auf  der  Rückseite  der  Grundkarte  anzuheften  ist.    Diese  Erläute- 
rungsschrift  mufs  das  Folgende  enthalten: 

i)  genaue  Angaben  über  die  Quellen,  denen  die  auf  der  Grund- 
karte eingezeichneten  historischen  Daten  entnommen  sind,  wenn  nötig 
unter  Skizzierung  der  kritischen  Erwägungen,  die  für  die  Einzeichnung 
mafsgebend  waren. 

2)  eine  Angabe  über  Jahr  oder  Zeitraum,  wofür  die  Grundkarten- 
zeichnung gilt,  wenn  nötig,  unter  ausführlicher  Begründung  des  ge- 
wählten Zeitansatzes. 

3)  Anmerkungen  über  alles  Besondere,  nicht  ohne  weiteres  Ver- 
ständliche, vor  allem  über  die  unsicheren  Bestandteile  der  Zeichnung, 
die  Ergänzung  der  Lücken,  überhaupt  Mitteilungen  jeder  Art,  die  den 
Benutzer  über  Wesen  und  Wert  der  Grundkarteneinzeichnung  aufzu- 
klären geeignet  sind.  Bisweilen  mag  es  sich  auch  empfehlen,  den 
gesamten  Stoff  der  Zeichnung  mit  Worten  oder  etwa  in  einer  Tabelle 
in  die  Erläuterungsschrift  aufzunehmen. 

Endlich  sei  noch  auf  eine  Begleitarbeit  hingewiesen,  die  wenig- 
stens für  viele  Eintragungen  in  Grundkarten  sich  als  nötig  erweist :  den 
Vergleich  der  rohen  Grundkarte  mit  dem  entsprechenden  Blatte  der 
Generalstabskarte.  Lebendige,  klare  Vorstellung  des  Erdraums,  in  den 
ein  historisches  Datum  hineingestellt  werden  soll,  ist  erstes  Erfordernis 
für  den  Grundkartenhistoriker ;  dazu  aber  bedarf  er  genügender  Kenntnis 
der  Terrainverhältnisse.  Die  Grundkarte  selbst  vermag  sie  ihm  aus 
technischen  Gründen  nicht  zu  bieten;  so  mufs  er  vor  und  bei  der 
Einzeichnung  die  Generalstabskarte  zur  Hand  haben  und  einsehen. 

III. 

Eine  Reihe  allgemeiner  Fragen  der  Einzeichnungstcchnik  sind 
bisher  zur  Besprechung  gekommen,  und  es  erübrigt  nunmehr,  einige 
besondere  Beispiele  für  die  wichtigsten  Probleme  der  Grundkarten- 
eintragung vorzuführen  und  daran  zu  zeigen,  wie  die  oben  dargelegten 
Grundsätze  in  der  Zeichenpraxis  zu  bewähren  sind. 

An  Vorbemerkungen  zunächst  —  ohne  strengen  Zusammen- 
hang —  die  folgenden. 

Sind  alle  Vorarbeiten  erledigt,  dann  beginne  man  in  der  Regel 
die  Einzeichnung  nicht  sogleich  mit  Tinte  oder  Tusche;  auch  die 
Bleistiftskizze  mag  zunächst  nur  leicht  hingeworfen  werden.  Erst  wenn 
Inhalt  und  Form  der  Eintragung  völlig  feststeht,  ist  es  ratsam,  die 
Striche  mit  Tinte  auszuziehen,  oder  zur  farbigen  Ausführung  zu  schreiten. 


—     125     — 

Bei  der  Kolorierung  gröCserer  Flächen  empfiehlt  es  sich ,  Gemarkung 
für  Gemarkung  mit  der  Farbe  zu  bedecken. 

Die  Namensformen  der  örtlichkeiten  sind  in  liegender  Schrift  mit 
sogen,  lateinischen  Buchstaben  deutlich  einzuschreiben,  nahe  dem  für 
die  örtlichkeit  eingetragenen  Zeichen;  günstig  wirkt  hierbei  die  Ver- 
wendung von  blauer  Tinte.  Namen  ganzer  Gebiete  sind  am  besten 
in  (grolsen)  der  Druckform  nachgebildeten  lateinischen  Buchstaben 
mit  roter  Tinte  über  die  Fläche  hin  einzuschreiben.  Bei  Flufsläufen 
oder  eingezeichneten  Linien  und  Bändern  ist  die  Namensform  oder  die 
erklärende  Bezeichnung  in  Anpassung  an  deren  Verlauf  einzuschreiben ; 
doch  mufs  die  volle  Wortform  deutlich  ins  Auge  fallen.  Es  wird  sich 
dabei  empfehlen,  die  Buchstaben  zu  trennen  und  die  Druckschrift 
nachzuahmen. 

Jahreszahlen  werden  unter  dem  Namen  mit  andrer  (roter)  Tinte 
beigefügt. 

Sind  gleichzeitig  Verhältnisse  der  Landesnatur  (Wald,  Wiese  u.  s.  w.) 
und  Beziehungen  des  Erdraums  zum  Menschen  darzustellen,  so  sind 
für  jene,  soweit  möglich,  die  Signaturen  der  Generalstabskarte,  für 
diese  hingegen  Farbenunterschiede  anzuwenden. 


I.  Darstellung  von  Örtlichkeiten 
a)  Einfache  Ortsangabe. 
4-  Bezeichnung    der    Örtlichkeit    schlechthin    (dem    an    sich    besten 
Symbol  dafür,  dem  Punkt,  vorzuziehen,  weil  dieser  leicht  zu 
Verwechselung  Anlafs  bietet). 
X  Fundstätte  (xPr  :  prähistorischer  Fund;  x R :  Römerfund ;  xSl:  sla- 
vischer  Fund ;   x  den :  Fund  von  Denaren ;  genauere  Angaben 
über  die  Fundgegenstände  können   in  Worten   daneben   ein- 
geschrieben werden). 

•  JL  .      Gerichtsstätte      (    .  .2*  •  //c/      Hochgericht; 
•  •  •  •  .  • 

X  .  NG     Niedergericht;       .  -L  .  ^^     Dorfgericht). 


iT      Zollstätte. 
lOOl      Münzstätte. 

j,        Turm. 


—     126     — 


b)  Einzelsiedelung: 
•  Einzelnes  Haus. 

■  Gehöfte.  /■7  Gut. 

äI    Wassermühle.      T    Windmühle. 
r  Rittersitz.  nV    Biu-g.  ^  Schlofs. 

{    Kapelle.  rt     Kirche.         rl    Stiftskirche,     fi    Pfarrkirche. 


Kloster. 


c)  Zusammengesetzte  Siedelung. 

(^  Dorf.  (\  Dorf  mit  Rittersitz.  ^?^    Kirchdorf. 

Q     Markt  (z.  B.  bei  Vergleichung  von  Marktprivilegien   nebst  Zeit- 
angabe). 

^1   Stadt.  ^Dh   f^^s^^?- 

Das  Ortszeichen,  das  sich  im  Druck  der  Grundkarte  vorfindet,  ist 
in  der  Regel  durch  das  Symbol  zu  ersetzen,  beziehentlich  dieses  ams 
jenem  z.  B.  durch  Verstärkung  der  Umrifslinien  herauszugestalten.  Die 
Zugehörigkeit  zu  einem  Herrn  der  Siedelung  u.  s.  w.  ist  durch  Farben 
zu  bezeichnen. 

2.  Wege 

Soweit  dies  —  in  der  jüngsten  Vergangenheit  —  möglich  ist,  ist 
die  Form  der  Wirkhchkeit  genau  entsprechend  zu  gestalten;  in  die- 
sem Falle  sind  die  Zeichen  der  Generalstabskarte  für  Fufe-  und  Feldwege, 
Strafsen  u.  s.  w.  anzuwenden.  Andernfalls  ist  in  rein  schematisch  er 
Darstellung  die  Gerade  oder  Kurve  als  Verbindung  von  zwei  gege- 
benen Punkten  zu  wählen. 

Gemeindeweg. 

Strafse. 

—    —        Hauptstrafse. 


—     127     — 

Um  die  Anlage  der  Verkehrswege  verständlich  zu  machen,  ist 
auf  Karten,  die  nur  diese  selbst  darstellen,  Einzeichnung  des  Terrains, 
durch  das  sie  führen,  nötig;  und  zwar  kommt  es  vor  allem  auf  die 
Böschungsverhältnisse  an,  weniger  auf  die  absolute  Höhe.  Am  besten 
bedient  man  sich  dazu  der  mit  Braunstift  ausgeführten  Schummerung. 

3,  Verwaltungsbezirke 

Für  die  Darstellung  weltlicher  und  kirchlicher  Verwaltungsbezirke 
empfiehlt  sich  im  allgemeinen  Flächenkolorit;  steht  ein  Gebiet  unter 
geteilter  Verwaltung,  so  ist  Streifenkolorit  zu  wählen ;  Randkolorit  dann, 
wenn  irgendwelche  Zustände  innerhalb  des  Bezirks  gleichzeitig  zum 
Ausdruck  gebracht  werden  sollen. 

Oft  wird  es  geboten  erscheinen,  die  Art  der  Grenze  durch  die 
Verschiedenheit  der  Strichelung  anzugeben.  So  für  die  kirchliche 
Einteilung : 

+  +  +  -»-  +  -»-  +  +  +  Grenze  der  Pfarrbezirke. 

+  .  +  .  +  .  +  .  +  .  -1-         ,,         „    Archidiakonate. 

—  +  -■  +  -■  +  -■-»--■        „         „    Bistümer. 
Für  die  weltliche  z.  B. : 

Gemeindegrenzen  (in  schwarz  oder  anderer  Farbe 

auf  bzw.  neben    die   gedruckte   rote  Gemar- 
kungsgrenze einzutragen). 

—  •  —  •  —  •  —  o  —  o—  Ämter  der  fürstlichen  Landesverwaltung. 

—  X  —  X  —  X  —  X—  Hochgerichtsbezirke. 
Niedeigerichtsbezirke. 

^  ^  ^  ^   ^  ^  ^      WeichbUdgrenze. 
■1   ■§   ■§   ■§   ■§     Landesgrenzen. 

Lücken  in  der  Feststellung  der  Grenzen  sind  nach  dem  oben  dar- 
gelegten durch  —  «  _  zu  bezeichnen;  dabei  kann  das  farbige  Band 
voll  ausgeführt  werden,  doch  wird  dies  bei  minderer  Sicherheit  besser 
unterDieiDen :  also  z.  iJ.  p,i!i*i||ffi|ii!5i!i(TO',ii*i;iiH  lüHiü'iiiiii'iroPiiiüIiiiiiffl' 

4.  Gebiete  mit  ungewissen  Grenzen 

Die  Eigenart  der  historischen  Quellen  stellt  dem  Grundkarten- 
zeichner bisweilen  die  Aufgabe,  Gebiete  darzustellen,  von  denen  er 
nicht  die  Umgrenzung,  sondern  nur  einige  darin  gelegene  Örtlichkeiten 
kennt.  Dies  ist  z.  B.  der  Fall  bei  der  Kartographie  der  Gaue,  auch 
der  landesfürstlichen  Ämter  in  älterer  Zeit  u.  s.  w.  Die  bekannten 
Örtlichkeiten  sind  dann  zuerst  mit  farbiger  Unterstreichung  der  ge- 
druckten Ortsnamen  oder  mit  (farbigem)  Einschreiben  der  Namensform 


—     128     — 

der  Quelle  einzutragen.  Unter  ungünstigen  Umständen  mufs  es  dann 
bei  dieser  Darstellungsweise  sein  Bewenden  haben.  Ergiebt  sich  aber 
die  Zugehörigkeit  zu  dem  darzustellenden  Gebiete  für  ein  gröfeeres 
oder  einige  kleinere  Stücke  Landes  mit  der  nötigen  Sicherheit,  so 
sind  diese  mit  Flächenkolorit  zu  bedecken;  bei  unsicheren  Gebiets- 
teilen kann  Streifenkolorit  angewendet  werden  (schmale  farbige  Streifen 
mit  breiten  Streifen  freigelassenen  Raumes) ;  und  endlich  wird  es  in 
günstigen  Fällen  möglich  sein,  eine  Vermutung  über  den  Grenzsaum 
durch  Randkolorit  (........    ^  anzudeuten. 

5.  Grundbesitz 

Als  Einheit  für  die  Darstellung  von  Grundbesitzverhältnissen  wird 
es  sich  meist  empfehlen,  die  Hufe  anzunehmen.  Darzustellen  ist  sie 
mit  einem  Quadrat,  dessen  Gröfse  überall  da,  wo  man  die  Hufengröfse 
der  Gemarkung  oder  wenigstens  der  Gegend  kennt,  dieser  in  ziemlich 
genauer  Berechnung  angepafet  werden  kann,  da  ja  i  qcm  der  Grund- 
karte einer  Fläche  von  i  qkm  entspricht.  Als  Durchschnittsmafs  (in 
schematischer  Darstellung)  wäre  ein  Quadrat  mit  der  Seitenlänge  von 
reichlich  3  mm  einzuführen  (die  Hufe  =  10  ha).  Halbe  Hufen  sind 
dann  durch  ein  entsprechendes  Rechteck  darzustellen. 

Die  Arten  der  Hufe  sind  mit  Deckweife  durch  Signaturen  zu  be- 
zeichnen. 

pl     Hufe  ohne  nähere  Angabe. 


s.  w. 


fo]    Freienhufe;      '0   Laetenhufe;         ^  Sklarenhufe  u. 

Bei  Salhufen  ist  ein  Kreis  in  der  Mitte  freizulassen. 

Die  Gröfse  des  Fronhofes  (curtis,  curia  .  .  .)  wird,  wenn  nach- 
weislich, genau,  sonst  schätzungsweise  als  Vielfaches  des  Hufenquadrats 
zu  zeichnen  sein. 

Um  den  Gesamtbesitz  an  Hufen  innerhalb  einer  Gemarkung  dar- 
zustellen, sind  Figuren  einzuzeichnen,  die  aus  der  jeweiligen  Zahl  von 
Quadraten  bestehen.  Als  einfachste  Form  ist  das  Rechteck  zu  wählen; 
doch  werden  die  räumlichen  Bedingungen  zu  mannigfachen  zusammen- 
gesetzten Formen  nötigen. 


Z.  B. 


18  mansi. 


9  mansi  lediles. 


K^K^>^ 


>^>^K^ 


+  (o  o 
lo"  o 


—      129     — 

15  maosi  serviles 

+ 
4  später  erworbene  mansi  ingenuUes. 

10  mansi  ingenuiles. 


ff 


serviles. 


Er± 


curtis  (zu   5   Hufen)   +    i2'/i   mansi    +   2   mansi 
Rirchland. 


Die  Hufenquadrate  sind  mit  Flächenkolorit  zu  bedecken,  um  die 
Zugehörigkeit  zu  einer  Grundherrschaft  auszudrücken;  für  Verlehnung 
kann  Randkolorit  als  passendes  Darstellungsmittel  verwendet  werden 
oder  auch  Verstärkung  der  Linien  innerhalb  der  Diagramme. 


Gesamtbesitz:  28  Hufen  (20  ma.  ing.  8  serv.). 


0000000 
0000000 

000  xyixx 


Davon  verlehnt:  8  Hufen  (6  ma.  ing.  2  serv.). 


Besitz  weniger  Morgen  ist  durch  Striche  zu  bezeichnen    1 1  :   bei 
gröfseren  Zahlen :  /ss  u>,/.    Für  Salland  von  unbekannter  Gröfee  wähle 


man: 


Gilt  es  die  BeschaiTenheit  des  Bodens  zum  Aus- 


. .  •  .•«/ 


druck  zu  bringen,  so  sind  die  unten  unter  7  anzuführenden  Signaturen 
zu  verwenden.  Blofsen  Besitz  eines  Hauses  (und  Höfchens)  bezeichne 
man:  •;  kleinere  Grundstücke:  Q. 


6.  Plurverfassong 

Die  Grundkarten  erlauben  es,  eine  Übersicht  über  die  Arten  der 
FiurverCassung  herzustellen.   Als  schematische  Formen  könnten  dienen : 


Block. 


Gewann 


gemischt. 


u.  8.  w.  Doch  wird  sich  die  Verwendung  von  willkürlich  gewählten 
Farbenbezeichnungen  (z.  B.  verschiedenen  Tönen  von  Braun)  besser 
empfehlen. 

10 


—     130     — 

7.  Wirtschaftszustände 

a)  Nachweis  angebauter  Fruchtgattungen: 

^  Ackerfeld  in  der  Gemeinde  nachweisbar :  mit  eingeschrie- 

P^PIf  benem  R  =  Roggenfeld;  W  =  Weizenfeld;  G  = 

iJMili'l  Gerstenfcld ;   H  =  Haferfeld  u.  s.  w.  —  Oder  es 

sind  des  anschaulicheren  Vergleiches  wegen  Weizen : 
gelb;  Roggen:  braun;  Gerste:  grau;  Hafer:  grün  darzustellen. 

b)  Bodenarten: 


i 


l=z 


y 


.  •  •  •  • 


V     »    «'     «< 

V    V    V    *■ 
V     V    ^     * 


I     I      I      I 

I     I  I      I      • 
I     f      I      I 

•  III 


Ackerland 


Wiese 


Weide 


Weingarten 
(Weinberg) 
Oder  man  wähle  Ackerboden :  braun ;  Wald :  dunkelgrün ;  Wiese :  hell- 
grün; Weide:  gelb;   Sumpf  und  Moor:   schwärzlich;  Weingärten:  röt- 
lich; Gewässer:  blau. 
c)  Feldsysteme: 


o    •    • 


•  •  • 


Winterfeld       Sommerfeld       Brache  teilweise  besömmerte  Brache 

Demgemäfe  (ohne  Wahrung  der  quadratischen  Form  in  schematischer 
Darstellung) : 


^■■«H 


Feldgraswirtschaft         Zweifelderwirtschaft         Dreifelderwirtschaft 


™ 


M 


m 


V 


Fruchtwechselwirtschaft 


8.  Volksdichte 

Mit  wenigen,  nach  helleren  und  dunkleren  Tönen  abgestuften 
Farben  ist  die  Volksdichtigkeit  der  ganzen  Gemeindeeinwohnerschaft 
oder  ihrer  einzelnen  Teile  auf  i  qkm  berechnet  zu  veranschaulichen. 


—     131     — 

Die  genaue  Volkszahl  ist  in  die  Grundkarte  hineinzuschreiben.  Für 
die  Abtönung  der  Farben  verwende  man  die  Karten  im  Statistischen 
Jahrbuch  des  Deutschen  Reiches  als  Vorbild. 

9.  Soziale  Gliederung 

Die  vollkommenste  Art  der  Darstellimg  wäre  die,  das  Gesamtgebiet 
der  Gemarkung  mit  farbigem  Kolorit  zu  bedecken,  das  den  verhältnis- 
mäfsigen  Anteil  der  (ländlichen)  Bevölkerung^klassen  veranschaulichte. 
Sonst  kann  man  sich  mit  der  Einzeichnung  von  Diagrammen  (in 
Rechtecksform   .  .  .)  innerhalb  der  Gemarkungsgrenzen  begnügen. 

Als  Farbenunterschiede  dienen  etwa:  Bauern,  Hüfher,  Pferdner 
u.  s.  w.  braun  (Voll-,  Halb-,  Viertelhüfher  durch  heller  werdenden  Ton 
unterscheidbar);  Gärtner,  Anbauer  rotbraun;  Häusler  und  Einlieger  grau ; 
Handwerker  graugrün;  Rittergutsbesitzer  gelb ;  hoher  Adel  zinnoberrot; 
freie  Berufe  blau. 

Dies  sind  die  Vorschläge  für  Gnmdkartenzeichnung ,  die  ich  zu- 
nächst einmal  den  Fachgenossen  zur  Prüfung  auf  ihre  Brauchbarkeit 
vorlegen  möchte.  Manche  davon  werden  bei  längerer  Erfahrung  durch 
bessere  zu  ersetzen  sein;  andere  werden  hinzukommen  müssen,  um 
viele  noch  offene  Lücken  auszufüllen.  Eins  wird  aber  schon  heute 
fest  ins  Auge  zu  fassen  sein:  Sobald  erst  etwas  reichere  und  viel- 
seitigere Erfahrungen  in  der  Grundkartenzeichnung  vorliegen,  wird  man 
an  die  Schaffung  eines  Werkchens  herantreten  müssen,  in  dem  die  für 
die  Eintragung  mafsgebenden  Grundsätze  dargelegt  werden,  sowie  auf 
einer  Zeichentafel  die  vereinbarten  Symbole  enthalten  sind.  Dies 
Werkchen,  den  Kommissionen,  Vereinen  und  Gesellschaften,  die  sich 
mit  der  Herausgabe  von  Grundkarten  befassen,  zur  Genehmigung  vor- 
gelegt, wird  dann  den  Historikern,  welche  Grundkarten  benutzen,  in  die 
Hand  zu  geben  sein:  nicht  nur  als  ein  Führer,  der  ihnen  raten  will, 
sondern  als  ein  Büchlein,  das  Vorschriften  bietet,  von  deren  Befolgung 
ein  guter  TeU  des  Gelingens  des  grofs  angelegten  Grundkartenuater- 
nehmens  abhängen  wird.  Ist  dies  Ziel  erst  einmal  erreicht,  dann  wird 
neben  der  Organisation  das  Wichtigste  geschaffen  sein,  was  die  Durch- 
führung des  ganzen  Unternehmens  verbürgt:  eine  gewifs  noch  ver- 
besserungs-  und  ergäozungsfUhige ,  aber  zunächst  einmal  den  wissen- 
schaftlichen Ansprüchen  genügende,  auf  allgemein  anerkannten  Grund- 
sätzen beruhende  Technik  der  Grundkarteneinzeichnung. 

10* 


—     132      — 

Die  landesgesehiehtliehe  Forschung  in  Pom^ 
mern  w^ährend  des  letzten  Jahrzehnts 

Von 
Martin  Wehrmann  (Stettin) 

(Schlafs)  1) 

Durch  alle  diese  Arbeiten  ist  auch  für  die  allgemeine  Geschichte  man- 
cherlei gewonnen,  und  sie  verdienen  zumeist  mehr  Beachtung,  als  ihnen 
leider  zuteil  geworden  ist.  Aber  auch  nicht  wenige  der  sozusagen  aus- 
schlielslich  lokalgeschichtlichen  Arbeiten,  wie  die  von  P.  vanNiefsen 
bearbeiteten  Geschichte  der  Städte  Woldenberg  in  der  Neumark  (1893) 
und  Drambuig  (1897),  gehen  über  das,  was  zumeist  in  solchen  Ab- 
handlungen geleistet  wird,  erheblich  hinaus.  Kurz  hingewiesen  mag 
noch  werden  auf  die  intensive  Behandlung  der  pommerschen  Volks- 
kunde, die  in  den  von  A.  Haas  und  O.  Knoop  1893  begründeten 
Blättern  für  pommersche  Volkskunde  ein  eigenes  Organ  gefunden 
hat.  Auch  für  die  Geschichtsforscher  ist  hier  manch  kleiner  wertvoller 
Beitrag  zu  finden,  da  Pommern  gerade  für  die  Volkskimde  ein  beson- 
ders günstiges  Gebiet  zu  sein  scheint.  Ärmer  ist  die  Ausbeute  für 
die  Kunstgeschichte,  aber  nicht  so  arm,  wie  man  gemeinhin  glaubt. 
Das  beweist  das  von  der  Gesellschaft  für  Pommersche  Geschichte  und 
Altertumskunde  herausgegebene  Inventar  der  Baudenkmäler  PofH' 
merns,  das,  bearbeitet  von  E.  v.  Haselberg,  L.  Böttger  und 
H.  Lemcke,  bisher  für  zwölf  Kreise  vorliegt  (Stettin  1881 — 1900) 
und  in  weiterer  Bearbeitung  ist.  Daneben  hat  H.  Lutsch  in  seinen 
sorgfältigen  Arbeiten  [Die  Backsteinbauten  Mittelpommerns ,  Berlin 
1890)  die  Ergebnisse  langjähriger  Thätigkeit  veröffentlicht.  Für  die 
Münzgeschichte  haben  in  zahlreichen  Einzeluntersuchungen  und  in  zu- 
sammenfassenden Darstellungen  H.  Dannenberg  [Münzgeschichte 
Pommerns  im  Mittelalter,  Berlin  1893)  und  E.  Bahrf el dt  (Zwr  mittel- 
alterlichen Münzkunde  Pommerns,  Berlin  1893)  ihre  Untersuchungen 
niedergelegt. 

Ist  für  die  Geschichte  Pommerns  auch  noch  viel  zu  wünschen 
übrig  —  und  wann  werden  alle  Wünsche  erfüllt  werden?  — ,  so  kann 
noch  kein  bUlig  Urteilender  leugnen,  dafs  die  Thätigkeit  im  letzten 
Jahrzehnt  lebhaft  gewesen  ist.  Es  sind  auch  die  Anregungen,  die  von 
aufscn  her  seitens  des  Gesamtvereins   oder  der  Konferenz  der  Publi- 


i)  VgL  Heft  4  S.  98  bis  104. 


—     133     — 

katioDsinstitute  gegeben  wurden,  nicht  unbeachtet  geblieben.  Eine 
Zusammenstellung  der  erhaltenen  Kirchenbücher  und  Stadtbücher  ist 
erfolgt,  die  Herstellung  der  Grundkarten  —  wie  hier  gegenüber  der 
Bemerkung  auf  S.  35  dieser  Blätter  mitgeteilt  werden  mag  —  und  die 
Abfassung  einer  historisch -geographischen  Beschreibung  der  Diözese 
Camin  sind  in  Angriff  genommen.  Dais  nicht  alles  so,  wie  wohl  ge- 
wünscht wird,  sofort  zu  stände  kommt,  liegt  nicht  zum  mindesten  am 
Mangel  der  Arbeitskräfte  und  der  Geldmittel,  aber  als  2^ichen  des 
Fortschritts  ist  auch  die  in  neuerer  Zeit  regere  Anteilnahme  der 
Universität  Greifiswald  an  der  Territorialgeschichtsforschung  mit  Freude 
zu  begrüüsen. 


Mitteilungen 


Historikertag«  —  In  den  Tagen  vom  4.  bis  7.  April  1900  fmdet 
in  Halle  a.  S.  die  sechste  Versammlung  deutscher  Historiker 
statt,  imd  zwar  in  der  Aula  der  Universität  und  dem  Auditoritun  maximiun. 
Das  Programm,  welches  der  derzeitige  Vorsitzende  des  Verbandes  deutscher 
Historiker,  Prof.  G.  Kaufmann  (Breslau)  im  Vereine  mit  dem  Ortsausschufs, 
an  dessen  Spitze  Prof.  Eduard  Meyer  steht,  angestellt  hat,  sieht  folgende 
Vorträge  vor,  tmd  zwar  a)  mit  anschliefsender  Debatte:  Prof.  L.  Mitteis 
(Leipzig):  Die  neueren  Ergebnisse  der  Papyrasforschung.  —  Prof.  H.  ül- 
mann  (Greifswald):  Zur  Würdigung  der  napoleonischen  Frage.  —  Prof. 
H.  Geizer  (Jena):  Das  Verhältnis  von  Staat  und  Kirche  in  Byzanz.  — 
Prof.  Ph.  Heck  (Halle):  Stadtbürger  und  Stadtgericht  im  Sachsenspiegel. — 
Prof  H.  Prutz  (Königsberg):  Die  Entwicklung  der  historischen  Professur 
in  Königsberg.  —  Prof.  F.  Räch  fahl  (Halle):  Der  niederländische  Aufstand 
tmd  das  deutsche  Reich,  b)  ohne  Debatte  (öffentliche  Vorträge):  Prof. 
Dietrich  Schäfer  (Heidelberg):  Das  Eintreten  der  nordischen  Mächte 
in  den  Dreißigjährigen  Krieg.  —  H.  Friedjung  (Wien):  Das  Angebot  der 
deutschen  Kaiseriu-one  an  Österreich  im  Jahr  18 14.  —  Femer  sind  Aus- 
flüge ins  Saalethal  und  nach  Merseburg  beabsichtigt,  sowie  eine  Reihe  ge- 
selliger Zusammenkünfte. 

Zur  Teilnahme  am  Histoiikertage  sind  alle  Fachgenossen  tmd 
Fachverwandten  sowie  alle  Freunde  geschichtlicher  Forschung 
freundlichst  geladen.  Von  denjenigen  Teilnehmern,  die  nicht  Mitglieder  des 
Verbandes  sind,  wird  ein  Beitrag  von  5  Mk.  erhoben.  —  Anträge,  die 
auf  dem  Historikertage  erörtert  werden  sollen,  können  nur  von  Verbands- 
mitgb'edem  gestellt  werden  und  sind  vor  dem  31.  März  1900  schrift- 
lich bei  dem  Vorsitzenden  des  Verbandes  deutscher  Historiker,  Prof.  Dr. 
G.  Kaufmann,  Breslau,  Rosenthalerstr.  Id,  anzumelden.  Über  die  Ein- 
reibung in  die  Tagesordnung  beschlielst  der  Verbandsausschufs  am  4.  ApriL  -^ 


—     134     — 

Anmeldungen  zum  Eintritt  in  den  Verband  (Jahresbeitrag  5  Mk.)  sind 
an  dessen  Schatzmeister,  Prof.  Dr.  Hansen,  Stadtarchivar  zu  Köln,  zu 
richten.  —  Zu  den  beiden  öffentlichen  Vorträgen  hat  jedermann  Zu- 
tritt. —  Das  Empfangsbureau,  dessen  Leitung  die  Herren  Oberlehrer 
Dr.  Fr.  Neubauer  und  Privatdocent  Dr.  Th.  Sommerlad  freundlichst 
übernommen  haben,  befindet  sich  in  der  „Tulpe"  und  wird  die  Teil- 
nehmerbeiträge in  Empfang  nehmen,  die  Mitgliedskarten  und  Programme 
sowie  die  Karten  für  das  Festessen  (Preis  des  Couverts  3,50  Mk.)  ausgeben 
und  jede  sonstige  Ausktmft  erteilen.     Das  Bureau  wird   am  Mittwoch,  dem 

4.  April,  von  2  Uhr  an,  an  den  folgenden  Tagen  Vormittags  von  \g  bis 
2  Uhr  geöffiiet  sein.  —  Zu  weiterer  Auskunft  sind  der  Vorsitzende  und  der 
Schriftführer  des  Ortsausschusses  in  Halle,  Prof.  Eduard  Meyer  (Gie- 
bichenstein,  Reilstr.  88)  und  Privatdocent  Dr.  Th.  Sommerlad  (Bem- 
burgerstrafse  15)  erbötig. 

Gleichzeitig  mit  dem  Historikertage  wird  die  Vierte  Konferenz  deut- 
scher Publikationsinstitute  stattfinden.  Die  erste  Sitzung  soll  bereits 
am  Vormittag  des  4.  April  im  Historisch-Geographischen  Institut  der  Uni- 
versität Leipzig  abgehalten  werden.  Das  Arbeitsprogramm  der  Konferenz 
umfafst  folgende  Punkte:  i.  Konstituierung,  Bericht  über  Lage  und  Bestand 
der  Konferenz.  2.  Zur  historischen  Geographie  Deutschlands.  A)  Grund- 
karten,  a.  Bericht  von  Lamp recht  über  den  allgemeinen  Stand  und  die 
jetzige  Verbreitung  der  Gnmdkartenforschung.  (Hierzu  der  Aufisatz:  „Zur 
Organisation  der  Grundkartenforschung"  in  den  „Deutschen  Geschichts- 
blättem",  Heft  2,  Seite  33 — 41.)  b.  Erörterung  wichtiger  Fragen  der  Grund- 
kartentechnik. (Hierzu  der  Aufsatz  von  Kötzschke  in  den  „Deutschen 
Geschichtsblättern  ",  Heft  5 ,  S.  1 1 3 — 131.)  B)  Historisch-kirchliche  Geographie 
Deutschlands,  a.  Bericht  von  Meinecke  über  den  Stand  der  Verhandlungen, 
b.  Erörterung  weiterer  Schritte.  3.  Beratung  über  den  Antrag  Dr.  Stein- 
hausens aus  Jena  auf  Unterstützung  der  von  ihm  herausgegebenen  „Denk- 
mäler der  deutschen  Kulturgeschichte".  4  Beratung  über  die  Ausgaben 
von  Ertragsregistern  und  Weistümem.  (Hierzu  die  frühern  Denkschriften  von 
Loersch,  Thudichum,  Grotefend  und  Darpe,  Lamprecht,  Schulte.) 

5.  Abgrenzung  des  Stoffes  von  Urkundenbüchem.  (Hierzu  die  frühere  Denk- 
schrift von  Do  benecke r  und  Pi  renne.)  6.  Beratung  über  etwa  weiter  ge- 
stellte Anträge. 

Vereine.  —  Seit  Ende  des  Jahres  1896  besteht  ein  „Verein  für 
historische  Waffenkunde"  mit  dem  Sitze  in  Dresden  als  juristische 
Person.  Der  Zweck  des  Vereins  ist,  das  Studium  der  Geschichte  des  Waffen- 
wesens zu  fördern,  insbesondere  im  Hinblick  auf  die  technische  HersteUung, 
die  künstlerische  Ausstattung  und  die  kriegerische  Verwendung  der  alten 
Waffen.  Mitglieder  —  gegenwärtig  334  —  können  nicht  nur  einzelne  Per- 
sonen, sondern  auch  Ortschaften,  Behörden,  Korporationen,  Sammlungen  und 
Bibliotheken  werden,  der  Jahresbeitrag  beträgt  10  Mk.,  wofür  das  Vereins- 
organ, die  Zeitschrift  für  historische  Waffetikunde  unentgeltlich  geliefert  wird. 
Oberstleutnant  Dr.  Max  Jahns,  der  verdienstliche  Verfasser  des  Hafidbuchs 
einer  Geschichte  des  Kriegswesens  von  der  Urzeii  bis  zur  Renaiesatire 
(1880)  ist  der  erste  Schriftführer  des  Vereins,  die  Redaktion  der  Zeitschrift 


—     135     - 

besoi'gte  im  ersten  Jahrgang  Wendelin  Boeheim  (Wien),  aus  dessen  Feder 
wir  ein  Handbuch  des  Waffenwesens  in  seiner  historischen  Entwicklung  (1890) 
besitzen.  Von  Beginn  des  zweiten  jetzt  laufenden  Bandes  an  ist  die  Re- 
daktion an  Dr.  Karl  Koetschau,  Direktor  der  herzoglichen  Kunst-  und 
Altertümersamnüung  der  Veste  Koburg  übergegangen.  Die  historischen  For- 
scher seien  auf  diese  Publikation  aufinerksam  gemacht,  in  der  sie  sich  ge- 
gebenenfalls sowohl  über  Art  und  Aussehen  gewisser  Waffen,  als  auch  über 
die  Deutung  von  Fachausdrücken  der  älteren  Militärsprache  oft  werden  Rats 
erholen  können. 

Der  seit  1859  bestehende  Mannheimer  Altertumsverein  erfreut 
sich  einer  vergleichsweise  recht  hohen  Unterstützung  seitens  der  Stadt  Mann- 
heim (erhält  doch  selbst  der  Aachener  Geschichtsverein  nur  einen  städtischen 
Beitrag  von  1000  Mk.),  denn  der  187 1  sich  auf  200  Gulden  belaufende 
Zuschufs  wurde  wiederholt  erhöht,  1893  auf  2000  Mk.  und  beträgt  seit  Be- 
gbn  des  latifenden  Jahres  sogar  3000  Mk.  Dem  entsprechend  ist  die  be- 
reits recht  stattliche  Zahl  der  Vereinsveröffentlichungen  seit  Januar  1900  um 
eine  neue  vermehrt  worden,  die  sich  Mannheimer  Oesehiehtsblätter,  Monats- 
schrift für  die  Geschichte,  Altertums-  und  Volkskunde  Mann- 
heims und  der  Pfalz,  nennt  und  monatlich  im  Umfange  von  ein  bis 
anderthalb  Bogen  unter  Redaktion  von  Dr.  Friedrich  Walter  in  Mann- 
heim erscheint 

In  der  Provinz  Ostpreufsen  hat  sich  Ende  1898  ein  Verein  zur  Erfor- 
schung der  Geschichte  des  alten  „  Oberlandes  ",  insbesondere  der  Kreise  Preu- 
fsisch-HoUand,  Mohrungen,  Osterode-Neidenburg  und  Ortebburg,  tmter  dem 
Namen  „Oberländischer  Geschichtsverein**  und  dem  Vorsitze  des 
Amtsrichters  Georg  Conrad  zu  Mühlhausen  in  Ostpreufsen  konstituiert 
Das  erste  Heft  der  Vereinszeitschrift,  die  den  Titel  Oherländische  Oesehiehts- 
blätter (Königsberg,  in  Kommission  bei  Ferd.  Beyers  Buchhandlung)  führt, 
liegt  gegenwärtig  vor  und  enthält  eine  Reihe  auch  für  weitere  Kreise  in- 
teressante Beiträge.  Eine  Mitteilung  über  die  Anbringung  einer  Gedenktafel 
für  Ferdinand  Gregorovius  in  dessen  Vaterstadt  Neidenburg  (S.  14)  giebt 
Gelegenheit  zum  Abdrucke  eines  liebenswürdigen  Briefes  Gregorovius'  vom 
2.  Febr.  1891,  die  Veröffentlichung  von  Aktenstücken  aus  dem  gräflich 
Dohnaschen  Archive  und  dem  der  gräflich  Dönhofifschen  Familienstiftung 
zeigt  wieder  einmal  den  Wert  derartiger  Privatarchive  tmd  die  Beschreibung 
der  „Vorgeschichtlichen  Wandtafelnfür  Westpreufsen**,  welche 
auf  sechs  Blättern  die  Ftmde  der  jüngeren  Steinzeit,  Bronzezeit,  jüngsten 
Bronzezeit,  vorrömischen  Zeit,  römischen  Zeit  und  arabisch-nordischen  Zeit 
nach  den  Angaben  des  Museumsdirektors  Prof.  Conwentz  darstellen,  kann 
für  andere  Gegenden  die  Anregung  zu  ähnlichen  Arbeiten  geben. 

Em  „Altertumsverein  fürMühlhausen  i.  Th.  und  Umgegend** 
wurde  im  November  1899  gegründet  und  konnte  sofort  über  die  stattliche 
Zahl  von  183  Mitgliedern  verfügen.  Eine  Vereinszeitschrift  mit  dem  Titel 
Mühlhäuser  Oescliichtsblätter  soll  vornehmlich  der  wissenschaftlichen  Ausbeu- 
tung des  vormals  reichsstädtischen  und  jetzigen  Stadtarchivs  von  Mühlhausen 
dienen. 


—     136     — 

Bibliographie.  —  Oie  stetig  anwachsende  Litteratur  der  Orts- 
geschichte  hat  schon  längst  das  Bedürfnis  nach  Bibliogn^phieen  für  ein- 
zehie  Landesteile  gezeitigt  Zum  Teil  ist  demselben  durch  Veröffentlichung 
von  Bibliothekskatalogen  (z.  B.  ist  vom  Katalog  der  Kölner  Stadtbibliothek, 
Abteilimg  ,, Geschichte  tmd  Landeskunde  der  Rheinprovinz"  wenigstens  ein 
Band  [1894]  erschienen,  aber  leider  ist  die  Abteiltmg  auch  nicht  annähernd 
vollständig)  entsprochen  worden,  zum  Teil  hat  man  eigene  Bibliographieen 
geschaffen,  wie  sie  z.  B.  für  die  Württembergische  Geschichte  in  zwei  Bän- 
den Wilhelm  Heyd  bearbeitet  hat  Für  die  meisten  Gebiete  fehlt  es  aber 
noch  an  entsprechenden  Veröffentlichtmgen,  und  die  Interessenten  sind  des- 
halb auf  allgemeine  Hilfsmittel  angewiesen.  Ein  solches  liegt  gegenwärtig 
in  einem  fast  9000  Nummern  umfassenden  Antiquariatskataloge  von  Franz 
Teubner  in  Düsseldorf  vor,  welcher  Geschichte  und  Topographie 
der  Städte,  Ortschaften,  Burgen  und  Klöster  umfaist  und  die 
Ortsnamen  in  alphabetischer  Reihenfolge  giebt,  so  dafs  eventuell  Gesuchtes 
mit  Leichtigkeit  zu  finden  ist.  Ja  es  ist  der  Wert  solcher  Kataloge  nicht 
zu  tmterschätzen,  wenn  für  ein  bestimmtes  Gebiet  die  ersten  Sammelarbeiten 
für  eine  Bibliogn^hie  zur  Landesgeschichte  vorgenommen  werden  sollen. 
Mancher  Lokalforscher  wird  mit  Freude  die  Gelegenheit  wahrnehmen,  sich 
ältere  Schriften  aus  seinem  engeren  Arbeitsgebiete  gegen  mäfsigen  Preis  zu 
erwerben. 

Eingegangene  Bfleher. 

Brettschneider,  Harry:  Hilfsbuch  für  den  Unterricht  in  der  Geschichte 

auf  höheren   Lehranstalten.     VI.  Teil:  Vom  Beginne   christlicher  Kultur 

bis  zum  Westfmischen  Frieden  (Lehraufgabe   der   Unterprima).     2,  Aufl. 

Halle  a.  S.,  Waisenhaus,  1900.     194  S.  8<^.     ^  1,80. 
Bruchmüller,   W.:   Zur  Wirtschaftsgeschichte   eines   rheinischen   Klosters 

im  XV.  Jahrhundert     Nach  einem  Rechntmgsbuch  des  Klosters  Walber- 

berg  aus  dem  Jahre  141 5.   [Westdeutsche  2^itschrifl  für  Geschichte  und 

Kunst     Jahrg.  1899.     S.  266 — 308.] 
Deppe,  August:  Kriegszüge  des  Tiberius  in  Deutschland  4  und  5  nach  Chr. 

Bielefeld,  Hebnich,  1886.     42  S.  8^.     Jl  1,25. 
Jürgens,  Dr.  G.:  Em  Amtsbuch  des  Klosters  Walsrode.   Hannover,  Schaper, 

1899.    61  S.  8<^.     [Veröffentlichungen  zur  niedersächsischen  Geschichte, 

2.  Heft] 
Priebatsch,  Felix:  Der  märkische  Handel  am  Au^ange  des  Mittelalters. 

[Aus   „Schriften  des  Vereins  für  die  Geschichte  Berlins",  Heft  XXXVI 

(1899),  S.  I— 54.] 
Schill,  Dr.  £•:  Anleitung  zur  Erhaltung  tmd  Ausbesserung  von  Handschriften 
durch  Zapon-Imprägnierung.    Dresden,  Verlag  des  „  ApoUo  "  (Franz  Hoff- 
mann)  1899.     17  S.  8^. 

BemerknBg«  —  Das  Märzheft  der  „Deutschen  Geschichtsblätter" 
(Nr.  6)  wird  gemeinsam  mit  dem  für  April  (Nr.  7)  als  Doppelheft  in  den 
ersten  Tagen  des  Monats  April  ausgegeben  werden. 

HOTaiatg«b«r  Dr.  Amin  Tille  in  Leiptif.  —  Druck  und  Verlng  von  FH«drich  Andr«M  PertliM  in  Gotlin. 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsschrift 


war 


Förderung  der  landesgescbicbtlicben  Forschung 

I.  Band  März/April  1900  6.//.  Heft 

Die  Historikertage 

Von 
Armin  Tille 

Zum  sechsten  Male  versammeln  sich  die  deutschen  Historiker  und 
2war  diesmal  so  weit  im  nördlichen  Deutschland,  wie  noch  nie  zuvor, 
denn  von  München  über  Leipzig,  Frankfurt,  Innsbruck  und  Nürnberg 
hat  sie  der  Weg  nach  Halle  geführt,  zum  vierten  Male  in  eine  Uni- 
versitätsstadt. In  diesen  wenigen  Angaben  ist  bereits  ein  Stück  Ge- 
Bchichte  der  Historikertage,  wie  landläufig  die  „Versammlungen 
deutscher  Historiker"  genannt  worden  sind,  enthalten,  und  einer 
Geschichte  dieser  Versammlungen  sollen,  nachdem  bereits  ihrer  fünf 
hinter  uns  liegen,  die  folgenden  Zeilen  dienen. 

Im  Herbst  1891  trafen  sich  zufallig  einige  Historiker  in  München 
•und  zwar  waren  dies  August  von  Druffel  (f),  K.  Th.  von  Heigel, 
MaxLossend-),  FelixStieve('['),LudwigQuidde  und  Hans  von 
Zwiedineck-Südenhorst.  Von  letzterem  wurde  damals  den  Fach- 
genossen der  Gedanke  nahegelegt,  ob  sich  nicht  auch  die  Historiker, 
wie  andere  Beru&genossen,  zur  Beratung  über  gemeinsame  Angelegen- 
heiten zusammenschliefsen  und  auf  periodisch  wiederkehrenden  Ver- 
sammlungen sich  aussprechen  sollten.  In  weiterer  Verfolgung  dieser 
Anr^^ung  scharten  die  genannten  Herren  noch  weitere  namhafte  Ver- 
treter der  Geschichtswissenschaft  um  sich  und  erlieisen  gemeinsam  im 
Sommer  1892  einen  Aufruf,  welcher  für  September  dieses  Jahres  zu 
einer  allgemeinen  Versammlung  nach  München  einlud  zu  dem  Zwecke, 
„persönliche  Fühlung  untereinander  zu  gewinnen  und 
gemeinsame  Angelegenheiten  zu  erörtern'*.  Die  im  Sommer 
1892  herrschende  Besoignis  vor  weiterer  Verbreitung  der  Cholera  und 
dadurch  verursachte  Verkehrshemmtmgen  liefsen  es  schliefslich  an- 
gezeigt erscheinen,  die  Versammlung  auf  die  Osterwoche  1893  zu  ver- 
^  legen,  und  in  der  That  hat  sie  in  den  Tagen  vom  5.  bis  7.  April  in 

\  München  stattgefunden.    Nicht  weniger  als   109  Fachgenossen  waren 

11 


—     140     — 

berechtigting'  aller  Teilnehmer  —  wie  dies  von  Zwiedineck  in  Innsbruck 
(Bericht  S.  6)  treffend  hervorhob  —  sollten  womöglich  die  einschlägigen 
Fragen  von  zwei  oder  mehr  in  ihrer  Meinung  voneinander  abweichenden 
Referenten  erörtert  werden,  um  dann  der  allgemeinen  Meinimgsäufserung 
<jelegenheit  zu  geben,  sich  geltend  zu  machen.  Eine  auf  solcher 
Grundlage  gewonnene  Formel  für  Wünsche  und  Forderungen  in  Fragen 
der  Organisation  geschichtlicher  Thätigkeit  kann  ja  allein  den  zustän- 
digen Behörden  als  beachtenswerter  Hinweis  bei  Fassung  ihrer  Ent- 
schlüsse dienen.  Wenn  nun  auch  bei  der  Vielgestaltigkeit  der  Berufe 
derer,  die  historisch  arbeiten,  —  nur  die  Hoch-  und  Mittelschul- 
lehrer für  Geschichte  und  die  Archivare  stellen  gröfsere  Gruppen  mit 
gleichartiger  Thätigkeit  dar  —  die  gemeinsamen  Angelegen- 
heiten nicht  so  zahlreich  sind  wie  bei  Vertretern  anderer  Wissen- 
schaften, so  sind  sie  dennoch  zahlreich  genug,  um  den  Versammlungen 
reichlichen  Verhandlungsstoff  zu  geben,  aber  ganz  abgesehen  davon 
rechtfertigte  auch  das  gesunde  Bedürfnis  nach  persönlicher  Annäherung 
unter  den  Historikern,  welchem  in  den  oft  recht  ausg^ehnten  und 
lebhaften  gemütlichen  Sitzungen  entsprochen  worden  ist,  genügend 
die  Einrichtung  regelmäfsiger  Zusammenkünfte. 

Als  allgemeine  Angelegenheit  ersten  Ranges  bezeichnete  bereits 
der  erste  Aufruf  die  Frage  nach  der  Gestaltung  des  geschicht- 
lichen Unterrichts,  die  in  den  Lehrplänen  verschiedener  Staaten 
eine  Neuregelung  erfahren  hatte,  ohne  dafs  die  Fachhistoriker  über- 
haupt darüber  gehört  worden  wären.  Als  Referent  über  diesen  Gegen- 
stand (der  im  Aufruf  in  die  zwei  Fragen  gegliedert  worden  war :  a)  In- 
wieweit hat  der  Geschichtsunterricht  zu  dienen  als  Vorbereitung  zur 
Teilnahme  an  den  Aufgaben,  welche  das  öffentliche  Leben  der  Gegen- 
wart an  jeden  GebUdeten  stellt?  b)  Wie  ist  demgemäfs  der  Geschichts- 
unterricht zu  erteilen?)  wurde  der  inzwischen  verstorbene  Gynmasial- 
direktor  Martens  in  Elbing  gewonnen,  dessen  Buch  „Die  Neu- 
gestaltung des  Geschichtsimterrichts  auf  höheren  Lehranstalten  "  damals 
kurze  2^it  erschienen  war,  und  als  Korreferenten  traten  Professor  Do  ve 
und  Kaufmann  auf  Alle  drei  präzisierten  ihren  Standpunkt  kurz  in  einigen 
Leitsätzen,  die  bereits  am  Vorabend  der  Versammlung  den  Teilnehmern 
eingehändigt  werden  konnten  ^).  Sachlich  handelte  es  sich  darin  vor 
allem  um  die  Frage:  welche  Aufgaben  hat  der  Geschichtsunterricht 
in  den  Mittelschulen  gegenüber  dem  Staate  zu  erfüllen,  inwiefern  soll 
der  Schüler  für  seine  künftige  Teilnahme  am  öffentlichen  Leben  vor- 


i)  Sie  sind  im  Bericht  über  die  Tagung  ab  Anhang  I  (S.  26 — 29)  im  Wortlaut  mitgeteilt. 


—     141     — 

gebildet  werden?  Fast  alle  Redner  wandten  sich  gegen  Martens,  in- 
sofern er  die  Erziehung  des  Schülers  zu  künftigen  Staatsbürgern  all- 
zusehr betone  und  damit  die  Gefahr  herauffuhre  den  Geschichtsunterricht 
in  den  Dienst  der  Politik  zu  stellen,  das  Verhältnis  von  Geschichts- 
unterricht und  Bürgerkunde  sowie  die  VerteUung  des  Lehrpensums  auf 
die  einzelnen  Klassen  in  verschiedenen  Staaten  wurde  berührt.  Die 
Mehrheit  der  Anwesenden  einigte  sich  auf  eine  von  Stieve  entworfene 
Resolution,  welche  die  Aufgabe  des  Geschichtsunterrichts  darin  erblickt, 
„diejenigen  geschichtlichen  Kenntnisse  zu  übermitteln,  welche  zur 
späteren  Teilnahme  am  öffentlichen  Leben  befähigen  und  die  Neigung 
zu  dieser  TeUnahme  entwickeln**.  —  Eine  Fortführung  dieser  Erörte- 
rungen bUdete  die  Leipziger  Besprechung  über  die  Stellung  der 
alten  Geschichte  im  gelehrten  Unterricht,  wofür  Gymnasial- 
direktor Jäger  (Köln),  Professor  H an nak  (Wien)  und  Rektor  Kämmel 
(Leipzig)  als  Berichterstatter  gewonnen  waren.  Es  kamen  also  drei 
selbst  im  Gymnasialunterricht  thätige  Herren  aus  drei  verschiedenen 
Staaten,  in  denen  verschiedene  gesetzliche  Bestimmungen  den  Unter- 
richt regeln,  zu  Worte,  die  wiederum  in  Thesen  ihre  Anschauungen 
kurz  niedergelegt  hatten.  Der  Schlufs  der  auiserordentlich  lebhaften 
Debatte  führte  hier  zu  dem  Ergebnis,  dafs  man  mit  überwiegender 
Mehrheit  der  Ansicht  Ausdruck  gab,  die  Beschränkung  des  griechischen 
und  lateinischen  Unterrichts,  wie  sie  der  preufisische  Lehrplan  von 
1892  eingeführt  habe,  schädige  den  Geschichtsunterricht. 

Die  Frage  nach  der  Gestaltung  des  Geschichtsunter- 
richts auf  der  Universität  hatte  schon  die  Münchener  Erörterung 
über  die  Einrichtung  historischer  Seminare  berührt.  WUhelm  Arndt  (f) 
hatte  die  Entwicklung  der  Seminare  kurz  skizziert  und  namentlich  über 
das  Leipziger  berichtet,  die  Diskussion  aber  führte  zu  lebhaften  Aus- 
einandersetzungen darüber,  ob  in  erster  Linie  Forscher  oder  Lehrer  zu 
erziehen  seien.  Dem  allgemeinen  Wunsche  entsprechend  wurde  die  Frage 
der  Lehrerausbildung  in  Frankfurt  wiederum  erörtert  und  zwar  durch  die 
zwei  Berichterstatter  von  Zwiedineck  (Graz)  und  Vogt  (Augsbuj^, 
jetzt  Nürnberg);  der  letztere  legte  seine  Anschauungen  in  zwei  Thesen 
(Bericht  S.  9)  nieder,  über  (üe  jedoch  nicht  abgestimmt  werden  solle.  Im 
Verlaufe  der  Debatte  wurde  wiederholt  auf  die  „Ratschläge  für  das 
Studium  der  mittleren  und  neueren  Geschichte  ",  die  für  die  Zwecke  der 
Universität  Leipzig  ausgearbeitet  sind  (gedruckt  als  Anhang  I,  S.  37 — 41), 
hingewiesen.  Einen  weiteren  Beitrag  zu  diesem  für  die  Historiker  wohl 
wichtigsten  Gegenstand  lieferten  die  Nürnberger  Ausführungen  Oskar 
Jägers  „Wie  sind  die  Vorbildung  tmd  die  Prüfung  der  Geschichts- 


—     142     — 

lehrer  an  den  Mittelschulen  zu  gestalten?'^  Zehn  Leitsätze  von  ihm 
stellen  fest,  welche  Anforderungen  er  an  die  Geschichtslehrer  stellt 
(S.  54  u.  55),  während  der  Korreferent  Vogt  in  Kritik  besonders  der 
bayerischen  Prüfungsordnung  die  Erteilung  des  Geschichtsunterrichts 
durch  Fachlehrer  in  Lostrennung  von  anderen  Lehrfächern  fordert. 
Die  eingehende  Besprechung  der  Referate,  die  namentlich  auf  Bayern 
wirken  sollen,  gipfelt  in  der  allgemeinen  Anerkennung  des  Satzes,  dafs 
nur  Leute,  die  eine  volle  Ausbildung  als  Historiker  erfahren  haben, 
zur  Erteilung  von  Geschichtsunterricht  befähigt  erscheinen,  während  die 
von  Jäger  befürwortete  engere  Verbindung  mit  der  klassischen  Philologie 
weniger  Zustimmung  findet. 

Als  zweite  für  die  Forscher  höchst  wichtige  Angelegenheit, 
die  ebenfalls  bereits  in  dem  ersten  Aufrufe  berührt  war,  mufste  die 
Benutzung  von  Archiven  und  Handschriftensammlungen 
gelten.  In  München  berichtete  darüber  K.  Th.  von  Heigel  (Seine  Thesen 
S.  30  des  Berichts)  unter  allgemeiner  Zustimmung  namentlich  auch 
der  Archivare.  Nachdem  in  einem  Antrage  von  Dobenecker  (Jena)  in 
Frankfurt  (S.  28)  auf  die  Wünsche  der  Historiker  gegenüber  den 
Archiwerwaltungen  aufmerksam  gemacht  worden  war,  wurde  in  Inns- 
bruck aufs  neue  darüber  beraten,  wo  Hans  Prutz  von  allgemeinen 
Gedanken  ausgehend  die  Wünsche  des  näheren  formulierte  (S.  18  u.  19) 
und  im  allgemeinen  den  Beifall  der  Fachgenossen  fand.  —  Nicht  aufscr 
Zusammenhang  hiermit  standen  die  weiteren  Besprechungen  über  die 
Grundsätze,  welche  bei  der  Herausgabe  von  Aktenstücken 
zur  neueren  Geschichte  zu  befolgen  sind,  worüber  in  Leipzig 
und  Frankfurt  Stieve  ausfuhrlich  berichtete.  Die  Frucht  dieser  Aus- 
einandersetzung sind  die  von  Stieve  formulierten  „Grundsätze"  (Frank- 
furter Bericht  S.  18  —  30),  welche  seither  bei  der  Veröflfentlichung 
von  Akten  schon  mannigfach  berücksichtigt  worden  sind. 

Ein  dritter  die  Interessen  gerade  dieser  Zeitschrift  nahe  be- 
rührender Gegenstand  kam  zuerst  in  Leipzig  auf  besondere  Anregung 
Lamprechts  zur  Verhandlung,  nämlich  Stand  und  Bedeutung  der 
landesgeschichtlichen  Studien  insbesondere  über  die 
Arbeitsgebiete  der  landesgeschichtlichen  Publikations« 
gesellschaften.  Es  wurden  zunächst  einige  der  Gesellschaften  be- 
züglich ihrer  Organisation,  namentlich  bezüglich  der  Beschaffung  von 
Mitteln,  näher  beschrieben,  so  die  „Historische  Landeskommission  für 
Steiermark"  von  v.  Zwiedineck  (Graz),  die  „Badische  historische 
Kommission"  von  v.  Weech  (Karlsruhe),  die  „Gesellschaft  für  rhemi- 
sche  Geschichtskunde"  von  Hansen  (Köln),  der  „Verein  für  Geschichte 


—     143     — 

und  Altertum  Schlesiens*'  von  Markgraf  (Breslau),  der  „Verein  für 
die  Geschichte  der  Provinzen  Ost-  und  Westpreufeen"  von  Pmtz 
(Königsbei^),  sowie  die  „Historische  Kommission  der  Provinz  Sachsen '* 
von  Jacobs  (Wernigerode).  Das  Endei^ebnis  der  überaus  anregenden 
Mitteilungen  war  der  Beschlufs,  im  Zusammenhang  mit  den  künftigen 
Historikertagen  Konferenzen  von  Vertretern  der  landes- 
geschichtlichen Publikationsinstitute  zur  Beratung  gemein- 
samer Angel^enheiten  einzuberufen.  Dies  ist  in  der  That  geschehen, 
imd  in  Frankfurt,  Innsbruck  und  Nümbeig  haben  drei  dieser  Kon- 
ferenzen stattgefunden,  deren  Ergebnisse  in  den  Berichten  aus  Inns- 
bruck (S.  55)  und  Nürnberg  (S.  57)  mitgeteilt  sind.  Für  die  landes- 
geschichtlichen Studien  wichtig  waren  femer  die  in  Leipzig  von 
Sieglin  gegebenen  Anregungen  zur  wissenschaftlichen  Unterstützung 
des  Spruner -Menkeschen  Historischen  Atlasses,  der  unterdessen,  wie 
die  historische  Geographie  überhaupt,  durch  die  systematische 
Herstellung  von  Grundkarten  wesentliche  Förderung  erfahren  hat, 
die  in  Innsbruck  gegebenen  Berichte  über  das  Institut  für  öster- 
reichische Geschichtsforschung  in  Wien  (Osw.  Redlich)  und  über  die 
Anlage  eines  historischen  Atlas  der  Alpenländer  (Prof.  Richter- 
Graz)  %  femer  die  Ausfühmngen  über  die  Entstehung  der  Landstände 
(Prof.  Luschin  v.  Ebengreuth  -  Graz)  ebenfalls  in  Innsbmck,  welche 
eine  Paralleldarstellung  dieser  Verhältnisse  in  verschiedenen  Territorien 
nahe  legten.  In  dieses  Kapitel  gehören  auch  die  Dinge,  welche 
von  He^el  in  Innsbmck  auf  die  Frage:  „Welche  geschichtliche  Auf- 
g'aben  verdienen  von  Akademien  gemeinsam  gefordert  zu  werden" 
{S.  46  —  55)  aufzählte;  sie  sämtlich  würden  der  landesgeschichtlichen 
Forschung  zugute  kommen,  sind  aber,  wie  das  historische  Ortslexikon 
für  Deutschland,  wegen  der  riesenhaften  Aufgabe  nur  unter  groiser 
einheitlicher  Leitung  und  mit  bedeutendem  Aufwand  an  Geldmitteln 
möglich,  so  dais  wohl  am  ersten  von  den  Akademieen,  die  bereits  für 
sprach-  imd  naturwissenschaftliche  Unternehmungen  Summen  zur  Ver- 
fügung gestellt  haben,  ein  Eingreifen  zu  erhoffen  ist.  Ganz  besondere 
Aufmerksamkeit  widmete  Heigel  einer  eventuell  gemeinsamen  Arbeit 
•der  deutschen  Akademieen  im  Vatikanischen  Archiv,  um  dieses 
s3nBtematisch  auszubeuten,  während  jetzt  eine  grolse  Zahl  von  Gelehrten 
daselbst  thätig  sind,  von  denen  jeder  für  sich  und  seinen  Auftraggeber 
arbeitet,  wobei  natürlich   viel  Zeit  und  Geld  verschwendet  wird.    Auf 


1)  über   die   seitdem   wesentlich   fortgeschrittenen  Arbeiten   an   diesem  Werke    hat 
«lerselbe  in  dieser  Zeitschrift,  Heft  i.  S.  28,  berichtet 


—     144     — 

diesen  letzten  Punkt  kam  dann  in  Nümbeig  Hansen  (Köln)  zu  sprechen, 
dessen  Korreferent  v.  Weech  (Karlsruhe)  sogar  mit  bestimmten  Vor- 
schlägen über  die  Art  der  Arbeit  hervortrat,  aber  leider  ist  es  in  dieser 
für  die  Forschung  so  wichtigen  Angelegenheit  noch  zu  keiner  end- 
giltigen  Vereinbarung  unter  den  beteiligten  Instituten  gekommen.  In 
ähnlicher  Weise  ist  einem  Antrage  von  Kalte nbrunn er  (Innsbruck), 
den  dieser  in  Frankfurt  stellte,  nicht  nur  nicht  entsprochen  worden, 
sondern  die  darin  gegebene  Anregung  scheint  sogar  wieder  verflogen 
zu  sein:  es  handelte  sich  dabei  um  die  Frage,  wie  die  älteren 
Zeitungen  der  Forschung  zugänglich  gemacht  werden  könnten,  und 
es  wurde  angeregt  die  Herausgabe  eines  Katalogs  zu  veranlassen, 
welcher  die  Fundorte  ganzer  Serien  der  periodischen  Presse  erkennen 
lä&t,  und  zu  diesem  Zwecke  bei  den  Bibliotheken  anzufragen,  von 
welchen  älteren  2^itungen  und  2^itschriften  sie  Exemplare  besitzen 
(S.  29).  Ohne  einen  praktischen  Erfolg  ist  bisher  auch  die  auf  Grund 
eines  Referates  von  Stein  hausen  (Jena)  in  Nümbeig  gefafste  Entschliels- 
ung  geblieben,  welche  eine  unter  dem  Namen  Denkmäler  deutscher 
Kulturgeschichte  vorzunehmende  umfassende  Publikation  der  wich- 
tigsten Quellen  der  deutschen  Kulturgeschichte  für  ein  wirkliches 
Bedürfnis  erklärt  und  die  in  dieser  Richtung  bereits  eingeleiteten 
Schritte  mit  gröfster  Sympathie  begrüfet. 

Auch  wissenschaftliche  Fragen,  die  eine  gewisse  Aktualität  erhalten 
hatten,  sind  auf  den  Historikertagen  zur  Verhandlung  gekommen:  in 
Innsbruck  wurde  auf  Grund  eines  Vortrags  von  v.  Scala  (Innsbruck) 
über  Individualismus  und  Sozialismus  in  der  Geschichtsschreibung^ 
(S.  38 — ^46)  diese  methodologische  und  geschieh tsphilosophische  Frage 
lebhaft  erörtert,  und  die  Ausfuhrungen  der  Vertreter  verschiedener 
Richtung,  die  dort  gegeben  wurden,  sind  schon  deshalb  so  wichtig, 
weil  sie  in  unmittelbarer  Aussprache  auf  einander  gefolgt  sind  und 
jeder  Redner  das  darin  niedergelegt  haben  wird,  was  ihm  infolge  eignen 
Nachdenkens  als  das  wichtigste  dabei  erschienen  ist.  Ganz  ähnlicher 
Art  waren  die  Aussprachen  über  die  Entstehung  der  Grundherrschaft 
in  Deutschland,  worüber  Gothein  (Bonn)  zehn  Thesen  angestellt 
hatte  (S.  55 — 56)  und  worüber  Kötzschke  (Leipzig)  in  Vertretung^ 
Gotheins  näher  referierte.  Hierbei  handelte  es  sich  im  Grunde  um 
eine  Ablehnung  der  von  I£ldebrand  und  Wittich  vertretenen  Ideen, 
welche  die  Grundherrschaft  als  al^ermanische  Einrichtung  zu  erweisen 
suchen. 

Seit  Leipzig  sind  die  Verhandlungen  auch  durch  Vorträge  (ohne 
Diskussion)  eigänzt  worden,  welche  sämtlich  von  den  Rednern  ander- 


—     146    — 

weitig  veröffentlicht  worden  sind  und  Forschungsergebnisse  bündig  zu- 
sammenfassen. Diese  Vorträge  sind  wiederum  zu  trennen  in  allgemeine 
und  örtliche,  mit  Bezug  auf  den  Versammlungsort  gewählte.  Zu  den 
ersteren  gehören  die  Vorträge  von  Schmoller  Über  den  deutschen 
Beamtenstaat  vom  i6.  bis  i8.  Jahrhundert  (Leipzig),  Eduard 
Meyer  über  Die  wirtschaftliche  Entwicklung  des  Altertums  (Frank- 
furt), Knapp  über  Die  Grundherrschaft  im  Nordwesten  Deutsch^ 
lands  (Innsbruck),  Georg  Kaufmann  über  Die  Lehrfreiheit  an  den 
deutschen  Universitäten  im  ig. Jahrhundert  (Nürnberg),  Lamprecht 
über  Die  Entwicklung  der  deutschen  Geschichtsschreibung  vor^ 
nehmlich  seit  Herder  {Hümheig),  zu  den  letzteren  der  von  Seidlitz 
über  Die  spätgotische  Kunst  im  Königreich  Sachsen  (Leipzig),  von 
Bücher  Über  den  Haushalt  der  Stadt  Frankfurt  im  Mittelalter 
(Frankfurt),  von  Hirn  Über  Innsbrucks  historischen  Boden  (Innsbruck) 
und  der  von  Mummenhoff  über  Die  Geschichte  Nürnbergs 
(Nürnberg). 

Alles  in  allem  ist  es  eine  ganz  erstaunliche  Arbeit,  welche  in  fünf 
Versammlungen  zu  je  drei  Tagen,  also  in  zusammen  fünfzehn  Tagen 
geleistet  worden  ist,  zumal  wenn  man  bedenkt,  wie  zahlreiche  gesellige 
Zusammenkünfte  nebst  Ausflügen  und  Festmählern  Abwechslung  in 
die  Verhandlungen  gebracht  haben.  Es  ist  aber  auch  ganz  unzweifel- 
haft, dafs  die  Erörterungen  imd  Mitteilungen  auf  recht  viele  Zuhörer 
von  nachhaltigem  Einfluls  gewesen  sind  und  sie  in  ihren  eigenen  Ar- 
beiten gefördert  haben.  Dies  ist  ja  neben  persönlicher  Berührung  der 
Hauptzweck  aller  solcher  Versammlungen  von  Fachgenossen,  und  wir 
können  deshalb  nur  wünschen,  dals  auch  die  künftigen  Historikertage 
gleich  ihren  Vorgängern  in  diesem  Sinne  anregend  und  ermunternd 
wirken! 

Studien  zur  Gesehiehte  der  deutseh^romani^N^ 

sehen  Spraehgrenze 

Von 
Hans  Witte  (Schwerin) 

Im  Jahre  1888  hat  H.  Suchier  in  seinem  Auüsatze:  Die  fran- 
zösische und  provemalische  Sprache  und  ihre  Mundarten  auch 
die  Sprachgrenze  in  Gegenwart  und  Vergangenheit  *)  behandelt.   Den 


i)  In  Groben  Gmndiiff  der  roman.  Phil.  I,  561 — 571. 


—     146     — 

kurzen  ^)  Abschnitt  über  die  Sprachgrenze  der  Vergangenheit  b^rinnt 
er  mit  folgenden  Worten :  „Die  so  beschriebene  Sprachgrenze  gilt  für 
die  Gegenwart,  ist  aber  im  Laufe  der  Jahrhunderte  keineswegs  immer 
konstant  geblieben;  doch  harrt  die  Geschichte  der  Sprachgrenze  un- 
geachtet der  Wichtigkeit  des  Problems  noch  einer  genaueren  und  zu- 
sammenhängenderen Behandlung,  daher  wir  uns  hier  mit  einigen  An- 
deutungen begnügen  müssen/' 

Wenn  ich  jetzt,  zwölf  Jahre  seit  obiger  Äulserung,  in  der  Lage 
bin,  für  die  einstmalige  Gestaltung  der  deutsch -romanischen  Sprach- 
grenze nahezu  in  ihrem  gesamten  Verlaufe  auf  gesicherte  Eigebnisse 
quellenmäfsiger  Forschungen  hinzuweisen,  so  kann  wohl  nichts  den 
Fortschritt  auf  einem  vor  kurzem  noch  fast  imbekannten  wissenschaft- 
lichen Arbeitsgebiete  in  treffenderer  Weise  kennzeichnen  als  diese 
Gegenüberstellung.  Aus  ihr  ergiebt  sich,  dafs  die  Kenntnis,  die  wir 
heute  von  dem  ehemaligen  Verlauf  der  deutsch-romanischen  Sprach- 
grenze haben,  im  groCsen  und  ganzen  erst  nach  1888  begründet  wor- 
den ist. 

Eine  Ausnahme  von  diesem  allgemeinen  Satze  kann  nur  hinsicht- 
lich gewisser  Striche  des  östlichsten  Teiles  der  deutsch-romanischen 
Abgrenzung,  vom  Monte  Rosa  an,  eingeräumt  werden.  Diese  Strecke 
fiel  nicht  in  den  Bereich  der  Suchierschen  Arbeit,  die  sich  auf  die 
deutsch -französische  Sprachgrenze  beschränkte. 

Insbesondere  hat  sich  in  Tirol  schon  früh  die  Aufmerksamkeit 
auf  die  schier  endlosen  Nationalitätskämpfe  gerichtet.  Seitdem  der 
Dominikaner  Felix  Faber  von  Ulm  in  seinem  viel  benutzten  Reise- 
bericht*) aus  dem  Jahre  1483  uns  neben  manchem  anderen  geschil- 
dert hat,  wie  in  jener  Zeit  Trient,  heute  Hauptstadt  von  Welsch-Tirol 
und  Hochburg  der  Italianissimi ,  eine  halb  deutsche  Stadt  gewesen 
sei,  hat  der  Flufs  der  Nachrichten  über  die  besonders  interessanten 
Nationalitätsverhältnisse  dieses  Landes  niemals  gänzlich  gestockt. 

Die  gesamte  Litteratur  über  die  Nationalitätsverhältnisse  Tirols  ist 
zusammengestellt  und  unter  Heranziehung  neuer  archivalischer  Materialien 
bearbeitet  von  Bidermann'),  der  uns  ein  anschauliches  Bild  ge- 
zeichnet hat  von  dem  unablässigen  Vordringen  italienischer  Elemente 
das  Etschthal  hinauf  über  Bozen,  Meran,  Brixen,  ja  im  XVI.  Jahrhundert 


1)  Ehendorty  S.  567—569. 

2)  Bibliothek  des  litterarischen  Vereins  in  Stuttgart  1843,  Band  11 — IV. 

3)  H.  J.  Bidermann,  Die  Nationalitäten  in  Tirol  und  die  wechselnden  Schick- 
sale ihrer  Verbreitung.  In  den  Forschungen  zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde,  Bd.  I, 
Heft  7,  Stuttgart  1886. 


—     147     — 

bis  nach  Innsbruck.  Nördlich  Neumarkt  und  Kurtinig  ist  diese  roma- 
nische Überflutung  zwar  bis  jetzt  noch  durch  die  starke  Assimilations- 
kraft des  Tiroler  Deutschtums  unschädUch  gemacht;  aber  weiter  süd- 
lich hat  das  Deutschtum  doch  im  Laufe  der  Jahrhunderte  schwere 
Verluste  erlitten.  Zahlreiche  Spuren  seines  ehemaligen  Vorhanden- 
seins weist  Bidermann  sowohl  in  den  östlichen  Seitenthälem  wie  im 
imtercn  Etschthal  über  Trient  hinaus  bis  nach  Ala  hinab  nach. 
Patigler  *)  konnte  auf  Grund  neuer  Archivalien  diese  Nachweise  noch 
verstärken  und  vermehren,  insbesondere  auch  für  den  Nonsberg  eine 
ehemals  (bis  ins  XVI.  Jahrhundert)  gröfsere  Verbreitung  der  deutschen 
Sprache  nachweisen. 

Eine  genauere  Scheidung  dessen,  was  in  Welsch-Tirol  einst  deutsch 
war,  von  dem,  was  seine  romanische  Nationalität  auch  nach  den 
Stürmen  der  Völkerwanderung  bewahrt  hat,  steht  noch  aus. 

Auf  der  anderen  Seite  bedarf  auch  die  Frage,  welche  Teile 
Deutsch -Tirols  ihre  ursprüngliche  Nationalität  noch  jahrhundertelang 
nach  der  Völkerwanderung  aufrecht  zu  erhalten  vermochten,  einer  zu- 
sammenfassenden Bearbeitung.  Bidermann  hat  diese  Frage  nur  ge- 
streift, indem  er  bei  einzelnen  Gemeinden  des  Vintschgaues  bis  in  die 
Nähe  von  Meran  eine  Dauer  der  rhätischen  Sprache  bis  in  die  neueste 
Zeit  hinein  feststellt.  Die  sogar  im  Norden  des  Landes  an  einzelnen 
Orten  in  auffallender  Menge  vorkommenden  romanischen  Flurnamen 
sind  für  ihn  kein  Beweis  neuerer  romanischer  Einwandertmg ;  aber  ob 
sie  nicht  für  längere  Dauer  des  Romanentums  sprechen  und  somit 
dazu  benutzt  werden  können,  das  Gebiet  späterer  Ausdehnung  des 
Deutschtums  über  die  durch  die  Bayemeinwanderung  besiedelten 
Landesteile  hinaus  und  damit  die  älteste  Bayemsiedelung  selber  ge- 
nauer festzustellen,   die  Frage  wird  von  Bidermann  nicht  gestellt. 

Die  Nationalitätsfrage  des  Vintschgaues  ist  neuerdings  zusammen- 
fassend von  Tille')  behandelt  worden  mit  dem  Ei^ebnis,  dafs  hier 
erst  im  XVIII.  Jahrhundert  das  Romanentum  völlig  dem  Deutschtum 
unterlegen  ist.  Entsprechende  Eigebnisse,  wenn  auch  nicht  mit  so 
langer  Dauer  des  Romanentums,  würden  sich  auch  (lir  andere  jetzt 
deutsch  redende  Gebirgsthäler  erreichen  lassen.  Die  in  Tirol  seit  lange 
in  Blüte  stehende  Ortsnamenforschung  hat  dieser  Aufgabe  rüstig  vor- 


1)  J.  Patigler,  Die  deaUchen  Sprachinseln  in  Welsch-Tirol  einst  und  jetzt.    Progr. 
Bndweis  1886. 

2)  Armin  Tille,  Die  bänerliche  Wirtschaf tsverfassung  des  Vintschgaues  vornehmlich 
in  der  zweiten  Hälfte  des  Mittelalters.     Innsbruck  1895,  S.  16 — 32. 


—     148     — 

gearbeitet  durch  die  Untersuchungen  Steubs  *),  Unterforchers  *)  und 
Tarne  Hers').  Egger*)  ist  auf  Grund  einer  eingehenden  Betrach- 
tung der  eigentümlichen  Teiibezeichnungen  der  Tiroler  Gemeinden, 
wie  z.  B.  Malgrei,  Oblei,  Regula  (Rigel),  Decania  (Zechend)  etc.,  zu 
dem  Schlüsse  gelangt,  dais  die  Bayernwanderung,  der  Zahl  nach  un- 
bedeutend, dichtere  Siedelungen  wohl  nur  „im  unteren  Innthale  östlich 
vom  Ziller,  in  der  Gegend  zwischen  Zirl  und  Telfs,  im  Rienzthale  bei 
Bruneck,  vielleicht  auch  im  unteren  Lechthale  und  in  Zwischenthoren** 
schuf. 

Das  Bild  der  deutschen  Besiedelung  Tirols  zeigt  in  allgemeinen 
Umrissen  etwa  folgende  Züge:  die  ältesten  aus  der  Völkerwanderung 
hervorgegangenen  germanischen  Siedelungen  beschränken  sich  auf  den 
Süden  des  Landes.  Die  hier  niedergeschlagenen  versprengten  Reste 
der  Goten  imd  Langobarden  wurden  durch  die  im  VIII.  und  IX.  Jahr- 
hundert von  Norden  her  einwandernden  Bayern  verstärkt;  durch  letztere 
wurden  vor  allem  auch  Teile  des  bis  dahin  ausschliefelich  roma- 
nischen Nordens  besiedelt.  Alles  Übrige  blieb  zunächst  noch  roma- 
nisch; und  während  die  romanischen  Thäler  des  Nordens  bis  zum 
Vintschgau  einschliefelich  im  Laufe  der  Jahrhunderte  germanisiert 
wurden,  verlor  das  Deutschtum  des  Südens  allmählich  Boden  an  das 
dort  niemals  völlig  verdrängte  Romanentum. 

Bei  der  auiserordentlichen  Rührigkeit  der  Tiroler  Provinzial- 
forschung  darf  man  wohl  hoffen,  dafs  es  durch  eine  sachgemäße  Ge- 
staltung der  Untersuchungen  über  Orts-  und  besonders  Flurnamen  ge- 
lingen wird,  die  einzelnen  Züge  des  eben  gezeichneten  BUdes  wenigstens 
einigermafsen  nach  Ort  und  Zeit  genauer  festzulegen. 

Von  den  zerstreuten  deutschen  Sprachinseln  Südtirols  greift  die 
unter  dem  Namen  der  „VII  Communi"  bekannte  weit  ins  Gebiet 
Venetiens  hinüber,  wo  sie   in   ihrer  ehemaligen  Ausdehnung  bis  an 


i)  Lndwig  Steab,  Über  die  Ureinwohner  Rhätiens  nnd  ihren  Zusammenhang  mit 
den  Etmskera.  München  1843.  Zur  rhäüschen  Ethnologie.  Stuttgart  1854.  Herbst- 
tage in  TiroL     München  1867  n.  a.  m. 

2)  Ang.  Unterforcher,  Rhätoromanische  Ortsnamen  ans  Pflanzennamen  (Ferdi- 
nandenm  Heft  36  [1892],  S.  373  ff).  —  Die  Namen  des  Kalserthales  (Ferdinandeam 
Heft  43  [»899].  S.  19—68). 

3)  Josef  Tarneller,  Die  Hofnamen  des  Bnrggrafenamtes  in  Tirol.  Progr.  des 
Gymn.  zxk  Meran  1892 — 95. 

4)  Josef  Egger,  Die  alten  Benennmigen  der  Dörfer,  Gemeinden  und  ihrer  Unter«^ 
abteilangen  sowie  die  gleichlautenden  Namen  von  Gerichttbezirken  and  Gerichtitetlen  in 
Tirol  (Ferdinandeam  Heft  41  [1897],  S.  216—277). 


—     149     — 

muni'S  von  denen  heute  nur  noch  la  Giazza  und  Campo  Fontana  deutsch 
reden,  erstreckte  sich  von  der  äufsersten  Südgrenze  Welsch-Tlrols 
bis  in  die  Nähe  von  Verona.  Schneller^)  hat  den  Nachweis  ge- 
führt, da(s  die  einstmalige  Verbreitung  der  deutschen  Sprache  in 
Venetien  keineswegs  auf  die  hiermit  angedeutete  ehemalige  Ausdeh- 
nung dieser  beiden  Sprachinsehi  beschränkt  war.  Aus  dem  Umstände, 
dals  die  Mutterkirchen  dieser  Berggemeinden  sämtlich  in  der  südlich 
angrenzenden  venetianischen  Ebene  liegen,  folgert  er  im  Verein  mit 
anderen  Momenten,  dals  auch  südlichere  Gegenden  einst  deutscher 
Sprache  waren.  So  ergiebt  sich  ihm  ein  ehemaliges  Deutschtum  des 
ganzen  die  beiden  Sprachinseln  heute  trennenden  Gebietes  mit  dem 
Hauptort  Schio.  Noch  südlich  von  Vicenza  imd  nahe  bei  Padua 
werden  in  Orten  wie  Fimon,  Pianezze,  Barbano  u.  a.  bis  ins  XV.  Jahr- 
hundert hinein  deutsche  Pfarrer  gehalten ;  bei  Fimon  kommen  deutsche 
Flurnamen  vor.  Vicenza  selber  wird  bei  alten  Dichtem  und  Schrift- 
stellern vielfach  „Cimbria**  genannt  und  noch  für  das  XTV.  Jahrhundert 
ist  das  Vorhandensein  der  deutschen  Sprache  dort  bezeugt.  Sogar  in 
Treviso  scheint  es  nach  einer  Urkunde  des  Jahres  1341  einheimische 
Deutsche  gegeben  zu  haben. 

Hiermit  bringt  Schneller  einen  Brief  des  italienischen  Gelehrten 
Antonio  Loschi,  nach  dem  das  „cimbrische''  Gebiet  als  von  der  Etsch 
bis  zur  Adria  gehend  bezeichnet  wird,  und  die  Nachricht  Procops  *)  in 
Zusammenhang,  nach  welcher  der  „ager  Venetus"  schon  zur  Goten- 
zeit von  Germanen  bewohnt  war  und  Narses  dort  zahlreiche  Franken 
vorfand.  Damit  scheint  ihm  das  einstmalige  Vorhandensein  eines  weiten 
deutschen  Sprachgebietes  zwischen  Etsch  und  Adria,  dessen  Ur- 
sprünge bis  in  die  Gotenzeit  zurückreichen,  erwiesen. 

Mag  nun  auch  diese  Schlulsfolgerung  übereilt  sein  und  die  Wirk- 
lichkeit erheblich  hinter  sich  lassen,  so  sind  ohne  Frage  die  deutlichen 
Anzeichen  einstmaliger  deutscher  Bevölkertmg,  wie  sie  sich  in  manchen 
Ortschaften  tief  in  Italien  bis  zum  Ausgang  des  Mittelalters  feststellen 
lassen,  von  solcher  Wichtigkeit,  dals  eine  strenge  Prüfung  unter  Bei- 
bringung neuer  archivalischer  Materialien  unerläßlich  erscheint.  Bei 
dem  Vorkommen  der  Anzeichen  bis  zum  Ende  des  Mittelalters  darf 
man  wohl  hoffen,  dafs  eine  eingehende  tmd  sachgemäße  Ausbeute  der 


1)  Christian   Schneller,    Dentsche   und   Romanen   in   Südürol   und   Venetien 
(Petermanns  Mitteflangen  Bd.  XXm  [1877],  S.  365—385  mit  Karte). 

2)  Procopitts  (Corpus   scriptor.   hist.  Bysant.  Pars  II,   Bonn  1833 — 38)  II,  80  a. 
417;  m,  108. 


—     150     — 

Archive  hinreichende  Materialien  zu  Tage  fördern  wird,  aus  denen 
die  Thore  von  Bassano  reichte.  Die  Schwesterinsel  der  „XIII  G>m* 
sich  nachstehende  Fragen  mit  einiger  Sicherheit  beantworten  lassen 
würden:  i)  Innerhalb  welcher  Grenzen  ist  einstmalige  deutsche  Be* 
völkerung  in  Venetien  nachweisbar?  2)  Hat  es  eine  21eit  gegeben,  zu 
der  das  abgegrenzte  Gebiet  eine  ausschlielslich  oder  doch  überwiegend 
deutsche  Bevölkerung  hatte?  2a)  Bejahenden  Falles:  Wann  setzte  die 
Romanisierung  ein,  welches  sind  die  Hauptetappen  ihres  Fortschreitens 
nach  Ort,  Zeit  und  Ursachen,  welches  die  21eit  ihrer  Vollendung? 
2b)  Verneinenden  Falles:  Welche  Orte  innerhalb  des  abgegrenzten 
Gebietes  sind  immer  romanisch  gewesen  und  wie  vexhielten  sie  sich 
zu  den  deutschen  Siedelungsgruppen  ?  Gang  der  Romanisierung  von 
ihnen  und  von  der  Peripherie  aus  nach  den  unter  2a  gegebenen  Ge* 
Sichtspunkten.  3)  Kann  die  Entstehung  der  deutschen  Siedelungen 
Venetiens  nach  den  Quellen  bis  in  die  Grotenzeit  zurückverlegt  werden? 
4)  Haben  spätere  deutsche  Nachschübe  stattgefunden? 

Die  Nationalitätsverhältnisse  der  östlichen  Kantone  der  Schweiz 
stimmen  mit  denjenigen  West -Tirols  überein.  Es  ist  bekannt,  da& 
in  der  Gegend  des  Bodensees  und  St.  Gallens  die  romanische  Sprache 
bis  zum  X.  Jahrhundert  fortlebte  ^),  wie  auch  in  Vorarlberg  noch  im 
DC.  Jahrhundert  romanisch  geredet  wurde  ').  Nach  den  Privaturkunden 
des  Klosters  Pfavers,  die  seit  Mitte  des  XIII.  Jahrhunderts  zahlreicher 
werden,  scheint  die  hörige  Bevölkerung  dieser  Gegend  noch  romani- 
scher Nationalität  gewesen  zu  sein  ').  In  Teilen  des  Kantons  St.  Gallen 
giebt  es  bis  49  Prozent  und  darüber  an  romanischen  Ortsnamen  *). 
Wann  in  diesen  Gegenden  die  romanische  Sprache  erlosch,  wie  sie 
vor  dem  jetzt  noch  in  Graubünden  rüstig  vordringenden  Deutschtum 
Schritt  für  Schritt  zurückweichen  mufete,  ist  zusammenfassend  und  er- 
schöpfend noch  nicht  behandelt  worden. 

In  dem  durch  die  Kantone  Tessin  und  Wallis  gebUdeten  Winkel 
und  südlich  vom  Monte  Rosa  überschreitet  das  Deutschtum  abermals 
die  Grenze  Italiens.  Die  wenigen,  zum  TeU  bereits  romanisierten  ehe- 
mals deutschen  Gemeinden,  als  deren  vorgeschobenster  Ausläufer  das 


i)  Adolf  Holtzmanii,  Kelten  and  Germanen.     Stattgart  1855. 
a)  Groben  „Gnindrif8<<  I,  423. 

3)  Herrn.  Wartmaan,   Das  Kloster   Pfävers  (Neajahrsblatt   des   St  GaUer  histor. 
Vereins  1883). 

4)  Wilh«    Götzinger,   Die    romanischen    Ortsnamen    de»    Kantons    St.   Gallen. 
St  Gallen  1891. 


—     161     — 

westlich  des  Lago  Maggiore  gel^ene  Ornavasco  hier  genannt  sein 
mag,  sind  spätmittelalterliche  Gründungen  Walliser  Herkunft  ^). 

Im  Kanton  Wallis  selber  zeigen  gegenwärtig  die  dem  französi- 
schen Sprachgebiet  angehörigen  Orte  Sitten  (Sion)  und  Bremis  (Bramois) 
starke  deutsche  Minderheiten.  Beide  Orte  haben  nach  Zemmrich') 
einst  eine  deutsche  Sprachinsel  gebildet  Ob  diese  deutschen  Minder- 
heiten nicht  auch  hier,  wie  an  so  vielen  anderen  Orten  der  französi- 
schen Schweiz,  vielmehr  auf  neuerer  Zuwanderung  beruhen,  darüber 
vermag  ich  kein  Urteil  abzugeben. 

Für  den  weiteren  Verlauf  der  ehemaligen  Sprachgrenze  in  den 
sich  nördlich  anschUeisenden  Tdlen  der  Schweiz  sind  wir  vor  allem 
auf  die  Untersuchungen  Zimmeriis')  angewiesen.  Wenn  in  ihnen 
auch  die  Erforschung  der  g^enwärtigen  Sprachgrenze  im  Vorder- 
gründe steht,  so  sind  doch  besonders  im  zweiten  Teile  bei  vielen 
Orten  sehr  eingehende  Mitteilungen  über  die  früheren  Sprachverhältnisse 
gemacht  Auf  diese  mit  Sicherheit  eine  Feststellung  der  ältesten 
Sprachgrenze  der  Westschweiz  zu  begründen,  dürfte  indessen  schon 
wegen  der  nur  zum  Teil  durchgeführten  historischen  Behandlung  der 
Ortschaften  seine  Schwierigkeiten  haben.  Indessen  ergiebt  sich  so  viel 
mit  Sicherheit,  dals  groüse  Veränderungen  der  Sprachgrenze  in  der 
Westschweiz  nicht  stattgefunden  haben.  Von  einigen  rückläufigen  Be- 
wqrungen  abgesehen,  ist  hier  die    deutsche   Sprache   langsam   vor- 


1)  Albert  Schott,  Die  Dentadien  am  Monte  Rosa  mit  ihren  Stammgenossen  im 
Wallis  und  Üchtland.  Zürich  1840.  Derselbe,  Die  deutschen  Kolonieen  in  Piemont,  ihr 
Land,  ihre  Mondart  und  Herkunft  Stuttgart  und  Tübingen  1842.  —  Harry  Bresslau, 
Die  Deutschen  am  Monte  Rosa  (Sitzungsberichte  der  bist  Gesellschaft.  Berlin  1881). 
Derselbe,  Zur  Gesch.  der  deutschen  Gemeinden  am  Monte  Rosa  und  im  Ossolathale 
(2Seit8cfar.  d.  Gesellscb.  f.  Erdkunde.  Berlin  1881).  —  Ludwig  Nenmann,  Die  deutsche 
Sprachgrenze  in  den  Alpen.  Heidelberg  1885.  Derselbe,  Die  deutschen  Gemeinden 
in  Piemont.     Freibnrg  1891. 

2)  J.  Zemmrich,  Verbreitung  und  Bewegung  der  Deutschen  in  der  französ.  Schweiz 
(Forschungen  zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde  VIII,  Heft  5,  S.  35  n.  38).  — 
Hoppeler,  Die  deutsch-romanische  Sprachgrenze  im  XUT.  u.  XIV.  Jahrh.  (Blätter  ans  der 
Walliser  Gesch.,  Jahrg.  5,  1895)  konnte  ich  leider  weder  von  der  Schweriner  Regierungs- 
bibliothek  noch  von  der  Strafsburger  Universitäts-  und  Landesbibliothek,  für  deren  Ent- 
gegenkommen ich  hiermit  meinen  verbindlichsten  Dank  ausspreche,  erhalten. 

3)J.  Zimmerli,  Die  deatsch-französische  Sprachgrenze  in  der  Schweiz  L  Die  Sprach- 
grense  im  Scliweizeriadien  Jura.  Dannstadt  1891.  II.  Die  Sprachgrenze  im  Mittellande, 
in  den  Freibarger,  Waadtländer  und  Bemer  Alpen.  Basel  and  Genf  1895.  VgL  dazu: 
Wilb.  Streitberg,  Zur  Gesch.  d.  Deutschtums  in  der  Westscbweiz  (AOg.  Zeitg.,  Bei- 
Mge  1893,  ^r-  7>  «•  7>)-  —  Alb.  Bttchi,  Die  Ust.  Sprachgrenze  im  Kanton  Freibnrg 
(Freibwger  GesdiichUblktter  m,  1896,  S.  33^53). 


—     154     — 

sich  niemand  wundem,  dafs  er  bei  der  Ausbeutung  der  zahlreichen 
zu  benutzenden  Archive  im  allgemeinen  nur  die  mehr  an  der  Ober- 
fläche liegenden  Materialien  wie  Zinsregister,  Grundbücher  heranzog 
und  in  Ortschaften,  wo  diese  Materialien  versagten,  sich  mit  modernen 
Katastern  begnügte.  Für  eine  ganze  Reihe  von  Ortschaften  längs  der 
Sprachgrenze  hat  Kurth  daher  kein  historisches  Namenmaterial  zu  Ge- 
bote gestanden. 

Was  er  als  einzelner  bei  der  grofsen  Ausdehnung  seines  Arbeits- 
gebietes nicht  zu  leisten  vermochte,  wird  von  der  Provinzial-  imd 
Lokalforschung  nachgeholt  werden  müssen:  eine  systematische  Ver- 
arbeitimg des  gesamten  Schatzes  der  Privaturkunden  hinsichtlich  der 
in  ihnen  enthaltenen  Flur-  und  Familiennamen  des  ganzen  belgisch- 
französischen Grenzgebietes.  Wenn  dadurch  auch  der  Rückgang  des 
Deutschtums  in  Belgien,  dessen  Breite  nach  Kurth  nur  selten  die  Aus- 
dehnung einer  Gemeinde  überschreitet,  vielleicht  nicht  wesentlich 
gröfeer  erscheinen  würde,  so  wäre  doch  mit  Bestimmtheit  ein  sicheres 
Ergebnis  hinsichtlich  derjenigen  Ortschaften  zu  hoffen,  deren  frühere 
Nationalität  Kurth  nicht  zu  bestimmen  vermag. 

Den  geringen  Verlusten  des  Deutschtums  in  Belgien  steht  ein 
außerordentlich  grofser  Rückgang  unserer  Sprache  in  Nordfrankreich 
gegenüber.  Wenn  bei  sonst  gleichen  Verhältnissen  die  Nationalitäts- 
entwicklung so  verschiedene  Bahnen  einschlug,  so  ist  darin  wohl  vor 
allen  Dingen  die  Wirkimg  der  Fremdherrschaft  zu  erkennen. 

In  Übereinstimmung  mit  anderen  Forschern,  vor  allem  mit 
J.  Winkler*),  kommt  Kurth  zu  dem  Ergebnis,  dafe  in  dem  ganzen 
durch  die  Städte  Dünkirchen,  St.  Omer  und  Boulogne-sur-Mer  gebU- 
deten  Dreieck  die  Volkssprache  bis  tief  in  die  Neuzeit  hinein  die  deutsche 
gewesen  ist.  Indem  aber  Kurth  als  deutsch-französische  Sprachgrenze 
in  dem  jetzt  rein  französischen  Teile  Nordfrankreichs  für  das  XIII.  Jahr- 
hundert eine  Linie  von  St.  Omer  nach  Boulogne  annimmt,  sieht  er  sich 
selber  genötigt,  auf  die  grofse  Zahl  südlich  dieser  Linie  vor- 
handener deutscher  Ortsnamen  aufmerksam  zu  machen:  sie  ziehen 
sich  von  Aire  die  Lys  aufwärts  bis  Lisbourg  und  in  einer  zweiten 
Gruppe  von  Fauquembergue  über  Coyecque,  Audinctun,  Reclinghem, 
Danebroeuk,  Radinghem,  Matringhem,  Wiquinghem,  Verlingtun,  Ha- 
linghem,  Widehem,  Tubersen  nach  der  Küste  hin,  die  sie  südlich 
Etaple  (halbwegs  zwischen  Boulogne  und  Abbeville)  mit  Berg-sur-Mer 


I)  VgL   über   seine   Werke   die  Aufsätze  Andre  es    and   Seelmanns   im   Globus, 
Bd.  LXV  (1894),  S.  330  u.  LXIX  (1896),  S.  329—332. 


—     165     — 

erreichen  ').  Ohne  die  Meinung  zu  teilen,  dafe  das  deutsche  Sprach- 
gebiet sich  ehemals  bis  über  die  Gegend  von  Arras,  Th^rouanne  und 
Bapaume  ausgebreitet  habe,  kann  man  doch  angesichts  so  zahlreicher 
weit  nach  Süden  vorgeschobener  deutscher  Ortsnamen  sich  kaum  der 
Meinung  verschliefeen,  dafs  es  einst  eine  gröfeere  Ausdehnung  gehabt 
haben  müsse  als  die  durch  das  Dreieck  Dünkirchen,  St.  Omer  und  Bou- 
logne  bestimmte.  Hier  bleibt  derProvinzialforschung  noch  die  interessante 
Aufgabe  zu  lösen,  welche  von  den  genannten  vorgeschobenen  deutsch- 
namigen  Orten  einst  dem  geschlossenen  deutschen  Sprachgebiete  an- 
gehörten, welche  dessen  früheste  Grenze  bildeten  und  welche  von 
ihnen  stets  nur  ein  insulares  Dasein  inmitten  romanischer  Nachbarn 
geführt  haben.  Hinsichtlich  aller  wird  der  Zeitpunkt  des  Erlöschens 
der  deutschen  Sprache,  soweit  mögUch,  festzustellen  sein. 

Es  darf  nicht  unerwähnt  bleiben,  dafs  dieser  nunmehr  im  Fran- 
zosentum  untergegangene  westlichste  Ausläufer  des  Deutschtums  sowohl 
von  Winkler  wie  von  Kurth  für  ein  Ergebnis  sächsischer  Kolonisation 
gehalten  wird.  Das  häufige  Vorkommen  von  Ortsnamen  auf  -tun,  die 
in  Flandern  gänzlich  fehlen,  dagegen  in  England  (-ton  -town)  sehr  zahl- 
reich vertreten  sind,  bietet  dafür  den  hauptsächlichsten  Beweispunkt 
Überhaupt  sind  von  Kurth  die  Ortsnamen  seines  ganzen  Forschungs- 
gebietes in  der  dankenswertesten  Weise  nach  den  verschiedensten 
Gesichtspunkten  zusammengestellt.  Die  an  die  Ortsnamenlisten  ge- 
knüpften sehr  interessanten  Erörterungen  sind  hier  und  da  leider 
noch  vom  Amoldschen  System  beeinflufet. 

Wenn  ich  jetzt  am  Ende  meiner  Ausführungen  auf  die  anfangs 
citierte  Äuiserung  Suchiers  ziurückkommen  darf,  so  hat  sich  gezeigt, 
dals  seit  dem  Jahre  1888  in  allen  von  der  deutsch-romanischen  Sprach- 
grenze durchschnittenen  Gebieten  die  damals  kaum  vorhandene  histo- 
rische Behandlung  dieser  Linie  grofse  Fortschritte  gemacht  hat.  Arbeit 
ist  trotzdem  noch  in  allen  Gebieten  in  überreichem  Mafse  zu  leisten; 
auch  da,  wo  ich  im  Vorstehenden  der  Lösung  harrende  Au%aben  aus- 
drücklich nicht  bezeichnet  habe  und  wo  die  erzielten  Ergebnisse  be- 
reits das  Ansehen  eines  endgültig  feststehenden  Abschlusses  haben, 
ist  für  ei^^änzende  und  berichtigende  örtliche  Untersuchungen  noch  ge- 
nügend Raum  und  Gelegenheit  vorhanden. 

Die  bei  solchen  Forschungen  anzuwendende  Methode  habe  ich 
oben  schon,  bei  Behandlung  der  einzelnen  Landschaften,  berührt.  Zu^ 
sammenfassend  und   ergänzend   möchte  ich   hier  noch  betonen,  dafs 


1}  Vgl.  die  Homannsche  Karte  Yon  Artois. 

12» 


—     166     — 

je  nach  der  in  Frage  kommenden  Zeit  zwei  verschiedene  Methoden 
möglich  sind:  i)  Will  man  für  das  frühe  Mittelalter,  bei  noch  nicht 
vollendeter  Scheidung  geschlossener  Sprachgebiete,  über  die  Ver- 
teilung bezw.  Mischung  zweier  Nationen  Nachforschungen  anstellen, 
so  wird  man  sich  in  erster  Linie  wohl  immer  auf  die  bis  dahin  nach- 
weisbar vorhandenen  Ortsnamen  stützen.  Deutsch  benannte  Orte  in- 
mitten romanischer  Umgebung  können  aber  bald  nach  ihrer  Gründung 
romanisiert  worden  sein;  aus  ihren  Namen  lälst  sich  daher  auf  den 
nationalen  Charakter  mit  Sicherheit  nur  schlielisen  für  die  Gründungszeit. 

Darum,  und  weil  auch  in  nicht  deutsch  benannten  Orten  Deutsche 
gewohnt  haben  können,  bedarf  es  weiterer  Materialien.  Man  hat  diese 
vielfach  in  den  Personennamen  zu  finden  geglaubt.  Da  aber  nach- 
weislich germanische  Personennamen  schon  im  frühen  Mittelalter 
massenhaft  von  Romanen  gefuhrt  werden,  kann  man  auf  sie  nicht  den 
Beweis  germanischer  Nationalität  begründen.  Eine  sichere  Möglichkeit 
der  Nationalitätsbestimmung  ergiebt  sich  dag^en  aus  der  im  frühen 
Mittelalter  herrschenden  Persönlichkeit  des  Rechts.  Aus  der  Angabe, 
dais  jemand  nach  salischem,  langobardischem,  bayerischem  Recht  lebe, 
kann  man  mit  Sicherheit  auf  Nationalität  bezw.  Stammesangehörigkeit 
der  betreffenden  Person  schliefsen.  Aber  diese  Angaben  sind  nicht  so 
häufig  wie  man  wünschen  möchte,  verschwinden  auch  früh  aus  den 
Quellen ;  so  wird  im  günstigsten  Fall  immer  nur  eine  annähernde  Ab- 
schätzung nationaler  Mischungsverhältnisse  des  frühen  Mittelalters  zu 
erreichen  sein  *). 

2)  Anders  im  späteren  Mittelalter;  die  nationalen  Mischungsgebiete 
haben  sich  allmählich  in  geschlossene  Sprachgebiete  gesondert,  deren 
scharfe  Sprachgrenze  von  Ort  zu  Ort  genau  festgestellt  werden  kann. 
Zwar  haben  die  Ortsnamen  längst  ihre  nationale  Beweiskraft  eingebüfst. 
Aber  dafür  ist  inzwischen  anderes  Beweismaterial  in  grofser  Massen- 
haftigkeit  empoigewachsen.  Die  FamUiennamen  sind  in  der  BUdung 
begriffen  und  spiegeln  den  sprachlichen  Charakter  der  einzelnen  Orte 
deutlich  wieder.  In  noch  höherem  Grade  gilt  dies  von  den  Flur- 
namen, da  sie  im  Gegensatz  zu  jenen  an  die  Scholle  gebunden  sind. 

Da  direkte  Zeugnisse  über  die  ehemaligen  Sprachverhältnisse  nur 
in  seltenen  Ausnahmefallen  vorliegen  —  in  ganz  Lothringen  sind  mir 
nur  zwei  solche  (bei  Marsal  und  Chicourt)  begegnet,  von  allen  hier 
behandelten  Landschaften  fliefsen  sie  nur  in  Tirol  etwas  reichlicher  — 


I)  Und  auch  diese   wohl  aar   mit  Zohilfenthme   von  RttckschlOssen   auf  Gmnd  der 
unter  2)  angegebenen  Methode. 


—     157     — 

so  kann  die  Nationalität  der  einzelnen  Ortschaften  in  der  Regel  nur 
durch  Schlufsfolgerung  bestimmt  werden.  Wer  sich  aber  die  Mühe 
nicht  verdriefsen  lä(st,  die  alten  Flur-  und  FamUiennamen  eines 
nationalen  Grenzgebietes  aus  alten  Grundbüchern,  Zinsregistem ,  Ur- 
baren, vor  allem  aber  aus  dem  unerschöpflichen  Born  der  bis  jetzt 
so  stiefmütterlich  behandelten  Privaturkunden  zusammen-  zutragen, 
der  wird  den  ehemaligen  Verlauf  der  Sprachgrenze  bald  deutlich 
vor  Augen  haben.  Charakteristische  Ausdrücke  der  Volkssprache, 
wie  sie  sich  neben  den  oben  genannten  Quellen  besonders  in 
den  Weistümem  sogar  bei  fremdsprachiger  Aufzeichnung  erhalten 
Ilaben,  können  ebenfalls  mit  Erfolg  bei  der  Nationalitätsbestimmung 
verwandt  werden.  Jedoch  ist  bei  ihnen  eine  gröfsere  Vorsicht  geboten 
als  bei  den  Namen  wegen  der  Möglichkeit  sprachlicher  Entlehnung, 
die  in  unmittelbarer  Nähe  der  Sprachgrenze  niemals  aus  dem  Auge 
gelassen  werden  darf.  Vor  der  Benutzung  modemer  Kataster  mufs 
dsigegen  gewarnt  werden.  Diese  können  der  Forschung  wohl  Finger- 
zeige geben,  ermöglichen  aber  für  längst  verflossene  Jahrhunderte  keine 
gesicherten  chronologisch  festlegbaren  Ergebnisse. 

Ebenso  kann  auch  die  Urkundensprache  nur  mit  grölister  Vorsicht 
zur  Ermittelung  der  alten  Sprachgrenze  herangezogen  werden.  Die 
Thatsache,  daCs  im  deutschen  Sprachgebiet  Belgiens,  Nordfrankreichs, 
Luxemburgs  und  Lothringens  nach  dem  Aufhören  der  lateinischen 
Urkundensprache  zunächst  die  französische  vorherrscht,  redet  deutlich 
genug.  Darüber  hinaus  wirkt  die  Urkundensprache  oft  geradezu 
hinderlich,  indem  sowohl  Familien-  wie  Flurnamen  übersetzt  werden. 
Solche  störende  Einflüsse  der  Urkundensprache  können  nur  durch  eine 
unerbittliche  Kritik  aus  dem  Wege  geräumt  werden  ^). 


Die  Verwertung  der  Kitclietibüeher 

Von 
Pfarrer  Julius  Gmelin  (Grossaltdorf). 

Zu  den  wertvollsten,  aber  auch  noch  am  wenigsten  verwerteten 
Quellen  einer  eingehenden  Geschichtsforschung  gehören  die  Kirchen- 
bücher.   Mit  wenigen  verschwindenden  Ausnahmen  ist  die  Geschichts- 

i)  Eingehendere  Ausführungen  ttber  die  hier  nur  angedeuteten  methodischen  Grund- 
sfttxe  finden  sich  in  meinen  oben  genauer  citierten  Schriften  „Deutsche  und  Kelto- 
romanen'*  Kap.  I  und  „Das  deutsche  Sprachgebiet  Lothringens"  Kap.  I. 


—     168     — 

Schreibung  des  in  Bezug  auf  Quellenforschung  und  Kritik  doch  so 
epochemachenden  XIX.  Jahrhunderts  ihren  Weg  gegangen,  ohne  sich 
um  die  Existenz  dieses  umfangreichen  Materials  zu  kümmern,  das  doch 
schon  im  XVIII.  Jahrhundert  durch  die  Anregung,  die  es  einem  Süfis- 
milch  tmd  anderen  Männern  gab,  eine  neue  in  unserem  Jahrhundert 
zum  Rang  einer  wissenschaftlichen  Grofsmacht  herangewachsene  Dis- 
ziplin ins  Leben  gerufen  hat:  die  Statistik.  Aber  merkwürdiger- 
weise hat  sich  diese  Tochter,  kaum  dafs  sie  sich  auf  eigene  Füfee  gestellt 
sah,  ihrer  Mutter  kaum  mehr  erinnert,  weil  diese  ihr  den  „modernen" 
Ansprüchen  nicht  zu  genügen  schien,  und  so  lieber  mit  anderen  neu- 
modischen Mitteln  ihre  Lebensfähigkeit  darzulegen  gesucht,  als  jene 
anfängUchen  Stützen  erst  ordentlich  zu  vertragen  und  auszubeuten  *). 
Kein  Wunder,  dafs  dann  die  älteren  Schwesterwissenschaften  sich 
vollends  zu  vornehm  dünkten,  mit  einem  von  der  eigenen  Zunft  so 
rasch  zur  Seite  geworfenen  Handwerkszeuge  weiter  zu  arbeiten.  Zu- 
dem lag  dieses  trotz  seiner  allgemeinen  Verbreitung  doch  eben  den 
wissenschaftlichen  Arbeitern  zu  wenig  zur  Hand,  während  diejenigen, 
denen  dasselbe  beruflich  in  die  Hand  gegeben  war,  die  Geistlichen, 
durch  den  Charakter  ihres  Amts  mehr  davon  abgehalten  als  dazu  hin- 
geführt waren,  diesem  „trockensten**  Stück  ihrer  Ausrüstung  ernst- 
lichere Beachtung  zu  schenken.  Erst  im  letzten  Jahrzehnt  hat  sich  nach 
mancherlei  Einzelanregungen,  unter  denen  Jastrows  Untersuchung 
Ueber  die  Volkszahl  deutscher  Städte  am  Ende  des  Mittelalters 
und  zu  Beginn  der  Neuzeit  (1886)  *)  eine  besondere  Stelle  gebührt, 
der  Gesamtverein  der  deutschen  Geschichts-  und  Altertumsvereine  auch 
der  Kirchenbücher -Frage  angenommen  und  im  Verein  mit  einer  An- 
zahl historischer  Kommissionen  sich  zunächst  bemüht,  den  thatsäch- 
lichen  Bestand  dieser  Quellen  festzustellen.    So  ist  für  einen  geraumen 


i)  Eine  primitive  fUr  die  Geschichte  der  Statistik  nicht  uninteressante  Zosammen- 
steUnng  über  die  Bevölkerungsbewegung  in  Gera  in  der  Zeit  von  1700  bis  1800 
findet  sich  in  der  „Beschreibung  der  Herrschaft  und  Stadt  Gera"  von  Joh.  Christoph 
Klotz  (Schleiz  1816},  S.  95. 

2)  Vgl.  auch  Karl  Bücher,  Zur  mittelalterlichen  Bevölkerungsstatistik  mil  besonderer 
Rücksicht  auf  Frankfurt  a.  M.  in  „Zeitschrift  für  die  gesamte  Staatswissenschafi'S 
XXXVU.  Bd.  (1881),  S.  535—580  und  XXXYIU.  Bd.  (1882),  S.  28— 117.  Gerade  fttr 
eine  der  wichtigsten  Fragen  mittelalterlicher  BevÖlkemngsstaüstik,  nämlich  für  die  Ge- 
winnung wenigstens  im  XVL  Jahrhundert  gültiger  Reduktionszahlen  (wie  viel  Personen 
kommen  im  Durchschnitt  etwa  auf  den  Haushalt  eines  steuerzahlenden  Bürgers?)  bieten 
die  Kirchenbücher  die  einzige  Unterlage.  Vgl.  „ZeiUchrift  für  Sozial-  und  WirUchaftt- 
geschichte",  V.  Bd.  (1897),  S.  414. 


—     159     — 

Teil  von  Deutschland,  namentlich  den  Norden  *),  das  betreffende  Ma- 
terial konstatiert  worden,  für  andere  Teile,  so  besonders  den  Süden, 
harren  die  diesbezüglichen  Arbeiten  noch  der  allgemeinen  Bekannt- 
machung. In  einigen  Landesteilen  aber,  so  namentlich  im  Osten, 
scheint  die  Arbeit  noch  kaum  in  Angriff  genommen  zu  sein.  Vielleicht 
dürfte  die  Sache  ein  rascheres  Tempo  gewinnen,  wenn  einmal  die 
Einsicht,  oder  doch  nur  die  Ahnung  allgemeiner  verbreitet  wäre,  um 
was  für  ein  aufeerordentlich  wichtiges  Material  es  sich  bei  den  Kirchen- 
büchern handelt,  was  für  reichhaltige  Schätze  hier  noch  ungehoben 
Megen  und  wie  mancherlei  Zweige  der  Wissenschaft  aus  der  Beach- 
tung dieser  Materialien  einen  neuen  Impuls  oder  doch  weitreichende 
Förderung  erfahren  können.  Diesem  Zwecke,  wie  überhaupt  der 
planvollen  Ausbeutung  dieser  Schätze,  möchte  die  hier  gebotene 
Skizze  über  die  Verwertung  der  Kirchenbücher  dienen.  Detailergeb- 
nisse, die  nur  auf  einen  bestimmten  Schauplatz  sich  beziehen ,  müssen 
wir  ausschlieisen  und  können  nur  erwähnen,  was  allgemein  als  Resultat 
diesbezüglicher  Forschungen  sich  ergeben  dürfte  bezw.  was  geeignet 
ist ,  andere  zur  Forschung  in  gleicher  Richtung  anzuregen.  Denn 
natürlich  wäre  mit  allgemein  theoretischer  Konstruktion 
des  etwa  möglichen  Resultats  nicht  gedient,  es  handelt 
sich  vielmehr  um  Resultate  wirklicher,  eingehender  Unter- 
suchungen. 

Die  Grundlage  fiir  den  Verfasser  haben  hierbei  die  Kirchenbücher 
der  ehemaligen  Reichsstadt  Hall  und  ihres  Gebiets  geboten,  soweit 
€8   in  den  Grenzen   des    heutigen   Amts  Hall    gelegen   war,    also   in 


i)  Den  Stand  der  Arbeit  bis  1895,  wonach  die  Sache  in  der  Mitte  von  Deutschland, 
Königreich  nnd  Provinz  Sachsen  und  den  kleineren  Staaten,  am  weitesten  gefördert  war, 
bat  R.  Krieg  im  „Korrespondensblatt  des  Gesamtsvereins  der  deutschen  Geschichts-  und 
Altertomsvereine  <*  43.  Jahrgang  (1895),  S.  129  ff.  zusammenfassend  beschrieben  nnd  im 
45.  Jahrgang  (1897),  S.  38  ff.  sowie  im  47.  Jahrgang  (1899),  S.  56  ff.  seine  Angaben 
vervollständigt.  —  Auf  Arbeiten  über  die  Kirchenbücher  in  Siebenbürgen  nnd  Salz- 
burg weist  hin  Armin  Tille  in  den  „Annalen  des  historischen  Vereins  für  den  Nieder- 
rhein««,  63.  Heft  (1896),  S.  178.  —  Über  mährische  Pfarrmatriken  Welzl  in  der 
,, Zeitschrift  des  Yereines  ftir  die  Geschichte  Mährens  und  Schlesiens",  3.  Jahrgang 
(Brttnn  1899),  S.  225—230,  über  die  Frankftirter  Kirchenbücher  v.  NathusSus  im 
«»Archiv  für  Frankfurts  Geschichte  und  Kunst",  3.  Folge,  Bd.  VI,  S.  161— 186.  —  Die 
„Kirchenbücher  im  katholischen  Deutschland"  bespricht  Sägmüller  in  der  „Theo- 
logischen Quartalschrift",  81.  Jahrgang  (1899),  über  Verwertung  der  Kirchenbücher  vgl. 
auch  V.  d.  Horst  in  der  „Vicrteljahrsschrift  ftlr  Wappen-,  Siegel-  und  Familienkunde", 
XXVIL  Bd.,  S.  185—202,  S.  225—244  sowie  im  „DeuUchen  Herold",  Jahrgang  1899, 
S.  132—135. 


—     160     — 

der  Hauptsache  der  evangelische  Teil  dieses  Amts,  d.  h.  etwa  94  % 
desselben.  Wohl  ist  das  ein  räumlich  imd  zahlenmäüsig  beschränkter 
Kreis,  denn  nach  der  letzten  Volkszählung  wohnen  noch  keine 
30000  Seelen  in  diesem  Gebiete,  wovon  */,  auf  das  Land,  V'j  auf  die 
Stadt  entfallen.  Aber  einmal  erinnere  ich  daran,  dafs,  worauf  schon 
vor  Jahren  der  Statistiker  G.  v.  Mayr  hingewiesen  hat,  der  Fortschritt 
der  wissenschaftlichen  Erkenntnis  nur  von  der  genaueren  Untersuchung 
kleinerer,  räumlich  beschränkterer  Einheiten  ausgehen  kann,  und  dann 
habe  ich  dieses,  mein  Gebiet,  dafür  auch  um  so  genauer  untersucht 
So  gar  wenig  ist  es  übrigens  noch  nicht  einmal,  indem  es  sich  um 
(wenn  man  die  alte  Einteilimg  zu  Grunde  legt)  immerhin  25  Pfarreien 
handelt.  Diese  25  Pfarreien  haben  zudem  von  der  Ausgangszeit  her 
bis  zum  heutigen  Tag  ein  einheitliches,  im  wesentlichen  durchaus 
gleichartig  gebliebenes  Gebiet  gebildet,  insbesondere  aber  ist  —  die 
Hauptsache  in  diesem  Fall  —  die  Zeit  lang  genug,  um  jenen  etwaigen 
Mangel  räumlicher  Ausdehnung  überreich  zu  ersetzen,  und  länger  als 
sie  kaum  je  statistisch  gründlich  untersucht  worden  ist.  Denn  von 
i559f  wo  die  Hällischen  Kirchenbücher  einsetzen,  bis  1895,  mit  welchem 
Jahre  ich  meine  Untersuchungen  abgeschlossen  habe,  sind  es  nicht 
weniger  als  336  Jahre  oder  zehn  Generationen,  und  wenn  in  jenem  Jahr 
auch  nur  die  Tauf-  und  Eheregister  einsetzen,  während]sich  die  Toten- 
register mit  einer  Ausnahme  erst  ein  Menschenalter  später,  1594fr.,  nach 
und  nach  zugesellen,  die  meisten  sogar  erst  aus  dem  XVII.  Jahrhundert 
datieren,  so  stellen  sich  dafür  jene,  zumal  die  Taufregister,  bei  näherer 
Untersuchung  doch  als  die  ungleich  wichtigeren  heraus.  Natürlich  sind^ 
wie  jeder  Sachkundige  sich  denken  mag,  nicht  alle  Register  für  diesen 
ganzen  Zeitraum  mehr  vorhanden,  sondern  hat  auch  hier  der  böse 
drcissigjährige  Krieg  einen  namhaften  Ausfall  veranlafst,  andere  Lücken  hat 
die  Nachlässigkeit  oder  Unfähigkeit  mancher  Registerfuhrer,  der  Pfarrer, 
verschuldet.  Aber  im  ganzen  fallt,  auch  wenn  die  Handschrift  oft 
genug  zu  schaffen  macht,  doch  eher  die  Pünktlichkeit  und  Genauigkeit 
dieser  Buchführung  als  das  Gegenteil  auf,  so  dafs  man  den  Eindruck 
bekommt,  dafs  es  jedenfalls  die  zuverlässigsten  Persönlichkeiten  waren, 
die  tmter  den  betreffenden  Umständen  für  die  Buchführung  gefunden 
werden  konnten.  Das  Beste  aber  ist,  dafs,  so  viel  auch  älteres  Material 
verloren  gegangen  ist,  das  Gerettete  doch  namhaft  genug  ist,  um  unsere 
Betrachtungen  nicht  erst  von  1650,  sondern  eben  schon  von  1559 
an  datieren  zu  können.  Im  ganzen  handelt  es  sich  um  ca.  330000 
oder  ca.  Va  Million  Nummern,  die  von  mir  (mit  Unterstützung  einiger 
jüngeren  Kollegen)  in  jahrelanger  Arbeit  aus  den  Hällischen  Kirchen- 


—     161     — 

büchem  gewonnen  und  auf  ihre  Bedeutung  hin  näher  untersucht  wor- 
den sind :  doch  wohl  eine  genügende  Grundlage,  um  wenigstens  nicht 
mehr  den  Einwand  zu  groiser  Beschränktheit  des  Materials  fürchten  zu 
müssen. 

Welches  sind  nun  die  Ergebnisse  allgemeiner  Art  auf  Grund  dieser 
Untersuchungen?  Die  beste  Übersicht  darüber  giebt  vielleicht  eine 
Unterscheidung  nach  den  verschiedenen  daraus  Gewinn  ziehenden 
Zweigen  der  Wissenschaft. 

Da  ist  zunächst  die  Geschichte  im  allgemeinen,  für  welche  eine 
Fülle  einzelner  historischer  Notizen  abfallt,  sei  es  über  einzelne  wich- 
tige Persönlichkeiten,  oder  über  Zustände,  rechts-  und  verfassungs- 
geschichtliche Beziehungen,  Berufsarten  u.  dergl. ,  kurz  Dinge ,  die  als 
Belege  für  die  Geschichtsschreibung  zumal  in  kulturgeschichtlicher 
Hinsicht  von  Belang  sind.  Im  besonderen  aber  ist  es  die  lange  Zeit 
als  wichtigster  Teü  der  Geschichte  behandelte  Kriegsgeschichte, 
die  aus  diesen  Quellen  eine  treffliche  Illustration  erfahrt.  So  würde 
allein  die  Ausbeute,  die  über  den  folgenschwersten  Krieg,  den  unser 
Vaterland  durchzumachen  gehabt  hat,  zu  gewinnen  wäre,  eine  allge- 
meine Durcharbeitung  der  ältesten  Kirchenbücher  reichlich  lohnen 
und  eine  genauere  Geschichte  desselben  vielleicht  erst  möglich 
machen.  Wenn  wir  auch  absehen  von  dem  wertvollsten  Ergebnis, 
den  genaueren  Zahlen  über  die  durch  diesen  Krieg  veranlafste  Be- 
völkrungsbewegung  bezw.  -vermindnmg,  welche  Menge  von  Notizen 
über  Märsche  und  Einquartierungen,  das  Verhältnis  der  einquartier- 
ten Soldaten  zu  ihren  Quartiergebem,  Ausschreitungen,  aber  auch  ge- 
mütliche Züge,  wie  z.  B.  Gevatterschaften,  ergeben  nicht  allein  die 
Hällischen  Register!  Das  Wichtigste  bleibt  freilich  immer  der  ge- 
nauere Nachweis  der  Wirkungen  wie  des  ganzen  Krieges  so  auch  der 
einzelner  Kriegsjahre,  namentlich  der  besonderen  Pestjahre,  auf  die  Be- 
völkrungszahl  der  einzelnen  Ortschaften,  den  wir  so,  trotz  aller  Lücken 
in  manchen  Pfarreien,  gewinnen.  Beiläufig  sei  bemerkt,  dals  für  unsere 
Gegend,  wie  wohl  auch  für  manche  andere,  die  Durchforschung  dieses 
Materials  dazu  zwingt,  eine  Reduktion  der  in  den  allgemeinen  Beschreib- 
ungen üblichen  ungeheuerlichen  Vermindrungszahlen  vorzunehmen.  Für 
das  Hällische  z.  B.  kann  es  sich  bei  dem  ganzen  Krieg  um  höchstens  eine 
Verminderung  von  etwa  ein  Drittel,  nur  in  einzelnen  Pfarreien  um  40  % 
oder  gar  mehr  handeln,  in  der  Hauptsache  ist  dies  aber  die  Wirkung 
der  Pest,  die  im  Spätjahr  1634  im  Gefolge  der  Nördlinger  Schlacht 
zehn  Wochen  lang  in  unsrer  Gegend  (von  Ende  September  bis  An- 
fang Dezember)  wütete,   ob  auch   in  ziemlich  ungleicher  Verteilung 


—     162     — 

über  die  einzelnen  Ortschaften.  Ganze  Ortschaften  dageg'en,  die  in- 
folg'e  dieses  Krieges  abgegang'en  wären,  wie  in  so  mancher  anderen 
Landschaft,  sind  bei  uns  überhaupt  nicht  namhaft  zu  machen.  Natürlich 
trifft  das,  was  vom  dreissigjährigen  Kriege  gesagt  ist,  in  vermindertem 
Grad  auch  auf  die  andern  Kriege  zu,  die  in  neurer  Zeit  unser  Land 
heimgesucht  haben.  Für  das  Hällische  kommen  da  in  erheblicherem 
Grade  freilich  nur  die  Raubkriege  Ludwigs  XIV.,  zumal  1675  f.  und 
1693  f.,  durch  Nachrichten  über  Durchzüge,  Flüchtlinge  und  Seuchen 
in  Betracht,  weniger  die  Revolutions-  und  napoleonischen  Kriege,  über 
die  auch  sonst  Material  genug  vorliegt.  An  den  siebenjährigen  Krieg, 
der  für  Nord-  und  Mitteldeutschland  besonders  ins  Gewicht  fallen  mufe, 
erinnern  bei  uns  nur  vereinzelte  Spuren.  Am  meisten  von  Bedeutung 
wäre  natürlich,  was  wir  über  die  Wirkungen  der  Kriege  noch  früherer 
Zeiten,  so  namentlich  des  Schmalkaldischen  im  XVL  Jahrhundert,  auf 
diesem  Wege  aufzutreiben  vermöchten.  Doch  reichen,  abgesehen  von 
einzelnen  Städten,  nur  in  den  allerwenigsten  Territorien  die  Register 
so  weit  zurück,  m.  W.  nur  in  der  brandenburgischen  Markgrafschaft 
Ansbach  und  Baireuth,  wo  die  Register  zugleich  mit  der  Reformation 
eingeführt  und  seit  1533  vorhanden  sind.  In  diesem  Jahre  ist  auch  im 
hällischen  Gebiet  ein  einzelner  Pfarrer,  der  verdiente  Chronist  Herolt 
in  Reinsberg,  wohl  eben  durch  die  brandenburgische  Nachbarschaft  zur 
privaten  Anlegung  solcher  Register  veranlafet  worden,  hat  dann  aber 
1546  mit  Rücksicht  auf  den  ausbrechenden  Krieg  seine  Thätigkeit 
vorläufig  eingestellt. 

Unter  den  Hilfiswissenschaften  der  Geschichte  dürfte  auf  den 
ersten  Blick  am  besten  wegkommen  die  Genealogie.  Was  für  ein 
unentbehrliches  Material  für  sie  in  unseren  Kirchenbüchern  vorhanden 
ist,  bedarf  kaum  für  jemand  noch  einer  besonderen  Darlegung.  Es  ist 
aber  diesem  Material  eine  von  Jahr  zu  Jahr  sich  steigernde  genea- 
logische Bedeutimg  schon  damit  gesichert,  dafe  nach  dem  im  Gesetze 
des  natürUchen  Wechsels  gelegenen  Niedergange  der  alten  aristokratisch- 
patrizischen  Familien,  in  deren  Kreisen  für  die  Pflege  der  Familien- 
zusammenhänge und  der  Stammbaum-Nachweise  noch  durch  besondere 
Veranstaltungen  gesorgt  wurde,  schon  in  der  Gegenwart  und  in  ver- 
mehrtem Grad  in  der  Zukunft  immer  mehr  neue  Namen  auf  den 
Schauplatz  zu  treten  berufen  sind,  die  oft  genug  über  ihre  Herkunft 
selber  kaum  über  das  dritte  oder  vierte  Glied  hinaus  im  klaren  sind. 
Ist  auch  hier  dann  allemal  zunächst  der  Einzelne  an  der  weiteren 
Rückwärtsverfolgung  seines  Familienzusammenhangs  interessiert ,  so 
ist  doch   auch   die  Allgemeinheit  an   der  Feststellung  solcher  genea- 


—     163     — 

logischer  Zusammenhänge  um  so  mehr  interessiert,  je  weniger  der 
einzelne  von  sich  aus  oft  die  richtige  Spur  zu  treffen  im  stände 
ist  und  je  mehr  durch  die  Kenntnis  zahlreicher  Stammbäume  für 
die  verschiedensten  Bevölkerungsklassen  und  Gegenden  mannigfache 
Probleme  der  Genealogie,  die  auf  die  Ergründung  praktischer  biolo- 
gischer Gesetze  überhaupt  hinauslaufen,  ihre  Lösung  finden.  Nach 
meinen  Beobachtungen  z.  B.  scheint  es  als  ein  ziemlich  allgemeines 
biologisches  Gesetz  gelten  zu  können,  dafe  eine  Familie  nicht  leicht 
länger  als  über  drei  Jahrhimderte  auf  einem  und  demselben  Boden 
sich  dauernd  in  der  Höhe  zu  behaupten  vermag,  und  zwar  triffl 
dies  kaum  viel  weniger  auf  dem  Lande  als  für  die  Stadt  zu. 
Thatsache  ist,  dafs  im  allgemeinen  diejenigen  Familien,  die  uns  beim 
Beginn  der  Kirchenbücher  in  den  untersten  Regionen  ihrer  Gemeinde 
oder  Gegend  begegnen,  im  XIX.  Jahrhimdert  meist  in  die  oberen 
Reihen  des  Besitzes  und  Ranges  eingerückt  sind,  während  umgekehrt 
<lie  damals  tonangebenden  Namen  entweder  ausgestorben  oder  der 
Degeneration  verfallen  sind,  soweit  sie  nicht  durch  Verpflanzung  auf 
einen  andern  Boden  wieder  neue  Wurzeln  geschlagen  haben. 

Mündet  so  auch  diese  genealogische  Ausbeute  in  das  Kapitel  der 
Bevölkrungsbewegung  ein,  so  darf  hier  auch  darauf  noch  be- 
sonders aufmerksam  gemacht  werden,  was  für  eine  unvergleichliche 
Grundlage  für  die  Kenntnis  der  Herkunft  unserer  verschiedenen  Be- 
völkerungsteUe  und  damit  unsrer  Bevölkerungszusammensetzung  und 
-mischung  überhaupt  mit  einer  umfassenden  Zusammenstellung  der 
älteren  Geschlechts-  oder  Familien-  (und  wohl  auch  der  in  manchen 
Gegenden  auf  dem  Lande  gebräuchlichen  besonderen  Haus-)Namen  in 
jeder  Gemeinde  gewonnen  würde ;  schon  deshalb,  weil  im  allgemeinen 
die  Anfange  unsrer  Tauf-  und  Eheregister  zum  Glück  noch  in  jene 
Zeh  hinaufragen,  wo  die  im  Mittelalter  so  viel  gebundeneren  Verhält- 
nisse der  Landbewohner  sich  noch  tmgleich  mehr  als  später  geltend 
machten.  Wenn  im  XVL  und  XVII.  Jahrhundert  die  einzelnen  Ort- 
schaften oder  Pfarreien  meist  noch  ungleich  weniger  Familien -Namen 
aufweisen  als  im  XIX.,  und  dafür  einzelne  Namen  um  so  zahlreicher 
an  einem  und  demselben  Ort  oder  in  dessen  Nachbarschaft  anzutreffen 
sind,  so  darf  mit  ziemlicher  Sicherheit  diese  Gegend  als  Ursprungs- 
heimat des  betreffenden  Namens  angesehen  werden,  wie  wir  die  Heimat 
unserer  Haustiere  und  Kulturpflanzen  dadurch  herausbekommen,  dafs 
wir  fragen,  wo  kommen  sie  wild  vor?  In  wie  mannigfacher  Beziehung 
aber  auch  praktisch  eine  erweiterte  Kenntnis  der  ursprünglichen 
Standorte    so     mancher    unserer    auffalligsten,     vielleicht  auch     be- 


—     164     — 

kanntesten  Namen ,  und  überhaupt  ein  gröfeeres  genealogisch  -  bio- 
logisches Verständnis  unserer  heutigen  Gesellschaft  nutzbringend  zu 
verwerten  wäre,  ergiebt  sich  aus  dem  Gesagten  von  selbst. 

Was  die  Geschlechtsnamen  für  die  Genealogie,  das  bedeuten  im 
allgemeinen  die  Vor-  oder  Taufnamen  ^)  für  die  speziellere^Kultur- 
geschichte,  die  Geschichte  der  geistigen  Entwicklung  unseres  Volkes» 
Handelt  es  sich  auch  hier  keineswegs  um  eine  neue  Entdeckung,  son- 
dern eine  schon  hundertmal  von  Einzelnen  gemachte  Beobachtung,  was 
fiir  ein  bestimmtes  Gesetz  auch  auf  diesem  scheinbar  am  meisten  der 
Einzelwillkür  preisgegebenen  Gebiet  herrscht,  so  gewährt  es  doch 
immer  wieder  neuen  Reiz,  einen  bestimmten  Bezirk  auf  die  Entwick- 
lung der  Vornamen  über  ein  paar  Jahrhunderte  hin  zu  verfolgen 
und  darin  die  geistige  Stimmung  der  betreffenden  Landschaft  während 
dieser  verschiedenen  Perioden  niedergelegt,  gewissermafeen  photo- 
graphiert  zu  sehen.  Wie  interessant  gestaltet  sich  mar  z.  B.  die  Be- 
obachtung des  Übergangs  von  der  alten  katholischen  Zeit  mit  der 
Mannigfaltigkeit  ihrer  HeUigennamen ,  unter  denen  aber  schon  in  un- 
serer Ausgangszeit  Johannes  oder  Hans  der  verbreitetste  ist,  zum 
evangelisch-protestantischen  Volkstum,  für  welches  die  biblischen  zu- 
sammen mit  den  traditionell  -  bäuerlichen  Namen  (in  der  Stadt  z.  T. 
in  eigentümlicher  Auswahl,  so  dals  z.  B.  die  Hällischen  Sieder  vom 
XVI.  Jahrhundert  an  in  auffallender  Weise  den  Namen  David  bevor- 
zugen und  davon  den  bleibenden  Spitznamen  „Dovelich**  davontragen) 
zur  vorherrschenden  Stellung  gelangen.  Im  allgemeinen  läfst  sich  frei- 
lich, wenigstens  in  unserem  Gebiet,  mit  der  zunehmenden  Protestan- 
tisierung  eine  gewisse  Verödung  nicht  verkennen,  so  dafe  das  XVI.  Jahr- 
hundert über  eine  reichere  Auswahl  von  Vornamen  verfugt  als  das 
XVIII. ,  das  fast  in  stereotyper  Weise  sich  mit  ein  paar  traditionell 
geheiligten  Vorzugsnamen,  nur  in  reichlicherer  Zusammensetzung,  be- 
hUft  So  erobern  sich  neben  Hans,  der  den  Primat  behauptet,  der 
gleichfalls  schon  vorher  reichlich  vertretene  Georg  oder  Jörg  zusammen 
mit  Michael  auf  dem  Lande  überall  die  erste  Stelle,  um  diese  durch 
das  ganze  XVII.  Jahrhundert  in  Gestalt  von  Doppelnamen,  unter  denen 


i)  Es  giebt  bereits  eine  ganze  Litteratnr  über  diesen  Gegenstand.  Die  ältere  ver- 
zeicbnnt  Georg  Steinhaasen  in  seinem  Aufsatze  „Vomamenstadien'*  in  der  „Zeit- 
schrift (Ur  den  deutschen  Unterricht",  7.  Jahrgang  (1893),  S.  616—626,  wo  besonders 
die  Namenarmut  des  ausgehenden  Mittelalters  und  die  Häufigkeit  des  Namens  Johaane^ 
bebandelt  wird.  —  Vgl.  ferner  Armin  Tille,  Weibliche  Vornamen  im  Mittelalter  io 
„Zeitschrift  für  Kulturgeschichte",  V.  Bd.,  S.  173 — 177,  auch  „Zur  Geschichte  der  deut- 
schen Personennamen"  in  der  „Archiralischen  Zeitschrift";  Bd.  VII  (1897),  S.  243—252 


—     165     — 

Johann  Georg  und  Geoi^  Michael  voranstehen,  in  erhöhtem  Ma&e  zu 
behaupten,  während  das  XVIII.  Jahrhundert  getrea  seiner  wachsenden 
Weitschweifigkeit  (die  vielleicht  in  den  Kirchenbüchern  sich  am  eklatan- 
testen verfolgen  und  diese  auf  das  Doppelte  und  Dreifache  des  früheren 
Umfanges,  ohne  sachliche  Bereicherung,  anschwellen  läist)  sich  damit 
begnügt,  die  Zweiheit  zur  Dreiheit  der  Vornamen,  mit  so  ziemlich 
demselben  Material,  auszugestalten,  bis  dann  das  XIX.  Jahrhundert 
auch  hier  den  nötigen  Rückschlag  in  der  Vereinfachung  und  zugleich 
Erneuerung  durch  Patriotisierung  der  Vornamen  (Friedrich,  Wilhelm, 
Karl  etc.)  bringt.  Auf  die  entsprechende  weibliche  Parallele,  welche 
sich  etwas  weniger  einfach  gestaltet,  verzichte  ich  hier  des  Raumes 
wegen.  Dann  wie  nett  wieder,  in  diesem  XIX.  Jahrhtmdert  schon 
in  den  Vornamen  die  verschiedenen  politischen  Schattierungen  oder 
Stimmungen  der  einzelnen  Orte  bezw.  Landschaften  fixiert  zu  fin- 
den wie  darunter  den  EinfluCs  bestimmter  Persönlichkeiten,  so  mancher 
Pfarrer,  in  einzelnen  Namens-Neuerungen  wiederzuerkennen!  Natürlich 
ist  es,  dafs  auf  diesem  Felde  die  Stadt,  hier  Hall,  wie  sie  ein  reicher 
entwickeltes  Leben  und  eine  grölsere  Mannigfaltigkeit  der  Namen  zeigt, 
so  auch  die  führende  Stellung  bei  Neuerungen  einnimmt,  übrigens  um 
dann  doch  auch  wieder  durch  die  starke  Einwanderung  vom  Lande  her 
auch  in  ihrer  Namensphysiognomie  nicht  wenig  beeinfluist  zu  werden. 
Für  die  Städte,  zumal  die  alten  Reichsstädte,  lassen  sich  dann  die  Vor- 
namen in  ziemlicher  Vollständigkeit  meist  noch  ein  paar  Jahrhunderte 
weiter  zurückverfolgen  auf  Grund  der  Beetbücher  oder  etwaiger  anderer, 
den  Kirchenbüchern  zunächst  kommenden  Register,  wie  z.  B.  die 
Untersuchung  der  ältesten  Grolstotengeläutbücher  in  Nürnberg  (durch 
Dr.  Alfred  Bauch)  *)  von  1439  bezw.  1454  hübsche  Winke  für 
das  andringen  des  Humanismus  in  dieser  Stadt  Ende  des  XV.  tmd 
Anfangs  des  XVI.  Jahrhunderts  ergeben  hat.  Näheres  über  meine 
eigenen  Beobachtungen  die  Vornamen  betreffend  darf  ich  vielleicht 
einmal  in  einem  besonderen  Aufsatze  mitteilen. 

Den  sichersten  Gewinn  für  die  Kulturgeschichte  auch  aus  der 
Untersuchung  dieses  Materials  erlangen  wir  wieder  erst  aus  einer  mög- 
lichst umfassenden  statistisch -tabellarischen  Darstellung  dieser  Ergeb- 
nisse. Und  so  bleibt  überhaupt  die  Statistik  im  weitesten  Sinne  bei 
der  Ausbeutung  der  Kirchenbücher  die  meistgewinnende  Partei,  wie 
mit  ihrer  Hilfe  diese  Ausbeute  für  die  übrigen  Wissenschaften  sich 
erst  recht  fruchtbringend  gestalten  läfst.     Freilich  ist  diese  statistische 


1)  Iq  der  ArchivaL  Zdtschr.  N.  F.  YIII.  (1899)  p.  119— 149. 


—     166     — 

Ausbeute  der  Kirchenbücher  im  engeren  Sinne  auch  nur  auf  dem  be- 
schränkten, von  mir  genauer  untersuchten  Gebiete,  dem  Hällischen, 
eine  so  überaus  reiche,  dafs  ich  für  das  Nähere  hierüber  auf  meine 
betr.  Spezialarbeit  über  Bevölkerungsbewegung  im  Hällischen  *)  ver- 
weisen mufs. 

Unter  den  Spezialgebieten  der  immer  zahlreichere  Zweige  der 
Wissenschaft  sich  unterwerfenden  grofsen  Herrscherin  Statistik  kommt 
wohl  der  zuletzt  besprochenen  Kulturgeschichte  am  nächsten  die  Moral- 
statistik. Hier  bietet  natürlich  schon  die  Rubrik  „Uneheliche"  *)  in  den 
Taufregistem  der  Untersuchung  ein  Material,  das,  was  man  auch  über 
dessen  Unzulänglichkeit  für  eine  ideale  Sittlichkeitsmessung  sagen  mag, 
doch  eben  von  keinem  anderen  Hilüsmittel  überboten  wird.  In  unserem 
Gebiet  läuft  die  Ausbeute  der  Kirchenbücher  in  dieser  Hinsicht  auf  den 
Eindruck  von  der  strengen  sittlichen  Zucht  hinaus,  die  im  Gefolge  der 
Reformation  durch  die  auf  Brenz  zurückgehenden  harten  Maisregeln 
der  Obrigkeit  gegenüber  einer  keineswegs  zu  besondrer  Tugendhaftig- 
keit veranlagten  Bevölkerung  in  den  nächstfolgenden  Jahrhunderten 
eingehalten  wurde.  Selbst  der  dreissigjährige  Krieg  hat  hier  viel 
weniger,  als  man  gemeiniglich  denkt,  einztureifsen  vermocht,  viel- 
mehr ist  offenbar  die  relativ  rasche  Überwindung  der  Verluste  dieses 
Krieges  nicht  am  wenigsten  auf  die  geltende  straffe  Zucht  in  diesem 
Punkte,  welche  bis  zum  XVIII.  Jahrhundert  die  unehelichen  Geburten 
noch  keine  2  %  ausmachen  liefs,  zurückzuführen.  Anders  dann  frei- 
lich im  XVIII.  Jahrhundert,  in  dessen  zweitem  Drittel  der  von  Frank- 
reich herüberdringende  Ton  sich  zumal  auch  auf  dem  Lande  in  einem 
verblüffenden  Anwachsen  der  Demoralisation,  welche  die  unehelichen 
Geburtenziffern  rasch  auf  5  ^/^  (und  darüber)  bringt,  bemerklich  macht, 
um  dann  mit  der  Annexion  durch  Württemberg  anfangs  des  XIX.  Jahr- 
hunderts infolge  des  Wegfalls  der  besonderen  Strafmafsregeln  der 
hällischen  Obrigkeit,  denen  man  sich  früher  gern  durch  Flucht  über 
die  Grenzen  des  Gebietes  entzog,  erst  recht  zu  steigen  und  ihren  Höhe- 
punkt vor  der  Einführung  der  Zivilstandsgesetzgebung  zu  erreichen. 

Diese  Veränderungen  der  imehelichen  Geburtenziffern  bilden  zu- 
gleich wieder  eine  Seite   desjenigen  Kapitels,  das  bei  der  Frage  nach 

i)  Soll,  nachdem  sie  im  vorigen  Jahr  wegen  Raummangels  zurückgestellt  werden 
mnfste,  nach  der  Zusage  des  Heransgebers  im  ersten  Halbband  des  laufenden  Jahrgangs 
(Band  VI,  1900)  des  „Allg.  Statistischen  Archivs"  von  G.  t.  Ma3n:  erscheinen. 

2)  Die  anehelich  Geborenen  sind  häufig  abgesondert  von  den  ehelich  Ge- 
borenen gebucht;  die  Behörden  haben  gerade  auf  diesen  Punkt  ihr  ernstes  Augenmerk 
gerichtet.  VgL  Tille,  Tauf-,  Trau-  und  Sterberegister  am  Niederrhein  in  „Annalen  des 
historischen  Vereins  f.  d.  Niederrhein",  63.  Heft  (1896),  S.  190  und  192. 


—     167     — 

dem  Resultat  unserer  Untersuchungen  immer  das  Hauptkapitel  bleiben 
wird:  die  Ausbeute  der  Kirchenbücher  für  die  Statistik  der  Be- 
völkerungsbewegung" im  engeren  Sinne.  Hier  handelt  es  sich  in 
erster  Linie  um  einen  genaueren  Einblick  in  die  Bevölkerungs- 
verschiebung, die  während  der  letzten  Jahrhunderte  eingetreten  ist, 
Zahlen,  die  wir  in  einigermaisen  zuverlässiger  Weise  überhaupt  aus  keiner 
andern  Quelle  als  aus  den  Kirchenbüchern  zu  gewinnen  vermögen.  Der 
ganze  wechselnde  politische  Umschwung  während  dieser  letzten  Jahrhun- 
derte der  Geschichte  läfst  sich  ja,  worauf  erst  neulich  wieder  Schmoller 
hingewiesen  hat,  durch  nichts  so  anschaulich  illustrieren  und  fixieren, 
da  es  sich  hier  auch  um  die  eigentliche^  Ursachen  dieses  Umschwunges 
handelt,  als  durch  die  wechselnden  Bevölkerungsziffern  für  die  ver- 
schiedenen Hauptstaaten  der  europäischen  Menschheit  in  den  einzelnen 
Abschnitten  dieser  Periode.  Aber  wie  ungeheuer  viel  da  noch  zu  thun 
ist,  bedarf  für  die  Kreise  der  Geschichtskenner  keiner  näheren  Er- 
läuterung. Die  ganze  historische  Geographie  des  Mittelalters  hängt  ja 
in  der  Luft,  so  lange  wir  über  den  Status  der  Bevölkerungsziffern  am 
Ende  des  Mittelalters  in  den  einzelnen  Territorien  noch  so  wenig 
sichere  Angaben  besitzen,  als  dermalen  der  Fall  ist.  Nicht  als  ob  es 
an  Quellenmaterial  für  diese  Zahlen  gebräche,  dieses  ist  da  und 
Uegt  in  umfassender  Weise  eben  in  unseren  Kirchenbüchern  vor. 
Aber  wie  wenig  hat  man  bis  heute  an  die  Verwertung  dieses  Materials 
gedacht !  Wie  instruktive  Ergebnisse  aber  hier  zu  gewinnen  sind,  mag 
wieder  ein  Blick  auf  das  Hällische  deutlich  machen.  Hier  lieis  sich 
durch  Vergleichung  der  Geburtenzahlen  von  den  Anfangsjahren  (1559) 
mit  der  späteren  Zeit  die  durch  sonstige  Beobachtungen  vorher  nur  wahr- 
scheinliche Thalsache  feststellen,  dafs  unser  Hällisches,  das  für  die  Ver- 
hältnisse unseres  sonstigen  fränkischen  Württemberg  in  allem  Wesent- 
lichen typisch  ist,  in  den  letzten  350  Jahren  sich  weit  konstanter  ge- 
blieben ist  als  der  schwäbische  HauptteÜ  unseres  Landes,  indem  gegen- 
über einem  Anwachsen  auf  das  etwa  Dreifache  der  Bevölkerungsziffer 
im  alten  Herzogtum  Württemberg,  in  unserem  fiänkischen  Landesteil 
kaum  eine  Vermehrung  auf  das  Anderthalbfache  zu  konstatieren  ist, 
d.  h.  unser  Gebiet  hat  seinen  relativen  Schwerpunkt  im 
Verhältnis  zum  Ganzen  durchweg  in  der  Vergangenheit, 
im  Mittelalter,  nicht  in  der  neueren  Zeit.  Ein  kunsthisto- 
risch geübtes  Auge  bedarf  dafür  freilich  keines  besonderen  Nach- 
weises. Nur  gestattet  die  kunsthistorische  Betrachtung  hier  höchstens 
Vermutungen,  nichts  weiter.  Auf  Grund  der  Kirchenbücher  lassen  sich 
aber  nicht  blofe  für  das  XVI.   oder  doch  das  angehende  XVII.  Jahr-^ 


—     168     — 

hundert  gar  wohl  die  betreffenden  Zahlen  wenigstens  annäherungsweise 
mit  einiger  Sicherheit  gewinnen,  sondern,  ist  erst  einmal  das  Ergebnis 
für  diese  letzten  300 — 350  Jahre  einigermaisen  umÜEu^ender  fest- 
gestellt, so  sind  wir  auch  in  den  Stand  gesetzt,  von  da  aus  nach  rück- 
wärts wesentlich  sicherere  Schlüsse  zu  ziehen,  so  dafs  sich  der  Rat, 
die  Geschichte  nach  rückwärts  zu  lehren  und  zu  lernen,  wenigstens 
auf  diesem  statistischen,  wie  überhaupt  auf  kulturgeschichtlichem  Ge- 
biet als  durchaus  berechtigt  erweist. 

Es  ei^ebt  sich  nämlich,  sobald  man  die  Bevölkerungs-,  d.  h.  in 
erster  Linie  die  Geburtenbewegung  zumal  auf  dem  Lande  (das  in 
viel  höherem  Grade  als  die  von  dem  wirtschaftlichen  Faktor  be- 
herrschten Städte  ^)  dem  Einflufs  des  natürlichsten  Faktors ,  d.  h. 
des  Wetters,  untersteht)  näher  untersucht,  eine  merkwürdige  Regel- 
mäfsigkeit  in  der  Auf-  und  Abwärtsbewegung  der  Ge- 
burtenzunahme, in  der  Weise,  dafis  im  allgemeinen  jedes  Jahrhun- 
dert drei  ziemlich  genau  in  dieselben  Jahrzehnte  (allende  Hebungen 
und  ebensoviel  Senkungen  der  Geburtenziffern  aufweist.  Erstere  ent- 
fallen etwa  auf  das  Jahrzehnt  5  bis  15,  40  bis  50  und  75  bis  85,  letztere 
in  etwas  weniger  deutlich  ausgeprägter  Weise  je  auf  etwa  zehn  Jahre  spä- 
ter, so  da(s  als  Jahre  relativ  auffälligster  Maxima  etwa  1875,  1841,  1804 
(1775?),  1745,  171 1,  1679,  (1647?),  1608  und  endlich  1579,  als  Minimal- 
jahre umgekehrt  1894  (od.  1889?),  1855,  1818,  1795,  1758,  1727, 
1694,  1657,  1616  imd  1587  sich  herausheben.  Die  Zahlen  des  XVL 
Jahrhunderts  sind  natürlich  durch  ein  weniger  reiches  Meterial  gesichert 
als  die  späteren.  Für  den  Verlauf  des  XIX.  Jahrhtmderts  sind  diese 
Schwankungen,  die  je  etwa  einer  Generation  entsprechen,  von  der  Stati- 
stik längst  erkannt  und  auf  bestimmte  historische  Ereignisse  —  bei  der 
letzten  Hebung  natürlich  auf  die  Kriege  von  1866  und  1870  —  zurück- 
gelührt  worden.  Aber  schon  für  die  auffallige  Hebung  in  den  vierziger 
Jahren  trifft  das  nicht  zu,  denn  das  Jahr  1848  hat  damit  nichts  zu  thun, 
oder  Lst  höchstens  indirekt,  als  selbst  dadturch  beeinflufst,  in  Betracht  zu 
ziehen.  Für  die  früheren  Jahrhunderte  ist  diese  Regelmäfeigkeit  aber  über- 
haupt sonst  noch  nirgends  beobachtet  worden,  weil  die  Statistik  ja  über- 
haupt noch  kaum  über  ein  Jahrhundert  alt  ist,  und  auch  wo  die  statisti- 
schen Untersuchungen  weiter  zurückreichen,  sich  meist  auf  die  Städte  be- 
schränken, wo  die  Bewegung  mehr  indirekt  und  also  in  abgeschwächtem 

1)  Eben  deshalb  ergiebt  auch  die  Uotersachung  jeder  beliebigen  gröfseren  Landpfarrei 
wohl  mehr  sichere  AUgemeinresoltate  (weil  der  das  Land  beherrschende  natürliche  Faktor, 
das  Wetter,  weit  allgemeinere  gleiche  Resultate  ergiebt)  als  dies  bei  der  Untersuchnng  der 
Städte  der  Fall  ist,  deren  jede  ihre  besonderen  wiitschaftlichen  Faktoren  besitzt. 


—     169     — 

Ma6e  —  jedenfalls  nicht  so  auffällig  wie  auf  dem  Lande  —  wiederkehrt; 
vielleicht  auch,  weil  allerdings  gerade  in  der  zweiten  Hälfte  des  XVIH 
Jahrhunderts  die  Erscheinung  weniger  ausgeprägt  sich  geltend  macht  und 
so  der  Beobachtung  leicht  en^eht,  wenn  man  nicht  zugleich  das  vorher- 
gehende und  das  nachfolgende  Jahrhundert  damit  zusammen  betrachtet. 
Sobald  man  das  thut,  wird  niemand,  der  mit  der  Sache  sich  beschäf- 
tigt und  vom  XVI.  bis  herab  zum  XIX.  Jahrhundert  überall  diese  Linien 
in  ziemlich  gleichem  Abstand  wiederkehren  sieht,  sich  dem  verblüffen- 
den Eindruck  dieser  Regelmäßigkeit  entziehen  können  noch  leugnen 
wollen,  dafs  hier  ein  Naturgesetz  von  der  allergröfsten  Bedeutung  vor- 
liegen mufs.  Denn  welch  aufserordentliche  Tragweite  diese  Beobach- 
tung besitzt,  sobald  sie,  worüber  für  mich  auf  Grund  meiner  sonstigen, 
2ur  Vergleichung  weiter  angestellten  Untersuchungen  kein  Zweifel  be- 
steht, auch  sonst  als  allgemein  zutreffend  nachgewiesen  ist,  und  zwar 
nicht  blofe  für  das  Gebiet  der  historischen  Statistik  imd  der  Geschichte 
fiondem  auch  für  die  ganze  Soziologie,  Biologie  und  Naturwissen- 
schaft im  allgemeinen  —  das  wird  jeder  Verständige  ermessen,  zu- 
mal wenn  ich  daran  erinnere,  dafe  diese  Perioden  der  Bevölkerungs- 
bewegung im  grofsen  und  ganzen  den  Brücknerschen  Klimaschwan- 
kungen aufs  prächtigste  entsprechen  *)  und  ich  so  auch  wie  jener  mir 
im  letzen  Grunde  als  Erklärung  nichts  andres  als  siderische  Ursachen 
•denken  kann.  Aber  um  so  mehr  wird  man  es  dem,  der  auf  be- 
schränktem Gebiet  auf  diese  Thatsachen  gestofsen  ist,  zugute  halten, 
wenn  er  sich  keine  einen  grofeartigeren  Ertrag  in  Aussicht  stellende 
wissenschaftliche  Untersuchung  zu  denken  vermag  als  eine  solche  um- 
fassende Ausbeutung  der  Kirchenbücher,  die  freilich,  bei  dem  z.  T. 
ungenügenden  Zustande  der  Grundmaterialien,  planmäfsigund  nach 
einheitlichen  Grundsätzen,  auch  unter  einer  einheitlichen 
Leitung,  in  die  Wege  geleitet  sein  müfste,  um  ihren  sicheren 
Dienst  zu  thun.  In  welcher  Weise  ich  mir  eine  solche  einheitliche 
Ausbeutung  veranstaltet  denke,  darüber  habe  ich  auf  der  General- 
versammlung der  Geschichtsvereine  in  Blankenbuig  im  Jahre  1896  *) 
meine  Ansicht  näher  entwickeln  dürfen  und  darf  sie  vielleicht,  ge- 
nauer ausgedacht,   ein  andermal  hier  wiederholen.     Hier    möchte  ich. 


i)  Ich  dBif  hier  gestchen,  da(s  mir  dieses  klimatologische  Naturgesetz,  schon  ehe  idi 
<len  Brttdcoerschen  Aufsatz  kannte,  auf  Grund  der  eigenen  Beobachtung  wahrscheinlich 
geworden  war  und  dafs  diese  Beobachtung  jene  zeitraubenden  Untersuchungen  zum  Teil 
mit  Teranlaist  hat. 

2)  Vgl.  darüber  das  Referat  im  „Korrespondenzblatt  des  Gesamtvereins ''  45.  Jahr- 
gang (1897),  S.  15, 

13 


—     170     — 


tim  anzudeuten,  auf  welche  Reichhaltigkeit  der  Ergebnisse  zu  rechne» 
ist,  nur  noch  bemerken ,   dafs  mit  jenem  Auf-  und  Abwärtsschwankea 
der  Geburtenzunahmen   überhaupt  auch   die  Ziffern  für  das  Verhältnis 
der  männlichen  zu  den  weiblichen  Geburten,   das   gleichfalls    interes- 
sante  Schwankungen    zeigt,    in   einem  korrespondierenden   Verhältnis 
zu  stehen  scheinen,  so  dafs,   kurz  gesagt,   ein  verschiedener  Einflufe 
der  nassen  und   trockenen  Perioden   herauszukommen  scheint,    wenn 
auch    daneben    wieder    besondere   Gesetze  für    dieses  Verhältnis   be- 
stehen, zumal   der  Einflufs  der  Inzucht  deutlich  bemerkbar   ist.     la 
gewissem  Sinne  erhalten  so  die  Beobachtungen  des  Professors  Schenk 
hier  eine    weitere    Bestätigung,   doch  mit    ziemlichen  Modifikationen,. 
indem   in   der    Hauptsache    unsere   Ergebnisse  eine  allgemeinere    Er- 
klärung fordern  und  liefern.    Von  selbst  versteht  sich,  dafs  mit  diesem 
Wechsel    der   Geburtenziffern    auch  die    Schwankungen    der    Toten- 
register m  einem  kausalen  Nexus,  dem  Verhältnis   der  Wirkung  zur 
Ursache,  stehen,   dafe  so  namentlich   die   höchst  interessanten  Linien 
der  Seuchenjahre,  wo  wir  wieder  höchst  auffällige  Wiederholungen  der- 
selben Zahl  innerhalb  eines  Jahrhunderts  treffen  (so  heben  sich  nament- 
lich die  Jahre  1634,  ^734»  1834  höchst  merkwürdig  heraus),   ihre  na- 
türliche Erklärung  einerseits  als  Reaktionen  gegen  „Übervölkerung",  an- 
drerseits  als  Folge  jenes  klimatologischen  Grundgesetzes  finden.    Na- 
türlich entfällt  daneben  auch  für  einzelne  sonstige  Probleme  ,^   wie  die 
Frage  nach  der  Kindersterblichkeit  in  den  verschiedenen  Jahrhunderten^  " 
sodann  die  Vitalität  überhaupt,  die  Frage  nach  der  durchschnittlichen 
Lebensdauer  früher  und  jetzt,    nicht  am   wenigsten   eine  Menge  ein- 
zelner Krankheiten,   eine  Fülle   von  Material,    soweit    solche  Fragen 
nicht  geradezu  ihre  Lösung  auf  Grund  desselben  finden. 

Auf  Spezielleres  darf  ich  hier  nicht  mehr  eingehen,  sondern  ver- 
weise   dafür    auf  den    Aufsatz  in    v.    Mayrs     Statistischem    Archiv. 
Vielleicht  aber  genügt  das  Gesagte  zusammen  mit  den  dort  gegebenen 
weitren  Ausführungen,  um  auch  andere  wissenschaftliche  Interessenten 
deren  Macht  und  Einflufs   weiter  reicht,  als  der  eines  simplen  Land- 
pfarrers,   die  Bedeutung    derartiger  Untersuchungen    in   ihrem   vollen 
Gewicht  erkennen  zu  lassen  und  so  dasjenige  anzuregen,   um  was  es 
mir  auf  Grund  vieljähriger  und  mühevoller  Arbeiten  hier  zu  thun  ist: 
die   nachdrückliche  und  planmäfsige  Ausnutzung  dieser 
einzigartigen  Materialien,    der  Kirchenbücher,    zur   Be- 
reicherung unserer  vaterländischen  Wissenschaft  und  da- 
mit  des  Vaterlandes. 


m 


m 


D2 


—     171     - 


Mitteilungen 


^  ArchiTe.    —   Bereits   auf  S.    86   haben  wir   atif  das   Erscheiaen  der 

^  Mitteüungeii  der  KgL  Preußischen  ÄrchiwerwaUung  hingewiesen.    Nunmehr 

liegen  die  beiden  ersten  Hefte  (Leipzig,  Hirzel,  1900)  vor  und  eröffiien 
die  Publikationen,  welche  von  allen  Geschichtsforschern,  auch  von  den 
aiifserpreufsischen ,  freudig  begrüfst  werden  müssen.  Im  ersten  Hefte  (40 
Seiten)  berichtet  der  Generaldirektor  der  Staatsarchive,  Reinhold  Koser, 
«•  über  den  gegenwäfiigen  Stand  der  archivaliscJien  Forschung  in  Preußen  und 

[:i  verzeichnet  zunächst  die  von  den  Staatsarchiven  tmd  der  Berliner  Akademie  der 

^  Wissenschaften  besorgten  Aktenpublikationen,   um  dann  eingehend  im  Sinne 

dieser  Zeitschrift  über  die  archivcUischen  Publikationen  uHssenschafllicher  Ver- 
^  einigungen  in  den  Provinzen  und  die  Erscidießung  der  nichtstaatlichen  Archive 

zu  berichten.    Die  hier  gegebenen  Zusammenstellungen  beweisen  recht  deutlich, 
1  wie  in  den  letzten  Jahrzehnten  die  landesgeschichtliche  Forschtmg  sich  aus- 

gedehnt und  wissenschaftlich  vertieft  hat,  sie  geben  aber  auch  —  und  das 
ist  vielleicht  das  wichtigste  —  für   Gegenden,   wo  bisher  weniger  geschehen 
ist,  ein  Vorbild  und  einen   Ansporn,  den  anderen  nicht  nachzustehen.    Dies 
gilt  besonders  fUr   die   systematische   Sammlung  der  im  Lande  verstreuten 
Archivalien.      Auch   recht   wichtige   statistische  Angaben  über  die  Archivbe- 
nutzung   durch    Behörden   tmd  Forscher,    die   ein   stetiges   Anwachsen   der 
Benutzungen  von    1880    bis    1899   beweisen   (1880:    1044,   1899:  2485), 
über    die    Thätigkeit    der    Staatsarchive    speziell   im  Jahre    1899   und  über 
den  Personalbestand  der  Archivverwaltung  am  i.    März  1900  schliefsen  das 
Heft  ab.     Besonders  lehrreich  dabei  ist  die  Vermehrung  der  wissenschaftlich 
vorgebildeten   Beamten    der    Staatsarchive,    die    1854   nur    21    betrug,  aber 
1875    ^^  43  •    1S96   ^^  59   UQ^    1900   auf  71    gestiegen  ist      Dement- 
sprechend ist  auch  der  Ausgabeetat   der   Archiwerwaltung    von  45,375  Mk. 
(1852)  auf  487,667    Mk.    (1900}  gestiegen.  —  Das  zweite  Heft  der  „Mit- 
teilungen" enthält  eine  Geschichte  des  Königlidien  Staatsarchivs  zu  Hannover 
aus    der  Feder   des  Osnabrücker  Staatsarchivars   Max   Bär.     Das   Studium 
der  Geschichte   einzelner   Archive,    die   Beantwortung   der   Fragen:    wie   bt 
das   Archiv   entstanden,   wie    und  von  welchen  Personen   wurde   es    früher 
verwaltet?  u.   a.  m.  ist  geeignet,   bei   manchem  Forscher  ein  tieferes   Ver- 
ständnis  für   den  gegenwärtigen  Zustand   eines   Archivs   zu  erwecken,    aber 
ihm  nicht  minder   einen  Einblick  in  die  innere  Verwaltung  früherer  Zeit  zu 
gewähren,    wie    dies    z.   B.    die    Archivgeschichte    des    Hauses    Leiningen 
von    Richard    Krebs    (Mitteilungen    des    historischen   Vereins   der  Pfalz 
XXII,    1898)   in  hervorragendem  Maise  thut     Aber  darüber  hinaus  ist  die 
Geschichte  eines  Archivs  das  einzige  Mittel,  in  lesbarer  Form  dem  Forscher 
darüber  Aufklärung  zu  verschaffen,  aus  welcher  Zeit  und  über  welche  Dinge 
er  im  Archiv  Nachrichten   suchen  darf.     Das  Erwachsen  des  KurfUrstlichen 
und  Königlichen  Archivs  in  Hannover  aus  dem  Calenbergischen  und  Cellischen 
Archive  und  die  Vermehrung  durch  eine  Menge  kleiner  gesonderter  Archive 
ist  gerade   unter  diesem  Gesichtspunkte  höchst  lehrreich,  denn  jetzt  ist  es 
jedem,  der  das  Hannoverische  Staatsarchiv  zu  benutzen  beabsichtigt,  möglich 
sich  vorher  zu  unterrichten,  ob  das,  was  er  sucht,  sich  in  Hannover  befinden 

13* 


—     174     — 

druckten  Materials  erhöhte  Bedeutung.  Diesem  Bestand  sind  die  ursprünglich, 
in  andere  Abteilungen  verteilt  gewesenen  Papierurkunden  nachträglich  ein« 
gefügt  worden  (23 ,  2230*.;  27 ,  2  2  2  fF.)  Sie  waren  zum  Teil  bereits  auf- 
geführt in  einer  von  H.  Diemar  bearbeiteten  Regestensammlung  Köki  und 
das  Eeicti  (24,  poflf. ;  25,  2i3flf.),  welche,  mit  dem  Beginn  der  Regierung 
Kaiser  Karls  IV.  (1346)  einsetzend,  in  möglichst  umfassender  Weise  die 
bedeutungsvollen  Beziehungen  der  Stadt  Köln  zum  Reiche  anschaulich  zu 
machen  sucht  Anfangs  vomehmhch  auf  dem  bereits  registrierten  Material 
der  Urkunden  und  Briefe  beruhend,  bietet  diese  Sanmilung,  die  der  Auf- 
merksamkeit der  Forschung  besonders  empfohlen  zu  werden  verdient,  in 
ihrem  zweiten  Teile  (1452 — 1474)  durchgängig  selbständig  verarbeiteten 
Stoff.  —  Vom  Aktenbestand  der  städtischen  Verwaltung  sind  die  Ratsedikte 
von  1493  bis  18 19  durch  ein  im  neusten  Hefl  (29,  159 ff.)  erschienenes 
Inhaltsverzeichnis  erschlossen;  Schreinskarten  und  mittelalterliche  Stadtrech- 
nungen, über  die  gleichfalls  zuerst  in  den  „Mitteilungen"  (i,  3  5  ff.  und  23, 
187  ff.)  referiert  wurde,  sind  unterdessen  in  den  Publikationen  der  GeseU- 
schaft  für  rheinische  Geschichtskunde  der  Allgemeinheit  zugänglich  geworden, 
die  Rechntmgsbücher   von    1351  bis  1798  sind  Heft  21,  i  ff.  verzeichnet. 

Der  reiche  Besitz  des  Archivs  an  Akten  zur  Geschichte  derHansa 
umfaist  im  Wesentlichen  den  Bestand  des  Kölner  hansischen  Drittels,  sowie 
eine  Gruppe,  die  Hefl  i,  17 ff.  der  „Mitteilungen"  bis  zum  Jahre  1400 
verzeichnet  ist,  das  Archiv  des  deutschen  Kaufmanns  aus  dem  Kontor  von 
Brügge,  das  1553  nach  Antwerpen  verlegt  wurde.  Seit  dem  Ende  des 
XVI.  Jahrhunderts  werden  diese  Akten  als  Depositum  der  gemeinen  Hansa- 
städte in  Köln  aufbewahrt;  obwohl  sie  ein  Stück  Hansischer  Geschichte 
repräsentieren,  das  nicht  unter  Kölns  direkter  Leitung  verlaufen  ist,  hat  sich 
ihre  Trennung  von  den  übrigen  Hansa -Sachen  nicht  als  durchführbar  er- 
wiesen ;  noch  unter  Höhlbaum  sind  sie  mit  dem  Archiv  des  kölnischen  Drittels, 
der  hansischen  Korrespondenz  Kölns  und  dem  im  Auftrag  der  Hanse- 
städte von  Köln  übernommenen  Nachlafs  des  Syndikus  der  Hansa  Dr. 
Heinrich  Sudermann  ("j*  1591)*)  vereinigt  worden. 

Von  zahlreichen  kleineren  Gruppen,  die  in  den  „Mitteüungen"  registriert 
sind,  mögen  nur  zwei  hervorgehoben  werden,  die  Kölner  Archivalien  aus 
A.  Fahne s  Nachlafs  (20,  8 7 ff.),  der  erfreulicherweise  kürzlich  vollständig 
in  den  Besitz  des  Stadtarchivs  übergegangen  ist,  und  die  Urkunden  und 
Akten  der  Cistercienser- Abtei  Lond  an  der  Warthe  (2,  71  ff.),  einer  Pflanzung 
des  Klosters  Altenberg  bei  Köln  gleich  ihren  Schwesterklöstem  Lekno  (später 
Wongrowitz)  und  Obra.  Die  deutschen  Mönche,  die  sich  fast  vierhundert 
Jahre  lang  in  diesen  Klöstern  behaupteten,  unterhielten  in  ihrer  nationalen 
Bedrängnis  lebhafte  Beziehungen  zu  Köln,  mufsten  aber  1553  gleichwohl 
dem  polnischen  Ansturm  weichen. 

Die  Stammtafeln  des  Kölner  Patriziats  bis  zum  Jahre  1325,  die  Lau 
(24,  65ff. ;  25,  338 ff.;  26,  103 ff.)  mit  grofsem  Fleifse  zusammengestellt 
hat,  führen  uns  zu  einer  Reihe  von  kürzeren  Aufsätzen  hinüber,  in  denen 
Einzelheiten  aus  der  kölnischen  Geschichte,  immer  im  Hinblick  auf  den 
Zusammenhang  mit  dem  Verlauf  der  allgemeinen  Entwicklung  behandelt  sind. 


')  VgL  über  ihn  Keofsen  in  der  AUg.  deutschen  Biographie  37,   121  flf. 


—     176     — 

Von  ihDeo  hat  namentlich  Frensdorffs  Untersuchung  über  das  Recht  der 
Dienstmannen  von  Köbi  (2,  i  fT.)  verdiente  Beachtung  gefunden. 

Jedem  Hefte,  seit  1893  je  zwei  zu  einem  Bande  vereinigten  Heften, 
ist  ein  Namenregister  beigefügt,  das  eine  rasche  Übersicht  über  das  gebotene 
Material  ermöglicht.  Dafs  die  so  eingerichteten  Mitteilungen  aus  dem 
Stadtarchiv  von  Köln  ihren  Zweck  erfüllen  imd  der  Forschung  wertvolle 
imd  zuverlässige  Dienste  leisten,  wird  niemandem  entgehen,  der  in  den  his- 
torischen Arbeiten  der  letzten  Jahre  ihre  Spiu-en  verfolgt. 

Nachdem  das  Staatsarchiv  zu  Hamburg  1899  in  neue  Räume 
übergeführt  worden  ist  (vgl.  darüber  Korrespondenzblatt  des  Gesamtvereins  der 
deutschen  Geschichts-  und  Altertumsvereine  47.  Jahrgang,  1899,  S.  78),  sind 
die  bereits  längere  Zeit  daselbst  thätigen  Herren  Dr.  Nirrnheim,  Dr.  Joachim 
und  Dr.  Becker  seit  AnfiEuig  1900  zu  Archivassistenten  befördert  tmd  damit 
dauernd  angestellt  worden.  Eine  Hauptaufgabe  ist  die  Ausscheidung  wert- 
losen Materials,  die  noch  auf  längere  Zeit  die  Kräfte  der  Archivbeamten  in 
Anspruch  nehmen  dürfte. 

Das  Grofsherzogliche  Generallandesarchiv  zu  Karlsruhe 
veröffentlicht  seinen  Bericht  über  das  Jahr  1899.  Der  Personalbestand  des 
Archivs  hat  sich  dadurch  verändert,  dafs  der  bisherige  Hilfsarbeiter  Dr.  Karl 
Brunner  zum  Archivassessor  befördert  wurde,  während  Dr.  Albert  Eggers 
als  Volontär  eintrat  Die  Archivalien  haben  durch  Ankauf,  Abschriftnahme, 
Schenkung  und  Einlieferung  seitens  der  Behörden  einen  Zuwachs  von  59 
Nummern  erfahren,  die  Repertorisierungsarbeiten  wurden  lebhaft  fortgesetzt 
und  ein  erster  Band  Archivinventare  (s.  oben)  druckfertig  gestellt  Die  Be- 
nutzung durch  Einzelpersonen  tmd  Behörden  war  eine  sehr  lebhafte,  doch 
überwiegt  die  für  wissenschaftliche  Zwecke  bei  weitem;  denn  während  für 
geschäftliche  Zwecke  seitens  39  Behörden  tmd  16  Privatpersonen  nur  in 
105  Fällen  Archivalien  eingesehen  wurden,  fanden  zu  wissenschaftlichen 
Zwecken  durch  176  Personen  327  Benutzungen  statt. 

Nachdem  für  eine  gröfsere  Zahl  jetziger  tmd  ehemaliger  deutscher 
Universitäten  ztu-  Aufhelltmg  ihrer  Vergangenheit  Matrikeln  tmd  Urktmden 
ireröffentlicht  tmd  Geschichten  bearbeitet  worden  sind,  z.  B.  für  Dillingen 
^Specht),  Erfurt  (Kampschulte,  Weifsenbom),  Frankfurt  a.  O.  (Friedländer, 
Reh),  Greifswald  (Friedländer),  Heidelberg  (Winkelmann,  Hautz,  Toepke, 
ThoÄecke,  Fischer),  Köln  (v.  Bianco,  Keussen),  Kulm  (Herne),  Leipzig 
(Zamcke,  Erler),  Prag  (Tomek),  Rostock  (Hofmeister,  Krabbe),  Strafsburg 
{Knod),  Wien  (Kink,  Aschbach),  hat  neuerdings  auch  die  Universität  Frei- 
barg i.  B.  eine  Ordnung,  Verzeichnung  tmd  Neuaufstellung  ihres  Archivs 
beschlossen,  um  dadurch  eine  Publikation  aus  ihrem  Archiv  zu  ermöglichen 
bezw.  vorzubereiten. 

Vei^ine.  —  Die  Notwendigkeit,  dafür  zu  sorgen,  dafs  die  an  einem  Orte 
oder  in  einer  Gegend  vorhandenen  Altertümer  nicht  zerstört  tmd  verschleppt 
werden,  hat  in  neuerer  Zeit  auch  in  kleineren  Städten  eine  erfreuliche  Bewegtmg 
liervorgerufen,  die  nach  der  Begründtmg  von  Ortsmuseen  hinstrebt  (vgl.  S.  87). 


—     176     — 

Städtische  Museen  sind  als  Ausfiufs  dieser  Bestrebungen  neuerdings  in 
Münden,  wo  die  Staatsregierung  geeignete  Räume  im  alten  Schlosse  zur 
Verfügung  gestellt  hat,  und  in  Jena  entstanden,  wo  das  Museum  am  17» 
August  1899  —  fast  gleichzeitig  mit  dem  in  Eisenach  begründeten  Mu* 
seum  thüringischer  Altertümer  —  eröffiiet  wurde.  In  anderen  Orten,, 
wo  seitens  der  Stadtverwaltungen  wohl  weniger  Interesse  gezeigt  wurde,  sind 
lokale  Vereine  entstanden,  die  sich  die  Begründung  und  Ausgestaltung  von 
Ortsmuseen  zur  Aufgabe  gestellt  haben.  Im  Anfang  des  Jahres  1898  ent- 
stand vornehmlich  zu  diesem  Zwecke  in  Prenzlau  der  „Uckermärkische 
Museums-  und  Geschichtsverein'S  im  Oktober  desselben  Jahres  wurde 
in  Alsfeld  (Oberhessen)  das  Museum  des  „Geschichts-  und  Altertums- 
vereins" eröffnet,  und  im  Jahre  1899  ist  in  Delitzsch  ein  „Altertums- 
und Museumsverein",  in  Bad  Reichenhall  ein  „Historischer  Verein" 
imd  in  Harburg  ein  „Museumsverein"  entstanden.  Der  letztere  zählt 
bereits  318  Mitglieder,  und  seine  Mittel  sind  durch  einen  namhaften  Jahres- 
beitrag der  Lüneburger  Ritterschaft  vermehrt  worden.  Auch  für  das  Fürsten- 
tum Lippe-Detmold  wird  die  Begründung  eines  Vereins  und  zwar  in  Ge- 
stalt einer  „Historischen  Sektion  des  Naturwissenschaftlichen  Vereins"  ge- 
plant Aber  seit  Beginn  des  laufenden  Jahres  besitzt  die  lippische  Landes- 
geschichtsforschung bereits  ein  Organ,  indem  die  Lippische  Landes-Zeitung 
eine  monatlich  erscheinende  Beilage  mit  dem  Titel  Blätter  für  lippischc  Hei- 
matkunde  erscheinen  läfst 

Haohtrag  von  Hermann  Forst  in  seinem  Aoftatse  Der  Itcichshieg  tjeyen 
die  Türken  im  Jahre  1664  (vgl  S.  76  ff*.).  Die  mir  erst  nachträglich  bekannt 
gewordene  Schrift  von  B.  Bauer,  Die  Braufischweig-Lündmrger  in  den 
Türkenkriegen  des  17.  Jahrhunderts  (Hannover,  A.  Weichelt  1885)  behandelt 
die  Schlacht  bei  St  Gotthard  nur  kurz  und  im  engsten  Anschlüsse  au  die 
Darstellungen,  welche  v.  d.  Decken  und  v.  Sichart  gegeben  haben.  Bauer 
hebt  dabei  die  Thaten  der  hannoverschen  Reiterei  so  einseitig  hervor,  dafs 
der  Leser  von  dem  Gange  der  Schlacht  kein  richtiges  Bild  gewinnt 

Eine  wirkliche  Bereicherung  unserer  Kenntnis  von  dem  Kriege  ver- 
danken wir  dagegen  G.  Sello,  der  die  Schicksale  des  oldenburgischen  Kon* 
tiogents  in  einem  Feuilleton  geschildert  hat  (Die  Oldenburger  im  Türkenkriege 
1664  in  Nr.  146  bis  150  der  „Nachrichten  für  Stadt  und  Land'V 
Oldenburg  1896).  Die  Auszüge  aus  den  Berichten  des  oldenburgischen 
Rittmeisters,  welche  Sello  mitteilt,  verbreiten  neues  Licht  über  die  Leistungen 
der  Reichstrui^en.  Eine  vollständige  Veröffentlichung  dieser 
Berichte  würde  daher  sehr  erwüpscht  sein. 

Personalien.  —  in  Basel  starb,  59  Jahre  alt,  der  dortige  Professor 
der  Kirchengeschichte  Rudolf  Stähelin,  in  Posen,  82  Jahre  alt,  der  Kgl. 
Preufs.  Archivrat  Josef  v.  Lekszycki,  in  Budapest,  60  Jahre  alt,  der 
Professor  der  Geschichte  Julius  Schwarz,  der  Verfasser  der  Oe^chichte 
der  Demokratie,  in  Bern  der  Professor  der  Kirchengeschichte  und  Ober- 
t>ibUothekar  der  Stadtbibliothek  E.  Bloesch.  —  In  Tübingen  wiurde  der 
4)ishenge  aufserordendiche  Professor  der  Kirchengeschichte  Alfred  Heglex 
zum  Ordinarius,   in  Wien  Alfons   Dopsch   an   Stelle  von  Max  Büdinger 


—     177     — 

zom  Ordinarius  der  allgemeinen  österreichischen  Geschichte  ernannt  —  Der 
bisherige  Professor  der  Kunstgeschichte  an  der  deutschen  Universität  in  Prag, 
Josef  Neuwirt h,  wurde  in  gleicher  Eigenschaft  an  die  technische  Hoch- 
schule in  Wien  versetzt  —  Der  Privatdozent  der  Geschichte  Ernst  Sackur 
in  Strafsburg  i.  £.  und  der  Privatdozent  der  Kunstgeschichte  Franz  Fried- 
rich Leitschuh  ebendort  wurden  zu  aufserordentlichen  Professoren  er- 
nannt —  Die  in  Berlin  neu  gegründete  aufserordentliche  Professur  fUr 
Ethnologie,  Völkerpsychologie  imd  Kulturgeschichte  wurde  Karl  von  den 
Steinen  übertragen.  —  In  Bonn  habilitierte  sich  Hans  Lietzmann  für 
Kirchengeschichte,  in  Wien  wurden  Kurt  Käser  als  Privatdozent  für  die^ 
Geschichte  des  Mittelalters  und  der  neueren  Zeit  und  Hans  von  Volte- 
lini,  dessen  Südtiroler  Notariats  -  Imhreviaturefn  des  XIIL  Jahrhundert^^ 
von  der  Wiener  Akademie  der  Wissenschaften  mit  einem  Preise  von 
2000  Mark  aus  der  Savigny-Stiftung  ausgezeichnet  worden  sind,  als  Pri- 
vatdozent für  deutsches  Recht  und  österreichische  Reichsgeschichte  be- 
stätigt —  In  Wien  wurde  der  Archivar  im  Archiv  des  Ministeriums  des 
Innern  Richard  Schuster  zum  Archivdirektor  II.  Klasse  und  der  Archiv- 
konzipist  an  demselben  Archiv  und  gleichzeitige  Privatdozent  der  Geschichte^ 
Heinrich  Kretschmayr  zum  Archivar  ernannt  Am  Kgl.  Preufs.  Staats- 
archiv in  Wiesbaden  wurde  Dr.  Schaus  zum  Archivassistenten  ernannt. 
Der  Archivar  am  Staatsarchiv  zu  Coblenz  Hermann  Forst  hat  seinen 
Abschied  aus  dem  preufsischen  Archivdienst  erbeten  und  erhalten.  —  Der 
verdiente  Bibliothekar  des  Chorherrenstiftes  St  Florian  bei  Linz  Alb  in 
Czerny,  welcher  eine  Reihe  Arbeiten  über  die  Geschichte  St  Florians 
und  Oberösterreichs  veröffentlicht  hat,  feierte  am  19.  Februar  seinen  80, 
Geburtstag.  —  Am  24.  März  feierte  der  Professor  des  Kirchen-  imd  Staats- 
rechts an  der  Universität  Bonn  Hermann  Hüffer,  der  Vorsitzende  des 
„Historischen  Vereins  für  den  Niederrhein**  (seit  1881),  dessen  geschicht- 
liche Werke  namentlich  die  Zustände  am  Rhein  während  der  französischen 
Revolution  aufzuhellen  suchen,  seinen  70.  Geburtstag. 

Etn^egangene  BOcher. 

Dünzelmann,  £. :  Die  Bremischen  Handelswege  und  die  Varusschlacht 
[Festschrift  der  45.  Versanmiltmg  deutscher  Philologen  und  Schulmänner, 
dargeboten  von  den  öffentlichen  höheren  Lehranstalten  Bremens.  Bremen, 
Gustav  Winter,   1899,  S.  213 — 233.] 

Elster,  O.:  Geschichte  der  stehenden  Truppen  im  Herzogtum  Braunschweig- 
Wolfenbüttel  von  1600 — 17 14.  Leipzig,  M.  Heinsius  Nachfolger,  1899. 
392  S.  8«.     tA  7. 

Exdmann,  Georg:  Reformation  und  Gegenreformation  im  Fürstentum  Hildes- 
heim. Hannover,  Schaper,  1899.  34  S.  8^  «^-  i.  [Veröffentlich- 
ungen zur  niedersächsischen  Geschichte,     i.  Heft] 

Fr  icke,  W. :  Bielefelds  Sparrenburg  und  ihre  Geschichte.  Zweite  verm. 
Aufl.     Bielefeld,  Hehnich,   1888.     168  S.   160.     J$   1,25. 

Giannoni,  C.:  Zum  historischen  Atlas  der  österreichischen  Alpenländer 
[Sonderabdruck  aus  den  Blättern  des  Vereins  für  Landeskunde  von  Nieder- 
österreich 1899.] 


—     178     — 

Glagau,  Hans:  Eine  Vorkämpferin  landesherrlicher  Macht  Anna  von 
Hessen,  die  Mutter  Philipps  des  Grofsmütigen  (1485 — 1525).  Marburg, 
Elwert,   1899.     200  S.  8®.     Jt  3,60. 

Gnirs,  Anton:  Das  östliche  Germanien  und  seine  Verkehrswege  in  der 
Darstellimg  des  Ptolemäus,  ein  Beitrag  zur  alten  Geographie  von  Germanien. 
Prag  1898.  43  S.  8®.  [Prager  Studien  aus  dem  Gebiete  der  Geschichts- 
wissenschaft, Heft  4.] 

<7Ünther,  Friedrich:  Die  Bedeutung  der  Ortsnamen  für  die  Kulturgeschichte. 
Bielefeld,  Helmich  3 1  S.  8<>.  [Pädagogische  Abhandlimgen.  Neue  Folge 
3.  Band,  Heft  2.] 

Hansen,  Reimer:  Der  dithmarsische  Chronist  Johann  Russe  und  seine 
Vorgänger.  [Sonderabdruck  aus  der  Zeitschrift  der  Gesellschaft  ftir  Schles- 
wig-Holstein-Lauenburgische  Geschichte  Bd.  XXDC.  (1899).] 

Heine,  Wilhelm:  Academia  Culmensis.  Ein  Abrifs  ihrer  Geschichte.  [Sonder- 
abzug aus  der  Zeitschrift  des  Westpreufs.  Geschichtsvereins,  Heft  41.] 

Henrichs,  L. :  Geschichtliche  Aufsätze.  Geldern,  Chr.  Ed.  Müller,  1899. 
115  S.   160. 

Hilsmann,  Franz  Jos.:  Geschichte  der  Stadt  Belecke  a.  d.  Mohne.  [Ab- 
druck aus  der  Zeitschrift  ftir  Geschichte  und  Altertumskunde  Westfisdens, 
57.  Band.] 

Höfler,  M. :  Das  Jahr  im  oberbayerischen  Volksleben  mit  besonderer  Be- 
rücksichtigung der  Volksmedizin.  [Sonderabdruck  aus  den  „Beiträgen 
zur  Anthropologie  imd  Urgeschichte  Bayerns"  (München,  Friedrich  Basser- 
mann, 1899)  Band  XIII,  Heft  i — 3.] 

Hund,  Andreas:  Colmar  vor  und  während  seiner  Entwickelung  zur  Reichs« 
Stadt.  Strafsburger  Dissertation  1899.  Strafsburg,  Schlesier  und  Schweik- 
hardt.     85  S.  8«.  *^  2,40. 

John,  Alois:  Geschichte  eines  Egerländer  Dorfes  (Oberlohna  bei  Franzens- 
bad) [Abdruck  aus  „Unser  Egerland'S  Blätter  für  Egerländer  Volkskunde 
II,  1898.  Heft  6.] 

Kiener,  Fritz:  Verfasstmgsgeschichte  der  Provence  seit  der  Ostgotenherr- 
schaft bis  zur  Errichtung  der  Konsulate  (510 — 1200).  Leipzig,  Dyksche 
Buchhandltmg,  1900.     292  S.  8^     .^A   10. 

Krebs,  Richard:  Archivgeschichte  des  Hauses  Leiningen.  [Sonderabdruck 
aus  Heft  22  der  Mitteüimgen  des  historischen  Vereines  der  Pfalz.    1898.] 

Derselbe:  Die  Politik  des  Grafen  Emich  VIII.  zu  Leiningen  und  die  Zer- 
störung des  Klosters  Limburg  im  Jahre  1504.  [Sonderabdruck  aus 
Heft  23  der  Mitteilimgen   des  historischen  Vereines  der  Pftüz.      1899.] 

Lamprecht,  Karl:  Die  kulturhistorische  Methode.  Berlin,  R.  Gaertner, 
1900.    46  S.  80. 

Levec,  Wladimir:  Pettauer  Studien.  Untersuchungen  zur  älteren  Flur- 
verfassimg.  2.  Abteilung.  [Sonderabdruck  aus  Band  XXDC  (der  neuen 
Folge  Band  XIX)  der  Mitteilimgen  der  Anthropologischen  Gesellschaft  in 
Wien.     1899.] 

Linneborn,  J. :   Die  Reformation  der  westfälischen  Benediktinerklöster  im 


—     179     — 

XV.  Jahrhundert  durch  die  Bursfelder  Kongregation.  [Studien  und  Mit- 
teilungen aus  dem  Benediktiner  und  dem  Cistercienser-Orden,  Jahrgang 
XX  (1899),  S.  266—314  und  531 — 570.] 

Loebl,  Alfred  H. :  Zur  Geschichte  des  Türkenkrieges  von  1593 — 1606 
I.  Vorgeschichte.  [Prager  Studien  aus  dem  Gebiete  der  Geschichts- 
Wissenschaft,  Heft  6,   1899.J 

Lorenz,  Hermann:  Alt-Quedlinburg.  Seine  Einrichtungen  und  Bürgersitten 
unter  Albertinischer  Schutzherrschaft  (1485 — 1698),  nach  den  Paurge- 
dingen  geschildert.  Halle,  Hendel,  1900.  70  S.  8<^.  [Neujahrsblätter, 
herausgegeben  von  der  Historischen  Kommission  der  Provinz  Sachsen 
Nr.  24.] 

Neubauer,  Friedrich:  Lehrbuch  der  deutschen  Geschichte  für  höhere  Lehr- 
anstalten. 2.  Teil:  Lehrbuch  der  deutschen  Geschichte  fUr  die  mitderen 
Klassen.    Halle,  Waisenhaus,  1900.     350  S.  8^     Jk  2,60. 

Nuglisch,  Adolf:  Das  Finanzwesen  des  deutschen  Reiches  unter  Kaiser 
Karl  IV.  Strafsburg,  Schlesier  und  Schweikhardt ,  1899.  ^^^  ^*  ^^* 
*M'k  2,40. 

Real,  J. :  Darstellungen  Wachtendonks  aus  der  Festungszeit  [Veröffent- 
lichtmg  des  Historischen  Vereins  für  Geldern  imd  Umgegend  1899.] 

Redlich,  Paul:  Kardinal  Albrecht  von  Brandenburg  und  das  Neue  Stift  zu 
Halle   1520— 154 1.     Mainz,  Franz  Kirchheim,   1899. 

Richter,  Arwed:  Über  einige  seltenere  Reformationsflugschriften  aus  den 
Jahren  1523 — 1525.  [Beilage  zum  Bericht  über  das  Schuljahr  1898/99 
der  Realschule  auf  der  Uhlenhorst,  Hamburg.]     44  S.  8^ 

Rodlow,  Oskar  Wanka  Edler  von:  Der  Verkehr  über  den  Pafs  von  Pon- 
tebba-Pontafel  und  den  Predil  im  Altertum  und  Mittelalter.  49  S.  8*. 
[Prager  Studien  aus  dem  Gebiete  der  Geschichtswissenschaft,  Heft  3, 
1898.] 

Salomon,  Ludwig:  Geschichte  des  deutschen  Zeitungswesens  von  den 
ersten  Anfängen  bis  zur  Wiederaufrichtung  des  Deutschen  Reiches,  i.  Band 
(Das  16.,  17.  und  1 8.  Jahrhundert).  Oldenburg,  Schulze,  1900.  265  S.  8<^. 
Jl^  3. 

Schell,  O. :  Etymologisches  Wörterbuch  der  Geographie  Rheinlands.  Biele- 
feld, Heknich,   1891.     57  S.   i6^ 

Seh  rohe,  H. :  Die  politbchen  Bestrebungen  Erzbischof  Siegfrieds  von  Köln,'* 
ein  Beitrag  zur  Geschichte  des  Reiches  unter   den  Königen  Rudolf  und 
Adolf.     [Sonderabdruck  aus  Heft  67   und  68   der  Annalen   des  hi8to-( 
rischen  Vereins  für  den  Niederrhein.] 

Schulte,  Aloys:  Deutschland  und  das  Meer.  [Sonderabdruck  aus  der 
Beilage  zur  „Allgemeinen  Zeitung ^^  vom  29.  Januar  1900.  Nr.  23. 
München.] 

Derselbe:  Der  St  Gotthard  und  die  Habsburger.  [Sonderabdruck  aus 
der  „Kultur**  i.  Jahrgang  (1900)  3.  Heft] 

Schweizer,  Rudolf:  Studien  über  das  Handschrifteuverhältnis  der  Vita 
S.  Severini   des  Abtes   Eugippius.     Mit   einer   Editionsprobe.     43  S.  8<^. 


—     180     — 

[Prager    Studien   aus    dem   Gebiete    der   Geschichtswissenschaft   Heft    i> 
1898.] 

Seibt,  Anton:  Studien  zu  den  Königsaaler  Geschichtsquellen.  53  S.  SK 
[Prager  Studien  a.  d.  G.  d.  Gw.  Heft  2,   1898.] 

Spiekerkötter,  C.  G.  H. :  Die  Ravensburg  und  ihre  ursprünglichen  Grafen. 
Bielefeld,  Helmich,   1882.     87  S.   lö«. 

Ulrich,  Hermann:  Das  Bataillon  Reufs  in  Schleswig-Holstein  1849  und  der 
Kampf  bei  Eckemförde.     Greiz,   1899.     130  S.   i6*. 

Wäschke,  H. :  Das  Tagebuch  Heinrichs  von  Krosigk  1588  und  1589. 
[Sonderabdruck  aus  den  Mitteilungen  des  Vereins  für  Anhaltische  Ge- 
schichte und  Altertumskunde   VIII,  S.   137  ff] 

Derselbe:  Eine  Chronik  der  Stadt  Alsleben  a.  d.  Saale.  [Sonderabdruck 
aus  den  Mitteilungen  des  Vereins  für  Anhaltische  Geschichte  und  Alter- 
tumskunde  VII,  S.  497  ff] 

Derselbe:  Beiträge  zur  Geschichte  des  wendischen  Dialektes  in  Anhalt. 
[Sonderabdnick  aus  den  Mitteilungen  des  Vereins  für  Anhaltische  Ge- 
schichte und  Altertumskunde  VII,  S.  602  ff.] 

Walter,  Friedrich:  Geschichte  der  Frankenthaler  Porzellanfabrik.  Mann- 
heim, Verlag  des  Altertumsvereins,   1899.     16  S.  8®. 

Wen  dt,  Heinrich:  Die  Breslauer  Stadt-  und  Hospitallandgtiter.  Erster  Teil: 
Amt  Ransem.  Breslau,  Morgenstern,  1899.  276  S.  8®.  [Mitteilungen 
aus  dem  Stadtarchiv  und  der  Stadtbibliothek  zu  Breslau.     Viertes  Heft} 


H«ratMgeber  Dr.  Armin  Tille  in  Leipcif.  —  Druck  und  Verlag  von  Friedrich  Andreas  Perthee  in  Godia. 


Deutsche  Geschichtshlätter 

Monatsschrift 


«ir 


F^rderong  der  landesgescMchtliclieii  Forschung 

I   i 
I.  Band  Mai  xgoo  8.  Heft 

Arehivbenutzungsofdnungen 

Von 
Pius  \A^ttinann  (München) 

Mit  Erfindung  der  Schrift  entstand  auch  sofort  die  Urkunde,  d.  h. 
«die  kurzgeüafete  Darstellung  vom  Abschluß  eines  Rechtsgeschäftes 
2wischen  Privaten  und  juristischen  Personen,  als  Körperschaften,  Ge- 
meinden und  Staaten.  Um  diese  meist  auf  Bast,  Papyrus  oder  Per- 
^fament,  in  besonderen  Fällen  auf  Leder,  Stein  oder  Erz  geschriebenen 
Aufzeichnungen  nach  Möglichkeit  vor  den  schädigenden  Einflüssen  der 
iZeit,  wie  der  Ereignisse  zu  sichern,  pflegte  man  sie  verschlossen  im 
Inneren  des  Hauses  (sanctuarium),  Dokumente  von  gröfeerer  Bedeutung 
aber  in  Staatsgebäuden  (z.  B.  in  Rom  auf  dem  Kapitol,  Palaün),  oder 
in  Göttertempeln  unterzubringen.  Alle  Völker  des  klassischen  Alter- 
tums besaisen  solche  Urkundensammlungen  {yQafifiiXToqn)Xdyua ,  ta- 
bularia,  chartaria,  archiva)  und  übertrugen  öflentlichen  Beamten  {ygofi^ 
^(n<Hpii4xx£gf  htia%6%ai^  archivistae)  deren  Obhut  und  Überwachung. 
Man  darf  wohl  annehn^ ,  dais  auch  in  den  Kulturstaaten  Ostasiens, 
in  Indien,  China  und  Japan  die  Verhältnisse  sich  in  ähnlicher  Weise 
entwickelt  haben. 

Beim  ersten  Zusammentreflen  unserer  germanischen  Vorfahren  mit 
<lem  römischen  Weltreich  waren  dieselben  noch  derbe  Naturmenschen 
und  entbehrten  jeder  höheren  CivUisation.  Durch  fortlaufenden  Verkehr 
mit  gebildeten  Nachbarn  und  Unterthanen  trat  jedoch  hierin  bald  ein 
Umschwung  ein.  Die  Kultur  der  Besiegten  überwältigte  den  Sieger 
tmd  die  Annahme  des  christlichen  Glaubens  ermöglichte  die  rasche 
Verschmelzung  der  disparaten  Elemente  zu  einem  Gefuge. 

Zahlreiche  neue,  bisweilen  sehr  verwickelte  Rechtsverhältnisse,  in 
welche  sich  die  christianisierten,  teilweise  romanisierten  deutschen 
Stämme  hineinzufinden  hatten,  erheischten  natürlich  dauernde  Fest- 
legung durch  das  geschriebene  Wort;  der  Klerus  aber,  welcher  nach 

<lem  totalen  Zusammenbruch  der  weltlichen  Gewalten  während  eines 

14 


—     182     — 

halben  Jahrtausends  fast  alleinigrer  Träger  und  Erhalter  antiker  Kultur- 
elemente blieb,  gewann  —  insbesondere  in  Westeuropa  —  auf  Ent- 
Wickelung  des  Archivwesens  den  gröfsten,  man  darf  wohl  sagen,  zu- 
gleich segensreichsten  Einflufs.  Vor  allem  wachten  Stifte  und  Klöster 
mit  ängstlicher  Sorgfalt  darüber,  dafs  ihr  Besitz  und  ihre  Gerechtsame 
durch  beweiskräftige  Dokumente  vor  Beeinträchtigung  geschützt  waren 
imd,  da  ihre  Insassen  bei  hoch  und  nieder  sich  des  gröfsten  Ansehens 
erfreuten,  kann  es  nicht  Wunder  nehmen,  wenn  ihr  gutes  Beispiel 
auch  anderweitig,  namentlich  bei  mächtigen  Fürsten  wie  blühenden 
Städten  vielfach  Nachahmung  fand. 

Das  allmähliche  Anwachsen  der  landesfursÜichen  Gewalt,  die  Bil- 
dung grofser,  homogener  Staaten,  Humanismus  und  Reformation,  — 
air  diese  Momente  vereint  drängten  die  Geistlichkeit  teils  langsam, 
aber  stetig,  teUs  auch  in  stürmischem  Anprall  von  ihrer  lange  be- 
haupteten Ausnahmsstellung  zurück.  Mehr  und  mehr  wiurde  die  Laien- 
welt Trägerin  der  fortschreitenden  Entwickelung.  Gleichzeitig  erwachte 
auch  das  Interesse  an  der  nationalen  Vergangenheit  und  erzeugte  die 
ersten,  freilich  noch  ebenso  schüchternen  als  unbeholfenen  Versuche 
von  „Geschichtschreibung**. 

Die  nach  Form  und  Inhalt  mangelhaften,  vielfach  geradezu  irre- 
leitenden Annalen  und  Chroniken  des  Mittelalters  vermochten  bald 
den  gesteigerten  Ansprüchen  nicht  mehr  zu  genügen.  Man  erkannte 
die  Notwendigkeit,  den  Thatsachen  an  der  Hand  unbedingt  glaub- 
würdiger Quellen  nachzuspüren,  sie  auf  Grund  vollkommen  gesicherter 
Resultate  darzustellen.  Es  ergab  sich  hieraus  ganz  von  selbst,  daf& 
man  den  „Urkunden",  denen  sich  seit  Rezeption  des  römischen  Rechts 
auch  „Akten*'  (d.  h.  den  Abschlufs  eines  Rechtsgeschäfts  vorbe- 
reitende Schriftstücke),  Litteralien  (Aufzeichnungen  über  Besitz,  Rechte 
und  Pflichten  u.  s.  w.)  und  Korrespondenzen  in  steigendem  Umfang 
beigesellten,  immer  gröfeere  Aufmerksamkeit  zu  widmen  begann.  Doch 
traten  noch  geraume  Zeit  der  zielbewufsten  Forschung  schwer  über- 
windbare Hindemisse  entgegen.  Die  Zahl  der  Archive  war  Legion, 
die  Benutzungsmöglichkeit  nicht  nur  durch  räumliche  Entfernung  und 
hierdurch  verursachte  Unzugänglichkeit  behindert,  sondern  auch  durch 
Ängstlichkeit  oder  Bosheit  der  Eigentümer  vielfach  unmöglich  gemacht. 

Die  Stürme  der  Revolution,  Säkularisation  und  Mediatisation  haben 
einen  bedeutenden  Teil  jener  Hindemisse  beseitigt,  indem  sie  mit 
brataler  Gewalt  den  bisherigen  Besitzem  ihre  Urkundenschätze  ent- 
rissen und  letztere  in  mehr  oder  minder  umfassenden  Staatsarchiven 
anhäuften.     Millionen    von    Urkunden,    Hunderttausende    von   Akten- 


—     183     — 

Produkten  sind  auf  diesem  Wege  örtlich  vereinigt  und  Dank  den 
modernen  Verkehrseinrichtungen  ohne  allzu  viel  Aufwand  von  Zeit  und 
Geld  zu  erreichen. 

Doch  es  ist  keineswegs  die  historische  Wissenschaft 
allein,  welcher  die  Archive  dienen  müssen,  sie  sollen 
nicht  minder  Arsenale  für  rechtsuchende  Parteien  biU 
den,  den  Justiz-  und  Verwaltungsbehörden  die  histo- 
rische Basis  ihrer  Urteile  und  Verordnungen  bieten. 

Die  häufig  ausgesprochene  Ansicht,  dafs  alle  Landesarchive  ohne 
Ausnahme  öffentliche  Staatsanstalten  seien  und  zu  allgemeinem  Gebrauche 
bestimmtes  Staatsgut  enthielten  —  wie  sie  insbesondere  auf  Historiker- 
tagen laut  wurde  —  erscheint  freilich  sofort  als  unhaltbar,  wenn  man 
Ursprung  und  Bestimmung  der  einzelnen  Archive  objektiv  betrachtet 
Der  Staatsregierung  als  berufener  Hüterin  der  Rechte  des  Staates 
darf  nimmermehr  die  Befugnis  bestritten  werden,  die  Benutzung  der 
Landesarchive  durch  Verordnungen  zu  regeln  und,  wo  es  im  Interesse 
der  Gesamtheit  etwa  nötig  scheint,  sie  zu  beschränken.  Von  dieser 
Befugnis  machten  nun  die  verschiedenen  Verwaltungen  freilich  sehr 
verschiedenen  Gebrauch,  und  es  steht  fest,  dafs  Unverstand  wie  Bureau- 
kratismus  bisweilen  allzu  enge  Schranken  gezogen  hat. 

Erfreulicherweise  können  wir  in  dieser  Beziehung  von  unserem 
engeren  Vaterlande  Bayern  sagen,  dafs  es  augenblicklich  an 
der  Spitze  der  Zivilisation  marschiert.  Seine  neue  Archiv- 
benutzungsordnung vom  28.  Februar  1899,  publiziert  mit 
Gesetz-  imd  Verordnungsblatt  Nr.  9  vom  2.  März  gl.  Js. ,  ist  nicht 
nur  die  freisinnigste  unter  allen  deutschen  Bundesstaaten, 
sondern  wird  überhaupt  nur  von  wenigen  europäischen  Ländern  er- 
reicht, von  keinem  übertroffen. 

Durch  diese  neue  Archivbenutzungsordnung  wird  den  Interessen 
wissenschaftlicher  Forscher  wie  der  Rechtsuchenden  weitestgehende 
Förderung  zu  teil.  Alle  bisher  in  Geltung  gewesenen  Kautelen  und 
Chikanen  sind  mit  einem  Schlage  beseitigt  (S  24).  Die  Einsicht  von 
Archivalien  vor  dem  Jahre  1801  hat  nur  dann  zu  unterbleiben  (S  13), 
„wenn  mit  Grund  zu  besorgen,  dafs  die  Veröffentlichung  des  Ergeb- 
nisses das  Staatswohl  oder  den  religiösen  Frieden  gefährden,  oder  die 
gute  Sitte  verletzen  würde**,  Voraussetzungen,  die  bei  „vertrauens- 
würdigen** Personen  kaum  jemals  gegeben  sein  dürften.  Man  kann 
somit  sagen,  dafs  für  ruhig  denkende,  ehrenhafte  Staatsbürger  der 
Zugang  zu  den  Archiven  hinfort  frei  ist,  da  die  durch  S  4  und  6  vor- 
gesehene Eingabe  an  den  „Amtsvorstand**  lediglich  als  eine  im  Inter- 


—     184     — 

esse  der  Ordnung  nötige  Formalität  erscheint,  auch  fiii  die  Zeit  nach 
1800  der  Umstand  keinen  Grund  zu  ablehnendem  Bescheide  bildet, 
„dafe  aus  der  Einsichtnahme  von  Akten  Rechtsansprüche  gegen  den 
königl.  Fiskus  oder  prozessuale  Nachteile  für  denselben  erwachsen 
können"  (S  14),  ja  sogar  Deposita  vorgelegt  werden  dürfen,  „wenn 
nicht  vertragsmäfeige  Bestimmungen  entgegenstehen  öder  eine  Schä- 
digung des  Deponenten  zu  befürchten  ist'*  (S  17).  Fügen  wir  hinzu; 
dafs  den  Archiven  zur  Pflicht  gemacht  wird,  „bei  Ermittelung  zweck- 
dienlichen  Materials  thunlichst  an  die  Hand  zu  gehen"  ($  7),  „Ver- 
sendung von  Archivalien  an  Behörden  oder  wissenschaftliche  An*- 
stalten",  desgleichen  „Repertorienvorlage  gestattet"  ist  (S  18  und  i^ 
und  „bei  ablehnenden  Bescheiden  Beschwerden  möglich"  sind  ($20), 
so  wird  man  gestehen  müssen,  dafs  die  bayerische  Staatsregierung 
mit  ihrer  neuen  Archivbenutzungsordnung  eine  wahrhaft  liberale  That 
vollbracht  und  anderen  Ländern  ein  nachahmungswürdiges  Beispiel 
gegeben  hat  *). 

Behufis  Vergleich  und  zum  Beweise  des  eben  Gesagten  zugleich 
als  Leitfaden  für  Interessenten  gestatten  wir  uns  in  Folgendem  die 
Bestimmungen  der  übrigen  deutschen  Bundesstaaten  wie  der  sonstig^h 
Reiche  Europas  in  Kürze  vorzuführen. 

Was  Preufsen  anlangt,  so  mufs  dort  Genehmigung  zur  Archiv- 
benutzung in  manchen  Fällen  vom  Präsidenten  des  Staatsministeriums 
erbeten  werden.  Die  Vorstände  der  Provinzialarchive  können  nur  vor 
dem  Jahre  1700  datierende  Stücke  ohne  weiteres  vorlegen,  im  übrigen 
entscheidet  der  Direktor  der  Staatsarchive  oder  der  Oberpräsident  der 
Provinz.  Archivalien  nach  1800  sind  von  Benutzung  ausgeschlossen, 
sofern  nicht  das  Staatsoberhaupt  von  Fall  zu  Fall  letztere  gestatten 
wUl.  Über  alle  Gesuche  von  „Ausländem"  (d.  h.  „ Nicht- Reichs- 
angehörigen")  entscheidet  der  Präsident  des  Staatsministeriums.  In 
Bezug  auf  Repertorienvorlage  decken  sich  die  preufsischen  und  baye- 
rischen Normen,  bezüglich  Versendung  gehen  erstere  sogar  weiter 
—  wir  sind  der  Ansicht  „zu  weit"  — ,  indem  sie  „Ausleihe  an  Pri- 
vate" gestatten.  Dagegen  ist  Benutzung  von  Akten  zu  prozessualen 
Zwecken  nur  auf  ein  Editionsansinnen  des  zuständigen  Gerichts  mög- 


*)  Die  Bestimmuogen  für  Archivbenntsang  am  K.  Geheimen  Staatsarchiv  habeo 
in  Bayern  ebenfalls  eine  Änderung  zum  Guten  erfahren.  Der  Vorstand  kann  aas  eigenem 
Ermessen  alle  Archivalien  vor  dem  Jahre  1800  zar  Benatzang  vorlegen.  Kommen  Stücke 
aus  späterer  Zeit  in  Frage,  so  mnfs  Genehmigung  des  Ministeriums  erholt  werden.  Zar 
Benutzung  des  Geheimen  Haasarchivs  ist  Erlaubnis  der  Krone  (z.  Zt.  des  Reichs- 
verwesers) erforderlich. 


—     185     — 

Uch,  und  Benutzung  der  Archive  bleibt  ausgeschlossen,  sobald  eine 
Schädigung  der  Rechte,  Ansprüche  und  Interessen  des  Königs,  de» 
königl.  Hauses  oder  des  Staates  zu  besorgen  steht. 

Weit  rückständiger  erscheinen  die  Vorschriften  des  königl.  preurs. 
Hausarchives.  Hier  gilt  die  Regel  (S  7),  dafs  „  Abschriften  und  Aus- 
züge vor  erteilter  Ministerialgenehmigung  weder  aus  dem  Archive  mit^ 
genommen,  noch  wissenschaftlich  verwertet  werden**  dürfen;  Reper- 
torieneinsicht  ist  ausgeschlossen. 

In  Sachsen  bilden  die  „Interessen  des  Fiskus**  nicht  minder 
einen  Hinderungsgrund  bei  Archivbenutzung.  Auch  ist  die  Direktion 
des  Hauptstaatsarchivs  vom  Ministerium  weit  abhängiger  als  in  Bayern. 
Auf  blofse  Anfragen  nach  Vorhandensein  von  Archivalien  über  einen 
bestimmten  Gegenstand  „sind  keine  eingehenden  Nachforschungen  zu 
pflegen**,  sondern  nur  „kurze  Auskünfte  in  bejahendem  oder  ver- 
neinendem Sinne**  zu  geben.  Wie  in  Preufsen  kann  auch  hier  „Vor- 
lage der  Auszüge**  verlangt  werden.  Bezüglich  der  Versendung 
herrscht  weniger  Liberalität  als  in  Bayern. 

Die  Archivbenutzungsordnung  Württembergs  krankt  an  Unbe- 
ßtimmtheit,  ja  sogar  an  scheinbaren  Widersprüchen.  Feste  Grenzen, 
inwiefern  der  Direktor  allein  oder  mit  Zuziehimg  seiner  Beamten  oder 
nach  Erholung  ministerieller  Genehmigung  zu  entscheiden  hat,  giebt 
es  nicht  Die  einzelnen  Vorschriften  räumen  dem  subjektiven  Er- 
messen der  Direktion,  welche  sich  hinter  Kautelen  und  Klauseln  aller 
Art  zu  decken  vermag,  unseres  Erachtens  viel  zu  weiten  Spielraum 
ein.  Bezüglich  Aktenversendung  beobachtet  man  mit  Bayern  gleich- 
heitliches Verfahren.  Die  Einsicht  von  Repertorien  kann  „in  beson- 
deren Fällen**  gestattet  werden,  doch  sind  diese  Fälle  ziemlich  vereinzelt 

Die  in  Baden  gegenwärtig  geltende  Archivbenutzungsordnung  ist 
erst  am  20.  November  1899  erlassen,  und  ein  Auszug  daraus,  der 
alles  für  die  Benutzer  wichtige  enthält,  liegt  im  Druck  vor.  Danach 
sind  die  Gesuche  um  Benutzungserlaubnis  schriftlich  an  die  Direktion 
des  Generallandesarchivs  zu  richten.  Eine  Bestimmung  darüber,  bis 
zu  welchem  Jahre  alles  vorgelegt  werden  darf,  existiert  nicht  „Reper- 
toiren  dürfen  den  Benutzern  nur  mit  ausdrücklicher  Genehmigung  des 
Archivdirektors  oder  seines  Stellvertreters  vorgelegt  werden**  (S  13). 
Zur  Entnahme  vollständiger  und  wörtlicher  Abschriften  seitens  der  zur 
B^utzung  des  Archivs  zugelassenen  Personen  ist  noch  eine  besondere 
Genehmigung  der  Archivdirektion  erforderlich;  die  Überweisung  eines 
Exemplars  jeder  ^us  den  vorgelegten  Archivalien  bearbeiteten  Druck- 
schrift wird  erwartet 


—     186     — 

la  Hessen-Darmstadt  sind  Private,  welche  das  gfrolsherzogliche 
Haus-  und  Staatsarchiv  benutzen  wollen,  gehalten,  mit  schriftlichem 
Gesuche  beim  Ministerium  einzukommen.  Im  all^^em einen  liberal 
verlangen  die  Bestimmungen  hier  gleichwohl  Einholung  höchster  Ge- 
nehmigung fiir  Fertigung  von  Urkundenabschriften  und  Auszügen,  ja 
sie  stipulieren  sogar,  dafe  unter  Umständen  diese  oder  die  benutzten 
Archivalien  selbst  nachträglicher  Prüfung  durch  das  Ministerium  zu 
unterstellen  sind.  Auch  zur  Repertorieneinsicht  bedarf  man  höherer 
Genehmigung. 

Im  grofeherzoglich  Mecklenburgschen  Geheimen  und  Haupt- 
Archiv  zu  Schwerin  ist  die  Benutzung  durch  Private,  wissenschaft- 
liche Institute,  ja  sogar  durch  Behörden  —  Ministerien,  Kabinett  und 
Oberkirchen  rat  ausgenommen  —  an  direkt  oder  durch  Eingabe  der 
,, Amtsleitung"  zu  erholende  Erlaubnis  des  Ministeriums  des  Innern 
gebunden.  Für  einzelne,  bestimmte  Fälle,  namentlich  Gesuche  von 
Ausschufsmitgliedern  des  , .Vereins  für  Mecklenbui^ische  Geschichte" 
wie  bei  wissenschaftlichen  Arbeiten  und  Veröffentlichungen  der  Archiv- 
beamten entscheidet  das  Archiv  aus  eigener  Kompetenz.  Es  ist  je- 
doch Ministerialgenehmigung  nötig,  wenn  es  sich  um  Verbältnisse  des 
grofeherzoglichen  Hauses,  um  Beziehungen  zum  Deutschen  Reiche  oder 
zu  anderen  Staaten  (seit  1800)  handelt,  oder,  „falls  den  Archivbeamten 
die  Entscheidung  bedenklich  erscheint".  Zeit  und  Müheaufwand  kann 
nach  bestimmten  Sätzen  in  Preisanschlag  kommen  und  zwar  lautet  die 
Fordenmg  pro  Stunde  2  Mark.  Bei  Benutzung  von  gröfserer  Aus- 
dehnung und  längerer  Dauer  setzt  das  Ministerium  nach  Vorschlag' 
des  Archivs  eine  Pauschalsumme  fest. 

Für  das  grofsherzoglich  Mecklenburgsche  Hauptarchiv  in  Neu- 
strelitz  existieren  keine  festen  Bestimmungen.  Ausländer  bedürfen  der 
Minis terialgenehmigung.  Im  übr^en  behandelt  man  die  Benutzer  in 
ziemlich  loyaler  Weise. 

In  Weimar  gelten  ähnliche  Gesichtspunkte  wie  in  Bayem.   Doch 

findet  sich   hier   die  Regel,   dals   alle   Abschriften   und  Auszüge  dem 

Archivdirektor  vorzulegen  sind  und  nur  mit  dessen  Genehmigung  ver- 

'-'  werden  können.     Wo   staatliche  Interessen   berührt   erscheinen, 

villigung  der  Aktenvorlage   von  Genehmigung   des  Ministeriums 

riff  gemacht. 

ine  eigenartige  Sitte  hat  sich  am  grolsherzoglichen  Haus-  und 
larchiv  zu  Oldenburg  erhalten.  Hier  giebt  es  noch  Bestim- 
a,  zu  deren  Einhaltung  die  Benutzer  durch  „Handschlag"  zu 
labten  sind,  so  insbesondere  S  19,  wodurch  Vorlage  der  Ab- 


—     187     — 

Schriften  u.  s.  w.  und  Schweigen  über  allenfalls  fiir  Bekanntgabe  un- 
geeignete Stücke  gefordert  wird.  Doch  dürfen  im  ganzen  genommen 
<lie  geltenden  Normen  als  leidlich  liberal  bezeichnet  werden  und  decken 
sich  der  Hauptsache  nach  mit  den  früher  in  Bayern  maisgebenden 
Bestimmtmgen. 

In  hohem  Grade  beschränkend  und  nicht  mehr  zeitgemäfs  erweist 
sich  aber  S  5 ,  der  die  Erlaubnis  zur  Benutzung  von  Akten  noch 
blühender  Familien  nur  Angehörigen  oder  Mandataren  der  betreffenden 
Geschlechter  erteilt.  Repertorieneinsicht  erfolgt ,, ausnahmsweise**  ($  6); 
auch  kann  Vorlage  der  Excerpte  gefordert  werden.  Laut  S  28  wird 
„auf  Anfragen  auswärtiger  Benutzer"  über  bestimmte  historische  Fragen 
oder  über  das  Vorhandensein  von  Archivalien  in  betreff  eines  be- 
stimmten, näher  bezeichneten  Gegenstandes  schriftliche  Auskunft  er- 
teilt, „sofern  es  ohne  Durcharbeitung  gröfeeren  Materials**,  d.  h.  ohne 
eigentliche  Recherche  möglich  ist,  eine  Praxis,  welche,  wenngleich 
nicht  gesetzlich  fixiert,  doch  auch  an  anderen  Archiven  geübt  zu 
werden  pflegt,  während  in  Bayern  nach  gegenteiliger  Richtung  sogar 
des  Guten  wohl  zu  viel  geschieht. 

^  Unter  den  deutschen  Herzogtümern  besitzt  Braunschweig  keine 
festen  Normen.  In  jedem  einzelnen  Benutzungsfalle  bedarf  man  Er- 
laubnis des  Ministeriums,  das  auch  bezüglich  allenfallsiger  Versendung 
entscheidet.  Doch  ist  uns  glaublich  versichert  worden,  dafs  hierbei 
<ltu:chaus  nicht  rigoros  verfahren  werde. 

Für  das  Anhaltische  „Haus-  und  Staatsarchiv '<  in  Zerbst  ist 
die  Geschäftsinstruktion  von  1876  mafsgebend.  Private  sind  gehalten, 
sich  an  das  Staatsministerium  in  Dessau  zu  wenden.  Die  Archiv- 
verwaltung begutachtet  Genehmigung  oder  Abweisung  einlaufender 
Gesuche.  Einzelne  Gruppen,  namentlich  die  Akten  über  Privatissima 
des  regierenden  Hauses  (Eheverträge,  Testamente  u.  s.  w.),  sind  der  Be- 
nutzung ganz  entzogen.  Wie  in  Oldenburg  geloben  auch  hier  die  Be- 
nutzer mit  „Handschlag**,  eine  Menge  Dinge  beobachten  oder  unter- 
lassen zu  wollen.  Versendung  wie  in  Bayern.  Auszüge  u.  s.  w.  können 
ohne  weiteres  verwertet  werden.  Dabei  gilt  jedoch  der  Grundsatz, 
dafs  fiir  Abfassung  der  Geschichte  noch  blühender  Geschlechter  Ge- 
nehmigung und  Auftrag  des  Familienoberhauptes  erforderlich  ist.  „Un- 
bekannte Bewerber,  auswärts  lebende  Beamte,  Studenten  und  Kandi- 
daten müssen  sich  über  Konfession  (!)  und  Bildungsgang  (!)  ausweisen 
und  überdies  sich  darüber  erklären,  von  wem  etwa  die  Anr^[img  zu 
der  geplanten  Arbeit  ausging.'* 

In  Sachsen -Altenburg  hängt  die  Erlaubnis   zur  Archivbenutzung 


—     188     — 

vom  Justizministerium  ab,  das  bei  seinen  Bescheiden  freiem  Ermessen 
folgt. 

Was  das  Sachsen -Coburgscbe  Archiv  betrifft,  so  wird  daselbst 
nach  Weimarischem  Muster  verfahren.  In  Gotha  bestehen  überhaupt 
keine,  in  Meiningen  keine  gedruckten  Statuten.  Es  ist  hier  alles  dem 
Ermessen  der  Ministerien  anheimgestellt,  die  auf  Grund  gutachtlicher 
Berichte  der  Archiwerwaltungen  entscheiden.  Benutzung  von  Akten 
für  prozessuale  Zwecke  findet  statt,  sofern  nicht  fiskale  Interessen  be- 
rührt erscheinen.  $  6  der  „Amtsinstruktion*'  besagt  hierüber  bezüg- 
lich des  Hennebergschen  gemeinschaftlichen  Archives :  „Der  Archivar 
hat  über  alle  zu  seiner  Kenntnis  kommenden  Geheimnisse,  aus  deren 
OfTenbarung  für  die  bei  dem  Archiv  beteiligten  hohen  Souveräne  Nachteil 
erwachsen  könnte,  unverbrüchliches  Stillschweigen  zu  beobachten." 

Belangend  die  Archive  der  regierenden  deutschen  Fürsten,  sa 
entbehren  Rudolstadt,  Schaumburg-Lippe  und  Waldock  fester  Be- 
stimmungen. Es  entscheidet  hier  überall  das  Machtwort  der  Minister. 
Das  Schwarzburg -Sondershausensche  Archiv  ist  der  Justizabteilung^ 
des  Staatsministeriums  unterstellt,  an  welches  auch  die  Archiv- 
benutzungsgesuche direkt  zu  richten  sind.  Abschriften  und  Excerpte 
müssen  vorgezeigt  werden.  Eine  Pflicht  zur  Auskunfterteilung  liegt 
für  die  Archivbehörde  nicht  vor.  In  Schleiz  werden  Gesuche  durch 
die  fürstliche  Kammer  beschieden.  Der  Archivar  prüft  Kopieen  und 
sonstige  Aufzeichnungen.  Versendung  findet  nicht  statt.  Eine  sehr 
paragraphenreiche  Instruktion  regelt  die  Verhältnisse  des  fürstlich 
Lrippeschen  Haus-  und  Landesarchivs  zu  Detmold.  Es  steht  hier 
zwar  die  Benutzung  jeder  Behörde  und  jedem  Interessenten  frei,  doch 
bleiben  von  Vorlage  ausgeschlossen  alle  das  Regentenhaus  betreffen- 
den Familiendokumente,  diplomatischen  Aktenstücke,  Dokumente,  die 
sich  auf  Rechte  von  Privatpersonen  beziehen,  Produkte,  „deren  Be- 
kanntsein der  öfTentlichen  Sittlichkeit  zuwiderlaufen  oder  konfessionelles 
Ärgernis  geben  könnte",  endlich  Aufzeichnungen,  welche  vermögens- 
rechtliche Verhältnisse  des  Staates  betrefTen,  sofern  sie  nicht  von  $  39 
als  „gemeinsames  Gut**  im  Prozefsverfahren  erklärt  sind  (Amts-,  Sal- 
und  Grundbücher,  Lehenbriefe,  verjährte  Akten  u.  s.  w.).  Repertorien- 
einsieht  und  Benutzung  deponierter  Akten  gilt  als  zulässig.  Durch 
S  47  wird  der  Archivar  nicht  allein  ausdrücklich  verpflichtet,  den  For- 
schem „in  jeder  Weise  an  die  Hand  zu  gehen**,  sondern  sogar  (freilichi 
gegen  Honorar !)  für  dieselben  Übersetzungen  und  Abschriften  zu  fertigen^ 
Von  den  drei  freien  Städten  besitzt,  soviel  uns  bekannt  geworden^ 
Lübe^  keine  besondere  Ordnung    für  Benutzung  seines    wertvollea 


—     189     — 

Arcbives.  In  Hamburg  ist,  um  das  höchst  *  bedeutende  Staatsarchiv 
für  die  historische  Forschung  in  weitestem  Umfange  nutzbar  zu  machen^ 
dem  Vorstande  des  Archivs  die  Befugnis  erteilt  worden,  Archivalien 
vor  1847  ^ach  seinem  Ermessen  im  Lesezimmer,  das  täglich  von  la 
bis  4  Uhr  geöffnet  ist,  zur  Vorlage  zu  bringen.  Zur  Offenlegung 
jüngerer  Bestände  bedarf  es  der  Genehmigung  des  Senats.  Die  Ver- 
sendung von  Archivalien  an  auswärtige  Archive  und  Bibliotheken  er« 
folgt  unter  den  üblichen  Bedingungen.  Für  die  Benutzung  des  Staats- 
archivs zu  prozessualen  Zwecken  hat  der  Gesuchsteller  sein  Interesse 
an  der  Offenlegung  der  gewünschten  Akten  darzuthun,  insbesondere 
wird  die  Einsichtnahme  der  im  Staatsarchiv  aufbewahrten  Akten  der 
vormaligen  Hamburgischen  Gerichte  (bis  1879)  nur  den  Beteiligten 
oder  deren  Vertretern  gestattet.  In  Bremen  gilt  es  als  Regel  „wissen- 
schaftliche Forschung**  in  jeder  Weise  zu  fördern.  Die  Benutzung  für 
prozessuale  Zwecke  wird,  wenn  es  sich  um  Ansprüche  an  den  Staat 
oder  unter  staatlicher  Aufsicht  stehende  Anstalten  handelt,  regelmäfsig 
verweigert.  Bei  Rechtsstreitigkeiten  zwischen  Privaten  ist  sie  nicht 
gerade  ausgeschlossen,  aber  selten.  Gleiches  Verfahren  wird  vom 
Archiv  der  Reichshauptstadt  Berlin  und  dem  Magistrat  der  Stadt 
Breslau  beobachtet. 

Auch  in  Danzig,  Nürnberg,  Augsburg  und  Köln  scheint  man  am 
fiskalischen  Standpunkte  mehr  oder  minder  festhalten  zu  wollen,  da 
die  Bescheidung  der  nicht  wissenschaftUchen  Gesuche  den  Magistraten 
vorbehalten  bleibt.  Wissenschaftliche  Forschung  aber  findet  hier  überall 
freundlichstes  Entgegenkommen.  Ein  Paar  Bestimmungen  der  ehrwür- 
digen Rheinmetropole  sollten  wohl  allenthalben  Nachahmung  finden.  Sie 
besagen,  da(s  „der  Inhalt  der  Archive  der  wissenschaftlichen  Benutzung 
zugänglich  gemacht**  (d.  h.  repertorisiert)  und  „die  Repertorien  thun- 
lichst  schnell  dem  Druck  übergeben**  werden  müssen,  andrerseits  setzen 
sie  fest,  dafs  gröbere  Untersuchungen  und  Nachforschungen  im  Interesse 
der  Benutzer  nur  unternommen  werden  dürfen,  soweit  hierdurch  „die 
Hauptaufgaben**  (Ordnung  und  Verzeichnung  der  Bestände)  keine  Be- 
einträchtigimg erleiden. 

Unsere  g^ofsen  Adelsgeschlechter  haben  ihren  Familien-Archiven 
bisher  leider  nur  zum  TeU  die  nötige  Aufmerksamkeit  und  Sorgfalt 
zugewandt.  Doch  macht  sich  namentlich  seit  Entstehung  des  neuen 
deutschen  Reiches  hierin  ein  erfreulicher  Umschwung  bemerkbar.  So 
lie&en  nnd  lassen  beispielsweise  die  Fürsten  von  Fürstenberg,  Stolberg, 
Schwarzenberg,  Ottingen,  Hohenlohe  n.  s.  w.,  die  Grafen  von  Gistell, 
Giech,  Seinsheim  u.  a.  ihre  Urkundenschätze  von  kundiger  Hand  sichten 


—     190    — 

und  teilweise  publizieren.  Selbstredend  ist  zur  Einsicht  derartiger 
Privatarchive  Genehmigung  des  Familienoberhaupts  oder  Seniorats 
nötig.  Einzelne  Domanialverwaltungen  (z.  B.  die  Fürstenbergsche  in 
Donaueschingen)  erheben  von  den  Benutzem  Gebühren.  Bisweilen  (so 
in  den  fürstlich  Schwarzenbergschen  Archiven)  wird,  ähnlich  wie 
bei  vielen  Staats-  und  Stadtarchiven  (Schleiz,  Sondershausen,  Coburg, 
Weimar,  Zerbst,  Charlottenburg,  Oldenburg,  Schwerin,  Köln)  Abgabe 
von  Gratisexemplaren  solcher  Schriften  verlangt,  die  auf  archivalischem 
Material  beruhen. 

Von  den  deutschen  Archiven  aufserhalb  des  Reichs  zeichnet 
sich  das  k.  k.  Haus-,  Hof-  und  Staatsarchiv  zu  Wien  durch  ver- 
nünftige Grundsätze  aus.  Gedruckte  Bestimmungen  existieren  nicht, 
vielmehr  entscheidet  der  Direktor  nach  freiem  Ermessen.  Wohl  aber 
steht  gegen  dessen  Verfügungen  Rekurs  zum  Staatsministerium  (des 
Äufseren)  offen.  Repertorienvorlage  findet  nicht  statt;  nur  feste  Codices 
gelangen  zum  Versandt. 

Das  Wiener  Stadtarchiv  geht  hierin  weiter,  indem  es  auch  Ur- 
kunden und  AJcten  —  freilich  nur  an  Archive  und  Bibliotheken  hin- 
ausgiebt. 

In  der  freien  Schweiz  weichen  die  Benutzungsordnungen  der 
einzelnen  Kantone  von  einander  oft  wesentlich  ab.  Hin  und  wieder 
verursachen  „fiskale  Interessen"  erhebliche  Schwierigkeiten.  So  gilt 
z.  B.  im  Staatsarchiv  Bern  der  Grundsatz,  dafe  „jenen  Anwälten,  welche 
die  Gegenpartei  des  Kantons  vertreten,  in  Bezug  auf  das  Streitobjekt 
jede  Auskunft  zu  verweigern  sei"  und  „Dokumente  privatrechtlicher 
Natur  an  Private  niur  dann  ausgehändigt  werden  dürfen,  wenn  hierdurch 
Interessen  des  Staates  nicht  verletzt  sind".  In  den  Satzungen  der 
Kantone  Genf  und  Chur  dagegen  herrscht  ein  besserer  Geist  und  sucht 
man  vergeblich  nach  derartigen  beschränkenden  Kautelen. 

Sehr  loyal  sind  die  im  Grofsherzogtum  lAixemburg  geltenden 
Gesetze.  Sie  besagen,  dafs  „Jedermann"  Mitteilung  der  geschicht- 
lichen Dokumente  des  Archivs  verlangen  kann,  lassen  Versendung  an 
Archive  wie  Bibliotheken  zu  und  enthalten  lediglich  die  Reservation, 
dafe  „Verwaltungsakten  nur  solchen  Persönlichkeiten  mitgeteilt  werden 
dürfen,  welche  den  Beweis  erbringen,  dafe  sie  ein  legales  Interesse  an 
deren  Einsicht  haben". 

Belangend  die  aufeerdeutschen  Staaten,  so  besitzt  Griechenland 
überhaupt  kein  Archiv,  weil  hier  von  den  Osmanen  alle  Denkmäler 
der  Vorzeit  nach  Möglichkeit  zerstört  worden  sind.  Von  der  Türkei 
gilt  selbstredend  das  Gleiche.    Über  das  rumänische  Archiv  zu  Buka- 


—     191     — 

Test,  das  portugiesische  zu  Lissabon,  ferner  etwaige  ähnliche  Anstalten 
zu  Sophia  und  Belgrad  vermochten  wir  nichts  zu  erfahren ,  da  wieder- 
holte Anfragebriefe  unbeantwortet  geblieben  sind.  In  Spanien  soll 
man  namentlich  ,, [fremden  Forschem  gegenüber  sehr  koulant"  ver- 
fahren (Mayr-Deisinger). 

In  Rufsland  existieren  zu  Moskau,  Petersburg,  Warschau  und  in 
anderen  Städten  reiche,  wertvolle  Archive.  Allgemein  giltige  Be- 
nutzungsnormen giebt  es  nicht.  Zur  Vorlage  gewünschten  Materials  sind 
die  jeweiligen  Direktoren  befugt.  In  Zweifelsfällen  aber  mufs  Genehmi- 
gung des  einschlägigen  Ministeriums  und,  wo  es  sich  um  Urkunden  des 
„Geheimen  Archives**  dreht,  jene  des  Kaisers  selbst  erholt  werden. 

Von  den  skandinavischen  Staaten  gewährt  Dänemark  der  Forschung 
weitesten  Spielraum.  Die  Benutzung  der  Archive  zu  wissenschaftlichen 
"wie  zu  Rechtszwecken  steht  hier  bereits  seit  lo.  März  1891  „Jedermann" 
frei.  Doch  ist  der  Archivar  berechtigt,  in  öffentlichem  oder  privatem 
Interesse  bisweilen  einen  Akt  zurückzubehalten  oder  dessen  Vorlage 
nur  unter  gewissen  Kautelen  zu  gestatten.  Kirchenbücher  dürfen  nie- 
mals vor  Ablauf  von  30  Jahren  eingesehen  werden.  Dagegen  bildet 
der  Umstand,  dafe  Aufklärungen  zum  Gebrauche  im  Prozefe  gegen 
den  Staat  gewünscht  werden,  kein  Hindernis  der  Aktenvorlage. 

In  Schweden  schärft  die  Instruktion  vom  26.  Oktober  1877  den 
Beamten  die  Pflicht  ein,  „dem  Benutzer  nach  Möglichkeit  an  die  Hand 
zu  gehen**  ($  6.)  Leider  läfst  dagegen  $  13  doch  unter  Umständen 
gewisse  Chikanen  des  Publikums  zu.  Denn  der  viel  zu  allgemein  ge- 
haltene Satz:  „Aktenvorlage  erfolgt,  falls  nicht  Gründe  zur  Geheim- 
haltung vorhanden  sind,**  öffnet  unter  Umständen  der  Willkür  Thür 
und  Thor.  Unbedingt  von  Benutzung  ausgeschlossen  bleiben  Proto- 
kolle des  Staatsrats  und  Reichstagsausschusses,  sowie  diplomatische 
Aktenstücke,  welche  jünger  als  fünfzig  Jahre  sind;  endlich  deponierte 
Dokumente  und  Mobilisierungspläne. 

Auch  in  Norwegen  wird  der  historischen  Forschung  weitgehendste 
Unterstützung  zu  Teil.  Doch  spielen  hier  die  „Interessen  des  Fiskus** 
bei  ablehnenden  Bescheiden  noch  immer  eine  viel  zu  bedeutende  Rolle. 

In  England  gilt  für  das  „Public  record  office**  zu  London  das 
Statut  vom  25.  März  1895.  Die  Reflektanten  tragen  sich  in  ein  „atten- 
•dance  book**  ein  und  präzisieren  auf  einem  Blatt  („a  separate  ticket**), 
das  sie  dem  dienstthuenden  Beamten  einhändigen,  ihre  Wünsche. 
Mehr  als  drei  Urkunden-  oder  Aktenprodukte  gelangen  nie  auf  einmal 
2ur  Vorlage.  Über  die  vorhandenen  Repcrtorien  und  Inventarc  liegen 
jedermann  zugängliche  Listen  auf.     Darin  nicht  verzeichnete  Reper* 


—     192     — 

torien  können  nur  mit  Genehmigung  des  „deputy  keeper**  unterbreitet 
werden.  Gerichtsdokumente  nach  1760  sind  im  Allgemeinen  von  Be- 
nutzung ausgeschlossen.  Ältere  Stücke  stehen  der  historischen 
Forschung  offen.  Für  jede  archivalische  Thätigkeit,  wie  für  jedea 
einem  Benutzer  erwiesenen  Dienst  werden  Taxen  erhoben,  die  sich  bis 
zu  2  Pfund  Sterling  und  höher  belaufen  können. 

Für  das  „Reichsarchiv''  des  Königreichs  der  Niederlande  besagt 
eine  Verordnung  vom  26.  Juni  1856:  Jeder  vertrauenswürdige  Mann  — 
gleichviel  ob  einheimisch  oder  fremd  —  hat  ein  Recht  zur  Archiv- 
benutzung. Im  Falle  die  Archivvorstände  sich  nicht  getrauen,  auf  ihr 
eigenes  Risiko  Zulassung  zu  gewähren,  holen  sie  höheren  Ortes  Be- 
scheid  ein.  Die  Beamten  sollen  den  Benutzem  mit  Rat  und  Erklärung^ 
zur  Seite  stehen,  ihnen  Register  und  Inventare  unterbreiten.  Versen- 
dung ist  imter  Kautelen  zulässig.  Um  archivalische  Ausbeute  litterarischi 
verwerten  zu  dürfen,  bedarf  der  Autor  die  Genehmigung  der  den  Archiven 
vorgesetzten  Stellen  und  mufs  vor  Beginn  der  Benutzung  einen  darauf 
lautenden  Revers  unterzeichnen.  Gewisse  Stücke  sind  von  Einsicht 
ausgeschlossen,  sofern  nicht  Nachweis  der  „Berechtigung  zur  Sache **^ 
beigebracht  werden  kann. 

Was   die  belgischen  Archive   (archives  g^n^rales   du  royaume) 
belangt,    so    kann    nach    Mitteilung    des    „archiviste    adjoint"    Herrn 
A.  Gaillard  ein  Jeder  „Akten  von  historischer  oder  Privatbedeutung**" 
kostenlos  benutzen,  sofern  er  sein  Interesse  daran  darzuthun  im  Stande  ist. 

Im  Königreich  Ungarn  ist  der  Modus  der  Archivbenutzung  durch 
höchste  Reskripte  aus  verschiedenen  Jahren  (besonders  1875,  1879  und 
1880)  geregelt.  Behörden  wird  auf  Grund  von  Requisitionen,  Privaten, 
nach  Unterbreitung  eines  spezifizierten  Gesuches  die  Einsicht  möglichst 
genau  zu  bezeichnender  Produkte  —  jedoch  nie  mehr  als  25  auf  ein- 
mal —  zugestanden.  Bei  Recherchen  für  wissenschaftliche  Zwecke 
kann  von  Eingaben  Umgang  genommen  werden  und  genügt  proto- 
kollarische Niederlegung  der  Wünsche.  Gegen  ablehnende  Bescheide 
des  Archiworstandes  steht  Rekurs  zum  königl.  Staatsministertum  des 
Innern  frei. 

Von  besonders  wichtigen  Aktenstücken  werden  nur  Abschriften- 
mitgeteilt,  für  welche  überdiefs  ziemlich  hohe  Gebuhren  in  Ansatz: 
kommen.  Versendung  von  Archivalien  ist  ausgeschliossen^  ebenso- 
Vorlage  solcher  Stücke,  welche  vermögensrechtliche  odfer  delikate* 
politische  Verhältnisse  des  Staates  betreffen.  Repertcrieo>,.  deren  Ein-^ 
träge  sich  auf  die  2^it  nach  1740  beziehen,  können  nux  mit  Ministerial- 
genehmigui^  eingesehen  werden. 


i 


—     193     — 

Für  Frankreich  sind  die  D^crets  oig^ques  et  r^lement 
I^apoleons  III.  vom  November  1856  durch  D^cret  et  arr6t6  relatifs 
Ä  r  Organisation  des  archives  nationales  (Paris,  Mai  1887)  teilweise 
abgeändert  worden.  Wir  erwähnen  hier  als  besonders  relevant  folgende 
Benutzungsnormen :  „Dokumente,  die  jünger  als  50  Jahre  sind,  können 
nur  mit  Ministerialgenehmigung  eingesehen  werden.  Die  Benutzung 
-diplomatischer  Aktenstücke  nach  1790  ist  von  der  Erlaubnis  des 
Ministeriums  des  Äufeeren  abhängig.  Erst  nach  Ableben  der  BeteUigten 
•dürfen  darauf  bezügliche  Produkte  unterbreitet  werden.  Familienpapiere 
privaten  Charakters  bleiben  von  Benutzung  ausgeschlossen,  sofern  nicht 
von  Seite  der  Angehörigen  hierfür  Zustimmung  erteilt  wird.  Die  In- 
teressenten haben  schriftliche  Eingaben  zu  unterbreiten,  in  denen  der 
Zweck  der  Benutzung  klargelegt  wird.  Sollte  ein  Amtsvorstand  Zweifel 
darüber  haben,  ob  er  einer  Bitte  entsprechen  darf  oder  nicht,  so  erholt  er 
Ministerialbescheid.  Die  Einsicht  geschriebener  Repertorien  ist  unerlaubt. 

Italiens  zahlreiche  und  weit  hinaufreichende  Staats- Archive 
werden  erfreulicherweise  nach  recht  freisinnigen  Grundsätzen  verwaltet. 
Eine  noch  heute  in  Kraft  befindliche  Verordnung  vom  27.  Mai  1875 
bestimmt  u.  a. :  Alle  Akten  exkl.  solche  rein  persönlicher  Natur  sind 
als  öffentliches  Gut  zu  betrachten  und  jedermann  zugänglich.  Politische 
Akten  vor  dem  Jahre  181 5  stehen  unbeschränkter  Einsicht  frei;  Straf- 
^dcten  können  vorgel^  werden,  wenn  seit  der  UrteUsfallung  70  Jahre 
verflossen  sind.  Die  Präklusivfrist  iiir  Administrationsakten  beträgt  nur 
30  Jahre.  Für  Archivalien  rein  geschichtlichen  Charakters  besteht 
kein  Normaljahr.  Von  jenen  Akten,  die  sich  nicht  in  ihrem  Gesamt- 
nmfange  zur  Vortage  eignen,  können  mit  höherer  Genehmigung 
^, Notizen"  geliefert  werden.  Die  Benutzer  sind  gehalten  in  einer  Ein- 
übe die  Ziele  ihrer  Arbeit  zu  präzisieren  und  sich  den  Benutzungs- 
normen zu  fügen. 

Was  endlich  die  Benutzung  des  fast  für  alle  Nationen  der  Erde 
bedeutsamen  Vatikanischen  Archivs  zu  Rom  betrifft,  so  existiert 
«in  Regoiamento  per  la  bibliotheca  vom  Jahre  1885 ,  das,  wie  schon 
sein  Name  besagt,  ursprünglich  nur  für  die  päpstliche  Bücherei 
bestimmt  war,  aber  jedenfalls  zeitweilig  auch  auf  die  Dokumenten- 
sammhing  Anwendung  gefunden  hat.  Die  50  Seiten  in  4^  umfassende 
Broschüre  erschien  nicht  im  Handel  und  wurde  nur  an  wenige  Persön- 
lichkeiten verteilt.     Publikation  von  anderer  Seite   ist  ausgeschlossen. 

Thatsächlich  haben  die  Bestimmtmgen  des  Regoiamento  im  Laufe 
der  Zeit  ihre  Bedeutung  grölstenteUs  verloren.  Die  strengen  Statuten 
desselben,  die  insbesondere  scharfe  Kontrolle  über  genommene  Kopien 


—     194     — 

vorsehen  und  selbst  mit  den  Strafen  der  Exkommunikation  drohen, 
sind  wohl  niemala  in  Kraft  getreten.  Der  Geschäftsgang  ist  vielmehr 
seit  dem  R^icrungsantritt  Papst  Leo  XIII.  ein  völlig  veränderter  ge- 
worden.    Er  spielt  sich  in  folgender  Weise  ab: 

Mit  einer  Bittschrift  an  den  Pontifex  versehen  (dabei  empfohlen 
durch  eine  bereits  bekannte  Persönlichkeit!)  stellt  sich  der  Forscher 
dem  Unterarchivar  vor.  Sofort  wird  ihm  ein  Platz  im  Benutzersaale 
angewiesen  und  die  Durchsicht  der  zahlreichen  Repertorien  und  In- 
ventare  gestattet.  Hat  man  Einschlägiges  entdeckt,  so  bemerkt  man 
auf  einem  Bestellzettel  die  Signatur  des  Archivale  und  übei^iebt  das 
Blatt  einem  der  Diener.  Wenn  das  Gewünschte  nicht  gerade  ander- 
weitig benutzt  wird,  kann  man  es  schon  binnen  wenigen  Minuten  er- 
halten. Mehr  als  zwei  Bände  oder  Faszikel  sollen  dabei  auf  einmal 
nicht  aui^eliehen  werden.  Die  Einsicht  der  Dokumente  erfolgt  im 
Amtslokal  und  zwar  in  Gegenwart  päpstlicher  Archivare.  Au^eschlosscn 
von  Archivbenutzung  ist  niemand;  auch  wird  dem  Interessenten  hin- 
reichend 2^tt  zur  Durchführung  seiner  Forschung  gewährt  Ob  aber 
nicht  manche  Akten  u.  s.  w.  der  Benutzung  von  vornherein 
entzogen  sind,  erscheint  fraglich.  Will  man  nicht  selbst  seine  Aus- 
züge machen,  so  mufs  man  sich  hierzu  „ admittierter  Kopisten"  be- 
dienen. Von  Büchern,  welche  der  Hauptsache  nach  auf  vatikanischem 
Material  beruhen,  soll  ein  Freiexemplar  dediziert  werden,  was  auch  in 
den  meisten  Fällen  geschieht.  Die  Benutzungszeit  dauert  täglich  (mit 
Ausnahme  der  Sonn-  und  Feiertage)  von  */i9  bis  I2  Uhr.  An  Ostern 
und  Weihnachten  ist  das  „Vatikanische  Archiv"  mehrere  Tage  lang 
geschlossen.  Das  Gleiche  gilt  zur  Zeit  der  ,,gro(sen  Ferien",  welche 
am  I.  Juli  beginnen  und  mit  dem  30.  September  endigen.  — 

Mit  dem  Gesagten  glauben  wir  die  am  Ebgang  dieses  Aufsatzes 
au^esprochene  Behauptung,  dals  kein  europäischer  Staat  dem  Archiv- 
benutzer gröfeeres  Entgegenkommen  und  förderlichere  Unterstützui^ 
angedeihen  läfet,  als  der  bayerische,  zur  Genüge  erhärtet  zu  haben. 
Hoffen  wir,  dafs  unsere  freisinnigen  Institutionen  in  Bälde 
Nachahmung  finden  und  nicht  nur  den  deutschen  Reichs- 
angehörigen allein,  sondern  dem  deutschen  Volke  in 
""- ^"--»mtheit  zu  Ehr'   und  Nutzen  gereichen  mögen! 


—     196     — 


Iiitnes^Forsehung  in  Österreieh 

Von 
S.  Frankfurter  (Wien) 

Die   durch    den   Altmeister   der   römischen    Geschichtsforschung' 
Theodor  Mommsen  trefflich  oi^anisierten  und  mit  schönsten  Erfolgen 
durchgeführten  Arbeiten  der  deutschen  Reichs-Limeskommission  muisten 
den  Gedanken  nahe  legen,  auch  in  dem  Deutschland   benachbarten 
und  mit  ihm  durch  so  viel  geistige  Interessen  nahe  verbundenen  Öster- 
reich die  Arbeit  auEzunehmen  tmd  die  teils  zu  Tage  liegenden,   teils 
erst  durch  Grabungen   zu    erhebenden  Reste    der   römischen   Grenz- 
verteidigung an  der  Donau  zu  untersuchen.    Bereits  anfangs  1896  wies 
Schreiber  dieser  Zeilen  in  zwei  Vorträgen,  in  der  Wiener  philologisch- 
archäologischen Gesellschaft  „Eranos  Vindobonensis**  imd  im  Wiener 
„Wissenschaftlichen  Klub 'S  auf  die  Notwendigkeit  hin,  diese  Arbeiten 
in  Österreich  fortzusetzen  und  zu  ergänzen  (vgl.  seinen  Aufsatz  „Der 
römische  Grenzpfahl  in  Deutschland''   in    der  Wiener  Wochenschrift 
„Die  Zeit",  Nr.  84  u.  85,  vom  9.  imd  16.  Mai  1896),  und  sprach  den 
Wunsch  aus,  dais,  da  der  Hauptteil  der  durchzuführenden  Arbeiten  in 
Ungarn  läge,   eine  einheitliche  staatliche  Aktion   Österreich -Ungarns 
unternommen  werde.    Bald  sollte  der  Gedanke,  wenn  auch  in  anderer 
Form,  seine  Verwirklichung  finden.     Im  Jahre  1896  fiel  nämlich  der 
Kaiserl.  Akademie   der  Wissenschaften  in  Wien  durch  das  Testament 
eines  schlichten  Wiener  Bürgers,  Joseph  Treitl,  ein  Vermögen  von 
etwa  1 200  CXX)  ü.  zu.     Da  der  edle  Spender  nur  im  allgemeinen  die 
Frag'en  bezeichnete,   die  ihn  besonders  interessierten  imd  die  durch 
jene  Widmimg  gefördert  werden  sollten,  im  übrigen  jedoch  in  hoch- 
herziger Weise  der  Akademie  die  nähere  Bestimmung  über  die  Ver- 
wendung ganz  überlieis,   war  es  möglich,   auch  für  andere  als  jene 
Zwecke   das  Erträgnis  jener  Stiftung  nutzbar  zu   machen.     Es   wurde 
nun  beschlossen,  etwa  ein  Drittel  der  Gelder  der  philosophisch-histo- 
rischen Klasse  für  die  Durchführung  notwendiger  Arbeiten  zu   über- 
weisen, und  zu  den  ins  Auge  gefa&ten  Aufgaben  gehörte  auch  die 
Erforschung  des  römischen  Limes  in  Österreich,  und  zwar  zunächst  in 
Nieder-  und  Oberösterreich.     Es  wurde   von    der  Kaiserl.   Akademie 
eine  Limeskommission  eingesetzt,    an  deren  Spitze   als  Antrag- 
steller der  damalige  Direktor  der  Münzen-,   MedaUlen-  und  Antiken- 
sammlung, Friedrich  Kenner  (seither  in  den  Ruhestand  getreten)^ 


—      196     — 

«teht  und  der  die  Herren  Professor  Dr.  Eugen  Bormann,  der  Direktor 
des  österreichischen  archäologischen  Instituts  Hofrat  Dr.  Otto  Benn- 
dorf,  Professor  Dr.  Wilhelm  Tomas chek,  der  k.  u,  k.  Oberst,  jetzt 
ordentlicher  Universitätsprofessor  (für  Geodäsie)  Heinrich  Hartl  als 
Mitglieder  angehören.  Die  Ausführung  der  Arbeiten  übernahm  der 
k.  u.  k.  Oberst  des  Ruhestandes  Maximilian  Groller  von  Wildensee, 
der  bereits  seit  Sommer  1897  die  Ausgrabungen  in  Camuntum  geleitet 
und  sich  als  durchaus  geeignete  Kraft  bewährt  hatte.  Um  die  Ergeb- 
nisse der  Arbeiten  der  deutschen  Reichs-Limeskommission  an  Ort  und 
Stelle  kennen  zu  lernen,  machte  Oberst  v.  Groller  vorerst  eine  Reise 
dahin  und  hatte  Gelegenheit,  an  den  wichtigsten  und  interessantesten 
Stellen  eingehende  Studien  anzustellen. 

Über  die  Arbeiten  der  österreichischen  Limeskommission  er- 
scheinen jeweilig  kurze  Berichte  im  Anzeiger  der  philosophisch-histo- 
rischen Klasse  der  Akademie,  es  sollen  aber  im  Laufe  der  Zeit  diese 
Berichte  in  einer  Sonderausgabe  vereinigt  werden.  Überdies  sollen 
eingehende  fachwissenschaftliche,  mit  Plänen  und  Abbildungen  aus- 
gestattete Darstellungen  den  Inhalt  einer  selbständigen,  in  zwanglosen 
Heften  erscheinenden  Publikation  der  Limeskommission  bilden.  Das 
erste  Heft  dieser  Limespublikation  (unter  dem  Titel:  Der  römische 
lAtnes  in  Österreich)  liegt  nun  seit  kurzem  vor.  Bevor  wir  auf  seinen 
Inhalt  näher  eingehen,  wollen  wir  einige  Mitteilungen  über  die  römische 
<jrenzwehr  an  der  Donau,  soweit  ihre  Spuren  in  Österreich-Ungarn  bekannt 
sind,  vorausschicken,  um  die  hier  zu  lösende  Angabe  zu  kennzeichnen. 

In  Österreich -Ungarn  ist  kein  dem  rätisch -germanischen  Litoes, 
-dessen  Erforschung  die  reichsdeutsche  Limeskommission  unternommen 
hat,  ganz  entsprechendes  Werk  vorhanden,  aber  der  Grenzschutz  war 
längs  der  ganzen  Donau  von  ihrem  Eintritt  in  die  Monarchie  bis  zu 
ihrem  Austritt  aus  ihr  in  analoger  Weise,  wie  etwa  an  der  Strecke  am 
Main,  durch  Kastelle  und  Wachttürme  organisiert.  Die  Hauptaufjg^abe 
wird  somit  in  Ungarn  zu  thun  sein,  aber  auch  in  Österreich  ist  bis 
zur  ungarischen  Grenze  noch  manches  Stück  Arbeit  zu  erledigen. 
Wenn  man  von  den  Grabungen  in  Camuntum  absieht,  die  wertvolle  Er- 
gebnisse gerade  für  diese  Frage  ergeben  haben,  so  wissen  wir  von  den 
oberhalb  von  Vindobona,  zwischen  Vindobona  und  Camuntum  und 
unterhalb  von  Camuntum  gelegenen,  zum  Teil  bekannten  Kastellen 
noch  viel  zu  wenig.  Die  Untersuchung  mit  dem  Spaten  ist  noch  nicht 
gefuhrt  worden  und  wird  gewifs  manch  wertvolles  Resultat  zu  Tage 
fordern.  Noch  reicheren  Gewinn  kann  man  sich  in  Ungarn  versprechen: 
auf  der  Strecke  zwischen  0-Szöny  (dem  antiken  Brigetio)  bis  Belgrad 


—     197     — 

(Singidunum)  sind  bis  jetzt  im  ganzen  29  Donaukastelle,  von  meist  an- 
sehnlicher Gröfse,  nachgewiesen,  die  jedoch  nicht  die  Gesamtzahl  der 
einst  vorhandenen  darstellen  können,  denn  es  finden  sich  Lücken  von 
etwa  40  km.  Es  finden  sich  auch  brückenkopfartige  Anlagen  auf  dem 
linken  Stromufer,  so  Kastelle  gegenüber  den  beiden  Legionslagem  in 
Brigetio  und  Aquincum  (Altofen),  ebenso  gegenüber  von  zwei  Kastellen 
(Koralöd  und  Banostor).  Auf  der  Strecke  von  Gran  bis  Budapest  ist 
die  Anlage  von  Burgi  (aus  ein  oder  zwei  Türmen  bestehend)  be- 
merkenswert; es  sind  bis  jetzt  zwölf  bekannt,  von  welchen  neun  am 
rechten,  drei  am  linken  Ufer  hart  am  Strome  liegen.  Diese  Anlage 
hängt  mit  dem  Donaufeldzug  des  Kaisers  Valentinian  vom  Jahre  375 
zusammen,  der,  wie  eine  Inschrift  lehrt,  die  Anlage  solcher  Burgi  zur 
Sicherung  seiner  Operationsbasis  angeordnet  hat.  Dazu  kommt  noch 
die  Erforschung  der  gröfseren  Legionslager  und  des  Strafeennetzes. 
Vorläufig  ist  freilich  von  der  Organisation  dieser  grofsen  Aufgabe  noch 
wenig  zu  melden.  * 

Die  Limeskommission  beschlofs  vielmehr,  ihre  ersten  Arbeiten 
auf  die  Erforschung  von  Carnuntum  ^),  dem  Hauptlager  der  Römer  in 
Pannonia  superior,  zu  beschränken,  weil  so  an  die  bereits  durch  die  er- 
folgreiche Thätigkeit  des  seit  1885  bestehenden  Vereins  „Carnuntum** 
erzielten  Ergebnisse  angeknüpft  werden  konnte.  So  wurden  denn  in 
den  Jahren  1897  "^^  1898  Grabungen  in  und  um  Carnuntum  ver- 
anstaltet, die  einerseits  bereits  früher  durchgeführte  Untersuchungen 
durch  Nachgrabungen  ergänzten  und  berichtigten,  anderseits  durch 
Neugrabungen  die  Kenntnis  der  alten  Lagerstadt  erweiterten.  Da  somit 
die  Limeskommission  mit  dem  Verein  „Carnuntum**  zusammen  ar- 
beitete —  die  Verbindung  wird  insbesondere  durch  die  Person  des 
Ausgrabungsleiters,  des  genannten  Obersten  v.  Groller,  verkörpert  — , 
deckt  sich  auch  der  jüngst  ausgegebene  Bericht  des  Vereins  „Carnun- 
tum** sachlich  zumeist  mit  dem  ersten  Hefte  der  Limeskommission. 

Dieses  Heft  hat  folgenden  Inhalt:  In  einer  allgemeinen  Einleitung 
bespricht  zunächst  Oberst  v.  Groller  die  besonderen  Aufgaben  der 
österreichischen  Limesforschung  (natürlich  mit  Beschränkung  auf 
das  Gebiet  bis  zur  ungarischen  Grenze) ;  es  folgt  die  Topographie  der 
Umgebung  von  Carnuntum,   eine   die  früheren  Resultate  und  die  Er- 


1)  Gelegen  zwei  Stunden  donanabwärts  von  Wien  in  der  Gegend  der  heaticren  Orte 
Dentsch-Altenborg  und  Petronell,  das  Lager  von  Camontum  aaf  dem  sogen.  „Bargfelde" 
an  der  von  Wien  nach  Prefsborg  führenden  Strafse  zwischen  Petronell  nnd  Deatsch- 
Altenbnrg.  Zar  näheren  Orientierang  mag  aaf  den  „Führer  durch  Camantum"  von 
Kubitschek  and  Frankfurter  (4.  Aufl.,  Wien  1894)  verwiesen  werden. 

15 


—     198     — 

gebnisse  der  letzten  Grabungen  zusammenfassende  Besprechung  des 
Standlagers,  die  Darstellung  der  Limesstation  und  Tempelanlage  auf 
dem  Pfaffenberge  (der  327  m  hoch  ist  und  im  Rücken  von  Deutsch- 
Altenburg  liegt).  Untersuchungen  der  „Ödes  Schlofs"  genannten 
Ruine  am  Nordufer  etwas  unterhalb  von  Deutsch -Altenburg,  welche 
man  seit  jeher  geneigt  war,  als  Rest  eines  römischen  Brückenkopfes 
anzusehen,  der  Ruine  Rötheistein  (Rottenstein),  donauabwärts,  die  man 
gemeinhin  gleichfalls  für  römisch  hielt,  endlich  die  Gräberstrafse  von 
Carnuntum.  In  einem  Anhang  behandelt  Professor  Eugen  Bor  mann 
die  zu  Tage  geförderten  Inschriften,  und  zwar  jene  auf  dem  Pfaffen- 
berge und  jene  an  der  Gräberstrafse. 

Da  es  lediglich  Aufgabe  dieser  Zeilen  ist,  einen  kurzen  Bericht 
über  den  derzeitigen  Stand  der  Forschung  zu  geben,  kann  hier  weder 
auf  den  mehrfach  interessanten  Inhalt  näher  eingegangen,  noch  auch 
eine  Erörterung  strittiger  Fragen  oder  eine  Kritik  des  Limesheftes  ver- 
sucht werden. 

Es  mag  hier  genügen,  hervorzuheben,  dafs  durch  die  Grabungen 
am  Lager,  insbesondere  an  der  Umfassungsmauer  und  in  dem  früher 
nur  wenig  untersuchten  nördlichen  Teile  derselben,  eine  Reihe  wich- 
tiger Punkte,  wie  Führung  der  Mauern  und  Türme,  Anlage  der  Thore 
u.  s.  w.,  genauer  festgestellt  und  dafs  namentlich  durch  die  Grabungen 
auf  dem  Pfaffenberge  wichtige  und  äufserst  interessante  Baulichkeiten 
aufgedeckt  worden  sind  ^).  Die  Berichte  selbst  sind  in  technischer 
Hinsicht  durchaus  zu  loben,  und  es  ist  nicht  genug  anzuerkennen,  mit 
welcher  hingebungsvollen  Liebe  sich  Oberst  v.  Groller  seiner  Aufgabe 
widmet.  Anderseits  ist  es  jedoch  den  Berichten  nicht  zu  gute  ge- 
kommen, dafs,  wenn  man  vom  epigraphischen  Anhang  absieht,  aus- 
schliefslich  der  Militärtechniker  zum  Wort  kommt  —  es  fehlt  daher 
nicht  an  Verstöfeen  in  vielen  Details  — ,  sowie  dafs  Oberst  v.  Groller, 
statt  sich  auf  Mitteilung  der  thatsächlichen  Ergebnisse  zu  beschränken, 
es  nicht  unterlassen  hat,  auch  sofort  aus  ihnen  Schlüsse  zu  ziehen,  die 
erst  eingehender  Untersuchung  bedürfen.  Auch  kann  nicht  verschwiegen 
werden,  dafe  hier  und  da  an  gesicherten  Thatsachen  früherer  Grabungen 
ohne  ausreichenden  Grund  gerüttelt  wird.  So  begegnen  wir  Hypo- 
thesen, die  vor  der  Kritik  nicht  Stand  halten  können;  dahin  gehören 


*)  Vorweg  mag  hier  erwähnt  werden,  dafs  bei  den  Ausgrabungen  im  Jahre  1899  im 
Lager  ein  Magazin  aafgedeckt  wurde,  in  welchem  sich  grofse  Waffenvorräte  fanden.  Es 
ergaben  sich  in  statüicher  Anzahl  mehr  oder  weniger  gut  erhaltene  Stücke,  von  deren 
genauerer  Untersuchung  wertvolle  Aufschlüsse  über  das  römische  Waffenwesen  zu  er- 
warten sind. 


—     199     — 

z.  B.  die  Bemerkungen  über  die  Limestürme  auf  der  Höhe  des  Pfaffen- 
berges u.  a. 

Gleichwohl  ist  ein  erfreulicher  Anfang  gemacht,  und  man  darf 
von  der  Weiterführung  der  Arbeiten  wertvolle  Resultate  für  die  öster- 
reichische Limesforschung  erhoffen.  Die  Fehler  des  ersten  Heftes 
werden  künftig  gewifs  vermieden  werden.  Zu  wünschen  wäre  aller- 
dings, dafs  die  Wiener  Akademie  sich  mit  der  ungarischen  verbände, 
damit  nach  einem  einheitlichen  Plane  in  der  ganzen  Monarchie  die 
Arbeit  in  Angriff  genommen  und  durchgeführt  werde. 


Mitteilungen 


Ycrsamnillingei]«  —  Die  sechste  Versammlung  deutscher 
Historiker  hat  in  den  Tagen  vom  4.  bis  7.  April  1900  in  Halle  a.  S. 
stattgefunden  und  hatte  die  über  Erwarten  grofse  Zahl  von  186  Teilnehmern 
angelockt,  wobei  noch  zu  beachten  ist,  dafs  die  verschiedene  Lage  der 
Ferien  an  den  höheren  Lehranstalten  viele  Herren  aus  Thüringen  und  dem 
Königreiche  Sachsen  femgehalten  hat.  Das  Programm,  welches  bereits 
S.  133  mitgeteüt  wurde,  ist  pünktlich  eingehalten  worden,  aber  es  war  doch 
nicht  zu  verkennen,  dafs  die  ganze  Anlage  der  Versammlung  in  wesentlichen 
Punkten  von  der  früherer  Tagungen,  wie  wir  sie  S.  137 — 145  charakteri- 
siert haben,  abwich.  Es  lag  nicht  niu*  an  der  immer  drängenden  Zeit,  wenn 
ebe  Debatte  sich  nicht  recht  entwickeln  wollte,  sondern  vor  allem  daran, 
dafs  die  Vorträge  im  wesentlichen  Forschungsergebnisse  der  Redner  boten, 
über  welche  zu  debattieren  nur  die  wenigsten  Teilnehmer  in  der  Lage  ge- 
wesen wären,  während  aUgemeine  Fragen,  die  durchaus  nicht  immer  metho- 
dologischer Art  sein  müssen,  nicht  angeschnitten  wurden.  Wenn  die  Leit- 
sätze und  Belegstellen  zu  dem  Vortrage  von  Prof.  Heck  über  Stadtbürger 
und  Stadtgericht  im  Sachsenspiegel  bereits  mit  dem  Programm  verbreitet 
worden  wären  und  in  ähnlicher  Weise  die  übrigen  Redner  durch  Bekannt- 
gabe einzelner  Thesen  zur  Diskussion  einzelner  Fragen  angeregt  hätten,  so 
hätten  auch  den  behandelten  Themen  allgemeinere  Gesichtsptmkte  abgewonnen 
werden  können.  Vermifst  mufste  schliefslich  auch  ein  ortsgeschichtiicher 
Vortrag  werden,  der  dem  Fremden  das  rechte  historische  Ortskolorit  hätte 
vermitteln  helfen,  wie  es  bei  früheren  Tagungen  geschehen  ist  (s.  S.  145).  — 
Da  die  Redner  ihre  Vorträge  voraussichtlich  sämtlich  bald  anderweitig  ver- 
öffentlichen werden  —  wahrscheinlich  so,  dafs  der  offizielle  Bericht  über  die 
Versammlung  bereits  die  genaueren  Angaben  enthalten  wird  —  so  werden 
wir  hier  von  einem  Referat  über  die  einzelnen  Vorträge  absehen  können  und 
verweisen  auf  den  kurzen  Bericht,  den  der  Herausgeber  dieser  Zeitschrift  in 
der  Wissenschafllichefi  Beilage  der  Leipziger  Zeitung  Nr.  43  (Dienstag,  den 
10.  April  1900)  veröffentlicht  hat,  sowie  auf  einigie  Bemerkungen,  welche  sich 
m  Helmolts  Aufsatze  In  der  Tulpe  in  Nr.  30  der  „Zukunft"  vom  28.  April 
finden.  Nur  zwei  Punkte,  welche  der  landesgeschichtlichen  For- 
schung Aufgaben  stellen,  seien  hier  kurz  berührt    Der  Vortrag  von  Fried- 

15* 


—     200     — 

jung  (Wien)  über  das  Angebot  der  deutschen  Kaiserkro7ie  an  Österreich  im 
Jahre  1814,  in  welchem  der  Redner  wiederholt  auf  die  Fundstellen  der 
von  ihm  erwähnten  Aktenstücke  zu  sprechen  kam,  zeigte,  welche  Bedeutung 
auch  für  die  neuere  politische  Geschichte  der  Durchforschung  aller  der 
Archive  zukommt,  in  welchen  Staatsakte  aus  jener  Zeit  niedergelegt  sind. 
Da  es  aber,  um  nur  eins  zu  erwähnen,  27  Fürsten  und  4  Städte  sind, 
die  dem  Kaiser  Franz  die  deutsche  Kaiserkrone  antrugen,  so  würden 
behufs  gründlicher  Erforschung  dieser  Vorgänge  zum  wenigsten  die  in  Frage 
kommenden  31  Archive,  natürlich  aber  auch  die  der  unbeteiligten  Staaten, 
nach  einschlägigen  Akten  zu  durchsuchen  sein.  Dafs  ein  einzelner  Be- 
arbeiter dies  nicht  in  vollem  Mafse  thun  kann,  ist  ohne  weiteres  klar;  hier 
mulis,  nachdem  die  Fragestellung  gegeben  ist,  die  Lokalforschung  zur 
Ergänzung  des  Gesamtbildes  einsetzen,  die  andrerseits  auch  Flugschriften, 
Spottbilder,  Zeitungsmeinungen  u.  dgl.  viel  eher  auszugraben  vermag  als  der 
Forscher,  der  von  der  übermäfsigen  Masse  der  Akten,  welche  die  wichtigsten 
Archive  —  in  diesem  Falle  die  Wiener  —  bieten,  fast  erdrückt  wird.  — 
Eine  weitere  Anregung  zur  orts-  und  landesgeschichtlichen  Forschung  giebt 
der  Antrag  von  Paul  Kalkoff  (Breslau),  der  später  in  seinem  vollen  Wortlaute 
mitgeteilt  werden  wird  und  eine  Veröffentlichung  der  politischen  Korre- 
spondenz Karls  V.  erstrebt  Es  ist  ohne  weiteres  klar,  dafs  sämtliche  Archive 
vormaliger  Reichsfürsten  imd  vormaliger  Reichsstädte  Material  für  eine  derartige 
Veröffentlichung  enthalten,  dafs  aber  gerade  die  kleineren  und  abgelegenen 
dieser  Archive  bisher  am  wenigsten  für  derartige  Gesamtpublikationen  zu  Rate 
gezogen  worden  sind.  Wenn  beispielsweise  aus  den  Archiven  der  vormaligen 
Reichsstädte  im  Sinne  eines  Inventars  Regesten  bearbeitet  und  in  der  Lokal- 
zeitschrift veröffentlicht  würden,  die  etwa  dem  entsprächen,  was  für  Köln  in 
Diemars  Arbeit  Köln  und  das  Reich  wenigstens  bis  1474  geleistet  ist 
(vgl.  oben  S.  174),  so  würde  einem  Unternehmen,  wie  es  Kalkoff  anregt, 
ganz  unschätzbarer  Vorteil  erwachsen.  Die  Historikerversammlung  hat  sich 
dahin  ausgesprochen,  dafs  die  Veröffentlichung  der  politischen 
Korrespondenz  Karls  V.  ein  überaus  dringendes  Bedürfnis 
der  deutschen  Geschichtsforschung  sei,  und  darüber  hinaus  hat 
der  „Verband  deutscher  Historiker**  beschlossen  eine  Kommission  zu  er- 
nennen, welche  der  Frage  näher  treten  und  einen  Arbeitsplan  aufstellen  soll ;  zu 
diesem  Zwecke  ist  aus  der  Verbandskasse  ein  verhältnismäfsig  erheblicher  Bei- 
trag zur  Bestreitung  der  Kosten  bewilligt  worden.  Aufserdem  hat  die  „Kom- 
mission zur  Herausgabe  von  Akten  und  Korrespondenzen  zur 
neueren  Geschichte  Österreichs**  (vgl.  oben  S.  27)  sich  bereit  er- 
klärt, ihrerseits  den  in  ihr  Gebiet  fallenden  Teil  der  Arbeit  zu  übernehmen. 
Nach  der  Seite  der  Organisation  des  Historikerverbandes  ist  wesent- 
liches nicht  zu  berichten.  Aus  dem  Verbandsausschufs  sind  durch  Tod 
ausgeschieden  Stieve  und  Hub  er,  aufserdem  durch  Niederlegung  ihres 
Mandats  v.  Heigel,  Gothein  imd  Kaltenbrunner.  Ausgelost  wurden 
Meyer  von  Knonau  und  Prutz,  ordnungsgemäfs  schieden  aus  Bachmann, 
V.  Below,  Meinecke  und  Oswald  Redlich,  und  neu  gewählt  wurden 
V.  Below,  Meyer  von  Knonau,  Prutz,  Oswald  Redlich  und  Dietrich 
Schäfer.  Als  Ort  Rir  die  siebente  Historikerversammlung  wurde  Heidel- 
berg in  Aussicht  genommen  und  zwar  für  Ostern  oder  Herbst  1902. 


—     201     — 

Gleichzeitig  mit  dem  sechsten  Historikertage  fand  die  Vierte  Kon- 
ferenz von  Vertretern  deutscher  landesgeschichtlicher  Pu- 
blikationsinstitute (Vgl.  S.  134)  statt  und  zwar  hielt  dieselbe  zwei 
Sitzungen  ab,  die  erste  am  4.  April  im  historisch-geographischen  Institute 
der  Universität  Leipzig,  wo  über  die  Grundkarten  frage  sowie  über  die 
Thätigkeit  auf  dem  Gebiet  der  historisch-kirchlichen  Geographie 
Deutschlands  verhandelt  wurde,  und  die  zweite  am  5.  April  in  der  Universität 
Halle,  wo  über  die  Unterstützung  der  von  Steinhausen  (Jena)  heraus- 
gegebenen Denhnäler  der  deutschen  Kulturgeschichte  beraten  wurde.  Es 
waren  dabei  vertreten  die  Kgl.  Württembergische  Kommission  für  Landes- 
geschichte durch  Prof.  Busch  (Tübingen),  die  Grofsherzogl.  Badischc 
Historische  Kommission  durch  Archivrat  Krieger  (Karlsruhe),  die  Gesell- 
schaft für  Rheinische  Geschichtskimde  durch  Archivdirektor  Prof.  Hansen 
(Köln),  die  Commission  royale  d'histoire  de  Belgique  durch  Prof.  Pirenne 
(Gent),  die  Thüringische  Historische  Kommission  durch  Bibliothekar  Stein- 
hausen (Jena),  die  Historische  Kommission  für  die  Provinz  Sachsen 
durch  Prof.  Gröfsler  (Eisleben)  und  Oberlehrer  Reischel  (Aschersleben), 
die  Kgl.  Sächsische  Kommission  für  Geschichte  durch  Regierungsrat 
Ermisch  (Dresden)  und  Prof.  Lamprecht  (Leipzig),  der  Verein  für  die 
Geschichte  der  Mark  Brandenburg  durch  Archivar  und  Privat -Dozent 
Meinecke  (Berlin),  der  Westpreufsische  Geschichtsverein  durch  Dr.  Sim- 
son  (Danzig),  der  Verein  für  Geschichte  Ost-  undWestpreufsens  durch 
Prof.  Prutz  (Königsberg),  die  Historische  Landeskommission  für  Steier- 
mark durch  Prof.  v.  Zwiedineck-Südenhorst  (Graz).  Zur  ersten 
Sitzung  waren  femer  als  Sachverständige  hinzugezogen  Prof.  Baldamus 
(Leipzig),  Ingenieur  Ehnert  (Dresden),  Privatdozent  Kötzschke  (Leipzig), 
Prof.  Mogk  (Leipzig)  und  Prof.  Seeliger  (Leipzig).  Des  weiteren  nahm 
Prof.  Kaufmann  (Breslau)  als  Vorsitzender  der  Historikerversammlung  an 
der  Sitzung  teil.  Unter  dem  Vorsitz  von  Prof.  Lamprecht,  der  zunächst 
den  Stand  der  Grundkartenanfertigung  in  den  einzelnen  I^andesteilen  kurz 
besprach  und  für  die  Behandlung  drei  Gebiete,  Mutterland,  Kolonialgebiet 
und  Peripherische  Länder,  unterschieden  wissen  wollte,  wurde  zur  Verhandlung 
geschritten  und  dabei  im  wesentlichen  die  Berechtigung  der  modernen  Ge- 
markungsgrenzeii  erörtert  in  regem  Anschlufs  an  die  Ausfühnmgen  von 
Kötzschke  in  dieser  Zeitschrift  S.  113 — 131  und  den  gegen  die  Gemarkungs- 
grenzen gerichteten  Aufsatz  von  Seeliger  (Beilage  zur  Allgemeinen  Zeitung 
Nr.  52  und  53:  Die  historischen  Orundkarten ;  Kritische  Betrachtungen*)). 
An  der  Hand  eines  eingehenden  Berichtes  von  Fabricius,  welcher  seit 
einem  Jahrzehnt  mit  der  Bearbeitung  des  geschichtlichen  Atlasses  der  Rhein- 
provinz beschäftigt  ist,  erwies  zunächst  Prof.  Hansen  (Köln)  die  Berechtigung 
der  modernen  Gemarkungsgrenzen  in  dem  fraglichen  Gebiete  auch  für  die 
historischen  Karten,  und  zu  demselben  Ergebnis  kam  Regierungsrat  Ermisch 
(Dresden)  in  Bezug  auf  das  Königreich  Sachsen.  Ingenieur  Ehnert  (Dresden) 
behandelte  eine  Reihe  Fragen  der  Technik  und  der  Grenzen  unvermeidlicher 
Fehler    imter  Hervorhebung    der    Thatsache,    dafs    alte    Karten    oh    grofse 


♦)  Eine  Entgegnung  darauf  von  Thudichum  (Tllbingen)  ist  in  Nr.  74  der  „Beilage 
zor  Allgemeinen  Zeitung"  vom  30.  März  1900  erschienen. 


—     202     — 

zeichnerische  Fehler  aufweisen,  dafs  sogar  Flufsläufe  oft  um  mehrere  Kilo- 
meter falsch  ebgetragen  sind.  Prof.  Baldamus  zeigte  seinerseits  an  konkreten 
Beispielen,  wie  sich  Fehler  auf  fertigen  Karten  in  verschiedenem  Malsstabe 
ausnehmen,  und  stellte  dadurch  fest,  wie  unbedeutend  selbst  ein  Irrtum  um 
IG  ooo  Hektar  sich  in  der  Praxis  der  Kartenzeichnung  gestaltet.  Prof. 
Seeliger  präzisierte  im  Gegensatz  zu  den  anderen  Rednern  wiederholt 
semen  Standpunkt  und  verwarf  die  Grundkarten  mit  modernen  Gemarkungs- 
grenzen überhaupt  für  die  historische  Geographie,  da  in  jedem  einzelnen 
Falle  die  Berechtigung  dieser  Grenze  für  frühere  Jahrhunderte  erst  erwiesen 
werden  müsse.  Das  Ergebnis  der  Beratungen  wurde  in  folgenden  Sätzen 
zusammengefafst : 

1.  Die  anwesenden  Mitglieder  der  Konferenz  erklären  es  für  wünschens- 
wert, dafs  die  Herstellung  von  Grundkarten  energisch  weiter  gefördert  werde 
und  dafs  insbesondere  Untersuchungen  über  die  Entstehimg,  das  Alter  und 
die  Veränderung  der  Gemarkungsgrenzen  innerhalb  der  einzelnen  Gebiete 
angestellt  werden. 

2.  Die  Konferenz  erklärt  es  für  wünschenswert,  dafs,  sobald  einiger- 
mafsen  zahlreiche  Erfahrungen  in  konkreten  Arbeiten  niedergelegt  sind,  aus- 
führliche Bestimmungen  ausgearbeitet  werden,  welche  die  einzelnen  Forscher 
anweisen,  wie  sie  Eintragungen  in  die  Grundkarten  zu  bewirken  haben. 

3.  Die  Konferenz  spricht  der  Kgl.  Sachs.  Regierung  ihren  Dank  für 
die  Einrichtung  der  „Zentralstelle  für  Grundkarten**  aus  und  bittet  sämtliche 
Institute,  welche  Grundkarten  hergestellt  haben,  womöglich  je  eine  Kopie  von 
Grundkarten  mit  Einträgen  sowie  eine  Anzahl  von  Exemplaren  jedes  Blattes 
daselbst  zu  deponieren,  damit  der  einzelne  Forscher  in  der  Lage  ist,  jede 
beliebige  Karte  von  der  Zentralstelle  aus  zu  beziehen. 

4.  Die  Konferenz  erklärt  es  für  wünschenswert,  auch  die  Herstellung 
von  Gnmdkarten  im  Mafsstabe  i  :  500  000  nach  einem  für  ganz  Deutschland 
einheitlichen  Netze  möglichst  in  Angriff  zu  nehmen. 

5.  Die  Konferenz  beauftragt  die  „Zentralstelle  für  Grundkarten**,  die 
Vorarbeit  für  eine  künftige  Verständigung  über  die  Einzeichnung  in  Grund- 
karten, soweit  überhaupt  ein  gemeinsames  Vorgehen  in  dieser  Hinsicht  ge- 
boten erscheint,  thunlichst  zu  fördern. 

Diese  Sätze  wurden  von  den  Anwesenden  einstimmig  genehmigt.  Nur 
bei  Satz  i  ergab  sich  eine  abweichende  Stimme.  Aufserdem  bemerkte  zu 
Satz  I  der  Vertreter  der  Historischen  Landeskommission  für  Steiermark,  dafs 
das  Verhältnis  der  Gerichts-  und  Gemarkungsgrenzen  in  dem  von  ihm  ver- 
tretenen Gebiet  noch  nicht  genügend  geklärt  erscheine,  und  der  Vertreter 
der  kgl.  württembergischen  Kommission,  dafs  man  in  Württemberg  sehr 
brauchbare  Gemarkungskarten  in  etwas  kleinerem  Mafsstab  als  dem  der  Grund- 
karten besitze  und  daher  die  Bearbeitung  von  Gemarkungskarten  im  Mafsstab 
der  Grundkarten  (i  :  100  000)  anstehen  lasse.  Femer  wurde  von  der  Kon- 
ferenz beschlossen,  das  von  Fabricius  ausgearbeitete  Gutachten  behufs 
gröfserer  Verbreitung  drucken  zu  lassen.  Der  Vorsitzende  konnte  femer 
noch  mitteilen,  dafs  auch  Vertreter  von  Bayern,  Lothringen  und  Holland 
sich  schriftlich  etwa  in  demselben  Sinne  geäufsert  haben,  wie  er  in  den 
obigen  Sätzen  zimi  Ausdmck  kommt. 

Die  von  der  dritten  Konferenz  (Nürnberg  1898)  eingesetzte  Kommission 


—     203     — 

zur  Durchf^ihniDg  ebes  allgemeinen  Plans  für  die  Bearbeitung  der  historisch- 
kirchlichen  Geographie  Deutschlands  hat  bisher,  wie  Archivar 
Mein  ecke  berichtete,  von  der  Aufstellung  eines  Schemas  abgesehen,  um 
vielmehr  erst  das  Erscheinen  der  Bearbeitung  einiger  Diözesen  abzuwarten. 
Unterdessen  ist  das  im  Menkeschen  Nachlasse  vorgefundene  Material  von 
mehreren  Instituten  für  ihr  Gebiet  nachgeprüft  worden,  und  es  hat  sich 
dabei  ergeben,  dafs  selbst  das  gedruckte  Material  nicht  vollständig  benutzt 
ist,  dafs  aber  bei  einer  gründlichen  Arbeit  auch  eine  Menge  archivalisches 
Material  herangezogen  werden  mufs.  Die  engere  Anlehnung  an  das  Menkesche 
Material  scheint  damit  für  viele  Gebiete  weiter  keinen  Vorteü  zu  gewähren, 
aber  die  systematische  Untersuchtmg  der  kirchlichen  Geographie  nach  einheit- 
lichem Plane  erscheint  nichtsdestoweniger  als  Bedürfnis  der  Geschichtsforschung. 
Demgemäfs  wurde  folgende  Entschliefsung  gefafst:  Die  Konferenz  nimmt 
mit  Interesse  Kenntnis  von  dem  Fortgange  und  den  bis- 
herigen Erfolgen  des  Unternehmens  und  giebt  der  in  Nürn- 
berg eingesetzten  Kommission  Vollmacht,  die  Arbeit  im  Sinne 
der  Nürnberger  Beschlüsse  unter  möglichster  Einheitlich- 
keit in  der  Durchführung  weiter  zu  fördern. 

Für  seine  Denkmäler  der  deutschen,  Kulturgeschichte ,  die  als  grofse 
Quellenpublikation  gedacht  sind,  hat  Bibliothekar  G.  Steinhausen  (Jena) 
bereits  im  fünften  Bande  der  Zeitschrift  für  Ktäturgeschickte  einen  ausführ- 
Uchen  Plan  entworfen.  Eine  gröfsere  Anzahl  von  Quellengruppen  sind  dort 
namhaft  gemacht,  die  zu  einer  Publikation  geeignet  wären.  Nachdem  aber 
gröfsere  Mittel  für  das  Unternehmen  vorläufig  nicht  zu  gewinnen  gewesen 
sind,  scheint  es  zweckmäfsig  sich  vorläufig  auf  einzelne  Gruppen  zu  beschränken, 
und  zwar  sind  als  solche  die  Reiseberichte  und  Tagebücher  als  her- 
vorragend wichtige  Quellen  herauszuheben.  Um  eine  Übersicht  darüber  zu 
gewinnen,  was  in  dieser  Hinsicht  bereits  publiziert  tmd  was  bekannt,  aber 
noch  nicht  publiziert  ist,  beschliefst  die  Konferenz  für  eine  künftige 
Publikation  Verzeichnisse  des  vorhandenen  Materials  an  Reise- 
berichten und  Tagebüchern  in  Deutschland  herbeizuführen 
und  verleiht  damit  der  von  Steinhausen  ausgehenden  Umfrage  bei  Archiven 
und  Bibliotheken  ihre  Unterstützung.  Da  die  Reiseberichte,  wo  sie  sich 
auch  finden  mögen,  für  viele  Landschaften  von  Wichtigkeit  sind,  gleichgütig 
wo  der  Reisende  beheimatet  war,  so  ist  zu  hoffen,  dafs  sich  in  aUen  Teüen 
Deutschlands  die  Lokalforschung  diese  Aufgabe  angelegen  sein  läfst  und  für 
Zusanmienstellung  des  gedruckten  und  ungedruckten  Materials  sorgt. 

Auch  die  Frage,  ob  eine  Fortsetzung  des  Walther-Konerschen 
Repertoriums  der  historischen  Zeitschriftenlitteratur  anzu- 
streben sei,  wurde  berührt  und  eine  Verständigung  mit  dem  „Gesamtverein 
der  deutschen  Geschichts-  und  Altertumsvereine*'  in  dieser  Hinsicht  als 
wünschenswert  bezeichnet,  aber  ein  endgültiger  Beschlufs  darüber  nicht 
ge^st 

Die  Konferenz  als  Einrichtung,  die  eine  Vereinigung  der  verstreuten 
Arbeitskräfte  zu  gemeinsamem  Wirken  erstrebt,  hat  sich  auch  durch  diese 
vierte  Tagung  bewährt,  und  der  Wunsch,  sich  jährlich  einmal  zu  versammeln, 
der  aus  der  Versammlung  heraus  laut  wurde,  scheint  am  meisten  dafür  zu 
sprechen.     Die  Zahl   derjenigen  Institute,    die  sich  bisher  an  der  Konferenz 


j 


—     204     — 

beteiligt  haben,  ist  übrigens  22,  so  dafs  von  den  namhaften  nur  noch  wenige 
fehlen,  deren  Beitritt  hoffentlich  in  nicht  allzu  ferner  Zeit  ebenfalls  erfolgen  wird. 

Die  diesjährige  Jahresversammlung  des  Hansischen  Geschichts- 
vereins wird  in  Gemeinschaft  mit  der  Jahresversammlung  des  Vereines 
für  niederdeutsche  Sprachforschung  wie  üblich  zu  Pfingsten  statt- 
finden, und  zwar  in  Göttingen.  Am  Abend  des  Pfingstmontags  (4.  Juni) 
wird  die  Begrüfsungsfeier  die  Tagimg  eröffnen  und  ein  Ausflug  nach  Münden 
am  Donnerstag  wird  sie  beschliefsen.  Das  wissenschafüiche  Programm  ist 
bis  jetzt  noch  nicht  bekannt  gegeben  worden. 

Eingegangene  Bücher. 

Armstedt,  Richard :  Geschichte  der  Kgl.  Haupt-  und  Residenzstadt  Königs- 
berg in  Preufsen.  Stuttgart,  Hobbing  und  Büchle,  1899.  354  S.  8®. 
M  9,50. 

Borkowsky,  Ernst:  Geschichte  der  Stadt  Naumburg  an  der  Saale.  Stutt- 
gart, Hobbing  und  Büchle,   1897.      188  S.  8  0.     Geb.  M  5. 

Beriet,  Erich:  Die  sächsich-böhmische  Grenze  im  Erzgebirge.  Ein  Beitrag 
zur  politischen  Geographie.  84  S.  8  ®  [Beilage  zum  Jahresbericht  der 
Städtischen  Realschule  mit  Progymnasium  zu  Oschatz,   1898/ 1899]. 

Danneil,  Friedrich:  Geschichte  des  magdeburgischen  Bauernstandes  in 
seinen  Beziehungen  zu  den  andern  Ständen  bis  zum  Ende  des  Erzstifts 
im  Jahre  1680.  Halle  a.  S.,  Kaemmerer  &  Co.,  1898.  542  S.  8®. 
^  9. 

Dietterle,  Johannes  A. :  Burkhardswalde  (Ephorie  Pirna),  Geschichte  der 
Kirchfahrt  und  der  vier  zu  ihr  gehörendeh  Dörfer  Burkhardswalde,  Biens- 
dorf,  Grofsröhrsdorf,  Nenntmansdorf.  Dresden,  Druck  der  Druckerei 
Glöfs,   1900.     244  S.   16  <*. 

Ellissen,  O.  A. :  Chronologischer  Abrifs  der  Geschichte  Einbecks.  Ein- 
beck, in  Kommission  bei  H.  Ehlers,  1898.  28  S.  8^.  [Den  zu  ihrer 
27.  Jahresversanmilung  am  31.  Mai  imd  i.  Juni  1898  in  Einbeck 
weilenden  Mitgliedern  des  Hansischen  Geschichtsvereins  gewidmet  von 
dem  Verein  für  Geschichte  und  Altertümer  der  Stadt  Einbeck  und 
Umgegend.] 

G^ny,  Joseph:  Die  Reichsstadt  Schlettstadt  und  ihr  Anteil  an  den  sozial- 
politischen und  religiösen  Bewegungen  der  Jahre  1490 — 1536.  Frei- 
burg i.  B.,  Herder,  1900.  223  S.  8  <^.  [=  Erläuterungen  imd  Er- 
gänzungen zu  Janssens  Geschichte  des  deutschen  Volkes,  herausgegeben 
von  Ludwig  Pastor,  I.  Band,  5.  und  6.  Heft.]     Ji  3. 

Giannoni,  Karl:  Die  Privilegien  und  das  Archiv  des  Marktes  Gumpolds- 
kirchen.  [Separatabdruck  aus  den  Blättern  des  Vereins  für  Landeskimde 
von  Niederösterreich,   1899.] 

Keuffer,  Max:  Beschreibendes  Verzeichnis  der  Handschriften  der  Stadt- 
bibliothek zu  Trier.  Trier,  Kommissionsverlag  der  Fr.  Lintzschen  Buch- 
handlung. Erstes  Heft:  Bibel-Texte  und  Kommentare  (1888.  77  S.). 
Zweites  Heft:  Kirchenväter  (189 1.  148  S.).  Drittes  Heft:  Predigten 
(1894.  166  S.).  Viertes  Heft:  Liturgische  Handschriften  (1897. 
108  S.).     Fünftes  Heft:  Ascetische  Schriften  I.  (1900.      112   S.). 

Herautgeber  Dr.  Armin  Tille  in  Leipzig.  —  Druck  und  Verlag  von  Friedrich  Andreas  Perthes  in  Gotha. 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsschrift 


nur 


Förderung  der  landesgescMchtliclien  Forschung 

I.  Band  Juni  xgoo  9.  Heft 


Wer  lArar  um  1430  der  reichste  Bürger  in 
SehiArabeti  und  in  der  Sehiweiz? 

Von 
Aloys  Schulte  (Breslau) 

Es  ist  gewUs  keine  mülsige  Frage,  die  ich  in  der  Überschrift 
gestellt  habe,  denn  sie  dient  ja  viel  weniger  lokalen  Interessen,  als 
sie  uns  dazu  zwingt,  einmal  festzustellen,  wie  weit  in  dieser  Periode 
die  Kapitals-  und  Vermögensbildung  auf  Grund  des  Handels  in  einer 
Gegend  bereits  gekommen  war,  die  loo  Jahre  später  das  Land  der 
Bankiers  und  der  geldkräftigsten  Handelshäuser  der  damal^en  Welt 
war.  Die  Frage  der  Überschrift  würde  vermutlich  von  den  Kennern 
der  Geschichte  jener  Landschaften  sofort  mit  einem  Namen  aus  Augs- 
burg beantwortet  werden,  andere  würden  an  Strasburg,  Ulm,  vielleicht 
auch  an  Basel  denken. 

Strafsburg  muis  ich  mit  einigen  anderen  Städten  hier  ausscheiden, 
denn  von  Stralsburg  wie  von  Lindau  und  Freiburg  i.  Br.  haben  sich 
keine  Steuerlisten  ^)  erhalten.  Aber  ich  furchte  auch  nicht,  da(s  uns 
damit  der  reichste  Schwabe  entgeht;  die  Strafsburger  Kaufherren  der 
Blütezeit  der  Stadt  hatten  sich  längst  zu  Landadligen  umgewandelt, 
die  Straüsburger  Geschäftsleute  begnügten  sich  mit  dem  Handel  mit 
ihren  elsälsischen  Weinen  und  dem  Getreide  und  mit  der  Versorgung 
des  außerordentlich  reichen  Hinteriandes,  das  die  Stadt  umgiebt,  aber 
nur  im  Welthandel  waren  grofse  Reichtümer  zu  gewinnen;  doch  von 
dem  hielten  sich  die  Strafsbui^er  fem.  Aber  vielleicht  war  Basel 
damals  schon  das,  was  es  heute  ist,  die  Stadt  mit  der  relativ  gröfsten 
Zahl  von  Millionären.  Für  Basel  haben  wir  nicht  allein  vorzügliche 
Quellen,  sondern  auch  das  Muster  einer  Bearbeitung  von  Steuerlisten. 


t)  Diese  QiieIleQg»ttiing  geliört  anch  ta  dem  Material,  deifen  Bedeutang  S.  65/66 
charakterisiert  wurde,  nnd  manches  von  dem,  was  dort  von  der  statistischen  Aosbeatoo^ 
der  Redmmigen  gesagt  wurde,  gilt  auch  von  den  StetterUtten. 

16 


—     206     — 

Die  Baseler  Listen  von  1446  sind  nicht  ganz  vollständig,  doch  bieten 
die  anderen  Listen  aus  anderen  Jahren  nicht  das  Bild,  dafe  diese 
Lücken  für  uns  entscheidend  wären  *).  Die  reichsten  mit  ihrem  Kapital 
Genannten  sind  zwei  Mitglieder  der  hohen  Stube  mit  je  14  000  fl.,  es^ 
folgt  ein  Schmied  mit  130000.,  dann  wieder  einer  aus  der  hohen 
Stube,  der  bekannte  Chronist,  Spekulant  und  Vertraute  König  Siegmunds 
Henmann  Offenburg,  dann  bis  zu  loooofl.  herab  noch  vier  weitere 
Personen.  Zu  den  reichsten  Leuten  in  Basel  gehörte  auch  Heinrich 
Halbisen,  dessen  Steuer  von  3  fiJL  2  ^^  io,J  ein  Vermögen  von  12  5608. 
entsprechen  würde.  Die  Halbisen  waren  ein  tüchtiges  Geschlecht  und 
haben  sich  durch  die  Einführung  der  Papierfabrikation  in  Basel  ver- 
dient gemacht. 

Gehen  wir  auf  den  Boden  über,  der  damals  schon  zur  Eidgenossen- 
schaft gehörte,  so  kommen  da  die  vier  Städte  Bern,  Luzern,  Zürich  und 
St.  Gallen  in  Frage.  Von  allen  vier  haben  wir  Steuerlisten,  wenn  sie 
auch  nicht  genau  in  dieses  Jahrzehnt  passen.  Der  reichste  Bürger 
Berns  versteuerte  1389  nur  8000  U.  ^  *),  der  Schultheifs  Hasfurter  von 
Luzern  1461 :  i2  0oofl.,  in  Zürich  betrug  1467  das  gröfste  Steuer- 
vermögen 19  igg  a.  (^  oder  hl.?).  Von  St  Gallen  endlich  kenne  ich 
die  Steuersumme  eines  Mannes,  dessen  Familie  zu  dem  Sprichworte 
Anlafs  gab:  reich  wie  ein  Mötteli!  Lütfried  Mötteli  versteuerte  1480 : 
13  300  Ä  «Jt*).  Und  das  war  ein  Kaufmann,  dessen  Geschäfte  nach 
der  Provence  und  Spanien  hin  ihren  Schwerpunkt  hatten,  die  auf- 
strebende Leinwandindustrie  von  St.  Gallen  ward  vor  allem  gefördert 
von  den  Mötteli,  freilich  war  dieser  Lütfried  ein  imehelicher,  aber  die 
echten  sind  in  Steuerlisten  nicht  zu  ertappen,  sie  gingen  früh  zum 
Landadel  über. 

Versuchen  wir  nun  unser  Glück  mit  Augsburg,  dessen  Archiv 
als  einen  Schatz  eine  lückenlose  Reihe  von  Steuerbüchern  darbietet, 
freilich  haben  sie  den  Mangel,  dafs  sie  nur  die  Steuersumme  angeben, 
nicht  aber  das  Vermögen  selbst  *).  Nun  wäre  auch  das  noch  kein 
Nachteil,  wenn  das  Steuerkapital  zur  Steuer  in  einem  einfachen  Ver- 
hältnisse gestanden  hätte.     Das   war  jedoch  nicht  der  Fall.     Wie   in 


i)  Schönberg,    Finanzverhältnisse    der    Stadt    Basel,    Tübingen    1879    S*    ^37» 

s.  575-584. 

2)  Welti,   Du    TelJhücher  der   Stadt   Bern   aus  dem  Jahre  1389,     Archiv   des 
historischen  Vereins  Bern  14,  700. 

3)  Die   letzten   drei  Angaben   nach  Dürr  er  im  Geschichtsfreund  der  fünf  Orte 
48,   140. 

4)  Die  im  folgenden  erwähnten  Steuerlisten  habe  ich  selbst  durchgearbeitet 


—     207     — 

Ulm  und  Konstanz  wurde  auch  in  Augsburg  das  mobile  und  immobile 
Besitztum  verschieden  getroffen.  Von  dem  immobilen  Besitze  war  nur 
die  Hälfte  dessen  zu  zahlen,  was  eine  gleich  grofse  Summe  von  Fahr- 
habe zu  tragen  hatte  *).  Dieselbe  Steuersumme  entsprach  also  einem 
sehr  erheblichen  Immobiliarbesitz  und  einem  halb  so  grofsen  Mobiliar- 
besitz. Wer  loooofl.  Immobilien  hatte,  zahlte  ebenso  viel,  wie  der, 
der  5CX)0  fl.  in  Mobilien  besafs.  Der  Steuersatz  war  auch  nicht  fest,  von 
1424  bis  mindestens  1440  war  er  der  normale,  nachdem  1422  und 
1423  der  doppelte  Betrag  erhoben  war.  In  der  Steuerliste  von  1428 
steht  an  der  Spitze  der  Steuerzahler  Peter  Jung  Egen  mit  62  fl.  i  Ort. 
Der  spätere  normale  Satz  der  Steuer  war  i  0/0  vom  beweglichen, 
>/a  ®/o  vom  unbeweglichen  Vermögen,  also  sehr  hoch.  Peter  Jung  Egen 
hätte  nach  ihm  6200  fl.  mobilen  Kapitals  oder  i2  40ofl.  Grundbesitz 
haben  können;  wahrscheinlich  überwog  der  Mobilbesitz  und  so  mag 
er   iocxx>fl.  besessen  haben. 

Ganz  ähnlich  liegen  die  Dinge  bei  der  Ulmer  Steuer,  wo  eine 
Liste  von  1427  sich  erhalten  hat.  Auch  da  kennen  wir  nicht  die 
Angaben  des  Vermögens,  sondern  nur  die  Steuersumme  und  an  der 
Spitze  der  Steuerzahler  marschierten  damals  die  nichtzu  den  Geschlechtern 
gehörigen  Peter  Stöbenhaber  und  die  Witwe  Hansen  Stöbenhabers,  die 
^msammen  102  it,  hl.  zu  entrichten  hatten.  Wir  kennen  aber  hier  den 
Satz,  es  wurde  vom  i6  hl.  Wert  der  Immobilien  ein  Heller,  von  dem 
von  Mobilien  aber  zwei,  vielleicht  jedoch  von  beiden  nur  die  Hälfte 
erhoben  *). 

Wer  weifs,  welch'  grofee  Rolle  die  von  Wilhelm  von  Heyd  näher 
untersuchte  « magna  societas  Alamannorum  >  im  Welthandel  des  XV.  Jahr- 
hunderts gespielt  hat,  wird  mit  hohen  Erwartungen  sein  Augenmerk  auf 
die  kleine  Reichsstadt  Ravensburg  lenken.  Und  da  haben  wir  die 
älteste  Steuerliste  von  1473,  die  uns  auch  die  Vermögen  vorführt,  und 
da  steht  richtig  an  der  Spitze  der  Steuerzahler  das  damalige  Haupt 
der  grofeen  Ravensburger  Gesellschaft  Jos  Humpis  alt,  er  versteuerte 
3000  ÄJ  ^  liegend,  7500  Ä5  ^  fahrend,  also  zusammen  10500^  und 
zahlte  37W  11/9  61}  Steuer.  Über  4cxx>  i6  besitzen  aufserdem  noch 
7  Personen,  von  denen  6  derselben  Familie  oder  deren  Zweige  von 
Ankenreute  angehören. 


l)  VgL  y.  Härtung,  Die  Augshurgische  Vermögenssteuer  und  die  Entwicklung 
der  Besitaverhältnisse  im  16,  Jahr  hundert  in  Schmollers  Jahrbuch  für  Gesetzgebung  u.  x.  w, 
19,  868,  vgL  19,  io3f. 

a)  Kölle,      Ursprung    und    Entwicklung    der    Vermögenssteuer    in    Ulm,     in 
Württemb,   Vierteljahrshefte  für  Landesgeschichte,  Nene  Folge  7,   16  f. 

16* 


—     208     — 

Wenn  ich  an  einer  Stelle  die  Grenzen  Schwabens  und  der  Schwetx 
überschreiten  darf,  so  wendet  sich  das  Interesse  einer  Stadt  zti,  die 
beute  der  Sitz  vieler  grofsen  Vermögen  ist,  Frankfurt  Wer  dabei  der 
Bücherschen  Untersuchungen  gedenkt,  die  einen  so  hervorragend 
starken  Anteil  des  Ackerbaus  am  Leben  der  Mainstadt  erwiesen  haben«, 
wird  freilich  (ur  damals  keine  sehr  gro&en  Vermögen  erwarten.  Der 
Höchstbesteuerte  von  1484  ist  Bechtolt  Heller.  Rechnet  man  in  seiner 
Steuererklärung  das,  was  in  Geldeswert  angegeben  ist  oder  in  Geld  sich 
ohne  Mühe  umrechnen  läfst,  so  erhält  man  rund  6300  ü.  Daneben  hatte 
er  noch  527  Morgen  Land,  9  Stück  Rindvieh,  35  Schweine,  560  Schafe 
und  einige  Häuser  in  der  Stadt.  Immerhin  ein  recht  reicher  Mann, 
aber  nicht  einmal  ein  mittelalterlicher  Krösus  ^). 

Wenden  wir  uns  nun  nach  Konstanx,  dessen  Sammlung  von  Steuer« 
listen  mit  denen  von  Augsburg  sehr  wohl  den  Vergleich  aushält;  freilich 
hat  Konstanz  auch  in  seiner  Blütezeit  die  kulturgeschichtliche  Bedeutung 
von  Augsburg  nicht  besessen.  Die  Konstanzer  Listen  gehen  nicht  so 
weit  zurüclf,  wie  die  Augsburger,  und  ich  selbst  habe  die  ältesten 
Jahrgänge,  die  man  früher  für  die  Zeiten  vor  dem  Konzil  benutzte, 
dem  Anfang  der  Serie  nehmen  müssen.  Wie  ich  diese  Listen  benutzte, 
entdeckte  ich  bald,  dafs  diese  Listen  nicht  in  den  Anfang  des  XV., 
sondern  in  die  entsprechenden  Jahre  des  XVI.  Jahrhunderts  gdiörten. 
Die  Serie,  wie  ich  sie  seiner  Zeit  festgestellt  habe,  b^^innt  eist  mit 
dem  Jahre  1418.  Den  Augsbuiger  Listen  sind  aber  die  Konstanzer 
deshalb  überlegen,  weil  sie  auch  die  Vermögensangabe  nach  Fahrfaabe 
und  ImmobUiarbesitz  enthalten,  so  dafe  wir  hier  einen  vorzüglichen  Über- 
blick über  die  Vermögensverteilung  gewinnen.  Und  in  diesen  Listen  be- 
gegnen uns  nun  Glieder  eines  enorm  reichen  Geschlechtes.  1418  zahlte 
Lütfried  Mun^>rat  und  sein  Bruder  Steuer  von  7500  H  liegendem 
und  37  500  it  Fahrhabe.  Bis  zum  Jahre  1433  blieb  dieses  Vermögen 
ungeteilt  und  stieg  auf  16  000  -f  79  000  =  95  000  €8  an.  Nach  der 
TeUung  vermehrte  sich  die  Summe  der  beiden  Vermögen  bis  1447 
auf  132  464  ft  Liutfrid,  der  1447  starb,  hinterliefs  ein  Verm<^n  von 
7140011$  (davon  61  740  A  Fahrhabe).  Wie  die  Berechnung  siäher 
ergiebt,  handelt  es  sich  hier  um  it  4>  nicht  um  A  hl.  In  Konstanz  betrug 
der  Steuersatz  vom  beweglichen  Eigentum:  0,277  •/o,  vom  unbeweg- 

i)  Bücher,  Zwet  ' mätekUUrUcke  Steturordnungen  in  KUme  BHträge  zur  Gt- 
schichte  von  Docenten  der  Leipttger  Hochschule,  Festschrift  nm  deotschea  HisiorikerU^ 
in  Leipzig  S.  159^.  und  140.  —  Die  Frankfurter  Bedeordnoiig  tob  1475  "^d  dift 
Speyerer  von  13S1  xeigen,  wie  im  einzelnen  die  Stener  nncfa  dem  Einkommen  und 
Vermögen  berechnet  wurde. 


-^     209     — 

lieben  0,138  %,  in  Ulm  0,416  und  0,208  «/o,  vielleicht  aber  0,833  ^J^d 
0^16  <^/o,  in  Augsburg  endlich  ifi^jo  und  0,5  «/o.  In  diesen  Städten 
hätte  also  Muntprat  viel  erheblichere  Steuern  bezahlen  müssen.  Die 
Berechnung  stellt  sich  für  Ulm: 

beweglicher  Betitz:     9660  M  ^  »     19330  ü  hL  Steser:       80,5  oder     40,95, 
oDbeweglicber  Besitz:  61  740  i(  ^  mm  133480  ff  hL       „        1029,0  oder  5i4»5o 

zosammen  ü  hL  1109,5  oder  555,75. 

Die  beiden  Stöbenhaber  zahlten  also  entweder  nur  den  zehnten  oder 
doch  nur  den  fünften  Teil.  Für  die  Berechnung  von  At^burg  lege 
ich  den  aus  der  Konstanzer  Rechnimg  gewonnenen  Satz  i  fl.  rh.  =»  15  /$ 
^  zu  Grunde.  Das  ergäbe  von  12  880  +  82  320  fl.  =»  64,4  -{-  823,2 
zusammen  887,6  fl.,  Peter  Jung  Egen  zahlte  nur  62^  fl.!  Die  Fugger 
überschritten  diesen  Steuerbetrag  erst  im  Jähre  1504! 

Es  bedarf  keiner  weiteren  Rechnungen,  Lütfried  Muntprat  war« 
soweit  sich  das  irgend  erkennen  läfst,  damals  der  weitaus 
reichste  Bürger  Schwabens  und  der  Schweiz,  er  war  ein  Vor- 
läufer der  Fugger.  Wie  kam  er  zu  dem  Vermögen?  ^)  Auch  darauf 
können  wir  ziemlich  viel  Antwort  geben.  Die  gro(se  Ravensbui^ger 
Gesellschaft  nennt  sich  in  der  Urkunde  über  die  Gründung  ihrer  Ka* 
pelle  (1461)  die  Gesellschaft  der  Hundbiis,  Muntprat  und  Mötteli,  und 
wenn  wir  nun  auch  nicht  sicher  feststellen  können,  wann  die  Familien 
sich  zusammenthaten ,  ob  vielleicht  die  groise  Gesellschaft  geradezu 
die  Fortsetzung  der  alten  Muntpratschen  Handlung  ist,  so  können  wir 
doch  den  Charakter  der  jüngeren  Gesellschaft  auf  die  ältere  vber* 
tn^en.  Und  thatsächlich  findet  sich  auch  bei  den  ältesten  Muntprats 
schon  die  Bevorzugung  des  spanischen  Handels.  Lütfried,  der  von 
König*  Ruprecht  zu  seinem  Familiären  gemacht  worden  war,  wurde 
1408  mit  seinem  Bruder  Johann  und  dem  Frankfurter  Paul  Fetzbrei 
von  korsikanischen  Seeräubern  gefangen  genommen.  Aber  auch  in 
Venedig  und  Flandern  lassen  sich  die  Muntprats  um  und  bald  nach 
1400  nachweisen. 

Wie  man  weife,  sind  die  Fugger  nicht  aus  den  Augsburger  Ge* 
schlechtem  hervorgegangen,  ebenso  wenig  gehörten  die  Muntprats 
von  vornherein  zur  Konstanzer  Patriziergesellschaft,  zur  „Katze**.  Frei- 
lich Lütfried  und  sein  Bruder  Johann  hielten  sich  schon  zu  den  Ge- 
schlechtem, aber  neben  ihnen  erscheinen  andere  Glieder  des  Hauses 
im  Rate  noch  als  Vertreter  von  Zünften,  und  in  den  Zunftrevolutionen 


i)  Im  folgenden  verzichte  ich  snf  QüeUenrnngaben ,  da  ja  dieser  selbe  Gegenstand 
in  dem  demnächst  erscheinenden  Werke :  Geschichte  des  Handels  und  Verkehrs  woischtn 
Westdeutschland  und  Italien  näher  behandelt  werden  wird. 


—     210     — 

werden  die  Muntprats  von  den  Zünften  reklamiert.  Sehr  weit  kann 
man  das  Geschlecht  nicht  zurückverfolgen.  Es  taucht  zuerst  1354  auf, 
und  in  dieser  Urktmde  hat  der  gründliche  Kenner  der  Geschichte 
seiner  Vaterstadt,  Privatdozent  Dr.  Beyerle  in  Freiburg,  eine  halb  ra- 
dierte Stelle  von  grofeer  Bedeutung  entdeckt.  Hinter  dem  Namen 
Heinrich  Muntbrats  stand  und  steht  das  Wörtlein  kawerze.  Ga- 
wersche,  caorsinus  u.  s.  w.  ist  aber  der  Name,  mit  denen  man  die- 
jenigen christlichen  Kaufleute  bezeichnete,  welche  sich  um  das  Zins- 
verbot der  Kirche  nicht  kümmerten,  sondern  kleine  Pfandleihbanken 
hielten,  wo  sie  vor  allem  das  Lombardgeschäft  betrieben. 

Der  Name  Muntprat  hatte  schon  längst  unsere  Aufmerksamkeit 
nach  Italien  gelenkt,  aber  bisher  war  es  weder  gelungen,  den  Namen 
noch  das  Wappen  (Schild  geteilt,  oben  zwei  silberne  Lilien  in  schwarzem 
Felde,  unten  eine  schwarze  Lilie  in  silbernem  Felde)  in  Italien  nach- 
zuweisen. Jetzt  wird  das  Feld,  wo  man  zu  suchen  hat,  erheblich  ein- 
geschränkt; denn  alle  in  Deutschland  angesiedelten  Gawerschen 
stammten,  wie  ich  nachweisen  werde,  so  gut  wie  ausnahmslos  aus 
Asti,  wenige  aus  dem  benachbarten  Chieri,  und  auch  über  die  An- 
siedelung von  Astigianen  als  Geldhändlern  in  Konstanz  haben  wir 
Zeugnisse.  Freilich  ist  es  mir  bisher  nicht  gelungen,  die  Familie  oder 
das  Wappen  in  Asti  oder  den  Familiennamen  als  Ortsnamen  in  der 
Gegend  von  Asti  oder  überhaupt  nachzuweisen. 

Dafs  noch  Lütfried  oder  sonst  einer  der  Muntprats  seiner  Zeit  die 
Geschäfte  des  Pfandleihers  betrieb,  ist  nicht  bekannt,  auch  sehr  un- 
wahrscheinlich, aber  es  ist  doch  wohl  ein  solches  Wucherergeschlecht, 
das  sich  entnationalisierte  und  vom  Geld-  zum  Warcnhandel  überging, 
ursprünglich  gewesen.  Die  vornehmsten  Geschlechter  von  Asti  und 
Chieri  hatten  das  Gewerbe  getrieben,  die  Ahnherren  des  Dichters 
Grafen  Alfieri  wie  die  der  Herzöge  von  Broglie.  Auch  die  Muntprats 
gingen  den  Weg,  den  die  reich  gewordenen  Kaufmannsfamilien  nicht 
allein  des  Mittelalters  einschlugen.  Schon  im  XV.  Jahrhundert  entstand 
eine  ganze  Reihe  von  Linien  des  Landadels,  in  Konstanz  selbst  blieben 
nur  Glieder  der  ärmeren  Zweige  zurück.  Im  Jahre  1653  starb  der 
letzte  seines  Stammes. 

Wie  stand  es  mit  dem  Vermögen  der  reichen  han- 
sischen Kaufherren? 


—     211     — 


Zur  landesgesehiehtliehen  Forsehung  in 

Sehlesinrig  ^  Holstein 

Von 
R.  Hansen  (Oldesloe) 

In  der  Provinz  Schleswig -Holstein  herrschte  in  der  ersten  Hälfte 
des  19.  Jahrhunderts  ein  recht  bedeutendes  Interesse  für  die  landes- 
geschichtliche Forschung;  der  Gegensatz  der  beiden  Nationen,  der 
nach  den  Wirren  der  napoleonischen  2^it  wieder  auflebte  und  durch 
die  Politik  der  dänischen  Könige,  die  das  Aussterben  der  männlichen 
Linie  mit  Besorgnis  drohen  sah,  noch  gesteigert  wurde,  veranlagte 
eine  allgemeinere  Beschäftigung  mit  der  älteren  Geschichte  des  Landes, 
Mehrere  Zeitschriften,  um  deren  Leitung  sich  vor  allem  die  Professoren 
Falck,  Dahlmann,  Michelsen  verdient  machten,  erschienen  fast  gleich- 
zeitig nebeneinander,  alle  mit  wertvollem  Inhalte:  Kieler  Blätter 
(1815 — 1819),  Sammlungen  zur  Kunde  des  Vaterlandes  {iSig — 1825), 
Kieler  Betträge  (1820 — 1821),  Staatsbürgerliches  Magazin  (1821  bis 
1841),  Archiv  für  Staats-  und  Kirchengeschichte  (1833  ff.),  daneben 
die  1787  gegründeten  und  von  verschiedenen  Herausgebern  und  unter 
etwas  wechselndem  Titel  bis  1834  veröffentlichten  Pravinzialberichte. 

Als  die  politischen  Kämpfe  endlich  mit  der  Trennung  der  Herzog- 
tümer von  Dänemark  und  der  Verbindung  mit  Preufeen  ihr  Ende  fan- 
den, nahm  das  Interesse  für  Landesgeschichte  entschieden  etwas  ab. 
Es  lag  das  teils  daran,  dafs  viele  Landeskinder  nicht  mehr  wie  früher 
im  Lande  blieben,  sondern  in  den  anderen  Teilen  des  gröfseren  Vater- 
landes angestellt  wurden,  teils  daran,  dafs  viele  Leute  der  gebildeten 
Stände,  d.  h.  besonders  der  Beamten,  nicht  mehr  der  Provinz  der 
Geburt  nach  angehörten  und  der  Geschichte  des  Landes  nicht  das- 
selbe Interesse  zuwandten  wie  die  Eingebomen. 

In  neuester  Zeit  ist  die  Thätigkeit  auf  dem  Gebiete  der  Landes- 
kunde aber  viel  regsamer  geworden,  und  darüber  will  ich  hier  kurz 
berichten. 

Als  Fortsetzung  des  alten  Archivs  für  Staats-  und  Kirchen- 
geschickte  ist  die  Zeitschrift  der  Gesellschaft  für  Schleswig-Hol- 
stein- Lauenburgische  Geschichte  anzusehen,  die  seit  1870  unter 
diesem  Titel  in  29  Jahrg^gen  erschienen  ist  und  zahlreiche  wertvolle 
Beiträge  enthält.  Die  Gesellschaft  hat  aufser  der  Zeitschrift  auch  eine 
neue  Ausgabe  der  Urkunden  vorgenommen;   davon  sind   drei  Bände 


—     212     — 

(786 — 1250,  125 1 — 1300,  I30I — 1340)»  bearbeitet  von  Dr.  P.  Hasse, 
1886,  18S8  und  1896  fertig  geworden.  Nachdem  Hasse  nach  Lübeck 
gegangen  war»  begann  die  Arbeit  zu  stocken;  der  dafür  gewonnene 
Prof.  Schum  in  Kiel  starb  leider  zu  früh;  seit  1898  hat  aber  Professor 
Volquardsen,  der  aus  Göttingen  nach  Kiel  zurückgekehrt  ist,  die  Fort» 
führung  übernommen,  und  es  ist  hoffentlich  in  nicht  zu  langer  Frist 
ein  weiteres  Heft  der  Sammlung  zu  erwarten.  —  Leider  ist  die  Zahl  der 
Mitglieder  der  Gesellschaft  verhältnismäßig  klein,  und  auch  die  von 
der  Provmz  ihr  zugewandten  Mittel  sind  nicht  allzu  reichlich  bemessen* 

Verhältnismäßig  sehr  rührig  sind  die  dänisch  Gesinnten  Nord- 
schleswigs in  der  landeskundlichen  Forschung.  Seit  1889  sind  von 
ihnen  fünf  Bände  der  Sönderjydske  Aarböger  herausgegeben,  die 
zwar  den  Zweck  im  Auge  haben,  die  dänisch  redende  Bevölkerui^ 
Nordschleswigs  bei  ihrer  Anhänglichkeit  an  das  „alte  Vaterland*'- 
Dänemark  zu  erhalten,  aber  doch  eine  Reihe  von  tüchtigen  wissen* 
schaftlichen  Abhandlungen  über  frühere  Verhältnisse  Schleswigs  und 
von  interessanten  Mitteilungen  enthalten.  Viele  wissenschaftlich  sehr  wert- 
volle Artikel  finden  sich  auch  in  den  historischen  Zeitschriften  Dänemarks^ 

Aufser  jener  dänisch  geschriebenen  Zeitschrift  sind  im  letzten 
Jahrzehnte  noch  zwei  andere  landeskundliche  gegründet.  Seit  1891 
erscheint  die  Monatsschrift  des  Vereins  zur  Pflege  der  Natur-  und 
Landeskunde  in  Schleswig-Holstein,  Hamburg  und  Lübeck  tmter  dem 
Titel  Die  Heimai,  bis  jetzt  10  Jahj^änge  von  etwa  je  240  Seiten. 
Die  Heimat  wird  von  Volksschullehrem  redigiert  und  findet  ihre 
Mftarbeiter  und  Leser  besonders  in  demselben  Kreise.  Die  Arbeiten 
betreffen  aufser  der  Naturkunde  vor  allem  die  Geschichte;  sie  sind 
meist  populär  gehalten,  tragen  aber  zur  Förderung  des  Interesses  ohne 
Frage  viel  bei  und  werden  manche  Leser  zu  eingehenderen  Forschungen 
anregen. 

Der  neueste  Verein  fiir  landeskundliche  Forschung  ist  der  für 
schleswig-holsteinische  Kirchengeschichte.  Findet  sich  auch  in  man- 
chen Bänden  der  historischen  Zeitschrift  eine  Reihe  von  Arbeiten  auf 
dem  Gebiete  der  Kirchengeschichte,  so  zeigt  doch  die  Zahl  der  Mit- 
glieder, die  seit  der  Gründung  (1897)  dem  Vereine  beigetreten  sind 
(im  Februar  1900  waren  es  389),  dafe  das  Bedürfuis  vorlag.  Dies  war 
zum  Teil  auch  dadurch  geschaffen,  dafs  die  Geistlichen  der  Provinz 
fiir  ihre  Gememden  Kirchspielschroniken  abfassen  sollen,  also  zu  histo- 
rischen Studien  genötigt  werden. 

Der  Verein  giebt  zwei  Reihen  von  Schriften  heraus.  Von  der 
zweiten  Reihe,  die  Kleine  Schriften  umfafst,  liegen   vier  Hefte  vor. 


—     213     — 

die  Mitteilungeii  über  die  verschiedensten  Jahrhunderte  enthalten.  Von 
längeren  Au&ätzen  nenne  ich:  C.  Rolfe:  Zur  dithmarsischen  Refor- 
mationsgeschichte ;  Ad.  Matthaei:  Zum  Studium  der  miitelalterlichen 
Schnitzaliäre;  Chr.  Harms :  Clat^  Harms'  akademische  Vorlesungen 
über  den  Kirchen*  und  Schulstaat  der  Herzogtümer;  Weiland  und 
Michelsen :  Geistlichkeit  und  Landeskirche  in  den  Jahren  der  Er-- 
kehung  1848 — 18^0;  E.  Jacobs :  A.  H.  Wallbaum  und  die  pietistische 
Bewegung  in  Schlestoig'Holstein. 

Von  der  ersten  Reihe,  den  gröfseren  Schriften,  ist  bis  jetzt  niur 
ein  Heft  erschienen,  das  aber  für  alle,  die  sich  mit  dem  Studium  der 
Geschichte  der  Heizc^ümer  befassen  wollen,  von  hervorragender 
Wichtigkeit  ist :  F.  Witt,  Quellen  und  Bearbeitungen  der  Schleswig-- 
holsteinischen  Kirchengeschichte,  255  Seiten,  Kiel  1899.  —  Wie 
grofs  auch  der  Wert  der  zahlreichen  in  Zeitschriften  veröffentlichten 
Auüsätze  sein  mag,  sie  werden  oft  nicht  beachtet,  weil  sie  nicht  immer 
von  späteren  Bearbeitern  des  gleichen  Stoffes  sofort  zu  ermitteln  sind; 
daher  hat  die  Gesellschaft  für  die  Geschichte  Schleswig-Holsteins  für  alle 
Zeitschriften  von  1787 — 1870  ein  1874  erschienenes  Register  durch 
Eduard  Alberti  ausarbeiten  lassen,  und  für  die  Jahrgänge  I — XX  der 
neuen  Zeitschrift  (1871 — 1890)  ist  kürzlich  ebenfalls  ein  Register  er- 
schienen, bearbeitet  von  Karl  Friese.  Ein  Verzeichnis  der  sonstigen 
Publikationen,  eine  Quellenkunde,  fehlte;  in  diese  Lücke  tritt  Witts 
Arbeit.  Witt  beschränkt  sich  nicht  auf  das  rein  kirchengeschichtliche 
Gebiet,  sondern  giebt  auch  die  Hilfsmittel  ftir  politische  und  Kultur- 
geschichte fast  vollständig.  Die  Rubriken  sind :  I.  Hilfsmittel ;  II.  Zeit- 
schriften ;  in.  Gesammelte  Abhandlungen ;  IV.  Quellen-  und  Urkunden- 
sammlungen; V.  Sammlungen  von  Gesetzen  und  Verordnungen; 
VI.  Politische  Geschichte;  VII.  Geschichte  und  Beschreibung  i)  ein- 
zelner Distrikte,  2)  einzelner  Kirchspiele  und  Ortschaften;  VIII.  Dar- 
stellungen der  Kirchengeschichte  Schleswig  -  Holsteins ,  zusammen 
103  Seiten  umfassend;  dann  IX.  (von  S.  103 — 227)  Quellen  und  Be- 
arbeitungen der  Kirchengeschichte  nach  der  Reihenfolge  der  Er- 
eignisse. 

Von  einem  solchen  Quellenbuch  kann  nicht  erwartet  werden,  dads  es 
jeden  Artikel  in  Zeitschriften  namhaft  macht;  das  Albertische  R^ister 
wird  also  nicht  überflüssig.  Witt  hat  aber  eine  grolse  Zahl  mit  Recht 
aufgenommen,  so  dafs  derjenige,  welcher  sich  mit  einem  Zweig  der 
Landesgeschichte  erst  bekannt  machen  will,  Auskunft  in  Hülle  und 
Fülle  erhält.  Eine  besondere  Schwierigkeit  liegt  in  der  Heranziehung 
der  dänischen  Litteratur,  die  ftir  Schleswig,   aber  auch  ftir  Holstein 


—     214     — 

nicht  vernachlässigt  werden  darf.  Soweit  ich  sehe,  hat  Witt  hier  Aus- 
reichendes gegeben;  etwaige  Ergänzungen  bieten  die  auch  von  ihm 
aufgezählten  dänischen  Repertorien.  Schwieriger  ist  die  Verwertung 
des  handschriftlichen  Materials.  Witt  giebt  einige  besonders  wichtige 
aus  den  Kopenhagener  Bibliotheken.  Die  Schleswig-Holstein  betreffen- 
den Handschriften  der  Kieler  Universitätsbibliothek  sind  von  H.  Ratjen 
in  drei  Bänden  1858  — 1866  verzeichnet,  sie  hat  Witt  nicht  mit  be- 
rücksichtigt. Manches  liegt  in  den  Propstei-  und  anderen  Archiven, 
Wertvolles  und  Wertloses;  dessen  Siehtung  steht  noch  aus.  Wenn 
man  daher  auch  einzelnes  vielleicht  vermissen  wird  (z.  B.  v.  Seelen, 
Athenae  Lublicenses),  so  darf  doch  Witt  als  ein  vorzügliches  Hilfsmittel 
zum  Studium  nicht  nur  der  schleswig-holsteinischen  Kirchengeschichte, 
sondern  auch  der  politischen  Geschichte  allen  Forschern  empfohlen 
werden. 

Der  Verein  beabsichtigt,  auch  ein  Verzeichnis  aller  in  den  Ar- 
chiven liegenden  Aktenstücke  von  geschichtlichem  Werte  zusammen- 
zustellen; dadurch  wird  er  sich  ein  neues  Verdienst  um  die  Landes- 
geschichte erwerben. 


Mitteilungen 

Historische  Museen  deutscher  StKdte.  —  Auf  die  Wichtigkeit  der 

Altertümersammlungen  für  die  Geschichtsforschung,  die  leider  vielfach  noch 
nicht  genügend  erkannt  zu  sein  scheint  —  es  fehlt  vor  allem  daran,  dafs  die 
von  den  Museumsleitern  an  der  Hand  ihrer  Schätze  gewonnenen  geschicht- 
lichen Thatsachen  in  Worte  gefafst  und  damit  allgemein  zugänglich  gemacht 
werden  — ,  haben  wir  schon  wiederholt  für  kleinere  Städte  hingewiesen  (vgl. 
S.  87  und  176).  Um  zu  zeigen,  wie  es  mit  den  bekanntesten  städtischen 
Museen  gegenwärtig  steht,  und  um  an  anderen  Orten  einerseits  zur  Nach- 
eiferung anzuspornen  andrerseits  aber  auch  um  auf  Mängel  aufmerksam  zu 
machen,  die  sich  leicht  vermeiden  lassen,  mögen  hier  einige  Mitteilungen 
über  die  Historischen  Museen  einiger  Grofsstädte  folgen: 

Frankfiirt  a.  M.  Im  Juni  1878  wurde  das  städtische  historische 
Museum  in  Frankfurt  a.  M.  in  dem  nach  Plänen  des  Dombaumeisters  Den- 
zinger  errichteten  Neubaue  des  Archivgebäudes  auf  dem  Weckmarkt  unter 
Leitung  des  städtischen  Konservators  Direktor  O.  Coraill  eröffnet  und  damit 
der  Bestand  an  städtischen  Kunst-  und  Altertumsgegenständen,  welche  bis 
dahin  in  verschiedenen  Lokalen  verstreut  waren,  zu  einer  besonderen  Sanmi- 
lung  vereinigt.  Durch  das  eifrige  Wirken  der  städtischen  „Kommission  für 
Kunst-  und  Altertumsgegenstände"  und  des  „Vereins  für  das  historische 
Museum",  sowie  durch  häufige  Geschenke  und  Vermächtnisse  seitens  der 
Bürgerschafl  vergröfserte  sich  die  Sammlung  im  Laufe  des  darauf  folgenden 
Dezenniums  derartig,  dafs  das  Erdgeschofs  des  Archivgebäudes   nicht   mehr 


—     215     — 

ausreichte;  im  Jahre  1893  wurde  das  westlich  daran  stofsende  Leinwandhaus, 
ein  prächtiger  Profanbau  der  Spätgotik,  damit  verbunden,  nachdem  dieses 
wiederhergestellt  und  zu  Museumszwecken  ausgebaut  worden  war.  Seitdem 
ist  das  Wachstum  der  Sammlung  in  so  erfreulicher  Weise  fortgeschritten,  dafs 
nunmehr  auch  diese  stattlichen  Räume  überfüllt  sind,  und  zur  dringend  not- 
wendigen Erweiterung  soeben  der  westliche  Hof  des  Leinwandhauses  mit  einer 
Halle,  die  unmittelbar  an  dessen  Unterstock  anschliefst,  überbaut  wird.  Die 
Summe,  welche  jetzt  jährlich  für  Ankäufe  und  Ausgrabungen  dem  Museum 
durch  regelmässige  Beiträge  der  Stadt  und  des  oben  genannten  Vereins, 
femer  durch  gelegentliche  private  Zuwendungen  zu  Gebote  steht,  erreicht 
durchschnittlich  einen  Höchstbetrag  von  insgesamt  20000  Mark. 

Das  Museum  bewahrt  nicht  blofs  Gegenstände,  welche  aus  Frankfurt 
und  dessen  Umgebung  stammen,  sondern  auch  im  allgemeinen  reiches,  aus- 
erlesenes Material  aus  den  Gebieten  der  Kulturgeschichte,  des  Kimstgewerbes 
und  der  bildenden  Künste.  Der  Bestand  an  Archivalien  ist  indessen  nur 
gering,  da  bekanntlich  die  reichen  Schätze  an  Urkunden  dem  Stadtarchive 
angehören;  von  diesem  wurden  depositarisch  nur  die  berühmte  Frankfurter 
Ausfertigung  der  „  Goldenen  Bulle  "  und  eine  Reihe  von  Handwerker-Büchern, 
meist  aus  dem  XVHI.  Jahrhundert  überlassen. 

Aus  der  Zeit  der  Reichsstadt  imd  der  freien  Stadt  findet  sich  eine  reiche 
Auswahl  von  Waffen  und  Uniformen,  zum  Teil  in  plastischen  Figuren.  Die 
in  der  Rüstkammer  aufgestellte  Fellnersche  Satnmlung  besitzt  wertvolle 
Rüstungen  des  XV.  bis  XVII.  Jahrhunderts,  Jagdwaffen  und  Dekorationswaffen. 
Bürgerliche  Trachten  aus  dem  XVIII.  und  dem  Anfange  des  XIX.  Jahrhunderts, 
Amtstrachten  und  Würdezeichen,  Kinderspielsachen  aus  dem  XVIII.  Jahrhun- 
dert, Volkstrachten  der  benachbarten  Gebirgsbewohner,  eine  Bauernstube  aus 
Oberhessen  bilden  eine  besondere ,  sehr  anziehende  Abteilung.  Die  Völker- 
kunde ist  durch  die  Erzeugnisse  von  Natur-  und  Kulturvölkern  bestens  ver- 
treten :  von  ersteren  namentlich  Australien  und  die  Südsee-Inseln,  von  letzteren 
Alt-Amerika,  China  und  Japan.  Die  Abteilung  der  ältesten  Völker  enthält 
Werke  der  äg)T)tischen  Kleinkunst  und  Mumiensarkophage,  Thongefäfse  und 
Bronzegegenstände  der  griechisch-italischen  Epoche,  und  zahlreiche  Funde  aus 
der  europäischen  Stein-,  Bronze-,  Eisenzeit,  zum  Teil  solche  aus  Frankfurts 
Umgebung.  Von  hervorragendem  archäologischen  Interesse  ist  die  Sammlung 
«der  Römerfunde,  welcher  das  benachbarte  Hauptfundgebiet  bei  Heddemheim 
und  Praimheim  fortwährend  wertvolle  Ergänzungen  liefert.  Besonders  seien 
hier  envähnt  die  fast  5|  m  hohe  Gigantensäule  aus  Heddernheim  und  das 
grofsc  Mithrasrelief  mit  den  beiden  Altären.  Die  frühgermanischen  Grab- 
funde stammen  ebenfalls  aus  Frankfurt  selbst  oder  dessen  Umgebung,  des- 
gleichen eine  Reihe  von  Thongefäfsen  des  X.  bis  XVI.  Jahrhunderts.  Eine 
lokalgeschichtliche  Bedeutung  haben  die  Gegenstände  aus  den  ehemaligen 
Frankfurter  Innungen,  die  zumeist  vortreffliche  künstlerische  Ausführung 
zeigen;  beachtenswert  ist  das  grofse  Herbergsschild  der  Metzger -Innung  in 
meisterhafter  Schmiedearbeit  und  deren  reichbemalte  eiserne  Lade,  und  die 
Erinnerungen  von  den  Kaiserkrönungen,  darunter  der  Krönungsbaldachin  mit 
aufgestickten  grofsen  Reichsadlern.  Ein  Teil  der  kirchlichen  Gerätschaften 
ist  zur  Einrichtung  einer  Kapelle  benutzt,  welche  sich  in  dem  mit  einem 
Kreuzgewölbe  überdeckten  Räume  im  Erdgeschosse  des  I^inwandhauses  be- 


—     216     — 

findet  und  mit  rortrefnichen  Glasgemälden  des  XIII.  Jahrhunderts  ans  dem 
Dom  ausgestattet  ist  Beachtenswert  ist  auch  eine  Sammhing  von  israeliti* 
sehen  Ritualgegenständen  des  XVII.  bis  XIX.  Jahrhunderts. 

Die  zahhreichen  wertvollen  Gemälde  des  XV.  bis  XVn.  Jahrhunderts  aus 
Frankfurter  Kirchen  und  Klöstern,  femer  diejenigen  des  XVIII.  und  XIX.  Jahr- 
hunderts sind  in  zwei  Gemäldesälen  imtergebracht ,  in  deren  einzelnen  Ab- 
teilungen gleichzeitiges  Mobiliar  aufgestellt  ist  Neben  einem  aus  elf  Tafeln 
bestehenden  Altarwerke  von  Hans  Holbein  dem  Älteren  finden  wir  die  Portraits 
Luthers  und  Melanchthons  von  Lukas  Cranach  dem  Älteren,  eine  Taufe 
Christi  von  Hans  Baidung  Grün,  zwei  grau  in  grau  gemalte  Altarfiügel  von 
Matthias  Grünewald,  und  als  Hauptstücke  die  beiden  Flügel  und  die  Kopie 
des  durch  Brand  zugrunde  gegangenen  Mittelbildes  aus  dem  berühmten  Altar- 
werke, welches  Albrecht  Dürer  für  den  Frankfiirter  Ratsherrn  Jakob  Hetter 
gemalt  hatte.  Unter  den  Gemälden  des  i8.  Jahrhunderts  ist  Chr.  Gg.  Schütr, 
Joh.  Conrad  Seekatz  und  Joh.  Ludwig  Ernst  Morgenstern  gut  vertreten.  Die 
Sammlung  von  Frankofurtensienblättem  ist  jetzt  auf  ca.  20000  Stück  ange- 
wachsen, darunter  die  kostbare  Reiffensteinsche  Aquarellsammlung,  die  Ger- 
ningsche  Sammlung,  die  Krönungsdiarien  etc.  Hierher  gehört  auch  eine 
grofse  Anzahl  von  Siegeln,  Münzen,  MedaiUen,  Portraits  und  Freimaurer- 
gegenständen. 

Es  würde  hier  zu  weit  führen,  die  Fülle  von  kunstgewerblichen  Erzeug- 
nissen, welche  das  Museum  besitzt,  eingehender  zu  behandeln ;  wir  erwähnen 
daher  nur  folgende  Gruppen :  Möbel ;  grofse  Schränke,  teilweise  mit  Schnitzerei 
und  Elfenbeinanlagen,  Tische,  Stühle,  holländische  Lackmöbel,  Prunkmöbel; 
musikalische  Instrumente;  Gläser;  Porzellan,  Majoliken,  Fayencen,  Steinzeug; 
Buchbeschläge  und  Einbände;  Kassetten;  Silbersachen;  Arbeiten  in  Zinn 
und  Kupfer;  moderne  Medaillen;  Schlosserarbeiten;  kleinere  Gebrauchs- 
gegenstände etc. 

Einen  wesentlichen  Bestandteil  des  Museums  bilden  zahlreiche  einzelne 
Gebäudeteile  aus  Stein,  Holz  und  Schmiedeeisen,  welche  als  Überreste  von 
Frankfurter  Baudenkmälern  demselben  überwiesen  wurden.  Umfangreichere 
Stücke  davon,  sowie  Statuen  und  römische  Steinsärge  sind  in  dem  Musetmis- 
hofe  zur  Aufstelltmg  gelangt 

Der  Aufschwung,  welchen  das  Museum  in  den  letzten  Jahren  nahm^ 
hat  demselben  eine  beträchtliche  Besucherzahl  zugeführt,  zugleich  aber  den 
Mangel  eines  gedruckten  Führers  fühlbar  gemacht.  Die  rasche  Ausdehnung 
der  Sammlung  in  beschränkten  Räumlichkeiten,  wobei  die  Stücke  einer  Gruppe 
oft  in  verschiedenen  Sälen  untergebracht  werden  mufsten  und  eine  einheitliche 
Aufstellung  unmöglich  war,  boten  der  Abfassung  eines  Führers  nicht  zu 
unterschätzende  Schwierigkeiten.  Mit  freudiger  Anerkennung  mufs  es  daher 
von  Seiten  aller  beteiligten  Kreise  begrüfst  werden,  dafis  Herr  Dr.  F.  QuiDing, 
der  wissenschaftliche  Assistent  des  Museums,  sich  der  mühevollen  Herausgabe 
eines  solchen  unterzogen  und  eine  vortreffliche  Lösung  dieser  schwierigen 
Aufgabe  dadurch  gefunden  hat,  dafs  er  keine  katalogartige  Aufisählung 
der  Gegenstände  bietet,  sondern  dem  Besucher  die  betrefienden  Kunst- 
und  Kulturgebiete  in  übersichtlicher  Weise  erläutert  und  dabei  die  aus* 
gestellten  Stücke  als  praktische  Beispiele  heranzieht  Durch  diese  Dar- 
stellungsform bleibt  auch  der  Führer  aufserhalb  des  Museums  kein  toter  Be- 


—     817     — 

sitz,  da  er  eine  aarqjeade,  erfolgreiche  Lektüre  vor  wie  nach  der  Besichttgiing 
ermöglicht  Bb  jetzt  HßgL  die  Besprediung  der  Abteilung  für  Völkerkunde, 
▼ei6dst  Ton  dem  Herausgeber,  vor;  die  demnächst  erscheinenden  Bearbeitungen 
der  folgenden  Gruppen  hat  eine  gr^sere  Anzahl  bewährter  Fachgdehrter 
tibemommen. 

Auiser  dieser  grölseren  Veröffentlichung  ist  vor  kurzem  ein  kleiner  Führer, 
^er&ist  von  Dr.  Quilhng,  erschienen,  welcher  in  knapper  Form  über  die 
wesentlichsten  Bestände  orientiert ;  er  führt  in  den  einzelnen,  sehr  übersichtlich 
l)ehandelten  Gruppen  nur  die  hervorragendsten  Stücke  an  imd  gidH 
dabei  in  klar  geschriebenen  Anmerkungen  eine  geschickte  Erklänmg  aller 
Toricommenden  technischen  Bezeichnungen.  Auch  die  Lösung  dieser  von 
<kn  neuzeidichen  Betrebungen  auf  dem  Gebiete  der  allgemeinen  Volksbildung 
geforderten  Au%abe  darf  als  w(^ilgelungen  bezdchnet  werden ;  das  wohlfeile 
Heftchen  ist  recht  geeignet,  in  allen  Schichten  der  Bevölkerung  ein  lebendiges, 
segensreiches  Verständnis  für  das  städtische  historische  Museum  selbst  und 
für  die  Vergangenheit  in  Kunst  und  Kultur  zu  erwecken  und  geht  den 
übrigen  Sammlungen  Frankfurts  als  nachahmenswertes  Beispiel  voran. 

XUm.  Im  Sommer  1888  wurde  in  Köln  angeregt,  fUr  die  in  den 
städtischen  Samminngen  und  bei  Privaten  zerstreuten  historischen  Eriimerungen 
eine  gemeinsame  Stätte  zu  schaffen.  In  ihrer  Sitzung  vom  13.  Juli  beschlofs 
daraufhin  die  Stadtverordnetenversammlung,  in  der  Hahnenthorburg  ein  histo- 
risches Museum  für  Köln  und  seine  Umgebung  zu  errichten  imd  zu  dem 
Zwecke  die  auf  die  Geschichte  von  Köln  bezüglichen  Gegenstände  aus  dem 
Musetun  Wallraf-Richartz,  dem  Kimstgewerbe-Museum,  dem  Archiv  und  der 
Bibliothek  nach  Auswahl  dorthin  zu  überweisen.  Die  Eröffnung  des  Museiuns 
koimte  bereits  am  4.  August  erfolgen;  es  ist  seitdem,  seit  1891  der  Leitung  des 
städtischen  Archivdirektors  unterstellt,  in  der  erfreulichsten  Entwicklung  begriffen. 

Das  Museum  pflegt  in  erster  Linie  die  stadtkölnische,  weiterhin  aber 
auch  die  erzbischöfliche  Geschichte.  Nur  die  Sammlung  der  rheinischen 
Pläne  imd  Ansichten  greift  über  diesen  Rahmen  hinaus  (vgl  unten).  Gegen- 
liber  den  beiden  groisen  städtischen  Museen,  dem  Museum  Wallraf-Richartz 
und  dem  Kunstgewerbe-Museum,  ist  die  Abgrenztmg  in  der  Weise  durch» 
geführt,  dals  diejenigen  Gegenstände  kölnischer  Provenienz,  welche  ein  be- 
sonderes künstlerisches  oder  kimstgewerbliches  Interesse  besitzen,  in  diesen 
beiden  Sammhingen,  nicht  im  liistorischen  Museum,  aufbewahrt  werden. 
Das  Jahresbudget  beträgt  7023  M.,  davon  2000  M.  fUr  die  regelmäfsigen 
Anschaffungen,  doch  sind  die  auiserordendichen  Aufwendungen  wesentUdi 
gröfser  (1897  z.  B.  30000  M.). 

Der  rdche  Besbz  des  Museums  an  Kunstblättern,  lUustnUionen  und 
Drucksachen  enthält  Stad4)läse  und  Ansichten  von  Köb,  darunter  einen 
interessanten  Hdzschnitt  von  Hans  Weigel  (ca.  1580)  und  einen  grofsen 
Kupferstich  von  Wenzel  HoUar  (1656),  sowie  NachbilduBgen  des  Prospektes 
von  Anton  Woensam  von  Worms  (153 1)  und  der  Pläne  des  Arnold  Mer- 
cator  (157 1)  und  des  Cornelius  von  Egmont  (164a),  ferner  Pläne  und  An- 
sichten einzc^er  Stadtteile  und  Gebäude  (u.  a.  die  Entwürfe  für  den  1556 
zum  Wettbewerb  ausgeschriebenen  Rathausneubau},  eine  Sammlung  rheinischer 
Pläne  und  Ansichten  von  ca.  1000  Nummern,  (die  nach  der  Absicht  ihres  ur- 


—     218     — 

sprüDglichen  Besitzers  J.  J.  Merlo  die  gesamten  Rheinlande  umfassen  sollte 
und  in  diesem  Sinne  auch  fortgeführt  wird),  weiterhin  etwa  2000  Portraits 
aller  hervorragenden  Persönlichkeiten  der  Kölner  Geschichte,  darunter  auch 
eine  Anzahl  Ölgemälde  (Bildnis  des  Johann  Brinckmann  von  Barthel  Bruyn 
und  des  Goswin  Calenius  von  Augustin  Braun).  Unter  den  historischen 
und  kulturhistorischen,  legendarischen  und  satirischen  Darstellungen  sind  sechs 
Zeichntmgen  desselben  Augustin  Braun,  die  denkwürdige  Momente  der  Kölner 
Geschichte  schildern,  hervorzuheben,  sowie  eine  interessante  Sanmüung  von 
Erzeugnissen  des  Kölner  Karnevals  und  zahlreiche  Dombauerinnerungen. 

Einer  sehr  wertvollen  und  reichhaltigen  Sammlung  kölnischer  Münzen 
(erzbischöflicher  und  städtischer)  erfreut  sich  das  Museum,  seit  zu  einem 
älteren  Bestand  1897  die  stattliche  Sammlung  von  Karl  Farina  hinzuge- 
kommen ist.  Unter  den  Medaillen  nennen  wir  die  auf  Andreas  Imhoflf  (1536), 
Matthias  Vorsbach  (1542),  Andreas  Gail  (1582),  Maria  von  Medici  (von 
George  Dupr^,  1624)  und  Eberhard  Jabach  (1665).  Aufser  den  städtischen 
Münzstempeln  des  XV.  bis  XVIII.  Jahrhunderts  bewahrt  das  Museum  auch  die 
der  erzbischöflichen  Münzstätte  Riehl,  die  vermudich  nach  Zerstönmg  dieser 
Burg  am  Ende  des  XIV.  Jahrhunderts  nach  Köln  überführt  worden  smd, 
femer  die  Siegelstempel  der  Stadt  und  die  zahlreicher  Kölner  Behörden, 
Kirchen  und  Korporationen  (u.  a.  das  lun  1270  verfertigte  grofse  Stadtsiegel, 
das  Universitätssiegel  von  ca.  1390,  das  Silbersiegel  der  Zunft  Eisenmarkt 
aus  dem  XIV.  Jahrhundert),  sowie  die  aufser  Gebrauch  gesetzten  städtischen 
Normalmafse  und  -Gewichte. 

Aus  der  u.  a.  zehn  Rüstungen  (XVI.  Jahrhimdert  und  ff.)  enthaltenden 
Waffensammlung  sind  eine  Sturmhaube  mit  Halsberge  und  Brünne  in  edler 
geätzter  Renaissance  -  Omamentation  und  zwei  Fasanenflinten  mit  reich  in 
Elfenbein  eingelegtem  Schaft  (XVII.  Jahrhundert),  unter  den  Stücken  speziell 
kölnischer  Herkunft  drei  mächtige  Zweihänder  (XVI.  Jahrhundert)  imd  fünf 
Sturmhauben  der  Kölner  Fafsbinderztmft  hervorzuheben.  Seltene  Prachtstücke 
sind  die  vier  Stadtbanner  von  ca.  1400  bezw.  1500;  aus  dieser  Zeit  sind 
nach  einige  Standarten  und  eine  Spottfahne  vorhanden. 

Zum  interessantesten  Besitz  des  Museums  gehören  eine  Anzahl  Gegen- 
stände aus  dem  Nachlafs  des  1398  enthaupteten  Kölner  Bankiers  imd  Siegel- 
bewahrers Hermann  von  Goch  (zwei  silberne  Siegel  an  silberner  Kette,  ein 
Prüfstein  für  Goldmünzen  in  Lederfutteral  u.  s.  w.),  drei  kölnische  Richt- 
schwerter, deren  ältestes,  mit  dem  emaillierten  Stadtwappen  im  Knauf,  aus 
dem  XIV.  Jahrhimdert  stammt,  und  zwei  Geld-  und  Aktentruhen  der  Sams- 
tagsrentkammer aus  dem  XV.  Jahrhundert. 

Als  Deposita  beherbergt  das  Museum  die  vom  Kölner  Männergesang- 
verein errungenen  Preise,  tmter  denen  sich  gegenwärtig  der  Kasseler  Kaiser- 
preis von  1899  befindet,  femer  das  Schützensilber  der  Kölner  Schützen- 
gesellschaft imd  die  Schützenschilder  der  St  Sebastiansgilde  zu  Deutz. 

Da  der  Raum  der  Hahnenthorburg  für  die  Sammlungen  nicht  mehr 
ausreicht,  wird  demnächst  auch  die  Eigelsteinthorburg  für  die  Zwecke  des 
Historischen  Museums  eingerichtet  werden. 

Leipsdg.  Die  Sammlungen,  welche  das  „Städtische  Museum"  zu  Leipdg 
beherbergt,  sind  nicht  geschichtlicher  Art,  sondern  es  sind  Kunstgegenstände, 


—     219     — 

namendich  Gemälde,  die  in  dem  stjUdichen  Bane  am  Aiig!istiiq>latz  unter- 
gebracht sind.  Es  ist  die  Sammhmg,  welche  in  ihren  Anfiingen  vom  Leipziger 
Kunstverein  1837  ins  Leben  geiufen  wurde  und  welche,  seit  1848  in  den 
Besitz  der  Stadt  übergegangen,  sich  seitdem  immer  weiter  entwidcelt  hat 
Das  städtische  Kunstgewerbemuseum,  welches  ebenso  wie  das  Museum  für 
Völkerkunde  im  Grassimuseum  würdig  unteigd>racht  ist,  enthält  schon  viel 
mehr  im  engeren  Sinne  geschichtliche  Gegenstände,  aber  die  Sorge  für  ein 
geschichtliches  Museum  hat  man  in  der  praktischen  Mefsstadt  dem 
„Vereine  für  die  Geschichte  Leipzigs'*  überiassen,  dessen  Sammlungen  im 
alten  Johannishospital  (Johannisplatz  8)  im  zweiten  Stock  untergebracht  sind. 

Der  Verein  besteht  seit  1867;  die  Sammlung  aller  für  die  Geschichte 
Leipzigs  und  seiner  Umgebung  wichtigen  Gegenstände  ist  von  Anfsmg  an 
seine  Hauptaufgabe  gewesen,  aber  die  beschränkten  Vereinsmittel  —  gegen- 
wärtig sind  etwa  400  Mit^eder  mit  einem  Jahresbeitrag  von  5  Mk.  vor- 
handen —  haben  natürlich  Ankäufe  nur  in  beschränktem  Maise  gestattet 
so  dafs  die  Sammlungen  im  wesendichen  durch  Geschenke  vermehrt  und  die 
mühsamen  Ordnungs-  und  Aufstellungsarbeiten  von  freiwilligen  Pflegern  besorgt 
worden  sind.  Die  Museumsräume,  die  an  Umfang  längst  nicht  mehr  genügen, 
so  dafs  eine  nicht  unbeträchtliche  Anzahl  von  Stücken  noch  nicht  hat  aufgestellt 
werden  können,  sind  Eigentum  der  Stadt  und  vom  Vereine  für  900  Mk. 
gemietet  Die  Stadt  vergütet  jedoch  denselben  Betrag  aus  Stiftungsmitteln, 
so  dafs  in  der  That  die  Aufbewahrungsräume  dem  Vereine  unen^eltlich  zur 
Verfügung  stehen.  Aufserdem  sind  dem  Vereine  in  einzelnen  Fällen  zum 
Ankaufe  besonders  wichtiger  Stücke,  zur  Anbringung  von  Gedenktafeln,  Er- 
richttmg  eines  Kriegerdenkmals,  Aufstellung  von  Skulpturen,  auch  zur  Reno- 
vation der  Sammlungsräume  u.  s.  w.  mehrmals  Unterstützungen  seitens  der 
Stadt  zu  teU  geworden. 

Die  Sammlung,  mit  der  eine  statdiche  Vereinsbibliothek  nebst  Repertorium 
über  die  Sammelbände,  sowie  ein  Archiv  verbunden  ist,  in  welchem  die 
scheinbar  imwichtigsten  geschriebenen  imd  gedruckten  Eintagsfliegen  sorgsam  ver- 
wahrt werden,  zeigt  in  höherem  Maise  als  es  in  der  Regel  der  Fall  sein  mag,  ge- 
schichtlichen Charakter.  In  wesentlich  zeitlicher  Folge  vom  Boden  Leipzigs  an- 
fangend —  Proben  jeder  einzelnen  Erdschicht  nebst  kartographischer  Erläuterung 
liegen  vor  —  über  vorgeschichtliche  Funde,  Steingeräte,  Urnen,  Pleifsenpfahlbau- 
reste  führt  die  Sammlung  zu  romanischen  Bauwerken  Sachsens,  die  im  Bilde  vor- 
geführt sind.  Die  sächsischen  Regententafeln  ziehen  sich  dann  der  Zeit, 
welcher  die  Ausstellungsstücke  angehören,  entsprechend  bis  in  die  neuste 
2^t  durch  die  Gegenstände  hindurch.  Eine  aus  Gegenständen,  die  zum  Teil 
Leipziger  Kirchen  entstammen,  gebüdete  spät  mittelalterliche  Kapelle  schliefst 
die  ältere  Zeit  ab.  Der  rechte  Reichtum  setzt  aber  erst  mit  dem  XVL  Jahr- 
hundert ein,  wo  sich  ja  überhaupt  die  Stadt  erst  so  recht  wirtschafllich  zu 
entwickeln  beginnt:  kirchliche  und  weltliche  Geräte,  kunstvolle  Erzeugnisse 
des  Handwerks,  Möbel,  Uhren,  Waffen,  Kleidungsstücke,  Stadtpläne  und  Ab- 
bildungen, gedruckte  Ratsverordnungen  und  Fahnen  führen  zum  XVIII.  Jahr- 
hundert hin,  wo  dem  geistigen  Leben  in  Theater  und  Litteratur  verschiedene 
Gruppen,  die  sich  an  einzelne  Personen  anlehnen,  gewidmet  sind.  Eine 
plansche  NachbUdimg  der  Stadt  aus  der  Vogelperspektive,  die  Leipzig  im 
Jahre    181 7    darstellt,   gehört  in   der  folgenden  Gruppe  zu  den  besonderen 


—     220     — 

Sehenswürdigkeiten.  Die  Erinnerungen  aus  den  Tagen  der  Völkerschlacht 
in  ganz  aufserordentlicher  Mannigüüti^eit  schliefsen  aber  bereits  im  Wesent- 
lichen die  Ausstellung  ab,  da  weiterer  Raum  nicht  zur  Verfi^fang  steht,  um 
alles  das  unterzubringen,  was  den  Verlauf  des  XIX.  Jahrhunderts  geschichtlich 
zu  illustrieren  vermag. 

Die  Wichtigkeit  der  Sammlung  ist  weithin  bekannt,  tmd  es  ergehen 
wie  bei  anderen  Museen  eine  Menge  Anfragen  an  den  Vereinsvorstand,  die 
um  Auskünfte  über  dies  oder  jenes  Ereignis  oder  Ausstellungsstück  bitten. 
Unter  den  Fragenden  sind  Behörden  aUer  Art,  Ministerien,  Militärbehörden, 
Stadträte  vertreten,  aber  auch  Korporationen  und  Private  von  nah  und  fem 
fehlen  nicht  Gelehrte  und  Künstler  betreiben  hier  ihre  Studien,  und  speziell 
der  Buchhandel  eriimert  sich  der  Sammlung  gern,  wenn  er  geeignete  Ab- 
bildungen als  Vorlagen  zu  illustrierten  Werken  aller  Art  sucht  Als  Unter- 
richtsmittel in  der  heimadichen  Geschichte  spielt  das  Museum  bereits  jetzt 
«ine  gewisse  Rolle,  indem  gern  ganze  Klassen  durch  die  Ausstellung  geftthrt 
werden.  Kurz  es  fehlt  gerade  in  Leipzig  am  wenigsten  an  dem,  woran 
andere  Museen  vielfach  leiden,  an  Besuchern  und  Benutzem;  nur  das  eine 
ist  dabei  auffällig,  dafs  sowohl  einheimische  Bürger  als  auch  die  einheimischen 
Behörden  dem  Museum  recht  geringes  Interesse  entg^enbringen.  Die  be- 
schränkten Mittel  imd  die  nicht  immer  zur  Verfügung  stehende  Zeit  machen 
es  natüriich  oft  nicht  möglich,  die  Fragen,  die  der  eine  oder  der  andere 
gern  beantwortet  haben  möchte,  so  gründlich  zu  untersuchen  wie  es  an  sich 
wünschenswert  wäre.  Denn  dafür  wäre  nicht  nur  eine  gute  Ordnung  tmd 
Aufstellung  der  Sammlung  sowie  ein  wissenschaftlich  bearbeiteter  Katalog 
unerläfslich,  sondern  auch  die  Thätigkeit  eines  geschulten  Musealbeamten 
unbedingt  nötig.  Ein  solcher  ist  nie  darin  beschäftigt  gewesen,  auch  im 
besoldeten  Nebenamte  hat  sich  niemand  bisher  dem  Museum  widmen  können, 
die  Sammlung  ist  vielmehr,  wie  sie  durch  Vereinsthätigkeit  entstanden  ist, 
auch  nur  durch  freiwillige  Arbeit  verschiedener  Pfleger  geordnet  und  auf 
ihren  gegenwärtigen  Stand  gebracht  worden.  Im  Hinblick  auf  diese  Verhält- 
nisse bietet  das  Museum  einen  über  Erwarten  grofsen  Reichtum,  aber  gerade 
in  neuster  Zeit  madit  es  sich  recht  fühlbar,  dafs  auf  die  Dauer  der  jetzige 
Zustand  nicht  fortbestehen  kann  imd  darf.  Es  ist  höchste  Zeit,  dafs  an  die 
Ausarbeitung  eines  Katalogs  gegangen  wird,  aber  bei  der  jetzigen  gedrängten 
Art  der  AufsteUung  ist  eine  solche  Arbeit  fast  immö^ch,  ganz  abgesehen 
davon,  dafis  niemand  da  ist,  der  sie  ausftihren  könnte.  Zudem  sind  die 
Räume,  in  welchen  der  Verein  sein  Eigentum  aufbewahrt,  nichts  weniger 
als  feuersicher,  eine  Benutzung  der  Räume  im  Winter  ist  deshalb  völlig  aus- 
geschlossen, da  auch  in  keinem  der  kleineren  Arbeitszimmer  geheizt  werden 
darf,  denn  bei  Ausbrach  eines  an  sich  vielleicht  imbedeutendeu  Brandes 
würde  im  Laufe  einer  Stunde  vom  ganzen  Museum  wohl  nichts  mehr  übrig 
sein!  Der  Verein  seinerseits  hat  natüiüch  nicht  die  Mittel,  um  fttr  bessere 
Unterkunft  zu  sorgen,  und  so  wird  alles  bleiben,  wie  es  ist,  wenn  sidi  nicht 
die  Stacb  auf  ihre  Ehrenpflicht  besinnt  und  dauernd  und  nachhaltig  für  das 
städtisdie  Geschichtsmuseum  sorgt  Am  besten  würde  dies  geschehen  können, 
wenn  nach  Vollendung  des  neuen  Rathauses  in  dem  statdichen  Baue  des 
aken  Radiauses  am  Markte  würdige  und  auch  für  die  Zukunft  bemessene 
Räume  zur  Verfügung  gestellt  würden.     Damit  wäre   allerdings  noch  nicht 


genug  geschehen,  denn  eine  Vereinsorganisation  kann  bei  einer  so  reich- 
haltigen Sammlung,  die  sich  mit  Leichtigkeit  vergrölsem  lälst,  wenn  sie 
ofl&zieQen  Charakter  ammnmt,  eben  so  wenig  dauernd  genügen  wie  sie  bei 
Begiündui^  einer  Sammlung  oder  in  kleinen  Verhfiltnissai  ab  hervorragend 
zweckentsprechend  zu  bezeichnen  ist  Wenn  die  Stadt  Leipzig  das  Museum 
(^  die  Geschichte  Leipzigs  Tom  Vereine  als  Geschenk  annähme  und  f&r 
würdige  Unterinmfisräume  sowie  för  Bestellung  eines  geeigneten  wissenschaft- 
lichen Beamten  soigte  —  nur  dann  scheint  es  möglich  dem  Museum  die 
EntwicklungsfiLhig^eit  zu  geben,  die  es  mit  Hinsicht  auf  die  Bedeutung  der 
Stadt  und  ihr  gdstiges  und  wiitschaMches  Leben  verdient  Nur  dann  könnte 
das  Museum  ein  wirklicher  Sammelpunkt  werden  f&r  alle  jetzt  an  so  vielen 
Orten  innerhalb  der  Stadt  zerstreuten  G^enstände,  die  gegenwärtig  dem 
gröiseren  Publikum  unzugäng^ch  sind.  Im  Rathaus,  in  der  Stadtbibliodiek,  im 
Kunstgeweibemuseum  finden  sich  bereits  in  städtischem  Besitze  viele  Dinge 
von  hohem  geschichtlichen  Weit,  der  aber  erst  im  Zusammenhang  mit  anderem 
voll  erkannt  werden  kann.  Einem  Stadtmuseum  würden  auch  Vereine,  wie 
die  „Deutsche  Gesellschaft**  oder  sonstige  Korporationen  die  in  ihrem  Be- 
sitze befindlichen  geeigneten  Gegenstände  willig  ab  Depositum  gegen  Revers 
zur  Aufbewahrung  überweisen  und  manches  vielleicht  auch  schenken,  was 
sie  mit  gutem  Grunde  einem  Privat  vereine  vorenthalten.  Zweifellos  würde 
das  Interesse  weiter  Kreise  damit  aufs  neue  geweckt,  die  Sammlung  in  höherem 
Malse,  ab  es  jetzt  der  Fall  ist,  zugänglich  gemadit  und  auch  vielleicht  die 
OpferwilU^eit  einzelner  Bürger  angeregt  werden,  so  dafs  binnen  kurzer  Zeit 
nach  solch  einer  Reorganisation  das  Geschichtsmuseum  der  Stadt 
Leipzig,  namentlich  ftir  die  neuere  Zeit,  zu  den  besten  in  Deutschland 
würde  zählen  dürfen.  Der  „Verein  für  die  Geschichte  Leipzigs**  würde 
unter  solchen  Verhältnissen  seine  Bedeutung  nicht  im  geringsten  verlieren, 
deim  erstlich  könnten  seine  Mittel  dann  teilweise  zur  Lösung  anderer  nicht 
minder  wichtiger  Aufgaben  verwendet  werden,  teilweise  aber  noch  immer 
dem  städtischen  Museum  zu  gute  kommen.  Um  eine  Sammlung  dauernd 
zu  vermehren  und  ihren  Leiter  auf  wichtige  Funde  und  sonstige  Erschei- 
nungen aufinerksam  zu  machen,  dazu  ist  eine  gröfsere  Anzahl  interessierter 
Personen  in  allen  Berufskreisen  unerläfslich^  und  in  dieser  Hinsicht  kann  keine 
Organisation  besser  wirken  ab  ein  Verein,  dessen  Mitglieder,  jedes  an  seiner 
Stelle,  einem  einzigen  Ziele  zustreben,  nämlich  dem,  die  Altertümer  und 
Denkwürdigkeiten  der  Heimatstadt  zu  bewahren  und  zu  sanmieln. 

BreilaiL  Die  AnftUige  des  Schlesischen  Museums  für  Kunst* 
gewerbe  und  Altertümer  reichen  bis  ins  XVI.  Jahrhundert  zurück. 
Derselbe  Thomas  Rhediger,  der  seine  Vaterstadt  Breslau  zur  Erbin 
seiner  Bücher-  und  Handschriftenschätze,  der  berühmten  Rhedigerana,  ein- 
setzte, vermachte  ihr  auch  die  auf  seinen  Reisen  in  Italien,  Frankreich  und 
Deutschland  gesammelten  Kunstsachen  und  Münzen.  Sie  und  die  gleich- 
artigen Sammlungen  der  Magdalenen-  und  Bemhardinbibliothek,  des  Rats- 
archivs und  verschiedener  städtischer  Körperschaften  bilden  den  ältesten  und 
historisch  wertvollsten  Bestandteil  des  Museums.  Em  zweiter  entstammt  den 
i8xo  saecularisierten  schlesischen  Klöstern  und  Stiftern.  Damab  wurde  in 
Verbindung  mit  der  Universität  die   Gründung   eines  Königlichen  Museums 

17 


—     ä22     — 

fiir  Kunst  und  Altertum  beschlossen  und  zu  seinem  Organisator  und  Leiter 
der  Archivar  Joh.  Gustav  Büsching  berufen.  Allein  die  finanzieUe  Not- 
lage des  Staates  und  Mangel  an  Verständnis  in  den  malsgebenden  Kreisen 
bewirkten,  dafs  diese  Schöpfung  nicht  über  die  ersten  Anfange  hinausgedieh. 
Nur  die  urgeschichtliche  Sanmüung  erlangte  durch  Büschings  unermüdliche 
Thätigkeit  bald  eine  hohe  Bedeutung,  die  er  durch  zahlreiche  Veröffent- 
lichungen und  durch  Dublettenaustausch  mit  anderen  Museen  noch  zu  steigern 
wufste.  Nach  Büschings  frühem  Tode  (1829)  kümmerte  sich  niemand  mehr 
um  die  Sammlimgen,  bis  im  Jahre  1858  durch  Hermann  Luchs  der 
Verein  für  das  Museum  schlesischer  Altertümer  ins  Leben  gerufen 
wurde.  Diesem  Verein  gelang  es  in  vierzigjähriger  Sammelthätigkeit  eines  der 
bedeutendsten  Provinzialmuseen  Deutschlands  zu  schaffen.  Die  Behörden  be- 
teiligten sich  daran  anfangs  nur  durch  Zuwendungen  und  Beiträge  sowie  durch  Ge- 
währung von  Räumlichkeiten  für  die  Sammlungen,  die  sich  jedoch  jedesmal 
schon  nach  kurzer  Zeit  als  zu  klein  erwiesen.  Von  I862  bis  1879  ^^ 
das  Museum  in  der  Universitätsbibliothek,  von  1880  an  in  dem  neu  erbauten 
Provinzial- Museum  der  bildenden  Künste  untergebracht.  Erst  1895  über- 
nahm die  Provinz  die  Sorge  für  die  Verwaltung  des  Museums.  Bald  darauf 
schenkte  der  Stadtälteste  Heinrich  von  Korn  der  Stadt  Breslau  ein  Kapital 
von  500000  Mark  zum  Ankauf  des  alten  Landeshauses  mit  der  Bedingung, 
dasselbe  als  Museum  auszubauen,  die  Altertumssammlungen  darin  au&unehmen 
und  zum  Kunstgewerbemuseum  zu  erweitem.  Weitere  100  000  Mark  spendete 
zu  diesem  Zweck  der  Schlesische  Centralgewerbeverein,  während  die  Provin- 
zialverwaltimg  und  der  Minister  für  Handel  und  Gewerbe  dauernde  Beihilfen 
zusicherten.  Unter  diesen  Bedingungen  übernahm  die  Stadt  Breslau  die 
Einrichtung  imd  Erhaltung  des  Schlesischen  Museums  für  Kunstge- 
werbe und  Altertümer,  wie  es  nunmehr  genannt  wurde.  Zum  ersten 
Direktor  wurde  Dr.  Carl  Masner  aus  Wien,  zum  zweiten  Direktor  und  Vor- 
steher der  Alterttunsabteilung  der  bisherige  Kustos  des  Museums  Dr.  Seger 
gewählt.     Die  Eröffiiung  erfolgte  am  27.  November  1899. 

Seinem  Namen  entsprechend  ist  das  Museum  gleichzeitig  der  Vergangen- 
heit und  der  Gegenwart  zugewandt  Das  Kellergeschofs  enthält  die  vor- 
geschichtliche Abteilung.  Der  Besucher  hat  hier  Gelegenheit,  den  ungeheuren 
Formenreichtum  der  schlesischen  Umenfriedhöfe  und  die  verhältnismäfsig  hohe 
Entwicklung  des  Kunstsinns  der  gleichzeitigen  Bevölkrung  kennen  zu  lernen. 
Auch  die  Steinzeit  und  Bronzezeit  sind  durch  Ansiedelungs- ,  Schatz-  imd 
Grabfunde  gut  vertreten.  Aus  den  späteren  Perioden  sind  die  aus  dem  Ende 
des  III.  Jahrhunderts  v.  Chr.  stammenden  Funde  von  Sackrau  bei  Breslau 
hervorzuheben,  die  durch  ihren  Reichtum  an  römischen  Importwaren  und 
barbarischem  Goldschmuck  im  östlichen  Deutschland  einzig  dastehen.  Die 
Zeit  der  slavischen  Besiedlung  ist  durch  Burgwall-,  Hacksilber-  und  Reihen- 
gräberfunde charakterisiert  —  Im  Erdgeschofs  sind  die  kulturgeschichtlichen 
Sammlungen  des  Mittelalters  tmd  der  neueren  Zeit  untergebracht  Für  die 
Geschichte  des  Innungswesens,  die  Trachtenkunde,  die  Rechtsaltertümer  etc. 
ist  hier  manches  schätzbare  Material  zu  finden.  Hervorragende  Stücke  bietet 
die  Waffensammlung  dar.  Auch  ist  der  Volkskunde  durch  Einrichtung  einer 
hübsch  ausgestatteten  schlesischen  Bauernstube  Rechnung  getragen.  —  Im 
ersten  Stock  begegnen  sich  Kulturgeschichte  und  Kunstgewerbe.  .  Den  Inhalt 


—     223     — 

der  weiträumigen  Säle  und  Galerieen  bilden  durchweg  Gegenstände  vergangener 
Jährhunderte.  Doch  ist  hier  die  Beschränkung  auf  Schlesien  nicht  fest- 
gehalten. Nur  bei  den  Werken  der  kirchlichen  Kunst  überwiegt  naturgemäfs 
der  provinzial- geschichtliche  Gesichtspunkt  Der  vom  Westen  kommende 
Besucher  wird  durch  eine  Fülle  auserlesener  Kunstwerke  überrascht  und  ge- 
winnt den  Eindruck,  dafs  hier  im  fernen  Osten  eme  Kultur  geherrscht  hat, 
die  den  Vergleich  mit  glücklicher  gelegenen  Gegenden  unsres  Vaterlandes 
nicht  zu  scheuen  braucht  —  Das  zweite  Stockwerk  dient  der  Bibliothek 
und  zu  Ausstellungszwecken.  —  Die  sehr  bedeutende  Münzsammlung, 
vielleicht  die  vollständigste  Territorialsammlung  überhaupt,  imd  die  Siegel- 
sammlimg  werden  in  den  Arbeitsräumen  des  Erdgeschosses  aufbewahrt  — 
Arcbitekturteilc  und  Steinskulpturen  sind  teils  im  Lichthofe,  teüs  im  Garten 
aufgestellt 

Das  Museum  kann  auf  eine  stattliche  Reihe  von  Veröflfentlichungen  zurück- 
blicken. Seit  1859  giebt  der  „Verein  für  das  Museum  schlesischer 
Altertümer"  die  Zeitschrift  Schlesiens  Vorzeit  in  Büd  und  Schrift  heraus, 
von  der  bis  jetzt  7  Bände  ausgegeben  sind.  In  Vorbereitung  ist  der  8.  Band, 
zugleich  das  erste  Jahrbuch  des  neuen  Museums.  Aufserdem  sind  eine  Reihe 
Sonderpublikationen  erschienen,  so  von  G remple r  über  Die  Funde  von 
Sackrau,  von  Zimmer  über  Die  bemalten  Thongefäße  Schlesiens,  von  Frhrn. 
V.  Saurma  über  Die  Wappen  der  schlesischen  Städte  und  Über  Schlesische 
Münzen  und  Medaillen,  von  v.  Czihak  über  Schlesische  Gläser,  von  Luchs 
über  Die  schlesischen  Fürstenbilder  u.  s.  w.  Ein  Führer  durch  die  Samm- 
lungen ist  als  Ersatz  für  die  älteren  Ausgaben  in  Arbeit.  Sämtliche  Ver- 
öffentlichungen sind  direkt  von  der  Museumsverwaltung  zu  beziehen. 

Heinrich  Theodor  Flathe  und  seine  Stellnng  In  der  sächsischen 

C^SChlchtSSChrelbnng.  —  Die  sächsische  Geschichtsforschimg  hat  durch  den 
Tod  Flathes  am  26.  März  dieses  Jahres  einen  schmerzlichen  Verlust  erlitten; 
es  erscheint  daher  angemessen,  dafs  die  Deutschen  Geschichtsblätter,  die  sich 
mit  zur  Aufgabe  gemacht  haben,  der  Territorialgeschichte  besondere  Berück- 
sichtigung zu  schenken,  eine  kurze  Skizze  seines  schlichten  Lebensganges  imd 
seiner  Bedeutung  für  die  sächsische  Geschichte  geben. 

Als  Sohn  des  Pastors  Heinrich  Jakob  Flathe  wurde  Heinrich  Theodor 
Flathe  am  i.  Juni  1827  zu  Tanneberg  (jetzt  Alt-Tanneberg)  bei  Nossen  ge- 
boren, erhielt  nach  vorausgegangenem  Besuch  der  Leipziger  Thomasschule 
seine  Ausbildung  von  Ostern  1840  bis  Michaelis  1845  ^^  ^^^  Fürstenschule 
zu  St  Afra  in  Meifsen,  studierte  bis  1849  Phüologie  und  Geschichte  auf 
der  Universität  Leipzig,  wo  er  auch  promovierte,  und  erhielt  1850  seine  erste 
Anstellung  am  Gymnasium  mit  Realschule  zu  Plauen  i.  V.  Vom  Adjunkten 
stieg  er  hier  allmählich  zu  höheren  Oberlehrerstellen  empor,  verwaltete  zugleich 
die  Schulbibliothek  und  war  im  Jahre  1866  Ordinarius  der  zweiten  Real- 
klasse, als  er  einem  Rufe  des  Kgl.  Kultusministeriums  .vom  13.  Dezember  1866 
Folge  leistete  und  die  sechste  Professur  zu  St.  Afra  annahm.  Am  9.  Januar 
1867  wurde  er  in  das  neue  Amt  eingeführt  und  rückte  in  rascher  Folge 
durch  die  nächsten  Professuren  hindurch  bis  zur  Stellung  des  zweiten  Pro- 
fessors (der  des  Konrektors  an  andern  Gymnasien  entsprechend),  die  er  bis 
zu  seinem  Weggange  inne  hatte.     Seit  1875  ^^^  er  Mitglied  der  Realschul- 

17* 


—      224     — 

kommission  der  Stadt  Meifsen,  deren  Stadtverordnetenkollegium  er  als  Vor- 
steher auch  angehörte ;  von  äufseren  Auszeichnungen  wurde  ihm  am  7.  März  1 880 
nach  dreüsigjähriger  Dienstzeit  das  Ritterkreuz  I.  KL  des  K.  S.  Albrechtsordens 
und  anläfslich  sebes  bevorstehenden  Rücktrittes  am  7.  Januar  1895  der  Hof- 
ratstitel verliehen.  Am  3.  April  1895  nahm  er  von  der  Schule  Abschied, 
um  die  letzten  Lebensjahre  in  stiller  Zurückgezogenheit,  aber  trotz  mancher 
Leiden,  wie  Abnahme  des  Gehörs  und  des  Augenlichtes,  geistig  regsam  und 
ständig  weiterarbeitend,  in  Loschwitz  bei  Dresden  zu  verbringen.  Hier  ver- 
schied er  am  26.  März   1900  imd  fiand  in  Meifisen  seine  Ruhestätte. 

Flathe  war  kein  ausschliefslicher  Spezialist  im  gewöhnlichen  Sinne.  Schon 
seine  Thätigkeit  auf  dem  Gebiete  der  sächsischen  Geschichte  haftete,  wie  im 
Folgenden  noch  ausgeführt  wird,  nicht  an  einer  Periode  oder  an  einem 
Zweige  dieses  Stoffes;  doch  er  gri£f  auch  über  dieses  Arbeitsfeld  hinaus  in 
das  der  allgemeinen  Geschichte.  Sem  ZeüaUer  der  Restauration  und  Revo- 
lution 1815 — 1851  (Berlin  1883  in  Onckens  Allgem.  Geschichte  in  Einzel- 
darstellungen), sowie  seine  drei  Bände  Geschichte  der  neuesten  Zeit  (Berlin, 
Grote,  1887 — 1892,  als  Teil  10 — 12  der  Allgemeinen  Weltgeschichte  von 
Flathe,  Hertzberg,  Justi,  Pflu^-Harttung,  Philippson)  zeigen  ihn  als  liberalen 
Mann  ruhigen,  besonnenen  Urteils,  voll  ehrlichen  Gerechtigkeitssinnes  und  Un- 
parteilichkeit gegenüber  den  berechtigten  imd  unberechtigten  Handlungen 
beider  Seiten,  der  Beherrschenden  wie  der  Beherrschten,  in  jener  Zeit  der 
Unklarheit  und  Gährung.  Mit  der  Ruhe  seiner  Denkweise  verbindet  sich  die 
schlichte  Klarheit  seines  Ausdrucks;  Flathe  ist,  um  ein  naheliegendes  Ver- 
gleichsobjekt herbeizuziehen,  kein  so  glänzender  Stilist  wie  Treitschke,  aber 
seine  Schreibweise  ist  formgewandt  imd  trotz  der  Gedrängtheit,  zu  der  ihn 
die  Stofl&nenge  nötigte,  übersichtlich,  verständlich  und  nach  Bedarf  auch  energisch 
imd  ausdrucksvoll.  Neben  diese  darstellenden  Werke  trat  als  letztes  Werk 
eine  Art  von  Quellensammlung,  seine  zwei  Bände  Deutsche  Reden,  Denkmäler 
xur  vaterländischen  Geschichte  des  19.  Jahrhunderts,  I  1808 — 1865,  II 
1867 — 1893  (Leipzig,  F.  W.  v.  Biedermann,  1893,  1894),  worin  er  dem 
Leser  „  Meisterstücke  deutscher  Beredsamkeit  bieten,  zugleich  aber  auch  die 
Abwandlung  der  Anschauungen  über  unsere  nationalen  Verhältnisse,  wie  sie 
sich  unter  den  Eindrücken  wechselnder  Zeitumstände  gebildet  haben,  und 
damit  auch  die  Kämpfe  unserer  Väter  imd  Vorgänger  um  die  Güter  des 
öffentlichen  Lebens  wie  in  einem  Spiegel  zur  Erscheinung  bringen  will" 

Doch  so  brauchbar  auch  diese  Werke  sind,  seinen  Ruf  verdankt  Flathe 
ihnen  weder  zeitlich  (denn  sie  gehören  in  den  Schlufs  seines  Lebens)  noch 
sachlich ;  dieser  beruht  vielmehr  auf  seinen  Arbeiten  zur  sächsischen  Geschichte. 
Nicht  ein  bestimmter  zeitlicher  oder  stofiflicher  Abschnitt  fesselte  ihn  hierbei, 
er  war  nicht  Spezialist  des  XIV.  oder  XVI.  Jahrhunderts,  oder  fUr  sächsische 
Kirchen-  oder  Wirtschaftsgeschichte ,  sondern  der  sächsischen  Geschichte  in 
ihrer  Gesamtheit  galt  seine  Thätigkeit  Schon  seine  erste  Arbeit  ist  all- 
gemeinen Charakters,  Die  Vorzeit  des  sächsischen  Volkes  in  Schilderungen 
aus  den  Queüenschriftstellem  (Leipzig,  Tauchnitz,  1860),  ein  Buch,  das  in 
geschickter  Auswahl  von  Abschnitten  der  alten,  möglichst  zeitgenössbchen 
Quellen  des  10. — 16.  Jahrhunderts  in  deutscher  Übersetzung  ein  getreues 
Bild  der  damaligen  Zeit,  besonders  zur  Belebung  des  Unterrichts  in  der  säch- 
sischen Geschichte  bieten  soll     Populären  Zwecken  dient  auch  die  nächste 


—     225     — 

Schrift,  die  Bearbeitung  von  Karl  August  EngethardU  Vaterlandskunde  für 
Schule  und  Baus  im  Königreich  Sachsen,  von  der  Flathe  die  neunte  bis  elfte 
Auflage  (Leipzig,  J.  A.  Barth,  1866,  1869,  1877)  besorgte,  jedesmal  be- 
strebt, durch  weitere  Ausfeilung  und  Zuziehtmg  neuen  statistischen  Materials 
das  nützliche  Handbuch  zu  verbessern.  Auch  C.  A.  F.  Mohrs  kleine  für 
Volksschulen  bestimmte  Geschichte  von  Sachsen  hat  er  neubearbeitet  (Leipzig 
1864  und  f.).  Gleichzeitig  mit  diesen  kleineren  Büchern  arbeitete  er  an  dem 
Hauptwerk  seines  Lebens,  seiner  Geschichte  des  Kurstaates  und  Königreiches 
Sachsen  (Gotha,  Friedrich  Andreas  Perthes,  1867,  1870,  1873).  ^^^  ^^ 
Werk  auch  mit  unter  dem  Namen  K.  W.  Böttigers  (des  Sohnes  des  bekannten 
Archäologen  KL.  A.  Böttiger),  der  über  dreifsig  Jahre  früher  die  erste  Auf- 
lage in  zwei  Bänden  besorgt  hatte,  waren  Flathe  auch  durch  den  Anschluis 
an  die  alte  Auflage  die  Hände  teilweise  gebunden,  so  ist  das  Werk  doch 
so  gut  wie  ganz  ein  neues  geworden,  das  eigene  Erzeugnis  Flathes.  Hatte 
Böttiger  sich  im  wesentlichen  begnügt,  aus  Quellen  zweiter  Hand  zu  schöpfen, 
so  ging  Flathe,  so  weit  das  bei  einer  solchen  Gesamtdarstellung  möglich  ist, 
auf  die  ersten  Quellen  zurück.  Am  wenigsten  befriedigt  noch  der  erste 
Band  (bis  1553);  hierin  ist  Flathes  Abhängigkeit  von  der  Vorlage  stärker, 
auch  war  sein  persönliches  Interesse  für  die  früheren  Jahrhunderte  geringer. 
Der  veröffentlichte  Quellenstofif  war  damals  noch  nicht  entfernt  so  umfang- 
reich wie  heute:  bedenken  wir  nur,  dafs  in  den  ersten  sechziger  Jahren, 
als  Flathe  an  die  Arbeit  ging,  die  Monumenta  Germaniae  noch  nicht  die 
Hälfte  der  Bändezahl  aufwiesen,  wie  heute,  dafs  das  Hauptquellenwerk  für 
Sachsens  und  Thüringens  Mittelalter,  der  Codex  diplomaticus  Saxoniae  regiae, 
erst  kurz  vor  dem  Arbeitsbeginn  Flathes  ins  Leben  gerufen  wurde  und  er 
für  seinen  ersten  Band  nur  die  ersten  beiden  Bände  über  das  Hochstift 
Meifsen  benutzen  konnte,  dafs  femer  von  brauchbaren,  den  modernen  wissen- 
schaftlichen Anforderungen  genügenden  Monographien  herzlich  wenig  vor- 
handen war  (vgl.  darüber  den  Aufsatz  Wachsmuths,  der  einst  in  Leipzig 
Flathes  Lehrer  gewesen  war,  in  Webers  Archiv  für  die  Sächsische  Geschichte 
I,  1863,  imd  Ermischs  Aufsatz  im  Neuen  Archiv  für  Sächsische  Geschichte 
XV,  1894)  tmd  dafs  auch  von  den  jetzigen  57  Bänden  der  wichtigsten 
Landeszeitschriften  (Webers  Archiv,  Ermischs  Neuem  Archiv  und  der  Thü- 
ringischen Zeitschrift)  mit  ihrer  Unmenge  von  Einzelforschungen  kaum  10 
Bände,  von  der  langen  Bändereihe  der  zahlreichen  lokalen  Geschichtsvereine 
(Dresden,  Freiberg,  Meifsen,  Chemnitz,  Plauen  u.  s.  w.)  nur  wenige  Hefte 
erschienen  waren!  Doch  trotz  aller,  heute  stark  empfindbaren  Mängel  be- 
deutete auch  der  erste  Band  einen  wesentlichen  Fortschritt,  und  Flathe  hatte 
eigene  um&ssende  Einzeluntersuchimgen  hierfür  nicht  gescheut,  so  über 
Wiprecht  von  Oroitzsch  in  Webers  Archiv  Band  III  (1865).  Wesentlich 
höher  steht  der  zweite  Band  (1553  — 1806),  in  dessen  kiiappen  Umfang  eine 
fast  überreiche  StofiSUUe  hineingearbeitet  ist  Während  Flathe  für  den  ersten 
Band  aber  beim  Zurückgehen  auf  die  Quellen  sich  auf  die  gedruckt  vor- 
liegenden beschränkte,  hat  er  fUr  den  zweiten,  aufser  umfiftssender  Benutzung 
der  gedruckten  Litteratur,  für  mehrere  Perioden  selbst  archivalische  Studien 
gemacht  und  einzelne  Abschnitte  in  Sonderabhandlungen  ausführlicher  erörtert, 
so  Die  Verhandlungen  über  die  dem  Kurfürsten  Friedrich  August  III,  von 
Sachsen  angebotene  Thronfolge  in  Polen  und  der  sächsische  Oeh.  Legations^ 


—     226     — 

rat  V.  Essen  Qahresbericht  der  Landesschule  Meifsen  1870),  ferner  Dtß 
Verhandlungen  Über  Sachsens  Neutralität  im  Jahre  1790  (Webers  Archiv 
IX,  187 1)  und  Der  sächsische  Landtag  1681 — 82  (Mitteilungen  des  Kgl. 
Sächsischen  Altertumsveieins,  Heft  28,  1878).  Schon  der  zweite  Band  ent- 
fernte sich  so  weit  von  Böttigers  Arbeit,  dafs  er  kaum  mehr  als  Neubearbeitung 
gelten  kann,  der  dritte  Band  (1806  — 1866)  aber  ist  ein  durchaus  neues, 
selbständiges  Werk,  in  dem  sich  Flathes  Eigenart  aufii  deutlichste  aus- 
spricht. Er  war  ein  entschiedener  Gegner  partikularistischer  Gesinnung  und 
trug  dieser  Auffassung  bei  seiner  Verurteilung  der  sächsischen  Politik  der 
napoleonischen  Zeit  und  besonders  der  letzten  Jahrzehnte  offen  Rechnung. 
Dafs  eine  solche  Stellungnahme  vielfach  verstimmte,  liegt  auf  der  Hand,  und 
der  Minister  Richard  v.  Friesen  nimmt  in  seinen  „Erinnerungen  aus  meinem 
Leben"  1880  deshalb  wiederholt  Gelegenheit,  nachdrücklich  gegen  Flathes 
sächsische  Geschichte  zu  polemisieren,  was  diesen  wieder  zu  einem  scharfen 
kritischen  Aufsatz  Die  Memoiren  des  Herrn  v.  Friesen  (Historische  Zeitschrift 
46,  1881)  veranlafste.  Uns  Sachsen  mufs  es  ja  peinlich  sein,  den  sächsischen 
Standpunkt  in  einer  (und  zwar  der  umfassendsten  und  besten)  Geschichte 
unseres  Landes  so  wenig  vertreten  zu  sehen,  zumal  seitens  eines  geborenen 
Sachsen  tmd  sächsischen  Schulmannes,  der  berufen  ist,  die  sächsische  Jugend 
in  die  Geschichtskenntnis  einzuftihren,  dem  Historiker  Flathe  aber  kann  und 
darf  andererseits  das  Recht  und  die  Pflicht  nicht  verkümmert  werden,  seiner 
ehrlich  gewonnenen  Überzeugung  auch  ehrlichen  Ausdruck  zu  verleihen,  selbst 
wenn  sie  dem  heimischen  Ohre  nicht  stets  wohlgefällig  klingt.  Auf  das 
Entschiedenste  ist  dabei  auch  zu  betonen,  dafs  Flathe  trotz  aller  absprechenden 
Urteile  über  das,  was  er  nicht  billigt,  das  wärmste  Herz  für  sein  Vaterland 
und  alles,  was  damit  zusammenhängt,  beweist;  seine  Schrift  „Die  Vorzeit 
des  sächsischen  Volkes",  seine  Bearbeitung  von  Engelhardts  Vaterlandskunde 
legen  dafür  beredtes,  rührendes  Zeugnis  ab,  und  selbst  der  vielangcfochtene 
dritte  Band  der  sächsischen  Geschichte  zeigt  diu-chgängig  die  treuste  An- 
hänglichkeit und  Liebe  für  seine  sächsische  Heimat. 

Die  Teilnahme  am  Heimischen,  das  Interesse  an  der  engeren  Um- 
gebung kam  auch  zum  Ausdruck  in  seinen  Studien  zur  Geschichte  von 
St.  Afra.  Seit  Müller  vor  90  Jahren  seinen  „Versuch  einer  vollständigen 
Geschichte  der  Kursächsischen  Fürsten-  und  Landesschule  zu  Meifsen "  ver- 
öffentlicht hatte,  war  St.  Afras  Geschichte  nicht  wieder  umfassend  bearbeitet 
worden;  Flathe  wurde  auch  deren  Geschichtsschreiber  in  seinem  Werke: 
St,  Afra.  Geschichte  der  Kgh  Sächsischen  Fürstenschule  zu  Meißen  1543 
bis  1879  (Leipzig,  Tauchnitz,  1879).  ^^  Buch,  dessen  Wert  weit  über  den 
einer  blofsen  Schulgeschichte  hinausgeht,  liefert  zugleich  einen  wichtigen  Bei- 
trag zur  Kenntnis  der  Entwickelung  des  sächsischen  Unterrichtswesens  und 
geistigen  Lebens  überhaupt  Als  Schüler  wie  als  Lehrer  kannte  Flatiie  die 
afranischen  Schulverhältnisse  mit  ihren  Abweichungen  von  den  Einrichtungen 
anderer  höherer  Schulen  Sachsens,  ihren  hochgespannten  Anforderungen  an  die 
streng  klassische  Ausbildung,  die  heute  leider  vielen  als  Anachronismus  er- 
scheinen mag,  aus  eigener  Erfahrung  auf  das  Genaueste,  und  vertrat  deren 
Berechtigung  gegenüber  den  sich  mehr  und  mehr  breit  machenden  Anfor- 
derungen der  mathematisch-naturwissenschafUichen  Richtung.  Dafs  das  Werk 
durchaus  auf  dem  weitschichtigen  Aktenmaterial  aufgebaut  wurde,  ist  selbst- 


--»     22t     — 

verständlich ;  wie  tunfassend  Flathe  bei  seiner  Vorbereitung  verfuhr,  erkennt  man 
auch  daraus,  dafs  er  das  alte  Chorherrenstift  St  Afra,  dessen  Rechtsnachfolger 
die  Fürstenschule  wurde,  in  den  Kreis  seiner  Studien  hineinzog,  vgl.  seinen 
Aufsatz  Das  Kloster  der  Augustvier  Chorherren  zu  St.  Afra  in  Meifsen 
(Webers  Archiv,  N.  F.  II,  1876).  Auch  die  von  Flathe  herausgegebenen 
Epistolae  aliquot  rectorum  Afranorum  im  Schulprogramm  von  St  Afra  (1880), 
und  die  Specimina  eruditionis  Afratiae  Georgio  Fabricio  redore  scripta  (1879) 
kommen  der  Schulgeschichte  zugute  und  bieten  Veröflfentlichimgen  von 
Schriftstücken  der  ersten  Jahrzehnte. 

Die  letzten  zwei  Jahrzehnte  hindurch  galt  der  Geschichte  der  neueren 
Zeit  Flathes  Hauptthätigkeit,  deren  Ergebnisse  zu  Beginn  dieses  Aufsatzes 
erwähnt  sind,  obwohl  er  keineswegs  dem  alten  Arbeitsgebiete  ganz  den  Rücken 
kehrtie,  sondern  als  Vorsitzender  des  Meifsner  Geschichtsvereins  in  ständigem 
Zusammenhang  mit  der  heimischen  Geschichte  blieb,  Vorträge  im  Vereins- 
kreise (wie  früher  auch  im  Königl.  Sachs.  Altertumsverein  zu  Dresden)  hielt, 
auch  einige  kleinere  Aufsätze  in  den  Mitteilungen  dieses  Vereins  veröffent- 
lichte, so  Der  Überfall  Meißens  durch  die  Schweden  1627  und  Die  älteste 
erkennbare  Geschichte  des  Meißner  Landes  (I.  Heft  i  und  4,  1882,  1884). 
Ein  zweites  Band,  das  ihn  ständig  mit  der  Geschichte  Sachsens  verknüpfte, 
war  die  Allgemeine  Deutsche  Biographie^  flir  welche  er  der  hauptsächlichste 
Bearbeiter  der  Artikel  über  sächsische  Persönlichkeiten  vom  i.  bis  zum  jetzt 
vorliegenden  45.  Bande  wurde.  Freilich  sind  diese  Biographieen  oft  etwas 
dürftig  ausgefallen,  doch  ist  dabei  zu  berücksichtigen,  dafs  Flathe  als  ein 
von  Anfang  an  Mitarbeitender  sich  strenger  an  den  ursprünglichen  Arbeits- 
grundsatz möglichster  Knappheit  hielt,  der  mit  dem  Fortschreiten  des  Werkes 
besonders  von  den  neu  hinzukonunenden  Mitarbeitern  mehr  und  mehr  imter 
stillschweigender  Zustinmiung  der  Leitung  aufgegeben  worden  ist  Aufserdem 
war  er  auch  als  Kritiker  fUr  das  Literarische  Centralblatt  imd  die  Historische 
Zeitschrift  thätig. 

Flathes  Leben  war  ein  Leben  voll  ununterbrochener,  stiller  Gelehrten- 
arbeit, die  nicht  nach  äufseren  Ehren  und  Erfolgen  strebt,  „  von  Gunst  und 
Ungunst  unbeirrt 'S  wie  er  selbst  in  seiner  sächsischen  Geschichte  sagt  Er 
war  frei  von  jeder  Effekthascherei,  und  breitere  Schichten  selbst  des  säch- 
sischen Volkes  werden  ihn  kaiun  oder  nur  als  Herausgeber  der  oben  mit 
erwähnten  populären  Handbücher  gekannt  haben ;  imvergessen  aber  wird  sein 
Name  in  der  sächsischen  Geschichtsforschung  und  -Schreibung  bleiben,  denn 
seine  Arbeiten,  besonders  sein  Hauptwerk,  sichern  ihm  ein  ehrenvolles  An- 
denken und  gebührende  Berücksichtigung,  die  auch  noch  geraume  Zeit  vor- 
halten wird.  Und  selbst  wenn  dereinst  auf  Grund  des  seitdem  neu  hinzu- 
gekommenen reichen  Quellenstoffs  imd  der  schier  imübersehbaren  Spezial- 
litteratur  eine  neue  sächsische  Geschichte  vorliegen  sollte,  wird  Flathes  Werk 
ständig  in  der  Geschichte  unserer  vaterländischen  Historiographie  als  ein 
Markstein  betrachtet  werden. 

Dresden.  Woldemar  Lippert. 

ArclÜTe«  —  Die  Errichtung  eines  Staatsarchivs  in  Westpreufsen 
hatte  man  an  mafsgebender  Stelle  bereits  seit  längerer  Zeit  ins  Auge  gefafst 
und  dabei  vornehmlich  an  die   alte  Ordensstadt  Marienburg  als  Sitz  dieses 


—     228     — 

Instituts  gedacht  Neuerdings  ist  man  von  diesem  Orte  abgekommen  und 
hat  sich  aus  Gründen,  die  wohl  überall  Billigung  finden  werden,  vielmehr  für 
die  Errichtung  eines  Staatsarchivs  in  der  Provinzialhauptstadt  Danzig  ent- 
schieden. Die  Stadt  Danzig  hat  der  Regierung  einen  Bauplatz  zur  Verfügung 
gestellt,  die  Pläne  für  die  hier  zu  errichtenden  Gebäude  sbd  bereits  ent- 
worfen, und  in  den  Staatshaushalts-Etat  für  1900  ist  bereits  eine  erste  Rate 
für  den  Bau  eingestellt. 

Der  Inhalt  des  neuen  Archivs  wird  sich  zusammensetzen  aus  den  re- 
ponierten Akten  der  königlichen  Regierungen  zu  Danzig  und  Marienwerder, 
der  Landratsämter  imd  Gerichte  der  Provinz,  vermutlich  auch  aus  den  ein- 
schlägigen Beständen  der  Staatsarchive  zu  Königsberg  und  Posen,  sowie  —  imd 
dies  dürfte  wohl  der  Hauptschatz  des  neuen  Staatsarchivs  werden  —  aus 
dem  bisherigen  Danziger  Stadtarchiv,  das  mit  seinem  reichen  Material  an 
Urkunden,  Akten  imd  Handschriften  bekanntlich  weit  über  den  Rahmen  eines 
gewöhnlichen  Kommunalarchivs  hinausgeht  Nach  einem  zwischen  der  Re- 
gierung und  der  Stadt  Danzig  vereinbarten  Vertrage,  welchem  im  wesentlichen 
der  seiner  Zeit  zwischen  der  Regierung  und  der  Stadtgemeinde  Posen  ab- 
geschlossene Vertrag  als  Vorbild  gedient  hat,  übergiebt  die  Stadt  ihr  Archiv 
unter  Vorbehalt  des  Eigentumsrechts  und  der  Möglichkeit  jederzeitiger  Zurück- 
nahme an  die  Staatsregierung,  die  sich  verpflichtet,  die  ganze  Sammlung  als 
unteilbares  Ganzes  imter  der  Bezeichnung  „Archiv  der  Stadt  Danzig"  aufini- 
bewahren,  für  die  unversehrte  Erhaltung  des  Übergebenen  einzustehen  und  für 
die  Urkunden  und  Handschriften  ausführliche  Repertorien  und  Register  an- 
zufertigen. Das  Archiv  der  Stadt  Danzig  wird  also  nicht  aufhören  zu  be- 
stehen, sondern  nur  in  die  Verwaltung  des  Staates  übergehen. 

Für  die  Wissenschaft  kann  dieser  Wechsel  der  Verwaltung  nur  erfreulich 
sein.  Denn  wenn  das  Danziger  Stadtarchiv  in  seinen  Hauptbeständen  auch 
schon  geordnet  bt,  so  bewahrt  es  daneben  doch  noch  gewaltige  Mengen 
ungeordneter  Akten  und  Urkunden,  deren  Ordnung  weit  über  die  Kräfte 
eines  Einzelnen  hinausgeht,  zumal  wenn  dieser,  wie  es  bisher  der  Fall  war, 
auch  noch  die  Verwaltung  der  recht  bedeutenden  Danziger  Stadtbibliothek 
zu  leiten  hat  Mit  der  staatlichen  Verwaltung  werden  hoffentlich  genügende 
Arbeitskräfte  kommen  und  das  erschliefsen,  was  noch  unbekannt  war. 

G. 

Eingegangene  Bfleher. 

Ludwigsburger  Geschichtsblätter,  herausgegeben  vom  Historischen  Verein 

für  Ludwigsburg  und  Umgegend.     Erstes  Heft,  Ludwigsburg,  Ungeheuer 

und  Ulmer,  1900.     87  S.  8^ 
Seidel,  E.  A. :  Grünhain  seit  der  Reformation.    Ein  Beitrag  zur  Geschichte 

von  Grünhain.    Zwönitz,  Bernhard  Ott,  1900.     i.  Lieferung,  32  S.  8<^. 
Tschamber,  Karl:  Friedlingen  und  Hiltelingen.    Ein  Beitrag  zur  Geschichte 

der   Ödungen  im   badischen  Lande.     Lörrach,   Kommissionsverlag  von 

Poltier- Weeber,   1900.     165  S.  8 ^     v4  3,20. 


Henuugeber  Dr.  Annin  Tille  in  Leipsig.  —  Druck  und  Verlas  roa  FVtedrich  Andreas  Perthes  in  Godia, 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsschrift 


sur 


Förderung  der  landesgescbichtliclien  Forschung 

I.  Bsmd  Juli  1900  10.  Heft 

Fünfzig  Jahre  oberrheiniseher  Qesehiehts^ 

forsehung 

Von 
Karl  Brunner  (Karlsruhe) 

Vor  fünfzig  Jahren  hat  Franz  Josef  Mone  die  Zeitschrift för 
die  Geschichte  des  Oberrheins  begründet  *).  Ihr  Erscheinen  war  ein 
Ereignis  in  der  Geschichtswissenschaft,  dessen  Bedeutung  und  Einfluls 
über  den  Rahmen  eines  blos  territorialen  Interesses  weit  hinausgeht. 
Rasch  hat  sich  die  vortrefflich  geleitete  Zeitschrift  in  der  periodischen 
Geschichtslitteratur  Deutschlands  eine  angesehene  Stellung  erworben» 
die  sie  unter  mannigfach  wechselnden  äufseren  Schicksalen  durch  fünfzig 
Jahre  wohl  zu  wahren  und  zu  festigen  verstanden  hat.  Nach  einem 
so  bedeutenden  Zeitabschnitt  erscheint  ein  Rückblick  auf  die  Geschichte 
des  Unternehmens,  eine  Würdigung  seiner  Leistungen  um  so  mehr 
angebracht,  als  der  vielseitige  Inhalt  der  mehr  als  fünfzig  Bände  um- 
fassenden Sammlung  bei  weitem  nicht  in  dem  Mafse  bekannt  und  ge- 
schätzt ist,  wie  es  wünschenswert,  ja  notwendig  wäre,  soll  nicht  manche 
wertvolle  Frucht  mühsamer  und  gewissenhafter  Forschung  verloren 
gehen,  manche  bereits  gethane  Arbeit  unnütze  Wiederholung  finden. 

Als  Hüter  der  reichen  Schätze  des  Karlsruher  Generallandesarchivs, 
die  zum  weitaus  gröfsten  Teil  noch  ungehoben  lagen,  hat  Mone  in 
seinem  tiefen  Forschungsdrang,  der  vornehmlich  auf  Erschliefsung  des 
urkundlichen  Quellenmaterials  gerichtet  war,  das  Bedürfnis 
empftmden,  diese  Schätze  nach  Kräften  ans  Tageslicht  zu  fördern.  Im 
Interesse  einer  möglichst  vielseitigen  und  zugleich  rasch  fortschreitenden 


i)  Im  Febraar  1850  erschien  das  erste  Heft  des  eisten  Bandes  bei  der  Braunseben 
Hofbochhandlnng  zn  Karlsruhe.  In  diesem  Verlag  blieb  die  Zsr.  bis  zum  39.  Bd.  (1885). 
Vom  40.  Bd.  (=  I.  Bd.  der  Neuen  Folge,  1886)  bis  zum  46.  (VII.)  Bd.  (1892)  war  sie 
bei  Mohr  in  Freiburg  i.  B.  verlegt;  seit  dem  47.  (VIII.)  Bd.  (1893)  erscheint  sie  bei 
Bielefeld  in  Karlsruhe.     Jährlich  werden  vier  Hefte  ausgegeben. 

18 


—     230     — 

Ausbeutung  des  Archivs  schien  ihm  die  Veröffentlichung  in  periodisch 
erscheinenden  Heften  am  meisten  zweckentsprechend.  „Eine  geschicht- 
liche Zeitschrift",  so  leitet  er  selbst  das  Unternehmen  ein,  ,, welche 
vorzüglich  zur  Quellenmitteilung  bestimmt  ist,  wird  bei  der  jetzigen 
Richtung  zum  Quellenstudium  wohl  keiner  Rechtfertigtmg  bedürfen, 
um  so  weniger,  wenn  sie  von  einem  Archive  ausgeht,  das  seiner  Natur 
nach  ungedruckte  Schätze  verwahrt.  Freunde  der  Geschichte  möchte 
es  vielmehr  freuen,  dafs  noch  so  viel  Vertrauen  imd  Liebe  zur  Arbeit 
vorhanden  ist,  um  diese  Zeitschrift  am  Oberrhein  herauszugeben.  Wenn 
in  den  letzten  Erschütterungen  dieser  Länder  die  drohende  Gefahr  der 
Zerstörung  uns  ernst  gemahnt  hat,  das  noch  vorhandene  zu  retten, 
so  mag  die  Erfüllung  dieser  Pflicht  auch  vom  Publikum  gewürdigt 
werden  *)." 

Besonders  erfreulich,   bei  dem  wissenschaftlichen  Standpunkt  des 
Herausgebers   übrigens  gar  nicht  anders  zu  erwarten,  ist  der  weitaus- 
schauende Plan,   der  von  Anfang   an  Umfang  und  Richtimg  der  Zsr. 
in    einen     freieren     und     gröfseren    Gesichtskreis     gerückt     hat,     als 
dies  blos  das  Bedürfnis  einer  beschränkten   lokalen    oder   territorialen 
Geschichtsschreibung    erfordert    hätte.       Geographisch     umfafst     der 
Arbeitsbereich    der    Zsr.    das    gesamte    Gebiet    der    oberrhei- 
nischen  Lande,    die   in    ihrem    reichen    geschichtlichen  Leben    in 
mehr  als  einer  Hinsicht  ein  geschlossenes  Ganzes   darstellen:  Die    im 
Stromgebiet  des  Rheins  liegenden  Schweizerkantone,  Württem- 
berg,Baden,  dasElsafs,  dieRheinpfalz,  das  Grofsherzogtum 
Hessen    bis    an  Main   und  Nahe.     Dafs    dabei    auch    für    manches 
weitere    Grenzgebiet    nicht    selten    Mitteilungen    abfallen,     ist    selbst 
verständlich.      Schon    deshalb,    meint    der   Herausgeber    in    bezeich- 
nender   Weise,    werde    man    diese    Ausdehnung    angemessen    finden, 
weU   dadurch  Gelegenheit  gegeben   werde,   mehr  Quellen  bekannt  zu 
machen,  als  bei  der  Beschränkung  auf  Baden;   und  dementsprechend 
sollen  auch  aufser  dem  Karlsruher  Archiv  weitere  einschlägige  Archive 
und  Bibliotheken  zur  Ergänzung  und  Bereicherung  herangezogen  wer- 
den.    Umgekehrt  wiederum  sind  die  im  badischen  Generallandesarchiv 
beruhenden  Materialien  zur  Geschichte  femer  liegender,  selbst  aulser- 
deutscher  Länder  von  der  Veröffentlichung  nicht  ausgeschlossen,  weil 
eben  die  Zsr.  vorzugsweise  das  Organ  dieses  Archivs  in  seinem  ganzen 


i)  Ich  gebe  hier  and  im  folgenden  einige  Zitate  wörtlich  ans  den  Vorreden  Mones 
tu  den  ersten  Bänden  seiner  Zsr.,  weil  ich  darin  vorzügliche  Beiträge  znr  Charakteristik 
der  Persönlichkeit  and  der  wissenschaftlichen  SteUang  des  hochverdienteo  und  merk- 
würdigen Mannes  sehe. 


—     231     — 

Umfang  sein  soll.  Die  allgemeinere  und  die  örtlich  beschränkte  Ge- 
schichte tritt  in  richtige,  von  gröfseren  Gesichtspunkten  geleitete  Wechsel- 
wirkung. In  dieser  Hinsicht  lautet  Mones  Programm:  „Der  Stoff  soll 
entweder  in  Abhandlungen  niedergelegt  werden,  die  sich  über  mehrere 
Länder  zugleich  erstrecken  und  dadurch  allgemeine  Verhältnisse  er- 
klären, oder  soll  urkundlich  nachweisen,  wie  die  allgemeinen  Verhält- 
nisse sich  in  einzelnen  Orten  gestaltet  haben.  Nach  dieser  Rücksicht 
wird  die  Auswahl  der  örtlichen  Urkunden  stattfinden,  wodurch  sie  auch 
aufserhalb  ihrer  Ortsbeschränktheit  brauchbar  werden." 

In  erster  Linie  Quellenschrift,  will  die  Zsr.  entweder  unmittelbare 
Quellen  geben  oder,  wenn  die  Texte  selbst  zu  umfangreich  sind,  Aus- 
züge, Regesten  oder  Verzeichnisse  derselben  mitteilen  —  alles  durch 
sorgfältige,  eindringliche  Litteratumachweise ,  Citate  und  Ergänzungen 
verschiedener  Art  erläutert;  gleichzeitig  sollen  Abhandlungen  mehr 
zusammenfassender  Art,  die  auf  quellenmäfsigen  Studien  beruhen,  Auf- 
nahme finden«  Der  Schwerpunkt  der  ganzen  Thätigkeit 
Mones  liegt  wie  in  seinen  übrigen  Publikationen  so  auch 
ganz  besonders  in  dieser  Zsr.  durchgeh ends  im  Mittelalter, 
ohne  dafe  jedoch  die  Berücksichtigung  der  neueren  Geschichte  irgend- 
wie grundsätzlich  ausgeschlossen  wäre.  Verhältnismäfsig  selten  wird 
das  XVL  Jahrhundert  erreicht  oder  überschritten. 

Durch  bereitwilliges  Entgegenkommen  der  badischen  Staatsregierung, 
die  einen  namhaftenZuschufe  gewährte,  war  das  Unternehmen  von 
vorneherein  auf  sichere  finanzielle  Grundlage  gestellt  und  eine  völlig 
unabhängige,  nur  auf  streng  wissenschaftliche  Forschung  gerichtete 
Wirksamkeit  desselben  ermöglicht 

Die  Zsr.  trat  denn  auch  gleich  zu  Anfang  recht  lebenskräftig  imd 
vielversprechend  vor  die  Öffentlichkeit  und  fand  weit  über  Baden  hin- 
aus im  übrigen  Deutschland  eine  unerwartete  Verbreitung,  in  allen 
Kreisen  ernster  geschichtlicher  Arbeit  eingehende  Beachtung,  zumeist 
freudige  Anerkennung  und  Aufmunterung,  vereinzelt  nur  tadelnde  Kritik. 
Dem  gegenüber  hat  der  rührige  Herausgeber  stets  lebhafte  Fühlung 
behalten  mit  seinen  Leserkreisen  in  unmittelbarer  Aussprache  (in  den 
Vorreden  zu  den  ersten  Bänden)  über  Ziele  imd  Absichten  seines 
Werkes,  über  Kritik  und  Krittelei  derer,  die  den  Wert  anscheinend 
geringfügigerer  oder  entlegenerer  Quellenstücke  nicht  zu  schätzen  wissen 
und  so  ihre  „Beschränktheit  und  Unfähigkeit  an  den  Tag  legen.**  Sie 
sollten  bei  ihren  gröfseren  Anforderungen  erst  selbst  einmal  GröCseres 
und  Besseres  leisten.  „Wir  haben  kein  Muster  einer  geschichtlichen 
Zeitschrift**,   fügt  er  rechtfertigend   hinzu,    „die  von   einem   Archive 

18* 


—     932     — 

ausgeht,  unsere  Wahl  und  Behandlung  der  Gegenstände  richtet 
sich  also  nach  den  Quellen,  die  uns  zu  Gebote  stehen,  und  nach  dem 
Interesse,  das  sie  für  die  Landesgeschichte  haben."  Es  sind  vortreiF- 
liche  Auslassungen  über  die  Berechtigung  solch  begrenzter  Geschichts- 
forschung gegenüber  allgemeineren  Zielen:  „Die  kleinen  Verhältnisse 
der  landschaftlichen  und  örtlichen  Geschichte  dürfen  nicht  nach  dem 
Mafsstabe  der  Reichsgeschichte  beurteilt  werden,  ihre  Würdigfung  liegt 
vielmehr  in  der  eigentümlichen  Wirksamkeit,  die  sie  in  ihrem  Kreise 
auf  das  Leben  und  den  Charakter  der  Personen  ausgeübt  haben.  Denn 
jeder  Mensch  wird  durch  seine  Umgebung  gebildet,  weil  sie  unmittel- 
bar auf  ihn  einwirkt;  es  gehört  deswegen  auch  zur  geschichtlichen 
Selbstkenntnis  eines  Volkes,  dafs  es  seine  landschaftliche  Entwicklung 
nicht  aufser  Acht  lasse.  Die  Länder  am  Oberrhein  waren  im  Mittel- 
alter von  Bedeutung,  es  mag  daher  sein,  dafs  die  Bekanntmachung 
ihrer  Geschichtsquellen  selbst  für  die  allgemeine  Geschichte  unseres 
Volkes  einigen  Wert  hat."  Wie  aufrichtig  es  übrigens  Mone  darum 
zu  thun  war,  einen  soliden  geschichtlichen  Sinn  in  weiteren  Kreisen 
des  Volkes  durch  seine  Publikationen  zu  pflanzen,  lassen  die  ernstlichen 
Mahnungen  erkennen,  die  er  in  folgende,  auch  heute  noch  beherzigens- 
werte Worte  kleidet:  „Die  allgemeine  Geschichtsbetrachtung  artet  oft 
in  leeres,  unpraktisches  Räsonnieren  aus,  weil  es  angenehmer  und 
leichter  ist,  sich  die  Begebenheiten  nach  einer  beliebten  Ansicht  zu- 
sammen zu  stellen  und  zu  beurteilen,  als  ihre  speziellen  Entstehungs- 
gründe zu  erforschen."  Gleichzeitig  aber  sieht  er  neben  den  rein 
wissenschaftlichen  Zielen,  die  ihm  bei  aller  seiner  Arbeit  obenan  stehen, 
als  echter  Sohn  seiner  Zeit  die  Aufgabe  des  Historikers  auch  in  der 
Belehrung  imd  Erziehung  des  Volkes  zu  wahrer  Vaterlandsliebe  und 
gesunder  politischer  Anschauimg  auf  Grund  positiver  geschichtlicher 
Erkenntnis.  Die  Erfahrung,  die  ein  Volk  in  seiner  Geschichte  gemacht 
hat,  erscheint  Mone  für  dasselbe  ebenso  wichtig,  wie  die  Lebens- 
erfahrung des  Einzelnen  für  sein  reiferes  Alter.  Der  organische  Ver- 
lauf des  Volkslebens  gestatte  allerdings  keine  Wiederherstellung  früherer 
Zustände,  wohl  aber  die  weise  Benutzung  früherer  VorbUder  und  Er- 
fahrungen; in  diesem  Zusammenhange  behalte  die  Geschichte  stets 
ihren  Wert  und  ihre  Brauchbarkeit.  „Erfahrungen",  meint  er 
wiederum  zur  Rechtfertigung  der  Spezialgeschichte,  „aus  vielen  Einzel- 
heiten sind  nicht  nur  lehrreicher,  sondern  auch  für  das  Leben  brauch- 
barer als  Ansichten,  die  aus  dem  allgemeinen  und  oberflächlichen 
Anschein  gebUdet  werden.  Wer  daher  die  Geschichte  seiner  Heimat 
erforscht,   kann   für  sich  und  seine  Nachbarn  nützliche  Resultate  ge- 


—     238     — 

winneD,  wenn  sie  auch  anfangs  vereinzelt  stehen  und  nicht  jeder  gleich 
einsieht,  wozu  die  Erfahrungen,  die  in  solchen  E^ebnissen  liegen, 
dienlich  sind.  Wir  wünschen  durch  diese  Äufserungen  den  Standpunkt 
unserer  Arbeiten  genau  zu  bezeichnen,  damit  sie  darnach  gewürdigt 
werden  mögen.*'  Und  später  (im  7.  Band)  äufsert  er  sich  nochmals: 
„Die  Erläuterungen  der  alten  Zustände  leitet  direkt  auf  die  praktische 
Bedeutung  der  Geschichte,  und  wenn  manche  daraus  -nichts  lernen, 
weil  sie  in  der  Geschichte  nur  Zeitvertreib  sehen  oder  suchen,  so  ist 
es  für  sie  und  ihre  Wirksamkeit  zu  bedauern." 

Hinsichtlich  des  Inhalts  —  darauf  komme  ich  später  noch  zurück  — 
legt  Mone  bei  allen  seinen  QuellenecUtionen  den  Hauptnachdruck  auf 
die  „soziale  Geschichte**,  der  er  gegenüber  einer  einseitigen  Pflege 
der  politischen  Geschichte  gröfeere  Geltung  verschafien  möchte.  Ihm 
scheint  „die  Aufgabe  der  teutschen  Geschichtsforschung  unleugbar 
diese,  die  Entwicklung  der  sozialen  Verhältnisse  in  allen 
Beziehungen  historisch  zu  ergründen  und  darzustellen.*' 
Eine  „Geschichte  des  Volkslebens**  schwebt  ihm  als  Ideal  vor,  zu 
dessen  Verwirklichung  seine  Zsr.  ein  Scherflein  beisteuern  will.  „Die 
Einseitigkeit  der  Staatsgeschichte,  an  welcher  das  Volksleben  oft  so 
wenig  teilnimmt,  kann  dem  vollständigen  Begriflfe  der  Geschichte  nicht 
genügen,  ja  es  lassen  sich  die  Wirkungen  der  politischen  Geschichte 
auf  das  Volksleben  nicht  ermessen  und  beurteilen,  wenn  man  dieses 
nicht  gründlich  kennt.**  Wir  sind  gewohnt,  derartige  Forderungen  als 
dem  Geschichtsbetrieb  unserer  Zeit  besonders  eigentümlich  anzusehen : 
Mone  —  einer  der  ersten  entschiedenen  und  zielbewufsten  Vertreter 
dieser  AufTassm^,  unstreitig  einer  der  Mitbegründer  wissenschaftlicher 
Kulturgeschichtsschreibung  —  hat  diese  Forderungen  bereits  vor  fiinfeig 
Jahren  aufgestellt  und  an  ihrer  Erfüllung  ernstlich  gearbeitet.  Gerade 
auf  diesem  Gebiet  liegt  eine  besondere  Eigenart  der  Zsr.  t  d.  Gresch. 
d.  Oberrh.,  die  dann  eine  beachtenswerte  Stellung  in  der  Entwicklung 
unserer  vaterländischen  Geschichtsforschung  einnimmt.  Mones  Ver* 
dienst  nach  dieser  Seite  hin  ist  leider  nicht  genügend  bekannt  und 
anerkannt :  Neben  dem  praktischen  Nutzen,  den  diese  seine  heute  noch 
keineswegs  veraltete,  vielmehr  höchst  schätzbar  gebliebene  Quellen- 
stoffsammlung  zur  Kulturgeschichte  bietet,  ist  vielleicht  noch 
bedeutsamer  und  nachhaltiger  geworden  die  Fülle  von  Anregungen,  die 
aus  solch  ungewohnter  Auffassung  und  Bethätigung  des  archivalischen 
Berufe  hervorgegangen  sind. 

Bis  zum  21.  Bande  einschliefslich  hat  Mone  seine  Zsr,  geleitet 
und  zum   g^roüsen  Teil  selbst  auch  bearbeitet.     Neben  ihm  waren  die 


—     234     — 

Arcbivräte  Dambacher  und  Bader  dafür  thätig.  Im  Januar  des  Jahres 
1868  trat  der  langjährige  Direktor  des  Generallandesarchivs  in  den 
wohlverdienten  Ruhestand  und  gab  damit  auch  die  Leitung  und  Mit- 
arbeit an  der  Zsr.  f.  d.  Gesch.  d.  Oberrh.  auf.  Die  Redaktionsgeschäfte 
übernahm  Mones  Amtsnachfolger  Freiherr  Roth  von  Schrecken- 
stein in  Gemeinschaft  mit  den  Archivräten  Bader  und  v.  Weech. 
Als  Neuerung  der  im  übrigen  wesentlich  unverändert  weitergeführten 
Zsr.  wurde  jetzt  im  Hinblick  darauf,  dafs  diese  mit  der  Zeit  eine 
systematische  Bearbeitung  der  gesamten  Karlsruher  Archivalien  dar- 
stellen sollte,  die  Veröffentlichimg  ganzer  geschlossener  Archivsektionen, 
soweit  ihr  Inhalt  wissenschaftlichen  Wert  besitzt,  ins  Auge  gefalst. 
Damit  war  nichts  Geringeres  eingeleitet  als  die  Herausgabe  von  Archiv- 
Inventaren,  die  bei  dem  Reichtum  imd  der  Vielseitigkeit  des  badi- 
schen Generallandesarchivs  wie  bei  dem  wissenschaftlichen  Ruf  der 
Bearbeiter  hochgespannte  Erwartungen  wecken  mufeten.  Leider  ist 
der  Plan  nur  zu  teilweiser  Ausführung  gelangt.  Wohl  wurden  mehrere 
derartige  PubUkationen  gegeben  und  allseitig  mit  Dank  und  Anerken- 
nimg aufgenommen;  allein  es  war  doch  recht  wenig  im  Verhältnis  zu 
dem  Gesamtumfang  des  Archivs,  auch  nur  seiner  Urkundenabteilungen. 
Unter  der  neuen  Redaktion  erschienen  häufiger  Abhandlungen  und 
Untersuchungen,  wie  auch  der  Kreis  der  Mitarbeiter  allmählich  sich 
erweiterte. 

Als  mit  dem  39.  Band  1885  ^^^  Publikation  in  ihrer  bisherigen 
Weise  abschlofs  und  die  Badischc  Historische  Kommission 
einem  Beschlufs  ihrer  dritten  Plenarsitzung  gemäfs  die  Herausgabe  der 
Zsr.  in  „Neuer  Folge"  übernahm,  erfuhr,  abgesehen  von  einer  beträcht- 
lichen Erweiterung  des  Umfangs,  der  Plan  des  Unternehmens  selbst 
eine  Umgestaltung  in  mehreren  wesentlichen  Punkten.  Von  jetzt  ab 
sollen  Forschungen  und  Darstellungen  mit  QuellenpubUkationen  mög- 
lichst gleichmäfsig  wechseln ;  ganze  Urkundenserien,  gröCsere  Regesten- 
sammlungen, wie  überhaupt  umfangreichere  Quellen  sollen  grundsätz- 
lich von  der  Aufnahme  in  die  Zsr.  ausgeschlossen  sein.  Neben  der 
bis  dahin  fast  ausschliefslich  berücksichtigten  mittelalterlichen  Geschichte 
sollte  auch  die  neuere  Geschichte  zu  ihrem  Rechte  kommen. 
Weiter  wurde  in  jedem  der  vierteljährig  erscheinenden  Hefte  ein  be- 
sonderer Raum  für  Zeitschriftenschau  und  Litteraturnotizen  (Referate 
und  Kritiken),  die  Mone  ganz  fem  gehalten  hatte,  gewährt.  Indem 
so  die  Zsr.  aufhörte,  Organ  des  Karlsruher  Generallandesarchivs  zu 
sein  —  wodurch  bedauerlicherweise  die  so  erfolgreich  begonnene 
Hebung  der  reichen  Schätze  desselben   abgebrochen  wurde   — ,   so 


—     236     — 

hatte  doch  andrerseits  die  Änderung  und  Erweiterung  des  Programms 
die  erfreuliche  Folge,  dafe  nunmehr  für  die  von  der  Historischen  Kom* 
mission  geweckte  frische  Thätigkeit  auf  dem  Gebiete  landesgeschicht- 
licher Forschung  am  Oberrhein  ein  Mittelpunkt  und  eine  Sammelstelle 
geschaffen  war,  die  lückenlos  den  jeweiligen  Stand  der  Forschung 
repräsentiert,  sei  es  in  eigenen  Arbeiten,  sei  es  in  den  sorgfältig  ge- 
führten Litteraturnach weisen.  Die  geographischen  Grenzen  konnten 
jetzt  auch  ohne  Nachteil,  vielmehr  zum  Zweck  gröfserer  Konzentration, 
etwas  enger  gesteckt  werden,  zumal  ja  seit  Mones  Zeiten  allenthalben 
eigene  Vereine  und  Zeitschriften  für  die  einzelnen  Landschaften  ent- 
standen waren.  Neben  Baden  findet  das  Elsafis  und  die  bayerische 
Pfalz  Berücksichtigung.  Die  Berührung  anderer  angrenzender  Terri- 
torien, besonders  Württembergs  und  der  Schweiz,  ist  selbstverständ- 
lich nicht  prinzipiell  ausgeschlossen.  Als  ständige  BeUage  sind  der 
Zsr.  die  vorher  eigens  ausgegebenen  „Mitteilungen  der  Badischen 
Historischen  Kommission"  beigefügt  Diese  sind  in  erster  Linie  dazu 
bestimmt,  die  Ergebnisse  der  Thätigkeit  der  Pfleger  zu  veröffentlichen, 
welche  im  Auftrag  und  unter  Leitung  der  Kommission  die  Ordnung 
und  Verzeichnimg  der  kleineren  Archive  im  Lande,  der  Pfarreien,  Ge- 
meinden ,  Grundherrschaften  etc. ,  vornehmen.  Aufserdem  sollen  die 
„Mitteilungen**,  soweit  Raum  vorhanden  ist,  nach  dem  Vorbild  der 
alten  Serie  der  Zsr,  Quellen,  insbesondere  aus  dem  Generallandesarchiv, 
darbieten.  Neuerdings,  da  die  Verzeichnung  jener  Archive  fast  zu 
Ende  geführt  ist,  treten  derartige  Quellenpublikationen  mehr  in  den 
Vordergrund.  Die  Redaktion  wurde  unter  Beirat  eines  aus  Mitgliedern 
der  Kommission  bestehenden  Redaktionsausschusses  mit  Beginn  der 
„Neuen  Folge**  (1886)  dem  Archivrat  (seit  1893  Geschichtsprofessor 
in  Freiburg)  Aloys  Schulte  übertragen,  der  sie  bis  zu  seiner  Be- 
rufung nach  Breslau  1896  führte  und  mit  dem  XI.  Band  der  N.  F., 
der  ganzen  Reihe  50.  Band)  abschlofs.  An  seine  Stelle  berief  die 
Komnüssion  zu  Redakteuren  Archivrat  Obs  er  in  Karlsruhe  für  den 
badischen  (und  pfälzischen),  Archivdirektor  Professor  Wiegand  in 
Strafebuig  für  den  elsässischen  Teil.  Dem  Elsafs  war  bereits  vorher 
ein  erweiterter  Raum  zugewiesen  worden,  nachdem  seitens  des  kaiser- 
lichen Statthalters  ein  besonderer  Zuschufs  gewährt  worden  ist.  Hal- 
tung und  äufsere  Form  der  Zsr.  wurden  davon  nicht  berührt.  Die 
Zahl  der  Mitarbeiter  wuchs  mit  der  Zeit  beträchtlich  und  brachte  eine 
erfreuliche  Fülle  und  Mannigfaltigkeit  des  Inhalts  mit  sich. 

Die   ein  halbes  Jahrhundert  umfassende  Würksamkeit  der  Zsr.  f. 
4.  Gesch.  d.  Oberrh.,   deren  Leistimgen  in  der  stattlichen  Reihe  von 


—     236     — 

53  Bänden  vorliegen,  bat  für  die  Geschichtswissenschaft  dauernde  Be- 
deutung. 

Zu   ihrer  Würdigung  aber  erscheint  ein  kurzer  Hinweis  auf  den 
Hauptinhalt,  zunächst  der  alten  Serie,  geboten. 

Als   die   hervorragendsten  Bestandteile   der  Publikation  kommen 
wohl  diegrofsen,  zusammenhängenden  Urkunden-,  bezw.  Reges te n- 
reihen  in  Betracht,   die   mehr  oder  minder  vollständig  den  zugäng- 
lichen Stoff  zur  älteren  Geschichte  einzelner  Orte,  Klöster,  Geschlechter 
oder  Landschaften  darstellen.    Die  Aufzählung  der  Namen  allein  mag 
schon  ein  Bild  geben  von  dem  Inhalt  und  Um£ang  der  Zsr.  in  dieser 
Richtung;  die  Zeitgrenzen  habe  ich  w^gelassen,   sie  liegen  meist  im 
späteren  Mittelalter;  ihre  Bezeichnung  würde  hier  auch  zu  weit  führen. 
Von    einzelnen   Orten    sind   behandelt^):    Burg   Bosenstein    (23)» 
Breisach  (13),  Bruchsal  (7),   Gutenburg  (3),  Heidelberg,  Hofapotheke 
(82),  Krotzingen  (21),  Loftenau  (12),  Schiefe  Mägdeberg  im  Hegau  (25)» 
Meersburg  (27),  PftiUendorf  (31),  Radolfzell  (37),  Rottweil  (30),  Bur;g 
Schneebuig  bei  Ebringen  (18),  Thengen-Hinterburg  (25),  Überlingen 
(22.  23.  25.  26),  Villingen  (8.  9),  Waldshut  (24.  36),  Worms  (9);  von 
Klöstern:  Alpirsbach  (21),  Bebenhausen  (3.  4.  13 — 21),  Bronnbach 
(2.  34),  Engelthal  (15— 18),  Frauenalb  (23— 27),  Gengenbach  (31— 33), 
Gutnau  (38),  Habsthal  (11),  Herrenalb  (1—3.  5—9.  12.  13.  31),  Himmels- 
pforten   (26),    Komburg   (11),    Königsbronn    (10),    Lichtenstem    (ii), 
Lichtenthai    (6 — 9),    Mariahof  bei  Neidingen    (25.    26),    Mariathal    in 
Frauenzimmern  und  Kirchbach  (4),  Minderau  (13),  Murthard  (11),  ver- 
schiedene nassauische  Klöster  (8)',  Rechenshofen  (4.  5),  Salem  (i — 3. 
4.  31*  35-  37 — 39)  >  St.  Blasien  (6.  7),  St.  Geoigen  im  Schwarzwald 
(9),  St.  Trudpert  (21.  30),   Schönau  bei  Heidelberg  (7.   18),   Urspring 
(23),   Villingen-Bickenkloster  (32),   Wald   (10.    11),    Weingarten   (13), 
Weifsenau  (29),    Wonnenthal   (8);   von   Geschlechtern:  Freiburg, 
Grafen  von  (9—13.  16—21),  HohenzoUem  (6)>  Klingen  (i.  2),  Küssa- 
beig  (3),  Neuenbürg  (i.  34.  36),  Sponheim  (3),  Vatz  (2);  „Zur  G^ch. 
fränkischer  Dynasten"   (9);  Veröflfentlichungen  aus  dem  Lehen-  und 
Adelsarchivs  des  G  L.-Archiv«  (38);    von  Landschaften:    Baden- 
Baden  (24.   27.   30),  Basel,  Hochfitift  (4),  Beuggen,  Deutschordens- 
kommende  (28 — 31),  Bodenseelandschaft  (27.  28),  Breisgau  (36),  Elsafe 
(4.   7.  8.  13.    Ober-E.  11.    Unter-E.  14 — 16.    Deutschordensballei  E.- 
Burgund  23.  2^^,   Glotterthal  (20.  21),   Hauenstein  (10—12),  Hessen 
(2.  6),  Kletgau  (13.  14.  22),  Konstanz,  Hochstift  (28 — 30),  Kraichgau 


1)  Die  Zahlen  bezeichnen  die  betr.  Binde  der  Z«r. 


—     237     — 

(i3 — 15),  Lichtenstein  (1$),  Lothringen  (7.  8,  13.  14),  Maingegend 
Yon  Wüizburg  bis  Mainz  (4),  von  Kastei  bis  Wertheim  (15.  16),  Mainr^ 
Hochstift  (10.  19),  Nassau  (11.  20),  Neckarthal  von  Heidelberg  bis 
Wimpfen  (i  i),  Ortenau  (4.  21.  37 — 39),  Pfalz  (19—24.  26. 32),  Schüengen, 
Landvogtei  (15 — 19),  Schweiz  (3.  5.  7.  11 — 13.  19.  20),  Taubergrund 
(iS),  Thüringen  (10),  Tirol  (10),  Überlingen,  Johanniterkommende  (29. 
32),  Voralberg  (10.  15).  Femer  sei  hier  noch  erwähnt  die  in  Bd.  31 
und  32  veröfTentlichte  Auswahl  aus  dem  Selekt  der  ältesten  Urkunden. 

Treffen  wir  eine  ähnliche  Auslese  nach  den  Sachrubriken  *) ,  so 
werden  wir  nicht  weniger  überrascht  von  der  Reichhaltigkeit  des  Ge* 
botenen.  Obenan  steht,  wie  bereits  erwähnt  wurde,  die  Kultur- 
geschichte nach  den  verschiedensten  Seiten  hin.  Neben  der  Sitten- 
geschichte im  weitesten  Umfang  (Bücherwesen,  Kirchen- und  Schul- 
verhältnisse, Kriegsgeschichte,  Kunstgeschichte,  Medizmalwesen,  Bade- 
verhältnisse,  Kranken-  und  Armenpflege,  häusliches  und  öffentliches 
Leben,  Sitten  und  Bräuche,  Vereinswesen,  Rechtsleben  privater  und 
öffentlicher  Art,  wofür  besonders  zahlreiche  Quellen  als  Weistümer, 
Verordnungen  etc.  vorliegen)  wird  die  Wirtschaftsgeschichte  ein- 
gehender Behandlung  unterzogen.  Hierin  liegt  nun  ein  ganz  besonderer 
Vorzug  der  Moneschen  Zeitschrift. 

Eine  geradezu  erstaunliche  Menge  kostbarsten  Materials  ist  hier 
aufgespeichert,  von  dessen  Vorhandensein  in  solch  reicher  Mannig- 
faltigkeit und  müheloser  Zugänglichkeit  wohl  nur  wenige  unserer 
Nationalökonomen  eine  Ahnung  haben.  Die  bekanntermafisen  äu&erst 
schwierigen,  heute  noch  keineswegs  befriedigend  gelösten  Fragen  nach 
den  Münz-  und  Mafisverhältnissen,  dem  Geldverkehr,  den  Preisen  von 
Lebensmitteln,  Gütern,  Rohprodukten  und  Industrieerzeugnissen,  den 
Arbeitslöhnen,  dem  Wirtschaftsbetrieb  in  Landbau,  Gewerbe  und  In- 
dustrie (Handwerkerordnungen,  Zunftwesen),  den  Vermögensverhält- 
nissen u.  a.  *)  werden  alle  mit  eindringlichem  Scharfsinn  und  gewissen- 
haftem Forscherfleifs  unter  Berücksichtigung  zahlreicher  in  handschrift- 
lichen und  litterarischen  Quellen  verstreuter  Einzelstellen  erörtert.  Weitere 
wirtschafts-  und  sozialgeschichtliche  Gegenstände  in  mehr  oder  minder 
ausführlicher  Behandlung  sind:  Bergbau,  Finanz-,  Steuer-  und  Zollwesen,. 


i)  Hier  sind  die  CiUte  nach  Bänden  weggelassen,  weil  der  Stoff  nicht  so  einheit- 
lich geschlossen  wie  vorhin  bei  der  topographischen  Aufzählung  vorliegt,  sondern  meist 
ttber  verschiedene  Bände  nngleichmäfsig  verteilt  ist 

2)  Hierüber  handelt  besonders  gründlich  der  10.  Band,  dessen  volkswirtschaftliche 
AbachniUe  auch  separat  erschienen  sind  unter  dem  Titel:  Beiträge  t.  Gesch.  d.  Volks- 
wiftschaft  ans  Urkunden  von  F.  J.  Mone.     Karlsrabe,  Braun,  1859.    IX.  219  S.  8  ^ 


—     238     — 

Fischerei,  Flöfeerei  und  SchiflFahrt,  Forst-  und  Jagdwesen,  Garten-,  Obst- 
und  Weinbau,  Handel  und  Verkehr,  Gesindewesen  und  Leibeigenschaft. 
Einen  verhältnifemäfeig  geringen  Raum  hat  Mone,  seinem  oben  be- 
rührten Grundsatz  entsprechend,  der  äufseren  politischen  Geschichte  zu- 
gemessen, etwas  mehr  der  Geschichte  der  staatlichen  imd  besonders  der 
städtischen  Verwaltung.  Auch  auf  vor-  und  frühgeschichtliche  Erörte- 
rungen, namentlich  über  römische  und  keltische  Überreste,  hat  er  sich 
mehrfach  eingelassen;  hier  ist  freilich  Vorsicht  geboten,  und  nicht 
überall  wird  man  seiner  Führung  folgen  dürfen,  die  bekanntlich  — 
allerdings  mehr  in  anderen  Werken  als  gerade  in  seiner  Zsr.  —  oft 
auf  recht  bedenkliche  Irrwege  leitet;  dasselbe  gilt  auch  von  seinen 
Untersuchungen  zur  Etymologie  von  Ortsnamen.  Die  geschichtlichen 
Hilüswissenschaften  endlich,  Chronologie,  Diplomatik,  Heraldik,  Sphra- 
gistik  kommen  gleichfalls,  wenn  auch  nur  in  bescheidenem  Mafse,  zur 
Geltung. 

Hinsichtlich  der  Neuen  Folge  dürfen  wir  uns  wohl  kürzer  fassen ; 
denn  es  kann  hier  unmöglich  auf  die  Menge  von  Publikationen,  Auf- 
sätzen und  kritischen  Untersuchungen,  von  Mitteüungen  und  Miszellen 
näher  eingegangen  werden.  Die  veränderte  Tendenz  der  Zsr.  ist  bereits 
oben  charakterisiert  worden.  Gegenüber  der  alten  Serie,  die  ohne 
Zweifel  eine  eigenartige  Stellung  in  der  zeitgenössischen  Litteratur 
einnimmt,  weshalb  wohl  die  eingehendere  Rücksichtnahme  gerecht- 
fertigt erscheint,  ist  die  Neue  Folge  auf  eine  Stufe  zu  stellen  mit  den 
grofsen  neueren  geschichtlichen  Zeitschriften,  unter  denen  sie  nicht 
sowohl  durch  besondere  Art  ihrer  Darbietungen  wie  durch  gute,  ziel* 
bewufste  Leitung  einen  Ehrenplatz  einnimmt.  Aufeer  verschiedenen 
Quellenpublikationen,  von  denen  nur  auf  die  in  Bd.  I — III  gegebene 
formale  und  inhaltliche  Beschreibung  der  im  Generallandesarchiv  ver- 
wahrten Kaiserurkunden  von  1200 — 1437  verwiesen  sei,  werden  historio- 
graphische  und  quellenkritische  Untersuchimgen ,  besonders  über  Ur- 
kundenfälschungen, Beiträge  zur  neueren  Gelehrtengeschichte  (u.  a.  zur 
Geschichte  der  Universitäten  Heidelberg  und  Strafsburg),  politische 
Korrespondenzen  und  Aktenstücke  (u.  a.  Beziehungen  des  Elsafs  zu 
Frankreich),  statistische  Arbeiten,  kirchengeschichtliche,  kunstgeschicht- 
liehe,  rechtsgeschichtliche,  genealogische  Forschungen  u.  a.  mehr  ge- 
boten. Über  die  laufenden  Neuerscheinungen  der  einschlägigen  Lit- 
teratur orientieren  die  regelmäfsigen  Litteratumotizen ,  während  jeder 
Jahrgang  je  ein  sorgfältig  bearbeitetes,  zusammenfassendes  Referat  über 
die  gesamten  Veröffentlichungen  des  Vorjahres  auf  dem  Gebiet  der 
Geschichte  Badens  und  des  Elsasses  bringt. 


—     239     — 

So  ist  allen  Anforderung'en,  die  man  billigerweise  an  ein  Zentral- 
organ für  landesgeschichtliche  Forschung  stellen  kann,  Rechnung  ge- 
tragen. Einen  Mangel  nur  wird  jeder  beklagen,  der  dieser  Zsr.  sich 
bedienen  will,  das  Fehlen  eines  systematischen  Registers 
über  ihren  Gesamtinhalt.  Zwar  liegen  einige  immerhin  brauch«» 
bare  summarische  Teilregister  vor  (in  Bd.  21  für  i — 21 ;  in  Bd.  31 
für  I— 30;  in  Bd.  39  für  31—39;  in  Bd.  X  für  I— X  der  N.  F.),  doch 
ist  darum  das  Bedürfnis  nach  einem  Gesamtregister  nicht  weniger 
fühlbar.  Mit  ihm  würde  die  Historische  Kommission  eine 
würdige  Jubiläumsgabe  darbieten! 


Mitteilungen 


Yersannitlailgeil.  —  Am  5.  und  6.  Juni  hielt  der  Hansische 
Geschichtsverein  zu  Göttingen  seine  29.  Jahresversammlung  ab,  und 
gleichzeitig  fand  in  gewohnter  Weise  die  25.  Jahresversammlimg  des  Vereins 
für  niederdeutsche  Sprachforschung  statt.  Die  Reihe  der  Vorträge 
eröfihete  Prof.  Kaufmann-Breslau  mit  einer  Darlegimg  über  die  englische 
Verfassung  in  Deutschland.  Die  Berührung  beider  Völker  mit  einander 
vermittelte  anfänglich  der  Handel,  imd  dabei  war  bis  in  XVI.  Jahrhundert 
Deutschland  der  überlegene  Teü,  aber  später  hat  sich  das  Verhältnis  um- 
gekehrt. Ähnlich  ist  es  mit  den  geistigen  Beziehungen  gegangen,  denn  in 
den  vorreformatorischen  imd  reformatorischen  Bewegungen  läfst  sich  ein  ab- 
wechselndes Geben  und  Nehmen  konstatieren.  Die  Reformation  schuf  aber 
^ie  englische  Verfassung,  indem  sie  dem  Königtum  ein  Parlament  und  eine 
Verwaltung  zur  Seite  stellte,  die  in  den  Händen  einer  einflufsteichen  Aristo- 
kratie lag.  Die  gleichzeitig  sich  entfaltende  Litteratur  wirkte  mächtig  auf 
Deutschland,  welches  in  der  klassischen  Periode  dann  wieder  reichlich  zurück- 
gab. Ähnlich  sind  die  Beziehungen  auf  dem  Gebiete  des  öffentlichen  Rechts : 
bis  etwa  1850  fand  die  englische  Verfassung  in  Deutschland  fast  durch- 
gehends  günstige  Beurteüung,  ja  sie  wurde  als  vorbUdlich  betrachtet,  dann 
aber  kam  der  Rückschlag,  der  am  schärfsten  in  Lothar  Buchers  Schrift 
Der  Parlamentarimnus ,  une  er  ist,  seinen  Ausdrack  fand.  Man  sah  auf 
einmal  den  Druck  der  Aristokratie  auf  das  Volk,  man  bemerkte,  dafs  mit 
der  Verfassung  Mifsbrauch  getrieben  wurde,  man  sah  die  Lage  Irlands  imd 
Indiens,  und  dazu  kamen  in  England  selbst  seit  den  zwanziger  Jahren  tief 
einschneidende  Reformen,  so  tiefe,  dafs  es  fraglich  erscheinen  konnte,  ob 
die  alte  englische  Verfassung  überhaupt  noch  bestand.  Denn  die  wesent- 
lichen Einrichtungen,  das  den  Emflufs  des  Adels  bedingende  Selfgovemment 


\ 


—     240     — 

und  die  Stelhing  der  anglikanischen  Kirche,  wurden  beseitigt.     Noch  immer 
steht  England  in  Bezug  auf  die  Verfassüngsentwicklung   inmitten    der  Krisis, 
Deutschland  wird  bei  der  Schafiung  des  Beamtentums  und  Heeres  die  Rolle 
des  Gebers  übernehmen.    Aber  auch  Deutschland  hat  englischen  Geist  noch 
dringend  nötig,  namentUch  den  echten  Bürgersinn,  denn  nur  bei  freier  Ent- 
faltung der  Kräfte  des  Volkes  lassen  sich  kühne  Gedanken,   wie  Weltpolitik 
und  Seeherrschaft,  in  Wirklichkeit  umsetzen.  —  Prof.  Richard  Schröder- 
Heidelberg   erläuterte   in   einem  Vortrage    den  Plan   eines  Wörterbuches 
der  älteren  deutschen  Rechtssprache,   welches   auf   Veranlassung 
der  philosophisch-historischen  Klasse   der   Kgl.   Preufsischen  Akademie    der 
Wissenschaften  unter  der  Leittmg  Schröders  bearbeitet  wird.    Seit  vier  Jahren 
sind  gegen  70  Mitarbeiter  mit  der  Sammlung   des  Stofifes  beschäftigt,    aber 
noch  etwa  zwölf  Jahre  werden  bis  zum  Abschluls  des  Werkes  vergehen.     An 
dem  Beispiele  des  Wortes  Hand  erläuterte  der  Redner,  was  das  Wörterbuch 
bieten  soÜ,  und  forderte  zur  aUgemeinen  Unterstützung  durch  Sprachgelehrte 
und  Geschichtsforscher  auf.    Wie  die  einzelnen  Artikel  gedacht  sind,  das  er- 
läutert bereits  der  wichtigste  Satz  des  zu  Anfang  aufgestellten  Programms,  welcher 
lautet:  „Dafs  ein  Wortartikel  zur   rechtsgeschichtlichen    oder 
rechts  antiquarischen  Monographie  auswachse,  ist  schlechter- 
dings   zu    vermeiden.      Rechtssätze    dürfen    nicht    um     ihrer 
selbst  willen  angeführt  werden  (sondem  nur,   um  den  Rechtsbegriff 
des  Wortes   definieren  zu  helfen).     Das   Wörterbuch   soll  weder    ein 
Reallexikon    noch    ein    antiquarisches    Glossar    werden.''    — 
Weiter  sprach  Dr.  Borchling- Göttingen  über  die  in  der  Universitätsbibliothek 
ausgestellten  niederdeutschen  Handschriften  und  Drucke,  Dr.  Langenberg- 
Osnabrück  über  „  Kulturgeschichdiches  aus  der  Laienregel  des  Dietrich  Engel- 
husen",    Prof.  S  c  h  ä  fe  r  -  Heidelberg   über  die   Ausgrabungen   bei   Falsterbo 
und   über   die   Sundzoll -Listen    tmd   Prof.   Frensdor  ff- Göttingen   endlich 
führte  die  Versammltmg  durch  die  Veigangenheit   des  Tagungsortes,    indem 
er  Stadt  und  Universität  in  früheren  Zeiten  behandelte.    Die  städtische  Alter* 
tümersammlung  und  das  städtische  Archiv  wurde  von  der  Versammlung  be* 
sichtigt,    und   ein  Ausflug   nach  Münden   schlofs    die  Tagung  ab.  —  Über 
die  Thätigkeit   des  Hansischen  Geschichtsvereins   im   letzten   Jahre   ist    dem 
Berichte  folgendes  zu  entnehmen :  Vom  Hansischen  Urkundenbuche  sind  zwei 
neue  Bände  (V.  und  VIIL)  erschienen.    Der  erstere,  von  Karl  Kunze  be- 
arbeitet,  umfafst  die  Zeit  von  1392  bis  1414,  der  zweite,  von  Walther  Stein 
bearbeitet,    die   Urkunden  von    145 1    bis   Mitte    des   Jahres    1463.     Beide 
Herren  setzen  ihre  Arbeit  fort    Prof.  Höhlbaum- Giefisen  hat  einen  zweiten 
Band  des  Inventars  des  Kölner  Hanse-Archivs,  welcher  die  Urkunden  von 
1572  bis  1591  umfafst,  bearbeitet  und  reichen  Erläuterungsstoff  aus  nieder- 
ländischen  und   englischen  QueUen,   besonders   aus   den  Acts  of  ihe  IVity 
Council  of  England  K  S,,  beigegeben.    Das  Werk  wird  im  Herbste  gedruckt 
vorliegen,  imd  gleichzeitig  wird  das  von  Dr.  Mack- Braunschweig  bearbeitete 
Braunschweiger  Inventar   erscheinen.     Von   den  Hansischen  Ge- 
schichtsquellen ist  ein  neuer  Band,    Die  Bergenfahrer  und  ihre  Chro- 
nistik,   bearbeitet   von  Dr.   Bruns,   ausgegeben   worden.     Demnächst   wird 
auch  ein  neues  Heft  der  Hansischen  Geschichtsblatter  erscheinen.     Als  Ver- 
sammlungsort für  1901  wurde  Dortmund  gewählt 


—     241     — 

Denksehrift  ron  Paul  Kalkoff  (Breslau)  Aber  die  Bearbeitang 
der  politischen   Korrespondenz   Karls  Y.*):   Die   Veröfifentlichung 

der  politischen  Korrespondenz  Karls  V.  ist  das  nächste  und  drin- 
gendiste  Bedürfiiis  der  deutschen  Geschichtsforschung  im  Bereiche  des  XVI.  Jahr- 
hunderts, wie  dies  schon  von  Hermann  Baumgarten  im  Vorwort  zum  i.  und 
3.  Bande  seines  Werkes  über  Karl  V.  (vom  ai.  Januar  1885  und  März  1892) 
ganz  zweifellos  nachgewiesen  wurde. 

Die  beiden  ersten  Bände  hatte  Baumgarten  noch  geschrieben  unter 
wesentlicher  Beschränkung  auf  das  gedruckte  Material,  doch  gleichzeitig  ge- 
fordert, dafs  die  „umfassenden  Quellenpublikationen,  welche  einer  Darstellung 
dieser  Zeit  allein  eine  zuverlässige  Grundlage  bieten  könnten 'S  baldigst  in 
Angriff  genommen  werden  müfsten.  Dann  unterzog  er  sich  doch  noch  der 
Mühe  einer  umfassenden  archivalischen  Nachforschung  tmd  brachte  dieser 
Notwendigkeit  „der  Geschichte  der  Reformationszeit  eine  sehr  viel  solidere 
Grundlage  zu  geben '*  sogar  seine  Lehrthätigkeit  zum  Opfer.  Bei  der  für 
den  Einzelnen  ganz  unübersehbaren  Reichhaltigkeit  der  Fundstellen  konnte 
er  nur  mit  erneutem  Nachdruck  auf  die  „Herausgabe  der  vollständigen 
Korrespondenz  Karls  V.  als  auf  das  AUerwichtigste '*  dringen,  das  eben  nur 
mit  bedeutenden  Mitteln  und  mit  vereinten  Kräften  zu  leisten  sei. 

Heutzutage  läfst  sich  die  Aufgabe  erheblich  leichter  lösen,  denn: 
I.  es  hat  sich  eine  Methode  herausgebildet,  die  es  ermöglicht  das  Ziel 
mit  einer  erheblich  kleineren  Zahl  von  Bänden  zu  erreichen.  Unter 
Verweisung  auf  die  von  Lanz,  Gachard,  Weiss  und  vielen  andern 
gelieferten  Teilpublikationen  und  unter  Verzicht  auf  den  „vollständigen 
Abdruck  aller  Schrifbtücke**,  so  dafs,  wie  schon  Baumgarten  forderte, 
jede  Verschwendung  von  Kräften  der  Herausgeber  und  Leser  ver- 
mieden würde,  liefse  sich  alles  in  irgend  einer  Hinsicht  Belangreiche 
notieren.  Besonders  für  das  neben  der  politischen  Korrespondenz 
im  engeren  Sinne  nicht  zu  vernachlässigende  Gebiet  der  Verwaltung, 
des  Kriegswesens,  der  Finanzen,  der  Personalien  in  Diplomatie  und 
Verwaltung  würde  die  Form  des  Regests  zu  wählen  sein,  wie  sie  in 
mustergütiger  Weise,  d.  h.  bei  aller  Knappheit  doch  reichhaltig  und 
übersichtlich,  im  „Jahrbuche  der  Kunstsammlungen  des  Allerhöchsten 
Kaiserhauses ''  zur  Bewältigung  eines  gewaltigen  Quellenmaterials  aus 
allen  Archiven  des  Gesamthauses  Habsburg  gedient  hat.  Für  diese 
Gebiete  würde  das  Werk  den  Charakter  eines  Repertoriums  erhalten, 
das  für  die  verschiedensten  Forschimgsinteressen  die  Möglichkeit 
schneller  und  ausgiebiger  Orientierung  böte. 
Der  leitende  Gesichtspunkt  müfste  sein :  das  überaus  wichtige  Forschungs- 
material in  rascher  Folge  der  Bände  der  gelehrten  Welt  zur  Verfügung 
zu  steUen. 

n.  die  Inangriffiiahme  des  Werkes  ist  femer  erleichtert  —  gleichzeitig 
aber  auch  die  bestehende  Lücke  um  so  empfindlicher  fühlbar  geworden, 
weU  gegenwärtig  fast  aUe  die  andern  grofsen  PubUkationen,  die  Baum- 
garten als  unerläfslich  bezeichnete,  zum  Teü  der  Vollendung  nicht  mehr 
fem,  ztun  Teü  in  ihrer  Fortfühmng  ausreichend  gesichert  sind. 


•)  Vgl.  Heft  8,  Seite  200. 


—     242     — 

Was  Baumgarten  in  erster  Linie  neben  der  Korrespondenz  Karls  V. 
forderte,  die  Reichstagsakten  der  Reformationszeit,  wurde  in  die  Wege 
geleitet,  indem  wesentlich  auf  seinen  Betrieb  die  Münchener  Historische 
Kommission  die  „Jüngere  Reihe  der  Reichstagsakten**  einrichtete,  die  soeben 
den  dritten  Band  ausgehen  läfst. 

Wenn  Baiungarten  femer  beklagte,  dafs  das  Streben  der  bedeutendsten 
katholischen  Fürsten,  der  Herzöge  Georg  von  Sachsen  tmd  Heinrich 
von  Braunschweig  im  Dunkel  liege,  so  ist  seitdem  durch  den  grofsartigen 
Arbeitsplan  der  „Kgl.  Sächsischen  Kommission  für  Geschichte"  eine  der 
vornehmsten  Quellen  aus  dem  Kreise  reichsständischer  Berichterstattung,  die 
Briefe  des  Hans  von  der  Planitz,  schon  zugänglich  gemacht  worden  und  dann 
sind  die  „Akten  und  Briefe  des  Herzogs  Georg  des  Bärtigen  (1500— 1539)** 
schon  in  Angriff  genommen,  die  „Akten  und  Briefe  des  KurÄirsten  Moritz 
(1541 — 1553)**  sind  der  berufensten  Hand  anvertraut  imd  im  Erscheinen 
begriffen. 

Die  „Politische  Korrespondenz  der  Stadt  Strafsburg"  giebt  den  Schwester- 
städten ein  glänzendes  Beispiel;  die  reiche  Serie  der  „Städtechroniken" 
entschädigt  einstweilen  fUr  mangelnde  Nachahmung  desselben. 

Aus  dem  Kreise  der  kleineren  Reichsstände  wird  jetzt  von  der 
„Historischen  Kommission  für  Nassau"  eine  Reihe  von  Bänden  der  „Nassau- 
Öranischen  Korrespondenzen"  geliefert  werden,  deren  erster  für  die  Jahre 
15 13 — 1538  bereits  vorliegt 

Das  „weitaus  wichtigste",  was  wir  von  Italien,  von  Rom  zu  er- 
warten hatten,  die  Korrespondenz  der  Kurie  mit  ihren  Nimtien,  ist  durch 
die  aufserordentlich  erfolgreiche  Thädgkeit  der  Historischen  Institute  Preufsens 
und  Österreichs  in  Rom  bereits  zum  guten  Teil  zugänglich  gemacht  worden; 
der  Abschlufis  dieser  Publikationen  für  die  Zeit  der  Reformation  wie  der 
Gegenreformation  ist  in  absehbarer  Zeit  zu  erwarten.  Aber  die  grofse  Lücke, 
die  hier  gerade  für  das  politisch  bedeutsamste  Jahrzehnt  zwischen  den 
Depeschen  Aleanders  vom  Wormser  Reichstage  (152 1)  imd  den  Nuntiatur- 
berichten  (i.  Abteilung:  1533 — 1559)  klafft,  macht  die  Erschliefsung  der 
andern  Hauptquelle,  der  kaiserlichen  Korrespondenz,  für  die  zwanziger  Jähre 
doppelt  notwendig.  Das  ,tgrofs  angelegte  Regestenwerk  des  Kardinals  Hergen- 
röther  über  Leo  X."  ist  in  den  ersten  Tausenden  seiner  unübersichtlichen 
Regeste  nnunmiem  stecken  geblieben.  Wenn  es  auch  neues  Material  eigentlich 
nur  für  das  Gebiet  der  Pfründenverleihimg  brachte,  das  in  den  Einzelheiten 
von  lokalem  und  biographischem  Interesse  ist,  so  ist  doch  die  weitere  Er- 
schliefsung desselben  durch  das  Repertoriiun  Germanicum  gesichert ;  mit  den  zwan- 
ziger Jahren  verliert  es  übrigens  für  Deutschland  sehr  an  Bedeutung  und  Umfang. 

Der  historische  Nachlafs  der  übrigen  für  die  weltumspannende  Politik 
Karb  V.  in  Betracht  kommenden  Länder  wird  ja  von  diesen  mit  sehr  ver- 
schiedenem Eifer  imd  Erfolg  bearbeitet.  Es  sei  nur  hervorgehoben,  dafs 
der  Abdruck  der  Diarien  des  Marino  Sanuto,  so  bedeutend  trotz  mancher 
Mängel  ihr  QueUenwert  ist,  nicht  genügen  kann.  Schon  Baumgarten  stellte 
fest,  dafs  selbst  die  Originalberichte  der  venetianischen  Botschafter,  denen 
die  Wiener  Akademie  einen  so  grofsartigen  Aufwand  an  Kräften  widmet, 
„neben  der  Korrespondenz  des  Kaisers,  seiner  Geschwister,  Räte  und 
Gesandten"  nur  eine  Quelle  zweiten  Ranges  darsteUen. 


—     243     — 

Ein  bedeutender  Schritt  zur  Erreichung  des  Hauptzieles  ist  nun  aber  neuer- 
dings erfolgt,  indem  im  Jahre  1898  in  Wien  die  Bildung  einer  provisorischen 
Kommission  erfolgt  ist  behufs  systematischer  Veröffentlichung  von  „Akten  und 
Korrespondenzen  zur  neueren  Geschichte  Österreichs",  die  in  vier  Serien  Korre- 
spondenzen der  Herrscher,  der  Staatsmänner,  Berichte  fremder  Gesandten  imd 
Staatsverträge,  kiurz  „  Quellen  zur  äufseren  Geschichte  und  Politik  des  Hauses 
Österreich"  bringen  sollen,  freilich  erst  „vom  Jahre  1526  an  imd  mit  Aus- 
schlufs  der  spanischen  Linie  ".   Somit  scheint  die  Kommission  vielleicht  den  Brief. 
Wechsel  zwischen  Karl  V.  und  Ferdinand  I.  in  ihren  Plan  einbeziehen  zu  wollen. 
Es  käme  also  darauf  an,  dieses  Unternehmen  zu  ergänzen 
I.  durch  die  Veröffentlichung  der  gesamten  politischen  Korres- 
pondenz Karls  V.  und 
II.  nach  dem  Vorbilde    der  Kgl.    Sächsischen   Kommission   durch   die 
Sammlung  und  Bearbeittmg  von  Material  zur  Geschichte  der  kaiser- 
lichen Finanzen,  tpd  der  übrigen  Verwaltungsthätigkeit  Karls  V. 

ArchlYe.  —  In  dem  Aufsatze  Archii^)€mUiiümg8ordnungen  von  P.  Witt- 
mann  sind  S.  184 — 185  bei  Bes|)rechung  der  Preufeischen  Archivbenutzimgs- 
Ordnung  einige  Fehler  untergelaufen,  welche  der  Verfasser  zu  berichtigen 
bittet.  In  dem  Satze:  „Archivalien  nach  i  800  sind  von  Benutzung 
ausgeschlossen,  sofern  nicht  das  Staatsoberhaupt  von  Fall 
zu  Fall  letztere  gestatten  will"  ist  statt  1800  das  Jahr  1840  zu 
setzen,  statt  „Staatsoberhaupt"  sind  die  Worte  „Präsidium  des  Staats- 
ministeriums" zu  lesen  und  der  ganze  Satz  gilt  nur  für  das  Geheime 
Staatsarchiv  zu  Berlin,  nicht  aber  für  aUe  Staatsarchive  des  König- 
reichs. Vgl.  Heft  I  der  Mitteilungen  der  K,  Preussischen  ArchiwerwaUung 
(1900),  S.  29.  —  Die  Bemerkung,  dafs  Ausleihe  von  Archivalien  an  „Pri- 
vate "  gestattet  sei,  hat  in  beteiligten  Kreisen  Befremden  erregt,  es  mag  wohl 
auch  bisher  eine  solche  Ausleihe  nicht  oder  ganz  selten  geübt  worden  sein, 
aber  dafs  sie  möglich  ist,  ergiebt  sich  aus  den  Bestimmimgen ,  welche  die 
Preufsische  Archiwerwaltung  dem  Verfasser  des  Aufsatzes  selbst  zugänglich 
gemacht  hat,  wo  es  wörtlich  heifst:  „Zur  Enüeihung  von  Archivalien  in  eine 
Privatwohnung  bedarf  es  ministerieller  Genehmigung." 


Bereits  S.  175  wurde  über  die  Anstellung  dreier  wissenschafUicher 
Assistenten  am  Staatsarchiv  zu  Hamburg  berichtet,  S.  189  wurde 
auf  die  Bedeutung  dieses  Archivs  kurz  hingewiesen,  aber  die  jüngste  Ent- 
wicklung desselben  verlangt  noch  eine  ausführlichere  Besprechung.  Während 
eines  halben  Jahrhunderts  ist  die  Entwicklung  des  Archives  der  freien 
und  Hansestadt  Hamburg,  welches  zugleich  Staats-  und  Stadtarchiv  ist, 
dadurch  gehemmt  worden,  dafs  es  auf  durchaus  ungenügende  Räume  im 
alten  Rathaus  angewiesen  war,  welche  für  die  trotz  der  durch  den  grofsen 
Brand  im  Jahre  1842  verursachten  Schäden  ganz  aufserordentHch  reichen 
Bestände  an  Archivalien  nicht  entfernt  zureichten,  zumal  in  Hamburg  viel 
jüngere  Akten,  als  sonst  üblich  ist,  aus  den  Registraturen  des  Senats  und 
der  Behörden  an  das  Archiv  abgegeben  werden.  Aufserdem  ist  im  Laufe 
der  Zeit  eine   ganze   Anzahl   von   älteren  Archiven    dem   Staatsarchiv    ein- 


—     244     — 

verleibt  worden,   so  die  Archive   des   ehemaligen  DomkaiHteb  und  anderer 
Hamburger  Kirchen,   femer  die   Archive   aufgehobener  Behörden  und    Ge- 
richte, der  Zünfte,  Ämter  und  Brüderschaften,  einiger  Deichverbände  sowie 
die   älteren  Teile   des   Amtsarchivs   RitzebQttd  und   die   an   Hamburg    aus- 
gelieferten Teile  der  Archive  des  Reichskammergerichts  und   des  Reichshof- 
rats.   Die  Archivleitung  hat  durch  diesen  Zuwachs  an  Archivalien  und  durcb 
die   dauernd   sich   steigernde   Inanspruchnahme   für  Zwecke   6tr  VerwaHang 
eine  sich  immer  vermehrende  Arbeitslast  zu  bewältigen  gehabt,   aber  bisher 
haben   dem  Archivar  festangestellte  wissenschaftlich   gebildete  Archivbeamte 
nicht  zur  Verftigung  gestanden.    Der  Urkundenbestand  ist  nach  dem  greisen 
Brande  inventarisiert  worden,  aber  die  damalige  Verzeichnung  der  Urkunden 
weist  manche   Mängel    auf;    überdies    bedarf  das  Urkundenarchiv    der    Er- 
gänzung durch  die  in  den  Akten  verstreuten  Urkunden,  eine  Arbeit,  die  von 
Wichtigkeit  ist  für  die  längst  geplante  Wiederauftiahme  und  Fortsetzung   des 
mit  staatlicher  Unterstützung  begonnenen  Hamburger  Urkundenlmt^  (Bd.   i, 
herausgegeben  von  Lappenberg  1843,   reicht  bis   zum  Jahre  1300),   neben 
welchem  auch  die  Publikation  anderer  Quellen  ins  Auge  zu  &ssen  ist    Ganze 
Teile  des  Archivs  müssen  femer  umgestaltet  und  dabei  die  älteren  historisch 
wichtigen  Archivalien  von  den  neueren  der  Verwaltung  dienenden  Akten  ge- 
trennt werden,  eine  Handschriftensammlung  und  für   die  an  Hamburgensien 
reiche   Archivbibliothek   ein  neuer   Realkatalog   (ein  Zettelkatalog    ist    neuer- 
dings hergestellt  worden)  mufs  angelegt  werden.  —  Unter  Hinweis  auf  diese 
Verhältnisse    stellte    der    derzeitige    Vorstand    des    Archivs,    Senatssekretär 
Dr.  Hagedorn,  am  2.  Aprü  1899  bei  dem  Senate  den  Antrag,  nachdem 
die  Verl^ung  des  Archivs  in  das  neue  Rathaus  zur  Ausftihrung  gekommen 
sei,    nunmehr    eine    Anzahl    fester    Beamtenstellen    für   wissen- 
schaftliche  Assistenten    am    Staatsarchiv    zu    schaffen,    schon 
deshalb,  weü  ein  häufiger  Wechsel  der  gar  nicht  zu  entbehrenden  und  bereits 
seit  längerer  Zeit  herangezogenen  wissenschafdichen  HÜfekräfte  für  die  Archiv- 
arbeit selbst  nichts   weniger  als   forderlich   sein   köime.      Dem   durch    eine 
ausfuhriiche  Denkschrift  begründeten  Antrage  zufolge  waren   vier  Beamte  in 
Aussicht  genommen,  welche  von  dem  Leiter  der  Archiwerwaltung  thunHchst 
gleichmäfsig   zur  Vorbereitung   der   vom  Staatsarchiv   abzugebenden  Berichte 
und  Gutachten  herangezogen  werden  sollten.     Aufserdem  aber   sollte   einem 
jeden  von  ihnen  ein  besonderes  Arbeitsgebiet  angewiesen  werden,  und  zwar 
sollte  einer  für  die  Urkundenabteilung,  einer  für  das  Aktenarchiv,   einer  für 
die  an  das  Archiv  gelangenden  wissenschaftlichen  Anfragen  und  den  Verkehr 
mit  dem  das  Lesenmmer  benutzenden  Publikum  und  schlieislich  einer  für  die 
Bibliothek   und    die  Plankammer   Verwendung   finden.     Überdies  wurde   die 
NeuansteUung  zweier  oberen  Bureaubeamten  empfohlen.    Am  21.  Juni  1899 
beantragte  darauf  der  Senat   unter  Mitteüung   der   vorerwähnten  Denkschrift, 
welche  auch  bereits   die   künftig   geplante  Organisation   des  Archivs   in    den 
Grundzügen  erkennen   läfst,   und   unter   dem  Hinzufugen,    dafs    ein   fernerer 
Antrag   des   Vorstandes   der   Archiwerwaltung   auf  Herausgabe   eines    Ham- 
burgischen Urkundenbuches  vorliege,    die   Zustimmung   der  Bürgerschaft 
zu  der  Beamtenvermehrung.    Im  November  1899  ist  danü  die  Angdegenheit, 
nachdem  ein  Ausschufs    der  Bürgerschaft  sie  einer  Prüfung  unterzogen  hatte, 
dadurch  zum  Abschlufs  gekommen,    dals    die  Bürgerschaft   aufser   der  Neu- 


—     245     — 

anstellung  von  zwei  Bureaubeamten  die  Einfügung  von  drei  wissenschaftlichen 
Assistenten  in  den  Beamtenetat  des  Staatsarchivs  genehmigte. 

Bereits  S.   171  fif.  wurde  an  der  Hand  der  „Mitteilungen  der  k.  Preu- 
isischen  Archiwerwaltung'*  auf  die  Entwicklimg  und  den  gegenwärtigen  Zu- 
stand des  preufsischen  Archivwesens  hingewiesen.    Wenn  wir  heute  über  die 
bezüglichen  Verhältnisse  des  zweitgröfsten  deutschen  Bundesstaates  etwas  ein- 
gehender Bericht  erstatten,  so  wird  dies  ebenÜEÜls  manchem  Leser  willkommen 
sein.     Vor  allem  sei  bemerkt,  dafs  in  keinem  Lande  Europas  betreffe  Offen- 
legung   der    Archive    für    prozessuale    wie    wissenschaftliche 
Zwecke  gröisere  Liberalität  bewiesen  wird,   als  gerade  in  Bayern,   (vergl. 
S.  i8i  ff.  den  Artikel:  „Archivbenutzimgsordnungen")  und  dafs  für  Heran- 
bildung  eines   tüchtigen  Beamtenstandes   wohl  nirgends  in  aus- 
gedehnterem Mafse  Vorsorge  getroffen  ist,  als  gerade  hier;    (vergl.  die  Ver- 
ordnung vom  3.  März    1882   betr.  „Vorbedingtmgen   für  Anstellung  im  k. 
Archivdienste"  und  „Ges.-  und  Verordn.- Blatt  für  das  Königreich  Bayern" 
Nr.   10  vom  9.  gl.  Mts.  u.  Js.).  —  Wenn   trotzdem  amtliche  Publika- 
tionen vermifst  werden  —  die  in  den  Jahren  1822  bis  1854  edirten  Regesta 
swe  rerum  boiearum  autographa  haben  keine  Fortsetzung  erfahren  und  die 
bei  Th.  Ackermann  erscheinende  „Archivalische  Zeitschrift"  verdient  kaum 
diesen  Namen  -^  so  berührt  das  eigentümlich  genug.     Wenigstens   fehlt  es 
nicht  an  Kräften  zur  Hebung  des  in  den  bayerischen  Archiven  au%estapelten 
&st   unerschöpflichen    Materials.     Der  Ausdruck    ist   wohl   nicht    zu   kühn. 
Besitzt  doch  das  Allgemeine  Reichsarchiv  in  München  allein  gegen  eine 
halbe  Million  vom  Jahre  776  bis  in  die  Neuzeit  reichender  Pergamenturkunden, 
7000  Kodices  (Traditions-,   Kopial-,   Sal-,   Zins-,    Gilt-,  Steuer-  etc. -Bücher) 
und  in  dreifsig  Sälen  eine  Fülle  solcher  Akten,  wie  sie  im  Laufe  der  Jahr- 
hunderte bei  hohen  Justiz-  und  Verwaltungsstellen  erwachsen  sind.     In  jeder 
der  acht  bayerischen  Provinzen  befindet  sich  femer  ein  sogenanntes  „Kreis- 
archiv".      Unter    ihnen    müssen    diejenigen    von    Oberbayem    (München), 
Niederbayem  (Landshut),   Oberpfalz  (Amberg)   und  Schwaben  (Neuburg)   im 
wesentlichen  als  „Antiquarregistraturen"  betrachtet  werden,  weil  sie  die  Haupt- 
masse der  Urkunden,  (besonders  aUe  Stücke  vor  dem  Jahre  1400)  und  die  Hand- 
schriften  des  Mittelalters  an  das  allgemeine  Reichsarchiv  abgegeben  haben. 
Immerhin  aber  verwahren   sie   noch  neben   zahllosen   Aktenprodukten  etwa 
15000  Dokumente  und  gegen  2000  Bände  verschiedensten  Inhalts.     Wenn 
das  Kreisarchiv  der  Rheinpfalz  zu  Speyer  nur  7000  Urkunden  und  70  Kodices 
besitzt,   so  tragen  in  erster  Linie  die  Raubkriege  Ludwigs  XTV.  von  Frank- 
reich die  Schuld  daran.     Die  Archive  der  drei  fränkischen  Kreise  zu  Würz- 
burg,  Bamberg  und  Nürnberg   sind   überaus   reich,   da  sie  durchschnittlich 
60000  Stück  Urkunden  nach  1400  imd  über  2000  Kodices  in  ihren  Räumen 
bergen.  —  Enthalten  die  bisher  genannten,  dem  Staatsministerium  des  Innern 
subordinierten  „Landesarchive"  in  der  Hauptsache  Materialien,   welche 
über  Vermögens-  und  Rechtsverhältnisse  des  Staates  in  seiner  gegenwärtigen 
Zusammensetzung  Aufschlufs  geben  und  vorzüglich  Verwaltungszwecken  dienen, 
so  verwahren  zwei,  der  Respizierung  des  k.  Staatsministeriums  des  Äufseren 
untergeordnete  Archive   nämlich   das  „Geheime  Haus-"   und  das  „Ge- 
heime Staatsarchiv"  solche  Dokumente,  welche  Personen  wie  Besitzstand 

19 


—     346     — 

des  k.  Hauses  und  dessen  diplomatische  Beziehungen  zum  Auslande  be- 
handeln. —  Wie  fkst  überall  läfst  auch  in  Bayern  die  Repertorisierung 
der  Archive  viel  zu  wünschen  übrig,  zumal  die  Zahl  der  Arbeiter  zur 
Bewältigung  der  Riesenaufgabe  noch  immer  in  keinem  Verhältnis  steht. 
Ob  die  seit  jüngster  Zeit  emgefUhrte  Vermehrung  der  Dienst- 
stunden den  Mangel  an  Köpfen  und  Händen  ausgleichen  wird,  bleibt 
abzuwarten. 

Die  Beamten  der  Landesarchive  zerfallen  wie  die  bayerischen 
Staatsdiener  überhaupt  in  zwei  Kategorien:  pragmatische  (sämtlich  mit  aka- 
demischer Fachbildung)  tmd  nich^ragmatische.  Zu  den  ersteren  gehört 
vor  allen  der  den  Rang  eines  Regierungsdirektors  bekleidende  Vorstand  des 
Allgemeinen  Reichsarchives.  Die  Vorstandschaft  des  Geh.  Haus-  und 
Staatsarchives  ist  einem  Rat  im  Staatsministerium  des  Äufsem  als  Neben- 
amt zugewiesen.  Vier  Reichsarchivräte  sowie  der  Geheime  Haus-  und  Staats- 
archivar rangieren  mit  den  Oberlandesgerichts-  bezw.  Regierungsräten.  Die 
Geheimen  Sekretäre  des  Haus-  und  Staatsarchives,  sodaim  die  drei  Reichs- 
archivassessoren tmd  acht  Kreisarchivare  sind  untereinander  im  Range  £^eich 
(sss  Oberamtsrichter).  Sekretäre  (=  Amtsrichter^  giebt  es  im  Ganzen  dreizehn, 
und  zwar  am  Reichsarchiv  wie  am  Haus-  und  Staatsarchiv  je  einen;  von 
den  Kreisarchiven  haben  drei  (München,  Nürnberg,  Würzburg)  je  zwei,  die 
übrigen  nur  einen  aufzuweisen.  Im  ganzen  sind  32  „pragmatische**  Archiv- 
beamte  vorhanden.  Was  das  Subalternpersonal  betrifit,  so  scheidet  es  sich 
in  Funktionäre  und  Diener.  Letztere  rekrutieren  sich  ausschlielslich  ans 
Militäranwärtem.  Von  den  Funktionären,  worunter  sogar  einzelne  sich  aka- 
demischer Bildung  rühmen  können,  wird  mindestens  Kenntnis  der  lateinischen 
Sprache  gefordert 

Bezüglich  der  Gehaltsverhältnisse  steht  Bayern  ebenso  hinter  den 
übrigen  gröfseren  Bundesstaaten,  vor  allem  Preufsen  zurück,  wie  es  diese 
nach  anderer  Richtung  übertrifft.  Das  Anfangsgehalt  eines  Sekretärs  be- 
ziffert sich  auf  2460  M.,  steigt  nach  drei  Jahren  auf  2820  M.  tmd  be- 
trägt im  zweiten  Quinquennium  3180  M.  Die  Kreisarchivare  beginnen  mit 
4x40  M.,  erreichen  nach  fünf  Jahren  4500,  nach  einem  Decennium 
4860  M.  Die  Reichsarchivassessoren  und  Geheimsekretäre  beziehen  um 
x8o  M.  mehr.  Reichsarchivräte  und  der  Geheime  Haus-  und  Staatsarchivar 
fangen  mit  5460  M.  an  und  erhalten  Quinquennialzulagen  von  360  M. 
Ein  Mittelposten  zwischen  Rat  und  Direktor,  sonst  bei  aUen 
Zweigen  der  bayerischen  Verwaltung  vorhanden,  fehlt  beim  Archivwes^i. 
Der  Vorstand  des  Reichsarchivs  empfängt  7020  M.  Gehalt  und  720  M.  Zu- 
lage. Auch  ist  ihm  ein  Diätenbetrag  von  800  M.  zur  freien  Disposition  an- 
gewiesen. Der  Sprung  vom  Rats-  zum  Direktorialgehalt  beträgt  somit 
3000  M.  —  Sind  die  Lohnsätze  an  sich  etwas  niedrig  gehalten,  so  er- 
scheinen namentlich  jene  der  höheren  Beamten,  die  zum  Aufenthalt  in 
der  so  teuer  gewordenen  Hauptstadt  des  Landes  (München)  gezwungen  sind, 
als  absolut  unzureichend,  ganz  besonders  dann,  wenn  Söhne  und 
Töchter  Universitäten  oder  Pensionate  besuchen.  Da  sich  auch  zu  Neben- 
verdiensten (Diäten)  nur  selten,  dabei  in  beschränktestem  Mafse,  Gelegenheit 
bietet,  —  die  Respizierung  der  Kommunialarchive  ist  leider  den  hiefÜr  we- 
niger geeigneten  Verwaltungsbehörden  überlasseil  —  so  kann  sich  die  öko 


—     Ul     — 

nomische  Lage  der  Assessoren  und  Räte  unter  Umständen  sehr  prekär  ge- 
stalten. Revision  des  Gehaltsregulativs  und  Bewilligung  von 
Servisgeldern  ist  unbedingt  nötig,  auch  von  Seite  der  Staatsregie- 
rung bereits  in  Aussicht  gestellt.  —  Was  die  finanziellen  Leistungen 
für  die  Landesarchive  betrifft,  so  erreichen  dieselben  nahezu  die  Hälfte 
der  von  Preufsen  ausgeworfenen  Summe.  Für  die  laufende  Finanzperiode 
betragen  sie  188,418  M.  Auch  die  amtlichen  Leistungen  der 
bayerischen  Archive  können  mit  jenen  der  deutschen  Vormacht  einen 
Vergleich  aushalten.  So  sind  z.  B.  im  Jahre  1898  am  allgemeinen  Reichs- 
archive 390,  bei  den  Kreisarchiven  1373,  teilweise  sehr  umfassende  imd 
zeitraubende  Recherchen  gepflogen  worden.  Trotzdem  finden  manche  Be- 
amte noch  die  nötige  Mufse  zu  litterarischer  Bethätigung.  So  haben  z.  B. 
die  Reichsarchivräte  Dr.  Batunann  und  Dr.  Wittmann  sowie  Archivsekretär 
Dr.  J.  Weife  (vergL  Kürschner,  Litt.  Kalender  1900  Sp.  60,  1581  und  1526) 
auf  dem  Gebiet  der  Geschichte,  Länder-  und  Völkerkunde,  Reichsarchiv- 
assessor Dr.  Hansen  auf  jenem  der  Nationalökonomie,  Archivsekretär  Dr.  Sperl 
auf  jenem  der  Belletristik  einen  geachteten  Namen  erworben.  Die  Publi- 
kationen des  früheren  Reichsarchivdirektors  Dr.  v.  Rockinger  (insbes.  zur  Ge- 
schichte des  Schwabenspiegeb)  wie  seines  Nachfolgers  Edmimd  Freiherr  v.  Oefde 
(Grafen  von  Andechs  etc.)  zeichnen  sich  durch  Scharfeinn  und  Gründlichkeit 
aus;  ersterer  war  auch  lange  Jahre  hindurch  als  akademischer  Lehrer  er- 
folgreich thätig.  —  Der  Nachwuchs  an  geprüften  und  ungeprüften  Prakti- 
kanten endlich  berechtigt  zu  den  besten  Hoffnungen  für  die  Zukunft 

Die  bereits  S.  109  als  in  Aussicht  stehend  erwähnte  Beständige 
archivalische  Ausstellung  im  Stadtarchiv  Mühlhausen  ist  am 
3  3.  Mai  eröffnet  worden.  Im  ersten  Stock  des  Rathauses  sind  historische 
Denkmäler  der  Stadt  aufgestellt  und  werktäglich  jedem  Besucher  während 
der  Bureaustunden  unentgeltlich  zugänglich.  Urkunden,  Siegel  und  Siegel- 
stempel, Münzen  Mühlhäuser  Prägung  sind  ausgestellt,  sodann  eine  stattliche 
Reihe  grofser  mit  feinstem  Kunstverständnis  angefertigter  Photographieen  alter- 
tümlicher Bauten  sowie  eine  Reihe  vorgeschichtlicher  Altertümer. 

Der  Thüringer  Archivtag  (vgl.  S.  35)  hat  diesesmal  seine  Ver- 
sammlung unter  dem  Vorsitz  von  Prof.  Bangert-Rudolstadt  am  17.  Juni 
in  Rudolstadt  abgehalten.  Vertreten  waren  die  Staatsarchive  von  Arnstadt, 
Coburg,  Gotha,  Rudobtadt  und  Weimar,  sowie  die  Stadtarchive  von 
Langensalza  (Stadtarchivar  Gutbier)  und  Mühlhausen.  Die  Verhandlungen 
unterrichteten  an  erster  Stelle  über  das  Zaponverfahren  zur  Erhaltung  alter 
Handschriften  (vgL  S.  56 — 60),  Prof.  Georg  es- Gotha  berichtete  über  die 
Dresdner  Koi^erenz,  Prof.  Bangert  tmd  Archivdirektor  Burkhardt- 
Weimar  ergänzten  seine  Mitteilungen.  Es  wurde  auch  hier  festgestellt,  dais 
die  2^ponierung  nicht  in  Anwendung  zu  bringen  sei  bei  Archivalien,  die 
mit  Reagenzien  behandelt  worden  sind.  An  zweiter  Stelle  berichtete  Archivrat 
Mitzschke  über  den  ersten  Archivtag  und  an  dritter  sprach  Prof.  Heyden- 
r eich- Mühlhausen  über  Wesen,  Zweck  tmd  Nutzen  von  Archivausstellungen 
im  allgemeinen  und  über  die  in  Mühlhausen  eingerichtete  ständige  Archiv- 
ausstellung im  besondem.     Die  Thätigkeit  des   Archivtags  im  verflossenen 

19  ♦ 


—     248     — 

Jahre  war  vor  allem  der  Herstellung  des  jetzt  fertig  vorliegenden  Wegweisers 
durch  die  historischen  Archive  Thüringens,  bearbeitet  von  Archivrat Mitzschke^ 
gewidmet,  aber  auch  eine  bessere  Organisation  und  Durchforschung  der  Thü- 
ringischen Stadtarchive  wurde  mit  Nachdruck  angestrebt.  Als  nächstjähriger 
Versanmüimgsort  wurde  Mühlhausen  bestimmt,  zum  Vorsitzenden  an  Stelle 
des  aus  Gesimdheitsrücksichten  zurücktretenden  Archivrats  Mitzschke  wurde 
Prof.  Heydenreich  gewählt. 

Behufs  Ordnung  der  lunfassenden ,  geschichtlich  nicht  unbedeutsamen, 
Aktenbestände  des  Fürstl.  Landesarchivs  zu  Sondershausen  wurde  seitens  der 
Regierung  daselbst  Dr.  Hans  v.  Wurmb,  früher  am  Geh.  Staatsarchive  zu 
Berlin,  berufen.  Die  Aufstellung  eingehender  Verzeichnisse  der  dortigen 
Urkundensanmilung  besorgte  bereits  früher  der  ehemalige,  jetzt  verstorbene, 
Fürstl.  Archivar  Pfarrer  em.  Th.  Apfelstedt. 

Mnseen«  —  Der  Verein  für  Geschichte  und  Altertümer  der 
Herzogtümer  Bremen  und  Verden  und  des  Landes  Hadeln  mit 
dem  Sitz  in  Stade  besitzt  eine  Sammlung,  welche  reich  ist  an  vorgeschicht- 
lichen Fimdstücken,  vaterländischen  Münzen  und  Gebrauchsgegenständen 
neuerer  Zeit;  auch  eine  gute  Bibliothek  ist  damit  verbunden.  Diese  Sanmi- 
lung  war  bisher  imd  ist  noch  in  Räumen  tmtergebracht,  welche  von  der 
Stadtverwaltung  früher  gegen  Entgelt  jetzt  aber  unentgelüich  zur  Verfügung 
gestellt  waren  tmd  noch  sind.  Doch  sind  diese  Räume  zu  klein,  ungünstig 
gelegen  und  schlecht  beleuchtet,  so  dafs  sie  in  keiner  Hinsicht  genügen. 
Der  Vereinsvorstand  ist  daher  etwa  seit  einem  Jahre  der  Frage  näher  ge- 
treten, wie  geeignete  Räume  für  das  Museum  gewonnen  werden  können, 
imd  hat  jetzt  beschlossen,  auf  einem  von  der  Stadtverwaltung  unentgeltlich 
zur  Verfügung  gestellten  Bauplatze  ein  eigenes  Vereinshaus  zu  bauen.  Die 
Baukosten  werden  sich  auf  etwa  40000  Mk.  belaufen.  Dank  der  Bemühungen 
des  Vereinsvorsitzenden,  Regierungspräsidenten  Hi ml y,  sind  durch  freiwillige 
Beiträge  15000  Mk.  aufgebracht  worden,  5000  Mk.  kann  der  Verein  aus 
eigenen  Mitteln  zur  Verfügung  stellen,  5000  Mk.  hat  die  Hannoversche 
Provinzialverwaltung  zugesagt  und  ein  städtischer  Verein,  dessen  Aufgabe  es  ist, 
wohlthädge  Unternehmungen  zu  unterstützen,  hat  ein  Kapital  von  5000  Mk. 
unverzinslich  gegeben,  sodafs  an  die  Ausführung  des  Baues  nach  einem 
fertiggestellten  Plane  im  Jahre  1901  gegangen  werden  wird.  Im  Neubau 
werden  Bibliothek  und  Sanmilung  in  groisen  hellen  Räumen  untergebracht 
werden,  es  sollen  aber  auch  zwei  Bauernstuben,  eine  nach  dem  Muster  eines 
Marschbauemhauses  und  eine  nach  der  Art  eines  Geest bauemhauses  eine 
Stelle  finden;  die  dazu  notwendigen  Zimmergeräte  sind  dem  Verein  bereits 
von  seinen  Mitgliedern  in  genügender  Menge  zur  Verfügung  gestellt  worden. 

Es  ist  ein  erfreuliches  imd  nachahmenswertes  Beispiel  thadullftiger  Vereins- 
thätigkeit  worüber  wir  berichten  können. 

Die  Sammlungen  der  Museumsgesellschaft  in  Arnstadt  wurden 
im  Jahre  1899  aus  den  ebenfalls  ungenügenden  Räumen  im  alten  Rektorate 
nach  dem  Rathause  überführt  und  dabei  einer  Neuordnung  und  Sichtung 
untei  zogen.     Aber  auch   eine  beträchüiche  2kuiahme   der  Sammhmgsgegen- 


—     249     — 

stände  ist  zu  verzeichnen,  nämlich  von  1147  auf  1297  Nummern,  darunter 
auch  recht  Wertvolles,  wie  einige  alte  Schwarzburgische  Militäruniformstücke. 
Für  die  nächste  Zeit  ist  die  Veröffentlichung  eines  Museumskataloges  in  Aus- 
sicht genommen,  der  auch  Abbildungen  der  wertvollsten  Stücke  enthalten  soll. 

Das  Museum  des  Vereins  „Camtmtum*'  (vgl.  oben  S.  197)  in  Deutsch- 
Altenburg  ist  der  Zielpunkt  zahlreicher  Studienausflüge  geworden.  Da  aber 
die  Menge  des  zu  Tage  geförderten  Materials  die  Bergung  der  gewonnenen 
Schätze  immer  schwieriger  macht  imd  da  das  jüngst  entdeckte  Waflfenmagazin 
antike  Rüstungen  im  Gewichte  vieler  Zentner  enthält,  so  wurde  die  Erbauung 
eines  Museums  zur  dringenden  Notwendigkeit  Der  Verein  hat  die  Erbauimg 
eines  solchen  beschlossen  und  hat  sich,  mn  das  Vorhaben  ausführen  zu 
können,  an  den  niederösterreichischen  Landtag  mit  der  Bitte  tun  Unterstützung 
gewandt  Die  Kosten  des  Baues  werden  auf  70000,  die  der  Einrichtung 
auf  10  000  Kronen  angeschlagen.  Der  Verein  bat  mm,  der  Landtag  möge 
durch  die  vier  Jahre  1901  bis  1904  je  8000  Kronen  zu  diesem  Zwecke 
bewilligen,  im  ganzen  also  32000  Kronen  gewähren.  Der  Verein  erhofit 
vom  k.  k.  Unterrichtsministerium  1 6  000  Kronen  und  will  eine  gleiche  Summe 
aus  eigenen  Mitteln  aufbringen,  auch  von  der  Stadt  Wien  steht  ein  Zuschufs 
von  8  000  Kronen ,  auf  vier  Jahre  verteilt,  zu  erwarten ,  sodafs  die  nötigen 
Mittel  fast  beschafft  wären.  Der  Landtag  hat  nunmehr  dem  Vereine  „Car- 
nuntum"  eine  Unterstütztmg  von  20000  Kronen  zugesagt,  aber  unter  der 
Bedingung,  dafs  das  Reich  den  gleichen  Beitrag  leistet,  und  zwar  soll  die 
Summe  in  fünf  Jahren  (1900  bis  1904)  zu  je  4  000  Kronen  zur  Auszahlung 
gelangen.  Sollte  das  Reich  weniger  als  20000  Kronen  bewilligen,  so  werden 
die  Raten  der  späteren  Jahre  entsprechend  gekürzt  werden.  Sollte  der  Staat 
gar  nichts  geben  tmd  der  Bau  des  Musemns  imterbleiben ,  so  unterbleibt 
auch  die  Unterstützung  seitens  des  niederösterreichischen  Landtages.  Die 
im  Voranschlag  des  Landesfonds  für  1900  schon  eingestellte,  bisher  ge- 
währte jährliche  Unterstützung  von  1000  Kronen  wird  durch  diese  aufser- 
ordenüiche  Bewilligung  nicht  berührt. 

PersonaUen.  —  Der  Professor  der  alten  Geschichte  an  der  Universität 
Breslau  Ulrich  Wilcken  wurde  nach  Würzburg  berufen.  —  In  Irmsbruck 
wurde  der  Privatdozent  Michael  Mayr  zum  aufserordcnüichen  Professor 
für  Neuere  Geschichte  imd  zugleich  zum  Archivdirektor  erster  Klasse  er- 
nannt, ebendort  der  bisherige  Privatdozent  in  Wien  Johann  v.  Voltelini 
zmn  aufserordentlichen  Professor  der  österreichischen  Geschichte  als  Nach- 
folger von  Joseph  Hirn.  —  Der  Privatdozent  der  Kunstgeschichte  in  Königs- 
berg Hermann  Ehrenberg  wurde  zum  aufserordentlichen  Professor  er- 
nannt —  Für  Geschichte  habilitierte  sich  in  Freiburg  i.  B.  Dr.  Wahl,  für 
Kunstgeschichte  in  Erlangen  Dr.  Friedrich  Haak  und  in  München 
Dr.  Karl  Voll.  —  Der  bisherige  Bibliothekar  und  Privatdozent  der  mittelalter- 
lichen Geschiohte  Wilhelm  Altmann  in  Greifswald  wurde  ab  Oberbibliothekar 
nach  Berlin  versetzt.  —  Mit  der  Direktion  des  Archivs  und  der  Bibliothek  des 
k.  k.FinanzministeriumsinWienwurdeDr.  Victor  Hofmann  von  Wellenhof 
an  Stelle  des  kürdich  verstorbenen  Alexander  Budinszky  betraut.  —  Von 
wissenschafUichen  Beamten  an  den  preußischen  Staatsarchiven  wurden  ver- 


—    250    — 

setzt:  Archivar  Merx  von  Magdeburg  nach  Osnabrück,  Archivar  Granier 
von  Berlin  nach  Breslau,  Archivassistent  v.  Domarus  von  Hannover  nadi 
Wiesbaden,  Hilüsarbeiter  Spangenberg  von  Osnabrück  nach  Berlin,  Hilfe- 
arbeiter  Müsebeck  von  Breslau  nach  Schleswig  und  der  bisher  an  der 
Kgl.  Bibliothek  in  Berlin  thätige  Dr.  Paczkowskials  Archivar  nach  Posen.  — 
In  Österreich  wurde  der  Landeshistoriograph  und  CSncipist  am  Landesarchiv 
in  Brunn  Dr.  Bretholz  zum  Landesarcbivar  daselbst,  Michael  Mayr 
zum  Archivdirektor  I.  Klasse  in  Innsbruck,  A.  Starzer  zum  Archivdirektor 
II.  Klasse  in  Wien  und  R.  Schuster  zum  Archivdirektor  n.  Klasse  am 
Regierungsarchiv  in  Salzburg  ernannt  —  Der  bisherige  Privatdozent  der  Ge- 
schichte in  Giefsen  Julius  Dieter  ich  wurde  zum  Haus-  und  Staatsarchivar 
in  Dannstadt  ernannt  —  In  Wien  starb  im  Alter  von  35  Jahren  der  Gustos 
an  der  GemäldegaUerie  des  Ho6nusetmis  und  Universitätsprivatdozent  der 
Kunstgeschichte  Dr.  Hermann  Dollmayr. 

Eingegangene  Bfieher. 

Arbeiten  des  Uckermärkischen  Museums-  uud  Geschichts- 
vereins. Heft  I:  Schmeisser,  Georg,  Die  Eiszeit  und  die  Uckermark. 
(26  S.  8  <>.  1898,  Druck  von  A.  Minck  in  Prenzlau).  Heft  II:  Sendke- 
Bagemühl,  Uckermärkisches  Volkstum  und  lebendes  Altertum  (24  S.  8  ^. 
1898).  Heftni:  Schumann-Loeknitz,  Vorgeschichüiche  Beziehungen  der 
Uckermark  während  der  Stein-  und  Bronzezeit  (21  S.  8^.  1899). 
Heft  IV:  Leonhard,  Otto,  Fossile  Reste  und  was  sie  uns  lehren  ül>er 
die  Entwickelimgsgeschichte  unserer  Fauna  und  Flora  (18  S.  8  ^,  1899). 
Heft  V:  Schlippenbach,  Albert,  Graf  von,  Die  Entstehung  und  Ent* 
Wickelung  des  deutschen  Adels  mit  besonderer  Berücksichtigimg  der  in 
der  Uckermark  angesessenen  Geschlechter  (31  S.  8<*.     1900). 

Bruiningk,  H.  v.:  Die  älteren  Kirchenbücher  Livlands.  [Abdruck  aus 
den  Sitzimgsberichten  der  Gesellschaft  fUr  Geschichte  und  ^tertumskunde 
der  Ostseeprovinzen  Rufslands  für  das  Jahr  1897.] 

Gramer,  Franz:  Inschriften  auf  Gläsern  des  römischen  Rheinlandes  [Ab- 
druck aus  dem  Jahrbuch  XTV  des  Düsseldorfer  Geschichtsvereins]. 

Dietrich,  F.:  BibHographie  der  deutschen  Zeitschriften -Litteratur  mit  Ein- 
schlufs  von  Sammelwerken  und  Zeitungen.  Band  V  (=  Juli  bis  De- 
zember 1899)  Leipzig,  Felix  Dietrich,   1900.     353  S.  4  ®.     •^18. 

Döhmann,  Karl  Georg:  Beiträge  zur  Geschichte  der  Stadt  und  Grafschaft 
Steinfurt.  I.  Die  Burgmannen  von  Steinfiirt  32  S.  8  <>.  [Beilage  zum 
Osterprogramm  des  Gymnasium  Amoldinum  in  Burgsteinfurt  1900.] 

Donaubauer,  Stephan:  Gustav  Adolf  und  Wallenstein  vor  Nürnberg  im 
Sommer  des  Jahres  1632  [Mitteilungen  des  Vereins  für  Geschichte  der 
Stadt  Nürnberg  13.     Heft  (1899),  S.  53—78]. 

Eubel,  Konrad:  In  commendam  verliehene  Abteien  während  der  Jahre  1431 
bis  1503.  [Studien  und  Mitteilungen  aus  dem  Benediktiner-  und  Gister- 
cienser-Orden,  XXI.  Jahrgang  (1900),  S.   i — 15.] 

Förtsch,  O.:  Mitteilungen  aus  dem  Provinzialmuseum  der  Provinz  Sachsen 
zu  Halle  a.  S.  Mit  80  AbbUdungen  im  Text,  Plänen  und  Tafeln. 
104  S.  8  <>.     HaUe  a.  S.,  Otto  Hendel  1900. 

Frensdorff,  Ferd.:  Aus  dem  mittelalterlichen  Göttingen.    [Festschrift  dem 


—     251     — 

Hansischen  Geschichtsverein  und  dem  Verein  für  niederdeutsche  Sprach« 
forschung  dargebracht  zu  ihrer  Jahresversammhing  in  Göttingen,  Pfingsten 
1900.     S.  34 — 60.] 

Friesen,  Ernst  Freiherr  von:  Geschichte  der  reichsfreiherrUchen  FamiUe  von 
Friesen.  2  Bände,  Dresden,  C.  Heinrich,  1899.  Jt  20.  i.  Band: 
Geschichte  der  FamiUe  —  Geschichte  der  Güter  und  Häuser  in  Dresden, 
welche  die  Familie  besessen  hat  und  noch  besitzt  2.  Band:  Urkunden- 
buch  —  Synchronistische  Zusammenstellung  von  Regesten  der  Familie  — 
Verzeichnis  von  MitgUedem  derjenigen  Familien,  mit  denen  Mitglieder 
der  Familie  von  Friesen  verheiratet  gewesen  tmd  noch  sind  —  Register  — 
Wappen  —  Stammbäume  —  Karte. 

Guericke,  H.:  Das  Postwesen  vor  200  Jahren  in  einer  kleinen  deutschen 
Stadt  (nach  Uiinmden  des  Stadtarchivs  zu  Hehnstedt).  Helmstedt, 
Richter  &  Wolter,   1900.     32  S.  4®. 

Heinrich,  Arthur:  Geschichtliche  Nachrichten  über  Naumburg  a.  B.,  Frei- 
waldau  tmd  Haibau.     Sagan,  Druck  von  A.  Menzel,  1900.     127  S.  8<^. 

Hampe,  Theodor:  Die  Entwicklung  des  Theaterwesens  in  Nürnberg  von  der 
zweiten  Hälfte  des  XV.  Jahrhunderts  bis  1806.  [Mitteilungen  des  Vereins 
für  Geschichte  der  Stadt  Nürnberg  xa.  Heft  (1896)  und  13.  Heft  (1899).] 

Hedinger,  August:  Die  Urheimat  der  Germanen.  [Neue  Jahrbüdier  ftir 
das  Klassische  Altertum,  Geschichte  und  deutsche  litteratur  und  für 
Pädagogik  3.  Band,  S.  562 --57a.] 

Hellmann,  Oskar:  Jauer,  ein  geschichtlicher  Rückblick«     15  S.  16  ^'^ 

Hilliger,  Benno:  Studien  zu  mittelalterlichen  Maisen  tmd  Gewichten. 
[Sonderabdruck  aus  der  Historischen  Vierteljahrschrift  IIL  Jahrgang 
(1900),  S.  161 — 215.] 

Hitzigrath,H. :  Hamburg  tmd  die  Kontinentalsperre.  [Beilage  zum  Berichte 
über  das  66.  Schuljahr  des  Realgymnasimns  des  Johannetuns  zu  Hamburg. 
1900.]     30.  S.  4«. 

Joesten:  Ztir  Geschichte  der  Hexen  und  Juden  in  Bonn.  Bonn,  Carl 
Georgi,  1900.     47  S.  8  ®. 

Kaufmann,  Hermann:  Die  Retmionskammer  zu  Metz.  [Sonderabdruck 
aus  dem  Jahrbuche  der  Gesellschaft  für  lothringische  Geschichte  tmd 
Altertumsktmde  Bd.  XI  (1899)  313  Seiten  4  ^J 

Krones,  Franz  von:  Die  erzlöüenden  Quellen  der  Geschichte  Mährens  im 
fünfi»hnten  Jahrhtmdert  [Zeitschrift  des  detitschen  Vereines  für  die  Ge- 
schichte Mährens  tmd  Schlesiens  4.  Jahrgang  (1900),  S.  i — 105]. 

Lübbert,  Jürgen:  Der  Seidenbau  in  den  Franckeschen  Stiftimgen.  25  S.  4  \ 
[Sonderabdruck  aus  der  Festschrift  der  Latina  ztir  zweihundertjährigen 
Jubelfeier  der  Franckeschen  Stifhmgen  tmd  der  Lateinischen  Hauptschule, 
Halle  a.  S.  1898.] 

Martens,  W.:  Johann  Gutenberg  tmd  die  Erfindtmg  der  Buchdruckerktmst 
Karlsruhe,  J.  Lang.  1900.     46  S.  8  <>. 

Mitteilungen  aus  dem  Reichsgräflich  Schaffgotscfa'schen  Ar- 
chive. L  Geschichte  des  Reichsgräflichen  Theaters  zu  Warmbnmn  von 
Dr.  Heinrich  Nentwig  (112  S.  16  0.  Warmbrtmn  1896).  II.  Schaff- 
gotsch'sche  Gotteshäuser  tmd  Denkmäler  im  Riesen-  tmd  Isergebirge  von 
Dr.  Heinrich  Nentwig  (188  S.  16  0.     Warmbrunn  1898). 


^     252     — 

Nentwig,  Heinrich:  Scha%otschiaiia  in  der  Reichsgräflich  Scha%otsch- 
schen  Majoratsbibliothek  zu  Warmbnmn.  Leipzig,  Harassowitz  1899. 
63  S.  4  0. 

Noelting,  J.:  Blutstillen  und  Krankheitsbesprechen.  Ein  Beitrag  zur  Volks- 
medizin. [Beilage  zum  Programm  der  Realschule  in  Eimsbüttel  zu  Ham- 
burg auf  das  Schuljahr  189 9/ 1900.] 

Osten,  Gustav  von  der:  Aus  einer  kleinen  Landstadt,  Festschrift  zum  fUnf- 
himdertjährigen  Jubiläum  der  Stadt  Ottemdorf.  Ottemdorf,  Druck  von 
J.  &  R.  Hottendorff,   1900.     94  S.  8  0. 

Schmidt,  Friedrich:  Sammlung  Äir  die  Geschichte  von  Sangerhausen  und 
Umgegend.  Sangerhausen,  Druck  von  Aug.  Schneider.  Heft  I  bis  VI, 
je  48  S.  i6  0. 

Schöppe,  Karl:  Zur  Geschichte  der  Reformation  in  Naumburg.  [Fest- 
schrift des  Thüringisch-Sächsischen  Geschichts-  und  Altertumsvereins  zur 
sechsten  Versammlung  deutscher  Historiker  zu  Halle  a.  S.  im  April  1900, 
S.   I — 136.] 

Schubert,  H.  v. :  Die  Entstehung  der  Schleswig  -  Holsteinischen  Landes- 
kirche.    Kiel,  Universitätsbuchhandlimg,   1895,  44  ^*  ^  ^* 

Sello,  Georg:  Historische  Wanderung  durch  die  Stadt  Oldenburg.  [Fest- 
schrift für  die  Tagung  des  Hanisischen  Geschichtsvereins  zu  Oldenburg 
im  Mai  1896.] 

Vancsa,  Max:  Bibliographische  Beiträge  zur  Landeskunde  von  Nieder- 
österreich im  Jahre  1899.  [Sonderabdruck  aus  den  Blättern  des  Ver- 
eines für  Landeskunde  von  Niederösterreich  1900.] 

Veröffentlichungen  aus  dem  Archive  der  Stadt  Freiburg  im 
Breisgau.  IIL  Teil:  Die  Urkunden  des  Heiliggeistspitals  zu  Freiburg 
i.  Br.   n.  Band  1401 — 1662.   Freiburg,  Wagner  1900.    640  S.  8  <>.   ^  6. 

Verzeichnis  der  Jeverland  betreffenden  Handschriften  und 
Drucke  des  Mariengymnasiums  in  Jever.  Jever,  Mettcker 
&  Söhne,   1900.     35  S.  8«. 

Volk,  Georg:  Der  Odenwald  und  seine  Nachbargebiete,  eine  Landes-  und 
Volkskunde.   Stuttgart,  Hobbing  &  Büchle  1900.   439  S.  8  ^.   geb.  .^12. 

Weller,  Karl:  Württemberg  in  der  deutschen  Geschichte.  Stuttgart,  Kohl- 
hammer 1900.     65  S.  8  ^.     «^  I. 

Win te  1er,  J. :  Über  einen  römischen  Landweg  am  Walensee.  III.  Richtig- 
stellungen und  Ergänzungen.    Aarau,  Sauerländer  &  Co.  1900.  49  S.  4  ^. 

Zfbrt,  Öenck:  Bibliografie  Cesk^  Historie.     Praze  1900.     674  S.  8®. 

Zweck,  Albert:  Litauen,  eine  Landes-  und  Volkskunde.  Suttgart,  Hobbing 
&  Büchle  1898.     452  S.  8  0.     Jl  9.50. 


Bemerkung.  —  Das  Augustheft  der  „Deutschen  Geschichtsblätter'* 
(Nr.  ii)  wird  gemeinsam  mit  dem  für  September  (Nr.  12)  als  Doppelheft 
in  der  ersten  Hälfte  des  August  ausgegeben  werden,  und  dieses 
wird  zugleich  das  Titelblatt  und  Inhaltsverzeichnis  zum  ersten  Jahrgang  ent- 
halten, den  es  abschlieist. 


H«nusgtb«r  Dr.  Aniim  Tille  ia  Leiptif .  —  Druck  und  Verlag  tob  Friedrich  Andreas  Perthes  in  Godia. 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsschrift 


nur 


Fördenmg  der  landesgeschichtlichen  Forschung 

I.  Band  August/September  1900  11./12.  Heft 


Orts.natnenfor  sehung 

Von 
Hermann  Wäschke  (Dessau) 

Als  Kaiser  Wilhelm  I.,  auf  der  Heimfahrt  aus  Gastein  begrifTen, 
am  12.  August  1886  in  Güterglück,  dem  Knotenpunkt  der  Magde- 
burg-Leipziger und  Berlin-Nordhäuser  Bahn,  sich  der  seiner  Ankunft 
harrenden  Menge  zeigte,  da  ruhte  sein  sinnender  Blick  nicht  niu:  auf 
dem  Menschenschwarme,  der  ihm  fröhlich  zujubelte,  sondern  auch  auf 
dem  Orte,  der  einen  so  eigentümlichen  und  doch  anziehenden  Namen 
hat.  Inmitten  des  regen  Verkehrs,  der  sich  damals  entspann,  inmitten 
der  vielen  wichtigen  und  unwichtigen  Dinge,  die  an  ihn  herantraten, 
veigafs  er  den  Klang  dieses  Namens  nicht,  und  manche  der  damals 
ihm  vorgestellten  Persönlichkeiten  überraschte  er  mit  der  Frage,  was 
der  Name  dieses  Ortes  bedeute*). 

Dies  eine  Beispiel  mag*  genügen,  die  Thatsache  zu  bestätigen, 
dals  im  Bewu&tsein  der  Menschen  die  Ansicht  lebt,  die  Namen  seien 
nicht  rein  Zufälliges,  nicht  eine  Summe  gleichgültiger  Laute,  sondern 
bedeutungsvoll  und  in  inniger  Beziehung  zu  dem  bezeichneten  Gegen- 
stande zu  denken.  Niemals  wird  das  mehr  empfunden,  als  wenn  Glück 
oder  Schmerz  den  Blick  auf  die  Persönlichkeit  selbst  zu  lenken  zwingen; 
dann  steigt  in  voller  Kraft  die  an  Gewifeheit  grenzende  Erkenntnis 
auf,  dafs  ein  ideeller  Zusammenhang  zwischen  dem  Namen  und  dem 
bezeichneten  Gegenstande  bestehe,  dafs  notnen  et  omen  sei  *). 

Versuche,  Ortsnamen  in  diesem  Sinne  zu  deuten,  finden  sich 
zahlreich  im  Alten  Testamente,  das  älteste  Beispiel  dafür  ist  wohl  die 
Erklärung  des  Namens  Morijäh  ^). 

i)  Progr.  des  HercogL  Francisceams  ia  Zerbst  v.  J.  1887.    S.  17. 

3)  So  sieht  Sophokles  (Ajax  430)  im  Namen  des  Telamoniers  den  Schmerz  aus- 
geprägt, den  Träger  des  Namens  eben  durch  diesen  schon  zum  Schmerzdnlden  prädestiniert. 
Ähnlich  im  Nalaliede  (Kellner,  Das  Lied  vom  Könige  Nala^  Leipzig  1885,  S.  2i), 

3)  Genesis  22,  14. 

20 


—     254     — 

Wenn  nun  die  denkenden  Menschen  aller  Zeiten  durch  das  Pro- 
blem der  Namensdeutung"  angeregt  wurden  ^) ,  wie  vielmehr  müssen 
wir  ein  Interesse  daran  bei  den  Männern  voraussetzen,  die  sich  mit 
der  Geographie  und  der  Geschichte  irgend  eines  gröfeeren  oder 
kleineren  Territoriums  beschäftigen.  Ihr  Interesse  ist  zwar  zunächst 
nur  auf  eine  Klasse  der  Namen,  die  Ortsnamen,  beschränkt,  aber  da 
die  Ortsnamen  noch  individuelleren  Charakter  haben  als  die  Personen- 
namen, so  wird  auch  die  Wahrscheinlichkeit  eine  gröfeere,  dafe  der 
Name  irgend  welche  Beziehungen  zum  bezeichneten  Gegenstande  in 
sich  berge.  Diese  Beziehungen  darzulegen,  sie  aus  der  Qualität  bloiser 
Ahnungen  imd  Vermutungen  hinüber  zu  fuhren  in  die  unanfechtbaren 
Wissens  und  damit  einzureihen  in  das  System  historischer,  geographischer,, 
sprachlicher  Wissenschaft,  das  ist  das  Ziel  derjenigen  Forschung,  die 
seit  der  Begründung  der  Sprachwissenschaft  eine  gesichertere  Gnmd- 
läge,  seit  der  Ausdehnung  historischer  Studien  auf  die  Territorial-  und 
Lokalforschung  eine  besondere  Förderung  imd  seit  der  gröfseren 
Rücksichtnahme  auf  wirtschaftliche  Fragen  eine  erhöhte  Bedeutung^ 
gewonnen  hat. 

So  viel  steht  ja  von  vornherein  fest  und  ist  auch  durch  die  bis- 
herige Forschung  bestätigt,  dafe,  wenn  wü-klich  ein  Zusammenhang 
zwischen  dem  Ortsnamen  und  der  bezeichneten  Ortlichkeit  besteht,^ 
wir  die  Aussicht  haben,  in  dessen  Deutung  entweder  etwas  über  die 
Beschaffenheit  derselben,  oder  über  Beziehungen  zu  ihrer  Umgebung,, 
über  Bewohner  und  Anwohner,  über  Gründer  oder  besondere  Art  der 
Gründung  zu  erfahren  *).  Eine  neue  Erkenntnis  nach  dieser  oder  jener 
Richtung  bereichert  unser  Wissen  über  eine  Zeit,  zu  der  uns  andere 
Mittel  der  Forschung  meist  nicht  zu  führen  vermögen.  Darum  sind 
derartige  Forschungen  notwendig. 

Die  richtige  Würdigung  dieser  Verhältnisse  hat  in  neuerer  Zeit 
vielfach   zur  Erforschung  der  Ortsnamen*)  geführt,   und  man  hat  auf 


i)  Vgl.  O.  Schell,  Etymologisches  Wörterbuch  der  Geographie  Rheinlands,. 
(Bielefeld  1891).     Im  Vorwort 

2)  Heilig,  Die  Ortsnamen  des  Kaiserstuhls,  S.   i.     (Vgl.  S.  83  dieser  ZeiUchrift) 

3)  Der  Begründer  der  wissenschaftlichen  Ortsnamenforschang  ist  Wilhelm  Arnold, 
der  in  seinem  Bache  Ansiedelungen  und  Wanderungen  deutscher  Stämme.  Zumeist 
nach  hessischen  Ortsnamen  (Marburg  1875)  eine  ganz  gewaltige  Menge  von  Namen- 
material verarbeitet  hat  Seine  Theorie,  wonach  gewisse  Endangen  fUr  Siedelang.  durch 
Angehörige  gewisser  Stämme  sprechen,  z.  B.  die  Orte  auf  -heim  als  fränkisch,  die  anf 
•  weiler  und  -ingen  als  alemannisch  in  Anspruch  genommen  werden,  ist  jedoch  in 
neuerer  Zeit  als  anrichtig  erkannt  worden,  indem  namentlich  durch  die  Arbeiten  von 
Hans  Witte   nnd   Adolf  Schiber   (vgl.  S.  153  dieser  Zeitschrift,  Anm.  2)  erwiesen 


—     255     — 

Grund  des  so  gewonnenen  Materials  alle  möglichen  Folgerungen  ge- 
zogen, namentlich  die  Besiedelungsgeschichte  aufzuhellen  versucht. 
Aber  so  sehr  sich  auch  die  Forschung  des  nunmehr  recht  regen 
Lebens  auf  diesem  Felde  freuen  darf,  demjenigen,  der  sich  eingehen- 
der mit  den  betreflfenden  Arbeiten  imd  ihren  Ergebnissen  vertraut 
macht,  kann  es  nicht  entgehen,  dafs  trotz  der  staunenswerten  Fülle 
von  Einzeluntersuchungen,  recht  oft  deren  Ergebnisse,  nicht  minder 
aber  die  Methoden,  mit  deren  Hilfe  sie  gewonnen  wurden,  anfechtbar 
erscheinen. 

Der  gute  Wille  allein  genügt  für  derartige  Untersuchungen  nicht 
es  ist  vielmehr  eine  umfassende  wissenschaftliche  Ausrüstung  erforder* 
lieh.     Da  nämlich ,   wie  ich  an  anderer  Stelle  ausgeführt  habe  *) ,   die 
Deutung   der  Ortsnamen   eine  Arbeit  ist,    die  auf  der  Grenzscheide 
verschiedener  Wissenschaften  liegt,  so  setzt  sie  die  Hilfe  dieser  Wissen- 
schaften voraus,  neben  der  Kenntnis  von  Geschichte   und  Geographie 
und  deren  Arbeitsmethoden  kommt  vor  allem  die  Sprachwissenschaft 
mit   allen    einschlägigen    Disziplinen    in   Betracht.     Die   Deutung    der 
Eigennamen  *)   ist  in   allen   Sprachen   das   schwierigste  Problem ,   weil 
aufser  der  gegebenen  Lautform   meist  alle   anderen  Beziehungs-  und 
folglich  auch  Deutungs-Elemente  fehlen,  und  diese  Schwierigkeit  des 
Problems  mufs  sich  in  dem  Grade  steigern,   wie  die  übrigen  Sprach- 


worde,  dafs  vielmehr  zeitliche  Unterschiede  in  den  verschiedenen  Endnngen  zum  Ausdruck 
kommen.  Anch  Karl  Weller,  Die  Besudelung  des  Alamannenlandes  [Wttrttembergische 
Vierteljahrshefle  für  Landesgeschichte.  N.  F.  VII  (1898)]  kritisiert  S.  27  £  Arnolds 
Theorie.  Derselbe  bringt  in  seiner  Ansiedelungsgeschichte  des  württembergischen  Ftan" 
kens  rechts  vom  Neckar  [ebenda  III  (1894)]  S.  8,  31 — 37,  44,  52,  74 — 77  viel  ein- 
schlägiges Material  bei.  Abgesehen  von  sahireichen  Arbeiten  über  die  Ortsnamen  be- 
stimmter Landschaften  ist  aber  bereits  eine  kleine  Litteratnr  —  auch  schon  vor  Arnold  — 
über  dieses  Forschungsgebiet  entstanden.     Es  seien  hier  erwähnt: 

Bender,  Die  deutschen  Ortsnamen  in  geographischer y  historischer ^  besonders  in 
sprachlicher  Hinsicht  mit  stäter  BerOcksichtigung  der  fremden  Ortsbenennungen, 
Siegen  1846. 

Alois  Hrnschka,  Deutsche  Ortsnamen,  (Sammlung  gemeinnütziger  Vorträge 
Nr.  56).    i88a 

Julius  Wisnar,  Zu  Brandts  Erklärung  topographischer  Namen  [Programm  des 
k.  k.  G3rmnasinms  in  Znaim  1890].  Brandls  Arbeit  ist  in  böhmischer  Sprache  1885  in 
der  Zeitschrift  „Obzor^'  erschienen. 

Georg  Pfahler,  HandimchdeuUcher  Altertümer  (^xzs^ba\.%.^,  1865)  S. 697—728. 

Friedrich  Günther,  Die  Bedeutung  der  Ortsnamen  für  die  Kulturgeschichte, 
[Pädagogische   Abhandlungen.     Neue  Folge   III.  Bd.    Heft  2.     Bielefeld,    Helmich  1898]. 

Haselmeyer,  J.  E.,   Über  Ortsnamenkunde,     Wttrzburg,  Kellner  1898. 

1)  Mitteilungen  d,   Vereins  für  Anhalt,  Geschichte,     7.  Bd.  (1895—98)  607  f. 

2)  VgL  oben  S.  61. 

20» 


—     256      — 

denkmäler  des  betreffenden  Volkes  oder  Stammes  an  Zahl  oder  Um- 
fang abnehmen,  sie  hat  ihren  Höhepunkt  erreicht,  wo  von  dem  Vor- 
handensein eines  Volkes  und  seiner  Kultur  nichts  weiter  übrig  g-eblieben 
ist  als  eben  diese  Namen,  die  von  jener  Zeit  als  letzte  Überbleibsel 
haften  geblieben  sind  an  Wald  und  Weide,  Berg  und  Burg,  an  Flufe, 
Flur  und  Feld. 

Der  wissenschaftliche  Charakter  der  neueren  Ortsnamenforschung 
läfst  sich  nicht  verkennen,  aber  fast  jeder  Forscher  ist  bisher  seinen 
eignen  Weg  gegangen,  es  existiert  in  der  That  gegenwärtig  keine  all- 
gemein anerkannte  Forschungsmethode,  seitdem  die  Arnoldschen  An- 
sichten wesentlich  erschüttert  worden  sind.  Zwar  haben  sich  nebenher 
Forscher  über  ihre  Arbeitsweise  geäufsert  und  die  Forderungen,  die 
sie  an  einen  wissenschaftlichen  Betrieb  der  Ortsnamenforschung  stellen, 
klar  ausgesprochen  *),  aber  dringend  notwendig  ist  gerade  jetzt  eine 
gegenseitige  Verständigung,  wenn  nicht  noch  länger  mühsame  Unter- 
suchungen zum  grofeen  Teil  vergeblich  sein  sollen. 

Unter  diesem  Gesichtspunkte  will  ich  meinerseits  das  aussprechen, 
was  ich  in  Bezug  auf  Methodik  der  Ortsnamenforschung  für 
notwendig  erachte,  und  dabei  teils  das  darlegen,  was  ich  an  den  bisher 
erhobenen  Forderungen  für  richtig  halte,  teils  eigene  Beobachtungen 
zur  Prüfung  vorzulegen. 

Ich  gehe  zum  Zweck  näherer  Begründung  von  dem  oben  be- 
schriebenen Ereignisse  aus.  Es  wäre  uns  gewifs  nicht  uninteressant, 
zu  erfahren,  was  eigentlich  damals  Kaiser  Wilhelm  I.,  als  er  nach  der 
Bedeutung  des  Ortsnamens  Güterglück  fragte,  für  eine  Antwort  er- 
halten habe;  aber  es  ist  mir  leider  unbekannt  geblieben.  Nur  unter 
denen,  die  gleich  mir,  draufsen  harrend  standen  und  von  dieser  wissen- 
schaftlichen Frage  hörten ,  war  des  Rätsels  Lösung  bald  gefunden : 
Güterglück  bedeute  den  Ort,  an  dem  man  mit  seinen  Gütern  Glück 
habe.  Efe  ist  möglich,  dafs  auch  in  der  Umgebung  des  Kaisers  jemand 
mit  dieser  sinnigen  Deutung  sein  Glück  versucht  hat;  aber  sie  ist 
nichts  weiter  als  das  Werk  des  reinen  Dilettantismus. 

Dieser  Düettantismus  hat  sich  namentlich  in  früherer  Zeit  behag- 
lich breit  gemacht;  doch  dafe  er  in  den  Untersuchungen  der  jüngsten 


i)  Weller,  Die  Besudelung  des  Alamannenlandes  (Sonderabdrack  ans  den 
Württembergischen  Vierteljahrsheften  fUr  Landesgeschichte,  Neue  Folge,  VIL  Stutt- 
gart 1898),  S.  27.  —  Rohde  in  Verhandlungen  des  5.  Deutschen  Geographentages 
zu  Hamburg  (Berlin  1885)  und  im  Jahresbericht  der  Männer  vom  Morgenstern^  Heft  2, 
Bremerhafen  1899.  — Armin  Tille  in  Verhandlungen  der  4$,  Versammlung  deutscher 
Philologen  und  Schulmänner^  Bremen  tSgg^  S.  96  ff. 


—     257     — 

Vergangenheit  auch  noch  hie  und  da  vergnüglich  hervorluge,  wage 
ich  nicht  zu  bestreiten.  Ich  möchte,  um  ihn  recht  zu  würdigen,  zwei 
Arten  desselben  unterscheiden:  den  naiven  und  den  pseudo- 
wissenschaftlichen. 

Der  erstere,  der  naive  Dilettantismus,  folgt  der  Eingebung  des 
Augenblicks,  sein  Hilfsmittel  ist  die  Phantasie,  seine  Handhabe  der 
im  Namen  gegebene  Anklang  an  sprachliche  Formen  der  Gegenwart. 
Wie  er  Güterglück  deutet  als  den  Ort,  an  dem  man  mit  Gütern 
Glück  hat,  so  wird  er  es  als  eine  besondere  Erleuchtung  betrachten, 
Gütersee  als  den  See  zu  deuten,  in  dem  Güter  verborgen  liegen. 
So  verfuhr  man  zumeist  in  alter  Zeit,  und  als  geradezu  erhabenes 
Beispiel  dieser  Methode  will  ich  die  Deutung  hier  verzeichnen,  die 
man  für  den  Namen  Dessau  gefunden  hat;  man  deutet  Dessau  = 
diese  Au,  und  ziu:  Bestätigung  derselben  kann  man  in  Würdigs 
Chronik  der  Stadt  Dessau  *)  wörtlich  lesen :  „Die  andere  (Deutung 
des  Ortsnamens)  kleidet  sich  in  die  hübsche  Fabel,  wonach  es  seine 
Gründung  und  seinen  Namen  Kaiser  Karl  dem  Grofsen  (geb.  742, 
gest.  814),  zu  verdanken  haben  soll.  Genannter  Kaiser  soll  nämlich 
auf  seinem  Siegeszug  im  Jahre  785  auch  an  die  untere  Mulde  ge- 
kommen sein  und  hier  in  den  Kreuzbergen  (zwischen  Dessau  und 
Torten)  die  heidnischen  Sachsen  geschlagen  haben.  Und  weiter  heilst 
es  in  der  Sage,  dafe  dieser  grofee  Kaiser  —  vielleicht  an  einem 
schönen  Sommerabend,  als  die  Gegend  von  den  letzten  Strahlen  der 
untergehenden  Sonne  piurpum  beleuchtet  gewesen  und  über  dem  nahen 
Muldeflufs  ein  leichter  Nebel  gewallt,  oder  gar  der  silberne  Mond  aus 
dem  üppigen  Grün  der  Waldungen  gegen  Osten  aufgestiegen  —  ent- 
zückt von  der  lieblichen  Gegend  die  Worte  ausgerufen  habe:  Diese 
Au !  '*  Erhaben  nenne  ich  diese  Probe  des  naiven  Dilettantismus,  denn 
schwerlich  wird  sich  anderwärts  eine  auch  nur  annähernd  so  groß- 
artig mit  allen  Mängeln  des  Dilettantismus  ausgestattete  Deutung  eines 
Ortsnamens  finden! 

Der  pseudowissenschaftliche  Dilettantismus  tritt  auf 
mit  dem  Anspruch  der  Wissenschaftlichkeit,  sein  Hilfsmittel  ist  Sprach- 
kenntnis, seine  Handhabe  der  zufällige  Anklang  im  Lautgehalt  eines 
Ortsnamens  an  bestimmte  Wörter  einer  fremden  Sprache.  Auch  in 
ihm  lassen  sich  verschiedene  Arten  je  nach  der  gröfseren  oder  ge- 
ringem sprachlichen  und  historischen  Bildung  des  Forschers  unter* 
scheiden,  doch  gemeinsam  ist  allen  der  Dogmatismus,  mit  dem  man 


i)  Dessau  1876. 


—     258      — 

an  das  historische  Problem  herantritt.  Oder  wie  soll  man  anders  dies 
Deuteln  nach  vorgefafster  Meinung  bezeichnen,  der  Meinung",  dafs  in 
allen  Ortsnamen  ein  Element  aus  fremden,  nicht  einheimischen 
Sprachen  nachzuweisen  sei?  Als  Übergangsstufe  vom  naiven  Dilet- 
tantismus zum  pseudowissenschaftlichen  möchte  ich  das  bezeichnen, 
was  mein  Lehrer  über  Anhaltische  Ortsnamen  vortrug.  Er  deutete 
Paschleben  =  Osterode,  d.  h.  aus  Pascha  =  Ostern  und  leben  = 
rode  zusammengesetzt.  Neben  der  erheiternden  Naivetät  in  Be- 
urteilung sprachlicher  und  historischer  Thatsachen  herrscht  in  solchen 
Erklärungen  der  Dogmatismus  als  Methode. 

Der  strengere  Dogmatismus  gliedert  sich  wieder  in  den  theo- 
logischen und  den  philologischen.  Der  erstere  gehört  im 
grofsen  und  ganzen  der  Zeit  des  Humanismus  und  der  Reformation 
an.  Die  dogmatische  Voraussetzung  ist  die  in  der  Bibel  gegebene 
Einheit  des  Menschengeschlechts  und  dessen  Zerstreuung  durch  den 
Turmbau  zu  Babel,  ferner  der  sprachliche  Dogmatismus,  dafs  das 
Hebräische  die  älteste,  wenn  nicht  gar  Ursprache  des  Menschen- 
geschlechts sei.  Unter  dieser  Annahme  und  Voraussetzung  wird  ver- 
ständlich, wie  die  Zeit  der  Humanisten  die  Deutung  der  Ortsnamen 
mit  Hilfe  des  Hebräischen  unternehmen  konnte.  Als  Beispiel  für 
diesen  jetzt  wohl  vollständig  überwundenen  Standpunkt  führe  ich 
wieder  an,  was  nach  dieser  Richtung  hin  Beckmann  *)  über  den  Orts- 
namen Dessau  mitteilt.  Er  fragt,  ob  Dessau  nicht  ,,eine  Verwandt- 
schaft mit  dem  in  Maccab.  14,  16  erwähnten  Flecken  Dessa 
habe,  und  (erwähnt)  dafe  Dr.  Luther  nicht  abgeneigt  gewesen,  die  um 
Wittenberg  gelegenen  Örter  dem  Namen  nach  aus  dem  gelobten 
Lande  abzuleiten,  so  Jefsnitz  von  Jesse,  Pratau  von  Ephrata, 
Seida  von  Zidon,  Düben  von  Dibon  u.  s.w."  Was  Luther  nur 
zweifelnd  und  als  nur  möglich  hinstellte,  das  drückte  Melanchthon  *) 
in  einem  am  23.  Nov.  1546  von  Dessau  an  Camerarius  gesendeten 
Briefe  ganz  bestimmt  aus:  Ex  oppido,  quod  Xei/Aiiv  est  appellatione 
geatis  Hebreae;  er  leitet  also  Dessau  vom  Hebräischen  »tt5"!i  ab. 

Der  philologische  Dogmatismus  gehört  der  neueren  Zeit  an. 
Seine  Vertreter  haben  vor  dem  ebengenannten  die  gröfsere  Exaktheit 
sprachlicher  Kenntnis  voraus,  auch  insgesamt  eine  anerkennenswerte 
historische  Bildung,  aber  infolge  der  Vorliebe  für  irgend  eine  Sprache, 


i)  Chronik   ä.  Fürstenthums  Anhalt   1710;    auch    mitgeteilt   in    JVÜrdigs   Chronik 
d,  Stadt  Dessau,  S.  4. 

2)  Corp.  Ref.    VI,  287  und  Krause,  Melanthoniana,  Zerbst   1885. 


—     269     — 

für  irgend  eine  Theorie  lassen  sie  ihre  Forschungen  leicht  der  Einseitig- 
keit anheim  fallen.  Für  das  Gebiet  der  deutschen  Ortsnamenforschung 
lassen  sich  daraufhin  leicht  zwei  Kategorieen  aufstellen:  die  Kelto- 
manen  und  die  Slawophilen. 

Die  Keltomanie  ist  auf  dem  Gebiete  der  Ortsnamenforschung 
wohl  im  Rückgange,  sie  hat  hier  allmählich  diejenige  Beschränkung 
erfahren,  die  ihr  gebührt,  doch  hat  sie  hier  und  da  doch  noch  ganz 
wunderliche  Blüten  aufzuweisen.  Wenigstens  will  ich  in  diesem  Zu- 
sammenhange auf  den  an  sich  interessanten  Fund  von  Biere  aufmerk- 
sam machen,  der  von  dem  glücklichen  Finder  wiederholt  besprochen 
ist,  ohne  dafe  er  die  gebührende  Beachtung  gefunden  hätte.  Es  sind 
vom  Lehrer  Rabe  in  Biere  auf  dem  Dahlsberge  bei  diesem  Orte  nach 
Welsleben  zu  etwa  1200  Steine  mit  Zeichnungen  und  Schriftzeichen 
gefunden  worden,  der  gröfste  Teil  derselben  ist  in  das  Museum  nach 
Quedlinburg  gekommen,  ein  kleiner  Teil  wohl  noch  im  Besitz  des 
Herrn  Rabe  selbst.  Herr  Rabe  spricht  die  Steine  als  keltisch  an  und 
hat  darauf  die  Erklärung  mehrerer  Steine  versucht  und  veröffentlicht  *). 
Diese  Erklärung  trägt,  so  weit  ich  es  beurteilen  kann,  den  Stempel 
dilettantischer  Arbeit  an  sich,  vielleicht  genügt  aber  dieser  Hinweis, 
um  einen  wirklichen  Kenner  keltischer  Sprachen  zum  Studium  dieser 
Steininschriften  anzuregen.  Erst  durch  solche  Untersuchung  kann  auch 
die  von  dem  Finder  aufgebaute  ethnologische  These  auf  ihre  Berech- 
tigung und  ihren  wahren  Wert  hin  geprüft  werden.  Die  von  ihm 
gegebene  Deutung  der  Ortsnamen  z.  B.  „Dahlsberg  =  irisch  da 
{gut,  fest);  irisch  ail  (Waffe)  und  irisch  ais  (Burg)  wurde  zu  ,Dahls*  = 
gute  (feste)  WafTenburg.  An  keltisch  ,Dahls*  hängten  die  den  Kelten 
folgenden  Deutschen  ihr  ,berg*,  so  entstand  für  den  Hügel  der  Name 
, Dahlsberg*  — **  erwecken  allerdings  nicht  gerade  gute  Hoffnungen 
für  die  Richtigkeit  der  übrigen  Untersuchungen. 

Die  Slawophilen  haben  besonders  da  den  ausgebreitetsten 
Schauplatz  ihrer  Thätigkeit,  wo,  wie  bei  uns  im  Lande,  das  Grenz- 
gebiet slavischer  und  deutscher  Siedelung  liegt  *).     Es  ist  fast  unglaub- 


1)  Antiquitäten-Zeitung.     7.  Jahrg.,  Nr.  51.    (20.  Dez.   1899). 

2)  Es  gicbt  eine  recht  grofse  Littcratur  über  slaviscbe  Ortsnamen  im  östlichen 
Deutschland,  aas  der  hier  nur  einiges  angeföhrt  werden  kann: 

M.  May,  Sind  die  fremdartigen  Ortsnamen  in  der  Provinz  Brandenburg  und 
in  Ostdeutschland  slavisck  oder  germanisch  ?  (Sonntagsbeilage  der  Vossischen  Zeitung 
Nr.  30  vom  30.  Juli  1899). 

Mucke,  Die  slavischen  Ortsnamen  der  Neumark  (Schriften  des  Vereins  f.  Ge- 
schichte der  Neumark,  7.  Heft,  1898,  S.  51^189). 


—     260     — 

lieh,  was  alles  als  slavisch  angesproehen  wird,  jeder  halbwegs  unver- 
ständliche Ortsname  verfällt  seinem  Schicksale,  für  slavische  Sprache 
und  slavische  Siedelung*  annektiert  zu  werden.  Ich  habe  an  einem 
Beispiele  gelegentlich  nachgewiesen,  wie  unzulänglich  dieser  philo- 
logische Dogmatismus  in  seinen  Ergebnissen  erscheinen  mufs  *).     Der 


Weise,  Oskar,  Slavische  Siedelungen  in  Sachsen- Altenburg.  Eisenberg,  Pro- 
gramm  1883. 

Hey,  Die  slavischen  Ortsnamen  des  Königreichs  Sachsen.  Döbelu  1883.  —  Der- 
selbe, Die  slavischen  Siedelungen  des  Königreichs  Sachsen,  Dresden  1893.  —  Der- 
selbe, Dte  slavischen  Ortsnamen  der  Meissner  Gegend  (Mitteilungen  des  Vereins  für 
Geschichte  der  Stadt  Meifsen,  i.  Bd.  1884).  —  Derselbe,  Slavische  Ortsnamen  in 
deutschem  Gewände  (Wissenschaftliche  Beilage  der  Leipziger  Zeitung,   1887,  Nr.  20). 

Schottin,  Reinh.,  Die  Slaven  in  Thüringen  (Programm  des  Gymnasiums  vi 
Bautzen,  1884). 

Kühnel,  Die  slawischen  Orts-  und  Flurnamen  der  Oberlausitz  (Neues  Lausitz. 
Magazin.    Bd.  66  (1890),  67,  69—71,  73). 

Schmaler,  Die  slavischen  Ortsnamen  in  der  Oberlausitz  und  ihre  Bedeutung» 
Festschrift,  Bautzen  1867.    4^ 

Ewald  Müller,  Dcu   Wendentum  in  der  Nieder lausitz.     Cottbus,  Dissert  1893. 

Kühnel,  Die  slavischen  Ortsnatnen  in  Mecklenburg.  Jahrbücher  des  Vereins  för 
Mecklenburgische  Geschichte  1880.  Programm  Neubrandenburg  1881  und  1882. 

Hey,  Die  slavischen  Ortsnamen  von  Lauenburg.     1888. 

Immisch,  Die  slavischen  Ortsnamen  im  Erzgebirge.     Programm  Annaberg  1866. 

Miklosich,  Die  Bildung  der  Ortsnamen  aus  Personennamen  im  Slavischen. 
Wien  1865.  —  Derselbe,  Die  slavischen  Ortsnamen  aus  Appellativen.  Zwei  Teile, 
Wien  1872  und  1874. 

Neue  Arbeiten  über  die  slavischen  Ortsnamen  in  Deutschland,    Globus  XlX,  S.  39 — 59- 

Frank el.  Zum  Namen  Dessau  (Mitt  d.  Vereins  f.  Anhalt  Gesch.  u.  Altertums- 
kunde I,  563). 

F ranke  1,  Slavische  Ortsnamen  in  Anhalt.     Mitt  5,  265 — 269,  329—336. 

Schulze,  Bedeutung  der  Namen  u.  s.  w.     Mitt.  3,  598  —  603. 

Schulze,  Erklärung  der  Namen  der  Städte  u.  s.  w,     Mitt  6,  56 — 89. 

Fränkel,  Noch  einmal  zum  Namen  Dessau.     Mitt  6,   195  f. 

Schulze,  Der  Name  Dessau,     Mitt  6,  438—441. 

Seelmann,  Slaventum  in  Anhalt,     Mitt  6,  469—503. 

Schulze,  Bemerkungen  u,  s.  w.     Mitt.  7,  31  —  71. 

Kindscher,  Bodowytz.     Mitt.  7,  72. 

Seelmann,  Erwiderung,     Mitt  7,  169 — 176. 

Schulze,  Berungberg,     Mitt  7,   177. 

Wasch ke,  Berungberg.     Eine  Frage  etymologischer  Methodik.    Mitt  7,  243  —  246. 

Schulze,  Noch  einmal  der  Name  Berungberg,     Mitt  7,  448  f. 

WSschke,  Beiträge  zur  Gesch,  d.  wendischen  Dialektes  in  Anhalt.  I.  Teil. 
Mitt  7,  603—629. 

Wäschke,  Güsten.     Mitt  8,  339  f. 

i)  Vgl.  Lütt  ich,  Über  deutsche  Volksetymologie:  Ortsnamen.  Programm,  Naum- 
burg 1882. 


—     261      — 

Ortsname  Güsten  wird  von  einigen  anhaltischen  Forschem  seinem 
Lautgehalt  nach  für  slavisch  angesehen,  daher  auch  der  Ort  als  eine 
ursprünglich  slavische  Siedelung  angesetzt,  aber  dennoch  ist  sowohl 
der  Name  als  auch  die  Siedelung  ursprünglich  deutsch,  wovon  später 
noch  die  Rede  sein  wird.  So  mag  es  wohl  noch  mit  einem  grofsen 
Teile  der  Ortsnamen  und  Siedelungen  stehen,  die  mit  grofser  Energie 
für  das  Slaventum  in  Anspruch  genommen  werden. 

Hiermit  glaube  ich  die  hauptsächlichsten  Irrtümer  charakterisiert 
zu  haben,  denen  die  Ortsnamenforschung  bisher  zum  Teil  verfallen 
war.  Jetzt  müssen  wir  versuchen,  den  Weg  darzulegen,  den 
die  Forschung  einschlagen  mufs,  um  zu  gesicherten  und 
wissenschaftlich  wertvollen  un^d  verwendbaren  Ergeb- 
nissen zu  gelangen. 

Alle  Wissenschaft  beginnt  da,  wo  man  das  einzelne  Gegebene 
nicht  in  seiner  Vereinzelung,  sondern  in  einem  Zusammenhang  gleich- 
artiger Erscheinungen  zu  begreifen  sucht.  Die  dabei  zuerst  und  natür- 
lich gegebene  Reihe  bieten  die  bekanntgewordenen  Entwickelungs- 
phasen  des  betreffenden  Einzelnen.  Diese  erste  und  natürliche  Reihe, 
in  der  wir  den  einzelnen  Oitsnamen  zu  begreifen  suchen,  ist  die  historisch 
nachweisbare  Entwickelung  der  Namensform  selbst.  Wer  bei 
dem  wiederholt  genannten  Ortsnamen  Güterglück  nur  auf  die  nächst- 
älteren Namensformen  zurückgeht,  ixndQi  Jutercltc,  —  klik,  —  kltck,  — 
klyck,  d.  h.  einen  ganz  anderen  Anlaut  der  einzelnen  Bestandteile, 
nämlich  beim  erstem  J,  beim  letztem  k,  beziehungsweise  das  nur  ortho- 
graphisch unterschiedene  c.  Schon  aus  dieser  Betrachtung  ergiebt  sich, 
dais  die  moderne  Namensform  jenes  Ortes  ihren  Ursprung  genommen  hat 
in  einem  dem  sprachlich  ausreichend  geschulten  Forscher  zur  Genüge  be- 
kannten sprachlichen  Triebe :  der  sogenannten  Volksetymologie  *). 

Doch  wird  dieses  Ergebnis  noch  bedeutend  klarer  hervortreten, 
wenn  man  denselben  Vorgang  an  einer  Reihe  ähnlicher  Ortsnamen 
feststellt,  z.  B.  wenn  man  die  Ortsnamen  ähnlichen  Lautgehaltes  prüft, 
nämlich  Jütrichau,  Jüterbogk,  Gütersee.  Das  letztere  Güter- 
see, eine  Ortlichkeit  bei  Cöthen  in  Anhalt,  konnte  ich  aus  Urkunden 
vor  dem  Jahre  1400  nicht  nachweisen,  doch  bieten  die  beiden  ersteren 
schon  in  der  modernen  Form  den  Anlaut  J  und  noch  deutlicher  und 
ohne  jede  Abweichung  in  den  Urkunden:  Juterchow,  Juiherchaw, 
futerkow,  Juterchowe ;  Juterhoch,  —  buch,  —  bück  *). 


i)  MitU  d,   Vereins  f.  Anhalt,  Gesch,  8,  339. 
2)  Ccd,  dipl.  AnhalHnus  im  Index.     Bd.  VI. 


—     262     — 

Innerhalb  dieser  Reihe  gilt  es  die  mutmafslich  älteste  Form  zu 
erkennen,  denn  nur  sie  kann  die  Grundlage  der  sprachlichen  Deutungs- 
versuche bilden  *).  Es  ist  nicht  immer  zu  entarten,  dafs  die  zeitlich 
älteste  Überlieferung  auch  die  älteste  sprachliche  Form  des  Stammes 
bietet;  so  findet  sich  z.  B.  12 14  Jtitherchow  und  1273  Juterchowe, 
obwohl  das  letztere  die  sprachlich  ältere  Form  ist.  Aber  im  all- 
gemeinen darf  man  annehmen,  wie  es  fast  selbstverständlich  ist,  dafe 
die  älteren  sprachlichen  Formen  sich  auch  in  den  älteren  Dokumenten 
finden.  Hat  man  aus  der  Überlieferung  diese  älteste  Form  gefunden, 
so  gelingt  es  dem  geschulten  Blick  wieder  sehr  häufig,  durch  blofse 
Vergleichung  mit  verwandten  Erscheinungen  eine  noch  ältere  Form 
zu  erschliefsen ,  z.  B.  für  Juterchowe  die  Form  Juterchowa,  so  dafe 
wir  die  gesamte  Entwicklung  des  Namens  in  geschlossener  Reihe  vor 
uns  haben:  Juterchowa,  Juterchowe,  Juter chow,  Juter chau,  Jütrichau. 
Liegt  diese  Reihe  klar  vor  unsern  Augen,  so  ist  die  Grundlage  für 
die  sprachliche  Untersuchung  gesichert.  Die  Herstellung  dieser  Reihe 
ist  oft  mit  Schwierigkeiten  verbunden,  oft  ist  sie  sofort  klar,  wie  in 
Juterclic,  das  ofifenbar  zwei  zu  einem  Tatpurusha,  d.  h.  Determinativ- 
Kompositum ,  verknüpfte  Substantive  enthält  wie  rajaputra  =  Königs- 
sohn. Seine  Deutung  hat  Direktor  Stier  in  dem  genannten  Programm 
dahin  gegeben:  „dais  ,Jüterclick*  (vgl.  Jüterbog,  Jütrichau)  Stein- 
haufen =  Denkmal  oder  Altar  zu  Ehren  des  altwendischen  Gottes  der 
Morgenröte  bedeuten  dürfte." 

Aus  dem  Gesagten  ergiebt  sich  das  erste  Gesetz  wissenschaftlicher 
Ortsnamenforschung:  Es  ist  notwendig,  die  gesamten  erreich- 
baren Formen  eines  Ortsnamens  festzustellen,  in  der 
historischen  Überlieferung  die  ältesteForm  zu  erkennen 
und  auf  dieser  Form  in  stetem  Hinblick  auf  die  Reihe 
der  Überlieferung  und  die  Überlieferung  und  Bildung 
gleichartiger  Namensformen  die  sprachliche  Deutung 
aufzubauen. 

Nicht  alle  Forscher  haben  dieses  Gesetz  als  für  sich  verbindlich 
angesehen ;  so  notwendig  es  ist,  bei  Deutungsversuchen  auf  die  älteste 
Form  des  Namens  zurückzugehen,  so  oft  ist  dies  in  der  Praxis  ver- 
säumt worden,  wenn  auch  grundsätzlich  wohl  niemand  ernstlich  da- 
gegen Einspruch  erheben  dürfte  *). 

i)  Vgl.  die  folgende  Anmerkung. 

2)  Heilig,  a.  a.  O.  S.   i:  „Nur  solche  etymologische  Versuche  scheinen  uns  näm- 
lich Bercchügung  su  haben,  die  in  kritischer  Weise  an  der  Hand  der  Sprache  und  nicht 


—     263     — 

Gewichtiger  ist  der  Einwurf,  mit  dem  ich  mich  an  einer  anderen 
Stelle  bereits  beschäftigt  habe  ^) :  die  Überlieferung  gäbe  kein  absolut 
zuverlässiges  Bild  der  Namensform.  Ich  kann  dabei  nur  wiederholen, 
was  ich  an  jener  Stelle  bereits  ausgeführt  habe,  dafe  namentlich  in 
Urkunden,  mögen  sie  nun  in  Deutschland  oder  Italien  oder  sonstwo 
ausgestellt  sein,  die  sprachliche  Form  des  geschriebenen  Ortsnamens 
immer  ein  möglichst  adäquater  Ausdruck  des  wirklichen  Lautgehaltes 
sein  mufs,  weil  ja  damit  die  Sicherheit  des  betreffenden,  rechtlichen 
Aktes,  etwa  eines  Kaufes  oder  einer  Tradition,  im  engsten  Zusammen- 
hange steht. 

Doch  glaube  ich,  in  diesem  Zusammenhange  auf  einen  Fehler 
aufmerksam  machen  zu  müssen,  welcher  die  Richtigkeit  der  Ergebnisse 
unsrer  Forschung  einigermafsen  beeinträchtigen  kann:  es  ist  die  kritik- 
lose Benutzung  der  Überlieferung.  Selbst  die  besten  Publikationen 
sind  nicht  immer  frei  von  Irrtümern  in  der  Lesung  der  Eigennamen. 
Ich  verweise  statt  vieler  nur  auf  ein  Beispiel  hin.  Im  Codex  Diplo- 
maticus  Anhaltinus  I,  70  findet  sich  von  v.  Heinemann  gelesen  der 
Name  einer  Mark  Gimuete.  Dazu  bemerkt  der  Herausgeber  selbst 
im  Index  „vielleicht  =  Gnez",  ein  Zusammenhang,  der  allerdings 
lautlich  unmöglich  erscheint.  Nun  hat  aber  Sickel  in  den  Monumenta 
Germaniae,  Diplomata  II,  307  dieselbe  Urkunde  publiziert  und  statt 
des  Gimuete  vielmehr  Gumiete  herausgelesen,  ja  er  hält  es  ebenfalls 
für  möglich,  dafe  Gunnete  zu  lesen  sei.  Dafs  diese  letztere  Vermutung 
das  Richtige  trifft,  ist  nach  v.  Heinemanns  oben  angeführter  Gleich- 
setzung sehr  wahrscheinlich,  für  uns  aber  wird  daraus  ersichtlich,  dafs 
die  Forschung  im  Zweifel  selbst  auf  die  Originalurkunde  zurückgehen 
mufs.  Ja,  wir  werden  noch  weiter  fordern  müssen,  dafs  zur  Sicherung 
<ier  historischen  Reihe  der  Namensformen  eines  Ortes  auf  die  diplo- 
matische Kritik  Rücksicht  genommen  werde.  Wenn  nämlich,  wie  ich 
an  einer  anderen  Stelle  nachgewiesen  habe  *),  die  historische  Formen- 
reihe: Popowiki  —  Popowizi  —  Popowize  —  Popowiz  als  Typus  der 
Ortsnamen  auf  — owiz  anzusetzen  ist,  wovon  Popowiki  etwa  dem  IX., 
Popowizi  dem  X.,  Popowize  dem  XI.  und  XII.,  Popowiz  dem  XIII. 
und  XIV.  Jahrhundert  angehört,  so  mufs  die  aus  dem  Jahre  964  über- 
lieferte Ortsnamenform    Burgewtz  berechtigte  Bedenken   hervorrufen; 


ledigUch  auf  Grund  der  ältesten  erhaltenen  Form  gemacht  werden"  unterscheidet  sich 
mit  dieser  Behauptung  von  meiner  Darlegung  wohl  nur  in  der  Formulierung  des  Ausdrucks. 

i)  Mitteilungen  d,  Vereins  f.  Anhalt.  Gesch,,  7,  609.  Vgl.  dazu  den  oben  citierten 
"Vortrag  von  Rohde  (S.  93). 

2)  Mitteilungen  des   Vereins  für  Anhaltische  Geschichte,    VII,  S.  621. 


—     264     — 

und  ein  Eingehen  auf  die  diplomatische  Kritik  wird  den  Verdacht,  den 
wir  gegen  die  Echtheit  der  Datierung  jener  Urkunde,  vielleicht  der 
Urkunde  selbst,  hegen,  nur  verstärken.  Von  der  Urkunde  ^),  die  hier- 
bei in  Betracht  kommt,  urteilt  v.  Heinemann  selbst,  dafe  sie  gar  nicht 
dem  X.  Jahrhundert  angehöre,  und  wir  werden  auf  Grund  des  Ge- 
sagten als  weiteres  belastendes  Moment  diese  Namensform  hinzufügen, 
die  als  Zeit  der  Abfassung  jener  unechten  Urkunde  etwa  das  XII.  Jahr- 
hundert erweist. 

Es  fehlt  nicht  an  Vorarbeiten,  die  für  ein  bestimmtes  Gebiet  die 
überlieferten  sprachlichen  Formen  der  Ortsnamen  in  chronologischer 
Folge  zusammengetragen  haben  *).  So  dankenswert  sie  an  sich  sind, 
so  viel  Zeit  und  Mühe  sie  der  sprachlichen  Forschung  ersparen,  so  viel 
brauchbarer  und  dankenswerter  würden  sie  noch  erscheinen,  wenn  bei 
ihrer  Zusammenstellung  die  ebenbezeichnete  doppelte  Art  der  Kritik 
angewendet  worden  wäre.  Als  zweites  Gesetz  ergiebt  sich  danach 
für  uns:  Die  Überlieferung  der  Ortsnamensform  bedarf  zu 
ihrer  Sicherung  des  Zurückgreifens  auf  die  ersten  und 
besten  Quellen  und  dabei  der  steten  Berücksichtigung 
der  diplomatischen  und  philologisch-historischen  Kritik. 

Ist  nun  in  der  angegebenen  Weise  der  Lautgehalt  einer  Ortsnamen- 
form  hinreichend  sicher  festgestellt,  so  handelt  es  sich  um  die  Ent- 
scheidung über  die  sprachliche  Zugehörung.  Es  wird  dies  etwas 
Leichtes  sein  bei  solchen  Ortsnamen,  die  in  der  unverkennbar  ursprüng- 
lichen Lautform  erschlossen  sind:  z.B.  Köln  =  colonia  als  ursprüng- 
lich lateinisch,  oder  Burg  =  bürg  als  ursprünglich  deutsch  und  Most 
(Dorf  bei  Dessau)  =  most  als  slavisch,  altsl.  mostü  =  Brücke,  selbst 
bei  Kompositis  wie  Aschersleben  (Askegeresliha)  imd  Güterglück 
(Juterclic)  ist  die  Entscheidung  für  die  eine  oder  die  andere  Sprache 

1)  Cod.  dipl.  Anhalt,    I,  38. 

2)  Stenzel,  Th.,  Die  frühesten  urkundlichen  Erwähnungen  von  Ortschaften 
Anhalts,  Mitt.  d.  V.  f.  Anh.  Gesch.  2,  223  —  230,  271—281.  —  Marjan,  Keltische 
[und  lateinische]  Ortsnamen  in  der  Rheinprovinz  (vier  Programme  1880—1883  der 
Realschule  erster  Ordnung  za  Aachen)  giebt  immer  das  Jahr  an,  in  dem  eine  bestimmte 
Namensform  erscheint.  —  Auch  Förstemann,  Altdeutsches  Namenbuch^  2.  Bd.:  Orts^ 
namen  (2.  Bearbeitung,  Nordhansen  1872)  giebt  Jahreszahlen  sa  den  Namensformen,  aber 
da  die  Namensform,  die  als  Stichwort  dient,  nicht  die  moderne  ist,  so  ist  der  praktische 
Nutzen  fUr  den  Forscher  nicht  allzugroft ,  wenn  er  wissen  will .  wie  dieser  oder  jener 
Name  urkundlich  überliefert  ist.  —  Besser  dient  diesem  Zwecke  Oesterley,  Historisch- 
geographisches  Wörterbuch  des  deutschen  Mittelalters  (Gotha  1883).  Es  wäre  davon 
nur  eine  zweite  Auflage  erwünscht,  in  welcher  fiir  jede  Landschaft  ein  Sachkenner  den 
Namensschatz  prüfen  und  vervollständigen  sollte. 


—     265     — 

unmittelbar  klar.  Schwieriger  wird  sie  jedoch  bei  all  den  Bildungen, 
wo  die  Volksetymologie  verändernd  eingewirkt  hat,  wie  bei  Jütrichau 
und  Gütersee.  Wenn  in  einem  solchen  Falle,  wie  bei  Jütrichau,  die 
historische  Reihe  der  Namensformen  übersichtlich  vorliegt,  so  mag 
man  etwa  an  Jutrichowa  ihre  sprachliche  Zugehörigkeit  erkennen,  wo 
das  nicht  der  Fall  ist,  wie  bei  Gütersee,  mufe,  wegen  der  Zusammen- 
setzung mit  dem  slavischen  Jutr  die  Analogie  dazu  führen,  das  ge- 
samte Kompositum  für  das  slavische  in  Anspruch  zu  nehmen,  wenn 
auch  das  zweite  Glied  des  Kompositums  so  vollständig  deutsche 
Form  angenommen  hat,  dafs  seine  slavische  Grundform  ganz  verwischt 
und  unkenntlich  geworden  ist.  Es  giebt  ja  zwar  Forscher,  die  solche 
hybriden  Bildungen  als  zu  Recht  bestehend  annehmen,  aber  nach 
meiner  Überzeugung  wird  sich  die  Zahl  derselben  sehr  vermindern 
lassen,  indem  man  die  Formen  sorgfältiger  prüft,  speziell  in  , Güter- 
see', ob  das  letzte  Glied  des  Kompositums  nicht  auf  eine  .slavische 
Form  zurückzuführen  sei,  und  wenn  das  nicht,  ob  dann  nicht  vielmehr 
in  dem  ersten  Gliede  eine  lautliche  Veränderung  etwa  aus  Gude  — , 
wie  z.  B.  in  dem  oberfränkischen  Gudebiegen  vorliege  *). 

Als  ein  besonders  charakteristisches  Beispiel  möchte  ich  in  dieser 
Hinsicht  die  Etymologie  des  Ortsnamens  Güsten  (St.  in  Anhalt)  er- 
wähnen, über  die  ich  bereits  an  einer  anderen  Stelle  gehandelt  habe. 
Als  slavisch  haben  diesen  Ortsnamen  verschiedene  Forscher  bezeich- 
net. Schulze ')  erklärt  es  mit  Hilfe  des  polnischen  tajnu  und  wen- 
dischen guz  =  versteckter  Hügel ;  Seelmann  ^)  setzt  es  in  Beziehung 
zu  oberserbischem  hose,  altslavischem  gosti,  erwähnt  aber  als  möglich 
die  Ableitung  von  oberserbischem  husty  =  dicht,  huscina  =  Dickicht, 
altslavischem  gost.  In  der  Replik  *)  erklärt  dann  Schulze  die  An- 
nahme Seelmanns  für  falsch,  weil  sich  dadurch  die  Endung  —  ein 
nicht  erklären  lasse,  und  führt  dann  den  Ortsnamen  zurück  auf  Gostinja, 
tsch.  Form  für  Hostyne  =  Ort  des  Gostyn  (Gast,  Fremdling).  Wer 
aber  nun  die  überlieferten  Formen  des  Namens  prüft,  wie  wir  es  ge- 
fordert haben,  der  findet  *) :  Guczstein,  Gucstein,  Gutstein,  Gustein, 
Gusten,  Guzsten ,  Gozstetn,  Guzten,  Ghusteyn,  Goztene,  Gozene, 
Gozzene,  Gozzeve,  Guesten,  Gozsten.  Die  Kritik  ergiebt  in  dieser 
reichhaltigen  Formentabelle  alles  übereinstimmende  BUdungen  bis  auf 


i)  Für  vollständig  slavisch  erldärt  Gtttersee  Fr,  Günther  im  oben  zitierten  Bache  S.  21. 
%)  Mtttetlungen  d,   Vereins  für  Anhalt,  Gesch,  6,  72. 

3)  Ebendas.  6,  488. 

4)  Ebendas.  7»  45. 

5)  Cod,  dipl,  AnhaU,  VI,   106. 


—      266     — 

Gozzeve ,  dieses  mufs  durch  Zurückgreifen  auf  die  Originalurkunde  in 
seinem  Lautbestand  gesichert  werden ;  die  Kritik  wird  es  dann  entweder 
als  zu  dem  Ortsnamen  Goztwa  =  Goschzschen  im  Kreise  Lübben  oder 
zu  Gozeuua,  Gozuua^  Gozewa  =  Jetschko  im  Kreise  Guben  oder  zu 
einem  andern  Ortsnamen  ähnlicher  Bildtmg  verweisen  müssen,  oder 
aber  die  genauere  Lesung  des  Textes  wird  ein  Verlesen  für  Gozzene 
hier  ergeben.  Wie  dem  nun  auch  sein  mag,  die  Reihe  der  Über- 
lieferung über  die  Namensformen  des  Ortes  ist  gesichert  einheitlich, 
die  älteste  Form  Guczstein  erweist  den  Ortsnamen  als  deutsch,  von 
dem  die  Endung  in  einer  Reihe  als  —  stein,  in  der  andern  als  —  sten 
und  in  deren  Zertrümmerungen  vorliegt.  Was  wir  durch  sprachliche 
Beobachtungen  gefunden  haben,  lälst  sich  dann  sogar  noch  durch 
historisch- wirtschaftliche  Erwägungen  sichern,  wofür  ich  kurz  nur  die 
Darlegungen  von  Kraaz  ^)  anführe.  Die  weitere  Arbeit  wird  dann 
durch  analoge  Bildungen  wie  Gudsberg,  Gudesberg,  Gudenesberg  er- 
leichtert, denn  wie  in  dem  G  dieses  Ortsnamens  nur  die  Latinisierung 
des  deutschen  W  vorliegt,  also  ergiebt  sich  auch  die  Reihe  Güsten  — 
Gudssten  —  Godsstein  —  Godesstein  —  Godenesstein  —  Wodenes- 
stein,  d.  h.  Stein  des  Wotan  *).  Wir  entnehmen  aus  dieser  Darstellung 
das  weitere  Gesetz  unserer  Forschung:  Die  Entscheidung  über 
sprachliche  Zugehörigkeit  der  einzelnen  Ortsnamen  mufs 
ohne  jedes  Vorurteil  sich  rein  auf  die  durch  die  Kritik 
gesicherte  historische  Reihe  der  überlieferten  Formen 
gründen;  im  Zweifel  müssen  die  sprachlichen  Thatsachen 
ihre  Sicherung  durch  die  Analogie  sowie  durch  die  son- 
stige geschichtliche  Überlieferung  suchen. 

Nachdem  die  Entscheidung  über  die  sprachliche  Zugehörigkeit 
des  Ortsnamens  getroflfen  ist,  mufs  sich  die  weitere  Forschung  auf  die 
Deutung,  die  Etymologie  desselben  erstrecken.  Es  genügt  dabei  nicht 
die  Art  und  Weise,  die  ich  oben  in  dem  Ortsnamen  Güsten  bereits 
angedeutet  habe,  dafs  man  nur  Wörter  aufsucht,  die  etwa  mit  dem  zu 
deutenden  Ortsnamen  in  Beziehung  stehn  könnten,  eine  Thätigkeit,  die 
nur  guten  Willen  und  ein  Wörterbuch  voraussetzt,  eine  Thätigkeit,  die 

i)  Kraaz,  Bauerngut  und  Frondienste  in  Anhalt,  Jena  1898,  S.  8  f. 
2)  Gelegentlich  kann  eine  so  sichere  Erklärung,  wie  sie  für  Godenesberg  (Godesberg 
am  Rhein)  gefanden  ist,  doch  falsch  sein.  Im  nicht  allzu  weit  davon  entfernten  Sinzig 
fmdet  sich  ein  Godenhaos  bezeugt,  was  natürlich  sofort  als  zum  Ortsnamen  Godesberg 
in  Parallele  stehend  betrachtet  wird.  Hier  ist  es  aber  das  Hans,  welches  König  Adolf 
1297  dem  Ritter  Heinrich,  genannt  der  Gute,  zu  Lehen  giebt.  Annalen  des  historischem 
Vereins  für  den  Niederrhein,  19.  Heft,  S.  47. 


—      267     — 

Seelmann  mit  dem  sehr  treflfenden  Namen  , Wurzelfinden*  bezeichnet 
hat  *) ,  nein ,  die  Forschung  mufe  in  Deutung  des  gesamten  Laut- 
bestandes eines  Ortsnamens  eintreten  So  lange  in  dem  Ortsnamen 
nicht  alle  Lautbestandteile  erklärt  sind,  kann  die  Erklärung  nicht  als 
vollständig  angesehen  werden.  Wenn  z.  B.  Schulze  *)  den  Namen 
Berungberg  als  perunova  gora  oder  Perunova  seil,  gora  =  Berg  des 
Perun  deutet,  so  ist  die  zweite  Annahme  unrichtig,  denn  dadurch  whrd 
der  Lautgehalt  von  Berung  nicht  erschöpft,  die  erstere  ebenfalls, 
denn  sie  geht  von  einer  Zertrümmerung  des  Lautgehaltes  aus,  die 
deshalb  unmöglich  erscheint,  weil  sie  gerade  die  betonte  Silbe  des^ 
zweiten  Wortes  gorä  betroffen  hätte,  und  außerdem  schafft  sie  in 
Berun-g-berg  =  Perunova- gorä -berg  eine  durch  nichts  zu  recht- 
fertigende Tautologie.  Aus  dieser  Betrachtung  leiten  wir  femer  die 
Forderung  ab:  Die  Deutung  des  Ortsnamens  mufs  eine  voll- 
ständige, d.  h.  den  gesamten  Lautgehalt  desselben  durch- 
aus erschöpfende  sein. 

Dais  eine  solche  vollständige  Erklärung  durch  ein  unwissenschaft- 
liches Raten  oder  Wurzelfinden  nicht  erreicht  wird,  ist  klar,  es  gehört 
dazu  eine  sichere  Sprachkenntnis,  namentlich  aber,  wie  das  die  Natur 
der  Ortsnamen  mit  sich  bringt,  eine  ausreichend  sichere  Kenntnis  der 
indogermanischen  Wortbildungslehre.  Einige  Forscher  glauben  zur 
Bekräftigung  ihrer  etymologischen  Untersuchungen  eine  Menge  von 
sprachlichem  Material  beibringen  zu  müssen,  so  z.  B.  der  oben- 
genannte Schulze  bei  der  Etymologie  von  Berungberg:  „Berung  =^ 
ein  Überbleibsel  von  slav.  perunova  gora,  oder  perunova  seil,  gora  =» 
Berg  des  Perun,  des  Donnerers  oder  des  Sonnengottes  (von  asl.  perunu, 
tsch.  perun,  poln.  piorun,  ow  pjerun  Donner,  Donnerer,  Donnergott, 
der  Gewitter  und  Regen  bringende  Sonnengott),  litauisch  Perkunas; 
sanskr,  Parjänya.  Vergl.  Beroun  bei  Pilsen,  Prohn  auf  Rügen,  urk. 
Perun,  Peron,  Piorunow  Pol.,  Perunova  gora  Bulg.,  Perunovyj  dub  = 
Donnereiche  Galiz."  Nach  meiner  Ansicht  ist  das  gelehrter  Wust,, 
keine  Wissenschaft,  wenigstens  dient  das  Angeführte  nicht  dem  Zwecke, 
den  wir  oben  als  nächsten  hingestellt  haben.  Wir  müssen  deshalb 
auch  verlangen:  Alle  sprachliche  Gelehrsamkeit  steht  im 
Dienst  der  Aufgabe,  so  dafs  alle  sprachlichen  Thatsachen, 
die  zur  erschöpfenden  Aufklärung  des  Lautgehaltes  un- 
bedingt notwendig    sind,    auch   vollständig    beigebracht 

1)  MitteiloDgen  VII,  607. 

2)  Mitteilungen  des  Vereins  für  Anhalt,  GescK,  7,   177. 


—     268     — 

werden  müssen,  alles  andere,  was  diesem  Zwecke  nicht 
unmittelbar  dient,  als  unnützer  Ballast  beiseite  zu 
lassen  ist. 

Selbst  unter  diesen  Voraussetzungen  wird  es  nicht  immer  möglich 
sein,  befriedigende  Etymologieen  und  dadturch  Deutungen  der  Orts- 
namen zu  geben.  Das  liegt  in  der  Natur  des  Eigennamens,  von  der 
ich  oben  geredet  habe.  Wir  müssen  uns  aber  eins  vergegenwärtigen, 
was  von  den  einzelnen  Forschem  nicht  immer  genügend  beobachtet 
worden  ist,  dafe  nach  der  Natur  der  Komposita  deren  erstes  Glied  viel 
individueller,  und  daher  der  Deutung  unzugänglicher  ist  als  das  zweite, 
die  Endung.  Die  Endung  ist  das  vielen  Gemeinsame,  das  durch  das 
erste  Glied  des  Kompositums  näher  bestimmt  wird,  es  liegt  eine  Art 
Subsumption  vor,  oder  eine  charakteristische  Determination.  Wer  nun 
die  ganze  Unsicherheit  früherer  Methodik  kennt,  wird  nicht  von  dem 
mehr  individuellen  determinierenden  ersten  Bestandteile  ausgehen, 
sondern  von  dem  zweiten.  Das  ist  auch  bei  deutschen  Ortsnamen 
geschehen,  wie  bei  slavischen.  Ich  selbst  habe  in  dieser  Weise  die 
slavischen  Ortsnamen  auf  — owa,  — owiz,  — lizi,  — nizi  und  — izko 
in  Anhalt  einer  Untersuchung  unterzogen.  Derartige  Untersuchungen 
ergeben  relativ  sichre  Thatsachen,  die  nach  ihrer  Feststellung  all- 
mählich zur  gesicherten  Kenntnis  auch  der  singulären  Formen  ver- 
wendet werden  könne.  Auf  Grund  dieser  Erfahrungen  ist  es  methodisch 
notwendig,  die  Deutung  zusammengesetzter  Ortsnamen 
vom  zweiten  Gliede  der  Komposition  (oder  der  Endung), 
aus  ausgehend  vorzunehmen,  weil  diese  gegenüber  dem 
ersteren  Gliede  das  allgemeinere,  darum  der  Forschung 
im  allgemeinen  zugänglichere  Element  enthält. 

Ist  nun  in  dieser  Weise  die  Etymologie  eines  Ortsnamens  ge- 
funden, so  kann  sie  trotzdem  noch  eine  unrichtige  sein.  Das  liegt  in 
der  gefundenen  Deutung  dann  selbst,  indem  darin  Beziehungen  sich 
ergeben  haben  oder  angesetzt  sind,  die  teils  aus  lokalen,  teils  aus 
historischen  Verhältnissen  sich  als  unrichtig  erweisen.  So  ist  es  mir 
ergangen  mit  der  Deutung  des  Ortsnamens  Rieder  *) ,  den  ich  von 
dem  ahd.  riuten,  mhd.  roden  ableitete;  diese  Etymologie  wurde  von 
Schulze  *)  mit  Recht  zurückgewiesen ,  da  die  Lage  des  Ortes  eine 
Rodung  vollständig  ausschliefst,   er  meint,   dafs  vielmehr  an  ein  Ried 

i)  Wäschke,    Über  Anhaltüche    VolksmundarUn,     Mitt.   d.  V.  f.  Anhalt  Gesch. 
2,  480. 

2)  Schulze,  Dr.  K.,  Zur  Geschichte  des  Dorfes  Rieder.     Mitt  3,  440. 


—     269     — 

zu  denken  und  deshalb  das  Wort  von  hrtod  =^  carectum  herzuleiten 
sei.  Noch  merkvrürdiger  und  für  unsere  Forderung  bezeichnender  ist 
der  Irrtum  Gröfelers  *),  der  die  Lösewitzer  Laube  in  Beziehung'  setfct 
zu  slav.  hlubio:  „So  ist  ja  allerdings  möglich,  dals  das  Wort  Laube 
im  Sinne  von  Busch  steht;  doch  ebenso  gut  ist  möglich,  daä  darin 
das  slav.  hlubio,  hlaub  mit  der  Bedeutung  , Tiefe*  steckt,  dafs  also 
weniger  eine  bebuschte  Insel,  als  eine  Wassertiefe  des  benachbarten 
Flusses  bezeichnet  werden  soll.'*  Jeder  nämlich,  der  die  Lösewitzer 
Laube  kennt,  wird  über  diese  sprachliche  Deutung  staunen,  denn  dort 
ist  in  der  That  eine  mächtige  aus  einem  gewaltigen  Baume  gebildete 
Laube,  zu  der  zur  Sommerszeit  von  den  umliegenden  Ortschaften 
Ausflüge  veranstaltet  werden,  und  in  deren  Schatten  sich  mehrere 
Hundert  Menschen  ausruhen  und  vergnügen  können.  Bei  der 
Etymologie  des  Wortes  Güsten  konnte  ich  g^enüber  den  sla- 
vischen  Etymologieen  meine  Ansicht,  dafs  der  Ortsname  deutsch 
sei  und  Wodansstein  bedeute,  au&er  mit  den  sprachlichen  Thatsachen 
noch  dadurch  sicher  stellen,  da(s  noch  heutigen  Tags  unmittelbar  am 
Eingänge  der  Stadt  ein  gewaltiger  erratischer  Block  sich  findet,  den 
die  Einwohner  heute  mit  dem  Namen  , Speckseite*  bezeichnen.  Zur 
Sicherung  der  durch  sprachliche  Untersuchung  gefun- 
denen Deutung  des  Ortsnamens  ist  es  daher  wichtig,  das 
Ergebnis  an  den  geographischen  und  historischen  Ver- 
hältnissen des  betreffenden  Ortes  zu  prüfen. 

So  nach  Kräften  möglichst  allseitig  gesicherte  Ei^ebnisse  der 
Ortsnamenforschung  haben  dann  auch  eine  sichere  Beweiskraft  für 
verschiedene  Wissenschaften,  und  das  ist  der  grofse  Gewinn,  der  in 
ihnen  liegt.  Sie  werden  nämlich  der  Sprachwissenschaft  zunächst 
zu  gute  kommen.  Das  ist  besonders  bedeutungsvoll  in  solchen  Ge- 
bieten, wo  von  der  früheren  Bevölkerung  nichts  übrig  geblieben  ist 
als  diese  Namen,  die  an  den  Orten  haften  geblieben  sind.  Ich  habe 
den  bescheidenen  Versuch  gemacht,  auf  Grund  der  Chronologie  der 
anhaltl<;chen  Ortsnamen  auf  —  owa  und  —  owiz  eine  Geschichte  des 
ausgestorbenen  wendischen  Dialektes  in  Anhalt  aufzubauen  ^) ,  ebenso 
haben    andere    Forscher    die    Geschichte    bestimmter    Sprachen    und 


I)  H.  Gröfsler,  Urkundliche  Nachweise  über  den  Lauf  der  Saale  zwischen 
Halle  und  der  Wippermündung  und  die  an  demselben  gelegenen  Wüstungen,  (MiU. 
<J.  Ver.  f.  Erdk.    HaUc   1897.    S.   19). 

a)  Wäschke,  Beiträge  zur  Gesch,  des  wendischen  Dialektes  in  Anhalt,  Mitt.  d. 
y,  f.  Anhalt  Gesch.  7,  603  f. 

21 


—     270     — 

Dialekte  durch  solche  Untersuchungen  aufgehellt ').  In  zweiter  Linie 
werden  diese  Ergebnisse  wichtig  für  die  deutsche  Siedelungs-  und 
Wirtschaftsgeschichte,  und  von  diesem  Gesichtspunkte  aus  sind  die 
meisten  Untersuchungen  der  Ortsnamen  vorgenommen  worden  *).  Frei- 
lich bedarf  es  auch  in  der  hier  geschilderten  Verwertung  der  Ergebnisse 
unsrer  Forschung  der  gröfsten  Sorgfalt  und  Vorsicht.  Nicht  immer 
steht  ja  den  einzelnen  Ortsnamen  eine  Charakteristik  ihrer  Siedelungs- 
Verhältnisse  beigegeben  wie  im  Cod.  dipl.  Anhalt,  i,  71:  castellum 
quoddam  sclavonice  dictum  Budizco,  theutonice  Grimmerslove. 

Das  sind  meine  Ansichten  über  Methodik  der  Ortsnamenforschung 
imd  ihre  Gesetze.  Wenn  ich  sie  auf  Wunsch  des  Herausgebers  dieser 
Zeitschrift  hier  geäuCsert  habe,  so  geschah  es  in  der  Absicht,  damit 
die  Diskussion  über  diesen  Gegenstand  anzuregen,  nicht  aber  in  dem 
Bewufstsein,  nach  irgend  einer  Seite  etwas  AbschlieCsendes  beigebracht 
zu  haben.  Dais  ich  dabei  wiederholt  auf  eigene  kleine  Arbeiten  hin- 
gewiesen habe,  möge  der  Leser  damit  entschuldigen,  dafe  Selbst- 
erfahrenes näher  in  der  Erinnerung  zu  liegen  pflegt  als  von  anderen 
Erlesenes. 


Die  Denkmäler  ^  In ventarisation  in 

Deutschland 

Von 
Ernst  Polaczek  (Straisburg) 
Denkmälerstatistik,  Denkmäler -Inventarisation  —  das  sind  auch 
heute  noch  für  einen  grofsen  Teil  der  Gebildeten  unbekannte  Begriffe,^ 
trotzdem  man  nun  schon  drei  Jahrzehnte  an  der  Arbeit  ist ,  die  Bau- 
und  Kunstdenkmäler  bestimmter  geographischer  Gebiete  zu  inventari- 
sieren d.  h.  sie  systematisch  zu  verzeichnen  und  zu  beschreiben. 
Der  Gedanke  selbst  ist  noch  viel  älter.  Schon  Schinkel  hatte  1815 
und  1816  auf  die  Notwendigkeit  hingewiesen,  ein  Inventar  der  Kunst-^ 
denkmäler,    insbesondere    der    beweglichen,    aufzustellen,    und    seine 


i)  Vgl.  unter  anderen:  Müllenhoff,  Etnleitung  zu  den  Denkmälern  deutscher 
Poesie  und  Prosa  aus  dem   VIIL — XII,  Jahrhundert, 

a)  Arnold,  W.,  Ansiedelungen  und  Wanderungen  deutscher  Stämme.  —  B  a  c  - 
me ister.  Ad.,  Alemannische  Wanderungen.  I.  —  Weller,  K.,  Die  Ansiede lungs- 
geschichte  d,  württembergischen  Frankens  rechts  vom  Neckar.  —  Weller,  K.,  Die 
Besiedelung  des  Alamannenlandes.  —  Armin  Tille,  Die  bäuerliche  Wirtschafts^ 
Verfassung  des   Vintschgaues.     (Innsbruck  1895),  ^*   I7>  2^* 


—     271     — 

Anregung  hatte  an  den  mafsgebenden  Stellen,  vor  allem  beim  König 
Friedrich  Wilhelm  III.  günstige  Aufnahme  gefunden;  die  thatsäch- 
lichen  Erfolge  waren  zunächst  jedoch  sehr  gering,  hauptsächlich  wohl 
deshalb,  weil  es  an  Männern  fehlte,  die  derartige  Arbeiten  hätten 
ausführen  können.  Auch  als  1843  ^^  ^^^  Person  des  Baurats  Ferdi- 
nand von  Quast  ein  Konservator  fiir  das  ganze  Gebiet  des  preußischen 
Staates  ernannt  worden  war,  ging  die  Herstellung  von  Denkmäler- 
Verzeichnissen  nur  sehr  langsam  vorwärts;  bis  1859  lagen  im  ganzen 
für  vier  Kreise  brauchbare  Arbeiten  vor.  So  hatte  es  sich  also  er- 
wiesen, dals  auf  dem  bisher  eingeschlagenen  Wege  in  absehbarer  Zeit 
nicht  an  das  ins  Auge  gefafste  Ziel  zu  gelangen  war.  Die  Kunst' 
topographte  Deutschlands,  die  Wilhelm  Lotz  herausgab,  ein  an 
sich  ganz  ausgezeichnetes  Werk  *) ,  konnte  doch  nach  der  ganzen 
Sachlage  bei  der  geringen  Zahl  brauchbarer  Vorarbeiten  nur  in  sehr 
beschränktem  Mafse  das  leisten,  was  man  von  einer  systematisch 
durchgeführten  Inventarisation  hoffen  durfte. 

Der  Wunsch,  die  Denkmäler  der  Vergangenheit  systematisch 
zu  verzeichnen  und  zu  beschreiben,  war  aus  der  Erkenntnis  ihres 
künstlerischen  und  geschichtlichen  Werkes  hervorgegangen. 
Die  ganz  groisen  und  bedeutenden  Werke,  insbesondere  die  kirchlichen 
Bauten  ersten  Ranges,  hatte  man  von  jeher  geschätzt,  wenn  man  ihnen 
auch  zuweilen,  ihre  Art  mifsverstehend,  übel  genug  mitgespielt  hatte. 
Nun  aber  sah  man  ein,  von  welch  hoher  Bedeutung  auch  die  an  sich 
unbedeutenderen  Werke  für  einen  begrenzteren  Kreis  sein  konnten. 
Der  weitverbreiteten  Neigung,  an  dem  Nächstliegenden  achtlos  vor- 
überzugehen, mufste  entgegengearbeitet  werden;  eine  künstlerische  und 
kunstgeschichtliche  Heimatkunde  mufste  man  dem  Volke  bieten.  In- 
dem man  auf  die  Werke  der  Altvorderen  hinwies,  durfte  man  hoffen, 
den  geschichtlichen  Sinn  zu  erwecken  oder,  wo  er  vorhanden  war, 
zu  stärken.  Indem  man  sie  systematisch  verzeichnete  und  beschrieb, 
bot  man  gleichzeitig  den  Verwaltungsbehörden  ein  Hilfsmittel,  das  ihnen 
bei  den  mit  wachsender  Bevölkerungsziffer  immer  häufiger  werdenden 
Restaurationen  und  Erweiterungen  von  Kirchen  von  grofsem  Nutzen 
sein  kann.  Manches,  was  abseits  der  grofsen  Strafsen  versteckt  gelegen 
hatte,  wurde  erst  durch  die  Denkmälerstatistik  als  existierend  festgestellt. 
Vieles,  was  in  Gefahr  schwebte,  durch  fahrende  Händler  seiner  Heimat, 
für  die  allein  es  ein  wirklich  wertvoller  Besitz  sein  konnte,  entfremdet 


i)  Kunst-Topographie  Deutschlands.     Ein  Hans-  tind  Reisehandbuch  von 
Wilhelm  Lotz.     2  Bde.     Kassel,  Theodor  Fischer,  I862/63. 

21* 


—     272     — 

zu  werden,  wurde  —  auch  wo  es  an  gesetzlichen  Mitteln,  die  Ver- 
schleppung zu  hindern ,  fehlte  —  durch  das  blofs  moralische  Mittel 
der  Feststellung  seiner  Existenz  der  Heimat  erhalten.  Der  Kunst- 
wissenschaft endlich  erschlofs  sich  ein  reichhaltiges  neues  Material. 
Dinge,  die  bisher  unbekannt  geblieben  waren,  wurden  in  den  Be- 
trachtungskreis einbezogen  und  halfen  zur  Aufhellung  bisher  dunkel 
gebliebener  Zusammenhänge  mit.  War  man  bis  dahin  nur  mit  den 
Höhen  der  künstlerischen  Thätigkeit  vertraut  gewesen,  so  lernte  man 
nun  auch  den  durchschnittlichen  Charakter  des  Kunstbetriebes 
in  den  verschiedenen  Epochen  kennen. 

Was  Kataloge  für  Gemälde-Galerieen,  das  sollen  In- 
ventare  für  den  gesamten  Kunstbesitz  eines  Landes  sein. 
Das  erste  Werk,  das  als  Denkmäler -Verzeichnis  in  diesem  Sinne 
gelten  kann  —  es  behandelt  die  Baudenkmäler  im  Regierungsbezirk 
Kassel  —  erschien  im  Jahre  1870.  Etwa  130  Hefte  und  Bände  sind 
seither  jenem  ersten  gefolgt,  aber  nur  ein  einziges  trägt  gleich  ihm 
den  Obertitel  Inventarium  der  Baudenkmäler  im  Königreich 
Preu/sen,  nur  ein  einziges  hat  sich  ihm  nach  Arbeitsplan  und  Aus- 
führung vollkommen  angeschlossen.  Seither  haben  fast  alle  Bundes- 
staaten, alle  preufsischen  Provinzen  die  Inventarisation  ihrer  Kunst- 
denkmäler in  Angriff  genommen,  ein  nicht  geringer  Teil  hat  sie  bereits 
beendigt.  Überall  war  die  Absicht,  wenigstens  in  der  Hauptsache, 
die  gleiche,  in  der  Ausführung  jedoch  ist  man  die  verschiedensten 
Wege  gegangen.  Soll  man  das  beklagen,  soll  man  sich  darüber 
freuen?  Kurz  nach  der  Begründung  des  Reiches  war  —  wenn  wir 
nicht  irren  —  im  Reichstage  ein  gleich  mäfeiges  Vorgehen  in  der  Frage 
der  Denkmäler- Verzeichnung  angeregt  worden ;  praktische  Folgen  aber 
hatte  diese  Anregung  nicht.  Die  Sache  blieb  den  Einzelstaaten  über- 
lassen, und  der  preufsische  Staat  seinerseits  übertrug  die  Durchfuhrung 
wiederum  den  Provinzen.  Man  ging  dabei  von  der  Ansicht  aus,  dafe 
hier  eine  gute  Gelegenheit  sei,  den  geschichtlichen  Besonderheiten  der 
Provinzen  gerecht  zu  werden.  Wäre  es  aber  trotzdem  nicht  sehr  wohl 
möglich  gewesen,  gewisse  gemeinsame,  für  das  gesamte  Reichsgebiet  oder 
wenigstens  für  den  preufsischen  Staat  gültige  Grundsätze  aufzustellen? 

Die  folgenden  Zeilen  geben  über  den  augenblicklichen  Stand  der 
Inventarisation  Auskunft;  gleichzeitig  versuchen  sie,  die  einzelnen 
Arbeiten  —  jedoch  lediglich  nach  der  prinzipiellen  Seite  der  Anlage 
und  Durchführung  hin  —  kritisch  gegeneinander  abzuwägen.  Auf 
Einzelheiten  einzugehen,  wäre  unangebracht,  da  eine  Überprüfung  an 
Ort  und  Stelle  nur  in  wenigen  Fällen  stattgefunden  hat. 


—     273     — 

In  Preufsea  wies  eine  Zirkularverfiigung  vom  30.  Juni  1875  die 
Oberpräsidenten  unter  Hinweis  auf  die  Inventare  des  Regierungsbezirkes 
Kassel  und  der  Provinz  Hannover  an,  bei  den  Provinzialverbänden  die 
Herstellung  ähnlicher  Denkmäler- Verzeichnisse  anzuregen.  Das  Ergebnis 
ist  bis  heute  folgendes: 

Ostpreufsen.  Das  ostpreufeische  Inventar,  ein  Werk  des  Provinzial- 
Konservators  Adolf  Boetticher  liegt  seit  1899  in  neun  stattlichen  Heften  *) 
abgeschlossen  vor.  Es  folgt  in  seiner  Einteilung  nicht,  wie  die  meisten 
anderen  Inventare,  der  gegenwärtigen  administrativen  Gliederung;  viel- 
mehr behandelt  jedes  der  ersten  sechs  Hefte  eine  der  historischen 
Landschaften  Samland,  Natangen,  Oberland,  Ermland,  Litauen,  Masuren; 
innerhalb  der  Hefte  folgen  einander  die  Kirchspiele  in  alphabetischer 
Reihe.  Das  siebente  Heft  ist  ganz  der  Stadt  Königsberg  gewidmet, 
während  das  achte  aufser  Nachträgen  noch  geschichtliche  und  kunst- 
gcschichtliche  Zusammenfassungen  des  Stoffes  bringt;  das  neunte  Heft 
enthält  die  Register.  Das  Arbeitsprogramm  war  einerseits  durch  „die 
Gräber  der  Vorfahren  und  Grabfunde**,  andererseits  „durch  den  Beginn 
der  klassizierenden  Reaktion**  begrenzt,  wobei  freilich  nicht  einzusehen 
ist,  warum  eine  der  spärlichen  Tafeln  des  siebenten  Heftes  das  1894 
errichtete  Denkmal  Kaiser  Wilhelms  zeigt.  Die  Benutzung  des  histo- 
rischen Materials  scheint  ausreichend,  die  Behandlung  des  kunst- 
geschichtlichen Materials  ist  exakt,  nur  die  Zeitangaben  sind  zu  all- 
gemein. Die  Illustrationen  sind  zahlreich,  aber  nicht  ganz  gleichwertig, 
namentlich  insoweit  sie  auf  photographischer  Grundlage  beruhen. 

Westpreufsen.  Das  Inventar  ^)  ist  vom  Landesbau  -  Inspektor 
Johann  Heise  bearbeitet.  Nach  dessen  kürzlich  erfolgtem  Tode  hat 
Adolf  Boetticher,  der  Verfasser  des  ostpreufeischen  Inventars,  die 
fortführung  des  Weikes  übernommen.  Die  Beschreibung  der  Denk- 
mäler folgt  der  Kreiseinteilung  der  Provinz.  Erschienen  sind  seit  1884 
elf  Hefte,  die  achtzehn  von  den  siebenundzwanzig  Kreisen  der  Provinz 
behandeln.  Für  die  Stadt  Danzig  wie  für  die  Marienburg  sind  besondere 
monographische  Darstellungen  beabsichtigt  Der  Plan  des  Werkes 
schliefst  die  vorgeschichtlichen  Denkmäler  wie  die  nach  1750  ent- 
standenen  von   der  Beschreibung   aus.     Die  Darstellung  ist  nach  der 


1)  Die  Bau-  nnd  Knustdenkinäler  <fer  Provinz  Ostpreufsen.  Im  Auftrage 
des  Ostpreuisischen  Froviozial-Landt^es  bearbeitet  von  Adolf  Boetticher.  9  Hefte.  Königs* 
berg,  Bernhard  Teiohert,  1891  — 1899.     ^^^^  i — 3  ist  1898  in  zweiter  Auflage  erschienen. 

2)  Die  Bau-  und  Kunstdenkroäler  der  Provinz  Westpreufsen.  Be- 
arbeitet im  Auftrage  des  westpreofsischen  Provinzial- Landtages  von  Landesbau- Inspektor 
Johann  Heise.     11  Hefte.     Danzig,  Theodor  Bertling  1884-  1^97* 


—     274     — 

geschichtlichen  wie  nach  der  technischen  Seite  hin  sehr  sorgfältig. 
Die  Illustration  ist  reich  und  gut. 

Brandenburg.  Das  Denkmäler- Verzeichnis  liegt  bereits  seit  1885 
in  einem  stattlichen,  reich,  aber  nicht  hervorragend  gut  illustrierten 
Bande  vor  ').  Das  Werk  macht  von  vornherein  keinen  Anspruch  auf 
Vollständigkeit,  die  wenig  ausführlichen  Beschreibungen  sind  nicht 
durchweg  auf  Autopsie  begründet,  doch  scheinen  sie  im  allgemeinen 
exakt  und  verläfslich  zu  sein.  Die  Illustration  beruht  durchaus  auf 
der  Grundlage  von  Zeichnungen.  Dem  eigentlichen  Inventar  geht  eine 
geschichtliche  und  eine  kunstgeschichtliche  Einleitung  voraus.  Ein 
schwerer  Mangel  ist  die  Zusammenfassung  der  ganzen  Provinz  in  einen 
Band.  Die  Verwirklichung  der  volkserzieherischen  Absichten,  die 
solche  Inventare  haben  sollen,  wird  infolge  dessen  durch  Umfang  und 
Preis  des  Werkes  unmöglich  gemacht. 

Die  Stadt  Berlin  hat  als  besondere  Verwaltungseinheit  auch  ein 
besonderes  Denkmäler -Verzeichnis  herausgegeben  *).  Die  in  jeder  Be- 
ziehung vortreffliche,  auch  mit  geschichtlichen  und  kunstgeschichtlichen 
Einleitungen  versehene  Arbeit  behandelt  die  Denkmäler  bis  in  den 
Beginn  des  XIX.  Jahrhunderts. 

Pommern.  Hier  ist  das  Unternehmen  von  der  Gesellschaft  für 
pommersche  Geschichte  und  Altertumskunde  in  Angriff  genommen 
worden,  zunächst  jedoch  ohne  ausreichende  Mittel  und  ohne  die  nötige 
Einheitlichkeit.  Erst  in  neuester  Zeit  geht  die  Veröffentlichung  des 
ziemlich  dürftigen  Denkmälerbestandes  etwas  rascher  vor  sich.  Das  Vor- 
geschichtliche blieb  ausgeschlossen.  Der  Regierungsbezirk  Stralsund 
ist  in  einem  der  Kreiseinteilung  entsprechend  aus  vier  Heften  zusammen 

gesetzten  Band  behandelt ') ;  der  geschichtliche  Teil  dürftig ,  der  be- 
schreibende etwas  knapp,  aber  gut,  der  illustrative  armselig.  Dem- 
gegenüber stellt  die  Beschreibung  der  Denkmäler  des  Regierungs- 
bezirks Köslin*),   von   der  der  erste  Band  in  drei  Heften,    femer  das 

1)  Inventar  der  Bau-  und  Kunstdenkmäler  in  de»  Provint  Branden^ 
bürg.  Im  Auftrage  des  brandenburgischen  Provinzial-Landtages  bearbeitet  von  R.  Bergau. 
I   Bd.     BcrUn,  Vossische  Buchhandlung  (Strikker),  1885. 

2)  Die  Bau-  und  Kunstd  enkmäler  von  Berlin.  Im  Auftrage  des  Magistrates 
der  Stedt  Berlin  bearbeitet  von  R.  Borrmann.     x   Bd.     Berlin,  Julius  Springer  1893. 

3)  Die  Baudenkmäler  des  Regierungsbezi  rks  Stralsund,  herausgegeben 
von  der  Gesellschaft  fiir  pommersche  Geschichte  und  Altertumskunde,  bearbeitet  von 
Stedtbaumeister  E.  v.  Haselberg,     i  Bd.     Stettin,  Uon  Saunier,  1881—1897. 

4)  Die  Bau-  und  Kunstdenkmäler  des  Rcgierungs'betirks  Köslin, 
herausgegeben  von  der  GeseUschaft  für  pommersche  Geschichte  und  Altertumskunde, 
bearbeitet  von  Regierungs-  und  Baurat  Ludwig  Böttger.  i.  Bd.  1889— 1892,  2.  Bd., 
I.  Heft     1894  (ebenda). 


—     275     — 

erste  Heft  des  zweiten  Bandes  vorli^,  nur  im  letzten  Punkte  einen 
kleinen  Fortschritt  dar;  der  geschichtliche  Teil  hingegen  ist  noch 
dürftiger,  der  beschreibende  entbehrt  durchaus  der  notwendigen  Präcision. 
Angaben  über  Entstehungszeit  und  Stil  fehlen  oft  ganz  (Kusserow :  Das 
Gebäude  ist  nicht  mittelalterlich  oder  vollständig  umgebaut).  Die 
Beschreibung  des  Regierungsbezirks  Stettin,  von  der  drei  Hefte  des 
ersten  Bandes  erschienen  sind  *) ,  hingegen  entspricht  textlich  allen 
Forderungen  und  überragt  auch  in  der  bildlichen  Darstellung  die  beiden 
anderen  TeUe  des  Werkes  weitaus. 

Posen.  Das  Inventar  dieser  Provinz  liegt  in  vier  Bänden  ab- 
geschlossen vor*);  als  Herausgeber  zeichnet  Julius  Kohte.  Der 
erste  Band  enthält  Übersichten  über  die  politische,  kultur-  und  kunst- 
geschichtUche  Entwicklung  des  Landes  und  eine  Denkmalskarte, 
der  zweite  behandelt  die  Denkmäler  des  Stadtkreises  Posen,  der 
dritte  die  der  posenschen  Landkreise,  der  vierte  die  des  Regierungs- 
bezirks Bromberg.  Die  vorgeschichtlichen  Denkmäler  sind  nicht  be- 
schrieben. Von  dem  Besuch  entlegener  Orte,  wo  nach  glaubwürdiger 
Mitteilung  kein  Erfolg  zu  erwarten  war,  wurde  abgesehen.  Auch 
bei  diesem  Inventar  wäre  —  im  Interesse  seiner  gröfeeren  Ver- 
breitung —  die  Teilung  nach  Kreisen  oder  kleinen  Kreisgruppen  der 
nach  Regierungsbezirken  vorzuziehen  gewesen.  Im  übrigen  aber  sind 
sowohl  die  Beschreibungen  wie  auch  die  bUdlichen  Darstellungen  der 
Denkmäler  eine  vortreffliche  Leistung. 

Schlesien.  Das  Inventar,  eine  Arbeit  des  Provinzialkonservators 
Hans  Lutsch,  liegt  seit  1894  in  vier  Bänden  abgeschlossen  vor*). 
Im  ersten  werden  die  Denkmäler  der  Stadt  Breslau  beschrieben,  jeder 
der  anderen  &fst  einen  ganzen  Regierungsbezirk  zusammen.  Die  zeit- 
lichen Grenzen  sind  auch  hier  etwas  enge  gezogen,  weder  das  Vor- 
geschichtliche, noch  das  XIX.  Jahrhundert  ist  berücksichtigt.  Die 
sachliche  Darstellung  ist  sehr  exakt,  im  ganzen  aber  doch  wohl  etwas 
zu  knapp  gehalten;   vielleicht  hätte  sich   —  zum  Vorteil  des  Laien- 


i)  Die  Baa-  and  Kanstdenkmäler  des  Regierungsbezirks  Stettin, 
herausgegeben  von  der  Gesellschaft  ftlr  pommersche  Geschichte  und  Altertomskonde, 
bearbeitet  von  ProTinzialkonsenrator  Hugo  Lemcke  (unter  Benutzung  ausgedehnter  Vor- 
arbeiten von  Hans  Lutsch),     i.  Bd.,  Heft  i — 3.     1898— 1900  (ebenda). 

2)  Verzeichnis  der  Kunstdenkmäler  der  Provinz  Posen,  im  Auftrage 
des  Provinzialverbandes  bearbeitet  von  Julius  Kohte,  Regierungsbaumeister.  4  Bde.  Berlin, 
Julius  Springer,  1896 — 1898. 

3)  Verzeichnis  der  Kunstdenkmäler  der  Provinz  Schlesien.  In  amt- 
lichem Auftrage  bearbeitet  von  Hans  Latsch.  4  Bde.  Breslau,  Wilhelm  Gottlieb  Korn, 
1886^1894. 


—     276     — 

Publikums,  auf  das  doch,  auch  nach  des  Verfassers  Absicht,  gewirkt 
werden  soll  —  der  Gebrauch  von  Fachausdrücken  erheblich  ein- 
schränken lassen.  Aus  dem  selben  Grunde  halten  wir  auch  die  Zu- 
sammenfassung' des  Stoffes  nach  Regierungsbezirken  für  einen  wesent- 
lichen Fehler  der  Anlage;  desgleichen  den  übrigens  nicht  dem  Verfasser 
zur  Last  zu  schreibenden  Verzicht  auf  Abbildungen,  ein  Mangel,  dem 
nachträglich  noch  durch  ein  ausgiebiges  Bilderwerk  abgeholfen  werdeo 
wird.  Ein  Nachtragsband  wird  neben  Registern  und  Denkmalskarten 
noch  zahlreiche  Ergänzungen  bringen. 

Provinz  Sachsen.  Von  dieser  1879  in  AngrifT  genommenen 
Publikation  sind  bisher  21  zum  Teil  sehr  stattliche  Hefte,  deren  jedes 
die  Denkmäler  eines  Kreises  verzeichnet,  und  der  erste,  die  Stadt 
Halle  und  den  Saalkreis  behandelnde  Band  einer  neuen  F*olge  er- 
schienen ').  Den  vorgeschichtlichen  Denkmälern  ist  eine  besondere 
VeröflFentlichung  gewidmet  *).  Das  im  ersten  Hefte  enthaltene  Programm 
beschränkt  den  Stoff  auf  „Frühmittelalter  bis  ins  XVII.  Jahrhundert*'. 
Je  nach  der  Vorbildung  und  Berufszugehörigkeit  der  Bearbeiter,  unter 
denen  alle  Stände  vertreten  sind,  ist  auch  die  Behandlungsweise  in 
den  einzelnen  Heften  sehr  verschieden  und  verschiedenwertig.  Im 
allgemeinen  nehmen  insbesondere  in  den  neueren  Heften  die  historischen 
Einleitungen  im  Verhältnis  zu  den  eigentlichen  Denkmalsbeschreibungen 
einen  ungebührlich  breiten  Raum  ein;  die  kleineren  Monumente,  für 
die  den  kunst-  und  architekturgeschichtlich  offenbar  teUweise  völlig 
ungeschulten  Verfassern  keine  fachmännische  Vorarbeit  zur  Verfügung 
stand,  sind  ganz  ungenügend,  zuweilen  überhaupt  nicht  beschrieben. 
Die  Zeitangaben  sind  häufig  sehr  unbestimmt,  manchmal  fehlen  sie 
ganz  (Kusay:  Die  Küche  ist  in  Fachwerk  erbaut  und  hat  kein 
hohes  Alter),  Die  Illustrationen  sind  grofsenteils  nicht  ausreichend. 
Eine  rühmliche  Ausnahme  bildet  neben  Heft  17  der  ersten  Serie 
(Kreis  Schweinitz)  und  dem  ersten  Bande  der  neuen  Folge  (Stadt  Halle 
und  der  Saalkreis),  die  beide  von  Gustav  Schönermark  herrühren^ 
insbesondere  das  zuletzt  erschienene  Heft,  in  dem  Ernst  Wernicke 
den  Kreis  Jerichow  beschrieben  hat. 

Schleswigs  Holstein.     Das  Inventar  dieser  Provinz,  das  Ricfiard 


i)  Beschreibende  Darstelliing  der  älteren  Bau-  und  Kanstdenkmftler 
der  Provinz  Sachsen  und  angrenzender  Gebiete.  Herausgegeben  von  der 
historischen  Kommission  der  Provinz  Sachsen.  2 1  He/te  und  Neue  Folge  i  Bd.  Halle  a.  d.  S., 
Otto  Hendel,  18798. 

2)  Vorgeschichtliche  Altertümer  der  Provinz  Sachsen  und  angrenzender  Gebiete. 


—     277     — 

Haupt  bearbeitet  hat,  liegt  seit  1889  vollendet  vor  *).  Auch  hier  ist 
die  Gelegenheit,  durch  Teilung  in  kleine  billige  Hefte  auf  breitere 
Schichten  zu  wirken,  nicht  ergriffen  worden.  Der  erste  Band  behandelt 
ohne  Rücksicht  auf  administrative  oder  geographische  Zusammengehörig- 
keit die  Kreise  A — K,  der  zweite  die  Kreise  L — Z,  der  dritte  enthält 
Nachträge  und  Register  von  fast  übertriebener  Ausführlichkeit.  Der 
beschreibende  Teil  ist  zwar  breit  angelet,  aber  von  etwas  zu  sub- 
jektiver Färbung,  die  Abbildungen  sind  teilweise  unzureichend ;  beides  — 
Text  wie  Illustration  —  ist  im  zweiten  Bande  wesentlich  besser  als  im  ersten. 

Der  Kreis  Herzogtum  Lauenburg  ist  nach  den  gleichen  Grund- 
sätzen in  einem  besonderen  Werke  behandelt*). 

Hannover.  Das  erste  Denkmäl.er -Verzeichnis  dieser  Provinz  ist 
—  als  eines  der  ältesten  des  preufeischen  Staates  —  in  den  Jahren 
1871  bis  1881  von  H.  JV.  Mtthoff  m  sieben  stattlichen  Quartbänden 
herausgegeben  worden  *).  In  der  Einteilung  folgt  es  der  historischen 
Gliederung  des  Landes.  Dafiir  lassen  sich  ja  gewifs  gute  Gründe  an- 
führen, aber  die  Verwendbarkeit  des  Ganzen  wird  dadurch  sicher  nicht 
erhöht.  Ausgeschlossen  von  der  Betrachtung  blieben  die  vorchrist- 
lichen und  die  nach  der  ersten  Hälfte  des  XVII.  Jahrhunderts  ent- 
standenen Denkmäler.  Das  Werk  ist  an  sich  eine  bedeutende  Leistung, 
die  Beschreibung  der  Baudenkmäler  ist  zwar  nicht  sehr  ausführlich,  aber 
das  Wesentliche  ist  immer  erfafst.  Hingegen  sind  die  beweglichen 
Denkmäler  nicht  genügend  berücksichtigt  Das  Abbildungsmaterial 
ist  sehr  bescheiden. 

Da  das  Mithoffsche  Werk  seit  langem  vergriffen  ist,  so  bewilligte 
der  hannoversche  Provinziallandtag  im  Jahre  1897  ^^^  Mittel  zur 
Herausgabe  eines  neuen  Inventars,  von  dem  bisher  der  erste,  die  Land- 
kreise Hannover  und  Linden  behandelnde  Band  erschienen  ist  ^).    Heraus- 


i)  Die  Baa-  und  Kanstdenkmäler  der  Provinz  Schleswig-Holstein 
mit  Ausnahme  des  Kreises  Herzogtum  Lauenbnrg.  Im  Auflrage  der  provinzialständischen  Ver- 
waltung bearbeitet  von  Prof.  Dr.  Richard  Haupt   3  Bde.    Kiel,  Ernst  Homann,  1887  —  1889. 

2)  Die  Bau-  und  Knnstdenkmäler  im  Kreise  Herzogtum  Lauenbnrg. 
Herausgegeben  im  Auftrage  der  Kreisstände,  daigesteUt  von  Richard  Haupt  und  Friedrich 
Wcysser.     2  Hefte,  Ratzeburg  1890. 

3)  Kunstdenkmale  und  Altertümer  im  Hannoverschen.  DargesteUt  von 
H.  Wilh.  H.  MithoE     7  Bde.     Hannover,  Helwingsche  Hofbuchhandlung,  1871 -1881. 

4)  Die  Knnstdenkmäler  der  Provinz  Hannover.  Herausgegeben  im  Auf- 
trage der  Ptovindalkonuniision  zur  Erforschung  und  Erhaltung  der  Denkmäler  in  der 
Provinz  Hannover  von  Dr.  phil.  Carl  Wolff,  Landesbaurat  I.  Regierungsbezirk  Hannover. 
1.  Landkreise  Hannover  und  Linden.  Hannover,  Selbstverlag  der  Provinzialverwaltnng 
C.  Theodor  Sclinlzes  Buchhandlung,  1899. 


—     278     — 

geber  ist  Karl  Wolff,  Das  neue  Verzeichnis  folg-t  der  modernen 
administrativen  Teilung  der  Provinz,  innerhalb  der  Kreise  reihen  sich 
die  Orte  nach  dem  Alphabete  aneinander.  In  der  Anordnung-  und 
Behandlungsweise  schliefet  es  sich  ganz  eng  an  das  rheinländische 
Werk  an.  Das  Geschichtliche  ist  ausreichend  berücksichtigt,  die  Be- 
schreibungen, die  sich  auch  auf  die  Werke  aus  dem  Beginne  des 
XIX.  Jahrhunderts  erstrecken,  sind  sehr  exakt,  die  Abbildungen  grofeen- 
teils  vorzüglich. 

Westfalen.  Bedauerlicherweise  ist  der  erste  Inventarisations- 
versuch,  den  J.  B,  Nordhoff  im  Auftrage  des  Westfälischen  Provinzial- 
vereins  für  Wissenschaft  und  Kunst  im  Jahre  1881  ff.  unternommen 
hatte,  in  den  Anfängen  stecken  geblieben  *).  Es  sind  im  ganzen  zwei 
Hefte  erschienen,  deren  jedes  einen  Kreis  behandelt.  Die  vorchrist- 
lichen Altertümer  jedes  Kreises  sind  in  chronologischer  Folge  zusammen- 
gefafst  und  vorausgestellt,  die  christlichen  sind,  wie  üblich,  nach  Orten 
gesondert  besprochen.  Die  Orte  selbst  sind  nicht  alphabetisch,  sondern 
nach  ihrer  geographischen  Lage  geordnet.  Von  diesem  Mangel  an 
Übersichtlichkeit  abgesehen,  darf  das  Werk  in  textlicher  wie  in  illu- 
strativer Hinsicht  als  sehr  gut  bezeichnet  werden.  Im  Jahre  1893  nahm 
dann  der  Provinzialverband  die  Sache  auf,  und  in  rascher  Folge  sind 
seither  sieben,  je  einen  Stadt-  oder  Landkreis  behandelnde  Hefte  er- 
schienen *).  In  Bezug  auf  die  bildliche  Darstellung  ist  dieses  Inventar 
unter  allen  deutschen  Inventaren  weitaus  das  reichste ;  freilich  sind  auch 
häufig  sehr  uninteressante  Dinge,  meist  aus  Privatbesitz,  abgebildet.  Der 
geschichtliche  Teü  ist  in  manchen  Heften  mafslos  breit  angelegt,  wo- 
gegen sich  der  beschreibende  Text  meist  auf  die  allerdürftigsten  An- 
deutungen beschränkt.  Im  Interesse  der  Verbreitung  ist  die  Billigkeit 
des  Werkes  sehr  erfreulich. 

Hessen  -  Nassau.  Das  Denkmäler- Verzeichnis  des  Regierungs- 
bezirkes Kassel  ist  das  älteste  unter  allen  deutschen  Inventaren  *) ;  es 


i)  Kunst-  und  Geschichtsdenkmäler  der  Provinz  Westfalen,  heraas- 
gegeben  vom  Westfälischen  Provinzialverein  fUr  Wissenschaft  und  Kunst,  bearbeitet  von 
J.  B.  Nordhoff.    2  He'te.    I.  Leipzig,  E  A.  Seemann  i88x.    IL  Münster,  Coppenrath  1886. 

a)  Die  Bau-  und  Knnstdenkmäler  von  Westfalen,  herausgegeben  vom 
Provinzialverband  der  Provinz  Westfalen,  bearbeitet  von  A.  Lndorff,  Provinrialbauinspektor 
and  Konservator.     7  Hefte.     Mtinster  1893  ff. 

3)  Inventarium  der  Baudenkmäler  im  Königreich  Preafsen.  i.  Die 
Baudenkmäler  im  Regierungsbezirk  Kassel,  beschrieben  von  Heinrich  von  Dehn-Rothfelser 
und  Wilhelm  Lotz.  Im  Auftrage  des  KgL  Ministeriums  für  geistliche  etc.  Angelegenheiten 
herausgegeben  durch  den  Verein  für  hessische  Geschichts-  und  Landeskunde.  Kassel 
1870.  —  2.   Die  Baudenkmäler   im  Regierungsbezirk  Wiesbaden,    im  Auftrage    des  Kgl. 


—     279     — 

erschien  1870  als  Teil  eines  g^esamtpreufsischen  Inventars  und  war  eine 
bahnbrechende  That.  Es  will  vollständig'  sein  nur  in  Bezug  auf  die 
Bau-  und  Kunstwerke,  die  vor  dem  Ende  des  XVI.  Jahrhunderts  ent- 
standen sind;  von  den  Werken  des  XVII.  und  XVIII.  Jahrhunderts 
nennt  es  nur  die  bedeutenderen.  Die  historischen  Grundlagen  sind 
berücksichtigt,  die  Denkmäler  -  Beschreibungen  sind  exakt,  aber  nicht 
ausfuhrlich  genug;  in  Bezug  auf  die  beweglichen  Kunstwerke  scheint 
den  Anforderungen  an  Vollständigkeit  auch  nicht  entfernt  genügt 
zu  sein.  Auf  Abbildungen  ist  gänzlich  verzichtet.  Wie  hier,  so  ist 
auch  in  dem  nach  gleichen  Grundsätzen  bearbeiteten  Inventar  des 
Regierungsbezirkes  Wiesbaden  keine  Unterteilung  nach  Kreisen  vor- 
g'enommen;  die  Orte  des  ganzen  Gebietes  folgen  einander  in  alpha- 
betischer Reihe.  Der  Text  ist  in  diesem  zweiten  Bande  des  gesamt- 
preufsischen  Inventars  weit  ausfuhrlicher  als  im  ersten.  Für  Frankfurt 
bietet  ein  im  Erscheinen  begrifTenes,  in  jeder  Beziehung  vorzügliches 
Spezialwerk  eine  sehr  wünschenswerte  Ergänzung  *).  Auch  für  Hanau 
liegt  der  erste  Teil  einer  ähnlichen  Publikation  vor  ^). 

Rheinprovinz.  Der  erste,  den  ganzen  Regierungsbezirk  Koblenz 
umfassende  Band  des  rheinischen  Denkmäler -Verzeichnisses  ist  im 
Jahre  1886  erschienen  •).  Herausgeber  war  Paul  Lehfeldt,  Die  Kreise 
folgen  einander  in  alphabetischer  Reihe,  desgleichen  innerhalb  der 
Kreise  die  Orte.  Die  Beschreibungen  sind  gut,  aber  viel  zu  summa- 
risch, auf  die  Beigabe  von  Abbildungen  ist  gänzlich  verzichtet.  Der 
ursprüngliche,  sich  dem  hessischen  Beispiel  anschliefsende  Arbeitsplan 
wurde  nach  Erscheinen  des  ersten  Bandes  verlassen;  an  die  Stelle 
Lehfeldts  trat  als  Herausgeber  Paul  Giemen.  Das  neue  Denkmäler- 
Verzeichnis  *)  erscheint  in  Heften ;  jedes  Heft  beschreibt  einen  oder, 
wo  der  Denkmälerbestand  geringer  ist,  mehrere  geographisch  zusammen- 


MinUteriiuns  fUr  geisüiche  etc.  Angelegenheiten  bearbeitet  von  Wilhelm  Lotz  und  heraus- 
gegeben durch  Friedrich  Schneider.     Berlin,  Ernst  und  Korn,  1880. 

I)  Die  Baudenkmäler  in  Frankfurt  a/M.,  von  Karl  Wolff  und  Rudolf  Jung. 
2  Bde.     Frankfurt  a/M.  1896 — 1898.     Ein  dritter  Band  steht  noch  aus. 

a)  Die  Bau-  und  Kunstdenkmäler  der  Stadt  Hanau,  bearbeitet  und  her- 
«tosgegeben  von  A.  Winkler  und  J.  Mittelsdorf.     i.  TeiL     Hanau,  G.  M.  Alberti,  1897. 

3)  Die  Bau-  und  Knnstdenkmäler  der  Rheinprovine.  i.  Die  Ba^-  und 
Konstdenkraäler  des  Regierungsbezirkes  Koblenz,  beschrieben  und  zusammengestellt  im 
Auftrage  und  mit  Unterstützung  des  Provinzialverbandes  der  Rheinprovinz  vr>n  Faul  Lehfeldt. 
I  Bd.     Dflsseidorf,  L.  Voss  &  Co.,  1886. 

4)  Die  Kunstdenkmäler  der  Rheinprovinz.  Im  Auftrage  des  Provinzial- 
verbandes herausgegeben  von  Paul  Giemen.  17  Hefte  =  4  Bänden.  Vom  5.  Bande  ist 
Heft  I  erschienen.     Düsseldorf,  L.  Schwann,  189t  ff. 


—     280     — 

hängende  Kreise.  Die  Darstellung  ist  nach  der  geschichtlichen  Seite 
durch  allgemeine  Einleitungen  und  durch  ausführliche  Quellen-  und 
Littcraturnachweise  fundiert.  Vorgeschichtliche  und  römische  Denk- 
mäler werden  im  allgemeinen  —  besonders  bedeutende  Werke  aus- 
genommen —  nur  registriert,  die  christlichen  Bau-  und  Bildwerke  bis 
1800  hingegen  ausführlich  beschrieben  und  durch  Abbildungen  erläutert. 
Der  Beschreibung  der  Denkmäler  geht  ihre  Geschichte  voraus.  Er- 
schienen ist  bisher  die  Beschreibung  des  Regierungsbezirks  Düsseldorf 
in  13  Heften  und  die  der  Kreise  Köln  Land,  Rheinbach,  Bergheim, 
Euskirchen,  Gummersbach,  Wipperfürth  und  Waldbroel  des  Regierungs- 
bezirkes Köln  in  5  Heften.  Aufser  dem  Herausgeber  haben  an  den 
letzten  fünf  Heften  Ernst  Polaczck  und  Edmund  Renard  mitgearbeitet. 

Hohenzollem.  Das  Denkmäler -Verzeichnis  liegt  seit  1896  in 
einem  ansehnlichen ,  reich  und  gut  illustrierten  Bande  vor  *).  Die 
Oberämter  und  innerhalb  der  Oberämter  die  Orte  folgen  einander  in 
cüphabetischer  Reihe.  Der  an  sich  gute  Text  läfst  namentlich  in 
den  Baubeschreibungen  einiges  an  Ausführlichkeit  vermissen.  Dankens- 
wert ist  die  Beigabe  einer  archäologischen  Karte,  auf  der  die  vor- 
geschichtlichen und  römischen  Funde  sorgfältig  verzeichnet  sind. 

Bayern.  Mit  den  Vorarbeiten  für  das  bayrische  Denkmäler -Ver- 
zeichnis wurde  bereits  1887  begonnen,  die  Veröffentlichung  nahm 
jedoch  erst  1892  ihren  Anfang,  und  sie  schreitet  seither  nur  sehr  lang- 
sam fort  *).  Für  den  Regierungsbezirk  Gberbayern  wurde  die  Arbeit 
in  der  Weise  geteilt,  dafs  der  Architekt  und  damalige  Privatdozent 
Gustav  V.  Bezold  die  Architektur,  der  Professor  der  Kunstgeschichte 
Berthold  Riehl  Plastik,  Malerei  und  Kunstgewerbe  übernahm.  Jedem 
von  ihnen  wurden  eine  Reihe  von  Mitarbeitern  beigegeben.  Die  Dar- 
stellung beschränkt  sich  auf  die  Denkmäler  vom  XI.  bis  zum  XVIII.  Jahr- 
hundert, schliefst  also  von  vornherein  alles  Vorgeschichtliche  und 
Römische,  ferner  alles  dem  XIX.  Jahrhundert  Angehörige  aus.  Das 
geschichtliche  Quellenmaterial  ist  nur  in  sehr  beschränktem  Mafse  notiert 

i)  DieBau  und  Kunstdeukmäler  in  den  HohensoUerntcben  Landen. 
Im  Auftrage  des  HohenzoUernschen  Landes-Ausschosses  bearbeitet  von  Karl  Theodor  Zingeler 
und  Wilhelm  Friedrich  Laut.     Stuttgart,  Paul  Neff,   1896. 

2)  Die  Kunstdenkmale  des  Königreiches  Bayern  vom  XI.  bis  eum  Ende 
d«s  XVUL  Jahrhunderts,  beschrieben  und  aufgenommen  im  AufU-age  des  KgL  Staats* 
ministennm  des  Innern  für  Kirchen-  und  Schulangelegenheiten,  i.  Band.  Die  Kunst- 
denkmale des  Regierungsbezirkes  Oberbayern,  bearbeitet  von  Gustav  v.  Bezold  und 
Berthold  Riehl.  i.  Teü.  Mit  einem  AÜas  von  130  Lichtdruck-  und  Photogravurc-Tafeln. 
Verlag  von  Jos.  Albert,  München,  1895.  -  Vom  3.  Teile  des  1.  Bande«  sind  7  Lieferungen 
erschienen. 


—     281     — 

und  benutzt  worden;  denn  das  bayrische  Inventar  will  „ein  kunst- 
geschichtliches Quellenwerk  nach  der  gegenständlichen,  nicht  nach 
der  urkundlich  litterarischen  Seite  hin"  sein.  Es  setzt  sich  von  vorn- 
herein auch  in  Bezug  auf  die  Vollständigkeit  bestimmte  Grenzen; 
Voraussetzung  für  die  Erwähnung  war  eine  gewisse  künstlerische  oder 
historische  Bedeutung  des  Objektes.  So  sind  beispielsweise  ganz 
kunstlose  oder  in  hohem  Grade  entstellte  romanische  Bauten  aus- 
geschlossen geblieben;  je  jünger  die  Epoche,  desto  stärker  wurde  ge- 
siebt Bauernhäuser  fehlen  beispielsweise  ganz.  In  der  Anordnung 
folgt  das  Werk  der  Einteilung  des  Königreiches  in  Regierungsbezirke ; 
innerhalb  dieser  sind  die  Bezirksämter  lokal  gruppiert,  innerhalb  der 
Bezirksämter  folgen  einander  die  Orte  nach  dem  Alphabet.  Der  be- 
deutende Umfang  der  Textbände  steht  einer  weiten  Verbreitung  des 
Werkes  hindernd  im  Wege.  Die  Beschreibungen  sind  knapp,  aber 
sehr  exakt.  Prinzipiell  unterscheidet  sich  das  bayrische  Werk  von 
allen  bisher  besprochenen  preußischen  dadurch,  dafs  Text  und  Ab- 
bildungen voneinander  getrennt  sind;  letztere  sind  in  e'mem  Folio -Atlas 
vereinigt.  Alle  irgendwie  hervorragenden  Werke  sind  in  grofsenteils  vor- 
züglichen Abbildungen  wiedergegeben,  fast  durchweg  —  mit  Ausnahme 
der  architektonischen  Aufnahmen  —  auf  Grund  von  Photographieen. 
Das  grofee  Format  gestattet  grofsen  Mafsstab. 

Eine  seit  mehreren  Jahren  in  zwanglosen  Heften  erscheinende 
Publikation  pfälzischer  Baudenkmäler  ')  ist  in  ihren  verschiedenen  Teilen 
zwar  naturgemäfs  verschiedenwertig;  sie  kann  aber  immerhin  als  wert- 
volle Vorarbeit  für  die  amiliche  Inventarisation  bezeichnet  werden. 

Königreich  Sachsen.  Das  sächsische  Denkmäler -Verzeichnis  •), 
das  R.  Steche  begonnen  hat  und  Cornelius  Gurlitt  fortfuhrt,  folgt 
m  seiner  Anordnung  der  administrativen  Gliederung  des  Landes. 
Jedes  Heft  umfafst  eine  Amtshauptmannschaft;  innerhalb  der  Hefte 
folgen  sich  die  Orte  in  alphabetischer  Reihe.  Auf  die  Ausbreitung 
einer  historischen  Grundlage  ist  verzichtet,  auch  Litteratur  ist  nicht 
namhaft  gemacht.  Die  Denkmalsbeschreibungen  sind  gut  und  aus- 
fuhrlich, zu  vermissen  ist  jedoch  zuweilen  präcise  Angabe  von  Zeit  und 
Stil.    Das  Abbildungsmaterial  ist  in  den  älteren  Heften  qualitativ  und 


t)  Die  BaadenkmSler  in  der  Pfalz.  Herausgegeben  von  der  Pfalzischen 
Kreisgesellschftft  des  Bayrischen  Architekten-  und  Ingeniear-Yereins.     5  Bde.   1884*- 1899. 

3)  Beschreibende  Darstellung  der  älteren  Bau-  und  Kunstdenkmäler 
des  Königreichs  Sachsen.  Auf  Kosten  der  Kgl.  Staatsregierong  herausgegeben  Tom 
KgL  Sächsischen  Altertumsyerein.  Heft  i~  18,  bearbeitet  von  Dr.  R.  Steche  und  C.  Gurlitt 
Dresden,  C.  C.  Meinhold  &  Söhne,  1882  ff. 


quantitativ  bescheiden,  in  den  jüngeren  reichlicher  bemessen  und  gut. 
In  diesen  zeigt  auch  der  Ausdruck  die  erwünschte  Schärfe. 

Württemberg.  Das  württembergische  Denkmäler -Verzeichnis  ') 
weicht  in  sehr  vielen  Punkten  von  den  anderen  deutschen  Inventaren 
ab.  Es  ist  die  Arbeit  eines  Poeten.  In  feiuiger,  schwungvoller  Sprache, 
immerhin  noch  in  Prosa,  schildert  er  die  Denkmäler  seiner  Heimat 
und  nicht  nur  diese,  auch  den  Boden,  auf  dem  sie  stehen,  die  Berge 
mit  ihren  Burgen,  den  Himmel,  der  sich  darüber  wölbt.  Freilich  gleitet 
er  dabei  sehr  häufig  rasch  über  Dinge  hinweg,  die  man  aus  einem 
Inventar  zu  erfahren  das  Recht  hat.  Zweifellos  hat  das  württembergischc 
Werk  gerade  durch  die  temperamentvolle  Art,  mit  der  hier  die  Aufgabe 
angefafst  ist,  vor  vielen  anderen  den  Vorzug,  dafs  es  auf  weitere  Kreise 
anregend  zu  wirken  vermag,  aber  ebenso  zweifellos  ist  es,  dafs  dieser 
Vorzug  durch  das  Fehlen  aller  wissenschaftlichen  Tugenden  erkauft  ist. 
Das  ganze  Unternehmen  scheint  ohne  rechten  Plan  in  Angriff  genommen 
worden  zu  sein.  Der  sehr  hübsche  Abbildungen  enthaltende ,  nicht 
paginierte  Atlas  liegt  seit  1893  vollendet  vor,  während  von  dem  auf 
vier  Bände  berechneten  Text  erst  zwei  Bände  und  die  Anfangslieferung 
eines  dritten  (diese  1897!)  erschienen  sind.  Zwischen  Atlas  und  Text 
bestehen  keinerlei  Beziehungen,  es  fehlt  häufig  an  Verweisen  vom 
einen  auf  den  andern;  zudem  ist  —  trotz  Atlas  —  eine  grofse  Zahl 
von  Abbildungen  über  den  Text  verstreut.  Warum  ?  Doch  wohl  nur, 
weil  man  sich,  als  der  Atlas  erschien,  noch  nicht  klar  gemacht  hatte, 
was  an  Illustrationen  erforderlich  sein  würde.  Jeder  Band  umfafst  einen 
Kreis,  innerhalb  der  Kreise  sind  die  Oberämter,  innerhalb  der  Ober- 
ämter die  Orte  alphabetisch  geordnet. 

Baden.  Das  Inventar*),  dessen  1887  begonnene  Veröffentlichung 
leider  nur  langsam  vorwärtsschreitet,  folgt  in  seiner  äufseren  Anordnung 
der  Einteilung  des  Landes  in  Kreise  und  Amtsbezirke.  Jeder  der 
drei  ersten  Bände  enthält  die  Beschreibung  eines  ganzen  Kreises,  der 


i)  Die  Kunst-  und  Altertams-Denkmale  im  Königreich  Württem- 
berg. Im  Auftrage  des  Kgl.  Ministeriums  des  Kirchen-  und  Schulwesens  bearbeitet  von 
Eduard  Paulus.  Stuttgart,  Paul  Neff.  i.  Band:  Neckarkreis  1889.  2.  Band:  Schwarzwald- 
kreis 1897.  3.  Band:  Donaukreis  im  Erscheinen.  Dazu  zwei  Bände  Tafeln,  i.  Band: 
Neckarkreis  1889.     2.  Band:  Schwarzwald-,  Donau-  und  Jagstkreis   1893. 

2)  Die  Kunstdenkmäler  des  Grofsherzogturos  Baden.  Beschreibende 
Statistik,  im  Auftrage  des  Grofsherzoglichen  Ministeriums  der  Justiz,  des  Kultus  und  Unter- 
richts und  in  Verbindung  mit  Joseph  Durm,  A.  v.  Oechelhäuser,  Karl  Schäfer  und  £.  Wagner, 
herausgegeben  von  Franz  Xaver  Kraus.  4  Bde.  Freibnrg,  J.  C.  B.  Mohr  (Paul  Siebeck), 
18876.  Konstanz,  Villingen,  Waldshut  von  Kraus,  Mosbach  von  Oechelhäuser,  das  Vor- 
geschichtliche von  Wagner. 


—     283     — 

vierte  ist  in  zwei  je  einen  Amtsbezirk  behandelnden  Hälften  erschienen. 
Eine  weitgehende  Arbeitsteilung  hat  insofern  stattgefunden,  als  in  allen 
Bänden  die  Verzeichnung  der  vorgeschichtlichen  und  römischen  Alter- 
tümer, in  den  drei  ersten  auch  die  der  wichtigeren  Denkmäler  des 
Burgenbaues,  besonderen  Bearbeitern  überlassen  blid).  Als  Herausgeber 
zeichnet  Franz  Xaver  Kraus,  Die  historische  Grundlegung  scheint 
überall  mit  Sorgfalt  und  der  erwünschten  Ausführlichkeit  vorgenommen 
zu  sein,  die  Beschreibung  der  Denkmäler,  insbesondere  der  jüngeren,, 
ist  doch  wohl  etwas  zu  summarisch.  Die  büdliche  Darstellung  ist 
quantitativ  und  qualitativ  gut.  Jedem  Bande  ist  eine  Denkmalskarte 
beigegeben. 

Grofsherzogtum  Hessen.  Von  diesem  Inventar  ^),  das  1885  ^u 
erscheinen  begonnen  hat  und  dessen  allgemeine  Anordnung  sich  der 
modernen  Verwaltungseinteilung  des  Landes  anschlielst,  sind  bisher 
sechs  Bände  erschienen,  von  denen  fünf  je  einen  Kreis  behandeln,, 
während  der  sechste  in  monographischer  Form  den  ehemaligen  Kreis 
Wimpfen  beschreibt.  Die  Beschreibung  erstreckt  sich  auf  die  Denk- 
mäler von  der  Römerzeit  bis  zum  Beginn  der  klassizierenden  Reaktion. 
Der  geschichtliche  1  eil  ist  sorgfältig,  der  beschreibende  zeigt  in  einigen 
Bänden  bei  grofser  Ausführlichkeit  einen  Mangel  an  Präcision  im  Aus- 
druck; der  illustrative  Teil  ist  sehr  gut. 

Mecklenburg-Schwerin.  Die  27  Amtsgerichtsbezirke  des  Grofs- 
herzogtums  sind  nach  ihrer  lokalen  Gruppierung  auf  drei  dicke  Bände 
verteilt,  und  auch  innerhalb  der  Amtsgerichtsbezirke  ^)  sind  die  Orte 
nicht  alphabetisch,  sondern  geographisch  geordnet.  Die  ,,  vorgeschicht- 
lichen Stellen'*  jedes  Bezirkes  sind  besonders  für  sich  zusammengefafst ; 
die  übliche  Ausschliefsung  des  XIX.  Jahrhunderts  von  der  Beschreibung 
schien  dem  Herausgeber  für  Mecklenburg -Schwerin  keinen  Sinn  zu 
haben.  Der  Text  ist  nach  der  geschichtlichen  wie  nach  der  be- 
schreibenden Seite  hin  sehr  sorgfältig,  nur  fehlt  es  leider  an  Registern. 
Der  illustrative  Teil  ist  nicht  besonders  reich,  aber  gut. 

i)  Kunstdenkmäler  im  Grofsherzogtum  Hessen.  Inventarisiemng  und 
beschreibende  Darstellung  der  Werke  der  Architektur,  Plastik,  Malerei  und  des  Kunst- 
gewerbes bis  zum  Schlufs  des  i8.  Jahrhunderts.  Herausgegeben  durch  eine  im  Auftrage 
Seiner  Königlichen  Hoheit  des  Grofsherzogs  zu  diesem  Zwecke  besteUte  Kommission. 
Darmstadt,  Bergsträfser,  1885  ff.  Offenbach,  Erbach,  Wimpfen  von  Georg  Schaefer,  Worms 
von  Ernst  Woerner,  Büdingen  von  Heinrich  Wagner.     Friedberg  von  Rudolf  Adamy. 

2)  Die  Kunst-  und  Geschichtsdenkmäler  des  Grofsherzogtums 
Mecklenburg-Schwerin.  Im  Auftrage  des  Grolsberzoglichen  Ministeriums  des  Innern 
herausgegeben  von  der  Kommission  zur  Erhaltung  der  Denkmale,  bearbeitet  von  Friedrich 
Schlie.     Bärensprungsche  Hofbuchdruckerei  1896—1899. 


—     284     — 

Thüringen.  Die  thüringischen  Staaten,  Sachsen -Weimar-Eisenach, 
Sachsen-Meiningen-Hildbuighausen,Sachsen-Altenburg,Sachsen-Coburg- 
Gotha,  Schwarzburg-Rudolstadt  und  die  beiden  Reuis,  haben  sich  zur 
Herausgabe  eines  gemeinsamen  Inventars  vereinigt').  Es  ist  von 
Paul  Lehfeldt  bearbeitet.  Jeder  Band  umfaist  —  nach  topographischen 
Gesichtspunkten  gruppiert  —  je  nach  dem  Umfang  des  Staatsgebietes 
zwei  oder  mehrere  Verwaltungsbezirke  bezw.  Kreise  oder  Landrats- 
ämter, innerhalb  deren  die  Orte  sich  in  alphabetischer  Reihe  folgen. 
Geschichtliche  und  topographische  Einleitungen  sind  vorausgeschickt;  die 
eigentlichen  Denkmalsbeschreibungen  sind  sehr  ausfuhrlich  und  sorg- 
faltig, auch  das  Illustrationsmaterial  ist,  wenn  auch  nicht  gerade  reich- 
lich, so  doch  gut  gewählt  und  gut  ausgeführt.  Nur  fehlen  grofsenteils 
architektonische  Mafsaufnahmen ;  die  schematisch  gezeichneten  Grund- 
risse gewähren  dafür  keinen  ausreichenden  Ersatz.  Die  Inventare  von 
Sachsen-Weimar-Eisenach,  Sachsen-Altenburg,  Schwarzburg-Rudolstadt, 
wie  die  der  beiden  Reufs  liegen  fertig  vor.  Von  dem  auf  vier  Bände 
berechneten  meiningischen  Verzeichnis  ist  bisher  nur  der  vierte  Band 
und  ein  Heft  des  dritten  erschienen;  von  dem  coburgischen  Teil  liegt 
-der  erste  und  dritte  Band  und  die  erste  Lieferung  des  zweiten  vor. 

Schwarzburg-Sondershausen.  Das  seit  1887  abgeschlossen  vor- 
liegende Inventar  ist  die  Arbeit  eines  kindlichen  Dilettanten  *).  Die 
Beschreibung  der  Kirchen  beschränkt  sich,  wo  sie  nicht  ganz  fehlt, 
meist  auf  die  Schilderung  der  Aussicht,  die  man  von  ihnen  aus  hat, 
das  Innere  wird  in  der  Regel  mit  den  Worten  „freundlich  und  hell** 
abgethan.  Für  ihre  Entstehungszeit  werden,  wo  keine  Jahreszahl  an- 
geschrieben  ist,   in  der  Regel   die  Bezeichnungen    alt  oder  sehr  alt 

x)  Bau-  und  Kunstdenkmäler  Thüringens.  Im  Auftrage  der  Regierungen 
von  Sachsen-Weimar-Eisenach,  Sachsen-Meiningen  und  Hildburghausen,  Sachsen-Altenburg, 
^achsen-Coburg  und  Gotha,  Schwarzburg-Rudolstadt,  Reufs  ä.  L.  und  Reufs  j.  L.  bearbeitet 
von  Paul  Lehfeldt.     Jena,  Gustav  Fischer. 

Sachsen-Weimar-Eisenach  3  Bde.   1892.   1888.   1897. 

Sachsen-Meiningen  4.  Bd.   1892  und  erste  Lieferung  des  dritten. 

Sachsen-Altenburg  2  Bde.   1895.   ^S^^* 

Sachsen-Coburg-Gotha  i.  Bd.  1897.     3.  Bd.  1891  und  erste  Lieferung  des  zweiten. 

Schwarzburg-Rudolstadt  2  Bde.   1894. 

ReuiJs  ä.  L.   I  Bd.   1891. 

Reuls  j.  L.  2  Bde.   1898.   1891. 

2)  Beschreibende  Darstellung  der  älteren  Bau-  und  Kunstdenkmäler 

-des    Fürstentums    Schwarzburg-Sondershmusen.      Unter  den    Anspicien    der 

Fürstlichen   Staatsregieruog  heransgegeben  vom  Fürstlichen  Schwarzbnrgischen  Altertums- 

^erein,  bearbeitet  von  F.  Apfelst^dt,  Ffr.  em.    2  Hefte.    Sondershausen,  Friedrich  Bertram, 

1886— 1887. 


—     285     — 

angewandt.  Ein  Beispiel  für  viele:  „Die  Kirche  ist  zwar  schon  sehr 
alt,  aber  durch  mehrmalige  Reparatur  in  noch  gutem  Zustande  und 
im  Innern  sehr  freundlich."  Dies  die  ganze  Beschreibung  der  Kirche 
von  Görbitzhausen.     Die  Illustrationen  entsprechen  dem  Texte. 

Schaumburg -Lippe.  Das  einen  Quartband  umfassende  Inventar 
ist  eine  sehr  sorgfaltige  und  gewissenhafte  Arbeit.  Der  geschichtliche, 
wie  der  beschreibende  und  der  illustrative  Teil  sind  als  gleich  gut 
zu  bezeichnen  '). 

Oldenburg.  Bei  der  Anfertig^g  des  Denkmäler -Verzeichnisses  '), 
von  dem  gegenwärtig  zwei  Hefte  vorliegen,  hat  eine  Arbeitsteilung  in 
dem  Sinne  stattgefunden,  dafs  die  Verzeichnung  der  vorchristlichen 
Altertümer,  die  der  Bau-  und  Kunstdenkmäler  aus  christlicher  2^it, 
endlich  die  Abfassung  des  geschichtlichen  Teils  drei  verschiedenen 
Bearbeitern  übertragen  wurde.  Der  geschichtliche  Teil  des  Textes 
tritt  vor  dem  beschreibenden  ganz  ungebührlich  in  den  Vordergrund ; 
er  nimmt  im  ersten  Hefte  8i  von  135  Seiten  ein.  Die  Beschreibungen 
^bet  sind  gut,  die  Abbildungen  desgleichen.  In  der  Anordnung  folgt 
das  Werk  der  Einteilung  des  Grofeherzogtums  in  Ämter. 

Braunschweig.  Hier  ist  mit  der  Veröffentlichung  des  Denkmäler- 
Inventars  erst  1896  begonnen  worden').  Jeder  Band  soll  euien  Kreis 
umfassen,  innerhalb  der  Amtsbezirke  sind  die  Orte  alphabetisch  ge- 
ordnet :  die  Darstellung  erstreckt  sich  auch  auf  die  vorgeschichtlichen, 
wie  auf  die  untergegangenen  Denkmäler.  Der  Text  ist  nach  der  ge- 
schichtlichen, wie  nach  der  beschreibenden  Seite  hin  vorzüglich,  fiir 
<lie  Abbildungen  ist  vielleicht  ein  zu  kleines  Format  gewählt.  Eine 
willkommene  Ergänzung  bietet  eine  kleine  photographische  Publikation 
braunschweigischer  Bauten  *). 

Anhalt.  Das  Inventar  ist  eine  Privatarbeit,  freUich  eine  sehr  ver- 
<iienstliche.    In  dem  stattlichen,  reich  und  gut  illustrierten  Bande  folgen 


i)  Beschreibende  Darstellang  der  älteren  Bma- and  Kaastdenkmäler 
des  Fttrstentams  Schaambnrg-Lippe,  im  Auftrage  der  fllrstlichen  Hofkammer 
beafbeitet  von  GusUt  Schönermark,     i  Bd.     Berlin,  Wilhelm  Ernst  &  Sohn,  1897. 

2)  Die  Bau-  und  Kunstdenkmäler  des  Herzogtums  Oldenburg.  Be- 
arbeitet im  Auftrage  des  Grofsherzoglichen  Staatsministeriums.  2  Hefte.  Oldenburg, 
Gerhard  StaUing  1896—1900. 

3)  Die  Bau-  und  Kunstdenkmäler  des  Herzogtums  Braunschweig.  Im 
Auftrage  des  herzoglichen  Staatsministeriums  herausgegeben  von  der  herzoglichen  braun- 
«chweigischen  Baudirektion.  i.  Band:  Kreis  Helmstedt,  bearbeitet  von  P.  J.  Meier.  Wolfen- 
bauel,  Julius  Z^rissler  1896. 

4)  Braunschweigs  Baudenkmäler.  Herausgegeben  vom  Verein  von  Freunden 
-^ler  Photographie.     3  Serien  1892  — 1896. 

22 


—     286     — 

einander  die  Kreise,  innerhalb  der  Kreise  die  Orte  in  alphabetischer 
Reihe.  Die  Darstellung  ist  nicht  nur  ausführlich,  sie  scheint  auch  so- 
wohl in  ihrem  geschichtlichen  wie  im  beschreibenden  Teile  zuverlässig 
zu  sein  *). 

Hansestädte.  Mit  der  Inventarisierung  der  Denkmäler  des  ham- 
burgischen Staates  ist  das  Museum  für  Kunst  und  Gewerbe  in  Ham- 
burg betraut  worden.  Die  Arbeit  soll  auch  die  vorgeschichtliche  Zeit 
und  die  Gegenwart  umfassen.  Zunächst  werden  von  den  Denkmälern 
ausführliche  Beschreibungen  und  photographische  beziehungsweise 
architektonische  Aufnahmen  hergestellt.  Ob  dieses  Inventar  ganz  oder 
auszugsweise  oder  gar  nicht  veröffentlicht  wird,  ist  noch  nicht  ent- 
schieden ^).  In  Lübeck  wird  gleichfalls  an  der  Denkmäler-Inventari- 
sation  gearbeitet  *).  Eine  ältere  Publikation  bremischer  Denkmäler 
ist  in  diesem  Zusammenhange  nur  als  vorbereitende  Arbeit  zu  nennen  ^). 
Der  erste  Band  behandelt  das  Rathaus  von  Bremen,  der  zweite  ent- 
hält kunst-  und  kulturgeschichtliche  Skizzen. 

Elsafs-Lothringen.  Das  elsässisch-lothringische  Inventar  %  unter 
den  schwierigsten  Verhältnissen  unmittelbar  nach  dem  Kriege  in  einem 
eroberten  und  naturgemäfs  von  feindseliger  Gesinnung  gegen  den 
Eroberer  eriullten  Lande  von  eines  Mannes  Hand  geschaffen,  steht  als 
Arbeitsleistung  unter  allen  Inventaren  mit  an  erster  Stelle.  Es  umfalst 
in  je  einem  Bande  je  einen  Bezirk,  ein  vierter  Band  enthält  Nachträge 
und  Register;  innerhalb  der  Bände  reihen  sich  die  Orte  in  alphabetischer 
Folge  aneinander.  Das  Werk  wächst  von  Band  zu  Band  an  Aus- 
führlichkeit und  Verläfslichkeit  der  Darstellung,  und  auch  der  Bilder- 
schmuck, der  in  den  ersten  Lieferungen  dürftig  war,  hat  sich  im  dritten 
Bande   qualitativ  wie  quantitativ  zu  ansehnlicher  Höhe  erhoben.     Die 


i)  Anhalts  Bau-  und  Kunstdenkmäler,  herausgegeben  und  bearbeitet  von 
Dr.  Büttner  Pfönner  zu  Thal,  i  Bd.  Dessau  •  Leipxig ,  Richard  Kahle  (Hermann  Oster- 
witx),   1892. 

2)  Museum  für  Kunst  und  Gewerbe  in  Hamburg.  Bericht  fUr  das  Jahr 
1898  von  Direktor  Professor  Dr.  Justus  Brinckmann.     Hamburg  1899.     S.  76. 

3)  Korrespondenzblatt  des  Gesamtvereins  der  deutschen  Ge- 
schichts-  und  Altertumsvereine  1900.     S.  X17. 

4)  Denkmale  der  Geschichte  und  Kunst  der  freien  Hansestadt 
Stadt  Bremen.     2  Bde.     Bremen,  C.  Ed.  Müller.     1862.     1870. 

5)  Kunst  und  Altertum  in  Elsafs-Lothringen.  Beschreibende  Statistik 
im  Auftrage  des  Kaiserlichen  Ministeriums  für  EHsafs  -  Lothringen  herausgegeben  von 
Franz  Xaver  Kraus.  4  Bde.  Strafsburg,  C  F.  Schmidts  Universitätsbuchhandlnng  (Friedrieb 
BuU),  1876— 1892. 


—     287      — 

erste  Auflage  ist  teilweise   vergriffen.     Für  die   dringend   notwendige 
Neubearbeitung  wird  die  Einteilung  nach  Kreisen  geplant. 

Ob  sich  wohl  theoretisch  noch  mehr  Lösungen  der  im  Grunde 
doch  ganz  gleichen  Aufgabe  finden  lieCsen,  als  praktisch  gefunden 
worden  sind?  Wir  glauben  nicht.  Sieht  man  von  der  thüringischen 
Gruppe  ab,  so  gleichen  sich  auch  nicht  zwei  von  den  26  deutschen 
Inventarisationswerken  vollständig.  Fürwahr,  eine  sonderbare  Blüte  am 
Baume  der  deutschen  Einheit!  Schon  äufserlich  sind  die  Unterschiede 
sehr  grois.  Vom  dünnen  löschpapiemen  Heft  bis  zum  schweren  un- 
handlichen Folio  sind  alle  Nuancen  vertreten.  Hier  keine  Illustrationen, 
dort  Bilderbücher  mit  knappsten  Notizen.  In  den  meisten  Fällen  ist 
der  Text  mit  den  Abbildungen  vereinigt;  Bayern  und  Württemberg, 
zu  denen  sich  auch  Schlesien  gesellen  wird,  geben  besondere  BUder- 
werke.  Viel  gröfser  noch  als  diese  äufseren  sind  die  inneren  Unter- 
schiede. Bald  ward  die  Arbeit  Architekten,  bald  Kunsthistorikern 
übertragen;  hier  Baubeamten,  dort  Gymnasiallehrern  und  dann  wieder 
Geistlichen  oder  Museumsleuten ;  bald  Männern  der  Wissenschaft,  bald 
Männern  der  Praxis,  bald  harmlosen  Dilettanten  ohne  eine  Ahnung 
von  den  Dingen,  auf  die  es  ankommt.  An  vielen  Stellen  hielt  man 
es  —  wie  mir  scheint,  mit  Recht  —  für  notwendig,  eine  breite 
historische  Grundlage  zu  geben;  anderwärts  wurde  die  historische 
Grundlage  zur  Hauptsache,  hinter  der  die  Denkmäler  weitaus  zurück- 
treten. Bisweilen  begnügt  man  sich  mit  Hinweisen  auf  Quellen  und  Lit- 
teratur,  dann  läfet  man  wieder  die  Denkmäler  ganz  allein  reden.  Hier 
ganze  Regierungsbezirke  in  Bänden  —  das  brandenburgische  Werk 
fafst  sogar  die  ganze  Provinz  in  einem  Bande  zusammen  —  dort 
einzelne  Kreise  oder  kleine  Kreisgruppen  —  in  Ostpreufsen  die  alten 
Landschaften  —  in  Heften,  die  natürlich  billiger  sind  und  unvergleich- 
lich leichter  Verbreitung  finden.  Hier  topographische,  dort  ganz 
mechanisch  alphabetische  Anordnung,  wie  etwa  in  Schleswig-Holstein, 
wo  sämtliche  Kreise  dem  Alphabet  nach  auf  zwei  Bände  aufjgeteUt 
sind;  dann  wieder  eine  Verbindung  von  beiden.  Und  gar  die  Begren- 
zung des  zu  bearbeitenden  Stoffes !  In  Mecklenburg  beginnt  man  mit 
den  vorgeschichtlichen  Denkmälern  und  findet,  es  habe  keinen  Sinn,  die 
Produktion  der  Gegenwart  von  der  Betrachtung  auszuschließen.  Anders- 
wo geht  man  bis  1820;  die  meisten  Bearbeiter  schlieisen  mit  1800,  einer 
mit  1750,  ein  anderer  mit  der  ersten  Hälfte  des  XVII.  Jahrhimderts. 
Hier  wünscht  man  bis  zum  Ausgange  des  XVI.  Jahrhunderts  voll- 
ständig zu  sein,   in  Bayern   siebt  man  sogar  schon  unter  den  Denk- 

22» 


—     288     — 

malern  des  romanischen  Stils.  Der  eine  deutet  nur  ganz  knapp  an, 
der  andere  schildert  mit  breitester  Behaglichkeit  Hier  wird  auch 
Privatbesitz  inventarisiert,  dort  nur  dann,  wenn  er  Beziehungen  zum 
Lande  hat,  an  dritter  Stelle  gar  nicht.  In  einigen  Werken  erstreckt 
sich  die  Verzeichnung  in  gleicher  Weise  auf  die  bestehenden  wie  auf 
die  untergegangenen  Denkmäler.  Zuweilen  werden  die  vorchristlichen 
Werke  in  Denkmalskarten  verzeichnet,  zuweilen  die  christlichen ;  meist 
ist  ganz  auf  kartographische  Darstellung  verzichtet. 

Kurz,  was  nur  an  Nuancen  denkbar  ist,  findet  sich  in  Wirklichkeit 
vor.  Nun  aber  treten  noch  zu  diesen  gewollten,  planmäfsigcn  Ver- 
schiedenheiten die  ungewollten  teils  in  der  Individualität  der  Bearbeiter, 
teils  in  allgemeinen  Verhältnissen  begründeten  Verschiedenheiten  hinzu, 
Verschiedenheiten  der  Vorbildung,  des  Temperaments,  der  Aufnahme- 
fähigkeit. Besonders  korrekturbedürftig  sind  natürlich  die  Arbeiten 
der  lediglich  mit  ihrer  Stadt  oder  ihrem  Kreise  vertrauten  Nichtfach- 
leute.  Wer  viel  gesehen  hat,  wird  weniger  zu  übertriebenen  Wert- 
urteUen  geneigt  sein  als  der  Dilettant  und  der  Neuling.  Einem  erzählt 
jeder  moosbewachsene  Stein  Geschichten,  dem  zweiten  ist  die  malerische 
Ruine  nichts  als  Objekt.  Diesem  erlischt  nach  zweistündiger  Arbeit 
die  Fähigkeit,  innerlich  aufzunehmen,  er  sieht  nur  mechanisch  und 
übersieht  wohl  auch  leicht ;  jenem  vermag  Hunger  und  Durst,  Sonnen- 
glut und  Regen  nichts  von  seiner  Gründlichkeit  im  Arbeiten  zu  nehmen. 
Einer  interessiert  sich  mehr  für  Architektur,  der  andere  für  Plastik,  der 
dritte  für  Malerei.  Diesem  ist  jedes  gotische  Figürchen  ein  Heüigtum, 
für  jenen  beginnt  die  wahre  Kunst  erst  mit  dem  Rokoko.  Man  sieht 
anders  am  frühen  Moig-en  und  anders,  wenn  man  um  sieben  Uhr  abends 
nach  vielstündigem  Marsche  auf  sonniger  Landstralse  in  die  achte 
Kirche  kommt.  Dutzende  solcher  Möglichkelten  lieisen  sich  noch 
aufzählen,  tmd  man  wäre  noch  immer  weit  vom  Ende.  Es  versteht 
sich,  dafs  unter  diesen  Umständen,  bei  so  viel  gewollten  und  so  viel 
nicht  gewollten  Verschiedenheiten  in  Anlage  und  Ausführung,  auch  der 
wissenschaftliche  Wert  der  einzelnen  Inventare  ein  sehr  ungleicher  ist. 

Und  dennoch !  Alles  in  allem  genommen,  ist  die  deutsche  Denk- 
mäler-Inventarisation  eine  ganz  gewaltige  Arbeitsleistung.  In  allen 
detitschen  Bundesstaaten  —  mit  Ausnahme  von  Mecklenburg -Strelitz, 
Waldeck-Pyrmont,  Lippe-Detmold  und  den  Hansestädten  — ,  in  allen 
preufsischen  Provinzen  ist  die  VeröfTentlichung  der  Denkmäler -Ver- 
zeichnisse bereits  ins  Werk  gesetzt.  In  neun  Bundesstaaten  (Mecklen- 
burg-Schwerin, Sachsen^Weimar  und  Altenburg,  Anhalt,  Schwarzburg- 
Sondershausen  tmd  Rudolstadt,  Reufs  j.  L.,  Schaumburg-Lippe,  Eisais- 


—     289     — 

Lothringen)  und  in  acht  preußischen  Provinzen  (Ostpreufeen,  Branden- 
burg, Posen,  Schlesien,  Schleswig-Holstein,  Hannover,  Hessen-Nassau, 
Hohenzollem)  liegen  die  Inventare  fertig  vor.  Mehrere  sind  ganz 
oder  teilweise  vergriffen,  einzelne  Hefte  des  ostpreufsischen  Werkes 
sind  bereits  zum  zweitenmale  aufgelegt  worden.  In  Hannover  ist  eine 
Neubearbeitung  des  Stoffes  im  Gange,  im  Elsafs  wird  sie  vorbereitet. 
Anderswo  —  in  Bayern  beispielsweise  —  ist  man  vergleichsweise  noch 
sehr  im  Rückstande;  hier  sind  für  den  Abschlufe  der  laufenden  Ver- 
öffentlichung, wenn  man  das  bisherige  Tempo  beibehält,  noch  wenigstens 
fünfzig  Jahre  erforderlich. 

Immer  wieder  aber  wird  man  auf  den  Gedanken  einer  einheitlichen 
deutschen  Kunsttopographie  zurückkommen.  Es  gab  eine  solche,  ehe 
es  ein  Reich  gab,  wenn  auch  in  beschränkter  Weise;  und  es  wird 
wieder  eine  geben,  jetzt,  da  es  ein  Reich  giebt.  Vorläufig  aber  wäre 
schon  viel  gewonnen,  wenn  man  sich  —  was  sicher  nicht  außerhalb 
des  Bereiches  der  Möglichkeit  liegt  —  für  die  allgemach  notwendig 
werdenden  zweiten  Auflagen  über  gewisse,  sich  aus  der  bisherigen 
Praxis  ergebende  allgemeine  Grundsätze  einigen  könnte. 
Als  solche  wären  etwa  anzuführen: 

1.  Die  Darstellung  erstreckt  sich  auf  den  ganzen  Zeit- 
raum von  den  frühesten  vorgeschichtlichen  Anfängen  bis 
zum  Ausgange  des  XVIII.  Jahrhunderts.  Es  wird  zu  er- 
wägen sein,  ob  die  vorchristlichen  Denkmäler  nur  kurz 
registriert  oder  ob  sie  in  gleicher  Weise  behandelt  werden 
sollen  wie  die  Werke  christlicher  Zeit. 

2.  Die  Bearbeitung  soll  durch  historisch  geschulte 
Kunsthistoriker  oder  Architekten,  eventuell  unter  Zu- 
ziehung historischer  Hilfsarbeiter  erfolgen.  Die  Dar- 
stellung soll  nach  der  historischen  Seite  —  auch  durch 
Hinweis  auf  archivalische  Quellen  und  durch  Anführung 
der  lokalen  Litteratur  —  ausreichend  fundiert  sein;  die 
Beschreibung  der  Denkmäler  durch  Wort  und  Bild  aber 
mufs  dabei  die  Hauptsache  bleiben. 

3.  Der  Denkmälerbestand  wird  nach  genau  zu  regelnden 
Grundsätzen  kartographisch  verzeichnet. 

4.  Die  Anordnung  erfolgt  auf  Grund  der  modernen 
Verwaltungseinteilung  d.  h.  in  Preufsen  nach  Kreisen 
eventuell  kleinen  Kreisgruppen,  aufserhalb  Preufsens  nach 
den  entsprechenden  Verwaltungsbezirken.  Damit  wäre 
eine  gröfsere  Verbreitung  und  zugleich  eine  tiefergehende 


—      290     — 

Wirkung  gewährleistet.    Jeder  Bürgermeister,  jeder  Lehrer, 
jeder  Pfarrer  müfste  das  Buch  haben. 

Zweifellos  wäre  schon  viel  gewonnen,  wenn  sich  in  diesen  Punkten 
Einheitlichkeit  erzielen  liefee.  Noch  zwei  andere  Dinge  aber  scheinen 
mir  notwendig  zu  sein.  Der  sehr  bedeutende  Umfang  der  deutschen 
Denkmäler-Inventare  macht  die  Herstellung  eines  ausführlichen  Gesamt- 
registers, eines  Auszuges  aus  allen,  in  der  Art  wie  es  die  Kunsttopo- 
graphie von  Wilhelm  Lotz  war,  zum  unabweisbaren  Bedürfnis.  Georg 
Dehio  hat  in  der  Strafeburger  Generalversammlung  (1899)  des  Gesamt- 
vereins der  deutschen  Geschichts-  und  Altertumsvereinc  eine  Anregimg 
in  diesem  Sinne  gegeben,  und  es  ist  dringend  zu  wünschen,  dafs  die 
Idee  verwirklicht  werde.  Über  die  Einzelheiten,  über  die  Auswahl 
des  Aufztmehmenden,  über  die  Frage,  ob  nur  die  unbeweglichen  oder 
auch  die  beweglichen  Denkmäler  in  diesem  Extrakt  verzeichnet  werden 
sollen,  werden  Vereinbarungen  unschwer  zu  erzielen  sein.  Vielleicht 
wäre  eine  Teilung  in  drei  Bände  angezeigt.  Der  erste,  mit  dem  die 
Arbeit  beginnen  müfste,  würde  Norddeutschland  umfassen,  wo  die 
Inventarisation  am  weitesten  vorgeschritten  ist;  der  zweite  den  Westen, 
der  dritte  den  Süden.  Hier  wäre  vielleicht  die  Schweiz  einzubeziehen. 
Österreich,  wo  man  kaum  mit  der  Publikation  von  Inventaren  an- 
gefangen hat,  würde  bedauerlicher  Weise  wohl  ausgeschlossen  bleiben 
müssen. 

Und  die  zweite  Notwendigkeit  wäre  dann  eine  Denkmäler-Karte. 
Was  vor  Jahrzehnten  schon,  als  man  eigentlich  noch  ohne  Material- 
kenntnis war,  für  das  ganze  deutsche  Sprachgebiet,  was  dann  in  neuester 
Zeit  bei  Gelegenheit  der  Inventarisation  für  kleinere  Gebiete  versucht 
worden  ist,  das  müfete  im  grofsen  für  ganz  Deutschland  in  Ang^ff 
genommen  werden.  Man  scheide  Prähistorisches  und  Römisches  aus 
und  schaffe  dann  —  was  bei  der  ungeheuren  Zahl  der  Denkmäler 
unerläfelich  wäre  —  getrennte  kartographische  Darstellungen  der  ver- 
schiedenen Baustile  auf  deutschem  Boden.  Auch  dieses  Unternehmen 
würde  der  Forschung  gute  Dienste  leisten.  Die  Aufgabe  ist  heute, 
wo  es  für  viele  Gebiete  schon  Grundkarten  giebt  und  wo  in  allen 
Deutschlands  an  deren  Herstellung  gearbeitet  wird  *),  verhältnismäfsig 
leicht  zu  lösen. 


i)  Vgl.  S.  33  ff.  und  201/202. 


—     291      — 


Mitteilungen 

Versailllllllingeil«  —  In  der  Zeit  vom  24.  bis  27.  September  wird 
in  Dresden  die  diesjährige  Hauptversammlung  des  Gesamtvereins  der 
deutschen  Geschichts-  und  Altertumsvereine')  stattfinden.  Der 
Gesamtverein  folgt  damit  einer  Einladung  des  Königl.  Sächsischen  Altertums- 
vereins, der  gleichzeitig  sein  fünfundsiebzigjähriges  Bestehen  feiert.  Das  Fest- 
programm ist  bis  jetzt  noch  nicht  in  allen  Einzelheiten  festgestellt,  doch  wird 
der  Begrüfsimg  am  Abend  des  24.  September  am  nächsten  Tage  die  erste 
Hauptversammlung  in  der  Aula  der  Technischen  Hochschule  folgen,  wo  Pro- 
fessor Gefs  über  ein  noch  bekaimt  zu  gebendes  Thema  sprechen  wird.  Am 
Nachmittag  wird  die  Versammlung  einer  Einladung  Sr.  Königl.  Hoheit  des 
Prinzen  Georg  zu  einem  Parkfeste  im  Felsenschlosse  Wesenstein  folgen.  Der 
26.  September  bringt  vormittags  Sektionssitzungen  imd  danach  eine  Fahrt 
nach  Meifsen,  wo  in  der  Albrechtsburg  die  Jubelfeier  des  Königl.  Sachs. 
Altertumsvereins  stattfindet.  Hier  wird  Regierungsrat  Er  misch  einen  Vor- 
trag über  Die  Weitiner  und  die  Ixindesgeschichte  und  Hofrat  Prof.  Gurlitt 
einen  solchen  über  die  Albrechtsburg  halten.  Am  27.  September  finden 
vormittags  wieder  Sektionssitzungen  statt,  und  mittags  folgt  die  letzte  Haupt- 
versanmilung.  —  Die  Abgeordneten  der  verbimdenen  Vereine  versammeln 
sich  am  25.  September  vormittags  11  Uhr  und  haben  über  eine  wichtige 
Satzungsänderung  des  Gesamtvereins  zu  beschliefsen.  Eis  handelt  sich  dabei 
um  die  Neuorganisation  der  Geschäftsführung  des  Gesamtvereins  (vgl.  diese 
Zeitschrift  S.  85),  und  es  wäre  recht  erfreulich,  wenn  die  Vereine  mög- 
lichst vollzählig  vertreten  wären;  gerade  in  dieser  Richtung  hat  die 
jüngste  Zeit  einen  Fortschritt  gebracht,  denn  während  1898  nur  31  Vereine 
durch  Abgeordnete  vertreten  waren,  ist  deren  2^hl  1899  ^^^  55  gestiegen, 
und  vielleicht  wird  es  möglich,  dafs  sich  in  Dresden  mehr  als  hundert 
Vereinsvertreter  zusammen  finden! 

Am  Tage  vor  der  Versammlungseröffiiung ,  am  24.  September  (Mon- 
tag), werden  femer  der  Erste  Tag  für  Denkmalspflege  und  der 
Zweite  deutsche  Archivtag  (vgl.  oben  S.  56  —  61)  abgehalten,  imd  es 
steht  zu  erwarten,  dafs  alle,  welche  zur  Teilnahme  an  den  Verhandlungen 
einer  dieser  Sonderversammlungen  nach  Dresden  eilen,  auch  den  Veranstal- 
tungen der  nächsten  Tage  nicht  fem  bleiben. 

Arehlre.  —  Für  die  Erschliefsung  der  Archive  ist  seit  langem  die 
Veröffentlichung  von  Inventaren  als  zweckdienliches  Mittel  erkannt  worden. 
Aber  ebenso  einleuchtend  war  es  fUr  jeden  Sachkenner,  dafs  ganz  unmög- 
lich die  für  den  Gebrauch  der  Archivbeamten  bestimmten  Repertorien  ganz 
oder  auch  nur  im  Auszuge  zum  Dmcke  gebracht  werden  können,  dafs  viel- 
mehr in  systematischer  Weise  Gmppen  von  Archivalien  bearbeitet  und  in 
einer  Form,  die  dem  Forscher  Fingerzeige  ftlr  die  Benutzung  giebt,  ver- 
öffentiicht  werden  müssen.     Diesem  Ziele  hat  man  allerorts  nachgestrebt:  Mrie 

i)  Über  die  Versammlang  zu  MüiHter  (1898)  und  Sirafsburg  (1899)  vgl.  oben  S.  22  ff. 
und  S.  81  ff. 


—     292     — 

die  Aufgabe  seitens  der  Preufsischen  Staatsarchive  gelöst  werden  wird,  wurde 
bereits  S.  1 71/172  an  einem  Beispiele  kurz  gezeigt.  Ebendort  wurden  die 
Mitteilungen  aus  dem  Stadtarchiv  von  Köln  in  ihrer  Anlage  imd  I^istung 
besprochen.  Um  das  Bild,  welches  die  Inventarisation  der  gröfseren 
Archive  behufs  Drucklegung  gegenwärtig  gewährt,  etwas  zu  vervollständigen 
mögen  hier  eine  Reihe  solcher  Veröffentlichungen,  die  natürlich  nicht  voll- 
ständig von  den  Archiven  selbst  zu  trennen  sind,  charakterisiert  werden. 
Dabei  wir  den  Wunsch  hegen,  dafs  die  Forscher  noch  in  viel  höherem  Mafse, 
als  es  bisher  zu  geschehen  pflegt,  diese  gedruckten  Inventare  bei  ihren  Ar- 
beiten zu  Rate  ziehen:  namentlich  demjenigen,  der  einzelne  Kulturerschei- 
nungen darzustellen  bemüht  ist,  werden  sie  zu  einer  unerschöpflichen  Fund- 
grube werden! 

Die  Mitteilungen  aus  dern  Stadtarchiv  und  der  Siadthihlioihek  xu 
üreslaUf  von  dem  Direktor  beider  Institute  Prof.  Hermann  Markgraf 
begründet  und  herausgegeben,  erscheinen  seit  1894  in  zwanglosen  Heften 
auf  Kosten  der  Stadtgemeinde  Breslau.  Sie  sollen  in  erster  Reihe  nicht 
Archivrepertorien  und  Bibliothekskataloge  bringen,  sondern  darstellende 
Arbeiten,  die  vornehmlich  auf  den  Beständen  der  genannten  Institute  be- 
ruhen. Soweit  die  Bibliothek  als  Quelle  dient,  werden  die  Mitteilungen 
Gegenstände  aus  den  verschiedensten  Gebieten  behandeln  können.  Beispiels- 
weise dürften  die  Bestände  an  schöner  Litteratur,  an  politischen  Flugschriften 
und  an  theologischer  Litteratur  des  XVI.  und  XVII.  Jahrhunderts  für  eine  ganze 
Reihe  von  Arbeiten  reiches  Material  liefern.  Eine  Probe  hiervon  wird  das 
in  einigen  Monaten  erscheinende  Heft  V:  Lehen  und  Gedichte  Christoph 
Kölers  (1602  —  58)  von  Bibliothekar  M.  Hippe  geben,  das  einem  bisher 
wenig  bekannten  Mitgliede  der  ersten  schlesischcn  Dichterschule  die  ge- 
bührende Stellung  in  der  Litteraturgeschichte  anweisen  wird. 

Die  auf  den  Archivbeständen  beruhenden  stadtgeschichtlichen  Arbeiten 
sollen  vorwiegend  einzelne  Zweige  des  städtischen  Lebens  von  dem  Beginne 
der  geschichdichen  Kenntnis  bis  zur  Gegenwart  verfolgen.  Mit  ihren  rein 
wissenschaftlichen  Aufgaben  suchen  sie  den  Zweck  zu  verbinden,  weiteren 
Kreisen  der  gegenwärtigen  Stadtbevölkenmg  an  naheliegenden,  leichtver- 
ständlichen Beispielen  das  Wurzeln  der  Gegenwart  in  der  Vergangenheit  zu 
verdeutlichen.  Femer  sollen  die  Mitteilungen  in  geeigneten  Fällen  den 
jetzigen  Stadtbehörden  Material  an  die  Hand  geben  zur  Entscheidung  solcher 
Rechts-  und  Verwaltungsfragen,  die  ohne  geschichtliche  Kenntnis  nicht  zu 
lösen  sind. 

Zur  Eröffnung  der  Sammlung  vorzüglich  geeignet  waren  die  beiden 
ersten,  von  H.  Markgraf  bearbeiteten  Hefte,  welche  die  Vergangenheit 
der  Stadt  im  Spiegel  der  Geschichte  ihrer  Strafsen  und  Plätze  darstellen. 
Heft  i:  Der  Breslauer  Ring  (1894)  behandelt  den  mächtigen  Marktplatz, 
der  durch  seinen  Namen  auf  die  Kolonistenstadt  im  slavischen  Osten,  durch 
seinen  imgewöhnlich  grofsen  Umfang  auf  die  bedeutende  Handelsmetropole 
hinweist  Die  hier  entwickelte  Baugeschichte  des  Rathauses  enthält  einen 
beträchtlichen  Teü  der  Verfassungs-  und  Verwaltungsgeschichte  im  Kleinen. 
In  der  Entwicklung  der  öffentlichen  Verkaufsstätten  imd  der  Märkte  auf  dem 
Ringe  spiegelt  sich  die  gesamte  Wirtschafbgeschichte  wieder.    In  wie  vielen 


—     29  J     — 

Hinsichten  das  mittelalterliche  Städteleben  erst  mit  dem  ersten  Jahrzehnt 
des  XIX.  Jahrhunderts  sein  Binde  erreicht  hat,  zeigt  schon  ein  Vergleich 
der  baulichen  Beschaffenheit  des  Mittelpunktes  der  Stadt  vor  hundert  Jahren 
und  heute  auch  dem  Laienauge  aufs  allerdeutlichste. 

Dasselbe  Bild  in  weiterem  Rahmen  bietet  das  2.  Heft:  Die  Slra/scn 
Breslaus  (1896).  Die  alten  Straisen  des  Stadtkernes  sind  in  ihrer  Anlage 
und  Benennung,  in  ihren  öffentlichen  und  Privatgebäuden  vorwiegend  Denk- 
mäler vergangener  Formen  des  staatlichen,  wirtschafdichen  und  geistigen 
Lebens,  die  sich  in  einem  halben  Jahrtausend  nur  langsam  wandelten. 
Ihnen  tritt  in  den  neuen  Stadtteilen  das  Produkt  der  ganz  modernen» 
binnen  wenigen  Jahrzehnten  alles  verwandelnden  und  nivellierenden  groils- 
städdschen  Entwicklung  gegenüber.  Wie  bezeichnend  ist  schon  der  Unter- 
schied der  Strafsennamen:  Die  alten  Benennungen,  unter  denen  die  mit 
Gewerbenamen  zusammengesetzten  überwiegen,  sind  historisch  geworden. 
Die  neuen  Namen  sind  Kunstprodukte  ungleichen  Wertes;  unter  den  Tauf- 
paten unsrer  Grofsstadtstrafsen  wechseln  flirsüiche  Personen  und  zweifellose 
Berühmtheiten  mit  kleinen  Lokalgröfsen  oder  gar  eigennützigen  Bauspeku- 
lanten in  buntem  Gemisch. 

In  engem  Zusammenhange  mit  den  besprochenen  Arbeiten  steht  das 
von  Heinrich  Wendt  bearbeitete  4.  Heft,  das  als  ersten  Teil  der 
OeschicJite  der  Stadt-  und  Uospiiaüandgüter  den  wichtigsten  der  Kämmerei- 
güterkomplexe,  das  „Amt  Ransem'^  behandelt  Dieses  Amt  umfafst  aufser 
einigen  noch  heute  läudlichen  Ortschaften  auch  diejeuigen  jetzt  eingemeindeten 
Vorstädte  und  Vororte,  die  früher  zu  den  Stadtlandgütem  gehörten.  Es 
wird  also  hier  dargestellt,  wie  auf  den  der  Stadt  von  ihren  Landesherren  zu- 
gewiesenen Viehweiden  allmählich  Siedlungen  entstanden,  die  rechdich  und 
wirtschaftlich  eine  eigenartige  Zwischenstellung  zwischen  Stadt  und  Land  ein- 
nahmen, bis  sie,  teils  schon  auf  Grund  der  Städteordnung  von  1808,  teib 
erst  infolge  der  modernen  grofsstädtischen  Entwicklung,  1868,  mit  der  Stadt 
vereinigt  ^vurden.  Aufserdem  schildert  das  Heft  an  dem  Beispiele  des 
Ranserner  Amtes  die  allgemeinen  Grundzüge  der  Landgüterverwaltung,  end- 
lich auch  die  Veränderungen  des  Oderlaufes  bei  Breslau. 

Die  dem  i.,  2.  und  4.  Hefte  gemeinsame  topographische  Grundlage 
fehlt  dem  von  Erich  Fink  bearbeiteten  3.  Hefte.  Dasselbe  giebt  an  der 
Hand  einer  GeschicJäe  der  landesherrlicJien  Besuche  in  Breslau  einen  Abrifs 
der  Beziehungen  der  Stadt  zu  ihren  Landesherren.  Daneben  wird  in  der 
Schilderung  der  Einzugsfeierlichkeiten,  Huldigungen,  Ehrengaben  und  Festlich- 
keiten der  Wandel  des  Zeitgeschmacks  durch  last  sechs  Jahrhunderte  verfolgt. 

Die  Veiöffentiichungen  über  die  Bestände  des  Historischen  Archivs  der 
Stadt  Frankfurt  a.  M.  sind  vom  Magistrate  der  Stadt  durch  Beschluls 
vom  20.  November  1885  dem  Verein  ftir  Geschichte  und  Altertumskunde 
übertragen  worden,  welchem  zu  diesem  Zwecke  jährlich  1000  Mark  aus 
städtischen  Mitteln  zur  VeHligung  gestellt  wurden.  Sie  sollten  in  zwei  Teile 
zerfielen:  i)  in  eine  „ übersichtiiche  Inhaltsangabe **  des  Archivs,  2)  in  „ge- 
nauere Inventarien  der  ftir  Geschichte,  Kulturgeschichte,  Verfassung  und  Ver- 
waltung wichtigeren  Urkunden-  und  Aktenbestände". 

Die  Übersicht   über   den  ganzen  Inhalt   des   Archivs    ist  1896 


—      294      — 

^Frankfurt,  Völcker)  erschienen;  sie  führt  den  Titel:  Da,^  historisclie  Amhiv 
der  Stadt  Frankfurt  a.  M,,  seine  Ihstände  und  acine  Geschichte  *)  und  ist  das 
Werk  des  derzeitigen  Stadtarchivars  R.  Jung.  Der  erste  Teil  giebt  die  Über- 
sicht über  die  gesamten  Bestände  in  19  Hauptabteilungen  (Entstehung,  Recht 
und  Verfassung  —  Rat  und  Schöffen  —  Bürgerliche  Vertretungen  —  Ge- 
heime Deputationen  —  Auswärtige  Politik  —  Finanzen  —  Städtischer 
Grundbesitz  —  Bauwesen  —  Öffentliche  Sicherheit  und  Wohlfahrt  — 
Militärwesen  —  Verkehr,  Handel,  Gewerbe  —  Kirchen-  und  Schulwesen  — 
Milde  Stiftungen  —  Gerichtswesen  —  Dörfer,  Höfe  etc.  —  Teile  der  Be- 
völkerung —  Öffentliche  Veranstaltungen  etc.  —  Geschichtliche  Handschriften 
—  Einverleibte  und  hinterlegte  Archive).  Jede  Hauptabteilung  zählt  je  3  bis 
24  Unterabteilungen,  im  ganzen  sind  es  deren  192.  Auf  diesem  System 
beruht  lediglich  diese  Übersicht,  nicht  etwa  die  archivalische  Ordnung  der 
Akten;  für  letztere  ist  von  jeher  das  koordinierende  Provenienzsystem  mafe- 
gebend  gewesen. 

Den  einzelnen  Unterabteilungen  gehen  knappgefafste  Übersichten  über 
Geschichte  und  Geschäftskreis  der  betreffenden  Amter,  Stifhmgen  etc.,  über 
die  Zusammensetzung  der  Akten,  ihre  Repertorisienmg,  die  Jahre,  welche  sie 
umfiEissen,  die  hauptsächliche  Litteratur,  in  der  sie  benutzt  sind,  voraus,  so 
dafs  der  Benutzer  des  Buches  erkennen  kann,  ob  die  Einsicht  in  die  Akten 
für  seine  Zwecke  wünschenswert,  nötig  oder  unnötig  ist.  Die  Angabe  des 
Repertoriums ,  in  dem  die  Akten  einzeln  verzeichnet  sind,  ist  nicht  nur  für 
die  Archivbeamten,  sondern  auch  für  die  Benutzer  von  Wert,  da  die  Reper- 
torien  vorgelegt  werden. 

Die  beigefügte  Geschichte  des  Archivs  bietet  einen  interessanten  Ein- 
blick in  die  Geschichte  des  reichsstädtischen  Archivs,  seine  Verwaltung  und 
Ordnimg  (die  freistädtische  Zeit  ist  nur  ganz  kurz  behandelt)  und  damit  einen 
Beitrag  zur  Geschichte  des  deutschen  Archivwesens;  es  ist  erfreulich,  dafs 
die  Frankfurter  ihr  Archiv  von  je  her  nicht  nur  als  wertxolle  Rüstkammer 
für  die  Stadtverwaltung,  sondern  auch  als  die  richtige  Quelle  für  die  Stadt- 
geschichte hochgeschätzt  und  den  Nachkommen  im  grofsen  und  ganzen  voll- 
ständig imd  unversehrt  überliefert  haben. 

Die  eingehenden  Verzeichnisse  der  einzelnen  Bestände 
liegen  bis  jetzt  in  vier  Bänden  vor  imd  führen  den  Titel:  Inveniare  des 
Frankfurier  Stadiardiirs  (Frankfurt,  Völcker,  1888 — 1894);  der  i.  Band 
ist  von  G  r  o  t  e  f  e  n  d,  die  anderen  sind  von  Jung  bearbeitet  Sie  erstrecken  sich 
auf  eine  kleine,  aber  in  sich  geschlossene  Gruppe  des  Archivs:  die  Archi- 
valien über  die  auswärtige  Politik  der  Stadt  vor  dem  Jahre  1500  (Reichs- 
sachen mit  Nachträgen  —  Rachtungen,  Urfehden,  Verbund-  und  Verzicht- 
briefe —  Dienstbriefe  der  Reisigen,  Hauptleute,  Burggrafen  etc.  auf  den 
Dörfern  —  Privilegien  —  Kaiserschreiben  —  Kopialbücher  —  Wahltags- 
akten —  Reichstagsakten  —  Münzwesen  —  Acht  und  Aberacht  —  Nachträge). 
Das  Register  im  4.  Bande  erstreckt  sich  über  die  Verzeichnisse  aller  dieser 
Archivalien.  Alle  Urkunden  und  Aktenstücke,  welche  zu  diesen  Beständen 
zählen,   sind  einzehi  mit  Angabe  des  Jahres-  und  Tagesdatums   verzeichnet; 

1)  Eine  sacbgemäfse  und  die  Verhältnisse  andrer  SUdte  «m  Vei^leich  heimnxiehende 
Besprechung  ist  die  von  Wie gand  in  der  DcuUchen  ZeiUchnft  für  GeschichUwissen- 
Schaft.     N.  F.  II.  Jahrg.  (1898)  Monatsblätter  S.  149- 


—     295      — 

die  Inhaltsangaben  sind  öfter  bis  zu  vollständigen  Regesten  erweitert.  Nur 
bei  den  sogen.  Reichssachen  mufste  summarischer  verfahren  werden;  die 
einzelnen  Nummern  dieser  Unterabteilung  zählen  oft  hundert  und  mehr  Akten- 
stücke, so  dafs  an  eine  Einzelverzeichnung  (wie  z.  B.  in  den  Mitteilungen  aus 
dem  Kölner  Stadtarchiv)  gar  nicht  gedacht  werden  konnte ;  daher  neben  den 
Inhaltsangaben  einzelner^  eine  Nummer  für  sich  allein  bildender  Stücke  die 
zusanmien fassenden  Angaben  wie :  „  Fehde  Frankfurts  mit  denen  von  Cronberg 
1397  — 1400"  und  ähnliche.  Das  gedruckte  Verzeichnis  sollte  auch  bei 
den  ausführlicher  vermerkten  Stücken  kein  genaues  Regest  mit  Stückbeschrei- 
bung geben,  es  sollte  lediglich  auf  den  Inhalt  des  Stückes  in  knapper  Form 
aufmerksam  machen  und  niemab  die  Einsichtnahme  in  das  Stück  ersetzen. 
Da  die  Inventare  aus  den  von  verschiedenen  Archivaren  und  Gelehrten  zu 
verschiedenen  Zeiten  angefertigten  Verzeichnissen  bestehen,  so  war  eine  ge- 
wisse Ungleichmäisigkeit  nicht  zu  vermeiden ,  aber  das  sorgfaltig  gearbeitete 
Register  macht  hier  vieles  wieder  gut. 

Die  Übersicht  wie  die  Einzelinventare  haben  die  wissenschaftliche  Be- 
nutzung des  so  reichhaltigen  Archivs  wesenüich  erleichtert  imd  auch  gestei- 
gert Die  Fortsetzimg  der  Inventare  mufs  bei  den  geringen,  für  die  Reper- 
torisierungsarbeiten  verfügbaren  Kräften  einstweilen  ruhen ;  die  Übersicht  wird 
vielleicht  schon  in  den  nächsten  Jahren  eine  zweite  Auflage  erleben,  da  in- 
zwischen viele  wichtige  Bestände*  dem  Archive  zugewachsen  sind  oder  dem- 
nächst hinzuwachsen  werden. 

Knappe  Übersichten  über  die  Archivbestände,  die  etwa  der  für  das 
Frankfurter  Stadtarchiv  vorliegenden  gleichkommen  und  die  gerade  ihrer  Voll- 
ständigkeit wegen  so  verdienstlich  sind,  haben  in  neuerer  Zeit  eine  ganze 
Reihe  von  Archivbesitzem  bearbeiten  lassen,  imd  eigentlich  sollte  bei  jedem 
Archive  für  die  Drucklegung  eines  solchen  Inventars  gesorgt  werden.  Hier 
wollen  wir  einige  dieser  Inventare,  die  uns  zur  Besprechung  zugegangen  sind, 
aufführen  und  ihren  Inhalt  näher  charakterisieren. 

Schon  iS^6  erschienötT  Katalog  des  Hevaler  Stadtarchivs,  herausgegeben 
vom  Stadtarchivar  Gotthard  v.  Hansen  (8**.  398  S.).  Das  reichste  der 
baltischen  Stadtarchive  steht  seit  1883  tmter  fachmännischer  Leitung,  es  ist 
seitdem  wie  auch  schon  früher  viel  von  Forschem  auf  den  verschiedensten 
Gebieten  benutzt  worden,  denn  die  Zugehörigkeit  der  Stadt  zu  Dänemark,  dem 
Ördensstaat,  Schweden  und  Rufsland  sowie  die  Beziehimg  zur  Hanse  und 
namendich  zu  Lübeck  als  Oberhof  bringen  es  mit  sich,  dafs  aufserordentlich 
verschiedenartige  Quellen  im  Revaler  Archive  ruhen.  Der  Archivkatalog  zer- 
fallt in  eine  Einleitung,  welche  kurz  über  die  Geschichte  des  Archivs  be- 
richtet, und  fünf  Abteilungen,  bezeichnet  A  bis  E.  Aber  die  ersten  vier 
Abteilungen  bilden  eine  gröfsere  Einheit,  da  sie  in  knappster  Form  über  die 
gesamten  Bestände  orientieren  *),  während  die  Abteilung  E  auf  S.  236 — 398 
die  Regesten   von  1245  Urkunden   enthält,   welche   das  Urkundenarchiv  im 


i)  A.  Die  Codices  manascripti  und  gedrockte  Bücher  mit  10  Unterabteilangen 
S.  1  bis  65.  —  B.  Aktenkalalog  mit  44  Unterabteilangen  S.  67  bis  224.  —  C.  Akten  und 
Bücher  im  dritten  Archivraum  S.  225  bis  230.  —  D.  Kurze  Inhaltsangabe  über  Urkunden 
in  40  Blechkästen,  über  die  noch  kein  genaues  Inventar  existiert,  S.  231  bis  255. 


engeren  Sinne  darstellen.  Natürlich  sind  Urkunden  in  viel  gröfserer  Zahl 
vorhanden,  aber  sie  sind  (abgesehen  von  den  unter  D  genannten)  mit  den 
Akten  vereinigt,  imd  die  Zahl  wird  auf  300000  einzelne  Stücke  angegeben. 
Unter  den  15 10  Handschriften  verdienen  neben  den  Kämmereirech- 
nungen 1352  fif.  die  Kaufmannsbücher  besondere  Beachtung.  £ls  sind 
davon  bis  1500  24  Stück  vorhanden,  und  bis  zum  Elnde  des  XVII.  Jahr- 
hunderts ist  das  Material  so  reichlich,  dafs  sich  kaum  in  einem  anderen 
Archive  annähernd  reichhaltige  Quellen  zur  Geschichte  der  kaufinäimischen 
Buchführung  und  des  kaufmännischen  Geschäilsbetriebes  überhaupt  vor- 
finden werden.  Ergänzimgen  hierzu  bieten  in  Menge  die  Akten  in  der 
Unterabteilung  Handel  (B.  h.  S.  97 — 102),  u.  a.  Akten  des  Schwedischen 
Kommerz-Kollegiums  1656fr.,  und  von  gröfster  Wichtigkeit  nament- 
lich für  die  eigentlich  handelspolitische  Thätigkeit  der  Hanse  müssen  die 
unter  B.  £.  S.  1 7  5  —  177  verzeichneten  Hanseakten  sein.  Es  ist  ganz  aufser  Frage, 
dafs  eine  dickleibige  Publikation  aus  dem  Archive  für  die  Forschung  nicht 
entfernt  so  vorteÜhaft  gewesen  wäre  wie  die  Veröffentlichung  des  Katalogs, 
der  eine  Gesamt  Übersicht  über  die  Bestände  giebt,  es  möglich  macht, 
sachlich  zusammengehöriges  an  verschiedenen  Stellen  ruhendes  Material  auf- 
zufinden und  überhaupt,  ohne  Rücksicht  auf  einen  besonderen  Zweck,  das 
Archiv  für  jeden  Forscher  nutzbar  werden  läfst.  Noch  mehr  würde  dies  der 
Fall  sein,  wenn  ein  alphabetisches  Sachregister  beigegeben  wäre. 

Von  noch  geringerem  Umfange  als  der  Revaler  Katalog  ist  das  Jnvetitar 
des  Staatsarchivs  des  Kantons  Zur  ich,  bearbeitet  von  Prof.  Dr.  P.  Schweizer 
(Separatabdruck  aus  dem  Anx^iga'  für  Schweixerisclie  OeschicJäe,  Bern  1897), 
denn  es  giebt  neben  einer  kurzen  Geschichte  des  Archivs  —  ausführlich  ist 
sie  dargestellt  im  Neujahr shlatt  des  Waise7ihanses  Zürich  für  1894  —  und 
den  Benutzungsvorschriften  die  Beschreibung  der  Bestände  auf  112  Seiten. 
Die  jetzige  Einteilung  besteht  seit  1882  und  unterscheidet  das  ältere  Haupt- 
archiv (bis  1798),  ältere  Nebenarchive,  das  neuere  Archiv  (seit  1798),  fremde 
Archive,  Bibliothek  und  Register.  Sachlich  ist  aus  den  Angaben  des  In- 
ventars nicht  entfernt  so  viel  direkt  zu  ge\sinnen  wie  bei  dem  Revaler,  aber 
immerhin  wird  es  manchem  Forscher  lieb  sein  zu  erfahren,  dafs  unter  den 
Gerichtsakten  solche  über  Hexerei  aus  den  Jahren  1605  ^^^  1701  und 
unter  den  „Akten  der  inneren  Verwaltung**  solche  über  Baumwollen- 
fabriken 1717  bis  1787  vorhanden  sind.  Wichtiger  noch  sind  die  kurzen 
Merkworte  der  Abteilimgen  unter  „Beziehungen  zum  Ausland",  denn  da 
findet  sich:  Reislaufen  1480  bis  1734,  Reichssachen  1370  bis  1702,  Kaiser 
1 4 1 5  bis  1797  u.  V.  a.  m.  Die  sechs  älteren  Nebenarchive  sind  das  Archiv 
des  kaufmännischen  Direktoriums,  Kirchenarchiv,  Finanzarchiv,  Archiv  des 
Stiftes  Grofsmünster,  Spitalarchv,  Archiv  des  Klosters  Rheinau.  In  der  Auf- 
stellung des  letzteren  ist  die  um  1750  vorgenommene  Ordnung  beibehalten 
worden.  Dieses  Züricher  Inventar  liefert  den  Beweis,  dafs  es  wohl  möglich 
ist,  auch  den  Bestand  eines  grofsen  Archivs  —  neben  5274  Mappen  finden 
sich  33  758  Bände  vor  —  in  übersichtlicher  Form  zur  allgemeinen  Kenntnis 
zu  bringen;  natürlich  werden  genauere  Inventare  über  einzelne  wichtige  Ab- 
teilungen  dadurch  nicht  unnötig,  sondern  sie  sind  gerade,  nachdem  dem 
Forscher  eine  allgemeine  Orientiemng  möglich  ist,  erst  recht  nötig. 


—     297     -- 

Das  Archiv  der  Stadt  Pforzheim  ist  gegenwärtig  nicht  mehr  gerade  za  reich 
an  älteren  Stücken,  um  so  erfreulicher  iät  es,  dafs  die  Stadt  eine  Veröffent- 
lichung aus  den  Archivbeständen  angeregt  hat:  Urkunden  des  Stadtarchivs 
XU  Pforzheim^  im  Auftrage  der  städtischen  Archivkommission  herausgegeben 
von  Leonard  Korth  (Pforzheim  1899.  8®.  128  S.).  Dieses  Buch  bietet 
weniger  und  mehr  als  ein  Archivinventar,  denn  nicht  alle  Archivalien  im 
Besitze  der  Stadt  sind  verzeichnet,  wenn  auch  in  der  Vorbemerkung  S.  V  eine 
Reihe  Akten  kurz  aufgezählt  sind,  sondern  nur  die  Urkunden,  diese  aber 
—  50  an  Zahl  1480  bis  1782  —  wiederum  sind  nicht  nur  in  knappen  Re- 
gesten ihrem  Inhalt  nach  charakterisiert,  sondern  zum  gröfsten  Teil  in  vollem 
Umfange  abgedruckt,  während  bei  den  jüngeren  und  weniger  wichtigeren 
ein  ausführliches  Regest  gegeben  ist.  In  einem  Anhang  sind  dann  noch 
einige  andere  auf  Pforzheim  bezügliche  Urkunden  (1342  ff.)  abgedruckt,  die 
in  Stuttgart  und  Karlsruhe  liegen.  Es  liegt  hiermit  also  ein  kleines  Pforz- 
heimer Urkundenbuch  vor,  dem  die  Urkunde  von  1342  (die  älteste  des  Anhangs) 
im  Faksimile  beigegeben  ist  und  welches  durch  ein  alphabetisches  Verzeichnis 
der  vorkom  menden  Eigennamen  für  die  Lokalforschung  besonders  brauchbar 
gemacht  ist.  Von  gröfserem  allgemeinen  Interesse  ist  das  Testament,  welches 
der  Kanoniker  Dietrich  Wyler  etwa  1530  errichtet  hat  (S.  36 — 44),  da  es 
ein  anschauliches  Bild  von  seiner  Hauseinrichtung  giebt.  Auch  die  16 16 
abgeänderte  Handwerksordnung  der  Weifsgerberzunft  von  1576  verdient  Be- 
achtung. Die  Pforzheimer  Veröffentlichung  lehrt,  wie  aus  einem  bescheidenen 
Archiv  zur  Erweckung  geschichtlichen  Interesses  bei  der  nächstbeteiligten 
Bevölkerung  und  behufs  Erschliefsung  immer  neuen  Quellenmaterials  für  die 
Forschung  überhaupt  durch  so  ein  Zwischending  von  Inventar  und  Urkunden- 
buch Nützliches  geleistet  werden  kann  *). 

In  mehr  als  einer  Beziehung  darf  als  Muster  für  ähnliche  Veröffendichungen 
das  Inventar  des  Stadtarchivs  zu  Eger  gelten,  welches  im  Verlage  der  Stadt- 
gemeinde Eger  1900  mit  dem  Titel  Die  Kataloge  des  Egerer  Stadtarchivs y  an- 
gelegt von  Dr.  Karl  Siegl  (388  S.),  erschienen  ist.  Vor  allem  zeichnet  sich 
dieses  Buch  durch  ein  treffliches  Register  aus,  welches  auch  ein  viel  weniger 
übersichtlich  angelegtes  und  gedrucktes  Werk  brauchbar  machen  würde.  Auf 
die  knappe  Einleitung,  die  eine  Archivgeschichte  giebt,  folgt  das  Verzeichnis  der 
Archivalien:  A.  Urkunden,  B.  Akten,  C.  Archivsbücher  (d.  h.  Handschriften). 
In  A  und  B  sind  die  Unterabteilungen :  Eger  und  Egerland  im  allgemeinen, 
Eger  und  Egerland  im  besonderen,  die  Beziehungen  der  Stadt  Eger  und  des 
Egerlandes  nach  auswärts.  Den  gröfseren  Teil  des  Bandes  (bis  S.  135) 
füllen  die  Urkundenregesten,  denen  ein  chronologisches  Verzeichnis  bei- 
gegeben ist,  während  die  Anordnung  sachlich  ist,  so  dafs  z.  B.  S.  32  bis  35 
Urfehden  und  Bürgebriefe  1386 — 1580  aufgeführt  sind.  Der  wert- 
vollere Teil  des  Archivs  ist  aber  unzweifelhaft  der,  welcher  die  Akten  ent- 
hält, welcher  natürlich  unvergleichlich  schwieriger  zu  inventarisieren  ist. 
Gerade  hier  giebt  der  Text,  bei  übersichtlichem  Druck  imd  genauer  Angabe 

i)  Aach  die  von  der  Historischen  Kommission  der  Provinz  Westfalen  heraasgegebnen 
Iirventare  der  mchtstaailühen  Archive  der  Provinz  Westfalen  (Münster,  Aschendorf!) 
geben  zweckmäfsigerweise  wichtigere  noch  nicht  veröffentlichte  Urkunden  sofort  im 
vollen  Wortlaut  wieder. 


—     298      ~ 

der  Faszikel,  eine  Menge  Einzelheiten,  die  bereits  so,  wie  sie  der  Leser 
findet,  brauchbares  Material  darstellen:  da  lesen  wir  von  Ladungen  vor  das 
Westfälische  Gericht  1447 — 1509  und  Korrespondenzen  in  Fehmesachen 
1454 — 1492  (S.  201),  von  Papiermachem  1572  (S.  214).  Wichtig  sind 
auch  die  Beziehungen  Egers  nach  auswärts,  nach  Ländern  und  innerhalb  dieser 
nach  Orten  geordnet,  so  finden  sich  Beziehungen  zu  Berlin  schon  1438 
(S.  345)»  zu  Halberstadt  1499.  ^^^  Anordnung  des  Stoffes  und  das  Re- 
gister dienen  dazu,  für  eine  aufserordentiich  grofse  Menge  von  Orten  und 
Personen  (hier  namendich  von  sächsischen  und  bayerischen  Adeligen)  Material 
beizubringen  und  zwar  in  jedem  einzelnen  Falle  mit  der  Jahreszahl.  Überall, 
wo  man  daran  geht,  ein  Archivinventar  zum  Drucke  zu  bearbeiten,  sollte 
das  Egerer  vorher  geprüft  werden :  wie  es  scheinen  will,  wird  jeder  Benutzer 
wesentliche  Anhaltspunkte  für  seine  Arbeit  daraus  gewinnen  können. 

Kominissioiieil.  —  Am  12.  Mai  hielt  die  „Historische  Kom- 
mission für  Hessen  und  Wal  deck"  (vgl.  S.  26)  in  Marburg  ihre 
dritte  Jahresversammlung  ab.  Im  Berichtsjahre  ist  die  erste  Lieferung  des 
Hessischen  Trachtenbuches,  bearbeitet  von  Prof.  Jusri,  ausgegeben 
worden;  aufserdem  erhielten  die  Stifter  und  Patrone  die  aus  den  Vor- 
arbeiten zur  Ausgabe  der  Landtagsakten  hervorgegangene  Schrift  von  Hans 
Glagau:  Eine  Vorkümpferin  landesherrlicher  Macht,  Anna  von  Hessen,  die 
Mutier  Phüij)ps  des  Orofsrnüiigen  (1485 — 1525).  Marburg,  Elwert,  1899. 
Von  den  Landtagsakten  selbst  ist  der  erste  Band  zum  Druck  befördert 
worden.  Im  laufenden  Jahre  sollen  bestimmt  der  erste  Band  des  Fuldaer 
Urkunde nbuches,  bearbeitet  von  Prof.  Tangl,  und  ein  Band  der  Chro- 
niken von  Hessen  und  Wal  deck,  enthaltend  die  beiden  von  Die- 
mar  bearbeiteten  Chroniken  von  Gerstenberg,  druckfertig  werden.  Die  Land- 
grafenregesten,  welche  die  2^it  von  1247  — 1509  umfassen  sollen,  wurden 
von  Geb.  Archivrat  Könnecke  im  verflossenen  Jahre,  erheblich  gefoidert, 
aber  über  den  Abschlufs  läfst  sich  noch  nichts  bestimmen.  Die  Arbeit  am 
Ortslexikon  wurde  mit  Rücksicht  darauf,  dafs  eine  Kommission  gelegent- 
lich der  Dresdener  Versammlung  des  Gesamtvereins  der  deutschen  Ge- 
schichts-  und  Altertumsvereine  über  die  Aufstellung  eines  Programms  für 
Ortsverzeichnisse  beraten  wird,  nur  auf  die  Sammlimg  von  weiterem  Material 
beschränkt  Das  Material  für  das  Urkundenbuch  der  Stadt  Fried- 
berg, welches  Dr.  Foltz  bearbeitet,  ist  beträchtlich  vermehrt  worden,  und 
gleichzeitig  ist  auch  die  Arbeit  an  den  Urkundenbüchem  der  anderen  wetter- 
auischen  Reichsstädte  mit  m  Angriff  genommen  worden.  Als  neues  Unter- 
nehmen wurde  schliefslich  die  Herausgabe  eines  Münzwerkes  bis  zum 
Tode  Philipps  des  Grofsmütigen  beschlossen,  dessen  Bearbeitung  Dr.  Bu- 
chenau  (Weimar)  übemoomien  hat.  —  Nach  der  finanziellen  Seite  hin  ist 
die  Lage  der  Kommission  ebenso  günstig,  denn  einer  Einnahme  von  14  7 14  Mk. 
steht  nur  eine  Ausgabe  von  5003  Mk.  gegenüber.  In  den  Vorstand  sind 
neu  eingetreten  v.  Baumbach  (Cassel),  J.  Boehlau  (Cassel),  Küch  (Mar- 
burg) und  E.  Zimmermann  (Hanau). 

Die  „Gesellschaft  für  Rheinische  Geschichtskunde"  tagte 
in    diesem   Jahre    am   19.  Mai  und  benutzte    diese    Tagimg    zu    einer    Ge- 


—     299     — 

dächtaisfeier  für  Gustav  v.  Mevissen  (vergl.  S.  31).  Den  üblichen 
öffentlichen  Vortrag  hielt  Professor  Gothein  (Bonn)  über  Die  Entstehung 
des  modernen  Verkehrs  (Dampfschiffe  mid  EisetibaJinenJ  im  Rheinland,  Aus- 
gegeben wurde  seit  der  letzten  Versammlung  der  erste  Band  der  Über- 
sietii  über  den  InMlt  der  kleineren  Archive  der  Khtinprovinx  ^  bearbeitet 
von  Armin  Tille  (Bonn,  Behrendt,  1899)  und  der  erste  Band  der 
Weistümer  der  Rheinprovinx  (Oberamt  Boppard,  Stadt  und  Amt  Coblenz, 
Amt  Bergpflege  des  Kurfürstentums  Trier),  herausgegeben  von  Hugo 
Loersch  (Bonn,  Behrendt,  1900).  Der  erste  Band  der  Rheinischen 
Urbare,  welcher  die  Urbare  von  St.  Pantaleon  umfafst  und  von  Benno 
Hilliger  bearbeitet  wird,  ist  soeben  mit  dem  38.  Bogen  im  Druck 
vollendet  worden,  Einleitung  und  Register  stehen  noch  aus.  Die  Werdener 
Urbare  wird  R.  Kötzschke  im  Herbst  druckfertig  vorlegen.  Bis  zur 
nächsten  Versammlung  hofft  Prof.  v.  Below  (Marburg)  das  Manuskript  fUr 
einen  neuen  Band  der  Landtagsakten  von  Jülich-Berg  I.  Reihe 
einliefern  zu  können.  H.  Keussen  denkt  bis  ebendahin  einen  zweiten  Band 
der  älteren  Matrikeln  der  Universität  Köln  fertig  stellen  zu  können. 
Die  zweite  Abteilung  der  erzbichöflich-kölnischen  Regesten  (iioa 
bis  1304),  welcher  R.  Knipping  bearbeitet,  ist  im  Druck  bis  zum  25.  Bogen 
gediehen,  so  dafs  der  zweite  Band  (bis  1205)  noch  im  Laufe  des  Sommers 
erscheinen  wird.  Das  Manuskript  der  mittelalterlichen  Zunfturkun- 
den der  Stadt  Köln  hat  H.  v.  Loesch  eingeliefert,  und  der  Druck 
wird  alsbald  beginnen.  Beim  Geschichtlichen  Atlas  der  Rhein- 
provinz ist  das  Material  für  eine  Karte  der  alten  kirchlichen  Einteilung 
gesanmielt,  so  dafs  die  Ausarbeitung  beginnen  kann,  die  schnell  voranschreiten 
wird,  zumal  die  Beamten  der  Staatsarchive  zu  Düsseldorf  und  Coblenz  sich  an  den 
Arbeiten  von  Amts  wegen  beteiligen.  Während  das  Ende  der  Arbeiten  an  der 
Jülich-Clevischen  Politik  Kurbrandenburgs  1610 — 1640  (Be- 
arbeiter: Hugo  Löwe)  und  am  Buchdruck  Kölns  im  Jahrhundert 
seiner  Erfindung  (Bearbeiter:  Voulli^me)  noch  m'cht  abzusehen  ist,  hat 
Prof.  Aldenhoven  den  erläuternden  Text  zur  Geschichte  der  Kölner 
Malerschule  eingereicht.  Dr.  Sauerland  hat  im  Vatikanischen  Archive  Re- 
gesten zur  Geschichte  der  Rheinlande  1 2  94 —  1 43 1  gesammelt  und  zwar  bis  1342 
über  2000  Urkundenabschriflen  bzw.  Regesten  gewonnen,  die  bis  zum  Herbst 
druckfertig  nebst  Einleitung  vorliegen  sollen.  Die  Veröffentlichung  der  Ro- 
manischen Wandmalereien  der  Rheinlande,  die  Prof.  Giemen 
besorgt,  ist  bereits  energisch  in  Angriff*  genommen.  Mit  der  Herstelltmg  der 
Tafeln,  zu  denen  die  Provinzialverwaltung  die  Vorlagen  an  Zeichnungen  und 
Aquarellkopieen  stellt,  ist  bereits  begonnen  worden.  —  Das  Vermögen  der 
Gesellschaft  beziffert  sich  gegenwärtig  auf  9 1 1 5 1  Mk.,  der  Einnahme  von 
23906  Mk.  (1899)  stand  eine  Ausgabe  von  nur  13583  Mk.  gegenüber. 
Die  Zahl  der  Stifter  ist  gegenwärtig  6,  die  der  Patrone  121  (letztere  zahlen 
einen  Jahresbeitrag  von  mindestens  100  Mk.).  Mi^lieder  zählt  die  Gesell- 
schaft gegenwärtig  174. 

Sammlung  Yon  BeiBeberlchten  und  Tagebfichem.  —  In  Aus- 
führung des  S.  203  mitgeteilten  Beschlusses  der  „Vierten  Konferenz 
von  Vertretern  deutscher  landesgeschichtlicher  Publikations- 


—     300     — 

Institute*^    ist   ein   Schreiben   folgenden  Wortlauts   an   sämtliche  beteiligte 

Publikationsinstitute  ergangen : 

Auf  einen  der  Konferenz  vom  Universitätsbibliothekar  Dr.  Stein- 
hausen  in  Jena  vorgelegten  Antrag,  der  eine  Unterstützung  der  als 
Quellenpublikationen  geplanten  „Denkmäler  der  Deutschen  Kultur- 
geschichte^* nach  Seite  der  Materialsammlung  hin  bezweckt,  hat  die 
Konferenz  deutscher  Publikationsinstitute  in  ihrer  am  5.  April  1900  in 
der  Universität  zu  Halle  gehaltenen  Sitzung  folgenden  Beschlufs  gefafst: 
Die  Konferenz  beschließt^  als  Vorarbeit  für  eine  künftige  PublikcUüm 
die  Herstellung  vmi  Verzeichnissen  des  vorhandenen  Materials  an  Reise- 
bericJUen  und  Tagebüchern  in  Deutsehland  herbeizuführen.  Im  Interesse 
der  Durchführbarkeit  seines  Antrages  hat  der  Antragsteller  selbst  auf  die 
an  sich  wünschenswerte  Verzeichnung  des  archivalischen  Materials  für  die 
sonst  vorgesehenen  Abteilungen  der  „Denkmäler"  (Briefe,  Ordnungen, 
Inventare,  Handelsbücher  etc.)  zunächst  verzichtet  und  so  den  obigen 
Beschlufs  ermöglicht.  Es  erschebt  in  der  That  als  eine  nicht  zu  grofse 
Inanspruchnahme  der  einzelnen  Institute,  wenn  sie  die  kurze  Verzeichnung 
des  in  ihrem  Bezirk  vorhandenen,  verhältnismäfsig  leicht  zu  eruierenden 
archivalischen  Materials  an  Reiseberichten  und  Tagebüchern,  soweit  sie 
Deutschland  betreffen,  übernehmen.  Die  Konferenz  war  der  Ansicht,  dafs 
auch  die  gröfseren  Archive  auf  Anregung  des  betreffenden 
landesgeschichtlichen  Publikationsinstituts  ohne  Schwierig- 
keiten für  die  Übernahme  der  Verzeichnung  des  in  ihnen  beruhenden 
Materials  an  Reiseberichten  und  Tagebüchern  zu  gewinnen  sein  würden, 
um  so  eher,  als  dasselbe  nach  und  nach  verzeichnet  werden  kann  und 
keinerlei  Beschleunigung  erforderlich  ist  Ew.  p.  p.  wollen  sich  daher 
geneigtest  in  erster  Linie  mit  dem  Hauptarchive  Ihres  Bezirks,  bezw.  den 
gröfseren  Archiven  desselben,  in  Verbindung  setzen  und  auf  die  Über- 
nahme der  Herstellung  eines  solchen  Verzeichnisses  hinwirken.  Die 
Autorität  Ihres  Institutes  vermag  da  mehr  auszurichten  als  ein  privates 
Gesuch.  Weiterhin  würde  die  Eruierung  des  sonst  in  Ihrem  Bezirk  vor- 
handenen bezüglichen  archivalischen  Materials  (z.  B.  in  Privatarchiven) 
anzustreben  sein.  Unter  anderem  würde  sich  die  Versendung  eines  Cir- 
kulars  an  etwa  vorhandene  Pfleger  oder  sonstige  Organe  des  Instituts 
empfehlen.  Dem  Verzeichnis  des  unedierten  archivalischen  Materials 
würde  endlich,  auf  Anregung  aus  der  Mitte  der  Konferenz  heraus,  ein 
solches  des  seitens  des  einzelnen  Instituts  bereits  veröffentlichten  und  in 
seinen  Publikationen  gedruckten  Materials  an  Reiseberichten  und  Tage- 
büchern beizufügen  sein.  Die  Verzeichnisse,  deren  Fertigstellung,  wie  be- 
tont, ohne  besondere  Beschleunigung  erfolgen  kann,  würden  an  den  von 
der  Konferenz  mit  der  Sammlung  derselben  beauftragten  Universitäts- 
bibliothekar Dr.  G.  Steinhausen  in  Jena  gefälligst  einzusenden  sein. 
Die  Art  der  Verzeichnung  kann  ganz  kurz  sein,  z.  B. :  Beschreibung  der 
Reise  des  Grafen  N.  N.  durch  Westdeutschland  (die  Niederlande  und 
Frankreich)  in  den  Jahren  16 10  und  161 1  verfertigt  durch  dessen  Hof- 
meister N.  N.  —  Ort  der  Aufbewahrung,  eventuell  Archivsignatur.  Tage- 
buch des  Rathsherm  N.  N.  zu  N.  N.  1568 — 1580  (kurze  Notizen).  — 
Ort  der  Aufbewahrung,  eventuell  Archivsignatur.     Mit  der  Bitte,  mir  eine 


—     301     — 

baldige  Mitteiluog  darüber  ziikommen  zu  lassen,  ob  Ew.  p.  p.  bereit  sind, 
dem  Beschlüsse  der  Konferenz  gemäfs  an  der  Herstellung  von  Verzeich* 
nissen  des  vorhandenen  Materials  an  Reiseberichten  und  Tagebüchern  in 
Deutschland  mitzuwirken,  bin  ich 

In  ausgezeichneter  Hochachtung 

Konferenz  deutscher  PnblikationBinstitata 
Das  geschäflsfUhrende  Mitglied. 
Der  Zweck  dieses  Schreibens  ist,  in  allen  Gegenden  Deutschlands 
darauf  hinzuwirken,  dafs  festgestellt  wird,  welches  handschriftliche  Material 
an  Reiseberichten  und  Tagebüchern  vorhanden  ist,  damit  das  inhaltlich  be- 
deutendere davon  veröffentlicht  werden  kann.  Wie  erfreulich  es  wäre,  wenn 
durch  die  Mitwirkung  der  historischen  Gesellschaften  in  allen  Provinzen  eine 
derartige  Publikation  ermöglicht  würde,  bedarf  weiter  keiner  Erläuterung,  aber 
vielleicht  ist  es  doch  angezeigt,  einige  Bemerkungen  beizufügen,  die  dem 
Unternehmen  von  Nutzen  sein  könnten. 

Jener  Konferenzbeschlufs  spricht  zunächst  von  Beiseberichien  und  Tage- 
büchern in  Deutschland.  Wenn  damit  gesagt  sein  soll,  dafs  nur  Beschrei- 
bungen Deutschlands  —  wir  sprechen  im  weiteren  nur  von  den  Reise- 
berichten und  lassen  die  Tagebücher  als  mehr  lokale  Quellen  aufser  Be- 
tracht —  in  Frage  kommen  sollen,  so  wäre  dies  sehr  zu  bedauern,  denn 
jedes  litterarische  Werk  ist  ein  unzerreifsbares  Ganzes,  und  es  ist  nicht  gut 
angängig,  aus  diesem  Ganzen  Stücke  auszulassen,  dies  müfste  aber  in  vielen 
Fällen  geschehen,  wenn  nur  die  über  Deutschland  handelnden  Teüe  der 
Reiseerzählung  veröffentlicht  werden  sollen.  Die  vielen  Erzählungen  vom 
Besuche  des  Morgenlandes  aus  dem  XIV.  bis  XV.  Jahrhundert  enthalten  zum 
grofsen  Teile  auch  Reiseschildenmgen  aus  Deutschland,  die  nach  dem  Wort- 
laute des  obigen  Beschlusses  natürhch  für  eine  Sammlung  in  Betracht  kämen. 
Aber  ihr  eigentlicher  Wert  Hegt  gerade  in  der  Beschreibung  der  Erlebnisse 
in  der  Fremde,  und  diese  sind  von  der  allergröfsten  Wichtigkeit  für  die 
deutsche  Kulturgeschichte  im  weitesten  Sinne.  Wer  sich  von  der  Richtig- 
keit des  Gesagten  überzeugen  will,  der  lese  z.  B.  die  ganz  allerliebst  ge- 
schriebene Pilgerfahrt  des  Ritters  Arnold  von  Earff,  aus  den  Jahren  1496 
bis  1499,  hggb.  V.  E.  v.  Groote  (Köln,  Lempertz,  1860).  Wenn  dieses 
Gebiet  der  Litteratur  einigermafsen  erschöpft  und  der  Geschichtsforschung 
wesentlich  neues  Quellenmaterial  zugänghch  gemacht  werden  soll,  dann 
müssen  nicht  nur  die  Reisebeschreibungen  Deutscher,  wohin  sie  den  Leser 
auch  führen  mögen,  sondern  auch  die  von  Ausländem,  die  Deutschland  und 
die  Nachbarländer  beschreiben,  in  die  Erörterung  gezogen  werden.  Neben 
eigentlichen  Reiseschüderungen  würden  aber  auch  Reiserechnungen,  ¥ne  die 
über  die  Jerusalemfahrt  des  Kurfürsten  Friedrich  von  Sachsen  1493/94,  die 
im  4.  Bande  (1883)  des  „Neuen  Archivs  für  Sächsische  Geschichte  und 
Altertumskunde "  veröffentlicht  ist,  in  Frage  kommen,  femer  bis  zu  einer  ge- 
wissen Zeitgrenze  auch  einfache  Reiseerwähnungen,  damit  eine  annähemde 
Vorstellung  über  die  wachsende  Häufigkeit  der  Reisen  gewonnen  wird.  Die 
Sammlung  des  Materials,  wie  sie  eben  jetzt  von  Steinhausen  angestrebt  wird, 
ist  nur  eine  Vorarbeit  und  kann  nur  als  solche  betrachtet  werden.  Ihr 
Zweck  ist  zunächst,  eine  Übersicht  zu  gewinnen  über  ungedrackte  und  z.  T. 
tmbekannte  Reisebeschreibungen,  um  dieselben,  falls  sie  inhaltlich  bedeutend 

23 


—      302       - 

genug  sind,  zu  veröffentlichen.  Die  letztere  Bedingung  erscheint  als  etwas 
überaus  Wichtiges,  denn  es  dürfte  kaum  nützlich  sein,  inhaltlich  unselb- 
ständige  Berichte  zu  veröffentlichen,  zumal  ja  bekannt  ist,  dafs  ein  grofser 
Teil  der  Erzählungen  —  wie  in  modernen  Reisefeuilletons  —  nicht  selbst 
Beobachtetes,  sondern  aus  Büchern  Gewonnenes  enthält.  Wenn  aber  eine 
wirkliche  Übersicht  über  die  relative  Bedeutung  jedes  einzelnen  Reiseberichts 
gewonnen  werden  soll,  so  ist  dazu  eine  vollständige  Bibliographie 
der  Reiselitteratur,  der  deutsch  geschriebenen  sowohl  wie 
der  über  Deutschland  in  zeitlicher  Anordnung  nötig,  denn  nur  unter 
genauer  Abwägung  des  Wertes  der  einzelnen  Beschreibungen  untereinander 
und  im  Verhältnis  zu  den  Zeitumständen  ist  es  möglich,  diejenigen  Stücke 
ausfindig  zu  machen,  die  fUr  eine  gröfsere  Publikation  von  bleibendem  Werte 
geeignet  sind,  während  etwa  andere  von  nur  lokalem  Interesse  im  Rahmen 
einer  geschichüichen  Zeitschrift  zu  veröffentlichen  wären  und  bei  wieder 
anderen  der  eingehe  Hinweis  auf  ihr  Vorhandensein  nebst  einem  knappen 
Auszuge  genügen  dürfte.  Für  die  gröfsere  Publikation  würden  höchstwahr- 
scheinlich auch  bereits  gedruckte  Berichte  mit  in  Frage  kommen,  teils  weil 
die  vorhandene  Edition  den  jetzigen  Anforderungen  nicht  genügt,  teils  weil 
die  Ausgabe  schwer  zugänglich  ist  *).  Daraus  ergiebt  sich  die  weitere  Not- 
wendigkeit, dafs 'die  gedruckte  Reiselitteratur  auch  in  die  Bibliographie  auf- 
genommen werden  mufs,  und  (um  dieselbe  noch  brauchbarer  zu  machen) 
fügen  wir  hinzu:  auch  die  alsbald  nach  dem  Ende  der  Reise  gedruckten 
Reiseberichte  aus  dem  XVin.  Jahrhundert,  ja  vielleicht  bis  in  die  ersten 
Jahrzehnte  des  XDC.,  denn  diese  haben,  wenn  auch  in  ganz  andrer  Rich- 
tung, zum  guten  Teil  als  Tendenzschriften,  bedeutenden  geschichtlichen  Wert, 
und  durch  die  Aufttihnmg  in  einer  Bibliographie  werden  diese  z.  T.  als 
Quellen  vergessener  Schriften  wieder  zu  Ehren  kommen  können. 

Dies  möge  genügen,  mn  die  Bedeutung  einer  Bibliographie  der 
Reiselitteratur  über  Deutschland,  auf  deren  Notwendigkeit  übrigens 
Steinhausen  gelegentlich  (Zeitschrift  für  Kulturgeschichte  VII,  S.  154)  auch 
hingewiesen  hat,  zu  würdigen.  JedenMs  wäre  es  recht  wünschenswert,  wenn 
in  den  nächsten  Heften  der  geschichtlichen  Lokal-  imd  Territorialzeitschriften 
recht  viele  Aufsätze  etwa  mit  dem  Titel  „Reisende  aus  N.  N."  *)  erschienen, 
in  welchen  in  zeitlicher  Folge  diejenigen  Personen,  die  gröfsere  Reisen 
unternommen  haben,  —  mit  Anllihrung  der  Quelle,  auf  der  die  Nachricht 
beruht  —  aufgeführt  würden,  und  namenüich  diejenigen,  welche  ihre  Reise 
selbst  beschrieben  haben.  Das  wäre  der  beste  Unterbau  für  die  künftige 
Bibliographie  der  Reiselitteratur!  A.  T. 

Personalien.  —  Der  Professor  der  Nationalökonomie  in  Greifswald 
Biermer  wird  einem  Rufe   nach  Giefsen  Folge  leisten,   der  Professor   des 


l^  Vielleicht  wird  sich  auch  finden,  wenn  wir  die  Handschriften  in  gröfserer  Zahl 
kennen  lernen,   dafs,   wie  so  oft  gerade   die  schlechteste   der   iütcren  Edition   tu  Grunde 

gelegt  ist  «  .      j     j 

2)  Viktor  Hantzsch,  der  durch  sein  Buch  DeuUche  Retsmde  des  setihtehnten 
Jahrhunderts  (Leiprig,  Duncker  &  Humblot  1895  «  Leipziger  Stufen  aw  dem  Gebiet 
der  Geschichte,  i.  Bd.  4.  Heft)  eine  Grundlage  geschaffen  hat,  veröflfenüichte  einen  der- 
arUgen  Aufsatz  in  Atn  Dresdner  GeschkhtshlätUm  1896,  S.  274  mit  dem  Titel: 
Dresdner  Reisende  im  XVL  und  XVIL  Jahrhundert, 


—     303     — 

gleichen  Fachs  in  Marburg  Rathgen  einen  solchen  nach  Heidelberg.  — 
Von  Beamten  an  preufsischen  Staatsarchiven  wurden  versetzt:  Archivar 
Kr u seh  von  Hannover  nach  Breslau,  Kaufmann,  bisher  Assistent  am 
KgL  Preu&ischen  Historischen  Institut  in  Rom,  als  Archivar  nach  Magde- 
burg, Archivrat  Meinardus  von  Wiesbaden  an  das  neu  zu  begründende 
(v^.  S.  227)  Staatsarchiv  in  Danzig,  der  Hilfearbeiter  Viktor  Löwe  von 
Magdeburg  nach  Hannover.  —  Der  neu  ernannte  Haus-  und  Staatsarchivar 
Julius  Dieterich  in  Darmstadt  wird  auch  fernerhin  seine  akademische 
Lehrthätigkeit  in  Gießen  fortsetzen.  —  Im  Stift  St  Florian  bei  Linz  (Ober- 
österreich) starb  am  7.  Juli  der  hochbetagte  Chorherr  und  um  die  Stifts- 
bibliothek verdiente  Bibliothekar  Albin  Czerny,  der  namentlich  durch 
seine  Arbeiten  über  die  Bauemauüstände  in  Oberösterreich  1524  bis  1648 
bekannt  geworden  ist. 

Etngregangene  Bfleher. 

Bernheim,  Ernst:  Lokalgeschichte  und  Heimatkunde  in  ihrer  Bedeutung 
für  Wissenschaft  und  Unterricht  [Sonderabdruck  aus  den  „Pommer- 
schen  Jahrbüchern",  herausgegeben  vom  Rügisch  -  Pommemschen  Ge- 
schichtsverein zu  Greifiswald  und  Stralsund.  Greifswald,  Julius  Abel], 
32  S. 

Curschmann,  Fritz:  Hungersnöte  im  Mittelalter.  £in  Beitrag  zur  deut- 
schen Wirtschaftsgeschichte  des  VUI.  bis  XIII.  Jahrhunderts.  Leipzig, 
B.  G.  Teubner,  1900.*  217  S.  8®.  [=  Leipziger  Studien  aus  dem  Ge- 
biet der  Geschichte  VI,  i.] 

Historische  Untersuchungen,  Ernst  Förstemann  zum  fUnfisigjährigen 
Doktoijubiläum  gewidmet  von  der  Historischen  Gesellschaft  zu  Dresd^. 
Leipzig,  B.  G.  Teubner,  1894.  142  S. 

Hotz  seh,  Otto:  Die  wirtschaftliche  und  soziale  Gliederung  vornehmlich 
der  ländlichen  Bevölkerung  im  meifsnisch-erzgebirgischen  Kreise  Kur- 
sachsens. Auf  Grund  eines  Landsteuerregbters  aus  der  zweiten  Hälfte 
des  XVI.  Jahrhtmderts  dargestellt.     Leipziger  Dissertation  1900.  48  S.  8<^. 

Lothar,  Rudolph:  Das  Wiener  Burgtheater.  Leipzig  -  Berlin  -  Wien ,  C.  A. 
Seemann,  1899.  212  S.  8^  [=  Dichter  und  Darsteller,  herausgegeben 
von  Dr.  Rudolph  Lothar,  II.] 

Oberländische  Geschichtsblätter,  un  Auftrage  des  Oberländischen 
Geschichtsvereins  herausgegeben  von  Georg  Conrad,  Amtsrichter  in 
Mühlhausen  (Ostpreuisen).  Heft  U.  Königsberg,  in  Kommission  bei 
Ferd.  Beyer,  1900.     162  S.  8®. 

Oppert,  Gustav:  Über  die  Entstehung  der  Aera  Dionysiana  und  den  Ur- 
sprung der  Null.  [Sonderabdruck  aus  den  Verhandlungen  der  Berliner 
Gesellschaft  ftlr  Anthropologie,  Ethnologie  und  Urgeschichte  1900.  =s 
32.  Jahrgang.]     Berlin,  Gebr.  Unger,  1900.  37  S.  8®. 

Otto,  F.:  Das  älteste  Gerichtsbuch  der  Stadt  Wiesbaden,  herausgegeben 
von  *  .  .  .  Wiesbaden,  J.  F.  Bergmann,  1900.  116  S.  8®.  [=  Ver- 
öffentlichungen der  historischen  Kommission  ftir  Nassau  II.,  Quellen- 
schriften zur  Naussauischen  Rechts-  und  Verfassungsgeschichte  I.]. 

23* 


—     304 

Peiske  r,  J. :  Forschungen  zur  Social-  und  Wirtschaftsgeschichte  der  Slawen  3, 
die  serbische  Zadruga.  [Sonderabdruck  aus  der  2^itschrift  für  Social- 
und  Wirtschaflsg^chichte,  7.  Bd.     S.  211  —  326.] 

Rüstringer  Heimathbund  (Oldenburg):  Erstes  Jahresheft  Nordenham, 
W.  ßöning,  1894.  70  S.  S^.  —  Fünf  Vorträge,  gehalten  im  Rüstringer 
Heimathsbund.     Varel;  AUmers,  1898.    78  S.  8<>. 

Sartorius,  A.  Freiherr  v.  Waltershausen:  Die  Germanisierung  der  Räto- 
romanen in  der  Schweiz.  VolkswirtschafUiche  und  nationalpolitische  Studien. 
Stuttgart,  Engelhom,  1900.  iio  S.  8<>.  Jt  5.20,  [=  Forschungen  zur 
deutschen  Landes-  und  Volkskunde,  herausgegeben  von  A.  Kirchhoff. 
12.  Band,  Heft  V.] 

Schweizer,  Prof.  Dr.  P. :  Inventar  des  Staatsarchivs  des  Elantons  Zürich. 
Bern,  K.  J.  Wyfs,  1897.  112  S.  8<>.  [=  Separatabdnick  aus  dem  An- 
zeiger für  schweizerische  Geschichte.] 

Siebert,  Richard:  Das  älteste  Schöffenbuch  der  Stadt  Zerbst.  [Sonderab- 
druck aus  den  Mitteilungen  des  Vereins  für  Anhaltische  Geschichte  und 
Altertumskunde,  Bd.  VII  und  VIII.] 

Das    zweite    (1399    ff.)    Schöffenbuch    der   Stadt   Zerbst   [ebendort 
Band  VIII]. 

Sie  gl,  Karl:  Die  Kataloge  des  Egerer  Stadtarchivs.  Eger,  Verlag  der 
Stadtgemeinde  E.,   1900.     388  S.  8<>. 

Trierisches  Archiv  Heft  IV:  Die  Benediktinerabtei  St.  Martin  bei  Trier 
von  Dr.  Armin  Tille.  Anhang:  Verzeichnis  der  Handschriften  des 
historischen  Archivs  der  Stadt  Trier,  Bogen  3  (Nr.  74 — 91).  Trier, 
Friedr.  Val.  Lintz,   1900. 

Verzeichnis  von  und  über  Zeitungen  und  Zeitschriften  (Perio- 
dische Litteratur).  Antiquariatskatalog  Nr.  81  der  Buchhandlung  von 
Max  Harrwitz,  Berlin  W.    32   S.    8^ 

Walter,  Friedrich:  Geschichte  des  Theaters  und  der  Musik  am  kurpfälzi- 
schen Hofe.  Leipzig,  Breitkopf  &  Härtel,  1898.  [=  Forschungen  zur 
Geschichte  Mannheims  und  der  Pfalz,  herausgegeben  vom  Mannheimer 
Altertumsverein  I.J 

Yerlag  Ton  Friedrich  Andreas  Perthes  In  Gotha. 

Unter  der  Presse  befindet  sich  und  erscheint  demnächst: 

Alte  Zeiten  -  alte  Freunde* 

Lebenserinnerungen 

von 

P.  Max  MflUer, 

FrofeMor  der  vergleichenden  Sprach wUscnschaft  zu  Oxford. 
J^utorisierte  Übersetzune  von   XX.  ChcosplllB«.  —  Mit  Portrfit. 

Preis  Jl  8;  gebunden  Jl  10. 


Hermusgeber  Dr.  Annin  Tille  in  Leipzig.  Druck  und  Verlag  von  Friedrich  Andre«  Perthet  in  Gotha. 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsschrift 

zur 

fövderong  üt  landesgesehieUliehen  f  ovsobung 

unter  Mitwirkung  von 

Prot.  Baehmum-Png,  Prof.  BrejsiK-Berlin,  Prof.  Erler-Königiberg, 

Prof.  Pinke-Freibnrg  i.  B.,  Ardiivdireklor  Prof.  HaoBea-Köln,  Prof.  v.  HeiEBt-MüDchen, 

Prof.  Hayck-MibicIieD,  Sectionschcf  t.  Inamm^temB^-Wien,  Prof.  O.  Jigar-BoDO, 

GTmnMJalrektor  O.  Kimmel-Leipiig,  Bibliotliekar  FroC  Koaainna-BerliD, 

Prot  LMiaprecht-Lcipue,  Archivrat  W.  Lippert-Dreiden,  ArchiTar  Men-OioabiUck, 

Prof.  BIBhlbkchei-Wien,  Prof.  t.  Ottenthkl-Inaabnick,  Prof.  Oaw.  Redllcb-Wieu, 

ProL  Y.  cL  Ropp-Marbnig,  Prof.  A.  ScbultB-BrciUo,  ArcbiTrat  Sello-OIdenbnrg, 

Geh.  ArchiTnit  Stilln-Statteul,  GTmnMialrektor  Vogt-NUrabcTS, 

Archmat  Wlachke-Zerbst,  Prof.  Wsher-Prig,  Prof.  Wenck-Marbore, 

Archirrat  Wlnter-StetUn,  Arcbirar  Witta-Schverio,  Prof.  t.  Zwiedlneck-SDdvnbotat-Graz 

herausgegeben  TOn 

Dr.  Armin  TiUe 
n.  Baoid 


Gotha 

Friedrieb  Andreas  Perthes 
190 1 


I  n  li.  a  1 1« 

Aufsätze :  s<rfte 

Albert,  Peter  P.  (Freibarg  L  B.):  Zur  PortiaUKirchengeschichte  ....  203 — aio 
Anthes,  B.  (DannsUdt) :  Der  erste  Verhandstag  der  wesU  und  süddeutschen 

Vereine  für  römisch^germetnische  Altertumsforschung   .     .     .  228^234 

Clemeiii  Otto  (Zwickma):  Pärtiat-Ktrchengeuhichte 33— 40 

Qa^de,  Christian  (Dresden):  Theatergeschühte 145 — 164 

Hey,  Qustav  (DÖbelD):  Zur  Ortsnamenforschung  .     .     - I2I— 131 

Kapper,  Anton  (Graz) :  Der  Werdegang  des  historischen  Atlasses  der  öster* 

reichischen  Alpenländer 217 — 227 

Klans»  Bmno  (Schw.-Gmünd) :  Die  Juden  im  deutschen  Mittelalter  241 — 248  o.  273—292 
Köberiin,    Alfred    (Neustadt   a.    H.):    Deutsche    Wirtschaf U-    und  Munt" 

geschichte 12  — 17 

Lippert,    Woldemar  (Dresden):    Das    Verfahren   bei  AJktenkassationen   ih 

Sachsen 249 — 264 

Lorensen,  A.  (Kiel) :  Litter atur  zur  Geschichte  Schleswig-Holsteins  108— 1 14  u.  134 — 137 
Roth,  W.  (Wiesbaden):    Geschichtliche  Forschung   in  Stadt   und  Bistum 

Worms  im  XV  und  XVL  Jahrhundert 174—181 

Schnltse,  Walther  (Halle  a.  S.) :  Der  auswärtige  Leihverkehr  der  preufsischen 

Bibliotheken 164 — 174  u.  239 — 240 

Sello,  Q.  (Oldenburg):  Zur  Litteratur  der  Roland-Bildsäulen  i — 12,  40—57  a.  65—89 

Tille,  Armin  (Leipzig):  Nachwort  (za  dem  Aufsätze  voß(  Roth)      .     .     .     .  182 — 184 

„          „               „         Verkehrsgeschichte 193 — 202 

Voltelini,  Hans  v.  (Innsbruck):    Die   österreichische  Reichsgeschichte y   ihre 

Aufgaben  und  Ziele 97—108 

Wischke,  Hermann  (Dessaa):  Nachwort  (za  dem  Aufsätze  von  Hey)  .  .  131 — 133 
Wehrmann,  Martin  (Stettin):  Landes-  und  Heimatsgeschichte  im  Unter- 
richte der  höheren  Schulen 265 — 273 

Mitteilttngen : 

Archlologische  Reise  durch  Teile  Norddeutschlands  (Kossinna)   ...  23—26 
Atchive:   ArdHfwesen  im   Königrctdi   Sachsen   27  —  29;    Archivwesen    in 
Württemberg  29 — 32;   Zweiter  Archivtag  60 — 61;  Stadtarchiv 
Freibnrg  i.  B.  61 — 64;  Stadtarchiv  Mannheim  90;  Archtvwesen 
in   Baden   90 — 91 ;    Archivwesen   in    Brannschweig    138 — 139; 
Stadtarchiv   Saalfeld  139—140;   Stadtarchiv   Speier    184^185 
Mitteilungen  der  K.  Preufs.  Archiwerwaltung  185 — 186;  Herzog- 
lich kurländisches  Archiv  in   Mitau  (H.  Diederichs)  a  10—213 
Stadtarchiv  Rosenheim  213;  Archivwesen  in  Anhalt  235 — 236 
Wegweiser  durch  die  historischen  Archive  Thüringens  295 — 297; 


Seite 
Die   Bedeutung    der   Stadtarchive,    ihre   Einrichtang   und    Ver- 
waltung 297 — 298;  Thüringer  Archivtag  298. 

Ausgrabungen 114 

Berichtigungen 96,  144 

Bibliographie  der  historischen  Zeitschriltenlitteratur 17—23,  58—59 

Denkmalspflege,  Tag  für 59—^  295 

Eingegangene  BQcher 32,  64,  96,  120,  191 — 192,  216,  240,  310—312 

Gesamtverein  der  deutschen  Geschiohts-  und  Altertumsvereine  57—59,  294 — 295 

Hansischer  Geschichtsverein 292 — 294 

Historisches  Institut  in  Rom 306 — 310 

Historische  Kommissionen:  K.  zur  Herausgabe  lothringischer  Geschichts- 
quellen 142 — 143 ;  K.  fUr  die  Herausgabe  von  Akten  und  Korre- 
spondenzen zur  neueren  Geschichte  Österreichs  143  — 144; 
Württembergische  K.  für  Landesgeschichte  190;  (L  K.  bei  der 
Kgl.  bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften  190 — 191 ; 
H.  K.  für  Sachsen-Anhalt  213—214;  KgL  Sächsische  K.  für 
Geschichte  236—237;  Badische  H.  K.  237 — 238;  Thüringische 
H.  K.  238;  H.  K.  für  Hessen  und  Waldeck  301—302;  H,  K. 
für  Nassau  302 — 303;  Gesellschaft  für  Rheinische  Geschichts* 
künde  303—305. 

Klostergeschichte 115 — 117 

Museen:  Guben  114 — 115;  Lübbenau  115;  Historisches  Museum  der  Pfalz 
in  Speier  186 — 187;  Böhmisch-Leipa  187. 

Ortschaftsverseichnisse,  Geschichtliche 91—94 

Personalien 94—96,  214—216 

Sprachatlas  des  deutsches  Reichs 292—293 

Vereine :  Donauwörth  264 ;  Schwabach  305 ;  Braunschweig  305 ;  Verein  für 
hessische  Kircheogeschichte  305 — 306;  Barmen  306;  Stade  306. 

Versammlung  deutscher  Philologen  und  Schulminner 295 

Wachstafisln 299 — 301 

Zeitschriften:  Pommersche  Jahrbücher  118  — 119;  Mühlhäuser  Geschtchts* 
hläiter  119;  Ludwtgsburger  GtschichtshUUter  140;  Jahrhuch 
des  Vereins  für  die  evangelische  Kirchengeschichte  der  Graf» 
Schaft  Mark  141— 142;  Mannheimer  GeschichtsUätter  188; 
Mitteilungen  des  historischen  Vereins  der  Mediamatriker  für 
du  Westpfalt  188—189;  Blätter  für  Uppüche  Heimatkunde 
189—190. 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsschrift 


Förderung  der  landesgeschichtlichen  Forschung 

II.  Band  Oktober  xgoo  i.  Heft 


Zur  Iiitter atuf  der  t^oland^Bildsäulen 

Von 
G.  Sello  (Oldenburg) 

Die  ehrwürdigen  Denkmale  altertümlich-monumentaler  Kunstübung, 
welche  als  „Rolande"  den  Marktplätzen  norddeutscher  Städte  ihr  cha« 
xakteristisches  Gepräge  verleihen,  bilden  eines  der  merkwürdigsten  ge- 
schichtlichen Probleme,  welche  die  Vorzeit  auf  uns  vererbt  hat. 

Mitten  in  das  Getreibe  modernen  Lebens  hinein  stellen  sich  stumm 
imd  regungslos  diese  riesenhaften  steinernen  Gesellen,  und  zwingen 
einzig  durch  ihre  Erscheinung  jeden,  der  sie  schaut,  sei  es  Laie  oder 
Gelehrter,  zu  der  staunenden  Frage  nach  ihrem  Zwecke,  ihrer  Be- 
<leutung,  ihrer  Entstehung.     So  war  es  schon  seit  fast  300  Jahren. 

Doch  eine  allseitig  befriedigende  Antwort  ist  noch  nicht  erfolgt. 
Die  sichere  Lösung,  welche  Uhlirz  *)  von  ausreichender  archäologischer 
Grundlage  aus  erwartet,  wage  ich  kaum  zu  erhoffen  —  aber  die  Schaffung 
•dieser  Grundlage  ist  jedenfalls  das  zunächst  und  ausschliefslich  zu  erstre* 
bende  Ziel.  Dafe  wir  noch  recht  weit  von  demselben  entfernt  sind,  zeigen 
-die  neuesten  bezüglichen  Veröffentlichungen,  deren  Verfasser  sich  von 
-der  Unerlälislichkeit  dieser  Forderung  nicht  haben  überzeugen  wollen. 

Die  Litteratur  über  die  Roland -Statuen  ist  ziemlich  umfangreich 
und  recht  verschieden  geartet.  Ehe  ich  einer  Aufforderung  des  Herrn 
Herausgebers  folgend  es  versuche,  dieselbe  zu  klassifizieren  und  zu 
charakterisieren  (wobei  ich  darauf  verzichten  muls,  jedes  mir  bekannte 
Zeugnis  mit  bibliographischer  Vollständigkeit  zu  verzeichnen,  und 
andererseits  die  Gefahr  besteht,  dafs  mir  in  meinem  Weltwinkel  viel- 
leicht Belangreiches  entgangen  wäre)  möchte  ich  es  nicht  unterlassen, 
einleitungsweise  meinen  eigenen  Standpunkt  in  der  Frage  mit  thunlich- 
ster  Kürze  darzul^en ,  um  dem  Leser  sonst  unvermeidliche  Wieder- 
holungen zu  ersparen. 


i)  Mitteflnngen  d.  Inst  f.  Österreich.  Ge8cb.-Forsch.  XV,  1894,  S.  680. 

1 


—     2     — 

Betrachtet  man  die  geographische  Verteilung  der  durch  Gestalt 
und  Geschichte  als  die  ältesten  der  erhaltenen  Statuen  sich  ausweisen- 
den Rolande,  so  ergiebt  sich,  dafs  dieselben  sämtlich  der  sächsisch- 
engerischen  Grenzzone  Deutschlands  angehören,  in  welche  König  Hein- 
rich L  den  Schwerpunkt  des  Reiches  verlegte,  und  wo  unter  den 
sächsischen  Kaisem  ein  reges,  geistiges  sowohl  wie  wirtschaftliches 
Leben  sich  entwickelte  *). 

Die  von  diesen  Kaisem  ausgehende  Gründung  städtisch  organisierter 
Handelsniederlassungen  an  hervorragenden  Sitzen  geistlicher  Würden- 
träger —  Magdeburg  965,  Bremen  966,  Halberstadt  989,  Quedlinburg 
994  —  und  das  kräftige  Erblühen  dieser  bisher  dem  Sachsenlande 
unbekannten  Stadtgemeinden  war  wohl  dazu  angethan,  den  auf  das 
Monumentale  gerichteten  Kunstsinn  des  Sachsenvolkes  *)  zur  Be- 
thätigung  anzuregen.  Formalen  Anstofe,  wenn  nicht  gar  direktes  Vor- 
bild dazu  gaben  die  über  gewöhnliches  Mafs  hinausragenden  Bild- 
säulen, welche  man  bei  den  durch  regen  Handelsverkehr  mit  den 
neuerrichteten  sächsischen  Kaufmannsstädten  eng  verbundenen  benach- 
barten Völkerschaften,  Wenden  und  stammverwandten  Skandina- 
viem  oder  Angelsachsen,  auf  Marktplätzen  und  Kultusstätten  sah. 
Indem  man  ähnliche  Bildwerke  im  eigenen  Lande  errichtete,  gab  maa 
nicht  nur  der  volkstümlichen  Freude  an  monumentaler  Plastik  charak- 
teristischen Ausdruck,  sondern  man  rief  auch  in  der  Seele  des  frem- 
den Handelsfreundes  behagliche  Erinnemng  an  die  ferne  Heimat  wach. 
Dafs  man  nicht  blasse  Allegorien  schaffen  wollte,  sondern  Abbilder 
einer  konkreten  Persönlichkeit,  des  Königs,  der  die  trefflichen  neuen 
Einrichtungen  geschaffen  hatte,  und  der  sie  sorgsam  schützte,  indem 
er  seinen  machtvollen  Königsbann  dem  Stadtherm  anvertraute,  scheint 
selbstverständlich*).  Solche  Königsbilder  waren,  wie  ich  meine,  die 
Ahnherren  unserer  „Rolande". 

Aus  rein  lokalen  und  persönlichen  Anschauungen  und  Bedürf- 
nissen  entstanden,    gewannen  diese  anfangs  nur   seltenen  Bilder  bald 


1)  VgL  S.  Rietschel,  Markt  and  Sudt,  S.  50.  * 

2)  Abgesehen  von  den  Rolanden  selbst  sei  an  die  Jodate-Bildsänle  am  Welfesholr 
(II 15,  xnerst  von  Heinrich  von  Hervord,  cd.  Potthast,  S.  141  —  nach  einer  alteren  sachs. 
Chronik?  —  genannt,  von  IL  Lnther  beschrieben  „gleichwie  ein  grofser  Riese  gehanen  oder 
gesdmitzet««  (vgL  Chr.  Petersen,  Forsch,  r,  D.  Gesch.  VI,  234),  die  Otto-Statne  (Ende  des 
XnL  Jahrh.)  vnd  den  Hirsch  in  Magdeburg,  die  Karl4lelieis  in  Bremen  und  Libeck  (Bütte 
XV.  Jahrh.),  die  ReittrsUtue  in  Ncnhaldensleben  (Anfang  XVL  Jahrh.)  erinnert. 

3)  Ein  verwandter  Gedanke  gelangte  in  den  Königs-  and  Kaiserbildcm  vomehmlidv 
mittel-  and  s&ddeatscher  SUdisi^el  tarn  Aosdmck. 


—     8     — 

eine  gleichmäfeig'  anerkannte,  bestimmte  sachliche  stadtrechtliche  Be- 
dentung*,  ohne  dafs  sie  der,  ich  möchte  sagen  gemeinrechtlichen  Auf- 
gabe des  Kreuzes,  als  Markt-  und  Stadtzeichen  zu  figurieren,  Abbruch 
thaten.  Einen  letzten  Schimmer  davon  hätte  man  vielleicht  in  der  Bremer 
Sage  des  XIV. /XV.  Jahrh.  zu  erblicken,  dafe  der  dortige  „Roland"  bis 
zum  Anfange  des  XII.  Jahrh.  im  Schilde  das  Stadtwappen  geführt 
habe.  So  wurde  es  möglich,  bei  der  späteren  Neueinrichtung  deutscher 
Städte,  deren  Entstehungsart  mit  derjenigen  der  ältesten  Rolandstädte 
nichts  gemein  hat,  solche  ursprünglichen  Königsbilder  als  monumentale 
Urkundszeugen  städtischer  Organisation  zu  errichten.  Der  Berliner 
Roland,  dessen  Vorfahren  in  aufsteigender  Linie  die  Standbilder  zu 
Neustadt-Brandenburg  und  Magdeburg  waren,  mufs  mit  dieser  Bedeutung 
im  zweiten  Viertel  des  XIII.  Jahrh.  entstanden  sein ;  ungefähr  derselben 
Zeit  gehört  der  Hallenser  Roland  an ;  sollte  Hamburg  schon  in  früherer 
Zeit  ein  Königsbild  besessen  haben,  so  wurde  der  historisch  bekannte 
„Roland**  dort  (ein  Spröfeling  des  Bremischen?)  wohl  erst  nach  der 
letzten  gründlichen  Zerstörung  der  Stadt  1072,  und  etwa  vor  1189, 
spätestens  jedenfalls  vor  der  Mitte  des  XIII.  Jahrh.  errichtet. 

Im  Laufe  des  letzteren  und  im  XIV.  Jahrh.  geriet  die  bisherige 
Bedeutung  der  Standbilder  in  Vergessenheit.  Allein  um  ihrer  selbst 
willen  pietätvoll  geehrt,  ähnlich  den  Stadtwahrzeichen,  welche  noch 
heut  für  bestimmte  Kreise  des  Volkes  eine  gewisse  Bedeutung  bewahrt 
haben,  standen  sie  steif  und  hölzern  auf  ihren  Plätzen,  umrankt  von 
der  Sage,  deren  Weben  sich  recht-  deutlich  an  dem  Bremer  Bilde 
verfolgen  läfet,  wie  Bremen  überhaupt  für  die  Rolandgeschichte  typisch 
ist.  Noch  Adam  von  Bremen  (IL  c.  2;  Ende  des  XI.  Jahrh.)  hatte 
auf  Grund  des  Privilegs  von  966  berichtet,  dafs  durch  König  Otto  der 
Stadt  immunttas  stmulque  libertas  verliehen  worden  sei.  Die  Bremer 
Sage  übertrug  dies  auf  Karl  d.  Gr. ,  dem  man  schon  zu  Ende  des 
XII.  Jahrh.  (1186,  Brem.  ÜB.  I,  no.  65)  die  Verleihung  wichtiger  Pri- 
vil^en  an  die  Stadt  traditionell  zuschrieb.  Die  Veranlassung  dazu 
lag  in  den  beliebten  und  weitverbreiteten  Erzählungen  vom  Friedens- 
schlüsse Karls  mit  den  Sachsen  zu  Salz  803,  und  der  dabei  geschehenen 
Rückgabe  der  antiqua  libertas  an  die   letzteren^).     Die   Karls -Sage 


i)  VgL  die  angebliche  Stiitangsorkwide  Karls  d.  Gr.  für  das  Bistum  Bremen  bei 
Adam.  Brem.  I,  13,  welche  ktinlich  G.  Hfiffer  (Corveier  Studien  1898,  S.  154; 
vgl.  daza  W.  Erben  in  Histor.  Vierteljahrschr.  HL  1900,  S.  259 ff.),  in  der  Weise  sa 
retteo  bemülit  gewesen  ist,  dafs  er  ihre  Znsammensetzong  ans  drei  echten  Diplomen,  den 
StiftBogsurkanden  von  780  und  787  und  einer  Circumskriptionsurkunde  von  803,  nachzuweisen 
suchte.    Auch  fUr  die  Thatsächlichkeit  des  Friedens  ist  Httffer  (1.    c.   S.    72  ff.)   mit  Leb- 


—     4     — 

wurde  mit  dem  Standbild  in  Beziehung  gebracht,  seitdem  man  diesem 
den  Roland-Namen  beizulegen  sich  gewöhnt  hatte.  Wann  dies  ge- 
schehen ist  mit  ziemlicher  Sicherheit  zu  ermitteln.  Wer  auch  von 
den  Verfassern  der  ältesten  Bremer  Stadtchronik,  Rhynesberch,  Schene 
Hemeling,  den  Passus  über  die  1366  erfolgte  Zerstörung  der  Bremer 
Rolandstatue  niederschrieb,  jedenfalls  sah  er  in  derselben  ein  Bild  des 
Paladins  Roland,  welches  seiner  Ansicht  nach  seit  unvordenklicher 
Zeit  den  Marktplatz  zierte. 

Der  Name  mufe  also  zum  mindesten  im  Anfang  des  XTV.  Jahrh. 
in  dieser  Verbindung  gebräuchlich  gewesen  sein.    Andererseits  war  er  in 
Norddeutschland  populär  geworden  erst  durch  das  allmähliche  Bekannt- 
werden der  sogen.  Chronik  Turpins  *),  des  Rolandsliedes  vom  Pfaffen  Con- 
rad *),  vor  allem  aber  durch  Sagen  von  der  Teilnahme  Rolands  an  der  Be- 
siegung der  Sachsen,  welche  nach  der  Chanson  de  Roland  das  „Ruo- 
landes  liet"  bereits  andeutet  (v.  7539)  und  welche  aus  verlorenen  fran- 
zösischen Dichtungen  nicht  nur  in  die  isländische  Karlamagnus  -  Sag'a 
(G.  Paris,  Histoire po^tique  de  Charlemagne  1865,  S.  286 ff.),  son- 
dern auch  in  den  deutschen  Sagenschatz  aufgenommen  wurden  *).    Man 
mag  dafür  die  Mitte  des  XIII.  Jahrh.  ansetzen.     Die  Übertragung  des 
Roland-Namen  auf  die  Statuen  wurde  formell  vermittelt  durch  die  Er- 
zählungen von  alten  Rolandbildem  in  Italien  (z.  B.  am  Dom  zu  Verona), 
welche    Geistliche    und    Kaufleute    auf  ihren    Reisen    kennen    gelernt 
hatten;  sie  fanden  willige  Aufnahme  auf  einem  durch  die  Karls-  und 
die  Rolands-Sage  vorbereiteten  Boden. 

So  wurden  die  alten  Königsbilder   zu  Rolandbildem;   die  Motive 
aber,  welche  einst  zur  Errichtung  jener  geführt  hatten,   waren   doch 


haftigkeit  eiDgetreteo.  Es  ist  interessant ,  za  sehen ,  welche  Gestalt  diese  Dinge  im 
XVII.  Jahrh.  in  der  Vorstellung  der  mafsgebenden  Bremer  Kreise  gewonnen  hatten.  Im 
„Prodromos**  (1641 ,  widerholt  in  Assertio  libertatis  etc.  1646,  S.  549)  heilst  es:  Als 
auch  I.  K.  M.  (Karl  d.  Gr.)  anno  803  einen  grofsen  Landtag  bei  Magdeburg  an  der  Elbe 
(charakteristische  Verwechselang  des  Salz  an  der  fränkischen  Saale  mit  dem  Magdeburg 
benachbarten  [Gr.]  Salze)  gehalten,  haben  sie  daselbst  einen  neaen  ewigen  Frieden  auf- 
gerichtet, worinnen  die  sächsischen  Lande  und  Städte  in  den  Schutz  des  Reiches  aber- 
malen genommen,  und  verabscheidet,  dafs  sie  bei  ihren  alten  Freiheiten  gelassen 
werden,  ihnen  auch  in  specie  an  das  Reich  zu  appellieren  frei  sein  sollte, 
i)  Von  Papst  Kalixt  II.  1132  für  authentisch  erklärt. 

2)  1131  in  Regensburg  entstanden,  vgL  E.  Schroeder  in  Zeitschr.  f.  D.  Altert. 
XX VU,  1883,  S.  81. 

3)  Eine  Andeutung  davon  wohl  schon  bei  Dietrich  Engelhausen,  ed.  Mader, 
S.  155;  vgl  die  Bemerkung  Melanchthons  unten  S.  7;  Brotuff,  Merseburg.  Chron. 
1556,  c.  21;  Kuhn  und  Seh  war  tz,  Nordd«  Sag.,  n.  253. 


—     5     — 

nicht  ganz  verklungen.  Das  zeigt  sich  darin,  dafs  man  nun  hier  und 
da  neben  den  Rolanden  neue  Königs-  oder  Kaiserbilder  schuf: 
in  Magdeburg,  in  Bremen;  auch  Lübeck  besitzt  ein  entsprechendes 
Bildwerk  ^) ,  aber  keinen  Roland.  Die  allmählich  erwachsene  volks- 
tümliche Anschauung  von  der  Entstehung  und  Bedeutung  der  Roland- 
bilder gewann  seit  dem  Beginn  des  XV.  Jahrh.,  in  dem  Ringen  der 
Städte  mit  den  Territorialherren,  eine  staatsrechtliche  Bedeutung.  Die 
Sage  wurde  zur  historischen  Thatsache,  die  Statue  zum  Beweise  für 
dieselbe.  Es  galt  als  feststehend,  dafs  Kaiser  Karl  die  Errichtung  von 
Bildsäulen  seines  Lieblingshelden  Roland  mit  dem  kaiserlichen  Wappen 
den  sächsischen  Städten  zum  Zeichen  gewisser  „libertates"  gestattet 
habe;  zur  Spezifikation  dieser  „Freiheiten"  griff  man  dann  wohl,  wie 
in  Bremen,  zur  Urkundenfälschung.  An  die  Stelle  einzelne  r  Freiheiten 
rat  bald  der  Kollektivbegriff  der  „Freiheit",  der  Privilegierung  im 
allgemeinen,  und  daraus  folgte,  wo  die  Verhältnisse  entsprechend 
lagen,  der  Begriff  der  „Kaiserfreiheit".  Dies  ist  so  klar  wie  möglich 
ausgesprochen  von  Dietrich  Engelhausen  *) :  Rolandus^  cuius  tmaginem 
omat  Saxonia  in  civitatibtis  imperialibus.  Wie  ernsthaft  man  aller- 
seits die  Sache  nahm,  ergiebt  sich  aus  den  Nachrichten  zeitgenössischer 
Schriftsteller  über  die  thatsächliche  oder  angebliche  Beseitigung  von 
Rolandbildem  dort,  wo  die  Landesherrschaft  im  Streite  mit  der  Stadt 
obsiegte  (Bremen,  nur  vorübergehend;  Hamburg;  Quedlinburg;  auch 
Halle  gehört  gewissermafsen  hierher).  Das  Beispiel,  das,  wie  es  scheint, 
zuerst  in  Bremen  gegeben,  fand  vielfache  Nachahmung.  Während  die 
erzählenden  Quellen  bis  dahin  nichts  von  Rolandbildern  berichten, 
geben  sie  nun  häufig  Kunde  von  der  Umwandelung  hölzerner  Statuen 
in  dauerhafte  von  Stein,  von  deren  sorgfaltiger  Ausstaffierung  und  fiir- 
sorglicher  Erneuerung;  die  städtischen  Rechnungen  bestätigen  die 
Angaben  der  Chronisten.  Die  Umwandlung  des  Rolandnamen  aber 
zu  einer  Gattungsbezeichnung  ftir  alles  Riesenhafte,  ebenfalls  unter  dem 
Einflufs  der  Sage  schon  seit  dem  XIU.  Jahrh.  in  romanischen  imd 
deutschen  Landen  allmählich  vollendet,  bot  zugleich  bei  Neuerrichtung 
solcher  Bildsäulen  willkommene  Gelegenheit,  ihren  politischen  Wert 
durch  immer  kolossalere  Formengebung  augenfällig  ins  Licht  zu  setzen. 


i)  Abb.  aaf  dem  Umschlag  bei  P.  Hasse,  Kaiser  Friedrich  I.  Freibrief  für  LU« 
beck.     1893. 

2)  f  1434;  oder  etwa  später?  TgL  L.  v.  Heinemann  im  Neuen  Arch.  f.  alt.  D. 
Gesch.  Xm,  173  Anm.  —  Die  citierte  Stdle  steht  in  Maders  Aasgabe  von  Engelhaasens 
Chronik  (1671)  S.  155;  in  Script,  rer.  Bnmsvic.  II,  1063. 


—     6     -- 

Wie  dann  nach  und  nach  die  Persönlichkeit  Karls  wieder  zurück- 
trat, der  Rolandname  zu  einem  terminus  technicus,  das  Rolande 
bild  zu  einer  monumentalen  Formel  für  den  Besitz  mannig^facher, 
nach  Ort  und  Zeit  verschieden  normierter  kommunaler  Privilegien 
wurde,  wie  in  Folge  davon  die  Rolande  auch  in  den  Gebieten  aufeer- 
halb  des  ursprünglichen  Rolandbezirks ,  deren  Städte  zur  Klientel  der 
alten  Rolandorte  gehörten,  ja  selbst  in  Flecken  und  Dörfern,  sich 
mehrten,  wie  Nachahmungstrieb,  Repräsentationsbedürfnis,  Mode  das 
Ihrige  zu  dieser  Vermehrung  beitrugen,  wie  schliefslich  im  Volks- 
bewufstsein  vom  einstigen  Rolandbegriff  nur  die  Vorstellung  des 
Kolossalen  haften  blieb,  und  der  Name  nun  irgendwelchen  auffälligen 
Bildwerken  willkürlich  beigelegt  wurde,  das  zu  ermitteln  und  reinlich 
darzustellen  ist  unleugbar  von  grofsem  kulturhistorischem  und  lokal- 
historischem Interesse. 

Aber  alle  Erscheinungsformen  dieser  sekundären,  in  den  Bremer 
Urkundenfälschungen  zu  Anfang  des  XV.  Jahrh.  zuerst  uns  erkennbar 
werdenden  Entwicklungsperiode  haben  nur  für  die  Zeit  Geltung,  in 
der  sie  konstatiert  werden;  Rückschlüsse  daraus  auf  die  ur- 
sprüngliche Bedeutung  der  Rolandbilder  oder  gar  auf 
die  Entstehung  derselben  sind,  um  einen  von  Richard  Schröder 
gern  gebrauchten  Ausdruck  anzuwenden,  mit  den  Grundsätzen 
einer  gesunden  historischen  Kritik  unvereinbar. 


Die  erste  Erwähnung  eines  „Roland"  in  der  Litteratur  ist  bekannt- 
lich die  des  Bremer  in  dem  Teile  der  ältesten  Bremer  Stadtchronik, 
welcher,  im  wesentlichen  von  Herbord  Scheue  allein  herrührend,  noch 
dem  Ende  des  XTV.  Jahrh.  angehört  *).  Andere  das  Standbild  be- 
handelnde Stellen  derselben  Chronik  sind  Einschiebsel  aus  dem  An- 
fange des  XV.  Jahrh.*).  Der  Hamburger  Roland  wird  von  dem, 
durch  Bremische  Anschauungen  beeinfiufsten  Verfasser  des  Chronicon 
Holsatiae(i448)  ^)  erwähnt.  Aus  dem  Ende  des  XV.  Jahrh.  wäre  dann  noch 
Hartmann  Schedels  Chronicon  mundi  (Nürnberg,  Anton  Koberger, 
1493)  zu  nennen,  wo  es  fol.  180  der  lateinischen  Ausgabe  von  der 
Stadt  Magdeburg   heifst:   ex  tat  in   ea  ymago  perpulcra  Rolandi, 


1)  Gesch.-QuclL  d.  Erzst.  u.  d.  Stadt  Bremen,  heraosg.  von  J.  M.  Lappenberg, 
1841,   S.   114;  vgL  V.  Bippen  in  Brem.  JB.  XII,  1883,  S.  129;  XOI,  1886,  S.  33. 

2)  Gcsch.-QueU,  etc.,  S.  60.  76;  vgL  v.  Bippen  L  c  XJII,  S.  32. 

3)  Chronicon  Holtzatiae  aactore  prcsbjrtcro  Bremensi,  herausg.  von  J.  M.  Lappen- 
borg,  QaeUensammlang  der  Schlcsw.  Holst.  Laaenb.  Gcsellsch.  f.  vaterl.  Gesch.  I, 
1862,  S.  83. 


—     7     — 

qut  Caroli  ex  sorore  nepos  fuit  Die  zugehörige  Stadtansicht  in 
Doppelblattgröfse  läfst  dieses  Rolandbild  erkennen:  auf  einer  hohen 
Säule  mit  Blätterkapitell  steht  die  Figur  eines  Mannes  in  Helm  und 
Plattenhamisch,  das  in  der  Scheide  steckende  Schwert  umgegürtet,  in 
der  rechten  Hand  eine  Fahne  haltend  *).  Die  Zahl  der  eine  Fahne 
tragenden  Rolande,  welche  in  der  neuesten  Litteratur  eine  so  ungerecht- 
fertigte Rolle  gespielt  haben,  hätte  durch  dieses  Bild  willkommenen 
Succurs  erhalten,  und  die  Vorfechter  des  Erfurter  Roland  insbesondere 
hätten  in  ihm  eine  Stütze  für  ihre  Ansicht  finden  können.  Es  ist  in- 
dessen ein  Phantasiegebilde.  Die  richtige  Gestalt  des  zuletzt  1459 
von  Meister  Kunz  von  Erfurt  aus  Stein  gefertigten  Magdeburger  Ro- 
land zeigt  des  Joh.  Pomarius  Chronica  der  Sachsen  (1588,  p.  457; 
danach  in  Matth.  Dressers  Sachs.  Chronik,  1596),  wo  beachtenswert 
ist,  dafe  der  Verfasser  auch   von  Rolanden  „zu  Ross"  spricht. 

Aus  dem  zwischen  Schedel  und  Pomarius  liegenden  Zeitraum  des 
XVI.  Jahrh.wäre  aufser  gelegentlichen  allgemeinen  und  besonderen  Erwäh- 
nungen kaum  etwas  Bedeutsames  zu  verzeichnen.  Die  spätere  Litteratur 
nimmt  häufig  Bezug  auf  E.  Brotu  ffs  Chronica  .  .  .  der  römischen  Burg 
und  Stadt  Marsburg  an  der  Sala,  1556,  cap.  21  (Sign.  O  ii  ^o  ff.). 
Einer  Gerichtssitzung  vor  dem  „geöffneten  Ruhlandt"  zu  Halle 
gedenkt  1545  M.  Luther*),  und  von  derselben  Statue  berichtet  Joh. 
Manlius  ®)  nach  Vorlesimgen  Ph.  Melanchthons  (1540 — 1560): 
quando  Carolus  M.  dotnuit  Germanos  stve  Saxones,  tbi  Rolandus 
/uit  capüaneus  Caroli ,  et  tnde  posuit  tpse  stcam  statuam  in  illis 
urbibus,  ut  significaretur  esse  eas  in  tutela  imperatoria,  Halae 
etiam  ialis  stattia  est,  quae  est  inclusa,  ut  significetur,  illam  übet' 
tatem  esse  amissam.  Gegen  Ende  des  Jahrhunderts  wird  die  Litteratur 
zahlreicher.  Georg  Torquatus  schenkt  den  Rolanden  in  den  Diö- 
cesen  Magdeburg  und  Halberstadt  seine  Aufmerksamkeit  und 
nennt  insbesondere  einen  rätselhaften  zu  Berge*).  G.  Brauns  Ur^ 
bium  praecipuarutn  mundi  theatrum  quintum  no.  41  (das  Werk  erschien 
zuerst  unter  dem  Titel  Civitates  orbis  terrarum  seit  ca.  1576  in  6  Voll.) 


i)  Klein  und  angeschickt  wiederholt  in  dem  Nachdruck  der  deutschen  Ausgabe 
Schedels  von  Hans  Schönsperger,    Augsburg  1496,  Fol.  102. 

2)  Lutheri  coUoquia  ed.  Bindseil  HI,  1866,  S.  $. 

3)  Locomm  communium  coUectanea,  1590,  S.  559  (erste  Ausgabe  1562);  dieses  und 
das  vorhergehende  Citat  verdanke  ich  der  Liebenswürdigkeit  des  Herrn  Professor  Dr. 
Wilh.  Meyer  in  Göttingen. 

4)  Bergae;  Annales  Magdeburg,  et  Halberstad.  dioeces.  i$74)  bei  Fr.  E.  Boysen, 
Monom,  inedita  rer.  Germanic.  I,  1761,  S.  164. 


—     8     — 

erwähnt  den  Roland  zu  Bremen  ohne  Namensnennung  mit  den  kurzen 
merkwürdigen  Worten :  In  media  (fori)  imperatoria  et  regalis  erecta 
est  statua,  strictum  iustitiae  gladium  manu  tenens  (der  zugehörige 
prächtige  Stadtplan  ist  von  1587/1590). 

Die  erste  gröfeere  Zeichnung  des  Bremer  Roland  mit  seiner  archi- 
tektonischen Umgebung  wurde  1596  gefertigt,  aber  erst  1602  als 
Kupferstich  in  der  seltenen  zierlichen  Sedez- Ausgabe  von  des  hessi- 
schen Historiographen  W.  Di  lieh  Urbis  Bremae  typus  et  chronicon 
veröffentlicht.  Die  völlig  umgearbeiteten  und  vermehrten,  ihrem  Texte 
nach  wesentlich  aus  der  Feder  des  Bremer  Bürgermeisters  Heinr.  Kreff- 
ting  stammenden,  unter  sich  gleichen  Quart -Ausgaben  dieses  Werkes 
von  1603  und  1604*)  roit  dem  Titel:  Urbis  Bremae  et  pra^/ectu- 
ramm  qtcas  habet  typus  et  chronicon  bringen  eine  neue  Aufnahme 
des  Marktes  mit  dem  Roland  in  Kupferstich  (Taf.  17)  und  eine  gröfsere 
Abbildung  des  Roland  allein  in  Holzschnitt  (S.  38);  aus  Taf.  20  das. 
ist  die  ursprüngliche  Aufstellung  des  apokryphen  Roland  zu  Be- 
derkesa auf  einem  Brunnengehäuse  deutlich  erkennbar. 

An  den  oben  genannten  Pomarius  schliefsen  sich  unmittelbar  die 
Annales  Marchiae  Brandenburgicae  von  Andreas  Angelus  (1598), 
dessen  Abbildung  des  Brandenburger  Roland  (S.  26),  obwohl  sie 
nur  ein  Nachschnitt  des  Magdeburger  Holzschnittes  ist,  dennoch  der 
Wahrheit  entspricht,  wie  ich  in  einer  Spezialuntersuchung  beider 
Statuen  dargethan  zu  haben  glaube  *). 

Schon  etwas  früher  hatte  P.  Albinus,  der  in  seinem  Chronicon 
terrae  Misnensis  (1580)  nur  die  Rolande  zu  Beigem  und  Halle  kannte, 
in  der  zur  Met/snischen  Land- und  Berg-Chronica  [i^^o)  erweiterten 
zweiten  Ausgabe  seines  Buches  einen  Roland  in  einem  Dorfe  bei 
Oschatz  in  Meilsen ')  und  die  rätselhaften  niederlausitzischen 
Rolande  in  die  Litteratur  eingeführt.   Ungefähr  um  dieselbe  Zeit  (i  587  ff.) 


i)  Über  die  verschiedenen  Aasgaben  Dilichs  vgl.  Brem.  JB.  VI,  1872,  S.  LXUI; 
Y.  Bippen,  Gesch.  d.  Stadt  Bremen  II,  1898,  S.  2640.;  G.  Pauli,  Das  Rathaus  vol 
Bremen  (1898)  S.  12  spricht  irrig  von  Dilichs  „handschriftlicher  Qironik*'  und  einer 
„mangelhaften  Zeichnung"  des  Rathauses  darin. 

2)  Blätter  f.  Handel,  Gewerbe  n.  social.  Leben,  BeibL  z.  Magdeb.  Zeit  1885^ 
Nr.  22 — 24. 

3)  Knauth,  in  einer  Anmerkung  zu  seiner  Ausgabe  von  Casp.  Schneiders  Saxonia 
vetus  (Dresden  1727,  S.  278),  nennt  das  Dorf  Seerhausen  bei  Oschatz.  Es  ist  dies 
wahrscheinlich  das  Seehansen  in  Sachsen  bei  Zoepfl,  S.  309,  welches  Götze,  S.  308^ 
Anm.,  bei  Leipzig  sucht.  Die  lausitzischen  Rolandorte  des  Albinus  sind:  das  Dorf 
Reichwalde  (Kr.  Luckan),  die  Städte  Wahrenbrück  (Kr.  Liebenwerda),  Finster- 
walde (Kr.  Luckan),  Ruhland    (Kr.  Hoyerswerda). 


—     9     — 

verfaiste  der  unermüdliche  märkische  Wanderer  Nicolaus  Leuthinger 
seine  beiden  Topographiae  Marchiae  regionuntque  vicinarum  und 
seine  Commentarii  de  Marchta  Brandenburgensi,  in  welchen  Werken 
er  den  Roland-Katalog"  mit  einigen  verdächtigen  Exemplaren  bereicherte. 
1597  beschrieb  Henr.  Ranzow  die  Rolande  zu  Wedel  und  Bram- 
stedt*);  jenen  bildet,  nach  der  Aufnahme  eines  Hamburger  Malers, 
zuerst  ab,  um  dies  gleich  hier  hinzuzufügen,  Joh.  Dan.  Maior, 
Bevölkertes  Cimbrien  (Ploen  1692,  Tab.  IV  zu  S.  143);  die  Abbildung 
ist  wiederholt  in  der  ausführlichen  Anzeige  von  Maiors  Buch  bei 
(W.  E.  Tentzel)  Monatliche  Unterredungen  .  .  .  von  allerhand 
Büchern  1695 ,  S.  904/905 ,  wo  S.  984  eine  kurze  Beschreibung  der 
Bildsäule  steht.  Den  Wedeischen  Roland  sowohl  wie  den  Bramstedter 
beschreibt  alsdann,  unter  Nachbildung  von  Maiors  Stich,  Trogillus 
Arn  kiel,  Ausführliche  Eröffnung  etc.,  1703  (Vierter  Teil :  Cimbrische 
Heidenbekehrung,  1702,  S.  140 ff.). 

Die  Schriften  Joh.  Gryphianders,  eines  tagen -barenen,  imd 
Joh.  Just.  Winkelmanns,  eines  naturalisierten  Oldenburgers, 
welche  die  Zahl  der  bekannten  Rolande  wieder  vermehrten,  werden 
weiterhin  zu  besprechen  sein.  Zu  erwähnen  sind  des  P.  Bertius 
Commentarii  rerum  Germanicarum  (Amsterdam  1632),  M.  Zeilers 
Itinerarium  Germaniae  (zuerst  1632)  und  M.  Merians  Topographien, 
von  denen  die  Niedersachsen  behandelnde  (1653)  eine  grofee  Ansicht 
des  Bremer  Marktes  mit  dem  Roland  und  eine  gute  Abbildung  des 
später  beseitigten  Kaiser-Reliefs  (Mitte  XV.  Jahrh.)  am  westlichen  Rat- 
haus-Beischlag daselbst  bringt;  der  Text  der  Beschreibimg  von  Bremen 
ist  vom  dortigen  Bürgermeister  Heinrich  Meyer  (vgl.  Buchenau  im 
Bremer  JB.  XII,  154),  der  wohl  auch  die  Bilder  besorgte.  In  eine 
Kategorie  mit  diesen  Schriften  gehören  P.  L.  Berckenmeyers 
Curieuser  Antiquarius  (Erste  Ausg.  1709)  und  des  Thüringers  Me- 
lissantes  (Joh.  Gottfr.  Gregorius)  Geographia  novissima  {ßxsi't  Au^g. 
1708),  welch  letztere  den  Roland  zu  Nordhausen  gehamischt  nennt. 

Als  Kuriosum  sei  die  Abhandlung  von  M(arcus)  T(etzlaff): 
Anmerkung  über  die  Statuen  des  Rolands  in  den  Pommerschen 
Städten  (J.  C.  Dähnerts  Pommersche  Bibliothek  II,  1751,  S.  148 — 150) 
genannt.  Der  Verfasser  geht  darin  von  der  Grundansicht  aus,  da(s 
die  Rolandbildsäulen  einen  zu  Pferde  sitzenden  gehamischten 
Mann  darstellen,  und  bespricht  dann  ganz  oberflächlich  den  Roland  zu 


i)  Cimbricae  chenonesi  ...  descript  nova,  bei  E.J.  v.  Westphalen,  Monom,  ined. 
rer.  Gennanic.  I,  1789,  Sp.  6.   16. 


—     10     — 

Polzin  (Kreis  Belgard).  Dafs  dieser  thatsächlich  beritten  gewesen 
sei,  wie  seitdem  in  der  Roland -Litteratur  angenommen  worden  ist, 
ergiebt  sich  aus  den  späteren  Erwähnungen  bei  L.  W.  Brüggemann, 
Beschreibung  von  Vor-  und  Htnterpommem  (II,  1784,  S.  625)  und 
Chr.  F.  Wuttstrack,  Beschreibung  von  Pommern  (I,  1793,  S.  619) 
nicht. 

Für  die  Rolande  der  AI  tmark  Brandenburg  und  der  Prieg- 
n  i  t  z  liefert  Johann  Christoph  Bekmanns  Historische  Beschreibung  der 
Chur  tind  Mark  Brandenburg  (herausg.  von  Bemh.  Ludw.  Beckmann, 
II»  1753)  ^äs  statistische  Material,  und  für  den  Zerbster  Roland  ist 
noch  heute  der  grofse  Kupferstich  in  desselben  Verfassers  Historia  des 
Fürstentums  Anhalt,  17 10  (Teil  III,  Buch  II,  Kap.  I,  $  15,  Taf.  i) 
nnentbehrlich ;  sie  zeigt  erstens  das  Detail  der  Rüstung  viel  deutlicher 
als  die  Schwartzsche  Photographie  bei  Bdringuicr,  und  stellt  aufeerdem 
die  alte  im  Barockstil  ausgeführte  Nische  dar,  in  welcher  bis  zu  dem 
gothischen  Neubau  die  Bildsäule  stand.  Dieses  Gehäuse  wurde  von 
einem  den  städtischen  Wappenschild  haltenden  Fahnenträger  gekrönt, 
welcher  beachtenswerte  Ähnlichkeit  mit  dem  Erfurter  sog.  Roland  zeigte. 

Das  XVIII.  Jahrh.  scheint  sonst  auf  unserm  Gebiete  ziemlich  un- 
thätig  gewesen  zu  sein.  Erst  zu  Ende  desselben  machte  der  Kieler 
Professor  und  spätere  Lübecker  Syndikus  J.  C.  H.  Dreyer  ("f  1802) 
den  Versuch  einer  wissenschaftlichen  Roland  -  Statistik ,  welche  ver- 
ständigerweise vor  allem  Gewicht  auf  die  monumentale  Seite  derselben 
legte.  Das  Ergebnis  hat  er  im  VIII.  Abschnitt  seines  grofeen 
handschriftlichen  Sammelbandes :  Jurisprudentia  Germanorum  ptctu- 
irata  s,  collectio  picturarum  in  usum  illustrationis  iuris  Germanic 
publici,  privatiy  criminalis,  feodalis  etc,  praecipue  antiquitatum 
iuris  Germanici,  notulis  et  adversariis  subitaneis  instructa,  den 
er  um  1800  der  Universitätsbibliothek  zu  Göttingen  *)  schenkte,  nieder- 
gelegt. Die  notulae,  welche  die  Nebensache  sind,  hat  E.  Spangenberg 
(Beiträge  zur  Kunde  d.  teutsch.  Rechtsaltertümer,  1824,  S.  13 ff.)  in 
mehrfach  veränderter  Ordnung  vielfach  unvollständig  und  unrichtig 
veröffentlicht.  Der  „vielen  alten  raren  Zeichnungen  und  Holzschnitte", 
die  „vielleicht  durch  den  Steindruck  zu  vervielfältigen  und  nützlich  zu 
machen",  gedenkt  er  kurz  in  „Beiträge  zu  den  teutschen  Rechten 
des  Mittelalters"   1822,  S.   167.     Es   finden   sich  13  Handzeichnungen, 


l)  „Cod.  ms.  jurid.  383,  papyr.  fol.  pcrmaxim.  vide  Manuale  A.  1803  p.  1."  — 
Herr  Professor  Dr.  Wilh.  Meyer  -  Göttingen  hatte  1891  die  Liebenswürdigkeit,  mich  auf 
die  Hschr.  aufmerksam  zu  machen. 


—    11    — 

teilweise  koloriert,  ziemlich  unvollkommener  Technik,  darunter  Original- 
aufhahmen:  Bramstedt,  Halle  (3  Bl.),  Neu -Haldensleben  (2  Bl.);  die 
übrigen  (Buch,  Gardelegen,  Magdeburg,  Perleberg,  Stendal)  Kopien 
bekannter  Stiche  (nach  Eggeling,  Bekmann,  Pomarius);  die  Abbildung 
•des  längst  verlorenen  Hamburger  Roland  ist  eine  Nachahmung  des 
Bremer  Bildes;  aufserdem  7  Stiche  und  i  Holzschnitt  aus  älteren 
Publikationen :  Bremen  (2  Bl.,  Dilich,  Eggeling),  Brandenburg  (Bercken- 
meyer),  Wedel  (3  Bl.,  Dan.  Maior,  Tentzel,  Arnkiel),  Würzen  (Quelle 
mir  unbekannt),  Zerbst  (Antiquar,  d.  Eibstroms).  Dazu  kommt  noch 
die  wieder  herausgenommene,  aber  in  ihren  Konturen  wohl  erkennbare 
Zeichnung  eines  Rolandreitens  zu  Lübeck  ').  Die  ganze  Sammlung 
besitzt  nur  litterarhistorischen  Wert. 

Das  gleiche  Ziel  wie  Dreyers  Sammlung,  nur  auf  breiterer  Grund- 
lage und  mit  reicheren  litterarischen  Mitteln,  verfolgt  der  statistische 
Teil  von  Zoepfls  Buche  ,,Die  Rulands-Säule"  (Altertümer  des 
deutschen  Reichs  und  Rechts  3.  Bd.,  1861,  S.  175 — 316).  Bei  der 
naiven  Kritiklosigkeit  Zoepfls  in  archäologischen  und  historischen 
Fragen  ist  der  wissenschaftliche  Gewinn  seines  bewundernswerten 
Sammelfleifses  nur  gering  anzuschlagen.  Die  Abbildungen  sind  meistens 
-wertlos.  Dennoch  ist  das  Buch,  auf  welches  noch  einmal  zurückzu- 
kommen sein  wird,  auch  heute  noch  wegen  des  in  ihm  aufgespeicherten, 
allerdings  mit  Vorsicht  zu  gebrauchenden  Materials  im  ganzen  unent- 
behrlich. Hinsichtlich  der  Bilder  wird  es  teüweise  ersetzt  durch  die 
im  Auftrage  des  Vereins  für  die  Geschichte  Berlins  von  R.  Beringuier 
herausgegebene  Festschrift  „Die  Rolande  Deutschlands",  Heft 
XXVII  der  Schriften  des  Vereins  f.  d.  Gesch.  Berlins  (1890),  obwohl 
wir  auch  hier  wieder  erkennen,  dafs  die  moderne  Photographie  durch- 
aus nicht  für  alle  Fälle  das  ideale  Vervielfältigungsmittel  ist. 

Wir  dürfen  dieses  Buch,  so  weit  die  Thätigkeit  des  Jubelvereins 
dabei  in  Frage  kommt ,  hier  übergehen ,  da  diese  anderweitig  *)  hin- 
reichend gekennzeichnet  worden  ist;  nur  auf  die  interessante  Re- 
klame, welche  den  Vereinsmitgliedern  gegenüber  in  dem  XXVIII.  Hefte 
der  Vereinsschriften  Ausführliche  Beschreibung  der  Feierlichkeiten 
aus  Anla/s  des  2 jährigen  Bestehens  des  Vereins  für  die  Geschichte 
Berlins,  1890,  S.   178  ff.  dafür  gemacht  wird,  sei  hingewiesen. 


1)  Eine  kurze  aber  hinreichend  charakteristische  Beschreibung  dieses  Spiels  giebt 
nach  den  Quellen  C.  Wehrmann,  Das  Lübeckische  Patriziat,  in  Hansische  Gesch.-Bl. 
1872,  S.  128. 

2)  G.  Sello,  in  Forschungen  z.  Brandenb.  Preufs.  Gesch.  HI,  1890,  S.  399 ff.  — 
K.  Uhlirz,  in  Mitteilungen  des  Instituts  f.  Österreich.  Gesch.  Forsch.  XV,  1894,  S.  681  ff 


—     12     — 

Über  einige  der  wenig  gekannten  Rolande  in  der  Neumark  Bran- 
denburg hat  V.  N(iefsen)  in  den  Mitteilungen,  herausg.  von  dem 
Verein  f.  d,  Gesch,  d.  Neumark  1891,  no.  3  beachtenswerte  Nach- 
richten zu  geben  vermocht. 

Einen  Versuch  kritischer  Behandlung  der  wissenschaftlichen  Ro- 
land-Statistik habe  ich  vor  zehn  Jahren  gemacht  ^) ;  die  Arbeit  bedarf 
selbstverständlich  vielfach  der  Berichtigung,  Erweiterung  und  Ver- 
tiefung; als  Grundlage  für  weiteres  Studium  ist  sie  mir  nicht  unnützlicb 

gewesen.  (Fortseteung  folgt) 


Üeutsehe  Wit'tsehaf ts^  und  Münzgesehiehte 

Von 
Alfred  Köberlin  (Neustadt  a.  H.) 

Eine  gründliche  und  eingehende  Darstellung  der  wirtschaftlichen 
Entwicklung  einzelner  Gebiete  ist  nur  möglich,  wenn  die  genaueste 
Untersuchimg  des  Münz-  und  Geldwesens  vorausgegangen  ist  Kein 
Forscher  auf  dem  Gebiete  der  Wirtschaftsgeschichte  darf  Studien,  wie 
sie  von  Böckh*),  Mommsen*)  und  Hultsch*)  über  die  antike^ 
oder  Untersuchungen,  wie  sie  von  Soetbeer  *),  Grote^),  Hegel'), 
Lamprecht*)  über  die  deutsche  mittelalterliche  Münzgeschichte  be- 
trieben und  angestellt  wurden,  wegen  ihrer  Schwierigkeit  und  schein- 
baren Trockenheit  aus  dem  Wege  gehen.  Die  Münzgeschichte,  besser 
gesagt  die  Geschichte  des  Geldwesens  ist  eine  der  wichtigsten  Hilfs- 
wissenschaften, eine  unentbehrliche  Stütze  und  Grundlage  der 
Wirtschaftsgeschichte.  Was  verlangt  nun  der  Wirtschaftshistoriker,  in- 
sonderheit der  deutsche  Wirtschaftshistoriker  von  der  Münzgeschichte» 
dies  Wort  im  weitesten  Sinn  genommen? 

Er  sucht  eine  kurze  und  bündige  Aufzählung  der  in  den  einzelnen 
Territorien  jeweilig  geprägten  Münzsorten.     Er  wünscht  zu   erfahren,. 

i)  Blätter  f.  Handel,  Gewerbe  tu  social.  Leben,  BeiL  u  Magdeb.  Zeit  1890,  Nr.  9— 19.. 

2)  Böckh,  Staatshaashalt  der  Athener.     3.  Aufl.     1886. 

3)  Mommsen,  Geschichte  des  römischen  Münzweseos.     Berlin  1860. 

4)  Hnltsch,  Griechische  und  römische  Metrologie.    Berlin.    2.  Aufl.    1882. 

5)  Soetbeer,  Beiträge  zur  Geschichte  des  Geld-  nnd  Münzwesens  in  Deutschland, 
in  den  Forschungen  zur  deutschen  Geschichte  Bd.  i,  2,  4,  6.     Göttingen  1862 — 1866. 

6)  Grote,  Münzstudien,  9  Bde.     Leipzig  1855—77. 

7)  Hegel,  Chroniken  der  deutschen  Städte  Bd.  I  n.  Bd.  XVIIL     Leipzig  1862  f. 

8)  Lamprecht,  Deutsches  Wirtschaftsleben  im  Mittelalter.  1886.  Bd.  II.  351—481. 


—     13     — 

nach  welchem  Normalgewicht  gemünzt  wurde.  Er  stellt  ferner  die 
Fragen:  In  welchem  Metall  wurde  geprägt?  Warum  gab  man  die 
Prägung  aus  dem  einen  Metall  zu  gunsten  des  andern  auf?  Wie  wurde 
das  nötige  Edelmetall  beschafft?  Lassen  sich  sichere  Daten  gewinnen 
über  das  gegenseitige  Wertverhältnis  der  Edelmetalle?  Lassen  sich 
<iie  Ursachen  des  Schwankens  in  diesem  Wertverhältnis  erkennen? 
Die  einzelnen  Münzsorten  sollen  nach  Gewicht  und  Feingehalt  unter- 
sucht werden.  Die  Gründe,  welche  zur  Bevorzugung  einzelner  Münz- 
sorten, zur  raschen  Verdrängung  anderer  führten,  sollen  daigelegt 
werden.  Die  Geschichte  des  Münzregals  und  seiner  Zersplitterung, 
die  Geschichte  der  Münzergenossenschaften,  die  Geschichte  der  Münz- 
entwertung und  der  Münzgebrechen  giebt  weitere  wichtige  Probleme 
auf.  Aber  noch  nicht  genug,  die  Wirtschaftsgeschichte  möchte  auch 
unterrichtet  sein  über  die  Umlaufsmengen  der  einzelnen  Geldsorten, 
über  den  Wechsel  in  der  Berechnungs weise ,  über  den  Geldhandel, 
über  die  Menge  und  Art  des  in  einem  Territorium  zirkulierenden 
fremden  Geldes.  Besonders  interessant  endlich  erscheint  die  Ver- 
folgung der  wechselnden  Ansichten  über  Geld  und  Geldumlauf,  die 
Aufhellung  der  Münzpolitik  einzelner  Landesherren,  die  Entwicklung  des 
Kredit-  und  Bankwesens. 

Hat  nun  bis  jetzt  die  Geldgeschichte  diese  Fülle  von  Ansprüchen 
der  Wirtschaftsgeschichte  zu  befriedigen  vermocht? 

Nichts  wäre  irriger  und  anmafsender,  als  diese  Frage  zu  bejahen. 
Wir  teilen  die  deutsche  Münzgeschichte  in  vier  Zeitalter:  Das  Früh- 
mittelalter, Franken-  und  Karolingerzeit;  das  Hochmittelalter,  die  Zeit 
der  sächsischen,  fränkischen,  schwäbischen  Kaiser;  das  Spätmittelalter 
bis  ca.  1500,  endlich  die  Neuzeit  und  wollen  versuchen,  in  ganz  kurzen 
Zügen  anzugeben,  was  die  Münzgeschichte  für  die  Wirtschaftsgeschichte 
der  einzelnen  Zeiträume  bisher  geleistet  hat. 

Aus  der  ersten  Epoche  ist  einiges  über  die  letzten  Zeiten  und 
Nachahmungen  der  römischen  Goldwährung  im  Frankenreich  bekannt. 
Wir  entnehmen  den  Volksrechten  Münzbenennungen  und  Berechnungs- 
weise. Ganz  zerstreute  Preisnotizen  liegen  vor,  namentlich  in  Quellen 
von  westfränkischer  Herkunft.  Die  Silberwährung  der  Karolingerzeit 
ist  etwas  besser  bezeugt.  Das  karolingische  Münznormalgewicht,  und 
der  karolingische  Münzfuis  ist  wenigstens  annähernd  festgestellt  ^).  An 
Münzresten  von  zweifelloser  Echtheit  ist  sehr  wenig  vorhanden.  Die 
schriftlichen  Quellen,  in  Kapitularien,  Verordnungen,  Strafbestimmungen 


I)  Vgl.  Soetbeer,  m.  a.  O. 


—     14     — 

und  chronikalischen  Notizen  zerstreut,  sind  augenblicklich  noch  für 
eine  zusammenhängende  Geschichte  des  deutschkarolingischen  Münz- 
wesens recht  dürftig  zu  nennen. 

Die  hochmittelalterliche  Münzkunde  von  den  Sachsenkaisem  bis 
zum  Untergang  der  Hohenstaufer  ist  das  mit  Liebe  und  Fleife  an- 
gebaute Arbeitsfeld  vieler  deutschen  Forscher,  vor  allen  Dannen- 
bergs*).  Währungsgeschichtlich  steht  fest  die  Fortdauer  der  karo- 
lingischen  Reichssilberwährung  bis  zu  den  ersten  Saliern,  sodann  die 
Einführung  territorialer  Münzfufse,  die  noch  eine  gewisse  Verwandtschaft 
mit  dem  alten  karolingischen  System  zeigen.  Die  karolingische  Be- 
rechnungsweise nach  Zählpfunden  bleibt  bestehen.  Eine  allmähliche 
Verschlechterung  der  Silberdenare  tritt  fast  überall  ein.  Es  fehlt  aber 
viel,  dafs  die  münzgeschichtliche  Entwicklung  auch  nur  in  den  wichtig- 
sten Gebieten  Deutschlands  in  sicherem  Zusammenhang  nachgewiesen 
wäre.  Nur  einzelne  Ausschnitte  sind  gegeben,  einzelne  Richtpunkte 
bezeichnet.  Die  monumentalen  Quellen,  die  Münzen  selbst,  sind  zwar 
nicht  mehr  so  ganz  selten,  aber  schon  ihre  sichere  Bestimmung  und 
Zuweisung  kämpft  mit  den  gröfsten  Schwierigkeiten.  Die  litterarischen 
Quellen  sind  immer  noch  dürftig  und  ihre  Interpretation  durchaus  nicht 
leicht.  Die  Voraussetzungen  für  eine  zusammenhängende  Preis- 
geschichte fehlen  noch  fast  vollständig.  Doch  dürfen  wir  hier  noch 
Fortschritte  und  bestimmtere  Ergebnisse  erhoffen. 

Das  sinkende  Mittelalter  von  den  letzten  Hohenstaufem  an  bis 
zum  Anbruch  der  neuen  Zeit  um  die  Wende  des  XV.  und  XVI.  Jahr- 
hunderts bringt  tiefeinschneidende  und  lang  fortwirkende  Neuerungen 
im  deutschen  Geldwesen:  Die  Hellerprägung,  das  Aufkommen,  Er- 
starken und  Abflauen  der  Goldwährung,  die  rapide  Verschlechterung 
des  Silbergelds,  Reformversuche  aller  Art.  Die  Schwierigkeit,  die  er- 
haltenen Münzen  mit  Sicherheit  zu  bestimmen,  bleibt  nach  wie  vor 
eine  grofee.  Die  litterarischen  Quellen  sind  für  das  XIII.  und  die 
erste  Hälfte  des  XIV.  Jahrhunderts  noch  recht  spärlich,  von  da  ab 
jedoch  fliefsen  sie  immer  reichlicher.  Eine  ganz  neue  Gruppe  des 
wertvollsten  Materials  tritt  auf,  ausführliche  Rechnungen,  die  eine 
ganz  andere  Behandlung  münzkundlicher  Fragen  aller  Art  gestatten  *). 


i)  Dannenberg,  Die  deatschea  Münzen  der  sächsischen  und  fröBkischen  Kaiser* 
zeit.     Berlin  1876* 

2)  Man  vgL  mein  Programm  „Fränkische  Münzverhältnisse  zu  Ausgang  des  Mittel- 
alters", Bamberg  1899.  Dort  ist  der  Versuch  gemacht,  durch  eingehende  Vergleichung 
der  Münzreste,  der  Münzurkunden  und  der  Rechnungsangaben  eine  Anzahl  schwieriger 
Fragen  zu  lösen  und  die  Ergebnisse  in  den  Dienst  der  Wirtschaftsgeschichte  zu  stellen. 


—     15     — 

Österreichische  ^)  und  deutsche  *)  Forscher  haben  für  diese  Zeiten, 
namentlich  für  die  Geschichte  der  Goldwährung  in  zusammenfassenden 
Darstellungen  und  gründlichen  Monographieen  Schönes  und  bleibend 
Wertvolles  geleistet  Aber  wie  weit  sind  wir  noch  entfernt  davon, 
auch  nur  alle  Grundzüge  der  Entwicklung  zu  überblicken!  Nicht  ein- 
mal die  wichtigsten  Beziehungen  des  Geldwesens  für  diesen  Zeitraum 
sind  au%'edeckt,  aber  auch  über  viele  und  wichtige  Fragen  der  Me- 
thodik ist  noch  keine  Einigung  erzielt  Wertvolle  Münzurkunden 
liegen  neben  instruktiven  Rechnungen,  Vergleichungstab  eilen,  Testa- 
menten, Inventarien,  Münzgutachten  und  anderen  wUlkommenen  Be- 
helfen der  Münzkunde  noch  vielfach  in  den  Archiven  begraben. 
Vieles  ist  nur  in  ganz  unzulänglicher  Weise  zur  Veröffentlichung  ge- 
langt :  wie  lange  wird  es  noch  dauern,  bis  ein  Corpus  rei  nummartae 
Germaniae  aufhört  ein  frommer  Wunsch  zu  sein?  Hier  ist  noch 
Arbeit  für  viele  Kräfte  und  auf  lange  Jahre.  Hier  dürfen 
wir  aber  auch  reichen  Gewinn  erhoffen! 

Das  eben  Gesagte  gilt  in  noch  erhöhtem  Mafs  von  der  neu- 
zeitlichen Münzgeschichte.  Die  Münzakten  der  Archive  schwellen 
für  das  XVI. — ^XVUI.  Jahrhundert  zu  gewaltigen  Beständen  an.  Die 
unendlich  reichgestaltige  Entwicklung  des  deutschen  Münzwesens  läfst 
an  gar  keinen  anderen  Weg  der  Bewältigimg  denken  als  an  den 
monographischer  Bearbeitung.  Der  Forscher  braucht  sich  hier 
nicht  mehr  mit  der  Erklärung  einiger  weniger  Dokumente  abzumühen ; 
es  gilt  vielmehr,  eine  Methode  zu  schaffen,  die  aus  der  verwirrenden 
Masse  das  Wesentliche  heraushebt  und  die  leitenden  Fäden  in  die 
Hand  giebt  Jetzt  reichen  die  Quellen  aus,  um  viele  Fragen,  die  in 
der  mittelalterlichen  Münzgeschichte  schlechterdings  nicht  gelöst  werden 
können,  gründlicher  Behandlung  zu  unterziehen  und  einer  befriedigen- 
den Lösung  wenigstens  entg^enzuführen,  dies  gilt  namentlich  für  alles, 
was  mit  exakter  Statistik,  mit  Umlaufsmengen,  mit  Bank-  und  Kredit- 
wesen zusammenhängt  Nach  einer  genaueren  Kenntnis  des  im  XVI.  Jahr- 
hundert herrschenden  Geldwesens  wird  auch  ganz  sicher  manche 
bisher  unverständliche  und  deshalb  unbenutzte  Stelle    in    der   Über- 


i)  Laschin  Yon  Ebengreath,  Das  Wertrerhältnis  der  EdelmeUlle  in  Deatsch- 
Und  während  des  MitteUlters,  Brüssel  1892.  —  Nagl,  Die  Goldwährung  nnd  die  handeis* 
mSisige  Geldrechnung  im  Mittelalter.  Wiener  Numismatische  Zeitschrift  1895.  — 
Y.  Jnama-Sternegg,  Die  Goldwährung  im  Deutschen  Reiche  während  des  Mittelalters. 
Zeitschrift  ftir  Sozial-  und  Wirtschaftsgeschichte  3.  Bd.  1895. 

2)  Grote  u.  Hegel  a.  a.  O.  —  Joseph,  Die  Münzen  von  Frankftirt  a.  M.  Frank- 
furt 1896. 


—     18     — 

herxogium  Hessen  bearbeitet  von  A.  F.  WcUther  (Darmstadt  1845,  '•  Band). 
Hier  wird  versucht,  das  Werk,  welches  Reufs  begonnen  hatte,  in  selbständiger 
Weise  fortzusetzen,  und  zwar  giebt  W.  zuerst  ein  sachliches  Verzeichnis, 
welches  heute  noch  für  recht  viele  Gebiete  ältere  Zeit- 
schriftenaufsätze zugänglich  macht,  dann  Auüsätze  zur  Geschichte 
der  einzelnen  Länder  und  Landesteile  nebst  Sach-  und  Autorenregister. 
Die  Vereinsschriften  sind  aber  nicht  entfernt  vollständig  ausgezogen,  die 
Schweiz  ist  vollständig  ausgeschlossen,  viele  Schriften  waren  nicht  zugäng- 
lich. Nur  die  Zeitschriften  von  59  Vereinen  sind  verwertet,  und  im  ganzen 
nicht  ganz  7000  Aufsätze  notiert  —  eine  anerkennenswerte  Leistung,  aber 
ohne  jeden  Anspruch  auf  Vollständigkeit.  —  Nur  wenige  Jahre  später  er- 
schien W.  Kon  er,  Eepertorium  über  die  vom  Jahre  1800  bis  zum  Jahre 
1850  in  akademischen  Abhandlungen,  Oesellschaßsschriften  und  unssensehaft^ 
Uchen  Journalen  auf  dem  Gebiete  der  GescJiichte  und  ihrer  Eilfstvissen- 
Schäften  erschienenen  Aufsätze,  2  Bände,  Berlin  1852 — 56.  K.  schliefst 
sich  nicht  an  Walther  an,  eher  noch  an  Reufs,  ist  wiederum  durchaus 
selbständig,  fafst  die  Litteratur  viel  weiter,  indem  er  sich  nicht  auf  historische 
2^itschriften  beschränkt,  sondern  geschichtliche  Aufsätze  auch  aus  allgemeinen 
Zeitschriften  heranzieht,  das  Ausland  berücksichtigt  und  mithin  sein  Unter- 
nehmen auf  eine  durchaus  andere  Grundlage  stellt.  Aber  die  Anordnimg 
lehnt  sich  nur  an  die  Staateneinteilung  an,  sie  ist  nicht  zugleich  stofflich. 
Das  Verzeichnis  der  Schriften,  aus  denen  Aufsätze  aufgenonunen  sind,  um- 
fefst  553  Nummern;  wieviel  davon  im  engem  Sinne  geschichtliche  Zeit- 
schriften sind,  habe  ich  nicht  ausgezählt.  Jedenfalls  ist  aber  auch  hier  eine 
Vollständigkeit  nicht  entfernt  erreicht,  wenn  auch  andrerseits  die  scharfe  zeit- 
liche Begrenzimg  ein  grofser  Vorteil  ist.  In  beiden  Bänden  sind  zusammen 
die  Titel  von  25825  Aufsätzen  namhaft  gemacht,  die  noch  mit  gutem  Nutzen 
nachgeschlagen  werden  können. 

Für  ihre  Zeit  sind  alle  drei  Werke  von  hoher  Bedeutung  gewesen,  imd 
soweit  die  Litteratur  der  älteren  Zeit  in  Frage  kommt,  sind  sie  noch  heute 
unentbehrlich.  Aber  wie  bei  jeder  Bibliographie  wird  als  Mangel  empfunden, 
dafs  eben  nur  der  Aufsatztitel  angegeben  ist,  welch  letzterer  sich  recht  oft 
durchaus  nicht  mit  dem  Inhalte  voll  deckt;  es  ist  femer  nicht  erkennbar^ 
welche  Aufsätze  quellenmäfsige  Arbeiten  sind  und  welche  lediglich  reprodu- 
zieren, ohne  die  Wissenschaft  weiter  zu  führen:  die  letztere  Art  von  Auf- 
sätzen nimmt  —  allerdings  in  neuester  Zeit  wohl  mehr  als  früher  —  einen 
recht  grofsen  Raum  in  den  Zeitschriften  (abgesehen  von  den  wenigen  streng 
wissenschaftlichen)  ein  imd  sollte  überhaupt  bei  allgemeineren  Bibliographieen, 
welche  sie  ganz  unnötig  belasten,  aufser  acht  gelassen  werden.  Dies  setzt 
aber  eine  sachliche  Prüfung  jeder  einzelnen  Arbeit  voraus,  ohne 
die  heute  eine  wirklich  brauchbare  Litteraturübersicht  nicht  mehr  zu  stände 
kommen  kann.  Eine  solche  ist  nun  heute  bei  Büchern  infolge  der  gut  organi- 
sierten wissenschaftlichen  Kritik  verhältnismäfsig  leicht  zu  gewinnen,  aber  bei 
Zeitschriftenaufsätzen  ist  dies  um  so  schwieriger,  je  mehr  deren  zu  verzeich- 
nen sind. 

Neuerdings  ist  mm  der  Plan  aufgetaucht,  die  Arbeit,  welche  Reufs^ 
Walther  und  Koner  begonnen  haben,  fortzusetzen,  jedoch  unter  Beschränkung 
auf  die  Veröffentlichungen  der  geschichtsforschenden  Vereine  deutscher  Zunge 


—     19     — 

und  zwar  so,  dafs  jeder  Verein  nach  einem  bestimmten  Plane  für  die  Be- 
arbeitung seiner  Zeitschrift  sorgt  und  das  Material  einer  Sammelstelle  zur 
Verfügung  stellt,  welche  die  Bearbeitung  des  stofflich  anzuordnenden  Gesamt- 
registers tibernimmt  imd  den  Druck  besorgt.  Auf  Anregimg  von  Professor 
Köcher  (Hannover)  hat  sich  die  Konferenz  von  Vertretern  landesgeschicht- 
licher Publikationsinstitute  bereits  bei  ihrem  ersten  Zusammentritt  (Frankfurt 
Ostern  1895)  mit  diesem  Plane  beschäftigt,  in  Innsbruck  (September  1896) 
wurde  weiter  darüber  beraten,  aber  in  Nürnberg  (Ostern  1898)  die  Beratung 
darüber  „wegen  der  sich  ergebenden  Schwierigkeiten"  vertagt').  Aber  die 
jüngste  Konferenz^)  hat  sich  dieser  Frage  wieder  zugewandt  und  eine  Ver- 
ständigung mit  dem  Gesamtverein  in  dieser  Frage  anzustreben  beschlossen. 
Damit  ist  die  Angelegenheit  wieder  aktuell  geworden  und  verdient  allgemeinere 
Berücksichtigung. 

Dafs  ein  Werk  bezeichneter  Art  für  die  Forschung  von  recht  hohem 
Werte  sein  imd  die  in  den  Zeitschriften  geborgenen  Schätze  heben  helfen 
könnte,  kann  keinen  Augenblick  zweifelhaft  sein.  Es  fragt  sich  jedoch,  ob 
die  Schwierigkeiten  der  Bearbeitung  —  ganz  abgesehen  von  der  sehr  teuren 
Drucklegung  —  nicht  doch  zu  grofs  sind,  als  dafs  sie  mit  Leichtigkeit  über- 
wunden werden  könnten.  Unerläfslich  wäre  die  Vollständigkeit  der 
lokalgeschichtlichen  Zeitschriften,  und  zwar  dürften  auch  die  nicht  von 
Vereinen  herausgegebenen  nicht  vergessen  werden:  es  ist  mit  ganz  unglaub- 
lichen Schwierigkeiten  verbunden,  allein  vollständige  Exemplare  von  einer  grö- 
fseren  Anzahl  solcher  Zeitschriften  zusammenzubringen,  und  das  eine  ist  ganz 
sicher,  dafs  viele  Vereine  *)  dem  an  sie  gestellten  Ansinnen,  die  Bearbeitung 
ihrer  Veröffentlichung  selbst  zu  übernehmen,  nicht  entsprechen  würden.  Vom 
Standpunkte  des  Forschers,  der  die  weit  verzweigte  Litteratur  über  einen 
bestimmten  Gegenstand  zusammenbringen  will,  hat  es  aber  sogar  eine  be- 
denkliche Seite,  die  Zahl  derartiger  Nachschlagebücher  zu  vermehren. 

Es  kommen  als  solche  heute  in  erster  Linie  die  Jahresberichte  der  Oe- 
schichistvissenscJiafl  *)  in  Betracht,  die  gewöhnlich  im  zweiten  Jahre  nach  Ablauf 
des  behandelten  Jahres  erscheinen  —  der  Band  für  1898  ist  1900  aus- 
gegeben worden  — ,    dann  die   so    rasch   als    möglich   erscheinende  Biblio- 


1)  Vgl.  die  Berichte  über  die  dritte,  vierte  und  fUnfie  Versammlung  deutscher 
Historiker  (Leipzig,  Duncker  &  Humblot,  1895.  1897.   1898). 

2)  Vgl    diese  Zeitschrift  Bd.  I,  S.  203. 

3)  Zur  Orientierung  über  die  Zahl  der  bestehenden  Vereine  und  die  Titel  ihrer 
Schriften  schlage  man  den  stattlichen  Band :  Wissenschaftliche  Vereine  und  Gesellschaften 
Deutschlands  von  Johannes  Müller  (1883  bis  1887)  nach,  der  in  gröfseren  Vereins- 
bibliotheken nicht  fehlen  sollte.  Seit  Abschlufs  des  Baches  sind  noch  recht  viele  neue 
Vereine  gegründet  worden. 

4)  Der  erste  Jahrgang,  m  Auftrage  der  Historischen  Gesellschaft  zu 
Berlin  herausgegeben  von  F.  Abraham,  J.  Hermann  und  Edm.  Meyer 
(1878),  erschien  663  Seiten  stark  1880  bei  Mittler  &  Sohn,  Berlin.  Seitdem  ist  das 
Werk  bis  zum  21.  Jahrgang  (1898),  jedesmal  mehr  anschwellend,  fortgeschritten,  so  dafs 
der  letzte  Band  1397  Seiten  zählt  Herausgeber  ist  jetzt  E.  Bern  er,  der  Verleger 
gegenwärtig  (seit  dem  6.  Jahrgangs»  1883)  Heyfelder.  Die  Anordnung  des  ganzen  Werke» 
ist  leicht  verständlich,  überdies  ist  1891  ein  Handbuch  zu  Litteratur  berichten  im  An- 
uhlufs  an  die  Jahresberichte  der  Geschichtswissenschaft^  bearbeitet  von  J.  Jastrow, 
erschienen,  in  dessen  Händen  anfangs  (1881  — 1883)  neben  anderen,  später  (bis  17.  Jahr- 
gang BB  1894)  allein  die  Leitung  gelegen  hat. 

2» 


—     20     — 

graphie  der  deutschen  OeachichU,  bearbeitet  von  OscarMafslow,  die  als  ßei^ 
läge  zur  Historischen  Vierteljahr  Schrift,  Fortsetzung  der  Deutschen 
Zeitschrift  für  Geschichtswissenschaft,  zweimal  im  Jahre  die  ganze 
geschichüiche  litteratur  durchmustert  Aber  auch  die  seit  1885/86  er- 
scheinenden Jahresverzeichnisse  der  an  deutschen  Universitäten  erschienenen 
Schriften  (Berlin,  Asher  &  Co.)  und  das  Systematische  Verzeichnis  der  Ab* 
handlungen,  weiche  in  den  Schulschriften  sämtlicher  an  dem  Programmen- 
tausehe  teilnehmender  LehranstaÜen  erschienen  sind  (der  erste  Band,  enthaltend 
die  Jahre  1876 — 1885,  wurde  1889  veröflfentlicht),  wird  der  gewissenhafte 
Arbeiter  benutzen  müssen.  Dazu  kommen  nun  noch  landesgeschichtliche 
^bliographieen  sowie  solche  für  wissenschaftliche  Spezialgebiete,  die  Register 
von  Fachzeitschriften,  systematische  Bibliothekskataloge  u.  s.  w. 

Die  Hilfsmittel  also  sind  an  sich  schon  mannigfaltig  genug.  Indes  der 
fühlbarste  Mangel  bei  allen  ist,  dafs  lediglich  der  Aufsatz-  bezw.  Buchtitel 
mitgeteilt  wird,  dafs  die  übliche  Beschreibung  am  Äufserlichen  haften  bleibt 
und  nicht  versucht,  die  Spreu  von  dem  Weizen  zu  sondern.  Auch  die 
Jahresberichte  der  Geschichtswissenschaft  smd,  von  einigen  wenigen  Ab- 
schnitten abgesehen,  von  diesem  Vorwurf  nicht  freizusprechen,  obwohl  hier 
von  Rechts  wegen  eine  ktuse  lobende  oder  tadelnde  Kritik  und  vor  allem  der 
Ausschlufs  gar  zu  unbedeutender  und  lediglich  reproduzierender 
Arbeiten  zu  verlangen  wäre.  Aber  freilich  gehört  dazu  bei  Büchern  wenig- 
stens die  Durchsicht  der  Kritiken,  bei  Aufsätzen  meist  eine  wenigstens  mäfsige 
Orientierung  über  den  Inhalt  Dem  sachlich  Suchenden  wird  heute  seine 
Thätigkeit  durch  die  allzu  grofse  bibliographische  Sorgfalt  recht  erschwert 
Wenn  hier  gründlich  Wandel  geschaffen  würde,  könnte  die  Wissenschaft 
jubeln;  es  ist  an  sich  schwer,  aber  verhältnismäisig  leicht,  weil  jeder  ein- 
zelne unbekümmert  um  den  andern  und  eine  Organisation  mitwirken 
kann.  In  dieser  Richtung  müssen  eine  Reihe  Forderungen  angestellt  werden, 
die  sowoM  den  einzelnen  geschichtlichen  Arbeiter,  insbesondere  den  auf 
engerem  Gebiete  thätigen,  als  auch  die  geschichtlichen  Vereine  angehen. 
Wir  möchten  als  solche  Forderungen  bezeichnen: 

I.  Jede  geschichtliche  Arbeit,  auch  die  bescheidenste,  mufs  litterarische 
Nachweise  der  benutzten  Litteratur  und  Quellen  enthalten,  imd  zwar  so  genau, 
dafs  jeder  Leser  daraufhin  diese  Litteratur  in  einer  Bibliothek  bestellen  kann; 
den  Vornamen  des  Ver&ssers  (namentlich  bei  Müller  und  Schmidt)  ist  die  neben 
Jahreszahl  des  Erscheinens  unerläislich.  Bei  Zeitschriften  ist  der  genaue 
Titel  und  nicht  der  vielfach  im  Verkehr  gebräuchliche  gekürzte  anzugeben, 
dem  betrefienden  Bande  oder  Jahrgange  ist  stets  in  Klammer  das  Jahr  des 
Erscheinens  beizufügen.  Ein  Zeitschriftenaufsatz  mtifs  stets  als  solcher  be- 
zeichnet sein.  Wenn  ein  Litteraturverzeichnis  beigegeben  ist,  dann  mufs  an 
Stellen,  wo  der  Raumersparnis  wegen  der  Titel  sehr  gekürzt  gegeben  wird, 
auf  dieses  verwiesen  werden.  Auf  diese  Weise  könnte  nach  einem  Jahr- 
zehnt eine  ganz  andere  Utteraturkenntnis  herrschen,  und  die  Bibliothekszettel 
würden  nicht  so  oft  die  Bemerkung  tragen,  ohne  den  richtigen  Titel  sei  das 
Buch  nicht  zu  identifizieren. 

a.  Für  seine  Einzeluntersuchungen  mufs  jeder  Forscher  eine  gewisse 
Litteratur  durcharbeiten,  sich  über  das  Verhältnis  der  einzdnen  Werke  zu 
einander  und  den  Fortschritt  der  Erkenntnis  selbst  Klarheit  verschaffen,  um 


—     21     — 

dann  die  eigne  Arbeit  darauf  aufzubauen.  Leider  wird  aber  nur  zu  ofl  die 
inhalüiche  Charakteristik  der  älteren  Litteratur,  obwohl  sie  dem  Bearbeiter 
selbst  gegenwärtig  ist,  nicht  gegeben  oder  niur  verstreut  in  einzelnen  Be- 
merkungen,  sie  sollte  jedoch  einen  nie  zu  vergessenden  Teil  jeder  Arbeit 
bilden,  denn  nur  so  kann  allmählich  eine  erschöpfende  kritische  Litteratur- 
übersicht  zunächst  für  engere  Gebiete  gewonnen  werden.  Es  ist  aber  auch 
weiterhin  notwendig  bei  einer  Spezialuntersuchung  über  irgend  «inen  Gegen- 
stand, soweit  es  dem  Verfasser  möglich  ist,  nach  räumlicher  und  zeitlicher  Ent- 
fernung verwandte  Arbeiten  zmn  Vergleiche  heranzuziehen,  entweder  imter 
kurzer  Bemerkung,  dafs  es  hier  oder  dort  gerade  so  oder  anders  sei,  oder 
wenigstens  durch  einfaches  Zitat  Nur  so  bietet  jeder  Aufsatz  dem  Leser, 
den  er  interessiert,  die  Möglichkeit,  den  Stoff  weiter  zu  verfolgen  und  eigne 
Arbeiten  anzuschliefsen. 

3.  Leider  sorgen  recht  viele  Vereine  nur  schlecht  für  ihre  eignen  Ver- 
öfifenüichungen,  sie  meinen  genug  gethan  zu  haben,  wenn  jährlich  ein  Band 
erscheint.  Nach  höchstens  etwa  zwanzig  Bänden  sollte  stets  ein  Register- 
band bearbeitet  werden,  der  bestrebt  sein  mufs,  ein  sachliches  Ganzes  aus 
den  vielen  einzelnen  Beiträgen  herzustellen.  Erst  durch  ein  gutes  Register, 
welches  Personen,  Orte  und  Sachen  in  einer  einzigen  alphabetischen  Reihe 
bieten  mufs,  wird  eine  Zeitschrift  für  die  näher  wie  femer  Stehenden  recht 
benutzbar.  Den  Redakteuren  der  Zeitschriften  Uegt  es  aber  aufserdem  ob, 
bei  jeder  Arbeit,  die  zum  Abdrucke  gelangt,  Berührungspunkte  zu  älteren 
Aufsätzen  zu  suchen  und  darauf  hinzuweisen:  so  wird  die  Zeitschrift  geistig 
ein  Ganzes,  hört  auf  eine  Mehrheit  von  Teilen  zu  sein,  imd  zugleich  wird 
das  Interesse  der  Leser  für  die  ganze  Serie  der  Zeitschrift  dauernd  wach- 
gehalten. 

4.  Grofse  Schwierigkeit  bereitet  es  oft,  eine  Zeitschrift  nach  Titel  und 
Zahl  der  erschienenen  Bände  genau  zu  bestimmen,  wodurch  wiederum  oft 
eine  gesuchte  Arbeit,  die  nicht  gefunden  Mrird,  unbenutzt  bleibt.  Um  dieses 
zu  verhüten,  sollte  jeder  Verein  seine  Veröffentlichungen  im  Buchhandel 
erscheinen  lassen,  damit  sie  ihrem  Titel  nach  in  die  buchhändlerischen 
Kataloge  gelangen  tmd  damit  erst  dem  kaufenden  Publiktun  wirklich  zugäng- 
lich werden.  Ein  Buch,  welches  nur  im  Selbstverlag  eines  Vereins  erscheint, 
ist  für  die  weitere  Öfifentlichkeit,  namentlich  nach  mehreren  Jahren,  überhaupt 
nicht  vorhanden. 

Wenn  diesen  scheinbar  selbst  verständlichen  Forderungen  von  einzelnen 
Personen  und  Vereinen  einigermafsen  entsprochen  würde,  so  wäre  allen  Beteiligten 
recht  viel  gedient.  Das  Wichtigste  bleibt  aber  für  neue  Erscheinungen  der 
Litteratur  —  bei  Zeitschriften  natürlich  dieeinzelnenBeiträge  selbst  — ,  dals 
sie  in  die  Bibliographie  eingeführt  werden.  Das  ist  aber  heute  leicht  möglich, 
wenn  die  Vereine  ihre  Zeitschriften  sofort  nach  Erscheinen  dem  Verlage  der 
Bibliographie  der  deutschen  Zeitschriflenliiteratur '),  Felix  Dietrich  in  Leipzig 
(Glockenstrafse  ix),   zugänglich  machen   wollten.     Dieses  Werk  ist  jetzt  bis 


i)  B.  d.  d.  ZL  mit  Einschlnfs  von  Sammelwerken  nnd  Zeitungen.  Band  V.  Alpha- 
betisches nach  Schlagworten  sachlich  geordnetes  Verzeichnis  von  Aufsätzen,  die  während 
der  Monate  Juli  bis  Dezember  1899  in  über  1000  zumeist  wissenschaftlichen  Zeitschriften, 
Sammelwerken  nnd  Zeitungen  deutscher  Zunge  erschienen  sind,  mit  Antorenregister  heraus- 
gegeben Yon  F.  Dietrich.     Preis  18  Mk. 


—     22     — 

zum  fünften  Bande  gediehen:  die  ersten  drei  umfassen  die  Aufsätze  je  eines 
Jahres  (1896.  1897.  1898),  während  das  Jahr  1899  in  zwei  Halbjahrsbändc 
(Bd.  IV  und  V)  geteilt  worden  ist  Das  Verzeichnis  der  Zeitschriften,  deren 
Aufsätze  verzeichnet  sind,  umfafste  im  ersten  Bande  277  Nummern,  im 
zweiten  stieg  die  Zahl  auf  399,  und  im  fünften  ist  sie  auf  mehr  als  1150 
angewachsen.  Das  Hauptregister  ist  sachlich  angeordnet,  so  dafs  sich  jeder 
überzeugen  kann,  was  im  betreffenden  Zeitraum  die  periodische  Presse  etwa 
über  „Hausindustrie",  „Raffael"  oder  die  „Waldenser"  veröffentlicht  hat. 
Das  alphabetische  Autorenregister,  welches  zugleich  eine  gewisse  Ergänzung 
zvaa  Deutschen  Litteratur-Kalender  von  Joseph  Kürschner  (1900  ist  der 
22.  Jahrgang)  darstellt,  verweist  auf  die  Stichworte  des  Hauptregisters:  wie 
man  also  auch  suchen  mag,  immer  ist  Aussicht  da,  das  Gesuchte  zu  finden. 
Die  Bibliographie  der  Zeitschriftenlitteratur  bewältigt  ein  ganz  gewaltiges 
Material,  wichtig  ist  aber  vor  allem  die  Schnelligkeit  in  der  Be- 
arbeitung: der  fünfte  Band  (zweites  Halbjahr  1899)  lag  schon  im  Mai 
1900  fertig  vor,  und  sicher  vor  Ablauf  des  Jahres  werden  wir  im  Besitze 
des  sechsten  Bandes  sein,  der  das  erste  Halbjahr  1900  umfassen  wird.  Es 
ist  ganz  selbstverständlich,  dafs  der  Bibliograph  irgend  eines  Litteraturgebictes 
gegenwärtig  in  erster  Linie  das  Dietrichsche  Werk  benutzen  wird  '):  was 
darin  steht,  wird  also  ganz  von  selbst  weiterverbreitet.  Andrerseits  mufs 
die  Bibliographie  aber  auch  fleifsig  benutzt  werden,  wenn  sie  ihren  Zweck 
voll  erreichen  soll.  Der  Preis  der  Bände  richtet  sich  nach  dem  UmCuig 
(Bd.  I  =  184  Seiten:  7,50  Mk.;  Bd.  II  mit  Namenregister  =  232  Seiten: 
13,60  Mk.;  Bd.  V  =  353  Seiten:  18  Mk),  er  ist  aber  doch  zu  hoch,  als 
dafs  sich  viele  Privatleute  die  Serie  anschaffen  könnten  —  und  nur  ein  voll- 
ständiges Exemplar  hat  ja  rechten  Wert  — ,  um  so  wünschenswerter  bt  es 
aber,  dafs  die  Bibliotheken,  namentlich  aber  die  kleineren  und  in  abgelegeneren 
Orten  befindlichen,  sämtlich  ihren  Benutzem  die  Möglichkeit  bieten,  sich 
über  die  Zeitschriftenlitteratur  auf  gewissen  Gebieten  schnell  zu  unterrichten. 
Die  Bibliotheken  sind  aber  dazu  um  so  eher  in  der  Lage,  als  dieses  Buch 
nicht  nur  einem  Wissenszweige  dient,  sondern  in  ganz  gleicher  Weise 
allen  Bibliotheksbenutzern  zugute  kommt,  dem  Historiker  gerade  so  wie 
den  Vertretern  der  Naturwissenschaft,  Technik  oder  Litteraturgeschichte  I 

Wir  haben  hier  die  bekanntesten  litterarischen  Hilfsmittel,  die  allgemeinen 
sowohl  wie  im  besonderen  die  geschichtlichen,  kurz  charakterisiert.  Wenn 
wir  alles  übersehen,  so  mufs  unumwunden  zugestanden  werden,  dafs  eigent- 
lich in  recht  reichem  Mafse  dafür  gesorgt  ist,  die  litterarischen  Erscheinungen 
den  interessierten  Kreisen  bekannt  zu  machen ;  wo  dies  nicht  in  wünschens- 
werter Weise  geschieht,  da  liegt  es  an  den  Verlegern  und  Verfassern.  Aber, 
um  auf  den  Ausgangspunkt  zurückzukommen,  angesichts  der  Schwierigkeiten, 
welche  eine  Fortsetzung  des  Koner  sehen  Repertoriums  für  die  Zeit 
von  1850  bis  1900  bereitet,  wird  es  wohl  besset  sein,  dieselbe  auf  sich 
beruhen  zu  lassen.  Noch  einmal  sei  jedoch  wiederholt,  dafs  in  Bezug 
auf  Genauigkeit  der  Zitate  und  Aufnahme  kritischer  Litteraturübersichten  in 
die  geschichtlichen  Einzeluntersuchungen  viel  mehr  geschehen  mufs  als  bisher. 


i)   Die   BUchcr   sind   ja   ihrem  Titel    nach   im    Hinrichs'schcn   Katalog   steU   leicht 
zu  finden. 


—     23     — 

wenn  anders  die  ältere  wie  die  jüngste  Litteratur  über  jedes  einzelne  Gebiet 
gekannt  und  ausgiebig  benutzt  werden  solL 

Eine  archSologiselie  Belse  durcli  Teile  Norddeutsehlands. 

Von  Gustaf  Kossinna  (Berlin).  —  Als  ich  im  Spätsommer  des  Jahres 
1899  mich  mit  Unterstützung  der  KönigL  Preufsischen  Akademie  der  Wissen- 
schaften auf  eine  dreimonatige  Reise  zum  Studium  der  archäologischen 
Landesmuseen  Norddeutschlands  begab,  hatte  ich  die  Absicht,  vor  allem  die 
gesamte  Hinterlassenschaft  der  Lat^nekultur,  d.  h.  des  letzten  halben  Jahr- 
tausends vor  Christus,  dieser  Gegenden  so  genau  als  möglich  aufzunehmen, 
denn  ich  versprach  mir  von  einer  Darstellung  gerade  dieser  Zeit  die  beste 
Wirkung  tmd  Verbreitung  meiner  Anschauungen  über  den  ausschlaggebenden  Wert 
der  noch  erhaltenen  Altertumsmale  fUr  die  Beurteilung  der  Stammes-  wie  der 
meisten  andern  Kulturverhältnisse  der  Germanen,  in  erster  Linie  bei  unseren 
Historikern,  da  ja  diese  Periode  mit  der  auch  durch  schriftliche  Überliefe- 
rungen bekannten  Kaiserzeit  auf  engste  verbunden  ist.  In  zweiter  Linie  be- 
vorzugte ich  jene  Gegenden,  die  sich  mir  bereits  seit  einer  Reihe  von  Jahren 
als  jahrhundertelange,  je  nach  den  Perioden  der  Vorgeschichte  wechselnde 
Grenzgebiete  innerhalb  des  zweitausendjährigen  2^itraumes  vorrömischer 
Metallzeit  des  Nordens  herausgestellt  hatten  ^).  Ich  konnte  also  die  von 
Anbeginn  der  Besiedelung  stets  germanischen  Mittelgebiete:  Schleswig -Hol- 
stein tmd  Mecklenburg  vorläufig  beiseite  lassen,  ebenso  die  während  der 
Bronzezeit  nur  zum  kleinsten  Teile  germanische  Mark  Brandenburg,  deren 
Museen  von  mir  ohnehin  längst  aufs  genaueste  aufgenommen  worden  waren, 
und  wandte  mich  einerseits  dem  Gebiete  jenseits  der  Elbe  nach  Westen  hin, 
andererseits  dem  Gebiete  der  unteren  Oder  und  Weichsel  zu. 

Ich  begann  mit  der  Osttour:  erledigt  wurden  dabei  die  Museen  von 
Stralsund,  Greifswald,  Neubrandenburg,  Stettin,  Danzig,  Marienburg,  Grau- 
denz,  Thorn,  Bromberg. 

War  Stralsund,  unerreicht  in  Deutschland  durch  den  Reichtum  an 
Feuersteingeräten  und  im  Besitz  des  kostbaren  Hiddensöer  Wikingergold- 
schatzes, für  mich  durch  seine  reichen  Funde  der  älteren  Bronzezeit  tmd 
die  eigenartigen  Schmucksachen  der  westpommerisch  -  mecklenburgischen  La- 
t^ekultur  von  Wichtigkeit,  hierin  sehr  verwandt  der  wertvollen  Sammlung  zu 
Neubrandenburg,  so  bot  die  zum  Stillstand  verurteilte  kleine  Greifs- 
wald er  Sammlung  den  Anblick  des  Verfalls  dar.  Stettin  dagegen  entwickelt 
sich,  wie  Stralsund,  dabei  aber  mit  reicheren  Mitteln  und  gröfserem,  sehr  ergiebi- 
gem Fimdgebiet  ausgestattet,  immer  mehr  zu  einem  Museum  von  hervorragendster 
Bedeutung,  die  noch  klarer  zur  Erscheinung  kommen  wird,  wenn  die  Stadt 
aus  den  längst  dafür  vorhandenen  Mitteln  einer  hochherzigen  Schenktmg 
der  Sammlung  ein  geeignetes  Heim  verschafft  haben  wird.  Sowohl  die  ältere 
Bronzezeit,  als  namentlich  die  jüngere  (im  nordischen  Sinne,  also  parallel  der 
älteren  und  mittleren  Hallstattzeit  des  Südens)  sind  in  überwältigendem  Reich- 
tum hier  vertreten;  leider  sind  die  auch  nicht  geringen,  einst  wertvollen 
Lat^ne-Eisenfunde,  die  glücklicherweise  längst  in  guten  Abbildtmgen  publiziert 
worden,  zum  gröfsten  Teile  bis  zur  Unkenntlichkeit  vergangen.    Das  schöne, 


I)  VgL  meinen  Casseler  Vortrag  von  1895  •  ^itschr.  d.  Ver.  f.  Volksk.  1896,  i — 16. 


—     24     — 

mit  reichen  Mitteln  ausgestattete  und  bestverwaltete  Danziger  Museum 
zeigt  aufs  klarste  die  Ablösung  der  westgermanischen  jüngeren  Bronzezeit 
durch  die  spezifisch  os^ermanische  Kultur,  wie  sie  aus  den  kleinen  Stein- 
kisten mit  Gesichtsumen  und  ihren  Begleiterscheinungen  zutage  tritt  Alle 
anderen  Kulturen  und  Perioden  verschwinden  in  diesem  Museum  neben  der 
Fülle  der  von  mir  auf  die  Jahre  800  —  400  v.  Chr.  festgelegten  Zeit  der 
ersten  Besitznahme  des  Gebietes  zwischen  Weichsel  tmd  mittlerer  Oder  durch 
die  Ostgermanen  imd  zwar  die  Wandalen  (nicht  Goten,  wie  voreilig  bisher 
stets  als  zweifellos  hingestellt  worden  ist).  Das  Schlofs  Marienburg  be- 
herbergt die  namentlich  für  die  ostpreufsische  Vorgeschichte  wertvolle  Samm- 
lung des  Herrn  Bkü-Tüngen  (jetzt  Gr.  Lichterfelde),  während  das  kleine,  aber 
schöne  Graudenzer  Museum  ausschliefslich  der  Lat^e-  imd  sogen,  römi- 
schen Kultur  der  Ostgermanen  des  Weichsellandes  gewidmet  ist,  jener  Kul- 
tur, die  westwärts  nicht  ganz  an  die  untere  Oder  reicht,  südwärts  aber  noch 
fast  die  ganze  Niederlausitz,  Posen,  das  nördliche  Sachsen  tmd  Nord-  und 
Mittelschlesien  gewonnen  hat  und  in  Galizien  bis  an  den  Dniester  zu  ver- 
folgen ist  In  eine  ganz  andere  Welt  kommen  wir  dagegen  in  Thorn 
(i.  städtisches,  2.  polnisches  Museum)  imd  Bromberg:  neben  der  schon 
spärlicher  werdenden  Gesichtsumenkultur  zeigt  sich  sehr  auffallend  ihr  un- 
germanischer Vorgänger,  die  karpo-dakische  Bevölkenmg  der  posensch-schle- 
sisch-lausitzisch-sächsisch-nordböhmischen  Umenfelder  (Buckelumen  tmd  ihre 
Weiterentwicklimgen  neben  eigenartigen  Bronzesachen),  die  über  Galizien 
nach  Ungarn  (Dakien)  die  Bruderhand  ausstreckt,  ihre  Nordgrenze  an  den 
stmipfigen  Niederungen  findet,  die  die  Netze  begleiten  tmd  nur  an  den 
^etzequellen  vorbei  bis  an  die  Weichsel  dringt  und  drüber  hinaus  das  Cul- 
mer  Land  besetzt  Unter  ihrem  Einflüsse  hat  sich  im  östlichen  Ostpreufsen  in 
der  älteren  Bronzezeit  ein  selbständiger,  allerdings  nicht  kräftiger  Ableger  wohl  ai- 
stischer  Kultur  mit  wenigen  germanischen  Nebenbeeinflussimgen  herausgebildet, 
während  die  noch  spärlichere  Ausbreitung  und  Stärke  zeigende  westpreulsi- 
sche  ältere  Bronzekultur  (links  der  Weichsel)  vor  der  westgermanischen 
(11 00 — 800  V.  Chr.)  Invasion  ein  ganz  charakterloses  Gemisch  teils  genna- 
nischer,  teils  karpodakischer  Herkunft  aufweist 

Ein  ganz  anderes  Bild  boten  die  archäologischen  Verhältnisse  westlich 
der  Elbe,  wo  ich  die  Museen  zu  Magdeburg,  Braunschweig,  Hildesheim, 
-Hannover,  Bremen,  Oldenburg,  Emden,  Clemenswerth,  Osnabrück,  Münster, 
Dortmimd,  Duisburg,  Düsseldorf,  Bonn,  Trier,  Oberlahnstein,  Wiesbaden, 
Mainz  studierte.  Wie  im  westlichen  Brandenburg,  so  ist  auch  in  der  ganzen 
Provinz  Sachsen,  in  Braunschweig,  im  östlichen  und  nördlichen  Hannover, 
wie  in  Oldenburg,  bis  an  die  nordwestliche  Grenze  Westfalens  die  Früh- 
lat^ezeit  tmd  die  ihr  voraufgehende  Eisenzeit  (etwa  600 — 300  v,  Chr.)  in 
zusammenhängenden  Gräberfeldern  geradezu  massenhaft  vertreten,  zaiüreich  tmd 
auch  in  sich  zusammenhängend  die  drei  Lat^neperioden  (400  bis  Christus). 
Die  überaus  reiche  Bronzekultur  des  östlichen  Hannovers  und  des  nördlichen 
Teiles  der  Provinz  Sachsen  zeigt  echt  nordisch  -  germanischen  Charakter, 
doch  mit  einer  merklichen  Schattierung  süd-  tmd  westdeutschen  Einflusses, 
der  teilweise  von  Südwesten  durch  Hessen,  mehr  noch  aber  über  Thüringen 
den  prähistorischen  Kulturflufs  der  Germanen,  die  Saale,  herabgekommen  ist 
Denn  längs  der  Saale,  d.  h.  auf  ihrem  linken  Ufergebiet,   und   nicht  längs 


—     25      — 

mittlerer  und  oberer  Elbe,  wie  die  Archäologen,  namentlich  die  Erforscher 
des  urzeitlichen  Bemsteinhandels  einschliefslich  Undset,Montelius  und  01s- 
hausen,  immer  von  neuem  behaupten,  ist  während  der  Bronzezeit  der  Weg 
von  dem  germanischen  untern  Elblande  nach  dem  Süden  über  Franken, 
Oberpfalz  nach  der  Donau  zu  gewesen,  da  die  Gegenden  des  südlichen 
Brandenburgs  und  der  südöstlichen  Provinz  Sachsen  sowie  das  Königreich 
Sachsen  verhältnismäfsig  spät  und  zwar  von  Schlesien  aus  besiedelt  wurden 
und  hierhin,  nach  Südosten,  nicht  aber  nach  Norden,  auch  fernerhin  ihre 
Beziehungen  behalten.  Böhmen  aber  hat  seine  Verbindungen  in  der  älteren 
Bronzezeit  nach  dem  Süden  und  nach  Westen,  und  erst  in  der  jungem  Bronze- 
zeit wurde  sein  nördliches  Gebiet,  wie  erwähnt,  der  karpodakischen  Kultur 
Schlesiens-Sachsens  angegliedert 

In  Braunschweig  kommen  hoffentlich  bald  die  Mittel  zusammen,  um 
das  bei  mehreren  dortigen  Sanunlungen  verstreute  Material  in  dem  geplanten 
Landesmuseum  zu  einheitlicher  Aufteilung  zu  vereinen.  Das  prachtvolle  natur- 
historische  Römermuseum  zu  Hildesheim  bietet  für  die  Prähistorie  mehr 
nur  eine  Lehrsanunlung  imd  ist  arm  selbst  an  geschlossenen  Funden  aus 
der  Umgebung  der  Stadt;  ähnlich  steht  es  in  Bremen,  wo  man  eine  An- 
zahl Sachen  ohne  Kenntnis  der  Fundumstände,  ja  des  Ursprungslandes  von 
Händlern  zusammengekauft  hat  Dagegen  bieten  die  vorgeschichtlichen  Schätze 
des  Provinzialmuseums  zu  Hannover  für  alle  Perioden  reichste  Belehrung,  allein 
durch  teilweise  ungenaue,  ja  unrichtige  Etiquettienmg,  durch  die  ungeordnete 
Aufstellung,  durch  die  völlig  willkürliche,  ja  unbegreifliche  Zerreifsimg  grofser  ge- 
schlossener Funde,  die  zuweilen  soweit  geht,  dafs  ein  Teil  eines  zerbrochenen  wert- 
vollen Stückes  im  Schauschrank  ausgestellt  ist,  ein  anderer  im  Magazin  verborgen 
liegt,  entstehen  hier  dem  Forscher  ungemeine  Studienhindemisse  und  grolser 
2^itverlust  Hoffentlich  entschliefst  sich  die  Verwaltung  in  dem  jetzt  wohl 
schon  bezogenen  geräumigeren  Neubau  zu  einer  durchgreifenden  wissen- 
schaftlichen Umordnung  des  unschätzbaren,  ihrer  Obhut  anvertrauten  vor- 
geschichtlichen Materiales!  Auch  Oldenburg  besitzt  ein  verhältnismäfsig 
reiches,  in  der  Anordnung  des  Materiales  aber  auch  nicht  ganz  einwand- 
freies Museum.  Im  Emsgebiet  befinden  sich  die  kleinen  Sammlungen  des 
Em  den  er  Museums  und  des  Fürsten  Arnsberg  auf  Schlofs  Clemenswerth, 
Kreis  Hümling,  beide  trotzdem  fUr  diese  schon  magereren  Grenzgebiete  ger- 
manischer Ausdehnung  nicht  ohne  Wichtigkeit.  In  Osnabrück,  wo  wir 
die  Grenze  der  Germanen  der  jüngeren  Bronzezeit  bereits  überschritten  haben, 
bietet  das  äufserlich  saubere  und  inhaltlich  kostbare  Museum  an  Vorgeschicht- 
lichem nur  einzelne  Prachtfunde,  sonst  unerhebliches,  während  in  Münster 
die  besten  Sachen  aus  hannoverschem  Emsgebiet,  dem  ehemaligen  Niederstifi 
Münster  stanmien,  so  die  steinzeitlichen  Thongefafse  aus  Megalithgräbem  und 
einige  wertvolle  nordische  Bronzen.  Dem  jungen  schmucken  Dortmunder 
Museum  (vgL  darüber  diese  Zeitschrift  S.  23),  das  als  vorläufiges 
Unikum  die  ersten  Lat^ne-Funde  der  an  vorgeschichtlichen  Denkmalen  so 
armen  Provinz  Westfalen  beherbergt,  wären  vor  allem  Mittel  zur  Publikation 
der  mit  grofsem  technischem  Geschick  vollführten  Baumschen  Ausgrabungen 
der  meist  ungermanischen  Hügelgräber  des  Lippegebietes  zu  wünschen.  Von 
den  rheinischen  Museen  will  ich  kurz  noch  bemerken,  dafs  ihr  Studium  mir 
vor  allem  das  Material  an  die  Hand  geben  sollte,   um  den  ungermanischen 


—     26     — 

Charakter  der  dortigen  Funde  sicherer  beurteilen  zu  können.  Auch  links 
des  Rheins  mufs  neben  übermächtiger  Pflege  des  römischen  Altertums  die 
Prähistorie  des  Landes  entschieden  mehr  zur  Geltung  kommen.  Diesen 
Mangel  empfindet  man  recht  stark  namentlich  in  Bonn,  weniger  neuerdings 
in  Trier,  und  vom  Mainzer  Centralmuseum  mufs  gesagt  werden,  dafs  es 
offenbar  noch  immer  nicht  hinreichend  erkannt  hat,  wie  wenig  „Germani- 
sches'* es  in  seinen  Mauern  birgt  und  wie  klaffend  in  dieser  Hinsicht  seine 
Lücken  sind,  wenn  man  an  den  riesigen  Reichtum  Norddeutschlands  denkt. 
Doch  spielen  hierbei  wohl  noch  andere  schwer  zu  überwindende  Schwierig- 
keiten mit. 

Archf  T6«  —  Bereits  im  ersten  Bande  dieser  Zeitschrift  wurde  mit  einer 
Charakteristik  des  Archivwesens  in  den  einzelnen  deutschen  Bundesstaaten 
begonnen,  und  zwar  wurden  P r e u fs e n  (S.  171  — 172)  tmd  Baiern  (S.  245 
bis  247)  behandelt.  Es  besteht  die  Absicht  über  das  Archivwesen  in  sämt- 
lichen Staaten  deutscher  Zunge  in  ähnlicher  Weise  zu  berichten,  und  zwar, 
so  weit  möglich,  in  der  Weise,  dafs  die  einzelnen  Charakteristiken  wenigstens 
in  den  wichtigsten  Punkten  unter  sich  vergleichbar  werden.  Hier  folgen 
zunächst  die  entsprechenden  Mitteilungen  für  die  beiden  Königreiche  Sachsen 
und  Württemberg. 

Das  Archivwesen  des  Königreichs  Sachsen  hat  seinen  Mittelpunkt  in 
dem  Königlich  Sächsischen  Hauptstaatsarchiv  zu  Dresden,  das  sich  seit  1888 
in  dem  Albertinum  hinter  der  Brühischen  Terrasse  befindet  und  sich  mit  der 
Königlichen  Skulpturensammlung  in  die  Räume  dieses  früher  als  Zeughaus 
benutzten,  aber  vollständig  umgebauten  Gebäudes  teilt  Selbständig  bestehen 
aufser  dem  Hauptstaatsarchiv  nur  noch  das  Kriegsarchiv,  das  1897  sein 
eigenes,  allen  Forderungen  der  Neuzeit  entsprechendes  Gebäude  erhalten  hat, 
das  Archiv  des  Dresdener  Lehnhofes  im  Amtsgerichte  Dresden- Neustadt 
(Abt  IV**),  einige  Kloster-  (Marienthal,  Marienstern),  Stifts-  (St  Peter  in 
JBautzen)  und  Schlofsarchive.  Dagegen  übt  der  Staat  eine  gewisse  Aufsicht 
über  die  Pfarr-  und  Stadtarchive  aus,  über  erstere  durch  das  evangelisch- 
lutherische Landeskonsistorium,  über  letztere  durch  das  Hauptstaatsarchiv. 
Jährlich  besichtigt  emer  der  Archivräte  als  Königlicher  Kommissar  eine  An- 
zahl städtischer  Archive,  überzeugt  sich  von  der  zweckmäfsigen  Aufbewahrung 
und  Ordnung  der  Akten,  erteilt,  wo  es  nötig  erscheint,  Ratschläge  wegen 
Einrichtung  der  Archive  und  berichtet  über  seine  gemachten  Erfahmngen  an 
das  Ministerium.  Städten  und  Pfarrämtern,  die  eine  sichere  Unterbringung 
ihrer  Archivalien  nicht  gewährleisten  können,  wird  Überführung  der  Akten- 
bestände in  das  Hauptstaatsarchiv  nahe  gelegt  Von  diesem  Anerbieten 
haben  bisher  Bärenstein,  Crimmitzschau ,  Döbeln,  Frauenstein,  das  Bergamt 
Freiberg,  Geithain,  Leisnig,  Lommatzsch,  Löbau,  Löfsnitz,  Marienberg,  Mitt- 
weida,  Ölsnitz,  Oschatz,  Pegau,  Pulsnitz,  Zwickau  und  verschiedene  Pfarren 
Gebrauch  gemacht.  Ebenso  hat  das  Domkapitel  zu  Meifsen  sein  tmifang- 
reiches  Archivtun  magnum  und  eine  Anzahl  adliger  Geschlechter  ihre  Fa- 
milienarchive zur  depositarischen  Verwahrung  dem  Hauptstaatsarchiv  anver- 
traut 

Zeigt  sich  bereits  in  diesen  Bemühungen  um  Stadt-,  Pfarr-  und  Adels- 
archive   sowie  femer  in  dem  Bestreben,    Urkunden  und   Aktenstücke  von 


—     27     — 

Belang,  die  sich  im  Handel  beBnden,  flir  das  Hauptstaatsarchiv  käuflich  zu 
erwerben,  die  weitgehende  Fürsorge  des  Staates  für  Erhaltung  aller  wichtigen 
Archivalien  im  ganzen  Lande,  so  andererseits  auch  ganz  besonders  in  den 
Bestimmungen  über  die  Vernichtung  der  bei  den  staatlichen  Behörden  auf- 
laufenden Akten.  Wanderte  früher  zusammen  mit  ganz  belangloser  Makulatur 
auch  viel  wichtiges  Aktenmaterial  in  die  Papiermühle,  so  ist  dies  nicht  mehr 
möglich,  seitdem  das  Gesamtministerium  auf  Anregung  des  Hauptstaatsarchivs 
1877  ^>c  Verordnung  erliefe,  dafs  sämtliche  Unterbehörden  Verzeichnisse 
der  zur  Vernichtung  ausersehenen  Akten  vor  ihrer  Kassation  zu  weiterer  Be- 
schlufsfassung  an  ihre  vorgesetzten  Ministerien  einzusenden  haben.  Von  hier 
werden  diese  Verzeichnisse  bei  den  einzelnen  Ministerien  sowie  dem  Landes- 
konsistorium in  Umlauf  gesetzt  und  gelangen  schliefslich  an  das  Hauptstaats- 
archiv, das  alle  zur  weiteren  Verwahrung  geeigneten  Akten  auswählt  und  seinen 
Beständen  einverleibt. 

Da  aber  aufser  den  Unterbehörden  auch  die  Ministerien  selbst  beständig 
nicht  mehr  kurrente  Akten  in  grofser  Menge  abgeben,  so  hat  sich  das  Haupt- 
staatsarchiv seit  seiner  1834  erfolgten  Begründung  stark  erweitert.  Bis  zu 
dem  genannten  Jahre  gab  es  in  Sachsen  eine  beträchtliche  2^hl  von  Sonder- 
archiven und  Aktensammlungen.  So  bestanden  u.  a.  Archive  des  Geheimen  Rats 
{Geheimen  Konsiliums),  der  Landesregierung  und  des  Geheimen  Kabinetts; 
femer  solche  des  Schöppenstuhls  und  des  Oberhofgerichts  in  Leipzig,  des 
Leipziger  Konsistoriums,  Kirchenrats  und  Oberkonsistoriums,  des  Obersteuer- 
kollegiums, der  Oberrechnungskammer,  der  Kommerziendeputation ,  der  Al- 
bertinischen  Nebenlinien,  der  Ostfriesischen  und  vieler  anderer  Kommissionen, 
der  Geheimen  Kriegskanzlei  und  des  Generalfeldmarschallamts,  einzelner  em- 
gegangener  Gesandtschaften  u.  s.  w.  Alle  diese  einzelnen  Archive  wurden 
mit  den  beiden  ältesten  im  Lande,  dem  Wittenberger  Archive,  d.  h.  dem 
Teile  des  alten  Wettiner  Archivs,  der  bei  der  Teilung  1802  an  die  Albcr- 
tinische  Linie  gefallen  und  nicht  nach  Weimar  gekommen  war,  und  mit  dem 
Geheimen  Archive,  worunter  die  ältesten,  seiner  Zeit  bei  dem  Geheimen  Kon- 
silium und  der  Landesregierung  verwahrten  Bestände  zu  verstehen  sind,  zu 
dem  Königlich  Sächsischen  Hauptstaatsarchive  vereinigt  Auch  zahlreiche 
Korrespondenzen  von  Mitgliedern  des  Königlichen  Hauses  wurden  in  das- 
selbe aufgenommen,  da  ein  besonderes  Königliches  Hausarchiv  nicht  besteht 

Berechnete  v.  Weber  1864  in  seinem  Aufsatze  über  das  Hauptstaatsarchiv 
zu  Dresden  (Arch.  f.  d.  Sachs.  Gesch.  U,  i — 26)  den  Umfang  desselben 
auf  17000  Originalurkunden  und  300000  Akten,  so  beträgt  dieser  heute 
infolge  der  oben  angegebenen  Erweiterungen  und  namentlich  seit  Einverleibimg 
des  gesamten  Finanzarchivs  (1873)  gewifs  das  Doppelte.  Die  Zahl  der  mit 
dem  30.  März  947  beginnenden  Originalurkunden,  die  in  über  1000  Kästen 
aufbewahrt  werden,  beläuft  sich  auf  etwa  40  000,  während  in  den  bisher  be- 
legten 50000  Lokaten,  d.  h.  Regalßlchem  von  42  cm  Höhe,  39  cm  Tiefe 
und  26  cm  Breite,  vielleicht  6 — 700000  Aktenbände  und  -bündel  ruhen. 

In  den  Lokaten  liegen  die  Hauptabteilungen,  aus  denen  das  Haupt- 
staatsarchiv, wie  oben  erwähnt,  gebildet  wurde,  möglichst  geschlossen  bei 
einander.  Die  erste  umfefst  die  Originalurkunden,  die  zweite  das  Witten- 
berger, die  dritte  das  Geheim-Archiv,  die  vierte  und  fünfte  das  des  Geheimen 
Kabinetts,  die  siebente  die  Akten  des  Geheimen  Rats  (Konsiliums),  die  achte 


—     28     — 

die  der  Landesregierung.  Das  Finanzarchiv  bildet  die  grofse  achtzehnte  Ab- 
teilung, während  die  elfte  handschriftliche  Karten  und  Risse,  die  vierzehnte 
und  fünfzehnte  Abschriften  enthält  Die  nicht  genannten  Abteilungen  sind 
im  Laufe  der  2^it  weggefallen. 

Den  Abteilimgen  entsprechen  die  im  Arbeitssaale  aufgestellten  Registranden, 
indem  man  die  Repertorien  der  gröfseren  Sonderarchive  von  ehedem  be- 
stehen imd  nicht  in  ein  Gesamtregister  hat  zusammentragen  lassen.  Sie  sind 
alle  im  wesentlichen  nach  denselben  Grundsätzen  angelegt.  Der  urkundliche 
Stoff  ist  nach  sachlichen  Gesichtspunkten  geordnet  worden,  diese  aber  sind 
unter  sich  nach  dem  Alphabet  aufgeführt.  So  beginnen  die  verschiedenen 
Repertorien  alle  mit  „Absterben 'S  gehen  mit  „ Accissachen "  u.  s.  w.  fort 
und  enden  mit  „  Zusanmienkünften  'S  Jeder  dieser  Bände  weist  wieder  seine 
besondere,  zweckentsprechende  Einteilung  auf.  Neben  diesen  Sachverzeich- 
nissen besitzt  das  Archiv  noch  eine  Reihe  brauchbarer  Hilfsmittel,  die  von 
den  Beamten  stetig  vervollständigt  werden,  so  Nachschlagewerke  über  die  in 
Originalurkunden  und  Kopialen  vorkommenden  Ortsnamen,  über  adlige  Ge- 
schlechter, über  Gelehrte,  Künstler,  Techniker  u.  dergl  mehr.  Endlich  steht 
den  Beamten  und  Archivbenutzem  eine  reichhaltige  Fachbibliothek  zu  Gebote. 
Zu  ihrer  Vervollständigung  werden  jährlich  etwa  2000  Ji  von  den  fiir  das 
Archiv  bewilligten  Staatsmitteln  verwendet. 

Diese  Staatsmittel  betrugen  nach  dem  Etat  von  1 900/1  69410^.  Da- 
von entfallen  5 1  880  ^  auf  Besoldungen  der  Beamtenschaft  des  Archivs,  die 
sich  aus  dem  Direktor,  drei  Staatsarchivaren  und  einem  Archivsekretär  als 
Oberbeamten,  vier  Expeditionsbeamten,  zu  denen  drei  Sekretäre  imd  ein 
Bureauassistent  gehören,  drei  Dienern  und  einem  Hausmeister  zusammensetzt. 
Der  Direktor  rangiert  unter  den  Zivilbeamten  der  dritten  Klasse  der  Hof- 
rangordnung zwischen  den  Landgerichtspräsidenten  uqd  dem  Polizeidirektor 
zu  Dresden,  den  Direktoren  der  Bergakademie  zu  Freiberg  und  Forstakademie 
zu  Tharandt  und  den  Amtshauptleuten.  Die  Staatsarchivare,  die  ihrer  Stel- 
lung nach  den  Amtsrichtern  und  Gerichtsräten  gleichzusetzen  sein  dürften, 
sind  als  solche  merkwürdigerweise  nicht  in  der  Hofrangordnung  verzeichnet, 
gehören  aber  als  Archivräte,  so  weit  ihnen  kein  mit  höherem  Range  ver- 
bundener Titel  verliehen  ist,  in  die  vierte  Klasse  derselben. 

Die  Gehaltsverhältnisse  sind  1898  entsprechend  den  Gehaltserhöhungen 
der  Archivbeamten  anderer  Bundesstaaten,  namentlich  Preufsens  und  Bayerns, 
neu  geregelt  worden.  Der  Direktor  erhält  7500  —  9300,  durchschnittlich 
8  400  v^,  die  Staatsarchivare  4  500 — 6  300,  durchschnittlich  5  400  Jit^  der 
Archivsekretär  3  600—4  200,  durchschnittlich  3  900  Ji.  Aufserdem  erhalten 
zwei  von  den  Staatsarchivaren  jährlich  i  500,  bezw.  i  200  Ji^  die,  da  sie 
bei  der  Pensionsbemessimg  voll  mit  in  Anrechnung  gebracht  werden,  dem 
Gehalte  zuzurechnen  sind,  fUr  Herausgabe  einer  vom  Staate  veranstalteten 
Quellensammlung  der  älteren  sächsischen  Geschichte,  des  Cbefer  diphmaticus 
Saxoniae  regiae,  von  dem  seit  seiner  Begründung  im  Jahre  1860  eintmd- 
zwanzig,  gröfstenteils  von  Archivbeamten  bearbeitete  Bände  erschienen  sind. 
Eine  Aufbessenmg  der  Gehaltsverhältnissc  steht  durch  Bewilligung  von  Woh- 
nimgsgeldzuschüssen  seitens  des  nächsten  Landtags  in  Aussicht 

In  der  Benutzung  des  Archivs  hat  sich  eine  Steigerung  während  der 
letzten  Jahre   geltend  gemacht.     Während  1890  nur  16    und  bis  1895  nie 


—     29     — 

über  30  amtliche  Erhebungen  anzustellen  waren,  betrug  ihre  Zahl  in  den 
letzten  Jahren  40  bis  50  (1899:  48).  Ähnlich  mehrten  sich  die  an  Privat- 
personen erteilten  Auskünfte.  In  dem  Jahresberichte  von  1890  sind  deren 
nur  63  verzeichnet,  seit  1894  überschritten  sie  dagegen  meist  die  Zahl  100 
(1899:  148).  Endlich  nimmt  auch  die  Reihe  der  Besucher,  die  1890  noch 
95  betrug,  jährlich  zu.  1895  benutzten  123,  1896:  134,  1897:  156, 
1898:  160  und  1899:  213  Personen,  von  denen  viele  wochen-,  ja  monate- 
lang einen  beständigen  Benutzerkreis  bildeten,  den  Arbeitssaal  des  Archivs. 

Während  früher  jede  Archivbenutzung  von  der  allerdings  mit  gröfster 
Bereitwilligkeit  erteilten  Genehmigung  des  Gesamtministeriums  abhängig  war, 
erteilt  seit  mehreren  Jahren  die  Direktion  des  Hauptstaatsarchivs  selbst  fUr 
alle  Archivstudien  bis  zum  Jahre  1831,  dem  Erlasse  der  Konstitution,  die 
Exlaubnis.  Die  Zeitgrenze  ist  also  wesentlich  weiter  hinauf  gerückt,  als  in 
Preufsen,  wo  das  Jahr  1700,  oder  in  Bayern,  wo  das  Jahr  1801  malsgebend 
ist  Nur  in  besonderen  Fällen,  in  denen  Interessen  des  Königlichen  Hauses 
oder  des  Staates  in  Frage  kommen,  ist  die  ministerielle  Genehmigung  er- 
forderlich, die  im  übrigen  bei  Benutzung  von  Akten  der  neuesten  Zeit  ein- 
geholt werden  mufs.  Dals  jedem  Benutzer  des  Lesesaab  die  Einsicht  aller 
Registranden  bereitwilligst  zugestanden  wird,  ist  allezeit  mit  gröfstem  Danke 
von  Seiten  des  Publikums  anerkannt  worden.  In  dieser  Beziehung  zeichnet 
sich  das  Dresdener  Hauptstaatsarchiv  wesentlich  vor  den  meisten  anderen 
deutschen  Archiven  aus.  Da  auch  Archivalien,  so  weit  es  nur  irgend  ihre 
Sicherheit  gestattet,  nach  auswärts  versendet  werden,  ist  wohl  die  Behaup- 
tung gerechtfertigt,  dafs  die  im  Königlich  Sächsischen  Hauptstaatsarchiv 
ruhenden  Urkunden-  und  Aktenschätze  der  wissenschaftlichen  Forschung  in 
weitgehendster  Weise  zugänglich  gemacht  sind. 

Württemberg«  Der  Direktion  des  König^  Geheimen  Haus-  und 
Staatsarchives  (Archivdirektion),  welche  dem  Ministerium  des  KönigL  Hauses 
und  der  Auswärtigen  Angelegenheiten  untergeordnet  ist,  sind  unterstellt:  das 
K.  Geheime  Haus-  und  Staatsarchiv  in  Stuttgart,  das  K.  Staats- 
filialarchiv in  Ludwigsburg  imd  das  dem  Staate  und  der  Stadt 
Hall  gemeinschaftliche  Archiv  in  HalL  Das  Staatsfilialarchiv  büdet 
übrigens  nur  einen  räumlich  getrennt  aufbewahrten  nicht  selbständig  verwal- 
teten Bestandteil  des  erstgenannten  Archives;  es  sind  ihm  vorzugsweise  die 
umfieissenderen  und  neueren  Aktenmassen  zugewiesen,  während  namentlich  die 
Urkunden  und  die  wichtigeren  Dokumente  überhaupt  im  Haus-  tmd  Staats- 
archive aufbewahrt  werden.  In  beiden  zusammen  finden  sich  somit  die  Ur- 
lomden  und  Akten  über  die  Familienangelegenheiten  des  Königl.  Hauses ;  die 
Originale  der  Königl.  Gesetze  und  Verordnungen;  Geheime  Kabinettsakten 
der  wüittembergischen  Regenten  vom  XVL  Jahrhundert  an;  femer  Akten 
des  obersten  RegierungskoUegiums  in  Altwürttemberg,  des  „Geheimen  Rats"; 
Urkunden  und  Akten  über  die  Beziehungen  Württembergs  zum  alten  tmd 
zum  jetzigen  deutschen  Reich,  sowie  zu  anderen  deutschen  und  auiserdeut- 
sdien  Staaten:  so  die  Staatsverträge;  Dokumente  von  hervorragendem  histo- 
rischem Werte  aus  verschiedenen  altwürttembergischen  Verwaltungszweigen 
und  den  einzelnen  Ämtern;  Archivalien  früherer  Reichsstädte  und  sonstiger 
octtwüittembergiacher  Laadesteile  (z.  B.  Fürstentum  EUwangen,  Vorderöster- 


—     30     — 

reich,  verschiedene  Klöster  und  Stifter);  Dokumente  über  den  wtirttembergi- 
schen  Adel,  insbesondere  die  ältere  Lehenratsregistratur  und  Teile  der  Ar- 
chive der  einstigen  Ritterkantone,  insbesondere  soweit  sich  dieselben  auf 
nunmehr  württembergische  ritterschaftliche  Familien  und  Orte  beziehen;  Be- 
standteile des  einstigen  Deutschordensarchivs  in  Mergentheim,  soweit  dasselbe 
nicht  an  andere  Staaten  oder  an  das  Centralarchiv  des  deutschen  Ritterordens 
in  Wien  ausgefolgt  worden  ist;  die  an  Württemberg  abgegebenen  Akten  des 
ehemaligen  Reichskammergerichts  zu  Wetzlar  in  betreff  württembergischer  Orte 
und  Familien ;  das  Archiv  des  vormaligen  Schwäbischen  Kreises ;  Akten  des 
einstigen  Hofgerichts  zu  Rottweil;  die  noch  in  württembergischem  Besitze 
befindlichen  Bestandteile  des  Archivs  der  Grafschaft  Mömpelgard  u.  s.  w. 

Weiterhin  besitzen  übrigens  sowohl  das  KönigL  Ministerium  des  Innern 
als  das  Königl.  Finanzministerium  besondere  Archive,  welche  mit  der 
Königl.  Archivdirektion  in  keiner  Verbindung  stehen:  das  Archiv  des 
Innern  und  das  Finanzarchiv,  beide  zu  Ludwigsburg.  Von  ihnen  um- 
fafst  das  erstere  die  sämtlichen  älteren  Registraturen  der  in  den  Jahren  1 806 
und  1 8 1 7  aufgehobenen  Kollegien,  Deputationen,  Kommissionen  u.  s.  w.,  deren 
Geschäftsführungen  nach  ihrem  verschiedenen  Gehalt  und  Umfang  nunmehr  in 
dem  Departement  des  Innern  vereinigt  sind,  sowie  die  dem  Ministerium 
und  seinen  Kollegien  entbehrlich  gewordenen  älteren  Akten.  Das  letztere 
enthält  die  Registratur  aufgehobener  Finanzkollegien-Kommissionen  und  -De- 
putationen, z.  B.  des  herzoglichen  Kirchenrats  von  1550  an  und  der  her- 
zoglichen Rentkammer  von  1650  an,  sowie   ältere  Finanzministerialakten. 

Die  dermaligen  acht  Beamten  der  Archivdirektion  sind  sämtlich 
akademisch  gebildet. 

Archivdirektor  ist  derzeit  der  frühere  erste  Archivrat,  welcher  neben  der 
höchsten  Kollegialratsbesoldung  als  solcher  ein  (pensionsberechtigtes)  Neben- 
einkommen von  1050  Mk.  und  90  Mk.  Wohnungsgeld  bezieht 

Zwei  Beamte  —  Archivräte  —  stehen  normalmäfsig  in  der  Beamten- 
klasse der  Räte  der  Verwaltungskollegien  (Gehalte  von  4700,  5100  und 
5500  Mk. ;  Vorrückung  nach  je  vier  Jahren) ;  ein  Beamter  —  Archivassessor  — 
in  der  Beamtenklasse  der  Assessoren  der  Kollegien  (Gehalt  von  3000,  3400 
und  3800  Mk. ;  Vorrückung  nach  je  zwei  Jahren);  vier  Beamte  —  Archiv- 
sekretäre —  in  der  Be^imtenklasse  der  Expeditoren  (Gehalte  von  2  600,  2  800, 
3000,  3300,  3600  und  3900  M. ;  Vorrückung  nach  zwei,  dreimal  je  drei 
und  vier  Jahren);  je  mit  dem  tarifmäfsigen  Wohnungsgeld  dieser  drei  Be- 
amtenklassen von  400,  bzw.  300,  bzw.  250  Mk.  (200  Mk.  in  Ortsklasse 
Ludwigsburg)  in  Ortsklasse  Stuttgart 

Ein  Expeditor  besorgt  die  Verwaltung  des  Staatsfilialarchivs  zu  Ludwigs- 
biu-g  am  Orte  selbst. 

Der  Verwalter  des  gemeinschaftlichen  Archivs  zu  Hall  ist  ein  im  sonstigen 
Dienste  verwandter  städtischer  Beamter,  welcher  von  der  Stadt  Hall  aus- 
schliefslich  bezahlt  wird. 

Zur  Zeit  ist,  je  fiir  ihre  Person,  dem  Archivdirektor  der  Rang  in  der 
dritten  Rangklasse  (der  Staatsräte,  Präsidenten),  dem  etatmäfsigen  zweiten 
Rate  der  Titel  und  Rang  eines  Geheimen  Archivrats  (in  der  Beamtenklasse 
der  Oberräte),  dem  normalmäfsigen  Assessor  die  Stellung  und  der  Gehalt 
sowie  der  Titel  eines  Archivrats,   dem   ältesten  Expeditor   die   Stellung  und 


—     31      — 

der  Gehalt  eines  Archivassessors,  sowie  der  Titel  eines  Archivrats,  den  beiden 
Expeditoren  in  Stuttgart  der  Titel  und  Rang  von  Archivassessoren,  dem  £x- 
peditor  in  Ludwigsburg  der  Titel  und  Rang  eines  Hofrats  verliehen. 

Zu  den  eigentlichen  Beamten  kommt  noch  je  ein  Kanzleiaufwärter  in 
Stuttgart  und  in  Ludwigsburg. 

Insgesamt  war  im  Etat  von  1900  fUr  die  Archivdirektion,  d.  h.  die 
Besoldungen  mit  Wohnungsgeld  (33650  Mk.),  sodann  Kanzleikosten  (2850  Mk.), 
Urkundensammlung  (Druck  des  Urkundenbuchs  und  Erwerbung  von  Urkunden : 
1400  Mk.)  der  Betrag  von  37900  Mk.  angesetzt. 

Erlaubnis  zur  Benutzung  des  Staats-  tmd  Staatsfilialarchives  —  des 
Haller  Archivs  in  Verbindung  mit  der  Stadt  Hall  —  erteilt  oder  vermittelt 
bei  dem  vorgesetzten  Ministerium  die  Archivdirektion,  die  es  sich  angelegen 
sein  läfst,  wissenschaftliche  Aufgaben  möglichst  zu  imterstützen.  Die  Erlaubnis 
zur  Benutzung  des  Geheimen  Hausarchivs  erteilt  das  Königl.  Ministerium. 

Das  Königl.  Haus-  und  Staatsarchiv  veröffentlicht  seit  1849  ^*Q  Wirtem- 
bergisckes  Urkundenbuch,  welches  sämtliche  Urkunden,  in  denen  sich  in  Be- 
ziehung auf  irgend  einen  Bestandteil  des  Landes  in  seinem  heutigen  Umfang 
eine  Bestimmung  6ndet,  von  den  ältesten  Zeiten  an  zunächst  bis  zum  Jahre 
13 13  in  sich  begreifen  soll.  Von  ihm  sind  bis  jetzt  sieben  Bände  erschie- 
nen, die  bis  zum  Jahr  1276  herabgehen,  Bd.  I  bis  UI  redigiert  von  E.  Kaus- 
1er,  Bd.  IV  bis  VII  von  P.  Stalin.  Im  Jahr  1893  hat  übrigens  die  würt- 
tembergische Kommission  flir  Landesgeschichte,  in  der  Absicht,  eine  raschere 
Herausgabe  der  älteren  württembergischen  Urkunden  zu  ermöglichen,  be- 
schlossen, der  Archivdirektion  einen  Gelehrten  zur  Mitarbeit  an  der  Fort- 
setzung des  Werkes  für  die  2^it  nach  1268  zu  stellen  und  gleichzeitig  Ur- 
kundenbücher  für  die  neuwürttembergischen  Gebiete  von  1268  ab  in  Angriff 
zu  nehmen,  wobei  dann,  so  lange  solche  sogen.  Territorialurkundenbücher 
nicht  in  Angriff  genommen  sind,  das  Staatsarchiv  mit  dem  von  der  Kom- 
mission gestellten  Hilfsarbeiter  das  Wiriembcrgüche  Urkundenbnch  in  dem- 
selben Umfiemg  wie  bisher  ganz  selbständig  fortsetzen  soll.  Beim  obigen 
VU.  Band  hat  die  Mitwirkung  der  genannten  Kommission  bereits  stattgefunden ; 
selbständig  hat  dieselbe  bis  jetzt  je  einen  Band  eines  Rottweiler  und  Efs- 
Ünger  Urkundenbuches  herausgegeben. 

Ausführungen  „Zur  Geschichte  des  württembergischen  Staatsarchivs'* 
hat  K  Schneider  in  der  Archivalischen  Zeitschrift  H,  F.  Jahrg.  IL  1891. 
S.  54 — 78  veröffentlicht 

Infolge  von  Anträgen  der  Archivdirektion  sind  die  Verwaltungs-  und 
Finanzbehörden  angewiesen,  die  in  ihren  Registraturen  befindlichen,  für  den 
laufenden  Dienst  jedoch  entbehrlichen  älteren,  insbesondere  Pergamenturkun- 
den, alte  Chroniken,  Kopialbücher  und  Akten,  welche  in  politischer  oder 
knlturgescfaichtlicher  Beziehung  von  allgemeinem  Interesse  für  die  Geschichte 
des  Landes  sein  könnten,  an  die  Archivdirektion  einzusenden.  Auch  werden 
bei  Aktenausscheidungen  der  genannten  sowie  der  Justiz-  und  Militärbehörden 
die  betreffenden  Veneichnisse  an  diese  Direktion  eingesandt  oder  wird  ihr 
in  zweifdhaften  Fällen  von  der  beabsichtigten  Ausscheidung  unter  kurzer 
Angabe  des  Inhalts  der  fraglichen  Akten  rechtzeitige  Mitteilung  gemacht. 
Namentlidi  durch  die  Ausscheidung  bei  den  Justizbehörden  ist  dem  Archi  e 
schon  manches  wertvolle  Material  zugeführt  worden. 


—     32     — 

In  neuerer  Zeit  hat  die  im  Jahre  1891  gegründete  württembergische 
Kommission  für  Landesgeschichte  nach  dem  Vorgang  der  badischen  historischen 
Kommission  gemeinschaMich  mit  der  K^  Archivdirektion  die  Durchforschung, 
Ordnung  und  Verzeichnung  der  Archive  und  Registraturen  der  Gemeinden, 
Pfarreien,  Stiftungen,  Korporationen,  Gnmdherren  und  Privaten  des  ganzen 
Landes  durch  sogen.  Pfleger,  welche  unter  der  Leitung  und  Überwachung 
von  sechs  Kreispflegem  stehen,  in  Angrifif  genommen.  Schon  ist  eine 
beträchtliche  Anzahl  solcher  Lokalarchive  durchforscht  imd  sind  die  Auf- 
zeichntmgen  der  Pfleger  bis  auf  weiteres  mit  Vorbehalt  der  Rechte  der  Kom- 
mission und  mit  Kündigungsrecht  für  die  Archivdirektion  in  der  Weise  im 
Staatsarchiv  niedergelegt  worden,  dafs  Gesuche  um  Benutzung  dieser  Papiere 
an  die  Archivdirektion  zu  richten  sind,  welche  den  Ansuchenden  thunlichst 
en^egenkommen,  in  Anstandsfallen  jedoch  mit  dem  geschäfbfUhrenden  Mit- 
^ed  der  Kommission  sich  ins  Benehmen  setzen  soll.  Standesherrliche  Ar- 
chive sind  bis  jetzt  wenigstens  von  den  Pflegern  fast  keine  durchforscht 
worden ;  wohl  aber  haben  einige  Pfleger  auch  die  Registraturen  der  Bezirks- 
ämter in  den  Bereich  ihrer  Thätigkeit  gezogen.  Über  die  Drucklegung  der 
Pflegerberichte  sind  bis  jetzt  noch  keine  Beschlüsse  gefafst  worden. 

Eingegangene  Bficlier. 

Buchwald,   Georg:    Reformationsgeschichte   der  Stadt  Leipzig.      Leipzig, 

Bernhard  Richter,  1900.     212  S.  8^ 
Kleinpaul,  Rudolf:   Der  Mord   von  Konitz  und   der  Blutaberglaube   des 

Mittelalters.     Leipzig,  H.  Schmidt  &  C.  Günther,   1900.     32  S.  8<^  mit 

14  niustrationen. 
Lennarz,  Albert:  Der  Territorialstaat  des  Erzbischofs  von  Trier  um  1220 

nach  dem  Liber  annalium   iurium  archiepiscopi   et   ecdesie  Trevirensis. 

Erster  TeiL     Bonner  Dissertation  1900.     90  S.  8®. 
Mehler,  J.  B.:  Das  fürstliche  Haus  Thum  und  Taxis  in  Regensburg.    Zum 

150  jährigen  Residenz -Jubiläum.      Regensburg,.   Kommissionsveriag   von 

J.  Habbel.     299  S.  8«. 
Wenk:  Das  Ratsarchiv  zu  Borna  bis  1600.    [Beilage  zu  den  Jahresberichten 

des  städtischen  Realgymnasiums  zu  Borna  1897  und  1898.]     83  S.  4^ 
Werner,  Lorenz:  Geschichte  der  Stadt  Augsburg  von  der  Zeit  ihrer  Grün- 
dung bis  zur  Wiederaufrichtung  des  deutschen  Reichs.    Augsburg,  Math. 

Rieger  (A.  Hinmier),   1900.     428  S.  8^ 

Verlag  Ton  Friedrich  Andreas  Perthes  In  ftotha> 

Unter  der  Presse  befindet  sich  und  erscheint  demnächst: 

Alte  Zeiten  -  alte  Freunde. 

Lebenserinnerungen 

von 

F.  Max  Müller, 

ProfMSor  der  Yerglekhuiden  SpracbwiMenschaft  sn  Ozfbcd. 

AJt%€4fMevim  'Übersetvone  von  ZZ.  GhrosolilB«.  —  KUt  Fortrfiti 

Preis  «A  9»  gebunden  «AH* 

Hcnnsfibar  Dr.  Anain  Tille  In  Leipiiff.  —  Druck  usd  Verlag  tob  Friedrich  Andrea«  Perdies  ia  Goduu 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsscbrift 


Förderung  der  landesgeschichtlichen  Forschung 

II.  Band  November  1900  2.  Heft 


Particd  ^  Kirehengesehiehte 

Von 
Otto  Giemen  (Zwickau) 

Die  Partial-Kirchengeschichte  bat  stets  Hand  in  Hand  mit  der  all- 
gemeinen Kirchengeschichte  zu  arbeiten  und  in  der  Förderung  der- 
selben ihr  letztes  Ziel  zu  sehen.  Freilich  scheint  es  fast  unvermeidlich, 
dafe  immer  wieder  Arbeiten  mit  unterlaufen,  deren  Verfasser  den  ma- 
kroskopischen Gesichtspunkt  nicht  kennen,  sondern  in  überspanntem 
Lokalpatriotismus  oder  Ahnenkultus  sich  auf  irgendeine  sterile  Einzel- 
heit stürzen  tmd  meinen,  alles,  was  zufällig  oder  aus  beachtenswerter 
Absicht  ungedruckt  geblieben  ist,  müsse  publiziert,  jeder  Pastor  und 
Kantor  müsse  registriert  werden,  wenn  er  auch  zu  den  grofsen  Be- 
strebungen und  Ereignissen  und  Menschen  seiner  Zeit  in  keinerlei  Be- 
ziehung gestanden,  sondern  eben  nur  im  Dreifsigjährigen  Kriege  oder 
im  Zeitalter  der  Aufklärung  in  irgendeinem  Erdenwinkel  gepredigt  oder 
geschulmeistert  hat.  Auf  keinem  Gebiete  der  Geschichtswissenschaft 
ist  der  kritische  Spezialismus  mehr  ausgeartet  als  auf  dem  der 
Kirchengeschichte.  —  Höchstens  die  Waschzettellitteratur  über  Goethe 
wäre  etwa  zum  Vergleich  heranzuziehen.  Sollen  solche  Arbeiten 
wenigstens  brauchbaren  Rohstoff  liefern,  so  bedarf  es  unbedingt  der 
Organisation  und  Fesstellung  der  leitenden  Gesichtspunkte.  Sonst  wird 
nur  Zeit,  Geld  und  Papier  vergeudet. 

Die  Grenzen  der  Gebiete  der  Partial- Kirchengeschichte  können 
bestimmt  werden  entweder  nach  einem  innerkirchlichen  oder  nach  einem 
aufserkirchlichen  Gegensatz.  Im  ersteren  Falle  erhält  man  Darstellungen 
der  Schicksale  einer  besonderen  Konfession  oder  Sekte,  im  anderen 
National-,  Provinzial-  oder  Landes-Kirchcngcschichte  *). 

Als  Beispiel  für  Unternehmungen  der  ersten  Art  seien   hier  die 


i)  Kayser  in  der  Zeitschrift  für  niedersächsische  Kirchengeschichte  III,  S.  2. 

3 


—     34     — 

Geschichtsblätter  des  detitscben  Hugenottenvereins  ^) 
genannt.  Das  Doppelheft  4/5  des  9.  Zehnts  liegt  mir  vor,  das  die  Ge- 
schichte der  iranzösich-deutschen  reformierten  Gemeinde  zu  Bützow  in 
Mecklenburg-Schwerin  behandelt  Es  ist  interessant  zu  lesen,  wie  die 
Herzöge  in  den  Jahren  1699 — 1704  durch  Ansiedelung  von  R6fugi6s 
— lauter  Industriellen  —  dem  während  des  Drei&igjähr^en  Krieges  schwci 
geschädigten  Städtchen,  diesem  „wehrlosen  und  in  den  letzten  Zügen 
liegenden  Ort",  wie  es  in  einer  Eingabe  des  Rats  von  Bützow  vom 
24.  Juli  1683  heifst,  aufzuhelfen  suchten,  wie  die  eingerichteten  Fabriken 
jedoch  nur  mühsam  vegetierten,  die  Gemeinde  überhaupt  durch  viele 
Widrigkeiten  sich  hindurch  zu  kämpfen  hatte.  Die  vorausgegangenen 
Hefte  bieten  die  Geschichte  der  Waldensergemeinde  Schönenberg  in 
Würtembei^  und  der  französischen  Kolonie  und  Stadt  Neu-Isenburg. 

Von  den  zur  Pflege  der  Landes-  und  Provinzial-Kirchengeschichte 
bestehenden  Vereinen  ist  der  älteste  die  „Gesellschaft  für  säch- 
sische Kirchengeschichte**,  deren  Organ  die  in  Jahresheften 
erscheinenden  Beiträge  zur  sächsischen  Kirchengeschichte 
sind,  herausgegeben  von  D.  Dibelius,  Superintendent  in  Dresden, 
und  Theodor  Brieger,  der  seit  dem  5.  Hefte  an  D.  Lechlers 
Stelle  getreten  ist.  Das  erste,  1882  erschienene  Heft  wurde  cmgeleitet 
durch  einen  Aufsatz  Lechlers,  in  dem  er  auf  die  der  Durchforschung 
in  besonderem  Mause  bedürftigen  Perioden  der  sächsischen  Kirchen- 
geschichte  hinwies  und  eine  ganze  Anzahl  Erfolg  versprechender  Einzel- 
aufgaben  stellte.  Mehrere  von  diesen  Aufgaben  sind  im  Laufe  der 
Zeit  gelöst  worden,  natürlich  bleibt  noch  viel  zu  thun  übrig.  In  die 
erste  Periode  der  sächsischen  Kirchengeschichte,  die  L.  bis  in  die  Mitte 
des  XII.  Jahrhunderts  rechnet,  ist  überhaupt  keiner  der  Mitarbeiter 
hinabgestiegen.  Auch  fiir  die  zweite  Periode  —  bis  zuf  Reformation  — 
liegen  nur  ein  paar  Beiträge  zur  Ordens-,  Verfassungs-,  Kultus-  und, 
Kunstgeschichte  vor.  Im  Vordergrunde  des  Interesses  steht  die* 
Reformationsgeschichte.  Das  gUt  von  der  kirchengeschichtlichen 
Forschung  der  Gegenwart  überhaupt.  Die  Zeit  bringt  es  mit  sich. 
Denn  wenn  auch  „die  Hochflut  der  ultramontanen  Entstellung  der 
Reformationsgeschichte  sichtlich  im  Rückgang  begriffen"  ist,  so 
giebt  es  doch  immer  noch  genug  Arbeit  zu  leisten.  Das  letate 
(14.)  Heft  (1899)  enthält  die  fleifsige  Monographie  von  O.  Germann 
über  Sebastian  Fröschel,  den  langjährigen  Wittenberger  Diakonus  und 


i)  Gegründet  am  29.  September  1890.    Sitz  Magdeburg,  Vorsitzender  Prediger  Toll  in. 
daselbst. 


—     So     — 

treuen  Mitarbeiter  der  RefcMtnatoren,  der,  während  der  Leiprig^r  Dis- 
putation für  Luthers  Sache  gewonnen,  erst  in  Leipzig  das  Evangelium 
predigte,  bis  ihn  Herzog  Georg  als  eine  „in  der  Wittenberger  Ketzer- 
grube voll  Gift  gesehene  Kröte*'  des  Landes  verwies.  In  Witten- 
bei^  lebte  er  dann  bis  an  sein  Ende  (20.  Dezember  15  70)  als  un- 
ermüdlicher, auch  in  Pest-  und  Kri^^ot  auf  seinem  Posten  ausharren- 
der Seelsoiger  und  glaubensstarker,  volkstümlicher  Pred^r,  den  Re- 
formatoren in  rührender  Liebe  ergeben.  Von  sonstigen  gröfseren  Auf- 
sätzen aus  den  letzen  Heften  erwähne  ich  Buchwalds  Beiträgfe  zur 
Kenntnis  der  sächsischen  Geistlichkeit  aus  dem  Wittenberger  Ordi- 
ntertenbuch  1 537 — 1 560,  in  der  eine  Fülle  von  Rohstoff  geboten  wird,  und 
als  Fortsetzung  dazu  das  von  Buchwald  zusammen  mit  H.  J.  Scheu  ff  1er 
angefertige  Verzeichnis  der  in  Wittenberg  ordinierten  Geistlichen  der 
I^ochien  des  jetzigen  Königreichs  Sadisen,  femer  O.  Meusels  Ab- 
handlui^  über  die  reu&ische  oder  reufsisch-schönbuigtsche  Konfession 
von  1567,  die  mit  der  Lüneburger  von  1561  und  der  Mansfelder  von 
1565  die  Konkordienformel  vorbereitet,  und  meine  Ldtterarischen 
Nachspieie  zur  Leipziger  Disputation,  In  die  neueste  Zeit  gehört  das 
weihevolle  Gedenkblatt,  das  Bernhard  Kühn  dem  verstorbenen 
Oberhofjprediger  D.  Meier  gewidmet  bat.  Endlich  sei  erwähnt  der 
geistreidie  und  überzeugende  Artikel  von  Otto  Lyon,  in  dem  er  für 
die  Betonung  „evangelisch-lutherisch'*  eintritt 

Von  den  Beiträgen  zur  bayerischen  Kirchengeschichte, 
faerau^fegeben  von  Theodor  Kolde,  erschien  der  erste  Band  1895. 
Da&  die  2^it8chrtft  sich  eines  besonders  grofsen  Kreises  rühriger  Mit- 
arbeiter erfreut,  ist  wohl  —  abgesehen  von  den  weitverzweigten  Be- 
ziehungen des  ftir  seine  Zeitschrift  selbst  sehr  fldfsig  thätigen  Heraus- 
gebers —  besonders  dem  Umstand  zuzuschreiben,  da&  sie  nicht  in 
Jahresheften,  sondern  in  jährlich  sechs  Heften  zu  je  drei  Bogen 
(Abomie^nent^nreis  dabei  nur  4  A)  herauskommt,  so  dafs  die  Mit- 
aibeiter  nicht  urtter  dem  Übelstand  zu  leiden  haben,  dafs  ihre  Artikel 
erst  lange  im  Redaktionqmlt  modern.  Während  zu  den  anderen  hier 
gemnsterten  Vereinszeitschnften  meist  nur  die  Herausgeber  und  etliche 
Lokalhistoriker,  Geistliche,  Lehr^  u.  s.  w.  beisteuern,  finden  wir  hier 
wertvolle  Beiträge  von  G.  Bessert,  L.  Enders,  W.  Friedens- 
burg, 5.  Haufsleiter,  G.  Kawerau,  C.  Mirbt,  F.  Stieve, 
G.  Wolf  u.  a.  Hier  seien  nur  hervorgehoben  der  Aufisatz  Koldes 
über  Andreas  Althamer,  der  G.  Kaweraus  über  Johannes  Draconites 
aus  Carlstadt,  die  von  Enders  mit  bewährter  Sorgfalt  besorgte  und  mit 

einem  reichen  Kommentar  versebene  Ausgabe   der  an  Kaspar  Löner 

8* 


—     36     — 

gerichteten  Briefe,  die  zum  gröfsten  Teile  in  die  Zeit  fallen,  in  der 
dieser  Superintendent  von  Nördlingen  war  (Januar  1544  bis  zu  seinem 
am  6.  Januar  1546  erfolgten  Tode)  und  daher  in  erster  Linie  für  die 
Kirchengeschichte  Nördlingens  wichtig  sind,  aber  auch  sonstige  inter- 
essante Nachrichten  enthalten,  endlich  die  Publikation  Friedensburgs 
Dr.  Johann  Ecks  Denkschriften  zur  deutschen  Ktrchenreformation 
i52ß,  Sie  gründen  sich  gröfstenteils  auf  Besprechungen  Ecks  mit  Ha- 
drian  VI.,  jenem  ernsten,  sittenstrengen  Papste,  dem  es  wirklich  Ernst 
gewesen  zu  sein  scheint  mit  einer  Reformation  der  Kurie  und  Hierarchie, 
und  mit  Aleander;  die  letzten  Stücke  fallen  in  die  ZeitKlemens*  VII.  An 
Bedeutung  kommen  diese  (freilich  noch  nicht  genügend  erläuterten) 
Dokumente  den  Aleanderdepeschen  nahe.  Einem  wirklichen  Bedürfnis 
kommt  entgegen  der  sorgfaltige  Aufsatz  Fr.  Brauns  über  Leben  und 
Schriften  des  vielgenannten  Memminger  Polyhistors  und  Bibliophilen 
J.  G.  Schelhom.  Jedes  Heft  schliefst  mit  einem  Verzeichnis  der  neu- 
erschienenen in  die  Kirchengeschichte  einschlägigen  Bavarica  —  über 
die  wichtigeren  Sachen  referiert  Kolde  mit  bekannter  Meisterschaft 
und  Zuverlässigkeit.  Sehr  dankenswert  ist  auch  die  stehende  Beigabe  : 
„Kirchengeschichtliches  in  den  Zeitschriften  der  historischen  Vereine 
in  Bayern  **,  zusammengestellt  von  Reichsarchivrat  Rieder  in  München, 
durch  welche  allmählich  ein  vollständiges  Repertorium  der  in  so  vielen 
und  teilweise  recht  schwer  zugänglichen  Zeitschriften  und  Zeitschriftchen 
zerstreuten  Artikel  zur  bayerischen  Kirchengeschichte  zustande  kommt. 

Einer  der  eifrigsten  Mitarbeiter,  Pfarrer  O.  Erhard  in  Hohenalt- 
heim,  hat  1898  in  seinem  anziehenden  Schriftchen  Die  Reformation  der 
Kirche  in  Bamberg  unter  Bischof  Weigand  1^22-- i^ßö  (Erlangen, 
Fr.  Junge,  i.  85  Jt)  auf  Grund  eingehender  archivalischer  Forschungen 
in  knapper,  pointierter  Darstellung  ein  klares  Bild  des  VerlauCs  der 
Reformation  im  Bambergischen  gegeben  *). 

Dem  Studium  der  Kirchengeschichte  Nordwestdeutschlands  ist  seit 
Gründung  der  „Gesellschaft  für  niedersächsische  Kirchen- 
geschichte** intensive  Pflege  zuteU  geworden.  Ein  von  Abt  D.  Uhl- 
horn  zu  Loccum,  Professor  D.  Tschackert  und  Superintendent 
Kays  er  in  Göttingen  unterzeichneter  Aufruf  vom  19.  Mai  1895  for- 
derte zum  Beitritt  auf,  worauf  sich  die  Gesellschaft  am  11.  Juni  in 
Hannover  konstituierte.  Die  Absicht,  ein  eigenes  Organ  herauszugeben, 
stiefs  zuerst  auf  Bedenken,    zumal   da   der  Sekretär  des   historischen 


i)  Vor  kurzem  erschien  von  demselben  Verfasserund  in  dessen  Selbstverlag :  „Anna,  Gräfin 
von  öttingen,  geborene  Landgräfin  von  Leuchtenberg.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  des  Rieses/' 


—     37     — 

Vereins  für  Niedersachsen,  Professor  Köcher  in  Hannover,  „im  Interesse 
des  Zusammenschlusses  der  Kräfte  und  mit  Rücksicht  auf  die  voraus- 
sichtlichen erheblichen  Schwierigkeiten  und  Kosten"  dringend  abriet 
und  vielmehr  die  Angliederung  an  den  genannten  Verein  empfahl,  der 
bereit  sei,  gegen  einen  gewissen  Jahresbeitrag  5 — 6  Bogen  seiner  Zeit- 
schrift der  Gesellschaft  zur  Verfügung  zu  stellen.  In  der  richtigen 
Einsicht,  dafs  das  selbständige  Gedeihen  derselben  dadurch  gefährdet 
werden  würde,  lehnte  der  Vorstand  ab.  Der  erste  Jahrgang  der  Vereins- 
zeitschrift erschien  1896,  eingeleitet  durch  einen  vortreflflichen  orien- 
tierenden Aufsatz  von  Tschackert  über  die  Epochen  der  niedersäch- 
sischen Kirchengeschichte,  in  der  er  die  Losung  (die  nicht  oft  genug 
wiederholt  werden  kann)  ausgab:  „Keine  Detailarbeit  ohne  stete  Be- 
ziehung zum  Ganzen!"  Von  Tschackert  und  Kayser  stammen  nun 
auch  die  bei  weitem  meisten  Beiträge.  Von  ersterem  brachte  der 
zweite  Jahrgang  eine  Biographie  des  Reformators  von  Göttingen, 
Schweinfurt  und  Northeim,  Johann  Sutel,  eines  der  vielen  Reformatoren 
zweiten  Ranges,  zwar  nicht  mit  Urbanus  Rhegius  und  Antonius  Cor- 
vinus  vergleichbar,  aber  besonders  als  Organisator  und  Gemeindeleiter 
Vortreßliches  leistend,  als  Prediger  von  edler  Einfachheit  und  un- 
gekünstelter Beredsamkeit,  als  Kirchenpolitiker  von  melanchthonischer 
Friedfertigkeit  und  Geschicklichkeit.  Man  kann  die  kleine  Abhandlung 
geradezu  als  Muster  für  derartige  Arbeiten  hinstellen :  sie  ist  durchaus 
erschöpfend  innerhalb  der  gebotenen  Grenzen  —  man  merkt:  wo  der 
Verfasser  für  seinen  Zweck  gesucht  hat,  da  wächst  kein  Gras  mehr  — 
zuverlässig,  und  (ein  nicht  zu  unterschätzender  Vorteil)  von  wohl- 
thuendem  Lokalpatriotismus  durchweht,  der  der  Darstellung  ein  lebens- 
frisches Kolorit  giebt.  Möchte  die  von  Tschackert  in  Aussicht  ge- 
stellte Biographie  des  Corvinus  nicht  lange  auf  sich  warten  lassen! 
Eine  Anzahl  kleiner  Beiträge  zur  Aufhellung  seiner  Lebensgeschichte 
hat  Tschackert  in  der  hier  besprochenen  Zeitschrift  schon  gegeben 
(vgl.  auch  Briegers  Zeitschrift  für  Kirchengeschichte  XIX,  3290".). — 
Von  Kayser  stammt  ein  Abrife  der  hannover-braunschweigischen  Kir- 
chengeschichte (auf  Grund  von  überraschend  reichem  Quellenmaterial), 
das  erste  Stück  bis  864  im  III.  Jahrgang,  S.  i  — 197,  die  Fortsetzung 
bis  1121  den  IV.  (letzten)  Jahrgang  füllend. 

Über  die  Thätigkeit  des  am  6.  Juli  1896  gegründeten  Vereins  für 
schleswig-holsteinische  Kirchcngeschichte  hat  R.  Hansen 
vor  kurzem  in  diesen  Blättern  *)  Bericht  erstattet. 


i)  Vgl.  Band.1,  S.  211. 


—     38     — 

An  Stelle  der  früher  dem  „Evangelischen  Kirchenblatt  für  Wür- 
temberg"  beigegebenen  Blätter  für  würtembergische  Kir- 
chengeschichte erscheint  seit  1897  selbständig  in  jährlich  vier 
Heften  (Abonnementspreis  nur  2  Jt  —  infolge  dessen  recht  geringe 
Ausstattung)  eine  neue  Folge  derselben,  herausgegeben  von  Pfarrer 
Keidel  in  D^erloch.  Der  letzte  (III.)  mir  vorliegende  Jahrgang 
(1899)  steht  unter  dem  Zeichen  des  Brenz-Jubilänms  ^).  Dekan  Gün- 
ther hebt  in  seinem  Aufsatz  Zur  kirchlichen  und  theologischen 
Charakteristik  des  Johannes  Brenz  zunächst  hervor,  dals  Brenz  nicht 
eigentlich  als  der  Reformator,  sondern  als  der  Restaurator  der  würtem- 
bergischen  Kirche  zu  gelten  hat  und  dals  wir  über  ihn  die  Männer, 
die  den  Grund  gelegt,  Ambrosius  Blarer  insbesondere,  nicht  vergessen 
dürfen,  und  behandelt  dann  die  Gottesdienstordnungen  von  Brenz, 
ze^end,  wie  verschieden  sie  von  einander  sind  und  wie  Brenz  über- 
haupt Akkommodationstalent  besessen  hat.  Gmelin  hat  die  Wechsel- 
wirkung, die  zwischen  Brenz  und  seiner  Wirkui^^tätte  Hall  besteht» 
darzulegen  gesucht;  der  Accent  fallt  auf  die  zweite  Hälfte,  der  Nach- 
weis nämlich,  wie  das  konservative  Milieu,  in  dem  Brenz  in  der  alten 
Adelsstadt  Hall  sich  befand,  allmählich  immer  mehr  dämpfend  und 
mäfisigend  auf  ihn  eingewirkt  hat.  Endlich  hat  Bessert  eine  ge- 
lungene Charakteristik  von  Brenz  gegeben  und  dabei  besonders  seine 
edlen  persönlichen  Eigenschaften  ins  rechte  Licht  gestellt.  Damit  ist 
der  Inhalt  der  letzten  Hefte  indes  nicht  erschöpft.  Hingewiesen  sei  nur 
noch  auf  die  sehr  interessanten  Auszüge  C.  Hoffmanns  aus  einer 
altpietistischen  Zirkularkorrespondenz  würtembergiscber  Geistlicher  (und 
Lehrer)  aus  den  Jahren  1760 — 18 10,  die  übrigens  die  Richtigkeit  von 
Ritschis  UrteU  über  diese  eigentümliche  Frömmigkeitsrichtung  durch- 
aus bestätigen,  und  die  MitteUungen  Kolbs  zur  kirchUchen  Geschichte 
Stuttgarts  im  XVIII.  Jahrhundert  —  ein  Vorbild,  wie  man  mit  Gewinn 
Kirchenakten  lesen  soll. 

Sehr  wertvolle  Beiträge  zur  hessischen  Kirchengeschichte 
hat  W.  Diehl  geliefert  in  seiner  Schrift  Zur  Geschtchie  des  Gottes- 
dienstes  und  der  gottesdienstlichen  Handlungen  in  Hessen  (Gie&en, 
J.  Rickersche  Verlagsbuchhandlung,  1899).  Wie  der  Titel  schon  besagt, 
erhebt  der  Verfasser  nicht  den  Anspruch,  eine  Geschichte  des  Gottes- 
dienstes in  Hessen  darzubieten ;  er  ist  sich  bewufst,  nichts  Abschliefsen- 
des  geleistet,  wohl  aber  fiir  künftige  Darsteller  solide  Fundamente  und 


i)  Vgl.  J.  Gmelin,   Die  Brent-Litteratar  von  1899,    Theologische  Rnndschao   fV, 
165— 181. 


—    SS     — 

Bausteine  herbeigeschafft  zu  h^en.  In  der  That  ist  er  über  Vot- 
arbeiten nicht  recht  htnau^^ommeft,  er  steckt  noch  tm  Stoff  dfitt, 
ttmi  die  zahlreichen  langatmigen  Quellenbelege,  die  er  teils  in  extenso, 
teils  auszugsweise  einfficht,  und  die  nicht  selten  sich  einstellende» 
Wiederholungen  in  der  Darstellung  und  lahmenden  Weitschweifigkeitai 
erschweren  die  Lektüre  des  Buches  erheblich.  Aber  andrerseits  ver> 
dient  die  Unverdrossenheit,  mit  der  der  Verfgisser  z.  B.  über  200  Fas- 
zikel des  gro&herzoglicb- hessischen  Haus-  und  Staatsarchivs  durch- 
gesehen und  über  50  exzerpiert  hat,  gröfete  Anerkennung,  in  noch 
höherem  Grade  die  Sicherheit  der  Methode,  mit  der  er  sich  voc  ua- 
g^erechtem  Generalisieren,  Tor  tmvorsichtigen  Schht&folgentngen  und 
luftigen  Konstruktionen  hütet.  Es  kommt  ihm  darauf  an,  ein  möglichst 
klares  und  vollständiges  Bikl  von  dem  gottesdienstlichen  Leben  io 
Hessen  zu  geben,  wie  es  sich  unter  Einwirkung  der  hessischen  Kirchen- 
ordnungen von  1532,  1539,  1560,  ferner  der  Agende  von  1574  tak- 
tisch entwickelt  hat.  Er  verfällt  demzufolge  nicht  in  den  Fehler,  aus 
den  Gottesdienstordnungen  und  sonstigen  Gesetzesbestimmungen  ein 
Idealbild  zu  konstruieren,  das  möglicherweise  der  Wirklichkeit  recht 
wenig  entspräche,  —  denn  aus  dieser  Quelle  wäre  ja  eben  nur  das 
den  Gesetzgebern  vorschwebende  Bild  zu  entnehmen,  das  erhofft  und  an- 
gestrebt wurde  —  sondern  der  Verfasser  erweist  aus  den  Akten,  besonders 
denen  der  Generalkirchenvisitation  von  1628,  wie  sich  die  einzelnen  Ge- 
meinden zu  den  Kirchenordnungen  und  Reglements  stellten,  wie  sie  die 
einzelnen  Paragraphen  auffalsten,  weiterbildeten,  oft  auch  umänderten. 

Am  Schlüsse  sei  noch  auf  zwei  katholische  Unternehmungen  — 
andre  sind  uns  nicht  zugänglich  geworden  —  hingewiesen. 
Von  der  Geschichte  der  Pfarreien  der  Erzdiöcese  Köln, 
herausgegeben  von  dem  (j^^iTs^  verstorbenen)  Domkapitular  Dr.  Du- 
mont,  li^  mir  der  24.  ^)  Band  vor,  der  das  Dekanat  Hersei  umfalst 
und  von  Pfarrer  Maafsen  bearbeitet  ist. 

Wie  jeder  Band  des  grolsen  Werkes  ein  Ganzes  für  sich  ist,  so 
wieder  innerhalb  eines  jeden  die  Geschichte  jeder  einzelnen  PCeurei. 
Wie  uns  die  Vorrede  belehrt,  ist  das  aus  praktischen  Gründen  ge- 
schehen, „aus  Rücksicht  auf  die  grofiie  Zahl  der  am  meisten  inter- 
essierten Leser  des  Dekanates ,  welche  alles  und  jedes  auf  ihre  Pfarre 
am  fiebsten  übersichtlich  zusammengestellt  sehen  werden*^ 


1)  In  des  vo»  Damoot  mi^muIUm  Affitilflin  tio4  Am  4$  UtUmii»  tei  dpk^ 
lictiKhcr  EeÜMolblse  «tTfcAÜift  tm  Hui4»  trH«s  4m  Hmmtm,  «Us  dM  l>«(f.  lft\mmm 
ia  diettr  htJtMwng  ttbrt  Vmmf  Um4  Oif,  14}  Mi  hmt^tMmßfmä  4«f  i6/*«li«to«flfflslis 
nach  der  twttU  (i$H$*, 


—     40     — 

In  der  That  hat  das  Meiste,  was  wir  zu  lesen  bekommen,  nur  lokales 
Interesse;  gerade  damit  hängt  aber  die  Popularität  des  Unternehmens 
zusammen.  Zum  Nachschlagen  und  zu  schneller  Orientierung  scheinen 
die  Bände  sehr  brauchbar  zu  sein,  zumal  da  ihnen  gute  Register  bei- 
gegeben sind.  —  Ein  gleicher  Plan  liegt  zu  Grunde  der  von  Karl 
Will  oh,  Seelsorger  an  den  Strafanstalten  zu  Vechta,  besorgten  Ge- 
schichte der  katholischen  Pfarreien  im  Herzogtum  Olden- 
burg. Der  erste  Band,  der  die  Pfarren  Bakum,  Damme,  Dinklage, 
Goldenstedt,  Holdorf  des  Dekanats  Vechta -Neuenkirchen  behandelt, 
erschien  1898  (ebenfalls  bei  Bachern  in  Köln).  Auch  hier  ist  die  Ge- 
schichte jeder  Pfarrei  für  sich  nach  einem  immer  wiederkehrenden 
Schema  gearbeitet,  trotzdem  ist  die  Lektüre  nicht  langweilig;  im 
Gegenteil,  man  ist  erstaunt,  was  fiir  aufregende  Kämpfe  sich  da  oft 
auf  kleinem  Schauplatz  abspielen  und  was  für  spannende  Episoden  die 
Biographien  der  „Pastöre"  und  Schulmeister  enthalten. 


Zur  liitteratur  der  t^oland^Bildsäulen 

Von 
G.  Seile  (Oldenburg) 

(Fortsetzung  ') 

Seit  den  Tagen  Nicolaus  Leuthingers  {f  1612)  hat  besonders 
die  Reise-Feuilletonistik  den  Roland  -  Katalog  mit  apokryphen 
Bildern  gefüllt,  mit  den  Rolanden  zu  Salzwedel '),  Braunschweig, 
Hildesheim,  Wittenberg    (den  Cornelius    Gurlitt  entdeckt    hat). 


1)  Vgl.  S.  I— 12. 

2)  Nor  erwähnt  bei  Leuthinger,  Comment  lib.  XIV,  {  5,  1593,  edit.  Krause, 
S.  484.  Bekmann  weifs  von  ihm  nichts;  die  inhaltlosen  Notizen  Zöpfls  (S.  271)  rühren 
Ton  dem  verstorbenen  Bürgermeister  Zechlin  zu.  Salzwedel  her.  Vielleicht  liegt  eine 
Verwechselung  mit  den  von  Bekmann  (Churmark,  II,  Abt  Neast.-Salzwedel ,  Sp.  113)  er- 
wähnten beiden  lebensgrofsen  wappenhaltenden  Steinbildern  am  Turm  gegenüber  dem 
Neostädter  Rathaas  zu  Grande.  Auf  den  mehr  als  zweifelhaften  Salzwedeler  Roland  mid 
den  zu  Wedel  (s.  oben  S.  9 ;  derselbe  wird  jedoch  nicht  erst  aus  dem  Anfang  des  XVIL  Jahrh. 
bezeugt,  sondern  schon  1597  beschrieben  und  ist  dem  Karlsbilde  zu  Bremen,  Mitte  de» 
XV.  Jahrh.,  nachgebildet)  stützt  Chr.  Petersen  (Forsch,  z.  D.  Gesch.  VI,  316}  seine  Ausführungen 
über  Weda  als  andern  Namen  für  Ziu.  —  Es  möchte  am  Ende  nicht  bedeutungslos  sein, 
und  ist  mit  der  zu  Eingang  vorgetragenen  Mutmafsung  über  die  Entstehung  der  Rolande 
wohl  verträglich,  dafs  das  thatsächlich  rolandlose  Salzwedel  lübisches  Recht  hatte, 
während  die  altmärkischen  Rolandorte  Stendal  und  Gardelegen  mit  Magdeburger 
Recht  bewidmet  waren. 


—     41     — 

den  vier  Trinius*schen  Rolanden  zu  Erfurt.  Besonders  erfolgreiche 
Streifzüge  hat  die  Leipziger  Illustrierte  Zeitung  (1858.  1892.  1896) 
in  Süddeuts^chland  unternommen. 

Hier,  aber  auch  ab  und  zu  in  Norddeutschland,  sind  es  vor- 
wiegend Brunnenfiguren  und  Prangersäulen  mit  der  sie  krönenden 
Stadtknechtsfigur  (der  bei  Gelegenheit  von  Exekutionen  die  Rute  wohl 
in  natura  in  die  Hand  gegeben  wurde),  welche  willkürliche  Namens- 
übertragungen veranlafeten. 

Doch  auch  wissenschaftliche  Kreise  sind  von  diesem  Entdecker- 
fieber erg^ffen  worden.  In  österreichischen  Landen  haben  insbesondere 
Mitarbeiter  der  K.  K,  Ccntralkommission  zur  Erforschung  und  Er^ 
Haltung  der  Baudenkmäler  eine  grofse  Findigkeit  gezeigt.  Ahnliches 
geht  seit  einiger  Zeit  in  Norddeutschland  bei  der  Inventarisation  der 
Bau*  und  Kunstdenkmäler  vor.  Bergan  (Provinz  Brandenburg)  nennt 
einen  aus  Alt-Friesack  (bei  Ruppin)  stammenden  Fseudo-Roland^ 
das  Inventar  der  Provinz  Sachsen  (Kreis  Sangerhausen,  S.  87)  einen  zu 
Sangerhausen,  das  für  Schleswig-Holstein  einen  zu  Eckern  forde 
(I,  162),  der  dann  freilich  weiterhin  (III,  5)  zum  „Kaak"  degradiert 
wird,  dem  Herausgeber  Haupt  aber  zu  der  Bemerkung  Veranlassung 
giebt,  dafe  wahrscheinlich  zwischen  den  Rolanden  und  den  gerüsteten 
Kaak-Statuen  kein  Unterschied  zu  machen  sei;  oder,  wie  das  dem 
Werke  beigegebene  „Wörterbuch"  sich  ausdrückt  (ibid.  S.  209):  die 
gerüsteten  Kaak-Statuen  seien  als  eine  Verdunkelung  des  durch  die 
Rolande  ursprünglich  zum  Ausdruck  gebrachten  Gedankens  anzusehen. 
Zum  Schlufs  dieser  Liste  sei  noch  der  Bau-  und  Kunstdenkmäler  des 
Herzogtums  Oldenburg  (I,  1896)  gedacht,  wo  (S.  117),  anknüpfend 
an  die  „sagenhafte  Erinnerung"  an  eine  „Irminsul"  auf  dem  Markt- 
platze der  Widukindstadt  Wildeshausen  *) ,  vermutet  wird ,  dafs  man 
dabei  vielleicht  „an  einen  mittelalterlichen  Roland  zu  denken"  habe. 


Wir  wenden  uns  nun  von  der  allgemeinen  Statistik  der  speziellen 
zu,  d.  h.  der  Litteratur,  welche  nicht  die  ganze  Schaar  der  Rolande  oder 
territoriale  Gruppen  derselben  verzeichnet  und  beschreibt,  sondern  von 


i)  Diese  Sage  ist  aas  einer  Zeichnung  entstanden ,  welche  dem  ungewöhnliclv 
weitschweifigen  Titel  von  des  Superintendenten  Balth.  Voigtländer  (1733/38)  handschr. 
Geschichte  der  S.  Alexanderskirche  zu  Wildeshausen  (mit  Bezug  auf  die  dort  erwähnte 
Zerstörung  der  Irminsul  durch  Karl  d.  Gr.  zu  Widukinds  Zeiten)  gegenübergesteUt  ist  und 
io  roher  Technik  den  ans  Conr.  Bothes  Sachsenchronik  bekannten  Typus  des  angeblich 
in  Corvey  vorhanden  gewesenen  Irminsul-Gemäldes  reproduziert. 


—     42     — 

"rorwiegend  ortsgeschichtlichem  Standpunkt  aus  einzelne  bestimmte 
Denkmale  zum  Gegenstand  ausiuhrlicherer  Betrachtung  macht  Den  Vor- 
tritt hat  Bremen.  Der  ersten  Abbildungen  der  dortigen  Statue  haben 
wir  bereits  gedacht  *) ;  die  ersten  Nachrichten  über  die  Art  ihrer 
farbigen  Bemalung  geben  die  gegen  die  Stadt  Bremen  gerichtete 
Streitschrift  Fürstlich  Erzbischößick  Bremischer  Nachtrabe  164.1 
{die  Stelle  ist  wiederholt  in  der  städtischen,  vom  Bürgermeister  Heinrich 
Meyer  verfafsten  Gegenschrift  Assertio  libertatis  rei  puhlicae  Bre- 
mensis,  1646,  S.  535)  und  ein  Pasquill  des  1654  hingerichteten  Bremer 
Bürgermeisters  Burchard  Lösekanne  (Brem.  Jahrb.  XII,  50);  die  erste 
ausfuhrliche  Beschreibung  findet  sich  in  des  Bremers  Nicol.  Mejrer 
Baseler  Dissertation  de  statuis  et  colossis  Rolandinis,  1675  (oeue 
Ausgabe  1739,  S.  57/58).  Reiche  Auskunft  über  wiederholte  Restau- 
rierung und  erneuerte  Bemaltmg  bieten  J.  Fock es  Bremische  Werh^ 
meist  er  oms  älterer  Zeit  (1890;  die  Ordnung  ist  alphabetisch;  chrono- 
logisch reiben  äch  die  Daten  so  aneinander:  S.  62.  142.  217.  152. 
133.  44.  27.  18).  Die  erste  monographische  Bearbeitung  versuche 
der  Senator  A.  G.  Deneken  1803*).  Daran  schlössen  sich  mehr 
oder  weniger  ausfuhrliche  Erörterungen  in  den  zusammen&issenden 
Darstellungen  der  Bremischen  Stadtgeschichte  (Carsten  Misegaes» 
Chron.  d.  freien  Hansestadt  Bremen  I,  1828,  S.  259 ff.  Joh.  Herrn. 
Duntze,  Gesch.  d.  freien  Stadt  Bremen  I,  1845,  S.  277 ff.).  Recht 
verständige  Ansichten  trug  Ferd.  Donandt  vor  (Versuch  einer  Gesch. 
des  Bremischen  Stadtrechts  I,  1830,  S.  2 16  ff.).  Ex  profcsso  aber  im- 
selbständig  wird  die  Statue  behandelt  in  Denkmale  der  Geschichte 
und  Kunst  der  freien  Hansestadt  Bremen  I  (1862  resp.  1864, 
S.  22 — 32,  mit  farbiger  Abb.  der  Bildsäule  und  ihres  Wappenschilder 


i)  Oben  S.  8.  —  Die  Abbildungen  des  Bremer  Roland  in  den  beiden  Abschriften  von  Joh. 
Rennen  Brem.  Chron.  auf  der  Göttinger  Universitätsbibliothek  (Hist  no.  400  Anf.  XVIL  Jahriu, 
BL  9a  —  später  eingeklebt—,  und  Hist  no.  401  v.  J.  1632,  VoL  I,  Bl.  10) scheinen  freie 
Bearbeitungen  der  damals  bekannten  Stiche  (Dilich,  Gryphiander)  zu  sein;  erstere  fügt 
den  bei  Dilich  fehlenden  ,, Zwerg"  zwischen  den  Füfsen  der  Statue  hinzu,  und  letztere 
zeigt  ein  die  ganze  Bildsäule  umfassendes  Gitter,  wie  Dilichs  Ausgabe  von  1603.  Die 
Originalhschr.  der  Renner-Chronik  (Stadtbibliothek  zu  Bremen)  hat  keine  entsprechende  Abb. 

2)  Die  Rolands-Säule  in  Bremen,  Berlin  1803,  8^  23  S.;  mit  Veränderungen  wieder- 
holt in  Hannoverseh.  Magazin,  18 15,  30.  Stück,  Sp.  465 — 476;  neue  vermehrte  und  um- 
gearbeitete Auflage,  BreiAen  1828,  35  S.,  m.  Uthograph.  Abb.;  hier  findel  sich  zuenl 
(S.  7)  die  wichtige  Nachricht  der  Rathausbaurechnang  über  die  Neuerrichtong  cbr 
Statue  1404;  die  dort  als  Bauherren  genannten  beiden  Ratsherren  CUas  SdscUäger  und 
Jacob  Olde  hat  G.  Paati,  Das  Rathans  zu  Bremen  (Die  Baukunst,  berausg.  voo  R.  Borr- 
mann  u.  R.  Graul,  6.  Heft,  1898,  S.  1  Anm.,  fUr  die  ausfahrenden  Bildhauer  gehaltea. 


—    4a   — 

Wrditige  kritische  Beitn^e  zur  Geschichte  des  Denkmals  verdankea 
wir  W.  T.  Sippen  (Bremer  JB.  XIII,  1886,  S.  33 ff.  und  Geschiebte 
der  Stadt  Bremen  I,  1892,  S.  258  ff.).  Recht  charakteristisch  fUr  da» 
Schwanken  der  opinio  doctorum  hinsichtlich  der  Roland-Bcdeutunff 
sind  die  Angfaben,  welche  Fr.  Buchenau  in  den  verschiedenen  Aus- 
gaben seines  trefflichen  Buches  „Die  Freie  Hansestadt  Bremen  und 
ihr  Gebiet''  gemacht  hat  (vgl.  2.  Ausg.  1882,  S.  103  mit  der  3.  Ausgf. 
I9CX>»  S.  i6i).  In  die  Spuren  der  Mytholi^en  ist  E.  Dünzclmann 
getreten,  indem  er  den  Roland  als  ,,  Überrest  althetdnischen  GlaubcAA'* 
hinsteUt  (Brem.  JB.  XIII,  1886,  S.  40). 

Sachlich  reiht  sich  hier  der  schon  vorhin  (S.  8)  als  apokryph 
bezeichnete  Roland  von  Bederkesa  an.  Wie  Fr.  Buchenau  aus 
den  am  Sockel  angebrachten  Wappenschilden  von  Bremer  Ratshorren 
ermittelt  hat  (Weserzeitung  1882,  Okt.  3.  4.),  wurde  die  Statue  in  der 
Zeit  von  1589 — 1603  errichtet;  als  „Roland**  ist  sie  m.  W.  zuerst  in 
(Pratje)  Altes  und  Neues  aus  den  Herzogtümern  Bremen  und  Verden 
(X,  1778,  S.  12)  angesprochen  worden.  Nach  Buchenau  (1.  c.)  be- 
zeichnet die  Tradition  die  Bildsäule  als  ein  Symbol  der  von  der  Stadt 
Bremen  geübten  Gerichtsbarkeit.  Sie  war  in  Gestalt  einer  freien  Nach- 
bildung des  Bremer  Roland  Besitz-  und  Herrschaftszeichen  der  Stadt 
Bremen,  die  ftir  ihre  Privilegien  hier  wie  dort  „under  des  rikes  schilde'* 
Dednmg  suchte. 

Für  die  Geschichte  des  verschwundenen  Hsmbtirger  Roland 
geben  die  Notizen  aus  den  Stadterbebüchern  und  aus  den  von  K.  Kopp- 
mann hennisg^ebenen  Kämmereirechnungen  bei  C.  F.  Gaedechens, 
Hisior,  Topographie  der  Freien  und  Hansestadt  Hamburg  (zoeist 
1880,  S.  29)  wichtige  Fingerzeige,  welche  weiter  zu  verfolgen  sind  \ 
Es  mag  bemerkt  werden,  dafe  die  Statue  zu  historischer  ZciX.  nicht 
in  der  Nähe  der  Petrikirche  und  des  „Berges*^  stand,  sondern  im 
ältesten  Kanftnamwviertel,  an  der  Nordseite  der  Rikenstrate,  bei  einem 
der  beklen  Eckhäuser  an  der  von  hier  zur  Altstadt  im  engeren  Shme 
fönenden  Robndsbrücke  ^. 

Dem  „Rcrfaud  von  Berlin  "  (s.  oben  S.  3)  ist  Tafel  4  der  vom  Verein 


1>  Im  Tinlikhiw  ist,  w»  J.  M.  Lappeaberf  m  Hambarp*cW  RecklMlleftS»«v  I 
iDie  SkaUmStaA^,  SekiM-  and  hamdrttMe  Hanbvgs,  Hmaimrz  1^45,  Emlekaa|^  S,VI> 
bcBCffct.  I>M  laufe  Citat,  w«ick»  ZocpO  S.  195  anachänetkii  wörUkk  aaa  Lap^aabarg 
miueik,  mt  nit  anderes  Cttaten  aaa  Drejer  (nacb  Spaagenberg)  mmiMf Tigewofto ;  aaa 
l-appcttber};:  stammen  aar  «fie  2§  erstca  Zeilen  <fea  Citatj;  in  Anm,  5  Lc  nennt  (lersea>e 
«>  cm«  wiOfairiidle  MuaiptaBg,  <la£s  der  Roland  erst  1264  aaf|i;:erichtet  ^et. 

2)  5adk  ge&S^gam  Sfineäangea  dt%  Seaalaarclm»  za  fUmtbnrf;, 


—     44     — 

f.  d.  Gesch.  Berlins  herausgegebenen  „Berliner  Denkmäler**  (foL,  1875, 
ein  Vortrag  L.  Schneiders  aus  dem  Jahre  1873)  gewidmet.  Der  Ver- 
fasser verfügt  nur  über  das  dürftige  Material,  welches  die  Notizen  des 
Stadtbuches  bieten;  er  läfet  sich  daher  breiter  über  einige  märkische 
und  andere  Rolande  aus,  unter  Mitteilung  hübsch  anzusehender  Holz- 
schnittabbildungen. Angehängt  ist  eine  Untersuchung  des  Direk- 
tors der  Waffensammlung  des  Prinzen  Karl  von  Preufeen,  Hofschau- 
spieler G.  Hiltl,  über  die  ritterliche  Tracht  der  bedeutenderen  Rolande 
(Vortrag  aus  dem  Jahre  1874).  Eine  solche  fachmännische  Prüfung^ 
ist  iiir  die  wissenschaftliche  Roland-Ikonographie  unentbehrlich;  leider 
schwebt  aber  Hiltls  Kritik  in  der  Luft,  da  er  nur  Abbildungen  (welche 
in  diesem  Punkte  alle  mehr  oder  weniger  unzuverlässig  sind)  und  nicht 
die  Originale  prüfen  konnte. 

L.  Schneiders  Bemühungen  waren  auf  die  Neuerrichtung  einer 
Roland -Statue  in  Berlin  gerichtet.  Bei  der  Feier  seines  asjährigen 
Bestehens,  1890,  nahm  der  Berliner  Verein  diesen  Plan  wieder  awf 
(Schriften  dess.  Heft  XXVIII,  1890,  S.  10),  den  gleich  danach  der 
verstorbene  treffliche  Bremer  Jurist  und  Historiker  H.  A.  Schumacher 
in  der  Weserzeitung  (1890,  Nr.  15586^87)  milde  genug  als  „archäo- 
logische Liebhaberei  **  bezeichnete.  Inzwischen  ist  der  Verein  Anfang 
1900  dem  Projekte  abermals  näher  getreten  (Mitteilungen  dess.  1900,. 
Nr.  5,  S.  58.  63);  ansprechend  ist  der  Vorschlag  Professor  Wallfe^ 
die  Erinnerung  nicht  durch  Erneuerung  der  Statue,  sondern  durch 
einen  monumentalen  Rolandbrunnen  wachzuhalten. 

Für  die  ältere  Geschichte  des  Hallenser  Roland  kann  nur  des 
Superintendenten  Gott  fr.  Olearius  Halygraphia  topo  -  chronologica 
(Leipzig  1667)  in  Betracht  kommen;  v.  Dreyhaupts  Beschreibung  des 
.  .  .  Saal'Creyses  (Halle  1755,  die  Vorreden  von  1749  resp.  1750), 
die  gewöhnlich  citiert  wird,  hat  den  Olearius  ausgeschrieben  und  zum 
Teil  mifsverstanden ;  eigentümlich  sind  Dreyhaupt  nur  die  etwas  un- 
klare Notiz  über  den  Untergang  der  alten  und  die  Errichtung  der 
neuen  Statue  17 18  ff.,  sowie  die  viel  verwertete  Schilderung  des  hoch- 
notpeinlichen Halsgerichts  vor  derselben  im  XVIII.  Jahrh.  Den  von 
Zoepfl  als  „sehr  sachkundig**  gepriesenen  Bericht  S.  W.  Schäfers  in 
der  Leipziger  Illustrierten  Zeitung  1858,  S.  82  reproduziert  Grässe, 
Sagenb.  d.  Preufs.  Staates  I,  1868,  S.  3 10  ff.  Über  die  Schicksale  der 
Bildsäule  im  XIX.  Jahrh.  bringt  mancherlei  v.  Hagen,  Die  Stadt  Halle 
(I,  1867);  G.  Per d.  Hertzbergs  Geschichte  der  Stadt  Halle  (I,  1889) 
wiederholt  nur  die  bekannte  Litteratur.  Beiläufig  sei  erwähnt,  dafe  das 
Hallenser  Standbild  nicht  zu  1341   zuerst  genannt  wird;   da(s  es  ein 


—     45     — 

Rosenkränzlein  auf  dem  Haupte  trägt,  welches  vielleicht  den  Mytho- 
log-en  allerlei  zu  denken  geben  möchte,  und  dafs  das  hölzerne  bemalte 
Bild,  welches  es  nachahmt,  Kopie  einer  überlebensgrofsen  Statue  Hein- 
richs des  Löwen  im  Dom  zu  Braunschweig  (Anf.  XIII.  Jahrh.)  war. 

Hertzberg  (1 ,  305)  läfet  den  Kurfürsten  Friedrich  von  Sachsen  am 
22.  Januar  1426  bei  der  Einweisung  in  das  Hallesche  Burggrafenamt 
um  den  freistehenden  Roland  reiten  und  beruft  sich  dafür  auf  HUlbc 
in  Magdeb.  G.-Bl.  XXII,  125;  dieser  bietet  aber  nichts  als  einen  Rück- 
scbluls  aus  einem  „späteren  Vorgange",  nämlich  der  von  Drcyhaupt 
<II,  506)  berichteten  Zeremonie  dieser  Art  am  i.  Januar  1547,  von 
welcher  Olearius  (S.  259)  nur  weife,  dafe  Kurfürst  Johann  Friedrich  an 
diesem  Tage  vor  den  Roland  geritten  sei. 

Den  Nordhausener  Roland  (s.  oben  S.  9)  hat  Karl  Meyer  in  einem 
Feuilleton  der  Nordhäuser  Zeitung  *)  von  seiner  bisher  bekannten  frühe- 
sten Erwähnung  1441  bis  in  das  Jahr  141 1  urkundlich  hinaufzurücken 
vermocht  Wenn  er  aber  noch  weiter  geht  und  in  der  1322  vorkommen- 
den Hausbezeichnung  curia  contra  truncutn  in  diesem  „truncus 
oder  Baumstumpf  (Holzsäule)  die  älteste  Rolandssäule**  der  Stallt  Nord- 
hausen sieht,  die  „damals  möglicherweise  noch  nicht  die  Gestalt  einen 
Königs  hatte  '*  ') ,  so  irrt  er  gewaltig.  Truncus  ist  selbstverständlich 
hier  nichts  anderes  als  der  zweiteilige,  mit  Aasschnitten  versehene 
„Stock"  oder  „Block**,  in  welchen  die  Beine  öffentlich  ausgestellter 
Delinquenten  geschlossen  wurden. 

Seit  dem  Anfang  des  XIV.  Jahrh.  bLs  zürn  Jahre  1830  i^tand  in 
der  Unterstadt  Nordhausen  welche  bis  1365  ein  von  der  Ob'^rr-  <f*\^x 
Altstadt  gesondertes  GemeL'iwescn  biMete  aU  „AbzeicJicn  <\t:i[  kai  »ver- 
liehen Freiheiten**  Von  1220?^  auf  hölzerner  SauIc  ein  V.upU:rt»er 
(Reichs-) Adler;  als  Symbol  der  Vere:n.';;uri$f  beider  Sta/iv;  %o\l  er 
dann  den  Ring  in  den  Schnabel  erhalten  Laben*.  Ijie  Krrichvjn;^ 
des  Roland  in  der  Ali&ta-it  wird  man  einer  erhehlirh  fr  i/.erci*  Z<rit  zm- 
s<^ireiben  müssen;  sch-^n  9O2  wurden  hi^iTkx,  M-nze  »j:-d  7/^/A  zu  Nvrd- 
hansen    dem  Heiliger^krc-az-KIo* ler  divrlbst  verV.'.h'rn      \j:A'^   ;i-*    d  '; 


—     48     — 

ein  Marktflecken,  verkaufte  der  Tradition  nach  im  XVII.  Jahrh.  Markt- 
gerechtigkeit  und  Gerichtsbarkeit  an  das  ehemalige  Dorf,  jetzige  Städt- 
chen Kelbra,  behielt  sich  aber  die  Führung  des  , Rolandssiegels'  vor.** 
Das  ist  alles. 

Die  Zuverlässigkeit  der  Mitteilungen  Joh.  Just.  Winkelmanns  über 
den  Roland  zu  Obermarsberg  ^),  auf  die  ich  1890  als  bedeutsam  hin- 
gewiesen habe,  ist  mir  je  mehr  und  mehr  zweifelhaft  geworden.    Was 
der  ihn  führende  Benediktinermönch  von  dem  Asylrecht  der  kleinen 
steinernen  Säule  erzählte,   wollte  mir  wie  ein  Gemisch  aus  Meiboms 
Abhandlung  über  die  Irmensäule  (161 2)  und  Krantzs  Deutung   dieser 
Säule  (IrmensueUIdermansuel,  quasi  commune  refugium  et  asylum 
omntum,  Saxon.  II,  c.  gj   erscheinen;   und   wenn   er   18  Jahre  nach 
seinem  Besuche  an  Ort  und  Stelle,  hochbetagt,  berichtete  (1684),  diese 
„kleine  Säule"   sei   „vom  gemeinen  Mann  vor  ein  Rolandsbild"   ge- 
halten worden,   so   konnte   das  auf  eine  Verwechselung  mit  der  BUd- 
säule  des  Kirchengründers  am  Eingang  des  Kirchhofes  hinauslaufen. 
Dafs  Winkelmann   thatsächlich  unrichtige  Angaben  gemacht  hat,   er- 
giebt  sich  aus  dem  mir  erst  jüngst  bekannt  gewordenen  interessanten 
Bericht  von  Martene  und  Durand  *).     Die  beiden   gelehrten  Benedik- 
tiner besuchten  17 18  Obermarsberg  und  fanden  dort  derritre  Vägltse 
une  colonne  dans  le  Heu  mime  oü  ort  crott,  qu*^tatt  Vtdole  Irmen- 
sul,  aufserdem  aber  une  autre  figure  dans  le  cimeiüre,  . . .  celle  de 
Roland,   gdn^tal  des  armöes  de    Charlemagne ,    dont  an  fait  un 
Saint  ^);   eile  sert  d'asyle  ä  tous  les  criminels  etc.     Man  hatte  also 
eine,   wohl   erst  nach  161 2  in  gelehrter  Reminiscenz  an  die  Irmensul 


i)  Der  von  Leu b er,  Disqaisitio  planaria  stapolae  Saxonicae,  Banzen  1658,  no.  1258, 
unter  den  „Rolanden  in  etzlichen  geringeren  örtern"  aafgeführte  rätselhafte  Roland  zu 
Neustadt  im  Stifte  Köln  möchte  der  zu  Obermarsberg  sein.  In  der  Note  zu  Casp. 
Schneiders  Saxon.  vet.,  S.  85  werden  unterschieden:  Eresburg  —  Stadtberg  (das  heutige 
Obermarsberg)  —  am  Fufsc  des  Berges  „die  Altstadt-Bergen"  (d.  h.  Alt-Stadtbergen,  das 
jetzige  Niedermarsberg,  die  einstige  villa  Horhusen).  Obermarsberg,  zu  Anfang  des 
XIII.  Jahrh.  von  den  BUrgern  Horhusens  neu  besiedelt  (Seibertz,  Landes-  u.  Recbtsgesch. 
von  Westfalen  I,  183  Anm.  27),  mtlfste  danach  fUglich  =  Neustadt-Bergen  (Neu-Stadtbergen) 
sein;  es  gehörte  thatsächlich  zu  Kur-Köln.  Wäre  diese  Vermutung  richtig,  so  hätten  wir 
hier  bis  auf  weiteres  die  früheste  Bezeichnung  der  Obermarsberger  Donatorstatue  als  Ro- 
land, falls  nicht  etwa  auch  der  oben  (S.  7)  erwähnte  Rolandsort  Berge  bei  Torquatus 
(1574),  den  man  eigentlich  innerhalb  der  Provinz  Sachsen  suchen  mUfste,  mit  Obermars- 
berg  identisch  ist  Seibertz  L  c.  citiert  aus  einer  dortigen  Urkunde  von  1325:  Bürger- 
meister, Rat  und  gemeine  Bürger  von  dem  Berghe. 

2)  Voyage  litt6raire  de  deux  r61igienx  B6n6dictins.    II.    Paris  1724.    S.  248  ff. 

3)  H.  F.  Mafsmann,  Kaiserchron.  III,  1028  bemerkt,  dafs  Andreas  Sanssaeus,  Mar- 
tyrolog.  GaUorum,  Paris  1637,  Roland  unter  dem  3.  Mai  geradezu  zu  den  Heiligen  rechne. 


—     49     — 

eiricbtete  Säule  und  daneben  eine  Asyl  g'ewährende  Bildsäule,  welche 
man  damals  den  hl.  Roland  nannte,  wie  dies  noch  jetzt  in  der  1^3/ 
renovierten  Inschrift  geschieht  Der  „wohlgereisete  Historieus  und 
Topographus",  den  J.  C.  Knauth  in  einer  Anmerkung  zu  seiner  Aus- 
grabe von  Caspar  Schneiders  Saxonia  vetus  (Dresden  1727,  S.  83  ff.) 
ausführlich  benutzt  hat,  spricht  zwar  von  der  Irminsul,  erwähnt  aber 
die  an  sie  erinnernde  Säule  nicht  mehr  ') ,  sondern  bemerkt  nur : 
,,Am  Eingange  des  Kirchhofes  stehet  auch  noch  ein  altes  Rolands- 
bild.** Dab  diese  von  Knauth  und  den  Benediktinern  genannte  Statue 
einerseits  mit  der  von  Meibom  161 3 ')  beschriebenen  viva  fundatoris 
tmago  saxo  insculpta  in  aditu  coemttern,  anderseits  mit  der  noch 
heut  vortiandenen,  als  s,  Rolandus  bezeichneten,  den  Stifter  der  Ober- 
marsbei^r  Kirche  in  der  Kriegertracht  des  XVII.  Jahrb.,  aber  mit 
•einem  Mantel  darstellenden  Bildsäule  identisch  ist,  unterliegt  keinem 
Zweifel.  Nach  Knauths  Angabe  besaüs  Obermarsberg  das  ius  mone- 
iandt,  (iggraiiandt ,  gladii,  exetniionis ,  immunitatis ;  es  wäre  also 
ganz  wohl  denkbar,  dafs  irgendein  Antiquar  die  Bildsäule  mit  einem 
Roland  verglichen  habe  ') ,   dafs   dieser  Name  haften  geblieben ,   aber, 


i)  An  ihrer  SteUe  steht  jetzt  eine  Mattergottes-Statue,  Kuhlmann,  Eresbarg,  S.  24. 

a)  Irmeosola  Saxonica,  Helmstedt  16 12,  S.  34;  auch  in  Script,  rer.  Germao.,  Helm- 
stedt 16S8,  m,  22. 

3)  Die  formelle  Vergleichoog  auffallender  Bildwerke  heimischer  Kunst  mit  den,  allen 
Norddeutschen  Tertrauten  Rolanden  lag  so  nahe.  Thomas  Kantzow  (f  1542)  wniste 
die  statua  mira  magnitudine  in  Julin,  welche  Joh.  Bugenhagen  (Pomerania,  herausgeg. 
von  J.  Balthasar,  1728,  S.  83)  beschreibt,  nicht  besser  als  durch  die  Worte  zu  verdeut- 
schen :  „ ein  grot  bilde,  dat  alse  ein  Rolant  np  dem  markede  stund *'  (Chron.  v.  Pom- 
mern, niederd.  Text,  herausgeg.  von  W.  Böhmer,  1835,  S*  ^^\  hochd.  Text,  herausgeg. 
von  Fr.  L.  B.  v.  Medem,  1841,  S.  58).  So  spricht  auch  Andr.  Moller  (Chron.  Frei- 
berg., 1653,  Abt  I,  c.  IV,  S.  31)  von  dem  „steinernen  uralten  Mannsbild  (mit  dem  däni- 
schen? Wappen  auf  dem  Schild  und  der  Jahreszahl  1557!),  welches  „wie  ein  Roland  *< 
am  Petersthore  zu  Preiberg  in  Meifsen  stand.  Wenn  er  hinzufügt:  „dafür  es  auch  ge- 
achtet worden",  so  zeigt  das  deutlich,  wie  der  an  einen  volkstümlichen  Gegenstand  an- 
knüpfende antiquarisch -gelehrte  Vergleich  im  Volksmunde  direkt  zur  Benennung  fUr  ein 
bisher  namenloses  Bildwerk  führte.  Ein  weiteres  Beispiel  fUr  diesen  interessanten  Vor- 
gang ist  der  (im  XVIII.  Jahrh.  noch  nicht?)  als  Legder  Roland  bekannte  Relief-Denkstein 
des  1595  erschlagenen  Dietrich  v.  Quitzow  (Goetze,  S.  308  Anm.).  Ähnlich  mag  die 
Entwickelung  in  Wedel  gewesen  sein.  Nach  H.  Rantzow  (1597,  v.  Westfalen,  Monum. 
ined.  I,  Sp.  9)  war  das  Wappenbild  des  Ortes :  stalua  instar  viri  armati  . . .  quem  nostrates 
»ppellant  „den  Roland".  Insignia  antem  originem,  ut  ego  existimo,  snmserunt  a  colosso 
lUo  lapideo,  qui  ibidem  conspicitur,  von  der  geharnischten  Kaiserfigur  mit  Krone,  Schwert, 
Reichsapfel  und  Mantel,  welche  jetzt  dort  den  Rolandnamen  führt.  Das  Bild  im  Wappen 
glich  einem  Roland;  also  wurde  die  Kaiserstatue,  in  welcher  man  die  Veranlassung  zu 
dem  Wappenbilde  vermutete,  im  Volksmunde  selbst  zu  einem  Rolande.     Jonas  v.  Elver- 

4 


—     50     — 

da  allgemeines  sachliches  Verständnis  dafür  dort  fehlte,  w^en  der 
Heiligkeit  des  Standortes  volkstümlich  als  der  eines  Heiligen  aufgefafst 
worden  sei. 

Der  Bericht  des  Bürgermeisters  Witkop  zu  Brakel   vom  Jahre 
1873»   welcher  die  Geschichte  der  dortigen  sogen.  Rolandsäule  in  so 
dankenswerter  Weise  aufklärt,  ist  nicht  im  Berliner  Rolandbuch,  son- 
dern von  C.  Mertens  in  (Westfälische)  Zeitschr,  f,  Vaterland,  Gesch^ 
u.  Altertumsk,  XLI,  2,  1883,  S.  205  zuerst  veröffentlicht  worden.     Zu 
besserem  Verständnis   der  formalen  Bedeutung   der  ursprünglich   vor 
dem  Gerichtshause  stehenden,   mit  Schliefeeisen   versehenen  Brakeler 
Säule   sei   Caspar  Schneiders  Beschreibung   des  Bremer  Kak  in 
der  Mitte  des  XVII.  Jahrh.  (Saxon.  vetus,  ed.  Knauth,  S.  275)  mit- 
geteilt:   „ist  eine  steinerne  Narrensäule,  auf  dero  Capitell  ein  klein 
Männlein   in  Gestalt  eines   Pickelherings   oder   carnificis  mit   dem 
Staupbesen  stehet".     Demselben  Schneider  zufolge   (S.    100)   wurde 
Brakel  „weiland  unter  die  Reichsstädte  gezählt**;   wenn   es   an  einem 
andern  monumentalen  Symbol  dafür  fehlte,  mochte  man  ja  wohl  die 
vor  dem  Hause  des  Richters  stehende  Gerichtssäule  als  solches  gelten 
lassen,   etwa  nach   dem   von  J.  H.  Eggeling  *)   gegebenen  Rezept. 
Dieser  sagt,  er  habe  an  vielen  Orten  in  Österreich,  Mähren,  Böhmen, 
und  auch  im  benachbarten  Verden  den  Rolanden  ähnliche,  nur  kleinere, 
hölzerne,   auf  Säulen  oder  anderen  Erhabenheiten  am  Markt  stehende 
Bilder  gesehen,   welche   durch   ein   emporgehaltenes   oder  an  Markt- 
tagen  angestecktes  Schwert  die  Ruhe  und  Sicherheit  des  Ortes   be- 
zeichneten ;  es  könne  daher  ein  jedes  derartiges  friedehegendes  Schreck- 
zeichen, sei  es  Kreuz,  Spiefs,  Stange,  Fahne,  ein  Ruh-Land  —  so 
erklärt  er  den  Rolandnamen  —  genannt  werden. 


Wir  wenden  uns  jetzt  der  älteren  juristischen,  durch  aktuelle  Rechts- 
fragen ins  Leben  gerufenen  Roland-Litteratur  zu.  Die  beiden  bedeu- 
tendsten Rolandstädte,  Bremen  und  Magdeburg,  waren  im  XVII.  Jahrh. 
in  tiefgreifende  staatsrechtliche  Differenzen  mit  den  eigenen  und  mit 
benachbarten  Landesherren  geraten.     Beide  berühmten  sich  eines  auf 


velt.  De  Holtsalia  etc.,  1592,  Signal.  T,  2,  vo,  nennt  den  Rolandnamen  nicht,  sondern 
sagt  nur  von  der  Stadt:  Grandia  belügen  decorant  te  membra  colossi;  Grypbiander 
(1625,  S.  198)  spricht  vom  dortigen  horridalas  Rulandus  sive  potias  saxum  colossi  instar. 
l)  De  miscellan.  German.  anüquitaübus  exercit.  V.,  quae  est  de  statais  Ruh-Landicis, 
1700,  S.  18;  desgl.  bei  Pratje,  Altes  und  Neues  ans  d.  Herzogtum.  Bremen  und  Verden 
VIII,   1774,  S.   166. 


—     61     — 

mythischen  Karls-Privilegien  beruhenden  gefälschten,  kaiserlichen  Frei- 
heitsbriefes, und  als  volkstümliches  Wahrzeichen  der  so  dokumentierten 
Rechte   galt    in  beiden    das  Rolandbild.      Hier  fanden   nun  die  zeit- 
g-enössischen  Rechtsgelehrten  Gelegenheit,  im  Interesse  der  einen  oder 
anderen  Partei   ihren  Scharfsinn  zu   entwickeln.     In   der  Magdeburger 
Angelegenheit  wird  ein  Gutachten  des  merkwürdigen  Melchior  Goldast 
(i*  1635)   mehrfach   citiert,   dessen  Formulierung  des  Rolandbegriffes 
als  g^ndlegend  für  die  Folgezeit  angesehen  werden  darf.     Er  erklärt 
die  Behauptung,  dafs  die  Statuen  Karls  d.  Gr.  Neffen  Roland  darstellen 
sollten,   für   „ein  lieblich  Gedicht,  Fabel  und  Tandmäre",   dieselben 
»eien   vielmehr  wahrscheinlich  Bilder  Kaiser  Karls   selbst.     Ganz   ab- 
g-esehen  davon  sei  der  Name  nicht  als  nomen  proprium,  sondern  als 
appellativurn  zu  fassen,  und  bedeute  „Ruge-Land",  von  „rügen".    Ro- 
landsbild sei  nichts  anderes   als    Weichbild ,   d,   i.  statua,  per  quam 
notatur,  ibi  esse  forum  publicum  caussarum,  iurisdictionem,  locum 
itistitiae,  districtum  territorium,   oder,  wie  es  die  alten  Deutschen 
eigentlich  genennet  haben,  mallum  publicum,  ein  Malstatt,  da  man 
frei-kaiserlich  Gericht  hält  *).     Auch  der  Helmstedter  Professor  J  o  - 
hannBorcholt  (*}•  1594)  war  auf  die  Seite  Magdeburgs  getreten,  und 
gegen  ihn  besonders  schrieb  der  kursächsische  Kammerprokurator  der 
Oberlausitz  BenjaminLeuber  1658  seine  umfangreiche  Abhandlung 
Disquisitio  planaria  stapulae  saxonicae,  in  welcher  (SS  1256 — 1263) 
er  lediglich  zu  dem  Ergebnis  kommt,  dafs  die  angebliche  Bedeutung 
der  Rolandbilder  als   Zeichen   „grofser  Freiheit"    eine   „pur   lautere, 
vom  gemeinen  Manne  hochgehaltene  doch  schädliche  Fabel,    welche 
demselben   viel  Vergebliches   einbildet  und  zu  aller  Widersetzlichkeit 
und  Verachtung  Fürsten  und  Herren  inflammieret  und  anreizet",  und 
dafs  ,, niemand  zu  sagen  weifs,  was  solche  Bilder  bedeuten  sollen". 

In  diesen  Schriften  wird  die  Rolandfrage  nur  in  Verbindung  mit 
anderen,  für  den  konkreten  Rechtsfall  ebenso  erheblichen  behandelt; 
selbständige  litterarische  Position  erhielt  sie  im  Streite  Bremens  mit 
dem  Grafen  von  Oldenburg  über  den  Weserzoll  und  mit  ihrem  Erz- 
bischof über  die  Immedietät  der  Stadt.  Auch  hier  war  Goldast  für 
das  Interesse  des  Rats  thätig^),  der  berühmte  Hermann  Conring 
dagegen  ^)  auf  oldenburgischer,  resp.  erzbischöflicher  Seite.   In  Olden- 


i)  Ich  gebe  das  Citat  nach  Grjphiander,  De  Weichbild.  Saxon.  c.  71. 

2)  Yindiciae  diplomaticae  Bremenses,  bei  v.  Westphalen,  Monum.  ined. 
lU,  1743,  Sp.   1971  ff. 

3)  Vgl.  O.  Stobbc,  Hermann  Conring,  1870,  S.  17  ff.  34.    —    Dubia  de   pri- 
rilegio  Hinrici  V  eiasqne  expeditione  Romana  anno   im,  1.  c  Sp.  20i5ff., 

4* 


—     52     — 

bui^  erschien  auch  die  bedeutendste  Arbeit  auf  diesem  Gebiet,  das 
noch  heute  nicht  ohne  Nutzen  zu  lesende  Buch  von  Johann  Gry- 
phiander:  De  Weichbildts  Saxonicis  s.  C^lossis  Rulandinis  urbium 
quarundam  Saxonicarum  commentarius  histortco-juridicus,  in  quo 
vetustiis  iudiciorum  Saxonicorum  rttus,  leges,  magtstratus,  fnares, 
habitus,  lingua  aliaeqtce  antiquitates  Saxonüae  explicantur  et  ülu- 
strantur,  simulque  fabulosa  CaroU  Magnt  Caesaris  et  Rulandi 
mtlitis  historia  ad  libram  veritatts  expenditur  *).  Jede  Bezugnahme 
auf  die  Bremer  Streitigkeiten  ist  sorgfaltig  vermieden;  um  so  wirk- 
samer versprach  die  Arbeit  zu  sein,  wenn  sie  auf  dem  W^e  objektiv 
methodischer  Untersuchung  zu  Resultaten  gelangte,  welche  den  Bremer 
Ansprüchen  den  Boden  entzogen.  Sie  ist  denn  auch  nachmals  von 
den  Gegnern  Bremens  als  eine  unerschöpfliche  Rüstkammer  von  An- 
griffswaffen benutzt  worden.  Gryphiander  behandelt  zunächst  den 
historischen  und  den  sagenhaften  Roland,  versucht  eine  Kritik  der 
Gründungsurkunde  Karls  d.  Gr.  für  Bremen  (welche  den  Keim  der 
seit  dem  XV.  Jahrh.  recipierten  Roland- Theorie  in  sich  trägt),  weist 
ausführlich  die  innere  Unmöglichkeit  des  Zusammenhanges  der  Roland- 
statuen mit  Karl  d.  Gr.  und  dem  karoHngischen  Roland  nach  und  ge- 
langt zu  folgendem  Ergebnis :  Ursprünglich  habe  man  in  den  sächsischen 
Städten  als  signa  iudicii  et  iuris  die  tionis  Kreuze  errichtet  (S.  234); 
daneben  seien  hier  und  da  Kaisem  und  anderen  Fürsten  zu  Ehren 
kolossale  Statuen  aufgestellt  worden  (S.  245);  an  diese  habe  sich, 
nescio  qua  superstitione  vulgi,  nach  und  nach  die  Vorstellung  ge- 
knüpft, sie  seien  Wahrzeichen  gewisser  Rechte  und  Privilegien  (S.  247). 
Infolge  dessen  seien  diese  Statuen  an  die  Stelle  jener  Kreuze  getreten 
(S.  236);    man    habe    sie   Weichbild    genannt    (S.  253),    d.  i.   opfndi 

den  Vindiciae  Goldasts  angehängt.  Der  Titel  rührt  wohl  vom  Heransg.  her;  ausdrück- 
lich wird  Conring  im  Text  nur  als  Verfasser  des  ersten  Dubiam  genannt  —  Grttnd' 
licher  Bericht  von  der  landesfürstl.  erzbischöfL  Hoch-  and  Gerech- 
tigkeit  über  d.  Stadt  Bremen  (ohne  Namen  des  Verf.  u.  o.  O.)  1652.  Wenn  et 
in  letzterer  Schrift  heifst  (Sign.  B  11  fol.  vo^,  man  finde  „von  einem  dergleichen  auf- 
gerichtetem Rolands  -  Bilde  fUr  anno  1200  gar  keine  Nachrichtang ,  und  also  ehesten 
450  Jahre  nach  des  Caroli  sächsischen  Kriegen  <',  so  darf  daraas  nicht  gefolgert  werden, 
dafs  Conring  aas  so  früher  Zeit  einen  Roland  gekannt  habe.  Er-fafst  lediglich  auf 
Gryphianders  Konstatierung  (S.  255),  dafs  im  Sachsenspiegel  and  der  älteren  Glosse 
der  Begriff  „Weichbild"  nicht  vorkomme,  also  erst  nach  1200  gebräudilich  geworden 
sei;  der  Begriff  der  Rolande  sei  aber  noch  jünger  als  der  des  Weichbildes,  and  reiche 
wahrscheinlich  nicht  über  die  Zeiten  Karls  IV.  hinauf. 

i)  Frankfurt  a.  M.   1625.  —  Eine  zweite,  im  Text  unveränderte,  aber  dnrch  ein  um- 
fängliches Register  bereicherte  Ausgabe  erschien  Strafsburg  1666. 


—     63     — 

€£figi€m  sw€  s/ahtam,  fuasi  düas  „Stadibüd*'  (S.  257) ').  Die  im- 
wiBseadc  Blenge  habe  die  Kolosse  swe  a  wtagnüudine  ei  pr^ceriiaie, 
sive  fuod  WcichHUi  vocakulum  duriuscuium  esset  prolaiu,  ge- 
meinhm  Rolande  genannt  (S.  ^i).  Da  der  Sachsenspiegel  veder 
Weichbild  noch  Roland  kenne,  sei  die  Errichtong  der  letxteren  erheb- 
lich nach  1200  anzusetzen  (S.  255).  Die  Bedeutung  von  Weichbild 
»ve  C0I068Q8  Rolandinus  sei:  i)  ius  fori;  2)  hannum  regium;  i)  fQX 
publica;  4)  ius  wtunicifaie.  In  den  kleineren  Orten  der  Marie  ond 
an  anderen  Orten  zeigen  die  Rolande  an,  dals  dort  Magdeburger 
Recht  gelte  (S.  286). 

Lediglich  auf  den  Ausführungen  Gr)rphianders  beruht  das,  was 
der  ans  Hessen  gebürtige  Oldenburgische  Historiograph  und  politische 
Agent  J.  J.  Winckelmann  in  seiner  NoHtia  hisiorico-pohtica 
veUfis  Saxo-WestphaHae  fimümarusmqme  regianmm  (Oldenburg 
1667),  hb.  IV,  c.  3 ,  de  Statms  Rulandims;  de  imre  Weicküldico 
ei  de  specmio  Saxonico  (S.  541  ff.)  schreibt.  Auch  hier  fehlt  es  noch 
an  ericennbarer  anti-bremischer  Tendenz;  um  so  deutlicher  tritt  diese 
hervor  in  desselben  Ver£ttsers  Deduktion:  Exsequiae  Rulandi  Bre- 
mensis.  A.  e.  de  CaroUno,  Henriciano  aäisque  Brewtensi$tm  prtvitegiis 
Ubelius  kistarico'juridicns^).  Winckelmann  steht  hier  wiederum 
wesentlich  auf  den  Schultern  Gryphianders ,  benutzt  aber  au&erdem 
die  Arbeiten  anderer  Bremen  feindlicher  Forscher  zur  Kritik  des  (that- 
sachlich  gefälschten)  Privilegs  Heinrichs  V.  vom  Jahre  im. 

Auf  diesem  Boden  ist  eine  ziemlich  umfangreiche  juristisch-aka- 
demische Dissertationen-Litteratur  erwachsen.  Ich  begnüge  mich,  die 
Titel  der  mir  davon  bekannt  gewordenen  Schriften  herzusetzen ') : 
Dieser tatio  iuridica  de  iure  Weichbildorum,  quam  .  .  .  praeside 
dn.  A.  B.  Carpzow  . . .  publico  eruditorum  examini  subjicit  Joh. 


1)  J.  H.  Eggeling,  De  mi^crH.  Germao.  antiqaiUt  dissertatio  IV,  qaae  e«t  de 
Wicbiletho,  1700  (bei  Pratje,  Altes  a.  Neues  etc.  VIII,  1774,  S.  130)  vergleicht  diese 
Erklanmg  „den  fabolensen  Sodomitlschen  Äpfeln",  welche  die  Augen  der  Anschaaer  be« 
hutigen,  aber  statt  angenehmer  Speise  inwendig  Staub  und  Asche  bieten.  Er  selbst  er- 
kürt das  Wort  als:  wü-bi-Uthe  ^  vici  ms  prohibendi  (S.   137). 

.  a)  E.  Joach.  ▼.  Westphalen  hat  die  Abhandlung  in  seinen  Monnm.  inedita  rer. 
Germaoic.  m,  1743  nach  des  Verfassers  Antograph  abdrucken  lassen.  Eine  Datienng 
fehlt;  auch  in  den  Oldenburg.  Weserzollakten  habe  ich  bisher  keine  Spur  von  ihr  ge- 
fonden. 

3)  Von  den  bei  Spangenberg,  Beiträge  s.  Kunde  d.  teutsch.  RechtsaltertUmer  u. 
Rechtsqn.  S.  13  Anm.  i  angeführten  Spezialschriften  sind  mir  nicht  xugfinglich  gewesen: 
G.  OttthoTius,  De  statnis  Rolandinis  et  weichbildis  Saxonicis;  J.  Reiche,  De  colossis 
et  iure  colosionuD,  Halle  1699. 


—     54     — 

Joach.  Rothe,  1673  (öfter  unter  Carpzows  Namen  citiert);  er  erklärt 
es  (S  19)  für  unerheblich,  dafs  in  einigen  Städten,  z.  B.  in  Halle,  die 
Gerichte  beim  Roland  gehegt  würden;  pari  enint  facilitate  dixer'o, 
quod  butyropolia  saepe  ad  eiusmodi  locutn  restricta  reperitnus, 
eins  quoque  rei  gratia  isias  constitutas /uisse.  —  Nicol.  Meyer, 
Bremensis  Saxo ,  Dissert.  inaug.  de  staiuis  et  Colossis  Rolandinis, 
Basel  167  s  (neue  Ausgabe  1739) ;  seiner  Beschreibung  des  Bremer  Rolands 
ist  bereits  gedacht  worden  (S.  42);  für  die  ursprüngliche  Bedeutung: 
der  Statuen  als  Königsbilder  ist  es  belangreich,  dafs  ihm  zufolge  die 
Figur  zu  den  Füfsen  der  Bremer  Bildsäule  eine  Krone  trug.  —  Curt 
Erentreich  de  Mörner,  nobilis  Marchicus,  de  Statuis  Rolandinis, 
iurium  quorundatn  indicibas  [pisputationes  iuris  publici  undecifn 
.  .  .  quas  dirigente  J.  Fr,  Rheiio  .  .  .  Studiosi  iuvenes  aliqui 
.  .  .  in  electorali  Viadrina  ante  annos  non  ntultos  elaborarunt. 
Francof.  ad  Viadr.  1678.  4**);  häufig  unter  dem  Namen  vonRhetius 
citiert;  m.  W.  wird  hier  zuerst  auf  die  Meifenischen  und  Lausitzschen 
Rolande  bei  Albinus  aufmerksam  gemacht  (S.  16,  col.  i).  —  Heinr. 
Vagedes,  prof.  Rintel.,  Tlevtäg  quaestionum  historicarutn.  Quaest.  IT 
(An  staiuae  Rulandi  in  nonnullis  Saxoniae  urbibus  a  Carolo  Jtf, 
in  Signum  libertatis  erectae  sint?)^  nach  Chr.  Petersen:  Rinteln  1688  ; 
wiederholt  in  Opera  academica,  neu  herausg.  von  Ph.  L.  Pastoir,  Rin- 
teln 1703,  S.  289 ff.);  ganz  unerheblich.  —  Rolandunt  ntagnunt.  Von 
dem  grofsen  Rolande,  variis  fabularutn  involucris  explicatutn,  veri- 
tatique  restitutum  . . .  praeses  M,  Godofr  Schuntannus  Belgra- 
Misnicus,  et  respondens  D.  Bluntenröder  Numb.  . ..  disqui- 
sitioni  sistent.  Leipz.  1694.  4°  (wird  auch  unter  dem  Namen  Blu- 
menröders  citiert);  dem  Verfasser  hatte  der  Roland  in  seiner  Vater- 
stadt Beigem  den  Anstofs  zu  seiner  sonst  bedeutungslosen  Abhand- 
lung gegeben.  —  Carl  Türk,  de  statuis  Rolandinis.  Rostocker 
Habilitationsschrift,  1824,  4**  (29  S);  die  Arbeit  wurde,  ohne  dafs  sie 
es  sachlich  verdient,  früher  viel  citiert. 


An  diese  Publikationen  knüpfen  sich  einige  „  historisch-kritische " 
Untersuchungen,  welche  die  Forschung  ebenso  wenig  wie  jene  geför- 
dert haben. 

Auch  der  berühmteste  norddeutsche  Historiker  jener  Tage,  G.  W. 
Leibniz,  hat  sich  auf  diesem  Gebiete  mit  nicht  glücklicherem  Er- 
folge versucht.  FreUich  ist  der  grofse  Torso  seines  Annalen Werkes, 
in  welchem  er  bei  der  Darstellung  der  spanischen  Kriege  Karls  d.  Gr. 


—     55     — 

auch  auf  Roland  und  die  Rolandstatuen  zu  sprechen  kommt,  erst  in 
unseren  Tagen  durch  den  Druck  bekannt  geworden  ') ,  wir  dürfen  es 
aber  trotzdem  nicht  unterlassen,  seine  Theorie,  die  einige  eigentüm>- 
iiche  Züge  aufweist,  an  der  ihrer  Enstehungszeit  entsprechenden  Stelle 
kurz  zu  skizzieren.  Nach  einer  im  wesentlichen  auf  Gryphiander  be- 
ruhenden, von  Ungenauigkeiten  nicht  freien  statistischen  Übersicht  der 
Standbilder  (c.  19)  fährt  er  fort :  die  Erzählungen  von  der  Herkunft  und  der 
Gröfee  Rolands  seien  Fabeln  (c.  20) ;  schon  früh  sei  die  Meinung  ver- 
breitet gewesen,  dafe  Karl  d.  Gr.  die  Bilder  als  Signa  libertatis  in 
Sachsen  errichtet  habe;  dies  gehe  aus  einer Äufeerung Papst  Gregors  VII. 
im  XI.  Jahrh.  hervor,  welche  außerdem  zeige,  dafs  schon  damals 
sächsische  Schriftsteller,  deren  Werke  jetzt  verloren,  derartige  Fabeln 
verbreitet  hätten  (c.  21). 

Ahnliche  Darstellungen  wie  die  Rolandbilder  erblicke  man  auf 
den  Siegeln  und  Münzen  der  Markgrafen  in  den  Ost-  und  Nordmarken. 
Es  sei  wohl  denkbar,  dafs  solche  MarkgrafenstandbUder  an  den  Ding- 
stätten errichtet  gewesen  seien.  Habe  man  diese  überlebensgrols, 
zu  wirksamerer  Abschreckung,  gebildet,  so  sei  dem  Volke  dabei  Ro- 
land mit  seiner  sagenhaften  Riesengröfse  in  den  Sinn  gekommen,  auch 
sei  zu  erwägen,  dafs  Ruhland,  a  quiete  regionis,  defensor  terrae 
bedeute  (c.  22). 

Mit  der  Veränderung  der  alten  Gerichtsverfassung  sei  die  ursprüng- 
liche Bedeutung  dieser  nun  Roland  benannten  Statuen  in  Vergessen- 
heit geraten;  dunkele  Erinnenmgen  seien  an  den  Biertischen  zu  Er- 
zählungen von  lualten  Rechten  und  Freiheiten  aufgebauscht  worden. 
Weitere  Förderung  dieser  Auffassung  habe  die  Volksetymologie  des 
im  XIII.  Jahrh.  in  Übung  gekommenen  WeichbUdrechtes  gebracht. 
Wiebild  sei  WicTvill^  d.  h.  placitum  vici  vel  oppidi;  irrtümlich  habe 
man  es  als  vici  statua  gefafst:  tandem.  ingens  Rolandus  privu 
Ugiorum  indubitatus  asserior  exivit  (c.  23). 

Die  weiteren  Ausführungen  über  das  Wachsen  der  Bedeutung  der 
Statuen  im  XIV.  und  XV.  Jahrh.,  die  Rolle,  welche  sie  in  Hamburg; 
in  Göttingen,  in  Quedlinburg  gespielt,  über  ihre  Verbreitung  durch 
das  Magdeburgische  Recht  bis  nach  Polen  (Prenzlau !)  —  Privilegium^ 
iuris  Wicbildae  Magdeburgicae  statim  erectus  Rolandus  obsignor 
bat  —  über  ihr  Fehlen  im  Gebiete  des  Lübischen  Rechts  (c.  24 — 26), 
die  Richtiges  mit  Irrigem  mengen,  können  hier  übergangen  werden; 
auf  die  Behauptung,    dafs   nach   Papst  Gregors  Äufeerung    schon  im 


l)  Annales  imperii  occidentis  Bransvicenses,   ed.  G.  H.  PerU  I,  1843,  S.  78,  c  198, 


—     56     — 

XI.  Jafarfa.    im  SacbMBkmde    cKe  Exzihliuiig^    im  Schwange   gawciu 
Haai  d.  Gr.   habe  die  RoJamiakden  als  Wählzeichen  der  Freiheit 
ädäat,  Künes  wir  noch  «iiimal  mrachkoouBea  ^). 

Die  Stelle  steht  am  SrhJHiT  eines  knnen  SchzeäicnB  iram 
i<a6i  aa  äke  papaüichea  Jjtgsijea  in  FxaBhzeich,  in  wekhesi  dkadben 
aflgewieaea  woden^  <fie  doittge  Berölkerong^  xar  Zahhmg  eine»  Petei»^ 
fiuBUigs  sa  vcn&ögent  tmtor  Hanreis  darsaf,  dafa  Kaci  d>  Gc  an  ifect 
Oiteft  i^Aqu^rrani^  :qnHi  Podnm  9»  Manae,  apad  imirtam  Egk&na) 
jphrürh,  abgcsshem  vtm  den  freiwilligen  Speadcn,  1200  Pfiani  fnr  den 
niiii  ttlii  hc  11  Stahl  T!MMima**'*«peltMrBcht  habe.  Unnnltelbsr  dano.  kimoft 
ach   der  Schhife:   läam  wtro  wmgims  mt^tratmr  Smxamuam  atimäi 

^  äbertaüs:    siaU  ipsi  Saxones  kabent  scr^tmtm  tt 

Es   liegt   nBiarh,nt  aat  der  Hand,   daüi   der  Pafist  in  dieaens  Im- 
Btcht  vcHi  ctQCwi>  den  uaLciworfenen  Saidncn 


-«  «  I  I  «i«  i  t  ■*'     -^ 


herronagesden  Akt  der  Freigehigheit  Karls  gegen  den  pipitichi 
Stahl  hia^  ^^ncht  auch  aar  vcn  einem  sigmmm^  and  noch  dazn 
«IfMaan  pi^t^tis  #/  iümrtmiis^  von  weichem  steh  im 
schriftliche  Kunde  ände.  Die  Vemmtnng  van  Wllmans^  wini 
tnfiand  äctn,  d^  Gregor  ai^  die  geäUschte  Baiie  Pafist  Leoa  IH  ^ 
24.  Dez.  TQQ  Bezag  nahm,  in  w<dcher  es  heüst:  Igiimr  ktmm 
Eramkmrg^  f»tfMi  ^xpngmmtmm^  cmim  tota  Saxomim 
D^^  obtMiisti  et p0r  mos  ^.  PetKtf  ^ansecrmsti,  libe 


Der  Faiacher  Tädkaerte  die  Hbmrtas  ai  <mgm  poimitmim 


toim   Siiwaiii  aaagehead.   bezog^  dieaeifae 
befaaaptete:  Kad  schenkte  Sarhwmlind  dem  h.  Petcoa  and 

Deaimai  miaar  Fnimmigkeit  and  lagicich  der  Iliinang  des 
Kirchangalea    von    jedem    weltlichen   Hexrenrecht; 


[Fni— t  j  Malier,   oaaäiüdL  mc^  xmttst  <im  Nmhs  RaiMd'%   wd 
^är  1— irtrlnggchrit,    Oais  m  3nctstcile  ^scfion  von  Lmbnk  vaak 
hait  osf  tue  Roiaadnaien  jetogen  worden^. 

z)  Jaife.  MiUiufcw  i.    eiu»  GcmanicaniBi  II,  i8<»5,,  S.  4fl8w 
l\  V6mr  TraiMiiiiliiiiiiiin  oer  Piu^rm  Wcat£aiea  U   li^ö?,  S^   C3tiL 


bcfaei    Beweis    dafür    ist    die    im    Sachscolando  inv    l^ii^iiitttl    tvt 

Obennaisberg-,  im  Transsamt  za  Cor\-ey  M  —  aufbcwiihrt«"  HhUc  \''a\<*\ 
Leos.  iKMiwtiui«  K'luU 


Mitteilungen 

Tersammlnilgen.  —  Vom  34.  bis  17.  September  f«ntl  in  Diradcii 
die  General  Versammlung  des  GesamtvereiuR  der  lUu  tuclitn 
Geschichts-  und  Altertumsvereine  *]  statt,  und  KWtr  wai  iimil  dipi- 
mal  der  Einladung  nach  Dresden  gefolgt,  um  die  Jubelfeier  <le'i  K<h)i||ll('h 
Sächsischen  Altertumsvereins,  der  auf  eine  ninflnulNicbiilitlllbtiiir 
Thätigkeit  zurückblicken  kann ,  mit  itu  begehen.  AI*  <lrr  (iritumtvFrcIn 
1S52  in  Dresden  ins  Leben  trat,  gehörten  ihm  17  Vereint-  Uli,  llllil 
heute  sind  137  in  ihm  vereinigt,  von  denen  64  in  der  'l'liut  dunh  Mi- 
geordnete  vertreten  waren,  d.  h.  mehr  als  bei  irgend  einer  filllicjt-n 'I'bkuiiKi 
Versammlungsteihiehmer  wurden  330  gezählt  In  den  allgcmciiirii  VrtKitiiiin 
langen  wurden  drei  Vorträge  geboten :  Dk  Hlellung  l^ipxiyH  utilrr  am 
deulac/ien  Univeraüäten  im  Laufe  der  Jahrhunderte  (I'rof,  (icft- Dirtulcit), 
Die  Wettiner  und  die  LatuU^gencliichte  ( Regie rungsrat  Krmiiti;h-l)iGji(lcri) 
wid  Der  Dom  und  die  AibrechUburg  xu  Meifien  (Prof,  Giirlitt-I'tcadcii), 
Die  beiden  letzten  Vorträge  landen  im  Festsaale  der  Albrc'.htolnirg  m  Mnifitrii 
statt,  wo  die  zweite  allgemeine  Versammlung,  die  zugIci'Ji  Ffrnti>il/U tig  fW 
K.^  Sächsischen  Akeitumsvereins  war,  abgehahen  wurde. 

Die  Versammhmg  der  L  und  II.  Sektion  begann  mit  der  KikUriinfc 
einer  Tacitnsstdk  (Amuleo  I,  56)  an  der  Hand  dn  neiterra  Ati*(;riJfii(ig<» 
am  Limes.  FioC  Anthes  ^Datmstadt)  ^aubt  >Lu  auUUum  in  mimU  '{'irunu 
in  Hofheim  wiedergefunden  zu  haben,  da  die  dortigen  F  iriric  'y.'ieiJuUi  iitt 
angustetscbe  Zeitaker  gehören.  —  Prof.  Dcirhntiller  (fnrfl^uf  \^i.»iiil*lt» 
die  Steinzdtfiicdc  SachKm  und  erl;i:itertc  an  c/n  it.m  tt.',mf>tUi>rti  KMUtt 
die  Vetfatcign^  (fet  Band-  and  Schnarknack  irA  'Ux  JJ4(it  '1^  <fff., 
ao  denen  Steisgeräre  gefi^den  cr.d  L'rnenfeMtr  fA^  ^tJui^-iU-inte^  'yp'W 
aii%eflcckt  wor'Jeii  iczd:  «s  n-^.^aen  »i<-ii  dara.»  i>rrt^;f>^.fle  (si^f^.'.'JivJ* 
wicfabge  .Ac-axu^cnka-  fcr  4«  *'^.rg*v.h:-'r.r:.'r.s  i>u.vit.-.:.f(  ■.vf.-j^:t  x>t  *t- 
geben.  —  Prot  Wr.l:{  T:aE*5::t  a.  IL,  ltr>-.-j«M  -'.«r  <S««  V^'-,ar.rf  wo,««. 
und  söddesto-ier 'jey.h.^^^.'J^-T»irL«  i-ih-^ä  Ot^ar^Iii-.'.ri  ri'.!  f.*!.  f/,«- 
getBasii^lf  X  f -.rr- ?,^- jf,  Ij-.««  '/•riar.'i  iar  ''.^•^u  (t.i  J^-".*»  fiß^ 
bettz,  hat  ai--i  ^aosmfm  i^^j^er,.«!  irA  tesix  T/j"-"—'  -— '----^  -■■-  •— 
so  DOOmröi^  xc,  aü  ^ie   ri»  rv;n>-i'..i,>M>;ae  Ä 

sckrifc,  5-  »r    31WUI   mmer  au-lu  e m an; m f.r.-ry.-ytir 

GexT^tl  'tri  131  n    iir  ■*.  *i    ''.'•laji'ii-i.i 


—     56     — 

XI.  Jahrh.  im  Sachsenlande  die  Enähltm^  im  Schwangt  gewesen, 
Kaii  d.  Gr.  habe  die  Rolandaäuleii  als  Wahrzeicheo  der  Freiheit  er- 
richtet, müflsea  wir  noch  einmal  2arückkommen  ^). 

Die  Stelle  steht  am  Schlosse  eines  kurzen  Schreibens  vom  Man 
1061  an  <Ue  päpstlichen  Legaten  in  Frankreich,  in  welchem  dieselben 
angewiesen  werden,  die  dortige  Bevölkemi^  ztaa  Zahlung  eines  Ptteis* 
Pfennigs  zu  vennög^i,  unter  Hinweis  darauf,  dafii  Karl  d.  Gr.  an  drei 
Orten  (Aquisgrani,  apud  Podium  s*  Mariae,  apud  sanctum  Egidiura) 
jährlich,  abgesehen  von  den  freiwilligen  Spenden,  t200  Pfund  für  den 
päpstlichen  Stuhl  zusammengebracht  habe.  Unmittelbar  daran  knüpft 
sich  der  Schluß:  Idem  vero  magnms  imperator  Saxaniäm  abiuM 
i.  Petro,  cuius  eam  äevicit  udiuiorio,  et  posnii  stgnmn  devoHonis 
et  libertaiis;  sicui  ipsi  Saxones  habent  scriptum,  et  pmdentes 
iUormm  satis  sctunt^). 

Es  liegt  zunächst  auf  der  Hand,  dafe  der  Papst  in  diesem  Zu* 
sammenhange  nicht  von  einem,  den  unterworfenen  Sachsen  verliehenen 
Freiheitssymbol  reden  kann;  er  weist  vielmehr  auf  einen  besonders 
hervorragenden  Akt  der  Freigebigkeit  Karls  gegen  den  päpstUchen 
Stuhl  hin,  spricht  auch  nur  von  einem  sigmmm,  und  noch  dazu  einem 
eigm$tm  pietutis  et  lihertatis,  von  welchem  sich  im  Sacl»enlande 
schriftliche  Kunde  finde.  Die  Vermutung  von  Wilmans*)  wird  zu- 
treffend sein ,  dafe  Gr^or  auf  die  gefölschte  Bulle  Pi^t  Leos  III.  ^) 
vom  24.  Dez.  799  Bezug  nahm,  in  welcher  es  heiist:  IgUur  hmnc 
i9€&fUem  Eresburg,  quem  expugnatum  cum  tota  Saxoni^i 
De<f  obtulisti  et  per  nos  b,  Petro  afusecretsti,  liberum 
ab  omni  petestate  humana  esse  . . .  aeusemus. 

Der  Fäkcher  vindizierte  die  libertas  ab  omni  potesiate  humami 
der  Kirche  zu  Eresburg;  Gregor,  von  dem  Ausdmdc:  Ereshurgum 
^mm  toia  Sax^nia  ausgehend ,  bezog  dieselbe  auf  ganz  Sachsen ;  er 
behauptete:  Karl  schenkte  Sacbsenland  dem  h.  Petros  imd  setzte  da^ 
mit  ein  Denkmal  seiner  Frömmigkeit  und  zi^leich  der  Befreiung  des 
dortigen   Kirchengutes    von    jedem    weltlichen  Herreürecht;    «chrift- 


1)  P.  Plmten  la:  Die  Denlamlpfi^i^t  11,  ifoo,  S.  SS,  M«kt  ilario  ^^txat  direkte  Br- 
wilioaDg  der  {Rolamd-]  Bilder,  MUüilicb  nicht  luUer  dem  Namen  Roland**,  «nd  hak  e» 
anscheinend  für  ausschlaggebend,  dals  die  Briefstelle  „schon  von  Leibniz  mit  Bestimmt- 
heit anf  die  Rolandsäulen  besogen  worden'*. 

2)  Jalf^,  ÖibliDtheta  remm  Germanicanmi  U,  1865,  S.  4^8. 

3)  Die  Kaiserurkandcn  der  Provinz  Westfalen  I,  1867,  S.  136. 

4)  Wilmans,  L  c  S.  ijü;  vgL  H.  Finke,  P^p^w^hnideii  WeMlsleos,  «o.  j.      ' 


—      67     — 


Itcher   Beweis    dafür    ist    die    im    Sachsenlande    —    im   Original   zu 
Obermarsbe^,  im  Transsumt  zu  Corvey  *)  —  aufbewahrte  Bulle  Papst 

Leos.  (FortseUang  folgt) 


Mittellungen 

Tersamilllllllgeil.  —  Vom  24.  bis  27.  September  £and  in  Dresden 
Ae  Generalversammlung  des  Gesamtvereins  der  deutschen 
Geschichts-  und  Altertumsvereine  ^)  statt,  und  zwar  war  man  die»- 
mal  der  Einladung  nach  Dresden  gefolgt,  um  die  Jubelfeier  des  Königlich 
Sächsischen  Altertumsvereins,  der  auf  eine  fünfundsiebzigjährige 
Thädgkeit  zurückblicken  kann,  mit  zu  begehen.  Als  der  Gesamtvereia 
1852  in  Dresden  ins  Leben  trat,  gehörten  ihm  17  Vereine  an,  imd 
heute  sind  137  in  ihm  vereinigt,  von  denen  64  in  der  That  durch  Ab- 
geordnete vertreten  waren,  d.  h.  mehr  als  bei  irgend  einer  früheren  Tagung. 
Versanunlungsteilnehmer  wurden  330  gezählt  In  den  allgemeinen  Versanun- 
hmgen  wurden  drei  Vorträge  geboten:  Die  Stellung  Leipzigs  unter  den 
deutschen  Universitäten  im  Laufe  der  Jahrhunderte  (Prof.  Gefs- Dresden)» 
Die  Wetiiner  und  die  Landesgeschichie  (Regierungsrat  Ermisch -Dresden) 
und  Der  Dom  und  die  ÄJbrechishurg  xu  Meißen  (Prof.  Gurlitt- Dresden). 
Die  beiden  letzten  Vorträge  fanden  im  Festsaale  der  Albrechtsburg  zu  Meifsen 
Statt,  wo  die  zweite  allgemeine  Versammlung,  die  zugleich  Festsitzung  des 
K^  Sächsischen  Altertumsvereins  war,  abgehalten  wurde. 

Die  Versammlung  der  I.  und  II.  Sektion  begann  mit  der  Erklärung 
einer  Tacitusstelle  (Annalen  I,  56)  an  der  Hand  der  neueren  Ausgrabungen 
am  Limes.  Prof.  Anthes  (Darmstadt)  glaubt  das  casteüum  in  monte  Tauno 
in  Hofheim  wiedergefunden  zu  haben,  da  die  dortigen  Funde  jedenfalls  ins 
augusteische  Zeitalter  gehören.  —  Prof.  Deich müller  (Dresden)  behandelte 
die  Steinzeitfiinde  Sachsens  und  erläuterte  an  von  ihm  entworfenen  Karten 
die  Verbreitung  der  Band-  und  Schnurkeramik  imd  die  Lage  der  Orte, 
an  denen  Steingeräte  gefunden  und  Urnen felder  von  Niederlausitzer  Typus 
au^edeckt  worden  sind:  es  scheinen  sich  daraus  bedeutende  methodisch 
wichtige  Anhaltspunkte  für  die  vorgeschichtliche  Besiedelung  Sachsens  zu  er- 
geben. —  Prof.  Wol ff  (Frankfurt  a.  M,)  berichtete  über  den  Verband  west- 
und  süddeutscher  Geschichtsvereine  behufs  Organisation  der  römisch» 
germanischen  Forschung.  Dieser  Verband  ist  bereits  ins  Leben  ge* 
treten,  hat  sich  Satzungen  gegeben  und  seine  Thätigkeit  begonnen,  die  um 
so  notwendiger  ist,  als  die  1899  beschlossene  Reichskommission  für 
römisch-germanische  Altertumsforschung  (vgl.  Bd.  I  dieser  Zeit- 
schrift, S.  27)  noch  immer  nicht  zusammengetreten  ist.  Die  von  Prof.  Treu 
pDresden)  vorgeschlagene  Resolution  wurde  angenommen,  sie  lautet:  Die 
Generalversammlung  des  Gesamtvereins  der  deutschen  Ge- 
schichts-  und  Altertumsvereine  richtet  an  den  Reichskanzler 


r)  Wilmans  l.  c.  S.  131. 

2)  Über   die  VersMnmlangen    1898   in  Münster  i.  W.   and    1899   in   Strafsburg  v;>:U 
BiDd  I  dieser  Zeksctinft,  S.  22-24  md  81—85. 


I 


—     58     — 

das  Gesuch,  dafs  die  zu  organisierende  Reichskommission 
für  römisch-germanische  Altertumsforschung  an  das  deutsch- 
archäologische  Institut  angegliedert  werde  und  die  Ge- 
schichtsvereine unter  voller  Wahrung  ihrer  Selbständigkeit 
in  dieser  Kommission  durch  eine  Anzahl  von  ihnen  selbst 
gewählter  Mitglieder  vertreten  sein  mögen. 

In  der  III.  und  IV.  Sektion  berichtete  Pastor  Blankmeister  (Dresden) 
über  Alter  und  Bestand  der  Kirchenbücher  im  Königreich  Sachsen, 
woran  sich  verschiedene  Mitteilungen  über  das  Alter  der  Tauf-,  Trau-  und 
Sterberegister  überhaupt  anschlössen.  Sie  können  nicht  als  Frucht  der  Re- 
formation angesehen  werden,  da  sie  in  Italien  schon  seit  dem  XIV.  Jahr- 
hundert vorhanden  sind  und  in  Deutschland  auch  vereinzelt  früher  auftreten. 
Die  Reformation  hat  die  Führung  der  Register  nur  in  Deutschland  allgemein 
üblich  gemacht.  Wegen  vorgerückter  Zeit  war  es  leider  nicht  möglich,  über 
einen  von  Walther  Gräbner  (Charlottenburg)  vorbereiteten  Antrag  zu  be- 
raten, der  eine  sozialstatistische  Ausbeute  der  Kirchen register  in  grofsem 
Stile  bezweckt,  etwa  in  dem  Sinne,  wie  Gmelin  es  für  das  Gebiet  der 
Tormaligen  Reichsstadt  Hall  gethan  hat.  Vgl.  seinen  Aufsatz  Die  Verwertung 
der  KirchenbücJier  in  dieser  Zeitschrift  Bd.  I,  S.  157  bis  170.  —  Auf  die  not- 
wendige Verbindung  der  Geschichtsvereine  mit  den  Vereinen  für  Volkskunde 
machte  Generalmajor  z.  D.  v.  Friesen  aufmerksam,  während  zur  Vermehrung 
der  Kenntnis  der  in  den  Vereinszeitschriften  niedergelegten  Aufsätze  die  Vereine 
aufgefordert  wurden,  den  im  Tauschverkehr  verbreiteten  Exemplaren  ihrer 
Veröffentlichung  je  ein  zweites  Exemplar  des  Inhaltsverzeich- 
nisses beizufügen. 

Vor  den  vereinigten  Sektionen  erstattete  Prof.  v.  Thudichum  (Tübingen) 
den  Bericht  über  den  Fortgang  der  Grundkartenarbeit,  worauf  Dr.  Kötzschke 
(Leipzig)  das  Wesen  und  die  Aufgabe  der  Leipziger  Centralstelle  für  Grund- 
karten erläuterte  und  Prof.  La mp recht  (Leipzig)  nochmals  die  ganze  Wich- 
tigkeit der  Herstellung  von  Grundkarten  und  die  dringendsten  Aufgaben  kenn- 
zeichnete. Vor  allem  kommt  hier  die  Einzeichnungstechnik  in  Frage,  für 
welche  R.  Kötzschke  bereits  in  dieser  Zeitschrift  Bd.  I,  S.  125 — 131  einzelne 
Vorschläge  gemacht  hat.  Um  auf  Grund  dieser  Ausführungen  das  System 
weiter  auszubilden  und  der  nächsten  Versammlung  bestimmte  Vorschläge 
Torzulegen,  wurde  eine  Kommission  eingesetzt,  bestehend  aus  Ermisch, 
Kötzschke,  Thudichum  und  Wolfram.  —  In  Strafsburg  war  eine 
Kommission  (Bloch,  Reimer,  Wolfram)  ernannt  worden,  um  ein  Programm 
für  die  Ausarbeitung  historischer  Ortsverzeichnisse  der  einzelnen 
Landesgebiete  aufzustellen.  Als  Frucht  der  Beratungen  legte  Archivdirektor 
Wolfram  gedruckte  „Vorschläge"  vor,  die  im  einzelnen  durchberaten  und 
mit  wenigen  Änderungen  angenommen  wurden.  Der  ganze  Wortlaut  dieses 
fein  durchdachten  Programmes  wird  später  in  dieser  Zeitschrift  mitgeteilt 
werden.  —  Über  den  Plan  und  die  Möglichkeit  einer  Fortsetzung  des 
Walther-Koner'schen  Repertoriums  der  historischen  Zeitschriften- 
litteratur  (vgl.  oben  S.  17—23)  berichtete  Prof.  v.  Zwiedineck-Süden- 
horst  (Graz),  der  sich  die  Schwierigkeit  des  Unternehmens  kemeswegs  ver- 
hehlte, aber  einen  Versuch  dennoch  empfahl.  Ehe  m  eme  nähere  Ver- 
handlung mit  den  einzelnen  Vereinen  eingetreten  worden  ist  und  sich  heraus- 


—     59     — 

gestellt  hat,  in  welchem  UmfaDge  sie  sich  zu  beteiligen  beabsichtigen,  ist  es 
tinmöglich  mit  praktischen  Vorschlägen  hervorzutreten.  Zu  ihrer  Förderung 
und  zur  Einleitung  von  Vorverhandlungen  mit  den  Vereinen  wurde  eine 
Kommission  eingesetzt,  bestehend  aus  Prof.  K ö c h e r  (Hannover),  Dr.  Tille 
(Leipzig)  und  Prof.  v.  Zwiedineck  (Graz),  denen  die  Zu  wähl  geeigneter 
Persönlichkeiten  freigestellt  wurde.  —  Bezüglich  der  Inventarisation  nicht- 
staatlicher Archive  konnten  wegen  vorgerückter  Zeit  keine  Beschlüsse 
gefafst  werden,  aber  der  Bericht  von  Archivrat  Bai  Heu  liefs  bereits  zwei 
beachtenswerte  Gesichtspunkte  erkennen:  erstens  sei  eine  unberechtigte  Be- 
vorzugung der  Urkunden  gegenüber  allzu  summarischer  Behandlung  der 
Akten  in  den  Inventaren  zu  beobachten  imd  darin  müsse  Wandel  geschaffen 
werden,  und  zweitens  sei  das  Pflegersystem  weiter  auszubilden  und  zu 
verbreiten. 

In  der  Versammlung  der  Vereinsdeligierten  wurden  nach  der  Erstattung 
des  Geschäftsberichts  die  im  Entwurf  gedruckt  vorgelegten  Satzungen,  das 
Werk  der  1899  eingesetzten  Siebenerkömmission,  durchberaten  und  mit  un- 
wesentlichen Änderungen  angenommen.  Die  wichtigste  Ändertmg  ist  die,  dafs 
fortan  nicht  mehr  wie  bisher  einer  der  verbundenen  Vereine  die  Geschäfts- 
führung hat,  sondern  dafs  ein  neungliedriger  Verwaltungsausschufs  an  die 
Spitze  tritt,  dem  aller  zwei  Jahre  durch  Neuwahl  einiger  Mitglieder  neues 
Blut  zugeftihrt  wird  und  der  aus  dem  Vorsitzenden,  dessen  Stellvertreter  und 
dem  Schatzmeister,  sowie  sechs  Beisitzern  besteht.  Gewählt  wurden  als  Vor- 
sitzender Bai  Heu  (Charlottenburg),  als  dessen  Stellvertreter  v.  Pfister 
(Stuttgart),  als  Schatzmeister  Zimmermann  (Wolfenbüttel)  und  als  Beisitzer 
Anthes  (Darmstadt),  v.  Bezold  (Nürnberg),  Ermisch  (Dresden),  Prümers 
(Posen),  Wolff  (Frankfurt  a.  M.)  und  Wolfram  (Mete).  Für  die  Tagung 
im  Jahre   1901  wurde  vorläufig  Freiburg  i.  B.  in  Aussicht  genommen. 

Am  24.  September,  am  Tage  vor  Eröffnung  der  Generalversammlung 
des  Gesamtvereins  wurde  ebenfalls  in  Dresden  der  erste  Tag  für  Denkmals- 
pflege abgehalten.  Noch  im  Jahre  1899  wurde  über  die  Fragen  des 
Denkmabchutees  innerhalb  des  Gesamtvereins  verhandelt,  es  wurde  damals 
eine  Eingabe  an  die  verbündeten  Regierungen  bezüglich  gröfseren  gesetelichen 
Schutees  für  historische  Denkmäler  gerichtet  (vgl.  diese  Zeitschrift  Bd.  I, 
S.  109 — iio),  aber  zugleich  die  Einberufung  eines  gesonderten,  vom  Gesamt- 
verein getrennten  Denkmalstages  beschlossen.  In  Dresden  hatten  sich  90  Teil- 
nehmer eingefunden,  teils  Kunsthistoriker,  teils  Bausachverständige,  um  ge- 
meinsam über  die  wichtige  Frage  des  Denkmalschutees  zu  beraten.  Prof. 
Giemen  (Düsseldorf)  baute  seine  Ausftihrungen  über  die  Gesetzgebung 
zum  Schutze  der  Denkmäler  auf  den  schon  1899  unter  allgemeiner 
Zustimmimg  festgestellten  Säteen  auf  tmd  schilderte  das  bisher  in  dieser  Hin- 
sicht geltende  Recht.  Der  Vertreter  der  hessischen  Staatsregierung,  Re- 
gierungsrat Freiherr  v.  Biegeleben,  legte  darauf  einen  Geseteentwurf  zum 
Schutee  der  Denkmäler  vor,  der  von  einer  Kommission  noch  im  einzelnen 
durchberaten  wurde  und  den  wir  später  im  vollen  Wortlaut  wiedergeben 
werden.  —  Prof.  Gurlitt  (Dresden)  umschrieb  des  näheren  die  Forderungen, 
die  er  glaubt  billigerweise  an  die  Denkmale rinventarisation  stellen  zu 
können.    Vgl.  hierzu  den  Aufsate  von  E.  Polaczek  in  Bd.  I  dieser  Zeitschrift, 


—     60     — 

S.  270  bis  290.  —  Prof.  Dehio  (Strafsburg),  der  selbst  nicht  erscfaieDen  war, 
l^e  gedruckt  ein  Programm  zu  einem  Handbuche  der  deutschen 
Denkmäler  vor,  und  es  wurde  eine  Kommission,  bestehend  aus  Geh.  Rat 
Loersch  (Bonn),  Prof.  Giemen  (Düsseldorf)  und  Hofrat  Gurlitt  (Dresden), 
eingesetzt,  welche  für  die  Herstellung  dieses  Handbuches  sorgen  solL  — 
Nach  einem  Berichte  des  Baurates  T  o  r  n  o  w  (Metz)  wurde  endlich  über  die 
Grundsätze  beraten,  nach  denen  bei  der  Wiederherstellung  von  Baudenk- 
mälern verfahren  werden  soll. 

Arohiy^*  —  Der  zweite  allgemeine  deutsche  Archivtag  ümd 
ebenfaUs  am  24.  September  in  Dresden  statt  (über  den  ersten  vgL  Bd.  I 
dieser  Zeitschrift,  S.  56->6i)  und  war  von  60  Teilnehmern  besucht  Unter 
dem  Vorsitze  des  Geh.  Rat  Hassel,  Direktors  des  Hauptstaatsarchivs  in 
Dresden,  und  dem  Ehrenvorsitze  des  k.  k.  Hofrates  Winter,  Direktors  des 
k.  k.  Haus-,  Hof-  und  Staatsarchivs  in  Wien,  wurde  in  die  V exiiandlungen 
eingetreten.  Der  erste  Gegenstand  der  Besprechung,  die  Publikationvon 
Archivinventaren,  mufste  vertagt  werden,  da  der  Berichterstatter  Geh. 
Rat  von  W  e  e  c  h  (Karlsruhe)  krankheitshalber  nicht  erschienen  war.  —  Geh. 
Archivrat  Hille  (Schleswig)  eröffnete  daher  die  Beratungen  mit  seinem  Vor- 
trage über  Aktenkassation,  er  beschränkte  sich  dabei  auf  die  seit  drcifsig 
Jahren  in  dem  seiner  Leitung  anvertrauten  Archive  gemachten  Er&hnmgen 
und  vermied  es,  irgend  welche  aus  theoretischen  Erwägungen  abgeleitete  all- 
gemeine Grundsätze  über  die  Vernichtung  von  Akten  aufzustellen.  Im  einzefaien 
kam  er  zu  mehr  negativen  Elrgebnissen,  insofern  er  verschiedene  Aktengruppen 
bezeichnete,  die  nicht  kassiert  werden  dürfen.  Als  allgemein  anerkannt  können 
etwa  nur  die  zwei  folgenden  Sätze  gelten :  i)  AUe  Akten  ans  allen  Instanzen 
sind  aufzubewahren,  als  deren  Produkt  ein  Gesetz,  eine  Verordnung  oder  ein 
Statut  vorliegt.  2)  Die  Archive  dürfen  sich  auf  die  Dauer  nicht  mit  solchen 
Akten  belasten,  die  nur  deshalb  Bedeutung  haben,  weü  sie  als  Beweismaterial 
fUr  Ansprüche  oder  Forderungen  von  Privatpersonen  dienen  können.  Im 
übrigen  schwanken  die  Anschauungen  zwischen  höchstem  Konservativismus, 
der  alles  aufheben  will,  und  denkbar  gröfstem  Radikalismus,  dem  es  zu 
danken  ist,  wenn  oft  schon  wenige  Jahrzehnte  nach  der  Vernichtung  gewisse 
Akten  schmerzlich  vermifst  werden.  Es  ist  gegenwärtig  jeden&lls  noch  nidit 
die  Zeit,  eigentliche  Grundsätze  über  die  Aktenvemichtung  aufzustellen,  und 
HiUe's  Ausführungen  können  und  sollen  nur  als  Ausgangspunkt  für  eine 
weitere  Erörterung  dienen.  Dies  zeigte  namentlich  die  Diskussion,  wo  u.  a. 
eine  gewisse  Zeitgrenze  gefordert  wurde,  nach  der  überhaupt  erst  Vernich- 
tungen von  Akten  möglich  sein  dürfen  —  etwa  ein  Jahrhundert  — ,  denn 
was  einst  für  die  Forschung  wichtig  sein  wird,  kann  heute  noch  gar  nicht 
geahnt  werden.  In  Verbindung  mit  diesem  Vortrag  wurde  zugleich  die  andere 
Frage  behandelt:  Sollen  die  Volks  Zählungszettel  von  den  Archiven 
aufgenommen  und  aufbewahrt  werden?  (Berichterstatter  Arcfaiv- 
direktor  Wolfram -Metz),  und  wiederum  standen  die  Meinungen  einander 
schroff  gegenüber.  Doch  wurde  fUr  diese  Sonderfrage  eine  Kommission 
(Grotefend,  Hille,  Wolfram)  ernannt,  welche  der  nächsten  Versammlung  Vor- 
schläge unterbreiten  soU.  —  In  vieler  Beziehung  lehrreich  war  der  erzählende 
||  Vortrag  von  Stadtarchivar  Jung  (Frankfurt  a.  M.)   über   das  Archiv  des 


I 


—     61     — 

deutschen  Parlaments  von  1849,  <lessen  Restbestände  die  Frankfnrter 
Stadtbibliothek  als  Depositum  aufbewahrt.  Die  politischen  Ereignisse,  die 
der  Auflösung  des  Parlaments  folgten,  haben  zur  Zerstreuung  vieler  Akten 
geführt,  und  diese  sollten  allmählich  wieder  mit  der  Haupt- 
mas^se  vereinigt  oder,  wenn  dies  unmöglich  ist,  wenigstens 
bezüglich  ihres  Aufbewahrungsortes  und  Inhalts  bekannt  ge- 
macht werden!  —  Auch  einige  Erfahrungen,  die  seit  der  letzten  Ver- 
sammlung mit  dem  Archivuniversalmittel  Zapon  gemacht  worden  sind  und 
die  seinen  Gebrauchswert  immer  erhöhen,  wurden  ausgetauscht,  und  unter 
Führung  des  Direktors,  Oberstleutnant  Exner,  wurde  das  Kgl.  Sächsische 
Kriegsarchiv  besichtigt 

Über  die  Zukunft  des  Archivtags  wurde  beschlossen,  dafs  er  alle  Jahre 
in  Verbindung  mit  der  Hauptversanunlung  des  Gesamt  Vereins  abzuhalten  sei. 
Die  Leitung  wurde  in  die  Hände  eines  dreigliedrigen  Ausschusses  gelegt,  in 
dem  der  Vorsitzende  des  Gesamtvereins  vertreten  sein  mufs.  Als  die  beiden 
anderen  Mitglieder  des  Ausschusses  wurde  Archivdirektor  Wiegand  (Strafs- 
burg) und  Geh.  Archivrat  Grotefend  (Schwerin)  gewählt.  Da  der  Gesamt- 
verein Archivrat  Bai  Heu  wiederum  zu  seinem  Vorsitzenden  erkoren  hat,  so 
ruht  also  die  Einberufung  des  dritten  Archivtages,  der  vermutlich 
in  Freiburg  i.  B.  stattfinden  wird,  in  den  Händen  von  Bailleu,  Grote- 
fend und  Wiegand. 

Von  der  Aufbewahrung  oder  einer  besonderen  Fürsorge  für  Schriftwerice 
archivalischer  Natur  zu  Frelblirg  I«  Br*  ist  erstmals  im  Jahre  14 14  die 
Rede.  In  den  vorausgehenden  drei  Jahrhunderten  der  Stadt  war  einerseits 
ihr  Kanzleiwesen  noch  wenig  ausgebildet,  andrerseits  waren  die  Zeitläufe  jeder 
Entwicklung  in  dieser  Hinsicht  meist  so  ungünstig,  dafs  es  leicht  war,  den 
geringen  Vorrat  an  Dokumenten  in  einem  mäfsigen  Behälter  tmterzubringen 
und  in  einer  der  zahlreichen  Kirchen  oder  Klöster  zu  bergen.  Ob  dies 
auch  thatsächlich  der  Fall  war,  läfst  sich  nicht  mit  Sicherheit  entscheiden; 
der  Umstand,  dafs  gerade  die  älteste  und  wichtigste  Urkimde,  die  auf  dem 
Recht  der  Stadt  Köln  fufsende  Verfassungsurktmde  von  1120,  die  1275 
zwar  als  beschädigt,  aber  doch  als  noch  vorhanden  erwähnt  wird,  in  der 
Folge  verloren  gehen  konnte,  scheint  fast  dagegen  zu  sprechen.  Selbst  seit 
dem  Vorhandensein  eines  Rathauses  (1303)  verlautet  noch  nichts  von  einem 
städtischen  Archiv  weder  hinsichtlich  des  Inhalts  noch  des  etwaigen  Auf- 
bewahrungsortes,  während  das  der  Grafen  in  einer  gleSinen  kameren  auf 
der  Burg  urkundlich  bezeugt  ist  (1347).  Erst  mit  dem  Übergange  der  Stadt 
an  das  Haus  Österreich  (1368)  und  dem  damit  erfolgten  Eintritt  friedlicherer 
Zustände  nach  innen  wie  nach  aufsen  hören  wir  von  einem  Kanzlei - 
archiv  im  Rathaus,  in  welchem  neben  den  wertvolleren  Urkunden  die  mit 
1378  beginnenden  Ämterbücher  oder  „Ratsbesatzungen**  und  die  mit  1386 
in  Foim  von  Weistümem  und  Ratserkenntnissen  einsetzenden  Ratsprotokolle  ver- 
wahrt wurden.  Gleichzeitig  ist  ein  die  wichtigsten  Urteilsbriefe  und  Fertigungs- 
protokolle enthaltendes  Gerichtsarchiv,  sowie  für  die  Obligationen,  Gült-  und 
Leibrentenbriefe,  Zinsrodel  und  dergleichen  ein  Kaufhaus  archiv  nachweisbar. 

Die  kostbarsten  aller  städtischen  Dokumente :  eine  Auswahl  von  kaiserlichen 
und    herzoglichen    Gnadenbriefen,    den    verschiedenen   Verfiassungsurkunden, 


—     G2     — 

Bundbriefen  mit  Städten  und  Herreu,  Sühneverträgen  mit  den  Grafen,  Über- 
gabsverträgen mit  Östei  reich,  Urfehden  des  breisgauischen  Adels,  päpstlichen 
Bullen,  bischöflichen  Erlassen  imd  derartigem  erscheint  von  14 14  in  den 
diebes-  und  feuerfesten  Hahnen  türmen  des  Münsters  wohlverwahrt, 
während  die  täglich  gebrauchten  Urkunden  (Kopialbücher)  und  Aktenstücke 
als:  ältere  Ratsentscheidungen  in  öffentlichen  Angelegenheiten,  Zunft-,  Zoll-, 
Bau-,  Münz-,  Steuer-  und  Zehntsachen,  Verträge  imd  andres  in  der  grofsen 
Kanzleistube  des  Rathauses  aufgehoben  waren.  Ein  der  zweiten 
Hälfte  des  XV.  Jahrhunderts  angehöriges  Repertorium  bildet  einen  besonderen 
und  ausführlichen  Katalog  sowohl  über  die  Urkunden  im  Münster  als  über 
die  Kanzlei  im  Rathause. 

Dieser  Zustand  währte  bis  zur  Mitte  des  XVI.  Jahrhunderts,  wo  in 
den  Jahren  1551/52  im  Zusammenhang  mit  dem  neuerbauten  Ratssaal 
nebst  Gerichtslaube  im  Hofe  des  Rathauses  ein  in  zwei  Stockwerken  über- 
einander liegendes  spätgotisches  Ratshofarchiv  geschaffen  wurde,  das  in 
seinem  Obergeschosse  mit  der  gesamten  Inneneinrichtung  vom  Jahre  1553  heute 
noch  unverändert  erhalten  und  in  Gebrauch  befindlich  ist,  gleichwie  das 
Münsterarchiv  im  südlichen  Hahnenturm,  während  das  Kaufhausarchiv  in  den 
1 860er  Jahren  aufgelöst  wurde. 

Gleichzeitig  mit  der  Erbauung  des  Ratshofarchivs  wurde  das  Reper- 
torium des  Münsterarchivs  erneuert  (1554),  1560  auch  ein  solches 
über  (las  K  a u f h a u s a  r c h i v  aufgestellt ,  das  von  der  Sorgfalt  der 
cloinaligcn  Stadtvcrwaltimg  nach  dieser  Richtung  ehrendes  Zeugnis  giebt.  Es 
bietet  fincn  interessanten  Überblick  über  das  ganze  Finanzwesen  mit  den 
vielen  Registern  über  Steuer  *),  Schätzung,  Kriegskosten,  über  die  liegenden 
(Jründc,  Kapitalien  und  über  Schuldenvogtei,  über  Stiftungen,  Kirchen-,  Zxmft-, 
Tlialvogtci-  und  Kassenrechnungen  der  Stadt,  Zoll  und  Ungeld,  über  die 
Rechnungsablagcn  des  Stadtwechsels  oder  städtischen  Bankinstituts  sowie  über 
die  Runs-  oder  Bewässerungsurkunden.  Ähnlichen  Erneuerungen  der  Reper- 
torien  begegnen  wir  1602,  wobei  wir  zugleich  von  einer  ziemlich  ausftjhrlichen 
Registraturordnung  Kenntnis  erhalten,  dann  1606  und  1627  imd  in  den 
Jahren  1652  — 1660.  Eine  feste  und  gediegene  Grundlage  zur  Reper- 
torisierung  des  gesamten  Stadtarchivs  im  modernen  Geiste  gab  dann  hundert 
Jahre  später  der  vorderösterreichische  Registrator  und  nachmals  bischöflich 
baselische  Kammerrat  und  Archivar  Leonhard  Leopold  Maldoner 
(1748).  Die  von  ihm  eingeführte,  in  der  Folgezeit  aber  wieder  vernach- 
lässigte und  teilweise  umgestofsene  Archivordnung  bildet  den  Grundstock  der 
in  neuester  Zeit  in  Angriff  genommenen  fachmännichen  Ordnung  und  Ver- 
zeichnung, die  von  den  bis  dahin  mit  der  Verwaltung  des  Archivs  betrauten 
Persönlichkeiten  nicht  einmal  versucht  worden  ist.  Nachdem  seit  den  20  er 
Jahren  des  XIX.  Jahrhunderts  der  bekannte  Professor  Heinrich  Schreiber 
seinen  offenen  Zutritt  zum  Archiv  zur  Veröffentlichung  eines  Urkimdenbuchs 
(1828/29  und  1863 — 1866),  zur  Erforschung  imd  Darstellung  zahlreicher 
Einzelheiten  sowie  einer  zusammenfassenden  Geschichte  der  Stadt  (1857  8) 
benutzt  hatte,  konzentrierte  sich  in  den  60  er  Jahren  die  Hauptthätigkeit  des 


l)  Das  älteste   Zinsbuch    des  XIV.  Jahrhunderts  ist   das  4.  Grundsteuer-  oder  Herr- 
schaftsrechtbuch vom  Jahre   1388.     (1389?) 


—     63     — 

Archivars  (C.  Jäger)  aofe  Sammeln  von  Altertümern  aller  Art,  bis  in  den  80  er 
Jahren  unter  G.  A.  Po  in  sign  on  das  Publizieren  wieder  begann.  Von  seinen 
sahkeichen  litterarischen  Arbeiten  zur  Geschichte  der  Stadt  Freiburg  und  des 
Breisgaus  sind  an  erster  Stelle  die  im  Jahre  1890  von  ihm  unternommene 
Herausgabe  der  durch  ihr  seltsames  Schicksal*)  bekannten  Heiliggeist- 
spitalurkunden und  die  im  folgenden  Jahr  gefertigte  geschichtliche 
Ortsbeschreibung  der  Stadt  zu  nennen.  Jenes,  Regesten  der  Spital- 
Urkunden  von  1255— 1400  enthaltend,  ist  ein  durch  seine  Einleitimg,  sein 
sorgfaltig  gearbeitetes  Register,  Wort-  und  Sacherklärungen  ein  auch  für 
weitere  Kreise  leicht  benutzbares  Buch  *) ,  das  neben  seinen  reichen  rein 
örtiichen  Interessen  besonders  für  die  Rechts-  und  Wirtschafbgeschichte 
imd  Statistik,  für  die  Entwicklung  der  öflfendichen  Wohlthätigkeit  und  des 
Armenwesens,  für  Kirchengeschichte,  Genealogie  und  Sprachforschung  noch 
ingehobene  Schätze  birgt.  Nicht  minder  wertvoll,  wenn  auch  mehr  in 
lokaler  imd  praktischer  Hinsicht,  ist  der  erste  Teil  der  geschichtiichen 
Ortsbeschreibung'),  der  die  Baugeschichte  der  Stadt,  die  Entwicklung  von 
Bann  imd  Gemarkung,  die  Wasserversorgung,  Friedhöfe,  Strafsen  imd  öffent- 
fichen  Platze  behandelt,  „um,  so  von  der  Gesamtheit  ausgehend,  alle  Ört- 
lichkeiten der  Stadt  bis  in  die  Einzelheiten  herab  in  ihren  historischen  Et- 
innerungen  beleuchten  zu  können**.  Die  reichste  Fülle  eines  nur  durch  den 
Archivar  in  jahrelanger  liebevoller  Forschung  zu  gewinnenden  Wissens  spricht 
aas  jedem  Abschnitte  dieser  Arbeit 

Um  diese  beiden  Publikationen  zu  Ende  zu  fuhren  und  andere  ähnliche 
au  ermöglichen  und  unter  einem  einheitlichen  Gesichtspunkte  zusammenzu- 
Cassen ,  beschlofs  man  vor  einigen  Jahren ,  ohne  sich  vor  dem  Abschlüsse 
der  Repertorisierung  des  Archivs  die  Anfechtbarkeit  und  Schwierigkeiten  eines 
solchen  Unternehmens  zu  verhehlen,  mit  den  beiden  Arbeiten  Poinsignons  eine 
zwanglose  Folge  von  „Veröffentlichungen  aus  dem  Archiv  der 
Stadt  Freiburg  i.  Br.**  zu  beginnen.  Auf  diesem  Wege  ist  denn  auch 
im  laufenden  Jahre  der  Schlufsband  der  Heiliggeistspitalurkun- 
den*) erschienen,  der  in  der  von  Poinsignon  begonnenen  Anlage  die  Spital- 
urkunden von  1401 — 1662  verzeichnet  und  gleichzeitig  damit  auch  diejenigen 
des  ebenfalls  dem  Heiligen  Geist  geweihten  sogen.  Gudeuthauses  (1251 
bis  1767)  zum  Abdruck  bringt.  Die  Fortsetzung  und  Beendigung  der  ge- 
schichtlichen Ortsbeschreibung,  die  Häusertopographie,  befindet  sich  in 
Arbeit  und  soll  im  nächsten  Jahre  zur  Ausgabe  gelangen.  Ihnen  sollen 
später  sowohl  weitere  Quellenpublikationen  folgen,  die  das  künftige  neue 
Urkundenbuch  der  Stadt  zu  entlasten  geeignet  sind,  als  auch  solche  Einzel- 
darstellungen, die  jetzt  schon  von  weiteren  Kreisen  der  Einwohnerschaft  als 


1)  Vgl.  L.  Riegel,  Über  das  Schicksal  gewisser  Breisgauer  Archivalien  (Zeitschr. 
der  Gesellschaft  für  Beförderung  der  Geschichts-,  Altertums-  und  Volkskunde  von  Frei- 
biirg.     Vn.  [1888],   103). 

2)  Die  Urkunden  des  Heiliggeistspitals  zu.  Freiburg  i.  Br.,  Bd.  I.  1255  —  1400. 
Bearb.  von  Ad.  Poinsignon.     Fieib.  i.  Br.   1890.  8°.  XXll  u.  372  S.  Mk.  4. 

3)  Geschichtliche  Ortsbeschreibung  der  Stadt  Freiburg  i.  Br.  Bearb.  von  Ad.  Poin- 
signon.     I.  H.  mit  2  Plänen.     Freib.  i.  Br.   1891.  8*».  VIU  u.   170  S.  Mk.  2. 

4)  Die  Urkunden  des  Heiliggeistspitals  zn  Freibnrg  i.  Br.  2.  Bd.  1401  1662.  Bearb. 
fon  Leonard  Korth  und  Peter  P.  Albert.  Freib.  i.  B.  1890.  8*  VII  u.  640  S.  Mk.  6. 
^=  Veröffentlichungen  aus  dem  Archiv  der  Stadt  Freiburg  im  Breisgau.     III.  Teil). 


—     66     — 

Altmark  stets  des  Rechtes  entbehrte,  mit  dem  Schwerte  zu  richten, 
trage  der  Roland  dort  diese  Waffe  nicht;  —  er  hatte  sie  nämlich  im 

Laufe  der  Zeiten  verloren.     Dem  vielseitig  kundigen  J.  G.  Th.  Grässe 

{Die  grofsen  Sagenkreise  des  Mittelalters,  1842,  S.  295)  zufolge  war 

die  Verehrung,    welche  man  im  Mittelalter  gegen  Roland  hegte,   so- 

groCs,   dafs  ihn   die  romantischen  Dichter  des  XIII.  Jahrh.  bereits  in 

das  Paradies  versetzten;  „dies  ist  der  Grund,  warum  man  in  Italien 

und  Spanien,    sogar  in  Deutschland   mehreren  Plätzen  seinen  Namen 

gegeben,  und  ihn  selbst  oft  gar  häufig  in  Stein,  wie  irgend  einen  alten 

berühmten  Heiligen,  abgebildet  hat". 

Wir  gelangen  nunmehr  wiederum  zu  Zöpfl,  und  zwar  zu  dem 
dogmatischen  Teil  seines  Werkes  *),  dessen  Roland-Statistik  wir  bereits 
(S.  11)  besprochen  haben. 

Zöpfl  sieht  in  den  Rolanden  das  Bild  eines  als  Richter  dar- 
gestellten Kaisers  oder  Königs  (S.  83),  und  zwar  ursprünglich  Kaiser 
Ottos  IL  (S.  146),  des  Roten,  des  Blutigen,  des  strengen  Richters; 
daher  auch  der  Name  der  Statuen :  Rot-Land,  Rotlands-Säule,  auf  der 
Blutgerichtsstätte  aufgestellte  BUdsäule  (S.  119).  Als  dreifache,  stets 
ungetrennt  erscheinende  allgemeine  Bedeutung  erkennt  er  das  Recht,, 
ein  Gericht  in  der  Stadt  zu  haben,  das  Marktrecht  und  die  Freiung 
von  der  Gerichtsbarbeit  der  auswärts  tagenden  Land-,  2fent-  und  Vehm- 
gerichte  (S.  83) ;  die  Rolandbilder  sind  Gerichts-,  Markt-  und  Mundats- 

schon  früher  ein  RoUnd  „als  Zeichen  des  SUdtrechts  und  der  hohen  Gerichtsbarkeit **- 
gestanden,  „so  lag  es  dem  Kloster  Boch  sehr  nahe,  einen  solchen  als  Zeichen  der 
ihm  nnn  zustehenden  Gerichtsherrlichkeit  aufrichten  zn  lassen;  im  Punkte  der  Sjrmbolik 
pflegten  ohnehin  die  Kirchen  nicht  leicht  etwas  zu  remachlässigen,  was  zur  Beurkundung 
ihrer  Gerechtsame  dienen  konnte  <*.  Das  klingt  alles  recht  schön  und  überzeugend.  Aber 
das  Kloster  Buch,  in  dessen  Besitz  Beigem  1309  gelangte,  lag  bei  Altcella  inMeifsen, 
führte  den  geistlichen  Namen  Vallis  s.  Egidii,  gehörte  dem  Cistercienserorden  an  (Fr.. 
Winter,  Die  Cistercienser  d.  nordöstL  Deutschlands  n,  294),  heifst  heute  Klosterbuch, 
und  hatte  keinen  Roland;  das  altmärkisclie  Dorf  Buch,  welches  in  diesem  Zn- 
sammenhange kaum  jemand  in  den  Sinn  kommen  kann,  hatte  zwar  einen  Roland,  aber 
kein  Kloster.  Ein  fihnlicher  Mifsgriff  ist  Zöpfl  gelegentlich  des  Rolands  zu  Bram- 
stedt  begegnet  (S.  212 if.).  Ans  einer  Urkunde  ron  angeblich  1258,  nach  welcher  die 
Vogtei  zu  Bramstedt  erzbischöflich  bremisches  Lehn  im  Besitz  Gerberts  y.  Stotel  war, 
folgert  er,  dafs  die  Verpflanzung  der  Rolandbilder  von  Bremen  und  Hamburg  nach  Hol- 
stein wohl  in  der  2.  Hälfte  des  XIL  oder  XUI.  Jahrh.  stattgefunden  habe,  wenn  dies 
nicht  etwa  schon  in  der  Ottonischen  Zeit  geschehen  sei.  Die  fragliche  Urkunde  ist  vom 
13.  Dez.  1248  und  betrifft  nicht  Bramstedt  in  Holstein  (Kr.  Segeberg),  sondern  Bram- 
stedt in  der  jetzigen  Provinz  Hannover,  Kr.  Geestemflnde  (Ehrentraut, 
Fries.  Arch.  II,  1854,  S.  418). 

i)  Altertümer  des  deutschen  Reichs  und  Rechts,  III.  Bd.   Die  Ruiands-Säule.     Eine, 
rechts-  u.  kunstgeschichtl.  Untersuchung,  1861,  S.  I — 171. 


—     67     — 

sänlen,  zuweilen  in  lokaler  Bedeutung*  noch  Wahrzeichen  der  Reichs- 
unmittelbarkeit  (S.  95).  Hervorgegangen  sind  sie  aus  dem  uralten 
Schild-  oder  SchwertpCahl  (S.  149),  der  Irmensäule  (S.  151),  welche 
dem  Schwertgotte  Tyr,  dem  Schildgotte  Wuotan,  dem  Gotte  der 
Fruchtbarkeit,  Fro,  und  dem  Spezialgotte  der  Sachsen  und  angrenzen- 
den Wenden,  Hruodo  (S.  156)  geweiht  war. 

Die  mit  groiser  dialektischer  Gewandtheit  geschriebene  Unter- 
suchung zeigt  dieselben  Vorzüge  und  Mängel,  wie  der  statistische  Teil, 
erstaunliche  Fülle  von  Einzelkenntnissen  und  merkwürdige  Schwäche 
der  Kritik.  Für  ims  bleibt  in  ihr  nur  der  Satz  bestehen,  daüs  die  Ro- 
lande ursprünglich  Königsbilder  waren;  imd  das  hatte  schon  mehr  als 
225  Jahre  vorher  Gryphiander  erkannt. 

Nicht  die  überzeugende  Kraft  der  Argumentation,  sondern  die 
Massenhafdgkeit  des  zusammengetragenen  Materials  hat  dem  Buche 
Zöpfls  seine  unbestreitbar  markante  Stellung  in  der  litteratur  ver- 
liehen. Nur  schüchtern  und  in  Nebenfragen  wagte  sich  die  Kritik  an 
dasselbe  heran ;  eine  Kontrolle  der  durch  ausgebreitete  Korrespondenz 
zusammengehäuften  Stoffsammlimg  erschien  ungemein  schwer  und  so 
beruhigt  man  sich  auch  heute  wohl  noch  in  Laien-  wie  in  Fachkreisen 
bei  dem  im  Jahre  1867  ausgesprochenen  Urteil  von  Friedr.  Jul. 
Kuhns,  Zöpfl  habe  dem  Gegenstande  in  neuester  Zeit  die  ein- 
gehendsten imd  umfassendsten  Studien  gewidmet,  und  seine  dankens- 
werte Zusammenstellung  des  zersprengten  und  schwer  zugänglichen 
Materials  erleichtere  den  Überblick  über  die  Lage  der  quellenmälsigen 
Überlieferung.  Derselbe  Kuhns  hat  übrigens  über  die  märkischen 
Rolande  ein  Votum  abgegeben,  welches  sich  vielfach  von  Zöpfl  frei 
macht  imd  durch  besonnene  Objektivität  erfreut  ^). 

Zum  TeU  in  Polemik  gegen  Zöpfl  streifte  Chr.  Petersen  in 
seiner  umfangreichen  Abhandlung  Zioter-,  Zeter--  oder  Tiodute-Jodute, 
der  Gott  des  Krieges  und  des  Rechts  bei  den  Deutschen;  eine 
rechtsgeschichtl.  u.  tnythol.  Untersuchung^)  die  Rolandfrage:  „Eigent- 
licher Schützer  des  Rechts  imd  Vorsitzender  der  Grerichte  ist  nur  Zio, 
der  im  Kriege  wie  im  Grerichte  den  Beinamen  Roland  führte,  der  ab- 
gelöst vom  Gott  und  verschmolzen  mit  dem  historischen  Roland  zum 
Heros  der  Sage  geworden  ist".  .  .  .  „Die  Gerichte  aber  waren  in 
ältester  Zeit  vorzugsweise  Blut-  oder  Kriminalgerichte,  und  daher  haben 
sich  die  ältesten  Gebräuche  bei  diesen  am  längsten  in  ursprünglicher 

i)  Gesdiichte  der  GerichUrerfauiing  and   des  Prosestes  in  der  Blark  Brandenburg 
n,  1867,  S.  203—213. 

2)  Forsch,  s.  D.  Gesch.  VI,  1866,  S.  225 — 342. 

6» 


\ 


—     68     — 

Gestalt  erhalten"  (S.  322).  Auch  er  ging  also  von  der  irrigen  Voraus^ 
Setzung  aus,  dafs  die  ursprüngliche  Bedeutung  d<er  Rolandbilder  die 
von  Wahrzeichen  des  Blutgerichts  sei. 

Nach  der  KrafUeistung  Zöpfls  trat  zunächst  eine  längere  Pause 
ein,  in  welcher  die  Forschung  Atem  schöpfen  zu  wollen  schien.  Nur 
die  Mythologen,  welche  schon  seit  geraumer  Zeit  auf  die  Frage  auf- 
merksam geworden  waren  —  auch  Zöpfl  und  Petersen  schweiften 
ja  auf  ihr  Gebiet  hinüber  —  begannen  sich  kräftiger  zu  regen.  Von 
ihnen  wird  zum  Schlufs  die  Rede  sein. 

Fünfundzwanzig  Jahre  nach  dem  Erscheinen  von  Zöpfls  Buch 
versuchte  wiederum  ein  Heidelberger  Rechtshistoriker  eine  neue  Be- 
antworttmg  der  immer  noch  nicht  befriedigend  gelösten  Frage«  In 
seiner  Abhandlung  Wetchbtld^)  kommt  Richard  Schröder  zum 
Schlufs  auch  auf  die  Rolande  zu  sprechen.  Nachdem  er  die  einzelnen 
Wahrzeichen  der  Marktfreiheit  und  des  Marktfriedens,  die  Entwickelung 
des  „Stadtkreuzes"  und  die  Identität  des  letzteren  mit  dem  „Weich- 
bild", welches  sprachlich  als  „Orts-  oder  Stadtbild"  zu  deuten  sei, 
erörtert,  schliefst  er  folgendermafsen :  Mit  der  Befestigung  der  „  Leib- 
zeichen "  des  Herrn,  Handschuh,  Schwert  u.  s.  w.  an  dem  Markt-  oder 
Freiheitskreuz  gleichbedeutend  war  es,  wenn  man  am  Beaumont-Kreuz 
zu  Frouard  das  Bild  eines  gehamischten  Ritters  mit  geschlossenem  Visier 
anbrachte  (S.  322).  Hier  sei  mit  Sicherheit  der  Übergang  vom  Markt- 
kreuz zur  Rolandsäule  zu  erkennen.  Diese  seien  mehr  oder  weniger  rohe 
Kaiserbilder;  zu  ihren  Attributen  seien  das  nie  fehlende  Schwert,  häufig 
auch  Schild  und  Fahne,  sonst  selbständige  Symbole  der  Stadtfreiheit, 
geworden.  Die  Rolandsäulen  fanden  sich  im  Wesentlichen  nur  in  der 
Heimat  des  „Weichbilds ";  sie  seien  die  moderne  Form  desselben  und 
frühestens  in  der  2.  Hälfte  des  XIII.  Jahrhunderts  an  die  Stelle  der 
alten  „Weichbilder",  der  roheren  Stadtkreuze,  getreten  (S.  323). 

Ich  beschränke  mich  hier  darauf,  das  Thatsächliche  über  das 
Kreuz  zu  Frouard  festzustellen,  welches  für  Schröder  den  monu- 
mentalen Ausgangspunkt  seiner  Theorie  bedeutet,  wie  insbesondere 
aus  seiner  vorgreifend  zu  erwähnenden  zweiten  Abhandlung  {Die 
Stellung  der  Rolandsäulen  etc.,  S.  25)  hervorgeht,  wo  es  heilst: 
„Der  Ritter  an  dem  Kreuze  zu  Frouard  ist  nichts  anderes  als  ein  in 
der  Entwickelung  vom  Marktkreuze  zum  selbständigen  Rolandbilde 
stecken  gebliebener  Träger  des  Marktschildes  mit  dem  Wappen  des 


i)  Historisclie    Aufsätze,    dem   Andenken   an   Georg  Waits   gewidmet      Hannorer, 
18S6,  S.  306  ff. 


—     69     — 

Landesherrn."     Das  ursprünglich  8  m    hohe   Bteinerne  Kreuz   stand 
bis   gegen    1880  auf  dem  Markte  zu  Fionard,   dann,   erheblich   ver- 
kürzt, auf  dem  dortigen  Kirchhof,   und  befindet  sich  jetzt  seit  ca. 
10  Jahren  im  Lothringischen  Museum   in  Nancy.    Seiner  Vorderseite 
aufgelegt  ist  ein  einfaches  Balkenkreuz  mit  dem  gekreuzigten  Heiland  ')■ 
Auf  seiner  Rückseite  befindet  sich   in   dem   Querarm    das    sehr   be- 
schädigte Reliefbild  eines  gehamischten,  sich   von  der  linken  Seite 
zeigenden  Reiters  •) ;  der  mit  einem  Topfhelm  {den  ein  stark  verstüm- 
melter   Adler    schmückt)    be- 
deckte Kopf  ragt  in  den  oberen 
Arm   des  Kreuzes   hinein;   der 
ganze  übrige  Körper  ist  durch 
einen    grolsen     Dreiecksschild 
bedeckt,  welcher  bei  genauer 
Betrachtung    das    lothtiogische 
Wappen  in  der  Form  zeigt,  wie 
es  Herzog  Ferri  als  Bischof  von 
Orleans  (1296/99)  führte  *)j  un- 
ter  dem    hinteren    Rande    des 
Schildes  ragt  die  Schwertscheide 
hervor;  von  der  rechten  Hand 
und  ihrer  Bewehrung  ist  nichts 
zu  erblicken,     M.   E.   zeigt  ein 
Blick    auf    die   nebenstehende 
Abbildung,  dals  die  ganze  Kom- 
positton   auch   nicht    das   Min- 
deste mit  der  Vorstellung   ge- 
mein hat,  welche  den  deutschen 
Rolanden  zugrunde  Uegt. 

t)  M.  LJOD  Germaio,  L«  croix  d'iSranchiueineDt  d«  Frouard,  in:  MfmoiTei  de 
1>  taciUi  d'irchfologi«  lorraise,  111.  ttile,  X.  vol.  Nancy,  iSSa,  S.  358—400,  mit 
3  T>f.  —  Herr  ArchiTdircklor  Dr.  PfanDcoicbmidt-Colsiw  und  Herr  Departementt- 
trcbtTar  B.  Darerno^-Nuicy  babea  mich  bei  der  EnniUelnng  der  Littetatnr  auf  dai 
UebezuwUi-digite  uitersliltit. 

s)  Dieie  Verbindnng  tod  Ereni  ond  Reiter,  an  *icb  kttutlemch  mucbön,  findet  ibre 
Analogie  in  einem  KreuM  —  Hordkrenz  —  ta  Erfart,  TOn  dem  GcäTie,  Sacenb.  d. 
TreaT*.  St  I,  no,  396  berichtet;  aa(  der  einea  Seite  deiaelben  war  ein  Reiter,  auf  der 
uderti  eine  kni  sende  Jungfraa  dargestellt, 

3)  Anf  der  Abbildung,  welche  ich  «egeo  der  Ton  Schröder  der  Skulptur  beige- 
meuenen  Bcdeatong  mitzuteilen  ftir  notwendig  halle,  iit  nur  der  pfabiweise  anf  den 
Schild  gelegte  Bischofitab,  nicht  aber  der  mit  2  (ilatt   3)   Adlern   belegte   SchrÜgbalken 


—     70     — 

Vier  Jahre  später  hat  Schröder  die  programmatischen  Schiais- 
Sätze  seiner  Weichbildabhandlung'  zu  einer  Monographie :  Die  Stellung 
der  Rolandssäulen  in  der  Rechtsgeschichte  ^)  zusammengefaist  und 
erweitert,  deren  eindringlich  überzengongsvoUe  Darstellung,  unter- 
stützt durch  die  wissenschaftliche  Bedeutung  des  Verfassers,  ganz  i 
dazu  angethan  scheint,  in  dieser  Frage  für  längere  Zeit  der  Rechts- 
historie die  Richtung  anzugeben,  obwohl  sie  an  demselben  Grund- 
irrtum leidet,  wie  alle  anderen  rechtsgeschichtlichen  Erklärungsversuche^ 
dafs  sie  nämlich  von  einer  Bedeutung,  welche  gewisse  Rolandbilder 
zum  Teil  sehr  fraglicher  Beglaubigung  in  der  sekundären  Entwicke- 
lungsperiode  hier  und  da  besessen  zu  haben  scheinen,  auf  ihre 
primäre  allgemeine  Bedeutung  zurückschliefst 

Da  sich,  so  folgert  Schröder,  die  räumliche  Verbreitung  der 
Rolandsäulen  „fast  vollständig"  mit  derjenigen  des  Wortes  „Weich- 
bild** deckt  (S.  3),  und  „Weichbild**  gleichbedeutend  mit  „Stadtbild** 
oder  „Ortsbild**  ist,  da  femer  aus  den  Umständen  sich  ergiebt,  dals 
die  Rolande  weder  den  Besitz  des  Blutbannes,  noch  die  Dingstätte 
eines  mit  dem  Blutbanne  ausgestatteten  Gerichtes,  noch  die  Reichs- 
freiheit, noch  die  städtische  Freiheit  schlechthin,  das  Stadtrecht,  be- 
zeichnet haben  können,  und  da  erweislich  sieben  von  ihnen  in  Markt- 
flecken oder  ehemaligen  Märkten  sich  befinden,  „so  bleibt  nichts  übrig, 
als  die  Rolandsäulen  in  ihrer  ursprünglichen  Anlage  und  Bedeutung  für 
Marktzeichen  zu  erklären,  und  die  denselben  zum  Teil  beigelegte  weitere 
Bedeutung  auf  spätere  Sonderbildung  zurückzufuhren**  (S.  23).  Die 
Rolandsäulen  sind  als  „monumentale  Träger  der  üblichen  Marktzeichen ** 
(S.  24)  „aus  einer  Umformung  der  alten  Stadt-  und  Marktkreuze*' 
hervorgegangen,  welche  sich  frühestens  seit  Ende  des  XIII.  Jahr- 
hunderts oder  Anfang  des  XIV.  Jahrhunderts  vollzog  (S.  25).  Diese 
Umformung  sei  unverkennbar  in  Erfurt,  wo  der  Roland  erst  1591  an 
die  Stelle  des  Marktkreuzes  getreten  (S.  5.  25).  Die  von  den  Ro- 
landen getragenen  besonderen  Marktzeichen,  Schwert,  Schild,  bisweilen 
Kreuz  (an  dem  sogen.  Roland  in  Brakel,  S.  25)  oder  Fahne  (am  an- 
geblichen früheren  Roland  in  Obermarsberg,  S.  24)  seien  die  Insignien 
des  Königs,  d.  h.  natürlich  Karls  des  Grofsen;  ihre  Träger,  die  Ro- 
landbilder, stellten  dessen  Waffenträger  vor,    da  sie  „von  vornherein 

10  erkennen,  welcher  nach  Germaini  Beschreibung  nur  bei  genaaester  Betrachtmg  dea. 
Originals  bemerkbar  ist. 

1)  Sie  bildet  das  einleitende  Kapitel  in  der  von  R.  B6ringaier  1890  heran»* 
gegebenen  Festschrift  des  Berliner  Geschichtsvereins:  Die  Rolande  D<i.tachlanda 
(Heft  XlVn  der  „Schriften  d.  Vereins  f.  d.  Getch^  Berlins^,  S.  1—36). 


—     71     — 

, Roland'  genannt  wurden*'  (S.  26),  nach  dem  Namen  des  Paladins, 
welcher  „  in  den  Liedern  als  bevorzugter  Waffenträger  Karls "  *)  ge- 
schildert werde  (S.  28). 

Dies  ist  der  Kern  von  Schröders  Roland -Theorie;  auf  den  wei- 
teren, sehr  lehrreichen  Inhalt  seiner  Schrift  einzugehen  ist  hier  nicht 
der  Ort.  Von  der  Kritik  mehrfach  angefochten,  ist  der  unermüdliche 
Heidelberger  Forscher  zum  dritten  Male  auf  den  Gegenstand  zurück- 
gekommen in  der  Abhandlung  Marktkreuz  und  Rolandsbild  (in  der 
Festschrift  zur  $ojährigen  Doktorjuhelfeier  Karl  Weinholds 
Strafsburg,  1896,  S.  118 — 133).  Er  will  in  derselben  „  frühere  Studien 
wieder  aufnehmen,  sie  teils  zu  berichtigen  und  zu  ergänzen,  teils  g^en 
unberechtigte  Angriffe  zu  verteidigen  **.  Was  die  Rolande  *)  anlangt, 
so  erklärt  er,  seinen  früheren  Ausfuhrungen  über  ihre  Entwickelung 
nichts  hinzuzufügen  und  nichts  davon  zurückzunehmen  zu  haben  (S.  132); 
indessen  ist  es  doch  eigentlich  nur  ein  Rückzugsgefecht,  welches  er 
fuhrt.  Die  Hauptstützen  seiner  Theorie  mufs  er  anheben :  die  Gleichung 
„Weichbüd"  =  „Ortsbild"  (S.  131,  Anm.  i),  den  fahnentragenden 
Roland  zu  Obermarsberg  (S.  119,  Anm.  5)*),  die  sogen.  Rolandsäule 
zu  Brakel  mit  Fahne  und  Marktkreuz  (ibid.),   den  1591  angeblich  aus 


i)  Diese  unzutreffende  Auffassung  des  epischen  Roland  habe  ich  in  Forsch,  zur 
Brandenb.-Preuis.  Gesch.  m,  1890,  S.  415  ff.,  wie  ich  glaube,  widerlegt  Wie  man  sich 
gegen  Ende  des  XIL  Jahrh.  in  Deutschland  einen  Waffenträger  Karls  vorstellte,  zeigen 
die  von  W.  Grimm  veröffentlichten  Bilder  der  Heidelberger  Handschr.  des  Rolandsliedes, 
insbes.  no.  14,  wo  der  bärtige  Roland  das  Fahnlehn  Spanien  vom  Kaiser  empfängt,  hinter 
welchem  im  kurzen  Dienergewande  dessen  Schwertträger  steht. 

2)  Das  „Stadtkreuz*'  im  Coblenzer  Stadtsiegel,  welches  Schröder  bei  M.  Bär 
gefunden  hat  (S.  124,  Anm.  5),  beruht  auf  einem  heraldischen  Irrtum  des  letzteren;  es 
Ist  das  in  das  Stadtwappen  übertragene  landesherrliche  Wappenbild. 

3)  Die  Marktfahne  am  Bremer  Roland,  welche  Schröder  (S.  127,  Anm.  3)  nach 
meinem  Vorgange  aus  Brem.  Denkm.  entnommen  hat,  mag,  wie  Rietschel  vermutet 
(Markt  u.  Stadt,  S.  230,  Anm.  2),  auf  einem  Mifsverständnis  des  Verfassers  des  bezüg- 
lichen Abschnitts  in  jenem  Werke  beruhen;  ich  habe  wenigstens  vergebens  in  Bremen 
nach  einer  Quelle  Itir  diese  Angabe  gesucht.  An  sich  unwahrscheinlich  ist  sie  indessen 
nicht.  Man  fafste  in  Bremen  zum  mindesten  seit  Ende  des  XV.  Jahrhunderts  (vgL  v.  Lilien- 
cron,  Histor.  Volkslieder  II,  no.  161)  den  Roland  ausdrücklich  als  den  „eigentlichen 
Bannerträger  der  Republik**,  und  brachte  bei  festlichen  Gelegenheiten  bis  in  die  Neuzeit 
„an  seiner  starken  Seite"  das  Stadtbanner  an,  vgL  J.  H.  W.  Smidt  in  Brem.  J.-B. 
IV,  1869,  S.  431.  Rietschels  Forderung,  dafs  die  Statuen,  um  als  Träger  der  Markt- 
fahne zu  dienen,  mit  halboffener  Hand,  oder  Zwischenraum  zwischen  Arm  und  Körper 
hätten  gebildet  werden  müssen^  ist  künstlerisch  unschön,  wenn  er  sich  dafür  auch  auf 
die  Standbilder  berufen  könnte,  welche  das  Maximilians-Grabmal  in  Innsbruck  umgeben. 
Eine  ästhetisch  befriedigende  Lösung  bot  der  Roland  in  Ragusa. 


—     72     — 

dem  Marktkreuz  hervorgegangenen  Pseudo-Roland  zu  Erfurt  (ibid.)  ^). 
Nichtsdestoweniger  läist  er  seine  Abwehr  mit  der  beredten  Schilderung 
ausklingen,  wie  man  höchst  wahrscheinlich  zuerst  in  Magdeburg,  unter 
dem  Einflüsse  der  französischen  Heldendichtung  stehend,  zu  Ende  des 
XIIL  Jahrhunderts  auf  den  Gedanken  kam,  das  mit  Kaiser  Karls  Hand- 
schuh, Schild  und  Schwert  geschmückte  Weichbildkreuz,  dessen  Be- 
deutung man  nicht  mehr  verstand,  durch  den  sagenberühmten  Schwert- 
träger des  Kaisers  zu  ersetzen. 

Gegen  die  Schrödersche  Theorie  nahm  K.  Uhlirz  entschieden 
Stellung  tmd  verurteilte  zugleich  mit  scharfem  aber  wohlverdientem 
Tadel  den  litterarischen  Unftig  der  Berliner  Festschrift^).  Zur  Sache 
selbst  meint  er  (S.  680,  vgl.  auch  seinen  zweiten  Aufsatz),  dafs  die 
Rolande  die  meiste  innere  Berührung  mit  der  croix  de  Beaumont  zu 
haben  schienen,  und  dafs  möglicherweise  ihre  Bedeutung  durch  ein 
Moment  zu  erfassen  sein  werde,  welches  weder  Schröder  noch  ich 
hervorgehoben,  das  aber  gerade  durch  die  geographische  Verbreitung 
an  die  Hand  gelegt  werde,  die  Ansiedlung  nach  Weichbild- 
recht, wobei  eine  Beziehung  zum  Gericht  nicht  ausgeschlossen  wäre. 
Ich  habe  indessen  schon  in  meiner  Besprechung  des  Schröder-B6rin- 
guierschen  Buches  in  den  Forschungen  zur  Brandenburg,  und 
Preu/stschen  Geschichte  (III,  1890,  S.  409)  darauf  aufmerksam  ge- 
macht, dafs  einem  bedeutenden  TeUe  des  Gebiets,  welches  den  Beg^riff 
des  Weichbildrechts  kennt,  Westfalen,  Lübeck,  Mecklenburg,  die  Ro- 


i)  Diesen  sucht  er  freilich  in  einer  Note  (S.  X19,  Anm.  4)  gewissermafsen  ra  retten: 
der  Rat  habe  bei  der  Errichtung  des  Standbildes,  das  übrigens  auch  noch  als  Giebel- 
krönnng  zweier  am  Markte  stehender  Häuser  wiederkehre  (!),  jedenfalls  dem  Vorgange 
der  mit  Rolandbildem  versehenen  Städte  nacheifern  wollen,  „so  dafs  man  die  Statue 
immer  noch  zu  den  Rolanden  zu  zählen  hat"  (!).  Das  Gegenteü  dieser  willkürlichen 
Snpposition  wird  durch  den  Wortlaut  der  Stadtrechnungen  erwiesen,  welche  nur  von  Er- 
richtung des  „Römers"  oder  des  „steinernen  Mannes"  sprechen,  und  dadurch,  dafs 
Grjphiander,  der  mit  den  Lokalitäten  und  den  Rechtsverhältnissen  Erfurts  durchaus  ver- 
traut war,  in  seiner  Roland-Monographie  bei  der  Erörterung  von  Erfurter  Zuständen 
einen  dortigen  Roland  nicht  erwähnt  Ich  glaube,  dafs  der  Rolandname  für  die  Erfurter 
Statue  auf  eine  böswillige  Bemerkung  von  J.  M.  Gudenns  (Historia  Erfurtensis.  1675, 
bei  G.  Chr.  Joannis,  Scriptor.  histor.  Moguntinensi  cum  maidme  inservientinm  vol.  IIL 
1727,  S.  129)  zurückzuführen  ist.  Im  Register  zu  Joannis  heifst  es  dem  entsprechend 
mit  vollster  Bestimmtheit :  Rolandi  statua  erigitnr  Erfordiae.  E^  verdient  nachgelesen  zu 
werden,  wie  Platen  (S.  35,  Anm.  5)  seiner  Petersberg-Theorie  zu  Liebe  um  die  Rettung 
des  Erfurter  Roland  sich  bemüht  Ein  hierher  gehöriges  Produkt  modemer  SagenbUdung 
verzeichnet  GrSsse,  Sagenb.  d.  Preufs.  Staates  I,  no.  403. 

2)  Mitteilungen  d.  Instit  f.  österr.  Gesch.-Forsch.  XV.  1894,  S.  676  ff.  und  ibid. 
XIX I.    1898,  S.  182. 


—     73     — 

lande  onbekannt  sind.  Auf  diesem  W^e  ist  also  auch  nicht  weiter  zu 
kommen. 

Ehe  Schröder  seine  dritte  Abhandlung  veröffentlichte,  hatte  R.  Soh  m 
die  Roland-Theorie  desselben  mit  Lebhaftigkeit  begrülst  und  mit  einigen 
raschen  Strichen  etwas  anders  pointiert  ^).  Ihm  ist  „Weichbild*'  =,3iii?^ 
recht'*  (S.  26);  die  Rolandsäule,  aus  dem  „Stadtkreuz"  umgewandelt, 
ist  das  Zeichen  der  „Stadtfreiheit**  (S.  29).  „Roland,  der  berühmte 
Waffenträger  Karls  des  Grofsen,  ist  auf  dem  Marktplatz  der  Träger 
des  Kaiserschwertes  und  des  Kaiserschildes  ').** 

Auch  für  J.  E.  Kuntze*)  ist  die  Rolandsäule  aus  dem  mit  dem 
Schwerte  verbundenen  Kreuze  hervorgegangen;  sie  repräsentiert  den 
legendarisch  berühmten  Waffenträger  Karls  des  Grofsen  im  Kampfe 
des  Christentums  wider  Islam  und  Heidentum  (S.  44)  und  ist,  wie  das 
Stadtkreuz,  in  erster  Linie  nicht  Markt-  sondern  Stadtsymbol;  beide 
„drücken,  im  Gegensatz  zum  Heidentum,  christliche  Kultur,  christ- 
liche Bewohnerschaft,  christliche  Rechtspflege  aus;  jede  andere  Be- 
deutungsannahme ist  willkürlich  und  unerklärbar**. 

Im  Gegensatz  zu  Schröder  weist  S.  RietscheP)  „die  Theorie, 
welche  in  den  Rolanden  Wahrzeichen  des  Marktes  zu  erblicken  glaubt, 
als  unbegründet  zurück**  (S.  232)  und  sieht  selbst  in  ihnen  „Wahr- 
zeichen der  Blutgerichtsbarkeit**  (S.  230),  „der  hohen  Gerichtsbar- 
keit** (S.  231);  ihr  Schwert  ist  das  „Richtschwert**  (ibid.).  Des  Ver- 
fassers Beweise  dafür  beruhen  lediglich  auf  Umständen,  welche  aus- 
schliefslich  der  zweiten  Elntwickelungsperiode  der  Rolande  angehören 
und  herkömmlicherweise  vielfach  in  der  Weise  mifsverstanden  werden, 
dafs  in  einem  durch  örtliche  Verhältnisse  bedingten,  im  übrigen  ganz 
zufalligen  räumlichen  Nebeneinander  von  Bildsäule  und  Rechtshand- 
lung ^)  ein  tiefer  innerer  Zusammenhang  gesucht  und  gefunden  wird. 


i)  Die  Entstehung  des  deatschen  Städtewesens.  Leipzig  1890;  Tgl.  Uhlirz,  1. c 
XV,  508. 

2)  Popolärer  Niederschlag  der  Untersachungen  Schröders  und  Sohms  ist  ein  AaCuUs 
des  Kunstkritikers  Fritz  Stahl  (Siegfried  Lilienthal)  „Die  Rolandssäulen",  Daheim 
XXXIV.  1898,  S.  416 ff.  Die  Abbildung  3  daselbst  soll  die  „Rolandssäule  in  Bremen«^ 
nach  einer  Photographie  vom  Hofjphotographen  F.  Albert  Schwartz-Berlin  darsteUen,  sie 
giebt  aber  den  1880  gefertigten  Abguls  derselben  im  „Reichshof"  des  Germanischen 
Museums  zu  Nürnberg  wieder. 

3)  Die  deutschen  Städtegründungen,  oder  Römerstädte  und  deutsche  Städte  im  M.-A. 
Leipzig  1891 ;  vgl.  Uhlirz  1.  c,  S.  515. 

4}  Markt  und  Stadt  in  ihrem  rechtlichen  Verhältnis.     Leipzig  1897. 
5)  Auch  die  Rolandtänze  (Halle,  Bramstedt,  Neuhaldensleben ;  Langenberg  bei 
Gera,   wo  ein  Roland  nur  in  der  Phantasie  der  Sagensammler  existiert  hat,   wird   eben- 


—     74     — 

G.  V.  Below^)  hat  sich  der  Auffassung  Rietschels  angeschlossen  und 
durch  Zusammenfassung  derselben  in  wenige  lapidarisch- kurze  Sätze 
die  Linien  des  ohnehin  imrichtigen  Bildes  noch  mehr  verzogen. 


Überblickt  man  die  juristisch-historisch-kritische  Roland-Litteratur 
in  ihrer  Gesamtheit,  so  ei^ebt  sich,  dafs  dieselbe  trotz  der  Erschliefsimg 
neuer  Quellen  und  trotz  der  Vorteile  modemer  Forschimgsmethodik 
in  Beantwortung  der  Frage  nach  der  Entstehung  und  ursprünglichen 
Bedeutung  der  Rolandbilder  nicht  über  das  hinausgekommen  ist ,  was 
Gryphiander  bereits  vor  275  Jahren  aufgestellt  hat. 

Dasselbe  könnte  man  beinahe  von  den  Mythologen  behaupten. 
Denn  wiederum  Gryphiander  ist  es,  der,  wenn  auch  ironisch,  auf  die 
Möglichkeit  eines  Zusammenhanges  des  Weichbilds,  d.  h.  der  Roland- 
statue, mit  der  Irmensul  hindeutet^);  imd  die  Irmensul  ist  die  Axe 
geworden,  um  welche  sich  noch  heute  die  Rolandtheorien  der  deut- 
schen Mythologen  drehen. 

Den  Anstofs  zu  dieser  Bewegung  gab  J.  Grimm,  zuerst  in  seiner 
1815  erschienenen,  aber  schon  „vor  einigen  Jahren  (181 1)  bereiten" 
Monographie  Irmenstra/se  und  Irmensäule,  wo  ausgeführt  wird,  dais 
die  Götterbilder   und   ihre  Säulen  —  die   Irmensäule  —  f,auf  dem 


falls  genannt)  stehen  nar  in  äafserlicher  Beziehung  ra  den  Bildsäulen.  Volkstanze 
auf  öffentlichen  Plätzen,  sogar  gewissermafsen  von  Amts  wegen  durch  Gilden  ausgeHihrt, 
kannte  ganz  Deutschland;  vgL  im  allgemeinen  W.  Angerstein,  Volkstänze  im  deutschen 
M.-A.  1868;  fUr  Sttddeutschland  A.  Bierlinger,  Ans  Schwaben  II,  1874.  S.  2098. 
Wo  ein  Roland  auf  dem  Platze  stand,  wurde  natürlich  um  diesen  der  Reigen  geschlungen. 
Über  den  feierlichen  Markttanz  der  Gewandschneidergilde  im  rolandlosen  Salzwedel  zum 
Johannisfeste  während  des  XVL  Jahrh.  TgL  Götze,  Gesch.  ▼.  Stendal,  S.  113. 

1)  Das  ältere  deutsche  Städtewesen  und  Bürgertum.  Bielefeld  und  Leipzig  1898, 
S.  63.  —  Weiteren  Kreisen  ist  die  anachronistische  Auffassung  Rietschels  und  v.  Belows 
durch  einen  anonymen  AuÜMitz  „  Rolande  <*  in  „  Der  Bär.  Qlustr.  Wochenschr.  f.  Gesch.  u. 
modernes  Leben '*,  Berlin  1899,  S.  134  ff.  übermittelt  worden.  Die  beigegebenen  flotten, 
den  Eindruck  Ton  Originalzeichnungen  machenden  Abbildungen  daselbst  sind  nur  Kopien 
nach  den  Abb.  bei  L.  Schneider,  Der  Roland  von  Berlin,  1875;  infolge  dessen  er- 
scheint z.  B.  der  Roland  zu  Zerbst  noch  in  seinem  schon  1849  beseitigten  Barockgehäuse. 
Zur  Erläuterung  der  undeutlichen  Abb.  letzterer  Statue  im  Berliner  Rolandbuche  bemerke 
ich  aus  eigener  Anschauung,  dafs  der  Roland  den  rechten  Fufs  auf  einen  Hund  gesetzt 
hat,  dem  jetzt  Kopf,  Hals  und  oberer  Teil  der  Brust  fehlen;  die  Abb.  bei  Bekmann 
(s.  S.  81.)  zeigt  das  mit  noch  vorhandenen  eisernen  Dübeln  befestigt  gewesene,  später 
verloren  gegangene  Stück.  Der  Schild  mit  einköpfigem  Adler  scheint  ergänzt  Die  Bildsäule 
mit  ihrem  Baldachin  steht  frei  auf  dem  Marktplatze  i  südöstlich  von  ihr  auf  unverhältnismäfsig 
hoher,  sie  weit  überragender,  hölzerner  Säule  die  merkwürdige  kleine  „Butterjungfrau«*. 

2)  Kap.  7a,  {  3,  ed.  1625,  S.  257. 


—     75     — 

Hauptplatze  des  Ortes,  von  dem  aus  die  Stra&en  und  Thore  giengen, 
an  der  W^[scheide  und  den  W^^  selbst'*  standen;  sie  wurden  da- 
durch zu  gleicher  Zeit  ,,W^esaulen";  ,,die  altdeutschen  Weichbilder 
der  Städte,  die  Rolandsaulen  am  Gerichtsplatz,  woran  sich  wiederum 
die  Sage  eines  berühmten  kerlingischen  Helden  geknüpft,  scheinen 
derselben  Idee  zu  folgen"  (S.  45).  Deutlicher,  aber  ebenso  wenig 
begründet  ist  der  Gedanke  ausgesprochen  in  seiner  Deutschen  Myth<h 
logie  ^),  wo  näherer  Zusammenhang  zwischen  Irmensäulen  und  Roland- 
säulen vermutet  ist,  resp.  die  Irmensuli  als  den  Rolandsäulen  ver- 
gleichbar bezeichnet  werden.  Um  dieselbe  Zeit  äuiserte  Fr.  H.  v.  d. 
Hagen  denselben  Gedanken*):  „Wie,  wenn  das  (dem  Irmensulbilde 
in  C.  Bothes  Chronik)  ähnliche,  in  seinem  Ursprünge  dunkele,  mit 
Karl  dem  Greisen  verwandte,  nur  in  Sachsen  (wie  die  Vehme  in  West- 
falen) vorhandene,  mit  politischer  Bedeutung  verbundene  Rolandsbild, 
das  annoch  oft  auch  nur  durch  eine  Säule  vorgestellt  wird,  mit  der 
Irminsul  auf  ähnliche  Weise  zusammenhinge,  wie  die  S.  Jacobsstralse 
mit  der  Irminstraise?" 

Auf  demselben  Boden  stehen,  aufser  Zöpfl  (wie  wir  S.  78  ge- 
sehen haben)  dem  Rechtshistoriker,  die  Germanisten  K.  Simrock 
(Handbuch  der  D.  Myth.,  2.  Aufl.,  1864,  S.  288.  529)  und  A.  Holtz- 
mann  [Deutsche  Myth.j  1874,  S.  229).  Objektivere  Forscher  auf 
diesem  Gebiete:  W.  Müller  {Gesch.  u.  System  d.  altdeutschen 
Religion,  1844)  E.  Mogk  (Mythologie,  in:  Grundr.  d,  germ.  PhiloL, 
herausg.  von  H.  Paul,  I,  1891,  S.  9820*.),  W.  Golther  [Handb.  d. 
german.  Myth.,  1895),  haben  sich  von  der  Anknüpfung  solcher  trü- 
gerischen Beziehtmgen  zwischen  Mythus  und  Kultus  des  Heidentums 

i)  Erst  in  der  2.  Ausg.,  1844,  S.  366 ;  die  i.  Ausg.,  1835,  enthält  auf  S.  69a  als  Nachtrag 
zn  S.  83  nur  die  Bemerkong:  „mit  den  Irmenseulen  vgL  man  die  Rolandseolen  und  ags. 
ÄthelstAnsseolen  (Lappenberg  1,3  76)*'.  J.  Grimm  hat  in  seiner  Ansicht  über  die  Irmen- 
sänle  uid  die  Rolande  mehrfach  geschwankt  1843  meinte  er  (KL  Sehr,  n,  57) :  an  dem  Heilig- 
tnm  der  Irmensül  hat  sich  noch  nichts  sicheres  ansdenten  lassen;  am  wahrscheinlichsten 
ist  es,  dals  sie  eine  „heidnische  WeltsSale'*  war.  1849  spncht  er  von  einer  „auf 
dem  Grabhügel  am  offnen  Weg,  wohin  die  heidnischen  Gräber  gelegt  za  werden  ptfegten, 
errichteten  Heersäule  oder  Irmensäule'*  (Kl.  Sehr.  II,  256).  Von  den  Rolandsäulen 
heüst  es  185 1  ßbid.  359),  dafs  sie  sich  etwa  den  Artoshöfen  des  XIV.  mid  XV.  Jahrh. 
in  norddeutschen  Städten  an  die  Seite  setzen  lassen  uid  nicht  älteren  Urspnmges 
scheinen.  —  W.  Grimm,  Ruolaodes  liet,  1838.  EinL  S.  CXXI,  scheint  der  Irmensol- 
theorie  zweifelnd  gegenüberzustehen ;  ebenso  erscheint  ihm  ungewifs,  dals  der  karlingische 
Held  auf  die  Benennung  der  Rolandsäule  Einfluls  gehabt  habe. 

2)  Irmin,  seine  Säule,  seine  Strafse  und  sein  Wagen.  Breslau,  1817 
(die  Vorrede  ist  von  1816,  die  Abhandlung  selbst  ist  Ausführung  eines  im  Herbst  1815 
gehaltenen  Vortrages). 


—     76     — 

und  monumentaler  Plastik  des  Mittelalters  ferngehalten.  Eine  ausführ- 
liche Untersuchung  der  von  J.  Grimm  so  nachhaltig  angeregten 
Frage  mit  dem  ganzen  Rüstzeug  modern-mythologischer  Technik  hat 
zuerst  Dr.  Hugo  Meyer  (er  zeichnet  später  Elard  Hugo  Meyer)  in 
der  häufig  citierten  aber  wenig  gekannten  Abhandlung  Roland  im 
Programm  der  Hauptschule  zu  Bremen  1868  unternommen.  Ich  muis 
hier  darauf  verzichten,  das  üppige  Dickicht  mythischer,  sagenhafter, 
historischer  Vermutungen,  Beziehungen  und  Kombinationen,  die  zu- 
gleich gro&artige  Gelehrsamkeit  ^)  tmd  Gestaltungsgabe  wie  kritische 
Harmlosigkeit^)  bekunden,  zu  durchforsten,  und  beschränke  mich 
auf  das  Facit  seiner  Untersuchung,  welches  er  selbst  dankenswerter- 
weise am  Schlüsse  (S.  22)  gezogen  hat:  Ziu  oder  Tiu,  der  lichte 
Himmelsgott,  im  besondem  der  Sonnengott,  führte  bei  den  verschie- 
denen Stämmen  Deutschlands  verschiedene  Beinamen  oder  spaltete 
sich  später  in  mehrere  Göttergestalten:  Ziu  bei  den  Sueven,  Tiu  imd 
Hrodo  bei  Franken  und  Sachsen,  Irmin  bei  den  Irminonen.  „Da  der 
Sonnenball  aus  einem  gewaltigen  Wolkenbaum  hervorzusteigen  schien, 
war  ihm  ein  ungeheurer  säulenförmiger  Baumstamm  heilig,  auf  dem 
eine  Kugel  ruhte."  „Diese  Säulenbilder  heilsen  Ziu-tar  oder  Tio-dute, 
Irminsäule,  Schildbäume  oder  (durch  Kontamination  des  Hrodo-Mythus 
mit  der  um  den  historischen  Roland  gesponnenen  karolingischen  Ro- 


i)  Ihr  verdanke  ich  die  Bekanntschaft  mit  dem  Rolandrelief  in  Verona  (s.  oben 
S.  4);  auf  die  Nachweise  in  Regis'  Ausg.  von  Bojardos  Orlando  inamorato  (1840,  S.  423) 
und  bei  H.  F.  Mafsmann,  Kaiserchronik  HI,  1854,  S.  1028,  bin  ich  erst  später  ge» 
stoisen.  Aas  den  Worten  des  letzteren  könnte  man  folgern,  dafs  das  Bild  (samt  dem 
seines  Gefährten  Olivier)  nicht  mehr  vorhanden  sei;  nach  freundlichen  Mitteilungen  der 
Herren  Buchhlndler  Drucker  in  Padoa  und  meines  lieben  Freundes  ProL  O.  Schröder- 
Berlin  stehen  indessen  beide  Bildwerke  noch  unversehrt  an  ihrem  Platze.  Das  1,77  m 
hohe  Rolandbild  wird  durch  die  Schwertinschrift  Durindarda  gekennzeichnet. 

2)  Nur  ein  Beispiel  hierfür.  S.  17  spricht  er  von  den  phallischen  Eigenschalten 
des  Buxtehuder  Roland.  Diesen ,  noch  dazu  mit  solchen  Fakultäten,  hat  es  nie  ge- 
geben. Meyers  Gewährsmann  Lappenberg  citiert  ein  sehr  phallisches  Carmen  auf  die 
Hochzeit  des  jungen  Hamburgers  Dr.  M.  J.  Ruland  mit  einer  reichen  Witwe,  in  welchem 
von  einem  „grofsen  Rulandsbild  mit  einer  starken  Rute'*  die  Rede  ist,  das  nicht  nötig 
hat,  beim  Schmied  von  Buxtehude  Hilfe  zu  suchen,  welcher  es  verstand,  „alte<<  Ehe- 
männer neu  zu  „verstählen'*.  —  Der  an  zahlreiche  Bildsäulen  verschiedenster  Art,  und  so 
auch  an  einige  Rolande  geknüpfte  Volkswitz,  dafs  sie  auf  kurze  Zeit  lebendig  werden, 
sich  umdrehen,  das  Schwert  schwenken,  den  Markt  umwandeln  etc.,  wenn  sie  eine  be« 
stimmte  Stunde,  gewöhnlich  Mittemacht,  schlagen  hören,  wird  unter  Verleugnung  der 
allerdings  banalen  Pointe  mythisch  gedeutet  „  Dasselbe  erzählt  man  nun  auch  vom  Irmina 
wagen  (Sternbild  des  groisen  Bären),  dafs  er  sich  um  Mittemacht  mit  grofsem  Geräusch 
umdrehe''  (ibid.). 


—     77     — 

landsage,  S.  7)  Rolandssäulen."  Die  „  Rulandssäule  *'  zu  Brakel  zeigt 
„die  alte  Form  der  Irminsäule,  die  sich  zugleich  schon  durch  ihren 
jetzigen  Namen  als  den  Urtypus  der  Rolandssäule  verrät"  (S.  18).  „Die 
rohe  Form  von  Baumstämmen  und  Balken  .  .  .  ging  allmählich  in  die 
edlere  Menschengestalt  über,  wie  ja  die  Wunder  dör  griechischen 
Götterplastik  aus  Balken,  Brettern  und  Pfeilern  erwachsen  sind." 
„Diese  Säulen  dauerten  in  Niedersachsen  ...  bis  auf  unsere  Tage, 
weil  hier  das  Heidentum  am  längsten  sich  erhielt,  und  tauschten  mit 
der  Zeit  immer  mehr  gegen  ihren  mythischen  Gehalt  eine  grolse  ju- 
ristische und  politische  Bedeutung  ein,  weil  der  Sonnengott  schon  in 
der  Heidenzeit  als  allsehender,  schwertführender  Gott  später  auch  das 
Blutgericht  hütete  und  dem  Heer  in  der  Schlacht  voranschritt."  Die 
von  Meyer  in  Bezug  genommene  Gestalt  der  Brakeler  sogen.  Roland- 
säule ist  eine  willkürliche  moderne  Schöpfung,  und  die  Voraussetzung, 
auf  welcher  die  Anknüpfung  seines  Mythensystems  an  die  RolandbUd- 
säulen  beruht,  dafe  diese  nämlich  allgemein  und  ursprünglich  Sym- 
bole der  Blutgerichtsbarkeit  gewesen  seien,  ist  thatsächlich  falsch. 
A.  Kuhns  anerkennende  Rezension  der  Abhandlung  Meyers  iaZeüschr. 
f,  Deutsche  Philologie  I,  1869,  S.  491,  bewegt  sich  ausschliefslich 
auf  mythologischem  und  sprachlichem  Gebiet;  indem  sie  aber  als 
richtig  anerkennt,  dafe  Roland,  Irmin  und  Ziu  nur  verschiedene  Namen 
des  Sonnengottes  seien,  zeigt  sie,  dafs  der  berühmte  Mythenforscher 
sich  Meyers  Auffassung  von  den  Rolandbildsäulen  angeschlossen  hat. 
Eine  zweite  Abhandlung  E.  H.  Meyers  „Über  Gerhard  von 
Vienne,  ein  Beitrag  zur  Rolandssage"  %  gehört,  abgesehen  davon, 
dafe  sie  gelegentlich  die  Gleichung  Rolandsäule  =  Irminsäule  streift, 
nur  insofern  hierher,  als  sie  das  Rolandreiten,  insbesondere  das 
von  dem  Verfasser  infolge  Mifeverstehens  historischer  Nachrichten  ganz 
mythisch  verbrämte  Magdeburger  Ritterspiel  dieses  Namens  *)  für  einen 
Niederschlag  der  Frühlingsepisode  des  Rolandmythus,  für  eine  plas- 


i)  ZdUchr.  för  deatsche  Pbüol.  HI,  187I,  S.  422. 

2)  Dis  Magdeburger  Rolandspiel  war  etwa  im  2.  Jahrzehnt  der  2.  Hälfte  des 
XnL  Jahrh.  so  unmodern  geworden,  dafs  die  ritterliche  Jagend  nach  Abwechselung  rer- 
langte.  —  Es  ist  beachtenswert,  dafs  sich  in  der  Magdeburger  Einflofssphäre,  in  der 
Umgegend  Ton  Wettin  an  der  Saale,  nw.  Ton  HaUe,  bis  in  neuere  Zeit  ein  bäuerliches 
Reiterspiel  erhalten  hatte,  welches  nel  mehr  an  die  alte  Form  des  Rolandreitens  resp.  die 
Quintana  erinnerte,  als  die  moderne  Form  des  Spiels  in  Mflnster  und  in  Schleswig«Hol- 
stein  (H.  Handelmann,  Volks-  und  Kinderspiele  in  Schleswig^Holstein.  2.  Ausg.  1874, 
S.  107).  Dafs  dem  angreifenden  Reiter  dabei  die  Augen  yerbunden  wurden,  wird  den 
Mjthologen  gewifs  an  den  Mythus  ron  Balder  und  Hödur  erinnern,  TgL  Meyer,  „Ro« 
land«,  S.  13. 


—     78     — 

tische  Darstellung  des  sieghaften  Kampfes  erklärt,  den  der  kühne 
Sommergott  Roland  oder  Rodo  mit  dem  Wintergotte  Olivier  (Oller) 
führt  (S.  442),  ohne  dabei  die  Vertauschung  der  Rollen  durch  die 
agierenden  Personen  in  Erwägung  zu  ziehen.  Das  Spiel  an  sich, 
welches  in  französischen  Quellen  und  im  deutschen  Kunstepos  Quin- 
tana hiefs^),  mag  man  als  Dramatisierung  eines  Naturmythus  gelten 
lassen,  den  Rolandnamen  aber  entlehnte  die  steife  Figur,  in  welche 
sich  der  auf  einen  Pfahl  gepflanzte  Harnisch,  nach  welchem  man  ur- 
sprünglich stach,  verwandelt  hatte,  sicher  erst  in  Norddeutschland  von 
den  starren  Rolandbildsäulen  auf  den  Marktplätzen. 

Als  wesentlich  auf  Meyers  Abhandlung  von  1868  fufsend  mögen 
L.  Götze s  Erörterungen  über  Entstehung  und  Bedeutung  der  Roland- 
statuen in  Urkundliche  Geschichte  der  Stadt  Stendal  (1873,  S.  313  ff.) 
hier  nur  registriert  werden. 

Wir  wenden  uns  nun  zu  der  jüngsten  Rolandpublikation,  zu 
P.  Platens  Programmabhandlung  Zur  Frage  nach  dem  Ursprung 
der  Rolandssäulen '). 

Der  „Dresdener  Anzeiger"  (1899,  Mai  3)  brachte  über  dieselbe 
ein  geschicktes  Referat  ^) ,  aus  dessen  Einleitung  und  Schlufs  wir  er- 
fahren, dafs  es  sich  um  eine  „wertvolle,  auf  tiefen  Studien  und  me- 
thodischer Forschung  beruhende  Abhandlung"  handelt,  welche  „das 
Rolandsrätsel  seiner  Lösung  erheblich  näher  gebracht"  und,  obwohl 
„hier  tmd  da,  wie  es  der  Sachlage  nach  nicht  anders  sein  kann,  trotz 
grofeer  innerer  Wahrscheinlichkeit  zwingende  Beweise  fehlen",  „bei 
Mythologen  und  Historikern,  insbesondere  den  namhaftesten  Roland- 
forschem selbst,  Anerkennung  und  günstige  Beurteilung  erfahfen  hat". 
Ich  befinde  mich  also  stark  in  der  Minorität,  wenn  ich  diesem  Lobe 
nur  insoweit  beizupflichten  vermag,  als  ich  den  mühseligen  Sammel- 
fleüs  des  Verfassers  auf  seinem  eigensten  Gebiete,  dem  der  mytho- 
logischen Topographie,  gern  anerkenne. 


i)  Vgl.  die  Stellen  bei  A.  Schttlts,  Das  höfische  Leben  s.  Z.  der  Minnesinger, 
1879,  1880,  I.  130.  146,  n,  3. 

2)  38.  Jahresbericht  des  Visthnmschen  Gymnasiums.    Dresden,  1899. 

3)  Gefälliger  Mitteilung  des  Herrn  Platen  rerdanke  ich  die  Kenntnis  desselben. 
Andere  Anseigen  Ton  E.  Jacobs  in  Zeitschr.  d.  Harsrereins  XXXII,  S.  649—651  (mir 
anbekannt  geblieben);  K.  Zenmer  in  Forsch,  z.  Brandenb.  o.  Prenis.  Gesch.  Xm,  1900, 
S.  381  ff.;  C.  Rodenberg,  ZeiUchr.  d.  GeselUch.  f.  Schlesw.-Holst  Gesch.  XXIX. 
1899,  S.  347.  A(asfeld),  MontagsbL  d.  Magdeb.  Ztg.  1900,  no.  36.  Eine  kurze  Besprechong 
Ton  mir  in  „Die  Denkmalspflege'*  II,  1900,  S.  10;  eine  Entgegnung  darauf  ron  Platen, 
ibid.  S.  87,  mit  angehängter  Bemerkung  Ton  mir,  S.  88. 


—     79     — 

Platen  will,  nachdem  er  die  Nicht -Mythologen  der  letzten  zeha 
Jahre  durch  eine,  dem  einzelnen  Opfer  gegenüber  in  artigen  Formen 
sich  bewegende,  im  übrigen  mehr  durch  Dialektik  als  durch  Be- 
herrschung des  Materials  ^)  glänzende  Kritik  abgethan,  die  Rolandfrage 
„aus  der  Tretmühle*'  der  rechtsgeschichtlichen  Litteratur  erlösen,  „die 
sogar  bei  demselben  Forscher  bald  die  eine  bald  die  andere  der  her« 
kömmlichen  Ansichten  zu  oberst  bringt"  (S.  12),  sie  von  der  Kritik 
befreien,  „die  von  sich  selbst  lebt,  deren  Schnitte  auf  sie  selbst  zu- 
rückfahren, weil  sie  den  Gegenstand  verfehlen  oder  nur  halb  treffen, 
auf  den  sie  gerichtet  sind  **  (ibid.),  sie  „  für  eine  Weile  aus  der  Stick- 
luft der  teilweise  doch  recht  schwülstigen  Rechtssymbolik  *'  hinaus- 
fuhren (ibid.)  *).  Die  Rolandfrage  ist  ihm  zwar  „völlig  fremd  gewesen", 
bis  er  „auf  die  Vermutung  von  J.  Grimm  und  die  Ortsnamen"  stiefs, 
„welche  dieselbe  zu  bestätigen  schienen"  (S.  36).  „In  oder  bei  der 
Mehrzahl  der  Rolandsorte  des  Stammlandes  "  fand  er  nämlich  aus  dem 
Donar  geweihten  Donnersbergen  entstandene  „  Petersberge  oder  nach- 
weislich alte  Peterskirchen,  von  denen  zum  TeU  sicher  ist,  dafs  sie 
bestimmt  waren,  der  heidnischen  Verehrung  die  Wurzel  abzugraben". 


i)  Platen  (S.  25,  Anm.  3)  beruft  sich  s.  B.  anf  mieh  dafür,  dafs  den  ziemlich 
modernen  Rolandbildem  in  Nordhaosen,  Neustadt  nnterm  Hohnstein  und  Qaestenberg' 
„alte  beglaubigte  Statuen  vorangegangen  seien**.  Er  hat  die  fraglicht  Stelle 
(Montagsblatt  der  Magdeb.  Zeitg.  1890,  S.  82)  nnr  halb  gelesen.  Ich  stellte  dort  die 
These  auf,  dafs  fUr  die  antiquarische  Seite  der  Rolandfirage  o.  a.  diejenigen  Bilder  ans« 
snscbeiden  hätten,  „welche,  nachdem  sie  im  XYL,  XVIL  oder  XYIIL  Jahrh.  serstört,  in 
einer  Weise  wieder  erneuert  wurden,  welche,  Ton  dem  Typus  der  alten  beglau- 
bigten Statuen  abweichend,  keine  Gewahr  dafür  bietet,  dafs  sie  auch  nur 
annähernd  getreue  Kopieen  ihrer  Vorgänger  seien:  die  Rolande  zu  Halle, 
Nordhausen,  Neustadt  u.  H.,  Questenberg,  Wedel*'.  —  Die  Statuen  in  Neustadt  und 
Qnestenberg  gehören  übrigens*,  wie  PL  sich  ans  den  weiteren  Aosfiihnmgen  der  dtierten 
Abhandlung  hätte  überzeugen  können,  nur  als  Nachahmungen  des  Nordhausener  hierher; 
ob  sie  Vorgänger  gehabt,  weifs  ich  bis  jetzt  nicht  Nach  mündlicher  Sage  bei  Kuhn 
und  Schwartz,  Nordd.  Sag.,  no.  250,  hiefs  Qnestenberg  früher  Finsterberg,  war  eino 
Stadt  und  „hat  noch  einen  Roland**.  Es  wäre  zu  untersuchen,  ob  nicht  etwa  die  Sage 
im  Anfange  des  XIX.  Jahrh.  einen  Patrioten  zur  Errichtung  des  grottesken  Bildwerkes 
bewogen  habe.  Die  Rolande  zu  Halle  und  Wedel^  obwohl  sie  „Tom  Tjrpns  der  alten  be- 
glaubigten Statuen  abweichen**,  sind  getreue  Kopieen  ihrer  Vorgänger;  nur  der  Namo 
des  letzteren  scheint  mir  mangelhaft  beglaubigt  Hier  hätte  PL  sachliche  Kritik  üben 
können. 

2)  Seine  oben  citierte  Entg^nung  in  „Denkmalspflege**  schliefst  er  mit  folgendem 
Satze :  „  Die  Rolandforschung  mnfste  und  mufs  wieder  in  die  zum  Ziele  weisenden  Bahnen 
einlenken,  die  ihr  der  so  hart  beurteilte  Zöpfl  In  mühseliger  und  höchst  dankenswerter 
Arbeit  gebrochen  hat,  um  nicht  in  der  Sackgasse  sich  zwecklos  abzumühen,  in  welche  si« 
SeUo  und  Schröder  .  .  .  geleitet  haben.** 


—     80     — 

Dieser  Umstand  ha  tzu  seiner  Uatersuchung  denAnlafs  g^e- 
geben  (S.  19),  als  deren  „Hauptaufgabe"  er  es  bezeichnet,  „der 
von  Grimm  ausgesprochenen  Vermutung  bestätigendes  Material  zuzu- 
führen" (S.  8).  Die  Entwickelung  der  Irmensäule  zur  Rolandbild- 
säule ging  nach  Platen  folgenden  Weg.  Das  772  von  Karl  d.  Gr. 
zerstörte  sächsische  Heiligtum  Irmensul  lag  auf  der  Spitze  des  heute 
das  Städtchen  Obermarsberg  tragenden  Berges,  gedeckt  durch  die  20 
bis  30  Minuten  entfernt  an  dem  Abhang  des  Berges  errichtete  Eres- 
burg  (S.  22)  *).  Dies  wird  vornehmlich  durch  Caspari's  Geschichte  der 
Stadt  Niedermarsberg  (1884)  für  erwiesen  angesehen,  es  wird  aber  noch  be- 
sonders auf  das  „  unzweifelhafte  Zeugnis  Thietmars  "  Bezug  genommen 
(S.  23),  wonach  die  Peterskirche  zu  Obermarsberg  an  der  Stelle  ge- 
gründet wurde,  wo  die  umgestürzte  Irmensäule  gestanden  hatte.  An 
dieser  Stätte  habe  sich  „unzweifelhaft  ein  geweihter  Mittelpunkt  des 
engerischen  Stammes  befunden".  Gobelinus  Persona  deute  dies 
an,  wenn  er  Eresburg  für  gleichbedeutend  mit  Mons  venerationis 
halte,  qiMd  illuc  e  tota  gente  Saxonica  quotidie  sacrißcandt,  oracula 
petendi,  votaque  solvendi  causa  multi  confluerent  *) ;  Bestätigung  er- 


i)  Diese  Annahme  widerspricht  durchaus  dem  von  C.  Schuchardt  (Röm.-Genn. 
Forschungen  in  West-Deutschland,  1900,  S.  22)  festgesteUten  Typus  der  sächsischen 
Volksburgen.  Die  Ortsbeseichnung  „in  der  Burg",  auf  welche  Platen  L  c.  so  gro(ses 
Gewicht  legt,  kann  sich  (liglich  nicht  auf  die  zerstörte  sächsische,  sondern  nur  auf  die 
von  Karl  d.  Gr.  angelegte  fränkische,  oder  vielmehr  auf  die  mittelalterliche  Burg  be- 
ziehen; innerhalb  des  785  erbauten  castellum  lag,  der  Urkunde  von  826  zufolge,  die 
mit  jenem  zugleich  errichtete  capella,  die  spätere  Stiftskirche  S.  Petri  zu  Obermarsberg 
(Wilmans,  Kaiserurknnden  I,  26).  Im  XIV.  Jahrh.  hiels  der  Berg,  auf  welchem  Eres- 
bui^  lag,  gelegentlich  Konincberg,  die  Feste  selbst  Koningesborch  (Wilmans, 
S.  27);  Knauth  (in  C  Schneiders  Saxon.  vetus,  S.  81)  erwähnt  bei  der  Eresburg,  von 
dem  Bullerbom  unterschieden,  den  Königsborn,  welchen  das  Rofs  Karls  d.  Gr.  auf 
dessen  Gebet  während  der  Belagerung  „  entdeckt '^  hätte.  —  VgL  übrigens  die  Lokal- 
beschreibung bei  Kuhlmann,  Eresburg.  S.  24.  27;  danach  besteht  die  eine  halbe  Stunde 
im  Umkreis  betragende  Oberfläche  des  Berges  aus  zwei,  durch  eine  kleine  Einsenkong 
voneinander  getrennten  Kuppen,  von  denen  die  nordöstliche,  steil  abfallende  innerhalb 
einer  UmwaUung  die  Irminsnl  mit  ihrem  Haine,  die  südwestliche  die  zum  Schutze  vor- 
gelagerte Eresburg  getragen  hätte.  Nach  Schuchardt  1.  c  S.  23  würde  es  sich  hier 
um  Haupt-  und  Vorburg  handeln.    Wegen  des  Königbrunnens  vgL  Kuhlmann,  S.  33. 

2)  S.  21  Anm.  4«  Platen  entlehnt  sein  Citat  aus  Caspar!.  Gobelinus  (f  1420;  Cosmo- 
^om.  VI,  c  38.  Meibom,  Scr.  rer.  Germ.  I,  235)  geht  davon  aus,  dafs  in  Eresburg  die 
Irmenseul,  i.  e.  statua  Hermis,  gestanden  habe;  daraus  folgert  er,  dafs  in  loco  praedicto 
concursus  pro  sacrificüs  ipsi  idolo  faciendis  es  omni  regione  fiebat,  und  darum  sei  a 
veneratione  locus  iUe  Eresburg,  L  e.  mons  venerationis  genannt  worden.  Es  ist  dies 
nur  die  eine  der  von  Gobelinus  vorgeschlagenen  Etymologien;  die  andere  ist:  mons 
Herae  i.  e.  Junonis. 


—     81     — 

bringe  der  um  die  Mitte  des  XII.  Jahrh.  schreibende  Seh oliast  der 
Corveier  Annalen^),  welcher  auf  Grund  „seiner  sachlichen  Be- 
obachtung" und  seiner  „Kenntnis  der  örtlichkeit  und  der  Verhältnisse'* 
berichte,  dafs  an  der  Mauer  der  Burg  Eresburg  ein  Bild  des  Kriegs- 
gottes Tiu  (Em,  Er)  stand  und  dafe  die  unmittelbar  benachbarte  Irmin- 
43äule  (auiiser  anderen  Bedeutungen)  auch  die  eines  Wahrzeichens 
des  Verkehrs  hatte"  (S.  23)*).  Nach  Widukinds  Bericht  „er- 
innerte das  Bild  der  Scheidunger  Irmensäule  durch  seine  Erscheinung 
an  Herkules-Donar";  für  das  „Götterbild  der  Irmensäule"  bei  der 
Eresburg  werde  man  dasselbe  annehmen  dürfen ;  die  Kombination  der 
Angaben  Widukinds  und  des  Scholiasten  ergebe,  „dafs  dielrmen- 
«äulen  überhaupt  ein  riesenhaftes  Bild  des  Donar  trugen 
-und  eine  Beziehung  zum  Verkehrsleben  hatten"  (S.  40/41). 
Donar,  der  Donnergott,  ist  „  Schützer  aller  menschlichen  Kultur  über- 
haupt", aber  auch  „  der  höchsten  Äuüserung  der  wirtschaftlichen  Kultur, 
<ics  Verkehrs"  (S.  16/17).  »»Die  christliche  Mission  leitete  die  Ver- 
mehrung des  Donar  mit  besonderer  Vorliebe  hinüber  auf  den  heiligen 
Petrus"  (S.  19).  Aus  dem  Vorkommen  von  Petersbergen,  Peters- 
kirchen und  -kapeilen,  prähistorischen  Funden,  Sagen,  insbesondere 
solchen,  welche  auf  kultusverwandte  Gottheiten  weisen,  aus  der  geo- 


i)  MGH.  Scr.  V.  8.  Ja  ff  6,  BibUoth.  rer.  Germ.  I,  1864,  S.  44;  TgL  Fisti  Cor- 
bdenses,  in  Arch.  f.  Gesch.  a.  Altert  K.  Westfalens,  herausg.  tod  Wigand,  V,  1832, 
S.  24.  25.  Der  den  unteren  leeren  Rand  des  fragmentarischen  Mscr.  benatzende  Fort- 
:setzer  der  Annales  (von  Jaff6  als  ^„  Chronographas  Corbeiensis"  uiterschieden)  berichtet 
z.  J.  1145  von  der  dritten  Zerstörung  Eresburgs;  über  letzterem  Wort  steht  Ton  einer 
Hand  des  XU.  Jahrh.  (Jaffö :  manus  eadem) :  hec  est  Arisburg ;  dazu  giebt  dieselbe  Hand 
auf  dem  oberen  Seitenrande  folgende  Erläuterung :  Hec  eadem  Eresburg  est  cormpto  roca- 
tmlo  dicta,  quam  et  Julius  Cesar  Romano  inperio  subegit,  quando  et  Arispolis  nomon 
liabuit  ab  eo,  qui  Aris  greca  designatione,  ac  Mars  ipse  dictus  est  latino  famine.  Duobos 
liquidem  idolis  cmtas  hec  dedita  luit,  culture  id  est  Aris,  qui  urbis  meniis  insertns  quasi 
dominator  dominantium,  et  Ermis,  qui  et  Mercurius  mercimonüs  insistentibus  colebatur  in 
forensilibus.  —  Durch  freundliche  Vermittelung  des  Herrn  Archivdirektor  Dr.  Ugen  habe 
ich  eine  stark  vergrösserte  Photographie  obiger  SteUe  erhalten,  welche  jeden  etwa  mög- 
lichen Zweifel  an  der  richtigen  Lesung  der  „ganz  eng  zusammengezogenen**  Schrift  der 
wunderlichen  Notiz  ausschliefst. 

2)  Chr.  Petersen  (a.  a.  O.  S.  323,  Anm.  3)  „möchte  vermuten,  dafs  der  Scholiast 
schon  den  Roland  in  seiner  späteren  Beziehung  auf  Markt  und  Handel  —  Zöpfl,  S.  64  — , 
sowie  dessen  Bild  in  Eresburg  gekannt  habe*^  Wilmans  (Die  Kaiserurk.  d.  Prov.  West- 
falen I,  269)  scheint  dem  beizupflichten  und  meint,  die  Nachricht  des  Scholiasten  beziehe 
sich  unzweifelhaft  auf  die  urkundlich  früh  nachzuweisende  Blüte  des  Handels  in  Marsberg. 
Die  von  ihm  dafür  angeführten  Nachrichten  betreffen  aber  nicht  Eresburg  (Obermarsberg), 
sondern  das  am  Fuise  des  Berges  belegene  Dorf  Horhnsen  (jetzt  Niedermarsberg).  Das  Markt- 
reeht  in  letzterem  wurde  dem  Kloster  Corvey  im  J.  900  verliehen  (Wilmans  L  c.  S.  265). 

6 


—     82     — 

graphischen  Lage  der  Ortschaften  und  der  Anziehungskraft,  die  sie 
infolge  dessen  schon  in  ältester  Zeit  auf  den  Verkehr  gehabt  haben 
müssen  (S.  19),  hat  Platen  von  „einer  ins  Gewicht  fallenden  Anzahl 
der  Rolandsorte**  die  Überzeugung  gewonnen,  dafs  sie  mit  grofser 
Wahrscheinlichkeit  „Verehnmgsstätten  des  Donar  gewesen**,  dafs  in 
ihnen  „in  heidnischen  2^iten  das  dem  Donar  heilige  Zeichen,  eine 
Irmensäule  oder  Hauptsäule  mit  einem  riesenhaften  Bilde  des  Gottes 
gestanden  (wovon  die  Annalisten  nur  zufallig  keine  Nachricht  über- 
hefert  haben),  dafe  also  die  Irmensäule  sich  zur  Rolandsäule  weiter 
entwickelte  (S.  41).  In  Sachsen  und  Thüringen,  die  am  spätesten 
dem  Christentume  sich  fügten,  schonte  die  christliche  Mission  klug 
und  mafevoll  „nach  Möglichkeit  die  Lebensformen  des  Volkes**.  „Zu 
diesen  gehörte  ein  gewisser  Verkehr,  die  Zusammenkünfte  zum  Zwecke 
der  Beratung,  der  Festesfreude  und  des  Güteraustausches.**  „Dieser 
Verkehr  haftete  vorzugsweise  an  den  Donarsäulen.**  Unter  den  neuen 
Verhältnissen  verloren  diese  aber  ihre  Beziehung  zum  Opfer  und  zum 
Kultus  und  wurden  ein  blofses  Wahrzeichen  der  Niederlassung  als  alt- 
herkömmlicher Stätte  des  Verkehrs.**  „Indem  die  Niederlassung,  die 
heilige  Statt,  sich  zur  Stadt  auswuchs  oder  als  solche  privilegiert  wurde,, 
fand  das  alte  Bild  seine  Aufstellung  in  dem  neuen  Mittelpunkte  des 
Verkehrs,  auf  dem  Marktplatze.  Die  alte  Bedeutung  eines  Wahrzeichens, 
von  dessen  Vorhandensein  das  Ansehen  und  die  Wohlfahrt  des  Ortes 
abhängt,  blieb  zunächst**  (S.  41).  Als  diese  verblafste  und  im  XIII. 
Jahrh.  die  in  Deutschland  populär  werde/ide  französische  Sage  die 
wunderbarsten  Dinge  über  die  Gröfee  und  Stärke  des  Helden  Roland 
berichtete,  wurde  die  Riesenhaftigkeit  der  alten  Wahrzeichen  Ver- 
anlassung, dafs  man  auf  sie  zunächst  den  Namen  Roland  übertrug. 
Später  erblickte  man  in  ihnen  Standbilder  des  Helden  Roland  und 
verlieh  ihnen  statt  Keule  oder  Hammer,  die  sie  bisher  geführt,  ein 
Schwert,  zunächst  ohne  Scheide.  Das  blofse  Schwert  führte  zu  Deu- 
tungen auf  den  Blutbann,  diese  zu  solchen  auf  den  König.  Diese 
Deutung  wirkte  wieder  auf  die  Formengebung  zurück,  und  so  sehen 
wir  die  Bilder  unter  abwechselnder  gegenseitiger  Beeinflussung  von 
Deutung  und  Formengebung  in  die  Entwickelung  einlenken,  die  sich 
im  Lichte  der  Geschichte  vollzieht**  (S.  42). 

Eine  Prüfung  der  Platenschen  Argumente  im  einzelnen  ist  hier 
unmöglich,  aber  auch  nicht  erforderlich,  um  die  Unhaltbarkeit  seiner 
Theorie  darzulegen.     Es  genügt,  die  Hauptpunkte  herauszuheben. 

Verführerisches  Analogisieren  und  Generalisieren  *),  verbunden  mit 

i)  Für  jenes   ist   ein  Beispiel  Platen s  Rückschlafs  aas  der   von   ihm,    aof  Grand. 


—     83     — 

Gleichgültigkeit  gegen  ernste  Quellenkritik,  die  uns  die  Freude  an 
sagenkundlichen  Arbeiten  oft  trüben*),  wirken  verhängnisvoll,  wenn 
historische  Fragen  in  den  Kreis  derartiger  Untersuchungen  hinein- 
reichen. Wir  sehen  das  wieder  an  Platens  stofflich  so  fleifeiger 
Arbeit 

Von  vornherein  hat  es  Platen  unterlassen,  die  Rolandbilder  selbst 
und  ihre  historische  Beglaubigung  zu  untersuchen;  er  hat  sich  als 
Grundlage  seiner  Untersuchung  „nur  an  die  herkömmlichen  Verzeich- 
nisse gehalten"  (S.  13);  einige,  der  von  anderer  Seite  geübten  Kritik 
nachträglich  gemachte  Zugeständnisse  sind  belanglos.  Gerade  seine 
Aufgabe  wäre  es  gewesen,  vor  allen  Dingen  bei  den  nur  durch  den 
sogen.  „Volksmund"  beglaubigten  Bildsäulen  zunächst  die  Art,  das 
Alter  und  die  Glaubwürdigkeit  der  Überlieferung  kritisch  zu  prüfen. 

Die  Erklärung  der  Irmensul  (Säule  mit  einer  Statue  darauf)  als 
Idol  Donars  und  dessen  Übergehen  in  den  h.  Petrus  einer-,  die  vor- 
zugsweise aus  letzterem  Umstände  gefolgerte  Existenz  zahlreicher,  mit 
den  Rolandsorten  der  sächsischen  Stammlande  zusammenfallender 
Donar-Kultusstätten  anderseits,  sind  Hypothesen,  die  in  einem  mytho- 
logischen Essay  sich  recht  wohl  ausnehmen  würden,  als  historische 
Beweise  indessen  nicht  passieren  können.  Die  Bildung  jener  Donar- 
Idole  als  kolossale  gewaffnete  Statuen,  und  ihre  kulturelle  Beziehung 
auf  das  Verkehrsleben,  ihre  Fortdauer  in  christlicher  Zeit  als  Wahr- 
zeichen der  Niederlassung,  als  Glückssymbole,  ihre  Verpflanzung  von 
den  Kultusstätten  auf  die  Marktplätze  '),  das  alles  sind  fein  säuberlich 


einer  mifsverstandenen  QaellensteUe ,  voraasgesetzten  Gestalt  der  nach  dem  Siege  rasch 
errichteten  Scheidanger  Irmensänle  auf  die  Form  des  an  altheiliger  Stätte  ständig  ver- 
ehrten Idols,  dem  er  seinen  Platz  auf  der  Eresbnrg  anweist  Für  den  Hang  zun  Gene- 
ralisieren  sind  charakteristisch  zwei  von  ihm  ans  Bramstedt  und  Wedel  beigebrachte 
Sagen.  Wenn  an  jenem  Orte  von  auswärts  hineinheiratende  Bräute  dreimal  am  den 
Roland  gefahren  werden,  so  ist  das  eine  in  die  möglichst  weite  Öffentlichkeit,  d.  h.  auf 
den  Marktplatz  mit  seinem  monamentalen  Mittelpunkt ,  verlegte ,  bei  einheimischen 
Bräuten  überflüssige  symbolische  Zeremonie  der  Aufnahme  in  die  Ortsgemeinschaft, 
kein  allgemeiner  „Hochz6itsbraach'',  hinter  welchem  Beziehungen  zu  Donar-Thor 
als  Gott  der  Hochzeit  und  Ehe  zu  vermuten  sind  (S.  34).  Und  die  Wedeler  Sage  be- 
kundet nicht,  dais  „man  vor  einer  Reise  um  den  Roland  herumfuhr**  (S.  35),  sondern 
erzählt  nur,  dafs  einmal  ein  abergläubischer  auswärtiger  Kutscher  den  zu  einer 
Kranken  entbotenen  Pastor  Rist  nachts  um  den  Roland  gefahren  habe. 

i)  Man  lese  z.  B.  alle  die  hübschen  Dinge,  welche  über  Jodute,  Irmensäule  und 
die  von  König  Heinrich  L  aaf  (iem  Hausberge  bei  Langenberg  (Gera)  errichtete  Roland- 
säule (s.  auch  Platen  S.  29)  bei  R.  Ei  sei,  Sagenbuch  des  Voigtlandes,  187 1,  Nr.  1019. 
1021 — 1023.  1030  zusammengetragen  sind. 

2)  Um  diese,   für  seine  Theorie  ganz  unentbehrliche,   die  endgültige  Verknüpfung 

6* 


—     84     — 

auf  die  Theorie  zugeschnittene  ideelle  Konstruktionen,  welche  durch 
die  Drapierung  mit  einigen  Quellenstellen  an  Thatsächlichkeit  nicht 
gewonnen  haben.  Denn  dieses  historische  Beweismaterial  ist  ohne 
erneute  Wertprüfung  lediglich  in  der  konventionell  gewordenen  Auf- 
fassung verwendet  worden,  in  welcher  zuerst  die  ältere  mythologische 
Litteratur  es  sich  für  ihre  Zwecke  zurecht  gelegt  hat. 

Der  Corveier  Scholiast,  auf  den  Platen  seine  Ansicht  von 
der  Irmensäule  als  Wahrzeichen  des  Verkehrslebens  historisch  stützt, 
mag  mit  örtlichkeit  imd  Verhältnissen  des  Obermarsberg  seiner  Zeit 
(Mitte  XII.  Jahrh.)  ausreichend  vertraut  gewesen  sein ;  die  heidnischen 
Zustände  des  Ortes  aber,  der  inzwischen  dreimal  zerstört  war,  kannte 
er  höchstens  aus  der  Tradition  seines  Klosters.  Er  verwendet  (wie 
nach  ihm  Gobelinus  Persona,  Cosmodrom.  ed.  Meibom  S.  236)  die 
Worte  Widukinds  (I,  12)  von  der  Scheidunger  Irmensäule  rein 
äufserlich  zur  Erklärung  des  Namens  Eresburg,  Arisburg  *),  und  verball- 
hornt sie  nach  Mafisgabe  seines  Halbwissens  und  Mifsverstehens  *),  in- 
dem er  aus  dem  einen  Heiligtum  des  Mars  |  Irmin  bei  Widukind 
zwei  Idole,  des  Ares  |  Mars  und  des  Hermes  (Irmin)  |  Mercurius, 
macht,  derselbe  Irrtum,  welcher  nachmals  die  drei  Bildnisse  an  der- 
selben Irminsul  bei  Heinrich  von  Hervord  (S.  6)  oder  ihrer  vier  bei 


der  pntaüven  Donarbildsänlen  mit  den  positiven  Rolandstatnen  bedeutende  Behauptung 
wenigstens  scheinbar  unter  Beweis  zu  stellen,  sagt  Platen  S.  19,  Anm.  i:  Verände* 
rungen  des  Standortes  sind  auch  noch  später  ein  gewöhnliches  Vorkommnis.  Vgl.  Sello, 
2.  Abh.  1890,  S.  73;  Rietschel  S.  228.  Das  erste  Citat,  eine  gegen  die  Situations« 
bilder  des  Berliner  Rolandsbuches  gerichtete  allgemeine  Bemerkung,  beweist  hier  gar 
nichts ;  im  zweiten  Citat  sind  aus  meiner  Abhandlung  einige  Fälle  von  Flatzveränderungen 
angeführt,  mit  dem  Zusatz:  „wie  viele  der  uns  erhaltenen  Rolande  mögen  ursprünglich 
einen  anderen  Standort  gehabt  haben  I  *^  Alle  uns  bekannten  derartigen  Platzverände« 
nmgen  bestehen  aber  nur  in  Verschiebungen  innerhalb  des  ursprünglichen  Aufstellnngs« 
bezirkes,  welche  aus  Zweckmälsigkeitsgründen  in  neuerer  und  neuester  Zeit  geschahen. 
Wer  aus  ihnen  —  und  ihre  Zahl  könnte  erheblich  vermehrt  werden  —  Rückschlüsse 
auf  die  Frühzeit  und  von  solcher  Tragweite  zieht,  wie  Platen,  täuscht  sich  und  den  Leser. 

i)  Um  dies  zu  erkennen,  mufs  man  den  ganzen  Text  des  Scholion  vor  sich  haben 
(s.  oben  S.  81  Anm.  i)  und  nicht,  wie  Platen  (S.  23),  nur  Riegers  Auszug  in  Ztschr. 
f.  D.  Altertum. 

2}  Jaff6  nennt  ihn  im  Vergleich  mit  dem  älteren  Corveier  Annalisten:  paulo  rudior 
et  tnmidior  (vgl.  Wattenbach,  Gesch.  Q. <•  II,  270:  in  gesuchter  Schreibart  und  un- 
grammatisch, nicht  immer  verständlich).  Dais  Ares  meniis  insertus  gewesen  sei,  ist  aus 
der  Angabe  Widukinds,  dafs  die  Scheidunger  ara  Martis  ad  orientalem  portam  errichtet 
wurde,  heransgedeatelt.  Bei  dem,  was  in  wirrem  Latein  von  Ermes,  qui  et  Mercurius, 
gesagt  wird,  kann  man  zunächst  an  Kaiserchronik,  ed.  Diemer  S.  5,  7  (ed.  E.  Schroeder, 
MGH.  Deutsche  Chron.  I,  i,  V.  1290.)  denken. 


—     85     — 

W.  Rolevink  *)  ins  Dasein  gerufen  hat.  Denn  Widukind  sagt  nicht, 
dafs  „Mars  auf  griechisch  Hermis**  heifse  oder  übersetzt  gar,  wie 
Platen  ihm  unterstellt  (S.  40),  „Hermin -Hermes  ins  Griechische  mit 
Mars**,  sondern  setzt  lautlich  deutsch  „Hirmin**  =  griechisch  „Her- 
mes** (vgl.  J.  Grimm,  Irmenstrafse  S.  46;  Myth.  •  S.  328),  um  da- 
mit die  Abkunft  der  Sachsen  von  den  Griechen  wahrscheinlich  zn 
machen,  indem  er  erläuternd  nachholt,  dafe  der  von  ihm  vorher  er- 
wähnte „Mars**,  nach  welchem  semes  Erachtens  das  Idol  benannt 
wurde,  im  Deutschen  „Hirmin**  sei:  quia  Hirmin,  vel Hermis graece, 
Mars  dicitur.  Widukind  weife  femer  nichts  von  einem  „  an  Herkules- 
Donar  erinnernden  Bild  der  Scheidunger  Irmensäule**  *),  sondern  ver- 
gleicht deren  Form,  sei  es  auf  Grund  einer  Tradition,  sei  es  lediglich 
auf  Gnmd  des  Namens,  mit  der  rein  architektonischen  Gestalt 
der  Herkulessäulen  (efßgie  columpnarum  imitantes  Herculem),  wie 
sie  z.  B.  noch  die  Kunst  des  XVI.  Jahrh.  formulierte,  kommt  also 
mit  der  ältesten,  füglich  noch  auf  direkten,  am  Königshofe  empfan- 
genen Berichten  von  Augenzeugen  beruhenden  Beschreibung  der 
Irmensul  bei  Rudolf  von  Fulda,  dem  bewährten  Fortsetzer  der 
vortrefflichen  Ann.  Fuld.  (839 — 863),  überein  •). 


l)  De  laadibns  Westphaliae,  Scr.  rer.  Bninsvic.  Ol,  621.  Herrn.  Hamelmann, 
Delineatio  arbinm  et  oppidomm  Westphaliae,  praefat  (opp.  geneal.  bist  edit.  Wasser- 
bach S.  65)  citiert  dieselbe  Schrift  Rolevinks,  doch  in  folgender  Form;  faerant  aatem 
circa  istnd  castrom  quatuor  statnae  scolptae,  Martis,  Mercnrii,  Hercolis  et  ApoUonis; 
a  Marte  tarnen,  quasi  praecipno  patrono,  nomen  sortitum  est  castmm. 

3)  J.  Grimm  hatte  schon  Irmenstr.  S.  40  gegen  „die  nüchterne  Auslegung  der 
Neueren'*  geeifert,  „die  ans  dem  Heiligenbild  gern  einen  blofsen  Klotz  gemacht  hätten, 
▼or  dem  sich  unsere  plumpen,  rohen  Vorfahren  niedergeworfen".  Ihm  bedeutete  „der 
sfichsische  Hirmin  bei  Widukind  dem  Bilde  nach  den  Herkules,  weil  er  heldenmäisig  ge- 
rüstet erscheint"  (Handausg.  des  Widukind  von  G.  H.  Pertz,  S.  16,  Anm.  i).  Im  „ge- 
wöhnlichen Heldenkostüm  "  stellt  nur  „  die  älteste  Kunst"  den  Herakles  dar  (K.O.  Müller, 
Handb.  d.  ArchäoL  d.  Kunst,  3.  Aufl.  1878,  S.  675,  }  6);  davon  hatte  Widukind  schwer- 
lich eine  Ahnung.  Wenn  man  in  Hochdeutschland  vom  VIII.  bis  ins  XIII.  Jahrh.  mit 
Irminsul  die  Vorstellung  eines  heidnischen,  auf  einer  Säule  errichteten  Bildes  verband 
(J.  Grimm,  D.  Myth.  8,  S.  107),  so  beweist  dies  nicht  die  Existenz  so  geformter  heid- 
nischer Götterbilder  in  Norddeutschland,  sondern  nur  den  frühen  Einflufs  römischer  Kunst- 
gebilde auf  die  Vorstellungen  süddeutscher  Litteraten. 

3)  Rudolf,  t  865 ;  TransL  s.  Alezandri  c.  3 ;  MGH.  Scr.  II,  676 :  truncus  ligni  non 
parvae  magnitudinis  in  altum  erectus.  Dazu  fügt  sich  der  etwas  jüngere,  dem  Ende  des 
IX.  Jahrh.  angehörige  Bericht  des  aus  Sachsen  stammenden  Poeta  Saxo  (MGH.  I,  328, 
V.  45  ff.) : 

Gens  eadem  coluit  simulacrum,  quod  vocitabant 

Irminsul,  cuius  similis  factura  columne 

Non  operis  parvi  fuerat  pariterque  decoris. 


—     86     — 

Thietmar  von  Merseburg  (II,  i,  MGH.  Scr.  III,  744),  der  240 
Jahre  nach  der  Zerstörung"  der  Irmensäule  schrieb,  kann  nach  Heimat, 
Charakter  und  Entstehungszeit  seines  Werkes  für  die  Errichtung  der 
Peterskirche  an  Stelle  des  gestürzten  Idols  zu  Obermarsberg  kein 
„unzweifelhaftes  Zeugnis"  abgeben,  um  so  weniger,  als  er  die  bezüg- 
liche Stelle  von  der  Tötung  Thankmars  sachlich  aus  Widukind  (II,  1 1) 
entnimmt,  und  selbst  nur  aus  der  Tradition  die  Nachricht  von  der 
Irmcnsul  hinzufügt.  Diese  Tradition  kann  damals  schon  sehr  wohl 
aus  einseitiger  Berücksichtigimg  der  Nachricht  in  den  sogen.  Ann. 
Einh.  ad  a.  772  (MGH.  I,  151 :  Aeresburgunt  casirum  coepit,  ido- 
lufH,  quod  Irminsul  a  Saxonibus  vocabatur,  evertit)  entstanden 
gewesen  sein,  deren  richtiges  Verständnis  sich  erst  aus  ihrer  Verglei- 
chung  mit  den  älteren  und  ausführlicheren  Berichten  ergiebt  (Ann. 
Petav.  MGH.  I,  16:  conquisivit  Erisburgo  et  pervenit  ad  locutn 
qui  dicitur  Emtensuly  Ann.  Lauriss.  maj.  ibid.  150:  Aeresburgunt 
castrum  coepit,  ad  Erntensul  usque  pervenit)  ^). 

Was  den  christlichen  Ersatz  Donars  durch  s.  Peter  anlangt  *),  für 
welchen  Platen  nicht  weniger  als  fünf  mythologische  Autoritäten  an- 
ruft (S.  19  Anm.  4),  so  kann  zugegeben  werden,  dafe  einzelne  Züge 
Donars  auf  Petrus  übergegangen  sein  werden,  nämlich  dort,  wo  that- 
sächlich  an  einer  Donar- Kultusstätte  eine  Peterskirche  errichtet 
wurde  *).  Man  kann  daher  wohl  aus  dem  lokalen  Auftreten  gewisser 
Petrussagen  vermutungsweise  auf  ehemaligen  Donar-Kultus  an  solcher 
konkreten  Stelle  schliefsen;  aber  es  ist  unzulässige  Verallgemeinerung, 
mit  der  Bestimmtheit,  welche  Platen  für  seine  Theorie  bedarf,   regel- 


i)  Die  Annahme  Hüffers  (Con%  Stud.  S.  11),  dafs  der  Verfasser  der  Ann.  Eanh. 
(und  die  ihm  vorliegenden  Ann.  Fuld.  MGG.  I,  348:  Eresborgnm  castmm  cepit  et  ido- 
Inm  Saxonum,  q  uod  vocabatur  Irminsule  destnudt)  an  dieser  Stelle  nicht  dasselbe  sagen 
will,  wie  die  von  ihm  überarbeiteten  Reichsannalen ,  sondern  dafs  er  letztere  mit  Hilfe 
seiner  genauen  Ortskenntnis  berichtigt,  halte  ich  für  unzutreffend.  Der  Bericht  des  Poeta 
Saxo  (s.  die  vorhergehende  Anm.)  scheint  ebenfalls  gegen  Hüffers  Interpretation  zu 
zeugen.  Caspari's,  von  Platen  (S.  22,  vgL  S.  25)  verwerteter  Versuch,  die  Ann.  Petav. 
auszulegen,  charakterisiert  den  eifrigen  Lokalforscher,  welcher  bestrebt  ist,  der  Stadt 
Obermarsberg  um  jeden  Preis  den  Besitz  der  Irminsul  zu  erhalten.  Dasselbe  gilt  för  die 
fleifMge  Sammelarbeit  B.  Kuhlmanns,  Eresburg  u.  Irminsul  (Programm  des  Gymnas. 
Theodorian.  zu  Paderborn,  i$99'l. 

a)  Über  Herkules  als  angeblichen  Typus  $.  Peters,  vgL  F.  Piper,  Mythol.  d. 
christL  Kunst  I,  S.  130  ff.,  1847- 

3)  Im  friesischen  Blexen  (Grolsh.  Oldenburg),  wo  wir  eine  Kultusstätte  des  Thaner 
tu  vermuten  haben,  trat  an  dessen  Stelle  s.  Hippolytus;  vgL  meine  Studien  z,  Gesch.  r. 
Ostringen  o.  Rvistringen,  1S98,  S.  66. 


—     87     — 

mäfsig  dem  Kirchenheilig'en  den  Heidengott  zu  substituieren.  Sollte 
in  Sachsen  die  Petrusverehrung  wirklich  eine  besonders  häufige  ge- 
wesen sein  —  es  fehlt  mir  an  einer  vergleichenden  Statistik  atis  an- 
deren deutschen  Gegenden  —  so  würde  sich  dieselbe  einfach  historisch 
<iadurch  erklären,  dais  Karl  d.  Gr.  das  zu  erobernde  Land  dem 
hl.  Petrus  weihte  und  nach  gewonnenem  Siege  sein  Gelübde  erfüllte  ^). 

Auch  hinsichtlich  der  Peterskirchen  selbst  ist  das  statistisch-histo- 
rische Material  Platens  nicht  zuverlässig.  Von  den  drei  ältesten  Ro- 
landstätten z.  B.:  Magdeburg,  Hamburg,  Bremen*),  war  in  den 
beiden  ersteren  mit  Sicherheit,  in  letzterer  mit  grofser  Wahrscheinlich- 
keit die  Peterskirche  nicht  die  erste  und  älteste  am  Ort,  wie  sie  es 
füglich  sein  mufste,  wenn  sie  dazu  bestimmt  war,  der  Donar- Verehnmg 
die  Wurzeln  abzugraben. 

Bedenklicher  als  diese  historischen  rationes  dubitandi,  über  die 
sich  zur  Not  diskutieren  läfst,  ist  die,  ich  möchte  sagen  agitatorische 
Tendenz,  welche  Platen  in  die  Frage  hineinträgt.  Auf  Grund  seiner 
Theorie  erschliefst  er  nicht  nur  Rolande  in  Orten,  für  welche  jede 
historische  oder  nur  volkstümliche  Beglaubigung  fehlt  —  Eisenach 
und  Goslar  (S.  38)  — ,  sondern  er  stellt  sogar  den  Grundsatz  auf, 
dafs  „für  alle  rolandlosen  Donarstätten  (die  sehr  vagen  Erkennungs- 
zeichen derselben  hat  er  S.  19  gegeben,  s.  oben  S.  81)  im  Rolands- 
gebiet" zu  gelten  habe,  „dafs  schon  die  Donarsäule  oder  auch  das 
Rolandsbild,    welches  dort  einst  gestanden   hat,    untergegangen  ist" 

(s.  39). 


i)  Mag  man  diese  Erzählung  für  Thatsache  oder  Sage  erklären,  jedenfalls  war  sie 
mindestens  vor  der  Mitte  des  IX.  Jahrh.  schon  im  Schwange;  vgl.  Wilmans,  Kaiser- 
Urkunden  I,  135  ff.;  G.  Hü  ff  er,  Corveier  Studien  S.  114  ff. 

2)  Vgl.  Platen  S.  30.  20.  19.  Die  Magdeburger  Petrildrche  ist  eine  Grün- 
dung des  Xin.  Jahrh.,  an  deren  Stelle  die  Lokalhistoriker  vorher  die  Karolingerburg, 
das  spätere  Burggrafenschlofs,  suchen,  vgl.  F.  Hülfse  in  Festschr.  d.  Magdeb.  Gesch.- 
Yer.  1891,  S.  51 ;  der  Berg  ist  natürlich  erst  nach  der  Kirche  benannt  worden.  —  Die 
älteste  Kirche  in  Hamburg  war  der  Mariendom,  nicht  die  Pfarrkirche  s.  Petri  (Adam. 
Brem.  n  c.  68;  vgl  übrigens  oben  S.  15);  darüber  dafs  der  Bremer  S.  Petersdom  ur- 
sprünglich wahrscheinlich  erst  der  Jungfrau  Maria  geweiht  war,  vgl.  J.  M.  Kohlmann, 
Beitr.  z.  Brem.  Kirch.-Gesch.  I,  1844,  S.  96,  s.  Brem.  ÜB.  I,  Nr.  31.  33;  dazu  H.  A. 
Schumacher  in  Brem.  JB.  I,  1864,  S.  287.  295.  305.  —  Auch  in  Nordhausen 
scheint  die  Sache  nicht  so  einfach,  wie  Platen  (S.  27)  annimmt;  die  s.  Petri-Parrochie, 
von  der  Altstadt  durch  ein  Thal  getrennt,  welchem  noch  Mitte  des  XV.  Jahrh.  die  Stadt- 
mauer entlang  lief,  gehörte  ursprünglich  nicht  zur  Altstadt,  deren  älteste  Pfarr-  und  Markt- 
kirche dem  h.  Nikolaus  geweiht  ist;  in  der  Altstadt,  der  Nikolaikirche  benachbart,  steht 
4er  Roland. 


—     88     — 

Durch  die  Freundlichkeit  des  Herrn  Grafen  Hugo  von  Walderdorff 
bin  ich  in  der  Lage,  nachträglich  auf  einen  interessanten  Beitrag  zunt 
Kapitel  von  den  süddeutschen  Rolanden  (S.  41)  hinweisen  zu  können. 
Der  in  Vorbereitung  befindliche  LH.  Band  der  Verhandlungen  des 
histor.  Vereins  von  Oberpfalz  und  R^ensburg(i90o)  wird  aus  der  Feder 
von  Fr.  Drexel  nach  einem  im  Januar  1899  von  demselben  gehal- 
tenen Vortrage  eine  (mir  im  Sonderabdruck  vorliegende)  Abhandlung 
Der  Brunnen  auf  dem  Fischmarkte  zu  Regensburg  (sogenannter 
Rolandsbrunnen)  bringen.  Danach  trägt  die  1551  gefertigte  zierliche 
Brunnenfigur,  welche  den  Fufs  auf  einen  Delphin  stützt,  antike  Rüstung^ 
in  dem  Phantasiestile  ihrer  Entstehungszeit;  der  Rolandname  für  sie 
hat  sich  in  der  Bevölkerung  niemals  eingebürgert  (Sonderabdruck 
S.  17),  sondern  ist  mindestens  seit  Anfang  des  XVIII.  Jahrh.  nur 
im  Munde  der  Gelehrten  imd  Gebildeten  gewesen  (s.  Regensbui^  in 
seiner  Vergangenheit  und  Gegenwart,  herausg.  v.  d.  histor.  Verein  C 
Oberpfalz  und  Regensburg,  1869,  S.  145),  seit  Karl  Paricius,. 
Allerneueste  und  bewährte  Nachricht  von  der  . . .  Stadt  Regens- 
bürg  u.  s.  w.y  Regensburg,  zuerst  1724,  sie  emen  „Roland  oder 
geharnischten  Mann"  genannt  hat  (1.  c.  S.  i).  Die  von  Pariciua 
dem  Namen  hinzugefügte  Definition  ist  lehrreich;  sie  zeigt  dea 
Rolandsbegriff  so  verblafst,  dafs  er  zum  Kunstausdruck  für  eine 
freistehende  gehamischte  Dekorativfigur  werden  konnte,  analog  dea 
Atlanten,  Telamonen,  Karyatiden  der  Architektur.  In  Verbindung  mit 
der  schon  früher  (S.  6.  49,  Anm.  3)  konstatierten  Thatsache,  dafs 
anderwärts  die  Kolossalität  einer  Figur  Veranlassung  zur  Übertragung 
des  Rolandnamens  wurde,  erhalten  wir  hier  ein  wichtiges  kritische» 
Hilfsmittel  zur  Beurteilung  solcher  Statuen,  deren  Herkunft  aus  dem 
Mittelalter  weder  urkundlich  noch  stilistisch  nachgewiesen  ist,  und 
welche  dennoch  in  der  Litteratur  —  so  wollen  wir  vorläufig  vorsich- 
tigerweise statt  „Volksmund"  sagen  —  als  Rolande  bezeichnet  werden^ 
eine  Erscheinung,  die  mir  deutlich  erkennbar  zuerst  g^en  Ende  des 
XVI.  Jahrh.  entgegengetreten  ist. 


Die  Lehre,  welche  wir  aus  unserer  Übersicht  über  die  Litteratur 
der  Rolandstatuen  zu  ziehen  haben,  ist  einfach  genug,  und  kommt 
mit  dem  überein,  was  zu  Elingang  gesagt  wurde.  Soll  in  der  Roland^ 
frage,  deren  kultur-  und  kunsthistorisches  Interesse  nicht  bestritten 
werden  wird,  methodische  Forschung  an  Stelle  uferlosen  Hypothesen- 
sports endlich  zu  ihrem  vollen  Rechte  kommen,  so  ist  xonächst,  wie 


—     89     — 

Uhlirz  es  so  präcise  formuliert  bat,  eine  ausreichende  archäologische 
Grundlage  zu  schaffen,  welche  alle  nur  irgendwie  in  Betracht  kom- 
menden Bildwerke ,  die  vorhandenen  und  untergegangenen ,  auch  die 
aufserdeutschen ,  zu  umfassen  hat.  Manches  ist  in  dieser  Richtung 
gethan;  vieles  bleibt  noch  übrig.  Längst  nicht  von  allen  Rolandorten 
haben  wir  die  Überzeugung,  dafe  ihre  Geschichtsquellen  im  weitesten 
Sinne  für  unser  Thema  ausgebeutet  seien.  Da  bei  den  meisten  hier 
in  Frage  kommenden  Fällen  es  sich  um  handschriftliches  Material 
intimster  Art  und  um  Erzeugnisse  der  Lokalpresse  handeln  wird,  welche 
für  den  Auswärtigen  kaum  erreichbar  sind,  genügen  die  Kräfte  eines 
Einzelnen  für  die  Bearbeitung  des  ganzen  Gebietes  nicht;  sie  ist  von 
Ort  zu  Ort  die  Aufgabe  der  Lokal  forschung,  die  sich  von  lockenden 
aber  voreiligen  Spekulationen  allgemeiner  Natur  vorsichtig  fem  zu 
halten  hat  Die  Ergebnisse  ihrer  gewissenhaften  Arbeit,  auch  .wenn 
sie  nur  negativer  Art  sind,  dürfen  nicht  in  Vereinsschriften  und  Zei- 
tungsfeuilletons vergraben,  sondern  müssen  an  allgemein  zugänglicher 
Stelle  vereinigt  werden ;  sachkundige  Aufnahmen,  am  besten  in  einem 
gemeinsam  zu  vereinbarenden  Mafsstabe,  dürfen  nicht  fehlen.  Ist 
diese  Arbeit  gethan,  so  wird  die  Wissenschaft  schon  die  Wege  zu 
finden  wissen,  welche  weitere  Forschung  zu  verfolgen  hat. 


Alphabetische   Übersicht  über  die  besprochenen  Rolandsorte. 

Arebrück,  s.  Wahrenbrück.  —  Bederkesa,  S.  8.  43.  —  Beigem,  S.  8.  54.  65  Anm.  i. — 
Berge,  S.  7.  48  Anm.  i.  —  Berlin,  S.  3.  43.  —  Brakel,  S.  50.  70.  71.  77.  —  Bram- 
stedt,  S.  9.  II.  65  Anm.  i  a.  E.  82  Anm.  i.  —  Brandenburg,  S.  3.  8.  ii.  46.  65.  — 
Braimschweig ,    S.   40.    —    Bremen,    S.   3.    5.    6.   8.    9.    42 ff.    50 £f.    54.    7I    Anm.    3. 

73  Anm.  2.  87.  —  Buch,  S.  11.  65.  —  Buxtehude,  S.  76  Anm.  2.  —  Eckemförde,  S.  41.  - 
Eisenach,  S.  87.  —  Erfurt,  S.  7.  10.  41.  70.  72.  —  Finsterwalde,  S.  8  Anm.  3.  — 
Freiberg  in  Meifeen,  S.  49  Anm.  3.  —  Friesack,  Alt-,  S.  41.  —  Frouard,  S.  68.  — 
Gardelegen,  S.  11.  40  Anm.  2.  —  Göttingen,  S.  47  Anm.  i.  55.  —  Goslar,  S.  47 
Anm.  I.  87. —  Halberstadt,  S.  46.  —  Halle,  S.  3.  5.  7.  8.  Ii.  44ff.  54.  79  Anm.  i.— 
Hamburg,  S.  3.  5.  6.  11.  43.  55.  87.  —  Hildesheim,  S.  40.  —  Langenberg,  S.  75 
Anm.  5.  83  Anm.  i.  —  Legde,  S.  49,  Anm.  3.  —  Lübeck,  S.  5.  ii.  —  Magdeburg, 
S.  3.  5.  6.  II.  46.  50  ff.  72.  87.  —  Neuhaldensleben ,  S.  2  Anm.  2.  11.  —  Neustadt 
im  Stiüe  Köln,  S.  48  Anm.  i.  —  Neustadt  unterm  Hohnstein,  S.  79  Anm.  i.  —  Nord- 
hansen, S.  9.  45.  79  Anm.  i.  87  Anm.  2.  —  Obermarsberg,  S.  48.  70.  71.  81  Anm.  2. — 
Oschatz,  S.  8.  47  Anm.  i.  —  Perleberg,  S.  11.  —  Polrin,  S.  10.  —  Potrlow,  S.  46.  — 
Prenzlau,  S.  55.  —  Quedlinburg,  S.  5.  47.  55.  —  Questenberg,  S.  79  Anm.  i.  —  Ra- 
gusa, S.  71  Anm.  3.  —  Regensburg,  S.  88.  —  Reichwalde,  S.  8  Anm.  3.  —  Rnhland, 
S.  8  Anm.  3.  —  Salzwedel,  S.  40.  73.  Anm.  5.  a.  E.  —  Sangerhausen,  S.  41.  —  Sec- 
hansen,  Seerhausen,  S.  8  Anm.  3.  —  Stadtberge  s.  Obermarsberg.  —  Stendal,  S.  ii.  40 
Anm.  2.  —  Tilleda,  S.  47.  —  Verden,  S.  50.  —  Verona,  S.  4.  76  Anm.  i.  —  Wahren« 
brück,  S.  8  Anm.  3.  —  Wedel,  S.  9.  11.  40  Anm.  2.  49  Anm.  3.  79  Anm.  i.  82  Anm.  i.  — 
Wildeshausen,  S.  41.    —  Wittenberg,  S.  40.    —    Würzen,  S.  li.   —  Zerbst,  S.  10.  ii. 

74  Anm.  I. 


—     90     — 


Mitteilungen 

Archive.  —  In  Mannheim  wurde  die  Instandsetzung  des  Stadtarchivs 
T^eschlossen ,  imd  zwar  wurde  zur  Lösung  dieser  Aufgabe  der  verdienstvolle 
Herausgeber  der  Mannlieimer  Geschichtsblälter,  die  seit  Januar  1900  monat- 
lich erscheinen,  Dr.  Friedrich  Walter,  berufen,  welcher  sich  durch  seine 
Geschichte  des  Theaters  und  der  Musik  am  kurpfähischen  Hofe  (=  Forschungen 
zur  Geschichte  Mannheims  und  der  Pfalz,  herausgegeben  vom  Mannheimer 
Altertumsverein  I,  Leipzig  1898)  und  durch  das  Archiv  und  Bibliothek  des 
Mannheimev  Hof-  und  NaimialtJieaters  (Leipzig,  Hirzel,  2  Bände  1898  und 
1899)  auch  in  weiteren  Kreisen  bekannt  gemacht  hat. 

Im  grofsherzoglich  badischen  General-Landesarchiv  in  Karlsruhe  ')  sind 
die  alten  Archive  und  Registraturen  der  Markgrafschaften  Baden-Durlach  und 
Baden-Baden,  die  Archive  der  infolge  der  politischen  Umwälzungen  im  An- 
fange des  19.  Jahrhunderts  an  Baden  gefallenen  Gebiete,  sowie  die  Urkunden 
und  Akten  der  Staatsbehörden  und  Hofömter  im  Grofsherzogtum,  soweit  die- 
selben für  den  laufenden  Dienst  nicht  mehr  erforderlich  und  zu  dauernder 
Aufbewahrung  geeignet  sind,  vereinigt.  Das  Archiv  besteht  aus  drei  Ab- 
teilungen, dem  grofsherzogUchen  Familienarchiv,  dem  Haus-  und  Staatsarchiv 
und  dem  Landesarchiv.  Das  Familienarchiv  enthält  die  auf  die  persönlichen 
Verhältnisse  der  Mitglieder  der  Durlacher  Linie  des  grofsherzogUchen  Hauses 
bezüglichen  Akten,  Urkunden  und  Korrespondenzen  von  dem  regierenden 
Markgrafen  Karl  Wilhelm  (1709 — 1738)  und  seinen  Geschwistern  an,  das 
Haus-  und  Staatsarchiv  die  Archivalien,  welche  auf  das  grofsherzogliche  Ge- 
samthaus, auf  alle  Mitglieder  der  im  Jahre  17  71  im  Mannesstamme  aus- 
gestorbenen baden-badischen  Linie  des  Fürstenhauses  und  auf  die  Mitglieder 
der  Durlacher  Linie  bis  auf  Karl  Wilhelm  herab  sich  beziehen,  endlich  alle 
•die  politischen  Angelegenheiten  der  badischen  Lande  (der  beiden  Markgraf- 
schaften, des  Kurfürstentums  und  des  Grofsherzogtums)  betreffenden  Akten 
imd  Urkunden.  Das  Landesarchiv  umfafst  in  17  Abteilungen  alle  übrigen 
Bestände :  die  Urkunden  (ca.  150  000  Stück,  darunter  die  Selekte  der  ältesten 
Urkunden  bis  zum  Jahre  1200,  der  Kaiser-  und  Königsurkunden  bis  15 18 
und  der  Papsturkunden  bis  1302),  das  Lehen-  imd  Adelsarchiv  (ca.  1 1  000  Ur- 
Itimden  und  7800  Aktenfaszikel),  die  umfangreichen  Akten  (ca.  190000  Fas- 
zikel), die  Kopialbücher  (1530  Bände),  die  Anniversarien  und  Nekrologien 
{56  Bände),  die  Beraine,  Urbare,  Lagerbücher  imd  Renovationen  (10776  Bände), 
die  Sanmilung  der  Kompetenzbücher,  Schul-  imd  Stifhingstabellen  (233  Nummern), 
die  Handschriften  (1375  Bände),  die  Pläne,  Gemarkungskarten  und  Landkarten, 
die  alten  Rechnungen  (6188  Bände),  die  Sammlung  der  alten  Protokolle 
(2858  Bände),  die  Stempelsammlung  (997  Stück),  die  Sammlung  der  alten 
und  neuen  Repertorien  (1904  Bände),  die  von  Behörden,  Gemeinden  und 
Privatpersonen  imter  Vorbehalt  des  Eigentumsrechts  hinterlegten  Archivalien 
und  die  Manuahegistratur.  —  Als  Organ  für  die  wissenschaftliche  Verwertung 
•der  überreichen  Schätze  des  Archivs  diente  ehemals  die  Zeitschrift  für  die 
Geschichte  des  Oberrheins,   welche  in  den  Jahren  1850  bis  1885  von  dem 

i)  Über  das  Archivwesen  in  anderen  deutschen  Staaten  vgl.  die  Mitteilungen  im  i.  Band, 
S.  171  — 172  (Preulsen),  S.  245  —  247  (Baiern)  sowie  ob.  S.  26 — 32  (Sachsen  u.  Württemberg). 


—     91     — 

General-Landesarchiv  herausgegeben  wurde  *).  Seit  dem  Übergange  dieser  Zeit- 
schrift nach  Abschlufs  des  39.  Bandes  an  die  badische  historische  Kommission 
ist  das  Archiv  mit  irgendwelcher  offiziellen  Veröffentlichung  nicht  mehr  hervor- 
getreten. Doch  wird  neuerdings  von  demselben  die  Herausgabe  von  Archiv- 
inventaren  vorbereitet,  deren  erster  Band  demnächst  erscheinen  wird. 

An  der  Spitze  des  Archivs  steht  der  Archivdirektor.  Von  weiteren 
akademisch  gebildeten  Beamten  sind  vorhanden  zwei  Archivräte  tmd  ein 
etatsmäfsiger  Hilfsarbeiter  (Archivassessor).  Das  Kanzleipersonal  besteht  aus 
zwei  Registraturen  und  einem  Registraturassistenten.  Was  die  wissenschaft- 
liche Vorbildung  der  akademisch  gebildeten  Beamten  anbelangt,  so  ist  durch 
landesherrliche  Verordnung  vom  26.  November  1891  bestimmt,  dafs  Amts- 
stellen im  höheren  Archivdienst  nur  solchen  Personen  übertragen  werden 
sollen,  welche  entweder  die  erste  Prüfung  der  Rechtskandidaten  oder  die  für 
die  wissenschaftlich  gebildeten  Lehrer  an  den  Mittelschulen  vorgeschriebene 
philologisch-historische  Prüfung,  bezw.  die  in  anderen  deutschen  Staaten  vor- 
geschriebene Oberlehrerprüfung  bestanden,  oder  endlich  die  Befähigung  ziun 
Dozieren  in  der  juristischen  oder  (für  philologisch-historische  Fächer)  in  der 
philosophischen  Fakultät  einer  deutschen  Hochschule  erlangt  haben.  Die 
Gehaltsverhältnisse  sind  durch  die  allgemeine  Gehaltsordnung  vom  9.  Juli  1894 
geregelt.  Nach  derselben  steigt  das  Gehalt  des  Direktors  bis  6800  Mark, 
dasjenige  der  Räte  bis  5000  Mark  und  dasjenige  des  Hilfsarbeiters  bis 
4500  Mark;  dazu  kommt  der  ordnungsgemäfse  Wohntmgsgeldzuschufs  von 
760  Mark  für  den  Direktor  und  620  Mark  für  die  Räte  imd  den  Hilfs- 
arbeiter. 

Die  Benützung  des  Archivs  ist  seit  einer  Reihe  von  Jahren  eine  aufser- 
ordentlich  rege.  Im  Jahre  1899  betrug  die  Zahl  der  Benutzer  221.  Unter 
denselben  waren  29  Staats-,  Hof-,  Militär-,  Kirchen-  und  Gemeindebehörden 
und  16  Privatpersonen,  welche  das  Archiv  für  geschäftliche,  und  176  Privat- 
personen, welche  es  für  wissenschaftliche  Zwecke  in  Anspruch  nahmen.  Die 
2^hl  der  Benützungen  belief  sich  insgesamt  auf  432.  —  Der  staatliche  Auf- 
wand für  das  Archiv  ist  für  die  Budgetperiode  1 900/1 901  auf  75420  Mark 
im  ordentlichen  imd  2000  Mark  im  aufserordendichen  Etat  festgesetzt. 

Oeschtchtltche  Ortschaftsyerzeichnlsse.  —  Bereits  S.  58  wurde 

auf  die  in  Dresden  aufgestellten  Vorsciääge  für  die  Ausarbeitung  histori- 
scher Ortschaftsverxeichnisse  hingewiesen.  Für  alle  Landschaften  Deutschlands 
ist  die  Herstellung  solcher  von  gröfster  Wichtigkeit,  da  sie  nicht  nur  einen 
Niederschlag  der  gesamten  geschichtlichen  Arbeitsleistung  darstellen  imd  zmi 
raschen  Orientierung  auch  des  femer  Stehenden  dienen,  sondern  auch  für 
viele  Zweige  der  Verwaltung  von  hohem  Werte  sind.  Nur  wenn  eine  gröfsere 
Reihe  von  Sonderarbeiten  vorliegt,  wie  sie  neuerdings  der  Forschung  in  dem 
Topographischen  Wörterbuch  des  Oroßherxogtunis  Baden  ^)  beschert  worden 


i)  Vgl.  den  Aufsatz  von  R ranner,  Fünfzig  Jahre  oberrheinischer  Geschichts« 
forschang  im  i.  Bande  dieser  Zeitschrift,  S.  229  —  239. 

2)  Herausgegeben  von  der  Badischen  Historischen  Kommission  1898,  bearbeitet 
von  Archivrat  Krieger,  welcher  in  einem  Aufsätze  (Korrespondenzblatt  des  Gesamt- 
vereins der  deutschen  Geschichts-  und  Altertumsvereine,  48.  Jahrg.  [1900],  S.  145 — 148) 
eingehend  über  Entstehung  und  Anlage  des  Werkes  berichtet. 


—     92     — 

ist,  von   dem   sich  bereits   eine   zweite   Auflage   notwendig  macht,   wird  es 

möglich  sein,   in   einer  Neubearbeitung  von  Oesterley,   Historisch-geogra- 

phisches  Wörterbuch  des   deutschen  Mittelalters   (Gotha    1883),   ^^   wirklich 

brauchbares  imd   doch   nicht  zu  lunfangreiches  geographisch  -  geschichtliches 

Handbuch  zu  liefern.     Um  ihnen  eine  möglichst  grofse  Beachtung  zu  sichern, 

lassen  wir  die  oben  erwähnten  „Vorschläge "  hier  in  vollem  Wortlaut  folgen : 

Ein  geschichtliches  Ortschaftsverzeichnis  hat  die  Aufgabe,  in  kürzester 

lexikographischer  Form  von   den  Wohnplätzen   des   behandelten  Gebietes 

diejenigen  Nachrichten   zu  geben,   welche   die  Entwickelung   des  Namens 

sowie  die  Lage,  Entstehimg  und  jeweilige  Zugehörigkeit  zu  politischen  oder 

kirchlichen  Verbänden  klarstellen.    Auch  Berge,  Flüsse,  Seen  und  Wälder 

sollen  entsprechende  Berücksichtigung  finden. 

I.  Aufgenommen  werden  in  alphabetischer  Reihenfolge: 

1.  Die  selbständigen  Ortschaften. 

2.  Eingemeindete  oder  angegliederte  Ortschaften,  die  früher  selbständig 
waren. 

3.  Burgen  und  Schlösser,  soweit  sie  nicht  unter  den  Ortschaftsnamen  ge- 
nannt werden. 

4.  Einzelliegende  Gutsbezirke,  Höfe  und  Mühlen. 

5.  Kapellen,  Kirchen  imd  Klöster,  die  nicht  innerhalb  einer  Gemeinde 
liegen  (diejem'gen  iimerhalb  der  Gemeinde  erscheinen  imter  dem  Ge- 
meindenamen). 

6.  Wüstungen.  Als  Wüstungen  sind  auch  die  quellenmäfsig  nicht  als 
Wohnorte  nachzuweisenden  Flurnamen  anzusehen,  die  Ortsnamenform 
haben. 

7.  Die  Namen  der  Staaten,  Provinzen,  Kreise,  Ämter  etc.,  die  von  dem 
bearbeiteten  Gebiete  ganz  oder  teilweise  umschlossen  werden  oder  früher 
als  politische  Gebilde  innerhalb  dieses  Gebietes  vorhanden  waren. 

8.  Die  Namen  der  Bistümer,  Archidiakonate,  Archipresbyterate  (Dekanate), 
Superintendenturen  etc. 

9.  Berge,  Wasserläufe,  Seen,  grofse  Wälder,  soweit  sie  eigene  Namen  haben 
und  urkundlich  genannt  werden. 

IG.  Die  in  den  einzebien  Artikebi  aufgeführten  älteren  Namensformen  werden, 
soweit  sie  nicht  ohne  weiteres  mit  den  modernen  Namen  identifiziert 
werden  können,  mit  Hinweis  auf  das  Schlagwort  in  das  Namensver- 
zeichnis aufgenommen. 

II.  In  den  einzebien  Artikeln  ist  anzugeben: 

1.  Der  moderne  Name  in  der  Schreibung  des  amtlichen  Ortschafts- 
verzeichnisses mit  Hinzufügung  des  Amtsgerichtsbezirks.  Falls  der  Ort 
an  einem  Flusse  liegt,  ist  auch  diese  Lagebestimmung  hinzuzufügen. 
Ist  von  Wüstungen  kein  modemer  Name  bekannt,  so  tritt  an  seine 
Stelle  die  letzte  urkimdlich  überlieferte  Form.  Die  Lage  der  Wüstung 
wird  näher  bestimmt  durch  die  Gemarkung,  in  welcher  sie  liegt,  und 
wenn  möglich  durch  die  Himmelsrichtung  zum  Gemarkungsdorfe. 

2.  Die  historische  Namensentwickelung. 

Es  werden  nicht  sämtliche  nachweisbare  Namensformen  gegeben, 
sondern  nur  diejenigen,  welche  einen  merkbaren  Fortschritt  in  der 
Namensentwickelung  bezeichnen.     Ein  Erklärungsversuch  des  Namens 


—     93     — 

soll  nicht  gegeben  werden.     Die  Quelle,  welcher  die  Namensform  ent- 
nommen ist,  wird  in  stark  abgekürzter  Form  in  Klammem  beigesetzt. 
(Eine  Auflösung  dieser  Abkürzungen  wird  dem  alphabetischen  Ver- 
zeichnis [s.  III.  4.]  vorgesetzt.     Ausfuhrliche  Quellennachweise  sind 
mit  dem  gesamten  handschriftlichen  Material  bei  demjenigen  Staats- 
oder Stadtarchive  zu   hinterlegen,    das  hauptsächlich   die  Urkunden 
und  Akten  des  bearbeiteten  Gebietsteils  enthält.) 
Falls  die  Quelle,   welcher  die  Namensform  entnommen  wurde,  niu* 
in  späterer  Abschrift  vorhanden  ist,  so  mufs  zwischen  Urkunden-  und 
Kopialdatum  in    der  Weise   unterschieden  werden,    dafs   das  Kopial- 
datum  in  eckiger  Klammer  hinter  dem  Urkundendatum  gegeben  wird. 
Als  Kopialdatum  wird  im  allgemeinen  das  Jahrhundert  genügen,  z.  B. 
13 16    [XVI].     Bei  Nachrichten,    die   aus   darstellenden  Quellen   ent- 
nommen sind,  ist  —  falls  diese  nicht  in  originaler  Überlieferung  vor- 
liegen  —  die  Zeit  der  ältesten  erhaltenen   und  für   die   Namensform 
mafsgebenden  Abschrift  anzugeben.    Bei  gefälschten  Urkunden  ist  wie 
bei  Abschriften  das  Jahrhundert  der  Eutstehung  anzugeben. 

3.  Geschichtliche  Nachrichten  über  die  Entstehung,  Zusammen- 
setzung und  topographische  Entwickelung. 

a)  Gründung,  Erhebung  zur  Stadt,  Wüstwerden.  (Ausgeschlossen  sind 
Ereignisse  von  vorübergehender  Bedeutung,  z.  B.  Schlachten,  Plün- 
derungen, Belagerungen  etc.) 

b)  Die  Eingemeindungen  (seit  wann). 

c)  Die  im  Orte  liegenden  Burgen  oder  Schlösser. 

d)  Die  adeligen  Familien,  welche  nach  dem  Orte  ihren  Namen  führen 
(erste  Erwähnung  und  Erlöschen). 

e)  Die  Kirchen  imd  Klöster  mit  ihrem  Schutzheiligen  und  mit  dem 
Gründungsjahr  (hierzu  die  Filialkirchen  oder  Kapellen).  Das  Kirchen- 
patronat.     Einführung  der  Reformation  imd  Gegenreformation. 

0  Wünschenswert  sind  Angaben  über  die  am  Orte  bestehenden  Münz-, 
Zoll-,  Gerichtsstätten  imd  über  die  Zugehörigkeit  zu  einem  bestimmten 
Rechtsgebiete 

4.  Die  Entwickelung  der  politischen  Zugehörigkeit  Anzu- 
geben ist  die  Zugehörigkeit  zu  den  vor  der  Bildung  der  Landesherr- 
schaften bestehenden  politischen  Verbänden  (Gau,  Grafschaft,  Terra) 
soweit  dies  urkundlich  feststeht 

Gestattet  es  der  Stand  der  Forschung,  auch  über  die  Zugehörigkeit 
zu  den  Landesherrschaften  und  den  Wechsel  in  dieser  Zugehörigkeit 
zuverlässige  Angaben  zu  machen,  so  ist  dies  dringend  erwünscht  In 
allen  Fällen  ist  auch  unter  dem  Schlagworte  der  politischen  Verbände, 
Herrschaften  etc.  deren  Einteilung  und  Umfang  durch  Grenzangabe 
oder  namentliche  Aufzählung  der  Unterbezirke  bezw.  Ortschaften  zu 
verzeichnen.  Die  Berücksichtigung  der  heutigen  politischen  Einteilung 
ist  hierbei  nicht  erforderlich. 

5.  Die  kirchliche  Zugehörigkeit  (Archipresbyterat,  Archidiakonat, 
Bistum),  ^bei  protestantischen  Orten  Superintendentur.  Zu  bearbeiten 
wie  4. 

6.  Unter  den  Schlagworten:  Reichsstädte,  Reichsdörfer,  Reichsbuigen, 


—     94     — 

Pfalzen,   Freigerichte,    Freistühle,    Gerichtsstätten,    Oberhöfe,    Münz- 
Stätten  etc.  sind  die   im  Verzeichnis  vorkommenden  Namen  derselben 
zusammenzustellen. 
7.  Von  Litteratur  über  die  einzelnen  Ortschaften  etc.  werden  nur  die- 
jenigen Einzelschriften  oder  Zeitschriftenaufsätze  genannt,  welche  nicht 
Spezialuntersuchungen  bringen,  sondern  die  geschichtliche  Entwickelung 
ftir  möglichst  lange   Zeiträume   umfassen  und  wissenschaftlich   zuver- 
lässig sind, 
in.  Jedem  Ortschaftsverzeichnis  wird  eine  Einleitung  vorausgeschickt, 
die  enthalten  mufs: 

1.  Eine   systematische   Übersicht    der    politischen  Zusammensetzung    des 
Gebiets  in  ihrem  historischen  Wechsel  bis  zur  Gegenwart. 

2.  Eine  systematische  Übersicht  der  kirchlichen  Einteilung  in  ihrem  histo- 
rischen Wechsel  bis  zur  Gegenwart. 

3.  Ein  Verzeichnis  der  benutzten  Handschriften,  Druckwerke  imd  Karten. 

4.  Eine  Übersicht  der  im  Ortschaftsverzeichnis  gebrauchten  Abkürzungen. 

Angenommen  in  der  Sitzimg  der  vereinigten  vier  Sektionen  der  General- 
versammlung des  Gesamtvereins  zu  Dresden,  27.  September  1900. 

Personalien.  —  In  Prag  (deutsche  Universität)  wurde  Ottokar 
Weber  zum  ordentlichen  Professor  ftir  allgemeine  neuere  Geschichte,  in 
Wien  Alfred  Francis  Pribram  ziun  ordentlichen  Professor  ftir  mittlere 
und  neuere  Geschichte  ernannt.  In  Berlin  wurde  der  a.  o.  Prof.  Tangl 
als  Nachfolger  Wattenbachs  zum  Ordinarius  befördert,  Conrad  Cichorius, 
bisher  a.  o.  Prof.  in  Leipzig,  wurde  als  Ordinarius  für  alte  Geschichte  nach 
Breslau  berufen.  In  Czemowitz  trat  der  ord.  Professor  ftir  österreichische 
Geschichte  Ferdinand  Zieglauer  v.  Blumenthal  nach  zweiimdvierzig- 
jähriger  Lehrthätigkeit  in  den  Ruhestand.  Dem  verdienten  Direktor  des  K. 
Friedrich- Wilhelmsgynmasiums  zu  Köln,  Oskar  jäger,  ist  ftir  i.  April  1901 
die  von  ihm  nachgesuchte  Versetzung  in  den  Ruhestand  bewilligt  worden,  und 
zwar  in  der  Form,  dafs  er  zum  ordentlichen  Honorarprofessor  der  Geschichte 
in  Bonn  ernannt  wurde.  An  der  Akademie  Münster  wurde  Archivrat  Philippi 
zum  ordentlichen  Honorarprofessor  ernannt.  —  Es  habilitierten  sich  ftir  Ge- 
schichte in  Bonn  Otto  Waltz,  bisher  ord.  Prof.  in  Dorpat,  und  Friedrich 
Karl  Luckwald,  in  Breslau  Walter  Stein,  an  der  Technischen  Hoch- 
schule in  Stuttgart  Dr.  Marx,  ftir  Kirchengeschichte  in  Giefsen  W.  Köhler. 

Der  bisherige  Direktor  des  Kgl.  Staatsarchivs  in  Düsseldorf,  Wolde- 
mar  Ha  rief  s,  trat  am  i.  Okt.  in  den  Ruhestand.  Er  ist  1828  als  Sohn 
des  Bonner  Professors  der  Medizin  geboren,  promovierte  1853,  war  dann 
kurze  Zeit  an  dem  vom  Freiherm  von  Aufsefs  geleiteten  Germanischen  Mu- 
seum thätig,  wurde  aber  bereits  1855  als  Assistent  an  das  Provinzialarchiv 
zu  Düsseldorf  berufen  und  ist  seitdem,  abgesehen  von  einer  anderthalbjährigen 
(1873 — 75)  Unterbrechung,  diesem  Archive  treu  geblieben,  dessen  Leitung 
er  im  Sommer  i866  als  Nachfolger  Lacomblets  übernahm.  H.  besitzt  ein 
reiches  Wissen  auf  dem  Gebiete  der  Rheinischen  Geschichte,  er  war  ein 
allzeit  entgegenkommender  Förderer  aller  wissenschaftlichen  archivalischen 
Arbeit  und  seit  ihrer  Gründung  Vorstandsmitglied  der  „Gesellschaft  ftir 
Rheinische  Geschichtskunde".   Besonderen  Dank  schuldet  ihm  der  „Bergische 


—     95     — 

GcschichtsTcrem",  dem  er  seit  seiner  Entstehung  (1863^  angehörte«  dessen 
Zeitschrift  er  durcb  rührige  Mitarbeit  nnterstütrte  und  ünge  Zeit  redigierte* 
Der  Verein  hat  ihn  in  Dankbarkeit  zum  Ehrenpräsidenten  ernannt  Seine 
wissenschaftlichen  Arbeiten  sind  zum  gröfsten  Teüe  in  den  Proviniialzeit- 
schriftoi  zerstreut:  neben  der  „Zeitschrift  des  Bergischen  Geschichts\*ereins** 
kommen  das  „  Archiv  för  die  Geschichte  des  Xiederrheins ",  welches  er  fort- 
setzte, die  „Annalen  des  historischen  Vereins  für  den  Xiederrhein  *%  die 
Zeitschrift  für  Preufsische  Geschichte",  die  „Bonner  Jahrbücher",  die 
Jahrbücher  des  Düsseldorfer  Geschichtsvereins **  sowie  die  „Allgemeine 
Datsche  Biographie"  in  Betracht  Von  grofser  vorbildlicher  Bedeutung  für 
ähnliche  Arbeiten  ist  seine  Geschichte  von  Amt  und  Freiheit  Ifitckestcagen 
(1890).  —  Zinn  Direktor  des, Düsseldorfer  Staatsarchi\*s  an  Harlefs*  Stelle 
wurde  Archivrat  II gen,  bisher  am  Staatsarchiv  Münster,  ernannt  —  An 
Preufeischen  Staatsarchiven  wurden  versetzt  die  Hilfsarbeiter  Friedrich  Lau 
von  Berlin  nach  Stettin,  Rudolf  M artin y  von  Königsberg  nach  Koblenz, 
Dr.  Rosen feld,  bisher  am  Kgl.  Preufsischen  Historischen  Institut  in  Rom, 
nach  Magdeburg.  —  Zum  Nachfolger  des  am  i.  Januar  1901  in  den  Ruhe- 
stand tretenden  Direktors  des  Staatsarchivs  in  Stettin,  v.  Bülow,  wurde 
Archivrat  Becker  in  Koblenz  emaimt  Die  Leitung  des  Koblenzer  Archivs 
wird  von  diesem  Zeitpunkt  an  Archivrat  Joachim  in  Königsberg  übernehmen. 
An  Stelle  Baracks  wurde  zum  Direktor  der  Universitäts-  und  Laudes- 
bibliothek in  Strafsburg  Oberbibliothekar  Euting  ernaimt  —  In  Wien  trat 
der  Kustos  an  der  Universitätsbibliothek  Josef  Meyer  in  den  Ruhestand.  — 
Der  bisherige  Konservator  am  römisch -germanischen  Museum  in  Mainz 
L.  Lindenschmit  wurde  zum  ersten,  Prof.  Schumacher  (Karlsruhe)  zum 
zweiten  Direktor  des  neu  gegründeten  Reichs-Limes-Museums  auf  der  Saal- 
burg ernannt 

Zu  Konservatoren  der  Zentralkommission  für  Erforschung 
und  Erhaltung  der  Kunst-  und  historischen  Denkmale  in  Wien 
wurden  ernannt  der  Archivar  des  Stiftes  Zwettl,  P.  Benedict  Hammerl, 
der  Archivar  des  niederösterreichischen  Statthaltereiarchivs  Dr.  Albert 
Starzer,  der  Archivskoncipist  des  Ministeriums  ftir  Kultus  imd  Unterricht 
Franz  Staub,  der  aufserord.  Universitätsprofessor  imd  Kustosadjunkt  am 
naturbistorischen  Hofinuseum  in  Wien  Dr.  Moriz  Hoernes,  der  Assistent 
an  der  Hofbibliothek  in  Wien  und  Universitätsprivatdocent  ph.  et  iur.  Dr. 
Anton  Ritter  v.  Premerstein,  der  Kustos  am  naturhistorischen  Hof- 
museum in  Wien  Josef  Szombathy,  der  Professor  und  Direktor  des 
Konviktes  Seitenstetten ,  Benediktiner- Ordenspriester  Otto  Fehringer  und 
der  Archivar  in  Eger  Dr.  Karl  Siegl. 

In  Erfurt  starb  am  17.  Juli  der  dortige  Stadtarchivar  Karl  Beyer,  der 
sich  um  die  Autbellung  der  Geschichte  Erftirts  verdient  gemacht  hat,  5  a  Jahre  alt; 
in  Berlin  am  19.  September  der  durch  seine  Schriften  über  die  Geschichte  des. 
Kriegswesens  bekannte  Oberstleutnant  a.  D.  Dr.  Max  Jahns,  6a  Jahre  alt; 
in  Wien  am  la.  Okt.  der  vor  einem  Jahre  in  den  Ruhestand  getretene 
Vicedirektor  der  k.  k.  Hofbibliothek  Eduard  Chmelarz,  54  Jahre  alt; 
in  Jena,  wo  er  Heilung  suchte,  am  30.  Oktober  Archivrat  Hermann 
Schmidt,  Vorstand  des  Regierungsarchivs  in  Arnstadt,  fast  7a  Jahre  alt; 
in  Strafsburg  am  la.  Juli  Karl  August  Barack,  Direktor  der  Universität«- 


—     96     — 

und  Landesbibliothek,  bekannt  als  Herausgeber  der  Zimmerischen  Chronik, 
72  Jahre  alt;  in  Halle  a.  S.  am  6.  August  Alfred  Boretius,  der  Heraus- 
geber der  fränkischen  Kapitularien,  64  Jahre  alt;  in  Wien  am  i.  November 
<ier  um  die  Gründung  des  „Vereins  für  historische  Waffenkunde"  (vgl.  Bd.  I, 
S.  134 — 135)  verdiente  frühere  Direktor  der  kimsthistorischen  Sammlungen 
des  Kaiserhauses  Wendelin  Boeheim;  in  Reval  am  19.  November  der 
verdiente  Stadtarchivar  Gotthard  von  Hansen,  71  Jahre  alt 

Eingegangene  Bficher. 

Knebel,  Conrad:  Die  Mal-  imd  Zeichenkunst  in  Freiberg.  [=  Mitteilungen 
vom  Freiberger  Altertumsverein  Heft  36  (1899)  S.  7  — 114.] 

Landeskunde,  Neue,  des  Herzogtums  Sachsen-Meiningen,  im  Auftrag  des 
Verems  ftir  Meiningische  Geschichte  imd  Landeskunde  herausgegeben  vom 
Vorstand.  Heft  i.  [:=:  Schriften  des  Vereins  ftir  Sachsen-Meiningische 
Geschichte  und  Landeskunde,  Heft  36.]  Hildburghausen,  Kesselring, 
1900.     82  S.  80. 

Lehmann,  Oskar:  Kavaliertour  eines  jungen  Dresdners  im  17.  Jahrhundert 
[=  Dresdner  Geschichtsblätter  1900  Nr.  3,  S.  260 — 270.] 

Loserth,  J. :  Die  Gegenreformation  in  Innerösterreich,  gleichzeitig  Zusammen- 
stellung des  Aktenmaterials.  [=  Jahrbuch  der  Gesellschaft  ftir  die  Ge- 
schichte des  Protestantismus  in  Österreich,  21.  Jahrgang  (1900),  S.  52 — 84.] 

Marcks,  Erich:  Deutschland  und  England  in  den  großen  europäischen  Krisen 
seit  der  Reformation.  2.  Aufl.  Stuttgart,  J.  G.  Cotta,  1900.  43  S.  8^ 
Ji   I. 

Meli,  Anton:  Der  Comitatus  Liupoldi  und  dessen  Aufteilung  in  die  Land- 
gerichte des  XDC  Jahrhunderts,  Text-  und  Kartenprobe  zum  historischen 
Atlas  der  österreichischen  Alpenländer.  [=  Mitteilungen  des  Instituts  ftir 
österreichische  Geschichtsforschung.     XXI.  Band,  S.  385 — 444.] 

Pfau,  Clemens:  Topographische  Forschungen  über  die  ältesten  Siedlungen 
der  Rochlitzer  Pflege.  [=  Mitteilungen  des  Vereins  ftir  Rochlitzer  Ge- 
schichte, Heft  3.]     Rochlitz,  M.  Bode,   1900.     105  S.  4<>. 

Pommersche  Jahrbücher,  herausgegeben  vom  Rügisch -Pommerschen 
Geschichtsverein  zu  Greifswald  und  Stralsund,  i.  Band.  Greiüswald, 
J.  Abel,  1900.     179  S.  80. 

Richter,  Otto:  Geschichte  der  Stadt  Dresden.  Erster  Teil:  Dresden  im 
Mittelalter.     Dresden,  W.  Baensch,  1900.     276  S.  8^ 

Schölten,  Robert:  Das  Cistercienserinnen-Kloster  Grafenthal  oder  Vallis 
comitis  zu  Asperden  im  Kreise  Cleve.  Clevc,  Fr.  Bofe  Wwe.,  1899. 
298  und  297  S.  80. 

Beriehtiguni^«  Herr  Dr.  E.  Polaczek  bittet  ans,  einige  in  seinem  Aufsätze  über  „Die 
Denkmäler-lnventarisation  in  Deutschland''  enthaltene  irrige  Angaben  über  das  mecldenborg- 
■schwerinsche  Denkmälerverzeichnis  (Bd.  I,  S.  283)  zu  berichtigen.  Von  den  44  Amts- 
j^erichtsbezirken  des  Groisherzogtams  sind  in  den  drei  erschienenen  Bänden  27  bdiandelt. 
Der  vierte ,  zehn  Amtsgerichtsbezirke  umfassende  Band  wird  demnächst  erscheinen ,  so 
<lafs  dann  noch  sieben  Amtsgerichtsbezirke  erübrigen.  Die  Register,  deren  Fehlen 
—  also  irrtümlicherweise  —  tadelnd  vermerkt  worden  war,  erscheinen  zum  Schlüsse. 
Die  ganze  erste  Auflage  ist  vergriffen,  eine  zweite  bereits  erschienen. 

H«nuugeber  Dr.  Annin  TUl«  in  Le^nig.  —  Drude  und  VerUg  von  Friodrich  Andreas  Perdies  in  Gotln. 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsschrift 


sur 


Fördeniug  der  landesgeschichtlichen  Forschung 

II.  Band  Januar  xgox  4.  Heft 

Die  österreiehisehe  l^eiehsgesehiehte»  ihre 

Aufgaben  und  Ziele 

Von 
Hans  V.  Voltelini  (Innsbruck) 

Durch  das  Gesetz  vom  20.  April  1893  ')  ^bcr  die  Reform  der 
juridischen  Studienordnung  ist  für  die  Juristen  an  den  österreichischen 
Universitäten  österreichische  Reichsgeschichte  als  obligates  und  Prü- 
fungsfach eingeführt  worden.  Damit  wurde  das  Kolleg  über  öster- 
reichische Geschichte  aus  dem  Lehrplane  ausgeschieden.  Die  Än- 
derung stand  im  Zusammenhange  mit  der  erhöhten  Bedeutung,  welche 
das  österreichische  Staatsrecht  infolge  der  seit  dem  Erlasse  der  Studien- 
ordnung von  1855  eingetretenen  Veränderungen  des  politischen  und 
Verfassungslebens  gewonnen  hat.  Sciion  die  Gutachten  der  rechts- 
und  staatswissenschaftlichen  Fakultäten,  die  in  dieser  Angelegenheit 
im  Jahre  1886  erstattet  wurden  ^),  hatten  fast  einstimmig  auf  die  Not- 
wendigkeit hingewiesen,  durch  Einführung  eines  Kollegs  vcrfassungs- 
gcschichtlichen  Inhalts  das  nötige  Verständnis  für  das  österreichische 
Staatsrecht  zu  schaffen,  welches  die  österreichische  Geschichte  in  der 
Art,  wie  sie  bisher  gelehrt  wurde,  nicht  bilden  konnte.  „Für  den 
Juristen**,  sagt  Luschin  in  seinem  gründlichen  Gutachten,  „ist  die 
Kenntnis  vom  jeweiligen  Stande  der  landesherrlichen  Macht  wichtiger 
als  das  Aufdecken  diplomatischer  Verhandluni^-en ;  wichtiger  als  eine 
Schilderung  wechselvollcr  Kricgscreignisse  eine  Darstellung  der  Heeres- 
einrichtungen der  früheren  Zeit,  eine  Geschichte  der  Verwaltung,  eine 
Übersicht  über  die  heimischen  Rechtsqucllcn,  die  ältere  Rcchtslitte- 
ratur.**     Wenn  das  neue  P'ach  auch  auf  den  philosophischen  Fakultäten 


i)  Reichsgesetzblatt  vom   i.  Mai   1893,  Nr.  68. 

2)  Mit  gütiger  Erlaubnis  des  Ministeriums  fr  Kultus  und  Unterricht   in  Wien   war 
«9  mir  gestattet,  die  in  seinem  Archive  liegenden  gtdrucktcn  Gutachten  einzusehen. 

7 


—     98     — 

sich  einbüi^erte,  geschah  dies  in  dem  Bewufstsein,  dafs  es  auch  für 
die  Jünger  der  Historie  von  der  gröfsten  Bedeutung  sei. 

Was  ist  der  Inhalt  und  die  Aufgabe  der  österreichischen  Reichs- 
geschichte ?  War  nicht  auch  die  österreichische  Geschichte,  wie  sie  vor 
dem  Jahre  1893  gelehrt  wurde  und  wie  sie  in  den  bekannten  Hand- 
büchern der  österreichischen  Geschichte  und  zuletzt  in  dem  grofeea 
Werke  von  Alfons  Huber  dargestellt  wurde,  eine  Geschichte  des 
österreichischen  Reiches,  der  österreichischen  Monarchie?  Das  Gesetz 
vom  Jahre  1893  definiert  die  Reichsgeschichte  als  eine  Geschichte  der 
Staatsbildung  und  des  öffentlichen  Rechtes.  Damit  ergiebt  sich,  dafe 
die  österreichische  Reichsgeschichte  wissenschaftlich  als  Tochter  der 
deutschen  Reichs-  und  Staatsgeschichte  gedacht  ist,  geradeso  wie  das 
österreichische  Staatsrecht  bis  zum  Jahre  1866  nur  eines  der  vielen 
Territorialrechte  des  römischen  Reiches  deutscher  Nation  und  später 
des  deutschen  Bundes  bildete.  Seitdem  das  deutsche  Staatsrecht 
wissenschaftlich  dargestellt  und  nicht  zum  mindesten  durch  das  Ver- 
dienst des  grofsen  Naturrechtslehrers  Samuel  Pufendorf  mit  kritisch- 
historischen Augen  betrachtet  wurde,  ist  es  gebräuchlich  geworden, 
die  Darstellung  des  öffentlichen  Rechtes  mit  einer  Reichsgeschichte 
zu  verbinden.  Nicht  von  historischen  Gesichtspunkten  aus  sind  die 
Reichspublizisten  dazu  gelangt.  Die  Verfassung  des  Deutschen  Reiches 
war  ohne  historische  Beleuchtung  und  Auseinandersetzung  unverständlich. 
Quod  in  ceteris  iuris  disciplinis  ratio  praestat,  id  in  iure  publica 
Germaniae  histotia,  meinte  Heinrich  Coccejus  ').  Das  deutsche  Staats- 
recht bot  für  Konstruktionen  der  naturrechtlichen  Methode  keinen 
Boden,  die  monströse  Reichsverfassung  war  nur  aus  den  positiven 
historischen  Quellen,  den  Reichsgesetzen,  den  Reichsabschieden  n.  s.  w. 
zu  erkennen.  Daher  haben  schon  die  ersten  Bearbeiter  des  deutschen 
Staatsrechts,  Rein k in g  und  namentlich  Limnäus,  historische  Er- 
örterungen ihren  publizistischen  Arbeiten  einverleibt.  Die  Hallenser 
Publizisten  und  Rivalen  Ludewig  und  Gundling  haben  zuerst  die 
deutsche  Reichshistorie,  die  geschichtliche  Darstellung  der  staatlichen 
Entwickelung  des  Reiches  als  selbständige  Wissenschaft  neben  die 
Darstellung  des  Staatsrechts  gestellt*).  Unter  Reichshistorie  ver- 
steht Gundling  „eine  pragmatische  Erzählung  dessen,  was  sich 
in  Deutschland  bisher  zugetragen:  i.  quoad  iura  caesaris,  2.  quoad 
inra  statuum  •)." 

i)  Landsberg,  Geschichte  der  deutschen  Rechtswissenschaft,  S.  114. 

2)  a.  a.  O.,  S.  1 18.  123 ;  W eg el e ,  Geschichte  der  deutschen  Historiographie,  S.  614., 

3)  Landsberg,  S.  123. 


—     99     — 

Dem  gegebenen  Beispiele  folgte  eine  Reihe  anderer  Staatsrechts- 
lehrer, unter  denen  Struv,  Spener,  Häberlin,  und  vor  allem  der 
bedeutendste  der  Reichspublizisten  Johann  Stephan  Pütter'), 
hervorragten.  Auch  das  territoriale  Staatsrecht  wurde  in  ähnlichem 
Sinne  bearbeitet.  Für  Österreich  unternahm  dies  Franz  Ferdinand 
Schrötter  in  seinem  1771  erschienenen  Versuch  einer  Österreichs 
sehen  Siaaisgeschichte ,  der  allerdings  nur  bis  1156  reichte.  An  die 
Publizisten  hat  Eichhorn  angeknüpft,  als  er  in  genialer  Weise  aus 
den  Quellen  seine  Deutsche  Staats-  und  Rechtsgeschichte  aufbaute, 
nur  dafe  er  sein  Ziel  weiter  fafste  und  neben  der  Verfassungsgeschichte 
auch  die  Entwickelung  der  übrigen  Zweige  des  Rechtes  und  nament- 
Uch  auch  die  Geschichte  des  Privatrechtes  in  den  Umkreis  seiner  Dar- 
stellung zog.  Nichts  anderes  beabsichtigte  August  Chabert,  der 
Begründer  der  österreichischen  Rechtsgeschichte,  beschränkt  auf  den 
Umkreis  der  deutsch-österreichischen  Länder  *).  Auch  andere  Forscher, 
namentlich  Röfsler  und  Luschin,  verstanden  unter  österreichischer 
Reichs-  und  Rechtsgeschichte  die  Geschichte  des  gesammten  öster- 
reichischen Rechtes,  einschliefslich  des  Privat-,  Straf-  und  Prozefe- 
rechtes  \  Das  Gesetz  vom  Jahre  1893  hat  den  Umkreis  des  Lehr- 
gegenstandes auf  die  Geschichte  der  Staatsbildung  tmd  des  öffent- 
lichen Rechtes  beschränkt ,  daher  spricht  es  in  dem  Sinne  der  Publi- 
zisten des  vorigen  Jahrhunderts  von  Reichsgeschichte. 

Die  Ausscheidung  der  Geschichte  des  Privatrechtes  ist  nur  zu 
billigen.  So  wünschenswert  die  Aufhellung  seiner  Entwickelung  auch 
wäre,  die  namentlich  von  der  Zeit  der  Rezeption  bis  zur  Kodifikation 
noch  sehr   im  Dunkel    liegt,    ein  Bedürfnis   nach   akademischer  Dar- 


i)  Seine  Leistungen  auf  diesem  Gebiete  bei  Landsberg,  S.  338 f.  Aas  der  Reichs- 
historie erwachs  bekanntlich  darch  Mascou  and  Leibniz  die  politische  deutsche  Ge- 
schichte  mit  Beseitigung  des  staatsrechtlichen  Gesichtspunktes. 

2)  In  dem  posthum  veröfifentlichten  Fragmente  der  Staats-  und  Rechtsgeschichte  der 
deutsch-österreichischen  Länder  in  „  Denlcschriften  der  Wiener  Akademie ",  III,  S.  3  und  4. 

3}  Der  erste  in  seinem  Buche:  „Über  die  Bedeutung  und  Behandlung  der  Ge- 
schichte des  Rechts  in  Osterreich**,  Prag  1847,  dieser  besonders  in  der  Vorrede  zur 
,, Geschichte  des  älteren  Gerichtswesens  in  Osterreich*'.  Dasselbe  Ziel  hat  sich  in  neuerer 
Zeit  Werunskj  in  seiner  „Osterr.  Reichs-  und  Rechtsgeschichte**,  Wien  1894 f..  Ein!. 
S.  V,  gesetzt;  auch  er  will  das  Privat-,  ProzeDs-  und  Strafrecht  in  den  Umkreis  seiner 
Darstellung  ziehen,  wenn  sie  auch  hinter  dem  Verfassungs-  und  Verwaltungsrechte  zurück* 
treten  sollen.  Ähnliches  vindiziert  Hanel  als  Aufgabe  der  österr.  Rechtsgeschichte  in 
seinem  Aufsatze:  „Über  Begriff,  Aufgabe  und  Darstellung  der  österr.  Rechtsgeschichte**, 
in  Grttnhuts  „Zeitschrift  (Ur  das  Privat-  und  öffentliche  Recht  der  Gegenwart**,  Bd. XX 
(1893),  S.  365f. 


—     100     — 

stclluiii»"  lic^t  nicht  vor.     Nicht  nur,  dafs  eine  solche  mit  den  gröisten 
Schwierigkeiten  zu  käm[)fcn  hätte  und   höchstens   für  Niederösterreich 
annähernd  möuflich  wäre,  der  Partikularismus  ist  auf  dem  Gebiete  des 
Privat  rech  es  in  Österreich  noch  ungleich  gfröfser  und   zäher  g^ewesen 
als  auf  (lern  Gebiete  des  Staat«?rechtes.     Kaum  ist  seit   der  Rezeption 
eine  t^^cuissc  Annäherung^  erfolgt,  von  einer  g^emeinsamen  und  einheit- 
lichen  lintwickehmg'   kann    erst   seit  der   Kodifikation    die   Rede    sein. 
Sehen  wir  ab  von  den  slavischen   Rechtselementen    in  Böhmen,  Polen 
und  im  Süden  der  Monarchie,    vom    italienischen  Rechte   in  Südtirol, 
im  Küstcnlande  und  Dalmatien,  auch  im  Gebiete  des  deutschen  Rechtes 
finden  wir  keine  Einheit.    In  den  österreichischen  Donauländern  herrscht 
bayrisches  Recht  vor,  die  deutsch-böhmischen  und  mährischen  Rechte 
aber  sind  dem  fränkischen  und  sächsischen  Rechtsg-ebiete  zuzuzählen. 
Gerade  cntg-eg^cng^esetzte  Prinzipien  sehen  wir  da  vertreten.    Während 
in  Niederösterreich  die  Vogtci  des  Khemannes   über  die  Ehefrau  früh 
verschwindet'),    ist  sie  in  den  tiroler  Landesordnungen  des  XVI.  Jahr- 
hunderts noch  zähe    festgehalten  *).     Betrachten   wir  Tirol ,   so   finden 
wir   eine    wahre   Musterkarte    von   Privatrechten  ^).     Im   Süden   treffen 
wir   römisches   Vulgärrecht  zum   Teil    in   vorjustinianischer  Form  und 
langobardisches    Recht,   beide    seit   dem    XIII.  Jahrhundert   zu   einem 
einheitlichen,    dem    oberitalicnischen    verwandten    Statutarrechte    ver- 
schmolzen     Im  Unter-Innthal  bis  zur  Ziller   herrscht   rein   bayrisches 
Recht,  seit  dem  XIV.  Jahrhundert  als  Landrechtsbuch  Kaiser  Ludwigs. 
Im  Vintschgau  lassen    die  älteren  Urkunden    auf  Anwendung   der  lex 
Romana  Curiensis  schliefsen,  später  treffen  wir  hier  und   im   obersten 
Innthale    den    jüngeren    rätischen    Statuten   verwandte   Bestimmungen. 
Jenseits  des  Fern  finden  sich  wieder  Gebiete  rein  alamannischen  Rechtes 
mit  Instituten,  wie  der  vollkommenen  ehelichen  Gütergemeinschaft  und 
der   rechten   Gewere,   die  sonst    in   Tirol    fehlen.     Im    gröfeten  Teile 
Deutschtirols     herrscht    ein    Mischrecht    von    bayrischem    und    einem 
altern,  von  F  ick  er  als  ostgermanisch  bezeichneten  Rechte*). 

Das  öffentliche   Recht   zeigt   bei   allem    Partikularismus   eine   viel 
weiter  gehende  Einheitlichkeit.     In    den   deutschösterreichischen   Län- 


i)  Otjonowsky,  österreichisches  Ehegüterrecht  I,  91.   100. 

2)  „Festgaben  für  Büdinijer**,  Innsbruck  1898.     S.  353. 

31  Vgl    Ficker,  ünter>uchungen  zur  Erbenfolge  IV,  469 f. 

4.)  Wenn  man  unter  diesen  Umständen  bei  einer  Gesamtdarstellung,  wie  Röfsler 
a.  a.  O.  S.  32  wollte,  nur  das  Gemciisame  herausheben  würde,  käme  allerdings  ein  Bild 
mitielcuropiiischer  Rechuges  altung,  wie  er  richtig  betonte,  zu  stände,  aber  wir  fürchten, 
ein  sehr  verblafstes  oder  sehr  verworrenes  Bild. 


—     101      — 

dem  hat  sich  das  öffentliche  Leben  überall  auf  denselben,  durch  die 
deutsche  Reichsverfassun^  gegebenen  Elementen  aufj^ebaut.  Die  Ein- 
heit der  Dynastie  hat  dann  nicht  wenig  zur  Annäherung  und  Aus- 
gleichung beigetragen.  Seit  dem  Jahre  1527  hat  die  Dynastie  dann 
durch  ihre  Behördenorganisation  allen  österreichischen  und  ungarischen 
Landen  gemeinsame  Institute  geschaffen,  und  haben  dieselben  politischen 
Schicksale  die  Verfassungsentwickelung  in  paralleler  Weise  beeinflufst. 
Politische  und  wirtschaftliche  Einflüsse  machen  sich  aber  im  öffentlichen 
Rechte  schnell  geltend,  das  Privatrecht  berühren  sie  spät  oder  gar  nicht. 
Trotz  alles  Partikularismusses  aber  sind  die  Institute  des  heutigen 
österreichischen  Privatrechtes,  soweit  sie  nicht  fremdrechtlich  sind,  die- 
selben, wie  die  des  deutschen,  und  hat  das  österreichische  Privatrecht 
keine  andere  Entwickelung  genommen,  wie  das  deutsche.  Es  ist  ver- 
fehlt, wenn  Ogonowsky  eine  weitgehende  Rezeption  slavischer 
Rechtselemente  in  das  österreichische  eheliche  Güterrecht  annimmt  '), 
vielmehr  sind  deutschrechtliche  Sätze  in  slavische  Rechtsquellen  auf- 
genommen worden,  woraus  sich  dann  allerdings  die  Verwandtschaft 
dieser  Institute  in  den  deutschen  und  slavischen  Territorien  Österreichs 
erklärt.  Auch  der  böhmische  Odporprozefs  *),  der  durch  die  Land- 
tafelgesetze einen  gewissen  Einflufe  auf  die  Ausbildung  einiger  Rechts- 
sätze namentlich  des  Tabularwesens  und  der  Klagenverjährung  erlangt 
hat,  ist  nichts  anderes  als  der  deutschrechtliche  Widerspruch,  der 
binnen  Jahr  und  Tag  erhoben,  die  Entstehung  der  rechten  Gewere 
stört').  Anders  das  öffentliche  Recht  Das  österreichische  Staats- 
recht hat,  wenn  auch  auf  Grund  der  deutschen  Reichs  Verfassung  er- 
wachsen, doch  schon  frühzeitig  eine  eigenartige  Entwickelung  ein- 
geschlagen. Die  Stellung  Österreichs  zum  Reiche  ist  infolge  der 
österreichischen  Privilegien  und  später  infolge  der  politischen  Stel- 
lung   des    Hauses   Habsburg   und    der  Vereinigung    Österreichs     mit 


1)  Ogonowsky,  8.  314 f.  Vgl.  dagegen  Czyhlarz,  Zur  Geschichte  des  ehelichen 
Güterrechtes  im  böhmisch-mährischen  Landrecht,  S.  40  f. 

2)  Krainz,  System  des  österreichischen  Privatrechtes  I,  {  129,  n.  15;  II,  2, 
{  223,  n.  5  u.  J  225,  n.  II;  Unger  in  der  „Österreich.  Gerichtszeitung"  1861,  Nr.  141. 
562,  n.  2. 

3)  Krainz  a.  a.  O.,  }  225,  n.  11.  Die  Frist,  in  der  der  Odpor  verjährt,  3  Jahre 
«nd  18  Wochen,  ist  die  dreifache  von  Jahr  und  Tag.  Die  Verdreifachung  der  Frist  für 
Güter  auf  dem  Lande  ist  auch  sonst  häufig,  vgl.  Stobbe,  Deutsches  Privatrecht*  II,  i. 
J15,  n.  4.  Schon  das  Prager  Rechtsbuch  art.  146  kennt  sie;  Röfsler,  Deutsche 
Rechtsdenkmäler  ans  Böhmen  und  Mähren  I,  143.  (Die  Frist  beträgt  hier  allerdings  nur 
3  Jahre  und  6  Wochen.)  Über  die  Fristen  des  Verschweigens  vgl.  auch  Immer  wahr. 
Die  Verschweigung  im  deutschen  Rechte,  in  Gierkes  „Untersuchungen"  48,  22 f. 


—      102     — 

Ungarn  und  Böhmen  eine  ganz  exzeptionelle  gewesen.  Wenn  da- 
her die  Kenntnis  der  Geschichte  des  deutschen  Privatrechtes  zum 
Verständnisse  der  deutschrechtlichen  Bestandteile  des  österreichischen 
Privatrechtes  hinreicht,  gilt  ein  gleiches  keineswegs  von  der  deut- 
schen Reichs-  und  Rechtsgeschichte  für  das  österreichische  Staats- 
recht. Indem  diese  zudem  vorwiegend  die  Reichsverfassung  zum 
Gegenstande  ihrer  Darstellung  hat,  vermag  sie  der  Entwickelung  eines 
Territorialrechtes  nicht  in  genügendem  Mafse  zu  folgen. 

Die  österreichische  Reichsgeschichte  hat  also  die  Bildung  des 
Staates  und  die  Entwickelung  des  öffentlichen  Rechtes,  richtiger  ge- 
sagt der  Verfassung  und  Verwaltung  darzustellen.  Sie  schildert  die 
Besiedelung  und  Entstehung  der  einzelnen  Territorien,  ihre  Vereinigung 
in  der  Hand  einer  Dynastie  und  endlich  ihre  Verschmelzung  zu  einem 
Staatswesen.  Sie  weist  die  Rechtstitel  und  völkerrechtlichen  Akte 
nach,  in  Kraft  deren  die  einzelnen  Territorien  von  der  Dynastie  er- 
worben worden  sind.  Nachdem  so  die  territoriale  Grundlage  ge- 
schaffen ist,  hat  sie  eine  Übersicht  über  die  einzelnen  Rechtsquellen 
zu  geben.  Sie  schildert  dann  die  Entstehung  und  Ausbildung  der 
landesherrlichen  Gewalt  und  ihre  jeweüige  Rechtsstellung;  sie  zeigt, 
wie  der  österreichische  Staat  langsam  aus  einem  Territorium  des  deut- 
schen Reiches  zu  einem  selbständigen  und  souveränen  Gebilde  er- 
wachsen ist.  Sic  weist  ferner  die  ständische  Gliederung  mit  ihren 
Verschiebungen  nach  und  zeigt,  wie  einzelne  soziale  Klassen  zu  einer 
hervorragenden  Beteiligung  am  politischen  Leben  in  den  Landständen 
gelangt  sind,  wie  dann  die  Landstände,  die  sich  ihren  eigenen  Ver- 
waltungsapparat schaffen,  mit  den  Landesherren  um  wichtige  politische 
Hoheitsrechte  ringen.  Sie  gicbt  die  Geschichte  der  Behördenorgani- 
sation, der  gerichtlichen,  politischen,  finanziellen  und  militärischen  Ver- 
waltung. Sie  hat  dann  die  Verfassung  der  Kirche  in  Österreich  zu 
schildern  und  ihre  Beziehungen  zum  Staate,  die  Geschichte  des  Staats- 
kirchenrechtes, ebenso  die  Entwickelung  der  anderen  öffentlichen  auto- 
nomen Verbände,  der  Markgenossenschaften,  Städte,  Gemeinden.  Sie 
sucht  namentlich  die  Entstehung  und  das  Heranwachsen  der  Staats- 
idee zu  verfolgen  und  wird  den  Widerstreit  dieser  Idee  mit  den  centri- 
fugalen  Kräften  autonomer  Tendenzen  der  Länder  verfolgen.  Sie  wird 
aber  noch  tiefer  dringen  und  versuchen,  die  politischen  und  wirt- 
schaftlichen Motive  blofszulegen ,  die  den  Erscheinungen  des  Staats- 
lebens zu  Grunde  liegen,  und  damit  die  Kräfte  aufdecken,  welche  die 
Bildung  und  das  Heranwachsen  des  österreichischen  Staates  bewirkt 
haben.     Sie  bietet  die  Geschichte  des  inneren  politischen  Staatslebens 


—     103     — 

im  Gegensätze  zur  äufeeren  Staatsgeschichte,  der  die  Darstellung  der 
friediichen  und  kriegerischen  Beziehungen  des  Staates  zu  den  aus- 
wärtigen Mächten  überlassen  bleibt. 

Noch  eine  Frage  erhebt  sich,  die  nach  der  örtlichen  und  zeit- 
lichen Begrenzung  der  österreichischen  Reichsgeschichte.  Es  liegt  auf 
der  Hand,  dafs  die  Reichsgeschichte  nicht  jedes  öffentlich-rechtliche 
Institut  besprechen  kann,  das  einmal  auf  dem  Boden  der  Monarchie 
bestanden  hat.  Sie  ist  eben  Reichsgeschichte  und  nicht  eine  Summe 
von  Landesgeschichten.  Sie  wird  nur  jene  Länder  und  ihre  Institu- 
tionen zum  Objekte  ihrer  Darstellung  wählen,  die  zur  Bildung  des 
heutigen  österreichischen  Staatsrechtes  ihren  Teil  beigetragen  haben  *). 
Sie  darf  daher  mit  Fug  und  Recht  die  ältere  galizische  und  dalma- 
tinische Rechtsgeschichte  ignorieren  *).  Denn  höchstens  lokale  Spuren 
sind  von  den  älteren  Verfassungszuständen  dieser  Länder  übrig  ge- 
blieben, die  für  den  Gesamtstaat  ohne  Bedeutung  waren ;  vielmehr  hat 
dieser  den  genannten  Territorien  seine  eigenen  politischen  Institute  in 
weitem  Umfange  aufgedrängt.  Ebenso  darf  sie  sich  bei  Darstellung 
der  Einrichtungen  der  römischen  Zeit  kurz  fassen,  denn  sie  sind  unter 
den  Stürmen  der  Völkerwanderung  fast  spurlos  zu  Grunde  gegangen. 
Nur  den  Ursprung  der  kirchlichen  Verfassung  wird  man  zu  beachten 
haben;  denn  diese  allein  hat  sich  in  den  südlichen  Teilen  der  Mon- 
archie aus  der  Römerzeit  her  erhalten.  Schwieriger  gestaltet  sich  die 
Frage,  ob  die  österreichische  Reichsgeschichte  eine  Geschichte  der 
Gesammtmonarchie  und  der  beiden  Staaten,  aus  denen  dieselbe  besteht, 
sein  soll,  wie  von  mancher  Seite   betont   worden   ist ') ,   oder   ob   sie 


i)  Anderes  scheint  Balzer  Oswald,  Historya  ustroju  Anstryi  W  rarysic  (österr. 
Reichsgeschichte  im  Grandrisse),  Lemberg  1899,  wenigstens  nach  der  Besprechung  Hel- 
fcrts  im  „Allgemeinen  Litteraturblatt "  VIII,  501  f.,  zu  bezwecken,  indem  dort  auch  auf 
polnisches  Recht  eingegangen  wird. 

2)  Hanel  dagegen  will  in  die  Rechtsgeschichte  Österreichs  nicht  nur  Polen,  son- 
dern auch  Dalmatien  einziehen,  a.  a.  O.,  369  f.  Nach  ihm  wäre  es  namentlich  Aufgabe 
der  österr.  Rechtsgeschichte,  das  gegenseitige  Aufeinanderwirken  von  deutschem,  slavischem 
und  italienischem  Rechte  zu  verfolgen,  für  die  Geschichte  des  Privat-  und  wohl  auch  des 
Straf-  und  Prozefsrechtes  gewifs  mit  vollem  Rechte;  fiir  das  Staatsrecht  ist  eine  Ein- 
wirkung polnischen  und  dalmatinischen  Rechtes  zu  leugnen.  Sic  sind  daher  nicht  Gegen- 
stand der  Reichsgeschichte,  woraus  natürlich  nicht  folgt,  dafs  sich  der  österreichische 
Rechtshistoriker  nicht  mit  ihnen  befassen  solle. 

3)  H eifert  a.  a.  O.  und  „Litteraturblatt",  VI,  7 f.  H eifert  wendet  sich  na- 
mentlich gegen  die  überwiegende  Betonung  der  niederösterreichischen  und  deutschöster- 
reichischen Geschichte,  die  keineswegs  die  des  Kernlandes  der  Monarchie  darstelle;  wie 
ich  glaube,  mit  Unrecht.  Denn  allerdings  sind  in  gewissem  Sinne  Böhmen  und  Ungarn 
an   Österreich   angegliedert   worden.      Von   DcuUchösterreich    aus   sind    auch   beide    den 


—     104     — 

neben  der  Gesamtmonarchie  nur  die  staatsrechtliche  Entwickelung-  der 
im  Reichsrate  vertretenen  Königreiche  und  Länder  bieten  soll.  Meine» 
Erachtens  kann  diese  Frage  nur  vom  Standpunkte  der  heutigen  staats- 
rechtlichen Entwickelung,  nicht  aber  nach  politischen  Tendenzen  und 
Wünschen  gelöst  werden.  Ungarn  ist  nach  den  Ausgleichgesetzen 
von  1867  ein  in  seinen  inneren  Angelegenheiten  selbständiger  und 
unabhängiger  Staat.  Die  Geschichte  seiner  Verfassung  und  Verwaltung 
kann  daher  nur  insoweit  für  die  österreichische  Reichsgeschichte  von 
Belang  sein,  als  die  mit  Österreich  gemeinsamen  Institutionen  in  Be- 
tracht kommen,  und  als  die  ungarischen  Verhältnisse  auf  die  Entwicke- 
lung des  österreichischen  Staatsrechtes  zurückgewirkt  haben  '). 


Habsburgern  zeitweise  fast  ganz  verlorenen  Königreiche  wieder  erobert  worden.  Wena 
die  Habsburger,  die  nicht  die  Kaiserkrone  trugen,  sich  zuerst  Könige  von  Ungarn  und 
Böhmen  und  erst  an  dritter  Stelle  Erzherzoge  von  Österreich  nannten,  war  es  nur,  weil 
ihnen  jene  Länder  die  Königskrone  verschafften.  Eben  deshalb  gehen  auch  die  böh* 
mischen  Beamten  als  königliche  den  österreichischen  vor.  Die  Habsburger  selber  haben  sich 
immer  als  casa  d'Austria,  nicht  di  Boemia  oder  d'Ungheria  bezeichnet.  Das  Herz  der 
Monarchie  war  seit  Ferdinand  L  unzweifelhaft  Wien  und  nicht  Prag,  die  Zentralbehörden 
haben  in  der  Regel  in  Wien,  nur  ausnahmsweise  unter  Rudolf  II.,  und  auch  da  nicht 
vollständig,  in  Prag  ihre  Sitze  gehabt.  (Kretschmayr,  Reichsvicekanzlerarot,  „A>rchiv 
für  österr.  Gesch.^^  84,  421.)  Die  deutschösterreichischen  Institutionen  sind  es  überwie- 
gend gewesen,  welche  die  österreichische  Verfassungsentwickelung  bestimmten;  man 
denke  z.  B.  an  die  Behördenorganisation  Maximilians  I.,  welche  das  Vorbild  der  Ferdi- 
nandeischen Einrichtungen  bildete.  Das  Verhältnis  Böhmens  zu  Österreich  ist  in  dieser 
Beziehung  nicht  unähnlich  dem  des  preufsischen  Ordenslandes  zu  Brandenburg.  Von 
Brandenburg  aus  ist  der  preufsische  Staat  erwachsen,  und  doch  nannten  sich  die  Kur- 
fürsten von  Brandenburg  nach  Erhebung  Preufsens  zum  Königreiche  in  erster  Linie  Könige 
in  Preufsen.  Ebenso  lagen  die  Verhältnisse  beim  ehemaligen  Königreiche  Sardinien 
zwischen  Savoyen-Piemont  und  Sardinien. 

i)  Schon  Röfsler  a.  a  O.,  S.  29,  woUte  Ungarn  „bei  nachweislich  verschiedenen 
Grundlagen  in  Vergangenheit  und  Gegenwart'*  ausgeschieden  wissen.  Denselben  Stand* 
punkt  nahm  das  Unterrichtsministerium  bei  einer  Konkursaus>chreibung  für  eine  öster- 
reichische Rechtsgeschichte  ein,  vgL  Lemayer,  Die  Verwaltung  der  österr.  Universi- 
täten, S.  ao8.  Es  sollte  das  ungarische  Recht  nur  berücksichtigt  werden  insofern,  „aU 
CS  zur  DarsteUung  der  Geschichte  der  Monarchie  als  solcher  (also  insbesondere  zur  Ge- 
schichte des  Reiches  und  des  öffentlichen  Rechtes)  erforderlich  ist".  Anders  Hanel 
a.  a.  O.,  S.  396 f.,  doch  ohne  durchsclilagende  Gründe;  denn  es  ist  kein  solcher,  daf» 
die  Rechtsentwickelung  Ungarns  eine  gewisse  Ähnlichkeit  mit  der  böhmischen  und  pol- 
nischen aufweist.  Auch  die  Rezeption  deutschen  und  österreichisch  n  Rechtes  in  Ungarn 
kann  lediglich  für  die  ungarische  Rechtsgeschichte  in  Betracht  kommen.  Eine  Rezeption 
ungarischen  Rechtes  in  Österreich  hat  aufser  etwa  in  staatsrechtlicher  Beziehung  nie 
stattgefunden.  Das  Entscheidende  ist,  dafs  sich  die  Rechte  der  beiden  Teile  der  Mon- 
archie, das  gemeinsame  Staatsrecht  ausgenommen,  formell  wenigstens  und  zum  guten  Teil 
auch  materieU,  gerade  so  selbständig  gegenüberstehen,  wie  die  Rechte  fremder  Staaten« 
dais   die   Rechtsbildung   und   Weiterentwickelung    nicht   eine   gemeinsame,   sondern    eine 


—     105     — 

Wie  wichtige  die  Kenntnis  der  österreichischen  Reichsgeschichte 
für  den  Juristen  ist,  liegt  auf  der  Hand.  In  allen  Zweigen  seiner 
Thätigkeit  wird  er  in  die  Lage  kommen,  älteren  Rechtsverhältnissen 
zu  begegnen,  denen  er  ohne  historische  Kenntnis  ratlos  gegenüber- 
steht. Vor  allem  aber  ist  ein  tieferes  Verständnis  des  österreichischen 
Staatsrechtes  ohne  Kenntnis  seiner  geschichtlichen  Entwicklung  un- 
möglich. Aber  auch  dem  österreichischen  Historiker  ist  das  Studium 
der  Reichsgeschichte  nicht  weniger  unentbehrlich.  Ohne  Kenntnis 
der  inneren  politischen  Geschichte  wird  ihm  die  äufsere  unverständlick 
bleiben.  Das  Mittelalter  zerfällt  dem,  der  seinen  verfassungsrechtlichen 
und  sozialen  Zuständen  fremd  gegenübersteht,  in  eine  wirre  Reihe 
öder  Fehden  und  Kriege.  Die  Bildung  der  Länder,  durch  deren  Ver- 
einigung Österreich  erwachsen  ist,  ihre  Stellung  zum  Reiche,  die  Ent- 
wickelung  der  Landeshoheit,  die  eigentümlichen  nationalen  Verhält- 
nisse, alle  diese  Probleme  vermag  nur  die  Reichsgeschichte  zu  lösen. 
Die  Länderteilungen  des  späteren  Mittelalters  sind  nicht  Produkte  dy- 
nastischer Willkür,  sondern  Ergebnisse  ganz  konkreter  rechtlicher 
Anschauungen.  Die  Ereignisse  des  österreichischen  Interregnums,  die 
Unruhen  der  ersten  Habsburgerzeit,  die  Vormundschaftsstreitigkeiten 
des  XV.  Jahrhunderts,  die  gewaltige  hussitische  Bewegung,  sie  alle 
sind  beeinflufst  und  beherrscht  von  den  ständischen  Verhältnissen  der 
Zeit.  Wie  interessant  ist  beispielsweise  das  Problem  der  Ausbildung 
der  Landeshoheit  in  Tirol,  wo  bekanntlich  Vögte  und  Lehensgrafea 
der  Landesbischöfe  in  stetem  Kampfe  mit  ihren  Lehensherren  die 
Landeshoheit  erringen.  Welche  Bedeutung  kommt  auch  hier  den 
ständischen  Verhältnissen  z.  B.  unter  Margareta  Maultasch  und  Fried- 
rich mit  der  leeren  Tasche  zu,  der  sich  gegen  den  übermächtigen^ 
nach  Reichsunmittelbarkeit  lüsternen  Adel  auf  die  Bauern  zu  stützen 
vermag,  die  allein  in  den  österreichischen  Landen  sich  in  gröfserer 
Zahl  die  Freiheit  bewahrt  haben.  Die  Urkunden,  bekanntlich  die 
wicljtigsten  Quellen  der  mittelalterlichen  Geschichte  zumal  in  Öster- 
reich, das  nur  wenige  mittelalterliche  Geschichtsschreiber  ersten  Ranges 
aufzuweisen  vermag,  bleiben  dem  stumm,  der  ohne  genügende  Kenntnis 
des  Rechtes  und  der  Verwaltung  an  sie  herantritt.  Ohne  diese 
Kenntnis  bleibt  der  in  seinen  Zwecken,  seiner  Struktur  und  seinen 
Funktionen  vom  modernen  so  sehr  verschiedene  mittelalterliche  Staat 
unverständlich. 

dnrchaus  unabhängige  ist.  Damit  entfUllt  für  den  österreichischen  Rechtshistoriker  die 
Nötigung,  sich  mit  ungarischem  Privat-,  Prozefs-,  Straf-,  Verwaltnngsrecht  u.  s.  w.  tu  be» 
schäftigen,  Dingen,  die  er  ganz  ruhig  seinen  Kollegen  jenseits  der  Leitha  überlassen  dvrL 


—     106     — 

Und  nicht  anders  in  der  Neuzeit.  Der  Aufschwung*  Österreichs 
unter  Kaiser  Maximilian  I.  ist  nur  die  Folge  einer  genial  erdachten 
Verwaltungsreform  gewesen,  durch  die  der  Kaiser  zuerst  eine  gewisse 
staatsrcchtlichfi  Annäherung  unter  den  deutschösterreichischen  Ländern 
angebahnt  und  zugleich  in  den  Landständen  das  Gefühl  der  Zusammen- 
gehörigkeit wachzurufen  vermocht  hat.  Die  Strömungen  und  Kata- 
strophen der  Reformation  und  Gegenreformation  zeigen  uns  nicht  nur 
den  Kampf  zweier  Weltanschauungen,  es  ist  ein  Ringen  zugleich 
zwischen  dem  Landesherren  und  den  Landständen  um  die  höchste 
Gewalt  im  Staate.  In  der  Schlacht  am  Weifsen  Berge  wird  nicht  nur 
über  den  Glauben  gewürfelt,  sie  bedeutet  den  Sieg  zugleich  des 
monarchisch-absolutistischen  Prinzipes  gegenüber  der  ständischen  Adels- 
oligarchie. Die  Zeit  des  Niederganges  unter  Ferdinand  III.  und  Leo- 
pold I.  war  zugleich  auch  eine  Zeit  der  Versumpfung  des  inneren 
Staatslebens.  Die  glänzenden  Erfolge  des  spanischen  Erbfolgekrieges 
können  nicht  behauptet  werden,  weil  trotz  mancher  tastenden  Ver- 
suche der  äufeeren  Machtentfaltung  keine  innere  Konsolidation  des 
Staates  entspricht;  dieser  mit  seiner  morschen  Verwaltung  ist  daher 
aufs  tiefste  erschüttert  beim  Anpralle  mit  dem  um  so  viel  kleineren, 
aber  stramm  verwalteten  Preufsen.  Maria  Theresias  genialem  Geiste 
gelingt  es,  den  Staat  durch  Reformen  der  Verwaltung  zu  verjüngen 
und  mit  neuer  Kraft  zu  beleben.  Erst  jetzt  eigentlich  wird  der  Buch- 
stabe der  pragmatischen  Sanktion  erfüllt  und  aus  den  Ländern  ein 
einheitliches  Staatswesen  auferbaut.  Kaiser  Josephs  II.  ungestümer  Re- 
formeifer mit  seinen  nüchternen  rationalistischen  Tendenzen  und  seinen 
Ideen  der  staatlichen  Omnipotenz  und  der  Einigung  aller  von  ihm 
beherrschten  Länder  unter  ein  einheitliches  absolutes  Regiment  er- 
schüttert den  Staat  in  seinen  Grundfesten,  hat  aber  gleichzeitig  die 
unzerstörbaren  Bausteine  zum  Aufbaue  eines  modernen  Staatswesens 
geliefert,  die  Leopold  II.  mit  seinen  gemäfsigten,  konstitutionellen 
Anschauungen  festhält  und  wohl  zu  wahren  weifs.  Dem  Absolutismus 
des  franziszeischen  Polizeistaates  entspricht  ein  langsamer,  aber  tiefer 
Verfall  des  Staatswesens,  das  beim  Hereinbrechen  der  Revolution  des 
Jahres  1848  in  seinen  Grundfesten  wankt.  Und  die  neueste  Ent- 
wickelung,  ist  sie  nicht  bestimmt  worden  durch  den  Ansturm  des 
nationalen  Prinzipes  gegen  den  national  gemischten  Staat,  durch  die 
Frage  um  die  Neuordnung  der  deutschen  Verfassung,  die  durch  Blut 
und  Eisen  ihre  Lösung  gefunden  hat,  endlich  durch  das  Widerstreben 
der  Magyaren  gegen  die  vollständige  Angliederung  Ungarns  an  Öster- 
reich?    Und  auch  heute  leben   wir  mitten  in   dem  Kampfe   des   zen- 


—     107     — 

tralistiscben  Prinzips  mit  den  Ideen  der  Länderautonomie  und  sprach- 
licher und  nationaler  Gleichberechtigung,  ein  Kampf,  der  von  dem 
Streben  des  vierten  Standes  nach  politischer  Geltung*  durchkreuzt  wird. 

So  sind  es  immer  wieder  die  innerpolitischen  Verhältnisse,  die 
den  Gang"  der  äufeeren  Geschichte  bedingen  und  beeinflussen,  wie 
umgekehrt  ja  auch  die  äufseren  Schicksale  für  die  innere  Entwickelung* 
von  der  gröfsten  Bedeutung  g'ewesen  sind.  Innere  und  äufeere  Ent- 
wickelung  bedingen  und  erklären  sich  gegenseitig,  beide  zusammen- 
genommen erst  geben  ein  volles  Bild  der  historischen  Entwickelung^ 
des  Staates. 

Wenn  auch  in  neuerer  Zeit  unter  dem  Einflüsse  der  naturwissen- 
schaftlich -  materialistischen  Geschichtsauffassung  eines  Buckle  und 
du  Bois-Reymond  und  dem  der  kulturgeschichtlichen  Schule 
Lamprechts  die  kultur-  und  wirtschaftsgeschichtliche  Methode  in 
den  Vordergrund  getreten  ist,  bleibt  doch  der  Staat  als  die  hervor- 
ragendste Schöpfung  des  menschlichen  Geistes,  in  dessen  Rahmen 
sich  alle  kulturelle  und  wirtschaftliche  Entwickelung"  vollzieht,  in  erster 
Linie  das  Objekt  historischer  Betrachtung  ').  Und  wenigstens  die  öster- 
reichische Geschichte  wird  immer  eine  Staatsg-eschichte  bleiben  müssen. 
Die  Nationen,  welche  den  Kaiserstaat  bewohnen,  gehörten  verschie- 
denen nationalen  Kulturkreisen  und  gehören  solchen  noch  heute  an, 
sofern  nicht  die  allgemeine  westeuropäische  Kultur  die  Besonderheiten 
verwischt  hat.  Es  giebt  keine  österreichische  Litteratur,  sondern  nur 
eine  deutsch-österreichische,  eine  tschechische,  polnische,  magyarische, 
die  einander  weit  fremder  gegenüberstehen  als  z.  B.  die  deutsche  und 
französische  oder  englische.  In  dem  österreichischen  Staate  allein 
finden  sich  die  einzelnen  Nationen  zusammen ,  an  seinem  Wachstum 
und  seiner  Entwickelung  haben  sie  alle  auf  ihre  Art  Anteil  genommen, 
in  ihm  allein  können  sie  ein  gemeinsames  Geistesprodukt  erkennen. 
Die  wirtschaftlichen  Momente  werden  in  ihrer  Bedeutung  für  die  innere 
Entwickelung  auch  dann  genügend  berücksichtigt  werden  können, 
wenn  die  Reichsgeschichte  von  staatsrechtlichen  Gesichtspunkten  aus 
wird  aufgebaut  werden. 

In  diesem  Sinne  vermag  die  Reichsgeschichte  noch  einen  weiteren 
Zweck  zu  erfüllen.  Der  Historiker  bedarf  so  gut  als  der  Jurist  eines 
gewissen  Mafses  politischer  und  staatsrechtlicher  Kenntnisse.     Die  be- 


i)  Es  gilt  meines  Eracbtens  noch  immer  von  der  Staatsgeschichte,  was  Fonrnier 
in  „Zeitschrift  für  ösierr.  Gymnasien"  XXVI,  413 f.,  von  ihr  mit  Rücksicht  auf  die  Koltor« 
geschichte  gesagt  hat. 


—     108     — 

deutcndsten  deutschen  Historiker  seit  Pufendorf  haben  sich  alle 
mehr  oder  minder  mit  der  Wivssenschaft  der  Politik,  der  Wissenschaft 
vom  Staate  und  seinem  Leben  beschäftiget,  indem  sie  im  Zusammen- 
hang^e  der  historischen  Darstellung"  die  Entwickelungsgesetze  der  Staatea 
berühren,  oder  das  Verhältnis  zwischen  der  Historie  und  der  Politik 
erörtern,  wie  Ranke*),  oder  auch  in  eigenen  Werken  ihre  Gedanken 
über  Politik  niedergelegt  haben,  wie  Dahlmann,  Georg"  Waitr 
und  Heinrich  v.  Treitschke.  In  Österreich  sind  staatsrecht- 
liche Vorlesungen  an  den  philosophischen  Fakultäten  erst  in  jüng- 
ster Zeit  in  Übung  gekommen.  Indem  nun  die  Reichsgeschichte 
das  Werden  und  Wachsen  des  österreichischen  Staates  lehrt,  eröffnet 
sie  das  Verständnis  für  politische  und  staatsrechtliche  Probleme  und 
wird  somit  ein  gewisses  Mafs  politischer  Bildung  vermitteln,  die  heute 
jedem  nötig  ist,  seitdem  die  Änderungen  unseres  politischen  Lebens 
dem  Einzelnen  das  Recht  und  die  Pflicht  auferlegt  haben,  sich  am 
öffentlichen  Leben  zu  beteiligen.  Denn:  „erst  die  Geschichte  lehrt 
uns**,  wie  Adolf  Exner  in  seiner  unvergefslichen  Wiener  Rektorats- 
rede von  1891  sagt,  „aus  welchen  Kräften  eine  heutige  politische 
Thatsache  entsprungen,  welche  Natur  und  Macht  ihr  daher  eigen  und 
welcher  Verlauf  von  ihr  zu  gewärtigen  ist.  Darum  ist  die  Geschichte 
die  grofse  Lehrmeisterin  in  politischen  Dingen,  indem  sie  im  Gegen- 
satze zu  einer  blofscn  äufserlichen  Vergangenheitskunde  das  Gewesene 
nicht  blofs  verzeichnet,  sondern  aus  dem  Vorgewesenen  erklärt  und 
somit  die  Natur,  Stärke  und  Richtung  vorhandener  politischer  Kräfte 
enthüllt** 


liitteratur  zur  Geschichte  Schlesv/ig^ 

Holsteins '') 

Von 
A.  Lorenzen  (Kiel) 

Wenn  auch  zur  Zeit  noch  eine  eigentliche  Bibliographie  der  Lit- 
teratur  zur  schleswig-holsteinischen  Geschichtsforschung  fehlt,  so  haben 
doch  die  letzten  Jahre  zwei  nicht  zu  unterschätzende  Hilfsmittel  gebracht. 
Der  Katalog  der  Provinztal-  Bibliothek  (jetzt  Landes-Bibliothek)  für 

1)  In    der    Oratio   de  historiae   et  politices  cognatione   atque  discrimine  ^   gehaltea 
beim  AntriUe  der  ordentlichen  Professur  in  üerlin  1856,  „Gesammelte  Werke  "  XXIV,  629 f. 

2)  VgL  diese  Zeitschrift  Bd.  I,  S.  211     214. 


—     109     — 

Schleswig-Holstein  (Schleswig,  1896—98),  von  R.  v.  Fischer-Benzoa 
abgeschlossen,  umfafet  nicht  nur  in  Abteilung  11  (Schleswig-Holstein), 
sondern  auch  in  den  übrigen  Abteilungen  (Zeitungen,  Zeitschriften, 
Erdkunde  und  Reisen  [Bibliothek  von  F.  Gcerz],  Historische  Hilfs- 
wissenschaften, Biographie,  Geschichte,  Skandinavien  etc.)  schon  einen 
wesentlichen  Teil  der  hierher  gehörenden  Litteratur,  deren  Ergänzung 
und  Vervollständigung  namentlich  auch  hinsichtlich  der  nordischen  Lit- 
teratur der  Bibliothekar  sich  angelegen  sein  läfst,  so  dafs  die  in  Kiel 
(Landesdirektorat)  befindliche  Bibliothek  mit  der  Zeit  eine  Hilfsquelle 
auch  für  die  Geschichtsforschung  aufserhalb  Schleswig-Holsteins  werden 
kann,  und  ein  zweiter  Band  des  Katalogs  bald  zu  erwarten  sein  wird ; 
dann  ist  aber  die  Beifügung  eines  Registers  erwünscht.  —  Die  Quellen 
und  Bearbeitungen  der  schleswig-holsteinischen  Kirchengeschichte 
(Kiel,  1899)  hat  F.  Witt  in  den  Publikationen  des  Vereins  für 
schleswig-holsteinische  Kirchengeschichte  {Schriften,  I.  Reihe,  i.  Heft) 
systematisch  -  chronologisch  zusammengestellt.  Inhalt  und  Gliederung 
sind  durch  den  ausgesprochenen  Zweck  bedingt.  Ergänzungen  werden 
in  den  Schriften  IL  Reihe  geliefert  (4.  Heft:  Die  neueste  Litteratur 
über  schleswig-holsteinische  Kirchengeschichte),  —  In  beiden  Ver- 
öffentlichungen vermfst  man  die  an  dieser  Stelle  besonders  erwünschten 
Angaben  über  den  Umfang  der  Bücher.  —  Die  neuere  Litteratur  für 
1897 — 1900  verzeichnet  der  Landes-Bibliothekar  R.  von  Fischer- 
Ben  zon  (Zeitschr.  d.  Ges.  f.  S.-H.  Gesch.,  Bd.  30)  und  fügt  einzelnen 
Erscheinungen  auch  Recensionen,  bezw.  Referate  bei.  —  Ein  sehr 
wichtiges  Hilfsmittel  lieferte  Georg  Hille  in  der  Übersicht  über  die 
Bestände  des  K.  Staats-Archivs  zu  Schleswig  (Mitteilungen  d.  K. 
Pr.  Archivverwaltung,  Heft  4.     Leipzig  1900). 

Eine  auf  Originaluntersuchungen  beruhende,  umfassende  und  ein- 
heitlich durchgeführte  Darstellung  der  schleswig-holsteinischen  Ge- 
schichte existiert  nicht.  Von  G.  Waitz*  Schleswig- Holsteins  Ge- 
schichte in  drei  Büchern  sind  nur  Band  I  und  II  (Göttingen,  1851  bis 
1852)  erschienen,  in  denen  die  Darstellung  bis  zum  Jahre  1660  fort- 
geführt ist.  Einfacheren  Bedürfnissen  genügt  seine  Kurze  Schleswig- 
Holsteinische  Landesgeschichte  (Kiel,  1864,  2.  [Titel-] Ausgabe,  1898). 
Die  Schleswig-Holsteinische  Kirchengeschichte,  Nach  hinterlassenen 
Handschriften  von  H.  N.  A.  Jensen  überarbeitet  und  herausg.  von 
A.  L.  J.  Mich  eisen  (Bd.  I— IV.  Kiel,  1873  — 1879)  bietet  auch  für 
die  politische  und  Kulturgeschichte  manche  wertvollen  Aufschlüsse. 
Sehr  gute  Dienste  leistet  auch  F.  C.  Dahlmanns  Geschichte  von 
Dänemark,  Band  I— III  (Hamburg,  1840  —  1843),  namentlich  bezüglich 


—     110     — 

der  Kulturzustände  in  Schleswig  und  der  Beziehungen  zu  Dänemark; 
in  noch  gröfserem  Ma(se  ist  dies  mit  dem  von  Dietrich  Schäfer 
bearbeiteten  Band  IV  (Gotha,  1893)  der  Fall,  in  dem  die  Darstel- 
lung bis   1559  fortgeführt  ist. 

Der  Vorgeschichte  dienen  die  Mitteilungen  des  AnthropoUh- 
gischen  Vereins  in  Schleswig- Holstein  (Kiel,  i888flf.).  Aufserdem 
hatj.  Mestorf,  Vorgeschichtliche  A  Itertümer  aus  Schleswig-Holstein 
(Hamburg,  1885)  und  Urnenfriedhöfe  in  Schleswig-Holstein  (Ham- 
burg, 1886)  beschrieben.  Eine  Untersuchung  Über  vorgeschichtlcihe 
Altertümer  Schleswig  -  Holsteins  mit  besonderer  Berücksichtigung 
ihrer  Beziehung  zu  der  Geologie  des  Landes  und  ihrer  minera- 
logischen Eigenschaften  lieferte  W.  Splieth  (Archiv  fiir  Anthropo- 
logie und  Geologie  Schleswig-Holsteins.  Bd.  II,  Heft  2.  Kiel,  1896). 
Die  schleswigschen  Runensteine  beschrieb  Rochus  v.  Liliencron, 
daneben  L.  F.  A.  Wimmer,  Senderfyllands  historiske  Runemindes- 
w<^r>4r^r  (Kopenhagen,  1892).  Inventarien  der  erhaltenen  vorgeschicht- 
lichen Altertümer  in  Schleswig  gab  AugustSach  in  Das  Herzogtum 
Schleswig  in  seiner  ethnographischen  und  nationalen  Entwicklung 
(Heft  I.  u.  2.  Halle  a.  S.,  1895  u.  1899)  und  zog  aus  ihnen  wichtige 
Resultate  über  „Die  Besicdelung  vor  der  Wanderzeit"  (p.  1 — 64), 
„Die  Angeln  und  ihre  Wohnsitze**  (p.  65 — 133),  „Utland  und 
seine  Bewohner**  (p.  134 — 279)  und  „Die  drei  friesischen  Syssel- 
oder  Geestharden  als  Grenzen  der  Friesen  und  Juten**  (p.  280 — 336). 
Ein  nicht  zu  unterschätzendes  Hilfsmittel  zur  Feststellung  der  Natio- 
nalitätsverhältnisse Schleswigs  auf  Grund  der  Personennamen,  wenn 
auch  für  einen  späteren  Zeitabschnitt,  bieten  die  vom  Reichsarchiv  in 
Kopenhagen  publizierten  Senderjydske  Skatte-og  Jordebeger  fra  Re- 
formationstiden, Udgivne  ved  F.  Falkenstjerne  &  Anna  Hude 
af  Rigsarkivet  (Kopenhagen,  1895 — 99);  man  darf  sich  jedoch  nicht, 
wie  C.  F.  Bricka  in  dem  Vorwort  sehr  richtig  bemerkt,  durch  die 
Neigung  deutscher  Schreiber,  rein  dänischen  Namen  einen  deutschen 
Zuschnitt  zu  geben,  irreführen  lassen.  Eine  ältere  Quelle  für  die  geo- 
graphischen Namen  und  die  Einteilung  Schleswigs  (ca.  1231)  bildet 
Liber  census  Danice.  Kong  Valdemar  den  andens  Jordebog,  udg. 
og.  oplyst  of  O.  Nielsen  (Kopenhagen,  1873),  wobei  aber  Johannes 
C.  H.  R.  Steenstrups  Studier  over  Kong  Valdemars  Jordebog 
(Kopenhagen,  1874)  heranzuziehen  sind. 

Für  die  schleswigschen  Verhältnisse  ist  die  Berücksichtigung  der 
zahlreichen  und  umfassenden  dänischen  Untersuchungen  imerläislich. 
In  Danmarks  Sydgrcense  og  Herredemmet  over  Holsten  ved  den 


—    111    — 

historiske  Ttds  Begyndelse  (800 — 1000),  als  Einladungsschrift  der 
Kopenhagener  Universität  zur  Feier  des  Geburtstages  S.  M.  des  Königs 
am  8.  April  1900  (Kopenhagen,  1900)  erschienen,  übt  Johannes 
C  H.  R.  Stecnstrup  eine  zum  grofsen  Teil  wohlberechtigte  Kritik  an 
der  Behandlung  dieses  Punktes  am  Anfang  der  historischen  Zeit  in 
den  deutschen  Geschichtswerken,  deren  wichtigste  Ergebnisse,  soweit 
sie  von  der  lokalen  Geschichtsforschung  bestätigt  werden,  hier  kurz 
registriert  werden  mögen:  Waitz*  Norder-Eider  hat  in  historischer  Zeit 
nicht  existiert;  eine  marca  Danica  Karls  des  Grofsen  wird  nirgends 
genannt;  eine  Mark  nördlich  der  Eider  hat  weder  zur  Zeit  der  Karo- 
linger noch  unter  Heinrich  I.  und  Otto  I.  bestanden.  Der  Bericht 
Adams  von  Bremen  ist  nach  A.  Sach,  Die  Entstehung  des  Herzoge 
tums  Schleswig  (Das  Herzogtum  Schleswig  I)  auf  eine  Verwechse- 
lung mit  den  Ereignissen  unter  Otto  II.  zurückzuführen. 

Für  die  Einfuhrung  des  Christentums  und  die  dieselbe  begleiten- 
den Ereignisse  sind  A  d  a  m  i ,  Gesta  Hammaburgensis  ecclesiae  ponti-- 
ficum.  Ed.  J.  M.  Lappenberg  [Mon.  Germ.  SS,  VII,  267 — 389)» 
und  die  Vita  Sancti  Anskarii  dMcL  Rimberto,  ed.  Dahlmann 
[Mon,  Germ,  SS.  II,  683 — 725)  im  ganzen  zuverlässige  Quellen,  was 
sich  weniger  von  Helmoldi  presbyteri  Chronica  Slavorum,  ed.  J.  M. 
Lappenberg  {Mon.  Germ.  SS.  XXI,  i — 99)  sagen  läfst,  wenn  auch 
die  von  C.  Schirren  gegen  ihn  gerichteten  Angriffe  [Beiträge  zur 
Kritik  älterer  Holsteinischer  Geschichtsquellen.  Leipzig,  1876)  sich 
als  haltlos  erwiesen  haben.  An  dänischen  Publikationen  ist  namentlich 
A.  D.  j0rgensen.  Den  nordiske  Kirkes  Grundlceggelse  og  ferste 
Udvikling  (Kopenhagen,  1874 — 78)  zu  berücksichtigen.  R.  Usingers 
Deutsch-dänische  Geschichte  von  ii8g — i22y  (Berlin,  1863)  beleuchtet 
einen  sehr  wichtigen  Abschnitt  der  schleswig-holsteinischen  Geschichte. 

Der  niedersächsisch-dänische  Krieg  von  J.  O.  Opel  (Bd.  II  u.  III, 
Magdeburg,  1873  u.  1894)  bietet  zwar  ein  reiches  Material  zur  Ge- 
schichte des  Dreifeigjährigen  Krieges  für  Schleswig -Holstein,  zeigt 
aber,  dafs  der  Verfasser  keine  Fühlung  mit  den  Ergebnissen  der  lo- 
kalen Geschichtsforschung  gehabt  hat.  Dagegen  ist  Danmarks  ydre 
politiske  Historie  i  Tiden  fra  Freden  i  Lybek  til  Freden  i  Kjeben^ 
havn  (1629 — 1660)  von  J.  A.  Fridericia  (Kopenhagen,  1881)  eine 
nach  allen  Richtungen  gediegene  Darstellung,  als  deren  dritter  Band 
das  selbständige  Werk  desselben  Verfassers  Adelsvceldens  sidste 
Dage  1648 — 1660  (Kopenhagen,  1894)  anzusehen  ist,  in  dem  aber 
sowohl  die  äufsere  als  die  innere  Geschichte  Dänemarks  von  1648  bis 
1660  zur   Darstellung  gelangen.      Geheimrat  Detlev   v.   Ahle/eldts- 


—      112      — 

Memoiren  aus  den  Jahren  i6iy — /^Jp.  hcrausg.  von  Louis  Bob 6 
(Kopenhagen,  1896),  P.  Dörings  Abhandlung  über  die  Eroberung 
Alsrns  durch  den  gro/sen  Kurfürsten  (Progr.  d.  höheren  Bürger- 
schule Sonderburg  1873)  und  die  Beschrethung  der  Kriegsthaten 
des  General'Feldmarsehalls  Ernst  Albrecht  von  Eberstein  (2.  Aus- 
gabe. Berlin,  1892)  bilden  wertvolle  Quellenschriften  für  die  Ge- 
schichte der  Schwedenkriege  Kars  X.  Gustav.  Detlev  v.  Ahle- 
feld t  verteidigte  schon  bei  dem  Einfalle  Torstens«?ons  1644  seine 
Güter  und  die  Ufer  der  Elbe  mit  zwei  von  ihm  i^eworbenen  Compagn  een 
und  wurde  beim  Vordringen  Karl  Gustavs  im  Oktober  1657  nach  Berlin 
gesandt,  um  den  Abschlufs  eines  Bündnisses  mit  seinem  Könige  zu 
beschleunigen.  Er  führte  die  Unterhandlungen  mit  Brandenburg,  Polen 
und  den  Kaiserlichen  und  hatte  nach  dem  Einmarsch  der  Verbündeten 
als  Gcneralkriegskommissar  die  schwierige  Aufgabe,  zwischen  den 
Forderungen  der  Hilfstiuppen  und  den  verarmten  Einwohnern  zu  ver- 
mitteln, vor  der  Entscheidungsschlacht  bei  Nyborg  die  beiden  eifer- 
süchtigen Feldherren  Schack  und  Eberstein  zu  versöhnen. 

Der  Verfassungsstreit  in  Schleswig-Holstein  wird  durch  zwei  Bro- 
schüren eingeleitet:  Worte  eines  Holstriners  im  Jahre  1814  (Ger- 
manien [d.  i. :  Hamburg],  18 14)  und  Patriotische  Gedanken  über 
Landstände  in  den  Herzogtümern  Schleswig  und  Holstein  (o.  O., 
1815),  gewinnt  aber  erst  an  Bedeutung,  nachdem  U.  J.  Lornsen 
seine  Schrift  Über  das  Verfassu7tgsiverk  in  Schleswig-Holstein  (Kiel, 
1830)  ')  veröffentlicht  hat.  Über  die  hierdurch  hervorgerufene  Flut 
von  Streitschriften  vgl.  Katalog  der  Provinzial-Bibliothek ,  p.  542  ff. ! 
Die  Union  SV  erjassung  Dänemarks  und  Schleswig-  Holsteins  von 
U.  J.  Lornsen  wurde  nach  seinem  Tode  von  G.  Beseler  (Jena, 
1841)  herausgegeben,  der  Die  historisch rti  Landes-Rechte  in  Schles- 
wig und  Holstein  -urkundlich.  Mit  einem  Vorwort  des  Etatsraths 
N.  Falck  (Kiel,  1842)  folgten.  Joh.  Gust.  Droysen  &  K.  Sam  wer 
gaben  in  Die  Herzfgthftwer  Schleswig- Holstein  und  das  Königreich 
Dänemark  (Hamburg,  1850)  eine  akteiimäfsige  Geschichte  der  auf 
Schleswig-Ho  stein  bezüglichen  dänischen  Politik  seit  dem  Jahre  1806, 
der  C.  F.  Wegen  er  Aktenmäjsige  Bf  i  träge  zur  Geschichte  Däne- 
marks im  neunzehnten  Jahr hu7i der t  (Kopenhagen,  1851)  gegenüber- 
stellte. Ein  hervorragendes  IliHsmiitel  zur  Beurteilung  der  dänischen 
Politik  hat  Julius  Clausen  in  seiner  auf  einem  gründlichen  Studium 

l)  Es  sind  7.wci  Au^gahen  vorhanden,  die  eine  gedruckt  bei  C.  F.  Mobr,  die  andere 
gedrockt  in  der  Königl.  Sclmlbuclidruckcrci,  beide   1830. 


—     118     — 

der  ihm  durch  kgl.  Resolution  freigegebenen  „neueren  Papiere  des 
Königshauses"  im  dänischen  Reichsarchiv  beruhenden  Biographie  über 
Frederik  Christian  Hertvg  of  Augusfenborg  (Kopenhagen,  1896) 
geliefert,  die  in  fast  allen  umstrittenen  Pimkten  die  Haltlosigkeit  der 
W^cnerschen  Behauptungen  dargethan  hat,  bezüglich  des  gewundenen 
Patentes  vom  9.  September  1806,  durch  welches  die  staatsrechtliche 
Stellung  Holsteins  nach  der  Auflösung  des  Deutschen  Reiches  fest- 
gestellt werden  sollte,  allerdings  auch  die  Droysen  &  Samwersche 
Elrklärung  derselben  umstöfst,  indem  CK  zeigt,  dafs  die  Fassung  des 
Patents  von  dem  Staatsministcr  Mösting  herrührt  und  das  umstrittene 
„ungetrennt*'  nach  dessen  Auffassung  gegenüber  „unzertrennlich" 
eine  festere  Verbindung  zwischen  Holstein  und  Dänemark  andeuten 
sollte. 

Das  Erbfolgerecht  der  Augustenburger  ist  zum  erstenmal   in  der 
(vom  Herzog  Christian  August  vcrfafsten  sogenannten  Hallischen) 
Schrift  Die  Erbfolge  in  Schleswig-Holstein  (Halle,  1837)  dargestellt; 
betreffs    Abweichungen    für    die    verschiedenen    Landesteile    sind    die 
beiden  Schriften  von  A.  L.  J.  Michelsen,    Über   die   ehemaligen 
Landesteilungen  in  Schleswig-Holstein  unter  dem  Oldenburgischen 
Hause  (Kiel,  1839)  ^^^  Über  Schleswig-Holsteinische  Staatserb/olge 
(Gotha,  1864]  zu  berücksichtigen.     Das  preufsische  Erbfolgerecht  ist 
in  Die  Erb -Ansprüche  des  Königlich-  Preußischen  Hauses  an  die 
Herzogthümer Schleswig-Holstein  von  EiVLBt  Helwing  (Lemgo  und 
Detmold,   1846)  und    den  Rechtsgutachten   bezüglich    der   Herzoge 
thümer  Schleswig-  Holstein  und  Lauenburg,  erstattet  auf  Grund 
des  Allerhöchsten  Erlasses   vom    14,  Dezember   1864    vom  Krön* 
Syndikat  (Berlin,  1866),  dargestellt.   Die  Oldenburger  und  Branden- 
burger Erbansprüche  auf  die  Herzogthümer  Schleswig-Holstein  be- 
leuchtete A.  V.  Warnstedt  (Hannover,  1865)  auf  Grund  der  Urkunden. 
Die   Vorgeschichte  der  Erhebung  der  Herzogthümer  Schleswig- 
Holstein  gegen  Dänemark  und  der  Krieg  1848  bis  zum   Waffen- 
stillstände von  Malmoe  schrieb  V,  v.  Lcwetzow  (Aus  den  Erinne- 
rungen   eines    schleswig-holsteinischen    Offiziers,    Schleswig.    1891). 
Wertvolle  Aufschlüsse  liefern  auch  die  Aufzeichnungen  des  Prinzen 
Friedrich  von  Schleswig-Holstein-Noer  aus  den  Jahren  1848  bis  18^0 
(Zürich,   1861).     Die  ausführlichste   und  gründlichste  Kricf{s;^^cschichte 
enthalt   das    dänische    Generalstabswerk    Den   dansk-  tydske  Krig  i 
Aarene   1848—18^0.     i, — j.  Del  (Kopenhagen,    1867— 1887);    da^ 
neben  kommt  vor  allem  in  Betracht    Geschichte  des  Krieges  gegen 
Dänemark   184849   ^Moltkes   Militärische    Werke   HL     Kriegs- 


—     114     — 

geschichtliche  Arbeiten,  i,  Teil,  Berlin,  1893).  Darstellungen  der 
einzelnen  Gefechte  und  Kriegsabschnitte  sind  auch  in  den  Beiheften 
zum  Militär -Wochenblatt  erschienen.  Die  diplomatischen  Verhand- 
lungen bis  1850  beleuchtet  Rudolph  Schieiden  in  den  Erinne- 
rungen eines  Schleswig-Holstetners^  Bd.  III  u.  IV  (Wiesbaden,  1891 
bis  1894).  Als  Fortsetzung  derselben  kann  Schleswig-Holsteins  Be- 
freiung, herausg.  aus  dem  Nachlafs  des  Professors  Karl  Jansen 
und  ergänzt  von  Karl  Samwer  (Wiesbaden,  1897),  dienen,  das  sich 
auf  das  Urkundenmaterial  aus  dem  Nachlasse  Karl  Samwers,  des 
Vaters  des  Herausgebers,  stützt.  (Schlafs  folgt) 


r'i^<^i^*^'>^S^S^<>^^*^>^>i^^<>^<>^»^>^^ 


Mitteilungen 

All$igrablllli?eil.  —  Die  durch  den  Obersten  v.  Groller  vorgenommenen 
Ausgrabungen  bei  Kamuntum  (vgl.  Band  I,  S.  197  und  249)  haben  zu  einem 
überraschenden  Fimde  geführt  In  der  Nähe  des  im  vorigen  Jahre  auf- 
gedeckten Waffenmagazins  ist  ebe  Bäckerei  zum  Vorscheb  gekonmien. 
Sie  enthält  zwei  Backöfen,  und  neben  Bruchstücken  fanden  sich  ebe  Reihe 
zwar  verkohlter,  sonst  aber  vollständig  erhaltener  Brote.  Dieselben  haben 
eben  Durchmesser  von  29  bis  32  Centimeter,  was  einem  römischen  Fufs 
entspricht     Bisher  war  antikes  Brot  nur  aus  Pompeji  bekannt 

Maseen.  —  In  Guben,  wo  seit  1884  die  „Niederlausitzer  Gesell- 
schaft für  Anthropologie  und  Altertumskunde"  ihre  erspriefsliche  Thätigkeit 
entfaltet,  sind  bereits  seit  geraumer  Zeit  geschichtliche  Altertümer  gesammelt 
worden,  welche  seit  Juli  1900  in  einem  städtischen  Gebäude  aufgesteUt  und 
allsonntäglich  dem  Publikum  zugänglich  sbd.  Dieses  neue  Gubener  Stadt- 
museum ist  bereits  recht  reichhaltig,  es  wird  seit  i.  April  1900  aus 
städtischen  Mitteb  unterhalten  und  hat  den  Zweck  alles  das  zu  sammeln, 
was  sich  auf  die  Vergangenheit  von  Stadt-  und  Landkreis  Guben  bezieht, 
doch  so,  dafs  jeder  Gegenstand  thunlichst  in  seinen  geschichtlichen  tmd 
räumlichen  Zusammenhang  gerückt  wird.  Die  einzelnen  Stücke  sind  nicht 
planlos  zusammengebracht  worden,  sondern  von  Anfang  an  hat  zur  Richt- 
schnur gedient,  dafs  nur  dasjenige  aufzunehmen  sei,  was  ein  Büd  vom  Zu- 
stand der  Stadt  und  vom  Leben  der  Bewohner  ihres  Gebietes  bis  b  die 
fernste  Vorzeit  zurück  geben  oder  das  durch  hiesige  Niederschläge  gewonnene 
Bild  vervolbtändigen  und  erläutern  kann.  An  dem  schnellen  Anwachsen  des 
Bestandes  vom  gegenwärtigen  Zeitpunkte  an  ist  nach  den  bisherigen  Erfahrungen 
nicht  zu  zweifeb.  Die  Verwaltung  liegt  in  den  Händen  eines  viergliederigen 
Ausschusses,  dessen  Vorsitz  ein  Stadtrat  führt;  für  etwaige  wissenschaftlich 
zu  entscheidende  Fragen  ist  ein  Beirat  gebildet,  der  sich  aus  einigen  wenigen 
Autoritäten  in  den  einzeben  Fächern  zusammensetzt. 


—     115     — 

Die  Ausstellungsgegenstände  gliedern  sich  in  drei  Gruppen,  nämlich  in 
vorgeschichtliche,  d.  h.  solche  aus  vorslavischer  Zeit,  wendische 
(600  bis  1200  n.  Chr.)  und  mittelalterlich-neuzeitliche.  Die  vor- 
geschichtlichen Funde  sind  nicht  in  dem  engen  Gebiete  des  Kreises  Guben 
ans  Licht  gefördert  worden,  sondern  hier  sind  verständiger  Weise  die  Grenzen 
des  Markgrafentums  überschritten  und  manche  wichtige  Fundstücke  aus  der 
Neumark,  Posen,  Schlesien  und  Sachsen  den  aus  Gubens  Umgegend 
stammenden  zur  Seite  gestellt  worden.  Die  ThongefUfse  des  Niederlausitzer 
Typus  sind  in  seltener  Fülle  vertreten  ').  Aus  der  wendischen  Periode  sind 
Töpfe  mit  maniglialtigen  Ornamenten  und  vor  allem  ein  silberplattiertes  Eisen- 
beil, eins  der  seltenen  Prachtgeräte,  zu  erwähnen,  während  der  Epoche,  wo 
die  Deutschen  wieder  im  Lande  einzogen,  eine  bemerkenswerte  gravierte 
Bronzeschale  des  XU.  Jahrhunderts  angehört  Die  Gegenstände  aus  späterer 
Zeit  sind  nach  ihrem  Zwecke  und  ihrer  geschichtlichen  Beziehung  in  mehrere 
Unterabteilungen  geschieden :  neben  Geräten  zu  den  verschiedensten  Arbeiten 
finden  sich  Bekleidungsstücke,  Erinnerungen  an  Feldzüge  seit  dem  XV.  Jahr- 
hundert, alle  möglichen  Zimmergeräte,  Handschriften  und  Drucke.  Angegliedert 
sind  schliefslich  auch  einige  ethnologische  Fundstücke  aus  Ägypten,  Mykenä, 
Pompeji,  Amerika  und  China,  die  neben  den  ortsgeschichten  belehrend  zu 
wirken  vermögen. 

In  Lübbenau  (Lausitz)  besteht  seit  Sommer  1899  ein  Museumsverein, 
welcher  unter  der  rührigen  Leitung  des  Oberpfarrers  Pfannschmidt  an 
die  Einrichtung  eines  städtischen  Museums  gegangen  ist.  So,  wie  man 
es  in  Stade  beabsichtigt  (vgl.  I.  Band,  S.  248),  will  man  auch  hier  an  die 
Einrichtung  ganzer  Stuben  gehen,  welche  naturgemäüs  die  Einbildungskraft 
des  Besuchers  ganz  anders  anregen  als  einzelne  Zimmergeräte  aus  verschiedenen 
Zeiten  und  Gegenden:  es  soU  eine  wendische  Stube,  eine  Schankstube 
und  eine  Innungsstube  eingerichtet  werden,  während  zwei  andere  Gruppen 
kirchliche  Gegenstände  *)  und  Gegenstände  aus  der  heidnischen  Totenbestattung 
zusammenfassen  sollen. 

Klostergesehlchte.  —  In  neuster  Zeit  sind  auffiülend  viele  Mono- 
graphieen   über   einzelne  Klöster  erschienen '),   und  fast  ausschliefslich  der 


i)  Über  ihre  Verbreiiang  YgL  S.  57  die  Fandkarten  von  DeichroüUer. 

2)  Im  Museum  des  Vereins  fUr  die  Geschichte  Leipzigs  ist  der  Versuch  gemacht 
worden  mit  den  verschiedenen  vorhandenen  kirchlichen  Gegenständen  eine  Kapelle  «m- 
znricbten.     Vgl.  L  Band,  S.  219. 

3)  Ei  seien  hier  nur  folgende  uns  zur  Besprechung  zugegangenen  Schriften  erwähnt: 
Albrecht  Thoma,  GeschtchU  des  Klosters  Frauenaih  (Freiburg  i.  B.,  P.  Waetzel, 
1898.  104  S.  8**.  M.  1,60)  schildert  in  ganz  vorzüglicher  Weise  auf  knappen  Räume 
im  engen  Anschlufs  an  die  Quellen,  ohne  sein  Schrifichen  mit  dem  Quellenballast  zu 
beladen,  die  Entwicklung  seines  Klosters,  geht  in  gleicher  Weise  auf  Wirtschaft,  inneres 
Leben  und  Herrschaftsrechte  ein  und  weifs  Überall  das  Charakteristische  hervorzuheben.  — 
Vom  inneren  Klost  erleben  erzählt  wenigstens  in  bescheidenem  Mafse  auch  Robert 
Schölten,  Das  Cistercunserinnenkloster  Grafenthal  oder  Vallis  Comttis  xu  Asperden 
im  Kreise  Cleve  (Cleve,  Bofs,  1899^  wenn  sich  auch  das  durch  seine  umfangreiche  Ur- 
kundenbeilage sich  auszeichnende  Buch  im  gröfsten  Teile  mit  der  Klosterwirtschaft  beschäftiget. 
Eine  ähnliche  Arbeit  desselben  Verfassers.  Das  Karthäuserkloster  Insuln  Regtnae  Caeli 
auf  der  Grave  bei  Wesel  ^   erschien  bereits  1891    im  52.  Hefte   der  „Annalen   des   his- 

8* 


—     116      - 

Klostergeschichte  dienen  die  von  P.  Maurus  Kinter,  Stiftsarchivar  zu 
Raigem  bei  Brunn,  herausgegebenen  Studien  und  Mitteilungen  au^  dem  Bene- 
diktiner- und  Cisiereienserorden  (1900  ist  der  21.  Jahrgang).  Aber  wie 
auf  anderen  Gebieten,  so  ist  es  auch  hier:  es  fehlt  an  Zusammenfassung 
und  schärferer  Beobachtung  und  Herauskehrung  des  grofsen  und  allgemeinen 
Zusammenhangs  in  den  Monographieen.  Es  ist  deshalb  aufserordentlich  zu 
begrüfsen,  dafs  die  genannten  „Studien  und  Mitteilungen**  einen  Anfang 
machen  und  die  Gesamtheit  der  Forscher  zur  Mitarbeit  an  einer  künftigen 
deutschen  Klostergeschichte  einladen.  Es  geschieht  dies  in  einem  „Aufruf*, 
der  sich  auf  der  Innenseite  des  Vorderumschlags  von  Heft  II  bis  III  des 
21.  Jahrgangs  findet  und  folgendermafsen  lautet: 

Wie  auf  allen  Gebieten  der  Geschichtsforschung  so  hat  sich  auch 
auf  dem  Felde  der  Klostergeschichte  in  neuerer  Zeit  ein  reges  Leben 
entfaltet.  Aber  wie  überall  so  ist  auch  hier  nur  allzu  oft  über  dem  Ein- 
zelnen das  grofse  Ganze  vernachlässigt  worden,  und  doch  ist  nicht  zu 
leugnen,  dafs  das  grofse  gemeinsame  Ziel  aller  einschlagigen  Arbeiten  eine 
grofse  umfassende  vom  Einzelfall  absehende  Klostergeschichte 
sein  mufs.  Wie  flir  das  frühe  Mittelalter  das  Klosterwesen  nicht  nur 
Westeuropas  als  Einheit  wird  dargestellt  werden  müssen ,  ebenso  sicher 
wird  eine  geschichtliche  Darstellung  in  den  spätem  Jahrhunderten  die 
Nationen,  vielleicht  sogar  die  Landschaften  trennen  müssen :  mit  Rücksicht 
auf  die  Frühzeit  und  späteren  Verhältnisse  werden  wir  deshalb  eine 
deutsche  Klostergeschichte  ab  das  Buch  bezeichnen  dürfen,  welches 
die  deutsche  Geschichtswissenschaft  dringend  nötig  hat. 

Heute  weifs  jeder  in  der  Technik  der  Geschichtsforschung  Bewanderte, 
dafs  einem  Manne,  und  wäre  er  der  genialste  und  fleifsigste,  die  Lösung 
dieser  Aufgabe  auf  Grund  der  ersten  Quellen  unmöglich  ist,  denn  dazu 
sind  diese  zu  massenhaft  und  allzu  sehr  verstreut.  Wenn  die  Wissenschaft 
in  diesem  Punkte  vorwärts  konunen  soll,  so  ist  wie  auf  allen  anderen 
Gebieten  eine  Zusanmienfassung ,  eine  Organisation  nötig,  welche  allein 
eine  Nutzbarmachung  jeder  Teilarbeit,  und  mag  sie  noch  so  klein  sein, 
flir  das  grofse  Endziel  ermöglicht  Jede  materielle  Arbeitsorganisation, 
die  grofse  meist  nicht  vorhandene  Mittel  erfordert,  hat  aber  den  Nachteil, 
dafs  alles  aufserhalb  Stehende  nicht  berücksichtigt  werden  kann,  und  da- 
durch   wird    der    Zweck    allzu    leicht    vereitelt.      Es    mufs    deshalb   eine 


toriseben  Vereins  für  den  Niederrhein",  S.  61 — 136.  —  In  derselben  Zeitschrift, 
44.  Heft  [1885],  S.  I  122  erschien  eine  Stndie  von  Leonard  Korth  über  Das 
Kloster  Dünwald^  die  eine  Menge  feine  Bemerkungen  über  die  Klosterwirtschaft  enthält  und 
eine  Reihe  inhaltlich  allgemein  wichtige  Urkunden  im  vollen  Wortlaut  veröffentlicht.  —  Aus 
Mangel  an  anderem  Material  mufs  sich  auch  Armin  Tille,  Die  Benediktinerabtei 
St,  Martin  bei  Trier  (■•  Trierisches  Archiv,  4.  Heft.  Trier,  Lin«,  1900.  M.  3,50.)  auf 
die  Darstellung  der  Klosterverwaltung,  des  Güterbesitzes  und  der  Verwaltung  beschränken.  — 
Ihrem  ganzen  Wesen  nach  behandelt  die  wirtschaftliche  Seite  des  Klosterlebens  die  Arbeit 
von  RndolfKötzschke,  Studien  zur  Verwaltungsgesckichte  der  Grossgrundherrschajt 
Werden  an  der  Ruhr  (Leipzig,  ß.  G.  Teubner,  1901.  M.  6.).  K.  beschränkt  sich  auf 
die  Reichsabtei  Werden,  zieht  aber  doch  die  Zustände  der  Abtei  Prüm  vergleichsweise 
heran  und  gewinnt  fUr  Werden  Ergebnisse,  die  nicht  nur  unser  Wissen  von  der  früh- 
mittelalterlichen Frohnhofsverfassung  und  deren  Verfall  wesentlich  vermehren,  sondern 
für  jeden  von  besonderem  Werte  sind,  der  sich  bei  unzureichendem  Quellenmaterial  eine 
Vorstellung  von  der  Wirtschait  grofser  Klöster  machen  will. 


—     117     — 

lediglich  geistige  Organisation  geschaffen  werden,  welche  die 
oben  bezeichneten  Ziele  fördern  hilft,  d.  h.  eine  solche,  welche  der  Geschichts- 
schreibung im  weitesten  Sinne  eine  grosse  Zahl  unter  sich  vergleich- 
barer Einzelforschungen  zur  Verfügung  stellt,  die  jede  für  sich  bemüht 
sein  müssen  durch  vergleichweise  Heranziehung  anderen  Materials  wenigstens 
für  ein  engeres  Gebiet  allgemeinere  Ergebnisse  zu  gewinnen.  Ein  Arbeits- 
schema in  diesem  Sinne  liefse  sich  wohl  aufstellen,  es  würde  aber  von 
nur  geringem  Nutzen  sein,  wenig  Beachtung  finden  und  sich  gerade  für 
die  besten  Arbeiter  als  unbrauchbar  erweisen.  Am  besten  lehrt  das  Bei- 
spiel. Deshalb  gilt  es,  aus  der  schier  unübersehbaren  Flut  von  Mono- 
graphieen  über  einzelne  Klöster  einige  wenige  herauszugreifen,  die  jede  in 
ihrer  Art,  als  Muster  für  künftige  Arbeiten  empfohlen  werden  können. 
Es  wären  dabei  natüriich  sowohl  die  noch  heute  bestehenden  als  auch 
die  früher  eingegangenen  und  seit  dem  XVI.  Jahrhundert  aufgehobenen 
Klöster  zu  berücksichtigen. 

Unter  diesem  Gesichtspunkte  stellen  wir  an  alle  Geschichtsforscher 
die  Frage:  I.  Wer  ist  in  der  Lage  einzelne  Klostergeschichten  als 
mustergültig  für  künftige  Arbeit,  namentlich  mit  Rücksicht  auf  eine 
allgemeine  Klostergeschichte,  namhaft  zu  machen? 

2.  Wer  ist  dazu  bereit,  eine  grössere  Anzahl  von  derartigen 
Monographien  (namentlich  wieder  diejenigen,  welche  auf  die  erste 
Frage  als  empfehlenswert  bezeichnet  worden  sind)  in  einem  kritischen 
zusammenfassenden  Aufsatze  zu  behandeln? 

Wir  schliefsen  mit  der  dringenden  Bitte,  diese  Zeilen  nicht  nur  zu 
lesen  und  ihnen  vielleicht  im  Stillen  zuzustimmen,  sondern  sie  auch  wirklich 
zu  beantworten  auf  Grund  der  zufälligen  Litte raturkenntnis  und  Bekannt- 
schaft mit  den  Zuständen  eines  engeren  Gebietes.  Einsendungen  sind  zu 
richten  an: 

Die  Redaktion  der  „Studien  und  Mitteilungen  aus  dem  Benediktiner-  und 
Cistercienserorden"  in  Stift  Raigern  bei  Brunn.     Österreich. 
Diese  wohl  unanfechtbaren  Ausführungen  empfehlen  wir  der  allgemeinen 
Beachtung! 

Der  Oberhessische  Geschichtsverein  in  Giefsen  hat  bereits 
1899  und  dann  nochmals  im  Juli  1900  für  Bearbeitung  einer  Geschichte 
des  Schiffenbergs  als  Kloster  und  Deutschordensniederlassung 
von  der  Stiftung  (1129)  bis  zumAusgangdes  XIV.  Jahrhunderts 
einen  Preis  von  500  Mark  ausgeschrieben,  aber,  wie  es  scheinen  will,  ist 
die  Arbeit  bisher  noch  nicht  mit  Glück  in  Angriff  genommen  worden.  Und 
doch  ist  nicht  zu  leugnen,  dafs  Schiffenberg  seiner  Bedeutung  nach  ein 
würdiges  Objekt  für  eine  Klostergeschichte  darstellt  und  auch  eine  ausreichende 
urkundliche  Überlieferung  besitzt. 

Zeitschrfften.  —  Das  Heer  der  ortsgeschichtlichen  Zeitschriften  hat 
sich  im  Laufe  des  Jahres  1900  wieder  um  einige  vermehrt,  die  allgemeine 
Aufmerksamkeit  verdienen  *). 


1)  Von  den  Ober  ländischen  GtschichUhlätUrn^  deren  erstes  Heft  wir  im  L  Bande, 
S.  135  anzeigten,  ist  1900  bereits  ein  zweites  inhaltreiches  Heft  erschienen. 


—     118     — 

Der  neu  gegründete  Rügisch-Pommersche  Geschichtsverein 
(vgl.  I.  Band,  S.  87),  welcher  Greifswald  und  Stralsund  als  Stützpunkte  hat, 
giebt  die  Pommersdien  Jahrbücher  heraus.  Die  Redaktion  derselben  (I.  Band, 
Greifswald,  Julius  Abel,  1900.  179  S.  8®.  M.  4)  ruht  in  den  Händen 
eines  Ausschusses,  dem  die  Professoren  Bernheim,  Frommhold,  Ulmann 
und  Dr.  Karl  Kunze  angehören.  Letzterer  ist  mit  der  eigentlichen  Re- 
daktionsarbeit betraut  und  verwaltet  das  Amt  des  Schriftführers  beim  Rügisch- 
Pommerschen  Geschichtsverein,  welchem  nach  dem  vorliegenden  Mitglieder- 
verzeichnis bei  Ausgabe  des  ersten  Bandes  der  Zeitschrift  227  Mitglieder 
angehörten.  In  einem  Geleitwort  schildert  Prof.  Frommhold  in  kurzen 
Zügen  die  Entwicklung  der  GesellscJiaß  für  Patnmersche  Oeschichie  und 
Altertumskunde,  die  seit  1825  besteht:  sie  hatte  von  Anfang  an  zwei  Ab- 
teUungen  und  demgemäfs  zwei  Sitze,  Stettin  und  Greifswald.  Aber  während 
sich  an  ersterem  Orte  eine  erspriefsliche  Thätigkeit  entfaltete,  war  das  gleiche 
von  Greifswald  nicht  zu  rühmen,  bis  sich  endlich  die  dortige  Abteilung  1899 
selbständig  machte  und  einen  eigenen  Verein  ins  Leben  rief.  —  Prof. 
Bern  heim  bietet  in  seinem  Aufsatze  Lokalgeschichte  und  Heimatkunde  in 
ihrer  Bedeutung  für  Wissenschaft  und  Unterricht  im  knappsten  Rahmen  ein 
Bild  der  lokalgeschichtlichen  Studien  in  den  letzten  Jahrzehnten,  welches 
allgemeinste  Beachtung  verdient.  Die  Spitze  dieser  Ausftihrungen 
ist  die  Formulierung  eines  kurzen  Arbeitsprogramms  ftir  den  neuen  Verein, 
welches  getrost  jeder  andere  Geschichtsverein  zu  dem  seinen  machen  kann. 
Der  Schlufs  behandelt  die  Stellung  der  Landes-  und  Ortsgeschichte  im 
Unterricht,  und  darin  ist  das  ausgesprochen  und  innerlich  begründet,  was 
von  vielen  und  zwar  in  gleicher  Weise  von  Lehrenden  und  Lernenden  vielfach 
als  Mangel  des  gegenwärtigen  Geschichtsunterrichts  empftinden  wird,  nämlich 
dafs  die  Berührungspunkte  der  Geschichte  mit  der  jeweiligen  engeren  Heimat 
so  gering  erscheinen  und  dafs  hier  nur  eine  fleifsige  Lokalforschung  helfen 
kann,  indem  sie  zeigt,  wo  die  Fäden  der  allgemeinen  Geschichte  mit  denen 
der  heimatlichen  zusammen  laufen,  und  indem  sie  lehrt,  die  nächst  liegenden 
konkreten  Erscheinungen  als  Beispiel  ftir  gewisse  Allgemeinerscheinungen  der 
Vergangenheit  zu  verwerten.  —  Martin  Wehrmann,  gegenwärtig  wohl 
der  beste  Kenner  der  Pommerschen  Geschichte,  dem  wir  die  Übersicht  über 
die  neuere  geschichtliche  Litteratur  Pommerns  verdanken  (vgl.  I.  Band, 
S.  98  —  104  und  132 — 133),  berichtet  über  die  kulturgeschichtlich  bedeutsame 
Reise  des  Herzogs  Bogislaw  von  Ponmiem  ins  heilige  Land  (1497)  und 
charakterisiert  dabei  trefflich  die  Stellung  des  Herzogtums  Pommern  zum 
Reiche.  Aus  dem,  was  über  die  Reise  selbst  gesagt  ist,  sei  nur  auf  den 
wichtigen  Kontrakt  hingewiesen,  den  der  inkognito  reisende  Herzog  mit  dem 
Venediger  Schiffsherrn  Alexisi  Zorzi  wegen  der  Überfahrt*)  abschlofs.  — 
Bruchstücke  einer  Stralsundischen  Chronik  1254 — 1476  veröffentlicht  Rudolf 
Bai  er  und  erschliefst  damit  eine  bisher  für  die  Stadtgeschichte  unbenutzte 
Quelle  unter  gleichzeitiger  Orientierung  über  die  sonstigen  Stralsunder  Stadt- 
chroniken. —  Die  Baugeschichte  der  Greifswalder  Marienkirche  behandelt 
Ernst  Krönig  und  giebt  damit,  ganz  abgesehen  von  den  ortsgeschichtlich 


i)  Er    ist   gedruckt    bei   R.  Klempin,    Diplomatische  Beiträge   tur    Geschichte 
Pommerns  (Berlin  1859),  S.  542  -  546. 


—     119     — 

interessanten  Einzelheiten  ein  bemerkenswertes  Beispiel  dafür,  wie  die  im 
engeren  Sinne  kimstgeschichtiiche  Forschung  mit  der  sonstigen  ortsgeschicht- 
lichen verbunden  beide  in  gleichem  Mafse  zu  fördern  vermag :  die  unanfecht- 
baren steinernen  Urkunden  ergänzen  nur  zu  oft  die  lückenhaften  und  sonst 
unverständlichen  auf  Papier  und  Pergament !  —  Als  ersten  Teil  einer  gröfseren 
Veröffentlichung:  Die  äUeren  Zunfturkunden  der  Stadt  Oreifatvald  bieten 
schliefslich  Oskar  Krause  und  Karl  Kunze  gemeinsam  die  ältesten 
Urkunden  von  sechzehn  gewerblichen  Genossenschaften  aus  der  Zeit  von 
1397  bis  ins  XVI.  Jahrhundert  und  unterrichten  zugleich  in  einem  kurzen 
Vorwort  über  das  Zunftwesen  in  Greifswald  überhaupt.  —  Eine  stattliche 
Leistung  mufs  dieser  erste  Band  der  neuen  Zeitschrift  genannt  werden.  Ein 
besonderes  Verdienst  hat  sich  die  Redaktion  dadurch  erworben,  dafs  die 
einzelnen  Beiträge  nicht  zu  umfangreich  sind,  dafs  es  damit  möglich  geworden 
ist,  eine  grofse  Reihe  verschiedener  Gebiete  zu  behandehi  und  dadurch 
jedem  Vereinsmitgliede  wenigstens  einen  Aufsatz  zu  bieten,  der  ihn  be- 
sonders fesselt,  denn  bekanntlich  ist  ja  nicht  jeder  Gegenstand  für  jeden 
Leser  in  demselben  Mafse  interessant. 

Der  Mühlhäuser  Altertumsverein  (vgl.  L  Band,  S.  135)  hat  mit 
Heft  I  und  2  des  I.  Jahrgangs  der  Mühlhäuser  Oeschichtsblätier  (52  S.  4®. 
Mühlhausen,  Karl  Albrecht  1900)  seine  Veröffentlichungen  begonnen.  Der 
junge  Verem,  die  Schöpfung  des  rührigen  Stadtarchivars  Prof.  Heydenreich, 
zählte  im  Oktober  1900  bereits  278  Mitglieder  und  wird  durch  die  städtischen 
Behörden  von  Mühlhausen  in  jeder  Weise  gefordert.  Nur  so  ist  es  möglich, 
dafs  die  Zeitschrift  jedem  Mitgliede  bei  einem  Jahresbeiträge  von  nur  i  Mark 
geliefert  werden  kann.  Die  Beiträge,  welche  das  vorliegende  Heft  bringt, 
sind  recht  vielgestaltig,  aber  vielleicht  doch  etwas  zu  kurz  ausgefallen,  so 
dafs  bei  einer  Fortsetzung  dieser  Methode  der  Stoff  allzusehr  zerrissen  wird. 
Heydenreich  selbst  bietet  drei  Beiträge,  er  charakterisiert  zur  Einleitung 
die  Anregungen  zu  lokalgeschichtlicher  Forschung  in  neuester  Zeit  und  ent- 
wickelt die  Aufgaben  des  Mühlhäuser  wie  jedes  anderen  Vereins,  er  führt, 
auch  dem  Laien  verständlich,  die  ältesten  urkundlichen  Nachrichten  über 
Mühlhausen  7  7  5  bis  900  vor  und  bespricht  endlich  die  im  Mühlhäuser  Stadtarchive 
vorhandenen  tünf  Urkunden  mit  französischer  Malerei,  deren  zwei  in  Licht- 
druckreproduktion beigegeben  sind.  —  Den  neuesten  prähistorischen  Funden 
aus  Mühlhausens  Umgebung  widmet  Karl  Sellmanu  eine  eingehende  Be- 
sprechung und  glaubt  die  der  Bronzezeit  angehörigen  Schmuckstücke  spätestens 
600  V.  Chr.  ansetzen  zu  sollen.  —  Die  Münzsammlung  des  Magistrats,  in 
der  sich  über  300  Brakteaten  finden,  charakterisiert  Zenker,  vom  Schützen- 
feste zu  M.  im  Jahre  1400  erzählt  Heinrich  Spiethoff,  aus  einer  mit 
Reimen  durchsetzten  Stadtchronik,  die  von  erster  Hand  bis  15 14  und  von 
einem  Fortsetzer  bis  1523  geführt  worden  ist,  giebt  Prof.  Kettner  einige 
Proben.  Schliefslich  widmet  W.  Röttscher  den  baulichen  Emeuerungs- 
arbeiten  an  der  in  ihren  ältesten  Teilen  dem  Ende  des  XIL  Jahrhunderts 
entstammenden  Marienkirche  seine  Aufmerksamkeit.  Eine  gröfsere  Zahl  kleinerer 
Mitteilungen  und  Bücherbesprechungen,  unter  denen  die  sehr  ausführlich 
gehaltene  über  R.  Wuttke,  Sächsische  Volkskunde,  besonders  erwähnt  sei, 
schliefsen  das  erste  Doppelheft  ab. 


—     120     — 

ElDgregangene  Bficher. 

Bibliographe  Moderne,  courrier  international  des  archives  et  des  biblioth^ues, 
public  sous  la  direction  de  M.  Henri  Stein.  Quatri^me  ann^  (1900) 
Janvier- AvriL     2  Hefte.     168  S.  8®. 

Boehmer,  F.:    Geschichte   der  Stadt  Rügen^ralde   bis   zur  Aufhebung  der 
alten  Stadtverfassung  (1720).     Stettin,    Paul  Niekammer,  1900.     446  S. 
80.     M    9. 

Er  et  holz,  Berthold:  Mocran  et  Mocran,  Zur  Kritik  der  goldenen  Bulle 
K.  Friedrichs  II.  für  Mähren  vom  Jahre  12 12  [=  Sonderabdruck  aus 
den  Mitteilungen  des  Instituts  für  österreichische  Geschichtsforschung, 
Ergänzungsband  VIJ. 

Köcher,  Adolf:  Die  Landregister  und  Dorfannalen  der  Bauermeister  von 
Edesheim  im  Leinethale  [^=^  Sonderabdruck  aus  der  Zeitschrift  des 
Historischen  Vereins  für  Niedersachsen,  Jahrgang  1900]. 

Lamprecht,  Karl:  Die  Königlich  Sächsische  Kommission  für  Geschichte 
[=  Abdruck  aus  den  Beuchten  der  philologisch-historischen  Klasse  der 
Königlich  Sächsischen  Gesellschaft  der  Wissenschaften  zu  Leipzig,  Öffent- 
liche Gesamtsitzung  beider  Klassen  am  23.  April  1900]. 

Derselbe:  Le  mdthode  historique  en  Allemagne  [=  Revue  de  synth^e 
historique,  directeur:  Henri  Berr,  aoüt  1900  pag.  21 — 27]. 

L^vy,  Alphonse:  Geschichte  der  Juden  in  Sachsen.  Berlin  NW.  7, 
S.  Calvary  &  Co.   1901.     114  S.  8^.     M.  2,40. 

Nederlandsch  Archievenblad ,  orgaan  van  de  vereeniging  van  archivarissen 
in  Nederland.  1899 — 1900,  4  afleveringen.  Groningen,  Erven  B.  van 
der  Kamp.     162  S.  8^ 

Schreiber,  Heinrich :  Johann  Albrecht  I.,  Herzog  von  Mecklenburg.  Halle, 
Max  Niemeyer  1899.  81  S.  8^  M.  1,20  [=  Schriften  des  Vereins 
für  Reformationsgeschichte  Nr.  64,   16.  Jahrgang,  drittes  Stück]. 

Schwartz,  Paul:  Die  Kirchenbücher  der  Neumark,  der  Kreise  Oststernberg, 
Weststemberg ,  Züllichau-Schwiebus  und  Krossen.  [=  Schriften  des 
Vereins  für  Geschichte  der  Neumark,  Heft  IX.]  Landsberg  a.  W., 
Fr.  Schaeffer  &  Co.,   1900.     128  S.  8«. 

Sembritzki,  Johannes:  Der  Oberpräsident  v.  Schön  und  die  Stadt  Memel. 
[=  Altpreufsische  Monatsschrift!,  37.  Band,  S.  245 — 282. 

Derselbe :  Geschichte  der  königlich  preufsischen  See-  und  Handelsstadt  MemeL 
Memel,  F.  W.  Siebert,   1900.     334  S.  8^ 

Siegenfeld,  Alfred  Ritter  Anthony  von:  Das  Landeswappen  der  Steier- 
mark. [=  Forschungen  zur  Verfassungs-  und  Verwaltungsgeschichte  der 
Steiermark,  herausgegeben  von  der  Historischen  Landeskommission  für 
Steiermark,  III.  Band.]  Graz,  Verlagsbuchhandlung  „Styria*S  1900. 
440  S.  8«. 

Stein,  Friedrich:  Geschichte  der  Reichsstadt  Schweinfurt  I.  Band.  Schwein- 
furt, Ernst  Stoer,   1900.     379  S.  8®. 

Stolze,  Wilhelm:  Zur  Vorgeschichte  des  Bauernkrieges,  Studien  zur  Ver- 
fassungs-, Verwaltungs-  und  Wirtschaftsgeschichte  vornehmlich  Südwest- 
Deutschlands  im  ausgehenden  Mittelalter.  Leipzig,  Duncker  &  Huroblot, 
1900.  57  S.  8®.  M.  1,40  [=  Staats-  und  sozialwissenschaftliche 
Forschungen,  herausgegeben  von  Gustav  Schmoller,  Band  XVIII,  Heft  4]. 

Henuaceher  Dr.  Armia  HUe  in  Leipsig.  —  Druck  und  Verlag  von  Friedrich  Andreas  Perthes  in  Gotha 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsschrift 


rar 


Förderung  der  landesgeschichtlichen  Forschung 

n.  Band  Februar  zgoz  5.  Heft 


Zur  Ortsnatnenfor sehung 

Von 
Gustav  Hey  (Döbeln) 

Wenn  auf  dem  weiten  und  schwierigen  Gebiete  der  Ortsnamen- 
forschung ein  neuer  Streifzug  unternommen  worden  ist  und  mancherlei 
bedeutsame  Ergebnisse  gebracht  hat,  so  darf  dies  immer  mit  Freuden 
begrüfst  werden;  denn  vieler  Kräfte  und  Einzelforschungen  bedarf  es, 
um  diese  wichtige  geschichtliche  Hilfswissenschaft  zu  einem  grofsen, 
wohlgegründeten  Ganzen  auszubauen.  Dankenswert  ist  es  daher  auch, 
dafe  kürzlich  in  dieser  Zeitschrift  *)  Herr  Prof.  Wäschke  vom  Gymnasium 
in  Dessau  das  Wort  ergriffen  hat,  um  sich  als  kundiger  Fachmann 
über  die  junge  Wissenschaft  auszusprechen.  Indessen  eine  gewisse 
Einschränkung  muis  dieser  Dank  doch  erleiden,  da  unterschiedslos 
alle  bisher  auf  diesem  Gebiete  thätig  gewesenen  Forscher,  selbst  die 
gewissenhaftesten,  dort  bedeutet  werden,  daCs  sie  noch  nicht  die  rechten 
Wege  gewandelt  sind.  Auch  ich  bin  wenig  davon  erbaut,  wenn  ich 
mir  nun  sagen  mufs,  dais  meine  seit  einem  Menschenalter  mit  redlichem 
Bemühen  gepflegten  Namenstudien  gleichfalls  vor  der  Kritik  W.'s  nicht 
bestehen  sollen,  sintemal  es  bisher  überhaupt  an  der  rechten  Methodik 
auf  diesem  Gebiete  noch  gefehlt  habe.  Da  ich  mir  der  schweren 
Schuld  unwissenschaftlichen  Verfahrens  eigentlich  nicht  bewuist  bin, 
so  bitte  ich  mir  eine  Gegenäufserung  zu  gestatten,  die  ruhig  und  rein 
sachlich  sein  soll,  und  dies  um  so  mehr,  als  es  die  gleiche  Anstalt 
ist,  an  der  ich  einst  als  Schüler  die  Liebe  zur  Sprachforschung  ge- 
wonnen habe,  und  an  der  heute  W.  als  Lehrer  wirkt. 

In  der  löblichen  Absicht,  die  Verständigung  unter  den  Namen- 
forschem und  die  notwendige  Einheitlichkeit  des  wissenschaftlichen  Ver- 
fahrens zu  fördern,  hat  W.  es  unternommen,  feste  Grundlagen  zu  schaffen 
und  eine  Methodik  der  Ortsnamenforschung  aufzustellen;  er 
will  die  rechten  Bahnen  weisen,   damit  man  endlich  zu  gesicherten, 

1)  L  Band,  S.  353—370. 


—      122     — 

wissenschaftlich  wertvollen  und  verwendbaren  Ergebnissen  gelange. 
Wie  notwendig  es  sei,  in  der  bisherigen  Behandlung  der  Namenkunde 
Wandel  zu  schaffen,  ergiebt  sich  für  ihn  aus  einem  Überblick  über 
das  bisher  darin  Geleistete.  Nachdem  er  die  Naivität  früherer  unwissen- 
schaftlicher Namendeuterei  mit  Recht  gekennzeichnet,  und  indem  er 
sich  der  neueren  Forschung  zuwendet,  findet  er,  dafs  auch  hier  bei 
aller  sprachlichen  Kenntnis  und  historischen  Bildung  doch  philologischer 
Dogmatismus  und  infolge  der  Vorliebe  für  irgend  eine  Sprache  oder 
Theorie  Einseitigkeit,  also  noch  immer  Unwissenschaftlichkeit  herrsche. 
Zwei  Kategorien  von  Forschern  werden  hier  unterschieden,  Kelto- 
manen  und  Slavophilen,  beide  werden  gleichermafsen  verurteilt. 
Wenn  das  den  ersteren  gegenüber  im  allgemeinen  mit  Recht  geschieht, 
so  kann  das  Urteil  bezüglich  der  zweiten,  mit  jener  ganz  gleichwertig 
gesetzten  Kategorie  doch  in  seiner  Allgemeinheit  nun  und  nimmer  als 
zu  Recht  bestehend  anerkannt  werden.  Schon  die  auf  Einseitigkeit 
deutende  Bezeichnung  Slavophilen  ist  für  die  Mehrzahl  der  angeführten 
Namenforscher  nicht  zutreffend,  da  es  sich  hinsichtlich  der  Osthälfte 
Deutschlands  um  die  selbstverständliche  Notwendigkeit  handelt,  nicht 
nur  die  Tausende  ersichtlich  slavischer  Namen  natürlicherweise  aus 
dem  Slavischen  zu  erklären ,  sondern  ebenso  auch  auf  Grund  der  ur- 
kundlichen Formen  die  sehr  grofse  Zahl  derer,  welchen  man  bei  dem 
deutschen  Gewände,  das  sie  tragen,  nicht  ohne  weiteres  die  fremde 
Herkunft  anmerkt:  ich  meine  zahlreiche  Namen  auf  — bürg,  — bach^ 
— thal,  — feld,  — hain,  — rode,  — leben,  — hausen  u.  s.  w.  *),  bei  denen 
die  kräftige  Volksetymologie  ihr  oft  wunderliches  Spiel  getrieben  hat. 
Es  kann  doch  nicht  von  einer  Vorliebe  oder  Voreingenommenheit  die 
Rede  sein,  wenn  auch  solche  Ortsbezeichnungen  auf  das  Slavische 
zurückgeführt  werden.  Und  selbst  wenn  von  den  „Slavophilen**  hier 
und  da  ein  seinem  Ursprünge  nach  nicht  ganz  durchsichtiger  Name 
mit  Unrecht  aus  der  fremden  Sprache  zu  erklären  gesucht  wird,  so 
begründet  auch  dies  noch  nicht  den  bezeichneten  Vorwurf.  Ich 
habe  in  meinem  Buche :  Die  Slavischen  Siedelungen  im  Königreich 
Sachsen  *)  einen  ganzen  Abschnitt  fremdklingenden  Namen  ')  gewidmet^ 

i)  Z.  B.  Loburg,  Lofsbarg,  Kaseburg,  Ratzebarg  —  Bodenbach,  Laubach,  Garsebach,. 
Starrbach  —  Rofsthal,  Mockethal  —  Ticfenau  —  Zenchfeld  —  Geithain,  Zeithain,  Zöthaio, 
Löthain,  Otteuhain,  Weitschenhain,  Pappertshain,  Komhain,  Bomshain,  Borgishain,  Stünz- 
hain  —  Golberode,  Matzscherode,  Wiederoda  —  Blattersleben,  Paschleben,  Gorsieben,. 
Safsleben,  Wafslebcn  —  Goldhausen,  Zackelhaasen  n.  a. 

2)  Dresden  1893. 

3)  Z.  B.  Bahra,  Dröda,  Lausche,  Rodewisch,  Otterwisch,  Otterschütz,  Spechtritz,. 
Denkeritz  u.  a. 


—      123     — 

die  leicht  als  wendische  gelten  könnten,  und  die  doch  auf  Grund  ihrer 
ehemaligen  oder  analoger  Formen  als  deutsche  zu  erklären  sind. 
Aufeerdem  habe  ich,  wie  aus  anderem  hervorgeht,  auch  die  ganze  Schar 
der  deutschen  ON.  in  Sachsen  mit  dem  gleichen  Eifer  durchforscht. 
Angesichts  solcher  rein  sachlichen  Behandlung,  die  dem  Deutschen 
wie  dem  Slavischen  in  gleicher  Weise  gerecht  wird,  ist  es  ungerecht- 
fertigt, von  einseitiger  Slavophilie  zu  sprechen.  Das  gleiche  gilt  auch 
für  etliche  andere  der  von  W.  genannten  Forscher.  Aufser  dieser 
Unparteilichkeit  erlaube  ich  mir  aber  auch  noch  anderes  für  mich  in 
Anspruch  zu  nehmen. 

Wenn  W.,  um  dem  Unwesen  im  Etymologisieren  zu  steuern,  eine 
Reihe  von  Grundsätzen  aufstellt  und  damit  etwas  Neues  zu  bieten 
scheint,  so  ist  dem  entgegenzuhalten,  dafs  diese  Sätze  nicht  nur  that- 
sächlich  schon  befolgt ,  sondern  auch  ausdrücklich  von  mir  *)  bereits 
früher  festgestellt  worden  sind. 

W.  sagt:  i)  ,,Es  ist  notwendig,  die  gesamten  erreichbaren  Formen 
eines  Ortsnamens  festzustellen,  in  der  historischen  Überlieferung  die 
älteste  Form  zu  erkennen  und  auf  dieser  Form  in  stetem  Hinblick  auf 
die  Reihe  der  Überlieferung  und  die  Überlieferung  und  Bildung  gleich- 
artiger Namensformen  die  sprachliche  Deutung  aufzubauen."  In  meinen 
„Siedelungen"  S.  29  ist  zu  lesen:  „So  ergiebt  sich  als  erstes  Haupt- 
erfordemis  für  die  Namendeutung  die  Notwendigkeit,  die  ältesten  uns 
überlieferten  Namensformen,  welche  möglichst  nahe  an  den  Ursprung 
heranreichen,  aus  den  Urkunden  herbeizuziehen  und  darauf  die  Erklärung 
zu  gründen."  W.  fügt  seinem  ersten  Grundsatze  hinzu,  es  sei  zu  warnen 
vor  der  kritiklosen  Benutzung  der  Überlieferung,  und  stellt  als  2.  Gesetz 
auf:  „Die  Überlieferung  der  Ortsnamen  bedarf  zu  ihrer  Sicherung  des 
Zurückgreifens  auf  die  ersten  und  besten  Quellen  und  dabei  der  steten 
Berücksichtigung  der  diplomatischen  und  philologisch-historischen  Kri- 
tik." Dieser  Punkt  hat  in  den  „Siedelungen"  schon  vielfach  thatsäch- 
liche  Berücksichtigung  erfahren,  z.  B.  bei  Blastnwicz,  Meuckewicz, 
Komerant,  Mutitsctn,  Kolschowe,  Lostaua,  Limmriiz  u,  s.  w. 

Das  3.  Gesetz  lautet:  „Die  Entscheidung  über  sprachliche  Zu- 
gehörigkeit der  einzelnen  Ortsnamen  mufs  ohne  jedes  Vorurteil  sich 
rein  auf  die  durch  die  Kritik  gesicherte  historische  Reihe  der  über- 
lieferten Formen  gründen;  im  Zweifel  müssen  die  sprachlichen  That- 
sachen  ihre  Sicherung  durch   die  Analogie  sowie   durch  die  Sonstige 


1)  Die  Slaviscfun  Ortsnamen  des  Königsreichs  Sachsen,    Prognmin,  Döbeln  1883, 
S.  4ff.  und  Slavische  Stedelungen  (1893),  S.  39 ff. 

9  ♦ 


—     124     — 

geschichtliche  Überlieferung  suchen."     Auch  dieser  Grundsatz  ist  von 
mir  bereits  praktisch  befolgt  worden  *). 

Als  4.  Forderung  wird  geltend  gemacht:  „Die  Deutung  des  Orts- 
namens mufs  eine  vollständige,  d.  h.  den  gesamten  Lautgehalt  desselben 
durchaus  erschöpfende  sein."  Das  deckt  sich  mit  dem,  was  von  mir 
in  den  „Siedelungen**  S.  31  als  7.  Punkt  verlangt  wird,  dafe  in  slavischen 
Namen  die  mannigfaltigen  und  so  wesentlichen  Suffixe  eine  besondere 
Rücksichtnahme  erfordern,  da  es  mit  dem  Auffinden  des  Stammwortes, 
dem  „Wurzelfinden**  nimmermehr  abgethan  sein  kann.  Hiermit  steht 
W.'s  5.  Satz  in  engstem  Zusammenhange,  nämlich  „die  Deutung 
zusammengesetzter  Ortsnamen  vom  zweiten  Gliede  der  Komposition 
(oder  der  Endung)  ausgehend  vorzunehmen,  weil  diese  gegenüber 
dem  ersten  Gliede  das  allgemeinere,  darum  der  Forschung  im  all- 
gemeinen zugänglichere  Element  enthalte.**  In  dieser  Hinsicht  heifst 
es  in  meinen  „Siedelungen**,  dafs,  obschon  die  Suffixe  oft  sehr  ver- 
wittert und  verwischt  seien,  doch  oft  erst  nach  ihrer  richtigen  Erkennung 
das  rechte  Stammwort  hervortrete.  Damit  ist  zugleich  auf  einen  von 
W.  nicht  berührten  Übelstand  hingewiesen,  dafs  nämlich  gerade  am 
Schlüsse  oft  die  stärkste  Entstelltmg  eines  Namens  eingetreten  ist  und 
verschiedene  Suffixe  in  den  gegenwärtigen  und  urkimdlichen  deutschen 
Formen  nicht  selten  zusammenfallen,  weil  man  die  feinere  lautliche 
Unterscheidung  nicht  immer  festzuhalten  im  stände  war.  Ist  doch  das 
zahllose  Namen  schliefsende  -iiz  f-ütz)  hervorgegangen  aus  -ica,  -icy, 
•4ca,  -^cy,  -tl^tS,  -uM,  sogar  aus  -m;  ja,  es  finden  sich  Fälle,  wo  es 
einem  Wurzelworte  entspringt.  Wie  schwierig  gestaltet  sich  so  die 
richtige  Erkenntnis  und  Wiederherstellung  der  ursprünglichen  Endung, 
des  eigentlichen  Wortausganges!  Mufs  man  da  nicht  zunächst  den 
ersten  Namensteil  feststellen?  Hier  hilft  zu  allermeist  aus  der  Not, 
was  W.  ebenfalls  aulser  acht  gelassen  hat :  Bei  allen  Deutungen  slavisch- 
dcutscher  Namen  sind,  und  das  ist  von  mir  unter  6.  mit  besonderer 
Betonung  gefordert,  unbedingt  die  Namen  des  ganzen  weiteren  heutigen 
wie  auch  ehemaligen  Slavengebietes  aufs  sorgfältigste  mit  heranzuziehen. 
Denn  verhältnismäßig  selten  ist  es,  dafs  ein  altwendischer  Ortsname 
in  deutschem  Gebiete  nicht  mit  dem  entsprechenden  aus  der  gegen- 
wärtigen Slavenwelt  belegt  werden  könnte.  Die  Ermittelung  solcher 
Analogien  ist  von  der  alleigrölsten  Wichtigkeit 


i)  S.  z.  B.  Wei8chlitz(Die  sl.  Siedelongtn  im  alten  Vogtland  in  Dohlen  Zeitschrift  „Unser 
Vogtland '<  III,  S.  158),  Sohland  (Die  sL  S.  im  Königreich  Sachsen,  315),  Schirgiswalde, 
(314),  besonders  Brandis  and  verwandtes  (48,  49),  sowie  die  oben  genannten  Bahra, 
Rodewisch  n.  s.  w. 


—     125     — 

Wenn  endlich  (6.)  W.  auf  die  sogenannte  Realprobe  zu  sprechen 
kommt  und  meint,  da(s  zur  Sicherung  der  durch  sprachliche  Unter- 
suchtmg  gefundenen  Deutung  des  Ortsnamens  das  Ergebnis  an  den 
geographischen  und  historischen  Verhältnissen  des  betreffenden  Ortes 
geprüft  werden  mufs,  so  ist  auch  dessen  von  mir  gedacht  worden: 
unter  Nr.  3  (S.  30)  ist  für  gewisse  Fälle  die  Berücksichtigung  der  Ver- 
hältnisse des  Ortes  und  seiner  Umgebung  besonders  verlangt. 

Aus  diesen  Darlegungen  erhellt,  dafs  die  von  W.  zur  Methodik 
der  Ortsnamenforschung  aufjg^estellten  Gesetze  nicht  eigentlich  Neues 
bieten,  dafs  sie  bereits  zum  Ausdruck  gebracht,  auch  bereits  gewissen- 
haft beobachtet  und  die  von  ihm  gewiesenen  Wege  schon  achtsam 
begangen  worden  sind.  Wäre  es  nicht  am  Platze  gewesen,  da  ja  W. 
meine  „Siedelungen'*  nebst  den  kleineren  Abhandlungen^)  namhaft 
macht,  auch  auf  die  darin  aufgestellten  Grundsätze  Bezug  zu  nehmen? 
Jedenfalls  hätte  S.  256  Anm.  auf  meine  Arbeiten  besonders  hingewiesen 
werden  sollen. 

Im  Vorhergehenden  sind  den  Forderungen  W.'s  bereits  ein  paar 
wesentliche  Punkte  hinzuzufügen  gewesen,  doch  zu  einer  methodischen 
Behandlung  unseres  Gegenstandes  ist  noch  einiges  Weitere  erforderlich. 

Die  altwendischen  Namen  sind  bei  ihrem  Übertritt  in  die  deutsche 
Form  und  ihrer  Weiterentwickelung  durchaus  nicht  völliger  Willkür 
unterworfen  gewesen,  vielmehr  hat  sich  der  Wandel  der  Laute  mit 
einer  leidlichen  Regelmäfsigkeit  und  im  Anschlufs  an  die  deutsche 
Lautlehre  vollzogen,  so  dafs  gewisse  mehr  oder  minder  feste  Lautgesetze 
sich  aufisteilen  lassen,  welchen  ebenso  wie  den  slavischen  Rechnung 
getragen  werden  mufs  *).  Ferner  mufs  eine  besondere  Sitte  der  Slaven 
berücksichtigt  werden ,  nach  der  auf  Grund  des  natürlichen  Sippen- 
verhältnisses den  Ortschaften  wenigstens  der  ältesten  Zeit  eine  patro- 
nymische  Bozeichnimg  —  im  weiteren  Sinne  —  g^eben  wurde,  so  dafs 
wir  in  den  weitaus  meisten  Fällen  in  den  Ortsnamen  solche  personaler 
Art  zu  erwarten  haben.  Im  Königreich  Sachsen  sind  zwei  Drittel  der 
altwendischen  Ortsbezeichnungen  von  Personennamen  abgeleitet, 
ein  Drittel  von  Appellativen ;  auf  Rügen  sind  die  Geschlechtssitze  und 
Besitzdörfer  sogar  in  noch  weit  stärkerem  Mafse  überwiegend.  Bei 
Ermittelung  der  Personennamen  hat  man  aber  wiederum  auf  den  grofisen 
Unterschied  Bedacht  zu  nehmen,  welcher  zwischen  slavischer  und 
deutscher  Personenbenennung  besteht,  insofern  jene  zum  weitaus  gröfsten 

1)  S.  259—260  Anm. 

2)  S.  SiedeL  30.  Es  sei  hier  nur  des  deotschen  UmlantgeseUes  gedacht,  welches 
auch  für  die  slarisch-dentschen  Namen  gilt 


i 


—     126     — 

Teile  mit  Suffixen  der  mannigfaltigsten  Art  —  etwa  loo  — ,  sogar 
Doppelsuffixen,  diese  dagegen,  wie  bekannt,  vorzugsweise  durch  Zu- 
sammenfügung zweier  Nomina  gebildet  sind  *).  Bei  den  fremden 
personalen  Ortsnamen  ist  es  sehr  häufig  notwendig,  zweierlei  Nominal- 
bildungssilben  genau  zu  ermitteln  *).  Endlich  ist  es  wohl  nicht  über- 
flüssig, darauf  hinzuweisen,  dafe  dem  Namenforscher  ein  sehr  weiter 
Umblick  auf  seinem  Gebiete  eigen  sein  und  ein  sehr  umfangreiches 
Material  zur  Verfügung  stehen  mufs.  Er  hat  sich  in  stiller,  mühevoller 
Arbeit  Sammlungen  von  Namen  anzulegen,  und  zwar  erstens  nach 
Landschaften  (mit  möglichst  zahlreichen  urkundhchen  Belegen), 
zweitens  nach  ihrer  Bildungsform,  und  drittens  mit  Rücksicht  auf 
den  Wandel  der  lautlichen  Verhältnisse,  um  nach  jeder  Richtung 
hin  seine  Erklärungen  sicher  zu  gründen.  Hat  er  sich  mit  solchem 
Handwerks-  und  Rüstzeug  versehen,  und  wird  er  den  dargelegten  ver- 
schiedenartigen Forderungen  gerecht,  dann  wird  es  ihm  wohl  zu  aller- 
meist gelingen,  zutreffende,  überzeugungskräftige  Deutimgen  zu  erzielen 
und  mit  der  genauen  Wiederherstellung  der  alten  Namensformen  das 
Bild  der  ehemaligen  Wirklichkeit  getreu  oder  wenigstens  mit  annähernder 
Treue  zu  erneuern. 

Nachdem  so  das  Methodische  in  W.*s  Ausführungen  erörtert  ist, 
dürfte  es  von  Interesse  sein,  an  den  von  ihm  gegebenen  Deutungs- 
beispielcn  die  Probe  zu  machen,  ob  und  inwieweit  er  selbst  den  von 
ihm  aufgestellten  Forderungen  entsprochen  hat. 

Das  wunderliche  Güterglück  diente  W.  als  Ausgangspunkt,  ein 
Name,  der  in  seiner  gegenwärtigen  Gestalt  eine  so  ansprechende  Volks- 
etymologie darstellt,  aber  mit  seinen  älteren  urkundlichen  Formen 
Jutercltc,  'kltk,  -klick»  -klyck  uns  sofort  fremdartig  erscheint.  Über 
seine  slavische  Abkunft  ist  W.  nicht  im  Zweifel,  liegt  doch  auch  der 
Ort  inmitten  altwendischer  Landschaft.  Wenn  aber  die  Erklänmg  des 
Namens  —  entsprechend  der  Ansicht  Stiers  —  dahin  versucht  wird, 
es  liege  hier  ein  Determinativkompositum  vor  yind/uter-kltk  bedeute 
„Steinhaufen,  Denkmal,  Altar  des  altwendischen  Gottes  der  Morgen- 
röte**, so  muls  man  doch  fragen:  seit  wann  ist  Jutro,  das  einfach 
„Morgen**    bedeutet,    der   Gott   der  Morgenröte,   der   doch.  Jutrobog 


i 


1)  VgL  diese  Zeitschrift  I.  Band,  S.  61  —  62. 

2)  Als  Beispiel  diene  Lobfjün,  961  Ltubuhun,  1125  Lohechune  und  Liubeguni^ 
II 56  Luhechunty  1201  Lubechun,  1204  Livbicune  =  Ljüb-och-yn  +  ja  (Femin.), 
Ljubochyru^  wie  Lih(o)chynli  in  Böhmen  =  Heim  des  Ljubockyn^  d.  i.  Liebermann 
(Tgl.  anch  Malochytus  Böhm).  Der  Fall  gehört  zwar  mit  unter  das  oben  genannte 
4.  Gesetz,  ist  indes  doch  in  seiner  Besonderheit  eigens  herrorznheben. 


—     127     — 

heifst,  d.  i.  Morgen — gott?  Und  weiter,  wo  findet  sich  ein  Wort  klik 
im  Sinne  von  Steinhaufen  oder  Denkmal?  Die  Deutung  des  zweiten 
Wortbestandteiles  ist  rein  aus  der  Luft  gegriffen,  und  damit  fehlt  W. 
gegen  sein  viertes  Gesetz,  welches  eine  den  gesamtenLautgehalt 
erschöpfende  Erklärung  verlangt,  sowie  gegen  das  sechste,  welches 
fordert ,  die  Deutung  zusammengesetzter  Ortsnamen  habe  vom  zweiten 
Gliede  auszugehen.  Ihm  wie  Stier  stand  fest:  das  erste  Glied  be- 
zeichnet den  Gott  der  Morgenröte,  also  mufe  das  zweite  wohl  einen 
Steinaltar  bezeichnen.  Die  Sache  liegt  ganz  anders.  Wenn  man 
—  nach  meiner  Forderung  —  die  Namen  des  weiteren  Slavengebietes 
mit  heranzieht,  so  findet  man  z.  B.  in  Böhmen  Schaboglück,  tschech. 
iahokliky.  Der  Name  ist  eine  leicht  erkennbare  Zusammensetzung 
aus  Mba  Frosch  und  klik',  der  Nebenform  von  krik-  *),  asl.  klikxk  = 
krtku,  tsch.  krtk  Geschrei,  asl.  klikati  =  tsch.  krikati,  dial.  klikatt 
schreien,  quäken;  das  ergab  einen  Kindemamen  iaboklik  =  der  wie 
ein  Frosch  schreit  und  quäkt;  der  Kindemame  verblieb  als  Spitzname, 
wie  es  häufig  der  Fall  war,  auch  dem  Manne,  und  von  diesem  iaboklik 
stammt  in  pluralischer  Form  Familie  und  Dorf  iabokliky.  Aus  guten 
Gründen  erkläre  ich  so,  und  nicht:  „die  Froschquaker".  Der  Name 
deckt  sich  vollständig  mit  iabov'resky  in  Böhmen,  wobei  tsch.  vreskati, 
vHskati  schreien,  kreischen,  vresk  Geschrei,  Geplärre,  Quäken  zu 
Grunde  liegt.  Und  zur  weiteren  Sicherung  sei  auch  noch  iabokry^ 
und  iabokry^ka  in  Rufsl.  hinzugefügt.  Von  selbst  ergiebt  sich  nun, 
da  asl.  jutro  früh,  morgens,  tsch.  jitro,  alttsch.  jutro,  ohwend.  julro, 
jitro  Morgen  bedeutet:  Güterglück  — Juter  klik  =  Viva,  /utrokliky  = 
Familie  und  Dorf  des  Jutroklik,  des  Mannes,  der  als  Kind  ein  Früh- 
quäker, ein  Frühmoigenschreier  war.  Bei  einer  Kombination  der  in 
Schulzes  Ortschaften  des  Herzogtums  Anhalt  (S.  20,  21)  einander 
gegenüberstehenden  Namen  Jütrichau  und  Klieken  wäre  der  Fund  auch 
für  andere  leicht  zu  machen  gewesen.  Das  klingt  nun  freilich  recht 
nüchtern-prosaisch  gegenüber  der  sinnigen  Deutung  „Altar  des  Gottes 
der  Morgenröte";  dieses  ist  Dichtung,  jenes  Wahrheit.  Wollte  man 
zu  ihrer  weiteren  Erhärtung  die  zahkeichen  slavischen  Ortsnamen  noch 
heranziehen,  in  denen  sich  ein  solcher  Kinder-  oder  Neckname  verbirgt, 
die  uns  also  Wohnorte  des  Schreiers,  Kreischers,  Quäkers,  Brüllers, 
Blökers ,   Heulers ,   Heulmeiers,  Schreihalses  u.  s.  w.,  darstellen  *) ,   so 


1)  Miklosicb,  Etym.  WB.  140. 

2)  SUr.  Kvtl,  Kvilci,  Kntk,  Krtk,  PokHk,  KHc,  KHcen,  Skrck,  Brek,  Breh,  Sek, 
Bec,  Hrejk,  Ryk,  kik,  Zak,  Buk,  Bukol,  Bukact,  Fh'Sek,  Skuhra,  Styskal,  Sipan, 
Wujer  —  mit  einem  halben  Hundert  hiervon  gebildeter  Ortsnamen  liefse  sich  aufwarten. 


—     128     — 

dürfte  niemand  gegen  die  gegebene  Deutung  von  Güterglück  etwas 
noch  einzuwenden  haben. 

Von  dem  erwähnten  jutro,  jitro  stammen  auch,  und  zwar  aus  den 
daher  rührenden  Personennamen  Jutrich,  Jutroä,  Jitroä,  fem.  JitroSa  = 
Frühauf  gebildet  *),  die  Ortsnamen  Jütirichau  b.  2^rbst  =  Juirichov, 
Gittersee  oder  Güttersee  b.  Dresden,  urk.  Gittersin,  JeÜrstn,  Gitterfse, 
Gitttrsch^  =  Adj.  JutroÜn,  Jüröiin  =  Besitz  eines  Jutroi,  Jitrol^ 
genau  so  Gütersee  b.  Köthen  und  gleichwertig  damit  das  eingegangene 
Jüterssow  bei  Bergen  auf  Rügen  =  Jutroiov  *).  Damit  wird  wohl 
W/s  Vermutung,  es  möchte  sich  in  dem  Gütersee  ein  Gude  wie  in 
Gudebiegen  verbergen,  hinfallig.  Leider  mu(s  ich  auch  noch  an  der 
Deutung  vovl  Güsten  rütteln,  dem  W.  mit  vollster  Überzeugimg  das 
Deutschtum  gerettet  zu  haben  meint,  indem  er  es  als  Wodansstein 
erklärt.  Um  zunächst  vom  Sprachlichen  ganz  abzusehen:  meint  W. 
wirklich,  es  habe  sich  als  ein  Unikum  in  Anhalt  eine  Ansiedelung  aus 
heidnischer  Germanenzeit  erhalten?  Denn  in  der  nachslavischen, 
deutschen,  christlichen  Zeit  Anhalts  ist  doch  wohl  die  Gründung  eines 
Ortes  mit  dem  Namen  Wodansstein  imdenkbar.  Nun  wird  freilich 
Bezug  genommen  auf  das  Charakteristische  der  örtlichkeit  und  auf 
den  gewaltigen  erratischen  Block,  die  „Speckseite**,  hingewiesen. 
Schön;  indes  trotz  seiner  erdrückenden  Wucht  vermag  der  Felsblock 
doch  nicht  die  Deutung,  wie  behauptet  wird,  sicher  zu  stellen.  So 
bedeutsam  und  charakteristisch  dürfte  er  doch  nicht  sein,  da(s  der 
ganze  Ort  danach  benannt  worden  wäre,  und  vielleicht  ist  er  auch 
nur  ein  Findling  der  Art,  wie  ich  einen  solchen  als  Knabe  bei  Dessau 
unweit  der  Rodebille  gesehen  habe,  und  wie  es  so  viele  in  Nord- 
deutschland giebt,  ohne  dais  man  davon  eine  Ortsbenennung  entlehnt 
hätte.  Vom  Standpunkte  der  Sprachwissenschaft  aber  fallt  es  recht 
schwer,  an  eine  Entwickelungsreihe  zu  glauben,  die  von  Wotanesstetn 
über  Gutstein  zu  Güsten  führt.  Vor  allem  fehlt  es  hier  an  der  Be- 
gründung des  Umlautes  ü,  und  geradezu  unglaublich  ist  es,  dafs  ein 
ursprüngliches  Wotanesstetn  bereits  1228  zu  Guzten  und  Gozene 
verunstaltet  gewesen  sein  sollte  ^). 

1)  Wohlbezengt,  s.  Miklosich,  Die  Bildang  der  slav.  Personennamen  Nr.  475. 

2)  Vgl.  meine  Siedeltingen  (1893)  S.  97.  Günther  in  Pädag.  AbbandL  Neue  Folge 
m,  2  (1898). 

3)  Die  echten  Wodansorte  sind  entschieden  weit  weniger  entstellt:  der  Wodans« 
berg  1277  in  der  Gegend  von  Artem,  Wodenesberg — Godesberg,  Wodeneswege— Gutens- 
wegen,  Wotaneshnsen  —  1261  Gatenshnsen,  jetzt  Gntmannshansen.  VgL  aoch  die  Wamiing 
Förstemanns,  Die  deutschen  Ortsnamen  S.  171!.,  bezüglich  ungerechtfertigter  Deatimgea 
aus  Gdttemamen,  sowie  W.'s  eigene  Bemerkung  bezüglich  Godenham  S,  266  Anmerkung« 


—     129     — 

Betrachten  wir  unbefangnen  die  alten  Namensformen  von  Güsten^ 
das  in  Urkmiden  des  XIII.  und  XIV.  Jahrhunderts  im  Codex  dipL 
Anhalt.  25  mal  uns  begegnet,  und  zwar  in  zeitlicher  Folge  von  1224 — 
1300  als  Gutstetn  (statt  Guzsteinf),  Guzten,  Gozene  (=  Goztene\ 
Guczstetn,  Gozzeve  {-ene^),  Gozzene,  Guzsten  (2 mal),  Goztene, 
Gozstein,  sodann  von  1301 — 1393  als  Gozstein,  Gozsten,  Guzten, 
Gozsten,  Guesten,  Guzsten  (2),  Gozsten,  Güsten,  Ghozsten,  Gusten, 
Ghusteyn,  Ghüsten,  Gusten,  Gtistem  —  erinnern  diese  nicht  eher 
an  das  Slavische  als  an  das  Deutsche?  Sie  lassen  sich  kaum  trennen 
von  den  ganz  ähnlichen  Namensformen  eines  eingegangenen  Dorfes 
im  Kreise  Salzwedel,  das  1420  Gusttn  heifst,  1492  Godstetn  (!), 
1514  Crtestynn,  1557  Gutstin  (!),  1676  Güttstten  (!),  zu  Anfang  des 
XVIII.  Jahrhunderts  Gutstetn  (!)  *).  Sollten  wir  denn  auch  hier  einen 
Wodansstein  vor  uns  haben?  Es  kann  kein  Zweifel  sein,  die  Namen 
sind  von  derselben  Sippe,  zu  der  auch  die  folgenden  gehören :  Gestien 
im  Kr.  Osterburg,  1253  vüla  slauicalts  que  Gutzin  (=  Guztiri) 
vocatur,  später  Gusttn  und  Gustyn — ,  Gottschdorf  i.  Sachsen,  1225 
Goztin,  im  XV.  Jahrhundert  Gotczil/s,  Gottschs-,  Goczsch-,  Gotsdorff — , 
Gastewitz  b.  Mutzschen  i.  S.,  1282  Goztanewizt — ,  Kofswig  b.  Kalau, 
1004  Goztewissi — ,  Gestewitz  b.  Camburg,  1225  Gustiz — ,  Gofswitz 
b.  Löbau,  wend.  Hosöinecy,  1420  Gustilwicz  u.  s.  w.  —  Gustelwitz 
i.  Brandenburg  — ,  Güstelitz  auf  Rügen,  urk.  Ghtistelitz  — ,  Güster 
auf  Rügen,  urk.  Gtcsteraditze  — ,  Gostritz  b.  Dresden,  1453  Gustir^ 
ticz  u.  s.  w.  —  sowie  Gostyü  Pos.,  Hostyn,  Hostync  u.  s.  w.  in  Böhmen, 
die  alle  von  asl.  gostt,  altwend.  gost,  tsch.  host  (=  Gast,  Fremder) 
abzuleiten  sind.  Da  die  Namensformen  von  Güsten  6  mal  mit  dem 
Ausgange  -ein  (eyn),  4  mal  mit  ^ene  (bez.  eve\  1 5  mal  mit  -^«,  aber 
keinmal  mit  -in  auftreten,  so  wird  man  davon  abzusehen  haben,  den 
Personennamen  G ostin  oder  Gostyn  zu  Grunde  zu  legen,  und  ebenso 
kann  natürlich  auch  altw.  gt^stina,  tschech.  hustina  (=  Dickicht)  nicht 
in  Betracht  kommen.  Man  muis  annehmen,  dais  die  neben  -ein  in 
den  ältesten  Formen  auftretenden  -en  und  -ene  als  an  und  me  zu 
gelten  haben  und  ei  wie  a  das  slavische  i  (=  je,  i* )  darstellen  sollen. 
So  kommt  man  zu  dem  Ergebnis,  dafe  Güsten  ebenso  wie  Hostenice 
in  Mähren  auf  den  Personennamen  Gosten,  bulg.  Gosten^  tsch. 
Hosten  ')  zurückzuführen  sein  wird.  In  einem  ursprünglichen  Gosten^yü, 


1)  So  nach  gütiger  Mitteilung  des  Herrn  SUdUrchivars  Dr.  Siebcrt  in  Zerbst. 

3)  S.  Brückner,  Die  sl.  Ansiedelangen  in  der  Altmark  S.  34. 

3)  Fem.  Hofttena,  urk.  Gosten,  Gostena.    Miklosich.  Sl.  Fers.  Namen  S.  224.  265. 


—     130     — 

Gosie'n^  pol.  Goscten,  oder  im  Plural  Gosteny  finden  alle  urkundlichen 
Formen  des  Ortsnamens  ihre  einfache  Begründung-  und  Erklärung*. 
Dieser  Etymologie  steht  weder  der  dem  Stammvokal  folgende  Dental- 
laut der  ältesten  Form  hindernd  entgegen,  denn  er  erscheint  ja  nicht 
weniger  als  viermal  auch  in  den  urk.  Formen  von  Gusttn,  und  ist 
dient  wie  zst,  czst  lediglich  ziu:  Darstellung  des  scharfen  slav.  st\  noch 
spricht  das  so  häufig  hier  erscheinende  z  dagegen,  denn  z  ist  nur 
Stellvertreter  des  scharfen  s  in  Konsonantengruppen  wie  2/,  zk,  zl, 
zm,  zn,  zw  und  ist  gerade  bei  den  ältesten  Namensformen  so  belegt, 
dafs  daran  kein  Anstofs  genommen  werden  kann. 

Wogegen  hat  nun  W.  bei  der  Deutung  von  Güsten  verstofeen? 
Er  hat  die  historischen  Verhältnisse  des  Ortes,  deren  Prüfung  er  aus- 
drücklich verlangt,  nicht  in  der  gehörigen  Weise  beachtet,  indem  er 
den  Ursprung  des  Ortes  in  altgermanische  Zeit  hinaufrückte;  ebenso 
hat  er  bei  der  Entscheidung  über  die  sprachliche  Zugehörigkeit  des 
Namens  durch  den  zufällig  sechsmal  auftretenden  Wortausgang  -stein 
sich   beirren  lassen  und  so  seinem  dritten  Gesetze  gegenüber  gefehlt. 

Man  verstehe  mich  indessen  recht:  diese  Ansichtsäufeerungen 
sollen  keineswegs  einen  Vorwurf  ausdrücken!  Irrungen  solcher  Art 
sind  auf  dem  Felde  der  Namenforschung  möglich,  und  es  soll  nur 
nachgewiesen  sein,  mit  welchen  Schwierigkeiten  der  Forscher  auf  seinem 
Wege  oft  zu  kämpfen  hat,  wie  er  manchmal,  in  gutem  Glauben  und  Ver- 
trauen seinen  Pfad  verfolgend,  von  einem  Irrlicht  getäuscht  werden  kann. 

Am  Schlüsse  seiner  Ausführungen  weist  W.  mit  Recht  auf  den 
grofsen  Gewinn  hin,  der  aus  einer  wissenschaftlichen  Behand- 
lung der  Ortsnamen  erwächst.  Sie  sind  eine  kräftige  Quelle,  aus 
der  die  Erkenntnis  der  alten  Siedelungs-  und  Wirtschaftsverhältnisse,  wie 
auch  der  natürlichen  Verhältnisse  des  Bodens,  der  Pflanzen-  und 
Tierwelt  geschöpft  werden  kann.  Sie  bilden  eine  reiche  Fundgrube  für 
die  Sprachwissenschaft,  insofern  sie  viel  altes,  teilweise  ganz  abhanden 
gekommenes  Sprachgut  übermitteln  und,  was  die  altwendischen  Orts- 
namen anbelangt,  in  den  ältesten  Formen  uns  den  Wortschatz  eben 
dieser  Sprache  in  seiner  besondem  Gestaltung  überliefern.  Recht 
gewagt  aber,  ja  verfehlt  erscheint  der  Versuch,  aus  den  urkundlichen 
Formen,  die  uns  aus  den  letzten  Jahrhunderten  des  ehemaligen  Wenden- 
tums  überliefert  sind ,  den  Prozefs  der  allmählichen  Verwitterung  und 
Verderbnis  der  altwendischen  Sprache  in  den  deutsch  gewordenen 
Landschaften  erschliefsen  und  feststellen  zu  wollen :  haben  wir  doch 
in  den  urkundlichen  Formen  dieser  Zeit  die  bei  den  Deutschen 
landläufig  gewordenen,  so  oft  nur  mangelhaft  darstellbaren  Benennungen 


—     131     — 

zu  erkennen,  und  eine  Nebeneinanderstellung  urkundlich  überlieferter 
Ortsnamen  des  heutigen  Wendenlandes  mit  den  jetzt  dort  noch  üblichen 
echt  wendischen  Formen  würde  deutlich  beweisen,  dafe  die  Wenden 
ihr  Sprachgut  doch  besser  erhalten  haben,  als  es  in  den  überlieferten 
Namensformen  erscheint. 

Noch  eins  ist  als  besonderes  Ergebnis  hinzuzufügen :  Die  altwendischen 
personalen  Ortsnamen  sind  zugleich  ein  Spiegel  der  Volksart  und 
insonderheit  des  Kinderlebens  bei  den  einstigen  Bewohnern  unseres 
Landes.  Wie  giebt  sich  darin  die  ganze  nackte  Natürlichkeit  kund,  die 
ausgesprochenste  Naivität,  aber  auch  ein  scharf  ausgeprägter  Frohmut, 
eine  harmlose  Neck-  und  Spottlust  und  eine  eigentümliche  Zärtlichkeit 
im  Schofee  der  Familie.  In  der  That,  wer  sich  die  Mühe  nehmen 
will,  auch  darauf  hin  die  Namen  zu  untersuchen,  wird  ein  ganz  eigen- 
artiges Bild  von  den  Familien-  und  Volksverhältnissen  der  alten  Wenden 
empfangen,  ein  Bild,  zu  dem  in  rein  deutscher  Landschaft  wegen  des 
völlig  anders  gearteten  Volkscharakters  unserer  Nation  sich  nicht  die 
Spur  eines  Gegenstückes  finden  lassen  dürfte. 

Das  Thema  der  Methodik  der  Ortsnamenforschung  ist  von  Pro- 
fessor Wäschke  zur  Diskussion  gestellt  worden,  und  er  schliefet  damit, 
er  habe  nicht  in  dem  Bewufstsein  geschrieben,  nach  irgend  einer  Seite 
etwas  Abschliefeendes  beigebracht  zu  haben,  während  doch  der  Ton 
seiner  Erörterungen  —  wenigstens  nach  meinem  Gefühl  —  eigentlich 
einen  andern  Eindruck  hervorzurufen  geeignet  ist.  Nun,  ich  habe  zur 
Feder  gegriffen ,  um  mich  zur  Sache  zu  äufsern ,  den  Altersvorzug 
meiner  Ansichten  geltend  zu  machen,  sowie  meiner  leidlichen  Erfahrung 
und  meiner  Überzeugung  auf  diesem  Gebiete  Ausdruck  zu  geben. 
Möge  man  sich  versichert  halten,  dafs  auch  ich  weit  entfernt  davon 
bin,  den  Anspruch  zu  erheben,  dafs  ich  allen  einschlägigen  Fragen 
Abschlufs  und  Lösung  gegeben  hätte. 


Jiachwort 

Von 
Hermann  Wäschke  (Dessau) 

Eine  Diskussion  über  die  Methodik  der  Ortsnamenforschung  ein- 
zuleiten, war  meines  Aufsatzes  ausgesprochener  Zweck ;  dafs  ein  Forscher 
von  solcher  Bedeutung  wie  G.  Hey  das  Wort  ergreift,  um  die  Diskussion 
fortzuführen,  kann  allen,  denen  diese  Studien  am  Herzen  liegen,  nur 
erfreulich  sein.     Als  „dankenswert"  bezeichnet  der  verehrte  Gelehrte 


—     132     — 

mein  Beginnen,  und  das  ist  mir  in  Rücksicht  auf  den,  der  dies  Urteil 
fällte,  gewifs  sehr  schmeichelhaft,  und  selbst  wenn  er  nachträglich 
sagt,  dieser  Dank  müsse  eine  gewisse  Einschränkung  erleiden,  so  soli 
mir  das  den  Mut  nicht  kränken,  denn  wie  weit  jemand  in  einer  an 
sich  dankenswerten  Sache  den  Dank  selbst  bemessen  will,  das  steht 
ganz  in  seinem  Belieben. 

Wundersam  berührt  mich  nur  der  Umstand,  dafe  der  betreffende 
Forscher  seine  „Gegenäufeerung"  mit  der  Versicherung  einführt,  sie- 
solle „ruhig  und  rein  sachlich  sein,  und  dies  um  so  mehr,  als  es  die 
gleiche  Anstalt  ist,  an  der  er  einst  als  Schüler  die  Liebe  zur  Sprach- 
forschung gewonnen  habe,  und  an  der  heute  W.  als  Lehrer  wirkt**. 

Wozu?  —  so  frage  ich  mich  —  wozu  die  angedeutete  Rücksicht- 
nahme? Eine  rein  sachliche  Behandlung  scheint  mir  doch  darin  za 
bestehen,  dafs  man  erörtert: 

1.  Sind  die  aufgestellten  Forderungen  in  sich  berechtigt? 

2.  Sind  sie  ausreichend  und  richtig  begründet? 

Und  das  Ziel  der  Erörterung  ist:  der  Wahrheit  näher  zu 
kommen.  Das  alles  läfst  dem  Einwirken  rein  zufälliger  persönlicher 
Beziehungen  nicht  den  geringsten  Spielraum. 

Wozu  also  hielt  G.  Hey  die  Erwähnung  derselben,  und  noch  dazu 
in  diesem  Zusammenhange,  für  notwendig?  Offenbar,  weil  er  irgend 
etwas  in  meinen  Ausführungen  persönlich  aufjgefafst  hat,  und  zwar^ 
wie  ich  vermute,  die  Bezeichnung  „Slavophilen**  und  die  Unterlassung 
eines  Hinweises  darauf,  dafs  die  Leitsätze  zum  Teil  von  ihm  schon 
ähnlich  formuliert  waren.  Aber  das  erstere  müfete  dann,  wie  jeder 
unbefangene  Leser  zugeben  wird,  ein  Mifsverständnis  Heys  sein,  und 
das  letztere  hätte  ein  Zurückführen  der  Forderungen  und  Urteile  auf 
ihre  erste  Quelle  weit  über  Heys  Forschungen  zurück  und  damit  eine 
historische  Arbeit  nötig  gemacht,  die  unmöglich  im  Bereich  meiner 
Angabe  liegen  konnte.  Ich  meinte,  das  von  mir  erstrebte  Ziel  dadurch 
zu  erreichen,  dafs  ich  das  positive  Ergebnis  der  bisherigen  Erörterung  in 
den  Thesen  zusammenfafste  und  das,  was  mir  fehlerhaft  erschien, 
durch  einige  Beispiele  erläuterte;  war  damit  aber  so  weit  entfernt  von 
der  Anmafsung,  etwas  Neues  bieten  zu  wollen,  dafs  ich  ausdrücklich 
das  Gegenteil  ausgesprochen  habe. 

Was  aber  nun  die  Besprechung  der  Kernfrage,  der  von  mir  auf- 
gestellten Thesen  anbetrifld  —  und  ich  wollte,  ich  hätte  mich  darauf 
allein  in  diesem  Nachwort  beziehen  können  —  so  erklärt  sich  G.  Hey 
mit  der  i.  und  2.  These  einverstanden,  wenigstens  wendet  er  nichts 
dagegen   ein,   ebenso   wenig  gegen  die  3.  und  4.     Bei  der  5.  These 


—     133     — 

meint  er,  ich  hätte  nicht  die  Möglichkeit  starker  Zertrümmerung'  des 
Lautbestandes  der  Endung  berücksichtigt,  doch  ffabe  ich  ausdrücklich 
geschrieben  „im  allgemeinen  zugänglichere".  Auch  habe  ich 
nicht  die  Vergleichung  ähnlicher  Namen  als  methodisches  Hü£smittel 
zu  nennen  imterlassen ,  sondern  S.  266  deutlich  geschrieben:  „im 
Zweifel  müssen  die  sprachlichen  Thatsachen .  . .  ihre  Sicherung  durch 
die  Analogie...  suchen."  Ich  kann  demnach,  selbst  beim  besten 
Willen,  nicht  finden,  dafe  Hey,  wie  er  sagt,  meinen  Forderungen  ein 
paar  wesentliche  Punkte  hinzugefugt  habe. 

Was  dann  Hey  zur  methodischen  Behandlung  des  Gegenstandes 
weiter  noch  beibringt,  bedarf  einer  ausführlicheren  Besprechung,  ebenso 
die  Kritik  einzelner  der  von  mir  angeführten  Etymologieen ,  wozu  an 
einer  anderen  Stelle  als  in  diesem  mir  gütigst  gestatteten  „kurzen" 
Nachwort  zu  handeln  Gelegenheit  sein  wird.  Hier  will  ich  nur  kurz 
mich  dagegen  verwahren,  dafe  ich  vermutet  hätte,  „es  möchte  sich 
in  dem  Gütersee  ein  Gude  wie  in  Gudebiegen  verbergen",  und  dafs 
ich  meinen  könnte,  „es  habe  sich  als  ein  Unikum  in  Anhalt  eine 
Ansiedelung  aus  heidnischer  Germanenzeit  erhalten";  habe  ich  denn 
S.  265  nicht  ausdrücklich  geschrieben,  dafs  die  Analogie  dazu  führe, 
das  gesamte  Kompositum  (Gütersec)  für  das  Slavischc  in 
Anspruch  zu  nehmen,  und  femer,  wo  habe  ich  denn  behauptet, 
dafs  Güsten  eine  Ansiedelung  aus  heidnischer  Germanenzeit  sei?  — 
Nirgends !  —  Ich  habe  nur  gesagt,  der  Stein  habe  seinen  Namen  vom 
Wodan.  Mufe  diese  Benennung  aus  heidnischer  Germanenzeit 
stammen?  —  Durfte  mir  darum  G.  Hey  vorhalten,  ich  hätte  den 
Ursprung  des  Ortes  (Güsten)  in  altgermanische  Zeit  hinaufgerückt? 

Doch  eine  solche  Annahme  kann  auf  einem  Mifsverständnis  meiner 
Worte  beruhen,  obwohl  ich  glaubte,  deutlich  geschrieben  zu  haben; 
Befremdlicher  aber  sind  die  Worte,  die  Hey  am  Schlufs  seiner  „Gegen- 
äufeerung"  niederschreibt:  „(Wäschke) . . .  schliefst  damit,  er  habe 
nicht  in  dem  Bewufstsein  geschrieben,  nach  irgend  einer  Seite  etwas 
Abschliefsendes  beigebracht  zu  haben,  während  doch  der  Ton  seiner 
Erörterungen  —  wenigstens  nach  meinem  Gefühl  —  eigentlich  einen 
anderen  Eindruck  hervorzurufen  geeignet  ist."  Nun  kann  man  über 
Gefühle  nicht  streiten  und  einen  Ton  nicht  vor  Gericht  ziehen,  —  aber 
dennoch  glaube  ich,  niemand,  auch  G.  Hey  nicht,  Veranlassung  gegeben 
zu  haben,  einen  Widerspruch  zu  vermuten  zwischen  meinen  Worten 
und  meiner  Gesinnung. 


w^^'^'^^^^^^S^^.^^^s^^^^^^^ 


134     — 


Iiitteratur^zur  Gesehiehte  Sehlesw^ig^ 

Holsteins 

Von 
A.  Lrorenzen  (Kiel) 

(Schlnis  1) 

Über  den  Krieg  von  1864  besitzen  wir  zwei  kriegswissenschaft- 
liche Bearbeitungen:  Der  Deutsch -dänische  Krieg  1864,  herausg. 
vom  Grofeen  Generalstabe,  Abt.  f.  Kriegsgeschichte  (Berlm,  1886— 1887) 
und  Den  dansk-tyske  Krig  1864,  üdgivet  af  Generalstaben.  (Kopen- 
hagen, 1892).  Daneben  kommt  in  Betracht  Moltkes  Militärische 
Korrespondenz.  —  Krieg  1864.  —  (Moltkes  Militärische  Werke.  I. 
Elrster  Teil.     Berlin,  1892). 

Eine  gegenwärtigen  Ansprüchen  genügende  Landeskunde  von 
Schleswig-Holstein  existiert  nicht.  Ein  zuverlässiger  Führer  durch  die 
ältere  Kartenlitteratur  ist  dagegen  die  Geschichte  der  geographischen 
Vermessungen  und  der  Landkarten  Nordalbingiens  vom  Ende  des 
1$.  Jahrhunderts  bis  zum  Jahre  i8^g  (Berlin,  1859);  nur  bezüglich 
der  J.  Mejerschen  Karten  zu  C.  D  anckwerths  Newe  Landesbeschrei- 
bung  der  zwey  Herzogthümer  Schleswig  und  Holstein  (Husum,  1652) 
hat  P.  Lauridsen,  Kartografen  Johannes  Mejer  (Historisk  Tid- 
skrift  6.  R.  Bd.  I.)  nachgewiesen,  dafs  dieselben  zum  gröfeeren  Teile  nicht 
auf  neuen  Vermessungen  beruhen ,  und  die  historischen  Karten  von 
Helgoland  reine  Phantasiegebilde  sind. 

Für  die  Geschichte  der  schleswig-holsteinischen  Landwirtschaft 
wertvoll  sind  die  Festgaben  für  die  11.  Versammlung  deutscher  Land- 
und  Forstwirte  zu  Kiel  1847,  nämlich  Nikolaus  Falcks  Beiträge 
zur  Geschichte  d.  S.-H.  Landwirthscha/t  (Kiel,  1847),  J*  J*  H. 
Lütgens'  Kurzgeja/ste  Charakteristik  der  Bauernwirthschaften . . , 
(Hamburg,  1847),  Ernst  Reventlow  und  H.  A.  v.  Warnstedts 
Beiträge  zur  land-  und  forstwirthschajtlichen  Statistik  . . .  (Altena, 
1847),  welche  mit  vielen  Tafeln  versehen  sind.  Die  Aufhebung  der 
Leibeigenschaft  und  die  Umgestaltung  der  gutsherrlich-bäuerlichen 
Verhältnisse  überhaupt  in  den  Herzogthümern  Schleswig  und  Hol- 
stein beschrieb  Georg  Haussen  in  der  von  der  Kais.  Ak.  d.  Wiss. 
1830  gekr.  Preisschrift  (St.  Petersburg,  1861),  während  Wilhelm 
Seelig  Die  innere  Colonisation  in  Schleswig 'Holstein  vor  hun- 
dert Jahren  in  seiner  Rektorats-Rede  (Kiel,    1895)   schilderte.     Das 

I)  Vgl  S.  108— 114. 


—     135     — 

Bauernhaus  im  Herzogtum  Schleswig  und  das  Leben  des  schles-^ 
wigischen  Bauernstandes  i?n  i6.,  ly.  und  iS,  Jahrhundert  von 
R.  Meiborg,  erschien  in  deutscher  Ausgabe,  besorgt  von  Richard 
Haupt  (Schleswig,  1896),  und  giebt  in  Wort  und  Bild  eine  Darstel- 
lung des  Bauernhauses  und  Bauernlebens,  daneben  eingehende  Schil- 
derungen der  Verarmung  des  Bauernstandes  infolge  der  Kriege  und 
der  Viehseuchen;  für  letztere  ist  es  die  bedeutendste  Quelle.  Ein 
besonderer  Anhang  giebt  Verzeichnisse  der  gedruckten  und  der  un- 
gedruckten Quellen,  Quellennachweise  für  jeden  Abschnitt  und  Bei- 
lagen über  die  ländlichen  Besitz-  und  Abgabenverhältnisse. 

Eine  Untersuchung  über  den  Einflufe  der  natürlichen  Verhältnisse 
auf  den  Vexkehr  und  die  gröfseren  Siedelungen  lieferte  Karl  Jansen 
in  der  Poleographie  der  Cimbrischen  Halbinsel  (Forschungen  zur  dt. 
Landes-  und  Volkskunde,  Bd.  IL  Stuttgart,  1892).  Material  Zur 
Geschichte  des  Schleswig-Holsteinischen  Kanals  gab  [P.  C  h  r.  H  a  n  s  e  n] 
in  der  Festgabe  der  Stadt  Rendsburg  zur  Feier  des  100 jähr.  Bestehens 
des  S.-H.-Kanals  (Kiel,  1884).  Die  Geschichte  des  Nord  -  Ostsee- 
Kanals  schrieb  Carl  Loewe  in  der  Festschrift  zur  Eröffnung  des- 
selben im  amtlichen  Auftrage  und  unter  Benutzung  amtlicher  Quellen 
(Berlin,  1895),  so  dafe  er  auch  über  die  Vorverhandlungen,  wie  über 
die  Baugeschichte,  wertvolle  Aufschlüsse  geben  konnte. 

Die  Bau-  und  Kunstdenkmäler  der  Provinz  Schleswig-Holstein 
mit  Ausnahme  des  Herzogtums  Lauenburg  bearbeitete  Richard 
Haupt  (3  Bde.,  Kiel,  1887 — 1889),  Die  Bau-  und  Kunstdenkmäler 
im  Kreise  Lauenburg  Richard  Haupt  und  Weysser  (2  Bde., 
Ratzeburg  und  Leipzig,  1890)  *).  Das  Dunkel  um  Hans  Brüggemann 
ist  durch  die  Untersuchung  von  August  Sach  über  Hans  Brügge- 
mann und  seine  Werke  (2.  Aufl.,  Schleswig,  1895)  noch  nicht  völlig 
geklärt.  Unter  den  zahlreichen  Untersuchungen,  welche  Adalbert 
Matthaei  in  jüngster  Zeit  über  die  mittelalterliche  Architektonik 
(Holzschnitzkunst)  in  Schleswig  -  Holstein  veröffentlicht  hat,  kann  hier 
nur  Zur  Kenntnis  der  mittelalterlichen  Schnitzaltäre  Schleswig- 
Holsteins  (Kiel,  1898)  genannt  werden. 

Nur  für  wenige  Landschaften  und  Städte  sind  spezielle  geschicht- 
liche Darstellungen  erschienen,  welche  hier  Anspruch  auf  Erwäh- 
nung erheben  können.  Für  Altena  sind  hier  in  erster  Linie  die 
Werke  von  Richard  Ehrenberg  zu  berücksichtigen,  so  Altona 
unter  Schauenburgischer  Herrschaft  (Altona,   1891 — 1893)  und  AU 


l)  Vgl.  diese  Zeitschrift  I.  Bd.,  S.  2j6^2TJ. 


—     136     — 

Sofias  Topographische  Entwickelung  von  R.  E.  und  B.  Stahl  (Altona, 
1894),  deren  letzteres  die  Entwickelung  Altenas  und  seiner  topo- 
graphischen Darstellung  an  17  reproduzierten  Karten  und  Plänen  von 
Melchior  Lorichs  Eibkarte  aus  dem  Jahre  1568  an  zeigt;  femer  R.  E.  Aus 
der  Vorzeit  von  Blankenese  und  den  benachbarten  Ortschaften 
Wedel. . .  (Hamburg,  1897).  ^^^  Ehrenbergschen  Schriften  sind  reich  an 
kulturgeschichtlichem  und  speziell  wirtschaftsgeschichtlichem  Material. 
Die  Geschichte  der  holsteinischen  Eibmarschen  von  D.  Detlefs en 
(2  Bde.  Glückstadt,  1891 — 1892),  eine  ebenso  umfassende  als  zuverlässige 
Darstellung,  ist  aufserdem  eine  gediegene  Quelle  für  die  Deichver- 
fassungen. Johann  Adolfis,  genannt  Neocorus,  Chronik  des  Landes 
Dithmarschen^  wurde  aus  der  Urschrift  von  F.  C.  D  ahlmann  (2  Bde.,- 
Kiel,  1827)  herausgegeben.  Unter  den  neueren  Bearbeitungen  der 
<leschichte  Dithmarschens  verdient  die  Geschichte  Dithmarschens 
bis  zur  Eroberung  des  Landes  im  Jahre  i^^g  von  R.  Chalybaeus 
(Kiel  u.  Leipzig,  1888)  den  Vorzug.  Die  Lage  der  Schanze  in  der 
Schlacht  bei  Hemmingstedt  haben  R.  Hansen,  Zur  Topographie 
und  Geschichte  Dithmarschens,  (Zeitschr.  der  Ges.  f.  S.-H.-L.  Gesch. 
XXVII)  und  [Hans]  Härder,  Die  Schlacht  bei  Hemmingstedt.  Wo 
hat  die  Schanze  gestanden?  (Heide,  1899)  untersucht  und  sind  auf 
Grund  einer  bisher  unbenutzten  zeitgenössischen  Chronik  in  Linden- 
brog,  Varia  ad  historiam  Germaniae  in/erioris  et  Scandin.  zu 
dem  Resultat  gekommen,  dafs  die  Schanze  nicht  bei  der  Dehling, 
sondern  am  Ende  des  Schweinemoorweges  gelegen  hat. 

Unter  den  älteren  Schilderungen  Helgolands  bietet  Friedrich 
Oetker,  Helgoland  (Berlin,  1855),  eine  wahre  Fundgrube  auf  dem 
Gebiete  der  Volkskunde.  Die  Nordseeinsel  Helgoland  in  topo- 
graphischer,  geschichtlicher,  sanitärer  Beziehung  wonKmW  Linde- 
mann  (2.  Aufl.,  Berlin,  1890)  zeigt  kartographisch  den  Abbruch  der 
Insel  seit  der  Aufnahme  durch  K.  Wie  bei  (Abhandlungen  aus  dem 
Gebiete  der  Naturwissensch.,  herausgeg.  v.  Naturw.  Verein  in  Hamburg. 
Bd.  2 .  1 848)  Die  im  Texte  ausgeführten  Berechnungen  hat  C.Gottsche 
(Peterm.  Mitt.  1890,  Litteraturbericht  Nr.  1841)  korrigiert.  Die  natür- 
lichen Veränderungen  Helgolands  und  die  Quellen  über  dieselben, 
von  ErnstTittel  (Leipzig,  1 894),  übt  gute  Kritik  an  den  geschichtlichen 
•Quellen,  bezüglich  der  natürlichen  Verhältnisse  ist  aber  Die  Nordsee- 
insel  Helgoland  von  P.  Schwahn  (Berlin,  1894)  vorzuziehen.  Eine 
umfassende  Untersuchung  über  die  geschichtlichen  Quellen  bezüglich 
Helgolands  gab  H.  H.  von  Schwerin,  Helgoland,  historisk^geo- 
grafisk  undersökning  (Acta  Univ.  Lund.,  tom.  XXXII). 


—    i3l    — 

Die  Veränderungen  an  der  Westküste  Schleswig -Holsteins  zeigen 
Fr.  Geerz,  Historische  Karte  von  Dithmarschen ,  Eider stedt, 
Helgoland,  Nagelholm,  der  Wilster-Marsch  etc.,  red.  för  die  Zeit 
von  164 j — 1648  . . .  (Berlin,  1886),  und  Historische  Karte  von  den 
Nord/riesischen  Inseln  Nordstrand,  Pellworm ,  Amrum,  Fähr, 
Sylt  etc,  . .  .  red.  für  d.  Zeit  von  1643 — 1648  .  .  .  (Berlin,  1888),  beide 
in  physikalischen  und  politischen  Ausgaben.  An  denselben  haben 
R.  Hansen  und  P.  Lauridsen  recht  eingehende  Kritik  geübt.  Die 
Nordfriesischen  Inseln  Sylt,  Föhr,  Amrum  und  die  Halligen 
vormals  und  jetzt  beschrieb  Christian  Jensen  mit  besonderer 
Berücksichtigung  der  Sitten  und  Gebräuche  (Hamburg,  1891,  2.  [Titel-] 
Auflage,  1899),  Die  Halligen  der  Nordsee  Eugen  Träger  (Forsch, 
z.  deutsch.  Landes-  u.  Volkskunde  VI,  3,  Stuttgart,  1892),  der  über  die 
seinen  Anregungen  zu  dankenden  Schutzmafenahmen  in  Die  Rettung 
der  Halligen  und  die  Zukunft  der  sckl.  -  holst,  Nordseewatten 
(Stuttgart,  1900)  berichtete. 

In  der  Festschrift  zur  öcxDjährigen  Jubelfeier  der  Stadt  Haders- 
leben gab  August  Sach  eine  Untersuchung  über  den  Ursprung 
der  Stadt  Hadersleben  und  das  Stadtrecht  Waidemars  IV.  vom 
Jahre  12g 2  (Haderslebcn ,  1892).  August  Sach  schrieb  auch  eine 
Geschichte  der  Stadt  Schleswig  nach  urkundlichen  Quellen  (Schles- 
wig, 1875). 

Das  vorzüglichste  Material  zur  Geschichte  der  Stadt  Kiel  ist  in 
den  Mittheilungen  der  Gesellschaft  für  kieler  Stadtgeschichte 
(Heft  I — 17,  Kiel,  1877 — 1899)  enthalten.  In  Heft  13  gab  H.  Eckardt 
eine  kritische  Bibliographie  über  Kiels  bildliche  und  kartographische 
Darstellung  in  den  letzten  dreihundert  Jahren  (Kiel,  1895).  Das 
Kieler  Stadtbuch  aus  den  Jahren  1264 — 128p  hat  Paul  Hasse 
(Kiel,  187s),  Das  älteste  Kieler  Rentebuch  (1300— 1487)  hat  Chri- 
stian Reuter  (Mitth.  d.  Ges  f.  k.  Stadtg.,  Heft  9— lou.  11,  1891 — 1892 
u.  1893),  Dc^  Kieler  Erbebuch  (1411 — 1604)  hat  ebenfalls  Christian 
Reuter  (ebd.,  Heft  14 — 15,  Kiel,  1896)  herausgegeben.  Die  beiden 
jüngsten  Stadtbücher  (Das  Pandbok  oder  zweite  Rentebuch  1487 — 1586 
und  das  Denkelbok  1465 — 1588)  sind  noch  nicht  publiziert.  Die 
Lübecker  Briefe  des  Kieler  Stadtarchivs  1422—1^34  sind  von 
August  Wetzcl  (Mitth.  d.  Ges.  f.  k.  Stadtg.,  Heft  5,  Kiel,  1883) 
herausgegeben.  Die  Geschichte  der  Stadt  Kiel  bis  zur  Erhebung 
des  Jahres  1848  schrieb  H.  Eckardt  in  Alt-Kiel  in  Wort  und 
Bild  (Kiel,  1899). 


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10 


—     138     — 


Mitteilungen 

ArehiTe«  —  Den  Mittelpunkt  des  Archivwesens  im  Herzogtume  Braun- 
schweig bildet  das  Herzogliche  Landeshauptarchiy  zu  Wolfenbüttel,  das  von 
dem  späteren  Geheimrate  G.  S.  A.  v.  Praun  im  Jahre  1746,  wo  er  den 
Auftrag  erhielt,  für  die  sämtlichen  im  Lande  zerstreuten  Archive  und  Registra- 
turen eine  grundlegende  Ordnung  zu  schaffen,  zuerst  eingerichtet  worden 
ist  Auf  dem  von  ihm  gelegten  Grunde  ist  dann  von  den  Nachfolgern  trotz 
gewaltiger  Vermehrung  der  Bestände  weitergebaut  worden.  Das  Archiv  nahm 
anfangs  nur  einen  Teil  des  alten  fürstlichen  Kanzleigebäudes  ein,  das  es  jetzt 
fiast  ganz  allein  ausfüllt  Es  umfafst  die  Urkunden  und  Akten  des  fürstlichen 
Hauses  (dabei  auch  das  bis  1830  im  St  Blasienstifte  zu  Braunschweig  auf- 
bewahrte weifische  Kommunionarchiv),  die  der  Landesregierung  und  der 
anderen  Landesbehörden,  wie  der  Justizkanzlei ,  des  Hofgerichtes  und  der 
übrigen  Gerichtsbehörden,  der  Lehcüs-  und  Grenzkommission,  der  Kanmier, 
der  Finanzdirektion,  der  fürstlichen  Ämter,  der  Militärverwaltung,  die  der 
Stifter  und  Klöster,  der  18 10  aufgehobenen  Universität  Helmstedt  u.  s.  w. 
Die  Auswahl  der  im  Archive  aufzubewahrenden  Akten  geschieht  nach  ihrer 
praktischen  imd  wissenschafUichen  Verwendbarkeit  im  Einverständnis  mit  den 
betreffenden  Behörden  von  den  Archivbeamten.  Die  Ordnung  imd  Ver- 
zeichnung der  Papiere  findet  im  Archive  statt,  das  den  abliefernden  Behörden 
Abschriften  der  betreftbnden  Repertorien  zustellt,  um  so  den  natürlichen  Zu- 
sammenhang der  älteren  Bestände  mit  den  neuanwachsenden  an  den  be- 
treffenden Orten  zu  erhalten.  Durch  gesetzliche  Verordnung  ist  diese  Ab- 
lieferungsweise der  Archivalien  zwar  nicht  festgelegt,  aber  sie  hat  sich  zu 
allseitiger  Befriedigung  so  eingebürgert,  dafs  man  in  den  letzten  Jahrzehnten 
kaum  je  von  ihr  abgewichen  ist.  Auch  die  Archive  von  kleineren  Städten, 
wie  Gandersheim,  Holzminden  u.  a.,  von  Flecken,  Gemeinden  und  Kirchen 
sind  in  gleicher  Weise  in  das  Landeshauptarchiv  aufgenommen.  Ebenso  hat 
eine  Anzahl  adeliger  Familien  des  Landes  ihre  Urkunden  in  ihm  niedergelegt 
Das  Archiv  ist  nach  Möglichkeit  bestrebt,  das  noch  in  Privatbesitz  befindliche 
wertvolle  geschichtliche  Material  an  das  Archiv  heranzuziehen  oder  in  anderer 
Weise  Sicherheit  dafür  zu  schaffen.  Auch  werden  Handschriften  jeder  Art, 
die  auf  die  Geschichte  des  Herzogtums  im  weitesten  Sinne  sich  beziehen, 
für  das  Archiv  zu  erwerben  gesucht  Nicht  minder  auch  Druckwerke.  Das 
Archiv  besitzt  eine  Handbibliothek,  über  10 000  Bände  stark,  in  der  ins- 
besondere die  geschichtlichen  Hilfswissenschaften  und  die  Geschichte  der 
Braunschweig-Lüneburgischen  Lande  und  ihrer  Nachbargebiete  berücksichtigt 
werden,  aber  auch  die  ältere  juristische  Litteratur  gut  vertreten  ist.  Dabei 
werden  auch  die  wichtigsten  Zeitungen  des  Landes,  die  gebunden  werden, 
wie  Flugblätter,  Gelegenheitsdrucke  u.  s.  w.  aufbewahrt.  Eine  besondere 
Sammlung  besteht  im  Archive  von  Siegelstempeln  des  fürstlichen  Hauses, 
der  adeligen  Familien,  der  Stifhingen  tmd  Klöster,  Behörden,  Städte  und 
Gilden  des  Landes,  die  zur  Zeit  etwa  11 50  Nummern  umfafst.  Ein  be- 
sonderer Raum  enthält  die  Karten  und  Pläne. 

Die  Zahl  der  im  Archive  beruhenden  Originalurkunden,  die  mit  dem 
Jahre  853   beginnen,   beläuft  sich   auf  etwas   über   20000.     Die  Zahl   der 


—     139     — 

Aktenstücke,  die  wie  die  Urkunden  im  Anschlufs  an  die  1746  getroffenen 
Einrichtungen  zumeist  in  Schiebladen  verwahrt  werden,  entzieht  sich  zur 
Zeit  einer  auch  nur  oberflächlichen  Schätzung.  Die  Erlaubnis  zur  Benutzung 
des  Landeshauptarchivs  *)  giebt  das  Herzogliche  Staatsministerium ,  das  auch 
zu  der  allmählich  häufiger  gewordenen  Versendung  von  Archivalien  seine  Zu- 
stimmung erteilen  mufs.  Die  Benutzung  des  Archivs  ist  eme  stetig  wachsende, 
insbesondere  nimmt  die  Zahl  der  schriftlichen  Anfragen,  die  eine  bedeutende 
Korrespondenz  erfordern,  inmier  mehr  zu.  Im  Allgemeinen  finden  wissenschaft- 
liche Arbeiten  nach  Möglichkeit  gröfstes  Entgegenkommen,  wenn  auch  die 
Wünsche  der  Familienforscher  bei  der  Zahl  der  Beamten  und  der  Menge  der 
Dienstaufgaben  nicht  immer  in  vollem  Umfange  befriedigt  werden  können. 

Das  Archiv  steht  direkt  unter  dem  Herzoglichen  Staatsministerium  und 
zwar   ist  es  zur  Zeit   dem  Minister   der  Justiz  und   des   Kultus  unterstellt 
Das  Personal  besteht  aus  zwei  akademisch   gebildeten  Beamten,   einem  Re- 
gistrator,  der  Primareife  besitzt,  und  einem  Pedell  (Militäranwärter),  der  den 
gröfsten  Teil  der  Copialarbeiten  besorgt  und  zu  Ordnungsarbeiten  mit  heran- 
gezogen wird.    Der  erste  Beamte  steht  nach  den  mit  der  Landesversammlung 
1 900  vereinbarten  Festsetzungen,  wie  die  Vorstände  der  Herzoglichen  Biblio- 
thek und  des  Herzoglichen  Museums  im  Gehalt  den  Gymnasialdirektoren  gleich 
(4800—7000   Mark;    Höchstgehalt   nach    12    Jahren).     Der   zweite   Beamte 
hat  zur  Zeit  keinen  festen  Etat;    doch  steht  zu  hoffen,   dafs   er,   wenn   die 
Stelle  mit  einem  wirklichen  Fachmanne  besetzt  wird,    den  zweiten  Beamten 
der    Bibliothek    und    des    Museiuns,    die    mit    den    Oberlehrern    rangieren 
(2700 — 6300  Mark),  gleichgestellt  werde.     Der  Registrator  (bezw.  Sekretär) 
ist  den  Registratoren  (bez.  Sekretären)  der  Verwaltungsbehörden  gleichgestellt 
(1500 — 3600  Mark).      Die   Bureauausgaben   des   Archivs   belaufen    sich   für 
ein  Jahr  etwa  auf  3000  Mark,  der  Gesamtetat  für  1900  auf  ca.  15000  Mark, 
für  1901  auf  16 — 17000  Mark.    Die  Herausgabe  eines  Braunschweigischen 
Urkundenbuches ,    das  bis  jetzt   nur   die  Stadt  Braunschweig  begonnen   hat, 
wird  vonseiten  des  Archivs  geplant,   doch   kann   die  Aufgabe   bei   den   be- 
deutenden Zugängen   von  Archivalien,   den   noch   erforderlichen    Ordnungs- 
arbeiten und   den  vielen  Auskunfterteilungen  mit  Aussicht   auf  Erfolg   nicht 
ohne  eine  weitere  wissenschaftliche  Hilfskraft  in  Angriff  genommen   werden, 
die  hoffentlich  bald  der  Anstalt  sutei/  werden  wird.      Das  Interesse  für  das 
Archiv  und  die  Kenntnis  seines  Inhalts  und  Zwecks  auch  in  weiteren  Kreisen 
zu  verbreiten,  dient  eine  ständige  Archivausstellung,  in  der  unter  anderem  ein 
reiche  Übersicht  von  Kaiser-,  Herzogs-,  Papst-  und  anderen  Urkunden,  von 
Schreiben  hervorragender  Fürsten,  Staatsmänner,  Feldherren,    Gelehrter  und 
Künstler  in  zweckmäfsig  eingerichteten  Glaskasten  vereinigt  ist. 

Aufser  in  Wolfenbüttel  befindet  sich  em  bedeutendes,  unter  fachkundiger 
Leitung  stehendes  Archiv  zu  Braunschweig,  ein  kleineres  in  Helmstedt;  beide 
sind  im  wesentlichen  aus  den  Registraturen  der  Stadtverwaltung,  der  städtischen 
Stiftungen  und  Anstalten  erwachsen. 

Die  Stadt*Saalfeld  hat  fiir  Ordnung  ihres  Archivs  2  600  Mark  bewilligt 
und  mit  Ausführung   der   Ordnungsarbeiten  Herrn   Dr.   Ernst  Devrient 


I)  Vgl.  diese  ZeiUchrift  I.  Bd.,  S.   187. 


—     140     — 

aus  Jena  betraut  Über  die  Bestände,  die  bis  etwa  1300  zurückgehen,  aber 
erst  seit  dem  XVI.  Jahrhundert  zahlreicher  werden,  unterrichten  bereits  einige 
alte  Inventare  (XVIII.  Jahrhunderts).  Da  aber  die  alte  Ordnung  umgeworfen 
worden  ist,  so  gilt  es  gegenwärtig  eine  vollständig  neue  Aufstellung  der 
Archivalien  und  deren  Inventarisation  ins  Werk  zu  setzen,  was  voraus- 
sichtlich ein  volles  Jahr  in  Anspruch  nehmen  wird.  Ob  eine  Drucklegung 
des  Inventars  möglich  sein  wird,  ist  zur  Zeit  noch  unbestimmt,  aber  vielleicht 
übernimmt  die  Thüringische  Historische  Kommission  diese  Aufgabe.  Die 
Mittel  zu  einer  sachentsprechenden  baulichen  Umgestaltung  der  im  ersten 
und  zweiten  Geschofs  des  Rathauses  gelegenen  Archivräume  sind  ebenfalls 
bewilligt,  so  dafs  eine  in  jeder  Hinsicht  würdige  Versorgung  des  Saalfelder 
Stadtarchivs  zu  erhoffen  ist. 

Zeitsehrllteil.  —  ^)  In  Württemberg  ist  der  seit  1897  bestehende 
Historische  Verein  für  Ludwigsburg  und  Umgegend  mit  einem 
ersten  Hefte  der  Ludwigshurger  Oeschichtsblätter  auf  den  Plan  getreten 
(Ludwigsburg,  Druck  von  Ungeheuer  &  Ulmer  1900  —  ein  Kommissions- 
verlag ist  nicht  namhaft  gemacht  —  87  S.  8®).  Die  Schriftleitung  ruht 
in  den  Händen  von  C.  Belschner,  welcher  selbst  drei  Beiträge  zum  vor- 
liegenden Hefte  beisteuert:  von  höchstem  Interesse  ist  der  Bericht  über  die 
Entstehung  von  Ludwigsburg  (S.  48 — 54),  welches  1704  als  Herzogliches 
Jagdschlol^  entstand  und  bereits  17 18  dritte  Hauptstadt  und  Residenz  wurde. 
Der  Entwicklung  der  Schulen  in  der  jungen  Stadt  ist  ein  weiterer  Aufsatz 
gewidmet  (S,  55 — 67)  und  der  dritte  dem  Reichsgrafen  Johann  Karl 
von  Zeppelin  (geb.  1767,  gest.  1801),  dessen  Grabmal  in  Ludwigsburg  steht, 
und  welcher  von  1797  bis  zu  seinem  Tode  Leiter  der  württembergischen 
Staatsgeschäfte  war.  Der  eigentliche  Zweck  dieses  Aufsatzes  ist,  eine  ent- 
sprechende Wiederherstellung  des  Grabmals,  welches  als  erhabenes  Kunst- 
werk beschrieben  wird,  zu  veranlassen.  Karl  Weller,  welcher  als  Kenner  der 
württembergischen  Geschichte  bekannt  ist  (vgl.  seinen  Aufsatz  im  I.  Bande  dieser 
Zeitschrift,  S.  47 — 55),  verbreitet  sich  über  die  wirtschaftliche  Entwicklung 
der  Landschaft,  wo  Ludwigsburg  entstand  (S.  i — 18).  Albert  v.  Pfister  be- 
schreibt Festliche  Tage  in  Ludwigsburg  au>s  xwei  Jahrhunderten,  charakte- 
risiert ganz  treflflich  das  höfische  Leben  des  XVIII.  Jahrhunderts  und  die 
Art  der  damaligen  Feste  und  thut  dabei  manchen  geschichdichen  Ausblick. 
Vielleicht  von  der  gröfsten  allgemeinen  Bedeutung  ist  der  Aufsatz  von 
Friedrich  Haafs  Einiges  über  das  Strafsenwesen  im  Herzogtum  Wirtem- 
berg  (S.  31 — 47),  denn  hiermit  wird  eine  Frage  angeschnitten,  die  eine  ein- 
gehende allseitige  Behandlung  verdient.  Der  Bau  der  Landstrafse  ist  die 
Vorbedingung  ftir  die  Ausgestaltung  des  modernen  Verkehrs,  an  der  Häufigkeit 
der  Strafsenbauten  ist  mithin  das  Verkehrsbedürfhis  wirklich  zu  messen. 
H,  behandelt  die  erste  Hälfte  des  XVIII.  Jahrhunderts,  namentlich  den  Bau 
der  Landstrafse  Stuttgart-Ludwigsburg.  Eine  eigene  „  Strafsendebutation '* 
entstand  1737,  beim  Neubau  wird  namentlich  auf  gerade  Verbindungen  Wert 
gelegt     Ein  beim   Strafsenbau   in  Frankreich  thätig  gewesener  Hauptmann 


i)  Hiermit  wird  der  S.  117  begonnene  Bericht  Über  neue  orts-  und  landesgeschicht- 
liehe  Zeitschriften  fortgeiettt. 


—     141     — 

V.  Vahlen  wirkt  dabei  als  Ingenieur;  ganz  charakteristisch  ist  vor  allem  die 
Heranziehung  der  Dorfbewohner  zum  Strafsenbau,  zu  welchem  Zwecke  die 
ganze  Strecke  in  „Toisen"  (=  6  Württemberg.  Schuhe)  eingeteilt  wurde, 
so  dafs  z.  B.  Markgröningen  525  und  Asperg  347  Toisen  zu  bauen   hatte. 

In  der  Grafschaft  Mark  besteht  mit  dem  thatsächlichen  Sitze  in  Soest  — 
Pfarrer  Ro  t h e  rt  daselbst  ist  als  Schriftführer  des  Vereins  sein  erster  Beamter  — 
seit   September    1897    der   Verein   für   die    evangelische   Kirchen- 
geschichte  der   Grafschaft   Mark,    der   ein  Jahrbuch*)   herausgiebt. 
Den   Mitgliedern,    die   3   Mark   Jahresbeitrag  zahlen,   —  bei   Ausgabe   des 
ersten  Jahrbuchs  waren   es    192,   gegenwärtig   sind   es  250   —   wird   diese 
Veröffentlichung  unentgeltlich  geliefert.     Da  diese  neue  kirchengeschichtliche 
Zeitschrift,  welche  bereits  oben  S.  33 — 40  in  dem  Aufsatze  Partiat-Kirchen- 
geschickte  hätte  charakterisiert  werden  müssen,  der  Redaktion  erst  neuerdings 
bekaimt  geworden  ist,  sollen  die  Forscher  hiermit  noch  nachträglich  auf  die- 
selbe aufmerksam  gemacht   werden.     Ein  fünfgliedriger  Redaktionsausschufs, 
in  welchem  Archivrat  Philippi  (Münster)  vertreten  ist,  leitet  das  Jahrbuch, 
welches  mit  einer  Biographie  des  westfälischen  Reformators  Hermann  Hamel- 
mann  {1525  — 1595)  aus  der  Feder  des  Studiendirektors  K  Knodt  (Herbom) 
würdig  beginnt.    Dieser  bedeutende  Mann  war  in  Osnabrück  geboren,  wurde 
1549    an   der  Universität  Köln   immatrikuliert,    studierte   gegen   den   Willen 
seines  Vaters,   der  ihn  zum  Juristen  machen  wollte,   Theologie   und  wirkte 
als  Mefspriester  in  Münster.     Noch    1552,  wo   er    eine   Schrift    über    die 
Priesterehe   verfafste,   ist   er   guter  Katholik,   aber   seit  Trinitatis    1553   aus 
eigener  Überzeugung  und  ohne  äufsere  Anregung  wird  er  zum  Protestanten. 
Wir  haben  es  also  hier  mit  einem  Manne  der  jüngeren  Reformatorengeneration 
zu  thun,   der  sich  vollständig  in    den  Katholizismus   bereits   eingelebt   hatte 
und  doch  zum  Anhänger  der  neuen  Lehre  wurde.    Die  Wirksamkeit  Hamel- 
manns,   der  ein   aufserordentlich   fruchtbarer  Schriftsteller  war,   in  Bielefeld, 
Lemgo,  Gandersheim  und  Oldenburg  liefert  die  mannigfachsten  Beiträge  zur 
Kirchengeschichte  dieser  Orte,    aber  zugleich  ein  Bild   des   iimerkirchlichen 
Lebens  in  jener  Zeit,  wie  es  nur  ausnahmsweise  zu  gewinnen  sein  wird,  wenn 
ein  Mann  im  Mittelpunkte  stehen  soll.    Knodts  Arbeit  ist  mithin    in   mehr- 
facher Hinsicht   für   die   weitesten   Kreise    von   Interesse.  —  Superintendent 
Nelle  (Hamm)  beschäftigt  sich  mit  den  westfälischen  Kirchenliederdichtern, 
besonders  mit  H.  Meier  (f  1658)  und  L.  B.  Gesenius   (f  1753),    aber   es 
finden  sich   in   der   tiefgehenden  Darstellung  (S.  94 — 144)    eine  Menge   all- 
gemein  beachtenswerte    Charakteristiken,    welche    die    eigenartige    Litteratur- 
gattung  des  Kirchenliedes  dem  Litterarhistorikcr  im  besonderen  näher  bringen 
und  dem  geschichtlich  Zuschauenden  am  konkreten  Beispiele  zeigen,  welche 
Unterschiede  die  kirchliche  Dichtung  —  und  sie  ist  der  Ausflufs  des  kirch- 
lichen I^ebens  —   1650  und   1750  aufweist:    wir  haben  hiermit  einen  recht 
wesentlichen  Beitrag  zur  Geschichte  der  geistlichen  Dichtung  der  Protestanten 
und  ihrer  Gesangbücher  in  den  beiden  ersten  Jahrhunderten   nach    der  Re- 
formation. —  Die  Miszellen  bringen  eine  ganz  beachtenswerte  Urkunde  Über 

l)  Jiuhrbuch  des  Vereins  für  die  Evangelische  Kirchengeschichte  der  Grafschaft 
Mark,  Erster  Jahrgang  1899.  Gütersloh,  C.  Bertelsmann.  186  S.  8**.  Zweiter  Jahr- 
gang 1900  ebenda.     184  S.  8^ 


—     142     — 

das  Schulwesen  in  Kamen  von  1586,  lebendige  Skizzen  aus  einem  Soester 
Synodalprotokollbuch  von  1725  und  einen  Bericht  über  die  von  Finke  ent- 
deckte Aufzeichnung  des  Dominikaners  Jakob  von  Soest,  betreffend  das 
Pariser  Nationalkonzil  von  1290,  während  am  Schlüsse  als  „Litterarische 
Mitteilungen  "  einige  Bücher  angezeigt  sind.  Jeder  Leser  wird  gestehen  müssen, 
dafs  der  junge  Verein  sich  mit  seinem  ersten  Jahrbuch  trefflich  eingeführt 
hat.  Auch  der  zweite  Band  rechtfertigt  dieses  Urteü.  Hier  findet  sich  eine 
Reihe  wichtiger  Nachträge  zur  westfälischen  Liederdichtung,  dann  aber  neben 
einem  Aufsatze  Knodts  über  den  Anfang  der  Christianisierung  Westfalens 
(S.  I — 26)  eine  aufserordentlich  lehrreiche  Studie  über  die  Glocken  der 
Grafschaft  Mark  von  Pfarrer  Niemöller  in  Lippstadt  (S.  27 — 62), 
die  recht  gut  als  vorbildliches  Beispiel  dafür  zu  betrachten  ist,  wie  sich  die 
Glocken  mit  ihren  Inschriften  für  die  verschiedensten  Zweige  der  Geschichts- 
forschung nutzbringend  verwerten  lassen;  hier  kann  sich  jeder  davon  über- 
zeugen, dafs  die  Denkmälerinventarisationen  ')  die  kurze  Beschreibung  der 
Glocken  nicht  aufseracht  lassen  dürfen.  Auch  der  buchstabengetreue  Ab- 
druck (S.  112  — 138)  der  Kirchenordnung  flir  Neuenrade  (von  Hermann 
Wilcken  1564  verfafst)  nebst  einer  gründlichen  Einleitung  von  Superintendent 
Nelle  ist  eine  höchst  willkommene  Gabe,  während  einige  andere  kleinere 
Beiträge  zum  wenigsten  auf  eine  landesgeschichtliche  Bedeutung  Anspruch 
haben.  Nachahmung  verdient  es,  dafs  jedem  Bande  ein  alphabetisches  Re- 
gister beigegeben  ist,  welches  jedem  Benutzer  willkommen  sein  mufs  und 
später  einmal  die  Ausarbeitung  eines  Gesamtregisters  sehr  erleichtem  wird. 

Koiainissioncn«  —  Nachdem  vom  Landesausschufs,  dem  Bezirkstag, 
der  Stadt  Metz  und  von  hochherzigen  Förderern  der  Landesgeschichte  die 
Mittel  zu  gröfseren  Publikationen  zur  Verftigung  gestellt  sind,  hat  die  Ge- 
sellschaft für  lothringische  Geschichte  aus  ihren  Mitgliedern  eine 
Kommission  bestellt,  welche  das  Unternehmen  organisieren  und  leiten  soll: 
sie  führt  den  Namen:  „Kommission  zur  Herausgabe  lothringischer 
Geschichtsquellen".  Gewählt  wurden  die  Herren  Bezirkspräsident  Frei- 
herr von  Hammerstein  als  Vorsitzender,  Archivdirektor  Dr.  Wolfram  als  Sekretär, 
Professor  Dr.  Wichmann,  Oberlehrer  Dr.  Grimme,  Bibhotheksdirektor  Abbd 
Paulus,  Direktor  des  Priesterseminars  Abb^  Dorvaux,  Oberst  a.  D.  Dr.  Kauf- 
mann, Archivdirektor  Professor  Dr.  Wiegand-Strafsburg  und  Stadtarchivar 
Dr.  Winkelmann-Strafsburg.  —  In  der  ersten  Sitzung,  die  am  8.  Dezember  1900 
im  Archiv  stattfand  und  der  aufser  den  Genannten  auf  Einladung  noch  die 
Herren  Professor  Dr.  Follmann  und  Archivassistent  Dr.  Müsebeck  beiwohnten, 
wurde  über  die  bereits  in  Angriff  genonmienen  Arbeiten  berichtet  und  der 
Arbeitsplan  festgestellt.  Für  die  Publikation  werden  in  Aussicht  genommen: 
I.  Die  lothringischen  und  Metzer  Chroniken.  2.  Die  Regesten  der  Bischöfe 
von  Metz.  3.  Die  Metzer  Schreinsrollen.  4.  Vatikanische  Regesten  zur  Geschichte 
der  3  Bistümer.     5.  Ein  Wörterbuch  des  deutsch-lothringischen  Dialekts. 

L  Chroniken.  Archivdirektor  Wolfram,  der  im  Herbst  die  Biblio- 
theken und  Archive  in  Brüssel,  London,  Paris,  Spinal  und  Nancy  besucht 
haty  berichtete  eingehend  über  die   in  Betracht  kommenden  Handschriften 


I)  Vgl  I.  Bd.,  S.  270  ff. 


—    Us    — 

und  über  das  Verhältnis  der  lothringischen  Chroniken  zu  einander.  Auf 
Grund  seiner  Ausführungen  wurde  beschlossen,  dafs  die  Chroniken  in 
folgender  Reihe  herausgegeben  werden  sollen:  i.  Chronik  der  Kaiser  aus  dem 
luxemburgischen  Hause.  2.  Bischofschronik.  3.  Schöfifenmeisterchronik  (mit 
Einschlufs  der  Chronik  des  Pfarrers  von  S.  Eucaire).  4.  Chronik  des  Philipp 
von  Vigneulles.  5.  Chronik  des  Praillon.  6.  Kleine  Cölestinerchronik.  Die 
Herausgabe  der  6  Chroniken  wird  dem  Berichterstatter  übertragen. 

II.  Die  Regesteü  der  Bischöfe  hat  Bibliotheksdirektor  Abbd  Paulus 
zur  Bearbeitung  übernommen.  Als  Endtermin  wird  das  Episkopat  Johanns  von 
Lothringen  (1260)  festgesetzt  Vorläufig  soll  nur  das  gedruckte  Material  durch- 
gearbeitet werden.  Endgiltige  Beschlufsfassung  erfolgt  erst,  wenn  der  Bearbeiter 
die  Durchsicht  des  gedruckten  Materials  beendet  und  die  Kommission  sich  auf 
Grund  der  von  ihm  angefertigten  Regesten  über  deren  Fassung  geeinigt  hat 

III.  Über  die  Schreinsrollen  berichtet  Professor  Dr.  Wichmann.  Die 
Herausgabe  soll  sich  vorläufig  auf  die  dem  13.  Jahrhundert  angehörigen 
Stellen  beschränken,  so  dafs  von  den  insgesamt  vorhandenen  60  Stück  nur 
16  in  Betracht  kommen.  Professor  Wichmann,  der  die  Herausgabe  über- 
nimmt, wird  die  Abschrift  binnen  Jahresfrist  beendet  haben. 

IV.  Für  die  Herausgabe  der  Vatikanischen  Regesten  ist  Dr. 
H.  V.  Sauerland  schon  seit  3  Wintern  in  Rom  thätig  gewesen.  Vom  ersten 
Bande,  der  bis  1342  reichen  soll,  liegen  20  Bogen  gedruckt  vor.  Nachdem 
Dr.  Grimme  die  Bearbeitung  des  Index  übernommen  hat,  wird  Band  I  voraus- 
sichtlich um  Ostern  1901   erscheinen  können. 

V.  Die  Bearbeitung  des  Wörterbuchs  ist  Professor  Dr.  FoUmann 
übertragen.  Nachdem  eine  von  ihm  verfafste  Anleitung  zur  Stoffsammlung 
an  sämtliche  Lehrer  im  deutschen  Sprachgebiete  Lothringens  versandt  worden 
ist,  haben  sich  zahlreiche  Herren  zur  Mitarbeit  bereit  erklärt  und  die  Samm- 
lung der  eingegangenen  brauchbaren  Zettel  ist  bereits  gut  vorangeschritten. 

In  Österreich  hat  die  „Kommission  für  die  Herausgabe  von 
Akten  und  Korrespondenzen  zur  neueren  Geschichte  Öster- 
reichs**, welche  in  diesen  Blättern  schon  wiederholt*)  erwähnt  worden  ist, 
ihre  endgiltige  Ausgestaltung  und  Organisation  erhalten.  Nach  den  am 
17.  November  1900  amtlich  veröfientlichten  Satzungen  gestaltet  sich  die 
Thätigkeit  der  Kommission  etwa  wie  folgt.  Ihre  Aufgabe  ist  durch  den 
Namen  gegeben,  sie  ist  dem  Ministerium  für  Kultus  imd  Unterricht  un- 
mittelbar untergeordnet  und  besteht  aus  mindestens  zwölf  Mitgliedern,  unter 
denen  sich  der  Vorstand  des  Instituts  für  österreichische  Geschichtsforschung 
und  je  ein  Vertreter  des  Ministeriums  für  Kultus  und  Unterricht  und  der 
Kaiserlichen  Akademie  in  Wien  befinden  müssen.  Die  Bestellung  der  einzelnen 
Mitglieder  erfolgt  auf  die  Dauer  von  fünf  Jahren  durch  das  Ministerium. 

Jedes  Jahr  findet  eine  Vollversammlung  statt  und  im  Bedarfsfalle  können 
eine  oder  mehrere  aufserordentliche  Versammlungen  einberufen  werden.  Die 
Veröffentlichungen  sollen  folgende  Abteilungen  umfassen :  i .  Die  Korrespondenzen 
österreichischer  Herrscher  und  Mitglieder  des  Kaiserlichen  Hauses.  2.  Die 
Instruktionen  und  Korrespondenzen  österreichischer  Staatsmänner.    3.  Die  öster- 


I)  Vgl.  I.  Band,  S.  27  und  S.  200. 


—     144     — 

reichischen  Staatsverträge.  4.  Die  Berichte  fremder,  beim  österreichischen  Hofe 
beglaubigter  Gesandten.  5.  Mitteihmgen  über  besonders  interessante  MateriaUen 
aus  einzehien  Archiven. 

Die  wörtliche  Wiedergabe  von  Urkunden  und  Aktenstücken  wird 
auf  das  historisch  Bedeutungsvolle  beschränkt. 

Die  Geldmittel  der  Kommission  bestehen  aus  der  Jahresdotation  des 
Ministeriums  flir  Kultus  und  Unterricht,  aus  Dotationen  und  Spenden  von 
Körperschaften  und  Interessenten  und  aus  dem  etwaigen  Ertrage  der  Ver- 
öffentlichimgen. 

Die  Geschäftsführung  besorgt  der  Vorstand  des  Instituts  f.  österr.  Ge- 
schichtsforschung. 

Die  Kommission  veraulafst  und  leitet  die  archivalischen  Arbeiten  durch  ihre 
Mitglieder,  zur  Ausführung  derselben  können  auch  andere  Mitarbeiter,  welche 
die  Kommission  wählt,  und  Hilfsarbeiter,  die  den  Kommissionsmitgliedern 
beigegeben  werden,  zur  Verwendung  kommen.  Die  gesammelten  Materialien 
sind  Eigentum  der  Kommission;  ihre  Benutzung  durch  andere  Personen  als 
Mitglieder  und  Mitarbeiter  ist  an  die  Zustimmung  der  Kommission  gebunden. 

Gegenwärtig  sind  vom  Minister  für  Kultus  und  Unterricht  zu  Mitgliedern 
der  Kommission  für  das  Jahrfünft  bis  Ende  1905  bestellt:  AdolphBeer, 
Ministerialrat  in  Wien;  Alphons  Dopsch,  ord.  Prof.  (der  allgem.  und 
Österreich.  Geschichte)  an  der  Universität  in  Wien;  Thomas  Fellner,  Direktor 
des  Archivs  des  Ministeriums  des  Innern  und  Privatdozent  an  der  Uni- 
versität in  Wien;  August  Fournier,  ord.  Prof.  (der  allgem.  und  Österreich. 
Geschichte)  an  der  technischen  Hochschule  in  Wien;  JaroslavGoll,  ord. 
Prof.  (der  allgem.  (jeschichte)  an  der  böhmischen  Universität  in  Prag; 
Josef  Hirn,  ord.  Prof.  (der  Österreich.  Geschichte)  an  der  Universität  in 
Wien,  Vertreter  des  bezeichneten  Ministeriums;  Josef  Konstantin  Jirecek, 
ord.  Prof.  (der  slavischen  Philologie  und  Altertumskunde)  an  der  Universität 
in  Wien;  Engelbert  Mühlbacher,  ord.  Prof.  (der  Geschichte  des  Mittel- 
alters und  der  histor.  Hilfswissenschaften)  an  der  Universität  in  Wien  und  Vor- 
stand des  Institutes  für  österreichische  Geschichtsforschung  daselbst;  Emil 
V.  Ottenthai,  ord.  Prof.  (der  allgem.  Geschichte  und  der  histor.  Hilfswissen- 
schaften) an  der  Universität  Innsbruck;  AlfredFrancisPribram,  ord.  Prof. 
(der  mittleren  und  neueren  Geschichte)  an  der  Universität  in  Wien;  Oswald 
Redlich,  ord.  Prof.  (der  Geschichte  und  histor.  Hilfswissenschaften)  an  der 
Universität  in  Wien ;  Minister  Anton  Rezek;  OttokarWeber,  ord.  Prof. 
(der  allgem.  neueren  Geschichte)  an  der  deutschen  Universität  in  Prag;  Feld- 
marschall-Leutnant Leander  v.  Wetzer,  Direktor  des  k.  und  k.  Kriegs- 
archivs; Gustav  Winter,  Direktor  des  k.  und  k.  geheimen  Haus-,  Hof- 
und  Staatsarchivs,  und  Hans  v.  Zwiedineck-Südenhorst,  ord.  Prof. 
(der  allgem.  neueren  und  neuesten  Geschichte)  an .  der  Universität  in  Graz. 


Bcrichtig'niig'.     S,   116,   Anm.  Z.  9  von  unten  mufs  es  heifsen:  „DarsteUung  der 
Kloster  Verfassung,  des  Güterbesitzes  und  dessen  Verwaltung  beschränken". 


Bemerk Ull$r.  —  l^'>s  Märzheft  der  „Deutschen  Geschichtsblätter"  (Nr.  6)  wird  ge- 
meinsam mit  dem   für  April  (Nr.  7)  als  Doppelheft  um  Mitte  März  ausgegeben  werden. 


Herausgeber  Dr.  Armiu  Tille  in  Leipzig.   —   Druck  und  Verlag  von  Frit^drich  Andrea«  Perthes  in  Gotha. 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsschrift 


nir 


Förderung  der  landesgeschichtiichen  Forschung 

II.  Band  März/April  xgoi  6./;.  Heft 


Theatergesehiehte 

Von 
Christian  Gaehde  (Dresden) 

Das  Theater  ist  ein  Kulturträger  allerersten  Ranges.  Haben  wir 
auch  Schillers  Jugendansicht  von  der  Schaubühne  als  moralischer  An- 
stalt glücklicherweise  lange  überwunden,  so  mu(s  doch  dem  Theater 
als  ethischem  Moment  bei  aller  Kulturarbeit  eine  führende  Rolle  zu- 
erkannt werden.  Wo  das  Theater  fehlt,  ist  die  allgemein  menschliche 
Bildung  wohl  kaum  besonders  entwickelt.  Das  lehren  uns  nicht  nur 
die  halbwUden  Völker  des  Orients,  sondern  auch  ein  Blick  in  die  Ge- 
schichte unsrer  eignen  Entwickelung  mu(s  uns  davon  überzeugen.  Nicht 
von  den  Kanzeln  allein,  aus  dem  Munde  beredter  Missionare  hat  das  neue 
Evangelium  von  der  Menschenliebe  seinen  Einzug  in  das  Herz  der  Ger- 
manen gehalten ,  erst  als  Christus  im  Misterium ,  als  die  Heiligen  in 
den  Mirakelspielen  zum  Volke  sprachen  und  dieses  ihr  Wesen  und 
Wollen  verstehen  gelernt  hatte,  ist  dem  Christentum  der  wahre  Boden 
bereitet  worden.  Nun  war  es  nicht  mehr  fremde  Lehre,  von  Fremden 
gebracht,  nun  hatte  es  die  Fesseln  starrer  Dogmatik  abgestreift,  und 
war  Eigentum  der  Gesamtheit  geworden.  Und  bald  wufste  der  naive 
Sinn  des  Volkes  dem  ernsten  Stoffe  heitere  Seiten  abzugewinnen,  so 
die  Entwickelung  des  späteren  Lustspieles  vorbereitend.  Aus  religiösem 
Boden  sind  so  alle  Gattungen  des  Dramas  erwachsen,  ohne  dais  sich 
der  darstellerische  Trieb  des  Volkes  später  dessen  noch  bewufist  ge- 
wesen wäre. 

Allein  die  Darstellung  von  geistlichen  und  später  weltlichen  Schau- 
spielen hatte  aufser  dieser  ideellen  Seite  auch  eine  sehr  materielle, 
sie  kostete  Geld  und  war  daher  an  Orte  gebunden,  wo  entweder  zu 
gewissen  Zeiten  —  bei  Messen  und  Märkten  —  eine  grofse  Menge  zu- 
sammenströmte,  oder  wo  ein  frommer  und  kunstsinniger  Fürst,  ein 
vornehmer  Privatmann  imstande  war,  die  entstehenden  Kosten  zu  über- 
nehmen.    So  kommt  es,  dafs  frühzeitig  das  Theater  in  eine  oft  hcil- 

U 


/' 


—     146     — 

bringende,  oft  aber  auch  schädliche  Abhängigkeit  von  Städten  ')  und 
grofsen  Herren  gerät.  Vor  der  Reformation,  zur  Zeit  der  grofeen  Misterien 
war  dies  noch  nicht  allzusehr  der  Fall,  da  hier  ja  immer  die  Kirche 
als  Leiterin  im  Hintergrunde  stand,  für  Hilfsmittel  und  Geldquellen  reich- 
lich sorgend.  Als  aber  nach  der  Reformation  einmal  das  Theater  sich 
in  die  dogmatischen  Streitigkeiten  hineinmischte  und  in  dem  pro- 
testantischen Schuldrama  und  dem  katholischen  Jesuitendrama  zwei  wich- 
tige religiöse  und  allgemein  kultiurelle  Faktoren  erstanden,  anderseits 
aber  die  englischen  Komödianten  und  seit  1631  ihre  Nachfolger,  die 
hochdeutschen  Komödianten,  neue  Stoffe  und  Darstellungsmittel  auf- 
brachten, war  ein  solches  Abhängigkeitsverhältnis  nicht  mehr  zu  um- 
gehen. Von  dieser  Zeit  an  datiert  die  Privilegienwirtschaft,  unter  der 
unsere  Bühne  jahrhundertelang  unendlich  gelitten  hat.  Die  Beschränkung, 
in  die  viele  Gesellschaften  durch  das  Gebundensein  an  einzelne  Orte 
und  Provinzen  gerieten,  wurde  nicht  vermindert  durch  die  eigentüm- 
liche Lage,  in  der  sich  das  Schauspiel  als  solches  der  Buchlitteratur 
gegenüber  befindet.  Bücher  konnten  überall  hin  dringen,  wurden  aller- 
orten gelesen,  dem  Schauspieler  war  es  versagt,  sein  Werk  freizügig 
wirken  lassen  zu  können,  er  war  gebunden  an  seine  Truppe  und  an 
sein  Privileg.  So  kommt  es,  dafs  wir  über  die  Theaterverhältnisse 
mancher  Gegenden  Deutschlands  noch  so  ungenau  unterrichtet  sind, 
während  ihre  litterarische  Bethätigung  meist  klar  vor  uns  liegt.  Das 
schnell  vergängliche  Werk  des  Schauspielers  geriet  leicht  in  Vergessen- 
heit, die  Titel  der  aufgeführten  Stücke,  die  Petitionen  der  einzelnen 
Truppen  vermoderten  in  den  Ratsprotokollen  und  Steuertabellen  der 
Städte  und  Höfe.  Daher  ist  es  um  so  dankenswerter,  dafe  in  den 
letzten  Jahrzehnten  ein  neu  aufstrebender  Zweig  der  Geschichte,  die 
von  Robert  Prutz  begründete  Theatergeschichte,  hier  Wandel  geschafft 
und  auch  das  scheinbar  Unbedeutendste  nicht  aufser  acht  gelassen  hat. 
In  <icn  grofeen  Centren  dramatischer  Thätigkeit  begann  man  eifrig 
nach  theatergeschichtlichen  Notizen  zu  suchen;  archivalische  Forschungen 
wurden  angestellt,  um  zu  einzelnen  gröfseren  Monographien  zu  führen, 
aber  noch  immer  fehlt  uns  eine  Menge  von  Material  für  eine 
künftige  grofse  deutsche  Theatergeschichte.  Überall, 
wo  ein  Theater  besteht  oder  bestanden   hat,   müssen  die 


i)  In  Köln  wird  bereits  im  Jahre  1201  die  Lage  eines  Grundstückes  bestimmt  retro 
teatrum,  hoc  est  spilhus  (vgl.  Annalen  des  bist.  Vereins  für  den  Niederrhein,  23.  Hefl, 
S.  1 58).  Ob  wir  uns  darunter  einen  Vorläufer  der  modernen  Schauspielhäuser,  etwa  zur  Auf* 
führung  von  geistlichen  Schauspielen  zu  denken  haben  oder  irgend  ein  anderes  Gebäude» 
mufs  freilich  dahingestellt  bleiben. 


—     147     — 

noch  erreichbaren  Thatsachen  zu  Einzelschriften  zu- 
sammengestellt, bereits  veröffentlichte  Untersuchungen 
registriert  werden,  um  so  den  Grundstein  für  den  spä- 
teren grofsen  Bau  zu  legen.  Jede  Stadtgeschichte  sollte  ein 
Kapitel  über  das  Theater  enthalten.  Wenn  die  folgenden  Zeilen  es 
versuchen,  über  den  heutigen  Stand  der  allgemeinen  und  örtlichen 
Theatergeschichte  zu  unterrichten,  so  ist  von  vornherein  eine  Voll- 
ständigkeit in  den  Litteraturangaben  ausgeschlossen,  aber  immerhin 
dürfte  mancher  Leser  willkommene  Fingerzeige  finden. 

Von  allgemeinen,  das  ganze  Gebiet  behandelnden  Werken  ist 
immer  noch  Eduard  Devrient,  Geschichte  der  deutschen  Schatte 
spielkunst  (1848 — 74,  5  Bde.),  zuerst  zu  nennen.  Ihr  stellt  sich  neben 
Robert  Prutz'  Dramaturgischen  Blättern  (1846)  und  seinen  Vor- 
lesungen  über  die  Geschichte  des  deutschen  Theaters  (1847)  nament- 
lich noch  Karl  Heines  Buch  Dcts  Theater  in  Deutschland,  seine 
geschichtliche  Entwickelung  und  kulturelle  Bedeutung  bis  zur 
Gegenwart  (Einbeck,  Lesser  1894)  würdig  zur  Seite.  Das  letzt- 
genannte Werk  unterrichtet  in  vier  grofsen  Abschnitten  (i.  Die  Un- 
behausten,  2.  Das  Heim  an  den  Höfen,  3.  Das  Heim  in  den 
Städten,  4.  Im  neuen  Deutschen  Reich)  über  die  gesamte  Entwicke- 
lungsgeschichte ,  ohne  sich  allzusehr  in  Einzelheiten  zu  verlieren. 
Schauspiel  und  Oper  gemeinsam  behandeln  die  für  die  Theater- 
geschichte überaus  wichtigen  Kataloge  der  Wiener  Musik-  und 
Theater  au  SS  tellung.  Ihnen  kommen  die  jahrelangen  Quellen- 
studien Glossy's  zugute,  der  in  dem  Fachkatalog  der  Abteilung 
für  dcLS  deutsche  Drama  und  Theater  *)  aufser  über  einzelne  theater- 

i)  Wien,  AossteUangs-Kommission  XIH.  Ans  der  filteren  und  neueren  all- 
gemeinen theatergeschichtlichen  Litteratur  seien  hier  noch  genannt:  Löwen:  Geschichte 
des  deutschen  Theaters,  1766.  —  Heinrich  Laube:  Dcis  norddeutsche  TheaUr, 
Leipzig  1872.  —  R.  Gen6e:  Lehr-  und  Wanderjahre  des  deutschen  Schauspiels, 
Berlin  1882.  —  D.  Cook,  On  the  stage^  studies  of  theairical  history  and  the  actor's 
ort,  2  Bde.  London  1883.  —  J.  Brüning:  Le  th/ätre  en  Allemagney  son  origine  et 
ses  lüttes,  Paris  1887.  —  W.  Creizenach:  Geschichte  des  neueren  Dramas,  \, 
HaUe  1893.  —  Derselbe:  Studien  zur  Geschichte  der  dramatischen  Poesie  im 
17.  Jahrhundert  (Berichte  d.  Sachs.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  38,  S.  39  ff.  und  39, 
S.  iff.).  —  Hans  Oberländer:  Die  Theorie  der  deutschen  Schausfielkunst  im 
iB.  Jahrhundert,  Rostock  1896.  —  Rudolf  Lothar:  Zur  Geschichte  des  Theater- 
kostüms.  Neue  Freie  Presse,  Wien,  Nr.  100 16.  —  E.  O.  Lindner:  Die  erste  stehende 
deutsche  Oper,  Berlin  1855.  —  H.  M.  Schletterer:  Das  deutsche  Singspiel  von 
seinen  ersten  Anfängen  bis  auf  die  neueste  Zeit,  Augsburg  1863.  —  Derselbe:  Die 
Entstehung  der  Oper,  Nördlingen  1873.  —  F.  Zelle:  /.  W,  Francky  ein  Beitrag 
zur  Geschichte  der  ältesten  deutschen  Oper,    Berlin  1889. 


—     148     — 

geschichtlich  interessante  Privatsammlungen  auch  über  das  Aus- 
stellungsmaterial  der  verschiedenen  Staaten  und  Städte,  natürlich  nicht 
immer  ganz  gleichmäfeig  genau  berichtet,  während  er  in  dem  Hefte 
Theatergeschichtliche  Aufstellung  der  Stadt  Wien  (Wien,  Biblio- 
thek d.  Stadt  Wien)  besonders  Einzelheiten  über  Wiener  Lokalverhält- 
nisse, so  über  das  Bandenwesen,  die  Balihäuser  und  die  Theaterunter- 
nehmen früherer  Zeit  giebt.  Theaterzeitungen  *)  und  statistische  Werke  ^ 
vervollständigen  unsere  Kenntnis  von  dem  früheren  und  heutigen  Stande 
der  Bühne  immer  mehr;  die  Theateralmanache  *)  und  Lexika*)  geben 
aufser  statistischen  Angaben  auch  ganz  genauen  Aufschlufs  über  das 
Personal  des  deutschen  Theaters  und  arbeiten  so  der  Litteratur,  die  über 
einzelne  Schauspielgröfsen  *)  im  Wachsen  begriffen  ist,  tüchtig  vor. 


i)  Theaterjoumal  für  Deutschland  IJJJ  bis  1784.  —  Theaterfigaro^  Orgctn  der 
Theateragentur  E.  Drenker  dt  Co.  Berlin,  Jahrg.  i — 32  (1899).  —  Deutsche  Bühnen- 
genossenschaft, Jahrg.  I — 29  (1900).  —  Dramaturgische  Blätter^  Organ  des  deutschen 
Bühnenvereins.  (Beiblatt  zum  Mag.  f.  Litteratur  i  und  2.  1898  und  1899.)  —  Bühne 
und  Welt.     Jahrg.  I.  und  2.  (1900). 

2)  V.  Küstner:  Taschen-  und  Handbuch  für  Theaterstatistik.  Leipzig  1855. 
2.  Aufl.  1857.  —  A.  Wechslung:  Statist.  Übersicht  über  die  Aufführ.  Shakespeare- 
scher Werke  a.  d.  deutschen  u.  einigen  ausländ.  Bühnen.  (Jahrb.  d.  Sh.  -  Gesellsch. 
27,  315—320.)  —  Victor  von  Woiko wsky-Biedau:  Die  Theater  in  Preussen, 
(Sehr  zuverlässiges  Nachschlagewerk.) 

3)  Schmidt:  Chronologie  des  deutschen  Theaters.  1775.  —  Reichard s 
Theater- Kalender.  Jahrg.  1775  — 1800  (mit  genauen  Personal  Verzeichnissen  einzelner 
Gesellschaften).  —  R.  Biesendahl:  Deutsches  Theater-fahrbuch.  Berlin,  Cassirer  & 
Danziger.  —  Th.  Entsch:  Deutscher  Bühnen  - Almanach.  Seit  1837  jährlich.  — 
A.  Hin  rieh:  Almanach  für  Freunde  der  Schauspielkunst.  Seit  1837  jährlich.  — 
K  Ersehn  tri  fahrbuch  für  das  deutsche  Theater.  Leipzig.  Jahrg.  i — 20,  seit  1879. — 
Neuer  Theater  -  Almanach  ^  herausgegeben  von  der  Genossenschaft  deutscher  Bühnen- 
angehöriger. Jahrg.  I~i2  (1901).  (Entschieden  am  zuverlässigsten  und  reichhaltigsten.)  — 
Bei  den  meisten  Hoftheatem  erscheinen  mit  Jahresschlufs  Rückblicke  oder  Tagebücher,  so 
z.  B.  Statistischer  Rückblick  auf  die  Königl.  Theater  zu  Berlin,  Hannover,  Kassel 
und  Wüsbaden  für  1896,  Berlin,  MitÜer  &  Sohn.  1897.  —  Tagebuch  der  Königl.  Sachs. 
Hoftheater  v.  fahre  1900.     Dresden ,  Wamatz  &  Lehmann. 

4)  Gallerie  von  Teutschen  Schauspielern  und  Schauspielerinnen  der  älteren  und 
neueren  Zeit.  Wien  1783.  —  O.  G.  Flüggen:  Biographisches  Bühnenlexikon  der 
deutschen  Theater.  München,  Bruckmann  1892.  —  Adolph  Oppenheim  &  Ernst 
Gettke:  Deutsches  Theater lexikon.  Leipzig  1889.  —  Pougin:  Dictionnaire  historique 
et  pittoresque  du  the'dtre.  Paris  1884.  —  Wichtige  bibliographische  Nachweise  enthalten 
die  seit  1890  erscheinenden  Jahresberichte  für  neuere  deutsche  Litteraturgeschichte ; 
einzelne  Schauspieler  behandelt  die  Allgemeine  Deutsche  Biographie. 

5)  Manche  gröfsere  Arbeit  führt  Devrient  an:  III,  431  und  V,  324.  Von  Mono- 
graphien über  ältere  Bühnenhelden  seien  erwähnt  Reden-Esbeck:  Karoline  Neuber, 
und  Martersteig:  Pius  Alexander   Wolff.     Leipzig  1879. 


—     149     — 

Das  lebhafteste  Interesse  von  allen  Schauspielermonographien 
kann  jedenfalls  die  grofs  angelegte  Biographie  F.  L.  Schröders 
(-j- 1816)  von  Berthold  Litzmann  *)  beanspruchen,  die  eine  prächtige, 
auf  den  Quellen  beruhende  Schilderung  vom  Leben  und  Wirken  eines 
Schauspielers  und  Schauspieldirektors  vergangener  Zeit  giebt.  Die 
stete  Bezugnahme  auf  die  allgemeinen  kulturellen  und  litterarischen 
Zeitverhältnisse,  die  eingehende  Benutzung  der  Quellen  machen  das 
Buch  zu  einer  wahren  Fundgrube  theatergeschichtlichen  Wissens  und 
können  einem  jeden,  der  an  der  Biographie  eines  Theatermannes 
arbeitet,  als  Muster  dienen.  Auch  der  Schattenseiten  des  Theater- 
lebens, die  nicht  nur  in  Repertoireschwierigkeiten  *)  und  Zensurverboten  *) 
bestehen,  wird  in  der  neueren  Litteratur  mehr  und  mehr  gedacht.  Mit 
der  Theatergesetzgebung*),  die  gerade  in  unseren  Tagen  infolge  der 
Streitigkeiten  zwischen  dem  Deutschen  Bühnenverein  und  der  Genossen- 
schaft Deutscher  Bühnenangehöriger  an  aktuellem  Interesse  gewinnt, 
beschäftigen  sich  eine  Reihe  von  Arbeiten.  Wichtig  und  interessant 
sind  Schriften  neueren  Datums  über  das  Bühnentechnische  *)  und 
die  Theaterreform  *) ,  denn  gerade  hier  ist  der  Laie ,  der  nicht 
selbst  in  dem  Getriebe  eines  grofsen  Theaters  steht  und  die  Schwierig- 
keiten, die  seine  Leitung  verursachen,  nicht  kennt,  geneigt,  allzu- 
rasch den  Stab  über  Menschen  und  Dinge  zu  brechen,  deren 
Wollen    und    Wirken    er    nicht   verstehen    kann.      Theaterdemonstra- 


i)  F,  L.  SchrödiTy  ein  Beitrag  zur  deutschen  Litteratur-  und  J'heater geschickte, 
Bd.  I  und  II.     Hamburg,  Vofs,   1890  und   1894. 

2)  VgL  die  Untersuchungen  Über  einzelne  Theaterzettel  z.  B.  Beilage  zur  Allgem.  Ztg. 
1896,  Nr.  97;  Bühne  und  Leben  III,  388;  Beilage  zur  Leipziger  Ztg.  1899,  Nr.  103; 
R.  Thiele:  Die  Theaterzettel  der  sogenannten  Hamburgischen  Entreprise  1767 j 6g, 
Erfurt  (1895).  —  Rudolf  Schlösser:  Vom  Hamburger  Nationaltheater  zur  Gothaer 
Hofbühne.  1895.  —  Zwei  Theaterzettel  einer  ungenannten  Puppea«pielergesellschaft  in 
Aachen   1779  in  Zs.  d.  Aachener  Geschichtsvereins  XIX  (1897),  S.   142. 

3)  K.  Th.  Heigel:  Die  Theatercensur  unter  Kurfürst  Karl  Theodor  (Forschungen 
zur  Kultur-  und  Litteraturgeschichte  Bayerns  111(1895),  i?^ — ^^S)*  —  Karl  Glossy:  Zur 
Geschichte  der  Wiener  Censur  (Jahrbuch  der  Grillparzer- Gesellschaft.     7.  Jahrgang  1897). 

4)  Otto  Opet:  Deutsches  TheaUr recht.  Berlin,  Calvary  &  Co.  —  M.  E.  Burk- 
hard:  Recht  der  Schauspieler.     Stuttgart   1896. 

5)  Birch:  Dramatik  oder  Darstellung  der  Bühnenkunst.  Stuttgart  185 6*.  — 
K,  ▼.  Reinhardstöttner:  Eine  Münchner  Dramaturgie  vor  100  fahren  (Forschungen 
zur  Kultur-  und  Litteraturgeschichte  Bayerns.  5.  Buch,  1898.  —  H.  Bischoff:  Ludwig 
Tieck  als  Dramaturg,  Brüssel  1898.  —  Hans  Landsberg:  Immermann  als  Drama- 
turg  (Bühne  und  Welt  I,  831). 

6)  K.  V.  Per  fall:  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  Kgl.  Theater  in  München. 
München,  1894. 


—     150     — 

tionen  *)  sind  ja  glück-licherweise  nicht  allzuhäufig ,  und  eine  gesunde 
Kritik  wird  ihnen  immer  in  genügendem  Mafse  vorzubeugen  wissen.  Ein 
wichtiger  Faktor  für  das  Zustandekommen  eines  einheitlichen  Theater- 
stiles ist  die  Bühnensprache  *).  Ihr  wandte  sich  daher  eine  aus  Theater- 
fachmännem  und  Germanisten  bestehende  Kommission  zu,  die  vor 
einigen  Jahren  über  eine  Reform  der  Bühnensprache  beriet  und  gewisse 
Normen  aufstellte  ').  Hier  wird  in  einer  auch  dem  Laien  verständlichen 
Weise  alles  bisher  Strittige,  so  die  Aussprache  der  einzelnen  Vokale 
und  Konsonanten,  zu  regeln  und  durch  Beigabe  eines  Aussprache- 
verzeichnisses eine  einheitliche  Bühnensprache  zu  begründen  versucht. 
Die  Geschichte  des  deutschen  Schauspielerständes  beginnt  mit 
dem  Auftreten  der  englischen  Komödianten.  Wenn  auch  in  Deutsch- 
land schon  vorher,  namentlich  seit  dem  Erwachen  des  Humanismus, 
eine  reiche  dramatische,  zum  Teil  lateinisch  geschriebene  Litteratur 
erstanden  war,  wenn  auch  in  Schulen  und  Spielhäusem  einzelner 
Städte  manches  gelehrte  Stück,  manch  lustiges  Fastnachtspiel  auf- 
geführt worden  sein  mag,  für  die  Schauspielkunst  bedeutet  dies  wenig 
oder  nichts,  weil  diese  Aufführungen  nicht  zum  Gesamtgute  der  Nation 
werden  konnten.    Das  verdanken  wir  erst  den  englischen  Komödianten  *). 


1)  Th<aterdetnonstrationen  183g — i8gs  (Österreichische  Volkszeitang  1895, Nr.  156.)— 
H.  Sternberg:  Denkwürdige  TheaterskandaU (Deutsche  Bühnengenossenschafl  22,  S. 89 
bis  91).  —  Derselbe:  Betahlte  Bei/alisspenden  (ebenda  1892,  S.  31/32).  —  E.  Mayer: 
Theaterprozesse  (Festschrift  zum  50jährigen  Doktorjubiläum  von  J.  v.  Held.  Würz- 
burg i888). 

2)  AUgemeiner  Deutscher  Sprachverein.  Verdentschungsbttcher  Bd.  IX:  B.  De- 
necke:  Tonkunst y  Bühnenwesen  und  Tanz.     Berlin   1899. 

3)  Theodor  Siebs  hat  den  Kommissionsbericht  verfafst,  der  unter  dem  Titel: 
Deutsche  Bühnenaussprache  (Köln,  Albert  Ahn,   1898)  erschienen  ist 

4)  Die  Litteratur  über  diese  ist  recht  umfangreich,  aber  es  liefsen  sich  gewifs  noch 
viele  Nachträge  liefern,  wenn  die  örtliche  Geschichtsforschung  sich  noch  mehr  wie  bisher 
auf  diesem  Gebiete  bethätigen  wollte.  Hier  seien  erwähnt:  Tittroann:  Die  SchaU' 
spiele  der  englischen  Komödianten,  Leipzig  1880.  —  J.  Bolte:  Die  Singspiele  der 
englischen  Komödianten  und  ihrer  Nachfolger  in  Deutschiandy  Holland  und  Skandinavien 
(Theatergeschichtliche  Forschungen,  7.  Heft,  1893),  welcher  neben  Creizenach  wohl  am 
besten  unterrichtet.  —  C  o  h  n ,  Shcdtespeare  in  Germany  in  the  sixteenth  and  seventeenth 
Century t  Berlin  1865.  —  W.  Cloetta:  Beiträge  zur  Litteraturgeschichte  des  Mittelalters 
und  der  Renaissance,  Halle  1 892.  —  W.  Creizenach:  Die  Schauspiele  der  engl,  Comödianten 
in  Deutschland,  Leipzig  1880.  —  Derselbe:  John  Spencer  (Allg.  Deutsche  Biographie).  — 
R.  Gen6e:  Geschichte  der  Shakespeareschen  Dramen  in  Deutschland,  Leipzig  1870.  — 
O.  v.  H  e  i  n  e  m  a  n  n :  Herzog  Heinrich  Julius  und  die  Anfänge  des  deutschen  Theaters, 
Aus  der  Vergangenheit  des  weifischen  Hauses.  1881.)  —  R.  Trautmann:  Engl,  Komödianten 
in  Rothenburg  oh  der  Tauber  (Zeitschr.  für  vergl.  Litteraturgesch.,  7,  60 — 67;  enthält  wert- 
volle Nachrichten   Über   Anfang   des    17.  Jahrh.   umherziehende  Komödiantenbanden).   — 


—     151     — 

Von  ihrem  ersten  Auftreten  an  durchziehen  sie,  ein  auf  die  geschäft- 
liche Seite  rege  bedachtes  Völkchen,  unablässig  die  deutschen  Gaue 
und  bereiten  so  die  deutsche  Wanderbühne,  die  dann  Jahrhunderte 
lang  den  Bedarf  der  Städte  und  Provinzen  an  theatralischen  Auffüh- 
rungen decken  sollte,  vor.  Aber  nicht  nur  einen  eigenen  Schauspieler- 
stand schufen  sie,  sondern  auch  die  alte  eingewurzelte  Schulkomödie 
erhält  durch  sie  neue  Anregung;  die  Studenten  und  Schüler  nehmen 
Teil  an  der  schauspielerischen  Durchbildung.  So  ist  es  von  nun  an 
nichts  Seltenes,  dafe  Theologen  und  Mediziner,  denen  ihr  Studium 
nicht  den  rechten  Erfolg  gebracht,  ja  da{s  sogar  ausgediente,  im  Felde 
ergraute  Soldaten  sich  zur  Wanderbühne  ^)  schlagen.  Bis  auf  den 
heutigen  Tag  hat  sich  die  Wanderbühne   erhalten,   denn  was  ist  es 


R.  V.  L  i  1  i  e  n  c  r  o  D :  D<xs  deutsche  Drama  im  i6,  Jahrh,  und  Prinz  Hamlet  aus  Däne^ 
mark,  (Deutsche  Randschao,  17,  242 — 264,}  —  Georg  Witkowski:  Die  Anfänge 
des  deutschen  Theaters.  (Hochschulvortr.  fUr  Jedermann.  Leipzig,  Seele  1898.)  —  J.  Meiss- 
ner: Die  englischen  Komödianten  zur  Zeit  Shakespeares  in  Österreich,  Wien  1884.  — 
J.  Sittard:  Die  englischen  Komödianten  in  Hamburg,  (Hamb.  Correspondent  1890. 
141/42.)  —  E.  F.  Gaedechens:  Eine  Einlassmarke  zum  engl,  Theater  in  Hamburg, 
(Mitteilungen  des  Vereins  für  Hamb.  Geschichte.     Bd.  13,  pag.  61,  71  —  75. 

i)  Über  die  Wanderbühne  unterrichtet  am  besten  zusammenfassend  Karl  Heine: 
Das  Schauspiel  der  deutschen  Wänderbühne  vor  Gottsched,  1889.  —  Einzelne  Beiträge 
liefern  folgende  Schriften.  A.  Dessoff:  Über  spanische^  ital,  u,  /ranz,  Dramen  in 
den  Spielverzeichnissen  der  Wandertruppen,  (2^itschr.  für  vergleichende  Litteraturg. 
Neue  Folge  4,  i — 14.)  —  H.  Devrient:  J,  F,  Schönemann  und  seine  Schauspieler" 
gesellschaft  (Theaterg.  Forschungen  1 1)  bietet  sorgflilüge  Besprechung  der  Wanderungen 
und  des  Repertoires.  —  F.  Heitmüller:  /.  A,  G,  Uhlieh,  //.  Holland,  Komödianten 
in  Hamb,  1740 — 41  (Th.  Forsch.  8).  —  O.  Hohnstein:  Braunschweig  in  d,  Zeit  vor 
dem  dreissigfährigen  Krieg,  (Darin  novellistische  Schilderung  einer  Aufführung  des 
Vincentio  Laodislao.)  —  K.  Koppmann:  Zur  Geschichte  der  dramat,  Darstellungen 
i,  Rostock  im  JÖ,  u,  17,  Jahrh,  (Beiträge  zur  Geschichte  Rostocks.  1890,  37 — 62),  ent- 
hält Nachrichten  über  Studentenaufführungen  und  Darbietungen  wandernder  Schauspieler« 
Bericht  über  Angriflfe  der  Geistlichen  gegen  das  Theater.  —  H.  A.  Lier:  /.  Veiten, 
(Allg.  Deutsche  Biographie.)  —  A.  Niggli:  Die  Ackermannschen  Komödianten  in  der 
Schweiz,  1757—60,  (Neue  Zürcher  Zeitung.  1890,  37—42.)  —  J.  Paludan:  Deutsche 
Wandertruppen  in  Dänemark,  (Zeitschr.  für  deutsche  Philologie  25,  313—343'  Mehrere 
ausführliche  Theaterzettel  8|ad  abgedruckt)  —  J.  Schwering:  Zur  Gesch,  des  nieder^ 
länd,  und  span,  Dramas  in  Deutschland,  (Neue  Forschungen.  München,  Coppenrath. 
Untersucht  genau  das  Repertoire  der  Wandertruppen.)  —  Über  schlesische  Wander- 
truppen liegt  umfangreiches  Material  im  kgL  Staatsarchiv  zu  Breslau.  —  S.  Winda- 
kiewicz:  Die  älUsten  Schauspielertruppen  in  Polen,  —  O.  Zimmermann:  Ein 
Theater  in  Bevem,  (Braunschweiger  Anzeiger  1893.  76—81.)  Ferdinand  Albrecht,  der 
Bruder  Anton  Ulrichs,  beherbergt  Andreas  Elenson  und  Johann  Veiten  mit  ihren  Truppen 
bei  sich.  Seine  Tagebuchnotizen  (im  Archiv  zu  Wolfenbüttel)  enthalten  die  Titel  und 
Inhaltsangaben  der  aufgeführten  Stücke. 


—     152     — 

anders,  wenn  fahrende  Leute  noch  heute  in  den  Dörfern  ihr  Puppen- 
theater aufschlagen,  ihre  Marionetten  tanzen  lassen  und  bekannte 
Sagenstoffe  dem  Volke  in  oft  grober  Verzerrung  darbieten  *)?  Aber 
noch  in  anderer  Gestalt  besitzen  wir  die  deutsche  Wanderbühne,  in 
einer  verjüngten,  veredelten.  Als  mit  dem  schnellen  Emporblühen 
zahlreicher  Theater  das  Risiko  der  Theateruntemehmer ,  namentlich 
wenn  sie  darauf  bedacht  waren^  ein  wirklich  vornehmes  künstlerisches 
Ensemble  und  ein  zugkräftiges  Repertoire  zu  haben,  immer  mehr  wuchs, 
das  Interesse  des  Publikums  aber  nicht  in  gleichem  Maase  Schritt 
hielt,  da  begann  man  das  Publikum  selbst  aufzusuchen.  Die  bekanntesten 
tmd  künstlerisch  wertvollsten  dieser  Wanderaufführungen  sind  die  der 
Meininger  geworden,  über  die  schon  eine  ganze  Litteratur  entstanden 
ist  *).  Andrerseits  wieder  vereinigte  man  eine  aus  allen  deutschen  Gauen 
zusammengerufene  auserlesene  Schauspielergesellschaft  zu  Mustervor- 
stellungen in  gröfeeren  deutschen  Städten,  eine  Art  des  künstlerischen  Be- 
triebes, die  gerade  in  unseren  Tagen  wieder  stark  in  Aufnahme  kommt. 
Neben  der  englischen  und  deutschen  Wanderbühne  haben  in  der 
Frühzeit  des  deutschen  Schauspiels  das  protestantische  Schul- 
drama ')  und  das  katholische  Jesuitendrama  ^),  trotz  ihrer  örtlichen  Ge- 


i)  Das  dent5che  Kasperle-Theater  behandelt  Lemercier  de  Neuville:   Histoire 

anecdotique   des   marionetUs   modernes,     Paris ,    Levy. W.  S  p  o  h  r :    Vom  Kasperle 

und  vom  Marionettentheater  (Dramaturgische  Blätter  I,  8).  —  Tony  Kellen:  Das 
Kölner  Hänneschen  Theater  (ebend.  I,  2.).  —  Alexander  Tille:  Fahrende  Leute 
(Norddeutsche  Allgemeine  Ztg.  Ig95,  450  und  4.54)  berichtet  über  sächsische  Puppen» 
Spielertruppen,  das  Leben  der  Puppenspieler  und  ihr  Verhältnis  su  den  Behörden. 

2)  Eine  zusammenfassende  Geschichte  dieser  gröfsten  modernen  Wanderbühne  fehlt 
noch,  aber  Karl  Zeifs  bereitet  eine  solche,  durchaus  aus  den  ersten  QueUen  schöpfend^ 
TOr.  Die  wichtigsten  bisher  erschienen  Schriften  sind:  R.  Proelss:  Das  herzogL 
meiningensche  Hoftheater  und  die  Bühnenreform,  Erfurt  1882.  —  Derselbe:  Führer 
durch  das  Repertoire  der  Meininger,  Leipzig  1887.  —  Richard:  Chronik  sämtlicher 
Gastspiele  des  herzogt,  Sachsen-Meiningenschen  Hof  theaters  1874 — j8go,     Leipzig  1890. 

3)  Die  Litteratur  ist  verhältnismäüsig  reich  —  Zusammenfassendes  giebt  Riedel:  Schul- 
drama  und  Theater,  Hamburg  1885;  viel  ist  in  den  Monographien  über  einzelne  Gymnasien 
enthalten.  Besondere  Arbeiten  über  Schultheater  liegen  z.  B.  vor  aus  Glatz  (P.  Prohasel)^ 
Schwarzburg-Rudolstadt  (AnemüUer),  Rothenburg  a.  d.  Tauber  (Th.  Hampe),  Weimar 
(Heiland),  Strafsburg  (Jundt),  Zeitz  (Rothe),  Chemnitz  (Straumer  u.  Uhle),  Bern  (Tobler),  Salz- 
burg (Wagner).  Das  Inventar  der  zu  den  Schulkomödien  in  Wertheim  1622  benötigten  G^en- 
stände  ist  gedruckt  Archiv  d.  hist  Vereins  von  Unterfranken  und  Aschaffenburg  19,  70.  — 
Eine  der  jüngsten  Litteraturen ,  die  eine  Dramatik  entwickelt  hat,  die  Neu- Islän- 
dische, führt  ihre  Entstehung  auch  auf  die  Aufführungen  der  Schüler  am  Gymnasium  zu 
Reykjavik  zurück.  Vgl.  Schwert  und  Krummstab  von  IndridiEinarsson,  Übers,  aus 
dem  Neu-Isländischen  von  M.  phil.  CarlKüchler.    Berlin,  E.  Ebering,  1900.    Vorwort. 

4)  Auch  über  das  Jesuitendrama  liegen  zahlreiche  Einzelarbeiten  vor,  besonders  von 


—     163     — 

bundenheit,  einen  wesentlichen  Einfluis  auf  die  Weiterentwicklung  der 
Bühne  gewonnen.  Die  Teilnahme  an  den  religiösen  Streitfragen, 
welche  die  Welt  bewegten,  hob  das  Schuldrama  weit  über  seinen 
unmittelbaren  Zweck,  die  Schüler  im  Lateinischsprechen  zu  üben,  hin- 
aus, und  nicht  selten  wurden  die  Schüleraufführungen  eine  fühlbare 
Konkurrenz  für  die  Vorstellungen  der  Berufsschauspieler.  Die  Jesuiten- 
komödie mit  ihren  prunkvollen  Auffuhrungen  behauptete  sich  neben 
den  einfacheren  Darbietungen  der  Wanderbühne  eine  ganze  Zeit 
lang,  aber  nach  dem  dreifsigjährigen  Kriege  steuerte  auch  sie  ihrem 
Untergange  zu.  Der  letzte  Dichter  des  Schuldramas  ist  Christian 
Weise  (-j-  1703)  gewesen;  nach  ihm  ist  es  wieder  geworden,  was  es 
seinem  Wesen  nach  sein  sollte,  eine  Schülerübung  ohne  allgemeines 
oder  gar  künstlerisches  Interesse. 

Die  Wanderbühne  war  dem  Aufkommen  stehender  Theater 
nicht  allzu  förderlich.  Zwar  mufste  jede  Gesellschaft  ein  festes  Dach 
über  dem  Kopfe  bei  ihren  Aufführungen  dem  Zelte  vorziehen,  aber 
den  Städten  lag,  der  ganzen  Zeitrichtung  entsprechend,  nicht  viel  daran, 
für  ein  derartiges  dauerndes  Unterkommen  zu  sorgen.  Viel  eher  nahmen 
ktmstsinnige  Fürsten  die  wandernden  Truppen  in  ihren  Schutz,  er- 
richteten ihnen  Wirkungsstätten  und  wachten  eifersüchtig  darüber,  dais 
die  „Künstler"  von  ihren  Fahrten  stets  zu  rechter  Zeit  an  den  Hof 
zurückkehrten.  Die  Errichtung  von  Hoftheatern  war  so  nur  eine  Frage 
der  Zeit.  Dann  zögerten  aber  auch  die  Städte  bald  nicht  mehr,  der 
dramatischen  Kunst  durch  den  Bau  eigener  Theater  in  ihren  Mauern  eine 
Heimstätte  zu  bereiten:  in  Breslau  besteht  ein  „Komödienhaus**  seit 
1677,  in  der  Reichsstadt  Aachen  wurde  es  1748  bis  175 1  erbaut^). 

Das  Wirken  der  gröfiseren  Hoftheater  hat  natürlich  schon  eine 
Reihe  Einzeluntersuchungen  über  ihre  Geschichte  ins  Leben  gerufen. 
Die  meisten  Arbeiten  stellen  dabei  Berlin,  München  und  Wien  ins 
Feld.  Unter  der  Menge  Berliner  Schriften  heben  wir  namentlich 
Weddigen,  Geschichte  der  Berliner  Theater  1899  hervor,  weil 
diese  Arbeit  zeig^,  wie  eine  Theatergeschichte  nicht  gemacht  werden 
soll,  und  so  gewissermafsen  als  abschreckendes  Beispiel  gelten  kann.  Der 
Verfasser  hat  es  sich  zur  Aufgabe  gemacht,  alle  Berliner  Bühnen  zu 
behandeln.     So  kommt  es,  dafs  die   ersten  Kapitel   seines  78  Seiten 


P.  Bahlmann  und  J.  Zeidler.  G.  Müller,  Zur  Geschichte  der  Jesuitenkomödie  in 
Sachsen.  N.  Archiv  f.  Sachs.  Geschichte  14  (1893),  S.  140.  Im  engeren  Zusammenhange 
damit  stehen  die  geistlichen  Schauspiele  des  Mittelalters,  die  ihre  eigene  Litteratur  haben. 
I)  R.  Pick,  Das  Aachener  Theater  in  reichsstädtischer  Zeit  (Aus  Aachens  Ver- 
gangenheit —  gesammelte  Aufsätze  —  S.  450,  461}. 


A 


—     154     — 

starken  Werkes,  der  die  Hofbübnen  behandelnde  Teil,  aus  einer  ziem- 
lich kritiklosen  Zusammenstellung  von  Notizen  aus  Devrients  und  Karl 
Heines  Arbeiten  bestehen.  Was  er  über  die  Berliner  Privattheater  zu 
sagen  hat,  ist  ebenfalls  nicht  viel  besser,  ja  enthählt  sogar  eine  ganze 
Reihe  positiver  Fehler.  Von  Josef  Kainz'  Wirken  unter  L'Arronge 
scheint  ihm  nichts  bekannt  zu  sein,  auch  hat  Brahm  nach  seiner  Mei- 
nung bereits  1884  die  Leitung  des  Deutschen  Theaters  übernommen. 
Das  sind  Mängel,  die  in  einer  sorgfaltigen  Theatergeschichte  nicht 
vorkommen  dürfen.  Stilblüten  wie:  „Der  Zuschauerraum  .  .  .  fafst 
nunmehr  über  1044  Personen**  (S.  50)  oder  „Friedrich  Wilhelm  IV., 
von  hohen  Kunstinteressen  beseelt  und  Romantiker  von  Geist**  (S.  45), 
tragen  ebenfalls  nicht  zur  Erhöhung  des  Genusses  bei.  Aber  vielleicht 
wäre  dem  Buche  nicht  eine  so  gründliche  Ablehnung  von  allen  Seiten 
widerfahren,  wenn  sein  Verfasser  nicht  selbst  „von  dessen  Nutzen  für 
die  allgemeine  Theatergeschichte**  so  felsenfest  überzeugt  gewesen 
wäre. 

Eine  ganz  andere  Arbeit  ist  dagegen  Friedrich  Walte r's  Ge- 
schichte des  Theaters  und  der  Musik  am  kurpfälzischen  Hofe,  die 
das  Kunstleben  am  Heidelberger  Hofe  von  der  Zeit  der  Minnesänger  an, 
dann  die  sich  um  den  Hof  der  Neuburger  in  Düsseldorf  gruppierende 
Kunstbethätigung,  welche  bis  zur  Begründung  einer  grofsen  Oper  da- 
selbst führte  (1687),  und  die  künstlerischen  Bestrebungen  Karl  PhUipps 
in  einem  einleitenden  Kapitel  gründlich  behandelt,  um  weiter  eingehend 
auf  die  Blütezeit  unter  Herzog  Karl  Theodor  überzugehen.  Holzbauers 
(i"  1 783)  Einfluls  auf  die  Mannheimer  Hofoper,  ihr  grofsartiges  Reper- 
toire, das  Personal,  Wechselwirkungen  zwischen  Oper  und  Schauspiel, 
fremde  Elemente  und  ihre  Einbürgerung  auf  deutschem  Boden,  alles 
das  wird  geschmackvoll  und  überzeugend  vorgetragen.  Von  der 
tüchtigen  Forschung  des  Verfassers  zeugen  die  im  Anhang  teilweise 
veröflfentlichten  Quellennachweise,  so  Holzbauers  Selbstbiographie,  ein 
chronologisches  Verzeichnis  der  in  Heidelberg,  Düsseldorf,  Mannheim 
und  Schwetzingen  aufgeführten  Opern,  Oratorien  und  Ballets.  Dals 
mit  dem  Wegzuge  des  Hofes  von  Mannheim  1778  auch  das  Buch 
schliefst,  finden  wir  bei  der  Menge  von  Darstellungen,  die  Mannheims 
spätere  Glanzzeit  unter  Dalberg  gefunden  hat,  ganz  begreiflich.  Be- 
sonders hervorzuheben  ist  noch,  dafs  der  Verfasser  in  seinem  Werke 
viele  bisher  gänzlich  dunkle  Punkte  erhellt  und  durch  mühsame  Arbeit 
aus  Opern textbüchern ,  zeitgenössischen  Beurteilungen,  Briefen  und 
Memoiren  ein  Material  gewonnen  hat,  das  für  seine  warme  Beurteilung 
des  künstlerischen  Strebens  der  Kurpfälzer  beredtes  Zeugnis  ablegt 


—     165     — 

» 
München  ist  mit  zwei  Jubiläumsschriften  würdig  vertreten.   Otto 

Julius  Bierbaum  h^\izsi^f\t\vi\  Fünfundzwanzig  Jahre  Münchener 
Hoftheater -Geschichte  die  Zeit  der  Perfallschen  Intendanz,  würdigt 
dessen  Verdienste  um  die  Aufführung  Ibsens  und  hebt  die  Schöpfung 
der  Münchner  Oper  hervor.  Er  erzählt,  wie  die  Bühnen  Süddeutsch- 
lands sich  von  Paris  und  Berlin  befreiten ;  seine  statistischen  Angaben 
sind  zuverlässig,  so  dafs  das  Ganze  eine  voll  ihren  Zweck  erfüllende 
Arbeit  zu  nennen  ist;  nur  die  wenig  gelungenen  Porträts  hätten  anders 
ausfallen  sollen.  Die  zweite  Jubiläumsschrift  ist  Ein  Beitrag  zur 
Geschichte  der  königlichen  Theater  in  München  von  Karl  von 
Per  fall,  die  in  zwei  Teilen  alles  aus  der  Zeit  von  1867  bis  1892 
für  die  Münchner  Hofbühne  Erwähnenswerte  —  und  das  ist  recht 
viel  —  zusammenstellt.  P.  berichtet  über  sein  Programm  als  Intendant, 
über  das  Personal,  die  Aufführungen,  Festvorstellungen  und  sonstige 
Veranstaltungen  unter  VeröfTentlichung  eines  aufserordentlich  reichen 
Materials  für  eine  künftige  Geschichte  des  Münchner  Theaterlebens. 
Zeitungsberichte,  wichtige  Schreiben  der  vorgesetzten  Behörden  und 
nicht  zum  wenigsten  die  genauen  statistischen  Angaben  verleihen  dem 
Buche  einen  bleibenden  Wert,  namentlich  auch  weil  die  Schriften  über 
die  Shakespearebühne  gut  benutzt  und  verarbeitet  sind. 

Unter  den  Wiener  Einzeldarstellungen  ist  an  erster  Stelle  Ru- 
dolphLothar:  Das  Wiener  Burgtheater  [i^gg)  zu  nennen.  Dieses 
Buch  ist  in  der  Sammlung  „Dichter  und  Darsteller"  erschienen,  ist  reich 
mit  Abbildungen  geschmückt,  ohne  dadurch  zum  Bilderbuch  zu  wer- 
den. Es  enthält  die  vollständige  Entwickelungsgeschichte  des  Burg- 
theaters und  versucht  vor  allen  Dingen  den  psychologischen  Momenten 
bei  der  Ausgestaltung  dieser  einzigartigen  Bühne  nachzukommen.  So 
bietet  es  nicht  nur  feinsinnige  Betrachtungen  über  das  künstlerische 
Wesen  und  die  künstlerische  Aufnahmefähigkeit  der  Wiener,  es  giebt 
eine  vollständige  Geistesgeschichte  Wiens  seit  dem  Auftreten  Ber- 
nardons*  und  Prehäuser's  bis  auf  den  heutigen  Tag.  Das  einzige 
Störende  in  dem  so  genufsreichen  Werke  ist  vielleicht  die  etwas  allzu- 
absichtlich hervorgekehrte  Unzufriedenheit  des  Verfassers  mit  Schien- 
thers Bühnenleitung.  Als  Geistesgeschichte  des  Burgtheaters  giebt  es 
sich  nicht  mit  statistischen  Angaben  ab.  Diese  sind  in  geradezu  muster- 
hafter Weise  für  die  Hofoper  enthalten  in  dem  Buche :  Das  kaiserlich- 
königliche Ho/opem- Theater  in  Wien,  herausgegeben  von  A.  Josef 
Weltner,  Alois  Przistaupinsky  und  Ferd.  Graf,  Wien  1894.  Dieses  be- 
schäftigt sich  mit  den  Personalverhältnissen  und  der  künstlerischen 
Thätigkeit  der  Hofoper  vom  25.  Mai   1869  bis  zum   30.  April  1894. 


/ 


> 


—     156     — 

Mit  minutiöser  Genauigkeit  ist  hier  alles  zusammengetragen,  was  über 
Theaterleitung,  künstlerisches  und  technisches  Personal  zu  sagen  ist. 
Genaue  Übersichten  über  die  in  den  einzelnen  Jahren  stattgefundenen 
Erstaufführungen,  sowie  über  alle  künstlerischen  Veranstaltungen  in  der 
angegebenen  Zeit  bcschliefeen  das  Werk,  das  als  statistische  Muster- 
leistung angeführt  werden  kann.  Eine  gleiche  Genauigkeit  und  Reich- 
haltigkeit weist  auch  Weltners  Arbeit:  Mozarts  Werke  und  die 
Wiener  Hof-Theater  (Wien  1896)  auf. 

Dem  Theater  der  Grafen  Schaffgotsch  zu  Warmbrunn  ist  die  kleine 
Schrift  von  Heinrich  Nentwig:  Geschichte  des  Reichsgräflichen 
Theaters  zu  Warmbrunn  gewidmet,  die  recht  ausführlich  eine  Dar- 
stellung der  Theaterverhältnisse  dieses  Badeortes  giebt.  Liebhaber- 
bühnen wechselten  daselbst  im  Anfang  mit  wandernden  Schauspieler- 
gesellschaften ab,  bis  nach  Erbauung  eines  gräflichen  Schauspielhauses 
(1836)  eine  regelmäfsigereKunstbethätigung  eintreten  konnte.  Aufeerüber 
die  Verhältnisse  der  Schauspieler  und  den  technischen  Teil  des  Theater- 
betriebes plaudert  Nentwig  ganz  interessant  über  den  Spielplan,  den 
er  von  1817  bis  1853  genau  abdruckt,  und  verleiht  so  seinem  Buche 
einen  gewissen  ernsten  litterarischen  Hintergrund,  der  ihm  recht  wohl 
ansteht. 

Den  Reigen  der  Stadttheater  mag  das  grofs  angelegte  Buch 
Schlesingers,  Geschichte  des  Breslauer  Theaters,  eröffnen.  Auf 
Grund  der  eingehendsten  archivalischen  Forschungen,  in  klarer  und  über- 
sichtlicher, oft  vielleicht  etwas  zu  annalistischer  Weise  behandelt  Seh.  das 
Drama  des  Mittelalters  und  der  Reformation,  die  Schulkomödie,  das  Auf- 
treten der  englischen  Komödianten,  und  das  Wirken  der  Wanderbühnen 
in  dem  seit  1677  bestehenden  Komödienhaus,  das  fünfzig  Jahre  später 
in  den  Besitz  der  Stadt  überging.  Die  Reformen  der  Ncuberin,  die 
Errichtung  der  „kalten  Asche**  1754,  Lcssings  dramaturgisches  Wirken, 
die  Begründung  des  neuen  Theaters,  alles  dies  giebt  dem  Verfasser 
Gelegenheit,  sein  reiches  theatergeschichtliches  Wissen,  in  ein  an- 
genehmes Gewand  gekleidet,  vor  uns  zu  entwickeln.  Der  in  Aussicht 
stehende  zweite  Band  kann  des  Interesses  der  Theaterfreunde  gewifs  sein. 

Für  Nürnberg  haben  wir  eingehende  Forschungen  in  der  Arbeit 
von  Theodor  Hampe:  Die  Entwicklung  des  Theaterwesens  in 
Nürnberg  von  der  zweiten  Hälfte  des  XV,  Jahrhunderts  bis  1806. 
Von  1449  an  sind  alle  auf  das  Theater  bezüglichen  nur  irgend  auf- 
findbaren Notizen  in  chronologischer  Reihenfolge  abgedruckt,  und  so 
konnten  selbst  zur  Hans  Sachs -Forschung,  für  die  doch  die  Rats- 
verlässe schon  so  vielfach  durchgesehen  worden  sind,   ein   paar  neue 


—     157      — 

Notizen  beigebracht  werden.  Einige  weitere  der  jetzt  erst  hinzugefun- 
denen einschlägigen  Verlässe  ergänzen  die  bisherigen  Nachrichten  über 
die  theatralische  oder  dichterische  Thätigkeit  des  Veit  Fesselmann, 
Michel  Vogel,  Jörg  Frölich  und  anderer  Genossen  des  Hans  Sachs 
aus  dem  Kreise  der  Meistersinger. 

Eine  treffliche  Arbeit  über  die  Theaterverhältnisse  in  Stralsund 
ist  das  Buch  von  F.  Struck:  Die  ältesten  Zeiten  des  Theaters  zu 
Stralsund,  iSpjr — iSj^.  Mit  genauer  Benutzung  des  im  Ratsarchiv 
enthaltenen  Materials  und  der  Tageslitteratur  giebt  es  ein  gutes  BUd 
vom  ersten  beglaubigten  Auftreten  der  Berufsschauspieler  und  dem 
Schicksal  der  Wandertruppen  bis  zur  Begründung  einer  stehenden 
Bühne  (1766).  Ein  vollständiges  Namen-  und  Sachregister  erleichtert 
die  Gebrauchsfähigkeit  des  Werkchens,  das  unter  die  besten  seiner 
Art  gezählt  werden  darf. 

Vorstehende  Ausführungen  sollen  das  weite  Gebiet  der  Theater- 
geschichte, die  ja  eine  eigentümliche  Mittelstellung  zwischen  Litteratur- 
geschichte  und  Geschichte  einnimmt  und  lange  Zeit  von  beiden  vernach- 
lässigt worden  ist,  dem  Kreise  der  Lokalgeschichtsforscher  näher  bringen 
und  sie  zu  thätiger  Mitarbeit  auf  diesem  wichtigen  Gebiete  der  Geistes- 
geschichte anregen.  Nur  in  ganz  allgemeinen  Zügen  konnte  die  Ent- 
wickelung  des  deutschen  Schauspielwesens  selbst  geschildert  werden, 
der  Hauptzweck  sollte  vielmehr  der  sein,  die  Forscher  mit  der  wich- 
tigsten Litteratur  bekannt  zu  machen.  Was  eine  Theatergeschichte 
enthalten  mufs,  läfst  sich  theoretisch  wohl  sagen :  es  genügt  nicht  eine 
Feststellung  der  Daten,  innerhalb  deren  sich  das  Wirken  der  Bühne 
vollzogen  hat,  es  darf  sich  die  Arbeit  auch  nicht  auf  eine  Zusammen- 
fassung d|^s  rein  äuferlichen  Materials  —  so  unumgänglich  notwendig 
eine  solche  ist  —  beschränken,  d.  h.  etwa  Verzeichnung  des  Reper- 
toires, der  mitwirkenden  Künstler,  der  für  das  Haus  geltenden  gesetz- 
lichen Bestimmungen,  sondern  sie  mufs  die  Bühne  aus  der  gesamten 
Umwelt,  aus  dem  kulturell  und  individuell  Bedingten  herauswachsen 
lassen,  ja  sie  mufs  in  der  geistigen  Luft  emporgediehen  sein,  die  jeder 
künstlerischen  und  wissenschaftlichen  Bethätigung  erst  ihre  eigenste 
Färbung  verleiht.  Freilich  zu  einem  festen  Arbeitsschema  lassen  sich 
diese  Forderungen  nicht  gestalten,  das  Beispiel  lehrt  hier  viel  besser, 
und  unter  den  oben  behandelten  Monographien  wird  sich  wohl  für 
jeden,  der  etwa  einschlägiges  Material  verarbeiten  will,  eine  finden, 
die  ihm  den  allgemeinen  Verhältnissen  nach  als  Muster  dienen  kann. 
Auch  für  den  in  geschichtlicher  Arbeit  Bewanderten  sind  gerade  auf 


—     158     — 

diesem  Felde,  wenn  er  es  zuerst  betritt,  Muster  notwendig,  denn 
zur  Anlage  einer  Sammlung  statistischer  Art  oder  zur  rechten  Ein- 
ordnung aller  die  Theatergeschichte  berührenden  Punkte  bedarf  er 
eines  Vorbildes,  wenn  er  sich  nicht  unnötige  Mühe  machen  will.  Wenn 
man  jedem,  der  eine  geschichtliche  Monographie  verfassen  will,  den 
Rat  geben  mufs,  nach  der  ersten  oberflächlichen  Kenntnisnahme  von 
seinem  Material  eine  verwandte  Studie  zu  lesen  und  zu  verarbeiten, 
um  nach  der  hierbei  gewonnenen  Fragestellung  das  spezielle  Material 
im  einzelnen  zu  diu*chsuchen  — ,  so  mufs  dies  in  ganz  besonderem 
Mafse  für  den  Verfasser  einer  Theatergeschichte  gelten,  da  hier 
die  Wege  im  ganzen  noch  wenig  begangen  sind  und  der  Stoff  den 
Verfasser,  wenn  er  nicht  gerade  selbst  unmittelbar  thätiger  Theater- 
mann ist,  auf  Gebiete  fuhrt,  die  ihm  bereits  in  der  Gegenwart  fem 
liegen.  Zudem  erfordert  es  die  Eigenart  des  Stoffes,  dafs  auch  Elr- 
eignisse  der  jüngsten  Vergangenheit  mit  berührt  werden  müssen.  Der 
persönliche  Standpunkt  des  Verfassers  zu  den  zeitgenössischen  Kunst- 
fragen wird  dabei  stets  zum  Ausdruck  kommen  und  auch  auf  die  Be- 
urteilung der  ferneren  Vergangenheit  nicht  ohne  Einflufs  sein.  Ein 
fleifsiges  Studium  der  Theatergeschichte ,  so  weit  sie  bereits  bearbeitet 
vorliegt,  und  namentlich  der  Kunstkritik  des  XVIII.  Jahrh.  wird  unter 
diesen  Verhältnissen  manches  Urteil  klären,  und  deshalb  kann  die  Pflege 
der  Theatergeschichte  im  besonderen  auch  den  ausübenden  Künstlern 
und  Kunstkritikern  sowie  allen  Theaterfreunden  nicht  genug  empfohlen 
werden. 

Ein  irgendwie  abschliefsendes  Werk  auch  etwa  nur  bis  zum  Ende 
des  XVIII.  Jahrh.  besitzen  wir  noch  nicht,  die  Zeit  dafür  ist  auch  noch 
nicht  gekommen:  ein  solches  wird  erst  möglich  sein,  wenn 
noch  viel  intensiver  als  bisher  die  Bausteine  zusammen- 
getragen und  zu  kleineren  Teilbauten  zusammengefügt 
worden  sind!  Gerade  die  anspruchslose,  durch  deutliche  Erfassung 
der  allgemeinen  Ziele  ausgezeichnete  Kleinarbeit  für  ältere  und  neuere 
Zeit  ist  aufserordentlich  notwendig,  und  nicht  etwa  nur  dort,  wo  grofse 
und  künstlerisch  bedeutende  Bühnen  bestanden  haben  und  bestehen, 
nein  auch  dort,  wo  die  „Schmiere"  ihre  Thätigkeit  entfaltet  hat, 
müssen  der  äufsere  Verlauf,  die  künstlerische  Leistung  und  die  je- 
weUige  Wirkung  auf  einzelne  und  das  grofse  Publikum  untersucht 
werden.  Selbst  das  glänzendste  Werk,  welches  nur  Hofbühnen  in 
Betracht  ziehen  wollte,  wäre  noch  längst  keine  Theatergeschichte! 
Wie  die  wandernden  Truppen  der  Puppenspieler,  so  müssen  auch  die 
neuerdings  wieder   aufblühenden  Volksbühnen  —  die  Passionsspiele, 


—     159     — 

Bauemkomödien  und  was  sonst  hierher  gehört,  haben  wir  bei  obiger 
Übersicht  absichtlich  unberücksichtigt  gelassen  —  mit  in  das  Reich 
der  Betrachtung  gezogen  werden  '). 


Um  denjenigen,  die  sich  unterrichten  und  weiter  forschen  wollen, 
eine  Übersicht  darüber  zu  ermöglichen,  was  auf  dem  Felde  der  ört- 
lichen Theatergeschichte  bereits  geleistet  worden  ist,  soll  im  folgenden 
ein  nach  den  Orten  alphabetisch  angelegtes  Verzeichnis  derartiger 
Werke  folgen:  natürlich  ist  dabei  an  Vollständigkeit  nicht  gedacht, 
es  sind  nur  solche  Bücher  und  Aufsätze  aus  Zeitschriften  und  Zeitungea 
aufgeführt,  die  der  Zufall  dem  Verfasser  bekannt  gemacht  hat. 

Aachen*  Alfons  Fritz:  Zar  Baogeschichte  des  Aachener  Stadttbeaters.  Zeitschr.  des 
Aachener  Geschichtsvereins  22,  9—120. 

Anul«     B.  Väli:  Geschichte  des  Theaters  in  Arad.     Ungar.  Rev.  X,  496/8. 

Bambergr.  F.  Leist:  Geschichte  des  Theaters  in  Bamberg  bis  z.  J.  1862.  Berichte 
d.  Histor.  Vereins  Bamb.  Nr.  55. 

Baatzen.  Zum  hundertjährigen  Jabiläum  der  Erbaaong  und  Eröffnung  des  Stadttheaters 
tu  Bautzen.     Wöchentl.  Beilage  z.  d.  Bautzener  Nachrichten.     1896,  Nr.  43. 

Bayreath«  W.  Brunco:  Verteidigung  Wilhelm  NoUes  gegen  d.  Dr.  phil.  M.  Bendiner. 
Archiv  f.  Gesch.  Oberfrankens.  19;  25.  —  A.  v.  Schlofsb erger:  Ein  Ba3n'euther 
Theater  vor  100  Jahren.  Besond.  Beilage  des  Staatsanzeigers  itir  Württemberg.  1892» 
97 — 106.  —  C.  Heckel:  Die  Btthnenfestspiele  in  Bayreuth.  Authent.  Beiträge  zur 
Geschichte  ihrer  Entstehung  und  Entwickelung. 

Berlin«  KarlFrenzel:  Die  Berliner  Theater.  Deutsche  Rundschau  23;  7.  — L.  Geiger: 
Berliner  Studien  II,  Königs  Geburtstag  auf  d.  Berliner  Theater  1776.  Voss. 
Ztg.  1894,  Beil.  Nr.  4.  —  Berliner  Theater  181 5— 4a  Allg.  Ztg.  Beil.  1894, 
Nr.  280  bis  282.  —  Über  Berliner  Theatergeschichte  (Referat  in  der  Deutschen 
Litteratur-zeitung  1894»  S.  23}  mit  archivalischen  Notizen.)  —  Berliner  Dramaturgie 
1797—98.  Voss.  Ztg.  1891,  325.  —  Julius  Hart:  Das  Berliner  Theater  (Dichter  und 
DarsteUer,  Seemann,  Leipzig),  i.  Druck.  —  A.  d  e  N. :  Ein  Theaterzettel  aus  der  Ztit 
Friedrich  Wilhelms  I.  Bär  17,  278/9.  —  R.  Rost:  Berliner  Theaterverhältnisse  im 
vorigen  Jahrh.  Leipziger  Ztg.  1894,  Beil.  Nr.  3I.  —  Berliner  Theater  vor  150  Jahren. 
Berl.  Tageblatt  1895,  Nr.  249.  —  E.  Zabel:  Theatralische  Rückblicke.  National-Ztg. 
1^94*  376/37^'  —  Brachvogel:  Geschichte  des  Kgl.  Theaters  zu  Berlin.  2  Bde.  1877 


i)  Um  einmal  den  heutigen  Stand  des  Wissens  festzul^en,  so  weit  das  Aller- 
äniserlichste  in  Frage  kommt,  wäre  es  recht  wichtig,  ein  Verzeichnis  zu  veröffentlichen, 
welches  sämtliche  heute  im  deutschen  Sprachgebiete  bestehenden  Bühnen,  ihre  genauen 
jetzigen  und  früheren  Namen,  das  Gründungsjahr  u.  s.  w.  aufführt.  Auch  die  Orte,  deren 
Bühnen  wieder  eingegangen  sind,  müfsten  berücksichtigt  werden,  ferner  wann  und  von 
welchen  Wandertruppen  vor  der  Errichtung  stehender  Bühnen  Vorstellungen  gegeben 
worden  sind.  Eine  solche  historisch -statistische  Nachweisung,  die  sich  für  Berthold 
Litzmannt  TheaUrgeschichtltcfie  Forschungen  eignen  würde,  müfste  für  die  geo- 
graphische Verteilung  einzelner  bühnengeschichtlicher  Erscheinungen  sofort  ganz  über- 
raschende Thatsachen  ergeben,  die  sich  eben  nur  so  feststellen  lassen!        Anm.  d.  R. 


—     160     — 

u  1878.  —  G  e  n  ^  e :  Hundert  Jahre  des  Kgl.  Schauspiels  in  Berlin.  1886.  —  A.  R  S  d  e  r : 
Kroll.  Ein  Beitrag  zur  Berliner  Kultur-  und  Theatergeschichte.  Denkschrift  z.  d.  5QJahr. 
Bestehen  des  Hauses.  1844 — 1894.  Berlin.  Steinitz.  1894.  —  L.  Schneider:  Ge- 
schichte der  Berliner  Oper.  1846.  —  Die  Regulative  des  Kgl.  Schauspielhauses.  Kritik : 
1,  335/6.  —  G.  Schmiedchen:  Mutter  Gräbert  uud  die  Vorstadt.  Theater.  Freie 
Bühne  IB.  jg^  —  Zur  Geschichte  des  Friedr.  Wilhelmstädt.  Theaters  in  Berlin. 
Ebd.  1894,  213/6.  —  Zur  Geschichte  des  Woltersdorff-Theaters  in  Berlin.  Ebd.  206. 
107,  —  Herrm.  Schreyer:  Das  Schillertheater  in  Berlin.    D.  Dramaturgie  II,  ao. 

Breslau*  v.  R. :  Zum  25Jährig.  Jubiläum  des  Lobe>Theaters.  Schlesische  Ztg.  1894: 
612/618. 

Crcfeld*  H.  Keussen:  Aus  Crefelds  Theatergeschichte.  Annal.  d.  histor.  Vereins  für 
den  Niederrhein.     1898.     65.  Heft,  132—35. 

DanzilT*  J«  Bolte:  Das  Danziger  Theater  im  16.  u.  17.  Jahrh.  Theatergesch.  For- 
schungen 12.  —  O.  Rub:  D.  dramatische  Kunst  in  Danzig  ▼.  1615-1893.  V^ 
dazu  Litzmann:  Anzeiger  der  Zeitschr.  f.  d.  deutsche  Altertum,  21,  150/1. 

Darmstadt«  H.  K  n  i  s  p  e  1 :  D.  Grofsherzogl.  Hoftheater  zu  Darmstadt.  1810— 1890. 1892.  — 
Schillers  Dramen  auf  d.  Grofsherzogl.  Hoftheater  zu  Darmstadt.  Geschichtl.  Rück- 
blick.    Darmstadt  1894. 

Dessau*  Hosaens:  Die  Anfänge  des  Dessauer  Theaters.  Mitteil,  des  Vereins  für 
Anhaltische  Geschichte  und  Altertumskunde.  DI.  —  M.  t.  Prosky:  Das  Herzogl. 
Hoftheater  zu  Dessau.  In  seinen  Anfängen  bis  zur  Gegenwart.  Dessau.  (Referat 
J>eutsche  Bühnengenossenschaftszeitung,  24,  153/4.) 

Dresden*  H.  v.  Brescius:  Fünfzig  Jahre  aus  der  Geschichte  des  Dresdner  Hoftheaters. 
Dr.  Anzeiger  1896,  Nr.  330.  341.  345.  351.  354.  358.  359.  —  R.  Proelss:  Gesch.  des 
Hoftheaters  zu  Dresden.  Dr.  1877.  —  Beiträge  zur  Geschichte  des  Hoftheaters  zu 
Dresden  in  aktenmäfsiger  Darstellung.  Erfurt,  Bartholomäus,  1879.  —  1777 — 1793 
auf  dem  Kurfürstl.  Theater  in  Dresden  aufgeführte  Italienische  Opern.  Dresdner 
Geschichtsblätter  1896»  250.  —  Dresdner  Liebhaberbühne  vor  100  Jahren.  Ebd. 
1895,  S.  187.  —  Stücke,  welche  1784  in  Dresden  gespielt  worden  sind.  Magazin 
der  sächsischen  Geschichte.  i.Teil,  S.  92.  518/519.  2.  Teil,  S.  57.  —  Anna  Lohn- 
Siegel:  Aus  meinem  Tagebuche  vom  Dresdner  Hoftheater.  Leipziger  Ztg.,  Beilage 
1896  Nr.  31/2.  116.  120.  138.  141.  159.  —  Richter:  Der  älteste  Theaterzettel  der 
kurfürstlich  sächsischen  Hofkomödianten.  Leipziger  Ztg.,  Beilage  1899 ,  Nr.  103.  — 
G.  Müller:  Ein  Dresdner  Komödienverbot  vom  Jahre  1662.  N.  Archiv  f.  Sachs. 
Geschichte.  12.  Bd.  (1891),  S.  298—309.  —  A.  Kohut:  Das  Dresdner  Hoftheater 
i.   d.  Gegenwart.     Dresden  1888. 

Düsseldorf*  Fellner:  Immermanns  Theaterleitung  in  Düsseldorf.  1888.  —  Chr. 
Dietr.  Grabbe:  Das  Theater  zu  Düsseldorf.  Bd.  4  der  Gesamtausgabe  von 
O.  Blumenthal.  1874.  —  K.  L.  Immerraann:  Düsseldorfer  Anf&nge,  ebenda.  — 
R.  Hassenkamp:  Karl  Immermann, Beiträge  zur  Geschichte  d.  Niederrheins,  11.  Bd. 

£ger*  Akten  über  das  Theater  in  Eger  1610— 1870,  erwähnt  bei  Karl  Siegl:  Die 
Kataloge  des  Egerer  Stadtarchivs.     Eger  1900,  S.  207. 

Ell^rfeld*  K.  Krafft:  Aktenstücke  betr.  den  Kampf  im  Wupperthal  gegen  die  Er- 
bauung eines  Theaters  in  Elberfeld  1806.  Zeitschr.  d.  Bergischen  Geschichtsvereins. 
30,  253—66. 

Erftart*  Kirchhoff:  Die  ältesten  TheateraufHihrungen  in  Erfurt.  1644.  Mitteilungen 
des  Vereins  fUr  die  Geschichte  und  Altertumskunde  von  Erfurt.  IV.  Heil.  1869. 
191 — 198. 


—     161     — 

FrankAirt  a.M.  Anton  Bing:  Rückblicke  aof  d.  Geschichte  des  Frankfurter  Stadt* 
theaters  von  dessen  Selbständigkeit  (1792)  bis  znr  Gegenwart.  1896.  —  Frau  Eli* 
sabeth  Mentzel:  Geschichte  der  Schaaspielknnst  in  Frankfurt  a.  M.  1881.  — 
Schillers  Jagenddramen  zum  ersen  Male  auf  der  Frankfurter  Bühne.  Archiv  ftir 
Frankf.  Geschichte  4,  64 — 160  —  Lessings  Minna  von  Bamhelm  xl  Freigeist  a.  der 
Frankf.  Bühne.     Ebd.  375 — 84. 

CUoiTftlU  P*  Siegfried:  Ein  Gloganer  Spielplan  von  1754.  Deutsche  Bühnengenossen- 
schaft 1892»  30. 

Ck^tha.  R.  ilodermann:  Geschichte  des  Gothaischen  Hoftheaters  =■  Theatergeschicht- 
liche Forschungen  9.  1894«  —  Theatergeschichtliche  Erinnerungen.  Gotha  1896.  — 
Zur  Geschichte  des  Herzogl.  Hoflheaters  Coburg*Gotha.     Bühne  und  Welt  I,  703. 

€^raz*  F.  Bischoff:  Zur  Geschichte  des  Theaters  in  Gras.  1574 — 1775.  Mitteil,  des 
Histor.  Vereins  Steiermarks,  40»  113 — 34. 

Halle.  VgL  Zeitschr.  für  allgemeine  Geschichte.  1.  Bd.  1884,  309—942;  2.  Bd.  1885» 
66 — 80,  147 — 164. 

Hamburg.  Fr.  Chrysander:  Matthtsons  Verzeichnis  Hambnrgischer  Opern  1678 —  i75i> 
Allg.  Musik-Zeitung  1877»  198.  —  Die  Hamburger  Oper.  Ebd.  1877—1880.  — 
Das  50  jährige  Jubiläum  des  Thalia -Theaters  in  Hamburg.  Deutsche  Bühnen* 
genossenschaflszeit. y  1893.  390/91.  —  A.  Eplinius:  Hamburger  Theatersustände. 
Hamburg  1894.  —  K.  Th.  Gaedertz:  Das  niederd.  Schauspiel.  Zum  Kultur- 
leben Hamburgs.  2  Bde.  1884.  —  Die  Hamburgische  Oper  in  Beziehung  auf  ihre 
aiederdeutschen  Bestandteile.  Niederd.  Jahrbücher  1882,  115 — 169.  —  Ferd.  Heit* 
müller:  Holländische  Komödianten  in  Hamburg  1740 — 41.  Hamb.  1894.  —  Künstler* 
album  des  Opern-  und  Schauspiel -Ensembles  der  vereinigten  Stadttheater  zur  Ham- 
burger Saison  1892 — 1893.  Hamb.  Fritsche.  —  Th.  Mehring:  Über  die  Hamburger 
Theaterlogen  vor  200  Jahren.  Deutsche  Bühnengenossensch.  22»  318.  —  Aus  der 
Theater-  und  Musikwelt  vor  50  Jahren.  Ebd.  1892,  Nr.  21.  —  O.  Rüdiger:  Der 
Komödiantendoktor  auf  dem  Hopfenmarkt.  Mitteil,  des  Vereins  f.  Hamburg.  Gesch. 
13,  19-25.  —  A.  Schön wald:  Das  Thalia-Theater  in  Hamburg  1843— 1893.  1893.  — 
Fried r.  Stern:  Aus  Costenobles  Memoiren.  Blätter  aus  der  Hamburger  Theater- 
geschichte. Hamb.  G>rresp.  1890,  Nr.  337.  341.  344.  359.  362.  374.  377.  382.  404.  407. 
413.  419.  422*  —  Uhde:  Das  Stadttheater  in  Hamburg  1827  bis  1877.  Stuttgart  1899.  — 
E.  Wolff:  Aus  Hamburgs  Theatergeschichte«    Hamb.  Correspondent  1892,  Nr.  563. 

Hinebberg*     Zeitung  für  die  elegante  Welt  vom  24.  Dez.  1801. 

Karlsbad.  Hans  Feller:  Das  Karlsbader  SUdttheater  (Leuchtkugeln  4),  Karlsbad, 
Wien  u.  Leipzig.  1897. 

Karisndie.     E.  Kilian:  Das  Karlsruher  Hoftheater  unter  E.  Devrient.     1893. 

Kassel.  R.  Schlösser:  Ein  Brief  Über  Kasseler  Theaterznstände  v.  100  Jahren.  Zeit- 
schr. fUr  vergl.  Litteraturgeschichto  7;  291/96.  —  Das  Hoftheater  in  Kassel.  Hessen* 
Und  6;  151/3.  167/40.  i4o'2.  194/7.  205/7. 

KSln.  J.  J.  Merlo:  Zur  Geschichte  des  Kölner  Theaters  im  18.  und  19.  Jahrh.  Annalen 
des  histor.  Vereins  am  Niederrhein,  50;  145—219.  —  J.  Wolters:  Chronologie  des 
Theaters  der  Reichsstadt  Köln.    Zeitschr.  des  bergischen  Geschichtsvereins  32»  1896. 

Lelpilf.  E.  A.  H.  Burkhardt:  Die  Goethesche  Filialbühne  in  Leipzig.  Leipziger  Ztg. 
Beil.  i886y  44.  —  Blümner:  Geschichte  des  Theaters  in  Leipzig.  —  Distel:  Die 
erste  deutsche  Oper  in  Leipzig  1693.  Monatshefte  für  Musikgeschichte  21»  89  ff.  — 
Michael:  Das  Leipziger  Stadttheater  in  den  Jahren  1817 — 1828.  Leipziger  Tage- 
•blatt  1899»  Nr.  475.    —   J.  O.  Opel:   Die  ersten  Jahrzehnte   der  Oper  zu  Leipzig. 

12 


—     162     — 

N.  Archhr  f.  sächs.  Geschichte  und  Altertnmskiinde  5,  ii6ff.  —  G.  WnstmAnn:  Zur 
Geschichte  der  Leipziger  Schauspielhäuser.  Qnelleii  zur  Geschichte  Leipzigs.  2.  Bd. 
1895»  S.  523.     Dort  auch  die  ältere  Litteratur. 

Loelieil«     A.  Harpf:  Geschichte  des  Loebener  Stadttheaters.     Loeben  1892* 

Lflbcek*  Anekdotisches  aus  der  Lübecker  Thealergeschichte  1752—1792.  Btthne  aod 
Leben  3,  289 — 290.  —  E.  Stiel:  Musikgeschichte  der  Stadt  Ltlbeck. 

lülgdelmr^*  J.  F.  L.  Schmidt:  Der  Sturm  von  Magdeburg.  Ein  Stück  Magdeburger 
Theatergeschichte.     Magdeburger  Ztg.  1890,  231. 

MailBheilll«  M.  Martersteig:  Die  Protokolle  des  Mannheimer  Nationaltheaters  unter 
Dalberg  aus  den  Jahren  1781/9.  —  Pichler:  Chronik  des  Hof-  und  Nationaltheaters 
in  Mannheim.  1879.  —  Friedrich  Walter:  Geschichte  des  Theaters  und  der 
Musik  am  kurpfalzischen  Hofe.     Leipzig  1898. 

MelDsen«  L  o  o  s  e :  Zur  Geschichte  des  Theaters  in  MeÜsen.  Mitteilungen  des  Vereins 
für  Geschichte  der  Stadt  Meifsen  I.     1886. 

MttDcheii*  R.  G  e  n  6  e :  Die  Entwicklung  des  scenischen  Theaters  und  die  Btthnenreform 
in  München.  1889.  —  Grandaur:  Chronik  des  Königl.  Hof-  und  Nationaltheaters 
in  München.  1878.  —  K.  ▼.  Per  fall;  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  königl.  Theater 
in  München.     1894. 

NftnU^erir*  V.  Michels:  Zur  Geschichte  des  Nürnberger  Theaters  im  t6.  Jahrh.  Viertel- 
jahrsschrift  (Ür  Litteraturgeschichte  3,  28 — 46.  615.  —  Theodor  Hampe:  Die 
Entwickelnng  des  Theaterwesens  in  Nürnberg  Ton  der  zweiten  Hälfte  des  XV.  Jahr- 
hunderts bis  1806.  Mitteüungen  des  Vereins  fttr  Geschichte  der  Stadt  Nürnberg. 
12.  u.  13.  Heft,  1896  u.  1899. 

Oldenbarf.     L.  Fränkel:  A.  W.  T.  Stahr:  Allg.  D.  Biographie  35,  405/6. 

P^tocUm*  Zur  loojährigen  Gedenkfeier  des  Königl.  Schauspielhauses  in  Potsdam.  Deutsche 
Btthnengenossenschaft  249  358. 

P#seii.  Fr.  Schwartz:  Döbbelins  Plan  eines  Aktieotheaters  in  Posen  i.  J.  1796.  Zeit- 
sehr,  der  hbtor.  Gesellschaft  Posen  6,  228 — 31.  —  H.  Ehrenberg:  Das  Posener 
Theater  in  südprenfs.  Zeit.     Ebd.  1894.     9,  27—90. 

'Pngm  Oskar  Teuber:  Geschichte  der  Prager  Theater.  Prag  1884—1888.  —  Anna. 
Vering -Hauptmann:  Etwas  Tom  alten  Niklastheater  in  Prag.     Bohemia  1874. 

BelehMtadt.  A.  Elger:  D.  Dilettantentheater  in  Reichsstadt.  Mitteil,  des  nordböhm. 
Excursionsclub  x6,  149— 151. 

Sehwerin.  H.  W.  Bärensprung:  Versuch  einer  Geschichte  des  Theaters  in  Mecklen- 
burg-Schwerin. —  Fr.  Chrysander:  Musik  und  Theater  in  Mecklenburg.  1854.  — * 
Friedrich  Wedemeier:  Beiträge  zur  Geschichte  des  Grofsherzogl.  Hoftheaters 
in  Schwerin  während  der  ersten  15  Jahre  seines  Bestehens.  1836— 1861.  —  Gesetze 
für  die  Mitglieder  des  GrofsherzogL  Mecklenburg-Schwerinschen  Hoftheaters.  1835  — 
Sendschreiben  an  den  Schauspieldirektor  Herrn  Fischer,  Über  das  Schwerinsche  Theater. 
Schwerin  1792.  —  Rede  zur  Eröffnung  des  GrofsherzogL  Hofscfaau^ielhaases  zu 
Schwerin  1836.  —  Theater- Journal  und  Verzeichnis  der  unter  Direktion  des  Herrn 
E.  Sulzer  gegebenen  Vorstellungen  auf  dem  Grofsherzogl.  Hoftheater  zu  Ludwigslust 
1851.  —  Friedrich  Ziegler:  Theater- Journal.  Schwerin  1852. 1853. 1856— 1868.  — 
Prolog  zum  25jährigen  Jubiläum  des  Grofsherzogl.  Schauspielhauses  zu  Schwerte  ans 
17.  Januar  1861.  —  Zur  Abwehr.  1874.  (Eine  Gegenschrift  gegen  unberechtigte, 
anonyme  Kritik.)  —  Bekanntmachung  betreffend  Verhalten  bei  Fenersbronst  im 
Schweriner  Hoftheater.  1881.  —  GrofsherzogL  Hoftheater  in  Schwerin.  Übersicht. 
1884 — 99.  —  Richtfest  des  neuen  Schauspielhauses  zu  Schwerin.  1884.  —  Theater-Journal 


—     163     — 

für  Schwerin- Zippendorf.  Sommenaison  1865.  —  Zur  Geschichte  der  Sondervor- 
stellongen  im  GrolsherzogL  Hoftheater  eu  Schwerin.  Dentsche  Bahnengenossenschaft. 
1894.  145/16.  —  A.W.  Mayer:  Journal  des  Schweriner  Tivoli- Theaters  in  Lankow. 
Schwerin  1896.  —  Karl  Freiherr  von  Ledebur:  Aus  meinem  Tagebuche. 
Schwerin  1897. 
Bifgburf«     »Das  Spiel  Ester '<  1568,  „das  Spiel  Joseph*^  1569,  Annalen  d.  hist.  Vereins 

f.  d.  Niederrhein  30  (1876)9  S.  112. 
Btralsuid*     F.  Struck,    Die    ältesten    Zeiten  des    Theaters    in    Stralsund    1697— 1834. 

Str.,  Königl.  Regierungsbuchdruckerei  1895. 
Btrafsbnrgr«     Winkelmann:  Zur  Geschichte  des  deutschen  Theaters  in  Strafsburg  unter 

franz.  Herrschaft     Jahrb.  fUr  Gesch.  u.  s.  w.  Elsafs-Lothringens  XIV,  192^237. 
Btattgart«     Joseph  Sittard:  Geschichte  des  Theaters  und  der  Musik  am  Württemberg. 

Hofe.     1890/91. 
TorfttO«     TheateranffUhrungen   am  Sächsischen   Hofe  zu  Torgan   1599.     Archiv   fUr    die 

Sachs.  Geschichte.     N.  F.  2,  242. 
Ulm«     Th.  Schön:    Geschichte  des  Theaters   in   Ulm.     Diözesanarchiv  von   Schwaben. 

1899.  17.  37.  61.  70 
WarmbriUiD«     Heinrich    Nentwig:    Geschichte    des    Reichsgräflichen   Theaters    zu 
Warmbrunn.     (Mitteilungen  ans  dem  Reichsgräflich  Schaffgottschen  Archive  I.  1896.) 
Weimar*     Genast:   Ans   dem   Tagebuche  eines   alten   Schauspielers.     Leipzig,   4  Bde. 
1862 — 1866.   —   E.   Alberti:    Das   Weimarer    Hoftheater.    —    Bnrkhardt:   Das 
Repertoire  des  Weimarer  Theaters  unter  Goethes  Leitung.    1891.  —  P.  Schienther: 
Nekrolog  auf  Ludwig  Chronegk.    Voss.  Ztg.  1891,  315.  —  J.  Wähle:  Das  Weimarer 
Hoftheater  unter  Goethes  Leitung.     Schriften  der  Goethe-Gesellschaft  6.  1892. 
Wiesbaden.     Weddigen:  Geschichte  des  Kgl.  Theaters  in  Wiesbaden.     1894. 
Wien*     E,  Baumholzer,    J.  Philipp!,  L.  Männel,  J.  Braun:  Jahrbuch    d.  k.  k. 
Hofburgtheaters  ftir  das  J.  1891.  —  Katalog  und  Portraitsammlung  d.  k.  k.  General- 
Intendanz  des  Hoftheaters.     II.  Abt,  Gruppe  IV.  —  Heinrich  Laube:  Das  Burg- 
theater.    Ein  Beitrag  zur  deutschen  Theatergeschichte.     Leipzig  1868.  —  Rudolph 
Lothar:    50    Jahre    Burgtheater.      Verlag    der    „Steyrmühl".    —   Derselbe:    Das 
Wiener    Burgtbeater.      Dichter   und    Darsteller   n.      Leipzig,    Seemann,    1899.    — 
E.   Glostjr:    Theatergesch.    Ausstellung    der    Stadt  Wien.     Wien,    Bibliothek    der 
Stadt  Wien.     1892.  —  J.  Sittard:  Kritische  Briefe  Über  die  Wiener  internationale 
Musik-  und  Tbeaterausstellung.    1893.  —  P.  v.  Radies,  Das  Hoftheater  Leopold  L 
als  Grundstein  ständiger  Bühnen  in  Österreich  und  Ungarn,    ö.  U.  Revue.    13;  i — 24. 
81 — 106.  —  O.  Teuber:  Aus  dem  Geburtsjahre  des  Burgtheaters.    Wien.  Fremden- 
blfltt  1894,  Nr.  247.   —    Hof-   und  Adelsvorstellnngen  in   Wien.     Ebd.  Nr.  232.    — 
Geschichte  des  Wiener  Burgtheaters.    A.  i.  d.  Sammelwerk :  Die  Theater  Wiens.   Wien, 
Gesellschaft  fUr  vervielfältigende  Kunst    Heft  i — 5.  —  A.Waneck:  Die  Bübnenreform 
unter  Kaiser  Joseph  IL    Programm  d.  Landesoberrealschule  M^irisch-Ostrau.    1896.  — 
W 1  a  s  s  a  k :  Chronik  des  Burgtheaters.  1876.  —  JakobZeidler:  Aus  dem  Burgtheater. 
1818 — 1837.  1889.  —  WolfgangWadjera:  Das  Burgtheater  einst  und  jetzt.    Gesell- 
schaft  13,  IC    -—    Karl    Werner:    Das  Wiener  Hofburgtheater   vor    50   Jahren. 
Deutsche  Dramaturgie  3,  332.    —    Ludwig  Eisenberg:    Adolf  Sonnenthals  Bio- 
graphie.    Ein  Beitrag  zur  Geschichte  des   modernen   Burgtheaters.     Dresden,   Pier- 
son. 1896.  —  M.  Landau:  Aus  der  Geschichte  des  Wiener  Theaters.    1560  — 1760.  Allg. 
Ztg.  1892,  127/29.  —  A.  V.  Weilen:  J.  A.  Stranitzky.     Allg.  Deutsche  Biogr.  37. — 
J.  Wimmer:    Ein   deutscher  Theaterdirektor  über  Wien.     1819.     Wiener  Fremden 

12» 


—     164     — 

blatt  1895?  Nr.  71.  —  Th.  Herrl:  Das  Carltheater.  N.  Fr.  Pr.  11175.  —  K.  K, 
Freiherr  V.  Jaden:  Wien  als  Theaterstadt  vor  ic»  Jahren.  Alt-Wien,  3.  Jahr  55  — 57.  — 
Heinrich  Laube:  Das  Wiener  Stadttheater.  Leipzig  1875.  —  ^*  Plöhn:  Wiener  Volks- 
dramaturgie.  Alt-Wien,  Beil.  3,  6163.  —  A.  F.  Prager:  Die  alten  nnd  neuen 
Theater  Wiens  Wiener  Tageblatt  1895.  81.  —  Ferdinand  Raab :  J.  F.  F. 
V.  Kurz,  genannt  Bemardon.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  des  deutschen  Theaters  im 
18.  Jahrh.  Frankfurt  1899-  —  v.  R. :  Ein  Theaterdirektionswechsel  in  Wien  im  Jahre 
1728.  Prag  1890.  —  G.  A.  Ressel:  Das  Raimundtheater.  Eine  Denkschrift 
Wien  1892.  —  E.  J.  Richter:  Ein  Gratistheater  in  Alt  Wien.  Alt-Wien  3,  75/76.  — 
L.  Rosner:  Zur  Geschichte  des  Leopoldstädter  Theaters.  Extrablatt  203.  266. 
274.  278.  280.  295.  302.  310.  316.  342.  —  R.  V.  Stiele:  Vor  ico  Jahren  in  Wien. 
N.  Wiener  Fremdenblatt  1895.  Nr.  155. 

Würzburg.  Über  die  Errichtung  eines  Residenztheaters  durch  Fürstbischof  Friedrich 
von  Sainsheim  1774  vgl.  Archiv  d.  histor.  Vereins  von  Unterfrankcn  und  AschaBfen- 
bürg.     II,  1  S.  200. 

Zirlekau*     — ch:  Die  Bühne  Zwickaus,  in  „Saxonia**,  V.  Jahrg.  1879. 


Der  auswärtige  Lieihverkehr  der 
preussisehen  Bibliotheken 

Von 
Walther  Schultze  (Halle  a.  S.) 

Viel  mehr  als  bei  anderer  wissenschaftlicher  Thätigkeit  ist  die 
Beschäftigung  mit  Lokal-  und  Territorialgeschichte  an  den  Ort.  ge- 
bunden: diese  Dinge  können  —  von  Ausnahmen  abgesehen  —  wirk- 
lich fruchtbar  nur  von  solchen  betrieben  werden,  die  mit  den  Stätten, 
deren  Vergangenheit  sie  schildern  oder  aufhellen  wollen,  durch  per- 
sönliche Anschauung  vertraut  sind ,  die  sich  während  ihrer  Arbeit  mit 
Land,  Leuten,  Verhältnissen  in  stetem  persönlichen  Konnex  befinden. 
Unleugbar  geben  diese  persönlichen  Beziehungen  zwischen  dem  Lokal- 
historiker und  seinem  Gegenstand  jenem  einen  wesentlichen  Vorteil 
gegenüber  dem  Geschichtschreiber,  der  bei  Behandlung  eines  Themas 
der  allgemeinen  Geschichte  fast  regelmäfsig  lediglich  auf  die  Akten 
und  die  Bücher  angewiesen  ist;  aber  ebenso  unleugbar  hat  die  Sache 
auch  ihre  bittere  Kehrseite.  Was  bei  dem  Forscher,  der  sich  mit 
der  allgemeinen  Geschichte  beschäftigt,  die  Regel  ist,  da(s  er  an  einem 
der  Centren  wissenschaftlichen  Verkehrs  arbeitet,  wo  ihm  die  Litterattur 
wenigstens  in  der  Hauptsache  ohne  weiteres  zur  Verfügung  steht,  das 
ist  bei  seinem  Kollegen  von  der  Lokalhistorie  die  Ausnahme:   dieser 


—     165     — 

arbeitet  meistens  an  Orten,  die  von  jenen  wissenschaftlichen  Knoten- 
punkten mehr  oder  weniger  weit  abliegen;  jedes  Buch,  das  er  nicht 
selbst  besitzt,  mu(s  er  sich  erst  von  auswärts  schicken  lassen,  einerlei 
ob  er  es  ganz  durchzusehen  hat,  oder  nur  eine  kurze  Notiz  nach- 
schlagen will,  was  an  Ort  und  Stelle  in  vielleicht  noch  nicht  einer 
Viertelstunde  bewerkstelligt  wäre.  Es  liegt  auf  der  Hand,  dafs 
dies  für  den  betreffenden  ebenso  umständlich  und  zeitraubend  wie 
auch  kostspielig  ist.  Aber  damit  ist  noch  ein  weiterer  Übelstand  ver- 
bunden: indem  sich  der  Lokalforscher  jedes  Buch,  das  er  braucht, 
erst  zusenden  lassen  mufs,  ist  er  in  weit  höherem  Mafse  als  jener,  der 
die  Litteratur  an  Ort  und  Stelle  nachsehen  kann,  auf  das  Wohlwollen 
und  die  Liberalität  der  Bibliotheksverwaltungen  angewiesen.  Es  ist 
noch  gar  nicht  so  lange  her,  dafs  bei  diesen  manchmal,  wenn 
auch  nicht  das  Wohlwollen,  so  doch  die  Liberalität  zu  wünschen  übrig 
liefe :  man  konnte  früher  bei  mehr  als  einer  Bibliothek  darüber  klagen, 
dafs  sie  der  Versendung  ihrer  Schätze  an  auswärtige  Benutzer  keines- 
wegs besondere  Sympathien  entgegenbrachte.  Man  würde  Unrecht 
thun,  wenn  man  den  Grund  hierfür  lediglich  in  Engherzigkeit  und 
Bureaukratismus  der  Verwaltungen  suchen  wollte;  vielmehr  war  für 
diese  der  Gesichtspunkt  maßgebend,  dafs  ihre  Bestände  vor  allem 
stets  an  Ort  und  Stelle  zur  Benutzung  zugänglich  sein  müfeten:  nur 
dafe  dieses  an  sich  gewifs  vollberechtigte  Moment  auf  Kosten  anderer 
nicht  minder  berechtigter  allzu  sehr  in  den  Vordergrund  gestellt 
wurde.  Man  mufs  indes  konstatieren,  dafs  die  Beschwerden,  die  in 
dieser  Beziehung  die  auswärtigen  Benutzer  früher  mit  mehr  oder  we- 
niger Recht  gegen  die  Leitungen  unserer  grofsen  wissenschaftlichen 
Büchersammlungen  erheben  konnten,  gegenwärtig  nicht  mehr  zutreffen  : 
in  dem  Mafse,  wie  die  Verwaltung  dieser  Institute  von  Professoren, 
die  sie  im  Nebenamt  ausübten  und  dann  naturgemäfs  die  Bibliothek 
lediglich  als  Hilfsmittel  und  Organ  ihrer  Universität  betrachteten,  in 
die  Hand  von  technisch  ausgebildeten  Fachmännern  übergegangen  ist, 
die  in  ihrem  Bibliothekaramte  ihren  Haupt-  und  Lebensberuf  erblicken, 
ist  man  zielbewufst  bestrebt  gewesen,  die  in  den  Bibliotheken  auf- 
gespeicherten Schätze  nicht  nur  den  stets  ja  das  Hauptkontingent 
stellenden  am  Ort  wohnenden  Benutzem,  sondern  dem  gesamten  Kreise 
der  wissenschaftlichen  Interessenten  möglichst  bequem  und  mit  mög- 
lichst geringen  Kosten  zugänglich  zu  machen.  Es  dürfte  heute  in 
Deutschland,  soweit  die  grofsen  staatlichen  Bibliotheken  in  Betracht 
kommen,  keine  Stelle  geben,  wo  nicht  auch  der  auswärtige  Benutzer 
sicher  darauf  rechnen  dürfte,  dafs  seinen  Wünschen  volles  Verständnis 


—     166     — 

entgegengebracht  wird,    und    dafs   sie,    soweit   es   mit  Rücksicht  auf 
anderweitige   berechtigte   Interessen   irgend   vereinbar  ist,   vollauf  be- 
friedigt werden.     Aber  die  Verwaltungen  haben  sich  nicht  damit  be- 
gnügt,   durch    weitgehende    Liberalität    die    eigenen    Bestände   einem 
gröfseren  Kreise  als  früher  zugänglich  zu  machen,  sondern  smd  auch 
darauf  bedacht  gewesen,  Fürsorge  zu  treffen,  dafs  da,  wo  diese  eigenen 
Bestände    für    das    wissenschaftliche   Bedürfnis    nicht    ausreichen,    die 
Schätze  einer  anderen  besser  dotierten  Bibliothek  ergänzend  eintreten. 
Es   liefs    sich    dies   nicht   durch   die  Thätigkeit   und  die  Mafsnahmen 
einer  einzelnen  Bibliotheksverwaltung  erreichen;   es  war  dazu  ein  ziel- 
bewulstes  Vorgehen  einer  Mehrzahl  von  Bibliotheken  erforderlich,  und 
um  ein  solches  herbeizuführen,  war  wieder  die  Hilfe  der  Centralbehörden 
unentbehrlich.      Man    mufs    es    diesen    Centralbehörden,    d.    h.    den 
beteiligten  Ministerialinstanzen  nachrühmen,   dafs  die  von   den  Biblio- 
theksverwaltungen  ausgehenden  Impulse ,   Oi^anisationen   zu   schaffen 
derart,  dafs  die  einzelnen  Bibliotheken  sich  mit  ihren  Schätzen  gegen- 
seitig systematisch  aushelfen,  stets   bei  jenen   volles  Verständnis   ge- 
funden haben :  vor  allem  darf  hier  ein  Name  nicht  ungenannt  bleiben, 
der  des  jetzigen  Ministerialdirektors  Dr.  Althoff,   der  als   langjähriger 
Referent  für  Bibliothekssachen  im  preufsischen  Kultusministerium  nicht 
nur  allen  derartigen  aus   den  Fachkreisen   an   ihn   herantretenden  An- 
regungen warmes  Interesse  und  werkthätige  Teilnahme  entgegenbrachte, 
sondern  auch  aus  eigener  Initiative  stetig  darauf  bedacht  war,   die  in 
den  Bibliotheken  angesammelten  Schätze  besser  zugänglich  zu  machen 
und   so   nationalökonomisch   nutzbringender   zu   verwerten.     Es  ist  so 
durch  das  Zusammenwirken   der  Staatsbehörden   und   der  Bibliotheks- 
verwaltungen eine  Organisation  geschaffen,   die  teils   sich   vorerst  auf 
Preufeen  beschränkend,  teils  schon  jetzt  auf  andere  deutsche  und  auch 
ausländische  Bibliotheken  sich  erstreckend,  die  Benutzung  gerade  der 
durch  ihre  sei  es  absolute,  sei  es  relative  Seltenheit  wertvolleren  Be- 
stände nicht  mehr  auf  den  Ort,  wo  sie  aufbewahrt  werden,  beschränkt, 
sondern   diese   Benutzung    in    weitgehendem   Mafee    auch    auswärtigen 
Forschern  ermöglicht. 

Leider  scheinen  bisher  die  getroffenen  Einrichtungen  in  den  be- 
teiligten Kreisen  nicht  in  dem  Grade  bekannt  geworden  zu  sein,  wie 
es  im  Interesse  der  Sache  wünschenswert  wäre,  und  es  ist  deshalb 
vielleicht  nicht  überflüssig,  wenn,  einer  Aufforderung  des  Herausgebers 
dieser  Zeitschrift  entsprechend,  im  F*olgenden  einmal  in  Kürze  dar- 
gelegt wird,  in  welcher  Weise  gegenwärtig  an  den  preufeischen  Biblio- 
theken die  auswärtige  Benutzung  von  Büchern  und  Handschriften  ge- 


—     167     — 

regelt  und  —  so  dürfen  wir  mit  gutem  Gewissen  hinzufügen  —  gegen 
früher  erleichtert  ist. 

Um  eine  unnötige  Inanspruchnahme  der  Bibliotheken  zu  vermeiden, 
mehr  aber  noch,  um  zu  verhüten,  da(s  ein  Werk  der  Benutztmg  an 
Ort  und  Stelle  länger  und  öfter  entzogen  wird,  als  es  im  Interesse  der 
wissenschaftlichen  Forschung  unbedingt  nötig  ist,  gilt  der  Grundsatz, 
da(s  jemand,  der  ein  Buch  benötigt,  sich  zunächst  an  die  Universitäts- 
bibliothek seiner  Provinz  zu  wenden  hat.  Ist  das  Werk  dort  vor- 
handen, so  wird  es,  so  weit  es  nicht  gerade  anderweitig  benutzt  wird, 
dem  Ansuchenden  auf  bestimmte  Frist  —  bei  den  meisten  Bibliotheken 
vier  Wochen  —  zugesandt.  Die  Versendung  erfolgt  an  Personen,  die 
durch  Amt  oder  Stellung  die  nötige  Gewähr  bieten  —  also  insbesondere 
festangestellte  Reichs-,  Staats-  und  Kommunalbeamte  —  ohne  weiteres; 
andere  haben  eine  Bürgschaftserklärung  einer  Person  jener  ersteren 
Kategorie  beizubringen.  Von  der  Versendimg  nach  auswärts  aus- 
geschlossen sind  nur  wenige  Klassen,  bei  denen  sich  eine  Be- 
schränkung aus  der  Natur  der  Sache  ergiebt:  so  sehr  seltene  (In- 
kunabeln und  dergl.)  oder  besonders  kostbare  (Tafelwerke)  Bücher, 
die  nur  unter  denselben  Kautelen  wie  Handschriften  verschickt  werden 
können,  oder  Nachschlagewerke  (Lexika,  Bibliographieen  u.  ä.),  die, 
weil,  sei  es  für  die  Bibliotheksverwaltung,  sei  es  für  die  Besucher  des 
Lesesaales  unentbehrlich,  überhaupt  nicht  oder  nur  ganz  ausnahms- 
weise auf  kürzeste  Frist  nach  auswärts  versandt  werden. 

Erhält  jemand  von  der  Bibliothek  seiner  Provinz  den  Bescheid, 
dafs  das  vom  ihm  gewünschte  Werk  dort  nicht  vorhanden  ist,  so  wird 
er  sich  unter  Beziehung  auf  diese  Thatsache  an  eine  andere  grö&ere 
Bibliothek  —  in  Preufeen  wohl  in  den  meisten  Fällen  nach  Berlin 
oder  Göttingen  —  wenden,  und  empfangt  dann,  wenn  vorhanden,  von  dort 
unter  denselben  Bedingungen  wie  eben  angegeben  das  verlangte  Buch. 

Dies  Verfahren,  jedesmal,  wenn  er  ein  Buch  braucht,  direkt  mit 
der  betreffenden  Bibliotheksverwaltung  verkehren  zu  müssen,  bringt 
für  den  Benutzer,  wenn  ihm  auch  die  beteiligte  Verwaltung  mit  gröfet- 
möglicher  Liberalität  entgegenkommt,  doch  einen  unvermeidlichen 
wesentlichen  Nachteil  mit  sich :  unverhältnismäfsig  hohe  Kosten  —  mufe 
er  doch  in  jedem  Einzelfalle  das  Porto  für  Hin-  und  Rücksendung» 
dazu  noch  die  Kosten  der  Verpackung  tragen.  Es  kommt  dadurch 
jedes  einzelne  Buch,  das  sich  jemand  senden  läfst,  ziemlich  teuer  zu 
stehen,  ein  Umstand,  der  bei  Arbeiten,  wo  es  sich  um  Verwertung 
einer  ausgedehnten  Litteratur  handelt,  eine  keineswegs  imwichtige  Rolle 
spielt.     Um    diesem    unleugbaren    Übelstande    nach    Möglichkeit   ab- 


—     168     — 

zuhelfen  —  nebenbei  auch  um  die  bei  einem  direkten  Verkehr  des 
Einzelnen  mit  der  Bibliotheksverwaltung  unvermeidlichen  Formalitäten 
thunlichst  zu  beschränken  —  wurde  die  Institution  des  Leihverkehrs  ge- 
schaffen. Durch  Ministerialerlafe  vom  27.  Januar  1893  wurde  ein  regel- 
mäfsiger  Leihverkehr  zwischen  der  Königlichen  Bibliothek  in  Berlin 
einerseits,  den  Universitätsbibliotheken  andrerseits  ins  Leben  gerufen  *). 
Damach  hat  sich,  wer  ein  gewünschtes  Buch  in  seiner  Provinzial- 
bibliothek  nicht  findet,  um  dieses  Buch  aus  Berlin  zu  erhalten,  nicht 
mehr  direkt  an  die  dortige  Königliche  Bibliothek  zu  wenden,  sondern 
er  thut  dies  durch  Vermittelung  seiner  Provinzialbibliothek ;  letztere 
sammelt  die  dergestalt  bei  ihr  eingehenden  Bestellungen  auf  Berliner 
Bücher  an  und  sendet  sie  wöchentlich  ein-  bis  zweimal  (Dienstags,  im 
Bedarfsfalle  auch  Freitags)  ab.  In  Berlm  werden  diese  Bestellungen 
spätestens  am  Tage  nach  dem  Einlauf  erledigt;  die  Werke  werden, 
soweit  sie  vorhanden  und  nicht  verliehen  sind,  der  Universitätsbibliothek 
zugesandt,  die  sie  dann  ihrerseits  den  einzelnen  Benutzem  zugänglich 
macht.  Die  Benutzungsfrist  für  solche  im  Leihverkehr  bezogene  Werke 
beträgt  3  Wochen  bei  selbständigen  Büchem,  i  Woche  bei  Zeit- 
schriften ;  an  Unkosten  sind  für  jeden  erhaltenen  Band  20  Pfennige  zu 
bezahlen.  Die  Vorzüge  dieser  Einrichtung  für  den  Benutzer  gegen- 
über der  direkten  Zusendung  aus  Berlm  liegen  auf  der  Hand:  er  er- 
hält das  gewünschte  Buch  ohne  lästige  Formalien  ganz  ebenso  wie 
jedes  Werk  der  Universitätsbibliothek,  mit  der  er  doch  schon  in  Ver- 
kehr steht;  er  hat  unter  Wegfall  der  Kosten  für  Hin-  und  Rücksendung 
und  für  Verpackung  lediglich  eine  Gebühr  von  20  Pfennig  pro  Band 
zu  entrichten,  gleichviel  ob  es  auch  ein  dicker  Foliant  ist;  er  hat 
nach  stattgefundener  Benutzung  das  Buch  einfach  bei  der  Universitäts- 
bibliothek abzugeben,  hat  sich  um  die  Rücksendung  nach  Berlin  nicht 
zu  kümmern.  Leider  beschränkt  sich  einstweUen  aus  technischen  Rück- 
sichten diese  bequeme  Einrichtung  des  Leihverkehrs  mit  Berlin  auf 
die  am  Ort  ansässigen  Benutzer  der  Universitätsbibliotheken,  während 
die  an  anderen  Orten  der  Provinz  wohnenden  Benutzer,  um  Bücher,  die 
in  ihrer  Provinzialbibliothek  nicht  vorhanden  sind,  aus  Berlin  zu  er- 
halten, sich  nach  wie  vor  selbst  an  die  dortige  Bibliothek  wenden 
müssen,  nicht  diese  Bücher  im  Wege  des  Leihverkehrs  durch  Ver- 
mittelung ihrer  Universitätsbibliothek  beziehen  können. 

Sehen  sich  derart,  soweit  es  sich  um  den  Bezug  seltener,  an  der 


i)    Ein    analoger,    den   gleichen    Vorschriften    unterliegender    Leihverkehr    besteht 
«nfserdem  noch  zwischen  Göttingen  und  Marburg  sowie  zwischen  Bonn  und  Münster. 


—     169     — 

zunächst  in  Betracht  kommenden  Stelle  nicht  vorhandener  Werke 
handelt,  die  nicht  am  Ort  einer  Universitätsbibliothek  ansässigen  Forscher 
von  den  Vorteilen  des  Leihverkehrs  vorerst  noch  ausgeschlossen,  so 
ist  durch  eine  ganz  analoge  Institution  dem  gröfsten  Teil  von  ihnen 
gerade  hinsichtlich  der  von  ihnen  am  meisten  benötigten,  d.  h.  der 
in  der  Bibliothek  ihrer  Provinz  vorhandenen  Literatur  eine  ähnliche 
Erleichterung  gewährt.  Es  ist  nämlich  durch  Ministerialerlafe  vom 
31.  Oktober  1897  ein  gleicher  Leihverkehr,  wie  er  zwischen  den  Uni- 
versitätsbibliotheken und  der  Berliner  Königlichen  Bibliothek  besteht, 
auch  zwischen  der  Universitätsbibliothek  einerseits,  den  höheren 
Lehranstalten  ihrer  Provinz  andererseits  geschaffen  worden.  Die  Gym- 
nasien —  der  Kürze  wegen  sei  es  erlaubt,  von  diesen  zu  sprechen  und 
dabei  dann  sämtliche  andere  höhere  Lehranstalten  stillschweigend  mit 
einzuschließen  —  sammeln  die  Bestellungen  ihrer  Angehörigen  und 
geben  sie  an  einem  bestimmten  Tage  an  die  Universitätsbibliothek 
ihrer  Provinz  weiter ;  diese  läfet  ihnen  am  Tage  darauf  die  gewünschten 
Sachen  zugehen ;  auch  hier  hat  der  Einzelbenutzer  für  jeden  erhaltenen 
Band  20  Pfennige  zu  entrichten.  Die  Mafsregel  erstreckt  sich  zunächst 
nur  auf  die  staatlichen  Lehranstalten,  doch  können  auf  ihren  Wunsch 
auch  nichtstaatliche  Lehranstalten  sich  an  diesem  Provinzialleihverkehr 
beteiligen,  sofern  sie  sich  unter  Genehmigung  ihres  Patrons  bereit  er- 
klären, die  aus  der  Institution  ihnen  erwachsenden  Verpflichtungen 
tmd  Portokosten  auf  sich  zu  nehmen.  Man  wird  nicht  fehl  gehen, 
wenn  man  annimmt,  dafs  zu  der  Zahl  der  an  mittleren  und  kleinen 
Orten  wissenschaftlich  Thätigen  die  höheren  Lehranstalten  das  weitaus 
gröfete  Kontingent  stellen:  allen  Angehörigen  dieser  aber  ist  es  auf 
die  geschilderte  Weise  ermöglicht,  wenigstens  jedes  in  der  Bibliothek 
ihrer  Provinz  vorhandene  Buch  auf  bequeme  Weise  und  für  die  billige 
Gebühr  von  20  Pfennigen  zu  erhalten. 

Unleugbar  stellt  der  Leihverkehr,  wie  er  so  in  doppelter  Art  ge- 
schaffen ist,  einen  wesentlichen  Fortschritt  gegenüber  der  früheren  um- 
ständlicheren und  teureren  Praxis  der  Bücherversendungen  an  aus- 
wärtige Benutzer  dar ;  ebenso  unleugbar  ist  es  freilich,  dafs  er  in  seiner 
gegenwärtigen  Gestalt  noch  keineswegs  alle  berechtigten  Wünsche 
befriedigt,  noch  keine  ideale  Lösung  der  Frage  bedeutet,  wie  man  am 
besten  die  Schätze  der  Bibliotheken  auch  dem  auswärtigen  Interessenten 
zugänglich  macht.  Man  darf  indes  zu  den  beteiligten  Verwaltungen 
das  Zutrauen  haben,  dafs  sie  die  Einrichtung,  die  sie  aus  eigener  Ini- 
tiative ins  Leben  gerufen,  auch  zielbewufet  weiter  ausbauen  werden, 
bis  sie  in  der  That  allen  billigen  Anforderungen  genügt.    In  doppelter 


/ 


Ä 


—     170     — 

Weise  würde  ein  solcher  weiterer  Ausbau  anzustreben  sein.  Einerseits 
wäre  zu  wünschen,  dafe  es  ermöglicht  würde,  die  Vorteile  des  Leih- 
verkehrs mit  der  grofsen  Berliner  Bibliothek,  deren  sich  gegenwärtig 
nur  die  am  Ort  einer  Universitätsbibliothek  Wohnenden  erfreuen,  auch 
anderwo  ansässigen  Forschem  zugute  kommen  zu  lassen.  Sodann  wäre 
darnach  zu  trachten,  diesen  gegenseitigen  regelmäCsigen  Leihverkehr,  der 
sich  zur  Zeit  auf  die  preufsischen  staatlichen  Bibliotheken  beschränkt, 
auch  auf  die  übrigen  wissenschaftlichen  Büchersammlungen  Deutsch- 
lands auszudehnen,  wenn  möglich  mit  der  Zeit  auch  auf  solche  des 
Auslandes  —  freilich  darf  man  sich  nicht  verhehlen,  dafe  wenigstens 
die  Erfüllung  des  letztgenannten  Postulates  in  der  Praxis  sehr  grofeen 
Schwierigkeiten  begegnen  wird,  die  aber  doch,  wie  die  gleich  zu 
besprechenden  internationalen  Vereinbarungen  über  Handschriften- 
versendung zeigen,  schliefslich  nicht  unüberwindlich  sein  dürften. 
Das  —  freilich  sehr  schwer  zu  erreichende  —  Ideal  wäre,  wenn  durch 
konsequente  weitere  Ausgestaltung  des  Leihverkehrs  es  dahin  käme, 
dafs  jeder  Forscher,  gleichviel  wo  er  wohnt,  ausschliefs- 
lich  mit  der  Bibliothek  seiner  Provinz  verkehrt,  von  ihr 
jedes  Werk,  das  sie  besitzt,  und  durch  ihre  Vermittlung 
jedes  ihr  fehlende  Werk  von  jeder  beliebigen  Biblio- 
thek, wo  es  vorhanden  ist,  in  bequemer  Weise  ohne 
lästige  Formalitäten  und  zu  einer  billig  bemessenen  nied- 
rigen Einheitsgebühr  pro  Band  ohne  weitere  Kosten  für 
Porto  und  Verpackung  erhalten  könnte.  Es  wird  das  Bemühen 
der  Bibliotheks Verwaltungen  sein  müssen,  sich  diesem  idealen  Postulat 
in  der  Praxis  wenigstens  nach  Möglichkeit  anzimähem. 

Hatte  es  früher  für  den  einzelnen  schon  oft  genug  Schwierigkeiten, 
sich  ein  Buch,  das  er  brauchte,  von  auswärts  zu  beschaffen,  so  wuchsen 
diese  Schwierigkeiten  ganz  gewaltig,  sobald  es  sich  um  handschrift- 
liches Material  handelte.  Man  kann  es  den  Bibliotheksverwaltungen 
nicht  verargen,  wenn  sie,  solange  die  Verkehrseinrichtungen  noch  weit 
von  ihrer  jetzigen  Vollkommenheit  entfernt  waren,  Bedenken  trugen, 
die  ihrer  Obhut  anvertrauten  handschriftlichen  Schätze  aus  dem  Hause 
zu  geben  und  deshalb  der  Versendung  von  Handschriften  mehr  oder 
weniger  ablehnend  gegenüberstanden.  Gegenwärtig  indes  kann  in  den 
Kulturländern  bei  der  Versendung  durch  die  Post  —  natürlich  unter 
angemessener  Wertversicherung  —  das  Risiko  des  Verlustes  und  auch 
der  Beschädigung  so  ziemlich  als  ausgeschlossen  gelten;  damit  aber 
ist  der  einzig  durchschlagende  Gnmd,  der  gegen  die  Versendung  von 
Handschriften  sprach,  fortgefallen.    Es  ist  rühmend  anzuerkennen,  dals 


—     171     — 

die   bcteilig'ten  Verwaltungen   von  selbst   die  sich   hieraus   ergebende 
Folgerung  gezogen  haben,   indem  sie  allmählich  in  immer  gröfeerer 
Zahl   auch   ihre   handschriftlichen  Schätze   der  auswärtigen  Benutzung 
geöffnet  haben ;  es  giebt  gegenwärtig  nur  noch  sehr  wenige  Bibliotheken, 
die  grundsätzlich  keine  Handschriften  nach  auswärts  versenden;  leidei: 
gehört  zu  diesen  Instituten,   in  denen  noch  der  alte   engherzige  Geist 
waltet,   auch  eine  der  gröfsten  und   reichsten  Sammlungen   der  Welt, 
das  British  Museum  in  London.     Aber  auch  dort,  wo  man   prinzipiell 
zur  Versendung  von  Handschriften  bereit   war,   war  es  im  Einzelfalle 
keineswegs  so  leicht,  eine  gewünschte  Handschrift  zu  bekommen;  die 
Bibliotheksverwaltungen  sahen  sich  da,  wo  sie  selbst  gern  liberal  sein 
wollten,   noch   durch  Bestimmungen   gebunden,    die   aus   älterer  Zeit 
stammend  und  für  jetzt  nicht  mehr  zutreffende  Verhältnisse  bestimmt, 
ihre   eigene   Initiative   unnötig  beschränkten:   der  Benutzer,   der  eine 
Handschrift  einer  Bibliothek  zugesandt  haben   wollte,    mufste  in   der 
Regel  sich  erst  die  Erlaubnis  der  dieser  vorgesetzten  Aufsichtsbehörde 
verschaffen ;  die  Versendung  erfolgte,  sofern  der  Benutzer  und  die  ge- 
wünschte Handschrift   verschiedenen   Staaten    angehörten,    auf   diplo- 
matischem Wege  durch  Vermittelung  der  Gesandtschaften.    Es  ist  das 
Verdienst  der  preufeischen  Regierung,  die  Initiative  ergriffen  zu  haben, 
um  diesem  schwerfälligen,  wenig  zeitgemäfsen  Verfahren  ein  Ende  zu 
machen.     Ein   Ministerialerlafs   vom   8.   Januar    1890  ermächtigte   die 
preufsischen  Bibliotheken,  Handschriften  direkt  an  jede  staatliche  oder 
unter  staatlicher  Aufsicht  stehende  Bibliothek   des  In-   und  Auslandes 
zu  versenden,   sofern  sich  die  entleihende  Bibliothek  zur  Gegenseitig- 
keit bereit  erklärte.   Diese  verlangte  Gegenseitigkeit  gestanden  allmählich 
immer  mehr  Bibliotheken  zu,   und  es  ist  dadurch   allmählich   erreicht 
worden,  daüs  jetzt  weitaus  die  meisten  europäischen  Bibliotheken  ihre 
handschriftlichen    Schätze    ohne    zeitraubende    und    lästige    Zwischen- 
instanzen auf  Ansuchen  direkt  von  Bibliothek  zu  Bibliothek  verschicken. 
Das  Prinzip  der  direkten  Versendung  von  Handschriften  üben  gegenwärtig 
sämtliche    staatliche    Bibliotheken    Deutschlands,    Österreich-Ungarns, 
Hollands,  Belgiens,  der  Schweiz,  Dänemarks,  Schwedens,  Norwegens, 
außerdem   noch   einige   englische   Universitätsbibliotheken,   sowie   die 
St.  Petersburger  Bibliothek.    Dagegen  haben  sich  diesem  System  der 
direkten  Versendung  bisher  noch  nicht  angeschlossen  die  Bibliotheken 
Frankreichs,  Italiens  und  Spaniens;  um  aus  letzteren  Handschriften  zu 
erhalten,  ist  deshalb  nach  wie  vor  diplomatische  Vermittelung  nötig. 

Die  gegenwärtige  Praxis   ist   demnach   die,   dafe  in   den   weitaus 
meisten  Fällen,   wer   eine   Handschrift  zu   haben   wünscht,   sein   dies- 


—     172     — 

bezügliches  Gesuch  —  worin  er,  wenn  irgend  möglich,  Katalognummer, 
Titel,  Inhalt  und  Sprache  der  Handschrift  anzugeben  hat  —  direkt  an 
die  Bibliothek  richtet,  die  die  Handschrift  besitzt;  nur  wenn  es  sich 
um  französische,  spanische,  italienische  Handschriften  handelt,  wird  er 
mit  seinem  Gesuch  sich  an  die  Ministerialbehörde  seines  Heimatstaates 
zu  wenden  haben,  um  diese  zu  bitten,  ihm  auf  diplomatischem  Wege 
die  Handschrift  zu  verschaffen.  Eine  Handschrift  unterliegt  natürlich, 
weil  in  ihrer  Art  ein  Unikum  und  als  solches  unersetzbar,  in  der  Be- 
handlung anderen  Bestimmungen,  als  ein  beliebiges  gedrucktes  Buch : 
es  ist  wohl  ausnahmslos  verboten,  sie  dem  Benutzer  in  das  Haus  und 
die  Wohnung  mitzugeben  oder  hinzusenden,  sie  wird  vielmehr  diesem 
nur  in  den  Räumen  eines  öffentlichen  Institutes  zugänglich  gemacht. 
Es  ist  ratsam,  das  Gesuch  um  Benutzung  einer  Handschrift,  ehe  man 
es  absendet,  vorher  dem  Vorstand  des  Instituts  vorzulegen,  in  dem 
die  Handschrift  benutzt  werden  soll,  einerseits  schon,  weil  es  den  Regeln 
des  Anstandes  entspricht,  diesen  hiervon  zu  verständigen,  anderer- 
seits aber  auch ,  damit  er  durch  eine  diesbezügliche  Notiz  auf  dem 
Gesuch  gleich  seinerseits  gegenüber  der  um  Versendung  angegangenen 
Bibliothek  Garantie  für  sichere  und  ordnungsgemäfse  Aufbewahrung 
der  Handschrift  übernehmen  kann.  Der  oben  angezogene  preufsische 
Ministerialerlafs  gestattet  die  Versendung  von  Handschriften  nur  an 
staatliche  oder  unter  staatlicher  Aufsicht  stehende  Bibliotheken  zur 
Benutzung  in  deren  Räumen;  doch  ist  die  Anwendung  dieser  Be- 
stimmungen seitens  der  deutschen  Bibliotheksverwaltungen  —  und 
dasselbe  gilt  auch  von  den  meisten  Archivverwaltungen  *)  —  eine 
durchaus  liberale:  sofern  sie  nur  Gewähr  haben,  dafs  die  von 
ihnen  versandten  Handschriften  lediglich  in  den  feuersicheren  Räumen 
einer  öffentlichen  Behörde  benutzt  und  aufbewahrt  werden,  werden 
sie  dem  Forscher  gegenüber,  der  an  einem  kleineren  Orte  wohnt, 
an  dem  sich  keine  gröfsere  Bibliothek  befindet,  sicher  dem  Begriff 
,, staatliche  oder  unter  staatlicher  Aufsicht  stehende  Bibliothek"  keine 
allzu  engherzige  Begrenzung  geben.  Ob  auch  ausländische  Biblio- 
theken zu  einer  ähnlichen  liberalen  Praxis  bereit  sein  werden,  läfet 
sich  nicht  im  Voraus  sagen,  wird  man  vielmehr  im  Einzelfalle 
erst  erproben  müssen;  jedenfalls  darf  der  Forscher  nicht  mit  Sicher- 
heit darauf  rechnen,  ausländische,  zumal  wertvolle  Handschriften 
anderswo   benutzen   zu  können,    als   in   den   Räumen   einer  gröfseren 


i)  Vgl.  den  Anfsatz  über  Archivbenatziingsordnungen  im  I.  Bande  dieser  Zeitschrift 
S.   181  —  194. 


—     173     — 

staatlichen  Bibliothek,  d.  h.  also  in  den  meisten  Fällen  in  der 
Universitätsbibliothek  seiner  Provinz.  Als  Benutzungsdauer  für  Hand- 
schriften ist  für  Preufsen  die  Frist  von  drei  Monaten  bestimmt ;  für  die 
meisten  übrigen  deutschen  Bibliotheken  gilt  der  gleiche  Termin ;  doch 
wird  der  Forscher,  wenn  er  um  Verlängerung  dieser  Frist  nachsucht, 
vorausgesetzt,  dals  die  Handschrift  nicht  anderweitig  verlangt  wird, 
kaum  jemals  auf  Schwierigkeiten  stofsen.  Doch  sollte  der  Benutzer 
von  Handschriften  sich  stets  gegenwärtig  halten,  dafe  es  immerhin 
seitens  der  beteiligten  Verwaltungen  ein  grofees  Entgegenkommen 
darstellt,  ihm  diese  unersetzbaren  Sachen  zuzusenden,  statt  zu  ver- 
langen, dafs  er  zu  ihnen  kommt,  und  er  sollte  es  deshalb  als  ein  Gebot 
des  Anstandes  und  der  Billigkeit  ansehen,  als  Ausdruck  seines  Dankes 
für  dieses  Entgegenkommen  stets  —  auch  da,  wo  dies  nicht,  wie  das 
mehrfach  der  Fall,  durch  die  Bedingungen,  unter  denen  die  Versendung 
erfolgt  ist,  ausdrücklich  gefordert  wird  —  ein  Exemplar  jener  Publi- 
kation, in  der  er  die  Handschrift  verwertet,  der  Bibliothek,  von  wo  er 
jene  Handschrift  erhalten  hat,  zu  überweisen. 

In  höherem  Ma(se  noch,  als  es  bei  Drucksachen  einstweilen  der 
Fall,  werden  durch  die  geschilderte  gegenwärtige  Praxis  der  Biblio- 
theken bezüglich  der  Handschriften  alle  berechtigten  Ansprüche  des 
Forschers  befriedigt.  Es  ist  ihm  möglich,  von  geringen  Ausnahmen 
(British  Museum !)  abgesehen,  sich  jede  Handschrift  des  In-  und  Auslandes 
zugänglich  zu  machen,  soweit  sie  nicht,  als  ungewöhnlich  kostbar,  mit 
Fug  unds.  Recht  überhaupt  von  einer  Versendung  ausgeschlossen  ist; 
er  braucht,  um  sie  zugeschickt  zu  erhalten,  in  den  weitaus  meisten 
Fällen  nicht  erst  lästige  und  zeitraubende  Formalitäten  zu  erfüllen ;  oft 
genug  wird  ihm  die  Handschrift  zur  Benutzung  an  seinem  Wohnort 
zugänglich  gemacht  werden,  zum  mindesten  aber  in  der  nächsten 
gxöiseren  Bibliothek,  die  aufzusuchen  ihm  immerhin  ohne  allzu  er- 
hebliche Opfer  an  Zeit  und  Geld  möglich  sein  dürfte.  Welch  ein 
Unterschied  zwischen  diesen  Verhältnissen  und  jenen  früheren,  wo 
jemand,  der  Handschriften  benötigte,  sich  unabweislich  gezwungen 
sah,  langdauemde  Reisen  von  Ort  zu  Ort  zu  unternehmen.  Die  Biblio- 
theksverwaltungen haben  hier  durch  die  That  bewiesen,  dafs  sie 
vom  Geist  des  Fortschrittes  und  der  Liberalität  erfüllt  sind,  und  der 
Forscher  darf  daher  zu  ihnen  das  Zutrauen  haben,  da(s  sie  diesen 
Geist  auch  ferner  walten  lassen  und  es  verstehen  werden,  die  Mängel, 
die  den  gegenwärtigen  Einrichtungen  noch  anhaften,  durch  zielbewußtes 
Weiterbauen  auf  der  glücklich  geschaffenen  Grundlage  allmählich  zu 
beseitigen. 


—     174     — 

Anhang^sweise   sei   noch   darauf  hing^ewiesen ,    dafs   ähnliche  Ein- 
richtung-en,  wie  sie  in  Preufeen  durch  den  Leihverkehr  geschaffen  sind, 
auch   in    Süddeutschland   bestehen.     Die  Universitätsbibliotheken 
Würzburg    und  Erlangen    vermitteln    für    ihre  Benutzer  Bestellungen 
auf  ihnen   selbst   fehlende  Bücher   an  die   Hof-  und  Staatsbibliothek 
München,  und  zwar  Würzburg  regelmäfsig  an  jedem  Dienstag,  Erlangen 
je  nach  Bedarf;  dem  Vernehmen  nach  werden  in  Würzburg  sämtliche 
erwachsenden  Kosten  von  der  Bibliotheksverwaltung  getragen.     Doch 
ist  es  den  Interessenten  in  Würzburg  und  Erlangen  auch  unbenommen, 
sich  ohne  die  Vermittelung  ihrer  Universitätsbibliothek  direkt  an   die 
Münchener  Bibliothek  zu  wenden.    Ebenso  entleihen  bei  einer  grofeen 
Anzahl    der    höheren   Lehranstalten  Bayerns    deren  Angehörige    teils 
direkt,   teils  von  anstaltswegen  aus  der  Hof-  und  Staatsbibliothek.  — 
In  Württemberg  besteht  ein  regelmäfsiger,  gegenseitiger  Leihverkehr 
zwischen  der  Kgl.  Bibliothek  in  Stuttgart  und  der  Universitätsbibliothek 
in  Tübingen;   einlaufende  Bestellungen  werden,    ohne   erst  einen  be- 
stimmten Termin  abzuwarten,  sofort  an  die   andere  Bibliothek  weiter 
gegeben ;  die  Benutzer  sind  dadurch  noch  besser  daran  als  in  Preufeen, 
dafe  ihnen  dabei  irgendwelche  Kosten,  sei  es  für  Porto,  sei  es  für  Ver- 
packung,  überhaupt  nicht  erwachsen.   —  In   Österreich  gut  für  die 
K.  K.  Hofbibliothek  in  Wien   die  Vorschrift,   dafs  Bücher  nach   aus- 
wärts nur  auf  ein  durch  eine  öffentliche  Bibliothek,  eine  höhere  Lehr- 
anstalt, eine  öffentliche  Behörde  vermitteltes  Ansuchen  verliehen  werden : 
doch  bedeutet  dies  etwas  wesentlich  anderes  als  der  preufeische  Leih- 
verkehr,  dürfte  anstatt  wie   dieser  eine  Erleichterung,   eher  eine  Er- 
schwerung für  den  auswärtigen  Benutzer  darstellen. 


Gesehiehtliehe  Forschung 
in  Stadt  und  Bistum  Worms  im  XV.  und 

XVL  Jahrhundert 

Von 
W.  Roth  (Wiesbaden) 

Im  Gefolge  innerer  Parteikämpfe  wegen  der  städtischen  Verfassung 
und  der  Rechte  des  Klerus  in  der  Stadt,  sowie  dem  daraus  entstehen- 
den Klassenhader  war  entsprechend  dem  Vorgang  anderer  Städte  zu 


—     175     — 

Worms  die  eigentliche  Blüte  der  Geschichtschreibung  mit  dem  letzten 
Viertel  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  im  grofsen  Ganzen  vorüber. 
Genau  läfet  sich  das  Verhältnis  ja  nicht  ermessen,  da  die  Wormser 
Kloster-  imd  Stiftsbüchereien  unwiederbringliche  Verluste  erlitten  haben, 
und  manches  auch  dem  Geschichtschreiber  des  Bistums,  Schannat, 
entgangen  sein  kann.  Gerade  der  Parteihader  erzeugte  aber  zu  Worms 
die  historisch-juristische  Geschichtschreibung,  während  die  allgemeine 
Darstellung  der  Ereignisse  vollständig  zurücktrat.  In  dem  Worms 
benachbarten  Augustinerkloster  Kirschgarten  schrieb  der  ungenannte 
Mönch  seine  kompilatorische  Chronik  *).  Bescheidenheit  hinderte  den 
Verfasser,  offen  aufzutreten  und  mehr  als  dürftige  Angaben  über 
seine  Persönlichkeit  zu  machen.  Er  war  1472  nach  Worms  ge- 
kommen, ohne  dafs  seine  Herkunft  festzustellen  wäre;  jedenfalls  war 
er  aber  nicht  aus  Worms  oder  Umgegend.  Eigentlich  blieb  er  gegen 
seinen  Willen  in  der  Bischofsstadt  hängen.  Vom  Bischof  Reinhard 
empfing  er  die  Weihen.  Er  mufe  ein  belesener  Mann  von  ungewöhn- 
lichem Wissen  gewesen  sein,  da  er  aufeer  seiner  Geschichtskompilation 
ein  Buch  über  berühmte  Männer  des  Augustinerordens  sowie  die 
Gesta  canonicorumregularium,  beides  verschollene  Arbeiten  *),  schrieb. 
Ob  sie  Wert  besaisen  und,  durch  des  Trithemius  gleichgeartete  Ar- 
beiten anger^t,  diese  überboten  und  ergänzten,  steht  dahin. 

Rein  lokales  Interesse  hat  ein  historisch  anspielendes  Gedicht  des  be- 
kannten Theoderich  Grefsmund  des  Jüngeren.  Derselbe  weilte  öfter 
zu  Worms  bei  dem  Domherrn  Johannes  Wacker  oder  Vigilius  aus 
Sinsheim  '),  dessen  Haus  sein  Absteigequartier  war.  Grefsmund  verfafste 
über  einen  sonst  nicht  näher  bekannten  und  jedenfalls  auch  nicht  be- 
deutenden Brand  zu  Worms  1495  ein  lateinisches  Gedicht:  Theodorici 


i)  Der  Kirschgartener  Mönch  benutzte  die  jüngere  Wormser  Bistumschronik,  eine 
handschrifüich  vorhanden  gewesene  Sammlung  von  Notizen  und  Auszügen  ans  Trithemius, 
Nauclems  etc.  Sie  ist  nur  bruchstückweise  auf  uns  gekommen  und  eine  Arbeit  des  an» 
hebenden  XVI.  Jahrhunderts,  bis  Bischof  Reinhard  von  Worms  reichend.  B  o  o  s ,  Quellen 
Eor  Gesch.  d.  Stadt  Worms  III,  S.  XXII  und  XXIV.  Hegel,  Mainzer  Chroniken  II, 
S.  131  f.  Westdeutsche  Zeitschr.  III,  S.  46  f.  Der  Kirscfagartener  Mönch  hörte  zwischen 
150X  und  1503  zu  schreiben  auf  oder  starb  um  diese  Zeit  Vgl.  Boos  III,  S.  XXIL 
Über  den  Kirschgartener  Mönch  und  dessen  Chronik  vgl.  Forschungen  z.  d.  Gesch.  XIII, 
S.  584.  CorrespondenzbL  d.  Westd.  Zeitschr.  I,  S.  72.  Correspondenzblatt  d.  Gesamtver. 
1874,  S.  3.  Lorenz,  Gesch. -Q.  III.  Aufl.  I,  S.  133.  Gedruckt  ward  die  Arbeit  in 
Ladewig,    reliquiae   manuscript   II,   S.  i — 175   und   neuerdings   in   Boos,   Quellen   III, 

s.  3-95. 

2)  Boos  III,  S.  XX. 

3)  Ober  Vigilius  vgl.  Morneweg,  Johann  von  Dalberg.     S.  156. 


—     176     — 

Gre/sviundi  Carmen  elegtacum  super  tncendio  Vormaciensi  IUI. 
KaL  Mali  anno  salutis  M.  cccc.  XCV  in  concubta  nocte  etc.  *),  ein 
humanistisches  Produkt  reicher  an  Worten  als  an  historischen  Angaben. 

Sebastian  Brant  schrieb  gelegentlich  einer  Mifsgeburt  bei  Worms 
1495  eine  lateinische,  an  den  Kanzler  Konrad  Stürzel  gerichtete  Schrift: 
De  monstroso  partu  apud  Wormattam  14p ^  *)  und  gab  dieselbe 
auch  deutsch  mit  Widmung  an  Kaiser  Max  im  gleichen  Jahre  heraus  '). 
Zu  dieser  Gelegenheitsschriftstellerei  auch  historischen  Inhalts  gehört 
noch  die  Einreitung  römisch  königlicher  Majestät  in  Worms  14g $  % 
die  wohl  mit  Recht  einer  Wormser  Feder  zuzuschreiben  sein  dürfte. 
Den  Zeitgenossen  waren  diese  Schriften  Befriedigung  gelegentlicher 
Wifsbegierde ,  uns  dienen  sie  als  sparsam  fließende  Geschichtsquellen 
zweiten  Ranges. 

Beim  Beginn  des  XVI.  Jahrhunderts  erfuhren  zu  Worms  die  Ver- 
hältnisse einschneidende  Veränderungen,  denen  sich  auch  die  Art  und 
Weise  der  Geschichtschreibung  anpaiste.  Die  Zeiten  des  Frühhuma- 
nismus waren  vorbei.  Aus  den  stillen  Räumen  der  Klöster  und  Stifte 
hatte  sich  die  Wissenschaft  den  bürgerlichen  Kreisen  mitgeteilt  und  dort 
freudige  Aufnahme  gefunden,  aber  auch  eine  Anpassung  an  deren 
Verhältnisse  erfahren.  Diese  Kreise  halsten  den  Klerus  als  Gegner 
ihrer  Rechte  und  griffen  zur  Feder,  um  dessen  Ansprüche  zu  be- 
kämpfen. Auch  die  Vorströmungen  der  Kirchenspaltung  zogen  stets 
weitere  Umkreise.  So  bildete  sich  die  klerusfeindliche  Publizistik 
im  historischen  Gewände  als  Tochter  der  Geschichte  auch  zu  Worms 
heran.  Es  entstanden  die  Schriften  über  Franz  von  Sickingen  gegen 
Worms  *).  Worms  ist  zudem  die  berühmte  Hegestätte  der  Sache 
Luthers.  Auch  hieraus  entstand  seit  dem  Wormser  Reichstag  1521 
eine   Art  historischer  Litteratur,    darunter:   Des  heyligen   römischen 


i)  Am  Eode  von  Theoderichs  Oratio  ad  sanetam  synodum  Moguntinam  elegantissima, 
O.  O.  u.  J.  (Speier,  Hist,  1499).  Quarto.  Vgl.  Roth,  Speyerer  Druckereien  ü,  S.  45. 
Hain,  rep.  8050,  Centralbl.  f.  Bibl.  IV,  (1887),  S.  403. 

2)  Quarto,  4  Blätter.  Hain  3760.  Diese  Ausgabe  befindet  sich  im  Paulusmuseum 
zu  Worms.  Zorn,  Wormser  Chronik  S.  198  (zu  1491  angesetzt).  Die  Abbildung  der 
Kinder  enthält  cod.  lat  Monac.  24,  163.  Über  die  Sache  vgl.  Boos,  Quellen  III, 
S.  397.     Chroniken  d.  d.  Städte  XIV,  S.  892. 

3)  Hain  3759.  Auf  dem  Titel  dieser  Ausgabe  eine  Ansicht  der  Stadt  Worms  und 
der  Milsgeburt. 

4)  O.  O.  u.  J.  u.  F.,  Hain  6556.  Erwähnt  ist  diese  Schrift  in  NolUens  Tagebuch, 
vgL  Boos,  Quellen  III,  S.  395,  13—17. 

5)  Vgl.  Boos,  Franz  von  Sickingen  und  die  Stadt  Worms  in  Zeitschr.  f.  G.  d. 
Oberrh.  N.  F.  ffl  (1888),  S.  385. 


—     177     — 

Reichs  Stend,  müsampt  allen  Churfürsten  und  Fürsten  etc.  so  zu 
Worms  etc,  versamlet  und  erschynen  seyndt  *) ,  ferner :  Römischer 
Kais,  Majestät  verhörung ,  rede  und  Widerrede  Doctor  Martini 
Luthers^)  sowie  die:  Ordenung^),  alle  dem  Jahre  1521  angehörig-. 
Diese  Art  Geschichtschreibung  war  wahre  Volksgeschichte,  aber  auch 
künftigen  Geschlechtern  Geschichtsquelle  mitten  aus  der  Bewegung 
heraus. 

Der  aus  Worms  selbst  stammende  Johann  Bockenrhod  ver- 
fafste  eine  Anzahl  lateinischer  Dichtungen,  reich  an  Angaben  historischer 
Art  über  Wormser  Verhältnisse  *).  Er  war  Anhänger  der  Katholiken 
tmd  stellt  sich  nebst  Michael  Gassen  und  dem  Verfasser  eines  Volks- 
liedes auf  Franz  von  Sickmgen  *)  als  Vertreter  der  bischöflichen  Ge- 
schichtschreibung zu  Worms  um  diese  Zeit  dar.  Über  Michael  Gassen 
ist  nichts  bekannt  und  seine  Arbeit  ist  bis  auf  wenige  Reste  verloren  % 
Wir  sehen,  dafe  auch  auf  dem  Gebiet  der  historischen 'Darstellung 
<ier  Wormser  Klerus  zurückging  und  gegen  die  bürgerlichen  Kreise 
zurückstand. 

Das  volkstümliche  Element  war  zu  Worms  nicht  allein  sozial- 
politisch, sondern  auch  religiös  in  der  Übermacht.  Aus  diesen  Kreisen 
stammte  das  Volkslied  auf  Franz  von  Sickingen  in  protestantischem 
Sinn ') ,   die  Schrift  gegen  Franz  von  Sickingen :  Der  Statt   IVormbs 


x)  Roth,   Wormser   Druckereien   S.    28   n.    i.     Weller,   rep.    n.   1948.     Lather- 
'bibliothek  zu  Worms,  S.  3  (aber  mit  der  falschen  Angabe:  4  Blätter  statt  30). 

2)  Roth,  a.  a.  O.  S.  30  n.  3. 

3)  Ebenda  S.  66  n.  4.  Weller,  rep.  n.  1618.  Soldan,  der  Reichstag  zu  Worms 
1521   (Neaabdmck  der  Ordnung),  S.  1x3. 

4)  Über  Bockenrhod  und  dessen  Schriften  vgl.  meinen  Aufsatz  in  Koch,  Zeitschr. 
f.  vcrgl.  Lit.-G.    N.  F.  (1895),  S.  480.     Falk,  GeschichUblätter  II  (1885),  S.  254. 

5)  Das  Lied  ist  nach  einer  Wolfenbütteler  Handschr.  abgedruckt  in  Westd.  Zeitschr. 
XIV  (1895),  S.  293. 

6)  Gassen  starb  1530.  Schannat  kannte  dessen  Arbeit  noch.  Stellen  derselben 
jn  dessen  hist.  episc.  Wormat.  I,  S.  415  (X445),  416,  418,  419  abgedruckt.  Was 
.Schannat  verwendete,  reichte  von  1445  bis  1494  und  ist  inhaltlich  unbedeutend.  VgL 
B  o  o  s ,  Quellen  III,  S.  XII.  Gassen  schrieb  auch  einen  catalogus  abbatum  Laurishamen'- 
stum,  den  Hei  wich  noch  in  seiner  Arbeit  über  die  Abtei  Lorsch  verwendete.  Wenn 
A.  Köster,  die  Wormser  Annalen,  Leipzig  (1887),  S.  22  behauptet,  Gassens  Arbeit  be- 
weise grofse  Ausführlichkeit  der  Angaben  als  Augenzeuge  und  Zeitgenosse,  so  läfst  sich 
dies  aus  den  vorhandenen  Resten  nicht  erweisen.     Vgl.  Boos  III,  S.  XII. 

7)  Das  Lied  ist  gedichtet  im  Juli  1515,  abgedruckt  in  Liliencron,  hist.  Volkslieder  III, 
S.  153  (angeblich  aus  15 13  und  als  Wormser  Druck  bezeichnet),  sowie  als  schlechter 
Text  in  Forschungen  z.  d.  G.  X,  S.  656.  Ein  besserer  Text  in  Boos,  Quellen  HI, 
S.  XVI — XVII.  Der  Verfasser  war  jedenfalls  ein  Wormser,  der  zur  Ratspartei  gehörte» 
Über  die  Sache  vgl.  Boos  in  Zeitschr.  f.  G.  d.  Oberrh.    N.  F.  III,  S.  385 f. 

13 


—     178     — 

Warhaffttg  beruht  etc.  *),  der  aus  Sickingens  Kreisen  die  Gegen- 
schrift :  Warhafftiger  Bericht  Francisci  von  Sickingen  vff  das  un- 
gegrundt  Ussschreiben  deren  von  Worms  wyder  inen  bescheen. 
Anno  MDXV*),  folgte.  Auch  die  bekannten  Wormscr  Chronisten 
Reinhard  Noltzius  und  Friedrich  Zorn  gehörten  dieser  Richtung 
an.  Beide  setzten,  gut  städtisch  gesinnt,  dem  Klerus  mit  ihren  Arbeiten 
zu.  Noltz  hatte  zu  Heidelberg  den  Studien  obgelegen  und  war  dort  am 
26.  August  147 1  als  Reinhardus  Nolcz  de  Wormatia  eingeschrieben 
worden  *).  Als  Magister  ward  er  1489  Sechzehner  der  Stadt  Worms. 
Er  stand  stets  auf  seiten  des  Stadtrats  gegen  den  Klerus  und  zeigt 
diesen  Geist  in  seinem  Extract  chronici  Wormatiensis  sive  diarii 
Reinhard  Noltzens  Ratsverwandten  der  Stadt  Wormbs,  Die  Arbeit 
reicht  von  1493  bis  1 509  *)  und  hatte  vorzugsweise  eine  historisch-juris- 
tische Tendenz,  indem  sie  gegen  die  Übergriffe  des  Klerus  die  Verhand- 
lungen über  die  Rechte  der  Stadt  künftigen  Geschlechtem  in  deduktions- 
artiger Fassung  überlieferte.  So  war  die  Schrift  Abwehr  und  Bedürfnis 
zugleich,  und  ihr  Verfasser  hat  seine  Aufgabe  wahrhaft  mustergültig 
gelöst.  Wenn  dabei  sein  Parteistandpunkt  da  und  dort  die  Verhältnisse 
etwas  gefärbt  schildert,  können  wir  ihm  als  Menschen  das  nicht  zu 
sehr  verübeln.  Während  bei  Noltz  der  gebildete  Jurist  aller  Ecken 
und  Enden  durchblickt,  ist  Friedrich  Zorn,  von  Haus  aus  lateinischer 
Schulmeister  der  Stadt,  mehr  Philolog  und  Geschichtsforscher.  Auch 
er  Heferte  in  seiner  Chronik  von  Worms  eine  vorzügliche  Arbeit  und 
damit  die  erste  Wormser  Stadtgeschichte. 

Eine  andre  Art  der  Geschichtsschreibung  von  Worms  ist  die  kombi- 
nierte: hier  ist  die  Darstellung  wieder  Bischofsgeschichte  und  dem  geist- 
lichen Verhältnis  entsprechend  —  Worms  war  Suffraganat  von  Mainz  — 
bildet  sie  einen  Teil  eines  gröfseren  Ganzen.  Ihrer  Stellung  nach  ist  sie 
nicht  frei  von  Tendenz  und  Willkür,  klerikal  dem  roten  Faden  nach  geht 
sie  nicht  oder  doch  kaum  auf  Einzelheiten  lokaler  Färbung  ein.  Sie 
erscheint  eher  als  ein  Schritt  rückwärts  in  den  mittelalterlichen  Chro- 
nikenstil und  ähnelt  der  früheren  bischöflichen  Annalistik,  sie  ist  in  jeder 
Beziehung  davon  entfernt,  eine  brauchbare  Geschichtsquelle  zu  sein. 
Und  trotzdem  mufs  man  diese  Art  Litteratur  gern  gelesen  haben,  da  sie 
für  Worms  in  dreierlei  Fassung  vorliegt  und  jede  in   mehreren  Hand- 


i)  Rothy  Wormser  Druckereien  S.  65,  woselbst  weitere  Litteraturangaben. 

2)  Senckenberg,   selecta  juris,  IV,    S.  595.    15 15.     Dorstags   nechst   nach   dem 
Sondag  Exaudi. 

3)  Toepke,  Heidelberger  Matrikel  I,  S.  334. 

4)  Boos  UI  (Abdruck). 


—     179     — 

Schriften  bekannt  ist,  wobei  sich  die  Unabhängigkeit  der  Verfasser  von 
einander  nachweisen  läfet  *).  Wilhelm  Werner,  Graf  von  Zimmern, 
Herr  zu  Möskirch,  am  31.  Oktober  1506  Rektor  der  Freiburger  Hoch- 
schule geworden*),  trat  am  21.  Januar  1529  seine  Assessorcnstelle 
am  Reichskammergericht  zu  Speier  an,  kommt  als  solcher  1534 
zum  zweiten  Male  vor  und  bekam  1548  eine  Richterstelle  an  diesem 
Gerichtshof.  Dieser  Mann  beschäftigte  sich  mit  Geschichte  von  Mainz 
und  der  demselben  imterstellten  Bistümer.  Seine  Darstellung  reicht 
bis  1555,  die  Sprache  ist  deutsch'*).  Die  Originalhandschrift  Werners 
befindet  sich  zu  Weimar,  Abschriften  des  Ganzen  oder  einzelner  Teile 
zu  Pommersfelden,  Mainz  (zwei),  Wolfenbüttel,  München  *)  und  Giefeen  *). 
Ein  stattliches  Exemplar  mit  gemalten  Wappen  der  Bischöfe,  bewahrt 
die  Fürstenbergsche  Bibliothek  zu  Donaueschingen  ®).  Auch  in  dem 
Münchener  Exemplar  findet  sich  der  Wormser  Teil  vor.  Freilich  eine 
Geschichtsquelle  dürfen  wir  in  diesem  Werke  nicht  suchen :  das  Ganze 
bildet  eine  mehr  oder  weniger  wertlose  Kompilation,  wobei  schon  die 
Unmasse  des  zu  bewältigenden  Stoffes,  dessen  Zerstreutheit  und  Viel- 
artigkeit eine  Rolle  spielen  mufste.  Abgesehen  von  manchen  nicht 
anderwärts  vorkommenden  Nachrichten,  die  der  Lebenszeit  Werners 
näher  liegen,  ist  die  Arbeit  bei  allem  littcrargeschichtlichen  Interesse 
ohne  historische  Bedeutung  und  als  Geschichtsquelle  entbehrlich.  Aus 
diesen  Gründen  blieb  die  Arbeit  ungedruckt  und  selbst  die  handschrift- 
liche Verbreitung  ist  nicht  allzu  bedeutend,  die  historische  Ausbeutung 
durch  Zeitgenossen  und  Geschichtschreiber  sehr  gering. 

Eine  ähnliche  Arbeit  verfafete  Lorenz  Müller,  der  jedenfalls  mit 
dem  am  20.  Mai  1561  zu  Heidelberg  immatrikulierten  Laurentius 
Molitoris  Heidelbergensis^  —  am  28.  Juni  1568  Baccalar.  Art.  ge- 
worden ®)  —  identisch  ist  und  demnach  aus  Heidelberg  stammte.    Er 


i)  Der  Vortritt  scheint  Brasch  1551  zu  gebühren,  Zimmern  erweiterte  den 
Plan  des  Themas  1555,  und  ihm  folgte  Müller. 

2)  (Riegger)  amoenitates  litterariae  Fribargenses  I,  S.  6. 

3)  Über  Werner  vgl.  Cr  am  er,  Wetilarische  Nebenstunden  XI,  S.  98.  Brief- 
wechsel des  Beatus  Rhenanas  ed.  Hartfelder,  S.  546 

4)  Eine  der  beiden  Hss.  ans  Bodmanns   Besitz  (Habeische  Sammlung). 

5)  Centralbl.  f.  Bibl.  V,  S.  311.  Kapp,  Gesch.  d.  d.  Buchhandels  I,  S.  812, 
Anm.  32.  Roth,  Bachdrtickerfamilie  Schoeffer  S.  229,  Anm.  i.  Nassauer  Annalen  XI, 
S.  385.  Über  die  Giefsener  Hs.  vgl.  Zcitechr.  f.  G.  d.  Oberrh.  N.  F.  XII,  S.  245. 
Adrian,  catal.  codic.  mss.  Giessensium  S.   147  n.  CDLXIX. 

6)  Folio.  Ob  die  Hs.  Selbstschrift  Werners  ist,  kann  ich  mich  nicht  mehr  erinnern. 

7)  Toepke,  Heidelberger  Matrikel  II,  S.  24. 

8)  Ebenda  n,  S.  24. 

13* 


—     180     — 

lebte  als  Rechtsgelehrter  und  Notar  zu  Mainz  und  schrieb  eine  lateinische 
Geschichte  des  Erzbistums  Mainz  und  von  dessen  Suffragfanbistümem 
in  drei  Foliobänden.  Auch  Worms  ist  behandelt.  Dafe  die  Arbeit 
selbständig"  und  von  der  Werners  von  Zimmern  verschieden  ist,  lehrt 
schon  die  lateinische  Sprache.  Sonst  ist  über  die  Natur  der  MüUerschen 
Arbeit,  da  sie  verschollen  ist,  jede  Angabe  unmöglich. 

Das  dritte  Werk  dieser  Art  schrieb  Caspar  Brusch  unter  dem 
Titel  Chronick  oder  kurtz  Geschichtbuch  aller  Ertzbtschoven  zu 
Mayntz,  Auch  der  zwölfften  Bisthumben,  welche  dem  Bisthumb 
Maintz  als  Suffragamen  zugethan  vnd  angehörig,  Mit  kurtzer 
anzeygung  der  fürnembsten  vnd  namhafftigsten  dinge,  die  sich  zu 
jedis  Bischoffs  zeitten  verlatiffen  haben.  Auch  was  herkomens,  vnd 
geschlechts  ein  yeder  Bischoff  gewesen  sei,  Findstdu  grundtlichen 
Bericht.  Item  wie  das  Bisthumb  Bamberg  von  allem  Ertzbischo/- 
lichem  joch  befreyet  worden.  Alles  nützlich  vnd  lustig  zu  lesen. 
Durch  den  fürtreßich  gelerten  Caspar  Bruschen  etc.  Frankfurt  a.  M. 
(Cyriacus  Jacob  zum  Bart)  1551.  Folio.  Eigentümlicherweise  fallt  die 
Entstehungszeit  dieser  drei  Arbeiten  in  ein  Jahrzehnt. 

Mehr  Materialiensammlung  ohne  ausgesprochenen  Charakter  ist 
des  Hanau-Lichtenbergischen  Rats  und  Amtmanns  zu  Wörth  Bernhard 
Hertz og,  bekannt  als  Verfasser  der  Elsasser  Chronik  \  Sammelband 
über  den  Wasgau  und  Speiergau,  die  Wormser  Bischöfe,  die  Grab- 
inschriften der  Wormser  Kirchen,  Stift  Neuhausen,  den  Adel  im  Worms- 
gau  mit  besonderer  Beziehung  auf  die  Dalberger.  Das  Ganze  ist  diu-ch 
eine  Menge  Angaben  aus  verlorenen  Quellen  sehr  schätzbar,  aber, 
ohne  alle  Kritik  abgefafst,  entbehrt  es  der  ordnenden  Hand.  Die 
Abfassungszeit  ist  1596.  Die  Originalhandschrift  des  ungedruckt  ge- 
bliebenen Werkes  gehörte  dem  Frankfurter  Patrizier  Maximilian  zum 
Jungen  und  kam  mit  dessen  Bücherschätzen  an  den  Frankfurter  Rat 
und  in  die  Stadtbücherei  zu  Frankfurt  a.  M. 

Eine  noch  ununtersuchte  historische  Quellenschrift  über  Wormser 
Bischöfe  bewahrt  als  Chronicus  liber  antistitum  Wormatiensium,  bis 
1530  reichend,  die  Würzburger  Universitätsbibliothek  in  der  Handschrift 
des  Mainzer  Stiftsherrn  Hebelin  von  Heimbach*).    Die  Sprache  ist 


1)  Ms.  II,  10.  Folio.  Vgl.  Der  deutsche  Herold,  1891,  Nr.  7—8.  Hahn  in  Viertel- 
jahrscbr.  f.  Wappen-,  Siegel-  und  Familienk.  XXXIV.  Bereits  Bodmann,  Rheingauer 
Alterth.  S.  3  kannte  die  Hs.,  hielt  aber  wenig  von  ihr. 

2)  Hs.  187,  Folio.  Die  Arbeit  beginnt:  Inter  varias  diver sas  chronicas  hystorüas, 
Ihre  Stellung  ist  folgende :  Auf  des  Hebelin  Materialiensammlung  über  Mainz  folgt  diese 
Wormser   Chronik,    dann    eine   Chronik   der   Bischöfe   von   Speier,    Verschiedenes    über 


—     181     — 

lateinisch,  der  Verfasser  ist  nicht  mit  Namen  genannt.  Er  scheint 
aber  den  Kirschgartener  Mönch  benutzt  zu  haben,  und  dann  wäre  seine 
Arbeit  ziemlich  entbehrlich.  Von  dem  Mainzer  Domprediger  Friedrich 
Nausea  besitzen  wir  Annales  eptscoporum  Wormattensium  usque 
ad  a.  IS09  in  einer  Münchener  Handschrift  als  ungedruckt  gebliebene 
Arbeit  *).  Was  dagegen  Schannat  als  Flersheimer  Chronik  aus  der 
Feder  des  Berthold  von  Flersheim  stammend  kannte  und  benutzte, 
ist  eine  Arbeit  des  Chronisten  P^riedrich  Zorn*). 

Dem  Kriegswesen  widmete  ein  Ungenannter  um  1500  eine  historische 
Schrift,  das  Memortale,  Es  ist  von  einem  des  Kriegswesens  überhaupt 
und  des  Wormser  insbesondere  sehr  kundigen  Nichtwormser  verfafst, 
der  sich  als  dem  Klerus  abhold  erweist  und  das  Verteidigungswesen  und 
die  Kriegszüge  seiner  Zeit  besprechend  auch  das  Historische  streift '). 

Johann  von  Stuttgart,  Mönch  zu  Kirschgarten,  schrieb  eine  latei- 
nische Erzählung  über  die  Beschlagnahme  und  Zerstörung  des  Klosters 
Kirschgarten  1525  durch  die  Wormser,  die  sich  als  Teil  eines  histo- 
rischen Sammelbandes  über  Worms  oder  Kloster  Kirschgarten  darstellt  *), 
während  der  Rest  verloren  sein  dürfte. 

Aus  Stift  Zell  bei  Worms  besitzen  wir:  Decastichon  tn  peregri- 
nattonem  ad  sanctum  Phütppum  Confessorem  ecclesie  collegiate  Cellen- 
sts patronum  et plantatorem  prtmogenttum,  Oppenheim,  15 16.  Quarto. 
Das  Büchlein  hat  auch  Historisches.  Ob  es  aber  im  XVI.  Jahrh\mdert 
entstanden  ist  oder  etwa  nur  damals  aus  älteren  Teilen  zusammengesetzt 
ward,  läfst  sich  nicht  nachweisen.  Ein  Exemplar  der  überaus  seltenen 
Schrift  besitzt  die  Mainzer  Stadtbücherei. 

Diese  Zusammenstellung  der  territorialen  Geschichtslitteratur  der 
Stadt  und  des  Bistums  Worms  wird  sich  im  Laufe  der  Zeit  durch  neue 
Funde  ergänzen  lassen,  sie  wird  aber  auch  erweisen,  dafs  zu  Worms, 
welches  als  das  ärmste  rheinische  Bistum  galt,  es  weder  an  vielseitigem 
noch  erspriefelichem  Bestreben,  der  Geschichte  gerecht  zu  werden, 
fehlte,  dafe  aber  die  von  auswärts  in  die  Stadt  und  das  Bistum  ge- 
langten Kräfte  die  einheimische  Produktion  weitaus  überwogen. 


Spciercr    Gottesdienst    und    Privilegien    und    dann    Chroniken    der    Bischöfe     von    Wiri- 
bnrg  und  Strafsburg.     Vgl.  Roth,  Geschichtsquellen  aus  Nassau  I,  2,  S.  XI.    Anm.    Ge- 
schichtsblätter ed.  Falk  \\  (1885),  S.  252  (eine  Stelle  von  Blatt  39  lu  1521  und  BlaU  46  zu 
1522  aus  der  Wormser  Chronik  abgedruckt), 
i)  Cod.  lat.  Monac.  24,   162  Folio. 

2)  Boos,  Quellen  III,  S.  XIV,  Becker,  Beiträge  S.  62—63. 

3)  Abdruck  in  Boos  lU,   S.  351  f.,  vgl.  S.  XXXIV— XXXV. 

4)  Geschichtsblätter  f.  d.  miUelrh.  Bistümer  I  (1884),  S.  65. 


—     182     — 


HachvsTort 

Von 
Armin  Tille  (Leipzig) 

Die  Teilnahme,  welche  diese  Ausführungen  beanspruchen  dürfen, 
wird  sich  zunächst  auf  die  Kreise  beschränken,  die  sich  mit  ober- 
rheinischer Geschichte  befassen,  aber  darüber  hinaus  haben  sie  doch 
eine  allgemeine  Bedeutung.  Sie  können  als  Probe  dafür  dienen, 
wie  neben  dem  Inhalt  auch  die  litterarische  Seite  der  Geschichtsquellen 
berücksichtigt  werden  mufs.  Für  das  frühe  Mittelalter  hat  W.  Watten- 
bach ')  die  Ergebnisse  der  Forschung  zusammengefafet,  und  an- 
schliefsend  an  ihn  hat  O.  Lorenz  Deutschlands  Geschichtsquellen 
seit  der  Mitte  des  dreizehnten  Jahrhunderts  (2  Bde.,  3.  Aufl., 
1886/87)  bearbeitet,  aber  damit  ist  das  wünschenswerte  Ziel  noch 
längst  nicht  erreicht.  Namentlich  für  das  ausgehende  Mittelalter  und 
das  XVL  Jahrhundert  brauchen  wir  noch  unendlich  viel  quellenkritische 
Forschung,  wenn  wir  in  diesen  Zeiten  auch  nur  so  genau  sehen  wollen 
wie  im  frühen  Mittelalter.  Bei  der  Massenhaftigkeit  der  Chroniken  und 
ihren  vielen  Handschriften  kann  aber  in  der  That  nur  ein  engeres 
Gebiet  auf  einmal  übersehen  und  durchgearbeitet  werden:  hier  mufe 
also  die  L o k a  1  forschung  einsetzen,  um  für  ihr  Gebiet  eine  Quellen- 
übersicht zu  ermöglichen  und  zugleich  aus  ihrer  genaueren  Kenntnis 
der  Verhältnisse  heraus  die  inhaltlich  und  formell  wichtigsten  Schriften 
als  solche  zu  bezeichnen.  Nur  wenn  Dutzende  solcher  Vorarbeiten 
geschaffen  sind,  kann  eine  allgemeine  Quellenkunde  jener  Zeit  be- 
arbeitet werden,  und  diese  ist  dringend  notwendig.  Aber  über  das 
engere  Gebiet  der  Nachrichtenüberlieferung  hinaus  hat  die  Erforschung 
der  Litteraturerzeugnisse  des  ausgehenden  Mittelalters  noch  eine  andere 
Bedeutung,  nämlich  eine  litterargeschichtliche.  Das  elendeste 
schriftstellerische  Machwerk  wird  als  Kind  seiner  Zeit  an  sich  zur 
Geschichtsquelle,  gerade  so  wie  ein  altes  Bauwerk  zu  uns  spricht. 
Es  ist  deshalb  nicht  müfsige  Arbeit,  wenn  auch  bei  solchen  Schriften 
der  Inhalt,  die  Quellen,  aus  denen  er  entlehnt  ist,  und  was  etwa  der 
Verfasser  hinzugethan  hat,  untersucht  wird.  Wenn  die  Geschichte  des 
Geisteslebens  wirklich  durch  die  Litteraturgeschichte  aufgehellt  werden 
soll,  dann  darf  sie  sich  nicht  auf  die  dichterischen  Werke  und 
womöglich  auf  die  in   deutscher  Sprache   beschränken,   sondern   mufs 


i)  Deutschlands  GcschichisqiulUn    im  Mittelalter   bis   zur    Mitte   des    dreitehnten 
Jahrhunderts^  2  Bde      Berlin,  6.  Aufl.   1893. 


—     183     — 

das  litterarische  Gesamtschaffen  einschliefslich  der  Bibelkommentare, 
Predigten,  Arzneibücher  und  dgl.  in  Betracht  ziehen,  gleichgiltig ,  in 
welcher  Sprache  sie  geschrieben  sind.  Zahl  und  Alter  der  erhaltenen 
Handschriften  des  betreffenden  Werkes  müssen,  da  sie  ein  Mafsstab  der 
für  uns  wichtigen  Verbreitung  sind,  eingehend  berücksichtigt  werden; 
denn  nur  so  ist  festzustellen,  was  für  geistige  Nahrung  die  grofse  Masse 
des  lesenden  Volkes  wirklich  gehabt  hat.  Für  das  frühste  Mittel- 
alter hat  diese  Art  einer  Litteraturgeschichte  meisterlich  A.  Ebert  in 
seiner  Allgemeinen  Geschichte  der  Litteratur  des  Mittelalters  int 
Abendlande  (3  Bde.,  2.  Aufl.,  1889)  versucht,  aber  leider  reicht  sein 
Werk  nur  bis  zum  Beginn  des  XI.  Jahrhunderts.  Eine  weitere  För- 
derung haben  diese  Forschungen  durch  die  Einzelgeschichten  der 
verschiedenen  Wissenschaften  vom  Mittelalter  bis  zur  Neuzeit  er- 
fahren, in  denen  grofse  Stoffmengen  aufgespeichert  liegen,  ohne 
dafs  sie  bisher  einer  allgemeinen  Geistesgeschichte  des  deutschen 
Volkes  dienstbar  gemacht  worden  wären.  Namentlich  die  Naturwissen- 
schaften haben  hier  zum  Teil  ganz  treffliches  geleistet.  Eine  aus- 
gezeichnete Bibliographie  dieser  Gruppe  giebt  J.  Ferguson  in  seinen 
Books  0/  Secrets  and  Inventions  (9  Teile  in  den  Transactions  of 
the  Glasgow  Archaeological  Society  1885  — 1899)  *).  Auch  die  ge- 
schichtliche Volkskunde  hat  einzelne  Bausteine  herzugetragen,  während 
die  theologische  Forschung  immer  noch  an  der  Geschichte  des  Dogmas 
klebt,  wie  sie  durch  die  Beschlüsse  von  Kirchenversammlungen  und 
päpstliche  Erlasse  geschaffen  wird,  statt  sich  mit  der  Entwickelung  der 
Anschauungen  der  Massen  zu  beschäftigen.  Hier  ist  die  jüngste  der 
geschichtlichen  Wissenschaften,  die  Weltanschauungsgcschichte, 
in  die  Lücke  eingetreten.  In  ^^n  Jahresberichten  fUr  netiere  deutsche 
Literaturgeschichte  (herausgeg.  von  Julius  Elias,  seit  1890  jährlich 
ein  Band.  Der  letzte  erschienene  Band  ist  zur  Zeit  1897)  erscheint 
seit  1896  ein  eigener  Abschnitt  Weltanschauungsgcschichte,  bearbeitet 
von  Alexander  Tille,  der  die  wichtigsten  Erscheinungen  dieses  Feldes 
zusammenstellt  und  kritisch  behandelt  und  namentlich  für  das  spätere 
Mittelalter  ganz  aufeerordentlich  viel  bietet. 

Vom  XI.  Jahrhundert  an  steigt  die  Fülle  der  erhaltenen  Schriften 
immer  stärker,  um  sich  im  XIV.  in  eine  überschwellende  Flut  zu  ver- 
wandeln.    Darunter   sind  Tausende   von  Handschriften,   die   die   voll- 


i)  Auch  die  seit  1864  erscheinende  Geschichte  der  Wissenschaften  in  Deutschland, 
herausgegeben  von  der  Historischen  Kommission  bei  der  K.  Akademie  der  Wissenschaften 
XU  München,  gehört  hierher.  Mit  einer  Geschichte  der  Physik  wird  diese  Serie  bald 
abgeschlossen  vorliegen,  die  allerdings  die  neuere  Entwickelung  vorzugsweise  berücksichtigt. 


—      184     — 

ständige  Herausgabe  niemals  lohnen  würden.  Aber  gelesen  und  aus- 
gezogen müssen  sie  werden,  wenn  sie  nicht  unbenutzt  bleiben  sollen» 
Heute  ist  für  einen  einzelnen  die  Fortsetzung  von  Eberts  Buch  ein  Ding 
der  Unmöglichkeit.  Nur  eine  Teilarbeit,  die  allerdings  von  einer 
Stelle,  etwa  einer  Akademie,  aus  geleitet  werden  müfste,  kann  hier 
helfend  eingreifen.  Sie  ist  aber  heute  leichter  als  vor  einem  Jahrzehnt, 
da  die  Handschriftenkataloge  unserer  Bibliotheken  sich  immer  mehr  ver- 
vollständigen und  somit  die  Nachweisung  einzelner  Handschriften  immer 
leichter  wird.  Vorerst  aber  mufs  sich  jeder  Forscher,  der  für  irgend- 
welche Arbeiten  Gruppen  von  Handschriften  imd  Drucken  verschiedensten 
Inhalts  durcharbeitet,  dieses  allgemeine  Ziel  vor  Augen  halten  und 
seine  gelegentlichen  Arbeitsergebnisse ,  die  seinen  Sonderabsichten 
vielleicht  fem  liegen,  trotzdem  in  geeigneter  Weise  der  Öffentlichkeit 
übergeben.  Nur  so  wird  es  möglich  werden,  dafs  einst  eine  Geschichte 
der  Litteratur  (sei  diese  lateinisch  oder  sei  sie  deutsch)  im  mittelalter- 
lichen Deutschland  entsteht,  die  wirklich  ein  Spiegelbild  der  geistigen 
Thätigkeit  jener  Zeit  giebt. 


Mitteilungen 

ArchlTC.  —  Erfreulicherweise  ist  auch  das  Archiv  der  vormaligen 
Reichsstadt  Speier  wie  das  so  mancher  anderen  in  neuerer  Zeit  imter  fach- 
männische Verwaltung  gestellt  worden.  Der  derzeitige  Verwalter,  der  Kgl. 
Bayer.  Kreisarchivar  Dr.  Glasschröder,  hat  bereits  1893  in  der  Palatina 
(Belletristisches  Beiblatt  der  Pfälzer  Zeitung)  —  Nr.  25  vom  28.  Januar  — 
über  den  Bestand  und  die  Geschicke  des  Archivs  berichtet,  imd  wir  ent- 
nehmen seinen  Ausführungen  das  Folgende:  Angesichts  der  Verheerungen, 
welche  französischer  Vandalismus  am  Ende  des  XVII.  imd  XVIII.  Jahr- 
hunderts über  die  sonnige  rebenbekränzte  Pfalz  am  Rhein  gebracht  hat,  ist 
es  geradezu  erstaunlich,  welche  Fülle  schriftlicher  Denkmäler  ihrer  an  Ereig- 
nissen so  reichen  Vergangenheit  sich  bis  auf  unsere  Tage  erhalten  hat  und 
in  den  staatlichen  Archiven  zu  Karlsruhe,  München,  Speier,  Darmstadt  und 
Koblenz  aufgespeichert  ist.  Diese  örtliche  Zersplitterung  der  pfalzischen  Archi- 
valien hat  ihren  Grund  in  der  durch  den  Reichsdeputationshauptschlnfs  von 
1803  und  den  Wiener  Kongrefs  (18 15)  vorgenommenen  Verteilung  der  ehe- 
maligen pfälzischen  Territorien  an  die  vier  Staaten  Baden,  Bayern,  Hessen  und 
Preufsen,  welche  die  Zerreifsung  der  Archive  der  ehemaligen  Tcrritorialherren 
und  ihre  nach  territorialem  Prinzip  bethätigte  Zuweisung  an  die  neuen  Landes- 
herren zur  natürlichen  Folge  hatte.  Während  somit  die  erwähnten  staatlichen 
Archive  leider  lauter  Bruchstücke   enthalten,   die   zusammengefügt  allerdings 


—     186     — 

ein  beinahe  lückenloses  Ganzes  ergeben,  hat  sich  die  alte  Reichs-  und  jetzige 
bayerische  Kreishauptstadt  Spei  er  trotz  Verwüstung  und  Brand  ihr  Stadt- 
archiv infolge  eines  glücklichen  Zufalls  *)  in  einer  Vollständigkeit  bewahrt, 
wie  sie  nicht  allzu  viele  Städte  in  deutschen  Landen  aufzuweisen  vermögen. 
Gerade  ob  seiner  Vollständigkeit  zählt  das  Speierer  Stadtarchiv  neben  dem 
ehrwürdigen  Kaiserdome  und  dem  ob  seines  hervorragenden  Wertes  eines 
würdigen  und  feuersicheren  Heims  so  bedürftigen  pfälzischen  Kreismuseum 
zu  den  Sehenswürdigkeiten  der  alten  Nemeterstadt.  In  den  hier  verwahrten 
nach  Tausenden  zählenden  Urkunden  und  Aktenfaszikeln  erblicken  wir  wie  in 
einem  Spiegel  die  äufsere  imd  innere  Entwickelung ,  die  Blütezeit  und  den 
Verfall  einer  freien  deutschen  Reichsstadt,  wie  nicht  minder  die  Gründe  und 
Ursachen,  welche  ihr  Wachsen,  Gedeihen  und  das  schliefeliche  Verwelken 
herbeigeführt  haben.  Die  Privilegien  von  Friedrich  I.  bis  herab  zu  Rudolf  II. 
waren  die  Stütze  der  Speierer  Bürgerschaft  in  ihrem  langen  Freiheitskampfe 
gegen  die  landesherrliche  Gewalt  des  Fürstbischofs.  Die  Kämpfe  zwischen 
Patriziat  und  Zünften  um  das  Stadtregiment,  zwischen  Rat  und  Klerus  über 
die  beiderseitigen  Machtgrenzen  sind  gut  durch  urkundliche  Zeugnisse  illu- 
striert —  Beweis  dafür  ist  die  Schildenmg  des  Aufstandes  von  15 12  bei 
Kurt  Käser,  Politische  und  soziale  Betvegungen  im  deutsclien  Bürgertum 
zu  Beginn  de^  XVL  Jahrhunderts  (Stut^art,  Kohlhammer,  1899).  ^^  bietet 
sich  wie  in  diese  Dinge,  so  auch  in  alle  Zweige  der  städtischen  Verwaltung, 
in  das  Justiz-,  Kirchen-  und  Schulwesen,  wie  nicht  minder  in  Handel  und  Wandel 
der  Bürgerschaft  ein  überraschender  Emblick.  Ebenso  reich  sind  die  Be- 
stände des  Archivs  für  die  Geschichte  der  auswärtigen  Beziehimgen,  für  die 
Stellung  der  Stadt  zum  Reiche,  zu  den  Nachbarterritorien  und  anderen  Reichs- 
städten, zur  Reformation  und  zu  den  grofsen  Kriegen  des  XVII.  und  XVIII. 
Jahrhunderts.  Für  die  Reichsgeschichte  im  besonderen  hat  sich  in  den 
Akten  über  Landfriedenseinungen,  oberrheinische  Kreisangelegenheiten,  Kriegs- 
und Wehrsachen  manches  erhalten ,  wonach  man  in  anderen  deutschen  Ar- 
chiven vergeblich  suchen  würde. 

Aufbewahrt  wird  das  Archiv  gegenwärtig  im  Erdgeschosse  des  Stadt- 
hauses. Eine  Benutzung  ist  nur  an  Ort  und  Stelle  gestattet;  Archivalien- 
versendung ist  grundsätzlich  ausgeschlossen,  die  Benutzungsgesuche  sind  an 
das  Bürgermeisteramt  der  Kreishauptstadt  Speier  zu  richten. 

Zweck  und  Wesen  der  Mitteilungen  der  K.  PreufsiscJien  Archiwerwal- 
tung  wurde  schon  gelegentlich  der  Anzeige  von  Heft  i  und  2  *)  erörtert. 
Gegenwärtig  liegen  zwei  neue  Hefte  (3  und  4)  vor,  die  in  demselben  Sinne 
die  dankenswerte  Veröffentlichung  fortsetzen.  Das  dritte  Heft:  Max  Bär, 
Übersicfit  über  die  Bestände  des  Königlichen  Staatsarchivs  Xu  Hannover 
(Leipzig,  S.  Hirzel,  1900.  129  S.  8^'.  Ji  3),  schliefst  unmittelbar  an  die 
im  zweiten  Hefte  enthaltene  Geschichte  des  Staatsarchivs  zu  Hannover  an. 
Der  Verfasser   charakterisiert   kurz   die  Landesteile,   welche   zum   derzeitigen 

i)  Da»  Stadtarchiv  war  am  14.  Märe  1689,  also  gut  zwei  Monate  vor  dem  grofsen 
Stadtbrandc  (31  Mai  1689)  auf  Befehl  Ludwigs  XIV.  über  Landau  nach  Slrafsburg  ge- 
bracht worden.  Vgl  „Feierstunde"  (Unterhaltungsblait  zur  „Pfälzischen  Presse")  1893, 
Nr.  70. 

2)  Vgl.  l.  Band,  S.   171— 172. 


—     186     — 

hannoverischen  Archivsprengel  gehören,  und  die  Behörden  des  vormaligen 
Kurfürstentums  und  Königreichs  Hannover,  aus  deren  Organisation  sich  allein 
die  Anordnung  der  Archivalien  verstehen  läfst,  denn,  wie  Generaldirektor 
R.  Koser  in  seinem  Vorwort  überzeugend  ausfuhrt,  kann  heute  allein  das 
Provenienzprinzip  für  die  Aufstellung  eines  Archivs  geeignet  erscheinen. 
Eine  nähere  Verzeichnung  dessen,  was  in  den  vier  Abteilungen  des  Urkunden- 
archivs (Calenberg,  Celle,  Bremen  -  Verden ,  Hildesheim)  und  den  drei  des 
Akten archivs  (Calenberg,  Celle,  Hannover)  enthalten  ist,  würde  geradezu 
ein  Abdruck  des  gesamten  Textes  werden  und  mufs  deshalb  unterbleiben. 
Die  sorgfaltige  Durchsicht  dieser  Archivübersicht  —  sie  entspricht  durchaus 
dem,  was  oben  (Bd.  I,  S.  295)  als  für  jedes  Archiv  wünschenswert  be- 
zeichnet würde  —  kann  nicht  eindringlich  genug  empfohlen  werden,  auch 
denen,  die  nicht  irgend  etwas  Bestimmtes  suchen.  Wer  die  Ordnung  eines 
auch  nur  bescheidenen  Archivs  zu  besorgen  hat,  wird  hier  sehen,  wie  sich 
der  Ordner  dem  Stoffe  anzupassen  vermag,  ohne  auch  nur  einem  Akten- 
stücke Gewalt  anzuthun;  wer  für  die  Geschichte  eines  Ortes  oder  einer  Land- 
schaft Interesse  hat,  die  im  Archivsprengel  liegt,  wird  erstaunt  sein,  in  wel- 
cher Menge  und  in  welcher  ungeahnten  Verbindung  er  einschlägige  Archi- 
valien findet,  und  schliefslich  auch  der  aufserhalb  Stehende  wird  staunen,  in 
welcher  Fülle  auswärtige  Beziehungen  (z.  B.  unter  Reichs-  und  Kreissachen, 
S.  34.  36.  39  u.  s.  w.)  behandelt  sind,  die  natürlich  fiir  die  betreffenden 
Länder  und  Städte  das  höchste  Interesse  bieten.  Formell  und  materiell 
sind  jedenfalls  diese  Übersichtsinventare  der  preufsischen 
Archive  so  wichtig,  dafs  es  innerhalb  wie  aufserhalb  Preufsens 
keine  irgendwie  nennenswerte  Archivverwaltung  geben  sollte, 
welche  sie  in  ihrer  Handbibliothek  entbehren  mufs. 

Im  vierten  Hefte  (53  S.  8®.  Ji  1.40)  veröffentlicht  Georg  Hille  die 
Übersicht  über  die  Bestände  des  Königliehen  Staatsar chit^s  xu  Sclües^mg.  Da 
das  Schleswiger  Archiv  erst  eine  Gründung  des  Jahres  1869  ist,  konnte  von 
einer  Geschichte  wie  bei  dem  Hannoverschen  nicht  die  Rede  sein,  es  wer- 
den deshalb  nur  die  bei  der  Einrichtung  befolgten  Grundsätze  geschildert 
und  dann  bei  jeder  Unterabteilung  die  geschichtlich  wissenswerten  Notizen, 
namentlich  über  das  Alter  und  die  Aufgaben  der  Behörden,  denen  die  Archi- 
valien entstammen,  mitgeteilt.  Die  Beziehungen  nach  auswärts  sind  hier  we- 
niger zahlreich,  aber  dafür  bietet  in  Schleswig-Holstein  die  Archivgeschichte 
zugleich  die  wichtigsten  Beiträge  zur  politischen:  es  sei  hier  nur  an  die 
Akten  der  Königlichen  Statthalterschaft  (S.  13)  oder  die  der  Königlichen 
Deutschen  Kanzlei  zu  Kopenhagen  (S.  23)  erinnert.  Das  allgemeine  Urteil 
ist  durchaus  dasselbe  wie  bei  dem  Hannoverschen  Inventar,  aber  vom  archiv- 
technischen Standpunkte  aus  hat  das  Schleswiger  noch  besonderes  In^^eresse. 
Sein  Verfasser  entwickelte  auf  dem  Dresdener  Archivtage  (vgl.  oben  S.  60 — 61) 
seine  Ansichten  über  Aktenkassation,  die  eben  aus  der  Praxis  seines  Archivs 
gewonnen  waren:  hier  ist  nun  für  den  aufmerksamen  Leser  erkennbar,  wie 
in  der  Praxis  die  Aktenvernichtung  gehandhabt  worden  ist,  z.  B.  S.  13 
unten,  S.   23   oben. 

Museen.  —  Der   seit  1827    bestehende  Historische  Verein   der 
Pfalz  zu  Speier  besitzt  eine  grofse  Sammlung  geschichtlicher  Gegenstände 


—      187     — 

(aamcntlich  vor-  und  frlihgeschichtliche  Fuadstücke  und  viel  Frankenthaler 
Porzellan),  die  unter  dem  Namen  „Historisches  Museum  der  Pfalz" 
im  Realschulgebäude  zu  Spei  er  ein  Obdach  gefunden  hat  und  daselbst 
zwanzig  Säle  fUllt.  Diese  Räume  hat  die  Stadt  Speier  zur  VerTügUDg  gestellt 
und  daneben  den  Verein  noch  mit  namhaften  Summen  zur  Erwerbung  kost- 
barer Sammlungsstücke  unterstützt,  aber  der  Raum  genügt  scfaon  längst  nicht 
mehr,  so  dafs  neu  Hinzukommendes  nur  mit  Schwierigkeiten  untei^ebracht 
werden  kann,  auch  die  Sicherung  gegen  Feuersgefahr  genügt  längst  nicht. 
Deshalb  ist  der  Entschlufs  gefaist  wotdea,  diese  Sammlung  in  einem  ihrem 
inneren  Werte  entsprechenden  Monumentalbau  unterzubringen,  au  dessen 
Zustandekommen  die  ganze  Pfalz  —  denn  das  Museum  betrachtet  man 
dort  als  ein  allen  Pfälzern  gemeinsames  Gut  —  mitarbeitet,  wie  schon  bisher 
die  Kreishauptstadt,  der  Historische  Verein  und  der  Landrat  der  Pfalz  fUr  das 
Museum  sorgten.  Um  diesen  Gedanken  seiner  Verwirklichung  näher  zu  bringen, 
wurde  zu  Anfang  des  Jahres  1899  ein  Verein  ins  Leben  gerufen,  dessen  aus- 
schliefshcher  Zweck  es  ist,  für  die  Erbauung  eines  Pfälzischen  Museums  in  Speier 
zu  sorgen:  Der  kgl.  Regierungspräsident,  Freiherr  von  Weiser,  ist  der 
Vorsitzende.  Der  Verein  ist  nunmehr  schon  erfolgreich  thätig  gewesen;  es  sind 
ihm  namhafte  Beträge  zugeflossen,  so  dafs  einschhefslich  von  looooo  Mark,  die 
der  Landtag  des  Königreichs  bewilligt  hat,  rSooco  Mark  und  ein  geeigneter 
Bauplatz  zur  Verfügung  stehen.  Aber  an  die  Ausführung  des  Baues  wird 
noch  nicht  gedacht,  es  werden  noch  Jahre  vergehen,  ehe  an  die  Ausarbeitung 
bestimmter  Pläne  gedacht  werden  kann,  denn  nur  die  Schaffung  eines  wirk- 
lich monumentalen  mit  allen  Vervollkommnungen  der  Neuzeit  ausgestatteten 
und  auch  für  die  weiteste  Zukunft  berechneten  Baues  ist  beabsichtigt.  — 
Die  Umsicht  und  Thatkraft,  mit  der  hier  ans  Werk  gegangen  wird,  verdient 
die  vollste  Aulmerksamkeit  der  weitesten  geschichtlich  interessierten  Kreise, 
denn  ein  solches  Vorgehen  ist  geeignet,  auf  manche  Provinzen  und  Staaten 
sowie  auf  manche  Grofsstadt  {z.  B.  Leipzig,  vgl.  L  Band,  S,  218— zzit) 
vorbildlich  zu  wirken. 

In  Böhmisch  Leipa  hat  der  Nordböhmische  Exkursionsklub 
ein  Leipaer  Museum   ins   I-eben   genifen ,   welches  Dauk   der   Opfer  Willigkeit 
der  Stad^emeinde  im  zweiten  Stocke  des  Rathauses  untergebracht  ist    Durch 
Gegenstände,  die  Eigentum  der  Stadt  sind,    sowie  durch  Zunftldeinode  wird 
sich  die  Sammlung  alsbald  vergröfsem.    Um  aber  eine  Grundlage  (Ür  dauern- 
des Gedeihen    des  Museums    zu    haben    und    ».ugleich    den  Nord  böhmischen 
ExkursioDsklub,    dessen    Aufgaben    recht    vielseitig    sind,    zu    entlasten,    ist 
die    Gründung      eines     Leipaer    Museumsvereins     in 
worden:    er   soll    die   Ausgestaltung   des   Museums    für    dii 
stellen.      Die    Mitglieder    zahlen    einen    Jahresbeitrag   von    1: 
Stifter    einmal     50    Kronen,     Förderer    einmal     ao    Krone: 
zwei  Kronen;  alle  Beitragleistenden  haben  freien  Eintritt  in 
Die   Gründung    des   besonderen   Vereins   vermehrt   hier   ofl 
bedeutend,  denn  viele  Personen  werden  jetzt  dem  Exkursio 
Museumsverein    ange-  hören,    und    der    ausgesprochene  Zwi 
wird    ihm   auch    erhebliche  Unterstützung    von  Korporatione 
sichern. 


—     188     — 

Zeitschriften«  —  *)  Der  seit  1859  bestehende  MannheimerAlter- 
tumsverein  (vgl.  I.  Band,  S.  135)  hat  den  ersten  Jahrgang  seiner  monatlich 
erscheinenden  Mannheimer  Oeschichtsblätter j  Monatschrift  für  die  Ge- 
schichte, Altertums-  und  Volkskunde  Mannheims  und  der  Pfal^ 
(Mannheim,  Verlag  des  Mannheimer  Altertumsvereins  1 900.  272  Spalten  4^) 
zu  Ende  geführt.  Es  geben  ja  andere  Vereine  —  z.  B.  die  Gesellschaft  für 
die  Provinz  Posen  die  Historischen  Monatsblätter  für  die  Provinz  Posen 
seit  1894  —  auch  monatliche  Veröflfentltchungen  heraus,  die  sich  trefflich 
dazu  eignen,  das  Interesse  der  Vereinsmitglieder  dauernd  wach  zu  halten, 
aber  in  dem  UmfiEmge,  wie  es  bei  der  vorliegenden  Zeitschrift  der  Fall  ist,, 
hat  unseres  Wissens  bisher  kein  Verein  monatliche  Veröffentlichungen  gewagt 
Die  Früchte  sind  nicht  ausgeblieben,  denn  fast  in  jeder  Nummer  konnten 
zahlreiche  neu  aufgenommene  Vereinsmitglieder  namhaft  gemacht  werden: 
zusammen  136,  denen  gegenüber  der  Abgang  durch  Austritt  und  Tod  kaum 
zu  erwähnen  ist,  so  dafs  der  Verein  etwa  660  Mitglieder  zählt  Der  Abonnements- 
preis der  Zeitschrift  ist  naturgemäfs  gleich  dem  Vereinsbeitrag  3  Mark.  Der 
Inhalt  erstreckt  sich  auf  geschäftliche  Mitteüungen,  die  für  den  Vorstand 
jedes  Vereins  wertvoll  sind  und  an  manchem  Orte  zur  Nacheiferung  Ver- 
anlassung geben  können,  gröfsere  Aufsätze,  Miscellanea,  Zeitschriften-  und 
Bücherschau;  auch  ein  Briefkasten  und  einige  Abbildungen  werden  geboten. 
Der  Redaktionsausschufs,  bestehend  aus  Prof.  Claasen,  Geh.  Hofrat  Hang 
und  Friedrich  Walter  (vgl.  oben  S.  90),  hat  mit  entschiedener  Umsicht 
seines  Amtes  gewaltet  und  es  verstanden,  nicht  weniger  als  27  verschiedene 
Mitarbeiter  heranzuziehen ;  was  das  heifsen  will,  werden  am  besten  die  übrigen 
Herausgeber  landes-  und  gar  ortsgeschichtlicher  Zeitschriften  zu  beurteilen 
wissen.  Die  geschichtlichen  Mitteilungen  sind  aufserordentlich  mannigfacher 
Art  und  natürlich  in  erster  Linie  dazu  bestinmit,  das  Interesse  weiterer  Kreise 
an  der  heimischen  Geschichte  zu  erhöhen,  aber  es  finden  sich  z.  B.  auch 
recht  allgemein  beachtenswerte  Nachrichten,  so  über  das  Frankenthaler  Por- 
zellan (Sp.  194,  266),  und  Aufsätze  über  den  Kurfürsten  Karl  Theodor  (t  1799) 
von  Hauck  (Sp.  3,  27)  sowie  über  W.  H.  v.  Dalberg  von  F.  Walter 
(Sp.  53,  112),  die  wegen  ihres  Lokalkolorits  für  jeden  Forscher,  welcher 
sich  mit  diesen  Personen  beschäftigen  mufs,  von  Wert  sind.  Als  allgemeine 
Warnung  für  diejenigen,  welche  gern  alte  Handschriften  kaufen,  ist  es  nützlich, 
sich  über  die  moderne  Fälschung  des  angeblichen  Heidelberger  Turnier- 
buches  von  i486  (Sp.  184)  zu  unterrichten.  Von  hohem  Interesse  für  den 
Erforscher  der  Stadtgeschichte  überhaupt  sind  N  ü  f  s  1  e  s  Bilder  aus  dem  alten 
Mannheim  auf  Gnmd  der  Ratsprotokolle  von  1652 — 1689,  eine  Zeit,  die 
bei  einer  so  jungen  Stadt,  wie  es  Mannheim  ist,  ganz  anders  beurteilt  sein  will, 
ab  in  einer  Stadt,  die  damals  bereits  auf  eine  Geschichte  von  Jahrhunderten 
zurückzublicken  vermochte. 

Der  Historische  Verein  der  Mediomatriker  für  die  West- 
pfalz in  Zweibrücken,  welcher  seit  vier  Jahren  bereits  Wcstpfähische  Oe- 
Schichtsblätter  zugleich  als  Beilage  zur  „Zweibrücker  Zeitung**  monatlich  heraus- 
giebt,    ist  nunmehr  auch  dazu  übergegangen,   Mitteilungen  des  Historischen 

1)  Vgl.  eben  S.   117  und   140. 


—     189     — 

Vereins  der  Mediomatriker  für  die  Wesipfalx  m  Zweibrücken  erscheinen  zu 
lassen.  Das  erste  Heft  (Zweibrücken,  August  Kranzbühler,  1900.  96  S.  8<>) 
liegt  gegenwärtig  vor  und  enthält  wichtige  QuellenveröfFentlichungen ,  die 
Rudolf  Buttmann  besorgt  hat,  nämlich  eine  genaue  Landesbeschreibung 
des  Herzogtums  Zweibrücken  von  1677  nebst  zwei  Ergänzungen  von  1693 
und  1704.  Auf  die  Ausgabe  und  den  Inhalt  dieser  wichtigen  Stücke  wird 
näher  einzugehen  sein,  wenn  in  diesen  Blättern  einmal  die  Landes-  und  Amts- 
beschreibungen des  XVIL  und  XVIII.  Jahrhunderts  zur  Behandlung  kommen. 

Der  erste  Jahrgang  der  bereits  früher  *)  erwähnten  Blätter  für  lippische 
Heimatkunde  (Monatliche  Beilage  der  Lippischen  LandesZeitung.  Detmold, 
Verlag  der  Meyerschen  Hof  buchdruckerei,  96  S.  Lexikonoktav,  auf  besserem 
Papier  Ji  2.40  jährUch)  liegt  gegenwärtig  abgeschlossen  vor  und  zeigt, 
wie  auch  ohne  besonderen  Aufwand  ein  Organ  zur  Erweckung  und  Er- 
haltung geschichtlichen  Sinnes  für  die  weitesten  Kreise  der  Bevölkerung 
geschafifen  werden  kann.  Ein  wenn  auch  in  bescheidenem  Umfange  monat- 
lich erscheinendes  Blatt  wird  inamer  viel  nachhaltiger  wirken  als  der  statt- 
lichste Band,  der  nur  einmal  im  Jahre  erscheint,  und  deshalb  mufs  dieses 
neue  Organ  allerwärts  zum  wenigsten  als  Probe  dankbar  begrüfst  werden. 
Recht  verständigerweise  ist  das  Wort  „Heimatkunde"  in  seinem  weitesten 
Sinne  genonmien  worden,  so  dafs  auch  die  beschreibenden  Naturwissen- 
schaften einbezogen  worden  sind,  wenn  auch  das  Geschichtliche  an  Umfang 
bei  weitem  überwiegt.  Über  die  Zusammensetzung  des  Fürstentums  Lippe 
unterrichten  zwei  Beiträge  von  Prof.  Weerth  (Detmold),  die  zeigen  wie  die 
Grafschaften  Stemberg  und  Schwalenberg  an  Lippe  kamen  und  eine  Probe 
davon  geben,  wie  die  kleinen  Territorien  Deutschlands  entstanden  sind.  Eine 
für  die  Geschichte  des  Dreifsigjährigen  Krieges  zum  wenigsten  beachtenswerte 
Quelle  wird  in  der  Relatio  historica  (162 1 — 1627)  des  Johann  Pidcrit 
erschlossen,  die  ein  Bild  der  Kriegsereignisse  im  Lippischen  giebt.  Von 
Nr.  2  an  ist  in  jedem  Monatsheft  ein  Stück  derselben  buchstabengetreu  ab- 
gedruckt und  zwar  bis  November  1623;  der  zweite  Jahrgang  wird  diese  zeit- 
genössische Chronik  hoffentlich  zu  Ende  führen.  Der  Ratsapotheke  zu  Lemgo, 
dem  Lippischen  Schützenwesen,  dem  Namen  Lippe,  dem  Lippischen  Kon- 
tingent (15 16 — 1867)  werden  Aufsätze  gewidmet,  so  dafs  jeder  Zweig  der 
Geschichtsforschung  daraus  Nutzen  zu  ziehen  vermag.  Kleinere  Nachrichten, 
auch  Auszüge  aus  gröfseren  Arbeiten,  dialektisch-belletristische  Beiträge  run- 
den das  Ganze  ab.  In  die  neuere  Zeit  führt  eine  Beschreibung  des  optischen 
Telegraphen  zwischen  Berlin  und  Koblenz  (1834  — 1848),  die  zwar  nichts 
Neues  bietet,  aber  dennoch  gern  gesehen  wird,  da  sie  von  der  Befriedigimg 
des  Verkehrsbedürfnisses  vor  dem  elektrischen  Telegraphen  erzählt  Inter- 
essant ist  ein  Bericht  Bismarcks  von  1858  über  das  Lippische  Bundes- 
kontingent, für  die  Geschichte  der  Auswandertmg  nach  Nordamerika  ent- 
schieden von  hoher  Bedeutung  ist  ein  Brief  eines  David  Topp  aus  Lemgo 
vom  5.  Januar  17 11  (jetzt  im  Staatsarchiv  zu  Virginia)  an  einen  Unbekannten, 
in  welchem  der  Schreiber  über  die  Herabdrückung  der  Freiheit  im  Lande 
klagt  und   sich   im  Interesse   der  Auswanderungslustigen   nach   den  Verhält- 


I)  VgL  L  Band,  S.  176. 


—     190     — 

nissen  in  Nordamerika  erkundigt.  Die  Vielseitigkeit  des  Inhalts  in  einer 
gefälligen  populären  Form  wird  sicher  diesem  neuen  heimatkundlichen  Organ 
viele  Freunde  erwerben,  aber  auch  aufserhalb  der  engeren  Heimat  sollte  es 
nicht  vergessen  werden,  denn  es  bietet  manches  allgemein  Interessante. 

Kommissionen.  —  Die  Württembergische  Kommission  für 
Landesgeschichte  hielt  am  17.  Mai  1900  ihre  neunte  Sitzung  zu  Stutt- 
gart ab,  in  welcher  über  die  Thätigkeit  im  Jahre  1899  berichtet  wurde. 
Vom  Wirtemhergisdien  Urkundenbuch  *)  ist  der  siebente  Band  ausgegeben 
worden,  vom  achten  sind  auch  bereits  mehrere  Bogen  gedruckt,  das  Manu- 
skript ist  im  ganzen  bis  1282  druckfertig.  Dieses  Werk,  von  dem  von  1849 
bis  1889  fünf  Bände  erschienen  sind,  wird  von  der  Kgl.  Archivdirektion 
herausgegeben  *),  aber  die  Kommission  stellt  dafür  einen  Mitarbeiter,  um  den 
Fortgang  der  Arbeit  zu  beschleunigen.  —  Von  der  Korrespondenz  des  Her- 
xogs  Christoph  (1550 — 1568)  hat  Privatdozent  Ernst  den  zweiten  Band 
fertig  gestellt,  dessen  Dnicklegung  im  Gange  ist.  Der  erste  Band,  die  Jahre 
1550 — 1552  umfassend,  erschien  1899.  —  ^^  UrkujuienbucJi  der  Stadt 
Heilbronn,  zu  dessen  Bearbeitung  cand.  phil.  Knüpf  er  berufen  worden  ist, 
hat  so  weit  gefördert  werden  können,  dafs  mit  dem  Drucke  des  ersten 
Bandes  begonnen  wurde.  Für  einen  zweiten  Band  steht  die  Unterstützung 
des  Historischen  Vereins  zu  Heilbronn  in  Aussicht  Prof.  St  ei  ff  hat  eine 
zweite  Lieferung  der  Geschichllidien  Lieder  und  SprücJie  Württembergs  druck- 
fertig gestellt.  —  Die  Bearbeitung  der  Akten  und  Urkunden  des  Schwübisctien 
Bundes  wird  Privatdozent  Kurt  Käser  auch  nach  seiner  Übersiedelimg 
nach  Wien  weiter  fördern,  während  Archivassessor  Wintterlin  dauernd  Ma- 
terial für  eine  Geschichte  der  Behördenorganisation  in  Württemberg  sam- 
melt. —  Für  die  Ordnung  und  Registrierung  der  kleineren  Archive  des 
Landes  ^),  die  sich  im  Besitze  von  Gemeinden  und  Korporationen  befinden, 
sind  Pfleger  gewonnen  worden,  die  sich  unter  der  Leitung  von  fünf  fach- 
männischen Kreispflegern  je  für  ihren  Bezirk  den  entsprechenden  Arbeiten 
widmen.  Auch  diese  Inventarisierung  schreitet  rüstig  fort;  vollständig  sind 
die  Bezirke  Mergentheim,  Brackenheim,  Göppingen,  Ehingen,  Laupheim,  Leut- 
kirch,  Ravensburg,  Riedlingen,  Waldsee  und  Wangen  erledigt 

Zum  aufserordentlichen  Mitgliede  der  Kommission  wurde  Privatdozent  Ernst 
(Tübingen)  gewählt;  die  Einnahmen  und  Ausgaben  balancieren  mit  12496  Mark. 

Die  Historische  Kommission  bei  der  kgl.  bayerischen 
Akademie  der  Wissenschaften^)  konnte  in  ihrer  41.  Plenarversamm- 
lung  (Juni  1900)  über  folgende  Fortschritte  ihrer  Arbeiten  berichten.  Ab- 
geschlossen wurde  mit  dem  45.  Bande  die  Allgemeine  deutsche  Biographie, 
die  seit  ihrer  Inangriflhahme  1868  von  v.  Liliencron  geleitet  worden  ist 
Nunmehr  werden  sofort  Nachträge  in  Angriff  genommen,  und  nach  einer 
Pause,  die  zunächst  eintreten  mufs,  sollen  dann  wieder  jährlich  zwei  Bände 
erscheinen.  —  Von  den  Reichstagsakten  älterer  Serie   ist  die  erste 

1)  Vgl.  I.  Band,  S.  49- 

2)  Vgl.  oben  S.  31. 

3)  VgL  oben  S.  32  sowie  L  Band,  S.  26. 

4)  Über  die  40.  Plenarversammluog  vgL  I.  Band,  S.   104 — 105. 


—      191      — 

Abteilung  des  zehnten  Bandes,  bearbeitet  von  H  e  r  r  e ,  erschienen :  bis  Herbst 
1432  liegen  die  Akten  damit  vor.  Der  Druck  des  zwölften  Bandes  (1435 
bis  1437),  den  G.  Beckmann  bearbeitet,  hat  begonnen.  Der  elfte  Band 
war  schon  1899  ausgegeben  worden,  und  die  zweite  Abteilung  des  zehnten 
(1432  — 1433)  wird  bald  folgen.  Die  Reichstagsakten  aus  der  Zeit  Kaiser 
Sigmunds  sind  also  damit  im  wesentlichen  abgeschlossen;  Beckmann 
wird  die  Regierung  Albrechts  II.  (1438 — 1439)  bearbeiten  und  Herre  die 
Anfange  Friedrichs  III.,  zunächst  1440  bis  zum  Frankfurter  Reichstage  1442. 
Für  die  Regierungszeiten  König  Wenzels,  Ruprechts  und  Sigmunds  macht 
sich  ein  Nachtragsband  notwendig,  den  L.  Quid  de  übernimmt  —  Von 
der  jüngeren  Serie  der  Reichstagsakten  ist  der  dritte  Band  (Febr.  1522 
bis  Mai  1523)  im  Drucke  vollenJet  und  seitdem  (1901)  ausgegeben  worden; 
als  neuer  Hilfsarbeiter  ftir  diese  Arbeit  wurde  E.  Fueter  aus  Basel  ge- 
wonnen. —  Die  C/troniken  der  deutsciien  Städte  haben  durch  den  zweiten 
Band  Lübeck,  herausgegeben  von  Koppmann  1899  (den  2 6.  Band  der 
ganzen  Reihe)  und  den  zweiten  Band  Magdeburg,  herausgegeben  von 
Hertel  1899  (den  27.  Band)  einen  neuen  Zuwachs  erfahren:  Magdeburg 
ist  damit  abgeschlossen,  ftir  Lübeck  soll  noch  ein  dritter  Band  folgen.  — 
Die  IVittelsbacher  Korrespondenz  älterer  und  jüngerer  Serie  ist  wesentlich  ge- 
fördert worden,  so  dafs  der  Druck  des  siebenten  Bandes  bald  beginnen  kann, 
dem  der  achte  und  neunte  bald  folgen  werden.  Betreffs  der  Fortsetzimg  der 
Ausgabe  über  1630  hinaus  legt  Prof.  Ritter  (Bonn)  eine  Denkschrift  vor, 
aber  die  Beschlufsfassung  darüber  wird  bis  zur  nächsten  Sitzung  verschoben.  — 
Die  Bearbeitung  der  süddeutschen  Humanistenbriefe  hat  überraschende  Fort- 
schritte gemacht:  den  Kreis  um  Konrad  Celtis  bearbeitet  Prof.  G.  Bauch 
(Breslau),  den  um  Pirkheimer  Emil  Reicke  (Nürnberg)  und  den  um 
Peutinger,  der  bisher  am  wenigsten  Aussichten  hat,  E.  Tölpe.  Die  Heraus- 
gabe eines  vierten  Bandes,  der  Jakob  Wimpfeling  und  sebem  Kreise  ge- 
widmet sein  soll,  wurde  beschlossen.  —  In  den  Quellen  und  ErMerungen 
zur  bayerischen  und  deutschen  GeschiciUe^  die  seit  1863  nicht  mehr  erschienen 
sind,  deren  Fortsetzung  aber  1899  beschlossen  wurde,  sollen  in  der  ersten 
Abteilung  (Urkunden)  zimächst  die  Freisinger  Traditionsbücher  *)  (Bearbeiter 
Th.  Bitterauf)  veröffentlicht  werden,  für  die  zweite  Abteilung  ((Chroniken) 
werden  ztmächst  die  Schriftendes  Andreas  von  Regensburg  (G.  L  e  i  d  i  n  g  e  r) , 
Ulrich  Fueterer  (R.  Spiller)  und  die  des  Hans  Ebran  von  Wildenberg 
(Friedrich  Roth)  vorbereitet 

Eingegangene  Bfleher. 

Ho  ff  mann,  Ernst:  Naumburg  a.  S.  im  Zeitalter  der  Reformation,  ein  Bei- 
trag zur  Geschichte  der  Stadt  und  des  Bisttmis.  Leipzig,  B.  G.  Teubner^ 
1901.  175  S.  8*^  [=  Leipziger  Studien  aus  dem  Gebiet  der  Ge- 
schichte VII,i].     M.  6. 

Herzberg-Fränkel:  Die  Bruderschafts-  und  Wappenbücher  von  St  Christoph 
auf  dem  Arlberg  [==  Sonderabdruck  aus  den  Mitteilungen  des  Instituts 
für  österreichische  Geschichtsforschung,  Ergänzungsband  VI,  S.  355 — 412]. 

I)  VgL   den   AoCiatx   von   Oswald   Redlich,    Ober    Tradüionsbücher   im   ersten 
Bande  dieser  Zeitschrift,  S.  89-- 98. 


—     192     — 

iDventare  des  Grofsherzoglich  Badischen  General-Landesarchivs,  heraus- 
gegeben von  der  Grofsherzoglichen  Archivdirektion.  Erster  Band.  Kaiis- 
ruhe,  Chr.  Fr.  Müller,   1901.     320  S.  8®. 

Keune,  I.  B. :  Metz  in  römischer  Zeit  [=  Sonderabdruck  aus  dem 
XXII.  Jahresbericht  des  Vereins  für  Erdkunde  zu  Metz]. 

KnoU,  Philipp:  Beiträge  zur  heimischen  Zeitgeschichte,  herausgegeben  von 
der  Gesellschaft  zur  Förderung  deutscher  Wissenschaft,  Kunst  und  Literatur 
in  Böhmen.     Prag,  I.  G.  Calve,   1900.     593  S.  S^, 

Krieg,  R. :  Chronik  der  Stadt  Schlieben,  ein  Beitrag  zur  Heimatkunde. 
Schlieben,  M.  Urban,   1897.      150  S.  8®.     M.   1,50. 

M a n  g o  1  d ,  Fr. :  Die  Basler  Mittwoch-  und  Samstagzeitung  1682  — 1796,  ein  Bei- 
trag zur  Geschichte  des  Nachrichtenverkehrs  und  dessen  Organisation  im  XVII, 
und  XVIII.  Jahrhundert.    Basel,  Franz  Wittmer,  1900.    162  S.  8®.   M.  2,50. 

MoUwo,  Carl:  Das  Handlungsbuch  von  Hermann  und  Johann  Wittenborg. 
Leipzig,  Dyk,   1901.      103  S.  8®.     M.  4. 

Nübling,  Eugen:  Ulms  Handel  im  Mittelalter,  ein  Beitrag  zur  deutschen 
Städte-  und  Wirtschaftsgeschichte.    Ulm,  Gebr.  Mübling,  1900.  606  S.  8®. 

Osten,  G.  v.  d. :  Geschichte  des  Landes  Wursten.  Erster  Teil:  Bis  zu 
den  Eroberungskriegen.  Herausgegeben  im  Aufbnge  des  Bundes  der 
Männer  vom  Morgenstern.    Bremerhaven,  Georg  Schipper  1900.    99  S.  8®. 

Pflugk-Harttung,  Julius  v. :  Napoleon  L,  Revolution  und  Kaiserreich. 
Berlin,  L  M.  Spaeth.     558  S.  40. 

Pi renne,  Henri:  Le  soul^vement  de  la  Flandre  maritime  de  1323 — 1328, 
documents  in^dits  publit^s  avec  une  introduction.  Bruxelles,  Kiessling 
et  Cie.,   1900.     241   S.  8®. 

Redlich,  Paul:  Kardinal  Albrecht  von  Brandenburg  und  das  Neue  Stift 
zu  Halle  1520 — 1541,  eine  kirchen-  und  kunstgeschichtliche  Studie. 
Mainz,  Franz  Kirchheim,   1900.     361   und   263  S.  8<*.     M.   12. 

Schneider:  Das  Kloster  Weingarten  und  die  Landvogtei  [=  Sonderabdruck 
aus  den  Württembergischen  Vierteljahrsheften  für  Landesgeschichte.  Neue 
Folge  IX,   1900.     S.  421 — 437]. 

Schulte,  Aloys :  Markgraf  Ludwig  Wilhelm  von  Baden  und  der  Reichskrieg 
gegen  Frankreich  1693 — 1^97»  herausgegeben  von  der  Badischen  Histo- 
rischen Kommission.  I.  Band :  Darstellung.  566  S.  8®.  II.  Band :  Quellen. 
374  S.  8®.  Heidelberg,  Karl  Winter,  Zweite  Ausgabe,  1901.  Zusammen  M.  12. 

Stieve,  Richard:  Zabem  im  Elsafs  oder  Elsafs-Zabem,  Geschichte  der  Stadt 
seit  Julius  Cäsar  bis  zu  Bismarcks  Tod.  Zabern  i.  K,  A.  Fuchs,  1900. 
259  S.  8«.     M.  5. 

W  e  i  f  s ,  Reinhard :  Neue  Erklärungen  der  Namen  von  einigen  wichtigen  Orten 
in  Niedersachsen  [=  Sonderabdruck  aus  der  Zeitschrift  des  Historischen 
Vereins  für  Niedersachsen  1900]. 

Witt,  F.:  Der  Katholizismus  in  Schleswig-Holstein  seit  der  Reformation. 
[=  Schriften  des  Vereins  für  schleswig-holsteinische  Kirchengeschichte. 
IL  Reihe.    5.  Heft,  S.   i — 30.] 

W  u  1 1  k  e ,  Robert :  Die  Freibergcr  Schofsordnung  von  1 305.  [==  Festschrift  zum 
7  5  jährigen  Jubiläum  des  Königlich  Sächsischen  Altertumsvereins,  herausge- 
geben im  Auftrage  desVorstandes.  Dresden, W.  Baensch,  1 900.  S.  2 10 — 2 17.] 

Hentugeber  Dr.  Aimin  Tille  in  Leipzig.  —  Druck  und  Verlag  von  Friedrich  Andreas  Perthes  in  Gotha. 


Deutsche  Ceschichtsblätter 

Monatsschrift 


zur 


Förderung  der  landesgeschichtlichen  Forschung 

IL  Band  Mai  190z  8.  Heft 


Vefkehfsgesehiehte 

Von 
Armin  Tille  (Leipzig) 

Obwohl  die  Behauptung,  die  Gegenwart  sei  das  „Zeitalter  des 
Verkehrs",  nicht  als  besonders  geistreich  gelten  kann,  ist  sie  doch  oft 
genug  wiederholt  worden,  und  so  viel  Wahres  der  Satz  in  sich  birgt, 
zu  so  viel  geschichtlich  unhaltbaren  Anschauungen  vermag  er  zu  ver- 
leiten. Die  höhere  Intensität  und  die  sich  rasch  verbreitenden  neuen 
Formen  des  Verkehrs  sind  es  vielmehr,  welche  die  Gegenwart  vor 
der  Vergangenheit  —  diese  etwa  bis  zum  ersten  Drittel  des  XIX.  Jahr- 
hunderts gerechnet  —  auszeichnen,  als  der  Verkehr  an  sich,  denn 
dieser  ist,  um  nur  von  Deutschland  zu  reden,  viel  älter,  und  wenn 
man  schon  irgendeine  Periode  der  deutschen  Geschichte  ganz  all- 
gemein als  die  Zeit  des  Verkehrs  charakterisieren  will,  so  dürfte 
dieses  charakteristische  Merkmal  wohl  am  ersten  in  den  letzten  Jahr- 
hunderten des  Mittelalters  zu  entdecken  sein:  jene  Zeiten  zeichnen 
sich  in  der  That  vor  den  früher  liegenden  mehr  oder  weniger  ver- 
kehrslosen Zeiten  dadurch  aus,  dafs  auf  allen  Gebieten  die  engen 
Fesseln  gesprengt  werden,  dafs  eine  rege  Verbindung  unter  den  zahl- 
reichen bisher  für  sich  bestehenden  Wirtschaften  entsteht,  dafs  die 
Ortsveränderung  von  Personen  und  Gütern,  ihr  Übergang  aus  einer 
Wirtschaft  in  die  andere  mittels  des  Verkaufs  und  die  Übermittelimg 
von  Nachrichten  nicht  mehr  als  etwas  Aufserordentliches,  sondern  als 
etwas  Regelmäfeiges  und  Selbstverständliches  erscheinen. 

Diese  Überlegung  allein  mufs  eine  Geschichte  des  Verkehrs 
in  Deutschland  und  des  Verkehrs  Deutschlands  mit  den  übrigen 
Ländern  Europas  und  der  Welt  gerade  vom  Standpunkte  moderner 
Weltbetrachtung  als  würdige  Aufgabe  der  Geschichtschreibung  er- 
scheinen lassen,  und  es  mufs  deshalb  wundernehmen,  dafe  sich  mit 
diesen  Problemen  verhältnismäfsig  noch  wenig  Forscher  beschäftigt 
haben,  obwohl  es  eine  Menge  Beiträge  zur  Geschichte  einzelner  Ver- 

U 


—     194     — 

kehrseinrichtungen  und  Verkehrsmittel  —  Strafeen,  Schiffahrt,  Handel, 
Post,  Zeitungen  ')  —  giebt.  Zum  weitaus  gröfeten  Teile  verlieren  sich 
diese  so  in  die  Einzelheiten  und  ermangeln  zugleich  der  unbedingt 
notwendigen  bestimmten  wirtschaftlichen  Anschauungen,  dafe  die 
gröfeeren  Entwickelungszüge,  die  wohl  gelegentlich  knapp  gezeichnet 
worden  sind,  dadurch  kaum  eine  wesentliche  Ausgestaltung  erfahren 
haben  und  auch  ihrerseits  ohne  wesentlichen  Einflufe  auf  die  Einzel- 
darstellungen geblieben  sind*).  Es  mag  dies  bedauerlich  sein,  aber 
die  Thatsache  läfet  sich  erklären,  wenn  man  bedenkt,  dafs  zu  einem 
grofeen  Teile  Liebhaber,  denen  der  wissenschaftliche  Arbeitsbetrieb 
weniger  geläufig  ist,  und  nicht  fachmännisch  gebildete  Geschichts- 
forscher sich  mit  diesen  Dingen  beschäftigt  haben  und  mithin  Er- 
wägungen allgemein  geschichtlicher  Art,  die  jederzeit  auch  für  die 
unscheinbarste  Monographie  mafsgebend  sein  sollten,  recht  oft  zu 
vermissen  sind.  Aber  selbst  wenn  diesen  Anforderungen  allseitig  ent- 
sprochen würde,  so  könnte  doch  auch  für  ein  verhältnismäfeig  eng 
begrenztes  Gebiet  eine  abschliefsende  Arbeit  nur  zu  stände  kommen, 
wenn  viele  Finzeluntersuchungen  mit  wesentlich  gleichen  Voraus- 
setzungen auf  wesentlich  gleiche  Ziele  hinarbeiten.  Als  nachahmens- 
wertes Muster  soll  im  folgenden  ein  neues  monumentales  verkehrs- 
geschichtliches Werk  ')  besprochen  und  damit  zugleich  die  Aufgabe 
der  Verkehrsgeschichte  umschrieben  werden. 

Aus  verhältnismäfsig  bescheidenen  Anfangen  ist  das  Buch  hervor- 


1)  Die  Geschichte  der  Post  and  der  Zeitung  wird  in  diesen  Blättern  hoffentlich  bald 
in  besonderen  Aufsätzen  behandelt  werden  können. 

2)  Eine  rühmliche  Ausnahme  macht  T.  Geering,  Handel  und  Industrie  der  Stadt 
Basel  (B.  1886),  welcher  S.  137 — 216  die  Grundlagen  des  mittelalterlichen  Verkehrs  und 
S.  398 — 440  den  Handel  selbst  aus  dem  ganzen  Wirtschaftsleben  heraus  darsteUt. 
S.  428  —  43 1  werden  die  regelmäfsigen  Verkehrseinrichtungen  (Boten ,  Posten ,  Fahr- 
gelegenheiten) charakterisiert.  —  Für  die  Geschichte  des  Zeitungswesens,  die  durch  eine 
grofse  Menge  Geschichten  einzelner  Zeitungen  in  neuerer  Zeit  bereichert  worden  ist, 
arbeitet  nach  diesem  höheren  Gesichtspunkte  Fr.  Mangold,  Die  Basler  Mittwoch-  und 
Samstag' Zeitung  1682^17 g6  (Basel,  L.  Janke  1900.  162  S.  8°.  M.  2,50),  nachdem 
Karl  Bücher  in  dem  Aufsatze  Die  Anfänge  des  Zeitungswes^ns  (Die  Entstehung  der 
Volkswirtschaft  I.  Aufl.  [1893],  S.  170  —  208  und  2.  Aufl  [1898],  S.  199 — 232)  die 
Zeitung  als  Glied  in  dem  System  der  Verkehrswirtschaft  gekennzeichnet  hatte.  —  Zur 
Entstehung  des  deutschen  Postwesens  liefert  Schulte  selbst  wichtige  Beiträge  in  der  Bei- 
lage zur  Allgem.  Ztg.   1900,  Nr.  85. 

3)  Aloys  Schulte:  Geschieh  'e  des  mittelalterlichen  Handels  und  Verkehrs  zwischen 
Westdeutschland  und  Italien  mit  Ausschlufs  von  Venedig.  2  Bände  (Darstellung  und  Ur- 
kunden). Leipzig,  Duncker  und  Humblot  1900.  M.  30.  —  Ein  Renzensionsexemplar 
hat  der  Verlag  nicht  zur  Verfügung  gestellt. 


—     195     — 

gegangen:  einige  im  Archiv  der  Handelskammer  zu  Mailand  auf- 
gefundene Urkunden,  die  für  den  Verkehr  und  Handel  zwischen  Ober- 
deutschland und  Italien  von  Bedeutung  waren,  sollten  herausgegeben 
und  durch  Nachforschungen  in  anderen  Archiven  Oberitaliens  womög- 
lich ergänzt  werden.  Die  Badische  Historische  Kommission  beauftragte 
damit  1890  A.  Schulte,  damals  noch  am  Generallandesarchiv  in  Karls- 
ruhe, der  sich  seit  Übernahme  des  akademischen  Lehramts  in  Frei- 
burg i.  B.  und  dann  in  Breslau  mit  Erfolg  dieser  Editionsarbeit  gewidmet 
hat.  Auf  mehreren  Forschungsreisen  hat  er  in  den  Archiven  Italiens, 
der  Schweiz  und  Deutschlands  viel  einschlägiges  neues  Material  ent- 
deckt ,  welches  im  zweiten  Bande  in  mustergiltiger  Bearbeitung  *) 
mitgeteilt  worden  ist.  Aber  da  die  zu  berührenden  Punkte  viel  zu 
mannigfacher  Art  waren,  da  nur  die  eingehendste  Interpretation  die 
Bedeutung  jedes  Aktenstücks  ins  rechte  Licht  zu  setzen  vermochte, 
wäre  mit  einer  blofsen  Edition  nur  wenig  geholfen  gewesen,  und  die 
Erläuterungen  der  Urkunden,  die  unter  Heranziehung  einer  ganz  ge- 
waltigen und  zum  Teil  recht  schwer  zugänglichen  deutschen  und  ita- 
lienischen Litteratur  ins  Werk  gesetzt  wurden,  haben  sich  zu  einer 
umfassenden  Darstellung  des  deutsch -italienischen  Verkehrs  ausge- 
wachsen, die  mehr  als  den  doppelten  Umfang  der  Urkundenedition 
erreicht  hat. 

Von  vom  herein  war  die  Handelsgeschichte  der  Arbeitsgegen- 
stand, aber  so  dankenswerte  neue  Aufschlüsse  auf  diesem  Gebiete  auch  ge- 
wonnen worden  sind,  die  methodische  Bedeutung  des  Buchs  liegt  auf  an- 
derem F*elde,  nämlich  in  der  dauernden  Verbindung  der  verschiedensten 
Probleme  der  mittelalterlichen  Geschichte  —  wohl  keine  geschichtliche 
Sonderdisziplin  wird  es  fortan  unberücksichtigt  lassen  können  —  und  im 
besondem  in  der  Verbindung  zwischen  Handel  und  Verkehr  bezw.  in 
der  Auffassung  des  Handels  als  einer  bestimmten  Art  des  Verkehrs. 
Es  wird  ein  überraschend  klares  Bild  davon  gegeben,  wie  von  Jahr- 
hundert zu  Jahrhundert  an  Zahl  steigend  Deutsche  in  Italien  und  Ita- 
liener in  Deutschland  zu  finden  sind,  wie  erst  die  deutschen  Kirchen- 
fiirsten    bei    den  Florentiner  Bankiers  Schulden   machen  *)   und   gegen 


i)  Dies  gilt  namentlich  für  die  zweckmäfsige  Verwendung  des  aosfUhrlichen  Regests 
in  dem  nur  die  wichtige  Stelle  im  Wortlaut  wiedergegeben  ist,  neben  dem  vollständigen 
Abdruck  von  Urkunden  und  Aktenstücken. 

2)  So  wie  es  sonst  nur  in  einer  Monographie  zu  geschehen  pflegt,  wird  hier  verfolgt, 
wie  die  westdeuUchen  Bisdiöfe  zur  Bezahlung  ihrer  Palliengelder  u.  s.  w.  sich  in  Schulden 
stürzen  und  wie  diese  allmählich  abgetragen  werden.  Am  ausführlichsten  ist,  dem  Reich- 
tum   der    Quellen   entsprechend,   die  Schuldenlast  der  Kölner  Erzbischöfe  behandelt,   S. 

14* 


—     196     — 

das  Ende  des  geschilderten  Zeitraums  die  Päpste  mit  den  deutschen 
Geldleuten,  vor  allen  den  Fuggem,  in  Geschäftsverbindung  stehen. 
Andrerseits  erfahren  die  seit  etwa  1225  in  Deutschland  auftretenden 
Lombarden  ^)  —  meist  Leute  aus  Asti  — ,  die  als  „Kawerschen**  das 
Wuchergeschäft  neben  den  Juden  betreiben  und  die  kirchlichen  Strafen 
dafür  willig  auf  sich  nehmen^  eine  so  knappe  und  doch  umfassend- 
erschöpfende Behandlung ,  wie  sie  bisher  vergebens  zu  suchen  war  *). 
Wichtig  wird  hier  vor  allem  die  Feststellung  des  Warenhandels  der 
Stadt  Asti  (S.  312),  denn  darüber  ist  ja  kein  Zweifel,  dafs  alle  Geld- 
geschäfte und  das  sich  aus  ihnen  entwickelnde  Bankwesen  sich  nicht 
plötzlich  fertig  vorfinden,  sondern  einen  Waren  handel  zur  Voraussetzung 
haben.  Der  Warenhandel  steht  wiederum  mit  der  Produktion  in  enger 
Verbindung :  die  Einbürgerung  der  Wollenkleidung ,  welche  die  leinene 
ablöst,  wird  für  den  Handel  von  so  unendlicher  Bedeutung,  weil  hier 
die  Schwierigkeit  des  Betriebs  früh  eine  Loslösung  von  der  Hauswirt- 
schaft notwendig  macht  und  das  Risiko  beim  Wolleneinkauf  schon  früh 


235 — 243,  aber  auch  Mainz  (S.  244 — 245),  Trier  (S.  24$ — 247)  sind  nicht  vergessen,  und 
dann  folgen  viele  andere  westdeutsche  Prälaten,  deren  Gläubiger  nach  ihrer  Herkunft 
geordnet  sind :  die  meisten  dieser  Bankiers  stellt  Florenz ,  und  daneben  haben  Siena, 
Rom  und  Pisa  eine  gröfsere  Zahl  aufzuweisen. 

i)  Als  Mttnzmeister,  Zollpächter  und  Steuereinheber  sind  Italiener  seit  dem  XHL 
Jahrhundert  massenhaft  in  Deutschland.  In  Prag  wurde  1360  die  erste  Apotheke 
von  einem  Italiener,  Angelt  di  Florenita ^  eingerichtet.  Vgl.  Hübsch:  Versuch  einer 
Geschichte  des  böhmischen  Handels  (1849),  S.  243. 

2)  Die  in  den  QueUen  zugänglichen  Namen  von  Lombarden  werden  nach  Städten 
und  Landschaften  angeordnet  von  der  Schweiz  bis  nach  Mecheln  (S.  290 — 307)  vorgeführt. 
Hierzu  kann  ich  einige  Nachträge  liefern:  In  Siegburg,  wo  S.  den  ersten  Lombarden  1308 
kennt,  wird  bereits  1303  einer  erwähnt,  Bertrammus  Lomhardtis  de  Syhergy  welcher 
famulus  des  Grafen  Wilhelm  von  Berg  genannt  wird  (Annalen  d.  hist.  Vereins  f.  d. 
Niederrhein  55  [1892,]  S.  31).  In  Erkelenz,  welches  bei  S.  fehlt,  werden  1370  Odyno  de 
Montefya  und  Wilhelm  Abellonio  als  Lombarden  erwähnt  (Ebenda,  S.  134).  In  einer 
der  nördlichsten  Städte  der  heutigen  Rheinprovinz,  etwa  in  Kleve  oder  Goch,^müssen  um 
1330  Lombarden  gewesen  sein:  Heinrich  von  Gennep  entschädigt  in  diesem  Jahre  einen 
Johann  Veren,  der  sich  ftir  ihn  aen  Palmerine  den  lomharde  end  sine  gheselscap  verbürgt 
hatte.  (Vgl.  R.  Schölten,  Kloster  Grafenthal  1899,  Urk.  Nr.  160  S.  131).  In  Zülpich 
ist  1475  der  Lumparter  huis  Eigentum  des  Kölner  Erzstiftes  (Tille,  Übersicht  über  den 
Inhalt  der  kleineren  Archive  der  Rheinprovinz  I,  S.  233  Nr.  14}.  Bei  Köln  oder  in 
der  Nähe  ist  1332  ein  Georgitis  Garreti  Lumbardus  civis  Astensis  nebst  Gesellschaftern 
nachzutragen,  der  vor  dem  Offizialatgericht  des  Kölner  Erzbischofs  erscheint  (Annalen  d. 
hist.  Ver.  f.  d.  Niederrhein  55.  Heft,  S.  42.)  Am  Niederrhein  ist  auch  seit  1479  ein 
Bürger  von  Mors,  Johannes  von  Heeshtisen  mit  dem  Beinamen  Lumbard^  als  Amtmann 
der  Abtei  Werden  für  die  dort  gelegenen  Werdenschen  Besitzungen  thädg.  (R.  Kötzschke, 
Studien  zur  Verwaltungsgeschichte  der  Grofsgrundherrschaft  Werden.    Leipzig  1900,  S.  45.) 


—     197     — 

einen  kapitalistischen  Betrieb  als  zweckmäfsig  erscheinen  läfst  ^).  Um 
der  englischen  Wolle  willen  besuchen  die  Italiener  die  Messen  der 
Champagne,  welche  bis  etwa  1300  die  internationale  Warenaustauschs- 
stelle sind.  Textilwaren  bilden  seitdem  das  wichtigste  Handelsgut,  um 
ihretwillen  werden  die  Messen  aufgesucht,  aber  natumotwendig  mufs 
die,  je  nach  dem  der  Betreffende  Käufer  oder  Verkäufer  ist,  leere 
Hin-  oder  Rückfahrt  vermieden  werden  —  imd  allerlei  andere  Waren 
treten  damit  in  den  Grofsverkehr  ein.  Vor  allem  die  Gewürze  erwerben 
sich  in  Deutschland  Bürgerrecht :  Pfeffer,  Safran,  Zimmet  u.  a.  Waren 
werden  von  Italien  dahin  gebracht.  Aber  für  diese  Dinge  war  Vene- 
dig (dessen  Handelsgeschichte  Seh.  nur  in  grofsen  Zügen  schildert,  da 
wir  über  den  deutsch -venetianischen  Handelsverkehr  durch  die  Schriften 
von  Heyd  und  Simons feld  gut  unterrichtet  sind)  viel  wichtigerer 
Übergangsplatz  als  etwa  Genua,'  welches  nach  dem  Niedergang  von 
Amalfi  und  Pisa  einzig  als  Konkurrent  Venedigs  in  Betracht  kommt. 
Mit  grofser  handelspolitischer  Klugheit  war  in  Venedig  das  streng  ge- 
handhabte Gesetz  eingeführt  worden,  dafs  keiner,  der  seine  Produkte 
zum  Verkauf  brachte,  bares  Geld  mit  nach  Hause  nehmen  durfte,  son- 
dern Waren  des  Orients  dafür  eintauschen  mufste,  so  dafs  ein  Nürn- 
berger, der  etwa  Metallwaren  verkauft  hatte,  notgedrungen  Pfeffer  und 
Safran,  Seide  oder  anderes  mit  in  die  Heimat  nehmen  mufste.  Der- 
artiger Zwang,  der  nach  unseren  Begriffen  die  intimsten  Privatangelegen- 
heiten des  einzelnen  berührt,  ist  dem  Mittelalter  selbstverständlich  und 
zur  Sicherung  des  Verkehrs  vielfach  notwendig,  er  mufs  aber  stets 
sorgfaltig  berücksichtigt  werden,  wenn  man  wirtschaftspolitische  Hand- 
lungen der  Zeit  psychologisch  zu  verstehen  suchen  wül,  wie  er  andrerseits 
in  vielen  Fällen  dazu  führt,  dafs  Einrichtungen,  die  sich  längst  überlebt 
haben,  auch  nach  dem  Wegfall  der  Voraussetzung  noch  bestehen 
bleiben  und  sorgsam  gepflegt  werden. 

Bei  diesen  Gedankengängen  kann  Seh.  vielfach  schon  betretene 
Pfade  verfolgen,  wenn  er  auch  bei  der  Übersicht  über  ein  ganz 
gewaltiges    Material    die    Hauptpunkte    viel    klarer    erkennt    als    seine 


i)  Für  die  Technik  der  Wollindustrie  ist  die  Einfuhrung  der  Walkmühlen,  die 
erst  von  Deutschland  nach  Italien  kamen  (S.  130),  von  grofser  Wichügkeit.  Die  Seh.  be- 
kannte früheste  ist  1246  in  Trier  nachgewiesen  (S.  Ii8).  —  An  einer  etwas  versteckten 
Stelle  der  Litteratur  werden  fulleria  fannorum  1266  zu  Chalons-sur- Marne  er- 
wähnt. Die  Urkunde  neben  vielen  anderen  auf  die  Tuchfabrikation  dieses  Orts  und  den 
Absatz  der  Tuche  auf  der  Messe  zu  Bar-sur-Aube  bezüglichen  (1230  ff.)  ist  herausgegeben 
von  E.  G.  Gersdorf  in  den  „Mitteilungen  der  deutschen  Gesellschaft  zu  Leipzig"  I  (1856) 
S.  132  ff. 


—     198     — 

Vorgänger  und,  ohne  zu  schematisieren,  immer  streng  nach  den 
Quellen  längere  Entwickelungsreihen  vorführt.  Aber  thatsächlich  neue 
in  dieser  Weise  u.  W.  vorher  noch  nicht  entwickelte  Gedanken  sind 
die  über  die  Verkehrswege  in  ihrer  Wirkung  auf  den  Handel. 
Mit  einer  ganz  überraschenden  Sicherheit  in  der  Beweisführung  werden 
wir  belehrt,  dafe  die  schon  längst  beobachteten  Verschiebungen 
im  mittelalterlichen  Verkehr  von  der  Champagne  nach  dem  Rhein 
und  von  da  nach  Oberdeutschland  (Ulm,  Augsburg,  Nürnberg)  zu 
einem  recht  wesentlichen  Teile  auf  eine  Veränderung  der  Wege 
über  die  Alpen  zurückzuführen  sind.  Der  von  der  Römerzeit  *) 
her  am  meisten  benutzte  Pafe  über  den  Grofsen  St.  Bernhard 
führte  von  Italien  ins  Rhonethal,  und  über  diesen  alt  bekannten  Pafe 
bewegte  sich  bis  ins  XIII.  Jahrhundert  zum  weitaus  gröfeten  Teile  der 
Verkehr,  der  die  englische  Wolle  imd  flandrischen  Tuche  gegen  die 
Güter  des  Orients  austauschte;  dieser  Strafee  verdanken  die  Messen 
der  Champagne  zum  grofeen  Teil  ihre  Blüte.  Da  wurde  kurz  vor 
1225  der  bis  dahin  vollständig  unwegsame  St.  Gotthard  gangbar 
gemacht  (S.  178)  und  ein  direkter  Weg  von  Mailand  nach  Basel  ge- 
bahnt, der  den  Rhein  für  den  internationalen  Warenverkehr  öffnet. 
Die  Zeitgenossen  haben  diese  Veränderung  wohl  erkannt :  Kaiser  Fried- 
richs IL  Kampf  um  Bellinzona,  der  der  Habsburger  mit  den  Schweizern, 
ja  die  Gründung  der  Schweiz  erscheinen  nach  diesen  Erörteiungen  in 
ganz  anderem  Lichte.  Das  Aufblühen  Brügges  nach  1300,  wo  nun 
der  Hansische  Handel  mit  dem  orientalisch -italischen  sich  berührt,  wird 
ebenfalls  besser  begründet.  Hatten  die  Anwohner  des  St.  Gotthard, 
die  örtliche  Verbindungswege  schaffen  wollten,  deren  weltgeschichtliche 
Bedeutung  anfangs  sicher  nicht  geahnt,  so  wurde  gegen  Ende  des 
XIV.  Jahrhunderts  diesem  Passe  mit  Bewufstsein  ein  Konkurrent  ge- 
schaffen, indem  der  seit  alter  Zeit  begangene  Saumpfad  über  den  Sep- 
timer um  1387  in  eine  fahrbare  Strafse  umgebaut  wurde  (S.  361),  so  dafe 
nunmehr  hier  der  Wagen  gröfeere  Gütermengen  ohne  Umladung  auf  Saum- 
tiere ^)  befördern  konnte ,  wie  es  auf  den  anderen  Pässen  geschehen 
mufete  *).  Dieser  Strafsenbau  öffnete  ganz  anders  als  vorher  den  Städten 
am  Bodensee  und  dahinter,  Ravensbiu-g,  Ulm,  Augsburg  und  Nürnberg, 


i)  Für  die  Kenntnis  der  Alpen  in  römischer  Zeit  ist  neben  Nissens  Italienischer 
Landeskunde  (1883)  auch  desselben  Verfasser»  Anfsatf  Die  Alpen  in  römischer  Zett  im 
„Vierten  Jahresbericht  des  Metzer  Vereins  fdr  Erdkunde"  (1882)  von  Belang. 

2)  Der  Name  einer  Saumtierlast,  die  in  den  Zolltarifen  oft  als  Einheit  erscheint, 
ist  fardel, 

3)  Die  gute  Fahrstrafse  über  den  St.  Gotthard  entstand  erst  1830. 


—     199     — 

die  Alpen:  über  Chur  und  Chiavenna  ging  nun  der  Weg  direkt  auf 
Mailand  und  Genua,  dessen  Bedeutung  für  den  Handel  nach  Deutsch- 
land wesentlich  wächst,  so  dafe  um  1425  ernstlich  der  Gedanke  auf- 
tauchte, dort  einen  Fondaco  zu  gründen,  der  freilich  etwas  anderes  sein 
sollte  als  der  Venetianische  (S.  535).  Und  noch  eine  weitere  Neuerung 
wurde  auf  der  Septimerstrafse  eingeführt,  nämlich  eine  Traasportorgani- 
sation  seitens  der  Gemeinden,  so  dafs  dem  Kaufmanne  die  oft  drückende 
Sorge  für  das  Fortkommen  seiner  Güter  z.  T.  abgenommen  wurde :  in 
mehrfacher  Hinsicht  bedeutete  also  die  Erbauung  der  Septimerstrafse  für 
den  Handel  Deutschlands  einen  wesentlichen  Fortschritt,  der  nicht  ver- 
gessen werden  darf,  wenn  der  Handelsgesellschaften  des  XIV.  Jahrhunderts 
gedacht  wird.  Die  Verschiebung  der  Wege  im  Kleinen  verdient  volle  Be- 
achtung im  Vergleich  mit  der  grofeen  Verkehrsumwälzung,  die  die  Ent- 
deckung des  Seewegs  nach  Indien  brachte.  Und  selbst  dieses  grofse  Er- 
eignis wird  allmählich  angebahnt,  indem  der  Seeweg  gegenüber  dem  Land- 
wege stetig  mehr  bevorzugt  wird:  schon  13 17  fahren  die  Venetianer  zu 
Schiffe  nach  Brügge  und  selbst  Hansische  Schiflfe  besuchen  1409  Venedig. 
Alle  diese  Einzelheiten  konnten  hier  nur  flüchtig  herausgehoben 
werden,  um  allen  denen,  die  wirtschaftsgeschichtlichen  Studien  obliegen, 
zu  zeigen,  welche  Fülle  von  Anregung,  leitenden  Gesichtspunkten,  ja 
selbst  Litteraturnachweisen  sie  hier  finden  können.  Seh.  bietet  aber  dem 
Forscher  noch  viel  mehr:  er  zeigt  an  den  Beispielen,  wie  man  es 
machen  mufs,  um  Ergebnisse  aus  den  Quellen  herauszufinden;  denn 
das,  was  uns  heute  interessiert,  steht  ja  nicht  mit  dürren  Worten  in 
den  Urkunden,  mufs  vielmehr  erst  durch  vergleichende  Interpretation  ge- 
wonnen werden.  Es  ist  eine  grofee  Ausnahme,  dafs,  wie  es  bei  der 
Septimerstrafse  der  Fall  ist,  der  Vertrag  vorliegt,  dem  zufolge  die 
Strafse  hergestellt  werden  soll  (S.  361).  Viel  häufiger  ist  es,  dafe 
nur  durch  indirekte  Angaben  eine  solche  Veränderung  erschlossen 
werden  kann :  aus  solchen  Folgeerscheinungen  (Neuanlage  von  Zollstätten, 
plötzliches  Interesse  eines  Dynasten  an  einem  ihm  bisher  gleichgiltigen 
Besitze)  müssen  dann  Zeit  und  nähere  Umstände  erschlossen  werden, 
und  das  hat  Seh.  mit  grofser  Überzeugung  gethan  beim  St.  Gotthard, 
dessen  Öffnung  er  als  sicher  zwischen  12 18  und  1225  erfolgt  fest- 
zustellen vermag.  So  überzeugend  wirkt  er  aber  nur,  weil  er  die 
Quellenstellen,  soweit  es  nötig  ist,  stets  selbst  sprechen  lä(st  und  selbst 
dem  zweifelnden   Leser    somit  eine   sofortige  Kontrolle  ermöglicht  ^). 


1}  Im    Vergleich    daza    ist    es    recht    bedauerlich,    dafs     Engen    Nübling,    der 
in   Ulms  Handel  im  Mittelalter  (Ulm,  Gebr.  Nttbling  1900)  eine  Entwickelangsgeschichte 


—     200     — 

Seh.  stellt  auch  der  landsehaftliehen  Geschichtsforsehung  direkte  Auf- 
gaben, die  nur  von  ihr  ausgeführt  zu  werden  brauchen,  aber  auch  nur 
für  ein  räumlich  enger  begrenztes  Gebiet  von  einem  Arbeiter  ausge- 
führt werden  können.  Die  Aufforderung,  die  Geldgeschichte  sorg- 
fältiger zu  pflegen  durch  engere  Verbindung  von  Wirtschaftsgeschichte 
und  Numismatik^),  wird  jeder  zeitgemäfs  finden,  der  sich  mit  Ver- 
gleichung  mittelalterlicher  Münz  werte  abgequält  hat.  Origineller  und 
darum  wichtiger  ist  aber  die  aus  der  Praxis  der  Alpenverkehrswege 
heraus  gewonnene  Forderung,  die  Verkehrswege  d.  h.  also  zunächst 
die  Strafsen  in  ihrem  Verlaufe  mehr  zu  beachten  imd,  wo  es  möglich 
ist,  kartographisch  festzulegen,  also  Strafsenkarten  herzustellen. 
Die  Schwierigkeiten,  die  sich  der  Bearbeitung  solcher  Karten  für  frühere 
Zeiten  entgegenstellen,  sind  keinen  Augenblick  zu  verkennen,  aber  bei 
vernünftiger  Trennung  der  feststehenden  und  mutmafelichen  Angaben 
nicht  unüberwindbar.  In  den  weitaus  meisten  Fällen  kommt  es  ja  gar 
nicht  auf  die  topographisch  genaue  Bezeichnung  des  Weges  an,  son- 
dern vielmehr  darauf,  welche  Orte,  also  vornehmlich  Städte  und  Flecken, 
berührt  werden:  die  geradlinige  Verbindung  kann  also  auf  der  Karte 
schon  genügen,  wenn  nur  kein  Zweifel  darüber  ist,  dafs  der  regel- 
rechte Weg  nicht  etwa  auf  den  Katheten  zu  der  gezeichneten  Hypo- 
tenuse lief  und  somit  noch  einen  anderen  seitwärts  liegenden  Ort  durch 
einen  Umweg  mit  berührte  ^).  Das  wichtigste  Mittel  für  die  Fest- 
stellung mittelalterlicher  Verkehrswege  ist  die  Angabe  der  Zol  Is  tätten: 
die  Voraussetzung  einer  Strafsenkarte  würde  also  zunächst  eine  Karte 
der  Zollstätten  sein  mit  bestimmten  Angaben  der  Zeit,  in  der  der  Zoll 
wirklich  erhoben  worden  ist,  am  besten  in  der  Form,  dafs  jedem  Zoll- 
ort eine  knappe  Geschichte  des  Zolls  in  einem  Textband  beigefügt  wird. 
Wie  notwendig  dies  ist,  läfst  sich  daraus  ermessen,  dafe  es  trotz  der 
vielen  Schriften,  die  sich  mit  den  Rheinzöllen  beschäftigen,  kein  Hilfe- 


der  Wclthandelswege  im  Mittelalter  (S.  I — 352!!)  giebt,  von  Quellen-  und  Litteratur- 
nachweisen  voUständig  absieht :  fiir  den  Forsclier  ist  somit  ein  grofser  Teil  der  unermiid' 
liehen  Sammelarbeit  Nüblings  unfruchtbar  ge\Torden,  denn  nur  durch  Berichügung  im 
einzelnen  auf  Grund  besserer  QueUen  und  Ausgestaltung  einzelner  nur  im  Umrifs  gezeich- 
neter Vorgänge  kann  die  Forschung  dauernd  gewinnen. 

i)  Vgl.  den  Aufsatz  von  Alfred  Köb erlin  oben  S.  12—17. 

2)  Was  Seh.  im  Texte  festgesleUt  hat,  das  ist  alles  übersichtlich  auf  zwei  Karten 
graphisch  dargestellt.  Die  erste  (1:3  500  000)  giebt  eine  Übersicht  über  die  Verkehrs- 
wege zwischen  Paris,  Frankfurt,  Nürnberg,  Salzburg  und  im  Süden  bis  Genua  und  Bo- 
logna, die  zweite  (i  :  1000000)  die  Alpenstrafsen  mit  ihren  Zugängen  nebst  den  Snsten, 
Zollstätten  u.  s.  w.  Die  Zeichen  für  die  letzteren  berühren  sich  nahe  mit  den  von 
KÖtzschke  in  dieser  Zeitschrift  (I.  Bd.,  S.  125  — 126)  vorgeschlagenen. 


—     201     — 

mittel  giebt,  um  aus  einer  Karte  oder  Tabelle  abzulesen,  welche  Zoll- 
stätten etwa  ein  Schiff  in  einem  bestimmten  Jahre  auf  der  Fahrt  von 
Strafsburg"  bis  Coblenz  zu  passieren  hatte.  An  eine  solche  Karte  der 
Zollstätten  in  ganz  Deutschland  mit  erläuterndem  Texte  liefse  sich  frei- 
lich nur  denken,  wenn  für  jede  Landschaft  nach  einem  bestimmten 
Plane  gearbeitet  würde :  dann  wäre  es  aber  auch  eine  verhältnismäfeig 
leichte  Arbeit.  Neben  der  Kenntnis  der  Zollstätten  verdient  aber  auch 
die  Sammlung  der  Zolltarife  die  Aufmerksamkeit  der  Forschung.  In 
Urkundenbüchern  und  sonst  in  der  Litteratur  sind  eine  Menge  davon 
veröffentlicht,  aber  nicht  nur  sind  sie  in  gröfserer  Zahl  dem  einzelnen  Ar- 
beiter bei  der  zerstreuten  Veröffentlichung  unzugänglich,  sondern  sie  sind 
auch  längst  nicht  so  ediert,  wie  es  für  eine  grolsangelegte  handels- 
und  verkehrsgeschichtliche  Forschung  wünschenswert  ist.  Am  besten 
uürde  dieser  Anforderung  entsprochen  werden,  wenn  etwa  von  der 
Historischen  Kommission  bei  der  Kgl.  Bayerischen  Akademie  der  Wissen- 
schaften, die  ihrem  Arbeitsprogramm  nach  wohl  am  ehesten  diese  Auf- 
gabe übernehmen  könnte,  eine  Sammlung  und  einheitliche  Bearbeitung 
der  deutschen  Zolltarife  ins  Werk  gesetzt  würde  —  vielleicht  in  Ver- 
bindung mit  einem  Nachweise  erhaltener  Zollrechnungen.  Längst  nicht  von 
jeder  Zollstätte  des  Mittelalters  sind  ja  Tarife  erhalten,  aber  dafür  von  der- 
selben Stelle  oft  mehrere,  die  um  ein  Jahrhundert  oder  mehr  aus  einander 
liegen.  Wie  aufeerordentlich  lehrreich  derartige  Stücke  sind  und  in  wie 
verschiedener  Weise  sie  benutzt  werden  können,  zeigen  vielleicht  am 
besten  die  beiden  Koblenzer  Tarife  von  1 104  und  1209  ^).  Durch  eine  ver- 
gleichende Behandlung  würde  es  in  vielen  bisher  zweifelhaften  Fällen  gewifs 
auch  möglich  werden  genauer  zu  bestimmen,  welche  Waren  unter  den 
einzelnen  Positionen  gemeint  sind  und  wann  neue  Waren  zuerst  erscheinen. 
Zur  Feststellung  der  Verkehrswege  läfst  sich  aber  auch  noch  aus 
anderen  Quellen  Material  gewinnen,  so  vor  allem  aus  der  Unmasse 
von  Reisebeschreibungen  *)  und  Reiseführern,  die,  auch  wenn  sie  sonst 
nichts  Merkwürdiges  bieten,  unter  diesem  Gesichtspunkte  aufs  sorg- 
fältigste beachtet  werden  müssen,  und  wer  gelegentlich  ein  solches 
Werk  in  die  Hände  bekommt,  sollte  nie  versäumen,  die  berührten  Orte 
und  die  eventuelle  Benutzung  des  Schiffes,  Wagens  oder  Reittieres  an- 
zugeben: je  mehr  Belege  dann  für  einen  Weg  gefunden  werden,  um 
so  sicherer  wird  er  als  viel  begangen  und  bevorzugt  bezeichnet  werden 


i)  Vgl.  Beyer,   Urkundenbuch  tUr  mütelrheinischen  Terrüorün,    I.  Bd.  (Kohlen 
1860),  S.  467,  Nr.  409  und  II.  Bd.  (1865)  S.  280,  Nr.  242. 
2)  Vgl.  diese  ZeiUchrift  I.  Bd.,  S.  299—302. 


—     202     — 

können.  Nicht  nur  der  Weg,  der  zurückgelegt  wird,  sondern  auch 
die  Zeit,  in  der  es  geschieht,  mufs  beachtet  werden :  sie  ist  der  beste 
Gradmesser  für  die  Verkehrshöhe.  Seh.  hat  (S.  387)  die  höchst 
wichtige  Thatsache  festgestellt,  dafs  zu  Anfang  des  XVI.  Jahrhunderts 
ein  Geschäftsbrief  von  Nürnberg  nach  Mailand  —  einschliefelich  des 
Abgangs-  und  Ankunfstages  —  in  einem  Falle  in  10  Tagen  befördert 
wurde,  und  zwar  im  Winter,  sowie  dafs  unter  normalen  Verhältnissen 
sicher  am  15.  Tage  auf  den  Empfang  gerechnet  werden  konnte  '). 
Bei  der  Herausgabe  von  Korrespondenzen  sollten  die  Angaben,  wann 
ein  Schreiben  dem  Empfanger  präsentiert  worden  ist  —  gegenüber  dem 
Ausfertigungsdatum  ist  dies  natürlich  nur  der  äufeerste  Termin,  der 
also  die  Maximalbeförderungszeit  angiebt,  —  niemals  vergessen  werden : 
recht  oft  werden  sich  durch  Beachtung  dieser  Dinge  auch  inhaltlich 
wichtige  Aufschlüsse  gewinnen  lassen,  und  für  politische  Korrespondenzen 
des  XVIII.  Jahrhunderts  ergeben  sich  auf  diese  Weise  ganz  unglaub- 
liche Schnelligkeiten,  die  nur  mit  Hufe  ausgezeichnet  organisierter 
Relaisposten  erzielt  werden  konnten. 

Um  auf  Schuhes  Buch  zurückzukommen,  so  sei  nur  noch  erwähnt, 
dafs  neben  dem  Register  der  Eigennamen  auch  ein  Sachregister  höchst 
erwünscht  gewesen  wäre:  es  finden  sich  z.  B.  an  ganz  verschiedenen 
Stellen  Bemerkungen  über  den  Gebrauch  des  Wechsels,  die  nur  durch 
einen  Hinweis  in  einem  Register  sich  zu  einem  Ganzen  zusammen- 
fügen liefsen.  Wie  verlautet,  ist  die  Auflage  nur  klein,  was  im  Inter- 
esse des  Inhalts  sehr  zu  bedauern  wäre;  aber  vielleicht  wird  dadurch 
eine  zweite  Auflage  um  so  eher  nötig,  bei  der  es  sich  vielleicht  auch 
einrichten  liefse,  dafs  der  Preis  dem  entspricht,  was  in  der  Regel  ein 
Privatmann  für  ein  ihm  lieb  gewordenes  Buch  aufzuwenden  vermag: 
solche  Privatleute,  dessen  kann  der  Verlag  sicher  sein,  würden  sich  in 
stattlicher  Zahl  einstellen! 


1)  Andere  Angaben  über  die  Zeit,  welche  Briefe  unterwegs  sind  (Brügge -Venedig 
zu  Wasser  and  zu  Lande)  giebt  z.  B.  Stieda,  Hansüch'Venetianüche  Handelsbeziehungen 
(Rostock  1894)  S.  90.  Nach  der  Postordnung  von  1616  sollte  ein  Brief  von  Leipzig 
bis  Nürnberg  5  und  bis  Venedig  12  Tage  unterwegs  sein.  (Gustav  Schäfer,  Ge- 
schichte des  Sächsischen  Postwesens,  Dresden  1879,  S.  83).  Hierbei  handelt  es  sich 
aber  um  eine  richtige  Post  mit  wiederholtem  Botenwechsel,  während  jene  Nürnberger 
und  Hanseatischen  Kaufleute  einen  Boten  absandten,  der  die  ganze  Strecke  von  Anfang 
bis  Ende  durchlaufen  mufste. 


—     203     — 


Zur  Partial^Kifohengesehiehte 

Von 
Peter  P.  Albert  (Freiburg  i.  Br.) 

Unter  dieser  mehr  der  Kürze,  als  der  Gediegenheit  und  Reinheit 
des  Ausdrucks  entsprechenden  Benennung  hat  O.  Giemen  (Zwickau)  in 
Heft  2  des  laufenden  Jahrgangs  dieser  Zeitschrift  Seite  33 — 40  sich 
über  die  Aufgaben  und  Leistungen  der  einzelnen  Landschaften,  Volks- 
stämme und  Bekenntnisse  auf  dem  Gebiete  der  Kirchengeschichte  ver- 
breitet und  namentlich  die  zu  ihrer  Pflege  bestehenden  Vereine  und  ihre 
jüngsten  Veröffentlichungen  zum  Gegenstande  seiner  Betrachtung  ge- 
macht. Der  Aufsatz  ist  zeitgemäfs  und  geeignet,  anregend  zu  wirken, 
bedarf  aber  in  mehr  als  einer  Hinsicht  der  Berichtigung  und  Er- 
gänzung. 

Um  die  von  Giemen  begonnene  verdienstliche  Arbeit  nach  dem 
Ziele  der  Vollständigkeit  hin  zu  fördern,  wollen  wir  im  folgenden  einige 
Beiträge  aus  dem  südlichen  und  südwestlichen  Deutschland  liefern,  in- 
dem wir  eine  ganze  Anzahl  von  Unternehmungen,  die  ihm  entgangen 
sind ,  und  ihre  Thätigkeit  kurz  charakterisieren.  Wir  hoffen  dadurch 
nicht  nur  zu  zeigen,  mit  welchem  Eifer  und  Erfolg  schon  seit  viel 
längerer  Zeit,  als  Giemen  annimmt,  die  kirchliche  Vergangenheit  un- 
serer Heimat  erforscht  wird,  sondern  auch  dem  einen  und  andern  Leser 
dieser  Blätter  einen  Fingerzeig  zu  geben,  wo  etwa  eine  einschlägige 
Arbeit  unterzubringen  ist  oder  wo  sich  Belehrung  über  die  Geschichte 
und  Entwickelung  der  kirchlichen  Verhältnisse  einer  Gegend  holen  läfet. 
Dafs  hierbei  fast  ausschliefslich  katholische  Bestrebungen  und  Werke 
zur  Sprache  kommen,  ist  durch  das  von  Giemen  Gebotene  bedingt, 
der  im  wesentlichen  nur  protestantische  Vereine  und  ihre  Organe  be- 
rücksichtigt hat.  In  dem  weniger  unterrichteten  Leser  konnte  dadurch 
der  Anschein  erweckt  werden,  als  ob  katholischerseits  der  deutschen 
„Partial-Kirchengeschichte"  auch  gegenwärtig  noch  kaum  irgendwelche 
Aufmerksamkeit  zugewendet  würde.  In  Wirklichkeit  liegt  jedoch  der 
Fall  so ,  dafe  katholische  Vereine  und  «Veröffentlichungen  zur  Pflege 
der  Kirchengeschichte  schon  zu  einer  Zeit  ins  Leben  getreten  sind,  in 
welcher  man  auf  protestantischer  Seite  kaum  ein  derartiges  Bedürfnis 
gefühlt  hat.  Wie  dann  seit  den  80  er  Jahren  des  verflossenen  Jahr- 
hunderts auf  beiden  Seiten  ein  ganz  namhafter  Aufschwung  erfolgt  ist, 
geht  schon  aus  Glemens  Artikel  hervor  und  wird  auch  durch  das 
Nachstehende  bestätigt.    Von  der  Erörterung  der  übrigens  von  Giemen 


—     204     — 

in  einigen  Punkten  schon  gestreiften  theoretischen  Seite  der  Partial- 
Kirchengeschichte  absehend,  wollen  wir  —  ohne  Anspruch  auf  Voll- 
ständigkeit zu  erheben  —  die  von  ihm  begonnene  Aufzählung  der 
hierher  gehörigen  Unternehmungen  fortzuführen  versuchen.  Wir  halten 
dabei  an  der  von  ihm  eingeschlagenen  Trennung  nach  inner-  und  aufeer- 
kirchlichen  Grundsätzen  fest,  machen  zunächst  die  katholischen  und 
Schliefelich  noch  einige  protestantische  Organe  namhaft,  welche  Giemen 
unbekannt  geblieben  sind. 

Da  verdienen  nun  zuerst  die  Studien  und  Mitteilungen  aus  de7n 
Benediktiner-  und  dem  Cisterzienserorden  mit  besonderer  Berück- 
sichtigung der  Ordensgeschichte  und  Statistik  Erwähnung,  die  unter 
der  Redaktion  des  Stiftsarchivars  zu  Raigem,  P.  Maurus  Kinter  (Druck 
der  Raigemer  päpstlichen  Benediktiner-Buchdruckerei  in  Brunn,  jährlich 
4  Hefte  zu  10—12  Bogen  in  gr.  8®),  mit  1900  ihren  21.  Jahrgang  ab- 
geschlossen haben.  Ohne  irgend  ein  Gebiet  der  Wissenschaft  von 
seinen  Forschungen  auszuschliefsen ,  wendet  dieses  Central  -  Organ 
des  Benediktinerordens  sein  Augenmerk  doch  vornehmlich  der  Ge- 
schichte und  zwar  der  .Geschichte  des  Ordens  zu.  Es  hat  sich  die 
Pflege  der  allgemeinen  geschichtlichen  Entwickelung  des  Ordens  zur 
besonderen  Aufgabe  gesetzt  und  sucht  dieses  Ziel  zu  erreichen  durch 
die  Darstellung  der  Ordensgeschichte  in  den  einzelnen  Ländern,  Kon- 
gregationen und  Häusern,  und  zwar  nicht  blofs  der  Geschichte  allein  und 
ihrer  Hilfswissenschaften,  sondern  auch  der  Ordenslitteratur,  der  Mis- 
sions- und  Wirtschaftsthätigkeit ,  des  Unterrichts,  der  Kunst  imd  aller 
anderen  Gebiete,  auf  denen  der  Orden  Leistungen  aufzuweisen  hat. 
Dafs  dabei  die  Geschichte  der  deutschen  Benediktinerklöster,  der 
noch  bestehenden  wie  der  untergegangenen,  in  erster  Linie  in  Be- 
tracht kommt,  ist  aus  jedem  der  bisher  erschienenen  Jahrgänge  er- 
sichtlich, aus  dem  ersten  so  gut  wie  aus  dem  vorliegenden  21.,  aus 
welch  letzterem  einige  der  hauptsächlichsten  derartigen  Arbeiten  her- 
vorgehoben seien.  Konrad  Eubel  behandelt  die  in  commendam 
verliehenen  Abteien  während  der  Jahre  143 1  bis  1503  S.  3 — 15, 
244 — 59;  Chr.  Lager  die  ehemalige  Benediktinerabtei  Tholey  bei 
Trier,  S.  15—35,  268 — 277^  Fr.  Lauchert  die  Briefe  des  (als  Dog- 
matiker  bekannten  Cisterziensers)  Stephan  Wiest  (•}•  1797)  an  (den 
Chorherm  von  Polling)  Gerhoh  Steigenberger  (f  1787)  S.  127 — 135, 
205 — 306,  535 — 553;  J.  Linneborn  die  Reformation  der  westfä- 
lischen Benediktinerklöster  im  XV.  Jahrhundert  durch  die  Bursfelder 
Kongregation  S.  53—68,  315  —  332,  554 — 578;  A.  Naegele  die  Ge- 
schichte  des  Klosters   Wiblingen   bei    Ulm   S.    277 — 285,    529 — 534. 


—     205     — 

Daneben  stehen  zahlreiche  kleinere  Mitteilungen  historischen  Inhalts 
und  alljährlich  eine  genaue  Zusammenstellung  der  neuesten  Benedik- 
tiner- und  Cisterzienserlitteratur  (S.  144—156;  430—446;  650 — 664), 
nicht  blofs  der  Bücher,  sondern  aller  von  Ordensmitgliedem  verfafsten 
und  auf  die  beiden  Orden  sich  beziehenden  Zeitschriftenartikel,  der 
Schulprogramme  u.  dgl.  mehr.  Ein  Blick  in  die  „Studien"  wie  in 
diese  Litteraturübersicht  offenbart  ein  ungemein  reges  wissenschaft- 
liches Leben  und  Streben. 

Nebbn  den  „Studien"  ist  seit  1888  mit  der  gleichen  Einrichtung 
für  die  Pflege  der  Geschichte  im  Orden  des  heil.  Robert  allein  die 
Cisterztens er- Chronik  thätig,  im  Stifl  Mehrerau  bei  Bregenz  unter 
der  Leitung  P.  Gregor  Müllers  jährlich  in  12  Nummern  zu  je  2  Bogen 
erscheinend.  In  wie  hohem  Mafse  auch  diese  Zeitschrift  ihrer  Aufgabe 
gerecht  wird,  beweisen  die  in  jedem  Jahrgange  enthaltenen  zahlreichen 
gediegenen  Abhandlungen,  von  denen  sehr  viele  auf  das  Gebiet  des 
heutigen  Deutschen  Reiches  entfallen.  Der  vorliegende  12.  Band  (1900) 
bietet  in  dieser  Hinsicht  folgende  gröfsere  Aufsätze:  Abbatia  Ebra- 
censia  oeconomica  von  J.  Jäger;  Nachweisungen  über  das  vormalige 
Cisterzienserinnenkloster  Nauendorf  bei  Allstett  in  Sachsen -Weimar 
von  P.  Mietschke;  Kloster  Kreuzthal  in  Marburghausen  von  M. 
Wieland;  Drei  Jahre  aus  der  Geschichte  der  Abtei  Waldsassen  (1792 
bis  1795)  von  Fr.  Binhack. 

Der  uns  hier  zu  Gebote  stehende  Raum  verstattet  weder  bei  diesem 
noch  bei  den  folgenden  Abschnitten  die  einzelnen  der  zumeist  aus  urkund- 
lichem Material  aufgebauten  Artikel  ihrem  Inhalte  und  ihrer  Bedeu- 
tung nach  zu  erläutern,  um  den  Umfang  und  die  Gediegenheit  darzu- 
thun,  womit  auf  diese  Weise  schon  zu  einer  neuen,  den  heutigen  An- 
forderungen entsprechenden  Germania  sacra  regularis  et  saecularis 
der  Grund  gelegt  ist.  ') 

Von  den  zur  Pflege  der  Landes-  und  Provinzial-Kirchengeschichte 
bestehenden  Vereinen  ist  der  älteste  nicht  die  Gesellschaft  für 
sächsische  Kirchengeschichte  von  1882,  sondern  der  Kirchenge- 
schichtliche Verein  für  das  Erzbistum  Freiburg,  gegründet 
1862  zur  Erforschung  der  Geschichte  und  Kunstgeschichte,  der  Alter- 
tums- und  Litteraturkunde  des  Erzbistums  Freiburg  und  der  angren- 
zenden Bistümer.    Sein  Organ,  das  durch  seine  Reichhaltigkeit  weithin 


i)  Der  durch  die  Bearbeitung  der  Serüs  epücoporum  (Ratisb.  1873.  4®)  bekannte 
Benediktiner  Pias  Garns  hat  bereits  1879  ^^^  Germania  sacra  der  Görresgesellschaft 
als  würdige  Arbeit  empfohlen,  aber  leider  ist  seine  Anregung  nicht  zur  AnsfUhmng  ge- 
kommen. Vgl.  H.  Cardanns,  Die  Görresgesellschaft  1876 ^rgoi {Köln,  Bachern  1901)8.  32. 


—     206     — 

bekannte  Freiburger  Dwcesan- Archiv  (Freiburg  i.  Br.,  Herder'sche 
Verlagshandlung),  hat  1900  seinen  28.  Band  erreicht.  Es  ist  eine 
unerschöpfliche  Fundgrube  für  die  oberrheinische  Kirchengeschichte, 
vornehmlich  durch  seine  wertvollen  Quellenpublikationen,  die  der 
Begründer  des  Vereins,  der  1872  verstorbene  Dekan  Wende lin 
Haid,  begonnen  hat  mit  dem  Liber  decimationis  clert  Constan- 
tt'ensis  pro  papa  de  anno  12^^  (Bd.  i,  S.  i — 303),  dem  Liber 
quartarum  et  hannalium  in  diocesi  Constantiensi  de  anno  1324 
(Bd.  4,  S.  42 — 62)  und  dem  Liber  taxationis  in  diocesi  Con- 
stantiensi de  anno  /jjj  (Bd.  5,  S.  i — 118),  denen  im  Lauf  der  Jahre 
zahlreiche  weitere  gefolgt  sind,  wie  namentlich  die  erste,  von  Fr.  von 
Weech  nach  dem  Original  gemachte  Ausgabe  des  Rotulus  San-Pe- 
trinus,  einer  der  wichtigsten  Quellen  fiir  die  Geschichte  und  Geogra- 
phie Schwabens  in  der  Zeit  von  1095 — 1203  (Bd.  15,  S.  133—184) 
und  das  von  Fr.  Zell  zum  Druck  beförderte  Registrum  subsidii 
charitativi  im  Bistum  Konstanz  am  Ende  des  XV,  und  Anfang 
des  XVL  Jahrhunderts  (Bd.  24,  S.  183 — 238;  Bd.  25,  S.  71 — 150, 
Bd.  26,  S.  I — 133  und  Bd.  27,  S.  17 — 142).  Von  den  darstellenden 
Arbeiten  der  älteren  Jahrgänge  sei  ganz  abgesehen  und  nur  auf  einige 
des  neuesten  hingewiesen  wie  auf  die  treffliche  Abhandlung  L.  Baurs 
über  die  Ausbreitung  der  Bettelorden  in  der  Diöcese  Konstanz  (S. 
I — loi),  die  des  P.  M.  Str aganz  zur  Geschichte  der  Minderbrüder 
im  Gebiete  des  Oberrheins  (S.  319—395),  die  Chronik  des  Cister- 
zienserinnenklosters  Wonnenthal  von  J.  Mayer  (S.  131 — 221),  das 
ehemalige  Kapuzinerkloster  zu  Baden-Baden  von  K.  Reinfried  (S. 
307 — 318),  besonders  aber  das  die  gleiche  Arbeit  des  früheren  Re- 
dakteurs Prof.  J.  König  (Bd.  16,  S.  273 — 344;  Bd.  17,  S.  i  — in 
und  Bd.  20,  S.  1—44)  fortsetzende  Necrologium  Friburgense  von 
J.  Mayer  (S.  222 — 306).  Dieses  Necrologium  der  Freiburger  Geist- 
lichkeit von  1827 — 1899  enthält  nicht  blofs  dürre  Namen  und  trockene 
Angaben  über  Geburt,  Weihe,  Anstellung  und  Tod  der  in  dieser  Zeit 
verstorbenen  Priester  des  Erzbistums,  sondern  bietet  zugleich  eine 
Übersicht  über  ihr  litterarisches  sowie  eine  Statistik  ihres  charitativen 
und  sozialen  Wirkens  durch  Zusammenstellung  ihrer  Schriften  und 
ihrer  Vermächtnisse  zu  Stiftungen  und  den  verschiedensten  kirchlichen 
und  weltlichen  Zwecken ;  es  ist  also  ein  wertvoller  Beitrag  zur  neuesten 
Geschichte  der  oberrheinischen  Kirchenprovinz.  Der  Kirchengeschicht- 
liche Verein  für  das  Erzbistum  Freiburg  zählt  über  800  Mitglieder  und 
hat  sich  im  Laufe  des  Jahres  1900  neu  organisiert.  Die  ersten  27 
stattlichen  Bände   seiner  Zeitschrift  wird   er   mit   einem  im  Druck  be- 


r 


—     207     — 

Endlich en  Register  (von  etwa  25  Druckbogen)  als  alte  Folge  ab- 
schliefsend  krönen. 

Auf  dem  Arbeitsgebiet  des  Freiburger  Diöcesan- Archivs  ist  ab 
und  zu  noch  ein  zweites  Organ  thätig:  das  seit  1857  (ursprünglich  bei 
Herder,  seit  1859  bei  J.  Dilger)  erscheinende,  anfänglich  von  dem 
Kirchenhistoriker  Alzog  redigierte,  1899  ^  Oberrheinisches  Pastoral- 
blait  umgewandelte  Freiburger  Katholische  Kirchenblatt ,  das  in 
früheren  Jahren  auch  viele  geschichtliche  und  (von  1862  an)  einige 
Jahre  hindurch  a's  Beigabe  die  Christlichen  Kunstblätter  als  Organ 
des  christlichen  Kunstvereins  der  Erzdiöcese  Freiburg  brachte,  sonst 
aber  vorwiegend  die  praktische  Theologie  pflegt. 

In  Württemberg  erscheint  seit  dem  i.  Oktober  1884  das  Diöcesan- 
Archiv  von  Schwaben  (Stuttgart,  in  Kommission  des  Deutschen  Volks- 
blattes), Organ  für  Geschichte,  Altertumskunde,  Kunst  und  Kultur  der 
Diöcese  Rottenburg  und  der  angrenzenden  Gebiete,  jährlich  in  12 
Nummern.  Es  ist  aus  periodischen  Beilagen  des  Rottenburger  Pastoral- 
blattes erwachsen ,  zieht  die  gesamte  sog.  Suevia  sacra  et  sancta  in 
sein  Bereich  und  enthält  meist  kleinere  quellenmäfeige  Arbeiten  zur 
schwäbischen  Kirchen-  und  Profangeschichte.  Gründer  und  langjähriger 
Schriftleiter  desselben  ist  der  Pfarrer  E.  Ho  feie,  gegenwärtiger  Heraus- 
geber der  Amtsrichter  a.  D.  P.  Beck  in  Ravensburg.  Aus  dem  vor- 
liegenden neuesten  (18.)  Jahrgange  (1900)  verzeichnen  wir:  Altertümer 
und  Kunstdenkmale  des  ehemaligen  Wengenklosters  in  Ulm  von  M. 
Bach;  Bemerkungen  zur  christlichen  Ikonographie  von  Fr.  Mone; 
Denkwürdiges  aus  der  Geschichte  des  Klosters  Wiblingen;  Eulogius 
Schneider  und  Schubart  in  Stuttgart,  em  Hofprediger  und  Hofpoet,  von 
P.  Beck;  L.  Härbcr,  Doppelpropst  von  Waldsee  und  Neustift,  von 
demselben ;  die  Klosterschule  zu  Schussenricd  von  demselben ;  Kloster 
Neresheim;  Abtei  Ochsenhausen;  die  Reichsabtei  Weingarten  im  fran- 
zösischen Überfall;  Prämonstratenserkloster  Roth;  Schulordnung  des 
Reichsgotteshauses  Weingarten  vonP.  Beck  ;  Kunststickerei  im  Kloster 
Zwief alten  u.  s.  w. 

In  Strasburg  wurde  im  Jahre  1882  durch  den  gelehrten  Dom- 
kapitular  P.  Mury,  den  Verfasser  einer  Histoire  de  France,  das  Bulletin 
eccUsiastique  de  Strasbourg  in  12  Jahresheften  ins  Leben  gerufen,  dessen 
Titel  1888  in  Ecclesiasticum  Argentinense  mit  deutscher  Sprache  imd 
feiner  archivalischen  Beilage  und  1899  in  Stra/sburger  Diöcesanblatt  um- 
gewandelt wurde  (Strafburg,  Druck  von  F.  H.  Le  Roux  &  Co.).  Die  Re- 
daktion ging  1888  von  dem  alternden  Mury  an  den  Domkapitular 
J.  Chr.  Joder  über,  der  sie  noch  inne  hat  und  mit  dem  18.  Jahrgang 


—     208     — 

(1899)  ci^ß  neue  Folge  begann.  Zum  Hauptinhalte  des  Strafeburger 
Diöccsanblattes  gehören  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der  allgemeinen 
und  vaterländischen  Kirchengeschichte,  Miszellen,  gediegene  Rezensionen 
und  periodische  Litteraturberichte  über  die  neuesten  Erscheinungen, 
um  in  zuverlässiger.  Weise  die  Leser  über  den  jeweiligen  Stand  der 
kirchlichen  Wissenschaft  auf  dem  Laufenden  zu  erhalten.  Aus  dem 
mit  1900  abgeschlossenen  19.  Jahrgang  seien  hervorgehoben  die  Auf- 
sätze: von  P.  Reinhold  über  das  verschollene  Kloster  Marienbrunn, 
von  A.  Adam  zur  Geschichte  des  Stifts  Neuweiler,  von  N.  Paulus 
über  den  Polemiker  Weislinger,  von  J.  Seh  midiin  über  St.  Columban 
im  Sundgau,  von  A.Hoch  über  Abt  Waldo  von  Metz  und  Erzbischof 
Manasses  von  Reims,  J.  Le  vys  Regesten  der  Pfarrei  St.  Lorenzen  u.  s.  w. 

In  Mainz  begannen  —  neben  dem  Katholik,  Zeitschrift  für 
katholische  Wissenschaft  und  kirchliches  Leben,  hrsg.  von  J.  M.  Raich 
(Mainz,  Kirchheim,  80.  Jahrg.  1900,  jährl.  12  Hefte  zu  6  Bogen  8®), 
der  auch  das  Gebiet  der  einheimischen  Kirchengeschichte  vielfach 
berücksichtigt  —  am  i.  Oktober  1883  ^^^  Geschichtshlätter  für  die 
mittelrheinischen  Bistümer  (vierteljährlich,  bei  Fr.  Kirchheim)  zu  er- 
scheinen, die,  wie  es  in  der  Ankündigung  hiefs,  „  alles,  was  zur  kirchen- 
geschichtlichen Vergangenheit  der  Bistümer  Limburg,  Mainz  und  Trier 
nebst  angrenzenden  Gebieten  gehört",  in  das  Reich  der  Betrachtung 
ziehen  wollten.  Die  Redaktion  lag  in  den  Händen  des  um  die  Mainzer 
Kirchengeschichte  hochverdienten  Pfarrers  Fr.  Falk  und  schien  sich  die 
Bestrebungen  eines  Gudenus,  Helwich,  Würdtwein  u.  a.  zum  Muster 
genommen  zu  haben.  Die  Zeitschrift  ist  mir  nicht  zur  Hand,  so  dafe 
ich  keine  näheren  Mitteilungen  über  sie  zu  machen  vermag. 

In  Fulda  besteht  seit  1896  unter  dem  Vorsitze  des  Seminar- 
professors Leimbach  ein  Historischer  Verein  der  Diöcese 
Fulda,  der  seit  1897  Mitteilungen  (Fuldaer  Aktiendruckerei,  jähr- 
lich 2 — 3  Bogen)  herausgiebt.  Von  den  letzt  erschienenen  Auf- 
sätzen nenne  ich  die  über  den  gegenwärtigen  Stand  der  Rhabanus- 
forschung,  Beiträge  zur  Geschichte  der  klösterlichen  Niederlassungen 
zu  Eisenach  im  Mittelalter,  die  Hessen  und  die  Reformation,  Akten- 
stücke zur  Säkularisation  des  Klosters  Fulda,  Beiträge  zum  Leben  der 
heil.  Elisabeth,  die  Pfarrer  von  Grofsschlüder.  Im  Auftrage  des  Ver- 
eins hat  auch  Hermann  von  Roques  unlängst  den  i.  Band  eines 
Urkundenbuches  des  Klosters  Kaufungen  in  Hessen  (Kassel,  Drewfs  & 
Schönhoven,  19CX5)  mit  grofser  Sorgfalt  bearbeitet  und  herausgegeben. 

Auch  in  den  übrigen  deutschen  Bistümern  bestehen  wohl  derartige 
und  ähnliche  Vereine  und  Unternehmungen,  worüber  ich  bei  den  be- 


r 


—     209     — 

schränkten  hiesigen  bibliographischen  Hülfsmitteln  im  Augenblicke 
nicht  berichten  kann.  Dagegen  möchte  ich  noch  auf  drei  sehr  be- 
kannte Seitenstücke  und  ältere  Vorgänger  der  von  Giemen  genannten 
Pfarrgeschichten  des  Erzbistums  Köln  und  Herzogtums  Oldenburg  hin- 
weisen, nämlich  auf  die  musterhafte,  von  dem  nachmaligen  Münchener 
Erzbischof  A.  von  Steichele  1861  begonnene  und  von  A.  Schröder 
bis  zum  6.  Bande  fortgeführte  Historisch-statistische  Beschreibung  des 
Bistums  Augsburg  (Augsb.,  B.  Schmid)  und  auf  An t.  Mayers  Sta-- 
tistische  Beschreibung  des  Erzbistums  München-Freising,  fortgesetzt 
von  A.  Westermayer  (3  Bände;  München,  Manz,  1874— 1884). 
Ihnen  folgte  der  Würzburger  Universitäts- Bibliothekar  J.  B.  Stam- 
min ger  im  Jahre  1889  mit  seiner  Franconia  sacra,  Geschichte  und 
Beschreibung  des  Bistums  Würzburg,  in  Verbindung  mit  dem  Diöcesan- 
Klerus  herausgegeben  (Würzburg,  Bucher)  und  nach  des  Begründers 
Tode  fortgesetzt  von  Aug.  Amrhein. 

Aber  auch  protestantischerseits  kommen  für  die  Zwecke  der  Partial- 
Kirchengeschichte  aufser  den  von  Giemen  behandelten  noch  einige 
ältere  Werke  in  Betracht,  wie  beispielsweise  die  im  Jahre  1875  von 
Emil  Zittel  in  Karlsruhe  begründeten  und  in  Gemeinschaft  mit 
Fr.  Bechtel,  K.  W.  Doli  und  Fr.  W.  Schmidt  herausgegebenen 
Studien  der  evangelisch-protestantischen  Geistlichen  des  Gro/zherzog- 
tums  Baden  (Karlsruhe,  Braun),  von  denen  ich  allerdings  nicht  eu  sagen 
weifs,  ob  sie  noch  bestehen  und  welchen  Zweigen  der  theologischen 
Wissenschaft  sie  hauptsächlich  gedient  haben.  Das  Gleiche  gilt  von  den 
in  den  Jahren  1881 — 1887  von  Wilh.  Horning  herausgegebenen 
Beiträgen  zur  Kirchengeschichte  des  Elsasses  vom  XVL — XIX.  Jahr- 
hundert (Strafsburg,  in  Kommission  bei  N.  Vomhoflf).  Vielfach  kirchen- 
geschichtliche Abhandlungen  enthalten  auch  die  Theologischen  Arbeiten 
aus  dem  rheinischen  wissenschaftlichen  Prediger -Verein  (seit  1872 
bei  Friderichs  in  Elberfeld,  seit  1897  in  Neuer  Folge  bei  J.  G.  B.  Mohr 
[P.  Siebert]  zu  Freiburg  i.  Br.  erscheinend).  Endlich  gehört  ganz  be- 
sonders noch  hierher  der  im  Herbst  1897  gegründete  Verein  für  die 
evangelische  Kirchengeschichte  der  Grafschaft  Mark,  der 
seit  zwei  Jahren  das  oben  S.  141  f.  näher  charakterisierte  ybArie^^A  des 
Vereins  filr  die  evangelische  Kirchengeschichte  der  Grafschaft  Mark 
herausgiebt. 

Auf  alle  Fälle  ist  aus  der  stattlichen  Zahl  der  hier  aufgeführten 
Unternehmungen  ersichtlich,  dafs  auf  dem  Gebiete  der  deutschen  Partial- 
Kirchengeschichte  in  beiden  Lagern  ein  recht  sehr  reges  Leben  herrscht, 
das   zwar  an   das  von  den  profangeschichtlichen  Vereinen  entwickelte 

15 


—     210     — 

nicht  heranreicht,  aber,  was  seine  Mittel  wie  seine  Leistungen  betrifft, 
sich  mit  Ehren  sehen  lassen  kann.  Auf  beiden  Seiten  mangelt  es 
allerdings  auch  nicht  an  Dilettantismus,  doch  ist  es  meist  jener  gesunde, 
der,  wie  der  bekannte  württembergische  Kirchenhistoriker  G.  Bossert 
in  seiner  Schrift:  Die  historischen  Vereine  vor  dem  Tribunal  der 
Wissenschaft  (Heilbronn  1883)  so  einleuchtend  dargethan  hat,  ein 
notwendiger  und  fruchtbringender  Faktor  der  Geschichtsforschung  ist. 


Mitteilungen 

Archiye»  —  Das  herzoglich  kurländische  Archiv  in  Mitau.    Von 

H.  Diederichs  (Mitau).  Als  sich  der  Deutsche  Orden  in  Livland  auf- 
löste, nahm  der  letzte  Ordensmeister  Gotthard  Kettler,  der  unter  pol- 
nischer Oberhoheit  säktilarisierter  Herzog  von  Kurland  und  Semgallen  ge- 
worden war,  1562  das  Ordensarchiv  aus  Wenden  (Livland)  mit  sich  nach 
Mitau,  wo  er  seine  Residenz  aufschlug.  An  die  Urkunden  und  Schriftstücke 
aus  der  Ordenszeit  schlössen  sich  dann  die  Aktenstücke  Gotthards  und  seines 
Sohnes  Friedrich  an.  Gustav  Adolf  eroberte  162 1  Schloüs  und  Stadt  Mitau 
und  brachte  das  gesamte  herzogliche  Archiv  nach  Schweden.  Die  Archivalien 
aus  herzoglicher  Zeit  wurden  später  zurückgeliefert,  dagegen  blieb  das  gesamte 
Ordensarchiv  dort  und  befindet  sich  gegenwärtig  im  Reichsarchiv  zu  Stock- 
holm ^).  Im  Jahre  1658  wurde  das  herzogliche  Archiv  abermals  von  den 
Schweden  nach  Riga  abgeführt  und  erst  nach  dem  Frieden  von  Oliva  1660 
zurückgegeben.  Gleich  beim  Beginn  des  nordischen  Krieges  besetzten  die 
Schweden  1701  Mitau  und  fUhrten  die  Bibliothek  und  das  Archiv  des  Herzogs 
nach  Riga,  wo  das  letzte  20  Jahre  geblieben  ist,  bis  es  endlich  von  Peter 
dem  Grofsen  zurückgeliefert  wurde.  Dafs  das  Archiv  durch  diese  häufigen 
WegfUhrungen  manchen  Verlust  erlitten  hat,  kann  man  sich  leicht  vorstellen. 
Nachdem  Kurland  1795  eine  russische  Provinz  geworden  war,  eiÜtt 
das  herzogliche  Archiv  die  schwerste  Schädigung  seines  bisherigen  Bestandes. 
Weil  die  Archivräume  zu  anderen  Zwecken  verwendet  werden  sollten,  wurde 
1797  eine  Kommission  eingesetzt,  die  in  kürzester  Frist  eine  Teilung  des 
Archivs  in  drei  Gruppen  vorzunehmen  beauftragt  war:   alle   auf  die   herzog- 


i)  Hierzu  schreibt  der  Redaktion  Reichsarchivar  Sam.  Clason  in  Stockholm: 
Nicht  das  gesamte  Ordensarchiv  ist  in  Stockholm.  Wohl  liegt  ein  Verzeichnis  (gedruckt 
bei  Schirren,  Verzeichnis  livldndischer  Geschichtsquellen  in  schwedischen  Archiven 
und  Bibliotheken^  Dorpat  1867 — 1868)  der  1621  in  Mitan  genommenen  Aktenkon volnte 
vor  —  1098  Nnmmem  — ,  aber  von  diesen  selbst  ist  nur  noch  ein  kleiner  Teil  vor- 
handen. Unter  den  sonstigen  Archivalien,  die  sich  anf  Estland,  Livland  and  Kurland  be- 
ziehen, befinden  sich  viele,  die  von  dort  an  die  Schwedische  Regierang  gerichtet  sind. 
Aas  der  Ordenszeit  (vor  1561)  liegen  an  Akten  nar  etwa  20  Konvolnte  vor,  die  meisten 
gehören  dem  XVII.  Jahrhandert  an,  aber  allerdings  sind  über  900  Pergamentarkanden 
(1224 — 1567)  vorhanden.  —  Karländische  Archivalien  scheinen  aas  dem  Schwedischen 
Reichsarchive  1686  nach  Kurland  ausgeliefert  worden  zu  sein. 


—    an    — 

liehen  Gäter  und  <fie  Finanzangekgenbcken  skh  benehenden  Schnftstöcke 
Würden  dem  Kamenlhof,  d.  h.  der  VeiwailtQng  der  Dominen  lugewiesen; 
alles,  was  sich  anf  Rechtsangdegcnbeitcn  und  Rechtsstreitigkeiten  bezog, 
wurde  dem  Obcrbo^ericht,  dem  höchsten  Gerichtshofe  des  Landes,  üb^ 
geben;  der  Rest,  und  das  war  allerdings  die  Hauptmasse,  kam  an  die 
Gonremementsregienn^.  Die  Teihmg  wurde  in  gr^ster  Hast  durchgefilhrt, 
<he  Papiere  durcheinander  geworfen,  die  ganze  bisherige  Ordnung  zerstört. 
Das  nm  die  Abtefltmgen  i  und  2  rerminderte  herzogÜche  Archir  wurde  in 
einem  Nebenraum  der  Gouremementsregierung  im  Schlosse  zu  Mitau  untere 
gebracht,  die  Papiere  lagen  hoch  an%eschichtet  auf  der  Diele,  ohne  Aul^ 
sieht  und  ohne  Schutz.  In  diesem  Zustande  befimd  sich  das  Archiv  &st 
60  Jahre,  und  es  läfst  sich  denken,  da&  es  in  dieser  langen  Zeit  durch 
Fahrlässigkeit,  Verschleppung  und  direkte  Beraubung  schwere  Einbufse  erlitten 
hat  Ein  noch  schlinaimeres  Schicksal  hatten  die  dem  Kameralhof  tlber^ 
wiesenen  Archirstficke;  sie  wurden  vor  ungefiihr  30  Jahren  ak  »,alte  unnütze 
Papiere^  meisdnetend  verkauft  Endlich  1857  wurde  das  Archiv  durch  die 
Bemühungen  des  damaligen  Regierungsassessors  Baron  Alfons  v.  Heyking 
sichergestellt  Auf  Kosten  der  kurländischen  Ritterschaft  wurden  grofsc 
verschliefsbare  Schränke  hergestellt  und  in  diesen  die  Papiere  untergebracht 
Baron  v.  Heyking  begann  selbst  auch  eine  Ordnung  der  Aktenstücke  vor^ 
zunehmen  und  führte  sie  für  die  Zeit  des  gröfsten  Herzogs  von  Kurland, 
Jacob  (1642 — 1681)  einigermafsen  durch;  doch  an  der  Fortsetzung  der 
Arbeit  wurde  er  durch  veränderte  Berufsstellung  verhindert  Die  kuriändische 
Gesellschaft  für  Litteratur  und  Kunst  in  Mitau  erhielt  darauf  vom 
Minister  des  Inneren  die  Genehmigung,  ihrerseits  das  Archiv  zu  ordnen  und 
zu  benutzen.  Sie  betraute  mit  der  Ordnung  den  damals  in  Mitau  weilenden 
Dr.  Theodor  Schiemann,  jetzt  Professor  an  der  Universität  Berlin,  der 
1875  ^^  Arbeit  bis  zum  Jahre  1681  ausgeführt  hat  Da  die  Mittel  der 
Gesellschaft  erschöpft  waren,  so  übernahm  die  kuriändische  Ritterschaft  die 
Kosten  für  die  Weiterführung  der  Ordnung,  die  Schiemann  1881  zu  Fjade 
führte.  Selbstverständlich  handelte  es  sich  dabei  nur  um  eine  Sichtung 
der  Archivalien  im  grofsen  und  ganzen,  im  einzelnen  blieb  noch  sehr  viel 
zu  thun  übrig.  Aber  man  hatte  nun  doch  eine  Übersicht,  und  der  von 
Schiemann  angefertigte  Katalog  bot  eine  Handhabe  zur  Benutzung  des  Archivs. 
In  dem  folgenden  Jahrzehnt  ist  es  denn  auch  mehrfach  von  polnischen  und 
schwedischen  wie  von  einheimischen  Historikern  benutzt  worden. 

Über  die  Geschichte  des  Archivs  hat  eingehend  H.  Diederichs  in 
einem  Aufsatz  in  den  Sitzungsherichtm  der  Gesellschaft  für  Liiteraiur  und 
Kunst  1896,  Seite  3 9  ff.  gehandelt  Über  seine  Ordnungsarbeiten  und  den  Be- 
stand des  Archivs  hat  Schiemann  bereits  genaue  Berichte  in  den  Sitzungsberichten 
derselben  Gesellschaft  von  1875  und  1881  abgestattet  und  sie  dann  zusammen- 
gefafst  in  semem  Buche  Historische  Darstellungen  ttnd  archiralische  Studien 
(Mitau  1886)  von  neuem  veröffentlicht  Aus  der  Ordenszeit  enthält  das 
Archiv  nur  vereinzelte  Pergamenturktmden,  sein  eigentlicher  Wert  beginnt  mit 
der  Regierung  Herzog  Gotthards  imd  sebe  gröfste  Bedeutung  hat  es  in  der 
Mt  des  Herzogs  Jacob.  Dieser,  der  eine  Kolonie  auf  Tabago,  einer  der 
kleinen  Antillen,  und  Niederlassungen  in  Westafrika  besafs,  hatte  Gesandte 
an  fi&st  allen  Höfen  Europas  und   stand  mit   den   meisten   grofsen  Mächten 

15* 


—     212     — 

in  Verbindung;  die  Berichte  seiner  Abgesandten  und  Agenten  aus  Paris,  dem 
Haag,  Stockholm,  Warschau,  vom  Regensburger  Reichstag  und  aus  Berlin 
bieten  vielfach  historisch  wertvolle  Nachrichten.  Die  wichtigsten  Beziehungen 
waren  für  die  kurländischen  Herzöge  stets  die  zu  Polen,  Brandenburg  und 
Schweden;  für  die  Geschichte  dieser  Staaten  enthält  daher  auch  das  Archiv 
bedeutendes  Material.  Es  versteht  sich  von  selbst,  dafs  Schriftstücke,  welche 
die  Verwaltung  des  Landes  und  die  inneren  Angelegenheiten  Kurlands  be- 
treffen, ebenfalls  in  grofser  Zahl  vertreten  sind.  Für  die  Geschichte  des 
nordischen  Krieges  enthält  das  Archiv  viel  wichtige  Akten,  indem  das  ge- 
samte Kriegsarchiv  des  Grafen  Adam  Lewenhaupt,  der  bis  1709  der  oberste 
schwedische  Befehlshaber  in  Kurland  war,  sich  hier  vorfindet  Aus  der  ersten 
Regierungsperiode  des  Herzogs  Ernst  Johann  Biron  (von  1737  bis  1740), 
in  der  er  die  Politik  Rufslands  leitete,  finden  sich  z^üreiche  auf  die  euro- 
päischen Verhältnisse  bezügliche  Aktenstücke  vor.  Dagegen  ist  das  Archiv 
sehr  arm  an  diplomatischen  imd  politischen  Schriftstücken  aus  der  letzten 
Zeit  des  Herzogtums  von  1762 — 1795,  da  Herzog  Peter,  als  er  Kurland 
für  immer  verliefs,  alle  die  Staatsangelegenheiten  betreffenden  Papiere  mit  sich 
fortgenommen  hat;  sie  befinden  sich  jetzt  in  Sagan  ^). 

Schon  aus  diesen  kurzen  Andeutungen  und  weit  mehr  noch  aus  Schie« 
manns  ausführlichen  Mitteilungen  am  angeführten  Orte  ist  ersichtlich,  dafs 
das  kurländisch  herzogliche  Archiv,  trotz  aller  Einbufsen,  die  es  im  Laufe 
der  Zeiten  erlitten  hat,  eme  weit  über  die  Geschichte  Kurlands  hinausgehende 
Bedeutimg  besitzt  Die  Benutzung  desselben  war  aber  auch  nach  der  Ordnung 
wesentlich  erschwert  durch  seine  Aufstellung  im  Vorraum  der  Gouvernements- 
regierung,  wodurch  ein  ungestörtes  Arbeiten  unmöglich  wurde,  ziunal  auch 
Tische  und  sonstige  Arbeitshilfsmittel  vollständig  mangelten.  Um  diesen  un- 
würdigen Zustand  zu  beseitigen,  haben  sich  sowohl  die  Gesellschaft  für 
Litteratur  und  Kunst  als  auch  die  Ritterschaft  wiederholt  bemüht,  das 
Archiv,  welches  doch  nur  historisches  Interesse  hat,  ihrer  Obhut  und  Ver* 
waltung  anvertraut  zu  erhalten.  Seit  1888  war  es  ganz  tmzugänglich, 
auch  die  Mitglieder  der  Gesellschaft  für  Litteratur  und  Kunst  hatten  keinen 
Zutritt,  ja  es  tauchte  in  Petersburg  der  Plan  auf,  die  Bestände  dem  Reichs- 
archiv in  Moskau  einzuverleiben,  wodurch  es  für  die  einheimische  Geschichte 
so  gut  wie  unbenutzbar  geworden  wäre.  Da  wurde  1898  auf  allerhöchsten 
Befehl  vom  Minister  des  Inneren  eine  besondere  Kommission  eingesetzt,  be- 
stehend aus  je  einem  Vertreter  der  Ministerien  des  Inneren,  des  Krieges  und 
der  Justiz,  sowie  aus  einem  von  der  kurländischen  Ritterschaft  und  einem 
von  der  Gesellschaft  für  Litteratur  und  Kirnst  gewählten  Mitgliede.  Diese 
Kommission  erhielt  den  Auftrag,  den  Inhalt  und  Wert  des  Archivs  zu  imter- 
suchen  und  darüber  dem  Minister  Bericht  zu  erstatten.  Sie  hat  mehrere 
Sitzungen  abgehalten  und  beschlossen,  sämtliche  Aktenstücke,  um 
weitere  Verluste  zu  verhüten,  abzustempeln,  an  Stelle  des 
auf  seltsame  Weise  verlorengegangenen  Schiemannschen  Kata- 


i)  Auf  eine  Anfrage  bei  Herrn  Pfarrer  Heinrich  in  Sagan,  der  das  Herzogl.  Archiv 
gut  kennt,  geht  der  Redaktion  die  Mitteilung  zu,  dafs  das  allerdings  nicht  fachmännisch 
bearbeitete  Repertorinm  die  bezeichneten  Akten  nicht  kennt.  H.  hat  bei  seinen  Arbeiten 
nie  etwas  von  kurländischen  Archivalien  entdeckt,  and  wenn  wirklich  etwas  da  sein 
sollte,  kann  nach  seiner  Ansicht  die  Masse  jedenfalls  nicht  allzu  grofs  sein. 


—     213     — 

logs  einen  ceces  ia  r;issischer  Spraiche  aiaiuferttgett  und 
durch  den  Dr:ick  la  Tcröffcntlichea,  vor  aiilem  »ber  an  den 
GouTcrnear  das  Ersuchen  xa  richten,  das  Archiv  in  einen 
andern,  für  die  Arbeiten  eceisrneten  Ranm  äheriufuhreiu  FUr 
die  Anscha&mg  des  cödzcn  Inrentars  an  Tbchen  und  Srahlen«  tur  Be« 
leochtnng  nnd  Hi4m«g  Bedienai^  Papier  o.  s^  t.  wurden  roa  der  Regtemo^ 
500  Rnbd  eibeten.  Die  Ordnong  übercahmen  die  gelehiten  Mi^^iÜeder  der 
Kommisaon,  d.  h.  die  Vertreter  der  Ritterschaft  und  der  GeseUschatt  tur 
IJtteialur  and  Knnsc  nnter  ihrer  Leitung  und  Ansicht  solhe  cüe  e)^^^ntHohe 
Arbeit  ron  einem  jungen  Historiker,  Oberlehrer  H.  Lichtenstein»  axts- 
geführt  werden.  Die  erbetene  Samme  ist  von  der  Staatsregterung  bewiUigt 
worden,  das  Archir  ist  in  einen  heflen,  hiftigen  Raum  des  Schloi^ses  über- 
gefühlt,  wo  sich  aDes  zum  Arbeiten  Eiforderhche  vorfindet;  die  Abstempehing 
ist  bei  dem  größeren  Teil  der  ArchivaHen  bereits  ausgeführt  und  durch 
die  eifrige  Thatigkeit  des  Präsidenten  der  Kommission,  des  Herrn  Barons 
A.  T.  Meyendorff,  und  des  Oberlehrers  Lichtenstein  ist  die  Inventarisierung 
der  Archivalien  ebenfiJb  bereits  gröfstenteils  durchgeführt.  Leider  hat  Ober^ 
khrer  Lichtenstein,  der  für  seine  Arbeit  von  der  kuriändischen  Ritterschaft 
honoriert  worden  ist,  infolge  seiner  Berufung  zum  Stadtarchi>'ar  in  l>>rpat 
die  Inventarisienmg  nicht  beenden  können,  an  seine  Stelle  ist  jetzt  Ober- 
lehrer O.  Stavenhagen  getreten.  Somit  steht  zu  hoffen,  dafs  das  hcnv>g- 
Kche  Archiv,  wenn  auch  wie  bisher  Eigentum  der  Regierung,  doch  in  Mitau 
bleiben  und  künftig  von  einem  historisch  geschulten  Archi\*ar«  der  von  der 
kurländischen  Ritterschaft  bezahlt  werden  soll,  verwaltet  werden  wird*  l>ann 
wird  es  auch  der  wissenschaftiichen  Benutzung  allgemein  zugiinglich  sein! 

In  Rosenheim  (Oberbayem)  hat  der  Magistrat  ein  Stadtarchiv  er- 
richtet: auf  Grund  einstimmiger  Berufung  seitens  der  beiden  städtischen 
Kollegien  wurde  der  dortige  Präparandenlehrer  Ludwig  Eid  als  Stadt- 
archivar  diensteidUch  verpflichtet. 

Eommissioiien.  —  Die  seit  1876  bestehende  Historische  Kom- 
mission für  die  Provinz  Sachsen,  wie  sie  bisher  hiefs,  hat  seit  ihrer 
26.  Sitzung  (zu  Weifsenfeis  30.  Juni  und  i.  JuU  1900)  den  Namen  Historische 
Kommission  für  Sachsen-Anhalt  angenommen:  es  ist  somit  auch 
das  Herzogtum  Anhalt  erfreulicherweise  in  die  Zahl  der  Staaten 
bezw.  Provinzen  eingetreten,  welche  für  die  Erschliefsung 
ihrer  Geschichtsquellen  eine  Organisation  besitzen.  Die  Be- 
teiligung Anhalts  an  den  Arbeiten  ist  so  geregelt  worden,  dafs  die  Anhal- 
tische Staatsregierung  jederzeit  em  Zehntel  derjenigen  Summe  zu  den  Kosten 
der  Kommission  beiträgt,  die  der  Landtag  der  Provinz  Sachsen  fllr  dieselbe 
aussetzt,  doch  abzüglich  des  fUr  die  Zwecke  des  Provinzialmuseums  be- 
stimmten Beitrags.  Dafür  treten  ein  Abgeordneter  des  Hcrzgl.  Stantsmiui- 
steriums  (Geh.  Bergrat  Lehmer-Dessau),  der  Herzgl.  Staatsarchivar  (Geh. 
Archivrat  Kindscher-Zerbst)  und  ein  Vertreter  des  Vereins  (\Jr  Anhaltisrhc 
Geschichte  und  Altertumskunde  (Prof.  Wäschke- Dessau)  in  die  Kommission 
ein.  Ihr  Aufwand  belief  sich  im  Jahre  1 899/1 900  auf  37105  Mark.  Die 
wissenschaftlichen  Veröffentlichungen  gliedern  sich  in  vier  Abteilungen :   i .  dC' 


—     214     — 

sdiiditsqueUen  der  Provint  Sachsen  und  angrenzender  Gebiete,  2.  Besehreibende 
Darstellung  der  älteren  Bau-  und  Kunstdenkmäler  der  Provinz  Sachsen  und 
angrenzender  Gebiete  unter  Zugrundelegung  der  Einteilung  der  Provinz  in  land- 
rätliche  Kreise,  3.  VorgeschicJitlidie  Altertümer  der  Provinz  Sachsen  und  an- 
grenzender Gebiete.  4.  Verzeichnis  der  Wüstungen  und  wüsten  Ortschaften  in 
der  Provinz  Sachseti  und  den  angrenzenden  Gebieten,  Aufserdem  erscheint  seit 
1877  jährlich  ein  Heft  der  für  weitere  Kreise  bestimmten  Xeujahrsblätter  *),  und 
aus  besonderer  Veranlasstmg  werden  Gelegenheitsschriften  veröffentlicht  Im 
Jahre  1 899/1 900  wurde  der  dritte  Band  des  Urkundenbuchs  der  Stadt  Goslar 
(1301 — 1335)  im  Drucke  fertig  gestellt,  auch  der  Druck  der  Chronik  des 
Konrad  Stolle  sieht  dem  Ende  entgegen.  Mehr  oder  weniger  gefördert  wurde 
die  Arbeit  an  den  Urkimdenbüchem  des  Klosters  Unser  lieben  Frauen  zu 
Halberstadt,  der  Stadt  Halle,  des  Domkapitek  Naumburg-Zeitz,  des  Hoch- 
stifts Zeitz  und  des  Klosters  Pforte,  sowie  an  dem  Erfurter  vca-ietaium  varv- 
loquus.  Als  neue  Unternehmungen  smd  geplant  die  Kopialbücher  der  Stadt 
Mühlhausen  1382— 1803,  die  politische  Korrespondenz  des  Kardinal-Erzbischofs 
Albrecht  von  Brandenburg,  sowie  Nefie  Beiträge  zum  Briefwechsel  von  Luther, 
Justus  Jonas,  Bugenhagen,  Brenz  und  verwandte  SchriftstUcke ,  welche  letz- 
teren bereits  fast  druckfertig  bearbeitet  von  Nikolaus  Müller  vorliegen.  — 
Von  der  Beschreibung  der  Bau-  imd  Kunstdenkmäler')  ist  der  22.  Band 
(Stadt-  und  Landkreis  Halberstadt)  im  Drucke  £äst  vollendet,  ein  weiterer  Band 
(Kreis  Wittenberg)  ist  im  Manuskript  fertig  gestellt,  während  die  Arbeit  in  den 
Kreisen  Aschersleben,  Zeitz,  Schleusingen,  Ziegenrück  und  Stendal  bereits  rüstig 
fortgeschritten  ist.  —  Mit  grofsem  Eifer  wird  die  Erforschung  der  vorgeschicht- 
lichen Altertümer  verfolgt ;  die  Vorgeschichtliche  Wandtafel  ist  in  einer  Auflage 
von  6000  Exemplaren  hergestellt  worden,  tmd  in  mehreren  Kreisen  sind  Be- 
schreibungen aller  vorgeschichtlichen  Funde  in  Angriff  genommen  worden.  Auch 
Wüstungsverzeichnisse,  Flurkarten ,  Grundkarten  ')  und  geschichtliche  Karten 
werden  hergestellt:  für  letztere  hat  die  Kommission  bereits  im  August  1898  eine 
Liste  der  Zeichen  aufgestellt,  die  fUr  bestimmte  oft  wiederkehrende  Eintragungen 
zu  verwenden  sind  (Vgl.  dazu  Bd.  I  dieser  Zeitschrift,  S.  125 — 130).  — 
Auf  Antrag  des  Archivdirektors  Ausfeld  (Magdeburg)  wird  beschlossen,  die 
kleinen  Archive  in  Sachsen-Anhalt  inventarisieren  zu  lassen  und  zu  diesem 
Zwecke  jährlich  1500  Mark  in  den  Haushalt  einzustellen. 

Personalien.  —  Der  a.  o.  Professor  der  Geschichte  an  der  Technischen 
Hochschule  zu  München  Richard  Graf  du  Moulin-Eckart  wurde  zum 
Ordinarius  befördert  Gymnasialrektor  Gottlob  Egelhaaf  in  Stuttgart  er- 
hielt  einen  Lehrauftrag  für  Geschichte   imd  Kulturgeschichte   an   der  Tech« 


i)  Als  24.  Heft  erschien  Hermann  Lorenz:  Alt •  Quedlinburg ^  seine  Einrick* 
tungen  und  Bürgersiiten  während  der  kursächsischen  Schuixherrschaft  (1477 — t6g7j, 
geschildert  nach  seinen  Paurgedingen  und  Rathsrechnungen  (Halle  1900.  71  S.  8*. 
M  i).  —  Derselben  löblichen  Gewohnheit  huldigt  „Die  Badische  Historisdie  Kom- 
mission <*:  1891  bis  1897  erschienen  sieben  Hefte  der  Badischen  Neujahrsblätter  ^  seit 
1898  aber  —  1901  ist  das  vierte  Heft  —  Neujahrsblätter  der  Badischen  Historischen 
Kommission,     Neue  Folge  (Heidelberg,  Winter). 

2)  Vgl.  den  ersten  Band  dieser  Zeitschrift,  S.  276. 

3)  Vgl.  L  Band,  S  33flL 


—     215     — 

nischen  Hochschule  daselbst.  Der  Ordinarius  für  alte  Geschichte  in  Erlangen 
Robert  Pöhlmann  wurde  in  gleicher  Eigenschaft  nach  München  berufen, 
sein  Nachfolger  in  Erlangen  wurde  der  bisherige  a.  o  Professor  in  Czemowitz 
Walther  Judeich.  Der  Direktor  des  österreichischen  historischen  Instituts 
in  Rom«  Sektionschef  Th.  t.  Sickel,  1857  — 1890  Prof.  an  der  Universität 
Wien,  trat  74  Jahre  alt  in  den  Ruhestand.  Zu  seinem  Nachfolger  wurde 
Ludwig  Pastor,  Prof.  der  allgemeinen  Geschichte  in  Innsbruck,  ernannt. 
Der  bisherige  Privatdozent  in  Berlin  Martin  Spahn  wurde  als  a.  o.  Professor 
für  neuere  deutsche  Geschichte  nach  Bonn  berufen,  Samuel  Steinherz, 
bisher  Privatdozent  in  Wien,  als  a.  o.  Professor  für  geschichtliche  Hilfswissen- 
schaften an  die  deutsche  Universität  Prag.  —  Der  bisherige  Privatdozent  an 
der  Universität  Leipzig  Walter  Götz  trat  in  gleicher  Eigenschaft  in  den 
Lehrkörper  der  Universität  München  em.  Ebendort  habilitierte  sich  Paul 
Darmstädter,  desgleichen  in  Königsberg  der  dortige  Stadtbibliothekar 
August  Seraphim.  In  den  Ruhestand  traten  in  Tübingen  der  Rechts- 
historiker Friedrich  v.  Thudichum,  69  Jahre  alt,  und  in  Bonn  der 
Kunsthistoriker  Karl  Justi,  68  Jahre  alt 

Es  starben  am  25.  November  1900  der  Oberbibliothekar  Wilhelm 
Müldener  in  Greifswald,  70  Jahre  adt;  in  Reval  am  9.  Dezember  1900 
der  um  die  Lokalforschung  daselbst  verdiente  Staatsrat  Eugen  v.  Nott- 
beck,  58  Jahre  alt;  am  11.  Dezember  1900  zu  Bern  der  dortige  Universitäts- 
bibliothekar Emil  Kurz;  am  20.  Dezember  1900  der  Oberbibliothekar  an 
der  Leipziger  Universitätsbibliothek  JosephFörstemann,  der  Herausgeber 
des  Urkimdenbuchs  der  Stadt  Leipzig,  Bd.  III,  60  Jahre  alt;  am  ?  Januar 
in  Frankfurt  a.  M.  der  frühere  Haus-  und  Staatsarchivar  zu  Darmstadt  Arthur 
Wyfs,  48  Jahre  alt;  am  10.  Februar  in  Meran  der  um  die  ethnographische 
Erforschung  Schleswig-Holsteins  verdiente  erste  Kustos  am  Museum  vater- 
ländischer Altertümer  mKielWilhelm  Splieth,  37  Jahre  alt;  am  23.  Februar 
in  Tübingen  Prof.  Lothar  v.  Heinemann,  42  Jahre  alt;  am  i.  März  in 
Heidelberg  Prof.  Bernhard  Erdmannsdörffer,  67  Jahre  alt;  am  6.  März 
in  Leipzig  Prof.  Karl  Biedermann,  88  Jahre  alt. 

Der  Direktor  des  Kgl.  Staatsarchivs  zu  Breslau  Colmar  Grünhagen 
trat  72  Jahre  alt  in  den  Ruhestand.  An  seine  Stelle  trat  Meinardus, 
bisher  in  Danzig.  Jean  Lulv^s,  bisher  Mitglied  des  Preufsischen  Histo- 
rischen Instituts  in  Rom,  wurde  als  Archivar  an  das  Staatsarchiv  Han- 
nover versetzt;  der  bisherige  Assistent  daselbst  Erich  Fink  an  das  Staats- 
archiv Düsseldorf.  —  An  Stelle  des  am  16.  August  1900  verstorbenen 
Kgl.  Bayer.  Kreisarchivars  M  a  y  e  r  h  o  fe  r  in  Speier  wurde  der  bisherige  Sekretär 
am  Kreisarchiv  daselbst  FranzGlasschröder  zum  Kreisarchivar  ernannt. 
Auch  als  Redakteur  der  Mitteilungen  des  Historischen  Vereins  der  Pfalz  ist 
der  neue  Kreisarchivar  seinem  Amtsvorgänger  gefolgt,  unter  dessen  Leitung 
Band  XV — XXIV  dieser  Zeitschrift  erschienen  sind.  —  Der  Direktor  des 
Kgl.  Württembergischen  Haus-  tmd  Staatsarchivs  in  Stuttgart  Staatsrat  August 
v.  Schlofs berger  wurde  unter  Ernennung  zimi  Ehrenmitglied  der  Kgl. 
Archivdirektion  in  den  bleibenden  Ruhestand  versetzt.  An  seiner  Stelle  wurde 
Geh.  Archivrat  v.  Stalin  zum  Direktor  ernannt.  Die  dadurch  frei  werdende 
Stelle  eines  Archivrates  erhielt  Archivassessor  tit  Archivrat  EugenSchneider, 
während  Archivrat  Ottov.  Alberti  zimi  Geh.  Archivrat  befördert  wurde.  — 


—     216     — 

In  Österreich  wurden  die  Archivare  Karl  SchornbÖck  und  Sebastian 
Böttner  zu  Archivdirektoren  zweiter  Klasse  extra  statiun,  der  Offizial  im 
Ministerium  des  Innern  Franz  Müller  zum  Archivar  ernannt  —  In  Reval 
wurde  am  i .  März  1 900  Otto  Greif fenhagen  ziun  Stadtarchivar  bestellt,  in 
Dorpat  Hugo  Lichtenstein.  Die  Stadt  Erfurt  übertrug  das  Amt  des  Stadt- 
archivars dem  bisher  am  Staatsarchiv  in  Münster  thätigen  Dr.  Overmann. 

Zum  Direktor  der  Herzogl.  Bibliothek  zu  Dessau  wurde  Professor  Arthur 
Kleinschmidt,  bisher  in  Heidelberg,  ernannt  Theodor  Laengin, 
Hilfsarbeiter  an  der  Universitätsbibliothek  in  Freiburg  i.  B.,  wurde  ab  Universitäts- 
bibliothekar  nach  Bern  berufen.  In  Graz  trat  Prof.  Hans  v.  Zwiedineck- 
Südenhorst  ab  Landesbibliothekar  in  den  Ruhestand,  zu  seinem  Nach- 
folger wurde  der  bisherige  Skriptor  Wilhelm  Fischer  bestellt  Zum 
Oberbibliothekar  an  der  Universitäts-  und  Landesbibliothek  in  Strafsburg  wurde 
der  bisherige  Bibliothekar  Prof.  Oskar  Meyer  ernannt 

Zu  Konservatoren  der  Centralkommission  zur  Erforschung 
und  Erhaltung  der  Kunst-  und  historischen  Denkmale  in  Wien 
wurden  ernannt  der  Architekt  und  Prof.  an  der  Akademie  der  bildenden  Künste 
in  Wien  Victor  Luntz,  der  Landesarchivar  in  Linz  Ferdinand  Kracko- 
wizer  und  der  Oberst  a.  D.  Victor  Freiherr  v.  Handel-Mazzetti. 

Elngregangene  Bfieher. 

Albert,  Peter  P. :  Baden  zwischen  Neckar  und  Main  in  den  Jahren  1803 — 6- 
Heidelberg,  Carl  Winter,  1901.  91  S.  8<>  [=  Neujahrsblätter  der 
Badischen  Historischen  Kommission.     Neue  Folge  4.      1901]. 

Buttmann,  Rudolf:  David  Königs  Beschreibung  der  Konstitution  des 
Herzogtums  Zweibrücken  (1677)  mit  amtlichen  Ergänzungen  aus  dem 
Jahre  1693  und  Otto  Heinrich  Webek  Bericht  an  die  kgl.  schwedische 
Regierung  über  die  Verhältnisse  des  Fürstentums  Zweibrücken  1704. 
Zweibrücken,  August  Kranzbühler,  1900.  96  S.  8<>  [=  Mitteilungen  des 
Historischen  Vereins  der  Mediomatriker  fiir  die  Westpfsdz  in  Zweibrücken  I]. 

Dietz,  Alexander:  Die  Handelsbeziehungen  zwischen  Lothringen  und 
Frankfurt  a.  M.  [=  Sonderabdruck  aus  der  Frankfurter  Zeitimg  vom 
7.  Januar  1901]. 

Erben,  Wilhelm:  Zur  Deutung  der  Klingeninschrift  Fringia  [=  Sonder- 
abdruck aus  der  Zeitschrift  für  historische  Waffenkunde.    Band  I,  Heft  5]. 

Erben,  Wilhelm:  Ursprung  und  Entwicklung  der  deutschen  Kriegsartikel 
[=  Sonderabdruck  aus  den  Mitteilungen  des  Instituts  für  österreichische 
Geschichtsforschung,  Ergänzungsband  VI].     57  S.  8<>. 

Er  misch,  Hubert:  Die  Wettiner  und  die  Landesgeschichte.  Festrede  zur 
7  5  jährigen  Stiftungsfeier  des  Königlich  Sächsischen  Altertumsvereins,  ge- 
halten auf  der  Albrechtsburg  zu  Meifsen  am  26.  September  1900.  Leipzig, 
B.  G.  Teubner,   1900.     33  S.  8^     M.  0,80. 

Eschbach,  P. :  Die  Universität  Duisburg  unter  französischer  Verwaltung 
[=  Sonderabdruck  aus  dem  Jahrbuch  des  Düsseldorfer  Geschichtsvercins, 
15.  Band,   1900]. 

G  e  f  f  c  k  e  n ,  Heinrich :  Zur  Geschichte  des  Deutschen  Wasserrechts  [=  Sonder- 
abdruck aus  der  Zeitschrift  der  Savigny-Stiftung  für  Rechtsgeschichte, 
Germanist  Abt   1900,  S.   173 — 217]. 

Hermusgeher  Dr.  Armin  Tille  in  Leipzig.  —  Druck  und  Verlag  von  Friedrich  Andreas  Perthes  in  Goduu 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsschrift 


rar 


Förderung  der  landesgescMchtlicben  Forschung 

II.  Band  Juni  1901  9.  Heft 


Der  W^i'degang   des  historischen  Atlasses 
der  östeffeiehisehen  Alpenländer 

Von 
Anton  Kapper  (Graz) 

Wo  das  Interesse  an  den  Problemen  der  historischen  Geographie 
rege  ist,  mufe  der  Aufsatz  von  Anton  Meli:  Der  camitatus  Liupoldt 
^nd  dessen  Auftheüung  in  die  Landgerichte  des  i^,  Jahrhunderts. 
Text-  und  Kartenprobe  zum  historischen  Atlas  der  österreichischen 
Alpenländer  (Mitteilungen  des  Instituts  für  österreichische  Geschichts- 
forschung XXI.  Bd.,  S.  385 — 444.  Auch  S.  A.)  Beachtung  finden  und 
■die  Beurteilung  der  Fachgenossen  herausfordern.  Bevor  wu*  in  die 
Besprechung  des  Aufsatzes  selbst  eingehen,  sei  kurz  der  Werdegang 
-des  historischen  Atlasses  skizziert. 

Bereits  Josef  Chmel  erkannte  die  Notwendigkeit,  die  Thatsachen 
des  geschichtlichen  Lebens  durch  Karten  zu  fixieren,  sie  gewisser- 
malsen  zu  illustrieren,  um  dadurch  das  Verständnis  des  Gelesenen  zu  er- 
leichtem und  eine  rasche  Orientierung  zu  ermöglichen.  Seit  Gründung 
-der  kaiserlichen  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien  (1847)  hatte  er 
auch  Gelegenheit,  seine  Lieblingsidee,  die  Schaffung  eines  historischen 
Atlasses,  zu  vertreten.  Er  hoffte  durch  dieses  Institut  das  schwierige 
Werk  ausgeführt  zu  sehen,  das  die  Kräfte  eines  Einzelnen  bei  weitem 
überstieg  und  auch  heute  noch  übersteigt  trotz  des  grofsen  Fort- 
schrittes, den  die  Quellenforschung  indessen  gemacht  hat.  Gelegent- 
lich eines  Vortrages*)  (24.  Nov.  1847)  über  die  Angaben,  die  sich 
-die  Akademie  zu  stellen  habe,  warf  er  zuerst  das  Problem  des  histo- 
rischen Atlasses  auf.  Er  machte  auf  den  auffallenden  Mangel  an  guten 
Karten,  die  ein  vorzügliches  Hilfsmittel  für  das  Verständnis  der  Ge- 
schichte seien,  aufmerksam,  und  wünschte  zunächst  einen  historischen 
Atlas  für  das  Mittelalter.    „Für  die  Vergangenheit  ist  ein  histo- 


l)  Sitznngsberichte  der  Kais.  Akademie  der  Wissenschaften,    1848,  I.  Heft,  S.  ö2. 

16 


—     218     — 

rischer  Atlas,  der  die  allmähliche  Kolonisierung,  die  Besitzverän- 
derungen,  die  verschiedenen  Arten  des  Besitzes,  die  Grenze 
der  Gerichtsbarkeiten  nachweist,  besonders  erwünscht  Eine  der 
schwierigsten,  mühsamsten  und  zeitraubendsten  Arbeiten,  —  wozu  das 
genaueste  Studium  aller  Dokumente,  Urbare  u.  s.  w.  nötig  ist."  Mit 
dem  Atlas  müsse  natürlich  auch  ein  genügender  Text  verbunden 
sein,  der  das  Graphische  rechtfertigt.  Die  Akademie  möge  die  An- 
fertigung solcher  historischer  Karten  (nach  Provinzen)  veranlassen,  und 
zu  diesem  Zwecke  Terrainkarten  herstellen  lassen,  in  denen  die 
nachweisbaren  Bezeichnungen,  Grenzen,  Orte  u.  s.  w.  eingeschrieben 
werden  sollen. 

Die  Akademie  ging  auf  seinen  Vorschlag  ein  und  liefe  durch  das 
militärgeographische  Institut  Karten  herstellen,  wovon  er  Palacky  in 
einem  Briefe  von  1850  *)  freudig  MitteUung  machte.  Gleichzeitig  ent- 
wickelte er  ihm  auch  sein  Programm,  wie  er  sich  eigentlich  den 
historischen  Atlas  denkt.  Die  Terrainkarten  sollen  in  sechs  Blättern 
im  Malsstabe  der  Generalkarte  des  General-Quartiermeisterstabes  aus- 
geführt werden  und  das  Gebiet  Regensburg — Prefeburg  und  Budweis — 
Venedig  umfassen.  Dadurch  deckt  sich  das  Programm  Chmels  um- 
fänglich fast  vollständig  mit  dem  des  historischen  Atlasses  der  öster- 
reichischen Alpenländer,  nur  mit  Ausschlufs  von  Westtirol.  Die  Karten 
sollen  mit  einer  zweckmäfsigen  Instruktion  an  Geschichtsforscher  und 
Kenner  der  Geographie  und  Topographie  des  Mittelalters  behu£s  Ein- 
tragung hinausgegeben  werden,  diese  ihre  Eintragungen  nach  den 
von  ihm  vorgeschlagenen  Zeiträumen  machen,  und  zwar  für  I.  die 
Zeit  Karls  d.  Gr.  c.  800,  II.  die  Zeit  nach  dem  Beginne  der  Baben- 
berger  c.  1000,  III.  die  Zeit  der  Erhebung  der  Markgrafschaft  zum 
Herzogtume  11 56,  IV.  die  Zeit  des  Erlöschens  der  Babenberger  1246 
und  V.  die  Zeit  des  Königs  Ottokar  II.  1278.  Dadurch  soll  nach  und 
nach  aus  fünf  verschiedenen  Zeittäumen  ein  Bild  der  politischen  und 
kirchlichen  Gestaltung  der  auf  diesem  Terrain  liegenden  Länder  geliefert 
und  in  einem  eigenen  Textblatte  die  Nach  Weisung  und  B^ründung 
der  Eintragungen  gemacht  werden. 

Wir  sehen  da  also  einen  Vorläufer  der  Thudichumschen 
Grundkarten'),  aber  auf  der  für  Osterreich  allein  zweckmäßigen 
Basis:   keine  Rücksichtnahme    auf   die   Gemeindegrenzen,, 


1)  Desgl.  Jhrg.  1850,  L  Abth.,  S.  55—64. 

2)  Über  dieselben  vgl.  Band  I  dieser  Zeitschrift  S.  33—41  aod  S.  113 — 131,  S.  13s 
(Pommern)  S.  301 — 203  sowie  Band  11,  S.  58. 


—     219     — 

während  andrerseits  die  Aufgabe  so  bezeichnet  ist,  wie  sie  der  Ge-- 
schichtliche  Ailas  der  Rheinprovinz  für  dieses  Gebiet  zum  Teil  bereits 
verwirklicht  hat. 

Chmels  Bestrebungen  fielen  aber  auf  wenig  fruchtbaren  Boden, 
auch  bei  den  interessierten  Kreisen  scheint  er  kein  rechtes  Verständnis 
für  die  historische  Topographie  gefunden  zu  haben,  und  er  läfst  sich 
über  die  allgemeine  Teilnahmslosigkeit  seinem  Probleme  gegenüber 
185 1  ')  recht  bitter  aus.  „Unter  allen  akademischen  Unternehmungen 
hat  bisher  noch  am  wenigsten  Teilnahme  und  Unterstützung  der  von 
der  historischen  Kommission  beantragte  Historische  Atlas  für  Alt' 
Österreich  gefunden.  Das  darf  nicht  befremden.  Der  kritischen  und 
gewissenhaften  Geschichtsforscher  sind  überhaupt  nicht  viele  in  unserem 
Vaterlande,  und  dann  gehören  topographische  und  geographische  Studien 
des  Mittelalters  zu  jenen  Partien,  welche  ganz  besondere  Mühe  und 
Sorgfalt  erfordern  und  noch  dazu  Kenntnis  des  Terrains  und  der 
Lokalitäten.**  Da  Chmel  das  Problem  angeregt  hatte,  so  fühlte  er 
dafür  auch  eine  gewisse  Verantwortung  und  ist  nicht  wenig  beunruhigt 
über  den  Mangel  der  Teilnahme  und  Berücksichtigung  seitens  der 
Fachgenossen ').  Ein  so  weit  ausschauendes  Unternehmen  sei  bedingt 
durch  die  regste  Teilnahme  vieler  und  tüchtiger  Geschichts- 
forscher. Deren  Mangel  sowie  die  moralische  Verpflichtung,  die 
von  ihm  ausg^angene  Idee  nicht  fallen  zu  lassen,  zwangen  ihn  wenigstens 
den  grölsem  Teil  der  dazu  nötigen  Vorarbeiten  selbst  zu  übernehmen. 
Er  hatte  deshalb  im  Notizenblatte  185 1  (Beilage  zum  Archiv  für  Kunde 
österreichischer  Geschichtsquellen)  eine  eigene  Abteilung :  Historischer 
Atlas  für  Alt' Österreich,  seit  1853  Historischer  Atkts  und  Statistik 
des  Mittelalters  eröffnet,  woran  sich  aulser  ihm  nur  wenige  Mitarbeiter, 
wie  Meiller,  Stülz,  Bielsky,  Zahn  und  Wirmsberger  be- 
teiligten, denn  der  grölste  Teil  der  Abhandlungen  während  des  ganzen 
Bestandes  des  Notizenblattes  (es  hörte  ein  Jahr  nach  Chmels  Tode  1858 
zu  erscheinen  auf  und  sein  Inhalt  erschien  in  dem  von  2  auf  3  Bände 
erweiterten  Archiv)  ist  aus  seiner  Feder  geflossen. 

Schon  1854  scheint  Chmel  sein  Thema  zu  den  verlorenen  gezählt 
zu  haben,  denn  er  sagt  in  einem  Aufsatze  über  die  Pflege  der  Ge- 
schichte und  Statistik  in  Osterreich  seit  dem  Jahre  1848  %  was  geleistet 
werden  könnte  und  sollte,  dafs  die  Pflege  der  Geographie,  Ethno- 


i)  Noüzenblatt  I,  268  f. 

2)  Sitznngsb.  10,  S.  207. 

3)  Desgl  13,  S.  4. 

16* 


—     220     — 

graphie,  Topographie  und  Statistik  eine  einer  Akademie  würdige 
Aufgabe  sei,  die  auch  die  Initiative  ergreifen  soll,  alle  im  Staate  lebenden 
Gelehrten  für  ein  solches  Unternehmen  zu  gewinnen.  Dazu  mü(sten 
allerdings  grolsartige  Mittel  gefunden  werden,  da  insbesondere  viel- 
faltige Reisen  und  Untersuchungen  an  Ort  und  Stelle  notwendig  seien. 

Von  da  ab  trat  der  historische  Atlas  mehr  in  den  Hintergrund, 
obwohl  speziell  in  Steiermark  bis  zum  Auftreten  E.  Richters,  der 
1885  das  Problem  in  seinen  Unterstuhungen  zur  historischen  Geo- 
graphie des  ehemaligen  Hochstiftes  Sakburg  und  seiner  Nachbar- 
gebiete  (Mit  einer  Karte)  *)  wiederum  aufgriff,  an  wertvollen  Vorarbeiten 
im  steten,  wenn  auch  gewisserma&en  unbewufsten  Hinblicke  auf  dieses 
Thema  nicht  Unwesentliches  geleistet  wurde  '). 

E.  Richter,  damals  Professor  am  k.  k.  Staatsgymnasium  in 
Salzburg,  war  in  achtjähriger  Beschäftigung  mit  der  Sache  zur  Ansicht 
gekommen,  dafs  nicht  durch  die  Ansammlung  einer  grofsen  Menge 
topographischer  Details  die  Probleme  der  historischen  Geographie  ge- 
löst werden  könnten,  sondern  nur  durch  die  Aufsuchung  der  admini- 
strativen und  gerichtlichen  Abgrenzung.  Dadurch  war 
Chmels  Standpunkt  bereits  überholt  und  Richters  Problem  ist  an  Um- 
fang und  Methode  ein  anderes.  Der  Grundsatz,  den  er  in  spezieller 
Anwendung   auf  die   Salzburger  Verhältnisse,    die   dort   infolge    der 


1)  I.  Ergb.  d.  Mitt.  d.  lostitats  f.  österr.  Gesch.     S.  590—738. 

2)  Anfser  den  älteren  Werken  Ton  C.  Schmutz:  Histor^-Topograph,  Lexikon  von 
Steiermark,  4  Bde.,  1821 — 1823  und  G.  Göth:  Das  Herzogtum  Stetermark  geogrmph.- 
itatist.-topogr.  dargestellt  n.  s.  w.,  3  Bde.,  1840 — 1843,  (nur  fUr  das  Oberland.  Für 
Untersteiermark  als  Mskr.  im  steiermärkischen  Landesarchire)  seien  hier  erwähnt:  t.  Feli- 
cettis  Topographische  Studien  II:  Steiermark  im  Zeiträume  vom  VIII.  bis  XILJhrh, 
a.  s.  w.  Mit  Karten.  (Beitr.  z.  K.  steierm.  Gesch.  9.  n.  10.  Heft,  Jhrg.  1872  n.  1873); 
die  Ton  der  k.  Akad.  d.  W.  heransg^ebenen  Österreich.  Weistttmer  (die  steir.  kämt, 
Taidinge  t.  Bischoff-Schönbach,  1881);  t.  Zahn:  Steiermark,  Urkundenbuch, 
2  Bde.,  1875 — 1879.  Der  3.  im  Erscheinen  begriffen;  Derselbe:  Ortsnamenbuch  der 
Steiermark  im  Mittelalter  (1893)  ^^^  dessen  verschiedene  histor.-topograph.  AoMtze; 
A.  Meli:  Die  mitUlalterlichen  Urbare  n.  s.  w.  Beitr.  etc.  25.  Heft,  Jhrg.  1893;  Der- 
selbe: Das  Landgericht  Limburg,  Archiv.  Mitt,  d.  k.  k.  Central-Komm.  f.  K.  n.  h. 
Denkm.,  IIL  Bd.  (1894)  sowie  dessen  zerstreute  wirtschaftsgeschichtliche  Studien; 
J.  A.  Janisch:  Topogr, ^Statist.  Lexikon  v,  Steiermark,  3  Bde.,  1878;  Bidermann: 
Die  Grenze  rwischen  Ungarn  und  Steiermark.  (Beitr.  z.  K.  steierm.  Gesch.,  li.  Heft, 
Jhrg.  1874);  Le  Maire:  Das  Landgericht  der  Herrschaft  Burgau.  Mitt.  d.  histor.  V. 
f.  Steierm.,  14.  Heft,  Jhrg.  1865.  Die  weiteren  Litteraturangaben  für  Steiermark 
siehe  bei  A.  Schlossar:  Die  Litteratur  der  Steiermark,  wo  S.  41—46  die  bis  l886 
erschienenen  Druckwerke  und  Karten  zusammengestellt  sind.  Ober  die  Kartenwerke  spezidl 
vgl.  „Grazer  Tagespost''  1879  «d  Nr.  165. 


—     221     — 

bairischcn  Nachbarschaft  etwas  glücklicher  liegen  als  z.  B.  in  Steier- 
mark, aussprach,  dais  mit  der  Landgerichtskarte  vor  1849  be- 
gonnen und  der  Atlas  rückläufig  gemacht  werden  müsse,  ist  für 
die  gesamten  österreichischen  Alpenländer  gültig. 

Es  war  H.  v.  Jireöeks  Schrift:  Unser  Reich  vor  2000  Jahren. 
Eine  Studie  zum  historischen  Atlas  der  Österreich -ungarischen 
Monarchie,  worin  der  Verfasser  1893  iur  die  Schafiimg  eines  histo- 
rischen Schulatlasses  bis  zum  X.  Jahrhundert  für  die  ganze  Monarchie 
eintrat,  die  Richter  Veranlassung  gab,  das  Problem  des  geschichtlichen 
Atlasses  neuerdings  au&uwerfen  und  dasselbe  näher  zu  umschreiben  in 
seinem  Aufsatze:  Über  einen  historischen  Atlas  der  österreichischen 
Alpenländer  ^).  Da  aber  diese  Gelegenheitsschrift  nicht  allgemein  zu- 
gänglich war,  brachte  er  die  Sache  1896  nochmals  vor  als  Vortrag  auf 
der  vierten  Versammlung  deutscher  Historiker  zu  Innsbruck,  der  dann 
im  Wesentlichen  gedruckt  erschien  unter  dem  Titel:  Nochmals  der 
geschichtliche  Atlas  der  österreichischen  Alpenländer*).  Der  Ge- 
dankengang in  den  zwei  Schriften  ist  kurz  folgender. 

Nicht  die  in  den  Quellen  vorkommenden  Ortsnamen  seien  das 
Wesentliche,  das  die  Karte  bieten  soll,  sondern  die  Darstellung 
der  Flächenverteilung,  der  politischen  wie  der  administra- 
tivenAbgrenzungen.  Diese  sind  für  unsere  Tjcü  leicht  darzustellen, 
nicht  aber  für  den  mittelalterlichen  Lehensstaat,  in  dem  die  Summe 
der  persönlichen  Einzelberechtigungen  und  nicht  der  Besitz  eines  Reichs- 
amtes das  thatsächliche  Machtverhältnis  ergiebt,  in  dem  die  zahlreichen 
Reichs-  und  Kirchengüter  und  der  Lehensbesitz  der  grolsen  Adels- 
geschlechter mit  ihren  Rechten  den  Begriff  eines  geschlossenen 
herzoglichen  Territoriums  aufheben.  Es  können  aber  doch 
diese  Besitzverhältnisse  kartographisch  festgestellt  werden,  wenn  man 
die  Abgrenzungen  der  Herrschaften  und  Gerichte  von  jener  Zeit  an, 
wo  wir  ausführliche  Nachrichten  über  sie  haben,  zurückverfolgen.  D  a 
die  Landgerichtsgrenzen  durch  Jahrhundertc  hindurch 
sich  nicht  änderten,  die  alten  Grafschaften  also  aus  mehreren 
Landgerichten  bestehen,  so  muis  man  die  mittelalterlichen  Zustände, 
bezw.  ihre  Reste,  in  ihrem  End Stadium  fixieren,  und  sodann  rück- 
läufig  den  historischen  Atlas   arbeiten.     Zunächst  seien  die 


i)  lo  der  FesUchrift  anläftlich  des  60.  GeborUUges  Fr.  t.  Kroaes,  1895. 

2)  V.  Ergb.  d.  Mitt  d.  Inst.  f.  österr.  Gesch.    S.  62—75.    Vgl.  auch  seinen  AnfssU  Neue 
Erörterungen  Mum  historischen  Atlas  der  österreichischen  Alpenländcr  im  VL  Ergb.  d 
Inst.  f.  österr.  Gesch.  (Sickd-Festschri(t)  und  den  Bericht  Ober  Fortgang  der  Arbeit  im 
L  Bd.  dieser  Zeitschrift,  S.  28. 


—     222     — 

Landgerichtsgrenzen  zu  ermitteln,  wie  sie  vor  der  Neuordnung  Öster- 
reichs bestanden,  die  mit  dem  Jahre  1849  begann.  Die  Land- 
gerichtskarte für  das  Jahr  1848  müsse  das  ersteBIatt  des 
historischen  Atlasses  sein. 

Durch  den  Vortrag  auf  dem  Innsbrucker  Historikertage  waren 
auch  die  Fachgenossen  aus  dem  Reiche  mit  dem  Atlas-Problem  in 
der  Anwendbarkeit  auf  österreichische  Verhältnisse  bekannt  gemacht 
worden,  und  es  entspann  sich  eine  anregende  Debatte  über  diesen 
Gegenstand.  Die  Erörterung  beschäftigte  sich  namentlich  mit  den  in 
Anwendung  zu  bringenden  Mafsstäben,  wobei  v.  Thudichum  die 
Gleichheit  des  Mafsstabes  womöglich  für  ganz  Westeuropa  (i :  500000) 
forderte,  während  Gothein  und  Richter  den  örtlichen  Verhältnissen 
entsprechende  abweichende  Malsstäbe  befürworteten  *).  Für  Österreich 
empfiehlt  sich  nach  übereinstimmender  Ansicht  der  Fachleute  die  An- 
nahme der  Gemeindegrenzen  als  Grundlage  nicht,  die  Landgerichts- 
grenzen sind  hier  das  wichtige,  auf  ihre  Feststellung  kommt  es  an,  und 
wo  sie  mit  den  Gemeindegrenzen  zusammenfallen,  geschieht  dies  mehr 
zufallig.  Was  in  Deutschland  die  Grundkarten  leisten  sollen,  diese  Auf- 
gaben erfüllt  bereits  in  Steiermark  die  Übersichtskarte  der  Steuer- 
bezirke  und  Katastralgetneinden  von  1826,  neu  aufgelegt  und  er- 
weitert 1892,  im  Mafsstabe  i  :  115  200,  die  aber  als  Arbeitskarte  fiir 
Zwecke  des  historischen  Atlasses  nicht  verwendbar  ist. 

Seitdem  der  Geschichtliche  AtUis  der  Rheinprovinz  zu  erscheinen 
begonnen  hat  *),  ist  die  historische  Topographie  immer  mehr  und  mehr 
als  geschichtliche  Hilfswissenschaft  anerkannt  worden ;  auch  für  Öster- 
reich war  damit  der  rechte  Augenblick  zur  Erneuerung  der  Arbeit 
gekommen.  Es  ist  das  Verdienst  Richters,  den  richtigen  Moment 
erkannt  zu  haben,  der  für  das  Zustandekommen  des  Atlasses  am 
günstigsten  war.  Seinen  Bemühimgen  gelang  es,  die  mafsgebenden 
Persönlichkeiten  der  k.  Akademie  der  Wissenschaften  von  der 
Ausführbarkeit  des  Problems  zu  überzeugen  und  deren  Bedenken  zu 


i)  Bericht  über  die  vierte  Versammlang  deutscher  Historiker.  Leipzig,  Dancker  & 
Hnmblot,  S.  29 — 31. 

2)  Es  ist  die  Xu.  Publikation  der  Gesellschaft  für  Rheinische  Geschichtskunde,  und 
es  liegen  bisher  vor  (Bonn,  Behrendt  1894—1898):  z.  Rheinprovinz  unter  französ.  Herr- 
Schaft  18 13,  I  :  500000.  2.  Politische  und  administrative  Einteilung  v.  1789,  7  Blätter, 
I  :  160000  und  Übersicht  i  :  500000.  3.  Übersicht  der  Kreiseinteilung  1789,  i  :  50000a 
4.  Preufsische  Verwaltung  i8i8,  i  1500000.  5.  Erläuterungen  zum  Geschichtlichen  Atlas 
d.  Rheinprov.  (Textbände).  L  Die  Karten  von  1813  und  18 18  von  Konstantin  Schulteis. 
"    ""'^  Karte  von  1789  von  W.  Fabricius. 


/ 


—     223     — 

zerstreuen:  so  hatte  denn  Richter  erreicht,  was  Chmel,  den  wir  wohl 
mit  Recht  den  Vater  des  historischen  Atlasses  nennen  können,  verg-ebens 
erstrebte.  Sein  sehnlicher  Wunsch,  die  k.  Akademie  mög^e  sich  der 
grolsen  Aufgabe  bewufst  werden,  ist  der  Verwirklichung  nun  nicht 
mehr  fem! 

Das  Unternehmen  wurde  nun  in  grofeem  Stile  in  Scene  gesetzt, 
und  ein  ungemein  frischer  Zug  weht  aus  dem  Ganzen  heraus.  Eine 
eigene  Kommission  wurde  im  Frühjahre  1899  eingesetzt  und  Richtet 
mit  der  Oberleitung  betraut.  In  den  bezüglichen  Kronländern  ent«*« 
standen  Lokalkommissionen,  in  Graz,  dem  geistigen  Mittelpunkte  des 
Unternehmens,  für  Innerösterreich  (Steiermark,  Kärnten  und  Krain).  Die 
Textbearbeitung  für  Steiermark  wurde  A.  Meli  übertragen.  Da  dieser 
schon  durch  längere  Zeit  hindurch  im  Hinblicke  auf  dieses  Problem 
archivalische  Forschungen  angestellt  und  einen  grofsen  Teil  der  Land- 
gerichtsbeschreibungen gesammelt  hatte,  die  notwendigste  Vorarbeit, 
die  Quellenforschung  also  bereits  weit  vorgeschritten  war,  konnte  so- 
fort mit  der  Herstellung  der  Landgerichtskarte  von  1849,  welche  die 
erste  Lieferung  des  Atlasses  sein  soll,  begonnen  werden,  und  ist  der 
Abschlufs  der  Arbeit  binnen  Jahresfrist  zu  erwarten. 

Die  Landgerichtskarte  erscheint  im  Mafsstabe  i  :  200  ooo  (Greneral- 
karte  der  österreichisch-ungarischen  Monarchie)  mit  Beigabe  des 
Terrains.  Dieses  ist  für  die  feste  Orientierung  unerläßlich,  denn 
dadurch  wird  erst  die  Vorstellung  der  natürlich  begrenzten  Landschaft  er- 
zeugt. Dafür  giebt  die  vorliegende  Kartenprobe  einen  trefflichen  Beweis. 
Der  comttatus  Ltupoldt  ist  einfach  der  grofse  Thalkessel,  der 
sich  um  die  Ebene  des  Eichfeldes  herumzieht.  Die  eigentliche  Arbeits- 
karte ist  die  Generalstabskarte  i  :  75000.  In  diese  werden  die  einzelnen 
Landgerichte,  nachdem  die  Reduktion  der  Ortsnamen  und  Gemarkungs 
punkte  vorausgegangen,  der  Reihe  nach  einzuzeichnen  versucht.  Da- 
bei zeigt  es  sich,  dafs  mit  der  75er  bei  weitem  nicht  auszukommen 
ist,  indem  es  eine  Fülle  von  Namen  giebt,  die  auf  ihr  nicht  eingetragen 
erscheinen.  Dadurch  war  die  Reduktion  oft  sehr  schwierig,  und  es 
mufsten  dann  umfassende  Spezialstudien  angestellt,  namentlich  auch 
die  älteren  Kartenwerke  (bis  Vischer  1678  zurück),  die  Spezial-(Lokal-) 
Karten,  Spezialuntersuchungen,  Monographien,  Ortschroniken  u.  s.  w. 
herangezogen  werden.  Obwohl  die  Steiermark  an  litterarischen  Behelfen 
für  diesen  Zweck  anderen  Kronländern  überlegen  ist,  genügten  auch 
diese  Mittel  in  vielen  Fällen  nicht,  und  es  mufsten  Grenzbegehungen 
vorgenommen  werden.  Auch  wurden  Fragebogen  an  Ortskundige  aus* 
gesandt,  meist  an  die  Opferfreudigkeit  unserer  tüchtigen  Lehrerschaft 


—     224     — 

appelliert,  wodurch  manche  schwierige  Reduktion  gelang.  Nachdem 
sämtliche  Gemarknngspunkte  markiert  waren,  die  Landgerichtsgrenzen,, 
sichere  und  zweifelhafte,  ausgezogen,  die  Orte  und  Dominien  in  Bezug' 
auf  die  Zahl  der  Unterthanen  mit  den  entsprechenden  2^ichen  ver- 
sehen, die  Buigfiriede  und  zwar  die  gröfseren  reduziert  und  ausgezogen,, 
die  kleineren  Umfanges  rot  unterstrichen  waren,  wurde  mit  der  Über- 
tragung in  die  200000  er  begonnen  und  die  Beschriftung  vorgenommen» 
In  den  Kartentext  werden  auch  die  Steuergemeinden  —  nicht 
Ortschaften  —  au^'enommen  und  die  Namen  in  der  Richtung  der 
Ausdehnung  der  Gemeinden  eingeschrieben.  Anfangs  hatte  man  auch 
die  Gemeind^frenzen  ausgezogen.  Es  entsprang  dies  einer  Über- 
schätztmg  ihrer  Bedeutung,  weil  man  aus  ihnen  Anhaltspunkte  für  die 
Ermittelung  namentlich  zweifelhafter  Landgerichtsgrenzen,  ja  ein  Zu- 
sammentreffen mit  denselben  zu  finden  glaubte.  Göth  hat  auf  diese 
Weise  seine  Landgerichtsgrenzen  konstruiert.  Im  Oberlande,  wo  die  Be* 
grenzung  meist  natürlichen  Gemarkungslinien  folgt,  kann  ein  Zusammen- 
treffen vorkommen,  im  Mittel-  und  Unterlande  aber  ist  dies  rein  zufallig, 
da  die  Gemeindegrenzen  nicht  ein  auf  judiziellen,  sondern  finanziellen  und 
administrativen  Gesichtspunkten  beruhendes  Elaborat  aus  späterer  2^i t  sind. 

Die  Aufnahme  der  Steuergemeinden  in  das  Kartenbild  erscheint 
auch  gegenüber  den  Ortschaften  deshalb  von  Vorteil,  weil  dadurch 
das  Kartenbild  einheitlicher  gestaltet  wird,  es  bleiben  keine  leeren 
Flecken,  die  bei  Aufnahme  der  Ortschaften  unvermeidlich  wären,  da 
sich  diese  in  den  Thälem  zusammendrängen.  Eine  weitere  Schwierig- 
keit läge  in  der  Auswahl  der  Orte.  Alle  brächte  man  nicht  unter, 
wohl  aber  alle  Steuergemeinden  und  dadurch  wird  eine  Vollkommen- 
heit erreicht,  die  unter  allen  Umständen  anzustreben  ist  Da  femer 
auch  auf  die  Arbeiten  Göths  vielfach  Bezug  genommen  werden  muis, 
so  ist  gleichzeitig  eine  bezügliche  Kontrolle  gegeben. 

Die  Erfahrungen,  die  im  Laufe  der  einjährigen  Arbeit  gemacht 
wurden,  die  Grundsätze,  die  für  Steiermark  erprobt  sind,  wurden  in 
der  vorli^enden  Schrift  niedeigel^^  Nach  dieser  Probe  liegt  der 
Schwerpunkt  der  Arbeit  nicht  in  der  Karte,  sondern  im  Texte. 
Dieser  ist  nicht  mehr  eine  Erläuterung  der  Karte,  sondern  um- 
gekehrt, die  Karte  illustriert  den  Text  Es  wird  uns  da  eine 
ausführiiche  Geschichte  der  Landgerichte  geboten,  und  von  da  aus 
auf  die  alten  Grafischaften  zurückgehend  giebt  der  Verfasser  eine  Ge- 
schichte dieser,  also  die  eingehendste  Territorialgeschichte  der 
Steiermark  vom  8.  Jahrhundert  bis  1849  ^^^  zugleich  die 
^      "hichte  des  Landesfürstentums  auf  diesem  Boden. 


—     M5     — 

Mells  Anfratz»  in  dem  seine  durch  langjähr^  und  eingehende 
Beschäftigung  mit  dem  Problem  g^ewonnenen  Gesichtspunkte  dem 
wissenschaftlichen  Publikum  behufe  Bq^tachtung  und  Erprobung  für 
die  bezüglichen  Kronländer  vo^^el^  werden,  lä&t  die  Gröise  des  zu 
schaffenden  Werices  bereits  überblicken«  Die  Arbeit  ist  in  Bezug  auf 
Methode  und  gewissenhafte  Verarbeitui^  des  gebotenen  Quellenmaterials 
eine  Leistung»  die  sich  würdig  der  Studie  E.  Richters  über  die 
historische  Topogn^hie  Salzburgs  an  die  Seite  stellt  Für  ein  vor- 
zügliches Mittel  zur  raschen  Orientierung  halten  wir  die  beigegebene 
Stammtafel.  Wir  übersehen  mit  einem  Blicke,  wie  aus  dem  comi- 
tatus  Liupoldi  von  895,  der  sich  im  selben  Umfange  als  Land- 
gerichte zu  Liechtenstein  und  Frauenburg  bis  1437  erhalten  hat» 
im  Laufe  der  Zeiten  durch  fortgesetzte  TeUung  der  judiziellen  Gewalt 
auf  diesem  Boden  die  neun  Landgerichte  vor  1849  sich  heraus- 
bildeten. Auch  in  Steiermark  sind  diese  aus  der  Zersplitterung  der 
Grafschaftsgebiete  hervorgegangen.  „Die  Übertragung  der  Land- 
(Blut)gerichtsbarkeit  über  gewisse  geschlossene  Bezirke,  also  die  Auf- 
teihmg  der  alten  Grafen-  und  später  landesftirstlichen  Gerichte  hat  in 
einzelnen  Fallen  bereits  im  XIV.»  in  grölserer  Ausdehnung  aber  erst 
im  XV.  Jahrhundert  b^onnen,  um  sich  von  da  ab  bis  in  den  Anfang 
des  XVin.  Jahrhunderts  fortzusetzen.  Die  Gemarkungen  dieser  Teil* 
Landgerichte,  deren  Übergabe  an  geistliche  wie  weltliche  Dominien 
in  Form  landesfürstlicher  Lehen,  oder  zu  Besitz,  Bestand  und  Pfl^rc 
erfolgte,  erhielten  sich,  abgesehen  von  wenig  bedeutsamen  Grenz- 
rektifikationen, bis  1849.  Beweis  hierfür  sind  die  vorhandenen  gleich- 
lautenden Grenzbeschreibungen  aus  verschiedenen  Zeiträumen  für  em 
und  denselben  Landgerichtsbezü'k  (für  Murau  z.  B.  von  1414  und  1772). 
Die  Karte  der  122  Landgerichte  Steiermarks  für  das  Jahr  1848  giebt 
somit  zugleich  ein  BUd  von  der  erwähnten  Aufteilung,  und  damit  auch 
ein  solches  von  der  gerichtlichen  EinteUung  des  Landes  im  XV.  Jahr- 
hundert und  früher,  und  schlielslich  auch  ein  Bild  der  ehemaligen 
Grafschaften  als  begrenzter  Territorien,  aus  denen  sich  im  Laufe  der 
2Mten  zunächst  die  landesfUrstlichen  (judicia  pravinciaUa)  und  durch 
Zersplitterung  dieser  die  patrimonialen  Landgerichte  entwickelten'*  ^). 

Diese  Erkenntnis  beeinflutste  Meli  bei  der  EinteUung  des  Stoffes 
und  brachte  es  mit  sich,  dals  er  die  122  Landgerichte  der  Steiermark 
im  Rahmen  der  früheren  Mark-  und  Grafischaftsgebiete ,  welche  die 
Grundlage  der  Territorialhoheit  sind,  darstellt    Auch  die  Grenzen  der 


I)  Meli:  Der  comiutiu  etc.     S.  361. 


l 


—     226     — 

\mter  Maria  Theresia  geschaffenen  fünf  Kreise  (Judenburger ,  Brucker, 
Grazer,  Marburger  und  Cillier),  wobei  man  natürlichen  Gemarkungslinien 
folgte,  fallen  gröfstenteils  mit  den  Landgerichtsgrenzen  und  damit  alten 
Grafschaften  zusammen.  So  deckt  sich  der  Judenburger  Kreis  mit 
seinen  19  Landgerichten  mit  den  drei  Grafschaften,  der  im  Ennsthal, 
Friesach  (steirischer  Anteil)  und  Liupolds. 

Dafs  die  administrative  Gliederung  der  theresianischen  und  jose- 
finischen Periode  (politische  und  Konskriptionsbezirke  und 
Steuergemeinden)  in  ihrer  Begrenzung  in  der  Kartenprobe  nicht 
zur  Darstellung  kam,  hatte  seinen  Grund  darin,  dafs  das  Bild  nicht 
überfüllt  werden  durfte  und  dafs  die  Landgerichtsabgrenzungen  als  das 
durch  die  Reihe  der  Jahrhunderte  durchgreifende  Element 
ungestört  zum  Ausdrucke  gebracht  werden  mufsten.  Femer  war  ja 
diese  Gliederung  nicht  auf  judiziellen  Gnmdsätzen  au%ebaut ,  sondern 
teilweise  zum  Schutze  der  Unterthanen  gegenüber  den  Gnmdherren, 
teilweise  zu  rein  administrativen  und  mUitärischen  Zwecken.  Von  diesen 
soll  später  eine  eigene  Karte  angefertigt  werden. 

Meli  hat  seine  Erläuterungen  zur  Karte  zu  wissenschaftlicher  Unter- 
suchung ausgedehnt,  und  das  kommt  der  Arbeit  nur  zu  statten.  Eine 
Erläuterung  hätte  sich  blois  mit  den  in  der  Karte  darstellbaren  oder 
nicht  darstellbaren  Angaben,  ob  freies  oder  unfreies  Landgericht,  der 
Ausdehnimg,  der  Einkünfte  und  Abgaben,  der  Verwaltungspersönlich- 
keiten, Jagd-,  Wald-  und  Fischereigerechtsame  und  Vogteirechte  zu 
befassen.  Da  der  Verfasser  auch  dem  Wechsel  in  der  Namen- 
gebung  für  ein  und  dasselbe  Gericht  trotz  der  durch  Jahrhunderte 
sich  gleichbleibenden  Gemarkung  nach  Grund  und  Ursache  nachging, 
wurde  auch  die  Frage,  wann  die  Lostrennung  vom  Grafen-  resp.  landes- 
fiirstlichen  Gerichte  erfolgte,  gelöst. 

Neben  dem  Texte  zur  Karte  mufs  aber  auch  der  Abdruck  der 
Grenzbeschreibungen  und  Bereitungen  nebenherlaufen,  um 
einen  Beleg  für  die  richtige  Eintragung  der  Gemarkungen  und  gewissen- 
hafte Reduktion  der  Ortsnamen,  die  vielleicht  im  Texte  etwa  als  Fufs- 
noten  am  geeignetsten  wäre,  zu  bieten.  Jedermann  mufs  in  der  Lage 
sein,  die  Karte  ohne  viel  Mühe  nachprüfen  zu  können. 

Aufgabe  des  historischen  Atlasses  der  österreichischen  Alpenländer 
wäre  es  also,  die  politische,  rechtliche  und  kirchliche  Zu* 
gehörigkeit  der  Alpenländer  vom  VIII.  Jahrhundert  bis 
1849  —  ^^^^  Karte  für  die  Römerzeit  ist  ein  weiterer  Wunsch  — 
darzustellen.  Die  Darstellung  wäre  sachgemäfs  nach  Provinzen  vor- 
zunehmen, denn  nach  der  vorliegenden  Probe  sollen  die  Landgerichte 


—     227     — 

auf  der  Basis  der  alten  Grafschaften,  also  natürlich  beg^renzt  er- 
scheinen. Da  auch  femer  die  Vorarbeiten  in  dev  einzelnen  Ländern 
ungleich  vorgeschritten  sind,  in  Steiermark  z.  B.  die  Arbeiten  in  Bälde 
abgeschlossen  sein  werden,  so  erscheint  es  auch  von  diesem  Gesichts- 
punkte aus  von  Vorteil,  nach  Kronländem  vorzugehen. 

Bezüglich  der  Karte  werden  sich  verschiedene  Stimmen  der  Be- 
urteilimg  laut  machen;  die  des  Lobes  aber  dürfte  bei  weitem  über- 
wiegen. Sie  bietet  genau  das,  was  sie  bieten  soll,  nicht  mehr  und 
nicht  weniger,  denn  alle  im  Texte  vorkommenden  Gemarkungspunkte 
sind  auf  ihr  verzeichnet.  Das  Bild  ist  ein  einheitliches,  die  Verteilung 
der  Beschreibung  eine  gleichmäfsige ,  so  dafe  keine  Partie  zu  stark 
heraustritt.  Die  Ausführung  ist  eine  des  k.  und  k.  militär-geographischen 
Institutes  würdige.  Wenn  wir  aber  doch  auf  Einiges,  das  der  subjek- 
tiven Anschauung  entspringt,  aufmerksam  machen,  was  vielleicht  für 
die  fernere  Arbeit  von  Belang  sein  könnte,  so  soll  der  Wert  der  Karte 
durchaus  nicht  herabgesetzt  werden.  Die  kleineren  Flufsläufe  springen 
etwas  stark  hervor,  und  es  wäre  vielleicht  eine  Abdämpfung  des 
blauen  Steines  erwünscht.  Auch  hätte  die  Farbengebung  der  Comitats- 
gemarkungen  etwas  stärker  sein  können.  Bezüglich  der  Grenzen 
möchten  wir  vorschlagen,  die  für  die  Landgerichte  etwas  kräftiger  zu 
ziehen,  sie  dort,  wo  sie  Flufsläufen  folgen,  zu  unterbrechen  und  ganz 
nahe  diesen  zu  zeichnen,  denn  sonst  könnten  doch  irrige  Vorstellungen 
über  den  Verlauf  derselben  erweckt  werden.  Würde  dann  auch  die 
Schrift  für  die  Landgerichte  etwas  kräftiger  gewählt,  so  springen  diese 
ungemein  lebhaft  heraus;  hingegen  vertrüge  die  für  die  Burgfriede 
eine  kleine  Abschwächung.  Auch  die  roten  Striche  treten  etwas  stark 
hervor.  In  der  Beschriftung  dürften  sich  überhaupt  einige  Änderungen 
empfehlen,  dadurch  würde  der  Chrakter  der  Karte  etwas  ruhiger.  Zur 
Übersichtlichkeit  dürfte  es  auch  beitragen,  die  Stammtafel  kartographisch 
darzustellen  und  in  einem  Kärtchen  seitwärts  anzubringen  oder  solche 
Kärtchen  überhaupt  in  Schwarzdruck  in  den  Text  zu  stellen.  Damit 
wäre  das  Anzustrebende  wohl  vollkommen  erreicht. 

Ein  historischer  Atlas  war  lange  Zeit  hindurch  ein  frommer  Wunsch 
aller  Geschichtsforscher.  Sein  Zustandekommen  scheint  nun,  für  einige 
Anteile  wenigstens,  gesichert.  Mögen  sich  auch  in  den  anderen  Kron- 
ländern die  richtigen  Leute  finden,  damit  das  Werk  nicht,  wie  so 
manch  anderes  grofs  angelegtes,  ein  Torso  bleibe! 


—     228     — 


Der  erste  Verbandstag  der  iwest«^  und  süd^ 
deutsehen  Vereine  für  römiseh^germanisehe 

Altertumsforsehung 

Von 
E.  Anthes  (Darmstadt) 

Es  ist  nicht  zu  leugnen,  dais  in  dem  Leben  der  deutschen  Ge- 
schichts-  und  Altertumsvereine  seit  ein  paar  Jahren  ein  erfreulicher  Auf- 
schwung eingetreten  ist.  Persönliche  wie  sachliche  Gründe  haben  ihr 
Teil  dazu  beigetragen,  und  es  darf  wohl  gesagt  werden,  dais  die 
letzten  Hauptversammlungen  des  Gesamtvereins  zu  Münster,  Stras- 
burg und  Dresden  den  Beweis  geliefert  haben,  nicht  nur  dafs  in  den 
Vereinen,  die  ganz  Deutschland  in  dichtem  Netz  überziehen,  wirklich 
gearbeitet  wird,  sondern  dafs  auch  in  Kreisen,  die  seither  den  Ar- 
beiten der  Vereine  gleichgültig  oder  ablehnend  gegenüberstanden,  die 
Überzeugung  erwacht  ist,  dais  auch  durch  die  Kleinarbeit,  wie  sie 
naturgemäis  von  den  Vereinen  in  erster  Linie  betrieben  wird ,  Ergeb- 
nisse erzielt  werden,  die  der  deutschen  Forschung  zur  Ehre  gereichen. 
Das  hat  sich  ganz  besonders  erfreulich  bei  der  Tagung  des  Gesamt- 
vereins in  Strafsburg  gezeigt 

Bei  dem  intensiven  Betrieb  der  historischen  Studien  im  allgemeinen 
haben  sich  innerhalb  der  Vereine  selbst  vielfach  gewisse  Gegensätze 
gebildet,  und  zwar  Gegensätze  leicht  erklärlicher  Art  zwischen  den  An- 
tiquaren und  den  Archivaren,  um  durch  diese  Gattungsbegriffe  die  Sache 
allgemein  auszudrücken.  Die  ersten  waren  dabei  vielfach  im  Nachteil; 
denn  die  Historiker,  die  Fragen  aus  der  mittelalterlichen  Geschichte 
und  aus  dem  Archivwesen  behandeln,  haben  über  ganz  Deutschland 
hin  eine  gemeinsame  Grundlage  für  ihre  Forschung,  die  den  Antiquaren 
fehlt  So  ist  es  in  Südwestdeutschland  die  römische  Kultur,  die  in 
engstem  Zusammenhang  mit  dem  Vorhergehenden  und  Nachfolgenden 
in  den  Vordergrund  des  Interesses  tritt,  —  es  ist  das  eine  Kultur- 
epoche, die  weiten  Teilen  des  Gesamtvaterlandes  fehlt,  wo  zwischen 
der  sogen.  Prähistorie  im  weitesten  Sinn  und  dem  Auftreten  der  ger- 
manischen Kultur  eine  weite  Lücke  klafft  *).  Es  wäre  nun  sicherlich  eine 
schwere  Verfehlung  der  Vereine,  wollten  sie  auf  die  Erkundung  dieser 
Zeit  verzichten,  und  thatsächlich  haben  sie  bis  vor  kurzem  ganz  allein 


l)  Wie   in   diesen  Gebieten   neuerdings   die  Erforschung   fortschreitet,   zeigt  z,  B. 
Kossinnas  Bericht  über  seine  Reise  in  Norddeutschland  in  dieser  Zeitschrift  IL  Bd.,  S.  23 
26.     (Red.). 


—     2W     — 

die  Aibdt  geldstet  Der  mittdalteriiche  Ifistoriker  nim  kommt  jedes 
Jahr  anf  der  Generalversammlimg  des  Gesamtrereins  mm  Wort;  übeiall 
giebt  es  da  gemeinsame  Interessen  zn  veitieteii,  Tom  Bodensee  zur  Ost* 
und  Nordsee,  von  der  Mosel  bis  zom  Memd.  Die  Archäologen  dnd 
nicht  so  glnddich;  ein  grofeer  Teil  sehr  that^er  Vereine ,  die  gerade 
sdt  vielen  Jahrzehnten  neben  einer  allgemein  historischen  Thatigkeit 
auch  die  archäologische  Erfoischnng  ihres  engeren  Gebiets  betreiben, 
sind  sdbstverstandfich  anf  den  Versammlmigen  spärlich  vertreten,  die 
weit  entfernt  von  ihrem  Wiikong^rebiet  stattfinden.  Das  hat  sich  schon 
in  Dresden  g^ezeigt.  Und  doch  giebf  s  gerade  auf  diesem  Forschungs- 
gebiet so  viel  des  Gemeinsamen,  da6  eine  Zusammenfassung  gewisser 
Vereinsgruppen  geboten  schien,  zumal  für  Südwestdeutschland,  wofür 
die  genannten  Bedingungen  in  erster  Linie  zutreffen.  Dazu  kam  ein 
weiterer  Umstand,  nämlich  die  Frage  der  Organisation  der  römisch* 
germanischen  Altertumsforschung  durch  das  Reich  ^).  Die  glücklichen 
Ergebnisse  der  Limesfbrschung  gaben  dem  Gedanken  das  Leben,  die 
Thatigkeit  des  Archäolc^ischen  Instituts  nicht  nur  auf  Italien  und 
Griechenland,  sondern  auch  auf  Deutschland  selbst  zu  erstrecken,  und 
nach  manchem  Hin  und  Her  ist's  denn  so  weit  gekommen,  dafs,  dank 
dem  Entgegenkommen  der  Zentraldirektion  des  Instituts,  auch  die  Ver- 
eine in  der  neuen  Kommission  vertreten  sdn  werden,  nachdem  sie  seit 
vielen  Jahrzehnten  ganz  allein  das  überrdche  Gebiet  der  römisch- 
germanischen Forschung  bearbeitet  hatten.  Vielfach  wurde  an- 
genommen ,  dals  gewisse  Unterströmungen  bestanden ,  die  darauf  hin- 
ausliefen, über  die  Vereine  hinweg  eine  solche  Organisation  zu  schaffen ; 
hat  man  ja  doch  auch  den  Gesamtverein  der  deutschen  Geschichts- 
und Altertumsvereine  einfach  beiseite  geschoben,  als  die  Neuordnung 
des  römisch-germanischen  Zentralmuseums  in  Mainz  durchgeführt  wurde, 
trotzdem  niemand  bestreiten  kann,  dafs  das  Museum  eine  Gründung 
eben  des  Gesamtvereins  ist.  Ähnliche  Erfahnmgen,  die  die  mittel- 
deutschen Vereine  bei  der  Gründung  der  Reichs -Limeskommission 
machen  mulsten,  zwangen  die  in  erster  Linie  bedrohten  südwestdeut- 
schen Vereine,  sich  zusammenzuthun  und  unter  berechtigtem  Hinweis 
auf  ihre  Vergangenhdt  den  Nachweis  zu  erbringen ,  da(s  sie  imstande 
und  willens  seien,  nach  festen  Gesichtspunkten  ihre  seitherige  Aufgabe 
im  Bund  mit  den  neu  zu  der  gleichen  Arbeit  berufenen  staatiichen 
Organen  weiterzuführen. 

Wie  sich  nun  seit  einigen  Jahren   die  Archivare  Deutschlands  zu 


l)  VgL  Bd.  I  dieser  Zeitschrift,  S.  27. 


—     230     — 

gemeinsamer  Tagung  innerhalb  des  Gesamtvereins  und  im  Anschlufe 
an  dessen  Hauptversammlung  zusammengethan  haben,  so  geschah  im 
April  1900  in  Frankfurt  die  Gründung  des  Verbands  süd-  und  west- 
deutscher Vereine  für  römisch-germanische  Altertumsforschung,  eben- 
falls in  engem  Anschlufs  an  den  Gesamtverein.  Es  wäre  durchaus 
verkehrt,  wollte  man  darin  ein  Abdrängen  vom  Gesamtverein  er- 
blicken; von  dem  derzeitigen  Vorstand  des  Gesamtvereins  gehören 
nicht  weniger  als  drei  zu  den  Begründern  des  Verbands,  und  es  mag 
auch  hier  nochmals  nachdrücklich  betont  werden,  dafe  der  Bestand 
des  Gesamtvereins  durch  die  neue  Organisation  in  keiner  Weise  be- 
droht werden  soll.  Es  wird  sich,  wie  zu  hoffen  ist,  auch  für  den  Ge- 
samtverein nur  Nutzen  daraus  ergeben,  in  erster  Linie  für  die  Ver- 
handlungen von  Abteilung  I  und  II.  Denn  bis  zur  Tagung  in  Strafsburg 
sah  es,  das  braucht  nicht  verschwiegen  zu  werden,  seit  Jahren  bei  den 
Verhandlungen  dieser  beiden  Sektionen  oft  recht  leer  aus,  und  die 
behandelten  Dinge  liefsen  häufig  weder  allgemeines  noch  spezielles 
Interesse  erkennen.  Es  ist  nicht  ganz  leicht,  die  eigentlichen  Ur- 
sachen dieser  Erscheinung  nachzuweisen;  ein  Hauptgrund  lag  aber 
sicherlich  darin,  imd  das  wurde  von  den  Antiquaren,  die  an  den 
Generalversammlungen  regelmäfsig  teUnahmen,  stets  schmerzlich  em- 
pfunden, dafs  sich  die  archäologisch  thätigen  Mitglieder  der  Vereine 
auf  diesen  Versammlimgen  meist  nur  in  ganz  geringer  Anzahl  sehen 
liefsen.  Nun,  das  ist  ja  in  den  letzten  Jahren  wesentlich  besser  ge- 
worden, und  seit  der  Strafsburger  Versammlung  haben  sich  in  erfreu- 
lichster Weise  auch  auf  diesem  Gebiete  akademische  Kreise  an  den 
Arbeiten  der  Vereine  beteiligt.  So  darf  auch  aus  der  gemeinsamen 
Tagung  des  Gesamtvereins  und  des  Verbands,  die  Ende  September 
in  Freiburg  stattfinden  wird,  ein  erfreuliches  Ergebnis  gemeinsamer 
Arbeit  erwartet  werden,  ein  Ergebnis,  auf  das  schon  jetzt  aus  dem 
überaus  erfolgreichen  Verlauf  der  Trierer  Verhandlungen  geschlossen 
werden  darf.  Denn  hier  hat  es  sich  gezeigt,  dafs  die  Gründung  des 
Verbands  thatsächlich  ein  Bedürfnis  war,  das  nicht  nur  von  vielen, 
ja,  man  darf  sagen,  den  meisten  mitteldeutschen  Vereinen,  sondern 
auch  von  nicht  reichsdeutschen  auf  demselben  Gebiet  ^)  arbeitenden  Ge- 
sellschaften empfunden  wurde;  so  waren  Abgeordnete  von  Vereinen 
aus  der  Schweiz,  Luxemburg  und  Belgien  teils  eigens  zum  Verbands- 
tage erschienen,  teils  blieben  sie  nach  dem  Jubiläum  der  Trierer  Ge- 


i)  In  Österreich  ist  bekanntlich  die  Erforschung   des  Limes  aach  ins  Werk  gesetzt 
-"•"«^n.     Vgl.  den  Aufsatz  im  I.  Band  dieser  ZeiUchrift,  S.  195—199.     (R«d.) 


1 


—    Ml     — 

Seilschaft  für  oätzliche  Forscbimgen  ak  willkommene  Gäste  bei  dea 
Verbandliingen  der  verbmidenen  Vereine.  Ja,  es  haben  sich»  wohl 
nnter  dem  Eindnick  der  Einladung  zn  dem  Tag  in  Trier,  noch  in 
den  letzten  Wochen  vor  Ostern  mehrere  mitteldeutsche  Vereine  an* 
geschlossen,  so  trat  in  Trier  die  luxemburgische  ,,Heemecht**  bei,  und 
vielleicht  fuhrt  das  Ergebnis  der  Verhandlungen  dazu,  dais  auch  Ver- 
eine der  deutschen  Schweiz,  soweit  sie  gleiche  Ziele  verfolgen,  dem 
Verband  beitreten.  Im  Ganzen  sind  es  bis  jetzt  i8  Voräie.  Leider 
fehlen  auf  deutschem  Gebiet  noch  zwei  Gruppen  von  Vereinen,  — 
die  bayerischen  mit  einer  Ausnahme,  und  die  meisten  Gesellschaftea 
ans  dem  Nordwesten,  wo  doch  gerade  fiir  die  nächste  Zeit  —  ich 
erinnere  nur  an  Haltern  —  speziell  in  der  Romerforschung  wichtigere 
Ergebnisse  zu  erwarten  sind  als  am  Mittelrhein.  Nun,  es  steht  zu 
hoffen,  dafs  man  auch  in  diesen  Kreisen  erkennen  lernt,  wie  wertvoll 
eine  gemeinsame  Arbeit  ist;  läist  es  sich  ermöglichen,  daCs  der 
übernächste  Verbandsta^  in  Nordwestdeutschland,  etwa  in  Hannover 
oder  in  Münster,  abgehalten  wird,  so  dürfte  auch  dort  manches  Vor* 
urteil  schwinden,  das  bisher  den  Anschluis  der  Vereine  an  den  Ver* 
band  verhindert  hat  Freilich  kommt  es  dabei  vor  allem  auch  auf 
die  Fortentwickelung  des  Verbandes  selbst  an ;  die  Leitung  der  jungen 
Organisation  für  die  ersten  Jahre  seines  Bestehens  ist  keine  ganz, 
leichte  Sache;  der  Vorstand  des  Frankfurter  Vereins,  in  erster  Linie 
die  Herren  Jung  und  Wolff,  haben  sich  um  die  Sache  aufserordent- 
liehe  Verdienste  erwort>en,  nicht  nur  bei  der  Gründung  des  Verbands^ 
sondern  auch  bei  der  Leitung  nach  seiner  Gründung  und  jetzt  wieder 
bei  der  Vorbereitung  zu  dem  ersten  Verbandstag  in  Trier,  bei  der  sie 
allerdings  in  der  nachhaltigsten  und  trefflichsten  Weise  durch  den  ersten 
Sekretär  der  Trierer  Gesellschaft,  Prof.  Hettner,  unterstützt  worden 
sind.  Mit  besonderem  Dank  ist  es  zu  b^^rüfsen,  dafs  der  Frankfurter 
Vereinsvorstand  sich  bereit  finden  liels,  die  Geschäfte  auch  noch  bis 
zum  Herbst,  bis  zur  zweiten  Tagung  in  Freiburg,  fortzufuhren.  Es  darf 
wohl  behauptet  werden,  dais  das  künftige  Gedeihen  des  Verbands  nicht 
zum  wenigsten  von  den  Männern  abhängt,  denen  in  Freiburg  die  Leitung 
übertragen  wird.  Das  sind  keine  curae  posteriores,  sondern  Dinge,  die 
schon  vorher  reiflich  überlegt  sein  wollen,  damit  die  ganze  Angeläc- 
helt im  Geist  und  Sinn  der  Vereine  fortgeführt  werde,  die  sich  durch 
Gründung  des  Verbands,  um  das  Studium  des  Altertums  in  Südwest- 
deutschland verdient  gemacht  haben. 

Ich  gehe  kurz  auf  den  Trierer  Tag  selbst  ein.     Die  Leitung  der 
Verhandlungen,  über  die  ein  genauer  Bericht  im  Verlag  von  Lintz  in 


—     2S2     — 

Trier  erscheinen  wird,  lag  in  den  Abgeordnetenversammlungen  in  den 
Händen  von  Prof.  Georg  Wolff,  in  den  öffentlichen  Sitzungen  präsi- 
dierte Prof.  Hettner  (Trier).    Mit  Recht  wird  vom  Vorstand  das  giö&te 
Gewicht  darauf  gelegt,  dafs  alljährlich  nicht  etwa  nur  gedruckte  Jahres- 
berichte der  Einzelvereine,  sondern  schriftliche  Übersichten  der  Vereins- 
vorstände eingesandt  werden,  die  nicht  nur  rein  objektiv  den  Gang  der 
Einzeluntersuchungen  schildern,   sondern  neben  den  Resultaten   auch 
die  Aufjg-aben  für  die  Zukunft  andeuten,  so  da(s  danach  ein  bestimmter 
Arbeitsplan  festgestellt  werden  kann,  nach  dem  gemeinsame  Unter- 
suchungen auf  gewissen  Gebieten  angeregt  werden  könnten.     So  wies 
Wo  If  f  in  ausftihrlicher  Darlegung  auf  Grund  der  eingegangenen  Berichte» 
die  sich  diesmal  leider  nur  auf  das  mittelrheinische  Gebiet  im  engeren 
Sinne  bezogen,  als  solche  lohnende,  ja  notwendige  Angaben  nach  die 
Publikation   der  Nauheimer  La  T6ne-Funde  in  den  Museen 
zu  Frankfurt  und  Darmstadt,  die   nach  bestimmten  Grundsätzen 
vorzunehmende  weitere  Erforschung  des  römischen  Friedberg, 
sowie  die  einheitliche  Untersuchung  der  Ringwälle,  die  zwar  in 
der  letzten  Zeit  besonders   durch  Chr.  Thomas  (Frankfurt)   sehr  ge- 
fordert, aber  noch  lange  nicht  zum  Abschlufs   gebracht  ist.     Gerade 
diese  Aufgabe  der  Ringwallforschung  verdient  die  nachhaltigste  Unter- 
stützung,   zumal    auf  H.   Lehners  (Bonn)   Anregung    die   gesamten 
prähistorischen  Befestigungen   mit  in  den  Rahmen  der  Untersuchung 
gezogen  werden  sollen.     Über  die  ganze  Frage  wird  in  Freiburg  ein 
eingehendes  Referat  erstattet  werden,  ebenso  über  die  mehr  praktische, 
aber  nicht  unwichtige  Frage  nach  der  einheitlichen  Gestaltung 
der  Zeichen  fiir  neu  herauszugebende  archäologische  Karten, 
eine  Frage,   die  durch  den  Generalsekretär  des  Archäologischen   In- 
stituts, Prof.   Conze  (Berlin)  und  Dir.   Ohlenschlager  (München) 
angeregt  worden  ist.    An  Stoff  für  gemeinsame  Beratung  auch  anderer 
Dinge  wird  es  in  Freiburg  nicht  fehlen. 

Vorträge  und  Führungen  wechselten  in  Trier  ab;  beides  ergänzte 
sich  in  schönster  Weise,  und  alle  Teilnehmer  wissen  die  vortrefTliche 
Art  zu  würdigen,  in  der  Hettner,  der  beste  Kenner  des  alten  Trier, 
den  Führer  machte ;  wer  unter  solcher  Leitung  die  einzige  Stadt  durch- 
wandert, der  hat  erst  den  rechten  Genufs  davon.  —  Die  beiden  Tage 
brachten  je  einen  Hauptvortrag :  K.  Schuchhar dt  (Hannover)  sprach 
über  das  erste  mit  Sicherheit  als  römisch  nachgewiesene  Kastell  an 
der  Lippe,  über  Aliso,  wie  er  die  von  ihm  in  Gemeinschaft  mit 
anderen  Archäologen  bei  Haltern  entdeckte  tmd  ausgegrabene  Anlage 
aus  der  ersten  Kaiserzeit  ohne  Zweifel  mit  Recht  nennt.    Am  zweiten 


r 


—     233     — 

Tage  sprach  W.  Sold  an  (Darmstadt)  über  seine  wichtigen  Ent- 
deckungen bei  Neuhäusel  im  Westerwald,  wo  es  ihm  gelungen  ist, 
im  Anschlufs  an  Limesgrabungen  eine  groise  Niederlassung  aus 
derHallstattzeit  und  der  daran  anschliefsenden  La  T^ne-Periode  zu 
finden  und  teilweise  auszugraben.  G.  Wolfram  (Metz)  teilte  unter  Vor- 
lage von  Abbildungen  und  Plänen  mit,  da(s  es  ihm  gelungen  sei,  den 
Abschlufs  der  römischen  Stadt  Metz  nach  Süden  beim  Nieder- 
legen der  Befestigungen  zu  finden,  nachdem  schon  früher  seine  archi- 
valischen  Studien  in  wichtigen  Punkten  die  seitherigen  Annahmen  über 
den  Gegenstand  berichtigt  hatten.  Aus  den  Inschriften  der  Medio matriker, 
zumal  aus  den  eigentümlichen  Namensformen,  wies  J.  B.  Kenne 
(Metz)  nach,  dafs  Metz  durchaus  keltisch  war,  da(s  aber  nicht, 
wie  immer  wieder  behauptet  wird,  dort  eine  römische  Garnison  ge- 
legen hat.  Eine  Sammlung  der  sehr  zerstreuten  und  oft  fiir  wissen- 
schaftliche Benutzung  schwer  zugänglichen  römischenSkulpturen 
in  Deutschland  regte  der  Verfasser  dieser  Zeilen  an,  und  es  wurde 
auf  Hettners  Vorschlag  beschlossen,  den  Vereinen,  in  deren  Gebiet 
noch  keine  solche  Sammlung  bestehe,  sie  nahezulegen,  besonders 
aber  darauf  hinzuwirken,  dals  die  in  einem  Vereinsgebiet  zum  Vor- 
schein gekommenen  Denkmäler  in  guten  verkäuflichen  Photographieen 
zugänglich  gemacht  werden  möchten.  Lehn  er  besprach  eine  Frage, 
in  der  die  Ansichten  zeitweise  sehr  auseinandergingen.  Man  glaubte 
bekanntlich  schon,  in  dem  groCsen  Erdlager  bei  Urmitz  am  Rhein 
das  berühmte  Cäsarlager  gefunden  zu  haben,  als  es  sich  beim  Fort- 
schreiten der  Untersuchungen  herausstellte,  dafs  die  Anlage  viel  älter 
ist  tmd  prähistorischer  Zeit  angehört;  neuere  Grabungen  haben  dies 
mit  aller  Sicherheit  erwiesen,  zugleich  wiurden  noch  zwei  kleinere 
regelmäfsig  geformte  Erdschanzen  entdeckt,  deren  Untersuchung  zur 
Zeit  noch  nicht  abgeschlossen  ist.  Eine  Gruppe  kleiner  eigenartiger 
Kunstwerke  machte  G.  Löschcke  (Bonn)  zum  Gegenstand  feinsinniger 
Ausführungen.  Es  handelt  sich  um  ein  paar  meist  im  Limesgebiet  ge- 
fundene Bronzen,  die  wohl  als  SchlüsselgrifTe  erklärt  werden  dürfen. 
Als  Schmuck  weisen  sie  zwei  in  der  Art  der  Janusköpfe  gestellte 
Köpfe  auf,  von  denen  einer  bärtig  und  bejahrt,  der  andere  unbärtig 
und  jung  ist  Aus  den  Köpfen  wächst  ein  Eberkopf  heraus.  Bisher 
war  man  zu  einer  allgemein  befriedigenden  Erklärung  nicht  gekommen, 
und  Löschcke  stellte  unter  interessanter  Ausführung  über  Veränderung 
innerhalb  einzelner  Göttertypen  die  ansprechende  Erklärung  auf,  dafs 
es  sich  bei  dem  bärtigen  Kopf  um  eine  Darstellung  des  Wotan 
handle.    Über  eine  Frage,  die  gleichfalls  gegenwärtig  im  Mittelpunkte 

17 


—     234     — 

des  archäologischen  Interesses  steht,  nämlich  die  Frage  nach  den 
Gigantensäulen,  machte  G.  Sixt  (Stuttgart)  aus  dem  württem- 
bergischen Verbreitungsgebiet  der  Darstellung  eine  Reihe  von  Mit- 
teilungen; er  bringt  sie  lediglich  mit  dem  Leben  bürgerlicher  Kreise 
in  Verbindung  und  hält  einen  Bezug  auf  militärische  Verhältnisse  für 
ausgeschlossen.  In  der  nächsten  Zeit  wird  wohl  diese  Angelegen- 
heit öfter  behandelt  werden,  da  in  der  Festschrift  des  Lothringer 
Vereins  zum  Trierer  Jubiläum  *)  A.  Riese  (Frankfurt)  eine  ganz  neue, 
von  den  seitherigen  Ansichten  vollständig  abweichende  Erklärung 
veröffentlicht  hat,  und  da  kürzlich  bei  Hanau  ein  neues  Exemplar 
mit  merkwürdigen  Einzelheiten  in  der  Darstellung  gefunden  worden 
ist.  K.  Kohl  (Worms)  sprach  über  neue  Funde  aus  seinem  eigensten 
Arbeitsgebiet;  er  konnte  mitteilen,  dafs  ihm  in  der  letzten  Zeit  die 
Entdeckung  neuer  neolithischer  Grabfelder  bei  ,Worms  ge- 
glückt sei;  an  der  Hand  einer  Reihe  von  vorgelegten  Funden  erklärte 
er  die  Besonderheiten  dieser  Gräber  und  ihre  Stellung  zu  den  bisher 
entdeckten  Kulturresten  aus  der  jüngeren  Steinzeit. 

Wie  dieser  kurze  Bericht  zeigt,  liefs  die  Mannigfaltigkeit  des  Ge- 
botenen wohl  keinen  Wunsch  unbefriedigt;  alle  Arbeitsgebiete  der 
verbundenen  Vereine  wurden  behandelt,  und  es  sprachen  Männer  der 
antiquarischen  Wissenschaft  aus  allen  Teilen  des  Verbandsgebiets  über 
Gegenstände,  die  des  allgemeinen  Interesses  sicher  sein  konnten ;  dies 
beweist  auch  der  überaus  lebhafte  Besuch  der  Sitzungen,  und  wie 
fleifsig  wir  in  Trier  waren,  geht  daraus  hervor,  dafis  wir  sogar  abends 
von  8  bis  lo  Uhr  verhandelten,  allerdings  „bei  einem  Glas  Wein",  — 
eine  Neuerung ,  die  wohl  bisher  noch  bei  keiner  derartigen  Versamm- 
lung versucht  wurde,  die  sich  aber,  zumal  bei  den  Weinverhältnissen 
im  Trierer  Kasino,  dem  wir  überhaupt  freundliche  Gastfreundschaft 
verdanken,  naturgemäfs  des  gröfsten  Beifalls  erfreute  und  sich  zur 
Nachachtung  empfiehlt.  So  wird  jeder,  der  die  Trierer  Tage  mit- 
gemacht hat,  mit  Genufs  daran  zurückdenken ;  der  Verband  hat  —  und 
das  ist  die  Hauptsache!  —  erwiesen,  da(s  er  Lebenskraft  besitzt,  und 
wir  können  nur  wünschen  und  hoffen,  dafs  der  Fortgang  dem  schönen 
und  vielverheifsenden  Anfang  entsprechen  möge. 

i)    Jahrbuch    der    GeseUschafl    für    Lothringische    Geschichte    and    Altertumskunde. 
XII  (1900),  S.  325«. 


—     235     — 


Mitteilungen 

ArclÜTe«  —  Das  Herzog^ch  Anhaltische  Haus-  und  Staatsarchiv  zu 
Zerbst,  welches  unter  der  Oberaufsicht  des  Herzoglichen  Staatsminbteriums 
zu  Dessau  steht,  ist  1872  durch  Vereinigung  der  bis  dahin  in  den  Spezial- 
archiven  sowie  bei  den  Landesbehörden  verwahrten  Urkunden-  und  Akten- 
bestände als  Zentralarchiv  für  das  ganze  Herzogtum  Anhalt  eingerichtet,  und 
seine  Bestände  sind  seitdem  durch  Rückerwerb  früher  entfremdeter  Archi- 
valien, sowie  durch  die  zu  verwahrlicher  Niederlegung  seitens  der  Herzoglichen 
Behörden  abgegebenen  Verwaltungs-  und  Gerichtsakten,  Staatsverträge,  Doku- 
mente u.  s.  w.  ständig  vermehrt  worden.  Justiz-  und  Verwaltungsakten  vom 
Jahre  1603  ab,  die  dem  Herzoglichen  Archiv  zugedacht  sind,  werden  vor- 
läufig noch  von  den  betreffenden  Behörden  in  den  früheren  fünf  Haupt- 
städten des  Landes  aufbewahrt  Das  Archiv  besteht  gegenwärtig  aus  den 
folgenden  sechs  Abteilungen: 

a)  Das  Fürstliche  Gesamtarchiv,  früher  im  Herzoglichen  Schlosse 
zu  Dessau,  enthält  einen  reichen  Schatz  von  Urkunden  der  Kaiser,  Päpste 
und  Bischöfe  für  Gemrode,  Nienburg  a.  S.  und  andere  geistliche  Stiftungen, 
auch  den  Briefwechsel  mit  den  Reformatoren;  das  älteste  Stück  dieser  Ab- 
teilung ist  von  941,  und  die  Bestände  reichen  bis  1603. 

b)  Das  Fürstliche  und  Herzog^che  Senioratsarchiv  bildet  die  Fort- 
setzung des  Gesamtarchivs,  von  1603 — 1863. 

c)  Das  Fürstliche  Zerbster  Hausarchiv  reicht  von  1603 — 1793. 

d)  Das  Fürstliche  und  Herzogliche  KöthenerHausarchiv(i6o3 — 1847) 
bietet  reichhaltiges  Material  für  die  Geschichte  des  30jährigen  Krieges;  mit 
ihm  verbunden  sind  die  Archive  der  fürstlichen  Nebenlinien,  der  Augusteischen 
in  Plötzkau  161 1 — 1692,  der  Linie  Köthen-Warmsdorf  1721 — 1725  und 
der  Linie  Köthcn-Plefs  1731  — 1847. 

e)  Das  Fürsdiche  und  Herzogliche  Bernburger  Hausarchiv 
(1603 — 1863)  enthält  auch  viel  Stoff  für  die  Geschichte  des  30jährigen 
Krieges;  ihm  sind  angegliedert  die  Archive  der  fürstlichen  Nebenlinien  Harz- 
gerode 1635 — 1709  und  Hoym-Schaumburg  17 18 — 181 2. 

f)  Das  Fürstliche  und  Herzogliche  Dessauer  Hausarchiv  (seit  1603) 
ist  von  Bedeutung  wegen  seines  umfrmgreichen  Materials  fUr  die  branden- 
burgisch-preufsbche  Geschichte  1640 — 1760. 

Die  Benutzung  des  Archivs  durch  Privatpersonen  zu  wissenschafüichen 
oder  processualen  Zwecken  ist  von  der  Genehmigung  des  Herzoglichen  Staats- 
ministeriums abhängig  und  erfolgt  in  der  Regel  im  Archivbureau  zu  Zerbst 
selbst  Eine  geringe  Anzahl  von  Akten  über  Privatissima  des  herzoglichen 
Hauses  sind  der  Benutzung  von  Privaten  ganz  entzogen.  Nur  in  unumgäng- 
lichen FäUen  findet  Versendung  von  einzelnen  Archivalien  an  amtliche  Stellen 
mit  feuersicherem  Lokale  statt,  im  Inlande  nur  an  Oberbehörden.  Eine  be- 
stinmite  Zeitgrenze  ist  für  die  Benutzung  nicht  aufgestellt  Der  Jahreshaus- 
haushalt  1901/ 1902  beläuft  sich  auf  9450  Mark. 

Vorstand  des  Herzoglichen  Haus-  imd  Staatsarchivs  ist  gegenwärtig 
Geh.  Archivrat  Prof.  F.  Kindscher,  dem  als  wissenschaftlicher  Hilfs- 
arbeiter Dr.  R.  Siebert  zur  Seite  steht     Am  i.  Juli  tritt  ersterer  in  den 

17* 


—     236     — 

dauernden  Ruhestand,   zu   seinem  Nachfolger   ist  bereits   Prof.   Hermann 
Wäschke  in  Dessau  ernannt. 

Kommissloiieil«  —  Am  12.  Dezember  1900  wurde  in  Leipzig  die  fünfte 
Jahresversanmilung  der  königl.  sächsischen  Kommission  für  Geschichte  ')  unter 
dem  Vorsitz  des  Kultusministers  v.  Seydewitzin  den  Räumen  der  königl.  Ge- 
sellschaft der  Wissenschaften  abgehalten.  Alle  Mitglieder  aufser  Prof.  Knothe 
(Dresden)  waren  anwesend,  darunter  auch  zwei  neuemannte  Mitglieder  der  Kom- 
mission: Geh.  Hofrat  Prof.  Woermann,  Direktor  der  königl.  Gemäldegalerie 
(Dresden),  und  Prof.  Schmarsow  (Leipzig).  Über  den  Stand  der  Unternehmungen 
der  Kommission  wurde  das  Folgende  mitgeteilt  Im  Druck  befinden  sich 
zur  Zeit  das  Lehnsbuch  Friedrichs  des  Strengen  von  1349,  herausgegeben 
von  Archivrat  Lippert  und  Archivsekretär  Beschorner,  und  die  Akten 
und  Briefe  des  Herzogs  Georg,  herausgegeben  von  Prof.  Gefs  (Dresden). 
Von  der  Grundkarte  des  Königreichs  Sachsen  ist  inzwischen  die  Doppelsektion 
468/493  (Zwickau -Johanngeorgenstadt)  erschienen,  bis  Ende  1901  sollen 
alle  noch  nicht  veröffentlichten  Sektionen  aufser  369/394  (Spremberg-Nieski) 
fertig  gestellt  werden.  Die  Ablieferung  des  Manuskriptes  imd  somit  der  Be- 
ginn des  Druckes  steht  für  folgende  Veröffentlichungen  in  Aussicht:  die  Akten 
zur  Geschichte  des  Bauernkriegs  in  Mitteldeutschland,  herausgegeben  von 
Archivar  Merx  (Osnabrück);  die  Politische  Korrespondenz  des  Kurfürsten 
Moritz,  Band  II ,  herausgegeben  von  Prof.  Brandenburg  (Leipzig);  den 
Briefwechsel  der  Kurfürstin  Maria  Antonia  mit  der  Kaiserin  Maria  Theresia, 
herausgegeben  von  Archivrat  Lippert  (Dresden),  imd  die  Akten  zur  Ge- 
schichte des  Heübronner  Bimdes  von  1632/33,  herausgegeben  von  Staats- 
archivar Kretzschmar  (Hannover).  EndÜch  wird  die  Faksimilereproduktion 
der  Dresdner  BUderhandschrift  des  Sachsenspiegels  im  nächsten  Jahre  vor- 
genommen werden.  Die  Abfassimg  der  rechtsgeschichtlichen  Erläuterungen  dazu 
hat  Prof.  V.  Amira  (München),  die  der  kunstgeschichtlichen  Prof.  v.  Oechel- 
häuser  (Karlsruhe)  übernommen.  Die  übrigen  Arbeiten  der  Kommission 
sind  in  gutem  Fortgang  begriffen.  Doch  hat  der  nach  St  Gallen  berufene 
Prof.  Dr.  E.  O.  Schulze  die  Bearbeitung  des  Flurkartenatlasses  aufgeben 
müssen.  In  dem  mehrbändigen  geplanten  Werke  über  die  Geschichte  des 
geistigen  Lebens  der  Stadt  Leipzig  wird  Privatdozent  Böhmer  (Leipzig)  die 
Kirchengeschichte  behandeln,  während  die  als  Ergänzung  zur  Geschichte  des 
geistigen  Lebens  gedachte  Leipziger  Wirtschafts-,  Sozial-  und  Verfassungs- 
geschichte Armin  Tille  zur  Bearbeitung  übernommen  hat  Endlich  sind 
Bewilligungen  für  mehrere  neue  Unternehmungen  beschlossen  worden.  Die 
eigenhändigen  Entwürfe  imd  Briefe  Augusts  des  Starken  sollen  durch 
P.  Haake  (Berlin)  herausgegeben  werden.  Zur  Förderung  der  historischen 
Geographie  Sachsens  wird  das  Folgende  geschehen:  Vorarbeiten  zu  einem 
historischen  Ortsverzeichnis  Sachsens  wird  Archivsekretär  Bes  chorner  aus- 
führen *).    Privatdozent  Kötzschke  (Leipzig)  wird  die  Territorial-  imd  Ämtcr- 


i)  Vgl  I.  Band,  S.  107. 

2)  Derselbe  hat  sich  bereits  in  dem  Aufsätze :  Stand  und  Au/gaben  der  historischen 
Topographie  in  Sachsen  (Neues  Archiv  für  Sächische  Geschichte,  21.  Bd.,  1900.  S.  138 
bis  159)  eingehend  über  die  dafür  za  Gebote  stehenden  Hilfsmittel  verbreitet.  Für  jede 
Landschaft,  wo  die  Anlage  von  OrtsYerzeichnissen  geplant  wird  —  vgl.  oben  S.  91  bis  94 


~     237     — 

grenzen  Sachsens  in  Angriff  nehmen;  zugleich  soll  die  Veröffentlichung  des 
Eegistrum  dominarum  marchionum  Misnensium  vom  Jahre  1378  (im  wesent- 
lichen Ämterverzeichnis  der  Meifsnischen  Markgrafen)  vorbereitet  werden. 

Die  Badische  Historische  Kommission*)  hielt  ihre  19.  Plenar- 
sitzung am  19.  und  20.  Oktober  1900  in  Karlsruhe  ab.  Den  Vorsitz  führte 
der  inzwischen  verstorbene  Prof.  Erdmannsdörffer.  Die  meisten  der 
unternommenen  Arbeiten  sind  wesentlich  gefordert  worden.  Neben  den  Re- 
gesten zur  Geschichte  der  Bischöfe  von  Konstanz,  die  Alexander  Car- 
te llieri  imter  Mitwirkung  von  Dr.  Eggers  bearbeitet  und  die  bis  1383 
druckfertig  vorliegen,  sowie  den  Regesten  der  Pfalzgrafen  bei  Rhein,  die 
nach  neuerem  Beschlufs  nicht  bis  1508,  sondern  nur  bis  1436  geführt  werden 
sollen  —  Bearbeiter:  Bibliothekskustos  Sillib  (Heidelberg)  — ,  sind  auch  die 
Regesten  der  Markgrafen  von  Baden  —  Bearbeiter:  Prof.  Witte  —  so  weit 
gefördert,  dafs  der  Anfang  des  zweiten  Bandes  druckfertig  vorliegt.  Von 
den  Oberrheinischen  Sta/itrechten  hat  Dr.  Köhne  an  der  fränkischen  Ab- 
teilung weiter  gearbeitet,  in  der  schwäbischen  besorgt  die  Herausgabe  des 
Überlinger  Stadtrechts  Dr.  Hoppeler,  die  des  Konstanzer  Prof. Beyerle. 
Von  den  elsässischen  Stadtrechten,  die  einen  Bestandteil  dieser  Sammlung 
bilden  und  mit  Unterstützung  des  Landesausschusses  für  Elsafs- Lothringen 
bearbeitet  werden,  ist  das  Schlettstadter,  herausgegeben  von  Dr.  G^ny,  im 
Drucke  vollendet.  Von  der  Politischen  Korrespondenz  Karl  Friedrichs  von 
Baden  (1783 — 1806)  ist  der  von  Archivrat  Obser  bearbeitete  5.  Band  im 
Druck.  Die  Arbeiten  für  ein  zweites»  Heft  der  Siegel  der  badischen  Städte,  das 
die  Kreise  Baden,  Offenburg,  Freiburg  und  Lörrach  umfassen  wird,  ist  eben- 
faUs  fortgeschritten:  es  wurden  1374  Siegel  aus  den  Urkundenbeständen  des 
Generallandesarchivs  aufgezeichnet.  Die  Inventarisation  der  klemeren  Archive 
ist  unter  Leitung  der  fünf  Oberpfleger  durch  die  Pfleger  fast  zu  Ende  ge- 
führt worden.  Die  Vorarbeiten  für  die  Herstellung  von  Grundkarten,  die 
das  Grofsh.  Statistische  Landesamt  ausführt,  gehen  bereits  ihrem  Abschlufs 
en^egen.  Beschlossen  wurde  die  Herausgabe  einer  zweiten  Auflage  des 
Topographischen  Wörterbuchs  des  Grofsherzogtums  Baden,  da  die  erste 
1898  erschienene  Auflage  vergriffen  ist,  die  Fortsetzung  der  Badischen  Bio- 
graphieen,  die  bis  zum  4.  Bande  (1891)  gediehen  sind,  sowie  die  Bearbeitung 
eines  Gesamtregisters  zu  den  ersten  39  Bänden  der  Zeitschrift  für  die  Geschichte 
des  Oberrheins  ^).  Ausgegeben  wurden  im  Berichtsjahre  folgende  Bände : 
Beyerle,  Konstanz  im  dreipsigjökngen  Krieg,  (Badische  Neujahrsblätter, 
Neue  Folge,  Nr.  3);  Kindler  von  Knobloch,  Oberbadisches  Oeschlechter- 
buch.  II.  Band,  2,  Lieferung;  Köhne,  Oberrheinische  Stadirechte.  I.  Ab- 
teilung, Heft  5  (Heidelberg,  Mosbach,  Neckargemünd,  Adelsheim);  Fest  er- 
Witte, Eegesten  der  Markgrafen  von  Baden  und  Hachberg,  Schlufs  des 
I.  Bandes  (bis  1431  bezw.  1428);  Aloys  Schulte,  Geschichte  des  mittel- 
alterlichen Handels  und  Verkehrs  xioischen  Westdeutschland  und  Italien  mit 


das  Programm  für  ein  solches  Werk  — ,  sollten  derartige  Übersichten  den  Anfang  machen. 
Neben  Baden  hat  bis  jetzt  Elsafs  die  Heraasgabe  eines  geschichtlichen  Ortsverzeichnisses 
begonnen,  in  Hessen  ist  es  in  Vorbereitung. 

1)  Vgl  L  Band,  S.  106. 

2)  Vgl  L  Band,  S.  339. 


—     238     — 

Ausschluß  von  Venedig.  2  Bände.  —  Ernannt  wurden  Prof.  Ulrich  Stutz 
in  Freiburg  zum  ordentlichen,  Archivassessor  Karl  Brunner  in  Karbruhe 
und  Prof.  Konrad  Beyerle  in  Freiburg  zu  aulserordentlichen  MitgUedem 
der  Kommission. 

Die  Thüringische  Historische  Kommission  *)  tagte  am  18.  No- 
vember 1900  zu  Saalfeld  unter  dem  Vorsitz  von  Dr.  Dobenecker  (Jena). 
Der  erste  Band  der  Landtagsakten  ist  im  Drucke  £ast  vollendet  und  soll 
vom  Herausgeber  Geh.  Hofrat  Burkhardt  mit  Einleitung  und  Qossar  aus- 
gestattet werden.  Er  wird  unter  dem  Titel :  Sachseti-Emestinfsehe  Landtags^ 
akten  Band  I  (1487 — 1532)  im  Verlag  von  S.  Fischer  in  Jena  erscheinen. 
Der  zweite  Band  (1533 — 1547)  wird  bald  folgen.  Von  den  Stadtrechten 
sind  Saalfeld ,  Pöfsneck ,  Eisenach  tmd  Gotha  in  Bearbeitung,  aber  vorläufig 
ist  noch  keins  abgeschlossen.  Ab  erster  Band  der  Veröffentlichung  von 
Archivalien  zur  neueren  Geschichte  ist  eine  Publikation  von  Akten  zur  Ge- 
schichte Johann  Casimirs  (1586 — 1633)  ^^^  ^^^  Koburger  Archiv  in  Aussicht 
genommen.  Auch  an  Akten  zur  Geschichte  Wilhelms  IV.  von  Weimar 
(1626 — 1662)  wird  gedacht  Die  Inventarisation  der  kleineren  Archive  durch 
die  Pfleger  schreitet  in  allen  Teilen  des  Gebietes  fort,  und  die  Drucklegung 
in  der  Zeitschrift  des  Vereins  für  Thüringische  Geschichte  und  Altertumskunde 
soll  bald  beginnen.  Die  Bearbeitung  der  Grundkarten  für  Thüringen  wird 
dadurch  erleichtert,  dafs  die  Provinz  Sachsen  und  das  Königreich  Sachsen 
die  in  Betracht  kommenden  Grenzkarten  volbtändig  herstellen,  so  dais  nur 
das  rein  thüringbche  Gebiet  übrig  bleibt  Doch  smd  die  Mittd  dafür  zur 
Zeit  noch  nicht  flüssig,  sie  werden  bislang  von  den  Regierui^n  nur  erhofft 
Als  neue  Publikation  wird  die  Ausgabe  der  Matrikel  der  Universität  Jena 
und  eventuell  die  Bearbeitung  einer  Geschichte  der  Universität  in  Aussicht 
genommen.  Auf  Antrag  des  Vorsitzenden  wurde  beschlossen,  die  Haupt- 
pfleger darum  zu  bitten,  dafs  sie  von  den  ältesten  Stadtplänen  der  in  ihren 
Bezirken  gelegenen  Städte  eine  Kopie  im  Mafsstabe  i :  2000  tmd,  wo  ältere 
Pläne  nicht  erhalten  sind,  aus  dem  heutigen  Stadtplan  einen  solchen  für 
den  alten  einst  von  den  Ringmauern  eingeschlossenen  Kern  der  Stadt  in 
gleichem  Mafsstabe  anfertigen  lassen  und  der  Kommission  übersenden. 
Drei  weitere  Anträge  von  Archivrat  Mit zschke  wurden  dem  Vorstande  der 
Kommission  zur  weiteren  Erwägung  überwiesen,  nämlich  a)  die  Kommission 
möge  die  Mainzer  Ingrossaturbücher  im  Kreisarchiv  zu  Würzburg  für  die 
thüringische  Geschichte  ausziehen  lassen,  b)  Die  Kommission  möge  ein  Ver- 
zeichnis der  Thüringer  Postakten  aus  dem  fÜrstL  Thum-  und  Taxbschen 
Archiv  zu  Regensburg  anlegen  lassen,  c)  Es  möge  in  Erwägung  gezogen 
werden,  ob  nicht  die  wissenschaftliche  Abteilung  des  Thüringer  Waldvereins 
in  die  Kommission  hineinzuziehen  sei.  —  Die  Organisation  der  Kommission 
wurde  weiter  ausgestaltet  durch  Bestellung  des  Dr.  Kötschau  auf  der 
Veste  Koburg  zum  Hauptpfleger  für  das  Herzogtum  Koburg,  welches  bereits 
in  Pflegschaften  eingeteilt  ist  In  Arnstadt  wurde  Schulrat  F ritsch,  in  Sonne- 
berg Dr.  Heiland   zum  Hauptpfleger  empfohlen. 


i)  Vgl.  I.  Band,  S.  105. 


Zum  mnswliilgen  LeiliTerkeliT  der  Bibliotheken.    Von  Her- 

man  Haupt  (GidseD).  —  Waker  Schahze  hat  in  dieser  Zeitschrift  Bd.  II, 
S.  164 — 174  auf  die  bedeutenden  Fortschritte  hingewiesen,  welche  der  aus- 
wärtige Leihverkehr  der  preufsischen  Bibliotheken  gegenüber  der  früheren 
umständlicheren  Praxis  der  Bücherversendungen  an  auswärtige  Benutzer  im 
vergangenen  Jahrzehnt  gemacht  hat  Der  Verfasser  bezeichnet  es  femer  als 
eine  Aufgabe  der  Zukunft,  jenen  gegenseitigen  regelmäfsigen  Leihverkehr,  der 
sich  zur  Zeit  auf  die  preufsischen  staatlichen  Bibliotheken  beschränkt,  auch 
auf  die  übrigen  wissenschaftlichen  Büchersammlungen  Deutschlands  aus- 
zudehnen. Anhangsweise  werden  akdann  Mitteilungen  über  ähnliche  Ein- 
richtungen in  den  süddeutschen  Staaten  gemacht,  dabei  wird  jedoch  des 
auswärtigen  Leihverkehrs  der  Giefsener  Universitätsbibliothek 
nicht  gedacht.  Da  nun  die  fUr  Giefsen  getroffenen  Bestimmungen  jene 
Zukunftswünsche  des  Verfassers  für  den  Kreis  ihrer  Benutzer  bereits  guten- 
teib  verwirklichen,  so  glaube  ich  hier  mit  einigen  Worten  auf  sie  hinweisen 
zu  sollen. 

In  Giefsen  nicht  vorhandene  Bücher,  auf  deren  Empfang  die  Besteller 
Wert  legen,  werden  in  der  Regel  zunächst  aus  der  Hofbibliothek  in  Darm- 
stadt erbeten,  an  welche  die  betreffenden  Bestellzettel  jeden  Mittwoch,  nach 
Bedarf  auch  öfter  in  der  Woche  gesandt  werden.  Da  die  in  Darmstadt  vor- 
handenen Bücher  von  dort  umgehend  durch  die  Post  oder  als  Eilgut  versendet 
werden,  sind  die  Besteller  in  der  Regel  am  zweiten  Tage  nach  Abgang  der 
Bestellung  im  Besitz  der  Bücher  oder  über  deren  Fehlen  in  Darmstadt  unter- 
richtet Am  folgenden  Tage,  gewöhnlich  Sonnabend  jeder  Woche,  nach 
Bedarf  aber  auch  öfter,  werden  nun  die  Bestellungen  auf  dringend  gewünschte 
Bücher,  die  hier  und  in  Darmstadt  fehlen,  an  eine  der  gröfseren  auswärtigen 
Bibliotheken  (in  der  Regel  Strafsburg,  Göttingen,  Berlin  oder  München)  ab- 
geschickt. Soweit  die  bestellten  Werke  in  der  zuerst  angegangenen  Bibliothek 
fehlen,  werden  auf  Wunsch  der  Besteller  die  Verlangscheine  bei  den  folgenden 
Bestellungen  an  andere  Bibliotheken  weitergesandt.  Die  Entscheidung  über 
die  Wahl  der  anzugehenden  Bibliothek  trifft  von  Fall  zu  Fall  der  Bibliotheks- 
vorstand. Die  Deckung  der  durch  diesen  regelmäfsigen  Leihverkehr  entstehenden 
Kosten  übernimmt  die  Universitätsbibliothek,  die  von  den  Bestellern  nur 
eine  Gebühr  von  15  Pfennigen  für  den  entliehenen  Band  erhebt  Durch 
den  Bezug  von  Büchern  aus  Darmstadt  erwachsen  den  Entleihern  überhaupt 
keine  Kosten.  —  Im  ganzen  hat  die  Einrichtung,  die  allerdings  ein  nicht 
geringes  Mafs  von  Zeitaufwand  seitens  der  Beamten  und  Diener  beansprucht, 
sich  bisher  gut  bewährt.  In  der  Sonderung  zwischen  den  berechtigten  und 
den  über  das  Mafs  des  Zulässigen  und  Möglichen  hinausgehenden  Wünschen 
der  Besteller  liegen  allerdings  manche  Schwierigkeiten.  Doch  ist  zu  hoffen, 
dafs  diese,  je  fester  sich  die  Einrichtung  mit  der  Zeit  einlebt,  desto  mehr 
zurücktreten  werden. 


Im  „Centralblatt  für  Bibliothekswesen"  XVIII,  S.  231  (Mai- 
heft 1901)  wird  über  unseren  Aufsatz  berichtet.  Es  wird  bei  dieser  Gelegen^ 
heit  festgestellt,  dafs  leider  in  Sachsen  eine  Verkehrserleichtertmg ,  wie  sie 
zwischen  Tübingen  und  Stuttgart  und  Giefsen  und  Darmstadt  besteht ,   noch 


—    240    — 

ein  frommer  Wunsch   ist,    obwohl   eine   ständige   Verbindung  zwischen   den 
Bibliotheken  von  Leipzig  und  Dresden  recht  nahe  liegt 

Die  auf  Seite  174  auf  Grund  einer  kurzen  privaten  Mitteilung  gegebene 
Notiz  über  die  Verhältnisse  in  Österreich  ist  dahin  zu  ergänzen,  dafs  nach 
der  inzwischen  ergangenen  neuen  Benutzungsordnung  fUr  die  K.  K«  Hof- 
bibliothek alle  Hof-,  Staats-  und  Kommunalbeamten,  alle  Lehrer  an  Universitäten, 
höheren,  mittleren  und  Volksschulen,  alle  an  Bibliotheken,  Archiven,  Museen, 
kirchlichen  Anstalten  angestellten  Beamten  das  Recht  haben,  aus  der 
Bibliothek  Bücher  zu  entleihen;  bei  gewissen  Kategorieen  mufs  das  Gesuch 
aufser  der  Unterschrift  des  Bestellers  noch  mit  dem  Amtsstempel  oder  der 
Unterschrift  des  Amtsvorstandes  versehen  sein.  Im  übrigen  erfolgt  der  Be- 
zug von  Handschriften  und  Druckwerken  nach  auswärts  durch  Vermittelung 
einer  Bezirkshauptmannschaft,  eines  Bezirksgerichts,  eines  Pfarramts,  einer 
Gemeindevorstandschaft,  einer  Schulleittmg,  einer  Militärbehörde.  Es  ist  wohl 
sicher  zu  erwarten,  dafs  auch  für  die  österreichischen  Universitätsbibliotheken, 
für  die  einstweilen  noch  die  älteren  weniger  liberalen  Ausleiheordnungen  in 
Kraft  sind,  bald  neue  Bestimmungen  erlassen  werden,  die  sich  im  wesent- 
lichen dem  neuen,  einen  wesentlichen  Fortschritt  bedeutenden  Reglement  der 
Hofbibliothek  anschliefsen  dürften. 

Eingegangene  Bficher« 

Arens,  Franz:  Der  Liber  Ordinarius  der  Essener  Stifbkirche  und  seine 
Bedeutung  fUr  die  Liturgie,  Geschichte  und  Topographie  des  ehemaligen 
Stiftes  Essen.  [:=:  Beiträge  «zur  Geschichte  von  Stadt  und  Stift  Essen, 
21.  Heft.]     Essen,  G.  D.  Baedeker  1901.     156  S.  S^. 

Arnold,  C.  Fr.:  Die  Ausrottung  des  Protestantismus  in  Salzburg  unter  Erz- 
bischof Firmian  und  seinen  Nachfolgern,  ein  Beitrag  zur  Kirchengeschichte 
des  achtzehnten  Jahrhunderts.  Erste  Hälfte  [=  Schriften  des  Vereins 
fiir  Reformationsgeschichte  Nr.  67.]  Halle,  Max  Niemeyer,  1900. 
102  S.  8^     M.   1.20. 

Bericht  des  Provinzial-Cons^rvators  der  Kunstdenkmäler  der  Provinz 
Schlesien  über  seine  Thätigkeit  vom  i.  April  1898  bis  31.  Dezember 
1899  an  die  Provinzial-Kommission  zur  Erhaltung  und  Erforschung  der 
Kimstdenkmäler  Schlesiens.     43  S.  8^. 

Beyer,  Otto:  Schuldenwesen  der  Stadt  Breslau  im  14.  und  15.  Jahrhundert 
mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Verschuldung  durch  Rentenverkaut. 
[=  Zeitschrift  des  Vereins  für  Geschichte  und  Alterthum  Schlesiens, 
Bd.  XXXV,   1901.     S.  68—143.] 

Bleibtreu,  Carl:  Die  Wahrheit  über  1870.  München,  Verlag  der  deutsch- 
französischen Rundschau  1901.     76  S.  8^. 

Bronisch,  Paul:  Die  slavischen  Ortsnamen  in  Holstein  und  im  Fürsten- 
tum Lübeck  I.  [=  Jahresbericht  des  Kgl.  Realschule  zu  Sonderburg 
1 900/1901.]     14  S.  4^ 

Borchers,  Gebrüder:  Zum  150jährigen  Jubiläum  der  Lübeckischen  An- 
zeigen.    1751 — 1901.     64  S.  fol. 

Cardauns,  Hermann:  Die  Görres  -  Gesellschaft  1876 — 1901,  Denkschrift 
zur  Feier  ihres  25  jährigen  Bestehens  nebst  Jahresbericht  für  1900. 
KöUi,  J.  P.  Bachem,   1901.     iio  S.  8«.     M.   1.80. 

Herausgeber  Dr.  Armin  Tille  in  Leipzig.   —  Druck  und  Verlag  von  Friedrich  Andreas  Perthes  in  Gotha, 


Deutsche  Ceschichtsblätter 

Monatsschrift 


cur 


Förderung  der  landesgeschichtlichen  Forschung 

IL  Band  Juli  xgox  lo.  Heft 


Die  Juden  im  deutschen  JAittelalter 

Von 
Bruno  Klaus  (Schw.-Gmünd) 

Eines  der  merkwürdigsten  Völker  ist  gewifs  das  der  Juden.  Während 
Griechen  und  Römer  längst  vom  Schauplatz  der  Welt  abgetreten  sind, 
giebt  es  bis  auf  den  heutigen  Tag  Juden.  Darum  erweckt  ihre  Ge- 
schichte besonderes  Interesse,  und  darum  ist  die  Litteratur  darüber 
so  ungemein  reichhaltig.  Was  die  Geschichte  der  Juden  im  allgemeinen 
anlangt,  so  ist  als  monumentales  Werk  vor  allem  zu  nennen :  Heinrich 
Graetz,  Geschichte  der  Juden,  ii  Bde.,  1857-- 76  0»  wenn  auch  nicht 
zu  leugnen  ist,  dafs  dasselbe  manchmal  eine  etwas  parteiische  Färbimg 
zu  Gunsten  der  Juden  und  zu  Ungunsten  der  Christen  verrät.  Ebenso 
hat  die  Geschichte  der  Juden  in  einzelnen  Ländern  und  Orten,  sowie  in 
gewissen  Zeitabschnitten,  desgleichen  die  Darstellung  der  verschiedenen 
Verhältnisse  dieses  Volkes  treflfliche  Bearbeitungen  gefunden  *). 


i)  Leipzig,  Oskar  Leiner.  Teilweise  liegen  die  Bände  schon  in  neuen  Auflagen  vor : 
Bd.  I  (1873)  ^<i  U  (1875)  nur  in  erster,  Bd.  ll  (1900)  in  zweiter,  Bd.  lY  (1893), 
V(i895),  VI  und  VU  (1894),  VIII  (1890),  IX  (189 1),  X  (1897)  in  dritter  und  Bd.m(i888) 
in  vierter  Auflage.  Seit  Graetz's  Tode  (1891)  haben  Guttmann,  F.  Rosenthal 
nnd  M.  Brann  die  Neubearbeitung  besorgt.  In  demselben  Verlage  erschien  1888  eine 
VolkstümUehe  QeackickU  der  Juden  von  H.  Graetz  in  3  Bänden. 

2)  Als  Quellenwerke  für  die  Geschichte  der  Juden  hauptsächlich  in  Deutschland 
kommen  in  Betracht:  Aronius  und  Dresdner,  Regesten  xw  Geschichte  der  Juden 
im  fränkischen  und  deutschen  Reiche  bis  xum  Jahre  1273.  Berlin  1887  ff ;  Wiener, 
Regesten  %iir  Qeschichte  der  Juden  in  Deutschland  während  des  Mittelalters,  Hannover 
1862 ;  Moritz  Stern,  König  Ruprecht  von  der  Pfalx  in  seinen  Bexdehungen  xu  den 
Juden.  Kiel  1898;  Deutsche  Reichstagsakten  I.  Bd.  (1867),  mit  1376  beginnend,  der 
XL  Bd.  (1898)  führt  bis  1435.  Siehe  in  dem  Register  jeden  Bandes  das  Stichwort  „Juden*' ; 
M.  Stern,  Urkundliche  Beiträge  über  die  Stellung  der  Päpste  xu  den  Juden.  Kiel 
1893 ff.  Viel  Material  enthalten  die  Zeitschriften:  Monatsschrift  für  Qeschichte  und 
Wissenschaft  des  Judentums^  begründet  1852  von  ZachariasFrankel,  später  heraus- 
gegeben von  Heinrich  Graetz  (Jahrg.  18 — 36),  von  Kaufmann  und  M.  Brann 
O^^S*  37  bis  43),  seit  44.  Jahrg.  von  letzterem  aUein.     (Früher,  bis  41.  Jahrg.  (1896), 

18 


—     242     — 

Wir  wollen  nun  versuchen  in  möglichst  kurzen  Zügen  ein  Bild 
von  der  Lage  der  Juden  im  Mittelalter,  hauptsächlich  in  Deutschland, 
zu  geben  und  dabei  die  Punkte  hervorheben,  welche,  unseres  Erachtens 
der  Forscher  bei  Untersuchungen  über  einzelne  Judengemeinden  vor- 
nehmlich zu  berücksichtigen  hat. 

Nach  dem  Untergang  des  weströmischen  Reiches  scheint  der 
Mittelpunkt  des  Judentums  das  südliche  Gallien  gewesen  zu  sein.  Bei 
Aronius  finden  sich  viele  Beispiele,  welche  auf  die  steigende  Macht 
desselben  hinweisen.  Verschiedene  KonzUe  suchen  ihm  deshalb 
entgegenzuwirken.  Das  von  Agde  (506)  verbietet  Geistlichen  und 
Laien  die  Teilnahme  an  den  Mahlzeiten  der  Juden;  das  zweite  Konzil 
von  Orleans  (538)  bestimmt,  wenn  ein  Jude  einem  christlichen  Leib- 
eigenen etwas  von  der  Kirche  Verbotenes  befehle,  solle  letzterer, 
wenn  er  aus  dem  Hause  des  Juden  in  eine  Kirche  fliehe,  diesem  nicht 
ausgeliefert  werden;  das  von  Narbonne  (589)  verbietet  den  Juden,  ihre 
Toten  unter  Absingung  von  Psalmen  zu  bestatten;  614  bestimmt  das 
fünfte  Pariser  Konzil,  kein  Jude  solle  künftighin  eine  Richter-  oder 
Stadtratsstelle  bekleiden  dürfen,  wenn  er  sich  nicht  vorher  taufen  lasse ; 
624  setzt  das  Konzil  von  Reims  fest,  dalis  kein  Jude  zu  einem  öffent- 
lichen Amt  zugelassen  werden  solle.  Die  Juden  nahmen  also  vorher  am 
öffentlichen  Leben  unbeschränkten  Anteil.  Auch  bei  den  fränkischen 
Königen  wu(sten  sich  dieselben  eine  günstige  Stellung  zu  erringen. 
Dagobert  schenkt  633  der  Abtei  von  St.  Denis  den  Ertrag  der  Zölle, 
welche  der  jüdische  Kaufmann  Salomon  an  einem  Thore  in  Paris  im 


BretUm,  S.  Schottländer,  seit  1898  bei  S.  Calvary  &  Co.  in  Berlin.  44.  Jahrg.  (1900) 
^  Nene  Folge,  8  Jahrg.  Gegenwärtiger  Verlag  Wilhelm  Köbner  (Barasch  «nd 
Riesenfeld)  in  Breslau).  Magaxin  für  die  Wissenschaft  des  Judentums  ^  hggb.  von 
A.  Berliner  und  D.  Hoff  mann  (20  Jahrgänge  1874 — 1893,  i*~i6.  Jahrg.  Berlin, 
Mampe,  17.-- ao.  Jahrg.  B.  Rosenstein).  Zeitschrift  für  die  Oeschiekte  der  Juden  in 
Deutschland,  hggb.  von  Ludwig  Geiger  (Braonschweig,  Schwetschke  n.  Sohn.  18870. 
5  Jahigänge).  Alles  weitere  bei  M.  Stern,  Quellenkunde  xMtr  Oesehiehte  der  deutschen 
Juden  L    Kiel  1892. 

Von  Bearbeitungen  sind  henrorzuheben:  Depping,  Die  Juden  im  Mittel- 
alter, Stuttgart  1834;  J.  M.  Jott,  OesehiMe  des  Judentums  und  seiner  Sekten,  2  Bde. 
Leipxig  1857;  Otto  Stobbe,  Die  Juden  in  Deutschland  während  des  Mittelalters. 
Braunschweig  1866;  M.  Güdemann,  Oesehiehte  des  ErTiiehungsteesens  und  der  Kultur 
der  abendländischen  Juden  während  des  Mittelalters  und  der  neueren  Zeit.  3  Bde. 
Wien  1880  bis  1888;  Nttbling,  Die  Jiidengemeinden  des  Mittelalters,  insbesondere 
die  Judengemeinde  der  Reichsstadt  Ulm.  Ulm  1896;  A.  Berliner,  Aus  dem  Leben 
der  deutschen  Juden  im  Mittelalter,  Berlin  1900.  Seit  1895  erscheint  im  Verlage  Ton 
J.  Kanffmann  in  Frankfurt  a.  M.  eine  Serie  Beiträge  xur  Oesehiehte  der  Juden  «p» 
Deutschland  (bis  jetzt  zwei  Bände,  1895  und  1898). 


—     243     — 

Namen  des  Reichs  erhebt.  Papst  Stephan  III.  (678 — 772)  klagt  in 
einem  Schreiben  an  den  Eizbischof  Heibert  von  Narbonne,  wie  er 
bei  der  Nachricht  erschrocken  sei,  dafs  man  in  Frankreich  den  Juden 
sogar  erlaubt  habe,  auf  dem  Lande  und  in  den  Vorstädten  erblichen 
Grundbesitz  zu  erwerben,  und  daCs  Christen  die  Weinberge  und  Äcker 
von  Juden  bestellen.  Judith,  die  Gremahlin  Ludwigs  des  Frommen, 
nimmt  die  Juden  besonders  in  Schutz,  839  tritt  sogar  ein  gelehrter 
Diakon  Erdo,  der  am  Hofe  Ludwigs  des  Frommen  lebte,  zum  Juden- 
tum über. 

Doch  schon  Karl  der  Grofse  und  Ludwig  der  Fromme  beginnen 
mit  Beschränkung  der  Juden:  so  soll  kein  Jude  Wein  und  Getreide 
verkaufen  oder  ein  Schultheilsenamt  übernehmen.  Aber  erst  im  An- 
fang des  XI.  Jahrhunderts  werden  sie  durch  die  zunehmende  Erbitte- 
rung des  Volkes  bedroht.  Den  äuiseren  Anla&  dazu  gab  der  Umstand, 
dafs  im  Jahre  1009  ^^^  Kalif  von  Persien  die  Grabeskirche  in  Jeru- 
salem zerstörte.  Es  verbreitete  sich  darauf  das  Gerücht,  die  Juden 
von  Orleans  hätten  ihn  dazu  veranlafst,  und  nunmehr  wurden  die  Juden 
in  den  christlichen  Reichen  teils  vertrieben,  teils  getötet. 

In  Deutschland  war  die  Zahl  der  Juden  im  X.  und  XI.  Jahrhundert 
jedenfalls  noch  nicht  grofs,  nur  vereinzelt  werden  sie  erwähnt.  Otto  I. 
verordnete  965,  da(s  die  Juden  und  die  übrigen  Kaufleute  in  Magde- 
burg nur  der  Gewalt  des  Erzbischofis  unterstehen  sollten,  und  973 
und  979  wurde  bestimmt,  dafe  der  Vogt  des  Erzbischofs  von  Magde- 
burg auch  über  die  in  der  Stadt  oder  Vorstadt  wohnenden  Juden 
die  Gerichtsbarkeit  ausüben  solle.  Die  Merseburger  Juden  werden 
vom  Kaiser  973  dem  Bischöfe  Giseler  unterstellt,  1012  finden  sie  sich 
in  Magdeburg  bei  dem  Tode  des  Erzbischofs  Baldhart  unter  den  Leid- 
tragenden *).  In  Köln  erwerben  die  Juden  1012  eine  Synagoge  und 
einen  Friedhof,  und  aus  dem  Jahre  1032  ist  ein  von  dort  stammender 
Leichenstein  erhalten  '). 

In  Regensburg  überläfst  um  die  Jahre  1006  bis  1008  nach 
Aronius  der  Bürger  Rizmann  dem  Kloster  St.  Emmeran  daselbst  drei 
Höfe  bei  dem  Judenviertel  der  Stadt:  es  ist  dies  die  älteste  urkund- 
liche Erwähnung  eines  solchen  in  einer  deutschen  Stadt. 
Die  ersten  Niederlassungen  der  Juden  finden  wir  also  in  alten  Handels- 
städten,  die  zugleich  Bischofssitze  sind.     Dafs   sie  Handelsstädte  auf- 

1)  Siehe  Aronius  zu  den  betreffenden  Jahren. 

2)  Er  ist  nebst  anderen  dem  Kölner  Jadenfriedhof  entstammenden  Grabsteinen  in 
die  Barg  Lechenich  verbaat  VgL  Annalen  des  historischen  Vereins  fUr  den  Niederrhein, 
21./22.  Heft  (1870),  S.  130. 

18  • 


—     244     — 

suchen,  bringt  ihre  Hauptbeschäftigung*  mit  sich,  dafs  sie  Bischofssitze 
wählen,  wird  auch  nicht  ohne  Bedeutung  sein,  ohne  Zweifel,  weil  sie 
unter  dem  Krummstab  den  besten  Schutz  zu  finden  hofften.  Als 
kapitalkräftige  Leute  waren  sie  aber  für  die  Bischöfe  auch  eine  ergiebige 
Steuerquelle  und  als  solche  höchst  willkommen  ^). 

Bald  finden  wir  Juden  in  weiteren  Handelsstädten,  so  in  Augs- 
burg 1266,  Nürnberg  1156  bezw.  1288,  Frankfurt  1251  *).  In  Strafs- 
burg schenkte  die  Frau  eines  Rabbiners  fiinf  Goldgulden  für  den  Bau 
einer  Synagoge ').  Sonst  aber  treflfen  wir  die  Juden  meist  erst  im 
XIII.  Jahrhundert  an,  so  in  der  Pfalz  unter  Ludwig  I.  (1214 — 1228)*), 
inÜberlingen,  wo  1226  ein  jüdischer  Friedhof  erwähnt  wird*). 

Die  erste  Kunde  von  dem  Vorhandensein  einer  Judengemeinde 
in  Ulm  geben  uns  dort  gefundene  Judengrabsteine.  Der  älteste  der- 
selben stammt  aus  dem  Jahre  1243  und  meldet  den  Tod  einer  Tochter 
des  Rabbi  Salomon  Halevy  *).  Ulrich  Herr  v.  Wahrberg  verleiht  1260 
dem  Juden  Jakob  die  Nutzniefeung  seines  Dorfes  Elpersheim  auf  drei 
Jahre  ^).  Nach  der  Meilsnischen  Judenordnung  von  1265  (Heinrich 
der  Erlauchte)  finden  sich  in  allen  sächsischen  Städten  Juden,  vor  1350 
selbst  in  Leipzig  ^),   wo  später  aufserhalb  der  Messen  keine  zu  finden 


i)  Unter  diesem  Gesichtspunkte  zieht  Bischof  Rüdiger  1084  nach  Aronios  die  Jaden  nach 
Sp  e  i  er :  er  verpflanzt  Juden  dorthin  in  der  Hoffnung,  den  Glanz  des  Ortes  zu  vertausendfachen« 
Sie  bekommen  einen  eigenen  Bezirk,  der  durch  eine  Mauer  geschützt  wird,  sowie  einen 
Begräbnisplatz.  Als  Miete  für  ihr  Quartier  bezahlen  sie  dem  Kapitel  jährlich  3^1  Pfand 
Speirisch.  Sie  dürfen  innerhalb  ihres  Bezirks  und  in  der  Stadt  Gold  und  Silber  um- 
wechseln und  alles  kaufen  und  verkaufen,  was  sie  wollen.  Fremde  Juden  zahlen  keinen 
Zoll.  Der  Vorsteher  des  Judenviertels  darf  Streitigkeiten  der  Juden  untereinander  ent- 
scheiden, nur  wenn  er  mit  einem  Gegenstand  nicht  fertig  wird,  hat  er  ihn  vor  den  Bischof 
oder  Kämmerer  zu  bringen.  Die  Juden  dürfen  christliche  Ammen  und  Mietsknechte 
haben,  sowie  geschlachtetes  Fleisch,  das  zu  essen  ihnen  verboten  ist,  an  die  Christen 
verkaufen.  Im  Jahre  1090  nimmt  dann  Kaiser  Heinrich  IV.  mehrere  Juden  in  Speier  in 
seinen  Schutz.  Der  hierüber  gefertigte  Vertrag  enthält  gleichfalls  fUr  die  Juden  aufser- 
ordentlich  günstige  Bedingungen.     Die  Juden  waren  also  damals  gesucht, 

2)  Vgl  Stobbe,  a.  a.  O.  S.  84,  50,  96. 

3)  C.  Th.  Weifs,  Geschichte  tmd  rechtliche  Stellung  der  Juden  im  Fürstbistum 
Straßburg.    Die  Schenkung  ist  auf  einem  Inschriftstein  überliefert 

4)  Löwenstein,  Geschichte  der  Juden  in  der  Kurpfalx,  (Frankfurt  a.  M.  1890),  S.  i. 

5)  M.  Stern,  Die  israelitische  Bevölkerung  der  deutschen  Städte,  i.  Heft  Kiel 
1894.  —  Auch  in  den  meisten  Städten  des  Erzbistums  Trier  sind  im  XIU.  Jahriiundert 
Juden  nachweisbar.     Vgl.  Lamprecht,  Deutsches  Wirtschaftsleben  I,  S.  1449. 

6)  Nübling,  Die  Judengemeinden*     S.  2. 

7)  Wirtemberg.     Urkundenbuch  Bd.  V.  S.  357. 

8)  Mitteilungen  der  deutschen  Gesellschaft  zu  Leipzig  I  (1856),  S.  116.  Die  Juden- 
schule  (scola  Judaeorum)  giebt  Markgraf  Friedrich  1352  zu  Lehen  (vgL  Urkundenbuch 


—     245     — 

sind,  für  Meifsen  selbst  stammt  die  älteste  Urkunde,  welche  das 
Vorhandensein  von  Juden  dort  bezeugt,  aus  dem  Jahre  1286  *).  Nach 
einer  Urkunde  von  1266  bestätigt  König  Konrad  dem  Bürger  Vendo 
von  Efslingen  die  demselben  von  seinem  Vater  zu  teil  gewordene 
Schenkung  des  Hauses  des  Juden  Säildmann  für  Verluste,  die  Vendo 
in  einer  Fehde  Konrads  mit  Graf  Ulrich  von  Württemberg  erlitten 
hat  *).  Das  älteste  Privilegium  der  Juden  in  Friedberg  ist  von  Kaiser 
Rudolf  von  Habsburg  1275  verliehen*).  Zu  Münster  i.  W.  kam  es 
1287  2U  einer  g^o&en  Judenverfolgung*)  und  in  demselben  Jahre  zu 
Siegburg.  Aus  Weifeenburg  teilt  Rockinger  *)  zwei  Urkunden  aus  den 
Jahren  1288  und  13 12  über  Rechtsgeschäfte  zwischen  Christen  und 
Juden  mit.  Die  erste  urkundliche  Erwähnung  von  Juden  in  Nördlingen 
findet  sich  im  Martyrologium  der  Nürnberger  Gemeinde,  wo  die  Juden 
au%'ezählt  werden,  welche  bei  der  Bewegung  gegen  die  Juden,  die  im 
Jahre  1298  von  dem  Edelmann  Rindfleisch  in  dem  fränkischen  Städtchen 
Rötungen  ausging,  zu  Nördlingen  erschlagen  oder  verbrannt  wurden  ^). 
König  Albrecht  fordert  am  2.  Dez.  1299  Rückrufiing  der  Juden  nach 
Dortmund').  Nach  Zehnter®)  würde  die  älteste  Nachricht  über  die 
Juden  in  der  Markgrafschaft  Baden-Baden  aus  dem  Jahre  1267  stammen. 
In  demselben  Bande  dieser  Zeitschrift  widerlegt  aber  Fester  diese  An- 
sicht mit  guten  Gründen  und  weist  nach,  dafs  erst  1382  Markgraf 
Bernhard  I.  von  König  Wenzel  mit  den  Juden  seines  Territoriums  be- 
lehnt werde:  für  dieses  Jahr  sind  natürlich  Judengemeinden  als  seit 
gewisser  2^it  bestehend  anzimehmen.    Erst  im  XIV.  Jahrhundert  treflfen 


der  Stmdt   Leipzig  I  (1868),   S.  29,   Nr.  44),   also   sind   die   Juden   offenbar   auch   hier 
1349  vertrieben  worden. 

i)  Alphonse  Levy,  Geschichte  der  Juden  in  Sachsen,  Berlin  1901.  S.  15/16. 

2)  Wirtembergisches  Urkundenbuch,  Bd.  VI,  S.  278. 

3)  Dieffenbach,  (beschichte  der  Stadt  und  Burg  Friedberg  in  der  Wetterau. 
(Dannstadt  1857),  S.  307. 

4)  Bahlmann,  Zur  Geschichte  der  Juden  im  Münsterland,  in  der  Zeitschr.  ftir 
Knltnrgesch.  II.  Bd.  (1895)  S,  381  nach  dem  alten  Mainzer  Memorialbach. 

5)  Archivalische  Zeitschr.  N.  F.  1894,  Bd.  V.     S.  93  — loi. 

6)  L.  Müller,  Aus  fünf  Jahrhunderten.  Beiträge  zur  Geschichte  der  jüdischen 
Gemeinden  im  Rieß,  in  der  Zeitschr.  des  historischen  Vereins  für  Schwaben  and  Nea- 
bnrg,  25.  Jahrgang  (1898)  S.  8. 

7)  Annalen  des  historischen  Vereins  fUr  den  Niederrhein,  41.  Heft  (1884),  S.  90. 

8)  Zur  Geschichte  der  Juden  in  der  Markgrafsehafl  Baden-Baden,  in  der  Zeitschr. 
Dir  die  Geschichte  des  Oberrheins,  Nene  Folge,  Bd.  XI  (1896),  S.  337— 44i> 


—     246     — 

wir  Juden  in  Görlitz  *),  Worms  *),  Heidelberg  '),  Schwäb.-Gmünd  *),  viel 
später  erst  im  Norden,  so  in  Riga  ^)  1560,  in  Hamburg  ^  nicht  vor  dem 
letzten  Viertel  des  XVI.  Jahrhunderts,  in  Kiel  ^)  erst  im XVII.  Jahrhundert. 
Die  skandinavischen  Reiche  und  Grofebritannien  *)  waren  den  Juden  noch 
bis  in  dieselbe  2^it  fast  verschlossen ;  daher  richteten  sie  ihre  Handels- 
fahrten nicht  in  die  deutschen  Nordseeländer,  wo  ja  bekanntlich  die 
Hansen  ihren  Handel  gegen  jede  Konkurrenz  zu  schützen  wu(sten.  Dieses 
ungefähre  Bild  der  Verbreitung  der  Juden  wird  sich  natürlich  aus  der 
LokalUtteratur  noch  mannigfach  vervollständigen  lassen,  aber  dazu  ist 
als  Grundlage  unerläfelich,  für  jeden  Ort  genau  die  Zeit  festzustellen, 
wo  zuerst  Juden  urkundlich  belegt  sind,  und  es  ist  streng  zu  unter- 
scheiden, ob  es  einzelne  Familien  oder  organisierte  Gemeinden  sind, 
welche  wir  antreffen. 

Von  einzelnen  Judenverfolgungen  (1009,  1287)  haben  wir  schon 
gehört  Solche  brachten  in  früherer  Zeit  die  Kreuzzüge  '):  schon  1096 
fallen  die  Kreuzfahrer  raubend,  plündernd  und  mordend  über  die  Juden 
in  den  rheinischen  Städten  her,  ebenso  beim  zweiten  Kreuzzug  1 146  ^®). 
Die  Juden  nehmen  ihre  Zuflucht  zu  Papst  Alexander  III.  (11 59 — 1181), 
der  sie  wie  Calfact  IL  {1119— 1124)  und  Eugen  HI.  (1145 — 1153)  in 
seinen  Schutz  nimmt.  „Kein  Christ**,  heilst  es  in  einer  dieser  Ur- 
kunden"), „soll  die  Juden  wider  ihren  Willen  zwingen  zur  Taufe 
zu  kommen,  aber  wenn  einer  des  Glaubens  wegen  zu  den  Christen 
seine  Zuflucht  nimmt  und  seinen  Willen  kundgethan  hat,  soll  er  zum 


i)  Levy,  Geschichte  der  Juden  in  Sachsen.    (Berlin  1901),  S.  28. 

2)  G.  Wolf,  Zur  Geschickte  der  Juden  in  Worms,    (Breslau  1862),  S.  4. 

3)  Löwenstein,  Geschickte  der  Juden  in  der  Kurpfalx.  (Beiträge  zur  Geschichte 
der  Jaden  in  Deutschland  I)  Frankfurt  a.  M.  1895,  S-  2- 

4)  Klaus,  Beilage  zur  ÄUgem.  Ztg.  1900,  Nr.  66. 

5)  Anton  Buchholtz,  Geschichte  der  Juden  in  Riga.    (Riga  1899)  S-  i. 

6)  Feilchen feld  in  der  Zeitschr.  fUr  Geschichte  der  Juden  in  Deutschland  I. 
(1887),  S.  271. 

7)  M.  Stern,  Die  israelitische  Bevölkerung  der  deutsehen  Städte. 

8)  Es  gab  natürlich  auch  hier  einzelne  Juden,  aber  ihre  Zahl  und  soziale  Bedeutung 
war  gering.  VgL  Salomon  Goldschmidt,  Geschichte  der  Juden  in  England  im 
XI.  und  XIL  Jahrhundert.    Leipzig.    Diss.  1886. 

9)  Es  liegen  jetzt  ediert  Yon  A.  Neubauer  und  M.  Stern  und  ins  Deutsche  über- 
setzt von  S.  Baer  vor  Hebräische  Berichte  über  die  Judenverfolgungen  während  der 
EreuxsUige.  (Quellen  zur  Geschichte  der  Juden  in  Deutschland.  IL  Bd.  Berlin,  Leon- 
hard  Simion,  1892). 

10)  Bernhard  von  Clairrauz   tadelt  1146   den  Mönch  Rudolf  in  Mainz  wegen   seiner 
Judenverfolgung,  Niederrheinische  Annalen,  41.  Heft  (1884),  S.  154. 

11)  M.  Stern,  Urkundliche  Beiträge.     2.  Lieferung  (Kiel  1895),  S.  i,  Nr.  171. 


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Christen  gemacht  werden,  ohne  da(s  er  von  den  Juden  Schmähungen 
erleidet.  Kein  Christ  soll  ohne  ein  Urteil  der  weltlichen  Gewalt  einen 
Juden  verwunden,  töten,  oder  sein  Geld  nehmen.  Bei  der  Feier  ihrer 
Feste  soll  niemand  die  Juden  mit  Prügeln  oder  Steinen  stören.  Nie* 
mand  soll  es  wagen  einen  Judenkirchhof  zu  schänden,  dort  einzudringen 
und  Leichen  auszugraben.*' 

Wenn  so  die  Päpste  die  Juden  gegen  Vergewaltigungen  zu  schützen 
suchen,  so  will  die  Kirche  andererseits  die  Christen  vor  Auswucherung 
durch  die  Juden  bewahren.  Dieser  Gesichtspunkt  tritt  zum  ersten 
Male  beim  vierten  Laterankonzil  (12 15)  hervor,  wo  den  Christen  der 
Verkehr  mit  wucherischen  Juden  untersagt  wird,  da  das  Vermögen 
derselben  durch  letztere  in  kurzer  Zeit  aufgesogen  werde.  Auch  wird 
damals  den  Juden  eine  besondere  Kleidung,  die  sie  von  den  Christen 
unterscheidet,  anbefohlen,  damit  nicht  infolge  von  Irrtum  eine  geschlecht- 
liche Vermischung  stattfinde.  In  dieser  Weise  bekämpft  die  Kirche 
die  Ausschreitungen  der  Juden,  schützt  sie  aber  zugleich  gegen  Ver- 
gewaltigung durch  die  Christen,  so  Gregor  DC.  (1227 — ^41),  Innocenz  IV. 
(1243 — 54)  *),  Gregor  X.  (1271 — 76).  „Da  die  Juden",  sagt  letzterer, 
„fälschlich  beschuldigt  werden,  christliche  Kinder  zu  rauben,  um  deren 
Herz  und  Blut  bei  ihrem  Ritus  zu  verwenden,  so  soll  das  Zeugnis  von 
Christen  in  solchen  Fällen  keine  Gültigkeit  haben."  Die  Judenpolitik 
einzelner  Bischöfe  darf  im  allgemeinen  nicht  als  Ausfluls  der  Kirche  be- 
trachtet werden,  sondern,  was  sie  auch  anordnen  mögen,  ihre  Eigenschaft 
als  Landesherren  ist  daiür  in  erster  Linie  maßgebend  *)•  Auch  von 
der  niederen  Geistlichkeit  erfahren  wir  wenig,  wie  sie  sich  zu  den  Juden 
stellt.  Nur  in  Nördlingen  haben  wir  unter  den  uns  vorliegenden  Mono- 
graphieen  über  diesen  Punkt  etwas  gefunden.  Die  Geistlichkeit  agitiert 
dort  gegen  die  Juden  und  verlangt  deren  Ausschafiung ').  Der  Rat 
wendet  sich  an  den  kaiserlichen  Hof,  wo  der  Erzbischof  Adolf  von 
Mainz  die  Beschwerde  vermittelt.     Nun  wird  der  Bischof  Johann  von 


i)  Die  Schntzbnlle  des  Papstes  Jnnoenz  IV.  fttr  die  Jaden  Yom  9.  Juni  1247  ist  mit* 
geteilt  in  den  Annalen  des  historischen  Vereins  fUr  den  Niederrhein,  41.  Heft  (1884), 
S.  84/85.     Vgl.  Stern,  Urkundl.  Beitr.  Nr.  208. 

2)  So  klagt  der  Enbischof  Baldoin  gegen  die  Stadt  Trier  135 1,  man  habe  die  Jaden 
erschlagen,  ihre  Briefe  genommen,  die  Jadenhfioser  aasgeraabt  and  ihren  Kirchhof  ter- 
stört  (Westd.  Zeitschr.,  Ergänzangsbd.  I  (1884),  S.  154).  Im  Jahre  1388  TertrSgt  sich  die 
Stadt  Oberwesel  mit  Erzbischof  Baldain  wegen  geschehener  Jadenonrahen  (Westd.  Z. 
Korrspbl.  V  (1886),  S.  231).  Es  ist  derselbe  Interessenstandpankt,  von  welchem  aas  der 
Rat  Yon  Köln  1349  die  Jaden  schützt  (Annalen  des  hist  Vereins  fUr  den  Niederrhein, 
41.  Heft  (1884),  S.  io6_io7). 

3)  L.  Müller,  a.  a.  O.  S.  66. 


—     248     — 

Augsburg  1473  ersucht,  er  solle  die  Nördlinger  Geistlichkeit  zur  Milde 
mahnen,  was  auch  durch  den  Generalvikar  Johannes  Gossolt  geschehen 
ist.  Letzterer  schreibt  1478  übrigens  an  den  Nördlinger  Bürgermeister, 
er  habe  gehört,  dais  man  den  Juden  immer  noch  den  Wucher  gestatte ; 
man  solle  die,  welche  wuchern,  nicht  länger  dulden.  Doch  in  der 
That  blieben  die  Juden  unbehelligt  Es  ist  wohl  anzunehmen,  dafs 
auch  anderwärts  die  Geistlichkeit  sich  gegen  den  jüdischen  Wucher 
wandte,  und  positive  Nachrichten  darüber  wären  recht  er- 
wünscht. 

Die  Juden  treten  uns  schon  im  frühesten  Mittelalter  als  kapital- 
kräftige Leute,  die  im  wesentlichen  gegen  Faustpfand  Leihgeschäfte 
betreiben,  entgegen.  Aus  der  2^it  um  1250  wird  berichtet:  abbas 
et  convenhis  de  Alba  (Herrenalb)  omatum  ecclesie  sue  aput  ludaeos 
loco  pignoris  pro  qtiatuor  marcis  et  dimidio  exposuerunt  *).  Am 
8.  Mai  127s  verschreiben  sich  zu  Weissenau  Äbtissin  Thutecha  und 
Konvent  von  Baindt  dem  Juden  Isaak,  Sohn  des  Leo,  ftir  eine  Schuld 
von  200  Mark  Silber,  die  sie  vom  Kloster  Weissenau  aus  dem  Kauf 
des  Hofes  in  Sulpach  übernommen  haben  *).  Der  Betrieb  des  Wuchers 
ist  es  vor  allen  Dingen,  was  den  Hafs  des  Volkes  gegen  die  Juden 
wachruft  und  zu  blutiger  Verfolgung  treibt.  Solche  Verfolgungen  in 
grödserem  Stil  brachen  aus  im  Jahre  1298  unter  Anführung  des  frän- 
kischen Edelmanns  Rindfleisch  und  1336  unter  Anftihrung  von  Arm- 
leder. Die  allgemeinste  aber  war  die  des  Jahres  1348.  Die  nächste 
Veranlassung  dazu  geht  von  verschiedenen  Vorkommnissen  aus,  von 
wirklicher  oder  angeblicher  Verhöhnung  der  christlichen  Religion, 
Hostienschändung,  gewöhnlichen  oder  Ritual-Morden.  Der  unmittel- 
bare Anlafe  zu  der  grofeen  Verfolgung  der  Jahre  1348  und  1349  ist  der 
Ausbruch  der  Pest,  die  —  so  glaubte  man  —  durch  Brunnenvergiftung 
seitens  der  Juden  entstanden  sei ').  (Schkls  folgt.) 


i)  Wirtembergisches  Urkundenbach  IV.  Bd.,  S.  203. 

2)  Ebenda  VIL  Bd.  S.  366. 

3)  Dieses  Bmnnenvergiften  wird  oft  mit  allem  möglichen  Detail  aosgeschmückL  So 
wird  berichtet  (Sembritzki,  Oeschichie  der  k,  preußischen  See-  tmd  Handelsstadt 
Memelf  Memel  1900,  S.  34),  der  Rat  zu  Lübeck  habe  1350  an  den  Herzog  von  Lüne- 
burg geschrieben,  in  Gothland  sei  ein  gewisser  Tidericos  verbrannt  worden,  welcher  be- 
kannt habe,  dafs  ihm  in  der  Stadt  Dassel  (in  Hannover)  von  einem  Juden  Aaron  mit 
einem  Lohne  von  30  Mark  reinen  Silbers  300  Beutelchen  mit  Giften  eingehändigt  worden 
seien,  um  damit  die  Christenheit  zu  vernichten.  Damit  sei  er  umhergezogen  und  habe 
überall  die  Brunnen  und  Quellen  vergiftet,  in  Fraoenburg  habe  er  ca.  40  Menschen  ge> 
tötet  und  ebenso  viele  in  Memel. 


—     249     — 


Das  Verfahren  bei  Aktenkassationen  in 


Von 

« 

Woldemar  Läppert  (Dresden) 

Eine  Angelegenheit,  welche  für  das  Archivwesen  und  die  Ge- 
schichtswissenschaft von  gleich  hoher  Bedeutung  ist,  ist  die  Kassa- 
tion der  älteren  Akten,  die  bei  den  modernen  Geschäftsstellen 
des  öffentlichen  Lebens,  bei  Verwaltungs-  oder  Gerichtsbehörden,  für 
die  praktischen  Bedürfnisse  des  Dienstbetriebs  entbehrlich  geworden 
sind.  Was  aber  entbehrUch  geworden  ist,  „was  man  nicht  nützt,  ist 
eine  schwere  Last*' ;  es  liegt  daher  auf  der  Hand ,  dals  die  Behörden 
sich  dieser  alten  Aktenmassen  thunlichst  zu  entledigen  suchen.  Seit 
es  aber  ein  Archivwesen  giebt,  das  nicht  mehr  ledigb'ch,  wie  in 
früheren  2^iten,  eine  Art  zusammenfassender  Reg^traturbehörde  für 
alle  übrigen  staatlichen  Behörden  bildet,  sondern  das  auch  der  Wissen- 
schaft dienen  will  und  soll,  seit  die  Archivbeamten  fachmännisch  ge- 
bUdete  Historiker  sind,  die  ihre  Amtsführung  in  Einklang  mit  den  An- 
forderungen ihrer  Wissenschaft  bringen,  ist  die  Frage,  was  mit  den 
alten  Beständen  werden  soll,  ein  Gegenstand  ständiger  Sorge  und  Für- 
sorge der  beteiligten  Kreise  gewesen.  Auch  gerade  in  der  neuesten 
2^t  ist  dieser  Angelegenheit  die  gebührende  Aufmerksamkeit  in  er- 
höhtem Maise  geschenkt  worden :  bUdete  sie  doch  im  Jahre  1900  beim 
zweiten  deutschen  Archivartag  in  Dresden  ^)  einen  Hauptberatungs- 
gegenstand ,  und  auch  im  laufenden  Jahre  stand  sie  mit  auf  dem  Pro- 
gramm der  Versammlimg  thüringischer  Archivare.  Bei  dieser  Sach- 
lage wirkt  eine  MitteUung  in  den  Nachrichten  und  Notizen  II  des 
ersten  Heftes  der  Historischen  Vierteljahrsschrift,  ipoi,  S.  152,  153 
um  so  beunruhigender,  als  hier  ein  in  der  That  schwerer  Mifsstand, 
ein  höchst  bedenklicher  Mangel  staatlicher  Fürsorge  für  ältere  Akten 
aufgedeckt  zu  werden  scheint.  Das  Kgl.  Sachs.  Amtsgericht  zu  Leipzig 
hatte  durch  eine  Bekanntmachung  diejenigen,  die.  sich  für  Erhaltung 
alter,  zur  Ausscheidung  und  Kassation  bestimmter  Akten  interessieren, 
zur  Einsichtnahme  in  die  Verzeichnisse  und  Anbringung  ihrer  even- 
tuellen Auslieferungswünsche  aufgefordert.  Daran  werden  nun  a.  a.  O. 
scharfe  Beschwerden   geknüpft,  von  denen  hier  nur   die  Hauptsätze 


I)  VgL  den  Bericht  darüber  im  „  Korrespondenzblatt  des  Gesammtvereins  der  deut- 
schen Geschichts-  und  AUerthiimsvereine'%  1901  (Febr./MSrz)  Nr.  2/3,  S.  36  f. 


—     260     — 

herausgehoben  werden  sollen:  „Wir  halten  es  für  geboten,  die  Auf- 
merksamkeit der  gelehrten  Kreise  auf  diesen  Vorgang  zu  richten,  weil 
er  bereits  typisch  geworden  ist  für  die  Art  und  Weise,  wie 
man  mit  dem  historischen  Quellenmaterial  der  letzten 
Jahrhunderte  verfährt.  Die  Bestimmungen,  welche  die  Ver- 
nichtung von  Akten  regeln,  entsprechen  einer  Zeit,  wo  man 
noch  wenig  Sinn  für  die  wirtschaftliche  und  soziale  Entwickelung  be- 
safs,  und  wo  man  besonders  die  Zeit  nach  dem  Dreifsig- 
jährigen  Kriege  nicht  für  historisch  merkwürdig  hielt. .. . 
Solange  sie  auf  den  Gerichten  liegen,  sind  diese  Akten  für  den  For- 
scher unzugänglich,  dann  aber  wandern  sie  sofort  den  Weg  in 
die  Papiermühle.  Allerdings  sollen  nach  den  gesetzlichen  Be- 
stimmungen alle  Stücke,  welche  historischen  oder  kulturgeschichtlichen 
Wert  besitzen,  von  der  Vernichtung  ausgeschlossen  bleiben.  Wie 
aber  kann  man  erwarten,  dafs  Leute,  die  selbst  nicht  Ge- 
schichte schreiben  oder  geschichtliche  Forschungen 
pflegen,  zu  entscheiden  vermögen,  was  für  den  Histo- 
riker von  Fach  von  hervorragendem  Werte  ist?  ...  Hier 
müfste  meines  Erachtens  gründlich  Wandel  geschafft  werden 
tmd  zwar  schnell,  denn  das  Zerstörungswerk  schreitet,  was 
wenigstens  die  Leipziger  Verhältnisse  betrifft,  rüstig  voran.  Ich 
halte  das  für  eine  Aufgabe,  wichtig  genug,  einen  der  künftigen  Histo- 
rikertage zu  beschäftigen.  ...  Wie  wenig  sich  aber  der  jetzige 
Zustand  mit  den  Bedürfnissen  der  Wissenschaft  verträgt, 
zeigt  ganz  schlagend  der  vorliegende  Fall.  In  dem  Augenblicke, 
wo  die  Königl.  Sächsische  Historische  Kommission  beschlossen  hat, 
eine  Sozial-  und  Wirtschaftsgeschichte  von  Leipzig  aus- 
arbeiten zu  lassen,  läfst  man  das  Material,  auf  das  sich  für 
einen  langen  wichtigen  Zeitraum  eine  solche  Darstellung  in  erster  Linie 
mit  zu  stützen  hätte,  noch  ehe  es  das  Auge  eines  Forschers 
erblickt  hat,  einstampfen."  Es  ist  eine  alte,  aber  leider  stets 
sich  wiederholende  Thatsache,  dafs  solche  Anklagen  gern  weiter  ver- 
breitet und  dann  bei  irgendwelchen  Anlässen,  wie  Historikertagen,  be- 
nutzt werden,  um  energische  Resolutionen  gegen  Staatsregierungen 
und  Archivverwaltungen  hervorzurufen.  Da  die  Historikertage  aber 
mit  BeratungsstofTen  meist  schon  überreich  versehen  sind,  werden  die 
Fachgenossen,  denen  eine  nützlichere  Verwendung  der  Sitzungszeiten 
am  Herzen  liegt,  eine  kurze  Darlegung  des  Verfahrens,  wel- 
ches offiziell  in  Sachsen  bei  Aktenkassationen  angewandt 
wird,  willkommen  heilsen. 


—   »1   — 

Die  ganze  Eatwidcdm^  der  Gnmdsätze,  die  sich  allmählich  durch 
die  Praxis  hei  ausgebildet  haben,  hier  vornifuhxen  und  zugleich  zu  zet* 
gen,  wie  die  Archivverwaltnng ')  seit  1849  fortgesetzt  bei  der 
Regierung  eine  sachgemäfse  Ausführung  nnd  Überwachung 
der  Aktenkassation  anger^t  und  durch  eingehende  Denkschriften 
gefördert  hat,  wäre  eine  nicht  unnütze  Au%abe,  da  dann  jeder  I&to- 
riker  sofort  in  Kürze  ach  überzeugen  könnte,  wie  sor^ich  diese  An- 
gd^^enheit  von  jeher  behandelt  worden  ist;  doch  in  der  Erwägung, 
da&  bereits  an  zwei  Stellen,  von  denen  wen^stens  die  zweite  stets 
leicht  zuganglich  ist,  über  die  früheren  Verhaltnisse  und  Grundsatze 
ausführlich  gehandelt  worden  ist,  möge  es  hier  genügen,  auf  d^be 
zwei  früheren  AuCsatze  hinzuweiseiL  H.  Ermisch  hat  in  seinem  Auf- 
satz Bcüräge  zur  Kenntnis  des  sächsischen  Archivwesens  (in  der 
Wissenschaftlichen  Beilage  der  Leipziger  Zeitung  Nr.  20  und  21  vom 
9.  und  13.  März  1879  S.  117 — 119,  125 — 128)  die  einschlägigen  Be- 
stimmungen, die  damit  gemachten  Erfahrungen,  die  verschiedenen  Ver- 
suche der  Abhilfe  und  die  allmähliche  Au^^taltung  der  Kassations- 
vorgänge und  ihrer  Kontrolle  vorgeführt,  und  wesentlich  nach  ihm  hat 
C  D.  von  Witzleben  1880  in  seinem  Au&atz  über  K.  von  Weber 
pm  Archiv  für  die  Sachs.  Gesch.,  Neue  Folge  VI,  369—376)  denselben 
G^enstand  behandelt. 

Der  Verlauf  einer  Aktenkassation  ist  heute  folgender:  Sobald  eine 
Behörde  (eine  Amtshauptmannschaft,  ein  Land-  oder  Amtsgericht  u.  a.) 
ihre  Aktenbestände  zu  dchten  genötigt  ist  (wozu  häufig  Raummangel 
oder  Umzug  in  ein  anderes  Dienstgebäude  den  äufseren  Anlafs  bieten), 
hat  sie  ein  handschriftliches,  genaues  Verzeichnis  der  Titel 
der  sämtlichen  einzelnen  Akten  aufzustellen,  die  sie  nicht 
mehr  für  ihren  Dienstbetrieb  braucht  und  deshalb  unbedenklich  ma- 
kulieren zu  können  glaubt  Es  ist  ihr  dabei  freigestellt,  aus  dieser 
Makulationsmasse  einzelne  Akten,  die  sie  für  fernere  Aufbewahrung 
im  Hauptstaatsarchiv  geeignet  hält,  selbst  gleich  auszusondern 
und  direkt  an  das  Archiv  zu  schicken;  doch  hat  diese  vor- 
herige Ausmusterung  wenig  Wert,  da  eine  ordentliche  Auswahl  doch 
nur  seitens  des  Archivs  selbst  besorgt  werden  kaim  *).    Gleichzeitig 


1)  In  erster  Linie  der  Terdienstrolle  und  allgemeiQ  in  Forscberkreisen  durch  seine 
damals  vielen  anderen  ArchiTleitiingen  yoranstehende  Liberalitfit  hochgesch&tzte  ArduT« 
direkter  Karl  ?on  Weber,  f  1879. 

2)  Die  ganze  Voraasmastening  könnte  sogar  ohne  Schaden  w^allen,  da  unter  den 
▼on  der  betreflfenden  Behörde  selbst  nach  Snfserlichen  Indizien  als  historisch  beachtlich 
ausgesuchten  Stücken  oft  welche  sind,  die  dieses  Prädikat  bei  der  Durchsicht  durch  einen 


—     252     — 

hat  die  Behörde  (wie  es  in  der  Verordnung"  der  Ministerien  des  Innern 
und  der  Justiz  vom  27.  März  1876  heifst)  „das  Verzeichnis  der 
zu  makulierenden  Akten  in  ihren  Amtsräumen  öffentlich 
auszulegen  und  durch  eine  im  Amtsblatte,  nach  Befinden  auch, 
dafem  ein  Interesse  weiterer  Kreise  an  der  Erhaltung  solcher  Akten 
angenommen  werden  kann,  in  der  Leipziger  Zeitung  und  in  dem 
Dresdner  Journale  zu  veröffentlichende  Bekanntmachung 
denjenigen  Gemeinden,  Korporationen  oder  Privatper- 
sonen, welche  an  der  Erhaltung  einzelner  dieser  Akten- 
stücke ein  Interesse  zu  haben  vermeinen,  unter  Emräumung 
eiäer  angemessenen  Frist  freizustellen,  von  dem  Verzeichnisse 
der  Akten  an  behördlicher  Stelle  Einsicht  zu  nehmen  und 
diejenigen  Akten,  welche  sie  von  der  Vernichtung  aus- 
geschlossen zu  sehen  wünschen,  zu  bezeichnen  und  be- 
ziehentlich zur  Aushändigung  zu  erbitten.  Nach  Ablauf  obiger 
Frist  ist  das  Verzeichnis  der  zur  Kassation  bestimmten  Akten 
nebst  den  etwa  eingegangenen  Anträgen  auf  fernere  Auf- 
bewahrung  einzelner  Aktenstücke  oder  auf  Auslieferung  der- 
selben an  den  Antragsteller  nebst  gutachtlicher  Auslassung  über  diese 
Anträge  in  der  bisher  üblichen  Weise  von  den  Amtshauptmann- 
schaften an  das  Ministerium  des  Innern,  von  den  Bezirks- 
gerichten und  Gerichtsämtern  an  das  Ministerium  der 
Justiz  einzureichen;  das  eingereichte  Aktenverzeichnis 
wird  der  betreflfenden  Behörde  mit  der  Entschliefsung  darüber 
zurückgegeben  werden,  welche  der  in  dem  Verzeichnisse  aufge- 
führten Aktenstücke  ferner  noch  aufzubewahren  oder  an  andere 
Archive  abzugeben  oder  in  Berücksichtigung  eines  deshalb  er- 
gangenen   Ansuchens     an    Gemeinden,    Korporationen    oder 


historisch  geschalten  Archivar  gar  nicht  verdienen  und  deshalb  nachträglich  noch  nhig 
mit  kassiert  werden  können,  and  weil  andererseits  diese  vorherige  Aaslese  vielfach  gerade 
die  Stticke,  auf  die  aas  wissenschaftlichen  Gründen  besonderer  Wert  gelegt  werden  mofii, 
nicht  mit  enthält  Das  Verfahren  ist  oft  blofs  lästig  and  sogar  sachlich  störend ;  denn  der 
Beamte  des  Haaptstaatsarchivs  hat  erst  die  vorher  aasgemosterten,  oft  aas  dem  Zasammen« 
hang  gerissenen  Sachen  dorchzosehen  and  dann  noch  besonders  das  eigentliche  Kassations- 
Verzeichnis,  wahrend  er  andernfalls  blofs  dieses  eine  Haaptverzeichnis  vor  sich  hätte,  das 
die  ganze  Makalaüonsmasse  beisammen  enthielte.  Doch  ist  das  nor  eine  Frage  dienst- 
licher Vereinfachang ,  die  fUr  die  Kassation  oder  Erhaltang  selbst  belanglos  ist;  die 
Haaptsache  ist  doch,  dafs  das  Haaptstaatsarchiv  nicht  nar  diese  Akten  erhält,  die  das 
Gericht  ihm  aaszasachen  and  zazaschicken  für  gat  findet,  sondern  selbst  prüfen  und. 
aaswählen  kann  (s.  oben  im  Folg.). 


—     253     — 

Privatpersonen  gegen  Erlegung  des  Makulaturwertes  auszuant- 
worten  sind." 

Eine  solche  Bekanntmachung  ist  es,  die  jetzt  die  Beunruhigung 
erregt  hat.  Diese  Aufforderung  ist  aber  nur  der  erste  Teil  des 
Verfahrens  und  zwar  —  fügen  wir  aus  jahrelanger  praktischer  Er- 
fahrung bei  —  ein  nur  geringwertiger  Teil  desselben.  Denn 
so  trefflich  und  wohlgemeint  diese  ministerielle  Anordnung  auch  ist, 
so  wenig  wird  sie  leider  von  seiten  der  Beteiligten  gewürdigt.  Selbst 
Städte  und  Gemeinden,  die,  weil  sie  selbst  Besitzer  von  Archiven  sind, 
besonderes  Interesse  daran  haben  müfsten,  ihre  Bestände  durch  die 
entsprechenden  Akten  der  staatlichen  Verwaltungs-  oder  Gerichts- 
behörden zu  ergänzen,  machen  davon  nur  ab  und  zu  Gebrauch;  ge- 
legentlich bittet  sich,  wo  ein  rühriges  Mitglied  da  ist,  ein  lokaler  Ge- 
schichtsverein einiges  aus;  Privatleute,  besonders  auch  alteingesessene 
AdelsfamUien,  geben  sich,  trotzdem  manche  ihr  nicht  unbeträchtliches 
Familienarchiv  haben,  selten  die  Mühe,  das  für  sie  in  Betracht  kom- 
mende Material  ausztisuchen  imd  zu  erbitten,  —  ein  sonderbarer  Kon- 
trast zu  den  so  üppig  gedeihenden  genealogischen  Studien,  deren  Be- 
flissene einen  grofsen  Prozentsatz  aller  Archivbenutzer  büden.  Die 
akademischen  Vertreter  der  historischen  Wissenschaft  haben  sich  (ich 
spreche  nur  von  sächsischen  Verhältnissen)  meines  Wissens  überhaupt 
noch  nicht  um  diese  Bekanntmachungen  der  verschiedenen  Amtsgerichte 
gekümmert,  woraus  ihnen  keineswegs  ein  Vorwurf  gemacht  werden 
soll,  da  ihre  Mitwirkung  ja  doch  meist  nur  eine  theoretische  und  pro- 
blematische sein  könnte;  denn  in  diesen  Fällen  kommt  es  weniger 
darauf  an,  ein  grofser  Geschichtsforscher  oder  -schreiber  selbst  von 
Weltruf  zu  sein,  als  auf  die  viel  bescheidenere,  hierfür  aber  allein 
ausschlaggebende  Fähigkeit,  die  betreffende  spezielle  Landes-  oder 
Provinzialgeschichte  gründlich  zu  kennen.  Da  nun  aber  die  eigenen 
Studiengebiete  der  Universitätshistoriker  vielfach  nur  geringe,  oft 
gar  keine  Berührung  mit  der  Landesgeschichte  haben,  ja  selbst- 
verständlich bei  dem  öfteren  Ortswechsel  akademischer  Kreise 
gar  nicht  haben  können,  so  scheidet  diese  Gruppe  von  Fach- 
genossen von  selbst  und  zwar  ohne  ihre  Schuld  aus  dem  engeren 
Kreise  der  fiir  landesgeschichtliche  Einzelheiten  kompetenten  Beur^ 
teiler  aus. 

Ist  die  öffentliche  Auslegungsfrist  vorüber,  so  gehen  die  Ver- 
zeichnisse an  das  betreffende  Ressortministerium,  wo  sie 
durchmustert  und  eventuell  Stücke  zur  ferneren  Aufbewahrung 
bei  der  bisherigen  Behörde  oder  bei  einer  anderen  Dienststelle 


—     254     — 

bezeichnet  werden.  Dann  werden  sie  bei  den  anderen  Mini- 
sterien, seitens  des  Kultusministeriums  auch  beim  Landes- 
konsistorium, in  Umlauf  gfesetzt  und  auch  hier  oft  noch  man- 
ches Stück  (besonders  vom  Landeskonsistorium,  sowie  auch 
vom  Kriegsarchiv)  von  der  Kassation  ausgeschlossen  und 
zur  Hinterlegung  an  geeigneter  Stelle  (z.  B.  in  den  betreffenden  Pfarr- 
archiven u.  a.)  bestimmt.  Natürlich  richten  die  Ministerien  ihr  Augen- 
merk dabei  auf  Akten,  die  in  ihren  speziellen  Geschäftsbereich 
fallen,  doch  wird  auch  dadurch  immerhin  eine  Anzahl  Akten  vor  der 
Vernichtung  bewahrt;  für  das  Kriegsarchiv  aber  gelten  nicht  nur 
Rücksichten  auf  den  praktischen  Dienst,  sondern  dasselbe 
nimmt  besonders  auch  solche  Akten  mit  auf,  die  auf  die  Kriegs- 
geschichte, die  Heeresverwaltung  und  Organisation,  die 
Leistungen  des  Landes  zu  militärischen  Zwecken  und  ähn- 
liches sich  beziehen.  Schliefslich  gelangen  die  Verzeich- 
nisse an  die  Stelle,  die  unter  allen  Kontrollinstanzen  die  eingehendste 
Prüfung  vorzunehmen  beauftragt  und  thatsächlich  auch  bestrebt  ist, 
an  das  Hauptstaatsarchiv. 

Wenn  in  der  Beschwerdenotiz  gesagt  ist,  dafs  aus  den  Verzeich- 
nissen nichts  über  den  Wert  der  Akten  zu  ersehen  sei,  so  trifft 
dies  nur  zum  Teil  zu.  In  den  Hunderten  von  Fällen,  wo  es  sich 
um  die  bei  jedem  Amtsgericht  in  Unzahl  vorhandenen  Bagatell- 
sachen der  Strafrechtspflege,  sowie  um  die  Handlungen 
der  freiwilligen  Gerichtsbarkeit  (Eigentumsvergehen,  Forst- 
frevel, Schwängerungs-  und  Alimentationsklagen,  Beleidigungen,  Kon- 
kurse, Schuldklagen,  Nachlafs  -  und  Depositensachen  u.  s.  w.)  handelt, 
genügt  vollständig  der  Name  des  Klägers,  des  Beklagten  bez.  des 
Beteiligten  und  das  Stichwort  des  Sachbetreffs.  Bei  anderen 
Aktengruppen,  wie  bei  Akten  über  Verwaltungsfragen,  Stcuer- 
sachen,  Gemeindeangelegenheiten,  Grenzsachen,  Hu- 
tungsstreitigkeiten, Gerechtsamen,  Frohnden  und  an- 
deren Dienstverpflichtungen,  Ablösungen  u.  dergl.  sind  die 
Aktentitel  für  gewöhnlich  keineswegs  so  dürftig,  sondern  aus- 
führlich genug,  bei  älteren  Akten  sogar  oft  weitschweifig  ge- 
fafst,  so  dafs  sie  in  vielen  Fällen  einen  Schlufs  auf  den  Inhalt  wohl 
zulassen^).     Akten  der  letztgenannten  Art  werden  auch  ganz   oder 


l)  In  dea  meisten  FaUeo  pflegen  die  mit  der  schrifUichen  HersteUong  des  Ver- 
leichnisses  beauftragten  Unterbeamten  der  Behörden  die  bemerkenswerten  Titel  auch  ge- 
nügend deutlich  bez.  vollständig  wiederzngeben ;    sollte  ein  Kansleibeamter  sich  aber   im 


—     255     — 

gröfstenteils  aufbewahrt.  Da(s  von  den  Akten  strafrecht- 
lichen Charakters  gleichfalls  die  sachlich  wertvollen  nicht 
kassiert  werden  '),  versteht  sich  wohl  ohne  besondere  Erklärung  von 
selbst,  sie  bUden  aber  einen  nicht  groisen  Teil  ihrer  Gattung;  denn 
bei  der  Mehrzahl  der  Einzelakten  dieser  umfänglichen  Aktenkategorieen 
ist  der  sachliche  Gehalt  meist  nicht  aufhebenswürdig.  Die  Htmderte 
von  Diebstählen,  Unzuchtsvergehen,  Konkursen  etc.,  die  auf  ein  be- 
stimmtes Gebiet  fallen,  haben  nicht  als  Einzelfälle  Wert,  sondern 
nurstatistisch;  dafür  aber  braucht  man  nicht  die  einzelnen  Partei-  oder 
Personalakten  aufzuheben;  denn  hierüber  werden  anderweit  besondere 
statistische  Ausweise  geführt,  welche  die  2^hl  und  Verteilung  von  Ver- 
brechen und  sonstigen  Erscheinungen  des  sozialen  Lebens  in  den  ver- 
schiedenen LandesteUen  genugsam  erkennen  lassen. 

Femer  ist  bei  den  Verzeichnissen  zu  beachten,  wer  sie 
durchmustert.  Ein  Leser,  der  mit  diesem  Material  und  seinen  im 
Vorstehenden  kurz  skizzierten  typischen  Eigenschaften  nicht  ver- 
traut ist,  ersieht  aus  der  blofsen  Liste  der  Aktentitel  vielfach 
nichts;  wem  aber  Hunderte  oder  Tausende  von  Akten  derselben 
Gattung  durch  die  Hände  gegangen  sind,  wer  in  jedem  Amts-  oder 
Landgericht  —  von  gewissen  örtlichen,  durch  Lage,  Erwerbsverhält- 
nisse u.  a.  bedingten  und  zu  beachtenden  Verschiedenheiten  ab- 
gesehen —  bei  der  Hauptmasse  des  Stoffes  immer  wieder 
dieselben  Vorgänge,  Zustände  u.  s.  w.  findet,  der  erlangt  zwar 
nicht  die  Fähigkeit,  den  Inhalt  und  Wert  jedes  Aktenstückes  aus  dem 


KassatioDsverxeichms  eine  allzu  weitgehende,  onTentandlich  werdende  Kttraong  der  Titel 
erlauben,    so  ist  das  ein  Übelstand,    der  durch  eine  einfache  Anweisung  abzustellen    ist^ 
sobald  an  und  von  zuständiger  Stelle  darauf  hingewiesen  wird. 

i)  Soweit  die  speziellen  Gerichtsakten  geschichtlich  wichtige  Per- 
sonen selbst  oder  wenigstens  Mitglieder  historisch  beachtlicher  Familien 
betreffen,  werden  sie  so  wie  so  ohne  Rücksicht  auf  den  Sachbetreff  gleichfalls  auf- 
gehoben; in  der  reichhaltigen  AbteUung  „Genealogica"  des  Hauptstaatsarchivs,  die 
seit  zwei  Menschenaltem  grölstenteils  aus  den  von  der  Vernichtung  ausgeschlossenen 
Teilen  makulierter  Bestände  gebildet  ist  und  wertvollstes  Material  zur  Familiengeschichte 
(besonders  des  sächsischen  Adels,  doch  auch  bürgerlicher  Familien)  enthält,  finden  sich, 
auch  von  diesen  Kategorieen  (desgleichen  auch  in  der  AbteUung  „Malefiz- 
sachen'*)  grofse  Mengen,  so  dafs  es  einem  künftigen  Kulturhistoriker  an 
zahllosen  Beispielen  für  Rechtspflege,  sittliche  Zustände,  Vermögens- 
verhältnisse, wirtschaftliche  Lage  der  verschiedenen  Stände  und  Be- 
völkerungsschichten nicht  fehlen  wird.  Er  mufs  sich  nur  die  Mühe  geben,  es 
xa  suchen  und  sich  durch  den  Wust,  der  drum  und  dran  hängt,  durchzuarbeiten;  der 
Wust  wäre  aber  noch  viel  gewaltiger,  wenn  von  jedem  Amtsgericht  auch  nur  die  Hälfte 
der  auszuscheidenden  Bestände  aufbewahrt  würde  I 


—     258     — 

Geschichtswissenschaft  urteilen  ^  welche  Forderungen  an  Bearbeiter 
und  Material  man  dann  stellen  wird.  Was  erhaltungswürdig  ist, 
wird  fast  in  jedem  Jahrhundert  anders  erklärt  werden ').  Alles 
aber  aufzuheben  (die  Forderung  ist  wiederholt,  z.  B.  beim  letzten 
Archivartag  in  Dresden  im  September  1900,  thatsächlich  von  nicht 
archivarischer  Seite  erhoben  worden)  *) ,  ist  ein  Ding  der  Unmög- 
lichkeit, solange  der  Begriff  Geld  im  Staatsbudget  eine  Rolle 
spielt;  denn  das  ungemessene  Anwachsen  der  Aktenbestände  würde 
zunächst  immer  wieder  Archivneubauten,  besonders  aber  auch  die 
fortgesetzte  Erhöhung  der  Beamtenzahl  erfordern,  um  die  zuströmen- 
den Massen  nur  einigermafsen  zu  sichten,  einzuordnen  und  (lir  die 
Repertorien  durchzuarbeiten.  Von  diesem  Idealzustand  sind  wir  aber 
noch  weit  entfernt  und  werden  es  wohl  auch  bleiben,  vielleicht  zum 
Segen  der  andernfalls  im  unermefslichen  Stoflfmeere  ertrinkenden  Zu- 
kunftshistoriker selbst. 

Unumwunden  würde  ja  jeder  Archivar  seine  freudige  Zustimmung 
geben,  wenn  sich  —  ohne  Vollpfropfung  und  Belastung  der  Archive  — 
Kassationen  auf  ein  geringeres  Mafs  beschränken  lie(sen.  Die  Archive 
sind  nicht  blofs  wissenschaftliche  Sammlungen,  sondern  in 
erster  Linie  staatliche  Behörden,  und  ihre  Beamten  sind  sich 
der  auf  ihnen  als  Staatsbeamten  liegenden  Verantwortlichkeit  voll  be- 
wußt. P'ür  sie  würde  es  eine  Verringerung  dieser  Verantwortung  be- 
deuten, wenn  sie  die  beruhigende  Gewifsheit  hätten,  dafe  ein  Akten- 
stück, das  sie  nicht  aufheben  können,  dennoch  nicht  der  Vernichtung 
anheimfällt ,  sondern  anderweit  aufbewahrt  wird  ').  Auch  die  dienst- 
liche Arbeit  selbst  würde  verringert,  denn  jedes  Hundert  neuer  Zu- 
gänge bedingt  aufser  der  Durchsicht  und  Einordnung  mindestens  hun- 
dert neue  Einträge  in  den  Registranden  und  ebenso  viele  Verweisungen 
in  den  Repertorien  über  Orte,  Personen  u.  s.  w. ;  und  bei  dem  raschen 
Anwachsen   der  Bestände   des  Hauptstaatsarchivs  in  den  letzten  zwölf 


i)  Deshalb  haben  ja  aacb  detaillierte  Regulative  und  Systematisierungen  Über  das, 
was  kassiert  und  was  aufbewahrt  werden  soll,  keinen  Wert;  wie^ Überall  im  Leben  bt 
die  Theorie  wertlos  oder  geringwertig,  nur  die  Praxis  entscheidet. 

2)  VgL  auch  Hilles  Rede,  Korrespondenzblatt  1901,  S.  26,  27,  31. 

3)  VgL  hierzu  die  Anregung  von  Jacobs  (Korrespondenzblatt  1901,  S.  30),  wonach 
Akten,  deren  Aafbewahrung  die  Staatsarchive  ablehnen  müssen,  an  andere  Archive,  z.  B. 
Kirchenarchive,  Stadtarchive,  Archive  heraldischer  Gesellschaften  u.  s.  w.  abgegeben 
werden  sollen.  In  Sachsen  ist  diese  Frage  ja  insofern  bereits  geregelt,  als  es  diesen 
and  anderen  Interessenten  freisteht,  Akten  sich  ausliefern  zu  lassen;  wie  relativ  wenig 
sich  aber  diese  Archive  geneigt  zeigen,  die  dargebotene  Hand  des  Staates  zu  ergreifen, 
ist  oben  erwähnt. 


—     259     — 

Jahren  ^) ,  während  deren  die  Beamtenzahl  die  gleiche  geblieben  ist, 
wäre  eine  Beschränkung  des  Zuflusses  ohne  Gefährdung  der  histo- 
rischen Pflichten  des  Archivs  gewifs  wünschenswert  Der  Staat  kann 
doch  auch  nicht  fiir  alles  eintreten.  Er  läfst  jetzt  schon  durch  seine 
Oi^ne  sichten  und  prüfen  tmd  aufbewahren ;  er  ludst  die  bevorstehen- 
den Kassationen  öflentlich  in  den  Tagesblättem  bekannt  machen  und 
giebt  anderen  Interessenten  die  Möglichkeit,  sich  weiteren  Stoßes  an- 
zunehmen. Dafs  von  dieser  Möglichkeit  kein  so  ausgiebiger  Gebrauch 
gemacht  wird,  wie  im  Interesse  der  Wissenschaft  zu  wünschen  wäre, 
ist  zweifellos  bedauerlich;  soll  aber  deshalb,  weil  andere  ihren  even- 
tuellen Pflichten  nicht  nachkommen,  der  Staat  wieder  einspringen 
und  die  Gemeinden  und  die  Pfarreien,  die  historischen  Vereine 
und  die  Lokalmuseen,  die  historischen  oder  nationalökonomischen 
oder  sonstweiche  Seminare  der  Universitäten  und  die  Bibliotheken, 
die  Adelsfamilien,  Gutsbesitzer  und  so  fort,  mit  Strafmandaten 
zwingen,  d  i  e  auf  ihren  Ort,  ihre  Kirche,  ihren  Bezirk,  ihr  Geschlecht, 
ihr  Gut  bezüglichen  Akten,  die  er  selbst  nicht  alle  aufheben  will 
und  auch  nicht  kann,  an  sich  zu  nehmen  und  dauernd  gut  auf- 
zubewahren? 

Er  erstreckt  ja  auch  in  Sachsen  seine  Fürsorge  schon  lange  nicht 
mehr  blofs  auf  die  staatlichen  Archive,  sondern  auch  auf  die  Stadt- 
archive. Ein  Fernstehender  kennt  gar  nicht  die  Schwierigkeiten, 
die  bei  solchen  Fragen  vom  verwaltungsrechtlichen  Standpunkt 
aus  auftauchen;  denn  der  Staat  hat  kein  Recht,  beliebig  in 
die  den  Städten  verfassungsmäfsig  zustehende  Freiheit 
innerer  Selbstverwaltung  einzugreifen.  Nur  insofern  die  Ar- 
chive auch  mit  zum  Stammvermögen  derStädte  gehören,  läfst 
sich  eine  staatliche  Kontrolle  der  städtischen  Archive  er- 
mögUchen  «). 


i)  Obwohl  erst  vor  zwölf  Jahren  die  jeUigen  Diensträume  bezogen  worden  sind, 
läfst  die  infolge  des  aaiserordentlich  starken  Anwachsens  allmählich  drohende  ÜberfüUung 
die  wenig  erfreuliche  Aussicht  eines  abermaligen  Umzags  mit  seiner  unvermeidlichen,  vor 
allem  für  die  wissenschaiUiche  Benutzung  empfindlichen  Störung  des  geordneten  Dienst- 
betriebes gar  nicht  mehr  allzu  fem  erscheinen. 

2)  VgL  die  obenerwähnten  Aufsätze  Er  misch  s  und  Witzlebens  a.  a.  O.  und 
dazu  auch  Ermisch,  Ober  Staats^  und  Stadtarchive^  Protokoll  über  die  Verhand- 
lungen des  sächsischen  Gemeindetages  zu  Freiberg,  1882.  Die  sächsische  Städte- 
ordnung von  1832  erkennt  in  den  \\  32,  33,  34  dem  Staate  das  Recht  und  die 
Pflicht  der  Oberaufsicht  fiber  das  Stadtvermögen  zu  mit  der  Befugnis  zum  Einschreiten 
betreffs  Abstellung  wahrgenommener  Mängel  (vgL  besonders  den  Schlnfsabschnitt  von 
\  34).     Dafs  aber  die  städtischen  Archivalien   zum  Stadtvermögen   in   diesem  Sinne   ge- 

19» 


—      260     — 

Über  die  anderen  Archive  besitzt  der  Staat  keine  Kon- 
trolle, Familienarchive,  Gutsarchive  sind  dem  wohlwollenden  Interesse 
oder  der  gleichgültigen  Verwahrlosung  ihrer  jeweiligen  Besitzer  völUg 
ausgesetzt;  die  Gesetzgebung  und  Landesverfassung  bieten  kei^e  Hand- 
habe zum  Einschreiten,  so  wertvoll  manche  von  diesen  nichtstaatlichen 
bez.  Privatarchiven  auch  sind  ^).     Um  Abhilfe  zu  schaffen ,  nützt  es 

hören,  zeigt  das  der  Städteordnong  anhangsweise  beigegebene  Regulativ  für  die  Anlage 
eines  Verzeichnisses  des  Stadtvermögens;  denn  darin  sind  als  Abteilang  IX  des  Aktiv- 
vermögens die  Bestände  an  Büchern,  Urkanden  and  anderen  Schriften  aafgefUhrt,  wobei 
eine  gebfihrende  Ordnung  der  Archivalien  als  selbstverständlich  vorausgesetzt  ist,  denn 
es  heiist  daselbst  weiter:  „Die  Aktenrepertorien  und  die  etwa  vorhandenen  Verzeichnisse 
der  fehlenden  Akten  sind  hierbei  spezieU  anzuführen/'  In  der  revidierten  Städte- 
ordnung von  1873  ^^  ^*^  Oberanfsichtsrecht  des  Staates  in  H  131,  133,  134  noch 
schärfer  betont  und  in  }  135  ausdrücklich  jede  Verminderung  des  Stammvermögens  (so 
ist  1873  £cs>S^  statt  des  1832  gebrauchten  Ausdruckes  Stadtvermögen),  somit  also  auch 
jede  Verringerung  des  Archivbestandes,  an  die  Genehmigung  der  Aufsichtsbehörde  geknüpft 
VgL  auch  die  Städteordnung  für  mittlere  und  kleine  Städte  von  1873,  ArUk.  VI, 
und  die  revidierte  Landgemeindeordnung  von  1873,  2  93^ 

1)  Wie  not  eine  Abhilfe  thäte,  zeigt  z.  B.  die  dem  Archive  der  Leipziger 
Kreisstände  drohende  Gefahr.  In  dem  „Bericht  Über  den  allgemeinen  und  ritter- 
schafllichen  Kreistag"  (Leipziger  Zeitung  Nr.  88  vom  17.  April  1901)  wird  in  Abschnitt  4 
es  oflfen  ausgesprochen,  dafs  man  früher  die  Absicht  gehabt  habe,  das  Archiv  zu  ver- 
nichten. In  den  letzten  zwei  Jahren  hat  aber  ein  Lehrer,  der  sich  mehrfach  mit  Lokal- 
geschichte der  Leipziger  Gegend  beschäftigt  hat  (Dr.  C  Krebs),  das  Archiv  durchmustert 
und  auf  seinen  Wert,  besonders  seit  Beginn  des  18.  Jahrhunderts,  hingewiesen.  Nachdem 
von  einer  Seite  eine  Abgabe  an  das  Hauptstaatsarchiv  vorgeschlagen,  von  anderer  eine 
Überlassung  an  das  historische  Seminar  der  Universität  als  Lehrmittel  angeregt  worden 
war,  ist  jetzt  sein  Schicksal  in  befriedigendster  Weise  geregelt:  auf  Befürwortung  des 
Leipziger  Stadtarchivdirektors  Wustmann  hat  der  Rat  der  Stadt  Leipzig  sich  bereit  er- 
klärt, das  kreisständische  Archiv  im  Stadtarchiv  unterzubringen  und  auch  den  erforder- 
lichen Platz  für  Zuwachs  kfinflig  zu  gewähren.  Der  Kreistag  hat  daraufhin  auch  zu- 
stimmenden Beschlufs  gefafst  Zu  dieser  Lösung  ist  allen  Teilen  Glück  zu  vrünschen; 
denn  dadurch  ist  hoffentlich  eine  Ausscheidung  und  Kassation  vermieden,  das  Archiv  bleibt 
in  seiner  Ganzheit  und  auch  am  Mittelpunkt  des  Gebiets,  auf  das  es  sich  bezieht,  erhalten, 
ein  Umstand,  der  von  Wichtigkeit  ist,  weil  der  Hanptwert  dieses  Archives  auf  dem  Felde 
der  Ortsgeschichte  liegt  und  dessen  Benutzung  dadurch  erleichtert  wird.  —  Minder  glück- 
lich ist  vor  16  Jahren  das  Archiv  der  Meifsnischen  Kreisstände  gewesen;  denn  da  das 
Hauptstaatsarchiv  nur  einen  Teil  übernahm,  sind  mancherlei  für  die  Lokalgeschichte 
immerhin  beachtliche  Faszikel  zum  Einstampfen  verkauft  worden.  Eine  ziemliche  Anzahl 
scheint  aUerdings  diesem  Schicksale  entgangen  zu  sein,  da  in  den  letzten  Jahren  wieder- 
holt in  Antiquariatskatalogen  Aktenbände  und  Hefte  auftauchten,  die  augenscheinlich  den 
ausgeschiedenen  Beständen  des  kreisständischen  Archivs  angehört  hatten;  manche  davon 
sind  nachträglich  noch  dem  Hanptstaatsarchive  einverleibt  worden.  Hoffentlich  sind  für 
die  Zukunft  Kassationen  auch  bei  diesem  kreisständischen  Archive  thunlichst  zu  ver- 
meiden, da  seine  Mitnnterbringung  im  neuen,  grofsen  Ständehaus  an  der  Brühlschen 
Terrasse  wohl  auch  ihm  für  lange  Zeiten  eine  genügende  Heimstätte  bietet 


—     261     — 

aber  schwerlich,  die  Gelehrten  zum  Einschreiten  aufzurufen;  denn  hier 
handelt  es  sich  um  Privatbesitz  von  Körperschaften  und  Einzelnen. 
Da  läist  sich  durch  Aufrufe,  Resolutionen  u.  dergl.  nichts  ausrichten; 
die  eigentliche  Fachwissenschaft  und  ihre  Vertreter  haben  zu  dem 
Volke  selbst  zu  wenig  direkte  Beziehungen,  um  aufklärend  und  er- 
zieherisch auf  das  oft  gering  entwickelte  historische  Verständnis  von 
Gutsherrschaften  und  anderen  Privatbesitzern  von  Archivalien  zu  wirken. 
Die  einzige  Möglichkeit  einer  Mithilfe  bestände  für  die  wissenschaft- 
lichen Kreise  vielleicht  in  einer  Einwirkung  auf  die  Kammern  behufs 
Ergänzung  der  Gesetzgebung.  Bieten  die  jetzigen  Gesetze  dem  Staate, 
der  die  Interessen  der  Allgemeinheit  verkörpert  und  vertritt,  kein 
Mittel,  bei  dieser  Art  von  Privateigentum,  dessen  Erhaltung  oder  Ver- 
nichtung allgemeine  Interessen  mitberührt  oder  wenigstens  berühren 
kann,  eine  gewisse  Kontrolle  zu  üben,  so  würde  es  gelten,  ihm  dazu 
die  gesetzlichen  Handhaben  durch  Anwendung  einer  Art  von  Expro- 
priation (wie  zum  allgememen  Besten,  z.  B.  bei  Strafsen-,  Bahnbauten 
u.  dergl.  zu  geschehen  pflegt)  zu  verschaffen,  wodurch  der  fahrlässige, 
böswillige  oder  sonstwie  ungeeignete  Besitzer  von  Akten,  die  von  all- 
gemeinem Werte  sind,  in  seinem  freien  Verfügungsrechte  beschränkt 
oder  ihm  dasselbe  nötigenfalls  ganz  entzogen  würde.  Da  es  dabei 
sich  um  Eingriffe  in  die  Freiheit  und  Rechte  des  Einzelnen  handelt, 
empföhle  es  sich,  die  Anregung  nicht  von  staatlicher  Seite,  sondern 
von  der  Volksvertretung  selbst  ausgehen  zu  lassen,  die  also  zuerst  für 
diese  Ideen  zu  gewinnen  wäre  ').  Dafs  solche  Ideen  nichts  Unerhörtes 
sind,  dals  ähnliche  staatliche  Eingriffe  in  die  Verfügungsfreiheit  über 
Privateigentum  auch  dem  modernen  StaatsbegrifT  nicht  prinzipiell  zu- 
widerlaufen, lehren  z.  B.  die  fast  der  allgemeinen  Zustimmung  der 
Gebildeten  sich  erfreuenden  Bestrebungen  der  Kunsthistoriker,  nach 
italienischem  Vorbild  (Gesetz  Pacca)  auch  in  Deutschland  staatliche 
Schutzmafsregeln  für  die  Werke  der  älteren  heimischen  Kunst  zu  er- 
wirken; und  was  für  Denkmäler  in  Stein  und  Erz,   für  Gebäude  und 


I)  Ob  freilich  allseitig  das  gewünschte  Verständnis  für  Nützlichkeit  und  Nötigkeit 
ausgiebigerer  Aktenkonserviemng  vorbanden  ist,  erscheint  zam  mindesten  zweifelhaft 
nach  dem  Wunsche  des  einen  Vertreters  der  Universitätsstadt  in  der  letzten  Tagung  der 
Stände  1899/ 1900,  Teile  des  Hauptstaatsarchivs  —  um  das  Albertinnm  für  die  Sammlung 
der  Skulpturen  und  Gipsabgüsse  frei  zu  bekommen  —  in  die  Kellerr&ume  der  Knnst- 
akademiegebäude  auf  der  Brtihlschen  Terrasse  zu  verlegen,  ein  Gedanke,  den  der  Be- 
treflfende  nur  deshalb  aufgab,  weil  „das  doch  ein  bifschen  weit  sei  und  ein  unterirdischer 
Gang  unter  der  Terrasse  dahin  seine  grofsen  Unbequemlichkeiten  haben  würde." 


—     262     — 

Kunstwerke  gilt ,  gilt  ebenso  auch  für  die  Denkmäler  der  Vej^angen- 
heit  auf  Pergament  und  Papier,  fiir  Urkunden  und  Akten,  die  von  all- 
gemeinem Werte  und  deshalb  aufbewahrungswürdig  sind.  Freilich 
geht  dies  nicht  ohne  die  Bereitstellung  von  Geldern,  die  für  die  zu- 
erst erforderliche  Bereisung  des  ganzen  Landes,  die  Feststellung  des 
überhaupt  Vorhandenen,  die  Ordnung  der  Bestände  durch  einen  archi- 
valisch  genügend  geschulten  Historiker  und  schlieislich  auch  noch  für 
ihre  eventuelle  Unterbringung  in  einer  direkt  staatlichen  oder  doch 
staatlicher  Kontrolle  unterstehenden  Anstalt  nötig  sind,  femer  von 
Geldern  für  die  dann  an  die  Eigentümer  zu  zahlenden,  nicht  un- 
beträchtlichen Entschädigungen,  falls  Expropriationen  nötig  würden,  — 
und  dies  ist  der  Punkt,  dessen  Schwierigkeit  die  Durchführung  eines 
solchen  Planes,  nicht  nur  erschweren,  sondern  wohl  ganz  verhindern 
würde  ^) ,  denn  die  Kosten  würden  hierbei  noch  beträchtlich  gröiser 
sein,  als  sie  es  sein  müfsten,  wenn  der  Staat  auch  nur  die  staatlichen 
Bestände  alle  aufheben  wollte  *). 

Die  letzten  Erörterungen  haben  uns  auf  eine  Frage  geführt,  deren 
Lösung  gleichfalls  ein  dringendes  Bedürfnis  bei  der  Regelung  der 
Kassationsangelegenheiten  bildet,  die  aber  mit  der  Frage  nach 
dem  Schicksal  der  staatlichen  Aktenbestände  nur  in- 
direkt zusammenhängt.  Doch  zum  Schlufs  sei  bezüglich  der 
letzteren  auf  einen  von  den  Gegnern  der  Kassation  nicht  berührten 
Spezialpunkt  eingegangen,  der  ernster  Natur  und  rechtlich  von  ziem- 
licher Tragweite  ist.  Es  ist  dies  die  Frage:  welchen  Schutz 
schuldet  der  Staat  als  Inhaber  gewisser  Aktengruppen  dem 
Privatinteresse,  das  eventuell  durch  Hinausgabe  der  Akten 
an     nichtbehördliche    Stellen    arg    geschädigt    werden 


i)  Vgl.  über  solche  Pläne  anch  die  Darlegung  Bailleas  in  den  Protokollen  der 
Generalversammlnng  des  Gesamtvereins  der  deutschen  Geschichts-  and  Altertnmsvereine 
za  Dresden  1900  (Berlin  1901,  Sonderdruck),  S.  42,  62.  Über  die  Inventarisierung  nicht- 
staatlicher Archive,  welche  ja  deren  Beständen  wenigstens  einen  gewissen  Schutz  gewährt, 
indem  sie  festlegt,  was  überhaupt  da  ist,  und  dadurch  dessen  spurloses  Verschwinden  er- 
schwert, auch  überhaupt  diese  Dinge  der  allgemeinen  Kenntnis  und  damit  zugleich  der 
Berücksichtigung  und  Bewahrung  näher  bringt,  s.  femer,  um  nur  die  neueste  Litteratur 
anzuführen,  die  lehrreichen  Zusammenstellungen  des  Generaldirektors  der  preufsischen 
Staatsarchive,  R.  Koser,  im  L  Hefte  der  Mitteilungen  der  KgL  Preufsischen  Archiv- 
verwaltun^  (Leipzig  1900),  S.  21 — 26,  und  C  Grünhagens  Bemerkungen  im  Bericht 
über  die  Vereinsthätigkeit  1899/1900  in  der  Zeitschrift  der  Ver.  fUr  Geschichte  und 
Altertum  Schlesiens  XXXY  (Breslau  1901),  S.  379f. 

2)  VgL  das  oben  Gesagte. 


—     263     — 

könnte?  Man  kann  sehr  wohl  der  Forderung  an  den  Staat  zur 
Aktenaufbewahrung  und  Zugänglichmachung  auch  die  Frage 
gegenüberstellen:  giebt  es  nicht  Fälle,  wo  der  Staat,  sobald  er  die 
Akten  nicht  mehr  selbst  dienstlich  aufbewahrt,  zurAktenvernich- 
tung  verpflichtet  sein  kann?  Es  handelt  sich  hierbei  um  Akten 
der  Kriminalgerichtsbarkeit.  Jedes  Gericht  hat  das  Recht  und 
die  Pflicht,  ohne  Ansehung  der  Person  jedes  Veilchen  oder  Verbrechen 
zu  untersuchen  und  zu  bestrafen  und  selbstverständlich  über  diese  Vor* 
gänge  die  nötigen  Spezialakten  anzulegen.  Solange  diese  Akten  in 
der  Verwahrung  des  Gerichts  bleiben,  sind  sie  vor  mifsbräuchlicher 
Benutzung  sicher;  kommen  sie  dann  in  ein  staatliches  oder  städtisches 
Archiv  oder  sonst  eine  amtliche  Stelle,  so  bieten  diese  Orte  auch 
hinreichende  Bürgschaft  hierfür.  Wie  aber,  wenn  sie  in  andere  Hände 
kommen?  Wohl  ist  anzunehmen,  dafs  das  Gericht  sie  nicht  jedem 
Beliebigen  aushändigt,  der  sie  bei  der  Kassation  sich  ausbittet,  son- 
dern  nur  direkt  Beteiligten,  wie  Familiengliedern,  die  sie  um  der 
eigenen  Ehre  willen  vor  unbefugten  Blicken  schützen  werden.  Doch 
leicht  kann  der  Fall  eintreten,  dafs  ein  Forscher  über  Landes-  oder 
Ortsgeschichte  oder  über  eine  bestimmte  Zeitperiode,  ein  Kultur- 
historiker, ein  Nationalökonom  oder  SozialpoUtiker  sie  zu  fach  wissen- 
schaftlichen Zwecken  mit  ausgeliefert  erhält  Er  selbst  wird  als  Mann 
von  Takt  hoffentlich  nur  insoweit  davon  Gebrauch  machen,  dafs  das 
rein  Persönliche  wegfällt  und  der  Name  einer  sonst  achtbaren  Familie 
wegen  der  rechtlich  längst  gesühnten  That  eines  ihrer  Mitglieder  nicht 
nachträgUch  nochmals  einer  Schändung  ausgesetzt  wird.  Doch  nach 
dem  Tode  des  Gelehrten  wird  sein  litterarischer  Nachlafs,  seine  Samm- 
lungen, seine  Bibliothek,  wie  meist  üblich,  an  einen  Antiquar  in  Bausch 
und  Bogen  verkauft.  Der  Antiquar  wird  aus  finanziellen  Gründen  sehr 
gern  den  betreffenden  Aktenstücken  in  seinem  Katalog  einen  bezeich- 
nenden Vermerk,  wie  man  sie  ja  auch  bei  Büchern  nicht  selten  findet 
(z.  B.  ,^ittengeschichtlich  interessant!"  oder  „Pikant!"  u.  dergl.), 
beifügen,  und  schon  dadurch  wird  der  Name  aufs  neue  blofsgestellt. 
Schlimmer  aber  noch  ist  es,  dafs  solche  Schriftstücke  dann  leicht  in 
unlautere  Hände  kommen  können;  denn  der  Händler  giebt  sie  jedem, 
der  ihm  seinen  Preis  zahlt,  und  hat  gar  kein  Recht,  nach  Zweck  tmd 
Absicht  des  Käufers  zu  fragen.  Erpressungsversuchen,  wie  sie 
ja  von  gescheiterten  Existenzen  oft  gewerbsmäfsig  betrieben  werden, 
ist  dann  Thür  und  Thor  geöffnet.  Die  unschuldigen  Angehörigen 
eines  Verurteilten  aber  haben  doch  mindestens  ein  ebenso 
grofses  Anrecht,   wie  die  Wissenschaft  es  für  die  Erhaltung  der 


—     264     — 

Akten  geltend  macht,  umgekehrt  vom  Staat  zu  fordern,  daüs  er, 
wenn  die  Akten  nicht  mehr  dienstlich  gebraucht  und  infolge  Platz- 
mangels aus  dem  Gerichtsarchiv  entfernt  werden  müssen,  gebührend 
Sorge  trägt,  dafs  sie  thatsächlich  unschädlich  gemacht, 
wirklich  vernichtet  werden*).  Diese  Forderung  ist  so  nahe- 
liegend, vom  allgemein  menschlichen  Standpunkte  aus  so  selbst- 
verständlich, dafs  kein  Historiker  dagegen  etwas  einwenden  kann.  Dais 
für  rein  historische  Bedürfnisse  auch  betreffs  solcher  krimineller  Akten 
im  Hauptstaatsarchiv  gesorgt  ist,  ist  oben  bemerkt*);  im  letzteren 
Falle  handelt  es  sich  um  die  grofse  Masse  dieser  Kriminalakten. 


Mitteilungen 

Yerelne«  —  Die  Gründung  eines  Historischen  Vereins  für 
Donauwörth  ist  am  i.  Februar  1901  im  Anschlufs  an  einen  Vortrag  des 
Bibliothekars  am  Kassianeum,  J.  Traber,  über  „Die  Schlacht  am  Schellen- 
berge (1704)"  beschlossen  worden.  Am  2.  Mai  fand  die  Gründungs- 
versammlung statt,  in  welcher  Pfarrer  Dr.  Thalhofe r  zum  ersten  Vorstande 
gewählt  wurde.  Der  Jahresbeitrag  ist  „mindestens  i  Mark",  die  Mitgliederzahl 
beläuft  sich  auf  45.  Der  junge  Verein  erhielt  sofort  als  Grundstock  für  seine 
Sammlung  eine  Reihe  von  wertvollen  Gaben.  —  In  der  Oberpfalz,  dem  Arbeits- 
gebiete des  Historischen  Vereins  für  Oberpfalz  und  Regensburg,  hat  die  örtliche 
Geschichtsforschung  im  letzten  halben  Jahrhundert  durch  die  Thätigkeit  des 
Lehrers  Joseph  Plafs  eine  wesentliche  Förderung  erfahren.  Er  redigierte 
die  von  Ludwig  Auer  1880  ins  Leben  gerufene  geschichtliche  2^itschrift  fUr 
Baiem  Ehrenpreis  ßir  Oott,  König  und  Vaterland,  von  der  jedoch  ntur 
ein  Jahrgang  erschienen  ist.  Sein  Hauptwerk,  die  Historisch-topographische 
Bes6hreib%mg  der  Oherpfalx,  ist  nur  handschrifüich  in  27  Foliobänden  vor- 
handen und  im  Besitze  des  Kassianeums  in  Donauwörth  ').  Aber  die  Ver- 
öffentlichung ist  in  Anregung  gebracht,  und  im  Januar  1900  hat  die  Königl. 
Bayerische  Akademie  der  Wissenschaften  in  einem  Gutachten  dem  KönigU 
Ministerium  fUr  Kirchen-  und  Schulangelegenheiten  die  Unterstützung  der 
Herausgabe  aus  öffentlichen  Mitteln  empfohlen. 


i)  Dafs  selbst  bei  der  Einstampfung  rein  äuiserliche  Schwierigkeiten  entstehen,  hat 
Hille  in  seinem  Vortrag  schon  betont;  die  Behörden  hängen  dabei  immer  noch  von  der 
Gewissenhaftigkeit  des  Fabrikanten  ab. 

2)  S.  oben  Anmerkung  i  S.  255. 

3)  VgL  die  kleine  Schrift:  J.  Traber,  Lehrer  Joseph  Plass,  der  Geschichtsschreiber 
der  Ober  Pf  alt.   Eine  Skizze  seines  Lebens  und  Wirkens.    Donauwörth,  L.  Auer.    20  S.  16°. 

Herausgeber  Dr.  Armin  Tille  in  Leipzig.  —  Druck  und  Verlag  von  Friedrich  Andreas  Perthes  in  Godia. 

Hierzu   als   Beilage:   Prospekt   der  Cigarran- Fabrik  Gebrüder   Blum   in 
Oooh,  Rheinland. 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsschrift 


fur 


Förderung  der  landesgescbicbtlichen  Forscbung 


II.  Band  August/September  1901  11./ 12.  Heft 


liandes^  und  H^imdt;s9esehiehte  im  Untere 

richte  der  höheren  Schulen 

Von 
Martin  Wehrmann  (Stettin) 

Das  wachsende  Interesse  und  die  stärkere  Förderung  der  landes- 
geschichtlichen Forschung,  der  diese  Blätter  in  erster  Linie  dienen 
wollen,  müssen  notwendig  auf  den  Geschichtsunterricht  namentlich  der 
höheren  Schulen  einwirken,  tmd  es  ist  auch  deutlich  zu  erkennen,  dafe 
sie  sich  dem  Einflüsse  und  der  Einwirkung  dieser  Bewegung  nicht  ent- 
ziehen. Wiederholt  ist  die  Bedeutung  der  Heimatsgeschichte  für  den 
Unterricht  hervorgehoben,  und  mancherlei  Forderungen  sind  für  die 
höheren  Schulen  aufgestellt,  oft  mit  dem  Ansprüche  auf  Neuheit  der 
Gedanken,  obgleich  diese  alt  sind  und  wohl  fast  als  selbstverständlich 
gelten  können.  Oft  kommt  auch  hier  eine  Systematisierung  zum  Aus- 
druck, wie  sie  heute  in  der  Pädagogik  nur  zu  sehr  herrscht.  Immerhin 
ist  es  für  alle  Freunde  landesgeschichtlicher  Forschung  von  Interesse 
zu  betrachten,  welche  Stellung  die  Landes-  oder  Heimatsgeschichte 
im  Unterrichte  einnimmt,  und  auch  für  die  wissenschaftliche  Forschung 
■selbst  ist  es  von  grofser  Bedeutung,  zu  erkennen,  wie  die  von  ihr  ge- 
wonnenen Resultate  in  der  Schule  verwertet  werden  können. 

Zur  Einführung  in  die  frühere  Zeit  ist  ein  kurzer  Rückblick  not- 
wendig; eine  ausfuhrlichere  Darstellung  würde  über  den  zur  Verfügung 
stehenden  Raum  hinausgehen.  Die  Forderungen  eines  AmosComenius, 
<ler  für  die  sechste  Klasse  namentlich  auch  die  Geschichte  des  Vaterlandes 
verlangte  {Didactica  magna  cap.  30,  S  16),  haben  die  gelehrten  Schulen 
•des  17.  Jahrhunderts  vollständig  abgelehnt.  Unabhängig  von  ihm  hat 
•der  Stettiner  Rektor  Johannes  Micraelius  (f  1658)  in  das  von  ihm 
1627  veröflTentlichte  Schulbuch,  Syntagma  histortarum  mundi  omnium, 
einen  Abschnitt  res  Pomeranicae  aufgenommen  und  damit  vielleicht  das 
«erste  Beispiel  einer  Behandlung  der  Landesgeschichte  für  den  Unter- 

ao 


—     266     — 

rieht  gegeben  *).  Auch  den  Bestrebungen  der  Philanthropinisten^ 
die  den  Geschichtsimterricht  an  die  Geschichte  der  engeren  Heimat 
anknüpften,  und  Pestalozzis,  der  systematisch  die  unterrichtliche  Be- 
deutung der  Heimatskunde  betonte,  standen  die  höheren  Schulen,  in 
denen  das  Altertum  vollkommen  und  allein  herrschte,  fremd  gegenüber. 
Nur  bisweilen  wird  in  der  Zeit  der  Aufklärung  wenigstens  etwas  ge- 
nauere Behandlung  der  neueren  Zeit  gefordert.  Hier  und  da  be- 
handelte man  auch  speziell  vaterländische  Geschichte,  allerdings  dann 
im  engsten  Sinne,  so  dafs  z.  B.  in  der  Mark  nur  märkische,  in  Ost- 
preufsen  nur  ostpreufeische  Angelegenheiten  ins  Auge  gefafst  wurden  *). 
In  Preufsen  betonte  der  Staatsminister  v.  Zedlitz,  der  unter  der  Re- 
gierung Friedrichs  d.  Gr.  sich  besonders  um  die  Verbesserung  der 
Lehrverfassung  verdient  machte,  auch  die  Wichtigkeit  der  vaterländi- 
schen Geschichte  und  verlangte  für  die  oberste  Stufe  besondere  Be- 
rücksichtigung der  brandenburgisch  -  märkischen,  wobei  bemerkt  wird,, 
dafs  diese  auf  den  märkischen  Gymnasien  genauer  durchzunehmen 
^ei,  als  anderwärts.  Das  damals  viel  gebrauchte  Lehrbuch  der  all- 
gemeinen  Weltgeschichte  von  J.  M.  Schröckh  (1774)  enthielt  in  einem 
Anhange  die  sächsische  und  brandenburgische  Geschichte  •).  In  Öster- 
reich wurde  1774  in  der  vom  Abte  J.  J.  v.  Fellinger  erlassenen 
„allgemeinen  Schulordnung  für  die  deutschen  Normal-,  Haupt-  und 
Trivialschulen"  bestimmt,  dafs  „etwas  aus  der  Geschichte  besonders 
in  Absicht  auf  das  Vaterland"  gelehrt  werde,  und  in  dem  Methoden- 
buche von  1775  wird  geradezu  „eine  kurze  Geschichte  von  der  Pro- 
vinz des  Staates,  zu  dem  man  gehört,  für  notwendig"  erklärt*). 

Trotzdem  herrschte  damals  noch  in  allen  gelehrten  Schulen  die 
alte  Geschichte  fast  ausschliefslich  vor.  In  Bayern  lagen  nach  dem  Or- 
ganisationsplane von  1808  die  drei  bis  vier  Geschichtsstunden  in  der 
Hand  des  Lehrers  der  alten  Sprachen,  und  auch  nach  dem  Schulplan 
von  1829  schlols  sich  die  Geschichte  aufs  engste  an  die  klassische 
Lektüre  an.  Der  Lehrplan  für  Pforta  von  1801  führt  Geschichte  über- 
haupt als  eigenes  Lehrfach  nicht  auf,  erst  1812  fand  sie  Aufnahme. 

In  dieser  Zeit  liegt  der  Anfang  allgemeiner  Lehrpläne  in  ver-^ 
schiedenen  deutschen  Staaten,  die  zunächst  ohne  allgemein  bindende- 
Verpflichtung  nur  als  Normen  der  neuen  Gelehrtenschule  veröffentlicht 


1)  Vgl.  K.  Krickeberg,  Johann  Micraelius,     Gdtünger   Dissert.  1897.     S.  19  f. 

2)  C  Retbwisch,  Der  Staatsminister  Freiherr  v,  Zedlitz  und Prett/sens  höheres. 
Schulwesen,     i88i.     S.  60  f^ 

3)  Reth wisch  a.  a.  O.,  S.   126. 

4)  MiUeiL  der  GeseUsch.  ftir  deatscbe  Erziehangs-  a.  Scbalgescb.  I,  S.  34. 


—     267     — 

wurden.  In  Bayern  gab  F.  W.  Thiersch  auch  der  bayerischen  Ge- 
schichte eine  Stelle  in  seinem  Schulplan,  wenn  er  auch  den  Tod 
Ludwigs  XIV.  überhaupt  als  Grenze  des  geschichtlichen  Unterrichts 
festsetzen  wollte*).  In  den  Lehrplänen,  die  1836  und  1845  ^^"  ^^^ 
Fürstenschule  in  Grimma  festgesetzt  wurden,  hob  man  die  Besprechung 
der  sächsischen  Geschichte  ausdrücklich  hervor  *). 

Wie  unsicher  man  in  Preufsen  noch  über  die  Behandlung  der 
preufsischen  Geschichte  war,  zeigt  die  Verhandlung  der  ersten  Di- 
rektorenversammlung der  Provinz  Sachsen  (1833)  über  die  Frage:  In 
welcher  Klasse  des  Gymnasiums  und  m  welcher  Verbindung  mit  dem 
allgemeinen  historischen  Unterrichte  ist  die  Geschichte  des  preufsischen 
Staates  vorzutragen?  Das  Reglement  für  die  Abiturientenprüfung  von 
1834  verlangt  nur  im  allgemeinen  u.  a.  genauere  Kenntnis  auch  der 
deutschen  und  preufsischen  Geschichte;  von  einer  Erwähnung  der 
unterrichtlichen  Bedeutung  der  Heimatsgeschichte  findet  sich  in  dieser 
Zeit  in  den  amtlichen  Erlassen,  die  allerdings  noch  erheblich  seltener 
waren  als  heute,  keine  Spur.  Freilich  wurde  den  Lehrern  auch  eine  ganz 
andere  Freiheit  gelassen  als  jetzt;  enthält  doch  selbst  noch  der  Lehr- 
plan von  1856  nicht  detaillierte  Vorschriften,  sondern  nur  allgemeine 
Bestimmungen.  Erst  eine  Verfügung  vom  26.  April  1857  betont  „für 
den  Unterricht  der  Geschichte  in  den  mittleren  Klassen  den  Vortrag 
und  die  Einprägung  der  vaterländischen  Geschichte  im  weiteren  und 
engeren  Sinne**.  Recht  bedeutsam  ist  für  längere  Zeit  geworden  die 
ausführliche  und  immer  noch  beachtenswerte  Instruktion  für  den  ge- 
schichtlichen und  geographischen  Unterricht,  die  1859  für  die  Gym- 
nasien und  Realschulen  der  Provinz  Westfalen  erlassen  wurde.  Doch 
auch  hier  vermissen  wir  unter  den  mannigfachen  angeführten  Mitteln, 
die  der  Erweiterung  und  Vertiefung  des  historischen  Wissens  dienen 
sollen,  die  Heimatsgeschichte.  Das  ist  um  so  merkwürdiger,  als  in 
derselben  Zeit  in  der  Unterrichts-  und  Prüfungsordnung  der  Real-  und 
höheren  Schulen  (6.  Okt  1859)  ^^^  ersten  Male  amtlich  bestimmt 
wird:  „Mit  dem  provinziell  und  lokalgeschichtlich  Denkwürdigen  die 
Schüler  bei  geeigneter  Gelegenheit  bekannt  "zu  machen,  wird  auch 
das  pädagogische  Interesse  des  Geschichtslehres  nicht  versäumen,  und 
einzelne  Partieen  werden  danach  eine  umfassendere  Berücksichtigung 
finden  z.  B.  in  der  Provinz  Preufeen  die  Geschichte  des  Deutschen 
Ordens.** 


i)  Thiersch,  Über  gelehrte  Schulen  III,  S.  450. 

2)  Köfsler,  Gesch.  der  Fürstenschale  Grimma.     S.  204  f. 

20 


—     268     — 

Seitdem  ist  die  Bedeutung  der  Heimatsgeschichte  wiederholt 
hervoi^ehoben.  So  behandelte  die  sechste  Direktorenversammlung*  in 
Pommern  (1876)  die  Frage:  Wie  weit  und  wie  ist  bei  dem  Unterricht 
in  der  Weltgeschichte  die  Provinzialgeschichte  zu  berücksichtigen? 
Auch  enthält  der  Lehrplan  eines  Gymnasiums,  der  als  ausführendes 
Beispiel  der  allgemeinen  Lehrordnung  den  Königl.  Provinzial  -  Schul- 
kollegien 1867  mitgeteilt  wurde,  in  dem  Pensum  der  Untertertia  aus- 
drücklich die  Bestimmung,  dafs  „die  Spezialgeschichte  der  betreffen- 
den Provinz  oder  einzelne  Teile  derselben,  sofern  sie  in  früheren 
Zeiten  eine  historische  Bedeutung  gehabt  haben,  berücksichtigt  wer- 
den sollen"  *). 

Trotzdem  findet  auffallenderweise  in  den  preufsischen  Lehr- 
plänen von  1882,  1892  und  1901  die  engere  Landesgeschichte  gar  keine 
Erwähnung.  Es  wird  zwar  1882  betont,  „dafs  für  die  mittlere  und 
neuere  Zeit  die  Geschichte  des  Vaterlandes,  Deutschlands  und  Preufsens, 
den  Mittelpunkt  bildet",  und  1892  bei  der  Lehraufgabe  der  Geschichte 
in  Sexta  (!)  bestimmt ,  dafs  dort  von  Gegenwart  und  Heimat  auszu- 
gehen ist,  sonst  wird,  wie  hinreichend  bekannt  ist,  nur  die  branden- 
burgisch-preufsische  Geschichte  in  den  Mittelpunkt  der  imterrichtlichen 
Behandlung  gestellt,  wie  es  bereits  in  dem  kaiserlichen  Erlasse  vom 
13.  Februar  1890  hervorgehoben  ist. 

Nicht  in  gleicher  Weise  wird  in  dem  Lehrplane  imd  den  In- 
struktionen für  den  Unterricht  an  den  Gymnasien  in  Österreich  vom 
26.  Mai  1884  die  österreichische  Geschichte  in  den  Vordergrund 
gedrängt,  wenn  natürlich  auch  im  Lehrziele  des  Geschichtsunter- 
richtes eine  besondere  Berücksichtigung  der  österreichisch  -  ungari- 
schen Monarchie  gefordert  wird.  Dabei  weisen  die  Instruktionen  aus- 
drücklich darauf  hin  *),  dafs  in  jedem  Kronlande  die  wichtigsten  Mo- 
mente seiner  speziellen  Geschichte  unter  steter  Rücksicht  auf  das 
grofse  Ganze  der  Betrachtung  unterzogen  werden.  „Ähnliche  Für- 
sorge mag  in  billigem  Mafse  auch  den  Schicksalen  der  Stadt  zu  teil 
werden,    welche    der   Sitz    der   Schule   ist,    besonders   wenn   sie   zu 

• 

den  historisch  bedeutsamen  des  Landes  und  Staates  gehört.  Durch 
solche  Verknüpfung  der  allgemeinen  Vaterlandsgeschichte  mit  der  des 
Kronlandes  oder  der  Stadt  wird  jene  lebendig  und  anschaulich  und 
diese  gehoben;  von  der  Gesamtgeschichte  empßLngt  die  der  beson- 
deren Landschaften   erst  das  rechte  Licht  und  Leben."     So  wird  in 


i)  Wiese»  Verordnungen  und  Gesetze.     2.  Aufl.     Bd.  I,  S.  334. 
2)  Instruktionen  S.  228  f. 


der  obersten  Klasse  eine  förmliche  östeireich- ungarische  Vaterlands- 
kunde betrieben  '}. 

Die  Schulordnung  iiir  Bayern  vom  30.  Juli  1891  setzt  als  Lehr- 
aufgabc  für  die  vierte  und  fünfte  Klasse  besondere  Berücksichtigung  der 
bayerischen  Geschichte  bei  der  Behandlung  der  mittelalterlichen  und 
neueren  Geschichte  fest.  In  der  Lehrordnung  für  die  Säcbsiacheo  Gym- 
nasien vom  28.  Januar  1893  wird  allgemein  Behandlung  der  vater- 
ländischen Geschichte  vorgeschrieben,  daneben  nur  für  Quarta  aus- 
drücklich Berücksichtigung  Sachsens  gefordert.  In  der  Lehr-  und 
PrüfungBOrdoung  für  die  Realgymnasien  wird  sächsische  Geschichte 
oder  Heimatsgeschicbte  überhaupt  nicht  erwähnt.  Der  Lehrplan  für 
die  Gymnasien  und  Lyceen  Württembergs  von  1891  setzt  für  Klasse  VI 
neben  der  neueren  deutschen  Geschichte  von  1517  bis  1871  auch 
eine  Übersicht  über  die  wüittembergiBche  Geschichte  fest.  Im  Grofs- 
herzogtum  Hesaen  wird  in  Oberprima  die  Neuzeit  bis  zur  Gegenwart 
mit  besonderer  Rücksicht  auf  Deutschland  und  Hessen  behandelt.  In 
Baden  scheint  nach  den  Angaben  in  A.  Baumeisters  Handbuche  der 
Erziehungs-  und  Unterrichtslehre  für  höhere  Schuten  *)  ebenso  wenig 
wie  in  Hecklenborg  die  Geschichte  des  Heimatslandes  im  offiziellen 
Lehrplan  vertreten  zu  sein '),  und  in  den  kleineren  Staaten  wird  es 
kaum  anders  sein. 

So  steht  CS  nach  den  amtlichen  Lehrplänen  der  höheren  Schulen 
Deutschlands  mit  der  Behandlung  der  Landes-  und  Heimatsgeschicbte 
gar  übel,  und  es  wäre  sehr  zu  bedauern,  wenn  thatsächlich  der  Bil- 
dungswert derselben  so  niedrig  geschätzt  würde.  Das  ist  aber  keines- 
w^s  der  Fall.  Wohl  überall ,  wo  Geschichte  in  rechtem  Sinne  ge- 
lehrt wird,  wird  es  sich  der  Lehrer  nicht  entgehen  lassen,  an  das 
Interesse  der  Schüler  für  die  Heimat  und  ihre  Veigangenheit  anzu- 
knüpfen, und  nichts,  was  ihm  dort  zur  Belebung  und  Erläuterung  ge- 
boten wird,  unbenutzt  lassen.  Es  sind  das  alte  pädagogische  Forde- 
rungen, deren  Wert  oft  hervorgehoben,  namentlich  aber  in  den  letzten 
Jahrzehnten  auch  für  die  höheren  Schuten  betont  worden  ist.  Wir 
können  hier  unmöglich  auf  die  Heimatskunde  im  allgemeinen  eingehen, 
für  die  eine  überaus  reiche  und  zum  Teil  recht  beachtenswerte  Utte- 
ratur  vorliegt,  sondern  müssen  uns  begnügen,  einige  wenige  Art 
über  den  geschichtlichen   Zweig   derselben    kurz   hervorzuheben 

1)  Die   InstrnktioDCD   von)   13.  Februar   1900   liad   mir   noch   nichl   ingäneli 

a)  I,  2.  S.  178. 

3]  Vel.  Kraacr,  Prognmm  Ton  DoberaD  1S97.     S.  4. 


—     270     — 

wird  daraas  deutlich  hervorgfehen ,  dafe  es  im  Kreise  der  Pädagogen 
keineswegs  an  Interesse  an  der  Benutzung  der  Ergebnisse  Landes-  oder 
heimatsgeschichtlicher  Forschungen  gefehlt  hat  und  fehlt. 

Eine  von  Herbart  und  seiner  Schule  wieder  aufgestellte  Forde- 
rung ist  Benutzung  der  eigenen  Erfahrung  des  Zöglings  für  den  Unter- 
richt. Mit  Recht  gilt  diese,  wenn  es  sich  wirklich  um  eigene,  nicht 
von  fern  herzugetragene  Kenntnis  oder  Erfahrung  handelt,  als  eine  der 
festesten  Apperzeptionsstützen.  Es  ist  aber  falsch,  wenn  die  Geschichte 
der  Heimat  von  vornherein  als  solche  Stütze  angesehen  wird;  sie  ist 
an  und  für  sich  dem  Schüler  ebenso  unbekannt  wie  die  Geschichte 
eines  fremden  Landes,  doch  erhält  sie  ganz  besondere  Unterstützung 
durch  etwa  vorhandene  Reste  der  Vergangenheit,  welche  lebendiger 
in  dieselbe  einzuführen  vermögen  als  es  etwa  Abbildungen  im  stände 
sind.  Auch  das  persönliche  Interesse  wird  hier  nicht  wenig  mithelfen. 
So  wird  ein  förmlicher  Unterricht  in  der  Heimatsgeschichte,  wie  er 
nicht  selten  gefordert  wurde  und  auch  noch  betrieben  wird,  von 
den  bedeutendsten  Vertretern  der  Herbartschen  Richtung  abgelehnt. 
O.  Will  mann*)  erklärt  es  für  unrichtig,  die  Geschichte  der  Heimat- 
stadt als  Material  der  geschichtlichen  Heimatskunde  aufzufassen,  da 
sie  zu  viel  und  zu  wenig  biete.  „Unserer  Auffassung  nach  muis  die 
geschichtliche  Heimatskunde  von  vornherein  so  angelegt  sein,  dafs  sie 
späterhin  dem  Unterrichte  in  der  Geschichte  Fufspunktc  aller  Art 
bietet."  O.  Fr  ick,  der  sich  um  die  Einführung  der  Herbartschen 
Pädagogik  in  den  Unterricht  der  höheren  Schulen  ganz  besonders 
verdient  gemacht  hat,  erklärt  in  seinen  Bemerkungen  über  das  Wesen 
und  die  unterrichtliche  Pflege  des  Hetmatsgefühles  *)  noch  deut- 
licher: „  Die  Heimatskunde  besteht  nicht  in  einem  ausführlichen  Lehr- 
kursus, in  Provinz-,  Heimats-  oder  gar  Stadtkunde  im  Stile  einer  stoif- 
reichen  Landes-,  Staats-  oder  Ortskunde  der  engeren  Heimat;  sie  ist 
keine  selbständige  Disziplin  und  insofern  auch  nicht  Selbstzweck,  son- 
dern mehr  ein  Unterrichtsprinzip  in  dem  Sinne,  dafs  jeder  Anlafs  in 
allen  Lehrgegenständen  und  auf  allen  Unterrichtsstufen  benutzt  wird, 
das  Verständnis  für  das  heimatliche  Leben  nach  Natur  und  Geschichte 
zu  erschliefsen  und  zu  vertiefen.**  Dieser  Grundsatz  hat  auch  im  all- 
gemeinen Anerkennung  gefunden  und  wird  auf  den  Geschichtsunter- 
richt in  der  Weise  angewandt,  dafs  die  Geschichte  der  Heimat  in 
engste  Beziehung  zur  allgemeinen  gestellt  wird  und  diese  durch  jene 

1)  Pädagogische  Vorträge.     2.  Aufl.     S.  64. 

2)  Lehrproben  und  Lehrgänge  Heft  29,  S.  18. 


—     271     — 

dem  Verständnisse  der  Schüler  näher  gebracht  wird.     Es  kann  daher 
sowohl  von  irgend  einer  Thatsache  oder  Elrscheinung,  die  in  der  Heimat 
bekannt  ist,    ausgegangen   werden,   um  das  Allgemeine  zu  erklären, 
oder  umgekehrt  dies  an  dem  heimatlichen  Beispiele  erläutert  werden. 
Auf  jeden  Fall  mufe  der  Lehrer  seinen  Schülern  bei  solcher  Gelegen- 
heit immer  einen  gewissen  Stoff  aus  der  Heimatsgeschichte  bieten,  um 
etwas  Abstraktes  begreiflich  zu   machen.     So  hat  die  sechste  Direk- 
torenversammlung der  Provinz  Schleswig-Holstein,  welche  die  Frage 
nach  den  Anregungen  des  Heimatsortes  im  Unterrichte  sehr  dankens- 
werterweise behandelt  hat^),    den  Leitsatz   angenommen:    „Die  Ge- 
schichte  des   Heimatlandes   und  Heimatortes  ist  fiir  das  Verständnis 
der  allgemeinen  Geschichte  möglichst  zu  ver^'erten,  doch  nur  im  Zu- 
sammenhange dieser  und  nicht  in  einem  längeren  abgesonderten  Unter- 
richte.**    Wird  allgemein   eine  Benutzung  der  Heimatsgeschichte  em- 
pfohlen, so  ist  es  zu  verwundem,  dafs  O.  Jäger  in  Baumeisters  Hand- 
buch  der  Erziehungs-  und  Unterrichtslehre  (Band  III)  gar  nicht  von 
ihr  spricht.     Andererseits   hat  es   auch  in  Bezug   auf  den  Stoff  nicht 
an  sehr  übertriebenen  Forderungen  gefehlt.    Es  läfst  sich  hierfür  eine 
allgemeine  Regel  kaum  aufstellen.    Ganz  natürlich  ist  es,  da(s  in  jedem 
deutschen  Bundesstaate   die  spezielle  Geschichte  desselben  mehr  Be- 
achtung findet,   als   etwa  in  den  einzelnen  preußischen  Provinzen  die 
Landesgeschichte   derselben.     Ein  bayerischer,  sächsischer,  württem- 
bergischer Schüler  mu(s  von  der  Vergangenheit  seiner  Heimat  ebenso 
gut  bestimmte  Kenntnisse  haben,   wie  sie  ein  preufsischer  erhält  von 
der  Geschichte  Preufeens.     Hier  ist  der  Unterricht   in  der  Heimats- 
gescbichte  auch  Selbstzweck.  Dagegen  wird  niemand  von  einem  Schüler 
Schlesiens,  Pommerns  oder  der  Rheinprovinz  irgendweich  umfassen- 
deres oder  zusammenhängendes  Wissen  von  der  Provinzialgeschichtc 
verlangen;    hier   kann    diese  nur  zur  Belebung  und  Erläuterung  der 
allgemeinen  Geschichte  benutzt  werden,  wobei  selbstverständlich  einige 
besonders    wichtige    Ereignisse    gedächtnismäfsig    festzuhalten    sind. 
Solche    gelegentliche   Erwähnungen   und    Hinweisungen    auf   Heimat- 
liches  dürfen  nicht  zu  weit  hergeholt  sein,  sondern  müssen  sich  ge- 
wissermaßen von  selbst  ergeben.     Was  an  geschichtlichem  Stoffe  in 
der  Heimat  liegt,  ist  an  verschiedenen  Orten  gezeigt.    Für  das  Grofe- 
herzogtum   Hessen    hat  es  F.  Schmidt  gethan  *) ,    für  Mecklenburg 
Kr  an  er*)   und  in  besonders  gründlicher  Weise,   die  allerdings  etwas 

l)  Verhandlungen  der  Direktorenvenammliingen  Bd.  46,  S.  1^104. 
a)  Programm.     Bensheim  1896. 
3)  Programm.     Doberan  1897. 


—     272     — 

zu  weit  zu  gehen  scheint,  J.  Lübbert  für  Halle  a.  S.  *).  Seine  Zu- 
sammenstellung ist  äuiserst  verdienstvoll  und  wohl  dazu  geeignet,  dafe 
sie  dem  Schüler  als  Lesebuch ,  nicht  als.  Lehrbuch ,  in  die  Hand  ge- 
geben werden  kann. 

Einen  systematischen  Versuch  zur  „  organischen  Eingliederung  der 
Heimats-  und  Stammesgeschichte''  hat  A.  Tecklenburg  *)  versucht; 
er  giebt  eine  methodische  Anweisung,  die  allerdings  zunächst  auf  die 
Volksschule  zugeschnitten  ist  Es  wird  dort  versucht,  systematisch 
lokale  Erscheinungen  zur  Veranschaulichung  allgemeiner  und  imi- 
gekehrt  zu  verwerten.  So  neu  ist  diese  Art  der  Benutzung  der  Heimats- 
geschichte aber  nicht,  wie  es  den  Anschein  hat,  die  Forderung  ist 
schon  früher  gestellt  und  sehr  oft  angewandt  Auch  werden  nicht 
alle  Einzelheiten  überall  Beifall  finden.  Ganz  etwas  Neues  sollen  die 
Stammes-  und  heimatsgeschichtlichen  Ergänzungshefte  bieten,  die 
Weigand  und  Tecklenburg  erscheinen  lassen.  Sie  sollen  das  Material 
für  die  Heimatskunde  der  preuCsischen  Provinzen,  einzelner  Orte  und 
Kreise  enthalten,  so  dais  die  Abschnitte  in  den  Heften  zu  der  all- 
gemeinen Geschichte  in  Beziehung  gesetzt  werden.  Nur  einige  der 
bisher  erschienenen  sind  mir  bekannt  geworden.  Sie  unterscheiden 
sich  nicht  wesentlich  von  älteren  geschichtlichen  Heimatskunden, 
welche  einzelne  Lesestücke  aus  der  Geschichte  enthalten.  Die  stän- 
dige Beziehung  auf  die  allgemeine  Geschichte  ist  nur  ganz  äufserlich 
durchgeführt.  Inhaltlich  sind  sie  nicht  ohne  Fehler  und  bieten  im 
Stoffe  so  viel,  dafs  sie  wieder  zu  einem  eigenen  Unterrichtsgegen- 
stande fuhren.  Für  die  höheren  Schulen  sind  sie  als  Lehrbücher  nicht 
zu  gebrauchen. 

An  solchen  kleinen  Heimatsgeschichten  mangelt  es  wahrlich  nicht; 
was  uns  fehlt,  sind  geschichtliche  Lesebücher  und  allgemein  verständ- 
liche Darstellungen  aus  der  Heimatsgeschichte.  Deshalb  ist  der  Re- 
solution, die  auf  der  Generalversammlung  des  Gesamtvereins  der 
deutschen  Geschichts-  und  Altertumsvereine  1896  (Blankenburg)  gefafet 
wurde,  besonders  in  ihrem  zweiten  TeUe  beizustimmen :  „Es  ist  eine 
gröfsere  Pflege  der  Heimatskunde  in  geschichtlicher  Be- 
ziehung zu  empfehlen,  weil  die  Kenntnis  der  Geschichte 
derHeimatdie  Voraussetzung  für  das  Gefühl  der  Zugehörig* 
keit  zum  Staatsganzen  bildet;  Aufgabe  der  Geschichts- 
vereine   ist    es,    für    die    wissenschaftlichen    Grundlagen 


i)  Programm  der  Lat  HanpUchnle  za  HaUe  1900. 
2)  HanooTer  und  Berlin  1899. 


—     273     — 

einer  zuverlässigen  Heimatskunde  zu  sorgen"  *).  Nicht 
kleine,  von  Dilettanten  abgefafste  Heimatskunden  also,  wie  sie  sich  in 
fast  allen  Volksschullesebüchem  finden,  können  der  Heimatsgeschichte 
wirksam  dienen,  sondern  auf  wissenschaftlicher  Grundlage  gearbeitete 
Darstellungen,  die  z.  B.  den  Schülern  an  geeigneter  Stelle  des  Unter- 
richts in  die  Hand  gegeben  werden  können  mit  der  Aufgabe,  nach 
denselben  kurze  Berichte  oder  Vorträge  zu  verfassen.  Versuche  hier- 
mit scheitern  bisher  zumeist  an  dem  Fehlen  geeigneter  Hilfsmittel. 
Sie  bieten  auch  den  Lehrern,  von  denen  nicht  jeder  Zeit  und  Neigung 
zu  speziellen  Studien  in  der  Heimatsgeschichte  hat,  das  Material,  das 
er  in  seinem  Unterrichte  verwenden  soll  tmd  mu(s.  Hierbei  handelt 
es  sich,  wie  Bernheim*)  treffend  .bemerkt,  vornehmlich  auch  um 
Fragen,  die  an  die  kulturgeschichtliche,  zuständliche  Geschichtsforschung 
gestellt  werden. 

Es  knüpfen  sich  an  die  Verwertung  der  Landesgeschichte  im  Ge- 
schichtsunterrichte der  höheren  Schulen  zahlreiche  pädagogische  Fragen 
und  Forderungen,  die  hier  nur  kurz  angedeutet  sind.  Eine  ausführ- 
liche Behandlung  würde  hier  nicht  an  der  Stelle  sein.  Die  eine 
J'orderung  dagegen  gehört  recht  eigentlich  in  diese  Blätter,  und  es 
ist  die,  dafs  die  wissenschaftliche  Durchforschung  der 
Territorial-  und  Lokalgeschichte  die  Bedürfnisse  des 
Geschichtsunterrichtes  mehr  ins  Auge  fafst  und  dem 
Dilettantismus  auf  dem  Gebiete  der  betreffenden  Unter- 
richtslitteratur  entgegentritt.  Daraus  wird  der  Geschichts- 
wissenschaft durch  das  bei  der  jüngeren  Generation  erweckte  Interesse 
und  den  für  den  Geschichtsunterricht  im  allgemeinen  erzielten  Nutzen 
nicht  unbedeutender  Vorteil  erwachsen. 


Die  Juden  im  deutsehen  Mittelalter 

Von 
Bruno  Klaus  (Schw.-Gmünd) 

(Schluft  s). 
Nach  Beendigung  der  Judenkrawalle  finden  wir  die  Judengemeinden 
der  einzelnen  Reichsstädte  nicht  mehr  als  reichsunmittelbare  Körper- 


i)  Korrespondenzblatt  1897.     S.  16. 

2)  Pomm.  Jahrbächer  I,  S.  31. 

3)  Vgl.  S.  241—248. 


—     274     — 

Schäften  im  Königsschutze,  sondern  als  Hintersassen  oder  Pfahlbürg-er 
der  einzelnen  Reichsbürgergemeinden.     Aber  auch   in  dieser  Stellung- 
kommen  sie  wieder  zu  Geld  imd  wissen  die  Christen  in  wirtschaftliche 
Abhängigkeit  zu  bringen.     Daher  vereinbart  der  schwäbische  Städte- 
bund   1385    zu   Ulm    eine  Judenscbuldentilgung ').     Alle    Kapitalien, 
welche  die  Juden  seit  Jahresfrist  ausgeliehen   haben,   w^erden  zwar   in 
vollem  Betrag  heimbezahlt,  aber  nicht  verzinst.    Die  Zinsen  derjenig-en 
Kapitalien ,   welche  länger  als  ein  Jahr  ausgeliehen  sind ,   werden  den 
Kapitalien  zugerechnet,  und  dann  sind  vom  Ganzen  75  Prozent  heim- 
zuzahlen.     Dieselben    sind    den    Städten,     in    denen    die    Gläubig-er 
-wohnen,  bis  24.  August  1385    durch  Pfander  sicher  zu   stellen.     Die 
Frist  der  Heimzahlung  mit  10  Prozent  Zinsen  wird  für  die  Schuldner 
bis    2.    Februar    1388    verlängert.     Bis    zu    diesem    Termin    überläist 
das  Reich   den   Städten   sein   Recht   auf  den    Ertrag   der  Judensteuer 
gegen   die  Summe   von  40000  fl.,    welche  die  Reichskammer  dazni 
verwendet,     um    die   seitherigen    Pfandherren    der    Judengefalle   der 
Reichsstädte    für   das    Aufgeben    ihrer    Forderungsrechte     abzufinden, 
während  vom  2.  Februar  1388   an  die  Hälfte  des  Ertrags   der  Juden- 
steuer   der   Reichskammer   gehört.      Die    Städte    haben    auch    femer 
das  Recht  Juden  aufzunehmen.     Da  aber  nicht  alle  Schuldner  in  der 
Lage  waren,  für  die  restierenden  75  Prozent  Bürgschaft  zu  leisten,  so 
ordnete  auch  das  Reich  im  Jahre  1390  eine  Judenschuldentilgung  an. 
Die  Fürsten,  Grafen,  Freiherren,  Städte,  Ritter,  Knechte  und  andere 
Personen,    die   durch   das   „unmäfsige  Gesuch"   der  Juden   d.  h.   die 
hohen  an  sie  zu  zahlenden  Zinsen  so  schwer  geschädigt  seien,  und  die, 
wenn  sie  die   Judenforderungen  ganz   bezahlen   müfsten,   landflüchtig 
und  dadurch  dem  Dienst  des  Reichs  entfremdet  würden,   sollen  aller 
Verpflichtungen  an  Juden  für  Hauptgut,  Gesuch  (=  Zins)  und  Schaden 
(=  Zinseszins)  los  und  ledig  sein.     Die  Reichskammer  übernahm    die 
Auslösung  dieser  Schulden  den  Juden  gegenüber,  und  die  Schuldner 
sollten  dem  Reich  einen  Teil,  meist  30  Prozent  bar  bezahlen,  für  den 
Rest   aber    „einen    redlichen   Dienst    thun**    (besonders    Kriegsdienste 
leisten),  wenn  sie  dazu   aufgefordert  würden.     Die  Juden  sollten  nach 
der  Abmachung  vom  Jahre  1385  vom  Reiche  75  Prozent  ihrer  Forde- 
rungen  erhalten  und  ihre  Pfandbriefe  herausgeben  *).    Zum  Schutz  gegen 


i)  Nübling,  Jadengemeinden,  S.  375. 

2)  Ganz  aasfUhrlich  handelt  Über  die  bei  dieser  Gelegenheit  aufgedeckte  Verschuldung 
des  Adels  u.  s.  w.  Karl  Bücher,  Die  Berölkertmg  von  Frankfurt  a.  M  im  XIV.  tmä 
XV.  Jahrhundert,  L  Bd.  (1886),  S.  5  74  ff.  Es  wäre  höchst  dankenswert,  wean  die  ent- 
sprechenden Akten  aus  anderen  Städten  auch  veröffentlicht  würden!!    Für  Nürnberg 


—     275     — 

fernere  Auswucherung  durch  die  Juden  gründete  später,  im  XV.  Jahr- 
hundert, der  Bariiiisennönch  Bamabas  Interamnensis  die  Leihhäuser 
{montes  pietatis),  Darlehenskassen,  bei  welchen  hauptsächlich  kleinere 
Leute  Geld  zu  möglichst  niederem  Zinsfufs  bekamen.  Ein  Haupt- 
förderer derselben  war  der  Barfuisermönch  Bemhardin  Thomitano. 

Im  XV.  Jahrhundert  wird  allgemein  in  den  deutschen  Städten  die 
räumliche  Abgrenzung  der  Judenviertel  durchgeführt.  Man  sucht  die 
Juden  mit  Gewalt  zum  Christentum  zu  bekehren,  indem  man  sie  zwingt, 
christliche  Predigten  anzuhören,  auch  häufig  den  Eltern  Kinder  weg- 
nimmt, um  sie  zu  taufen.  Unter  Kaiser  Max  I.  werden  die  Juden 
vielfach  aus  den  Städten  vertrieben,  ihr  noch  schärferer  Gegner  ist 
Karl  V.  Der  Hauptgrund  für  diese  Veränderung  in  der  Volks- 
anschauung ist  der  reichlichere  Zuflufs  von  Edelmetallen :  bei  billigerem 
Zinsfufs  und  höheren  Warenpreisen  konnte  das  Volk  jetzt  die  bisher 
privilegierten  Gelddarleiher  leichter  entbehren. 

Als  Beschäftigung  der  Juden  kommt  seit  den  Kreuzzügen 
nur  in  bescheidenem  Mafse  der  Warenhandel  in  Betracht  *) ,  und  erst 
seit  dem  XVL  Jahrhundert  wird  er  allgemeiner*).  Unter  den  Waren 
finden  sich  merkwürdigerweise  bis  tief  ins  Mittelalter  Sklaven:  noch 
1085  kauft  Judith,  Gemahlin  des  Herzogs  Wladislaus  von  Polen,  viele 
Christen  aus  der  Sklaverei  bei  den  Juden  los  •).    Die  Kirche  trat  dem 

^iebt  z\x  dieser  Frage  neanenswertes  Material  Hegel  in  Chroniken  der  deutschen 
Städte  I  (1862)  S.  III — 129,  (Ur  Ulm  und  Schwaben  Nübling  in  Judengemeinden, 
S.  374 — 435.  Für  Regensburg  vgl.  Lindner  in  den  Forschungen  zur  deutschen  Ge- 
schichte XIX  (1879),  S.  53.  Urkunden  zur  Frage  der  Judenschuldentilgung  sind  auch 
Yeröffentlicht  in  den  „Neuen  Beyträgen  von  alten  und  neuen  Theologischen  Sachen  auf 
•das  Jahr  1754 'S  S.  5 — 16,  sowie  in  der  „  Archivalischcn  Zeitschrift  6.  Bd.  (1881) 
S.  195  —  205,  bes.  S.  203/204  (Sept,  1384/ 

i)  Im  XIII.  und  XIV.  Jahrhundert  treiben  Juden  und  Lombarden  wesentlichen  Waren- 
handel nicht  mehr  (Schulte,  Mittelalterlicher  Verkehr  zwischen  Westdeutschland  und  Italien  I, 
S.  325).  Über  den  Handel  der  Juden  vergl.  femer  Schulte  I,  S.  78;  Heyd,  Levante- 
handel, I,  138fr;  Dahn,  Könige  der  Germanen,  8.  Bd.,  2.  Abt  (1899)  S.  243 — 250; 
Boos,  Städtekultur,  i,  370;  Liebe,  Die  wirtschaftliche  Bedeutung  der  Juden  in  der 
•deutschen  Vergangenheit  (Jahrb.  der  K.  Akademie  der  Wissensch.  in  Erfurt,  Bd.  26  (1900). 

2)  Vgl.  Bücher,  Bevölkerung  von  Frankfurt  a.  M.  im  XIV.  und  XV.  Jahrhundert, 
be^.  587—591. 

3)  Über   den  Sklavenhandel   der  Juden    vgl.    Aloys  Schulte   a.  a.  O.  I,   S.  74   und 
151.     Der  Sklavenhandel  kam  überhaupt  im  Mittelalter  da  und  dort  noch  vereinzelt   vor 

Roth,  Geschichte  des  Nürnberger  Handels  I,  S.  49,  berichtet,  dafs  1332  ein  Türke  in 
Nürnberg  als  Sklave  verkauft  worden  sei,  v.  Reumont  (Historisches  Jahrbuch  VII  (1886) 
S.  51),  daft  orientalische  Sklaven  im  XIV.  und  XV.  Jahrhundert  zu  Florenz  auf  den 
Markt  gekommen  seien.  In  Italien  ist  wohl  in  allen  Hafenstädten  Sklaverei  und  Sklaven- 
handel  vorgekommen.     Um  900  wird   für  eine  böhmische   Zollstätte    verordnet:  Judei 


—     276     — 

Sklavenhandel  der  Juden  entgegen  und  ergriff  auch  Mafsregeln  gegen 
das  Halten  von  christlichen  Dienstboten  durch  die  Juden. 

Ungemein  grofs  ist  die  Zahl  der  jüdischen  Ärzte  im  Mittelalter  ^). 
Sogar  jüdische  Frauen  finden  wir  in  diesem  Berufe  thätig.  Erzbischof 
Johann  II.  von  Würzburg  erteilt  der  Juden -Ärztin  Sara  die  Erlaubnis^ 
zur  Ausübung  ihrer  Kunst  in  seinem  Bistum  gegen  eine  jährliche- 
S teuer  von  lo  fl.  und  gegen  Zahlung  von  2  fl.  statt  des  goldeneir 
Opferpfennigs,  und  Rcinhart  von  Malspach,  Domherr  zu  Würzbui^^ 
erklärt,  dafs  die  genannte  Ärztin  in  den  Besitz  gewisser  Güter  eingesetzt 
worden  sei  *). 

Fast  das  ausschlieisliche  Monopol  der  Juden  war  bekanntlich  das- 
Gelddarleihgeschäft  Der  Jude  allein  hat  das  Recht,  „Schaden"- 
d.  h.  Zinseszins  zu  nehmen  ').  Als  Pfander  dienten  nur  ausnahmsweise- 
Liegenschaften,  in  der  Regel  aber  fahrende  Habe.  Verboten  war 
das  Darleihen  auf  Kirchengut,  kirchliche  Gewänder,  Gerätschaften^ 
Reliquien,  das  wissentliche  Leihen  auf  gestohlenes  Gut,  auf  blutige- 
und  nasse  Gewänder,  auf  goldene  und  sUbeme  Gegenstände,  weni^ 
dieselben  zusammengeschlagen  waren,  auf  Wehr  und  Waffen.  Ais- 
Konkurrenten  der  Juden  auf  diesem  Gebiete  erscheinen  die  Lombarden 
oder  Kawertschen  *) ,  christliche  Zinsleiher ,  usurarn  publtct,  welche 
die  kirchlichen  Strafen  für  den  gottlosen  Wucher  willig  auf  sich  nehmen,, 
mitunter  auch  auf  dem  Totenbette  Reue  empfinden.  Dieses  kleine 
Pfandleihgeschäft  ist  der  eigentliche  wirtschaftliche 
Untergrund  für  das  Dasein  der   mittelalterlichen  Juden. 

Für  die  Auffafsung  dieses  jüdischen  Pfandgeschäftes  ist  ein  Ein- 
gehen  auf  die  Höhe  des  Zinsfufises  unerläfslich.  Die  Sammlung  der 
zerstreuten  Notizen  war  namentlich  von  Neumann*)  schon  sehr  weit  ge- 
führt, der  Zusammenhang  des  Zinsfufses  mit  dem  Münzsystem  ist  dann 
neuerdings  von  AI.  Schulte  •)  klargelegt  worden,  das  Pfand  wurde  g^en 
Wochenzins   beliehen  und   dieser  so   bemessen,   dafs   er  nicht  ein 

et  ceteri  mereaiores  sollen  den  Zoll  zahlen  tarn  de  maneipiis  quam  de  cUiis  rebus^ 
Erben,  Regesta  diplomatica  Bohemiae  I,  S.  26.  («■  Abh.  der  KönigL  Böhm.  Ges.  d. 
Wiss.     5.  Folge,  8.  Bd.  1854.) 

i)  Landau,  Geschichte  der  jüdischen  Ärxte,  Berlin  1895;  Horowitz,  Jüdische 
Ärxte  in  Frankfurt  a.  M.,  Frankfurt,  1886. 

2)  Wiener,  Regesten,  S.  182. 

3)  VgL  Funk,  Zins    und  Wucher  (Tübingen  1868),   S.  217.     Denteronom.  23,21 
wird  ja  dem  Juden  ausdrücklich  gestattet,  vom  Ausländer  Zins  zu  nehmen. 

4)  Der  Name  „Kawertschen"  wird  gewöhnlich  von  der  französchen  Stadt  Cahors  abgeleitet. 
5)MaxNettmann:  Oeschiehiedes  Wuchers  in  Deutschland.  Halle  1865,  S.  3 19— 345» 
6)  Geschichte  des  mittelalterlichen  Handels  und  Verkehrs.     I,  S.  318. 


—     277     — 

Bruchteil  der  Münze  war,  sondern  ein  thatsächlich  vorhandenes  Geld- 
:stück.  Die  Regel  war,  dafs  wer  i  Pfand  Pfennige  lieh,  dafür  pro  Woche 
2  Pfennige  zu  zahlen  hatte.  Wurde  das  Pfand  also  während  eines 
ganzen  Jahres  beliehen,  so  betrug  der  Zins  von  52  Wochen  104 
Pfennige  oder  8  Groschen  8  Pfennige  d.  h.  also  43,33^0-  Die  Be- 
rechnung von  1  Pfennig  pro  Pfund  und  Woche  ist  selten.  Wo  von 
Winsen  bei  Juden  oder  Kawerschen  ohne  nähere  Angabe  die  Rede  ist, 
kann  man  deshalb  den  Satz  von  43,33^/0  ohne  Weiteres  annehmen. 
•Das  gilt  jedoch  nicht  für  den  Bereich  der  Kölner  Münze.  Dort  wird 
von  einer  Mark  ein  Pfennig  genommen,  da  die  Mark  144  Pfennige 
wählte,  betrug  also  der  normale  Zinsfufe  in  Köln  36,1^/0.  Der  Zinsfuß 
schliefet  sich  möglichst  eng  an  die  Münzeinteilung  an,  beide  TeUe 
:suchen  eine  möglichst  einfache  Rechnung  zu  behalten  und  vermeiden 
•es  möglichst  „in  die  Brüche  zu  kommen**. 

Die  Landwirtschaft  und  das  Handwerk  ist  bei  den  Juden  fast  gar 
nicht  vertreten,  und  es  wurde  ihnen  im  Laufe  der  Zeit  auch  immer  mehr 
irerboten  Feldbesitz  *)  zu  erwerben,  während  die  Handwerkerzünfte  ihnen 
grundsätzlich  keinen  Zutritt  gewährten  *).  Eine  Ausnahme  finden  wir  u.  a. 
auf  Sicüien:  als  Kaiser  Friedrich  II.  die  Insel  Gerbi  im  Golfe  von 
•Cabes  den  Sarazenen  abgenommen  hatte,  siedelten  die  dortigen  Juden 
nach  Sicilien  über.  Er  nahm  das  Anerbieten  derselben,  neben  seinem 
Lustschlofe  bei  Palermo  einen  Dattelpalmengarten  anzulegen,  gerne  an. 
£r  liefs  ihnen  auch  Ländereien  anweisen  zum  Anbau  von  Henna  und 
Indigo,  sowie  anderer  Gewächse,  die  in  Gerbi  heimisch  waren,  aber  auf 
Sicilien  noch  nicht  gebaut  wurden.  Als  dann  die  Juden  unter  Ferdi- 
nand dem  Katholischen  (1476 — 1516)  aus  Sicilien  vertrieben  werden 
sollten,  überreichten  die  höchsten  Beamten  dem  König  eine  Vor- 
stellung, in  welcher  es  heifst,  dafs  eine  solche  Austreibung  mit 
-vielen  Schwierigkeiten  verbunden  sei,  da  in  diesem  Reiche  fast 
alle  Handwerker  Juden  seien.  Wenn  diese  auf  einmal  abziehen,  so 
-werde  sich  ein  Mangel  an  Arbeitern  herausstellen,  die  gegenwärtig 
-den  Bedarf  an   mechanischen  Gegenständen,   besonders  Eisenarbeiten 

i)  Es  ist  eine  Ansnahme,    wenn   in   der  Meifsner  Vorstadt  Nenmarkt  bis  zam  Ende 

des  XIII.  Jahrhunderts   Juden   Gmndstflcke   besessen   and  sich   mit  Feld-   and  Gartenbau 

beschäftigt  haben  sollten.     Lery,  Öesehiehte  der  Juden  in  Sachsen ,   S.  16  —  17.     Die 

Jadenordnang  von  1265  (Heinrich  der  Erlaachte)  gestattet  ihnen  nämlich  den  Erwerb  von 

i^rundstücken. 

2)  Bücher  a.  a.  O.  L  Bd.,  S.  572  weifs  fiir  Frankfurt  a  M.  nur  einen  jüdischen  Hand- 
werker Schwarzförber)  kara  vor  1500  namhaft  zu  machen.  Aus  früherer  Zeit  (1326)  werden 
in  Köln  jüdische  Bäcker,  Brauer,  Fleischer  und  Geflügelhändler  genannt  (Annalen  des 
historischen  Vereins  für  den  Niederrhein,  41.  Heft  (1884),  S.  90). 


—   tlH    — 

x.:u  fctvh.ij^tt.  Otz  VitzCe^  i'si  Ex<iaibeftcr-  A:isrüsr=2^  rz'H  Schiern 
\z.'i  i^dereti  Fiirziirjf^cti  lieiero.  A-scii  sc:  es  nicht  asög-Iich.  cafg  in 
Jcrarz«T  Zeit   ei::e  geiiu^oidc  Anzahl   roa  0:ii5*jcii  für  die  HerstcII^ri^ 

J>;c  Tr;dtn  %Vj;.e::.  ;ni  Dcaucbco  Reiche  seh  dem  Landfriedens- 
jfcvrtz«  H^nn^/n's  IV-  von  1103  o^^-cr  dem  Schatze  Ton  Kaiser  nini 
Kc-v.h  und  beulen  deshalb  Rclchskammcriaiechte  * .  Als  selche  haben 
tt;c  Alr;fa}>cn  an  da»  Reich  zu  entrichten.  An  Stelle  des  Kaisers 
handhaJ^t  der  Vazkj'xschol  von  Mainz  als  Reichserzkanzler  den  Juden- 
mMuXz^  weshalb  er  t\cn  Zehnten  von  ailen  ans  ganz  Deutschland  ein- 
jfehcnd<rn  Jadcn«tcucrn  erhält  Von  den  Reichssteucm  ist  in  erster 
fjriie  rjcr  ^oldenc'Opferpfennig  zu  nennen.  Nach  der  Zerstöroag^  des 
'I"cTnf>cU  in  Jeru«alem  mufeten  die  Juden  die  Kopfsteuer,  welche  sie 
früher  an  den  Tempel  hatten  bezahlen  müsseu,  den  römischen  Kaisem 
entrichten.  Die  deutschen  Könige,  als  deren  Rechtsnachfolg^er ,  be- 
anspruchten deshalb  diese  Steuer  auch.  Jede  13  Jahre  und  darüber 
alte,  nicht  von  Almosen  lebende  jüdische  Person  (Mann  und  Weib) 
muifitc  den  goldenen  Opferpfennig,  d.  h.  jährüch  einen  Gulden  Pfennige 
bezahlen  *).  Dazu  kommen  noch  außerordentliche  Steuern,  sog.  Schät- 
zungen,  z,  B,  Kriegs-  und  Krönungssteuem  und  gewisse  Naturalabgaben : 
»o  die  Hctten,  wenn  der  König  kam,  Pfeffer  und  Ingwer  für  den  Hof, 
r>dcr  das  entsprechende  Geld  dafür.  Auch  von  den  Städten  wurden 
ihnen  derartige  Verpflichtungen  auferlegt.  Nach  dem  ums  Jahr  I2CX> 
aufge;:cichneten  zweiten  Strafebtirger  Stadtrecht  bekam  die  Judenschaft 
in  Strafsburg  die  Verpflichtung,  die  Stadtfahne  zu  stellen.  In  Schwäb.- 
GmUnd  mubte  sie  den  Richtern  jährlich  Gänse  geben.  In  Prag  mufste 
Hie  um  1652  aufiier  den  Steuern  auch  für  die  acht  englischen  Hunde 
de«  Reitmeisters  Haldtmayer  Sorge  tragen  •).  Die  Juden  zu  Peine  (Be- 
zirk Ilildeshcim)  hatten  1621  die  Verpflichtimg,  für  die  Unterhaltung 
zweier  Windhunde  jährlich  sechs  Malter  Roggen  zu  liefern  *). 

Mit  der  Verschleuderung  der  Reichseinkünfte  im  späteren  Mittel- 


I)  Vgl.  Richard  Schröder,  Ijchrbuch  der  deutschen  BeelUsgeschichte  (i.  Aufl. 
1889),  S.  45«. 

a)  Nach  Stern  (KJ^nig  Ruprecht  von  der  I*fah>  in  seinen  Beziehungen  -ku  den 
Juden  f  S.  XXI)  iit  darunter  ein  rheinischer  Golden  xn  verstehen,  nicht  ein  Goldgulden^ 
wie  NUbling  meint« 

3)  Wolf,  Zur  Oeschichte  der  Juden  in  Ostreich  (ZeiUchr.  fiir  die  Geschichte  der 
Juden  in  Deat«chUnd  I,  S.  31 7). 

4)  Lewintki  in  Monatsschrift  für  Geschichte  und  Wissenschaft  des  Jude^Uums, 
1889,  S.  57a. 


—     279     — 

alter  ist  auch  das  grundsätzlich  dem  Könige  allein  zustehende  Recht 
der  Judenbesteuening  vielfach  auf  die  Landesherren  (Fürsten  und  Stadt- 
obrigkeiten) übergegangen,  so  dafs  schliefslich  diese  als  die  Schutzherren 
der  Juden  erscheinen.  Ohne  eigentliche  Übertragung  seitens  des 
Königs  haben  sich  nach  den  für  die  Juden  rechtlosen  Zeiten  von  1349 
einzelne  Landesherren  zur  Vermehrung  ihrer  Einkünfte  der  Bedrängten 
angenommen.  Pfalzgraf  Ruprecht  nimmt  z.  B.  die  aus  Worms  und 
Speier  geflüchteten  Juden  gegen  ein  bestimmtes  jährliches  Schutzgeld 
in  Heidelberg  und  anderen  Orten  auf.  Nach  Ablauf  des  mit  den  Juden 
in  Heidelberg  1360  auf  sechs  Jahre  getroffenen  Übereinkommens  wird 
1366  ein  neuer  Schutzbrief  ausgefertigt,  wonach  dieselben  auf  weitere 
sechs  Jahre  jährlich  100  fl.  zu  geben  haben.  Der  Schutz,  den  der 
Pfalzgraf  den  Juden  gewährte,  erstreckte  sich  sogar  auf  „feltsieche'*^ 
(aussätzige)  Juden,  die  er  1367  auf  drei  Jahre  aufnimmt  und  ihnen  die 
Rechte  der  gesunden  Juden  verleiht;  nur  dürfen  sie  mit  den  übrigen 
Einwohnern  keinen  Verkehr  haben.  Der  erste  aussätzige  Jude,  der 
sich  in  Heidelberg  niederläfst,  soll  in  den  nächsten  drei  Jahren  jährlich 
200  fl.  geben,  von  den  anderen,  die  zuziehen,  zahlt  jeder  25  fl.  Im 
Jahre  1381  wird  einer  Genossenschaft  von  Gemeinden,  einer  Art  Be- 
zirksverband, eine  gemeinschaftliche  Steuer  auferlegt,  indem  Ruprecht 
verspricht,  die  Juden  von  Heidelberg,  Weinheim,  Lindenfels,  Eberbach,. 
Mosbach,  Sinsheim,  Wiesloch,  Eppingen,  Bretten  und  Ladenburg  für 
die  nächsten  drei  Jahre  nicht  höher  als  mit  600  fl.  zu  besteuern. 

Schon  Rudolf  von  Habsburg  legt  1275  in  dem  Privileg  für  Fried- 
berg den  dortigen  Juden  eine  jährliche  Abgabe  von  130  Mark  köl- 
nischer Denare  zu  Gunsten  des  Burggrafen  und  der  Burgmannen  auf. 
Kaiser  Ludwig  tritt  1337  ^^^  Gewalt  über  seine  und  des  Reiches  Juden 
in  der  Stadt  und  dem  Bistum  zu  Münster  an  den  Grafen  Heinrich 
von  Waldeck  ab,  so  dafs  jetzt  dieser  das  Besteuerungsrecht  erwirbt. 
Zur  Zeit  König  Ludwigs  des  Baiem  safsen  die  Juden  in  Nördlingen 
noch  auf  Grund  und  Boden  des  Reiches  und  waren  dem  Vertreter 
der  Reichsgewalt,  dem  ReichsschultheiCs  oder  Reichsammann,  unter- 
geben. Sie  standen  noch  nicht  im  Gemeindeverband,  wenn  sie  auch 
zu  einzelnen  städtischen  Umlagen  herangezogen  wurden.  Nach  1349 
übertrug  Karl  IV.  das  Schutz-  und  Besteuerungsrecht  der  Juden  dem 
Rat  Die  Reichssteuer  und  der  goldene  Opferpfennig  blieben  aber 
davon  unberührt,  so  dafs  die  Judenschaft  nunmehr  vom  Reich  und  der 
Stadt  besteuert  wurde  ').     König  Wenzel  tritt   1392   der  Stadt  Ulm 

1)  über  die   in   verschiedenen  Zeiten   verschiedene,  aber  immer  ganz  beträchtliche 
Höhe  der  städtischen  Lasten  vgl.  L.  Müller,  S.  17,  31—43. 


—     280     — 

gegen  die  Hälfte  der  Judensteuer  den  Judenschutz  ab  *).  1449  schreibt 
der  Amtmann  in  Lauda  an  den  .Pfalzgrafen  Otto,  da(s  die  unter  seinem 
Schutz  stehenden  Juden  Jakob  und  Moses  von  Mergentheim  ihr  Schutz- 
geld nicht  mehr  an  den  Kellner  in  Lauda  zahlen  wollen,  da  dieser 
Ort  demnächst  in  die  Gewalt  des  Herrn  v.  Reineck  kommen  soll, 
und  sie  begehren  doch  nü  anders  denn  euer  Gnaden  zu  sein  *). 

Nach  der  Schlacht  bei  Seckenheim  (1463)  erreichte  es  die  Ge- 
mahlin des  Markgrafen  Karl  von  Baden,  eine  Schwester  des  Kaisers, 
von  diesem,  dafs  der  Markg^f,  als  Entschädigung  für  die  grofsen 
Verluste  während  des  Krieges,  das  Recht  erhielt,  die  Judensteuer  in 
gewissen  bezeichneten  Orten  in  Alemannien  für  sich  einzuziehen '). 
In  Schwab.  -  Gmünd  wird  1469  der  Jude  Salomon  von  Schaffhausen 
auf  zehn  Jahre  angenommen  und  bezahlt  ein  jährliches  Schutzgeld 
von  sieben  rheinischen  Gulden  an  die  Stadt.  Ohne  Zustimmung  Salo- 
mons  soll  die  Stadt  in  diesen  zehn  Jahren  keinen  anderen  Juden  auf- 
nehmen. Dafür  bezahlt  er  als  einmalige  Summe  500  fl.  Von  seinem 
Getränke  mufs  er  das  Umgeld  entrichten.  Will  er  mit  fremden  Juden 
das  Laubhüttenfest  halten,  so  mufs  er  für  jeden  V«  A-  geben  *). 

Über  das  gewöhnliche  Mafs  hinaus  werden  aber  die  Juden  noch  bei 
jeder  Gelegenheit  belastet.  Wenn  sie  Reisen  unternehmen,  müssen  sie 
erhöhtes  Geleit  oder  Zoll  bezahlen.  So  wird  um  1464  in  Kurpfalz  ver- 
fügt, dafs  ein  Jude  für  jede  MeUe  Wegs,  die  er  zurücklegt,  einen  Gulden 
Geleitgeld  zu  entrichten  hat,  während  er  bisher  wie  ein  Christ  nur 
einen  Weifspfennig  bezahlte.  Das  Gleiche  ist  der  Fall,  wenn  einer 
fremdes  Gebiet  betritt.  Ein  Zoll  wurde  auch  erhoben,  wenn  man  eine 
Judenleiche  zur  Bestattung  von  auswärts  einführte.  Auch  eine  Kleider- 
steuer gab  es,  wenn  ihnen  gestattet  wurde,  ohne  das  vorgeschriebene 
Judenabzeichen  öfTentlich  zu  erscheinen. 

Die  Umlage  der  Judensteuem  besorgte  die  Judengemeinde  selbst. 
Ihre  Eintreibung  übertrug  der  Kaiser  meist  einem  eigenen  Bevoll- 
mächtigten ,  König  Ruprecht  z.  B.  den  beiden  Juden  Elias  von  Wein- 
heim tmd  Isak  von  Oppenheim.  Karl  IV.  hatte  1348  auch  einen  Juden, 
Samuel  von  Trier,  damit  beauftragt,  aber  mit  der  Eintreibung  der 
Steuern  von  1348 — 1349  wurde  wohl  w^en  der  Judenverfolgting  gar 
nicht  begonnen  %     Die  beiden  Juden   Elias  und   Isak  hatten  neben 

i)  Niibling,  a.  a.  O.,  S.  430. 

2)  Löwenstein,  a.  a.  O.»  S.  23. 

3)  Zehnter  in  der  Zeitschrift  für  die  Geschichte  des  Oberrheins,  N.  F.  XI  (1896),  S.  345* 

4)  Klans  in  der  Beilage  zur  Allgemeinen  Zeitung  1900,  Nr.  56. 

5)  Stern,  König  Ruprecht  in  seinen  Beziehungen  zu  den  Juden,  S.  XXVIL 


—     281     — 

dem  Opferpfennig  und  der  halben  Judensteuer  auch  die  fälligen  Bufs- 
gelder  zu  erheben.  Diese  Bufegelder  finden  wir  zum  erstenmal  unter 
König  Ludwig,  der  die  Steuer  des  goldenen  Opferpfennigs  einführte 
und  den  Satz  aussprach,  dafs  ihm  die  Juden  des  Reichs  mit  ihrem 
Leib  und  Gut  zugehören.  Derselbe  erklärt  1338  sich  mit  den  Juden 
in  Worms  ihrer  „Bruch  und  Schuld  wegen**  geeinigt  zu  haben. 
Welcher  Art  diese  „Bruch  und  Schuld"  waren,  erfahren  wir  aus  einer 
Urkunde  Karls  IV.  vom  9.  September  1348,  durch  die  der  König 
neben  anderen  Steuern  die  Erhebung  der  „Bufsen  und  Besserungen" 
von  den  Juden  des  Reichs  an  Erzbischof  Baldewin  von  Trier  übertrug. 
Seinen  Anspruch  auf  die  „Brüche  und  Schuld"  oder,  was  dasselbe  ist, 
die  „Bufsen  und  Besserungen"  machte  Karl  IV.  in  folgenden  Fällen 
geltend :  Mit  Leib  und  Gut  sei  ihm  auf  Anzeige  der  Judenmeister 
verfallen:  i)  wer  länger  als  30  Tage  im  jüdischen  Bann  bleibe,  2)  wer 
böswillig  seinen  Gegner  vor  das  christliche  anstatt  vor  das  jüdische 
Grericht  ziehe.  Strafgelder  haben  zu  zahlen :  3)  wer  den  andern  fälsch- 
lich bei  dem  König  oder  dessen  Beamten  denunziere,  4)  wer  den 
andern  in  der  Synagoge  oder  sonst  widerrechtlich  schmähe ,  steche 
oder  schlage,  5)  wer  sich  gegen  den  König  oder  dessen  Beamte  un- 
gehorsam imd  widerspenstig  erweise.  Aufser  diesen  „Bufsen  und  Besse- 
rungen" gab  es  noch  Strafgelder ,  die  von  den  Juden  nicht  an  den 
König,  sondern  an  die  Herren  und  Städte  zu  zahlen  waren,  wenn  sich 
Juden  durch  Übertretung  städtischer  Vorschriften,  durch  Steuerverweige- 
rung, Körperverletzung,  Betrug  und  andere  Delikte  gegen  Christen 
vergingen. 

Neben  Elias  und  Isak  blieben  aber  mit  der  Einkassierung  von  Bufs- 
geldem  nach  wie  vor  die  königlichen  Amtleute,  Landvögte  und  sonstigen 
JBeamten  betraut  Diese  Beamten  hatten  die  Bufsgelder  allein  zu  er- 
heben, als  Elias  und  Isak  durch  Meyer  von  Cronberg  ersetzt  wurden, 
und  dieser  nur  die  halben  Judensteuern,  die  jährlichen  Zinsen  —  nach 
Stern  sind  danmter  die  ganzen  Judensteuem  im  Gegensatz  zu  den 
halben  zu  verstehen  —  und  den  goldenen  Opferpfennig  einsammelte. 
Dieser  von  Ruprecht  gewählte  Modus  der  Bufsgeldererhebung  führte 
zu  Klagen  der  Juden  über  Bedrückung  durch  die  Amtleute  und  manche 
Rabbiner,  welche  aus  der  Ausübung  des  Bannrechts  ein  gewinnreiches 
<jeschäft  machten.  Deswegen  wanderten  manche  reiche  Juden  aus, 
^nd  dies  verminderte  wiederum  die  Einkünfte  des  Reichs,  der  Herren 
und  Städte.  Der  König  fühlte  sich  namentlich  auch  in  den  Fällen 
geschädigt,    wo   sich   Juden   gegen   ihren  Glauben   vergingen   und  in 

Ermanglung  eines  Rabbiners   überhaupt  keine  Bestrafung  und  Bann- 

2L 


f 


—     282     — 

verhängung  erfolgte,  dem    König   also   das  etwaige  Bufsgeld  entgingf. 
Um   diese    Schmälerung    der    königlichen    Einkünfte    zu    verhindern, 
bestellte    Ruprecht    1407    den    Judenmeister  Israel    zu    des    Könige 
und   des  Reichs   „jüdischem  Hochmeister  über  alle  jüdischen   Hoch- 
meister,   sowie    Juden    und    Jüdinnen    in    deutschen    Landen**     mit 
der  Vollmacht,    alle   Juden   Deutschlands   vor    sich    zu    laden,   nacli 
jüdischem  Recht  zu  richten  und  mit  dem  jüdischen  Banne  zu  bestrafen^ 
Zugleich    erhielt   der  königliche  Reichsjudenmeister   den  Auftrag,   die 
Bufsgelder  im  Namen    des  Königs   einzuziehen  und  bei   ausbleibender 
Zahlung   des  Opferpfennigs,    der  gewöhnlichen   Judensteuer   und   der 
sonstigen   Gelder   durch   Handhabung   des  Bannes   die   Säumigen   zur 
Leistung   anzuhalten.     Er   allein   sollte   in  Deutschland   das  Bannrecht 
ausüben,  nur  er  sollte  in  denjenigen  Strafsachen,  aus  denen  dem  Könige 
eine  Bufee   zufiel,   das  Urteil   fällen,   nur  er  die  Bufsgelder  einziehen. 
Grätz  hat   diesen   Israel   mit  dem  Rabbiner  Israel  von  Krems   inden- 
tifiziert  und  als  seinen  Wohnsitz  Nürnberg  vermutet.     Beides  ist  nach. 
Stern   unrichtig,   der   ihn  vielmehr  in  Rothenburg  a.  Tauber  wohnen 
läfst.     Aber  Ruprecht   hatte   bei   Einsetzung  Israels   die  Eigenart  der 
jüdischen   Verhältnisse    nicht    berücksichtigt.     Der    Widerstand,    den 
derselbe   bei   seinen   Glaubensgenossen   fand,    scheint   den   König   im; 
Oktober  1408  veranlafst  zu  haben,   seinen  Judenmeister  zu  entlassen 
und  für  die  Einziehung   der  Bufsgelder  sich  wie   früher  der  Amtleute 
zu  bedienen  *). 

Wie  die  Angehörigen  der  einzelnen  Gewerbe  sich  zusammen-^ 
schlössen  und  gerne  eigene  Strafsen  bewohnten,  so  dafs  es  Gerber-, 
Weber-,  Schnued-  u.  s.  w.  Gassen  gab,  so  wohnten  auch  die  Juden 
in  ihrer  Judengasse.  Schon  frühzeitig  wurden  die  Juden  viertel  mit. 
einer  Mauer  umgeben,    mit   Türmen   und  Thoren  versehen,  und  zwar 

i)  Dafs  man  auch  in  späterer  Zeit  es  verstand,  die  Steuerschraube  bei  den  Jaden 
anzuziehen,  beweist  ein  Ausschreiben,  das  „Uiro  KönigL  Herr  Xaverius,  Königl.  Prinz  in 
Polen  und  Litthauen  u.  s.  w. ,  Herzog  von  Sachsen"  als  Administrator  von  Kursachsen 
unter  dem  21.  März  1767  erliefs.  Es  wird  darin  angegeben,  wie  viel  jeder  Einwohner 
des  Landes  auf  das  Jahr  1767  an  allgemeiner  Personalsteuer  zu  entrichten  habe.  Da 
heifst  es  u.  a. :  Ein  Jude,  der  sich  wesentlich  in  Dresden  oder  Leipzig  mit  kurfürstlichen 
Pässen  aufhält,  hat  an  Personensteuer  für  sich  jährlich  zu  bezahlen  70  Thaler,  fUr  seine 
Frau  30,  für  jedes  Kind  ohne  Rücksicht  auf  das  Alter  5,  Oir  jeden  Knecht  4  Thaler 
12  Groschen  und  f^  jede  Magd  3  Thaler.  —  Auch  fttr  den  Besuch  der  Leipziger  Messe 
waren  sie  einer  hohen  Accise  unterworfen.  Trotzdem  war  ihr  Anteil  am  Me&handel  be- 
deutend. Die  Zahl  der  jüdischen  Mefsfieranten  betrug  innerhalb  der  Jahre  1675 — i^^o 
durchschnittlich  415.  Im  nächsten  Jahrzehnt  stieg  sie  um  17  Prozent  und  in  den  Jahren 
1691  — 1700  um  70  Prozent.  (WissenschaftL  BeiL  der  Leipz.  Ztg.  1899,  Nr.  loi,  „Die:: 
Juden  auf  den  Messen  zu  Leipzig  in  frtlherer  Zeit''  von  Markgraf). 


—     283     — 

anfangs  nur  zum  Zweck  des  Schutzes.  Jede  Judengemeinde  hat  ihren 
Vorsteher,  der  verschiedene  Namen  führt.  In  Köln,  Trier,  Worms, 
Mainz  und  Nürnberg  heilst  er  Judenbischof,  in  Bamberg,  Frankfurt  a.  M. 
und  Regensburg  Judenmeister,  in  Speicr  Archisynagog,  in  Mainz  Hof- 
meister und  Korrektor,  in  München  Oberpamese  (ein  chaldäisches  Wort) 
Die  Stelle  des  Richters  der  Judengemeinde  hat  der  Hauptrabbiner  und 
er  unterschreibt  in  dieser  Eigenschaft  mit  den  zwei  ihm  beigegebenen 
Monatspamesen ,  Ratsälteren ,  Konsuln ,  Einungern  oder  Bürgermeistern 
der  Gemeinde  alle  beglaubigten  Urkunden.  Zwei  Juden  werden  vom 
Rat  als  Rechner  und  Kassierer  bestellt.  Der  Judenrat  besteht  meist 
aus  zwölf  Mitgliedern.  • 

In  Köln,  wo  wir  die  Verhältnisse  genauer  kennen,  erscheinen  für 
die  freiwillige  Gerichtsbarkeit  von  der  Zeit  an,  wo  wir  über  die  dies- 
bezüglichen Verhältnisse  genauer  unterrichtet  sind,  die  bürgerlichen 
Behörden  zuständig  *).  Namentlich  das  Grundbuchwesen  war  sorgföltig 
geordnet.  Alles ,  was  sich  auf  dasselbe  bezog ,  wurde  vor  den  Amt- 
leutekollcgien  abgeschlossen  und  in  den  Schreinsakten  verzeichnet. 
Die  Hauptmasse  der  Juden  zu  Köln  scheint  von  alters  her  in  der  Lau- 
renzpfarre eingesessen  gewesen  zu  sein.  Während  aber  vor  der  Mitte 
des  XIII.  Jahrhunderts  eine  gesetzliche  Beschränkung  und  räumliche 
Abgeschlossenheit  des  Judenviertels  nicht  nachweisbar  ist,  tritt  von 
dieser  Zeit  an  das  Bestreben  auf,  das  jüdische  Element  von  der  Bürger- 
schaft abzusondern.  Während  bis  dahin  in  der  Laurenzpfarre  die  ver- 
mögensrechtlichen Akte  von  Christen  und  Juden  unterschiedslos  neben- 
einander gestellt  wurden ,  werden  jetzt  die  auf  jüdischen  Grundbesitz 
bezüglichen  Rechtstitel  gesondert  notiert.  Seit  Anfang  der  sechziger 
Jahre  des  XIII.  Jahrhunderts  beginnt  zunächst  vereinzelt  der  Vollzujg 
der  Rechtsgeschäfte  vor  der  Synagoge,  ohne  dafis  die  Schreinseintragung 
auf  die  jüdische  Urkunde  Bezug  nimmt.  Im  Jahre  1266  wird  der 
Vollzug  eines  Verkaufsgeschäfts  durch  Judenbischof  und  Judenrat  vor 
dem  Schreinsamt  bezeugt.  An  der  Spitze  des  Judenrats  steht  der  von 
der  Gemeinde  gewählte  Judenbischof.  Nach  einer  Urkunde  von  1252 
soll  er  nur  ein  Jahr  im  Amt  bleiben,  in  Wirklichkeit  aber  amtiert  oft 
ein  und  derselbe  Jahre  lang  hhatereinander.  Da  der  Erzbischof  von 
Köln  bei  der  Wahl  eines  Judenbischofs  jedesmal  fünf  Mark  erhielt, 
verlangte  derselbe  wohl  die  jährliche  Wahl,  hatte  aber  nichts  dagegen, 
wenn  der  alte  wiedergewählt  wurde.  Neben  dem  Bischof  amtieren 
ein,  zwei   oder  drei  Rabbiner.    Der  Bischof  kann,  wenn  er  die  nötige 

i)  Honig  er,  Das  Judefiaehreinsbueh  der  Lauren/xpfarre  xu  Köln.    [=  Quellen 
zur  Geschichte  der  Jaden  I.]     Berlin  1888,  S.  II. 

21* 


—     284     — 

Gelehrsamkeit  besitzt,  auch  zugleich  das  Amt  eines  Rabbiners  bekleiden  . 
Ist  er  blofs  Bischof,  so  unterzeichnet  er  die  Urkunden  nicht,  sondern 
für  ihn  tritt  der  erste  Rabbiner  ein.  Seit  dem  Ende  der  achtziger 
Jahre  wird  im  lateinischen  Text  regelmäfeig  auf  die  hebräischen  Ur- 
kunden Bezug  genommen.  Nur  wenn  der  Verkäufer  ein  christlicher 
Büi^er  ist,  findet  Verhandlung  und  Beurkundung  in  der  Regel  aus- 
schliefelich  vor  dem  Schreinsamt  statt.  Das  hebräische  Zeugnis  fehlt 
in  solchen  Fällen  und  die  Eintragung  erfolgt  nicht  im  Judenschrein, 
sondern  in  den  für  christliche  Rechtsgeschäfte  bestimmten  Schreins- 
büchem. 

In  Worms  wird  nach  einem  Vertrage,  den  die  Juden  mit  Bischof 
Emerich  13 12  abschliefsen,  für  die  Folgezeit  festgesetzt,  dafe  der  Juden- 
rat wie  bisher  aus  zwölf  Personen  bestehen  und  nach  jüdischem  Rechte 
richten  soll  ^).  Aus  diesen  zwölf  wählt  der  Bischof  von  Worms  den 
Vorsitzenden,  welcher  den  Titel  „Judenbischof"  führt.  Wenn  einer 
der  Räte  stirbt,  so  wählen  die  andern  einen  neuen.  Den  Judenbischof 
ernennt  stets  der  Bischof.  Sämtliche  Ratsmänner  haben  in  die  Hand 
des  Bischofs  einen  Eid  abzulegen  und  nach  geschehener  Wahl  ge- 
meinsam dem  Bischof  sechzig  Pfund  Heller  zu  zahlen.  —  Das  Ulmer 
Stadtrecht  von  1300  sagt:  Itern  sciendum  est,  quod  ludeus  in  foro 
civüi  convincendus  est  cum  uno  Christiano  et  ludeo.  Et  si  quos 
excessus  fecerit  seu  tniurias  alicui,  pro  his  emendart  debet  poena 
pecuntaria  utpote  Christtanus  *).  —  In  Nördlingen  übte  das  Strafrecht 
über  die  jüdischen  Insassen  der  Rat  aus,  während  der  Stadtammann  über 
die  zwischen  Juden  und  Christen  entstandenen  Civilrechtshändel  zu 
Gericht  safe.  Die  Schlichtung  von  Differenzen  zwischen  Gliedern  der 
Judengemeinde  blieb  dieser  selbst  überlassen.  Dabei  führte  den  Vor- 
sitz ein  Hochmeister  oder  Rabbiner,  dessen  Wahl  den  Parteien  frei- 
stand, da  es  in  Nördlingen  nicht  immer  einen  Rabbiner  gab.  Zu  den 
Strafen,  für  welche  der  Rat  und  der  Ammann  zuständig  waren,  konnte 
von  Seiten  der  Gemeinde  der  Bann  treten. 

Während  die  Juden  in  Betreff  der  niederen  Gerichtsbarkeit  bei 
Streitigkeiten  unter  sich  ihrer  Gemeindegenossenschaft  unterstehen, 
stehen  sie  bezügUch  der  höheren  Gerichtsbarkeit  und  in  Streitigkeiten 
mit  NichtJuden  in  der  Regel  unter  dem  landesherrlichen  Gericht. 

Die  rechtliche  Stellung  der  Juden  war  nicht  durch  einen  Akt  der 
Reichsgesetzgebung  für  ganz  Deutschland  geregelt,  sondern  die  Könige 


1)  G.  Wolf,  Zur  Oeschie/Ue  der  Juden  in  Worms.    S.  4. 

2)  Wirtb.  Urkundcnbuch  Bd.  VIL     S.  303. 


—     285     — 

griffen  nur  durch  Privilegien  in  den  Recbtszustand  ein  und  fixierten 
durch  dieselben  die  Stellung  der  Juden  in  dieser  oder  jener  Stadt. 
Ebenso  haben  auch  nur  wenige  Landesherren  allgemeine  Gesetze  für 
die  in  ihren  Territorien  wohnenden  Juden  erlassen.  Unter  den  Privi- 
legien, welche  für  ein  grö&eres  Gebiet  von  Bedeutung  waren,  sind 
diejenigen  hervorzuheben,  welche  Herzog  Friedrich  1244  den  Juden 
in  Österreich  verlieh  *).  Im  wesentlichen  dieselben  Freiheiten  er- 
teilte dann  König  Ottokar  von  Böhmen  1254  den  Juden  seines 
Reiches.  An  das  böhmische  Privileg  schliefst  sich  das  polnische  Statut 
an,  welches  Boleslaus  am  16.  August  1264  zu  Kaiisch  für  die  Juden 
Grofspolens  erliefe. 

Mit  dem  polnischen  Statut  decken  sich  beinahe  vollständig  die 
schlesischen  Schutzbriefe,  mit  denen  Herzog  Bolko  I.  1295  und 
Heinrich  Herzog  von  Glogau  1299  ihre  Juden  bedenken*). 

Jede  gröfeere  Judengemeinde  hat  eine  Synagoge,  einzelne  auch 
eine  Judenhochschule  •),  hauptsächlich  um  junge  Leute  im  Talmud  zu 
unterrichten,  einen  eigenen  Friedhof,  ein  Spital,  ein  Bad*),  da  die 
Juden  nicht  die  öffentlichen  Bäder  benutzen  durften,  häufig  auch  ein 
Tanzhaus  zum  Abhalten  von  Hochzeiten,  Festmahlen  u.  s.  w.,  ein 
Schlachthaus,  da  für  den  Fleischhandel  der  Juden  besondere  Vor- 
schriften bestanden,  und  öfters  ein  eigenes  Backhaus. 

Das  Verhalten  der  Territorialherrschaften  gegen  die  Juden  seit 
Ende  des  XV.  Jahrhunderts  war  meist  recht  wenig  freundlich.  Nur 
selten  finden  sie  einen  Fürsprecher,  wie  z.B.  in  Worms,  als  der  1557 
zwischen  Stadt  und  Judenschaft  auf  vier  Jahre  abgeschlossene  Vertrag 
abgelaufen  war.  Damals  wollte  die  Bürgerschaft  die  Juden  nicht  länger 
in  den  Mauern  dulden,   aber  Bischof  Dietrich  appellierte  dagegen  an 


1)  Stobbe,  a.  a,  O.,  S.  297. 

2)  Bloch,  Die  Oeneralprivilegien  der  pciniechen  Judefischaft,  in  der  Zeitschr. 
der  histor.  Gesellschaft  für  die  Provinz  Posen  1891. 

3)  So  Frankfurt  sicher  im  XIV.  Jahrhundert,  vielleicht  auch  schon  früher.  Vgl.  Bücher, 
Bevölkerung  I,  S.  531. 

4)  Es  giebt  an  manchen  Orten  sogenannte  „Judenbäder''  z.  B.  im  Rathaus  zu  Ander- 
nach. (Vgl.  Niederrhein.  Annalen  62.  Heft,  S.  218,  Jahrbücher  des  Vereins  von  Altcr- 
tumsfrennden  im  Rheinland  18  (1852),  S.  217  und  Niederrheinischer  Geschichtsfreund  1883, 
Nr  9,  10,  12,  16)  oder  in  Friedberg  in  H.  (vgl.  Dieffenbach,  a.  a.  O.,  S.  308. 
L.  Goldmann  im  Jüdischen  Volksblatt.  4.  J*hrg,  (i^S?)»  Nr.  34  und  Westermanns  Monats- 
hefte 1877.  Oktober).  Im  besonderen  siehe  Nübling,  Judengemeinden,  S.  46.  Auch 
Köln  (Ennen  in  der  Kölnischen  Zeitung  1861,  Nr.  195),  Frankfurt  a.  M.  (Archiv  für 
Frankfurter  Geschichte  und  Kunst  I  (1860),  S.  292)  und  Spei  er  (Centralblatt  der  Bau- 
verwaltung.    5.  Jahrg.  (1885)  Nr.  2)  haben  Judenbäder. 


—     286     — 

den  Kaiser,  und  fand  bei  ihm  Hilfe,  so  dais  die  Juden  bleiben  durften  ^). 
Die  Stadt  Überlingen  erhielt  1547  von  Karl  V.  ein  Privil^  über  die 
wucherischen  Kontrakte  mit  den  Juden,  das  1566  durch  Kaiser  Maxi- 
milian II.  erneuert  und  erweitert  wurde.  Wenn  denmach  ein  Jude 
einem  Überlinger  Einwohner  etwas  lieh  oder  von  ihm  ein  Pfand,  eine 
Verschreibung  oder  einen  Schuldschein  nahm,  so  sollte  jede  daraus 
entstehende  Klage  und  rechtliche  Handlung  nichtig  sein!  Und  diese 
Bestimmung  wurde  1607  durch  den  Rat  von  Überlingen  noch  dahin 
verschärft,  dais  kein  Bürger  sich  einem  Juden  mit  oder  ohne  Pfand 
verschreiben  dürfe.  —  Ein  kaiserlicher  Erlais  von  151 5  befahl  die 
AusschafTung  der  Juden  aus  Straisburg.  Da  die  Juden  aber  immer 
wieder  mit  den  Unterthanen  des  Bistums  Geschäfte  machten,  erwirkte 
Bischof  Erasmus  von  Limburg  (1541 — 1568)  von  Karl  V.  1545  ein 
neues  Patent,  welches  alle  Schuldverschreibungen  der  Juden  über 
Immobilien,  die  ohne  Mitwissen  oder  Einwilligung  des  Bischofs  und 
seiner  Beamten  abgefaist  seien,  für  ungültig  erklärt.  —  Kurfürst  Philipp 
von  der  Pfalz  (1476 — 1508)  wollte  keine  Juden  mehr  in  der  Pfalz 
haben.  Auch  unter  seinem  Sohne  Ludwig  V.  (1508 — 1544)  treffen  wir 
nur  einzelne  Juden  an  den  Orten,  wo  die  Judengemeinden  schon  vor- 
her in  kurpialzischem  Schutze  standen.  Im  Jahre  1550  wohnten  etwa 
155  Juden  in  der  Kurpfalz,  welche  jährlich  ungefähr  650  Goldgulden 
Scbutzgeld  zu  bezahlen  hatten.  Kurfürst  Friedrich  III.  verordnete  in 
seinem  Testamente  vom  Jahre  1575,  dais  hinfüro  zu  ewigen  Zeiten  kein 
Jude  mehr  in  der  Pfalz  aufgenommen  oder  ihm  daselbst  zu  wohnen 
gestattet  werde.  Einige  Monate  vor  seinem  Tode  (1576)  erliefs  er  ein 
Reskript  des  Inhalts,  dais  dieses  gotteslästerliche  und  wucherliche  Volk 
in  den  Landen  gänzlich  geübrigt  sein  möcht;  da  sie  aber  hin  und 
wieder  in  den  Reichsstädten  und  sonst  hinter  andern  Herrschaften 
gesessen  und  auch  zum  kaiserlichen  Kammergericht  müssen,  so  habe 
er  beschlossen,  es  dürfe  fernerhin  kein  Jude  ohne  besonderen  schrift- 
lichen Befehl  oder  Geheifs  in  seinem  Gebiet  sich  häuslich  niederlassen 
und  auch  nicht  von  einem  Ort  zum  andern  passieren  noch  geleitet 
werden.  —  Als  Riga  1561  wegen  der  Unterwerfung  unter  Polen  in 
Verhandlungen  stand,  wurde  der  Wunsch  geäufsert,  es  möge  vom 
König  feste  Kaution  genommen  werden,  dafs  dieser  Orten,  wie  in 
andern  Ländern  des  Königs  eingerissen,  nicht  die  Juden  gelitten 
würden,  damit  sie  nicht  mit  ihrem  unchristlichen  Wucher  und  Handel 
die   Bürgerschaft  beschmutzen   oder   beschädigen,   Zölle   und   andere 

i)  G.  Wolf,  ^r  Geschichte  der  Juden  m  Worms,    S.  8. 


287     — 

Beschwerungen  einfuhren  sollen.  —  In  Friedberg"  wird  1534  den  Juden 
der  Handel  mit  verschiedenen  Artikeln  verboten,  damit  die  Kaufleute 
und  Handwerker  nicht  geschädigt  werden,  und  1556  wurde  gegen  die 
Juden  inquiriert  wegen  des  grofsen  Wuchers,  den  sie  trieben.  —  Auch 
in  Ulm  werden  gegen  Ende  des  XV.  Jahrhunderts  Klagen  über  den 
Wucher  der  Juden  laut,  weshalb  sich  der  Rat  an  Kaiser  Max  wandte, 
der  der  Stadt  das  Recht  gab,  die  Juden  zu  vertreiben.  Dafür  mufste  die 
Stadt  an  jedem  Quatember  in  allen  Mannsklöstem  für  den  Kaiser  eine 
Messe  lesen  lassen  ^).  Die  Liegenschaften  der  Juden  sollte  die  Stadt 
dem  Vogt  von  Geislingen  übergeben.  Da  aber  die  Juden  im  Gebiet 
der  Stadt  Ulm  doch  wieder  Gelegenheit  finden,  mit  Bürgern  der  Stadt 
wie  auf  dem  Land  Geschäfte  zu  machen,  so  bestimmte  Karl  V.  1541, 
dafs  künftig  kein  Jude  den  Büigem  von  Stadt  und  Land  Ulm  auf  äin 
fahrendes  oder  liegendes  Gut  ohne  die  Einwilligung  von  Bürgermeister 
und  Rat  oder  deren  Amtleuten  bei  Verlust  des  Hauptguts  etwas  leihen 
dürfe.  Ferner  solle  kein  Jude  die  Bürger  und  Unterthanen  von  Ulm 
bei  einem  Hof-,  Land-,  oder  sonstigen  fremden  Gericht  verklagen 
dürfen,  sondern  nur  vor  dem  Stadtgericht  in  Ulm.  Am  7.  Dezem- 
ber 1548  wird  den  Juden  auch  in  der  Ulmer  Herrschaft  alle  Hantierung 
auf  dem  Lande  verboten.  —  Der  Rat  von  Nördlingen  wandte  sich 
1502  vertraulich  an  König  Max  bei  dessen  dortigem  Aufenthalt  am 
28.  und  29.  November  wegen  Vertreibung  der  Juden  und  zwar  ver- 
mittels des  königlichen  Sekretärs  Kaspar  Ziegler,  der  der  Sohn  eines 
Nördlinger  Bürgers  war.  Ziegler  äufserte,  es  habe  die  von  Nürnberg 
12000  fl.,  die  von  Ulm  5000  fl.  und  die  von  Gmünd  1200  fl.  gekostet, 
dafs  man  „ihnen  der  Juden  abgeholfen *'.  Er  wolle  aber  in  der  Sache 
mit  dem  König  unterhandeln,  und  wenn  der  Rat  furchte,  dafs  die 
Grafen  von  öttingen  die  vertriebenen  Juden  aufnehmen,  so  wolle  er 
ein  Mandat  auswirken,  das  ihnen  das  untersage.  Der  Rat  wünschte, 
das  Mandat  möchte  den  Juden  den  Aufenthalt  innerhalb  zweier  Meilen 
um  die  Stadt  untersagen.  Erst  1 506  traf  das  gewünschte  Mandat  ein, 
wofür  der  Rat  700  fl.  bezahlen  mufste.  Die  Häuser  der  Juden  und 
die  Synagoge  fielen  dafür  dem  Rat  zu.  Mit  den  Grafen  von  öttingen 
aber  gab  es  lange  Verhandlungen  wegen  des  Aufenthalts  der  Juden 
in  ihrem  Gebiet.  In  einem  vertraulichen  Schreiben  am  24.  Januar  15 16 
an  den  Rat  von  Frankfurt  über  die  Wirkungen  der  Judenaustreibung 
äufserte  sich  der  Nördlinger  Rat  dahin,  dafs  er  mit  grofser  Befriedigung 
auf  drei  Punkte  hinweisen   könne,   in   denen  es   besser  geworden  sei. 


i)  Das  Gleiche  war  in  Schwäb.-Gmünd  der  Fall. 


—     288     — 

der  Rat  sei  der  Unruh  des  täg^Hchen  Anlaufens  der  Juden  und  derer, 
so  mit  ihnen  hantieren,  entladen,  sodann  bemerke  er  eine  ziemliche 
Aufnahme  (Auüschwung)  an  der  Nahrung,  dag^egen  Minderung-  lüder- 
licher,  unlöblicher  und  verderblicher  Handlungen  in  der  armen  Bürger- 
schaft. 

Die  Monographieen  über  die  Geschichte  der  Juden  in  einzelnen 
Ländern  und  Orten  sind  aufeerordentlich  zahlreich,  und  wir  wollen  im 
Anhang  den  Versuch  machen,  eine  nach  Landschaften  und  Orten  ge- 
gliederte Bibliographie,  die  natürlich  bei  weitem  nicht  vollständig  sein 
kann,  zusammenzustellen.  Die  darin  aufjgeführten  Monographieen 
sind  natürlich  ihrem  Wert  nach  sehr  verschieden.  Das  hat  seinen 
Grund  vor  allem  in  der  gröfeeren  oder  kleineren  Ergiebigkeit  der 
Quellen.  Denn  nicht  überall  flieisen  sie  so  reichlich  wie  über  die 
Judengemeinde  der  Stadt  Rom,  deren  Geschichte  in  neuester  Zeit  zwei 
eingehende  Darstellungen  gefunden  hat,  die  eine  durch  Vogelstein  und 
Rieger*),  die  andere  durch  Berliner*).  Unter  den  Monographieen, 
welche  sich  auf  ein  reichlicheres  Quellenmaterial  stützen,  ist  als 
eine  der  besten  wohl  die  wiederholt  angeführte  über  Nördlingen  von 
L.  Müller,  zu  bezeichnen.  Müller  zeigt  sich  vor  allem  als  zuverlässig 
in  seinen  Angaben,  indem  er  fast  durchweg  auf  die  ersten  Quellen 
zurückgeht.  Er  behandelt  fast  alle  die  Punkte,  die  wir  als  wichtig 
hervorgehoben  haben.  Wir  erhalten  Aufschlufe  über  das  erstmalige 
Auftreten  der  Juden  in  Nördlingen,  über  ihre  Stellung  zum  Gemeinde- 
verband, ihre  Heranziehung  zu  den  Steuern,  über  die  Verfolgungen, 
welche  über  sie  hereinbrachen,  ihre  Stellung  zu  Kaiser  und  Reich, 
ihre  Rechtsverhältnisse,  ihre  Beschäftigung  und  ihren  Geschäftsbetrieb, 
ihre  soziale  Lage,  das  Verhalten  der  verschiedenen  in  Betracht  kommen- 
den Faktoren  gegen  sie.  Gerne  folgen  wir  dem  kundigen  Führer,  der 
uns  durch  das  ganze  Mittelalter  bis  in  die  neueste  Zeit  an  sicherer 
Hand  geleitet.  Wir  können  die  Schrift  Müllers  allen  Lokalforschem 
als  Muster  empfehlen  und  wünschen  nur,  dafs  in  der  gleichen  Weise 
die  Judengemeinden  noch  recht  vieler  Städte  in  ihrer  Entwickelung 
dargestellt  werden. 


i)  Oesehiehte  der  Juden  in  Rom,    Berlin,  Mayer  &  Müller,     i.  Bd.  1896.     2.  Bd. 

1895. 

2)  Qesehiehte  der  Juden  in  Rom  von  den  ältesten  Zeiten  bis  xtir  Oegenwart, 
2  Bde.     Frankfurt  a.  M.,  J.  Kanflfmann,  1893. 


—     289     — 


liitteraturübersicht  ^) 

I.  Landschaften 

Ansblicll«     Hänle:  Geschichte  der  Jnden  im  ehemaligen  Fürstentum  Ansbach.     1867. 
Baideil.     J.  A.  Zehnter  in  der  Zeitschrift  für  die  Geschichte  des  Oberrheins,  N.  F.  XI 

(1896),  S.  337—441  und  XII  (1897),  S.  385—436  und  636-690. 
Bamll^rgr«     ^*  Eckstein:    Geschichte  der  Jnden    im   ehemaHgen  Fttrstbistnm  Bamberg. 

Bamberg,  Handelsdrnckerei  1898.     M.  5. 
Bay6ni.     v.  Aretin:  Geschichte  der  Juden  in  Baiern.     Landshut  1803. 
Böhmen.     Moriz  Grttnwald:  Geschichte  der  Juden  in  Böhmen.     1886. 
BnrgriUid*     A>  Gerson:    E^ai   sur   les  juifs    de    la  Bourgogne    au  XUe— XIV«  siecle. 

Dijon  1894. 
Franken«     He  ff  n  er:    Die  Juden    in  Franken.     Nürnberg  1855.  —  Himmelslein  im 

Archiv  des  historischen  Vereins  von  Unterfranken.     12.  Bd.,  Heft  2/3,  S.  125—188. 
Meeklenbnrir»     L.  Donath:    Geschichte   der  Juden    in   Mecklenburg  von   den   ältesten 

Zeiten  bb  auf  die  Gegenwart.     Leipzig  1874. 
Mttnsterland*     Paul    Bahlmann    in    der   Zeitschrift    für    Kulturgeschichte,    4.    Folge^ 

II.  Bd.  (1895)  S.  380—409. 
Obcrlansitz.     Knothe  im  Neuen  Archiv  fUr  Sächsische  Geschichte  und  Altertumskunde. 

2.  Bd.  (1881),  S.  50—67. 
Pfalz«     Löwenstein:  Geschichte  der  Juden  in  der  Kurpfalz.     Frankfurt  a.  M.  1895. 

[:=  Beiträge  zur  Geschichte  der  Juden.     Bd.  I]. 
Polen«     Bensemer:    Beiträge   zu  einer  Geschichte  des  Blühens   und   des  Niederganges 

der  Juden   im  Königreich  Polen.     Berlin  1898.  —  Philipp  Bloch:   Die   General- 
_privilegien  der  polnischen  Jadenschaft  in  der  Zeitschrift  der  historischen  Gesellschaft 

für  die  Provinz  Posen.     Bd.  VI  (1891),  S.  69—105,  139—174,  387—416. 
Pommern.     Der  Orient,   Berichte,   Studien   und   Kritiken   fUr  jüdische   Geschichte    und 

Litteratur.     1840.     Nr.  30  f. 
Portngal.     Meyer  Kayserling:  Geschichte  der  Juden  in  Portugal.     1867. 
Sachsen«     Alphonse  Levy:  Geschichte  der  Jnden  in  Sachsen.    Berlin,  S.  Calvary  &  Co. 

1901.    M.  2,40.  —  A.  Human  in  den  Schriften  des  Vereins  fUr  Sachsen-Meiningische 

Geschichte  und  Landeskunde.    30.  Heft  (1898).  —  R.  Needon  in  der  Wissenschaft* 

liehen  Beilage  der  Leipziger  Zeitung.     1890,  Nr.  68. 
8ehlesien«     O.  Wolff  in    den  Schlesischen   Provinzialblättern    Bd.  116  (1842)    und    Bd. 

117  (1843).  —  ^'  Brann:  Geschichte  der  Juden  in  Schlesien,     i.  Bd.  1896* 


1)  Von  der  schon  oben  genannten  QuelUnkumU  zur  Geschichte  der  deutschen  Juden 
von  Moritz  Stern  ist  1892  bei  H.  Fiencke  in  Kiel  der  erste  Band  erschienen,  der  die 
Zeitschriftenlitteratur  behandelt  (104 S.  8^).  Ein  zweiter  Band  soll  die  selbständigen 
Werke  und  ein  dritter  die  „kritische  Würdigung  der  Litteratur  und  eine  Übersicht  über 
das  handschriftliche  Material  der  Bibliotheken  und  Archive*'  bieten.  Der  i.  Band  der 
Qaellenkonde  behandelt  die  Zeitschriftenlitteratur  bis  1886  und  ist  nach  Staaten  an- 
geordnet, ein  Ortsregister  erleichtert  die  Übersicht.  In  folgendem  ist  nun  versucht,  die 
uns  bekannten  Monographieen  und  umfassenden  Aufsätze  zu  verzeichnen,  nicht  aber  die- 
jenigen, welche  nur  Beiträge  und  Einzelheiten  bringen.  Da  die  Titel  der  Aufsätze  oft 
beinahe  gleich  lauten,  so  glaubten  wir,  von  deren  Wiedergabe  absehen  zu  können  und 
geben  neben  dem  Verfassernamen  nur  die  Fundstelle  an. 


—     290     — 

Sehle8Wl|^HoLlteill,     Allgemeine  Zeitung  des  Judentums.     1872,  Nr.  3. 

Spanien«     Meyer  Kayserling:  Geschichte  der  Jaden  in  Spanien.     1861. 

Strafsbnrir»  C.  Th.  Weifs:  Geschichte  und  rechtliche  Stellung  der  Juden  im  Fürst- 
bistum  Strafsburg. 

Trier*  G.  Liebe:  Die  rechtlichen  und  xTirtschafUichen  Zustände  "der  Juden  im  Erz- 
stift Trier  in  der  Westdeutschen  Zeitschrift  fUr  Geschichte  und  Kunst  12.  Bd.  (1893). 
S.  311-374. 

Terarlbery«  Populärwissenschaftliche  Monatsblätter  zur  Belehrung  über  das  Judentum 
(Frankfurt,  Anfrath).     1899,  S.  171,  107. 

Westfalen»  Gierse*.  Die  Juden  in  Westfalen.  Naumburg  1878.  —  Horwitz:  Die 
Israeliten  unter  dem  Königreich  Westfalen.     Berlin,  S.  Calvary  &  Co.     1900. 

Wttrttemberf.  G.  Wale  her:  Geschichte  der  Juden  in  Württemberg  in  ihrem  Ver- 
hältnis zum  Staat  bis  1806.  Tübingen  1851.  —  K.  Pf  äff  in  den  Württembergischen 
Jahrbüchern.     1857,  S.  157 — 198. 

Wftnlinrir)  Hochstift.  Archiv  des  historischen  Vereins  von  Unterfranken  und  Aschaffen* 
bürg.     XI.  Bd.,  S.  358. 

n.  Orte 

Aaelien«     O.  Dresemann:  Die  Juden  in  Aachen.     Aachen,  Jacobi,  1887. 

Bajrentk«     Heinritz  im  Archiv  fUr  Geschichte  und  Altertum  von  Oberfranken.    3.  Bd. 

(1845),  S.  1—23. 
Berlin»     S.  Stern  im  „Volkskalender  fUr  Israeliten^*  von  Klein.     1845. 
Benthen.     Litteraturblatt  des  Orients.     1848,  Nr.  i. 
Bonn«     J  o  e  s  t  e  n :    Zur    Geschichte    der    Hexen    und  Juden    in    Bonn.     Bonn    1900.  — 

Annalen  des  historischen  Vereins  für  den  Niederrhein.    42.  Heft  (1884)»  S.  87.    Anm.  2. 
BrandenbWY«     ^    Schillmann    im   4. —  6.    Jahresbericht    des    historischen    Vereins    zu 

Brandenburg  a.  H.     1871  und  1872. 
Bredav*     L.  Landsberger  in  der  Monatsschrift  für  Geschichte  und  Wissenschaft  des 

Judentums.     1883,  S.  543  ff.  (bis  1349). 
Banzlg«     Bram  im  Volkskalender  fUr  Israeliten    von  Klein.    1849.  —  Monatsschrift  fUr 

Geschichte  und  Wissenschaft  des  Judentums.     1857,  S.  205,  241,  3219  401. 
IHffhonhefrn  ■     Löwenstein:  Geschichte  der  Juden  am  Bodensee  und  Umgebung.    1879. 
Bybrentet*     M.  Grünwald  in  Liebermanns  Jahrbuch  fUr  Israeliten.    1882  (Brieg),  S.  57. 
Elberfeld*     W.  Crecelius  in  der  Zeitschrift  des  Bergischen  Geschichtsvereins.    6.  Bd. 

(1869),  S.  181. 
•£rf^irt«     A.  Jaraczewsky:  Die  Geschichte  der  Juden  in  Erfurt.     Erfurt  1868. 
Frelbnrir  1«  B«     A.  Lewin:  Die  Juden  in  Freiburg  i.  B.     1890. 
FtrtM«    S.  Nürnberg. 

Olegan»     Allgemeine  Zeitung  des  Judentums.     1853  Nr.  37  und  1854  Nr.  2-3. 
Halberstadt«     Böhme  im  Litteraturblatt  des  Orients.     1844,  Nr.  7  und  9. 
Hambnrg«     Lappenberg  in  der  Zeitschrift  des  Vereins  für  Hamburgische  Geschichte. 

I.  Bd.  (1841),  S.  281.  —  Feilchenfeld  in  der  Zeitschrift  für   die  Geschichte   der 

Juden  in  Deutschland,     i.  Bd.  (1887),  S    271    und  Monatsschrift   für  Geschichte   und 

Wissenschaft  des  Judentums.    43.  Jahrg.  (1899),  ^*  ^7'>  3^^  37^ 
Inowraadaw«     Lew  in  in   der  Zeitschrift   der   historischen  Gesellschaft   für  die  Provinz 

Posen.     15    Jahrg.  (1900). 
KieL     M.  Stern:  Die  israelitische  Bevölkerung  der  deutschen  Städte.    II.  Band.   Kiel  1892- 
XQln,     Ernst  Weyden:  Geschichte   der  Juden   in  Köln    a.  Rh.  von   den  Römerzeiten 


r 


—     291     — 

bis  zur  Gegenwart.     Köln  1867.  —  C.  Brisch:  Geschichte  der  Juden  in  Köln  und 

Umgebung  ans  ältester  Zeit  bis   auf  die  Gegenwart.     2  Bde.     Köln    1879 — 1882.  — 

Fr.  Stolle:  Aus  der  Geschichte  der  Juden  in  Köln.     1888. 
Konstanz«     Löwenstein  wie  unter  ,^iefsenhofen**. 
Kremsler»     Ad.  Frankl-Grün:   Geschichte  der  Juden  in  Kremsier  mit  Rücksicht  auf 

die  Nachbargemeinden.     Frankfurt  a.  M.,  Kauffmann.     1901.     M.  4. 
L^iptHg»     R.  Markgraf:   Zur  Geschichte    der  Juden   auf  den  Messen  in   Leipzig  von 

1664  bis  1839.     Rostocker  Diss.  1894. 
Jfagdebvrir*     M.  Güdemann  in  der  Monatsschrift  fUr  Geschichte  und  Wissenschaft  des 

Judentums.     1865. 
Mainz»     Sc  ha  ab:  Diplomatische  Geschichte  der  Juden  zu  Mainz  und  dessen  Umgebung. 

Mainz  1855. 
Meifsen*     Leicht  in  den  Mitteilungen   des  Vereins   für  Geschichte  der  Stadt  Meifsen. 

2.  Bd.,  4.  Heft  (1890). 
Mergentheim»     H.  Bauer  in  der  Zeitschrift  des  historischen  Vereins  fUr  das  Wttrttem- 

bergische  Franken.     8.  Bd.  (1868),  S.  61—69. 
Naumburg  a«  8«     K.  v.  Heister  im  Anzeiger  für  Kunde  der  deutschen  Vorzeit.  1866, 

Nr.  3—5. 
Nordhausen«     Förstemann   in  den  Neuen  Mitteilungen  aus  dem  Gebiete   historisch- 
antiquarischer Forschung.     Bd.  XI  (1867),  S.  272—281. 
NQrdlIngen«     L.  Müller  in  der  Zeitschrift  des  historischen  Vereins   fUr  Schwaben  und 

Neuburg.     25.  Heft  (1898). 
Nirnber;»     Andreas    Würfel:  Historische   Nachrichten    von    der  Juden •  Gemeinde, 

welche  ehehin  in  der  Reichsstadt  Nürnberg  angerichtet  gewesen,  aber  anno  1499  aus- 

geschaffet  worden.    Nürnberg.    1755.    4^  —  Hugo  Barbeck:  Geschichte  der  Juden 

in  Nürnberg  und  Fürth.    Nürnberg.    1878.  —  M.  Stern:  Die  israelitische  Bevölkerung 

der  deutschen  Städte.     IIL  Band.     Kiel  1894. 
4)snablilek«     Stüve  in  den  Mitteilungen  des  historischen  Vereins  zu  Osnabrück.   6.  Bd. 

(1860),  S.  137  und  141. 
Paderborn.    B.  Greve  in  den  Blättern  zur  näheren  Kunde  Westfalens.    1868  (Meschede), 

S.  8a 
Posen«     J.  Perle s  in  der  Monatsschrift  für  Geschichte  und  Wissenschaft  des  Judentums. 

1864  und  1865. 
Beekendorf«     S.  Pfeifer:  Kulturgeschichtliche  Bilder  aus  dem  jüdischen  Gemeindeleben 

zu  Reckendorf.     Bamberg  1897. 
Begensbur^»     J.  K.  v.  Train  in  der  Zeitschrift  fUr  die   historische  Theologie.     7.  Bd., 

3.  Heft  (1837),  S.  39-138. 
BIga«     A.  Buchholtz:  Geschichte  der  Juden  in  Riga.     Riga  1899. 
8ebaff hausen«     W.  Härder  in  den  Beiträgen  zur  vaterländischen  Geschichte,   heraus- 
gegeben vom  historisch-antiquarischen  Verein  des  Kantons  Schaffhausen,    l.  Bd.  (1863). 
Scbw«  Gmllnd«     Bruno   Klaus    in    der  Beilage   zur  Allgemeinen  Zeitung  (München)* 

1900.     Nr.  56. 
Sebweinftirt«     S.  Stein:  Geschichte   der  Juden   in  Scbweinfurt.     Frankfurt  a.  M.  1898. 
Speyer«     Wiener  in  der  Monatsschrift  für  Geschichte  und  Wissenschaft  des  Judentums. 

1863,  S.  161,  255,  297,  417,  454. 
Stendal«     J.  Landsberger  ebenda.     1882,  S.  34  und  172. 
Strasburg«     Alfred  Glaser:  Geschichte  der  Juden  in  Strafsburg  von  der  Zeit  Karb 

des  Grofsen  bis  auf  die  Gegenwart.     Strafsburg,  Noiriel  1894. 


—     292     — 

StraaUng«      Jahresbericht    des     historischen    Vereins    fiir    Straubing    and    Umgegend^ 

2.  Jahrg.  (1899),  S.  49flF. 
Überlingen«     Löwenstein  wie   unter  „ Diefsenbofen ^*.     M.  Stern:   Die   israelitische- 

Bevölkerung  der  deutschen  Stade.     I.  Band.     Frankfurt  a.  M.  1890. 
Ulm«     Press el:   Geschichte  der  Juden  in  Ulm.     Ulm  1873.  —  Nübling:   Die  Juden- 
gemeinden  des  Mittelalters,   insbesondere   die  Judengemeinde   der  Reichsstadt   Ulm^ 

Ulm  1896. 
Tillingen«     Chr.   Roder    in    den   Schriften    des   Vereins    fUr   Geschichte    und   Natur- 

geschichte  der  Baar  und  der  angrenzenden  Landesteile  in  Donaueschingen.     5.  Hefl 

(1885),  S.  96—107. 
ToUmarlngen»     Beiter  im  Diöcesanarchiv  von  Schwaben.     15.  Bd.  (1897),  S.  175. 
Wernigerode«     Zeitschrift  des  Harzvereins.     1879,  S.  341. 
Worms«     G.  Wolf:  Zur  Geschichte  der  Juden  in  Worms.     Breslau  1862. 
Wllrzbnrg«     Archiv  des  historischen  Vereins  fUr  Unterfranken  und  Aschaffenburg.  I,  i,  S.  136^ 

^  S.  358;  Xn,  S.  125. 


Mitteilungen 

Yersammlmigeil«  —  Am   28.   und   29.  Mai   hielt  der  Hansische 

Geschichtsverein  in  Dortmund  seine  30.  Jahresversammlung  ab  und  gleich- 
zeitig tagte  in  gewohnter  Weise  der  Verein  für  niederdeutsche  Sprach* 
forschung  zum  26.  Male  ').  Der  Jahresbericht,  den  der  Vorsitzende  des 
hansischen  Vereins,  Bürgermeister  Dr.  Brehm er- Lübeck,  erstattete,  ge- 
dachte mit  Befriedigung  der  in  den  abgelaufenen  sechs  Lustren  vom  Verein 
veranlafsten  und  ausgeführten  wissenschaftlichen  Arbeiten  und  stellte  für  das 
nächste  Jahr  in  Aussicht  die  Drucklegung  bezw.  das  Erscheinen  eines 
7.  Bandes  der  Hanserecesse  von  Prof.  Schäfer -Heidelberg  (15 17  ff),  des 
5.  und  des  9.  Bandes  vom  Hansischen  Urkundenbuche,  bearbeitet  von 
Dr.  K.  Kunze- Greifswald  (14 14 ff.)  und  Dr.  W.  Stein-  Breslau  (14630!),. 
sowie  des  2.  (Schlufs-)  Bandes  des  Inventars  des  Kölner  Hanse- Archivs  von 
Prof.  Höhlbaum-Giefsen  (1572  — 1591).  —  Im  Anschlufs  hieran  ver- 
kündete Archivar  Dr.  von  Bippen -Bremen,  dafs  die  auf  Grund  des  1896 
von  der  historischen  Gesellschaft  in  Bremen  erlassenen  Preisausschreibens 
eingegangene  Arbeit  über  die  Geschichte  der  Hanse  von  1376 — 1476  mit 
dem  Preise  gekrönt  worden  sei,  und  die  Öffnung  der  verschlossenen  Couverts 
den  Privatdozenten  Dr.  Daen  eil -Kiel  als  Verfasser  ergeben  habe. 

Die  Reihe  der  Vorträge  eröffnete  Prof.  W rede -Marburg  mit  einer 
Darlegung  des  Verhältnisses  zwischen  Ethnographie  und  Dialektwissenschaft. 
Er  führte  im  wesentlichen  folgendes  aus:  Wenkers  Sprachatlas  des  Deutschen 
Reichs  *)  verneint  immer  deutlicher  die  Frage,  ob  die  lebenden  Mundarten  alte 


i)  Über  die  vorjährige  Versammlung  in  Göttingen  vgl.  I.  Bd.  dieser  Zeitschrift,  S.  239. 

2)  Mit  dem  Titel  Sprach-Atlas  von  Nord-  und  Mitteldeutschland  erschien  1881  bei 
Trübner  in  Strafsburg  die  erste  Lieferang  der  i.  Abteilung,  die  6  Karten  enthielt.  Seit- 
dem ist  von  dem  Unternehmen,   dafs  auf  13  Abteilangen  za  je  6  Lieferangen   berechnet 


—     293     — 

Stammesverhältnisse  wiederspiegeln,  im  Gegensatz  zu  der  allgemeinen  Ansicht, 
•wie  sie  zuletzt  wieder  durch  B  r  e  m  e  r  in  seiner  Ethnographie  der  germanischefn 
Stämme  (=  Grundrifs  der  germanischen  Philologie,  2.  Aufl.  III  (1898), 
S.  735 — 950)  vertreten  wird,  dafs  alte  Stammesgrenzen  vielfach  bis  auf  die 
•Gegenwart  als  Mundartengrenzen  bewahrt  seien.  Dieser  Theorie  gegenüber 
macht  schon  die  Isoliertheit  stutzig,  in  der  die  Dialekte  solche  stammes- 
geschichtliche Rolle  spielen :  denn  dafs  die  Grenzlinien,  die  von  der  Anthro- 
pologie und  Prähistorie,  von  der  Ortsnamenforschung  und  allen  Einzelzweigen 
^er  Volkskunde  gezeichnet  werden,  nicht  ebenso  ethnologischen  Wert  be- 
anspruchen können,  wird  ziemlich  allgemein  zugegeben.  Redner  zeigt  sodann 
an  Beispielen  aus  älterer  und  jüngerer  Zeit,  dafs  jene  allgemeine  Anschauung 
auf  Vorurteil  beruht.  Lehrreich  sind  besonders  die  Beispiele  aus  dem  jung- 
deutschen  Kolonistenlande  jenseits  Elbe  und  Saale:  die  dortigen  Dialekte 
sind  nicht  in  erster  Linie  alte  Erbstücke  des  Westens,  sondern  neue  Gröfsen, 
entstanden  durch  Ausgleich  aus  ursprünglicher  Mischung,  in  ihrer  Scheidung 
deutlich  beeinflufst  durch  politische  Grenzen.  Analog  flihrt  für  den  alten 
Westen  die  Forschung  immer  klarer  zu  dem  Bilde  ursprünglicher  Buntheit 
nnd  erst  allmählicher  Nivellierung  innerhalb  politischer,  kirchlicher,  admi- 
nistrativer Begrenzung.  Mit  den  zahllosen  Veränderungen  der  letzeren  während 
der  anderthalb  Jahrtausende  deutscher  Geschichte  verändern  und  verschieben 
sich  ebenso  oft  imd  gründlich  die  Dialektgebilde,  so  dafs  wir  ihre  heutigen 
<}renzen  nicht  über  eine  beschränkte  Zahl  von  Jahrhunderten  hinaus  bewerten 
•dürfen.  Also  nicht  alte  Ethnographie,  wohl  aber  Lokal-  und  Territorial- 
geschichte der  letzten  Jahrhunderte  scheint  durch  die  jetzigen  Mundarten 
hindurch,  und  Wenkers  Sprachatlas  wird  immer  deutlicher  eine  wertvolle  Fund- 
grube auch  flir  den  Historiker,  vorweg  den  Territorialhistoriker.  In  aller 
Offenheit  wird  also  zugestanden,  dafs  die  letzten  ethnologischen  Keime  durch 
-die  heutigen  Dialekte  ebenso  wenig  klargelegt  werden  können,  wie  durch 
Anthropologie  und  Prähistorie,  durch  Ortsnamenforschung  und  Volkskunde. 
Die  heutigen  Dialektgrenzcn  stellen  sich  vielmehr  gleichwertig  neben  die 
Grenzen  aller  dieser  Forschungsgebiete:  sie  alle  sind  einzelwissenschaftliche 
Querschnitte,  durch  den  Jahrhunderte  alten  nationalen  und  territorialen  Lebens- 
baum gelegt,  Querschnitte,  die  sehr  begreiflich  nicht  zu  einander  passen 
wollen,  weil  sie  ganz  verschiedene,  mn  Jahrhunderte  und  Jahrtausende  ge- 
trennte Zeitalter  der  Volks-  und  Landesgeschichte  wiederspiegeln.  —  Weiter 
sprachen  Prof.  Keutgen-Jena  über  den  Grofshandel  im  Mittelalter,  Prof. 
Rubel- Dortmund,   der  Verfasser   der  wertvollen  Festschrift   Rekhshöfe   im 

war,  nichts  weiter  gedruckt  worden,  denn  bald  darauf  wurde  die  Weiterführuiig  des 
Werkes  vom  Deutschen  Reiche  übernommen,  damit  auch  Süddeutschland  einbezogen,  und 
die  Reichsregierung  behielt  sich  eine  Publikation  nach  Vollendung  des  ganzen  Werkes 
vor.  Die  erste  Lieferung  wurde  auch  aus  dem  Buchhandel  zurüchgezogen.  Die  fertig  ge- 
stellten handschriftlichen  Blätter  werden  jetzt  aller  halben  Jahre  an  die  Kartenabteüung 
•der  Kgl.  Bibliothek  in  Berlin  abgegeben,  und  gegenwärtig  sind  bereits  571  Karten  in 
-Grofsfolioformat  dort  vorhanden :  je  3  Karten  gehören  immer  zusammen,  und  es  ist  jedes- 
mal ein  Wort  mit  allen  seinen  dialektischen  Einzelheiten  in  Nordwest-,  Nordost-  und 
Sudwestdeutschland  dargestellt.  Im  Anzeiger  für  deutsches  Altertum  erscheinen  regel- 
mäfsig  von  Wrede  bearbeitete  Berichte  über  G.  IVenkers  Sprachatlas  des  Deutschen 
Reiches:  der  erste  findet  sich  Bd.  XVm  (1892)  S.  300 ff.,  der  letzte  —  18.  Bericht  — 
Bd.  XXVI  (1900),  S.  336 — 344.  Eine  kurze  Notiz  enthält  auch  halbjährlich  62A  Litterarische 
-Centralblatt, 


—     294     — 

Lippe-,  Ruhr-  und  Dienielr  Gebiete  und  am  Hellwege  (=  Bcitr.  z.  Gesch.  Dort- 
munds u.  d.  Grafschaft  Mark,  Heft  X),  über  Dortmunder  Handelswege  in 
alter  und  neuer  Zeit,  Dr.  S  t  e  i  n  -  Breslau  über  die  Burgunderherzöge  und 
die  Hanse.  Im  niederdeutschen  Verein  behandelte  Dr.  Maurmann- Marburg 
die  Dialektverhältnisse  im  südlichen  West^en,  und  Dr.  Tümpel- Bielefeld 
die  Herkunft  der  Besiedler  des  Deutsch -Ordenslandes.  Daneben  gelangte 
auch  die  Dortmunder  Mundart  zu  ihrem  Recht,  und  Prof.  Reifferscheid- 
Greifswald  besprach  insbesondere  eine  von  Prof.  Bücher-Leipzig  zu  Anfang 
der  siebziger  Jahre,  während  seiner  Thätigkeit  am  Dortmunder  Gymnasium,, 
zusammengestellte  Sammlung  von  Dortmunder  Kinderliedem. 

Die  Versammlung  tagte  in  dem  unter  Leitung  des  Baurats  KuUrich 
mit  ebenso  grofsem  Geschick  wie  Geschmack  und  Verständnis  restaurierten 
alten  Rathause,  welches  auch  das  wertvolle  städtische  Museum  beherbergt. 
Der  darunter  befindliche  Ratskeller  nahm  sie  schÜefslich  gasüich  auf,  nach- 
dem die  Teilnehmer  den  Dortmund-Emskanal  bis  zu  dem  gewaltigen  Hebe- 
werk bei  Henrichenburg  befahren  und  dieses  Meisterstück  der  Technik  mit 
ungeteilter  Bewimderung  besichtigt  hatten.  Als  nächster  Versammlungsort 
wurde  Emden  gewählt. 

Die  diesjährige  Hauptversammlung  des  Gesamtvereins  der  deutschen 
Geschichts-  und  Altertumsvereine  ^)  wird  vom  24.  bis  26.  September 
in  Fr  ei  bürg  i.  B.  stattfinden.  An  der  Spitze  des  Ortsausschusses  stehen 
Prof.  Finke  imd  Stadtarchivar  P.  Albert,  die  Verhandlungen  finden  in 
den  Räumen  der  Universität  statt  Ein  Fest  der  Stadt  Freiburg  und  ein 
Ausflug  nach  Donaueschingen,  am  26.  Sept,  sind  in  Aussicht  genommen. 
Von  Vorträgen  sind  bis  jetzt  für  die  allgemeinen  Versammlungen  angemeldet: 
Prof.  Stutz  über  die  Rechtsgeschichte  des  Freiburger  M  ünsters, 
Stadtarchivar  Albert  über  die  historischen  Vereine  Badens  und 
ihre  Wirksamkeit,  Prof.  Dieffenbacher  über  Beiträge  zur  Ba- 
dischen Volkskunde  aus  Grimmeishausens  Simplizissimus.  In 
den  Abteilimgssitzungen ,  deren  Programm  im  einzelnen  noch  nicht  feststeht, 
wird  über  die  Grundkarten,  besonders  die  zur  Verwendung  kommenden 
Signaturen,  über  die  Kirchenbuchverzeichnung,  !die  Fortsetzung  des  Walther- 
Konerschen  Zeitschriftenrepertoriums  u.  a.  beraten  werden.  Die  Versammlungen 
der  vereinigten  ersten  und  zweiten  Abteilung  werden  sich  zugleich  zu  Sitzungen 
des  Verbandes  west-  imd  süddeutscher  Vereine  für  römisch-germanische  Alter- 
tumsforschung gestalten  *). 

Die  Abgeordneten  der  verbundenen  Vereine  versammeln  sich;  wie  üblich, 
zur  Beratung  der  Angelegenheiten  des  Gesamtvereins,  und  es  wäre  recht  er- 
freulich, wenn  Freiburg  wiederum  eine  Vermehrung  der  vertretenen  Vereine 
bringen  würde:  nur  wenn  die  Vereine  immer  mehr  und  mehr  ihre  Abge- 
ordneten zu  den  Versammlungen  entsenden  imd  sich  von  diesen  später  darüber 

i^  Über  die  letzte  Versammlung  (Dresden)  vgL  oben  S.  57  —  60. 

2)  Vgl.  den  Bericht  über  die  erste  Tagung  des  Verbandes  in  Trier  oben  S.  228  —234.  — 

Soeben  ist  anch  als  X.  Ergänzongsheft  der  Westdeatschen  Zeitschrift  fUr  Geschichte   nnd 

Kunst  (Trier,  Jacob  Lintz  1901.     66  S.  8*)  der  offizielle  Beruht    über  den  ersten   Ver- 

handstag  der    West'   und  süddeutschen    Vereine  für    römisch  'germanische  Altertums-- 

Jorschung  zu  Trier  am  ij.  und  12.  April  igoi  erschienen. 


—     2^5     — 

berichten  lassen,  werden  sie  in  die  Lage  kommen,  neben  den  örtlichen 
Bestrebungen,  in  denen  sie  wurzeln,  auch  die  allgemeineren  zu  pflegen,  die 
so  unendlich  viele  Anregungen  geben  und  die  geistige  Arbeit  erst  recht 
fruchtbar  zu  machen  vermögen.  Erfreulicherweise  hat  sich  die  Zahl  der 
Vereinsvertreter  stetig  vermehrt,  in  Münster  1898  waren  es  nur  31,  1899 
in  Strafsburg  stieg  die  Zahl  auf  55  und  1900  in  Dresden  auf  64;  hoffen 
wir,  dafs  es  diesmal  wenigstens  75  werden  mögen! 

Am  23.  und  24.  September  wird  ebenÜEÜls  in  Freiburg  der  zweite  Tag 
für  Denkmalspflege  stattfinden,  während  von  der  Abhaltungeines  Archiv- 
tages (vgl.  oben  S.  60 — 61)  diesmal  abgesehen  wird. 

Die  46.  Versammlung  deutscher  Philologen  und  Schulmänner  ^) 

tagt  vom  I.  bis  4.  Oktober  zu  Strafsburg  i.  £.,  und  zwar  im  allgemeinen 
Kollegiengebäude  der  Kaiser  Wilhelms-Universität  Von  den  in  Aussicht  ge- 
stellten Vorträgen  sind  viele  auch  von  höchstem  geschichtlichen  Interesse. 
So  wird  Prof.  Fabricius  (Freiburg)  über  die  Ergebnisse  der  Erforschung 
des  obergermanisch-rätischen  Limes  sprechen,  Profi  Bormann  (Wien)  über 
den  römischen  Limes  in  Österreich*)  und  Prof.  Euting  (Strafeburg)  über 
den  römischen  Limes  in  der  Provincia  Arabia.  Über  deutsche  und  griechische 
Personennamen  handelt  Prof.  Schröder  (Marburg),  über  die  civitas  Medio- 
matriconun  Kenne  (Metz),  über  die  Chronologie  der  römischen  Befestigungs- 
anlagen in  der  Wetterau  und  im  Maingebiet  Prof.  Wolff  (Frankfurt  a.  M.), 
über  den  Sprachatlas  des  deutschen  Reiches  und  die  elsäfsische  Dialekt- 
forschimg  Prof.  Wrede  (Marburg)*)  imd  über  prähistorischen  Getreidebau 
in  Nordeuropa  Prof.  Hoops  (Heidelberg).  Von  ganz  besonderer  geschicht-^ 
lieber  Bedeutung  dürfte  der  Vortrag  von  F.  Eichler  (Graz)  über  eine 
Quellensammlung  zur  Geschichte  des  deutschen  Bibliotheks- 
wesens werden,  welche  die  bibliothekarische  Sektion  bietet:  die  Erforschung^ 
der  mittelalterlichen  Bibliotheken,  die  Verfolgung  ihrer  Schicksale  imd  die 
Drucklegung  ihrer  Kataloge  wird  ja  für  die  Geschichte  des  Geisteslebens  von 
immer  gröfserem  Werte,  und  ohne  diese  Grundlage  ist  eine  Geschichte  des 
gesamten  litterarischen  Schaffens  im  Mittelalter  ^)  kaum  möglich. 

Archiye«  —  Die  neuere  Entwickelung  der  Geschichtsforschung  hat  eine 
überaus  enge  Verbihdimg  zwischen  ihr  und  den  Archiven  notwendig  gemacht 
und  hergestellt,  so  dafs  heute  die  Mehrzahl  aller  Archivbenutzungen  zu  wissen- 
schaftlichen Zwecken  stattfindet  ^).  Im  Interesse  der  Geschichtsforschung  liegt 
es  deshalb  heute  in  erster  Linie,  nähere  Kenntnis  von  dem  Inhalte  der  Ar- 
chive zu  gewinnen,  damit  der  einzelne  im  Falle  des  Bedarfs  weiüs,  wohin  er 
sich  zu  wenden,  was  er  in  einem  Archive  vermuten  kann.     Es  war  deshalb- 


i)  Über  die  45.  Versammlang  (Bremen  1899)  vgL  diese  Zeitschrift  L  Bd.,  S.  61 — 63.. 

2)  Vgl.  den  Aufsatz  von  S.  Frankfurter  in  dieser  Zeitschrift  I.  Bd.,  S.  195 — 199. 

3)  Vgl.  darüber  diese  Zeitschrift  L  Bd.,  S.  82  und  oben  S.  292 — 93. 

4)  Vgl.  dazu  oben  S.  182 — 184. 

5)  Beim  GrofsherzogL  Badischen  Genenülandesarchiv  standen  im  Jahre  1900  den- 
92  Benutzungen  zu  geschäftlichen  Zwecken  297  wissenschaftliche  Benutzungen  gegenäber» 
Bei  preuiftischen  Staatsarchiven  haben  im  Jahre  1900  amtliche  Benutzungen  962  stattge- 
funden, aber  2407  aufseramtliche.     Im  Jahre  1899  waren  es  893  und  2485. 


—     296     — 

ein  grofses  Ereignis,  als  das  Hand-  und  Adrefsbueh  der  deutschen  ÄrctUve 
im  Gebiete  des  Deutschen  Reichs,  Luxemburgs,  Östeireich -Ungarns ,  der 
russischen  Ostseeprovinzen  und  der  deutschest  Schweiz  von  C.  A.  H.  Burk- 
hard t  erschien,  dessen  zweite  stark  vermehrte  Auflage  (Leipzig,  F.  W.  Gru- 
now,  1887)  ^^  heute  allein  dem  Frager  in  Archivangelegenheiten  Auskunft 
zu  geben  vermag.  Überall  hat  aber  die  archivalische  Ordnungs-  und  For- 
schungsarbeit an  Tiefe  gewonnen;  viele  namentlich  städtische  Archive  haben 
einen  sachkundigen  Vorstand  gefunden,  der  das  Amt  eines  Archivars  im 
Nebenamte  versieht,  ja  an  manchen  Orten  sind  Archive  erst  entdeckt  worden. 
Dafs  eine  Neubearbeitung  und  Vervollständigimg  des  Hand-  und  Adrefsbuchs 
bereits  jetzt  erforderlich  wäre,  dürfte  kaum  in  Abrede  zu  stellen  sein,  aber 
ebenso  tmleugbar  ist  es,  dafs  diese  mühevolle  Arbeit  nur  zu  leisten  ist,  wenn 
auf  allen  Seiten  mitgearbeitet  wird.  Das  Ideal  wäre  wohl,  dafs  ftir  jeden 
Staat  bzw.  jede  Provinz  oder  Landschaft  ein  in  dieser  Gegend  nach  allen 
Eichtungen  hin  bewanderter  Archivkenner  die  Bearbeitung  übernähme.  Bei 
Preufsen  müfste  jede  Provinz  als  besonderes  Gebiet,  bei  Bayern  wenigstens 
die  Pfalz  getrennt  vom  rechtsrheinischen  Bayern  behandelt  werden. 

Obwohl  schon  manche  Veröffentlichung  des  letzten  Jahrzehnts  wesent- 
liche Ergänzungen  zum  Hand-  und  Adrefsbueh  gebracht  hat,  über  die  in 
diesen  Blättern  zur  Zeit  berichtet  worden  ist,  so  verdient  doch  ein  Werk- 
chen Beachtung,  welches  flir  ein  Gebiet,  dessen  Bearbeitung  mit  besonderen 
Schwierigkeiten  verknüpft  ist,  nämlich  Thüringen,  eine  Neubearbeitung  des 
ersteren  darstellt  Dies  ist  der  Wegweiser  durch  die  Historisdien  Archive 
Thüringens],  im  Namen  und  Auftrag  des  „Thüringer  Archivtages "  bearbeitet 
und  herausgegeben  von  Paul  Mitzschke  (Gotha,  Friedrich  Andreas  Perthes, 
1900.  86  S.  8^).  In  alphabetischer  Ordnung  sind  41  Orte  aufgeführt,  in 
den  sich  67  Archive  finden,  und  zwar  verteilen  sich  diese  auf  die  vier 
sächsischen  Staaten  (S. -Weimar  13,  S. -Meiningen  8,  S.- Coburg -Gotha  4, 
S.-Altenburg  8),  die  beiden  Schwarzburg  (Rudolstadt  3,  Sondershausen  4), 
die  beiden  Reufs  (ä.  L.  i,  j.  L.  5)  und  Preufsen  (21).  Von  Preufsen  mufste 
zum  Zwecke  der  geographischen  Abrundung  der  Kreis  Schmalkalden ,  der 
ganze  Regierungsbezirk  Erfurt  und  die  westliche  Hälfte  des  Regierungsbezirks 
Merseburg  einbezogen  werden.  Die  Zahl  der  Archive  beweist  schon,  dafs 
nur  diejenigen  aufgeführt  sind,  welche  eine  eigene  Verwaltung  oder  doch 
eine  gewisse  Organisation  haben.  Und  dieses  Verfahren  verdient  durchaus 
Billigung,  denn  dafs  schliefslich  die  Mehrzahl  der  Stadt-  und  Dor%emeinden 
sowie  die  Pfarrämter,  Gerichte  u.  s.  w.  über  mehr  oder  weniger  alte  Ar- 
chivalien verfügen,  die  gelegentlich  von  hoher  Bedeutung  sein  können,  bt 
ohne  weiteres  klar.  Aber  derartige  Dinge  können  unmöglich  in  ein  all- 
gemeines Register  aufgenommen  werden,  dazu  ist  vielmehr  die  Inventarisation 
der  kleinen  Archive  da,  die  wie  in  Rheinland  ')  und  Westfalen^,  so  auch 
in  Thüringen  *)   in   die  Wege   geleitet  worden  ist.     Bei   Burkhardt   führt   es 


i)  Vgl.  diese  Zettschrift  I.  Band,  S.  26. 

2)  Ebenda,  S.  85—86. 

3)  Ein  fUr  die  Pfleger  bestimmtes  Master  fUr  die  Inventarisation  kleiner  thüringischer 
Archive,  bearbeitet  von  Kentgen  nnd  Mentz  ist  bereits  im  X.  Band  (1897)  der  „Zeit- 
schrift des  Vereins  för  Thüringische  Geschichte  und  Altertumskunde,  Nene  Folge"  ver- 
dffentlichL     Demnächst  steht  die  Drucklegung  der  ersten  Inventarisationsberichte   in   der 


—     297     — 

ofTenbar  zu  einer  recht  grofsen  Ungleichheit  in  der  Behandlung,  dafs  er  fUr 
das  Rheinland  die  im  i.  Bande  der  „Westdeutschen  Zeitschrift'*  gegebenen, 
oft  irreführenden  Hinweise  auf  kleine  Pfarrarchive  und  deren  zum  Teil  einzeln 
bemerkte  Stücke  seinem  Werke  einfügt,  während  in  anderen  Provinzen  ähn- 
liche Übersichten  fehlen.  —  Mitzschke  hatte  für  seine  Arbeit  den  Vorteil, 
den  Thüringischen  Archivtag  ')  als  Auftraggeber  hinter  sich  zu  haben,  aber 
trotzdem  hat  er  von  sieben  Städten  irgendeine  Auskunft  überhaupt  nicht 
erwirken  können:  es  ist  dies  ein  Beweis  dafür,  wie  wenig  Wert  doch  noch 
vielfach  den  Archiven  beigemessen  wird!  Nach  einem  bestimmten  Schema 
wird  über  jedes  Archiv  Auskunft  erteilt.  Dem  Namen  folgt  die  Angabe  über 
die  Unterbringung  des  Archivs  imd  eventuell  der  Dienststunden,  und  dann 
werden  die  vorgesetzte  Behörde,  die  Benutzungsbestinmiungen,  die  Geschichte 
•(namentlich  die  Entstehung  des  Archivs),  die  Einrichtung  und  die  Inhalts- 
übersicht nacheinander  behandelt  Litteraturangaben  schliefsen  jeden  Artikel 
ab.  Als  Anhang  finden  wir  eine  kurze  Geschichte  des  Thüringer  Archiv- 
tages imd  dessen  Satzungen.  Ein  Verzeichnis  der  Archiworstände  und 
"wissenschaftlichen  Beamten  mit  Angabe  ihrer  Privatwohnung  wird  allgemein 
willkommen  sein,  nicht  weniger  interessant  sind  die  genau  beschriebenen 
gegenwärtig  im  Gebrauch  befindlichen  Amtssiegel.  Der  „Wegweiser"  kann 
jedenfalls  weit  über  die  Grenzen  Thüringens  hinaus  auf  Wertschätzung  rechnen, 
er  bietet  ein  recht  gutes  Muster  dafür,  wie  derartige  Zusammenstellungen  zu 
machen  sind,  und  kann  somit  für  andere  Landschaften  vorbildlich  werden. 


Ebenfalls  aus  Thüringen  dringt  ein  recht  zeitgemäfser  Ruf  in  die  Lande: 
^, Stadtverwaltungen ,  sorgt  für  euere  Archive!**  Nicht  eindringlich  genug 
kann  diese  Aufforderung  wiederholt  imd  begründet  werden,  denn  oft  ist  Ge- 
fahr im  Verzuge.  Der  städtische  Archivar  zu  Mühlhausen  i.  Th.,  Eduard 
Heydenreich,  läfst  einen  Vortrag  im  Druck  erscheinen ,  den  er  auf  der 
Hauptversammlung  des  Thüringer  Städteverbandes  in  Weimar  am  30.  Juni 
1900  gehalten  hat  Der  Titel  lautet:  Die  Bedeutung  der  Stadtarchive,  ihre 
Einrichtung  und  Verwaltung  (Erfurt,  Keyser,  1901.  70  S.  16®),  imd  hier 
wird  auf  Grund  eines  ganz  gewaltigen  Materials  gezeigt,  wie  in  neuerer  Zeit 
Stadtarchive  eingerichtet  worden  sind,  welche  hohe  Bedeutung  oft  die  Archive 
für  die  moderne  Verwaltung  und  stets  für  die  Geschichtsforschung  haben. 
Im  weiteren  werden  dann  die  Forderungen  aufgezählt,  welche  zum  Wohle 
der  Archive  an  die  Stadtverwaltungen  gestellt  werden  müssen,  namentlich 
entsprechende  Aufbewahrung  in  feuersicheren,  hellen,  gut  ventilierten  Räumen, 
Bestellung  entsprechend  vorgebildeter  imd  bezahlter  Archivare,  Trennung  von 
Archiv  und  Registratur,  Erwerbung  solcher  Urkunden  und  Akten,  die  im 
Privatbesitz  sind,  wenn  nicht  als  Eigentum,  so  doch  als  Depositum  oder 
wenigstens  in  Abschrift  Auch  für  die  Ordnungsarbeiten  an  einem  bisher 
vöUig  unberührten  Archive  und  dessen  Repertorisienmg  werden  beherzigens- 
werte Winke  gegeben.  Ein  recht  dankenswertes  Verzeichnis  der  Zeitschriften 
sowohl  als  der  Monographieen  und  Aufsätze  über  Fragen  des  ArchivwesoM 

^eoanntea  Zeitschrift  za  erwarten,  und  zwar  soll  nach  freondlicher  Mitteilung  de« 
«O.  Dobenecker  (Jena)  der  Amtsgerichtsbezirk  Jena  den  Anfai^ 
i)  VgL  diese  ZeiUchrift  L  Band,  S.  2$,  247^348. 


—     298     — 

schliefst  die  kleine  Schrift  Ihre  Bedeutung  liegt  neben  dem  vielseitigen  In- 
halte, den  jeder  Archivar  gern  imterschreiben  wird  und  der  sich  überall  da 
verwerten  läfet,  wo  gern  öffentliche  Mittel  für  ein  Archiv  in  Anspruch  ge- 
nommen werden  möchten,  in  der  Versammlung,  vor  der  der  Vortrag  gehalten 
worden  ist  Überall  finden  ja  gelegentlich  Versammlungen  von  Stadtoberhäuptem 
statt,  imd  derartige  Zusammenkünfte  bieten  jedenfalls  die  günstigste  Gelegen- 
heit, um  diesen  in  erster  Linie  interessierten  Personen  die  berechtigten  Forde- 
rungen der  Archivwissenschaft  vorzutragen.  Wenn  dies  wiederholt  geschieht» 
so  werden  die  günstigen  Folgen  nicht  ausbleiben,  denn  in  recht  vielen  Städten 
sind  in  neuester  Zeit  schon  Archive  eingerichtet  und  Archivare  bestellt  worden,, 
und  andere  werden  folgen.  —  Wie  gerade  in  Thüringen  das  Interesse  für 
die  Archive  stetig  wächst,  zeigt  neben  Mühlhausen,  was  einen  eigenen 
Stadtarchivar  bestellt  hat,  Saalfeld,  wo  die  fachmännische  Ordnung  des 
Archivs  ins  Werk  gesetzt  ist  (vgl.  oben  S.  139/140).  In  Pöfsneck  hat  schon 
früher  Prof.  Koch-Meiningen  die  Arbeit  erledigt,  und  auch  für  das  städtische 
Archiv  in  Rudol Stadt  ist  die  Ordnung  in  bestimmte  Aussicht  genommen. 


Der  12.  Mai  sah  die  diesjährige  Hauptversammlung  des  Thüringer 
Archivtags*)  in  Mühlhausen.  Nach  einigen  Gedächtnisworten  für  zwei  im 
letzten  Jahre  verstorbene  Mitglieder,  Archivrat  Schmidt -Arnstadt  und  Prof. 
Beyer-  Erfurt,  wurde  in  die  Verhandlungen  eingetreten.  Geh.  Hofrat  B  u  r  k  - 
har dt- Weimar  war  leider  durch  Unwohbein  am  Erscheinen  verhindert,  sein 
Vortrag  über  Aktenkassation  fiel  deshalb  weg,  aber  Archivrat  S  c hm  i  d  t-  Schleiz. 
entschädigte  durch  einen  Bericht  über  den  ersten  Archivartag  in  Strafsburg, 
und  Prof  Bühring  behandelte  im  besonderen  die  auf  dem  zweiten  Archivar- 
tage in  Dresden  1 900  lebhaft  besprochene  Frage  *)  der  Aktenvemichtung.  Der 
Handschriflenerhaltung  durch  Zapon  widmete  Prof.  Bangert -Rudolstadt 
erneute  Aufmerksamkeit:  namentiich  koimte  er  feststellen,  dafs  bei  seinen 
Versuchen  Zapon  auf  Pergament,  dessen  Schrift  mit  Reagenzien  behandelt 
worden  war,  zur  Erhöhung  der  DeuUichkeit  beigetragen  hat  Pastor  Oergel- 
Erfurt  erzählte  von  den  Schicksalen  des  Erfurter  Stadtarchivs  und  dessen  Neu- 
einrichtung durch  Beyer,  Vater  und  Sohn  *).  Nach  Heydenreichs  Vortrag 
über  das  Mühlhäuser  Stadtarchiv,  dessen  Geschichte  und  Beschreibung  eine 
vom  Altertumsverein  dem  Archivtag  gewidmete  Festschrift  enthält,  wurde  das 
Archiv  und  namentlich  die  ständige  Archivausstellung  besichtigt.  Die  Thätig- 
keit  des  Thüringer  Archivtags  ist  darauf  gerichtet,  die  archivalischen  Schätze 
zu  sichern  und  zu  heben.  Zu  diesem  Behufe  schien  es  zweckmäfsig,  eine 
Verbindung  der  im  Westen  der  Provinz  Sachsen  gelegenen  Archive  mit  der 
Historischen  Kommission  für  Sachsen-Anhalt  herbeizuführen.  Im  Emverständ- 
nis  mit  dem  Vorsitzenden  der  Kommission  wird  deshalb  der  Archivtag  bei 
dem  dafür  zuständigen  Provinzialausschufs  den  Antrag  stellen,  dafs  ein  Archiv 
im  westiichen  Teile  der  Provinz  dauernd  in  der  Kommission  vertreten  sein^ 
möge.  —  Zum  Obmann  für  das  kommende  Jahr  wurde  Archivar  T reff tz- 

i)  Vgl.  daiüber  diese  Zeitschrift  I.  Bd.,  S.  25  nnd  247. 

2)  VgL  den  Aufsatz  von  W.  Lippert  oben  S.  249—264. 

3)  Eine  genaue  Inhaltsangabe  der  für  Erfurt  sehr  wichtigen  Zusammenfassung   findet 
•ich  im  Korrespondenzblatt  des  Gesamtrereins  1901,  S.  95 — 97. 


—     299     — 

Weimar  erwählt,  dem  Prof.  Georges -Gotha  und  Stadtarchivar  Gutbier- 
Langensalza  als  Beisitzer  zugesellt  wurden.  Versammlungsort  im  Jahre  1902 
soll  Weimar  sein. 

Wachstafeln«  —  Wie  die  stilistische  Form  einer  geschichtlichen  Auf- 
zeichnung, die  angewandte  Rechtschreibung  u.  a.  oft  für  die  sachliche  Ver- 
wertung von  Wichtigkeit  ist,  so  sind  es  nicht  minder  die  Seh  reib  Stoffe. 
Haben  diese  schon  an  sich  für  die  Geschichte  des  Schreibwesens  und  damit 
für  einen  recht  wichtigen  Teil  der  Kulturgeschichte  im  engeren  Sinne  eine 
nicht  zu  verkennende  Bedeutimg  als  tmmittelbare  Quellen,  so  ist  aus  ihnen  nicht 
selten  auch  zu  erkennen,  welcher  Wert  einem  Schriftstück  in  der  Kanzlei, 
wo  es  entstand,  beigemessen  wurde.  Das  Pergament  als  gewöhnlichster 
Schreibstoff  für  Urkunden  im  Mittelalter  wurde  seiner  Dauerhaftigkeit  wegen 
bevorzugt.  Wenn  eine  Urkunde  in  Stein  gehauen  imd  dieses  Denkmal  an 
einem  allgemein  zugänglichen  Orte  —  etwa  am  Rathause  oder  in  einer 
Kirche  —  aufgestellt  wird,  so  ist  es  sicher,  dafs  der  Urheber  den  Wunsch 
hegte,  den  Inhalt  allgemein  und  dauernd  bekannt  zu  machen.  Im  Gegensatz 
dazu  war  im  Altertum  für  vorübergende  Aufzeichnimgen ,  z.  B.  auch  für 
Schülerschreibübungen,  die  Verwendung  der  Wachstafeln  aUgemein  und 
auch  aus  dem  frühen  Mittelalter  sind  noch  recht  zahlreiche  Exemplare  er- 
halten ') ,  obwohl  ja  bei  der  Eigenschaft  des  Wachses  imd  dem  von  vorn- 
herein vorübergehenden  Zwecke  im  ganzen  die  erhaltenen  Stücke  nicht  allzu 
zahlreich  sein  können.  Wattenbach  hat  aus  der  Litteratur  und  aus  Ab- 
bildungen eine  Menge  Belege  zusammengebracht,  welche  beweisen,  in  welchem 
Umfange  die  Wachstafel  im  Mittelalter  beim  Schreiben  Verwendung  fjwd^ 
aber  er  hat  auch  die  verschiedenen  Mitteilungen  zusammengestellt,  welche 
über  Aufzeichnungen  meist  des  XIV.  und  XV.  Jahrhunderts,  die  auf  Wachs- 
tafeln überliefert  sind  —  es  sind  meist  Rechnungen,  Steuerlisten,  Konzepte 
u.  dgl.  — ,  in  der  Litteratur  zu  finden  sind  *).  Die  Dresdener  auf  Wachs- 
tafeln verzeichneten  Hauptergebnisse  der  Jahresrechnung,  die  nach  O.  Ri  ch  ter : 
Verfassungs-  und  Verwaliungsgeschichte  der  Stadt  Dresden,  I.  Bd.  (1885), 
S.  155,  aus  den  Jahren  1437 — 1456  vorhanden  sind,  hat  Wattenbach  über- 
sehen, ebenso  die  Danziger  ^),  aber  gewifs  läfst  sich  noch  mancher 
andere  Nachtrag  zu  seiner  Liste  beibringen.  Doch  dazu  ist  es 
erforderlich,  dafs  überall,  wo  sich  solche  Wachstafeln  finden,  eine  Be- 
schreibung mit  genauer  Verzeichnung  des  Inhalts  gegeben  wird.  Erst  wenn 
eine  solche  möglichst  vollständige  Zusammenstellung  erfolgt  ist,  wird  sich  zeigen, 


i)  Vgl.  W.  Wattenbach:  Das  Schriftwesen  im  Mittelalter,  Dritte  vermehrte 
Auflage.     Leipzig,  S.  Hinel,  1896.     S.  51  ff. 

2)  £5  sind  folgende  Städte  als  Ursprungsstellen  genannt:  Arnstadt,  Brandenburg, 
Delitzsch,  Dortmund,  Erfurt,  St.  Gallen,  Goslar,  Götweih,  Hamburg,  Hannover,  Jauer, 
Königsberg,  Lauenburg  in  Hinterpommem ,  Leipzig,  Liegnitz,  Nordhausen,  Nürnberg, 
Fölling,  Regensburg,  Rottenbnrg,  Strafsbnrg,  Umstadt  und  Unterlinden  bei  Colmar. 

3)  Vgl.  deren  Beschreibung  von  Bertling  in  der  „Zeitschrift  des  Westpreufsischen 
Geschichtsvereins''  ii.  Bd.  (1884),  S.  i — 61,  der  sich  schon  1881  mit  den  Kopenhagener 
Wachstafeln  beschäftigt  hatte.    Ebenda  4.  Bd.,  Seite  34  ff.    In  Kopenhagen  werden  Proto- 

Uber   JH^tsverhandlnngen   1373 — 14 19   ans  2    Verwaltungsbezirken   der   Deutsch- 
ranzig,  auf  Wachstafeln  verzeichnet,   aufbewahrt.     Die  Danziger  Tafeln 
irichtsprotokoUe  1368 — 14 16  aus  der  Stadt  Danzig. 

22» 


In  beschatugt 
r  tt^tsver 
>— ^^^^^anzi 


—     300     — 

bis  zu  welcher  Zeit  und  in  welcher  G^end  sich  die  Wachstafeln  am  längsten 
im  Gebrauch  erhalten  haben.  Als  Kuriosum  ist  wohl  nur  zu  erwähnen,  dals 
die  Saline  in  Halle  a.  S.  bis  1783  und  die  zu  Schwäbisch-Hall  sogar  bis  18 12 
sich  ihrer  bedient  hat,  während  im  allgemeinen  wohl  nach  1500  ihr  Gebrauch 
niu*  vereinzelt  anzutreffen  sein  wird.  In  Leipzig  verlangt  die  undatierte, 
aber  ganz  sicher  um  1500  anzusetzende  Ratsordntmg  ^),  dais  der  Stadtschreiber 
in  jeder  Ratssitzung  eine  weehsene  tafel  für  vorübergehende  Au&eichnungen 
zur  Hand  hat  Nach  den  von  Wattenbach  erwähnten  Städten  zu  schliefsen, 
könnten  sie  in  Norddeutschland  länger  im  Gebrauch  gewesen  sein  als  im 
Süden.  Da  durch  ihren  Wegfall  der  Papierverbrauch  entschieden  gewachsen 
ist,  so  lassen  sich  die  entsprechenden  Beobachtungen  auch  in  dieser 
Richtung  verwerten,  insofern  sich  ergiebt,  wie  allmähUch  das  überall 
erzeugte  Wachs  von  dem  nur  an  verhältnismäfsig  wenig  Orten  fabrizierten 
Papier,  das  der  Handel  verbreitet,  verdrängt  wird.  Nach  Wattenbach 
erscheinen  Papiermühlen  in  Deutschland  zuerst  in  der  Nähe  von  Maiiu 
1320,  in  Nürnberg*)  1390,  in  Ravensburg,  das  als  Fabrikort  fUr  Papier 
später  bei  weitem  am  bekanntesten  war,  1407,  in  Basel  1440  u.  s.  w. 
In  Kempten,  welches  später  eine  bedeutende  Papier£äbtikation  hatte,  wurde 
seit  1477  dieser  Gewerbszweig  betrieben').  In  Sachsen  ist  die  erste  Papier- 
mühle, die  das  Papier  fUr  die  herzogliche  Kanzlei  Uefern  sollte,  vor  1500 
an  der  Weiseritz  angelegt  worden,  imd  später  ist  diese  in  den  Besitz  der 
Familie  Schathirt  übergegangen.  Näheres  ist  leider  unbekannt,  da  diese  That- 
Sachen  erst  aus  Akten  des  Jahres  1577  erschlossen  werden  müssen  ^).  Bereits 
1398  hatte  das  Benediktinerkloster  zu  Chemnitz  ein  Privileg  zur  Anlage  einer 
Papiermühle  erhalten,  ob  aber  wirklich  eine  solche  entstanden  ist,  bleibt 
ungewifs.  Nach  1500  ist  dann  bald  eine  Papierfabrik  in  Zittau  (15 10)  und 
eine  in  Zwickau  (1523)  bezeugt^),  und  die  Familie  Schafhirt  gründete 
eine  zweite  1540  zu  Freiberg,  sodafs  also  in  jener  Zeit  die  Fabrikation  zu- 
sehends wachsen  mußte.  Gründer  der  Zwickauer  Fabrik  war  bezeichnender 
Weise  ein  Augsburger  namens  Hans  Schönsperger.  In  einem  Leipziger  Kauf- 
mannsladen *)  gab  es  im  Jahre  1503  vier  Sorten  Papier,  nämlich  Baffelspurger 
(Ravensburger),  muten  schlenglein  (mit  dem  Wasserzeichen  des  Schlängleins  ^), 

i)  G.  Wostmann:  Quellen  zur  Geschichte  Leipzigs,     IL  Bd.  S.  145,   146. 

2)  Der  bekannte  Nürnberger  Patrizier  Ulmann  Stromer  (f  1407)  hinterläst 
anter  anderem  auch  eine  1390  gegründete  Papierfabrik:  GUissmül^  do  man  papier 
machety  Chroniken  der  deatschen  Städte  L  (1862),  S.  206.     S.  77,  80,  474. 

3)  Vgl.  die  erst  neaerdings  erschienene,  recht  lehrreiche  Geschichte  der  alten 
Papiermühlen  im  ehemaligen  Stift  Kempten  und  in  der  Reichsstadt  Kempten  von 
Friedrich  von  Höfsle.     (Kempten,  Kösel  1901.)     S.  16. 

4)  Vgl.  Archiv  fUr  die  Sächische  Geschichte,     i.  Bd.  (1863),  S.  330  ff. 

5)  Ebenda.  2.  Bd.  (1864),  S.  22a.  —  Eine  Papierfabrik  in  Hermsdorf  war  bereits 
vor  1557  entstanden,  and  1574  warde  die  Errichtung  einer  solchen  in  Lohmen  geplant. 
VgL  Nenes  Archiv  für  Sächsische  Geschichte.     15.  Bd.  (1894),  S.  109. 

6)  Anzeiger  für  Kande  der  deutschen  Vorzeit  N.  F.,  28.  Jahrg.  (1881),  Spalte  302 
Im  Grolshandel  kam  Papier  schon  im  Anfang  des  XV.  Jahrhonderts  nach  Leipzig  and 
zwar  war  die  kleinste  Menge,  welche  der  Grofshändler  dem  Kleinverkäofer  abgeben  durfte, 
zwei  Ries.  So  verordnet  es  die  „Tafel  in  der  Wage".  VgL  Siegfried  Moltke: 
Die  Leipaiger  Kramerinnung  im  XV,  und  XVI,  Jahrhundert,  Leipzig  190I.  S.  177. 
Über  die  Verbreitung  des  Papieres  im  XIV.  Jahrhundert  stehe  H.  Bresslan,  Handbuch 
der  Urkundenlehre  I  (1889)  S.  895. 

7)  Aus    dem    genannten  Buche   über  die  Kemptener  Papierindustrie   ist  zu   ersehen. 


—     301     — 

papir  krön  (wohl  Wasserzeichen  der  Krone)  und  papir  regal.  Unter  letzterem 
(realis,  regalis)  ist  nach  Wattenbach  S.  142,  Anm.  i,  die  beste  Qualität 
zu  verstehen,  und  erst  allmählich  dürfte  das  bei  dieser  Qualität  zufallig 
oft  vorhandene  grofse  Format  (Royal  -  Folio)  damit  bezeichnet  worden  sein. 
Die  vollständige  Ablösung  des  Wachses  durch  das  Papier  dürfte  auch 
der  um  1500  eingetretene  Umschwung  in  der  Bienenzucht  begünstigt  haben; 
denn  während  der  Honig  vorher  das  vorherrschende  Süfsimgsmittel  war, 
begann  nunmehr  der  zwar  auch  vorher  nicht  völlig  imbekannte  Zucker  ^) 
ihn  als  solches  mehr  tmd  mehr  zu  verdrängen.  Dies  mufste  die  Bienen- 
zucht in  der  Rentabilität  herabdrücken  und  damit  auch  die  Wachsgewinnimg 
mindern. 

Die  Leipziger  Wachstafeln  sind  jetzt  bearbeitet  und  z.  T.  herausgegeben 
von  Hermann  Freytag  im  Neuen  Archiv  ftlr  sächsische  Geschichte, 
Bd.  20  (1899),  S.  206 — 245.  Die  Amstädter  Wachstafeln  von  1457  hat 
die  dortige  Museumsgesellschaft  herauszugeben  beschlossen.  Sie  sind  bereits 
von  Archivrat  Schmidt  (f)  und  Prof.  Bühring  vollständig  entziffert, 
bestehen  (wie  letzterer  in  der  Jahreshauptversammlung  der  Gesellschaft  Ende 
Januar  mitteilte)  aus  1 1  grofsen  Buchenbrettem  mit  1 9  beschriebenen  Seiten, 
die  durch  eine  Zwischenleiste  aus  Holz  in  Halbseiten  eingeteilt  und  2  bis 
5  mm  tief  mit  schwärzlichem  Wachs  ausgeftillt  sind.  Den  Inhalt  bilden 
Geschofs-,  d.  h.  Steuerlisten,  welche  die  von  der  städtischen  Kämmerei  zu 
erhebenden  Einnahmen  aus  Häusern,  Grundstücken  und  Gewerben  verzeichnen. 
Hinter  dem  Namen  des  Steuerzahlers  steht  das  Steuersoll.  Die  Stadt  zählte 
danach  673  Haushaltungen,  darunter  63  mit  weiblichem  Haushaltungsvorstand. 
Dazu  kommen  69  auswärtige  Steuerzahler.  Das  gesamte  Steuersoll  bezifferte 
sich  auf  2092  Schock  Groschen.  Die  Gruppierung  der  Bewohner  nach 
ihrem  Vermögen  verspricht  wesentlich  neue  Aufschlüsse.  A.  T. 

Kominlssloneil* — Am  n.Mai  hielt  die  Historische  Kommission 
für  Hessen  und  Waldeck  *)  in  Marburg  ihre  vierte  Jahresversammlung  ab. 
Im  Berichtsjahre  ist  der  erste  Band  der  Hessische»  Landtagsakten,  bearbeitet 
von  Hans  Glagau,  (Marburg,  Elwert  1901.  M.  14)  und  F.  Herrmann: 
Das  Interim  in  Hessen,  ein  Beitrag  zur  Refannaiiansgeschichte ,  (Marburg, 
Elwert  1901.  M.  4),  und  vom  Hessisctien  TraclUenhitcJi  die  zweite  Lieferung 
ausgegeben  worden.  Die  übrigen  im  Vorjahre  besprochenen  Veröffentlichungen 
sind  sämtlich  mehr  oder  weniger  gefördert  worden,  im  besonderen  hat  mit 
dem  Drucke  des  Fuldaer  Urhindenbuches,  welches  Prof.  Tan  gl  bearbeitet, 
nunmehr  bereits  begonnen  werden   können.     Für   das  Ortslexikon   sind  die 


wieviel  „Schlangenpapier'  gemacht  wnrde,  z.  B.  in  Memmingen  ist  es  1529 — 1568 
nachweisbar. 

i)  VgL  Handbach  der  StaaUwissenschaften  (i.  Aufl.)  VI.  Bd.  S.  865.  Aaf  den 
Kanarischen  Inseln  wurde  £u  Ausgang  des  Mittelalters  Zuckerrohr  gebaut.  Bereits  15 15 
kam  amerikanischer  Zucker  nach  Spanien.  1502  wurde  in  Frankfurt  a.  M.  ein  Zentner 
Hutzucker  mit  201,6  Gramm  Silber  bezahlt,  d.  h.  mit  40,3  Reichsmark,  wobei  natürlich 
die  viel  gröfser«  Kaufkraft  dieser  Summe  gegentiber  dem  heutigen  Gelde  zu  berück- 
sichtigen ist  Vgl.  Alfred  Köberlin:  Der  Oöermm'n  als  Hanäelsstrafse  (1899)  S.  65. 
Doch  verdienen  aUe  Angaben  über  das  Auftreten  des  Zuckers  im  XV.  und  XVI.  Jahr- 
hundert sorgfaltigste  Beachtung. 

2)  VgL  diese  Zeitschrift  1.  Bd.,  S.  298. 


—     302     — 

Arbeiten  gemäfs  der  mitgeteilten  „Vorschläge  für  die  Ausarbeitung  historischer 
Ortschaftsverzeichnisse  "  ^)  bereits  wesentlich  gefördert  worden,  aber  ein  Termin 
für  die  mutmaisliche  Vollendung  des  Werkes  lälst  sich  nicht  angeben.  Auf 
die  Herstellung  eines  Historischen  Kartenwerkes  über  Hessen  -  Nassau^ 
Waldeck,  Groisherzogtum  Hessen  und  Aschaffenburg,  welches  das  Ortslexikon 
ergänzen  soll,  zielt  eine  vom  Verein  für  Geschichte  und  Altertumskunde  zu 
Frankfurt  a«  M.  ausgehende  Anregung  ab.  Nach  einer  gemeinsamen  Be- 
ratung des  Planes  haben  am  31.  Januar  1901  die  Historische  Kommission  ftir 
Hessen  und  Waldeck,  die  Historische  Kommission  von  Nassau,  der  Historische 
Verein  für  Unterfranken  und  Aschaffenburg  und  der  genannte  Frankfurter 
Verein  den  Behörden  der  betrefienden  Gebiete  eine  Denkschrift  eingereicht, 
um  die  für  dieses  notwendige  aber  grofsartige  Werk  erforderlichen  Mittel  zu 
beschaffen:  die  auf  zehn  Jahre  zu  verteilenden  Kosten  werden  auf  50000 
Mark  veranschlagt  Als  neues  Unternehmen  wurde  die  Herausgabe  von  Urkund- 
lichen Quellen  zur  Geschiclite  Landgraf  Philipps  des  Großmütigen  beschlossen, 
deren  Bearbeitung  Prof.  Brandi  und  Archivar  Küch  übernommen  haben: 
bis  1904  hoffen  sie  den  ersten  Band  fertigzustellen.  —  Die  Jahresrechnung 
zeigt  eine  Einnahme  von  17  133  M.,  der  nur  eine  Ausgabe  von  5679  M. 
gegenübersteht.  In  den  Vorstand  ist  neu  eingetreten  Oberbürgermeister 
Müller  in  Kassel  und  Generalmajor  z.  D.  Eisentraut  als  Vorsitzender 
des  Vereins  für  hessische  Geschichte  und  Landeskunde.  Gegenwärtig  hat 
die  Kommission  4  Stifter,  43  Patrone  und  76  Mitglieder. 


Die  Historische  Kommission  für  Nassau,  über  welche  in  dieser 
2^itschnft  bisher  noch  nicht  berichtet  wurde,  hat  ihren  dritten  und  vierten 
Jahresbericht  Ende  März  1901  ausgegeben.  Bestimmend  für  diese  Zusammen- 
fassung war  die  Absicht,  das  Geschäfts-  und  Rechnungsjahr  mit  dem  i .  April 
zu  beginnen,  während  der  zweite  Bericht  bis  Mitte  August  1900  geführt  hatte. 
Die  Arbeiten,  welche  sich  die  Kommission  vorgenommen  hat,  sind  die  Ver- 
vollständigung des  Nassauischen  Urkundenbuchs  durch  Archivassistent 
Schaus,  die  Herausgabe  der  Nassauischen  Weistümer,  die  Archiv- 
direktor Wagner  besorgt,  die  Herausgabe  des  Eppsteinschen  Lehn- 
buchs aus  dem  Ende  des  XIII.  Jahrhunderts,  dessen  Bearbeitung  durch 
Archivdirektor  Wagner  bereits  so  weit  gefördert  ist,  dafs  der  Abschlufs  1 902  sicher 
erfolgen  kann,  während  die  Herstellung  einer  Nassauischen  Bibliographie 
Bibliothekar  Zedier  vorbereitet.  Auch  die  Inventarisation  der  kleineren  Archive 
wird  geplant,  aber  bisher  hat  dieses  Unternehmen  noch  nicht  greifbare  Ge- 
stalt gewonnen.  Als  erster  Band  der  „Nassau-Oranischen  Korrespondenzen** 
ist  bereits  1899  (Wiesbaden,  I.  F.  Bergmann)  Der  Kalzenelnbogische  Bh-b folge- 
streit  von  O.  Meinardus  erschienen,  die  erste  Abteilung  (176  S.)  bietet  die 
geschichtliche  Darstellung  bis  zum  Tode  des  Grafen  Heinrich  von  Nassau 
('53^)»  <^>e  zweite  (431  S.)  Briefe  und  Urkunden  1518 — 1538.  Ein  zweiter 
Band  dieser  Serie  ist  im  Druck.  Von  den  „  Quellenschriften  zur  nassauischen 
Rechts-  und  Verfassimgsgeschichte "  ist  bis  jetzt  als  erster  Band  Das  älteste 
Oerichtsbucli    der    Stadt    Wie^sbaden,    herausgegeben  F.    Otto   (Wesbaden, 


I)  Vgl  dieie  Zeitschrift  IL  Bd.,  S.  91—94. 


—     303     — 

I.  F.  Bergmann  1900.  116  S.  S\  M.  3),  erschienen,  als  zweiter  ist,  heraus- 
gegeben von  demselben.  Das  Necrologium  des  Klosters  Klarenthai  bei  Wies- 
baden (ebenda  1901.  120  S.  8*.  M.  3)  gefolgt  —  Wichtiger  noch  als 
die  wissenschaftlichen  Leistmigen  ist  für  die  Kommission  ihre  im  Jahre  1 900 
gesicherte  finanzielle  Grundlage:  1 899/1 900  hatten  die  Einnahmen  nur 
661  M.  betragen,  1 900/1 901  sind  sie  auf  4257  M.  gestiegen,  deim  es  ge- 
währen das  Direktoritmi  der  KgL  Preufsisdien  Staatsarchive  1000  M,  der 
Kommunallandtag  des  Reg.-Bez.  Wiesbaden  1500  M.,  die  Kreise  290  M.  die 
Städte  695  M.  Zuschufs,  wozu  sich  die  eigenen  Einnahmen  der  Kommission 
von  ihren  Gönnern,  aus  dem  Erlös  der  Schriften  u.  s.  w.  gesellen.  Im 
letzten  Rechnungsjahre  steht  den  Einnahmen  von  9 1 1 2  M.  nur  eine  Ausgabe 
von  2000  M.  gegenüber,  so  dafs  über  einen  Kassenbestand  von  7 112  M. 
verfügt  wird.  Vorsitzender  ist  nach  dem  Weggange  des  Archivdirektors 
Meinardus  Professor  Otto  geworden,  Gönner  werden  3,  Mitglieder  76 
gezählt.  Da  das  Necrologiiun  des  Klosters  Klarenthai  in  anderem  Zusammen- 
hange besprochen  werden  wird,  sei  hier  nur  das  Wiesbadener  Gerichtsbuch 
kurz  erwähnt 

Dieses  Gerichtsbuch  gehört  in  die  Jahre  1554  bis  1560,  ist  abo  ver- 
hältnismäfsig  jung,  es  kamen  in  dieser  Zeit  196  Verhandlungen  an  26  Ge- 
richtstagen vor.  Dem  Texte  des  Buches  (S.  51 — 108)  geht  eine  historische 
und  rechtsgeschichtliche  Einleitimg  mit  zwei  Anhängen  (die  Gerichtstage, 
die  Schöffen)  voraus,  S.  i — 48,  während  ein  Register  der  Namen  (S.  109 
bis  116)  und  ein  kurzes  Verzeichnis  einiger  Worte  der  Rechtssprache  die 
Veröffentlichung  abschUefsen.  Der  Inhalt  eines  derartigen  Gerichtsprotokoll- 
buchs ist  an  sich  einförmig  tmd  wenig  reizvoll,  aber  er  zeigt  auf  der  andern 
Seite,  wie  die  Masse  des  Volkes  lebte  und  in  welchen  Fällen  sie  mit  dem 
Gericht  in  Berührung  kam,  nämlich  zum  Schutze  des  Eigentums  an  Grund 
und  Boden  oder  Renten.  Der  Nachdruck  bei  der  Veröffentlichung  liegt  fUr 
den  Forscher,  den  mehr  als  das  rein  örtliche  Interesse  zu  einer  Durchsicht 
reizt,  in  der  Einleitung,  denn  hier  ist  der  ganze  Stoff  übersichtlich  zu  einer 
Darstellung  verarbeitet.  O.  verbreitet  sich  über  Gerichtsbücher  im  allge- 
meinen, das  vorliegende  im  besonderen,  die  in  Wiesbaden  bestehenden  Ge- 
richte und  ihre  Kompetenzen,  die  Verfassung  des  Schöffengerichts,  den 
Schultheifs  und  Büttel.  Klagen  kann  jeder  vor  dem  Gericht,  aber  der  Be- 
klagte mufs  im  Bezirke  angesessen  sein,  im  übrigen  ist  jedoch  Stand  und  Ge- 
schlecht ohne  Emflufs  (S.  19).  Oft  treten  Anwälte  auf,  Gerichtstage  giebt  es 
nicht  über  fünf  im  Jahre,  der  Gerichtsort  ist  das  Stadthaus.  Dem  Ver- 
fiüiren  liegt  die  „  Gerichtsordnung "  zu  Grunde,  die  leider  nicht  erhalten  ist, 
aber  um  1500  entstanden  sein  mufs.  Das  römische  Gerichtsverfahren 
beeinflufst  das  deutsche  recht  wesentlich,  insonderheit  zeigen  sich  Anfänge 
des  schriftlichen  Verfahrens  (S.  31).  Alle  diese  Einzelheiten  lassen  Blicke  in 
das  Rechtsleben  der  Zeit  thun  imd  zwar  auf  Gnmd  von  Einzelfällen,  nicht 
aus  den  abstrakten  Ordnungen  heraus,  die  natürlich  viel  leichter  zugänglich 
sind.  Es  handelt  sich  also  bei  den  Gerichtsbüchem  um  eine  bisher  wenig 
berücksichtigte  Gattung  von  Rechtsquellen,  die  der  allgemeinen  Aufmerksam- 
keit empfohlen  werden  mufs.  Und  zwar  sind  gerade  hier  die  jüngeren 
QueUen  besonders  wichtig,  da  wir  bekanntlich  im  einzelnen  über  die  Be- 
einflussung  des   deutschen  Rechtes   durch    römisch-rechtliche  Anschauungen 


—     304     — 

noch  wenig  unterrichtet  sind  und  die  Gerichtsverfassung,  wie  sie  sich  in  den 
einzelnen  Territorien  im  XVI.  Jahrhundert  ausgebildet  hat,  für  die  Folgezeit 
bis  ins  XIX.  Jahrhundert  von  entscheidendem  Einflufs  gewesen  ist  Mögen 
also  bald  ähnliche  Gerichtsbücher  veröffentlicht  und  in  gleich  übersichtlicher 
und  umfassender  Weise  bearbeitet  werden,  wie  es  von  Otto  geschehen  ist! 

Die  Gesellschaft  für  Rheinische  Geschichtskunde  hat  ihren  Bericht 
über  das  Jahr  1900  etwas  verspätet  ausgehen  lassen,  da  sich  der  Druck 
einer  Beigabe  länger,  als  angenonmien  wurde,  hinzog.  Diese  setzt  die  Inhalts- 
tibersicht über  die  kleineren  Archive  der  Rheinprovinz  *)  fort  und  bietet  in 
der  Bearbeitung  von  Armin  Tille  diesmal  (II.  Bandes  erstes  Heft)  die 
Kreise  Jülich  und  Mayen  auf  gerade  100  Druckseiten.  Im  übrigen  sind  die 
Arbeiten  an  den  Rheinischen  Weistümem,  den  Landtagsakten  von  Jülich-Berg 
erster  und  zweiter  Reihe,  den  Kölner  Universitätsmatrikeln,  den  erzbischöflich- 
kölnischen  Regesten,  der  Jülich'schen  Politik  Kur-Brandenburgs  1610 — 1614 
und  der  Geschichte  des  Kölner  Buchdrucks  in  stetem  Fortgang  begriffen. 
Von  den  Rheinischen  Urbaren  ist  der  von  B.  Hilliger  bearbeitete 
erste  Band,  S.  Pantaleon  in  Köln,  im  Druck  vollendet,  Namensverzeich- 
nis und  Glossar  sowie  die  Einleitung  abgeschlossen.  Die  Fertigstellung  des 
Textes  der  Werdener  Urbare  durch  R.  Kötzschke  steht  unmittelbar  be- 
vor. Die  Einleitung  dazu  ist  wesentlich  entlastet,  da  sich  der  Bearbeiter  in 
einer  eigenen  Schrift:  SiuMen  zw  VerwaUungsgcschidiie  der  Großgrurid^ 
herrschaft  Werden  an  der  liuhr  (Leipzig,  B.  G.  Teubner  1901.  M.  6)  über 
die  wichtigsten  Fragen  verbreitet  hat,  die  in  die  Einleitung  gehören  würden. 
Die  mittelalterlichen  Zunfturkunden  der  Stadt  Köln,  die 
H.  v.  Loesch  herausgiebt,  befinden  sich  im  Druck  und  gehen  ihrem  Ab- 
schlufs  entgegen.  Der  geschichtliche  Atlas  schreitet  rüstig  fort:  die 
kirchlichen  Karten  vor  und  nach  der  Reformation  sowie  die  Territorialkarten 
des  Mittelalters  hat  W.  Fabricius  in  Arbeit,  während  an  den  Staatsarchiven 
zu  Düsseldorf  und  Koblenz  das  QueUenmaterial  systematisch  fUr  die  Zwecke 
des  Atlasses  durchforscht  wird.  Der  erläuternde  Text  zur  Geschichte 
der  Kölner  Malerschule  von  Prof.  Aldenhoven  ist  unter  der  Presse, 
die  vierte  Lieferung  des  Tafelwerkes  vollendet  Die  Regesten  zur  Ge- 
schichte der  Rheinlande  aus  dem  Vatikanischen  Ar chiv  1294 
bis  I  43  I  sind  von  Dr.  Sauerland  ^)  fertiggestellt  und  schon  zum  Teil  ge- 
druckt, und  endlich  die  Romanischen  Wandmalereien  der  Rhein- 
lande, die  P.  Giemen  herausgiebt,  werden  voraussichtlich,  Tafeln  wie  Text, 
noch  im  Laufe  des  Jahres  erscheinen  können.  Als  neue  Publikation  hat 
sich  die  Gesellschaft  entschlossen,  die  ältesten  Konsistorialakten  der 
deutsch -reformierten  Gemeinde  zu  Köln  1572  —  1596  erscheinen 
zu  lassen:   die  Bearbeitimg  hat  Prof.    Simons   in   Bonn   übernommen.  — 

1)  Vgl.  diese.  ZciUchrift  I.  Bd ,  S.  26. 

2)  Derselbe  hat  fUr  die  von  der  „  Gesellschaft  für  lothringische  Geschichte  und  Alter- 
tumskunde''  herausgegebenen  Quellen  zur  lothringischen  Geschichte  als  deren  ersten 
Band  Vatikanische  Urkunden  und  Regesten  tur  Geschichte  Lothringens  bearbeitet  Die 
erste  Abteilung  1294 — 1342  liegt  seit  kurzem  gedruckt  vor  (Metz,  G.  Scriba.  1901. 
441  S.  4").  Es  bedeutet  eine  grofse  Arbeitserspamis,  wenn  ein  Gelehrter  für  mehrere 
Landschaften  diese  unbedingt  notwendige  Arbeit  besorgt,  da  immer  wieder  dieselben  Re- 
gisterbände durchzusehen  sind. 


—     305     — 

Stifter  zählt  die  Gesellschaft  gegenwärtig  7,  Patrone  124,  Mitglieder  177. 
Die  Gesamteinnahme  belief  sich  1900  auf  33421  M.,  die  Ausgabe  nur 
auf  II  424  M.,  das  Vermögen  aber  beziffert  sich  auf  105790  M. 

Aus  der  Mevissen-Stiftung  setzt  die  Gesellschaft  fiir  Rheinische 
Geschichtskunde  einen  Preis  von  je  2000  Mark  auf  die  Lösung  folgender 
Preisaufgaben : 

1.  Organisation  und  Thätigkeit  der  Brandenburgischen  Landesverwaltung 
in  Jülich-Kleve  vom  Ausgange  des  Jahres  16 10  bis  zum  Xantener  Ver- 
trag (1614). 

2.  Die  Entstehung  des  mittelalterlichen  Bürgertums  in  den  Rheinlanden 
bis  zur  Ausbildung  der  Ratsverfassung  (c.  1300).  Verlangt  wird  eine 
systematische  Darstellung  der  Wandlungen  auf  politischem,  rechtlichem  und 
wirtschaftlichem  Gebiet,  welche  die  bürgerliche  Kultur  in  den  Rheinlanden 
seit  dem  10.  Jahrhundert  heraufgeftihrt  haben.  Besondere  Aufmerksamkeit 
ist  dabei  der  Verteilung  und  den  Rechtsverhältnissen  des  Grundbesitzes  so- 
wie den  Wechselbeziehungen  der  Rheinlande  mit  den  Nachbargebieten,  vor 
aUem  mit  der  kommunalen  Bewegung  in  Nordfrankreich  und  den  Nieder- 
landen zuzuwenden. 

3.  Konrad  von  Heresbach  und  seine  Freunde  am  Klevischen  Hofe, 
mit  besonderer  Berücksichtigung  ihres  Einflusses  auf  die  Regierung  der 
Herzöge  Johann  imd  Wilhelm. 

Bewerbungsschriften  sind  ftir  i  und  2  bis  zum  31.  Januar  1904,  ftir 
3  bis  zum  31.  Januar  1905  an  den  Vorsitzenden,  Archivdirektor  Professor 
Dr.  Hansen  in  Köln  einzusenden. 

Vereine.  —  Ein  Historischer  Verein  für  Schwabach  und 
Umgegend  ist  neuerdings  (1901)  entstanden,  er  zählt  schon  58  Mitglieder, 
die  I  Mark  Mitgliedsbeitrag  entrichten.  Erster  Vorsitzender  ist  Dekan 
Dr.  Herold. 

Der  Harzverein  für  Geschichte  und  Altertumskunde,  der 
mit  dem  Sitze  in  Wernigerode  seit  1868  besteht,  besitzt  in  einer  grofsen  An- 
zahl von  Orten  „Ortsvereine",  und  so  auch  seit  1873  in  Braunschweig 
und  WolfenbtitteP).  Dieser  letztere  hat  nun  in  seiner  Sitzung  vom 
6.  Mai  1901  beschlossen,  sich  selbständig  zu  machen  tmd  einen  Geschichts- 
verein für  das  Herzogtum  Braunschweig  zu  gründen.  Das  Ver- 
mögen des  Ortsvereins  wird  Ende  1901  dem  neuen  Vereine  tiberwiesen  werden, 
der  Vorstand  bleibt  in  seiner  bisherigen  Zusammensetzung  bestehen,  Vor- 
sitzender ist  Archivrat  Zimmermann.  Im  Braunschweigischen  Magazin 
(Braunschweig,  Julius  Zwifsler,  erster  Jahrgang  1895)  besafs  der  Ortsverein 
bereits  bisher  neben  der  Zeitsehrift  des  Harzvereins  für  OeschiMe  und 
AUertumskunde  ein,  wenn  auch  nicht  rein  geschichtliches,  eigenes  Organ, 
obwohl  es  äufserlich  nicht  als  solches  bezeichnet  war.  Mit  der  Neugestaltung 
des  Vereins  zu  Braunschweig  tritt  mm  auch  dieses  Herzogtum  in  die  Reihe 


i)  Einen  Überblick  über  die  Geschichte  des  Vereins  während  der  ersten  25  Jahre 
seines  Bestehens  giebt  Zimmermann  im  Braonschweigischen  Magazin  4.  Bd.  (1898), 
S.   185—192. 


—     306     — 

der  Staaten  em^  die  eine  das  ganze  Land  tunspannende  geschichtsforschende 
Vereinsorganisation  besitzen. 

Der  Historische  Verein  für  das  Grofsherzogtum  Hessen, 
der  schon  seit  1834  besteht,  hat  auf  eine  Anregung  von  kirchlicher  Seite 
hin  eine  Abteilung  für  hessische  Kirchengeschichte  ins  Leben 
gerufen.  Zum  Vorsitzenden  derselben  ist  Pfarrer  Lic.  Dr.  Die  hl  in  Hirsch- 
hom  gewählt  worden.  Es  ist  dies  eine  glückliche  Lösung  des  auch  in  diesen 
Blättern  wiederholt  ^)  ausgesprochenen  Gedankens,  die  kirchengeschichtliche 
Forschung  in  beschränkten  Gebieten  intensiv  zu  betreiben,  glücklich  vor  allem 
deswegen,  weil  die  alte  und  angesehene  Organisation,  ihre  Erfiüirung  imd 
hire  Mittel  für  das  neue  Unternehmen  so  viel  besser  nutzbar  gemacht  werden 
können,  als  wenn  ein  ganz  selbständiger  Verein  ins  Leben  tritt  In  der 
Grafschaft  Mark,  wo  seit  1897  ein  Verein  für  die  evangelische  Kirchengeschichte 
blüht ,  mochte  sich  dieses  Verfahren  allerdings  mehr  empfehlen ,  weil  dort 
eine  AngUederung  an  den  Historischen  Verein  für  Dortmund  und 
die  Grafschaft  Mark,  der  seit  1872  besteht,  wohl  Schwierigkeiten  ge- 
habt haben  würde. 

Der  Bergische  Geschichtsverein,  der  seit  1863  mit  dem  Sitze 
in  Elberfeld  besteht,  verfügt  über  1869  einen  Zweigverein  in  Barmen. 
Letzterer  verfügt  über  Bibliothek,  Archiv  und  beträchtliche  Sammlungen,  aber 
erst  im  Jahre  1900  hat  er  in  der  „Ruhmeshalle"  eine  eigene  sichere  und 
dauernde  Heimstätte  gefunden  und  sich  seitdem  zusehends  weiter  entwickelt, 
namentlich  haben  sich  seine  Sammlungen  durch  Geschenke  reichlich  vermehrt 
Die  Stiftung  eines  Privatmannes  (A.  Molineus)  gewährte  dem  Verein  die 
Mittel,  tun  das  zur  Unterbringtmg  seines  Besitzes  notwendige  Mobiliar  in 
genügender  und  würdiger  Weise  zu  beschaffen,  zu  den  Kosten  gewährte  im 
Jahre  1900  die  Stadt  Barmen  ein  Zuschufs  von  iioo  M.,  so  dafs  die  Zu- 
kunft des  Vereins  nicht  nur  gesichert  ist,  sondern  dafs  auch  gröfsere  Atif- 
wendtmgen  gemacht  werden  köimen. 

Über  den  Plan  des  Vereins  für  Geschichte  und  Altertümer 
der  Herzogtümer  Bremen  und  Verden  und  des  Landes  Hadeln, 
in  Stade  ein  Musetmi  zu  errichten,  wurde  schon  früher  berichtet*).  Ntm- 
mehr  sind  bereits  die  Entwürfe  zu  dem  Bau,  der  36000  bis  38000  Mark 
kosten  dürfte,  vorgelegt  und  genehmigt  worden.  Somit  scheint  die  Zeit  für 
den  Beginn  des  Baues  selbst  ntm  bald  gekommen,  voratisgesetzt,  dafs  die 
Untersuchung  des  Batigrundes  genügend  erfretiliche  Ergebnisse  liefert 

Prenf  sisehes  Historisches  Institut  In  Rom. — Nachdem  P.  Leo  XIII. 

die  vatikanischen  Archive  der  gelehrten  Forschtmg  freigegeben  hatte,  wurde  1888 
vornehmlich  atif  das  Betreiben  Heinrichs  von  Sybel  vom  pretifsischen  Kultus- 
ministerium eine  „historische  Station"  in  Rom  errichtet     Sie   erhielt    1890 


1)  VgL  oben   S.  33—40   den  Aufsatt   Ton   O.  Clcmcn   Parttal  -  Kirchengeschichte 
and  die  ErgänzoogeD  dazu  S.   141  and  S.  203 — 210. 

2)  VgL  I.  Band,  S.  248. 


—     307     — 

«ine  festere  Organisation  und  den  Namen  eines  KgL  preufsischen  historischen 
Instituts  (Via  della  Dogana  Vecchia  29,  Palazzo  Giustiniani)  und  wurde 
1898  auf  den  Etat  der  preufsischen  Arcfaiwerwaltung  übertragen.  Man  ging 
«dabei  lursprünglich  in  Berlin  wie  auch  anderwärts  von  der  Vorstellung  aus, 
<lafs  die  Öf&ung  der  päpstlichen  Archive  mit  dem  Pontifikat  Leos  XUI.  ihr 
£nde  erreichen  würde,  und  teilte  die  damals  ganz  allgemein  gehegten  über- 
triebenen Erwartungen  von  der  Bedeutung  der  zu  hebenden  Schätze.  Dem- 
-entsprechend  wurde  deren  Ausbeutung  die  vornehmste  Au%abe  der  Instituts- 
beamten und  sie  haben  darin,  zumal  bei  der  beschränkten  Arbeitszeit  in  Rom, 
durchaus  anerkennenswertes  geleistet.  Je  deutlicher  es  sich  indessen  alsbald 
herausstellte,  dafs  eine  Schliefsung  der  Archive  nicht  mehr  zu  befürchten  sei, 
um  so  mehr  drängten  gar  viele  Geschichtsforscher  auf  eine  Erweiterung  der 
Aufgaben  des  Instituts  und  bereits  1896  erklärte  K.  'fh.  v.  Hei  gel  auf  dem 
4.  deutschen  Historikertage  zu  Innsbrudc,  dafs  „dies  am  leichtesten  zu  erreichen 
wäre,  wenn  das  preufssche  Institut  in  Rom  in  ein  ...  .  deutsches  verwandelt 
würde."  Auch  der  nächste  Historikertag  (Nürnberg,  1898)  beschäftigte  sich 
mit  dieser  Frage,  mufste  aber  angesichts  der  damsüs  bestehenden  Verhältnisse 
jedes  umfassendere  Programm  als  z.  Z.  unerreichbares  Ideal  bezeichnen.  Erst 
seitdem  im  Jahre  1 900  die  Meldung  von  einem  Wechsel  in  der  Leitung  des 
Instituts  durch  die  Tageszeitungen  ging  und  mehrfach  dementiert  und  erneuert 
wurde,  wandte  sich  die  Aufmerksamkeit  der  Fachgenossen  aufs  neue  den 
Verhältnissen  des  römischen  Instituts  zu  imd  tauchte  der  Plan,  das  preufsische 
Institut  in  ein  reichsdeutsches  zu  verwandeln,  wieder  auf.  Bereits  am 
II.  Januar  1901  erschien  in  der  Beilage  der  Allgemeinen  Zeitung  (München) 
ein  Aufsatz,  der  diese  Forderung  stellte,  und  sie  schien  gewissermafsen  in 
der  Luft  zu  liegen,  da,  wie  nachträglich  bekannt  geworden  ist,  auch  bei  der 
Münchener  Akademie  der  Wissenschaften  eine  ähnliche  Anregimg  von  anderer 
Seite  erfolgt  war.  Praktische  Gestalt  gewann  jedoch  der  Vorschlag  erst,  als 
die  Marburger  Professoren  G.  v,  Below,  K.  Brandi  und  G.  Frhr.  v.  d.  Ropp 
eine  Eingabe  an  den  Reichskanzler  ausarbeiteten  und  unter  dem  5.  März 
den  reichsdeutschen  Historikern  in  den  verschiedensten  Stellungen  zur  Unter- 
zeichnung vorlegten  ^).  Sie  fand  im  grofsen  und  ganzen  in  kaum  14  Tagen 
eine  rückhaltlose  Zustimmimg  von  seltener  Einmütigkeit,  und  so  konnte  unter 
Berücksichtigung  einiger  Berichtigungen  bereits  am  20.  März  folgende  Eingabe 
an  den  Reichskanzler  gerichtet  werden: 

Hochgebietender  Herr  Reichskanzler! 
Euer  Excellenz  beehren  sich  die  unterzeichneten  deutschen  Historiker 
die  Bitte  um  Errichtung  eines   Historischen  Reichsinstituts  in   Rom  mit 
folgender  Begründung  zu  unterbreiten. 

Das  Eingehen  der  Abteilung  des  Repertorium  Germanicum  und  die 
.  Ankündigung  eines  Wechsels  in  der  Leitung  bei  dem  preufsischen  historischen 
Institut  in  Rom  haben  seit  Monaten  einen  lebhaften  privaten  und  publi- 
cistischen  Gedankenaustausch  in  der  gelehrten  Welt  hervorgerufen.  Die 
öffentliche  Revision  der  Einrichtungen  dieses  Instituts  hat  bei  aller  An- 
erkennung seiner  bisherigen  Leistungen  doch  zu  der  allgemeinen  Ep^*'^ 


i)  Vgl.  die   Bemerkungen   in   der  „Hbtorischen   Zeitschrift*'  86.  Bd., 
BeUage  zar  „Allgemeinen  Zeitang*'  Nr.  77  vom  3.  April  1901. 


—     308     — 

nis  seiner  Reformbedürftigkeit  geführt,  und  zwar  sowohl  im  Hinblick  auf 
nationale  wie  auf  wissenschaftliche  Erwägimgen.  Wir  beabsichtigen  an 
dieser  Stelle  keine  Kritik  der  inneren  Arbeit  des  Instituts.  Wohl  aber 
glauben  wir  als  Vertreter  der  deutschen  Geschichtswissenschaft  zu  einem 
Urteil  berufen  zu  sein  über  die  bisherige  Bedeutung  des  Instituts  für  das 
Gesamtleben  unserer  Wissenschaft,  wie  über  seine  Stellung  gegenüber  der 
gelehrten  Welt  des  Auslands.  Dafs  uns  für  beides  der  Vergleich  mit 
anderen  deutschen  und  ausländischen  Instituten  zu  Gebote  steht,  giebt 
imserer  Beurteilung  einen  Mafsstab  und  unseren  Wünschen  die  Gewähr 
der  Durchführbarkeit  • 

Die  Idee  des  Historischen  Instituts  in  Rom  stand  zunächst  in  un- 
mittelbarer  Beziehung  zur  Ofihung  des  Vatikanischen  Archivs  durch  Papst 
Leo  XIII.  Als  die  Arbeiten  des  Instituts  begonnen  wurden,  erschien  all- 
gemein als  die  lohnendste  Aufgabe  die  Publikation  der  Berichte  päpstlicher 
Nuntien  aus  Deutschland  während  des  XVI.  und  XVII.  Jahrhunderts. 
Man  nalun  sie  alsbald  in  Angriff  und  seitdem  ist  das  Institut  vorwiegend 
ein  Publikationsinstitut  geblieben;  mit  Stolz  blickt  es  auf  die  stattliche 
Reihe  der  von  ihm  herausgegebenen  Bände  der  Nuntiaturberichte,  auf  den 
Anfang  des  Repertorium  Germanicum  und  auf  die  ersten  Jahrgänge  der 
„Quellen  und  Forschungen  aus  italienischen  Archiven  und  Bibliotheken.**" 
Niemand  verkennt  die  Bedeutung  der  Herausgabe  vor  allem  jener  Nuntiatur- 
berichte für  die  Geschichte  des  Reformationszeitalters,  doch  sind  darüber 
Arbeit  und  Mittel  derartig  in  Anspruch  genommen  worden,  dafs  das  In- 
stitut zu  einer  umfassenderen  Wirksamkeit  niciht  gelangen  konnte  und  auch 
nur  in  beschränktem  Mafse  in  der  Lage  war,  die  Arbeiten  der  Einzelnen 
wie  der  deutschen  gelehrten  Gesellschaften  durch  Beiträge  und  Auskunfts- 
erteilung zu  unterstützen. 

Inzwischen  haben  wir  den  Ruhm,  die  seit  Jahrhunderten  umstrittenen 
Urkunden  für  die  mittelalterlichen  Beziehungen  zwischen  den  Päpsten  und 
den  Kaisern  aufzuspüren,  die  bis  dahin  völlig  vernachlässigte  Diplomatik. 
der  Papsturkunden  zu  begründen,  und  die  ersten  sicheren  Kenntnisse  von 
der  päpstlichen  Verwaltungs-  und  Finanzwirtschaft  des  späteren  Mittelalters- 
zu  gewinnen,  dem  Vorstande  des  österreichischen  Instituts  und  seinem. 
Kreise  überlassen.  Auch  das  grofse  Göttinger  Unternehmen  der  Edition 
aller  älteren  Papsturkunden  und  die  damit  zusammenhängende  umfassende 
Durchforschung  italienischer  Archive  und  Bibliotheken  hat  sich  ohne  jeden 
Zusammenhang  mit  dem  preufsischen  Institut  entwickeln  müssen.  Während 
das  historische  Institut  der  Görresgesellschafl  uns  mit  den  originalen  Quellen 
zur  Geschichte  des  Konzils  von  Trient  beschenkt,  haben  die  französische 
£cole  de  Rome  und  das  Istituto  Austriaco  unter  Leitung  der  hervor- 
ragendsten Forscher  ihrer  Länder  und  unter  Heranziehung  häufig  wechseln- 
der jüngerer  Kräfte  der  Wissenschaft  im  Grofsen  und  im  Kleinen  die  be- 
deutendsten Anregungen  gegeben.  Das  preufsische  Institut  dagegen  hat 
sich  durch  die  Festlegung  auf  seine  Publikationen  und  die  damit  zusanunen- 
hängende  Wertschätzung  dauernder  Mitarbeiter  der  stets  frischen  Initiative 
des  Leiters  und  der  Jahr  für  Jahr  auf  eine  Elite  junger  Leute  ausströmen- 
den Anregungen  bis  zu  einem  gelassen  Grade  begeben.  Gerade  durch 
das  Fehlen  jeglicher  Beziehung  auf  die  Fortbildung   des  Nachwuchses   in 


—     309     — 

Wissenschaft  und  Schtüe  unterscheidet  sich  das  preufsische  historische 
Institut  unseres  Erachtens  zu  seinem  Nachteil  sowohl  von  dem  deutschen 
archäologischen  Institute,  wie  von  den  historischen  Instituten  des  Aus- 
landes. Kann  man  auch  das  Studium  des  Historikers  mit  demjenigen 
<ler  Archäologen  nicht  auf  der  ganzen  Linie  vergleichen,  so  wird  man 
doch  darauf  hinweben  dürfen,  dafs  die  Mitglieder  jener  Institute  seit 
Jahren  den  unvergleichlich  bildenden  Einflufs  eines  Aufenthalts  in  der 
ewigen  Stadt  imd  des  Gedankenaustausches  über  die  verschiedensten 
individuellen  Arbeiten  mit  Nutzen  und  Freude  an  sich  erfahren  haben. 

Ist  also  auf  Grund  der  bisherigen  Beobachtungen  die  Notwendigkeit 
einer  Reorganisation  des  Instituts  gegeben,  so  würde  der  leitende  Gedanke, 
neben  der  Ausbeutung  des  vatikanischen  Archivs,  die  möglichst  umfassende 
Erschliefsung  aller  italienischen  Archive  und  Bibliotheken  fUr  unsere  Ge- 
rschichte ,  sowie  die  Anregimg  tmd  Weiterbildung '  einer  Auslese  jtmger 
Historiker  ohne  Rücksicht  auf  deren  spätere  Verwendung  sein  müssen. 
Daraus  würde  sich  von  selbst  ergeben  die  allgemeinste,  einheitliche  Hilfe- 
leistung für  die  Arbeiten  einzelner  deutscher  Gelehrter  wie  für  die  grofsen 
Unternehmungen  in  der  Heimat.  Für  beides  aber  wäre  die  erste  und 
wichtigste  Voraussetzung,  dafs  auch  bei  unserem  historischen  Institut  die 
Leitung  einer  bedeutenden  und  anregenden  Persönlichkeit  von  begründetem 
wissenschaftlichem  Rufe  übertragen  würde,  deren  persönliche  Autorität  zu- 
gleich die  erwünschte  nachdrückliche  Unterstützung  deutscher  Forschung 
durch  das  ganze  Land  hin  allein  ermöglicht. 

Einer  solchen  Reorganisation  des  Instituts  steht  aber  vor  allem  seine 
aus  etatstechnischen  Gründen  erfolgte  Angliederung  an  die  preufsische 
Archivverwaltung  im  Wege,  Denn  in  der  kleinen  Zahl  älterer  Archivare 
wird  es  stets  sehr  schwer,  oft  ganz  immöglich  sein,  eine  für  den  römischen 
Posten  geeignete  Persönlichheit  ausfindig  zu  machen.  Überhaupt  erscheint 
die  Besetzung  sämtlicher  Stellen  durch  Angehörige  der  Archivverwaltung 
weder  für  die  Wissenschaft  noch  für  die  Archivverwaltung  von  grofsem 
Nutzen.  Endlich  bedeutet  die  gegenwärtige  Organisation  die  thatsächliche 
Ausschliefsung  der  weit  überwiegenden  Menge  deutscher  Historiker,  die 
dem  Lehrberuf  an  Hoch-  und  Mittelschulen  dienen,  von  dem  römischen 
Institut,  so  dafs  die  bedeutenden  Anregungen  „römischer  Lehrjahre'*  der 
Wissenschaft  und  der  Nation  nur  in  beschränktestem  Mafse  zugute  kommen. 

An  sich  wäre  eine  erspriefsliche  Neuordnung  schon  im  Rahmen  eines 
preufsischen  Instituts  ohne  nennenswerte  Steigerung  des  bisherigen  Etats 
durchführbar  und  dankbar  zu  begrüfsen.  AUein  angesichts  der  Thatsache, 
dafs  es  sich  bei  den  Arbeiten  in  Rom  und  in  Italien  durchaus  um  gesamt- 
deutsche Interessen  handelt,  kann  eine  würdige  Vertretung  und  zweckmäfsige 
Förderung  der  deutschen  Geschichtsforschung  in  Italien  auf  die  Dauer 
nur  durch  ein  Reichsinstitut  geschehen.  Der  bisherige  Zustand  brachte 
«s  mit  sich,  dafs  neben  einander  tmd  ohne  nähere  Fühlung  preufsische 
tmd  bayerische,  württembergische,  sächsische,  badische  imd  elsässische 
Archivare  imd  Historiker  die  römischen  Archive  je  im  Auftrage  ihrer 
Landesregierungen  für  ihre  landschaftlichen  Publikationen  ausbeuteten. 
Begreiflicherweise  arbeiteten  sie  alle  mit  unverhältnismäfsigem  Aufwand  an 
Kräften  und  an  Mitteln,   ganz  zu  schweigen  von  dem  unerfreulichen  Ein- 


—     310     — 

druck,  den  die  Zersplitterung  der  deutschen  Arbeit  dem  Auslande  hinter- 
liefs.  Dagegen  würde  durch  die  Vereinigung  der  bisher  für  einzehie  Auf- 
träge aufgewandten  Mittel  dem  Reichsinstitut  eine  durchaus  zureichende 
Grundlage  gegeben  werden  können,  durch  das  Zusammenarbeiten  und  den 
Wetteifer  von  Stipendiaten  aus  allen  deutschen  Landschaften  der  Wissen- 
schaft wie  dem  Reiche  gedient  werden.  Nicht  zuletzt  aber  würde  ei» 
nach  dem  Vorbild  des  archäologischen  Instituts  und  der  Monumenta 
Germaniae  der  Reichsregierung  unterstelltes  und  mit  Reichsstipendien  aus- 
gestattetes Historisches  Institut  sich  erst  des  ganzen  wünschenswerten  An- 
sehens im  In-  und  Auslande  erfreuen  und  damit  ein  lebensfähiges  uud 
lebenspendendes  Organ  der  grofsen  deutschen  Wissenschaft  wie  unserer 
internationalen  Beziehungen  sein; 

Indem  wir  diese  Darlegungen  Euer  Excellenz  unterbreiten,  geben  wir 
uns  der  Hof&ung  hin,  dafs  es  Euer  Excellenz  gefallen  möge,  Ihren  Namen 
auf  immer  zu  verknüpfen  mit  der  Schöpfung  einer  Institution,  die  nicht 
nur  der  strengen  Wissenschaft,  sondern  auch  dem  gegenseitigen  Verständ- 
nis der  beiden  durch  alte  Bande  der  Kultur  verbundenen  Nationen  zu 
dienen  benifen  sein  würde.  Euer  Excellenz  gehorsamste  (folgen  Unter- 
schriften). 

Eingegangene  Bücher. 

Dittrich:  Böttichers  Inventarisation  der  Bau-  und  Kunstdenkmäler  Ermlands 
[=  Zeitschrift  für  die  Geschichte  und  Altertumskunde  Ermlands,  Jahr- 
gang   1895.     II.  Bd.,  S.  261 — 327.) 

Dufour  Feronce,  Albert :  Hundertfünfzig  Jahre  einer  deutschen  Drogen- 
handlung, 1750 — 1900.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  ihrer  Firma,  heraus- 
gegeben am  7.  Februar  1900  von  Brückner,  Lampe  &  Co.,  Leipzig,. 
Berlin,  Hamburg.     36  S.  grofs  8®. 

Eschbach,  P. :  Herzog  Gerhard  von  Jtilich-Berg  und  sein  Marschali  Johann 
vom  Haus,  ein  Beitrag  zur  Finanz-  und  Rechtsgeschichte  des  Herzogtums 
Berg  im  15.  Jahrhundert  [Sonderabdruck  aus  Jahrbuch  XIV.  des 
Düsseldorfer  Geschichtsvereins.]     23  S.  8*. 

Feyerabend,  Ludwig  und  Virchow,  Rudolf:  Der  arabische  Hack- 
silberfund von  Meschwitz  bei  Bautzen.  [=  Jahreshefte  der  GeseUschaft 
für  Anthropologie  und  Urgeschichte  der  Oberlausitz.  4.  Heft.  1894, 
S.  220 — 228.] 

Finck,  Emil:  Die  Versorgung  einer  Stadt  mit  Fleisch  und  Brot  vor  400 
Jahren.  [=  Mitteilungen  des  Vereins  fiir  Geschichte  von  Annaberg  und 
Umgegend  Vü.     Jahrbuch  1898 — 1900,  S.  93 — 146.] 

Foltz,  Max:  Beiträge  zur  Geschichte  des  Patriziats  in  den  deutschen  Städten 
vor  dem  Ausbruch  der  Zunftkämpfe  (Strafsburg,  Basel,  Wonns,  Frei- 
burg L  B.).     Marburg,  Elwert,  1899.     91  S.  8^ 

Giannoni,  Carl:  Die  Privilegien  und  das  Archiv  des  Marktes  Gumpolds- 
kirchen  [Separatabdruck  aus  den  Blättern  des  Vereins  für  Landeskunde 
von  Niederösterreich  1899.]     16  S.  S^, 

G  o  1  d  m  a  n  n ,  Salka :  Danziger  Verfassungskämpfe  unter  polnischer  Herrschaft. 


—     311     — 

[=  Leipziger  Studien  aus  dem  Gebiet  der  Geschichte,  VII, 2.]    Leipzigs 
B.  G.  Teubner  1901.     121  S.  8*.     M.  4. 
GumplowicZy   L. :    Die  Studien  Max  Gumplowicz's   über   Balduin   Gallus^ 
den   ersten   Chronisten   Polens.     [=  Historische   Monatsblätter   für   die 
Provinz  Posen.     Jahrgang  II  (1901)  Heft  2.J 

Haupt,  Herman:  Renatus  Karl  Frhr.  v.  Senckenberg  (1751  — 1800),  Fest- 
schrift der  Grofsherzoglichen  Ludwigsimiversität  zu  Giefsen.  Giefsen,. 
Otto  Kindt,  1900.     60  S.  8«. 

Die  Heimat,  Monatsschrift  des  Vereins  zur  Pflege  der  Natur-  imd  Landes- 
kunde in  Schleswig  -  Holstein ,  Hamburg,  Lübeck  tmd  dem  Fürstentunk 
Lübeck.     II.  Jahrgang  (1901).     Nr.  6  (Juni),  S.   105 — 124. 

Henner,  Theodor:  Der  Historische  Verein  von  Unterfranken  imd  Aschaffen- 
burg in  seinem  60  jährigen  Wirken.  Würzburg,  Verlag  des  Historischen 
Vereins  von  Unterfranken  und  Aschaffenburg,   1893.     106  S.  8^^. 

Derselbe :  Eine  Doppelwahl  fiir  den  Würzburger  Bischofsstuhl  im  Jahre  1 3 1 4» 
[Archiv  des  Historischen  Vereins  von  Unterfranken  tmd  Aschaffenburg» 
42  Bd.,   1900.     S.  57 — 74.] 

Heydenreich,  Eduard:  Das  Archiv  der  Stadt  Mühlhausen  in  Thüringen, 
Mühlhausen,  Karl  Albrecht,   1901.     66  S.  40. 

Hipler,  Franz:  Zur  Geschichte  des  Weinhandels  in  Ermland.  [=  Zeit- 
schrift ftir  die  Geschichte  und  Altertumskunde  Ermlands,  Jahrgang  1895.. 
II.  Bd.,  S.  327 — 331.] 

Höfsle,  Friedrich  von:  Geschichte  der  alten  Papiermühlen  im  ehemaligen 
Stift  Kempten  und  in  der  Reichsstadt  Kempten.  Kempten,  Jos.  Kösel^ 
1901.     109  S.  4^.     M.  4. 

Ilwolf,  Franz:  Der  provisorische  Landtag  des  Herzogtums  Steiermark  im 
Jahre  1848.  [=  Forschungen  zur  Verfassungs-  und  Verwaltungsgeschichte 
der  Steiermark.     IV.  Bd.,  2.  Heft.]     Graz,  Styria,  1901.     153  S.  8^. 

Jaeger:  Geschichte  der  Stadt  Alsfeld.  Alsfeld,  Friedrich  Ehrenklau,  1898. 
19  S.  8«. 

Jentsch,  Hugo:  Kirchliche  Erinnenmgen  aus  der  vorreformatorischen  Zeit 
Gubens,  das  Todtenbuch  des  St.  Michaels-  oder  Schusteraltars  der  Stadt- 
kirche.    Guben,  Albert  Koenig,  1901.     63  S.  8<>. 

Kolb:  Des  Haller  Chronisten  Georg  Widman  Leben  (f  1560)  und  die 
Handschriften  der  Widman*schen  Chronik.  [=  Würtembergisch  Franken^ 
Neue  Folge  VL     Schw.  Hall  1897.     S.  21— 77]. 

K  ob  erlin,    Alfred:    Ein   Bamberger    Echtbuch    (Über    proscriptorum)   von  ' 
14 14 — 1444.     [Sonderabdruck  aus   dem  60.  Berichte   des  Historischen 
Vereins  Bamberg,   1899.] 

Liermann,  Otto:  Henricus  Petreus  Herdesianus  und  die  Frankfurter  Lehr- 
pläne nebst  Schulordnungen  von  1579  und  1599.  [Programm  des 
Goethe-Gymnasiums  in  Frankfurt  a.  M.,   1901.]     63  S.  4^. 

Der  Römische  Limes  in  Österreich.  Heft  i  mit  14  Tafeln  und  35  Figuren 
im  Text.     Wien,  Alfred  Holder,   1900.     144  Sp.  4^. 

Lippert,  Friedrich:  Geschichte  der  Gegenreformation  in  Staat,  Kirche  und 
Sitte  der  Oberfalz -Kurpfalz  zur  Zeit  des  dreifsigjährigen  Krieges.  Frei- 
bürg  i.  B.,  Paul  Waetzel,  1901.     265  S.  8®. 

L  o  e  s  c  h  e ,  Georg :  Bibliographie  über  die  den  Protestantismus  in  Österreich 


—     312     — 

betreffenden  Erscheinungen  des  Jahres  1899.  [Jahrbuch  der  Gesellschaft 
für  die  Geschichte  des  Protestantismus  in  Österreich.  21.  Jahrgang,  1900. 
S.  243—254.] 

Lorenz,  Hermann:  Die  EinfUhnmg  der  Brandenburg- Preufsischen  Landes- 
hoheit in  die  Stadt  Quedlinburg  imd  die  Feier  des  Krönungstages  da- 
selbst am  17.  imd  18.  Januar  1701.  Quedlinburg,  Chr.  Friedr.  Vieweg, 
1901.     32  S.  8®. 

Lutze,  G:  Die  Chronikenschreiber  der  Stadt  Sondershausen.  [Jahresbericht 
der  Fürstlichen  Realschule  zu  Sondershausen  1 900/1 901.]     19  S.  4^. 

Mentz,  F.:  BiUiographie  der  deutschen  Mundartenforschung  für  die  Jahre 
1898  und  1899  nebst  Nachträgen  aus  früherer  Zeit     27  S.  8^ 

Mestorf,  J. :  Die  Hacksilberfimde  im  Museum  vaterländischer  Altertümer 
zu  Kiel.  [=  Mitteilungen  des  Anthropologischen  Vereins  in  Schleswig- 
Holstein.     8.  Heft  Kiel  1895.     S.  3 — 12.] 

Meyer,  Eduard:  Geschichte  des  Altertums.  Dritter  Band:  Das  Perserreich 
und  die  Griechen,  erste  Hälfte:  Bis  zu  den  Friedensschlüssen  von  448 
und  446  V.  Chr.     Stuttgart,  J.  G.  Cotta,   1901.     691  S.  8®. 

Meyer,  M. :  Die  Säkularisation  der  Klöster  im  Regierungsbezirk  Bromberg. 
[Zeitschrift  der  Historischen  Gesellschaft  für  die  Provinz  Posen.  15.  Jahr- 
gang, S.   161 — 202.] 

Morf,  Heinrich:  Deutsche  imd  Romanen  in  der  Schweiz.  Zürich,  Fäsi 
und  Beer,   1901.     61   S.  8®,     M.   1,20. 

Mummenhoff,  £.:  Das  Komhaus  bei  St.  Klara,  die  Maut  imd  die  übrigen 
Komhäuser  der  Reichsstadt  Nürnberg.  [Amtsblatt  der  Stadt  Nürnberg. 
3.  Jahrgang  (1899),  Nr.  5,  8,   11,   14.] 

Nelle:  Die  evangelischen  Gesangbücher  der  Städte  Dortmund,  Essen,  Soest, 
Lippstadt  und  der  Grafschaft  Mark.  [=  Jahrbuch  des  Vereins  für  die 
evangelische  Kirchengeschichte  der  Grafschaft  Mark.  3.  Jahig.  1901. 
S.  86 — 201. 

Nuglisch,  Adolf:  Das  Finanzwesen  des  deutschen  Reiches  unter  Kaiser 
Sigmund.  [Jahrbücher  für  Nationalökonomie  und  Statistik.  III.  Folge, 
Bd.  20,  S.   145 — 167.] 

Obst,  Emil:  Muldenstein  bei  Bitterfeld  imd  das  ehemalige  Kloster  Stein- 
Lausigk.  Ein  Stück  Kultur-  und  Reformationsgeschichte.  Bitterfeld  1895. 
36  S.  80.     M.  0.75. 

Pape,  Richard:  Hans  von  Sagan,  eine  monographische  Studie  zur  Geschichte 
des  deutschen  Handwerks.  Königsberg  i.  Pr.,  Schubert  und  Seidel, 
1900.     57  S.  8^ 

Penn  rieh,  Alfred:  Die  Urkundenfälschungen  des  Reichskanzlers  Caspar 
Schlick  nebst  Beiträgen  zu  seinem  Leben.  Gotha,  Friedrich  Andreas 
Perthes,   1901.     87  S.  8^     M.   1.20. 

Platen,  Paul:  Der  Ursprung  der  Rolande.  [40.  Jahresbericht  des  Vitz- 
thumschen  Gymnasiums  in  Dresden  1901.]     34  S.  4^^. 

Publications  de  la  socidt^  historique  et  archdologique  dans  le  duch^  de 
Limbourg.  Tome  XXXVI.  Nouvelle  sdrie  tome  XVI.  Macstricht, 
Lciter-Nypcls,   1900.     499  S.  8^ 

Herausgeher  Dr.  Armin  Tille  in  Leipzig.  —  Druck  und  Vering  von  Friedrieh  Andren«  Perthes  in  Gothn. 


Deutsche  GescWchtsblätter 

Monatsschrift 


unter  Mitwirkung  von 

Prof.  Bachmum-Frag,  Prof.  Brejraig-Berlin,  Prof.  Brler-Königiberg, 
Prof.  Plnke-Freiburg  i.  B.,  Arcbivdirektor  Prof.  Hansen-Küla,  Prof.  v.  Hefgel-MliDchen, 
Prof.  Henner-Wilnbarg,  Sectiontcher  v.  Inama-Stemegg^-WicD,  Prof.  Kolde-Erlangen, 

Prof.  KosalnDK-Berlio,  Arcbivrat  Krieger-KarlsrnhE,  Prof.   Lamprecbt'Leipzij;, 

Archivral  W.  Lippert-Dresden,  Archivar  Merx-Osaabrilck,  Prof.  MQhlb>cher-Wieii, 

Prof.  V.  Ottentbal-InnsbrDck,  Prof.  Osw.  Sedlicli-Wien,  Prof.  v.  d.  Ropp-Marbnrg, 

Prof.  A.  Schulte- Breslau,  Archivrat  Sello-Oldenburg,  Geh.  Arcbivrat  Stälin-SlDttKarl, 

Archivrat  WüBchke-Zerbsl,  Prof.  Weber-Prag,  Prot.  Wenck-Marbnrg, 

Archivrat  Winter-OsnabrUck,  Archivar  Wine-Schnerin, 

Prof.  V.  Zwi•djlMck•aadenbon^G^aI 

heiausgegebcD  von 

Dr.  Armin  Tille 


XXI.  Band 


Gotha 

Friedrich  Andreae 
1902 


Atif Sätze :  s«tte 

Albert,  Peter  P.  (Freiburg  L  B.):  Ortsgeschichte 193 — ao8 

Caro»  Qeorg  (Zürich):  Zur  Grundbesittverteilung  in  der  Karolingerteit   .  65 — 76 

Hoemes»  Moris  (Wien):  Deutschlands  neoUthische  Altertümer     ....  145 — 152 
Käser,  Kurt  (Wien):  Zur  politischen  und  soMiälen  Bewegung  im  deutschen 

Bürgertum  des  XV,  und  XVL  Jahrhunderts      .     .     i — 18  und  49—60 
K5ts8chke,  Rudolf  (Leipzig) :  Ortsflur ^  politischer  Gemeindehezirk  und  Kirch- 
spiel   273—295 

Lippert,  Woldexnar  (Dresden) :  Die  Oberlausitzische  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  ihr  Neues  Lausitzisches  Magazin 18 — 22 

Bfütebeck,  Ernst  (Metz) :  Zur  Geschichte  der  landesgeschichtlichen  Forschung 

in  Lothringen 121 — 129  und  192 

Polacsek»   Ernst   (Strafsburg):   Der  Fortgang  der   deutschen  Denkmäler- 

inventarisation 137 — 144 

Schnapper- Arndt  9  O.  (Frankfurt  a.  M.):  Aus  dem  Budget  zweier  Schuh- 
machergesellen des  XVIL  Jahrhunderts 77 — 85 

Sello»  O.  (Oldenburg) :  Nachträgliches  und  Neues  zur  Literatur  der  Roland- 
Bildsäulen       33—48 

Tille,  Armin  (Leipzig):  Das  Xxermanische  Museum 261  —  271 

Väncsa,  Max  (Wien):  Historische  Topographie  mit  besonderer  Berück- 
sichtigung Niederösterreichs 97 — 109  und  129 — 137 

Weber,    Ottocar   (Prag):    Der    Verein  für    Geschichte  der  Deutschen   in 

Böhmen 167— 172 

Wehrmann,  Martin  (Stettin):  Landesgeschichtliche  Lehr-  und  Lesebücher  ,  225 — 235 

Winter,  Georg  (Osnabrück):  Aus  pommerschen  Stadtarchiven  249 — 261  und  295 — 306 

Witte,  Hans  (Schwerin):   Ortsnamenforschung  und   Wirtschaftsgeschichte ,  153 — 166 

und  209 — 217 

Mitteilungen: 

Archive :  Inventare  des  Grofsherzoglich  Badischen  Landesarchivs  23 ;  Urkunden 
des  Heiliggeistspitals  in  Freiburg  i.  B.  23 — 25;  Stadtarchiv 
Wien  91—94;  Vereeniging  van  archivarisien  in  Nederland 
109— 112;  Archiv  der  Stadt  Hermannstadt  und  der  sächsischen 
Nation  112 — 113  und  172 — 173;  Stadtarchive  in  der  Provinz 
Posen  173 — 174;  Archiv  des  fürstlichen  Hauses  Castell  174; 
Inventare  Kölner  Pfarrarchive  217 — 220 ;  Stadtarchiv  Alten- 
burg 220 — 221;  Stadtarchiv  Borna  221;  Archivpflege  in  der 
Pfalz  235—237;  Dritter  Archivtag  307 — 308. 

Berichtigungen 192,  223—224,  248,  320 


Seite 
Denkmalpflege:   Zweiter  Tag  für  D.  in  Freibarg  1901  61 — 63;   Dritter   in 

Düsseldorf  1902 308 

Deutsch  als  Urkundensprache  (Max  Vancsa) 117 — 120 

Eingegangene  BOcher    31—32»  64,  95—96,  120,  144,  191— 192,  223, 

246—248,  271—272,  320 

Pamilienforschung  (Armin  Tille) 182 — 185 

Pranxosenkrankheit  (Armin  Tille) 314 — 320 

Pundseichen  (Anthes) 91,  237—242 

Oesamtverein  der  deutschen  Oeschichts-  und  Altertumsvereine:  Ver- 
sammlang in  Freibarg  1901,  85— 91;  in  Düsseldorf  1902.  .  306 — 307 
Historische  Kommissionen:  Daisburg  25;  Heidelberg  26 — 27;  Württem- 
berg 185—186;  Bayern  186;  Baden  186—187;  Königreich 
Sachsen  187;  Westfalen  221—223;  Lothringen  242;  Gesell- 
schaft fUr  Rheinische  Geschichtskande  243  ;  Sachsen  -  Anhalt 
312 — 313;  Hessen  and  Waldeck  313;  Thüringen  313 — 314. 

Landesgeschichte  im  Unterrichte 113 — 117 

Landesgeschichtliche  Bibliographie  (Armin  Tille) 178  —  182 

Merian 223 — 224 

Nekrologe:  Ludwig  Leiner  (Konrad  Beyerle)  27 — 30;  Gustav  Veesenmeyer 
94;  Josef  Edmand  Jörg  95  und  192;  Heinrich  Gengier  (Th. 
Kolde)  187—188;  Karl  von  Hegel  (Th.  Kolde)  188—189; 
Alfred  Köberlin  243-246. 

Personalien 30—3  *>  189—191 

Vereine:   Verein  für  die  Gcschiclite  Leipzigs    174     175;   Verein   für  Roch- 
litzer  Geschichte  175—178;  Verein  für  Thüringische  Geschichte 
und  Altertumskunde  308 — 31 1 ;  Deutsch-Amerikanische  Historische 
Gesellschaft  von  Illinois  311 — 312. 
Versammlung  deutscher  Philologen  und  SchulmSnner  1901     ....  63 — 64 

Zeiller 224,  320 


Deutsche  Ceschichtsblätter 

Monatsschrift 


cur 


Forderung  der  landesgescMcbtlicben  Forscbung 

III.  Band  Oktober  1901  i.  Heft 


Zur  politisehen  und  sozialen  fiewregung 
im  deutsehen  Bürgertum  des  XV.  und  XVL 

Jahrhunderts 

Von 
Kurt  Käser  (Wien) 

Vorliegende  Abhandlung  soll  ein  Nachwort  sein  zu  meinem  1899 
erschienenen  Buche:  Politische  und  soziale  Bewegungen  im  deut- 
sehen  Bürgertum  zu  Beginn  des  XVL  Jahrhunderts,  (Stuttgart, 
W.  Kohlhammer.]  Ich  verbinde  damit  den  dreifachen  Zweck,  erstens 
den  im  Buche  gebotenen  Stoff  nach  manchen  Richtungen  hin  zu  er- 
gänzen, zweitens  die  allerdings  nur  sehr  wenigen  neueren  Arbeiten 
über  denselben  Gegenstand  in  Kürze  zu  besprechen  imd  endlich  — 
dies  ist  für  mich  das  Wichtigste  —  die  Forschimg  und  zwar  namentlich 
die  orts-  und  landesgeschichtliche  Forschung  hinzuweisen  auf  das,  was 
noch  zu  thun  bleibt. 

In  der  Einleitung  meines  Buches  habe  ich  auch  die  städtischen 
Bewegungen  des  XV.  Jahrhunderts  gestreift  und  in  politische  und 
soziale  geschieden.  Über  erstere  Gruppe  seien  mir  noch  zwei 
Bemerkungen  gestattet.  Die  zünftig- demokratische  Bewegung,  die 
schon  in  der  zweiten  Hälfte  des  XIV.  Jahrhunderts  auch  den  deutschen 
Norden  berührt  *),  regt  sich  dort  mit  erneuter  Energie  zu  Beginn  des 
XV.  Jahrhunderts.  Dauernde  Erfolge  bleiben  ihr  indes  ebenso  ver- 
sagt, wie  später  zur  Zeit  Jürgen  Wullenwevers.  Der  Boden  der  Hansa 
erweist  sich  einer  demokratischen  Stadtherrschaft  weit  weniger  zu- 
gänglich als  der  deutsche  Süden  und  Westen.  Manche  der  politischen 
Bewegungen  des  XV.  Jahrhunderts  bilden  eine  direkte  Fortsetzung 
früherer:    sie   zielen    ab    auf  die  Vernichtung   der  noch  bestehenden 


i)  K.  W.  Nitzsch,  GeschtchU  des  deutschen   Volkes^  III.  298. 

1 


—     2     — 

Rechte  patrizischer  Herrschaft,  auf  die  Vollendung  der  Demokratie, 
z.  B.  in  Braunschweig,  Mainz  und  Halle  '). 

Eine  genauere  Betrachtung  dieser  politischen  Kämpfe  *)  gehört 
jedoch  in  einen  anderen  Zusammenhang.  Wichtiger  ist  es  fiir  die 
künftige  Forschung,  den  sozialen  Bewegungen  des  XV.  Jahrhunderts 
weiter  nachzugehen,  die  ich  einstweilen  nur  für  Magdeburg,  Braun- 
schweig, Rostock  und  Hamburg  feststellen  konnte.  Es  Heise  sich 
vielleicht  auch  der  Streik  der  Hallenser  Salzwirker  von  1474  heran- 
ziehen, eine  Episode  in  dem  mehrjährigen  Kampfe  der  Handwerker 
und  der  Gemeinde  gegen  die  Trümmer  des  pfannerschafUichen  R^- 
ments  ').  Lohnstreitigkeiten  mit  den  Bommeistern  und  den  Schöffen 
im  „Thal"  veranlagten  die  Wirker  und  Jahrknechte  zur  Einstellung 
der  Arbeit.  Markus  Spittendorf,  der  uns  diese  Dinge  erzählt,  giebt 
unverhohlen  der  Meinung  Ausdruck,  der  Streik  sei  von  der  demo- 
kratischen Partei  zur  Schwächung  der  Pfanner  angezettelt  worden. 

Auch  der  Konflikt  zwischen  Augsburger  Webern  und  Kaufleuten 
von  1491 ,  der  uns  nur  durch  eine  kurze  Notiz  Stettens  überliefert 
ist,  gehört  in  die  Reihe  der  Sozialrevolutionären  Erscheinungen  des 
XV.  Jahrhunderts  und  verdiente  eine  gründliche  Untersuchung  *). 

Vielleicht  viel  mehr  noch  als  für  das  XV.  Jahrhundert  bleibt  zu 
thun  für  die  städtischen  Unruhen  innerhalb  der  zwei  ersten  Dezennien 
des  XVI.  Jahrhunderts.  Peter  Albinus  und  nach  ihm  der  Zwickauer 
Chronist  Schmidt  erzählen  von  einem  gefahrlichen  Aufruhr  des 
Zwickauer  Pöbels,  den  der  gelehrte  Jurist  Dr.  Kilian  König,  von 
1498 — 1505  Mitglied  des  Stadtrats,  durch  seine  Beredsamkeit  gedämpft 
habe.  Sonst  soll  nichts  darüber  bekannt  sein;  vielleicht  liefsen  sich  aber 
doch  noch  archivalische  Nachrichten  über  dieses  Ereignis  ermitteln  ^). 

Nicht  erwähnt  habe  ich  den  KonflUct  zwischen  Rat  und  Bürger- 
schaft ,    besonders    den  Handwerkern  in  Kamenz  ^).     In  den  Städten 

1)  Städtechroniken  16,  332—335;  LII— LIV,  86,  87.  Mein  Buch  S.  19.  Hertzberg,. 
Geschichte  von  Halle  I,  314.  327.  468. 

2)  Ober  Reibungen  zwischen  Rat  and  Gemeinde  zu  Torgaa  (1456  and  1481),  ofifenbar  der 
Finanzgebarong  des  ersteren  wegen  s.  Knabe,  Urkunden  der  Stadt  T.  bis  zar  Reformation,  S.  5  2  fif. 

3)  Denkwürdigkeiten  des  Ratsmeisters  Markus  Spittendorf  in  „  GeschichtsqueUen  der 
Provinz  Sachsen",  Bd.  11  (1880),  S.  26—29.  Über  Bürgerunruhen  in  Naomhurg  1450 £t. 
vgl.  Ernst  Hoffmann,  Naumburg  a.  S.,  im  Zeitalter  der  Reformation,  ein  Beitrag  zur  Geschichte 
der  Stadt  u.  des  Bistums.  [^  Leipziger  Studien  aus  dem  Gebiet  der  Geschichte  VII.  i.} 
Leipzig,  L.  G.  Teubner,  1901.    Die  Arbeit  ist  mir  leider  im  Augenblick  nicht  zugänglich» 

4)  V.  Stetten,  Geschichte  Augsburgs  I,  232.  233. 

5)  Archiv  f.  sächs.  Gesch.  Bd.  ii.  (1873),  S*  2^* 

6)  Knothe,  Geschichte  des  Tuchmacherhandwerks  in  der  Oberlausitz,  Niederlau* 
sitzisches  Magazin,  58.  Bd.  (1882),  S.  331.  332. 


—     3     — 

der  Oberlausitz  waren  die  Unterschiede  des  Besitzes  scharf  ausgeprägt, 
auch  hier  streben  die  Handwerker,  in  erster  Linie  die  Tuchmacher, 
trotz  ihres  geringeren  Wohlstandes  im  Vertrauen  auf  ihre  Zahl  und 
Bedeutung  schon  seit  dem  XIV.  Jahrhundert  nach  einem  gesicherten 
Anteil  am  Stadtr^ment  ^).  Diese  Bestrebungen  dauern  zum  Teil  bis 
ins  XVI.  Jahrhundert  fort.  In  Kamenz  erhob  sich  am  i8.  Dezember 
1508  ein  heftiger  Aufstand  der  Handwerker  gegen  den  Rat,  der  sich 
durch  inkorrekte  Finanz  Wirtschaft,  durch  Willkür  und  Parteilichkeit 
verha&t  gemacht  hatte.  Nach  einer  Zeit  völliger  Anarchie  kam  es 
zur  Auflichtung  eines  unfähigen,  sich  rein  auf  den  Pöbel  stützenden 
demokratischen  Regiments,  das  15 11  auf  Betreiben  der  gestürzten 
Partei  von  König  Wladislaw  wieder  beseitigt  wurde. 

Von  den  Aufständen  der  Jahre  1509  bis  15 14,  die  ich  in  meine 
Darstellung  einbezogen  habe,  sollten  einige  noch  zum  G^enstand 
einer  tiefer  eindringenden  Forschung  gemacht  werden.  So  der  Auf- 
stand zu  Gdttingen  (15 13),  von  dem  wir  bis  jetzt  nur  durch  einen 
einzigen,  noch  dazu  unvollständigen  Bericht  Kunde  erhalten,  dann  die 
bürgerlichen  Zwistigkeiten  in  Höxter »  von  denen  tms  einstweilen  nur 
das  Ergebnis,  nämlich  der  durch  den  Abt  Franz  von  Corvey  zwischen 
Rat  und  Gemeinde  aufgerichtete  Vertrag  überliefert  ist.  Sehr  dankens- 
wert wäre  auch  eine  gründlichere  Erforschung  der  interessanten  Vor- 
gänge in  Lüttich  um  die  Wende  der  Jahre  15 12  und  15 13,  die  wir 
vor  der  Hand  nur  aus  chronikalischen  Berichten  kennen.  Auch  fiir  den 
Schweinfurter  Aufstand  (15 13)  liefse  sich  das  Material  vielleicht  noch 
vervollständigen,  das  einstweilen  nur  aus  zwei  Volksliedern  bei  Liliencron 
imd  dürftigen  urkundlichen  Nachweisen  in  den  Monumenta  StUiu 
furtensia  besteht.  Endlich  liefse  sich  der  Hinweis  Müllers  ')  auf  die 
in  jenen  Jahren  zwischen  Rat  und  Gemeinde  von  Nördlingen  statt- 
findenden Reibungen  vielleicht  noch  weiter  verfolgen.  Vor  allem  aber 
möchte  ich  die  Aufmerksamkeit  der  Forschung  lenken  auf  den 
Regensburger  Aufstand  von  15 12  und  15 13,  in  dessen  Verlauf  sich, 
wie  es  scheint,  eine  sozialistische  Partei  der  Führung  bemächtigt  hat. 
Wir  kennen  die  Bewegung  nur  aus  dem  verschwommenen,  abgerissenen 
Bericht  des  R^ensburger  Chronisten  Leonhard  Widmann  und  aus 
der  zwar  aktenmäfsigen ,  aber  gleichfalls  wirren  und  ungeordneten 
Darstellung  Gemeiners.  Eine  Untersuchung  auf  Grund  der  Akten  selbst 
wäre  hier  dringend  notwendig  •). 

i)  Knothe  a.  a.  O.  S.  310—312. 

2)  Zeitschrift  des  Vereins  f.  Gesch.  v.  Schwaben  n.  Nenburg,  Bd.  XVII,  S.  12. 

3)  Die  genaueren  QaeUennachweise  s.  in  meinem  Bache  S.  157 — 163. 165. 175— -i*'^ 


—     4     — 

Ganz  unaufgeklärt  sind  auch  noch  die  Ereignisse  in  Nordhausen, 
die  nach  einer  Notiz  des  Vigneulles  zu  blutigem  Ausgang  gefuhrt 
haben  *).  Aufeer  den  von  mir  behandelten  Aufständen  berichtet 
Trithemius*)  für  die  Jahre  15 12  und  15 13  von  Unruhen  in  Deventer, 
Andernach,  Lübeck.  Hier  bieten  sich  also  der  Forschung  noch  ganz 
unberührte  Aufgaben,  denn  vor  allem  wäre  die  Richtigkeit  der  An- 
gaben zu  untersuchen. 

Der  Andernacher  Aufstand  hat  durch  den  Herausgeber  dieser 
Zeitschrift  auf  Grund  des  archivalischen  Materials  eine  erschöpfende 
Behandlung  erfahren  *).  Die  Datierung  des  Tritheraius  erweist  sich  als 
falsch,  denn  in  Wahrheit  ist  der  Aufstand  ohne  Zweifel  in  den  Sommer 
15 II  zu  setzen,  wiewohl  Spuren  aufrührerischer  Gesinnung  sich  noch 
weiter  zurückverfolgen  lassen.  Schon  im  Mai  1496  findet  eine  un- 
gesetzliche Versammlung  der  Gemeinde  statt,  doch  wissen  wir  nicht, 
welche  Ereignisse  und  Klagen  die  Bürger  zu  diesem  hochverräterischen 
Schritte  getrieben  haben.  Eine  erneute  Versammlimg  der  Gemeinde 
ohne  Erlaubnis  des  Rats  erfolgt  1506,  wobei  ein  gewisser  „Grofe- 
Johann**  als  Rädelsführer  bezeichnet  wird.  Erst  am  5.  November  1510 
werden  die  Beschwerden  der  Bürger  laut.  „Sie  berühren  das  Stadt- 
regiment in  finanzieller  Hinsicht  und  zielen  darauf  ab,  der  Gemeinde 
eine  Kontrolle  über  die  Finanzgebahrung  des  Rates  zu  verschaffen." 
Ähnliche  Klagen  und  Forderungen  werden  auch  bei  den  früheren, 
rechtswidrig  abgehaltenen  Versammlungen  zur  Sprache  gebracht  worden 
sein.  Im  folgenden  Jahre  gestaltete  sich  die  Lage  wieder  kritisch, 
doch  wurde  auch  jetzt  das  Schlimmste,  ein  blutiger  Aufruhr,  ver- 
mieden, denn  am  7.  November  15 11  wurde  durch  den  Kölner  Era- 
bischof  Philipp  ein  Ausgleich  getroffen,  der  indes  die  Bürger  nicht 
befriedigen  konnte.  Die  Versammlung  der  Bürger  blieb  verboten, 
nur  ein  Beschwerderecht  beim  Landesherm  wurde  den  Bürgern  ein- 
geräumt, der  wichtigste  Punkt  aber,  das  städtische  Finanzwesen,  blieb 
unberührt.  Erst  1522  kommt  es  zu  neuen  Unruhen.  Die  Gemeinde 
führt  jetzt  Klage  über  die  Verkümmerung  des  Beschwerderechts,  über 
das  Fehlen  eines  Organs,  das  die  Gemeinde  dem  Rat  gegenüber  ver- 
trete, und  über  den  Mangel  einer  Finanzkontrolle  seitens  der  Bürger. 
Erzbischof  Philipp   greift  wieder  als  Schiedsrichter  ein  und  befriedigt 


i)  Tagebach  des  Vigneulles  S.  231. 

2)  Annales  Hirsaugienses  II,  689. 

3)  Armin  Tille,  Bürgerunruhen  in  Andernach  am  Ende  des  XV,  und  Anfang 
des  XVL  Jahrhunderts^  in  den  Annalen  des  historischen  Vereins  für  den  Ntederrhein, 
70.  Heft  (1900),  S.  31—42. 


—     5     — 

die  Wünsche  der  Bürger  durch  Einsetzung  eines  Achterkollegiums, 
das  die  Interessen  der  Gemeinde  gegenüber  dem  Rate  wahren,  ins- 
besondere der  jährlichen  Rechnungslegung  beiwohnen  sollte. 

Diese  Bürgerunruhen  zu  Andernach  zeigen  den  typischen  Charakter 
der  städtischen  Bewegungen  am  Anfang  des  XVI.  Jahrhunderts.  Sie 
sind  hervorgerufen  durch  die  Unzufriedenheit  der  Gemeinde  mit  der 
Finanzverwaltung  des  Rates  und  führen  —  in  Andernach  etwas  später 
als  an  manchen  anderen  Orten  —  zur  Schaffung  einer  eigenen  Ge- 
meindevertretung,  eines  Organs  der  Kontrolle  über  die  städtischen 
Finanzen.  „Den  wesentlichsten  VorteU  aus  den  Veränderungen  hatte 
aber  der  Landesherr  gezogen,  der  jetzt  auf  die  Verwaltung  seiner 
Landstadt  einen  ganz  anderen  Einflufs  üben  konnte,  als  ehedem. "^ 

Ein  Antrieb  zu  weiterer  Forschimg  liegt  auch  in  der  Bemerkung 
Trithems,  es  habe  sich  aufser  den  von  ihm  namhaft  gemachten 
Städten  die  Bewegung  auch  noch  auf  andere  Orte  erstreckt,  quarum 
vocahula  memoriae  non  occurrunL  Eine  ähnliche  Äufeerung  knüpft 
das  Chronicon  Brunwilrense  an  die  Schilderung  des  Kölner  Auf- 
standes von  15 13:  Circa  idem  iempus  in  muliis  regionibiis  et 
civitatibtis  disseniio  facta  fuit  et  volgus  se  contra  consulatum  erexit 
et  alias  ordinationes  exacta  prius  computatione  constituit,  *) 

Diese  Angaben  klingen  sehr  wahrscheinlich.  Wir  besitzen  An- 
haltspunkte dafür,  dafs  der  unruhige  Geist  in  den  deutschen  Bürger- 
schaften damals  weiter  verbreitet  war,  als  man  bisher  annehmen  konnte. 
Einen  Beleg  dafür  bringt  G6ny  in  seinen  Untersuchungen  über  Schlett- 
stadt').  Dort  kamen  im  Frühjahr  15 10  Ruhestörungen  vor.  Etliche 
Bürger  wurden  „wegen  unziemlicher  Handlung"  ins  Gefängnis  gelegt. 
Da  trat  einer  Namens  Konrad  Rosenmeyer  auf  öffentlichem  Markte 
vor  vielen  Menschen  auf  und  rief  unter  Flüchen  und  Verwünschungen 
aus :  Es  thut  nymer  gut,  wir  schlagen  dann  einest  die  Riehen  zu 
Tode,  und  halt  ich  meine  Gesellen^  die  ich  vorjaren  gewisset  habe, 
so  wollen  wir  die  Gefangnen  wider  ufs  dem  Thurn  nehmen. 
Und  dann  gegen  Himmel  blickend:  O  wo  ist  der  Schuhmacher, 
der  den  Bundschuh  gemacht  hat,  und  ich  dürfte  wol  für  Rat 
gehen  und  dem  Rat  dise  Worte  selbs  sagen.  Er  wurde  mitten  im 
Volksauflauf  festgenommen  imd  vor  Gericht  gestellt.     Auf  die  Bitten 


1)  Niederrhein.  Annal.  Bd.  XDL  (1868),  S.  258. 

2)  Joseph  G^ny,  Die  Reichsstadt  SchUttstadt  und  ihr  Anteil  an  den  sozial- 
politischen und  religiösen  Bewegungen  der  Jahre  J4g0'-1536  (Erläuterungen  und  Er- 
gänzungen zu  Janssens  Geschichte  des  deutschen  Volkes,  herausg.  v.  Ludwig  Pastor, 
I.  Band,  5.  u.  6.  Heft).     Vgl.  S.  85. 


—       6       — 

seiner  Frau  strafte  ihn  der  Rat  nicht  an  Leib  und  Leben,  sondern 
wies  ihn  mit  Weib  und  Kindern  für  immer  aus  der  Stadt  und  über 
den  Rhein. 

Auch  in  Leipzig  gewahren  wir  allerdings  nur  schwache  Spuren 
einer  Gärung.  -Schon  im  Jahre  1492  hatte  Herzog  Greorg  es  miß- 
billigt, dals  etliche  Bürger  sich  ungehorsam  g^en  den  Rat  gezeigt, 
und  das  „Falsbrennen^  (?)  als  einen  Anlafs  zu  Ruhestörungen  untersagt. 
Anfiang  März  15 14  fand  man  auf  der  Trinkstube  einen  Zettel,  auf  dem 
die  Namen  eines  neuen  Rates,  eines  neuen  Stadtschreibers  und  Bau- 
meisters verzeichnet  standen,  und  der  offenbar  von  etlichen  losen, 
leichtfertigen  leuten  den  rethen  zu  schimpf  dahin  gelegt  worden 
war^).  Ebenso  berichten  uns  die  Kämmereirechnungen  aus  Pirna 
für  die  Jahre  15 12  und  15 19  von  conspirationes  der  Gemeinde,  von 
Irrungen  und  Zwistigkeiten  zwischen  dem  Rat,  den  Handwerkern  und 
dem  gemeinen  Mann  und  von  einem  Eingreifen  des  Herzogs '). 

Weit  ernsteren  Charakter  trug  der  Aufistand  zu  Schweidnttz  von 
1520,  die  sogen.  „Pölerei"*),  welche  die  auch  hier  bestehenden 
sozialen  Gegensätze  blofslegte.  Den  Anlafe  bot  ein  königliches  Münz- 
edikt von  15 19  und  1520,  das  einen  gemeinsamen  Münzftifs  für  das 
ganze  Land  festsetzte  und  ältere  Münzrechte  der  Stadt  Schweidnitz 
beseitigte.  Das  Kleinbürgertum,  das  sich  durch  diese  Verordnungen 
besonders  in  seinem  Braugewerbe  geschädigt  fühlte,  lehnte  sich  da- 
gegen auf,  während  die  grofsen  Kaufleute  die  VorteUe  einheitlicher 
Münzverhältnisse  zu  würdigen  wufsten.  Das  war  Grund  genug,  alle 
anderen  alten  Gegensätze  wieder  wachzurufen.  Und  als  eine  Anzahl 
Ratsherren  sich  auf  Weisung  des  Landeshauptmanns  nach  Liegnitz  be- 
gab, da  kannte  die  erregte  Leidenschaft  keine  Grenzen  mehr.  Der 
Pöbel  vergriff  sich  an  den  Häusern  der  Entwichenen,  die  er  plünderte 
und  demolierte,  nicht  einmal  das  königliche  Schlofs  wurde  verschont. 
Die  Bewegung,  durch  vorhandene  politisch-nationale  Gegensätze  noch 
genährt,  entwickelte  sich  zu  einem  formlichen  Krieg  gegen  die  Ver- 
treter der  königlichen  Gewalt  und  kostete  der  Stadt  schliefslich  das 
Recht  der  freien  Ratswahl. 

Wü:  wenden  uns  jetzt  den  Bewegungen  im  eigentlichen  Refor- 
mationszeitalter zu,  tmd  es  erscheint  mir  als  zweckmäfsig  für  die  Be- 
dürfnisse der  Lokalforschung,  meine  Darstellung  nach  den  einzelnen 
deutschen  Landschaften  zu  gliedern. 

i)  Wostmann,  Quellen  zur  Geschichte  Leipzigs  II,  133.  134.  157. 

2)  Neues  Arch.  f.  sächs.  Gesch.,  Bd.  V,  S.  34. 

3)  Über  Namen  u.  Verlauf  der  Bewegung  s.  Grünhagen,  Gesch.  Schlesiens,  Bd.  I,  382. 


—      7     — 

Im  Aiisgang-sgebiet  der  Bewegung,  in  Oberschwaben,  kämen  die 
Reichsstädte  Memmingen,  Kempten,  Kaufbeuren,  Wangen,  Leutkirch, 
Isny,  Ravensburg  und  Überlingen  in  Betracht.  Für  diese  Orte  hat 
schon  Baumann  den  auüEallenden  Mangel  an  Material  in  den  städtischen 
Archiven  festgestellt,  insbesondere  auf  das  bezeichnende  Schweigen 
der  noch  erhaltenen  Ratsprotokolle  hingewiesen.^).  Hier  dürfte  sich 
also  der  Forschtmg  zunächst  kaum  mehr  eine  ergiebige  Ausbeute  dar* 
bieten.  Nur  der  Zufall  könnte  hier  noch  zu  weiteren  Ergebnissen 
fuhren,  wenn  es  gelänge,  von  den  zum  Teil  verschleuderten  reichs-» 
städtischen  Archiven,  z.  B.  Kemptens  und  Überlingens,  hier  und  dort 
Bruchstücke  aufzufinden. 

Für  die  Bewegung  in  Württemberg  ^)  ist  charakteristisch ,  dais 
hier  die  radikale  Minderheit  die  gemäfsigte  Mehrheit  vergewaltigt,  weU 
diese  an  der  schwachen  Regierung  keinen  Rückhalt  findet.  Besonne- 
nere Männer  wie  Götz  von  Berlichingen ,  Mattem  Feuerbacher,  der 
Stuttgarter  Hauptmann  Theus  Gerber,  werden  zur  Führerschaft  ge- 
zwimgen.  Die  Bewegung  richtet  sich  nicht  sowohl  g^en  die  Obrig- 
keit —  in  den  württembergischen  Städten  wird  der  Eid  gegen  das 
R^ment  immer  ausgenommen  —  als  gegen  Adel  tmd  Geistlichkeit. 
In  Württemberg  war  die  grofse  Mehrzahl  der  Ausgezogenen,  namentlich 
der  aus  den  Städten,  bereit,  sich  dem  Bundesheer  zu  unterwerfen,  so- 
bald dieses  nahe  genug  war,  um  sie  gegen  die  Radikalen  zu  schützen. 
Nur  die  Hinneigung  zu  Herzog  Ulrich  machte  die  Furcht  rege,  dafs 
die  vom  Bauemjörg  verlangte  Übergabe  auf  Gnade  und  Ungnade  eine 
Bestrafung  nicht  wegen  Teilnahme  am  Bauernkrieg,  sondern  wegen 
jener  Hinneigung  nach  sich  ziehen  könne.  Das  war  der  Grund,  wes- 
halb der  Haufe  nicht  schon  vor  der  Schlacht  bei  Böblingen  sich 
auflöste. 

Von  den  Bewegungen  in  den  innerhalb  des  Herzogtums  gelegenen 
Reichsstädten  haben  die  zu  Hall  und  Gmünd  schon  ihre  Darstellung 
gefunden  ').  Sehr  notwendig  wäre  es,  dals  nun  auch  der  Aufstand  in 
Heflbromi,  für  den  wir  bis  jetzt  im  wesentlichen  noch  auf  Zimmer- 


i)  Baomann,  Die  oberschwäbischen  Bauern  im  März  1525,  Kempten  187 1  (l.  Auflage), 
S,  80—82. 

2)  Das  Folgende  nach  freundlicher  Mitteilung  des  Herrn  Archivrat  EugenSchneider 
in  Stuttgart,  der  über  diese  Dinge  nächstens  eine  besondere  Abhandlung  veröffent- 
liehen  wird. 

3)  öchsle,  Beiträge  zur  Geschichte  des  Bauernkriegs  in  den  schwäbisch-fränkischen 
Grendanden,  S.  388 S.  Wagner  in  den  „Forschungen  zur  deutschen  Geschichte"  i^  2"*^ 
bis   248,   u.   in  den  „Vierteljahrsheften  zur  württemb.  Landesgeschichte**  1879,  ^^ 


—     8     — 

mann  angewiesen  sind,  auf  Grundlage  der  im  Stuttgarter  Staatsarchiv 
verwahrten  Bundesakten  einer  speziellen  Behandlung  unterzogen  würde. 
Gerade  in  Heilbronn  sind  ja  die  revolutionären  Tendenzen  mit  gröfse- 
rer  Heftigkeit  aufgetreten  als  vielleicht  in  irgend  einer  anderen  Stadt 
jener  Gegend:  es  wäre  besonders  die  interessante  Vorgeschichte 
des  Aufstandes,  das  Walten  des  revolutionären  Klubs,  die  Propaganda 
einzelner  Heilbronner  auf  dem  platten  Lande,  dann  auch  die  Fühlung- 
nahme des  Proletariats,  besonders  der  Weingärtner  mit  den  Bauern 
eingehend  zu  beleuchten. 

Für  die  wichtigeren  Städte  der  dem  Herzogtum  Württembei^  be- 
nachbarten Gebiete,  namentlich  im  Ries  — Nördlingen,  Dinkels- 
bühl, Bopfingen,  Ellwangen  —  ist  das  vorhandene  gedruckte  und 
tmgedruckte  Material  wohl  schon  von  Müller  erschöpfend  ausgenützt  ')• 
Erwähnt  sei  hier  noch,  dafe  Oettingen  von  seinen  Herren  abfiel,  mit 
Hufe  des  Markgrafen  Kasimir  von  Brandenburg  aber  wieder  zum  Ge- 
horsam gebracht  wurde,  ein  Ereignis,  das  auch  auf  die  Zerstreuung  des 
Deininger  Haufens  einen  gewissen  Einflufs  geübt  haben  mag  ^). 

Die  Unruhen  in  den  Städten  der  brandenburgischen  Markgraf- 
schaft hat  Jäger  bereits  behandelt ').  Die  Gemeinde  von  Wasser- 
trüdingen  trug  lebhaftes  Verlangen,  den  Bauern  bei  der  Plünderung 
der  nahen  Klöster  Heidenheim  und  Auhausen  zuvorzukommen.  Sogar 
die  kommunistischen  Ideen  der  Zeit  hatten  in  dem  Städtchen  Boden 
gefafst  *). 

Auch  für  die  Bewegimgen  in  den  gröfseren  Städten  Ostfirankens 
bleibt  dem  Forscher  wohl  wenig  mehr  zu  thun,  da  das  Material  in 
stattlicher  Fülle  gedruckt  und  zum  TeU  schon  verarbeitet  vorliegt. 
Gerade  für  diese  Gegenden  steht  uns  ja  eine  reiche  chronikalische 
Überlieferung  zu  Gebote.  Die  Vorgänge  in  Nürnberg,  wo  der  Rat 
durch  gewandte  Diplomatie  die  Bauern  hinzuhalten  und  einem  Aus- 
bruch des  VolksunwUlens  in  seinen  eigenen  Mauern  durch  rechtzeitige 
Zugeständnisse  zu  begegnen  wufste,  hat  Kamann  in  einer  eigenen 
Monographie  dargestellt  *).  Über  die  Bewegungen  in  Würxburg  werden 
wir  unterrichtet  durch  die  Aufzeichnungen  des  Stadtschreibers  Martin 
Cronthal  und  des   bischöflichen  Sekretärs  Lorenz  Fries,   über  die  in 


i)  Zeitschrift  des  Vereins  f.  Geschichte  von  Schwaben  a.  Neabnrg,  Bd.  XVI  a.  XVU^ 
1889  a.  1890.     Vgl.  besonders  Bd.  XVI,  S.  76.  94—95.  96  ff. 

2)  Jäger,  Markgraf  Kasimir  n.  der  Baoemkrieg  im  stidlichen  Ries  S.  17. 

3)  ^Si*  Jäger   a.   a.   O.   über  Crailsheim  xu  Wassertrttdingen ,  z.  B.  S.  33.  34.  77. 

4)  Jäger  a.  a.  O.  S.  46. 

5)  Kamann ,  Nürnberg  im  Banemkrieg ,  1889. 


—     9     — 

Rothenburg  a.  T.  durch  die  Chroniken  des  Stadtschreibers  Thomas 
Zweifels  und  des  Mönches  Eysenhardt.  Doch  könnte  eine  Nachlese  in 
den  Archiven  dieser  Städte  vielleicht  noch  manche  Ergänzung  liefern. 
Sehr  wünschenswert  wäre  eine  Darstellung  der  Revolution  in  Stadt  und 
Hochstift  Bamberg.  Das  Material  dazu  hat  W.  Stolze  1898  gesammelt, 
doch  ist  die  Veröffentlichung,  wie  es  scheint,  bisher  noch  unterblieben. 
Endlich  hat  Schweinfurt  ein  Bündnis  mit  den  Bauern  abgeschlossen, 
dessen  Entstehungsgeschichte  noch  aufzuklären  wäre.  ^). 

In  der  Landgrafschaft  Hessen  sind  städtische  Bewegungen  von 
gröfeerer  Bedeutung,  wie  es  scheint,  unterblieben.  Die  rebellischen 
Bauern  der  Rhöngegend  suchten  zwar  von  Hersfeld  aus  die  hessischen 
Städte  Kassel,  Alsfeld,  Homburg  u.  a.  brieflich  zum  Abfall  zu  be- 
wegen.    Doch  hatten  ihre  Schreiben  keine  Wirkung  *). 

In  den  gröfseren  Städten  Thüringens  harren  noch  wichtige  Auf- 
gaben der  Lösung.  Vor  allem  wäre  erwünscht,  dafs  die  von  Merx 
begonnene  Biographie  Münzers  und  Pfeifers  zum  Abschlufs  geführt 
würde.  Erst  nach  Vollendung  dieser  Arbeit  würden  wir  wohl  auch 
von  den  revolutionären  Ereignissen  in  Mühlhausen  ein  vollständiges 
und  richtiges  Bild  erhalten  ').  Auch  die  Bewegungen  in  Nordhausen, 
für  die  wir  bis  jetzt  nur  die  ältere  Arbeit  Förstemanns  besitzen,  wären 
einer  neuen  Untersuchung  wert*). 


1}  VgL  mein  Buch  S.  246. 

2)  Falkenhainer ,  Philipp  d.  Grofsmütige  im  Banenikrieg.     Marburg  1887. 

3)  O.  Merx,  Thomas  Mtinzer  und  Heinrich  Pfeifer,  Göttingen  1889.  Ober  die 
SteUnng  Herzog  Georgs,  der  Ernestiner  u.  Philipps  v.  Hessen  zu  den  revolutionären  Er- 
eignissen in  M.  vgl.  W.  Karstens,  Sächsisch-hessische  Beziehungen  in  den  Jahren  1524, 
1525  n.  1526.  (Zeitechr.  d.  Ver.  f.  thilring.  Gesch.,  N.  F.,  Bd.  ^«»,  18^3,  S.  338—45)*^ 
Aus  den  Verhandlungen  zu  Naumburg  n.  Trefiurt  zwischen  den  Räten  der  oben  genannten 
Fürsten  im  Februar  u.  April  1525  ergiebt  sich  insbesondere  die  Interessengemeinschaft 
Herzog  Georgs  mit  dem  vertriebenen  Rat  von  M.,  eine  Haltung,  die  nach  der  Einnahme 
der  Stadt  dieser  lebhaft  zu  gute  kam. 

4)  Förstemann,  Kleine  Schriften  S.  86.  In  Prankenhausen  liefsen  sich  auch  wohl- 
habende Bürger,  wie  Pfänner  u.  Grundbesitzer,  zur  Teilnahme  am  Aufruhr  verleiten,  vgl. 
Zeitschr.  d.  Ver.  f.  thür.  Gesch.,  N.  F.,  Bd.  VIII,  1893,  S.  14.  Auch  die  kleineren 
thüringischen  Städte  wurden  von  der  Bewegung  fortgerissen.  In  Sondershausen  und 
Arnstadt  beteiligte  sich  der  Pöbel  an  den  Ausschreitungen  der  eingedrungenen  Bauern 
(a.  a.  O.  S.  14.  15).  In  Um  kam  es  zu  einem  Aufruhr,  dessen  Wiederholung  nur  die 
Beredsamkeit  des  vom  Bürgermeister  berufenen  Eberlin  v.  Günzburg  verhüten  konnte. 
Vgl.  Radlkofer,  Jakob  Wehe  n.  Eberlin  v.  Günzburg  S.  521.  Biaenach  gehörte  dem 
von  Th.  Münzer  gestifteten  Bunde  an,  vgL  Münzers  Schreiben  vom  7.  Mai  1425,7  *  ^^"^ 
f.  hessische  Geschichte  Bd.  IX,  Urkunde  XII.  Auch  wurden,  wie  es  scheint,  M' 
Priester  von  dort  vertrieben,  vgl.  Holzwart  in  Baumanns  „QneUen  z.  ^ 

kriegs  in  Oberschwaben"  S.  712. 


—     10     — 

In  Erfurt  verfolg-t  die  Bewegung  in  der  Stadt  wie  im  Landgebiete 
übereinstimmend  ein  politisches  Ziel.  Die  städtischen  Unruhen  hatten 
mit  dem  „Pfaffenstürmen"  von  1522  begonnen.  Zugleich  aber  wurde 
durch  die  Wiederaufhebung  der  von  der  demokratischen  Partei  in  der 
Stadt  durchgesetzten  Regimentsverbesserung  der  Kampf  um  die 
politische  Gleichberechtigung  aufs  neue  heraufbeschworen.  Ebenso 
ist  die  Empörung  der  Erfurter  Bauern  nicht  aus  wirtschaftlichen,  sondern 
aus  politischen  Ursachen  hervorgegangen.  Die  Bauern  waren  empört 
über  die  jährlich  wachsenden  direkten  und  indirekten  Steuern,  über 
den  Mangel  an  staatlichem  Schutz  und  über  ihre  politische  Recht- 
losigkeit. Die  in  den  Artikeln  vom  10.  Mai  1525  geforderte  Unter- 
stellung der  Besteuerung  unter  den  Willen  der  ganzen  Gemeine  und 
Landschaft ,  die  nach  anderen  Akten  erweisliche  gleichzeitige  Er- 
hebung eines  „ewigen  Rates"  durch  die  „Verordneten  der  ganzen  Ge- 
meine und  ganzen  Landschaft"  und  dessen  zukünftige  Kontrolle  durch 
Vormünder  der  „Gemeine  und  des  ganzen  Landvolks"  zeigen  deutlich 
genug,  da(s  der  Bauernaufstand  im  Gebiet  von  Erfurt  mehr  den 
Charakter  einer  politischen  als  einer  sozialen  Revolution  trug  *). 
W.  Schum  hat  versprochen,  in  einer  besonderen  Abhandlung  Zu- 
sammenhang und  Zusammenflufs  des  städtischen  Verfassungskampfes  mit 
der  Bewegung  der  ländlichen  Bevölkerung  zu  erweisen,  ist  uns  aber, 
soweit  ich  sehe,  die  Erfüllung  dieses  Versprechens  einstweilen  schuldig 
geblieben. 

Auch  in  Gotha  gewannen  die  Verhältnisse  dank  den  im  geist- 
lichen und  weltlichen  Regimente  herrschenden  Übelständen  eine  äuiserst 
bedrohliche  Gestalt.  Wirtschaftliche  Beschwerden  über  die  Insassen 
des  Stifts  und  der  Groll  der  Bürger  über  das  unsittliche  Treiben  der 
Kanoniker  führten  auch  in  dieser  Stadt  um  Pfingsten  1524  zu  einem 
heftigen,  von  der  Obrigkeit  geduldeten  „Pfaffenstürmen".  Die  Häuser 
der  Domherren  wurden  verwüstet,  ihre  Dirnen  davongejagt.  Kurfürst 
Johann  Friederich  verurteilte  die  Bürger  für  diese  Ausschreitungen  zu 
einem  Schadenersatz  von  300  Gulden  *). 

Auch  die  weltliche  Obrigkeit  hatte,  wenigstens  nach  den  Angaben 
des  Myconius  *) ,  schwere  Verschuldungen  auf  sich  geladen.  Der  Rat 
habe  sich  selbst  ergänzt,  der  Gemeinde  jeden  Einblick  in  seine  Finanz- 


i)  W.  Scham,  Über  bäaerliche  Verbältnisse  u.  Verfassang  der  Landgemeinden  im 
Erfurter  Gebiet  zur  Zeit  der  Reformation,  Zeitschr.  des  Ver.  f.  thür.  Gesch.,  N.  F  1, 
1879,  S.  loi — 102. 

2)  Beck,  Geschichte  des  GothaischeD  Landes,  Bd.  II,  305. 

3)  Myconius  bei  Beck  S.  112.  113.  114.  117. 


—    11    — 

gebahrung"  verweigert,  gegen  jede  Kontrolle  gesichert  am  Stadtgut 
gröbliche  Veruntreuung  geübt,  die  Mauern  verfallen,  das  Wasser  aus 
den  Stadtgräben  austreten  und  die  Keller  überschwemmen  lassen,  den 
Frechheiten  der  städtischen  „jeunesse  dor6e"  ruhig  zugesehen,  jeden 
Einspruch  gegen  diese  Mifsverhältnisse  gewaltsam  unterdrückt.  Auch 
das  wiederholte  landesherrliche  Eingreifen  habe  nur  wenig  geholfen. 

Trotzdem  ist  1525  eine  Bewegung  in  Gotha  unterblieben.  Es 
blieb  diese  Stadt  und  Amt  sitzen.  Denn  es  war  das  neulich  ge* 
stäupte  Kind  witzig  wurden.  Wu  aber  Gottes  Wort  und  das  täg- 
liche Vermahnen  nicht  auch  da  gewest,  und  der  Rat  nicht  die 
Bürger  fleißig  verwarnt,  hätte  es  doch  nicht  geholfen,  man  hätte 
sich  der  Aufruhr  teilhaftig  gemacht.  Die  unmittelbare  Folge  des 
„Pfiaffenstürmens"  war  die  Berufung  des  Myconius  und  die  Durchführung 
der  Reformation.  Es  wäre  gut,  wenn  diese  uns  vor  der  Hand  nur 
durch  Myconius  überlieferten  Verhältnisse  noch  eine  tiefere,  akten- 
mäfsige  Begründung  erhielten. 

An  den  beiden  Hauptstädten  des  Herzogtums  Sachsen,  Dresden 
und  Leipzig,  ist  der  Sturm  ohne  gröfeeres  Unheil  vorübergezogen. 
Wenn  der  Stadtklerus  in  Dresden  im  Jahre  1525  einem  Bürgerauüstande 
entging,  so  hatte  er  dies  wohl  nur  seiner  etliche  Jahre  zuvor  geübten 
Nachgiebigkeit  zu  verdanken.  Unter  Herzog  Geoi^  war  das  Verhältm's 
der  Bürger  zum  Klerus  immer  schlechter  geworden,  ja  1520  fand  die 
allgemeine  Unzufriedenheit  Ausdruck  in  einer  von  Rat  und  Gemeinde 
an  den  Herzog  gerichteten  Beschwerdeschrift.  Es  wurde  darin  Klage 
erhoben  über  die  drückenden  Unschlittzinsen,  welche  die  Fleischhauer 
alljährlich  an  einzelne  Kirchen  zu  entrichten  hatten,  besonders  aber 
über  den  Wucher,  den  die  Bruderschaften  ^)  mit  ihren  aufgehäuften 
Kapitalien  zum  Verderben  der  Bürger  und  Landsassen  trieben,  endlich 
über  die  Weigenmg  der  Geistlichen,  die  Ablösung  der  auf  liegenden 
Gütern  ruhenden  Zinsen  zu  gestatten.  Der  Grund  dieser  Weigerung  lag 
darin,  dais  die  Geistlichen  solche  Güter  als  ihr  volles  Eigentum  be- 
handelten und  dem  weltlichen  Gerichtszwang  entzogen.  Die  Beschwerden 
der  Bürger  müssen  berechtigt  gewesen  sein,  da  durch  einen  gemein- 
samen Schiedsspruch  des  Herzogs  Georg  und  des  Bischofs  von  Meifsen 
den  meisten  Forderungen  Genüge  geleistet  wurde  *). 

In  Leipzig  gingen  1525  etliche  Bürger,  angeblich  auf  Anstiften 
Thomas  Münzers,  mit  dem  Plane  um,  den  Rat,  die  Priesterschaft  und    | 

1)  Man  bezeichnete  die  Bruderschaften  geradeso  als  ein  verborgen  ewige  S 
des  lands  und  der  leuihe^  und  is%  ein  schwerty  das  seinen  ursacher  verle*-* 

2)  Richter,  Verfassongs-  u.  Verwaltnngsgeschichte  von  Dresden  "* 


—     12     — 

die  „Führnehmsten  auf  der  Universität"  umzubringen  und  den  auf- 
rührerischen Bauern  die  Thore  zu  öffnen.  Als  diese  Konspiration  dem  aus 
dem  Bauernkrieg  zurückgekehrten  Herzog  Georg  berichtet  wurde,  liefs  er 
nach  eingehender  Untersuchung  am  15.  Juni  acht  Bürger  mit  dem 
Schwerte  richten,  fünfzehn  stäupen  und  des  Landes  verweisen.  Am 
nächsten  Tage  wurde  die  Bürgerschaft  aufs  Schlots  geladen  und  ihr 
mitgeteilt,  dafs  aufser  denen,  die  zur  gebührenden  Strafe  gezogen 
worden,  noch  300  im  Verzeichnis  ständen,  so  es  mit  der  aufrürischen 
rotte  gehalten.  Auf  Bitten  der  Bürger  wurde  diesen  auch  das  Ge- 
fängnis geschenkt.  Auch  ein  Geistlicher  und  ein  magister  artium  be- 
fanden sich  unter  den  Aufruhrern;  diese  wurden  dem  Bischof  von 
Merseburg  zur  Bestrafung  ausgeliefert  ^). 

In  Chemnitz  kam  es  1524  zu  einer  Bewegung,  deren  äufseren 
Anlafs  die  von  den  Bürgern  vermutete  Einfuhr  fremden  Bieres  durch 
die  Geistlichkeit  bUdete.  Das  einmütige,  energische  Auftreten  der 
Gemeinde  aber  und  die  Schwere  der  von  Herzog  Georg  verhängten 
Strafe  legen  uns  die  Vermutung  nahe,  dafs  die  Bewegung  mehr  ge- 
wesen sei,  als  ein  blofiser  Bierkrawall,  dafs  ihr  eine  bedeutendere  Ur- 
sache, der  allgemeine  Hafs  gegen  den  Klerus,  zu  Grunde  gelegen 
habe «). 

Auch  die  sächsischen  Bergstädte  wurden  von  der  Bewegung  in 
Mitleidenschaft  gezogen.  Zwar  blieb  Freiberg  imberührt  *) ,  aber  in 
den  erzgebirgischen  Orten  zeigten  sich  allerlei  revolutionäre  Er- 
scheinungen. 

In  Annaberg  besonders,  dem  Mittelpunkte  des  Bergwerkverkehrs, 
herrschte  eine  starke  Gärung  unter  einem  Teil  der  Knappschaften 
und  im  Proletariat.  Eine  Anzahl  ungesessener  lediger  Gesellen,  ver- 
schiedene Fremde  und  solche,  die  wahrscheinlich  nichts  zu  verlieren 
hatten,  flöfisten  dem  Rate  Besorgnis  ein.  Fünfzig  Gesellen,  die  dem 
Herzog  Georg  Kriegsdienste  gegen  die  Bauern  zugesagt  hatten,  zogen 
ihre  Meldung  am  nächsten  Tage  wieder  ziniick.  Gegen  einzelne 
Beamte  fielen  schwere  Drohungen.  Die  Sympathieen  fiir  die  revolu- 
tionären Bewegungen  in  der  Nachbarschaft  waren  unter  dem  gemeinen 
Manne  stark  verbreitet.  Jeden  Augenblick  befürchtete  man  den  Aus- 
bruch  einer  Empörung.     Aber  dennoch   sind  keine  Nachrichten  von 


1)  Johann   Jakob   Vogel,   Leipzigisches   Geschichtsbuch  oder  Annales  (Leipzig 
1714),  fol.  S.   lU.   112  zum  Jahre  1525. 

2)  Mitteilunj^en  des  Vereins  f.  Gesch.  v.  Chemnitz  II  (1876 — 78),  S.  13 — 15. 

3)  Ermisch,  Archivalische  Beiträge  zur  Reformaiionsgesch,  der  Stadt  F.  (15*5 
bis  1528),  im  Neuen  Archiv  f.  sächs.  Gesch.  Bd.  VUI  (1887),  S.  129. 


—     13     — 

einer  Erhebung  in  der  Stadt  oder  von  einem  Anschluis  der  unruhigen 
Elemente  an  die  Aufruhrer  der  Umgegend  zu  uns  gelangt.  Bürger 
und  Bergleute  begnügten  sich,  die  Bedrängnis  des  Rates  auszunützen 
und  von  ihm  die  Erfüllung  längst  gehegter  Wünsche  zu  verlangen. 
Die  Forderungen  der  ersteren  zielten  auf  eine  Reform  der  Stadtver- 
waltung. Auch  in  Annaberg  hatte  die  Gemeinde  gegen  den  Rat 
allerlei  Klagen  und  verlangte  ein  besonderes  Organ  zur  Vertretung 
ihrer  Interessen.  Sie  wollte  das  Recht  haben,  aus  jedem  Viertel  vier 
Personen  zu  erwählen ,  die  neben  den  Viertelmeistem  die  Gebrechen 
und  Bedürfnisse  der  Gemeinde  ohne  alle  Scheu  vortragen  könnten. 
Die  wichtigste  Forderung  aber  lautete:  „Rat,  Bürgermeister  und  alle 
Rats  verwandten,  sollten  sich  aufs  Freundlichste  gegen  die  Bürger 
gemeiner  Stadt  halten,  auch  mit  Knechten  und  Mägden  so  viel  ver- 
schaffen, dafs  über  sie  keine  fernere  Klage  sei."  *)  Die  Forderungen 
der  Bergleute  berührten  zum  TeU  das  Gebiet  des  Arbeiterschutzes. 
Vor  allem  aber  kam  es  ihnen  auf  die  Befriedigung  ihrer  religiösen 
Bedürfnisse  an.  Einhellig  erklärten  die  Knappschaften^  sie  wollten 
keinen  Pfaffen  mehr  haben,  der  ihnen  nicht  das  Wort  Gottes  auch 
Nachmittags  an  Sonn-  und  Feiertagen  predige. 

Die  gefahrliche  Bewegung  in  Joachimsthal,  welche  das  ganze 
Erzgebirge  in  Aufruhr  zu  versetzen  drohte,  wurde  von  Annabei^  aus 
gestillt ').  In  Schneeberg  wurde  die  Gemeinde  durch  die  schwarm- 
geistigen Predigten  des  Georgius  Amandus  in  lebhafte  Aufregung  ge- 
gebracht. Dieser  Prädikant  äufserte  im  März  1524  auf  der  Kanzel, 
es  solle  nicht  der  Rat  die  Gemeinde,  sondern  die  Gemeinde  den  Rat 
regieren.  Deshalb  zur  Rede  gestellt  verbesserte  er  am  Abend  darauf, 
statt  seinem  Versprechen  gemäfs  „bescheiden tlich  davon  zu  sagen*, 
es  müsse  nicht  ein  Fürst  das  Land,  sondern  das  Land  den  Fürsten 
regieren.  Vier  Gewerbe  sollen  sich  mit  den  Bergleuten  vereinigt 
haben,  um  den  Prediger,  dem  der  Magistrat  die  Besoldung  gekündigt 
hatte,  aus  eigenen  Mitteln  zu  besolden  —  so  grofs  war  die  Begeisterung 
für  ihn.  Auch  hier  fürchteten  die  Regenten  des  Herzogs  jede  Stunde 
Aufruhr  und  Empörung.  Die  Absetzung  des  Predigers  genügte  indes, 
wie  es  scheint,  um  die  Ruhe  wiederherzustellen*). 


1)  B.  Wolf,   Obererxgebirgische   Bauernbewegung   im  Jahre  1525    im  „Glückauf", 
Organ  de«  Engebirgvereins,  Jg.  1887,  S.  66 — 68. 

2)  Wolf  a.  a.  O.  S.  68. 

3)  S.  Karstens  a.  a.  O.  S.  324.  327—328.  330.  334.    Auch  in  den  kleineren  ^ 
des  Erzgebirges  gab  es  Unruhen.     Etliche  hundert  Leute  aus  Marienberg  nf>^ 

der  Plünderung  der  Pfarre  Mildenan.     In  Zöblitz  hatten  die  Bürger,  r 


< 


—     14     — 

'  Noch  früher  als  im  Erzgebirg-e  hatte  sich  der  Aufruhr  im  Vogt- 
lande erhoben,  und  es  wäre  zu  untersuchen,  welchen  Anteil  daran 
die  dortigen  Städte,  z.  B.  Reichenbach  und  Plauen,  gehabt 
haben  *). 

Noch  weiter,  als  ich  bisher  angenommen,  hat  die  Bewegung  auch 
in  den  norddeutschen  Städten  um  sich  gegriffen.  Nur  kommt  sie 
dort  an  manchen  Orten  erst  dann  zum  Ausbruch,  als  sie  in  Süd- 
deutschland schon  erloschen  war.  Mancherorts  sehen  wir  eine  Ver- 
bindung des  religiösen  mit  dem  politischen  Moment,  wozu  sich  hier 
uüd  dort  auch  sozialistische  Tendenzen  gesellen.  Die  demokratischen 
Ideen,  die  in  der  eigentlichen  Periode  städtischer  Verfiassungskonfiikte 
nur  schwer  im  Norden  Eingang  gefunden  haben,  erfahren  jetzt  eine 
'Wiederbelebung.  Man  könnte  diese  städtischen  Bewegungen  in  Nord- 
deutschland ein  Nachspiel  zu  den  süd-  und  westdeutschen  Zunflkämpfen 
des  XIV.  und  XV.  Jahrhimderts  nennen. 

Das  Zusammentreffen  religiöser  und  politischer  Motive  finden  wir 
schon  in  dem  auf  der  Grenze  zwischen  Mittel-  imd  Norddeutschland 
gelegenen  Halle  *).  Im  Gegensatz  zum  Rate  war  die  Mehrheit  der 
Bürger  der  lutherischen  Lehre  geneigt  Aufserdem  herrschte  in  der 
Gemeinde  eine  starke  Verstimmung  gegen  eine  Gruppe  von  Ratsherren, 
die  der  allgemeinen  Ansicht  nach  ein  unberechtigtes  Übergewicht  im 
Stadtregimente  besais  und  dieses  zu  eigenem  Vorteil  mifsbrauchte. 
Dazu  kam  noch  der  Unmut  der  Bürger  über  die  ausgiebigen  finanziellen 
Forderungen  des  Erzbischofs  Albrecht,  welche  der  Rat  wahrscheinlich 
nur  durch  eine  Vermehrung  der  wachsenden  städtischen  Schuldenlast 
zu  befriedigen  vermochte.  Albrecht,  dem  die  Mifstimmung  der 
Hallenser  nicht  entging,  übertrug  seinem  Kanzler,  Dr.  Goch,  die  Ver- 
mittlung. Bei  letzterem  brachten  Innungen  imd  Gemeinde  ihre  For- 
derungen an,  die  das  Stadtregiment  und  die  religiöse  Frage  betrafen. 
Die  Bürger  verlangten  die  Entfernung  jener  vier  besonders  verhafsten 
Ratsherren  aus  dem  Stadtregiment ,  was  Albrecht  sofort  bewilligte. 
Die  zweite  Forderung  lautete  knapp  und  klar,  „dafs  uns  unser  gnädiger 
Herr  das  Wort  Gottes  lauter  und  klar  predigen  lasse  und  uns  das 
hochwürdigste  Sakrament  nach  Einsetzung  Jesu  Christi  reichen  und 
geben  lassen  wolle".     Auch   dieser  Artikel  wurde  von  Albrecht  ge- 


zwei  Häuer  in  MarieDber;^,  die  Absicht,  die  Pfarre  zu  plündern.  Auch  in  Geyer  woUte 
man  die  Pfarre  stürmen  und  setzte  man  die  deutsche  Rindertaufe  durch,  vgl.  Wolf  a.  a.  O. 
S.  69.  80.  81. 

1)  Wolf  S.  55. 

2)  Hertzberg  a.  a.  O.  II,  53.  57.  150. 


—     15     — 

nehmig^.  Die  Gemeinde,  damit  zufriedengestellt,  trat  jetzt  eifrig  unter 
die  Waffen  und  handhabte  nachdrücklich  den  Schutz  der  Stadt. 
Albrecht  hat  sein  Zugeständnis  in  der  kirchlichen  Frage  übrigens  rasch 
vergessen.  Erst  1541  ertrotzte  die  Gemeinde  die  Durchfuhrung  der 
Reformation  vom  Rate. 

Ein  halb  politisches,  halb  religiös-sozialistisches  Gepräge  trugen 
die  Unruhen  in  Magdeburg^).  Schon  1524  verübte  dort  das  niedere 
Volk  —  besonders  die  Handwerksburschen  —  aufgereizt  durch  den 
sozialistischen  Prediger  Johann  Grauert,  Ausschreitungen  gegen  Kirchen 
und  Klöster.  Im  Jahre  1525  zeigte  sich  unter  den  Bürgern  eine 
lebhafte  Erregung  gegen  den  Rat  und  die  vornehme  Klasse,  eine  Er- 
scheinung, die  wieder  auf  die  Wühlereien  Münzerisch  gesinnter  Prä- 
dikanten  zurückzuführen  ist.  Am  24.  Februar  kam  es  zu  einer  Em- 
pörung der  „Gemeinheit"*)  gegen  den  Rat.  Sie  verlangte,  dafs  ihre 
beiden  Vertreter  im  Rat  künftig  von  ihr  selbst  und  aus  ihrer  Mitte 
gewählt  werden  sollten,  nicht  mehr  von  den  Ratsmitgliedem  aus  den 
Innungen.  Die  „Gemeinheit"  beruhigte  sich  nicht  eher,  als  bis  ihr 
Wunsch  wenigstens  teilweise  erfüllt  worden  war.  Dieses  Ergebnis  bildet 
eine  Ergänzimg  der  demokratischen  Errungenschaften  von  1330. 

Neben  diesen  auf  Änderung  des  Stadtregiments  gerichteten  Be- 
strebungen finden  wir  auch  Spuren  der  damals  in  Mittel-  und  Süd- 
deutschland verbreiteten  radikalen  Lehren.  Auch  in  Magdeburg  wurden 
Stimmen  laut,  die  Gütergemeinschaft  und  politische  Gleichheit  forderten. 
Führer  dieser  Partei  war  jener  Theologe  Grauert  oder  Grauhart, 
der  schon  längst  das  Volk  zu  Mord  und  Gewaltthat  gereizt  hatte, 
neben  ihm  wirkten  manche  Fremde,  die  sich  zu  jener  Zeit  in  Magde- 
buig  zusammengefunden  hatten.  Eben  damals  hörte  man,  dafs  Hand- 
werker sich  zum  Predigtstuhl  drängten  oder  auf  der  Gasse  die  Menge 
um  sich  versammelten,  um  das  Wort  Gottes  zu  verkündigen.  Der 
Pöbel  aus  der  Alt-  und  Neustadt  drang  ohne  Scheu  in  den  zwischen 
beiden  Eiben  gelegenen  Werder  des  Agnetenklosters  und  des  Dom- 
propstes Busch  bei  Rothensee  und  stahl  dort  Holz  nach  Lust  und 
Belieben.  Sie  beriefen  sich  darauf,  dafs  den  Christen  alles  gemeinsam 
sei.  Bewohner  der  Neustadt  und  des  ihr  inkorporierten  Dorfes  Frose 
verweigerten  auch  dem  Dompropst  das  ihm  zu  zahlende  Weidegeld 
und  den  Rauhpfennig.     Trotzdem  weckte  der  Bauernkrieg,  der  bis  an 


i)  Hoflfmann,  Geschichte  der  Stadt  Magdeburg,  neu  bearbeitet  von  Hertel  a.  Hülfse^ 
1885,  U,  385.  387.  389.  390.  421. 

2)  d.  h.  der  nicht  la  den  Innongsverbänden  gehörigen  Bürgerschaf 


—     16     — 

die  Grenzen  des  Erzstifts  drang,  keine  bedeutenderen  Unruhen.  Nur 
das  Kloster  Berge,  dessen  Schutz  der  Rat  einer  Abteilung  von  Bürgern 
anvertraut  hatte,  wurde  von  der  beutegierigen  Menge  geplündert. 
Nach  der  Niederlage  der  Bauern  trat  in  Magdeburg  wieder  Ruhe  ein. 
Die  Führer  des  erregten  Volkes  verlieCsen  die  Stadt.  —  Noch  einmal 
erschien  der  Friede  bedroht,  als  1529  wiedertäuferische  Sendlinge  in 
Magdeburg  und  an  anderen  Orten  des  Erzstifts  eine  überaus  r^e 
Agitation  entfalteten.  Man  befürchtete  eine  Wiederholung  der  Auf- 
stände von  1525,  und  der  Kardinalerzbischof  Albrecht  liefe  Vorsichts- 
maferegeln  treffen.  In  der  That  bekannten  einige  Wiedertäufer  in 
Erfurt  vor  ihrer  Hinrichtung,  dafs  sie  mit  Gesinnungsgenossen  in 
Magdeburg  einverstanden  gewesen  seien,  sich  durch  einen  Aufstand 
der  Stadt  zu  bemächtigen  und  die  Gütergemeinschaft  einzuführen. 

In  Stralsund  kamen  schon  1522  Bewegungen  zum  Ausbruch,  die 
gleichfalls  politischen  und  religiösen  Charakter  trugen.  Ein  gewisser 
Roloff  Moller,  ein  noch  junger  Mann,  wufste  bei  der  Bürgerschaft  den 
Rat  wegen  seiner  Finanzwirtschaft  zu  verdächtigen.  Es  bildete  sich 
ein  Ausschufe  vdn  48  Bürgern,  denen  der  Rat  durch  einen  beschworenen 
und  besiegelten  Rezefs  Unterwerfung  geloben  mufste,  und  die  sich 
jetzt  aller  Gewalt  bemächtigten:  Des  rades  rat  mtisie  nicht gelden: 
ere  donnt  und  regement  wa/s  baven  de/s  rades;  wat  se  reden,  deden, 
beschloten,  dat  wa/s  gedan.  In  der  Folgezeit  traten  die  religiösen 
Motive  immer  stärker  hervor.  Der  Prädikant  Karsten  Ketelhodt,  dem 
der  Rat  auf  Verlangen  der  Klerisei  das  Predigen  untersagt  hatte, 
wurde  von  den  neuen  Regenten  und  der  ganzen  Bürgerschaft  nach 
Stralsund  zurückgeführt  und  ihm  die  Kanzel  zu  St.  Nikolaus  einge- 
räumt, fn  der  Karwoche  des  Jahres  1523  kam  es  durch  einen  un- 
glücklichen Zufall  zu  einem  Bildersturm,  bei  dem  fremde  Handwerks- 
burschen imd  anderes  loses  Gesindel  Kirchen  und  Klöster  verheerten 
und  die  Insassen  der  letzteren  zu  eüiger  Flucht  nötigten.  Der  Rat 
mufste  diese  Ausschreitungen  ungeahndet  lassen,  wollte  er  nicht  von 
der  evangelisch  gesinnten  Mehrheit  der  Bürger  das  Schlimmste  ge- 
wärtigen. Das  Verlangen  der  Bürgerschaft  nach  dem  Fortgang  der 
Reformation,  dem  sich  der  Rat  schon  aus  Rücksicht  auf  die  beiden 
katholischen  Landesherren  widersetzte,  liefs  die  demokratische  Be- 
wegung noch  stärker  anschwellen.  Im  Sommer  1524  setzte  Roloff 
Moller  durch,  dafe  er  selbst  und  sein  Gesinnungsgenosse  Christ  Lorber 
zu  Bürgermeistern  erhoben  und  acht  aus  der  Bürgerschaft  in  den  Rat 
gewählt  wurden.  Der  Bürgermeister  Nikolaus  Smiterlow,  der  die  un- 
dankbare Rolle  des  Vermittlers  gespielt  hatte,  entwich  nach  Greifswald. 


—     17     — 

Die  beiden  jungten  Herzög^e  Barnim  und  Jörg  von  Pommern  sahen 
dem  unruhigen  Treiben  in  Stralsund  thatlos  zu  in  der  Hofinung,  wenn 
beide  Parteien  sich  genügend  abgemüdet  hätten,  „würden  sie  in  der 
Stadt  besser  nach  ihrem  Willen  thun  können  **.  Sie  wagten  um  so 
weniger  einzuschreiten,  als  wiedertäuferische  Agitatoren  im  Lande  er- 
schienen, ihre  Hörer  zum  Bildersturm  aufreizten  tmd  von  der  Kanzel 
herab  lehrten,  dafe  man  die  Fürsten  mit  Lumpen  werfen  und  aus  dem 
Lande  jagen  solle.  Die  Herzöge,  welche  Wiedertäufer  und  Evangelische 
zusammenwarfen,  fürchteten,  durch  ein  Vorgehen  gegen  die  letzteren 
einen  allgemeinen  Sturm  g^en  sich  heraufzubeschwören.  Das  demo- 
kratische Regiment  in  Stralsimd  kam  erst  1537  wieder  zu  Fall,  während 
die  Reformation  schliefslich  im  Einverständnis  mit  dem  Rat  durch- 
geführt wurde.  Die  Kenntnis  dieser  Dinge  verdanken  wir  einstweilen 
nur  nicht  ganz  sicheren  chronikalischen  Berichten,  deren  Zuverlässigkeit 
erst  an  etwa  noch  vorhandenem  archivalischcm  Material  zu  prüfen 
wäre  ^). 

Auch  die  Persönlichkeiten,  denen  in  diesen  Bewegungen  eine 
leitende  Rolle  zufiel,  verdienten  wohl  eine  sorgsamere  Beleuchtung. 
Den  Fähigkeiten  Roloflf  Mollers,  des  Führers  der  evangelisch-demo- 
kratischen Partei,  können  selbst  die  ihm  feindlich  gesinnten  Chronisten 
ihre  Achtung  nicht  versagen.  Sie  schildern  ihn  als  wohlgestaltet, 
klug  und  beredt,  wie  geschaffen  zum  Amt  des  Bürgermeisters,  aber 
leider  überstürzt  in  seinem  Handeln.  Er  war  zu  prächtig  und  ho/- 
färtig,  meint  Sastrow,  und  verföhrte  ihn  auch  nicht  wenig,  dafs  er 
im  Werk  spürte ,  da/s  der  gemeine  Pöbel,  Herr  Omnes  deswegen 
ihm  anhieng,  da/s  er  dem  Rat  ohne  einige  Scheu  so  weldiglich  ins 
Maul  greifen  dur/te.  Wollte  also  fliegen,  ehe  ihm  die  rechten 
Flügel  gewachsen  waren,  und  stürzte  sich,  auch  andere,  ja  gemeine 
Stadt  in  gro/se  Verlegenheit,  Schaden  und  Nachteil,  so  sie  bei 
Menschengedenken  nicht  verwinden  wird. 

Dem  hitzigen  Roloff  Moller  suchte  Bürgermeister  Claus  Smiterlow 
vermittelnd  zu  begegnen.  Er  hatte  in  Nürnberg  und  anderen  Städten 
die  neue  Lehre  kennen  gelernt,  in  Wittenberg  Luther  selbst  predigen 
hören  und  wurde  so  im  Rate  zu  Stralsund  der  erste  Bekenner  des 
Evangeliums.  Er  warnte  den  Rat,  den  gerechten  Wünschen  der 
Bürger  nicht  allzuschroff  zu  begegnen,  und  suchte  andererseits  das 
Ungestüm    Mollers  imd    seiner  Rotte,    die  gar  zu  geschwind  und 


1)  Berckmaan,  Stralsundische  Chronik  S.  33flF.;  Selbstbiographie  des  Bartholomäus 
Sastrow,  herausg.  v.  Mohnike,  Bd.  I,  S.  3oflf. 

2 


—     18     — 

eifrig  evangelisch  oder  eigenwillig  waren,  nur  mit  dem  Kopf  hin-- 
durch  wollten,  zu  mäfisigen.  Er  richtete  aber  bei  dem  einen  so 
wenig  aus,  als  bei  den  andern.  Herr  Omnes  drang  durch,  und  der 
Rat,  so  vormals  des  rechten  Vaters,  ihres  alten  Bürgermeisters 
getreuen  Vermahnungen  nicht  folgen  wollten,  mufsten  den  Stief- 
vater, Herrn  Omnes  hören  .  .  .  Vielleicht  versucht  die  Lokal- 
forschung  eine  genauere  Charakteristik  dieser  Männer. 

Politisch-religiöser  Natur  war  auch,  wie  längst  bekannt,  die  Be- 
wegung, die  1529  in  Lübeck  ausbrach  und  sich  einige  Jahre  später 
ebenso  wie  in  den  anderen  wendischen  Städten  mit  den  grofsen  Fragen 
der  hansischen  Ostseepolitik  verknüpfte. 

(Schlafs  folgt.) 


Die  Oberlausitzisehe  Gesellschaft  der 
Wissenschaften  und  ihr  fleues  Lausitzisches 

Von 
Woldemar  Lippert  (Dresden) 

Eine  der  ältesten  wissenschaftlichen  Vereinigungen  Deutschlands 
überhaupt,  die  älteste  wohl  mit  vorwiegend  historischem  Charakter^ 
ist  die  Oberlausitzisehe  Gesellschaft  der  Wissenschaften 
zu  Görlitz.  Mit  universalen  Zielen,  wie  die  gelehrten  Gesellschaften 
und  Akademien  an  den  Universitäten,  doch  ohne  Zusammenhang  mit 
einer  solchen,  ohne  staatliche  Unterstützung  erwuchs  sie  aus  dem 
patriotischen  Eifer  hochgebildeter  Landeseingesessener  zur  Hebung' 
des  geistigen  Lebens  der  Heimatprovinz.  Mit  berechtigtem  Stolz 
durfte  bei  dem  hundertjährigen  Jubiläum  1879  der  Sprecher  der  Fest- 
rede es  betonen:  „Die  Lausitz  hat  nie  ein  einheimisches  Fürsten- 
geschlecht gehabt,  welches  dem  Bildungsdrange  des  Volkes  zu  Hilfe 
gekommen  wäre;  keine  Universität,  keine  Kunstakademie  haben  den 
Sinn  für  Wissenschaft  und  Kunst  gepflegt  .  .  .  Ein  freier  Provinzial- 
verein  von  wissenschaftlich  gebUdeten  Männern  .  .  .  trat  1779  zu- 
sammen/* Ohne  jede  stoffliche  oder  lokale  Beschränkung,  nicht  blols 
für  die  Geschichtswissenschaft,  nicht  blofs  für  die  engere  Heimat 
sollte  der  neue  Verein  wirken,  sondern  allen  Disziplinen  des  geistigen 
Lebens  sollte  er  dienen,  und  so  sehen  wir  denn  unter  den  Gebieten,. 


—     19     — 

die  die  Gesellschaft  in  den  Kreis  ihrer  Interessen  zog  und  die  sie 
durch  ihre  Zeitschriften,  die  LatLsikische  Monatsschrift  und  das 
Neue  Lausitzische  Magazin  (s.  darüber  im  Folgenden),  förderte, 
neben  der  Geschichte  auch  die  Prähistorie,  die  Litteratur- 
geschichte,  Sprachwissenschaft,  Pädagogik,  Theologie, 
Philosophie,  die  Naturwissenschaften,  Medizin  u.  s.  w. 
vertreten.  Zwar  wurden  in  allen  diesen  Gebieten  selbstredend  Lusatica 
besonders  betont,  doch  zahlreich  sind  im  Vereinsorgan  Stoffe  von 
dem  allerverschiedensten  Charakter.  Wir  hören  da  von  Metrik  und 
Musik  im  Alten  Testament  wie  von  mittelhochdeutschen  Minnesängern, 
von  Muhammed  und  seinem  Koran  wie  von  Lucrez  und  Epikur,  von 
Dantes  göttlicher  Komödie  wie  von  Galileis  Jubiläum,  von  der  Münz- 
geschichte des  Bistums  Konstanz  wie  von  dem  Atmen  der  Erde, 
von  dem  deutschen  und  dem  italienischen  Werther  wie  von  der  voll- 
kommensten Art  des  Schachspiels,  von  Schutzpockenimpfung  und 
Milzbrand  wie  von  der  ästhetischen  Analyse  der  Epistola  ad  Pisones, 
von  Leibniz'  ägyptischem  Projekt  wie  von  den  ältesten  Druckereien 
der  Pyrenäischen  Halbinsel.  Nicht  einmal  der  rein  wissenschaftliche 
Charakter  der  Zeitschrift  wurde  streng  durchgeführt,  sondern  sie  fand 
zugleich  Verwendung  für  die  praktischen  Bedürfnisse  der  G^enwart, 
brachte  MitteUungen  über  Personalveränderungen  besonders  litterarischer 
Kreise  (der  Geistlichkeit,  des  Lehrerstandes  und  der  Beamtenschaft 
der  Lausitzen). 

Allmählich  bahnte  sich  eine  Wandlung  an,  ohne  dais  eine  grund- 
legende Änderung  in  der  Gesellschaftsverfassung  vorgenommen  ward, 
denn  noch  die  1864  revidierten  Statuten  bezeichnen  als  Zweck  im  all- 
gemeinen :  vereinigte  Pflege  des  gesamten  Gebietes  der  Wissenschaften 
sowie  Anregung  und  Förderung  wissenschaftlichen  Lebens  und  Strebens; 
im  besonderen  aber:  Erforschung  und  Bearbeitung  der  Ge- 
schichte, Altertümer  und  Landeskunde  der  Ober-  und 
Niederlausitz.  Dieser  letztere  TeU  der  Angabe  trat  mehr  und 
mehr  in  den  Vordergrund.  Zweierlei  Umstände  wirkten  hierbei  mit, 
sachliche  und  persönliche.  Erstens  sachliche  Umstände:  die  Ver- 
tiefung der  historischen  Studien,  für  die  die  Monumenta  Germaniae 
den  Ausgangspunkt  bUdeten,  und  die  dafür  und  dadurch  erworbene 
AusbUdung  wissenschaftlicher  Kritik  besonders  auf  dem  Gebiete  der 
Quellenbearbeitung  und  des  Urkunden wesens;  femer  die  tmgeahnte 
Ausbreitung  des  historischen  Interesses  auf  weiteste  Schichten  des 
Volkes,  das  in  jedem  Lande,  jedem  LandesteU,  ja  fast  jeder  Stadt 
mit  halbwegs   beachtenswerter  Vergangenheit  historische  Vereine  er- 

2» 


A 


—     20     — 

stehen  lieis.  Die  Lausitzen  besalsen  keinen  besonderen  Gescbichts- 
verein,  auch  keine  Lokalvereine ;  das  Verlang'en  danach  trat  nicht  zu 
Tage,  weil  die  historischen  Wünsche  und  Bedürfnisse  von  Anbeginn 
an  in  der  Gesellschaft  der  Wissenschaften  und  im  Magazin  stets  be- 
reitwilligste Förderung  gefunden  hatten.  Je  stärker  aber  der  historische 
Sinn  erwuchs,  um  so  gebieterischer  machte  sich  die  Landes- 
geschichte  neben  tmd  schließlich  vor  und  über  den  anderen 
Disziplinen  geltend.  Das  Arbeitsgebiet  der  Geschichte  hatte  sich  in- 
zwischen auch  wesentlich  ausgedehnt;  sie  wurde  einerseits  immer  um- 
£assender  und  bezog  weitere  neue  Aufgaben  herein,  andererseits  wurde 
sie  immer  spezieller,  schuf  sich  eigene  kritische  Grundsätze  u.  s.  w. 
Infolgedessen  verlangte  auch  die  territoriale  Geschichtsforschung  — 
wenn  sie  erspriefslich  gepflegt  werden  sollte  —  mehr  ab  bisher  als 
Selbstzweck  getrieben  zu  werden  tmd  beanspruchte  deshalb  auch  eine 
eigene  Vertretung  ihrer  Interessen.  Der  andere  Umstand  war  persön- 
licher Natur.  Früher  waren  es  vom  besten  Willen  beseelte  Männer 
mit  allgemeiner,  litterarischer  BQdung,  die  als  „wissenschaftliche  Ge- 
schäftsfiihrer  der  Gesellschaft"  (so  in  den  Statuten)  und  Herausgeber 
des  Magazins  fungierten;  fast  alle  waren  keine  fachmännisch  aus- 
gebildeten Historiker,  sondern  Theologen,  klassische  Philologen  u.  a., 
also  Dilettanten  der  Geschichte,  wenn  auch  im  guten,  ursprünglichen 
Sinne  dieses  Wortes.  Seit  aber  in  dem  jetzigen  Sekretär  R.  Je  cht 
ein  fachwissenschaftlich  gebildeter,  selbst  auf  dem  Gebiete  der  Landes- 
geschichte eifrig  und  verdienstlich  thätiger  Historiker  Herausgeber  des 
Magazins  ist,  ist  dessen  Charakter  als  der  einer  Zeitschrift  für 
lausitzische  (d.  h.  besonders  oberlausitzische)  Landes- 
geschichte noch  schärfer  betont  worden,  und,  dank  Jecht's  Be- 
streben, Arbeiten  dilettantischer  Art  fernzuhalten,  darf  sich  dasselbe 
heute  den  besten  provinzialgeschichtlichen  Oiganen  Deutschlands  bei- 
zählen. Ich  sagte  zuletzt  „oberlausitzische"  Geschichte.  Auch  in 
dieser  Hinsicht  ist  eine  gewisse  Verschiebung  eingetreten.  Früher 
besafs  die  Niederlausitz  kein  eigenes  Organ  für  ihre  Landes- 
geschichte *) ,  sondern  dafür  diente  das  Magazin  auch  mit ,  das  in 
seinen  Bänden  viel  wertvolles  Material  zur  niederlausitzischen  Ge- 
schichte in  gröCseren  und  kleineren  Aufsätzen,  Urkundenveröffent- 
lichungen u.  s.  w.  enthält.  Seit  15  Jahren  aber  ist  ihr  eine  eigene 
Pfleg-  und  Heimstätte  in  der  Niederlausitzischen  Gesellschaft 

i)  VgL  hierüber  die  einleitenden  Bemerkungen  S.  III  und  IV  meines  1894  er- 
schienenen Buches  „Wettiner  und  Witteisbacher  sowie  die  Niederlausitz  im  XIV.  Jahr- 
hundert". 


—     21     —     • 

für  Anthropologie  und  Altertumskunde  und  deren  Organ, 
den  Niederlatisitzer  Mitteilungen  (herausgegeben  von  Professor 
Hugo  Jentsch  in  Guben)  erstanden,  und  dadurch  ist  das  Neue 
Lausitzische  Magazin  von  seinen  niederlausitzer  Verpflichtungen  zum 
Teil  entlastet  worden ,  ohne  indes  für  künftig  die  Aufnahme  auch 
niederlausitzischer  Gegenstände  auszuschlieisen;  jedenfalls  aber  ist  da- 
durch der  Charakter  des  Magazins  als  des  Organs  oberlausitzischer 
Geschichtsforschung  noch  stärker  hervoi^etreten ,  nur  zu  deren  Vor- 
teil selbst,  denn  dadurch  ist  ihr  eine  viel  intensivere  Bethätigung 
ermöglicht. 

Das  älteste  Organ  der  Gesellschaft  waren  die  von  den  Stiftern 
K.  G.  von  Anton  und  A.  T.  von  Gersdorf  1782  in  sechs  Stücken 
herausgegebenen  Provinzialblätter  und  dann  seit  1793  die 
Latisitzische  Monatsschrift  (die  1790—92  Dr.  Pescheckals  eigenes 
Unternehmen  veröffentlicht  hatte  und  jetzt  vertragsweise  an  die  Ge- 
sellschaft abtrat),  bis  1799  unter  dem  alten  Titel,  i8<X) — 1808  als 
Neue  Lausitzische  Monatsschrift,  Als  diese  1808  einging,  blieb 
nicht  nur  die  Gesellschaft  der  Wissenschaften  ohne  eigenes  Organ, 
sondern  die  Lausitzen  überhaupt  ohne  eine  regelmäfsige  Publikations- 
stätte. Zunächst  war  es  wieder  privates  wissenschaftliches  Interesse, 
das  nach  langer  Pause  J.  G.  Neumann,  einen  Görlitzer  Geistlichen, 
bewog,  der  Heimat  eine  entsprechende  Zeitschrift  zu  schenken :  er  gab 
1821  den  ersten  Band  seines  Neuen  Lausitzischen  Magazins^)  her- 
aus. Bis  an  seinen  Tod  1831  leitete  er  dieses  Unternehmen,  von 
dem  damals  neun  Bände  vorlagen;  dem  drohenden  Eingehen  der 
allgemein  als  nützlich  anerkannten  Zeitschrift  beugte  die  Gesellschaft 
vor,  indem  sie  deren  Fortftihrung  als  ihres  Organs  imter  Übertragung 
der  Redaktion  an  Ch.  A.  Pescheck  übernahm.  Auf  letzteren  folgten 
im  Laufe  von  fast  sieben  Jahrzehnten  J.  L.  Haupt,  E.  Tillich, 
O.  Janke,  C.  G.  Th.  Neumann,  G.  Köhler,  G.  T.  L.  Hirche, 
T.Wilde,  E.  E.  Struve,  K.  F.  Schönwälder,  R.  Jecht.  Seit* 
dem  gehören  die  Namen  des  Neuen  Lausitzischen  Magazins  und  der 
Oberlausitzischen  Gesellschaft  der  Wissenschaften  als  zwei  untrennbare 
Begriffe  zusammen. 

Eine    lange    Reihe   von    75    Bänden   des  Magazins  lag  vor,  als. 


i)  Neues  Magazin  naimte  er  es  in  äofserer  Anlehnung  an  die  im  XVIII.  Jahrhundert 
von  dem  Laubaner  Geistlichen  G.  Dietmann  herausgegebene  Zeitschrift,  das  „Lau- 
sitzische Magazin  oder  Sammlung  verschiedener  Abhandlungen  und  ~*  ^  '  "*n  zum 
Behuf  der  Natur-,  Kunst-,  Welt-  und  Vaterlandsgeschichte,  4m^^  "^ 

Wissenschaften"  in  4**,  das  1768— 1792  in  Görlitz  erschien'"' 


—     22     — 

einem  längst  und  vielfach  empfundenen  Bedürfnis  entgegenkommend, 
die  Gesellschaft  in  Dr.  W.  von  Bötticher,  der  ihr  in  den  letzten 
Jahren  schon  manchen  Beitrag  zur  oberlausitzischen  Geschichte  ge- 
liefert hat,  den  geeigneten  Bearbeiter  eines  Generalregisters  über 
den  Inhalt  aller  bisherigen  Bände  fand.  Dasselbe  wurde  uns  im 
76.  Bande  (1900)  beschert.  Erst  diese  mühevolle,  höchst  verdienstliche 
Arbeit  erschliefst  die  Fülle  des  in  den  75  Bänden  aufgehäuften 
Materials  und  macht  dadurch  das  Neue  Lausitzische  Magazin  richtig 
brauchbar,  macht  also  aus  einem  blofsen  Magazin,  aus  einem  grofsen 
historischen  Stoffspeicher,  in  welchem  in  zufalliger  Schichtung  eines 
neben  dem  andern,  das  Wichtige  neben  dem  Unbedeutenden,  auf- 
gestapelt liegt,  eine  überhaupt  erst  benutzbare  und  dadurch  nutz- 
bringende Fundstätte  und  HUfsquelle  historischer  Forschung. 


Mitteilungen 

Archive.  —  Wiederholt  ist  im  Laufe  des  letzten  Jahrzehnts  seitens 
der  Historiker  die  Forderung  aufgesteUt  worden,  die  Archive  sollten 
ihre  Inventare  veröffentlichen.  Aber  nur  wenige  von  denen,  die 
derartiges  verlangten,  werden  sich  die  Schwierigkeiten  einer  solchen  Ver- 
öffentlichung voll  vorgestellt  haben;  denn  darüber  kann  fUr  den  Sachkenner 
kein  Zweifel  sein,  dafs  die  vorhandenen  Repertorien,  die  dem  täglichen  Ge- 
brauche der  Archivbeamten  dienen,  immöglich  so,  wie  sie  sind,  gedruckt 
werden  können.  Bei  einer  Drucklegung  gewisser  Teüe  aus  den  Repertorien 
kann  es  sich  um  zweierlei  handeln:  erstens  kann  die  ganze  Einteüung 
eines  Archivs  zum  Gebrauche  für  die  Benutzer  knapp  und  übersichtlich  dar- 
gestellt werden ,  wie  es  bei  vielen  Archiven  geschehen  ist  ^)  und  zuletzt  in 
mustergiltiger  Weise  bei  den  preufsischen  Staatsarchiven  Hannover  und 
Schleswig*),  oder  es  können  zweitens  gewisse  Teüe  eines  Archivs  einer 
Quellenedition  ähnlich  für  den  Druck  bearbeitet  werden.  Diese  letztere 
Thätigkeit,  an  welche  man  in  den  Kreisen  der  Historiker  wohl  meist  ge- 
dacht hat,  erfordert  aber  eine  ganz  gewaltige  Arbeitsleistung,  wenn  anders  in 
knappster  Form  das  Wichtigste  geboten  werden  soll.  Zuerst  hat  derartiges 
Höhlbaum  in  den  Mitteilungen  aus  dem  Stadtarchiv  von  Köln  verwirklicht  •), 

1)  Es  wurde  schon  über  eine  Reihe  derartiger  Übersichtsinventare  in  dieser  Zeit- 
schrift berichtet,  nämlich  Lüneburg  I,  S.  108;  Frankfurt  a.  M.  I,  S.  293/94; 
Zürich  I,  S.  296;  Eger  I,  S.  297.  Eine  systematische  Übersicht  der  Bestände  des 
Kreisarchivs  Würzburg  enthält  das  „Archiv  des  historischen  Vereins  von  Unterfranken 
und  Aschaffenburg"  XXIV,  Heft  2/3,  S.  329 ff.  Die  Übersicht  über  das  Dortmunder 
Archiv  von  Rubel  ist  enthalten  im  VIII.  Bande  der  „  Beiträge  zur  Geschichte  Dortmunds 
und  der  Grafschaft  Mark".  Von  demselben  erschien  1897  bei  Koppen  in  Dortmund  als 
selbständij^e  Schrift:  Kurzes  Inventar  des  Dortmunder  historischen  Stadtarchivs, 

2)  Vgl.  diese  ZciUchrift  U.  Bd.,  S.  185-186. 

3)  Vgl.  diese  Zeitechrift  I.  Bd.,  S.  1 72  —  1 75.  Ähnlich  in  Frankfurt.   Ebenda  S.  293—295. 


—     23     — 

als  erstes  unter  den  staatlichen  Archiven  ist  aber  das  Grolsherzoglich 
Badische  Generallandesarchiv  ^)  zu  einer  derartigen  Veröffentlichung  geschritten. 
Der  Titel  der  Publikation  lautet:  Inventare  des  Oro (^herzoglich  Badischen 
Oenercd^Landesarchivs.  Herausgegeben  von  der  Gro/^herxoglu^^enArchivdirektion. 
Erster  Band.  Karlsruhe,  Chr.  Fr.  Müller,  1901  (320  S.  8<>).  Die  kurze 
Einleitung  unterrichtet  über  die  drei  Archive  (Grofsh.  Familienarchiv ,  Haus- 
und Staatsarchiv,  Landesarchiv),  aus  denen  das  GeneraUandesarchiv  besteht, 
und  beschreibt  deren  Einteilung  mit  jeweiliger  Angabe  der  Bände,  Akten- 
üeiszikel  u.  s.  w.,  die  sich  unter  einer  Rubrik  vorfinden.  Dann  folgen  im 
Hauptteile  des  Bandes  die  ältesten  Urkunden  (bis  1200)  und  zwar  von 
Kaisem  und  Königen,  Päpsten  und  Privaten,  femer  Kaber-  imd  Königs- 
urkunden 1200 — 15 18  und  Papsturkunden  11 98  — 1302.  Dann  werden 
die  Kopialbücher ,  Anniversarien  und  Nekrologien  sowie  die  Handschriften 
verzeichnet  Ebige  Nachträge  finden  sich  zu  den  Urkunden  S.  74,  zu  den 
Kopialbüchern  S.  291 — 292.  Den  Schlufs  bildet  das  alphabetische  Register, 
durch  welches  der  Band  erst  das  wird,  was  er  ist,  eine  nie  versiegende 
Quelle  für  die  oberrheinische  Geschichte.  Die  Urktmden  sind 
nicht  etwa  in  richtigen  Regesten  ihrem  Inhalte  nach  mitgeteilt,  sondem  nur 
ganz  kurz  ist  Datum,  Aussteller  und  Betreff  angegeben,  vielfach  mit  Litteratur- 
verweis.  Dadurch  wird  besonders  fiir  die  Königsurkimden  eine  Übersicht 
gegeben,  wie  wir  sie  so  gedrängt  sonst  nicht  besitzen,  denn  wir  werden  so 
auch  für  das  spätere  Mittelalter  darüber  belehrt,  welche  Königsurkunden  in 
Karlsmhe  zu  finden  sind.  Umgekehrt  ergiebt  das  Register  dann  wiederum 
z.  B.  unter  dem  Stichworte  „Kloster  Reichenau",  welche  Archivalien  mit 
Bezug  auf  dasselbe  in  Karlsmhe  vorhanden  sind.  Die  Kopialbücher  sind 
nach  den  Orten  und  Anstalten,  auf  die  sie  sich  beziehen,  verzeichnet,  und 
ebenso  ist  es  bei  den  Handschriften,  bei  denen  am  Schlufs  der  Einzelhand- 
schriften auch  einige  Sachbetreffe  als  Stichworte  gewählt  sind,  wie  Hexen- 
prozesse, Postwesen  u.  s.  w.  Bei  der  Art  der  Angaben  ist  es  natürlich, 
dafs  sachliche  Hinweise  verhältnismäfsig  selten  sind.  Die  Kenntnis  der  Topo- 
graphie des  Oberrheins  und  besonders  Badens  ist  deshalb  die  Vorbedingung 
für  jeden  Benutzer,  wem  aber  ein  Ortsname  —  vielfach  gilt  dasselbe  auch 
für  Personennamen  —  mehr  ist  als  eine  Mehrheit  von  Buchstaben,  für  den 
ist  das  Inventar  das  Mittel,  um  das  scheinbar  entlegenste  auf  einen  Gegen- 
stand bezügliche  Material  zusammenzubringen.  Wenn  erst  das  versprochene 
Register  zu  den  50  Bänden  der  Zeitschrift  für  die  Geschichte  des  Ober- 
rheins und  noch  einige  Bände  derartiger  Inventare,  wie  der  eben  besprochene 
Band  einer  ist,  vorliegen  werden,  dann  dürfte  in  der  That  in  keiner  deutschen 
Landschaft  das  historische  QueUenmaterial  so  leicht  zugänglich  sein  wie  in  Baden, 
wo  ja  bekanntlich  auch  die  kleinen  Archive  bereits  vollständig  durchmustert  sind. 


Ganz  anderen  Charakter  besitzt  eine  andere  Badische  Archiweröffent- 
lichtmg,  nämlich  Die  Urkunden  des  HeüiggeistspiUüs  xu  Freiburg  im  Breisgau. 
l.  Band:  1255 — 1400  (Freiburg  i.  B.,  Fr.  Wagner  1890.  372  S.  8<>); 
n.  Band:    1401 — 1662    (Ebenda  1900.     640  S.  S».     M.  6).     Die  beiden 

1)  Vgl.  diese  Zeitschrift  II.  Bd.,  S.  90-91. 


—     24     — 

Bände  bilden  Teil  I  und  HI  der  Veröffentlichungen  aus  dem  Archw  der 
Stadt  Freiburg  im  Breisgau  *) ,  der  erste  ist  mit  Vorwort  und  Register  von 
Ad.  Poinsignon,  der  zweite  von  Leonard  Korth  und  Peter  F. 
Albert  bearbeitet,  während  Eduard  Intlekofer  einen  umfangreichen 
Anhang  tmd  ein  Register  dem  zweiten  Bande  angefügt  hat  Sachlich  haben 
wir  es  hier  nicht  mehr  mit  einem  Archivinventar,  sondern  mit  einer  Qu  eilen - 
Veröffentlichung  grofsen  Stils  zu  thun,  da  sorgfältig  gearbeitete,  teilweise 
recht  ausführlich  gestaltete  Regesten  im  wesentlichen  eine  Veröffentlichung 
der  Urkunden  im  vollen  Wortlaute  —  nur  einzelne  sind  ganz  abgedruckt  — 
ersetzen  tmd  somit  für  die  Masse  der  Benutzer  dasselbe  bieten,  was  ein 
dickleibiges  Urktmdenbuch  enthalten  würde.  Der  Leser  ist  vor  allem  da- 
durch entlastet,  dafs  er  das  Formelhafte  in  den  Urkunden  nicht  mitzulesen 
braucht  imd  den  wesentlichen  Inhalt  herausgearbeitet  vorfindet  Über  die  Be- 
deutung eines  solchen  Regestenwerkes  für  die  Freiburgische  Geschichtsforschung 
braucht  bei  der  grofsen  Sorgfialt,  mit  der  die  Register  bearbeitet  sind,  kein 
Wort  gesagt  zu  werden,  aber  auch  ganz  davon  abgesehen,  wohnt  ihm  ein 
allgemeiner  Wert  inne,  auf  den  hier  besonders  hingewiesen  werden  soll.  Da 
schliefst  schon  die  Einleitung  ztmx  ersten  Bande  mit  einer  höchst  dankens- 
werten Zusammenstellung  über  die  „  Schwankimgen  des  Zinsfufses  im  XIV.  Jahr- 
hundert". Die  für  andere  Gegenden  angestellten  Untersuchungen  *)  werden 
dadurch  in  höchst  wiUkonmiener  Weise  ergänzt,  und  wer  es  noch  inmier  nicht 
glaubte,  wird  jetzt  zugeben  müssen,  dafs  von  einem  festen  Zinsfufs  im 
XIV.  Jahrhimdert  nicht  die  Rede  sein  kann.  Lediglich  die  mehrmals  vor- 
kommende untere  Grenze  von  5<>/o  steht  fest,  während  bis  zu  lo^jo  alle 
denkbaren  Werte  vorkommen,  einzelne  sich  auch  darüber  erheben  bis  zu 
14^/0  (1374).  In  dieser  Weise  liefsen  sich  diese  Urkundenregesten  noch 
mannigfach  statistisch  bearbeiten.  Sachregister  zu  den  Namenregistern  würden 
entschieden  zu  weit  geführt  haben,  aber  man  vermüst  sie  dennoch,  wenn 
z.  B.  1360  (I,  S.  184,  auch  1467  II,  S.  234)  von  der  Männerbadstube 
und  der  Frauenbadstube,  die  Zinslehen  des  Spitals  sind,  die  Rede  ist,  oder 
wenn  1343  (I,  S.  128,  auch  I,  S.  64  imd  I,  S.  236)  „edler  weifser  Wein** 
neben  „hunnischem  Wein**  genannt  wird:  die  Begriffsbestimmung  des  letzteren 
hat  ja  bekanntlich  schon  vielen  Forschem  Schwierigkeiten  bereitet  Freibuig 
hatte  1305  den  Jahresanfang  mit  Weihnachten  (I,  S.  23);  die  im  Alpen- 
handel als  Einheit  bekannte  Saumlast  ist  in  Freiburg  zu  einem  Hohlmais 
für  Wein  geworden,  welches  einen  Inhalt  von  115^/1  Liter  besitzt  (I,  S.  XX) ; 
1337  kommt  eine  Walkmühle  vor  (I,  S.  iio,  auch  131 7  schon  U,  S.  482); 
1382  giebt  es  eine  Pergamentmachergasse  (I,  S.  235);  die  Fahrhabe  des  im 


i)  Vgl.  darüber  diese  Zeitschrift  U.  Bd.,  S.  63.  Ähnlich  ist  die  Verdfientlichung 
aas  dem  Archiv  tu  Pforzheim.     Ebenda  I,  S.  297. 

2)  Lamprecht,  Deutsches  Wirtschaftsleben  im  Mittelalter  II,  S.  608  ff.  G.  W  i  n  t  e  r , 
Zur  Geschichte  des  Zinsfufses  im  Mittelalter  in  „Zeitschrift  ftir  Sozial-  and  Wirtschafts- 
geschichte", IV.  Bd.  (1896),  S.  161 — 175.  Jastinian  Ladurner  im  „Archiv  ftir 
Geschichte  und  Altertomskunde  Tirols'«,  V.  Bd.  (1869),  S.  85.  H.  v.  Eicken,  Zur  Ge- 
schichte des  Zinsfufses  in  den  niederrheinisch-westfälischen  Territorien  in  der  „West- 
deuUchen  ZeiUchrift  ftir  Geschichte  und  Kunst«,  II.  Bd.  (1883),  S.  52—56.  Über  den  Zins- 
fufs und  namentlich  das  Sinken  desselben  in  der  zweiten  Hälfte  des  XV.  Jahrhunderts  vgl. 
Felix  Priebatsch:  Der  märkische  Handel  am  Ausgange  des  Mittelalters  [■■  Schriften 
des  Vereins  für  die  Geschichte  Berlins,  36.  Heft  (1899),  S.  52]. 


—     25     — 

Spital  Verstorbenen  verfallt  dem  Spital  (145 1,  II,  S.  176);  1434  ist  ein 
Safranacker  bezeugt  (II,  S.  96];  Safran  ist  1456  zehntpflichtiges  Gewächs 
(II,  S.  206);  Safran  wird  an  Stelle  des  Weins  angebaut  1469  (II,  S.  346); 
1476  wird  ein  Spitalschreiber  angestellt  und  sein  Pensionsverhältnis  geregelt 
(II,  S.  282);  1478  steht  der  Guldenkurs  auf  11^/9  Schilling,  der  Goldgulden 
gilt  i2^/s  Schilling  (II,  S.  299);  1466  (II,  S.  231)  ist  ein  Patätis  Lam- 
parter,  1479  (H»  S.  307)  ein  Conrat  Lamparter  bezeugt.  Dies  sind  nur 
einige  Beispiele  dafür,  wieviel  namentlich  wirtschaftsgeschichtliche  Ebzelheiten 
sich  in  jeder  solcher  Urkundensammlung  finden  lassen.  Von  ganz  allgemeiner 
Bedeutung  ist  die  Spitalsordnung  von  13 18,  die  zwar  schon  im  Urkimden- 
buch  der  Stadt  Freiburg  gedruckt  ist,  aber  dennoch  mit  Recht  hier  (I,  S.  5  7 — 62) 
nochmals  eine  Stelle  findet.  Dasselbe  gilt  von  der  vom  Rate  1480  erlassenen 
Ordnung  für  das  Haus  der  Sondersiechen  d.  i.  Aussätzigen  (II,  S.  535 — 539). 
Für  jeden,  der  sich  mit  ähnlichen  Dingen  in  anderer  Gegend  beschäftigt, 
liegt  in  solchen  verwandten  Stücken  ein  Schatz  vergraben,  der,  einmal  ge- 
hoben, das  Verständnis  des  eigenen  Materials  in  höchstem  Mafse  fordern 
hilft  —  Diese  allgemeine  Bedeutung  örtlicher  Urkundensammlungen  als  vor- 
nehmlich kulturgeschichtlicher  Quellen  darf  nie  vergessen  werden,  aber  frei- 
lich ist  es  immer  gut,  wenn  der  dargebotene  Stoff  auch  zu  Darstellimgen 
verarbeitet  wird,  imd  für  solche  sind  ja  in  den  Organen  der  deutschen  Ge- 
schichtsvereine stets  liebevolle  Abnehmer  vorhanden! 

Kominlssloiieil.  —  Die  historischen  Kommissionen,  meist  aus  staat- 
lichen oder  in  Preufsen  provinziellen  Mitteln  imtersttitzt ,  haben  gröfsere  Ge- 
biete, Länder  und  Provinzen,  zum  Felde  der  Thätigkeit  erkoren  und  widmen 
sich  vorwiegend  der  Quellenveröffenüichimg,  während  die  kleine  Thätigkeit, 
namentlich  die  Herausgabe  orts-  und  landesgeschichtlicher  Zeitschriften  in  der 
Regel  den  Vereinen  überlassen  bleibt.  Aber  wo  eine  Stadt  gemeinde  sich 
entschliefst,  gröfsere  Mittel  für  geschichtliche  Forschimgen  aufzuwenden  und 
nicht,  wie  es  meist  der  Fall  ist,  ein  unterstützungsbedürftiger  Verein  — 
jeder  Verein  hat  diese  Eigenschaft  —  sich  beizeiten  tun  die  städtischen 
Mittel  bewirbt,  da  ist  wohl  Platz  auch  für  städtische  historische 
Kommissionen.  Ein  Versuch  zur  Gründung  einer  solchen  ist  einmal  in 
Duisburg  gemacht  worden:  Zufolge  eines  Vortrages  des  Gerichtsrats 
Stiefel  im  Wissenschaftlichen  Verein  über  Duisburgs  Nachbarschaften  wurde 
ein  Fonds  zur  Herausgabe  Duisburger  Geschichtsquellen  gesammelt  imd  eine 
Kommission  zur  Verwaltung  desselben  eingesetzt  Als  Mitglied  dieser  Kom- 
mission gab  L.  Stiefel  die  Duisburger  Stadtrechnung  von  14 17  (Duisburg 
1883,  Druck  tmd  Kommissionsverlag  von  Joh.  Ewich)  heraus  und  bezeichnete 
sie  als  Beiträge  zur  Geschichte  der  Stadt  Duisburg ,  veröffentlicht  durch  die 
historische  Kommission  der  Stadt.  Heft  2,  Ein  erstes  Heft  ist  nicht  er- 
schienen, als  solches  dachte  sich  Stiefel  wohl  das  1881  erschienene  Gym- 
nasialprogramm Duisburger  AÜerthümer  von  Gent  he.  Bei  diesen  Anfängen 
ist  es  geblieben.  Als  1896  der  Ingenieur  A.  Bonnet  die  Stadt  Duisburg 
verlassen  woUte,  bot  er  auf  Veranlassung  von  Prof.  AverdnikL  seine  be- 
deutende Umensammlung,  die  aus  Duisburger  keltischen  ur  ''hen 
Gräbern  stammte,  der  Stadt  an,  welche  das  Geschenk  r^' 
annahm,   den   Gegenständen   denmächst  eine    würdf 


—     26     — 

schaffen.  Bald  darauf  wurde  auch  der  von  Averdunk  gestellte  Antrag  an- 
genommen, eine  „Städtische  Kommission  zur  Sammlung  Duisburger  Alter- 
tümer** zu  bilden.  Das  gesammelte  Material  hat  bereits  in  einem  Teile  des 
neuen  Rathauses  Unterkunft  gefunden,  dessen  förmliche  Einweihung  im  Mai 
1902  stattfinden  soll. 

Mit  grofsem  Erfolge  ist  hingegen  die  zur  Pflege  der  Ortsgeschichte  in 
Heidelberg  seit  1876  bestehende  „Kommission  für  Geschichte  der 
Stadt  Heidelberg''  thätig,  die  zunächst  die  Aufgabe  hat,  die  „Städtische 
Kunst-  und  Altertümersammlung**  zu  verwalten.  Neben  dem  durch  seinen  Namen 
genügend  charakterisierten  „Heidelberger  Schlofsverein**  sucht  die  Kommission 
die  Stelle  eines  Geschichtsvereins  fUr  Heidelberg  und  Umgebung  zu  ersetzen, 
und  ihr  Beginnen  hat  die  besten  Früchte  getragen.  Seit  ihrer  Gründung 
stand  sie  unter  Leitung  von  Albert  Mays  (f  1893),  ^^^  ^^^^^  dessen 
Tode  haben  der  Oberbürgermeister  der  Stadt  Dr.  Wilckens,  als  Vorsitzender, 
und  ab  dessen  Stellvertreter  Schuldirektor  Thorbecke  die  Führung  der 
Geschäfte  übernommen.  Besondere  Aufgaben  erwuchsen  der  Konmiission, 
als  1879  ^^  Stadt  auf  Anregung  von  Albert  Mays,  der  ihr  auch  seine 
wertvolle  Pfälzische  Sammlung  von  Münzen,  Gemälden,  Stöcken  u.  s.  w.  ver- 
machte, die  Graimbergische  Sammlung,  welche  sich  auf  die  ganze  Pfalz  er- 
streckt, auf  dem  Schlosse  erwarb.  Deren  Leitung  und  Vermehrung  ist  ihre 
vornehmste  Aufgabe,  aber  auch  fUr  die  Erhaltung  geschichtlicher  Reste  an 
Baulichkeiten  sorgt  die  Kommission,  wie  sie  auch  das  leider  nur  bis  in  den 
Anfang  des  XVIIL  Jahrhunderts  zurückreichende  Stadtarchiv  und  eine  Bibliothek 
verwaltet  und  aufser  dem  regelmäfsigen  Erscheinen  einer  „Chronik  der  Stadt** 
(von  1865 — 75  handschriftlich  bearbeitet  von  Dekan  Wirth,  1885  — 1892 
von  Professor  Gom,  1893 — 1896  herausgegeben  von  Prof.  Waag,  seitdem 
von  Thorbecke)  auch  Studien  zur  pfalzischen  Geschichte  veranlafst  In  letzterer 
Hinsicht  griff  Mays  den  bereits  1868  bis  1870  von  Dekan  Wirth  (Eppingen) 
verwirklichten  Plan  einer  Zeitschrift  für  Heidelberg  imd  die  Pfalz  wieder  auif 
und  begann,  besonders  unterstützt  von  Karl  Christ,  1890  die  Heraus- 
gabe des  Neuen  Archivs  für  die  Geschichte  der  Stadt  Heidelberg  und  der 
rheinischen  Pfcdx,  wovon  1892  der  erste,  1894  der  zweite  imd  1898  der 
dritte  Band  erschienen  sind  (Kommissionsverlag  von  Gustav  Koester  in  Heidel- 
berg). Eben  wird  der  vierte  Band  (1901)  abgeschlossen,  aber  es  steht  zu 
hoffen,  dafs  allmählig  jedes  Jahr  ein  Band  erscheinen  kann.  Dieses  „Neue 
Archiv**  kann  den  besten  ortsgeschichtlichen  Zeitschriften  zur  Seite  treten: 
es  bietet  gleich  im  ersten  Bande  (durch  Mays  und  Christ)  eine  ortsgeschicht- 
liche Quelle  ersten  Ranges,  das  Verzeichnis  der  Heidelberger  Einwohner- 
schaft von  1588,  im  zweiten  Bande  tritt  ein  Bruchstück  einer  ähnlichen  Liste 
von  1600  hinzu.  Aus  dem  dritten  Bande,  der  mehrere  kleinere  Aufsätze 
bringt,  sei  nur  auf  den  von  Karl  Christ  Das  Steuerwesen  von  KurpfcUx 
im  Mittelalter  (S.  200 — 264)  hingewiesen,  im  vierten  Bande  veröffentlicht 
Sillib  Urkunden  und  Akten  zur  Geschichte  des  Heidelberger  Augustiner- 
klosters (1279 ff.).  Die  Stadt  Heidelberg  wendet  für  ihre  Sammlung  imd 
die  verschiedenen  Arbeiten  der  Kommission  im  ganzen  jährlich  gegen 
13000  Mk.  auf,  wovon  über  5000  Mk.  die  Eintrittsgelder,  die  in  der 
auf  dem  Schlosse  aufgestellten  Sammlung  erhoben  werden,  decken.  Aus- 
grabungen vorgeschichtlicher,    römischer  und  germanischer  Ansiedlungen  auf 


-     27     - 

beiden  Ufern  des  Neckar  hat  die  Stadtverwaltung  unter  Leitung  von 
Prof.  Karl  Pf  äff  mit  sehr  bedeutenden  Ergebnissen  vornehmen  lassen, 
für  die  Zukunft  ist  die  Herausgabe  eines  städtischen  Urkundenbuches  und 
einer  darstellenden  Stadtgeschichte  beschlossen,  die  wissenschaftliche 
Bearbeitung  der  Pfälzischen  Münzentwicklung  (durch  Carl  Joseph  in 
Frankfurt)  ist  bereits  in  bestem  Gange  —  kurz,  es  wird  in  Heidelberg 
mit  städtischen  Mitteln  dasselbe  erreicht,  wie  anderwärts  durch  einen  Verein, 
aber  eine  gröfsere  Konzentrierung  der  Arbeit  wird  durch  diese  Organi- 
sation ermöglicht,  und  auch  besonders  kostspielige  Unternehmungen  werden 
sich  in  diesem  Falle,  wo  die  Bürgerschaft  die  verlangten  Mittel  gern  be- 
willigt, jederzeit  leichter  ausführen  lassen  als  dort,  wo  ein  Verein  erst  jahre- 
lang sparen  mufs  und  wo  die  verschiedensten  Interessen  gleichzeitig  berück- 
sichtigt werden  müssen. 

Personalien.  —  Am  2.  April  1901  entschlief  zu  Konstanz  a.  6. 
ein  Mann,  dessen  ganzes  Leben  der  Geschichte  seiner  Vaterstadt  gewidmet 
war:  Ludwig  Leiner,  der  Schöpfer  des  Konstanzer  Rosgartenmuseums. 
Von  Hause  aus  Apotheker  tmd  Stadtrat,  trat  der  schlichte  Forscher  auf 
historischem  Gebiet  weniger  an  die  Öffentlichkeit,  wenn  auch  die  Westdeutsche 
Zeitschrift  (zuletzt  Bd.  XIX,  S.  364)  sowie  anthropologische  Organe  regel- 
mäfsige  museographische  Berichte  aus  seiner  Feder  enthielten.  Wer  aber 
einmal  das  Rosgartenmuseum  in  Konstanz  durchwandert  hat,  der  wurde  von 
Bewunderung  erfüllt  über  den  Bienenfleifs  des  Sammlers,  wie  über  die  künst- 
lerische Hand  des  Ordners.  Den  breitrandigen  schwarzen  Hut  auf  dem 
silberumlockten  Kopfe,  zwei  mild  leuchtende  dunkle  Augen  hinter  einer  gol- 
denen Brille,  stets  im  schwarzen  Rocke,  ein  kleines  Kistchen  voll  neu  ein- 
zureihender Funde  in  der  Hand,  so  schritt  bis  zuletzt  der  rüstige  Greis 
von  seiner  Wohnung,  dem  Malhaus  in  Konstanz,  nach  dem  unweit  gelegenen 
Rosgartenmuseum.  Wer  ihn  aber  zu  Hause  aufsuchte,  fand  ihn  am  Schreib- 
tische, wie  er  mit  einer  für  unsere  nervöse  Zeit  bewundernswerten  Schön- 
schrift seine  Museumssachen  etikettierte. 

Ab  Sohn  einer  alten  Konstanzer  Familie,  die  seit  Jahrhunderten  der 
Vaterstadt  im  Rate  ihre  besten  Söhne  lieh,  wurde  L.  Leiner  am  22.  Februar 
1830  geboren.  Sein  Geburtshaus,  die  Stätte  seines  segensreichens  Wirkens, 
der  Ort  seines  Hinscheidens,  fallen  zusammen.  Am  Obermarkt  zu  Konstanz, 
jenem  denkwürdigen  Platze,  wo  141 7  der  Burggraf  von  Nürnberg  mit  der 
Markgrafschaft  Brandenburg  beliehen  wurde,  ragt  das  Patrizierhaus,  die 
Leinersche  Apotheke  zum  Malhaus,  seit  dem  Mittelalter  empor.  L.  Leiner 
war  es  bestimmt,  die  äufseren  Lebensschicksale  seines  Vaters,  des  Apothekers 
und  Stadtrates  Fr.  Xav.  Leiner,  zu  teilen.  Nach  fünfjährigem  Besuch  des 
Konstanzer  Lyceums  trat  der  Vierzehnjährige  als  Lehrling  in  die  väterliche 
Apotheke.  Nach  Umlauf  der  Lehrzeit  versah  der  junge  Mann  mehrfach  Ge- 
hilfenstellen in  auswärtigen  Apotheken  und  besuchte  sodann  1851  — 1852 
die  Universität  in  München,  wo  er  seine  pharmazeutischen  Studien  am  19.  Mai 
1852  mit  der  Note  „Vorzüglich"  zum  Abschlufs  brachte.  Noch  im  gleichen 
Jahre  übernahm  L.  Leiner  nach  dem  Tode  seines  Vaters  das  elterliche  Ge- 
schäft. Die  Stunden  seiner  Mufse  widmete  er  zunächst  der  Botanik,  besonders 
der  Kryptogamie,  und  war  hier  auch  litterarisch  thätig.    Seit  Ende  der  sech- 


—     28     — 

ziger  Jahre  wandte  er  sich,  von  den  Naturwissenschaften  herkommend,  prä- 
historischen Sammlungen  zu.  Bald  aber  zog  er  die  gesamten  Altertümer  in 
den  Kreis  seines  Interesses.  Äufsere  Impulse  dazu  boten  ihm  die  immer 
häufiger  werdenden  Pfahlbautenfunde  der  Bodenseestationen.  Auch  die  För- 
derung der  heimatlichen  lokalen  Geschichtsstudien,  die  der  1868  gegründete 
Verein  für  Geschichte  des  Bodensees  imd  seiner  Umgebung  sich  zur  Aufgabe 
stellte  —  Leiner  war  seit  der  Gründung  eifriges  Mitglied  des  Vereins  — 
blieb  auf  seine  Sanmielthätigkeit  nicht  ohne  Einflufs.  So  gelang  es  ihm,  im 
Jahre  1870  durch  Übernahme  einzelner  kleinerer  vorher  in  Konstanz  be- 
stehender Sammlungen,  unter  finanzieller  Mitwirkung  der  Stadtbehörde,  ein 
der  gothischen  Zeit  entstammendes  ZunfUiaus  „Zum  Rosgarten''  zu  einer 
städtischen  Altertümersammlung  umzuwandeln.  Kein  Opfer  scheute  Leiner, 
lun  diese  seine  Lieblingsschöpfung  zu  einem  würdigen  Denkmale  der  reichen 
Geschichte  seiner  Vaterstadt  auszugestalten.  Von  vornherein  lag  der  Samm- 
lung die  Doppelteilung  einer  naturwissenschaftlichen  und  prähistorischen, 
sowie  einer  historischen  Gruppe  zu  Gnmde.  Seitdem  Leiner  1881  die  Apo- 
theke zum  Malhaus  seinem  einzigen  Sohne  übergeben  konnte,  widmete  er 
seine  volle  Zeit  der  Konservatorthätigkeit.  Der  wirtschaftliche  AuCschwung 
der  Stadt  Konstanz  machte  es  möglich,  im  letzten  Jahrzehnt  die  Geldmittel 
zu  zwei  Erweiterungsbauten  des  Sammlungsgebäudes  flüssig  zu  machen.  Da- 
durch war  es  Leiner  beschieden,  die  Erfüllung  seines  alten  Lieblingsgedankens 
noch  zu  erleben,  nach  dem  Vorbilde  der  grofsen  Staatssammlungen  kultur- 
geschichtliche Einzelgemächer  einzurichten  und  so  die  Sammlung,  die  vorher 
in  den  beschränkten  Räumen  an  erheblicher  Überladung  gelitten  hatte,  sach- 
gemäfs  zu  verteilen. 

Ein  Tag  höchster  Anerkennung  war  für  Leiner  der  Besuch  der  General- 
versammlung der  deutschen  Geschichts-  und  Altertumsvereine,  denen  er  im 
September  1895  die  Früchte  seines  arbeitsreichen  Lebens  vor  Augen  führte. 

Leiner  war  ein  Antiquar  im  besten  Sinne  des  Wortes.  In  nimmer  müder 
Sanmielthätigkeit  erschöpfte  er  sich.  Ein  feines  kunstsinniges  Gefühl  gewährte 
ihm  die  Möglichkeit,  sich  auch  in  der  Anordnung  der  Sanmilung  als  Kon- 
servator zu  bewähren. 

Dagegen  ist  er  litterarisch  auf  historischem  Gebiete  nie  sehr  hervor- 
getreten ;  aufser  einigen  Aufsätzen  in  den  genannten  Zeitschriften  sowie  namentlich 
in  den  Schriften  des  Vereins  für  Geschichte  des  Bodensees,  hat  er  nach 
dieser  Richtung  gröfisere  Arbeiten  nicht  hinterlassen.  Um  die  Erforschung 
der  eigentlichen  Stadtgeschichte  und  namentlich  um  die  Ordnung  und  Aus- 
beutung des  Stadtarchives  Konstanz  hat  sich  sein  Zeitgenosse,  der  verstorbene 
praktische  Arzt  Marmor  weit  gröfsere  Verdienste  als  Leiner  erworben,  wenn  auch 
die  stille  Thätigkeit  des  Archivars  in  ihren  Repertorien  und  Regestenbänden 
nur  dem  wissenschaftlichen  Benutzer  des  Archives  in  ihrem  vollen  Werte  vor 
die  Augen  treten,  während  Leiners  Lebenswerk  jedermann  erfreut  und  be- 
lehrt Trotzdem  hatten  jene  Zeitungsstimmen  ganz  recht,  welche  Leiner  in 
ihren  Nachrufen  als  das  „historische  Gewissen*'  in  Konstanz  bezeichneten. 
Denn  was  er  an  Veränderungen  und  Zerstörung  des  alten  Stadtbildes  nicht 
verhindern  konnte,  das  schützte  er  wenigstens  vor  dem  Untergänge,  indem 
er  ihm  im  Rosgartenmuseiun  eine  zweite  gastlichere  Heimat  bot  Überall,  wo 
bei  Strafsenveränderungcn  oder  Neubauten  Ausgrabungen  stattfanden,  war  er 


—     29     — 

alsbald  zur  Stelle,  um   die  historischen    Zeugen,   die   der  Boden   barg,    für 
sein  Museum  zu  sammeln. 

Freilich  gehörte  Leiner  auch  als  Konservator  der  älteren  Schule  an, 
die  mehr  sammelte  als  das  Gesammelte  beschrieb.  Man  muiste  Leiner  mit 
vollem  Rechte  als  den  gründlichsten  Kenner  der  Pfahlbautenfunde  des  Boden- 
sees bezeichnen.  Auf  die  geologische  Bestimmung  vieler  Tausende  von 
Steinwerkzeugen  verwandte  Leiner  die  gröfste  Mühe.  Gleichwohl  besitzen  wir 
von  ihm  keine  umfassende  Darstellung  der  Pfahlbautenkultur  des  Bodensees. 
Aber  hochwichtige  Fragen,  wie  die  ethnologische  Bestimmung  der  Stein- 
zeitmenschen,  wie  namentlich  genaue  Vermessungen  von  Umfang,  Art  und 
Technik  der  Anlage  der  Pfahlbauten,  fanden  in  Leiner  keine  nennenswerte 
Förderung.  Es  war  etwas  seiner  Eigenart  Fremdes,  wenn  im  Frühjahr  1898 
bei  dem  damaligen  niederen  Wasserstande  des  Bodensees  auf  Veranlassimg 
des  Verfassers  Professor  Dr.  Schumacher  an  den  Bodensee  entsandt  wurde, 
um  derartige  topographische  Aufnahmen  zu  machen,  wobei  sich  dann  heraus- 
stellte, dafs  in  den  Pfahlbaustationen  durch  jahrzehntelanges  planloses  Auf- 
wühlen nach  Pfahlbaufunden  seitens  einzelner  Seeanwohner,  die  daraus  einen 
Handel  betrieben,  die  wissenschaftliche  Untersuchung  der  Pfahlbaustationen 
überall  erschwert  wurde.  Es  liegt  uns  völlig  fem,  für  diese  Dinge  Leiner 
verantwortlich  zu  machen.  Sein  unvergängliches  Verdienst  besteht  darin,  den 
besten  Teil  der  gemachten  Ausbeute  für  das  Konstanzer  Museum  und  damit 
für  die  Heimat  gerettet  zu  haben,  der  sonst  in  alle  Welt  verschleudert  worden 
wäre.  Für  jene  tieferen  Fragen  fehlte  es  bis  vor  kurzem  eben  überhaupt 
an  der  richtigen  Fragestellung.  Leiner  vermochte  es  nicht,  eine  Ausgrabung 
lediglich  um  ihrer  selbst  willen,  etwa  zur  Feststellung  der  topographischen 
Situation  zu  unternehmen;  sie  erschien  ihm  vielmehr  immer  unter  dem  Ge- 
sichtspunkte des  Erträgnisses,  das  sie  für  den  Sammlungsbestand  des  Ros- 
gartens abwarf.  Freilich  ist  auch  hier  daran  zu  erinnern,  dafs  Leiner  nur 
überaus  beschränkte  städtische  Mittel  für  derartige  Untersuchungen  zur  Ver- 
fügung hatte  und  dafs  er  vieles  in  Ermangelimg  derselben  aus  der  eigenen 
Tasche  bestreiten  mufste. 

Die  Geschichte  der  Stadt  Konstanz  wird  die  Verdienste  eines  ihrer 
besten  Bürger  dahin  zusammenfiaissen  müssen,  dafs  er  zu  einer  Zeit,  wo  noch 
viel  zu  retten  war  und  es  anderwärts  vielfach  an  dem  erforderlichen  anti- 
quarischen Interesse  fehlte,  durch  nimmer  müden  Sammelfleifs  seiner  Vaterstadt 
im  Rosgartenmuseum  ein  getreues,  bis  ins  Kleinste  vollständiges  Bild  ihrer 
Vergangenheit  geschaffen  hat.  Die  deutsche  Altertumswissenschaft  verehrt 
in  ihm  einen  der  bedeutendsten  Erforscher  und  Kenner  der  Prähistorie. 

Noch  ist  zum  Schlüsse  der  Verdienste  des  Heimgegangenen  zu  ge- 
denken, die  dieser  sich  auf  anderem  Gebiete  des  öffentlichen  Wohles  erworben 
hat.  Seit  1864  gehörte  Leiner  dem  Konstanzer  Stadtrat  an,  in  welcher 
Stellung  er  sich  namentlich  der  Verschönerung  der  Stadt  durch  Anlagen, 
der  öffenüichen  Armenpflege  und  des  Schulwesens  in  erfolgreicher  Thätigkeit 
annahm.  Neben  vielem  Segensreichen,  das  ihm  auf  diesen  Gebieten  seine 
Entstehung  verdankt,  ist  ihm  allerdings  auch  der  eine  oder  andere  Mifsgriff 
unterlaufen,  so  bietet  es  namentlich  in  der  Lebensgeschichte  dieses  so  hervor- 
ragend antiquarisch  veranlagten  Mannes  einen  Mifston,  dafs  er  in  den  sieb- 
ziger Jahren  des  XIX.  Jahrhunderts  seine  Hand  zu  einer  Neubenennung  der 


—     30     — 

Konstanzer  Strafsen  bieten  konnte,  welche  einen  guten  Teil  altehrwürdiger 
Strafsennamen  aus  der  Welt  schaffte  und  farblose  Gottheiten  wie  „  Boden  *^ 
oder  eine  übertriebene  Verherrlichung  der  tschechischen  Reformatoren  Johannes 
Hus  und  Hieronymus  von  Prag  an  Stelle  alter,  wurzelständiger  Namen  setzte. 
Die  ganze  Sache  findet  nur  einigermafsen  ihre  Erklärung  in  dem  politisch- 
religiösen Kampfe  der  siebziger  Jahre,  in  welchem  sich  Leiner  mit  den 
führenden  Persönlichkeiten  der  Konstanzer  Stadtverwaltung  auf  die  Seite  der  alt- 
katholischen Bewegung  gestellt  hatte.  Viele  der  verhängnisvollen  Strafsen- 
„ umtaufungen**  gingen  auf  das  Bestreben  zurück,  die  Erinnerung  an  die 
kirchliche  imd  klösterliche  Vergangenheit  der  Stadt  Konstanz  aus  der  Gegen- 
wart zu  tilgen. 

Ludwig  Leiner  war  das  Glück  in  vollem  Mafse  beschieden,  für  sein 
selbstloses  Schaffen  die  reichste  Anerkennung  von  allen  Seiten  zu  finden. 
Der  Verein  für  Geschichte  des  Bodensees  und  seiner  Umgebung  zählte  Leiner 
zu  seinen  Veteranen,  verehrte  in  ihm  den  langjährigen  stellvertretenden  Sekretär 
und  ernannte  ihn  im  Jahre  1893  zu  seinem  Ehrenmitglied.  Weiter  war 
Leiner  Ehrenmitglied  des  Münchener  Anthropologischen  Vereins  (seit  1890}, 
der  anthropologischen  Gesellschaft  für  Württemberg  (seit  1897),  des  historischen 
Vereins  des  Kantons  St.  Gallen. 

Badens  Grofsherzog  verlieh  ihm  1873  das  Ritterkreuz  des  Zähringer 
Löwenordens  II.  Klasse;  1887  den  gleichen  Orden  I.  Klasse;  1888  das 
Eichenlaub  zu  letzterem;  1893  die  goldene  Medaille  für  Kunst  und  Wissen- 
schaft und  ernannte  ihn  am  Weihnachtsabend  1899,  wenige  Wochen  vor  Leiners 
70.  Geburtstage,  ziun  Hofrat.  Die  Stadt  Konstanz  ehrte  Leiners  selbstlose 
Heimatliebe  durch  steigende  materielle  Unterstützungen  seiner  Bestrebungen; 
sie  feierte  seinen  70.  Geburtstag  in  aufsergewöhnlicher  Ehnmg  und  erwies 
ihm  nach  dem  Tode  ein  öfientliches  Leichenbegängnis  auf  städtische  Kosten, 
das  sich  zu  einer  gewaltigen  Trauerkimdgebung  aller  seiner  Mitbürger  ge- 
staltete. 

Möge  ihm  die  heimatliche  Erde,  die  er  so  sehr  geliebt,  leicht  sein! 

Konrad  Beyerle  (Freiburg  i.  B.). 


Der  ordentliche  Professor  der  Geschichte  in  Leipzig,  ErichMarcks, 
wurde  in  gleicher  Eigenschaft  an  die  Universität  Heidelberg  berufen;  Fried- 
rich V.  Bezold  in  Bonn  hat  den  an  ihn  ergangenen  Ruf  nach  Leipzig  ab- 
gelehnt Als  Nachfolger  v.  Heinemanns  in  Tübingen  wurde  Georg  v.  Below 
aus  Marburg  berufen.  An  seine  Stelle  tritt  Konrad  Varrentrapp,  bisher 
in  Strafsburg.  An  der  Universität  Czemowitz  wurde  Raimund  Kaindl 
zum  a.  o.  Prof.  für  österreichische  Geschichte  ernannt,  in  Leipzig  Felix 
Salomon  zum  a.  o.  Prof. 

In  ^\1en  habilitierte  sich  der  Konservator  am  k.  u.  k.  Heeresmuseum 
Wilhelm  Erben  für  österreichische  Geschichte  an  der  Universität;  in  Stutt- 
gart an  der  Technischen  Hochschule  E.  Marx  aus  Mannheim  für  neuere 
Geschichte;  in  Berlin  an  der  Universität  Arthur  Haseloff  für  Geschichte; 
in  Bern  an  der  Universität  der  kantonale  Staatsarchivar  Heinrich  Turler 
für  historische  Hil&wissenschaften ;  in  Wien  an  der  Universität  Wilhelm 
Hein  für  allgemeine  Ethnographie. 


—     31     — 

Es  starben  am  5.  April  der  a..o.  Prof.  der  Geschichte  in  Strafeburg 
Ernst  Sackur  38  Jahre  alt;  am  9.  April  in  Düsseldorf  Archivrat  Wilhelm 
Sauer  58  Jahre  alt;  am  6.  Mai  der  Bayerische  Reichsarchivrat  Georg 
Hansen  in  München  49  Jahre  alt;  am  15.  Mai  in  Leipzig  der  frühere 
Oberbibliothekar  an  der  Universitätsbibliothek  Ludolf  Kr e hl  76  Jahre  alt; 
am  17.  Mai  in  Marburg  der  a.  o.  Prof.  der  germanischen  Philologie  Eugen 
Joseph  46  Jahre  alt;  am  ?  Mai  der  Bibliothekar  an  der  LAndesbibliothek 
in  Wiesbaden  Henneberg  38  Jahre  alt;  am  31.  Mai  der  pensionierte 
Universitätsbibliothekar  in  Graz  Alois  Müller  65  Jahre  alt;  am  9.  Juni 
in  Danzig  der  Provinzialkonservator  Adolf  Bötticher  59  Jahre  alt;  am 
16.  Juni  der  Prof.  der  Kunstgeschichte  in  Berlin  Hermann  Grimm  73  Jahre 
alt;  am  17.  Juli  in  Bern  der  frühere  Prof.  der  Geschichte  Hidler  83  Jahre 
alt;  am  20.  Juli  in  Posen  der  Vorsteher  des  Provinzialmuseums  und  der 
LAndesbibliothek  und  zugleich  Konservator  der  Kunstdenkmäler  für  die  Provinz 
Posen  Franz  Schwarz  37  Jahre  alt 

Im  Bereiche  der  Kgl.  Preufsischen  Staatsarchive  wurde  ernannt  der 
bisherige  erste  Sekretär  am  Kgl  Preufs.  historischen  Institut  in  Rom  Prof. 
Walter  Friedensburg  zum  Direktor  des  Staatsarchivs  in  Stettin;  der 
bisherige  Leiter  des  Staatsarchivs  in  Osnabrück  Max  Bär  wurde  in  gleicher 
Eigenschaft  nach  Danzig  versetzt;  in  Düsseldorf  wurde  der  Archivassistent 
Richard  Knipping  zum  Archivar  ernannt;  Georg  Kupke,  bisher 
Assistent  am  historischen  Institut  in  Rom,  wurde  als  Archivar  an  das  Staats- 
archiv in  Posen  berufen.  In  Bayern  wurde  der  Kreisarchivar  in  Neuburg 
a.  D.  Franz  Schneider wirth  zum  Assessor  am  k.  allgemeinen  Reichs- 
archiv in  München,  der  Kreisarchivsekretär  Franz  Joseph  Riedler  in 
Bamberg  zum  Kreisarchivar  in  Neuburg  a.  D.  tmd  der  geprüfte  Reichsarchiv- 
^praktikant  Alfred  Altmann  zum  Kreisarchivsekretär  in  Bamberg   ernannt. 

Der  Direktor  der  Universitätsbibliothek  in  Berlin  Wilhelm  Ermann 
wurde  in  gleicher  Eigenschaft  nach  Breslau  versetzt  an  Stelle  von  Joseph 
Staender,  der  die  Direktion  der  Bonner  Universitätsbibliothek  übernimmt 
Der  seitherige  Direktor  der  letzteren,  Karl  Max  Wilhelm  Sc  haar  Schmidt, 
ist  in  den  Ruhestand  getreten. 

Am  Germanischen  Museum  m  Nürnberg  trat  der  Archivar  Rudolf 
Scheidt  in  den  Ruhestand,  zum  Assistenten  daselbst  wurde  FritzTrau- 
gott  aus  Dahlhausen  in  WestfSUen  ernannt  Als  Direktor  des  neu  errichteten 
Museiuns  f^ir  Völkerkunde  in  Köln  wurde  Dr.  Foy  berufen. 

Eingegangene  Bfleher. 

Rechenschafbbericht  der  Gesellschaft  für  Geschichte  und  Altertumskunde  der 
Ostseeprovinzen  Rufslands,  Abteilung  für  den  Dombau  zu  Riga  1898, 
1899  und  1900.     Riga,  W.  F.  Hacker,  1901.     76  S.  8^. 

Reuter,  Fr.:  Drei  Wanderjahre  Platens  in  Italien  1826 — 1829  mit  zehn 
ungedruckten  Briefen  Platens  an  Kopisch.  [47.  Jahresbericht  des 
Historischen  Verems  für  Mittelfranken.    Ansbach  1900.    S.  i — 65.]    4®. 

Richter,  E.:  Neue  Erörtenmgen  zum  Historischen  Atlas  der  österreichischen 
Alpenländer.  [Sonderabdruck  aus  den  „Mitteilungen  des  Instituts  für 
österreichische  Geschichtsforschung  ".   Ergänzungsband  VI.   S.  85  8 — 870.] 


—     32     — 

Riemann,  Fr.  W.:  Das  frühere  Werdumer  Archiv  [=  Jahrbuch  der  Ge- 
sellschaft für  bildende  Kunst  und  vaterländische  Altertümer  zu  Emden. 
Bd.  XIU  (1899),  S.  70 — 91.] 

Roth,  F. :  Leonhard  Kaiser,  ein  evangelischer  Märtyrer  aus  dem  InnvierteL 
[Schriften  des  Vereins  für  Reformationsgeschichte  Nr.  66.]  Halle,  Max 
Niemeyer,  1900.     51  S.  8^     M.  1.20. 

Seh 00p,  Aug.:  Geschichte  der  Stadt  Düren  bis  zum  Jahre  1544.  Erste 
Lieferung.    Düren,  Kommissionsverlag  von  W.  Solinus,  1901.    95  S.  8^. 

Schulte,  Aloys:  Über  Staatenbildung  in  der  Alpenwelt.  [=  Historisches 
Jahrbuch,  22.  Bd.,  S.  i — 22.] 

Spangenberg,  Hans:  Beiträge  zur  älteren  Verfassungs-  und  Verwaltuogs- 
geschichte  des  Fürstentums  Osnabrück.  [Sonderabdruck  aus  Band  XXV 
der  Mitteilungen  des  Vereins  für  Geschichte  und  Landeskimde  zu  Osnabrück, 
1900.]     143  S.  8^ 

Stein:  Das  markgräfliche  Haus  von  Schweinfurt.  [=  Archiv  des  Historischen 
Vereins  von  Unterfranken  und  Aschaffenburg,  42.  Bd.  (1900).    S.  11 — 56]. 

Therstappen,  Paul:  Köln  und  die  niederrheinischen  Städte  in  ihrem 
Verhältnis  zur  Hansa  in  der  2.  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts.  Marburger 
Dissert.   1901.      120  S.  8®. 

Tille,  Armin:  Getreide  ab  Geld.  [=  Jahrbücher  für  Nationalökonomie 
und  Statistik.     3.  Folge,  Bd.  20  (1900).     S.  721 — 754.] 

Vancsa,  Max:  Politische  Geschichte  der  Stadt  Wien  von  1283  bis  1522. 
[Sonderabdruck  aus  „Geschichte  der  Stadt  Wien",  herausgegeben  vom 
Altertumsverein  in  Wien,  II.  Bd.  2.  Hälfte.]     Wien  1901.     93  S.  4®. 

Vancsa,  Max:  Bibliographische  Beiträge  zur  Landeskunde  von  Nieder- 
österreich im  Jahre  1900.  [Blätter  des  Vereins  für  Landeskunde  von 
Niederösterreich  1 90 1 .] 

Derselbe :  Die  ältesten  Steuerbekenntnisse  der  Stände  in  Österreich  unter  der 
Enns.  [=  Mitteilungen  des  Instituts  für  österreichische  Geschichtsforschung. 
Ergänzungsband  VI,  S.  459 — 472.] 

Derselbe:  Die  älteste  Erwähnung  von  Melk  und  nochmals  der  Grunzwitigau. 
[=  Blätter  des  Vereines  für  Landeskunde  von  Niederösterreich,  1900.] 
19  S.  8^ 

Voretzsch,  Max:  Regesten  der  Originalurkunden  des  Altenburger  Rats- 
archivs vom  Jahre  1256  bis  zum  Schlüsse  des  14.  Jahrhimderts. 
[Sonderabdruck  aus  der  Festschrift  zur  25  jährigen  Jubelfeier  des  HerzogL 
Ernst-Realgymnasiums  zu  Altenburg  am  21.  April  1898].     36  S.  8^. 

Wehrmann,  Martin:  Der  Streit  der  Pommemherzoge  mit  den  Witteis- 
bachern um  die  Lehnsabhängigkeit  ihres  Landes.  [=  Baltische  Studien. 
Neue  Folge.     Bd.  IV,   1900.     S.   17 — 64.] 

Zeller-Werdmüller,  H.:  Die  Züricher  Stadtbücher  des  XIV.  und 
XV.  Jahrhunderts,  II.  Band.  Leipzig,  S.  Hirzel,  1901.  422  S.  8^. 
M.   12. 

Zimmermann,  Franz:  Zur  siebenbürgisch  -  deutschen  Geschichtschreibung, 
besonders  über  die  Besiedlungsfrage.  [=  Mitteilungen  des  Instituts  für 
österreichische  Geschichtsforschung.    Ergänzungsband  VI.    S.  705 — 738.] 


iTerausgeher  Dr.  Armin  Tille  in  Leipfig.   —  Druck  und  Verlag  ron  Friedrich  Andreas  Perthes  in  Gotha, 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsschrift 


cur 


Förderung  der  landesgeschichtlichen  Forschung 

III.  Band  November  1901  2.  Heft 

flaGhträgliGhes  und  fleues  zur  Iiitteratur 

der  t^oland^Bildsäulen 

Von 

G.  SeUo  (Oldenburg) 

Auf  Veranlassung  des  Herausgebers  soll  hier  eine  Nachlese  zu 
meiner  vor  Jahresfrist  veröflfentlichten  Studie  ^)  über  die  Litteratur  der 
Roland -Bildsäulen  gegeben  werden.  Diese  kritische  Rundschau  hat 
mir  teils  direkt,  teils  durch  gefällige  Vermittelung  der  Redaktion  manche 
Zuschrift  eingetragen,  die,  als  Beweise  freundlichen  Interesses  an  der 
Sache,  ich  dankbar  entgegengenommen  habe.  Und  wo  ich,  unter 
Berufung  auf  sie  anpochend,  um  ergänzende  Auskünfte  bat,  hat  man 
mir  überall  bereitwillig  Rede  und  Antwort  gestanden ;  nur  wenige,  um 
der  Sache  willen  zu  bedauernde  Ausnahmen  sind  zu  verzeichnen 
gewesen. 

Eine  vollständige  Bibliographie,  und  damit  ein  erschöpfendes 
Repertorium  aller  unter  dem  Namen  Roland  in  der  Litteratur  auf- 
getauchten Bildwerke,  war  damals  nicht  von  mir  beabsichtigt,  und  ist 
es  auch  jetzt  nicht.  Eine  solche  Arbeit  würde  schon  ihres  Umfanges 
wegen  sich  nicht  in  den  Rahmen  der  Deutschen  Geschichtsblätter 
fügen  ^) ;    auch    ist    das   Material    noch    längst   nicht   in    erwünschter 


i)  Vgl.  Deutsche  GeschichUblätter,  IL  Bd.,  Heft  1^3. 

2)  Um  einen  Begriff  von  dem  Umfange  za  geben,  welchen  eine  solche  Bibliographie 
beansprnchen  würde,  stelle  ich  hier  die  Tor-Zöpflsche  Litteratur  des  Magdeburger  Roland, 
soweit  sie  mir  bekannt  ist,  zusammen,  zugleich  auf  das  verweisend,  was  weiter  unten  bei 
•den  Rolanden  von  Berlin  und  Brandenburg  verzeichnet  ist.  Magdeburger  Schöffen- 
chronik, hrsg.  V.  K.  Janicke  (Gironiken  d.  deutschen  Städte  VII,  1869),  S.  168,  13; 
347,  10  und  Lesarten  dazu;  404,  10.  —  Hartmann  Seh  edel,  Chronicon  mundi, 
berg  1493,  foL  180.  —  Volkslied  aus  der  Zeit  der  Belagerung  Magdebni^ 
bei  Uhland,  Volkslieder  I,  S.  556,  v.  Liliencron,  D.   histor.  Volkslieder,  IV^  ^    ' 


—     34     — 

Vollständigkeit  beisammen,  und  wichtige  Vorfragen  sind  vorerst  zu 
erledigen.  Ich  erinnere  z.  B.  nur  daran,  dafe  für  das  plötzliche  Er- 
scheinen der  Lausitzer  Rolande  in  der  Litteratur  bis  jetzt  jeder 
sachliche  Erklärungsgrund  fehlt,  abgesehen  von  dem  zu  Ruh  1  and, 
welcher  ein  dem  Ortsnamen  entstiegenes  Phantom  ist.  Auch  über 
die  „Brunswick-Säule'*  zu  Prag,  welche  im  Rolands-Katalog  figuriert, 
mangelt  m.  W.  jede  nähere  Nachricht.  In  dieser  Richtung  hat  der 
an  die  Lokalforscher  gerichtete  Appell  in  den  Deutschen  Geschickis^ 
blättern  II,  89  noch  keine  Früchte  getragen. 

Zu  einem  Urteil  freilich  über  die  von  je  in  erster  Linie  und  auch  jetzt 
wieder  so  lebhaft  erörterte  Hauptfrage  nach  der  Entstehung  und 
ursprünglichen  Bedeutung  der  Standbilderreicht  der  vorhandene 
historische  und  archäologische  Stoff  vollkommen  aus;  denn  hierfür 
ist  es  gleichgültig,  ob  wir  einen  Roland  oder  ein  Paar  mehr  oder 
weniger  kennen,  die  eigener  Geschichte  entbehren. 

Damit  ist  die  Roland  frage  aber  nicht  erledigt.  Seit  dem 
Anfange  des  XV.  Jahrhunderts  gewinnen  die  Standbilder  für  das 
städtische  Leben  Norddeutschlands  eine  so  völlig  neue,  umfassende, 
auf-  und  absteigende  Bedeutung,  dafs  es  wünschenswert  ist,  das  ganze 
Material  zu  beherrschen,  um  den  kulturhistorischen  Gemein- 
wert der  monumental- symbolistischen  Strömung,  welche  durch  ver- 
borgene Kanäle  bis  weit  über  die  Grenzen  Sachsenlands  hinausdrang, 
richtig  einschätzen  zu  können. 


vgl.  „Die  Magdeb.  Presse  z.  Z.  der  Reichsacht  n.  s.  w.*',  MoDtagsbeibl.  d.  Magdeb.  Z^^t. 
1876,  nr.  22,  S.  173.  —  G.  Torqaatns,  AnnaL  Magdeb.  et  Halberstad.  1574  (bei 
Boyten,  Monam.  ined.  S.  164 ff.).  —  Joh.  Fomarius,  Sammar.  Begriff  d.  Magdeburg. 
Stadtchron.  1587,  Sign.  SiiaTiij»Xih,  —  Ders.,  Chronica  der  Sachsen,  1588, 
S.  457.  —  Karl  V.  Zierotins  Reisebericht  1588,  s.  Magdeb.  Gesch.-Bl.  U,  242.  — 
Nath.  Chytraeus  (f  1598),  Variomm  in  Europa  itinemm  deliciae  et  inscriptionnm 
moniimenta  (3.  Ausg.  1606,  S.  352,  s.  Magdeb.  Gesch.- Bl.  III,  215).  —  Joh.  Gry- 
phiander.  De  weichbildis  Saxonicis  etc.  1625,  S.  245—247.  —  M.  Zeil  1er,  Itinera- 
rium  Germaniae  1632  (1674,  S.  127;  Reisebericht  von  1612);  Continnaüo  I,  1639,  S.  72.  — 
P.  Bertius,  Commentar.  res.  German.  1632,  S.  601.  —  Benj.  Leuber,  Disquisitio 
plenaria  stapulae  Saxonicae  1658,  {  I256ff.  —  Gottfr.  Gengenbach,  Die  Stadt 
Magdeburg,  d.  i.  Knrtze  Beschreibung  der  Stadt  M.  1678,  S.  4.  —  Joh.  Vulpius, 
Magnificentia  Parthenopolitana  1702,  S.  114.  251.  —  Calvisius,  Das  zerstörte  und 
wiederaufgerichtete  Magdeburg  1727,  S.  107.  —  Joach.  Christ  Westphal,  De 
insignibns  Magdeburgi  1729,  S.  21.  —  (J.  H.  Dielhelm)  Antiquarius  des  Elbstroms 
1741,  Vorrede,  Bl.  2.  —  W.  H  einzelmann.  Über  die  Rolandssäulen  etc.,  in  (Kruses) 
Deutsche  Alterttlmer  u.  s.  w.  III,  1829,  374.  Heft,  S.  125.  —  v.  Quast,  Die  Statue 
Kaiser  Ottos  d.  Gr.  zu  Magdeburg,  in  Ztschr.  f.  christl.  Bauk.  d.  MA.  I,  1858,  wieder- 
holt Magdeb.  Gesch.-Bl.  VII,  202. 


—     35     — 

Aus  diesem  Grunde  wäre  es  vielleicht  richtig  gewesen,  schon 
in  jener  Rundschau  des  verflossenen  Jahres  die  Rolande  des  Deutsch- 
ordensgebietes an  der  Ostsee  zu  erwähnen,  obwohl  dieselben 
keine  eigentliche  Litteratur  besitzen.  Denn  den  von  Elbing  (1404) 
erwähnt  nur  Zöpfl,  den  von  Königsberg  (o.  J.)  Götze,  und  über 
den  von  Riga  (1412/13,  1473/74)  liegt  allein  ein  kurzer  Vortrag  von 
H.  Hildebrand  vor*). 

Das  kulturhistorische  Gesamtbild  läfst  sich  leicht  in  eine  Anzahl 
inhaltlich  anziehender  Einzelgruppen  zerlegen,  deren  gesonderte  Be- 
trachtung wohl  der  Mühe  lohnt. 

Da  wäre  zunächst  etwa  zu  beobachten,  wie  der  Doyen  aller  Ro- 
lande, der  Bremer  y  im  Verfassungs-  und  Volksleben  der  Stadt  eine 
ganz  einzige  Rolle  spielte,  ja  zum  Teil  noch  heute  spielt,  und  darum 
in  der  Dichtung  (Rückert,  Hauff,  Fitger  u.  a.  m.)  seinen  gebührenden 
Platz  erhalten  hat. 

Der  Berliner  Roland  versucht  mit  dem  Bremer  in  dieser  Hin- 
sicht zu  rivalisieren.  Einiges  aus  diesem  Kapitel  hat  Richard  George 
zusammengestellt  (Willibald  Alexis,  Joseph  Lauff,  Ruggiero  Leon- 
cavallo)  *).  Doch  wäre  zunächst  die  Geschichte  der  Statue  festzulegen. 
So  kurz  und  fragmentarisch  dieselbe,  so  lehrreich  ist  sie  doch,  be- 
sonders für  die  Geschichte  der  Rolande  überhaupt.  Auf  ihre  Ent- 
stehung und  die  daraus  zu  ziehenden  Folgerungen  einzugehen,  mufe 
ich  mir  hier  versagen  *) ;  rücksichtlich  ihrer  weiteren  Schicksale  hat 
die  Kritik  vornehmlich  die  unerfreuliche  Aufgabe,  üppige  Wucherungen 
lokaler  Geschichtsklitterung  zurückzuschneiden. 

Die  Kunde  von  der  früheren  Existenz  eines  Roland  in  Berlin  war 
völlig  geschwunden;  sie  wurde  erst   wiedererweckt,   als  E.  Fidicin 


i)  „Die  Rolandfsäalen  und  der  Ruland  von  Riga'*,  Sitzungsberichte  d.  Gesellsch.  f. 
Gesch.-  n.  Altert.-K.  d.  Ostseeprovinzen  Rufslands,  Riga  1875,  S.  69 — 77;  fiilst  in  seinem 
allgemeinen  Teil  lediglich  auf  Zöpfl,  der  mehrfach  mifsverstanden  wird.  Über  den  höl- 
zernen Roland  zu  Riga  bringt  der  Verfasser  S.  76  zwei  kurze  Notizen  aus  dem  städtischen 
Ansgabebuche  fttr  1405/74,  und  meint,  die  Stadt  habe  schon  in  viel  früherer  2^it  vor 
14 12  infolge  des  stets  regen  hambni^isch  •  bremischen  Einflusses  einen  hölzernen  Roland 
besessen. 

2)  „Hie  gut  Brandenburg  alleweg!"  Geschichts-  und  Kulturbilder  aus  der  Vergangen- 
heit der  Mark  und  aus  Alt-Berlin  bis  zum  Tode  d.  Gr.  KurfUrsten.  Berlin  1900,  S.  265  ff.  — 
Vgl.  auch  O.  Tschirch,  Wilibald  Alexis  als  vaterländischer  Dichter  und  Patriot,  Forsch, 
z.  Brandenb.  u.  Preufs.  Gesch.  XII,  1899,  S*  509^*;  insbes.  über  den  Roman  „Der 
Roland  von  Berlin"  S.  529 ff. 

3)  Ich  beziehe   mich   deswegen   auf  meine   unten   zu  erwähnende  Monographie  t^' 
den  Bremer  Roland,  welche  sich  z.  Z.  im  Druck  befindet. 

3* 


—     36     — 

i837  das  Berliner  Stadtbuch  (dessen  Manuskript  im  Jahre  vorher 
durch  Schenkung  des  Bremer  Senats  in  den  Besitz  der  Stadt  Berlin 
zurückgekehrt  war)  veröffentlichte  ^).  Es  giebt  keine  ältere  „Sage** 
von  dem  Standplatze  des  Roland  vor  dem  Hause  „Zur  Rippe**  am 
Molkenmarkt;  Fidicin  ^)  hat  die  von  A.  Cos  mar*)  mitgeteilte  ätio- 
logische Sage  von  dem  Riesen,  dem  Eroberer  Berlins  und  Bewohner 
dieses  Hauses,  an  welchem,  nachdem  er  von  einigen  Bürgern  erschlagen, 
des  Getöteten  Rippe  und  Schulterblatt  *)  zum  Wahrzeichen  befestigt 
wurden,  euhemeristisch  auf  den  von  ihm  wiederentdeckten  Roland 
übertragen;  das  brachte  Oskar  Schwebel**)  auf  die  groteske  Ver- 
mutung, die  beiden  Knochen  seien  ein  spöttisches  Erinnerungszeichen 
an  die  Zerstörung  des  Roland.  Es  giebt  keine  „dunkle,  sagenhafte 
Kunde",  dafe  diese  Zerstörung  infolge  der  Unterwerfung  Berlins  durch 
Kurfürst  Friedrich  IL  im  Jahre  1448  erfolgt*),  und  keine  „Sage**, 
dafe  das  Standbild  im  Berliner  Schlosse  vergraben  wieder  aufgefunden 
worden  sei ').  Jenes  ist  historische  Hypothese,  und  dieses  willkürliche 
Umformung  der  Sage  von  dem  schwertbewaffneten,  automatisch  rich- 
tenden, steinernen  Jungirauenbilde  im  Schlosse  ®). 

Einige   allgemeine  Roland -Notizen    giebt  Fidicin    aufeerdem  •). 
K.  F.  v.  Kl  öden  läfst  die  Errichtung  der  Bildsäule  unmittelbare  Folge 


i)  Histor.  diplomat.  Beiträge  z.  Gesch.  d.  Stadt  Berlin  I,  1837. 

2)  1.  c.  n,  555. 

3)  Sagen  und  Miscellen  aus  Berlins  Vorzeit  1831,  S.  114.  Einfacher  bei  A.  Kuhn 
und  W.  Seh  war  tz,  Nordd.  Sagen  u.  s.  w.  1848,  nr.  80  (mündl.;  vgl.  Anm.  dazu  S.  479); 
danach  in  den  verschiedenen  Ausgaben  von  W.  Schwartz,  Sagen  o.  alte  Geschichten 
aas  der  Mark  Brandenburg  (i.  Ausg.  1871,  S.  57). 

4)  Sie  sind  von  Holz  and  mögen  als  Wirtshauszeichen  gedient  haben;  verwandt  ist 
die  Bezeichnung  des  Hauses  „Zum  blutigen  Knochen**  in  Brandenburg. 

5)  Kulturhistor.  Bilder  aus  der  deutschen  Reichshauptstadt  1882,  S.  188. 

6)  O.  Schwebel,  Aus  Alt-Berlin  1891,  S.  17. 

7)  L.    Schneider,     Der    Roland    von    Berlin     1875,    S.     2.      O.    Schwebel, 

1.  c.  S.  18. 

8)  A.  Kuhn,  Mark.  Sagen  und  Märchen  1843,  Nr.  122  (mttndl.).  Diese  „steinerne** 
Jungfrau  ist  wieder  eine  wunderliche  Metastase  des  berufenen  Folter-  und  Richtinstmraents 
der  „eisernen"  Jungfrau,  deren  Vorhandensein  im  Berliner  Schlosse  W.  Schwartz, 
Sagen  u.  alte  Gesch.,  i.  Ausg.,  S.  57,  erzählt  VgL  M.  F.  Rabe,  Die  eiserne  Jangfraa 
und  das  heimliche  Gericht  im  Kgl.  Schlosse  zu  Berlin  1847;  K.  F.  v.  Klöden,  Andreas 
Schlüter  1861,  S.  56.  57. 

9)  L  c.  I,  31;  n,  555;  vgL  auch  Sello,  Die  Gerichtsverfassung  u.  d.  Schd£fenrecht 
Berlins  bis  z.  Mitte  des  15.  Jh.,  in  Mark.  Forsch.  XVI,  1880,  S.  11.  Die  Jabilfioms- 
ausgabe   des   Berliner   Stadtbuches    1883,   besorgt  vom   Stadtarchivar  Dr.  Clauswiiz, 

^t  den  Roland  gar  nicht  in  ihr  Register  aufgenommen. 


dei  Verleihung  des  Blutbannes  an  die  Stadt  i.  J.  1391  sein  »).  Eine 
phantastische  Abbildung  vom  „Moikenmarkt  vor  500  Jahren"  mit 
dem  Roland  findet  sich  in  dem  Prachtwerke  M.  Rings,  Die  deutsche 
Kaiserstadt  Berlin  (1883,  S,  l).  Wundersame  Dinge  hat  Schwebel 
über  das  Aussehen  der  Berliner  Statue  verbreitet.  Er  beschreibt ') 
„des  Rates  gehamischten  Mann"  als  „ein  riesenhaftes  Bildwerk,  auf 
dessen  uraltem  Haupte  dunkelgrünes  Moos  gewachsen  war,  dessen 
scharfes  Schwert  indes  vom  Rate  spiegelblank  und  ßchartenlos  ge- 
halten ward,  damit  dasselbe  jeden  Friedebrecher  schreckte.  Den  Roland 
zu  Stendal  (von  1525)  verwendet  er  als  Modell  für  den  Berliner 
(XIU./XIV.  Jh.) ');  indem  er  den  wulstigen  Rand  der  federgeschmückten 
Harnischkappe  des  ersteren  milsverstebt  und  des  Hauslauch-Käppchens 
des  Brandenburger  Roland  sich  erinnert,  verfällt  er  schliefsüch  auf 
das  „Laubkränzlein",  welches  dem  Berliner  Recken  „gar  keck  auf 
dem  lockigen,  lang  herabwallenden  Haar"  gesessen  habe  *). 

Die  schaurigen  Hinrichtungen  vor  dem  Roland,  welche  Richard 
George  mit  Schwcbels  Worten  schildert'),  haben  an  dieser  Stelle  nie 
stattgefunden. 

Wie  weit  das  1886  bb  zum  Entwurf  eines  Titelblattes  und  Arbeits- 
planes gediehene  ,,  Verzeichnis  der  geschichtlichen  und  kunstgeschicht- 
lichen Denkmäler  Berlins"  inzwischen  gefördert,  fiir  welches  E.  Friedel 
die  Bearbeitung  des  „Roland  von  Berlin"  und  die  kurze  Behandlung 
der  „Rolandfrage,  soweit  Berlin  in  Frage  kommt",  übernommen  hat, 
weifs  ich  nicht. 

Archäologischen  Spiritismus   möchte   man  das  Bestreben  nennen, 
dem  längst  verschollenen  Bilde  neues  körperliches  Dasein  zu  verleihen. 
Von  dem  Plane  des  Berliner  Geschichtsvereins,   die  Statue  wieder  auf 
ihrem   alten  Standplatze ,  dem  Molkcnmarkte ,  zu  errichten,  ist  bereits 
früher  die  Rede  gewesen  ") ;  inzwischen  ist  der  Recke  in  plumper  Nach- 
ahmung seines  Brandenburger  Bildes  als  Statist  eines  Lauffschen  Dramas 
auf  der  Hoibühne   zu  Wiesbaden  aufgetreten,  u    ' 
in   der    Woche  abkonterfeit   worden;    demnächs 
Tiergarten,  am  Ende  der  Siegesalice,  auf  einem 
nachdem,   wie   es  heifst,    der  Magistrat  die  Aul 

l)  Erläuterung  eiaiger  AbschniUe  des  alten  Berliaiscben 
3)  KoltDrliiitor.  BUder  etc.  S.  1S7. 

3)  Ans  Alt-Berlin  S.  6. 

4)  1.  c  S.  6.   17. 

5)  I.  c  S.  464;  ich  vermag  die  SteUe  in  ScbwebeU  Seh 

6)  Deatsche  GescbichtsbL  II,  44. 


—     38     — 

Werks  vor  dem  Rathause  abgelehnt  hat.  Ist  das,  was  die  Tageszeitungen 
über  die  Gestaltung  der  in  Höhe  von  3^^  m  geplanten  Figur  zu  be- 
richten wissen,  richtig,  so  wird  dieselbe  zu  mancherlei  erheblichen  Be- 
denken Anlafe  geben.  Und  doch  ist  es  gerade  hier  so  leicht,  das 
historisch-richtige  zu  treffen. 

Harmloser  als  diese  gekünstelten  Berolinismen  mutet  uns  die  Hul- 
digung an,  welche  der  verstorbene  Kreisgerichtssekretär  Seligo  dem 
Brandenburger  Roland  ^)  am  400.  Jahrestage  der  Errichtung  seiner 
dort  noch,  wenn  auch  nicht  unverändert,  stehenden  Statue  in  dem 
kleinen  scherzhaften  Epos:  „Die  Schwertweihe  des  neuen  steinernen 
Ruland  den  2.  Dezember  1474  n.  Chr.  Geburt",  darbrachte  *).  Gar 
sinnig  aber  war  die  Ehrung,  welche  der  Brandenburger  Geschichts- 
verein einige  Jahre  früher  (1871)  durch  Überreichung  einer  künstlerisch 
in  Ebenholz  und  Silber  ausgeführten  Nachbildung  des  Roland  seinem 
um  die  Geschichte  von  Stadt  und  Mark  Brandenburg  wohlverdienten 
Ehrenpräsidenten,  dem  Professor  Heffler,  zum  achtzigsten  Geburtstage 
erwiesen  hatte '). 

Dafs  die  erste  Erwähnung  der  Bildsäule  im  Brandenburger  Stadt- 
buche und  die  Deutung  der  dort  eteostichich  verzeichneten  Jahreszahl 
(1402),   sowie   die   älteste  Jahreszahl   an  dem  jetzigen  Stützpfeüer  der 


i)  Ich  verzeichne  folgende  ältere  Litterator  über  denselben:  G.  Sabinns,  de  Brande- 
burgo,  1552  u.  öfter,  von  Z.  Garcäns  (f  1585/86)  bis  auf  seine  Zeit  fortgeführt  und 
mit  Anm.  versehen  im  3.  Buche  seiner  Snccessiones  familiarum  etc.,  edit  J.  Gottl.  Krause, 
1729,  2.  Teil,  S.  342  und  Anm.  auf  S.  344.  —  N.  Leuthinger,  Topogr.  prior 
Marchiae  1597  (edit.  Krause  1.  c.  S.  8).  —  Andr.  Angelus,  Annales  Marchiae  Bran- 
denburg. 1598  (S.  26:  Vom  grofsen  Ruland  zu  Brandenburg,  mit  Holzschn.).  — 
M.  Zeiller,  Itinerarium  Germaniae  1674  (zuerst  1632),  S.  382.  383.  Continuatio  I, 
1639,  S.  205.  —  Joach.  Fromm,  Nomenclatura  rerum,  quae  Brandeburgi  sunt  etc. 
1679,  neu  hrsg.  von  Casp.  Gottschling  1727,  S.  40,  Gottschlings  Anm.  S.  158.  (Platz- 
veränderung des  Roland  17 16,  Okt.  27;  nach  den  gleichzeitigen  Aufzeichnungen  des  Pastor 
Loesecke  zu  Plane  dagegen,  XIII.— XVL  Jahresber.  d.  Brandenb.  Gesch.- Ver.,  S.  11  im 
Jahre  1719.)  —  P.  L.  Berckenmeyer,  Curieuser  Antiquarius  1712  (i.  Aug.  1709), 
S.  577»  —  Nath.  Reinh.  Schaff  er,  Kurzer  Bericht  von  einigen  z.  Kirchen-Historie 
der  Stadt  Brandenburg  u.  s.  w.  dienlichen  Nachrichten  1737,  S.  3.  —  v.  Rochow, 
Geschichtl.  Nachrichten  von  Brandenburg  1821  (lithogr. ;  2.  Ausgabe  von  M.  \V.  Hefifter 
1840,  S.  78).  —  W.  Heinzelmann,  Über  die  Rolandssäulen  etc.,  in  (Kruses)  Deutsche 
Altertümer  etc.,  Halle  III,  1829,  3./4.  Heft,  S.  119. 

2)  Anonym,  doch  mit  dem  Wahlspruch  des  Verfassers:  „Quod  placet  seligo"  be- 
zeichnet, Brandenburg  1874,  bei  J.  Wiesike;  vgl.  übrigens  VII.— XII.  Jahresber.  d,  histor. 
Vereins  z.  Brandenburg  a.  H.  1881,  S.  5.  —  Die  dem  Epos  beigegebene,  von  C.  St(imming) 
gezeichnete  Doppelansicht  des  Rolands  (von  vorn  und  hinten)  ist  nichts  wert. 

3)  II./m.  Jahresber.  pp.   1872,  S.  XXXI. 


—     39     — 

Statue  (1474)  ein  kleines  bellum  diplomaticum  hervorgerufen  ^),  sowie 
dafs  die  vom  Brandenburger  Stadtarchivar  ausgeführte  Roland-Escalade 
diesen  bezüglich  des  hypothetischen  Schildes  der  Statue  zu  anderen 
Ergebnissen  geführt,  als  Wernickes  frühere  Untersuchung  ergeben 
hatte '),  mag  der  Vollständigkeit  halber  erwähnt  werden. 

Auf  dem  Haupte  trägt  der  Brandenburger  Roland  ein  Käppchen 
von  grünendem  Donnerbart  (Hauslauch,  Sempervivum  tectorum),  welche 
Pflanze  dem  Donnergott  heilig  ist');  sinnige  Verwertung  dieses  Mo- 
ments in  der  Donar-Roland-Theorie  ist  bis  jetzt  zu  vermissen. 

Die  angebliche  Darstellung  unserer  Statue  auf  städtischen  Mün- 
zen, insbesondere  aber  auf  den  Siegeln  der  Neustadt-Brandenburg, 
wie  sie  etwa  seit  der  Mitte  des  XIII.  Jahrhunderts  üblich  sein  soll 
(worüber  viel  Ungereimtes  geschrieben  ist)  *),  führt  in  ein  neues  Ka- 
pitel der  Rolands-Archäologic  ein. 

Es  würde  an  und  für  sich  nicht  Wunder  nehmen,  wenn  die  so 
volkstümlichen  Bildwerke  als  besonders  repräsentative  Stadtwahrzeichen 
auf  Münzen  —  ich  verweise  auf  die  Bremer  Denkmünzen  des  XVII.  Jahr- 
hunderts — ,  Siegeln  und  Wappen  häufiger  Verwendung  gefunden  hätten. 
Dennoch  wird  nur  verhältnismäfeig  wenig  darüber  berichtet,  und  dieses 
Wenige  beruht  zum  grofeen  Teile  auf  Einbildung.  Besonders  ist  hier 
das  von  Zöpfl  wieder  ausgegrabene  Gerichtssiegel  Kurfürst  Siegmunds 
für  die  Ukermark  zu  nennen,  auf  welchem  Chr.  Grundtmann^) 
die  Figur  des  Landesherm  als  die  „eigentliche  Vorstellung  einer  sogen. 
Rolandssäule"  erklärt.     Produkt   modernen   heraldischen  Sports  dürfte 


i)  Vgl.  E.  Friedländer  in  Ztschr.  f.  Preufs.  Gesch.  u.  Landesk.  V,  1868,  S.  453; 
G.  Sello,  Brandenburgische  Stadtrechtsquellen,  in  Mark.  Forsch.  XVIII,  1884,  8.  5. 
64.   108. 

2)  XXI. — XXV.  Jahresber.  pp.  1894,  S.  XIV flf.,  nebst  „Berichtigungen"  dazu.  — 
E.  Wernicke  bei  R.  Berg  au,  Inventar  der  Bau-  und  Kunstdenkmäler  in  der  Provinz 
Brandenburg  1885,  8.  278.  —  Die  Ansf&bmngen  von  Berg  au  selbst  (1.  c.  S.  128.  129) 
über  die  Rolande  im  allgemeinen  und  die  märkischen  im  besonderen  sind  unerheblich. 

3)  Chr.  Petersen,  Der  Donnerbesen,  Kiel  1862,  8.  19;  A.  v.  Perger,  Deutsche 
Pflanzensagen  1864,  S.  167. 

4)  J.  F.  Weidhas,  Die  Brandenburger  Denare  1855,  S.  4.  21.  —  E.  Bahrfeldt, 
Das  Münzwesen  der  Mark  Brandenburg,  1889,  S.  125  fif.  178.  —  Dan.  Fink,  Auszug 
aus  einem  Manuskr.  desselben  bei  A.  Fr.  Büsching,  Beschreibung  seiner  Reise  von 
Berlin  ...  nach  Rekahn  1775,  8.  258.  —  M.  W.  Heffter,  Gesch.  d.  Kur-  und  Haupt- 
stadt Brandenburg  1840,  S.  163.  385.  —  R.  Schillmann,  Gesch.  d.  Stadt  Branden- 
burg a.  H.  1882,  8.  549.  5  50  ff.  —  Vgl.  dazu  Sello,  Siegel  der  Alt-  u.  Neustadt 
Brandenburg  1886,  S.  16  ff. 

5)  Versuch  einer  Ucker-Märckischen  Adels-Histone,  Prenzlau  1744,  fol.,  S.  134, 
mit  Abb. 


—     40     — 

der  Roland  im  Stadtwappen  von  Bramstedt,  und  im   „Wappen"  des 
Dorfes  Buch  sein  *). 

Infolge  Mifsverstehens  seiner  Quelle  behauptet  Zöpfl  (S.  296), 
der  1404  errichtete  hölzerne  Roland  zu  Elbing  habe  die  einzige  Be- 
stimmung gehabt,  als  Schandpfahl  und  Pranger  zu  dienen.  Die  Stadt- 
rechnung von  diesem  Jahre  bucht  zwar  die  Kosten  für  Halseisen  und 
Krampen  unmittelbar  hinter  denen  für  Roland,  allein  ohne  jede  Be- 
ziehung auf  dieses ;  Schliefezeug  zur  öffentlichen  Ausstellung  von  Delin- 
quenten fand  sich  wohl  hier  und  da  in  der  Nähe  des  Roland,  oder 
am  Gitter  desselben  —  ich  habe  diese  Pietätlosigkeit  blofe  bei  einigen 
jüngeren  Rolanden,  nie  bei  einem  der  alten  gefunden  —  doch  nur, 
weil  der  Platz  ein  recht  in  die  Augen  fallender  war.  Die  gehamischten 
Figuren  aber,  welche  die  reicher  ausgebildeten  Prangerbauten  ver- 
mögender Städte  *)  krönten,  sind  nicht  nur  öfter  irrig  zu  Rolandbildern 


i)  G.  G.  Winkel,  Die  Wappen  und  Siegel  der  ...  Altmark  und  Priegnitz,  io 
XXIV.  Jahresber.  d.  Altmärk.  Vereins  f.  vaterländ.  Gesch.  u.  Industrie  zu  Salzwedel,  Abt. 
f.  Gesch.,  Heft  i,  1894,  S.  18,  mit  farbiger  Abb.  Taf.  i.  —  Über  den  Roland  zu  Buch 
mögen  hier  noch  zwei  Notizen  folgen,  welche  hoffentlich  den  Rolands-Mythologen  und 
vielleicht  auch  diesem  oder  jenem  Rechtsbistoriker  Freude  machen  werden.  Aus  Be> 
richten,  welche  die  Prediger  der  Altmark  der  Gesellsch.  f.  ThUring.-Sächs.  Gesch.  zu  Halle 
über  „wüste  Dörfer,  geschichtliche  und  sonstige  Merkwürdigkeiten"  erstatteten,  teilt 
G.  W.  V.  Räume r  in  v.  Ledeburs  Allgem.  Arch.  f.  d.  Gesch.-K.  d.  Preufs.  Staates  XIV, 
1834,  S.  289  mit,  dafs  die  Statue  zu  Buch  am  Pfingstfeste  von  den  jungen  Leuten  be- 
kränzt  werde.  Von  der  verwitterten  Inschrift  am  Piedestal  sei  nur  noch  der  Name 
Johann  v.  Buch  zu  lesen.  Das  Standbild  hänge  mit  der  Sage  zusammen,  dafs  Buch 
früher  Stadtgerechtigkeit  gehabt  habe,  und  dafs  in  der  noch  jetzt  Komstrafse  genannten 
Gasse  Kommarkt  gehalten  sei.  Verwiesen  wird  auf  Thamms  Vaterlandskunde  8.  5.  Der 
Kupferstich  bei  Beckmann,  Churmark  II,  Taf.  III,  zeigt  freilich  ganz  andere  Namen. 

2)  Über  den  Pranger  zu  Bremen  vgl.  Casp.  Schneider,  Saxonia  vetus,  ed.  J.  C.  Knauth 
1727,  S.  275;  über  den  zu  Magdeburg  Gottfr.  Gengenbach,  Stadt  Magdeburg  1678,  S.  24, 
vgl.  G.  Hertel,  Strafsen-  und  Häusernamen  von  Magdeburg,  Magdeb.  Gesch.-BL  XIV,  1879, 
S.  251  ff.  Dafs  auch  Hamburg  ein  solches  Gebäude  besessen,  lälst  die  Miniatur  des 
Hamburger  Stadtrechts  von  1497  vermuten  (Abb.  bei  Fr.  Heinemann,  Richter  und  Rechts- 
pflege in  der  deutschen  Vergangenheit,  zu  S.  56;  desgl.  bei  G.  v.  Below,  Das  ältere 
deutsche  Städtewesen  und  Bürgertum  1898,  Abb.  47  zu  S.  50).  Der  Gehamischte  auf 
der  gothischen  (der  Hamburger  ähnlichen)  „Staupsäule*'  von  1492  zu  Breslau  ist  auf  der 
Abb.  bei  v.  Below  1.  c.  S.  83  nicht  zu  erkennen;  ein  süddeutscher  gothischer  Pranger 
(zu  Schwäbisch-HaU)  ist  ebenda  S.  46  in  sehr  kleinem  Mafsstabe  abgebildet  Wunderlich 
ist  V.  Belows  Bemerkung  (S.  63]:  „Häufig  wurde  dem  zum  Prangerstehen  verurteilten 
Delinquenten  zugleich  ein  Halseisen  angelegt.  Daher  wird  Halseisen  gelegent- 
lich auch  im  Sinne  von  Pranger  gebraucht.*'  Das  Halseisen  war  keine  Zugabe,  keine 
Strafschärfung,  sondern  mittels  desselben  wurde  der  Delinquent  überall  da  an  die  Schand- 
säule angeschlossen,  wo  kein  Käflg  (wie  die  Hamburger  Miniatur  zeigt)  vorhanden  war, 
um  ihn  einzusperren. 


—     41     — 

gemacht  worden,  sondern  haben  auch,  wie  wir  II  S.  41  gesehen  haben, 
zu  der  Behauptung  gefuhrt,  dals  Roland  und  Prangerfigur  sachlich  das- 
selbe bedeuten.  Auf  Grund  dieser  Behauptung  hat  man  denn  auch 
in  Schleswig  einen  Roland  ge^den  ^).  Da(s  Rolandstatuen  und 
Prangerbilder  nicht  dasselbe  bedeuten  sollen,  ergiebt  schon  ihr  Typus. 
Letztere  sind  gehamischte  Stadtdiener,  welche  den  Strafvollzug  an- 
drohen. In  Magdeburg  und  Bremen  standen  umfangreiche  Pranger- 
bauten mit  solchen  Bütteln  neben  dem  Roland  auf  dem  Markte. 
Immerhin  wäre  es  wünschenswert,  wenn  die  Spezialforschimg  sich  ein- 
mal mit  der  architektonischen  und  skulpturellen  Gestaltung  dieser  mo- 
numentalen Requisite  mittelalterlicher  Justiz  näher  befassen  wollte. 
Das  direktionslose  Buch  F.  Heine  man  ns,  Richter  und  Rechtspflege 
in  der  deutschen  Vergangenheit,  (Monographieen  z.  deutsch.  Kultur- 
gesch.,  hsg.  von  G.  Steinhausen,  IV.  Bd.,  o.  J.),  welches  Veranlassimg 
gehabt  hätte,  darauf  einzugehen,  hat  sich  diese  Mühe  gespart. 

In  neuester  Zeit  hat  S.  Rietschel  (S.  228)  wieder  darauf  hin- 
gewiesen, dafs  „sich  wiederholt  noch  im  MA.  Quellenstellen  finden, 
welche  für  eine  Deutung  der  Rolande  als  Wahrzeichen  der  Blut- 
gerichtsbarkeit sprechen**:  in  Zerbst  wie  in  Halberstadt  seien  am 
Ende  des  XIV.  bezw.  am  Anfange  des  XV.  Jahrhunderts  Hinrichtimgen  vor 
dem  Rolande  vollzogen;  dieselbe  Sitte  werde  in  Prenzlau  erwähnt: 
in  Burg,  Stendal,  Halle  sei  das  Halsgericht  vor  dem  Rolande  ab- 
gehalten worden.  Wer  zu  so  erheblichen  Schlufsfolgerungen  solche 
Argumente  ins  Feld  fuhrt,  thut  gut,  dieselben  vorher  auf  ihre  Stich- 
haltigkeit zu  prüfen  und  sie  nicht  blofs  aus  Zöpfl  zu  entnehmen. 
Für  beide  Thatsachen  könnte  ich  noch  weit  mehr  Beispiele  nennen, 
imd  doch  würde  dadurch  ebenso  wenig  bewiesen,  wie  durch  die  von 
Rietschel  gewählten. 

Auf  den  Marktplätzen  fanden  sich  mehr  oder  weniger  vollständig 
zusammen:  Dingstätte,  Roland,  Kaiserbild,  Pranger  (mit  Büttelfigur), 
Brunnen  (mit  Stadtknechtsfigur),  in  späterer  Zeit  der  Soldatengalgen 
und  andere  Strafwerkzeuge  der  militärischen  Strafrechtspflege,  lediglich 
weil  hier  der  Mittelpunkt  des  öffentlichen  Lebens  war.  Der  gewöhn- 
liche Richtplatz  lag  aufserhalb  der  Stadt;  ausnahmsweise  wurde  in  be- 
sonders sensationellen  Fällen  das  Schaffot  ebenfalls  auf  dem  Markte 
errichtet  So  war  es  1385  in  Zerbst,  wo  ein  vom  Botding  heim- 
kehrender  Schöffe    auf  offener  Strafse    in    der  Nähe    des   Rathauses 


i)  A.  Sach,  Gesch.  d.  Stadt  Schleswig  1875,  S.   169.  170;  geföllige  Mitteilnng  des 
Herrn  Geheimen  Archivrat  Dr.  HiUe  in  Schleswig. 


—     42     — 

meuchlings  erstochen  worden  war*),  so  in  Halberstadt,  wo,  wie  es 
heilst,  1423  die  Aufständischen  vier  Ratsherren  beim  Roland  enthaupten 
liefsen.  Dieses  Ereignis  wird  in  keiner  mittelalterlichen  Quelle  be- 
richtet, sondern  in  der  erst  15 12  zusammengestellten,  wenn  auch  zum 
Teil  auf  älteren  Lokalquellen  beruhenden  Historia  sedüionts  Hai- 
berstadensis  *) ;  der  Halberstädter  Roland  könnte  danach  sehr  wohl 
erst  1433  errichtet  sein  (Jahreszahl  am  Gürtelschlofs ;  ältere  Nachrichten 
fehlen),  der  Verfasser  der  „Historia"  aber  die  spätere  Staffage  des 
Marktplatzes  in  eine  frühere  Zeit  hinaufgerückt  haben.  Die  auf 
Frenz  lau  bezügliche  Angabe  bei  Bekmann  entbehrt  in  ihrer  Un- 
bestimmtheit der  Beweiskraft.  Was  aber  den  behaupteten  inneren  Zu- 
sammenhang von  Dingstätte  und  Roland  anlangt,  so  wird  der  beste 
Beweis  dafür,  dafs  dem  Mittelalter  ein  solcher  unbekannt  war,  dadurch 
erbracht,  dafs  in  Berlin  und  Hamburg  während  des  XIV.  Jahr- 
hunderts beide  mehrere  Strafsen  weit  entfernt  von  einander  lagen. 
Dafs  seit  der  Mitte  des  XV.  Jahrhunderts  der  Hall  es  che  Roland  mit 
der  dortigen  Schöffenbank  „auf  dem  Beige"  in  engere  Beziehung 
gebracht  wird,  ist  nichts  als  eine  Folge  der  neuen,  zuerst  in  Bremen 
offiziell  angenommenen  Auffassung  der  Roland-Standbilder  als  Urkunds- 
zeugen kaiserlicher  Privilegierung,  sei  es  mit  der  Freiheit  vom  Stadt- 
herm,  oder,  wo  von  einer  solchen  nicht  die  Rede  sein  konnte,  mit 
anderen  Grundrechten,  wie  es  für  Halle  der  Besitz  des  Kollegiums  der 
Bergschöffen  zweifellos  war. 

Um  diese  merkwürdige  geistige  Strömung  des  XV.  Jahrhunderts 
nach  allen  Richtungen  hin  ganz  ermessen  zu  können,  wäre  es  er- 
wünscht, dafs  die  Entwickelung  der  Sage  von  der  Begnadung 
der  Sachsen  mit  ihrer  „alten  Freiheit**  durch  Karl  d.  Gr. 
und  von  der  Teilnahme  des  Paladins  Roland  daran  bei  den 
populären  norddeutschen  Geschichtschreibern  des  XIV.  bis  XVI.  Jahr- 
hunderts methodisch  untersucht  würde.  Die  Litteratur  über  die  Karl- 
und  die  Roland-Sage,  soweit  sie  mir  bekannt  ist '),  reicht  nicht  in  so 
späte  Zeit  herunter  oder  befafst  sich  mit  dieser  Spezialfrage  nicht. 


i)  Petcr  Beckers  Zcrbster  Chronik,  S.  6. 

2)  Bei  H.  Chr    de  Scnckenberg,  Selecta  iuris  et  historiarum  1734  ff.»  VI,  200  ff. 

3)  Ich  nenne:  G.  Storm,  Sagnkredsene  om  Karl  den  störe  og  Didrik  af  Bern  hos 
de  nordiske  folk;  Kristiania  1874.  —  Th.  Eicke,  Z.  neueren  Litteratargeschichte  der 
Rolandsage  in  Deutschland  und  Frankreich.  Eine  litterarhistorische  Studie,  Leipzig  1891. 
Nicht  zugänglich  waren  mir  A.  M.  Weifs,  Studien  über  die  Rolandsage,  Hist.  Jahrbuch  I 


—     43     — 

Zur  Klärung  der  Begriffe  würde  es  voraussichtlich  beitragen,  wenn 
man  einmal  den  Rolanden,  die  ziemlich  zahlreich  auf  deutschem  Boden, 
vornehmlich  im  Süden,  vereinzelt  aber  auch  in  Sachsen  und  bis  Lübeck 
hinauf  sich  findenden  eigentlichen  Kaiser-  und  Königsbilder  in  mög- 
lichst vollständiger  und  ikonographisch  zuverlässiger  Sammlung  gegen- 
überstellte. Beide  treffen  in  dem  sogen.  Roland  von  Wedel  zu- 
sammen, welcher,  den  Typus  des  neueren  Königsbildes  mit  der  Statur 
der  Rolande  vereinigend,  m.  E.  nur  ein  Beispiel  für  die  Thatsache  ist, 
dafe  man  in  späterer  Zeit,  ohne  Rücksicht  auf  den  historischen  Cha- 
rakter der  Rolandbilder,  den  Rolandnamen  zunächst  wohl  auf 
andere  Bildwerke  kolossaler  Art,  dann  aber  als  Gattungsname  auf 
alles  Übergrofse  in  der  Natur,  Belebtes  und  Unbelebtes,  übertrug.  Von 
dieser  Thatsache  ausgehend  wäre  zu  untersuchen,  wie  die  Sage  von 
der  Riesengröfse  Rolands  entstand  und  sich  weiter  entwickelte. 
Bei  Turpin  und  im  Ruolandes-liet  finden  sich  wohl  ausreichende  Zeug- 
nisse für  seine  riesenmäfeige  Stärke,  aber,  soweit  ich  sehe,  nicht  für 
seine  riesenhafte  Gröfse.  Dafs  der  deutsche  Dichter  sich  nicht  aus 
ästhetischen  Gründen  der  Schilderung  letzterer  enthielt,  zeigt  seine 
Beschreibung  von  Rolands  Stiefvater  Genelun  (v.  165 1): 

er  was  thrier  eilen  breit 
eneben  siner  ahsel. 
lanc  was  er  gewahsen, 
gröz  sin  gebeine. 

Auch  die  Heidelberger  Bilder  zum  Ruolandes-liet  deuten  keine 
besondere  Körpergröfee  des  Helden  an.  Einen  Zug  riesenhafter  Un- 
geschlachtheit  finde  ich  erst  bei  Stricker  (hrg.  v.  K.  Baitsch,  v.  3935  ff.), 
wo  Roland  seinen  Speerschaft  so  hart  auf  den  Felsen  setzt,  dafs  er 
anderthalb  Fufs  in  denselben  eindringt.  Die  beliebten  riesigen  S.  Christo- 
phorus-Wandgemälde  scheint  man  gern  mit  dem  Gattungsnamen  Ro- 
land belegt  zu  haben.  Aus  einem  solchen  mag  der  angebliche  Roland 
zu  Braunschweig  entstanden  sein.  Der  in  diesem  Punkte  wenig 
zuverlässige  Leu  thinger  *)  erwähnt  allerdings  eine  Statue  Rolands 
daselbst,  und  Gryphiander  (1625,  S.  246)  folgt  ihm.  Wir  erfahren 
dann  nichts  weiteres,  bis  1847  ^^^  Kreisgerich tsregistrator  Sack  sich 
der  Sache  annahm*).     Ihm  zufolge  „befand  sich  auf  dem  Burghofe 


(1880),  S.  107 — 140  (Mitteilung  von  Dr.  Armin  Tille);  Fofs,  Zur  Carlssage;  II.  Programm 
der  Victoriaschule  in  Berlin   1869  (Mitteilung  von  Dr.  Ludw.  Fränkel  in  AschaflFenburg). 

i)  Comment.  d.  March.  Brandenb.  lib.  XIV  (1593,  edit.  Krause  S.  484). 

2)  „Die  Befestigung  der  Stadt  Braunschweig**  in  Arch.  d.  hist.  Vereins  f.  Nieder- 
sachsen, Neue  Folge,  Jahrg.  1847,  S.  224. 


—     44     — 

das  Gerichtsbild,  der  sogen.  Roland,  Ruland  oder  Rugeland,  wie  solches 
in  einer  Beschreibung  des  Planes  der  Stadt,  welche  1569  am  Hof- 
gericht zu  Speier  produziert  wurde,  genau  enthalten  ist  Dieser  Ro- 
land . . .  kann  wegen  mangelnder  Nachrichten  nicht  näher  beschrieben 
werden.  Nach  den  mir  zur  Hand  gekommenen  Dokumenten  hat  der 
von  Heinrich  d.  L.  11 66  errichtete  Löwenstein  jedoch  späterhin  hier 
als  Gerichtsbild  oder  Roland  gedient".  In  einer  Anmerkung  heilst  es: 
„Der  Roland  stand  auf  der  Stelle,  wo  die  v.  Bartenslebensche  Be- 
sitzung lag,  welche  damit  beliehen,  deshalb  auch  ,der  Ruland*,  ,am 
Ruland*  oder  , Roland*  genannt  wurde**.  In  den  KoUektaneenbänden 
Sacks  ^)  im  Braunschweiger  Stadtarchiv  findet  sich  nun  ein  „Extract*' 
der  „Beschreibung  etc.**,  woraus  sich  ergiebt,  dafe  der  ,, Stadtplan** 
zunächst  nicht  „von  1569**,  sondern  von  „etwa  1569**  (d.  h.  aus  der 
Regierungszeit  Herzogs  Julius  1568 — 1589)  gewesen,  imd  dafe  es  hin- 
sichtlich des  angeblichen  Roland  daselbst  hiefs:  in  dem  bezirk  des 
beslossenen  burg-orts  nacher  dem  Sacke  werts  .  .  .  auf  der  .  .  . 
seilen  des  einen  burgtores  zur  rechten  der  v.  Bartensieben  sitz, 
Ruhlandt  genandt.  1577  wird  dieses  Haus  als  „inderburgk,  des 
Rulandes,  auf  der  freiheit**,  d.  h.  der  vom  Stadtrecht  und  der  Juris- 
diktion des  Rates  eximierten  Burgfreiheit,  bezeichnet.  Der  Name,  wel- 
cher vor  der  zweiten  Hälfte  des  XVI.  Jahrhunderts  nicht  vorzukommen 
scheint,  wurde  auch  auf  den  ganzen  Platz  übertragen,  wie  folgende 
Ortsbezeichnimgen  bekunden:  auf  dem  Rulande,  15 70;  up  dem  Rut- 
lande,  up  dem  Rollande,  1594;  Haus  an  dem  Ruelande,  1640;  der 
Ruhlandt,  1622;  der  sogenanle  Rolandsplatz,  1681 ;  aufm  Rulande, 
1752. 

Trotzdem  werden  die  Donar-Verehrer  unter  den  Rolandforschem 
an  der  Braunschweiger  Statue  festhalten,  denn  abgesehen  von  der 
schon  bei  Platen  (I,  S.  32)  erwähnten  Petrikirche  (nicht  diese,  resp. 
eine  ältere  Petrikapelle,  sondern  die  Marktkirche  wiurde  wahrscheinlich 
861  geweiht),  stand  an  Stelle  des  Doms  S.  Blasii,  Chr.  Bothes  Sachsen- 
chronik zufolge*),  also  dicht  bei  dem  „Rolandsplatz**,  eine  Peters- 
und Pauls-Kirche,  und  Sack  hat  auf  alle  Fälle  noch  einen  zweiten 
Roland  bei  der  Hand,  eine  bemalte  Königsfigur  mit  kupfernem  Scepter 
an  dem  1460/70  erbauten,  als  Schuldgefängnis  dienenden,  „Gieseler** 
genannten  Mauerturm  der  Altstadt,   welche  „das  Bild   des  Erbauers** 


1)  Das   Folgende   nach   den   liebenswürdigen   ausführlichen   Mitteilungen   des   Herrn 
Stadtarchivar  Professor  Dr.  Hänselmann  in  Braonschweig  aas  dem  Jahre  1894. 

2)  Script,  rer.  Brunsvic.  III,  348. 


—     45     — 


oder,  der  früheren  Bestimmung  des  Turmes   nach  zu   schHefsen,   ein 
Ruland-  oder  Gerichtsbild  vorstellen  konnte*). 


Eine  wichtige  Quelle  für  Roland-Statistik  und  Roland-Ikonographie 
bilden  die  Reisebeschreibungen.  Aus  den  Schriften  von  Leuthinger, 
Zeiller,  Berckenmeycr,  die  gewissermafsen  hierher  gehören ,  ist  schon 
früher  manches  entnommen  worden.  Die  Itinerarien  C.  v.  Uffenbachs, 
A.  v.  Hallers  und  andere  aus  dem  XVIII.  und  XIX  Jahrhundert  haben 
mir  neuerdings  erhebliche  Nachrichten  gespendet.  Eine  methodische 
Bearbeitung  dieser  eigenartigen  Litteratur  wäre  wohl  nicht  unnütz; 
vielleicht  erhielten  wir  durch  sie  eine  authentische  Schilderung  des 
alten  Hallenser  Roland  vor  seiner  Beseitigung  171 8. 


Mancherlei  litterarisches  und  antiquarisches  Material  über  die  im 
vorhergehenden  angeregten  Fragen  wird  die  auf  Veranlassung  der 
Historischen  Gesellschaft  zu  Bremen  von  mir  bearbeitete,  im  Druck 
befindliche  Monographie  über  den  dortigen  Roland  bringen  *). 

An  Novitäten  auf  dem  Gebiete  der  Rolandforschung,  welche  das 
verflossene  Jahr  gezeitigt  hat,  vermag  ich  nur  drei  zu  nennen:  einen 
neuen,  oder  richtiger  neu  aufgefundenen  Roland,  eine  neue  Roland- 
Deutung  und  eine  neue  Arbeit  von  P.  Platen. 

Auf  die  neue,  dem  linken  Rheinufer,  also  einem  Gebiete,  welches 
bisher  noch  ganz  Roland -frei  war'),  angehörige  Statue  hat  Herr 
Dr.  Armin  Tille  mich  aufmerksam  zu  machen  die  Liebenswürdigkeit 
gehabt.    W.  Brüll  *)  berichtet:  „ Im  Jahre  1000  erkannte  Otto  III.  . . . 


i)  1.  c.  S.  246. 

2)  BremeD,  Verlag  von  Max  Nässler. 

3)  Der  Roland  am  Dom  zu  Xanten,  welchen  ein  mir  befreundeter  Architekt  ent- 
deckt haben  will,  seinem  Standplatz  nach  schon  verdächtig,  ist  nach  der  mir  mitgeteilten 
Skizze  nur  die  Bildsäule  des  geharnischten  Kirchenheiligen  S.  Victor.  —  Roland  hat  es 
anch  den  Norddeutschen  von  heute  noch  angcthan;  immer  wieder  regt  sich  der  Trieb, 
neue  Bilder  von  ihm  zu  entdecken;  ritterliche  Heilige  besonders  sind  von  dieser  Seite 
unaufhörlichen  Anfechtungen  ausgesetzt  Ein  neues  Beispiel  dafür  aus  Westfalen.  Dieser 
Teil  des  alten  Sachsenlandes  kennt,  wie  wir  wissen,  zwar  das  Rolandreiten,  aber  keine 
Rolandstatuen.  Doch  scheint  man  in  Dortmund  geneigt,  den  Stadtheiligen  S.  Reinoldns, 
weil  sein  ältester  Bildtypus  in  der  Haltung  des  Schwertes  Ähnlichkeiten  mit  dem  Roland- 
tjpus  zeige,  weil  die  Sage  ihn  in  Verbindung  mit  der  Eroberung  Sachsens  durch  Karl  d.  Gr. 
bringe,  und  weil  die  Ähnlichkeit  des  Namens  dafUr  spreche,  für  den  Substituten  eines 
älteren  Rolandbildes  anzusehen  (Mitteilung  des  Herrn  Stadtarchivar  Professor  Dr.  Rttbel 
in  Dortmund). 

4)  Chronik  der  Stadt  Düren.     2.  Aufl.     Düren  1901  (1.  Aufl.  1895),  S.  16. 


—     46     — 

Düren  als  Reichsstadt  mit  eigenem  Schöffengericht  an.  Vor  dem 
Rathause  stand  eine  steinerne  Rolandstatue  mit  Schild  und  Schwert 
als  Wahrzeichen  reichsstädtischer  Freiheit  auf  dem  öffentlichen  Markte." 
Über  den  Unwert  der  Otto  III.  betreffenden ,  aus  Endrulat,  Städtesiegel 
der  Rheinprovinz,  entlehnten  Angaben  verweise  ich  auf  A.  Schoop  '); 
die  Rolandnotiz  entstammt  den  Vtndiciae  antiquttatum  Marcodurt, 
urbts  tmperuilts  in  Menapiis^)  des  1656  gestorbenen  Franziskaners 
Jacob  Polius.  Dieser  sagt*):  Karolus  Magnus  .  .  .  Marcoduro 
regratiando  libertatem  cum  statuta  Rulandica  donasse  praesumitur, 
quae  in  praesentiarum  (?)  lapidea,  stricto  ense  et  clypeo  vestita  . .  . 
visitur.  Die  Statue  stehe  auf  dem  Kornmarkt  vor  dem  Rathause, 
welches,  weil  in  ihm  auch  die  Schöffengerichtssitzungen  abgehalten 
würden,  vulgo  „ensis"  nomine  („zum  Schwert**)  indigitatur.  Das 
Bild  ist  heute  nicht  mehr  vorhanden,  und  über  seine  Gestaltung  sind 
keine  Nachrichten  erhalten.  Düren  war  Königspfalz,  erwuchs  zur  Stadt, 
verlor  aber  durch  Verpfändung  an  die  Grafen  von  Jülich  1242  „schritt- 
weise die  alten  reichsstädtischen  Freiheiten***).  Diese  Thatsache,  und 
die  damals  in  der  Litteratur  verbreitete  Roland-Doktrin,  welche  Polius 
schwerlich  unbekannt  war,  vermochten  den  fleifsigen,  gelehrten,  aber 
leichtgläubigen  Mönch,  eine  auf  dem  Markt  stehende  Pranger-  oder 
Brunnenfigur  für  eines  der  so  viel  erörterten  Rolandbilder  zu  erklären. 
Den  Donar-Mythologen  diene  zur  Nachricht,  dafs  die  Stadt  keine 
Peterskirche  hat,  wohl  aber  eine  Martinikirche  (seit  1501  gewöhnlich 
nach  der  heiligen  Anna  benannt). 

Neuhaldensleben,  welches  den  merkwürdigen  reitenden  Roland 
besitzt,  dessen  Vorgeschichte  noch  immer  nicht  genügend  aufgeklärt 
ist,  hat  auch  den  Vorzug,  die  wunderlichste  Roland-Erklärung  hervor- 
gebracht zu  haben.  Meine  Kenntnis  davon  beruht  freilich  nur  auf 
einem  Zeitungsreferat  *)  aus  zweiter  Hand ,  welches  ich  im  Wortlaut 
folgen  lasse.  „Am  11.  Januar  1901  hielt  in  der  Sitzung  des  AUer- 
Vereins  zu  Neuhaldensleben  Rentner  Lonitz  einen  Vortrag  über  Rolands- 
bilder.    Er  führte,  dem  ,St.-  u.  L.-B.*  zufolge,  die  Rolande  aufStand- 

i)  Geschichte  der  Stadt  Düren  bis  £.  J.  1544  (1901),  S.  47,  Anm.  3.  Die  folgen- 
den  Mitteilungen  verdanke  ich  der  Liebenswürdigkeit  meines  verehrten  Freondes,  Herrn 
Gymnasialdirektor  Dr.  Becker  und  des  Herrn  Stadtarchivar  Oberlehrer  Dr.  Schoop  in 
Düren. 

2)  Mannskript  des  Stadtarchivs  za  Düren. 

3)  1.  c.  S.  79. 

4)  Schoop,  1.  c.  S.  51. 

5)  Ich  verdanke  dasselbe  der  Liebenswürdigkeit  des  Herrn  Amtsrichter  Krieg  in 
Schlieben. 


—     47     — 

bilder  des  wendischen  Gottes  Swatowitt  zurück,  vor  denen  auf  der 
Malstatt  (Gerichtsstätte)  alle  Flur-  und  sonstigen  Streitigkeiten  ge- 
schlichtet wurden.  Für  diese  Annahme  spreche  das  Schwert  ohne 
Scheide,  das  Trinkhorn  und  die  merkwürdige  Kopfbedeckung  mancher 
Rolande.  Die  meisten  jetzigen  Rolandssäulen  seien  nichts  anderes  als 
Nachbildungen  der  alten  Swatowittstandbilder,  die  dem  XIII.  oder 
XIV.  Jahrhundert  entstammen.  Auf  ihren  jetzigen  Stand  als  Wahr- 
zeichen der  Markt-  und  Stadtgerechtsamkeit  sind  sie  von  der  Malstätte 
erst  später  versetzt  worden.  Der  Name  Rolandssäule  wird  volks- 
ethymologisch  hergeleitet  von  dem  wendischen  ,Rolio*,  Flur  oder 
F*eld,  da  Swatowitt  den  Inbegriff  aller  Flui^erechtsame  bildete.  Die 
Darlegungen  fanden  vielfache  Zustimmung  in  der  Versammlung;  nur 
sprach  die  ethymologische  Erklärung  des  Namens  nicht  so  ganz  an." 

Die  archäologische  Beweisführung  ist  lustig.  In  Wahrheit  führte 
das  Standbild  des  vierköpfigen  Svantovit  im  Tempel  auf  Arkona  in 
der  rechten  Hand  ein  Trinkhorn;  in  seiner  Nähe  hing  ein  mächtiges 
Schwert  mit  künstlich  gearbeiteter  silberner  Scheide  ^) ;  die  Statue  des 
sieben-gesichtigen  Rugievit  ^)  in  Kaienza  trug  am  Gürtel  sieben  Schwerter 
in  der  Scheide  und  ein  blankes  Schwert  in  der  rechten  Faust  •).  Andrer- 
seits hatte  von  allen  bekannten  Roland-Statuen  allein  die  erst  1610  aus 
Stein  gefertigte  zu  Beigern  ein  Hörn,  welches,  wie  des  Paladins 
„Olivant",  zum  Blasen,  nicht  zum  Trinken  bestimmt  war;  ein  Mifever- 
ständnis  Berckenmeyers  legt  dem  Brandenburger  Roland  dieses  Attribut 
bei;  wenn  die  Zeitungen  gut  unterrichtet  sind,  soll  auch  der  neue 
Berliner  Brunnen-Roland  dasselbe  erhalten.  Kopfbedeckungen,  d.  h. 
Helme  und  Kronen,  am  reitenden  Roland  zu  Neuhaldensleben  ein  Feder- 
barett (welches  Herr  Lonitz  wohl  im  Sinne  hat)  finden  sich  einzig  bei 
Statuen  jüngerer  und  jüngster  Bildung.  Mit  der  slavischen  Mythologie 
ist  Roland  auch  sonst  schon  in  Verbindung  gebracht  worden  *). 

Solche  Phantastereien  sind  ganz  scherzhaft  zu  lesen;  aber  sie 
haben  die  Rolandfrage  seit  langem  in  Mifskredit  gebracht;  Historiker 

i)  Saxo  Grammaticus  cd.  Holder  S.  565. 

2)  Dafs  Rugievit  7  mit  einem  Hute  bedeckte  Köpfe  gehabt  habe,  meint  auch  Bart- 
hold, Gesch.  von  Rügen  u.  Pommern  I,  1839,  S.  558.  Die  Worte  des  Saxo:  preterea 
in  eins  capite  Septem  humane  simiUiudinis  fades  consedere ,  que  omnes  unt'us  verticis 
superficie  claudehaniur^  d.  h.  an  seinem  Haupte  safsen  7  menschliche  Gesichter  unter 
dem  Schutze  eines  einzigen  Scheitels,  lassen  keinen  Zweifel,  dafs  Rugievit  keinen 
Hut  hatte.  Richtig  hat  L.  Giesebrecht,  Wendische  Geschichten  I  (1843),  S.  66,  die 
Worte  verstanden. 

3)  Saxo  S.  577. 

4)  Vgl.  R.  Eisel,  Sagenbuch  des  Voigtlandes  1871,  S.  399,  nr.  1030. 


—     48     — 

und  Archäologen  vom  Fach,  die  zunächst  zum  Urteil  berufen,  wandten 
sich  ab  von  einem  Gebiete,  auf  welchem  von  jeher  emsige  Dilettanten 
bequeme  Lorbem  gewinnen  zu  können  meinten. 

So  der  sicheren  Stütze  sachgemäßer  Kritik  beraubt,  haben  Rechts- 
historiker und  Mylhologen,  indem  sie  auf  eigene  Hand  den  verworrenen 
Stoff  in  ihre  fertigen  Systeme  einzuspannen  sich  abmühten,  das  Wirr- 
sal  nur  vergröfeert. 

Auch  die  neueste  Schrift  von  P.  Platen^)  ändert  daran  nichts. 
Da  sie  die  gegen  seine  Theorie  erhobenen  Bedenken  unberücksichtigt 
iäfet,  sich  vielmehr  damit  begnügt,  dieselbe  wegen  ihrer  Geschlossen- 
heit und  inneren  Wahrscheinlichkeit  aufs  neue  zu  empfehlen  und  sich 
auf  den  Beifall  einiger  Zeitschriften  zu  berufen,  so  ist  es  zwecklos,  ihre 
weiteren  Ausfühnmgen  zu  prüfen,  welche  dazu  bestimmt  sind,  die  Ent- 
Wickelung  der  Rolandbilder  als  Zeichen  des  Gerichts  und  Verkehrs 
aus  den  in  das  Christentum  hinübergeretteten  Donarbildem  glaubhafter 
zu  machen.  Auch  auf  Platens  Polemik  einzugehen  verzichte  ich,  da 
ich  in  dem  Fortspinnen  derselben  keinen  sachlichen  Gewinn  erblicke. 

Nur  eines  sei  bemerkt.  Platen  tadelt,  dafe  ich  Papst  Gregor  von 
einem  Signum  pietatis  statt  einem  signum  devotionis  reden  lasse  '). 
Auf  derselben  Seite  aber,  acht  Zeilen  vorher,  bringe  ich  das  wört- 
liche Citat  der  ganzen  Briefstelle  in  richtiger  Form.  Mifever- 
ständnisse  oder  Verdunkelung  des  Thatbestandes  durch  den  immerhin 
bedauerlichen,  der  Korrektur  entschlüpften  lapsus  memoriae  sind  damit 
für  den  aufmerksamen  Leser  ausgeschlossen.  Die  Berichtigung  war 
daher  kaum  nötig,  oder,  wenn  der  Censor  dennoch  sachliches  Gewicht 
auf  sie  legte,  leicht  mit  einem  Worte  abgethan.  Dafs  eine  andere, 
Mifsdeutungen  nicht  ausschliefsende  Form  gewählt  wurde,  ist  zu  be- 
dauern. 

Alphabetische  Übersicht  der  besprochenen  Rolandsorte: 

Beigem  S.  47,  Berlin  S.  35.  42,  Bramstcdt  S.  40,  Brandenbarg  S.  38.  47,  Braan- 
schweig  S.  43,  Bremen  S.  35,  Buch  S.  40,  BnrgS.  41,  Dortmund  S.  45  Anm.  3,  Düren 
S.  45,  Elbing  S.  35.  40,  HalbersUdt  S.  41,  Halle  S.  41.  42,  Hamburg  S.  42,  Königs- 
berg i.  Pr.  S.  35 ,  Lausitz  S.  34,  Magdeburg  S.  33  Anm.  2,  Neuhaldensleben  S.  46.  47, 
Frag  S.  34,  Prenzlau  S.  41.  42,  Riga  S.  35,  Ruhland  S.  34,  Schleswig  S.  41 ,  Stendal 
S.  37.  41,  Ukermark  S.  39,  Wedel  S.  43,  Xanten  S.  45  Anm.  3,  Zerbst  S.  41. 


i)  Der  Ursprung   der  Rolande,   40.  Jahresbericht  d.  Vitzthumschen  G3rmnasiums    in 
Dresden  1901,  34  S.  4^;  <ler  Schlafs  der  Abhandlung  steht  noch  aus. 
2)  Deutsche  Geschichtsbl.  II,  56,  Z.  20  v.  o. 


—     49     — 


Zur  politisehen  und  sozialen  Bewegung 
im  deutsehen  Bürgertum  des  XV.  und  XVL 

Jahrhunderts 

Von 
Kurt  Käser  (Wien) 

(Schlufs  ♦). 

In  Hannover  *)  wiederholt  sich  dasselbe  Spiel.  Auch  hier  treffea 
religiöse  Motive  mit  den  politisch-sozialen  zusammen.  Die  Bürgerschaft 
war  gegen  den  Rat  angebracht,  weil  er  der  neuen  Lehre  widerstrebte, 
zugleich  aber,  weil  sie  sich  von  ihm  ausgebeutet  glaubte  und  ihm  un- 
ehrlicher Verwaltung  des  städtischen  Vermögens  zu  Gunsten  der  Patrizier 
Schuld  gab.  Schon  1532  erhob  sich  die  Forderung  der  Predigt  des  gött- 
lichen Wortes.  Im  nächsten  Jahre  gewann  die  Bewegung  gesteigerte 
Heftigkeit,  die  Mehrheit  der  Bürger  erklärte  sich  für  das  Evangelium  und 
wollte  den  Rat  unter  tumultuarischen  Scenen  zur  Anerkennung  ihres  Willens 
zwingen.  Am  14.  September  1533  entwich  der  Rat  aus  der  Stadt. 
,, Jetzt  rührte  sich  der  soziale  Kommunismus  mit  dem  religiösen 
Schwärmergeist.  Der  erste  kam  nüt  einem  Sacke  zum  Reichen  und 
forderte  einen  Scheffel  Korn.  Der  andere  wollte  weder  geistliche 
noch  weltliche  Obrigkeit  mehr  haben,  sondern  frei  imter  dem  Worte 
Gottes  sein.  Vor  der  Kämmerei  sammelten  sich  Haufen,  die  nach 
Äxten  zu  Einbruch  und  Plünderung  verlangten.  Doch  behütete  der 
Sinn  für  Recht  und  gesetzliche  Ordnung,  der  bei  den  meisten  Bürgern 
im  Gegensatz  zu  den  Umsturzlustigen  überwog,  die  Stadt  Hannover 
vor  dem  Geschick,  das  dem  wiedertäuferischen  Münster  wiederfuhr." 

Dafür  wurde  imter  Leitung  des  Syndikus  Sander  die  Verfassung 
geändert,  die  Zahl  der  Ratsherren  auf  12  festgesetzt.    Davon  wählten 


•)  Vgl.  oben  S.  i— 18. 

i)  Hartmano,  Geschichte  der  Residenzstadt  Hannover,  S.  124 ff.  Ober  gleichartige 
Bewegungen  in  Danzig  vgL  mein  Bach  S.  194  n.  202  and  Kaweraa,  der  Danziger  Auf- 
stand 1525,  Ztschr.  des  westpreafsischen  Geschichtsvereins  XL  (1884)  S.  65 — 77.  Die 
Bewegung  führt  hier  zur  Begründung  einer  bleibenden,  für  Danzigs  Verfassungsgeschichte 
üttfserst  wichtigen  Institution,  der  IIL  Ordnung,  d.  h.  eines  Bttrgerausschnsses ,  den  der 
Rat  in  wichtigen  Fällen  nach  freier  Auswahl  berufen  sollte.  Nach  der  Art  ihrer  Berufung 
und  den  Vorschriften  über  ihr  Verhalten  konnte  die  in.  Ordnung  übrigens  vor  der  Hand 
nichts  anderes  sein,  als  ein  gefügiges  Werkzeug  des  Rates.  Vgl.  auch  Salka  Goldmann  , 
Dantiger  Verfassungskämpfe  unter  polnischer  Herrschaf t  in  „Leipziger  Studien  aus  dem 
Gebiet  der  Geschichte"  VII,  2,  (1901),  bes.  S.  lO  und  S.  4z ff. 

4 


—     50     — 

die  Kaufmannsmnungen  zwei,  jedes  der  vier  groCsen  Amter  eineii,  die 
kleinen  Ämter  zusammen  zwei  mid  vier  die  Gemeinde.  Die  alte  Be- 
stimmung' gegen  nahe  Verwandte  im  Rat  wurde  erneut  Der  Rat 
mu(ste  geloben,  das  Evangelium  zu  ehren  und  dabei  zu  verharren. 
Die  Ruhe  wurde  dadurch  hergestellt,  dals  der  entflohene  alte  Rat  die 
neue  Ordnung  der  Dinge  anerkannte. 

In  Bremen  fanden  Anfang  der  dreifsiger  Jahre  die  Parteikämpfe 
des  XIV.  und  XV.  Jahrhunderts  ihre  Fortsetzung.  Noch  einmal  wird 
der  Versuch  gemacht,  die  Grundlagen  der  Verfassung  zu  erschüttern. 
Mit  der  demokratischen  Tendenz  verbündeten  sich  aber  die  antiklerikale 
und  die  antikapitalische  Richtung  der  Zeit ').  Gleich  im  ersten  Stadium 
der  Bewegung  (Anfang  1531)  wurde  der  Komtur  des  Deutschordens» 
dem  man  Schuld  gab,  die  Gemeinde  in  ihren  Weiderechten  verkürzt 
zu  haben,  von  der  wütenden  Menge  erschlagen,  das  Ordenshaus  ge- 
plündert Auch  forderte  man  die  Teilnahme  der  Pfaffheit  an  den 
bürgerUchen  Lasten.  Dieser  Konflikt  mit  der  Geistlichkeit  trat  aber 
zurück  gegen  die  Forderung  einer  Verfassungsreform,  die  damals  in 
Bremen  so  gut  wie  in  anderen  niederdeutschen  Städten  erhoben  wurde. 
Insbesondere  sollte  der  Rat  die  Verwaltimg  des  städtischen  Vermögens 
mit  den  Vertretern  der  Bürger  teilen.  Zu  diesem  Zwecke  bildete  sich 
auf  Grund  allgemeiner  Wahlen  ein  104  Mann  starker  Bürgerausschuis 
zur  Beratschlagung  in  allen  städtischen  Angelegenheiten  und  *zur  Teil- 
nahme an  der  Verwaltung  des  gemeinen  Gutes.  Dem  Rate  wurde 
die  Bestätigung  dieses  revolutionären  Kollegiums  abgerungen,  das  seine 
Autorität  fiir  die  nächste  Zeit  fast  völlig  lahm  legte.  Es  gelang  dem 
Ausschuß  auch,  das  einflufsreiche  Kollegium  der  Elterleute  des  Kauf- 
manns zu  beseitigen  und  damit  dem  Rat  eine  wesentliche  Stütze  zu 
rauben.  Die  104  benutzten  ihre  Macht  femer  zu  einem  sinnlosen 
Schlage  gegen  das  Lebenselement  der  Stadt,  Handel  und  Seefahrt 
Die  Bewegung,  die  sich  gegen  das  süddeutsche  Großkapital  damals 
entwickelt  hatte ,  zeitigte  in  Bremen  einen  Ablegen  Um  Komaufkäufe 
durch  die  Grofehändler  zu  verhüten,  verordnete  der  Ausschufs,  kein 
Bürger  solle  mehr  als  10  Last  Korns  im  Jahr  verschiffen,  durch  den 
Kanal  aber  und  nach  Lissabon  nur  die  Hälfte  dieser  Menge.  Kein 
Gast  dürfe  an  der  Ausfuhr  von  Korn  und  Holzwerk  zu  Wasser  und  zu 
Lande  teilhaben.  Nur  auf  bremischen  Schiffen  dürfe  die  Verschiffung 
erfolgen.  Zu  solchen  und  anderen  die  Freiheit  des  Handels  und  der 
Schifffahrt  fesselnden  Bestimmungen  mulste  der  Rat  seine  Zustimmung^ 


z)  Bippeo,  GeschichU  der  Stadt  Bremen  I.  bc8.  S.  2i3ff.,  sSsff.,  IL  S.  55—90.. 


—     51     — 

geben.  „Man  hat  berechnet,  dafe  dieses  thörichte  Mandat,  mit  dem 
die  Volksfiihrer  vergeblich  die  soziale  Not  der  Masse  lindem  wollten, 
trotz  der  kurzen  Dauer  seiner  Wirksamkeit  dem  Kaufmann  und  in- 
direkt also  der  Stadt  mehr  als  20000  Gulden  (etwa  eine  halbe  Million 
Reichsmark)  Schaden  gebracht  habe  ')." 

Ende  At^ust  1532  brach  das  Regiment  der  104  zusammen,  nach- 
dem  es  längst  schon  bei  der  Masse  den  Boden  verloren  hatte.  Die 
„VoUmäcfatigkeit''  des  Rates  wurde  wiederhe^estellt ,  die  politische 
Bew^uDgsfreiheit  der  Büi^er  möglichst  in  Fesseln  geschlagen. 

Das  demokratische  Prinzip  hatte  also  tm  XVI.  Jahrhundert  in  den 
niederdeutschen  Städten  kaum  gröfseie  Erfolge  zu  veneichnen  als 
früher.  In  den  meisten  Orten  wird  das  revolutionäre  Regiment  nach 
kürzerer  oder  längerer  Dauer  beseitigt,  die  alte  Ordnung  wiederher- 
gestellt.  Immer  wieder  drii^  die  Erkenatnis  durch,  dals  die  Interessen 
der  grofsen  Handelsstädte  unter  der  Vorherrschaft  des  kaufmännischen 
Elements  am  besten  gewahrt  seien. 

Eine  neue  GeaeraUon  von  Demagogen  tritt  in  diesen  Kämpfen 
auf  den  Schauplatz.  Auf  Ludeke  Holland,  Hinrik  von  Loh  und 
Hinrik  Runge,  die  städtischen  Volksftihrer  des  ausgehenden  XV.  Jahr- 
hunderts, folgen  jetzt  Jürgen  Wullenwever  in  Lübedc,  RolofT  Moller  in 
Stralsund,  Johann  Dove  in  Bremen.  Auch  ihre  Charakterbilder  sind 
uns  fast  nur  von  g^^erischer  Seite  überliefert  *).  Ist  die  Zeicbnui^ 
richtig,  dann  lassen  diese  Parteiführer  auch  in  der  späteren  Zeit  moralische 
Lauterkeit  ebenso  vermissen  als  poliüsche  B^abung,  aufser  vielleicht 
Wullenwever:  er  hat  wenigstens  ein  grolses  Ziel,  das  freilich  für  seine 
Kräfte  unerreichbar  war.  Das  Bü^ertum  der  Reformationszeit  bat 
geniale  Kaufleute,  hervorragende  Gelehrte,  achtungswerte  Theologen 
hervoigebracht,  ist  aber  arm  an  politischen  Talenten. 

Es  ist  noch  zn  erwägen,  was  für  die  städtischen  Bew^ungen  im 
Südwesten  und  Südosten  des  Reiches  zu  thun  bleibt.  Zunächst  sei 
darauf  hingewiesen,  dals  die  zum  vorderösterteichische 
hörige  Stadt  Waldshut  nicht,  wie  man  vielfach  glaubte 
des  Bauernkrieges  war ,  sondern  dafs  ihr  Konfiikt  mi 
reicfaischen  R^emng  zu  Ensisheim  im  Jahre  1524  nur 
Frage  zum  Inhalt  hatte  *).  Die  Waldshuter  verlangten  1 
Freiheit  des  Evangeliums,  als  dessen  Apostel  Balthasar  I 


I)  Bippen  n.  73. 

3)  S.  meio  Bach  S.  3a. 

3)  Vgl.  LoieTth  im  Archt*  f.  äilerr.  Geicb.  Bd.  LXXTU,  S.  34  S. 


—     52     — 

getreten  war,  und  dessen  Verkündigung  die  österreichische  R^enmg- 
nicht  gestatten  wollte.  Im  übrigen  aber  waren  sie  bereit,  allen  ihren 
Pflichten  gegen  das  Haus  Habsburg  aufs  getreulichste  nachzukommen. 
In  einem  Schreiben  an  Basel  betonen  die  Waldshuter  einmal,  dals  sie 
sich  nicht  etwa  materieller  Leistungen  wegen  beschweren:  „Leib  und 
Gut,  und  was  man  ihnen  sonst  noch  auferlegt,  all*  das  wollen  sie 
gern  tragen  und  leisten.  Nur  lasse  man  uns  bei  dem  Worte  Gottes 
bleiben". 

In  den  südwestdeutschen  Gebieten  rechts  vom  Rhein,  in  der  oberen 
und  unteren  Markgrafschaft  Baden,  im  rechtsrheinischen  Teil  des  Bis- 
tums Speyer  imd  in  der  Pfalz  lagen  damals  wenig  Städte  von  gröfserer 
Bedeutung.  Soweit  solche  vorhanden  waren  und  von  der  Bewegung" 
berührt  wurden,  wie  Bruchsal,  Durlach,  Freiburg  i./B.  und  Breisach, 
hat  Hartfelder  sie  schon  berücksichtigt  ^).  Den  Arbeiten  dieses  For- 
schers verdanken  wir  auch  hinlängliche  Aufschlüsse  über  die  Bezie- 
himgen  der  elsässischen  Städte  zur  Revolution  *). 

Für  Schlettstadt  allerdings  hat  G^ny  in  seinen  früher  erwähnten 
Untersuchungen  unsere  Kenntnis  beträchtlich  erweitert  ^.  Sein  Buch 
bringt  insbesondere  für  die  Vorgeschichte  der  Unruhen  von  1525  neue 
Belehrung.  Es  zeig^,  wie  seit  der  Zeit  des  „Bundschuhs**,  der  ja  na- 
mentlich den  Südwesten  Deutschlands  seit  dem  Ende  des  XV.  Jahr- 
hunderts unsicher  gemacht  hatte,  revolutionäre  Keime  unverwüstlich 
fortwirkten  und  durch  die  lutherische  Bewegung  noch  verstärkt  wurden. 

Seit  der  miisglückten  Verschwörung  Ulmanns  im  Jahre  1493  war 
unter  den  Bürgern  Schlettstadts  eine  gewisse  Aufregung  zurücl^eblieben, 
die  von  aufsen  her  durch  die  Umtriebe  der  Bundschuher  noch  genährt 
wurde.  Im  Frühjahr  15 10  kam  es  zu  neuen  Ruhestörungen.  Auch  später 
war  an  unzufriedenen  Elementen  kein  Mangel.  Die  Lage  gestaltete  sich 
von  Jahr  zu  Jahr  bedrohlicher,  da  die  Ausgaben  für  das  Reich  wie  für 
städtische  Bedürfnisse  sich  stets  vermehrten,  während  die  Einkünfte 
mit  ihnen  nicht  gleichen  Schritt  hielten.  Für  die  unaufhörlichen  Geld- 
forderungen von  Seiten  des  Reiches  hatten  die  Bürger  noch  weniger 
Verständnis  als  für  die  ihrer  Stadt.  Namentlich  seit  1523  häuften  sich 
die  Anzeichen  einer  Gärung,   die  sichtlich  auch  von  der  lutherischen 


i)  Hartfelder,  Beiträge  zur  Geschichte   des  Banemkriegs   in  SödwestdeutschUnd, 
S.  209.  212.  213.  305.  314.  317. 

2)  Hartf eider  a.  a.  O.    S.  63—117;   über   Strafsbarg   siehe  „ForschnngeD    lur 
denUchen  Gesch."  XXm,  221—285. 

3)  Siehe  oben  S.  5. 


—      6»     — 

Bewegung-  bednflurst  war  ').  Alle  früheren  sozial-religiösen  Aiisscbrei- 
timgen  crschcioen  indes  unbedeutend  neben  der  Gefahr,  in  die  das 
Regiment  zu  Schlettstadt  im  Jahre  1324  durch  die  aufs  schlaueste  ein- 
gefädelte Verschwörung  des  Jöi^  Schütz  von  Traubacb  gebracht  wurde  •). 
Jöi^  Schütz,  ein  verschmitzter,  verwegener  Abenteurer,  verfolgte  keinen 
geringeren  Plan,  als  den  regierenden  Rat  zu  stürzen  und  die  neue  Lehre 
in  Schlettstadt  eiozuiiibren.  Mit  fast  bewunderungswürdiger  Gerieben- 
heit ging  er  dabei  zu  Werke,  Durch  gefälschte,  mit  treuer  Zeich- 
nung der  lokalen  Verhältnisse  und  Persönlichkeiten  abgefaßte  Briefe 
suchte  er  bei  den  Bü^em  den  Glauben  zu  erwecken,  der  Rat,  be- 
sonders der  Schultheils  Ergersheim,  und  die  österreichische  Regierung 
zu  Ensisheim  hätten  sich  dahin  verständigt,  die  Stadt  der  Regierung 
zu  öffnen  und  ihr  die  lutherisch  Gesinnten,  die  zum  Teil  mit  Namen 
genannt  waren,  zur  Bestrafung  auszuliefern.  Schütz  rechnete  darauf, 
dals  die  in  den  erdichteten  Briefen  als  Lutheraner  Bezeichneten  kein 
Mittel  unversucht  lassen  würden,  um  die  bestehende  Regierung  zu 
stürzen,  und  dafs  der  stolze  Freiheitssinn  der  Bürger  sich  gegen  die 
drohende  Kränkung  —  die  angebliche  Auslieferung  der  Stadt  an  Öster- 
reich —  aufbäumen  werde.  Und  doch  erwies  sich  seine  Rechnung 
als  falsch.  Nicht  einmal  die  in  seinen  Briefen  namhaft  gemachten 
Persönlichkeiten  zelten  sich  seinen  Plänen  geneigt,  und  als  sein  ge- 
fäbilicbes  Treiben  dem  Rate  enthüllt  wurde,  mufste  er  nacli  Strafs- 
bu^  entweichen,  wo  er  sogar  Wol^ang  Capito  für  sich  einzunehmen 
wnfste.  Der  Rat  von  Schlettstadt  strengte  gegen  Jörg  Schütz  einen 
Prozets  an,  der  im  November  1524  mit  seiner  Verurteilung  endigte. 

Hatte  die  Bewegung  unter  den  Bü^em  Schlettstadts  in  den  Vor- 
jahren des  Bauernkrieges  sich  hauptsächlich  gegen 
so  wurde  im  Sturmjahrc  1525  selbst  in  erster  Lin 
von  ihr  bedroht.  Die  Unruhen  begannen  mit  eine 
das  Piedigerkloster  und  dem  Einbruch  ins  Frauenli 
dem  Druck  der  Zünfte,  die  wiederholt  unter  Beruf 
gelium  die  Einziehung  der  Kloste^üter  forderten, 
den  Klöstern  ihre  Besitztitel  und  die  Verzeichnisse 
Kleinodien  ab  und  stellte  die  Verwaltung  ihres  Ve 
Aufsicht  städtischer  Pfleger.  Ohne  die  Niederlag 
Scherweiler    wäre   es   wohl   zur   gänzlichen   Säkular 


1)  G*ny  «.  •.  O.  S.  84«. 

2)  ■.  B.  O,  S.   113-141. 


—     64     — 

Mit  den  Bauern  hat  man  sympathisiert,  sich  aber  doch  gehütet,   mit 
ihnen  gemeinsame  Sache  zu  machen  ^). 

Auf  die  soziale  Bewegung  in  Schlettstadt  folgte  die  kirchliche 
Reaktion.  Der  Rat  liefe  es  sich  angelegen  sein,  die  der  Kirche  zu- 
gefügten Schäden  zu  heilen,  die  Ordnungen  des  alten  Glaubens  in 
voller  Reinheit  erhalten,  feindliche  Elemente  zu  züchtigen  oder  zu 
entfernen.  Die  Mönche  wurden,  soweit  sie  es  selbst  verlangten,  in 
ihre  Klöster  zurücl^efuhrt,  die  Stützen  der  evangelischen  Sache,  der 
Pfarrer  Phrygio  und  der  Schulmeister  Sapidus  verliefeen  die  Stadt,  der 
Rat  erliefe  eine  Reihe  kirchlicher  Verordnungen,  deren  Übertreter  er 
strenge  bestrafte.  Im  September  1530  erhielt  er  sogar  vom  Kaiser 
einen  Dankbrief  für  seine  Beständigkeit  im  alten  Glauben '). 

Er  erlangte  auch  einen  wirtschaftlichen  und  sozialpolitischen  Er- 
folg, der  in  jener  bewegten  Zeit  von  so  vielen  Bürgerschaften  an- 
gestrebt wurde,  die  Befreiung  von  den  drückenden  Zinsen  und  Gülten, 
deren  Ablösung  der  Kaiser  im  Jahre  1526  gestattete.  Die  Bürger 
haben  von  dieser  Erlaubnis  ausgiebigen  Gebrauch  gemacht  Im  ganzen 
hat  Schlettstadt  die  sozialen  und  religiösen  Wirren  der  Reformations- 
zeit glücklich  überstanden  •). 

Die  Bewegungen  in  den  Bischofstädten  des  Rhein-  und  Mosel- 
landes, wo  sich  der  revolutionäre  Geist  der  Bürger  fast  ganz  in  anti- 
klerikalen Tendenzen  auswbkt,  bieten  der  Forschung  noch  manche 
ungelöste  Aufgabe.  Für  die  Unruhen  in  Speyer  und  das  Verhältnis 
der  Stadt  zu  den  Bauern  dürfte  allerdings  das  Material  schon  durch 
Hartfelder  und  Geissei  genügend  ausgebeutet  sein  *).  Auch  fiir  Mainz 
werden  sich,  nachdem  der  Bericht  über  die  Bewegung  von  1525  in 
den  Städtechroniken  veröffentlicht  wurde,  kaum  neue  Quellen  von  Be- 
deutung erschliefeen  lassen  *).  Über  die  Vorgänge  in  Trier  •)  jedoch 
sind  wir  einstweilen  nur  durch  das  von  Kraus  in  den  Nassauischen 
Annalen  mitgeteilte  Material  unterrichtet,  das  sich  gewife  —  auch  für 
die  anderen  Städte  des  Erzstifts,  z.  B.  Boppard  —  noch  vermehren  liefee. 

Besonders  aber  fehlt  uns  für  die  antiklerikale  Bewegung  in  Worms 
eme  zusammenfassende  Darstellung,   der  wohl   gleichfalls  noch  eine 

i)  a.  a.  O.  S.  isSff. 

2)  a.  a.  O.  S.  186  ff. 

3)  a.  a.  O.  S.  201  u.  20a. 

4)  Hart  fei  der  S.  245 — 256.  Geissei,  Kaiserdom  zu  Speier,  S.  281  ff.  Aach 
fUr  Frankfurt  am  Main  bietet  das  „  Anfrahrbuch "  and  Königsteins  Tagebuch  ein  Ma- 
terial, das  einer  wesentlichen  Ergänxang  wohl  nicht  mehr  bedarf. 

5)  Städtechroniken  Bd.  XVIII,  S.  103  ff. 

6)  Nassanische  Annalen  XU,  79 — 80. 


—     65     — 

Ergänzung  des  Materials  vorbeigehen  müfste.  Damit  hätte  sich  ohne 
Zweifel  eine  Übersicht  über  die  in  die  Bewegung  hereinspielenden 
Kämpfe  zwischen  Bischof  und  Stadt  zu  verbinden  *). 

Besondere  Beachtung  verdienen  die  Vorgänge  in  Köln  im  Jahre 
1525.  Sie  können  geradezu  als  Typus  der  damaligen  städtischen  Be- 
wegungen gelten,  weil  in  Köhi  deren  drei  Grundtendenzen,  die  anti- 
klerikale, die  gemäisigt  reformatorische  und  die  sozialistische  in  deut- 
licher Ausprägung  zusammentreffen.  Wir  sind  vor  der  Hand  im  we- 
sentlichen noch  angewiesen  auf  die  Darstellung  des  keineswegs  zu- 
verlässigen Ennen.  Eine  monographische  Bearbeitung  des  Gegenstandes 
auf  Grund  des  veröffentlichten  oder  noch  der  Veröffentlichung  harren- 
den Materiales  wäre  äusserst  verdienstlich  *). 

Auch  in  Essen  spielten  sich  Ereignisse  ab,  die  wenigstens  für  die 
frühere  Zeit  noch  der  Aufhellung  harren.  Seit  1410 — 1419  tritt  dort 
neben  dem  Rat  ein  aus  den  Zünften  hervoi^ehendes  Kollegium  der 
Vierundzwanzig  auf,  dessen  Hauptaufgabe  die  Kontrolle  der  Rechnungs- 
führung des  Rates  ist  Seit  derselben  Zeit  findet  sich  auch  ein  be- 
sonderer Rentmeister,  der  aus  dem  Schoise  des  Rates  gewählt  wird, 
während   bis  dahin  einer  der  Bürgermeister  nebenher  die  Geschäfte 


1)  Es  käme  zunächst  in  Betracht  Schannat,  Historia  episcopatas  Wormatiensis, 
z.  B.  I,  418 ff.;  n,  359.  360;  dann  der  Bericht  über  die  Plündernng  des  Klosters  Kirsch« 
garten  in  den  „  Geschichtsblättem  fUr  die  mittelrheinischen  Bistilmer''  I,  i,  S.  66  ff.  und 
Boos,  Quellen  zm-  Geschichte  der  Stadt  Worms  III,  621  ff.  Die  hier  abgedruckten  Be« 
schwerden  zeigen  die  oben  erwähnte  doppelte  Richtung.  Sie  gehen  zum  Teil  an  die 
Adresse  der  Pfaffheit,  der  man  kirchliche  und  wirtschaftliche  Zugeständnisse  abzunötigen 
sucht,  teils  betreffen  sie  das  Verhältnis  der  Stadt  zum  Bischof.  Man  verlangte  die  Pre- 
digt des  lauteren  Gottesworts,  Abstellung  der  Hurerei,  Beseitigung  der  dem  göttlichen 
Worte  zuwiderlaufenden  Ceremonien  und  der  frommen  Stiftungen,  Wahl  der  Pfarrer  durch 
die  Gemeinde,  Auflösung  der  Klöster,  Regelung  der  geistlichen  Zinsen  und  Renten,  zu- 
gleich aber  Auslieferung  des  jüngst  dem  Rate  abgedrungenen  Vertrags  mit  Bischof  und 
Domkapitel,  der  auch  nachher  wirklich  vernichtet  wurde,  und  Verzicht  von  Bischof  und 
Kapitel  auf  alle  Gnaden  und  Freiheiten,  die  der  städtischen  Obrigkeit  und  Herrlichkeit 
zuwider  seien.  Die  Geistlichkeit  nahm  laut  Verschreibung  vom  3.  Mai  diese  Artikel  an 
und  verpflichtete  sich  auch,  btLrgerliche  Beschwerde  zu  tragen  und  in  ihren  Rechtshändeln 
sich  dem  Spruche  des  Rates  oder  des  Stadtgerichts  zu  unterwerfen.  Nach  der  Schlacht 
bei  Pfeddersheim  mufste  die  Bürgerschaft  die  empfangene  Verschreibung  wieder  aus- 
liefern und  die  Geistlichkeit  in  ihre  früheren  Rechte  wiedereinsetzen.  —  Einen  Weg- 
weiser durch  die  Wormser  Geschichtsquellen  des  XVL  Jahrhunderts  giebt  Roth  in  dieser 
Zeitschrift  IL  Bd.,  S.  174—181. 

2)  Ennen,  Gesch.  der  Stadt  Köln  IV,  223 ff.  Ober  sonstige  Köln  betreffende  Bla- 
terialangaben  vgl.  mein  Buch  S.  198,  Anm.  2.  Zu  berücksichtigen  ist  noch  eine  kleine 
von  W.  Schmitz  besorgte  Quellenveröffientlichung  in  der  Westdeutschen  Zeitschrift 
4.  Bd.  (1885),  S.  310—312. 


—     56     — 

der  Rechnungsführung  besorgte  *).  Im  XVI.  Jahrhundert  verbindet 
sich  dann,  doch  nicht  vor  1531,  die  populäre  Bewegung  mit  der 
Reformation,  zieht  sich  durch  das  ganze  Jahrhundert  hin  imd  findet 
erst  1604  ihren  Abschlufs  *). 

Über  die  sozial-religiösen  Ereignisse  in  den  ^bestialischen  Städten 
geben  die  Werke  von  Cornelius  und  Keller  über  die  wiedertäuferische 
Bewegimg  wohl  genügende  Kunde. 

An  der  östlichen  Peripherie  des  Reiches  blieben  die  alten  deut- 
schen Kolonialstädte  in  der  oberen  Lausitz,  die  im  XIV.  und  XV. 
Jahrhundert  der  Schauplatz  heftiger  Parteiungen  gewesen  waren,  in  der 
Reformationszeit  ruhig.  Nur  in  Görlitz ') ,  dem  Hauptsitz  des  Tuch- 
handels, erneuten  sich  in  den  zwanziger  Jahren  des  XVI.  Jahrhtmderts 
mit  zum  Teü  verändertem  Charakter  die  früheren  Streitigkeiten.  Hatten 
dort  die  Handwerker  vormals  mit  dem  Patriziat  um  politische  und 
wirtschaftliche  Gerechtsame  gerungen,  so  verflocht  sich  jetzt  in  ihren 
Kampf  auch  ein  sozial-religiöses  Motiv.  Die  Predigten  des  Pfarrers 
Rothbart,  der  die  „Freiheit  eines  Christenmenschen"  wohl  nicht  nur 
in  religiösem,  sondern  auch  in  sozialpolitischem  Sinne  auslegte,  fanden 
lebhaften  Beifall  beim  gemeinen  Mann  und  bei  einer  Gruppe  jüngerer 
Ratsherren.  Die  konservative  Partei  im  Rat  setzte  aber  die  Entfernung 
des  Predigers  durch,  der  jetzt  in  den  Augen  seiner  Anhänger  sofort 
zum  Märtyrer  des  neuen  Glaubens  wurde.  Um  der  drohenden  Em- 
pörung zuvorzukommen,  forderte  der  Rat  die  Zünfte  zur  Kundmachung 
ihrer  Beschwerden  auf.  Die  Tuchmacher,  die  —  wie  stets  in  den  Städten 
der  Lausitz  —  an  der  Spitze  der  Unzufriedenen  standen,  verlangten  vom 
Rat  die  Freigebung  der  lutherischen  Lehre  und  erzwangen  die  Zurück- 
berufung des  Pfarrers,  der  fortfuhr,  in  der  früheren  Weise  zu  predigen, 
namentlich  das  Recht  der  Gemeinde  gegenüber  der  Obrigkeit  betonte. 
Zugleich  aber  übergaben  die  Tuchmacher  dem  Rate  auch  eine  Anzahl 
politischer  Beschwerden.  Sie  beschuldigten  den  Rat,  dafs  er  seine 
Stra%ewalt  müsbrauche  und  bei  den  Wahlen  einzelnen  Persönlich- 
keiten zu  grofsen  Einflufs  verstatte.  Femer  verlangten  sie,  dafs  der 
Rat  Rechnung  lege  über  die  Verwaltung  des  Gemeindevermögens  und 
—  als  Radikalmittel  —  dafs  die  Zahl  der  ratsfähigen  Handwerker  ver- 
mehrt werde. 


i)  Nach  gütiger  Mitteilung  des  Herro  Dr.  K.  Ribbeck  in  Esten. 

2)  Hierüber  vgl.  „Beiträge   zur  Geschichte  von  Stadt  and  Stift  Essen",   Heft  Xin^ 
99fif.;  Xn,  96 ff.;  XIV,  77ff.;  XVI,  30«.  u,  44«.;  XIX,  14—16.  34f.  40-43- 

3)  Knothe  a.  a.  O.  S.  322 ff.  i.  bes.  327—330. 


—     67     — 

Die  Lage  der  Obrigkeit  erschien  äu&erst  gefahrvoll,  da  die  Tuch- 
macher auch  die  übrigen  Zünfte  für  ihre  Absichten  zu  gewinnen 
suchten.  Die  ruhige  Festigkeit  aber,  womit  der  Rat  diesen  Umtrieben 
entgegentrat,  vereitelte  den  Ausbruch  der  Empörung. 

Werfen  wü-  zum  Schlufs  noch  einen  Blick  auf  die  südostdeutsche 
Ländergruppe.  In  Bayern,  dem  einzigen  süddeutschen  Territorium,  das 
von  Empörungen  verschont  blieb,  hören  wir  —  abgesehen  von  den 
vom  Bauernkrieg  berührten  Bischofsstädten  Regensburg  und  Eich« 
Stadt  —  nichts  von  bürgerlichen  Aufständen.  Ebenso  habe  ich  schon  in 
meinem  Buche  gezeigt,  dafs  es  in  den  habsburgischen  Erblanden  1525 
zu  stärkeren  städtischen  Bewegungen  fast  nirgends  gekommen  ist. 
Insbesondere  haben  die  Städte  in  Tyrol,  wo  der  Bauernaufruhr  am 
heftigsten  wütete,  eine  wertvolle  Zurückhaltung  bewahrt  *).  Dafs  aber 
auch  sie  mit  den  Tendenzen  der  Bewegung  einverstanden  waren  und 
Freunde  der  letzteren  zum  Landtag  nach  Innsbruck  schickten,  bezeugt 
wohl  am  besten  die  Thatsache,  dafs  der  Bürgermeister  dieser  Stadt  den 
Überbringer  der  Meraner  Artikel  machte  und  dem  Erzherzog  gegen- 
über das  Wort  führte  *). 

Einen  wirklich  revolutionären  Anstrich  gewannen  die  städtischen 
Verhältnisse  eigentlich  nur  in  Trient  *).  Dort  bUdete  sich  eine  Partei, 
welche  die  bischöfliche  Herrschaft  zerstören,  der  Stadt  und  dem  Lande 
die  alte  Freiheit  wiedergewinnen  wollte.  Diese  „liberale"  Partei  grub 
sich  selbst  das  Grab,  indem  sie  sich  mit  den  aufständischen  Bauern 
der  Umgegend  verbündete  und  diese  in  grofeer  Zahl  in  die  Stadt 
liefe.  Die  grofse  Masse  der  Bürger,  die  vor  der  Brutalität  des  Land- 
volks zitterte,  fiel  von  der  Sache  der  Freiheit  ab  und  beugte  sich 
wieder  unter  die  geistliche  Herrschaft. 

War  das  Jahr  1525  insbesondere  in  Niederösterreich  ohne  heftigere 
Stürme  vorübergezogen,  so  drohte  dort  dafür  im  folgenden  Jahre  eine 
Erhebtmg  des  gemeinen  Mannes  in  den  Städten.  Auf  dem  gemeinen 
Landtage  der  Elrblande  zu  Augsburg  1526  klagten  die  Vertreter  der 
niederösterreichischen  Städte  und  Märkte  heftig  über  den  Weinschank 
der  Geistlichen.  Nach  ihrer  Aussage  hatte  der  Klerus  an  vielen  Orten 
fast  ein  Drittel  aller  Häuser  inne  und  schenkte,  ohne  die  Lasten  der 
Bürger  zu  teUen,  öfTentlich  Wein  aus.  Bisher  hatte  man  wegen  der 
Bauernaufstände,    die   hauptsächlich   gegen    die  Geistlichen  gerichtet 


i)  Hirn,  Die  TTroler  Landtage  zar  Zeit  der   grofsen  Bauernbewegung ,    im  Jahrb. 
der  Leo-Gesellschaft  II  (1893),  S.  116. 

2)  a.  a.  O.  S.  117. 

3)  Monimenti  storici  del  Tridentino     S.  23.     (Einleitung). 


—     68     — 

waren,  dies  stillschweigend  geduldet,  um  die  Bauern  nicht  noch  mehr 
zu  reizen.  Jetzt  aber  wollten  die  Bürger  die  Last  geistlicher  Schenken 
nicht  länger  ertragen,  „zumal  es  unziemlich,  wider  das  geschriebene 
Recht  und  jüngste  Regensbui^er  Reformation  sei,  und  deshalb  ein 
neuer  Aufstand  des  gemeinenMannes  zubesorgenstehe  *)". 

Die  sonstigen  Eingaben  der  Stände  lassen  uns  übrigens  vermuten, 
dafe  der  geistliche  Weinschank  nicht  die  einzige  Ursache  wirtschaft- 
licher Mifeverhältnisse  und  der  gereizten  Stimmung  des  Bürgerstandes 
gewesen  sei.  Man  fordert  auch  die  Aufhebung  oder  wenigstens  die 
amtliche  Regulierung  der  grofeen  Handelsgesellschaften,  „die  durch 
lange  Jahre  nur  auf  ihren  Vorteil  bedacht  die  deutsche  Nation  und 
die  Erbländer,  wo  sie  insbesonder  entstanden  und 
emporgekommen  sind,  ausgesaugt  haben!"  Femer  wird  Be- 
schwerde geführt  über  den  Fürkauf  und  den  sonstigen,  den  städtischen 
Freiheiten  zuwiderlaufenden  Gewerbebetrieb  der  Prälaten  und  des  Adels. 
Besonders  klagt  die  Stadt  Steyr,  da(s  ihre  einst  hochberühmte,  blühende 
Industrie  durch  die  Ansiedelung  zahlreicher  und  billiger  arbeitender 
Handwerker  auf  den  geistlichen  Gütern  der  Umgegend  stark 
in  Abnahme  geraten  sei  *). 

Der  Gmndcharakter  der  städtischen  Bewegungen,  den  ich  in 
meinem  Buche  zu  zeichnen  versucht  habe,  wird  durch  diese  neuen 
Beobachtungen  im  allgemeinen  bestätigt  Wir  finden  wiederum  ein 
Verlangen  nach  politischer  und  religiöser  Reform,  so  im  Anfang  des 
XVI.  Jahrhunderts  in  Andernach  und  Leipzig,  später  besonders  in  den 
niederdeutschen  Städten,  aber  auch  in  Halle,  Annaberg,  Görlitz;  wir 
finden  wieder  die  Opposition  gegen  die  wirtschaftlich  dominierende 
Stellung  des  Klerus  in  Chemnitz,  Dresden,  Bremen ;  und  wieder  treten 
uns  wenigstens  vereinzelt  und  zum  Teil  durch  die  wiedertäuferische 
Bewegung  veranlafst  sozialistische  Regungen  entgegen  in  Leipzig, 
Hannover,  Magdeburg,  Stralsund.  Wieder  spielen  in  sozialistischer 
Schwärmerei  befangene  Prädikanten  die  Rolle  der  Aufwiegler. 

Wie  das  Bild  des  Bauernkriegs  in  den  einzelnen  Gebieten  Deutsch- 
lands verschieden  nuanciert  ist,  so  ist  auch  der  Grundton  der  städtischen 
Bewegung  je  nach  den  Landesteilen,  in  denen  sie  auftritt,  ein  anderer. 
In  den  Städten  des  Elsafs,  des  Rheinlands  und  Westfalens  überwi^ 
die  antiklerikale  Tendenz;  in  Niederdeutschland  empfangen  die 
städtischen  Aufstände  ihr  Gepräge  durch  das  demokratische  Element, 


1)  ZeiUchria  des  Ferdinandeums,  3.  Folge,  Bd.  XXXVIII  (1894),  S.  10 1 — 102. 

2)  a.  a.  O.  S.  80.  loi.  107.  108 — HO. 


mit  dem  sich  gewöhnlich  die  Forderung  einer  radikalen  Kirchenreform 
verbindet,  während  die  sozialistische  Strömung  in  Süd-  und  Mittel- 
deutschland,  wie  mir  scheint,  kräftiger  auftritt,  als  im  Norden. 

Sehr  verschieden  gestalten  sich  auch  die  Folgen  der  sozialen  Be- 
wegung lür  die  Reformation.  An  einzelnen  Orten,  wie  Kolmar  und 
Schlettstadt ,  werden  nach  Beendigung  der  Unruhen  die  lutherischen 
Neigungen  zurückgedrängt.  In  Rothenbu^  und  Memmingen  wird 
wenigstens  der  Fortschritt  der  neuen  Lehre  durch  die  Revolution  ge- 
hemmt *).  Dagegen  hat  in  Gotha  der  aus  wirtschaftlichen  Ursachen  unter- 
nommene Sturm  gegen  die  PfafTheit  der  kirchlichen  Neuerung  freie  Bahn 
gemacht,  und  in  den  westfälischen  Städten,  auch  in  Lübeckund  Hannover, 
vollzog  sich  die  Bildung  des  evangelischen  Kirchenwesens  unter  revolutio- 
nären Wehen.  In  anderen  Städten,  z  B,  Stralsund,  Halle,  Annaberg, 
Görlitz,  haben  bei  der  Bewegung  wenigstens  religiöseMotive  mitgewirkt. 

Auch  in  der  politischen  Verfassung  der  Städte  haben  die  damaligen 
Unruhen  manche  Spuren  hinterlassen.  Einzelne  von  ihnen ,  so  Halle, 
Andernach,  Schweidnitz,  AschafTenburg  *) ,  bülsten  die  Revolution  mit 
dem  Verlust  oder  der  Minderung  ihrer  Autonomie. 

Erst  wenn  man  die  in  diesen  Zeilen  gebotenen  Eigänzungen 
meines  Buches  berücksichtigt,  und  wenn  die  Lokalforschung  an  den 
von  mir  bezeichneten  Punkten  weiterarbeitet,  wird  es  mißlich  sein, 
vom  Umfang  und  von  den  Tendenzen  der  Bewegung  ein  klares,  voU- 
sUindiges  und  richtiges  Bild  zu  erhalten. 

Damit  aber  ist  die  Aufgabe  noch  keinesw^s  gelöst.    Noch  bleibt 
viel   zu   thun   für   die  Erkenntnis  der  Ursachen  der  Bewegung.     Noch 
liegt   die   soziale   Gestaltung,   aus  der  jene  Tendenzen  sich  entwickelt 
haben,    nicht  völlig  klar  vor  uns.     Wie  oft  sind  uns  im  Laufe  dieser 
Untersuchungen   die   Klagen   der  Gemeinden   über   Willkür  und  Kor- 
ruption der  städtischen  Regierungen  begegnet,  wie  oft 
Streben    nach    Veränderung    des    Regiments !     Die    F 
städtischen  Obrigkeiten  ihre  Pflichten  erfiillt  haben,  wii 
dem    Druck    allgemeiner   Verhältnisse     oder    einer   in 
herrschenden  Korruption  handelten,  welcher  Wert  den 
Bürger  beizumessen  sei,  ist  noch  schärfer  als  bisher  zu 

Vor  allem  aber  muls  es  den  Forscher  reizen,  ( 
der  in  den  Städten  damals  so  weit  verbreiteten  soz 
strebungen  kennen  zu  lernen.    Zu  erklären  sind  sie, 

I)  Vgl.  Friedcnsbnrg,  Dtr  Reichstag  m  Speyer  1526,  S.   15 
3)  Mar,  Albrecht  IL  laa  Bnaienhnig  H,  Dcäagt  U,  S.   153. 
3)  Vgl.  mein  Buch  5.   tSl—lSl. 


—     60     — 

aus  der  Verschiebung  der  Besitzverhältnisse,  die  in  den  Städten  seit 
dem  Ende  des  XV.  Jahrhunderts  vor  sich  gegangen  ist.  Im  Mittel- 
alter war  die  soziale  Lage  in  den  Städten  charakterisiert  durch  das 
Vorhandensein  eines  zahlreichen,  wirtschaftlich  kräftigen  Mittelstandes, 
der  für  die  Leistungsfähigkeit  der  Städte  gegenüber  der  niederen  Be- 
völkenmgszahl  ein  ausgleichendes  Moment  bildete.  Es  scheint  nun, 
dafs  diese  günstige  Vermögensverteilung  seit  dem  späteren  XV.  Jahr- 
hundert einer  starken  Differenzierung  des  Besitzes,  der  Entwickelung* 
einer  breiten  Schicht  Besitzloser  und  Besitzarmer  gewichen  ist.  Aber 
noch  mufs  diese  Erscheinung  durch  die  Forschung  stärker  fundamentiert 
werden;  die  Arbeiten  von  Schönberg,  Härtung,  Schmoller,  Eulenburg 
u.  a.  für  Basel,  Augsburg,  Frankfurt,  Heidelberg  und  andere  Orte 
der  Pfalz  sollten  auf  eine  möglichst  grofse  Zahl  von  Städten  ausgedehnt 
werden  *).  Dann  würde  man  die  kommunistischen  Gelüste ,  die  be- 
sonders 1525  fast  in  allen  süd-  und  mitteldeutschen  Städten  sich 
äufeem,  erst  recht  verstehen.  Derartige  Untersuchungen  würden  uns 
auch  Einblick  gewähren  in  die  Zusammensetzung  und  die  numerische 
Stärke  des  städtischen  Proletariats,  gewife  des  Hauptträgers  der  radi- 
kalen Beweg^g.  Man  mü(ste  sich  darüber  verständigen,  welche 
sozialen  Kategorieen  unter  den  Begriff  des  Proletariates  zu  bringen 
wären,  man  mü(ste  auf  ihre  Entstehimg  eingehen  und  prüfen,  welchen 
Prozentsatz  der  Bevölkerung  an  den  einzelnen  Orten  sie  ausmachen. 
Auch  wäre  noch  genauer  zu  untersuchen,  inwiefern  der  kaufmännische 
Kapitalismus  jener  Zeit,  Gesellschafts-  und  Monopolienwesen  mit  den 
Interessen  des  gemeinen  Mannes  in  Widerspruch  traten. 

Niu:  einige  Hauptaufgaben  habe  ich  genannt,  auf  welche  die 
Forschimg  hinzuweisen  mir  ein  Bedürfnis  war.  Möge  die  nächste  2^it 
uns  der  Lösung  dieser  Fragen  näher  führen  und  reiche  Aufklärung 
bringen  über  die  revolutionären  Erscheinungen  in  den  Städten  und 
über  die  soziale  Entwickelung  unseres  Bürgertums  am  Ausgange  des 
Mittelalters  überhaupt.  Hat  auch  die  städtische  Bewegung  keine  tiefen, 
umgestaltenden  Wirkungen  hinterlassen,  die  Entwickelung  unseres  Bürger- 
wesens kaum  nachhaltig  beeinflufst,  so  würde  doch  ohne  ihre  Kenntnis 
das  Bild  jener  wunderbaren,  die  ganze  Nation  in  ihren  Tiefen  auf- 
rüttelnden Zeit  ewig  unvollständig  bleiben. 

i)  Schönberg,  Finanzwirtschaft  der  Stadt  Basel;  Härtung,  Die  Augsbnrger 
Zuschlagsteuer  von  1475  ^  Jahrbuch  für  Gesetzgebung  etc.  1895,  S.  114,  rgL  ebenda 
Schmoller  S.  1084  und  Eulenburg  in  „Zeitschr.  für  Sozial-  u.  Wirtschaftsgeschichte", 
Bd.  m  (1895),  S.  424—467. 


—     61     — 


Mitteilungen 


Tersammlnngen.  —  Der  zweite  Tag  für  Denkmalpflege,  der  am 

23.  und  24.  September  zu  Freiburg  im  Breisgau  versammelt  war,  zählte  fast 
100  Teilnehmer,  ebensoviel  wie  im  vorigen  Jahre  der  erste,  Dresdener  *), 
Tag  aufweisen  konnte.  Unter  den  Teilnehmern  waren  23  anwesend  als  amtliche 
Vertreter  des  deutschen  Reiches,  der  deutschen  Bundesstaaten,  der  österreichi- 
schen Regierungund  des  schweizerischen  Bundesrates  auf  Grund  der  Einladung, 
welche  die  badische  Regierung  hatte  ergehen  lassen.  Der  Tag  hat  in  vier  langen 
Sitzungen  seine  umfangreiche  Tagesordnung  erledigt.  Vorträge  und  Beratungen 
betrafen  drei  Hauptgegenstände :  die  Fortschritte  der  Gesetzgebung,  die  prak- 
tische Denkmalpflege,  die  Herausgabe  eines  die  Inventarisationsarbeiten 
zusammenfassenden  Handbuches  der  deutschen  Denkmäler. 

Über  neuere  Gesetzentwürfe  berichteten  die  Herren  v.  Bremen  (Preufsen), 
Freih.  v.  Biegeleben  (Hessen),  Loersch  (Bern).  Allseitig  wurde  mit 
freudiger  Zustimmung  begrtifst  der  hessische  Entwurf,  dessen  Annahme  durch 
die  zweite  Kammer  auf  Grund  des  bereits  vorliegenden  Berichtes  ihres  Aus- 
schusses nicht  zweifelhaft  ist.  Hessen  hat  sich  damit  das  grofse  Verdienst 
erworben,  als  erster  unter  allen  deutschen  Staaten  Denkmalpflege  und  Denk- 
malschutz durch  ein  Spezialgesetz  eingehend  zu  regeln,  welches  in  mafsvollster 
Weise  alle  in  Betracht  kommenden  Interessen  ausgleichend  schützt  Die  Mit- 
teilungen des  preufsischen  Vertreters,  welche  durch  die  einleitenden  Bemer- 
kungen über  die  jetzt  im  Werk  befindlichen  italienischen  und  spanischen  Ge- 
setze über  Denkmalpflege  noch  besonders  interessant  waren,  stellten  baldige 
eingehende  gesetzliche  Regelung  der  Materie  in  dem  gröfsten  deutschen  Bundes- 
staate in  Aussicht  Aus  den  Verhandlungen  ergab  sich,  dafs  nach  überein- 
stimmender Meinung  der  Versammlung  die  zu  erlassenden  Gesetze  besondere 
Bestimmungen  über  die  Enteigntmgen  zu  Gunsten  der  Denkmalpflege  zu  treffen 
haben  werden,  weil  die  in  den  einzelnen  Staaten  bestehenden  Enteignungs- 
Yorschriften  nicht  ausreichen,  namentlich  auch  das  Verfahren  meist  ein  zu 
schwieriges  und  weitläufiges  ist,  insbesondere  auch  den  Gemeinden  imd  den 
Kommunalverbänden  nicht  die  nötigen  Handhaben  bietet 

Als  eine  Überieitung  von  den  gesetzgeberischen  Fragen  zur  praktischen 
Denkmalpflege  nahm  die  Versammlimg  mit  grofsem  Beiflül  den  Vortrag  des 
Herrn  Konservators  Wolff  aus  Strafsburg  entgegen,  der  eingehend  über  die 
auf  Gnmd  der  französischen  Gesetzgebimg  noch  in  den  Reichslanden  geltende 
Einwertung  fclassement)  der  Denkmäler  imd  ihre  praktische  Wirkung  berich- 
tete. Die  Versammlung  dürfte  die  Überzeugung  gewonnen  haben,  dafs  dieses 
Hilfsmittel  nur  in  beschränktem  Mafse  Dienste  leistet  und  ein  ausreichender 
Schutz  der  Denkmäler  lediglich  aiif  der  dadurch  gebotenen  Grundlage  nicht 
zu  erzielen  ist.  Die  von  den  Herren  Konservator  Haupt  aus  Eutin  und 
Museumsdirektor  Meier  aus  Braunschweig  erstatteten  Berichte  über  Denk- 
mälerarchive und  verwandte  Sammlungen  ab  Klfsmittel  der  Denkmalkunde 
boten  eine  Fülle  von  lehrreichen  Einzelheiten  und  liefsen  keinen  Zweifel  über 
die  hohe  Bedeutung  derartiger  Einrichtungen.    Eine  eingehendere  Verhandlung, 

i)  Vgl  darüber  diese  Zeitschrift,  IL  Bd.,  S.  59>-6o. 


—     62     — 

als  die  Kürze  der  Zeit  sie  zuliefs,  hätte  unzweifelhaft  noch  manche  Frage  zur 
Erörterung  gebracht,  die  in  diesem  Zusammenhang  aufzuwerfen  ist;  Zentrali- 
sation oder  Dezentralisation  solcher  Sammlungen  in  gröiseren  Staaten,  regel- 
mäfsige  Herstellung  von  Duplikaten  aller  Aufnahmen,  Notwendigkeit  oder  Über- 
flüssigkeit eines  ganz  genauen  und  peinlichen  Verzeichnisses  aller,  auch  der 
unbedeutendsten  an  einer  Stelle  aufbewahrten  Stücke.  Ein  späterer  Tag  dürfte 
wohl  mit  Erfolg  deren  Beantwortung  auf  seine  Tagesordnung  setzen. 

Drei  grofse  im  Vordergrund  des  Interesses  und  der  Diskussion  stehende 
Denkmäler  boten  der  Versammlung  Anlafs  zu  einem  Eingehen  auf  die  Aus- 
übung und  Handhabung  ihrer  Pflege.  Den  von  Herrn  Dombaumeister  Arntz 
erstatteten  Bericht  über  das  Strafsburger  Münster,  dessen  Zustand  rasche 
Hilfe  tmd  einen  Kostenaufwand  von  zwei  und  einer  halben  Million  Mark  blofs 
fiir  unerläfsliche  Erhaltungsarbeiten  erheischt,  konnte  die  Versammlung  nur 
durch  den  Hinweis  auf  die  dringende  Notwendigkeit  der  Gründung  eines 
Dombauvereins  beantworten,  der  allein  die  Grundlage  für  Beschaftung  von 
gröfsern  Stunmen  und  Erlangung  von  Hilfen  aus  öffentlichen  Mitteln  bieten 
kann.  Die  Mitteilungen  über  die  Hohkönigsburg,  die  Herr  Architekt  Ebhar  d  t 
in  seinem  Vortrag  machte,  und  mehr  noch  die  Aussprache,  zu  der  die  darauf 
folgende  Diskussion  ihm  und  anderen  Mitgliedern  der  Versammlimg  Gelegen- 
heit bot,  haben  unzweifelhaft  zur  Klärung  der  mit  der  Erhaltung  dieses  ge- 
waltigen Denkmals  zusammenhängenden  Fragen,  zur  Richtigstellung  mancher 
irrtümlichen  Annahme  imd  zur  Beseitigung  nicht  weniger  Zweifd  geführt.  Der 
durch  reiche  zeichnerische  Beläge  gestützte  Vortrag  des  Herrn  Baurats  Torno  w 
über  die  Beseitigung  des  bisherigen  Hauptportals  am  Dome  zu  Metz  und 
dessen  Ersetzung  durch  ein  vom  Redner  entworfenes,  dem  Stile  der  Kirche 
angepafstes,  das  aber  dem  ursprünglichen  Zustand  keineswegs  entspricht,  legte 
klar  und  anschauÜch  die  Gründe  dar,  welche  gerade  zu  dieser  Lösung  einer 
der  schwierigsten  Fragen  des  Restaurationsverfahrens  geführt  haben.  Eine 
Erörterung  der  in  diesem  Falle  befolgten  Grundsätze  wurde  leider  durch  den 
notwendigen  Schlufs  der  bis  in  den  Abend  sich  hinziehenden  Sitzung  ver- 
eitelt. Sie  wird  unzweifelhaft  auf  einem  folgenden  Tage  unter  Herbeiziehung 
weiterer  Beispiele  aus  der  Praxis  erfolgen. 

Die  an  das  Reich  gerichtete  Eingabe  um  Unterstützung  eines  Hand- 
buches der  deutschen  Denkmäler  ist  mit  Rücksicht  auf  die  gegen- 
wärtige Finanzlage  und  auf  sachliche  Bedenken  abschlägig  beschieden  worden. 
Die  Versammlung  hat  nach  sehr  eingehender  Beratung  daran  festgehalten, 
dafs  dieses  Handbuch  so  bald  als  möglich  hergestellt  werden  mufs  imd  dafs 
seine  Abfassung  auch  bei  dem  augenblicklichen  Stand  der  Inventarisations- 
arbeiten  *)  sehr  wohl  möglich  ist  Da  der  Vertreter  der  Reichsverwaltung, 
Herr  Geheimrat  Lewald,  einen  Zuschufs  des  Reiches  zu  einem  buchhändle- 
rischen Unternehmen  als  künftig  möglich  und  wahrscheinlich  bezeichnen  konnte, 
so  soll  zunächst  der  Versuch  gemacht  werden,  einen  Verleger  für  das  Werk 
zu  gewinnen. 

Der  Verlauf  des  Freiburger  Tages  hat  gezeigt,  dafs  sowohl  auf  dem  Ge- 
biete der  Gesetzgebung  wie  auf  dem  der  praktischen  Durchführung  von  Denk- 


i)   VgL  den  in  dieser  Zeitschrift,   L  Bd.,    S.  270 — 290  gegebenen  Überblick  über 
den  Stand  der  Arbeiten.     Demnächst  soll  ein  Nachtrag  daza  folgen. 


—     63     — 

malschutz  und  Denkmalpflege,  dank  der  Initiative  der  Regierungen,  der  Thätig- 
keit  der  Konservatoren  und  Pfleger,  der  Teilnahme  aller  gebildeten  Kreise  ein 
stetiger  und  erfreulicher  Fortschritt  stattfindet.  Gesetze  und  Verordnimgen 
gehen  mehr  imd  mehr  von  richtigen  Gesichtspunkten  aus,  die  Organisation 
zur  Erhalttmg  der  Denkmäler  wird  in  den  einzelnen  Staaten  immer  vollkom- 
mener ausgestaltet  und  findet  ihre  notwendige  Ergänzung  tmd  Unterstützung 
in  den  zahlreichen  Vereinen,  die  sich  überall  der  Pflege  der  örtlichen  Über- 
lieferungen widmen.  Die  Grundsätze  endlich,  welche  fiir  die  Erhaltung  der 
Denkmäler  mafsgebend  sein  sollen,  werden  in  eingehender  Erörterung,  im 
Kampf  der  Meinungen  schärfer  herausgearbeitet  und  vertieft.  In  allen  Schichten 
der  Bevölkerung  wächst  die  Erkenntnis,  dafs  die  stummen  Zeugen  der  Ver- 
gangenheit zu  schützen  und  zu  erhalten  sind  gegenüber  roher  Zerstörungslust, 
philisterhafter  Nichtachtung,  übertriebener  Rücksicht  auf  die  Anforderungen 
der  so  oft  über  das  Ziel  hinausschiefsenden  angeblichen  Verkehrs-  und  ^um- 
bedürfnisse  der  Gegenwart 

Der  nächste  Tag  für  Denkmalpflege  wird  1902  in  Düsseldorf  zu- 
sanmientreten,  wo  eine  grofsartige  kunstgeschicht^che  Ausstellung  neue  An- 
regungen bieten  wird.  Dort  soll  auch  eine  Anzahl  von  Fragen  beantwortet 
werden,  die  noch  in  den  letzten  Augenblicken  des  Freiburger  Zusammenseins 
aufgeworfen  worden  sind.  Loersch  (Bonn). 


Bereits  bei  der  Mitteilung  des  Programms  der  46.  Versammlung 
deutscher  Philologen  und  Schulmänner  (II.  Bd.,  S.  295)  lenkten  wir 
die  Aufmerksamkeit  auf  den  Vortrag  von  F.  Eichler  (Graz),  welcher  den 
Zweck  verfolgte,  den  Plan  einer  Quellensammlung  zur  Geschichte 
des  deutschen  Bibliothekswesens  den  Fachgenossen  zu  unterbreiten. 
Unter  „Quellensammlung"  versteht  der  Vortragende  im  vorliegenden  Falle 
erstens  eine  Sanunlung  in  literarischer  Form  niedergelegter  Zeugnisse,  die 
das  Vorhandensein  einer  Büchersammlung  erweisen  oder  zu  erweisen  geeignet 
sind,  besonders  Veröffentlichung  von  Verzeichnissen,  die  jeweils  an  einem 
Orte  vorhandene  Bücher  aufführen,  zweitens  die  nach  einheitlichen  Gesichts- 
punkten organisierte  Thätigkeit,  die  zur  Schaffung  eines  derartigen  literarischen 
Sanunelwerkes  führen  soll.  Der  Zweck  der  Quellensammlung  ist,  neue 
Kulturwerte,  die  auf  dem  Gebiete  der  Büchersammelthätigkeit  gewonnen 
werden,  zu  wissenschaftlicher  Ausnutzung  zurechtzulegen.  Es  werden  dadurch, 
dafs  das  Vorhandensein  bestimmter  literarischer  Denkmäler  an  bestimmten 
Orten  zu  einer  bestimmten  Zeit  nachgewiesen  wird,  zuverlässige  Quellen  zur 
Erkenntnis  des  geistigen  Lebens  erschlossen.  Der  Weg,  der  von  der  daran 
anknüpfenden  Forschung  eingeschlagen  wird,  ftihrt  in  der  Richtung,  dafs 
nicht  von  den  die  literarischen  BUdungsmittel  erzeugenden  Schriftstellern 
ausgegangen  wird,  sondern  von  jenen,  die  diese  Bildungsmittel  suchten, 
mag  man  dann  nun  einzelne  Stände,  Korporationen,  Landschaften  oder 
welche  geschlossene  Einheit  immer  im  Auge  haben.  Die  Quellensammlung 
soll  —  starke  Beschränkungen  im  einzelnen  natürlich  vorausgesetzt  —  die 
Zeit  von  Karl  dem  Grossen  bis  zur  Auflösung  des  alten  deutschen  Reiches, 
zunächst  aber  wenigstens  bis  zimi  Jahre  1600  umÜBissen.  Sie  hat  sich  auf 
deutschen  Boden  zu  beschränken,  wenn  überhaupt  in  absehbarer  Zeit  etwas 


—     64     — 

Abgeschlossenes  erreicht  werden  soU,  ihr  Zweck  ist  nicht  Material  zur  Er- 
forschung der  gesamten  mittel-  imd  westeuropäischen  Kultur  zu  liefern '). 
Eine  solche  Quellensammlung  kann  natürlich  nur  mit  kräftiger  Beihilfe  hierzu 
berufener  Körperschaften  hergestellt  werden.  Der  Vortragende  schlägt  daher 
vor,  die  Unterstützung  des  geplanten  Unternehmens  seitens  der  Akademien 
imd  Gesellschaften  der  Wissenschaften  in  Berlin,  Göttingen,  München  und 
Wien  anzustreben. 

Eingegangene  Biieher: 

Albert,  Peter  P.:  Die  Geschichtschreibung  der  Stadt  Freiburg  in  alter 
und  neuer  Zeit  [==  Zeitschrift  für  die  Geschichte  des  Oberrheins,  Neue 
Folge,  Bd.  XVI,  Heft  4.] 

Amrhein,  A. :  Die  kurmainzische  Glashütte  Emmerichsthal  bei  Buigjossa, 
Beitrag  zur  Geschichte  der  Handelspolitik  des  Kurstaates  Mainz.  [=  Archiv 
des  historischen  Vereins  für  Unterfranken  imd  Aschaffenburg.  Bd.  42, 
S.  143—243.]     M.  1.20. 

Bangert,  Friedrich:  Das  älteste  Oldesloer  Kirchenbuch.  [«=  Schriften  des 
Vereins  fUr  schleswig-holsteinische  Kirchengeschichte,  U.  Reihe.  2.  Bd., 
S.   1—86.] 

Berg,  A. :     Georg  Torquatus  als  ältester  Halberstädter  Topograph  (1574}. 
a=s  Mitteilungen  des  Vereins  für  Erdkunde,  Halle  a.  S.,  1901.   S.  17 — 45.] 

Bilfinger,  Gustav:  Untersuchungen  über  die  Zeitrechnung  der  alten 
Germanen.  II.  Das  germanische  Julfest  Stuttgart,  Kommissionsveriag 
von  W,  Kohlhammer.     132  S,    40. 

Brunner,  Georg:  Geschichte  der  Reformation  des  Klosters  tmd  Stiftlandes 
Waldsassen.     Erlangen,  Fritz  Junge,  1901.     212  S.    8<>.     M.  2.60. 

Brunn  er,  Karl:  Die  Pflege  der  Heimatgeschichte  in  Baden,  Wegweiser  fUr 
Freunde  der  badischen  Geschichte.  Karlsruhe,  J.  J.  Reiff,  1901. 
153  S.    80. 

Busch,  Nikolaus :  Die  Wachstafeln  des  Rigaschen  Dommuseiuns.  [=  Sitzungs- 
berichte der  Gesellschaft  für  Geschichte  und  Altertumsktmde  der  Ostsee- 
provinzen Rufslands  1896.] 
/  Devrient,  Ernst:  Angeln  imd  Warnen,  die  Entstehung  des  Thüringischen 
Stammes.  [=:  Neue  Jahrbücher  für  das  klassische  Altertiun,  Geschichte 
und  deutsche  Litteratur  und  für  Pädagogik.  (Leipzig,  B.  G.  Teubner.) 
Jahrgang  1900,  S.  517 — 534»  Jahrgang  1901,  S.  51—62  und  418— 432. 

Glagau,  Hans:  Hessische  Landtagsakten.  Erster  Band:  1508 — 1521. 
Marburg,  N.  G.  Elwert,  1901.  593  S.  8^  M.  14.  [=  Veröflfent- 
lichungen  der  Historischen  Kommission  für  Hessen  und  Waldeck.] 


i)  Die  beiden  Werke  deutscher  Gelehrten,  die  der  Erkenntnis  älterer  Bibliotheken 
dienen,  die  Catalogi hibliothecarum  antiqui  von  Gustav  Becker  (Bonn,  1885)  and  dafs 
auf  eingehenden  Quellenstudien  beruhende  Werk  von  Theodor  Gottlieb  Über 
mütelaUerliche  Bibliotheken  (Leipzig,  1890)  haben  sich  nicht  an  die  nationale  Begrenzung 
gehalten.  Auch  Edward  Edwards  hat  in  den  Werken,  die  ihrem  literarischen  Charakter 
nach  hier  Beachtung  verdienen  (Memoirs  0/  libr<irieSf  2  vol.,  London,  1859,  Libraries 
and  Founders  of  Libraries y  London,  1865,  Free  Town  Libraries ^  London  1869) 
mehrere  Kulturvölker  berücksichtigt  und  namentlich  in  den  Memoirs  einen  sehr  uoi- 
verseilen  Standpunkt  eingenommen. 

Heniusgeher  Dr.  Annio  Tille  in  Leipstg.  —  Druck  und  VerUg  von  Friedrich  Andreas  Perthes  fai  Gotha, 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Mooatsec&rift 


Fardenug  der  läB^s§escla(Mck6H  Forscbuflif 


' ■■■■■  ■    ■■ 


III.  Band  Dezembor  igox  3.  Heft 


Zur  Grundbesitzi/erteilung  in  der 

i^arolitigerziut 

Von 
•Georg  Ouro  (Züricb) 

Gegen  <Kc  herrschenden  Ansichten  über  Probleme  von  grund- 
legender Bedeutung  fttr  die  Erkenntnis  der  älteren  deutsdien  Wirt- 
schaftsverfassung ist  von  verschiedenen  Seiten  her  ein  Widerspruch 
erhoben  worden,  der  zwar  bereits  mehrfache  Zurückweisttng  erfahren 
hat,  flber  doch  wohl  berechtigt,  die  Fragen  aufs  neue  in  Erörterung 
zu  neben.  Die  folgenden  Ausführungen  woHen  darauf  hinweisen,  daft 
-durch  spezielles  Eingehen  auf  die  Privaturkunden  der  Karolingerzeit 
noch  mann^fache  Aufschlüsse  zu  gewinnen  sind;  für  die  Einzelheiten 
darf  ich  auf  -meine  bereits  teilweise  erschienenen  Spezialarbeiten  *) 
Bezug  nahmen. 

EHe  gangbaren  Anschauungen  lassen  sich  kurz  skizzieren.  Man 
"betrachtet  die  Germanen  nacli  ihrer  iesten  Ansiedlung  als  ein  Volk 
von  Bauern.  Der  freie  Mann  safs  auf  eigener  Scholle,  die  er  mit 
eigener  Hand  oder  hö<ihstens  mit  Hilfe  weniger  Unfreien  bestellte. 
Auf  der  Masse  der  kldnen  freien  Grundeigentümer  beruhte  Heer-  und 
Gerichtsverfassung,  nur  wenige  Adelsgeschlechter  höben  sich  durch 
Besitz  von  gröfserem  Gütern  und  mehr  Unfreien  oder  Hadbfreien 
•über  die  Gemeinfreien  empor,  unter  denen  namhaftere  Ungleichheiten 
des  Besitzes  nicht  bestanden.  In  den  primitiven  Verhältnissen  traten 
üefgreifeade  Umwälzungen  ein,  als  das  Frankenreich  sich  4ie  deut- 
schen Stämme  eingegliedert  hatte.  Der  Gröfegrundbesitz  breitete  sich 
aus  durch  Verleihungen   von  "Königsgut   und  Rodungen  in  den  jge- 

t)  Über  die  Grandbesiteverteilnng  m  «kr  Nordostsohweiz  «.  i.  w.  tn  Conradf  Jahr- 
bttchem  für  NatioDalökoDomie  und  Statistik,  3.  Folge,  Bd.  XXI  ((901),  ^.  474 ft  und 
Stadien  zu  den  älteren  St.  GaUer  Urkunden,  L  Teil ,  im  Jahrbach  fUr  ScbweiMrisdhc  Ge- 
schichte, Bd.  26  (1901),  S.  205  ff. 

5 


—     66     — 

meinen  Marken»  Bistümer  und  Klöster  erwarben  umfangreiche  Be- 
sitzungen. Dabei  verarmten  die  freien  Bauern,  auf  denen  der  ganze 
Druck  der  Reichsverfassung  lastete.  Um  der  Willkür  der  Beamten  zu 
entgehen,  flüchteten  sie  in  den  Schutz  der  Grundherrschaften,  geist- 
licher und  weltlicher.  Am  Ende  der  Karolingerzeit  war  die  Umwand- 
lung abgeschlossen,  die  Masse  der  Freien  in  einen  an  Höri^ett 
grenzenden  Zustand  herabgedrückt. 

Einig  über  die  Grundzüge  haben  Rechts-  und  Wirtschaflshistoriker 
auf  verschiedene  Seiten  des  Entwickeltmgsganges  besonderes  Gewicht 
gelegt     Waitz  geht  von  dem  Begriff  der  Hufe  aus,  die  alles  umfaist 
haben  soll,  was  der  einzelne  im  Dorfe  besafs,  Hofstätte,  Ackerland 
und  Recht  an  der  gemeinen  Mark.     Den  Wert  der  Hufe  setzt  er  gleich 
dem  Wehrgeld  des  Freien.     Innerhalb  der  nach  Hufen  verteilten  Dorf- 
gemarkung vollzogen  sich  die  Veränderungen  dergestalt,  dals  mehrere 
Hufen    in    emer  Hand    vereinigt  und   dann  vom   Eigentümer  an   ab- 
hängige Leute  freien  oder  unfreien  Standes  zur  Bewirtschaftung  über- 
lassen wurden*).     Inama-Sternegg  verweilt  mit  Vorliebe  bei  der 
Ausbildung  der  grofsen  Grundherrschaften,   die  er  als  einen  bedeut- 
samen Fortschritt  des  wirtschaftlichen  Lebens  ansieht     In  den  Herrcn- 
höfen  und   deren  Anhang  von  dienenden  Hufen   habe  eine  Konzen- 
tration und  Organisation  der  Arbeit  stattgefunden,  die  sich  gegenüber 
der  Vereinzelung  der   volkswirtschaftlichen  Kräfte  in   älterer  Zeit  als 
höhere  Elntwickelungsstufe  darstelle  *).     Mehr  auf  die  betriebstechnische 
Seite   der  Agrarverfassung  richtet  Meitzen')   sein  Augenmerk.     Er 
will   die  Zustände   der  Urzeit  und  ersten  Ansiedelung  ermitteln  durch 
Rückschlüsse   aus   der    heutigen   Grundstücksverteilung    innerhalb    der 
Dorfischaften.     Die  in  den  Flurkarten  ersichtliche  Lage  und  Gestaltung 
der   Gewanne    bildet    den    Ausgangspunkt    der    umfassenden    Unter* 
suchungen.     Gleiche  Gröfse  der  Hufen,   wenigstens  in  derselben  Ge- 
markung, wird  vorausgesetzt  *),  und  ihre  Einrichtung  auf  die  Ursprung* 
liehe  Anlage  der  Dörfer  durch  freie,  gleichberechtigte  Besiedler  zurück« 
geführt^),    die    dann    ab    Markgenossen    das    unkultivierte   Land    in 


i)  Waitz,  D.  V.  G.  i',  126;  2.  i',  277,  284,  394;    vgL  auch  die  Abhandlung  fiber 
die  altdeatsche  Hofe,  Abb.  d.  GeseUsch.  d.  Wissensch.  sn  Göttingen  6,  179  ff. 

2)  S.  Inama-Sternegg,  D.  W.  G.  i,  278 ff.,  and  „die  Aasbildang  der  grolsen  Gmnd- 
herrschaften  in  Deutschland  während  der  Karolingerzeit "  (Leipzig  1878). 

3)  Wanderungen,  Anbau  und  Agrarrecht  der  Völker  Europas  nördlich  der  Alpen« 
4.  Bd.     Berlin  1895. 

4)  Ebenda  i,  75. 

5)  Ebenda  i,  156. 


—     67     — 

Gemeinbesitz  behielten.  Dabei  finden  die  Unterschiede  der  Ansiede- 
lung nach  Dörfern  oder  Einzelhöfen  Berücksichtigung,  ebenso  wie  die 
jüngeren  Weiler  grundherrlicher  Gründung. 

Die  Übereinstimmung  in  der  Beantwortung  der  Einzelfh^en  ist 
auch  bei  den  Vertretern  der  geltenden  Anschauungen  nichts  weniger 
als  vollständig,  selbst  wenn  man  absieht  von  der  vielumstrittenen  Ent- 
stehung des  Privateigentums  am  Grund  und  Boden.  Ungleichheit  des 
Besitztums  nimmt  Inama-Sternegg  *)  schon  für  die  ältesten  Zeiten  an. 
Lamprecht')  stellt  in  Abrede,  dafs  jede  Hufe  an  jedem  Gewann  der 
Dorfmark  beteUigt  gewesen  sei,  beziehungsweise  dais  alle  Gewanne  in 
die  gleiche  Anzahl  Morgen  zerfallen  wären.  Bei  allen  Abweichungen 
im  einzelnen  und  trotz  der  gewaltigen  Fortschritte,  welche  die  Er- 
kenntnis der  älteren  Zeiten  auf  jedem  Gebiet  gemacht  hat,  sind  in 
•den  geltenden  Ansichten  immer  noch  die  Anschautmgen  Mosers  er- 
kennbar'). Seine  erste  „goldene"  Periode  der  deutschen  Geschichte, 
in  der  jeder  Ackerhof  mit  einem  Eigentümer  oder  „Wehren"  besetzt 
war,  ist  unschwer  in  der  Zeit  vor  Ausbildung  der  Grundherrschaft 
wiederzufinden.  Den  Verfall  lä(st  Moser  allerdings  ziemlich  spät  be- 
ginnen, erst  Ludwig  der  Fromme  habe  „aus  Einfalt,  Andacht,  Not 
und  falscher  Politik  seine  Gemeinen  den  Geistlichen,  Bedienten  und 
Reichsvoigten"  aufgeopfert*).  Indessen  die  chronologischen  Ansätze 
betreffs  des  Unterganges  der  Gemeinfreien  sind  doch  recht  unsichere 
geblieben.  Wenn  der  Beginn  des  Prozesses  in  die  Merovingerzeit 
hinaufgerückt  wird  ^) ,  noch  im  XIII.  Jahrhundert  kann  derselbe  nicht 
vollendet  gewesen  sein*);  nur  darin  herrscht  Einigkeit,  dafs  die  ent- 
scheidende Wendung  im  Laufe  der  Karolingerzeit  eintrat. 

Der  tiefjg^eifende  Einschnitt  in  die  Entwickelung,  den  das  Ver- 
sinken der  Freibauern  in  Abhängigkeit  bedeutet,  würde  verschwinden, 
wenn  man  davon  ausgeht,  dafs  die  Bodenbestelltmg  bereits  in  den 
Urzeiten  nicht  von  den  Freien  vorgenommen  worden  ist.  Die  gesamte 
Agrargeschichte  gewänne  ein  verändertes  Aussehen  durch  die  Voraus- 
setzung, da(s  den  alten  Deutschen  „Erwerb  durch  Schweifs  und  Arbeit 
feig  und  unedel  zu  sein**  dünkte,  und  dafs  demnach  die  eigentlichen 


I)  D.  W.  G.  I,  112. 

%)  D.  Wirtschaftsl.  i.  Mittelalter  i,  337. 

3)  Jastas  Moser,  Osnabrückuche  Geschichte,  in  Mömts  sftmtliehen  Wericen  herans- 
geg,  r.  B.  K,  Abeken,  Teil  VI  (Berlin  1843). 

4)  EbcDd.  S.  XI. 

5)  Waitz,  D.  V.  G.  2.  I,  380 ff. 

6)  Vgl.  Schröder,  D.  R.  G.«  444«. 

6* 


—     68     — 

jtoocoft  hlMi^e  Ixxktt  wiaren,  «die,  den  »t^miscbefn  Koldnea  ^^cspgfek^ 
Mu-,  dem  Herrn  einen  Teil  ihpes  £>^v«rbes  äbKeflbiten  %  l^e^e  Anftioht 
ist  neuerdings  von  Witticli  wieder  Mfg<endmmeii  vropäen,  'di^ 
^eimttien  ^mtr  Zelt  de6  Tadtufi  ^ie  tmch  die  Sadheetti  vor  der 
i»±eii  Gfdberungf  äte  Grundbcritsfo  %etradhtfe^,  denen  die  tm^ien  Adkcfr- 
-bMer  Abgaben  ^ntfticMetefi.  Il>ie  vontoien  Völksgetiosden  Mtten 
Axdamg  ^sn  ^fe  Grundberrn  und  Krieger"^  -g&dtit,  ^em  8enif ,  äem 
^zma  gräfsten  Teil  ditrch  d)k  Wandlungen  der  Zeiten  ^tmu  e>efelfcAys& 
^efen.  Der  «ädfasisdbe  Bs^nemät&nd  liabe  in  den  älteren  Zeiten  ittid 
«^esenltlich  anch  fipät^  ^aus  Sktaven,  IH^rigen  tmd  Mindei^ien  sldh  ^et- 
'ifäOfiM^ng'e^tzt  *).  Eine  äbnlicbe  Auffassung  vertritt  Seebohm^  der 
von  den  Agrarverbält^issren  Englands  tiu^eht.  Er  betrachtet  das  ang«9- 
sädh^cbe  Herrscbidtsgvt  gteicAi  detn  sp€Lteren  nornoanniscben  Lebnsgfot 
-siB  *einen  Edcföiof ,  »uf  ^m  unter  ^tsherrlidher  Gerichtsbarkeit  eine 
hörige  Dörfgfctneinde  wohnte,  imd  rückschlie&end  leugnet  er,  dafe  öber- 
"haupt  deutsche  Ansiedelungen  auff  'römischem  Boden  in  der  Fom 
freier  Doffgfeweinden  au  geschehen  pflegten;  schon  vor  der  Völfcer- 
tranderung  hätten  skh  in  der  ■Urheimat  grundherrliche  Zustände  ent- 
wickelt, die  den  gleichzeitig  im  Römerrdch  sich  ausbildenden  ent- 
"spfödien  •). 

Nodh  ^radikaler  widerspricht  Fustel  de  Conlanges  den  gelten- 
den Anschauungen.  Atich  «er  leugnet  die  Existenz  freier  Dörfer,  aUcr- 
dings  zunächst  fSr  die  Merovingerzeit  und  gailo-römische  Gebiete,  iber 
eine  andere  Gedtaltui^  der  Agrarverfassung  will  ^er  für  die  deutschen 
Kfaeinlande  nicht  zugeben,  und  durch  tlie  Auffassung  der  villa  als  eines 
Komplexes  von  Herrenlatid  und  dienenden  Hufen  nebst  Zubehör  an 
Wald  tmd  Weide  siebt  er  sich  bewogen,  das  Bestehen  von  bäuerlichem 
Gemeinbedttz  an  den  Maiken  zu  verneinen.  Nacli  seiner  Erklärung  ge- 
liörte  das  imkultkricrte  Land  so  gilt  wie  der  Acker  dem  Grundherren, 
der  jenes  den  Hiritersassen  zu  gemeinsawier  Nutzung  überlidls  *). 

Zu  ähnlfcfhen  Annahmen  ist  Hildebrand  gelangt  in  einer  XJnler- 
sochnng,  die  "freilicli  vielfach  auf  andere  als  rein  lii^orische  "Erwägungen 


l)  So  schon  Anton,  Gesch.  d.  deutsch.  Landwirtschaft,  Bd.  I  (Görlitz  1799),  S.  22. 

a)  W.  Wittich,  Die  Grandherrschaft  in  Nordwestdeutschland  (Leipzig  fSgß),  im  An- 
hang S.  io8ff.  135. 

31)  SeebohA,  ^ie  ^gUiehe  l)oH^emeinde,  Übers,  t.  Bnnsen,  fleidelbei^g^  18S5,  S.  73. 
98.  235.  250. 

4)FntteldeCoalanges, Hütoire  des  insiiiuiions  foUtiques  Se  Pancünne Prance^ 
L'alleu  ei  le  domaine  rural  pendant  l'/pcque  miroroingienm  (Paris  1689),  5.  198  ff.  206. 
360 ff.  424 ff.  435  ff.;  s.  aach  Reme  des  qnestions  hitt  45,  349 ff. 


-^   et   _ 

siich  gi?ündet.  Er  betrachtet  die  Mark  ^^als  das  zu  einem  Gute  ge«> 
bömge,  noch  unkultivierte  Land  oder  auch  das  gaaze  Gebiet  eiacs 
Guts  oder  einer  Herrschaft*'  und  will  ,^memala  ia  der  fränkischen  Zeit 
aoif  den  Fall  gesto&en  sein,  dafs  eine  Mark  Gemeineigentum  wäse  odei 
sich  im  Eigentum  einer  Dor%emeinde  befände".  Die  rorbandenea 
Erwähnungen  gemeinschaftlich  benutzten  Bodens  sucht  er  in  vier  Weiseo 
zu  erklären.  Bei  dem  angeblichen  Gemeineigentum  handle  es  sich  um 
Land,  das  niemandem  gehörte,  oder  solches,  das  im  Miteigentum 
mehrerer  Personen  stand,  oder  um  Nutzungsrechte  von  Bauern  au£ 
grundherrlichem  Boden ;  oder  aber  die  Eigentumsrechte  der  Gemeinden 
seien  mit  administrativen  Befugnissen^  die  ihnen  zukamen,  verwechselt 
worden  *).  An  der  Ursprünglichkeit  der  Hufenver&söung  scheint  Hilde- 
brand  zu  zweifeln ') ,  dagegen  hält  er  das  Herabsinken  der  anfanglich 
vorhandenen  freien  Bauern  zu  Kolonen  für  eine  überall  wiederkehrendeEr-» 
scheinung,  die  er  freilich  der  Zeit  nach  für  Deutschland  nicht  näher  fixiert '). 
Der  diametrale  Gegensatz  in  den  Anschauungen  über  die  ältere 
deutsche  Wirtschaftsgeschichte,  der  neuerdings  wieder  zu  Ta^e  ge- 
treten ist  ^),  aber  den  Grundzügen  nach  sehr  hoch  hinaufreicht  ^\,  mub 
auf  die  Unzulänglichkeit  des  Quellenmaterials  und  <£e  Schwierigkeit 
sdner  Interpretation  zurückgeführt  werden.  Die  Berichte  von  Cäsar 
und  besonders  von  Tacitus  sind  vielerlei  Deutung  fihig.  Bis  zur 
Völkerwanderung  fehlt  es  dann  fast  völlig  an  Nachrichten;  aber  auch 
aus  der  Merovingerzeit  ist  vom  rechtsrheinischen  Deutschland  nur 
wenig  bekannt;  was  sich  aus  den  Volksrechten  entnehmen  lälst,  ent- 
behrt guten  Teils  der  Bestätigung  durch  anderw^tige  Kunde.  Erst  ki  die 
Verhältnisse  des  VIII.  und  DC.  Jahrhunderts  kann  ein  tieferer  Einblick  ge- 
wonnen werden.  Hier  fugen  sich  die  Quellen  verschiedenster  Art,  Schrift- 
steller, Gesetze,  Urkunden  und  Verwaltungsakten  (Urbare)  ergänzend  inein- 
ander und  bieten  den  geeignetsten  Ausgangspunkt  für  Untersuchungen,  die 
nicht  hypothetische  Konstruktionen,  sondern  reale  Erkentnis  zumZielhabexL 


i)  R.  Hildebrand,  Recht  and  Sitte  aif  den  verschiedenen  wirtschaftlichea  Knltnr- 
stnfen  (Jena  1896),  S.  176  f.  189. 

2)  Ebenda  S.  146,  n.  i. 

3)  Ebenda  S.   144  ff. 

4)  Gegen  Wittich  und  Hildebrand  t.  BnuiQtr,  Ztschi.  d.  Saarisaf-Skft.  t  RecAtAf escb, 
19,  ^6(L;  Köcher,.  ZtMUr.  4  hiüt.  Ver.  f.  Nvedemacl»c%  Jahrgi  1897«  a  10.;  KMaachW, 
Deatselfte  Ztacbr.  U  Geschichjtewias.»  N.  F.  a,  2690.;  Rachfahl,  Zur  GMchichte  des  Graad- 
sigentums,  in  Conrads  Jahrb.  f.  Nationalökonomie  und  StaüstÜE,  3.  Folgt,  Bd.  XDC,  S»  i  fll 
164  fk ;  Ph.  Heck,  l^eitri^e  «ar  Geicbicbt»  d«r  SUM%  m  MiHtlallor^  die  GcmeinfireiMi  der 
karoliogischen  Volksrcchte,  Halle  1900; 

5)  ^Sl-  schon  Moser  a.  a.  O.  S.  12  n.  a. 


—     70     — 

Ich  wollte  nun,  wie  bereits  eingangs  bemerkt,  darauf  hinweisen, 
daft  durch  intensivere  Verwertung  der  einen  Quellengattung  der  Lö- 
sung euier  Frage  näher  getreten  werden  kann,  die  schliefslich  doch 
den  Kern  der  strittigen  Probleme  in  sich  birgt.  In  der  Karolingerzeit 
soll  die  Aufsaugung  des  kleinen  Grundeigentums  vor  sich  gegangen 
feein  und  die  Verwandlung  der  freien  Bauern  in  abhängige  stattgefun- 
den haben.  Eine  Änderung  in  der  Verteilung  des  Grundbesitzes  mülste 
eingetreten  sein,  und  mit  diesem  rein  wirtschaftlichen  Vorgang  hätte 
sich  ein  Prozefs  sozialer  Natur  aufs  engste  verknüpft.  Wenn  am  An- 
fang der  Periode  und  bis  tief  in  dieselbe  hinein  kleine,  freie  Gnmd- 
eigentümcr  in  grofser  Anzahl  vorhanden  waren,  so  müssen  sie  aus 
den  Zeugnissen,  welche  über  die  Veränderung  des  Besitzes  an  Grund- 
eigentum vorliegen,  erkennbar  sein,  also  aus  den  in  überreicher  Masse 
erhaltenen  Privaturkunden  der  Karolingerzeit.  Nun  bieten  freilich  die 
vorhandenen  Privaturkunden  kein  vollständiges  Bild  der  Veränderungen, 
die  in  der  Grundbesitzverteilung  vor  sich  gingen;  sie  enthalten  der 
überwiegenden  Mehrzahl  nach  Schenkungen  an  die  Kirche.  Dieser 
Umstand  hat  es  wohl  verursacht,  da(s  sie  vorwiegend  unter  dem  Ge- 
sichtspunkte, das  Wachstum  des  Kirchengutes  zu  ermitteln,  be- 
trachtet worden  sind  *),  Die  Fragestellung  läfst  sich  umkehren.  Die 
Traditionsurkunden  legen  auch  Zeugnis  ab  von  der  Grölse  des  den 
Tradenten  gehörigen  Besitztums  *)  und  den  Veränderungen,  die  in  ihrer 
sozialen  Stellung  sich  vollzogen. 

Den  eben  angestellten  Erwägungen  entsprechend  hatte  ich  zu- 
nächst eine  der  Gruppen  karolingischer  Privaturkunden  ins  Auge  ge- 
fafst,  die  St.  Galler  Traditionen').  Aus  ihnen  liefsen  sich  allerdings 
nur  in  wenigen  Fällen  bestimmte  Maisangaben  für  die  Gröfse  der  tra- 
dierten Güter  entnehmen.  Wohl  wurden  ganze  Hufen  dem  Kloster 
geschenkt  oder  auch  einzelne  Morgen;  sehr  häufig  aber  ist  nur  ge- 
sagt, dafs  der  Tradent  all  seinen  Besitz  an  einem  oder  mehreren 
Orten  hingiebt,  und  es  wird  —  in  der  Pertinenzformel  —  das  Zubehör 
aufgezählt,  Baulichkeiten,  Äcker,  Wiesen,  Wald,  Wasserläufe,  auch 
Weinberge,  Obstgärten,  Unfreie  u.  dgl.  m.     Dazu  kommt,  dals  nicht 


1)  So  die  Specialnntereuchangen  zu  den  Traditiones  fossessionesqtte  Wizenburgtnses 
(ed.  Z^sQM^  Speyer  1843):  F.  WoUf,  Erwerb  and  Verwaltung  des  Klostervermögens  in  den 
Trmd.  Wiz.,  Berl.  Diss.  1883;  W.  Harster,  Der  Gttterbesitz  des  Klosters  Weifsenburg  iE. 
I.  Teil,  Speier.  G7mn.-Progr.  1893. 

2)  Vgl.  sdion  Inama-Stemegg,  Gmndherrschaflen  S.  25  fit.,  auch  D.  W.  G.  i,  116  ff. 

3)  Ediert  von  H.  Wartmann,  Urknndenbuch  der  Abtei  St  Gallen  Bd.  I  und  II,  ZOrich 
1863,  66. 


—     71     — 

häufig  in  den  Urkunden  ausdrücklich  hervorgehoben  wird,  der  Tradent 
habe  all  sein  Besitztum  dem  Kloster  tradiert  Meist  bleibt  das  für 
die  Rechtsgültigkeit  der  Tradition  unerhebliche  Verhältnis  des  Tra- 
dierten zum  gesamten  Besitz  des  Tradenten  ganz  tmbestimmt;  nur  ge- 
legentlich wird  gesagt,  dals  es  sich  um  etwas  von  seiner  Habe  handle. 
Gleichwohl  darf  der  Versuch,  die  Grundbesitzverteilung  aus  den 
St.  Galler  Traditionen  zu  ermitteln,  nicht  als  aussichtslose  Mühe  er- 
scheinen. Scheidet  man  die  Urkunden  aus,  in  denen  für  Güter  klei- 
neren Umfangs  bestimmte  Mafsangaben  sich  finden,  so  lassen  sich  die 
Übrigen  in  zwei  Gruppen  sondern,  solche,  in  denen  der  Tradent  all 
seinen  Besitz  an  einem  Orte  hingiebt,  und  solche,  in  denen  Besitz 
an  mehreren  Orten  geschenkt  wird.  Innerhalb  dieser  Gruppen  ist 
wieder  zu  unterscheiden,  ob  zu  dem  tradierten  Objekt  Unfreie  gehörten 
oder  nicht.  Nun  ist  wenigstens  in  einzelnen  Fällen  mit  ausreichender 
Sicherheit  erweisbar,  dafs  aller  Besitz  eines  Tradenten  an  einem  Orte 
lag  und  Unfreie  nicht  umfafste  ^).  Es  müssen  also  kleine  Freie  vor- 
handen gewesen  sein,  die  mit  eigener  Hand  ihren  Acker  bestellten; 
aber  es  erscheint  überhaupt  undenkbar,  dafs  grö&ere  Güter,  zumal 
wenn  sie  über  mehrere  Orte  verteUt  waren,  ohne  Hufe  von  Unfreien  be- 
baut werden  konnten.  Auch  diejenigen  Tradenten,  die  nicht  ausdrück- 
lich versichern,  dafs  all  ihr  Grundbesitz  an  einem  Orte  ihre  gesamte 
Habe  darstelle,  dürfen  guten  Teils  als  freie  Bauern  angesehen  werden. 
Die  Zahl  dieser  Gattung  von  Traditionen  ist  weitaus  die  überwiegende. 
Somit  erscheint  die  Annahme  gerechtfertigt,  dais  bäuerliches  Grund- 
eigentum stark  verbreitet  war.  Daneben  muis  freilich  ein  nicht  un- 
beträchtlicher TeU  des  Bodens  gröfseren  und  kleineren  Grundherren 
gehört  haben,  die  Hufen  an  freie  oder  unfreie  Hintersassen  vergabten 
und  das  Salland  im  Eigenbetrieb  bewirtschafteten.  Gefehlt  hat  die 
Eigenwirtschaft  nirgends.  Grundherren,  die  ausschlieislich  von  den 
Abgaben  ihrer  Hörigen  lebten,  kann  es  nicht  gegeben  haben*).  Die 
Dienste  der  Hintersassen  fanden  bei  der  Bestellung  des  Sallands  Ver- 
wendung neben  denen  der  servi  domestici.  Vom  Umfange  des  Grund- 
besitzes mufste  es  abhängen,  ob  der  Herr  selbst  arbeitete,  oder  sich 
mit  Beaufsichtigung  begnügte,  oder  gar — in  den  Grofegrundherrschaftcn — 
besondere  Beamte  mit  Leitung  der  einzelnen  Frohnhöfe  betraute. 

Die  aus  der  schematischen  Zerlegung  der  urkundlichen  Angaben 
zu  gewinnenden  Ergebnisse  lassen  sich  auf  einem  anderen  Wege 
bekräftigen.    In  einer  ganzen  Anzahl  Ortschaften  haben  mehrere  Grund- 

i)  Ebendort  nr.  77.  96. 

2)  Wie  du  Heck  a.  a.  O.  S.  39a  E  lUr  Sachsen  nachweist 


•     72    — 

eig«Btüm«r  ihrcft  Bfesitar  tradiert.     Stellt  man  die  jeweäs  auf  etnes  Ort 
btfzüglichett  Urkoaden  zusammen,   so  erhält  man  ein  ungfefahres  B3d 
vöft    def    Gnindbesitzverteilung'    innerhalb    der    Dor^emarinmg'.      Es 
bteibeii^  zw^  begreifHcherweise  diejenigen  Anteile  am  Gmndbesitr  fest 
g2xiz  unbekannt,  die  dem  Kloster  nieht  tradiert  wurden,  für  manche 
Orte  liegft  gleichwohl  genug  Material  vor,  zunächst  schon  um  erkennen 
zu  lassen,   dafs  eine  Gliederung  nach  Hufen  nicht  durchgeführt   ge- 
wesen sein  kann.     Einzelne  Hufen,   als   Bestandteile   grundherrHchen 
Eigentums,   finden  sich  allerwärls.     Gerade  der  Besitz  der  kleineren, 
freien  Eigentlkner  wird  nicht  nach  Hufen  gemessen.     Durch  das  Ein- 
gehen auf  örtliche  Verhältnisse  tritt  femer  zu  Tage,   wie  grundherr- 
Uches  und  bäuerliches  Eigentum  sich  in  Gemengls^e  befanden.     Da& 
ganze  Ottschaften  einem  Herrn  gehörten,  kommt  kaum  vor;    gnind- 
herrfiches  Eigentam    liegt  regelmäfeig  über  mehrere   Orte   zerstreut 
Die  Abstufungen  in  der  Grö&e  des  Besitzes  sind  übr^ens  so  mann^- 
^tig  und  wechselnd,  dafe  eine  schroffe  Scheidewand  zwischen  Grund- 
herren  und  freien  Bauern  nicht  bestanden  haben  kann. 

Als  die  wesentlichste  Veränderung  in  der  Grundbesitzverteilung, 
die  während  der  Karolingerzeit  vor  sich  ging,  erscheint  die  Entstehung 
und  das  Wachstum  des  Kirchengutes.  Dafür  legen  die  zahlreichen 
Traditionen  unwidersprechliches  Zeugfnis  ab;  aber  die  Bedeutung  der 
Konzentration  des  Grundeigentums  darf  doch  nicht  überschätzt  wer- 
den. Nur  ein  geringer  Teil  der  tradierten  Güter  ging  unmittelbar  in 
den  Besitz  des  Klosters  über,  bei  vielen  sollte  der  Heimfall  erst  nach 
dem  Ableben  des  Tradenten  oder  anderer,  bestimmter  Personen  statt- 
finden, bei  einem  grofsen  Teil  wurde  aber  auch  die  Nutzniefeung  für 
den  Tradenten  und  dessen  gesamte,  legitime  Nachkommenschaft  gegen 
Entrichtung  eines  Knses  vorbehalten,  und  das  so  entstandene  Ab- 
hängigkeitsverhältnis ist  nicht  immer  auf  Dauer  berechnet;  häufig  er- 
scheint die  Ablösung  des  Zinses  durch  Zahlung  einer  vorher  be- 
stimmten Rückkaufsumme  als  erlaubt.  Das  Standesverhältnis  der 
Tradenten  kann  durch  die  Tradition  und  das  daran  geknüpfte  Präkarien- 
geschäft  mcht  berührt  worden  sein.  Ausdrückliche  Ergebungen  in 
den  Schutz  der  Knrche  sind  äulserst  selten.  Die  Annahme,  dafe  die 
Tradenten,  auch  ohne  dies  ausdrücklich  zu  erwähnen,  den  Schutz  der 
kirchlichen  Immunität  aufisiuchten,  hat  wenig  Wahrscheinfichkeit  für  sich. 
Der  Betrag  der  Präkarienzinsen  weist  ein  konstsmtes  Sinken  auf  und 
erreicht  gerade  am  Ende  der  Periode,  in  den  friedlosen  Zeiten  der  letzten 
Karolinger,  ein  Minimum,  das  nicht  mehr  als  reale  Gegenleistung  für  die 
Gewährung  erheblicher  Vorteile  weltlichen  Charakters  zu  betrachten  ist 


—    3»    — 

Eine  gemase  Verarmung  der  kleineren  Grundeig^tämcr  mag  eiiH 
getreten  sein.  Der  natürliche  Rückgang  in  der  Zahl  der  nicbtangesie- 
dehen  Unfreien  war  wohl  mehr  Ursache  als  Folge  dieser  Elrscbeinftng. 
Der  Mangel  an  Arbeitskräften  hinderte  die  Kleinen,  in  der  Ansdebming 
ihres  Besitztums  durch  Rodung  gleichen  Scritt  zu  halten  mit  de& 
Grofsen,  denen  es  an  abhängigen  Leuten  zur  Besetzung  neuer  Hufen 
nicht  fehlte,  aber  von  einem  Versinken  der  freien  Bauern  in  Hörig-' 
keit  kann  nicht  die  Rede  sein.  Eine  Aufisang^ng  des  kleinen  Grund- 
besitzes durch  den  gro(sen  hat  nur  in  sehr  beschränktem  Mafee  statt- 
gefunden. Die  ländlichen  Zustände  des  späteren  Mittelalters  beruhen 
auf  der  Übertragung  obrigkeitlicher  Befugnisse  an  die  Grundherren. 
Verfassungsänderungen,  wie  die  Ausdehnung  der  vc^teilichen  Gewalt, 
mc^en  durch  den  politischen  Einflufs  herbeigeführt  sein,  den  die  grofsen 
Gnmdherren  ihrer  sozialen  Stellung  verdankten;  in  der  Karolingerzeit 
zeigten  sich  jedoch  kaum  erst  die  Anfimge  einer  für  die  Folge  gund- 
l^fenden  Ejitwicklung. 

Die  St.  Galler  Urktmden  geben  nur  über  ein  räumlich  recht  be« 
schränktes  Gebiet  Aufschluß.  Mancherlei  Anzeichen  sprechen  dafür, 
dab  selbst  dort  die  Grundbesitzverteilung  nicht  durchweg  den  gleichen 
Charakter  trug.  Im  Hügelland  der  Nordostschweiz,  im  alten  Thur- 
und  Zürichgau,  müssen  die  freien  Bauern  stark  vertreten  gewesen  sein ; 
sie  safsen  nebeneinander  in  den  Dörfern,  und  sie  beteiligten  sich  an 
der  Gründung  der  WeUer,  von  denen  keineswegs  alle  grundherrliche 
Anlagen  waren.  Vielleicht  dafs  die  besondere  Eignung  des  Landes 
zur  Viehzucht  die  gröfseren  und  kleineren  Eigentümer  zu  stärkerer 
Beibehaltung  des  Eigenbetriebes  veranlafste.  Für  die  eigentümliche 
Oiganisation  der  Alpwirtschafl  findet  sich  ein  sicheres  Zeugnis  nur  auf 
rhäto-romanischem  Boden*).  Nicht  viel  anders  als  südlich  vom  Boden- 
see stand  es  in  Oberschwaben;  aber  schon  in  der  oberrheinischen 
Tiefebene  alamannischen  Anteils  scheint  der  grundherrlicbe  Besitz 
äbe];wogen  zu  haben,  so  im  Breisgau,  für  den  auiser  den  St  Galler 
auch  Lorscher  Traditionen  vorliegen,  und  im  Ebafe,  wo  vornehm- 
lich    die    Weifsenburger     Traditionen     in     Betracht     kommen. 


i)  S.  die  von  Wartmaoii  im  Anhang  zu  Bd.  IV  des  St.  Galler  UrknndenbacheSf 
S.  953  f.  nro.  3,  nach  dem  Original  nen  edierte  Aofzeiclinang  betreffs  der  Übertragung 
der  Anteile  an  der  Alp  campui  Mauri  an  eine  Kirche.  Neaes  Material  für  die  eigen- 
tümlichen rhätischen  Zostäode  Terspricht  das  Fragment  eines  Qinrer  Kopialbachs  ans 
der  Karolingerzeit  zxl  liefern,  über  welches  der  Entdecker,  Dr.  Darr  er  ^  aof  der  Versamm- 
Inng  der  allgemeinen  geschichisforschenden  Gesellschaft  der  Schweiz  za  Chor  im  Herbste 
190 1  Mitteilungen  gemacht  hat.     Möge  dasselbe  bald  veröffentlicht  werden ! 


—     74     — 

Auf  dem  für  Ackerbau  vorzugsweise  geeigneten  Boden  bot  wohl  die 
Anlegung  von  vestierten  Hufen  die  vorteilhaftere  Nutzungsfomi. 
Es  liegt  auf  der  Hand,  wie  die  Erkenntnis  der  Ansiedelungsgcschichte  ^) 
sowohl  als  die  Erklärung  späterer  Zustände  gefördert  werden  kann 
durch  die  Ermittelung  der  örtlichen  und  landschaftlichen  Unterschiede 
in  der  Grundbesitzverteilung  zur  Karolingerzeit  Das  Verschwinden  der 
freien  Bauern  darf  nicht  auffallen  in  Gegenden,  die  zur  Zeit  Karls  des 
Grofsen  von  unfreien  und  freien  Hintersassen  kleinerer  und  gröfserer 
Grundherren  besiedelt  waren ;  und  wo  die  bäuerlichen  Grundeigentümer 
dichter  gedrängt  beisammen  saisen,  sind  sie  auch  im  Wandel  der 
Zeiten  nicht  untergegangen. 

Die  Betrachtung  der  karolingischen  Privaturkunden  nach  den  oben  be- 
rührten Gesichtspunkten,  dürfte  wohl  noch  recht  merkwürdige  Ergebnisse 
zu  Tage  fördern.  Für  eine  Reihe  deutscher  Landschaften  liegt  dieses 
wichtige  Quellenmaterial  in  erdrückender  Fülle  vor;  birgt  doch  der  Lor- 
scher Traditionscodex ')  allein  die  Auszüge  von  drei  und  ein  halbtausend 
Urkunden  aus  dem  westlichen  Mitteldeutschland  '),  und  wenn  die  späteren 
Exzerpte  in  mancher  Hinsicht  weniger  verwendbar  erscheinen  mc^en  *),  für 
den  rheinfränkischen  Wormsgau  bieten  die  Fuldaer  Urkunden  *)  ein  vor- 
zügliches Kontrollmaterial  ^).  Fuldaer  Urkunden  liegen  auch  für  die  ost&än- 


1)  Vgl.  W  el  1  e  r ,  Die  Besiedlangdes  Alamanncnlandes  in  den  Wilrttembergischen  Viertel- 
jahrsheiten  für  Landesgeschichte,  N.  F.,  Jahrg.  7  (1898)  S.  301  fi. 

2)  Codex  principis  olim  Laureshamensis  abbatiae  dtplomaticus,  ed.  Academia  Pala- 
tlna,  3  Tom.,  Mannheim  1768. 

3)  Da  die  Sammlang  der  Traditionen  im  Lorscher  Codex  nach  geographischen  Ge- 
lichtspfunkten  angelegt  ist,  tritt  besonders  deutlich  henror,  dals  vielfach  eine  recht  be> 
trächtliche  Anzahl  Grundeigentümer  in  einem  Dorfe  vorhanden  war.  So  besiehen  sich 
anf  Bensheim  (Rheinhessen)  die  Traditionen  nr.  231—265,  auf  Handschnchsheim  (bei 
Heidelberg)  n.  279—383,  auf  Morsch  (am  Rhein,  sttdlich  von  Worms)  nr.  824 — 837  etc.; 
vgL  Wait£,  D.  V.  0.  2.  i',  280,  nr.  4;  Maarer,  Gesch.  d.  Dorfverf.  i,  7.  Mit  Seebohm 
a.  a.  O.  223  ff.  die  Tradenten  als  freie  Hintersassen  eines  Frohnhofes  m  betrachten,  geht 
schon  deswegen  nicht,  weil  in  den  Dörfern  neben  den  bäaerlichen  Eigentttmeni  anch 
Grandherren  vorhanden  gewesen  sein  müssen,  die  an  mehreren  Orten  Besitz  hatten,  to 
in  Handschochsheim :  Erkanfrit  nr.  315;  Dietlind  nr.  324;  Engilbert  a.  Wiebert  nr.  377; 
8.  aach  nr.  356  etc. 

4)  Über  den  Lorscher  Codex  vgL  Bossert,  Württemberg.  Geschichtsqaellen  2,  3  ff. 

5)  Ediert  von  Dronke,  Codex  dipL  Faldensis,  Cassel  1850;  vgl.  E.  Heydenreich,  D<u 
älteste  Fuldaer  Kartular  im  Staatsarchive  zu  Marburg,    Leipzig  1899. 

6)  So  beziehen  sich  auf  Dienheim  die  Urkk.  Dronke  nr.  12.  17.  55.  56.  113.  137. 
15*.  153.  155.  i^.  175.  198.  203.  204.  209.  213.  216.  228.  250.  251.  252.  281  etc.; 
auf  Saolheim  nr.  27.  39.  45.  62.  161.  227.  364.  535.  Beachtenswert  sind  auch  die  Auf* 
Schlüsse  Über  die  Grandbesitzverteilang  in  der  Stadt  Mainz;  vgL  Rietschel,  Die  civitas 
auf  deutschem  Boden  bis  tum  Ausgang  der  KaroUngerzeit  S.  78  ff. 


—     76     — 

• 

kischen  Mainlande  ')  vor,  und  wenn  sonst  die  zahllosen  Schenkungfen,  die 
das  Kloster  des  h.  Bonifazius  in  allen  deutschen  Stammesgebieten  empfing, 
nur  in  den  Auszügen  des  Eberhard  bekannt  sind  •),  für  Untersuchungen 
wie  die  in  Frage  stehenden  sind  auch  die  ungenauen  Exzerpte  nicht  ganz 
unbrauchbar  *).  Sehr  reichhaltiges  Material  vermag  Bayern  aufzuweisen. 
Der  Urkundenschatz  des  Bistums  Freising  ist  wohl  in  fast  lücken- 
loser Vollständigkeit  erhalten  ^),  auch  aus  Passau  und  Regensburg 
liegen  nicht  wenige  Urkunden  vor  *) ,  dazu  kommen  die  Traditionen 
des  Klosters  Mondsee^  und  andere,  die  nicht  urkundliche  Form 
tragen  ^.  Dürftiger  ist  das  Material  für  den  Niederrhein  und  Sachsen; 
immerhin  sind  auch  hier  im  Werdener  Kartular®)  und  den  Kor- 
v  e  y  c  r  Traditionen  •)  wichtige  Quellen  vorhanden.  Für  die  Mosellande  er- 
scheinen die  Urbare  besonders  beachtenswert'^);  die  Privaturkimden  von 
Prüm  und  Echt  er  nach  sind  verhältnismäfeig  nicht  sehr  zahlreich  "). 
Im  ersten  Bande  dieser  Zeitschrift  S.  89 — 98  hat  Oswald  Redlich  auf 
die  Bedeutung  der  Traditionsbücher  hingewiesen  und  die  Notwendigkeit 
kritischer  Editionen  betont  für  eine  Quellengruppe,  die  im  DC.  Jahr- 
hundert b^innend  bis  ins  XIII.  Jahrhundert  hinein  gniten  Teils  die 
Stelle  der  Privaturkunden  vertritt.  Die  Traditionsbücher  schliefsen  sich 
aufs  engste  an  die  Kopialbücher  an,  in  denen  die  meisten  Privat- 
urkunden der  Karolingerzeit  überliefert  sind;  auch  diese  liegen  bisher 
vielfach  nur  in  ungenügenden  oder  doch  den  modernen  Anforderungen 
nicht  entsprechenden  Ausgaben   vor.     Dadurch  wird  ihre  Benutzung 

i)  Vgl.  Stein,  Die  ostfrünkischen  Gane  im  Ar  eh.  d.  bist  Vereins  yon  Unterfranken  and 
Aschäffenbnrg  28,  327 ff;  auch  ebend.  21,  loff.  233 ff.;  22,  iSgtL 

2)  Ediert  yon  D r  o  nk e,  Tradtiionts  et  antiquitates  Fuldenses^  Fulda  1844;  vgL  beson- 
ders Bogsert,  Wtirttembergische  Geschichtsquellen  2,  219  ff. 

3)  Vgl.  Dobenecker,  Regesta  Thnriogiae,  S.  XVII  f. 

4)  Ediert  grofsen  Teils  bei  Meicbelbeck,  Hist.  Frisiogensis ,  Ergänzungen  und  Er- 
Hiutenmgen  von  Hundt,  Abh.  d.  Mttnch.  Akad.,  Bd.  12  f..  Manchen  1874  und  1877. 

5)  Mon.  Boica  Bd.  28,  T.  2;  Pez,  Thesaurus  anecdotorum  novissimus,  Bd.  I,  T.  3; 
vgl.  Bretholz,  M.  J.  Ö.  G.  12,  i  ff. 

6)  Ediert  im  Urknndenb.  des  Landes  ob  der  Enns  l ,  i  ff. ;  vgl.  Hanthaler,  M.  J.  0.  G.  7, 223  ff. 

7)  Ans  Salzburg  der  Indiculus  Amonis  und  die  Breves  notitiae  Salzburgenses  (ed. 
F.  Keinz,  Mflnchen  1869,  und  Hauthaler  im  Salzbnrger  Urkundenbuch) ;  aus  Nieder-Altaich 
Traditionen,  Mon.  Boica  11,  13  ff.  etc. 

8)  Ediert  bei  Lacomblet,  Urkundenbach  f.  d.  Gesch.  d.  Niederrheins,  Bd.  i.,  Tgl. 
R.  Kdtzschke,  Stadien  zur  Verwaltungsgeschichte  der  Grofsgrundherrschafl  Werden  an  der 
Rohr,  Leipzig  1899.     (War  mir  leider  nicht  vollständig  zugänglich.) 

9)  IVaditiones  Corbejenses,  herausgeg.  v.  P.  Wigand;  vgl,  Schröder,  M.J.Ö-<G.  18,  27^^ 
10)  S.  Lamprechty  D.  Wirtschaftsleben  2,  57  E;  über  Urbare  vgL  audi  Sotta,  Sitzong»- 

bericht  d.  Wiener  Akad.,  Bd.  138  (Wien  1898). 
II)  Mittelrhein.  Urkundenbuch  Bd.  i  und  2. 


—     7^     — 

erheblich  erschwert.  Erst  die  in  Aussicht  stehendea  Neu-Editioiien  der 
Fuldaer  und  Freisinger  Traditionen  lassen  eine  bequemere  Zugäng^licli- 
keit  des  so  wichtigen  Materials  erhoffen.  Eine  Reihe  von  Vorfragen  muik 
erledigt  sein,  ehe  der  Versuch,  die  Grundbesitzverteilung  zu  ermitteln« 
unternommen  werden  kann.  Anwachsen  und  Vermindenmg  in  der  y^^X 
der  Schenkungen  findet  durch  die  speziellen  Schicksale  des  geistUchjea 
Stiftes,  dem  sie  zufielen,  ebensowohl  Erklärung  als  durch  die  allgemeinen 
Zeitumstände.  Die  bei  den  Traditionen  gestellten  Bedingungen  weisen 
örtlich  und  zeitlich  wesentliche  Unterschiede  auf.  Zuverlässige  Er- 
klärung der  Ortsnamen  bildet  eine  unentbehrliche  Voraussetzung-  für 
die  Benutzung  der  Urkunden.  Ehe  nicht  die  Vorarbeiten  für  jede  eia- 
zelne  Urkundengruppe  und  Landschaft  gemacht  sind,  ist  an  haltbare 
Ergebnisse  nicht  zu  denken.  Es  scheint,  dafis  in  Bayern  der  gnuid- 
herrliche  Besitz  ungleich  verbreiteter  war  als  in  Alamannien  *) ,  auch 
in  Ostfranken  bestand  schwerlich  die  Masse  der  landarbeitenden  Be- 
völkerung aus  freien  Bauern  *),  während  z.  B.  im  Wormsgau  der  Grund- 
besitz imter  sehr  viele  Eigentümer  zerstückelt  gewesen  sein  muis  ^ 
Ob  aber  solche  Annahmen  nicht  auf  einer,  durch  zufällige  Umstände 
hervorgerufenen  Täuschung  beruhen,  wäre  erst  noch  nachzuprüfen  *). 

i)  So  findet  sich  ant«r  den  i8  Traditionen  an  Kloster  Mondsee  aus  der  Zeit  de» 
Uenog  Tassilo  keine  einzige,  die  nicht  Unfreie  nmfafst  hätte.  Ein^e  (nr.  83«  748;  31, 
749;  74,  749;  29,  767)  beziehen  sich  auf  ganze  Dörfer  mit  Hafen,  unfreien  and  anck 
freien  Hintersassen.  In  nr.  70,  759  schenkt  Ihho  all  seine  Habe  aufser  den  im  Hause  dienenden 
Unfreien ;  der  Besitz  umfafst  Salland,  Hufen,  Wiesen,  Weiden,  Wald  etc.,  dazu  eine  Kirche. 

2)  So  haben  zu  NUdlingen  (bei  Kissingen)  im  (fränkischen)  Saalgai  an  Falda  tradiert: 
Dronke  nr.  37,  Burgarad  presbjrter,  i  Hufe;  nr.  129,  Nand^vig,  all  seinen  Besitz  mit 
4  Unfreien;  nr.  192,  Leidrat,  desgleichen  mit  3  Unfreien;  nr.  196,  Boto»  die  Hälfre  der 
Erbschaft  seiner  Grolsmutter  väterlicherseits;  nr.  211,  Altmann  and  seine  8chwester  Re- 
ginhilt,  all  ihr  Eigentum  aufser  einer  Hufe,  dazu  8  Unfreie  etc.  Za  Euerdorf  im  selben 
CUn  tradieren  unter  anderem:  nr.  289,  Engilberaht,  2  Hufen,  3  Ho&tättten  (ariale)  mit 
Zubehör  uod  12  Unfreien;  nr.  267,  derselbe,  2  Hufen,  i  Hofstätte  and  Anteil  an  7  Un* 
freien ;  nr.  392,  Reifing  und  seine  Gattin  Vodillind,  aU  ihr  Eigentum  dort  und  an  zwei  an» 
deren  Orten  mit  7  Unfreien;  nr.  547,  Vuigbald  und  seine  Gattin  Perahttalp  dort  und  tm 
NüdUngen  all  ihr  Eigentum  auiser  Gold  und  Silber,  dazu  28  Unfreie  etc. 

3)  So  tradieren  an  Lorsch  zu  Wintersheim,  Cod.  Laoresh.  nr.  ^57,  Wolter,  l  vmea; 
nr.  958,  Willifried,  1  mansuSt  i  vinea;  nr.  959,  Adaiger,  Anteil  an  l  manstts/  nr.  960^ 
Theudo,  i  viniola;  nr.  961,  Berthrad,  7.  jurnales :  nr.  962,  Criecholf  and  seine  Gattin 
Rotburg,  7  jurnales  etc. 

4)  Fuldenser  Traditionen  ans  dem  Wormigaa  weisen  auf  gröfseren  Besitz  hin;  so 
tradieren  zu  Drommersheim :  nr.  9,  Eggioltus,  i  Kirche,  Hafen  mit  freien  Hintersaiae» 
(accole)  und  Znbehör,  i  Weinberg  und  13  Unfreie  sind  von  der  Tradition  aufgenommen; 
nr.  389  Hrodolt,  all  seinen  Besitz  dort  and  an  zwei  anderen  Orten  mit  ßccole  and 
6  Unfreien;  nr.  40,  Hartmunt,  Hufen  mit  Unfreien  etc.;  nr.  «29,  Megingos»  2  eoktue 
mit  Weinbergen  ond  i  servus  nebit  dessen  Sohn  etc. 


—    7T     — 


gesellen  des  XVIL  Jahrhunderts 

Na»k  jdten  VoiBumdscbaftsredteuBgen  mitgeteilt 

▼an 

Q.  Scboapper-Arndt  (Fradduit  a.  M.) 

Im  Jahre  1671  wurde  —  wie  die  Standesbücher  melden  —  ai 
Bornheim,  dem  Frankfurtischen  Dorfe,  getraut  der  Bender  und  Bier- 
brauer Johann  Konrad  Jäckel,  weiland  Johann  Friedrich  Jäckels 
gewesenen  Bürgers  und  Metiers  zu  Frankfort,  auch  Nachbars 
und  Gasiwirths  zum  fröhlichen  Mann  alhie  ehelicher  Sohn  *). 
Marie  Werner  hiefe  die  Braut,  eheleibliche  Tochter  eines  Nachbarn 
aus  dem  sehr  nahen  Eckenheim  in  dem  Reiche  Hanau.  Zwei  1672 
geborene  Knäblein  werden,  wie  sie  zusammen  das  Licht  der  Welt  er- 
blickt, auch  wiederum  zusammen  in  ein  frühes  Grab  gelegt.  Am 
16.  Oktober  1673  wird  ein  lebensfesterer  Sohn  Johann  Jakob  ge- 
tauft, dem  Johann  Jakob  Ewaldt,  Nachbar  des  Gerichts  und  Gastwirt 
zum  „Güldenen  Adler"  zu  Gevatter  steht.  (Im  „Güldenen  Adler" 
tanzt  man,  wenn  wir  nicht  irren,  heute  noch.)  Die  Ehe  Johann  Kon- 
rad Jäckels  ist,  wie  so  viele  Ehen  jener  Zeit  —  was  sich  „statistisch  be- 
legen" liefee  —  von  gar  kurzer  Dauer.  Nachdem  sie  nämlich  4^  Jahre 
gewährt,  starb  der  Mann,  die  Frau  aber  gebar  zwei  Monate  danach 
•am  20.  Februar  1676  einen  Posthumus,  der  nach  seinem  Gevatter, 
dem  Schneidersohne  Mausz  aus  Frankfurt,  Johann  Adam  benannt 
wurde.  Sechs  Monate  nach  dem  Tode  ihres  Gatten  heiratet  die  Witwe 
den  Bierbrauer  Nikolaus  Dürr  und  stirbt  ihrerseits  Ende  Juni  1688 
45  Jahre  alt  Jetzt  sind  Johann  Jakob  und  Johann  Adam  ohne  leib- 
liche Eltern.  Ein  Abteilungsv^rgleich  wird  zunächst  geschlossen,  nach 
welchem  die  Jungen  ihren  Anteil  abtreten  an  Wohn-  und  Brauhaus, 
Scheuer,  Stall,  Garten,  Bargeld,  Pferden,  Kühen,  Schafen,  Schweinen, 
Federvieh,  Fahrgeschirr,  Frucht,  Zinn,  Messing,  Weilszeug,  Rübsamen, 
Fässern,  Bütten,  Holz,  Hausrat,  Kesseln  und  Kupfer.     Dafür  werden 


i)  Bornheim,  heute  <der  Stadt  Frankfurt  eiaverleibt,  zählte  nach  einem  Landamt- 
manns-Inventar  von  1726  150  Gemeindslente  (meist  „Nachbarn"  genannt),  10 Beisassen 
(4  Männer  n.  6  Weiber),  143  Hofraithen.  Siehe  Schalin,  Die  Frankfurter  Landgemein- 
den, herausgegeben  von  R.  Jung,  Frankfurt  a.  M.  1895. 


—     78     — 

ihnen  479  Gulden  und  54  Kreuzer  gut  geschrieben.  Vier  Jahre  später, 
am  18.  Juni  1692  wird  Stiefvater  Dürr,  zusammen  mit  einem  Dortel- 
weiler  Bürger,  zu  ihrem  Vormund  eingesetzt.  Die  Vormundschaüts- 
rechnung,  welche  Dürr  gefuhrt,  hat  zufiLllig  den  Jahrhunderten  Trotz 
geboten,  sie  ist  durch  Güte  des  Herrn  Amtsgerichtssekretärs  zu  meiner 
Einsicht  gelangt,  ich  darf  es  darum  wohl  unternehmen  aus  ihr  einige 
MitteUungen  zusammenzustellen.  Notgedrungen  imvoUkommene  Mit- 
teilungen allerdings!  Die  Rechnung  ist  durchaus  nicht  nach  modernen 
budget- theoretischen  Erwägungen  geführt,  sie  ist  ofTenbar  überhaupt 
erst  am  Ende  der  Vormundschaft  nach  Notizen  zusammengestellt 
Darauf  deutet  auch  die  Schrift  und  der  Posten :  dem  Notario  . . .  vor 
diese  Rechnung  zu  stellen,  2  mal  zu  decopiren  vnd  Bemühungen 
heraus  deshalben  zu  kommen  ß.  j.  Indes  die  Gelegenheiten, 
in  den  Ausgabeetat  von  Handwerksburschen,  die  schon  vor  mehr 
als  200  Jahren  Lehr-  und  Wanderzeit  durchgemacht  haben,  einen 
auch  nur  verstohlenen  Einblick  thun  zu  können,  sind  wohl  so  häufig 
nicht! 

Die  Rechnung  endet  mit  dem  22.  Februar  1698;  bei  ihrem  Be- 
ginne war  also  Johann  Jakob  18  J,  bei  ihrem  Schlüsse  24 J  Jahre  alt, 
Johann  Adam  beim  Beginne  16 J,  beim  Schlüsse  22 J  Jahre.  Beide 
haben  sich  der  Schuhmacherei  gewidmet,  Hans  Jakob  ist  Juni  1692 
noch  Lehrling,  wird  aber  im  gleichen  Jahre  von  seinen  Lehrjahren 
losgesprochen.  Er  hat  im  Hause  des  Meisters  gewohnt.  Es  folgt  eine 
meistcrlose  Zeit,  anscheinend  von  kurzer  Dauer,  da  der  Vormund  nur 
35  Kreuzer  Barsubvention  verzeichnet,  davon  15  Kreuzer  auf  der 
Gassen  in  Franckfurth  ihme  gehen  müssen,  1693  begibt  er  sich 
auf  die  Wanderschaft  nach  Anspach,  wo  er  bereits  vor  dem  23.  Juni 
gewesen  sein  mufs.  Im  Februar  1696,  also  nach  etwa  drei  Jahren 
kommt  er  mit  der  Landkutsche  zurück,  geht  wie  es  scheint  Elnde 
1696  wieder  fort  und  kommt  1697  wiederum  von  der  Reise  nach 
Hause. 

Auch  Hans  Adam  finden  wir  mit  dem  Beginn  der  Rechnung  als 
Lehrling  in  des  Meisters  Haus.  1694  wird  er  losgesprochen,  damals 
also,  wie  seinerzeit  der  Bruder,  18^  Jahre  alt  Seine  Wanderung  geht 
gleichfalls  nach  Anspach. 

Folgendes  sind  nun  die  Auslagen,  welche  der  Vormund  für  den 
Komsumtivbedarf  seiner  Mündel  gemacht  hat.  Die  Ausgaben,  welche 
sich  als  Verwaltungsspesen,  sowie  diejenigen,  welche  Vermögenstrans- 
aktionen darstellen,  lasse  ich  bei  Seite. 


Speiiriitertc  Analagen 
für 

2 

^     M 

fl.') 

h.a| 

Hl 

kr. 

daaHaad- 
fl.    1  kr. 

fl. 

kr. 

s:5  3 

D  ■"  < 
fl.      kr. 

I.  fUn*  «'akob  <Jü«k«l. 
ICH. 

20.  jDoi.     Ibme   Ecben    in    leiDu    Heilten 

1 
3 

- 

3 

30 
54 

_ 

7 

3* 
30 

36 

17 
«3 

Für   »eineo  HntecD   n   wenden,   m  Eio- 
kaafsDK   eliru   Tnchei   and  Scbneiderlohn, 

All  er  in  FrankTiirt   TOD  leine  Lebrjüira 
Für  1  Hembder 

B='»m 

AI*   er   meitterloi   und   obne  Arbeit   ge- 
weMD  ihme  eeben 

Zahlte  fUr  ihn  lUr  ein  Pur  Strumpf .     . 

Auf  der  Guun  in  Fruikfari  ihme  geben 

FUr  Leder  in  Mnen  Schuh  ilune  geben  . 

•ehrcpfen  gangen  geben  mUiseo   ,     .     ,     , 

IMS. 

16.  Juni.     Dem  Barbierer  Hirsch  wegen  der 

Flir  »ein  FeUeisen  tablt 

dem  Kutscher  geben 

Ihroe  baar  anf  die  Reiie  mitgegeben      . 
Herbstmeii.    Dem  Joden  Dand  la  Anipacli 

Flir  dreimalige  Briefporto  10  er  an  mich 

abgehen  lauen  per  posta 

IM4. 

Hcrbttmeas.     Ibme  eine  Fekkappe  nacber 

Anipach  Winden  müssen,  dafBr  tahlt.     .     . 

- 

l)  Golden  k  60  Kreuer.     Siehe  nolen. 

3)  El  ist  lediglich   die  Spracbbrm ,  nicht   aber    die  Oithogr^ie   der  Vorlage  bci- 
bdialten  worden. 


—    «0    — 


Spezifizierte  Auslagen 
für 

a 
M 

iE 

Kleidung 

und 
Zubehör 

fl.       kr. 

das  Haad- 
wetk 

fl.       kr. 

DivcTM 
fl.      kr. 

5  .5  s 

^3    *-    < 

fl.       kr. 

Der  Ranin   fUr  ein  Hembd,    Hals-  und 
Sehnaptach  zahlt 

3 

4 
1 

5 

j 

20 

48 

34 

1 
—  I 

36 

t 

13 
I 

21 

2 
2 

4 
22 

1«M. 

rt.  Februar.     Als  er  mit  der  Laodkutsche 
wieder  anhero  gekommen,  ihme  za  Absah- 
long  des  Reisegeldes  ^ond  Weiteres  zahlt    . 
19.  Februar.     Hat  er  selbsten  an  den  da- 
mals verfallenen  Zinsen  eingenommen    .     . 
Demselben  zum  bhraen  Fatterhembd  zahlt 
für  3  Ehlen  Tuch  ad  i  Gulden  20  Krenzer 
Fftr  Futtertuch 

22 

l6f 

Fär  silberne  Knöpfe 

Für  Seideogam  und  Schächter .... 

Dem  Scimeider  Macherlohn 

Ihme  selbst  an  Geld  geben 

Demselben  bei  Friedrieh  Simon  geben  . 
O-stermes«  geben 

3« 

In  meinem  Hause  geben 

25.  D«cember.     Quae  zi^t 

Itf7. 

12.  Juli.     Als  er  von  der  Reise  wieder  nach 
Hause  gekommen,  ihme  geben      .... 

13.  Juli.     Wieder  geben 

In  der  Herbstmess  ihme  geben  .... 
5.  December.     Ihme  baar 

30 

Zusammen:   198  fl.  59^  kr. 

23 

32 

9 

24 

31        36 

134  2^^ 

U.  }iaLti»  Adam  ^äekel. 

Ostermess.     Ihme  zu  Schuhmacherwerkzeng 
Oc tober.     Ihme  geben 

Wie  sein  Bruder  auf  die  Wanderschaft  ge- 
zogen, Jhme  geben 

Für  ein  Brustlappen  und  Schlafhaub .     .     . 
December.     Ihme  geben 

Noch  zu  zwei  Mal 

Für  ein  Hembd  zahlt 

108. 

Ihflse  Tor  ein  HemM  gebtn    •     •    .     •     . 
6.  Januar.    Ihme  geben 

1 

I 

!U> 

•I 

»31 

— 

n 

8 

8 

—     81     — 


Spezifizierte  Auslagen 
ftr 

^     «i     et 

■ 

Kleiduag 

und 
Zubehör 

(L-      kr. 

das  Hsnd- 
weric 

1  fl.      kr. 

fl.      kr. 

2  •*  • 

t>  ^  < 
fl.      kr. 

3.  ApriL    Auf  swei  Mal 

Ofttermess.     Zu  anterschiedenen  Maien.     . 
Uff  Pfingsten . 

Für  ein  Felleisen  zahlt 

Für  Schohmacherwerkseng 

Für  ein  Hembd,  so  er  seinem  Nebenknecht 
abgekauft 

— 

40 

1     1     1          1     1          1    0.              1            1         %         1          1     1     1     1     1 

40 

30 
8 

— 

2 

I 
6 

24 
42 
12 

Sein  Lehrgeld  und  andere  specifizirte  Posten 
zahlt 

Den  Sonntag   vor   dem   neaen  Jahr   ihme 
geben  

1U4. 

9.  Merz.    Ihme  geben 

Ostermess.    Ihme  geben 

Wie  er  von  seinen  Lehrjahren  losgesprochen 
worden,  die  Unkosten  zahlt  mit    .     .     . 

Für  einen  Stecken  vor  ihm 

Zu   becahlen   seinem  Meister   ihme   geben 

mttssea 

20.  Mai.     Ihme  auf  die  Wanderschaft  geben 
Bei  seinem  Abschied  zu  Bomheim  zahlen 

müssen 

Tor  einen  empfangenen  Brief  das  Porto  beaahlt 
Herbstmess.    Dem  Jod  Darid  von  Anspach 

lUft. 

31.  Merz.    Dem    Kutscher    Walporger    lant 
dessen  anhero   mir  überlieferten  Schein  d. 
d.  13.  Oct  1694 

— 

15 

8 

44 

18 

6 

Zusammen:  93  fl.  47  kr. 

4 

5 

6a 

I7i 

— 

«MIMM 

27 

24i 

Bei  der  Liquidation  der  Vormundschaft  sind  zu  liefern: 

Ein  Kapital  auf  dem  Hause  „zum  fröhlichen  Mann" 
in  Bomheim  —  welches  Haus  einst  im  Besitze 
des  leiblichen  Vaters  war  —  im  Betrage  von  275  fl. 

Wird  zu  5  ®/o  verzinst. 

Ein  bei  einem  sichern  Herrn  zu  Frankfurt  vor- 
handenes Kapital  im  Betrage  von    ....  450  fl 

Noch 139  fl.  ST 

6 


n 


—     82     — 

An  liegenden  Gütern: 

9  Morgen  Acker,  welches  vormals  des  verstorbenen 

Vaters  Brautgabe  gewesen 1,82  hektar 

3i  Viertel  Weingarten 0,17 

2  Viertel  Wüstenau 0,10 

6  Morgen  eingelöstes  oder  gekauftes  Gut,  wes- 
halben  dann  Herr  Pfarrer  Claudi die  160  Gulden 
vorgeschossen 1,21        ^ 

3,30  hektar 

10  Achtel Pfocht  Korn,  welche  ich  Vormünder  Dürr  entweder 
in  natura  zu  liefern  oder  dafür  dessen  Werth  zu  zahlen  er- 
bietig. 

Der  Vormund  hatte  jährlich  5  Achtel  (i  Achtel  oder  Malter  =» 
1,147  Hektoliter)  Pacht  den  Kindern  zu  zahlen,  es  wurde  ihm  jedoch 
angerechnet,  dafe  er  „die  Kriegsbeschwerde  die  zeither  habe  tragen 
und  Schätzung  bezahlen  müssen**  und  ihm  deswegen  der  Pachtzins  nur  für 
die  Jahre  1696  und  1697  zur  Last  gelegt.  In  der  That  waren  die 
Dorfschaften  um  jene  Zeit  durch  Einquartierung  schwer  heimgesucht; 
u.  a.  lagen  sächsische,  gothaische,  neuburgische  Soldaten  in  der 
Gegend. 

Man  wird  zunächst  wissen  wollen,  was  die  Gulden  jener  Epoche 
seien.  Die  fraglichen  Jahre  1692  — 1698  liegen  geldgeschichtlich 
klarer  als  die  unmittelbar  vorhergehenden  und  die  nachfolgenden  mit 
ihrer  Batzenüberschwemmung;  man  kann  annehmen,  da(s  auch  im 
Kleinverkehr  der  herrschende  Fufs  sich  ziemlich  mit  dem  offiziellen 
deckte,  dafs  also  die  vollwertigen  im  18  fl.-Fufse  geprägten  Silber- 
münzen  kein  oder  kein  nennenswertes  Agio  bedangen  und  dafs  der 
Dukaten  thatsächlich  meist  zu  4  fl.  zu  haben  war  ^).  Noch  1695 
prägte  die  Stadt,  wie  aus  den  Münzakten  hervorgeht,  auch  die  kleine 
Scheidemünze  der  Kreuzer  nicht  geringer  als  nach  einem  20  fl.  36- 
kr.-Fufse,  die  Albus  (2  kr.-Stücke)  nach  einem  19  fl.  33  kr.-Fufs  *). 
Es  kursierten  —  wie  seit  Jahrhunderten  —  zahlreiche  fremde  Münzen, 
aber  wenn  der  besonders  gangbare  französische  Louis  blanc  2  Gulden 
galt,  so  repräsentiert  dies,  denselben  zu  25,08  Gramm  fein  gerechnet» 
noch  keinen  schlechteren  als  einen  i8|  fl.-Fu(ß.  Man  kann  also  sagen, 
dafs  der  Silbergulden  sich  vom  18.   auf  den    i8|-FuCs  hin  bewegte,. 


1)  Um  1702  bereits  A^o. 

2)  Nmch   dem  Rezesse   der  fünf  Stände  vom  6./ 16.  April  1693  sollte   der  Krenser 
itt  20  fl.,  der  Albas  zu  19  fl.  20^  kr.  gemünzt  sein. 


—     83     — 

also  zwischen  12^99  Gramm  Silber  tmd  12,54  Gramm  Silber  lag^, 
der  in  Gold  gezahlte  Gulden  ca.  0,86  Gramm  Gold  war.  Da  heute 
12,99  b^  ^^fS4  Gramm  Silber  nicht  entfernt  =»  0,86  Gramm  Gold 
sind,  so  ist  klar,  dafs  man  den  Inbegriff  „Gulden"  von  da- 
mals so  wenig  wie  den  aus  irgend  einer  anderen  Zeit  mit 
anderer  Proportion  als  der  heutigen  mit  einem  einzigen 
Ausdruck  in  „jetziges  Geld*'  übersetzen  kann ').  Ein  in  Gold 
gezahlter  Gulden  enthielt  nach  dem  obigen  ungefähr  soviel  Gold  als 
in  2,40  Reichsgoldmark  enthalten  ist,  ein  Kreuzer  soviel  wie  4  Reichs^ 
goldpfennige.  Es  ist  selbstverständlich  ganz  gleich,  wenn  man  eine  Ge- 
schichte der  Lebenshaltung  und  nicht  eine  Preisgeschichte  der  Edelmetalle 
schreibt,  ob  man  nach  der  „Gold-"  oder  der  „Silberrechnung"  rechnet 
Zweck  und  Bedeutung  der  in  der  Tabelle  en^'ähnten  Gebrauchs- 
dinge werden  meist  von  selbst  erhellen.  Unter  Muk  verstand  man 
ein  Oberkleid;  im  XVIII.  Jahrhimdert  hauptsächlich  ein  Frauen-,  im 
XVn.  aber  auch  ein  Männerkleid.  „Dieser  fremde  Herr  im  sammeten 
Mutzen",  heiist  es  im  Simplicissimus').  „Einen  sammeten  Mutzen  wie 
auch  seidene  Kleider  vnd  Mäntel"  sollen  nach  der  Frankfurtischen 
Kleiderordnung  von  1671  die  vom  ersten  Stande  tragen  dürfen,  i  fl. 
20  kr.  als  Preis  der  Elle  für  das  blaue  Futterhemd  entspricht  einem 
Preise  von  2  fl.  27  kr.  pro  Meter.  Schechter  —  in  anderen  Gegen- 
den z.  B.  Franken  gleichzeitig  Scheiter  genannt  —  bezeichnet  die 
geleimte  oder  gesteifte  Leinwand,  welche  zum  Steifen  der  Kleider,  zum 
Unterlegen  unter  die  Knopflöcher,  in  die  Taschen  u.  dergl.  gebraucht 
wurde.  Unter  silbernen  und  gültenen  Knöpfen  verstand  man 
nicht  immer  echte,  sondern  öfters  lediglich  silber-  oder  goldartige, 
solche  kamen  mir  in  Rechnungen  zu  36  kr.  pro  Dutzend  vor.  Es 
scheint,  als  ob  die  Hemden  der  Gebrüder  Jäckel,  wenn  auch  nicht 
fertig  gekauft,  so  doch  fertig  bestellt  worden  seien,  wenigstens  wird  kein 
gesonderter  Einkaufspreis  für  Leinwand  verzeichnet.  Leinwand  gab  es 
natürlich  zu  den  verschiedensten  Preisen.  Leinwand  für  starke  Arbeiter- 
hemden kam  mü:  in  gleichzeitigen  (Nürnberger)  Rechnimgen  zu  15  kr.  pro 
Elle,  das  ist  22,8  kr.  pro  Meter,  vor.  Den  Macherlohn  für  ein  ein- 
faches Manneshemd  kann  man  zu  6  kr.  annehmen,  er  kam  also  dem 
Preise  eines  Pfundes  Rind-  oder  Schweinefleisches  in  den  damaligen 
—  teuren  —  2^iten  gleich.     Die  vorkommenden  Strümpfe  sind  ohne 

i)  VgL  anch  meine  „Wanderjahre  des  Johann  Philipps  Münch  als  Kaufmannsjunge 
and  Handlnngsdiener  1680 — 1696"  im  Archiv  für  Frankfiirts  Geschichte,  3.  Folge,  Bd.  V 
(1896),  S.  142  ff. 

2)  I,  125  Kurr.  (cit.  Grimm  VI,  pg.  2837). 

6» 


—     84    — 

Zweifel  wollene;  geringere  Beine  als  solche  von  Adligen  und  Rats- 
berrn  der  ersten  und  zweiten  Bank,  von  Doktoren  und  von  namhaften 
Kaufleuten,  die  nicht  „nach  der  Elle  und  dem  Lot*^  handeln,  soUteo 
sich  überhaupt  nicht  in  Seide  hüllen:  also  schon  fiir  Notaren-,  Pro- 
kuratoren- und  Künstlerbeine  war  der  WoUenstnimpf  bezw.  Bauan- 
wolle-  und  Leinenstrumpf  obligatorisch.  Der  verzeichnete  Prete  ist 
nicht  auffallend  hoch;  reiche  Leute  gaben  leicht  3 — 4  fl.  für  wollene 
Strümpfe  aus,  die  man  so  wohl  fertig  kaufte,  als  auch  stricken  liefe. 
Das  Tragen  von  Pelzkappen  war  bei  Vornehm  und  Gering  üblich.  — 
Ergänzend  seien  noch  die  Preise  der  wichtigsten  Nahrungsmittel  aus 
der  fraglichen  Epoche  angegeben.  Dieselben  schwankten  infolge  ein- 
fallender Not-  und  Kriegsjahre  bedeutend,  Getreide  insbesondere.  Eis 
variierte  Rindfleisch  und  Schweinefleisch  zwischen  5 — 6  kr.  pro  Pfiind, 
das  ist  10,36 — 12,43  ^-  pro  Kilogramm ;  Roggenmehl  zwischen  fl.  3,71 
bis  fl.  14,10  pro  100  Kilogramm;  Butter^)  schwankte  1686 — 1695 
zwischen  6 — 13  kr.  pro  Pfund,  das  ist  12,43 — 26,93  kr.  pro  Kik>- 
gramm,  stieg  aber  vorübergehend  (1693)  bis  37,29  kr.  pro  Kilogramm 
und  höher.  Das  Roggenbrot  endlich  kostete  in  Frankfurt  nach  sehr 
genauen  von  mir  vorgenommenen  Ermittelungen 

pro  Kilogramm 


1692: 

3.56  kr. 

1693 

S.32  „ 

1694; 

5.57  » 

1695; 

2,77  „ 

1696: 

2,16  „ 

1697; 

2,29  „ 

1698: 

3.35  .. 

durchschnittlich  3,58  kr. 

Es  kosteten  also  100  Kilogramm  75,59  Gramm  gemünztes  Silber 
oder  5,117  Gramm  gemünztes  Gold,  das  ist  so  viel  wie  in  12,28  Gold- 
reichsmark enthalten  ist,  oder  ein  KUogramm  =  12,28  Pfennige.  — 
Der  Jahreslohn  eines  besseren  Knechtes  zu  häuslichen  Verrichtungen 
stellte  sich  —  ohne  die  Nebengeschenke  —  auf  21  fl.  jährlich. 


Es  war  nicht  meine  Absicht  den  Lebenslauf  unserer  jungen  Schuster 
weiter  hinaus  als  bis  zum  Schlüsse  der  über  sie  geführten  Vormund- 


i)   Du  PfiiDd  Batter  sowie   du  Pfond   Fleisch  waren  am   ^/^   schwerer   als   du 
Pfand  Brot 


—     86     — 

Schaftsrechnungen  zu  verfolgen,  dennoch  blieb  nach  dem  Abschlüsse 
des  Obigen  ein  Residuum  unbefriedigten  menschlichen  Interesses 
bei  mir  für  jene  Schatten  übrig,  welche  mir  im  Orkus  der  Vergangen- 
heit Notizen  über  ihre  Jugendzeit  g^eben  haben.  Ich  konnte  darum 
gelegentlich  nicht  umhin,  auf  dem  Frankfurter  Standesamte  noch  ein 
wenig  über  sie  nachzublättern.  Es  ergab  sich,  dais  die  beiden  kurz 
nach  der  Liquidation  in  Frankfurt  Bürger  und  Schuhmachermeister  ge- 
worden sein  müssen.  Johann  Jakob  heiratete  26  Jahre  alt  die  Tochter 
eines  Secklermeisters,  Johann  Adam  im  gleichen  Alter  die  Tochter 
eines  Schuhmachers  und  Bürgers  zu  Frankfurt  a.  M.  Am  11.  Sep- 
tember 1728  starb  Johann  Jakob  55  Jahre  alt,  er  wohnte  in  der  Neu- 
gasse, welche  noch  heute  eine  Schustergassp  ist.  Der  jüngere  Bruder, 
Johann  Adam,  verarmte.  In  dem  „Verzeichnis  der  Kranken  bürger- 
lichen Hausz-Armen,  welche  von  E.  löbl.  Gasten  Amt  in  hieszig  gleich- 
falls löbl.  Hospital  Amt  zu  bequemer  Pfl^  und  Besorgung  gethan 
und  von  jedem  wöchentlich  ein  Gulden  zu  entrichten  verglichen  wor- 
den", liest  man,  dafs  am  19.  März  dem  hiesigen  Schuhmacher  Johann 
Adam  Jäckel  vergünstigt  wurde,  auf  14  Tage  bis  zu  seiner  Rekon- 
valeszenz in  das  Spital  zu  gehen;  „wegen  Baufälligkeit"  heilst  es  in 
einem  anderen  Buche  des  Almosenkastens.  Er  genas  nicht  von  der 
Baufalligkeit,  sondern  starb  im  Hospital  am  15.  Juni  1727,  51  Jahre  alt. 


Mitteilungen 

Yersammlangen.  —  Vom  23.  bis  26.  September  fand  in  Freiburg 
i.  B.  die  Hauptversammlung  des  Gesamtvereins  der  deutschen  Ge- 
schichts-  und  Altertumsvereine  statt ')  und  zwar  an  Stelle  des  durch 
Krankheit  verhmderten  Geh.  Archivrat  Dr.  Bailleu  (Charfottenburg)  geleitet 
von  Generalmajor  Dr.  v.  Pf  ist  er  (Stuttgart).  Die  Feier  des  75  jährigen 
Bestehens  der  von  Karl  Rotteck  gegründeten  ,, Gesellschaft  für  Be- 
förderung der  Geschiebes-,  Altertums-  und  Volkskunde  von 
Freiburg,  dem  Breisgau  und  den  angrenzenden  Landschaften*'') 
hatte  diesmal  die  Vertreter  der  Landes-  und  Ortsgeschichte  nach  der  Uni- 
versitätsstadt im  Breisgau  gerufen:  159  auswärtige  Teilnehmer  wurden  neben 
376  einheimischen  gezählt     Von   den  jetzt   dem  Gesamtverein   angehörigen 

1)  über  die  Tagung  zu  Dresden  im  Jahre  1900  vgL  Bd.  II,  S.  57 — 60. 

2)  Daneben  bestehen  in  Freiburg  noch  zwei  andere  Geschichtsvereine,  nämlich  der 
i86a  gegründete  „Kirchlich-historische  Verein  fUr  die  Erzdiözese  Freiborg^'  (vgL  darüber 
diese  Zeitschrift  Bd.  II,  S.  205 — 206)  und  der  y^reisganvercin  Schaa-ins-Land". 


i 


—     86     — 

142  Vereinen  hatten  leider  nur  43  eigne  Vertreter  abgeordnet,  was  gegen- 
über Dresden,  wo  von  137  Vereinen  64  vertreten  waren,  einen  recht  be- 
dauerlichen Rückschritt  bedeutet:  es  wäre  dringend  zu  wünschen,  dais 
jeder  einzelne  der  verbundenen  Vereine  die  Bedeutung  dieser 
Jahresversammlungen  mehr  und  mehr  würdigte  und  die  doch  recht 
bescheidenen  Kosten  zur  Abordnung  eines  Vertreters,  der  dann 
über  das  Geschehene  und  Gehörte  daheim  berichtet,  aufwendet, 
um  so  in  dauerndem  Zusammenhange  mit  den  Forschungs- 
ergebnissen zu  bleiben  und  neue  Aufgaben  kennen  zu  lernen. 
Erfreulicher  Weise  waren  wieder  eine  Reihe  Landesregierungen  (Baden, 
Braunschweig,  Hamburg,  Hessen,  Elsafs-Lothringen,  Mecklenburg-Schwerin, 
Preufsen,  Sachsen,  Schweizerische  Bundesregierung)  sowie  das  Germanische 
Museum  offiziell  vertreten,  aber  auch  —  so  zahlreich  wie  wohl  noch  nie  —  ein- 
zelne Städte  (Dresden,  Heidelberg,  Karlsruhe,  Konstanz,  Mannheim,  München), 
ein  Beweis,  wie  überall  das  Interesse  für  die  heimische  Geschichte  zunimmt 
Nach  der  organisatorischen  Seite  hin  ist  von  Wichtigkeit  der  Beschlufs,  eine 
eigene  (fünfte)  Abteilung  für  Volkskunde  zu  gründen,  die  tmter  der 
Leitung  des  Generalmajors  z.  D.  Freiherrn  v.  Friesen,  Vorsitzenden  des 
Vereins  für  Sächsische  Volkskimde,  steht.  Das  Korrespondenzblatt  des 
Gesamtvereins,  welches  seinem  50.  Jahrgange  entgegengeht,  soll  ein  Haupt- 
register  über  die  ganze  Reihe  erhalten,  um  so  den  darin  niedergelegten  Stoff 
allgemeiner  zugänglich  zu  machen,  ein  Beschlufs,  der  die  allgemeinste  Zu- 
stimmung finden  dürfte.  Zur  Vermehrung  der  Mittel  des  Gesamtvereins  wurde 
die  Frage  erörtert,  ob  nicht  die  Beiträge  der  Vereine  oder  der  Versanmüungs- 
teilnehmer  erhöht  werden  sollten,  aber  ein  bestimmter  Beschlufs  konnte  in 
diesem  Punkte  nicht  gefafst  werden,  wenn  auch  allgemein  anerkannt  wurde, 
dafs  eine  Vermehrung  der  Vereinsmittel  dringend  notwendig  sei,  wenn  der 
Gesamtverein  als  solcher  auch  nur  in  bescheidenen  Grenzen  selbst  Arbeiten 
ausführen  wolle.  Zu  Hoffnungen  in  dieser  Hinsicht  herechtigt  die  Thatsache, 
dafs  zum  ersten  Male  in  der  Person  des  Geh.  Oberregierungsrates  Lewald 
ein  Vertreter  der  Reichsverwaltung  zugegen  war:  Zuschüsse  für  bestimmte 
Arbeiten  seitens  des  Reiches  dürften,  wenn  diese  Vertretung  und  die  dadurch 
ermöglichte  persönliche  Kenntnisnahme  der  im  Gesamtverein  verkörperten 
Bestrebungen  regelmäfsig  stattfindet,  viel  leichter  zu  erhalten  sein  als  bisher. 
Erfreulich  für  beide  TeUe  war  auch  die  zu  Tage  tretende  engere  Berührung 
der  Universitätslehrer  mit  dem  Gesamtverein,  die  das  frühere  oft  recht  kühle, 
ja  bisweUen  feindliche  Verhältnis  abzulösen  beginnt:  ein  entschiedenes  Ver- 
dienst in  dieser  Riehtung  hat  sich  Prof.  Finke  erworben,  der  sich  vor 
drei  Jahren  in  Münster  und  jetzt  wiederum  in  Freiburg  um  das  Gelingen 
der  Versammlung  bemüht  hat,  nicht  minder  aber  die  übrigen  Herren  der 
Freiburger  Universität  (Beyerle,  Dieffenbacher,  Kluge,  Michael,  Stutz,  Wahl), 
die  sich  als  Redner  zur  Verfügung  gestellt  hatten.  —  Eine  ganze  Last  ge- 
druckter Festgaben  zur  bleibenden  Erinnerung  konnten  die  Teilnehmer  mit 
nach  Hause  nehmen.  Ein  Ausflug  nach  dem  Fürstlich  Fürstenbergischen 
Schlosse  Donaueschingen  mit  semen  geschichtlichen  Sehenswürdigkeiten  nebst 
Fahrt  durch  das  prächtige  Höllenthal  nahm  den  dritten  Tag  in  Anspruch, 
ein  Fest  der  Stadt  Freiburg  nebst  Beleuchtung  der  Münstertürme  füllte  den 
zweiten  Abend,  sodafs  unter  wissenschaftlicher  Arbeit  und  geselligen  Freuden 


_J 


—     87     — 

die  Tage  —  in  beiden  ßichtuDgea  aostrengeDd  genug  —  rasch  vergangen 
sind.  Im  Jahre  1903  wird  der  Gesamtrerein  einer  Einladung  der  Stadt 
Düsseldorf  folgen. 

Da  ein  ausführlicher  Bericht  über  die  Verhandlangen  vom  Vorstande 
des  Gesamtvereins  herausgegeben  wird,  begnügen  wir  uns  hier  mit  einigen 
kurzen  kritischen  Bemerkungen:  Die  in  den  Hauptversammlungen  gehaltenen 
Vorträge  boten  sämtlich  Forschungsergebnisse  von  allgemeinstem  Interesse. 
FioE.  Stutz  (Rechiageaehichie  des  Freiburger  Münsters)  führte  mit  der  Ge- 
schichte des  Münsters  die  der  ganzen  Stadt  in  grofsen  Zügen  vor;  Prof. 
G  o  t  h  e  i  n  (Bonn)  behandelte  unter  dem  Thema  der  Hofverfaasung  auf  dem 
SckwarxtDoid  ein  grotses  Stück  Besiedlungsgeschichte,  Profi  Dieffenbachei 
(Beiträgt  zur  Badischen  Volkskunde  aus  Grimmelskausens  SimpUzissimxu) 
zeigte,  dafs  der  Verfasser  jenes  berühmten  Romanes,  obwohl  in  Gelnhausen 
geboren,  dennoch  ganz  im  alemaimischen  Volksleben  aufgeht  und,  wo  er 
Thatsächliches  berichtet,  nichts  anderes  als  alemannische  Zustände  beschreibt 
Stadtarchivar  Albert  endlich  schilderte  die  Thätigkeü  der  historischen  Vereine 
•n  Baden  seit  fast  einem  Jahrhundert  —  Roth  v.  Schreckenstein  gründete 
1805  den  Verein  für  die  Geschichte  der  Baar  —  bis  zur  Gegenwart  und  zeigte 
so  an  dem  Beispiel  Badens,  was  zur  Erforschung  der  heimatlichen  Vergangenheit 
geschehen  ist,  geschehen  kann  und  überall  geschehen  sollte. 

Reges    Leben    herrschte    in    den   vortrefflich    besuchten    gemeinsamen 
Sitzungen  der  ersten  und  zweiten  Abteilung,  die  zugleich  die  Sitzung    des 
Verbands  Süd- und  westdeutscher  Vereine  für  römisch-germanische 
Forschung  darstellte.   Nach  den  Aussagen  von  Teilnehmern  an  beiden  Versamm- 
lungen sind  die  Freiburger  Vorträge  viel  besser  besucht  gewesen,  als  die  der  etwa 
entsprechenden  Sektionen  auf  der  Strafsburger  Philologenversammlung.    Was 
in  diesen  Blättern  als  Hofbung  ausgesprochen  wurde '),   das   hat   sich   also 
.erfüllt:  es  ist  in  die  arcbäologisch-kunstgeschichthche  Abteilung  des  Gesamt- 
vereius  ein  andrer  Geist  eingezogen.     Das  zeigte  sich  auch    diesmal   in  der 
Person    der    Vortragenden  wie    in    den   behandelten    Themen,    deim  gerade 
die  brennendsten  Fragen  aus  dem  Gebiete    der    südwestdeutschea  Altertums- 
kunde* wurden   besprochen.     Dafs    es    sich    bei    den  Studien    am    deutschen 
Limes  nicht  blos  um    die    alten   abgedroschenen  Fragen   nach  Markierung, 
Grenzgräbchen,  Begleithügeln  u.  s.  v.  handelt,  sondern  dafs  sich  thatsächlibh 
wichtige   historische   Probleme   daran    anknüpfen   lassen,    zeigte    Fabricius 
(Freiburg)    in    seinen  Ausführungen  über    die  Chronolc 
anlagen  in  Baden  und  Württemberg,   nicht   mir 
(Darmstadt),  der  die  von  ihm  kürzlich  gemachte  Entdecli 
Vereinzelung  sehr    wichtigen  Erdkastells    im  Odenw. 
deutung  fUr  die  chronologische  Fesüegung  einzelner  Limef 
Über  ein   die   römische   Altertumskunde   wenigstens   stre 
Prorektor  Kluge  (Freiburg)   vor;   er  besprach   die  Aus 
nischei  Eigennamen   in   lateinischen  Texten   im   all 
Ableitung   des    Wortes    Pfablgraben   von    einem    deutscl 
besonderen.  —  Wie  grofse  Fortschritte  die  Ringwallfc 
mit  das  Studium  der  vorrömischen  Altertümer   in  Südwc 

i)  Vgl.  Bd.  H,  8.  334. 


—     88     — 

haupt  gerade  in  den  letzten  Jahren  gemacht  hat,  bewiesen  die  Ausführungen 
von  Thomas    (Frankfurt)   Über  den  Stand  seiner    eigenen  Arbeiten.      An 
einem  besonders  lehrreichen  Objekt,   an   dem  ausgedehnten  Ringwallsjstem 
der  Goldgrube  im  Taunus,   hat   er   eingehende  Studien  gemacht;    die   n&it- 
geteilte  Fülle  von  interessanten  und  wichtigen  Beobachtungen  muls  fördertun 
bei  aüen  derartigen  Untersuchungen  berücksichtigt  werden.     £s   ergab   sich 
aus  den  Funden  an  dieser  mächtigen  Anlage,  dafs  sie  nicht  nur  ab  Refngiiim 
gedient  haben  kann,  sondern  dafs  an  tmd  in  ihr  eine  ausgedehnte  Ansiedhing 
bestand,  deren  umfangreiche  Reste  festgestellt  wurden.     Gerade  auf  diesem 
Gebiete  regt  es  sich  jetzt  überall;   eingehende  Untersuchung  und  nachhaltige 
Förderung  verdanken  wir  Lehn  er  in  Urmitz,  Soldan  in  Neuhäusel,  Schliz 
in  Neckargartach  tmd  Bodewig  in  Braubach,   und  da  sich  in   der   letzten 
Zeit  wieder  fast   überall  neue   Anhaltspunkte   ergeben  haben,   so    darf  an- 
genommen werden,  dafs   thatsächlich   die  Ringwallforschung  und   die    damit 
in  engster  Verbindung  stehende  Aufklärung  der  vorrömischen  Besiedehing  in 
Mitteldeutschland  von  jetzt  ab  in  einem  rascheren  Tempo  als  seither  voran- 
schreiten  wird.     Man  hat  eben  gelernt,  Wälle,  Margellen,   Hügelgräber    mid 
Hochäcker  nicht  mehr  als  Dinge  für  sich  anzusehen,    sondern  sie  in    einen 
gröfseren  Zusammenhang  zu  bringen;  und  so  werden  sich  bald  überall,  des 
sind  wir  sicher,    ebenso  schöne  Bilder   aus   der  Besiedelungsgeschichte    der 
Prähistorie    zeichnen    lassen,    wie    sie    bereits    Miller    in    der    Oberamts- 
beschreibung Ehingen    1893   entworfen   hat.   —  Einen   höchst  interessanten 
Beitrag  zu   diesem  Forschungsgebiet   gaben   die   Herren  Hang  (Mannheim) 
und  Fabricius  (Freiburg)  mit   ihren  Mitteilungen   über   die  Keltenstadt 
Tarodunum,  die  im  Dreisamthal  bei  dem  Dorf  Zarten  gesucht  wurde  und 
jetzt  durch   Ausgrabungen   festgestellt  worden  ist.      Die    von  Fabricius    ge- 
leiteten Arbeiten  werden  auf  Kosten  der  Stadt  Freiburg  fortgesetzt  und   ver- 
sprechen   reichen    Ertrag    für    die   Wissenschaft.    —    Auf  das   Gebiet    vor- 
geschichtlichen Gewerbebetriebs  führte  Kenne  (Metz)  mit  seiner  Schilderung 
der  bis  vor  kurzem  rätselhaften  und  auch  jetzt   noch   nicht  vollständig  auf- 
geklärten prähistorischen  Ziegelsalinen  im  Seillethal    in  Lothringen,    des 
sog.  Briqtietage. 

Wie  es  eine  einsichtige  Stadtverwaltung  fertig  bringt,  allerdings  das  nötige 
Interesse  vorausgesetzt,  in  verhältnismäfsig  kurzer  Zeit  sich  ein  überraschend 
reichhaltiges  Büd  von  der  einstigen  Besiedelung  des  Stadtgebiets  und  seiner 
nächsten  Umgebung  zu  schafifen,  das  vermochte  Pf  äff  (Heidelberg)  zu  zeigen 
in  seinem  Vortrag  über  die  städtischen  Ausgrabungen  in  und  um 
Heidelberg');  er  selbst  hat  die  Arbeiten  geleitet  und  bei  gelegentlichen 
Terrainumgestaltungen  die  Aufsicht  geführt  Seiner  Sorgfalt  sowie  dem  Um- 
stand, dafs  die  Beamten  wie  die  Arbeiter  im  Auftrag  der  Stadtverwaltung 
eingehend  instruiert  werden,  verdankt  man  die  überaus  reichen  Ergebnisse 
aus  allen  Zeiten,  die  Pfaff  der  wissenschaftlichen  Welt  vorzulegen  hat  Von 
besonderem  Wert  ist  auch  hier  in  Heidelberg  der  Nachweis  imausgesctztcr 
Besiedelung  von  der  Steinzeit  bis  in  die  Gegenwart. 

Leider  war  die  Zeit  für  die  Abteilungssitzungen  wieder  gar  zu  knapp 


1)  Vgl  oben  S.  26 — 27. 


^ 


—     89     — 

bemessen;  es  ist  dringend  zu  hoffen,  dafs  das  in  Zukunft  anders  wird; 
denn  man  kommt  doch  zum  Arbeiten  zusammen!  Diesmal  konnte  gerade 
noch  die  Zahl  der  Vorträge  bewältigt  werden,  die  Besprechung  dagegen 
kam  entschieden  zu  kurz,  und  gar  mancher  hätte  sich  gewifs  gern  an  der 
Diskussion  beteiligt,  die  z.  B.  Frhr.  Schenk  zu  Schweinsberg  über  die 
alten  Namen  der  Ringwälle  eröfihete;  doch  man  scheute  sich,  die  Zeit  zu 
sehr  in  Anspruch  zu  nehmen. 

Wir  erwähnen  noch,  dafs  der  geschäftsfiihrende  Vorstand  des  südwest- 
deutschen Verbands  jetzt  aus  den  Herren  Soldan,  Anthes  und  Müller 
in  Darmstadt  besteht 

Reiche  Belehrung  und  Anregung  boten  auch  die  Vorträge  in  der  ver- 
einigten dritten  und  vierten  Abteilung.  Prof.  Martin  (Strafsburg)  beschäftigte 
sich  mit  der  Heimat  Hartmanns  von  Au  *)  und  suchte  aus  guten 
Gründen  die  gewöhnlich  gegen  Lachmanns  Ansicht,  dafs  Au  bei  Freiburg 
in  Frage  kommt,  vorgebrachten  Einwände  zu  widerlegen.  Der  fürstliche 
Stand  des  „Armen  Heinrich"  in  der  Legende  ist  kein  Grund,  um  dem 
Dichter  notwendigerweise  auch  fürstliche  Herkunft  zuzuschreiben.  Die  Ver- 
suche, Hartmann  an  andern  Orten  Schwabens  anzusiedeln ,  erscheiuen  durch 
seine  Sprache  ausgeschlossen,  aber  notwendig  mufs  er  an  einem  grofen 
modernen  tmd  französisch  gebildeten  Fürstenhofe  gelebt  haben,  und  dazu 
pafst  trefflich  der  Hof  des  Zähringers  Berthold  V.,  der  zwei  französische 
Gemahlinnen  hatte.  —  Prof.  Michael  (Freiburg)  besprach  WaUensteins  Vertrag 
mit  dem  Kaiser  im  JaJire  1632  y  der  aktenmäfsig  nicht  überliefert  ist. 
Redner  ist  der  Ansicht,  dafs  der  darüber  im  Theatrum  Europäum  enthaltene 
Bericht  der  Wahrheit  über  die  Abmachungen  am  nächsten  kommt,  dafs 
dieser  jedenfalls  besser  sei  als  der  bei  Khevenhüller  gebotene  und  macht 
es  in  hohem  Grade  wahrscheinlich,  dafs  unter  dem  „höchsten  Regal  im 
Reiche",  welches  der  Kaiser  verspricht,  nichts  anderes  als  eine  Kurwürde 
gemeint  sei.  —  Privatdozent  Wahl  (Freiburg)  verbreitete  sich  über  den 
Wechsel  der  AnscJiauungen  über  die  Politik  der  deutscJien  Mächte  im  ersten 
Koalitionskriege  und  zeigte  im  einzelnen,  wie  die  politische  Zugehörigkeit 
der  Verfasser  in  diesem  Punkte  dafiir  entscheidend  gewesen  ist,  ob  sie 
Preufsen  oder  Österreich  für  das  Mifslingen  des  Feldzugs  verantwortlich 
machen.  —  Prof.  Konrad  Beyerle  (Freiburg)  berichtete  über  die  im 
Herbst  1900  von  ihm  und  Prof.  Künstle  in  der  frühromanischeu  Pfarrkirche 
S.  Peter  und  Paul  in  Niederzeil  auf  der  Insel  Reichenau  entdeckten  Wand- 
gemälde, über  die  eine  Publikation  bei  Herder  in  Freiburg  erscheinen  wird. 
In  der  Hauptapsis  findet  sich  eine  Majestas  Domini,  flankiert  von  den 
evangelischen  Zeichen,  den  zwei  Patronen  der  Kirche  und  zwei  Seraphen  auf 
geflügelten  Rädern.  Das  gut  erhaltene  Bild  ist  jünger  als  das  in  St.  Georg 
zu  Oberzell,  und  der  Fund  gewährt  damit  einen  neuen  Einblick  in  die  Ent- 
wickelung  der  Reichenauer  Malerschule.  —  Über  den  Fortgang  der  Kirchen- 
bücherforschung konnte  Archivrat  Jacobs  (Wernigerode)  wesentlich  neues 
nicht  mitteilen,  seine  Ausfühnmgen  vervollständigten  vielmehr  vor  allem  die 
Nachrichten   über   das  Auftreten   der    kirchlichen  Register   in  Italien   ^^ 


I)  Der  Vortrag  wird  vollständig  in   der  Zeitschrift  AUmannia,  hgr< 
scheinen. 


—     90     — 

während  des  XIV.  Jahrhunderts,  und  Redner  stützte  damit  seine  Anschautuig, 
die  in  den  Registern  nicht  eine  Frucht  der  Reformation,  sondern  ganz  all- 
gemein der  Renaissancekultur  erblicken  will.  —  Prof.  Mehlis  (Neustadt  a.  H.) 
glaubt  in  einer  Ausgrabung,  die  er  in  der  Nähe  von  Neustadt  vorgenommen 
hat,  eine  Merovingerpfalz  entdeckt  zu  haben  und  hat  die  Ergebnisse  seiner 
Forschung  unter  dem  Titel :  Walahstede^  eine  rheinische  Burganlage  aus  der 
Merovingerzeit  (Kaiserslautem,  H.  Kayser,  31  S.  8®.  M.  i)  bereits  der 
Öffentlichkeit  übergeben.  Seine  Beschreibung  der  Fundstücke  sowohl  wie  der 
Anlage  selbst  scheinen  seine  Ansicht  nicht  voll  zu  rechtfertigen:  den  Zu- 
hörern hat  er  wohl  nur  zu  beweisen  vermocht,  dafs  die  Anlage  einerseits 
nicht  römisch  und  andrerseits  nicht  nach  1200  entstanden  ist.  Und  wenn 
sie  selbst  als  merovingisch  in  Anspruch  genommen  werden  kann,  so  bleibt 
ihre  Eigenschaft  als  Pfalz  jedenfalls  erst  noch  zu  beweisen. 

Auch  bei  diesen  Vorträgen  machte  sich  der  Zeitmangel  unangenehm 
geltend.  Viele  Zuhörer  mufsten  sich  eher,  als  es  ihnen  lieb  war,  zurück- 
ziehen, um  anderes  nicht  zu  versäumen,  und  zu  einer  irgendwie  nennens- 
werten Aussprache  über  die  Darbietungen  kam  es  nicht,  obwohl  sich  manche 
Gelegenheit  dazu  bot:  man  darf  nicht  vergessen,  dafs  erst  durch 
eine  Aussprache  der  Meinungen  der  rechte  Nutzen  erzielt 
werden  kann.  Hoffen  wir  also,  dafs  statt  sechs  verschiedener 
Materien  beim  nächsten  Male  nur  über  drei  verhandelt  und  da- 
bei für  die  Debatte  genügende  Zeit  gelassen  wird! 

Die  vereinigten  Abteilungen  endlich  hatten  ein  kurzes  Programm  zu  er- 
ledigen, denn  der  eine  Gegenstand,  Pflege  und  Inventarisierung  nicht- 
staatlicher Archive,  mufste  abgesetzt  werden,  da  der  erste  Bericht- 
erstatter Geh.  Rat  Bai  Heu  nicht  zugegen  war.  Ganz  kurz  erstattete  Armin 
Tille  Bericht  über  die  von  der  im  vorigen  Jahre  eingesetzten  Kommission 
(Köcher,  Tille,  v.  Zwiedineck)  entwickelten  Vorschläge  behufs  Fortsetzung 
des  Walther-Konerschen  Repertoriums.  Der  Bericht  wird  im  Korre- 
spondenzblatt des  Gesamtvereins  demnächst  gedruckt  werden,  seine  wesent- 
lichen Gedanken  smd:  es  gilt  die  Lücke  von  1850  bis  1900  auszuAillen ; 
am  besten  wäre  Jahrzehntweise  vorzugehen  und  zunächst  1891  bis  1900  zu 
bearbeiten;  ausführen  kann  die  Arbeit  nur  eine  wissenschaftlich  befähigte 
Person,  die  auch  die  ersten  Auszüge  fertigen  mufs ;  die  Kosten  dafür  müssen 
von  den  Vereinen,  deren  Zeitschritten  bearbeitet  werden,  nach  Mafsgabe  des 
Umfangs  ihrer  Publikation  aufgebracht  werden.  —  Ausführlich  sprachen  Archiv- 
direktor Wolfram  (Metz)  und  Prof.  Anthes  (Darmstadt)  über  den  Fort- 
gang der  Grundkartenarbeit:  in  Utrecht  ist  Ende  1900  ein  Zcntral- 
bureau  für  die  Niederlande  eingerichtet,  von  den  meisten  Beteiligten  sind  neue 
Kartenblätter  ausgegeben  worden.  Notwendig  ist  vor  allem  noch  eine  Verstän- 
digung in  Fällen,  wo  ein  Blatt  zwei  verschiedene  Staaten  trifft :  dort  vor  allem 
müfste  die  Leipziger  Zentralstelle  eine  gedeihliche  gemeinsame  Arbeit  herbei- 
führen. Neue  Untersuchungen  über  das  Alter  der  Flurgrenzen  liegen  aus  Lothringen 
vor,  wo  die  Gemarkungen  der  Orte  auf  -ingen ,  -weiler  und  -heim  in  ver- 
schiedenen Farben  eingetragen  worden  sind:  es  haben  sich  vielfach  alte 
Römerstrafsen  als  Grenzen  erwiesen,  und  in  Westfalen  hat  Nord  hoff  ganz 
ähnliches  fes^esteUt  Bezüglich  der  Verwendung  einheitlicher  Zeichen  bei 
ntragungen   in   die  fertigen   Grundkarten   ist   die   im   Vorjahre    eingesetzte 


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—     91     — 

Kommission  (Ermisch,  Kötzschke,  Thudichum,  Wolfram)  zu  der  Ansicht  ge- 
langt, dafs  es  für  die  Feststellung  solcher  Zeichen  für  die  mittelalterliche 
Geschichte  noch  zu  früh  sei,  dagegen  hat  sie  sich  unter  dem  sachkundigen 
Beirat  von  Prof.  Friedrich  Ohlenschlager  (München)  über  Zeichen 
für  vorgeschichtliche  und  römische  Funde  geeinigt,  die  von  der 
Versammlung  freudig  angenommen  wurden  und  auch  demnächst  in  dieser 
Zeitschrift  mitgeteilt  werden  sollen.  Allgemein  ist  man  übereingekommen 
Vorrömisches  mit  blau,  Römisches  mit  rot  zu  bezeichnen,  doch  dies 
ist  ein  Notbehelf  in  Fällen  wo  man  sich  mit  zwei  Farben  aus  technischen 
Gründen  begnügen  mufs,  im  übrigen  gilt  für  die  Steinzeit  —  braun,  Bronze- 
zeit —  gelb,  Hallstadtfunde  —  gelb  mit  blau,  Lat^e  —  blau  und  gelb, 
Völkerwandenmgszeit  —  k  arm  in.  Nachdem  diese  vollkommene  Einigung  er- 
zielt ist,  werden  voraussichtlich  auch  diejenigen  Stellen,  die  bereits  früher 
in  einigen  Punkten  abweichende  Zeichen  eingeführt  haben,  sich  diesen  Vor- 
schlägen anschliefsen. 

Archlre.  —  Das  Archiv  der  Stadt  Wien  vereinigt  zwei  grofse 
Bestände,  das  städtische  Archiv  im  eigentlichen  Sinne  und  das  des  ßürger- 
spitals.  Während  das  letztere  (iioo  Originalurkunden  vom  Jahre  1364  an, 
94  Aktenfaszikel  und  1008  Bände)  einen  durchaus  einheitlichen  Charakter 
aufweist  und  mit  dem  Jahre  1833  abgeschlossen  ist,  setzt  sich  das  erstere 
aus  verschiedenen  Beständen  zusammen  und  nimmt  fortwährend  die  von  der 
Stadt  abgeschlossenen  Verträge  dauernder  Geltung  auf.  Die  Verwaltungsakten 
vom  November  1783  an  fallen  der  sehr  mnfangreichen  Registratur  zu,  neben 
der  seit  neuester  Zeit  selbständige  Registraturen  einzelner  Abteilungen  und 
Ämter  bestehen. 

Den  Kern  der  archivalischen  Sammlung  bildeten  die  der  Stadt  erteilten 
Urkunden,  deren  älteste  allerdings  im  Jahre  1288  von  dem  ersten  habs- 
burgischen  Landesfürsten  vernichtet  worden  waren,  die  an  den  Rat  ein- 
langenden Schreiben,  die  aus  den  Bedürfnissen  der  städtischen  Verwaltung 
hervorgegangenen  Stadtbücher  und  Akten.  Damit  wurden  Jm  Laufe  der  Zeit 
Familienarchive  angesehener  Bürger-  und  Adelsgeschlechter,  welche  infolge 
von  Nachlafsabhandlungen  an  die  Stadt  kamen,  die  Archive  einzelner  Kirchen, 
Klöster  und  Kapellen,  unter  denen  namentlich  das  des  St.  Niklasklosters  vor 
dem  Stubenthore  tmd  das  der  Rathauskapelle  durch  Alter  und  Reichtum 
ihrer  Urkimden  hervorragen,  endlich  die  bei  einzelnen  städtischen  Ämtern, 
wie  der  Kanzlei,  dem  Kammeramte  und  dem  Grundbuche  befindlichen  Ur- 
kunden vereinigt,  während  die  Grundbücher  selbst  im  Jahre  1850  an  die 
staatliche  Gerichtsbehörde  ausgeliefert  werden  mufsten.  Dazu  kamen  in 
letzter  Zeit  Akten  der  von  Ksdser  Josef  IL  aufgehobenen  Wiener  Klöster, 
die  von  mehreren  Genossenschaften  tibergebenen  Zunfturkunden  und  Bücher, 
gröfsere  Reihen  von  Steuerbüchern  und  Marktprotokollen,  endlich  zahlreiche 
durch  Kauf  oder  als  Geschenk  erworbene  Archivalien. 

Zeugnisse  besonderer  Fürsorge  für  den  schon  von  Anfang  an  wertvollen 
Urkimdenvorrat  besitzen  wir  aus  den  beiden  ersten  Jahrhunderten  städtischer 
Selbständigkeit  nicht.  Doch  läfst  der  Umstand,  dafs  fast  sämdiche  landes- 
fürstlichen Rechtsbriefe  vom  Jahre  1281  an  unversehrt  erhalten  sind,  auf 
stete  Sorgfalt  bei   ihrer  Aufbewahrung   schliefsen.      Ihren   Platz  hatten    die 


—     92     — 

städtischen  Urkunden  wohl  schon  vor  der  Mitte  des  XIV.  Jahrhunderts  in 
einem  Gewölbe  des  Rathausturmes  gefunden,  in  dem  sie  bis  zum  Jahre  1865 
verblieben.  Durch  zwanzig  Jahre  war  ihoen  dann  ein  anderes  Gemach  zu- 
gewiesen, bis  sie  im  Jahre  1885  in  das  neue  Rathaus  gebracht  wurden. 
Leider  hatte  sich  der  in  dem  Bauplane  für  das  Archiv  vorgesehene  Raum 
als  ganz  unzureichend  erwiesen,  so  dafs  es  in  Räumlichkeiten  untergebracht 
werden  mufste,  welche,  nicht  für  archivalische  Zwecke  berechnet,  schwere 
Übelstände  für  die  Aufbewahrung  und  Benutzung  der  Archivalien  unvermeidlich 
erscheinen  lassen. 

Auch  der  Bearbeitung  des   archivalischen  Stoffes   hat   man   in    früherer 
Zeit  nur  geringe  Aufmerksamkeit  gewidmet.     Die   erwähnte  Vernichtung  der 
ältesten  Stadtrechtsurkunden  gab  Anlafs,  einzelne  vorher  abschreiben  zu  lassen 
(Gesch.  Wiens,   hrsgg.   vom  Wiener   Altertumsvereine  II,    55).     Energischer 
wurde  der  Versuch,  die  wichtigeren  Urkunden  durch  Abschriften  zu  sichern 
und  bequemer  benutzbar  zu  machen,  aufgenommen,  als  Herzog  Friedrich  im 
Jahre   1320  den  Wienern  die  Anlage  eines  Stadtbuches  gestattete,  das  dann 
unter  dem  Namen  des  Eisenbuches  bekannt  geworden  ist  (a.  a.  O.  S.   93). 
Doch   stockte   auch   dieses    Beginnen   nach    kurzer   Zeit.      Im   Jahre     1434 
ordnete   der  Bürgermeister  Hanns   Steger   die   Nachtragung   der  wichtigeren 
landesfUrstlichen  Urkimden   in   diesem  Stadtbuche   an,    eine  Arbeit,   welche 
unter  Leitung  des  Stadtschreibers  Ulrich  Hirssauer  durchgeführt  wurde,  dem 
wir   auch   die  Anlage    der  grofsen,   von   Kollar  und   Zeibig  veröffentlichten 
Aktensammlung    und    des    Handwerksordntmgsbuches    verdanken    (a.   a.    O. 
S.     78).      Mit    seinem    Austritte    aus    dem    Amte    nahm    aber    auch    diese 
Thätigkeit   ein  Ende.     Erst  im  Jahre   1534   unterzogen   sich   mehrere  Rats- 
herren der  Mühe,   der  stat  freihciten  und  ander   brieflich   urchunt   in   am 
registrainr  zu  ordinieren.     Das  ist  für  lange  Zeit  die  letzte  Kunde,  die  wir 
von  dem  Archive  erhalten.     Erst  um  die  Mitte  des  XVII.  Jahrhunderts  tritt 
es  wieder  aus  dem  Dunkel  hervor,   diesmal   schon  in   der  Verbindung   mit 
der  inzwischen  entstandenen  Registratur,  in  welcher  es  bis  zum  Jahre  1863 
verbleiben  sollte.    Eine  Zeit  des  Stillstandes  und  Niederganges  für  das  Archiv. 
Allerdings   haben   sich   immer  wieder   einzelne   Registraturbeamte    gefunden, 
welche   auch  dem   Archive   ihre   Teilnahme   schenkten;   was    es    an   älteren 
Repertorien  besitzt,    verdankt  es  ihrer  Bemühung,   und  einmal  schien   sogar 
die  Bestellung  eines  eigenen  Archiworstandes  in   greifbarer  Nähe,    aber   im 
allgemeinen  darf  diese  Periode  als  eine  wahre  Leidensgeschichte  des  Archives 
betrachtet  werden,   deren   Folgen   sich   bald   in   trauriger   Weise   bemerkbar 
machten.    Der  wissenschafdichen  Benutzung  fast  ganz  verschlossen,  was  einen 
recht  niederen  Stand   stadtgeschichtlicher  Arbeiten   bedingte,   wurde   es  wie 
jedes  abgesperrte  Archiv  durch  schwere  Verluste  heimgesucht,  war  es  aufser 
Stande,  die  bei  einzelnen  Ämtern  befindlichen  Bücher  imd  Akten  aufzunehmen. 
Auf  diesem  Wege  gingen  jene  grofse  Aktensammlung  des  XV.  Jahrhunderts, 
die  Steueranschläge  des  XV.  und  XVI.  Jahrhunderts,  die  Ratsprotokolle,  die 
Totenbeschaubücher  vor  dem  Jahre  1648,  wichtige  Urkunden,  viele  Kämmerei- 
rechnungen sowie  die  meisten  Rechnungen   des  Unterkammeramtes  und  des 
Kirchmeisteramtes  von  St.   Stephan  verloren,  Materialien  von  unersetzlichem 
Werte  gerade   für  jene  Richtungen,   in   denen   sich    die   städtegeschichtliche 
Forschung  der  Gegenwart  bewegt.     So  war  es  eine   rettende  Tbat,   als  das 


—     93     — 

Archiv  im  Jahre  1S63  von  der  R^stratur  getrenDt,  merst  mit  der  Giblioäiek 
Tcreinigt,  im  Jahre  1889  aber  auch  von  dieser  abgelöst  und  als  selbständiges 
Amt  organisiert  wurde. 

Dieser  Geschichte  des  Archivs  enspiicht  auch  die  seiner  Nutzbarmachung 
für  Wissens cbafUiche  Zwecke.  Vereinzelt  fand  eine  Benutzung  durch  Gelehrte 
schon  im  XVIII.  Jahrhundert  statt,  häufiger  wurde  sie  aber  erst  seit  den 
zwanziger  Jahren  des  XIX.,  als  Hormayr  die  Urkunden  fUr  seine  Geschichte 
Wiens  verwertete  und  im  Jahre  i8a6  Franz  Tschischka  die  Leitung  der 
Registratur  und  des  Archives  übernahm.  Wurden  durch  sie  und  andere 
Forscher  Urkunden  in  gröfserer  Zahl  bekannt  gemacht,  SteUen  aus  Rechnungen 
und  Stadtbüchem  mitgeteilt,  so  fehlte  es  doch  ua  einer  planmäfsigen,  dem  ge- 
steigerten Bedttr&isse  entsprechenden  Mitteilung  des  archtvalischen  Stoffes. 
Dazu  sollte  es  erst  im  Jahre  1879  kommen,  in  welchem  der  Gemeinderat 
auf  Vorschiff  des  damaligen  Archivdirektora  Karl  Weifs  die  Mittel  zu 
einer  grofs  angelegten  Publikation  bewilligte.  Mufs  anerkannt  werden,  dafs 
mit  diesem  Plane  das  Wiener  Stadtarchiv  den  anderen  österreichischen 
Archiven  den  Rang  ablief,  so  ist  um  so  mehr  zu  bedauern,  dafs  die  erste 
Abteilung,  deren  Bearbeitung  dem  bekannten  Rechtshistoiiker  J.  A.  Toma- 
schek  anvertraut  wurde,  weit  hinter  den  eintächsten  Anforderungen  lurück- 
blieb,  welche  man  an  derartige  Veräffendichungen  hinsichtlich  der  Auswahl 
der  besten  Vodagen  und  der  Genauigkeit  ihrer  Wiedeigabe  zu  stellen  be- 
rechtigt ist.  Dieser  Mifserfo^  begründete  die  Notwendigkeit,  vorerst  über 
den  gesamten  Urkundeobestand  genauen  Überblick  zu  gewinnen,  und  dem- 
entsprechend wurden  nach  der  Ablösung  des  Archives  von  der  Bibliothek 
die  darauf  abzielenden  Arbeiten  eingeleitet,  als  deren  Ergebnis  zunächst  ein 
VemeitAnie  der  Origwalurkutulen  in  Form  ausführlicher,  zeidich  geordneter 
Resten  veröffentlicht  wurde,  von  dem  bisher  zwei  Bände,  enthaltend 
393»  Regesten  aus  den  Jahren   1239 — r457,  erschienen  sind. 

Darf  also  hinsichtlich  der  Bearbeitung  und  Nutzbarmachung  des  archi- 
valischen  Stoffes  von  einem  Fortschritte  gesprochen  werden,  so  bleiben  doch 
zwei  Fragen  offen,  welche  ungelöst  eine  schwere  Hemmung  für  die  gedeih- 
liche Entwickelung  des  städtischen  Archives  bedeuten,  die  Ixtkal-  und  die 
Personalfrage.  Als  sehr  wünschenswert  mufs  auch  die  Herannahe  von  Archiv- 
mitteilnngen  beieichnet  werden,  für  die  es  an  reichem  Stoffe  nicht  fehlen 
wUrde.  Es  darf  der  Hoffnung  Ausdruck  verliehen  werden,  dafs  in  diesen 
und  anderen  Fr^en  durch  die  stets  in  hochherziger  Weise  bethätigte  Anteil- 
nahme der  Gemeindeverwaltung  an  allen  die  Geschichte  der  Stadt  betreffenden 
Angelegenheiten  eine  zweckentsprechende  Lösung  erzielt  werden  wird. 

Von  neueren  Publikationen  des  archivalischen  Materials  sind  aniußlhren ; 
Die  Rechte  und  Freiheilen  der  Stadt  Wien.  Bearbeitet  von  J.  A.  Toma- 
Bchek.  2  Bde.  Wien,  r877,  1879  {Oe»ehi<AtsqveUen  der  Stadt  Wien, 
hrsgg.  im  Auftrage  des  Gemeindeiates  von  Karl  WeiJs.  I.  Abteilung)  und 
Urkunden  und  Begeeten  aus  dem  Arekive  der  k.  k.  I&ickekaupt-  und  Reaidensi- 
Btadt  Wien.  Hrsgg.  von  Karl  Ublirz.  I,  II,  (taSg  — 1619),  im  Jahr- 
buche der  Kunstsammlungen  des  Ah.  Kaiserhauses  XVI  (1895)  bis  XVIII 
(1897}  berücksichtigt  vornehmlich  die  auf  die  Geschiebte  der  Kunst  und 
des  Kunstgewerbes  bezliglicben  Stellen.  —  Verxeiehnis  der  Or'~' — ' — ' — ■*-" 
dee  stildtiMhei*  Amhivea.    Bearbeitet  von  Karl  Ublirz.    Bd.  I 


—     94     — 

Wien  1898;  Bd.  II  (1412 — 1457)1  1900.  (=  Quellen  zur  OesMMe  der 
Stadt  Wien,  Hrsgg.  mit  UnterstützuDg  des  Gemeinderates  vom  Alterttims- 
vereine  zu  Wien.  IL  Abteilung.)  Die  Rechnungen  des  Kirchmeisieramles 
von  SL  Stephan,  Auf  Kosten  der  Gemeinde  hrsgg.  von  Karl  Uhlirz.  L  Ab- 
teilung, Wien  1901.  Die  älteren  Handschriften  sind  in  der  Einleitung  zu  den 
vorerwähnten  Urkunden  und  Regesten  (Jahrbuch  der  kais.  Kunstsamml.  XVL 
und  XVII.  Bd.)  beschrieben.  Zahlreiche  Faksimile  aus  Handschriften  und 
Urkunden  des  städtischen  Archives  finden  sich  in  der  von  dem  Altertums- 
vereine  herausgegebenen  Geschichte  Wiens  (I.  Bd.  1897.  IL  Bd.  EIrste 
Hälfte  1900). 

Die  vorläufig  nachweisbaren  Belege  zur  Geschichte  des  Stadtarchives 
sind  in  der  Einleitung  zu  dem  ersten  Bande  des  Verzeichnisses  der  Original- 
urkunden zusammengestellt  Eine  Übet  sieht  über  die  Bestände  wurde  in 
dem  städtischen  Verwaltungsberichte  für  die  Jahre  1889 — 1893,  S.  629  fif. 
beigebracht.  Hier  wie  in  den  folgenden  Verwaltungsberichten,  welche  seit 
dem  Jahre  1897  alljährlich  ausgegeben  werden,  sind  Übersichten  über  den 
Fortgang  der  Ordnungsarbeiten  und  die  Benutzung  sowie  Verzeichnisse  der 
neu  erworbenen  Archivalien  zu  finden. 

Personallen.  —  Am  22.  Oktober  d.  J.  starb  zu  Ulm,  86  Jahre  alt, 
Gustav  Veesenmeyer,  ein  merkwürdiger  Mensch  und  eifriger  Geschichts- 
und Altertumsforscher.  Er  war  ein  Mann  von  staunenswerter  Vielseitigkeit 
des  Wissens  und  Strebens:  er  hat  in  Tübingen,  Halle  und  Heidelberg  das 
Studium  der  Theologie  und  der  Medizin  mit  sehr  gutem  Erfolge  absolviert, 
ist  einige  Zeit  im  württ.  Kirchendienst  gestanden,  hat  dann  in  England  und 
Irland  und  später  als  Hausarzt  des  russischen  Fürsten  Chowanski  in 
dessen  Familie  und  bei  den  Kirgisen  am  kaspischen  Meere  die  ärztliche 
Praxis  ausgeübt  und  ist  schliefslich  in  seine  Vaterstadt  Ulm  zurückgekehrt, 
um  als  Lehrer  an  der  Realschule  seine  ausgebreiteten  naturwissenschaftlichen 
imd  sprachlichen  Keimtnisse  zu  verwerten.  Recht  eigentlich  zu  Hause  fühlte 
er  sich  aber  auf  dem  Boden  der  Geschichte  Ulms.  Obwohl  18 14  als 
württemb.  Unterthan  geboren,  war  er  doch,  wie  sein  Vater,  der  im  Jahre 
1833  verstorbene,  den  Kirchenhistorikem  als  Kenner  der  Ulmer  Reformations- 
geschichte wohl  bekannte  Dr.  theol.  Georg  V.,  im  Grunde  seines  Herzens 
ein  Reichsstädter  und  versenkte  sich,  zumal  in  seinen  späteren  Jahren,  ganz 
in  die  grofse  Zeit  der  altberühmten  Reichsstadt,  die  er  nach  allen  Richtungen 
durchforschte.  Aus  seiner  vielseitigen  —  auch  naturwissenschaftlichen  imd 
pädagogischen  —  litterarischen  Thätigkeit  sei  hier  nur  die  Herausgabe  des 
tractaius  de  civiiale  Ulmensi  des  Felix  Fabri*)  (Stuttg.  litt  Verein, 
Bd.   186,  Tüb.   1889),  die  der  Chronik  des  Sebastian  Fischer*)  (Mit- 

i)  Frater  Felix  Fabri,  Predigerordens,  geb.  1441 ,  gesL  1502,  schrieb  am  1490  als 
eine  Art  Anhang  tu  seinem  Evagatorium  in  terram  sanctam  (Stattgart  Litt.  Verein, 
Bd.  I,  2  and  12,  1843  and  1849)  den  Tractaius  de  dvüaie  Ulmensi^  de  eius  origine^ 
regimine^  de  civihus  eius  et  statu^  also  eine  Beschreibang  der  Stadt  Ulm  am  Ende  des 
XV.  Jahrhunderts. 

2)  Sebastian  Fischer,  ein  Schuhmacher,  geb.  1513,  zeichnete  allerhand  Merkwürdiges, 
das  ihm  bei  seiner  aasgebreiteten  Lektüre  aufstiefs,  sowie  eigene  Erlebnisse  auf;  seine 
Chronik  ist  für  Ulms  Geschichte  im  XVL  Jahrh.  von  Wert  and  erfreut  durch  naiven  Homer, 
läist  sich  also  in  mancher  Hinsicht  mit  dem  Kölner  Buch   Weinsherg  vergleichen. 


—     95     — 

teüungen  des  Ulmer  Altertumsvereins,  Heft  5/8,  Ulm  1896)  und  des  Ul- 
mischen  Urkundenbuchs  zweiter  Band  (Ulm,  G.  Kerler  1898  und  1900)  hervor- 
gehoben. 


Am  18.  November  1901  starb  in  Landshut  der  kgl.  bairische  Kreis- 
arcbivar  Josef  Edmund  Jörg»  fast  82  Jahre  alt  (geb.  23.  Dezember 
1819).  Als  Herausgeber  der  Historisch- politischen  Blälier  (seit  1852) 
und  auch  sonst  als  Schriftsteller  hat  er  sich  viel  mit  der  Gegenwarts- 
geschichte beschäftigt:  1857  erschien  sebe  zweibändige  Oeschichte  des 
Protestantismus,  1860  folgte  DU  neue  Ära  in  Preufsen,  1867  die 
Oeschichte  der  soxieUpolitischen  Parteien  in  Deutschland,  Anfangs  hatte  er 
Theologie  studiert,  diese  aber  bald  mit  der  Geschichte  vertauscht;  als  Hilfsr 
arbeiter  DöUingers  hat  er  an  dessen  historischen  Arbeiten  einen  gewissen 
Anteil.  Seit  1852  stand  Jörg  im  kgl.  bairischen  Archivdienst,  zuerst  in 
München  und  Neuburg  a.  D.  (1858  bis  1866),  bis  er  im  September  1866 
zum  Vorstand  des  Kreisarchivs  für  Niederbaiem  in  Landshut  imd  Kustos 
des  Schlosses  Trausnitz  berufen  wurde.  Seine  geschichtlichen  Arbeiten,  die 
nicht  wie  die  schon  genannten  ab  Früchte  seiner  politischen  Wirksamkeit  zu 
betrachten  sind  —  er  war  als  Politiker  einer  der  Vorkämpfer  für  ßaiems 
Selbständigkeit  vor  und  nach  der  Reichsgründung,  als  Landtagsabgeordneter 
(seit  1865  und  blieb  es  bis  1881)  Führer  der  bairischen  „Patriotenpartei**, 
1871  bis  1878  gehörte  er  auch  der  Zentrumsfraktion  des  Reichstags  an — , 
beschäftigen  sich  mit  der  sozialen  Revolution  des  XVI.  Jahrhunderts :  schon 
1850  erschien  seine  Oeschichte  des  Bauernkriegs,  185 1  folgte  Deutschland 
in  der  Revolutionsperiode  1522  bis  1526  und  gerade  ein  halbes  Jahrhundert 
nach  der  ersten  Studie  gab  er  1900  eine  Neubearbeitung  heraus,  die  Oeschichte 
des  Bauernkriegs  1522  bis  1526,  In  seinem  Urteil  über  die  soziale  Revo- 
lution des  XVI.  Jahrhunderts  nimmt  er  im  ganzen  denselben  Standpunkt  ein, 
wie  später  Janssen.  Die  soziale  Bewegung  erscheint  ihm  wesentlich  als  die 
verhängnisvolle  Frucht  der  religiösen.  Er  geht  soweit,  die  Revolution  geradezu 
als  das  Werk  der  Reformatoren  zu  bezeichnen,  eine  Ansicht,  die,  wenn  auch 
nicht  ohne  berechtigten  Kern,  in  dieser  Form  doch  stark  übertrieben  ist. 
Wird  aber  auch  das  historische  Urteil  Jörgs  durch  eine  gewisse  Einseitigkeit 
getrübt,  so  werden  seine  Werke  doch  des  reichen,  darin  verarbeiteten 
Materials  wegen  für  den  Forscher  stets  eine  tmentbehrliche  Fundgrube  bleiben. 

Eingegangene  BUeher. 

Analecta  ßoUandiana  tomus  XX.  Fase.  III.    Bruxelles  1901.    288  S.    8«. 

Ausfeld,  E. :  Die  Anfange  des  Klosters  Fraulautem  bei  Saarlouis.  [=  Jahr- 
buch der  Gesellschaft  für  lothringische  Geschichte  imd  Altertumskunde. 
12.  Jahrgang  (1900),  Metz,  S.   i — 60.] 

Bericht  über  den  ersten  Verbandstag  der  west-  und  süddeutschen  Vereine 
für  römisch-germanische  Altertumsforschung  zu  Trier  am  11.  und  12.  April 
1901.     Trier,  Jacob  Lintz,  1901.     66  S.    8^ 

Bon  dam,  A.  C.:  Jaarverslag  met  verslag  der  aanwinsten,  en  verdere  bijlagen 
betreffende  *s  rijksoud-en  nieuwprovinciaal  archief  te  VHertogenbosch  in 
1900.     52  S.    8^ 


—     96     — 

Derselbe:  Verslag  omtrent  de  oude  gemeente-eii  waterschaps-archieven  in 
Noordbrabant,  iii^ebracht  aan  de  gedeputeerde  staten  dier  provinae« 
's-Hertogenbosch  april  1901.     29  S.    8®. 

Cahn,  Julius:  Der  Rappenmünzbund,  eine  Studie  zur  Münz-  und  Geld- 
geschichte des  oberen  Rheintbales.  Heidelberg,  Carl  Winter,  1901, 
218  S.    8».     M.  7. 

Duncker,  Ludwig:  Fürst  Rudolf  der  Tapfere  von  Anhalt  und  der  Krieg 
gegen  Herzog  Karl  von  Geldern  (1507 — 8).  [=  Mitteilungen  des 
Vereins  dir  Anhaltische  Geschichte  und  Altertumskunde,  9.  Bd.,  (Dessau, 
1901),  S.  97  — 182.] 

Egli,  £. :  Laurenz  Bofshart,  der  Winterdiurer  Chronist  [=  Zwingliana, 
Mitteilungen  zur  Geschichte  Zwingiis  und  der  Reformation,  herausgegeben 
von  der  Vereinigung  fiir   das  Zwinglimuseum   in  Zürich,    1897,   Nr.   3, 

S.  35—37-] 

Erben,  Wilhelm:  Noch  einige  Worte  über  Fringia,  Genoa  und  Sichel- 
marke. [=  Zeitschrift  für  historische  Waffenkimde,  11,  Bd.,  Heft  7, 
S.  270 — 276.] 

Feldmann,  Wilhelm:  Theater  in  Saarbrücken.  [==  Mitteihmgen  det 
Historischen  Vereins  für  die  Saargegend,  Heft  8  (1901).     S.  57 — 63.]. 

Festgabe  des  Kirchengeschichtlichen  Vereins  fiir  das  Erzbistiun  Freiburg 
zur  Generalversammlung  des  Gesamtvereins  der  deutschen  Geschichts- 
und Altertumsvereine  zu  Freiburg  i.  B.  1901.  [=  Freiburger  Diöcesan* 
Archiv,  Neue  Folge  2.  Bd.,  der  ganzen  Reihe  29.  Bd.]  Freiburg,  Herder, 
1901.     255  S.    8<>. 

Giannoni,  C. :  Der  historische  Atlas  der  österreichischen  Alpenländer  und 
die  Grundkarten.  [=  Vierteljahrshefte  fiir  den  geographischen  Untei^ 
rieht,  1901,  S.   17-^30.] 

Grimme,  F.:  Die  reichsumnittelbaren  Herren  im  Gebiete  des  heutigen 
Lothringen  und  ihre  Schicksale  in  den  Jahren  1789  — 1815.  [=  Jahr- 
buch der  Gesellschaft  fiir  lothringische  Geschichte  und  Altertumskunde. 
12.  Jahrgang  (1900),  S.  242—323.] 

Hansen,  Joseph:  Quellen  und  Untersuchungen  zur  Geschichte  des  Hexen- 
wahns und  der  Hexenvcrfolgung  im  Mittelalter.  Bonn,  Karl  Georgi, 
1901.     703  S.    8^ 

Haag,  Karl:  Über  Mundartengeographie.  [=  Zeitschrift  der  Gesellschaft  für 
Beförderung  der  Geschichts-,  Altertums-  und  Volkskunde  von  Frciburg^ 
dem  Breisgau  und  den  angrenzenden  Landschaften,  herausgegeben  von 
Friedrich  Pf  äff,  17.  Band.  (==  Alemannia  N.  F.  2J.  Freiburg  i.  B., 
Ernst  Fehsenfeid,   1901.     S.  228 — 246.] 

Heigel,  K.  Th.  von:  Graf  Otto  von  Bray-Steinburg,  Denkwürdigkeiten  aus 
seinem  Leben.     Leipzig,  S.  Hirzel,   1901.     208  S.    8^     M.  4. 

Heimatkunde  fiir  das  Gymnasium  Augustum  der  Stadt  Görlitz.  Erster 
Teil:  Allgemeines.     Görlitz  1901.      135  S.    8®. 

H  e  n  s  c  h  e  1 ,  Adolf:  Dr.  Johannes  Hefs,  der  Breslauer  Reformator.  [=  Schriften 
fiir  das  deutsche  Volk,  herausgegeben  vom  Verein  fiir  Reformations* 
geschichte  XXX VU.]     Halle  a.  S.,  Max  Niemeyer,  1901.     26  S.    lö». 

H«fmiugeb«r  Dr.  Anma  Tille  in  Leipslg.  —  Druck  und  Verlng  von  Friedrich  Andreu  Perthes  in  Gotha. 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatssclirift 


mr 


Förderung  der  landesgescMchtlichen  Forschung 

in.  Band  Januar  1902  4.  Heft 


Historische  Topographie  mit  besonderer 
Berücksichtigung  Hioderösterreiehs ') 

Von 
Max  Vancsa  (Wien) 

In  der  epochemachenden  Germanistenversammlung  zu  Frankfurt  am 
Main  im  Jahre  1846  wurde  unter  den  zahlreichen  anderen  fruchtbaren 
Anregungen  auch  ein  Antrag  des  bekannten  Hamburger  Stadtarchivars 
Lappenberg  auf  Herstellung  eines  historischen  Ortsverzeichnisses 
Deutschlands  angenommen.  Es  sollte  sich  nicht  nur  auf  die  besie- 
delten örtlichkeiten,  sondern  auch  auf  ödungen,  sowie  auf  Berge, 
Wälder,  Flüsse  u.  s.  w.  erstrecken,  die  älteste  und  alle  davon  wesent- 
lich abweichenden  Namensformen  bis  etwa  zum  Jahre  1500  enthalten 
und  aufserdem  Angaben  über  Ortsaltertümer,  über  die  Errichtung  der 
Pfarren,  Erteilung  des  Markt-  oder  Stadtrechtes  u.  dgl.  und  über  dort 
ansässige  hervorragende  Familien  bieten.  Lokalgeschichte  und  Orts- 
namensetymologie sollten  jedoch  wegfallen.  Schon  damals  war  man 
{Landau)  davon  überzeugt,  dafs  die  Arbeit  zunächst  territorial  getrennt 
gelöst  werden  müsse,  und  es  wurde  in  diesem  Sinne  ein  Aufruf  an  die 
historischen  Vereine  Deutschlands  erlassen.  Nach  Auflösung  des  allge- 
meinen Geschichtsvereins  war  jedoch  die  ganze  Angel^enheit  völlig 
ins  Stocken  geraten.  Man  mufste  froh  sein,  im  Jahre  1883  in  öster- 
leys  „Historisch -geographischen  Wörterbuch  des  deutschen  Mittel- 
alters'* durch  den  Fleifs  eines  Einzelforschers  ein  kleines  Handbuch 
zu  erhalten,  welches,  obwohl  mit  wenigen  Angaben  und  nur  einen  ver- 
schwindenden Bruchteil  von  Ortsnamen  verzeichnend,  für  jeden  Histo- 
riker unentbehrlich  geworden  ist. 

Erst  auf  dem  Historikertag   des  Jahres    1896   zu  Innsbruck   hat 


i)  Dieser  Aufsatz  hat  lediglich  zusammenfassende  Werke  im  Auge,  nicht  aber  topo* 
graphische  Einxelarbeiten. 

7 


—     98     — 

Prof.  Heigel  aus  München  unter  anderen  Desiderien  auch  Lappen- 
bergs Antrag  wieder  in  Anregung  gebracht  *)  und  nunmehr  wiurde  die 
Sache  von  dem  Gesamtvereine  der  deutschen  Geschichts-  und  Alter- 
tumsvereine kräftig  in  die  Hand  genommen.  In  der  Generalveisamm- 
lung  zu  Strafsburg  Ende  September  1899  wurde  auf  Antrag  des  Archiv- 
direktors Wolfram  (Metz)  eine  diesbezügliche  Resolution  angenommen 
und  eine  Kommission,  bestehend  aus  den  Herren  Dr.  Bloch  (Strais- 
burg),  Reimer  (Marburg)  und  dem  Antragsteller,  zur  Ausarbeitung 
eines  einheitlichen  Schemas  eingesetzt  *) ,  welche  sodann  bereits  auf 
der  nächsten  Generalversammltmg  zu  Dresden  jenen  Plan  vorlegte, 
der  im  dritten  Hefte  des  zweiten  Bandes  dieser  Zeitschrift  (S.  92)  mit- 
geteilt wurde. 

Übrigens  hatte  man  bis  dahin  keineswegs  vollständig  und  aller- 
orten dieses  wichtigen  Hilfsmittels  eines  topographischen  Wörterbuches 
entbehrt.  Vor  allem  konnte  Württemberg  auf  die  64  Bände  seiner 
Oberamtsbeschreibimgen,  welche  vom  Jahre  1824  bis  1886  erschienen 
sind,  hinweisen.  Es  sind  dies  umfangreiche  mit  topographischen  Ab- 
bildungen, Karten  und  Plänen  ausgestattete  Monographieen  der  poli- 
tischen Bezirke  (Oberämter),  von  denen  jede  in  einem  allgemeinen 
Teil  über  „Lage  und  Umfang,  natürliche  Beschaffenheit,  Einwohner, 
Wohnorte,  Nahrungszustände  (Wirtschaftsbetriebe),  gesellschaftliche  Zu- 
stände (auch  Behördenwesen  u.  dgl.),  über  die  Geschichte  imd  die 
Altertümer"  des  Oberamtes  Aufschlufs  giebt,  woran  sich  eine  spe- 
zielle alphabetische  Ortskunde  angliedert,  bei  welcher  nur  die  Weiler 
und  Einzelgehöfte  zusammen  mit  der  betreifenden  Gemeinde  behandelt 
sind.  Nach  Beendigung  des  Gesamtwerkes  wurde  mit  der  Ausgabe 
einer  Neubearbeitung  begonnen,  von  welcher  bisher  (bis  1900)  fünf 
Bände  erschienen  sind.  Die  Einteilung  ist  geblieben,  nur  lauten  die  Ab- 
schnitte jetzt  etwas  klarer  und  modernisierter :  „  Natürliche  Verhältnisse, 
Bevölkerung,  Erwerbs-  und  Wirtschaftsverhältnisse,  öffentliche  Ver- 
hältnisse, Geschichte  und  Altertümer.**  —  Dieses  Werk  ist  das  um- 
fangreichste und  detaillierteste  unter  allen  derartigen  Unternehmungen 
in  Deutschland.  Die  meisten  anderen  und  auch  die  vom  Gesamt- 
verein angeregten  wollen  nur  knappgefafste  Handbücher  bieten. 

Vorbildlich  wurde  Frankreich  mit  seinem  Dictionaire  topo- 
graphtque  de  la  France ,   welcher  einerseits  nach  einzelnen  Departe- 


i)  Bericht  über  die  vierte  Versammlung  deaUcher  Historiker  zu  Innsbruck  1896 
(Leipzig  1897),  S.  4g,  Bericht  über  die  vierte  Sitzung. 

2)  Korrespondenzbl.  des  Gesarotvereines  der  deutschen  Geschichts-  und  Altertums- 
vereine, 48.  Jahrg.  (1900),  S.  78. 


—     99     — 

ments  geordnet  die  Örtlichkeiten  mit  ihren  urkundlich  nachweisbaren 
Namensformen,  andrerseits  diese  Namensformen  mit  Rückverweis  auf  die 
ihnen  heute  entsprechenden  Örtlichkeiten  verzeichnet.  Einen  Band  dieses 
Werkes  bildet  auch  das  Topographische  Wörterbuch  des  Ober^Elsa/s 
von  G.Stoffel  (2. Aufl.,  Mühlhausen  1876),  welches  wieder  die  Badische 
historische  Kommission  im  November  1885  zur  Herausgabe  eines  Topo^ 
graphischen  Wörterbuches  des  Gro/sherzogtums  Baden  anregte,  mit 
dessen  Ausarbeitung  Albert  Krieger  beauftragt  wurde.  Dieser  er- 
weiterte während  der  Arbeit  den  ursprünglichen  Plan  durch  Aufnahme 
von  Angaben  über  adelige  Geschlechter,  Burgen,  Kirchen  und  Klöster 
mit  urkundlichen  Belegstellen  ganz  wesentlich  ^).  Das  Werk  gelangte 
im  Jahre  1898  in  einem  stattlichen  Bande  zur  Ausgabe. 

Im  Jahre  1895  wurde  mit  der  Veröffentlichung  eines  Historisch-- 
tapographischen  Wörterbuches  des  Elsafs,  bearbeitet  von  Josef 
Clauss,  begonnen,  von  welchem  bisher  acht  Lieferungen  vorliegen. 
Es  kommt  den  Forderungen  des  Gesamtvereines  der  Geschichtsvereine 
sehr  nahe.  Die  Artikel  sind  in  deutlich  hervorgehobene  Abschnitte 
zerlegt,  innerhalb  welcher  die  Darstellung  eine  zusammenhängende  ist. 
Die  Herausgabe  einer  Historisch  -  topographischen  Beschreibung  der 
Oberpüalz  von  Josef  Plass,  welche  in  27  Foliobänden  im  Kassia- 
neum  zu  Donauwörth  handschriftlich  aufbewahrt  ist,  soll  bevorstehen  *). 

Nach  den  Beschlüssen  des  Gesamtvereines  der  deutschen  Ge- 
schichts-  und  Altertumsvereine  wurden  sodann  von  der  historischen 
Kommission  fiir  Hessen  und  Waldeck  Vorarbeiten  zu  einem  historisch- 
topographischen Wörterbuch  für  Hessen  in  Angriff  genommen,  mit 
welchen  Archivrat  Reimer  betraut  ist ') ,  und  auch  in  Sachsen 
bereitet  sich  Ahnliches  vor*). 

Das  allen  diesen  bisherigen  Publikationen  und  den  weiteren  Be- 
strebungen in  Deutschland  Gemeinsame  ist,  da(s  man  den  Cha- 
rakter eines  lexikalischen  Handbuches  für  den  Historiker  oder  Ge- 
schichtsfreund von  möglichst  geringem  Umfang  wahren  wül.  Eine 
eigentliche  Darstellung    ist   meistens   ausgeschlossen;   die  Daten   sind 

i)  Krieger  gab  darüber  ausführlich  Bericht  im  „ KorrespoDdenzbl.  des  Gesamtvereines 
der  deutschen  Geschichls-  und  Altertunsvereine",  48.  Jahrg.  (1900),  Nr.  9. 

2)  So  nach  der  Mitteilung  in  dieser  Zeitsclirift  II,  264. 

3)  Vgl.  3.  und  4.  Jahresbericht  der  hist.  Kommission  f.  Hessen  und  Waldeck  vom 
Mai  1901  (S.  5  1.  6)  und  Mai  1901  (S.  5). 

4)  Beschorner:  Stand  und  Aufgaben  der  historischen  Topographie  in  Sachsen  (Neues 
Archiv  für  sächsische  Geschichten.  Altertumskunde  XXI  (1900),  S.  138  bis  159,  welcher  Auf- 
satz zugleich  über  den  gesamten  Stand  der  topographischen  Forschung  in  Deutschland 
orientiert. 

7» 


—     100     — 

knapp  und  übersichtlich  aneinander  gereiht.  Auch  ist  die  Bearbeitung 
in  den  überwiegenden  Fällen  einem  einzigen  Forscher  übertragen,  was 
gewife  für  die  einheitliche  Durchfuhrung  manchen  Vorteil  bietet  *). 

Auffallend  ist  es,  dafs  man  das,  was  bisher  in  Österreich  auf 
diesem  Gebiete  geschaffen  wurde ,  gänzlich  aufser  acht  liefs ,  wie  ich 
es  denn  überhaupt  für  sehr  bedauerlich  halte,  dafs  der  mehrfach  ge- 
nannte Gesamtverein  der  deutschen  Geschichts-  und  Altertumsvereine 
bisher  unter  den  entsprechenden  Vereinen  Österreichs  nur  wenig  An- 
hänger gefunden  hat  *).  Gerade  in  Österreich  ist  auf  dem  Gebiete 
der  historischen  Topographie  seit  Generationen  so  Bedeutendes  ge- 
leistet worden,  dafs  ich  glaube,  einem  allgemeinen  Interesse  zu  be- 
gegnen, wenn  ich  die  Aufmerksamkeit  auch  der  Gelehrtenwelt  Deutsch- 
lands darauf  lenke.  Wenn  ich  mich  speziell  eingehender  mit  Nieder- 
österreich befasse,  so  geschieht  es  nicht  nur  deshalb,  weil  ich  hier 
den  besten  Einblick  gewonnen  habe  und  an  den  topographischen  Ar- 
beiten selbst  hervorragend  beteiligt  bin,  sondern  weil  gewifs  das  alte 
Stammland  der  Monarchie  die  meiste  Beachtung  beanspruchen  darf  und 
weil  gerade  hier  sich  eine  ganz  eigenartige  weit  zurückgehende  Ent- 
wickelung  zeigt  *). 

Da  hier  die  Tradition  niemals  ganz  abgebrochen  ist,  kann  man 
getrost  auf  die  ersten  Anfange  des  topographischen  Interesses  im 
XVII.  Jahrhundert  zurückgreifen,  wo  der  Reiseschriftsteller  Martin 
Zeiller  ^)  ein  fast  ganz  Mitteleuropa  umfassendes  grofses  Bilderwerk 
herausgab,  zu  welchem  er  die  kurzen  meist  historischen  Bildertexte, 
Matthäus  Merian  der  Ältere  jedoch  die  schönen  Kupferstiche 
lieferte  und  allein  als  Herausgeber  auf  dem  Titelblatte  genannt  ist, 
weshalb  es  auch  meist  unter  dem  Namen  des  letzteren  geht.  Es 
führte  bereits   den  Titel  Topographia  tmd  will   die  hervorragendsten 

i)  Nur  die  „Bavaria.  Landes-  und  Volkskunde  des  Königreichs  Bayern"  (Miincheo 
1860 — 1868)  ist  eine  systematische  Topographie,  bestehend  ans  einer  Reihe  landeskund- 
licher Monographieen,  wobei  die  spezielle  Ortskunde  nur  in  zweiter  Linie  berücksichtigt  ist 

2)  Es  sind  gegenwärtig  nur  5  österreichische  Vereine  darin  vertreten,  nämlich  der 
Verein  für  Geschichte  der  Deutschen  in  Böhmen  und  der  Verein  fUr  Siebenbürgische 
Landeskunde  (beide  seit  längerer  Zeit),  der  heraldische  Verein  „Rother  Adler"  in  Wien 
(seit  1896),  der  Steiermarkische  Geschichtsverein  (seit  1899)  und  der  Verein  für  Eger- 
länder  Volkskunde  (seit  1901).    Hoffentlich  folgen  recht  viele  andere  bald  nach.!! 

3)  Einen  Oberblick  über  die  älteren  topographischen  Arbeiten  in  Niederösterreich 
gab  zuerst  Becker  (Mitteilungen  der  k.  k.  geographischen  Gesellschaft  in  Wien  VII 
[1863],  6.  Abh.,  S.  63),  dann  Anton  Mayer  in  dem  Abschnitt  über  die  geistige  Kultur 
im  ersten  Band  der  Topographie  von  Niederösterreich,  S.  555,  und  wesentlich  erweitert 
in  seiner  Gesch.  der  geistigen  Kultur  in  Niederösterreich  I  (Wien  1878),  S.  279. 

4)  Er  stammt  aus  Obersteiermark,  geboren  am  17.  April  1589  zu  Räuthen  bei  Murau. 


—     101     — 

Städte  und  Burgen  zur  Anschauung'  bringen.  Der  auf  Österreich  be* 
zügliche  Teil  erschien  1649  (in  zweiter  Auflage  1656)  als  Topographia 
provinctaruM  Austriacarum  Atistriae,  Illyriae,  Carinthtae,  Car^- 
niolae,  Tyrolts  etc.  (mit  deutschem  Untertitel)  *). 

Die  damals  noch  mächtigen  und  wohlhabenden  Landstände  der 
österreichischen  Länder  brachten  den  topographischen  Landaufnahmen 
das  gröfste  Interesse  entgegen,  und  die  Anregung,  welche  das  Zeiller* 
Meriansche  Werk  bot,  begegpiete  sich  mit  ihren  langjährigen  karte« 
graphischen  Bestrebungen.  Man  hatte  auch  das  seltene  Glück  in  dem 
Pfarrer  von  Leonstein  in  Oberösterreich,  Georg  Matthäus  Vischer, 
einem  gebürtigen  Tirolq|r;  den  richtigen  Mann  für  eine  solche  Arbeit 
zu  finden ').  Zuerst  im  Auftrag  und  mit  Unterstützung  der  oberöster» 
reichischen,  dann  der  niederösterreichischen  und  steierischen  Stände 
schuf  er  drei  groise  Kartenwerke  und  gewissermafsen  als  Ergänzungen 
dazu  drei  Sammlungen  von  Abbildungen  der  Städte,  Klöster  und 
Schlösser,  welche  ebenfalls  den  Titel  Topographia  führten  (und  zwar 
Austriae  inferioris  1672,  supertoris  1674,  Styriae  1681),  jedoch  im 
Gegensatz  zu  Merian  ohne  Text. 

Ähnlichkeit  mit  den  Zeillerschen  Ortsbeschreibungen  und  ihrer 
Anlage,  jedoch  ohne  AbbUdungen,  im  wesentlichen  nur  als  Erläute- 
rungen zu  beigegebenen  Karten  gedacht ,  haben  die  Werke  von 
Reiffenstuel,  Germania  Austriaca  seu  Topographia  Austriae, 
Styriae  etc.  (Wien  1701)  und  Granelli,  Germania  Austriaca  (Wien 
1752,  zweite  Auflage  von  Brabeck  1759),  sowie  Insprugger,  Austria 
mappis  geographicis  distincta  (Wien  1727),  welche  auch  schon  im 
Titel  die  Anlehnung  zeigen.  Sie  enthalten  übrigens  von  jedem  Lande, 
ebenso  wie  Zeiller-Merian,  nur  einige  hervorragende  Orte.  Auch  ver- 
hinderte der  Umstand,  dafis  sie  in  lateinischer  Sprache  verfafst  waren, 
ihre  weitere  Verbreitung  und  allgemeinere  praktische  Benutzung. 

Vollzähliger,  aber  mit  Ausnahme  einiger  ganz  weniger  gelegent- 
licher Daten  ohne  weitere  Angaben,   also  im  wesentlichen  nur  einem 


1)  Die  beiden  raerkwärdigen  MSnner  haben  noch  keine  eingehende  biographische 
WttrdigQDg  gefunden.  V^.  ttber  sie  die  Artikel  in  der  Allg.  deutsch.  Biographie  XXI 
(Wessdj)  und  XLIV  (Waldberg).  Über  Merian  auch  noch  Reichenspergers  Einleitung  xa 
Stets,  Mittelalter!.  Bauwerke  nach  Merian  (Köln  1856). 

2)  Eine  gründliche  Monographie  über  Vischer  lieferte  Feil  (Ber.  u.  Mitteilungen  des 
Altertnmsfereins  in  Wien  II  [1857],  &  7  ff.).  Siehe  auch  Pamer  im  13.  Programm  des 
Staatsg]rmnasinms  zu  Mitterburg  1886;  Zahn,  Visdier  und  sein  Wirken  in  SteiermaAc 
(Mitt  d.  hist.  Ver.  f.  Steiermaric,  34.,  29.,  30.  Hit.).  Altinge r,  Über  Vischert  letzte 
Lebensjahre  (Mitt.  d.  geogr.  Gesellsch.  XLI  [1898],  S.  380). 


—     102     — 

Ortsverzeichnis  gleichkommend  sind  die  topographischen  Abschnitte 
in  Fuhrmanns  Alt-  und  Neuösterreich  17 ZA  (I»  264)  und  in 
de  Lucas'  Geographischem  Handbuch  I  (1790). 

Sie  wurden  weit  überholt  durch  den  im  Jahre  1795  in  zwei  Bänden 
erschienenen  Topographischen  Landschematismus,  welcher  möglichste 
Vollständigkeit  anstrebte,  Angaben  über  die  Grundherrschaften,  Land- 
gerichte, Poststationenen  u.  dgl.  enthielt,  aber  rein  praktische,  keinerlei 
wissenschaftliche  Zwecke  verfolgte.  Er  fand  eine  Fortsetzung  in  dem 
Schematismus  von  Steinius  1822,  von  Gochnat  1838  und  1847, 
sowie  überhaupt  in  den  modernen  Ortsrepertorien ,  welche  die  sta- 
tistische Centralkommission  herausgiebt,  oder  in  dem  Amtskalender, 
welcher  (seit  1866)  gleichfalls  ein  Ortschaftenverzeichnis  mit  Angaben 
über  die  Gemeindevertretungen  und  Behörden  enthält.  Auch  Crusius' 
grosses  Topographisches  Postlexikon  aller  Ortschaften  der  k.  k. 
Erbländer,  welches  in  seinem  zweiten  Teile  in  vier  Bänden  auch 
Niederösterreich  behandelt  (Wien  1798 — 18 11),  wäre  mit  seiner 
stattlichen  Reihe  von  Nachfolgern  hierher  zu  zählen. 

Doch  zurück  nach  dieser  Abschweifung  zu  den  wissenschaftlichen, 
den  historischen  Topographieen.  Als  ihr  Vater  in  Niederösterreich  gilt 
wohl  mit  Recht  Friedrich  Wilhelm  Weifskern  (1711— -1768), 
nebenbei  gesagt  Schauspieler  (Humoristische  Väter !)  des  Wiener  Hof- 
theaters, von  dem  in  den  Jahren  1767 — 1770  eine  Topographie  von 
Niederösterreich  in  drei  Bänden  erschien,  welche  bereits  in  vielfacher 
Hinsicht  modernen  Anforderungen  entspricht.  Sie  strebt  möglichste 
Vollständigkeit  an,  ist  rein  alphabetisch  geordnet,  sehr  handlich  und 
giebt  au&er  der  administrativen  und  kirchlichen  Zugehörigkeit  des 
Ortes  auch  noch  historische  Daten.  In  der  That  hat  dieses  Werk 
grofee  Verbreitung  gefunden  und  wird  noch  bis  auf  den  heutigen  Tag 
allenthalben  benützt,  obwohl  es  selbstverständlich  veraltet  ist 

Noch  seien  die  Statistisch-geographische  Beschreibung  des  Erz- 
herzogtums Osterreich  unter  der  Enns  (=  i.  Band  der  „Beiträge  zur 
genauen  Kenntnis  d.  öst.  Staaten "),  Leipzig  und  Wien  1791,  von  dem 
tüchtigen  Geographen  Marx  Josef  von  Liechtenstern  und  die 
Neueste  Landeskunde  von  Niederösterreich  von  Wenzel  Karl 
Blumenbach  (eigentlich  Wabruschek),  in  einem  Bande  18 16,  er- 
weitert in  zwei  Bände  1834,  erwähnt,  obwohl  sie  mit  der  Anlage  als 
Ortslexikon  wieder  brachen  und  eine  systematische  Beschreibung  des 
Landes  bieten  wollten.  Vielleicht  war  aber  gerade  dies  der  Grund, 
warum  das  fleifsig  gearbeitete  Buch  Blumenbachs  wenig  Verbreitung 
gefunden  hat. 


—     103     — 

Sehr  wichtig-  wurde  es  jedoch,  dafs  Weifekems  Werk  für  die 
niederösterreichischen  Stände  den  Anstofe  gab,  ihre  alten  Bemühungen 
um  die  wissenschaftliche  Landaufnahme  wieder  zu  erwecken.  Aucb 
diesmal  sollte  cGe  beschreibende  und  die  kartographische  Landaufnabme 
Hand  in  Hand  gehen  *),  und  der  Staat  bewilligte  eine  ansehnliche  Unter- 
stützung. Nach  dem  prinzipiellen  Ständebeschlufs  des  Jahres  1791 
wurde  dann  ein  Plan  für  die  Topographie  ausgearbeitet,  den  ich  wegen 
seines  allgemeinen  Interesses  und  weil  er  lange  wirksam  blieb,  in 
Kürze  mitteile. 

Das  Werk  sollte  in  zwei  Teile  zerfallen,  in  einen  allgemeinen 
(Statistik)  und  einen  speziellen  (Ortskunde).  Der  erstere  sollte 
enthalten:  i.  Litteratur,  2.  Namen,  3.  Lage,  Grenze,  Flächeninhalt, 
4.  Luft-  und  Witterungsverhältnisse,  5.  Berge,  Flüsse  und  Wälder, 
6.  Mineralien,  Pflanzen  und  Tiere,  7.  Politische  Einteilung,  Anzahl  der 
Städte,  Märkte,  Dörfer,  Schlösser,  Domänen,  Dekanate,  Pfarren  und 
Lokalien,  8.  Volksmenge  und  deren  Verteilung,  Nahrungsquellen, 
Ackerbau,  Viehzucht,  Industrie,  9.  Charakter  des  Volkes,  Sprache, 
10.  Regierungsform,  Verwaltung,  11.  Staatsrecht,  12.  Religionen, 
13.  Künste  und  Wissenschaften,  Erziehungs-  und  Lehranstalten,  Censur, 
Bibliotheken,  Sammlungen  und  Sternwarten,  14.  Behörden,  Gesetze, 
Versorgungsanstalten,  15.  Justiz wesen,  16.  Fabriks-  und  Handelswesen, 
17.  Finanzwesen,  18.  Münzwesen,  19.  Kriegswesen. 

Das  Material  sollte  durch  eine  Landbereisung  gesammelt  werden, 
womit  zuerst  Abbe  Pilgram,  da  aber  dieser  noch  vor  Inangriffnahme 
der  Arbeit  starb,  der  durch  seine  historischen  Werke  bekannte  Piarist 
P.  Adrian  Rauch  betraut  wurde.  Doch  die  Aufgabe  überstieg  die 
Kräfte  eines  Einzelnen.  Durch  fünf  Jahre  hindurch  reiste  Rauch  im 
Lande  umher,  seine  Reiserechnungen  verschlangen  1 1  500  fl.,  aber  als 
er  im  Jahre  1802  starb,  war  die  Aufnahme  noch  keineswegs  vollendet, 
sondern  nur  ein  Wust  von  buntem  Material  angesammelt ').  Mit  seinem 
Tode  kam  jedoch  das  ganze  Unternehmen  ins  Stocken,  denn  die  2^it 
der  Napoleonischen  Kri^e  war  für  ein  solches  nichts  weniger  als 
günstig. 


i)  Über  diese  ganze  Aktion  der  niederötterreicliischen  Stftnde  giebt  in  grttndlicher 
Weise  nach  den  Akten  des  niederösterreichiscben  Landesarchivs  Anfschlnfs  Anton 
Mayer:  Die  historisch'topographischen  Bestrebungen  der  niederösterreichischen  Stände 
in  den  Jahren  1791^1834  (BIL  d.  Ver.  t  Landesk.  Ton  Niedcrösterr.  XXIV  [1890], 
S.  iff.),  welche  Arbeit  meiner  karten  Übersicht  zn  Grunde  liegt. 

2)  Die  bente  fast  ganz  wertlos  gewordenen  Materialien  sind  noch  im  niederöster- 
reichischen Landesarchiv  deponiert. 


A 


—     104     — 

Erst  1814  wurde  von  den  Ständen  der  alte  Plan,  Herau^;abe 
einer  Topographie,  wieder  angenommen,  dagegen  von  der  Herstellung 
einer  Karte  endgültig  abgesehen,  nachdem  inzwischen  in  den  Jahren 
1807  bis  1809 und  i8iibisi8i3  jene  militärischen  Landaufhahmen  statt- 
gefunden hatten,  deren  Ergebnis  die  grolse  Generalstabskarte  war. 
Trotzdem  vergingen  abermals  sieben  Jahre,  bis  das  StändemitgUed 
Josef  Freiherr  von  Penkler  mit  dem  ihm  übertragenen  Gutachten 
hervortrat.  Es  war  die  Zeit,  da  sich  in  Deutschland  allenthalben  der 
historische  Sinn  regte,  die  Zeit  der  Gründungen  zahlreicher  histo- 
rischer Vereine. 

Auf  Penklers  Vorschlag  wurde  am  14.  April  1822  eine  „Kom- 
mission ztu:  Verfassung  einer  Topographie  des  Erzherzogtums  Oster- 
reich unter  der  Enns'*  eingesetzt,  welche  sich  zunächst  an  alle  Ge- 
lehrten, hauptsächlich  an  alle  Archivare  und  Bibliothekare  des  Landes 
um  Gutachten  wendete.  Unter  den  zahlreichen  ausfuhrlichen  Ant- 
worten ragen  besonders  diejenigen  der  beiden  verdienstvollen  vater- 
ländischen Historiker  Ignaz  Keiblinger,  Stiftsarchivars  von  Melk» 
und  Friedrich  Blumbergers,  Stiftsarchivars  von  Göttweig,  hervor» 
Sie  halten  im  Sinne  der  Zeitströmungen  die  Begründung  eines  Ver- 
eines und  die  Herausgabe  einer  Zeitschrift  für  notwendig,  welche  Frage 
in  der  Kommission  auch  beraten  wurde. 

Aber  die  Kommission  und  ihre  Arbeiten  hatten  kein  günstiges 
Geschick.  Der  mangelhafte  Zustand  der  österreichischen  Archive,  be- 
ziehungsweise ihre  Unzugänglichkeit  und  die  daraus  entspringende  Un- 
möglichkeit, das  historische  Material  zu  gewinnen,  nicht  minder  der 
Mangel  an  entsprechenden  Mitarbeitern  gaben  den  langwierigen 
Beratungen  keinen  rechten  Fortgang.  Auch  durch  ein  Konkurrenz- 
unternehmen, das  besonders  aus  geistlichen  Kreisen  ^)  hervorging» 
fühlte  man  sich  stark  gedrückt.  Es  war  dies  die  Historisch'topih 
graphische  Darstellung  der  Pfarren,  Stifter  und  Klöster,  be- 
katmter  unter  dem  Namen  Kirchliche  Topographie,  welche  in  Nach- 
folgerschaft eines  älteren  Werkes  Austria  Sacra  oder  Geschichte  der 
österreichischen  Klerisey  von  Marian  (Fiedler)  (Wien  1780 — 1788 
in  neun  Bänden)  eine  Geschichte  der  einzelnen  Pfarren  und  Klöster 
nach  Dekanaten  geordnet  bieten  wollte«  Es  ist  übrigens  auch  dieses 
Werk  ein  Torso  geblieben.     In  den  Jahren   1824  bis  1840  erschienen 

i)  Der  Hofkaplan  Schakmann  von  Mansegg,  der  Professor  der  Kircheo- 
geschickte  an  der  Wiener  UniTersitäi  Vincens  Darnant,  denen  sich  nodi  der  alt 
•ifriger  Samnler  und  Bibliograph  bekannte  niederösterreichische  Landsyndikos  Alois 
Bergenstamm  hinxugesellte,  waren  die  Hanptarheber. 


—     106     — 

i8  ziemlich  ärmlich  (auch  mit  schlechten  Lithographieen)  ausgestattete 
Bände,  von  denen  der  Hauptteil,  nämlich  13,  auf  Niederösterreich 
entfielen. 

Als  im  April  1830  der  verdiente  Freiherr  von  Penkler  starb, 
ging  auch  alsbald  die  ganze  Kommission,  deren  Vorsitzender  er  war, 
mit  ihm  zu  Grabe.  An  ihre  Stelle  trat  nun  doch  ein  Verein  für 
vaterländische  Geschichte,  Statistik  und  Topographie, 
der  auch  1832  bis  1834  in  den  Beiträgen  zur  Landeskunde  von 
Niederösierreüh  eine  Art  Vereinsorgan  besafs,  in  welchen  einige  Auf- 
sätze allgemeinerer  Natur  (über  die  Flora,  über  die  Landesgrenzen, 
über  den  Dialekt  u.  dgl.)  erschienen.  Von  der  Herausgabe  einer 
Topographie  war  nicht  weiter  die  Rede,  und  als  Verein  und  Vereins- 
publikation nach  kurzer  Lebensdauer  wieder  eingingen,  machten  sich 
die  Stände  weiter  kein  Gewissen,  das  gesammelte  Material  einem  Unter- 
nehmer zweifelhafter  Sorte  zu  überlassen,  welcher  es  kritiklos  für 
eine  Art  Kolportagewerk  ausschrotete.  Es  war  ein  gewisser  Franz 
Schweickhardt^),  von  dessen  näheren  Lebensumständen  man  nichts 
Rechtes  weifs,  wie  es  scheint,  seines  Zeichens  akademischer  Maler, 
der  am  besten  dadurch  charakterisiert  wird,  da(s  er  sich  fälschlicher- 
weise das  Adelsprädikat  „von  Sickingen'*  beilegte.  Aus  der  Ma- 
teraliensammlung der  Stände  und  aus  allerlei  Auskünften  kompilierte 
er  kritiklos  die  37  Bände  seiner  Darstellung  des  Erzherzogtums 
Osterreich  unter  der  Enns  (Wien  1837 — 1840),  von  denen  drei  Wien 
umfassen,  die  anderen  nach  den  vier  Vierteln  des  Landes  geteilt  sind, 
und  zwar  ist  im  Viertel  unter  Wiener  Wald  und  unter  Manhartsberg* 
das  alphabetische  Prinzip  beibehalten,  während  in  den  beiden  anderen 
Vierteln  die  Grundherrschaften  die  Reihenfolge  bestimmen.  Das  Viertel 
ober  Manhartsberg'  ist  unvollendet  geblieben.  Die  dem  Werke 
beigegebenen  Kupferstiche  sind  zumeist  nach  älteren  Bildern  an- 
gefertigt. Die  Ortsbeschreibung  enthält  Angaben  über  kirchliche,  po- 
litische und  administrative  Zugehörigkeit,  über  die  materielle  Kultur 
der  Bewohner,  Bevölkerungs-  und  Viehstatistik,  Beschreibung  und  Ge- 
schichte des  Ortes,  der  Pfarre  und  Herrschaft,  würde  also  den  billigen 
Anforderungen  genügen,  wenn  nicht,  wie  gesagt,  die  Angaben  von 
höchst  ungleichmä&igem  Werte  und  grö&ter  Unzuverlässigkeit  wären. 

Trotz  der  Mängel  fand  das  Werk  groüse  Verbreitung  und  erfreut 


1)  über  Schweickhardt  anfter  bei  Majer  a.  a.  O.  S.  285,  öftterreichiscbe  Nalional- 
Encyklopidie  IV,  623,  Ber.  n.  Mitieil  d.  Altertamsvereins  I,  40  und  Warzbach,  Biogr. 
Lexikon  XXXII,  348. 


—     106     — 

sich  noch  heute  vielfacher  Beliebtheit.  Auch  verhinderte  es  lange 
Zeit,  da£s  man  ein  neues  Unternehmen  derart  gewagt  hätte.  Übrigens 
waren  auch  die  Zeiten,  die  jetzt  heraufkamen,  das  Jahr  1848  mit  der 
folgenden  Reaktion  und  der  gründlichen  Umgestaltung  aller  staatlichen 
Verhältnisse  für  ein  solches  Werk  wenig  günstig. 

Als  1863  die  Landtage  ins  Leben  traten  und  nunmehr  das  Land 
Niederösterreich  seine  selbständige  Vertretung  für  alle  seine  speziellen 
Interessen  erhielt,  verwirklichte  sich  (1864)  der  Gedanke,  den  einst  in 
den  zwanziger  Jahren  bereits  das  ständische  Komitee  erwogen  hatte :  die 
Gründung  eines  Vereines  für  Landeskunde  von  Niederöster- 
reich, der  von  der  Landesvertretung  namhafte  Unterstützungen  em- 
pfing. Dieser  Verein  betrachtete  die  Herausgabe  einer  Topographie 
als  eine  seiner  hervorragendsten  Aufgaben,  aber  er  schritt  nicht  sofort 
direkt  ans  Werk,  sondern  suchte  zunächst  ebenfalls,  wie  einst  der 
ständische  Ausschufs,  eine  möglichst  umfassende  Materialiensammlung 
anzulegen,  beziehungsweise  kleinere  Vorarbeiten  zu  veröffentlichen. 
Gedruckte  und  ungedruckte  Quellen  wurden  exzerpiert  und  in  den 
verschiedenen  Sektionen,  in  welche  der  Verein  ursprünglich  gegliedert 
war,  arbeitete  man  „Fragen  zur  Förderung  der  Ortskunde"  aus,  die 
überallhin  im  Lande  verschickt  wurden,  um  direkte  Nachrichten  aus 
den  einzelnen  Orten  zu  gewinnen ').  Diese  Fragebogen  sind  nur 
etwas  zu  umfangreich  und  zu  spezialisiert  ausgefallen,  auch  war  den 
naturwissenschaftlichen  Punkten,  in  Bezug  auf  welche  sich  die  Orte 
gerade  nicht  so  streng  sondern  lassen,  ein  allzu  breiter  Raum  zuge- 
wiesen. Der  Erfolg  derselben  scheint  auch  weit  hinter  den  Erwar- 
tungen zurückgeblieben  zu  sein. 

Endlich  entschlofs  man  sich  aber  doch,  das  grofse  Werk  in  An- 
griff zu  nehmen*).  Im  Jahre  1871  begann  die  heftweise  Ausgabe, 
erst  im  Jahre  1876  lag  der  erste  Band  vollendet  vor.  Man  stand 
dabei  vielleicht  allzu  ängstlich  im  Banne  der  Tradition,  denn  sowie 
der  Entwurf  des  Jahres  1792  es  in  Aussicht  genommen,  und  es  auch 
einige  ältere  topographische  Werke  anderer  Provinzen  durchgeführt 
(siehe  unten),  wurde  mit  einem  allgemeinen  Teil  begonnen,  welcher 
Monographieen  über  Geographie,  Naturkunde,  Bevölkerung,  über  Land- 
und  Forstwirtschaft,  Industrie,  Handel  und  Verkehr,  geistige  Kultur, 
Geschichte,  Verfassung  und  Verwaltung,   Kunst  und  Altertümer  um- 


i)  Abgedruckt  in  Blätter  d.  Ver.  f.  Landeskunde   1865,  S.   164  ff. 
2)  Siehe  den  Vorbericht,  den  Hofrat  Becker   bei  der  Sommenrersammlmig  des  Ver- 
eins in  Waidhofen  im  Jahre  1870  gab  (Bl.  d.  Ver.  1870,  S.  236). 


—     107     — 

fafste.  Abgesehen  von  ihrem  ungleich mäfeig-en  Wert  erschöpften  sie 
aber  keineswegs  alle  in  Betracht  kommenden  Fragen.  So  fehlt  ein 
Abschnitt  über  die  Rechtsgeschichte,  über  die  Wirtschaftsgeschichte, 
über  die  Litteratur  u.  a.  m.  Auch  hätte  dieser  allgemeine  Teil  nicht 
so  sehr  die  Einleitung,  als  vielmehr  die  Krönung  des  Werkes,  welche 
die  Summe  der  im  speziellen  Teile  niedergelegten  Einzelheiten  ge- 
zogen haben  würde,  sein  sollen. 

Auch  im  speziellen  Teil  des  Werkes,  dem  eigentlichen  topo- 
graphischen Wörterbuch,  wurde  der  schwierigste,  also  am  längsten 
vorzubereitende  Artikel,  nämlich  „Wien",  verfafst  von  dem  durch 
seine  Geschichte  der  Stadt  Wien  bekannten  Archivar  Karl  Weiss, 
an  die  Spitze  gestellt.  Die  Bearbeitung  der  speziellen  Ortskunde 
wurde  dem  Hofrate  und  Direktor  der  k.  Familien-Fideikommifs-Bibliothek, 
Moriz  Alois  Becker,  übertragen,  welcher  schon  Anfang  der  sech- 
ziger Jahre  ein  mustergültiges  topographisches  Spezialwerk  Der 
Ötscher  und  sein  Gebiet  (2  Bände)  veröffentlicht  hatte  und  überhaupt 
die  Seele  des  Vereins  und  der  topographischen  Arbeiten  war.  Ihm 
schwebte  anfangs  nur  ein  Haus-  und  Handbuch  von  höchstens  zwei 
Bänden  Umfang  vor.  Das  Programm  entwarf  er  dahin  *) ,  dafs  die 
einzelnen  Artikel  Aufschlug  geben  sollten  über  i.  die  geographische 
Lage  in  Verbindung  mit  den  klimatischen  Verhältnissen,  den  geolo- 
gischen Formationen,  der  Pflanzen-  und  Tierwelt;  2.  die  administrative 
Position;  3.  die  Häuser-  und  Einwohnerzahl;  4.  die  Beschäftigung  der 
Bewohner;  5.  die  Ortsgeschichte.  Über  den  letzteren  Punkt  glaubte 
Becker  eine  längere  Rechtfertigung  geben  zu  müssen.  Was  aber  in 
diesen  TeU  alles  einbezogen  werden  sollte,  ist  nicht  weiter  klargelegt, 
nur  der  Wert  der  Namensforschung  und  der  Quellennachweise  bereits 
betont.  Aber  im  Laufe  der  Arbeit  mu&te  er  alsbald  erkennen,  da(s 
dieselbe  weit  über  den  ursprüi^lich  zugemessenen  Raum  hinauswachse, 
dafe  sie  auch  die  Kräfte  eines  Einzelnen  übersteige.  Als  er  im  Jahre 
1885,  also  acht  Jahre  nach  dem  ersten,  den  zweiten  Band  im  Umfang 
von  100  Druckbogen  abschlofs,  stand  er  erst  beim  Buchstaben  F  und 
dabei  waren  die  Artikel  sehr  ungleichmäßig  ausgefallen,  die  ersten  in 
gedrängter  Kürze,  mancher  nicht  unbedeutende  Ort  sehr  dürftig  be- 
handelt, andere  und  spätere,  insbesondere  solche,  bei  denen  Becker 
einem  Lieblingsthema,  der  Genealogie,  nachgehen  konnte,   in   unver- 


I)  Zuerst  dargelegt  auf  der  Sommerversaromlung  des  Vereins  in  Scheibbs  im  Jahre 
1878  (Bl.  d.  Ver.  1878,  S.  260),  dann  als  Vorwort  des  zweiten  Bandes  der  „Topo- 
graphie" 1885. 


—     108     — 

hältnismäCsiger  Breite.  Ich  will  damit  den  Verdiensten  Beckers  in 
keiner  Weise  zu  nahe  treten,  sie  bleiben  auiserordentliche,  aber  es  ist 
ja  immer  das  Geschick  desjenigen,  der  zu  einem  gro&en  und  in  seiner 
Art  einzigen  Unternehmen  als  der  erste  berufen  wird,  erst  durch  eine 
Reihe  von  Irrtümern  und  Fehlem  die  mangelnden  Erfahrungen  ge- 
winnen zu  müssen. 

Als  Becker  am  22.  August  1887  starb,  war  das  Werk  erst  bis 
zum  Artikel  „Freydegg"  gediehen  und  bei  dem  Umstände,  dafe  es 
bisher  nur  auf  zwei  Augen  gestanden,  schien  die  Fortführung  ernst- 
lich gefährdet.  Nach  emem  kurzen  Interim,  während  dessen  Franz 
Schnürer  die  Arbeiten  fortsetzte,  wurde  es  von  dem  Vereine  in  die 
Hände  des  Sekretärs  Anton  Mayer  (gegenwärtig  niederösterreichischer 
Landesarchivar)  gelegt,  der  einen  entscheidenden,  für  die  Fortführung 
geradezu  unerläislichen  Schritt  that,  indem  er  eine  ArbeitsteUung  unter 
einer  Reihe  von  Mitarbeitern  vornahm,  und  er  hatte,  abgesehen  von 
seiner  eigenen  bewährten  Kraft,  das  Glück,  die  hervorragendsten  Ver- 
treter der  heimischen  Geschichtsforschtmg,  Friefs,  Kerschbaumer, 
Dungl,  Lampel  u.  v.  a. ,  für  das  Werk  zu  gewinnen.  Im  Jahre 
1897  übernahm  dann  Albert  Starzer,  der  Direktor  des  niederöster- 
reichischen Statthaltereiarchivs,  die  Redaktion  und  führte  sie  auf  der 
einmal  eingeschlagenen  Bahn  weiter. 

In  der  Anlage  des  Werkes  hatte  sich  manches  aus  inneren  und 
äuCseren  Gründen  im  Laufe  der  Jahre  geändert.  Abgekommene  Orte 
und  Flurnamen  waren  von  Anbeginn  nicht  angenommen  worden, 
wohl  aber  hatte  Becker  Berge  und  Flüsse,  sowie  Römerorte  in  die 
Reihe  gestellt.  Nun  wurden  auch  diese  ausgeschieden  und  der  Stoff 
nur  auf  die  Siedlungen  —  von  Städten  und  Märkten  bis  zum  Einzel- 
haus —  beschränkt,  auch  die  alphabetische  Reihenfolge  strenger  ein- 
gehalten, während  Becker  ztmi  Teil  zusammengesetzte  Ortsnamen  unter 
dem  gleichen  Grundwort  behandelt  hatte.  Auch  wurde  später  weit 
mehr  das  archivalische  Material  benutzt,  während  man  sich  ursprüng- 
lich auf  das  gedruckte  beschränkt  hatte.  Jeder  Artikel  der  „Topo- 
graphie** zerfallt  im  wesentlichen  in  drei  Teile:  i.  einen  statistischen, 
2.  einen  anthropo- geographischen,  3.  einen  historischen.  So  lange 
bewährte  und  erfahrene  Heimatsforscher  die  Hauptarbeit  leisteten,  gab 
es  gründliche  und  erschöpfende  Beiträge,  die  nur  zuweilen  zu  sehr 
über  den  Rahmen  des  Werkes  hinaus  zu  selbständigen  Monographieen 
anschwollen.  Als  aber  dann  notwendigerweise  auch  jüngere  Kräfte 
herangezogen  werden  mufsten,  machte  sich  der  Mangel  eines  einheit- 
lichen Planes  immer  mehr  fühlbar,  die  Ungleichmäfsigkeit  wurde  immer 


—     109     — 

stärker  und  störender.  Nicht  nur,  dals  die  Anordnung  des  Stoffes 
eine  willkürliche  war,  nicht  nur  dais  überflüssige  Wiederholungen  all- 
gemeiner historischer  Thatsachen  einrissen,  auch  hinsichtlich  der  ein- 
zelnen Punkte,  welche  ein  Artikel  enthalten  sollte,  herrschte  Unklar- 
heit und  Eigenmächtigkeit.  (Schlufs  folgt.) 


Mitteilungen 

Archlye.  —  Erst  recht  spät  haben  sich  in  Deutschland  die  Archivare 
beruflich  organisiert;  es  geschah  erst  mit  der  Gründung  des  sogenannten 
Archivtages,  der  zum  ersten  Mal  1899  in  Strafsburg,  tmd  zum  zweiten 
Male  1900  in  Dresden  stattgefunden  hat  *).  Anders  steht  es  in  einem  Nach- 
barlande, das  ernst  zum  Deutschen  Reiche  gehörte,  das  in  einer  deutschen 
Geschichte  nie  unberücksichtigt  bleiben  darf  und  das  bis  in  die  Gegenwart  in 
allen  Bethätigungen  des  geistigen  Lebens  eng  mit  Deutschland  verbunden  ist, 
nämlich  in  den  Niederlanden.  Bereits  seit  1891  besteht  dort  die  Vereeniging 
van  archivarissen  in  Nederland,  welche  es  sich  von  Anfang  an  unter  anderem 
zu  ihrer  Aufgabe  gemacht  hat,  eine  gesetzliche  Regelung  des  gesamsten  Archiv- 
wesens herbeizuführen.  Und  wenn  sich  thatsächlich  in  den  Niederlanden  seit 
einem  Jahrzehnt  eine  rege  Thätigkeit  auf  diesem  Felde  entfaltet  hat,  so  ist  dies  nicht 
zuletzt  das  Verdienst  dieser  Vereinigung  der  archivalischen  Berufsgenossen: 
in  keinem  Lande  dürfte  die  Veröffentlichung  von  Archivinventaren  so  weit 
vorgeschritten  sein  wie  hier;  zum  wenigsten  im  Vergleich  mit  Deutschland 
ist  die  Zahl  der  freüich  auch  nicht  glänzend  bezahlten  *)  Archivare  recht 
grofs,  denn  neben  dem  allgemeinen  Reichsarchive  im  Haag  giebt  es  zehn 
Staatsarchive  in  den  Provinzen,  und  die  Städte  haben  ebenfalls  in  recht 
grofser  Zahl  Archivare  angestellt.  Diese  Thatsache  sicherte  von  vom  herein 
die  Lebensfähigkeit  des  Vereins,  dessen  ordentliche  Mitglieder  wissenschaft- 
liche Beamte  an  Archiven  des  Staates,  der  Gemeinden  oder  öffentlich-recht- 
licher Körperschaften  sein  müssen.  Am  i.  September  1900  waren  von  den 
52  ordentlichen  Mitgliedern  4  beim  Allgemeinen  Reichsarchiv,  17  bei  den 
Staatsarchiven  in  den  Provinzen,  i  beim  Königlichen  Hausarchiv,  29  bei 
22  verschiedenen  Städten  und  i  bei  einer  Körperschaft  als  Archivar  an- 
gestellt. Die  gegenwärtigen  Satzungen  sind  seit  dem  17.  Juni  189 1  in 
(jeltung,  der  Sitz  des  Vereins  ist  's  Gravenhage,  gegenwärtiger  secretaris 
A.  Telting,  adjunct  rijksarchivaris  daselbst;  von  den  5  Vorstandsmitgliedern 
haben  4  als  Vorsitzender,  Sekretär,  Schatzmeister  imd  Redakteur  der  Zeit- 
schrift besondere  Obliegenheiten. 


1)  Vgl.  darüber  die  Berichte  in  dieser  2:eitscbrift  I.  Bd.  S.  59/61  und  II.  Bd.  S.  60/61. 
Der  dritte  Arcbivtag  findet  im  September  1903  in  Düsseldorf  statt. 

2)  Vgl.  Nederlandsch  Archüvenblad  1899/1900,  S.  74/75  oder  S.  113:  Der  Stadt- 
archivar  von  Dordrecht  erhält  looo  fl.  Gehalt.  Vgl.  auch  1900/1901,  S.  75,  167  und 
8.  170. 


—     110     — 

Dasjenige,  wodurch  die  Vereinigung  die  Aufmerksamkeit  vor  allem  der 
deutschen  Archivare  und  Geschichtsforscher  verdient  hat,  ist  die  jetzt  im 
neunten  Jahrgange  stehende  Zeitschrift,  das  Nedcrlandsch  Archievenblady 
(rrgaan  van  de  Verecniging  van  archivarissen  in  Nederland  (Groningen,  Erven 
B.  van  der  Kamp),  welche  jährlich  in  vier  Heften  erscheint  Während  in 
Deutschland  wiederholt  der  Versuch,  eine  ausschliefslich  dem  Archivwesen 
gewidmete  Zeitschrift  zu  gründen,  gescheitert  ist,  hat  sich  in  den  Nieder- 
landen dieses  Organ  als  das  eines  Vereins  erfreulicherweise  lebensfähig 
erwiesen  ^).  Da  das  Archivblatt  wie  von  anderen  aufsemiederländischen  das 
Archivwesen  betreffenden  Vorgängen  imd  Fragen,  so  auch  von  den  deutschen 
gern  Notiz  nimmt,  so  sollte  es  auch  seitens  der  deutschen  Archivare  noch 
mehr  beachtet  werden.  Dies  scheint  noch  wenig  der  Fall  zu  sein,  denn 
unter  den  korrespondierenden  Mitgliedern  figuriert  aus  Deutschland  nur  der 
Kölner  Stadtarchivar  Dr.  Hermann  Keussen,  während  erst  neuerdings  auch 
eine  Verbindung  mit  dem  Thüringer  Archiv  tag  angebahnt  worden  ist;  dies 
ist  aber  auch  alles.  Um  in  Deutschland  das  Interesse  wieder  einmal  auf 
das  Niederländische  Archivblatt,  wie  es  schon  früher  von  andrer  Seite  ge- 
schehen ist  ^) ,  hinzulenken ,  soll  hier  das  Wichtigste  aus  dem  Inhalt  der 
beiden  Jahrgänge  1 899/1 900  und  1 900/1 901  kurz  vermerkt  werden.  Im 
voraus  sei  jedoch  bemerkt,  dafs  man  das  Fehlen  einer  Band  Zählung  sehr 
vermifst:  das  Zitieren  wird  dadurch  sehr  erschwert,  aber  zugleich  bleibt  un- 
erkennbar, seit  welcher  Zeit  das  Archieienblad  erscheint,  und  dies  dürfte, 
je  älter  es  wird,  desto  imangenehmer  empfunden  werden. 

Jedes  einzelne  Heft  pflegen  Mitteilungen  über  Personalveränderungen  und 
sonstige  archivalische  Vorgänge  zu  eröffnen  und  eingehende  Buchbesprech- 
ungen zu  beschliefsen ,  unter  denen  die  Veröffentlichungen  der  niederländi- 
schen Geschichtsvereine  einen  breiten  Ratun  einnehmen,  sodafs  man  deren 
Inhalt  wohl  nirgends  so  zusanmien  verzeichnet  findet  wie  hier.  Im  Hauptteile 
werden  alle  nur  denkbaren  praktischen  und  theoretischen  Fragen  des  Archivwesens 
erörtert,  auch  neu  aufgefundene  und  neu  erschlossene  Archivalien  verzeichnet 
(1899/1900,  S.  13,  42,  120,  133).  In  erster  Linie  sind  natürlich  die  Auf- 
sätze den  holländischen  Archiven  gewidmet:  so  werden  aus  den  1898er 
Jahresberichten  einer  grofsen  Reihe  von  Städten  —  1 899/1 900  sind  es  40  — 
die  auf  die  Archive  bezüglichen  Stellen  mitgeteilt  S.  43  —  56,  wozu  8.  102 
ein  Nachtrag  (Zaandam)  konmit.  Von  allgemeinen  Fragen  wird  z.  B.  über 
das  Zapon  und  die  Dresdner  Konferenz  von  1899  ^)  ausführlich  berichtet 
(S.  85  —  87)  oder  unter  dem  nicht  üblen  Titel  Archives  exiension  durch 
O V er voor de  die  Veranstaltimg  von  Archivausstellungen  empfohlen  (S.  42/43): 
er  fordert  vor  allem  den  Besuch  derartiger  zu  dem  besonderen  Zwecke  aus- 
gestellter Archivalien  seitens  der  Schüler  höherer  Klassen  zur  Vertiefimg  des 
geschichtlichen  Verständnisses.  Auf  das  Feld  der  verwaltungstechnisch  und 
geschichtlich  gleich  wichtigen  Archivgeschichte  ftihren  Aufsätze  von 
Wildeman,  „Ein  löbliches  Vorbild  von  1648",  das  Archiv  von  Delfland 
betreffend,  (S.  88 — 90)  und  die  Mitteüung  über  das  Gesetz  von  1800,  be- 
treffend die  Unterbringung  der  von  den  aufgehobenen  richterlichen  Behörden 

i)  Auch  im  BuchhaDdel  zu  beziehen,  Preis  fUr  den  Jahrgang  3  Golden. 

2)  Z.  B.  in  der  Archivalischm  Zeitschrift  N.  F,  VI.  Bd.  (1896),   S.  303. 

3)  Vgl.  darüber  diese  Zeitschrift  I.  Bd,  S.  56  bis  59. 


—    111    — 

herrührenden  Archivalien  (S.  34 — 41).  Aufser  Landes  und  zwar  nach 
Deutschland  führte  schon  die  erwähnte  Zaponkonferenz ,  aber  auch  die  Be- 
sprechung von  Wiegands  Buch  über  die  wissenschaftliche  Vorbildung  des 
Archivars  (S.  136 — 138);  aus  Frankreich  erfahren  wir  den  vollen  Wortlaut 
des  Gesetzes  vom  12.  Januar  1898,  betreffend  die  Ablieferung  reponierter 
Akten  der  Verwaltungsbehörden  an  das  Nationalarchiv  (S.  2021),  und  über 
das  Archivwesen  Rumäniens  berichtet  nach  den  Mitteilungen  des  Bukarester 
Prof.  Jorga  ausführlich  Th.  Morren  (S.  T27  — 132).  In  der  Jahres- 
versammlung, die  jährlich  im  Sommer  an  einem  anderen  Orte  stattfindet 
—  1899  in  Herzogenbusch,  1900  in  Rotterdam  -*-  wird  neben  wissen- 
schaftlichen Vorträgen  vor  allem  eine  Übersicht  über  die  Ereignisse  des 
letzten  Jahres  auf  dem  Gebiete  des  Archivwesens  geboten,  und  es  ist  ge- 
radezu erstaunlich,  von  wieviel  Archivneubauten  da  berichtet  werden  kann. 
In  Deutschland  wird  gerade  jetzt  interessieren,  dafs  man  die  Aufmerksamkeit 
auf  die  holländischen  Kolonialarchive  richtet,  insbesondere  auf  das  der 
Westindischen  Kompagnie:  im  April  1899  wurde  A.  Telting  vom 
Reichsarchiv  zur  Erforschung  des  letzteren  nach  Paramaribo  entsandt,  von  wo 
aus  er  auch  Cura^ao  aufsuchen  sollte  (S.  i).  In  der  jetzt  englischen  Kolonie 
Ceylon  ist  ein  einheimischer  Archivar,  R.  G.  Anthonisz,  von  der  Regierung 
mit  der  Inventarisierung  beauftragt  worden.  Schon  die  Thatsache  solcher  Für- 
sorge ist  interessant,  noch  mehr  aber  dürften  es  die  Ergebnisse  sein,  die  für  die 
europäische  Handelsgeschichte  sowie  für  die  Kenntnis  der  holländischen 
Kolonieen  und  ihrer  Verwaltimg  gleich  wichtige  Aufschlüsse  geben  werden. 

Der  Inhalt  des  Jahrgangs  1 900/1 901  bewegt  sich  durchaus  in  den- 
selben Bahnen,  übersteigt  aber  mit  241  Seiten  den  vorhergehenden  (162  S.) 
an  Umfang  wesentlich.  Der  Neubau  des  Rotterdamer  Stadtarchivs  (S.  35  mit 
Abbildung)  sowie  der  des  Justizarchivs  ebenda  (S.  63—66  u.  127  — 132) 
verdienen  Erwähnung.  Die  eingehenden  Erörterungen  über  die  Thätigkeit 
des  Gemeindearchivars  (S.  67 — 83  u.  125 — 127)  sind  auch  für  DeutscUand 
von  Belang;  nicht  weniger  die  Besprechung  der  Frage,  ob  nicht  die  kirch- 
lichen Archive  bei  den  Staatsarchiven  deponiert  werden  sollen  *)  (S.  206 — 209), 
worüber  die  Ansichten  sehr  auseinander  gehen.  Die  Auszüge  aus  den  1899er 
Jahresberichten  von  41  Städten,  soweit  diese  die  Archive  betreffen  (S.  83 — 95), 
ergänzt  diesmal  ein  Bericht  über  die  Verhandlungen,  betreffend  die  Fürsorge 
für  die  Archive  der  niederländisch-reformierten  Kirche,  die  1899  und  1900 
gepflogen  worden  sind  (S.  135—144).  Nach  Deutschland  führen  die  Be- 
sprechungen des  ersten  Heftes  der  Miiteüungen  der  k.  preufsiscken  ArcJuv- 
vefrwaltung  (S.  31/32  und  S.  213 — 216)  und  der  Schrift  Wiegands  über 
Bezirks-  und  Gemeindearchive  im  Elsafs  (S.  216 — 219).  Italien  ist  bedacht 
durch  die  Besprechung  der  Schrift  vonLuigi  Mulinaris  (Udine  1896),  in  der 
er  Vorschläge  für  die  Ordnung  von  Gemeindearchiven  entwickelt  (S.  151 — 155)» 
vor  allem  aber  liegt  über  die  Schwedischen,  Norwegischen  und  Dänischen 
Archive  eine  Arbeit  von  Kernkamp  vor  (S.  181 — 200),  die  in  jeder 
Hinsicht  auch  in  Deutschland  interessieren  mufs:  es  ist  z.  B.  auch  S.  185 
das   Budget   des    Stockholmer   Reichsarchivs   für  1900    mitgeteüt,    das   mit 


1)  In    der   Rheinprovinz   hat   das   evangelische    Konsistoriam    den    einzelnen     Pf«" 
gemeinden  nahegelegt,  ihre  älteren  Archivalien  im  Archive  des  Konsistoriums  zu  depop* 


—     112     — 

53700  Kronen  (=  35572,50  hoU.  Gld.)  abschliefst.  Von  allgemeineren 
Fragen  interessiert  Krämers  Bericht  über  das  Wesen  der  historisch-statisti- 
schen Gnmdkarten  (S.  122 — 125),  sowie  der  Fruins  über  die  Ab&ssung 
von  Regesten  (S.  132 — 135).  Beide  bieten  nichts  wesentiich  neues,  aber 
sie  belehren  die  Leser  in  Kürze  über  Vorgänge,  die  für  sie  von  Wert  sind. 
Fruin  kritisiert  kurz  die  Anweisung  der  „Historischen  Kommission  der  Pro- 
vinz Westfalen"  für  die  Abfassung  von  Urkundenregesten  ')  und  vermag  ihr 
nicht  in  allen  Punkten  zuzustimmen,  Krämer  stellt  sich  auf  die  Seite  derer, 
die  lieber  keine  Grundkarten  wollen  als  solche  mit  modernen  Gemaricungs- 
grenzen ;  in  den  holländischen  Karten  sind  ja  auch  anerkannt  zweckmäfsiger- 
weise  die  alten  Gerichtsgrenzen  eingetragen. 


Schon  im  Jahre  1887  erschien  ein  Führer  durch  das  Archiv  der  Stadt 
Hermannstadt  und  der  sächsischen  Nation,  und  gegenwärtig  liegt  eine 
Neubearbeitung  desselben  vor :  Das  Archiv  der  Stadt  Hermannstadt  und  der 
sächsischen  Nation,  em  Führer  durch  dasselbe  von  Franz  Zimmermann, 
Archivar.  Zweite  Auflage,  Hermannstadt  1901,  Verlag  des  Archives, 
201  S.  8<>.  Der  Anlage  nach  tmterscheidet  sich  die  zweite  Auflage  von  der 
ersten  wesentlich  dadurch,  dafs  für  die  Anordnung  nicht  mehr  die  Auf- 
stellung, sondern  durchweg  die  Herkunft  der  Archivalien  mafsgebend  ge- 
wesen ist.  Wenn  der  jetzt  viel  zu  beschränkte  Raum,  was  erhofit  wird,  eine 
Erweiterung  erfahrt,  dsum  soll  auch  in  der  Aufstellung  die  „Heiicunft  der 
Schriften  aus  den  verschiedenen  Amtsregistraturen'*  zu  Gnmde  gelegt  werden. 
Dafs  auch  die  seit  1887  neu  zugegangenen  Bestände  mitverzeichnet  sind, 
ist  selbstverständlich. 

Es  handelt  sich  hier  um  eins  der  Inventare,  die  wir  mit  Übersichts- 
inventarien  zu  bezeichnen  pflegen  ^),  im  Gegensatze  zu  solchen,  die  durch 
Regestenveröffentlichung  materielle  Mitteilungen  bringen,  um  ein  Inventar, 
welches  die  Gesamtheit  der  Archivbestände  vorführt,  wie  sie  vor  allem  der- 
jenige braucht,  der  das  Archiv  zu  benutzen  wünscht  und  im  voraus  seine 
Aussichten  abschätzen  und  dem  Archivar  seine  Wünsche  mitteüen  möchte. 
Zugleich  können  versprengte  Archivalien  nicht  besser  aus  ihrer  Einsamkeit 
den  Interessenten  bekannt  gemacht  werden  als  auf  diesem  Wege.  —  Das 
vorliegende  Buch  eröffnet  die  schematische  Darstellung  der  politischen  Ein- 
teilungen, die  Siebenbürgen  erfahren  hat,  und  daran  schliefst  sich  das  für 
den  Archivdienst  unentbehrliche  Ortschafbverzeichnis  nach  der  alten  poli- 
tischen Einteilung,  die  1876  aufgehoben  wurde,  (S.  i — 47).  Die  Archivalien 
selbst  zerfallen  in  Urkunden  (1290  bis  1526  und  1527  bis  1700,  also  zwei 
Hauptabteilungen),  Akten  des  Magistrats  der  Stadt  und  des  Stuhles  Hermann- 
stadt, Akten  der  Gespannschaft  Hermannstadt  1784  bis  1790  (S.  145 — 146), 
Akten  der  sächsischen  Nationaluniversität,  d.  h.  der  Gesamtvertretung  der 
sächsischen  Nation,  1544  bis  1849  (^*  ^47  —  <55)  ^^^  Handschriften 
{S.  156 — 168).     Angegliedert  sind   die   Repertorien,   Gesetzbücher,   Hand- 


i)  Enthalten  in  dem  ersten  Hefte  der  von  der  Kommission  veröffentlichten  Inven- 
tare  der  nühtstaatlichen  Archive  der  Provinz  Westfalen  (Münster  i.  W. ,  Aschendorff, 
1899),  8.  VUI. 

a)  Vgl.  oben,  S.  22, 


—     113     — 

bibliothek  und  die  Bestimmungen  über  Benutzung  des  Archivs.  J-»etztere  er- 
gänzen die  Mitteilungen  im  ersten  Bande  dieser  Zeitschrift,  S.  192,  in  will- 
kommener Weise:  leider  ersehen  wir  daraus,  dafs  Versendung  von  Ar- 
cbivalien  nach  auswärts  unzeitgemäfs  ausgeschlossen  und  die  Benutzung 
am  Ort  nur  fünf  Stunden  am  Tage  gestattet  ist,  eine  allerdings  wenig  tröst- 
liche Aussicht,  wenn  jemand  behufs  archivaHscher  Studien  nach  Hermann- 
stadt reisen  mufs.  Die  Beschreibung  der  Bestände  in  aller  Ktirze  sucht  das 
allgemein  Wichtige  mit  grofsem  Geschick  herauszuheben:  so  erüahren 
wir,  dafs  eine  Urkunde  des  Königs  Ludwig  V.  von  Ungarn  von  1359  auf 
Papier^)  vorliegt  (S.  49),  dafs  von  demselben  Könige  Handelsprivilegien  er- 
halten sind,  aus  denen  sich  Venedig  und  Polen,  Wien  und  Prag  als  Handels- 
ziele der  siebenbürgischen  Sachsen  ergeben  (S.  50).  Das  älteste  deutsch 
abgefafste  siebenbürgische  Stück  des  Archivs  ist  eine  Urkunde  des  Rates  zu 
Kronstadt  von  1429  (S.  56),  päpstliche  Urkunden  in  Betreff  der  Kreuzzüge 
gegen  die  Türken  liegen  seit  1453  vor  (S.  58).  Schon  aus  dem  XIV.  Jahr- 
hundert ist  das  Bruchstück  einer  deutsch-lateinischen  Stadtrechntmg  erhalten 
(S.  59).  Schriftstücke,  deren  Aussteller  im  heutigen  Deutschen  Reiche  zu 
suchen  sind,  erscheinen  naturgemäfs  nicht  zu  zahlreich  (S.  57  u.  70);  als 
erste  derartige  kommt  eine  baierische  Urkunde  von  1499  (Rat  zu  Erding)  in  Be- 
tracht Von  den  Zünften  beginnen  die  Schneider  ihre  Akten  am  frühesten 
(1449),  1484  folgen  die  Schuster  und  1494  die  Goldschmiede  (S.  105 — 107). 
Rechnimgen  über  die  städtische  Alaun  siederei  liegen  aus  den  Jahren  1773 
bis  1776  vor  (S.  121),  solche  über  den  städtischen  Kupferhammer  1690 
bis  1726  (S.  132).  Die  erste  Inventarisierung  der  Urkunden  des  Archivs 
ist  1463,  eine  zweite  1546  erfolgt  (S.   169). 

Landesgeschlchte  im  Unterrichte.  —  Wie  wenig  in  den  amt- 
lichen Lehrplänen  der  höheren  Schulen  Deutschlands  der  Landes-  und 
Heimatsgeschichte  gedacht  wird,  habe  ich  in  dem  Aufsatze  im  U.  Bande  dieser 
Blätter  (S.  265 — 273)  gezeigt  Dafs  aber  thatsächlich  auch  in  den  höheren 
Schulen  die  Landesgeschichte  im  Unterrichte  nicht  unberücksichtigt  bleibt, 
ist  dort  gleichfalls  in  Kürze  nachgewiesen.  Bestätigt  wird  diese  Behauptung 
durch  manigfache  Zuschriften  und  Bemerkungen,  die  an  den  genannten 
Aufsatz  anknüpfen.  Es  mag  aber  noch  einmal  hervorgehoben  werden,  dafs 
es  nicht  Zweck  desselben  war,  irgendwie  pädagogische  Ratschläge  für  den 
Unterricht  zu  geben,  sondern  nur  die  Stellung  zu  schildern,  welche  die 
Landesgeschichte  im  Unterrichte  einnimmt 

Zunächst  ist  nachzutragen,  dafs  zu  den  deutschen  Bundesstaaten,  welche 
sich  die  Pflege  der  Heimatsgeschichte  in  den  Schulen  besonders  angelegen 
sein  lassen,  vor  allem  Hamburg  gehört  Herr  Senatssekretär  Dr.  Hage- 
dorn teilt  in  dankenswerterweise  folgendes  mit:  „Bereits  im  Februar  1888 
ist,  nachdem  auf  Veranlassung  der  Oberschulbehörde  von  dem  Oberlehrer 
Dr.  W.  K ollhoff  ein  Grundriß  der  Geschichte  Hamburgs  (Hamburg, 
Heroldsche  Buchhandlung)  verfiäfst  und  damit  für  den  Unterricht  in  der 
hamburgischen  Geschichte  eine  geeignete  Grundlage  geboten  war,  die  Be- 
stimmung getroffen  worden,  vom  Beginn  des  nächsten  Schuljahres  an  hätten 


1)  Im  Archiv  der  vormaligen  Reichsstadt  Kaufbeoren  finden  sich  zwei  Pap 
?on   1318.     Vgl.  Allgäuer  Geschichtsfreund,   13.  Jahrg.  (1900),  S.   12^ 


—     114     — 

die  höheren  Lehranstalten  die  vaterstädtische  Geschichte  in  den  Bereich 
ihres  Unterrichtes  zu  ziehen.  Dabei  sei  von  der  Ansetzung  eigener  Lebr- 
stunden  für  die  hamburgische  Geschichte  abzusehen,  ihre  Hauptthatsachen  seien 
viehnehr  bei  dem  Unterrichte  in  der  deutschen  Geschichte  an  passenden 
Stellen  den  Schülern  darzulegen  und  die  wichtigsten  Jahreszahlen  aus  der- 
selben ihnen  einzuprägen.  Das  genannte  Buch  sei  in  derjenigen  Klasse, 
in  welcher  zuerst  deutsche  Geschichte  behandelt  werde,  und  in  sämtlichen 
höheren  Klassen  als  Schulbuch  einzuführen  und  vom  Lehrer  bei  den  ge- 
gebenen Gelegenheiten  dem  Unterrichte  und  den  Repetitionen  zu  Grunde 
zu  legen.  Bei  den  Abgangsprüfungen  seien  regelmäfsig  auch  einige  Fragen 
aus  der  hamburgisohen  Geschichte  zu  stellen,  deren  Hauptthatsachen  der 
Prüfling  kennen  mufs.  Um  das  Verständnis  für  die  hamburgische  Geschichte 
noch  weiter  zu  fördern,  wurde  dann  1889  auf  Veranlassung  der  Oberschul- 
behörde von  dem  Haupdehrer  E.  H.  Wichmann  ein  Atlas  zur  ham- 
burgischen Geschichte  (Hamburg,  Heroldsche  Buchhandlung)  herausgegeben, 
welcher  gleichfalls  als  Schulbuch  zur  Einführung  gelangte.*' 

Es  ist  sehr  erfreulich,  dafs  in  Hamburg  in  so  trefflicher  Weise  für  die 
unterrichtliche  Behandlung  der  Heimatsgeschichte  gesorgt  ist.  Über  die 
Pflege  derselben  an  den  höheren  Schulen  Steiermarks  macht  F.  Ilwof 
(Graz)  eingehende  Mitteilungen,  die  unten  folgen.  Für  eine  malsvolle  Be- 
rücksichtigung tritt  auch  die  Historische  Zeitschrift  (N.  F.,  Band  52, 
S.  155)  ein,  mahnt  aber  „bei  aller  Sympathie  für  landesgeschichtliche 
Forschungen  zu  grofser  Vorsicht  in  dieser  Hinsicht".  Beachtenswerte  An- 
regungen giebt  in  Bezug  auf  Landesgeschichte  und  Oeschichtsunierricht 
O.  Jäger  im  „Humanistischen  Gymnasium"  (12.  Jahrgang,  1901, 
S.  234 — 236).  Er  stellt  die  Frage,  wie  sich  die  Landesgeschichte  zu  dem 
auf  unseren  Gymnasien  und  Realschulen  erteilten  Geschichtsimterricht  stellt 
und  verhallt.  Mit  Recht  wird  hervorgehoben,  dafs  seit  1871  die  ganze 
Angelegenheit  auf  eine  völlig  andere  Grundlage  gestellt  ist.  Die  Landes- 
und Ortsgeschichte  mufs,  wie  auch  in  meinem  Aufsatze  angedeutet  ist,  im 
engsten  Zusammenhange  mit  der  allgemeinen  deutschen  oder  europäischen 
bleiben.  Daneben  hebt  Jäger  auch  die  Schwierigkeiten,  die  dieser  Aufgabe 
entgegenstehen,  sachgemäfs  hervor.  Dazu  gehört  auch  der  Umstand,  der 
gleichfalls  von  mir  erwähnt  ist,  dafs  das  Lehrbuch  dem  Lehrer  imd 
Schüler  für  das  landesgeschichtliche  Element  wenig  oder  keine  Hilfe  leistet 

Dieser  Mangel  hat  ja  zur  Abfassung  mancher  Lehr-  imd  Lesebücher 
geführt,  auf  die  in  einem  späteren  Aufsatze  etwas  näher  eingegangen  werden 
soll.  Hier  mag  nur  noch  darauf  hingewiesen  sein,  dafs  das  Lehrer- 
kollegium des  Görlitzer  Gymnasiums  eine  Heimatkunde  für  dasselbe 
verfafst  hat,  deren  erster  Teil  1901  (Görlitz,  Druck  von  Hoffinann  &  Reiber) 
erschienen  ist.  In  dieser  Arbeit  sind  in  4  Abschnitten  die  Erdoberfläche, 
Klima,  Tiere  und  Pflanzen,  Bewohner  behandelt.  Ein  Anhang  enthält 
allerlei  Übersichten,  Zeittafel  u.  s.  w.  Es  ist  also  das  Büchlein  nicht  nur 
ein  Leitfaden  für  die  Heimatsgeschichte,  sondern  für  die  Heimatskunde 
im  weiteren  Sinne.  Das,  was  geboten  wird,  ist  sehr  reichhaltig  und  sorg- 
fältig behandelt,  ob  aber  alles  wirklich  im  Unterrichte  behandelt  werden 
kann,  erscheint  doch  zweifelhaft.  Es  ist  hier  des  Guten  wohl  zu  viel  ge- 
geben. 


—     115     — 

Auch  für  den  Unterricht  in  der  Heimatsgeschichte  können  dem  Lehrer 
von  Wert  sein  die  Veröffentlichungen  des  Zentralausschusses  für  deutsche 
Landeskunde,  vor  allem  der  1901  erschienene  Bericht  über  die  neuere  Lüterattir 
zur  deutschen  Landeskunde,  der  von  A.  Kirchhoff  und  K.  Hassert 
herausgegeben  ist     (Band  I,  1896 — 1899,  Berlin,  Verlag  A.  SchalL) 

M.  Wehrmann  (Stettin). 


Über  die  Pflege  der  Heimatsgeschichte  in  den  höheren  Schulen  Steier- 
marks  schreibt  Franz  Ilwof  (Graz):  Ohne  hervorzuheben,  worin  ich  etwa 
anderer  Ansicht  bin  als  Wehrmann,  möchte  ich  nur  kurz  darstellen,  wie  und 
in  welcher  Weise  schon  seit  fast  einem  Jahrhundert  für  die  Pflege  der  Heimats- 
kunde, speziell  der  steiermärkischen  Geschichte  an  den  höheren  (in  Öster- 
reich Mittel-)  Schulen  —  Gymnasien  und  Realschulen  -—  der  Steiermark  Sorge 
getragen  ist,  wie  dieser  Unterricht  in  der  genannten  Provinz  gegründet,  weiter- 
gebildet tmd  vervollkommnet  wurde. 

In  der  ersten  Hälfte  des  XIX.  Jahrhunderts  wirkte  in  Steiermark  der 
hochverdiente  Archivar,  Geschichtsforscher  und  Historiograph  Josef  War- 
tinge r  (geb.  1773,  gest.  1861).  Als  181 1  Erzherzog  Johann  in  Verein 
mit  den  opferwilligen  und  einsichtsvollen  Ständen  des  Landes  das  Landes- 
museum „Joanneum**  gründete,  bemühte  sich  Wartinger  um  die  erste  An- 
lage des  an  demselben  beantragten  Archives,  Münzen-  imd  Antikenkabinettes 
und  verfafste  stuf  Veranlassung  der  Regierung  eine  Kurzgefaßte  Gesdiichie 
der  Steiermark,  welche  18 15  in  erster,  1827  in  zweiter,  1853  in  dritter 
vermehrter  Auflage  erschien  tmd  zuerst  am  Gymnasium  zu  Graz  und  seit 
1816  an  allen  derartigen  Lehranstalten  des  Landes  als  Lehrbuch  verwendet 
wurde. 

Schon  1778  hatte  die  kaiserliche  Hofkanzlei  das  Studium  der  steier- 
märkischen Geschichte  als  Nebengegenstand  ausdrücklich  als  erwünscht  er- 
klärt; die  Einführung  dieses  Lehrgegenstandes  war  jedoch  an  dem  Mangel 
eines  geeigneten  Lehrbuches  gescheitert  Nim  lag  ein  solches  vor;  Wartinger 
that  aber  noch  mehr.  Er  widmete  das  ihm  von  dem  Verleger  seiner  „Kurz- 
ge&fsten  Geschichte"  gezahlte  Honorar,  sowie  das  Supplentengehalt  für  Vor- 
träge aus  der  allgemeinen  Geschichte  am  Lyceum  zu  Graz,  im  ganzen  einen 
Betrag  von  800  Gulden  zur  Stifhmg  einer  Preismedaille  für  jenen  Schüler  am 
Gymnasium  zu  Graz,  welcher  nach  Absolvierung  des  Kurses  aus  der  steier- 
miärkischen  Geschichte  bei  einer  öffentUchen  feierlichen  Prüfung  aus  diesem 
Lehrfache  sich  am  meisten  auszeichnen  würde.  Der  steiermärkisch-ständische 
Verordnete  und  vaterländische  Schriftsteller  JohannRitterv.  Kalchberg 
vermehrte  diese  Stiftung  durch  einen  Betrag  von  200  Gulden  und  schon 
18 16  konnte  sie  ins  Leben  treten.  So  wurde  von  1816  bis  1819  steier- 
märkische  Geschichte  in  der  IV.,  von  181 9  bis  1844  in  der  II.  Klasse  des 
Gymnasiim:is  zu  Graz  gelehrt,  und  1844  wieder  in  die  IV.  Klasse,  durchaus 
als  Freigegenstand,  verlegt.  Mit  regem  Eifer  und  sichtlichem  Erfolge  wurde 
dieses  Lehrfach  betrieben,  auch  die  Prüfungen  fanden  regelmäfsig  statt. 

Als  infolge  der  politischen  Verändenmgen  die  einzelnen  Provinzen  der 
österreichischen  Monarchie  (1860)  wieder  ihre  Autonomie  erhielten  und  als 
1861  die  jetzt  noch  geltenden  Landesordnungen  und  Landeswahlordnungen 

8* 


—     116     — 

erschienen,  infolge  deren  der  freigewählte  Landtag  zusammentrat,  dem  das 
Recht  der  Gesetzgebung  in  Landesangelegenheiten  zusteht  und  dessen  aus- 
führendes Organ  der  von  dem  Landtage  und  aus  seiner  Mitte  gewählte  Landes- 
ausschufs  ist,  sorgte  dieser  für  die  Pflege  der  steiermärkischen  Geschichte  an 
den  Mittelschulen  des  Landes.  Er  führte  durch,  dafs  an  allen  Gymnasien, 
Reabchulen  imd  Lehrerbildungsanstalten  der  Steiermark  die  Geschichte  der- 
selben als  Nebengegenstand  gelehrt  werde,  bewilligte  Renumerationen  für  die 
Lehrer  dieses  Faches,  sowie  für  jede  Anstalt  durch  die  Wartingerstiftung 
mit  ausgiebigem  Zuschufs  von  Seiten  des  Landes  beigestellte  Medaillen  fUr 
die  besten  Schüler.  Die  Kurse  in  der  steiermärkischen  Geschichte  sind  den 
Schülern  der  IV.  Klasse  der  betreffenden  Mittelschule  zugänglich,  flnden  von 
Oktober  bis  Juni  zwei  Stunden  wöchentlich  statt  und  die  öffentlichen  feier- 
lichen Prüfungen  werden  meist  in  Gegenwart  von  Mitgliedern  des  Landes- 
schulrates  und  des  Landesausschusses  in  Graz,  in  den  kleineren  Städten  imter 
Anteilnahme  der  Bürgermeister  und  anderer  Honoratioren  abgehalten.  Aulser 
den  schon  erwähnten  EhrenmedaiUen  werden  für  tüchtige  Leistungen  meistens 
auch  wertvoUe  Bücher  verteÜt,  deren  Inhalt  die  Heimatskunde  im  weitesten 
Sinne  büdet,  imd  die  von  Schulfreunden  gespendet  werden. 

Wesentlich  diese  Institution  hat  auch  eine  kleine  Litteratur  hervorgerufen. 
Wartingers  „ Kurzgefafster  Geschichte  der  Steiermark"  folgten  die  Oeschichie 
des  Herxogthtmis  Steiermark  von  den  ältesten  Zeiten  bis  auf  unsere  Tage 
von  Wilhelm  V.  Gebier  (Graz  1862),  die  Heimaiskunde  des  Herxogthums 
Steiermark  von  Karl  Hirsch  (Wien  1879),  der  Abriß  der  steirischn 
Landesgeschichte,  Für  die  Schüler  höherer  Lehranstalten  und  für  Freunde 
der  Geschichte  von  Rudolf  Reichel  (Marburg  1869;  2.  Aufl.  Graz  1884) 
imd  vor  allem  die  Oeschichte  der  Steiermark  mit  besonderer  Rücksieht  auf 
das  Kulturleben  von  Franz  Martin  Mayer  (Graz  1898).  Diese  Lehr- 
bücher wurden,  eines  nach  dem  andern,  bei  dem  Unterrichte  in  der  steiri- 
schen  Geschichte  an  den  Mittelschulen  des  Landes  zu  Grunde  gelegt. 

Der  geistige  Zusammenhang  des  Unterrichts  in  der  steiermärkischen  Ge- 
schichte mit  dem  obligaten  Geographie-  und  Geschichtsunterricht  ist  da- 
durch gegeben,  dafs  in  derselben  IV.  Klasse,  in  welcher  jene  als  Frei- 
gegenstand gelehrt  wird,  die  Vaterlandskunde  (Geographie  und  Geschichte 
des  österreichischen  Kaiserstaats)  den  obligaten  Lehrstoff  büdet  Dafs  diese 
Verbindung  zwischen  der  Provinzialgeschichte  und  der  aUgemeinen  (d.  h. 
österreichischen)  Geschichte  aufrechterhalten  wird,  ist  Sache  der  betreffenden 
Lehrer  und  wird  gewifs  auch  stets  im  Auge  behalten  und  durchgeführt  wer- 
den. Wenn  auf  der  Generalversammlung  des  Gesamtvereins  der  deutschen 
Geschichts-  und  Altertumsvereine  zu  Blankenburg  1896  die  Resolution  ge- 
fafst  wurde,  dafs  eine  gröfsere  Pflege  der  Heimatskunde  in  geschichtlicher 
Beziehimg  zu  empfehlen  sei,  weil  die  Kenntnis  der  Geschichte  der  Heimat 
die  Voraussetzung  für  das  Gefühl  der  Zugehörigkeit  zum  Staatsganzen  büdet, 
so  ist  dieser  Forderung  an  den  Mittelschulen  der  Steiermark  schon  seit  langem 
entsprochen  worden.  Und  wenn  es  weiter  heifst,  dafs  es  Aufgabe  der  Ge- 
schichtsvereine ist,  für  die  wissenschaftUchen  Grundlagen  einer  zuverlässigen 
Heimatskimde  zu  sorgen,  so  möge  bemerkt  werden,  dafs  auch  dem  in  be- 
friedigender Weise  durch  den  „Historischen  Verein  für  Steiermark"  Rech- 
nung getragen  wurde,  der  im  Dezember  1900  das  50jährige  Jubiläum  seines 


—     117     — 

Bestandes  in  wahrhaft  glänzender  Weise  feierte  und  in  diesem  halben  Jahr- 
hundert in  48  Bänden  seiner  Mitteilungen,  in  31  Jahrgängen  seiner  Beiträge 
zur  Kunde  stetermärkischer  Geschichtsquellenj  in  den  2  Bänden  des  von  ihm 
herausgegebenen  ürkundenbuches  und  in  dem  Steiermärkwcken  Landrechte 
auf  wissenschaftlicher  Gnmdlage  gearbeitete  Darstellungen  und  Publikationen 
geliefert  hat,  ohne  welche  F.  M.  Mayer  —  wie  er  im  Vorworte  seines  oben 
erwähnten  Buches  sagt  —  dieses  kaum  hätte  schreiben  können.  Die  wissen- 
schaftliche Durchforschung  der  Landesgeschichte  hat  vollauf  den  Bedürftiissen 
des  Geschichtsunterrichts  entsprochen  und  dem  Dilettantismus  auf  dem  Ge- 
biete dieser  Unterrichtslitteratur  entgegengearbeitet. 

Vielleicht  ergiebt  sich  später  einmal  Gelegenheit,  in  diesen  Blättern  über 
die  Leistungen  des  „Historischen  Vereins  ftir  Steiermark"  und  der  mit  ihm 
Hand  in  Hand  gehenden,  1892  gegründeten  „Historischen  Landeskommission 
für  Steiermark"  *)  eingehender  zu  sprechen. 

Deutsch  als  Urkandensprache.  —  Im  Jahre  1893  schrieb  die  f 
ilirstlich  Jablonowskische  Gesellschaft  als  Preisaufgabe  das  Thema  aus :  „  All- 
mähliche Einftihrung  der  deutschen  Sprache  in  öffentlichen  und  privaten  Ur- 
kunden bis  zur  Mitte  des  XIV.  Jahrhunderts."  Der  Preis  wurde  meiner  Ar- 
beit Dcis  erste  Auftreten  der  deutschen  Sprcwhe  in  Urkunden  ^  welche  dann 
als  XXX.  Band  der  Preisschriften  der  Gesellschaft  zu  Leipzig  (S.  Hirzel)  1895 
erschien,  zuerkannt,  obwohl  ihr  als  einer  wissenschafdichen  Erstlingsarbeit 
manche  Mängel  anhafteten  und  obwohl  sie  die  Frage  nur  nach  einer  Richtung 
hin,  nach  der  historisch-diplomatischen,  zu  lösen  versuchte.  Die  Ergebnisse 
meiner  Forschungen  waren  in  Kürze  etwa  folgende: 

Im  Zusammenhang  mit  dem  Aufblühen  der  Städte  und  dem  Erstarken 
des  niederen  Adels  dringt  seit  den  dreifsiger  Jahren  des  XIII.  Jahrhunderts 
die  Volkssprache  in  die  Rechtsaufzeichnungen  ein.  Den  Ausgangspunkt 
bildet  der  Sachsenspiegel,  er  beeinflufst  nicht  nur,  wie  bekannt,  inhaltlich, 
sondern  auch  sprachlich  den  Mainzer  Landfrieden  von  1235  imd  dieser  wie- 
der das  österreichische  Landrecht  mit  allen  ihren  zahlreichen  Nachfolgern. 
Um  die  Mitte  des  Jahrhunderts  reihen  sich  die  Stadtrechte  in  deutscher 
Sprache  an  und  endUch  gelangt  diese  als  Sprache  des  Gerichts  von  den 
Weistümem  der  niedem  Gerichtsbarkeit  bis  in  das  Reichshofgericht,  wo 
sich,  was  besonders  wichtig  ist,  bereits  unter  Rudolf  von  Habsburg  ein 
eigenes  deutsches  Formular  ausbildete. 

Bald  nach  den  ersten  Rechtsaufzeichnungen  begannen  auch  die  Rechts- 
instrumente, die  Urkunden,  in  deutscher  Sprache  ausgefertigt  zu  werden. 
Das  älteste  Beispiel  ist  der  Vertrag  zwischen  den  Grafen  Albrecht  und  Ru- 
dolf von  Habsburg,  zwischen  1238  imd  1239,  während  eine  Schweizer  Ur- 
kimde  vom  Jahre  122 1,  welche  ich  noch  auf  Treu  und  Glauben  als  ältestes 
deutsches  Stück  angenommen  hatte,  nach  den  Untersuchungen  Seemüllers 
(Mitt.  d.  Inst.  f.  österr.  Gesch.  XVII,  310)  erheblich  später  anzusetzen  ist. 
Von  dem  Momente  an  tritt  dann  ziemlich  gleichzeitig  die  deutsche  Sprache 
in  Urkunden  von  den  Niederlanden  den  Rhein  aufwärts  bis  in  die  Schweiz 
und   in   Süddeutschland   die  Donau   abwärts  bis  Niederösterreich  auf,  doch 


i)  Vgl.  diese  Zeitschrift,  I.  Bd.,  S.  27. 


—     118     — 

unterscheidet  sich  die  weitere  Entwickelung  dadurch,  dafs  am  Rhein  nach 
vereinzelten  Anfängen  ein  Stillstand  eintritt,  während  in  der  Schweiz  und  in 
Süddeutschland  die  Neuerung  rasch  festen  Fufs  fafst,  so  dafs  in  Mitteldeutsch- 
land sich  erst  in  den  Siebziger,  in  Norddeutschland  erst  in  den  Neunziger 
Jahren  des  XIII.  Jahrhunderts  die  deutschen- Urkunden  mehren.  Zum  Siege 
ist  die  deutsche  Urkundensprache  in  Süddeutschland  um  1300,  in  Mittel- 
deutschland um  1330,  in  Norddeutschland  um  1350  gelangt.  —  Sie  fand 
dort  leichter  Eingang,  wo  keine  feste  Kanzleitradition  ausgebildet  war,  also 
vor  allem  in  den  Urkunden  der  kleineren  Adelsgeschlechter,  aber  auch  merk- 
würdigerweise in  den  Königsurkunden,  da  das  Zwischenreich  und  das  Auf- 
kommen neuer  Königsfamilien  für  die  Kanzleiorganisation  ^)  nicht  günstig  und 
es  auch  hier  Regel  war,  die  Urkimden  vom  Empfanger  ausfertigen  zu  lassen. 
Konservativer  waren  die  Städte  *),  am  meisten  aber  natürlich  die  Hochstifte 
und  Klöster,  in  denen  sich  eine  Jahrhunderte  alte  Überlieferung  fand.  In 
ihren  Urkunden  erhält  sich  die  lateinische  Sprache  trotz  der  mächtigen  Ent- 
wickelung in  den  weltlichen  Urkimden,  die  nur  seit  der  Mitte  des  XIV.  Jahr- 
hunderts durch  das  Eindringen  des  römischen  Rechtes  und  durch  die  von 
den  Universitäten  ausgehenden  gelehrten  Strömungen  einigermafsen  beeinträch- 
tigt wird.  Um  die  Mitte  des  XIV.  Jahrhunderts  beginnnt  auch  bereits  die 
Ausbildung  von  eigenen  Kanzleisprachen,  so  in  Trier,  Mainz  und  Magde- 
burg, zuletzt  auch  in  der  kaiserlichen  Kanzlei  Karls  IV.  Wie  wichtig  dann 
diese  letzte  Phase  der  Entwickeltmg,  speziell  die  kursächsische  Kanzleisprache 
für  die  Ausbildimg  der  neuhochdeutschen  Schriftsprache  geworden,  ist  all- 
gemein bekannt'). 

Die   in   den  letzten   Jahren   erschienenen  Urkundenpublikationen  haben 
meine  Ergebnisse    nahezu   gar    nicht   beeinflufst,    obwohl  ich  überzeugt  bin. 


i)  Herzberg-  Fränkel,  Gesch.  d.  deutschen  Reichskanzlei  1246 — 1308  1  (MitU 
d.  Inst,  t  Ost.  Gesch.,  L  Eg.,  •  Bd.  254  f.)  und  Einleitung  zur  8.  Lief.  d.  Kaiserurkunden 
in  Abbildungen  (hgg.  von  Sickel  und  Sybel).  Über  die  Urkunden  Ludwigs  des  Bayern  t 
Pfeiffer,  Die  Kanzleisprache  König  Ludwigs  des  Bayern  (Germania  IX,  170];  Grane rt 
in  der  Einleitung  z.  9.  L.  der  Kaiserurk.  in  Abb.;  L  i  p  p  e  r  t ,  Zur  Gesch.  K.  Ludwigs 
des  Bayern.  III.  Bern.  z.  Urkundenwesen  (Mitt.  d.  Inst.  f.  öst.  Gesch.  XIII,  602];  Seh  ans, 
Zur  Diploroatik  Ludwigs  des  Bayern  (München  1894).  Über  Friedrich  den  Schönen: 
Uhlirz  in  der  11.  L.  d.  Kaiserurk.  in  Abb.  Ober  Karl  IV.:  Hubers  Einleitung  zu 
se  iner  Neubearbeitung  von  Böhmers  Regesten ;  L  i  n  d  n  e  r ,  Das  Urkundenwesen  Karls  IV. 
und  seiner  Nachfolger  (Stuttgart  1882);  Zimmermann,  Die  Datiemngsformel  in  Ur- 
kunden K.  Karls  IV.  (Berl.  Dissert. ,  Helmstadt  1889);  Tadra,  Kancelafe  a  pisaH 
zemich  öeskych  za  kralü  z  rodu  lucemburskeho  Jan,  Karlo  IV.  a  Vaclava  IV.  (Prag  1892); 
Bnrdach,  Vom  Mittelalter  zur  Reformation  (Halle  1893).  VergL  aufserdem  Bresslau^ 
Handbuch  der  Urkundenlehre  I,  603.  Hier  auch  die  von  späteren  Schriftstellern  über- 
lieferte Fabel  von  einer  offiziellen  Einführung  der  deutschen  Sprache  durch  Rudolf  von 
Habsburg  abgewiesen. 

2)  In  Basel  ist  die  erste  deutsche  Urkunde  von  1261.  Basler  Urkundenbuch  I» 
S.  263  Nr.  480.  In  Köln  von  1251,  aber  als  Geschäftssprache  bei  den  Grundbüchern 
wird  das  Deutsche  hier  erst  1395  durch  den  Stadtschreiber  Ger  lach  vom  Hausse  durch- 
geführt     Vgl.   Keussen   in    den  Mitteilungen   aus   dem  Stadtarchiv   von   Köln,    15.  Heft,. 

s.  45—48. 

3)  Wülcker,  Die  Entstehung  der  kursächsischen  Kanzleisprache  (Zeitschr.  f.  thttr. 
Gesch.  N.F.  L  351);  Rückert,  Gesch.  d.  neuhochdeutschen  Schriftsprache  (Leipzig  1875]; 
So  ein,  Schriftsprache  und  Dialekte  im  Deutschen  nach  Zeugnissen  alter  und  neuer  Zeit 
(Heilbronn  1888).  Vergl.  über  die  ganze  Frage  noch  Paul,  Grundrifs  der  germanischen 
Philologie,  L  Bd  ,  2.  Aufl.  (190 1),  S.  281   u.  658  ff. 


—     119     — 

dafs  nähere  Forschungen  namentlich  in  den  Grenzgebieten  im  Osten  und 
Westen  manches  Interessante  zu  Tage  fördern  würden.  Auch  gäbe  es  noch 
manche  Einzelheiten,  in  Bezug  auf  welche  eine  spezielle  Ausgestaltung  meiner 
Untersuchungen  erwünscht  wäre.  Das  Auftreten  deutscher  Elemente  in  latei- 
nischen Urktmden,  zunächst  von  nicht  latinisierten  Namen,  dann  auch  ein- 
zelner schwer  übersetzbarer  Termini  läfst  sich  wohl  noch  weiter  bis  ins  XL, 
ja  sogar  X.  Jahrhtmdert,  zurückverfolgen  ^).  Interessant  wäre  auch  eine 
systematische  Untersuchtmg  der  sprachlichen  Seite  der  urbarialen  Aufzeich- 
nungen, der  Stadtbücher  imd  verwandter  Erscheinungen.  Endlich  könnte 
man  von  den  Urkunden  auch  noch  auf  die  Siegel,  in  deren  Umschriften 
die  deutsche  Sprache  auch  bereits  im  Xni.  Jahrhundert  auftritt'),  und  von 
diesen  auf  die  Münzen  ^)  hinübergreifen. 

Die  Hauptaufgabe,  welche  noch  zu  lösen  ist,  liegt  jedoch  in  der  sprach- 
lichen Seite  der  ganzen  Frage.  Ich  habe  bereits  im  Vorworte  meiner  Ar- 
beit ohne  falsche  Bescheidenheit  ausdrücklich  betoüt,  dafs  ich  nur  ein  Fun- 
dament ftir  umfassende  germanistische  Untersuchungen  liefern  wollte.  Ich  selbst 
habe  bereits  nachgewiesen,  wie  die  Formeln  der  deutschen  Urkunden  sich 
von  ursprünglich  sklavischen  und  unbeholfenen  Übersetzungen  zu  einem  inuner 
freieren  und  selbständigeren  Urkundenstil  entwickeln*).  Besonders  wichtig  ist 
es  aber,  den  Dialekt  zu  untersuchen,  und  wie  sich  in  den  einzelnen  Gegenden 
und  Kanzleien  aus  dem  Dialekt  der  Umgangssprache  ein  Schriftdialekt  heraus- 
bildet, aUenfalls  wieder  dessen  Verhältnis  zur  Sprache  der  Poesie  in  der  be- 
treffenden Gegend  ^).  Hier  eröflSiet  sich  gerade  dem  Territorialforscher  ein 
sehr  dankbares  Feld,  denn  ehe  an  allgemeine  Abstraktion  gedacht  werden 
kann,  müssen  an  der  Hand  eines  möglichst  lückenlosen  Materials  die  sprach- 
lichen Merkmale  ftir  die  einzelnen  Gebiete  oder  einzelnen  Kanzleien  fest- 
gestellt werden  ^).    Dabei  ist  es  unerläfslich,  dafs  man  sich  nur  auf  Original- 


i)  Z.  B.  schon  in  einer  Urkunde  K.  Ottos  I.  von  944,  Nov.  26  (MG.DD  I,  144, 
Nr.  62). 

2)  Die  Hofrichter  Berthold  von  Truchberg  und  Hermann  von  Bonstetten  führen  zw. 
1276  und  1290  bereits  Siegel  mit  deutschen  Umschriften  (Zeitschr.  f.  Gesch.  d.  Ober- 
rheins N.F.  IV,  393  und  Onckens  Allg.  Gesch.  in  Einzeldarst.  II.  Th.  6,  II,  137).  —  Im 
XIV.  Jahrh.  werden  deutsche  Siegelumschriften  häufiger,  auch  Mischungen  kommen  vor 
z.  B.  S.Johannis  Stadtschreiber  (Hartmann  v.  Franzenshuld,  Katal.  d.  hist.  Ausstellung  d.  St. 
Wien  1873,  154)  oder  S,  Ulrici  von  Walsee  de  Drosendorf  (Qu.  z.  Gesch.  d.  St  Wien  II, 
I,  Nr.  14 16).  Seit  dem  XV.  Jahrh.  ist  der  Gebrauch  schon  sehr  allgemein,  besonders 
bei  den  Siegeln  von  Adeligen  und  Bürgern. 

3)  Dannenberg,  Deutsche  Inschriften  auf  Mittelalter-Münzen  (Anz.  f.  Kunde  d. 
deutschen  Vorz.  1862,  236;  Numismatische  Zeitschr.  II  (1870)  517,  dazu  Nachträge 
XVn,  1885,  125  und  XXXII,  1900,  202).  Älteste  Beispiele:  Markgraf  Otto  von  Branden- 
burg (1170 — 84),  Otto  I.,  Graf  von  Geldern  (1182  — 1207),  steirischer  Denar  c.  1250 
bis   1270. 

4)  Noch  im  XTV.  Jahrh.  zeigen  sich  wörtliche  Übersetzungen  lateinischer  Urkunden 
im  Ausdruck  weit  unbeholfener  als  deutsch  konzipierte  Stücke.  Vergl.  Goswin,  Chronik 
des  Stiftes  Marienberg  (Tiroler  Geschichtsqu.  II,  1880)  die  S.  214 — 15  abgedruckte 
Übersetzung  einer  Urkunde  von  1192  (lat.  S.  55 — 57)  und  daneben  die  deutsche  Urkunde 

von  1332  (S.  133)-  .. 

5)  Vgl.  H.  M.  Jellinek,  Über  die  notwendigen  Vorarbeiten  zu  einer  Geschichte 
der  mittelhochdeutschen  Schriftdialekte  (Verhandlungen  der  42.  Versamml.  deutsch 

logen  u.  Schulmänner  zu  Wien   1893,  ^*  3^4) 

6)  In   der  That   liegen   bereits   einige   vortreffliche  Spezialuntersuchung^- 
vor,  von  welchen  ich  hier  besonders  nenne:    Brandstetter,  Prolepr 


—     120     — 

Urkunden  stützt,  daher  Grundbedingung  entweder  archivalische  Forschung 
oder  als  Vorarbeit  sorgfältige  Urkundenpublikation,  denn  die  älteren  Ur- 
kundenausgaben haben  sich  meist  so  willkürliche  Umformungen  der  deutschen 
Stücke,  insbesondere  ihrer  Schreibweise,  erlaubt,  dafs  sie  für  eine  sprach- 
liche Untersuchung  unbrauchbar  sind.  Auch .  auf  das  von  mir  betonte  Mo- 
ment der  Ausfertigung  der  Urkunden  durch  den  Empfanger  mufs  geachtet 
werden.  —  Die  sprachliche  Urkundenforschimg  ist  nicht  Selbstzweck,  aber 
ihre  Bedeutung  liegt  auf  zwei  ganz  verschiedenen  Gebieten:  es  ist  ein  An- 
fang, um  allmählich  die  übrigen  Erzeugnisse  des  Schriftwerks  neben  den 
Dichtungen  sprachgeschichtlich  mehr  zu  würdigen,  und  es  wird  dadurch  eine 
sichere  Grundlage  für  die  geschichtliche  Quellenkritik  '),  namenüich  für  die 
Erkenntnis  der  Fälschimgen  und  Verunechtungen  geschaffen. 

Max  Vancsa  (Wien). 

Eingegangene  Bttcher. 

Hetzenecker,  Joseph:  Studien  zur  Reichs-  und  Kirchenpolitik  des  Würz- 
burger Hochstifts  in  den  Zeiten  Kaiser  Ludwigs  des  Bayern  (1333 — 1347)« 
Würzburger  Inauguraldissertataion.  Augsburg,  Math.  Riegersche  Buch- 
handlung (A.  Hinmier),   1901.     88  S.  8^     M.    1.50. 

Klaje,  Hermann:  Der  Einfall  des  kaiserlichen  General- Wachtmeisters  Joachim 
Ernst  V.  Krokow  in  Hinterponamem  vom  Jahre  1643.  ["==  Pommersche 
Jahrbücher.  Ergänzungsband  I.]  Greifswald,  Julius  Abel,  1901.  167  S. 
80.     M.  4. 

Kolde,  Th. :  Das  religiöse  Leben  in  Erfurt  beim  Ausgange  des  Mittelalters. 
[=  Schriften  des  Vereins  für  Reformationsgeschichte  Nr.  63.]  EWlc, 
Max  Niemeyer,   1898.     68  S.    8®.     M.   1.20. 

Krön  es,  Franz  von:  Landesfürst,  Behörden  und  Stände  des  Herzogtums 
Steier,  1283 — 1411.  [=  Forschungen  zur  Verfassimgs-  imd  Verwaltungs- 
geschichte der  Steiermark,  IV.  Bd.,  i.  Heft]  Graz,  Styria,  1900. 
270  S.    8«.     M.  3.60. 

Laubert,  Manfred:  Die  Schlacht  bei  Kunersdorf  am  12.  August  1759. 
Mit  drei  Karten.    Berlin,  Mittler  imd  Sohn,   1900.     131   S.    8^.     M.  3. 

Linsenmayer,  Anton:  Die  protestantische  Bewegung  in  der  Fürstpropstei 
Berchtesgaden  bis  zur  Mitte  des  18.  Jahrhunderts.  [=  Historisches 
Jahrbuch  der  Görresgesellschaft.     12.  Bd.  (1901),  S.  37 — 84.] 


knndlichen  Gescliichte  der  Lozerner  Schriftsprache  (Der  Geschichtsfreund  45.  Bd.  1890, 
201)  and  Die  Lozerner  Kanzleisprache  1250  —  1600  (ebendas.  7.  Bd.  1892,  225);  Dam- 
köhler,  Mnndart  der  Urkunden  des  Klosters  Ilsenbarg  und  der  Stadt  Halberstadt  und 
die  heutige  Mundart  (Germania  XXXV,  129);  Nebert,  Zur  Geschichte  der  Spe3rrer 
Kanzleisprache  (Hallenser  Dissert.  189 1);  Haeudcke,  Die  mundartlichen  Elemente  in 
den  elsässischen  Urkunden  des  Strafsburger  Urkundenbuches  (Alsatische  Studien  5.  H.  1894); 
Scholz,  Geschichte  der  deutschen  Schriftsprache  in  Augsburg  (Berliner  Dissert.  1895); 
Willy  Scheel,  Jaspar  v.  Gennep  und  die  Entwicklung  der  neuhochdeutschen  Schrift- 
sprache in  Köln  (Westdeutsche  Zeitschr.,  Ergänzungsheft  VIII,  1893);  Bruno  Arndt, 
Der  Übergang  vom  Mittelhochdeutschen  zum  Neuhochdeutschen  in  der  Sprache  der 
Breslauer  Kanzlei.     Breslau   1898  [«» Germanistische  Abhandlungen  XV]. 

i)  Für  die  Urkunden  K.  Rudolfs  von  Habsburg  hat  Pischek,  Zur  Fragt  nach 
der  Existenz  einer  mittelhochdeutschen  Schriftsprache  im  ausgehenden  XU I.  Jahrhundert 
(Te«chener  Realschulprogr.   1892)  bereits  wichtige  Fingerzeige  gegeben. 

Herausgeber  Dr.  Armin  Tille  in  Lreipdg.  —  Druck  und  Verlag  von  Friedrich  Andrem«  Perthes  in  Gotha. 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsscbrift 


Förderung  der  landesgeschichtlicben  Forscbung 

III.  Band  Februar  1902  5.  Heft 


Zur  Gesehiehte  der  landesgesehiehtliehen 

Forsehung  in  Iiothringeti*) 

Von 
Ernst  MOsebeck  (Metz) 

Im  Jahre  1635  war  durch  ein  königliches  Patent  die  Acadimie 
franfaise  zu  Paris  beg-ründet  worden.  Erst  über  ein  Jahrhundert  später 
dachte  man  in  Metz  daran,  eine  ähnliche  Gesellschaft  ins  Leben  zu 
rufen,  die  die  gelehrten  Kreise  der  alten  Reichs-  und  Bischoüsstadt  in 
sich  vereinigte  ^).  Ihren  Ursprung  nahm  sie  gleich  der  Acad^mie 
franfaise  in  privaten  Zusammenkünften,  die  etwa  seit  1750  in  der 
Bibliothek  des  magistrat  de  Lan^on  stattfanden.  Der  Steuerempianger, 
später  avocat  am  Parlement  de  Metz,  Dupr^  de  Geneste,  war  der  Ur« 
heber  des  Gedankens,  eine  wirkliche  Gesellschaft  daraus  zu  bilden« 
Am  22.  April  1757  wurde  ihre  Begründung  in  dem  Bibliothekssaale 
des  College  Saint-Louis  im  Moselfort  von  14  Teilnehmern  b^chlossen; 
sie  waren  die  Begründer  der  „  societ^  d'^tudes  des  sciences  et  beaux- 
arts ",  zu  denen  sich  bereits  im  folgenden  Jahr  zehn  weitere  Mitglieder 
gesellten.  Ihre  Vereinigung  trug  einen  rein  privaten  Charakter.  Erst 
der  Fürsprache  des  Herzogs  von  Belleisle,  gouvemeur  des  Trois- 
Evech^,  in  Paris  verdankte  sie  es,  wexm  sie  im  Juli  1760  den  Titel 
einer  acad^mie  royale  erhielt.  Seine  Thätigkeit  für  die  Akademie 
erschöpfte  sich  damit  nicht;  im  folgenden  Jahr  bewilligte  er  ihr  ein 
Geschenk  von  60000  Lires  und  schenkte  für  ihren  Sitzungssaal  im 
Stadthaus  sein  BUdnis;  Gunstbezeugungen,  für  die  sie  ihm  den  Titel 
eines  protecteur*fondateur  verlieh. 


*)  In  diesem  Aufsatze  wird  nur  die  periodische  Litteratur  behandelt,  ein  späterer 
soll  der  Buch  litteratur  gewidmet  sein. 

l)  Bei  diesem  Oberblick  konnte  mit  Rücksicht  auf  den  Raum  in  der  Hauptsache  nur 

auf  die  Forschungen  in  dem  heutigen  Deutsch  •  Lothringen  Bezug  genommen  werden.  — 

Vgl.  zur  Geschichte  der  Metzer  Akademie  C.  Abel:  Histoire  des  anciennes  socü'tü  sa* 

vantes  du  pays  messtn  in  den  M^moires  de  la  soci^t^  d'arch^ologie  et  d'histoire   de  la 

Moselle,  Jahrgang  1860,  S.  690. 

9 


—     122     — 

Neben  dieser,  von  königlicher  und  staatlicher  Huld  getragenen 
Akademie  konnte  eine  andere  Gesdlschaft  SociiU  Ittteraire  de  Metz» 
bekannter  unter  dem  Namen  Soct^U  des  Philathlnes,  die  1759  von 
Emmery»  avocat  am  Pärlement  de  Metz,  gegründet  war,  nicht  auf* 
)commen,  um  so  mehr  als  sie  auf  staatliche  Unterstützungen  keinen 
Anspruch  erhoben  zu  haben  scheint 

An  der  Spitze  des  geistigen  Lebens  des  Landes  stand  die  Aka- 
demie. Ihre  hauptsächlichste  Bedeutung  lag  Qfellich  nicht  in  der  Lö- 
sung historischer  Fragen;  unter  den  24  ersten  Mitgliedern  befanden 
sich  nur  vier  Historiker.  Weit  mehr  als  die  Geschichte  zog  sie  die 
direkt  praktischen  Wissenschaften,  Physik,  Chemie,  Botanik  in  den 
Bereich  ihrer  Thätigkeit,  suchte  sie  zur  Förderung  der  Kultur  des 
Landes  zu  verwerten  und  so  ein  Bindeglied  zwischen  reiner  Wissen- 
schaft und  praktischem  Leben  zu  bilden.  Die  Preisaufgaben,  die  sie  stellte, 
beschäftigten  sich  in  erster  Linie  mit  der  Ausdehnung  eines  rattonelien 
Acker-  und  Weinbaues,  der  Kanalisierung  der  Mosel  und  der  Ver- 
besserung der  Lebensbedingungen  der  Bewohner.  Das  eine  Verdienst 
jedoch  bleibt  ihr  ungeschmälert,  dafe  sie  als  erste  Vereinigung  von 
Laien  die  Behandlung  landesgeschicbtlicher  Forschungen  in  ihr  Pro- 
gramm mit  aufgenommen  und  damit  bezeugt  hat,  da&  sie  die  Bedeu- 
tung dieser  Fragen  ßir  die  Zukunft  eines  Landes  wohl  erkannte. 

Noch  im  Jahre  1792  wurde  sie  bei  der  Aufhebung  der  Klöster 
damit  beauftragt,  über  die  Erhaltung  ihrer  Bibliotheken  zu  wachen; 
bereits  ein  Jahr  später,  1793,  erlag  sie  selbst  dem  Ansturm  der  Re- 
volution als  dem  Prinzipe  der  Gleichheit  widersprechend. 

Ejst  nach  der  Restauration  des  Königtums  kam  es  im  Jahre  1819 
zur  Nettbegründung  einer  wissenschaftlichen  Gesellschaft  in  Metz,  der 
Sociale  des  lettres,  sciences  et  arts  de  Metz  '),  die  sich  von 
Anfang  an  der  Unterstützung  der  staatlichen  und  städtischen  Behörden 
erfreute  und  durch  Ernennung  der  fünf  noch  lebenden  Mitglieder  der 
alten  Akademie  zu  Ehrenmitgliedern  sich  als  ihre  Fortsetzung  be- 
zeichnete. Ihr  Wirkungskreis  erstreckte  sich,  nachdem  sie  1898  zur 
acad^mie  royale  erhoben  war,  auf  dieselben  Gebiete  unter  stärkstei 
Hervorhebung  der  Förderung  der  Industrie  durch  alle  fünf  Jahre  sich 
wiederholende  Ausstellungen  und  durch  r^elmä&ige  Unterrichtskurse 
flir  die  Handwerker.     Ihr  Ziel  war   das  gleiche:   le  btU  4taii  d'iHre 

i)  Vgl  über  die  Akademie,  ihre  Begründung  and  ihre  Thätigkeit  die  «inzclner^ 
Jaliresberichte  in  ihren  Memoiren  (s.  S.  ia3  Anm.  l),  and  Didion:  Notice  sur  l'aca^ 
tUmie  royale  de  Metn^  in  Memoiren  1838/39,  S  381  ff.,  und  B.  Faivre:  Comid/raiionx 
g^närales  sur  FensembU  des  travaux  de  l'ücadimie^  Memoiren  1836/37  It,  S.  198  ff. 


—     123     — 

et  eile  le  formula  en  prenant  le  mot  l'  Utile  pour  devtse.  Von 
Wichtigkeit  war  es,  dafs  sich  die  Geseilschaft  gfleich  im  Anfang'  ihxts 
Entstehens  ein  eigenes  Organ  zu  Mitteilungen  über  ihre  Sitzungen  und 
zu  wissenschaftlichen  Arbeiten  schuft).  Die  meisten  geschichtlichen 
Aoisätze  haben  freilich  heute  nur  noch  historiogr£q>hischen  W^  weil 
sie  nicht  auf  die  Quellen  selbst  zunickgehen;  damals  boten  sie  die 
einzige  Möglichkeit,  das  Interesse  für  historische  Stndien  auch  in  wei- 
teren Kreisen  zu  fördern.  Von  Bedeutimg  sind  dag^en  heute  noch 
die  Fundberichte,  die  in  den  Memoiren  veröffenüicfat  wWden. 

Beinahe  40  Jahre  bildete  die  Akademie  mit  ihrer  2^itschrift  fiir 
die  Geschichtschreibung  des  Landes  das  einrige  C^gan.  Erst  mit  der 
Ausbreitung  historischer  Studien  in  den  vierziger  Jahren  in  Frankreich, 
die  dann  von  der  kaiserlichen  R^erung  kräftig  unterstützt  wurde,  be^ 
gann  auch  hier  eine  Änderung  sich  vorzubereiten.  In  allen  Provinzen 
Frankreichs  bildeten  sich  Vereine  zur  Förderung  landesgeschichtlicher 
Forschung,  die  durch  die  congrte  sdentifiques  et  arch^ologiques  zu-* 
sammengehalten  vnirden.  Diese  Versammlungen  fanden  in  den  Jahren 
1837,  184^  UQ^  1854  ^^  Metz  statt  und  scheinen  hier  einen  nach- 
haltigen Eindruck  hervorgerufen  zu  haben. 

Wenige  Jahre  darauf,  am  26.  März  1858,  wurde  die  sod^td  d'ar« 
ch^ologie  et  d'histoire  de  la  Moselle  begründet  und  damit  die  erste 
Gesellschaft  in  Metz  geschaffen,  die  ihr  Arbeit^[ebiet  auf  ein  be* 
stimmtes  Gebiet,  auf  die  historischen  Wissenschaften,  beschränkte.  Ab 
ihr  Ziel  bezeichnete  sie  „la  recherche,  la  c^nserpatwn  des  monu* 
ments  et  documents  kistoriques,  Ofrchiohgiques  concemetnt  la  frth 
vince,  l'impression  de  documents  importanis  paur  Vhütaire  du  pays 
et  la  räimpresston  de  Uvres  devenus  trop  rares  relaÜ/s  ä  ceit^jneme 
histoire**  *).  Diese  Veröffentlichungen  sollten  in  unbestimmten  Zwischen^ 
räumen  erfolgen.  Daneben  diente  die  Heransgabe  von  Sitzungsberichten 
(Bulletins)  und  Abhandlungen  (M€nmres)  der  Gesellschaft  zur  Er« 
reichung  ihrer  Ziele  ^).  Ihr  Eigentum  an  Fundstücken  und  an  Kunst-* 
gegenständen  deponierte  sie  im  städtischen  Museum  zu  Metz. 

Dieser  Verein,    mit  denselben  Mitteln   und   nach    den  gleichen 


I)  Zncnt  bb  Bd.  92  Mimoirm  dr  la  socUU  de»  kttres^  wktwn^  tt  mrU  de  MM^ 
Bd.  10/26.  Mimoirts  de  Vaeadimm  reyaie  deJIetä^  Bd.  39/331  ÄUmeüwe  da  Ifücndimk 
uatünmU,  Bd.  34^51:  de  Vmeadimie  imp4rmie,  ton  Bd.  52  ad  bii  jittlt  (Bd.  79):  JtfS^ 
meiret  de  Pmcademit  de  Mete. 

%)  BmUfttin  . .  .  dt  la  Mci^t^  (vgl.  Aam.  3)  I»  S^  3. 

3)  M^moiree  de-  U  t^cUU  d?mrek6eiögie  et-  mtHsMre  de  Im  JUeeeUe  Md  AeUeUm 
jene  1861— 1885  und  1888,  diese  1858^1873;  RegiftterimJahrbMh(?#rf8k  ij^^Am. 

9» 


—     124     — 

Zielen  wie  unsere  deutschen  Altertumsvereine  arbeitend,  bildete  fortan 
den  Mittelpunkt  der  historischen  Forschungen  fiir  das  Moseldeparte^ 
ment.  Ihre  Schriften  bieten  ein  wertvolles  Material  zur  Geschichte 
des  Landes;  seine  vornehmsten  Forscher:  Abel,  A«  und  L.  Benoit, 
de  Bouteiller,  Ledain,  Migette,  A.  Prost  zählten  zu  ihren 
Mitgliedern. 

Schon  fast  ein  Jahrzehnt  früher,  im  Jahre  1849,  ^^^  ^^  Soddt^ 
d'arch^ologie  lorraine  zu  Nancy  begründet  worden,  die  in  ihr  Arbeits- 
gebiet das  ganze  Meurthedepartement,  also  auch  die  jetzt  zu  Deutsch- 
land gehörigen  Teile,  gezogen  hatte  ^).  Damit  waren  für  den  Umfang 
des  heutigen  Deutschlothringens  die  äuiseren  Bedingungen  g^eben, 
für  die  Erhaltung  seiner  historischen  Denkmäler  und  ihre  Verwertung 
fiir  die  Geschichtschreibung  Sorge  zu  tragen. 

Die  Oigane  beider  Gesellschaften  bieten  reiches  Material  und  ein- 
gehende Forschungen  zur  lothringischen  Geschichte.  Ihr  Arbeitsgebiet 
erstreckte  sich  vor  allem  auf  die  politischen  Gebiete,  denen  ihr  Haupt- 
sitz seine  geistige  und  wirtschaftliche  Blüte  verdankte.  Beschäftigte 
sich  die  Gesellschaft  zu  Nancy  hauptsächlich  mit  dem  Herzogtum  Lo- 
thringen ') ,  so  zog  die  sociöt^  d'arch^ologie  et  d'histoire  de  la  Mo- 
selle  in  erster  Linie  die  Geschichte  des  Bistums  und  der  Stadt  Metz 
sowie  des  pays  messin  und  der  in  ihnen  gelegenen  Stiftungen  und 
Dörfer  in  ihr  Forschung^ebiet.  Das  alte  Herzogtum  und  Metz  *  und 
mit  Metz  die  Trois-EvSch^  überhaupt,  fanden  in  jenen  beiden  Gesell- 
schaften Mittelpunkte,  die  ihre  Geschichte  zum  Gegenstand  ihres  Stu- 
diums machten;  eine  dritte  Gruppe  von  Territorien,  deren  Vergangen- 
heit notwendig  zur  richtigen  Charakterisieruug  des  alten  Lothringens 
bis  zur  Revolution  gehört,  blieb  dagegen  von  den  Forschungen  fast 
unberührt :  die  kleinen  Territorien  und  Herrschaften,  die  im  Gebiet  des 
burgundischen  und  oberrheinischen  Kreises  lagen  und  zum  Teil  noch 
dem  deutschen  Sprachgebiete  angehörten.     So  gelang  es  der  socidt^ 


1)  Sie  giebt  die  Zeitschrift  hermus:  Memoires  de  la  sociiti  d*archiologu  lorraine 
bis  1899,  49  Bände,  Register  bis  1874. 

2)  Die  f  on  ihr  heraosgegebenen  Documents  sur  Vhistoire  de  Lorraine  beschäftigen 
sich  ausnahmslos  mit  dem  Herzogtum,  aas  den  18  Bänden  seien  folgende  henroigehoben : 
Henri  Lepagc:  Documents  inidits  sur  la  guerre  des  Rusiauds,  Nancj  1861;  Ders.: 
Lettres  et  Instructions  de  Charles  lU.  duc  de  Lorraine  relatives  aux  ajfaires  de  la 
Ugue^  NancjT  1^64;  F.  A.  Schmit:  La  guerre  de  trente  aux  en  Lorraine  fusqu'ä 
la  destruction  de  la  Moihe  1632—164$,  3  Bände,  Nanqr  1866/68;  Ch.  Gujrot:  R^ 
cueil  d'inventaires  des  ducs  de  Lorraine  (l 530'-- 1 606),  Naacj  1891;  Le  Mercier  de 
Mori^re:  Cataloguedes  acter  da  MaMeu  IL  duc  de  Lorraine  iS2o/Si  (besorgt  von 
Ch.  Pfiiter),  Naaqr  1893. 


—     125     — 

zu  Metz  auch  nicht,  jemals  in  diesen  Gebieten  eine  nennenswerte  Zahl 
von  Mitgiiedem  zu  gewinnen.  Ihrer  Zusammensetzung  nach  blieb  sie 
immer  eine  rein  lokale,  weil  sich  auch  ihr  Forschungsgebiet  durch 
allzu  enge  lokale  Grenzen  bestimmte  '). 

Hemmend  auf  die  Entwickelung  der  Gesellschaft  wirkten  natur« 
gemäis  der  Krieg  von  1870/71  und  seine  Folgen;  der  Aufschwung, 
der  sich  in  Ffankreich  bald  darauf  in  den  historischen  Studien  be- 
merkbar machte»  gewann  für  jene  keine  Bedeutung  mehr.  Anderseits 
war  ihre  Zusammensetzung  nicht  danach  angethan,  ihr  die  Sympathieen 
der  Eingewanderten  zu  gewinnen.  Zeitweilig  verlegte  sie  ihre  Sitzungen 
in  das  benachbarte  französische  Städtchen  Briey,  wo  eine  Ortsgruppe 
begründet  wurde;  die  Zahl  der  Mitglieder  sank  von  Jahr  zu  Jahr; 
viele  von  ihnen  wanderten  nach  Frankreich  aus,  und  neue  wurden 
nicht  mehr  aufgenommen.  So  war  es  kein  Wunder,  wenn  sie  ihren 
Aufgaben  sich  nicht  mehr  gewachsen  zeigte  tmd  seit  den  achtziger 
Jahren  nur  noch  ein  nominelles  Dasein  führte. 

Es  war  das  Verdienst  des  Bezirkspräsidenten  Freiherm  v.  Hammer- 
stein, jetzigen  preufsischen  Ministers  des  Innern,  in  Vereinigung  mit 
dem  Archivdirektor  Dr.  Wolfram  auf  dem  Gebiete  der  lothringischen 
Geschichtsforschung  eine  völlige  Neugestaltung  herbeigeführt  zu  haben« 
Beide  erliefsen  am  20.  September  1888  ein  Rundschreiben  an  alle 
interessierten  Kreise  unter  den  Eingeborenen  und  Eingewanderten,  in 
dem  der  Plan  der  Errichtung  einer  Gesellschaft  für  lothrin- 
gische Geschichte  und  Altertumskunde  unter  dankbarstejr 
Anerkennung  der  Leistungen  der  soci^t^  ihnen  vorgelegt  wurde  •) ; 
bereits  am  13.  Oktober  1888  konnte  eine  konstituierende  Versamm- 
lung berufen  werden,  und  am  5.  November  erfolgte  die  Bestätigung 
der  Regierung.  Von  Anfang  an  erwies  es  sich,  da(s  hier  ein  Boden 
gemeinsamer  Arbeit  iiir  Einheimische  und  Eingewanderte  ohne  Rück- 
sicht auf  religiöse  oder  politische  Stellung  gefunden  sei.  In  wenigen 
Jahren  dehnte  sich  die  Mitgliederzahl  auf  ganz  Deutschlothringen  aus  *). 
Der  enge  Zusammenhang  mit   der  Regierung  des  Landes  wurde   da- 


i)  Am  I.  Januar  1860  zählte  sie  etwa  180  Mitglieder,  darunter  5  in  Lothringen 
aniserhalb  Metz  und  der  nächsten  Umgebung,  nnd  etwa  15  aas  dem  tlbrigen  Frankreich; 
1866  etwa  180  Mi^Ueder,  darunter  33  in  Lothringen  anfterhalb  Metz  und  der  nächsten 
Umgebmig;  im  deutschen  Sprachgebiet  etwa  5. 

2)  Vgl.  Jahrbuch  I,  S.  4ff.  (s.  S.  126  Anm.  x). 

3)  Schon  1889  befanden  sich  unter  den  m  Mitgliedern  der  Gesellschaft  41  aufser- 
halb  Metz  und  der  nächsten  Umgebung;  1896  unter  290  Mitgiiedem  etwa  180  aufserhalb  dieses 

;  am  I.  April  1901  zählte  die  Gesellschaft  362,  am  x.  Januar  1902  bereits  402  Mitglied^ 


—     I8C     — 

durch  ioBi^ebalfeen ,  dafe  der  jed»malt|^e  Bezidcspräsident  von  Rechts 
wtgen  der  Präsident  der  GeseUscbaft  sein  solle.  Ihr  Zwedc,  wie  er 
sich  in  den  Statuten  ausgfcsprochen  findet,  deckt  sich  mit  den  Zielen 
der  alten  soci^t^,  das  Interesse  an  der  Geschichte  und  Altertumskunde 
Lothringens  su  fördern,  insbesondere  durch  Studien,  gemeinsame  Be* 
sprechungen,  Vorträge,  Herausgabe  eines  Jahrbuchs  und  historischer 
Denkmäler,  Sanunlungen.  Im  Jahre  1891  wurde  der  Gesellschaft  vom 
kaiserlicfaen  Ministetiitm  eine  jährliche  Unterstützung  von  1000  Mk«, 
von  der  Stadt  Metz  eine  solche  von  500  Mk.  bewilligt.  In  demselben 
Jahre  traf  sie  auch  ein  Abkommen  mit  dieser  über  das  Eigentums- 
recht und  die  Au&tellung  der  von  der  Gesellschaft  erworbenen  Alt^- 
tümer  und  Kunstgegenstände  im  städtischen  Museum.  Förderung  hatte 
sie  sicherlich  auch  durch  die  1889  in  Metz  abgehaltene  General- 
versammlung der  deutschen  Geschichts-  und  Altertumsvereine  erfahren. 
Ihr  Jahrbuch  war  bald  zu  einer  reichhaltigen  Sammelstelle  der  Ar- 
beiten aller  einheimischen  Forscher  auf  allen  Gebieten  historischen 
Wissens  geworden  *). 

Der  Fortschritt,  den  die  Thätigkeit  der  Gesellschaft  gegenüber 
der  der  alten  soci^t^  bedeutete,  lag  zunächst  in  ihrer  Ausdehnung  auf 
ganz  Lothringen.  Das  Interesse  erwies  sich  als  hinreichend  stark 
genug,  dals  bereits  1893  der  Plan  zur  Bildung  von  Ortsgruppen  ge- 
iafst  werden  und  die  erste  in  Saargemünd  sich  bildoi  konnte.  Zu 
gleicher  Zeit  trat  sie  imch  der  Au^'abe  näher,  die  lokalgeschichtlichen 
Quellen  zur  Geschichte  Lothringens  zu  veröfTentlichen.  Schon  189S 
wurde  über  die  Gründung  einer  Kommission  zur  Herausgabe  elsaCi- 
lothringischer  Gesohichtsquellen  verhandelt;  die  Besorgnis,  dais  Lo- 
thringen nicht  als  gleichwertiger  Faktor  dem  Eisais  zur  Seite  treten 
werde,  liefe  die  Gesellschaft  von  der  Verwirklichung  dieses  Planes  ab- 
stehen und  vielmehr  darauf  hinarbeiten,  aus  sich  selbst  heraus  mit 
Unterstützung  staatlicher  und  kommtmaler  Behörden  und  privater  Bei- 
hilfe eine  eigene  Kommission  &i  Lothringen  zu  bilden.  Das  Ziel  ist 
erreicht  und  der  erste  Band  der  Quellen  konnte  bereits  der  OiTent- 
lichkeit   übergeben    werden ').    Die    Grundkarten   für   ganz   Deutsch- 


i)  Jührbach  4«r  GcffUichaft  Ittr  lothrinstsche  Gesduchte  nnd  AUeftmiukniidfi ,  iSSS 
bif  1900,  IS  Binde,  in  4«m  Mok  M»adtflielie  Jakresbcriehte,  sowie  im  lelctcr  Zeit  e«ck 
Berichte  über  die  Erwerbungen  des  Moseoms  Teröffeiitliclit  werdes.  Der  Inbalt  der  eio* 
seinen  Bände  kann  hier  nicht  angegeben  werden;  vgl.  Jahresberidite  der  Geschtchts« 
Wissenschaft  die  einseben  Btfode,  besonders  XIV,  1891,  U,  336;  XVI,  1893,  ^»  ^3^; 
XIX,  1896,  n,  S33. 

2)  Qtdko  i«r  loihrii^scben  Geschichte,   heransgegeben  toa  der  CreseUschaft  iHr 


—     127     — 


Lotfanogen  mit  eiaigeB  aagrenzcndea  fraBzösiscfami  Gebielen  ivMirden 
im  Laufe  dieses  Jahres  gkichiiiüls  fertig'  gestellt  So  wurde  das  that^ 
säcbUclie  Arbeitsgebiet  ein  umfasseaderes  als  das  der  sodöt^.  Dafür 
legen  auch  c£e  Aufsätze  des  Jahrbucbes  Zeagius  ab.  Folgende  Prägen 
sind  es,  die  durch  sie  besondere  Förderung  erfahren  haben:  die  ptfL* 
historische  Forschung  nebst  der  römischen  Zeit,  die  Bestimmung  der 
nationalen  Grenzen  zwischen  Romanen  und  Germanen  und  ihre  Ver* 
Schiebung;  die  Erforschung  der  Dialekte  auf  lothringischem  Boden, 
die  Geschichte  des  Bistums  in  verschiedenen  Perioden,  die  Temtorial- 
geschichte  der  kleinen  lothringischen  HeiTsohaften  und  die  Geschichte 
der  Reunionskammer  zu  Mets. 

Das  Jahrbuch  bildet  somit  das  wichtigste  Organ  für  die  landea- 
geschichtliche  Forschung  Lothringens.  Elrwähnenswert  sind  noch  von 
den  in  Metz  erscheinenden  Zeitschriften  die  in  französischer  Sprache 
geschriebenen  Memoires  de  Vacademie  de  Metz  ^)  und  die  Revue 
eccUs$asiigi4€  *),  die  beide  auch  historische  Aufsätze  bringen.  Für  die 
Arbeiten  zur  Restaurierung  der  Kathedrale  von  Metz  hat  sich  der 
Dombauverein  ein  eigenes  Blatt  das  Meher  DambaublaU  in  deutscher 
und  französischer  Sprache  geschaffen. 

Von  gleicher  Bedeutung  wie  das  Jahrbuch  für  den  ganzen  Um^ 
fang  landesgeschtchtlicher  Studien  verspricht  für  die  Kunstgeschichte 
und  ihre  Einwirkung  auf  weite  Kreise  das  Unternehmen  zu  werden, 
das  die  lothriAgiscben  Kuastdenkmäler  zu  reproduzieren  bezweckt*)» 
Ihm  zur  Seite  tritt  eine  andere  Schöpfung,  dte  der  Initiative  der  Re* 
gierung  verdankt  wird  und  sich  in  erster  Linie  die  praktische  Angabe 
gestellt  hat,  auf  die  zukünftige  Entwickelung  des  Kunstgewerbes  ift 
Elsaä-Lothringen  einzuwirken;  doch  wurd  ihr  für  Lothrii^fen  auch  sicher* 
lieh  eine  grofse  kunstgeschichtliche  Bedeutung  beigemessen  werden 
müssen  % 


lolhringiscbe  Gcscbicbte  nad  Altertomtkimde ,  Bd.  I:  H.  V.  SmerWod,  Vatikanisohe  Ur- 
knoden  und  Regesten  zur  Geschichte  Lothringens,  erste  Abteilang  1294 — 1342»  Mets 
1901.  _  Vgl.  Jahrbuch  Vü,  S.  312  und  Deutsche  Geschichtsblätter  U,  S.  142  und 
S.  304  Anm. 

I)  Vgl  S.  123  Anm.  i. 

3)  Erschcant  seit  1890  in  Mete,  bis  1900  in  inoMiflifdien  Heften,  Bd.  I-^XL 

3)  Eisästucht  und  lothringische  Kmukknhmäkr^  hcrattsgegebeo  toa  Dr.  Sw  HMi« 
mann  unter  Mitwirkung  fon  anderen  Gelehrten.  IL  Lothringiiche  XMnstdemhmäkTf 
Strafsbuig,  Text,  deutsch  und  franxösisch,  von  ArdMfdIrtktor  Dr.  Wolfram  uad  60  Tafeln 
(StadlbMral  Wahn).    VgL  DMtechc  Gesrhirhtirf>mwr  I,  S.  a86. 

4)  Das  Kunstgewerbe  in  Elsrnfs^Lothringen,    HeransfHeben  mit  Unl«nlitzisg  '^ 
Elsais-Lothringischen  Landesregierung  von  Praf.  AAloa  Seder,  Dkdctor  der 


—     128     — 

Von  weit  gröiserer  Wichtigkeit  für  die  landesgeschicbtliche  For* 
schling  in  Lothringen  als  die  Zeitschriften  der  benachbarten  deutschen 
Gebiete  sind  die  historischen  Zeitschriften  des  östlichen  Frankreichs. 
Der  historische  Zusammenhang  in  allen  seinen  Einzelbeziehungen  zwi* 
sehen  dem  jetzigen  Deutsch*Lothringen  und  den  benachbarten  fran- 
zösischen Gebieten  war  jahrhundertelang  zu  eng,  als  dafs  ihn  eine  so 
kurze  Spanne  Zeit  von  30  Jahren  hätte  trennen  kränen.  Hier  bildet 
besonders  die  Universität  Nancy  den  Mittelpunkt  historischer  For- 
schungen. Die  französische  Zeitschrift,  die  wohl  für  die  bedeutendste 
des  ganzen  französischen  Ostens  gelten  kann,  sind  die  Annales  de 
l'Est  ^),  die  in  allen  ihren  Bänden  mit  der  deutsch-lothringischen  For- 
schung sich  berühren.  Erwähnt  wurden  schon  die  Mimatres  de  la 
soctöU  d'archäologte  lorraine,  die  in  Gemeinschaft  mit  dem  Museum 
zu  Nancy  auch  noch  ein  jähriiches  Journal  erscheinen  lälst ').  An 
dritter  Stelle  sind  endUch  noch  die  gleichfalls  in  Nancy  erscheinenden 
MAnaires  de  Pacadimie  de  Stanislas^)  anzuführen.  Zerstreute  Auf- 
sätze und  Nachrichten  zur  Geschichte  Lothringens  brmgen  schlielslich 
auch  noch  das  Bulletin  de  la  socidU  fyhilomatique  vosgienne  und 
die  M&moires  de  la  sociiti  des  lettres ,  sciences  et  arts  de  Bar" 
le-Duc. 

Von  bereits  eingegangenen  Zeitschriften  verdienen  Erwähnung  die 
in  Metz  erschienenen  Revuen,  die  gleichsam  als  die  Vo^änger  der 
Annales  de  VEst  angesehen  werden  können,  nämlich :  Revue  d*Au' 
Strasse  1837 — 1842,  Revue  de  Metz  1844 — 1845,  I^Austrasie,  Revue 
de  Metz  et  de  Lorraine  1853 — 1863,  die  schlielslich  unter  dem  Namen 
Revue  de  l'Est  (l'Austrasie)  bis  1867  weiterg^fiihrt  wurde.  Auch 
die  in  Stra&burg  und  Metz  von  1881  — 1889  erschienene  La  Revue 
nouvelle  d* Alsace-Lorraine  brachte  Au&ätze  historischen  Inhalts. 

Bedeutsame  Förderung  hat  die  Geschichte  Lothringens  durch  die 
fortschreitende  Inventarisierung  der  Archive  und  die  Katalogisierung 
der  in  den  Bibliotheken  aufbewahrten  Handschriften  gefunden;  einige 
der  wichtigsten  seien  hier  noch  zum  Schlufs  dieses  ersten  Abschnittes 
erwähnt    Nach  dem  Muster  aller  französischen  Archivinventare  wurde 


fchnle  in  Stnfsbarg,  und  Dr.  Friedrich  Leittcfancb,  Professor  an  der  Kaiser  Wilbelms- 
UnirerBität)  Strafsborg;  für  Lothringen  aufterdem  wichtig:  La  Lorrmne^Artiste^  Nancy, 
bis  1899  17  Jahrg&Qge. 

i)  Paris-Nanqr,  bis  1900  14  Binde. 

3)  Vgl.  S.  124  Anm.  x.  —  Journal  de  la  soeOiS  t^archeologU  lorraine  et  du  co* 
miU  du  mus6e  Icrratny  Nanqr  1857 — 1899,  48  Binde. 

3)  Bis  1900  150  Jahrginge;  Register  bis  1866. 


—     12Ä     — 

bearbeitet  E.  Sauer:  Inventaire  sommaire  des  archives  d^parte^ 
mentales  de  la  Lorraine  aut&rieures  ä  1790^  Metz  1879  (Serie  G), 
1890  (Serie  A — E),  1895  (Serie  H);  daran  schliefet  sich  ein  dankens« 
wertes  Verzeichnis  der  Lehnsstücke,  Inventaire  des  aveux  et  dinombre^ 
ments  deposes  aux  archives  dipartementales  de  Metz,  pricSde  d*une 
notice  sur  la  creation  de  la  chambre  royale,  Metz  1894,  desselben 
Verfassers,  ehemaligen  Archivdirektors  des  Bezirks  Lothringen.  In 
gleicher  Weise  müssen  natürlich  auch  die  Inventare  des  Archivs  zu 
Nancy  herangezogen  werden.  Aus  Bibliotheken  verdienen  besonders 
zwei  jüngst  veröffentlichte  Erwähnung:  L.  Germain:  Manuscrits  de 
la  bibliothhque  de  Luxembourg  und  P.  Marichal:  Catalogue  des 
manuscrits  conserves  ä  la  bibliothhque  nationale  sous  les  nos  i  ä 
72^  de  la  collection  de  Lorraine  (Documents  sur  Thistoire  de  Lor- 
laine  XVTII;  vgl.  S.  124  Anm.  2).  Ein  Catalogue  des  manuscrits 
relati/s  ä  l'histoire  de  Metz  et  de  la  Lorraine,  r^dig^  par  M.  Clercx, 
conservateur  (Metz  1856)  giebt  uns  einen  vorläufigen  Aufschluß  über 
den  Reichtum  an  Manuskripten,  den  die  Metzer  Stadtbibliothek  zur 
lothringischen  Geschichte  besitzt.  Es  wäre  eine  der  wichtigsten  Auf- 
gaben ihrer  Verwaltung,  den  Druck  eines  vollständigen  beschreibenden 
Katalogs  der  Manuskripte  ins  Werk  zu  setzen. 


Historisehe  Topographie  mit  besonderer 
Berüeksiehtigung  fli^derösterreiehs 

Von 
Max  Vancsa  (Wien) 

(Schlafs  •) 

Als  nun  ich  im  April  1901  von  der  Leitung  des  Vereins  für 
Landeskunde  den  ehrenvollen  Antrag  zur  Fortführung  der  Redaktion 
der  „Topographie*^  vom  sechsten  Bande  an  erhielt,  nahm  ich  unter 
der  Bedingung  an,  da&  man  mir  gestatte,  die  notwendig  gewordenen 
Reformen  durchzuführen. 

Selbstverständlich  konnte  es  sich  dabei  nicht  um  eine  völlige 
Umgestaltung  des  nun  einmal  bereits  bis  zur  Hälfte  gediehenen  Werkes 
handeln,  sondern  nur  um  eine  praktische  und  zeitgemä&e  Ausgestal- 


•)  VgL  S.  97— «09. 


—     130     — 

tung.  Sie  sollte  das  bisher  geschaffene  Gute  möglichst  bewahren,  die 
gewonnenen  Erfahrungen  aber  verwerten.  Veraltetes  abstoßen,  Neuet 
organisch  einfugen,  die  zugänglichen  Quellen  mc^ichst  voUstäa(% 
imd  nach  allen  Richtungen  hin  ausnützen  und  endlich  die  Einheitlt<^ 
keit  und  dadurch  die  Benutzbarkeit  des  Werkes  erhöhen. 

Das  erste  und  wichtigste  Erfordernis  war  die  Ausarbeitung  eines 
einheitlichen,  allen  Artikeln  zu  Grunde  zu  legenden  Planes,  welclier 
als  „Instruktion''  jedem  Mitarbeiter  an  die  Hand  gegeben  werden 
kann.  Mit  Berücksichtigung  der  bisherigen  Anlage  des  Werkes,  der 
modernen  Anforderungen  an  ein  derartiges  Unternehmen,  welche  sich 
ja  seit  dessen  Beginn  vielfach  verschoben  haben  (während  z.  B.  ältere 
Topographen  der  Genealogie  einen  breiten  Raum  zuweisen,  treten  jetit 
siedlungs-  und  wirtschaftsgeschichtiiche  Fragen  in  den  Vorder- 
gnmd  des  Interesses),  sowie  der  —  im  Eingang  dieses  Auf- 
satzes gewürdigten  —  gleichzeitigen  wissenschaftlichen  Bestrebungen 
in  Deutschland  entwarf  ich  folgendes  Idealschema  für  den  histo* 
rischen  Teil '). 

I.  Ortsname  (Zusammenstellung  der  überlieferten  Namensformen 
mit  Zeit-  und  Quellenangabe;  Namenerklärung). 

II.  Prähistorische  und  römische  Funde. 

III.  Ortsgeschichte  (aufser  den  historischen  Ereignissen,  insbesondere 
die  Gründung,  beziehungsweise  Feststellung  der  ältesten  Erwähnung; 
femer  womöglich  der  ältesten  Besiedlungsform  [der  Dorf-  und  Flur- 
anlage, des  Hausbaues];  zuletzt  auch  Wappen  und  Siegel). 

IV.  Verfassung  und  Verwaltung  (in  historischer  Entwickelung ; 
insbesondere  Gerichtsbarkeit,  bezw.  Gcrichtszugehörigkeit,  Finanz- 
verwaltung, Wohlfahrtswesen ;  Angaben  über  die  Privil^^,  Gemeinde- 
protokolle und  sonstigen  Archivalien). 

V.  Geschichte  der  staatlichen  und  Landesbehörden;  allenfalls  der 
Garnison. 

VI.  Herrschaft  (Art  der  Herrschaft;  Besitzerreihe;  Herrschafts- 
besitz; Baugeschichte  und  Beschreibung  des  Schlosses;  Herrschafls- 
archiv). 

VII.  Kirchengeschichte  (Gründung  der  Kirche  [Kapelle],  Pfarre» 
des  Klosters,  bezw.  älteste  Erwähnung;  Patrocinium,  Patronat;  Reihe 
der  Pfarrer  oder  Klostervorstände;  Baugeschichte  der  kirchlichen  Ge- 


i)  Für  den  anthropo-geographischen  Teil  arbeitete  auf  meine  Einladung  hin  Herr 
Prof.  Robert  Sieger  (Wien)  gleichfaUs  einen  neuen  Plan  aiu,  Ton  dem  ich  aber  hier, 
wo  hanptfächlich  „Historische  Topographieen**  besprochen  werden  soUen,  leider  ab* 
sehen  mnfs. 


—     181     — 

bäude;    ocreo  Kunstschätze  und  Arcliivalien;   Friedhof;  DotatioB  der 
Pianre;   Benehzien  und  Stiftungen;  Bruderschaften;   Besttzverfaältnitse; 
aulsesdeiu  Aa^aben  über  die  evangelische  Gemeinde  und  die  Juden). 
VII.    Scnulgeschichtc. 

IX.  Geschichte  der  Vereine. 

X.  Historisches  über  die  landwirtschaftlichen  Betriebe  (Feld-  und 
Wtesenbau,  Obstkultur;  Viehzucht  u.  s.  w.;  Art  des  Betriebes). 

XI.  ueschichte  der  Gewerbe  und  Industrieen  (Handwerks-  und  Ge- 
werbeordnungen;  abgekommene  Betriebe). 

XII.  Geschichte  und  Beschreibung  hervorragender  Baulichkeiten 
(Befestigungen ;  Rathaus  u.  a.  Bauten ;  Wahrzeichen ;  historische  Haus- 
schilder; Denk-  und  Betsäulen;  künstlerische  Brunnen). 

XIII.  Historische  Notizen  über  gemeinnützige  Einrichtungen  und 
sonstige  Merkwürdigkeiten  des  Ortes. 

XIV.  Berühmte  Männer  und  Frauen  (entweder  im  Ort  geboren 
oder  durch  längere  Zeit  ansässig;  dazu:  Reichsrats-  und  Landtags- 
abgeordnete). 

XV.  Lokalsagen. 

Die  einzelnen  Angaben  müssen  quellenmäisig  belegt  sein,  wobei 
nicht  nur  die  gedruckte  Litteratur  vollständig,  sondern  auch  das  archi- 
valische  Material  nach  Möglichkeit  und  Zugänglichkeit  herangezogen 
werden  soll  ').  Auffallende  Lücken  müssen  begründet  werden.  Der 
Übersichtlichkeit  und  bequemeren  Benutzbarkeit  halber  soll  die  ge- 
gebene Reihenfolge  möglichst  eingehalten  werden,  sofern  nicht  ge- 
wichtige innere  Gründe  eine  Verschiebung  notwendig  machen.  Hin- 
sichtlich der  Darstellung  wird  an  der  bisherigen  Form  der  zusammen- 
hängenden Ausarbeitung  festgehalten,  doch  jeder  Mitarbeiter  darauf 
hingewiesen,  da(s  der  Charakter  des  Werkes  der  eines  praktischen 
Nachschlagebuchcs  sein  und  nicht  eine  Sammlung  von  Monographieen 
geboten  werden  soll.  Es  ist  demnach  möglichste  Knappheit  der  Dar- 
stellung erwünscht,  phrasenhafte  Reflexionen,  allgemeine  Erörterungen 
über  die  Landes-  und  Kulturgeschichte,  Polemiken,  Wiederholungen 
aus  früheren  Artikeln  sind  gänzlich  zu  vermeiden.  Nach  dem  Prin- 
zipe  der  Arbeitsteilung  werden  gewisse  Detailfragen  einer  eigenen  fach- 
männischen Bearbeitung  unterzogen  werden.     Z.  B.   ist  für  den  orts- 


i)  Znr  Erleichterung  der  Arbeit  habe    ich    mit    spezieller  Rücksichtnahme   auf  die 
Zwecke    der    „ Topographie*'    eine    bibliographische    ZosammensteUang    der    gedmckten 
Quellen  und  der  rilgemetnen  Litterator  (bes.  Handbücher  n.  dgl.)  zur  Landeskunde,  sowie 
eine  Übersicht  ttber  die  hauptsächlich  fttr  Niederösterreich   in  Betracht  kommenden  Bf 
•lande  der  Wiener  Archire  verfafst,  welche  im  Verlag  des  Vereins  im  Dmck  erschienen 


—     132     — 

etymologischeo  Teil  in  Richard  Müller  ein  anf  diesem  Gebiete 
bereits  geschulter  und  erfahrener  Germanist  gewonnen  worden ;  ebeiKo 
werden  von  Fall  zu  Fall  Archäologen  und  Kunsthistoriker  heran- 
gezogen werden.  Jeder  Artikel,  bezw.  jeder  Teil  eines  Artikels,  wird 
von  nun  an  mit  dem  Namen  des  Verfassers  gezeichnet  sein,  der  für 
Form  und  Richtigkeit  der  Angaben  verantwortlich  ist 

Gleichzeitig  mit  der  Aufstellung  dieser  Grundsätze  war  ich  be- 
strebt, den  Kreis  der  Mitarbeiter  durch  tüchtige  jüngere  Kräfte  zu  er- 
weitem. Ihre  Zahl  beläuft  sich  gegenwärtig  auf  25,  also  mehr  als  das 
Doppelte  der  bisherigen  Anzahl.  Aber  auch  die  VerteUimg  der  Arbeit 
soll  nicht  mehr  nach  Zufälligkeiten  und  dem  momentanen  Bedarf  vor- 
genommen werden.  Bei  dem  fortgeschrittenen  Stand  des  Werkes 
liefs  sich  freUich  der  einzig  richtige  historische  Gesichtspunkt  nicht 
mehr  durchfuhren,  aber  den  meisten  der  Mitarbeiter  wurde  ein 
gröfseres  Gebiet,  ein  oder  mehrw'e  Gerichtsbezirke  zur  Bearbeitung 
übertragen.  Dadurch  wird  sich  nicht  nur  allmählich  das  Tempo  im 
Erscheinen  des  Werkes  beschleunigen,  sondern  der  Mitarbeiter  hat 
die  Möglichkeit,  sich  in  ein  doch  immerhin  mehr  oder  minder  zu- 
sammenhängendes und  aus  den  gleichen  Entwickelungsphasen 
hen^orgegangenes  Gebiet,  zu  dessen  einzelnen  Orten  zumeist  dieselben 
Quellen  aufgesucht  und  durchforscht  werden  müssen,  einzuarbeiten. 
Dadurch  wird  namentlich  fiir  die  kleineren  Orte  gar  mancher  Auf- 
schlufe  sich  e^eben,  aber  auch  die  Gesamtarbeit  an  Einheitlichkeit 
tmd  Tiefe  gewinnen. 

Natürlich  verhehle  ich  mir  nicht,  dafs  dem  Unternehmen  auch 
femer  manche  Mängel  anhaften  werden.  Die  Vielheit  der  Mitarbeiter 
birgt  trotz  der  genauen  Instruktion  Gefahren  für  den  einheitlichen  Cha- 
rakter, dem  Unternehmen  stehen  nicht  genügende  Mittel  zur  Ver- 
fügung, um  eine  Erschliefsung  sämtlicher  lokaler  Quellen  oder  eine 
Autopsie  der  Mitarbeiter  zu  ermöglichen,  abgesehen  davon,  dafs  manche 
wichtige  Archive  leider  noch  immer  unzugänglich  sind.  Die  Redaktion 
wird  daher  immer  wieder  auf  die  Opferwilligkeit  der  Mitarbeiter  und 
auf  die  nicht  immer  verläfslichen  schriftlichen  Auskünfte  ortsansässiger 
Persönlichkeiten  (Pfarrer,  Lehrer  u.  s.  w.)  angewiesen  sein.  Auch 
bleiben  noch  immer  einige  Fragen,  welche  man  an  eine  Topographie 
stellen  könnte  und  auch  bei  ähnlichen  Unternehmungen  anderwärts 
schon  zu  beantworten  gesucht  hat  (z.  B.  Flurnamen,  Bodenerhebungen, 
Wasserläufe  u.  s.  w.),  unberücksichtigt.  Doch  ist  es  für  ein  so  ge- 
waltiges Unternehmen  schon  genug,  das  Beste  gewollt  und  angestrebt 
zu  haben.    Manches  wird  sich  dann  dem  Ideale  und  Muster  immerhin 


—     133     — 

nähern  können,  und   was  stärker  zurückbleibt,   soll  wenigstens  nicht 
unter  einer  gewissen  Grenze  des  Möglichen  stehen. 

Noch  will  ich  übrigens  mit  einem  Worte  auf  das  zurückkommen, 
was  ich  oben  als  unberücksichtigt  geblieben  hervorgehoben  habe. 
Auch  da  steht  es  in  Niederösterreich  nicht  so  schlimm,  wie  dies,  so« 
weit  ich  aus  Beschomers  oben  erwähnten  Aufsatz  ersehen  habe,  in  vielen 
Provinzen  Deutschlands  noch  der  Fall  ist  Freilich  die  Flumamenforschui^ 
liegt  noch  gänzlich  im  Argen,  dagegen  sind  die  verschollenen  Ortschaften 
seiner  Zeit  von  N  e  i  1 1  zusammenfassend  bearbeitet  worden  (Blätter  des  Ver- 
eins für  Landesk.  XV — XVII)  und  Maurer,  Schranzhofer,  Ham- 
merl,  Wick,  2ak  und  Plesser  haben  zahlreiche  Nachträge  ge- 
liefert (ebenda  XV,  XX,  XXI,  XXV— XXVII,  XXXIII,  XXXIV).  Zur 
Ortsnamensforschung  hat  Richard  Müller  namhafte  Vorarbeiten 
(a.  a.  O.  XVIII— XXVII  und  XXXIV)  geliefert,  wozu  aUerdings  die 
Ergänzungen  und  Verbesserungen  von  Grienberger  (Mitt  d.  Inst, 
f.  österr.  Gesch.  XIX,  520)  und  Willibald  Nagl  (verstreut  in  Zei- 
tungen und  Zeitschriften)  heranzuziehen  sind,  und  bereitet  gegenwärtig 
ein  umfassendes  „Altösterreichisches  Namenbuch '*  vor.  Eine  Kunst- 
topographie plant  die  Centralkommission  für  Kunst-  und  historische 
Denkmale.  Allerdings  ist  bisher  nur  Böhmen  bearbeitet  worden. 
Doch  giebt  es  auch  für  einzelne  TeUe  Niederösterreichs  mehr  oder 
minder  umfassende  Vorarbeiten.  Ich  erinnere  nur  an  den  „Archäo- 
logischen Wegweiser  durch  das  Viertel  unter  und  ober  Wiener  Wald  von 
Sacken  (Wien  1866  und  1878)  u.  a.  m.  Der  Wunsch  nach  einer 
kartographischen  Landaufhahme ,  welcher  früher  mit  dem  nach  einer 
,, Topographie'*  Hand  in  Hand  ging  und  auch  in  Deutschland  vielfach 
damit  verquickt  ist,  ist  hier  nicht  nur  durch  die  Generalstabskarte, 
sondern  auch  durch  die  vom  Verein  für  Landeskunde  herausgegebene 
Administrativkartc  zum  gröfsten  Teil  erfüllt.  Aufserdem  wird  der  von 
der  Akademie  der  Wissenschaften  geplante  „Historische  Atlas  der 
Alpenländer  ** ')  auch  die  einzelnen  Stadien  der  historischen  Entwicke- 
lung  Niederösterreichs  kartographisch  zur  Anschauung  bringen.  Es 
sei  auch  noch  erwähnt,  dafs  neben  der  das  ganze  Land  umfassenden 
„Topographie"  eine  Reihe  recht  tüchtiger  Werke  über  einzelne 
mehr  oder  weniger  ausgedehnte  Gebiete  in  ähnlicher  lexikalischer  An- 
lage erschienen  sind.  Ich  erinnere  als  Beispiel  an  Schwetters  Heu 
matskunde  des  politischen  Bezirkes  Amstetten  (2.  Aufl.,  Komeuburg 
1884).     Auch   die  seiner  Zeit  Torso  gebliebene   „Kirchliche  Topo- 


i)  VgL  darflber  den  Anfsatx  Ton  Kapper  im  II.  Bande  dieser  Blatter,  S.  217-^227« 


—     184     — 

giaphie'*  fand  Nachfolgeschaft  in  den  seit  1878  erscheinenden  Ge^ 
schichtlichen  Beilagen  zu  den  Konsistorial' Kurrenden  der  Diöcese 
St.  Polten,  welche  ausfuhrliche  Geschichten  der  St  Pöltener  Püarren 
enthalten  und  gegenwärtig  bis  zum  siebenten  Bande  gediehen  sind 
(vom  sechsten  Bande  an  imter  dem  Titel:  „.  .  .  xum  St.  Pöltener 
Diöcesanblatt'').  Die  Erzdiöcese  Wien  veröffentlicht  im  Wiener  Diö- 
cesanblatt  Regesten  zur  Geschichte  der  Wiener  Pfarren  in  alphabeti- 
scher Reihe,  (gegenwärtig  bis  ,,Drösing**  reichend  1). 

Es  erübrigt  mir  zum  Schlüsse  meines  Aufisatzes  nun  noch  einen 
kurzen  Überblick  über  die  in  den  anderen  deutsch  -  österreichischen 
Kronländem  bisher  erschienenen  historischen  Ortsverzeichnisse  und 
Tc^ographieen  zu  geben,  welche  ja  gleichfalls  zum  Teil  recht  be- 
achtenswerte Arbeiten  sind.  Doch  muis  ich  mich  dabei  auf  die  her- 
vorragendsten beschränken,  da  eine  vollständige  Aufzählung  doch 
zu  weit  fuhren  würde.  Was  die  älteren  Werke  betrifil^),  so  habe 
ich  schon  oben  hervorgehoben,  da(s  sie  zumeist  eine  Auswahl  aus 
mehreren  Provinzen  brachten,  so  z.  B.  Merian,  von  dem  übrigens 
neben  seiner  Topographta  provinciarum  Auslriacarum  auch 
noch  1650  eine  Topographia  Bohemiae,  Moraviae  und  Silesiae  er- 
schien. G.  M.  Vis  eher  verfa&te  auiser  seinem  Bildwerke  von  Nieder- 
österreich auch,  wie  gleichfalls  schon  erwähnt,  ähnliche  von  Ober- 
österreich und  Steiermark.  Für  Salzburg,  Kämthen  und  Krain  ver- 
treten sie  die  ganz  ebenso  angelegten  Bildwerke  Johann  Weikhard 
Valvassors.  In  Oberösterreich  ist  auiser  zwei  kleineren  Werken  von 
Gi  e  1  g  e :  Topographisch-historische  Beschreibung cUler  Städte,  Märkte, 
Schlösser,  Pfarren  u.  s.  w,  des  Landes  Österreich  ob  der  Enns  bis 
zum  Wiener  Friedensschlufs  (3  Bände,  Wels  1809  und  18 14),  und 
Topographisch'historische  Beschreibung  des  lindes  Österreich  ob  der 
Ernis  (3  Bände,  Wels  1814 — 15),  insbesondere  Pillwein:  Geschichte, 
Geographie  und  Statistik  des  Erzherzogtums  Österreich  ob  der  Enns 
und  des  Herzogtums  Salzburg  (6  Bände,  Linz  1827 — 1839),  <^  noch 
heute  in  Ansehen  stehende  Handbuch  Die  einzelnen  Bände  behandeln 
die  Kreise  des  Landes  und  jeder  Band  enthält  einen  allgemeinen 
historisch -geographisch -statistischen  Teil  und  eine  alphabetisch  nach 


1)  Dteie  beiden  Werbe  mm  deo  Diticetcn  St.  Polten  und  Wies  geböreo  sa  den* 
jeDigcn,  die  unter  Partiaikirehän^tschichie  im  II.  Buide  dieser  Blätter,  S.  20^  hättca  Er- 
wähnoag  finden  sollen. 

2)  Was  den  Zosattimenliang  dieser  filteren  topographischen  Werke  mit  dem  Aof- 
leben  der  geographischen  DarsteUtingen  im  Zeitalter  der  Reformation  betrifll,  dartiber 
vgL  Hantsstsh  ia  diewn  BUUftwn  I,  iftC,  4<  C 


—     135     — 

den  Pflegegerichten  nnd  Distriktskommissariaten  geordnete  Ortskunde. 
Die  vielüach  benutzte  Historisch'topographische  Matrikel  des  Landes 
ob  der  Enns  von  J  E.  Lamprecht  (Wien  1863)  ist  nur  eine  Be- 
arbeitung der  vom  VIII. — ^XII.  Jahrhundert  nachweisbaren  örtlichkeiten 
und  soll  nur  des  Verfassers  historische  Karte  von  Oberösterreich  er- 
GLutem. 

Mehr  dem  Begriff  des  Ortslexikons  nähern  sich  die  einschlägigen 
Arbeiten  in  Steiermark,  wo  von  älteren  Werken  noch  die  Topo-^ 
graphta  Ducattcs  Styriae  von  AntonErber  (Graz  1727)  zu  nennen 
wäre.  Für  die  neuere  Zeit  wurde  grundlegend  Schmutz:  Historisch' 
topographisches  Lexikon  von  Steiermark  (4  Bände  Graz  1822  —  23), 
bei  welchem  allerdings  das  Statistische  mehr  betont  ist,  auch  Flu(s- 
laufe,  Erhebungen  u.  s.  w.  einbezogen  sind.  Nach  diesem  Vorbilde 
gab  dann  Janisch,  Graz  1878 — 1885,  ein  Topographisch-statistisches 
Lexikon  von  Steiermark  mit  historischen  Notizen  und  Anmerkungen 
(mit  Ansichten)  in  drei  Bänden  heraus.  Auch  Schweickhardt  hat 
Steiermark  ähnlich  wie  Niederösterreich  zu  bearbeiten  unternommen, 
doch  ist  nur  ein  Band  (Wien  1839)  erschienen. 

Für  Kärnthenist  mir  kein  neueres  topographisches  Werk  dieser 
Gattung  bekannt  geworden.  Aus  dem  XVIII.  Jahrhundert  stammen 
Erber:  Ducatuum  Carinthiae  et  Carniolae  topographia  (Wien  1728) 
undGranelli:  Topographia  Carinthiae  (Wien  1752). 

Dagegen  besitzt  Tirol  und  Vorarlberg  in  Stafflers  Tirol  und 
Vorarlberg,  statistisch-^topographisch  mitgeschichtlichenBemerkungen 
(2  Bände,  Innsbruck  1839 — 1844),  gleichfalls  mit  einer  allgemeinen  sta- 
tistisch-geographischen Einleitung,  auf  der  dann  die  alphabetische 
Reihe  der  Gemeinden  nach  Kreisen  folgt,  Vorarlberg  im  besonderen 
in  Weizeneggers  und  Merkles  Vorarlberg  (3  Bände,  Innsbruck 
1Ä39)  noch  heute  verwendbare  treffliche  ältere  Werke.  Zoll  er  s 
Alphaietisch^topograpffisches  Verzeichnissamtlicher  Graf*  und  Herr » 
Schäften,  Landgerichte,  Gerichte,  Hofmarken  ^  Städte,  Marktflecken 
und  Dörfer  und  aller  übrigen  merkwürdigen  Orte  dergef.  Grafschaft 
Tirol  und  Vorarlberg  fjwashrxic^i  1806)  in  zweiter  Auf  läge  als  Alpha- 
betisch'topograpkisches  Taschenbuch  bezeichnet  (Innsbruck  1827)  trägt 
mehr  den  Charakter  eines  kurzen  Schematismus. 

Auch  för  Salzburg  giebt  es  aufser  einer  unvollendeten  Arbeit 
Schweickhardts  (Wien  1839)  ^^^  Pill  wein  (siehe  oben)  nur  ein 
Üteres  topograpfaisdr-statisttscfaes  Werk  ohne  historische  Ausführungen 
von  Dippere  (Ssdzbvrg  1836). 

befar  stattiich   ist  die  Zahl   zusaniuicnlasscnJer  topographisch^ 


~     140    — 

die  Beschreibung  des  Kreises  Mülheim  erschienen  ^).  Siegkreis  und 
Kreis  Bonn  sollen  alsbald  folgen.  Auch  die  Aufnahme  des  Regierungs- 
bezirkes Aachen  ist  bereits  begonnen  worden;  zunächst  werden  aus 
diesem  Gebiete  die  Beschreibungen  der  Kreise  Jülich  und  Erkelenz 
veröffentlicht  werden. 

Außerhalb  Preufsens  sind  die  Inventarisationsarbeiten  in  Sachsen- 
Weimar  und  Altenburg,  Anhalt,  Schwarzburg-Sondershausen  und  Ru- 
dels tadt,  Reuis  j.  L.,  Schaumburg-Lippe  und  Elsals-Lothringen  abge- 
schlossen. In  Bayern  schreitet,  wie  wir  bereits  bedauernd  hervor- 
gehoben haben,  die  Veröffentlichung  des  Denkmälerwerks,  obwohl 
dem  Vernehmen  nach  seit  langem  bedeutende  TeUe  druckfertig  vorliegen, 
nur  sehr  langsam  vorwärts.  Seit  Juli  1900  ist  ein  einziges  Textheft 
—  es  behandelt  Stadt  imd  Bezirksamt  Traunstein  —  und  eine  Liefe- 
rung des  BUderatlas  erschienen  *).  An  Ausführlichkeit  der  Darstellung, 
nach  der  geschichtlichen  wie  nach  der  beschreibenden  Seite  hin,  gehen 
die  letzten  Hefte  über  die  älteren  wesentlich  hinaus;  auch  an  Illu- 
strationen wird  dem  Texte  gegenwärtig  erheblich  mehr  eingefügt  als 
früher.  Von  der  Denkmäler-Beschreibung  des  Königreichs  Sachsen, 
die  im  Vorjahre  mit  der  Amtshauptmannschaft  Grimma  bis  zum  20. 
(nicht,  wie  wir  irrtümlich  angegeben  hatten,  bis  zum  18.)  Hefte  gelangt 
war,  ist  seither  als  21.  und  22.  Heft  der  Anfang  der  Beschreibung  von 
Dresden  erschienen,  eine  besonders  in  textlicher  Hinsicht  vortreffliche 
Arbeit  Cornelius  Gurlitts  ').  Mit  der  Fortsetzung  des  württembergischen 
Werkes  ist,  nachdem  der  erste  Bearbeiter,  Dr.  Eduard  Paulus,  von  der  Stelle 
des  Konservators  zurückgetreten  ist,  sein  Amtsnachfolger  Dr.  E.  Gradmann 
betraut  worden.  Die  1897  begonnene  Veröffentlichung  der  Denkmäler  des 
Donaukreises  soll,  so  scheint  es,  zunächst  nicht  fortgesetzt  werden. 
Das  im  Jahre  1900  erschienene  Heft,  das  den  Anfang  des  Jagstkreises 


1)  Die  Knnstdenkmäler  der  RheinproTinz.  Im  Auftrage  des  Proviiuial- 
Terbandes  herausgegeben  von  Paul  Clemeo.  Kreis  Mülheim  am  Rhein.  In  Verbindung 
mit  Dr.  Edmund  Renard   bearbeitet   von  Paul   Giemen.     Düsseldorf,  L.  Schwann,  1901. 

2)  Die  Kunstdenkmale  des  Königreichs  Bayern  vom  XL  bis  zum  XVIII. 
Jahrhundert,  i.  Band.  Die  Kunstdenkmäler  des  Regierungsbezirkes  Oberbayem,  bearbeitet 
von  Gustav  v.  Bezold,  Dr.  Berthold  Riehl  und  Dr.  Georg  Hager.  Lieferung  20.  Mün- 
chen, Josef  Albert,  1901. 

3)  Beschreibende  Darstellung  der  älteren  Bau-  und  Kunstdenkmäler 
des  Königreichs  Sachsen.  Unter  Mitwirkung  des  K.  sächsischen  Altertumsvereins, 
herausgegeben  von  dem  K.  sächsischen  Ministerium  des  Innern.  So  seit  Heft  19, 
Herausgeber  von  Heft  1  bis  18  war  der  Altertumsverein.  Heft  2 1  und  22.  Stadt  Dresden, 
I.  u.  II.  Teil,  bearbeitet  von  C.  Gurlitt.     Dresden  1901. 


—    141     — 

bringt,  trägt  bereits  den  Namen  des  neuen  Bearbeiters  ^).  Der  Geist 
jedoch  ist  der  alte  geblieben.  Statt  wissenschaftlicher  Beschreibung 
gar  oft  nur  die  allerdürftigste  Andeutung;  nirgends  System,  überall 
die  subjektivste  Willkür.  Ein  Ergänzungsatlas,  von  dem  die  beiden 
ersten  Lieferungen  ausgegeben  sind,  soll  die  allerdings  unzureichende 
bildliche  Darstellung,  die  Jagst-  und  Donaukreis  in  den  ersten  Bänden  des 
Bilderwerkes  erhalten  haben,  ergänzen.  Vom  badischen  Inventar  liegen 
zwei  neue  Teile  vor  *) :  In  der  dritten  Abteilung  des  vierten  Bandes 
beschreibt  Adolf  v.  Oechelhauser  in  seiner  sorgfältigen  Weise  die 
Amtsbezirke  Buchen  und  Adelsheim  des  Kreises  Mosbach,  im  fünften 
hat  sich  F.  X.  Kraus  —  der  um  die  deutsche  Denkmäler-Inventarisation 
hochverdiente  Mann  starb,  als  diese  Zeilen  in  die  Presse  gingen  — 
in  der  schon  früher  besprochenen  Weise  mit  Josef  Durm  und 
E.  Wagner  zur  Behandlung  des  Amtsbezirkes  Lörrach  vereinigt. 
Auch  hier  ist  zur  Beschleunigung  der  Publikation  in  Dr.  Max 
Wingenroth  eine  neue  Kraft  gewonnen  worden.  Das  Inventar  des 
Groisherzogtums  Hessen  ist  in  der  Berichtszeit  nicht  fortgeschritten. 
Den  in  erster  Auflage  bereits  vergriffenen  drei  ersten  Bänden  des 
mecUenburg-schwerinschen  Werkes,  das  wir  irrtümlicherweise  als  ab- 
geschlossen bezeichnet  hatten  (vgl.  die  Berichtigung  in  Bd.  II,  S.  96), 
hat  sich  ein  vierter  hinzugesellt ').  Mit  dem  Erscheinen  des  itinften 
Bandes,  das  noch  für  das  laufende  Jahr  bevorsteht,  wird  das  Werk 
vollendet  sein.  Vielleicht  schöpft  man  dann  hieraus  in  Mecklenburg- 
Strelitz  den  Anlais  zur  Nacheiferung.  Das  thüringische  Inventar  end- 
lieh,  in  dessen  Erscheinen  durch  Krankheit  und  Tod  Paul  Lehfeldts 
eine  längere  Unterbrechung  eingetreten  ist,  wird  von  dem  neuen  Kon- 
servator Professor  Georg  Voss  zu  Ende  geführt  werden.  Die  Ver- 
öffentlichung des  oldenburgischen  und  braunschweigischen  Inventars 

i)  Die  Knnst-  nnd  Altertamsdenkmale  im  Königreich  Württemberg. 
23. — 36.  Liefemog.  Jagstkreis  (Anfang).  Unter  Mitwirkung  von  Dr.  Eduard  Paolos,  be« 
arbeitet  Ton  Dr.  E.  Gradmann.  Stuttgart,  Paul  Neff  Verlag,  1900.  Dazo  Ergäntongs* 
atlas  Liefemng  i.  2, 

2)  Die  Knnstdenkmäler  des  Grofsherzogtoms  Baden,  4.  Band,  3.  Ab- 
teilung. Die  Kunstdenkmäler  der  Amtsbezirke  Buchen  ond  Adelsheim  (Kreis  Mosbach), 
bearbeitet  von  Adolf  von  Oechelhauser.  5.  Band.  Die  Kunstdenkmäler  des  Kreises  Lör^ 
räch  in  Verbindung  mit  Josef  Durm  und  E.  Wagner  bearbeitet  Ton  Frans  Xaver  Kraus. 
Tübingen  nnd  Leipzig,  Verlag  von  J.  C.  B.  Mohr  (Paul  Siebeck  1901). 

3)  Die  Kunst-  nnd  Geschichtsdenkmäler  des  Grofshjerzogtnmt 
Mecklenburg-Schwerin,  bearbeitet  von  Friedrich  6chlie.  IV.  Band.  Die  Amts- 
gerichtsbezirke Schwaan,  Bützow,  Sternberg,  Güstrow,  Krakow,  Goldberg,  Parchim,  Lttbe 
und  Plan.     Schwerin  1901. 


—     142     — 

ist  in  der  Bericbtszeit  nicht  fortgesetzt  worden.   Auch  die  Hansestädte 
schweigen  einstweilen  noch. 

Sehr  zu  beklagen  ist  es,  dals  in  Österreich  die  Inventarisatiofl 
noch  immer  nicht  von  zentraler  Stelle  aus  mit  Energie  in  Angriff  g^  i 
nommen  worden  ist.  Der  älteste  Versuch  in  dieser  Richtung,  die 
Kunsttopographie  von  Kämthen,  ist  mit  unzulänglichen  Mittcb 
unternommen  worden  *).  Die  Beschreibung  der  Denkmäler  —  die  voige- 
schichtlichen  bilden  die  untere,  die  des  i8.  Jahrhunderts  die  obeie 
Grenze  —  beruht  nicht  durchweg  auf  eigener  Anschauung  der  Ver- 
fasser, zuweilen  nur  auf  schriftlichen  Berichten  anderer  oder  auf  altera 
Litteratur.  An  der  geschichtlichen  Grundlegung  fehlt  es  in  viel« 
Fällen  gänzlich,  die  bildliche  Darstellung  ist  ziemlich  dürftig,  auf 
Vollständigkeit  der  Verzeichnung  ist  verzichtet.  In  Vorbereitung  sind 
die  salzburgische  und  mährische  Kunsttopographie;  ihr  Erscheiiieii 
wird  jedoch  längere  2^it  auf  sich  warten  lassen.  Da  die  k.  k.  Zen- 
tralkommission zur  Erforschung  und  Erhalttmg  der  Kirnst-  und  historisches 
Denkmale,  die  unseres  Erachtens  zur  Durchfuhrung  der  Inventarisation 
geeigneteste  Behörde,  oflfenbar  nicht  über  Mittel  und  Kraft  dazu  verfügt, 
hat  die  böhmische  Kaiser  Franz- Joseph-Akademie  der  Wissenschaften, 
Litteratur  und  Kunst  das  Unternehmen  für  Böhmen  selbst  in  die  Hand 
genommen.  Von  ihrer  Publikation  sind  bisher  dieizehn  Hefte  in 
tschechischer  Sprache ,  fünf  in  deutscher  Übersetzung  erschienen  j. 
Nach  der  dem  Referenten  vorli^enden  Probe  schliefst  sich  die  Dar- 
stellung in  Wort  und  Bild  den  besten  reichsdeutschen  Mustern  an,  &^ 
Arbeit  scheint  durchaus  sorgfältig  zu  sein.  Zu  wünschen  wäre  nur, 
dafs  die  deutschen  Übersetzungen  den  tschechischen  Originalen  in 
recht  kurzer  Zeit  folgen. 

In  der  Schweiz  hat  die  Verzeichnung  und  Beschreibung  der  Denk- 
mäler  Prof.    J.    R.    Rahn    in   Zürich    begonnen  •).      Der   Inhalt  der 

1)  Österreichische  Kunsitopographie.  I.Band:  Herzogtum  KärDthea 
Herausgegeben  von  der  k.  k.  Zentral-Kommission  für  Erforschung  und  Erhaltung  ^^o 
Kunst-  und  historischen  Denkmälern.     Wien  1889. 

2)  Topographie  der  historischen  und  Kunstdenkmale  im  Königreicb 
Böhmen,  i.  Band:  Kolin.  Vcrfafst  von  Karl  B.  Mddl.  2.  Band:  Laun.  Verfafst  von 
Dr.  Bohumil  Matljka.  3.  Band:  Selöan.  Vcrfafst  von  Dr.  A.  Podlaha  und  Edoard 
äittler.  4.  Band:  Raudnitz.  Vcrfafst  von  Dr.  Bohumil  Matgjka.  5.  Band:  Miihlhansen 
Verfafst  von  Dr.  A.  Podlaha  und  Eduard  Sittler.  Die  Übrigen  nur  in  tschechischer  Sprach« 
erschienenen  Bände  beschreiben  die  Denkmäler  der  Bezirke  Melnik,  Klattau,  Budweis, 
Rokitzan,  Trebnitz,  Chrudim  und  Suschitz. 

3)  Die  mittelalterlichen  Kunstdenkmäler  des  Kantons  Tessin.  Von 
J.  R.  Rahn.     ZÜnch,  im  Verlage  der  Antiquarischen  Gesellschaft,  1893. 

Die  mittelalterlichen  Knnstdenkmäler  des  Kantons  Solothurn.    ^ 


-«f^ 


—     143     — 

bisher  vorliegenden  drei  Hefte  geht  über  das,  was  die  ungleichen 
Titelblätter  versprechen,  weit  hinaus.  Es  ist  keineswegs  nur  von 
mittelalterlichen  Denkmälern  die  Rede,  die  zeitliche  Abgrenzung 
nach  oben  ist,  wie  in  den  meisten  reichsdeutschen  Werken,  durch  das 
XVIII.  Jahrhundert  gegeben.  Diesem  Muster  schliefst  sich  das  Schweizer 
Werk  auch  in  der  sonstigen  Behandlungsweise  an.  Geschichte  und 
Beschreibung  der  Denkmäler  sind  ausführlich  und  sorgfältig,  ohne  je- 
doch auf  Vollständigkeit  Anspruch  zu  erheben.  Die  bildliche  Dar- 
stellung ist  recht  dürftig  ausgefallen.  Ein  viertes  Heft  ist  in  lang- 
samem Erscheinen  begriffen. 

*  * 

Aus  dieser  kurzen  Übersicht  ergiebt  sich  wohl  mit  voller  Klar- 
heit, dafs,  so  bedeutend  im  ganzen  die  Summe  der  geleisteten  Arbeit 
auch  ist,  doch  noch  sehr,  sehr  viel  zu  thun  übrig  bleibt.  Selbst  unter 
der  günstigen  Voraussetzung,  dafe  im  Tempo  der  Bearbeitung  und 
Veröffentlichung  keine  weitere  Verlangsamung  eintritt,  ist  an  einen 
Abschlufs  der  Inventarisationsarbeit  vor  dreifeig  oder  vierzig  Jahren 
nicht  zu  denken,  wobei  wir  von  Österreich  noch  ganz  absehen  wollen. 
Um  so  bedauerlicher  scheint  es  unter  diesen  Verhältnissen,  dafs  die 
Reichsregicrung ,  wie  aus  den  Verhandlungen  des  Freiburger  Tages 
für  Denkmalspflege  hervorgeht ') ,  sich  gegenüber  der  beabsichtigten 
Herausgabe  eines  allgemeinen  Handbuches  der  deutschen  Denkmäler 
vorläufig  ablehnend  verhält.  Weder  formale  verwaltungstechnische, 
noch  finanzielle  Bedenken  können  ernsthaft  in  Frage  kommen,  wenn 
man  die  Sache  ernsthaft  will.  Da  das  Reich  für  eine  Publikation  der 
schon  hundertfältig  publizierten  Sixtinischen  Kapelle,  für  die  doch  nur 
ein  sehr  mäfsiges  Bedürfnis  vorlag,  75000  Mark  bereit  hatte,  wird  es 
für  die  deutschen  Denkmäler  wohl  gleichfalls  60000  Mark  aufbringen 
können.    Man  sage  nicht  dagegen,  was  bereits  dagegen  gesagt  worden 


Aaftrage  der  Eidgenössischen  Landesmnseums •Kommission  beschrieben  von  J.  R.  Rahn 
onter  Mitwirkung  von  cand.  phil.  Robert  Dnirer,  Dr.  K.  Meisterhans  in  Solothnrn  mid 
cand.  phil.  Joseph  Zemp  in  Zürich.  Zürich,  im  Veriage  der  Antiquarischen  GcseH- 
schaft,  1893. 

Die  mittelalterlichen  Architek  tar-  und  Kunstdenkmäler  des  Kan* 
tons  Thnrgan.  Im  Auftrage  etc.  beschrieben  von  J.  R.  Rahn  unter  Mitwirkung  Ton 
Dr.  phil.  Ernst  Haffter.  Mit  historischem  Text  von  Dr.  Robert  Dürrer.  Frauenfeld, 
Kommissionsverlag  von  J.  Huber,  1899. 

Die  Kunst-  und  Architektur-Denkmäler  Unterwaiden  s.  Im  Auftrage 
etc.  beschrieben  von  Robert  Durrer. 

i)  Vgl.  oben  S.  61  bis  63. 


—     144     — 

ist:  Nämlich,  dafs  man  mit  der  Herausgabe  eines  solchen  Handbodu 
bis  zur  Fertigstellung'  sämtlicher  Inventare  warten  solle.  GewÜs  wäre 
die  Herstellung  des  Werkes  dann  unvergleichlich  bequemer  und  od- 
facher,  als  jetzt,  wo  der  Bearbeiter  oft  genug  auf  die  Denknak 
selbst  wird  zurückgehen  müssen.  Aber  dann  mülste  man  eben  ood 
dreifsig  oder  vierzig,  vielleicht  sogar  fünfzig  Jahre  warten ,  und  es  ist 
wahrlich  nicht  einzusehen,  warum  das  lebende  Geschlecht  auf  ein  der- 
artiges Hilfsmittel  verzichten  soll.  Nicht  verfrüht,  wie  man  gesagt  bat, 
wäre  im  gegenwärtigen  Augenblicke  die  Herausgabe  eines  derartig» 
Handbuches,  im  Gegenteil,  es  ist  höchste  Zeit,  sie  in  Angriff  zu  nehmen 
Es  handelt  sich  gar  nicht  darum,  wie  wohl  vielfach  irrtümlich  angenommes 
wird,  die  Summe  sämtlicher  Inventare  zu  ziehen;  die  Aufgabe  des 
Handbuchs  wäre  es  vielmehr,  die  ungeheuere  Masse  der  Denkmäler 
zu  sichten,  das,  was  für  die  allgemeine  Entwickelung  von  Belang  ist 
von  dem  zu  sondern,  was  lediglich  für  den  Ort,  für  die  Provinz  ^ 
deutung  hat,  dieses  abei  als  lokal,  als  provinziell  bedeutungsvoll  ber- 
auszuheben.  Der  objektiven  Betrachtungsweise  der  Inventare  soll  im 
Handbuche  die  subjektive  an  die  Seite  treten ,  dem  sachlichen  B^ 
richte  das  persönlich  wertende,  gruppierende  und  zusammenfassende 
UrteU  folgen.  Diese  Arbeit  könnte  von  drei  oder  vier  Kräften  mite 
einheitlicher  Leitung  voraussichtlich  in  fünf  bis  sechs  Jahren  geleistet 
werden.  Sicherlich  käme  ein  solches  Kompendium  dem  Bedürfnisse 
weiter  Kreise  der  deutschen  Kunst-  und  Altertumsforschung  entg^cß 
Wir  hoffen,  dafis  die  Reichsregierung  dem  einmütigen  Wunsche  der 
Beteiligten  im  nächsten  Jahre  ein  wUligeres  Ohr  leihe. 


Mitteilungen 

Eingegangene  Bfieher. 

Der  Römische  Limes  in  Österreich.     Heft  II  mit  24  Tafeln  und  50  Flgureo 

im  Text.     Wien,  Alfred  Holder,   1901.     160  Sp.    4^. 
Lohmeyer,   Karl:    Die  Litteratur  des  Jahres    1900    zur   Geschichte  M* 

preufsens.     [=  Historische  Vierteljahrschrift  1901.     S.  429 — 438.] 
Lückerath,  Wilh. :  Die  Herren  von  Heinsberg,  vier  Teile  [=  Beilagen  iibd 

Jahresbericht  der  höheren  Stadtschule  zu  Heinsberg,  1888 — 1891].   4* 
Derselbe:  Beiträge  zur  Geschichte  von  Heinsberg  und  Umgegend,  Beilage 

zur  Heinsberger  Volkszeitung.    I.  Jahrgang  (1897),  90  S.    8®.     II.  Jahi' 

gang  (1898),  75  S.  80. 
Mayer,   Herai.:    Zur   Geschichte   der  Pest  im    15.   und    16.   Jahrhundert 

[=  Schau  ins  Land.    Freiburg  i.  B.  1901.     28.  Jabrlauf.     S.  13 — 33.] 

Honuugeber  Dr.  Araun  Till«  in  Ldpilf .  —  Drack  aod  V«rUg  tob  Friedrich  Aadraas  Perthes  b  Goth» 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsschrift 


Förderung  der  landesgeschichtliclien  Forschiing 

II].  Band  Marz/Aprü  xgoa  6.//.  Heft 


Üeutsehlatids  neolithisehe  Altertümer 

Von 
Moriz  Hoeraes  (Wien) 

Die  jüngere  Steinzeit,  das  eiste  Stadinm  der  Seishaftigkeit,  des 
Ackerbaues  und  der  Viehzucht,  der  rituellen  Totenbestattung,  der  Ke- 
ramik und  vieler  anderer  Wahrzeichen  rasch  aufsteigender  Kultur- 
entwickelung, ist  zugleich  die  Zeit,  in  der  arische  Stämme,  wenn  auch 
noch  nicht  näher  falsbar,  sich  in  Europa  festsetzten  und  hier  die  ersten 
schwankenden  Grundlagen  zu  ihrer  späteren  Herrschaft  über  den  Welt- 
teil schufen.  Wie  man  sich  das  zu  denken  hat,  wie  jene  nicht  die 
einzigen  und  kaum  die  ersten  waren,  denen  der  Kontinent  seine  Neu- 
besiedelung  nach  dem  Ende  des  Diluviums  verdankt,  wie  man  aber 
auch  seine  für  spätere  Perioden  mehr  und  mehr  berechtigten  Ansprüche 
auf  klare  Erkenntnis  historischer  Thatsachen  hier  aufgeben  muls,  hat 
unter  Anwendung  vergleichend-geographischer  Gesichtspunkte  auf  das 
archäologische  Material  F.  Ratzel,  Der  Ursprung  und  die  Wan- 
derungen der  Völker  geographisch  betrachtet,  II  *)  gezeigt  Wenn 
der  Historiker  die  ältere,  diluviale  Steinzeit,  an  die  sich  die  Fragen 
nach  dem  Alter  der  Menschheit,  nach  deren  Herausbildung  aus  einer 
niedrigeren  Form  u.  a.  naturwissenschaftliche  Probleme  knüpfen,  ohne 
Einbu&e  für  seinen  eigenen  geistigen  Horizont  der  Anthropologie  über- 
lassen darf,  hat  er  dagegen  alle  Ursache,  sich  um  die  neolithischen 
Funde  zu  kümmern,  denn  sie  sind  die  Trümmer  des  ältesten  Funda- 
mentes, auf  dem  sich  aller  späterer  Kulturbau  erhebt.  Sie  stehen 
denn  auch  gegenwärtig  sehr  im  Vordergrund  prähistorischer  Studien, 
besonders  in  den  germanischen,  weniger  in  den  romanischen  und  sla- 
vischen  Ländern,  tmd  namentlich  aus  Deutschland  liegt  eine  stattliche 
Reihe  einzelner,  wenn  auch  wenig  umfangreicher  Arbeiten  vor,  welche 


i)  Ber.  plii|.-hist.  KL  sächs.  Gesellsch.  d.Wiss.  1900,  S.  33 — 147.  VgL  «uchDers.» 
Dtr  Ursprung  der  Arier  in  geogr,  Licht  (UmschAU  m,  1899,  8.  825,  840). 

11 


—     146     — 

in  den  beideii  letzten  Jahnsebnten  erschienen  sind  und  die  Tiefen  des: 
schwierigen  Gegenstandes  aa  verschiedenen  Punkten  erhellen. 

Von  der  Legion  blofser  Fundberichte,  die  fast  jeder  Tag  vermehrt,. 
mnU  hier  abgesehen  werden;  nur  weiter  zielende  Mitteilvog^  könnea 
uns  beschäftigen.  Der  richtige  Weg  für  solche  wird  immer  folgende 
Stationen  berühren:  Typologie  —  Topc^aphie  —  Chronologie  — 
Genealogie^  out  anderen  Worten:  nach  der  Konstatierung  der  Formen^, 
kreise  oder  Kulturgruppen  und  ihrer  Ausdehnung  wird  die  schwierigere 
Feststellung  ihrer  gegenseitigen  chronologischen  und  genetischen  Be- 
ziehungen in  Angriff  zu  nehmen  sein.  Gelingt  dies  einmal,  dann  ist 
alles  erreicht,  was  billigerweise  verlangt  werden  kann.  Nichts  darf 
uns  dabei  weniger  überraschen,  sAb  dafe  die  einzelnen  Arbeiter  diese 
Et^^pen  oft  nicht  gehörig  auseinanderhalten,  sondern  ein  mehr  oder 
minder  abgekürztes  Verfahren  einschlagen  und  das  chronologisch -ge* 
nealog^che  Ziel  lange  vor  der  Kritik  für  erreicht  halten.  Dagegen 
lädst  sich  nichts  einwenden,  wofern  man  das,  was  naturgemäls  heute 
nur  erst  Hypothese  sein  kann,  nicht  anders  betrachtet  und  behandelt. 

Dieses  vorausgeschickt,  wenden  wir  ims  zu  den  Ergebnissen  der 
einschlägigen  Arbeiten.  Zunächst  finden  wir,  da(s  die  Konstatierung^ 
der  Formenkreise  jetzt  überall  von  der  Keramik  ausgeht,  wohl  nicht 
ohne  Einäufs  der  Erfolge,  welche  die  mykenische  und  frühklassische 
Archäologie  durch  solches  Vorgehen  erzielte.  Früher  stellte  man 
lieber  anderes  voran:  in  Skandinavien  und  Frankreich  (Montelius,, 
Salmon)  die  Typen  der  Stein  Werkzeuge  und  der  Gräber,  in  der 
Schweiz  (Grofs)  Material  und  Formen  der  ersteren,  daneben  in  un- 
genügender Weise  Form  und  Verzierung  der  Thongefä&e,  in  Böhmea 
(Woldfich)  wieder  nur  Steinbeilförmen,  in  Italien  (Pigorini)  Siede» 
lungstypen,  wie  Hüttei^ruben  und  Pfahlbauten.  So  kam  man  zur 
Aufteilung  zweier  oder  mehrerer  Abschnitte  der  jüngeren  Steinzeit,, 
deren  Verschiedenheiten  entweder  durch  Entwickelung  von  Innen  her- 
aus oder  durch  äuisere  Einflüsse  und  neue  Einwanderungen  erklärt 
wurden.  Diese  problematischen  Versuche  beschränkten  sich  mehr  oder 
weniger  auf  kleinere  Fundgebiete,  wo  das  engere  Nebeneinander  der 
verschiedenen  Formen  die  Frage  nach  der  gegenseitigen  Zeitstellung^. 
in  den  Vordergrund  rückte. 

Auch  die  jetzt  herrschende  Richtung  ist  von  solchen  lokal  be- 
grenzten Vorkommnissen  ausgegangen  und  hat  daher  die  Zeitbzge  vor- 
schnell aufgeworfen;  aber  sie  bedeutet  doch  einen  grofsen  Fortschritt 
g^enüber  jenen  älteren  Anläufen.  Tischler,  Klopfieisch  und 
Götze  inaugurierten  das  Studium  der  neoUthischen  Keramik,  sie  imd 


—     147     — 

ifare  Nachfolger  zeigten  die  weite  und  eigentümliche  Verbreitung  ge^ 
wisser  keramischer  Gruppen,  unter  welchen  die  „Schnurlceramik*'  und 
die  „Bandkeramik'*  an  Bedeutung  voranstehen').  Diese  Richtung  der 
neolithischen  Studien  ist  fast  ganz  auf  Deutschland  und  Österreich  be- 
schränkt, zieht  aber  natürlich  auch  die  anderen  europäischen  Länder 
nach  Möglichkeit  in  Betracht.  Ihr  gehört  offenbar  die  Zukunft,  na- 
mentlich dann,  wenn  auch  die  Prähistoriker  der  anderen  Länder  den- 
selben Weg  einschlagen,  was  kaum  mehr  lange  ausbleiben  dürfte,  da 
diese  alle  nachweislich  an  einer  oder  mehreren  der  in  Deutschland 
erkannten  keramischen  Gruppen  Anteil  haben. 

Das  mittlere  und  nordöstliche  Deutschland  lieferte  die  ersten  Er- 
folge; daran  schlofs  sich  das  westliche  und  südliche  Deutschland,  na- 
mentlich das  Rheingebiet,  dessen  neolithische  Keramik  Konen,  Kohl, 
Schliz,  Reinecke  u.  a.  teils  systematisch,  teils  im  Anschluis  an 
bestimmte  neue  Funde  mehr  oder  weniger  umfassend  darzustellen 
suchten').  Aus  angrenzenden  Auslandgebieten  sind  Arbeiten  Heierlis 
über  die  Schweiz,  Plös  und  Buchtelas  über  Böhmen,  Palliardis 
über  Mähren  zu  nennen  •).  Ein  kleineres  norddeutsches  Gebiet  be- 
handelt Brunner^),  während  Götze*)  mehrere  neolithische  Stu- 
dien   über   Funde    und  Fundg^ppen    mit    einer  zusammenCassenden 


i)  Tischler,  Sehr,  physilc-ökon.  Gesch.,  Königsberg  18S2,  S.  17;  1883  S.  89. 
SiUber.  ders.  1887  S.  7;  1888  S.  5;  1889  S.  26.  —  Klop fleisch,  Vorgesck,  Alterth, 
Prav,  Sacks,  1  IL,  Halle  1883.  —  Götze,  Die  Gtfäfsformen  und  Ornamente  der 
schnurverzierten  neoüth,  Keramik  im  Plufsgebiet  der  Scusle^  Jena  1891.  —  Daza  Ton 
älterer  Litterator  über  Schnnrkeramik :  Vofs,  Verh.  BerL  Anthr.  Ges.  1877  S.  307;  1878 
S.  166.  —  Virchow,  ebda  1883  S.  430;  1884  S.  399. 

a)  Konen,  Gefäfskunde  der  vorröm,  u,  s,  w,  Zeit  in  den  Rhdnlandeny  Bonn 
1895.  —  Kohl,  tyber  die  neolük,  Keramik  SUdwestdeutscklands  (Korr.-BL  d.  Gesamtv. 
d.  d.  Gesch.-  n.  Altert.- Ver.  1900,  S.  17).  —  Das  neuentdeckte  Steinseit'Hockergrabfeld 
V.  Plomhom  h,  WormSy  eine  neue  Phase  d,  neolith,  Kultur  (Korr.-Bl.  d.  deutsch.  Anthr. 
Gca.  1901,  S.  91).  Ans  diesen  beiden  Arbeiten  ist  auch  ein  Überblick  ilber  die  frfiberen 
Stadien  Kohls  Zugewinnen.  —  Schliz,  Das  steinseitL  Dorf  Grefsgartach^  seine  KuUur 
u.  s,  w^  Stuttgart  1901.  —  Über  neolith.  Besiedlung  in  Sttdwestdeutschland  (Korr.-Bl. 
a.  a,  O.  S.  108).  —  Reinecke,  Zur  jüngeren  Steinzeit  in  West»  u,  Süddeutschland 
(Westd.  Zeitschr.  XIX,  1900,  S.  209). 

3)  Heierli,  Die  Chronologie  in  der  Urgesch,  d,  Schweiz,  Festschrift.  Zürich 
1B99.  S*  45-  ~*  ^^^>  StaroU'tncsti  zenä  ceski  I.  Ceehy  prlrdhisioricki  l.  Prag 
1899.  —  Buehtela,  Vorgeschichte  Böhmens,  Beil.  z.  Vrstnik  Slorensk^eh  staroii- 
tnosü  m,  1899. 

4)  Die  Steinzeit l,  Keramik  1.  d,  Mark  Brandenburg,    Braunschw.  1898  (S.  A. 
f.  Anthr.  XXV,  3). 

5)  Beiträge  zur  Kenntnis  der  moüth,  KeramA,     Sonder-Abdrttd»^ 


—     148     — 

Arbeit  Über  die  Gliederung  und  Chronologie  der  jüngeren  Stein^ 
zeit  in  dem  unten  genannten  Hefte  zu  einer  Darstellung  seiner  gegen« 
wärtigen  Ansichten  über  den  Gegenstand  vereinigte  ^).  Eine  nicht  ge- 
ringe Zahl  teils  älterer,  teils  kleinerer  Arbeiten,  deren  Inhalt  in  den 
angeführten  wieder  aufgenommen  ist,  kann  hier  füglich  übergangen 
werden. 

Überblickt  man  diese  ganze  Litteratur,  so  wird  man  der  Fülle 
ermittelter  Thatsachen  und  greifbarer  Resultate  seine  Anerkennung 
nicht  versagen.  Allein  wie  weit  reichen  sie?  Die  Gruppen  sind  auf- 
gestellt, ihre  räumliche  Verbreitung  sehr  weithin  au^eklärt  (obwohl 
natürlich  gerade  hier  noch  sehr  viel  ausständig  ist);  allein  darüber 
hinaus,  in  der  chronologischen  und  genetischen  Auffassung  der  Gruppen 
herrscht  vollste  Uneinigkeit.  Da,  in  dem  weitaus  schwierigeren  Teil 
der  Untersuchung,  blüht  die  Hypothese  und  die  Kontroverse.  Einige 
Beispiele  sollen  dies  zeigen.  Götze  unterscheidet  vier  groise,  sechs 
mittlere  und  noch  einige  kleinere  keramische  Gruppen.  Die  groisen 
sind:  Schnurkeramik,  Zonenbecher,  Bandkeramik,  nordische  Keramik, 
die  mittleren:  Bemburger  Typus,  Kugel-Amphoren,  Rössener  Typus, 
Pfahlbau-Keramik,  Schussenrieder  Gruppe,  Mondsee^Gruppe.  Elr  findet 
nun  fast  in  allen  Gebieten  Mitteleuropas  zwei  Hauptabschnitte,  deren 
erster  von  der  Schnurkeramik  imd  den  2^nenbechem  beherrscht  wird, 
während  im  zweiten  Hauptabschnitt  die  Gruppierung  mannigfaltiger 
wird  und  die  lokale  Entwickelung  in  den  Vordergrund  tritt.  Ein  Haupt- 
punkt ist  ihm  die  zeitliche  Koordination  der  beiden  erstgenannten 
Gruppen  und  ihre  Priorität  gegenüber  allen  übrigen  (mit  Ausnahme 
der  Pfahlbau-Keramik  im  Rheingebiet).  Rein  ecke  verwahrt  sich  zwar 
dagegen,  dafe  man  jetzt  schon  Abschließendes  sagen  könne,  spricht 
sich  aber  sehr  entschieden  für  nachstehende  Zeitfolge  aus:  i)  Pfahlbau- 
keramik,  2)  Schnurkeramik,  3)  Glocken-(Zonen-)Becher,  4)  Band- 
keramik, 5)  Rössener  Typus.  Beide  stinmien  also  darin  überein,  dais 
sie  die  drei  erstgenannten  Gruppen,  wenn  auch  nicht  in  gleicher  Weise, 
der  Bandkeramik  vorausgehen  lassen. 

Prüft  man  die  Gründe,  auf  welchen  diese  chronologischen  Schei- 
dungen beruhen  sollen,  so  findet  man,  dafs  ihnen  nichts  Zwingendes 
ipne  wohnt.  An  stratigraphischen  Beweisen  fehlt  es  so  gut  wie  völlig, 
und  so  darf  es  nicht  Wunder  nehmen,  dafs  eine  Reihe  anderer  zu 
nahezu  entgegengesetzten  Resultaten  gelangt  ist.    Tischler,  Konen, 


i)  In  känerer  Fassang   entwickelte  Götze  seine  Ideen   in:    Die  Einttibtng  der 
neoläh,  Periode  in  Jfiiieleurcpa  ßioxr.'Bl  d.  dentsch.  Anthr.  Getellsch.  1900,  S.  133). 


—     149     — 

Kohl,  Schumacher,  Heierli,  Deichmüller,  Buchtela,  Pa1<^ 
liardi  setzen  gerade  die  Schnurkeramik  und  namentlich  die  Zonen<>> 
foecher  in  einen  jüngeren  oder  jüngsten  Abschnitt  der  Steinzeit  und 
lassen  ihnen  insbesondere  die  Bandkeramik  vorausgehen.  Kohl  unter* 
scheidet  für  das  Mittelrheingebiet  sechs  Stufen :  i)  ältere  Winkelband- 
keramik („I£nkelsteintypus")  2)  Spiralkeramik  3)  jüngere  Winkelband- 
keramik 4)  rheinische  Pfahlbau-Keramik  5)  Schnurkeramik  6)  2^nen- 
becher.  Dagegen  wendeten  sich  Rein  ecke  und  Schliz,  welche 
chronolog^che  Trennungen  innerhalb  der  bandkeramischen  Gruppe  nicht 
zugeben  wollen  (Götze  unterscheidet  in  derselben  eine  ältere  und  eine 
jüngere  Phase  und  nennt  die  letztere  Mondsee-Stufe).  Doch  anerkennt 
jetzt  Schliz,  dais  die  lineare  Spiralkeramik  eine  uralte  Übung  sei,  und 
dafe  in  der  „Stich-  und  Strichreihen-Keramik"  der  „ Hmkelsteintypus ** 
eine  ältere,  der  „ Grofsgartacher  Typus"  eine  jüngere  Phase  vertrete. 
Das  Ende  dieser  bandkeramischen  Entwickeluog  bilde  der  Rössener 
Typus.  Auf  den  Grofsgartacher  Typus  habe  die  Schnurkeramik  ein- 
gewirkt Die  Bodensee-Pfahlbau-Keramik  setzt  Schliz  erst  nach  dem 
Rössener  Typus  in  eine  auf  die  Periode  der  Landdörfer  folgende 
Pfiahlbauzeit,  welcher  als  späte  Nachblüte  der  Bandkeramik  auch  die 
Typen  von  Schussenried  und  vom  Mondsee  angehören. 

Das  sind,  in  höchst  flüchtigen  Umrissen  die  wichtigsten  in  und 
für  Deutschland  aufgestellten  chronologischen  Systeme,  welche  sich 
auf  die  neolithische  Keramik  gründen.  Citttis  emergit  verttas  ex  er» 
rore  quam  e  confusione  /  Irrtum  mufs  bei  so  entgegengesetzten  Auf- 
fassungen irgendwo  vorhanden  sein ;  aber  Verwirrung  herrscht  insofern 
nicht,  als  mit  bekannten  Grö(sen  operiert  wird  imd  nur  deren  zeitliche 
Aufstellung  schwankt.  Gefehlt  hat  man,  nach  unserer  Meinung,  von 
Anfang  an  in  der  Form  der  Fragestellung,  indem  man  voraussetzte, 
dafs  die  grofeen  Gruppen  wie  Band-  und  Schnurkeramik  irgendwie 
zeitlich  aufeinander  folgen  müfeten,  während  sie  vielleicht,  richtig  be- 
urteilt, gar  nicht  der  Zeit,  sondern  blois  der  Art  und  dem  Orte  nach 
verschieden  sind  und,  nebeneinander  hergehend,  an  verschiedenen 
Punkten  in  verschiedener  Weise  aufeinander  treffen. 

Die  räumliche  Verbreitung  der  beiden  zuletzt  genannten  Gruppen 
macht  dies  von  vornherein  sehr  wahrscheinlich.  Wie  sind  sie  denn 
gelagert?  „Das  Verbreitungsgebiet  der  schnurverzierten  Gruppe", 
sagt  Rein  ecke,  „umfafst  sowohl  Mittel-  als  Osteuropa.  Zur  Zeit 
lieferten  ihr  angehörende  Funde  folgende  Länder:  Nordru&land,  Süd- 
niisland  (Ukraine),  Ostgalizien,  Wolhynien,  Podolien,  die  Bukowina 
und  wohl  auch  die  Moldau,  das  ganze  Weichselgebiet  (Westgalizien, 


—     150     — 

Polen,  Westpreu&ea)  und  Ostprenlsen,  Mähren,  Böhmen,  Schlesien» 
Posen,  Pommern,  Brandenburg,  das  Königreich  und  die  Provinz  Sad^en« 
das  nördliche  Thüringen,  Mecklentnirg,  Schleswig -Holstein,  die  dä- 
nischen Inseln,  Hannover,  Holland,  Knrhessen,  das  Rheingebiet  von 
der  Schweiz  bis  zum  Niederrhein  und  Süddeutschland."  Es  fehlen  da, 
wie  man  sieht,  sehr  wichtige  Länder:  die  drei  Südhalbinseln  Europas, 
Ungarn  und  ganz  Österreich  südlich  der  Donau ;  auch  Südmähren  und 
das  angrenzende  nördliche  Niederösterreich  sind  frei  von  Schnurkeramik. 
Diese  Gruppe  ist  also  (von  SW-Deutschland  abgesehen)  g^en  Süden 
hin  durch  die  obere  Donau  und  den  2^g  der  Karpathen  begrenzt, 
d.  h.  eine  ausgesprochen  nördliche  und  nordöstliche.  Fraglich  bleibt 
ihr  Zusammenhang  mit  dem  Auftreten  schnurverzierter  Thongefalse  in 
Frankreich,  England,  im  Westen  des  Ural  und  in  Sibirien. 

In  schlagendem  Gegensatz  hierzu  steht,  der  Hauptsache  nach,  die 
Verbreitung  der  BandkeramUc.  „Aus  Westeuropa'*,  sagt  Reinecke, 
„kennen  wir  sie  aus  Portugal  tmd  Spanien,  weiter  aus  der  nördlichen 
Hälfte  Frankreichs ;  femer  tritt  sie  uns  in  Belgien,  in  den  Rheinlanden 
vom  Bodensee  bis  zum  Niederrhein,  in  Süddeutschland,  in  den  Ost» 
alpengebieten,  in  Hessen,  Thüringen,  Sachsen,  Schlesien,  Westgalizien 
und  an  einzelnen  Punkten  der  norddeutschen  Tiefebene  (z.  B.  in  Bran- 
denburg und  Pommern)  entgegen;  in  Böhmen,  Mähren  und  Nieder- 
österreich nördlich  der  Donau  ist  sie  sehr  reichlich  vorhanden ;  weiter 
finden  wir  sie  in  Oberungam,  im  Alföld  und  Siebenbürgen,  im  Litorale, 
in  Dalmatien,  Bosnien,  Kroatien  und  Slavonien,  Serbien,  Rtunänien, 
Bulgarien,  sodann  in  der  Troas,  endlich  selbst  in  Phrygien."  Au&er  Cy- 
pern  gehört  nach  den  jüngsten  Entdeckungen  A.  J.  Evans*  in  Knossos 
auch  Kreta  hierher.  Mit  anderen  Worten:  aufser  gewissen  Grenz- 
gebieten in  West-  und  Mitteldeutschland  und  einigen  Fällen  versprengten 
Vorkommens  weiter  östlich  schliefsen  die  Verbreitungsgebiete 
der  Schnur-  und  der  Bandkeramik  einander  gegenseitig 
aus,  und  das  der  letzteren  ist  ein  evident  südliches  und 
9üdöstliches,  wie  das  der  ersteren  ein  nördliches  und 
nordöstliches.  Hätte  man  das  vor  20  Jahren  gewufist,  so  würde 
die  Altersfrage,  zu  welcher  die  Verhältnisse  in  einem  jener  Grenz- 
gebiete, nämlich  in  Thüringen  und  der  Provmz  Sachsen,  allerdings 
aufforderten,  nie  so  scharf  gestellt  worden  sein,  wie  es  thatsächlich  und 
in  verhängnisvoller  Weise  geschehen  ist. 

Was  fo^t  nun,  vorausgesetzt,  dab  nicht  künftige  Entdeckungen 
die  Grundlinien  des  Bildes  total  verrüdcen,  aus  jenem  Lagetungs- 
Verhältnis  ?    Doch  gewife  nicht,  daJs  die  eine  der  beiden  Gruppen  zur 


—     151 

älter,  die  andene  tm  Gänze  jfixger  sei.    Nimmt  mam  dies  an« 
«o  wäre  2.  fi.  in  gsaa  öateiieicli  *  Ungarn  südlich  der  oberen  Donain 
imd  der  Kaipathen  nur  eme  (n^tdi  Götze  vnd  Reiaedke  jüngere,  nadh 
Kohl  u.  a.  ältere)  Stnfe  der  jüngeren  Steinzeit  vertreten.    Zu  solofafeii 
Konsequenzen  gelangt  man  durdi  GeneraUsiervi^  cfaronoIogBcher  Anr 
aetaimgen,  die  anf  eagbegrenztem  Gebiet,  in  joner  Grenzsone,  iakmei^ 
liin  berechtigt  sein  mögen.  Blickt  man  aber  auf  das  Grobe  und  Ganze, 
«o  zeigt  sich  klar,  dafs  Schnurkeramik  und  Bandkeramik 
getrennte  Entwickelungen  darstellen,  von  wdchen  die  eine 
den  Norden  und  Nordosten,  die  andere  den  Süden  und  Südosten  be- 
herrscht.  Sie  müssen  also,  der  Hauptsache  nach,  ungefähr  in  dieselbe 
Zeit  fallen,  und  chronologische  Unterschiede  müssen,  wenn  möglich, 
vielmehr  innerhalb  jeder  dieser  beiden  Gruppen,  als  zwischen  denselben 
ermittelt  werden  ^).    Wdtere  Frage :  was  ergiebt  sich  aus  diesem  Ver- 
hältnis für  die  Genesis  der  neolithisc^n  Kultur  in  Europa?    Es  wäre 
überkühn,  jetzt  schon  mehr  zeigen  zu  wollen,  als  eine  ferne,  dämmer- 
hafle  Aussicht  auf  zwei  grofse  Kulturprovinzen  getrennten  Ursprunges 
und  vielleicht  —  vielleicht!  —  verschiedener  rassenhafter  Grundlage. 
Klar  und  unbestritten   ist   der  Zusammenhang   der   einen,   der   süd- 
lichen oder  bandkeramischen,  mit  überseeischen  Gebieten  Vorderasiens 
und  Nordafrikas.    Bis  in  die  Nagada-Kultnr  Oberägyptens  hinein,  dte, 
g^ng  gerechnet,   über  30OO  Jahre  vor  Chr.  Geb.  angesetzt  werden 
muis,  reicht  dieser  Zusammenhang.    Spiraldekoration,  Vasenmalerei, 
Thonplastik  bezeugen  ihn   für  eine  ganz  bestimmte  südöstliche  Zone 
Europas,  wie  ich  in  meiner  Urgeschichte   der  bildenden  Kunst  in 
Europa  (Wien  1898]  ausführlich  dargestellt  habe.    Freilich:  wie  dieser 
Zusanmienhang  geschichtlich  zu  deuten  ist,  bleibt  noch  sehr  fraglich. 
Lag  der  Ausgangspunkt  ganz  tief  im  Südosten  und  führt  eine  einzige 
breite  Bahn  von  dort  über  Mittelmeer  und  Pontus  hinweg  nach  Norden? 
Oder  lag  der  ursprüngliche  Herd  dieser  Kultur  nicht  eher  am  östlichen 
Mittelmeer,  im  Bereich  der  ägäischen  Insel-  und  Küstenwelt  und  strahlte 
jene  von  dort  allseits  ans :  durdi  das  westliche  Mittelmeer  nach  Spanten, 
durch  den  Pontus  nach  Südnifeland,  südwärts  nach  Libjren  und  ^i^yplen, 
nordwärts  bis  zum  Rhein,   zur  Donau   und    zu  den  Karpathen?    Wir 
möchten    der  letzteren  Auffassung  den  Vorzug   geben,    aber,  wohl- 
gemerkt,   nur   als    der    momentan    plausibelsten  Hypothese    zur    Er- 

i)  Ich  setze  als  bekannt  yoraos,  dafs  —  wie  übrigens  die  oben  genannten  Dar« 
steUnngen  hinlänglich  zeigen  —  die  Knltorgrappen  der  Schnur-  und  der  Bandkeramik 
nicht  nur  in  den  Formen  und  Verzierungen  der  Thongeföfse,  sondern  auch  in  den  Typen 
der  Steinwerkzenge  und  in  vielen  anderen  Beziehungen  sich  voneinander  unterscheiden. 


—     152     — 

Idämng  vider  frappierender  Erscheinimgen.  Solche  Vermatungen,  wie» 
weit  sie  auch  immer  von  sicheren  Ergebnissen  entfernt  sind,  machen 
doch  noch  den  Eindruck  von  Tageshelle  g^enüber  dem  kimmerischen 
Dunkel,  das  über  der  Entstehung  der  schnurkeramischen  Gruppe  und 
anderer  nördlicher  Typen  der  neolithischen  Keramik  schwebt.  Von 
den  letzteren  soll  hier  gar  nicht  die  Rede  sein;  sonst  würden  wir  u.  a. 
zu  zeigen  suchen,  wie  die  oben  erwähnten  Zonen-  oder  Glockenbecher 
wahrscheinlich  auf  einem  peripherischen  Wege  von  Westen  her  in 
Mitteleuropa  eingedrungen  sind.  Darin  imd  in  mancher  Nebenfrs^e 
lassen  sich  auch  diskutable  Vermutungen  auüstellen;  wie  aber  die  Be- 
gründung der  so  ausgedehnten  schnurkeramischen  Kultur  vor  sich  ge- 
gangen ist,  entzieht  sich  derzeit  jeder  berechtigten  Annahme.  Sicher 
scheint  nur  soviel,  dafs  sie  auf  einem  W^e  entstanden  ist,  der  den 
Süden  und  namentlich  den  Südosten  Europas  umging.  Geschah  dies 
aber  von  Westen  her,  durch  den  Handel?  Oder  von  Osten  durch 
Einwanderung?  Für  beides  spricht  das  isolierte  Vorkommen  schnur- 
keramischer Formen  einerseits  in  Südengland,  andrerseits  im  östlichen 
Rufisland  (Gouvernement  Perm)  und  in  Sibirien.  Wer  Lust  hat,  mit 
archäologischen  und  kulturgeschichtlichen  Problemen  Rassenfragen  zu 
verknüpfen,  mag  in  den  Trägem  der  bandkeramischen  Kultur  die  Ver- 
treter von  Sergis  sttrpe  mediterranea  erblicken;  es  bleibt  ihm  dann 
die  erfreuliche  Möglichkeit,  die  Besitzer  der  schnurkeramischen  Kultur 
mit  den  europäischen  Ur-Indogermanen  zu  identifizieren  ^). 


I)  Ober  neolithische  Keramik  in  Deatschland  und  Österreich-Ungarn  mit  besonderer 
Rücksicht  auf  das  Alter  und  die  Stufen  der  sog.  „Bandkenumk**  werde  ich  ansführlidi 
in  einem  demnächst  erscheinenden  Buche  spredien«  Hier  sei  nur  nodi  bemerkt,  dals 
gans  kttrdicfa  auch  die  französischen  Präliistoriker  angefangen  haben,  sich  fUr  die  Sjsteme 
und  Kontroversen  ihrer  deutschen  KoUegen  n  interessieren.  Vgl.  L' Anthropologie, 
Paris  Xn  (1901),  S.  456—465,  700 — 707.  Allerdings  gesteht  der  scharfsinnige  S.  Rei- 
nach S.  707^  dafs  es  ihm,  selbst  mit  Hilfe  Schumachers,  im  Mainzer  röm,-germ.  Zentr.- 
Mttseum  nicht  gelungen  sei,  Schnur-  uud  Bandkeramik  sicher  unterscheiden  su  lernen  und 
illgt  hinzu :  wr  s'ü  y  a  du  ncoräi,  rubantforme**  et  du  „rubani  cordtforme**,  cela  promei 
etux  archiologues  non  seulement  du  fil  et  du  ruban,  maü  de  ia  corde  ä  reUtrdre, 


^«^^M««AArf^^^«MM«^A^^# 


—     153     — 

Ortsnamenforsehung  und  Wirtsehatts^ 

gesehiehte 

Von 
Hans  Witte  (Schwerin) 

Seit  der  Widerlq^ang  i)  der  Arnold  sehen  Ortsnamentheorie  herrscht 
in  unserer  Ortsnamenforschnng  ein  Übergangsznstand.  Einerseits  finden 
sich  immer  noch  Autoren,  die  ganz  und  gar  auf  Arnold  fuisen.  Für 
Julius  Gramer^  z.  B.  sind  immer  noch  die  -ingcn  alemannisch, 
die  -heim  fränkisch«  Kein  Wunder  daher,  dafs  er  sich  nicht  erklären 
kann,  wie  in  dem  nach  Stamm  und  Sprache  alemannisch  gebliebenen 
Elsals  das  „  fränkische "  -heim  so  vorherrschend  werden  konnte '). 
Und  auch  Franz  Gramer  hat  noch  in  der  Einleitung  seiner  trefflichen 
Schrift  über  die  rheinischen  Ortsnamen  von  dem  grundlegenden  Ar- 
nold sehen  Werke  gerühmt,  dafs  es  „besonders  die  viel  verschlungenen 
Pfrule,  auf  denen  Franken  und  Alemannen  im  Stromgebiete  des  Rheines 
sich  bewegt  und  miteinander  gerungen,  . . .  zuerst  aufgedeckt  und  in 
helleres  Licht  gerückt"  habe*).  Ein  Glück  nur,  dafs  dieser  gute» 
heute  nicht  mehr  berechtigte  Glaube  auf  den  Inhalt  der  Studie  Frans 
Gram  er  s  nicht  schädigend  einwirken  konnte,  da  diese  sich  auf  die 
vorgerinanischen  Ortsnamen  des  Rheinlandes  beschränkt. 

Andrerseits  ist  aber  auch  unter  denjenigen,  die  den  von  Arnold 
aufgestellten  Sätzen  nicht  mehr  den  Gharakter  von  blindlings  zu  be- 
folgenden Dogmen  zuerkennen  wollen,  das  Prinzip  der  voraussetzungs- 
losen und  nicht  durch  Annahme  imbewiesener  Regeln  von  vornherein 
in  bestimmte  Bahnen  gedrängten  Forschung  noch  nicht  völlig  durch- 
gedrungen.    Schon  einer  von    denen,  die    bei  der  Bekämpfung   der 

i)  VgL  darttber  im  Jahrgang  I  dieser  Zeitschrift  S.  153,  wo  aach  in  Anm.  2  die 
einschlägige  LiUeratar  zusammengestellt  ist  —  Ich  Ülge  ergänzend  hinzu:  Karl  Weiler» 
Die  Besiedehing  des  Alamannenlandes  (Wtfrttembg.  Vierteljahrshefte  ftlr  Landesgeschicfatt» 
N.  F.  Vn,  1898),  wo  noch  einige  weitere  in  Betracht  zu  ziehende  Schriften  erwähnt  wer- 
den. Bei  den  neuesten  Erscheinungen:  Adolf  Schiber,  Zur  Ortsnamenforschnng  (Kor* 
respondenzblatt  des  Gesamtvereins  1900,  S.  134 — 128),  Hans  Witte,  Zur  Ortsnamen* 
forscfanng  (Korrespondenzblatt  1900,  S.  148  [durch  wiUkflrliche  Redaktionsänderungen 
entstellt]  und  Litter.  Centralblatt  1900,  Nr.  44)  tiberwiegt  persönliche  Polemik. 

3)  Julius  Cramer,  Die  Geschickte  der  Aitmumnen  als  Gaugtschichtt  (in  Gierket 
Untersuchungen  zur  deutschen  Staats-  und  Rechtsgeschichte,  Heft  57).    Breslau,  Marcus» 

1899.    S.  249  ff- 

3)  Ebend.  S.  255. 

4)  Franz  Cramer,  Eheiniscke  Ortsnamen  aus  vorrömischer  und  rlfmischer  Zeit. 
Düsseldorf,  Ed.  Untz,  1901.     S.  i. 


—     154     — 

Araoldschen  Theorie  beteiligt  waren,  hat  den  Grundfehler,  an  dem 
diese  krankte,  das  Systematisieren  und  Schabionisieren  zwar  in  Bezug* 
auf  die  Stammesverhältnisse  widerlegen  halfen,  ihn  aber  dann  selber 
übernommen  und  unter  Übertragung  auf  das  wirtschaftliche  Gebiet  die 
Entwickelung  eines  neuen  Systems  angebahnt. 

Adolf  Schiber  hat  in  seinen  „Siedlungen"  noch  nicht  voll- 
ständig mit  der  von  Arnold  überkommenen  Zuweisung  der  einzelnen 
Ortsnamentypen  an  bestimmte  deutsche  Volksstämme  gebrochen;  er 
ist  zwar  im  Gegensatz  zu  Arnold,  der  bekanntlich  die  Ortsnamen  atif 
-ingen  für  alemannisch  erklärte,  für  deren  gemeindeutschen  Charakter 
eingetreten ,  aber  in  Bezug  auf  die  Ortsnamen  auf  -heim  ist  er  von 
Arnolds  fränkischer  Stammesbestimmung  nicht  abgewichen  *). 

i)  Ich  mnis  dies  beweisen,  da  Schiber  es  bestritten  hat.  Im  Korrespondenzblatt 
des  Gesamtvereins  von  1900,  S.  125,  Spalte  2  unten  schreibt  er:  „Ich  widersprach 
Arnold  auch  hier  insofern,  als  ich  -heim  aasdrücklich  für  pangermanisch  erklärte 
{a.  a.  O.  S.  15),  aber  dieser  Bezeichnung  legte  ich  eine  Bedentung  bei,  welche  es  mit 
•ich  brachte,  dafs  Siedkrogen  solcher  Art  aaf  alemannischem  Boden  nur  von  Franken 
gegründet  werden  konnten,  nämlich  =s  Dorf  von  Hörigen,  vgl.  Siedlangen  S.  15  ff"  — 
Die  Stelle  aaf  S.  15  der  „Siedlangen",  auf  die  sich  Schiber  beruft,  laatet:  „/^Vwr 
(goth.  haimSf  nord.  heimr^  agls.  harn)  ist  nun  ein  Wort,  das  a  n  s  ich  allen  germanischen  Spra- 
chen angehört."  Wie  jeder  sieht,  handelt  es  sich  hier  gar  nicht  um  die  mit  -heim  ge- 
bildeten Ortsnamen,  sondern  um  das  Snbstantivum  Heim,  was  durch  die  Hinzoilignng  von 
„  an  sich  "  noch  besonders  hervorgehoben  wird.  Der  gemeingermanische  Charakter  dieses 
Substantivums  ist  bisher  von  niemandem  in  Zweifel  gezogen  worden.  Die  mitgeteilte 
Stelle  beweist  also  nicht,  was  Schiber  mit  ihr  beweisen  möchte.  Wenn  er  dagegen  in 
seinen  „Siedlungen"  auf  S.  13  sagt:  „Natürlich  kann  keine  Rede  davon  sein,  dafs  die 
Verwendang  der  Silbe  heim  zur  Ortsnamenbildung  den  Franken  allein  eigen  sei",  so 
sieht  das  ja  fast  wie  eine  Wendung  gegen  den  Arnold  sehen  Standpunkt  aus.  Aber  der 
unmittelbar  folgende  Nachsatz:  „Dieses  hat  wohl  niemals  behauptet  werden 
wollen"  verdirbt  den  ganzen  Eindruck.  Denn  in  der  That  bat  auch  Arnold  dies  nidit 
behaupten  wollen,  sich  vielmehr  dagegen  gewehrt,  dafs  der  von  ihm  als  Regel 
ausgesprochene  fränkische  Qiarakter  der  •heim  auf  alle  EUnzeUäUe  autgedehnt  werde  (vgL 
Arnold,  Studien  zur  detUschen  Knlturgeschicbte.  Stuttgart  i88a.  S.  112,  Mitte).  Daft 
auch  diese  Äufsemng  Schibers  keineswegs  im  Gegensatz  zu  Arnold  gethao  wurde,  er- 
h^t  aufserdem  noch  ans  seiner  auf  S.  18  gegebenen,  jedes  Müsverständnis  ausschliefseil- 
den  Zusanunenfassang :  „Es  ergiebt  sich  daraus,  dais  bei  diesen  keim  io  Deutschland, 
abgesehen  von  den  sechs  östlichen  Provinzen  Preufsens,  kaum  bei  «inem  die  Mög- 
lichkeit einer  Grttndung  durch  Franken  ausgeschlossen  ist,  während 
sie  fQr  die  ixngebeiiara  Mehrkeit  von  vom  herein  als  wahrscheinlich  er- 
scheinen mnfs."  Entschiedener  hat  selbst  Arnold  den  firänkiscben  Charakter  der 
•heim  nicht  als  Regel  bezeichnet  Die  neuerliche  Behaaptuiig  Schibers,  in  seinen 
„Siedlungen"  im  Gegensatz  zu  Arnold  den  pangermanischen  Charakter  der  -^leiiii 
hervorgehoben  zu  haben,  findet  weder  auf  der  von  ihm  selbst  zitierten  Seite,  noch  sonst 
in  den  „Siedlungen"  eine  Stütze;  sie  kann  demnach  nur  als  versehleierter  Rückng  von 
einer  als  unhaltbar  erkannten  Stellung  aufgefafst  werclen. 


—     155     — 

Der  Grundgedanke»  von  deoEi  Schiber  ausgeht,  ist  folgender:  die 
Orte  auf  -ingen  sind  Sippen-(Bauem-)6iedeIungen,  diejenigen  auf  'heim 
dagegen  Herrensiedelungen.  Dergestalt  setzt  er  den  Gegensatz  zwi«- 
«chen  -ingen  und  -heim,  der  mit  der  Überwindung  des  Amoldscbem 
Systems  sich  hätte  verflüchtigen  oder  doch  wenigstens  sehr  an  Stärke 
verlieren  müssen,  von  neuem  in  Wirksamkeit,  indem  er  ihn  nur 
von  dem  Stammesgebiet  in  die  Wirtschaflsverhältnisse  überträgt.  Dieser 
wirtschaftliche  Grundgedanke  Schibers  verbindet  sich  mit  seiner  soeben 
dargestellten  Stammesauifassung :  die  Sippensiedelungen  auf  -ingen  sind 
:fiidbt  an  einen  bestimmten  germanischen  Stamm  gebunden,  dagegen 
erscheinen  die  -heim  in  den  „Siedlungen"  durchaus  als  die  Sitze  frän- 
kischer Herren.  Da  nun  die  Germanenstämme  zur  Zeit  der  Völker- 
wanderung in  ihrer  überwiegenden  Masse  aus  gemeinfreien  Bauern 
bestanden,  wären  überall  da,  wo  sie  sich  in  gröfseren  Mengen 
niedeigelassen  haben,  zahlreiche  Ortsnamen  auf  -ingen  zu  erwarten. 
Ihr  Fehlen  an  solchen  Stellen  würde  diese  ganze  Theorie  über  den 
Haufen  werfen,  wenn  sich  nicht  eine  einleuchtende  Erklärung  dafür 
finden  liefee. 

Thaisächlich  sind  nun  in  einem  grofsen  Teile  des  alemannischen 
•Siedehmgsgebietes  die  Ortsnamenverhältnisse  derart,  da(s  diese  Schi- 
l>erschen  Aufstellungen  völlig  an  ihnen  scheitern  zu  müssen  scheinen : 
in  der  pfälzischen  Ebene  giebt  es  neben  einer  sehr  grofsen  Anzahl 
von  Orten  auf  -heim  nur  sehr  wenige  auf  -ingen,  und  in  der  elsässi- 
«schen  Ebene  sind  die  -heim  nahezu  alleinherrschend,  in  dem  Mafse, 
^ais  in  der  unterelsässischen  Ebene  neben  ihnen  nur  ein  einziges  -ingen 
(Dümingen),  in  der  oberelsässischen  nur  ein  halbes  Dutzend  vorkommt. 

Diese  unbequemen  Thatsachen  werden  von  Schiber  promptest  auf 
die  Seite  geschoben,  indem  er  deduciert:  Gewifs  mufs  die  aleman- 
nische Ansiedelung  in  den  Ebenen  der  Pfalz  und  des  Elsafis  zahlreiche 
Ortschaften  auf  -ingen  hervorgerufen  haben.  Solche  waren  früher  auch 
in  grofser  ,Menge  vorhanden.  Aber  als  die  Franken  das  obere  Rhein- 
thal erobert  hatten,  wurden  die  einstigen  alemannischen  Sippensiede- 
lungen in  fränkische  Herrensiedelungen  verwandelt;  die  ursprünglichen 
^amen  auf  -ingen  hatten  daher  keine  Berechtigung  mehr  und  muisten 
„umgetauft'*  werden  in  solche  auf  -heim!! 

Da  sonst,  wo  immer  ein  Volk  sich  über  das  Gebiet  eines  anderen 
ausbreitet,  die  Übernahme  einer  grofsen  Menge  der  vorgefundenen  Orts- 
namen beobachtet  wird,  wäre  es  doppelt  erwünscht  gewesen,  wenn 
der  so  einzig  dastehende  Vorgang  einer  radikalen  Massenumtaufe  der 
Orte  des  westlichen  Oberrheins   auch  wirklich  erwiesen  worden  wäre. 


—     156     — 

Der  gewöhnliche  Verstand  will  es  so  leicht  nicht  begreifen,  warum 
die  Franken  die  schon  ans  ihrer  Heimat  altvertrauten  Namen  auf  -ingen, 
die  Lothringen  und  Luxemburg  erfüllen  und  sich  bis  an  das  Nord- 
meer hinziehen,  hier  nicht  bestehen  lassen  konnten,  während  doch 
sonst  sogar  die  unverstandenen  Namen  einer  fremden  Sprache  massen- 
haft übernommen  werden.  Und  hier  —  wenigstens  im  Elsafs  —  blieb 
doch  die  alteingesessene  alemannische  Bevölkerung  in  so  überwiegen- 
der Stärke  sitzen,  dafe  die  eingewanderten  Franken  ihr  gegenüber  nur 
eine  kleine  Minderheit  ausmachen  konnten.  Wie  sollte  es  dieser  Min- 
derheit, die  so  schwach  war,  dafe  sie  in  kurzer  Zeit  völlig  alemanni- 
siert  wurde,  gelungen  sein,  die  ansässig  gebliebenen  Alemannen  zur 
Preisgabe  ihrer  angestammten  Ortsnamen  zu  veranlassen? 

Genug,  die  angebliche  Umnennung  der  linksrheinischen  -ingen  ia 
-heim  ist  nicht  bewiesen.  Man  kann  auch  billigerweise  einen  solchen 
Beweis  gar  nicht  verlangen,  da  dieser  Vorgang  zu  einer  Zeit  statt- 
gefunden haben  soll,  über  die  wir  durch  schriftliche  Quellen  nur  mangel- 
haft unterrichtet  sind.  Man  mufs  sich  eben  damit  trösten,  dals  diese 
Umnennung  mit  zwingender  Notwendigkeit  durch  Schibers  Grundidee 
von  dem  bäuerlichen  Charakter  der  -ingen  und  dem  grund- 
herrlich-fränkischen der  -heim  erfordert  wird.  Nur  schade,  dafs  auch 
die  Richtigkeit  dieser  Grundidee  noch  nicht  bewiesen  ist. 

Ich  will  hier  nicht  wiederholen,  was  ich  an  anderen  Stellen  bereits 
gegen  die  Schibersche  Auffassung  vorgebracht  habe,  sondern  nur 
erwähnen,  daCs  ich  zu  beweisen  versucht  habe,  dais  die  massen- 
haften -heim  der  Pfalz  und  des  Eisais  nur  der  Niederschlag 
einer  von  Osten  gekommenen,  also  alemannischen  Einwanderung  gewesen 
sein  können  ^).  Für  jeden ,  der  diesen  Beweis  als  erbracht  anericennt^ 
ist  damit  die  Widerlegung  der  Schiberschen  Theorie  implidte  g^eben. 

Die  bis  dahin  allgemein  anerkannten  Grenzen  der  Ortsnamen- 
forschung, die  durch  die  Gesamtheit  der  wirklich  vorhandenen  und 
quellenmäfsig  nachweisbaren  Ortsnamen  von  selber  gegeben  sind,  wer- 
den verschoben,  ihre  durch  ein  sicheres  Material  gefestigten  Grund- 
lagen werden  erschüttert,  wenn  es  fortan  gestattet  sein  sollte,  mit 
Massen  von  Ortsnamen  zu  operieren,  die  aus  den  Quellen  nicht  nach- 
gewiesen werden  können.  Wird  auf  diesem  Wege,  der  von  Schiber 
durch  die  beweislose  Annahme  einst  zahlreicher  -ingen  in  der  elsäs- 
sisch-pfalzischen  Ebene  und  ihre  Umnennung  in  -heim  eröffnet  wurde, 
weiter  g^eschritten,  so  könnten  wir  allmählich  dahin  gelangen,  dals  in 


i)  Z.  Gesch.  d.  Deatschtams  im  Elsafs  S.  94  ff. 


—     157     — 

der  Ortsnamenforscbttiig  weniger  von  den  wirklich  vorhandenen  und  ur- 
kundlich nachweisbaren  Ortsnamen  die  Rede  sein  würde,  als  von  denen,  die 
ein  jeder  seiner  voigeialsten  Meinung  zuliebe  iigendwozu  sehen  wünscht 

Dem  g^[enüber  muis  mit  aller  Entschiedenheit  die  Pflicht  einer 
strengen  wissenschaftlichen  Beweisführung  in  Erinnerung  gebracht  wer- 
den, wo  immer  auch  nur  die  Änderung  des  Namens  eines  einzigen 
Ortes  behauptet  wird.  Werden  sogar,  wie  bei  Schiber,  massenhafte 
Unmennungen  von  Orten  angenommen  und  auf  sie  ein  neues  System 
b^iründet,  so  schwebt  dieses  so  lange  in  der  Luft,  bis  ein  unanfecht- 
barer Nachweis  der  wirklich  geschehenen  Umnennungen  geführt  ist 

Es  ist  nötig,  diese  selbstverständliche  Pflicht  der  Beweisführung 
scharf  hervorzuheben,  da  auf  Schibers  unbewiesenen  Grundlagen 
weiter  gebaut  wird,  wie  eine  Abhandlung  Georg  Heegers  ^)  zeigt 
In  ihr  werden  in  übersichtlicher  imd  höchst  dankenswerter  Weise  die 
Ortsnamen  der  Vorderpfalz ,  nach  den  Grundworten  geordnet,  unter 
Beibring^g  der  ältesten  urkundlichen  Formen  zusammengestellt. 
Neben  den  so  entstehenden,  zum  TeU  recht  langen  Ortsnamenlisten 
tritt  der  eigentliche  Text  der  Abhandlung  in  den  Hintergrund. 

In  enger  Anlehnung  an  Schiber  bringt  Heeger  die  -ingen  in 
einen  „scharfen  Gegensatz"  (S.  5)  zu  den  -heim,  vor  dessen  Auf- 
stellung noch  neuerdhigs  Karl  Weller  auf  Grund  seiner  genauen 
Kenntnis  des  württembergischen  Namenbestandes  so  eindringlich  ge- 
warnt hatte ').  Den  als  Sippensiedelungen  betrachteten  -ingen  g^en- 
über  sind  auch  ihm  die  -heim  durchaus  Herrensiedelungen.  Der  hand- 
greifliche Widerspruch,  in  dem  die  thatsäcbliche  Ortsbenennung  der 
westlichen  Ebenen  des  Oberrheins  mit  ihrem  erdrückenden  Überwiegen 
der  -heim  sich  dieser  Theorie  entg^enstellt,  kommt  auch  ihm  zum 
Bewußtsein.  Und  auch  er  unterwirft  sich  nicht  dieser  entscheidenden 
Thatsache,  sondern  übernimmt  die  ganze  Seh ib ersehe  Umnennungs- 
theorie,  obwohl  er  über  deren  Unbeweisbarkeit  sich  vollkommen  klar 
ist  (S.  19,  letzter  Absatz).  Nur  in  dem  einen  Punkte  weicht  Heeger 
von  Schiber  ab,  dafs  er  den  gemeingermanischen  Charakter  der 
-heim  entschieden  hervorhebt  Das  hat  aber  für  ihn  nur  eine  theore- 
tische Bedeutung,  da  die  dort  behandelten  -heim  der  Pfalz  und  des 
Eisais  durchaus  als  fränkische  Siedelungen  aufgefafst  werden. 


i)  Die  germanische  Besiedlung  der  Vorderpfah  an  der  Hand  der  Ortsnamen, 
Mit  einer  Ortsoamenkarte.  Programm  des  Kgl.  Hamaoistiscben  G^rmDasioms  Landau 
1 899/1900.     Landau  1900. 

a)  Karl  Well  er,  Die  Besiedelang  des  Alamannenlandes.  Sonderabdr.  ans  den 
Wfirttembg.  Vierteljahrsheflen  f.  Landesgesch.    N.  F.  VU  (1898),  S.  31,  Anm.  4- 


—     158     — 

Das  von  Schiber  entlehnte  wirtschaftliche  Ortsnamensystem  hat 
nun  durch  Heeger  noch  eine  wettere  Au^estaltung*  erfahren,  indem 
er  es  auf  alle  sonst  in  seinem  Forschungsbereiche  vorkommendea 
Ortsnamentjrpe  ausgedehnt  hat:  So  erscheinen  ihm  die  Ortsnamen 
auf  -Stadt  als  Wohnorte  eines  Grundherrn,  hervorgegangen  durch  Neu- 
gründung  aus  den  -heim  (S.  21);  ebenso  sind  die  -stein,  weiter  die 
-hoben,  -hofen,  -hausen  grundherrliche  Siedelungen;  die  -bach,  -ach, 
-au  „sind  mit  Personennamen  gebildet  und  schliefsen  sich  direkt  an 
die  echten  (d.  h.  mit  Personennamen  gebildeten)  ,heim*  an",  aus 
denen  sie  nach  Heegers  Ansicht  hervorgegangen  sein  sollen,  durch 
Ablösung  „einzelner  Familienglieder  der  Heim-Grundherren"  (S.  26), 
also  auch  durch  grundherrliche  Siedelung;  dafs  auch  die  -weiler  als 
Siedelungen  von  Grundherren  in  Anspruch  genommen  werden,  ver- 
steht sich  nach  Vorstehendem  von  selber.  Diesem  Schicksal  entgehen 
nur  die  -dorf,  die  nur  viermal  in  der  Vorderpfalz  vorkommen  und 
auiser  dem  modernen  Maxdorf  nicht  mit  Personennamen  gebildet  sind. 

So  sehen  wir  wieder  ein  neues  System  fertig  vor  uns,  das,  wie 
einst  das  Amoldsche  die  im  deutschen  Südwesten  vorkommenden 
Ortsnamentype  unter  die  Franken  und  Alemannen  verteilt  hatte,  sie 
jetzt  den  wirtschaftUchen  Formen  der  Siedelungen  zuweist  Wenn  die 
Amoldsche  Idee,  dafe  dem  gleichen  Grundworte  auch  die  gleiche 
Stammeszugehörigkeit  entspricht,  von  vornherein  etwas  Bestechendes 
halte  besonders  hinsichtlich  der  Type,  die  eine  so  eigenartige  Ver- 
breitung haben  wie  die  auf  -ingen,  -heim  und  -weiler,  so  läfst  sich 
andrerseits  gar  nicht  erfinden,  warum  dasselbe  Grundwort  stets  auch 
dieselbe  wirtschaftliche  Form  bedingen  soll. 

Dafs  in  dieser  Hinsicht  das  Gnmdwort  allein  nicht  befriedigen 
kann,  empfindet  auch  Heeger  sehr  bestimmt  Und  wenn  er  es  auch 
nicht  unternimmt,  für  seine  oben  kurz  mitgeteilten  Ansichten  einen 
Beweis  zu  führen,  so  sucht  er  doch  Stützen  daiür  zu  gewinnen ,  dafs 
die  aufgezählten  Grundworte  gerade  für  Herrensiedelungen  cha- 
rakteristisch sein  sollen.  Denn  aus  den  Grundworten  -heim,  -Stadt, 
-stein,  -hofen  u.  s.  w.  läist  sich  das  doch  gewifs  nicht  entnehmen. 

Das  Einzige,  was  sich  ihm  hier  darbietet,  ist  die  Thatsache,  da(s 
alle  diese  Grundwörter  zumeist  mit  Personennamen  im  ersten  Gliede 
gebildet  sind.  Und  diese  genitivischen  Personennamen  fa(st  er  durch- 
aus als  besitzanzeigend  auf.  Daher  läfst  er  auch  die  Frage  offen,  ob  die 
Orte  auf  -dorf  als  Herren-  oder  als  Sippensiedelungen  aufzufassen  seien, 
da  die  wenigen  in  der  Vorderpfalz  vorkommenden  älteren  Formen 
dieses  Typs  nicht  mit  Personennamen  gebildet  sind.    Ander¥rärts  ist 


—     159     — 

übngenB  die  Verbindmig  v<mi  -dorf  mit  einem  Personennamen  sehr 
häufig',  wie  überhaupt  bei  allen  doppelstämmigen  deutschen  Ortsnamen- 
bildungen  die  Personennamen  im  ersten  Gliede  so  entschieden  in  den 
Vordergrund  treten,  dafs  schon  dadurch  die  Annahme,  der  genitivische 
Personenname  sei  stets  besitzanzeigend  und  die  durch  ihn  gekennzeich- 
neten Orte  grundherrliche  Siedelungen,  von  vornherein  wenig  glaub- 
würdig erscheint. 

Da  Heeger  es  unterlassen  hat,  für  diese  seine  Annahme  einen 
Beweis  zu  erbringen,  so  kann  er  aus  ihr  ebensowenig  eine  Stütze  für 
den  grundherrlichen  Charakter  der  -heim,  -stadt,  -stein,  -hofen,  -hausen, 
-bach,  -weiler  u.  s.  w.  gewinnen  wie  aus  diesen  Grundwörtern  selben 
Seine  daraufbezüglichen  Ausführungen  haben  demnach  nur  den  Wert  einer 
unbewiesenen  persönlichen  Meinung,  die  z.  B.  der  entgegengesetzten 
Au&erung  Karl  Wellers,  dafe  der  als  Bestimmungswort  in  den  Orts- 
namen auf  -heim  meist  angewandte  Personenname  „  ebensogut  das  Haupt 
einer  Sippe  wie  sonst  einen  hervorragenden  Mann  bezeichnen  kann"  *), 
keinen  Eintrag  zu  thun  vermag.  Wellers  Auffassung  verdient  sogar 
den  Vorzug,  weil  sie  der  Freiheit  der  frühmittelalterlichen  Ortsnamen- 
bildung im  Volksmunde  in  vollem  Mafse  gerecht  wird  und  sie  nicht 
einzwängt  in  schematische  Regeln. 

Nun  sind  ja  aber  auch  die  sowohl  von  Schiber  wie  von  Heeger 
als  Beweis  für  Sippensiedelungen  betrachteten  Ortsnamen  auf  -ingen 
durchaus  mit  Personennamen  gebildet.  Aber  es  findet  hier  in  der 
Regel  nicht  die  genitivische  Verbindung  mit  einem  Grundwort  statt; 
-ingf(en)  ist  überhaupt  kein  Grundwort,  sondern  ein  patronymisches 
Suffix,  das  in  der  Vereinigung  mit  einem  Personennamen  die  Zuge- 
hörigkeit zur  Familie,  zum  Geschlecht,  ziu*  Sippe  des  Genannten  be- 
zeichnet. Insofern  hat  Heeger  wohl  Recht,  wenn  er  (S.  19)  aus- 
fuhrt: „Die  , ingen*  geben  sich  schon  durch  ihren  Namen  als  Sied- 
lungen von  einer  Mehrheit  von  Personen  zu  erkennen;  in  den  Orts- 
namen auf  ,beim*  dagegen  tritt  eine  Einzelperson  scharf  in  den 
Vorderg^nd".  Der  Gegensatz  ist  aber  doch  nur  ein  scheinbarer; 
denn  die  Sippe  selber  ist  doch  auch  immer  nach  einer  Einzelperson 
benannt.  Denn  ob  bei  der  Niederlassung  einer  Sippe  der  dadurch 
entstehende  Ort  einfach  den  Namen  der  Sippe,  also  z.  B.  Huchilingen 
erhält,  oder  ob  er  nach  dem  auch  im  ersten  Falle  namengebenden 
Haupte  der  Sippe  Huchilinheim,  Heim  des  Hugo  als  Vertreters  der  ganzen 
Sippe,  benannt  wird,  ist  in  der  Sache  ganz  gleichgültig.    Und  da(a 


i)  a.  a.  O.  S.  32,  Anm. 


—     160     — 

beide  Fälle  möglich  sind,  dals  der  an  keine  R^ein  gebundene, 
gleichermalsen  aus  der  Phantasie  wie  aus  den  Thatsachen  schöpfende 
Voiksmund  die  Siedelung  einer  Sippe  nach  dem  Namen  ihres  Ober- 
hauptes als  das  Heim  des  Hugo  bezeichnen  kann,  wird  niemand, 
der  nicht  auf  das  Schiber-Heegersche  System  eingeschworen 
ist,  von  vornherein  bestreiten.  Die  auch  in  der  Prosa  gangbare 
Figur  des  pars  pro  toto  dürfte  doch  der  kindlich -naiven  Auffassung 
unserer  Altvorderen,  als  sie  erst  im  B^^fTe  waren  die  Schwelle  der 
geschichtlichen  Zeit  zu  überschreiten,  nicht  gar  so  fem  gelten  haben. 
Wenn  demnach  eine  Sippensiedelung  den  Namen  der  Sippe  selber 
(Huchilingen)  fuhren  oder  aber  in  figürlicher  Bedeutung  als  Heim  des 
Oberhauptes  der  Sippe  (Huchilnheim)  benannt  sein  konnte,  so  ist  ander- 
seits dem  Sinne  des  Namens  nach  gar  nicht  einmal  notwendig,  dais 
ein  Huchilingen  genannter  Ort  von  vornherein  als  Sippensiedelung 
angesprochen  wird.  Wohlgemerkt  bestreite  ich  nicht  die  Möglich- 
keit, da(s  Orte  auf  -ingen  Sippensiedelungen  sein  können,  es  vid- 
leicht  sogar  der  überwiegenden  Mehrzahl  nach  sind,  wie  ich  auch 
weder  jetzt  noch  früher  die  Möglichkeit  bestritten  habe,  Orte  auf  -heim 
als  Herrensiedelungen  anzusprechen ;  desto  entschiedener  aber  bestreite 
ich  die  Notwendigkeit,  die  starre  Regel.  Dem  Wortsinne  nach 
kann  Huchilingen  ebensowohl  die  Siedelung  einer  gleichnamigen  Sippe 
bedeuten  wie  die  Siedelung  eines  edlen  Huchilo  mit  Familie  und  Dienst- 
leuten. Im  zweiten  Falle  würde  also  grundherrlicher  Charakter  der 
Siedelung  vorli^en,  der  durch  das  -ingen  demnach  nicht  von  vorn- 
herein ausgeschlossen  werden  kann  ^).    Um  welche  Siedelungsform  es 


i)  Nach  Vollendang  dieser  Arbeit  kommt  mir  eine  aeae  Schrift  Schibers  zu  Gesicht 
(Germanische  Siedlungen  in  Lothringen  und  in  England,  Sooderabzug  ans  dem  Jahr- 
bache der  Gesellsch.  f.  lothr.  Gesch.  n.  Altertumskunde  Bd.  XII,  1900).  Auf  S.  2  faist 
Schiber  die  Ergebnisse  seiner  früheren  Arbeiten  in  3  Thesen  zusammen,  deren  erste 
die  Orte  auf  -ingen  als  Sippensiedelungen,  die  auf  genossenschaftticher  Grundlage  eot^ 
standen,  bezeichnet.  Auf  S.  5  erfiihrt  diese  These  bereits  eine  sehr  bemerkenswerte  Ein- 
schränkung, indem  nur  noch  „die  alten  Ortsnamen  auf  -ingen,  welche  durch  die 
Lage  und  den  Umfang  ihres  Bannes,  sowie  durch  ihre  Flureiateilnng 
als  genossenschaftliche  Gründung  eines  über  die  Bedeutung  nur  einer 
Familie  erheblich  hinausgehenden  Verbandes  sich  darstellen,  ...ein- 
stige Markgenossenschaften,  Siedlungen  einer  Gemeinschaft  von  Haushaltungen,  welche  einer 
Sippe  angehören '*,  darstellen;  denn  „nicht  alle  -ingen  sind  Markgenossenschaften *',  wie 
Schiber  jetzt  ausdrücklich  hervorhebt.  Damach  scheint  seine  Haltung  gegen  die  tob 
mir  bei  Besprechung  seines  Erstlingswerkes  gesteUte  Frage  „Warum  soll  in  dem  mit 
-ingen  verbundenen  Personennamen  nicht  auch  ein  Grundherr  genannt  sein  können  ?** 
(Zeitschr.  f.  Gesch.  des  Oberrheins,  Jahrgang  1894,  S.  338)  nicht  mehr  so  ganz  ablefa 
nend    zu    sein.       Ich      kann     mich      mit     der    wiedergegebenen    Einschrinknng    det 


—     161     — 

«ch  in  Wirklichkeit  handelt ,  kann  durch  weiteres  Tüfteln  am 
Ortsnamen  nicht  entschieden  werden.  Hier  sind  wir  an  der  Grenxe 
der  eigentlichen  Qrtsnamenforschnng  angelangt;  will  man  diese  über^ 
schreiten,  so  bedarf  man  dazu  thatsächlicher  Unterlagen,  die  dem 
Namen  nicht  mehr  entnommen  werden  können;  davon  späten 

Die  Verteilung  der  beiden  Hauptsiedelungsformen  unter  die  durch 
Sonderung  nach  den  Grundwörtern  entstehenden  Ortsnamenabteilungen 
lä&t  sich  demnach  weder  durch  die  Betrachtung  dieser  Grundwörter 
noch  durch  die  Thatsache  ihrer  häufigen  Verbindung  mit  Personen* 
namen  rechtfertigen;  noch  mehr  verliert  sie  an  Wahrscheinlichkeit 
durch  die  Erwägung  der  volkstümlichen  Entstebungsart  dieser  früh- 
mittelalterlichen Ortsbenennungen,  die  gewifs  alles  andere  eher  sind, 
als  der  peinlich  genaue  Kataster  der  ländlichen  Besitzverhältnisse,  wie 
er  uns  in  der  Heeg ersehen  Auffassung  der  genitivischen  Personen- 
namen als  Besitzemamen  schlechthin  entg^entritt.  Wie  die  deutsche 
Ortsbenennung  im  frühen  AGttelalter  vor  sich  gefangen  ist,  darüber 
sind  uns  keine  zuverlässigen  Nachrichten  überliefert.  Aber  um  eine 
Reihe  von  Jahrhunderten  später  sehen  wir  das  deutsche  Volk  wiederum 
vor  eine  groise  Aufgabe  der  Namengebung  gestellt;  wir  beobachten 
deutlich,  wie  bei  der  vom  XII.  bis  ins  XIV.  Jahrhundert  bei  uns  in  le- 
bendigem Fluls  befindlichen  Entstehung  der  Familiennamen  einerseits 
wohl  die  nüchterne  Prosa  des  Lebens  zur  Geltung  kam,  indem  die 
Namen  dem  Berufe,  dem  Herkunftsorte  oder  -lande  der  Personen 
entnommen  wurden,  andrerseits  aber  der  Volkshumor  sich  gerade- 
zu erschöpfte  in  scherzhaften,  launigen  und  phantasievollen  Bil- 
dmigen.  Dasselbe  Volk,  das  bei  der  Schöpfung  der  Familien- 
oamen eine  solche  Fülle  von  Laune  und  Schalkhaftigkeit  zu 
erkennen  gab,  müfste  ja  diese  seine  Gabe  mit  wahrer  Selbstüberwin* 
düng  verleugnet  haben,  wenn  es  bei  der  in  weit  früherem,  kindlicherem 
Alter  stattgefundenen  Benennung  der  grolsen  Mehrzahl  seiner  Orte 
nur  in  der  allersachlich-nüchtemsten  Weise  die  damaligen  Besitzver- 
hältnisse hätte  zum  Ausdruck  bringen  und  nicht  auch  etwa  Personen, 


These  i  onr  eiDventandeo  erklären,  da  durch  sie  nicht  mehr  der  Name  aaf  -ingen, 
40Ddeni  Umfang,  Anlage,  Flnreinteilong  des  Ortes  Hir  seine  2^weisang  sa  den 
Sippensiedelangen  als  entscheidend  anerkannt  wird.  Somit  kommt  ein  scharfer  prinsi* 
pieUer  Gegensatz  zwischen  der  genannten  These  and  ihrer  Einschränkuig  tnm  Ausdruck, 
«od  wenn  Schiber  diesen  neuen  Gesichtspunkt  mutaiü  mutandis  aach  auf  die  «heim 
angewandt  hitte,  so  wflrde  ihm  sein  altes  Sjstem  uiter  den  Händen  senronnen  teio« 
Ober  den  weiteren  Inhalt  der  nenen  Schrift  Schibers  vgL  meine  kaue  Besprechaog  in 
^er  „Deutschen  Erde**,  Janinammer  1891,  Nr.  Si. 

12 


— '    M2     — • 

*    ',  • 

difcdärchGeburti  Ansehen,  Volkstümlichkeit  oder  mancherlei  merkwür*-- 

dige'ßjfenschaften  in  die  Angen  fielen,  verewigen  wollen.    So  enthaltenr^ 

2. 'B.  die  znr  Bezeichnung  der  Hagendörfer  des  deutschen  Nordostens  an-' 

gewandten  genitivischen  Personennamen   nur  selten  den  Namen  des^- 

Grundherrn,     weit    häufiger    den     des    Lokators,     des     bäuerlicheil^ 

Fahrers  der  neuen  Ansiedler.    Ohne  Zweifel  sind  in  den  bei  der  Orts^ 

namenbildung   angewandten  Personennamen  so   manche  Grundherren 

überliefert j  wer  sie  aber  alle  zu  soldien  stempeln  will,  thut  der  Be* 

^glichkeit  des  naiven  Volksgeistes  Zwang  an,   indem   er  sie  als  ein-' 

seitige  Starrheit  erscheinen  läfet. 

Wenn  nun  Schiber,   um  das  schon  in  der  Geburtsstunde  dro*' 
hende  Scheitern  seines  Systems  zu  vermeiden,  zur  unbewiesenen  An- 
nahme massenhafter  Ortsumnennungen  seine  Zuflucht  nehmen  mufste,.' 
so  geht  Heeger  als  Ausbauer  dieses   Systems  darin  noch  weiter/ 
Die  von  ihm  anerkannte  Unmöglichkeit,  einen  Beweis  für  die  angeb- 
liche Unmennung  der  oberrheinischen  -heim  aus  ursprünglichen  -ingea ' 
zu  führen,  stört  ihn  nur  wenig,  da  dieser  imaginäre  Vorgang  in  einer* 
Zeit  stattgefunden  haben  mufs,   aus  der  „uns  leider  gar  keine   der- 
artigen NachrJchten  übermittelt"  (S.  19)  sind,  und  da  „eine  Erschei-^ 
nung  ...  uns  doch  zu  denken"  giebt:   Sobald  nämlich   „die  ,heim*^' 
nicht  mehr  in  dichten  Massen  .. .  auftreten,   stofsen  wir  da,   wo  die" 
,higeti*  wieder  aufzutauchen  beginnen,   auf  Orte,   deren  Namen   auf^ 
,ing4-heim*'   (jetzt  meist  ,igheira*)  endigen  und  die  meiner  Ansicht 
nach  durch  Umnenntmg  alter  ,ingen*  entstanden  sind"  (S.  19).    Hierin' 
glaubt  Heeger  „Spuren   des  fränkischen  Umncnnungsverfahrens  zu 
eltennen  ". 

Wenn  nun  wirklich  alle  diese  -ingheim ,   die  übrigens  keineswegs 
auf  das   Grenzgebiet  der  -ingen   und  -heim  beschränkt  sind  —  maa 
beachte    nur    die    elsässischen    Formen :    Schiltigheim ,    Düppigheim^  * 
Hürtigheim ,    Türkheim    (Durinkeim) ,    deren    Lage   dieser   Bedingung" ' 
dürdiaus  nicht  entspricht  ^— ,    als  hervorgegangen  aus    ümnennung^* 
unsprünglich    nur   -ingen   benannter  Orte   erwiesen   werden    könnten,^ 
so  wäre   damit  für   die  einfachen  -heim   noch  gar  nichts  gewonnen. 
Sogar  wenli  für  einige  dieser  letzteren  der  Nachweis  einer  solchen  Um^ 
nennung  gefuhrt  werden  könnte,  so  wäre  deswegen  noch  niemand  be- 
rechtigt,  auf  Grund  solcher  Einzelfalle  der  Gesamtheit  der  massenhaftem 
-beim  des  oberen  Rheinthaies  die  Uraprünglicbkeit  abzusprechen  und  ' 
sie  «amt  und  soüdets  aus^  ebeeialigen  -ingen  herzuleiten.    Ein  solchea 
Generalisieren  würde  gar  nicht  zu  rechtfertigen  sein. 

Nicht  entfernt  so  günstig  li^en  aber  die  Dinge  für  die  Anhänger  * 


—     163     — . 

der  Umnennungstheorie.  Dem  trägt  Heeger  Rechnung,  indem  er 
sagt,  dals  die  Namen  auf  -ingheim  seiner  Ansicht  nach  durch 
Umneimung  alter  -ihgen  entstanden  seien.  Beweisen  kann  er  das 
nämlich  nur  in  einem  einzigen  Fallt  das  alte  Gunzingen  hat  sich  in 
Gunzincheim  und  weiter  in  Gunzinheim,  Ginsheim,  Geinsheim  gewandelt. 

Sehen  wir  den  Fall  näher  an,  so  zeigt  sich,  da(s  der  Ort  in  den 
Jahren  774,  778  und  8(X)  Gunzingen  genannt  ist;  790  tritt  zuerst  Gun- 
zinheim auf  (S.  7  und  16).  Man  wird  gleich  sagen:  das  ist  doch  etwas 
zu  spät,  um  als  „Spur  des  fränkischen  Umnennungsverfahrens "  be- 
zeichnet werden  zu  können,  das  sich  doch  im  Anschluß  an  die  frän- 
kische Eroberung  zu  Anfang  des  VI.  Jahrhunderts  abgespielt  haben  mu(s. 
NachSchiber,  dem  sichHeeger  anschliefet,  sind  ja  die  -heim  des 
Oberrheins  der  Niederschlag  einer  fränkischen  Herrenkolonisation,  die 
nach  militärischen  Gesichtspunkten  zur  Befestigung  der  fränkischen 
Herrschaft  im  eroberten  Lande  vorgenommen  wurde :  gleich  nach  der 
Eroberung  rückten  zahlreiche  Franken  in  das  Land  ein  tmd  setzten 
sich  als  Herren  in  die  alten  alemannischen  Sippensiedelungen ;  deren 
alte  Namen  auf  -ingen  verschwanden,  um  neuen  Platz  zu  machen,  die 
durch  eine  Verbindung  des  Namens  der  fränkischen  Herren  mit  dem 
besitzanzeigenden  -heim  die.  veränderten  Verhältnisse  zu  einem  für 
alle  Zeiten  sichtbaren  Ausdruck  brachten. 

Wenn  sich  nun  das  alte  Gunzingen  nachweisbar  bis  zum  Jahre 
800  erhalten  hat  und  Gunzinheim  erst  von  790  an  neben  ihm  aufzu- 
treten beginnt,  so  steht  jedenfalls  das  fest,  dafs  die  etwa  um  500  statt- 
gefundene Einwanderung  der  Franken  an  dieser  Veränderung  des  Na- 
mens nicht  schuld  sein  kann.  Aufserdem  bestand  die  nach  der  Schi - 
b ersehen  Theorie  angeblich  im  VI.  Jahrhundert  vorgenommene  „Um- 
taufe "  der  Namen  auf  -ingen  keineswegs  allein  darin,  dafs  anstatt  dieser 
Endung  ein  -heim  eingesetzt  wurde;  vielmehr  wurde  auch  das  erste 
Glied  (Bestimmungswort)  des  Ortsnamens  verändert,  indem  als  solches 
jetzt  anstatt  des  Namens  des  alten  Sippenhauptes  der  des  neuen 
fränkischen  Herrn  eintrat.  Auch  dieser  Gesichtspunkt  kommt 
bei  Gunzingen — Gunzinheim  durchaus  nicht  zum  Ausdruck,  und  es 
wäre  doch  unerhörte  Schicksalstücke,  wenn  in  dem  einzigen  Fall,  in 
dem  Heeger  einen  „ zweifellosen  Nachweis "  führen  zu  können  meint, 
der  fränkische  Herr  den  gleichen  Namen  geführt  hätte  wie  der  längst 
verstorbene  alemannische  Sippenahn. 

Der  Fall  Gunzingen  —  Gunzinheim  beweist  demnach  lediglich,  dafs 
unter  gewissen  Umständen  stärkere  Veränderungen  der  Ortsx^amen  bis' 
zum  Tausch  der  Endung  (Grundwort]  stattfinden  können«    Aber  d'^ 

12* 


—     164     — 

weife  ohnehin  jeder,  der  sich  nur  vorübeigehend  mit  der  Entwickelung 
der  Ortsnamen  beschäftigt  hat 

Unter  welchen  UmsüLnden  im  vorliegenden  Falle  die  Veränderung 
des  Ortsnamens  stattgefunden  hat,  das  kann  man  bei  Heeger  selber 
an  einer  anderen  Stelle  lesen:  Auf  S.  13  sagt  er,  es  sei  „leicht  ver- 
ständlich, da(s  in  Gegenden,  wo  die  alten  ,heim*  zahlreich  waren, 
neue  , heim' -Namen  entstanden,  die  als  blofse  Analogiebil- 
dungen aufzufassen  sind..  .  Man  bildete  die  neuen  Namen,  indem 
man  an  vorhandene  Ortsnamen  die  Endung  ,heim'  anfügte,  oder 
indem  man  andere  Endungen,  wie  z.  B.  , hausen',  ,hofen'  in  ,heim* 
umwandelte".  Dies  Verfahren  habe  „im  8.  Jahrhundert  bereits  in 
voller  Blüte"  gestanden.  Auf  S.  16  spricht  er  unter  Beibringung  von 
Beispielen  weiter  von  einer  „besonders  im  8.  Jahrhundeit  herrschen- 
den Sucht,  alte  ,ingen'  in  ,heim'  zu  verwandeln." 

Nun,  die  Umwandlung  von  Gunzingen  in  Gunzinhetm  trat  mit  dem 
ausgehenden  VIII.  Jahrhundert  ein.  Da  sowohl  durch  die  späte  Zeit  wie 
durch  die  NichtVeränderung  des  ersten  Gliedes  eine  Bezugnahme  auf 
die  angeblich  durch  die  Frankeneinwanderung  hervorgerufene  „Um- 
taufe" der  Ortsnamen  hier  vollständig  ausgeschlossen  ist,  so  kann  es 
sich  nur  um  Analogiewirkung  durch  Assimilation  an  den  herrschen- 
den Ortsnamentyp  handeln.  Das  ist  aber  ein  Vorgang,  der  grund- 
verschieden ist  von  der  angeblich  durch  die  Frankeneinwanderung  be- 
wirkten Einführung  des  neuen  Ortsnamentyps  -heim  durch  massenhafte 
„Umtaufe"  der  damals  herrschenden  -ingen,  und  kann  mit  ihr 
schlechterdings  in  keinen  Zusammenhang  gebracht  werden.  Oder  ge- 
nauer ausgedrückt:  Wenn  diese  „Umtaufe"  wirklich  erwiesen  worden 
wäre,  könnte  man  sagen,  da(s  ohne  sie  die  Umwandlung  von  Gun- 
zingen in  Gunzenheim  wohl  nicht  eingetreten  wäre.  Aber  auch  dann 
gehörte  diese  Umwandlung  nicht  zum  Akte  der  „Umtaufe"  selber, 
sondern  wäre  erst  eine  auf  Grund  der  durch  sie  im  Lande  herrschend 
gewordenen  Ortsnamensform  entstandene  Analogiebildung.  In  ihr  aber 
einen  Hinweis  auf  ein  thatsächliches  Statthaben  dieser  fränkischen 
„Umtaufe"  erblicken  zu  wollen,  geht  durchaus  nicht  an,  denn  selbst- 
verständlich konnten  die  im  Lande  von  der  Alemanneneinwanderung 
her  herrschenden  -heim  ebenso  gut  solche  Assimilation  bewirken,  wie 
etwa  erst  mit  den  Franken  durch  Umnennung  der  -ingen  ins  Land  ge- 
kommene -heim. 

Wie  Heeger  die  -ingheim  ftir  Umnennungen  ursprünglicher  Orte 
auf  -ingen  hält,  so  kann  er  sich  auch  nicht  vorstellen,  dals  es  Orte 
gegeben  haben  könne,  die  von  Anfang  an  Benennungen  auf  -inghofen 


—     165     — 

(jetzt  in  der  Schweiz  -ikon)  führten.  Auch  hier  müssen  sdner  Mdniittg 
nach  die  ursprünglichen  Namen  der  Orte  -ingen  gelautet  haben  und  erst 
später  durch  Umbildung  in  -inghofen  übergegangen  sein.  Dabei  muls 
er  aber  selber  einräumen,  „dais  im  südlichen  Baden  eine  Reihe  von 
, ingen'  vorkommen ,  die  in  alten  Urkunden  [bis  ins  VII.  Jahrhundert 
zurück;  z.  B.  Bodinchova  ao.  670,  heute  Bottingen  (S.  25)]  als  tnc^ 
kova  ers(5heinen'*  (S.  20).  In  diesen  Fällen  wäre  es  wohl  richtiger  ge- 
wesen, die  unanfechtbare  urkundliche  Überlieferung  nicht  zu  meistern, 
sondern  einfach  anzuerkennen,  dafs  hier  die  Form  -inghofen  zweifellos 
die  ältere,  und  das  jetzt  bestehende  -ingen  nur  eine  Schwächung  der 
ursprünglichen  Form  ist  —  Der  Vollständigkeit  wegen  sei  noch  er- 
wähnt, dafs  Heeger  einen  Zusammenhang  zwischen  den  -weiler  und 
-hausen  annimmt  und  sie  „nur  als  mundartlich  verschiedene  Ausdrücke'* 
betrachten  zu  dürfen  glaubt,  die  „den  gleichen  Siedelungsvorgang 
wiederspiegeln:  Anlegung  von  Bifängen  und  neuen  Orten  durch  ein- 
heimische Herren*'  (S.  41).  Weiter  sollen  die  -hausen  von  Gemein- 
freien, die  -weiler  dagegen  von  Adeligen  gegründet  worden  sein.  Letz- 
tere hält  er  für  spezifisch  fränkische  Siedelungen,  in  denen  nicht  nur 
die  Namengeber,  sondern  auch  die  Bevölkenmg  deutsch  gewesen  sein 
soll  (S.  42).  Ein  Eingehen  auf  alle  diese  Einzelheiten  verbietet  der 
Raum.  Sie  werden  ohnehin  durch  die  nachfolgende  Beurteüung  der 
Heeger  sehen  Methode  mit  getroffen. 

Indem  Heeger  so  die  zwischen  einigen  -ingen,  -ingheim  und 
-inghofen  vorkommenden  Schwankungen  und  Übergänge  verallgemeinert 
und  im  Widerspruch  mit  urkundlich  beglaubigten  Thatsachen  aUe  -ing- 
heim und  -inghofen  durch  Umnennung  ursprünglicher  Orte  auf  -ingen 
entstehen  läfst,  beraubt  er  sich  selber  des  Mittels  zur  Erklärung  der 
wirklich  und  nachweisbar  vorgegangenen  Umnennungen  durch  das 
Wirken  der  von  ihm  richtig  erkannten,  aber  hier  gänzlich  aufser  acht 
gelassenen  Analogie.  Auf  der  Suche  nach  anderen  Erklärungsgründen 
greift  er  als  Schüler  Schibers  naturgemäfs  zu  wirtschaftlichen  Ge- 
sichtsptmkten :  die  niederfränkischen  -inghem  gelten  ihm  den  -ingen 
gegenüber  als  der  Niederschlag  einer  neuen  Wirtschaftsperiode,  wie 
ihm  die  oberdeutschen  -ingheim  als  bezeichnend  für  die  Entwickelung 
grundherrlicher  Frankensiedelungen  aus  alten  bäuerlichen  auf  -ingen 
crsehienen  waren;  tmd  in  der  Entwickelung  der  -inghofen  aus  den  -ingen 
möchte  er  „den  allmählichen  Übergang  alemannischer  Bauemsiede- 
lungen  in  alemannische  Herrensiedelungen  erkennen"  (S.  20).  Als 
wenn  mit  der  Veränderung  des  Wirtschaftscharakters  auch  eine  solche 
des  Ortsnamens  stattfinden  müfiste! 


—     166     — 

Namenswandlungen  wie  die  vorstehenden  werden  in  ein  helles 
Licht  gerückt  durch  einige  Beispiele  aus  Mecklenburg  und  Pommern: 
Das  heutige  Sührkow  hieis  früher  Surekendorp,  Jahnkow  in  Ponimem 
Janekendorp.  Das  urkundlich  früher  erwähnte  deutsche  Grundwort 
ist  also  von  einer  wendischen  Endsilbe  verdrängt  worden.  Daraus 
kann  man  nicht  etwa  nach  Heegerschem  Muster  den  Schluls  ziehen, 
dafs  die  -ow  in  Mecklenburg-Pommern  durch  Umnennung  alter  -dorf 
entstanden  seien,  und  dafs  in  dieser  Umnennung  die  Slavisierung  alt- 
deutscher Ortschaften  zum  Ausdruck  gekommen  sei.  Dazu  sind  diese 
Namensschwankungen  bezw.  Umnennungen  doch  zu  spät:  Sührkow 
wird  1297  zweimal  erwähnt  als  Scurekendorp ,  13 14  als  Surekowe  ^), 
Jahnkow  1242^)  als  Janekendorp,  ebenso  1370  und  141 1  in  den 
Schweriner  Zehntregistem  •) ,  1583  in  den  Bützower  Amtsregistem, 
und  noch  auf  der  Schmettauschen  Karte  von  1794  lautet  der  Name 
Janckendorf.  Die  wendische  Endung  kami  sich  hier  also  erst  in  aller- 
neuester  Zeit  eingebürgert  haben. 

Diese  Verdrängung  eines  deutschen  durch  ein  slavisches  Grund- 
wort erfolgte  also  in  dem  Mecklenburgischen  Beispiel,  als  die  wendische 
Sprache  schon  im  Erlöschen  war,  im  Pommerschen  gar  erst  nach 
jahrhundertelanger  ausschliefslicher  Herrschaft  der  deutschen  Sprache. 
Sie  kann  daher  einzig  und  allein  als  Analogiewirkimg  betrachtet  werden. 

Wenn  also  sogar  die  Endimgen  einer  bereits  abgestorbenen  Sprache 
noch  durch  Analogie  fortgepflanzt  werden  können,  um  wieviel  mehr 
muis  das  bei  lebenden  Sprachen  geschehen!  Nach  allem  ist  die 
Analogiebildung  bei  der  Wandlung  der  Ortsnamen  ein  so  starkes 
und  aller  Orten  wirksames  Agens,  dafs  wo  immer  ein  Ortsname 
seine  alte  Endung  gegen  eine  neue,  im  Lande  verbreitete  austauscht» 
zur  Erklärung  dieses  Vorganges  die  Analogie  allein  vollkommen 
ausreicht  und  das  Suchen  nach  weiteren  Erklärungsgründen  nicht  nur 
überflüssig,  sondern  sogar  schädlich ,  weil  irreführend  ist.  örtliche 
Wirtschaftsveränderungen  haben  in  der  Regel  keinen  Einfluß  auf  die 
Form  der  vorhandenen  Ortsnamen.  (Schluis  folgt) 


i)  Mcckl.  Urk.-Bach  IV,  Nr.  2431  a.  2432;  VI,  Nr.  372 1,  S.  Il6. 

2)  Ebendort  I,  Nr.  539. 

3)  Groiiih.  Geh.  a.  Hauptftrchir  zu  Schwerin.    Diese  Fälle  hat  mir  Herr  Geh.  Ar- 
chifrmt  Dr.  Grotefend  freundlichst  mitgeteilt 


^i«^^^^4^''^<^^.^#»»  ^^^  ^  ^^ 


—   Jißl    — 


«•»      ««A  I«** 


rt>er  Verein  für  Gesehiehte  der  Deutschen 

in  Böhmen 

(zu  seinem  40jährigen  Jubijäpm).  .       . 

Von  *    '        . 

Ottocar  Weber  (Pra^ 
Der  landesgeschichtlichen  Forschung  in  Böhmen  dienen  folgende 
4ieun  deutsche  Vereine  mit  Vereinsorganen: 

I4  Der  Verein  für  Geschichte  der  Deutschen  in  Böhmen,  gegründet 
1862  (MitteUungen.    4  Hefte  jährUch.    Prag) 

2.  Der  Nordböhmische  Exkursionsklub,  gegründet  1878  (MitteUungen. 
4  Hefte.    B.  Leipa) 

3.  Der  Nordwestböhmische  Gebirgsvereinsverband,  gegründet  1880 
(Erzgebiigszeitung.     12  Hefte.     Teplitz) 

4-  Der  deutsche  und  österreichische  Riesengebirgsverein,  gegründet 
1881  (Der  Wanderer  im  Riesengebirge.  12  Hefte.  Hirschberg. — 
Fortsetzung  des  Riesengebirges  in  Wort  und  Bild.    Trautenau) 

5.  Der  Museumsverein  in  Reichenberg,  gegründet  1882  (Mitteilungen. 
12  Hefte.    Reichenberg) 
-     6.  Die  Gebirgsvereine  f.  A   böhmische  Mittelgebirge,  die   böhm. 
Schweiz  und  das  nördlichste  Böhmen,  gegründet  1885  (Aus  deut- 
schen Bergen.     12  Hefte.    Aussig) 

7.  Der  Deutsche  Gebirgsverein  für  das  Jeschken-  und  Isergebirge, 
gegründet  1891  (Jahrbuch.    Reichenberg) 

8.  Die  Museumsgesellschaft  in  Teplitz,  gerundet  1894  (Jahres- 
berichte.   Teplitz) 

9.  Der  Verein  für  E^erländer  Volkskunde,  gegründet  1897  (Unser 
Egerland.    6  Hefte.    Eger). 

Unter  diesen  Vereinen  nimmt  unstreitig  der  Verein  für  Geschichte 
der  Deutschen  in  Böhmen  ^) ,  was  sein  Alter  und  den  Umfang  der 
Publikationen  anbelangt,  die  erste  Stelle  ein.  Seine  Gründung  ver- 
dankt er  der  Initiative  dreier  deutscher  Studenten  in  Prag:  Lud|wig 
Schlesinger,  Julius  Lippert,  Alexander  Wiechovskjr  —  alle  drei  später 
bedeutende  Schulmänner  —  die  im  Mai  186 1  diesen  Gedanken  faisten. 
Sie  fanden  begeisterte  Zustimmui^,  besonders  zunächst  von  Ajxton 

i)  Siehe  daza:  Festschrift  zur  Erinnerung  an  die  Feier  des  10.  Grttndnngstages  im 
Jahre  1871;  die  Festfeier  snm  25JXhrigen  Bestände  des  Vereins  am  11.  Jsni  18S7  ¥on 
OosUr  C.  Laube,  Bütteilimgen  XIVI,  S.  i;  sowie  den  betreffenden  Artikel  toq  ProC 
Ljiabe  in  der  im  Mai  d.  J.  erscheinenden  Festschrift  som  40JXhrigen  Jnbilänm  def  Yertinf. 


—     168     — 

Kohl,  Hermaim  Uallwich,  Karl  Pickert,  Wenzel  Dressler,  Anton  Schmal- 
fiils  ^,  dann  von  anderen  Jüi^em  der  Wissenschaft.  Auch  Professoren 
schlössen  sich  diesem  werdenden  Kreise  an  wie  Höfler,  Brinz,  Esmarch, 
Volkmann,  Schulte.  Über  die  ersten  Vorbereitungen  verging  ein 
volles  Jahr,  die  feierliche  Eröffnung  konnte  erst  am  27.  Mai  1862 
stattfinden,  welcher  Tag  sohin  als  Geburtstag  des  Vereins  zu  feiern 
ist  Seine  Ziele  sind  im  ersten  Punkte  der  Satzungen  festgel^^: 
„Der  Verein  hat  zum  Zwecke  die  Aufhellung  der  Geschichte  der 
Deutschen  in  Böhmen,  die  Verbreitung  der  Kenntnis  derselben,  sowie 
die  Sammlung  und  Erhaltung  der  bezüglichen  Quellen.'*  Als  Hilfis- 
mittel  dazu  hat  er  in  den  vierzig  Jahren  seines  Bestehens  eine  reiche 
Bücherei  (mit  nahezu  25000  Banden),  ein  Antiquarium,  ein  Archiv  mit 
wertvollen  Original-Urkunden,  sowie  mit  Abschriften,  eine  schöne 
Münzensammlung,  endlich  einen  nicht  unbedeutenden  kunsthistorischen 
Apparat  zusammengetragen. 

Zum  Behufe  intensiverer  Heranziehung  der  Mitglieder  an  die  Ar- 
beiten des  Vereins  wurden  Sektionen  gegründet,  die  ihnen  es  ermc^- 
lichten,  nach  spezieller  Neigung  mitzuthun.  Besondere  Thätigkeit 
haben  da  entwickelt  die  Sektionen  ftur  allgemeine  Landesgeschichte, 
sowie  ftir  Sprache,  Litteratur  und  Kunst  Zu  geringerer  Bedeutung 
gelangten  die  anderen:  für  Rechts-  und  Wirtschaftsgeschichte,  für 
Geographie,  Statistik,  Handel  und  Gewerbe,  für  Anthropologie  und 
Ethnographie,  die  dann  mit  den  beiden  obgenannten  verschmolzen 
wurden.  Bei  diesen  Zusammenkünften  werden  Vortrage  über  ein- 
schlägige Themata  gehalten,  auch  ist  es  Grundsatz  geworden,  dafi 
alle  in  den  „Mitteilungen**  zu  veröffentlichenden  Aufisätze  hier  zuerst 
besprochen  werden.  Die  Thätigkeit  dieser  AbteUungen  ist  gegen- 
wärtig nicht  so  lebhaft  als  sie  sein  könnte,  da  sich  berufene  Kreise 
von  ihr  ferne  halten  und  namentlich  die  Mittelschulkreise  oft  ganz  ver- 
sagen. Zu  dieser  „mündlichen'*  Arbeit  in  Prag  kamen  in  früheren 
Jahren  eine  Reihe  von  öffentlichen  Vorträgen,  die  in  Deutsch-Böhmen 
gelegentlich  sogenannter  Wanderversammlungen  abgehalten  worden 
sind,  von  denen  in  die  Jahre  1868 — 1881  neun  fallen  (in  Leitmeritz, 
Trautenau,  B.  Leipa,  Teplitz,  Carlsbad,  Wamsdorf,  Krummau,  Eger» 
Brüx),  während  nach  langer  Pause  Ende  der  neunziger  Jahre  noch 
zwei  stattfanden  in  Saaz  und  Aussig.  Die  Verschlimmerung  der  po- 
litischen Verhältnisse,  namentlich  der  sich   immer  mehr  zuspitzende 


i)  Von  dicfcn  ftdit  Hetreo  dnd  mir  noch  am  Leben:  Jnlini  lippert  md  Henuttm 
HeSwidL 


—     169     — 

Kampf  der  beiden  Böhmen  bewohnenden  Volksstämme,  dann  der  Zwist 
mnerhalb  der  deutschen  Partei,  haben  dazu  geführt,  dafs,  geleitet  von 
dem  Wunsche,  den  Verein  vor  den  Wechselfallen  des  politischen 
Lebens  sorgsam  zu  bewahren,  diese  auswärtigen  Versammlungen  ein- 
gestellt worden  sind.  Die  Archive  von  Eger,  Budweis,  Leitmeritz, 
Schlaggenwald  und  Aussig  sind-  von  berufenen  Forschem  durch- 
gearbeitet und  teilweise  geordnet  worden;  die  Berichte  darüber  wur- 
den in  das  Vereinsarchiv  hinterlegt. 

Ungleich  reichhaltiger  konnte  natürlich  das  litterarische  Leben  im 
Vereine  sein.  Seinen  Hauptausdruck  findet  es  in  der  Vereinszeitschrift» 
die  gleichzeitig  mit  dem  Vereine  ins  Leben  gerufen  wurde,  die  „Mit- 
teilungen des  Vereins  etc.",  von  denen  demnach  in  diesem  Jahre  der 
vierzigste  Band  sein  Ende  erreicht.  Gleich  nach  dem  ersten  Er- 
scheinungsjahre wurde  von  dem  Hauptbande  eine  „Litterarische  Bei- 
lage "  abgetrennt ,  in  die  die  Besprechungen ,  litterarischen  Übersich- 
ten etc.  verwiesen  wurden,  und  die  vorübergehend  auch  unter  selb- 
ständiger Leitung  stand.  Die  Männer,  die  sich  um  die  Redaktion 
dieser  Zeitschrift  verdient  gemacht  haben,  sind:  Schmalfufs,  Höfler, 
Grohmann,  Werner,  Renner,  Laube,  Pangerl,  Schlesinger,  Lohr,  Hiecke^ 
Biermann,  Horöiöka. 

Nachdem  sie  in  den  ersten  Jahren  in  verschiedenem  Umfange 
erschienen  ist,  blieb  sie  vom  14.  Jahre  an  auf  vier  Hefte  jährlich 
beschränkt,  die  gegenwärtig  m  der  Regel  36  Bogen  umfassen.  Ab- 
gesehen von  einem  kurzen  Inhaltsverzeichnisse  über  die  ersten  20  Bände 
von  Otto  Lohr,  erschien  ein  wissenschaftlich  allen  Anforderungen  ent- 
sprechendes Register  über  Band  i — 30  von  Dr.  A.  Horöiöka;  über 
die  weiteren  10  Bände  wird  eine  Ergänzung  von  demselben  Verfasser 
vorbereitet. 

Abgesehen  von  diesen  periodischen  Erscheinungen  publiziert  der 
Verein  eine  Reihe  von  wissenschaftlichen  Werken,  die  imter  folgende 
Haupttitel  zu  fassen  sind.  Deutsche  Chroniken  aus  Böhmen,  Her- 
ausgeber Dr.  L.Schlesinger.  Drei  Bände :  i .  Die  Chronik  der  Stadt 
Elbogen  1471 — 1504,  bearbeitet  von  Schlesinger;  2.  Simon  Hütteis 
Chronik  der  Stadt  Trautenau  1484 — 1601,  bearbeitet  von  demselben; 
3.  Die  Chroniken  der  Stadt  Eger  bearbeitet  von  Heinrich  Gradl.  — 
Deutsche  Städte--  und  Urkundenbücher  aus  Böhmen.  Herausg^eben 
von  Dr. L. Schlesinger,  jetzt  von  Dr.  A.  Horöiöka.    Vier  Bände: 

1.  Stadtbuch  von  Brüx  bis  zum  Jahre  1526,  bearbeitet  von  Schlesinger; 

2.  Urkundenbuch   der  Stadt  Saaz,  von  demselben;   3.  Urkundenbuch 
der  Stadt  Aussig,  begonnen  von  W.  Hiecke,  beendet  von  Dr.  A.  HorfiSka; 


—     170     — 

4-  Urkundenbuch  der  Stadt  Budweis  in  Böhmen,  I.  Band,  i.  Hälfte 
,1251 — 1391  von  Archivdirektor  Karl  Köpl  (die  Fortsetzung  ist  ira 
Drucke).  Sprachlichen  und  litterarischen  Zwecken  dienen:  Bibliothek 
4er  mittelhochdeutschen  Litteratur  in  Böhmen,  begrüqdet  von  ProC 
Ernst  Martin,  jetzt  herausgegeben  von  Prof.  H.  Lambel.  Vier  Bände: 
I.  Wilhelm  v.  Wenden,  ein  Gedicht  Ulrichs  v.  Eschenbach,  ed.  Wen- 
delinToischer;  2.  Der  Ackermann  aus  Böhmen,  herausgegeben  und 
mit  dem  tschechischen  Gegenstück  Tkadleöek  verglichen  von  Joh. 
]Knieschek;3.  Das  Leben  des  heiligen  Hieronymus  in  der  Übersetzung 
des  Bischofs  Johannes  VIIL  von  Olmütz,  ed.  Anton  Benedikt;  4. 
Willöhalm,  ein  Rittergedicht  von  Meister  Ulrich  von  dem  Türlin,  cd. 
S.Singer.  Zwei  weitere  Bände,  enthaltend  den  Meidekranz  des  Heinrich 
v.  Mügeln  und  die  Werke  Heinrichs  v.  Freiberg  sind  in  Vorbereitung. 
Beiträge  zur  Kenntnis  deutschböhmischer  Mundarten,  geleitet  von 
Prof.  H.  Lambel.  i.  Der  Satzbau  der  Egerländer  Mundart.  I.  Teil  von 
Jos.  Schicpek.  Der  zweite  Teil  ist  in  Vorbereitung.  Der  Kunst- 
geschichte dienen  die  Studien  zur  Geschichte  der  Gothik  in  Böhmen, 
herausgegeben  von  Prof.  JosephNeuwirth.  Fünf  Hefte,  sämtlich  vom 
Herausgeber  verfafst.  i.  Der  Bau  der  Stadtkirche  in  Brüx  von  15 17 
bis  1532;  2.  Der  Baubeginn  der  Frohnleichnams-  und  Barbarakirche 
in  Kuttenberg;  3.  Die  Junker  von  Prag;  4.  Der  verlorene  Cyclus 
böhmischer  Herrscherbilder  in  der  Prager  Königsburg;  5.  Die  Wand- 
gemälde in  der  Wenzelskapelle  des  Prager  Doms  und  ihr  Meister. 
Von  der  Serie  Studien  zur  Geschichte  der  Musik  in  Böhmen,  her- 
ausgegeben von  Dr.  Richard  Batka  ist  erst  ein  Heft  erschienen. 

Frühzeitig  hat  man  im  Vereine  die  Wichtigkeit  der  Durchforschung 
von  Materialien  für  eine  Geschichte  von  Handel  und  Industrie  in  Böh- 
men erkannt.  Schon  1865  wurde  für  eine  derartige  Arbeit  ein  Preis 
ausgesetzt,  diese  Ausschreibung  1869  wiederholt,  beide  Male  ohne  Er- 
folg. Dann  ruhte  die  Sache,  bis  sie  1889  von  Prof.  August  Fournier 
mit  Energie  und  Geschick  wieder  au^enommen  wurde.  Durch  ihn 
.wurden  die  Beiträge  zur  Geschichte  der  deutschen  Industrie  in  Böh- 
men ins  Leben  gerufen,  die  zunächst  unter  seiner  Leitung,  dann  unter 
der  Prof.  Ottocar  Webers,  erschienen,  bisher  6  Bände:  i.  Litteratur 
zur  Geschichte  der  deutschen  Industrie  in  Böhmen.  Gesammelt  von 
W.  Hiecke.  2.  Firma  Franz  Leitenberger  1793 — 1893.  Eine  Denk- 
schrift von  H.  Hall  wich.  3.  Die  Elntstehung  der  Porzellan-  und  Steia- 
gutindustrie  in  Böhmen,  von  Prof.  O.  Weber.  4.  Firma  Benedikt 
Schrolls  Sohn,  von  Dr.  E.  Langer.  5.  Die  Reichenberger  Tuchindustrie 
.in  ihrer  Entwicklung  vom  zünftigen   Handwerk  zur  modernen   Grois- 


—     171     — 

industrie,  von  Dr.  J.  Grnnzel.  6.  Das  böhmische  Cpmmerzkollegium 
und  seine  Thätigkeit  von  Prof.  A.  F.  Pribram.  Eine  Arbeit  über  die 
nordböhmische  Kohlenlindustrie  steht  in  Aussicht. 

Abgesehen  von  diesen  in  grölseren  Abständen  erscheinenden 
regelmälsigen  Publikationen  hat  der  Verein  noch  eine  Reihe  grölserer 
und  kleinerer  Werke  herausgegeben «  die  teils  selbständig  erschienene 
Arbeiten  sind,  teils  Sonderabdrücke  aus  der  Vereinszeitschrift.  Von 
diesen  seien  in  folgendem  die  wichtigsten  hervorgehoben.  Vor  allem 
verdient  wohl  die  Geschichte  Böhmens  erwähnt  zu  werden,  von 
Dr.  L.  Schlesinger,  i.  Aufl.  1869,  2.  Aufl.  1870.  Trotz  des  grob 
angel^^n  eben  erscheinenden  Buches  Prof.  Bachmanns  wird  ein  Hand- 
buch der  Geschichte  Böhmens,  auch  für  nicht  wissenschaftliche  Kreise 
berechnet,  stets  ein  dringendes  Bedürfnis  bleiben.  Lippert,  Ge- 
schichte der  K.  Leibgedingstadt  Trautenau.  2  Bde.  1863 — 1866. 
Lippert,  Geschichte  der  Stadt  Leitmeritz,  1870.  Lee  der,  Beiträge 
:zur  Geschichte  der  Stadt  Aman,  1872,  Laube,  Aus  Joachimsthals 
Vergangenheit,  1875.  Gradl,  Zur  Herkimft  der  Egerländer,  1879. 
Kietsch,  Stadtbuch  von  Falkenau,  1895.  Siegl,  Achtbuch  des 
Egerer  Schöffengerichts  von  1310 — 1390,  1901.  Bachmann,  Bei- 
träge zur  Kunde  böhmischer  Geschichtsquellen  des  XIV.  u.  XV.  Jahr- 
hunderts, 1898.  Loserth,  Das  St.  Pauler  Formular.  Briefe  und  Ur- 
kunden aus  der  Zeit  König  Wenzels  II.,  1896.  Höfler,  Die  Krönung 
Kaiser  Karls  IV.  nach  Johannes  dictus  Porta  de  Avonniaco,  1864. 
Höfler,  Chronik  des  Heinrich  von  Diessenhoven,  1865.  Horawitz, 
Caspar  Bruschius.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  des  Humanismus  und  der 
^Reformation,  1874.  Schmidt,  Val. ,  Das  Urbar  der  Herrschaft  Rosen- 
berg von  1598,  1897.  Schmidt,  Val  ,  Braubetrieb  und  Braustätten 
in  Südböhmen,  1900.  Schmid,  Georg,  Die  Wallensteinlitteratur 
1626 — 1878,  1879.  Erste  Ergänzung  1619— 1681,  1883.  Zweite  Er- 
gänzung 1 620 —  1 684,  1885.  Dritte  Ergänzung  von  Dr.  VictorLoewe 
1628 — 169s,  1896.  Eine  vierte  Ergänzung  von  demselben  erscheint 
demnächst  Weber,  Die  Occupation  Prags  durch  die  Franzosen  und 
Baiem  1741 — 1743,  1896.  Weber,  Eine  Kaiserreise  nach  Böhmen 
im  Jahre  1723,  1898.  Zeifsberg,  Erzherzog  Karl  in  Böhmen,  1898. 
Ferner:  Hecht,  Das  Homiliar  des  Bischofs  von  Prag,  1863.  G roh- 
mann, Aberglauben  und  Gebräuche  aus  Böhmen  und  Mähren,  1864. — 
J!>eutsche  Volksaufiiihmngen.  Beiträge  aus  dem  Egerlande  zur  Ge- 
schichte des  Spiels  und  Theaters,  1895.  Nassl,  Die  Laute  der 
Tepler  Mundart,  1863.  Petters,  Andeutungen  zur  Stoffsammlung  in 
den  deutschen  Mundarten  Böhmens,  1864.     Grub  er,  Die  Kaiserburg 


—     172     — 

zu  Eger  und  die  an  dieses  Bauwerk  sich  anscblieisenden  Denkmale» 
1864.  Grub  er,  Die  Hauptperioden  der  mittelalterlichen  Kunstent- 
wicklung in  Böhmen^  1870.  Neuwirth,  Das  Braunschweiger  Skizzen- 
buch eines  mittelalterlichen  Malers,  1897.  John,  Die  Vorschuß-  und 
Kreditvereine.  Volksbanken  in  Böhmen.  Ein  Beitrag  zur  Vereins- 
statistik Böhmens,  1867.  In  Vorbereitung  ist  das  Urkundenbuch  des 
Clarissinnenklosters  in  Krummau,  dem  Abschlüsse  nahe  eine  Biographie 
Adalb.  Stifters  von  Prof.  Hein. 

Eine  reiche  Thätigkeit  auf  dem  Gebiete  der  landesgeschichtlichen 
Forschung  hat  demnach  der  Verein  in  diesen  40  Jahren  entwickelt 
Durch  längere  Zeit  glaubte  er  sein  Augenmerk  darauf  richten  zu  müssen, 
seinen  Mitgliedern  (er  zählt  gegenwärtig  1200)  die  reichen  Schätze 
der  deutschen  Vergangenheit  in  Böhmen  in  möglichst  populärem  Ge- 
wände zu  bieten,  während  er  in  den  letzten  Jahren  zu  streng  wissen- 
schaftlicher Forschtmg  zurückgekehrt  ist,  da  eine  Reihe  anderer  2Mt- 
schriften  ihn  in  dieser  Beziehung  entlastet  haben. 

Eben  wird  zur  Feier  des  40jährigen  Bestandes  eine  Festschrift 
vorbereitet,  die  ein  BUd  der  umfassenden  Thätigkeit  des  Vereins  auf 
allen  Gebieten  deutschen  Lebens  bieten  soll  und  die  bewährtesten  Mit- 
arbeiter der  Vereinszeitschrift  zu  den  ihren  zählt  Mit  dem  Bewuistsein 
treu  erfüllter  wissenschaftlicher  und  nationaler  Pflicht  mag  der  Vor- 
stand an  die  Feier  des  Jubiläums  schreiten,  voran  Obmann  und  Obmann- 
stellvertreter:  Hofrat  Prof.  Dr.  J.  Schindler  und  Reg^erungsrat  Prof. 
Dr.  H.  Lambel,  nicht  weniger  der  unermüdliche  Geschäftsleiter 
Prof.  Dr.  G.  C.  Laube. 


0k^^^^^^\m^^m^^»^^^^t0^^^^ßi,^ 


Mitteilungen 

Archive.  —  Die  Bestimmungen  über  die  Benutzung  des  Archivs  sa 
Hennannstadt»  die  S.  113  nach  dem  Abdruck  in  dem  Übersichtsinventar 
(S.  202)  kurz  wiederholt  wurden,  beziehen  sich,  wie  uns  mitgeteüt  wird, 
nur  auf  die  Benutzung  seitens  Ortsangesessener,  was  allerdings  an  der  be« 
zeichneten  Stelle  in  keiner  Weise  gesagt  oder  auch  nur  angedeutet  ist. 
In  der  That  wird  für  Archivbenutzer,  die  von  auswärts  zugereist  kommen» 
die  Zahl  der  täglichen  Benutzungsstunden  bis  auf  zwölf  erhöht,  und  ebenso 
sind  Aktenversendungen  an  auswärtige  Archive  und  Bibliotheken  zulässig. 
Letzteres  ist  bereits  in  der  Minerva,  Jahrbuch  der  gelehrten  WeU,  9.  Jahr- 
gang (1899 — 1900),  S.  367  bemerkt  —  Diese  Mitteüungen  sind  in  hohem 


—     173     — 

Mafse  erfreulich  y  und  namentlich  die  Ermöglichung  einer  ausgedehnteren 
Benutzungszeit  für  von  auswärts  zugereiste  Gelehrte,  die  naturgemäfs  ihre 
Zeit  möglichst  ausnutzen  wollen,  verdient  Anerkennung  und  Nachahmung. 
Wenn  auch  ein  persönliches  Entgegenkommen  des  Archivars  viel&ch  den 
einzelnen  Fremden  eine  längere  Arbeitszeit  zugestehen  mag,  so  ist  doch,  soviel 
wir  wissen,  in  den  Benutzungsordnungen  selbst  dieser  Punkt  bisher  völlig 
auiser  acht  gelassen  worden. 


Die  Mitteilungen  der  K,  Preußischen  ArchhxerwaUung ')  erweitem  mit 
ihrem  5.  Hefte  das  Gebiet  ihrer  Thätigkeit,  denn  dieses  ist  nicht  einem 
einzelnen  Staatsarchive,  sondern  sämtlichen  124  Stadtarchiven  einer 
Provinz  gewidmet  Adolf  Warschauer,  Die  städtischen  Archive  in  der 
Provinz  Posen  (Leipzig,  S.  Hirzd,  1901.  XL  und  323  S.  8^)  behandelt 
zunächst  (S.  I — XL)  Geschichte,  Bestandteile  und  bisherige  litterarische  Ver- 
wertung der  Stadtarchive,  beschreibt  dann  in  dem  Hauptteile  (S.  i — 293) 
die  einzelnen  Archive,  die  allerdmgs  zum  gröfsten  Teile  im  Staatsarchive  zu 
Posen  deponiert  sind,  in  a^habetischer  Ordnung  und  schliefst  mit  einem 
aufserordentlich  praktisch  angelegten  Sachregister.  Die  Provinz  Posen  zeichnet 
sich  hiermit  vor  allen  anderen  deutschen  Landesteilen  aus,  wie  es  wohl 
sonst  in  keinem  anderen  Punkte  der  Fall  ist,  denn  ein  einziger  Bearbeiter 
giebt  die  in  sich  vergleichbaren  kurzen  Berichte  über  die  Archivbestände 
jeder  Stadt,  ohne  zu  inventarisieren,  während  er  doch  in  lesbarer 
Form  alles  allgemein  Wichtige  heraushebt  und  damit  zugänglich  macht  Es 
sbd  dabei  nicht  nur  die  in  den  betreffenden  Stadtarchiven  ruhenden,  son- 
dern alle  auf  die  Stadt  bezüglichen  Bestände,  soweit  sie  bekannt  waren, 
angeführt  Dafs  Nachträge  kommen  müssen,  darüber  ist  sich  der  Verfasser 
vollständig  klar;  es  ist  ja  gerade  ein  wesentlicher  Zweck  der  Arbeit,  der 
Lokalforschung  bestimmte  Aufgaben  zu  stellen  und  zu  fleilsigem  Nachspüren 
anzuregen  (S.  XXXVni).  Nur  die  Beschränkung  auf  die  Städte  ermöglichte 
eine  derartige  Veröffentlichimg  in  absehbarer  Zeit,  und  wir  können  nicht 
dankbar  genug  sein,  dafs  zunächst  darauf  verzichtet  wurde,  Landgemeinden 
und  Privatbesitz,  namentlich  den  des  Adels,  in  gleicher  Weise  zu  be- 
bandeln, denn  damit  wäre  die  Veröffentlichung  in  weite  Feme  gerückt 
worden.  Während  fUr  die  provinzielle  Geschichtsforschung  natürlich  die 
Beschreibung  der  für  jede  Stadt  nachgewiesenen  Archivalien  den  gröfsten 
Wert  besitzt,  kann  die  Einleitung  eine  grofse  allgemeine  Bedeutung  bean- 
spruchen, da  ihre  zusammenfassenden  Bemerkungen  für  jeden  Archivar  von 
Belang  sind  und  Vergleiche  zwischen  polnischen  und  deutschen  Verhält- 
nissen nahelegen.  Interessante  Einzelheiten  liefsen  sich  in  Menge  heraus- 
heben, aber  das  Hauptinteresse  hafiet  inmier  an  der  Vielheit  der  Nationali- 
täten. Für  die  deutsche  Kolonisation  in  Polen,  die  mittelalterliche  wie  die 
des  XVU.  und  XVIÜ.  Jahrhunderts  (S.  XnjXm\  die  gerade  in  den  Städte- 
gründungen zum  Ausdruck  kommt,  wird  ein  überraschend  reiches  und  vor 
allem  zuverlässiges  Material  beigebracht,  und  der  wegen  der  Ähnlichkeit  mit 
deutschen    Verhältnissen    beachtenswerte  Unterschied  zwischen    königlichen 


I)  Vgl  darüber  Bd.  n,  S.  185—186. 


—     174     — 

und  mittelbaren  (gnindherrlichen)  Städten  wird  mannigfaltig  veranschaulicht 
Für  den  Kampf  der  deutschen  mit  der  polnischen  Sprache  im  Verlaufe  der 
Zeit  sind  die  Angaben  S.  XXXI/XXXÜ  von  höchstem  Werte :  im  aUgemeined 
wird  das  Deutsche  in  der  Mitte  des  XVI.  Jahrhimderts  voUständig  vom 
Lateinischen  verdrängt,  während  das  Polnische  (zuerst  1551  in  Kol- 
mar)  dieses  als  Geschäftssprache  gegen  Ende  des  XVL  Jahrhunderts  immer 
mehr  ablöst  (vgl.  das  Stichwort  „  Deutsche  Spräche "  im  Register,  für  Posetf 
besonders  S.  180).  Die  Handwerkerinnungen  lassen  sich  noch  spät  deutsche 
Innungsordnungen  aus  Breslau  kommen:  so  formen  die  Pfefierküchler  von 
Rawitsch  (S.  211)  1749  ihre  Statuten  nach  denen  der  Breslauer  Handwerks- 
genossen.     Die    Akten    über    die    Einwanderung    der    Böhmischen    Brüder 

—  1548  sind  sie  in  Lissa  zu  finden  (S.  122,  154)»  im  XVI.  Jahrhundert 
z.  B.  auch  in  Graetz  (S.  77)  —  sowie   über  die   Schlesischen  Protestanten 

—  vor  1660  sind  sie  in  Kempen  anzutreffen  (S.  86),  während  König  Sigismund 
1629  die  Aufnahme  flüchtiger  Schlesier  verboten  hatte  (S.  92)  —  ergänzen 
in  vollkommener  Weise  dasjenige,  was  sonst  über  die  um  des  Glaubens 
willen  Vertriebenen  bekannt  ist.  Überhaupt  wird  manchem  die  grofse  Zahl 
der  evangelischen  Gemeinden  auflallen :  in  Birnbaum  (S.  1 7)  war  die  Kirche 
vor  159 1  im  Besitze  der  Protestanten,  im  XVni.  Jahrhundert  sind  viele 
neue  Gemeinden  entstanden.  Unter  den  Gewerben  wird  namentlich  imi 
XVII.  Jahrhundert  die  Tuchmacherei  von  immer  gröfserer  Wichtigkeit,  wäh- 
rend dem  Tuchhandel  auswärtiger  Kaufleute  schon  im  XV.  Jahrhundert 
eine  hohe  Bedeutung  zukommt 


Einen  eigenen  Archivar  hat  mit  Beginn  des  Jahres  1902  das  fürst- 
liche (bis  12.  März  1901  gräfliche)  Haus  Castell  zu  Castell  (Unterfranken) 
in  der  Person  des  bisherigen  Kgl.  Bayrischen  Kreisarchivars  in  Nürnberg 
Dr.  August  Sperl  mit  dem  Titel  eines  fürstlichen  Archivrates  angestellt. 
Neben  der  Sorge  für  das  überraschend  reichhaltige  Archiv  des  anerkannter- 
mafsen  ältesten  dynastischen  Grafengeschlechtes  in  Bayern  wird  es  seine  Haupt- 
aufgabe sein,  die  Geschichte  des  Geschlechtes  zu  schreiben.  Abgesehen  von 
älteren  Arbeilen  hat  Friedrich  Stein  in  der  Oesckichte  der  Herren  und 
Grafen  xu  Kastell  (Schweinfurt  1892)  die  Geschichte  der  Grafschaft  und  ihrer 
Herrscher  bis  1528  dargestellt,  und  Pius  Wittmann  hat  in  den  Monumenta 
Gastellana,  Urkundenbuch  zur  Geschichte  des  gräflichen  Hauses  Cbw^/ (München 
1890)  die  Urkunden  von  1057  bis  1546  herausgegeben.  Es  ist  also  hier  bereits 
mehr  geschehen,  als  bei  den  meisten  adligen  Geschlechtem,  aber  gerade  deshalb 
darf  die  in  Aussicht  stehende  abschliefsende  Geschichte  des  Hauses  Castell, 
die  für  die  fränkische  Geschichte  überhaupt  höchst  bedeutsam  werden  wird, 
mit  Spannung  erwartet  werden.  Um  den  Stoff  möglichst  voUstängig  zusammen- 
zubringen, bittet  der  Archivar  um  Mitteilung  jeder  auch  noch  so  kleinen  Nach- 
richt, namentlich  über  Akten  und  Briefe  in  fremden  Archiven,  die  sich  auf  das 
Haus  Castell  beziehen. 

Yer^ine.  —  Die  reiche  Sammlung  des  Vereins  für  die  Geschichte 
Leipzigs  (vgl  I.  Band,  S.  218  bis  221)  entstanden  durch  fleilsige  Arbeit 
eines  Menschenalters,  entbehrte  bisher  immer  noch  eines  Katalogs.     Es  be- 


1 


—     175     — 

staad  ond  besteht  noch  die  Hoffnung,  dafs  die  Stadt  die  ganze  Sammlung 
als  Geschenk  annehmen  und  zu  einem  Stadtmuseimi  umgestalten  möchte» 
aber  trotz  häufiger  Erörterungen  über  den  Gegenstand  ist  bisher  ein  Beschlufs 
noch  nicht  zustande  gekommen.  Als  daher  nach  dem  Rücktritt  des  bis- 
herigen ersten  Sammlungsvörstehers  der  Vorstand  zur  Neubesetzung  der 
Stelle  schreiten  mufste,  hat  er  sich  von  dem  Gedanken  leiten  lassen,  dafs 
die  so  oft  als  Mangel  empfimdene  Katalogisierung  nicht  länger  hinaus- 
geschoben werden  dürfe  und  nach  einer  dafür  geeigneten  Person  gesucht 
In  Dr.  Albrecht  Kurzwelly,  Direktorialassistenten  am  Kunstgewerbe- 
museum, ist  diese  gefunden  worden.  Durch  Vertrag  hat  er  sich  zur  Her- 
stellung des  Katalogs  verpflichtet  imd  die  übernommene  Aufgabe  schon 
wesentlich  gefördert,  sodais  die  manigfaltigsten  Aufschlüsse  in  Verhältnis« 
mäfsig  kurzer  Zeit  zu  erwarten  sind. 


Der  Verein  für  Rochlitzer  Geschichte  feierte  im  Februar  dieses  Jahres 
den  Tag  seines  zehnjährigen  Bestehens.  Das  wäre  an  sich  noch  kein 
Gnmd,  in  diesen  Blättern  auf  ihn  einzugehen;  und  es  würde  auch  nicht 
geschehen,  wenn  er  nicht  in  dieser  kurzen  Spanne  Zeit  eine  Thätigkeit  ent- 
faltet hätte,  durch  die  er  für  Vereine  gleichen  Strebens  vorbildlich  sein  kann; 
wenn  er  nicht  gezeigt  hätte,  was  sich  in  kurzer  Zeit  auf  einem  Gebiete  thun 
lälst,  auf  dem  —  wie  in  dem  i.  Hefte  der  Mitteilungen  des  Vereins  zu. 
lesen  ist  —  vorher  so  gut  wie  nichts  geschehen  war.  —  Rochlitz  in 
Sachsen,,  an  der  Zwickauer  Mulde  gelegen,  ein  Städtchen  von  6^  Tausend 
Einwohnern,  ist  —  das  mufs  zum  Verständnis  hier  bemerkt  werden  —  eine 
sehr  alte  Siedelung.  Die  Gegend  ist  bereits  in  der  Stein-  imd  Bronzezeit  be^ 
siedelt  gewesen ;  als  Bochelmxe  wird  der  Ort  schon  in  einer  Urkunde  Ottos  I.. 
von  968  erwähnt  Er  war  Reichsgut,  wurde  aber  1143  Lehen  der  Markgrafen^ 
von  Meifsen,  war  später  vorübergehender  oder  dauernder  Sitz  mehrerer  Kur- 
fürsten imd  fürstlicher  Witwen  tmd  wurde  in  allen  Kriegen,  deren  Schauplatz 
das  jetzige  Königreich  Sachsen  war,  stark  in  Mitleidenschaft  gezogen.  Die 
Stadt  tritt  deshalb  in  der  politischen  Geschichte  des  Landes  verhältnismäfsig 
stark  hervor,  aber  auch  kulturgeschichtlich  hat  sie  manches  Interessante  auf- 
zuweisen, namentlich  wegen  der  Bedeutung,  die  der  Rochlitzer  PoiphyrtuflT 
in  der  Baugeschichte  Sachsens  erlangt  hat 

An  den  wichtigsten  Punkten  hat  nun  der  Verein,  vor  allem  aber  sein 
überaus  rühriger  Vorsitzender,  Realschuloberlehrer  Dr.  Clemens  Pfau,  ein- 
gesetzt,  imi  auf  Grund  eingehender,  planmäfsiger  Forschungen  Licht  in 
die  Vergangenheit  zu  bringen.  Die  Thätigkeit  eines  Geschichtsvereins  schlägt 
sich  nieder  in  seinen  Sammlungen  und  in  seinen  Veröfientlichungen :  Auf 
beiden  Gebieten  hat  nun  wirklich  der  Rochlitzer  Verein  Erstaunliches  ge- 
leistet Sein  Museum  enthält  nicht  nur  Raritäten  und  Kuriositäten  der  letzten 
Jahrhunderte,  wie  das  bei  manchen  anderen  der  Fall  ist,  sondern  es  birgt 
Erzeugnisse  menschlicher  Thätigkeit  von  den  ältesten  Zeiten  an;  ja  die  vor^ 
geschichtliche  Abteilung  ist  eine  der  wichtigsten  der  Sammlung  und  kann 
in  ihrer  Reichhaltigkeit  und  Vollständigkeit  getrost  mit  ähnlichen  Sammlungen, 
gröfserer  Museen  den  Vergleich  aushalten.  Pfau  hat,  selbst  Hacke  und  Spaten  in, , 
die  Hand  nehmend,  die  Fluren  von  Rochlitz  und  etwa  50  Dörfern  der  Um- 


—     IIB     — 

IfM,  tue  ndt  der  Imüftutiön  der  ^«Sopaiie^^  iä  der  ZJät  der  Okkapatibn 
des  SotbedlaBdes  durch  dib  Ohittdien  iii  Verbindmig  za  bHngen  ist  hk 
den  BOcbmäta  äem  Vbikskbm  der  EoMUz'MiÜwßidä^  Gegend  im  XVI.  wnd 
XVih  Jahrhanäert,  1899  (VortVag,  gehoHen  im  Ver.  f;  Sflchs;  Vöiksktiode» 
Sonderabdnick  aus  dem  v^Rochlitzer  Tageblatt'*)  und  Einxeiheiim  oHs  dem 
Oebkt  der  BoMUxer  Oesekichte,  1901  (Sondeiabdrubk  aus  dem  v»^och- 
litz^  Tageblatt '')^  ^rden  besöiideii  diis  Forst-  uüd  JagÜwirtschaft,  die 
Fischerei  und  andidre  kulturelle  und  volkswiHschaftlicfae  Verhältnisse  hx  Sirer 
Eoiwickelung  seit  der  Refonhationszeit  dargestellt. 

£b  wäre  dem  Verein  filr  Rochlitzer  Geschichte  nicht  mögHch  giewesto^ 
iKeseii  au&erordendch  reiche  Material  in  Archir  und  Museum  aiizuliäufenv 
wenn  er  nur  in  Sitzungen  und  durch  die  Presse  zu  Beiträgen  aufgefordert 
hktte»  I^.  Pfau  hat^  besonders  in  den  ersten  Jahren,  alles  selbst  zusammen- 
gl^tmgen,  die  Dachböden  durchstdbierty  die  Leute  bei  der  ArbHt  und  in  den 
Schenken  ausgehorcht;  und  wienn  er  aubh  die  Hebe  Eitelkeit  der  Leute» 
äiren  Namen  als  Schenkgeber  im  Tageblatt  zu  lesen  ^  staric  ausgenutzt  hat> 
86  hat  er  doch  nach  und  nach  der  Bevölkerung  einen  gewi^en  historischen 
S&m  eingeimpft,  der  siie  alles  Alte  zu  erhalten  heifst  und  der  dem  unermüd- 
lichen Gründer  und  Leiter  des  Vereins  gestattet,  ihre  Äcker  zu  durchfühlen 
mid  ihre  Behausungen  zu  durchsuchen,  der  sie  sogar  veraülafst,  Blicke  in 
ikr  Inäei^s  thun  zu  lasseh,  die  eine  Fülle  von  Sitten,  Gebräuchen,  Äufse- 
ningen  des  Aberglaubens,  Sagen  u.  s.  w.  zu  Tage  treten  lassen. 

Dr.  Paul  Zinck. 

Lmd^i^s^lilehtllehe  Blblioghi^hle  ^).  —  Es  ist  bekannt«  dafo 
bei  der  ständigen  Zunahme  geschichdicher  ArbeitJen  in  Buchform  noch  mehr 
aber  Wegen  der  in  Zeitschriften  erscheinenden  Aufsätze  die  periodische  Zu- 
sammenstellux^  der  Titel  eine  unabweisbare  Notwendigkeit  geworden  bt  In 
der  That  haben  schon  seit  langeih  verschiedene  Zeitschriften,  namditiich  solche» 
die  der  Geschichtsforscimng  eines  gröfsereÄ  Gebieteis  ditaen,  jährlich  ein- 
odet  zweimal  zusammengestellt,  wa^  an  Litteratur  neu  erschienen  ist  So 
verfllhrt  das  Neue  Ärthiv  für  SOchisehe  Otsdtichte  und  AÜeriumshuhde  (Dres- 
den) iseit  seinem  ersten  Bande  (1880),  und  die  Zeüechrift  des  Vereins  ftir 
Thäringisehe  Geächidde  und  AUertumskunde  (Jena)  ist  seit  dem  13.  Bä^de 
(1887)  mit  einer  regelmäfsigen  Übersicht  der  neuerdings  erschienenen  Litte- 
itttBr  zur  Thürmgischen  Geschichte  und  Altertumskunde  gefolgt  Die  An^ 
mden  des  kisiarischen  Vereins  für  den  Nüderrheih  (Köln)  gabeo  ein  Verzdchnis 
dar  ilkeuen  niederrheinischen  Litteratur  bisher  immer  erst  im  zweiten  Jahr 
darauf  —  z.  B.  die  Litteratur  von  1897  im  Jahre  1899  — >  aber  neuefdings 
ist  erfreulicher  Weise  1901  das  Verzeichnis  für  1899  und  1900  zusa&ubeA 
erschienen,  und  zweckmäfsiger  Weise  sind  immer  wichtigere  Werke  dabei  so- 
gleich kritisch  gewürdigt  worden.  Die  Badische  Geschichtslitteratur  Jedes  Jahtes 
wird  in  der  Zeitschrift  für  die  Geschickte  des  Oberrheins  (Karlsruhe)  inmier 
im  folgenden  Jahrgange  aufgeführt  Die  Altpreufsische  Bibliographie  erscheint 
in  gleicher  WeÄe  in  der  Attpreufsischen  Möndtssdkrift  *)  (Königsberg)  ^   und 

i)  Schon  öfter  wurde   deren   grofse  Wichtigkeit  in   dieser  Zeitschrift  betont,  TgU 
L  Bd.,  S.  136,  nad  II.  Bd.,  S.  17—22. 

2)  Auch  gesondert  wird  sie  aasgegeben:  Äitpreufsische  Bibliographie  für  das  Jahr 


—     179     — 

^eaerc&igs  ist  Potmaern  gefolgt»  mdaa  die  jungen  Pommeredhen  Mirbüeher  ^) 
^ei&wald)  im  zweiten  Bande  (t^ox)  die  geschichtiiGhe  und  landesktmdUcbe 
litteratur  Pommerns  für  1S99  und  1900,  bearbeitet  von  H.  Runge»  bieten. 
hl  anderen  Provinzen  und  Ländern  wird  es  Tiel&ch  ebenso  gehalten  werden, 
und  wo  es  noch  nicht  geschieht,  da  ist  die  Nachahmung  dringend  zu  em- 
pfehlen. Es  katm  kaum  zweifelhaft  sein,  dafs  diese  «Jahresübersichten  in  den 
Zehsclttiflen»  namentlich  in  der  betreffenden  Landschaft  sdbst,  viel  wdterver* 
breitet  werden  als  die  entsprechenden  Abteilungen  der  Jakreeberiehie  der  Ot- 
sehichtswiasmBohaft*)^  zumal  da  sie  meist  früher  erscheinen  und  dort  z.  T. 
schon  benutzt  weiden  kdnnen.  Mancher,  der  in  die  lÄtteratur  einer  bestimmten 
Gegend  Emblidc  Üiun  will,  wird  Heber  lo  oder  20  Jahrgänge  der  landschaft* 
Kdien  Zeitschrift,  die  er  so  wie  so  nachsdilagen  mufe,  einsehen  als  diesdben 
Bände  der  Jahresberichte.  Letztere  können  deshalb  yie^icht  schon  unter  den 
heutigen  Verhältnissen  —  in  Anbetracht  des  immer  wachsenden  Umfiu^^es  (der 
Band  1899  zählt  1555  Seiten!)  wird  auf  eine  Kürzung  wohl  Bedacht  genom- 
men werden  müssen  —  auf  die  Bibliographie  nach  landschaftlidien  Gesichts- 
punkten verzichten  und  dafür  die  sachliche  Einteihmg  nach  Stoffgebieten 
weiter  ausbilden! 

Die  JsJiresübersicht  ist  nur  der  erste  Schritt,  um  in  das  Chaos  der  Ver- 
dfientHchimgen  einigermafsen  Ordnung  zu  bringen.  Der  Titel  einer  Arbeit 
ist  in  der  Regel  entscheidend,  imd  nur  ausnahmsweise  finden  Teile  aus 
gröfseren  Werken,  die  oft  von  nicht  geringer  Bedeutung  sind,  Aufiiahme  und 
Würdigung.  Deshalb  bleibt  es  eine  den  berufenen  Vertretern  der  landes- 
geschichtlichen Forschung,  den  Historischen  Kommissionen  sowie  Landes- 
und Provinzialvereinen,  nicht  angelegentlich  genug  zu  empfdiknde  Aufgabe 
zusammenfassende  1  an  des  geschichtliche  Bibliographie  be- 
arbeiten zu  lassen.  Abgeschlossen  sind  derartige  Werk«  bereits  für  W^rttem« 
berg  ')  tmd  Baden  *) ,  das  entsprechende,  auch  für  die  deutsche  Geschichte 
recht  wichtige  Buch  für  Belgien,  die  BihUogretphk  i/t  nUsknre  ek  Bdgi' 
que  von  H.  Pirenne  ist  1902  (Bruxelks  et  Gand)  bereits  in  zweiter 
Auflage  erschienen.  Die  Kgl.  Sächsische  Kommission  für  Geschichte  hat 
neuerdings  die  Beiu:beitnng  einer  Bibliographie  der  säeheiaohen  (}es6h/ichte 
beschlossen  und  Viktor  Hantzsch  mit  Ott  Ausführung  beauftragt.  Eine 
Nassauische  Bibliographie  bearbeitet  im  Aultrage  der  Historischen  Kommission 
für  Nassau  Bibliothekar  Zedier  in  Wiesbaden.  Vielfach  verrichten  gednrtikte 
Kataloge  von  Spezialbibliotheken  gute  Dienste:  so  würde  der  Katalog  der 
Abteilung  „Geschichte  und  Landeskunde  der  Rhemprovinz**   in   der  Kölner 


jgoö  nehst  Nachträgen  zu  tUn  früheren  Jahren  ^  im  Auftrage  des  Vereins  f&r  die  Ge» 
schichte  von  Ost*  und  Westpreufsen^  zusammengestellt  von  Walter  Reyer.  1C5nigt- 
berg,  F.  Beyer,  1901.  Ji  1^00.  —  Kritisch  hat  jdie  Litteratar  dea  Jahres  1900  sar  06- 
sehicbte  Altpremfoens  behandelt  Karl  Lohmeyer  in  der  „Hiatoiitcheo  Viettdjahnohrift''^ 
4.  Bd.  (1901)»  S.  429—438. 

1)  Vgl  n.  Bd.,  S.  u8. 

2)  Vgl.  IL  Bd.,  S.  19. 

3)  Wilhelm  Heyd,  BibUogri^kie  der  ^würtiemttrg^ehm  OttdUdUg.  •  Me. 
Siattgait,  Kohlhammer,  1895  aad  1897.    Pi«  1140  Seiten  Itoslen  aar  8  ^IQ 

4)  Badische  Bibliothek,  I.  Abteilang:  Staats-  und  Rechtskunde,  2  Bde.  Karlinhe, 
1B97/98,  zusammen  432  Seiten.  2.  Abteiluig:  Litteratur  der  Landes*  und  Volkskunde 
des  Orofsh,  Baden,     t.  Bd.    Karlsruhe  1901.     715  Betten. 

IS* 


—     180     — 

Stadtbibb'othek,  dessen  erster  Band  1894  als  Heft  5/6  der  VeröffenÜkhimgen 
d&r  StadÜnblioihek  m  Köln  erschien»  gut  zu  gebrauchen  sein»  wenn  die 
Sammhmg  vollständiger  wäre  und  der  zweite  Teil,  der  auch  das  unbedingt 
notwendige  Register  enthalten  soll»  bereits  vorläge.  Eine  brauchbare  Arbeit 
dieser  Art  für  Schlesien  ist  die  kürzliche  Veröffentlichung  von  Nentwig: 
Siksiaca  in  der  BeichsgrSfUch  Schaffgotsch'schen  Majoratsbibliothek  zu  Warm» 
brurm,  i.  Heft,  Leipzig,  Haisrassowitz  1901.  Manche  Landschaft  hat  be- 
reits seit  längerer  Zeit  eine  Abschlagszahlung  erhalten:  so  hat  die  Histo- 
rische Kommission  der  Provinz  Sachsen  Die  OeachiehtsqueUen  der  Pro^ 
vinx  Sachsen  im  Mittelalter  und  in  der  BefomuUiomxeit,  bearbeitet  von 
Walther  Schnitze,  herausgegeben  (Halle  1893),  eine  sehr  verdienstliche 
Arbeit,  aus  der  sich  jeder  rasch  über  die  für  jeden  Ort  vorliegenden  Qudlen 
•^-  einschlieislich  der  in  den  Zeitschriften  veröffentlichten  —  unterrichten  kann. 
Während  hier  die  Darstellungen  einer  ähnlichen  Bearbeitung  harren,  stellt  die 
Litteratur  der  Landes-  und  Volkskunde  des  Königreichs  Sachsen,  bearbeitet 
von  Paul  Emil  Richter  (Dresden,  1889.  308  Seiten),  eine  wissenschaft- 
liche systematisch  angeordnete  Bibliographie  in  handlicher  Fonn  dar;  aber 
so  nützlich  dieses  Werkchen  ist,  so  dient  es  doch  mehr  den  landesgeschicht- 
lichen Hilfswissenschaften  als  der  Landesgeschichte.  Ähnlich  ist  das  Buch 
von  Bachmann,  Die  landeskundliche  Litteratttr  über  die  Oro/iherzogtümer 
Mecklenburg  (Güstrow  1889,  S"  S-  ^%  dessen  Entstehung  direkt  auf  die 
Anregung  der  vom  deutschen  Geographentag  1882  eingesetzten  „Zentral- 
kommission für  wissenschaftliche  Landeskunde  von  Deutschland**  zurückzu- 
führen ist 

Alle  genannten  sind  wissenschafUiche  Arbeiten,  die  naturgemäfs  umüang- 
reich  imd  teuer  sind  und  niemab  gröfsere  Verbreitung  finden  werden.  Aber 
andrerseits  ist  es  unverkennbar,  dais  es  vielleicht  die  wichtigste  Aufgabe  flir 
die  Gegenwart  ist,  die  Kenntnis  der  vorhandenen  geschichtlichen  litteratur 
im  Lande  zu  verbreiten,  damit  der  einzelne,  der  als  Lehrer  und  Schriftsteller, 
Natur-  und  Geschichtsfreund  Blicke  in  die  Vergangenheit  seiner  Heimat  thun 
muis  und  will,  einen  Wegweiser  findet,  imter  dessen  Leitung  er  auch  tiefer 
in  den  Stoff  einzudringen  vermag.  So  viel  die  landesgeschichtliche  Forschung 
auch  noch  Arbeit  zu  leisten  hat,  die  wissenschaftliche  Erkenntnis  ist  un- 
zweifelhaft in  jeder  Landschaft  wesentlich  gröfser  als  die  populäre  Anschauung 
zugeben  möchte,  da  sie  ihre  Unkenntnis  gern  mit  dem  Verwände  entschuldigt, 
man  wisse  überhaupt  von  der  Vergangenheit  des  Landes  zu  wenig.  Nur  an 
der  Erschliefsung  der  Forschungsergebnisse  für  weitere  Kreise 
fehlt  es,  und  diese  ist  das  notwendigste,  wenn  die  heimatliche  Geschichte 
wirklich  ein  Bestandteil  der  Volksbildung  werden  solL  Mit  einem  Buche, 
welches  die  eben  skizzierte  Aufgabe  mit  Erfolg  für  eine  Landschaft  zu  lösen 
sucht,  sind  wir  neuerdings  beschenkt  worden:  es  ist  das  im  Aufhage  des 
Karlsruher  Altertumsvereins  herausgegebene,  von  Karl  Brunner  bearbeitete 
Werkchen  Die  Pflege  der  Heimatgeschichte  in  Baden,  ein  Wegweiser  fttr 
Freunde  der  badischen  Geschichte  (Karlsruhe,  J.  J.  Reif^  1901.  153  S.  8^. 
Das  wesentlichste  daran  ist,  dafs  nicht  eine  trod^ene  Bibliographie,  sondern 
ein  fortlaufender  lesbarer  Text  gegeben  wird.  Es  werden  behanddt 
I.  die  öffentlichen  Anstalten  zur  Pflege  der  Heimatsgeschichte  (BiblioAeken, 
Archive,  Museen  und  Sammlungen),  2.  die  Badische  Historische  Kommission 


—     181     — 

und  die  Geschichtsvereine  in  Baden  und  3.  die  Litteiatur  zur  Badischen  Ge^ 
schichte  (Gesamtbaden,  einzehie  Landesteile,  einzekie  Orte,  Zeitschriften).  Ein 
Verzeichnis  der  wichtigsten  Litteratur  fiihit  alle  im  Texte  erwähnten  Bücher 
bibliographisch  genau  an,  und  das  Namen*  und  Sachregister  schliefst  das 
Ganze  ab.  Wie  wichtig  und  zweckentsprechend  es  fUr  jeden  Bücherbe* 
nutzer  ist,  der  nicht  an  dem  Sitze  einer  gröiseren  Bibliothek  wohnt, 
den  genauen  Titel  der  benötigten  Bücher  zu  kennen,  darüber  wird 
kaum  Meinungsverschiedenheit  herrschen;  dafs  er  auch  die  verschiedenen 
Bibliotheken,  wo  er  eventuell  Bücher  entleihen  kann,  mit  ihrem  vollen 
Namen,  wie  auch  hinsichtlich  ihrer  Einrichtungen  und  Benutzungsgd- 
legenheiten,  kennen  mufs,  wenn  er  sie  benutzen  will,  ist  selbstverständ- 
lich ^).  Wie  die  Bibliotheken,  so  werden  auch  die  Archive  und  Samm- 
lungen kurz  ihrem  wesentlichen  Inhalte  nach  charakterisiert,  aber  der 
Nachdruck  liegt  auf  dem  dritten  Abschnitt  (S.  22 — 71),  der  in  aller  Kürze 
den  Inhalt  der  ausgewählten  Schriften  mitzuteilen  sucht,  kritische  und  er- 
läuternde Bemerkungen  einfügt  Natürlich  wird  man  mit  dem  Bearbeiter  im 
einzelnen  rechten  können,  warum  er  gerade  dieses  Buch  aufführt  tmd  jenes 
wegläfst,  aber  gerade  die  Masse  der  Benutzer  in  und  aufser  des  Landes  wird 
sich  in  der  Auswahl  gern  dem  Urteil  Bnmners  unterordnen,  der  während 
seiner  mehrjährigen  Thätigkeit  am  Generallandesarchiv  in  Karlsruhe  manche 
Probe  seiner  Sachkenntnis  abgelegt  hat  Es  sei  hier  nur  an  die  in  dieser 
Zeitschrift,  I.  Bd.,  S.  229 — 239,  unter  dem  Titel  Fünfzig  Jahre  oberrhemu 
scher  Oeachiehtsforschung  erschienene  Charakteristik  der  Zeitschrift  für  die 
Oeachichte  des  Oberrheins  erinnert  Schon  ist,  wie  verlautet,  eine  zweite  Auf- 
lage der  ganz  trefflichen  als  Muster  für  andre  Landschaften  zu  empfehlenden 
Schrift  in  Vorbereitung  —  der  beste  Beweis,  dafs  sie  einem  Bedürftiis  ent* 
gegen  gekommen  ist.  Befremden  mufs  es  daher,  wie  die  von  der  Badi- 
schen  Historischen  Kommission,  deren  aufserordentliches  Mitglied  Bnmner 
ist,  herausgegebene  Zeitschrift  für  die  Geschichte  des  Oberrhems  (N.  F., 
17.  Jahrg.,  S.  184 — 186)  das  Werkchen  in  ganz  ungerechtfertigter  Weise 
wegen  der  bei  einer  Auswahl  selbstverständlichen  Unvollständi^eit  — 
Vollständiges  bietet  ja  die  oben  genannte  Badische  Bibliothek!  —  angreift 
Die  Kritik  hat  offenbar  die  ganze  Absicht  des  Büchleins  nicht  verstanden 
oder  nicht  verstehen  wollen.  Unverständlich  bleibt  das  besonders  deshalb, 
weil  gerade  die  Arbeiten  der  Kommission  und  die  Aufsätze  der  Zeitschrifb 
es  sind ,  auf  die  Brunner  durch  seine  Zusammenstellung  das  Publikum  hin- 
weist Der  geringe  Umfang  des  Bändchens  ist  sein  ganz  besonderer  Vorzug, 
denn  so  schreckt  es  nicht  ab,  sondern  ermuntert  zum  Nachlesen  und  jeder, 
der  tiefer  eindringen  will,  findet  den  Weg  gebahnt  bis  zu  den  ersten  Quellen 
geschichtlicher  Erkenntnis. 

Wir  können  nur  wünschen,   dafs  andere  Landschaften   dem   Beispiele 
des  Karlsruher  Altertumsvereins   folgen.     Wo  bereits,   wie  in  Württemberg, 


i)  Die^Bücherbenntzong  könnte  noch  viel  erleichtert  werden,  wenn  die,  namentlich 
in  Prenfsen,  aber  auch  in  Osterreich  getroffene  Einrichtung  des  aoswärtigen  Leihverkeh^i 
der  Bibliotheken  (vgl.  diese  Zeitschrift,  IT.  Bd.,  S.  164—174  nnd  339 — 240)  tonächst  in 
allen  deutschen  Staaten  eingeführt  nnd  überall  auf  die  freilich  meist  nur  empfangenden 
Bibliotheken  der  höheren  Schulen  aasgedehnt  würde,  damit  sich  scUiefslich  alle  öffent- 
lichen Bibliotheken  im  Reiche  anf  diesem  Wege  gegenseitig  ergänzen  könnten. 


—     182     — 

eine  grofte  Bibliographie  Torliegt,  ist  die  Arbeit  naturgemäls  leichter,  als 
anderwäits.  Aber  in  diesen  letzten  Fällen  würde  em  Wegweiser  wieder  dea 
Anfiuig,  den  ersten  Versuch  einer  systematischen  Bewältigung  der  Utteratur- 
massen  und  den  ersten  Schritt  zu  der  Bibliographie,  die  kommen  mufr,  dar* 
stellen.  Mögen  die  Kommissionen,  Landes*  und  ProvinaaWereine,  jeder  fUr 
sein  Gebiet  sich  die  Frage  Yorlegen,  ob  sie  nicht  eben  ähnlichen  Wegweisar 
bald  schaffen  können  und  müssen!  A.  T. 

Familleiifarseluilig.  —  In  neuerer  Zeit  hat  sich  die  SrforscbuQg 
der  Familiengeschichte  auch  bei  bürgerlichen  Familien  eingebürgert,  und  die 
entschiedene  Vertiefung,  welche  (fieser  Forscbungssweig  erfiihren  hat,  ist 
nicht  ohne  Nutzen  für  viele  andere  Gebiete  geblieben:  vor  allem  die  Sojaal* 
geschichte  im  engeren  Sirme  kann  der  Stammbaumforschung  nicht  entraten. 
Die  technische  Seite,  wie  mit  Erfolg  eine  Ahnentafel  hergestellt  wird»  bat 
Walter  Gräbner  in  dem  Wegtoeiger  xiyr  BeniUxung  der  Ahneniafel {Cörl^ 
K*  A.  Starke,  1900)  beleuchtet;  Ottokar  Lorenz  hat  in  seinem  Lehrbuch 
4»  gesamten  wiasenechaftUchen  Oenealogie  (Berlin  1898)  den  Zusammenhang 
dieser  Forschungen  mit  derGesamIgeschichte  hervorgehoben;  im  OenMlogisehen 
Mimdbuch  bürgerlieher  Familien  ^)  ist  schon  viel  Material  cusammengetrageot 
das  der  Benutzung  durch  die  Geschichtsforschung  —  namentlich  hinsichtlich 
der  Wanderung  seitens  der  Familien  —  harrt  Seit  r.  Juli  1900  besteht 
auch  eine  Zeitschrift,  die  im  besonderen  der  Familienforschung  dient:  sie  trug 
im  ersten  Jahrgang  den  Titel  Der  Wappeneammier,  seit  Beginn  des  zweites 
Jahrgangs  aber  hei&t  sie  Weilers  Archiv  für  Slamm^  und  Wappenkunde 
(Verlag  von  A.  Weller  in  Kahla  in  Thüringen,  monatlich  i  Heft  in  4  ^,  Preis 
jährlich  4  Mk.,  bei  direkter  Zusendung  4,50  Mk.).  BehuCs  Gründung  einer 
Organisation,  welche  dem  Familienforscher  seine  Arbeit  erleichtem  soll,  er* 
schien  im  Januarheft  Z90J  ein  Aufruf^  von  20  Personen  unterzeichnet,  der 
hier  seinem  vollen  Wortlaute  nach  ftdgt,  da  er  am  besten  zeigt,  wie  die  Orgaai* 
sation  gedacht  ist 

Es  ist  ein  erfreuliches  Zeichen  unserer  Zeit,  daft  seit  einigen  Jahr«- 
zehnten«  etwa  seit  der  Wiedenuifrichtung  des  I>eutschen  Reichest  in 
weitecen  Kreisen  der  Sinn  ftir  Famiüenforschung  lebendig  geworden  ist 

Von  Jahr  zu  Jahr  mehrt  sich  die  Zahl  derjenigen  Familient  die 
Chronik  und  Stammbaum»  diese  von  ahersber  bewährten  Einrichtungen 
der  Adelsgescfalechter  und  £estbegrüadeten  Bürgerhäuser,  oidit  mehr  eo^ 
behren  wollen. 

Es  ist  liier  nicht  der  Ort«  den  wissenschaftlicbea,  stttlichen  und 
prahrisrhen  Wert  der  Stammkunde  zu  erörtern;  nur  auf  den  einen  fae» 
deutenden  Vorteil  möge  hingewiesen  werden,  dals  die  Veinadhliswigagf 
des  Familienlebens,  jene  Schattenseite  des  Veranslebens«  dessen  wir  in 
uasereA  Tagen  nicht  entiaten  können,  duKJi  das  Studiuin  der  XSesobichle 


I)  JeUt  im  Auftrage  des  Vereioi  ,^erQld'S  heraasgegeben  von  B.  Körner.  Die 
a  ertteo  BSode,  redigiert  von'GustaT  A.  Seyl^er,  erschien  1888  und  1889  bei  F.  Ifablir 
in  Charlottenbnrg.  Seit  dem  1IL  Bande  (1894)  hat  der  Verein  ^Herold'<  sich  des  WedKS 
angenommen,  das  seitdem  W.  T.  Braer  in  Berlin  verlegt  Der  IV.  Band  ist  1896^  dar 
V.  1897,  der  VL  1898,  der  VIL  1900  nnd  der  VIIL  1901  erschienen. 


—     181     — 

des   eigenen  GfscMitrh^ ,   aind,   was  damit  zuaaaimeniiäagt»'   fliudi  die 
PflMfe  der  FflKP^ti^gnTianMii^gfhft^glfg't  ausgegückea  weide|i  k^nn« 

Wer  aber  je  der  Abfassung '  der  GescUchte  seiner  Famifit  nitiai 
getreten  ist,  der  vird,  wenn  er  bei  seinen.  Machforsrtiingen  nicHt  «on 
besondei^m  Giücke  begünstigt  wurde,  die  £ifid|fung  gemacht  lieben,  uäü 
weldien  Mühen  imd  Schwierigkeiten «  oft  aus  gans  äufeeijichen  Gründen, 
scdcb^  Arbeit  rerbunfkn  ist.  Es  gab  Zeiten  in  der  deutschen  Gesc^chle, 
wo  die  Sefshaftig^eit  der  Bevfilkenmg  sidi  verringerte,  Auswanderung  von 
der  urspiün^chen  Heimat  ^x  Nacl^^rgebiete,  besonders  nach  den  Ko^pni^ 
ländem,  stattfand;  den  Spuren  eines  solchen  weitverstreuten  GescUecfats 
von  dem  Wohnort  des  Forschers  411s  nachzugehen,  ist,  o)me  fremde 
Hilfe  in  Anspruch  zu  nehmen,  oft  ganz  unmögtich,  die  Binatcht  in 
die  Udumden  der  geistlichen  und  weldichep  Behörden,  in  öiß  Qt^ 
busts*,  Trauungs-  und  Sterberegister  der  B&rrämter,  in  die  Indioes  der 
AiduYe,  in  die  Stadtbücher  und  Bürger^sten  fremder  Ortschaft^  iät 
■  für  den  Suchenden  mit  eriie})lichem  Zeit-  und  Kostenaufivande  yerbna- 
den,  wenn  ihm  nicht  von  befreundeter  Seite  das  Nachschlagen  edeicbtert  wird. 
Die  Hemmnisse  bei  solcher  Nachschiagung  können  nnr 
durch  einen  ^ngen  Zusammenschlufs  d/sr  Genealogen  Ter« 
'    ringert  werden. 

Mancher,  der  mit  der  Ab&ssung  der  Chronik  seiner  FamHie  be* 
schäftigt  ist,  findet  z.  B.  bei  Durchsicht  der  Kirchenbücher,  die  bekannt? 
lidi  in  früheren  Zeiten  nicht  ^-egistriert  worden  sind,  Angaben  über  htbßot^ 
verfaältiiisse  von  Personen,  ^  einem  anderen  Forscher  von  gcfifitw 
Wichtigkeit  sind;  wenn  er  eine  Liste  der  Adressen  der  Interessenten  lUi 
Hand  hätte  ,^  sq  könnte  er  ^  sich  it^a  darbietende  Material  jn  ei^ 
^rechender  Weise  verwerten;  weifs  er  doch,  daft  die  aufgewendete  Müht 
unter  Umständen  durch  Gegenleistung  vergolten  wird. 

Um  Siedle  gegenseitige  Unterstützung    heibetzuftihren,    haben   «dl 

eine  Reihe  Forscher    zu    einer   freien  Vereinigung  zusammengeschlossen. 

-    Alle  Freunde  der  Familienforachung  werden   zum  Beitzitt   zu   deisettm 

fregni^ichst  eingeladen  und  gebeten,  ihre  Adresse  an  Frofe^fpr  Di*  V^r 

bescheid  in  Dresden,  Lütdchaustr.  11,  zu  senden. 

Das  Organ  för  diese  Vereinigung  ist  Waliers  JbteUo  für  Stamme 
und  Wc^jpenkunde.  in  dieser  Zeitschrift  werdei|  von  ^eit  zu  ^eil  die 
Namen  ^nd  Adressen  aller  Interessenten  veröffmliicfat 

Der  £r£61g  ist  nicht  ausgegeben.  Der  Verein  zur  Förderung d^r 
Stammkunde  ist  am  x8.  Januar  z^z  irixkUcfa  gegründet  worden,  und 
bereit^  x6d  Namen  kann  die  zweite  Mitgbederiiste  auffiifazien.  DBß  Aibeift&- 
prognunm  ist  zwar  im  einzelnen  nodi  nicht  festgeatdit,  dMUMOwenig  SaUHngm 
imd  Mitgliederbeiträge,  dies  sind  aber  in  diesem  Falle  Nebendinge,  da  es  in 
erster  Lmie  für  jeden  Stammbaumforscher  darauf  ankommt,  die  Namen  und 
J^essen  von  Personen  an  m^g^chst  viel  viSTSchiedenen  Orten  k/tn^M  m  lernen, 
die  ihn  bei  seinen  Arbeiten,  so  weit  sie  eben  an  einen  fremden  Ort  iKihren, 
|iQterst(|tzea  kö^en.  Was  die  geographische  VerteSung  der  100  j^t^eder 
^ni^^Qgt,  ^  J?,i^  geradezu  t^t^^ui^k  vi^  Qrtc  FiJitre^ij,  die  'j^ej  ^(reijqyi  J(ftf^9t^ 
nur  mit  einem  Mitgliede,  fodaft  bei  den  geAöUicfaen  Foitgasg  vi  liiaMT 
Richtung  ^atsächlicfa  vid  geleistet  werden  kann. 


—     184     — 

FreiUch  darüber  kann  kein  Zweifel  walten:  wir  haben  hier  erst  den  An- 
fang einer  ersprielffichen  Thäti^eit !  Das  wichtigste  bleibt  immer  die  Forschung 
selbst»  die  —  so  ein&ch  sie  dem  Liebhaber  zuerst  auch  erscheinen  mag  — 
rolle  Bekanntschaft  mit  der  historischen  Forschungsweise  voraussetzt,  damit 
nicht  Trugschlüsse  die  Ergebnisse  illusorisch  machen,  und  die  vor  allem  die 
verschiedenen  Quellengattungen  in  ihrer  Eigenart  kennen  und  alle  Hil£miittd 
der  geschichtlichen  Wissenschaft  nutzbar  machen  mufs,  wenn  sie  Erfolge  sehen 
wilL  Der  Zufall  spielt  in  der  Regel  bei  Fesstellungen  dieser  Art  eine  viel 
geringere  Rolle,  als  es  zuerst  scheint;  gute  Ergebnisse  sind  meist  die  Frucht 
besonders  fleissiger  systematischer  Arbeit! 

Naturgemäis  erste  Voraussetzung  mufs  es  für  jeden  Familienforscher  sein, 
sich  von  Vorurteilen  zu  befreien  d.  h.  bestimmte  Thatsachen  erweisen  zu 
wollen,  z.  R  die  Herleitung  der  eigenen  Familie  von  einem  berühmten  Manne 
gleichen  oder  ähnlichen  Namens.  Es  gilt  vielmehr,  wie  bei  vielen  Zweigen 
kulturgeschichtlicher  Forschung,  schrittweise  nach  rüdswärts  zu  gehen  imd  sich 
von  vom  herein  klar  zu  machen,  dafs  bei  bürgeriichen  Familien  eine  Rückwärts- 
verfolgung des  Stammes  nur  ausnahmsweise  bis  ins  XVL  Jahrh.  möglich  ist  — 
Die  wichtigsten  Quellen  für  die  Stammbäume  bilden  die  Vorläufer  der  mo- 
derneren Standesregister,  die,  weü  meist  —  nicht  immer  *)  —  von  der  Kirche 
geführt,  kurz  als  „Kirchenbücher"  bezeichnet  werden.  Diese  Tauf-,  Trau- 
und  Sterberegister  entsprechen  aber  selbst  im  XVUL  Jahrh.  in  Bezug  auf  ihr 
Äufseres  nicht  den  Anforderungen,  die  man  heute  an  sie  stellt  Sie  sind  un- 
genau in  ihren  Angaben  tmd  vielfach  —  noch  ganz  abgesehen  von  dem  leidigen 
vrillküiüchen  Wechsel  in  der  Namenschreibung  —  unzuverlässig,  sodafs  kritische 
Untersuchungen  meistens  erst  die  Angaben  erhärten  müssen.  Das  aller- 
wichtigste  bleibt  die  erste  Vorfrage :  wo  liegen  gegenwärtig  die  Kirchenbücher 
aus  dem  betreffenden  Orte,  wo  ich  meine  Ahnen  suche,  und  wie  weit  reichen 
sie  zurück?  Für  viele  Teile  Deutschlands  läfst  sich  die  Antwort  leicht  finden, 
deim  seit  einem  Jahrzehnt  ist  der  Gesamtverein  der  deutschen  Geschichts- 
und Altertumsvereine  bemüht,  Zusammenstellungen  dieser  Art  anzuregen,  und 
das  Korrespondenzblatt  des  Gesamtvereins  hat  wiederholt  —  zuletzt  im  47.  Jahr- 
gang (1899),  S.  56  bis  58  —  mitgeteüt,  wo  entsprechende  Arbeiten  ausgeführt 
worden  sind  ').  Wie  sich  die  Kirchenbücher  benutzen  lassen,  imd  wie  sie  ausge- 
beutet werden  sollten,  das  zeigt  deutlich  der  Aufsatz  von  Gmelin  in  diesen 
Blättern,  I.  Band ,  S.  157 — 170:  wer  einmal  jeden  Emtrag  eines  R^^isters  liest, 
sollte  immer  auch  noch  auf  andere  Dinge  mitachten  als  diejenigen,  die  er  un- 
mittelbar sucht  Das  Urteil  über  die  Führung  des  Buches  im  allgemeinen 
ist  ja  stets  entscheidend,  auch  für  den  einzelnen  Fall!  —  Aber  namendich 
für  die  Städte  kommen  neben  den  Kirchenbüchern  noch  viele  andere  Quellen 
in  Betracht,  die  Namen  in  Masse  enthalten:  Die  Steuerlisten  lassen  meist  zu- 


1)  In  Leipzig  z,  B.  find  wohl  die  Tauf-  und  Tranr^itter  von  den  Ffarrftmtern  ge- 
führt worden,  Sterber^ster  aber  nicht;  diese  hat  vielmehr  der  Rat  in  der  Form  von 
Begiäbnislisten  in  der  sogenannten  „Leichenschreiberei*'  gtBÜhrt, 

2)  Hier  möchten  wir  nur  erwähnen,  dafs  der  „Verein  für  Geschichte  der  Nenmark'^ 
(Landsbeig  a.  W.)  1900  im  IX.  Hefte  seiner  Schriften  mit  der  In?entarisienmg  der  in 
der  Marii  Brandenbmtt  vorhandenen  ffirchenbflcher  begonnen  uid  sanfichst  die  Kreist 
Oststemberg,  Weststemberg,  ZflUichan-Sdiwiebiis  nnd  Krpssen  behandelt  hat. 


—     186     — 

l^dch  die  Vennögenslage  erkennen,  die  listen  neu  aufgenommener  Bürger  die 
Herkmift,  Mi^^liederverzeichnisse  der  Zünfte  die  Zugehörigkeit  zu  diesen. 
Wer  solches  Material  benutzen  will,  muis  zunächst  wissen,  wie  das  Archiv 
der  betreffenden  Stadt  aussieht,  ob  es  reich  ist  und  wie  weit  die  entsprechenden 
Akten  zurückreichen.  Auf  diesem  Gebiete  wächst  die  Litteratur  erfreulicher- 
weise täglich,  wird  aber  leider  viel  zu  wenig  benutzt;  deshalb  ist  es  Pflicht 
des  Forschers,  zunächst  die  über  den  Ort,  wo  er  sucht,  vorhandene  geschicht- 
liche Sonderlitteratur  und  vor  allem  die  Register  zu  den  Urkundenbüchem  und 
Aktensammlungen  sowie  die  zu  den  Zeitschriften  ortsgeschichtlicher  Vereine 
anzusehen.  Ganz  ähnlich  steht  es  mit  den  jetzt  von  den  meisten  Universitäten 
veröffentlichten  Matrikeln  ^),  die  in  neuester  Zeit  eine  ganz  überraschende 
Menge  Aufschlüsse  gegeben  haben. 

Es  ist  bei  Licht  besehen  ganz  derselbe  Quellenkreis,  mit  dem  Stamm- 
forscher und  Ortsgeschichtsforscher  zu  thun  haben,  nur  mit  dem  Unterschied, 
dafs  der  erstere  oft  von  dem  einen  in  ein  anderes  Ortsgebiet  überspringen 
mufs.  Wenn  er  ersprieüslich  arbeiten  will,  wird  er  also  suchen  müssen  mit 
der  Ortsgeschichtsforschung  Fühlung  zu  gewinnen,  sei  es  mit  einer 
geeigneten  Person  oder  mit  den  veröffentlichten  Arbeiten.  Die  Kenntnis  der 
für  jede  Landschaft  und  jeden  Ort  zur  Verftigung  stehenden  Hilfsmittel  ist  das 
erste,  aber  selbst  wo  sie  vorhanden  ist,  besteht  noch  immer  die  Schwierigkeit, 
sich  hindurchzuwinden  und  von  vornherein  abzuschätzen,  welchen  Erfolg  die 
zeitraubende,  genaue  Durchsicht  einer  Quelle  haben  wird :  hier  kann  nur  die 
persönliche  Erfahrung  entscheiden,  und  zur  Verhütung  von  Zeitversäumnis  ist 
es  gut,  sich  des  Rates  erfahrener  Fachleute  zu  bedienen.  Wie  bei  jeder 
anderen  geschichtlichen  Arbeit  läfst  sich  auch  hier  niemals  mit  Bestimmtheit 
vorhersagen,  ob  überhaupt  ein  greifbarer  Erfolg  erzielt  werden  kann.  Die 
Wahrscheinlichkeit  wächst  mit  dem  Umfange  des  bearbeiteten  Gebietes,  des- 
halb sollte  gerade  der  Genealog,  der  naturgemäfs  nur  wenige  für  ihn  unmittel- 
bar verwendbare  Notizen  in  umfiEuigreichen  Akten  finden  kann,  stets  neben 
den  persönlichen  —  eventuell  mehreren  persönlichen  —  auch  sachliche 
Gesichtspunkte  verfolgen.  Seine  Mühe  könnte  dann  wenigstens  nie  ganz  er- 
folglos sein  imd  seine  besondere  Arbeit  kann  nur  gewinnen,  wenn  er  allgemeine 
Er^cheintmgen  mit  ins  Auge  £afst  —  z.  B.  den  Wechsel  oder  die  Beibehaltung 
desselben  Berufes  in  einer  Familie  durch  mehrere  Geschlechter  hindurch. 
Wenn  so  die  Genealogie  sich  der  örtlichen  Geschichtsforschung  nähert,  wenn 
beide  zusammenarbeiten,  dann  müssen  Ergebnisse  gewonnen  werden,  die  für 
beide  Teile  gleich  wichtig  sind:  wer  je  die  Stammbaumforschung  in 
Angriff  genonunen  hat,  der  wird  erkannt  haben,  dafs  er  die  Ortsgeschichte 
kennen  mufs  und  dafs  er  nur,  versehen  mit  dem  Rüstzeug  der  geschichtlichen 
Forschungsmethode,  den  Kampf  mit  den  Aktenmassen,  besonders  der  letzten 
Jahrhunderte,  erfolgreich  aufzunehmen  vermag.  A.  T. 

KoniHllssloiieil«  —  Die  Wfirttembergische  Kommission  für 
Landesgeschichte*)  hielt  am  s.  Mai  1901  zu  Stuttgart  ihre  zehnte 
Sitzung  ab.    Von  der  Korrespondenz  des  Herzogs  Christoph  ist  im  Dezember 


1)  VgL  darttber  diese  ZdUcbrift  L  Bd.,  S.  175. 

2)  Vgl  IL  Bd.,  S.  190. 


—    18a    — 

1900  der  2.  Band  erschieaen,  der  3.  wird  hauptsäd^lich  dem  SLeichstage  vap 
1535  gewidmet  seia,  lü^er  vom  4.  Bande  an  soll  die  Veröfentlichung  weniger 
ausführlich  gehalten  werden,  tttt  Der  i.  Band  des  Heübponmer  Vrkun4&i^ 
iuchea,  beiu-beitet  von  £.  Knupfer,  wsu*  im  Druck  bis  zum  28.  Bogen  Tar? 
geschritten,  den  2.  Band  wird  die  Stadtgemeinde  durch  Dr.  v.  Rauch  be^ 
aibeiten  lassen.  —  Von  den  QeßcbicbtHeh&n  Liedtm  und  Sprüchen  WftrUea^ 
lergs  ist  das  2.  Heft  ifir.  42^—66),  Herzog  Ulrich  und  seiner  Zeit  gewidmelf 
fertiggestellt;  dem  Herausgeber  FtoL  Steiff  tritt  nunmehr  Dr.  Mehriag 
ak  Helfer  zur  Seile,  -rr-  Von  der  QesduMe  der  BehärdenorgcmMoHon  tu 
Württemberg  hat  Archivassessor  Winterlin  einen  i.  Band,  der  bis  zun 
Dreifsigjährigen  Kriege  führt,  druckfertig  gesteUt;  Privatdozent  Käser  (Wi^) 
wurde  auf  seinen  Wunsch  seines  Auftrags,  die  Akten  des  Schwäbischen 
Bundes  zu  bearbeiten,  enthoben.  —  Die  Inventarisation  der  kleineren  Archive 
ist  unter  Oberieitung  der  fünf  Kreispfleger  wieder  wesentlich  fortgeschritten: 
au&er  den  zehn  bereits  im  Vorjahre  als  vollendet  genannten  Bezirken  sind 
jetzt  auch  in  den  Bezirken  Marbach,  Maulbronn  und  Vaihingen  die  Arbeiten 
beendet.  Selbstverständlich  findet  sich  auch  in  den  als  erledigt  be^eicb-r 
neten  Bezirken  noch  immer  neue  Arbeit :  so  wurden  im  Stadtarchiv  zu  Wangtii 
nachträglich  noch  2000  Urkunden  aufgefunden,  die  sofort  inventarisiert 
wurden. 

Ausgeschieden  sind  aus  der  Kommission  durch  Tod  Bibliotheksdirektor 
V.  Wintterlin  und  Prof.  v.  Heine  mann,  zurückgetreten  ist  nach  dena 
Rücktritte  vom  Amte  des  Archivdirektors  v.  Schlossberge r.  Die  Geschäft«* 
führung  übernimmt  für  weitere  5  Jahre  v.  Hartmann.  Die  Einpahmea 
und  Ausgaben  halten  sich  mit  11574  Mk.  das  Gleichgewicht. 


Die  Historische  Komniission  bei  der  kgl.  Bftyeiisclico  Aka- 
demie der  Wissenschaften^)  hielt  Ende  Mai  1901  ihre  42.  Plengr- 
versammlimg  ab.  Für  alle  Arbeiten  konnten  erfreuliche  Fortschritte  verzeicboet 
werden,  neu  ausgegeben  wurden  Meyer  von  Knonau,  Jahrbücher  dee 
deutschen  Beiches  unter  Hemrioh  IV.  und  V.,  3.  Bd.  (1077^1084),  Deutet 
fieiehsiageakten ,  jüngere  Reihe  3.  Bd.  und  ältere  Reibe  12.  Band  sowif 
Jügemeine  deutsche  Biographie,  46.  Bd.,  Lieferung  i^T-3.  Der  neue  6ir 
die  jüngere  Reihe  der  Wittetsbo/dier  Korrespondenz  von  M.  Ritter  au^esteUfte 
Arbeitsplan  wurde  durcbberaten  imd  angenonunen,  die  Arbeit  Privatdox^Qt 
Oö^z  übertragen,  zunädist  wird  die  Zeit  von  1693  ^^^  i6^9  ioAngriff  ger 
Bonunen. 

Ab  neue  ordendiche  Mitglieder  wurden  Prof.  Dove  (Freiburg  i.  B«), 
Prof.  Grauert  (München)  und  Archivdirektor  Winter  (Wien)  gewählt. 


I>ie  20.  iHenarversaaunlnng  der  Badisßhea  Historischen  iCom- 
■aissiont)  £uid  Mitte  November  1901  in  Karlsruhe  6t«tt.  Neu  «usgegebe» 
wurden  im   Berichtsjahre  fit^nde  Veröffientüchungen :   als  Neujahrsbl^tt  fyf 


i)  Über  die  41.  Plenanrersamm^yig  vgl,  dieie  ZeiUchrift  IL  Bd.,  S.  19Q  bis  191. 
2)  Vgl  IL  Bd.,  S.  237. 


—     187     — 

1901  P.  Albert,  Badern  zunschen  Neckar  und  Mann  im  de»  Jahren  18B3 
his  1806,  vom  Oberbadiaehen  BeschMtterbueh  eracbieii  die  3.  Litfening  des 
2.  Bds.,  von  der  Polnischen  Korreepondmx  Karl  Friedriehs  wm  Baden  der 
5.  Bd.,  von  den  Btgesten  der  Markgrafen  von  Baden  und  Baebberg  die  ersten 
bttden  Lieferungen  des  2.  Bds.,  von  den  Btgeaün  der  Bischöfe  van  Rtmaianx 
die  4.  Lieferung  des  2.  Bds.  Alle  anderen  Unternehmungen  haben  erfreu^ 
liehe  Fortschritte  gemacht;  Erwähnung  verdient  vor  allem,  dafs  bereits  im 
laufenden  Jahre  der  Druck  der  2.  Auflage  des  Topographischen  Wörkrbuchs 
des  Qro/^herxogtums  Baden  beginnen  wird ;  das  ganze  Werk  im  Umfang  von 
^o  Bogen  soll  in  4  Halbbänden  1903  tmd  1904  erscheinen.  Von  allgemeinem 
Interesse  für  den  Archivar  und  Quellenherausgeber  ist  der  als  Beilage  ge- 
druckte ausführliche  Bericht  von  H.  Witte  (Hagenau)  über  die  Arbeit  an  den 
Regesten  der  Markgrafen  von  Baden  und  Hachberg:  Die  neuerdings  ge* 
echaffenen  Erleichterungen  in  der  Archivbenutaung  treten 
darin  recht  deutlich  hervor.  —  Als  Vorstand  der  Kommission  wurde 
für  5  Jahre  Prof.  Dove  (Freiburg)  gewählt,  als  aufserordentliches  Mi^ed 
Friedrich  Walter  (Mannheim). 


Am  14.  Dezember  190X  hielt  in  Leipzig  die  Königlich  Sächsische 
Kommission  für  Geschichte')  ihre  6.  Jahresversammlung  ab.  Die 
grofse  Zahl  der  Unternehmungen  ist  im  Berichtsjahre  sehr  gefördert  worden, 
es  steht  die  Ablieferung  druckfertiger  Manuskripte  und  die  Vollendung  des 
Druckes  mehrer  Veröffentlichungen  im  Jahre  1902  bestinmit  in  Aussicht, 
aber  ausgegeben  worden  ist  im  Jahre  1901  nichts.  Neu  beschlossen  wurden 
folgende  Unternehmungen:  Bearbeitung  einer  Bibliographie  der  sächsischen 
Geschichte,  welche  Viktor  Hantzsch  ausführen  wird,  eine  Ausgabe  von 
Luthers  Tischreden  nach  einer  Leipziger  Handschrift  des  Mathesius  wird 
Bibliodiekar  Kroker  besorgen,  die  Bearbeitung  der  Ständeakten  hat 
Woldemar  Görlitz  übernommen.  Über  die  Anlage  des  historischen 
Ortsverzeichnisses  hat  Beschorner  eine  ausführliche  Denkschrift  ein- 
gereicht, die  vor  allem  Verzeichnung  der  Flurnamen  und  der  Wüstungen  als 
Vorarbeiten  fordert.  Behufs  näherer  Prüfung  dieser  Fragen  und  zur  Förderung 
der  übrigen  historisch*geographischen  Unternehmungen  wurde  ein  besonderer 
Ausschuls  eingesetzt 

Zum  Stellvertreter  des  geschäfbführenden  Mitglieds  der  Kommission  wurde 
Prof.  Seeliger  gewählt     Die  Zahl  der  Subskribenten  beMgt  227. 

Personallen.  —  Am  28.  Nov.  1901  starb  in  Erlangen,  84  Jahre 
alt,  der  bekannte  Deutschrechtler  und  Rechtshistoriker  Professor  Dr.  Gott- 
fried Heinrich  Oengler.  Geboren  am  27.  Juli  18 17  in  Bamberg,  habili- 
tierte er  sich  im  Okt  1843  an  der  Universität  Eiiangen,  wurde  1847  au&#r- 
ordentlicher  und  am  18.  Okt  1851  ordendicher  Professor  der  Rechte  aa 
^eser  Hochschule,  der  er  somit,  ein  seltener  Fall,  aüein  als  Ordinariss 
fünfzig  Jahre  angehört  hat  Nachdem  er  seine  litterarische  Thätigkeit  mit 
«iner  Arbeit  aus  dem  Strafrecht  begonnen  hatte,   wandte  er  sich  sehr  bald 


I)  v^  IL  B4.,  S.  234. 


—     188     — 

deutschrechtlichen  Forschungen  zu.     Die   erste  grdfsere  Arbeit  auf   diesem 
Gebiete  waren  seine  Dendsehen  StatÜrechie  des  MiUelaUers ,  teüs   verxeuJmei, 
ieÜ8  voUständig,  oder  in  Probeausxügen,   Erlangen    1851,  und  neben    der 
deutschen  Rechtsgeschichte  überhaupt,   hat  er   dieses   Forschung^^biet   bis 
zu  seinem  Lebensende  mit  besonderer  Vorliebe   und  unermüdlichem   Fleifse 
gepflegt     Dahin  gehören  u.   a.   seine  Arbeiten:   Das  Hofrecht  des  .Bisehofs 
Burchard  von  Worms,  Erlangen  1859.  —  Über  Aeneas   Syknus  U9ui    seine 
Bedeutung   für    die   deutsche   Rechisgeschichte ,    Erlangen    1860.  —      Ckxiex 
iuris   munic^Mlis    Oennaniae    medii  aevi,    Begesten  und    Urkunden     xwr 
Verfassungs"  und  ReMsgeschiehte  der  deutschen  Städte  im  MittekUier,    Er- 
langen   1863  bis  1867.  —  Oennanische  Bechtsdenkmäier,  Leges,  aqniularia, 
formulae.  Erlangen    1875 ,   ^^  Buch,  welches  Auszüge,  Proben   mit  Ein- 
leitung tmd  Kommentar  enthaltend,  als  Hilfsmittel  beim  akademischen  Unter- 
richt dienen  sollte.    Weiter  Ein  Blick  auf  das  Bechtsleben  Bayerns,  Kriapgen 
1880.     Dann  das  Resultat  eines  immensen  Fleifses  und  einer  ganz  erstaun- 
lichen Einzelforschung:  Deutsche  StaeUrechts-AÜeriümer^  Erlangen  1882,   das 
er  der  Würzburger  Universität  zu  ihrem  Jubiläum  widmete.  —  Beitrüge  xur 
Bechtsgeschichte  Bayerns,  i.  bis  4.  Heft,  Erlangen  1889  bis  94.  —  Die  Quellen 
des  Stadtrechts  von  Begensburg  aus  dem  13.  bis  15,  Jahrh,,    Leip»g    1893. 
Aus   den  vielen   kleineren   Arbeiten    verdienen  an    dieser   Stelle    noch 
hervorgehoben  zu  werden:    Über  den  Einfluß  des   Christentums    auf  das 
altgermanische  Bechtsleben,  Erlangen  1854.  —  Becktsattertümer  im  Nibelunffen^ 
liede  in  Ztschr.  f.  deutsche  Kulturgeschichte,  1858,  S.   191  ff.  —  Über  Sed^ 
bader  ebendas.   N.  F.  (1873),   S*    57^^     ^^  ^<^h   ^^  Kritik   manches 
an  seiner  Methode  tadeln,  hin  und  wieder  nicht  ohne  Grund  das  abschlidsende 
Urteil  vermissen,    so  hat   er   doch  in    seinen  Arbeiten    eine    solche    Fülle 
historischen  Materials  zusammengebracht,  dafs  man  lange  davon  zehren  und 
sein  Name   stets    in  Ehren  bleiben   wird.     Ein   echter   deutscher  Professor 
alten  Schlages,  der  ohne  Neigtmg  viel  in  die  Öffentlichkeit  zu  treten,    von 
£Eist  übergroßer  Bescheidenheit  nie  nach  äufseren  Erfolgen  strebte  imd  nichts 
Höheres  kannte  als  die  Arbeit,  konnte  er  sich  selbst  nie  genug  thun.     Die 
letzte  Angabe,  die  er  sich  stellte,  war  eme  alphabetisch  geordnete  Geschichte 
und   Darstellung   der  mittelalterlichen   Rechtsquellen  aller    deutschen   Städte 
von  der  gröisten  bis  zur  kleinsten.     Es   ist  ihm  vergönnt  gewesen,    nach 
zehnjähriger,  tmtmterbrochener  Arbeit  das  grofse  Werk,    das   demnächst  er- 
scheinen soll,  drei  Wochen  vor  seinem  Tode  zu  vollenden.     Seine  vielleicht 
einzig  dastehende,   mit   grofser  Liebe  gesammelte  Bibliothek   zur   deutschen 
Stadtgeschichte  hat  er  der  Erlanger  Universität  vermacht. 


Genau  acht  Tage  nach  Gengier  starb  im  88.  Lebensjahre  am  5.  Dez. 
X90X  der  Nestor  der  Erlanger  Universität  und  zugleich  der  Nestor  da 
deutschen  Geschichtsforscher  Karl  von  Hegel.  Geboren  am  7.  Juni  18 13 
zu  Nürnberg  als  Sohn  des  Philosophen  Hegel,  des  damaligen  Gymnasial- 
rektors, wurde  er  nach  Beendigung  seiner  Studien  tmd  einem  längeren 
Aufenthalte  in  Italien  im  Herbst  1840  Hilfslehrer  am  Kölnischen  Gymnasium 
in  Berlin.  Wenn  er  schon  im  Mai  1841  als  auiserordentlicher  Professor 
der  Geschichte  nach  Rostock  berufen  wurde,  so  verdankte  er  dies  wohl  dem 


—     189     — 

guten  Eindruck  mehrerer  Rezensionen  über  historische  Werke,  denn  ftuiser 
seiner  Dissertation  über  Aristoteles  und  der  neuen  Ausgabe  der  Geschichts« 
Philosophie  seines  Vaters  war  er  litterarisch  noch  nicht  hervorgetreten,  und 
erst  im  Jahre  1847  erschien  sein  erstes  gröfseres  Werk,  das  dann  fUr  die 
gesamte  Richtung  seiner  Arbeiten  grundlegend  wurde,  seine  Oesekichte  der 
Städieverfassung  in  Italien.  Sein  Resultat  —  so  bestimmte  er  es  selbst 
in  einem  Briefe  an  seinen  Bruder  —  „dafs  das  italienische  Wesen  in  den 
städtischen  Republiken  auf  rein  germanischen  Grundlagen  mit  schwacher 
Färbung  römischer  Traditionen  beruhe'S  bedeutete  zugleich  einen  siegreichen 
Angriff  auf  Savigny  und  seine  Schule.  Im  Jahre  1848  zum  ordentlichen 
Professor  ernannt,  entfaltete  er  in  diesem  imd  dem  folgenden  Jahre  als 
Redakteur  der  in  Schwerin  erscheinenden  Mecklenburgischen  Zeitung,  wenn 
auch  auf  kleinem  Gebiete,  eine  nicht  unbedeutende  politische  Thätigkeit, 
die  ihm  auch  einen  Sitz  im  Erfurter  Parlament  von  1850  eintrug.  Die 
Schilderung  dieser  Zeit  gehört  zu  dem  Anziehendsten  in  seiner  unter  dem 
Utel  Karl  Hßgel,  Leben  und  Erinnerungen,  1900  (Lieipzig,  S.  Hirzel)  heraus- 
gekommenen Selbstbiographie.  Im  Jahre  1856  führte  ihn  ein  Ruf  an  die 
Erlanger  Hochschule  m  die  fränkische  Heimat  zurück,  und  hier  entstand 
dasjenige  Werk,  in  welchem  er  der  deutschen  Wissenschaft  und  sich  selbst 
ein  monumentum  aere  perennius  gesetzt  hat,  die  im  Aufbrage  der  Münchner 
historischen  Kommission  unternommene  Herausgabe  der  Chroniken  der 
deutschen  Städte,  die  von  1862  bis  1899  teils  von  ihm  selbst,  teils  von  durch 
ihn  gewählten  Mitarbeitern  bearbeitet,  in  2  7  Bänden  erschienen.  Die  damit 
gegebene  Kleinforschung  entsprach  so  recht  seiner  Eigenart,  aber  dafs  er  da- 
neben die  grofisen  und  allgemeinen  Gesichtspunkte  nicht  aufser  acht  lieis, 
zeigte,  um  von  anderem  abzusehen,  sein  groises  Werk  Städte  tmd,  Gilden  der 
gemumisehen  Völker  im  Mittelalter,  2  Bde.,  Leipzig  189 1,  womit  der  78  jährige 
die  gelehrte  Welt  überraschte  und  zum  Teil  auf  ganz  neuen  Grundlagen  von 
neuem  der  historischen  Rechtsschule  den  Fehdehandschuh  hinwarf.  Und 
sieben  Jahre  später  fiafste  er  seine  Resultate  noch  eiimial  in  der  knappsten 
Form,  die  in  nichts  an  das  Greisenalter  des  Verfassers  erinnert,  zusammen 
in  seinem  kleinen  Buche :  Über  Entstehung  des  deutschen  Slädtewesens  1898. 
Seine  Geistesfrische  hatte  etwas  geradezu  Phänomenales.  Mit  dem  lebhaftesten 
Interesse  beteiligte  er  sich  bis  zuletzt  an  den  Sitzungen  und  Verhandlungen 
der  historischen  Kommission,  der  Kommission  der  Monumenta  Germaniae 
historica,  des  Vorstandes  des  germanischen  Nationalmuseums.  In  einem  Alter, 
in  dem  sonst  selbst  bei  den  Hervorragendsten  das  allgemeine  Interesse 
schwindet,  schien  es  bei  ihm  immer  mehr  zu  wachsen,  konnte  er  sich 
neuen  Problemen  tmd  Plänen  zuwenden.  Noch  einige  Wochen  vor  seinem 
Tode  besprach  er  mit  dem  Unterzeichneten  den  Plan,  neue  archivalische 
Forschungen  über  die  Geschichte  der  kaiserlichen  FÜh  in  Forchheim  zu 
unternehmen.  Ein  sanfter  Tod  ohne  eigentliche  Krankheit  endete  dieses 
harmonische  Gelehrtenleben.  Ein  Verzeichnis  seiner  Schriften  findet  sich 
in  seiner  oben  erwähnten  Selbstbiographie. 

Erlangen.  Th.  Kolde. 

Als  Nachfolger  Varrentrapps  wurde  der  Berliner  Privatdozent,  Archivar 
und  Herausgeber   der  Historisdwn  Zeitschrifl  Friedrich  Meinecke  als 


—     190     — 

oitkadicheT  Prof.  der  Geschichte  nach  Straisbuig  bentfen;  gleichzeitig  wurde 
der  «ufserordentHche  Prof»  in  Bonn  Martin  Spahn  ebenfalls  in  Strafi^nng 
tum  Ordinarius  ernannt  Der  Bre^uer  Prof.  Alois  Schulte  scheidet  aus 
sdnenl  Amte  aus,  um  als  erster  Sekretär  des  preuisischen  historischen  Instituts 
nach  Rom  zu  gehen.  In  Königsbeig  legte  Prof.  Haas  Prutz  wegen  eines, 
sdiweren  Augenleidens  sem  Lehramt  nieder.  2>an  ordentlichen  Prof.  der 
Kunstgeschichte  in  Bonn  wurde  der  bisher  als  Ordinarius  an  der  Kunstakademie 
zu  Düsseldorf  thääge  Prof.  Paul  Giemen  ernannt  In  Berün  habiütierte  sich 
für  Geschichte  W.  t.  Sommerfeld.  Der  Archivar  am  Grdfsh.  Haus-  und 
StaatsarditT  zu  Daimstadt  Dr.  Dieterich  ist  ans  dem  Ldirkörper  der  Uni« 
▼ersität  Giefsen  endgiltig  ausgeschieden. 

Es  starben:  am  30.  Jtmi  1901  der  auf  dem  Gebiete  der  vorgescfaich^ 
liehen  Forschung  in  Schwaben  vielfach  thätige  Major  Freiherr  von  Tröltscfa; 
am  II.  August  der  fiüfacre  Prof.  der  Geschichte  in  München,  einst  Mit* 
glied  des  Frani^rter  Pariaments,  Nepomuk  Sepp,  85  Jahre  adt;  am 
14.  August  der  Nürnberger  Kreisarchivar  Alfred  Bauch,  40  Jahre  alt; 
am  50.  August  der  Augsburger  Stadtarchivar  Adolf  Buff^  63  Jahre  alt; 
am  9.  Sept  der  Profi  der  Geographie  imd  Völkerkunde  in  Wien  Wilhelm 
Tomaschek^  60  Jahre  alt;  am  13.  Okt  der  för  die  Geschichtsforschung 
der  Ostseeprovinzen  tbätige  Anton  Buchholtz,  53  Jahre  alt  in  Riga;  am 
so.  Okt  der  Herausgeber  der  Heasiseken  Kv/nstdenkmäler  Bickell,  61  Jahre 
alt  in  Marburg;  am  15.  Nov.  der  Münchner  Kreisarchivar  Eberhard  Zira- 
giebly  70  Jahre  alt;  am  21.  Nov.  der  um  die  GrundkartenhersteUung  ver- 
diente Adolf  Brecher,  65  Ji^re  ak  in  Berlin;  am  23.  Nov.  der  Provinzial- 
konservator  für  Brandenburg  Gustav  Bluth,  72  Jahre  alt;  am  2.  Dez.  der 
Direktor  der  Hamburger  Stadtbibltotbek  Franz  Rudolf  Eyssenhardt, 
63  Jahre  alt;  am  15.  Dez.  Oberkonsistoriahat  Gerhard  Uhlhorn,  seit 
1884  Präsident  des  Historischen  Vereins  für  Niedersachsen,  75  Jahre  alt; 
am  29.  Dez.  der  Freiblirger  Kirchenhistoriker  Franz  Xaver  Kraus, 
61  Jahre  alt  in  San  Remo;  am  17,  Januar  1902  der  Berliner  Prof.  der 
Geschichte  Paul  Scheffer-Boichorst,  59  Jahre  alt;  am  23.  Februar 
der  frühere  Wiener  Prof.  der  Geschichte  MaxBüdinger^  73  Jahre  ah. 

Im  Bereiche  der  KgL  Preußischen  Staatsarchive  winde  Archivar  v.  Petcra« 
dorff  von  Koblenz  nach  Stettin,  Archivrat  Winter  von  Stettin  nadi  Osna*- 
brück,  Archivassistent  Spangen berg  von  Berlin  cach  Münster^  Archiv* 
assisteot  Löwe  von  Hannover  an  das  Geh.  Staatsarchiv  in  Berlin  versetzt 
Geh.  Archivrat  J.  Grofsmann,  Kgl.  Preu&ischer  Hausarchivar,  trat  in  den 
Ruhestand,  sein  Nachfolger  wurde  Ardiivrat  Prof«  Bern-ei.  Die  Aiofalv^ 
assisteuten  v.  Domarus  imd  Schaufs  in  Wiesbaden  wurden  zu  Archinorcn 
ernannt  —  An  Stelle  des  nach  Elberfeld  übergesiedelten  Prof.  Bü bring  ist 
die  Verwaltung  des  Regierungsarchivs  in  Arnstadt  Dr.  Herthum  übertiagen 
worden.  '^^  In  Bayern  wurde  der  Reichsarchivsekretär  Franz  Löher  zum 
Kreisarchivar  in  München  (als  Nachfolger  Zimgiebls),  der  Kreisarchivsekretttr 
in  Würzburg  Heinrich  Sommerrock  (als  Nachfolger  Jörgs)  zum  Kreis- 
archivar  in  Ländshut,  Dr.  Knapp  zum  Kreisarchivar  in  Nürnberg  ernannt 

Zum  Bibliothekar  an  der  Universitätsbibliothek  in  Tübingen  wurde  Pfarrer 
Dr.  Gräbmanb,  zum  Vorstand  der  Murhardschen  Bibliothek  in  Kassel  der 
Jenaer   Universitätsbibliothekar  Steinhausen  ernannt     Die  Direktion,  der 


—     191     — 

KAiser-Wilh^lm-Bibliodiek  in  Posen  hat  der  bisherige  Greifswakier  Oberbiblio- 
thdLar  R.  Focke  übernommen;  zum  Direktor  dtr  Stadtbibtfodiek  in  Ham- 
burg wurde  R.  M  ü n  ze  1 ,  ObetbiUiothekar  im  der  Beriiner  UniTirsitätsbiUiothek^ 
berufen. 

Als  Nachf(%er  des  Geh.  Obaregienmgsntes  Peilnus  wurde  Hanft 
Lutsch  unter  Ernennung  zum  Geh.  Regierungsrit  zum  Konservator  der  Kunst- 
denkmäler in  Preu&en  berufen.  Als  Lutschs  Nachfolger  wurde  zukn  Proviilzial- 
konservator  für  Schlesien  Regierungsbaumeister  Burgemeister  bestellt  In 
Brandenburg  übernahm  das  Amt  des  Provinzialkonservators  Landbauinspektor 
Büttner.  Der  Direktor  der  Ktmstsammlungen  auf  der  Feste  Koburg  Dr. 
Koetschau  wurde  als  Direktor  des  Kgl.  Historischen  Museiuns  und  der 
Gewehr-Galerie  nach  Dresden  berufen.  Sein  Nachfolger  in  Kobiu-g  wurde 
Major  a.  D.  J.  Lofsnitzer. 

Elngegansone  Bfidi^t* 

Lindner,  Theodor:  Geschichtsphilosophie ,  Einleitung  zu  emer  Welt- 
geschichte seit  der  Völkerwanderung.  Stut^art,  J.  G.  Cottasche  Buch- 
handlung, 1901.     206  S.    8®.     M.  4. 

Müller,  R.:  Übersicht  der  Grenzen  im  Saargebiet  in  den  Jahren  1790, 
18 14  und  18 15,  Karte  bearbeitet  nach  der  von  W.  Fabricius  (Geschicht- 
licher Atlas  der  Rheinprovinz).  Text^  S.  435 — 446.  [Anlage  zu  Mit- 
teilungen des  Historischen  Vereins  für  die  Saargegend,  Heft  8.  Saar- 
brücken, Schmidtke,   1901.] 

Nentwig,  Heinrich:  Silesiaca  in  der  Reichsgräflich  Schafigotsch'schen 
Majoratsbibliothek  zu  Warmbnmn.  i.  HefL  Leipzig,  O.  Harrassowitz, 
1901.     232  S.    S^, 

Oidtmann,  Heinrich :  Im  Zeichen  des  heiligen  Sebastianus.  [Sonderabdruck 
aus  der  Linnicher  Zeitung,  Januar  bis  Juli  1901.] 

O  tto ,  F. :  Das  Necrologium  des  Klosters  Ckrenthal  bei  Wiesbaden.  [=  Ver- 
öffentlichungen der  Historischen  Kommission  für  Nassau  III.J  Wiesbaden, 
J.  F.  Bergmann,   1901.     120  S.    S\     M.  3. 

Overmann,  A.:  Die  Stadtrechte  der  Grafischaft  Mark  i:  Lippstadt. 
[=  Veröffentlichungen  äer  Historischen  Kommission  fUr  Westfalen. 
Rechtsquellen.  Westfälische  Stadtrechte  L]  Münster  i.  W.,  Aschen- 
dorffi   1901.     147  S.    8^     M.  6. 

Pallas,  K.:  Geschichte  der  Stadt  Herzberg  im  Schwemitzer  Kreise.  Herz- 
berg {Elster),  Selbstverlag  des  Verfassers,  1901,  erste  imd  zweite 
Lieferung,  je  50  Pfennige.     96  S.    8^. 

Pirenne,  Henri:  Les  comtes  de  la  hanse  de  Saint-Omer.  [=  Buüetui 
de  Tacademie  royale  de  Belgique  nr.  6  (1899),  S.  525—528.] 

Raab,  C.  von:  Die  von  Kaufiungen,  eine  historisch-genealogische  Studie. 
[=r  70.  und  71.  Jahresbericht  des  Vogtländischen  Altertumsforschenden 
Vereins  zu  Hohenleuben,   1901,  S.  i  —  75.] 

Redlich^  Otto:  Register  zu  Band  I  bis  XXX  der  Zeitschrift  des  Bergisohen 
Geschichtsvereins.     Elberfeld,  B.  Öartmann,  1900.     576  S.    8^ 

Roch  oll,  Heinrich:  Anna  Alexandria,  Herrin  zu  Rappoltstein,  eine  ^evan- 
gelische EdeUrau  aus   der  Zeit  der  Reformation  im  Eisais.    [=  Schrift 


—     192     — 

für  das  deutsche  Volk,  herausgegeben  vom  Verein  für  Reformations- 
gcschichte  XXXVL]     Halle  a.  S.,  Max  Ifiemeyer,  1900.     48  S.    i6». 

Runge,  H.:  Geschichtliche  und  landeskundliche  Litteratur  Pommerns  1899 
und  1900,    [«— Pommersche  Jahrbücher  2.  Bd,  (1901).    S.   176-^185.] 

Schnell,  Otto:  Salzburg-Führer,  Geschichte  und  Beschreibung  der  alten 
Kaiserpfalz  Salzburg  a.  d.  fränk.  Saale.  3.  vermehrte  Aufl.  Stahel*sche 
Verlags- Anstalt  in  Würzburg,   1900.     108  S.    8^     M.  i. 


Berichtigungen 

Unter  den  Personalien  S.  30  imd  31  ist  fälschlich  S.  30,  Z.  4  v.  u. 
Arthur  Haseloff  als  Privatdozent  der  Geschichte  angeführt,  er  hat  sich 
vielmehr  für  Kunstgeschichte  habilitiert.  S.  31,  Z.  13  v.  u.  ist  statt  Rudolf 
Seh  ei  dt  zu  lesen  Rudolf  Schmidt,  und  der  Name  des  Assistenten  am 
Germanischen  Museum  ist  Fritz  Traugott  Schulz;  der  Zuname  war  irrtümlich 
ganz  weggeblieben. 

In  dem  Nekrolog  für  Edmund  Jörg  S.  95  ist  angegeben,  er  habe 
1900  eme  Neubearbeitung  seines  1851  erschienenen  Buches  über  den 
Bauernkrieg  1522  bis  1526  veröffentlicht  E>ie  auch  anderweitig  zu  findende 
Angabe  ist  falsch,  eine  Neubearbeitung  ist  nicht  erfolgt  Zurückzuführen  ist 
sie  auf  einen  sehr  ausführlichen  und  offenbar  von  sonst  gut  unterrichteter  Seite 
verfafsten  Nekrolog  in  der  Äugsburger  Pöstxeüung  Nr.  264  vom  20.  Nov. 
X901.  Die  Redaktion. 


In  meinem  im  Februarheft  veröffentlichten  Aufisatze  2kir  Geschichte  der 
landesgeschichtlichen  Forschung  in  Lothringen  entspricht  die  DarsteUung  der 
Entstehung  der  Kommission  S.  126  nicht  ganz  dem  thatsächlichen  Hergang 
in  seinen  Einzelzügen.  Der  Irrtum  entsprang  der  Nichtbeachtung  einer  im 
Jahrbuch  IV  i' unter  den  Sitzungsberichten  verüiffentlichten  Notiz.  Demnach 
wies  Archivdirektor  Wolfram  schon  im  Sept  1892  in  einem  Vortrage  über 
die  Gesta  episcoporum  Metensium  darauf  hin,  dafs  es  Aufgabe  der  Gesellschaft 
sein  werde,  die  lokalgeschichtlichen  Quellen  herauszugeben.  Der  Plan  wurde 
im  Vorstande  erwogen  und  fand  durch  den  damaligen  Vorsitzenden  Freiherm 
V.  Hammerstein  eifrige  Fördemng.  Ein  offizieller  Antrag  auf  Bewilligung 
von  Mitteln  wurde  im  Okt.  1895  an  das  Ministerium  gestellt.  In  demselben 
Winter  erfolgte  dann  von  Strafsburg  aus  (vgl.  Jarhrbuch  VII«,  S.  212)  der 
Antrag,  eine  Kommission  zur  Herausgabe  elsafs -lothringischer  Geschichts- 
quellen zu  begründen.  Die  Gesellschaft  für  lothrmgische  Geschichte  trat  diesem 
Plane  bei.  Als  aber  die  Mittel  fUr  diese  Kommission  abgelehnt  waren,  nahm 
die  Gesellschaft  ihren  alten  Plan  wieder  auf  und  erhielt  auch  vom  Ministerium 
undLandesausschufs  die  nötigen  Mittel  zur  Herausgabe  lothringischer  Geschichts- 
quellen, worauf  eine  Kommission  aus  der  Gesellschaft  heraus  berufen  wurde. 

Metz.  Müsebeck. 

H«mug«b«r  Dr.  Amin  TiU«  ia  Leipslff.  ~  Druck  und  V«rlag  von  Friedrich  Aadrvat  PcrtbM  in  GoAa 


Deutsche  Ceschichtsblätter 

Monatsschrift 


Bur 


Förderung  der  landesgescMchtlichen  Forschung 

III.  Band  Mai  1902  8.  Heft 


Ortsgesehiehte 

Von 
Peter  P.  Albert  (Freiburg  i.  Br.) 

Die  Fortschritte  und  Errungenschaften  der  seit  nahezu  einem  Jahr- 
hundert in  stetig  aufsteigender  Linie  begriffenen  Entwickelung  der 
historischen  Methode  sind  nicht  zuletzt  auch  der  Lokalgeschicht- 
schreibung zu  gute  gekommen ;  namentlich  hat  die  heute  herrschende 
wirtschaftliche  Betrachtungsweise  befruchtend  auf  sie  eingewirkt  und 
sie  in  den  letzten  Jahren  zu  einer  gewissen  Blüte  gebracht.  Der  Gang 
dieses  an  Arbeit  wie  an  Irrwegen  so  reichen,  an  Erfolgen  aber  bis  zu- 
letzt so  armen,  weil  fast  ausschliefslich  von  Dilettanten  gepflegten 
litterarischen  Betriebes  sowie  die  Verkettung  der  verschiedenen,  dabei 
in  Betracht  kommenden  Ursachen  bilden  ein  lehrreiches  Stück  in  der 
Geschichte  der  neueren  deutschen  Historiographie  und  einen  warnen- 
den und  weisenden  Führer  zugleich  für  alle,  welche  dieser  mühevollen, 
wenig  geachteten  und  wenig  lohnenden  Liebhaberei  sich  hmgeben 
wollen. 

Man  hat  schon  im  XVIII.  Jahrh.  Ortschroniken  geschrieben  und 
versucht,  nicht  blo(s  Heimatskunde  und  Vaterlandsliebe  damit  zu  ver- 
breiten, sondern  auch  die  allgemeine  Geschichte  damit  zu  beleuchten. 
Es  geschah  aber  meist  in  einer  ganz  unzureichenden,  oft  so  kindischen 
Weise,  dafs  der  beiisende  Spott  wohlverdient  war,  den  G.  W.  Rabe- 
ner  in  seiner  Satire:  Ein  Auszug  aus  der  Chronike  des  Dörßeins 
Querlequttsch ,  an  der  Elbe  gelegen  (1742)  über  diese  Gattung 
der  Geschichtschreibung  ausgofe  ^).  Auch  die  Richtung,  welche  die 
deutsche  Geschichtswissenschaft  mit  dem  Beginne  des  XIX.  Jahrh.  nahm, 
war  der  lokalen  Geschichtschreibung  weder  an  sich  noch  ihren  Be- 
ziehungen zur  allgemeinen  besonders  förderlich.    Von  der  ganzen  viel- 


i)  G.  W.  Rabener,   Satiren,     i.  Teil     Reutlingen    1788.     S.    171— 191 ;   roerst 
1742  in  J.  Schwabei  Belustigungen  des   Verstandes  und  Witzes  veröffentlicht 

14 


—     194     — 

gestaltigen,  seit  der  Begründung  der  „Gesellschaft  für  ältere  deutsche 
Geschichtskunde**  (1819)  erfolgten  Entwickelung  der  vaterländischen 
Geschichtschreibung,  wie  sie  durch  sorgsame  Durchforschung  der 
handschriftlichen  Bestände  von  Archiven  und  Bibliotheken,  durch  die 
immer  allgemeinere  Anwendung  kritischer  Grundsätze,  durch  die  Er- 
gänzung der  politischen  Geschichte  mittels  kulturhistorischer  Unter- 
suchungen im  weitesten  Sinne,  durch  das  Streben  endlich  nach  einer, 
des  Gegenstands  würdigen,  künstlerisch  abgerundeten  Darstellung  sich 
offenbarte,  von  dieser  ganzen  vielgestaltigen  Entwickelung  blieb  das 
in  Deutschland  mit  so  viel  Eifer  angebaute  Feld  der  Orts-  und  Landes- 
geschichte noch  lange  Zeit  hindurch  so  gut  wie  unberührt.  Es  waltete 
hier  ein,  sicherlich  zumeist  sehr  gut  gemeinter  Dilettantismus  un- 
entwegt fort,  der  als  einzige  Vorbedingung  geschichtschreiberischer 
Thätigkeit  die  Liebe  zur  Sache  ansah  und  darüber  Quellenforschung 
wie  Kritik  vernachlässigen  zu  dürfen  meinte.  Den  Erzeugnissen  solcher 
übelberatenen  Liebhaberei  gewährte  zudem  eine  grofse  Anzahl  von 
Vereinszeitschriften  nachsichtige  Aufnahme  und  Verbreitung,  und  so 
konnte  es  nicht  ausbleiben,  dafs  man  in  den  Kreisen  der  „zünftigen** 
Forscher  von  dem  „Lokalhistoriker**  mit groCser  Geringschätzung  sprach 
und  vielfach  jetzt  noch  spricht. 

Wie  ungemein  oft  findet  man  auch  in  der  That  nicht  blois  in 
älteren,  sondern  selbst  in  neueren  und  neuesten  Ortsgeschichten  eine 
erschreckende  Unbeholfenheit  und  Unkenntnis ,  wie  äufserst  selten  nur 
eine  oberflächliche  Vertrautheit  mit  den  Grundregeln  der  historischen 
Methode  ^) !  Den  Zusammenhang  mit  der  allgemeinen  Geschichte  glaubte 
man  vollkommen  dadurch  zu  wahren,  dafs  man  die  Beziehungen  der 
lokalen  Vorgänge  zu  denen  der  grofsen  Politik  nachzuweisen  und  die 
Geschichte  des  kleinsten  Ortes  dadurch  interessant  und  lehrreich  zu 
machen  suchte,  dafs  man  mit  aller  Gewalt  alles  das  genau  verfolgte 
und  zusammenstellte,  was  von  den  Ereignissen  der  grolsen  Welt 
auf  dem  engen  Schauplatze  sich  abgespielt  und  welchen  AnteU  hin- 
wieder der  Ort  und  seine  Umgebung  an  den  allgemeinpolitischen  Be- 
gebenheiten genommen  hat,  welche  bedeutende  Persönlichkeiten  und 
in  welcher  Rolle  sie  hier  aufgetreten  sind  und  dergleichen  kleine  und 
kleinste  Einzelheiten  mehr.  Auf  diese  Weise  lernte  man  in  jeder  Orts- 
geschichte fast  die  ganze  Weltgeschichte  kennen,  was  nicht  blols  auf 

i)  Vgl.  z.  B.  im  Vorwort  zu  der  soeben  erschienenen  Geschichte  der  Stadt  Ettlingen 
das  ergötzliche  Bedauern  des  Verfassers,  des  Lehrers  Benedikt  Schwarz,  dsSs  ihm 
bei  Inangriffnahme  seines  Werkes  nicht  ein  wertvoUes  Archiv  zn  Gebote  stehe,  „woraua 
eine  Geschichte  leicht  zasammengestellt  werden  kann"! 


—     195     — 

den  Gebildeten,  sondern  auch  auf  den  ungebildeten  Landbewohner  ab- 
stoßend wirken  mufste.  Hatte  ein  Verfasser  in  einem  Anflug  höheren 
Strebens  vielleicht  noch  abenteuerliche  Streifzüge  auf  das  Gebiet  der 
Rechts-  und  Verfassungsgeschichte  gewagt  und  am  Ende  noch  litterar- 
und  kunsthistorischen  Merkwürdigkeiten  des  Ortes  und  dessen  entfernter 
und  entferntester  Nachbarschaft  nachgespürt  und  sie  ins  Unglaubliche 
aufgebauscht,  so  war  sein  Autorenruhm  in  seinen  und  seiner  Zeit- 
genossen Augen  glänzend  befestigt! 

Es    ist    lehrreich    zu    verfolgen,    wie    trotz  zahlloser  Fehler  und 
Mängel  die  Keime  einer  wahren  historischen  Auffassung  und  Betrach- 
tung  von  jeher  in   den  Lokalgeschichten  verborgen  lagen,    aber  bei 
der    kleinkrämerischen    und    zusammenhangslosen    dilettantischen    Be- 
handlungsweise    nicht   zum    Ausdruck    und    zur    Entfaltung    gedeihen 
konnten.     Der  von    der  romantischen  Dichter-   und   der  historischen 
Rechtsschule  seit  dem  Anfang  des  XIX.  Jahrh.  ausgeübte  weckende  Ein- 
flufs  war  dem  halben  Auge  der  Ortsgeschichtsdilettanten  unbemerkt  ge- 
blieben, erst  die  neueste  Zeit  mit  ihrer  Erfindungsgabe  und  ihrem  Aus- 
bildungstalent, womit  sie  die  einzelnen  Wissenschafts-Disziplinen  in  stau- 
nenswerter Weise  ausgestaltet,  hat  auch  von  der  Lokalgeschichtschreibung 
denUnsegen  der  Rückständigkeit  hinweggenommen.  Die  Erkenntnis,  dafs 
die  gemeindeutsche  Geschichtswissenschaft  auch  auf  die  gesicherten  Er- 
gebnisse der  orts-  und  landesgeschichtlichen  Untersuchungen  angewiesen 
sei,  wenn  anders  sie  der  hohen  Aufgabe  einer  allseitigen  und  erschöpfen- 
den Darstellung  der  vaterländischen  Vergangenheit  jemals  gerecht  wer- 
den wolle,  gewann  immer  mehr  Raum  in  den  Kreisen  der  fachmänni- 
schen Gelehrsamkeit,  der  es  nun  als  Pflicht  erschien,  hier  helfend  und 
bessernd   einzugreifen.     Diesem   Bestreben    hatten    einerseits    die    zur 
Pflege  der  Lokal-  und  Territorialgeschichte  bestehenden  Vereine  ihre 
Neubelebung  und  Neugestaltung  zu  verdanken,   andrerseits  entstanden 
in  zahlreichen  Staaten  neue  Vereinigungen,  die,  nach  Art  der  Gelehrten- 
akademieen  eingerichtet,  die  Errungenschaften  der  historischen  Methode 
auf  die   Orts-  und   Landesgeschichte   anzuwenden   ausgingen.     Neben 
der  Hauptaufgabe,  die  besonderen  Quellen  der  Lokal-  imd  Territorial- 
geschichte, nach  bestimmten   sachlichen  Gesichtspunkten   zusammen- 
gefaßt,  in    möglichster  Vollständigkeit  der  Forschung  zugänglich   zu 
machen,    nahmen   sie   auch  Einzeldarstellungen   gemeinverständlichen 
Inhalts,  wie  sie  z.  B.  die  „Neujahrsblätter**  *)  bieten,  in  ihr  Programm  auf. 
Die  Thätigkeit  dieser  mit  dem  modernen  Forschungsapparat  ausgerüste- 


i)  Vergl.  n.  Bd.,  S.  214,  Anm.  i. 

14 


—     196     — 

ten  und  mit  reichen  Mitteln  arbeitenden  Gesellschaften  und  Kommissionen 
übte  alsbald  auch  auf  dem  Gebiete  der  Lokalhistorie  die  beste  Wirkung. 

Auf  diesem  selbst  hatte  es  schon  früher  an  eigenen  Versuchen 
zur  Vervollkommnung  nicht  gefehlt,  wenn  auch  der  Erfolg  nicht  durch- 
schlagend und  nachhaltig  genug  war.  Hier  war  es,  wo  sich  der  um 
die  Erforschung  imd  Darstellung  der  badischen  Landesgeschichte  viel- 
fach verdiente  Archivrat  Joseph  Bader  m  Karlsruhe,  obzwar  nicht 
Fachmann  im  strengen  Sinne  des  Wortes,  die  grö&ten  Verdienste  er- 
warb. Mit  seiner  1839  begonnenen  Badenia  oder  „Das  badische  Land 
und  Volk,  eine  Zeitschrift  für  vaterländische  Geschichte  und  Landes- 
kunde mit  Karten,  Lithographieen  imd  kolorierten  Abbildungen  von 
Landestrachten"  \  die,  durch  die  48er  Wirren  unterbrochen,  seit  1853 
in  seinen  Fahrten  und  Wanderungen  im  Hetmatlande  *)  eine  Art 
Fortsetzung  erfuhr  und  1859  als  Badenia  ^^  erneuert  wurde,  hat  er 
aufserordentlich  anregend  auf  die  Lokalgeschichtschreibimg  gewirkt. 
Von  warmer,  sein  ganzes  Leben  hindurch  bis  zu  seiner  letzten  Stunde 
treu  gehegter  und  gepflegter  Liebe  zur  heimatlichen  Orts-  und  Landes- 
geschichte erfüllt,  erkannte  er  mit  seltener  Schärfe,  wie  not  es  thue,  dafs 
die  so  frühzeitig  in  Baden  gemachten  Quellenpublikationen  „unter  Be- 
nutzimg anderweiter  Urkunden  und  Akten  wie  örtlicher  Forschungen 
imd  Erhebungen  in  einer  Reihe  von  topographischen  und  kulturhistori- 
schen Arbeiten  zu  gangbarer  Landmünze  zu  verprägen**  sei*),  wenn 
nicht  der  fortwährend  zu  Tage  geförderte  reiche  Quellenstoff  für  die 
weitaus  überwiegende  Mehrzahl  der  Landeskinder  ein  totes  Kapital 
bleiben  sollte.  Im  ersten  Bande  seiner  neuen  „Badenia*'  ^)  hatte  er 
Grundsätze  über  die  Abfasstmg  vaterländischer  Topographieen  auf- 
gestellt imd  eine  Anleitimg  dazu  gegeben,  die,  von  gesunder  Auf- 
fassung getragen,  wahrhaft  läuternd  und  befreiend  zu  wirken  geeignet 
war.  Er  rügt  die  bisherige  Gepflogenheit,  „da(s  die  Bearbeiter  von 
Amts-  und  Ortsbeschreibungen  gar  zu  viel  Fremdartiges  herbeiziehen 
und  das  Einheimische  darüber  vernachlässigen.  Sie  beginnen  ihre  ge- 
schichtlichen AbteUungen  gewöhnlich  mit  Julius  Cäsar,  tragen  aus 
verschiedenen   Werken    allgemein    Geschichtliches ,    Naturhistorisches, 


i)  3  Bände.  Karlsruhe  und  Freibai^g  i.  Br.  1839— 1844.  —  Aach  nnter  dem  Titel: 
„Das  malerische  and  romantische  Baden"  ab  Sapplement  sn  dem  „Malerischen  and 
romantischen  Deutschland  in  10  Sektionen"  aasgegeben. 

2)  2  Bände.     Freibarg  i.  Br.  1853— 1856. 

3)  2  Bände.     Heidelberg  1859— 1862. 

4)  Nene  Badenia  3,  Vorw.  S.  V. 

5)  S.  298—311. 


—     197     — 

Landwirtschaftliches  und  dergleichen  zusammen  und  wenden  es  mit 
freigebiger  Phantasie  auf  ihre  Gegend  oder  ihren  Wohnort  an.  Dieses 
Verfahren  führt  alsdann  zu  Darstellungen,  die  viele  Mühe  machen, 
aber  wenig  Wert  haben".  Er  rät  deshalb,  mit  der  Sammlung  der 
Einzelheiten  zu  beginnen,  die  Erhebtmgen  und  Nachforschungen  über 
Vergangenheit  und  Gegenwart  an  Ort  und  Stelle  der  Benutzung  von 
Druckwerken,  Urkunden  und  Akten  vorangehen  zu  lassen  und  mittels 
umsichtiger  Vergleichung  das  sicherste  Licht  zum  Verständnis  des 
Materials,  den  rechten  Weg  für  Forschung  und  Darstellimg  zu  suchen. 
Als  Hauptleitpunkte  nennt  seine  Anleitung:  Entstehung  und  Namen 
des  Ortes,  politische  und  militärische  Herrschaftsverhältnisse,  politische 
und  bürgerliche  Rechte,  Kirchenwesen,  Gerichtswesen,  Besitzverhält- 
nisse, Landwirtschaft  und  Gewerbe,  Gemeindewesen,  Sitten-  und  Geistes- 
leben. Seine  Erläuterungen  zu  diesen  „Rubriken"  lassen  in  Umrissen 
und  vielfach  unbewuist  so  ziemlich  das  erkennen,  was  auch  wir  heute, 
aber  klar  und  unerläfslich,  als  Forderungen  stellen.  Zur  befriedigen- 
den Lösung  der  Aufgabe  ist  Bader  selbst  so  wenig  wie  irgend  einer 
seiner  Zeitgenossen  durchgedrungen.  Es  war  auch  erfolglos,  dafs  er 
sich  mit  anderen  Freunden  der  Heimatsgeschichte  im  Jahre  1863  zu 
einem  Verein  für  badische  Ortsbeschreibung  zusammenthat, 
der  sich  „quellenmäfeige  Erhebungen  und  wissenschaftliche  Forschungen" 
in  Bezug  auf  Ortsgeschichte  zum  Ziel  setzte  und  Baders  neue  Badenia 
als  Zeitschrift  des  Vereines  für  badische  Ortsbeschreibung  zum  Or- 
gan seiner  Veröffentlichungen  machte.  Es  erschien  ein  erster  und 
einziger  Band  *) ,  womit  das  ganze  Unternehmen  im  Sande  verlaufen 
war.  Indessen  war  aber  doch  in  Baden  eine  Reihe  von  Ortsgeschichten 
erschienen,  die  sich  sehen  lassen  konnten  und  auch  heute  noch  trotz 
des  entscheidenden  Fortschritts  ihren  Platz  behaupten.  Es  seien  nur 
M ü h  1  i n g s  Denkwürdigkeiten  von  Hantschuhsheim  *),  Herbsts 
Chronik  von  Britzingen  *)  und  Geschichte  von  Mundingen  *),  Rom- 
b  a  c  h  s  Geschichte  und  Beschreibung  von  Lenzkirch  *) ,  Schaff- 
ners Beiträge  zur  Geschichte  Riegels  ®),  Schönhuths  Krautheim  ^) 

i)  Heidelberg  1864. 

2)  E.  J.  J.  Mühliog,  Historische  and  topographische  Denkwürdigkeiten  von  Hant- 
schnhsheim.     Mannheim  1840. 

3)  Chr.  Ph.  Herbst,  Chronik  von  Britzingen.     Freiburg  i.  Br.   1841. 

4)  Geschichte  des  Dorfes  Mnndingen  im  Breisgau.     Karlsruhe  1856. 

5)  J.  Rombacb,  Geschichte  und  Beschreibung  von  Lenzkirch.    Freiburg  i.  Br.  1843. 

6)  G.  Schaffner,  Beiträge  zur  Geschichte  des  Marktfleckens  Riegel  am  Kaiserstahl. 
Freiburg  i.  Br.   1843. 

7)  O.  F.  H.  Schönhath,  Krautheim  samt  Umgebungen.     Mergentheira   1846. 


—     198     — 

und  Boxberg^),  Wirts  Hasmerskeim  ^)  genannt,  auf  die  man  immer 
noch  mit  Nutzen  zurückgreifen  kann.  Sie  alle  hatten  schon  mehr  oder 
weniger  entschieden  den  rechten  Weg  betreten,  der,  freier  von  der 
übertriebenen  Bevorzugung  der  politischen  und  militärischen  Ge- 
schichte, vor  allem  die  örtliche  Bodenständigkeit  mit  ihrem  ureigenen 
Inhalte  darzulegen  und  zu  beleuchten  bemüht  war.  Aber  die  weite  Kluft 
zwischen  der  allgemeinen  und  speziellen  Forschimg  wurde  damit  nicht 
überbrückt,  konnte  selbst  durch  die  Niebuhr-Rankesche  Methode  nicht 
überbrückt  werden.  Erst  die  letzten  drei  Jahrzehnte  haben  hierin 
Wandel  geschaffen:  Rechts-  und  Wirtschafts-,  Verfassungs-  und  Ver- 
waltungsgeschichte wurden  nicht  blofe  mit  erneutem  Eifer,  sondern 
vor  allem  mit  ganz  neuem  Erfolge  gepflegt  und  übten  wie  auf  die 
verwandten  Disziplinen,  so  besonders  auch  auf  die  Geschichtswissen- 
schaft einen  ungeahnten  EinfluCs  aus.  Und  in  dem  Mafse,  als  diese 
Studien  der  inneren  Entwickelung  sich  zuwandten,  wuchs  die  Elrkennt- 
nis,  dafs  mit  dem  Klassifizieren  und  Schematisieren  der  Wissenschaft 
nicht  gedient,  dafs  vielmehr  nur  das  Eindringen  in  die  Eigenart 
des  Einzelnen  auch  für  den  Forscher  im  Grofsen  fruchtbringend  sei. 
Waren  schon  diese  Wahrnehmungen  geeignet,  die  Beziehungen  zwischen 
der  Territorial-  und  Lokalhistorie  und  der  allgemeinen  Geschichte  her- 
zustellen und  die  Forscher  in  dieser  immer  wieder  auf  jene  hinzuweisen 
und  hinzuführen,  so  wurde  die  letzte  Scheidewand  hinweggeräumt  durch 
die  verschiedenen  im  Laufe  der  letzten  25  Jahre  aufgeblühten  Zweige 
vor  allem  der  völlig  verändert  betriebenen  Kulturgeschichte,  der  archäo- 
logischen Ethnographie  und  Anthropogeographie  und  der  vielverzweigten 
Volkskunde.  Sie  vorzugsweise  haben  die  Lokalforschung 
neu  belebt,  vertieft  und  ihr  eine,  zuvor  nie  zukommende 
Bedeutung  und  wissenschaftliches  Ansehen  verliehen. 
Auch  in  den  Kreisen  der  zünftigen  Historiker  zuckt  man  nicht  mehr  wie 
früher  die  Achseln  über  die  Beschäftigung  mit  der  Lokalgeschichte,  son- 
dern weifs  ihren  Wert  •  für  die  Beleuchtung  und  Veranschaulichung  der 
Allgemeingeschichte  wie  um  ihrer  selbst  willen  wohl  zu  schätzen.  Und 
schon  fängt  man  an,  ebenso  wie  für  den  Unterricht  in  der  Erdkunde  auch 
für  den  in  der  Geschichte  die  Anknüpfiing  an  heimatskundliche  Anschau- 
ungen zur  Belebung  und  Befestigung  des  allgemeinen  Geschichtsunterrichts, 
als  ein  vortreffliches  Mittel  zur  Klärung  geschichtlichen  Sinnes  zu  verwen- 


i)  Boxberg  und  der  Schöpfergrand  bei  Königshofen.     Mergentheim   1856. 
2)  H.    Wirth,    Geschichte    des    Marktfleckens    Hasmersheim    am    Neckar.     Heidel- 
berg 1862. 


—     199     — 

den.  Als  Heimat  ist  der  Schulort  mit  seiner  Umgebung  anzusehen,  aus 
dessen  Geschichte  typische  Züge  und  Ereignisse  ausgewählt  werden  *). 
Die  Lokalforschung  selbst  begann  die  Schätze  der  Archive  und 
Bibliotheken  und  die  ihnen  alljährlich  in  grofeer  Zahl  entnommenen 
Quellenwerke  ganz  anders  zu  würdigen  als  bisher,  versuchte  sie  an  der 
Hand  der  neuen  methodischen  Technik  durch  die  lokalen  Erhebungen 
und  Forschungen  in  neues  Licht  zu  setzen  und  sich  selbst  damit 
wahren  wissenschaftlichen  Charakter  zu  geben.  Nach  dem  Beispiel  der 
ein  Jahrzehnt  etwa  nach  der  Gründung  des  Reiches  durch  die  Gesell- 
schaften und  Kommissionen  für  Landesgeschichte  begonnenen  Ord- 
nung und  Verzeichnung  der  über  das  ganze  Land  zerstreuten  Gemeinde-, 
Pfarr-  und  Familienarchive  wurden  systematische  Sammlungen  sprach- 
licher, kunst-  und  volksgeschichtlicher  Überlieferungen  aller  Art  an- 
gelegt und  damit  der  Klein-  und  Einzelforschung  ein  ungeahntes  neues 
Arbeitsfeld  eröffnet.  Dabei  zeigte  sich  immer  deutlicher,  wie  enge 
die  Interessengemeinschaft  der  allgemeinen  Geschichtswissenschaft  und 
der  Spezialforschung  sich  berühren,  wie  keine  der  anderen  zu  entraten 
vermag,  wenn  sie  erschöpfend,  unparteiisch  und  lebenswahr  sein  will. 
Der  alten,  fast  aussschliefslich  auf  die  politische  Geschichte  gerichteten 
Auffassung  trat,  durch  die  Lebensverhältnisse  der  Gegenwart  hervor- 
gerufen, ein  lebhafter  Sinn  für  soziale  und  wirtschaftliche  Fragen  und 
Zustände  zur  Seite,  dem  wieder  durch  die  grofeen  Errungenschaften 
auf  dem  prähistorischen  und  volkskundlichen  Gebiete  Verstärkung  und 
Bereicherung  erwuchs.  Dadurch  gewann  die  Verbindung  der  Orts- 
geschichte mit  der  allgemeinen  ungemein  an  Unmittelbarkeit  und 
Innigkeit,  an  Umfang  und  Bedeutung.  In  diesem  Zusammenhange 
sagt  Bemheim  *)  sehr  zutreffend:  „Der  rasche  Schritt  der  Politik  geht 
ungleichmäCsig  durch  die  Lande,  der  ruhige  Gang  der  Kultur  berührt 
gleichmäfsig  Volk  und  Land;  denkwürdige  Begebenheiten  sind  nicht 
überall  passiert,  aber  wissenswerte  Zustände  hat  es  stets  überall  ge- 
geben." Man  kann  die  politische  und  Kriegsgeschichte  eines  Landes 
erforschen  und  darstellen,  ohne  tiefer  in  dessen  innere  Zustände  ein- 
dringen  zu  müssen;    für  die  Darstellung  der  Wirtschafts-  und  Kultur- 


i)  Vgl.  J.  Lttbbert,  Die  Verwertung  der  Heimat  im  Geschichtsnnterricht  Halle 
a.  S.  1900. 

2)  £.  Bernheim,  der  in  seinem  „Lehrbach  der  historischen  Methode'^  aach  das 
fdr  den  Lokalhistoriker  anentbehrliche  Rüstzeug  liefert,  hat  sich  neaestens  in  einem  eigenen 
Aafsaize:  „Lokalgeschichte  and  Heimatskande  in  ihrer  Bedeatung  fUr  Wissenschaft  and 
Unterricht"  (Pommersche  Jahrbücher  I  [1900],  15 — 32)  über  die  heutigen  Aufgaben  und 
Ziele  der  Lokalforschung  verbreitet,  auf  die  wir  uns,  wie  hier,  des  öftem  beziehen. 


—     200     — 

geschichte  aber  sind  die  lokalen  Einzelheiten  unentbehrlich,  für  sie  kann 
nicht  genug  Material  gesammelt,  können  nicht  genug  Orte  und  Landesteile 
durchforscht  werden;  denn  sie  bestehen  hauptsächlich  in  der  zusammen- 
fassenden Kenntnis  und  Bearbeitung  solchen  Kleinmaterials  von  überall  her. 

Die  Grundzüge  für  den  wissenschaftlichen  Betrieb  der  Lokal- 
geschichte stehen  somit  heute  ziemlich  unverrückbar  fest  Sorgfaltig, 
fein-  und  scharfsinnig  sind  Tradition  und  urktmdlicher  und  chronikali- 
scher Stoff  über  alle  Ereignisse  und  Persönlichkeiten  zu  erforschen, 
die  zur  Kenntnis  der  Entwickeltmg  des  einzelnen  Ortes  an  sich  ebenso 
notwendig  wie  zur  Aufklärung  der  allgemeinen  Verhältnisse  des  engeren 
und  weiteren  Vaterlandes  dienlich  sind.  Hieran  reiht  sich  zunächst 
der  ganze  Kreis  der  rechtlichen  und  wirtschaftlichen  Einrichtungen, 
sodann  der  sozialen  Kulturentwickelung  und  endlich  die  lokale 
Zustandsgeschichte  im  weitesten  Umfang,  nach  allen  ihren  heute  ge- 
pfiegten  Beziehungen  von  dem  Besiedelungswesen  bis  zu  den  intimsten 
Äußerungen  des  Volkslebens  in  Sprache,  Sitten  tmd  Gebräuchen. 
Kirche  und  Schule  sind  in  demselben  Grade  zu  berücksichtigen  wie 
die  äufseren  Schicksale  des  Ortes  in  Krieg  tmd  Frieden;  Lage  und 
Beschaffenheit  der  Gegend  mit  ihrem  Einflüsse  auf  Gemüt,  Verstand 
tmd  Charakter  der  Bewohner  sind  nicht  zu  vergessen.  Es  kann  aber 
nicht  genügen,  tmter  Anfühnmg  vieler  Einzelheiten  ein  Bild  der  Wirt- 
schafts-, Rechts-  und  Verwaltungsgeschichte  sowie  weiterhin  der  ge- 
samten Kulturgeschichte  zu  versuchen,  wodurch  die  Einheit  der  Dar- 
stellung infolge  des  oft  sehr  losen  Nebeneinanders  selbstverständlich 
nicht  gewinnt;  der  Verfasser  mufs  dem  Ganzen  eine  gewisse  social- 
psychologische  Grundlage  zu  geben  verstehen,  um  die  Reichhaltigkeit 
seines  Stoffes  in  einer  gewissen  Geschlossenheit  vorzuführen.  Allzeit 
vom  allgemeinen  ausgehen  und  wieder  zu  ihm  zurückkehren,  das  ist 
das  einzig  richtige  Ziel  für  Auffassung  tmd  Darstellung,  und  strenge 
Wissenschaftlichkeit  des  Inhalts  ist  ebenso  anzustreben  wie  möglichste 
Popularität  der  Form.  In  diesem  Geiste  betrachtet  ist  die  Beschäftigung 
mit  der  Orts-  tmd  Landesgeschichte  eine  des  Geschichtsforschers  eben- 
so würdige  und  verdienstvolle  wie  pflichtschuldige  Aufgabe,  zumal  in 
unseren  Tagen  des  materiellen  Erwerbs  und  der  allgemeinen  Verflachtmg. 
Die  Weltgeschichte,  sagt  man,  sei  das  Weltgericht  In  demselben 
Sinne  ist  die  Geschichte  eines  jeden  Ländchens  und  Dorfes  ein  Spiegel, 
in  dem  sich  Ortsvorstand  und  Gemeinde,  in  dem  sich  Fürst  imd 
Volk,  das  ganze  Vaterland,  beschauen  können. 

Der  Lokalhistoriker  befindet  sich  heute  vor  einer  reich  zu  be- 
setzenden Tafel,   für  deren  Bereitung  ihm  von  allen  Seiten  der  Stoff 


—     201     — 

zufliefst,  so  dafs  er  Mühe  hat,  die  rechte  Auswahl  zu  treffen,  um  nicht 
mit  den  Kernen  die  tauben  und  fast  bitteren  Schalen  aufzutischen. 
Die  Erfordernisse  der  Darstellung  zumal,  die  doch  für  die  weitesten 
Kreise  des  Volkes  berechnet  ist,  sind  nicht  gering;  denn  jedes  Ge- 
schichtswerk soll  gleichmäfsig  gearbeitet  und  abgerundet,  in  gewissem 
Sinne  also  immer  auch  ein  Kunstwerk  sein:  nur  harmonisch  gebildet, 
wird  es  auch  harmonisch  und  bildend  wirken,  fesseln  und  überzeugen 
und  dem  letzten  Zwecke  jeder  Wissenschaft  dienen.  Zu  diesem  Ende 
darf  der  Forscher  nicht  das  ganze  Mafs  seiner  Studien  und  Vorarbeiten 
zum  besten  geben,  sondern  mufs  sich  auf  das  wirklich  Wissenswerte 
beschränken.  Wenn  irgendwo,  so  kommt  hier  das  Dichterwort  zur 
Geltung:  „In  der  Beschränkung  erst  zeigt  sich  der  Meister."  Es 
scheint  mir  aus  diesem  Grunde  auch  ganz  verfehlt,  den  Ortsgeschichten 
umfangreiche  Anhänge  mit  Urkundenabdrücken  u.  dergl.  zu  geben, 
statt  deren  wesentlichen  Inhalt,  sei  es  selbst  in  der  Sprache  der  Quellen, 
der  Darstellung  einzuflechten.  Es  mag  dies  bei  Ortsgeschichten  angehen, 
die  in  Zeitschriften  zur  Veröffentlichung  gelangen,  wie  Joh.  Essers 
Dorf  Kreuzau  ^),  das  übrigens  keine  Geschichte,  sondern  nur  Bei- 
träge zur  Geschichte  von  Kreuzau  bietet.  Auf  jeden  Fall  bilden 
solche  Beilagen  nutzlosen  Ballast  bei  Büchern  wie  J.  A.  Zehnters 
Messelhausen  ^\  der  seine  55  Seiten  Urkunden  nicht  einmal  mit  auf- 
gelösten Daten  und  Regesten  versehen  hat.  Weitschweifigkeit  und 
kritiklose  Oberflächlichkeit  sind  vor  allem  die  gefährlichen  Klippen, 
die  hier  drohen,  die  der  fachmännisch  geschulte  Forscher  leicht  zu 
vermeiden  versteht,  die  aber  den  Laien  trotz  aller  Liebe  zur  Geschichte 
in  der  Regel  um  alle  die  mühevoll  und  kostspielig  gesammelten 
Früchte  seiner  Thätigkeit  bringen.  Das  war  ja  von  jeher  ver- 
hängnisvoll für  die  Lokalhistorie,  dafs  sich  ihr  allzuviel  Unberufene 
gewidmet  haben,  die  nicht  das  erforderliche  Mafs  fachmännischer 
Schulung  und  Sachlichkeit  besitzen  und  wohl  zum  Nachweis  und 
zur  Sammlung  des  Materials  nützlich  und  notwendig  smd,  für  die 
Darstellung  aber  mehr  ein  Hemmnis  als  eine  Förderung  der  ge- 
schichtlichen Wahrheit  bedeuten.  Die  Zahl  derer,  die  sich  hierin 
die  gebotene  Entsagung  auferlegen,  ist  sehr  gering;  sie  sind  aber  die 
einzig  wahren  Geschichtsfreunde. 


i)  Annalen  des  historischen  Vereins   dir  den  Niederrhein.     62   (Köln    1896),    S.  55 
bis   157;  enthält  S.   iii — 157  Urkundenbeilagen. 

2)  Geschichte  des  Ortes  Messelhaasen.    Ein  Beitrag  zar  Staats-,  Rechts-,  Wif 
und  Sittengeschichte  von  Ostfranken.     Heidelberg  190 1.     XII  und  355  S.    G' 


—     202     — 

Diese  Wahrnehmung  macht  man  im  Übermafe ,  wenn  man  die  in 
den  letzten  25  Jahren  erschienenen  ortsgeschichtlichen  Arbeiten  über- 
blickt. Die  grofee  Mehrheit  der  Lokalhistoriker  hat  sich  nicht  die 
Fortschritte  und  Errungenschaften  der  Zeit  zu  eigen  gemacht,  sondern 
geht  unbekümmert  um  Schulung  und  Methode  ihren  unfruchtbaren 
Weg;  voll  trügerischen  Gefallens  an  denverkümmerten  Kindern  ihrer  Muse 
scheinen  die  wenigsten  von  Geschichtschreibung  etwas  gelernt  zu 
haben  noch  etwas  lernen  zu  wollen.  Es  wäreSache  besonders  der  histo- 
rischen Vereine,  in  diesem  Sinne  einen  klärenden  und  läuternden  Einflufs 
auf  ihre  Mitglieder  auszuüben,  aus  denen  sich  ein  grofser  Teil  der  Lokal- 
forscher rekrutiert  Einzelne  Vereine  scheinen  diese  Pflicht  auch  schon 
frühe  erkannt  zu  haben  wie  der  für  Geschichte  des  Bodensees  und  seiner 
Umgebung,  der  1869  im  ersten  Hefte  seiner  Schriften  *)  aus  der  Feder 
eines  auf  diesem  Gebiete  schon  vielfach  schriftstellerisch  thätigen  Mit- 
gliedes, des  Pfarrers  J.  B.  Hafen  zu  Gattnau,  einen  kleinen  Aufsatz  über 
Wert,  Schwierigkeit  und  Grundsätze  bei  Anlegung  von  Ortschroniken 
brachte.  Die  „Grundsätze**,  wohlgemeint  und  nicht  ungeschickt,  bleiben 
allerdings  ziemlich  weit  hinter  unseren  Erwartungen  zurück.  Im  Jahre 
1886  schrieb  der  schwäbische  Lehrer  Aug.  Holder  in  Erligheim  eine 
80  Seiten  starke  Broschüre  über  Die  Ortschrontken ,  ihre  kultur- 
geschichtliche  Bedeutung  und  pädagogische  Verwertung  *),  die,  be- 
sonders in  letzterer  Hinsicht,  viel  Treffendes  und  Beherzigenswertes, 
aber  auch  manches  Unrichtige,  Unreife  und  Abgeschmackte  enthält 
und  vor  allem  des  entscheidenden  Verständnisses  für  Hauptsache  und 
Nebendinge  ermangelt.  Er  bezeichnet  die  Ortsgeschichte  „in  for- 
meller Hinsicht  als  eine  individuelle  Gestaltung,  eine  lokale  Aus- 
prägung der  Landes-  oder  Volksgeschichte,  gewissermafsen  als  eine 
Widerspiegelung  der  ,  Geschichte  im  grofsen  Stü*,  insofern  sie  sich 
nicht  unabhängig  von  letzterer  entwickelt,  nicht  ihre  eigenen  Wege 
geht,  sondern  nur  die  Fortschritte  derselben  nach  Bedürfnis,  Einsicht 
und  Möglichkeit  sich  zu  nutze  macht.  So  erscheint  sie  uns  als  eine 
durch  die  örtlichen  Verhältnisse  bedingte  Oflfenbarungsform  des  in 
der  allgemeinen  Geschichte  ewig  waltenden  Geistes,  gewissermafeen 
(äufserlich)  als  die  bekannte  Physiognomie  des  geschichtlich  richtig 
Erkannten  und  praktisch  wohl  Bewährten,  resp.  unrichtig  (überlebt 
oder  verbesserungsbedürftig)  Befundenen.**    Er  giebt  eine  „Geschichte 


i)  Lindaa  1869.    S.  119 — 122. 

2)  Stuttgart  1886.  —  Ein  älteres  Buch  von  Karl  Preusker,  dem  Erforscher  der 
sächsischen  Vorzeit,  Stadt-  und  Dorf 'Jahrbücher  (Ortschrontken)  (Leipzig  1846),  ist  mir 
trotz  meiner  Bemühungen  unzugänglich  geblieben. 


—     203     — 

der  deutschen  Ortsgeschichtsschreibung",  wie  letztere  vonMeister 
und  Gesellen  der  ehrsamen  Zunft  der  Gelegenheitshisto- 
riker betrieben  wurde,  in  vier  Perioden",  in  denen  Deutschlands 
hauptsächlichste  Geschichtsquellen  von  Thietmar  von  Merseburg  bis 
auf  Berthold  Auerbach  (!)  als  „ortsgeschichtliche  Bilder  der  ur- 
sprünglichsten Art"  abgewandelt  werden.  Er  unterscheidet  demgemäfs 
„vier  Entwicklungsstufen  der  Ortschronikographie,  wie 
aus  folgender  Zusammenstellung  hervoi^ehen   dürfte:    i)   Im  XI.   und 

XII.  Jahrh.  verfafsten  gelehrte  Mönche  in  lateinischer  Sprache  die 
Geschichte  einzelner  bevorzugten  Städte  —  als  Selbstzweck.     2)  Vom 

XIII.  bis  etwa  zur  Mitte  des  XVI.  Jahrh.  treten  uns  die  reichs-  und 
hauptstädtischen  Chroniken  als  Chroniken-Urkunden  der  Entwickelung 
des  politischen ,  kulturgeschichtlichen ,  religiösen ,  öffentlichen  und 
wirtschaftlichen  Lebens  der  betreffenden  Städte  entgegen,  in  welchen 
die  Ratsherren  auf  alle  Fälle  eine  sichere  Handhabe  hatten,  ohne  sich 
viel  plagen  oder  gar  ein  ,Weistum*  einholen  zu  müssen.  3)  Als 
jedermann  (!)  schreiben  konnte  und  jedermann  lesen  wollte,  bot  man 
der  Gemeinde  in  der  Ortschronik  ein  Buch  zur  Unterhaltung  als  eine 
, kleine  (aber  berechnende)  Aufmerksamkeit*,  was  das  Selbstgefühl 
des  gemeinen  Mannes  natürlich  bedeutend  stärkte.  4)  Gegenwärtig 
sieht  der  Gebildete,  namentlich  der  Freund  der  Geschichte,  im  ehr- 
lichen und  unbefangenen  Ortsgeschichtschreiber  den  Vorarbeiter  des 
wissenschaftlichen  Historikers.**  Auf  diese  Weise  bringt  es  Holder 
fertig,  die  Ortsgeschichte  nahezu  zum  Mittelpunkt  der  Weltgeschichte 
zu  machen!  In  besonderen  Abschnitten  behandelt  er  dann  ,,Die 
Ortschronik  in  der  Familie  als  Erziehungsfaktor**  und  „Die  Orts- 
chronik in  der  Schule  als  Unterrichtsgegenstand**,  mengt  auch  hier 
Richtiges  und  Schiefes  durcheinander  und  bietet  alles  eher  als  eine 
Methodik  der  Ortsgeschichte,  die  am  meisten  Not  thäte.  In  treffender 
Selbsterkenntnis  sagt  er  einmal:  ,,Zwar  ist  es  nicht  jedermanns 
Sache  (auch  meinige  so  recht  nicht),  auf  diesem  Gebiete  mit  wirk- 
lichem Erfolge  thätig  zu  sein.** 

Besser  und  praktischer  ist  eine  im  Mai  1900  im  Landy 
dem  „Organ  des  Ausschusses  für  Wohlfahrtspflege  auf  dem 
Lande**  *),  von  Pfarrer  G.  Matthis  zu  Eyweiler  im  Elsafe  erschienene 
Anleitung  zur  Beschäftigung  mit  Ortskunde  und  zur  Abfassung 
von    Ortsgeschichten,    die    den   wissenschaftlicherseits   gestellten    An- 

i)  Herausgegeben  von  H.  Sohnrcy.     8.  Jahrgang.     Berlin   1900.     Nr.  15,   16  nn«* 
17;  vgl    auch   1894  Nr.  5  und   1895  Nr.  23. 


—     204     — 

fordeningen  in  der  Hauptsache  gerecht  wird.  Indessen  verfolgt  das 
„Land"  nicht  ganz  den  gleichen  Zweck  wie  wir.  Ihm  ist  wohl 
„die  Ortsgeschichte  auch  ein  wichtiges  Stück  der  alfgemeinen  Landes- 
geschichte, die  durch  sie  Farbenfrische  und  Anschaulichkeit  empfängt 
oder  doch  empfangen  sollte**;  aber  in  diesem  Sinne  ist  sie  für  ihn 
nur  Nebenzweck,  er  betrachtet  sie  „in  erster  Linie  als  ein  Mittel 
zur  Heimatpflege**;  sie  ist  ihm  darum  „die  pragmatische  Darstellung 
aller  Vorgänge,  die  zur  äufseren  und  inneren  Ausgestaltung  der  heimat- 
lichen Gemeinde  beigetragen  haben**.  Bei  der  Sammlung,  Sich- 
tung und  Verwertung  des  Stoffes  können  wir  wohl  mit  dem  „Land** 
zusammengehen,  wie  die  von  ihm  geltend  gemachten  Gesichtspunkte 
der  Bearbeitung  zeigen,  nur  werden  wir  in  der  Darstellung  die  vom 
„Land**  über  alles  betonte  heimatkundliche  Seite  auf  ihr  Mais  be- 
schränken. Das  „Land**  kommt  aber  unseren  Bestrebungen  auch  in- 
sofern sehr  entgegen,  als  es  hauptsächlich  auf  GeistUche  und  Lehrer 
einzuwirken  sucht,  welche  die  überwiegende  Zahl  aller  Lokalhistoriker 
ausmachen. 

Von  den  mir  bekannt  gewordenen  Ortsgeschichten  der  letzten 
zwei  Jahrzehnte  sind  verschwindend  wenige,  welche  vollkommen  dem 
Mafsstab  entsprechen,  den  wir  nach  den  vorstehenden  Darlegungen 
heutzutage  an  derartige  Arbeiten  legen  müssen.  Selbst  in  den  leichten 
Fällen,  wo  es  sich  darum  handelt,  den  ganzen  Stoff  in  einer  Abhand- 
lung von  einem  oder  höchstens  zwei  Druckbogen  Umfang  zu  bewäl- 
tigen, glückt  es  dem  Verfasser  selten  genug,  das  Charakteristische  und 
Typische  herauszustellen  und  eine  Darstellung  zu  schaffen,  die  dauern- 
den Wert  hätte.  Eine  rühmenswerte  Ausnahme  macht  ein  Vortrag 
A.  Johns,  des  unermüdlichen  Erforschers  der  Volkskimde  Deutsch- 
böhmens, über  die  Geschichte  des  Egerländer  Dorfes  Oberlohma 
bei  Franzensbad  *),  seiner  Heimat,  den  man  wirklich  mit  Interesse  und 
Nutzen  liest. 

Als  vor  vier  Jahren  ein  Geistlicher  mir  seine  Lust  zur  Bearbeitung 
einer  Geschichte  meines  Heimatdorfes  äufeerte  und  mit  der  Frage  nach 
einem  entsprechenden  Muster  an  mich  herantrat,  habe  ich  mich  ver- 
geblich nach  einem  solchen  umgesehen.  Es  blieb  mir  schliefslich 
nichts  anderes  übrig  als  selbst  Hand  ans  Werk  zu  legen.  So  habe 
ich    dann   die   Geschichte  Steinbachs  bei  Mudau  geschrieben ')   und 

i)  Egcr  1898.  Sonderattsgabe  aus  „Unser  Egerland.  Biälter  für  Egerländer  Volks- 
kunde" n  (1898),  Heft  6. 

2)  Steiobach  bei  Mudau.  Geschichte  eines  fränkischen  Dorfes.  Mit  15  Abbildungen 
und   I   Gemarkungskarte.     Freiburg  i.  Br.   1899.     Xu.   181   S.  gr.  8. 


—     205     — 

mich  dabei  bemüht,  die  vorhin  erörterten  Bedingungen  und  Gesichts- 
punkte im  wesentlichen  zu  erfüllen;  dafs  mir  dies  gelungen  sei,  hat 
die  Kritik  ^)  einhellig  anerkannt.  Das  gesamte  aus  Archiven ,  Druck- 
schriften und  mündlichen  Erhebungen  gewonnene  Material  über  den 
in  der  Zeit  des  fränkischen  Markenausbaues  entstandenen  Ort  teilte 
ich  in  neun  Abschnitte,  deren  Hauptinhalt  folgendermafsen  gruppiert  ist: 
I.  Lage  und  Beschaffenheit  (S.  i  —  lo).  Geographische  und 
natürliche  Lage  und  Anlage  des  Dorfes.  Höhe.  Grölse.  Grenzen. 
Gewässer.  Landschaftlicher  Charakter.  BodenbeschafTenheit.  Witte- 
rung. Mineralien.  Tiere.  Pflanzen.  Bevölkerungsbewegui^.  Politische 
Einrichtung.  2)  Zur  Besiedelungsgeschichte  (S.  11  —  23). 
Älteste  Bevölkerung  (Stein-  und  Eisenzeit).  Kelten,  Helvetier,  Marko- 
mannen. Römer  und  deren  Grenzbefestigung  (Limes).  Römischer  Altar- 
stein. Teutonen.  Alamannen,  Franken  und  deren  Siedelungen.  Grün- 
dung des  Klosters  Amorbach  und  dessen  Kulturmission.  Zusammen- 
setzung der  Ortsbevölkerung.  3.  Allgemeiner  Zustand  Stein- 
bachs in  den  ersten  Jahrhunderten  seines  Bestehens  (S.  24 
bis  37).  Denkmale  der  ersten  geschichtlichen  Zeit.  Politische  Organi- 
sation Frankens  unter  den  Merowingem  und  Karolingern.  Gau-  und 
Gerichtsverfassung.  Volksrecht.  Wirtschaftliche  und  ständische  Ver- 
hältnisse. Grundhörigkeit.  Gesetze.  Steuern.  Münzen.  Einfühnmgdes 
Christentums.  Kirchliche  Organisation.  Politischer  Zustand  am  Ende 
des  XIIL  Jahrh.  4.  Güterstand  und  wirtschaftliche  Verhält- 
nisse des  Ortes  vom  XIV.  bis  zum  XIX.  Jahrh.  (S.  38 — 74). 
(Handschriftliche)  Quellen.  Eigentumsverhältnisse.  Das  mainzische  Hof- 
gut. Erbbestandsbriefe.  Die  Hubgüter  und  Ho£stätten.  Wirtschaflsbetrieb 
(Ackerbau  imd  Viehzucht,  Waldwesen).  5.  Abgaben  und  Dienste 
(S.  75 — 107).  Lage  des  Bauernstandes  im  Mittelalter.  Bäuerliche  Lasten: 
Grundzins,  Gült,  Zehnte;  Frondienst.  Rechtszustand  des  Ortes  im  Jahre 
1668.  Ablösung  der  Abgaben  und  Berechtigungen.  6.  Recht  und 
Gericht  (S.  108 — 121).  Altes  Recht.  Zehntgericht  und  dessen  Ge- 
rechtsame. Gerichtspersonal.  Rüg-  oder  Untergericht.  Untergerichts- 
ordnung von  1534.     Ortsbehörden.     Schultheifsen  und  Bürgermeister. 


i)  So  K.  Branner  in  der  „BeiL  z,  Allgem.  ZeiU**  1900  Nr.  127;  O.  Heilig  in 
der  „Bad.  Schulzeit '^  1899  Nr.  34;  Ph.  Kantsmann  in  den  „Mannheimer  Geschichts- 
Blättem"  i  (1900),  I97f.;  L.  Korth  im  „Bad.  Beobachter*"  1899  Nr.  181;  K.  Obser 
in  der  „Zeittchr.  f.  d.  Gesch.  d.  Oberrheins«  N.  F.  15  (1900),  191  f.;  I.  San  er  im 
„Oberrhein.  Pastoralbl.^*  i  (1899),  32?;  U.  Stutz  in  der  „Zeitschr.  f.  Rechtsgesch.  XX 
(1900).  Germ.  Abt  S.  336f.;  Fr.  von  Weech  in  der  „Karlsruher  Zeit"  i*^  ^-  -67 
u.  a.  mehr. 


—     206     — 

Huldigung  der  Unterthanen.  7.  Kirche  und  Schule  (S.  122 — 148). 
Gläubiger  Sinn  des  Landvolkes.  Stiftungsbrief  der  alten  Kirche  (1407). 
Baubeschreibung.  Verhältnis  des  Filials  zur  Mutterkirche.  Einkommen 
des  Pfarrers.  Vermögen  des  Kirchenfonds.  Bemühungen  um  eine 
eigene  Pfarrei.  Errichtung  derselben  1871.  Pfarrer.  Neue  Kirche.  — 
Anfänge  und  Entwickelimg  der  Volksschule.  Lehrverhältnisse  und 
Lehrer.  8.  Äufsere  Schicksale  Steinbachs  von  der  ältesten 
bis  auf  die  neueste  Zeit  (S.  149—164).  Anteil  der  Landbewohner 
an  den  Weltbegebenheiten.  Kämpfe  zur  Römerzeit.  Raubzüge  der 
Ungarn.  Kämpfe  um  die  Reichs-  und  Kirchenverfassung.  Ständische 
Gegensätze.  Bauernkrieg  {1525).  Dreifeigjähriger  Krieg.  Kriegsdrang- 
sale des  XVIII.  Jahrh.  Landsturm.  Die  Jahre  1802  und  1806.  48er 
Bewegung.  Das  Jahr  1870/71  und  seine  Folgen.  9.  Allerlei  aus 
dem  häuslichen  und  öffentlichen  Leben  Steinbachs  in 
alter  und  neuer  Zeit  (S.  165 — 181).  Allgemeiner  Untergang  der 
alten  Volksherrlichkeit  in  Sitten  und  Gebräuchen.  Das  Dorf  und  seine 
Reize.  Sein  Ursprung  und  Name.  Flurnamen.  Tauf-  und  Familien- 
namen. Stammeszugehörigkeit  und  Charaktereigenschaften.  Hausbau. 
Vererbung  der  Höfe.  Lebensweise  (Nahrung).  Alte  und  neue  Tracht. 
Volksgebräuche.  Mundart.  Volkstümliche  Personen.  Gewerbe.  — 
Pfarrer,  Lehrer  und  Ortsbewohner  im  Verhältnis  ihrer  gegenseitigen 
Pflicht  und  Hingabe.  —  Dazu  sei  ausdrücklich  bemerkt,  dafe  die  aus 
den  Überschriften  als  rein  allgemein  erscheinenden  Punkte  und  Partieen 
stets  nur  in  ihren  Beziehungen  und  Berührungen  mit  der  Ortsgeschichte 
sich  bewegen,  das  Allgemeine  stets  nur  soweit  Raum  gewinnt,  als  es 
zum  Verständnis  des  Speziellen,  Lokalen  notwendig  war.  Einige 
typische  Bilder  zu  diesen  Ausführungen  durften  natürlich  in  einer  Zeit, 
wo  alles  illustriert  wird,  nicht  fehlen. 

Wenn  ich  mein  Büchlein  mit  einigen  anderen  in  den  letzten  paar 
Jahren  erschienenen  Ortsgeschichten,  die  mir  gerade  zur  Hand  sind,  ver- 
gleiche, so  finde  ich,  dafs  es  nicht  der  Stoff,  sondern  die  Unerfahren- 
heit  der  Verfasser  ist,  was  das  Mifelingen  der  Arbeiten  zur  Folge  hat. 
So  gab  Pfarrer  Brumme  1899  die  Geschichte  des  Dorfes  und 
Kirchspiels  Friedrichswerth  in  Sachsen-Gotha  *)  heraus,  ein  stattliches 
Buch  von  nahezu  400  Seiten  Umfang,  dessen  reicher  Inhalt  jedoch 
lediglich  zu  einer  Aneinanderreihung  von  merkwürdigen  Begebenheiten 


i)  Fr.  Bramme,  Das  Dorf  and  Kirchspiel  Friedrichswerth  (ehemaU  Erffa  genannt) 
im  Herzogtam  Sachsen-Gotha.  Mit  besonderer  Berücksichügang  der  freiherrlichen  FamiUe 
▼on  Erffa.  Eine  thüringische  Ortschronik.  Gotha,  Drack  von  Friedrich  Andreas  Perthes, 
1899.     Xn  a.  394  S.  gr.  8  mit  18  Abbildangen  and  4  Plänen. 


—     207     — 

verwendet  ist  Es  ist  schade  für  die  Vei^angenheit  des  als  Sitz  eines 
alten  Adelsgeschlechts  ausgezeichneten  Ortes,  die  bei  wissenschaft- 
licher Behandlung  ein  auch  für  weitere  Kreise  interessantes  Geschichts- 
bild  ergeben  haben  würde.  Hier  aber  ist  alles  unterschiedslos  durch- 
einandergemengt, das  Wesentliche  über  dem  Nebensächlichen  ganz 
unverhältnismälstg  vernachlässigt;  sobald  man  glaubt,  jetzt  kommt  der 
Verfasser  auf  das  zu  sprechen,  was  man  eigentlich  zu  wissen  wünscht, 
macht  man  die  Erfahrung,  dafs  seine  sonst  so  sehr  geläufige  Feder 
völlig  versagt.  Das  ganze,  zu  drei  Vierteilen  Kalenderware,  wird, 
einige  Friedricbswerther  ausgenommen,  schwerlich  viele  Leser  finden, 
sicherlich  wen^  wahren  Nutzen  stiften,  da  es  wohl  die  Neugier  be- 
friedigt und  der  Unterhaltung  dient,  aber  wenig  von  jenen  Vorz%en 
aufweist,  welche  schon  Cicero  als  die  hervorragendsten  Eigenschalten 
der  Geschichte  rühmt. 

Etwas  besser  ist  Dietterles  Geschichte  der  Kirch/ahrt  Burk- 
hardswalde *]  bei  Pirna  in  Sachsen  geraten ,  wiewohl  auch  sie  als 
populärwissenschaftliche  Darstellung  in  unserem  Sinne  nicht  genügt. 
Er  hat  seine  Aufgabe  tiefer  aulgefafst,  Sinn  und  Zusammenhang  in 
seine  Darlegungen  zu  bringen  gesucht  und  erfreulicherweise  auch 
die  salbungsvoll-erbaulichen  Betrachtungen  und  Nutzanwendungen  „nach 
dem  Muster  älterer  Chroniken"  vermieden. 

Wieder  weniger  ist  dies  seinem  Amtsbruder  Schmidt  mit  seiner 
Chronik  von  Gaiberg-  Waldhilshach  bei  Heidelberg  gelungen ,  der 
allzubäufig  in  den  gewohnten  Predigerton  verfällt,  sich  unnöt^  ao  dem 
„entsetzlichen"  Latein  der  mittelalterlichen  Urkunden  stöfst,  dabei  aber 
selbst  oft  in  merkwürdig  naiver  Weise  zu  Werke  geht.  Auf  die 
„Christianisierung"  seines  Kirchenortes  folgt  bei  ihm  unmittelbar  die 
„Reformation  und  Gegenreformation";  mit  drei  weiteren  Abschiutten: 
„  Kirchengemeinde  und  Kirchengut",  ,,  Sehnigem  ein  de  und  Schulgut"  (!) 
und  „Politische  Gemeinde  und  Gemeindegut"  ist  sein  Thema  erschöpft 
Das  Überwiegen  des  Kirchengeschichtlichen  wollte  man  ihm  gerne 
nachsehen,  wenn  er  auch  nur  mit  je  ein  paar  Seiten  die  Geschichte 
der  rechtlichen  und  wirtschaftlichen,  der  sozialen, 
individuellen  Entwickelung  seines  Pfarrdorfes  b 

i)  J.  A.  Dietterle,  BarUiird*iTdd«.  Gudiichte  dei 
ihr  gehorenileo  Dörfer  Burkhardinalde,  Biemdorf,  Groüröhnt 
1900.     XII  a.  144  S.  kl.  S  mit  9  Abbildnogen. 

3)  JdU  Schmidt,  Otronik  von  Gaiberg -WaldhiUbBc 
PfiUier    Kircheag:«*c)iicbte.      Heidelberg,    ETingeliichet    V 


—     208     — 

Nicht  ungeschickt  ist  Fleischhauers  Dorfbild  von  Oberspür 
im  Fürstentum  Schwarzburg -Sondershausen  *).  Er  hat  im  äuiseren 
die  chronologische  Ordnung  eingehalten,  in  die  er  reichlich  kulturelle, 
rechts-  und  wirtschaftsgeschichtliche  Züge  und  Betrachtungen  verwebt. 
Dabei  sind  ihm  allerdings  die  Angaben  über  Lage,  Ausdehnung,  Ein- 
wohnerzahl u.  dergl.  an  den  Schlufs  statt  an  den  Anfang  geraten. 
Seine  Erzählung  ist  warm  und  lebendig.  Im  allgemeinen  versteht  er 
auch  das  Bedeutende  und  Wesentliche  hervorzuheben,  aber  allzusehr 
in  die  Tiefe  dringt  er  nicht,  und  der  Unterhaltung  scheint  fast  mehr 
Rechnung  getragen  als  der  Belehrung. 

Es  ist  kein  Zweifel,  dais  alle  diese  Verfasser  mehr  oder  weniger 
die  Fähigkeiten  und  den  Eifer,  mit  einem  Worte:  den  Beruf  zum 
Lokalgeschichtsforscher  besitzen,  dafs  ihnen  aber  noch  die  Hauptsache, 
die  kritisch  erlernte  theoretische  Methode  fehlt.  Mit  dem  guten  Willen 
und  der  Liebe  zur  heimatlichen  Scholle  allein  ist  es  nicht  gethan ;  die 
Erfassung  des  Wesens  der  Sache,  das  Durchdringen  und  Verarbeiten 
des  Stoffes  macht  den  Geschichtschreiber,  nicht  allein  das  Zusammen- 
tragen, Ausziehen  und  Aneinanderreihen  der  Begebenheiten  und  That- 
sachen.  Die  Aufgabe  der  Lokalgeschichtschreibung  ist  noch  nicht  er- 
füllt, wenn  die  Merkwürdigkeiten  eines  Ortes  sachgemäfs  und  stilgerecht 
beschrieben  sind.  Bei  der  neuesten  Entwickelung  der  Geschichtswissen- 
schaft ist  ein  treues  Bild  der  Geschichte,  sei  es  im  grofsen,  sei  es  im 
einzelnen  und  kleinen,  ohne  den  Hintergrund  einer  grofsen  Weltan- 
schauung undenkbar.  Jede  geschichtliche  Erscheinung  verlangt  in  ihrem 
Zusammenhang  mit  der  Weltgeschichte  zur  Darstellung  gebracht  zu 
werden.  Und  nachdem  der  Ausbau  der  allgemeinen  Geschichtswissen- 
schlaft  auch  die  Wege  und  Ziele  der  Lokalforschung  so  deutlich  ab- 
g^renzt  und  dargelegt  hat,  ist  es  einerseits  eine  Ehrensache,  andrer- 
seits ein  Prüfstein  für  die  Liebhaber  dieses  Faches,  den  Weg  genau 
einzuhalten  und  das  Ziel  unverrückt  vor  Augen  zu  haben;  aber  den 
meisten  scheint  der  Weg  noch  unbekannt,  das  Ziel  fiii  viele  unerreich- 
bar zu  sein. 


i)  O.  Fleischhaaer,  O.    Ein  Dorfbild  ans  alter  ood  neuer  Ztii,    Sondershaiuen 
1897.     121  S.    8  0   mit  I  Plane. 


^^^>^^^»^^^^>^^^^i^»^^^i* 


—     209     — 

Ortsnamenforsehung  und  Wiftsehafts^^ 

gesehiehte 

Von 
Hans  Witte  (Schwerin) 

(Schilfs*) 

Fa(st  man  die  oben  wiedergegebenen  wirtschaftlichen  Ansichten 
Heegers  zusammen,  so  ergiebt  sich,  dafs  er  von  allen  in  der  Pfalz 
und  im  Eisais  vorkommenden  Ortsnamentypen  einzig  und  allein  die 
-ingen  als  Sippen-  oder  Bauernsiedelungen  gelten  läfst!  Hinsichtlich 
der  wenigen  -dorf  enthält  er  sich  des  Urteils.  Alle  übrigen,  die  -weiler, 
-heim,  -stadt,  -stein,  -hofen,  -hausen,  -bach,  -ach,  -au  sollen  aus  grund- 
herrlicher  Niederlassung  hervorgegangen  sein. 

Und  nun  eriimere  man  sich  an  das,  was  oben  (S.  155)  über  das 
Vorherrschen  der  -heim  in  dem  bezeichneten  Gebiet  gesagt  worden 
ist,  und  daran,  da(s  dort  überall  die  -ingen  diesem  herrschenden  Typ 
gegenüber  eine  mehr  als  bescheidene  Rolle  spielen,  wie  sie  durch 
das  Vorkommen  nur  eines  einzigen  -ingen  in  der  ganzen  tmterelsässi- 
schen  Ebene  genügend  gekennzeichnet  ist.  Das  Oberelsafs  unter- 
scheidet sich  davon  nicht  wesentlich,  und  nur  in  der  Vorderpfalz  giebt 
es  einige  -ingen  mehr,  denen  gegenüber  jedoch  die  -heim  immer  noch 
ein  erdrückendes  Übergewicht  behaupten.  Heeger  zählt  hier  18 
-ingen  (S.  5  ff.)  gegen  104  -heim  auf.  Dazu  kämen  dann  noch  alle 
die  mit  den  andern  oben  aufgezählten  Grundwörtern  gebildeten  Orts- 
namen, um  die  Zahl  der  angeblichen  Herrensiedelungen  voll  zu  machen. 

So  führt  die  Ortsnamenforschung  wirtschaftlicher  Richtung,  wie  sie 
von  Schiber  angebahnt  und  von  Heeger  weiter  ausgebaut  worden 
ist,  zu  dem  überraschenden  Ergebnis,  dafs  sich  in  der  Ebene  des  Ei- 
sais und  der  Pfalz  im  VI.  Jahrh.  fast  gar  keine  Bauemdörfer,  da- 
gegen aber  eine  überwältigende  Masse  grundherrlicher  Siedelungen 
befunden  haben  sollen.  Überraschend  nenne  ich  dies  Ergebnis  des- 
wegen, weU  die  genannten  Landschaften,  in  denen  wir  schon  im  Mittel- 
alter, soweit  die  Quellen  unseren  Blick  zurückdringen  lassen,  auf  Schritt 
und  Tritt  einem  überwiegenden,  kräftig  entwickelten  bäuerlichen  Leben 
mit  der  charakteristischen  Hufenverfassung,  mit  der  Gewanneinteilung 
des  Ackerlandes,  mit  der  gemeinsamen  Nutzung  der  Almenden  be- 
gegnen, sich  bis  auf  den  heutigen  Tag  als  ganz  spezifische 
Bauernländer  erhalten  haben.  Das  wäre  sicherlich  nicht  der  Fall, 
wenn  im  VI.  Jahrh.    nahezu  jeder   Ort  ein  Herrensitz  gewesen  wäre 

^  Vgl.  obeo  S.  153  bis  166. 

15 


—     210     — 

Eigentlich  genügt  schon  diese  einzige  Thatsache,  um  die  ganze 
Schiber-Heeg ersehe  Theorie  über  den  Haufen  zu  werfen,  denn  in 
einem  ursprünglichen  Bauemlande  kann  wohl  im  Laufe  der  Jahrhimderte 
ein  mächtiger  Herrenstand  emporwachsen ;  aber  auf  Grund  nahezu  aus- 
schliefslicher  Herrensiedelung  können  sich  niemals  so  vorherrschende 
und  den  deutlichen  Stempel  volkstümlicher  Entstehungsart  tragende 
bäuerUche  Verhältnisse  entwickeln ,  wie  sie  noch  heute  im  Lande  be- 
stehen. Die  jetzt  noch  das  ganze  ebene  Land  des  Elsafe  bedeckenden 
volksmäfsigen  Siedelungen  mit  ihren  uralten  Gerechtsamen  der  Hufen- 
verfassung, der  GewanneinteUung  und  Almendennutzung  können  nur 
entstanden  sein  durch  Niederlasstmg  gleichberechtigter  Genossen,  deren 
Gesamtheit  über  die  Feldmark  zu  entscheiden  hatte,  niemals  aber  aus 
Herrensiedelungen,  in  denen  der  Wüle  eines  Einzelnen  malsgebend  war. 

Aber  diese  überwiegenden  bäuerlichen  Verhältnisse  stammten,  wie 
mit  Sicherheit  angenommen  werden  darf,  schon  aus  der  Zeit  vor  dem 
VI.  Jahrh.  Wäre  dann  wirklich  aus  der  fränkischen  Eroberung 
nur  die  Menge  von  Herrensiedelungen  hervorgegangen,  die  man  nach 
Schiber  in  den  -heim  sehen  soll,  so  wäre  schon  dadurch  das  Bauern- 
tum in  der  überwiegenden  Masse  der  Ortschaften  mit  einem  Schlage 
in  eine  nur  geduldete  Stellung  zurückgedrängt  worden.  Die  örtlichen 
Grundherrschaften,  die  überall,  wo  sie  nicht  von  einer  mächtigen  Hand 
niedergehalten  werden,  die  Bauern  vergewaltigen,  würden  hier  als  Ver- 
treter auswärtiger  Eroberer  noch  viel  zerstörender  gewirkt  haben.  Wäre 
Schibers  Theorie  richtig,  so  hätten  mindestens  die  Orte  auf  -heim 
ihren  überwiegend  bäuerlichen  Charakter  schon  in  früher  Zeit  einbüfeen 
müssen;  dann  könnten  sie  nicht  heute  noch  die  uralte  volkstümliche 
Gewanneinteilung  und  die  für  die  Gleichberechtigung  der  Ortsgenossen 
besonders  bezeichnenden  Almenden  so  ungestört  bewahren  *).  Wäre 
aber  sogar  Heegers  Ausgestaltung  der  Seh  ib ersehen  Theorie  richtig, 
dann  wären  die  wenigen  im  VI.  Jahrh.  noch  vorhandenen  bäuerlichen  Ge- 
rechtsame mit  Stumpf  und  Stiel  von  dem  überwältigenden  Herrenstande 
ausgerottet  worden   und   keine  Spur  von  ihnen   auf  uns  gekommen. 


i)  Eine  aaf  meine  Bitte  rom  Direktor  des  kaiserl.  Beurksarchivs  zn  Strafsbarg,  Herrn 
Prof.  Dr.  Wiegan d  „auf  gnt  Glück"  Torgenommene  Süchprobe  ergab  urkundlich  er- 
wähnte Almenden  in  Donzenheim  1550 — 1654,  Hattraatt  1657,  Ingenheim  1386,  Kogen- 
heim  1473,  Marlenheim  1472,  Meinolsheim  1601,  Molsheim  1630,  Mommenheim  1564, 
Wolxheim  1350.  Eine  systematische  Nachforschung  würde  natürlich  eine  ganz  andere 
Zasammenstellang  gebracht  haben,  als  diese  Stichprobe,  die  aber  alt  solche  fUr  die 
Zwecke  dieser  Untersachong  vollständig  genügt  Wiegand  glaubt,  „dals  fast  in  jedem 
Dorf  [des  Unterelsafs]  im  Mittelalter  Almenden  Torbanden  waren**. 


—     211     — 

Andrerseits,    wenn  wirklich  im  VI.   Jahrh.  die  Ebene    des  Elsafe 
und   der  Pfalz  so  beinahe  ausschlielslich   von  Herrensiedelungen  ein- 
genommen war,   wie  man  nach  Schiber-Heeger  anzunehmen  ge- 
zwungen ist;  wenn  dort  wirklich  in  nahezu  jedem  Orte  ein  £ränkischer 
Herr  safs,    so   mulsten    aus  diesem  Zustande  so  ungezählte   Herren- 
geschlcchter  erblühen,  dals  auch  in  den  späteren  Jahrhunderten  diese 
Landschaften  sich  noch  durch  einen  außergewöhnlich  zahlreichen  Adel 
von  der  weniger  mit  Heimorten  gesegneten  Nachbarschaft  abgehoben 
haben  müfsten.    Die  Wirklichkeit  zeigt  uns  aber,  sobald  die  Urkunden 
nur  reichlicher  flielsen,  ein  ganz  anderes  Bild  als  die  Theorie:  anstatt 
des  zu  erwartenden  zahllosen  Herrenstandes  sehen  wir  fast  allerorten 
nur  Bauernschaften;  Adelige  sind  natürlich  vorhanden,   aber  so  spär- 
lich über  das  Land  (besonders  das  Elsafs)  verteilt,   dais  ihre  geringe 
Anzahl  sogar  demjenigen  auffallen  mufs,  dessen  Seele  von  den  Schi - 
ber-Heegerschen  Herrensiedelungen  nichts   ahnt.     Und  dieser  an 
Zahl  geringe  Adel,  wie  er  im  späteren  Mittelalter  zu  erkennen  ist,  ent- 
sprang noch  gröfstenteUs  aus  der  Ministerialität,  ist  also  so  späten  Ur- 
sprtmgs,    dafs  ein   Zusammenhang  mit    den   angeblich  im    VI.  Jahrh. 
angesiedelten   Herrengeschlechtem    ausgeschlossen   ist.      Zudem    safs 
dieser  Adel   überwiegend   nicht    in   der   durch   Ortsnamen   auf  -heim 
gekennzeichneten  Ebene,    sondern    in  den   Vorbergen    des  Wasgau, 
dort    wo    die    Heimorte     nur    noch    ganz    spärlich    oder   gar   nicht 
mehr  vertreten  sind.    Der  durch  das  massenhafte  Auftreten  der  -heim 
nach   Schiber   schon   vom    VI.    Jahrh.    an    für  den   Adel  prädesti- 
nierte Teü  des  Elsafs   erhielt  einen  solchen  grofsenteils  erst  dadurch, 
dafs  zahlreiche  städtische  Patrizierfamilien  sich  auf  dem  Lande  an- 
siedelten und  bis  dahin  rein  bäuerliche  Dörfer  mit  neuen  Herrensitzen 
ausstatteten.     Das  sind  aber  erst  Vorgänge  des   ausgehenden  Mittel- 
alters, Kraftäuiserungen  des   städtischen  Kapitalismus,   durch  welchen 
dem  schwachen  Landadel  neues  Blut  zugeführt  wurde. 

Zieht  man  von  dem  elsässischen  Adel  die  aus  der  Ministerialität 
und  aus  dem  städtischen  Patriziat  erwachsenen  BestandteUe  ab,  so 
bleibt  äuiserst  wenig  übrig  ^).  Könnte  man  nun  wirklich  dies  Wenige 
als  aus  der  angeblichen  fränkischen  Herreneinwanderung  des  VI.  Jahrhs. 
hervorgegangen    nachweisen,    so    würde   auch    das   noch  ein   nahezu 


i)  Sehr  bezeichnend  für  die  junge  Herkunft  des  elsässischen  Adels  ist  die  mir  eben- 
falls Ton  Herrn  Prof.  Wieg  and  mitgeteilte  Thatsache,  dais  das  Strafsbarger  Domkapitel, 
das  für  seine  Angehörigen  alten  Adel  verlangte,  sich  zum  gröisten  Teile  aus  den  ttber- 
rheinischen  Landen,  aus  Oberschwaben,   der  Bar  u.  s.  w.  rekruüeren  mufste.     Offenbar 

15* 


—     212     — 

völliges  und  spurloses  Verschwinden  der  aus  ihr  hervorgegangenen 
Herrengeschlechter  bedeuten.  Da  man  aber  diesen  Nachweis 
nicht  zu  führen,  ja  nicht  einmal  eme  entfernte  Wahrscheinlichkeit  zu 
gewinnen  vermag,  so  ist  dies  Verschwinden  in  der  That  ein  völliges 
und  g^änzlich  unerklärliches.  Von  einem  Herabsinken  in  den  Bauern- 
stand kann  keine  Rede  sein,  da  dieser  Adel  ja  nach  Schiber  zur 
Sicherung  der  fränkischen  Eroberung  eingesetzt  worden  war  und  um 
diesen  seinen  militärischen  und  zugleich  hochpolitischen  Zweck  zu  er- 
füllen, doch  wohl  hinreichend  ausgestattet  sein  mufete,  um  sich  längere 
Zeit  halten  zu  können.  Und  wenn  schon  mit  seinem  Erscheinen  eine 
so  grofse  Umwälzung  der  bestehenden  Verhältnisse  verbunden  gewesen 
sein  soll,  dafe  fast  sämtliche  alte  Alemannenorte  mit  neuen  Namen 
versehen  wurden,  so  mu(s  man  wohl  erwarten,  dafs  er  auch  sonst  er- 
kennbare Spuren  im  Lande  hinterlassen  hätte.  Das  ist  nicht  der  Fall. 
Im  Gegenteil,  fast  überall,  wo  wir  nach  Schiber-Heeger  Spuren 
grundherrlicher  Siedelung  erwarten  sollten,  sogar  inSchibers  spezi- 
fisch fränkischen  Herrensiedelungen  auf  -heim,  erkennen  wir  die  bis 
auf  den  heutigen  Tag  deutlich  genug  erhaltenen  charakteristischen 
Kennzeichen  altbäuerlicher  Siedelungsart !  Sollte  das  noch  nicht  hin- 
reichen, um  der  Sc  hib  ersehen  Theorie  nebst  ihrer  Heeg  er  sehen 
Ausgestaltung  den  Abschied  zu  geben? 

Das  jedenfalls  glaube  ich  in  obigen  Ausführungen  gezeigt  zu  haben, 
dais  die  Theorie  hier  abermals  in  schroffem  Widerspruch  mit  den  that- 
sächlichen  Verhältnissen  steht.  Diesem  Zwiespalt  kann  nicht  ab- 
geholfen werden,  indem  man  die  Thatsachen  meistert,  wie  es  Schiber 
bei  dem  ersten  ihm  zum  Bewufstsein  gekommenen  Widerspruch  der 
Thatsachen  gegen  sein  System  versucht  hatte,  indem  er  die  Theorie 
der  Umnennung  der  wirklich  vorhandenen  elsässischen  -heim  aus  ima- 
ginären -ingen  ersann.  Die  Thatsachen  haben  ein  zäheres  Leben  ab 
solche  wissenschaftliche  Kunststückchen. 

Die  Erkenntnis  des  Zwiespaltes  zwischen  Theorie  und  Wiiklichkeit 
ist  nur  dann  förderlich,  wenn  sie  keinen  Vertuschungsversuch  zeitigt, 
sondern  die  Veranlassung  zu  einem  ernsten  Forschen  nach  dem  Fehler 
der  Theorie  wird.  Der  Grundfehler,  an  dem  dies  Schiber-Hee- 
g ersehe  System  krankt,  beruht  in  der  Methode,  die  zu  seinem  Auf- 


war alter  Adel  im  Elsafs  fast  gar  nicht  vorhanden.  Dies  trifft  schon  fUr  das  XU.  und 
XIII.  Jahrh.  za.  Wie  anders  würde  sich  dies  alles  gestaltet  haben ,  wenn  in  der  That 
im  VI.  Jahrhundert  durch  eine  äofserst  zahlreiche  fränkische  Herreneinwanderong  der  Gnmd 
iUr  eine  Adelsentwickelang  gel^  worden  wäre,  wie  ihn  keine  andere  deutsche  Land« 
Schaft  aufzuweisen  hatte! 


—     213     — 

bau  gefuhrt  hat.  Nicht  die  Sonderung  der  Ortsnamen  nach  ihren 
Grundworten  (Endungen)  in  verschiedene  Gruppen  war  fehlerhaft;  ohne 
dies  Verfahren  würde  es  überhaupt  keine  wissenschaftliche  Ortsnamen- 
forschung geben.  Aber  dafe  man  die  so  erhaltenen  Gruppen  von  vom 
herein  als  untrennbare  Einheiten  betrachtete,  dafs  man  durch  allgemeine 
Erwägungen  (Interpretation  des  Grundwortes,  Vorhandensein  oder  Fehlen 
von  Personennamen  im  ersten  Gliede)  den  wirtschaftlichen  Charakter 
der  ganzen  Gruppe  feststellen  zu  können  und  ihn  damit  für  jede  unter 
die  Gruppe  fallende  einzelne  Namensform  ergründet  zu  haben  meinte, 
darin,  in  dieser  rein  deduktiven  Methode,  beruht  die  Fehlerquelle,  der 
Schiber  sowohl  wie  Heeger  zum  Opfer  gefallen  ist. 

Nicht  Deduktion,  sondern  Induktion  ist  der  einzige  Weg, 
der  hier  zum  Ziele  führen  kann:  Ausgehen  vom  einzelnen  Orte  der 
Gruppe,  urkundlich  gesicherte  Thatsachen  sammeln,  die  über  die  ur- 
sprüngliche Siedelungsform  bestimmter  Orte  Licht  verbreiten.  Wenn 
dies  in  ausgiebigem  Mafse  geschehen,  wird  sich  die  Beantwortung  der 
Frage,  ob  diese  oder  jene  durch  das  gleiche  Grundwort  gekennzeich- 
nete Ortsnamengruppe  sich  aus  Ortschaften  einheitlichen  Wirtschafts- 
charakters zusammensetzt,  von  selber  ergeben.  Aus  den  Grundworten 
oder  den  Personennamen  im  ersten  Gliede  kann  man  das  in  der  Regel 
nicht  ablesen.  Sind  dagegen  aus  der  urkundlichen  Überlieferung  eines 
Ortes  alte  bäuerliche  Gerechtsame  nachgewiesen  worden,  wie  sie  sich 
nur  in  der  Gemeinschaft  gleichberechtigter  Genossen  entwickeln  können, 
so  darf  man  sicher  sein,  es  mit  einer  Bauemsiedelung  zu  thun  zu 
haben.  Mag  dann  der  Name  auf  -ingen  oder  -heim  lauten,  mag  er 
im  ersten  Gliede  einen  Personennamen  oder  irgend  einen  allgemeinen 
Begriflf  haben ;  der  urkundlich  verbürgten,  für  das  Wirtschaftsverhältnis 
entscheidenden  Thatsache  gegenüber  kommen  solche  Äufserlichkeiten 
der  Namensform  gar  nicht  in  Betracht. 

Der  oben  erbrachte  archivalische  Nachweis  des  Vorkommens  von 
Almenden  in  Orten  auf  -heim  ist  eine  Thatsache,  die  auf  diesem  induk- 
tiven Forschungswege  ihre  Verwertung  finden  kann  und  mufis.  Wenn  diese 
kurzer  Hand  gemachte  Stichprobe  auch  den  Gedanken  nahelegt,  dafs 
sich  noch  für  zahlreiche  andere  Orte  auf  -heim  das  Vorhandensein 
von  Almenden  urkundlich  feststellen  lassen  wird,  und  wenn  besonders 
die  fast  überall  in  der  Ebene  des  Elsafs  wahrnehmbare  Erhaltung  der 
Almenden  bis  auf  den  heutigen  Tag  in  diesem  Sinne  spricht,  so  denke 
ich  doch  nicht  daran,  nunmehr  zu  behaupten,  alle  -heim  müfsten  Al^ 
menden  gehabt  haben  und  demgemäis  aus  bäuerlicher  Siedelung  er- 
wachsen sein.     Aber  das  kann  schon  jetzt  auf  Grund  der  obigen  Aus- 


—     214     — 

fiihruDgen  als  bewiesen  betrachtet  werden,  dafe  die  Seh ib ersehe 
Theorie  von  dem  grundherrlichen  Charakter  der  -heim  nicht  mehr  auf- 
recht erhalten  werden  kann. 

Einen  weiteren  Weg,  durch  induktives  Verfahren  den  wirtschaft- 
lichen Charakter  der  Ansiedelungen  festzustellen,  hat  Meitzen  gezeigt; 
und  es  kann  nicht  genug  bedauert  werden,  da(s  die  Meitzenschen  Elr- 
gcbnisse  von  Ortsnamenforschern  mit  so  ausgesprochen  wirtschafts- 
geschichtlichen Neigungen  wie  Schi b er  und  He eg er  so  ganz  aufser 
acht  gelassen  worden  sind.  Nicht  als  ob  ich  Meitzen  als  einen  Meister 
der  Ortsnamenforschung  hinstellen  wollte.  Darüber  würde  er  selber 
wohl  am  meisten  erstaunt  sein,  hat  er  doch  mehrfach  hervorgehoben, 
dafe  er  in  Sachen  der  Ortsnamenforschung  auf  Arnold  und  Lamp- 
recht  fufst.  In  welchem  Malse  Meitzen  in  der  That  noch  auf  diesem 
Gebiete  von  veralteten  Anschauungen  beherrscht  wird,  dafür  sei  hier 
nur  ein  bezeichnendes  Beispiel  angeführt:  die  im  niederländischen 
Hasbanien  vorkommenden  -ingen  kann  er  sich  nur  durch  die  Annahme 
erklären,  dafs  nach  der  Schlacht  bei  Zülpich  sich  flüchtige  Alemannen 
dort  niedergelassen  hätten  ^).  Ist  denn  des  Unheils,  das  die  Schlacht 
bei  Zülpich  in  der  Ortsnamenforschung  angerichtet  hat,  immer  noch 
nicht  genug? 

Weit  wichtiger  für  die  Ortsnamenforschung  als  solche  lediglich 
die  Voreingenommenheit  für  einen  veralteten  Standpunkt  kennzeich- 
nende Äufserungen  sind  Meitzens  Flurkartenforschungen.  Sie  ver- 
dienen die  weitestgehende  Beachtung  aller  Ortsnamenforscher  wirt- 
schaftsgeschichtlicher Richtung.  Die  Flurkarten  sind  die  Dokumente, 
aus  denen  Meitzen  den  Wirtschaftsstand  der  Orte  bis  zu  ihrem  Ur- 
sprung zurück  erkennen  will.  Und  wenn  Meitzen  darin  vielleicht 
etwas  zu  weit  geht,  dafe  er  die  Entstehung  der  Hufenverfassung  bis 
in  den  Anfangspunkt  des  Sefshaftwerdens  der  germanischen  Völker 
zurückverlegt,  die  aus  der  Völkerwanderung  hervorgegangene  Massen- 
kolonisation am  westlichen  Oberrhein,  um  die  es  sich  hier  einzig  und 
allein  handelt,  hat  sicherlich  die  Hufenverfassung,  die  Gewanneinteilung, 
das  Almendenrecht  schon  fertig  ins  Land  gebracht  und  gleichzeitig 
mit  der  Ortsgründung  angewandt. 

Im  Gegensatz  zu  dem  nur  lückenhaften  Material  der  Urkunden 
bieten  die  für  jeden  Ort  vorhandenen  Flurkarten  eine  Grundlage  von 
einer  Vollständigkeit,    die   nichts   zu  wünschen  übrig  läfst.     Wer  dies 


i)  August  Meitzen,    Sicdclung   und  Agrarwcsen   der  Wcstgcrmaiien    und  Ostger- 
manen.    Berlin   1895.     3  Bände.     I,  S.  549. 


—     215     — 

Material  zu  handhaben  weiis,  kann  die  Form  der  ursprünglichen  Sie- 
delung  für  jeden  Ort  genau  erschliefeen  und  so  auf  dem  sicheren  Wege 
der  Induktion  feststellen,  ob  und  welche  gemeinsame  Siedelungsform 
eine  jede  Ortsnamengruppe  hatte. 

Indessen  hatMeitzen  selber  auf  diesem  Gebiete  schon  so  treflf- 
lich  vorgearbeitet,  dafs  wer  nicht  gerade  eine  Statistik  über  diese  Dinge 
aufstellen  wUl,  aus  ihm  schon  genug  entnehmen  kann.  Zu  Tausenden 
sind  ihm  die  Flurkarten  Deutschlands  und  mancher  Nachbargebiete 
durch  die  Hände  gegangen;  und  wenn  überhaupt  jemand  vorhanden 
ist,  der  über  die  unter  den  verschiedenen  Ortsnamentypen  etwa  be- 
griffenen Siedelungsarten  Aufischlufe  zu  geben  vermag,  so  ist 
er  es. 

Seine  Ansicht  über  die  -heim  faist  er  folgendermaüsen  zusammen : 
„Seebohms*)  Meinung,  dafe  alle  Endimgen  auf  -heim  auf  den  Frohn- 
hof  eines  Gutes  deuten,  geht  offenbar  zu  weit.  Denn  die  Namen  auf 
heim,  oder  deren  Verkürzungen  um ,  em ,  en  sind  ...  für  die  alten 
volksmäfsigen  Hufendörfer  der  Sachsen  ebenso  allgemein  wie  fiir  die 
der  Franken  . . .  DaKs  sie  es  bei  der  Eroberung  Nordfrankreichs  häufig 
auch  auf  Herrenhöfe  übertragen  haben,  liegt  nicht  im  Wortsinn,  son- 
dern in  der  besonders  grofeen  Verbreitung  der  Herrenhöfe  auf  dem 
Eroberungsgebiete."  *) 

Dafs  Meitzen  unter  den  Stämmen,  die  volksmäfsige  Hufendörfer, 
also  Bauernsiedelungen  auf  -heim  hervorgebracht  haben,  die  Alemannen 
nicht  erwähnt,  lieg^  wohl  lediglich  an  seiner  Voreingenommenheit  für 
das  Arnold  sehe  System.  Dafs  er  die  -heim  der  Pfalz  und  des.Elsafs 
in  ihrer  überwiegenden  Masse  bestimmt  als  Bauernsiedelungen  erkannt 
hat,  davon  kann  sich  jeder  durch  einen  Blick  auf  die  seinem  oben 
citierten  Werke  beigegebene  Übersichtskarte  überzeugen.  Auf  ihr  er- 
scheint eben  dies  Gebiet  überwiegender  -heim,  die  elsässische  und 
pfälzische  Ebene,  erfüllt  von  volksmäfsigen  Gewanndörfern  mit  nur 
wenigen  versprengten  Herrensiedelungen. 

Bezeichnend  genug  ist  auch  folgende  Thatsache:  Meitzen  zählt 
einmal  als  Beispiele  volksmäfsiger  Gewannsiedelungen  elf  Ortsnamen 
auf;  unter  ihnen  lauten  nicht  weniger  als  sechs  auf  -heim,  nämlich 
Ober-Hilbersheim,  Gau  Böckelheim,  Spiesheim,  Armsheim,  Odernheim 
und  Pfeddemheim  *). 


i)  Frederic  Seebohm  hatte  schon  vor  Schiber  in  setnem  Werk  „The  Engliah 
village  Community  <<  (London  1883)  die  -heim  für  Herrensiedelungen  erklärt 

2)  a.  a.  O.  II,  S.  123. 

3)  a.  a.  O.  I,  S.  622,  Anm.  zu  422,  Zeile  15. 


—     216     — 

Hinsichtlich  der  -ing(en)  bbt  M  e  i  t  z  e  n  sein  Urteil  dahin  zqsammi 
„Bestimmter  lafst  sich  daran  denken,  in  der  Endung  ing  die  Bezeicli- 
nung  eines  volkstümlichen  Geschlechtsdorfes  zu  suchen  *'  ^).  Das  ist 
sehr  vorsichtig  ausgedrückt;  und  dals  hier  in  der  That  von  einer  Regel 
nicht  gesprochen  werden  kann,  geht  schon  zur  Genüge  daraus  hervor, 
dais  unter  den  von  Meitzen  angeführten  Beispielen  grundherr- 
licher WeUer-  oder  Hofisiedelungen  sich  Namen  wie  Loifering,  Haindl- 
fing,  Götting,  Arleting,  Schmiding  *)  befinden  bei  einer  ebenfalls  nur 
geringen  Gesamtzahl  der  Beispiele. 

Die  -weUer  hält  auch  Meitzen  der  Regel  nach  für  grundherr- 
liche Siedelungen.  Aber  Ausnahmen  giebt  es  auch  hier;  als  eine 
solche  führt  Meitzen  das  volksmäCsige  Gewanndorf  Reitweüer  im 
Eisais  bei  Brumath  an  '). 

Wer  diesen  Dingen  weiter  nachgehen  will,  kann  auf  Grund  der 
von  Meitzen  entwickelten  Methode  der  Flurkartenforschung  und  unter 
Heranziehung  des  urkundlichen  Materials  zu  genauen  Einzelergebnissen 
gelangen.  Sichere  allgemeine  Schlüsse  hinsichtlich  des  wirtschaftlichen 
Charakters  der  uns  besonders  interessierenden  gröliseren  Ortsnamen- 
gruppen des  deutschen  Südwestens  ermöglicht  indessen  schon  das  vor- 
stehend MitgeteUte.  Es  beweist,  dafs  die  Auffassung  der  -heim  als 
Herrensiedelungen  eine  irrige  ist,  dafs  insbesondere  die  -heim  des 
oberen  Rheinthaies  in  ihrer  überwiegenden  Masse  Bauemsiedelungen 
gewesen  sein  müssen ;  dafs  die  -ing(en)  vielleicht  überwiegend  Bauem- 
siedelungen waren,  daneben  aber  eine  nicht  unbeträchtliche  Anzahl 
Herrensiedelungen  dieses  Namens  bestand;  dalis  -weUer  wohl  in  der 
Regel,  aber  nicht  ausnahmslos,  grundherrliche  Siedelungen  bezeichnet. 

Möglich  dalis  diese  oder  jene  Gruppe  durch  gemeinsames  Grund- 
wort gekennzeichneter  Ortsnamen  auch  einheitlichen  Wirtschaftscharakter 
hat  ^) ;  das  wird  sich  auf  dem  Wege  der  durch  Urkunden  unterstützten 
Flurkartenforschung  feststellen  lassen,  kaum  aber  durch  Interpretation 
der  Namen. 

Der  Glaube  an  den  grundherrUchen  Charakter  der  -heim  und  den 


1)  A.  a.  O.  II,  S.  123. 

2)  a.  a.  O.  I,  S.  433»  437,  450. 

3)  a.  m.  O.  I,  S.  436« 

4)  Mit  BezagDahme  auf  England  bemerkt  Meitzen  (11,  S.  124):  „Am  sichertteo 
werden  sich  alte  Volksdörfer  an  den  Endungen  by,  low,  mere,  thorpe,  field  erkennen 
lasten,  alte  gntsherrliche  Sitze  aber  an  borg,  borongh,  cester,  hUl.'*  Gerade  in  England 
ergiebt  die  Flnrkartenforschnng  wegen  der  schon  in  früher  Zeit  Torgekommenen  Verkop- 
pelugen  nicht  die  sicheren  Resultate  wie  in  Deutschland. 


—     217     — 

ausschli^fslichen  Sippencharakter  der  -ingen  ist  der  Eckstein  sowohl 
des  Schib ersehen  Systems  wie  der  Heeger sehen  Weiterbildung. 
Er  ist  die  Voraussetzung,  aus  der  sich  die  Theorie  der  Umnennung 
der  elsässischen  -heim  aus  angeblich  früher  vorhandenen  -ingen  mit 
Notwendigkeit  ergeben  mufste.  Da  diese  Voraussetzung  sich  als  fehl- 
sam erwiesen  hat,  ist  damit  zugleich  dieser  Umnennungstheorie  und 
allen  weiteren  Folgerungen  die  einzige  Grundlage,  auf  der  sie  ruhten, 
entzogen. 

Die  Bemühungen  der  wirtschaftlich  gerichteten  Ortsnamenforschung 
sind  hierin  von  keinem  bleibenden  Gewinn  gekrönt  worden.  Die  Wirt- 
schaftsgeschichte unterstützen  zu  wollen  auf  einem  Forschungsgebiete, 
auf  dem  diese  selber  mit  eigener  Methode  zu  sicheren  Ergebnissen 
gelangen  kann  und  zum  Teil  schon  gelangt  ist,  erscheint  um  so  ver- 
fehlter, als  die  Ortsnamenforschung  hierin  bis  jetzt  nicht  über  Hypo- 
thesen hinausgekommen  ist,  deren  Unbeweisbarkeit  noch  von  Heeger 
offen  eingestanden  wurde.  In  diesen  Dingen  wird  die  Ortsnamen- 
forschung sich  der  Wirtschaftsgeschichte  gegenüber  mit  der  Rolle  der 
empfangenden  begnügen  müssen. 

Was  der  Ortsnamenforschung  not  thut,  ist  nicht  die  Aufstellung 
zahlloser  in  der  Luft  schwebender  Hypothesen,  sondern  die  Gewin- 
nung einer  festen  Unterlage  in  Gestalt  durch  strenge  Beweisführung 
erhärteter  Thatsachen,  auf  denen  sich  weiter  bauen  läfst. 


Mitteilungen 

• 

Archive.  —  Die  ÄnndUn  des  Historischen  Vereins  für  den  Niederrhetn 
veröfifentlichen  in  ihrem  71.  Hefte  (Köln,  ßoisserde,  1901),  das  im  59.  Heft 
(1894)  begonnene  und  im  64.  Heft  (1897)  fortgesetzte  Werk  weiterführend, 
einige  Inventare  gröfserer  Archive  '),  die  eine  eigene  fachmännische  Leitung 
nicht  haben,  und  zwar  sind  diesmal  fünf  Pfarrarchivare  in  der  Stadt 
Köln  gewählt,  während  in  den  beiden  früheren  Heften  Inventare  nieder- 
rheinischer  Städte  enthalten  waren.  Die  Ausgabe  besorgt  imd  die  Regesten 
zum  gröfsten  Teil   angefertigt  hat   Heinrich  Schäfer,   Hüfsarbeiter  am 


i)  Nach   einer  Abmachang  zwischen  der   Gesellschaft    für    Rheinische    Ge 
schichtskande  and  dem  Historischen  Verein   für  den  Niederrhein  veröffent- 
licht  erstere  du  Obersicht   über  den  Inhalt   der  kleineren  Archive   der  Rheinprovint 
(erster  Bd.  1899,  vom  2.  Bde.  bisher  2  Hefte),  letzterer   dagegen  gröisere  Inventare  an« 
seinem  Arbeitsgebiete. 


—     218     — 

Kölner  Stadtarchiv,  wenn  er  auch  bereits  von   andern  gearbeitete  Regesten, 
namentlich  beim  Pfarrarchiv  St.  Severin,  benutzen  konnte.   Es  handelt  sich  auch 
hier  mehr  um  Erschliefsung  neuer  Quellen  als  um  Inventare,  die  zum  Zurecht- 
finden in  den   betreffenden  Archiven   dienen,   um   einen  Band  Regesten  — 
nur  dafs  hier  nicht  ein  sachliches  Prinzip,  sondern  die  zufällige  Zusanmien- 
setzung  der  Pfarrarchive  St.  Gereon,  St  Severin,  St.  Maria  in  Lys- 
kirchen,    St.  Aposteln  und  St.  Peter   für   die  Veröffentlichung   mafs- 
gebend  gewesen  ist.     In  jedem  FaUe  sind  Urkunden  —  auch  die   aus   den 
Kopiaren  —   und   Akten   getrennt  aufgeführt,    aber  auf  ersteren   liegt   ent- 
schieden der  Nachdruck.     Für  die  stadtkölnische  Geschichte  wird  darin  ein 
reiches  Material  erschlossen,  das,  wenn  auch  manches  Stück  schon  gedruckt 
oder  sonst  bekannt   ist,    doch    recht  viel   neues  bietet;  ja   selbst   die  Auf- 
führung der  längst  bekannten  Stücke  ist  —  zumal  in  Anbetracht  der  Stelle, 
wo   die   Veröffentlichung   stattfindet,  —  von   hohem   Werte,   da   Zusammen- 
gehöriges so  im  Zusammenhange  erscheint  und  auch  die  von  den  Bibliotheken 
entfernten  Leser  Nachweise  über  die  Stellen  erhalten,  wo  die  Urkunden  ge- 
druckt sind.    Auf  einige  Stellen,  die  allgemeines  Interesse  haben  dürften,  sei 
hier  im  Vorbeigehen  hingewiesen:  wir  lesen   1296  die  Worterklärung  thesau-- 
raria  vulgariter  triskamere  (S.  46  Nr.  26),  und  14 14  heifst  es  von  den 
Altaristen  bei  St.  Gereon  chorisocii  beneficiati  vulgariter  huisgenoissen  appelati 
(S.   15  Nr.  68);    der  heilige  Antonius  wird  1428   als   der  hogelofde   heilige 
heilant  bezeichnet  (S.   189  Nr.  22).     Wirtschaflsgeschichtlich  ist  die  Gleich- 
setzung von  5  Malter  Roggen  und  10  Mark  Geld  ab  Durchschnittswert,  unab- 
hängig vom  Marktpreis,   127 1  von  Interesse  (S.  81    Nr.    28);    1324    wird 
ein  bis  dahin  üblicher  Pachtzahltermin   von  Andrea   auf  Maria   Geburt  ver- 
legt (S.  85  Nr.  46);   seitens  des  Stiftes  Kerpen  wird  1252  der  Holzv er- 
kauf vorgesehen  (S.  80  Nr.  21);    Römische  Kaufleute  als  Gelddarleiher 
erscheinen   1224  und  1225  (S.   79 — 80  Nr.   14 — 17),  und  die  Messen  von 
Troyes  und  Provins  sind  die  Erfüllungszeiten  für  die  Schuldner;   1425  schul- 
den ein  Kölner  und  ein  Lübecker  Bürger  gemeinsam   dem  Nürnberger  Bür- 
ger Christian  Armbrucer    eine    Sunmie   Geld    in    Gold   (S.    10 1    Nr.    118). 
Gegenüber  einem  unstreitigen  Patronatsrecht,  das  dessen  Inhaberin  (die  Äb- 
tissin von  St.  Maria  im  Kapitel)  ausübt,  kommt  1299  die  Wahl  eines  Pfarrers 
durch  offidati  et  parochiani  zu  stände,   und  der  Streit  zieht  sich  bis   1318 
hin  (S.  47  Nr.  28,    29,  34  und  S.  52  Nr.  6).     1460  kann   ein  Nonnen- 
kloster nach  dem  Empfang  einer  Rente  von  40  Gulden  die  Zahl  der  Pfrün- 
den van  zwei  erhöhen  (S.   150  Nr.  94).     Aus  den  Jahren   15 17  und  15 18 
liegen   zwei   Register   des   vom   Erzbischof  erhobenen   Zehnten  vor   (S.    61 
Nr.  4);  zwei  Urkunden  von  1474  sind  direkt  für  die  Belagerung  der  Stadt 
Neufs   von  Belang  (S.   153/54  Nr.   117    und   120),   und   die   folgenden  Ur- 
kunden zeigen,  in  welchem  Mafse  die  Stadt  Köln  die  Lage  des  Erzstifts  zu 
ihren  Gunsten  auszunutzen  weifs.     Diese  Proben  mögen  genügen;  sie  zeigen 
zum  wenigsten,  dafs  auch  manches  über  das  ortsgeschichtliche  Interesse  hin- 
ausgehende Material  in   dieser  Publikation   zu   finden   ist  —  Wie  die   not- 
wendig werdende  Art  des  Zitierens  bereits   zeigt,    sind   die  Regesten  inner- 
halb jeder  Abteilung  neu  numeriert;  wäre  eine  einzige  durchgehende  Zählung 
gewählt  wie  bei  grofsen  Regestenwerken,  so  wäre  das  Zitieren  viel  einfacher! 
Auch  die  den  Vorlagen  unmittelbar  entnommenen  dankenswerter  Weise  recht 


—     219     — 

zahlreichen  Quellenstellen  würden  noch  besser  hervortreten,  wenn  sie  durch 
den  Druck  (Kursive)  ausgezeichnet  werden;  zugleich  würden  dann  viele  An- 
führungszeichen imd  neuhochdeutsche  Umgestaltungen  einzelner  Worte,  die 
auch  in  Anführungszeichen  stehen  (z.  B.  „Wedden**  S.  155  Nr.  126),  ent- 
behrlich werden,  die  Bedeutung  als  Quellenpublikation  aber  würde  wachsen, 
denn  unzweideutig  wären  dann  die  Worte  des  Regestenbearbeiters  von  den 
der  Vorlagen  selbst  geschieden.  Die  Einschaltung  des  n  in  lycham  (S.  20 
Nr.  99,  1454)  ist  fehlerhaft;  interessant  wäre  es  aber,  wenn  man  sehen 
könnte,  ob  1488  (Nr.  129)  und  1549  (Nr,  158)  die  Form  genau  so  lautet 
oder  ob  etwa  wenigstens  in  der  zweiten  Stelle  schon  das  n  zu  lesen  ist: 
da  in  diesen  beiden  Stellen  die  neuhochdeutsche  Umschreibung  gewählt  wurde, 
wird  dies  leider  nicht  klar.  S.  150  Nr.  96  ist  1420  statt  1720  zu  lesen; 
S.  153/54  scheint  in  Nr.  n8  und  119  auch  1473  durch  1474  ersetzt 
werden  zu  müssen. 

Der  Zufall  hat  es  gewollt,  dafs  eins  der  fünf  Archive,  das  Pfarrarchiv 
von  St.  Severin,  dessen  Bestände  S.  77  bis  119  verzeichnet  sind,  gleich- 
zeitig noch  von  anderer  Seite  bearbeitet  worden  ist  und  zwar  so,  dafs 
keine  der  beiden  Arbeiten  in  der  anderen  hat  benutzt  werden  können.  In  splen- 
didester Ausstattung,  welche  die  Unterstützung  eines  früheren  Vorstehers  der  Ge- 
meindevertretung von  St.  Severin  ermöglichte,  ist  erschienen :  Die  Urkunden  des 
Pfarrarchivs  von  St.  Severin  in  Kölny  bearbeitet  und  herausgegeben  von 
Johannes  Hefs,  Kaplan  an  St.  Severin,  (Köln,  Heinrich  Theissing,  1 90 1 . 
470  S.  4  ").  Auch  Hefs  beschränkt  sich  auf  die  im  Pfarrarchiv  selbst 
ruhenden  Urkunden,  begnügt  sich  auch  in  manchen  Fällen  mit  dem  Regest 
und  giebt  nur  anhangsweise  ein  Verzeichnis  der  Akten  des  Archivs  (S.  417 
bis  424,  51  Nummern)*).  Aber  er  will  in  einem  zweiten  Bande  zusammen- 
fassen, was  sich  über  Kirche  und  Stift  St.  Severin  im  Staatsarchiv  zu  Düssel- 
dorf, Stadtarchiv  Köln  und  sonst  verstreut  vorfindet.  So  wird  schliefslich 
auch  St.  Severin  sein  Urkundenbuch  erhalten,  wie  es  St.  Gereon  schon 
1893  erhalten  hat  ^).  Zweckmäfsiger  für  die  Benutzer  wäre  es  natürlich  ge- 
wesen, wenn  der  gesamte  Stoff  sachlich  in  zwei  Bände  geteilt  worden 
wäre  und  nicht  nach  dem  rein  zufälligen  Aufbewahrungsort,  aber  auch  so 
ist  die  Gabe  dankbar  zu  begrüfsen,  denn  so  vieles,  was  das  Regest  nicht 
oder  nur  ungenügend  anzudeuten  vermag,  wird  in  der  vollständig  gedruckten 
Urkunde  klar;  an  mancher  Stelle  werden  nun  die  Regesten  zu  verbessern 
sein,  so  z.  B.  S.  7  8  Nr.  6  —  bei  Hefs  S.  1 4  Nr.  7  :  Hanno  wird  Nanno 
werden  müssen,  und  Plettenberg,  was  als  Zuname  dieses  neuen  Wachszinsigen 
erscheint,  ist  ganz  unzweideutig  der  Wohnort  aller  4  Männer,  die  sich 
1143  oder  II 44  in  die  Wachszinsigkeit  ergeben^)..  Diese  immerhin  erheb- 
lichen und  bedauerlichen  Verstöfse  sind  jedoch  nicht  Schäfer  anzurechnen, 
da  er  gerade  bei  St  Severin  die  von  anderen  angefertigten  Regesten   über- 


i)  Die  Publikation  in  den  Annalen  fafst  sich  wesentlich  kürzer:  10  Nammem 
S.   118 -119. 

2)  UrkuncUnbuch  des  Stiftes  St.  Gereon  zu  Költiy  herausgegeben  von  P.  Joerres, 
Bonn,  P.  Hanstein. 

3)  In  dem  Regest  S.  loi  Nr.  118  (Annalen)  ist  zu  lesen  121  Gulden  g  Schillinge y 
wie  sich  aus  Hefs  Nr.  128  —  vollständiger  Druck  der  Urkunde  —  ergiebt.  Ähnlich 
schreibt  Hefs  im  Regest  zu  Nr.  79  nur  87  Mark,  während  die  Urkunde  %i\  Mark  hat. 


—     220     — 

nommen  hat.  Hefs  hat  im  ganzen  sorgfältig  gearbeitet,  und  die  vorzügliche 
typographische  Ausstattung  ist  ihm  dabei  sehr  zu  statten  gekommen.  £s  ist 
nicht  von  allzu  grofsem  Belang,  wenn  z.  B.  bei  Nr.  210  (Hofweistum  von 
Mersburden  bei  Zülpich)  die  bereits  zweimal  erfolgte  Veröffentlichung  —  bei 
Grimm,  Weistümer  II,  S.  715 — 719  und  in  den  Bonner  Jahrbüchern  44.  bis 
45.  Heft  (1868),  S.  181  bis  184  —  nicht  erwähnt  wird,  obwohl  das  Verzeich- 
nis der  Rheinischen  Weistümer  von  1883  Aufechlufs  gegeben  und  der  Ver- 
gleich mit  diesen  Drucken  Gelegenheit  zur  Herstellung  eines  guten  Textes  ge- 
boten hätte.  Die  oben  erwähnten  Schuldurkuuden  zu  Gtmsten  römischer 
Bürger  sind  als  Nr.  14—17  vollständig  abgedruckt.  Nicht- suchen  würde 
man  hier  die  Urkunden  78  und  79  (1342),  die  über  den  Erwerb  von  Stadt 
und  Burg  Salza  durch  den  Erzbischof  Heinrich  von  Mainz  handeln,  imd  worin 
für  700  Mark  Silber  Hauptsumme  eine  Rente  von  87^  Mark  aus  der  Münze 
des  Erzbischofs  zu  Erfurt  verschrieben  wird,  ebensowenig  die  Verfehmung 
der  Stadt  Groningen  1489  (Nr.  153).  Wegen  verweigerter  Zehnten  (1328, 
Nr.  57)  und  schuldiger  Jahipacht  (148 1,  Nr.  149)  wird  gegen  die  Schul- 
digen die  Exkommunikation  verhängt.  Päpstliche  Steuerkollektoren  nennen 
1385  Nr.  201,  1402  Nr.  iii,  1405  Nr.  113,  einen  Subkollektor  1366  Nr.  94. 
Im  Jahre  15 10  wird  ernstlich  gegen  eine  geraume  Zeit  anhaltende  Zehnt- 
verweigerung Front  gemacht  (Nr.  176).  Schliefslich  sei  eine  Reihe  von 
Akten  zur  Reform  des  geistlichen  Lebens  im  Stifte  St.  Severin  seit  Beginn 
des  XVI.  Jahrhds.  genannt:  1501  (Nr.  169),  1516  (Nr.  185),  1569  (Nr.  216, 
Visitationsprotokoll),  16 15  und  1620  (Nr.  242  imd  245,  Reft)rmdekrete 
auf  Grund  stattgehabter  Visitationen),  1663  (Nr.  261,  Visitationsordnung)*und 
1664  (Nr.  263,  Auszug  aus  dem  Reformdekret).  —  Gründlicher  als  das 
von  St.  Severin  ist  wohl  selten  ein  ebzelnes  Pfarrarchiv  durchgearbeitet  und 
erschlossen  worden! 


Nur  wo  die  Bestände  eines  Archivs  nicht  zu  umfangreich  sind,  wird  es 
möglich  sein  das  Inventar  sogleich  zu  einer  erschöpfenden  Publi- 
kation zu  erweitern,  aber  in  solchen  Fällen  ist  dieses  Verehren  sehr 
praktisch.  Angewendet  hat  es  z.  B.  MaxVoretzsch,  indem  er  1898  die 
Regesten  der  Originalurkunden  des  Altenburger  Ratsarchivs  vom  Jahre 
1256  bis  zum  Schlüsse  des  XIV,  Jahrhunderts  ')  herausgab.  Es  sind  im 
ganzen  44  Nummern,  denen  eine  kurze  Einleitung  über  die  älteren  Inventare 
und  das  Stadtarchiv  im  allgemeinen  vorausgeht:  die  Regesten  sind  muster- 
giltig  klar  gefafst  und  ausführlich  gehalten,  das  Eschatokoll  bt  stets  im  vollen 
Wortlaut  wiedergegeben,  und  in  Petitdruck  folgen  bei  jedem  Stück  nähere 
Angaben  über  Handschrift,  Drucke  und  sonst  Bemerkenswertes,  namentlich 
Richtigstellung  einzelner  fehlerhafter  Angaben  in  der  Litteratur.  Es  liegt  also 
in  der  That  fast  ein  Urkundenbuch  vor,  denn  nur  16  der  verzeichneten  Ur- 
kunden sind  noch  nicht  gedruckt.  Inhaltlich  ist  vor  allem  die  Privilegien- 
bestätigung durch  Markgraf  Heinrich  1265  (Nr.  i)  von  Belang;  1266  wird 
in  Zwickau  die  Gründung  eines  Hospitals  geplant  (Nr.  3);    1277    ist   das 


i)  EHe  VcrÖffenÜichung  ist  enthalten   in    der  Festschrift  zur  2$  jährigen  Jubelfeier 
des  Herzogt.  Ernst- Realgymnasiums  zu  Altenburg  am  21,  April  i8gS. 


—     221     — 

Wort  holziruxrke  lateinisch  mit  virguÜum  wiedergegeben;  1303  wird  vom 
Bischof  die  Einrichtung  eines  Kornspeichers  in  der  Marien-Magdalenenkirche 
gestattet  (Nr.  8);  1347  erklären  Bürgermeister  und  geschworene  Bürger  ein 
Haus,  welches  zwei  Brüdern,  die  Geistliche  sind,  gehört  und  dem  Augustiner- 
chorherrenstift zinst,  als  vom  Schofs  befreit,  doch  wird  eine  feste  Jahres- 
abgabe von  16  breiten  Pfennigen  festgestellt;  1397  pachtet  der  Rat  das  Schult- 
heifsengericht  in  der  Stadt 

Noch  weiter  hat  Adolf  Wenck  seine  Aufgabe  gefafst,  der  als  Beilage 
ziun  Jahresbericht  des  städtischen  Realgymnasiums  zu  Borna  für  1897  und 
1898  das  Baisarchiv  xu  Borna  (bis  1600)  behandelt  Im  zweiten  Teile 
1898  druckt  er  die  Originalurkimden  und  einige  Kopieen  älterer  Urkunden 
1327  bis  1553  ab,  im  ganzen  58  Stück,  während  im  ersten  1897  erschiene- 
nen Teile  zuerst  die  Bestände  des  Archivs  (S.  7 — 13)  charakterisiert  imd  dann 
die  Zustände  der  Stadt  (die  Stadt,  die  Bewohner,  den  Besitz  der  Stadt,  Stadt- 
behörden, Städtische  Beamte,  Bewirtschaftung  des  städtischen  Besitzes,  Markt- 
wesen, Gerichtsbarkeit,  Kirche  tmd  Schule,  Wohlfahrtseinrichtungen,  Landes- 
herrliche Beamte)  im  XV.  imd  XVI.  Jahrhimdert  kurz,  aber  stets  in  un- 
mittelbarem Anschlufs  an  das  Material  des  Stadtarchivs,  beschreibt  Anderes 
Quelleimiaterial  ist  dafür,  abgesehen  von  ganz  einzelnen  Bemerkungen,  nicht 
herangezogen,  imd  so  haben  wir  denn  hier  ein  Beispiel  für  umfassendste 
Bearbeitung  der  Archivbestände,  wenn  auch  nur  bis  1600.  Bedauerlicher 
Weise  sind  den  {vollständig  mitgeteilten  Urkunden  keine  Regesten  voran- 
gestellt, so  dafs  in  jedem  Falle  der  ganze  Text  gelesen  werden  mufs;  die 
Benutzung  wird  dadurch  natürlich  wesentlich  erschwert  Auch  schliefst  sich 
die  Schreibimg  gar  zu  eng  an  die  Vorlage  an,  selbst  die  grofsen  Anfangs- 
buchstaben finden  sich  nicht  durchgängig  bei  Eigennamen:  in  Nr.  8  (141 7) 
wird  marcgraue  xw  missen ,  aber  Sybenczenden  jaren  gelesen ;  es  fehlt  eine 
Interpunktion,  auch  die  Abbreviaturen  sind  vielfach  nicht  aufgelöst,  und  es 
entstehen  doch  manche  Zweifel,  ob  überall  richtig  gelesen  ist  Die  Identifi- 
zierung der  Ortsnamen  wäre  zum  wenigsten  zu  wünschen  gewesen.  Trotz 
alledem  bedeutet  die  Publikation  eine  wesentliche  Vermehrung  des  säch- 
sischen Urkundenschatzes,  die  nicht  dankbar  genug  anerkannt  werden  kann. 
Es  finden  sich  auch  hier  bemerkenswerte  Stellen:  so  wird  schon  141 7 
das  gewerbliche  Verhältnis  zu  einem  in  der  Bannmeile  gelegenen  Dorfe  ge- 
regelt, und  zwar  werden  zwei  Brauer- Wirte,  ein  Schmied,  ein  Schneider  und 
zwei  Schuster  zugestanden  (Nr.  8),  aber  allgemein  werden  1470  (Nr.  33) 
die  Rechte  der  Stadt  wesentlich  verschärft,  nur  Schmiede  den  Dörfern  ge- 
lassen; 1430  wird  die  Stadt  wegen  des  im  Hussitenkriege  erlittenen  Scha- 
dens für  sieben  Jahre  von  einer  dem  Naumburger  Bischof  schuldigen  Jahr- 
rente befreit  (Nr.  11);  eine  Kalandsbruderschaft  wird  zuerst  1442  (Nr.  14) 
erwähnt. 

EomniimlOIieil.  —  Die  Gründung  einer  Historischen  Kom- 
mission und  einer  Altertumskommission  ^)  hat  der  Verein  für  Geschichte 
und  Altertumskunde  Westfalens  im  Vereinsjahr  1895/96  beschlossen. 


i)  Vgl.  darüber  i.  Band,  S.  107 — 108. 


1 


—     222     — 

Die  erste  Sitzung  fand  am  21.  Mai  1896  statt'),  und  bereits  bei  dieser  Ge- 
legenheit wurde  ein  gröfseres  Arbeitsprogramm  entwickelt.  Ihrer  Organisation 
nach  ist  die  Westfälische  Kommission  etwas  wesentlich  anderes  als  die  Kom- 
missionen in  anderen  Provinzen  imd  Staaten,  am  ehesten  wohl  der  Gesellschaft 
für  Rheinische  Geschichtskunde  zu  vergleichen,  denn  sie  ist  eine  Privatgrtindung 
ohne  offiziellen  Charakter  — -  das  Werk  des  Vereins  für  Geschichte  imd  Alter- 
tumskunde Westfisdens  —  und  erfreut  sich  beträchtlicher  finanzieller  Unterstützung 
nur  seitens  der  Provinz  (3500  Mk.)  und  der  Stadt  Münster  (500  Mk.). 
Bei  der  Sitzung  am  22.  Mai  1897')  wurden  zu  den  bereits  übemonmienen 
Arbeiten  (Westfälisches  Urkundenbuch,  Münsterische  Landtagsakten,  Register 
zu  den  50  ersten  Bänden  der  Zeitschrift,  Codex  iraditionum,  Papsturkunden 
mit  Bezug  auf  Westfalen)  als  neue  Unternehmen  die  Herausgabe  der  Stadt- 
rechte imd  einiger  Chroniken,  die  Inventarisation  der  nicht  staatlichen  Archive 
und  die  Reform  der  Vereinszeitschrift  beschlossen.  Bei  der  Tagung  des 
Jahres  1898  (26.  Mai)  konnte  abgeschlossen  vorgelegt  werden  der  von 
H.  Hoogeweg  bearbeitete  6.  Band  des  Westfälischen  Urkundenbuches, 
welcher  die  Urkunden  des  Bistums  Minden  i2or  bis  1300  enthält,  femer 
der  I.  Band  der  vom  Stadtarchivar  Hellinghaus  bearbeiteten  Quellen  und 
Forschungen  zur  Geschichte  der  Stadt  Münster  und  der  2.  Band  der  von 
Detmer  besorgten  Kerssenbroch- Ausgabe. ')  Als  neue  Arbeiten  wurden  die 
Edition  Westfälischer  Rechtsdenkmäler,  worunter  die  Stadtrechte  nunmehr  als 
Teil  fallen,  und  die  Bearbeitung  eines  Urkundenbuches  der  westfälischen 
Klosterreform  vom  XIV.  bis  XVII.  Jahrh.  (Linneborn)  beschlossen,  auch 
die  Publikation  des  Visitationsprotokolls  von  15  71  durch  Detmer  in  Aussicht 
genommen.  Zur  Förderxmg  der  Inventarisation  der  nichtstaatlichen  Archive 
wurde  eine  besondere  Archivkommission  unter  dem  Vorsitze  von  Archivrat 
Philip pi  eingesetzt.  In  der  Jahressitzung  1899  (24«  März)  wurde  über  den 
guten  Forlgang  der  begonnenen  Arbeiten  berichtet  und  die  Herstellung  einer 
Grundkarte  als  Probe  beschlossen.  Im  Jahre  1 900  (3 1 .  Mai)  konnte  neben 
dem  den  Kreis  Ahaus  enthaltenden  i.  Hefte  des  i.  Bandes  der  Inventare  der 
nichtstaatlichen  Archive  der  Provinz  Westfalen*)  als  im  Druck  vollendet  der 
von  Max  jansen  (Münster,  Aschendorfi"  1 900)  herausgegebene  Cosmidromius 
Gohelini  Person  und  desselben  Verfassers  Processus  translacionis  et  reformacionis 
monasteri  Budecensis  yorgtiegt  werden.  Von  den  Grundkarten,  die  bei 
Koppenrath  in  Münster  zum  Preise  von  30  Pfennigen  zu  haben  sind,  waren 
zwei  Blätter  (Dortmund-Iserlohn  und  Münster-Burgsteinfurt)  fertig  gestellt. 
Neu  wurde  damals  die  Bearbeitung  der  Mündener  Chroniken  durch  Blömeke 
beschlossen.  Im  Jahre  1901  (24.  Mai)  wurde  das  dritte  Grundkartenblatt 
(Soest- Arnsberg)  vorgelegt,  ebenso  das  vom  Erfurter  Stadtarchivar  heraus- 
gegebene   Stadtrecht  von  Lippstadt  ^)   imd   das    2.    Heft    der  Inventare    der 

i)  VgL  den  Bericht  in  der  Zeitschrift  fUr  vaterländische  Geschichte  and  Altertums- 
kunde, 54.  Bd.  (1896),  S.  213—217. 

2)  Vgl.  die  genannte  ZeiUchrift,  55.  Bd.  (1897),  S.  269—272. 

3)  //ermannt  a  Kerssenhroch  Anabaptistici  furoris  Monasiertum  incliiam  West- 
phalicu  metropolim  everteniis  historica  narratio^  2  Teile  (XII,  4.62  and  997  Seiten). 
Mtlnster,  Theissing,   1900  [=  die  Geschichtsquellen  des  Bistums  Münster,  Bd.  5  und  6]. 

4)  Vgl.  diese  Blätter,   i.  Bd.,  S.  85—86. 

5)  Der  etwas  umständliche  Titel  lautet  nunmehr:  Rechtsqu^lUn,  Westfälische  Stadtrechte, 
Abteilung  /:  I>ie  Stadtrechte  der  Grafschaft  Mark,    Heft    i:  Lippstadt,  Münster  1901. 


—      223     — 

ntchtstaatlichen  Archive  Westfalens  (Kreis  Borken).  Als  erste  Lieferung  des 
7.  Bandes  des  Westfälisclien  Urkundenbuches  erschienen  die  Urkunden  des 
kölnischen  Westfalens  1200  bis  1237,  bearbeitet  von  Th.  Ilgen.  —  Auch 
die  Westfälische  Kommission  hat,  wie  hieraus  ersichtlich  ist,  eine  reiche  Thätig- 
keit  zur  Erschliefsung  von  landesgeschichtlichen  Quellen  entfaltet.  Es  wäre 
nur  zu  hoffen,  dafs  recht  bald  durch  Schaffung  neuer  Kommissionen  oder 
Angliedenmg  der  Landesteile,  die  eine  Kommission  oder  ein  ähnliches  Institut 
noch  nicht  besitzen ') ,  an  bestehende  der  Zustand  geschaffen  wird ,  dafs 
jedes  noch  so  kleine  Gebiet  deutschen  Bodens  eine  zuständige  Stelle  hat, 
die  seine  geschichtlichen  Interessen  vertritt  und  im  besonderen  die  landes- 
geschichtlichen Quellen  veröffentlicht. 

Eingegangene  Bficher. 

Sauerland,  Heinrich  Volbert:  Vatikanische  Urkunden  imd  Regesten  zur  Ge- 
schichte Lothringens.  Erste  Abteilung :  1 2  94 — 1342.  [=  Quellen  zur  Loth- 
ringischen Geschichte,  herausgegeben  von  der  Gesellschaft  für  Lothringische 
Geschichte  und  Altertumskunde,  Band  L]  Metz,  G.  Scriba,  1901.  441 S.  4^ 

Schiber,  A. :  Germanische  Siedlungen  in  Lothringen  und  England.  Mit 
einer  Karte.  [=  Jahrbuch  der  Gesellschaft  für  Lothringische  Geschichte 
imd  Altertumskunde,   12.  Jahrgang  (1900),  S.   148 — 187.] 


Berichtigung  und  Nachtrag 

In  meinem  Aufsatze  Historische  Topographie  mit  besonderer  Berück- 
sichtigung  Niederösterreichs  bitte  ich  folgendes  zu  berichtigen: 

S.  loi,  Z.  3  V.  o.  heifst  es  nicht  Atistriae,  Illyriae,  Carinthiae 
sondern  Atistriae,  Styriae,  Carinthiae,  S.  133,  Z.  20  v.  o.  ist  statt 
Böhmen  zu  lesen  Kämthen.  Femer  teilt  zu  der  Bemerkung  S.  10 1, 
Anm.  I ,  welche  sich  auf  die  Allgemeine  Deutsche  Biographie  stützend  be- 
dauert ,  dafs  Monographieen  über  M  e  r  i  an  imd  Z  e  i  1 1  e  r  noch  fehlen,  Herr 
Realschullehrer  G.  Lutze  in  Sondershausen  mit,  dafs  wohl  einschlägige 
Schriften  existieren,  nämlich:  H.  Eckardt,  Matthäus  Marian,  Skizze  seines 
Lebens  und  ausführliche  Beschreibung  seiner  Topographta  Oermaniae  (Basel, 
H.  Georgs  Verlag,  1887),  während  Joh.  Georg  Hagens  Geographischer 
Büchersaal  (2  Bände,  Chenmitz  1774)  auch  Zeiller  ausführlich  behandelt. 

Wien.  Max  Vancsa. 

Da  nähere  Angaben  über  die  beiden  genannten  Männer  vielleicht  man- 
chem Leser  willkommen  sind,  mögen  kurze  Skizzen  ihres  Lebensganges,  die 
G.  Lutze  zur  Verfügung  gestellt  hat,  hier  eine  Stelle  finden. 

Die  Meriane  sind  eine  alte  Baseler  Patrizierfisunilie  und  heutzutage  in 
der  Schweiz  noch  ansässig.  Matth.  Merian  ist  am  25.  September  1593  als 
Sohn  des  Ratsherrn  Walter  Merian  in  Basel  geboren.  Mit  reicher  Begabung 
für  künstlerisches  Schaffen  ausgerüstet  widmete  er  sich  frühzeitUL^r  Malerei 
und  erhielt  seine  Ausbildung  bei  dem  Maler  und  Kupferstecher  ^Bwi^Meyer 
in  Zürich.    Nach  vierjähriger  Lehrzeit  wurde  er  nach  Nancy 


i)  Wie  es  Anhalt  gethan  hat,  das  sich  der  Proriiu 


—     224     — 

mehrere  Stiche  auszuführen.  Von  hier  ging  er  nach  Paris,  wo  er  mit  dem  be- 
rühmten französischen  Kupferstecher  Jacques  Callot  in  Verbindung  trat.  Nach 
erfolgreichem  Arbeiten  in  dieser  Stadt  kehrte  er  nach  seiner  Vaterstadt  zurück, 
um  sich  zu  einer  Studienreise  nach  Italien  zu  rüsten.  Da  aber  daselbst  die 
Pest  grassierte,  wandte  er  sich  nach  Deutschland.  Von  Augsburg,  wo  er 
begann  deutsche  Städte  zu  studieren,  ging  er  1616  nach  Stuttgart  tmd  von 
da  nach  den  Niederlanden.  In  Frankfurt  a.  M.  trat  er  in  Beziehung  zu 
dem  Buchhändler,  Verleger  und  Kupferstecher  Johann  Theodor  de  Bry, 
dessen  Tochter  Maria  Magdalena  er  als  Gattm  heimführte.  Er  liefs  sich  in 
Basel  nieder  und  entwickelte  da  eine  reiche  künstlerische  Thätigkeit  Schon 
hier  unternahm  er  gröfsere  und  kleinere  Ausflüge,  um  den  Stoff  zu  land- 
schaftlichen und  Städtebildem  zu  sammeln,  die  seinen  späteren  Ruf  mit  be- 
gründen sollten.  Im  Jahre  1624  siedelte  er  nach  FrankÄirt  a.  M.  über  und 
übernahm  den  Buch-  und  Kupferstichhandel  seines  verstorbenen  Schwieger- 
vaters. Ein  äufserst  fruchtbares  Schaffen  brachte  das  Geschäft  zu  hoher 
Blüte.  Merian  starb  am  19.  Juni  1650  noch  nicht  57  Jahre  alt,  hochbetrauert 
als  Mensch,  wie  als  Künstler.  Von  seinen  zehn  Kindern  führten  die  beiden 
ältesten,  Matthäus  tmd  Kaspar,  das  Geschäft  im  Sinne  und  Geiste  des 
Vaters  weiter.  1727  ist  die  Firma  „  Merians  Erben "  in  Frankfurt  erloschen. 
Die  Herausgabe  des  Merianschen  Werkes  umfafst  einen  Zeitraum  von  46  Jahren, 
1642  ist  der  erste,  1688  der  letzte  Band  erschienen.  Die  Herstellung  der 
ersten  9  Bände  hat  er  selbst,  die  nachfolgenden  haben  die  Söhne  besorgt 
Martin  Zeil  1er  wurde  den  17.  April  1589  in  Ränten  in  Obersteier- 
mark geboren,  wo  sein  Vater,  ein  Schüler  Melanchthons,  lutherischer  Prediger 
war.  Wegen  Verfolgung  in  Glaubenssachen  siedelte  er  1600  nach  Regens- 
burg, 1 602  nach  Ulm  über,  wo  er  eine  Zeit  lang  als  Pestilenzprediger  wirkte. 
Hier  ist  er  1609  gestorben.  Sein  Sohn  Martin  besuchte  nach  Absolvierung 
des  Gymnasiums  in  Ulm  die  Universität  Wittenberg  imd  wirkte  von  1 6 1 2  ab  in 
Linz  als  Lehrer  junger  Adliger.  1615  trat  er  mit  seinen  Schülern  eine 
Reise  durch  Böhmen,  Mähren  und  das  Elsafs  an  und  blieb  mit  ihnen  zwei 
Jahre  an  der  Universität  Strafsburg.  1620 — 1622  lebte  er  mit  einem  jungen 
Grafen  Tättenbach  in  Frankreich.  Abermals  zum  Mentor  zweier  Grafen  be- 
rufen,  besuchte  er  mit  ihnen  die  Schule  in  Linz.  Wegen  seines  Glaubens 
angefeindet,  wohnte  er  nacheinander  zu  Ulm,  Tübingen  und  Strafsburg.  Ais 
Reisebegleiter  zweier  adliger  Zöglinge  bereiste  er  Italien  und  erwarb  zu 
Padua  die  Würde  eines  Syndicus  Juristarum  deutscher  Nation.  Des  Rei- 
sens  müde  erwarb  er  in  Ulm  das  Bürgerrecht  und  verheiratete  sich  1630 
mit  Magdalena  Matthesius.  Die  Ehe  blieb  kinderlos.  1633  wurde  er  Ober- 
aufseher am  Gymnasium  zu  Ulm,  1641  Censor  der  historischen  imd  philo- 
sophischen Schriften,  1643  Inspektor  der  deutschen  Schulen  in  Ulm;  er 
war  aufserdem  kaiserlicher  Notar.  Sein  Biograph  sagt,  dafs  er  diesen  Ämtern 
mit  vielem  Ruhme  vorgestanden  und  seine  übrige  Zeit  allein  auf  die  Verab- 
fassung  seiner  Schriften  verwendet  habe.  Das  auf  Reisen  gesammelte  histo- 
rische und  geographische  Material  ordnete  imd  veröffentlichte  er  in  46  Schriften, 
die  von  1632 — 1688  erschienen  sind.  Seine  Mitarbeiterschaft  an  Merians 
Kupferwerke,  für  welches  er  den  Text  zu  den  meisten  Topographieen  lieferte, 
ist  nicht  sein  kleinstes  Verdienst     Zeiller  starb  am  4.  Okt  1661. 

Heraotceher  Dr.  Araiui  Tille  ia  Leipdc.  —  Druck  und  Verlag  tob  Friedrich  Andreai  Perdies  in  Goduu 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatssclirift 


zur 


Förderung  der  landesgeschicMclien  Forschung 

III.  Band  Juni  1902  9.  Heft 


Liandesgesehiehtliehe  lieht^  und  licsebüeher 

Von 
Martin  Wehrmann  (Stettin) 
Welche  Stellung^  die  Landes-  und  Heimatsgeschichte  im  Unterrichte 
der  höheren  Schulen  einnimmt,  habe  ich  versucht,  kurz  in  diesen 
Blättern  *)  darzustellen.  Es  war  keineswegs  die  Absicht,  wie  an  einer 
Stelle  gesagt  ist,  für  diesen  Gegenstand  gleichsam  Reklame  zu  machen 
oder  eingehend  zu  schildern,  in  welcher  Weise  thatsächlich  im  Ge- 
schichtsunterrichte wohl  schon  längst  die  spezielle  Heimatsgeschichte 
als  Hilfe  und  Stütze  verwandt  wird,  sondern  nur  darauf  hinzuweisen, 
wie  sich  die  amtlichen  Lehrpläne  und  Anordnungen  zu  diesem  Gegen- 
stande verhalten.  Dabei  hat  sich  ergeben,  dais  dort  demselben  zu- 
meist nur  geringe  oder  gar  keine  Beachtung  geschenkt  ist.  Sonst  aber 
ist  das  stets  wachsende  Interesse  an  der  Landesgeschichte,  wie  auch 
hervorgehoben  ist,  nicht  ohne  Einflufs  auf  den  Unterricht  der  höheren 
Schulen  geblieben.  Es  wäre  ja  auch  wunderbar,  wenn  man  sich  dort 
gegen  die  Bestrebungen  der  Volksschule,  den  heimatskundlichen  Stoff 
nutzbar  zu  machen,  ganz  ablehnend  verhalten  hätte.  Die  unendlich 
reiche  Literatur  über  die  unterrichtliche  Verwertung  der  Heimatskunde 
im  weiteren  Sinne,  die  zahllosen  Leitfaden,  Bücher  und  Büchlein,  in 
denen  für  deutsche  Staaten,  Provinzen,  Städte,  Kreise  oder  einzelne 
Gemeinden  das  Material  gesammelt  und  gedruckt  ist,  sind  auch  von 
den  höheren  Schulen  durchaus  nicht  unbeachtet  geblieben,  nur  sind 
<iie  meisten  von  diesen  „Heimats-  oder  Landeskunden**  für  sie  nicht 
ohne  weiteres  zu  verwerten.  Sie  bieten  fast  alle  eine  zu  umfangreiche, 
oft  wenig  planvoll  zusammengestellte  Sammlung  von  allerlei  wissens- 
wertem und  wichtigem  Stoff,  dafs  sie  wohl  als  Realienbücher  in  der 
Volksschule  benutzt  werden  können  und  müssen,  aber  mit  einexJlipnats- 
kunde,  wie  sie  nur  als  Hilfe  beim  Unterrichte  ven^xndet 
oft  wenig  zu  thun  haben.     Auch  liegt  es  nicht  im  Plane  d*' 


I)  Bd.  II,  S.  265—273.  H^^  ^ 


4 


—     226     — 

Schulen,  in  solchem  Sinne  Heimatskunde  ausführlich  und  eingehend 
zu  behandeln,  wenn  es  selbstverständlich  beim  erdkundlichen  Unter- 
richte auch  wünschenswert  ist,  das  Heimatsland  etwas  genauer  zu  be- 
handeln. Wenn  es  gelingt,  das  Interesse  in  den  Unter-  und  Mittel- 
klassen anzuregen,  auf  geeignete  Bücher,  deren  es  ja  manche  giebt, 
hinzuweisen  und  durch  gelegentliche  Benutzung  des  sich  von  selbst 
bietenden  Stoffes  zur  Erklärung  fremder  Verhältnisse  zu  verhelfen,  so 
hat  der  erdkundliche  Unterricht  in  den  höheren  Schulen,  der  „ein 
verständnisvolles  Anschauen  der  umgebenden  Natur  und  der  Karten- 
bilder, sowie  Kenntnis  der  physischen  Beschaffenheit  der  Erdoberfläche 
und  der  räumlichen  Verteilung  der  Menschen  auf  ihr"  vermitteln  soll, 
in  dieser  Beziehung  genug  getan.  Der  Unterricht  in  Sexta  soll  wohl 
von  der  Heimat  ausgehen,  aber  nicht  in  ihr  aufgehen. 

Fehlt  es  für  diese  Heimatskunde  im  weiteren  Sinne  durchaus 
nicht  an  Hilfsmitteln,  die  wohl  auch  den  Schülern  in  die  Hände  ge- 
geben werden  können,  so  verhält  es  sich  ganz  anders  mit  der  Landes^ 
oder  Heimatsgeschichte.  Es  ist  schon  hervorgehoben,  dafs  hier  wirk- 
lich brauchbare  Darstellungen  fast  ganz  mangeln.  Dadurch  entsteht, 
wie  auch  O.  Jäger*)  mit  Recht  betont,  eine  Schwierigkeit  für 
den  Lehrer  sowohl  wie  für  den  Lernenden.  Jener  hat  nicht  immer 
die  Zeit,  sich  wirklich  wissenschaftlich  in  die  Geschichte  des  Landes, 
in  das  er  durch  seinen  Beruf  gekommen  ist,  einzuarbeiten,  zumal  wenn 
er  häufiger  den  Ort  seiner  Tätigkeit  zu  wechseln  hat,  und  dem  Schüler 
bietet  für  diesen  TeU  des  Geschichtsunterrichtes  das  Lehrbuch  gar 
keine  oder  nur  geringe  Hilfe.  Dadurch  wird  unzweifelhaft  das  Heran- 
ziehen der  Lokal-  oder  Territorialgeschichte  ungemein  erschwert.  Dieser 
Mangel,  der  doch  von  verschiedenen  Seiten  empfunden  zu  sein  scheint, 
hat  ja  zu  manchen  Versuchen  gefuhrt,  von  denen  im  folgenden  einige 
kiuz  behandelt  werden  mögen.  Es  kann  und  soll  sich  dabei  aber 
keineswegs  um  eine  auch  nur  einigermafsen  erschöpfende  Bibliographie 
handeln.  Dafür  mag  auf  P.  E.  Richters  Bibliotheca  geographica 
Germaniae,  Literatur  der  Landes  ^  und  Volkskunde  des  Deut-- 
sehen  Reichs  (Dresden  1896)  und  auf  die  von  A.  Kirch  hoff  und 
K.  Hassert  herausgegebenen  Berichte  über  die  neuere  Literatur 
zur  deutschen  Landeskunde,  von  denen  bisher  der  erste  Band  (Berlin 
1901)  vorliegt,  verwiesen  werden  *).    Ebenso  liegt  es  ganz  fem  für  die 


i)  Humanist.  Gymn.  XII,  S.  236. 

2)  Vgl.  oben  S.  178  —  182.  Für  Sachsen-Meiningen  giebt  das  36.  Heft  der  Schriften 
des  Vereins  fUr  Sachsen -Meiningische  Geschichte  und  Landeskunde  (1900)  QneUen  und 
Literatur  an. 


—     227     — 

einzelnen  Territorien,  darzustellen,  was  dort  in  der  eng-eren  oder  wei- 
teren Heimatsgeschichte  durch  die  Arbeiten  der  Vereine  oder  einzelner 
Forscher  geleistet  ist.  Es  ist  selbstverständlich,  dais  die  Ergeb- 
nisse auch  für  den  Unterricht  verwertet  werden  können  und  müssen, 
aber  an  dieser  Stelle  können  nur  einige  Arbeiten  behandelt  werden, 
die  recht  eigentlich  für  die  Schule  bestimmt  und  in  derselben  als 
Lehr-  und  Lesebücher  benutzt  werden  sollen.  Nicht  ganz  streng 
läfst  sich  der  zweite  Begriff  der  Lesebücher  bestimmen,  da  hierfür 
manches  sehr  wohl  in  Frage  kommen  kann,  was  nicht  speziell  für  die 
Schule  verfafst  ist 

Da(s  die  Heimatsgeschichte  im  Unterrichte  benutzt  und  auch  ge- 
lehrt wird,  ist  die  Voraussetzimg,  von  der  hier  ausg^angen  ist  *).  Der 
imterrichtliche  Wert  derselben  für  die  Anschauung  und  das  Verständ- 
nis femer  liegender  Zustände  oder  Ereignisse  ist  nicht  zu  leugnen,  und 
das  natürliche  Interesse,  das  auch  schon  bei  der  Jugend  durch  An- 
knüpfen an  lokale  Beziehungen  erweckt  wird,  muis  unzweifelhaft  aus- 
genutzt und  gefördert  werden.  Nur  glaube  man  nicht,  dafs  alles,  was 
in  der  Heimat  vorhanden  ist,  den  Schülern  auch  nur  äufserlich  be- 
kannt und  vertraut  ist!  Man  hüte  sich,  ein  Unbekanntes  durch  ein 
anderes  erklären  zu  wollen!  Man  belaste  den  schon  reichen  Stoff, 
der  im  Geschichtsunterrichte  behandelt  werden  soll,  nicht  noch  weiter! 
Es  liegt  also  fem,  etwa  einen  neuen  Unterrichtsgegenstand  einzuführen 
oder  die  spezielle  Heimatsgeschichte  in  das  vorgeschriebene  Penstmi 
einzuschmuggeln.  Vielmehr  soll  nur  an  geeigneten  Punkten  das  Inter- 
esse für  dieselbe  geweckt  werden.  Zunächst  ist  es  doch  wohl  natür- 
lich, die  Stellen  der  deutschen  Geschichte,  an  denen  das  Heimatsland 
oder  die  Heimatsstadt  eine  besondere  Rolle  spielen,  etwas  eingehender 
zu  behandeln.  Natürlich  bietet  sich  in  manchen  Gegenden  dazu  häu- 
figere Gelegenheit,  als  in  anderen.  Aber  es  wird  nirgends  ganz  daran 
fehlen.  Für  diese  etwas  ausführlicher  darzustellenden  Abschnitte  oder 
Episoden,  denen  die  Schüler  erfahrungsmäfsig  lebhaftes  Interesse  ent- 
g^enbringen,  bietet  das  Lehrbuch  natürlich  nicht  genügendes  Material. 
So  ist  z.  B.  in  den  meisten  Leitfaden  zur  deutschen  Geschichte,  die 
für  die  Mittelklassen  bestimmt  sind,  das  grofse  Werk  der  deutschen 
Kolonisation  im  XII.  und  XIII.  Jahrhundert  gar  nicht  oder  ganz  neben- 
sächlich erwähnt.  In  den  Ländem,  die  zum  damaligen  Kolonialgebiete 
gehören,   ist  es  aber  ganz  besonders  geboten  und  von  eigenartigem 


i)  Wie  auch  mit  dem  erdknndlichen  Unterrichte  Heimatsgeschichte  verbanden  werden 
kann,  zeigt  R.  Foss  in  seinem  Büchlein  „Z>Äf  Mark  Brandenburg"  (Berlin  1873}. 
Vorsicht  ist  aber  hierbei  nötig. 

16* 


—     228     — 

Interesse  näher  darauf  einzugehen  und  genauer  zu  betrachten,  wie  das 
Heimatsland  deutsch  geworden  ist.  Für  die  Schüler  im  Westen  und 
Süden  wird  dagegen  die  ältere  Zeit,  so  zu  sagen,  persönlich  inter- 
essanter sein.  Aber  nicht  diese  zufälligen  Beziehungen  erscheinen  als 
das  wichtigste,  sie  dienen  gewissermafsen  nur  zur  Belebung  des  grofsen 
Ganzen;  systematischer  kann  die  Heimatsgeschichte  bei  der  Schilde- 
rung von  Zuständen  verwertet  werden.  Dafür  bieten  sich  überall  An- 
haltspunkte, dafür  fehlt  es  nirgends  an  Material.  Die  Christianisierung 
z.  B.  Deutschlands  kann  an  einem  der  Heimat  entnommenen  Beispiele, 
das  Mönchswesen  an  einem  heimatlichen  Kloster  oder  der  Erinnerung 
daran  besser  erläutert  werden  als  durch  lange  Auseinandersetzungen. 

Für  die  Repetition  des  den  Schülern  neu  gebotenen  Stoffes  mag 
es  bei  einiger  Bemühung  des  Lehrers  ohne  ein  eigenes  Lehrbuch  gehen, 
wenn  auch  eine  kurze  zusammenhängende  Übersicht  über  die  Heimats- 
geschichte erwünscht  ist,  ähnlich  der,  welche  in  den  Büchern,  die  in 
den  preufsischen  höheren  Lehranstalten  in  Gebrauch  sind,  für  die  ältere 
brandenburgische  Geschichte  gegeben  zu  werden  pflegt.  In  den  deut- 
schen Einzelstaaten  dagegen  ist  für  eine  eingehendere  Behandlimg  ein 
Leitfaden  durchaus  notwendig.  Aber  für  weitere  Lektüre,  für  die  Vor- 
bereitung zu  kleineren  Ausarbeitungen  oder  kurzen  Vorträgen  fehlt  es 
sehr  oft  an  recht  brauchbaren  Werken,  die  der  Lehrer  dem  Schüler 
in  die  Hand  geben  kann,  da  die  gröfeeren  Territorial-  oder  Lokal- 
geschichten sich  selten  dazu  eignen.  So  ist  das  Bedürfnis  nach  Lehr- 
und  Lesebüchern,  die  auf  wissenschaftlicher  Grundlage  beruhen,  sicher 
oft  empfunden  worden  *).  Es  braucht  darum  keineswegs  ein  neues 
Schulbuch  eingeführt  zu  werden,  das  nun  peinlich  dem  Unterrichte 
zu  Grunde  zu  legen  wäre ;  nein,  es  genügt,  wenn  die  Schüler  auf  solche 
Bücher  hingewiesen,  wenn  sie  in  der  Schulbibliothek  vorhanden  und 
ausgeliehen  werden.  Sie  müssen  aber  vor  allem  dir  diejenigen,  fiir 
die  sie  bestimmt  sind,  geeignet,  d.  h.  anregend,  verständlich,  klar 
und  nicht  langweilig  sein,  auch  nicht  alles  mögliche  enthalten,  was 
nur  lose  mit  der  Heimatsgeschichte  zusammenhängt.  Solche  vortreff'- 
lichen  Werke,  wie  Th.  Fontanes  Wanderungen  durch  die  Mark 
Brandenburg,  A.  Trinius*  Thüringische  Skizzen,  F.  Reg  eis  Thü- 
ringen, J.  Partschs  Schlesien,  O.  Lorenz'  und  W.  Scherers 
Geschichte  des  Elsasses  u.  a.  m.,  haben  auch  unter  der  Jugend  be- 
geisterte Leser  gefunden.  Die  im  Verlage  von  F.  A.  Perthes  er- 
scheinenden Deutschen  Landesgeschichten  sind  zwar  zunächst  nidit 


I)  Vgl.  Bd.  n,  s.  272  f. 


1 


—     229     — 

für  die  Schulen  bestimmt,  können  aber  sehr  wohl  auch  als  Lesebücher 
für  erwachsene  Schüler  verwertet  werden.  Auch  sonst  giebt  es  gewifs 
in  jeder  deutschen  Landschaft  noch  Werke,  die  zu  diesem  Zwecke 
empfohlen  werden  können.  Doch  auch  hier  ist  für  die  Heimats  k  u  n  d  e  im 
weitesten  Sinne  viel  besser  als  für  die  Heimatsges  ch  ich  te  gesorgt.  Durch 
wissenschaftliche  imd  zugleich  im  besten  Sinne  populäre  Darstellungen 
können  sehr  wohl  in  weiten  Kreisen  Interesse  und  Teilnahme  erweckt 
werden. 

Wie  bereits  hervorgehoben  ist,  erscheinen  eigentliche  Lehr- 
bücher nicht  überall  als  durchaus  notwendig,  aber  es  ist  wünschens- 
wert, dafe  solche  vorhanden  sind,  damit  sie  gelegentlich  den  Schülern 
empfohlen  oder,  falls  ein  Lehrer  es  versteht,  das  Interesse  der  Schüler 
in  dieser  Hinsicht  anzuregen,  auch  in  preufsischen  höheren  Schulen 
eingeführt  werden  können.  Es  ist  sehr  zu  wünschen,  dafe  hier 
wenigstens  einige  Freiheit  erlaubt  ist.  Doch  darf  keine  Über- 
bürdung der  Schüler  eintreten.  Solche  Arbeiten  dürfen  deshalb 
nicht  zu  umfangreich  sein,  andrerseits  aber  sind  sie  wenig  brauchbar, 
falls  die  Darstellung  gar  zu  mager  und  dürftig  ist.  Auf  jeden  Fall 
erscheint  eine  präzise,  zusammenhängende  Darstellung  der  Entwickelung 
des  Landes,  in  der  die  wichtigsten  Momente  scharf  hervortreten, 
brauchbarer,  als  eine  Zusammenstellung  einiger,  zusammenhangsloser 
Erzählungen  aus  der  Geschichte.  Dafs  dabei  auch  die  prähistorische 
Forschung  berücksichtigt  wird,  ist  durchaus  zu  fordern.  Eine  Samm- 
lung Deutsche  Landes-  und  Provinzialgeschtchte  hat  R.  Voigt- 
länders  Verlag  (Leipzig  1892)  als  ein  Handbuch  für  die 
Heimatkunde  im  Geschichtsunterricht  herausgegeben.  Die 
wissenschaftliche  Leitung  des  Unternehmens  hat  C.  Schmelzer  ge- 
führt, der  für  den  Geschichtsunterricht  das  Entwerfen  von  möglichst 
vielen  kleinen  Einzelbildern  empfiehlt.  Die  Sammlung  besteht  aus 
28  Heften,  die  von  verschiedenen  Verfassern  hergestellt  und,  wie 
rühmend  hervorzuheben  ist,  mit  kleinen  Karten  und  Wappen  aus- 
gestattet sind.  Die  einzelnen  Hefte,  meist  vom  Umfange  je  eines 
Druckbogens,  sind  gewöhnlich  so  angelegt,  dafs  einem  kurzen,  oft 
tabellenmäfsig  angelegten  Abrisse  der  Landesgeschichte  Erzählungen 
aus  der  heimatlichen  Geschichte  folgen.  Meist  sind  diese  recht  ge- 
schickt und  sachlich  richtig  gegeben,  aber  bei  dem  geringen  Umfange, 
den  sie  einnehmen,  bleiben  sie  doch  matt  und  farblos.  Sie  sind  weder 
als  Lesestücke  noch  als  Abschnitte  zur  Repetition  recht  zu  gebrauchen. 
Für  den  geschichtlichen  Unterricht  wäre,  wie  bereits  gesagt,  eine  er- 
weiterte Übersicht  der  Heimatsgeschichte  wünschenswerter,  bei  der  es 


—     230     — 

dem  Lehrer  überlassen  bleibt,  die  für  seinen  Unterricht  geeigneten 
Teile  weiter  auszuführen.  Trotzdem  sind  die  kleinen  Hefte  immerhin 
auch  für  die  höheren  Schulen  wohl  zu  verwerten.  Der  billige  Preis 
(5  Pf.  für  jedes  Hefl)  empfiehlt  sie  nicht  weniger.  Nach  einem  ans- 
führlichen,  von  A.  Te ekle nburg  *)  dargelegtem  Plane  ist  eine  Reihe 
von  stammesgeschichtltchen  Ergänzungsheften  zu  der  von  H.  Weigand 
und  A.  Tecklenburg  bearbeiteten  Deutschen  Geschichte  erschienen. 
Es  ist  schon  früher  *)  auf  diesen  systematischen  Versuch  hingewiesen 
imd  hervorgehoben  worden,  dafs  diese  Art  der  Benutzung  der  Heimats- 
geschichte keineswegs  so  etwas  ganz  neues  ist.  Trotzdem  enthält 
die  methodische  Anweisung,  die  für  die  Volksschule  gilt,  auch  für  die 
höheren  Lehranstalten  manches  beachtenswerte.  „Es  eignen  sich  im 
allgemeinen  die  kulturellen  Zustände  der  Heimat  als  anschauliebe 
Grundlage,  auf  welche  der  ganze  Lernprozeß  aufzubauen  ist,  während 
die  Ereignisse,  die  wir  als  politische  Geschichte  zu  bezeichnen  ge- 
wohnt sind  und  die  von  aufsen  her  an  die  Heimat  herantreten,  natur- 
gemäis  in  ihren  Wirkungen  in  Stammland  und  Heimat  zu  verfolgen 
sind,  derart,  dafs  diese  Wirkungen  als  Illustrationen,  Vertiefungen  und 
Ergänzungen  dienen."  Dieser  Satz  Tecklenburgs  mag  im  allgemeinen 
gelten,  obwohl  er  im  einzelnen  nicht  ganz  klar  erscheint  Oft  kann 
auch  die  Verwertung  des  heimatsgeschichtlichen  Stoffes  umgekehrt  sein, 
wenn  anders  man  überhaupt  so  entschieden  zwischen  sogenannten 
kulturellen  Zuständen  und  politischen  Ereignissen  unterscheiden  will. 
Von  den  Ergänzungsheften  liegen  von  verschiedenen  Verfassern  be- 
arbeitet erstens  stammesgeschichtliche  vor  für  die  Rheinprovinz, 
Hannover,Prov.Sachsen,GrofsherzogtumHessen,Ost-und 
Westpreufscn,  Posen,  Brandenburg,  Schleswig-Holstein, 
Schlesien,  Pommern;  zweitens  heimat^eschichtliche  für  Göt- 
tingen, Mainz,  Erfurt,  Alzey  und  Umgegend,  Nordhausen 
und  die  Grafschaft  Hohenstein,  den  Kreis  Pyritz,  Offen- 
bach a.  M.  und  Umgegend.  Diese  letzteren  Hefte,  die  für  eine 
engere  Heimat  abgefafst  sind,  enthalten  in  recht  verschieden  gelungener 
Weise  aufserordentlich  reiches  Material,  ja  so  viel,  dafs  an  eine  wirk- 
liche Durcharbeitung  nicht  zu  denken  ist.  Als  Lesebücher  eignen  sie 
sich  nicht,  da  die  Darstellung  meist  zu  nüchtern  und  langweUig  ist. 
Die  ausführliche  Darstellung  des  heutigen  Zustandes  der  betreffenden 
Bezirke  mit  Angaben  über  Organisation  der  Verwaltung  gehören  nicht 

i)  Die  organische  Eingliederung  der  Heimat-  und  Stammesgeschichte  in  die  Reichs* 
geschichte,     Hannover  und  Berlin,  Carl  Meyer  (Gustav  Prior),   1899. 
2)  Bd.  U,  S.  272. 


—     231     — 

eigentlich  in  dieselben  hinein.  Für  die  höheren  Schulen  sind  einzelne 
von  den  Heften  (z.  B.  Göttingen  oder  Nordhausen)  wohl  einmal  ge- 
legentlich zu  benutzen,  als  Lehrbücher  eignen  sie  sich  aber  nicht. 
Überhaupt  scheinen  solche,  für  den  Gebrauch  in  den  Schulen  bestimmte 
Darstellungen  kleinerer  Bezirke,  als  es  die  Provinzen  oder  einzelnen 
Staaten  sind,  überflüssig  zu  sein.  Sie  verleiten  gar  zu  leicht  zu  einer 
übertriebenen  Behandlung  der  Heimatsgeschichte,  unter  der  der  Ge- 
schichtsunterricht im  allgemeinen  dann  zu  leiden  hat.  Hier  müssen 
nur  gelegentlich  Stadt-  oder  Stammesgeschichten  *)  herangezogen  werden. 
Auch  die  erste  Reihe  der  Hefte,  in  denen  die  Geschichte  einer  Provinz 
oder  eines  Landes  behandelt  ist,  kann  für  die  höheren  Schulen  nur  be- 
dingungsweise empfohlen  werden.  Sie  enthalten  Lesestücke,  die  zu  be- 
stimmten Abschnitten  der  deutschen  Geschichte  benutzt  werden  sollen. 
Die  Auswahl  und  die  Behandlung  werden  natiugemäfs  leicht  auf  Wider- 
spruch sto&en,  da  hierbei  subjektives  Empfinden  immer  sehr  mitsprechen 
wird.  Aber  die  Beziehung  zur  allgemeinen  Geschichte  ist  doch  oft  recht 
äu&erlich,  und  manche  Abschnitte  sind  angenommen,  die  wohl  heimats- 
geschichtlich von  Interesse,  für  den  Unterricht  aber  kaum  zu  verwerten 
sind.  Auch  hier  fehlt  der  Zusammenhang  der  einzelnen  Abschnitte.  Es  ist 
zu  furchten,  dafs  bei  Benutzung  dieser  Hefte  die  Absicht  Tecklen- 
burgs  nicht  immer  erreicht,  dafs  vielmehr  gar  mancher  Lehrer  zu  einer 
Behandlung  der  Heimatsgeschichte  als  eines  eigenen  Unterrichtsg^en- 
standes  verleitet  wird.  Dazu  verfuhrt  vornehmlich  die  Zersplitterung 
des  Stoffes  in  zu  viele  kleine  Abschnitte.  Wozu  ist  es  nötig  für  ein- 
zelne Kreise  und  Gemeinden  das  Material  immer  wieder  zu  wiederholen 
und  bis  ins  kleinste  auszuführen?  Wir  kommen  da  zu  einer  Speziali- 
sierung, die  für  die  Schule  nur  schädlich  ist.  In  dem  Sinne  Heimats- 
kunde zu  treiben,  dafs  die  Schüler  alles  Wissenswerte  von  ihrer  Heimat 
aus  Vergangenheit  und  Gegenwart  lernen  sollen,  ist  für  die  höheren 
Schulen  wenigstens  entschieden  abzulehnen.  Nur  was  Tvirklich  unter- 
richtlichen  Wert  für  das  allgemeii^re  Verständnis  hat,  entnehmen  wir 
gerne  der  nächsten  Umgegend  der  Lernenden. 

Trotz  ihres  Anspruches,  etwas  Neues  zu  bringen,  unterscheiden  sich 
die  Hefte  nicht  zu  sehr  von  den  heimatskimdlichen  Beigaben,  wie  sie 
oft  zu  oder  in  deutschen  Lesebüchern  gegeben  sind.  Namentlich  im 
Verlage  von  F.  Hirt  inBreslauundLeipzig  sind  schon  vor  längerer 
Zeit  solche  Ergänzungshefte  in  gröiserer  Zahl  erschienen  und  allmälich 


i)  So  enthält  z.  B.  G.  v.  d.  Osten,  Geschichte  des  Landes  Wursten  (Teil  i,  Bremer- 
haven 1900)  auch  manches  Material,  das  fUr  den  Unterricht  verwendet  werden  kann. 


—     232     — 

durch  Umarbeitungen,  Ergänzungen  immer  mehr  ausgestaltet  worden.  Sie 
enthalten  geographische  und  geschichtliche  Lesestücke  (Westfalen,  Schle- 
sien, Westpreufsen,  Sachsen,  Hannover,  Hessen-Nassau,  Ostpreufeen^ 
Brandenburg,  Posen,  Pommern),  die  aber  zumeist  nicht  von  den  Bearbeitern 
eigens  zu  diesem  Zwecke  hergestellt,  sondern  bekannten,  gröfseren  Werken 
entnommen  sind.   So  sind  sie  nicht  eigentlich  landesgeschichtliche  Lehr- 
bücher, aber  wohl  gelegentlich  auch  beim  Unterrichte  in  den  höheren 
Schulen   als   Grundlagen   für  Vorträge    zu    benutzen.     Ähnlich    steht 
es  mit  anderen  solchen  Anhängen,   von  denen  hier  als  wohlgelungen 
der  von  Supprian  verfafete  Anhang  für  Pommern   zum  „Deutschen 
Lesebuche    mit  Bildern    von    Gabriel    und    Supprian"    (Bielefeld    und 
Leipzig,   Velhagen    und    Klasing)    erwähnt    werden    mag.      Auch    die 
Buchhandlung   des  Waisenhauses  in  Halle  a.  S.   hat  als  Bei- 
lagen  zu   dem    ,, Norddeutschen   Lesebuche**    von   Keck   imd 
Johansen  Heimatskunden  für  Hannover,   Sachsen,   Reufs,  Mecklen- 
burg, Schleswig-Holstein,  Posen,  Hessen-Nassau  u.  a.  m.  herausgegeben. 
Sie  alle  enthalten   geschichtliche   und  geographische  Bilder  und   sind 
zum   Teil    ebenfalls    gelegentlich    für    die    höheren   Schulen    zu    ge- 
brauchen. 

Nicht  eigentlich  landesgeschichtliche  Lehrbücher  sind  die 
LandeS'(Hetmats-) Kunden  der  Provinzen  Preu/sen  und  der  deut-- 
sehen  Einzelstaaten,  die  zunächst  zur  Ergänzung  der  Schul- 
geographie von  E.  von  Seydlitz  im  Verlage  von  Ferd.  Hirt 
in  Breslau  erschienen  sind.  In  den  23,  meist  sehr  wohl  gelungenen 
Heften  wird  die  Geschichte  recht  verschieden  behandelt.  In  den 
meisten  ist  ein  ganz  kurzer  Abrife  gegeben,  und  geschichtliche  Nach- 
richten sind  gelegentlich  mitgeteilt.  In  anderen  ist  die  geschichtliche 
Entwickelung  etwas  ausführlicher  behandelt,  auch  wohl  Literatur  mit- 
geteilt (Schleswig-Holstein,  Hannover,  Ost-  und  Westpreufsen,  Pommern, 
Bremen).  Wo  ein  eigener  Abschnitt  für  Geschichtliches  fehlt  (Branden- 
burg, Hamburg),  ist  dies  als  ein  Mangel  zu  bezeichnen.  Wenn  überall 
eine  zusammenhängende,  lesbare,  kurze  Darstellung  der  Landesgeschichte 
gegeben  würde,  so  würde  dadurch  die  Brauchbarkeit  der  hübschen 
Büchlein  für  die  höheren  Schulen  wesentlich  erhöht  werden. 

Eine  eingehendere  Schilderung  und  auf  gründlichen  Studien  be- 
ruhende Darstellung  erfahren  die  Provinzen  Preufsens  in  der  von 
A.  Beuermann  herausgegebenen  Landeskunde  Preufsens  (Berlin 
und  Stuttgart,  W.  Spemann).  Die  geschichtliche  Entwickelung  der 
Provinzen  aber  wird  nur  sehr  kurz  und  oberflächlich  behandelt,  eine 
Erweiterung  in  dieser  Beziehung  wäre  für  die  sonst  vortreffliche  Samm- 


—     233     — 

lung  erwünscht.  Noch  umfangreicher  sind  die  Bücher,,  die  von  den 
Pestalozzivereinen  verschiedener  deutscher  Bezirke  herausgegeben 
sind  oder  bearbeitet  werden.  So  viel  bekannt  ist,  liegen  vor  Thü- 
ringen in  Wort  und  Bild  und  die  Provinz  Sachsen  in  Wort 
und  Bild  (Berlin,  Jul.  Klinkhardt,  19CX)).  Diese  in  gutem  Sinne 
volkstümlichen  Werke  enthalten  Einzelschilderungen,  die  in  die 
Natur,  das  Volksleben  und  die  Geschichte  des  betreffenden  Terri- 
toriums näher  einführen.  Dafe  die  von  den  verschiedensten  Kreisen 
gelieferten  Beiträge  nicht  alle  gleichwertig  sind,  ist  erklärlich.  Als 
Lesebücher  mögen  sie  hier  und  da  auch  für  die  Landesgeschichte 
empfohlen  werden. 

Die  im  Verlage  von  Hobbing  und  Büchle  in  Stuttgart  er- 
scheinende grofee  Sammlung  Deutsches  Land  und  Leben  in  Einzel- 
schilderungen enthält  eme  Abteilung  „Städtegeschichten**,  in  der 
bisher  die  Geschichten  von  Naumburg  und  Königsberg  i.  Pr. 
erschienen  sind.  Die  gründlichen  und  sorgfältigen  Arbeiten  können 
ähnlich  anderen  Stadtchroniken  zur  Lektüre  wohl  auch  Schülern  in  die 
Hand  gegeben  werden.  Ahnlich  ist  es  mit  den  Werken  der  anderen 
Abteilung  „Landschaftskunden**.  Die  ganz  vortrefflichen  Arbeiten 
über  Litauen,  Masuren,  den  Odenwald,  Bayrisch  Schwa- 
ben u.  a.  m.  lassen  sich  auch  mit  Nutzen  für  den  landesgeschicht- 
lichen Unterricht  heranziehen.  Sie  enthalten  auch  hierfür  reiches 
Material. 

Auf  die  sonstigen  zahllosen  Heimatskunden,  die  immerfort  in 
allen  Teilen  des  Deutschen  Reiches  erscheinen,  kann  hier  nicht  ein- 
gegangen werden.  In  den  meisten  finden  sich  auch  Nachrichten  über 
die  Geschichte  des  betreffenden  Gebietes ,  aber  im  allgemeinen  sind 
sie  nach  einer  Schablone  gearbeitet  und  kommen  für  den  Unterricht 
in  den  höheren  Schulen  nicht  in  Betracht.  Neben  diesen  heimats- 
kundlichen  Heften  giebt  es  nun  aber  auch  eine  grofse  Zahl  von  kleinen 
Veröffentlichungen  geschichtlichen  Inhalts,  die  für  den  Unterricht  be- 
stimmt sind.  Es  ist  ganz  unmöglich,  hier  auch  nur  eine  Übersicht  zu 
geben,  aber  z.  T.  leisten  sie  ganz  g^te  Dienste  und  sind  wohl  brauch- 
bar. .In  dieser  Beziehung  ist  für  die  deutschen  Emzelstaaten  besser 
gesorgt  als  für  die  preufsischen  Provinzen.  Es  ist  das  ganz  erklärlich, 
da  dort  der  geschichtliche  Zusammenhang  gewahrt  ist,  auch  die  Landes- 
geschichte eifriger  im  Unterrichte  betrieben  wird.  Was  z.  B.  hierfür 
in  Hamburg  gethan  ist,  darauf  wurde  schon  ^)  hingewiesen.   Ebenso  ist 

i)  Vgl.  oben  S.  1131". 


—     234     — 

man  jetzt  in  Mecklenburg'  eifrig  bemüht,  der  Landesgeschichte 
den  gebührenden  Platz  einzuräumen.  Von  C.  Benjes  in  Rostock 
sind  verschiedene  Leitfäden,  Grundrisse  und  Zeittafeln  zur  mecklen- 
burgischen Geschichte  (Berlin,  Wilh.  Süsserott)  erschienen.  Für  die 
höheren  Lehranstalten  sind  bestimmt  die  von  R.  Wagner  bearbeiteten 
Bilder  aus  der  mecklenburgischen  Geschichte  und  Sagenwelt  (1900) 
und  die  von  A.  Rudioff  in  Verbindung  mit  anderen  Schulmännern 
herausgegebenen  Bilder  aus  der  mecklenburgischen  Geschichte.  Alle 
<liese  Arbeiten  eignen  sich  sehr  wohl  für  den  Unterricht  auf  ver- 
schiedenen Stufen.  Ergänzend  und  erweiternd  treten  dazu  die  bisher 
erschienenen  Bände  der  Mecklenburgischen  Geschichte  in  Einzeln 
darstellungen  {Berlin,  W.  Süsserott,  1899 — 1901).  In  denselben  werden 
ausfuhrlich  und  gründlich  die  einzelnen  Perioden  dargestellt;  als  Lese- 
bücher sind  sie  für  reifere  Schüler  sehr  zu  empfehlen.  (Vgl.  über 
diese  Sammlung  W.  Salow  im  Programm  von  Friedland  i.  Mecklenb. 
1902).  In  ähnlicher  Weise  ist  für  die  Behandlung  der  Geschichte  des 
Grofsherzogtums  Hessen  gesorgt.  Im  Verlage  von  E.  Roth 
in  Giefsen  ist  von  P.  Müller  ein  kurze  Geschichte  und  eine  Heimats- 
kunde erschienen,  treffliche  Bücher,  denen  für  die  oberen  Klassen  der 
höheren  Schulen  die  Geschichte  des  Grofsherzogtums  Hessen  von 
Fr.  Soldan  (Giefsen  1896)  erweiternd  zur  Seite  tritt.  Auch  K.  Wag- 
ners Abri/s  der  Geschichte  des  Hessenlandes  (Cassel  1896)  mag 
hier  erwähnt  werden,  ebenso  wie  F.  Münschers  Geschichten  aus 
dem  Hessenlande  oder  Geschichte  von  Hessen  (Marburg). 

Wir  müssen  uns  begnügen,  an  den  beiden  Staaten  kurz  gezeigt  zu 
haben,  wie  durch  diese  und  zahlreiche  andere  Arbeiten  der  unterricht- 
liche Betrieb  der  Heimatsgeschichte  gefordert  werden  kann.  In  den 
meisten  anderen  Bundesstaaten  steht  es  nicht  anders;  es  ist  aber  un- 
möglich auch  nur  einen  Teil  der  Litteratur  anzugeben.  Es  mag  Ver- 
tretern der  einzelnen  Gebiete  überlassen  bleiben,  solche  Zusammen- 
stellungen zu  liefern;  es  wäre  das  sehr  wünschenswert. 

Trotz  des  Reichtums  aber  an  den  verschiedensten  heimatskund- 
lichen  Lehr-  und  Lesebüchern  fehlt  es,  wie  wieder  hervorgehoben 
werden  mufs,  doch  noch  an  vielen  Stellen  namentlich  für  die  preulsi- 
schen  Provinzen  an  Arbeiten,  die  für  die  höheren  Schulen  recht  zu 
gebrauchen  wären,  sowohl  an  ausführlichen  Lesebüchern,  wie  an 
kürzeren  zusammenfassenden  Darstellungen.  Es  ist  sehr  zu  wünschen, 
dafs  die  landesgeschichtliche  Forschung  mit  dazu  beiträgt,  diesem 
Mangel  allmählich  abzuhelfen.  Nicht  allein  die  wissenschaftliche  Er- 
forschung der  Vergangenheit,   sondern   auch  die  Verbreitung  der  ge- 


—     236     — 

wonnenen  Resultate  ^)   in  Schule  und  Haus  ist  eine  wichtige  Aufgabe 
namentlich  der  verschiedenen  territorialen  Geschichtsvereine. 


Mitteilungen 

Archive«  —  Die  staatliche  Aufsicht  über  die  Archive  der  Stadt-  und 
Landgemeinden  sowie  der  öffentlichen  Korporationenen  wird  in  den  ver- 
schiedenen Bundesstaaten  verschieden  gehandhabt,  aber  überall  hat  sich  die 
Erkenntnis  Bahn  gebrochen,  dafs  es  höchste  Zeit  ist,  mit  der  alten  Vemach- 
läfsigung  der  Archive  aufzuräumen.  Noch  in  bei  weitem  den  meisten  Staaten 
wird  dies  jedoch  der  Privatthätigkeit  der  geschichtlich  interessierten  Kreise, 
wenn  sie  sich  auch  der  empfehlenden  Unterstützung  der  Behörden  fast  durch- 
gängig zu  erfreuen  haben,  überlassen.  Einen  wesentlichen  Schritt  weiter  ist 
die  Königlich  Bayerische  Regierung  der  Pfalz  (Kanmier  des  Innern)  zu 
Speyer  gegangen,  indem  sie  unter  dem  30.  August  1900  eine  VerfÜgimg  an 
sämtliche  Bezirksämter  erlieis,  die  allgemeine  Beachtung  seitens  der  Geschichts- 
forscher sowohl  als  auch  aller  staatlichen  Aufsichtsbehörden  verdient.  Für 
erstere  ist  es  von  besonderem  Werte,  dais  das  Bezirksamt  die  Inventare  in 
Abschrift  erhält:  es  ist  mithin  jetzt  möglich,  dafs  sich  der  einzelne  Forscher 
auf  dem  Bezirksamt  verhältnismäfsig  rasch  und  zuverlässig  über  den  Inhalt 
der  Gemeindearchive  im  ganzen  Bezirksamt  unterrichtet! 

Wir  lassen  hier  zunächst  den  von  der  Königlichen  Regierung  gütigst 
zur  Verfügung  gesteUten  Erlafs  in  seinem  vollen  Wortlaut  folgen: 

„Nach  den  zum  Vollzug  der  Regierungsentschliessung  vom  7.  April  d.  J. 
^r*  7353  ^  ^on  den  Bezirksämtern  erstatteten  Berichten  befinden  sich  zahl- 
reiche Gemeinden  des  Regierungsbezirks  im  Besitze  von  alten  Akten  und 
Urkunden,  Ratsprotokollen,  Beschlussbüchem,  Rechnungen  u.  s.  w.  von  teilweise 
sehr  hohem  archivalischem  Wert,  für  deren  Sichtung  und  sichere  Aufbewahnmg 
nicht  allerwärts  die  nötige  Vorsorge  getroffen  zu  sein  scheint 

Das  Bezirksamt  wird  es  sich  daher  angelegen  sein  lassen,  der  Sicherung 
derartiger  wertvoller  Urkunden  gegen  Verlust  und  Verderb  die  grösste  Auf- 
med^samkeit  zuzuwenden  und  jede  Gelegenheit  insbesondere  bei  den  periodi- 
schen Gemeindevisitationen  zu  benützen,  die  Gemeinden  in  dieser  Beziehung 
aufzuklären  und  zur  Beseitigtmg  bestehender  Missstände  —  event  im  Wege 
staatsaufsichdichen  Einschreitens  —  anzuhalten.  (Zu  vergl.  die  Entschliessung 
des  kgl.  Staatsministeriums  des  Innern  vom  18.  Mai  1888  —  M.  AbL  S.  199.) 

Sofeme  sich  die  Gemeinden  nicht  entschliefsen  können,  ihre  wertvoUen 
Urkunden  u.  s.  w.  —  unter  Vorbehalt  ihres  vollen  Eigentums-  und  VerfÜgimgs- 
rechts  (zu  vergL  die  autogr.  Regierungsentschliessung  vom  16.  Februar 
1873,  Nr.  2732  F.)  —  bei  den  Kreisarchiven  zu  hinterlegen  und  sie  auf 
diese  Weise  auch  der  archivalischen  Benützung  zugänglich  zu  machen,  wozu 
bei  jeder  sich  bietenden  Gelegenheit  aufzufordern  ist,  erwea^i^  als  wirksames 
Mittel  gegen  die  Verschleppung  und  den  Verlust  sold^^^^l^yi^^s.  w. 

I.  die  gesonderte  Aufbewahrung  und 


I)  Vgl.  oben  S.   180.  ^fr  k^ 


1» 


—     236     — 

2.  die  RepertorisieruDg  derselben,  da  hiedurch  die  jederzeitige  rasche 
Kontrole  der  Vollständigkeit  der  Bestände  ermöglicht  wird.  Das  Bezirksaxot 
hat  desshalb  die  Bürgermeisterämter  seines  Bezirks  anzuweisen,  binnen  an- 
gemessener Frist  ein  genaues  und  vollständiges  Verzeichniss  aller  im 
Besitz  der  Gemeinde,  des  Standesamts  und  der  örtlichen  Stiftungen  befind- 
lichen Akten  und  Urkunden  unter  Beifügung  des  Datums,  des  Betreffs  und 
einer  kurzen  Inhaltsangabe,  sowie  gegebenen  Falles  des  Ausstellers  der  Ur- 
kunde auf  haltbarem  Papier  in  duplo  anfertigen  zu  lassen  und  ein  Elxemplar 
in  der  Gemeinderegistratur,  das  zweite  beim  Bezirksamt  zu  hinterlegen. 

Das  bezirksamtliche  Exemplar  ist  alsbald  dem  kgl.  Kreisarchiv  zur  Ein- 
sichtnahme mitzuteilen. 

In  das  Verzeichnis  sind  aufztmehmen: 

1.  alle  Urkunden  auf  Pergament; 

2.  alle  Urkimden,  Befehls-,  Protokoll-  und  Beschlussbücher,  Flur-  und 
Bannbeschreibungen,  Gemeinde-  und  Ortspläne,  Bürgen'crzeichnisse, 
Viktualienbeschauprotokolle  undPreisnotirungen,  Rechnungen  und  Vor- 
anschläge, Steuer-  und  Umlagerollen  u.  s.  w.  aus  der  Zeit  vor  1820, 
welche  entweder  von  allgemeiner  geschichtlicher  Bedeutung  sind 
oder  als  Zeugnisse  über  den  Bestand  und  Umfang  der  Gemeinde, 
den  Gemeindehaushalt  und  das  Gerichtswesen  in  früherer  Zeit  sowie 
über  die  Herkunft  noch  bestehender  oder  historisch  bedeutsamer 
Familien  das  allgemeine  Interesse  beanspruchen  können; 

3.  Akten  über  das  Eigentum  der  Gemeinden  und  Stifhmgen,  über 
Rechtsstreitigkeiten  derselben,  über  Privilegien-  und  wichtige  Erb- 
schaftsangelegenheiten, über  Schenkungen  und  über  Lehens-,  guts- 
und  gerichtsherrliche  Verhältnisse; 

4.  die  Urteilsbücher  und  Polizeiakten; 

5.  die  Ortschroniken; 

6.  die  im  Besitz  der  Gemeinden  und  Stifhmgen  befindlichen  älteren 
Aktenbestände  anderer  Gemeinden,  Stiftungen  und  Behörden  sowie 
der  Zünfte  und  ähnlicher  Vereinigungen; 

7.  alle  sonstigen  geschriebenen  oder  gedruckten  Mitteilungen  von  allge- 
meinem Interesse,  wie  Sammlungen  von  Zeitungen,  Flugblättern  u.ÄhnL 

Soferne  die  Bestände  an  derartigen  Akten  nur  imbedeutend  sind,  genügt 
es,  sie  in  eigenen  Mappen  getrennt  von  den  übrigen  gemeindlichen  Akten 
trocken  und  feuersicher  aufzubewahren. 

Für  grössere  Bestände  sind  besondere  verschliessbare  Schränke  zu  beschaffen. 

Die  auf  diese  Weise  ausgeschiedenen  Archivalien  sind  bei  Amtsübergaben 
dem  neugewählten  Bürgermeister  besonders  zu  extradieren. 

Ueber  den  Vollzug  ist  bis  zum   i.  Juni   1901   Anzeige  zu  erstatten. 

Hinsichtlich  des  Verkaufs  oder  des  Einstampfs  älterer  Akten  wird  auf 
die  autographierte  Regierungsentschliessung  vom  31.  Dezbr.  1894  Nr.  20981 B 
mit  dem  Beifügen  verwiesen,  dass  ein  Verzeichniss  solcher  für  den  Stampf 
bestimmter  Akten  stets  durch  Vermittelung  des  Bezirksamts  dem  kgl.  Kreis- 
archiv in  Vorlage  zu  bringen  und  dessen  Gutachten  abzuwarten  ist." 

Schneller  als  zu  erwarten  war,  hat  die  Verfügung  auch  Früchte  ge- 
tragen. Wenigstens  die  Stadtgemeinde  Frankenthal  hat  1901  das  Ver- 
zeichnis der  im   städtischen  Archiv   befindlichen  Akten   nnd  Urkunden,   das 


—     237     — 

Werk  des  ersten  Adjunkten  und  Vorsitzenden  des  Altertumsvereins  Johannes 
Kraus ,  im  Druck  »scheinen  lassen.  AJs  eigenüicber  Katalog  ftir  ein  kleineres 
städtisches  Archiv  d.  h.  als  Mittel,  um  sich  darin  zu  rech  tzu  finden ,  kann 
dieses  Werkcheo  aus  Frankenthal  vorbildlich  genannt  werden  ').  Die  Ur- 
kunden treten  an  Bedeutung  weit  hinter  die  Akten  zurück,  zahlreicher  werden 
die  Bestände  erst  im  XVH.  Jahrhundert.  Ervrähnung  verdienen  z.  B.  die 
Akten  über  die  Stadtbefestigung  1620 — 33  (Nr.  40),  Beschreibung  des  Zu- 
standes  der  Stadt  nach  dem  30  jährigen  Kriege  (Nr.  4r''],  Statistische  Er- 
hebungen XVIII.  Jahrhunderts  (Nr.  45  —  46),  Tabaksbau  1700  —  175a 
(Nr.  430).  Ergänzt  wird  das  Verzeichnis  der  Bestände,  das  sich  an  die 
Aufstellung  anschliefst,  durch  ein  zweites  alphabetisches,  welches  auf  die 
Katalognummem  verweist.  Frankenthal  hat  als  Ort  allgemeines  Interesse, 
da  hier  unter  Friedrich  III.  um  ihres  Glaubens  willen  verfolgte  Niederländer 
angesiedelt  wurden  und  zwar  zunächst  60  Familien  auf  dem  Boden  des 
Klosters  GrofsfraokenthaL  Merkwürdigerweise  ist  aus  dem  Katalog  nicht  er- 
sichtlich, ob  Akten  über  die  Porzellanmanufaktur  vorhanden  sind. 

Fundzefchon.  —  Schon  S.  91  dieses  Bandes  ist  kurz  darauf  hin- 
gewiesen worden,  dafs  auf  der  Freiburger  Generalversammlung  des  Gesamt- 
vereins in  Gemeinsamkeit  mit  den  süd westdeutschen  Vereinen  über  einheit- 
liche Bezeichnung  von  Funden  auf  archäologischen  Karten  beraten  worden 
ist.  Bereits  in  Trier  hatte  die  Frage  auf  dem  ersten  Verbandstag  zur  Dis- 
kussion gestanden,  konnte  aber,  weil  in  weiten  Kreisen  nicht  vorher  bekannt 
geworden,  damals  nicht  einer  Erledigung  zugefUhrt  werden.  Da  der  Gesamt- 
verein sich  schon  lange  mit  der  Sache  befafst  hatte,  so  erschien  eine  gemein- 
same Behandlung  der  allmählich  dringlich  gewordenen  Sache  angezeigt,  und 
die  Hoffnung,  man  weide  zu  einer  Einigung  kommen,  hat  denn  auch  nicht 
getrogen.  E^  ist  dies  eine  um  so  erfreulichere  Thatsache,  als  gerade  in  der 
nächsten  Zeit  eine  Anzahl  von  grölseren  Publilcationea  bevorsteht,  auf  denen 
solche  Eintragungen  gemacht  werden  milssen,  so  die  Abteilung  A  des  grofsen 
Limeswerks  und  die  von  Ohlenschlager  vorbereitete  Archäologische  Karte 
von  Bayern,  deren  Herausgabe  durch  das  Kaiser!.  Archäologische  Institut 
gefördert  und  unterstützt  wird  *.]  Es  ist  dankbar  anzuerkennen,  dafs  der  Herr 
Generalsekretär  des  Instituts  wie  der  Bearbeiter  dieses  grofsen  Unternehmens 
nicht  auf  eigene  Faust  vorgegangen  sind ,  sondern  dafs  sie  vorher  ihre  An- 
sichten einem  gröfseren  Kreise  von  Fachleuten  vorzulegen  für  gut  fanden. 
Dafs  die  Sache  drängte,  war  klar;  es  war  so  viel  über  diese  Dinre  hin  und 
her  geredet  worden,  dafs  schliefslich  eine  thürir 

1)  Vgl.  die  BMprechang  einiger  äbnlicber  Katalog 
S.  J9S-98. 

i)  Die  Zahl  der  schon  bearbeiteten  oder  in  Aibei 
nicht  mehr  eering,  wenn  anch  Plan,  Zweck  nnd  Anifillin 
lind.  El  giebt  lotche  fiir  Baden  (bearbeitet  von  E.  Wa 
(bearb.  von  Friedr.  OhlenichUger  1879?],  HoMe 
Blsala-Lotliring^n  [bearb.  von  Fotrer,  Strafibarg  ic 
inr  Vorgeschichte  von  M.  von  Robert  Bald,  Berlin 
PAJi  (Mitteilangea  des  historiichen  Vereins  der  V(a\i.  1 1. 
<E.  W  ■  1 1  e  r ,  PrShisloriscbe  Fände  zwischen  Oder  nnd  Re| 


—     238     — 

lehrten  ein  Schema  entwarf  und  herausgab  %  ohne  sich  mehr  um  andere 
zu  kümmern;  sie  verzweifelten  wohl  am  Zustandekommen  einer  einheitiicheii 
Bezeichnung.  Und  doch  ist  eine  solche  recht  wohl  möglich,  freilich  auch 
nur  bei  gegenseitigem  Entgegenkommen  im  einzelnen.  Von  früheren  Ar- 
beiten mufsten  besonders  die  Zeichen  und  Farben  beachtet  werden,  die  der 
internationale  Kongrefs  in  Stockholm  ^)  vorgeschlagen  hatte,  ohne  dafs  sie  indes 
bisher  zu  allgemeiner  Geltung  hätten  durchdringen  können.  —  Die  jetzt  ver- 
einbarten Zeichen  haben,  um  das  sogleich  vorwegzunehmen,  folgende  Gestah: 

Römisch  Vorrömisch 

Römische  Grenze  (Pfahl) 
^^■■■■^■^■*     mit    eingebautem  Turm, 
'  *  freistehendem  Wachthaus 

und  Umgrabung. 
*  Festgestellte  Strafse. 
—  — —  •— ^.*»     Vermutete  Strafse. 


D 

■ 
i 

1 

M/ 


AA 
0 


Lager  ohne  gemauerte  Umwallnng. 
Lager  mit  gemauerter  Umwallung. 

Lager  mit  Gebäuderesten  im  Innern. 
Römisches  Gebäude  (EinzelhoQ. 
Römischer  vicus. 

Meilenstein. 

Flachgrab  mit  Skelett. 

Flachgrab  mit  Brand. 

Einzelfund. 

Münze. 

Inschrift  oder  Denkmal. 

j  Wasserleitungen. 
Brücken. 


o 

Ringwall. 

o 

Burgkegel. 

)) 

Abschnittswall. 

ts^ 

Hügelgrab  mit  Skelett. 

a^ 

Hügelgrab  mit  Brand. 

\±J 

Flachgrab  mit  Skelett. 

\w/ 

Flachgrab  mit  Brand. 

KJ 

Wohngrube. 

m 

Wohnstätte. 

rm 

Pfahlbau. 

M 

Münze. 

e 

Depotfund. 

♦ 

Werkstätte. 

A^VM%« 

Landwehr. 

des  Kgl.  Marienstifts-Gymnasiums  zu  Stettin,  1889),  Provins  Sachsen  (unternommen  Ton  der 
Historischen  Kommission  für  Sachsen-Anhalt),  Thurgau  (Thurgauische  Beiträge  zur  vaterländi- 
schen Geschichte  36.  Bd.,  1896),  Westfalen  (Erläuterungen  zum  Gebrauch  der  Tafel  vor-  ood 
frtthgeschichtlicher  Altertümer  der  Provinz  Westfalen  von  E.  Zimmmermann,  Arnsberg 
1901),  Westpreufaen  (Vorgeschichtliche  Wandtafel,  entworfen  im  westpreuis.  Provincial- 
Museum).  — Im  Königreich  Sachsen  ist  eine  Fundkarte  ebenfalls  geplant :  im  Sommer  1901 
hat  Prof.  Deichmüller  (Dresden)  vom  Ministerium  des  Innern  den  Auftrag  erhalten,  zu- 
nächst die  urgeschichtlichen  Altertümer  zu  inventarisieren.  Da  neben  sachlicher  Beschrei- 
bung und  photographischer  Abbildung  jeder  Gegenstand  nach  Möglichkeit,  hinsichtlich  des 
Fundortes  bestimmt  wird,  so  ist  damit  gleich  die  wichtigste  Vorarbeit  für  die  Karte  geleistet 
Die  Photographieen ,  im  Kgl.  Mineralogisch-Geologischen  Museum  zu  Dresden  (Zwinger) 
aufbewahrt,  stellen  gewissermafsen  einen  illustrierten  Katalog  aller  im  Königreich  Sachsen 
gefundenen  Altertümer  dar.  —  Auch   in  Braunschweig   wird   eine  Fundkarte  geplant. 

i)  In  Thüringen  ist  man  unter  der  thätigen  Leitung  des  Sanitätsrat  Dr.  Zschiesche 
(Erfurt)  seit  1895  ^^^  ^^^  Herstellung  einer  Archäologüchen  Karte  beschäftigt.  Eine 
gröfsere  Zahl  von  Vereinen  und  Korporationen  beteiligt  sich  an  der  Arheit  durch  finanzi- 
elle Beihilfe  und  sachliche  Leistung.  Die  jährlich  im  Juni  stattfindenden  Beratungen  aller 
Beteiligten,  über  die  ein  knapper  Bericht  verbreitet  wird,  geben  trefflichen  AuCichlafs 
über  die  Fortschritte  der  Arbeit.  Bei  der  7.  Beratung  (1901)  wurde  auch  über  Farben 
und  Zeichen  für  die  archäologische  Karte  von  Thüringen  beraten ,  und  das  Ergebnis 
ist  als  Einzeldruckblatt  veröffentlicht  worden.  Die  Karte  selbst  ist  noch  in  der  Bearbei- 
tung, aber  1903  hofft  man  auf  Fertigstellung. 

2)  Sie  sind  u.  a.  abgedruckt  im  10.  Jahrg.  (1898)  der  von  Julius  Nane  in  Mün- 
chen herausgegebenen  Prähistorischen  Blätter^  Nr.  2  und  3. 


—     289     — 

An  Stelle  Ohienschlagers  (München),  der  leider  ebenso  wie  Lehner 
(Bonn),  der  in  Trier  das  Korreferat  für  Freiburg  übernommen  hatte,  diensdich 
am  Kommen  verhindert  war,  trat  Anthes  (Darmstadt)  für  die  Sache  einr 
er  legte  die  ausführlichen  Vorschläge  Ohienschlagers  zu  Grunde,  die  den  Teil* 
nehmem  an  den  Beratungen  hthographiert  zugestellt  worden  waren;  von  Seiten 
des  Gesamtvereins  hatte  sich  Wolfram  (Metz)  der  Angelegenheit  angenommen 
und  sich  vorher  mit  Anthes  und  beide  zusammen  in  der  Verbandssitzung  mit 
den  Abgeordneten  der  Vereine  in  Gegenwart  auch  des  militärischen  Dirigenten 
der  Reichs-Limes-Kommission  £xc.  v.  S  a  r  w  e  y  auseinandergesetzt  In  knapper 
Form  enthalten  Ohienschlagers  einleitende  Bemerkungen  die  wichtigsten  Leit- 
sätze für  die  Behandlung  der  nicht  ganz  einfachen  Frage.  Da  sie  allgemei- 
nes Interesse  haben,  lassen  wir  das  Wichtigste  daraus  folgen. 

„Die  Zeichen  in  einer  Karte  sind  nur  Andeutungen  (Symbole,  Weg- 
weiser), sie  können  den  begleitenden  Bericht  nicht  ersetzen  und  dürfen  ihn 
auch  nicht  ersetzen  wollen ;  eine  archäologische  Karte  bUdet  zu  den  Berichten 
nur  ein  gezeichnetes  Register,  das  über  die  örtliche  Verteilimg  geschichtlicher 
Reste  Aufschlufs  giebt,  ohne  begleitende  Worte  aber  nicht  völlig  verständ- 
lich ist 

Die  Zeichen  müssen  einfach  sein,  z.  B.  Dreieck,  Viereck,  Kreis,  Halb- 
kreis, die  sich  leicht  erkennen  und  übersehen  lassen ;  das  Anbringen  kleiner 
Striche,  Sterne,  Kreuze,  Punkte  an  oder  in  den  Zeichen,  wie  es  manchmal 
für  prähistorische  Karten  vorgeschlagen  wurde,  ist  für  ELarten  mit  Höhen- 
zeichnung (Schraffierung)  nicht  verwendbar,  weil  die  Unterscheidungszeichen 
nicht  oder  nur  schwer  sichtbar  sind.  Die  Höhenzeichnung  ist  aber  zum 
Verständnis  der  Anlage  von  Wohnstätten,  Straüsen  und  Befestigimgen  un- 
erläfslich. 

Durch  eine  gröfsere  oder  geringere  Dicke  der  Linien  z.  B.  bei  Strafsen 
läfst  sich  gröfsere  oder  geringere  Wichtigkeit  derselben  nur  recht  unsicher 
andeuten  (siehe  Vetters  Karte  der  römischen  Befestigungswerke  und  Strafsen 
in  Baden),  man  wird  daher  am  besten  auf  dieses  Unterscheidungsmittel 
verzichten. 

Bis  jetzt  sind  für  römische  Karten  nur  zwei  Farben  (rot  und  blau)  ver- 
wendet worden  (Wagner,  Paulus,  Hammeran),  denn  jede  neue  Farb- 
platte vermehrt  die  Kosten  bdeutend;  selbst  wenn  das  Prähistorische  auf 
demselben  Blatte  zur  Anschauung  gebracht  werden  soll,  genügt  noch  eine 
dritte  Farbe  (gelb)  zum  Ausdruck  aller  nötigen  Unterscheidungen,  denn  wir 
besitzen  jetzt  mit  Einschlufs  des  Schwarz  vier  Farben,  die  durch  Zusammen- 
stellung und  Verdoppelung  (rot-blau,  blau-gelb,  rot-rot)  mindestens  dreizehn 
verschiedene  Färbungen  ergeben,  eine  Zahl,  die,  mit  den  oben  genannten 
einfachen  Zeichen  multipliziert,  völlig  ausreicht,  um  alle  möglichen  Erschei- 
nungen zur  Darstellung  zu  bringen  imd  auseinanderzuhalten. 

Eine  vierte  Farbe,  grün,  empfiehlt  sich  nicht  wegen  der  Kosten,  und 
weil  grün  und  blau  für  viele  Augen  selbst  bei  Tage  schwer  unterscheidbar 
ist,  bei  Licht  aber  auch  gestmde  Augen  irre  geführt  werden  können. 

Die  Namen   der  Fundorte   noch  mit   der  Farbe   der  Jäy^zeichen    zu 
unterstreichen,    ist  nicht  ratsam;    es  überlastet  die  Karte  nf^^^ing^  die 
Deutlichkeit  und  Übersicht,  wo  viele  Zeichen  zu! 
Archäologische   Karte   der   Rheinpfal 


—     240     — 

Spei  er);  diese  Unterstreichung  kann  dagegen  sehr  gut  als  eigenes  Zeiohen 
verwendet  werden.  Ebenso  beeinträchtigt  eine  zu  grofse  Fülle  von  2^ichen 
die  Deutlichkeit,  welche  doch  ein  Hauptzweck  der  Kartendarstellung  ist.  'Wo 
die  Zeichen  zu  dicht  beisammen  stehen,  mufs  durch  Nebenkarten  in  gröfserem 
Mafsstab  abgeholfen  werden  (vergl.  Blatt  lo,  Ulm,  der  prähistorischen  Karte 
von  Bayern.) 

Eine  Unterscheidung  der  Strafsenzeichen  für  viae  consulares,  viae  vici- 
nales,  viae  militares  wurde  nicht  vorgeschlagen,  i)  weil  die  Strafsenforschung 
bisher  eine  allseitige  Unterscheidung  der  Strafsen  noch  nicht  möglich  macht, 
2)  weil  die  Bedeutung  und  Benennung  der  Strafsen  schon  im  Altertum  nicht 
zu  allen  Zeiten  gleich  war,  manche  Strafsen  im  Lauf  der  Zeit  an  Bedeutung 
gewannen,  andere  verloren,  3)  weil  der  Kundige  aus  der  Nachbarschaft  der 
Lager,  Wohnstätten  etc.  die  Bedeutung  der  Strafsen  zu  erkennen  vermag, 
<ler  Unkundige  durch  Anwendimg  eines  technischen  Ausdruckes  häufig  eine 
falsche  Vorstellung  bekommt. 

Funde  von  Waflfen,  Gefäfsen,  Inschriftsteinen  und  Bildwerken  durch 
eigene  Zeichen  auf  der  Karte  unterschieden  anzudeuten,  ist  nur  bei  Karten 
in  sehr  grofsem  Mafsstabe,  etwa  bis  i  :  25  000,  empfehlenswert;  für  Über- 
sichtskarten I  :  400  000  bis  1:50  000  scheinen  mir  die  beistehenden  Zeichen 
ausreichend,  die  sich,  wenn  es  nötig  oder  zweckmäfsig  scheint,  leicht  ent- 
sprechend vermehren  lassen." 

Im  allgemeinen  erklärte  sich  Anthes  mit  den  Vorschlägen  einverstanden 
und  bezeichnete  sie  als  eine  Grundlage,   auf  der   sich  sehr  wohl  eine   Ver- 
ständigtmg  herbeiführen  lassen  werde.     Sie   freilich   als  Ganzes  anzunehmen, 
was  ja  das  Wünschenswerteste  gewesen  wäre,  gehe  aber  leider  nicht  an,  da, 
wenn  auch  nur  in  Nebenpunkten,  etwas  mehr  Rücksicht  auf  das  bereits  vor- 
handene Material   zu   nehmen   sei.     Wichtig   sind  zunächst   die  Zeichen   für 
die  Gebiete  der  Altertumswissenschaft,   auf  denen   überhaupt   schon  solche 
Fundkarten  ausgearbeitet  werden  können,  also  für  die  Prähistorie  im  weitesten 
Umfang,  die  römische  Zeit  und  die  Epoche  der  Völkerwanderung  oder  die 
fränkisch-alamannische.    Wie  es  Wolfram  mit  Recht  vorschlug,  sah  man  bei 
der  Besprechung  von  den  Signaturen  für  das  Mittelalter  und  dessen  einzelne 
Perioden  zunächst   ab,    da  hier  für   die   meisten   Gebiete   noch    keine   ab- 
geschlossenen Ergebnisse  vorliegen.    Man  beschränkte  sich  auf  das  Zunächst- 
liegende ;  kommt  Zeit,  kommt  Rat,   —  um  die  Signaturen  für  spätere  Epochen 
mag  sich  eine  spätere  Generation  die  Köpfe  zerbrechen.  —  Die  Beratungen 
waren,    besonders  im  engeren  Kreise  der  Verbandssitzung,    sehr  eingehend. 
Der  Berichterstatter   hob  als  wichtigste  Abweichung  Ohlenschlagers  von  den 
Thüringern  hervor,    dafs  jener  die  rote  Farbe   für  die  römische,  diesp  aber 
sie  für  steinzeitliche  Funde  gewählt  hätten.    Ein  Einverständnis  läfst  sich  da- 
durch erzielen,  dafs  die  Thüringer  Kommission  gebeten  wird,  für  die  Stein- 
zeit statt  rot  die  auch  in  Stockholm  gewählte  braune  Farbe  für  die  Steinzeit 
anzunehmen,  wodurch  dann  die  hervorstechende  Farbe  rot  für  das  Römische 
frei  wird;   die  Farbenfolge   würde   dann   sein:    Steinzeit  braun;    Bronzezeit 
gelb;  Eisenzeit  blau;  römisch  rot;  Völkerwanderungszeit  k  arm  in. 

Aber  können  denn  auch  auf  einer  und  derselben  Karte  wirklich  alle 
diese  verschiedenen  Perioden  mit  verschiedenen  Farben  und  Farbenzusammen- 
stellungen dargestellt  werden  ?  Das  ist  vielleicht  die  allerwichtigste  Frage.   Auch 


—     241     — 

Ohlenschlager  hebt  diese  Schwierigkeit  hervor ;  solche  Karten  in  grofsem  Mafs- 
Stab,  auf  denen  alle  Perioden  unterschieden  werden  können,  dürften  nur  sehr 
selten  zur  Ausführung  gelangen,  schon  der  hohen  Kosten  halber.  Wünschens- 
wert wäre  dies  Verfahren  ja  allerdings,  aber  es  hat  nicht  allzu  viel  Zweck,  über 
Dinge  zu  beraten,  die  doch  schliefslich  nur  auf  dem  Papier  stehen  und  nicht 
in  die  Praxis  übergesetzt  werden  können.  Es  mufs  mit  dieser  Thatsache  ge- 
rechnet werden;  es  kann  nur  das  wirklich  Erreichbare  erstrebt  werden,  und 
das  sind  Karten  in  kleinerem  Mafsstab,  die  Ohlenschlager  als  Übersichts- 
karten bezeichnet,  also  etwa  von  i  :  400000 — i  :  50000.  GrÖfsere  Karten, 
besonders  von  i  :  25000  abwärts,  dürften  aus  den  genannten  Gründen  nur 
selten  zur  Verwendung  kommen;  auf  ihnen  kann  aber  alles  eingetragen  und 
CS  kann  in  Farben  und  Zeichen  mehr  dificrenziert  werden,  als  es  auf  Dar- 
stellungen in  kleinerem  Mafsstab  möglich  imd  im  Interesse  der  Deutlichkeit 
rätlich  ist.  Was  da  von  Ohlenschlager  beantragt  ist,  entspricht  durchaus  den 
Bedürfnissen. 

Weitaus  die  meisten  archäologischen  Karten  werden  also  in  gröfserem  Mafs- 
stab erscheinen;  für  Mittel-  und  Norddeutschland  konamen  als  Grundlagen 
die  Thudichumschen  Grundkarten  in  Frage,  für  Bayern  dagegen  eine  andere 
Karte.  Bei  diesem  Mafsstab  verbietet  sich  die  Anhäufung  einer  Menge  von 
einzelnen  Zeichen  von  selbst,  und  die  Kostspieligkeit  der  Herstellung  macht 
in  den  meisten  Fällen  eine  Beschränkung  auch  der  Farbplatten  nötig.  Ohlen- 
schlager gründet  hierauf  seine  Vorschläge  für  die  Karten  in  gröfserem  Mafs- 
stab. Er  braucht  im  ganzen  nur  zwei  Farben:  rot  für  römisch  und  blau 
für  vorrömisch,  d.  h.  für  die  Funde  aus  allen  Perioden  der  sogen.  Prä- 
historie. Nun  wurde  auf  der  Versammlung  gewifs  mit  Recht  hervorgehoben, 
dafs  eine  wirklich  im  höchsten  Sinne  wissenschaftliche  Eintragung  der  Funde 
unbedingt  alle  Perioden  unterscheiden  müsse ;  aber  die  Karten  sind  ja  immer 
nur  schematische  Hilfsmittel,  die  ohne  eine  sorgfältige  Benutzung  des  bei- 
gegebenen Textes  mit  Nutzen  nicht  gebraucht  werden  können.  Was  sich  also 
bei  gröfserem  Mafsstab  allenfalls  auch  ohne  Text  erreichen  läfst,  das  ist 
allerdings  bei  kleinem  Mafsstab  ausgeschlossen,  aber  dieser  nicht  abzuleugnende 
Übelstand  wird  durch  die  genauen  Hinweise  des  Textes  ersetzt,  wo  der  richtige 
Platz  ist  für  die  genaue  Scheidung  der  einzelnen  Zeiten  der  Prähistorie. 

Im  einzelnen  wurden  gegen  die  von  Ohlenschlager  gewählte  Farbe  blau 
für  das  VorgeschichtÜche  Einwendungen  erhoben,  da  so  auch  die  Flüsse 
und  Bäche  bezeichnet  würden;  es  erschien  deshalb  der  Mehrheit  der  Ver- 
sammlung wünschenswert,  dafs  daftir  das  ganz  neutrale  Schwarz  gewählt  werde, 
da  ja  doch  eine  Scheidung  dieser  Perioden  nicht  beabsichtigt,  diese  vielmehr 
dem  begleitenden  Text  zugewiesen  sei.  Doch  fand  auch  die  andere  Ansicht 
Vertreter,  dafs  gegen  blau  ein  Bedenken  nicht  bestünde. 

Es  wurde  angeregt,  dafs  wegen  der  aufserordenüichen  Wichtigkeit  der 
Sache  statt  der  vorgeschlagenen  einheitlichen  Bezeichnung  der  Gräber  zwischen 
solchen  mit  Leichenbestattung  und  solchen  mit  Brand  auch  äufserlich  unter- 
schieden werden  müsse;  demgemäfs  wurde  beschlossen,  die  oben  abgebildeten 
Zeichen  anzuwenden  statt  eines  einheitlichen;  ob  sich  dieser  BescWufs  als 
praktisch  erweisen  wird,  mufs  zunächst  dahingestellt  bleiben.  Bei  den  wenigsten 
Gräbern  ist  bis  jetzt  bekannt,  welcher  Gruppe  sie  angehören,  und  die  etwas 
umständlichen  Zeichen,    die   für    einen   gröfseren  Mafsstab   trefflich   zu  ver- 

17 


—     242     — 

wenden  sind,  dürften  bei  geringerem  Mafsstab  zu  viel  Raum  wegnehmen. 
Möglicherweise  dringt  doch  die  einfachere  Bezeichnung  mit  einem  Kreuz  (-|-) 
durch.  Die  übrigen  Zeichen,  denke  ich,  sprechen  für  sich  selbst;  sie  sind 
einfach  und  lassen  sich  ohne  Überladung  überall  anbringen.  Allenfalls  wäre 
noch  beizufügen  als  Zeichen  für  die  jetzt  überall  massenhaft  beobachteten 
Hüttenplätze  aus  vorrömischer  Zeit  ein  kleiner  Dreiviertelkreis  (O)- 

Wie  im  archäologischen  Anzeiger  1902,  S.  21,  mitgeteilt  wird,  erscheint 
die  Karte  Ohlenschlagers  mit  diesen  Zeichen ;  das  gleiche  ist  von  dem  grofsen 
Limeswerk  zu  hoffen.  Haben  sich  dann  in  zwei  so  bedeutenden  Publikationen 
Zeichen  und  Farben  bewährt,  so  werden  sie  ohne  Zweifel  auch  für  andere 
ähnliche  Veröffentlichungen  typisch  werden.  Zu  wünschen  ist  eine  solche 
Einheitlichkeit  in  hohem  Grade;  hoffen  wir,  dafs  ihr  die  Verhandlungen  in 
Freiburg  dienlich  waren!  A.  D. 


Kommissionen.  —  Die  „Kommission  zur  Herausgabe  lothringisch 

Geschichtsquellen"  ')  hielt  am  26.  April  1902  in  Metz  ihre  zweite  Sitzimg 
ab,  und  dem  vom  Archivdirektor  Wolfram  erstatteten  Berichte  sind  folgende 
erfreuliche   Mitteilungen   über   den   Fortschritt  der  Arbeiten  zu    entnehmen. 
Für  die  von  Sauerland  bearbeiteten  Vatikanischen  Urkunden  und  Regesten 
zur  Geschichte  Lothringens  ^)  ist  das  Material  zu   einem   zweiten  Bande    bis 
1352  bereits  gesammelt;  bis  Ende  1902  wird  alles   für   diesen  Notwendige 
(bis  1362)   vorliegen,    damit  aber  wird  vorläufig   diese   Veröffentlichung   in 
Anbetracht  der  zur  Verfügung  stehenden  Mittel   ihren  Abschlufs   finden.   — 
Die  Abschrift  der  Schreinsrollen   des  XIII.   Jahrhunderts  ist  vom  Prof. 
Wich  mann   bis   auf  zwei    auswärtige   vollendet,    und   nach   Fertigstellung 
des  bereits  in  Arbeit  genonmienen  Registers  wird   der  Druck   beginnen.  — 
Von  den  Chroniken  ist  die  Abschrift  der  des  Philipp  von  Vigneulles  schon 
fast  vollendet,  die  „Chronik  der  Kaiser  aus   dem   luxemburgischen  Hause '^ 
ist  unter  Heranziehung  zweier  Handschriften  aus  London   und  Paris   in  Be- 
arbeitung genommen.  —  Das  Wörterbuch  der  deutsch- lothringisdien  Dialekie 
hat  unter  der  Leitung  von  Prof.  Fo  11  mann  und  der  thätigen  Mitarbeit  des 
Direktor  Kahl  und  seines  Seminars  zu  P£alzburg  eine   überaus   reiche  För- 
derung erfahren:    3300  Zettel  mit  18000  mundartlichen  Ausdrücken   liegen 
bereits  vor.     Im  besonderen  ist   die   von  Follmann   festgestellte  Überein- 
stimmung des  siebenbürgischen  mit  dem  lothringisch-luxemburgischen  Dialekte 
von  Interesse.  —  Die  Eegesten  der  Bischöfe  von  Metz  bearbeitet  Bibliotheks- 
direktor Paulus,    doch  handelt  es  sich  gegenwärtig  nur  um  eine  Material- 
sammlung,   da  verschiedene  Fragen  der  Regestentechnik   noch   nicht  gelöst 
sind,  insbesondere  noch  nicht  feststeht,  ob  die  Regesten  in  modernem  Deutsch 
oder  Französisch  abgefafst  werden  sollen.     Zur  Erledigung  der  bisher  noch 
zweifelhaften   Punkte   wurde   eine   Kommission,    bestehend    aus    Brefslau, 
Paulus,    Wiegand,  Wolfram  eingesetzt.  —  Als  neue  Mitglieder  sind  in 
die    Kommission    eingetreten    Bischof    Benzler    (Metz),    Prof.    Brefslau 
(Strafsburg)  und  Bezirkspräsident  Graf  von  Zeppelin  (Aschhausen). 

i)  Vgl.  darüber  Q.  Band^  S.  142 — 43,  sowie  III.  Band,  S.   126  und  die  Ergänzung 
dazn  S.   192. 

2)  Vgl.  n.  Bd.,  S.  304  Anm. 


—     243     — 

Die  Gesellschaft  für  Rheinische  Geschichtskunde  hat  nach  ihrem 
vorliegeDden  21.  Jahresbericht  im  Laufe  des  Jahres  1901  veröffentlicht:  Das 
Hochgerichi  Rhaunen  von  WilhelmFabricius  [=  Erläuterungen  zum  Ge- 
schichtlichen Atlas  der  Rheinprovinz  III.  Bd.,  Bonn,  Behrendt,  1901];  Die 
Regesten  der  Erxbischöfe  von  Köln  im  Mittelalter,  bearbeitet  von  Richard 
Knipping,  II.  Bd.  11 00 — r205  (Bonn,  Hanstein,  1901);  Rheinische  Ur- 
bare, Sammlung  von  Urbaren  und  anderen  Quellen  zur  rheinischen  Wirt- 
sdiaftsgesdiichte.  Erster  Band :  Die  Urbare  von  S,  Pantaleon  in  Köln,  heraus- 
gegeben von  Benno  Hilliger  (Bonn,  Behrendt,  1902)  sowie  Urkunden  und 
Regesten  xur  Qeschidiie  der  Rheinlande  aus  dem  Vatikanischen  Archiv, 
Erster  Band :  1294  —  1326,  gesammelt  und  bearbeitet  von  H e i n r.  V o  1  b. 
Sauerland  (Bonn,  Hanstein,  1902).  Die  zahlreichen  anderen  Unternehmun- 
gen *)  sind  sämtlich  mehr  oder  weniger  gefördert  worden.  Die  Herausgabe 
der  ältesten  rheinischen  Urkunden  (bis  zum  Jahre  1000),  und  die 
erste  Abteilung  der  erzbischöflich-kölnischen  Regesten  (bis  iioo), 
die  seit  Prof.  Menzels  Tode  (1897)  geruht  hat,  ist  nunmehr  Otto  Opper- 
mann,  der  bereits  eingehende  kritische  Studien  zur  älteren  Kölner  Geschichte 
gemacht  hat,  übertragen  worden.  Die  Bereisung  der  kleineren  Archive 
hat  im  Herbste  1901  Armin  Tille  im  gemeinsamen  Auftrage  der  Kom- 
mission für  die  Denkmälerstatistik  und  der  Gesellschaft  fortgesetzt,  und  seine 
Ergebnisse  sind  in  der  Beilage  zum  Jahresbericht  niedergelegt:  das  zweite 
Heft  (=  Seite  10 1 — 214)  des  II.  Bandes  der  Übersicht  über  den  Inhalt  der 
kleineren  Archive  der  Rheinprovinx  umfafst  die  Kreise  Erkelenz,  Geilen- 
kirchen und  Heinsberg. 

Stifter  zählt  die  Gesellschaft  gegenwärtig  7,  von  denen  3  verstorben  sind, 
Patrone  115,  Mitglieder  179.  Die  Gesamteinnahme  des  Jahres  1901  belief 
sich  auf  37  592  M.,  die  Ausgabe  nur  auf  14  936  M. ;  das  Vermögen  der 
Gesellschaft  beziffert  sich  einschliefslich  der  Mevissen-Stiftung  (40487  M.)  auf 
115  142  M.,  d.  h.  fast  loooo  M.  mehr  als  im  Vorjahre  (105  790  M.). 

Zwei  der  seitens  der  Gesellschaft  gestellten  Preisaufgaben,  für  welche  aus 
der  Mevissen-Stiftung  3000  M.  ausgesetzt  waren,  hatten  beim  Ablauf  der 
Frist  (31.  Januar  1901)  Bearbeiter  gefunden,  aber  beiden  Bewerbungsschriften 
(die  Gau-  imd  Grafschaften  im  Umfang  der  heutigen  Rheinprovinz  und  Auf- 
nahme und  Ausgestaltung  des  gotischen  Baustils  in  der  heutigen  Rbeinprovinz 
bis  1350)  konnte  ein  Preis  nicht  zuerkannt  werden.  Die  neu  gestellten 
drei  Aufgaben,  die  bis  Januar  1904  und  1905  bearbeitet  sein  sollen  und 
für  die  der  Preis  je  2000  M.  beträgt,  sind  bereits  im  II.  Bande  dieser  Zeit- 
schrift, S.  305,  mitgeteilt  worden. 


Personalien.  —  Am  6.  Februar  starb  zu  Neustadt  (Pfalz)  vierzig  I 
Jahre  alt  Gymnasialprofessor  Dr.  Alfred  Köberlin,  ein  Geschichtsforscher, 
der  in  weiteren  Kreisen  wohl  kaum  bekannt  war,  aber  dessen  kleine  Arbeiten, 
Vorstudien  zu  einem  gröfseren  Werke,  eine  glänzende  Leistung  erwarten 
liefsen,  um  die  nun  der  allzu  frühe  Tod  die  Wissenschaft  betrogen  hat 
K.  war  am  31.  Dez.   1861  als  Sohn  des  Realschuldirektors   zu  Schweinfurt 


1)  Vgl.  U.  Band,  S.  304. 

17 


—     244     — 

geboren,  besuchte  dort  das  Gymnasium  und  studierte  in  Erlangen  klassische 
Philologie.    Als  Lehrer  wirkte  er  an  den  Gymnasien  zu  Ansbach,  Hof,   Wun- 
siedel,  und  Nürnberg  bis  er,   1892  an  das  neue  Gymnasium  zu  Bamberg    be- 
rufen, dort  fest  mit  der  Stadt  verwuchs.     Seine  geschichtlichen  Studien     be- 
fassen sich  vornehmlich  mit  Stadt  und  Bistum  Bamberg,  wenn  sie  sich  auch 
allmählich   auf  ganz  Franken   auszudehnen   begannen.     Mit   Bienenfleifs     hat 
K.   die    Archive   nach   Material    für   eine   Fränkische   Wirtschaftsge- 
schichte durchforscht,  und  nur  ungern  folgte  er  Sommer  1900,  zum  Pro- 
fessor ernannt,  dem  Rufe  an  das  Gymnasium  zu  Neustadt,  den  er  mit  Rück- 
sicht auf  sein  Avancement  annehmen   zu  müssen   glaubte.     Damit   ward     er 
seiner   fränkischen   Heimat   entzogen;    auch   hier   beschäftigte   ihn   der    lieb- 
gewonnene Stoff  noch  immer,  denn  er  hoffte  auf  eine  Rückkehr.    Aber  doch 
nahm  ihn  eine  neue  Arbeit  in  Anspruch,   die  Ordnung   des   städtischen 
Archivs.    Vermutlich  in  dessen  Räumen  hat  er  sich  einen  schweren  Typhus 
geholt,  und  diesem  ist  er  erlegen.  —  Die  erste  Arbeit,    mit  der  K.    her- 
vortrat,  eine  Programmabhandlung  des  neuen  Gymnasiums  in  Bamberg    von 
1893,   trs^  den  für  seine  Arbeitsweise  und  geschichtliche  Anschauung  so 
charakteristischen  Titel  Zur  historischen  Gestaltung  des  Landschaftsbiides  um 
Bamberg  (129  S.  8**).    Die  Schrift,  an  der  Grenze  stehend  zwischen  To|>o- 
graphie  und  Geschichte,  zeigt  an  einem  konkreten  Beispiele,  wie  in  verhältnis- 
mäfsig  kurzer  Zeit  auch  das  scheinbar  Dauernde  sich  verändert:  es  wird  die 
Umgestaltung  der  Wasserläufe,  die  Waldrodung  und  der  Anbau  der  vormaligen 
Waldflächen  sowie  die  Vegetationsveränderung  durch  Anbau  bisher  unbekann- 
ter Feldfrüchte  geschildert     Der  Leser  hat  hier  so    recht   das  Gefühl,  dais 
der  Verfasser  aus  dem  Vollen  schöpft,  dafs  er  längst  nicht   alles  sagt,  was 
er  weifs;  auf  einem  bescheidenen  Räume  werden  nicht  nur  weite  geschicht- 
liche Perspektiven  eröffnet,    sondern  es   wird   auch   an   einem  Bebpiele    die 
Aufgabe  der  geschichtlichen  Heimatkunde  gekennzeichnet  ')  —  Die  späteren 
Arbeiten  K.'s  gehen,  wie  es  bei  dem  immer  tieferen  Eindringen  in  das  Ur- 
material  ganz  natürlich  ist,  mehr  auf  das  einzelne,  und  zwar  erschienen  als 
Früchte  jahrelanger  Arbeit  im  Jahre   1899  ^^^  g^"^  verschiedene  Veröffent- 
lichungen, nämlich   i.  Fränkische  Münzverhältnisse   zu  Ausgang   des  Mittel- 
alters (Programm  des  königl.    neuen  Gymnasiums   zu  Bamberg,    52  S.  8  ®). 
2.  Ein  Bamberger  Echibuch  (liber  proscriptorum)  1414  —1444  (60.  Bericht  des 
Historischen  Vereins  Bamberg,   146  S.)   3.  Der  Obemmin  als  Handelsstraße 
im  späteren  Mittelalter  (Wirtschafts-  und  Verwaltungsstudien   mit   besonderer 
Berücksichtigtmg  Bayerns,   herausgegeben  von  Georg   Schanz,   IV.   Erlangen 
und  Leipzig,  A.  Deichert,   70  S.  8  ").     Die  erste  dieser  drei  Abhandlungen 


i)  Es  sei  hier  gestattet  anf  eine  neue  verwandte  Veröfientlichnng  aus  Österreich 
hinzuweisen:  Alfred  Grund,  Die  Veränderungen  der  Topographie  im  Wiener  Walde 
und  Wiener  Becken  [Geographische  Abhandlangen  hggb.  von  Prof.  A.  Pcnck,  VIII  Bd. 
I.  Heft],  Leipzig,  B.  G.  Teubner,  1901.  239  S.  Lex.  8^  Diese  Arbeit,  viel  umfang- 
reicher als  die  Köberlins,  ist  ein  Muster  geschichtlich-geographischer  Forschung,  welches 
jeder  Darsteller  einer  Heimatskunde  benutzen  sollte.  Die  Besiedlung  des  Landes  wird 
durch  das  Mittelalter  hindurch  bis  zur  Gegenwart  verfolgt  mit  allgemeinen  Ausblicken, 
die  für  die  Kolonisationsgeschichte  wertvolle  Gesichtspunkte  liefern.  Ein  Anhang  be- 
schäftigt sich  mit  der  Wirtschaftsgeschichte  des  XIV.  bb  XVI.  Jahrhunderts  und  vencich- 
net  die  Preise  lür  Weizen,  Korn,  Hafer,  Gerste,  Mehl,  Wein,  sowie  den  Feingehalt  der 
Wiener  Pfennige  und  das  Verhältnis  zum  ungarischen  Gulden. 


—     245     — 

stellt  auf  Gniud   eines   umfangreichen  Materials  —  nameatlich   Rechnimgen 
sind  geschickt  au^ebeutet  —  den  Feingehalt  der   fränkischeD  MUnzeD   dar, 
charakterisiert  Münzwesen  und  MUnzpoIitik  und  liefert  damit  die  ucerläfsliche 
Votarbeit  Air  alle  wirtschaftsgescfaichüichen  Studien  in  Franken,  die  leider  in 
so  vielen  Landschaften  noch  fehlt.     Was  in  dieser  Hinsicht  geleistet  werden 
tnUfste,   das  hat  K.  selbst  in  grofsen  Zügen   in   dieser  Zeitschrift  (II.  Band, 
S.    12 — 17)  in  seinem  Aufsatze  Devlachae    Wtrlschaßs-    und   Miinzgesdiichle 
dargestellt     Das  Ecktliuch  ist  zunächst  mir  mit  kuner  Einleitung  vollständig 
vetäffentlicht,  aber  aus  den  sachlichen  und    sprachlichen  flrläutemngen   geht 
hervor,  dafe  die  Veröffentlichung  für  K.  nicht  Selbstzweck  war,  sondern   dafs 
er  eine  recht  wichtige  wirtschafts-  und  sozialgeschichtliche  Quelle  erschliefsen 
wollte,  wie  er  ja  auch  S.  6 — 7   die  Art  der  Verwertung  andeutet.     Der  Ober- 
main als  Handelsstraße  giebt  in  der  That  das  beste  Beispiel  dafUr,  wie  die 
spröden  Einträge  der  Rechnungen  (Zoll-  und  Forstrechnuogen)  sich  geschicht- 
lich ausbeuten   lassen.     Neben   diesem  methodischen  Werte   stehen   die  ge- 
schichtlichen Ergebnisse  nicht  zurück;    sie  sind  eimnütig  von  der  Kritik  ge- 
würdigt worden  '),  da  sie  thatsächlich  für  die  Geschichte  des  binnenlän- 
dischen   Handels,    der    gegenüber   dem    internationalen    arg    vernachlässigt 
worden  ist,   viele  neue  Gesichtspunkte  eröffnen,   aber  auch  die  Geographen 
haben  die  Bedeutung  solcher  Arbeit  fUr  ihre  Wissenschafl  anerkannt,  wie  die 
besonders  treffenden  Bemerkungen  von  W.  Götz  im  Oeographischen  Literaivr- 
berickt    1900,  S.  94  Nr.  317,  bezeugen.  —  Auch  in  kleineren  Zeitschriftenver- 
öfTentlichungen  hat  K,  sein  glänzendes  Geschick,  die  sprödesten  Quellen  reden  zu 
lassen,  öfier  bewährt:  so  schildert  EHne  Heerfahrt  vor  vierhundert  Jahren  und 
ihre  Kosten  (Forschungen  zur  Kultur-  und  Litte raturgeschichte  Bayerns,  3.  Buch 
I  895, S  I —  11)  den  Verlauf  eines  Kriegszuges  des  fürstbisch  öSlich  Bambergischen 
„Heeres",  bestehend  aus  zusammen  63  Mann  ~  55  Reisigen,    2  Verwaltungs- 
beamtea    (Zahl-   und  Futtermeister)    und  6  Rittern  —    im  Jahre    1492 ;    ein 
nicht  minder  lebendiges  Lebensbild  giebt  Reiaerechnung  und  Oesandtachafta- 
bericht  Leonhards  von  Eijloffstrin  aus  dem  Jahre  1499  (Zeitschrift  für  Kultur- 
geschichte, 5.  Bd.  [1898],  S.  30-42).    I-    "-—     -■' —  "  -"~i----  *■■-- 
die  Cbarakteristik    des   Hauabvches    eines 
Starck)   1426 — 1435,  das  im  Bambergei 
zur  Allgemeinen  Zeitung,  München,  1901, 
blick  in  die  Lebensweise  eines  wohlhabent 
seinen  ausgedehnten  Güterbesitz  bewirtscha 
in  bedeutendem  Urninge    treibt,    und    gev 
zur  Kenntnis  des  spätmittelalterlicben  Groß 
überall  das  allgemein  Wichtige  zu  erfa 
das  zeigt  sich  wie  in  den  quellenmäfsigen 
sprechungen,  z.  B.  in  der  des  45.  Bande! 
Geschichtsquellen  des  Bistums  Würzburg  ge 
Zeitung  München,    1900,  Nr,  46). 


der    Tod    K.'s 
forschung , 


len  unersetzlichen   Verlu 
unermüdlichen  tn 


—     246     — 

nicht  geringeren  Verlust  für  die  landesgeschichtlicheForschuiig  über- 
haupt, für  deren  Methode  er  schon  in  den  wenigen  Arbeiten,    die    iiun    z& 
schaffen  vergönnt  war,   Bedeutendes  geleistet   hat.     Seit  Frühjahr    1901     be- 
reits hatte  er  versprochen  in  dieser  Zeischrift  das  Thema  Die  Reckmtn^  aU 
Geschichtsqtielle  zu  behandeln,  und  noch  kurz  vor  seinem  Tode  hat  ihn  dieser 
Gegenstand  beschäftigt.     Eine  grofse  Fülle  von  bereits  erforschten    aber    un- 
veröffentlichten Thatsachen  sind  jetzt  für  die  Allgemeinheit  verloren ;   ein  ab- 
schliefsendes  umfassendes  Werk  zu  schreiben,    eine  Fränkische  Wirtschaßs- 
geschickte,  wie  er  wohl  plante,   ist  K.  nicht  vergönnt  worden,  imd  trauenHi 
müssen  wir  die  wenigen  trefflichen  Cjaben,  die  er  hinterläfst,  würdigen   und 
der  Wissenschaft  nutzbar  machen,   indem  wir  auf  den   von   ihm   betretenen 
Wegen  weiter  vorwärts  dringen.  A.   T. 

Eingegangene  Bfleher. 

Schulte,   Wilhelm:    Die    Gründung   des   Bistums   Prag.     [==   Historisches 

Jahrbuch  der  Görresgesellschaft,  22.  Bd.  (1901),  S.  285  —  297.] 
Vogt,  Ernst:  Die  Reichspolitik  des  Erzbischofs  Balduin  von  Trier    in    den 
Jahren    1328 — 1334,    ein   Beitrag   zur  Geschichte   Kaiser   Ludwigs    des 
Bayern.     Gotha,  F.  A.  Perthes,   1901.     112  S.    8®.     M.   1.60. 
Wo  Hart,    Karl:    Die    Augsburger  Reformation    in    den   Jahren    1533/34. 
[==  Studien  zur  Geschichte  der  Theologie  und  der  Kirche,  herausgegeben 
von    N.    Bonwetsch    und    R.    Seeberg,    VII.    Bd.,    2.   Heft.]      Leipzigs 
Dieterich'sche   Verlagsbuchhandlung  (Theodor  Weicher),   1901.      156   S. 
8».     M.  3.50. 
Zell,  Th. :  Polyphem    ein   Gorilla,    eine  naturwissenschaftliche  imd   Staats* 
rechtliche  Untersuchung  von  Homers  Odyssee,   Buch  IX,   V.    105  fl^ 
Berlin,  W.  Junk,   1901.      184  S.    8®.     M.  2.50. 
Zeller-Werdmüller,  H. :  Zwingiis  Waffen.     [=  Zwingliana,  Mitteilungen 
zur  Geschichte  Zwingiis   und   der  Reformation,   herausgegeben    von   der 
Vereinigung  für   das  Zwinglimuseum  in  Zürich     1899.     Nr.   2.     S.   105 
bis   108.] 
Bosch  (t) :  Geschichte  des  Klosters  Arolsen  [=  Geschichtsblätter  fiir  Waldeck 

und  Pyrmont,  Mengeringhausen  1901.     I.  Bd.,  S.   i  — 114]. 
Giemen,  Otto:    Johannes  Sylvius  Egranus  [=  Mitteilungen  des  Altertums- 
vereins  fiir  Zwickau  und  Umgegend,   Heft  VI  (1899),   S.   i  —  39  und 
Heft  VU  (1902),  S.   1—32]. 
Friedlaender,  Ernst:  Berliner  geschriebene  Zeitungen  aus  den  Jahren  17 13 
bis    171 7   und    1735,   ^^"    Beitrag  zur   Preufsischen   Geschichte  unter 
König  Friedrich  Wilhehn  I.  [=  Heft  38  der  Schriften  des  Vereins  für 
die  Geschichte  Berlins].  Berlin,  Mittler  und  Sohn,  1902.  720  S.  8".  M  14. 
Hansen,   Reimer:  Johannes  Petreus*   (f  1603)  Schriften  über  Nordstrand 
Mit   einem  Facsimile   und   einer  Karte.    [=  Quellensammlung   der  Ge- 
sellschaft ftir  Schleswig-Holsteinische  Geschichte,    5.  Bd.]  Kiel,   Kom- 
missionsverlag der  Universitätsbuchhandlung  1901.     314  S.  8". 
Hessische  Blätter  für  Volkskunde,   herausgegeben  im  Auftrage  der 
Vereinigung   ftir    hessische   Volkskunde    von   Adolf  Strack.      i.  Band, 
I.  Heft.     Giefsen,  Otto  Kindt,    1902.     63  S.  8".     M.   1,50. 


—     247     — 

H  o  u  b  e  n ,  Heinrich  Hub. :  Entwurf  zu  einer  Deutschen  Bibliographie.  24  S.  8  ®. 

Jahrzehntbuch,  erstes,  des  Gebirgsvereins  für  das  nördlichste  Böhmen 
1885— 1895.     Schönlinde  1896.     82  S.  8^ 

Katalog  der  ortsgeschichtlichen  Ausstellung,  veranstaltet  vom 
Kruppschen  Arbeiterbildungsverein,  22.  Sept.  bis  15.  Okt.  1901  in 
Essen.     56  S.  8". 

Koischwitz,  Otto:  Jauer,  ein  Wegweiser  durch  die  Heimat.  Jauer,  O.  Hell- 
mann,  139  S.   16®. 

Mitzschke,  P. :  Rennsteigerwähnungen  und  Nichterwähnungen  in  der  älteren 
und  neueren  Litteratur  [=  Das  Mareile,  Bote  des  Rennsteigvereins. 
Zweite  Reihe  Nr.   10.     Hildburghausen  1901,   i.  September,  S.  3 — 8]. 

Otto,  Eduard:  Das  Butzbacher  Wollwebergewerbe  im  14.,  15.  und  16.  Jahr- 
hundert [=  Mitteilungen  des  Oberhessischen  Geschichtsvereins.  Neue 
Folge,   10.  Bd.  (Giefsen,  J.  Ricker,   1901),  S.  86 — 118]. 

Pazaurek,  Gustav  £. :  Die  Anfange  des  böhmischen  Porzellans.  [=  Mit- 
teilungen des  Nordböhmischen  Gewerbemuseums,  XDC.  Jahrg.  (Reichen- 
berg 1901),  S.  38 — 40]. 

Rothert:  Die  räumliche  Entwickelung  der  Stadt  Soest,  ihre  Hoven  und 
Kirchspiele  [=  Jahrbuch  des  Vereins  für  die  Evangelische  Kirchen- 
geschichte der  Grafschaft  Mark,  vierter  Jahrgang  1902.  Gütersloh, 
Bertelsmann.     S.   16 — 28]. 

StoU,  Otto :  Die  Erhebungen  über  „Volksmedizin"  in  der  Schweiz  [=  Schwei- 
zerisches Archiv  für  Volkskunde,  5.  Jahrg.  (Zürich  1901),  S.  157 — 200]. 

Weinzierl,  R.  R.  von:  Die  im  Teplitzer  Museum  vertretenen  urgeschicht- 
lichen Fundorte  [=  Thätigkeitsbericht  der  Teplitzer  Museums -Gesell- 
schaft im  Verwaltungsjahre  1899.     (Teplitz  1900),  S.   15 — 31]. 

Beck,  Hermann:  Kaspar  Klee  von  Gerolzhofen,  das  Lebensbild  eines 
elsässischen  evangelischen  Pfarrers  um  die  Wende  des  XVI.  imd  XVII. 
Jahrhunderts  [=  Schriften  des  Vereins  für  Reformationsgeschichte 
Nr.  71].     Halle,  Max  Niemeyer,   190T.     56  S.  8®. 

Bossert,  Gustav:  Das  Interim  in  Württemberg  [=  Schriften  des  Vereins 
für  Reformationsgeschichte  Nr.  46/47].  Halle,  Max  Niemeyer,  1895. 
204  S.  8".     M.   2,40. 

Brandenburg,  Erich:  Martin  Luthers  Anschauung  vom  Staate  und  der 
Gesellschaft  [=  Schriften  des  Vereins  für  Reformationsgeschichte  Nr.  70]. 
Halle,  Max  Niemeyer,   1901. 

D  u  h  r ,  Bernhard :  Die  Jesuiten  an  den  deutschen  Fürstenhöfen  des  XVI.  Jahr- 
hunderts [=  Erläuterungen  und  Ergänzungen  zu  Janssens  Geschichte 
des  deutschen  Volkes,  herausgegeben  von  Ludwig  Pastor,  II.  Band, 
4.  Heft].     Freiburg  i.  B.,  Herder,   1901.     M.  2,20. 

Eberlein,  Gerhard:  Die  schlesischen  Grenzkirchen  im  XVII.  Jahrhundert 
[=  Schriften  des  Vereins  für  Reformationsgeschichte  Nr.  70].  Halle, 
Max  Niemeyer,   1901. 

Er d mann,  Georg:  Reformation  und  Gegenreformation  im  Fürstentum  Hildes- 
heim [=  Veröffentlichungen  zur  niedersächsischen  Geschichte,  i.  H-*^ 
Hannover,  M.  &  H.  Schaper,   1899.     34  S.  8*^.     M.   i, — . 

Erhard,  Otto:  Die  Reformation  der  Kirche  in  Bamberg  unter  ^' 
gand   1522 — 1556.     Erlangen,  Fr.  Junge,   1898.     99  ? 


—     248     — 

Herrmann,  Fritz:  Das  Interim  in  Hessen,  ein  Beitrag  zur  Refornaadons* 
geschichte.     Marburg,  N.  G.  Elwert,   1901.     221   S.  8^     M.   4,20. 

Kalt,  Hermann:  Hamburgs  Kampf  um  die  Reformation  1517 — 1561 
[=  Beilagen  zu  den  Jahresberichten  1896/97  und  1897/98  der  Realschule 
St.  Pauli  in  Hamburg].    Hamburg   1897  und  1898.     34  und  32  S.    4". 

Schmidt,  Jakob:  Die  katholische  Restauration  in  den  ehemabgen  Kur- 
mainzer Herrschaften  Königstein  und  Rieneck  [=  Erläuterungea  und 
Ergänzungen  zu  Janssens  Geschichte  des  deutschen  Volkes,  III.  Band, 
I.  Heft].     Freiburg  i.  B.,  Herder,   1902.      124  S.  8®.     M.   1,80. 

Sperl,  August:  Der  Pfalzgraf  Philipp  Ludwig  von  Neuburg,  sein  Sohn  Wolf- 
gang Wilhelm  und  die  Jesuiten  [=  Schriften  des  Vereins  für  Re- 
formationsgeschichte Nr.  48].    Halle,  Max  Niemeyer,   1895.     B7   S.   8**. 

Wiese,  Hugo  von :  Der  Kampf  um  Glatz,  aus  der  Geschichte  der  Gegen- 
reformation in  der  Grafschaft  Glatz  [=  Schriften  des  Vereins  für  Re- 
formationsgeschichte Nr.  54].    Halle,  Max  Niemeyer,   1896.     84  S.    8*. 

Becker,  Eugen:  Beiträge  zur  Geschichte  Bensbergs.  Elberfeld,  Baedeker, 
1902.     68  S.  8«. 

Bray-Steinburg,  Graf  Otto  von:  Denkwürdigkeiten  aus  seinem  Leben. 
Mit  einem  Vorwort  von  Prof.  Dr.  K.  Th.  von  Heigel  in  München. 
Leipzig,  S.  Hirzel,   1901.     208  S.  8®. 

Brenner,  O. :  Die  lautlichen  imd  geschichtlichen  Grundlagen  unserer  Recht- 
schreibung.    Leipzig,  B.  G.  Teubner,   1902.     68  S.   8**. 

Erben,  Wilhelm:  Das  Aufgebot  Herzog  Albrecht  V.  von  Österreich  gegen 
die  Husiten  [=s  Sonderabdruck  aus  den  „Mitteilungen  des  Instituts  fiir 
österreichische  Geschichtsforschung"  23.  Baüd,  S.  256 — 272]. 

Grund,  Alfred:  Die  Veränderungen  der  Topographie  im  Wiener  Walde 
und  Wiener  Becken  [=  Geographische  Abhandlungen,  herausgegeben 
von  Prof.  Albrecht  Penck  in  Wien,  Band  VIII,  Heft  i].  Leipzig, 
B.  G.  Teubner,   1901.     239  S.  8". 

Heine,  K. :  Nordhausen  imd  Preufsen,  Festbeitrag  zur  Jubelfeier  der  hundert- 
jährigen Zugehörigkeit  Nordhausens  zu  Preufsen  am  6.  Juni  1902. 
Nordhausen,  Homickel,   1902.      119  S.  8^     M.  1,25. 

Heinemann,  Otto:  Die  ältesten  Stettiner  Zeitungen.  [=  Baltische  Studien^ 
herausgegeben  von  der  Gesellschaft  für  Pommersche  Geschichte  und 
Altertumskunde.     N.  F.  Bd.  V,  S.   193 — 210]. 

Jellinek,  Arthur:  Internationale  Bibliographie.  Erster  Jahrgang  (1902). 
I.  Heft  (April).     Berlin  W.,  B.  Behr.   1902,  8«. 

Berichtigung 

Meine  Angaben  über  die  Entstehung  des  Vereins  für  Geschichte 
der  Deutschen  in  Böhmen  S.  167  bedürfen  einer  Ergänzung.  Neben 
den  drei  von  mir  genannten  Männern  (Schlesinger,  Lippert  und  Wlechowsky) 
ist  schon  bei  den  ersten  Vorbesprechungen  auch  Hermann  Hallwich,  der 
bekannte  Wallensteinforscher,  eifrig  thädg  gewesen;  er  mufs  also  unter  den 
Gründern  des  Vereins  genannt  werden,  dessen  ältestes  lebendes  Mitglied  er 
gegenwärtig  ist  Ottocar  Weber  (Prag) 

Heratugeher  Dr,  Armin  Tille  in  Leipzig.  —   Druck  und  Verlag  von  Friedrich  Andreas  Perthes  b  Gotha. 


Deutsche  Ceschichtsblätter 

Monatsschrift 

Förderung  der  landesgeschichtlichen  Forschung 

III.  Band  Juli  1903  10.  Heft 


Aus  potntnersehen  Stadtarehiven 

Von 
Georg  Winter  (Osnabrück) 
An   einer  früheren  Stelle ')   hat  Martin  Wehrmann   einen   in   den 
Haupt^nindliniea    vortrefTtich    untenicfatenden    Überblick    über     den 
gegenwärtigen  Stand  der  landeskundlichen  Forschung  in  Pommem  ge- 
geben,  worin  er  mit  Recht  nicht  nur  das   wirklich  Geleistete   hervor- 
hebt, sondern  auch  auf  die  sehr  erheblichen  Lücken  hinweist,  die  sich 
auf  archivalischem  wie  wissenschaftlichem  Gebiete  trotz  reger  Tätigkeit 
im  einzelnen  noch  empündÜch  bemerklich  machen.    Insbesondere  hat 
er  auch  darauf  aufmerksam  gemacht,  dafs  man  in  der  für  die  Förde- 
rung lande^eschichtlicher  Forschungen  so  überaus  wichtigen  Inven- 
tarisierung der  kleineren  Archive,  welche  sowohl  in  anderen 
Forschungsgebieten  *)   wie  von  der  Gesamtorganisation   der  deutschen 
lande^eschichtlichen  Vereine  bereits   mit  Eifer  und  Erfolg   in  Angriff 
genommen  ist,  in  Pommem  über  bescheidene,  rein  zufällige  und  ge- 
legentliche  Anfänge    noch    nicht   hinan 
dieses   empfindlichen   Mangels,   der  eii 
Lande  zerstreuten  archivalischen  Quelle 
liehe  Forschung   einstweilen   noch   vöUi 
hier  nicht  untersucht  werden ;  sie  lieget 
Forscherkreise,  deren  Umfang  in  unser 
durch   andere,    für   wichtiger  gehaltene 
genommen  werden,   z.  T.  auch  in  der 
sitzer  von  archivalischen  Schätzen  liir  i 
uns  dem  gegenüber  mit  der  Feststellm 

1)  Vgl  I.  Bd.,  S.  98-104  nnd  S.   133—133 

1)  In  DentschUnd  iit  sie  ua  weileiten  foitgc 
in  der  RheinproTiai  und  W e ■  t fa I e d  und  wn 
ringen  nnd  Provini  Sacbicn.  Wartlembei 
100  einer  VeräScntticbong  wird  abgeiehen.  In  Ö< 
fltrdcn  in  Tirol,  begonnen  in  Steiermark,  V 


—     250     — 

in  der  bezeichneten  Richtung  nur  von  einzelnen  Privatforschem  g'emacht 
worden  sind,  während  die  Gesellschaft  fUr  Pommersche  Geschiohte 
und  Altertumskunde  dieser  wichtigen  Aufgabe  in  systematischer  Weise 
näher  zu  treten  bisher  nicht  in  der  Lage  gewesen  ist. 

Nur  in  bezug  auf  eine  Gruppe  der  hier  in  Betracht  kommeaden 
archivalischen  Quellen  ist  in  jüngster  Zeit  ein   sehr  erheblicher  Port- 
schritt zu  verzeichnen,  der  seinen  Ursprung  nicht  der  privaten,  sondern 
der   Initiative    der  preufsischen  Archivverwaltung    zu    verdanken    hat. 
Wehrmann   hat  schon  darauf  hingewiesen,  dafe  das  königliche  Staats- 
archiv in  Stettin  seit  einigen  Jahren  die  Fortsetzung  des  zum  Bedauern 
der    Forscherkreise    seit    längerer    Zeit    unterbrochenen    Pommer- 
sehen  Urkundenbuches  *)   wieder   in   die   Hand   genommen    hat; 
zwei  umfangreiche  Bände  ^   von   denen   der  eine   von   Herrn    Archiv- 
assistenten  Heine  mann,  der  andere  von  dem  Verfasser  dieser  Zeilen 
bearbeitet    wird,    sind    im    Manuskript    druckfertig.      Für    diese    Pu- 
blikation war  es   nun   unumgänglich   notwendig,   die  in  den  Archiven 
der  einzelnen  pommerschen  Städte  erhaltenen  Originalurkunden  zu  be- 
nutzen  und   zu   diesem   Zwecke   eine   systematische   Bereisung   dieser 
Städtearchive  vorzunehmen,  wie  sie  für  die  früheren  Bände  von  ihrem 
Herausgeber,  dem  jetzigen  Archivdirektor  in  Posen,  Archivrat  Pr ü  m  e  rs , 
unternommen  und  hinsichtlich   der  wichtigsten  Ergebnisse   wenigstens 
in  bezug  auf  die  Städte  links  der  Oder  eingehend  geschildert  worden 
ist  *).     Diese   erneute  Bereisung    der  pommerschen   Städtearchive   ist 
aber  über  ihren  eigentlichen  Zweck   hinaus   auch  jener  allgemeineren 
Aufgabe   der   Inventarisierung  und  zugleich   der  besseren    und    sach- 
kundigeren Aufbewahrung  der  städtischen  Archivalien  überhaupt  sehr 
erheblich  zu  statten  gekommen. 

Bei  der  Durchsicht  der  städtischen  Archive  stellte  sich  nämlich 
die  auch  in  anderen  Teilen  unseres  Vaterlandes  bedauerlicherweise 
fast  überall  beobachtete  Tatsache  heraus,  dafs  Aufbewahrung  und 
Ordnung  der  Archivalien  nicht  mehr  und  nicht  weniger  als  alles  zu 
wünschen  übrig  liefe.  Die  bei  weitem  überwiegende  Mehrzahl  der 
Städte  verfugt  überhaupt  über  keinen  diesen  Namen  verdienenden 
Archivraum,  vielmehr  waren  die  für  die  laufende  Verwaltung  nicht  mehr  in 
Betracht  kommenden  Akten  und  zumeist  auch  die  für  die  betreffenden 


i)  Die  erste  Abteilung  des  i.  Bandes,  bearbeitet  von  Robert  Klemp in,  enchien 
Stettin  1868.     Die   zweite  Abteilung  (1877)   ist   schon   Ton  Radgero  Prtfmers  be- 
arbeitet and  ebenso  die  beiden  Hälften  des  zweiten  (1881  and  1885)  and  dritten  Btsdes^ 
(1888  ond  1891). 

2)  Baltische  Stadien,  Jahrgang  32  (1882),  S.  73—99. 


—     261     — 

städtischen  Beamten  nicht  entzifferbaren  Urkunden  fast  ausnahmslos  in 
Boden-  und  Dachkammern  unteigfebracht,  wo  sie  nicht  allein  weg'en  des 
mangelnden  Lichts  und  der  noch  mehr  mangelnden  Ordnung  völlig  un- 
benutzbar, sondern  auch  beständiger  Feuersgefahr  und  den  Einflüssen 
von  Wind  und  Wetter  ausgesetzt  waren.    Da  es  nun  in  der  preufsischen 
Gesetzgebung  ^)  nicht  an  gesetzlichen  Bestimmungen  fehlt,  durch  welche 
die  Städte  zu  einer  zweckentsprechenden  Aufbewahrung  und  Ordnung 
dieser  nicht  allein  für  die  besitzenden  Städte,  sondern  auch   für  den 
Staat  und  für  die  wissenschaftliche  Forschung  wichtigen  Archivalien 
verpflichtet  werden,  so  konnte  man  hier  den  Hebel  ansetzen,  um  eine 
dringend    wünschenswerte    Wandlung    zum    Besseren    herbeizuführen. 
Diese  wurde  dadurch  erreicht,  dafs  es  gelang,  den  bei  weitem  grö&ten 
Teil  der  pommerschen  Städte  —  ein  anderer  Teil  hatte  schon  früher 
dasselbe  getan  —  zur  Deponierung  ihrer  Archive  im  Stettiner  Staats- 
archiv zu  bewegen  *).     Die  Schwierigkeiten ,   die   sich  dieser  Aufgabe 
anfangs  entgegengesetzt  hatten,  wurden  von  Jahr  zu  Jahr  geringer,  da 
die  städtischen  Verwaltungen  durch  die  Praxis   sehr   schnell   merkten, 
dafs  ihre  Archivalien  durch  diese  Mafsregel   auch   für  sie  selbst  weit 
leichter  benutzbar  wurden,  als  wenn  sie  in  ihrem  bisherigen  ungeord- 
neten Zustande  in  ihrem  Besitz  geblieben  wären.     So  sind  im  Laufe 
der  letzten  Jahre  eine  grofee  Reihe  städtischer  Archive  Pommerns  in 
den,  wenngleich  jederzeit  widerruflichen,  Besitz  des  Staatsarchivs  über- 
gegangen,  wo  ihnen  ein  ganzer  gro&er  Aktensaal  eingeräumt  werden 
mufste.    Dadurch  ist  nicht  allein  für  das  Staatsarchiv,  sondern  für  die 
gesamte  landesgeschichtliche  Forschung  ein  Zuwachs  an  Quellenmaterial 
erzielt  worden,  von  dessen  Umfang  und  Bedeutung  bisher  kaum  irgend 
jemand  eine  wirklich  zutreflende  Vorstellung  gehabt  hat,   da  es  bei 
der  bisherigen  Lage  der  Dinge  wissenschaftlich  so  gut  wie  unbenutz- 
bar war. 

Über  einen  Teil  der  pommerschen  Stadtarchive  hatte  bereits 
der  Aufsatz  von  Prümers  einige  Kunde  verbreitet.  Aber  erstens  er- 
streckte sich  diese  Schilderung  nur  auf  die  vornehmsten  Hauptsachen 
und  gab  über  Inhalt  und  Bedeutung  der  eigentlichen  Aktenmassen 
nur  ganz  oberflächliche,  dem  augenblicklichen  Zwecke  entsprechende 
Mitteilungen;   vor  allem  aber   war  dem   Forscher  nach  wie  vor  die 


i)  U.  a.  auch  in  der  die  kommaoale  SelbstverwaltnDg  regelnden  Städteordonng. 

2)  Auch  in  der  Provinz  Posen  sind  die  meisten  Stadtarchive  im  Kgl.  Staats- 
archiv deponiert  (vgl.  oben  S.  173),  und  in  andern  Staaten  and  Provinzen  wird  ähn- 
lich verfahren.  Vgl.  z.  B.  die  in  der  Pfalz  ergangene  allgemeine  Anregung,  oben 
S.  235/37. 

18* 


—     252     — 

Durchsicht  der  Archive  selbst  unmöglich,  während  diese  jetzt  im  Staats- 
archive  der  Forschung  zu   nahezu   unbeschränkter  Verfügung*    stehen. 
Sie  enthalten  ein  reiches,  bisher  so  gut  wie  völlig  unbenutztes  Material 
nicht  nur  für  den  Lokalforscher,   sondern  auch   für  Studien   über    die 
typische  Entwickelung  des  deutschen  Städtewesens,  für  welche   oft   die 
Kenntnis  der  Einrichtungen  und  Vorgänge  auch  in  kleineren  Städten, 
namentlich  wenn  die  betreffenden  Quellen  aus  einer  gröüseren  Anzahl 
in  reicher  Fülle  vorhanden  sind,  von  entscheidender  Wichtigkeit  werden 
kann   —   ganz   abgesehen  von   der  Bedeutung   so   alter  und    hervor- 
ragender gröfeerer  Städte  wie  Stralsund,   Anklam,   Demmin,    Stettin, 
Kolbeig  u.  a. 

Dem    Staatsarchive    ist   durch    diese    umfangreiche   Deponiening 
städtischer  Archive  eine  ebenso  lohnende  als  zeitraubende  neue  Auf- 
gabe gestellt  worden,  welche  natürlich,  da  allein  im  Laufe  der  letzten 
vier  Jahre  13  Städte  ihre  Archive   deponiert  haben,    noch  nicht    an- 
nähernd vollständig  neben    den  anderen   amtlichen  Aufgaben   g-elöst 
werden  konnte.     Immerhin  sind  wenigstens  die  Urkunden,  deren  sich 
auch  in  mancher  kleineren  Stadt  überraschend  viele   vorfanden,   jetzt 
sämtlich   geordnet  und   nach   den   neueren   wissenschaftlichen   Grund- 
sätzen regestierty  so  dafe  ihrer  Benutzung  dturch  die  Forschung  oichts 
mehr  im  Wege  steht,   und  auch  mit  der  Ordnung  der  bei  manchen 
Städten  sehr  grofsen  Aktenmassen  ist  ein  sehr   erheblicher  Anfang- 
gemacht  :  mehrere  städtische  Archive  sind  in  bezug  auf  Urkunden  und 
Akten  vollständig  repertorisiert ,   und  die  gesamte  Masse  des  neu  er- 
worbenen Stoffes  läfst  sich  bereits  in  den  Hauptgrundlinien  genügend 
übersehen,  um  wenigstens  eine  Vorstellung  von  ihrer  wissenschaftlichen 
Bedeutung  zu  gewinnen. 

Es  kann  nun  nicht  meine  Aufgabe  sein,  an  dieser  Stelle  über  den 
Inhalt  und  die  wissenschaftliche  Bedeutung  dieser  städtischen  Archive 
ins  einzelne  gehende  Mitteilungen  zu  veröffentlichen ;  ich  mufe  mich  viel- 
mehr auf  die  Hauptsachen  und  auf  einige  wichtigere  Städte  beschränken, 
um  so  die  Forschung  auf  diejenigen  Punkte  aufmerksam  zu  machen, 
an  denen  ein  weiteres  Eindringen  ins  einzelne  angezeigt  erscheinen 
dürfte.  Zugleich  aber  werden  viele  Fragen  der  örtlichen  Geschichts- 
forschung, die  für  jede  Landschaft  Bedeutung  haben,  berührt  werden. 

Verhältnismäßig  am  meisten  bekannt  von  den  pommerschen 
Städtearchiven  ist  das  der  Stadt  Stralsund,  welche  schon  in  den  ersten 
Stadien  des  Hansabundes  eine  hervorragende  Stellung  unter  den 
„wendischen  Städten*'  einnahm  und  daher  in  den  umfassenden  Quellen- 
publikationen und  Darstellungen  ztu:  Hansischen  Geschichte  eine  nicht 


—     253     — 

unbedeutende  Rolle  spielt.     Ein  grofeer  Teil  der  in   ihrem  Archive 
erhaltenen  Originalurkunden   ist  im    Hansischen   Urkundenbuche,    bei 
Fabricius  u.  a.   gedruckt.      Über  den   Gesamtinhalt  des  Archivs   hat 
schon  im  Jahre  1834  A.  Brandenburg  im  ersten  Bande  der  von  Hoefer, 
Erhard  und  von  Medem  herausgegebenen  Zettschrift  für  Archiv  künde, 
Diplotnatik   und    Geschichte    (S.   76—100)    eine    gut   orientierende 
Übersicht  gegeben,   der  dann    50  Jahre   später   die  Mitteilungen  von 
Prümers    in    dem    bereits    wiederholt    angezogenen    Aufsatze    in    den 
Baltischen    Studien    gefolgt   sind.     Die   Stadt    selbst,    welche   in   der 
Gegenwart  die  wirtschaftliche  Bedeutung,  die  sie  im  Mittelalter  gehabt 
hat,  bei  weitem  nicht  mehr  besitzt,   hält   viel    auf  ihre  geschichtliche 
Überlieferung   und  hat   zumeist  einen   eigenen  Archivar,    wenn   auch 
nur  im  Nebenamt.     Das  Archiv  ist,  wenn  auch  nicht  mustergültig,  so 
doch  immerhin  in  einer  Weise  aufbewahrt,  gegen  die  ernste  Bedenken 
rücht  zu  erheben  sind,  so  dafs  hier  auf  dringende  Mafsregeln,  um  die 
bisher  stets   abgelehnte  Deponierung   des  Archivs   zu   erreichen,   ver- 
zichtet  werden   konnte.     Gleichwohl   läfst   die   Ordnung  des   Archivs, 
von  dessen  überraschendem  Reichtum   die  erwähnten  gedruckten  Mit- 
teilungen keineswegs  eine  auch  nur  annähernd  erschöpfende  Vorstellung 
geben,   noch  sehr  viel   zu  wünschen   übrig.     Ein   eigentliches   wissen- 
schaftliches Repertorium  existiert  nicht  einmal  über  die  Original-Perga- 
menturkunden,   viel  weniger  über  die  Akten,   so  dafe  jeder  Forscher, 
der  das  Archiv  benutzen  will,  die  Durchsicht  der  Bestände  gleichsam 
von  neuem  beginnen  mufs.     Und  wie  wenig  man   sich   dabei   auf  die 
bestehende  Anordnung  verlassen   kann,   ergibt   sich   am   klarsten   aus 
der  Tatsache,  dafs  sogar  von  den  ältesten  Urkunden  selbst  dem  Forscher- 
fleiiSse  eines  Fabricius  eine  ganze  Reihe  entgangen  sind,   so   dafe  von 
den    125  Urkunden,   die   im  4.  und  5.  Bande    des  Pommerschen  Ur- 
kundenbuches  jetzt  nach  Stralsunder  Originalen  gedruckt  werden  sollen, 
sich  immerhin  mehrere  Inedita  befinden.   In  den  späteren  Jahrhunderten 
wird  die  Sachlage  sich  noch  wesentlich  anders  gestalten,  da  hier  die 
Urkunden  noch  nie  einer  ähnlich  systematischen  Durchsicht  unterzogen 
worden   sind.     Wie   wichtig    für    die    landesgeschichtliche  Forschung 
aber  eine  wirklich  erschöpfende  Ordnung  und  wissenschaftliche  Rege- 
stierung  des  Stralsunder  Urkundenbestandes  sein  würde,  ergibt  sich  schon 
daraus,   dafs  derselbe  nach  den  neuesten  Schätzungen    der  Bearbeiter 
des  Pommerschen  Urkundenbuches  sich  auf  etwa  4000  Originale,  ohne 
die  in  Stadtbüchem,  Kopiaren  u.  s.  w.  enthaltenen,  beläuft.     Für  das 
Aktenarchiv  aber  ist  bisher  in  modern -archivalischem  Sinne  noch  so 
gut  wie  gar   nichts   geschehen.     Wenn   dieses   überaus   reiche  Archiv 


—     254     — 

also  wirklich  erschöpfend  von  der  landesg'eschichtlichen  ForschuDf 
ausgenutzt  werden  soll,  so  wird  sich  die  auf  ihre  geschieh tliolie  Ver- 
gangenheit mit  Recht  stolze  Stadt  über  kurz  oder  lang  dooli  noch 
entschliefsen  müssen,  in  Zukunft  einen  Archivar  im  Hauptaixite  anra- 
stellen,  dessen  einzige  Lebensaufgabe  in  der  Ordnung  und  Zugräng-licfc- 
machung  dieses  überaus  reichaltigen  Archivs  bestehen  müfstiO. 

Wenden   wir  uns  jetzt   von   der  Hauptstadt  Neuvorpommcms   zu 
der  jetzigen  Hauptstadt  der  ganzen  Provinz,   Stettin,   die,   umg-ekehii 
wie  Stralsund,   im  Mittelalter  bei  weitem  nicht  eine  so  hervorrag-exidc 
Bedeutung  gehabt  hat  wie  in  unserer  Zeit,  so  liegen  dort  die  Verhält- 
nisse  in  bezug   auf  den  gegenwärtigen  Zustand   des  Archivs    i^ie    am' 
die  Aussichten  für  die  Zukunft  erheblich  günstiger.   Stettin  hat  wenigstens 
den  sehr  umfangreichen  Aktenbestand  seines  Archivs  im  Staatsax-otiive 
deponiert,   wo  ein  stattlicher  Folioband  Repertorium   erschöpfend    g-e- 
nauen  Überblick  über  die  Bestände  ermöglicht  und  die  Benutzuxig^  in 
hohem   Grade  erleichtert.     Das   darin   enthaltene  reiche  Mateiml    zur 
Handels-,  Wirtschafts-  und  Verfassungsgeschichte  der  Stadt   ist    von 
mehreren  rührigen  und  kenntnisreichen  Forschern,  wie  namentlich  von 
Blümcke,   van  Niessen  u.   a.    bereits   zu   umfangreichen  Forschungnen 
verwendet  worden,   und  wird  auch  zur  Zeit  noch  eifrig  benutzt.     Da- 
gegen steht  es  mit  dem  immerhin  recht  bedeutenden,  noch  im  Besitz 
der  Stadt  befindlichen  Urkundenbestande,  der  einige  tausend  Originale 
umfafst,  zur  Zeit  noch  recht  mangelhaft,  denn  die  Stadt  ist  bisher  nicht 
in  der  Lage  gewesen,  irgend  etwas  für  die  Zugänglichkeit  und  Benntz- 
barkeit  der  Urkunden  zu  leisten,  da  naturgemäß  keiner  der  städtischen 
Beamten   die  älteren  Urkunden    zu    entziffern   vermag.     Zwar    ist    in 
früherer  Zeit  einmal  von  sachkundiger  Seite   ein  Ansatz  zur  Ordnung 
und  Regestierung  gemacht,  aber  nicht  völlig  durchgeführt  worden,  und 
selbst  die  Ansätze  der  Ordnung  sind  im  Laufe  der  Jahre   wieder   fast 
völlig  verloren  gegangen,  so  dafs  schon  die  AufBndung  der  Urkunden 
zuweilen  nicht  unerhebliche  Schwierigkeiten  macht.     Erfreulicherweise 
ist   aber  eine   völlige  Neuorganisierung   in  Aussicht  genommen.     Bei 
Gelegenheit  der  Gründung  einer  Stadtbibliothek,  für  welche  am  i.  Januar 
1902  ein  Bibliothekar  angestellt  worden  ist,  wurde  zugleich  die  Organi- 
sierung eines    eigenen   städtischen    Archivs    in    Aussicht   genommen, 
welches  in  der  einen  oder  anderen  Weise  mit  der  Stadtbibliothek  ver- 
einigt werden  soll,   ähnlich  wie  das  z.  B.  in  Magdeburg  schon  früher 
geschehen  ist.     Über  die  Frage,   ob  alsdann  neben  dem  städtischen 
Bibliothekar  noch  ein  besonderer  Archivar  erforderlich  sein  wird,  liegt 
ein  endgültiger  Beschlufs  der  städtischen  Behörden  noch  nicht  vor. 


;^c 


^.'— 


rr: 


U.'' 


FT 


—     255     — 

e ;  Von  den  hinterpommerscben  Städten  rechts  der  Oder  —  in  bezug* 

auf  die  vorpommerschen  Städte  links  der  Oder  darf  ich  im  allgemeinen 
auf  Prümers  verweisen  —  ist  das  inhaltlich  und  an  Umfang  bedeutendste 
Archiv  das  der  uralten  Salinenstadt  Kolberg,  das  ebenfalls  noch  nicht 
zur  Deponierung  im  Staatsarchive  gelangt  ist,  vornehmlich  gerade 
deshalb,  weil  die  Stadt  viel  Interesse  für  ihre  Vergangenheit  hat  und 
deren  Zeugnisse  deshalb  nicht  gern  aus  den  Händen  geben  will.  Wenn 
nun  aber  die  tatsächliche  Durchführung  der  Ordnung  und  Repertori- 
sierung  des  Archivs  auch  nur  einigermaßen  dem  guten  Willen,  den  die 
Stadt  dabei  an  den  Tag  legt,  entspräche !  Unbedingt  mufs  zugegeben 
werden,  dais  die  Stadt  alles  getan  hat,  was  sie  mit  den  ihr  zur  Ver- 
fügung stehenden  Kräften  und  Mitteln  zu  tun  vermochte :  die  Urkunden 
sind  in  sehr  zweckmäfsigen  imd  schön  ausgestatteten  Pappkästen  in 
einem  feuersicheren  Schrank  aufbewahrt,  allein  die  Ordnung  und  Ver- 
zeichnung ist  eine  so  mangelhafte,  dafs  es  sich  z.  B.  bisher  als  un- 
möglich herausgestellt  hat,  die  eine  der  für  die  Fortsetzung  des 
Pommerschen  Urkundenbuches  vom  Staatsarchive  erbetenen  Urkunden 
aufzufinden.  Die  2^hl  der  Urkunden  ist  nicht  so  grofe  wie  in  Stralsund 
und  Stettin,  übertrifil  aber  doch  noch  immer  die  der  alten  Hansastädte 
Anklam  und  Demmin  bedeutend;  sie  beträgt  etwa  5 — 600,  darunter 
viele,  die  für  die  Geschichte  des  Ostseehandels,  der  Ostseefischerei 
und  der  Saline  von  sehr  grofeer  Wichtigkeit  sind.  Aber  ein  auch 
nur  einigerma(sen  brauchbares  Verzeichnis  ist  nicht  vorhanden.  Die  Ur- 
kunden sind  ganz  neuerdings  im  Staatsarchiv  deponiert  worden. 
Ahnhch  liegt  es  mit  den  Akten.  Zwar  sind  auch  sie  so  gut  angestellt,  wie 
es  bei  den  sehr  beschränkten  Raumverhältnissen  nur  irgend  möglich 
war,  für  die  wissenschaftliche  Benutzbarkeit  ist  fast  nichts  geschehen. 
Wohl  gibt  es  Verzeichnisse  über  diejenigen  Akten,  welche  hier  und 
da  für  die  praktische  Verwaltung  gebraucht  werden,  aber  über  die 
eigentlich  historischen  Bestände,  zu  denen  u.  a.  ein  unschätzbarer, 
reicher  Vorrat  an  Stadtrechnungen  bis  hinauf  zum  Beginne  des 
XVI.  Jahrhunderts  gehört,  liegen  Repertorien  überhaupt  nicht  vor. 
Auch  hier  also  bleibt  für  die  wissenschaftliche  Benutzbarkeit  noch  viel 
zu  wünschen  übrig. 

Ich  habe  bisher  hauptsächlich  einige  der  grö&ten  pommerschen 
Städte  herausgegriffen,  welche  ihre  Archive  bisher  gar  nicht  oder  nur 
zum  Teil  im  Staatsarchive  deponiert  haben,  um  an  ihnen,  als  bekann- 
teren Beispielen,  klarzulegen,  dafs  hier  im  wissenschaftliche 
noch  mancherlei  geschehen  kann  und  mufs.    Ich  wende  tr 
zu  denjenigen,  in  der  Hauptsache  hinterpommerscben  S 


—     256     — 

sich  zu  der  iiir  die  wissenschaftliche  Forschung  sehr  erwünschten  Mafs- 
regel  der  Deponierung  entschlossen  haben.  Es  handelt  sich  dabei 
zumeist  um  kleinere  Städte,  von  denen  man  bisher  wohl  oft  angenommen 
hat,  dafe  ihre  Archive  zur  Förderung  der  landesgeschichtlichen  Forschung- 
so  sehr  erheblich  nicht  beitragen  würden.  In  der  Tat  war  ich  selbst 
zuweilen  überrascht  von  der  Fülle  urkundlichen  und  sonstigen  archi- 
valischen  Materials,  welches  sich  in  vielen  dieser  Städte  erhalten  hat, 
während  freilich  in  mancher  anderen  so  gut  wie  alles  durch  Brände, 
Unglücksfalle  oder  unverantwortliche  Vernachlässigung  zu  gründe  ge- 
gangen ist.  Freilich  würde  sich  derjenige,  der  in  diesen  Archiven 
Quellen  über  grofse  weltbewegende  Ereignisse  suchen  wollte,  meist 
sehr  enttäuscht  finden.  Dazu  haben  die  meisten  dieser  Städte  zu  sehr 
weit  ab  von  dem  grofsen  Weltverkehr  und  den  Mittelpunkten  des 
staatlichen  Lebens  gestanden.  Aber  so  unbedeutend  waren  und  sind 
sie  doch  keineswegs,  da(s  sich  die  Rück-  und  Femwirkungen  des 
grofsen  geschichtlichen  Lebens  nicht  auch  in  ihnen  in  zuweilen  sehr 
charakteristischer  Weise  geltend  gemacht  hätten.  Und  vor  allem, 
gerade  weil  sie  durch  die  grofsen  Umwälzungen  der  geschichtlichen 
Ereignisse  nur  von  ferne  berührt  wurden,  treten  in  ihrer  Entwickelung, 
der  verfassungsrechtlichen  wie  der  wirtschaftlichen  und  allgemein 
kulturellen,  die  typischen  Züge  der  Zustände  oft  überraschend  klar  zu 
Tage.  Außerdem  aber  haben  alle  diese  Städte,  welche  jetzt  zum 
grofsen  TeU  kleinere  Landstädte  sind,  im  Mittelalter  aber  doch  zum 
Teil  wirtschaftliche  Bedeutung  genug  hatten,  um  in  den  Hansabimd 
aufgenommen  zu  werden,  als  Mittelpunkte  des  landschaftlichen  Lebens 
in  Pommern  ihre  unzweifelhafte  Bedeutung  für  die  Landesgeschichte, 
einige  von  ihnen,  die  in  der  Nähe  der  See  gelegen  sind  und  am  Ost- 
seehandel teilgenommen  haben,  auch  für  dessen  Geschichte.  Der 
Kampf  um  das  domintum  maris  baltict  hat  auch  für  sie  seine  Be- 
deutung gehabt  und  hat  in  ihrer  wirtschaftlichen  wie  politischen  Ent- 
wickelung seine  deutlich  erkennbaren  Merkmale  hinterlassen. 

Von  diesen  hinterpommerschen  Städten,  deren  Archive  jetzt  im 
Staatsarchive  vereinigt  sind,  darf  fuglich  den  ersten  Platz  die  alte 
Bischofisstadt  Camin  beanspruchen,  welche  schon  als  Residenz  des 
einzigen  pommerschen  Bischofs,  aufserdem  aber  durch  ihre  Lage  an 
dem  nach  ihr  genannten  Bodden  für  die  geistige  wie  für  die  wirtschaft- 
liche Geschichte  Pommerns  ihre  unzweifelhaft  erhebliche  Bedeutung 
hat.  Dieser  Bedeutung  entspricht  allerdings  der  erhaltene  Bestand 
ihres  Archivs  nicht  in  vollem  Mafse;  sie  spiegelt  sich  zum  Teil  aber 
auch  in  dem  weit  umfangreicheren  Archive  des  Bistums  und  des  Dom- 


—     257     — 

kapitels  wieder,  welches  zu  den  alten  Beständen  des  Stettiner  Staats- 
archivs gehört.  An  Urkunden  sind  im  ganzen  ^^  Originale  vorhanden, 
deren  ältestes  von  1308  ist;  auiserdem  entstammen  noch  8  dem 
XIV.,  32  dem  XV.,  die  übrigen  dem  XVI.  und  XVII.  Jahrhundert. 
Die  Urkunden  sind  jetzt  genau  regestiert  und  in  einem  Repertorium 
verzeichnet,  mit  einem  Orts-  und  Personenregister,  in  welchem  nament- 
lich auch  die  pommerschen  Adelsfamilien  zahlreich  vertreten  sind. 
Unter  den  gleichfalls  im  Staatsarchive  deponierten  Akten,  welche  bis 
zum  XVI.  Jahrhundert  zurückreichen,  sind  von  grofeem  Wert  nament- 
lich die  zum  Teil  sehr  alten  Zunft-  und  Gewerbesachen,  die  Finanz-, 
Kirchen-  und  Schul-,  Fischerei-  und  Jagdsachen.  Aufserdem  befindet 
sich  unter  denselben  noch  ein  Erbhuldigungs-Register  von  1605  sowie 
mehrere  Kirchenmatrikeln  und  Visitationsprotokolle.  Endlich  sind 
noch  mehrere  der  in  neuerer  Zeit  mit  Recht  so  sehr  geschätzten 
älteren  Stadt-  und  Bürgerbücher  erhalten. 

Ein  wenig  weiter  landeinwärts  von  Camin  liegt  an  der  Divenow 
die  turalte,  in  ihrem  Ursprünge  noch  in  die  sagenumwobene  vorchrist- 
liche Periode  zurückreichende  Wendenstadt  Wollin  (das  alte  Julin), 
jetzt  eine  kleine,  von  dem  eigentlichen  Verkehrsleben  seitab  liegende 
Landstadt,  deren  einzige  Bedeutung  noch  in  ihrer  Lage  an  dem 
schiffbaren  Flusse  beruht  Leider  sind  von  ihrem  Archive  nur 
spärliche  Reste  vorhanden.  An  Urkunden,  welche  jetzt  im  Staats- 
archive deponiert  und  in  einem  eingehenden  Repertorium  mit  Orts- 
und Personenregister  verzeichnet  sind,  liegen  im  ganzen  35  vor,  deren 
ältestes  Original  —  einige  ältere  sind  in  Transumpten  erhalten  —  von 
1301  stammt.  Im  ganzen  sind  10  Urkunden  aus  dem  XIV.,  8  aus 
dem  XV.,  11  aus  dem  XVI.,  7  aus  dem  XVII.  Jahrhundert  vorhanden. 
Eine  willkommene  Ergänzung  und  Vervollständigung  erfahrt  dieser 
Urkundenbestand  durch  einige  erhaltene  und  ebenfalls  im  Staatsarchiv 
deponierte  Kopialbücher. 

Wenden  wir  uns  weiter  ostwärts  an  der  Seeküste  entlang,  so  ist 
die  nächste  mit  der  See  durch  die  Rega  imd  das  Treptower  Deep 
in  Berührung  stehende  wichtigere  Stadt  Treptow  an  der  Rega,  einst 
Mitglied  des  Hansabundes  und  in  einer  engen  Vereinigung  mit 
Greifenberg  und  Stargard  eifersüchtig  auf  ihre  städtischen  Gerechtsame 
bedacht,  jetzt  auch  eine  der  kleineren,  im  wesentlichen  in  der  Ent- 
wickelung  stillstehenden  Landstädte,  wie  die  Mehrzahl  der  hinter- 
pommerschen.  Ihr  Archiv,  welches  jetzt  im  Staatsarchive  deponiert 
und  eingehend  repertorisiert  ist,  spiegelt  diese  frühere  geschichtliche 
Bedeutung  der  Stadt,  wenngleich  auch  hier  im  Laufe  der  Jahrhunderte 


—     268     — 

vieles  zu  gründe  gegangen  ist,  noch  immer  in  seinen  reichen  Beständen 
wieder.  Insbesondere  zeichnet  es  sich  durch  einen  vergleichsweise 
grofsen  Vorrat  von  Originalurkunden  aus.  Das  über  dieselben  auf- 
gestellte Repertorium  weist  deren  nicht  weniger  als  151  nach,  darunter 
4  aus  dem  XIII.,  30  aus  dem  XIV.,  74  aus  dem  XV.,  die  übrigen 
aus  dem  XVI.  imd  XVII.  Jahrhundert.  Die  Akten  reichen  bis  ins 
XVI.  Jahrhundert  zurück  und  enthalten  neben  dem  ziemlich  reich- 
haltigen Material  zur  städtischen  Verfassungs-  imd  Verwaltungsgeschichte 
auch  wichtige  Nachrichten  über  den  Seehandel  und  die  Seefischerei 
sowie  zur  Geschichte  des  Schiffsbaues,  über  welchen  im  XVIII.  Jahr- 
hundert von  der  Stadt  besondere,  noch  erhaltene  Tabellen  gefuhrt 
wurden.  Auch  einige  Hafenregister  aus  dem  XVIII.  Jahrhundert  sind 
noch  erhalten.  Bemerkenswert  ist  immerhin,  daCs  die  Stadt  sich  im 
XVIII.  Jahrhundert  auch  bemühte,  ihr  Archiv  einigermaßen  wieder 
in  stand  zu  setzen.  Die  darüber  im  Jahre  1797  geführten  Verhand- 
lungen sind  ebenfalls  noch  vorhanden.  Interessant  sind  auch  die  von 
Treptow  und  Greifenberg  über  die  Regulierung  der  Rega  gepflogenen 
Beratungen  aus  dem  XVII.  Jahrhundert.  Leider  sind  von  den  Kämmerei- 
rechnungen und  den  das  Finanz-  und  Rechnungswesen  betreffenden 
Akten  nur  spärliche  Reste  erhalten,  die  gerade  genügen,  um  erkennen 
zu  lassen,  wie  interessante  kulturgeschichtliche  Auüschlüsse  dieses 
Material  ergeben  würde,  wenn  es  in  gröfeerer  Vollständigkeit  vorläge. 
Mit  Bezug  auf  Kolberg  darf  ich  auf  das  bereits  Gesagte  ver- 
weisen und  mich  nunmehr  zu  Cöslin,  dem  Sitz  der  jetzigen  R^e- 
rung  des  gleichnamigen  Regierungsbezirks,  wenden.  Die  Stadt  liegt 
nicht  wie  Camin  und  Kolberg  direkt  an  der  See  oder  einer  Ausbuchtung 
derselben,  sondern  gegen  20  Kilometer  von  der  See  entfernt ;  sie  hat 
auch  keinen  eigentlichen  Hafen,  stand  und  steht  aber  durch  den  durch 
ein  Deep  mit  der  offenen  See  zusammhängenden  Jamunder  See  mit 
dem  Ostseeverkehr  in  Verbindung.  Aufeerdem  hat  sie  wie  die  meisten 
an  Einwohnerzahl  nicht  übermäfsig  grofsen  hinterpommerschen  Städte 
ihre  Bedeutimg  als  Mittelpimkt  eines  weiten  Gebietes  des  platten 
Landes.  Das  Archiv  der  Stadt  ist  in  den  Hauptbeständen  leid- 
lich erhalten,  wenngleich  durch  unbedachte  Kassierungen  manches 
wichtige  Aktenstück  des  XVI.  und  XVII.  Jahrhunderts  verloren  ge- 
gangen ist.  Der  Urkundenvorrat  ist  sehr  viel  gröfeer  als  in  Camm. 
Das  älteste  der  212  Originale,  die  Gründungsurkunde  der  Stadt  durch 
Bischof  Hermann  von  Camin,  ist  von  1266;  aufserdem  sind  aus  dem 
XIII.  Jahrhundert  noch  8,  aus  dem  XIV.  37,  aus  dem  XV.  121  Ur- 
kunden vorhanden,  die  übrigen  stammen  aus  dem  XVI.  bis  XIX.  Jahr- 


—      269     — 

hundert.  Die  Urkunden  sind  nach  der  Niederlegung  im  Staatsarchive 
ebenso  wie  die  Caminer  genau  regestiert,  repertorisiert  und  mit  einem 
Namenregfister  versehen,  also  der  Benutzung  leicht  zugänglich.  Das- 
selbe gilt  von  den  Akten.  Um  von  dem  reichen  Inhalt  des  Akten- 
archivs wenigstens  eine  ungefähre  Vorstellung  zu  geben,  seien  aus  dem 
162  Folioseiten  umfassenden  Repertorium  wenigstens  die  Titel  der 
grofeen,  sich  wohl  auch  für  andere  Stadtarchive  empfehlenden  Haupt- 
abteilungen angegeben: 

Abteilung  I.    Allgemeine  Verfassungs-  und   Verwaltungsangelegen- 
heiten (mit  7  Unterabteilungen). 

Abteilung  II.     Behördenorganisation.     Bestallungen  und  Personalia 
(mit  13  Unterabteilungen). 

Abteilung  III.     Das  Eigentum   der  Stadt  (mit  6  Unterabteilungen). 

Abteilung  IV.     Finanzverwaltung  (mit  26  Unterabteilungen). 

Abteilung  V.    Verwaltung  des  Inneren  und  der  Polizei  (mit  23  Unter- 
abteilungen). 

Abteilung  VI.     Militärsachen  (mit  23  Unterabteilungen). 

Aufserdem  sind  noch  2  Kopiare  mit  Urkundenabschriften  von  1266  bis 
1742  und  3  andere  Handschriften  vorhanden,  danmter  ein  Eidbuch 
der  Stadt. 

Im  Zusammenhange  mit  Cöslin  mag  noch  die  benachbarte  Stadt 
Cörlin  erwähnt  werden,  welche  zeitweise  den  Caminer  Bischöfen  zur 
Residenz  diente,  die  von  hier  aus  den  ihnen  gehörenden  Fürstentumer 
Kreis  verwalteten.  Dadurch  hat  die  ganz  kleine  Landstadt  vorüber- 
gehend eine  nicht  im  erhebliche  geschichtliche  Bedeutung  gehabt,  die 
ihren  Niederschlag  auch  in  den  in  ihr  entstandenen  Archivalien  ge- 
funden hat,  welche  zum  Teil  sehr  wunderbare  Schicksale  durchgemacht 
haben.  Eben  weil  die  Stadt  längere  Zeit  Residenz  der  Bischöfe  ge- 
wesen ist,  sind  hier  auch  eine  gröfsere  Anzahl  von  bischöflichen  Akten 
entstanden,  die  dann  von  hier  aus  nach  Cöslin  gelangt  sein  müssen, 
wo  sie  vor  einigen  Jahren  in  den  Räumen  einer  ganz  modernen  Ver- 
waltungsbehörde, des  Bezirksausschusses,  von  Herrn  Professor  Hanncke 
ganz  unvermutet  aufgefunden  worden  sind.  Sie  befinden  sich  jetzt  im 
Staatsarchive  und  enthalten  die  wichtigsten  authentischen  Nachrichten 
über  das  Caminer  Bistum  für  die  entscheidende  Periode  der  Einfuhrung 
der  Reformation  in  Pommern  und  der  letzten  katholischen  Bischöfe. 
Über  Martin  Weier  und  Erasmus  ManteufTel,  den  in  letzter  Zeit  von 
evangelischer  wie  katholischer  Seite  wiederholt  behandelten  Caminer 
Bischof,  sind  in  diesen  Akten  die  wichtigsten  Quellen  erhalten.    Minder 


—     260     — 

bedeutend,   aber  doch  gröfser  als  nach   der  Kleinheit  der  Stadt    ver- 
mutet  werden   konnte,   ist  das   Archiv   der  Stadt  selbst.     Irgend    ein 
Verzeichnis  über   die  älteren  Akten   existierte  nicht,   Urkunden  waren 
angeblich    überhaupt  nicht   vorhanden.     Die   Aktenbestände   lagen    in 
grofsen  Bergen  in  gröfster  Unordnung  auf  dem  Fufsboden  des  Dach- 
raumes umher.     Die  unter  diesen  Umständen  einigermaßen  schwierige 
Durchsuchung    ergab    zunächst,     dafs,    wenn    auch    nicht   viele,     so 
doch  immerhin  lo  Original-Pergamenturkunden  mitten  unter  zum  Teil 
völlig  zerknüllten  und  zerfetzten  Akten  vorhanden   waren.     Diese  Ur- 
kunden, deren  älteste  allerdings  erst  von  1597  ^st,  waren  zum  Teil  an  den 
Rändern  stark  beschädigt  und  wären  sicher  zu  gründe  gegangen,  wenn 
sie   noch   länger   in   diesen   chaotischen  Aktenhaufen   gelegen   hätten. 
Unter  den  Akten  fanden  sich  eine  Anzahl  aus  dem  XVI.  Jahrhimdert 
über  den  städtischen  Besitz  und  über  Innungen  und  Zünfte,  aufserdem 
eine  im  XVII.  Jahrhundert  angelegte  Privilegiensammlung,  welche  die 
fehlenden  Urkunden  wenigstens  in  etwas  ersetzt,  ein  Band  Akten   zur 
Stadtgeschichte  des  XVII.  Jahrhunderts,  ein  Band  zur  Geschichte  der 
Schützengilde  von  1690   bis   zur  Gegenwart,   femer  zahlreiche  Akten 
des  XVI.  und  XVII.  Jahrhunderts  über  Zunftsachen,  Kontributions-  u.  a. 
Akten  aus  der  Franzosenzeit  u.  s.  w.    Die  sämtlichen  Bestände  sind  jetzt 
ebenfalls  im  Staatsarchive  vereinigt. 

Ganz  dicht  bei  Cöslin  nach  Osten  zu,  von  Cöslin  nur  durch  den 
bewaldeten  Gollenberg  geschieden,  liegt  das  kleine  Landstädtchen 
Zanow,  jetzt  bekannt  durch  seine  Fabrikation  sogenannter  schwedischer 
Zündhölzer.  Ihr  Archiv  besteht  aus  11  Pergamenturkunden,  die  in 
wenig  zweckentsprechender  Weise  ohne  jede  Umhüllung  in  einem 
Holzkasten  aufbewahrt  wurden,  so  dafs  ein  Teil  der  Siegel  durch  die 
Reibung  der  Urkunden  untereinander  beschädigt  war,  und  aus  einer 
immerhin  nicht  unerheblichen  Anzahl  von  Akten  zur  Stadtgeschichte, 
über  Wahlen  und  Personalien  der  städtischen  Beamten,  Zunft-  und 
Gewerbe-,  Kirchen-  und  Schulsachen  bis  ins  XVII.  Jahrhundert  zurück, 
die  gleich  den  Urkunden  im  Stettiner  Staatsarchive  deponiert  sind. 

Von  Köslin  an  der  Seeküste  weiter  nach  Osten  vorschreitend, 
gelangen  wir  zunächst  nach  dem  jetzt  ziemlich  unbedeutenden  Städt- 
chen Schlawe,  welches  aber  in  früheren  Jahrhunderten,  namentlich 
auch  durch  seine  Verbindung  mit  dem  benachbarten  Hafen  von 
Rügenwalde,  seine  erhebliche  Bedeutung  gehabt  und  in  Verbindung 
mit  Stolp  die  städtischen  Interessen  in  den  Kämpfen  mit  dem  Land- 
adel energisch  verfochten  hat.  Dem  entsprechend  ist  ihr  Archiv 
auch   nicht  unbedeutend,   wenngleich   es   an   die  Archive   von  Köslin 


UDd  Stolp  nicht  heranreicht.  Der  Aufbewahrungsort  aber  war  auch 
hier  sehr  wenig  zweckentsprechend.  Die  Urkunden,  deren  die  Stadt 
IIS  besitzt,  waren  ohne  jede  Umhüllung  in  einem  alten  Kasten  auf- 
bewahrt, auf  dessen  Boden  sich  massenhafte  Siegelbrocken  befanden. 
Das  darüber  vorhandene  Verzeichnis  war  nicht  erschöpfend  und  wenig 
ausreichend.  Die  sehr  umfangreiche  deponierte  Aktenregistratur  ent- 
hält aufser  den  in  allen  Stadtarchiven  mindestbestehenden  Akten  über 
Stadtverfassung,  Handel  und  Gewerbe,  Zünfte  u.  s.  w.  noch  ziemlich 
umfangreiche  Bestände  über  die  im  Eigentum  der  Stadt  befindlichen, 
auf  die  Initiative  Friedrichs  des  Grofsen  zurückgehenden  Kolonisten- 
dörfer. Aufserdem  ist  noch  ein  Sammelband  von  Urkundenabschriften 
des  XVI.  bis  XIX.  Jahrhunderts  vorhanden.  Die  sämtlichen  Bestände 
sind  jetzt  im  Staatsarchive  deponiert.  Über  die  zum  Teil  sehr  interessan- 
ten Urkunden,  deren  älteste,  die  Gründung  durch  Jasco  von  Schlawe, 
Peter  von  Neuenbui^  und  Lorenz  von  Rügenwalde  betreffende  von 
1317  ist,  sind  regestiert  und  in  einem  mit  Orts-  und  Personenregister 
versehenen  Repertorium  verzeichnet.  Das  Gleiche  gilt  von  den  76 
Urkunden  (älteste  von  1312)  der  benachbarten  Stadt  Rügenwalde. 

(Schlaf!  folgt) 


Das  Germanisehe  Museutn 

Von 
Armin  Tille  (Leip 
Die  politische  Bedeutung  Wissenschaft 
niemals  grofser  und  die  politische  Tätigki 
Wissenschafl  nie  lebhafter  gewesen  als  i 
^nbeitsbestrebungen ,  in  denen  die  Wissei 
politischen  Zug  gehabt  hat.  Mit  der  Ver 
dieses  Verhältnis  zeitgemäfse  Wandelung« 
bindung  jener  politisch -nationalen  und  v 
bat  manche  Einrichtungen  zur  Förderung 
gangenheit  gerichteten  Studien  ins  Lebe: 
blühen  und  eigentlich  erst  in  den  letzten  Ja 
rein  wissenschaftlicher  Art  recht  fhichi 
Gründung  der  Gesellschaft  für  alten 
künde  1819  und  die  des  Gesamtv 
Gescbichts-  und  AI tertumsverein 
aber  nicht  an  letzter  Stelle  ist  das  Germi 


—     262     — 

zu  nennen,  welches,  schon  von  den  bei  der  Gründung  der  Gesellschaft 
für  ältere  deutsche  Geschichtskunde  beteiligten  Personen  geplant,   nach 
einigen  mi&glückten  Versuchen  von  dem  verdienstvollen  Hans  Frei- 
herrn von  und  zu  Aufsefs  am  17.  August  1852  als  gegründet  erklärt 
wurde  und  am  jüngst  verflossenen  15.  imd  16.  Juni  in  würdiger  Weise  unter 
der  Anteilnahme  des  gesamten  deutschen  Volkes  und  in  Gegenwart  zahl- 
reicher Fürsten  das  Jubelfest  seines  fünfzigjährigen  Bestandes  gefeiert  hat. 
FreUich  im  einzelnen  hat  in  den  mehr  als  siebzig  Jahren,  die   ftir 
die  Entwickeltmg  der  Idee  in  Betracht  kommen,  der  Plan,  nach   dem 
man  arbeiten  wollte  und  gearbeitet  hat,  manche  Wandelungen  erfahren« 
aber   das  grofse  Ziel  ist  immer  das  gleiche  geblieben,   die  Samm- 
lung und  wissenschaftliche  Verarbeitung  der  Denkmäler 
deutscher  Vorzeit,  welcher  Art  und  welchen  Ursprungs  sie  auch 
sein  mögen.     Die  Gedenkfeier  lenkt  gerade  jetzt  die  allgemeine  Auf- 
merksamkeit auf  diese  Anstalt,   welche,   im  wahrsten  Sinne  aus    den 
Beiträgen  des  Volkes  entstanden,   nicht  nur  in  den  weitesten  Kreisen 
gekannt   und    geschätzt    wird,    sondern    auch    für    die    geschichtliche 
Forschung  im  weitesten  Sinne  unentbehrlich  geworden  ist.     Die  Teil- 
nahme für  das  Museum   kann  gleichwohl  noch  eine  bedeutende  Stet- 
gerimg  erfahren,  die  Zahl  der  Pflegschaften  und  ihrer  Mitglieder,  die 
Zahl  der  Beiträge  beisteuernden  Gemeinden  und  Korporationen  —  alle 
Geschichtsvereine  sollten  es  sich  zur  Ehre  schätzen  dazu  zu  gehören !  — 
darf  noch    wesentlich    wachsen,    ehe  Überflufs    an  Mitteln  herrseben 
wird,  denn  so  viel  auch  geschehen  ist,  weit  mehr  ist  noch  zu  tun,  und 
da  nur  durch  geschulte  Beamte  die  Arbeit  geleistet  werden  kann,  so 
mufs   die  Vermehrung  und  Sicherung  der  Mittel  auch  nach  der  1894 
erfolgten  Neuorganisation   noch    dauernd    im  Auge   behalten  werden. 
Aber  auch   die   wissenschaftliche  Benutzung,   namentlich    seitens  {}er 
orts-  und   landesgeschichtlichen  Forschung    könnte    noch    viel   r^er 
werden,  denn  nicht  nur  finden  sich  aus  allen  Landschaften  wertvolle 
Zeugen  deutscher  Vergangenheit  vor,  die  bei  Betrachtung  der  heimischen 
Kultur  herangezogen  werden  müssen,  sondern  der  hier  sofort  mögliche 
Vergleich  jedes  Gerätes  und  jeder  künstlerischen  Schöpfung  mit  vielen 
verwandten  Stücken  verbreitet  auch  ganz  anderes  Licht  als  eine  isolierte 
Betrachtung,   auf  die   der  Lokalforscher  in  der  Regel  angewiesen  ist. 
Namentlich    die   Vorstände    der    ortsgeschichtlichen   Museen,    die  in 
neuster    Zeit    erfreulicherweise    auch    an    bescheidenen    Orten  *)    cnt- 

i)  Wiederholt  iit  in  diesen  BiSttern  aaf  die  Nengrfindang  und  Aasgestaltang  solcher 
ortsgeschichtlicher  Museen  hingewiesen  worden,  so  Bd.  I,  S.  87,  175,  214 ff. »  H^\ 
Bd.  II,  S.  114,  186.   —   Von  nea  gegründeten  GeschichtsTereincn   sind  betriebt* 


—     263     — 

stehen,  würden  grofsen  Gewinn  aus  einer  derartigen  Benutzung  ziehen 
können,  und  die  Vereine  oder  Gemeinden,  denen  jene  Sammlungen 
gehören,  sollten  deshalb  ihren  Sammlungsleitem  die  Möglichkeit  ge- 
währen, einmal  an  der  grofsen  Sammelstelle  ihre  Beobachtungen  und 
Studien  anzustellen,  um  sie  daheim  bei  Aufstellung,  Katalogisierung 
und  Beschreibung  zu  verwerten! 

Die  äuiseren  Schicksale  des  Germanischen  Museums  sind,  insofern 
sie  die  allgemeine  Entwickelung  geschichtlicher  Sammelarbeit  wieder- 
spiegeln, ebenso  lehrreich  wie  die  Sammlungen  selbst.  Die  Wande- 
lung der  Ansichten  über  Zweck  und  Wesen  eines  Museums  verdienen 
deshalb  wohl  Beachtung,  und  wenn  hier  auch  nur  in  aller  Kürze  das 
gesagt  werden  kann,  was  abgerundeter  und  vollständiger  die  Fest- 
schrift*) enthält,  so  werden  diese  MitteUungen  doch,  namentlich  im 
Vergleich  mit  verwandten  Bestrebungen,  auf  allgemeine  Teilnahme 
rechnen  dürfen. 

Zuerst  interessiert  die  Person  des  Freiherrn  von  Aufsefs 
(1802 — 1872).  Nach  seines  Vaters  Tode  verliefs  er  den  Staatsjustiz- 
dienst und  übernahm  die  Verwaltung  der  Familiengüter,  wohnte  auf 
Schlois  Auüsels  in  Franken  und  beschäftigte  sich  im  Anschlufs  an  daa 
überreiche  Familienarchiv  mit  antiquarischen  Studien.  Ihre  Frucht 
war  die  Gründung  einer  familiengeschichtlichen  Sammlung,  welche 
später  den  Grundstock  für  das  Germanische  Museum  abgegeben  hat. 
Der  Plan,  ein  Museum  zu  gründen,  in  welches  Privatleute  unter  Eigen- 
tumsvorbchalt  ihren  Besitz  abgeben  sollten,  wurde  zuerst  1830  voa 
König  Ludwig  I.  voll  Bayern  in  einem  Briefe  an  Aufsefs  ausgesprochen, 
und  letzterer  ergänzte  ihn  sofort  durch  die  weiteren  Pläne,  systematisch 


Uchc  Sammliingeo  zu  Donauwörth  und  Grimma  ins  Leben  gemfen  worden,  die 
beide  noch  eben  aafgesteUt  werden.  In  Stadtilm  hat  der  dortige  Bezirksphysilras 
Dr.  med.  Sy  eine  am  8.  Mai  1902  der  Öffentlichkeit  sugänglich  gemachte  Sammlong  be- 
gründet, die,  falls  die  Stadt  einen  geeigneten  Raum  zur  Verftigong  steUt,  in  ihren  Besite 
übergehen  solL  In  Jülich  hat  jüngst  die  Stadt  selbst  in  einem  alten  Tortarm  eine 
reiche  ortsgeschichtliche  Sammlang  angelegt  InNordhaasen  wurde  kürzlich  das  25  jährige 
Bestehen  des  städtischen  Moseoms  festlich  begangen,  und  der  StadtardÜTar  ond  Maseams- 
leiter  Hermann  Heineck  hat  daza  eine  Urkundliche  Geschichte  des  städtischen 
Museums  1876 — igoi  (Nordhaasen,  Haacke)  Teröffentlicht 

i)  Das  Germanische  Nationalmuseum  von  1832  bis  1902^  Festschrift  zar  Feier  seines 
fünfzigjährigen  Bestehens  im  Auftrage  des  Direktoriums  Terfafst  Ton  Dr.  Theodor 
Hampe.  Druck  von  J.  J.  Weber  in  Leipzig.  150  S.  4^  Das  reich  iUustrierte  wA 
glänzend  ausgestattete  Werk  gibt  eine  sehr  lesenswerte  Geschichte  des  Mntqjrotj  d^' 
lesen  sollte,  der  sich  eingehend  mit  dem  Museum  selbst  beschäftigen 
liehen  Angaben  im  folgenden  sind  daraus  entnommen. 


—     264     — 

so  für  die  ganze  deutsche  Vergangenheit  zu  sammeln,  wie  er  es  für 
sein  Privatmuseum  getan  hatte,  Kopieen  von  nicht  zu  erlangenden 
Originalen  anzufertigen,  ein  grofses  Verzeichnis  sämtlicher  Denkmäler 
deutscher  Baukunst,  Bildhauerei  und  Malerei,  sowie  ein  Repertorium 
sämtlicher  in  Archiven  und  Bibliotheken  ruhender  Gcschichts- 
quellen^)  anzulegen.  Im  Januar  1832  gründete  Aufsefs  die  2^itschrift 
Anzeiger  für  Kunde  des  deutschen  Mittelalters,  siedelte  im  Herbst  nach 
Nürnberg  über,  richtete  hier  im  November  mit  Gesinnungsgenossen 
regelmäfsige  Zusammenkünfte  zur  Unterhaltung  über  geschichtliche 
Gegenstände  ein  und  ging  im  Januar  1833  ^^^  Gründung  einer  „Ge- 
sellschaft für  Erhaltung  der  Denkmäler  älterer  deutscher 
Geschichte,  Literatur  und  Kunst^.  Schon  war  (iir  September 
eine  grofse  Versammlung  in  Nürnberg  geplant,  als  Karl  Heinrich 
Ritter  v.  Lang,  der  1830  den  Historischen  Verein  des  Rezatkreises 
(jetzt  Historischer  Verein  für  Mittelfranken)  zu  Ansbach  gegründet 
hatte,  auf  das  Bedenkliche  einer  solchen  Zentralisation  hinwies  und 
mit  Berufung  auf  Jakob  Grimm,  wenn  auch  über  das  Ziel  hinaus- 
schiebend, zur  provinziellen  Beschränkung  in  der  Altertumsforschung 
ermahnte.  Die  Stellungnahme  der  damaligen  Vertreter  strenger  Wissen- 
schaft, welche  die  Folgezeit  nicht  als  gerechtfertigt  erwiesen  hat  und 
die  uns  heute  befremdlich  anmutet,  wenn  auch  die  Aufsefsschen  Pläne 
manches  Dilettantenhafte  an  sich  hatten,  brachten  die  Sache  znm 
Scheitern:   nur  sechzehn  Auswärtige  fanden   sich  in  Nürnberg  zu  der 


i)  Das  ist  der  Anfang  zn  dem  noch  oft  za  erwähnenden  Generalrepertoriam, 
welches  Aufsefs  als  wichtigste  Aufgabe  erschien,  und  das  bis  1650  alle  schrifUichen  und 
körperlichen  Denkmäler  der  Vergangenheit  umfassen  soUte.  Die  ungeheuren  Schwierig- 
keiten einer  solchen  Arbeit  wufste  er  sich  nicht  entfernt  vorzustellen  und  ebensowenig 
hatte  er  wohl  von  dem  Umfang  einen  klaren  Begriff.  Erst  verfaältnismfifsig  spit  ist  seine 
Idee  verwirklicht  worden,  und  zwar  zunächst  fUr  die  Kunstdenkmäler,  deren  In- 
ventarisation  erfreuliche  Fortschritte  gemacht  hat  (vgL  Polaczeks  Berichte  darüber  in 
dieser  Zeitschrift  Bd.  I,  S.  270—290  und  Bd.  III,  S.  137—144),  aber  die  trotzdem  bis 
zu  ihrer  VoUendung  noch  Jahrzehnte  in  Anspruch  nimmt.  Wie  sich  aber  hier  gezeigt 
hat,  dafs  eine  solche  Arbeit  nur  mit  landschaftlicher  Teilung  und  unmöglich  von 
einer  Zentralstelle  aus  ins  Werk  gesetzt  werden  kann,  so  hat  sich  auch  die  Reperton- 
sierung  der  Archive  und  die  teilweise  Drucklegung  der  Inventare  nur  ganz  allmählich 
in  die  W^e  leiten  lassen  (vgl.  diese  Zeitschrift  Bd.  m,  S.  22).  Die  Handschriften- 
kataloge der  Bibliotheken  sind  im  Vergleich  dazu  schon  verhältnismäfiiig  weit  fort- 
geschritten. Wenn  die  Inventare  von  Denkmälern  der  Kunst  und  Schrift,  soweit  sie  ge- 
druckt voiüegen,  sämtlich  an  einer  SteUe  gesammelt  und  der  Benutzung  zugänglich 
wären,  so  würde  dies  die  relativ  grölste  heute  mögliche  Annäherung  an  die  einst  Aufsefs 
vorschwebende  Idee  bedeuten. 


Versammlung^  ein,  die  auflauchenden  Meinungsverschiedenbeiten  liefsen 
keine  Beschlüsse  zu  stände  kommen,  und  Au&efs  selbst  zog  sich  mit 
seinen  Sammlui^en  zurück.  Ja  entmutigt  gab  er  den  kostspielig-en 
aber  doch  allseitig  anerkannten  Anzeiger  auf,  indem  er  die  Heraus- 
gabe iSsü  ganz  an  F.  J.  Mone,  der  bereits  den  Jah^ang  1834  mit- 
heiausgegebeu  hatte,  überliefs:  als  Anzeiger  für  Kunde  der  ieutschen 
Vorzeit  sind  1835  bis  1839  noch  fünf  Jahrgänge  dieser  ersten  zen- 
tralisierenden Zeitschrift  erschienen. 

Den  Bestrebungen,  wie  sie  Aufseis  vertrat,  waren  die  nach  1840 
gegen  früher  wesentlich  veränderten  Verhältnisse  —  die  Verkehrs- 
erleichterung durch  die  ^senbahnen,  die  Gründung  der  Geechichts- 
vereine  und  ihre  intensive  Bearbeitung  der  Kulturgeschichte,  sowie 
die  bereits  1846  angeregte  Vereinigung  der  Geachichtsvereioe  zu  ge- 
meinsamer Arbeit  —  entschieden  günstig.  Deshalb  entwickelte  er 
1846  dem  in  Frankfurt  zusammentretenden  Germanistentage  seine  Pläne 
aufs  neue,  die  auf  Zuziehung  der  Geschichtsvereine  zu  den  Germaoisten- 
versammlungen,  Gründungeines  allgemeinen  deutschen  Museums 
für  GeschichtB-,  Sprach-  und  Rechtskunde  und  Schaffung 
eines  literarischen  Zentralorgans  für  diese  Wissenszweige  abzielten. 
Die  wichtigsten  Dienste  sollten  dabei  die  Geschichtsvereine  leisten, 
die  Herstellung  des  Generalrepertoriums  wurde  als  wesentlichste  Auf- 
gabe bezeichnet.  Doch  auch  der  Versuch,  die  Germanisten  für  seine 
Pläne  zu  interessieren,  mifsglücktb  dem  Freiherm,  das  Revolutionsjabr 
war  für  solche  Dinge  völl^  ungee^et,  aber  als  die  dritte  anders  ge- 
artete Versammlung,  an  den  zweiten  Lübecker  Germanistentag  von 
1S47  anknüpfend,  1852  in  Dresden  zusammentrat,  regte  sich  Aufsefe 
—  seit  1850  mit  seinem  Museum  wieder  in  Nürnberg  wohnhaft  — 
aufs  neue,  entwickelte  abermals  seine  Pläne  und  erreichte  am  17.  August 
den  Beschlufe,  dafs  das  Germanische  Museum  als  gegründet 
zu  betrachten  sei.  Au&efs'  weitere  Bemühungen,  den  ebenfalls 
in  Dresden  entstandenen  Gesamtverein  eng  mit  dem  Museum  zu  ver- 
binden, schlugen  fehl,  ebenso  sein  weiterer  Plan,  das  Römisch- 
germanische Zentralmuseum  in  Mainz  mit  dem  Nürnberger  zu 
verschmelzen,  gewissermafseo  das  erstere  zu  einer  lediglich  in  Mainz 
stationierten  Abteilung  des  letzteren  zu  machen.  Die  V-*^^«"""  '^'"' 
Germanischen  Museums  gestaltete  sich  nun  so,  dafs  aus  1 
aufsichtsbehörde  bildenden  24  Beisitzern  ein  Lokalaus 
alle  in  Nürnberg  wohnenden  Mitglieder  umfalste,  zur 
wichtigeren  Angelegenheiten  gebildet  wurde;  am  9.  Novec 
er  zuerst  zusammengetreten  und  waltet  —  durch  die  N« 


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des  Jahres  1894  in  seinen  Befugnissen  allerdings  wesentlich  beschränkt  — 
noch  heutigen  Tages  seines  Amtes.    Als  Vollziehungsorgan  war  der 
Vorstand  tätig  und  für  die  Erledigung  weiterer  Angelegenheiten  gab 
es  einen  G  e  1  e  h  r  t  e  n  a  u  s  s  c  h  u  fs ,  in  welchem  die  bekanntesten  deutschen 
Geschichtsforscher  anzutreffen  sind.     Aber  für  die   eigentliche  Arbeit 
waren  tüchtige  Beamte  erforderlich,  die  zwar  leicht  gefunden  wurden, 
aber  bei  den  unzulänglichen  Mitteln  ')  nicht  dauernd  an  die  Anstalt  zu 
fesseln  waren.    Manche  heute  bekannte  Männer,  die  heute  noch  leben, 
haben  in  jungen  Jahren  dort  gewirkt,  sind  aber  dann  in  andere  Stel- 
lungen übergegangen,    z.   B.  der  frühere  Direktor  des  Düsseldorfer 
Staatsarchivs  WoldemarHarlefs,  der  Direktor  des  Grünen  Gewölbes 
in  Dresden    Julius    Erbstein,    der  fürstlich   Thum  und  Taxissche 
Archivrat  Cornelius  Will   in  Regensbuig.     Von   den   schon  ver- 
storbenen   sind   Jakob    imd   Johannes   Falke,    Karl   Bartsch, 
Reinhold  Bechstein   und    Karl    August   Barack   zu   nennen. 
Nur  wenige    haben   ihre  Arbeitskraft   lange  2^it  in  den  Dienst  des 
Museums  gestellt:   neben  August   v.  Eye,  der  von  1853  bis  1875 
tätiger  Beamter  war,   kommt   vor  allem   Georg  Karl  Frommann 
(18 14 — 1887)  in  Betracht,  der  zur  Ordnung  von  Archiv  und  Bibliothek 
sowie  zur  Redaktion  des  neu  begründeten  Anzeigers  für  Kunde  der 
deutschen   Vorzeit*)    1853    nach    Nürnberg   gerufen    wurde  und   von 
1865  bis  zu  seinem  Tode  zweiter  Vorstand  gewesen  ist.     Die  Leitung 
mit  dem  Namen  erster  Vorstand  hatte  Aufsefs  selbst  von  vornherein 
für  zehn  Jahre  imentgeltlich  übernommen,  als  zweiter  Vorstand  unter- 
stützte ihn  Rektor  Beeg,   welcher   1859  ^^^   Freiherm  Roth  von 
Schreckenstein')   abgelöst  wurde.     Als  dieser   1863   die  Leitung 
des  Fürstlich  Fürstenbergischen  Archivs  in  Donaueschingen  übernahm 
—  später  wurde   er  Direktor  des  Grofsherzoglich  Badischen  General- 
landesarchivs  — ,   war  AufseCs  selbst  seinem   Vorsatze   getreu    1862 
schon    zurückgetreten.     Sein  Nachfolger  wurde    Ludwig  Andreas 
Jakob   Michelsen,   ein   för   seine  Heimat  begeisterter   Schleswig- 


i)  Das  AnfaDgsgehalt  eines  wissenschafUichen  Beamten  betrug  1853  4^^  Golden. 
Die  Mittel  worden  ja  nor  dorch  freiwillige  Beitrfige  beschafft,  für  deren  Zoflols  „Agenten'', 
seit  1860  „Pfleger*'  genannt,  in  ond  anfserhalb  Deotschlands  titig  waren. 

2)  Bis  1883  sind  dreifsig  Jahrgänge  dieser  Terdienstlichen  Zeitschrift  in  Qoart  er^ 
schienen ;  der  letzte  Band  enthält  aoch  ein  korzes  Register  über  den  Inhalt  aller  Bände. 
Seit  1884  erscheinen  zwei  Veröffentlichongen  in  Oktav,  nämlich  der  monatliche  AnMeigtr 
des  germanischen  Nationalmuseums ^  der  die  Verwaltongsnachrichten  enthält,  ond  die 
Mitteilungen  des  germanischen  Nationalmuseums  ^  welche  mit  goten  Abbildungen  aas« 
gestattet,  namentlich  Arbeiten  ttber  Gegenstände  des  Moseoms  Teröffentlichen. 

3)  Dessen  Gesamtgehalt  betrog  1000  Golden. 


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Holsteiner,  der  als  Professor  der  Rechte  in  Jena  wirkte;  aber  erst 
Ende  1863  übernahm  er  sein  Amt  wirklich  und  legte  es  schon  1864 
wieder  nieder,  als  ihn  die  Ereignisse  in  seiner  Heimat  voll  in  Anspruch 
nahmen.  Der  an  seiner  Stelle  erwählte  Eisenacher  Gymnasialprofessor 
Wilhelm  Rein  starb,  ehe  er  noch  sein  Amt  angetreten  hatte,  April 
1865,  und  erst  gegen  Ende  dieses  Jahres  wurde  der  als  Architekt  ge- 
bildete Kunsthistoriker  August  Essenwein  (1831  — 1892),  zuletzt 
Professor  an  der  Technischen  Hochschule  in  Graz,  zum  Direktor  des 
Museums  bestellt,  welches  die  Bedeutung,  die  es  heute  besitzt,  seiner 
unermüdlichen  Tätigkeit  verdankt. 

Zur  Festigung  der  Verhältnisse  trug  es  wesentlich  bei,  dafs  schon 
1853  die  Königlich  Bayerische  Regierung  dem  Museum  die  Rechte 
einer  juristischen  Person  verlieh.  Der  Bundestag  empfahl  es  dem 
Wohlwollen  der  einzelnen  Regierungen;  auf  Zuwendungen  für  die 
Bibliothek  imd  Beiträge  für  das  Generalrepertorium  folgten  auch  bald 
Jahresbeiträge:  so  bewilligte  1855  der  Kaiser  von  Österreich 
jährlich  1000  Gulden,  die  Könige  von  Preufeen  und  Sachsen  ebenso- 
viel, der  Bayerische  Staatsbeitrag  ward  schon  1856  auf  2500  Gulden 
erhöht,  und  Städte,  Korporationen  und  Privatleute  folgten  dem  ge- 
gebenen Beispiele.  Doch  der  Raum  im  „Tiergämter  Torturm"  und 
im  „Petersenschen  Haus",  wo  das  Museum  untergebracht  war,  genügten 
schon  bald  nicht  mehr,  1854  und  1856  wurden  zwei  neue  Gebäude 
in  Benutzung  genommen,  aber  erst  mit  dem  Erwerbe  des  alten  Kar- 
thäuserklosters 1857  f^^^  ^^^  Sammlung  eine  dauernde,  zunächst 
genügende  und  erweiterungsfähige  Heimstätte.  Dies  war  um  so  not- 
wendiger, als  bereits  vom  Herzog  Ernst  von  Sachsen -Coburg -Gotha 
die  Feste  Coburg  und  vom  Grofisherzog  von  Sachsen -Weimar  die 
Wartburg  nebst  dem  am  Fufise  des  Burgbergs  gelegenen  St. 
Georgenkloster  unentgeltlich  zur  dauernden  Unterbringung  angeboten 
worden  waren.  Die  Sammlungen,  deren  Grundstock  zunächst  aller- 
dings bis  1862  und  dann  bis  1873  nur  geliehen  *)  war,  hatten 
grofse  Vermehrung  erfahren,  wenn  auch  Aufsefs  persönlich  das  Haupt- 
gewicht auf  das  mehrfach  erwähnte  oben  charakterisierte  Genersd- 
repertorium  legte  imd  das  Material  durch  den  Anzeiger  nach  Mög- 
lichkeit nutzbar  zu  machen  suchte,  der  als  kulturgeschichtliche  Quellen- 
sammlung noch  heute  viel  zu  wenig  gewürdigt  wird.  Michelsen  ver- 
warf Aufsefe*  Idee  zu  dessen  gröfetem  Ärgernis  völlig,  er  wollte  eine 


i)  Erst  1864  wurden  sie  Eigentum  des  Masenms,   als  König  Ludwig  50000  Gulden 
nnd  andere  Fürsten  ebenfalls  bedeutende  Beiträge  Air  den  Ankauf  gespendet  hatten. 

19* 


—     268     — 

BUduogsanstalt  für  Archivare  und  Bibliothekare  daraus  machen,    aber 
den  zu  diesem  Zwecke  von  ihm  vorgeschlagenen  Satzimgsänderungcn 
versagte  die  Regierung  ihre  Genehmigung.     Die  vorstandslosen  Jahre 
1S64  und  1865  und  ihre  wenig  erbaulichen  Zwiste  unter  der  Beamten- 
schaft machten  natürlich  eine  Weiterentwickelung  oder  selbst  nur  Be- 
hauptung dessen,  was  errungen  war,  unmöglich;  erst  Essenwein  er- 
blickte,  als   er  1866  sein  Amt  antrat,  sofort  neben  der  hochnötig'en 
Ordnung  der  Finanzen  seine  Hauptau%abe   in  der  systematischen 
Anlage  der  Sammlung,  um  sie  zu  einem  Museum  der  deutschen 
Kulturgeschichte  zu  machen.     Systematische  Anlage  der  Sammlungen 
und  Ordnung  der  Finanzen   hing  insofern  eng  miteinander  zusammen, 
als    die    tatsächlich    zusammengebrachten    und    zum    Beschauen    ge- 
eigneten Gegenstände  beim  grofsen  Publikum   allgemeinste  Anerken- 
nung gefunden  hatten  und  durch  ihre  Vermehrung  neben  zunehmender 
Teilnahme  auch  eine  Mehrung  der  freiwilligen  Gaben  zu  erhoffen  war, 
ganz  davon  abgesehen,   dafs  sich  auCser  Aufsefs   alle  Beteiligten  von 
der  Unmöglichkeit,  ein  Generalrepertorium  in  seinem  Sinne  herzustellen, 
überzeugt  hatten.    Die  Entwickelung  der  politischen  Verhältnisse  nach 
1866    war    für    das    Museum    recht  günstig:  König   Ludwig  IL,    der 
6.  November  1867  das  Protektorat  angenommen  hatte,  gewährte  1867 
bis    1869   wesentliche   Unterstützungen,    der  Norddeutsche  Bund    be- 
willigte jährlich  6000  Reichstaler,  das  Deutsche  Reich  erhöhte  von  1872  ab 
diese  Summe  auf  8000  und  von  1873  ab  auf  16000  Reichstaler.  Die  sach- 
liche Neuorganisation  begann  Essenwein  mit  der  Entlassung  aller  nicht  fest 
angestellten  Beamten,  von  denen  neben  Frommann  als  zweitem  Direktor 
und  Vorstand  der  Bibliothek  nur  v.  Eye  (Vorstand  der  Sammlungen), 
Hektor  als  Gehilfe  Frommanns,  Alexander  Flegler  (Vorstand  des 
Archivs)  und  Stein brüchel  (Zeichner)  blieben.    Neu  als  persönlicher 
GehUfe  Essen weins   trat   1867  der  dermalige    zweite    Direktor  Hans 
Boesch  (geb.  1849)  ^"i-     Die  durch  die  Vermmderung  der  Beamten 
notwendige  Arbeitsbeschränkung  traf  in  erster  Linie  das  Repertoriom: 
solange   diese   nur  als    eine  vorläufige   durch   die  notwendige  Finanz- 
lage bedingte  Malsregel  erschien,  war  auch  der  „Ehrenvorstand'*  Auf- 
s^fs    damit    einverstanden,    aber   als    Essenwein    auch    eine    Statuten- 
änderung —  die  neuen  Satzungen  traten  i.  Januar  1870  in  Kraft  — 
in  diesem  Sinne  anregte,   entspann  sich  ein   bitterer  Kampf  zwischen 
ihm  und  Aufsefs. 

Nach  der  Reichsgründung  lag  die  Erwägung  nahe,  ob  das  Museum 
nicht  eineReichsanstalt,  ein  Deutsches  Reichsmuseum  werden 
müsse,   doch  die   darauf  abzielenden  Vorschläge   wurden   vom   Ver- 


—     269     — 

wattungsausschuls  abgelehot.  Der  Plan,  aus  der  Kriegsentschädigung 
dem  Museum  reichere  Mittel  zuzuführen,  um  die  Schulden  mit 
einem  Mate  los  zu  werden,  schlug  fehl,  aber  die  seit  dem  Zu- 
schüsse des  Reiches  immer  reichlicher  flielsenden  Mittel  besserten  all- 
mählich die  Verhältnisse.  Schon  der  1874  au^estellte  Schulden- 
tilgungsplan  brachte  grölsere  Klarheit,  aber  noch  mehr  trug  dazu 
Essenweins  Grundsatz  bei,  keine  besondere  Aufwendung  zu 
machen,  ohne  dafs  ein  besonderer  Stifter  da  sei.  In  diesem 
Sinne  appellierte  er  an  die  verschiedenen  Stande  und  Berufe,  um 
durch  sie  die  angemessene  Vertretung  der  auf  sie  bezüglichen  Zeugen 
der  Vergangenheit  systematisch  anzubahnen  und  auf  Grund  der  ein- 
gehendsten Spezialkenntnisse  sachgemäfs  au&ustellen:  seit  1883  be- 
steht als  Frucht  dieser  Tätigkeit  das  Historisch-pharmazeutische 
Zentralmuseutn,  der  deutsche  Handelsstand  hat  sich  ebenfalls 
eine  besondere  Abteilui^  im  Museum  geschaffen,  und  auch  die  Uhr- 
macher und  Brauer  Deutschlands  sind  durch  besondere  Stiftungen 
vertreten.  In  entsprechender  Weise  haben  die  deutschen  Fürstenhäuser 
tiii  eine  würdige  Repräsentation  gesorgt :  Es  gibt  eine  HohenzoUem-  und 
Witteisbacher  Stiftung  und  ähnliche  tiir  Baden,  Braunschweig,  Mecklen- 
burg, Nassau.  Für  die  immer  dringender  werdenden  Neubauten  wulste 
Essenwein  seit  1872  durch  Verlosung  geschenkter  Kunstgegenstände  die 
Mittel  zusammenzubringen,  und  so  hat  für  die  Aufführung  des  Augustiner- 
baues das  Museum  in  der  Tat  nicht  einen  Pfennig  aufzuwenden  brauchen, 
aus  den  1877  bewilligten  Reichsmitteln  (120000  Mk.)  ist  der  Ostbau 
errichtet  worden,  und  1884  konnte  ebenfalls  mit  dem  188Ö  aus  Reichs- 
mitteln vollendeten  Südbau  begonnen  werden.  Die  Aufwendungen 
des  Reiches  regten  auch  wiederum  die  Privatleute  zu  Spenden  an, 
und  so  sank  die  186Ö  noch  230000  Mk.  betragende  Schuld  bis  1885 
auf  40000  Mk.  Die  1889  für  die  günstige  Erwerbui^  der  giofsen 
SulkowskischenWafTensammlni^  angenommene  Anleihe  von  200000  Mk. 
war  bereits  1896  getilgt. 

Die  innere  Arbeit  ruhte  freilich  im  Verhältnis  zu  den  Erwerbungen, 
weil  sie  sich  —  so  memte  Essenwein  —  im  Gegensatz  zu  den  letzteren 
nachholen  läfst.  Als  v.  Eye  1875  ausschied,  erhielt  er  keinen  Nach- 
folger, auch  Frommanns  Stelle  wurde  1887  nicht  wieder  besetzt.  Erst 
1890  wurde  Boesch  zum  zweiten  Direktor  ernannt,  da  Essenwein  im 
Herbste  1889  erkrankt  war  und  einer  Vertretung  bedurfte.  Eine  Neu- 
ordnung der  Arbeit  war  nur  durch  eine  Neuorganisation  der  Beamten- 
schaft, diese  aber  nur  durch  eine  Neuregelung  c  ' 
Eine  solche  wieder  erforderte  entweder  ein  Stai 


—     270     — 

zwei  Millionen  Mark  oder  sichere  Zuschüsse  für  die  Zwecke  der  Ver- 
waltung seitens  des  Reiches,  des  bayerischen  Staates  oder  der  Stadt 
Nürnberg".  Ein  gemeinsames  Wirken  dieser  drei  leistungs^igen  Fak- 
toren war  das  Ziel,  nach  dem  Essenwein  strebte,  aber  noch  ehe  er 
es    erreichte,    ereilte    ihn    13.    Oktober    1892    der   Tod;    erst    1894 

—  am  15.  Jimi  wurden  die  Satzungen  vom  Prinzregenten  bestätigt  — 
kam  die  Neuorganisation  zu  stände,  wobei  als  Vorsitzender  im  Lokal- 
und  Verwaltungsausschufs  Justizrat  Freiherr  v.  Krefs  besonders  be- 
teiligt  war,   zumal   da  die  Anstalt  eines   ersten  Direktors    entbehrte. 
Ganz  nach  Essenweins  Plane  teilten  sich  Reich,   Staat  und  Stadt  da- 
mals in  die  heute  jährlich  105000  Mk.   betragenden  Kosten,   wovon 
das  Reich    70000  Mk.,   Bayern  25876  Mk.   und   Nürnberg  9133  Mk. 
aufbringt.     Die  Oberaufsicht  führt  im  Auftrage  des  Reiches  die  König-- 
lich  Bayerische  Regierung;  die  beiden   Direktoren  ernennt  auf  Vor- 
schlag des  Verwaltungsausschusses  die  Krone,   die  übrigen  Beamten 
auf  Vorschlag  des  Direktoriums  das  Königliche  Ministerium  des  Inneren. 
Im  Verwaltungsausschufs  ist  jetzt  das  Reich   und  Bayern  mit  je  drei 
Bevollmächtigten  vertreten,  die   Stadt  Nürnberg   mit  einem,   die  Be- 
deutung des  Lokalausschusses  ist   bedeutend   gemindert.     Die    Stelle 
des  ersten  Direktors   wurde  noch   im  Sommer  1894   neu  besetzt  und 
zwar  mit  Gustav  v.  Bezold   (geb.    1848),   dem  damaligen  Konser- 
vator des  Bayerischen  Nationalmuseums  und  Privatdozenten  am  Poly- 
technikum in  München,  einem  Architekten  imd  Kunsthistoriker  —  gleich 
Essenwein.      Kraft    der    neuen    Satztmgen    wurden   beide   Direktoren 

—  V.  Bezold  und  Boesch  —  2.  Oktober  1894  in  ihr  Amt  eingeführt, 
der  Beamtenapparat  wurde  auf  sieben  wissenschaftliche  Hilüskräfte 
(2  Konservatoren,  3  Assistenten,  2  Praktikanten)  vermehrt,  denen  zwei 
Verwaltungsbeamte  zur  Seite  stehen.  Ein  neues  Gehaltsregulativ  mit 
Dienstalterszulagen  ist  1898  in  Kraft  getreten.  Die  Räume  haben  bis 
in  neuere  Zeit  Vergröfeerungen  erfahren,  und  mit  der  Jubelfeier  des 
fiinizigjährigen  Bestehens  war  die  Einweihung  des  jimgsten,  ganz  aus 
Mitteln  des  Museums  1897 — 1902  aufgeführten  Gebäudes  verbunden. 

Nur  die  äufsere  Entwickelung  des  Museums  haben  wir  hier  in 
Kürze  vorgefiihrt.  Über  den  Reichtum,  den  das  Museum  birgt,  läfist 
sich  im  allgemeinen  nichts  sagen,  wenn  man  nicht  mit  Eingehen  auf 
die  Einzelheiten  viel  ausfiihrlicher  werden  will.  Der  Zweck  dieser 
Ausführungen  sollte  es  sein,  wieder  einmal  die  weiten  Kreise  der  Ge- 
schichtsforscher auf  allen  Gebieten  darauf  hinzuweisen,  was  das  Ger- 
manische Museum  ist.  Wenn  es  ihm  heute  noch  an  irgend  etwas 
fehlt,   so  ist  dies  die  wissenschaftliche  Durchdringung  und 


—     271     — 

Verarbeitung  des  gesamten  aufgespeicherten  Stoffes. 
Soviel  in  dieser  Richtung  der  Beamtenschaft  überlassen  bleiben  mufs, 
so  wird  es  ihr  doch  unmöglich  sein  alles  zu  leisten:  die  Pflege  der 
gesamten  deutschen  kulturgeschichtlichen  Forschung,  die  ja  neuerdings 
so  erfreulich  an  wissenschaftlichem  Ansehen  gewonnen  hat,  kann  allein 
den  richtigen  Untergrund  und  Mafsstab  für  die  Wertung  aller  Gegen- 
stände abgeben.  Nirgends  in  der  Welt  ist  auf  einer  Stelle  mehr 
Material  für  die  Kenntnis  der  deutschen  Vergangenheit  aufgespeichert 
als  eben  in  der  Nürnberger  Karthause,  aber  gerade  darum  sollte  die 
Benutzung  jener  Schätze  zu  wissenschaftlichen  Zwecken  noch  wesent- 
lich reger  werden,  gerade  deshalb  müfsten  die  Vorsteher  sämtlicher 
geschichtlicher  Museen  Deutschlands  —  die  der  kleinen  ebenso  wie 
die  der  grofsen  —  in  einer  gewissen  Verbindung  mit  der  gröfsten 
Sammlung  stehen,  so  dafs  das  Germanische  Nationalmuseum,  ohne  es 
äufserlich  zu  sein,  zugleich  als  Bildungsanstalt  für  Musealbeamte  —  auch 
für  die,  welche  es  im  Nebenamte  sind  —  wirkt.  In  den  nächsten 
fünfzig  Jahren  wird  dem  Museum,  wenn  anders  seine  Leitung  auf  der 
einmal  sicher  vorgezeichneten  Bahn  fortschreitet,  u.  a.  auch  die  Auf- 
gabe zufallen,  die  Bewegung  zu  gunsten  historischer  Museen  zu  fordern, 
in  dem  scheinbaren  Interessenwiderstreit  zwischen  Lokal-  und 
Zentral museen,  der  noch  manches  scharfe  Wort  zeitigen  wird,  die 
BeteUigten  aufzuklären,  die  örtlichen  Sammlungen  in  gewissen  Grenzen 
zu  unterstützen  und  die  Gegensätze  zum  HeUe  einer  vertieften  Ge- 
schichtsforschung zu  versöhnen! 


Mitteilungen 

Eingegangene  Bflcher: 

Kaindl,  Raimund  Friedrich:  Bericht  über  die  Arbeiten  zur  Landeskunde 
der  Btikowina  während  des  Jahres  1900.  (Zehnter  Jahrgang).  Czemowitz, 
H.  Pardini,   1901,  8  S.  8^ 

Kapper,  Anton:  Mitteüungen  aus  dem  k.  k.  Statthaltereiarchive  zu  Graz 
[=  Veröffentlichtmgen  der  Historischen  Landes-Kommission  für  Steier- 
mark XVI].  Graz,  Selbstverlag  der  Hist  Landes-Konunission,  1902. 
108  S.  8^ 

Krone Sy  Fr.  v.:  Ergebnisse  einer  archivalischen  Reise  nach  Linz,   Herbst 
1899  [=  Veröffentlichtmgen   der  Historischen  Landes-Kommission 
Steiermark  Xm].  Graz,  Selbstverlag  der  Historischen  Landes-Komm' 
1901.     67  S.  8**. 


—     272      — 

Loserth,  J. :  Briefe  und  Akten  zur  steiermärkischen  Geschichte  unter  Erz- 
herzog Karl  U.  [=  Veröflfentlichungen  der  Historischen  Landes  -  Kom- 
mission für  Steiermark  X.]     Graz  1899. 

Loserth  J. :  Die  Gegenreformation  in  Graz  in  den  Jahren  1582  — 1585, 
145  Aktenstücke  aus  zwei  bisher  unbekannten  Aktensammlungen  vom. 
Jahre  1585  [=  Veröffentlichuogen  der  Historischen  Landes-Komxnission 
für  Steiermark  XII].  Graz,  Selbstverlag  der  Historischen  Laodes-Kom- 
mission,   1900.     62  S.  8^ 

Schmidt,  Georg:  Burgscheidungen.  2.  Aufl.  Halle,  Max  Niemeyer,  1900. 
143  S.  8®. 

Sembritzki,  Johannes:  Wedeke  imd  Hennig,  zwei  Schrifbteller  im  Obcr- 
lande  vor  hundert  Jahren  [=  Sonderabdruck  aus  den  Oberiändischen 
Geschichtsblättem,  Heft  4]. 

Sie  gl,  Karl:  Das  Achtbuch  des  Egerer  Schöffengerichtes  aus  der  Zeit  von 
13 IG — 1390  [=  Sonderabdruck  aus  den  „Mitteilungen  des  Vereins 
für  Geschichte  der  Deutschen  in  Böhmen"  Jahrg.  39,  S.  227 — 271, 
375 — 427].     Prag,  J.  G.  Calve,   1901. 

Sommerfeldt,  Gustav:  Oehlweiden  und  Grofs-Rominten  in  Urkunden  und 
Akten  des  16.  bis  19.  Jahrhunderts.  Braunsberg,  E.  Skowronski,  1902. 
44  S.  80. 

Wehrmann,  Martin:  Aus  Pommerns  Geschichte,  sechs  Vorträge  im  Stet- 
tiner Frauenverein  gehalten.     Stettin,  Leon  Saunier,   1902.     loi   S.  8^. 

Welti,  Friedrich  Emil:  Die  Rechtsquellen  des  Kantons  Bern.  Erster  Teü: 
Stadtrechte.  Erster  Band:  Das  Stadtrecht  von  Bern  I  (1218 — 1539)- 
Aarau,  H.  R.  Sauerländer  &  Co.,   1902.     428  S.  8^.     M.   14. 

Wenck,  Karl:  Elisabeth  von  Thüringen  (1306 — 1367),  die  Gemahlin  Land- 
graf Heinrichs  11.  von  Hessen,  und  die  Beziehungen  zwischen  Thüringen 
imd  Hessen  in  den  Jahren  1318 — 1335  [==  Zeitschrift   für  Hessische 

/        Geschichte.     Neue  Folge  25.  Bd.  (1901),  S.   163 — 191]. 

Zimmermann,  Ernst:  Materiid  zum  Gebrauch  der  Tafel:  Vor-  imd  früh- 
geschichtliche Altertümer   der  Provinz  WestfiUen.     Arnsberg,   J.    Stahl, 

1901.  10  S.  8^ 

Zwiedineck,  Hans  v. :  Das  gräflich  Lambergsche  Familienarchiv  zu  Schlofs 
Feistritz  bei  Hz.  UI.  Teil:  Urkunden,  Aktenstücke  und  Briefe,  die 
freiherrliche  und  gräfliche  Familie  Lamberg  betreffend,  [=  Veröffent- 
lichungen der  Historischen  Landes-Kommission  für  Steiermark  XI].  Graz, 
Selbstverlag  der  Historischen  Landes-Kommission,   1899.      ^^^  ^*  ^^* 

Zub,  Felix:  Beiträge  zur  Genealogie  und  Geschichte  der  steirischen  Liechten- 
steine  [=  Veröffentlichungen  der  Historischen  Landes-Kommission  für 
Steiermark  XV].    Graz,  Selbstverlag  der  Historischen  Landes-Kommission, 

1902.  64  S.  8^ 

Das  bayerische  Oberland  am  Inn,  Blätter  für  Gebietsgeschichte,  Hei- 
mat- und  Volkskunde,  Organ  des  „Historischen  Vereins  Rosenheim", 
hggb-  von  Ludwig  Eid.  i.  Jahrgang,  Heft  i.  Rosenheim  1902. 
XXXU  und   130  S.  8». 

Gebauer,  Joh.  H. :  Gustav  Adolf  in  Brandenburg  [=  32./33.  Jahresbericht 
des  Historischen  Vereins  zu  Brandenburg  a.  d.  H.  (1901)  S.  63 — 84]. 

Herausfeher  Dr.  Annin  Tille  in  Leipdg.  —  Druck  und  Verlag  Ton  Friedrich  Andreas  Perthes  in  Gotha. 


Deutsche  Geschichtsblätter 

Monatsschrift 


tor 


Förderung  der  landesgeschicbtlicben  Forscbung 

III.  Band  August/September  xgoa  11./12.  Heft 


Ortsflur,  politischer  Gemeindebezirk  und 

Kifchspiel 

Ein  Beitrag  zur  Gemarkungsgrenzfrage 

Von 
Rudolf  Kötzschke  (Leipzig) 

Einige  Grundfragen  der  deutschen  Verfassungsgeschichte,  die  zuvor 
mehr  nach  ihrer  rechtlichen  und  wirtschaftlichen  Seite  hin  untersucht  zu 
werden  pflegten,  können  durch  Einführung  geographischer  Betrachtungs- 
weise mancherlei  Förderung  erfahren,  indem  die  räumliche  Anordnung 
der  Erscheinungen,  die  Beschaffenheit  des  Bodenabschnitts,  an  dem 
sie  haften,  in  voller  Anschaulichkeit  klar  erfafst  wird.  So  ist  die  Ent- 
stehung des  deutschen  Städtewesens  durch  das  Studium  der  Siedelungs- 
formen  erfolgreich  geklärt  worden ;  für  das  Problem  der  mittelalterlichen 
Stadtwirtschaft  verspricht  eine  Untersuchung  von  geographischen  Ge- 
sichtspunkten aus  mannigfache  Aufhellung.  Auch  für  die  Geschichte 
der  deutschen  Landgemeinde  hat  eine  lebhafte  Erörterung  über  die 
Fragen  nach  dem  räumlichen  Untergrund,  auf  dem  die  Gemeinde- 
einrichtungen beruhen,  nach  dem  Gemeindegebiet  und  seinen  Grenzen, 
begonnen,  zumal  da  diese  für  die  Lösung  grolser  Aufgaben  der  histo- 
rischen Kartographie  Deutschlands  von  grundlegender  Bedeutung  sind  *) ; 
und  es  ist  in  der  Tat  dringlich,  mehr  als  früher  üblich  war,  von  einem 
Standpunkte  geographischer  Betrachtung  aus  an  diese  Untersuchungen 

heranzutreten. 

.  I. 

Das  Staatsgebiet  ist  heute  überall  im  Deutschen  Reiche  in  die 
Bezirke  der  politischen  Ortsgemeinden  oder,  wie  namentlich  im  Osten 
der  preufsischen  Monarchie,  in  die  als  Träger  der  örtlichen  Verwaltung 
auf  dem  platten  Lande  gleichberechtigten  Gemeinde-  und  Gutsbezirke 
aufgeteilt;  entweder  so  gut  wie  restlos,  wie  z.  B.  im  Rheinland,  oder 


i)  Vgl.  darüber  die  Bemerkungen  am  Schlüsse  dieses  Anfsatzes. 

20 


—     274     — 

mit    der  Einschränkung,    dafs    daneben  gewisse  nicht  eingememdetc 
Bezirke,   besonders  die  Staatswaidungen ,   gesondert  belassen    worden 
sind ;  wie  z.  B.  in  den  Provinzen  Sachsen  und  Brandenburg,  im  König- 
reich Sachsen,  in  Oberbayem.     Der  Gemeindebezirk  ist  heute  —   mit 
jenen  Ausnahmen  —  nach  dem  Verwaitungsrecht  der  kleinste  Gebiets- 
abschnitt des  Staates.     Der  politischen  Geographie*  aber  ergeben   sich 
andere    kleinste  Bodenabschnitte    als    die    für  ihre  Betrachtungsweise 
zunächst  wichtigen:  sie  sieht  auf  dem  Boden  des  Staates  eine  Mengte 
menschlicher  Wohnplätze  verteilt,   die  nach  Raumgröise   und   Gestalt 
unterscheidende  Merkmale  aufweisen,   sie  richtet   auf  diese  Wohnorte 
mit  ihrem  Zubehör  an  Boden  zuerst  ihr  Augenmerk. 

In   mannigfaltigem  Wechsel   liegen  Siedelungen  über  das  Staats- 
gebiet hin  verstreut,  wie  Fr.  Ratzel  in  seiner  Anthropogeographie  *)  sie 
scheidet :  Einzelhäuser,  d.  h.  blofee  Räume  zu  Wohn-  und  Wirtschafts- 
zwecken;  Höfe,   das  sind  Wohn-  und  Wirtschaftsgebäude  nebst  Hof- 
raum —  also  z.  B.  auch  abgesondert  liegende  herrschaftliche  Güter  — ; 
kleine  Gruppen  von  Häusern  und  Höfen,   die  einen  „Weiler"  bilden; 
endlich  „Dörfer",  d.  h.  in  geographischem  Sinne  grö&ere  geschlossene 
Ansammlungen  ländlicher  Wohn-  und  Wirtschaftsgebäude  *).      Neben 
dem   Begriffe   des   einfachen   Wohnorts    müssen    wir   nun    aber    auch 
den  der  „Ortschaft"  verwenden.    Wir  verstehen  darunter  die  als  topo- 
graphische Einheit  gefaxten,  aus  kleinsten  Wohnungseinheiten  zusammen- 
gesetzten Ortsbildungen :  Höfe-  und  Häusergruppen,  Weiler  und  Dörfer 
für  sich  oder  mit  anderen  Wohnplätzen  zusammengefafst. 

Wie  verhält  sich  nun  zu  diesen  Siedelungen  die  Gemeindebildung  ? 
Welches  ist  die  Struktur  der  Gemeinde  in  topographischer  Hinsicht? 
Wie  sind  Raumgröise  und  Raumgestalt  der  Gemeindebezirke  beschaffen  l 
Was  für  Siedelungen  sind  zu  einem  Gemeindeverbande  zusammen- 
geschlossen? Das  sind  alles  Gnmdfragen  fiir  jede  Untersuchung  über 
Gemeindegebiet  und  Gemarkungsgrenzen. 

Vergleicht  man  einmal  die  erschienenen  Blätter  der  „Gnmdkarte 
von  Deutschland"  *),  so  springen  einem  die  topographischen  Verschieden- 
heiten der  Gemeindebezirke  förmlich  in  die  Augen.  Die  winzigen  Dorf- 
bezirke  des   sächsischen  Hügellandes  zwischen  Meifsen  und  Döbeln, 


i)  Anthropogeographie  II,  S.  405  E  (i.  Aufl.  1891). 

2)  In  historischen  Quellen  werden  die  Wörter  oft  in  anderem  Sinne  gebraucht:  Hof 
für  eine  Mehrheit  ländlicher  Anwesen ;  Dorf  auch  (Ur  die  Ortschaft  bei  zerstreuter  Wohn> 
weise. 

3)  S.  die  Aufzählung  in  meinem  Aufsatz:  „Die  Zentralstelle  für  Grundkarten  zu  Leipzig": 
Korr.  Bl.  d.  Ges.  Vereins  d.  Geschichts-  u.  Altertumsvereine,  1902,  nr.  7. 


—     275     — 

^  mittelgrofse   Dorfgemarkungen,   wie   sie  besonders   rein  z.   B.   in   der 

e  Gegend   von  Wetzlar  und  Butzbach  oder  in  der  Rheinebene  nw.  von 

:  Strafsburg  i.  E.  auftreten,  die  grofsräumigen  Gemeindebezirke  zwischen 

2  Wesel  und  Dorsten  mit  ihrer  Fülle  zugehöriger  Einzelsiedelungen  er- 
scheinen dem  Geographen,  wie  immer  ihre  staatsrechtliche  Natur  sein 

3  mag,  als  wesensverschiedene  Gebilde.     Charakteristische  Unterschiede 
r^  der   deutschen  Landschaften    treten   bei  solcher  Betrachtung  hervor, 

aber  in  einer  jeden  von  ihnen,  so  in  Sachsen,  in  Westfalen,  in  Württem- 
berg, im  Elsafs  und  in  Lothringen,  in  Schleswig-Holstein,  lassen  sich 
oft  nahe  beieinander  Verschiedenheiten  der  angedeuteten  Art  beobachten. 
Stellen  wir  die  Hauptformen  solch  topographisch  verschiedener 
Gemeindebezirke  fest.  Zunächst  treten  uns  da  zwei  Gruppen  deutlich 
entgegen:  die  Dorfgemeinden,  d.  h.  die  Gemeinden,  die  aus  einer 
gröfseren  geschlossenen  Siedelung  nebst  zugehöriger  Gemarkung  be- 
stehen, und  die  Höfegemeinden  oder  die  Hof-  und  Weiler- 
,  gemeinden,   die   aus   einer  Anzahl   von  Höfen  oder  aus  Höfen  und 

einem  oder  mehreren  Weilern  nebst  zugehörigen  Bodenabschnitten 
zusammengesetzt  sind.  Daneben  fehlt  es  aber  auch  an  der  Mischform, 
der  Dorf-  und  Höfegemeinde,  nicht.  Es  ist  auch  ohne  weiteres 
klar,  dafs  Einzelsiedelungen  oder  kleine  Siedelungsgruppen  an  sich 
auch  selbständig,  ohne  Zugehörigkeit  zu  einem  Gemeindeverband,  d.  h. 
also  unmittelbar  unter  der  nächstübergeordneten  Staatsbehörde,  bestehen 
können. 

Ein  paar  Beispiele  mögen  das  Verhältnis  von  Wohnorten  und 
Gemeinden  in  einigen  Gegenden  Deutschlands  nach  der  statistischen 
Seite  erläutern.  Im  Königreich  Württemberg*)  gab  es  im  Jahre 
i88o  9820  Wohnplätze,  aber  in  nur  191 1  politischen  Gemeinden  ge- 
lten, nämlich  aufeer  142  Städten :  1698  Dörfer,  3242  Weiler,  2587  Höfe 
und  21 51  Häuser,  und  zwar  besteht  dabei  ein  Unterschied  insofern, 
als  im  Neckarlande  die  Dorfgemeinden  weit  vorherrschen,  während  in 
Oberschwaben,  besonders  im  südlichen  Teil,  auf  den  Plateaus  imd 
Walddistrikten  des  Jagstkreises  und  in  den  Waldämtem  des  Schwarz- 
waldes sich  die  parzellierten  Gemeinden  besonders  häufig  finden.  Im 
Jahre  1822  —  also  in  dem  Jahre,  in  dem  das  Verwaltungsedikt  vom 
I.  März  erschien  *),  dessen  $  i  besagt:  „Jede  Stadt,  jeder  Marktflecken 
und  jedes  Dorf  bildet  eine  für  sich  bestehende  Gemeinde.  Einzelne 
Weiler  und  Höfe  haben  sich   an  die  Gemeinde   des  nächstgelegenen 

i)  Das  Königreich  Württemberg,  heraosg.  vom  Kgl.  statistisch-topographischen  Borean 

n,  I,  S.  351  ff.  (1884). 

2)  J.  Weiske,  Sammlung  der  neueren  teutschen  Gemeindegesetze,  S.  129  (1848^ 

20* 


—     276     — 

Ortes  anzuschliefsen,  oder,  wo  solches  ihre  Lage  erheischt  und  gestattet, 
unter  sich  zu  einer  eigenen  Gemeinde  zu  verbinden"  —  wurden  in 
Württemberg  auiser  132  Städten  175  Marktflecken  und  1575  Dörfer, 
dazu  1878  Weiler,  2333  Höfe  und  3384  einzelne  Häuser  gezählt. 
Freilich  schwindet  die  Vorstellung  eines  völligen  Umsturzes  in  den 
Gemeindeverhältnissen,  den  diese  Zahlen  leicht  erwecken  könnten,  so- 
fort, wenn  man  sich  klar  macht,  dals  die  Zahl  der  191 1  Gemeinden 
vom  Jahre  1880  die  der  gleichzeitig  vorhandenen  Städte  und  Dörfer 
nur  um  71,  die  der  Städte,  Marktflecken  und  Dörfer  von  1822  aber 
nur  um  29  übertriffl;  d.  h.  also,  da  in  Württemberg  eine  Gemeinde 
nie  mehr  als  ein  Dorf  haben  kann'),  es  gab  im  Jahre  1880  nicht 
mehr  als  71  Gemeinden,  die  nur  aus  Höfen  und  Weilern  ohne  Dorf 
bestanden.  Im  Jahre  1822  aber  können  noch  nicht  halb  soviel  Ge- 
meinden blofs  aus  Höfen  und  Weilern  neu  gebildet  worden  sein. 
Immerhin  können  die  Veränderungen  der  Gemeindegebiete  durch  Ein- 
gemeindung von  Gruppen-  und  Einzelsiedelungen  nicht  unbeträchtlich 
gewesen  sein;  die  sonst  vorzügUch  brauchbare  Markungskarte  in 
1 :  3  500000  ermöglicht  keine  Untersuchung  der  Frage;  eine  Vorstellung 
davon  kann  man  sich  mit  Hilfe  der  erschienenen  Grundkartensektionen 
bilden. 

In  Baden*)  waren  im  Jahre  1875  7697  Wohnorte  vorhanden, 
und  zwar  aufser  114  Städten :  1609  Dörfer,  648  Weiler  und  1085  Zinken, 
die  ähnlich  wie  die  Weiler  gestaltet,  nur  mehr  zerstreut  sind,  dazu 
642  Höfe-  oder  Häusergruppen  und  3599  einzeln  gelegene  Höfe,  Häuser 
oder  Mühlen;  im  Jahre  1884  aber  gab  es  au(ser  den  114  Stadt- 
gemeinden nur  1469  Landgemeinden,  unter  denen  sich  217  sogenannte 
zusammengesetzte  Gemeinden  mit  217  Haupt-  und  466  Nebenorten 
befanden.  In  einer  Anzahl  dieser  zusammengesetzten  Gemeinden  haben 
nun  wieder  einzelne  Ortsteile  ihre  besonderen  „Ortsgemarkungen",  und 
da  das  Gemeindegesetz  von  1831  •)  die  Eingemeindung  von  Waldungen, 
einzelnen  Höfen  und  anderen  Gütern,  die  seither  keinen  Ortsgemarkungen 
zugehört  hatten,  nur  gestattete,  aber  nicht  vorschrieb,  so  gibt  es  auch 
noch  „abgesonderte  Gemarkungen",  so  dafs  die  Gesamtzahl  der  Ge- 
markungen auf  2187  steigt.  — Im  Königreich  Bayern*)  waren  1890 
aufser  den  52  wichtigsten  Städten  45  580  Orte  in  7969  Gemeinden 
vereinigt. 

i)  Das  Königreich  Württemberg,  S.  352. 

2)  Das  Grofsherzogtnm  Baden  (Karlsruhe  1885),  S.  281  ff. 

3)  J.  Weiske  a.  a.  O.,  S.  201  ff. 

4)  W.  Götz,  Geographisch-Historisches  Handbuch  von  Bayern  I,  32  (München  1895). 


—     277     — 

Diese  Zahlen  sprechen  deutlich.  Gewife  sind  in  anderen  Teilen 
Deutschlands,  die  mehr  Geschlossenheit  in  der  Siedelungsweise  zeigen, 
die  Unterschiede  zwischen  Wohnplätzen  und  Gemeinden  geringer;  in 
einzelnen  Landstrichen  schwinden  sie  fast  ganz.  So  viel  aber  ist  klar, 
dals  die  Beachtung  der  topographischen  Struktur  der  Landgemeinde 
für  die  Auffassung  des  deutschen  ländlichen  Gemeindewesens  von 
gröfster  Bedeutung  ist. 

Prüft  man  nun  bei  einer  Durchsicht  der  Grundkarten  mit  Beihilfe 
der  Reichskarte  in  i :  looooo  (der  sogen.  Generalstabskarten)  oder  sonst 
'geeigneter  topographischer  Karten  die  räumliche  Gestalt  und  den 
Siedelungscharakter  der  Gemeindebezirke,  so  läist  sich  zunächst  deren 
mannigfache  Abhängigkeit  vom  Bodenbau  und  der  Bewässerung  des 
Landes  erkennen.  Aber  die  Gemeindebezirke  sind  Menschenwerk.  Das 
Problem  wird  zum  historisch-geographischen:  wie  hat  sich  im  Ablauf 
der  Jahrhunderte  die  Gemeindebildung  unter  der  Einwirkung  natürlicher 
und  sozialer,  wirtschaftlicher  und  politischer  Ursachen  vollzogen? 

Richtet  man  so  sein  Augenmerk  auf  die  geschichtlich  begründete 
Vereinigung  der  Siedelungen  zu  Gemeindeverbänden,  so  ergibt  sich 
zuerst  wieder  die  Notwendigkeit,  von  der  neuesten  Zeit  auszugehen, 
imd  es  erhebt  sich  die  Frage:  wie  verhalten  sich  denn  die  Ortsfluren 
im  Sinne  des  gesamten  Arealzubehörs  der  ländlichen  Ortschaften  zu 
den  verschiedenerlei  Gemeindebezirken  der  Gegenwart? 

Nach  Durchführung  der  Gemeindegesetzgebung  des  XIX.  Jahr- 
hunderts gehört  jede  Siedelung  einer  politischen  Ortsgemeinde  oder, 
wie  in  Preufsens  östlichen  Provinzen,  einem  Gutsbezirke  zu.  In  dem 
Gemeindebezirke  übt  die  Gemeinde  die  ihr  zugestandene  Selbstverwaltung 
sowie  die  vom  Staate  ihr  übertragenen  Funktionen  staatlicher  Verwaltung 
aus.  Der  Bezirk  der  politischen  Ortsgemeinde  ist  also  Gemeindeselbst- 
verwaltungsbezirk und  Staatsverwaltungsbezirk,  insbesondere  für  Aus- 
übung niederer  Polizeigewalt,  auch  Armenpflege  und  Schulwesen. 
Zweitens  aber  gibt  es  kleinste  Bezirke  der  Steuerverwaltung  (Grund- 
steuerbezirke) auf  den  Katasterkarten  oder  Flurkarten  mit  genauer  Ein- 
Zeichnung  der  einzelnen  Grundstücke  dargestellt.  Diese  Steuerfluren 
pflegen  nach  den  Ortsgemeinden  benannt  zu  sein,  zumal  diesen  häufig 
die  Steuereinhebung  vom  Staate  übertragen  ist ;  tatsächlich  decken  sie 
sich  auch  zumeist  mit  jenen  Ortsgemeindebezirken ;  aber  sie  können 
sich  doch  auch  von  ihnen  in  charakteristischer  Weise  unterscheiden. 

Weiterhin  aber  schliefet  sich  die  Frage  an,  wie  sich  Siedelung 
und  Gemeindebildung,  Ortsflur  und  Gemeindebezirk  in  den  geschicht- 
lichen Zeiten  zueinander  verhalten  haben.    Und  dies  Verhältnis  ist  um 


—     278     — 

so  wichtiger  für  den  Historiker,  als  er  in  seinen  Quellen  oft  blofec 
Ortschaftsbezeichnungen  ohne  Angabe  der  Gemeindezugehörigfkeit 
findet ;  die  Aufgabe  ist  dann  gerade  die,  die  Ortslage  womöglich  inner- 
halb eines  heutigen  Gemeindebezirks  festzustellen. 

In  den  Zeiten  des  patriarchalischen  und  absoluten  Staatsregiments, 
die  für  unsere  Fragen  zunächst  mit  der  Gegenwart  verglichen  werden 
müssen,   finden  wir  nun,   wie   bekannt,   eine  Gemeinde   von   anderem 
Charakter  vor,   die  ich  in  Anlehnung  an  den  älteren  Sprachgebrauch 
im   Gegensatz    zur    politischen    Ortsgemeinde    der    neuesten    Zeit    die 
Nachbarschaftsgemeinde   nennen   möchte.     Sie    ist    vor    allem 
Realgemeinde;    ihr   Gebiet    besteht    aus   den   Gehöften,    den    in    der 
Feldmark  belegenen  bäuerlichen  Grundstücken  sowie  den  zugehörigen 
Gemeinheiten;    in  diesem   Gebiete   wird   auch   die    vornehmlich    wirt- 
schaftlich  gerichtete   Gemeindeverwaltung   ausgeübt.     Aber   die    länd- 
lichen Gemeinden  sind  doch  schon  seit   dem  späteren  Mittelalter   zur 
Erfüllung  von  Aufgaben  der  landesfürstlichen  Staatsverwaltung   heran- 
gezogen worden,  z.  B.  für  VerteUung  der  Steuern  *) ;  und  in  den  Zeiten 
des   absoluten   Staates   lassen   sich    schon   Anfange    zur  Bildung    von 
politischen  Ortsgemeinden  beobachten,  indem  z.  B.  in  Preufsen  unter 
Friedrich   Wilhelm  I.  das   „Dorf"   zum   Schulkommunalverband,    teil- 
weise auch  zum  Armenkommunal  verband  umgearbeitet  wurde  *).    Wie 
verhalten    sich    nun    die   Bezirke    solcher  Staatsverwaltung    mit    Hilfe 
ländlicher  Gemeinden  zu  den  Nachbarschaftsfluren?     Decken   sie   sich 
völlig?     Oder  gehören  vielleicht  zu  jenem  auch  Bodenschnitte  aufser- 
halb  des  Flurbezirks  der  Nachbarschaft?     Oder  umgekehrt,  sind  etwa 
einzelne   Flurteile   kein   Zubehör    der    staatlichen   Verwaltungsbezirke? 
Und  weiter,   wie  verhalten  sich    diese   älteren  Bezirke   zu   denen,   die 
nach  Durchführung  der  modernen  Gemeindegesetzgebung  und  Kataster- 
aufnahmen in  der  Gegenwart  vorhanden  sind? 

Die  Tätigkeit  der  neueren  Staatsgewalt,  der  patriarchalischen  und 
absoluten  so  gut  wie  der  modernen  konstitutionellen,  zur  Abgrenzung 
der  Gemeindebezirke,  etwa  vom  XVI.  Jahrhundert  bis  ins  XIX.,  auf- 
zuhellen, stellt  sich  so  uns  deutlich  als  die  erste  und  dringendste  Auf- 
gabe dar,  die  zu  lösen  ist,  bevor  die  Gemeindebildung  der  älteren  Zeit 
in  räumlicher  Hinsicht  ausreichend  klar  erkannt  zu  werden  vermag. 

Neben  solcher  Betrachtung  des  Verhältnisses  zwischen  Ortsflur 
und  politischem  Gemeindebezirk  kommt  nun  aber  noch    ein   weiteres 

i)  Vgl.  z.  B.  G.  V.  Below,    Die  landständische  Verfassung   in  Jülich  und  Berg  UIj 
S.  36  ff.,  III,  S.  83  f. 

'   2)  C.  Bornhak,  Geschichte  des  preufsischen  Verwaltungsrechts  U,  S.  8 f. 


—     279     — 

in  Betracht,  das  bisher  in  seiner  vollen  Tragweite  für  die  Gemarkungs- 
grenzfrage  noch  nicht  gebührend  gewürdigt  worden  ist  *). 

Die  völlige  Aufteilung  der  Staatsgebiete  in  räumliche  Bezirke, 
wie  es,  mit  den  oben  dargelegten  Einschränkungen  die  politischen 
Gemeindebezirke  sind,  ist  erst  ein  Werk  der  neueren  Staatsgewalt  und 
nur  aus  ihren  Bedürfnissen  zu  erklären ;  einem  Bedürfnis  der  Nachbar- 
schaftsgemeinden älterer  Art  entspricht  sie  nicht.  Aber  schon  von 
altersher  gibt  es  eine  Macht  in  Deutschland,  die  ein  Bedürfnis  nach 
Aufteüung  des  Landes,  soweit  es  überhaupt  angebaut  und  von  Menschen 
bewohnt  war,  für  ihre  Verwaltung  empfunden  hat.  Schon  im  XII.  und 
XIII.  Jahrhundert  ist  der  Ausbau  des  Parochialsystems  im  mutter- 
ländischen Deutschland  so  weit  fortgeschritten,  dafs  auf  lange  hinaus 
dem  Bedürfnis  genüge  geschah  *) ;  und  im  Osten  ist  die  Pfarreiorgani- 
sation der  völligen  Christianisierung  und  Kolonisation  rasch  gefolgt. 
Deutschland  war  mit  einem  Netze  von  Pfarreien  bedeckt,  in  das  auch 
Einzelsiedelungen  fernab  von  den  geschlossenen  gröfseren  Ortschaften 
einbezogen  gewesen  sind.  Der  Kirchengemeindeverband  hat  nun  aber 
von  frühe  her  in  engen  Beziehungen  zu  ländlichen  Gemeindeverbänden 
gestanden ;  ja  das  Kirchspiel  hat ,  darin  dem  civil  parish  in  England 
vergleichbar,  auch  für  die  weltliche  Gemeindeverwaltung  Bedeutung  ge- 
habt. Das  Verhältnis  von  Kirchspiel  und  ländlichem  Gemeindebezirk 
mufs  also  bei  Untersuchungen  über  die  Gemarkimgsgrenzfrage  von  vorn- 
herein scharf  ins  Auge  gefafst  werden ;  und  es  ist  auch  für  die  welt- 
liche historische  Kartographie  um  so  wichtiger,  als  die  Lageangaben 
von  Ortschaften  in  älteren  Quellen,  z.  B.  Urkunden,  sehr  oft  nach  der 
Pfarrei  gemacht  werden  und  die  Überlieferung  der  kirchlichen  histo- 
rischen Geographie  zumal  in  alten  Zeiten  —  man  denke  an  die  lihri 
valoris  bischöflicher  Diözesen  —  besonders  günstig  zu  sein  pflegt.  — 

Die  Geschichte  des  Gemeindegebiets,  dies  hat  sich  uns  bisher 
ergeben,  ist  die  seiner  Siedelungen  mit  ihrem  Zubehör  an  Grund  und 
Boden.  Das  Gemeindegebiet  aber  ist  aufsen  umrahmt  von  seinen  Grenzen : 
auch  die  Geschichte  der  Gemarkungsgrenzen  mufs  von  der  Betrachtung 
der  zu  Gemeinden  zusammengeschlossenen  Siedelungen  und  ihrer  zugehöri- 
gen Bodenabschnitte  ausgehen ;  auch  sie  ist  auf  das  Studium  der  Siede- 
lungsverhältnisse  zu  gründen.  Politische  wie  kirchliche  Gemeindeverbände 


i)  Schon  Wolfram  hat  in  seinem  Freiburger  Vortrage  (Korr.  Bl.  d.  Ges.  Ver.  1902, 
S.  25)  darauf  hingewiesen,  dafs  ein  wesentlicher  Faktor  fUr  die  Erhaltung  der  Gemarkungs* 
grenzen  auch  die  Kirche  sei.  Freilich  mit  dem  Hinweise  auf  das  „  Interesse  '*  des  Pfarrers, 
sich  seinen  zehntpflichtigen  Grundbesitz  zu  erhalten,  ist  die  Sache  nicht  erklärt. 

2)  A.  Hauck,  Kirchengeschichte  Deutschlands  IV,  20 ff. 


—     280     — 

sind   dabei   auf  ihr  gegenseitiges   Verhalten   hin   zu   prüfen:   Ortsflur, 
politischer  Gemeindebezirk  und  Kirchspiel  müssen  mit  Augen,  die  im 
rechtsgeschichtlichen  wie  geographischen  Sehen  geübt  sind,   in    ihrer 
Übereinstimmung  und  Verschiedenheit  klar  anschaulich  aufgefafst  wer- 
den.   Die  Gemarkungsgrenzfrage  ist  nicht  so  „einfach",  wie  dies  wohl 
geglaubt  worden  ist;  sie  ist  vielmehr  ein  höchst  kompliziertes  Problem, 
das  einmal   mit  allen  Mitteln   der  Wissenschaft  gründlich  untersucht 
werden  mufe,   wenn   man  in  der  Geschichte   der  deutschen  Landge- 
meinde zu  klarer  räumlicher  Anschauung  kommen,  und  ebenso,  wenn 
man   moderne  Gemarkungsgrenzkarten  für  eine  Reihe  von  Aufgaben 
der  historischen  Kartographie,   insbesondere  auch   für  andere  Zwecke 
als   die  Herstellung  territorialgeschichtlicher  Spezialatlanten ,   einwand- 
frei verwerten  will. 

IL 

Untersuchungen  über  das  Verhältnis  der  Ortsfluren  zu  den  Ge- 
meindeselbstverwaltungsbezirken und  den  kleinsten  Bezirken  staatlicher 
Verwaltung  sowie  den  Kirchspielen,  wie  sie  hier  gewünscht  worden 
sind,  können  nur  Landschaft  für  Landschaft  geführt  werden ;  sie  können 
nur  das  Werk  mehrerer  Gelehrten  sein,  die  die  landesgeschichtlichen 
Quellen  soi^sam  durchforschen.  Im  folgenden  soll  daher  nicht  eine 
Lösung  der  Fragen  angestrebt,  vielmehr  soll,  nach  fremden  Forschungs- 
ergebnissen wie  aus  eigenen  Studien,  nur  einiges  beigebracht  werden, 
um  das  aufgeworfene  Problem  möglichst  deutlich  zu  bezeichnen. 

Wertvolle  Aufschlüsse  für  die  hier  behandelten  Fragen  liegen 
heute  bereits  über  die  österreichischen  Alpenländer  vor.  Für  die 
Zeiten  vor  dem  abschliefsenden  Eingreifen  des  Staates  seit  dem  letzten 
Drittel  des  XVIII.  Jahrhunderts  erinnere  ich  zunächst  an  Armin  Tilles 
Ausfuhrungen  über  den  Vintschgau  in  Tirol  *) ,  wo  auch  die  Grund- 
züge der  Gemeindebildung,  vom  Mittelalter  bis  in  die  neueren  Jahr- 
hunderte hinein,  behandelt  sind.  Den  Grundstock  der  Gemeinden  er- 
blickt er  in  den  Dorfsiedelui^en  der  Täler,  in  denen  die  Sonderwirt- 
schaften der  Höfe  zu  einem  Wirtschaftsverbande  zusammengeschlossen 
waren.  Mancherlei  wirtschafUiche  Momente  haben  dann  auf  den  An- 
schlufs  einzelner  Höfe  an  den  Dorfgemeindeverband  hingewirkt.  In- 
des „die  zerstreuten  Höfe  inmitten  ihrer  Fluren  behalten  noch  spät 
eine  wirtschaftliche  Selbständigkeit,  die  sie  in  rein  agrarischer  Ent- 
wickelung  ohne  Eingriffe  des  Staates  wohl  nie  aufgegeben  hätten." 
Für  die  Anfänge  der  Einverleibung   scheint  ihm  „die  Zuweisung  ge- 


I )  Tille,  Die  bäuerliche  WirUchafUverfassang  des  VinUchfans  (Innsbruck  i  S95),  S.  24 1  flf.. 


—     281     — 

wisser  Höfe  an  Gemeinden  durch  die  Landesherrschaft  zum  Zwecke 
der  Landessteuererhebung'*  am  wesentlichsten  zu  sein.  Auch  auf 
die  Einwirkung  der  Gerichtsverbände  sowie  des  Kirchenverbandes  wird 
hingewiesen. 

Die  Entwickelung  der  jüngsten  Zeit  vor  Festlegung  der  gegenwärtigen 
Gemarkungsgrenzen  ist  nun  im  Zusammenhange  mit  den  Vorarbeiten  für 
den  historischen  Atlas  der  österreichischen  Alpenländer  vor  kurzem  be- 
leuchtet worden  *).  Entscheidend  für  die  Abgrenzung  der  gegenwärtig 
in  Österreich  bestehenden  Gemeinden  in  ihrem  heutigen  Umfang  sind 
eine  Reihe  von  Regierungsmafsnahmen  von  den  Zeiten  Maria  There- 
sias bis  zum  Jahre  1849.  ^^^  ^^^  Grundlage  dazu  ist  durch  die 
Konskription  von  1770  geschaffen  worden;  es  sollte  nämlich  zu 
ihrem  Zwecke  eine  Häusemumerierung  durchgeführt  werden.  Man 
hat  dabei  in  den  Dorfgegenden  an  die  bestehenden  Ortschäften  an- 
geknüpft; in  Gr^enden  aber,  wo  Einzelhäuser  neben  Dörfern  vor- 
kommen, sollten,  wie  eine  besondere  Anordnung  der  Hofkanzlei  be- 
ssigt,  diese  den  nächsten  Dörfern  zugezählt  werden,  während  in  Gegen- 
den des  reinen  Hofsystems  nach  den  Kirchspielen  zu  numerieren 
sei.  In  Niederösterreich  hat  man  dann  freilich  diese  Vorschrift  nicht 
befolgt,  sondern  sich  an  die  Ortschaften  im  topographischen  Sinn 
von  Wohnstätten  gehalten;  wie  man  in  den  Alpenländem  verfahren 
ist,  ist  noch  nicht  festgestellt.  In  den  Zeiten  Josephs  sind  nun  weiter 
Steuergemeinden  gebildet  worden,  wobei  jetzt  wirklich  die  Einzel- 
siedelungen angegliedert  oder  zusammengeschlossen  wurden,  aber 
auch,  wenigstens  in  einzelnen  Landesteilen,  erhebliche  Einbezirkungen 
vorher  nicht  eingemeindeten  Waldbodens  stattgefunden  haben.  An  diese 
Steueigemeinden,  sei  es  an  die  Hauptgemeinden,  sei  es  an  die  Unter- 
gemeinden, ist  dann  bei  Anlage  des  sogen,  franziskischen  oder  stabilen 
Katasters  seit  18 17,  bezw.  1824  angeknüpft  worden;  damit  sind  die 
gegenwärtigen  Katastralgemeinden  geschaffen  worden.  Die  heutigen 
politischen  Ortsgemeinden  sind  erst  1849  entstanden,  nach  den  Ka- 
tastralgrenzen  reguliert,  doch  so,  dafs  z.  B.  in  Niederösterreich  4062 
Ortschaften  zu  3183  Katastralgemeinden,  aber  nur  zu  1591  Orts- 
gemeinden vereinigt  sind;  in  Oberösterreich  ist  der  Unterschied  noch 
beträchtlicher,   während  in  Tirol  und  Vorarlberg  die   Katastral-   und 


i)  Vgl.  £.  Richter  ,yNeae  Erörterungen  znm  historischen  Atlas  der  österreichischen 
Alpenländer",  Mitt.  d.  Inst.  f.  österr.  Gesch.  VI,  858 ff.  and  besonders  C.  Giannoni, 
„Znm  historischen  Atlas  der  österreichischen  Alpenländer'',  Blätter  d.  Ver.  f.  Landeskunde 
von  Niederösterreich  1899  (33)  475 ff. ;  den.:  „Der  historische  Atlas  der  österreichischen 
Alpenländer  und  die  Gmndkartenfnige ",  Vierteljahreshefte  f.  d.  geograph.  Unterricht  I,  17  ff* 


—     282     — 

Ortsgemeinden  ziemlich   identisch   sind.     Fragt  man  also   nach    dem 
Verhältnis  der  gegenwärtigen  Gemeinden   der  österreichischen  Alpen- 
länder  zu  den  Ortschaften  (Wirtschaftsgemeinden)  der  alten  Zeit,    so 
ergibt  sich,   dafe  die  Bezirke  der  heutigen   politischen  Ortsgemeinden 
ganz  wesentlich  von  den  alten  Ortsgemarkungen  abweichen,    während 
die  Steuergemeinden  jenen  in  viel  höherem  Grade  nahe  kommen  und 
sogar  eine  gewisse  Wahrscheinlichkeit  dafür  besteht,   dafe  wenigstens 
in  den  Gegenden  der  Dorfsiedelung  die  Abweichungen   von  den    alt- 
überlieferten nicht  allzu  grofe  sind.    Ob  nun  diese  Gemeinden,  wie  sie 
vor  Einführung  der  Josephinischen  Steuergemeinden  bestanden,  in  den 
früheren  Zeiten  stärkeren  Wandlungen  unterworfen  gewesen  sind  oder 
nicht,  mufe  vorderhand  noch  zweifelhaft  bleiben. 

Diese  bisherigen  Ermittelungen  der  österreichischen  Forscher  sind 
gewifs  aufserordentlich  lehrreich.  Sie  zeigen  deuüich,  dafe  man  sich  die 
Gemeindegrenzverhältnisse  noch  im  XVIII.  Jahrhundert  nicht  unwesent- 
lich anders  vorzustellen  hat,  als  in  der  Gegenwart.  Ob  freilich  danun 
die  heutigen  Grenzlinien  selbst  für  historische  Zwecke  unbrauchbar 
sind,  scheint  mir  damit  noch  keineswegs  ausgemacht  zu  sein;  ich  bin 
sogar  der  Meinung,  dafe  die  jetzt  gering  geschätzte  „  Übersichtskarte  der 
Steuerbezirke  und  Katastralgemeinden  in  i :  1 15  2CX)**  für  andere  Zwecke, 
als  die  zur  Zeit  in  Österreich  verfolgten ,  noch  wird  nützlich  sein  können. 

Nach  diesem  Hinweis  auf  die  Forschungsergebnisse  der  österrei- 
chischen Fachgenossen  wende  ich  mich  der  Besprechung  dieser  Ver- 
hältnisse im  Reichsgebiet  zu.  Was  bisher  an  Aufklärung  über  diese 
Fragen  geboten  worden  ist,  ist  spärlich  genug,  ich  begnüge  mich 
in  diesem  Aufsatze,  das  aufjg^eworfene  Problem  an  zwei  Beispielen  zu 
erläutern.  Ich  wähle  sie  beide  aus  eigenen,  schon  länger  betriebenen 
Studien  heraus :  das  eine  für  eine  Gegend  der  Dorfeiedelung,  für  Ober- 
sachsen, das  andere  für  das  Gebiet  der  Hof-  und  Weilersiedelung  am 
Niederrhein, 

In  Sachsen  sind  zwei  Siedelungsgebietc  zu  scheiden:  das  höhere 
Gebirge  des  Südens  und  das  im  Norden  vorgelagerte  Hügel-  und 
wellige  Flachland.  In  beiden  herrscht  Wohnweise  nach  Dörfern.  Im 
Norden  aber  liegen  kleine,  geschlossene  Dörfer  dicht  gedrängt  nahe 
beieinander,  meist  Rundlinge  oder  Strafsenzeüendörfer;  schon  von 
slavischer  Zeit  her  ist  das  Land  fest  besiedelt,  und  mit  der  deutschen 
Kolonisation  des  XII.  bis  XIV.  Jahrhunderts  ward  der  Landesausbau 
so  gut  wie  vollendet.  Die  Besiedelung  des  Südens  ist  erst  ein  Werk 
der  Kolonisationszeit,  fortgesetzt  in  den  Zeiten  aufblühenden  Bergbaus 
und   der  neuzeitlichen  Industrie:   hier  dehnen  sich  grofee  Dörfer,  in 


—     283     — 

aufgelöstem  Anbau  lang  hingestreckt,  in  den  Bodenmulden ;  und  manche 
Einzelsiedelung  liegt  seitab  im  tiefen  Talgrund  oder  waldverloren. 

Will  man  nun  die  Frage,  wie  sich  Ortsflur  und  Gemeindeverwaltungs- 
bezirk nach  ihrer  historischen  Bedeutung  zueinander  verhalten,  für  das 
Königreich  Sachsen  untersuchen,  so  ist  man  zur  Zeit  darauf  an- 
gewiesen, die  Grundkarte  zu  Hilfe  zu  ziehen;  gedruckte  Karten  mit 
Gemarkungsgrenzen  gibt  es  nur  für  ganz  kleine  Stücke  des  Landes, 
die  Benutzung  des  ungedruckten  Materials  ist  beschwerlich.  Diese 
Grundkarte  des  Königreichs  Sachsen  bietet  nun  aber,  wie  H.  Ermisch 
in  seinen  „Erläuterungen"  angibt*),  nicht  die  Bezirke  der  politischen 
Ortsgemeinden,  sondern  die  Grundsteuerbezirke.  Ich  will  da  zunächst 
erwähnen,  dafs  mir  bei  eingezogenen  Erkundigungen  der  technische 
Leiter  der  Karte,  Vermessungsingenieur  Ehnert  in  Dresden,  sehr  lehr- 
reich ausführte,  dafs  die  politischen  Gemeindebezirke,  d.  h.  die  Bezirke 
der  Gemeindeselbstverwaltung  und  niederen  Polizeiverwaltung ,  aus 
technischen  Gründen  auf  einer  Karte  in  i :  looooo  überhaupt  öfter 
gar  nicht  darstellbar  seien.  Die  Sache  hat  natürlich  ihren  tieferen 
Grund  und,  wie  sogleich  nachzuweisen  sein  wird,  ihre  historische 
Tragweite. 

Auch  hier  in  Sachsen  ist,  etwa  zwei  Jahrzehnte  nach  dem  öster- 
reichischen, ein  „stabiles  Kataster"  angelegt  worden.  Nach  Erlafs  der 
Verfassung  (183 1)  ging  man  an  die  Ausarbeitung  eines  neuen  Grund- 
steuersystems, für  welches  seit  1834*)  eine  Katasteraufnahme  des 
ganzen  Landes  mit  Herstellung  von  Flurkarten  durchgeführt  wurde, 
übrigens  in  einer  Zeit,  wo  die  heute  noch  nicht  beendeten  Zusammen- 
legungen und  Gemeinheitsteilungen  seit  dem  Gesetze  von  1832  eben 
erst  begonnen  hatten.  Diese  in  der  Zeit  bis  zum  Erlafs  des  Grund- 
steuergesetzes von  1843')  geschaffenen,  „in  sich  geschlossene,  zu- 
sammenhängende Komplexe"  bildenden  Flurbezirke  sind  dann  im 
wesentlichen  stabil  geblieben,  obschon  es  an  Ausflurungen,  namentlich 
bei  den  Zusammenlegungen  und  den  Veränderungen  der  Staatsforsten 
nicht  gefehlt  hat.  Von  diesen  Steuerfluren  weichen  nun  die  Land- 
gemeindebezirke ab;  und  zwar  vornehmlich  aus  folgendem  Grunde. 
Jene   Flurbezirke  schliefeen   nämlich   die  Rittergüter  mit  wenig   Aus- 


i)  Erläatemngen  zur   historisch-statistischen  Gnindkarte  fUr  DeutscUHd  (Königreich 
Sachsen),  S.   12  (Leipzig  1899).  ^^r 

2)  Sammlung   der   Gesetze   und  Verordnungen   fUr  das 
S.  325  f. 

3)  Gesetz-  und  Verordnungsblatt  für  das  Königreich  S 
Inng)   1843,  ^^*  ^*   103  f. 


IS   Königcicy 


—     284     — 

nahmen  in  sich  ein ;  nur  eine  geringe  Zahl  von  Rittergutsbezirken  sind 
selbständige  Grundsteuerbezirke,  bei  denen  natürlich  ebenfalls  seit   der 
Katasteraufnahme  im   wesentlichen  Stabilität  besteht.     Anders  verhält 
es  sich  bei  den  Landgemeindebezirken.    Im  Jahre  1838  ist  in  Sachsen 
eine  Landgemeindeordnung  *)  ergangen,  in  der  die  moderne  politisofae 
Ortsgemeinde  geschaffen  worden  ist,  wenn  auch  zunächst  noch  jeweils 
unter  der  Ortsobrigkeit,   welcher  die  Erbgerichtsbarkeit  über  die  Ge- 
meinde zustand.    Es  ward  dabei  bestimmt,  dals  die  vorhandenen  L.aiici- 
gemeinden   „mit  ihren  Flurbezirken",  wie  es  hier  heifst  —  aber  nicht 
im  Sinne   des   Gesetzes   von  1843  —  fortbestehen  sollten;   weiterhin 
aber  ward  die  Beseitigung  von  Ex-  und  Enklaven  und  die  Eingemein« 
düng  von  Landgrundstücken,  die  bisher  zu  keinem  Gemeindeverbande 
gehört  hatten,  vorgeschrieben;  ausgenommen  sind  davon:  die  Staats- 
waldungen,  die   königlichen  Schlösser  und  Kammergüter;   die  Ritter- 
güter.   Damit  sind  also  die  Gutsbezirke  als  etwas  räumlich  Selbständiges 
neben    den    ländlichen    politischen   Ortsgemeindebezirken   konstituiert, 
und  es  sind  schliefislich,  nachdem  die  aus  der  alten  Zeit  stammenden 
engen  Beziehungen   zwischen  Rittergut  imd  Landgemeinde,   die  Patri- 
monialgerichtsbarkeit, die  ortsobrigkeitlichen  Rechte,  die  gutsherrliche 
Polizei  beseitigt  waren,  mit  der  revidierten  Landgemeindeordnung  von 
1873  die  beiderlei  Bezirke  zu  gleichberechtigt  nebeneinanderstehenden 
politischen  Ortsbezirken  geworden.    Um  dies  Verhältnis  zu  veranschau- 
lichen,  sei  erwähnt,  da(s  im  Jahre  1884  neben  3 118  Landgemeinden 
920  Rittergüter  vorhanden  waren,   von  denen  901  selbständige  Guts- 
bezirke bildeten  *) ;  dieses  Verhältnis  hat  sich  im  Laufe  des  XDC  Jahr- 
hunderts  nicht  erheblich   verschoben.     Die  Zahl  der  ländlichen  Flur- 
bezirke beträgt  3225,  ausschliefslich  der  Kammergüter  *). 

Wie  steht  es  nun  mit  der  historischen  Bedeutung  dieser  Bezirke  ^ 
Zunächst  sei  betont,  dafe  die  Wandlungen  in  dem  Verhältnis  zwischen 
Gutsherrschaft  und  Landgemeinde  während  des  XIX.  Jahrhunderts  nur 
die  politischen  Ortsgemeindebezirke,  nicht  aber  die  Flurbezirke  berührt 
haben.  Ähnliches  gilt  indes,  wenn  natürlich  auch  nicht  absolut,  auch 
für  die  Vergangenheit;  die  Generalverordnung  vom  7.  Januar  1835, 
betreffend  die  Aufnahme  von  Flurverzeichnissen,  besagt,  dafs  sämtliche 
in  der  Ortsflur  gelegenen  einzelnen  Grundstücke  aufzuzeichnen  seien, 

i)  a.  O.  1838,  bc».  S.  434  f. 

2)  Alphabetisches  Verzeichnis  der  im  Königreich  Sachsen  belegenen  Stadt-  und  Lind» 
gemeinden,  bearbeitet  vom  Statist.  Bureau,  Dresden  1884;  vgL  dazu  die  Alphabetische 
Übersicht  sämtlicher  Ortschaften  des  Königreichs  Sachsen,  Statist  Jahrbnch  1902,  S.  i  ff. 

3)  O.  Sieber,  in  d.  Zeitschrift  d.  statist.  Boreans,  42,  S.  221  ff.;  47,  BeiL  S.  2 ff. 


—     285      — 

insbesondere  auch  RiCter^ts-,  geistliche  und  solche  Grundstücke,  welche 
zwar  der  Ortsflur,  nicht  aber  dem  Gemeindeverbande  angehören.  Hier 
sehen  wir  also  das  Bestreben,  die  Ortsfluren,  wie  sie  vorgefunden 
wurden,  zu  erhalten ;  Abweichungen  sind  in  der  Hauptsache  nur  durch 
Zuweisung  strittiger  Grundstücke  (so  auch  Koppelhutungen)  voi^enommen 
worden. 

Was  nun  die  alteren  Zeiten  betrifll,  so  bietet  sich  für  Sachsen 
die  Möglichkeit,  die  Frage  der  Beständigkeit  der  Ortsflui^renzen  für 
einige  Jahrhundertc  rückwärts  an  ganz  vorzüglichem  Material  nachzu- 
prüfen. E^  liegt  dies  daran,  dafs  in  Kursachsen  in  den  Zeiten  Kur- 
fürst Augusts  und  seiner  Nachfolger  bis  in  die  ersten  Jahrzehnte  des 
XVII.  Jahrhunderts  hinein  eine  ausgezeichnete  Landesaufnahme  be- 
wirkt worden  ist,  wie  sie  für  kein  anderes  deutsches  Territorium  aus 
den  ersten  zwei  Jahrhunderten  der  heimischen  Kartographie  vor- 
handen ist,  ansgefiihrt  insbesondere  von  Matthias  Oeder '}.  Es 
ist  das  Verdienst  Mörtzschs  (Dresden),  die  Bedeutung  dieser  Karten 
für  die  Gemarkungsgrenzfrage  erkannt  zu  haben.  Ich  habe  dann  auch 
andere  Karten  jenes  Zeitraums  im  Dresdener  Hauptstaatsarchiv  einge- 
sehen, besonders  auch  Karten  Balthasar  Zimmermanns  um  1620, 
und  bin  zu  folgendem  Ergebnis  gekommen.  Dargestellt  sind  auf 
jenen  Karten  des  XVI.pCVII.  Jahrhunderts  Grenzen  der  Guts-  (Gerichts-) 
bcrrschaften  und  landesherrlichen  Waldungen.  In  den  nördlichen  Teilen 
des  Landes,  wo  Dorfstedelung  mit  ganz  kleinen  Gemarkungen  herrscht, 
sind  diese  Gerichtsgrenzen  in  den  Steuerflurgrenzen  des  XIX.  Jahrhunderts 
oft  mit  staunenswerter  Treue  erhalten.  Das  Dasein  der  Rittei^üter  ist 
hier  kein  Grund  für  erhebliche  Umgestaltung  der  Ortsflurgrenzen,  weil 
überhaupt  seit  den  Konstitutionen  Kurfürst  Augusts  von  1572  die 
bäuerlichen  Besitzrechte  gut  geschützt  waren  und  Eigen tumsschiebungen 
zwischen  Rittergntsland  und  Bauemland  nicht  notwendig  eine  Änderung 
der  Ortsfluigrcnzen  nach  sich  zc^,  jedenfalls  aber  die  Gerichtsherr- 
schaftsgrenzen in  diesem  Zeitraum  nicht  zu  stören  pflegte.  Rittergut 
und  Dorf  erscheinen  in  den  Quellen  der  älteren  Zeit  als  Ortseinheit, 
und  CS  konnte  die  Einziehung  von  Bauemland  zum  Rittergutsacker 
bei  der  bestehenden  Flurverfassung  und  der  Streulage  kleiner  Gerichts- 
herrschafteo  und  landesherrhchen  Amt( 
doch  nur  innerhalb  der  eigenen  Ortsch 
siedelungen  waren  fast  nur  die  Mühlen ; 


1)  M.  Oeder,   Die   erste  Landcsvermesinng 
S.  Rnge  (Dresden  1889). 


—     286     — 

büchern  und  Steuerregistern  des  XVI.  Jahrhunderts  trotz  g-ewisser 
Sonderstellung  neben  der  Nachbarschaft  zum  Dorf,  d.  h.  zum  Bereiche 
der  Ortsflur  gerechnet  *).  Etwas  anders  steht  es  in  den  südlichen 
gebirgigen  Landesteilen,  wo  die  grofsen  Staatswaldungen  und  zahl- 
reichere Einzelsiedelungen,  Mühlen,  Hämmer  und  verstreute  Häuser 
sich  finden.  Wo  hier  die  grofsen  Dorfgemeinden  der  Kolonisations- 
zeit,  die  oft  selbständige  Dingstuhlbezirke  bilden,  aneinandergrenzen, 
gUt  ähnliches,  wie  für  das  nördliche  Flachland;  es  lassen  sich  auch 
Beispiele  finden,  so  bei  Augustusburg  und  Frankenberg  im  mittieren 
Zschopaugebiet,  wo  ein  buntes  Durcheinander  von  Staatsforst,  Kammer- 
gut und  Dorfmark  seit  dem  frühen  XVII.  Jahrhundert  in  seinen  Grenz- 
verhältnissen sehr  gut  erhalten  ist  *).  Aber  die  Neubesiedelung  hat  in 
den  höchsten  Gegenden  des  Landes  auch  in  den  letzten  Jahrhunderten 
noch  manche  neue  Ortsflur  geschaffen  und  andere  erweitert,  und 
Schiebungen  der  Grenzen  zwischen  Staatswald  und  eingeflurtem  Gebiet 
sind ,  bisweüen  nicht  unbeträchtlich ,  nachweisbar  *) ,  wenn  schon  im 
ganzen  Lande  die  Menge  der  vorhandenen  Staatswaldkomplexe  seit 
dem  XVI.  Jahrhundert  recht  beständig  geblieben  ist. 

Alles  in  allem  darf  für  Sachsen  eine  ziemlich  grofee  Dauerhaftig- 
keit der  Ortsflurgrenzen  angenommen  werden;  insbesondere  soweit 
sie  mit  Gerichtsgrenzen  zusammenfielen,  was  bei  der  räumlichen  Ver- 
breitung der  Gutsherrschaften  im  Lande  für  sehr  beträchtliche  Weg- 
strecken des  Grenzverlaufs  gilt.  Das  höhere  Mafe  historischer  Be- 
deutung und  Verwertbarkeit  kommt  aber  unter  den  in  der  Gegenwart 
kartographisch  aufnehmbaren  Bezirken  unzweifelhaft  den  Steuerfluren 
zu;  damit  wird  für  Sachsen  das  für  die  Alpenländer  vorläufig  ge- 
wonnene Ergebnis  bestätigt.  Als  Grund  erweist  sich  nun  hier  in 
Sachsen  nicht  die  gröfsere  Dauerhaftigkeit  der  Steuerbezirke  an  sich, 
sondern  der  Umstand,  da(s  die  Steuerflur  des  XIX.  Jahrhunderts 
Ortschaftsflur  ist,  also  das  steuerfreie  Rittergutsareal  imd  die  zuge- 
hörige Nachbarschafts-  (Dorf-)flur  der  alten  Zeit  in  sich  zusammenschlielst. 

Die  bisherigen  Ausführungen  gelten  für  ein  Gebiet,  wo  Dorf- 
siedelung  herrscht.  Wir  steht  es  nun  mit  dem  Verhältnis  von  po- 
litischem Gemeindebezirk  und  Ortsflur   und   ihrer  historischen  Bedeu- 


i)  Vgl.  die  Tabellen  bei  O.  Hötxsch,  Die  wirtschaftliche  und  soziale  Gliederung 
vornehmlich  der  ländlichen  Bevölkerung  im  Meifsnisch-Erzgebirgischen  Kreise  Knrsachsens 
(Leipzig  1900);  Haan,  Bauer  und  Gutsherr  in  Kursachsen,  S.   120 f. 

2)  Diese  Behauptung  stützt  sich  auf  die  Durchsicht  von  Karten  des  Dresdener  Haupt- 
Staatsarchivs. 

3)  z.  B.  b^i  Altenberg  und  in  der  Nähe  des  Fichtelberges. 


—     287     — 

tung  in  Gegenden,  wo  Höfe  und  Weiler  für  sich  oder  untermischt  mit 
Dörfern  zu  Gemeinden  zusammengeschlossen  sind? 

Ich  wähle  als  Beispiel  dafür  das  Herzogtum  Berg  am  Niederrhein, 
für  das  wir  unsere  Frage  mit  Hilfe  gedruckten  Materials  bis  ins 
XVI.  Jahrhundert  zurück  untersuchen  können. 

Haufen-  und  Strafsendörfer,  Höfegruppen,  auch  Einzelhöfe  liegen 
über  das  Land  in  reichem  Wechsel  gestreut.  Nahe  am  Rhein  in  einem 
Streifen  nördlich  und  südlich  von  Deutz,  ist  die  enger  geschlossene  Ort- 
schaft die  Charakterform  des  Wohnplatzes;  im  bergigen  Gelände  des 
Ostens  und  gegen  Westfalen  hin  ist  die  Siedelungsweise  stark  aufgelöst. 

Die  endgültige  völlige  Aufteilung  des  Staatsgebiets  in  die  aus 
zahlreichen  solchen  Siedelungen  zusammengesetzten  politischen  Orts- 
gemeinden, wie  sie  die  moderne  Gemeindegrenzkarte  zeigt,  ist  auch 
hier  erst  eine  Folge  der  Gemeindegesetzgebung  des  XIX.  Jahrhunderts. 
In  der  Gemeindeordnung  von  1845  *)  wird  bestimmt,  dafe  alle  die- 
jenigen Orte  (Städte,  Dörfer,  Weiler,  Bauerschaften,  Honnschaften, 
Kirchspiele  u.  s.  w.),  welche  für  ihre  Kommunalbedürfnisse  einen 
eigenen  Haushalt  haben,  fortan  eine  Gemeinde  bilden  sollen,  und  es 
wird  weiter  festgesetzt,  da(s  zum  Gemeindebezirke  alle  innerhalb  seiner 
Grenzen  gelegenen  Grundstücke  und  alle  Einwohner  gehören  imd  die 
einzeln  gelegenen  Besitzungen  mit  einer  angrenzenden  Gemeinde  zu 
vereinigen  sind.  Eine  völlige  Neugestaltung  hat  aber  diese  rechtliche 
Bestimmung  nicht  bewirkt.  Schon  zuvor  finden  wir  *)  die  kleineren 
Wohnorte,  Landhäuser,  Rittersitze,  WeUer,  Höfe  in  der  Bedeutimg  von 
einzelnen  oder  auch  kleinen  Gruppen  bäuerlicher  Anwesen,  Bauern- 
güter und  wie  sie  sonst  heifsen,  als  Zubehör  von  Dörfern,  Kirch- 
spielen, Gemeinden  oder  wie  die  altüberlieferte  Bezeichnung  lautete. 
Die  Bimtheit  der  Namen  ward  verwaltungsrechtlich  beseitigt,  wenn  sie 
auch  im  Volksmtmd  vielfach  noch  fortlebt;  gewife  ward  auch  manche 
Eingemeindung  ausgeführt;  die  Abgrenzung  der  politischen  Ortsge- 
meinden mit  dem  neuen  Gemeinderechte  aber  war  im  wesentlichen 
schon  vorgebildet. 

Indes  noch  bevor  der  Gnmdsatz  völliger  Aufteilimg  des  Landes 
nach  Gemeindebezirken  gesetzlich  ausgesprochen  war,  ist  eine  andere 
Bezirksgliederung  durchgeführt  worden.  Nachdem  im  Rheinland  schon 
unter  dem  französischen  Regiment  eine  Katasteraufnahme  zur  Regu- 
lienmg  der  Grundsteuer  begonnen  worden   war,  hat  die  prcufsische 

i)  J.  Weiske,  Sammlung  d.  GtuL  ges.  S.  39  f. 
2)  F.  V.  Restorff,  Topographisch-Statistische  Beschreiba^^^  '^ 
Provinzen  (Berlin  und  Stettin  1830).  ^^^ 


■*■ 


—     288     — 

Verwaltung-  seit  1820  *)  dies  Werk  fortgesetzt  und  den  Grundbesitz   in 
Flurbüchern  und  auf  Flurkarten  verzeichnet,  und  zwar  nicht  in  wilUnir- 
licher  Zusammenfassung  der  einzelnen  Siedelungen,  sondern  Ortschaft  für 
Ortschaft  im  Anschlufs  an  die  bestehenden  Gemeindeverbände  unter  Ein- 
beziehung bisher  steuerfreien  Besitzes;    1839,  kurz  vor  Erla(s  der   Ge- 
meindeordnung,  ist  dann  das  erste  Grundsteueig'esetz  ergangen.      Es 
wäre  nicht  gleichgültig,  zu  wissen,  wie  sich  die  Grundsteuerbezirke   zu 
den  Bezirken   der  politischen  Ortsgemeinden   verhalten.     In   den    bis- 
herigen  Erläuterungen   zur  historischen  Kartographie  der  Rheinlande 
hat  die  Frage  keine  Beachtung  gefimden.    Nur  so  viel  ist  zu  ersehen, 
dafs  für  die  rheinischen  Grundkarten  besonders  die  Gemeindeübersichts- 
karten der  Katasterämter  als  Unterlage  gedient  haben  *) ;  auch  sie  be- 
ruhen also  auf  einer  Darstellung  der  Steuerfluren.   Die  Verschiedenheiten 
der  beiderlei  Bezirke  im  Rheinlande  vermag  ich  bei  dem  mir  zur  Ver- 
fügung stehenden  Material  nicht  völlig  festzustellen.    Abweichungen,  die 
durch  Exemtion  von  den  politischen  Gemeinden  bedingt  sind,  wie  bei 
den  Gutsbezirken  Sachsens,  kommen  hier  nicht  in  Betracht.    Hingegen 
finden  sich  Unterschiede  anderer  Art.    Es  bestehen  nämlich  bisweilen 
politische  Gemeinden  aus  mehreren  Ortsfluren  der  Katastralaufiiahme ; 
und  es  entsprechen  also  diese  —  ähnlich  wie  in  Österreich  —  den  „  Nach- 
barschaftsgemeinden "  der  alten  Zeit  besser,  als  die  Verbände  im  Sinne 
der  Landgemeindeordnung  *). 

Wie  verhalten  sich  nun  aber  die  Ortsgemarkungen  aus  der  Zeit 
vor  den  Revolutionskriegen  zu  den  politischen  Gemeindebezirken  der 
neuesten  Zeit?  Zwischen  den  Mafsnahmen  von  1845  ^^^  ^^™  ^^^* 
gehenden  XVIII.  Jahrhundert  liegt  das  Eingreifen  der  französischen 
Verwaltung  von  1806*).  Von  ihr  wurden  als  unterste  staatliche  Ver- 
waltungsbezirke die  Mairien,  im  Oberbergischen  in  Anlehnung  an  die 
Kirchspiele,  geschaffen,  die  dann  später,  in  dieser  Gegend  fast  ohne 
Grenzänderung,  von  der  preufsischen  Verwaltung  als  Bürgermeistereien 
beibehalten  worden  sind  ^).     Das  Verfahren   war   imgleichmäfsig.     Zu- 


i)  Bergius,  Ergänzungen  zar  Gesetz-Sammlang  der  Kgl    Preofs    Staaten,  S.  63. 

2)  Erläuterungen  zum  Geschichtlichen  Atlas  der  Rheinprovinz  I,  6 ;  II,  Einleitung  25  f. 

3)  Z,  B.  enthält  die  Gemeinde  „  Sicbenhonnschaften "  bei  Werden  a.  d.  R.  die  f&nf 
alten  Bauerschaften  (oder  HonnschaAen)  Holsterhausen,  Heidhaosen,  iGeio-Umstand,  Hamm 
und  Fischlaken,  die  je  besondere  Ortsfluren  bilden;  zwei  der  eiost  mit  jenen  ver- 
bundenen, Rodberg  und  Hinsbeck,  sind  inzwischen  zur  Gemeinde  Kupferdreb  geschlagen, 
aber  als  besondere  Steuerfluren  ebenfalls  erhalten.  Vgl.  die  Gemeinden  Eckenhagen,  £i- 
torf,  Geistingen,  Stieldorf  u.  a. ;  auch  die  Stadtgemeinde  Düsseldorf. 

4)  Erläuterungen  zum  Gesch.  Atlas  I  (C.  Schult  eis)  S.  87. 

5)  a.  a.  O.  S.   117,   168  f. 


—     289     — 

meist  aber  wurden  mehrere  Honnschaften,  Bauerschaften  oder  Dörfer 
zu  emer  Maine  zusammenbeißt ').  Für  den  Bestand  und  Umfang^ 
späterer  Gemeinden  ist  dies  Vorgehen  nicht  folgenlos  geblieben ;  eine 
Zerreilsung  der  alten  Verbände,  wie  z.  B.  stellenweise  im  Klevischen, 
ist  hier  nicht  festgestellt  worden. 

Versuchen  wir  nun  weiter  in  die  Zeiten  vor  dem  Eingreifen  der 
französischen  Verwaltung  zurückzudringen.  Hier  bietet 'sich  uns  aus- 
reichender Stoff  zur  Beurteilung  der  aufgeworfenen  Frage  in  der  von 
W.  Fabricius  bearbeiteten  Karte  der  Rheinlande  von  1789  nebst 
Elrläuterungen  *),  sowie  in  der  Gerichtserkundigung  für  das  Herzogtum 
Berg  von  1555  ^).  Wir  finden  in  diesen  Jahrhunderten  die  einzelnen 
Wohnorte  des  Landes  schon  zu  Ortsverbänden  zusammengeschlossen; 
sie  begegnen  vor  allem  unter  dem  Namen  der  Honnschaften^).  Was 
ist  nun  deren  Siedelungscharakter?  In  manchen  Fällen  sind  sie  Dörfer 
im  geographischen  Sinne  *) ;  zumeist  ist  die  Vereinigung  einer  Mehrheit 
gesonderter  Wohnplätze  mit  eigenem  Zubehör  an  Grund  tmd  Boden 
und  wirtschaftlicher  Selbständigkeit  ihr  Merkmal ;  sie  sind  in  dem  oben 
bezeichneten  Sinne  Hof-  und  Weiler  oder  Dorf-  und  Höfegemeinden. 
Was  aber  den  rechtlichen  Charakter  und  ihre  Bedeutung  für  die  Ver- 
waltung betrifil,  so  dürfen  wir  für  jene  Zeit  die  meisten  als  Nachbar- 
schaften, die  ihre  inneren  Angelegenheiten  besorgen,  oder  als  Teile  von 
Landgemeinden  ansehen;  doch  treten  sie  uns  vor  allem  als  kleinste 
räumliche  Abteilungen  innerhalb  der  Landgerichte  entg^en ;  auch  be- 
<liente  sich  ihrer  die  landesfürstliche  Steuerverwaltung  schon  seit  dem 


i)  Es   gibt   eine  Vorstellang,   wie   man   in   der  von  ans  oben  bezeichneten  Gegend 
vorging,   wenn  erwähnt  wird  (bei  Scbnlteis  a.  O.  S.  87),  dafs  die  13 13  Gemeinden  alter 
Art  im  Grofsherzogtnm  Berg  za  286  Mairien  zusammengefafst  worden. 

2)  Geschichtlicher  Atlas  der  Rheinprovins  U  (Bonn  1898). 

3)  Heraosg.  von  W.  Harlefs,  Z.  d.  Bergischen  Gesch.  Ver.  XX,  117 ff.  VgL  dazu: 
Rentbnch  der  KeUnerei  Angermand  1634,  heraosg.  voo  H.  Ferber  in  den  Beiträgen  zor 
Geschichte  des  Niederrheins,  heraosg.  vom  Düsseldorfer  Geschichtsverein  V,  112 ff.;  d. 
Steoerboch  des  Haoptgerichts  Kreotzberg  1734,  a.  O.  VIl,   120  ff. 

4)  Vgl.  Herm.  Schütze,  Bezirk  ond  Organisation  der  niederrheinischen  Orts- 
gemeinde mit  besonderer  Rücksicht  aof  das  alte  Herzogtom  Berg  (Marborg  1900,  in  den 
Beiträgen  zor  Geschichte  des  Niederrheins,  XV  182  ff). 

5)  Schütze  betont  S.  5  (ond  sonst),  dafs  die  H.  in  den  weitaos  meisten  Fällen  mit 
der  Dorfschaft  räomlich  zosammenfiel.  Die  Behaoptong  läfst  sich  insofern  rechtfertigfisu 
als  Dorf  ond   Dorfschaft   nach   dem  geschichtlichen   wie   volkstümlichen   Sprachge^^ 

die   zosammengesetzte  Ortschaft   bedeoten    kann.     Aber  das   Charakteristische  kc 
nicht  zo  deotlichem  Aosdrock.     Entscheidend  sind  die  Angaben  „Dorf  ond'"^ 
die  Zosammensetzong  aos  zwei  „  Dörfern  <<,  aber  aoch  die  Fälle,  wo  eio^ 
I  mehrere  Honnschaften  zerfallt. 


1 


—     290     — 

späteren  Mittelalter  ^).    Jedenfalls  vermag  der  Honnschaftsbezirk 

Orte  (und  seiner  Flur)  benachbarte  Einzelsiedelungen  mit  einzuschliefisezu 

Aufser  den  Honnschaften  begegnen  unter  den  GemeindeverbäiKien 
der  älteren  Zeit  noch  die  Bauerschaften   und   die  Kirchspiele.       Ehe 
Bauer  schaften  entsprechen  den  Honnschaften ;  mehrfisu:h  wechselt  die 
eine  Bezeichnung  mit  der  anderen.   Kirchspiel  aber  beg^net  in  zwei- 
fächern  Sinne.  £inmal  fällst  es  eine  Mehrzahl  von  Honnschaften  zusammeii ; 
es  entspricht  also  späteren  Samtgemeinden  und   deckt   sich  mit    der 
Pfarrei.     Aber  vielfach  bezeichnet  es    auch    die    einfache  Gemeinde, 
gleich  der  Honnschaft  oder  Bauerschaft;  freilich  auch  in  diesem  Falle 
besteht   es   oft  aus   einer  gröiseren  Zahl   einzelner  Wohnplätze.     Das 
Kirchspiel  erweist  sich  so  als  wirksam   für  den  Zusammenschluis  zer- 
streuter Einzelsiedelungen  zu  Gemeindeverbänden;  es  ist  auch  für  die 
Geschichte  der  Gemeindebildung  weltlicher  Art  von  Wichtigkeit. 

Was  läfst  sich  nun  über  die  Bezirke  dieser  ländlichen  Gemeinden 
feststellen?     Von  1555 — 1789  haben  sie  sich,  soweit  sich  die  Angaben 
genau  vergleichen  lassen,   nach  Zahl  und  Namen   nicht  erheblich  ge- 
ändert.    Ein  Vergleich  mit  den  Bezirken,  wie  sie  die  Grundkarte  auf- 
weist,  zeigt,  dais  sie  zu  einem  grofisen  Teile  in  diesen  sich   wieder- 
finden *) ;   oft  sind  mehrere  Honnschaften  in   einen  Bezirk  zusammen- 
geschlossen,   so  namentlich  auch;   wenn  sie  schon   früher  in   einem 
Kirchspiel  miteinander  verbunden  waren  *);  selten  sind  sie  in  zwei  geteilt ; 
es  fehlt  auch  gelegentlich  nicht  an  einer  anderen  Art  des  Zusammen- 
schlusses, als  sie  früher  bestand.     War  aber  schon  damals  überhaupt 
das  ganze  Land  in  Landgemeindebezirke  au^eteilt?  Besonders  zweierlei 
Ausnahmefälle  sind  wichtig :  die  markgenossenschaftlichen  Waldungen  *) 
und  die  Edelleuthäuser  ^)   mit  ihrem  Zubehör  an  Grund   und  Boden; 
sie  sind  nicht  Teile  des  Gebiets,  in  dem  die  Gemeindeverwaltung  für 
eigene  oder  staatliche  Zwecke   geübt  wird;   auch  die  Mühlen   können 
eine  Sonderstellung  einnehmen.  Das  Bil.d  der  Gemeindegrenzverhältnisse 
weicht  also  von  dem  der  neuesten  Zeit  nicht  unerheblich  ab.    Verlaufen 
aber  darum  die  Grenzen  selbst,  die  wir  heute  finden,  anders?  In  einzelnen 
Fällen  allerdings.  Grö&ere  Marken  sind  unter  benachbarte  Gemeinden  auf- 
geteilt worden  (so  die  Geistinger  Mark  bei  Siegburg).    Aber  die  Mehr- 

i)  Ob  sich  die  Bezirke  für  beiderlei  Verwaltimg  völlig  decken,  ist  mit  Rücksicht  anf 
die  Einbeziehnng  aUer  Einzelwohnplätze  nicht  untersucht  worden. 

2)  So  bes.  im  Amt  Angermund  (Honnschaften),  im  Amt  Miselche  (Kirchspiele). 

3)  So  im  Amt  Bomefeld. 

4)  Vgl.  Lacomblet,  Archiv  fUr  die  Geschichte  des  Niederrheins  III,  283  ff. 

5)  s.  Rentbuch  f.  Amt  Angermund  1634;  a  a.  O. ;  vgL  auch  v.  Below,  Territoriam. 
und  SUdt,  S.  98 &,  S.  Ii6ff. 


—     291     — 

zahl     der  Marken    lag    innerhalb    der   Honnschaftsg-renzen ;    und    erst 
recht  gilt  dies  von  den  Edelsitzen:  noch  1634  werden  sie  im  Amt  Anger- 
mund unmittelbar  unter  den  Gerichten  aufgeführt,  1734  aber  unter  den 
Honnschaften.    Auch  Fabricius  stellt  sie  für  1789  zu  bestimmten  Ort- 
schaften.  Die  heutige  Gemarkungsgrenzkarte  darf  uns  also  nicht  zu  einer 
irrig-en  Vorstellung  der  Gemeindegrenzverhältnisse  des  XVI.  bis  XVIII. 
Jahrhunderts  verführen :  deutlich  müssen  wir  uns  alle  die  mannigfaltigen 
Siedelungen  vergegenwärtigen  und  die  nicht  zu  den  damaligen  Gemeinde- 
verbänden gehörigen   auszuscheiden  suchen.     Aber  die  Umgrenzung, 
zumal  soweit  sie  Gerichtsgrenze  ist  *),  ist  durch  die  Eingemeindung  oft 
gar  nicht  gestört  worden,    hat  selbst  dann  ihre  historische  Bedeutung 
und  durfte  mit  Recht  bei  der  Bearbeitung  des  Rheinischen  Geschichts- 
atlas Verwertung  finden. 

Die  oben  berührte  Bedeutung  des  Kirchspiels  ist  nun  keineswegs 
eine  Eigentümlichkeit  der  niederrheinischen  Lande.     Es   ist  schon  er- 
wähnt worden,   dafs  die  kaiserliche  Hofkanzlei  in  Wien   in   den  Hof- 
siedelungsgegenden  der  Alpenländer  die  Konskription  nach  Kirchspielen 
anordnete.     Ähnliches  wie  für  den  Niederrhein  gut  für  grofee  Teile 
Westfalens.    Auch  hier  ist  die  volle  Eingemeindung  erst  spät,  1841  *), 
angeordnet   worden;    Dörfer,    Bauerschaften    und  Kirchspiele    werden 
dabei  als  Orte  genannt,  die  künftig  eine  Gemeinde  mit  den  Rechten 
einer  öffentlichen  Korporation  bilden  sollten ;  für  landtagsfahige  Ritter- 
güter aber  bestand  kein  Zwang  der  Eingemeindung,  und  auch  in  der 
Landgemeindeordnung  von  1856  wurde  diese  nicht   ausnahmslos  ver- 
fügt.   Es  ist  mir  nun  wenigstens  möglich  gewesen,  für  den  R^erungs- 
bezirk  Münster*),  soweit  Grundkarten  erschienen  sind,  die  politischen 
Gemeinden   mit  den  älteren   Bauerschaften    aus   der  2^it    nach    dem 
Anfall  an  Preufsen  und    für   den   Kreis   Lüdinghausen    auch    bis    ins 
XVII.  Jahrhundert  zurück  zu   vergleichen*);    dabei  hat  sich  heraus- 
gestellt,   dafis   sie   je    ein    Kirchdorf   mit   zugehörigen   Bauerschaflen 
sowie  den  adligen  Häusern   einschliefsen.     Die  neuen  politischen  Ge- 
meindebezirke beruhen  also  hier,  wenn  vielleicht  auch  unter  einzelnen 
Grenzänderungen,   auf  den  alten  Kirchspielbezirken.     Auch  hier  stellt 
also  die  Gemeindegrenzkarte  der  Gegenwart  nicht  die  Gemeind^rrenz- 

i)  Anch  (ttr  HoUand  haben  sich  die  Gerichtsgrenzen  als  bes.  dauerhaft  gezeigt 

2)  J.  Weiske,  Sammlung  der  Gemeind^eaetze,  S.  11. 

3)  Nach  einer  auf  offiziellen  Quellen  beruhenden  Privatarbeit  des  Königl.  Prenfs. 
Kriegsrats  und  Regierungssekretärs  C  O.  Sigismund,  Versuch  einer  topographisch- 
ststisüschen  Darstellung  des  Bezirks  Münster  (Hamm  18 19). 

4)  s.  bes.  Schwieters,  Nachrichten  über  den  östl.  Teil  des  Kr.  LttdinghanMA: 
desgL  über  den  westL   die  Bauernhöfe  des  östl.  Teils  (Münster  1886  ff.). 

21* 


^ 


—     292     — 

Verhältnisse  der  alten  Zeit  dar ;  diese  sind  sogar  ganz  erheblich  andere ; 
und  dennoch  haben  die  Grenzlinien  ihre  historische  Bedeutung,  sog-ar 
bis  in  hohes  Alter  hinauf. 

In  Oldenburg,  dies  sei  beiläufig  erwähnt '),  geht  die  gegenwärtig-e 
Einteilung  des  platten  Landes  ebenfalls  auf  die  alten  Kirchspiele  zurück, 
die  je  eine  Anzahl  von  Bauerschaften  vereinigten.  1831  sind  dort  die 
politischen  Gemeinden  geschaffen  worden,  indem  man  die  Kirchspiels- 
grenzen in  der  Hauptsache  beibehielt;  vorbereitet  war  diese  Neu- 
ordnung dadurch,  da(s  schon  1786  im  Herzogtum  die  Verwaltung  des 
Armenwesens  innerhalb  der  Kirchspielsbezirke  organisiert  worden  war. 
Auch  in  der  holsteinischen  Landschaft  Ditmarschen ')  sind  als  Ge- 
meinden im  Sinne  der  Landgemeindeordnung  für  Schleswig-Holstein 
die  alten,  in  ihrer  Begrenzung  belassenen  Kirchspiele  anerkannt,  die, 
aus  mehreren  Bauer-  und  Dorfschaften  gebildet,  schon  seit  dem 
XVL  Jahrhundert  Gemeindeverwaltungsbezirke  waren. 

Die  Geschichte  der  ländlichen  Gemeindebildung  im  Hinblick   auf 
die   einzelnen   menschlichen  Siedelungen,    deren  Zusammenschlufs   zu 
Gemeindeverbänden  und   die   dabei   wirksamen   natürlichen   und  wirt- 
schaftlichen ,   politischen  und  sozialen  Ursachen  aufzuhellen  und  dabei 
das  gegenseitige  Verhältnis  von  Ortsflur,  politischem  Gemeindebezirk 
und  Kirchspiel  nachzuprüfen  ist,  wie  in  dem  Aufsatze  dargetan  wurde, 
eine  wichtige  und   noch   ihrer  Lösung   harrende  Aufgabe   historischer 
Untersuchung.  Insbesondere  aber  gilt  es,  zunächst  einmal  die 
Tätigkeit  der  Staatsgewalt  des  XVIIL  und  XIX.  Jahrhun- 
derts zur  Entstehung  der  Gemeindebezirke  der  Gegenwart 
und  so  deren  Verhältnis  zu  denen  der  Nachbarschaftsge- 
meinden älterer  Zeit  klarzulegen.     Möge  es  an  Beiträgen 
landes-  und  heimatsgeschichtlicher  Forscher  zurFörde- 
rung  dieses  Problems  nicht  fehlen! 

Soweit  die  bisherigen  Ermittelungen  ein  Urteil  erlauben,  lädst  sich 
etwa  das  Folgende  sagen.  Die  Gemeindegrenzverhältnisse  jener  Zeiten, 
bevor  die  neuere  Staatsgewalt  die  volle  Aufteilung  des  staatlichen 
Bodens  nach  Gemeindebezirken  bewirkte,  weichen,  soweit  es  sich  um 
Bezirke  für  die  Ausübung  von  Gemeindeverwaltungstätigkeit  handelt, 
von  denen  der  Gegenwart  nicht  unerheblich  ab.  Wir  würden  irren, 
wollten  wir  jene  uns  nach  einer  modernen  Gemarkungskarte  mit  dem 

i)  S.  darüber  P.  Kollmann,  StatUtitche  Beschreibung  der  Gemeinden  des  Herzogtums 
Oldenburg  (Oldenburg  1897),  S.  6  and  12  ff.. 

2)  P.  Schom,  Das  Recht  der  KommonaWerbftnde  in  Prenfsen,  S.  359  (Leipzig  1897). 


—     293     — 

Vorbehalt  einiger  unerheblicher  Grenzschiebungen  vorstellen ;  viel 
mannigfaltiger  sind  sie  gewesen,  bisweilen  so  sehr,  dafs  dies  bunte 
Liniengewirr  auf  einer  Karte  in  i  :  looooo  gar  nicht  recht  darstellbar 
ist.  Darum  sind  aber  die  Grenzlinien  selbst,  wie  sie  die  modernen 
Karten  zeigen,  noch  nicht  historisch  bedeutungslos.  Diese  umrahmen 
^geschlossene  Bezirke ;  sie  schliefsen  manche  Siedelung  ein,  die  vordem 
der  Gemeindeselbstverwaltung  oder  der  staatlichen  Venvaltimg  mit 
Hilfe  der  ländlichen  Gemeinden  noch  nicht  unterstand.  Aber  Grenz- 
linien liefen  doch  dort,  freilich  nicht  in  allen  Ausbiegungen,  auch  früher 
schon  annähernd  so,  wie  heute ;  zumal,  wo  sie  mit  Gerichtsgrenzen  zu- 
sammenfielen, scheinen  sie  gut  erhalten  geblieben  zu  sein.  Insbesondere 
erweisen  sich  in  diesem  Sinne  die  Grenzen  der  Flurbezirke,  wie  sie  die 
Katasterkarten  des  XIX.  Jahrhunderts  darstellen,  in  Gegenden  der  Hof- 
siedelung  aber  die  Kirchspielgrenzen  als  historisch  bedeutsam.  Die  Unter- 
scheidung verschiedenartiger  Bezirke  fuhrt  so  zu  der  Auffassung  einer 
relativ  gröfseren  Dauerhaftigkeit  der  richtig  ausgewählten,  gerade  wie 
die  Untersuchung  der  Gemarkungsgrenzen  für  je  eine  Landschaft  eine 
Minderung  der  Grenzänderungsmöglichkeiten  im  Vergleich  mit  den 
allgemein  für  Deutschland  in  Betracht  kommenden  eigibt. 

Es  ist  eingangs  darauf  hingewiesen  worden,  dafs  die  Fragen  nach  der 
Geschichte  der  Gemeindegebiete  und  ihrer  Grenzen  für  die  Lösung  groüser 
Aufgaben  der  historischen  Kartographie  Deutschlands  von  grundlegender 
Bedeutung  sind.  Gerade  in  einem  scharfen  Meinungsstreit  über  diese  ist  die 
„Gemarkungsgrenzfrage"  aufgerollt  worden. 

Wie  bekannt,  hat  bei  der  Ausbreitung  des  Unternehmens  auf  Herstellung 
von  Grundkarten  im  deutschen  Reichsgebiet  die  Vorstellung  mitgewirkt,  dafs 
eme  relativ  geringe  Veränderlichkeit  der  Gemarkungsgrenzen  seit  den  spät- 
mittelalterlichen Jahrhunderten,  d.  h.  seit  Vollendung  des  Landesausbaus,  an- 
genommen werden  dürfte.  Kräftigen  Widerspruch  aber  fand  diese  Auffassung, 
als  im  März  1900  G.  Seeliger  seine  „Kritischen  Betrachtungen"  über  die 
historischen  Grundkarten  ^)  veröffentlichte  und  nachzuweisen  suchte,  dafs  Vor- 
gänge der  verschiedensten  Art,  Wandelungen  in  dem  örtlichen  Verhältnis 
bäuerlichen,  herrschaftlichen  und  domanialen  Grundeigentums,  die  Gemeinheits- 
teilungen und  Zusammenlegungen,  Servitutablösungen,  Mafsnahmen  der  Landes- 
melioration tmd  Kolonisation,  die  Forstpolitik  und  endlich  die  Eingemeindungen 
des  XIX.  Jahrhunderts  fortgesetzt  und  nachhaltig  die  Ortsfluren  bis  in  die 
neuesten  Zeiten  hinein  verändert  haben;  mit  aller  Entschiedenheit  glaubte 
Seeliger  dagegen  Einspruch  erheben  zu  sollen,  dafs  die  historische  Karto- 
graphie durch  moderne  Vorstellungen  in  irrige  Bahnen  gelenkt  würde.  Es 
hat  natürlich  an  W^iderspmch  gegen   seine  Ausführungen   nicht  gefehlt:   von 

i)  Die  bist  Grandkarten,  Beilage  zur  Münchener  Allg.  Zeitang  1900,  Nr.  52—53; 
dazu  Nr.  123.  —  Zostimmnng  fand  S.  besonders  bei  den  österreichischen  Forschem, 
£   Richter  and  Giannoni;  s.  oben  S.  281  Anm.  1. 


—     2i*4     — 

Thudichum'),  der  Schöpfer  der  Grundkaitenplans,  und  besonders  entschietk 
Wolfram  auf  der  Tagung  des  Gesamtvereins  der  deutschen  Geschichts- ib 
Altertiunsvereine  zu  Freiburg  (1901)')  haben  sich  gegen  ihn  gewandt;  ^ 
auch  Fabricius,  der  Bearbeiter  der  Karte  von  1789  des  Geschichdiches  A: 
las  der  Rheinprovinz,  bei  deren  Ausführung  Grundkarten  verwendet  wonk 
sind,  hat  zwar  das  Vorkommen  von  Grenzveränderungen  bestätigt,  aber  cb: 
den  Gemarkungsgrenzen  der  Gegenwart  eine  bedingte  Verwendbarkeit  t 
die  historische  Kartographie  zugeschrieben  %  Meines  Erachtens  haben  r^ 
diese  Gelehrten  mit  vollem  Recht  ausgeführt,  dafs  Seeliger  den  praktischt 
Wert  der  Grundkarten  unterschätzt  hat.  Aber  in  der  Gemarkungsgrenzfea; 
steht  doch  die  Sache  so,  dafs  die  Annahme  grofser  Beständigkeit  der  Ge 
markungsgrenzen  ohne  besonderen  Beweis  für  die  einzelnen  deotscfec 
Landschaften  nicht  mehr  als  zulässig  anzusehen  ist  Hierin  haben  Sedige: 
Darlegungen  allerdings  klärend  gewirkt;  wer  künftighin  die  Gnindkaiten  e: 
wandfrei  benutzen  will,  wird  sich  mit  dem  aufgeworfenen  Problem  grna^ 
lieber  beschäftigen  müssen,  als  dies  früher  notwendig  zu  sein  schien,  er 
dieses  Seeliger  gebührende  Verdienst  soll  und  darf  voll  anerkannt  werden«  gerat- 
auch  wenn  man  den  Schlufs  auf  Unbrauchbarkeit  der  Grundkarten  nicht  zkk 

Was  folgt  nun  aus  den  obigen  Ausführungen  für  die  Beurteilung  dr 
Grundkarten?  Richtet  man  scharf  sein  Augenmerk  auf  das  Verhältnis  n 
Siedelung  tmd  Gemeinde,  strebt  man  danach,  sich  Ortsflur,  politischeo  Qt 
meindebezirk  und  Kirchspiel  in  ihren  gegenseitigen  Beziehungen  klar  t 
machen,  so  wird  man  davor  bewahrt  sein,  allzu  rasch  anzunehmen,  dais  Gr 
meindebezirke  verschiedenen  Charakters  und  verschiedener  Zeiten  sich  decks 
man  wird  dazu  angeleitet,  die  wirkliche  historische  Bedeutung  der  Grenzet 
die  die  Grundkarte  bietet,  zu  imtersuchen,  zu  überlegen,  wo  GrenzrcrlDdf 
Hingen  möglich  oder  wahrscheinlich  sind.  Man  gewinnt  mit  der  in  diese: 
Aufsatz  behandelten  begrifflichen  Scheidung  eine  Handhabe  zu  kritischer  B^ 
nutzung  der  Grundkarten.  Eine  Minderung  der  Wertschätzung  von  Gnac- 
karten  an  sich,  der  praktischen  Dienste,  die  sie  leisten  können,  darf  abt 
daraus  nicht  gefolgert  werden.  Das  Grundkartenuntemehmen  hat  den  Anstoß 
zur  Untersuchung  all  dieser  Fragen  nach  dem  räumlichen  Untergrund  dr 
ländlichen  Gemeindeeinrichtungen,  den  Gemeindebezirken  und  ihren  Gremei.  ' 
gegeben;  die  Grundkarten  sind  ein  vorzügliches  und  unentbehrliches  Hi&  ' 
mittel  für  alle  Untersuchungen  dieser  Art.  Die  Zeichnung  eines  Netzes  der 
älteren  Gemeindegrenzen  vor  den  kartographischen  Landesaufnahmen  d& 
XDC.  Jahrhunderts  ist  nach  dem  Quellenbefund  eine  Unmöglichkeit;  6g 
Historiker  sieht  sich,  wie  nun  einmal  die  Entwickelung  der  deutschen  ELaito- 
graphie  verlaufen  ist,  zur  Benutzung  neuester  Gemarkungsgrenzkarten  gezwungen 
Die  Klärung  der  Gemarkungsgrenzfrage  ist  demnach  wohl  unerläfsliche  Vorans- 
setzung  für  die  methodische  Verwertung  der  Grundkarten ;  deren  Bauchbarkei: 
für  ausgewählte  Zwecke  aber  bleibt  bestehen. 

Auch  die  Erfahrungen  der  österreichischen  Forscher  beweisen  dagegen 
nichts  Durchschlagendes.     Naturgrenzen  sind   in   weiten  TeUen    des  Reichs- 

i)  Beilage  zur  AUg.  Zeitong  1900,  Nr.   74. 

2)  Korr.  Bl.  d.  Ges.  Ver.   1902,  Nr.  2  (Febr.). 

3)  Korr.  Bl.  der  WestdeuUchen  Zeitschrift  XIX  (1900),  Nr.  77  (283  ff.) ;  s.  auch  die 
Bemerkungen  H.  Forsts,  a.  a.  O.  XX  (1901),  Nr.  84  (175  f.). 


—     295     — 

gebietes  nicht  von  so  markanter  Bedeutung  wie  in  den  Alpenländem;  genaue 
Grenzbeschreibungen  von  Landgerichten  und  Ämtern,  wie  sie  A.  Meli  für 
seine  Forschungen  über  Steiermark  benutzt  hat,  stehen  hier  viel  seltener  zur 
Verfügung,  in  Obersachsen  z.  B.  fehlen  sie  so  gut  wie  ganz;  vor  allem  aber 
stellt  die  Gemengelage  politischer  Bildungen  tmd  Gerichtsherrschaften  den 
historischen  Kartographen  im  Reiche  vor  ganz  andere  Aufgaben ,  als  den 
österreichischen  Fachgenossen.  Die  moderne  Gemarkungsgrenze  ist  für  die 
historische  Kartographie  des  Reiches  von  ungleich  gröfserer  Bedeutung,  als 
sie  dies  für  die  Alpenländer  sein  mag.  Die  Bearbeitung  der  geschichtlichen 
Karten  des  Rheinlandes  hat  sich,  wie  Fabricius  darlegt,  bei  dem  Quellen- 
befund zu  einem  Zusammensetzen  der  darzustellenden  Bezirke  aus  den  Dorf- 
und  Gutsgemarkungen  gestaltet  Der  historische  Atlas  Kursachsens  wird  so 
zu  bearbeiten  sein,  daüs  die  Bezirke  der  Ämter  imter  Benutzung  der  noch 
im  Beginne  des  XIX.  Jahrhunderts  erhaltenen  Amtsgrenzen  aus  den  zu- 
gehörigen landesherrlichen  Wäldern  und  Ortsgemarkungen  zusanunengesetzt 
werden.  Ähnliches  gilt  für  die  Mark  Brandenburg  und  auch  für  andere 
deutsche  Territorien. 

Die  historische  Kartographie  Deutschlands  bedarf  möglichst  kleiner,  in 
enger  Beziehimg  zu  den  Ortschaften  stehender  Bodenabschnitte,  in  die 
das  Staatsgebiet  au%eteilt  ist.  Diese  bieten  sich  in  den  „Ortsgemar- 
kungen'' des  XIX.  Jahrhunderts,  richtig  ausgewählt  und  im  geographischen 
Sinne  verstanden.  So  sind  sie  schon  von  älteren  Gelehrten,  von  L.  Ewald 
für  Hessen  1862,  von  Boeckh  und  Kiepert  für  Elsafs-Lothringen  1870,  von 
Rau  und  Ritter  für  die  Pfalz  187 1  verwendet  worden,  so  haben  sie  sich  als 
brauchbare  Grundlage  des  „Geschichtlichen  Atlas  der  Rheinprovinz''  er- 
wiesen; so  werden  sie  auch  in  der  handlichen  und  bequemen  Darbietung 
auf  Thudichums  Grundkarten  für  mancherlei  historische  Aufgaben  nützlich 
sein.  Es  ist  ein  Stück  vom  Wesen  historischer  Kartographie,  die  Errungen- 
schaften des  jüngsten  Zeitalters  geodätischer  Messungen  und  giaphischer 
Reproduktionskunst  für  die  bildliche  Darstellung  der  Erdräume  in  geschicht- 
lichen Zeiten  fruchtbar  zu  machen;  dafür,  dafs  dies  wissenschaMich  eio- 
wandsfrei  geschieht,  mufs  die  Durchbildung  der  Methode  sorgen. 


Aus  pommersehen  Stadtarchiven 

Von 
Georg  Winter  (Osnabrück) 

(Schlafs) ») 

Weit  hervorragender  und  g-egenwärtig  eine  der  betriebsamsten 
und  verkehrsreichsten  emporblühenden  Städte  des  pommersehen  Hmter- 
landes  ist  Stolp  und  der  mit  ihr  in  Verbindung  stehende  Hafen  Stolpmünde 
(jetzt  auch  Seebad),  Dafs  die  Stadt,  welche  auch  für  die  älteste  Ge- 
schichte Hinterpommerns  von  grofser  Bedeutung  ist,  ein  sehr  betraf»**^ 

i)  Vgl.  oben  S.  249—261. 


—     296     — 

liebes  Archiv  besafs,  war  in  Forscherkreisen  ebenso  bekannt    wie    dl^ 
Tatsache,  dals  dasselbe  für  die  Forschungf  so  gut  wie  unbenutzbar  war. 

Von  den  Urkunden  war  ein  grofser  Teil   der  wichtigsten    infolge 
der  Aufbewahrung  in  völlig  ungenügenden  und  feuchten  Räumen    von 
Moder  so  zerfressen  und  geschädigt,   dafs   ihre  fernere  Erhaltung-   nur 
mit  Anwendung  aller  Mittel  archivalischer  und  chemischer  Technik  ge- 
lungen ist;  bei  einigen  versagten  auch  diese.     Noch  schlimmer  stand 
es   mit  den  Akten   und   der  geradezu   unschätzbaren  Sammlung    von 
Ratsprotokollen  und  Stadtrechnungen,    die   hier  in  seltener  Fülle  und 
Vollständigkeit  vom  XV.  Jahrhundert   bis  zur  Neuzeit   erhalten    sind. 
Alle   diese  Schätze  lagen  in  Bretterverschlägen  auf  dem  Boden,    ein 
grofser  Teil  der  Rechnungen  war  von  Moder  so  zerfressen,  dafe  er  bei 
der  Berührung  sofort  auseinanderfiel.     Trotzdem  stellt  auch  der   Rest^ 
den   es   durch   die  Deponierung   im  Staatsarchive   zu  erhalten  gelang, 
eine   der  erfreulichsten  Bereicherungen  unseres   landesgeschichtlichen 
Quellenmaterials  dar  und  wird  als  solche  von  den  Forschem  jetzt  ge- 
schätzt und  vielfach  benutzt. 

In   ihrem  Vorrat  an   erhaltenen  Originalurkunden  zwar  steht    die 
Stadt  Stolp   hinter   ihrer  kleineren  Nachbarstadt   Schlawe  imd   noch 
mehr  hinter  Treptow  a.  R,  zurück.     Die  Zahl  derselben  beträgt   nur 
89,  deren  älteste  von  1277  ist;    14  Urkunden  entstammen  dem  XIV., 
33  dem  XV.,   die   übrigen   dem  XVI.  bis  XVIII.  Jahrhundert.     Über 
diese  ist  nunmehr  im  Staatsarchive  ein   eingehendes  Repertorium  auf- 
gestellt.    Weit  reicher  aber   als   in   allen  anderen  hinterpommerschen 
Städten  rechts  der  Oder  ist  Stolp  an  Handschriften  und  Akten,  so  vor 
allem  auch  an  Stadt-  und  Bürgerbüchern.     Das  älteste  erhaltene  Stadt- 
buch ist  im  XV.  Jahrhundert  angelegt  und  bis  ins  XVI.  weitergeführt; 
erhalten  sind  16  Blätter  Pergament   in  Folio,   auf  deren   erstem   eine 
gleichzeitige  historische  Notiz  über  eine  Reise  steht,  welche  die  Her- 
zogin Sophie  im  Jahre  1476  mit  ihrem  Sohne  Bogislaw  X.  nach  Polen 
und  Preufsen  gemacht  hat  und  auf  welcher  Stolp  berührt  wurde;  das 
zweite   erhaltene  Bürgerbuch   ist  im  XVIII.  Jahrhundert  angelegt  und 
bis  ins  XIX.  fortgeführt.     Aufserdem  sind  noch  mehrere  Ackerbürger- 
Bücher,  mehrere  Verzeichnisse   sämtlicher   lebenden  Bürger   aus   dem 
XVIII.  und  XIX.  Jahrhundert,   ein  Bürgerinnenbuch,  ein  Eidbuch,  ein 
Eid-  und  Zunftbuch   der  Brauergilde  u.  a.  m.   erhalten.     Unter  dem 
sehr   reichhaltigen   Aktenarchive,    welches    gleich    den  Urkunden  im 
Staatsarchive    deponiert    und    eingehend    repertorisiert    ist ,     stehen 
namentlich  zwei  Gruppen  in   ihrer  Fülle  und  Vollständigkeit  in  Pom- 
mern  nahezu   unerreicht   da:   die   Sammlung   der  Ratsprotokolle  und 


—     297     — 

die  Stadtrechnungen  der  mannigfachsten  Art.  Die  Ratsprotokolle, 
aus  denen  allein  schon  sich  eine  Geschichte  der  städtischen  Verwal- 
tung in  allen  wesentlichen  Hauptsachen  gewinnen  läfst,  beginnen  mit 
dem  Jahre  1550  und  reichen  in  mehr  als  100  zum  Teil  sehr  starken 
Bänden  in  fast  ununterbrochener  Folge  bis  ins  XIX.  Jahrhundert 
hinein ;  von  den  Rechnungen  aber,  die  mit  dem  XV.  Jahrhundert  be- 
ginnen, sind  an  Kämmereirechnungen,  Etats,  Hospital-,  Armenkasten 
imd  Kirchenrechnungen,  Rechnungen  über  den  Stolpmünder  Hafen, 
Listen  über  die  ein-  und  ausgelaufenen  Schiffe  u.  s.  w. ,  mehrere 
hundert  Bände  vorhanden,  die  ein  geradezu  unschätzbares  kultur- 
geschichtliches Material  nicht  allein  für  die  Geschichte  der  Stadt, 
sondern  auch  für  die  des  umliegenden  platten  Landes  und  des  auf 
demselben  begüterten  Adels  enthalten^  der  in  den  mannigfachsten 
freundlichen  und*  feindlichen  Beziehungen  zur  Stadt  gestanden  hat. 
Hier  harrt  in  der  Tat  ein  überaus  reiches  und  noch  völlig  jungfräu- 
liches Material  der  Hand  des  kundigen  Forschers.  Dazu  kommen 
dann  noch  tausende  von  Aktenstücken  der  inneren  und  der  Finanz- 
verwaltung, sowie  von  Akten  aus  der  französischen  Kriegszeit. 

* 
Damit  ist  die  Zahl  der  hinterpommerschen  Städte,  welche  ihre  Be- 
deutung ihrer  Lage  in  der  Nähe  der  See  und  ihrer  mehr  oder  minder 
groCsen  Teilnahme  am  Seehandel  und  Verkehr  verdanken,  erschöpft. 
Die  übrigen  mehr  im  Binnenlande  liegenden  Städte  zeigen  einen  weit 
mehr  stationären  Charakter  und  stehen  zumeist  in  Vei^angenheit  und 
Gegenwart  an  Bedeutung  hinter  den  bisher  besprochenen  zurück. 
Immerhin  haben  mehrere  von  ihnen  früher  hin  und  wieder  eine  her- 
vorragendere Rolle  gespielt  als  gegenwärtig.  Wir  dürfen  und  müssen 
uns  in  bezug  auf  sie  noch  mehr  als  bisher  auf  die  Hervorhebung  der 
Hauptpunkte  und  auf  kurze  Angaben  über  ihre  Archive  beschränken. 
Ich  beginne  diesen  kurzen  Überblick  mit  den  beiden  oberhalb 
Stettins  beinahe  genau  einander  gegoiüberliegenden  Oderstädten,  welche 
zwar  stets  durch  Stettin  stark  in  den  Hintergrund  gedrängt  wurden, 
aber  doch  für  die  Geschichte  des  Oderhandels  nicht  ohne  Bedeutung 
sind,  aufserdem  aber  infolge  ihrer  die  Oderstrafse  beherrschen- 
den Lage  in  den  Grenzkriegen  zwischen  Brandenburg  und  Pommern 
und  später  noch  in  den  Kämpfen  des  Dreifsigjährigen  Krieges  strategisch 
eine  gewisse  RoUe  gespielt  haben,  Gartz  und  Greifenhagen.  Beide  ge- 
hören zu  den  ältesten  städtischen  Gründungen  und  reichen  daher  au' 
in  ihren  archivalischen  Nachrichten  ziemlich  weit  zurück.  Da^ 
Städtchen  Gartz  mit  seinen  heute  kaum  5000  Einwohnern  bep 


—     298     — 

hin  einen  Urkundenvorrat  von  20  Originalen,  deren  ältestes  dem  Jalire 
1249  entstammt,  und  die  dann  noch  durch  eine  sehr  wertvolle  Original- 
matrikel    ergänzt    werden,    welche,    lange    Zeit    von    der    Forschimg' 
schmerzlich  vermifst,  jetzt  von  mir  in  Gartz  aufgefunden  worden   und 
gleich   den   Urkunden   im   Staatsarchive    deponiert    ist.     Ein    genaues 
Repertorium  mit  Orts-  und  Personenregister  erleichtert  dem  Forscher 
jetzt  die  Benutzung.     Zur  Deponierung  der,   übrigens   recht  gut    auf- 
bewahrten und  geordneten  Akten   hat   sich   die  Stadt  bisher  nicht  zu 
entschliefsen  vermocht. 

Sehr  erheblich  bedeutender  ist  das  Archiv  der  benachbarten,   auf 
dem  anderen  (rechten)  Oderufer  belegenen  Stadt  Greifenhagen,  welches, 
da  die  Stadt,  abweichend  von  allen  anderen  Städten,  sich  zur  Errich- 
tung eines  feuersicheren  Archivgewölbes  entschlofs,  an  Ort  und  Stelle 
belassen  werden  konnte,  nachdem  ich  in  den  im  wirrsten  Chaos  um- 
herliegenden Akten  wenigstens  eioigermafsen  Ordnung  geschaffen  hatte. 
Die  Stadt  besitzt  jetzt  noch  nicht  weniger  als  85  Original-Peig^ament- 
urkunden;   leider  fehlt  unter  denselben  gerade  die  älteste  von   1254, 
welche   noch   im  Jahre  1879  vorhanden  war.     Die  noch  vorhandenen 
sind  jetzt  leidlich  aufbewahrt,   einige   sogar  auch  mit  Regestenzetteln 
versehen.     Aufserdem  besitzt  die  Stadt  ein  sehr  interessantes  und  gut 
erhaltenes  Schöffenbuch,   welches  im  Jahre  15 13   angelegt  und  dann 
weitergeführt  worden  ist.    Femer  fand  sich  noch  ein  1724  aufgenom- 
menes Katastrum  und,  ein  in  den  pommerschen  Städten  seltener  Fall, 
ein  im  Jahre  1753  hergestelltes  Repertorium  der  Registratur,  welches 
über  die  älteren  Aktenbestände  des  Archivs  ganz  gute  Auskunft  gibt, 
zugleich   freilich   zeigt,   wieviel    seit  der  Anlegung  des  Repertoriums 
verloren  gegangen  ist.    Immerhin  ist  auch  der  erhaltene  Bestand  noch 
reichhaltig  genug,  um  die  Geschichte  der  Stadt  in  den  Hauptpunkten 
erkennen  zu  lassen. 

Der  Vollständigkeit  halber  erwähne  ich  noch  kurz  das  noch  ein 
wenig  weiter  Oder  aufwärts,  dicht  an  der  Grenze  der  Mark  gel^ene, 
schon  im  XII.  Jahrhundert  vorkommende  Städtchen  Piddichow,  das 
zeitweilig  mit  Brandenburg  streitig  war  und  vorübergehend  zur  Hälfte 
diesem  gehört  hat.  Die  1 1  hier  noch  vorhandenen  Originalurkunden, 
deren  älteste  von  1347  ist,  sind  im  Staatsarchive  deponiert,  repertori- 
siert  und  mit  Orts-  und  Personenregister  versehen. 

Von  dem  Archiv  der  ebenfialls  sehr  alten,  Stettin  gegenüber  auf 
dem  rechten  Oderufer  an  dem  nach  ihr  benannten  See  gelegenen 
Stadt  Altdamm  haben  sich  leider  nur  sehr  spärliche  Reste  erhalten, 
da  bei  einem  Brande,   der  die  Stadt  im  Jahre  1592  heimsuchte,  alle 


—     299     — 

älteren  Archivalien,  namentlich  aber  sämtliche  Urkunden  verbrannt 
sind,  so  dals  man  in  bezug  auf  die  ältere  urkundliche  Geschichte  der 
Stadt  im  wesentlichen  auf  die  Urkunden  von  Stettin,  welches  in  nahem 
geschichtlichem  Zusammenhange  mit  Altdamm  stand,  angewiesen  ist. 
Über  die  seit  jenem  Brande  entstandenen  Akten  war  zwar  im  Jahre 
1832  ein  Repertorium  aufgestellt  worden,  allein  die  Akten  selbst  waren 
durch  Vernachlässigung  und  zahlreiche  Kassierungen  so  fragmentarisch 
erhalten,  dafs  nur  noch  dürftige  Reste  zu  der  tmter  diesen  Umständen 
dringend  wünschenswerten  Deponierung  im  Staatsarchive  ausgewählt 
werden  konnten.  Der  wichtigste  Bestand  dürfte  unter  denselben  in 
den  Kämmereirechnimgen  des  XVII.  und  XVIII.  Jahrhunderts  zu 
suchen  sein. 

Weit  vollständiger  erhalten  ist  das  Archiv  der  benachbarten,  an 
dem  Ihnailüfschen  gelegenen  Stadt  GoUnow,  welche  ebenfalls  im 
Mittelalter  zum  Hansabunde  gehörte.  Im  allgemeinen  befand  sich 
hier  das  Archiv  in  leidlicher  Ordnung.  Die  Urkunden  waren  vor- 
trefflich in  sauber  und  praktisch  hergestellten  Pappkästen  untergebracht, 
welche  ihrerseits  wieder  in  einem  gut  verschlossenen  Kasten  lagen. 
Hier  machte  sich  überall  bemerkbar,  dafs  der  verstorbene  Staats- 
archivar V.  Medem  sich  des  Archivs  angenommen  hatte:  von  ihm 
stammen  auch  die  Aufschriften  der  Urkunden.  Ein  Grund,  auf  De- 
ponierung zu  dringen,  lag  also  hier  nicht  vor;  mit  um  so  gröiserer 
Freude  mufs  es  begrüfst  werden,  dafs  sich  die  Stadt  in  richtiger  Er- 
kenntnis der  dadurch  ermöglichten  leichteren  Zugänglichkeit  gleichwohl 
zu  dieser  Ma&regel  entschlofs.  Urkunden  und  Akten  befinden  sich 
jetzt  im  Staatsarchive.  Über  die  ersteren,  36  an  Zahl,  deren  älteste, 
die  Gründungsurkunde  der  Stadt,  von  1268  stammt,  ist  ein  eingehendes 
Repertorium  nebst  Register  angestellt,  welches  aufser  der  Gründungs- 
urkunde 10  Urkunden  aus  dem  XIV.,  6  aus  dem  XV.,  9  aus  dem 
XVI.,  8  aus  dem  XVII.  und  2  aus  dem  XVIII.  Jahrhundert  aufweist. 
Unter  den  Akten  verdient  ein  Band  Privil^enbestätigungen  Hervor- 
hebtmg,  femer  ein  die  St.  Katharinenkirche  betreffender  Pappband 
mit  Urkundenabschriften  von  1334  an,  ein  Kopialbuch  von  1649,  ver- 
schiedene Stadt-  und  Bürgerbücher  u.  s.  w.  Daneben  fanden  sich  die 
überall  vorhandenen  Verwaltungs-,  Finanz-,  Schul-  und  Kirchen-,  Jagd- 
und  Fischereiakten  in  ziemlich  grofeer  Menge,  die  ältestexx  hiR  ins 
XVI.  Jahrhundert  zurückreichend. 

Ein  sehr  umfangreicher  Aktenbestand,   der  jetzt  im  ■ 
deponiert  ist,  hat  sich  in  Beigard  erhalten,  während 
dort  gar   nicht   vorhanden,    wohl    aber   eine    Re* 


—     300     — 

abschriften  in   den    älteren  Akten    enthalten    sind.     Über   die    ältexe^ 
Registratur  bis  1809  existiert  noch  das  alte,  am  Anfange  des  XIX.  Jalir- 
hunderts  angelegte,  recht  gute  Repertorium,  nach  welchem  dieselbe 
im  Staatsarchive  rekonstruiert  werden  konnte,  wobei  sich  natürlich  eine 
grofee   Zahl    der  im  Repertorium    enthaltenen  Bestände    als    fehlend 
herausstellte.     Immerhin  ist  auch  das  Erhaltene  noch  umfangreich  und 
wichtig  genug.     Die  Bestände   (lillen   mehrere  Rcpositorien  im  Depo- 
sitensaale   des    neuen    Archivgebäudes.      Unter    den    Generalia    und 
Miscellanea  befinden   sich   mehrere  Bände   mit  Abschriften   von    Pri- 
vilegien und  Statuten  der  Stadt;   die  Akten  selbst  reichen  in  vielen 
Abteilungen  bis  ins  XVI.  Jahrhundert  zurück.     Auch  eine  Anzahl  von 
Ratsprotokollen,  an  Fülle  freilich  den  Stolpern  nicht  entfernt  vergleich- 
bar, ist  noch  vorhanden.     Von  grofsem  Interesse  sind  auch  die  über 
die   Kirchen  und  ihre   Geistlichen    erhaltenen  Akten.     Neben    dieser 
älteren  Registratur,  die,  soweit  sie  noch  vorhanden  ist,  in  vollem  Um- 
fange an  das  Staatsarchiv  gelangt  ist,   hat  die  Stadt  auch  die  älteren 
Akten  der  noch  laufenden  Registratur,  welche  für  Verwaltungszwecke 
nicht  mehr  gebraucht  wird,  deponiert.   Sie  sind  als  „Neue  Registratur*' 
aufgestellt  und  in  einem  19  Titel  umfassenden  Repertorium  verzeichnet 

Sehr  viel  schlimmer  steht  es  mit  dem  Archiv  der  Stadt  Greifen- 
berg.   Hier  liegt  der  leider  oft  beobachtete  Fall  vor,  dafe  ein  grofeer 
TeU  des  früher  dort  vorhandenen  historischen  Materials  offenbar  durch 
die  Fahrlässigkeit  eines  Lokalforschers  verloren  gegangen  ist     Fast 
alle  diejenigen  Akten,    welche  Riemann  in  seiner  Geschichte  Greifen- 
bergs in   der  Vorrede  und   in  dem   angehängten   „wissenschaftlichen 
Nachweis"   als   aus   dem  Stadtarchive  stammend  aufzählt,   sind  nicht 
mehr  vorhanden  und  nach  den  Versicherungen  der  städtischen  Beamten 
eben   durch  Riemann  verloren  worden.     Leider  haben  sie  sich  auch 
nach  dessen  Tode  in  seinem  Nachlasse,  in  welchem  die  Stadt  danach 
suchen  liefs,   nicht  gefunden.     Die   Originalurkunden  sind  gar  schon 
seit  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  sämtlich  verschwunden.    So  konnten 
hier  nur  dürftige  Fragmente  der  reponierten  Registratur,  welche,  übrigens 
in  leidlicher  Ordnung,  auf  einer  Dachkammer  untergebracht  war,  ins 
Staatsarchiv  zur  Deponierung  übergeführt  werden. 

In  Preienwalde  fanden  sich  von  den  drei  Originalurkunden,  welche 
dort  1879  noch  vorhanden  gewesen  waren,  nur  noch  zwei,  eine  von 
1338  (die  Gründungsurkunde)  und  eine  von  1455  ^o^-  Diese  wie  das 
alte  Stadtbuch  und  die  wichtigsten  Teile  der  reponierten  Registratur 
sind  von  mir  ins  Staatsarchiv  übergeführt  worden.  Von  der  letzteren 
verdienen  namentlich   eine    Reihe  bis  ins  XVI.  Jahrhundert   zurück- 


—     301      — 

reichender  Akten  über  das  Sankt-Georgs-Spital  und  eine  grofse  Anzahl 
alter  Kämmereirechnungen  Erwähnung. 

Ebenso  dürftig  war  die  Ausbeute  in  dem  benachbarten  kleinen 
Städtchen  Wangerin.  Urkunden  waren  hier  nicht  vorhanden,  dagegen 
eine  ziemlich  grofse  Anzahl  von  allerdings  nicht  sehr  wichtigen  Akten 
aus  dem  XVII.  und  XVIII.  Jahrhundert,  welche  in  wirrem  Chaos  auf 
einer  Bodenkammer  aufgestapelt  waren  und  jetzt  im  Staatsarchive  de- 
poniert sind. 

Etwas  gröfser  war  das  Ergebnis  in  Rummelsburg,  wo  sich  unter 
der  von  der  Stadt  für  völlig  wertlos  erklärten  und  zur  Vernichtung 
bestimmten  älteren  Registratur  bei  systematischer  Durchsicht  immerhin 
eine  ziemlich  grofse  Menge  historisch  wichtiger  Materialien  fand,  welche 
zum  Teil  bis  ins  XVI.  Jahrhundert  zurückreichten.  Von  Interesse 
sind  darunter  aufser  den  Rat  und  Stadtverordnete,  Verwaltung,  Finanzen, 
Kirche  und  Schule  betreflfenden  namentlich  die  ziemlich  zahlreichen 
Akten  über  Gewerbe  und  Zünfte,  welche  u.  a.  auch  ausführliche  Nach- 
richten über  die  Versuche,  Maulbeerbäume  anzupflanzen  und  den 
Seidenbau  zu  fördern,  enthalten.  Aufserdem*  fand  sich  ein  gröfseres 
Aktenstück  mit  vielen  Urkundenabschriften  zur  Stadtgeschichte.  Da- 
gegen sind  Originalurkunden  nicht  mehr  vorhanden.  Auch  dieses 
Archiv  ist  nunmehr  im  Staatsarchive  deponiert. 

Ähnlich  war  die  Lage  der  Dinge  in  dem  kleinen  Städtchen  Bär- 
walde. Urkunden  sind  dort  nicht  mehr  vorhanden.  Dagegen  fand 
sich  ein  seit  längerer  Zeit  vermifstes  Bürgerbuch  von  1694  vor.  Die 
reponierte  Registratur  war  äufserlich  leidlich  aufgestellt,  entbehrte  aber 
jeder  inneren  Ordnung.  Es  fanden  sich  darin  interessante  Akten  des 
XVIII.  Jahrhunderts  über  die  Streitigkeiten  der  Stadt  mit  den  benach- 
barten Adelsfamilien,  femer  Akten  über  die  Verfassung  der  Stadt  und 
die  Wahl  der  Magistrate,  Innungsachen  freilich  erst  aus  dem  XVIII.  Jahr- 
hundert, und  u.  a.  eine  nicht  unerhebliche  Zahl  von  Stadtrechnungen, 
die  indes  gleichfalls  nicht  über  den  Anfang  des  XVIII.  Jahrhunderts 
zurückreichen.    Auch  hier  ist  die  Deponierung  im  Staatsarchive  erfolgt. 

In  PoUnow  waren  Urkunden  ebenfalls  nicht  vorhanden.  Von  den 
Akten  der  nicht  sehr  umfangreichen  reponierten  Registratur  wurden 
die  wichtigsten  zur  Deponierung  ausgewählt  und  in  einem  Repertorium 
verzeichnet. 

Die  Stadt  Schivelbein  hat  nur  ihre  Urkunden,  22  an  Zahl,  de- 
poniert, deren  älteste  von  1386  ist;  aufeerdem  6  aus  dem  XV.,  8  aus 
dem  XVI.,  7  aus  dem  XVII.  Jahrhundert.  Repertorium  mit  Regiit^' 
ist  im  Staatsarchive  aufgestellt. 


—     502     — 

Von  Nörenberg  sind  5  Originale,  deren  ältestes  aus  dem  Jahre 
1567  stammt,  erhalten,  jetzt  ins  Staatsarchiv  übergeführt  und  re- 
pertorisiert. 

Von  Massow  sind  13  Urkunden,  die  älteste  von  1310,  aufserdcm 
noch  6  aus  dem  XIV.  Jahrhundert,  deponiert  und  repertorisiert ;  von 
Leba  5  Originale  aus  der  Zeit  von  1499 — 1693,  von  Lassan  6,  deren 
ältestes  von  13 18  ist,  von  Callies  12  Zunfturkunden  aus  der  Zeit  von 
1635— 1772,  von  Lauenburg  15  Urkunden,  deren  älteste  von  1507  ist. 

In  Dramburg  sind  Urkunden  nicht  mehr  vorhanden,  dagegen 
hat  sich  ein  Stadtbuch  erhalten,  welches,  nach  dem  grofsen  Brande 
von  1620  aufgestellt,  Eintragungen  bis  zum  Jahre  1698  enthält.  Das 
Archiv  ist  hier  sonst  durch  wiederholte  Brände  und  andere  Unglücks- 
fälle bis  auf  dürftige,  jetzt  im  Staatsarchive  deponierte  Reste  der  Ver- 
nichtung anheimgefallen.  Kleinere  Aktenbestände  sind  aufeerdem  de- 
poniert von  den  Städten  Bublitz,  Bütow,  Daber,  Falkenburg,  Labes, 
Neu-Stettin,  Plathe,  Polzin,  Pyritz,  Ratzebuhr  und  Tempelbu^. 

Von  einer  der  wichtigsten  Städte  Hinterpommems,  von  Stargard, 
sind  bisher  sichere  Nachilchten  über  den  archivalischen  Bestand  nicht 
bekannt.  Bis  vor  kurzem  wurde  auf  Grund  verschiedener  Angaben 
und  Nachrichten  angenommen,  da(s  auch  hier  durch  Brände  des 
XVII.  Jahrhunderts  alle  älteren  Bestände  zu  gründe  gegangen  seien. 
Nach  Nachrichten  aber,  die  das  Staatsarchiv  neuerdings  durch  die  Güte 
des  Herrn  Landgerichtsdirektors  Böhmer  in  Stargard  erhalten  hat, 
sollen  doch  einige  nicht  unerhebliche  Bestände  die  Brände  glücklich 
überstanden  haben,  aufserdem  aber  in  der  dortigen  Marienkirche  noch 
zahlreiche  Archivalien,  darunter  auch  Urktmden,  vorhanden  sein,  die 
dringend  einer  sachkundigen  Prüfung  bedürfen,  welche  bei  nächster 
Gelegenheit  durch  das  Staatsarchiv  erfolgen  und  demselben  wahr- 
scheinlich auch  von  dort  eine  erwünschte  Bereicherung  seiner  Be- 
stände zufuhren  wird,  welche  mit  um  so  gröiserer  Freude  zu  begrüisen 
sein  wird,  als  Stargard  bis  zu  der  Zeit,  in  der  Stettin  in  preuisischen 
Besitz  gelangte,  Sitz  der  obersten  Regienmgsbehörden  und  des  Hof- 
gerichts gewesen  ist. 

Während  so  von  den  hinterpommerschen  Städten  die  bei  weitem 
überwiegende  Mehrzahl  sich,  zumeist  im  Laufe  der  letzten  Jahre,  zur 
Deponierung  ihrer  Archive  im  Staatsarchive  entschlossen  hat,  ist  bei 
den  vorpommerschen  Städten  links  der  Oder  eben  erst  ein  Anfang 
dazu  zu  verzeichnen.     Im   allgemeinen   darf  hier  auf  den  oben  *)  er- 


1)  S.  250,  Anm.  2. 


—     303     — 

wähnten  Prümersschen  Aufsatz  verwiesen  werden,  zu  dem  hier  nur  noch 
einig'e  Ergänzungen  Raum  finden  mögen,  welche  sich  auf  die  inzwischen 
stattgrehabten  Veränderungen  und  Anfänge  von  Deponienmgen  be- 
ziehen. 

In  hohem  Grade  erfreulich  ist  es  da  zunächst,  dafs  eine  der  beiden 
wichtigen  alten  Hansastädte  an  der  Peene,  Demmin,  wenigstens  ihren 
verhältnismäisig  reichen  Urkundenbestand  im  Staatsarchive  deponiert  hat; 
er  umfafst  172  Originale.  Die  älteste  erhaltene  Urkunde  ist  von  1264; 
auiserdem  stammen  noch  9  aus  dem  XIII.  Jahrhundert,  97  aus  dem 
XrV. ,  41  aus  dem  XV.,  16  aus  dem  XVI.,  der  Rest  aus  dem  XVII. 
Jahrhundert.  Aufserdem  sind  noch  ältere  Kopiare  vorhanden,  in 
denen  eine  weitere  nicht  unerhebliche  Zahl  von  Urkunden  erhalten 
ist.  Aufserdem  hat  die  Stadt  Loitz  ihre  22  erhaltenen  Urkunden, 
deren  älteste  von  1267  stammt,  deponiert;  von  Neuwarp  sind  4  Ur- 
kunden, die  älteste  von  1442,  von  Usedom  9  Urkunden,  die  älteste 
von  1342,  im  Staatsarchive  deponiert  und  dort  in  eingehenden  Re- 
pertorien  mit  Orts-  und  Personenregistern  verzeichnet.  Akten  sind  von 
allen  diesen  Städten  bisher  nicht  deponiert  worden. 

Um  auch  hierin  zu  einem  Anfange  zu  gelangen,  habe  ich  auf 
meiner  letzten  Dienstreise  in  städtische  Archive  wenigstens  zwei  der 
vorpommerschen  Städte  mit  besucht,  Treptow  a.  d.  Tollense  und 
Wolgast.  In  der  ersteren  Stadt  sind  Originalurkunden  allerdings  nicht 
mehr  vorhanden,  die  beiden  ältesten  von  1325  und  1476  liegen  viel- 
mehr nur  noch  in  Abschriften  vor.  Dagegen  ist  die  reponierte  Re- 
gistratur (vgl.  Prümers  a.  a.  O.  S.  97)  ziemlich  umfangreich,  geht 
aber  freilich  zumeist  nur  bis  ins  XVIII.,  vereinzelt  aber  auch  bis  ins 
XVII.  und  XVI.  Jahrhundert  zurück  und  enthält  neben  Verwaltungs-, 
Finanz-  und  Personalsachen  namentlich  auch  interessante  Zunftakten^ 
Ein  besonderes,  offenbar  einmal  zu  historischen  Studienzwecken  an- 
geintes,  mit  Titel  IV  Sectio  2  bezeichnetes  Aktenstück  enthält  neben 
den  erwähnten  Urkundenabschriften  noch  eine  ganze  Reihe  für  die 
Stadtgeschichte  wichtiger  Akten.  Eine  Deponierung  des  im  allgemeinen 
in  leidlicher  Ordnung  befindlichen  Archivs  ist  hier  nicht  erfolgt. 

In  Wolgast  sind  bei  Überweisung  des  Aktenarchivs  an  das  Staats* 
archiv  die  20  Pergamenturkunden,  welche  dort  im  glänzen  die  ver- 
schiedenen Brände  überdauert  haben  und  noch  vorhanden  sind,  auf 
Wunsch  der  Stadt  belassen  werden,  da  ihre  Aufbewahrungsart  eine 
zufriedenstellende  war  und  keine  Gefahr  fUr  die  Erhaltung  der  Ur- 
kunden in  sich  schlofs.  Die  reponierte  Registratur,  welche  jetzt  im 
Staatsarchive  deponiert  ist  und  zur  Zeit  verzeichnet  wird,  stellte  sich 


—     304     — 

als  weit  inhaltreicher  dar,  als  nach  den  früher  dem  Staatsarchive  zu* 
gänzlichen  Nachrichten  darüber  vermutet  werden  konnte.  Eine  grofse 
Anzahl  dieser  Akten  reicht  bis  ins  XVI.  Jahrhundert  zurück  und  ist 
historisch  von  erheblichem  Werte.  Sehr  zahlreich  sind  namentlich 
die  noch  erhaltenen  Zunft-  und  Gewerbe-,  Finanz-  und  Verwaltungs- 
akten. Dagegen  waren  Rechnungen  leider  nur  noch  aus  dem  XIX.  Jahr- 
hundert vorhanden.  Mitten  unter  den  in  ungeordneten  Haufen  umher- 
liegenden Akten  fanden  sich  aber  u.  a.  noch  ein  sehr  merkwürdiges 
Acker-  und  Bürgerbuch  der  Stadt  auf  Pei^ament  aus  dem  XV.  und 
XVI.  Jahrhundert,  femer  Grundbücher  und  Kataster  aus  dem  XVTI. 
und  XVIII.  Jahrhundert  und  ein  altes  Repertorium  der  alten  Registratur, 
welches  der  Ordnung  der  freilich  fragmentarisch  erhaltenen  Bestände 
zn  gründe  gelegt  werden  kann. 

Überblickt  man  die  Gesamtheit  der  in  diesem  kurzen,  auf  die 
Hauptsachen  sich  beschränkenden  Überblicke  aufgeführten  Bestände 
<ler  städtischen  Archive,  so  stellen  dieselben  eine  sehr  wesentliche 
Bereicherung  unserer  historischen  Kenntnis  von  der  Landes-  und  Orts- 
geschichte Pommerns  dar,  die  nur  des  sachkundigen  Forschers  harrt, 
um  eine  ganze  Reihe  neuer  wissenschaftlicher  E^ebnisse  zu  zeitigen. 
Mit  der  Deponierung  derselben  im  Staatsarchive,  welche  die  bei  weitem 
überwiegende  Mehrzahl  der  hinterpommerschen  und  einen  immerhin 
bedeutsamen  Anfang  der  vorpommerschen  Städte  umfafst,  und  mit  der 
nach  Mafsgabe  der  übrigen  Amtsgeschäfte  des  Staatsarchivs  allmäh- 
lich fortschreitenden  genauen  Repertorisierung  ist  für  die  Inventarisie- 
rung der  nichtstaatlichen  Archive  der  Provinz  ein  erster  wichtiger 
Schritt  geschehen,  der  hoffentlich  nun  von  selten  der  privaten  For- 
schung und  namentlich  von  selten  der  Gesellschaft  für  pommersche 
Geschichte  und  Altertumskunde  Nachahmung  in  bezug  auf  die  übrigen, 
im  Lande  verstreuten  Archivalien  nichtstaatlichen  Ursprungs  finden 
wird.  Hierfür  würden  zunächst  und  vor  allem  die  Archive  der  zum 
TeU  uralten  Adels familien  des  Landes  und  die  der  einzelnen  Kirchen 
in  Betracht  kommen.  Für  eine  Inventarisierung  der  ersteren  ist  trotz 
der  mächtigen  Stellung,  welche  der  pommersche  Adel  geschichtlich 
und  auch  noch  in  der  Gegenwart  einnimmt,  noch  merkwürdig  wenig 
geschehen.  Nur  ganz  vereinzelt  haben  pommersche  Adelsfamilien 
ihre  Archive  im  Staatsarchive  deponiert,  und  die  Aufbewahrung  der- 
selben durch  die  Besitzer  selbst  lälst,  abgesehta  von  den  Familien, 
welche  ihr  historisches  Interesse  durch  die  Veranlassung  oder  Ab- 
fassung umfassenderer  Geschichtsdarstellungen  ihres  Geschlechtes  be- 
stätigt haben,  im  allgemeinen  noch  recht  viel  zu  wünschen  übrig.    Als 


—     305     — 

ein  charakteristischer  Beweis  dafür  darf  angeführt  werden,  dafs  das 
Staatsarchiv  in  der  Lage  gewesen  ist,  eine  ganze  Reihe  wichtiger 
Familienpapiere  eines  der  gröisten  pommerschen  Geschlechter  von 
einem  Schneider  in  Hinterpommem  zu  kaufen,  der  sie  käuflich  er- 
worben hatte.  Soll  einem  allmählichen  Verschwinden  dieser  wissen- 
schaftlich wertvollen  Bestände  voi^ebeugt  werden,  so  gilt  es  vor  allem, 
in  den  Kreisen  des  pommerschen  Adels  das  Interesse  an  seiner  stolzen 
Vergangenheit  zu  erwecken  und  dafür  zu  sorgen,  dafs  dasselbe  sich 
vor  allem  in  einer  genauen  Inventarisienmg  der  Familienarchive  äufsere, 
für  die  die  geeigneten  Kräfte  gewils  unschwer  zu  finden  sein  würden. 
Ich  zweifle  nicht,  dals,  wenn  die  Sache  erst  einmal  angeregt  und  in 
Gang  gebracht  ist,  die  pommersche  Gesellschaft  diese  wichtige  Auf- 
gabe mit  demselben  Eifer  und  Interesse  durchführen  würde,  mit 
welchem  sie  auf  allen  Gebieten  historisch -antiquarischer  Forschung 
mit  gröfstem  Erfolgie  tätig  ist.     ^ 

Fast  noch  schlimmer  als  mit  den  Adelsarchiven  steht  es  mit 
denen  der  Kirchengemeinden,  obwohl  dieselben  zum  TeU  im  Besitz 
der  allerwertvollsten  Quellen  zur  Kirchen-  und  Reformationsgeschichte 
sich  befinden.  Über  die  Verwahrlosung  dieser  Archivalien  hat  so 
mancher  Forscher  schon  die  betrübendsten  Erfahrungen  gemacht.  In 
^ro£sem  MaCsstabe  ist  das  bei  einer  umfassenden  Arbeit  geschehen, 
welche  ein  jüngst  verstorbener  tüchtiger  kirchengeschichtlicher  For- 
scher unternommen  hat,  der  sich  von  den  Kirchenarchiven  die  noch 
erhaltenen  Akten,  Kirchenvisitations-ProtokoUe  u.  s.  w.  der  Reihe  nach 
erbat.  Vorhanden  war  noch  merkwürdig  viel,  aber  oft  in  so  desolatem 
Zustande,  dafs  der  gänzliche  Untergang  Vieler  dieser  unschätzbaren 
Archivalien  nur  als  eine  Frage  der  Zeit  betrachtet  werden  kann.  Meist 
sind  keine  auch  nur  irgendwie  geeigneten  Räume  zur  Aufbewahrung 
vorhanden :  die  Akten  und  Urkunden,  welche  zum  Teil  von  ihren  Be- 
sitzern naturgemäfs  gar  nicht  gelesen  werden  können,  sind  auf  Kirchen- 
böden oder  in  Kellern  untergebracht,  wo  sie  der  allmählichen  Ver- 
nichtung durch  Moder  anheimfallen.  Aber  obwohl  so  von  den  Ge- 
meinden so  gut  wie  nichts  für  die  Erhaltung  dieser  archivalischen 
Schätze  getan  wü-d,  erwacht  doch  meist  ein  sehr  lebhaftes  Interesse 
an  denselben,  wenn  die  Frage  einer  Abgabe  derselben  an  eine  zu- 
ständigere und  sachkundigere  Stelle  angeregt  wird.  Auch  hier  hat 
das  Staatsarchiv  die  Deponierung  wiederholt  und  dringend  angeregt 
und  bei  der  staatlichen  Kirchenbehörde,  dem  Konsistorium,  die  freund- 
lichste  und   verständnisvollste  Unterstützung  gefunden.     Die  dringend 

^wünschenswerte,  ja  im  Interesse  der  Erhaltung  dieser  Archivalien  ab- 

22 


—     306     — 

8olut  notwendige  Maisregel,  ist  bisher  stets  an  dem  Widerstände  der- 
selben lokalen  kirchlichen  Instanzen  gescheitert,  welche  diese  Archive 
in  der   unverantwortlichsten  Weise   verwalten  und  zu  gründe  gehen 
lassen.     Hier  ist  in  der  Tat  Abhilfe   dringend    geboten,   für  die    es 
schon    ein   wichtiger   erster  Schritt  wäre,    wenn    es  dem  vereinigten 
Streben  des  Staatsarchivs,  der  vorgesetzten  Kirchenbehörden  und  der 
organisierten  wissenschaftlichen  Forschung  gelänge,  durch  eine  syste- 
matische Inventarisierung  wenigstens  festzustellen,  was  von  diesem  für 
die  pommersche   Kirchengeschichte   unschätzbar   wichtigem   Material 
denn  zur   Zeit  noch  vorhanden   ist.     Die   Ergebnisse   würden    über- 
raschend reich  sein:  sind  doch  in  sehr  vielen  pommerschen  Gemein- 
den trotz  aller  Vernachlässigung,   deren  sich   meist  erst   die  jüngste 
Zeit   schuldig   gemacht   hat,    die   Visitationsprotokolle   noch   bis  ins 
XVI.   Jahrhundert  zurück  vorhanden,    die    eine    kirchen-  und  kultur- 
geschichtlich gleich  reiche  Fundgrube  der  wissenschaftlichen  Forschung 
bUden  würden.     Möge    es    den   vereinigten    staatlichen  und   privaten 
Kräften  gelingen,   diese  reichen  Schätze   in  der  einen   oder  anderen 
Weise  dem  sicheren  Verderben,  dem  sie  sonst  geweiht  sind,  zu  ent- 
reißen, wie  es  der  Archiv  Verwaltung  gelungen  ist,  einen  groisen  Teil 
der  städtischen  Archive  für  gegenwärtige  und  zukünftige  Geschlechter 
durch  sichere  und  zweckentsprechende  Aufbewahnmg  und  Ordnung^ 
zu  retten! 


Mitteilungen 

Yersamnillingeil.  —  Die  dieslährige  Hauptversammlung  des  Gesamt- 
vereins der  deutschen  Geschichts-  und  Altertumsvereine  ')  wird  in 
den  Tagen  vom  22.  bis  25.  September  in  Düsseldorf,  welches  gerade 
jetzt  durch  seine  Ausstellung  doppelte  Anziehungskraft  besitzt,  stattfinden. 
An  der  Spitze  des  Ortsausschusses  steht  Archivar  Redlich,  die  Verhand- 
lungen finden  in  den  Räumen  der  städtischen  Tonhalle  statt.  Am  Abend 
des  24.  Sept  wird  die  Stadt  Düsseldorf  den  Versammlungsteilnehmern  ein 
Fest  geben,  am  25.  Sept  wird  eine  Sonderfahrt  nach  Aachen  unternommen. 
Für  die  Hauptversammlungen  sind  folgende  Vorträge  angemeldet:  Prof.  Del- 
brück (Berlin)  über  Römerfeldzüge  in  Germanien,  Museumsdirektor 
Schuchhardt  (Hannover)  über  Frühgeschichtliche  Burgen  und 
Wohnsitze  inNordwestdeutschlandundDr. Oppermann(Köln)über 


i)  Ober  die  Venammlnog  za  Freibnrg  i.  6.  190X  vgL  oben  S.  85 — 91. 


—     307     — 

die  Entstehung  des  mittelalterlichen  Bürgertums  in  den  Rhein- 
landen. In  den  Abteilungssitzungen  werden  u.  a.  folgende  Gegenstände 
zur  Beratung  gelangen:  Beschlufsfassimg  über  die  Fortsetzung  des  Walther- 
Konerschen  Repertoriums ;  der  gegenwärtige  Stand  der  historischen  Karto- 
graphie Deutschlands  (Kötzschke);  Anregung  zur  Schaffung  historischer 
Karten,  besonders  fUr  die  Jahre  1789,  1654  imd  1525  durch  die  Vereine 
imd  Konmiissionen  aller  Landschaften  (Thudichum);  Erschliefsung  und  Aus- 
beutung der  kleineren  Archive  (Tille);  Mittelalterliche  Glasmalerei  (Schnüt- 
gen);  Antike  Gläser  (Bone);  die  Ära  Uhiorum  und  die  Anfänge  Kölns 
(Klinkenberg);  vorgeschichtliche  und  römische  Anlagen  bei  Butzbach 
(Sold an);  Entstehimg  der  Ortsnamen,  die  zugleich  Flufsnamen  sind  (F.  von 
und  zu  Gilsa);  die  Theorie  vom  Ureigentum  (v.  Below);  die  Kölner  Erz- 
bischöfe und  das  Stift  Essen  1243—1288  (Ribbeck);  Chronologie  alter 
Burganlagen  in  der  Rheinpfalz  (Mehlis);  Schlofs  Burg  (Schell);  Königin 
Luise  und  die  preufsische  Politik  im  Jahre  18 10  (Bai Heu);  die  Aufgaben 
der  wissenschafÜichen  Volkskunde  (Brenner). 

Diese  Darbietungen  sind  gewifs  verlockend  genug,  um  die  Geschichts- 
forscher aus  allen  Gauen  nach  Düsseldorf  zu  rufen.  Die  21ahl  der  aus- 
wärtigen Versammlimgsteilnehmer  wird  sicher  wesentlich  über  das  in  Frei- 
burg erreichte  Mafs  (159)  hinausgehen,  aber  so  erfreulich  dieses  Interesse 
der  Einzelpersonen  ist,  die  Hauptsache  ist  und  bleibt  die  Mitwirkung 
der  Vereine,  denn  Glieder  des  Gesamtvereins  sind  eben  diese.  Nicht 
eindringlich  genug  kann  deshalb  der  bereits  oben  ')  an  die  Vorstände  der 
verbundenen  Vereine  gerichtete  Appell  wiederholt  werden:  Entsendet  be- 
vollmächtigte Abgeordnete,  die  dann  daheim  über  das  Erlebte  be- 
richten und  neue  Anregungen  zu  gedeihlicher  Arbeit  im  heimischen 
Verein  mitbringen  mögen!  149  Vereine  sind  jetzt  im  Gesamtverein 
vertreten,  aber  von  diesen  haben  viele  seit  Jahren  keinen  Abgeordneten  ge- 
sandt, denn  1898  in  Münster  wurden  nur  31  Vereinsvertreter  gezählt,  1899  in 
Strafsburg  55,  1900  in  Dresden  sogar  64,  aber  1901  in  Freiburg  ist  leider 
die  Zahl  auf  43  herabgesunken.  Es  ist  dringend  notwendig,  wenn  der  Ge- 
samtverein seine  Aufgabe  voll  erfüllen  soll,  dafs  alle  Glieder  sich  tätig  be- 
teiligen: mögen  sich  alle  Vereinsvorstände  ihrer  Pflicht  erinnem! 

Die  neu  gegründete  5.  Abteilung  (für  Volkskunde)  wird  bei  dieser 
Versammlung  zum  ersten  Male  in  Tätigkeit  treten;  die  vereinigte  i.  und  2. 
Abteilung  ist  zugleich  Versammlung  des  Verbandes  west-  und  süddeut- 
scher Vereine  für  römisch-germanische  Altertumsforschung, 
welcher  seine  geschäftlichen  Angelegenheiten  bereits  am  22.  Sept  erledigt 

In  Verbindung  mit  dieser  Zusammenkunft  findet  bereits  am  22.  Sep- 
tember der  dritte  deutsche  Archivtag  ^  statt  Bei  dieser  Gelegenheit  soll 
verhandelt  werden  über:  Städtische  Archivbauten  (Heydenreich),  Der  Neu- 
bau des  Staatsarchivs  Düsseldorf  (Bongard),  Die  Bestände  des  Düsseldorfer 
Staatsarchivs  (Ilgen),  Das  Provenienzprinzip  und  dessen  Anwendung  im 
Geh.  Staatsarchive  zu  Berlin  (Bai Heu),  Zur  Kassationsfrage  (Grotefend), 
Zapon  in  der  Archivpraxis  (Sello),  Wert  und  Bedeutung  der  Archivgeschichte 

i)  S.  86. 

2)  Über  den  Zweiten  ArchiTtag  1900  in  Dresden  vgL  diese  Zeitschrift  2.  Bd.,  S.  60 — 61 

22* 


—     308     — 

(Wieg and).  Wenn  diese  Versammlungen  den  rechten  Nutzen  haben  sollen, 
dann  ist  es  vor  allem  nötig,  dafs  alle  Archiveigentümer,  namentlich  Standes- 
herren und  Städte,  ihre  Archiworsteher  zu  der  Tagung  entsenden.  Es  be- 
finden sich  ja  auch  unter  den  Vorstehern  namentlich  städtischer  Archive 
recht  viele  Autodidakten,  die  im  Nebenamte  oft  recht  grofse  Archive  ver- 
walten :  gerade  diese  werden  durch  die  Teilnahme  an  Beratungen  über  arch  i  v  - 
technische  Fragen  für  ihre  eigene  Anstalt  recht  viel  lernen  können,  zumal 
da  sie  hier  Gelegenheit  finden  in  zweifelhaften  Punkten  sich  fachmännischen 
Rat  zu  holen. 

Nach  Schlufs  der  Gesamtvereinstagung  findet  am  25.  und  26.  September 
im  Sitzungssaale  des  Provinziallandtages  im  Ständehaus  der  Dritte  Tag  für 
Denkmalpflege  *)  statt.     Es  wird  hier  verhandelt  werden   über  Mafsregeln 
zur  Erhaltung  der   Baudenkmäler  (Cornelius  Gurlitt),    über  Pflege   und 
Erhaltung  plastischer  Kunstwerke  (Borrmann),    über  Bemalung   von   Bild- 
hauerarbeiten   (Haupt    und    Geiges).      Über    Denkmälerarchive    werden 
V.  Bezold    und    Ehrenberg    sprechen,     die    Aufgaben    der    Konmiunal- 
verwaltungen  auf  dem  Gebiete  der  praktischen  Denkmalpflege  werden  Struck- 
mann und  Giemen  behandeln,  imd  über  die  Angelegenheit  des  Handbuchs 
der  deutschen  Kunstdenkmäler  ^)  wird  Dehio  berichten.     Im  Anschlufs  an 
die  stattgehabte  Beseitigung  des  bisherigen  Westportals  am  Metzer  Dom  und 
dessen  Ersatz   durch   ein  gotisches   sollen   einige  grundsätzliche  Fragen 
der  Denkmalpflege  erörtert  werden.    Auch  hier  stehen  also  den  Interessenten 
wichtige  Besprechungen  in  Aussicht,  und  da  erfreulicherweise  die  geschichtlichen 
Sonderwissenschaften  sich  immer  mehr  einander  nähern,  die  Ergebnisse  der 
Nachbardisziplinen  sich  nutzbar  machen  und  diese  wieder  befruchten,  so  ist 
es  ein   doppelt  glücklicher  Gedanke,   die  Fachversammlungen,  welche  Ver- 
treter der  sich  so  nahe  berührenden  Gebiete  aus  allen  Teilen  des  deutschen 
Sprachgebietes  zusammenführen,  in  engem  zeitlichen  Anschlufs  in  derselben 
Stadt  abzuhalten  —  ganz  abgesehen  davon,  dafs  diese  Düsseldorf  heifst. 

Vereine.  —  Am  25.  November  185 1  erliefsen  die  Jenaer  Professoren 
Droysen,  Göttling,  Michelsen,  H.  Rückert,  Schwarz,  B.  Stark  und  Wegele 
eine  gedruckte  Einladung  zum  Beitritt  in  einen  zu  gründenden  Verein  für 
die  Geschichte  und  Altertumskunde  der  thüringischen  Lande.  An  dem  für 
die  Konstituierung  des  Vereins  anberaumten  2.  Januar  1852  fand  sich  im 
Saale  des  Bürgervereins  zu  Jena  eine  Versammlung  von  60 — 70  Personen 
ein,  und  der  Vorsitzende  konnte  bereits  den  Beitritt  von  etwa  100  Mit- 
gliedern feststellen.  Der  Verein  fOr  Thüringische  Geschichte  und 
Altertumskunde  mit  dem  Sitze  in  der  Universitätsstadt  Jena  schlofs  eine 
lange  von  den  Forschem  und  Freunden  der  Geschichte  empfundene  Lücke, 
da  der  18 19  in  Naumburg  begründete  und  1823  nach  Halle  übergesiedelte 
Thüringisch-Sächsische  Verein  für  Erforschung  des  vaterländischen 
Altertums  und  Erhaltung  seiner  Denkmale  nur  wenig  in  das  eigentliche 
Thüringen  eingedrungen  war,  die  seit  1838  bestehende  Geschichts-  und 


i)  Hierzu  vgl.  über  den  zweiten  diese  Zeitschrift,  oben  S.  61 — 63. 
2)  VgL  dazu  oben  S.   143—144. 


—     309     — 

altertumsforschende  Gesellschaft  zu  Altenburg  sich  aufdasOster- 
land  beschränkte,  und  der  1832  gegründete  Hennebergische  alter- 
tumsforschende Verein  zu  Meiningen  vornehmlich  die  Geschichte 
fränkischer  Gebiete  behandelte:  es  galt,  jetzt  das  gesamte  Gebiet  des 
thüringischen  Stammes  seiner  historischen  Stellung  gemäfs  in  die  ganz 
Deutschland  umfassenden  historischen  Studien  aufzunehmen.  In  einer  sehr 
schönen  Rede  wies  Prof.  Rückert,  ein  Sohn  des  Dichters,  auf  die  be- 
sondere Bedeutung  der  thüringischen  Landesgeschichte  hin,  die  wie  in  einem 
Mikrokosmos  alle  Gestaltungen  des  deutschen  Lebens  in  engen  Grenzen  ent- 
halte. Die  von  dem  vorbereitenden  Ausschufs  entworfenen  Statuten  wurden 
hierauf  mit  wenigen  Änderungen  von  der  Versammlung  angenommen. 

Mit  grofsem  Eifer  ging  der  Verein  sogleich  an  die  Lösung  der  Auf- 
gabe, die  er  sich  gestellt  hatte:  „durch  Sammlung  und  wissenschafUiche 
Benutzung  der  heimischen  Denkmäler  die  Geschichte  Thüringens  in  allen 
seinen  früheren  imd  jetzigen  Bestandteilen  allseitig  zu  erforschen  und  zu 
verwerten".  Die  Seele  des  Ganzen  war  der  Holsteiner  Mich  eisen,  emer 
jener  fleifsigen,  genauen  und  dabei  formgewandten  norddeutschen  Historiker 
vom  Schlage  des  Kaspar  Sagittarius,  die  für  die  thüringische  Wissenschaft 
so  fruchtbar  geworden  sind.  Er  leitete  die  Zeitschrift  des  Vereins,  die  so- 
gleich mit  wert>'ollen  Beiträgen  von  Rückert,  Schwarz,  Joh.  Voigt  und 
Michelsen  selbst  ins  Leben  trat  Daneben  hat  er  den  Plan  eines  thüringischen 
Urkundenbuches  aufgestellt  imd  sofort  mit  Veröffentlichung  der  Urkunden 
des  Klosters  Kapelle  begonnen.  ')  Jahr  für  Jahr  erschien  eine  Abhandlung 
über  wichtige  Fragen  der  thüringischen  Geschichte  aus  Michelsens  Feder  *). 
Für  die  weitere  Bearbeitung  des  Urkundenwerkes  scheinen  sich  jedoch  keine 
Mitarbeiter  gefunden  zu  haben,  denn  dieser  Teil  des  Arbeitsplanes  geriet 
völlig  in  Vergessenheit.  Dagegen  konnte  der  Verein  die  Ausgabe  der 
Reinhardsbrunner  Annalen  von  Wegele,  der  Rotheschen  Chronik  von 
Freiherrn  v.  Lilienkron  und  der  des  Nikolaus  von  Siegen  von  Wegele 
veröffentlichen.  ^)  An  der  Herausgabe  der  Eechtsdenkmäler ,  die  namentlich 
wertvolle  Stadtrechte  enthalten,  war  Michelsen  1853 — 1863  allein  tätig. 
Zum  Unglück  für  den  Verein  gbg  er  im  Jahre  1863  nach  Nürnberg,  um 
die  Leitung  des  Germanischen  Museums  zu  übernehmen,  und  bald  darauf 
kehrte  er  in  seine  nordische  Heimat  zurück,  an  deren  politischem  Leben  er 
einen  bedeutenden  Anteil  hatte.  Er  ist  am  11.  Februar  1881  zu  Schleswig 
gestorben. 

Nach  seinem  Weggange  erlahmte  die  Tätigkeit  des  Vereins  und  schlief 
alhnählich  ganz  ein;  1871  hörte  auch  die  Zeitschrift  zu  erscheinen  auf. 
Um  die  Mitte  der  siebziger  Jahre  begann  dann  ein  neuer  Aufschwimg  der 
landesgeschichtlichen  Studien  in  Jena.  Auf  Einladung  des  alten  Verlags- 
buchhändlers Frommann   versammelten   sich   am   12.  Mai  1876    einige  alte 

i)  Codex  Thuringiae  diplomaticus.  Erste  Liefening:  Diplomatar  des  Klosters 
Kapelle  unter  dem  Arnsberge  [bei  FrankenbanseD].     Jena,  Fr.  Frommann,  1854. 

3)  Der  Mainzer  Hof  za  Erfurt  1853,  Ehrensttickc  mid  Rantenkranx  1854,  Die  Rats- 
Verfassung  von  Erfurt  1855,  Urkundlicher  Ausgang  der  Grafschaft  OrlamUnde  1856,  Die 
ältesten  Wappenschilde  der  Landgrafen  v.  Th.  1857,  Joh.  Friedrichs  d.  Gr.  Stadtordnnng 
fUr  Jena  1858. 

3)  Unter  dem  Titel  „Thüringische  Geschichtsquellen",  Bd.  1—3,  Jena,  Frommann, 
1854— 1859. 


—     310     — 

und  neue  Mitglieder  des  Vereins  und  konstituierten  den  Vorstand  von  neuetn. 
Der  erste  Vorsitzende  des  wiedererweckten  Verebs  war  der  Oberappellations- 
gerichtsrat  Mu  the  r ,  an  dessen  Stelle  Ende  des  Jahres  1878  Kirchenrat  L  i  p  s  i  u  s 
trat.  Der  bekannte  Theologe  hat  auf  diesem,  seinen  eigentlichen  Studien  ziemlich 
fem  liegenden,  Gebiete  vornehmlich  durch  Aufrechterhaltung  des  Zusammen- 
hanges der  Mitglieder  und  Pflege  der  äufseren  Beziehungen  wertvolle  Dienste 
geleistet  tmd   in   seinen   Jahresberichten   die   Entwickelung   des  Vereins    der 
Nachwelt  getreu  überliefert.     In  die  leitende  Rolle,   die  einst  Michelsen  ge- 
spielt hatte,   teilten  sich  jetzt  der  Direktor  des  neugegründeten  Gymnasiums 
Gustav  Richter  und  der  Geschichtsprofessor  Dietrich  Schäfer.    Jener 
gab  die  Zeitschrift  heraus,  für  die  er  selbst  eine  Reihe  bedeutungsvoller 
Aufsätze,   vornehmlich  zur  Geschichte  der  Stadt  Jena  schrieb,    dieser  stand 
an  der  Spitze  des  wieder  aufgenommenen  Urkundenwerkes,   zu  dessen 
Durchführung  der  Verein  eine  jährliche  Unterstützung  von   einigen  der   be- 
teiligten Staaten  erhielt.    Seitdem  kann  eine  gewisse  Summe  zur  Honoriening 
der  Herausgeber  verwendet  werden,   während   Michelsen  ohne   Entgelt   ge- 
arbeitet hatte;    die  Mitarbeiter  an  der  Zeitschrift   erhalten   auch   heute   noch 
keinen  klingenden  Lohn,   denn  die  Beiträge  der  Mitglieder  (jährlich  3  Mk., 
wofür  die  Zeitschrift,   oder  20  Mk.,   wofür  sämdiche  Publikationen  geliefert 
werden)  decken  nur  die  Druckkosten  der  Zeitschrift 

Die  Inventarisadon  der  thüringischen  Kunstdenkmäler,  wofür  Friedrich 
Klop fleisch  im  Auftrage  des  Vereins  einen  Plan  ausgearbeitet  hatte, 
schied  aus  der  Zdhl  der  Aufgaben  wieder  aus,  nachdem  die  Regiemngen  im 
Jahre  1883  von  sich  aus  eine  Kommission  für  diesen  Zweck  eingesetzt  hatten. 
Von  dem  Urkundenwerk  erschien  im  Jahre  1883  der  i.  Band,  das  Urkunden- 
buch  der  Stadt  Arnstadt  von  C.  A.  H.  Burkhardt,  im  Jahre  1885 
folgte  der  i.  Teil  des  Urkundenbuches  der  Vögte  von  Weida,  Gera  und 
Plauen  von  Bertold  Schmidt,  1889  ^^^  i-  Teil  des  Urkundenbuches 
der  Stadt  Jena  und  ihrer  geistlichen  Anstalten  von  I.  E.  A.  Martin  und 
das  I.  Heft  des  Urkundenbuches  des  Klosters  Paulin zella  von  Ernst 
AnemüUer,  1892  der  2.  Teil  des  Schmidtschen  Urkundenbuches  der 
Vögte  von  Weida.  Seitdem  ist  auf  diesem  Gebiet  eine  gewisse  Stockung  ein- 
getreten, namentlich  mufste  die  lange  geplante  Herausgabe  der  Reinhardsbnmner 
Urkunden  ganz  zurückgestellt  werden.  Auf  mehrere  Jahre  wurden  die  Mittel 
des  Vereins  in  Beschlag  genommen  durch  das  grofse  Werk  der  Repcr- 
torisierung  der  bisher  gedruckten  Urkunden  zur  thüringischen  Geschichte, 
das  Otto  Dobenecker  übertragen  und  von  diesem  in  grofsem  Stil  auf- 
genommen worden  war.  Die  Ausführung  hat  in  der  Tat  gehalten,  was  der 
Vorstand  in  seinem  Geschäftsbericht  vom  Jahre  1885  ausgesprochen  hat: 
Thüringen  ist  durch  diese  Leistung  in  die  vorderste  Reihe  der  deutschen 
Landschaften  zu  stehen  gekommen.  Der  erste  Band  der  Regesta  dtpUymatiea 
j  iiecnan  epistoUma  historiae  Thuringiae  (Jena,  G.  Fischer,  1896)  umfafst  den 
Zeitraum  500 — 1151,  der  zweite  (1900)  reicht  bis  12 10;  der  dritte,  der  die 
Landgrafenzeit  zum  Abschlufs  bringen  soll,  ist  in  Vorbereitung.  Seit  Schäfers 
Weggang  1884  leitet  Dobenecker  das  Urktmdenwerk  und,  nachdem  an  die 
Stelle  des  im  Jahre  1892  verstorbenen  Geh.  Kirchenrates  Lipsius  der 
bisherige  Herausgeber  der  Zeitschrift,  Gustav  Richter,  erster  Vorsitzender 
geworden  war,  hat  er  auch  die  Redaktionsgeschäfte  übernommen. 


—     311     — 

Die  Mitgliederzahl  des  Vereins  beträgt  zur  Zeit  541.  Obgleich  grund- 
sätzlich alle  Teile  Thüringens  bei  den  Arbeiten  des  Vereins  berücksichtigt 
werden,  und  namentlich  das  Regestenwerk  allen  am  I.Ande  beteiligten  Staaten 
zu  gute  kommt,  so  sind  doch  nicht  alle  Teile  Thüringens  gleichmäfsig  an 
den  Leistungen  für  die  Sache  beteiligt  Eine  Reihe  partikularistischer  Vereine, 
zum  Teil  erst  in  den  letzten  Jahrzehnten  entstanden,  nehmen  viel  Kräfte  und 
Mittel  in  Anspruch,  die  der  gemeinsamen  Sache  verloren  gehen.  Zwar  ist 
im  Jahre  1897  zur  Zusammenfassung  der  Kräfte  die  Thüringische 
historische  Kommission  *)  gegründet  worden;  in  Wahrheit  ist  da- 
durch wohl  die  Arbeit  des  Vereins  gewachsen,  aber  eine  Unterstützung 
seitens  der  kleinen  Vereine  ist  ihm  nicht  zu  teil  geworden;  die  preufsische 
Hälfte  Thüringens  ist  zudem  in  der  Kommission  gar  nicht  vertreten.  Die 
Entwickelung  wird  künftig  dahin  geleitet  werden  müssen,  dafs  die  Vereine 
mit  beschränktem  Arbeitsgebiet  sich  zu  Ortsgruppen  des  thüringischen  Vereins 
umbilden,  und  die  historische  Kommission  der  preufsischen  Provinz  Sachsen 
für  den  thüringischen  Teil  sich  beteiligt.  Damit  müfste  wohl  eine  Um- 
gestaltung der  Zeitschrift  zusammengehen. 

Die  wachsende  Teilnahme  der  Behörden  hat  neuerdings  die  Fortführung 
der  „Geschichtsquellen"  ermöglicht  Im  laufenden  Jahre  erschien  der 
I.  Band  der  Emestinischen  Landtagsakten  (i486  — 1532),  herausgegeben 
von  C.  A.  H.  Burkhardt;  das  2.  Heft  des  Urkundenbuches  von  Paulin- 
zella  (Anemüller)  wird  demnächst  erscheinen;  der  2.  Band  des  Jenaer 
Urkundenbuches  (1406— 1525),  mit  Benutzung  von  Martins  NacÜafs  be- 
arbeitet von  Devrient,  ist  im  Druck.  Mit  Unterstützung  der  Kommission 
erschien  das  Werk  Stiedas,  Die  Anfänge  der  Parxeüanindtistrie  auf  dem 
Thüringerwalde  (Jena,  Fischer  1902).  Eine  Geschichte  der  Universität  Jena 
nebst  Urkundenbuch  ist  in  Angriflf  genommen  worden.  Den  Vorsitz  des 
Vereins  und  der  Kommission  führt  jetzt  Prof.  Ed.  Rosenthal,  die  Geld- 
geschäfte Verlagsbuchhändler  Gust.  Fischer  in  Jena. 

Das  50jährige  Bestehen  des  Vereins  wurde  am  22.  Juni  festlich  be- 
gangen; möge  des  zweite  halbe  Jahrhundert  dem  Vereine  glückliches  Ge- 
deihen bringen!  Ernst  Devrient  (Jena). 

Die  Deutsch-Amerikanische  Historische  Gesellschaft  von  Illinois 

wurde  am  6.  April  1900  gegründet  Der  erste  Aufruf  zur  Gründung  war 
auf  Anregung  E.  Mannhardts,  welcher  Jahre  lang  dem  Redaktionsstabe  der 
„Illinois  Staatszeitung*'  angehört  hatte,  von  den  Herren  W.  Vocke,  Dr.  G. 
A.  Zimmermann  und  Max  Eberhardt  am  27.  Februar  erlassen  worden.  Es 
wurde  die  sofortige  Konstituierung  der  Gesellschaft  beschlossen  und  als  ihr 
besonderer  Zweck  bezeichnet  „die  Geschichte  der  Deutschen  in 
Illinois  und  im  Nordwesten  zu  erforschen,  zur  Erforschung 
derselben  aufzumuntern  und  das  von  ihr  gesammelte  Material 
sicher  aufzubewahren,  zu  veröffentlichen  und  in  sonst  geeig- 
neter Weise  zu  verwerten." 

Der  Verem,  der  nicht  blos  eine  wissenschaftliche  Bedeutung  beanspruchen 


i)  Vgl.  dirübcr  diese  Zeitschrift  i.  Bd.,  S.  105,  2.  Bd.,  S.  238  und  3.  Bd.,  S.  313/14. 


J 


—    ai2    — 

darf,  sondern  auch  für  die  Erlangung  einer  grofsen  Machtstellung  des  Deutsch- 
tums  von  praktischem  Werte  ist,    hat  von  Anfang  an  eine  lebhafte  Tätigkeit 
entfaltet.      Der  Jahresbeitrag   der  Mitglieder   beträgt    drei  Dollars,    Vereme 
zahlen  jährlich  zehn  Dollars  tmd  können  sich  durch  drei  Abgeordnete  vertreten 
lassen.  lndeTyknt\}9hTsschnhI>eutsch'Afnerikanische  Geschichtm^ 
blätter  hat  der  Verein  ein  Organ  geschaffen,  worin  die  Ergebnisse  seiner 
Forschungen  niedergelegt  werden.    Die  Zeitschrift  wurde  sehr  beiMig  ange- 
nommen imd  den  Bemühungen  des  Sekretärs  gelang  es,  Mitarbeiter  in  vielen 
Teilen  des  Landes  zu  gewinnen.    Die  erste  Jahresversammlung  der  Gesellschaft 
fand  am  12.  Februar  1901  statt,  zugleich  das  erste  Stiftungsfest,  indem  schon 
bei  der  Gründung  beschlossen  wurde,  dasselbe  alljährlich  am  Geburtstage  des 
Sklavenbefreiers  Lincoln  zu  begehen.    Von  den  zur  Feier  geladenen,  jedoch 
an  der  Teilnahme  verhinderten  Herren  Karl  Schurz  (New- York),  Emil  Precto- 
rius    (St  Louis)    und  H.  A.   Rattermann   (Cincinnati)    waren  Schreiben    ein- 
gelaufen, welche  den  Bestrebungen  der  Gesellschaft  hohe  Anerkennung  zoll- 
ten. Die  Bamten  des  Vereins  waren  1901 :  W.  Vocke,  Präsident;  Alex.  Klappen* 
bach,  Schatzmeister;  Max  Eberhardt,   i.  Vizepräsident;   Dr.  G.  A.  Zimmer- 
mann,   2.    Vizepräsident;    Emil    Mannhardt,    Sekretär.     Letzterer    ist    auch 
Redakteur  der  Geschichtsblätter.     Das  Direktorium  hält  seine  Sitzungen    am 
I.  jeden  Monats.     Die   Versammlungen   der   Gesellschaft   finden   am  ersten 
Montag  der  Monate  Mai,  Oktober  und  Januar  statt,  die  Jahresversammlung, 
wie  schon  gesagt,  am  12.  Februar.  Oscar  H.  Kraft. 


Kommlssfoneil.  —  Aus  den  Berichten  über  die  27.  und  28.  Sitzung 
(1901  imd  1902)  in  Dessau  und  Wernigerode  der  Historischen  Kom- 
mission für  Sachsen- Anhalt  *)  ist  über  den  Fortgang  der  wissenschaft- 
lichen Unternehmungen  folgendes  mitzuteilen.  Vom  Urkundenbuche  der  Stadt 
Goslar .  ist  der  dritte,  von  Landgerichtsdirektor  Bode  bearbeitete  Teil 
(1301 — 1335)  erschienen,  der  vierte  Teil  (1336 — 1364)  soll  bald  vollendet 
werden.  Die  erste  Abteilung  des  Urkundenbuches  des  Klosters  Pforta  bis 
i35<^9  bearbeitet  von  Prof.  Böhme,  befindet  sich  im  Druck.  Ausg^eben 
wurde  femer  die  von  Gymnasialdirektor  Thiele  besorgte  Neuausgabe  der 
Erfurter  Chronik  des  Konrad  Stolle  und  das  vom  Gewerbeverein  in  Langen- 
salza mit  Unterstützung  der  Kommission  herausgegebene  Werk  Orabdenk- 
mäler  der  Bergkirche  xu  LangenscUza,  Eine  grofse  Reihe  anderer  Arbeiten, 
die  in  den  Geschichtsquellen  veröffentlicht  werden  sollen,  schreiten 
rüstig  fort;  die  Besorgung  einer  Ausgabe  des  Briefwechsels  des  Humanisten 
Eoban  Hesse  und  die  Bearbeitung  eines  Eichsfeldischen  Urkundenbuches 
wurde  aus  der  Liste  der  Arbeiten  gestrichen,  da  von  den  Beauftragten  seit 
längerer  Zeit  Berichte  nicht  emgegangen  sind.  —  Als  Neujahrsblatt  erschien 
1901  Ausfeld,  Die  Hof-  und  Haushaltung  der  letzten  Grafen  von  Henne- 
berg imd  1902  Kawerau,  Die  Rückkehr  Luihers  von  der  Wartburg,  — 
Von  der  Beschreibung  der  Bau-  und  Kunstdenkmäler  sind  die  Kreise  Ziegenrück 
tmd  Schleusingen  erschienen,  Stadtkreis  Aschersleben  tmd  Stadt-  und  Land- 
kreis Halberstadt  sind   druckfertig.  —  Behufs  Sanmilung   aUer  vorgeschicht- 


i)  Vgl.  darüber  2.  Bd.,  S.  213—214. 


—     313     — 

liehen  Veröffentlichungen  im  Arbeitsgebiete  wurde  1901  die  Umwandlung 
der  vom  Provinzialmuseum  in  Halle  herausgegebenen  Mitteilungen  in  eine 
von  der  Kommission  unterstützte,  regelmäfsig  jährlich  mindestens  15  Bogen 
stark  erscheinende  Jahresschrift  für  die  VorgeschicJite  der  sächsisch-thOringischenr 
Länder,  herausgegeben  von  dem  Provimdalmuseum  der  Provinz  Sachsen  in 
Halle  a.  S.,  beschlossen,  wovon  der  erste  Band  bereits  erschienen  ist.  —  Die 
Arbeit  an  den  geschichtlichen  und  vorgeschichtlichen  Karten  ist  rüstig  fort- 
geschritten, von  den  Grundkarten  sind  5  Sektionen  ganz  fertig,  2  werden 
es  demnächst  imd  bei  weiteren  10  Sektionen  ist  die  Situation  (Ortschaften 
imd  Fluüsläufe  ohne  Namen)  vollendet  —  Das  von  Prof.  Hertel  bearbeitete 
Wüstungsverxeichnis  des  Nordthüringgaues  mit  Karte  von  Oberlehrer  R  e  i  s  c  h  e  1 
ist  erschienen,  auch  die  entsprechenden  Verzeichnisse  für  die  Kreise  Heiligen- 
stadt, Worbis,  Mühlhausen  und  Duderstadt,  bearbeitet  von  Freiherm  von  Wint- 
zingerode-Knorr,  sind  bis  auf  das  Register  im  Drucke  fertig  gestellt  — 
Die  nach  dem  westfälischen  Vorbild  auszuführende,  von  Archivdirektor  A  u  s  - 
feld  geleitete  Verzeichnung  der  in  der  Provinz  SacJisen  und  dein  Herzog- 
turne  Anhalt  vorhandenen  nichtstaatlichen  Archive  und  ihres  Inhalts  hat  be- 
gonnen; der  Kreis  Wolmirstedt  ist  fast  vollendet  —  Im  Jahre  1903  wird 
die  Versammlung  in  Erfurt  stattfinden. 


Dem  fünften  im  Mai  1 902  erstatteten  Jahresbericht  der  Historischen 
Kommission  für  Hessen  und  Waldeck  ^)  ist  über  den  Fortgang  der 
Arbeiten  folgendes  zu  entnehmen.  Ausgegeben  konnte  im  Berichtsjahre  eine 
Publikation  nicht  werden,  aber  der  Druck  des  i.  Bandes  des  Fuldaer  Ur- 
kimdenbuches ,  den  Prof.  Tan  gl  bearbeitet,  und  der  des  Friedberger  ür- 
ktmdenbuches  hat  begonnen.  Die  übrigen  Arbeiten  sind  zwar  sämtlich  er- 
heblich gefördert  worden,  aber  es  haben  sich  doch  viele  Schwierigkeiten  er- 
geben, welche  längere  Verzögerungen  veranlafsten :  Dr.  Jürges,  der  die 
Waldecker  Chroniken  bearbeitet,  ist  nach  Wiesbaden  übergesiedelt,  Prof. 
Brandi  nach  Göttingen,  wodurch  es  unmöglich  geworden  ist,  die  Urkund- 
lichen QueÜen  zur  Geschichte  Landgraf  Philipps  des  Orofsmütigeny  wie  ge- 
plant, bis  1904,  wo  die  vierte  2^ntenarfeier  der  Geburt  Philipps  stattfindet, 
fertig  zu  stellen.  Dagegen  soll  eine  Schrift  über  die  bildlichen  Darstellungen 
des  Landgrafen  zu  dieser  Feier  erscheinen,  deren  Bearbeitung  Prof.  vonDrach 
und  Geh.  Archivrat  Könnecke  übernommen  haben.  Für  das  Münzwerk 
hat  Dr.  Buchenau  im  Winter  1901  — 1902  eine  halbjährige  Reise  unter- 
nommen. Für  das  Ortslexikon  hat  Archivrat  Reimer  einige  Proben  be- 
arbeitet, die  dem  Jahresberichte  beiliegen.  —  Der  stattlichen  Einnahme  von 
r  7  93 1  Mk.  steht  nur  eine  Ausgabe  von  5  1 1 1  Mk.  gegenüber,  den  Vorsitz 
führt  Prof.  Freiherr  G.  von  der  Ropp. 

Die  Thüringische  Historische  Kommission^)  hielt  1902  ihre 
Jahressitzung  am  21.  Juni  zu  Jena  ab.  Der  i.  Band  der  Sachsen-Emesti- 
nischen  Landtagsakten  ist  im  Berichtsjahre  ausgegeben  worden,  ebenso  das 
mit  Unterstützung  der  Kommission  bearbeitete  Werk  von  Stieda,  ^^^    ^*»- 


i)  Vgl.  2.  Bd.,  S.  301 — 302. 

2)  Vgl.  2.  Bd.,  S.  238. 


—     314     — 

fange    der    Porzellanvidustrie    auf   dem    Thüringerwalde.     Die   Stadtrechte 
von  Saalfeld   und  Eisenach,   die  Koch   und  Kühn  bearbeiten,   siad 
noch  nicht  zum  Drucke  fertig,    sollen  es  aber   im  laufenden  Jahre   werdeo 
und   werden   als   Einleitung   eine   Darstellung   der   verfassungsgeschichüicheo 
Entwickelung  der  betreffenden  Städte  erhalten.    Die  Bearbeitung  einer  neuen 
Biographie  Ernsts  des  Frommen  (1601 — 1675)  wurde  Stoy  tibertragen,  der 
bis  zum  Universitätsjubiläum  1908  auf  Grund  des  von  Devrient  begonnenen 
Urkundenbuches   der  Universität  Jena  auch  eme  Geschichte   der  Universität 
schreiben  wird.     Archivinventarisationsberichte  sind   seit   der  letzten  Sitzung^ 
im  November  1900   leider  gar  nicht   eingegangen.     Geldmangel   verhindert 
eine   Herstellung   der   Grundkarten    und   der  Matrikel   der  Universität  Jena. 
Das  Verzeichnis  der  thüringischen  Wüstungen  hat  keine  Fortschritte  gemacht  — 
Als  neue  Unternehmung  beantragte  Archivrat  Mitzschke  die  Schafiimg  einer 
historischen  Bibliographie  Thüringens ;  Dobenecker,  der  bisher  nur  einen 
Stadtplan  im  Mafsstabe   i  :  2000  (Gera)  erhalten  hat,  wies  aufs  neue  auf  die 
Wichtigkeit  der  Sache  hin.  —  Bezüglich  der  Organisation  ist  zu  bemerken, 
dafs   an  Stelle  Dobeneckers   Prof.  Mentz   die   Stelle   eines  Sekretärs  über- 
nommen hat.    Die  wissenschaftliche  Abteilung  des  Thtiringerwald- Vereins  ist 
der  Kommission  beigetreten   imd   wird   durch  Archivrat  Mitzschke  (Stell- 
vertreter Sanitätsrat  Zschiesche)  vertreten.    Hauptpfleger  im  Herzogtum  Coburg 
wurde  Archivar  Krieg.     Für  ausgeschiedene  Pfleger   hat  bisher  noch  nicht 
überall  ein  geeigneter  Ersatz  gefunden  werden  können. 

Die  Franzosenkrankheit.  —  Die  Geschichte  der  Krankheiten  und 
der  Arzeneikunst  hat  schon  seit  geraumer  Zeit  Bearbeitung  durch  tüchtige 
medizinische  Fachleute  erfahren  '),  aber  wie  auf  der  einen  Seite  die  Verfasser 
nicht  geschulte  Geschichtsforscher  waren,  so  hat  auf  der  anderen  die  zünftige 
Geschichtsforschung  nur  in  recht  bescheidenem  Mafse  von  jenen  Arbeiten 
Gebrauch  gemacht,  obwohl  darin  viele  Fragen  berührt  werden,  die  wie  die 
Geschichte  der  grofsen  Epidemieen  —  Schwarzer  Tod,  Pest,  Cholera  — 
grofses  allgemeingeschichtliches  Interesse  beanspruchen  und  durch  geschicht- 
liche Behandlung  seitens  der  Ärzte  dem  ärztlichen  Laien  vielfach  in  wich- 
tigen Einzelfragen  verständlicher  erscheinen  müssen.  Trotzdem  wird  selbst 
eine  Arbeit  wie  Die  großen  Volkskrankheiten  des  Mittelalters  von  Heck  er 
(gesammelt  und  in  erweiterter  Bearbeitung  herausgegeben  von  AugustHirsch, 
Berlin  1865),  deren  Titel  bereits  darauf  schliefsen  läfst,  dafs  sie  ftir  einen 
gröfseren  nichtärztUchen  Leserkreis  bestimmt  ist,  recht  selten  verwertet  Die 
Geschichte  der  Heilkunde  im  engeren  Sinne,  so  interessant  sie  dem  Arzte 
sein  mag,   hat  für  den  Historiker  zunächst  geringere  Bedeutung;   viel  wich- 


i)  Es  seien  hier  nur  die  grolsen  zusammenfassenden  Werke  von  Heinrich  Haeser, 
Lehrbtuh  der  Geschichte  der  Medizin  und  der  epidemischen  Krankheiten  (Dritte  Be- 
arbeitung, Jena  1882),  J.  K  Proksch,  Geschichte  der  venerischen  Krankheiten  (Bonn  1895) 
und  Th.  Puschmann,  Handbuch  der  Geschichte  der  Medizin  (Von  dreifsig  verschie- 
denen Forschern  bearbeitet,  beginnt  Jena  1901  zu  erscheinen)  genannt,  die  ftir  den 
Historiker  wichtiges  Material  enthalten,  aber  ihm  auch  viel  Gelegenheit  zur  Kritik  bieten, 
sei  es,  dafs  die  Quelleninterpretation  nicht  sorgfaltig  genug  erscheint,  sei  es,  da(s  wichtige 
soziale  Einrichtungen,  die  aus  dem  Geiste  der  Zeit  heraus  beurteilt  sein  wollen,  diese 
Beleuchtung  nicht  erfahren. 


—     315     — 

tiger  ist  für  ihn  die  Geschichte  der  Krankheiten  selbst,  namentlich  wenn 
sie  weite  Kreise  ergriffen  haben,  wie  der  Aussatz,  und  sich  mithin  eine 
Menge  sozialer  Folgeerscheinimgen  daran  anknüpfen.  Andrerseits  gibt  die 
Geschichte  der  Krankheiten  imd  ihrer  Heilung  auch  manchen  Aufschlufs 
über  den  ärztlichen  Beruf  und  Stand  in  seiner  geschichtlichen  Entwickelung, 
und  da  von  allen  gelehrten  Berufen  der  des  Arztes  im  Abendlande  am 
frühesten  einen  weltlichen  Charakter  angenonmien  hat,  so  bietet  auch  in 
dieser  Hinsicht  die  krankheitsgeschichtliche  Spezialuntersuchung  wichtige  Bau- 
steine für  die  Sozialgeschichte  ^). 

Aber  neben  diesen  allgemeinen  Ergebnissen  der  medizingeschichtlichen 
Forschung  sind  auch  die  medizingeschichtlichen  Probleme  im  besonderen  von 
Interesse;  denn  eine  nicht  unbeträchtliche  Reihe  von  Krankheiten  müssen 
in  jeder  deutschen  Geschichte  Erwähnung  finden  :  es  sind  dies  zum  wenigsten 
der  Aussatz  und  der  Schwarze  Tod  im  Mittelalter,  an  der  Wende  von  Mittel- 
alter imd  Neuzeit  Franzosenkrankheit,  Englischer  Schweifs  und  Pest,  während 
in  der  neuesten  Zeit  zum  wenigsten  Blattern  und  Cholera  berührt  werden 
müssen.  Von  allen  diesen  ist  wohl  bisher  die  Franzosenkrankheit  von  der 
Geschichtsforschung  —  höchstens  die  Pest  könnte  den  Vergleich  aushalten  — 
am  au6nerksamsten  verfolgt  worden,  war  doch  gerade  bei  ihr  das  Auftreten 
um  1495  so  plötzlich,  die  ganze  Erscheinung  so  neu  und  unerhört  und  die 
Wirkung  so  schrecklich,  dafs  selbst  die  zeitgenössischen  Chronisten  eine 
solche  Merkwürdigkeit  nicht  mit  Schweigen  übergehen  koimten.  Da  zugleich 
die  Verbreitung  in  allen  Gesellschaftsschichten  auf  den  sittlichen  Lebens- 
wandel der  Behafteten  schliefsen  läfst,  so  ist  die  Beobachtung  dieser  Dinge 
von  allgemeinstem  Interesse  für  die  noch  so  wenig  bearbeitete  Geschichte 
der  Sittlichkeit  *) ;  d.  h.  weniger  die  Tatsache  der  Erkrankung  als  die  naive 
Weise  und  Selbstverständlichkeit,  mit  der  die  Erkrankten  selbst  davon  sprechen, 
ist  es,  was  geschichüich  gewürdigt  sein  will.  Wie  unendlich  reich  die 
Literatur  über  die  Syphilis,  wie  gegenwärtig  die  Franzosenkrankheit  wissen- 
schaftlich heifst,  geworden  ist  und  wie  zahlreich  selbst  unmittelbar  nach  ihrem 
Bekanntwerden  die  Schriften  darüber  waren,  das  zeigt  ein  Blick  in  die  Biblio- 
graphie von  Proksch').  Aber  auch  schon  die  zeitgenössischen  Berichte 
über  ihr  Auftreten  sind  1843  ^^^  Fuchs  ^)  zusammengestellt  worden,  so 
dafs  es  verhältnismäfsig  einfach  ist,  davon  Kenntnis  zu  nehmen. 

Das  Problem,   welches  die  Mediziner    seit   langer  Zeit  beschäftigt   hat, 

i)  Von  diesem  Standpunkte  aus  betrachtet  den  Gegenstand  Hermann  Peters,  Der 
Arzt  und  die  Heilkunst  in  der  deutschen  Vergangenheit  [:=  Monographieen  zar  deutschen 
Kaitargeschichte,  herausgegeben  von  Steinhausen,  Dritter  Band].  Leipzig,  Eugen 
Diederichs  1900. 

2)  Im  Zusammenhange  bat  meines  Wissens  bisher  nur  Wilhelm  Rudeck,  ein  Arzt, 
sich  mit  diesem  Gegenstande  beschäftigt,  aber  seine  Geschichte  der  öffentlichen  Sittlichkeit 
in  Deutschland  Qtnn,  Costenoble  1897),  so  fleifsig  das  Material  gesammelt  ist,  läfst  doch 
eine  tiefere  allgemeingeschichtliche  Bildung  rcrmissen  und  läfst  sich,  da  der  Verfasser 
vielfach  aus  abgeleiteten  Quellen  schöpft,  oft  recht  treffende  Bemerkungen  der  Quellen 
entgehen. 

3)  Die  LiUratur  Ober  die  venerischen  Krankheiten  (3  Bände,  Bonn  1889^1891, 
mit  einem  Autorenregister  in  einem  besonderen  Bande  und  einem  starken  Supplement- 
band, 1900). 

4)  Die  ältesten  Schriftsteller  über  die  Lustseuche  in  Deutschland  von  14 gs  *« 
iSiO  nebst  mehreren  Anecdotis  späterer  Zeit  (Gdttingen  1843). 


—     316     — 

ist  die  Frage  nach  dem  Ursprünge  der  Syphilis:  die  einen')  meinten, 
dafs  die  Seuche  aus  dem  neu  entdeckten  Amerika  von  den  ersten  Besuchern 
eingeschleppt  worden  sei,  die  anderen,  besonders  Prok seh,  waren  der  An- 
sicht und  eiklärten  mit  Bestimmtheit,  dafs  sie  bereits  im  Altertum  und 
Mittelalter  vorhanden  gewesen  sei  und  sich  nur  gegen  Ende  des  XV.  Jahr- 
himderts  allgemeiner  ausgebreitet  habe.  Soviel  auch  darüber  debs^ert 
worden  ist,  eine  Entscheidung  war  bisher  nicht  gefallen;  und  es  war  von 
vornherein  klar,  dafs  sich  die  Frage  nur  von  demjenigen  würde  gründlich 
und  überzeugend  beantworten  lassen,  der  mit  den  Grundsätzen  der  historischen 
Kritik  völlig  vertraut  ist  und  zugleich  die  älteren  medizinischen  Fachschrift- 
steller als  Arzt  genügend  zu  würdigen  versteht  In  viel  höherem  Mafse  als 
die  früheren  Bearbeiter  des  Gegenstandes  genügt  diesen  Anforderungen  Iwan 
B 1  o  c  h  ^) ,  der  neuerdings  den  Ursprung  der  Syphilis  wieder  untersucht  hat. 
An  seinen  Ergebnissen  darf  auch  der  Geschichtsforscher  nicht  achtlos  vorüber- 
gehen, zumal  da  eine  Reihe  naheüegender  Fragen,  die  von  früheren  un- 
beantwortet gelassen  waren,  hier  beleuchtet,  nicht  wenige  neue  Quellen  zum 
ersten  Male  herangezogen  und  angeblich  zuverlässige  geschichtliche  Nachrichten 
kritisch  zerpflückt  werden.  Die  Untersuchung  hätte  leicht  etwas  knapper  ge- 
halten und  dadurch  ein  Drittel  des  Umfanges  erspart  werden  können,  aber 
dafür  sind  dankenswerterweise  die  Quellenstellen  sämüich  im  Wortlaut  mit- 
geteilt und  der  Verfasser  war  sicherlich  der  Ansicht,  zunächst  für  Mediziner 
zu  schreiben  und  wollte  deswegen  seine  kritischen  Urteile  bis  ins  einzelnste 
begründen.  Die  Ergebnisse,  soweit  sie  für  die  Geschichtsforschung  von  Belang 
sind,  lassen  sich  etwa  folgendermafsen  charakterisieren: 

Die  Tatsache,  dafs  die  Verbreitung  der  Seuche  durch  Italien  und  femer 
das  übrige  westliche  Europa  während  und  nach  dem  Zuge,  den  der  fran- 
zösische König  Karl  VIIL  im  Winter  1494  auf  1495  nach  Italien  unter- 
nahm, stattgefunden  hat,  ist  durch  eine  ganz  aufserordentlich  grofse  Zahl 
zeitgenössischer  Zeugnisse  erhärtet  und  ebenso,  dafs  die  bei  weitem  ver- 
breitetste  unter  den  vielen  ^)  für  die  neue  Krankheit  verwendeten  Bezeich- 
nungen (morbus  gallicus,  mala  franzosa,  Franzosen)  ihren  Urspnmg  eben 
darauf  zurückführt,  dafs  man  in  Italien  die  Soldaten  des  französischen 
Heeres  als  die  Einschlepper  der  Krankheit  ansah.  Weiter  erweist  Bloch, 
der  den  Verlauf  des  französischen  Kriegszuges  mit  Bezug  auf  die  Zusanmien- 
setzung  und  die  Geschicke  des  Heeres  bis  ins  einzelne  verfolgt  (S.  138 — 152), 
dafs  sich  alle  diejenigen  Zeugnisse,  welche  ausdrücklich  mit  Neimung  von 
Jahreszahlen  vor  dieser  Zeit  von  Syphilisfällen  berichten,  tatsächlich  irren, 
und  zwar  wird  zu  diesem  Zwecke  die  innere  Glaubwürdigkeit  der  Quelle 
selbst  imtersucht  und  der  darin  enthaltene  Widerspruch  festgestellt 
Am    wichtigsten    ist    der  Nachweis,    dafs    die   von  Bodmann    aufgedeckte 


i)  In  neuerer  Zeit  vor  allem  der  Bonner  Pharmakolog  Binz  in  der  Deutschen  Medi- 
zinischen Wochenschrift  1893,  Nr.  44,  S.  1057  ff. 

2)  D^r  Ursprung  der  Syphilis ,  eine  medizinische  und  kulturgeschichtliche  Unter- 
suchung (Jena,  Gustav  Fischer,  1901.  313  S.  Z%  Eine  zweite  Abhandlung  fiber  die 
angeblich  schon  im  Altertum  bezeugte  Syphilis,  die  B.  als  nicht  vorhanden  ei  weisen  will, 
soll  folgen. 

3)  Eine  Zusammenstellung  aller  ihm  bekannt  gewordenen  Namen  der  Syphilis  gibt 
Bloch  S.  297—305. 


—      317      — 

Erwähnung  in  Mainz  wohl  an  sich  richtig,  aber  daTs  die  BeiEUgung  der 
Jahreszahl  147a  seine  willkürliche  Beigabe  ist  (S.  47).  Unter  eingehendster 
FeststeltuDg  der  Umstände,  die  mit  des  Kolumbus  Entdeckungsfahrten  im 
Zusammenhaage  stehen  (S.  174 — 252),  und  unter  genauester  zeitlicher  Fixierung 
der  Krankheitsfalle,  wird  ferner  festgestellt,  dafe  sicher  schon  die  von  der 
ersten  im  März  1493  becDdeten  Seereise  heimkehrenden  Seelente  die  neue 
Krankheit  mitgebracht  haben.  Ihre  Existenz  in  Amerika,  besonders  auf 
Haiti,  in  Zentral-  und  Südamerika,  vor  dem  Erscheinen  des  Kolumbus  ist 
ebensowenig  zu  widerlegen,  und  diese  Tatsache  erfährt  eioe  Stütze  dadurch, 
da&  das  den  Eingeborenen  als  Heilmittel  bekannte  Guajakholz  sehr  bald 
nach  Europa  gebracht  wurde  und  sicher  schon  1504  (S.  183)  hier  bekannt 
war.  Die  Ausbreitung  der  Syphilis  in  Europa  und  ferner  in  Afrika,  Asien  und 
Australien  wird  schliefslich  im  Überblick  vorgeführt  und  somit  über  Ursprung 
und  erste  Verbreitung  wohl  alles  dasjenige  beigebracht,  was  sich  im  wesent- 
lichen auf  Grund  des  heute  vorliegenden  Quellenmaterials  überhaupt  sagen  läist. 

Damit  mögen  die  vom  Standpunkte  der  Medizingeschichte  interessantesten 
Probleme  gelost  sein,  aber  für  die  AUgemeingcschichte  ist  doch  erst  eine 
verhältnismäfsig  untergeordnete  Frage  beantwortet,  denn  für  diese  ist  mcht 
nur  die  geographische  Verbreitui^  im  grofsen,  sondern  die  Fortpflanzung 
von  Ort  zu  Ort  und  vor  allem  die  soziale  Ausbreitung,  die  Art,  wie  davon 
Notiz  genommen  wird,  die  Form  der  sozialen  Folgeerscheinungen  —  Ein- 
wirkung auf  die  Organisation  der  Prostitution,  Gründung  von  Anstalten  zur 
Isolierung  und  Heilung  der  Kranken  —  von  Wichtigkeit.  Alle  diese  Dinge 
werden  zwar  von  Bloch  gestreift,  aber  sie  sind  noch  längst  nicht  genügend 
durch  Örthch  uod  zeitlich  beschränkte  Einzeluntersuchungen  beleuchtet  als  dafs 
eine  absch liefsende  Zusammenfassung  möglich  wäre.  Hier  ist  der  Punkt,  wo 
zunächst  die  Lokalforschung  einsetzen  miifste :  es  wäre  von  grofsem Interesse, 
wenn  wir  durch  besondere  Arbeiten  über  das  Auftreten  der  Franzosenkrankheit 
zum  wenigsten  in  einem  Dutzend  Städten  während  des  XVI.  Jahrhunderts 
unterrichtet  würden!  Jeder  Ort  wird  in  diesem  Falle  einiges  Material  liefern 
können,  die  gröfseren  Städte  natürlich  voraussichtlich  das  meiste,  aber  nur 
auf  einer  so  breiten  Grundlage  wird  es  möglich  werden,  die  Wirkungen  der 
Seuche  ganz  zu  würdigen.  Neben  den  schon  bezeichneten  Punkten  ist  die 
Frage  nach  der  Sterblichkeit  der  Erkrankten  von  Wichtigkeit,  denn  Zeug- 
nisse dafür,  daTs  recht  viele  daran  gestorben  seien,  und  solche,  die  das 
Gegenteil  feststellen,  liegen  vor.  Für  die  Geschichte  des  ärztlichen  Standes 
würde  die  Ausbildung  des  Spezialistentums,  die  durch  eine  so  besondere 
Krankheit  natürlich  gefördert  wird,  von  Interesse  sein:  in  Deutschland  gab 
CS  einen  solchen  Spezialarzt  15 16  in  Ravensburg,  er  hiefs  Mathias  Ile  und 
war  als  weilberüetnpter  doctor  besonders  wegen  seiner  Erfo^e  bei  Behandlung 
der  Franzosenkrankheit  bekannt '). 

Einige  andere  Notizen,  die  mir  ge 
hier  im  Zusammenhange  aufgeführt  wen 
ahmnng  anspornen,  bei  der  Quellenlekt 
zugänglich  zu  machen! 

l)  ZimiHeritelie  Chronik,  henuugegeben 
S.  238,  Z.  14.  Bloch  crvthot  S.  349,  359, 
bciondcren  Wert  d»r«nf. 


—     318     — 

Da  Bodmann  als  Fälscher  in  Blochs  Untersuchung  eine  bedeutende 
Rolle  spielt,  wird  es  von  Interesse  sein,  auf  zwei  urkundliche  Mitteilungen 
hinzuweisen ,  die  aus  seinem  Nachlafs  veröffentlicht  worden  sind  ') :  hier  er- 
wecken die  Jahreszahlen  1522  und  1542  nicht  das  geringste  Bedenken, 
geben  aber  vielleicht  selbst  noch  eine  Handhabe  zur  Kritik  der  Zahl  1472 
aus  Bodmanns  eigenem  Material.  Sachlich  scheint  mir  darin  von  Belang 
die  Wendung  ins  höh  legen  lassen  für  die  Behandlung  mit  Guajakholz.  — 
Zwei  bildliche  Darstellungen  aus  der  frühesten  Zeit  der  Franzosenkrankheit 
teilt  Peters  ^)  mit :  das  erste  ist  ein  Holzschnitt  mit  einem  Gebetstexte ,  an 
St.  Dionysius  um  Heilung  von  der  mala  franxos  gerichtet,  der  lun  1500  an- 
gesetzt wird,  das  zweite,  äufserlich  dem  ersten  verwandt,  bittet  St  Minus 
um  Befreiung  von  den  blättern  in  welsch  genant  mala  frantxosa;  aber  bei 
diesem  wird  Wolfgang  Homer  in  Nürnberg  als  der  Künstler  genannt  und 
als  Entstehungszeit  1470 — 80  angegeben,  eine  Angabe,  die  sich  unmöglich 
wird  halten  lassen,  da  vor  1495  eine  derartige  Darstellung  in  Deutschland 
unmöglich  sein  dürfte.  —  Eine  ganze  Reihe  wichtiger  Angaben  enthält  die 
schon  oben  erwähnte  Zimmerische  Chronik;  von  Schenk  Erasmus  von  Erbach 
wird  (II,  S.  200)  erzählt,  dafs  er  sich  fünf  bis  sechs  Jahre  vor  seinem 
Tode  —  er  starb  1503,  Sept.  i  —  vor  den  Franzosen  geekelt  habe; 
Schenk  Eberhard  von  Erbach,  der  sich  die  Krankheit  in  seiner  Jugend  als 
Kriegsmann  in  Italien  und  Frankreich  geholt  hat  und  15 16  den  Ravens- 
burger Spezialisten  aufsucht,  hat  auch  seine  Gemahlin  Maria  geb.  Gräfin 
von  Wertheim  angesteckt  (II,  S.  212);  Landgraf  Wilhelm  von  Hessen  ^),  der 
das  tüildbad  —  also  irgend  ein  Bad  —  dafür  aiifisucht  (II,  S.  381),  stirbt 
schliefslich  am  11.  Juli  1509  daran  (II,  S.  213).  —  Die  Erkrankung  von 
Geistlichen  an  der  Lustseuche  ist  wiederholt  —  so  von  Bloch  S.  27,  38, 
118,  168,  260  —  festgestellt  worden,  aber  die  naive  Erzählung  des  Pforz- 
heimer Kanonikus  Dietrich  Wyler  in  seinem  tun  1530  ver^sdsten  Testa- 
mente verdient  doch  eine  besondere  Erwähnung;  er  schreibt  nämlich:  als 
Margret  min  magt  mir  treulich  gedient  hat  by  dryssig  fünf  jaren  und  sie 
vil  geschmack  und  unreinigkeit  von  der  frantzosen,  die  ich 
gehapt  han,  ingenommen,  ouch  in  minen  krankheiien  mein  trüwlich  ge^ 
uKirt,. .,  so  setz  ich  ir,,.  *).  —  Eine  geschichtliche  Anekdote,  die  besser  als  aües 
andere  zeigt,  in  wie  hohem  Grade  die  Gemüter  der  Ärzte  durch  die  Ratlosigkeit, 
mit  der  man  der  Krankheit  gegenüberstand,  erregt  wurden,  berichtet,  dais 
im  letzten  Grunde  der  wissenschaftliche  Streit  zwischen  zwei  Leipziger  Medi- 
zinern über  die  Bekämpfimg  der  Franzosenkrankheit  schliefslich  zur  Gründung 
der  Universitäten  Wittenberg  (1502)  und  Frankfurt  a.  d.  Oder  (1506)  geführt 
habe  *).  —  In  Leipzig  ist  1530  ein  Ziehkind  mit  den  Franzosen  behaftet 
und  steckt  seine  Pflegemutter  an;  im  folgenden  Jahre  wird  berichtet ,  dais 
einer  anderen  Frau,   weil  sie  die  frantzosen  überkommen,   die  überwiesenen 


i)  Afueiger  für  Kunde  der  deutschen    Vorzeit^  28.  Bd.  (1881),  S.  334. 

2)  Der  Arzt  und  die  Heilkunst  in  der  deutschen   Vergangenheit^  8.   10  luid  12. 

3)  Vgl.  Hans  Glagau,  Anna  von  Hessen^  die  Mutter  Philipps  des  GrofsmOtigen 
(Marburg,  Elwert  1899),  S.  5—9. 

4)  Korth,   Urkunden  des  Stadtarchivs  zu  Pforzheim  (Pforxheim  1899),  S.  4I. 

5)  Gostav  Bauch,    Geschichte  des  Leipziger  Prühkumanismus  [ss  Beihefte   ram 
Zentralblatt  fiir  Bibliothekswesen,  7.  Bd.  (1899)],  S.  335. 


—     319     — 

Ziehkinder  genommen  werden*).  —  Von  besonderen  Syphilisspitälern 
weife  Bloch  neben  Sevilla  (S.  233),  wo  1501  ein  solches  entsteht,  nachdem 
schon  seit  1497  ein  anderes  auch  zur  Aufnahme  Syphilitischer  verwendet 
worden  war,  in  Bamberg  und  Erfurt  (beide  1497  errichtet,  S.  269/70)  sowie 
in  Prag  1500(8.  275)  solche  namhaft  zu  machen.  In  Augsburg  hat  Jakob 
Fugger  für  32  Kranke  ein  „Holz-  oder  Blattemhaus**  errichtet'),  in  Ham- 
burg wird  das  Hospital  für  Syphilitische  St  Hiob  1505  gegründet  ^),  in  Würz- 
b  up;  wird  das  längst  bestehende  franlxosenhaus  1542  zugleich  mit  dem 
Armenhaus  von  einem  Wohltäter  mit  einer  Stifhmg  von  70  Gulden  bedacht  *). 
Schon  T520  wird  in  Zwickau  das  ältere  Franziskushospital,  das  in  diesem 
Jahre  Franzosenhaus  heifet,  neu  gebaut  *).  In  Leipzig  ist  1536  von  einer 
neu  erbauten  Kapelle  für  mit  Aussatz  und  Franzosenkrankheit  Behaftete  beim 
Hospital  St.  Johannis  die  Rede  *^),  in  Dresden  errichtete  man  das  neue  Spital 
bei  St.  Bartholomäi  als  Franzosenhaus  1536^).  In  Chemnitz  gab  es  im 
XVI.  Jahrhundert  zwei  Franzosenhäuser,  die  1555  zwanzig  Insassen  auf- 
wiesen, aber  im  Anfang  des  XVII.  Jahrhunderts  ist  nur  noch  eins  vorhanden  ®). 
Für  die  unbedingt  notwendige  Vervollständigung  der  bei  Bloch  S.  2690! 
begonnenen  Städtestatistik  hinsichtlich  des  ersten  Auftretens  der  Seuche  würden 
1495  Augsburg**)  und  Basel *^)  in  Betracht  konmien,  1498  Dortmund, 
wo  es  in  einer  die  Jahre  1491  bis  1499  umspannenden  Reimchronik  heifet: 
nigge  stkede,  die  men  heute  morbi  franzose^^).  In  Franken  besagt  eine  zeit- 
genössische Notiz  ganz  allgemein,  dafe  1496  die  mal  francoss  aufgetreten  sei^^), 
in  Thüringen  wird  1497  genannt*').  —  Zum  Schlufe  sei  noch  auf  eine 
Stelle   hingewiesen,    die    auf  afrikanischen   Boden,   nach   der   Stadt   Alkayr 


I)  SchriHen  des  Vereins  ffir  die  Geschichte  Leipzigs,  6.  Bd.  (1900),  S.  243. 
2)Aloys    Geiger,  /oMob   Fugger   (Regensbarg  1895),    S.  71:  dms  Jahr   ist   nicht 
ganz  sicher. 

3)  Gustav  Schönfeldt,  Beiträge  zur  Geschichte  des  Pauperismus  und  der 
Prostitution  in  Hamburg  (Weimar  1897),  S.  113.  Die  GrÜndungsurkunde  ist  Überliefert 
und  mitgeteilt  bei  Gernet,  Mitteilungen  aus  der  älteren  Medinnalgeschichte  Hamburgs 
(Hamburg  1869),  S.  82;  leider  war  mir  dieses  Buch  unzugänglich. 

4)  Archiv  des  historischen  Vereins  fiir  Unterfranken  und  Aschaffenburg,  12.  Bd. 
(1852),  S.  270. 

5)  Emil  Herzog,  Chronik  der  Kreisstadt  Zwickau  (Zwickau  1845),  2.  Bd.,  S.  191.. 

6)  Siegfried  Moltke,  Die  Leipziger  Kramerinnung  im  XV,  und  XVL  Jahr- 
hundert (Leipzig  1901),  S.  37.  Nach  Karl  Grosse,  Geschichte  der  Stadt  Leipzig 
(Neudruck  von  1897),  i-  Bd.,  S.  5 10/5 11  wird  gegen  Ende  des  XV.  Jahrhunderts  bereits 
das  St.  Johannishospital  „  Franzosenhospital  *<  genannt 

7)  Otto  Richter,  Verfassungs-  und  Verwaltungsgeschichte  der  Stadt  Dresden^ 
3.  Bd.  (Dresden  1891),  S.  233. 

8)  C.  W.  Zöllner,  Geschichte  der  Fabrik-  und  Handelsstadt  Chemnitz  (Chemnitz 
1888),  S.  258. 

9)  Aloys  Geiger,  Jakob  Fugger  a.  a.  O. 

10)  Traugott  Geering,    Handel  und  Industrie  der   Stadt   Basel  (Basel    1886)^ 
S.  354  Anro. 

11)  Zeitschrift  des  Bergischen  Geschichtsvereins,  10.  Bd.  (1874),  S.  13.    „Nur  wenig 
Leute  starben  daran«. 

12)  Archiv  des  historischen  Vereins  von  Unterfranken  und  Aschaffenburg,  6.  Bd,  i' 
I.  Heft,  S.  165/66. 

13)  Archiv  fUr   die  Sächsische  Geschichte,    12.  Bd.  (1874),    S.  86.     ^ 
einige  Quellenstellen  verwiesen,  die  aber  nicht  nur  vom  Auftreten  der 
sondern  von  ihrem  epidemischen  Auftreten  berichten. 


—     320     — 

am  Nil  (Kairo)  führt:  sie  ist  wichtig,  weil  da  ein  Mann  am  Ende  des 
XV.  Jahrhunderts,  und  zwar  ein  Weltreisender,  deutlich  Aussatz,  Hiobs- 
krankheit  und  Pest  voneinander  unterscheidet.  Der  niederrheinische  Ritter 
Arnold  von  Harff ')  unternahm  seine  Orientreise  im  Herbste  1496  imd  kehrte 
Ende  1499  zurück.  Im  Februar  1497  kam  er  nach  Kairo  (vgl.  Einleitung 
S.  XIII)  und  über  seinen  dortigen  ausgedehnten  und  ausführlich  beschriebenen 
Aufenthalt  sagt  er  unter  anderem:  Rem  ich  hain  ouch  an  ien  gesiene  vil 
melaeizsehe  lüde,  darzoe  dese  nuewe  krenkde,  die  man  noempt 
sijnt  Jobs  s nicht e;  Hein  darzo  kumpt  ouch  oever  8  af  9  jaeren  die 
pestilende  in  dai  lant^  hisonder  gar  hart  in  deser  stat  Alkayr. 
Armin  Tille. 

i)  Die  Pilgerfahrt  des  Ritters  Arnold  von  Harff^  beraasgegebeo  von  E.  von  Grootc 
(Köln   1860),  S.  98. 

Eingegangene  Bfiehen 

Blatter,  A. :  Quellen  zu  einer  Geschichte  des  appenzellischen  Landhandels 
1732 — 35  [==  Appenzellische  Jahrbücher,  hggb.  im  Auftrage  der  appen- 
zellischen gemeinnützigen  Gesellschaft,  Dritte  Folge,  14.  Heft  (Trogen 
1902),  S.   164 — 190]. 

-Gdny,  Joseph:  Schlettstadter  Stadtrechte.  Heidelberg,  Karl  Winter,  1902. 
Erste  Hälfte  XXVUI  und  403  S.  (M.  13),  Zweite  Hälfte  XIV  und 
II 72  S.  (25  M).  [=  Oberrheinische  Stadtrechte.  Dritte  Abteilung: 
Elsässische  Rechte,  veröffentlicht  von  der  Kommission  zur  Herausgabe 
Elsässischer  Geschichtsquellen]. 

Hill  ig  er,  Benno:  Die  Urbare  von  S.  Pantaleon  in  Köhi  [==  Publikationen 
der  Gesellschaft  für  Rheinische  Geschichtskunde  XX.  Rheinische  Ur- 
bare, Sammlung  von  Urbaren  und  anderen  Quellen  zur  Rheinischen 
Wirtschafbgeschichte].  Bonn,  Hermann  Behrendt,  1902.  CIV  und 
725  S.  8". 

Nachtrag 

Im  Anschlufs  an  die  Bemerkungen  über  Martin  Zettler  auf  S.  10 1, 
Anm.  I  und  S.  224  teilt  Dr.  Franz  Ilwolf  in  Graz  mit,  dafs  eine  aus- 
führliche und  gediegene  Schilderung  seines  Lebens  imd  Wirkens  enthalten 
ist  in  Styriaca,  Gedrucktes  und  Ungedrucktes  zur  steiermärkiseken  GesMchte 
und  KuUurgescliichte,  von  Josef  v.  Zahn,  Neue  Folge  (Graz  1896). 
S.  186  bis  210.  —  Oberregienmgsrat  Dr.  Adam  in  Stut^art  hatte  die  Güte 
darauf  hinzuweisen,  dafs  die  Literatur  über  Martin  2^eiller  in  der  in  diesen 
Blättern  schon  mehrfach  rühmlichst  genannten  Bibliographie  der  Württem- 
bergischen Geschichte  von  W.  Heyd,  2.  Bd.  (Stuttgart  1897),  S.  707  auf- 
geführt ist.  Danach  ist  die  wichtigste  ältere  Schrift,  die  auch  Zeillers  sämtliche 
Werke  verzeichnet  und  rezensiert,  Albr.  Weyermann,  Nachrichien  von 
Gelehrten,  Künstlern  und  andern  merkwürdigen  Personen  aus  Ukn,  Bd.  i 
(Ulm  1798),  S.  555 — 563,  während  in  neuerer  Zeit  der  bereits  oben  genannte 
Zahn  sich  auch  in  der  Wiener  Montagsrevue  1895  Nr.  24 — 26  über  Zeillcr 
geäufsert  hat  D.  Red. 

Herausgeber  Dr.  Armin  Tille  in  Leipzig.   —   Druck  und  Verlag  von  Friedrich  Andreas  Perdies  ia  Gotha. 


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