PURCHASFJ) FOR TUE
UNIVERS/TY OF TORONTO LIBRAHV
FROM THE
C/\N/\D/\ COUNCIL SPECIAL GRANT
FOR
IiIsa?ORY OF -'vTa:
DEUTSCHE KUNST
UND DEKORATION
ILLUSTRIERTE MONATSHEFTE
FÜR MODERNE MALEREI
PLASTIK • ARCHITEKTUR
WOHNUNGS-KUNST UND
KÜNSTLERISCHE FRAUEN-
ARBEITEN
DARMSTADT
VERLAGSANSTALT ALEXANDER KOCH
P?/" ^Jj)Ei-4
DEUTSCHE KUNST
UND DEKORATION
HERAUSGEGEBEN UND REDIGIERT
VON
HOFRAT ALEXANDER KOCH
BAND XXV
OKTOBER 1909 - A\ÄRZ 1910.
(TY Cf (Q*
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-/ , _ -
ALLE RECHTE VORBEHALTEN.
HANS UNGER-LUÖCU WITZ.
GF.MÄLUE: »MUTTER UNI) KIND«.
I'KOKESSOR JULIUS DIEZ - MÜNCHEN'.
ilosaik. Hcii-snalpoital. Univevsität iliinchen.
JULIUS DIEZ-MÜNCHEN.
I^iner von jenen Seltenen, die man „geborene
_^ Stilisten" heißen darf, ist der Münchner
Julius D i e z. Seine Form bestimmt kein Wol-
len, sondern ein Müssen, sein Stil stand fest von
den ersten Zeichnungen an, die der Anfänger
der Öffentlichkeit übergab. Da war nichts müh-
sam gesucht, nichts ergrübelt. Das Feste, fremd-
artig fferbe, dekorativ Sichere, der eigentüm-
liche Humor der Linie, derbeiDiez selbst im rein
Ornamentalen fühlbar wird — das alles sprach
schon aus den ersten Buchschmuckzeichnungen,
die er im Herbst 1896 zu uns auf die Redak-
tion der „Jugend" brachte. Es sei dem
Schreiber dieser Zeilen nicht verargt, wenn er
da von eigenen Erlebnissen redet. Sie waren
seltsam schön. Das Glück , es miterlebt zu
haben, wie in jenen Wendejahren in München
plötzlich junge Kräfte in ungeahnter Fülle sich
entfalteten, wie sich Biüt' an Blüte drängt am
Baum der jungen Kunst, wie das Blatt, das
der künstlerischen .lugend Freiheit und Kr-
werbsmöglichkeiten, eine fröhliche Palaestra
Musarum bot, bald sich fast des Übermaßes
von Angebot kaum mehr erwehren konnte —
jene Erinnerung wird als ein unverwelklicher
Besitz mich durchs Leben begleiten. Jeder
Tag brachte Neues und Frohes , gewährte
frische Eindrücke ins Werden und Schaffen
der jungen Maler, neue Begriffe von den viel-
gestaltigen , unerschöpflichen Möglichkeiten,
die in der Kunst für den persönlichen Aus-
druck bestehen. Die „Stilisten", die, die mit
jedem Strich etwas ganz eigenes zu sagen
hatten, zogen uns in Anbetracht der damals
mehr graphischen Bestrebungen der Zeitschrift
selbstverständlich am meisten an. Es kamen
ihrer viele. Echte und Unechte, Gute und
Blender, Zahme und Wilde. Unter denen,
deren Art sofort mit Jubel begrüßt wurde,
waren in erster Linie Fritz Erler und Julius
Diez. Das waren Zweie, an denen jede Faser
echt war und deren Ausdrucksweise vom
(Uns Diez—]\ffi)iclic>i.
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^m
1-K.S.-.CIK Jl l.U > Uli-,/.
Klllwutl; Uk
ersten selbständigen Versuch an ihren unver-
kennbaren, aus tausend Erscheinungen sofort
herauszufindenden Charakter hatte! Bei der
großen Mehrzahl der jungen Graphiker von da-
mals fühlte man bald Anlehnung, bald Gevi'alt-
samkeit und Originellseinwollen. Die Zweie
waren, wie sie sein mußten, frei, stark und
gesund. Und beide von einem Reichtum der
künstlerischen Einfälle, der nie versiegte. Ge-
meinsam hatten sie auch das, daß sie beide
das Publikum zunächst am wenigsten begriff,
weil sie am rücksichtslosesten ihre eigenen
Wege gingen. Und noch eins: daß sie sich in
ihrer Formel nicht erschöpften und nicht zum
Überdrusse wiederholten , weil diese Formel
eben nicht eine angenommene war , sondern
aus ihrem innersten Wesen entsprang. Man-
cher Blender und Geschicklichkeitsmensch von
damals ist denn heute auch vergessen oder
hat sich anderen Spezialitäten zugewandt. D i e
Beiden mußten ihren Weg machen und haben
ihn gemacht und stehen heute in der allerersten
Reihe der dekorativen Künstler Deutschlands.
Diez hat die originale Kraft seiner Begabung
bewahrt, trotzdem seine künstlerische Lehrzeit
sehr danach angetan war, ihn zum „retrospek-
tiven Stilisten" Münchnerischer Prägung wer-
den zu lassen. Er erhielt die erste Ausbildung
auf der Münchener Kunstgewerbeschule, wo
damals die historischen Stilarten in Reinkultur
gepflegt wurden. Das sei kein Vorwurf! Jene
waren ja auch das Einzige und Beste, was man
zu geben hatte, ausgeprobte und sichere For-
meln, die Jedem die Möglichkeit gaben, etwas
Gutes und Gangbares zu leisten. Als Diez
dann an die Kunstakademie übertrat, fand er
in der Schule an Rudolph Seitz, nachdem er
erst bei Hackl nach der Natur gearbeitet hatte,
wieder die gleichen Bestrebungen. SeinMeister
war einer der gründlichsten Kenner und Gön-
ner alter Form und Technik, die es gab, ein
Mann von heißer Begeisterung für die Schön-
heit des alten Kunsthandwerks und der frühe-
ren deutschen Malerei, namentlich der Barock
und Rokoko. Er schreibt die Handschrift dieser
Epochen mit einer Sicherheit, die kaum ein
Zweiter erreicht und sein Schüler strebte, es
ihm nach zu tun. Aber an Julius Diez, dessen
Talent er wohl erkannte, hat er nach jener
Richtung hin wenig Freude erlebt. Der war
ein Eigener und ließ sich nicht dazu bewegen,
zu dem Besonderen, das er zu sagen hatte, die
überkommenen Redewendungen zu gebrau-
chen. Sein Stil war nicht „rein", war uner-
laubt persönlich und er gab sich auch keine
Mühe jenen reinen Stil zu erlernen. Vielleicht
gab er sich im Sinn der Schule überhaupt nicht
viel Mühe und höchstwahrscheinlich war dies
sein Glück. Es ging ihm nichts weniger als
glänzend und er mußte, um über des Lebens
bitterste Not weg zu kommen, in einer Zeit
schon verdienen, wo andere noch nichts zu tun
1
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i'Ki '1-. jrijrs Dil./ Mr.\( iii:.\. /i mk \i-ii am i.
l>ls 1 l;\VI I I I.KrN(,,-.-lL\I Ivs 1)1 K rM\lK-.ll \l Ml NC III \.
\KlliniKI Kl-,1,. 1;A1- \M IS-ASMSMIK I.. 1;FM !■ I.MI-. VKK.
Jidius Diez -Miivclieii.
PROFESSOR JUMTS DIF.Z MINTHEN.
haben, als zu lernen. So wurde er selbständig
in der Schule der Frau Sorge. Aus dem Banne
ihrerharten Zucht kam er erst, als die „Jujjend"
gegründet wurde. Und die ersten Arbeiten,
die er ihr brachte, waren so überraschend reif,
frei und kräftig, daß wir, als wir sie sahen, nur
hins nicht begreifen konnten; daß dieser fünf-
undzwanzigjährige Julius Diez nicht schon
längst bekannt und begehrt war!
Leute wie er, sind eben von Anbeginn in
sich fertig und die Schule kann ihnen nicht
mehr geben, als das A-B-C des Handwerks.
Miisail; in nebfiislc-luiuln Hai
Diez wäre zweifellos auch in der Werkstatt
eines realistischen oder impressionistischen
Meisters so geworden, wie er wurde. Ein
Paradiesvogel wird kein Nußhäher — auch
wenn er zufällig im Wipfel einer deutschen
Eiche ausgebrütet wird und in jedem Talent,
das geboren wird, liegt auch schon die Not-
wendigkeit seiner Eigenart. WasunserKünstler
auch geschaffen hat, Buchschmuck, Illustra-
tionen, Karrikaturen, Slaffeleibilder, Plakat-
kunst oder Dekorationen großen Umfangs, es
war immer aus einem Geiste. Er weiß die
Fritz V. Ostini :
)R jri.IfS DIKZ MrN<HF.N.
lik im W icshatlcncr Kurhaus.
Mittel, die er fürs Große oder fürs Kleine, fürs
Lichte oder fürs Schwere anzuwenden hat,
sehr wohl auseinander zu halten — ja ich finde
einen seiner glänzendsten Vorzüge darin, daß
er sich hierbei fast nie vergreift. Aber alles,
was er macht, bleibt Diez, Diez zum Nicht-
verkennen ! So unmittelbar ist sein Stil aus
seinem Wesen herausgewachsen, so unverrückt
und selbstgetreu geht er seines Weges. Für
Kinen, der ihn von allem Anfang an verfolgte,
war es z. B. wirklich ein Genuß, zu sehen, wie
er seit dem vorigen Jahre die absolut neuen
dekorativen Aufgaben anging, die ihm das
Problem des Künstlertheaters brachte, wie
auch die i5ilder, die er, statt mit Pinsel und
Farben auf Leinwand, mit lebendigen Men-
schen auf den Bühnenhintergrund malte, „stil-
echtester Diez" waren und wie famos seine
Kunst auch in dieser neuen Realität bestand.
Das Charakteristischste nun am Julius Diez-
Stil ist wohl, daß er leicht altertümelnd, oft
direkt archaistisch wirkt und dabei in Wahr-
heit von Elementen geschichtlich gewordener
Stilarten fast nichts in sich hat. Das kernige
Schwarz-vifeiß seines Buchschmuckes ließ zu-
nächst ein wenig an den alten deutschen Holz-
schnitt denken. Aber man sah bald, daß seine
Formenwelt eine ganz andere war, daß die
Äimlichkeit darin bestand, daß auch er mit
klaren sauberen Strichen die Dinge umriß und
ytilius Dicz-Münclien.
iR JUUUS ÜIEZ— XlCXCHEX.
mit kluger Ökonomie seine starken Gegensätze
anwendet. Alles andere war Eigenes, seine
Formensprache und seine Gedanken. Und vor
allem, wie gesagt, sein eigenartiger Humor, der
ihn jedes Ding unter anderem Gesichtswinkel
sehen läßt, als es die Alltagsmenschen sehen
würden. Die Vignetten, am Schlüsse dieses
Aufsatzes eingefügt, geben einen Begriff von
dem, was ich meine. Da hat alles seinen Hu-
mor, der Liebesgott auf dem Ballsaallüster,
dcrPutto auf dem Glückstier, wie der, welcher
der maskierten Krinolinendame die Schleppe
trägt und die antike Maske, aus deren weitem
Mund die Rosen quellen. Kein Humor, der
grinst und Witzchen macht, nur einer, der den
Miisall; im Wiesbadener Kurhaus
Dingen launig eine besondere Deutung gibt
und immer mit Grazie verschwistert ist. Mit
einer herben Grazie freilich, nicht mit einer
süßen! Das Ganze ist anmutig bei Diez, im
Einzelnen hat er seine Schrullen. Ein glatt
holdseliges Gesicht gibt er seinen Geschöpfen
selten und wenn er das Nackte schildert, stattet
er es nicht immer mit sinnlichen Reizen aus.
In seinen kantig geschnittenen Gesichtern, in
seinen leicht schematisierten, selten sehr run-
den Akten steckt groteskes Wesen, lächelt der
Schalk. Auch da, wo das Ganze hoch ernst
ist — wie in den Grotesken der Renaissance,
wo ja auch die zarteste Zierlichkeit oft mit
der bizarrsten Verzerrung zusammengeflochten
■JM
l'Kiil-. jn.ll'S DIKZ .\H'.N( IIKX.
I'AM KLI.-l'.II.Il: l'AKK-MÄK( HK.\ . I'.l-S. ;
Hol'KAI' AI.KXANDKK KOI'H DAKMMADI.
l'ROFKSSOK IIJI.IUS Uli-;/. MÜNCHEN
ZKICHNUNO: ^s1'r:K-. G.M.FRIF KNORU MÜNCHEN
y!//l!/S DicZ-MlUlillCll.
PRotESSOR JULIUS DIEZ — MÜNCHEN.
war. Auf ganz bewußte dekorative Wirkungen
geht er immer aus, auch wenn er Buchschmuck
entwirft, illustriert, oder — selten genug ! —
ein Staffeleihild malt. Diese Diezschen Staf-
feleibilder sind im Grunde stets doch verklei-
nerte Wandgemälde, auch wenn sie ganz intime
malerische Reize haben. Alles ist über das
Flüchtige, Zufällige hinausgehoben und im
Kerne monumental und oft ist solch ein Staf-
feleibild in seinen Farbflecken, wie in seinen
Linien ganz streng stilisiert — man sehe z. B.
das obenstehende Bild, den „Kuppler", an,
oder die „Galante Unterhaltung". Er kommt
nie aus seiner Richtung, was er anpackt!
Je nach den Zwecken seines Buchschmucks
hat Diez Dinge gezeichnet, die sich gotisch
ausnahmen oder barock , dann wieder die
Grazie des Rokoko , oder die behäbige Zier-
lichkeit des Biedermeierstils zu haben schie-
nen. Es war immer Täuschung, immer war's
unverfälschter Diez. Was da Gotik oder Bie-
dermeierei vortäuschte, war meist nur das
Gegenständliche, das den wirklichen, den
künstlerischen Stil der Sache nicht berührte.
Der stammt aus des Malers ureigener An-
schauungsweise und weil er ein echter Sohn
(ir-niiililr: »Der Kuppler .
i Ksl- Kuprersliclikabinells-Milncheii.
seiner Zeit ist, ist auch — man verzeihe das
verfängliche und vielmißbrauchte Wort ! — sein
Stil schlechthin modern!
Er hat ihn vielfach an kleineren Aufgaben
geübt und das war gewiß kein Unglück — fand
er doch dadurch die Möglichkeit zu freierem
Schaffen und die Popularität, die ihm dann auch
größere Aufträge brachte. Aber diese kleinen
Schöpfungen, die zahllosen und prachtvollen
ernsten und heiteren Zeichnungen für die
Jugend, die Exlibris und Vignetten, sind schließ-
lich doch nur Übergangsarbeiten oder Dinge
gewesen, die so nebenher abfielen. Seine
Begabung drängt ins Große. Man spürt es an
dem schweren Gehalt jener dekorativen Klei-
nigkeiten und spürt es noch viel mehr an den
wirklicli großen Dingen, die er schaffen durfte.
Da ist's oft, wie ein jauchzendes Aufatmen,
da gewinnt er erst Wucht und Bedeutung! Kr
ist geschickt und geschmackvoll genug, sich
auch nnt dem kleinen Format abzufinden.
Aber er nuiß sich schließlich doch hinein-
zwängen und die rechte Freude hat er dann
erst, wenn er sich auf großen Flächen ausleben
darf. Dann gibt er das Beste, was er hat, zur
Arbeit: sein ungewöhnlich vornehmes archi-
rrilz V. Osii.
•Die llLiii>tziitKisL-n
tektonisches Gefühl, seinen Sinn für die jjroße
Linie, für Harmonie und Rhythmus der Farben.
Er hat noch vor keiner großen dekorativen
Aufgabe versagt, auch wenn sie ganz neue
Anforderungen an ihn stellte, wenn er für Glas-
malerei oder Mosaik Entwürfe zu liefern,
Kiesenflächen zu dekorieren, z. B. ein hundert
und dreißig Meter langes Fresko zu malen
hatte, wie 1908 für das Restaurant des Mün-
chener Ausstellungsparkes. Wie wenig starr
seine Eigenart trotz der seltenen Bestimmtheit
ihres Charakters ist, zeigt er gerade in der
Leichtigkeit, mit der er sie den Zwecken jedes
neuen Materials anschmiegt. Zu seinen ersten
größeren Kartons gehörten z. B. die für Hugo
Lichts prachtvolles neues Rathaus in Leipzig
und sie fielen wunderbar schön und malerial-
gemäß aus, ob es sich nun um ganz einfache,
nur linearverzierte Fenster aus lichten Schei-
ben oder um eigentliche farbenprächtige Glas-
bildnerei handelte. Er fand dort beide Auf-
gaben und löste beide gleich gut und gleich
logisch. Andere Glasfenster, die nicht min-
deren Beifall fanden, hat Diez für das Stadt-
liaus in Essen, für das Rathaus in Remscheid
usw. entworfen.
Besondere Lust scheint der Künstler an der
Wanddekoration in Mosaik zu haben, eine
Vorliebe, die sich ohne Weiteres begreift. Er
liebt die strenge Form, die straffe Kontur, die
scharfumgrenzten Flächen — lauter Dinge,
welche die Mosaikkunst von dem Schöpfer
ihrer Entwürfe auch ihrerseits fordert. Seine
spezielle Stärke ist es, den Bildschmuck or-
ganisch und doch mit selbstherrlichem Ge-
schmack in einen Raum zu passen und er zeigt
diese Stärke auch in der kleinsten Vignette.
Um wie viel mehr bei Aufgaben, die ihn direkt
mit der Architektur zusammen zu arbeiten
zwingen. Er liebt auch als geborener Deko-
rateur die Verwendung glanzvoller, reiner Far-
ben — so konnte ihm kaum ein Material will-
kommener sein, als die Glasmosaik mit ihrem
unverwüstlich frischen Farbenschmelz , die
Höhen und Tiefen, Glanz und Kontraste hat,
wie kein anderes Mittel der Malerei. Man
möchte fast sagen, die Mosaikkunst und die
Glasmalerei haben die „Farbe an sich" zur
Verfügung, die optisch reine, die kein Binde-
mittel trübt und kein Malgrund aufsaugt. Die
Freude an solcher blühender F'arbe spricht
froh und laut aus den schönen großen Medail-
l6
Julius Dirz-Mtuiilic
nv/. MIXiHKN.
Ions, die Julius Diez für das Wiesbadener Kur-
haus jieschaffen hat. Sie sind von wahrhaft
festHcher Heiterkeit. Anders wieder faßte er
seine Auffjabe, als es galt, die i>roße Halle
in German Bestelnieyers stattlichem Neubau
der Münchner Universität mit musivischem
Schmuck zu versehen. Die ganze gewaltige
Ostwand des imposanten Raums stand dem
Künstler zur Verfügung und die Aufgabe, in
Schmuck dieser großen Fläche den architek-
tonischen Gedanken des Ganzen, so zu sagen,
zu krönen, war schwer und reizvoll genug.
Es galt, diskret und doch stark zu sein, die
Fläche zu gliedern und zugleich geschlossen zu
halten, Reichtum mit Einfachheit zu verbinden
— und Diez hat alle diese Widersprüche mit
Klugheit und Geschmack gelöst, tjber der
stucco-lustroVerkleidung jener Wand, derhalb-
runden Stirnwand eines Tonnen -Gewölbes,
prangt zwischen feingegliederten Stuckpfeiler-
chen, die vergoldet sind, das dreiflügeligc, von
einem giebelartigen Feld gekrönte Mosaikbild.
Die Harmonie von Gold, Grün und dunklen
grauen Farben, in der es gehalten ist, nimmt
den Gesamtton der Steinverkleidung der un-
Walpiirgisiiaclit
teren Wandpfeiler und Sockel wieder auf, die,
ganz einfach an Form, nur durch die Schönheit
ihres Materials wirken. Auf den Seitenflügeln
des eigentlichen Bildes sehen wir geflügelte
Genien im Profil; sie tragen die Attribute der
Göttin der Weisheit. Und den Born des Wis-
sens, der an dieser Stelle quillt — rings um
den Raum reihen sich die Hörsäle — schildert
das Mittelstück. Zierliche Putten tragen das
obere Becken des Springbrunnens, Medaillons
mit den Symbolen der vier Fakultäten umgeben
ihn. Das Ganze ist von einer frohen Feierlich-
keit, gleich weit weg von akademischer Steif-
heit, wie von Extravaganz. Über dem, aus kost-
barem Marmor gefertigten Portal des „Gros-
sen Hörsaals", derdieserWand gegenüberliegt,
prangt ein anderes Mosaikbild nach Diezschem
Entwurf ; die Wissenschaft in blauem Gewände,
ihre goldenen Samen aussäend. Es wird er-
zählt, daß sich liochmögende Herren selbst an
dieser Stätte der Weisheit sehr ablehnend
gegen Diezens l'.ntwurf verhielten, weil ihnen
die charaktervolle Gestalt der Samcnstrcuerin
nicht „schön" genug war. Man sieht's mit bit-
terem Lachen immer wieder, wie wenig Frei-
<' iK. JULIUS DIEZ-JIUXCHEN. . galante
. I I.KlIAI.lINr. . lirRLHIAl T I-ÜK DIE JUGEND .
Jtilius Diez-J\fü)h/ic>
'I ri,--"K II'l irs MF/ -MlNl HEN.
heit und Bildung gerade den freien Künsten
gegenüber auch die Gebildetsten zu zeigen
pflegen ! An unserer Nachbildung des Entwur-
fes kann man sich überzeugen, daß Diez an
jener Figur gewiß keinen „Häßlichkeitskultus"
getrieben hat — aber die Zahl derer, denen
der Begriff „Frauenschönheit" mit dem Pup-
penhaften identisch ist, scheint merkwürdig
groß zu sein! — Auch der neue Bahnhof in
Nürnberg hat Mosaikschmuck von Julius Diez
erhalten — ihm macht diese Technik, eine
Technik der Kraft und sicheren Ruhe, ganz be-
sondere Freude!
Als der bekannte Münchner Baukünstler
Emanuel von Seidl den Auftrag erhielt, ein
monumentales Restaurationsgebäude für den
neuen Münchner Ausstellungspark zu schaffen,
zog er zur malerischen Ausschmückung des
originellen Baues mit in erster Linie unsern
Maler heran und die Nuß, die er ihm zu knacken
gab, war hart genug. Von dem hohen Festsaal-
bau gehen, in mehrfach gebrochenen Bogen,
zwei nach vorn offene, gewölbte Wandelhallen
aus, die, in Pavillons endigend, die Wirtschafts-
terrasse umarmen. Die Rückflächen dieser
beiden, nach vorn offenen Wandelhallen nun,
von denen jede 65 Meter mißt, galt es mit einer
zusammenhängenden Fresken-Dekoration zu
zieren, also einen Riesenfries zu schaffen, der
sich über dem Lambris hin- und bis in die
gewölbte Decke hineinzog. Schon die Fest-
stellung einer Idee, die für den enormen Raum
ausreichte und etwas anderes brachte, als die
gewohnten Aufzüge und Allegorien, kostete
nicht wenig Kopfzerbrechen. Die Fläche mußte
Ii' li.irativi!, l'anneau: » Waj/cnlL-nker
„gedeckt" werden und durfte doch nicht all-
zuviele Arbeit kosten. — Diez half sich durch
einen wirklich genialen Einfall: Er verwandelte
den ganzen, ausgedehnten Raum in eine Gar-
ten- oder Parkanlage im Sinne der Watteau-
Zeit, eine jener pittoresken Anlagen, in denen
bizarre Gartenkünste mit der freien Natur
zusammenwirken. Da gibt es geschnittene
Hecken, Spaliere und Bogengänge, grüne
Brunnentempel, Tore und Lauben, Pyramiden-
bäumchen und allerlei tolle Figuren, wie sie
damals die Gartenkünstler aus Buchs und
Taxus schnitten. Und diese etwas steife Herr-
lichkeit der barocken Gartenkunst wird immer
wieder unterbrochen durch ungebändigte und
unverschnittene Natur, grüne malerische Bir-
ken und andere Bäume, oder durch architek-
tonischen Zierat, Balluslraden mit Vasen und
Urnen, Brücken und Brunnen und mytholo-
gische Steinfiguren, wie sie zum Barockgarten
gehören: da ist ein l*"aun auf einem Kiniiorn,
ein Aktäon, der sich eben in einen Hirsch,
eine Daphne, die sich eben in einen Lorbeer-
baum verwandelt. Durch Blumensträuße, die
da und dort auf dem Geländer liegen, durch
bebänderte Girlanden und Buketts , durcii
eine Menge farbenprächtiger Wundervögcl,
kommt bunte Farbe in das Garlengrün. Auch
drollige Affen treiben sich dazwischen umher.
Die menschliche Gestalt ist spärlich verwen-
det. Nur eine kleine Zahl famos gekennzeich-
neter Rokokotypen ist zu sehen und wirkt
dann aber um so lustiger und lebendiger. I Her
wird eine vornehme Dame von Gondolieren
auf bauchigem Boot durch einen Kanal ge-
1;^
Fritz V. Ost Uli.
jri.irs UIE/, -MIXCHEN.
emäklc
onsgalei-
rudert ; dort läßt ein hübsches Mädchen einen
Drachen steigen; dort fährt im Jagdgewand
eine schlanke Schöne mit einem Gespann von
Hirschen über eine Brücke ; ein Vogelfänger,
der direkt aus der Comedia dell'arte zu kom-
men scheint, lehnt an einem Tor — alles hat
Reiz und Witz und kennzeichnet die Zeit, für
die Diez übrigens immer eine gewisse Vorliebe
zeigt — was die Typen, nicht was die Schnör-
kel des Stils angeht! Auch auf seinen Tafel-
bildern spielen die galanten Damen mit Reif-
rock und turmhoher Puderperrücke eine Rolle.
Aber Rokokobilder malt er nicht, sondern Ge-
schöpfe eigener Phantasie. Ihn reizt das, was
auch in der Tracht ein wenig burlesken Cha-
rakter hat, wie alles, was nicht alltäglich ist.
Wie Diezens sämtliche Tafelbilder, sind
auch alle seine für die „Jugend" gezeichneten
Titelblätter und Vollbilder phantastischer Art,
phantastisch in der Weise, wie etwa Dürers
Melancholie und Fortuna oder die Apokalyp-
tischen Blätter. Auch hier keine Originalität
um jeden Preis, sondern eine, die ganz leicht
und natürlich aus unendlich fruchtbarer Vor-
stellungskraft quillt. „Die große Waag", „Frau
Wahrheit will beherbergt sein" und ähnliche
Kompositionen dieser Art machten das markige
und selbstherrliche Talent des jungen Diez zu-
erst bekannt. Eine ganze Reihe solcher, aufs
Sorgsamste ausgeführter Blätter hat der Künst-
ler übrigens schon vor Gründung der „Jugend"
an den „Pan" gegeben, in dessen Mappen sie
leider, ohne reproduziert worden zu sein,
spurlos verschwunden sind.
In seinen Staffeleigemälden blieb und bleibt
Diez fast immer auf dem Gebiete des Spuk-
und Märchenhaften, wobei seine Besonderlieit
schwer mit Worten festzustellen ist. Vielleicht
liegt sie in der merkwürdigen Verbindung von
Poesie und Humor; die erstere bringt der Ma-
ler, den zweiten der Zeichner ins Bild. Der
Maler Diez kann dabei ganz merkwürdig weich
und zart werden, wie in dem seltsamen Pastell
mit den „Sumpfgespenstern", worunter man
sich etwa die Geister verstorbener Kriegs-
männer vorstellen mag, die auf der Walstatt,
wo sie gefallen sind, umgehen. Noch feiner
als Malerei ist der „Spuk" aus der Galerie
Knorr mit den nonnenhaften Trudenweiblein,
die irgend ein blühendes Menschenkind zur
Exekution führen — ein ganzes Märchen läßt
sich aus dem schönen Nachtstück spinnen.
Gespenstisch im höchsten Grade sind ferner
die „Pest", die „Panik", die auch als Farbe
ihren fremdartigen Zauber haben — Teufeleien
mit starkem Einschlag von Humor sind der
„Kuppler" und „Fortuna". Ein großer Schalk
spricht daraus, der seine ganz eigenen Ge-
danken hat. Dortdcrgeschwänzteund gehörnte
Liebesbote und ganz hinten, durch den Mauer-
bogen sichtbar, sein Auftraggeber, derbehäbige
Chinese ! Mit mehr burlesker Anmut hat noch
keiner das Thema von der käuflichen Liebe
behandelt. Im zweiten Bild ist der Teufel als
Leibkutscher der Dirne Fortuna angestellt —
in einem dritten liest er einer Schönen aus
einem galanten Buche vor — den Satan und
das Weib bringt der Maler gerne in gegenseitige
Julius. Dicz—]\Iüuchc)
Beziehuns^en. Auf der Großen Ausstellung im
Münchner Glaspalast 1909 sind zwei weitere,
hier wiedergegebenc Gemälde von Diez zu
sehen — leider höchst unjilücklich (^ehänj^t —
die schwermütigen „Herbstzeitlosen" und die
wildburleske „Walpurgisnacht". Die letztere,
so ganz anders als alle bisher bekannten Va-
rianten des Themas, erklärt sich ohne weiteres
aus der Reproduktion. Zum ersten Bilde ist
zu erzählen, daß die traurig und schattenhaft
wandelnden Gestalten in die Farben der Herbst-
zeitlose, Weiß, Lila mit ein wenig Orangegelb
im Futter der Kapuzen, gekleidet sind. Man
beachte, wie groß die beiden Bilder auch in
der kleinen Wiedergabe wirken.
Seine Lust am Märchen betätigt Julius Diez
einmal auch in einem ausgezeichnet frischen
und originellen Märchenbuch „Miaulina", das
ein Liebling der Kinderwelt hätte werden
müssen — wenn nicht eben die Kinderwelt
ihre eigenen Bedürfnisse hätte, sehr schwer
zu ergründende ! Stümper und Dilettanten
haben da gemeiniglich mehr Glück, als Künstler
und das Läppische gefällt oft besser, als der
echte Humor. Was hierbei Erziehung und
was tiefer gegründetes Naturbedürfnis ist —
wer mag es sagen? Wer Verständnis und
Liebe für einen unserer eigenartigsten und
kernigsten Künstler besitzt, wird auch an der
„Miaulina", trotz des Mißverhältnisses von
Text und Künstlerarbeit, seine große Freude
haben. An zeichnerischem Buchschmuck und
anderer stilistischer Kleinkunst hat Diez übri-
gens auch sonst noch eine unabsehbare Fülle
von Arbeiten produziert. So zeichnete er,
noch als Kunstgewerbeschüler, den damaligen
I'RUI'ESSÜR JUUU
Julius Dirz—]lfüiic//en.
Bedürfnissen des Kunsthandwerks entf^egen-
koniniend, Entwürfe für Majoliken, Platten und
Krüge für die Firma Villeroy und Boch, lieferte
eine Anzahl Blätter für die „Allegorien und
Embleme" von Gerlach und Schenk, bei denen
auch ein Franz Stuck etwas früher sich seine
Sporen verdient und seine Selbständigkeit er-
stritten hatte. Von ihm stammt Buchschmuck
aller Art, auch für ein Büchlein des Schreibers
dieser Zeilen — von ihm stammen nicht wenige
Exlibris, die von den zahlreichen Freunden und
Sammlern dieses Kunstzweiges mit Recht als
besondere Kostbarkeiten geschätzt werden.
Auf Seite 27 findet der Leser eine Auswahl aus
einer großen Serie von Vignetten und anderen
Buchornamenten, die Diez eben für eine Schrift-
gießerei in Frankfurt ausgeführt hat. Eine
treffliche Idee, auch die „vorrätigen" typo-
graphischen Schmuckstücke , die durch den
Handel in alle Offizinen kommen, von einem
Künstler solchen Ranges fertigen zu lassen!
Auch eine Anzahl kraft- und charaktervoller
Plakate, wie das der Ausstellung München
1908, das der Münchner Internationalen von
1909, das der hübschen kleinen Tölzer Ge-
il.-k.iratn.-n IUI,!: l-.„tiina
von Professor Bermann-Münctie
werbe-Ausstellung dieses Sommers , ist aus
seiner Künstlerwerkstatt hervorgegangen.
1! Nichts Künstlerisches blieb ihm fremd. Auch
die künstlerische Lehrtätigkeit nicht , die er
nun im zweiten Jahre an derselben Münchner
Kunstgewerbeschule übt, in der er seine Lehr-
zeit verbracht hat. Daß die Wahl auf ihn fiel,
der sich selbst dereinst gegen die Schule seine
Individualität bewahrt hat, ist wohl zu be-
grüßen. Er wird gewiß nicht in Gefahr kom-
men, wie Andere so oft tun, den Schülern
seinen Charakter aufzudrängen! Und er
weiß aus jener, für ihn an Nöten und Kämpfen
reichen Lehrzeit gar gut, was ein Werdender
an Ermunterung und Hilfe braucht!
Julius Diez hat auch zu denen gehört, die
im Jahre 1908 mit froher Begeisterung auf die
epochemachende Idee des Münchner Künst-
lertheaters eingingen — und hat auch zu
denen gehört, die damit die schönsten Erfolge
erzielten. Sein „Was ihr wollt" war mit Fritz
Erlers „Faust" wie gesagt „Clou" jener Sai-
son, seine Arbeit war außerdem die wenigst
umstrittene von allen , war ein Griff ins
Volle, ein Gelingen im Ganzen. Er faßte mit
K<r^'^
S/.ENKRIE: MA>> 11
l'KuHi.s>oK jri.lU.S Uli-./. .\U M Ill.N.
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CRAWSLICH
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PKliKKssdU jri.ll-s Dil'/ MÜNCHKN. I-ICUKIXKX VVR DAS H(l|. -THEATER MÜNCHEN.
JUNKER
WAS IHR Wi.l.I.T
MASS MR M.'
Juliii-- DicZ-]\If(!hllCi
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Liebe die Aufgabe an, die für ilin niclit eine
nebensächliche Beschäftigung , wie sie dem
Maler etwa jedes Künstlerfest bringen kann,
bedeutete , sondern eine Frage der großen
ernsten Kunst! Ein Arbeiten mit Mitteln und
in Dimensionen, wie sie sonst nicht wieder
zur Verfügung stehen, ein Malen mit wirk-
lyCYKARÜ
^PAVLir^
licheni Licht, ja mit lebendiger Bewegung!
Den Stilisten reizte die großzügige, grundsätz-
liche Vereinfachung der Szene , wie sie das
Künstlertheater verlangte, der Maler die Auf-
gabe, durch Mittel der Farbe, Formgedanken
und das Spiel wechselnder Beleuchtung das
Werk des Dichters zu heben. In seinem „Was
l'RolEbSoR FKAXZ METZKER— BEKUN.
Uitail für (las \'..lk, istlilaiht-IX-nkmal in l.'-ipzis;.
MODELLE ZUM VÖLKERSCHLACHT-DENKMAL.
Fließender Stahl ballt sich, bäumt sich, zieht
sich zusammen zu Gestalten — es stehen
Männer da, Riesen, von einem undenkbaren
Alter, wie aus der Zeit, da die Erde, die me-
tallen glühende , erstmals erstarrte. Heiße
Lava strömt ihnen hart und schnittifj vom
Haupte. Der stählerne Mechanismus des Schä-
dels, der in unrückbaren Klammern verankert
sitzt, gebiert stöhnend den ersten Gedanken.
Tausend Tonnen schwere Platten aus fahlem
Nickelstahl umhangen unangreifbar diese Pan-
zerturmritter, die festgegossen, festgeschmiedet
stehen wie für die Ewigkeit. Wie Eggenzähne,
wie Baggerkrallen greifen die Finger, fünfglicd-
riges Stahlgestänge spannt sie statt der Sehnen.
Es drängt, steigt, zwanzigtausend Pferdekräfte
wuchten und stampfen und ziehen und pressen
und die kolossale Eisenwand hält sie mit letzter
Macht kaum noch in Fesseln . . .
Über den Orgien von Stahl und Kraft er-
hebt sich bleich ein rätselhaftes Antlitz wie
eine seit Millionen Jahren aufgesparte Frage;
Wird der Mensch auch diese Zeit der wahn-
sinnigsten Kraftsteigerungen überwinden, um
als ein edlerer, höherer, reicherer in die Zu-
kunft zu gehen? Dem Streiten von 1813 ist
heute ein Völkerringen gefolgt von riesigster
Ausdehnung, von erdstürzender Gewalt, ein
Ringen ohne Ruhetage und Waffenstillstände.
Es donnert in den Fabriken, es zermalmt Ar-
meen von Arbeitern, es schleudert die Völker
herum wie Sturmwind, es zerreißt ihnen die
Nerven und versengt ihnen die Seelen . . .
S Werden dieVölker dieses wahnsinnigeWett-
rennen um die Güter der Erde, diese Über-
steigerung aller Kräfte heil überwinden? Dann
wird das Völkerschlacht-Denkmal, das so we-
nig vom Geist und vom Kämpfen des Jahres
1813 meldet, dem Mensciien von 1913 ein
ewiges, glückliches Siegesmal sein. \ i mm \\\
AK( HIlKKl KKMST M-.WT' >N I.i.M«i\.
riTiiN CRKV HOI'SE HAMP;>H1RK.
AKCHITEKr EKXEST NEWTON I.ciNDOX.
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ARl.Hll KKT ICKNKST NF.WTOX- I.ÜNr)ON.
MAl'S I.fCKI.I-.l i.N Uu. KLNl.HAM-lir.KKMlIKI".. l_;AK ll.NMJI I .
I'KOl'I'N.si IK KMANril \"ciN si; 1 i H - M r \( Hl-:
HAIS KUI. [MANN I- IJiKKl- Kl.l i
H t'Jßc/rhrß
l'KoFEbSOR EMAKUEL VON SEIDI,- MÜNCHEN.
WOHNHAUS FRIEDRICH LAMPE- LEIPZIG.
FRANK EUGENE SMITH MÜNCHEN.
POKIKÄT-AUKNAIIME; >/I'KlN/. KUfl'RECUT«.
IKANK FI i;KNE
l'..Hi;u Aufiiahni.'
FRANK EUGENE SMITH-MÜNCHEN.
I"* s sei mir hier ferne, wieder einmal an die
^ Frage zu rühren, die schon Jahre hindurch
unter Diskussion steht und Stoff zu den lang-
stieHgsten Kontroversen hefert : ob nämhch
eine Photographie als Kunstwerk betrachtet
werden könne oder nicht? Ich halte es da mit
Bernard Shaw, der, selbst ein eifriger Photo-
graph und fanatischer Bewunderer der durch die
Photographie gebotenenMöglichkeiten, bereits
Vorjahren das treffliche Wort fand: „Nur für
hysterische Frauen oder Männer kann es hier-
über überhaupt zu Erörterungen kommen ;
denn sobald wir erkannt haben, daß die Pho-
tographie uns irgend etwas bedeutet, ersteht
nur die eine Frage, wie wir sie zu höchstmög-
lichster Vollendung bringen können". Und im
Anschluß an diesesZitat gestatte man niirgleich
noch ein anderes aus dem nämlichen Autor:
„Wahrheit ist's, daß weder eine Photographie
noch ein Gemälde von Haus aus „künstlerisch"
sind. Niemand, dem auch nur das ABC der
Kritik geläufig ist, wird annehmen, daß sich
die bildende Kunst auf die Prozesse bezieht,
durch welche ihre Werke hervorgebracht wer-
den, statt auf die Qualitäten in letzteren".
— Die Qualität der Schöpfung — gewiß, sie
ist es, auf die es einzig und allein ankommt !
Hervorragende künstlerische Qualitäten nun
waren es, die mir vorlagen, als ich, ich glaube
es ist nun drei Jahre her, zum erstenmal Ar-
beiten Frank Eugene Smiths in einer Aus-
stellung bei Zimmermann in München vor
Augen bekam. Ich hatte vorher nie ähnlich
Gutes auf diesem Gebiete gesehen und muß
bekennen, diese Blätter gewährten mir ganz
die gleiche Freude, wie sie jedes andere Kunst-
werk von Rang mir zu übermitteln pflegt.
Überrascht vor allem war ich durch die stark
persönliche Note in diesen Schöpfungen (und
sie ist es doch, die man in erster Linie den Unter-
scheidungszeichen der Kunstwerke gegenüber
rein handwerklichen Krzeugnissen zuzäiill).
Kurze Zeil darauf fügte es der Zufall, daß ich
mit Smith persönlich bekannt wurde und durch
ihn, etwas später noch, mit Alfred Stieglitz,
den) Herausgeber der vornehmen New -Yor-
ker Zeitschrift „Camera Work". Ich betrachte
meine Bekanntschaft mit beiden Männirn für
Fia)ik Eitooic S)iiilli—l\Iiuiclic)
l-KA\k I ll.l.M:
1 IH MI \i
einen dauernden Gewinn. Denn beide, obgleich
in manchem ihres Wesens gänzlich von ein-
ander verschieden, gehören jenem prächtigen
Typ des Amerikanertunis an, der gegenüber
dem vorherrschenden Geschäftsrationalismus
im Lande, mit idealster Begeisterung sich einer
Idee hingibt, dabei aber wiederum nicht mit
getrübten, sondern ganz hellen Augen. In
Amerika und unter solchen Männern war es
denn auch, daß die Photographie zuerst zu
jener Höhe geführt wurde, wie Shaw sie für
sie verlangt. Im November 1905 wurde in der
Metropole der Vereinigten Staaten in der 5.
Avenue der Ausstellungsraum der „Photo-
sezession" eröffnet, einer kleinen Gesellschaft
ausgezeichneter Photographen und Freunde
der Photographie, zu dem Zweck und mit der
Absicht, nur das Beste vom Besten vorzu-
führen. Die Geschichte dieser Korporation
ist gleich jeder anderen, die noch je versuchte,
eine Sache aus den Bahnen steriler Konven-
tion herauszureißen und neuen Zielen zuzu-
leiten. Sie erfuhr allen nur erdenklichen Haß,
jede Sorte Mißgunst; namentlich von Seiten
der Berufs- Photographen, deren allgemeiner
Photcigiapliic; ; Memiett' .
Mangel an Ingenium natürlich durch die Mög-
lichkeit des Vergleiches mit einemmal klar an
den Tag kam. Stieglitz aber und seine Schar,
unter ihnen eine Reihe auch auf anderen Ge-
bieten bildender Kunst ganz Vorzügliches
leistender Männer , hielten tapfer aus und
können heute mit Stolz auf ihre nun mehrjährige
Tätigkeit zurückblicken. Auch der Erfolg in
der Öffentlichkeit hat sich eingestellt und wenn,
in Amerika besonders, heute bereits Samm-
ler existieren, die, wie Andere Kollektionen
von Bildern, Schnitten und Stichen etc. sich
anlegen, Photographiewerke erwerben und
erkannt haben, welcher Individualwert dem
einzelnen Abzug zukommen kann, so ist dies
nicht zum geringsten Verdienst der Bemüh-
ungen der Photosezession. Dabei herrscht in
dieser wohltuender Weise nicht die Spur einer
Orthodoxie vor. Die verschiedensten Indivi-
dualitäten kommen zu Wort , oft mit recht
gegensätzlichen Ansichten über Ziele und Wege
photographischer Wiedergabe ; Bedingung ist,
wie gesagt, nur die exquisite Güte der vorge-
führten Werke.
Frank F.ugene Smith war einer der ersten,
FRANK KfGHNK SAUIH MÜXCHEX.
PHOTOGKAl'IIISCHKS BILDNIS: I-:. (!.
F)-a)ik l-'j(''Ciir S^))nlli~MiuicIi(ii.
IRNNK EtaF-XE --MITH MINCHEN.
dessen Arbeiten auf den Ausstellungen der
kleinen Galerie besonderem Interesse und all-
)5emeinerer Wertschätzuni^ begejjneten. Maler
von Haus aus und wie jeder, der jemals Proben
dieser seiner malerischen Leistungen zu Ge-
sicht bekam (er ist in dem Punkt sehr zu-
rückhaltend), zugestehen wird, ein Koloristvon
nicht alltäglicher Begabung, verleugnet er auch
in seinen Photographien nicht seine zuvörderst
malerische Begabung. Man hat ihm daraus
manchmal schon einen Vorwurf zu machen ge-
sucht, ihm besonders auch gewisse technische
Manipulationen, die er mit der Platte vor-
nimmt — von den hier wiedergegebenen Ar-
beiten sieht man sie am besten an dem Blatt
„Adam und Eva", bei dem mit der Nadel in
die Platte gearbeitet ist — anzukreiden ge-
sucht. Aber man tut dies, wie ich denke, mit
großem Unrecht. Denn obgleich ich persönlich
in meiner Ansicht über Photographie auch
Smith gegenüber kein Hehl daraus mache,
Purist etwa vom Schlage Shaws oder Stieglitz's
zu sein, so halte ich doch sein Vorgehen, ge-
rade bei ihm, und nicht zum mindesten aus
unserer näheren Bekanntschaft heraus, für voll-
kommen gerechtfertigt. Die gelegentliche An-
r.ildni^; Crahri.lla T.rnl.ath.
Wendung des Pinsels und der Nadel geschieht
nicht, um damit billige Effekte zu erzielen, wie
man sie in München, wo Smith seit ein paar
Jahren seinen Wohnort aufgeschlagen und sein
Beispiel manchen unselbständigen und schwa-
chen Geist zur Nachahmung verleitet hat, jetzt
mitunter sehen kann, sondern sie sind ihm
gänzlich untergeordnete Hülfen zur Abrundung
seiner Kompositionen, in die er als neues
und eigenstes Element eine bislang unbe-
kannte Reichhaltigkeit der Tonstufen
gebracht hat. So hat er auch als Lehrer sich
nie bemüßigt gesehen, seine Schüler zur An-
wendung ähnlicher Mittel zu führen; sich wohl
bewußt, daß sie nur bei ihm Sinn und Berech-
tigung erlangen. Und nichts liegt ihm ferner,
als die Reihen derjenigen zu stärken, die aus
Malerei und Zeichenkunst kommend in die
Dunkelkammer allerhand von der Korruption
und Unvollkoninienheit jener Kunstgattungen
tragen und die Aufgabe der Photographie in
der Aufnahme irgend einer malerischen oder
zeichnerischen Manier in sie zu erfassen glau-
ben, statt einen der vollendetsten Führer zur
Natur in ihr zu sehen.
Als das eigenste und feinste Element in
KKAXK Kl'CHXK SMllII.
IIIIIIMS: (iAIlKlIM, A 1 IM; \i ]{.
Frank F.ii
Sui itli — jlfüiii/ic
FKAXK EUliENE SMIIH MINc KEN.
Porträt- All fnalime.
Sinitlis Schöpfungen hob ich die Fülle in seiner
Tonskala hervor. Als Beispiel hierfür diene
das auf S. 45 wiedergegebene Kinderporträt
von Gabriella Lenbach. Die Zartheit, Duftig-
keit und Wahrheit, die hier durch Kontrastier-
ung und Zusammensciiluß differenziertester
Valeurs erreicht viferden, sind vk^undervoll. Und
wie atmen uns in dem oben zitierten Blatt
„Adam und Eva" die Körper aus dem Dunkel
entgegen, in ihrem Leben von Licht und Schat-
ten geradezu meisterhaft behandelt. Lebens-
fülle seinen Aufnahmen zu geben, das ist es, wo-
nach Smith in höchstem Maße strebt; sie sollen
dem Auge interessant werden, aus der Sphäre
derLangweile emporragen, diephotographische
Arbeiten so vielfach uniluillt. In seinen [Mil-
dern gibt es keine toten Punkte, in jedes Eck
strömt Leben, vom Mittelpunkt der Darstel-
lung ausgehend, aus. Und diese Sehnsucht
nach Vitalität seiner Schöpfungen ist es auch
allein, die Smith bewegt, in seine Platten ge-
legentlich mit Stift und Pinsel hineinzuarbeiten.
Er will damit nicht den Charakter der Photo-
graphie verwischen, nichts vortäuschen, son-
dern lediglich da noch ausgleichen, wo die
Photographie wie jede andere Art der Natur-
wiedergabe LlnvoUkonimenheiten zeigt. Frei-
lich das Recht zu solcher Behandlung wird
man immer nur ihm allein und allenfalls
einigen wenigen seinesGeistes zugestehen kön-
nen, jeder Unberufene muß mit solcher Tech-
nik unfehlbar zu Schanden kommen. Es ist
KRANK El-i.l
WERKTÄTIGE JUGEND-ERZIEHUNG.
Ücr enormen Entwicklunji der Industrie und
des Maschinenwesens, wie sie sich seit
der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts
vollzogen hat, steht auf der anderen Seite der
Niedergangdes Handwerks entgegen. Es unter-
liegt auch gar keinem Zweifel, daß das Hand-
werk in seinen althergebrachten Betriebsfor-
nicn noch mehr zurückgedrängt werden wird,
daran werden alle Klagen nichts äiulern, denn
sie können den Gang der naturgemäßen wirt-
schaftlichen Entwicklung nicht aufhalten. Aber
eine andere Frage ist die, ob wirklich auch die
qualifizierte Handarbeit an Bedeutung ver-
liert, oder ob sich nur die technischen An-
sprüche an dieselbe ändern, und ob nicht ge-
rade durch den Fortschritt der Maschinen-In-
dustrie die Nachfrage nach handgeschickten
und gut durchgebildeten Arbeitern sich slei-
Dircklor Dr. Pahst-T^apiio .-
k LA.SKCR I
i * t dl
KRANK EUGENE SMIIH MINCHEN.
-Bildnib: .Schachwellnu'ister Dr. l'^inama'l I.askcr.
j^ert. Eine genauere Prüfung dieser Fragen
zeigt, daß selbst durch die besten Maschinen
geschulte und geübte Hände nicht entbehrlich
gemacht werden, im Gegenteil: je feiner und
komplizierter die Maschinen werden, desto
geübter müssen auch die Hände sein, welche
diese Maschinen bedienen sollen. In einem
Vortrage machte W. v. Oechelhäuser die sehr
beachtenswerte Bemerkung, „daß mitunter
kostbare Werkzeugmaschinen zeitweilig außer
Betrieb bleiben müssen , weil man nicht ge-
nügend tüchtige Arbeiter dafür findet". Mit
anderen Worten also; unsere allgemeine und
unsere gewerbliche Erziehung leisten das nicht,
was im heutigen Maschinenzeitalter von der Er-
ziehung des Arbeiters gefordert werden muß.
Diese Klage wiederholt sich mit einigen Va-
riationen auf allen Gebieten gewerblicher und
PKorrssoR r:Mii. ori.ik
ARCHITEKT CARL WITZMANN-WIEN.
VCiX A. S. I.EVEITS-WIEN.
Daß Carl Witzmann zu den begabtesten
jüngeren Architekten Wiens gehört, ist
schon an dieser Stelle anerkannt worden. Als
Schüler Professor Hoffmanns hat er gleich
am Anfange seiner Tätigkeit die größten Hoff-
nungen erweckt, und seine Entwicklung hat
uns nicht enttäuscht. Als gelernter Tischler
kam er an die Wiener Kunstgewerbe-Schule;
die Erfahrungen und praktischen Kenntnisse,
mit denen er ausgerüstet war, zusammen mit
seiner künstlerischen Begabung, dem weiten
Blick und dem feinen, angeborenen und aus-
gebildeten Schönheitsgefühl, sind ihm sehr zu-
statten gekommen.
In seinen Arbeiten liegt immer viel erfreu-
liche Frische, seine Entwürfe sind fein erson-
nen, die Raumlösung und Ausstattung gut und
zweckentsprechend, stets den Ciiarakter ihrer
Bestimmung spiegelnd.
Seine gründliche Ausbildung als Handwerker
befähigt ihn, die Ausführung seiner Entwürfe
bis ins kleinste zu überwachen. Künstlerischer
Takt leitet ihn, die Beziehungen zwischen dem
Bewohner und seinem Heim mit Sicherheit
herauszuarbeiten, sodaß alles im schönsten
Elinklang steht. Die hier abgebildete Wohnung
des Herrn J. mag als Beispiel dienen. Im
Wohnzimmer hat Witzmann den Liebhabe-
reien des Besitzers, eines eifrigen Liebhaber-
Photographen und Sammlers , Rechnung ge-
tragen. Eine Reihe großer künstlerisch durch-
geführter Landschafts-Aufnahmen ist in die
Täfelung der Wand eingefügt. Der Raum ist
von reizvollster Wirkung, E^in breit gehaltener
Kamin aus grauem Malplaquet, mit Säulen aus
schwarz-weißem Brescia-Marmor ist ihm ein
besonderer Schmuck. Die darüber befindliche
ornamentale Malerei, eine eigenhändige Arbeit
Witzmanns, in blauen, violetten und silbernen
Tönen gehalten , stimmt harmonisch zu der
grauen E arbe der Wände und den vorherrschend
grauen Tönen des Zimmers. Die nicht nur an
der Decke, sondern auch tiefhängend an den
Wänden angebrachten Beleuchtungskörper er-
möglichen eine gleichmäßige Lichtverteilung im
Raum. Diebequenien und schönen Sitzgelegen-
heiten und die gemütliche Ecnsterpartie sind
bemerkenswert gute Lösungen. Die Bleiver-
glasung des Fensters ist in weiß, blau, violett
und grün gehalten. Das ganze Zimmer atmet
wohltuende Ruhe.
Beim Speisezimmer hat Witzmann zwei klei-
ne Räume zu einer schönen Einheit vereinigt.
Den unteren Teil eines der beiden Fenster hat
er zugebaut und damit eine Eckpartie gewon-
nen. Um eine geschlossene Wirkung des Rau-
mes zu erzielen, sind die Wände durch Scha-
blonierung in quadratische Felder eingeteilt; die
Fenstervorhänge weisen das nämliche Motiv
auf. Gleich beim Eingange befinden sich zwei
Nischen; die eine dient als Plauderecke, die
andere als Servierraum, so daß der Anrichte-
tisch unmittelbar bei der Türe steht. Der Ka-
minumbau der Plauderecke ist ganz einfach
gehalten und weiß lackiert, die freistehenden
Möbelstücke schwarz gebeiztes Eichenholz.
Schlicht und fein sind auch Kredenz und Ser-
viertisch. Es war dem Architekten darum zu
tun, sie möglichst glatt zu halten, deshalb hat
er statt der üblichen Messinggriffe solche aus
Holz angebracht, die im Einklang mit den ge-
schnitzten Säulen stehen.
Das Schlafzimmer, in Ahornholz weiß lak-
kiert, ist ein besonders reizvoller Raum. Vor-
hänge aus bedrucktem Leinen, gelb auf weiß,
mit Schleifen zusammengehalten, umgeben
das Bett. Die Wände wiederholen Earbe und
Muster der Vorhänge, die Bettdecke ist gelb.
Die Schränke sind im Profil ganz glatt, die
Ecken abgerundet. Die Polster von Sopha
und Sessel sind derart angebracht, daß sie
mühelos abgenommen werden können.
Der Vorraum ist ebenfalls höchst praktisch
eingerichtet, in weiß lackiertem Ahornholz
gehalten, der Fußboden mit Linoleum belegt.
In der ebenfalls von Wilzmann eingerich-
teten Halle des Herrn B. waren manche
Schwierigkeiten zu überwinden, doch gerade
in der Beseitigung solcher liegt für den schaf-
fensfreudigen Künstler der größte Reiz. Um
eine hohe und geräunnge Halle herzustellen,
hat der Architekt die vorhandene Decke durch-
brochen und die obere Stiege liefer gelegt.
Reizvoll ist auch das Bhnnen- Arrangement,
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IHK
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.WII/MAXN WIKX
1 ms HAI ST> H. XVJKN
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1. sori.EK -WIKN.
A)rliilckt Carl ]] ilziuaini.
K,L,,.a,lh
AiisfLilir
das er an den Treppenabsätzen und in den
Fensternischen angebracht hat. Die Bleiver-
glasung am Fenster des unteren Stiegenhauses,
fein abgetönt in blau, grün und gelb, belebt
die Halle in schönster Weise. Hin hübsches
Frühstücksplätzchen befindet sich davor.
Noch eine Halle, in einem Landhause in
Klagenfurt, ist zu erwähnen. Im Gegensatze
zu der vorigen war hier der Raum sehr be-
schränkt, folglich mußte jedes Plätzchen aus-
genutzt werden, und so kommt es, daß auf der
Abbildung eigentlich nur der Stiegenantritt zu
sehen ist. Die Wände sind mit I^auhputz be-
worfen, die Täfelung in graublauer Farbe gehal-
ten. Die freistehenden Möbelstücke sind aus
schwarz gebeiztem Eichenholz. Für Wand-
bespannung und Vorhänge wurde ein von Prof.
Hoffmann entworfener Druckstoff benützt.
Bei allen seinen Arbeiten hat Witzmann
stets das künstlerische Moment vor Augen,
ohne die Zweckmäßigkeit zu übersehen. Als
echter Schüler Hoffmanns versteht er es, die
Schönheit des Materials herauszuarbeiten und
er geht seinen Weg mit Bedacht und Würde.
_\kl_Hll! Kl lAkl. \Vn/.\IANN W IK.N.
Au> um^tL-hriuKiii Speis
DIE GEBILDETE FRAU IM KUNSTGEWERBEHANDEL.
KAkI, \\I1J\TKK KAKI sKT Hl:.
Der Kampf der Frau um die Erschließung
neuer Berufe ist heute schon eines der
wichtigsten sozialen Probleme unserer Zeit.
Seine Bedeutung wird in dem Maße weiter-
wachsen, wie sich die Bedingungen für die
natürliche Berufserfüllung der Frau durch
die gesellschaftlichen Verhältnisse in der heu-
tigen Kulturwelt weiterhin verschlechtern wer-
den. Ins Gewicht fallen dabei freilich nur die-
jenigen Bestrebungen, die aus einem ernsten
wirtschaftlichen Bedürfnis hervorgehen und die
von dem redlichen Willen geleitet sind, sich
den Anspruch auf Selbständigkeit auch durch
brauchbare Arbeit zu verdienen. Denn aller
Erfolg beruht schließlich auf Gegenseitigkeit.
Die schönsten Humanitäts- Forderungen der
Frauenbewegung haben nur dann Aussicht, sich
durchzusetzen, wenn ihre Erfüllung nicht nur
im Interesse der Frau selbst, sondern auch in
dem der Mitwelt liegt. Darum liegt die Lösung
der Frauenfrage nicht in der Eroberung von
Männerberufen, wo die natürliche Überlegen-
heit des Mannes ihre Mitarbeit von vornherein
überflüssigmacht, sondern in der Erweiterung
des Arbeitsfeldes, wofür die Frauen von Haus
aus gewisse, in der weiblichen Natur liegende
Vorzüge mitbringen.
Ein solches Arbeitsfeld ist der Kunstgc-
werbehandel. Er befaßt sich mit einem Ge-
biet, wo die weibliche Mithilfe fast so unent-
behrlich ist, wie in manchem spezifisch weib-
lichen Berufe, z. B. der Toilettenbranche. Denn
auch hier spielt neben den rein praktischen
Fragen die Geschniacksfrage bei Bestellung und
Einkauf eine entscheidende Rolle ; und auch
hier sind die Kaufenden vorwiegend Frauen,
- ''^^ ,ti* • "-t=" i-.'i -^" *»- "^ •^* -S". ■.^>"
AK( III I |..K I ("Akr. WIIZMAXNT.
M'l' l'^^■/IM\II k IS Hl' U W'iHM'NC. V. A.J.
\I"M' I IIHIM,: \liiill' IM.IKKk WIKN.
Die orehüdete Frau im Kioisfsewerhe/iatiJcl.
Frauen aber haben, weit mehr als Männer, das
Bedürfnis, bei jeder Wahl, wo Urteil und Ent-
schlußfähigkeit verlangt werden, sich leiten und
beraten zu lassen ; und dann erst recht, wenn
außer dem persönlichen Geschmack auch noch
die Mode und der wechselnde Zeitgeschmack
mitsprechen und es also gilt, darüber auf dem
Laufenden gehalten zu werden. Andererseits
eignen sich aber die Frauen auch für die Rolle,
in diesen Dingen den Ratgeber zu spielen, ganz
in der Wohnung V. A. J. Wien.
besonders gut. Die Gegenstände, um die es
sich handelt, fallen zum überwiegenden Teil in
das Gebiet, wo die Prau waltet und schaltet;
Wohnung und Küche. Die Frauen bringen für
diesen Beruf also das mit, was das wichtigste
Motiv jeder Berufswahl sein sollte; das natür-
liche Interesse an der Sache. Dazu kommen
gewisse persönliche Vorzüge, die in der weib-
lichen Natur liegen; die größere Liebenswür-
digkeit und Geduld des Anhörens und Anbie-
.\I<( III I l.K I < AKI. W I 1/„MAXX WIKX.
Sl III AI' - /IMMI k hlK «• ■IIMNC, V. A. |. WIEN.
ArshiHkl \i.: \ir.l;l' 1 !■ \|-,l;. A. T.Kr.F.KER WIEN.
AKClilT. CARl. WirZMAXX W II\.
VoK -ZIMMl'.K DTK WOHMXG V.A.j. UIKN.
ARCII. (ARI, WnZMAXX WIKX.
HAI I K IM l_AM)H \1 .s L. lu \|,I\|. IKI.
Die scbilddc Fra
KiDisto-civcrbchandcl.
tens, die nun einmal da, wo ihr eigenes Ge-
schlecht das Hauptkontingent der Kunden stellt,
eine besonders große Rolle spielen. Weib-
licher Bedienung gegenüber sind die Käufer-
innen im allgemeinen unbefangener im Fragen
und im Angeben ihrer Wünsche als Männern
gegenüber.
Das alles kommt zusammen, um die Tätig-
keit der Frau im Kunstgewerbehandel zu einer
für beide Teile — den arbeitgebenden und
arbeitsuchenden — gleich wichtigen und dank-
baren Aufgabe zu machen. Und die Bedeutung
dieser Aufgabe steigert sich damit, daß es sich
hier nicht allein um materielle Bedürfnisse,
sondern um höhere Kulturfragen handelt : wird
doch der Geschmack, der in unsern Wohn-
räumen herrscht, im wesentlichen davon be-
stimmt, was von den Frauen und für die Frauen
angeschafft wird. Es äußert sich hier wie-
der der unmittelbare und ausschlag-
gebende Einfluß, den der Kunstge-
werbehandel auf das künstlerische Ni-
veau unseres heutigen Lebens ausübt.
Um seiner Kulturaufgabe in diesem Sinne
gerecht zu werden, müßte der Kunstgewerbe-
händler aber vor allem auch über einen tüch-
tigen Stab gebildeter Ve rkäuferinnen ver-
fügen können. Denn die Summe rein fach-
mäßiger Kenntnisse, die allenfalls für ein Putz-
und Modegeschäft ausreichen, genügt nicht,
wo es sich um Auskünfte handelt, die sich zum
Teil mit den feinsten Bildungsfragen berühren;
Fragen, in denen sich die gebildete Dame nur
dem gebildeten Urteil unterwirft. Leider be-
rührt man aber damit eine der größten Lücken
in der Organisation unseres heutigen Kunst-
gewerbehandels. Es fehlt ihm durchaus an
einem solchen Stand von Verkäuferinnen, die
auf einem höheren Niveau allgemeiner Bildung
stehen — einzelne Ausnahmen können daran
nichts ändern. Gesellschaftliche Rücksichten
und Vorurteile, die das Mädchen aus dem Volk
nicht beschweren, hindern die Töchter unserer
gebildeten Stände, einen Weg zu beschreiten,
der eine so glückliche Lösung der Frauenfrage
sein könnte. So ist es wenigstens in Deutsch-
land, dem klassischen Land der gesellschaft-
lichen Engherzigkeit. In England denkt man
über diese Dinge heute schon viel freier, als
bei uns. Am weitesten voraus aber ist uns
darin Skandinavien. Hier gilt es als etwas
Selbstverständliches, daß man einer Dame die
gesellschaftliche Achtung darum nicht versagt,
weil sie durch ehrliche Arbeit ihr Brot ver-
dient. In dänischen und schwedischen Kunst-
gewerbeläden kann man deshalb allenthalben
Verkäuferinnen treffen, die durch ihre Kennt-
nisse und durch ihr Auftreten beweisen, daß
sie den gebildeten Ständen angehören. So hat
gerade hier im Eldorado der Frauenemanzi-
pation die Frau gezeigt, wie man auch ohne
die unerfüllbaren Prätentionen eines beding-
ungslosen Konkurrenzkampfs der Geschlechter
seinen Teil zu einer gesunden Lösung der
Frauenfrage beitragen kann : nicht durch Ein-
reißen der natürlichen Grenzen, die der Tätig-
keit der Frau gesetzt sind, sondern durch Über-
windung der künstlichen Schranken, die ihr
Kastengeist und Standesvorurteil setzen. Es
ist schade , daß das Beispiel der Skandina-
vierin bei uns nicht mehr bekannt ist. Es würde
vielleicht auch bei uns manchen helfen können,
sich auf dem gleichen Wege eine befriedigende
Lebensaufgabe zu sichern. — ] k. u.
APHORISMEN.
Wer geyeii sidi seihst und ciruiere wdlir ist und
bleibt, besi^t die sdiönste Eigenscluift der giöliten
Talente. Goethe.
Die Bewunderung ist das Vermögen, am Schönen
und Sinnreidien sich zu freuen; wir werden, wenn
wir diese zerstören, gemein und uuehrerbietig.
lohn Knskin.
Kunst ist Ausdiui-kstdtigkeit. Abel- nicht alle Aus-
diiukstätigkcit ist Kunst. Wenn jemand lacht oder
weint, liefert er nocii kein Kunstwerk. Dazu wird
Ausdnickstiitlgkeit erst, wenn sie zu selbständiger und
versIciiulliilK-r- IJsilieluuug gelangt. (). Koluisliuniu.
Gewöhnlic+ikeit wird jedem geglaubt, zum Unge-
wöhnlidien bedarf es der Autorität. August Panly.
Genie ist eine lange Geduld. In jcglidiem Ding
steckt etwas, das nodi keiner gesehen und keiner aus-
gedrückt liat, dies nui(i man herausholen. t"lau!)ert.
Unsere zarte, fülill)are und feiu empfänglidie tliitur
hat aller Sinuc nötig, die ihr Gott gegebei\, sie
kann keinen seines Dienstes entlassen, um sich einem
andren allein anzuvertrauen: denn eben iniGcs.imt-
gcbraudi aller Sinne und Organe zündet und
leuditet allein die padel des Lebens. Herder.
69
MARGARKIE VON' I'.K AllH I I SlH MIM'HEN.
( iarten-Schirni mit Kurbel-Stickerei.
!n für Kunst im Handwerk, A.-G., München.
STICKEREIEN VON MARGARETE VON BRAUCHITSCH.
Frau von Braucliitsch gehört zu den wenigen
originellen Kunststickerinnen, die eigene
Technik und eigene Ideen haben. Viele fußen
auf ihr, ehrlich oder unehrlich. Wer die Tech-
nik und die künstlerische Art der Frau von
Brauchitsch einmal eingehend studiert hat,
wird sie immer wieder erkennen. Sie allein
ist so originell in der Wahl der Stoffe, der
Farben und Linienführungen, daß sie unter
den vielen modernen Kunststickerinnen eine
Richtung für sich bedeutet. Sie entdeckte vor
weit länger als zehn Jahren die Stoffe, die sie
seitdem so fein zu benutzen versteht; sie er-
fand neuerdings die Bestickung vorhandener
Kunststoffe mit farbigen Seiden, Wollen, Gar-
nen derart, daß die Muster der Weberei in den
Konturen naciigezogen werden, wie Vorhänge
und Stuhlkissen unserer Bilder es z.T. zeigen.
Sie ist völlig originell in den Farben, die sie
selbst erfindet, und die sie dank ihres einfachen
Prinzipsunendlichreichvariierenkann. Ebenso
kann sie ihre Formen von den einfachsten Or-
namenten bis zur gobelinartigen Vollstickerei
durchführen. Wenn Aufträge vorlägen, denke
ich mir, könnte diese Künstlerin eine neue
Kultur der Wandteppiche herbeiführen helfen,
etwa wie sie es auf dem Gebiet der Theater-
vorhänge bereits getan — sie hat für ca. zehn
neue Theaterbauten die Vorhänge geliefert.
Unsere Proben stammen aus einerihrer Ausstel-
lungen in den Münchner Werkstätten. Sobald
der Raum es gestattet, werden wir auf diese
Künstlerin imd auf die Probleme der modernen
Stickerei noch einmal zurückkommen. ■• m.
70
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78
F.. MAKGi 1U-) — WIEN
GOLDPRAGlNd FIXFS H rCHllANDFS
REZEPTIVE BEGABUNG.
Vi in U'/I Uli M MH UFF
■ MIM HIN.
/Vch, sie tut uns wirklich not! Man höre
■^^ nur in den Reden aller zeitgenössischen
Künstler, der großen wie der kleinen: Überall
ein Notschrei nach dem, der aufnimmt, nach
dem, der durch sein Verlangen nach dem
Kunstwerk diesem und seinem Schöpfer erst
die eigentliche Autorisation verleiht. Kunst
ist ganz sicher etwas Soziales. Sie setzt ihrem
innersten Wesen nach den Zuschauer und
Zuhörer voraus. Er gehört zu ihrem Begriffe,
so gewiß dieser Begriff gipfelt in einem Deut-
lichmachen, in einem Erkennbarmachen für
Dritte. Kunst ist Mitteilungsdrang, und der
Begriff „künstlerische Gestaltung" wäre gar
nicht zu konstruieren ohne Auge und Ohr des
Rezeptiven. Aus dem Inneren ein Äußeres
machen, daran hängt des Künstlers Herz.
Aber das Äußere, das nicht gesehen, nicht
erkannt und geliebt wird? „Du großes Ge-
stirn, was wärest du ohne die, denen du
leuchtest?" Mit diesen schopenhauerischen
Worten verläßt Zarathustra seine Höhle. Und
wie der Sonne, so geht es der Kunst. Sie
„ist" nur, soweit sie genossen wird.
Der Künstler unserer Zeit empfindet das
mit grausamer Deutlichkeit. Schon ehe er sein
Werk hinausgibt, spürt er das kalte, feindliche
Schweigen, von dem sein Werk verschlungen
werden wird. Er ist doch auch Kind seiner
Zeit, leidet unter den gleichen Leiden, die
die Tausende bewegen, freut sich an gleichen
Freuden wie sie. Er hat ein Recht zu erwar-
79
l J 'ilheliu Michel - MimcJicn :
CV.ESCHKA— HAMHl RH
ten, daß man auf ihn horcht, wenn er die Früchte
dieser Mit-Freude und dieses Mit-Leidens zu
Markte bringt, wenn er gewissenhaft und red-
hch, mit Können und Fleiß das gestaltet, was
aus der allgemeinen Nährquelle der Epoche
ihm in den dargebotenen Becher fließt.
Statt dessen stößt er gerade dann auf
Widerstand, wenn er dem inneren Gesetz am
treuesten gehorcht hat. Wer hat es nicht
schon erfahren, daß die Welt gerade das per-
horresziert, was der Künstler am reinsten
und am redlichsten gesagt zu haben glaubte?
Immer will sie etwas abnehmen von seiner
Originalität, von der Eigenart seiner Aus-
drucksweisc. Und noch häufiger als dieses
wenigstens teilweise Zuhören ist wie gesagt
80
das tote Schweigen. Der Künstler bietet
Ware an, die niemand will.
Achtzig Prozent der Einsendungen werden
von der Münchener Sezession alljährlich zu-
rückgewiesen. Sie müssen zurückgewiesen
werden, schon weil die vorhandenen Räume
den Reichtum nicht fassen könnten. Das be-
deutet ein ungeheures Angebot, dem keine
Nachfrage entspricht, ja dem nicht einmal der
Weg zu den „Konsumenten" freigegeben wird.
Eine böse Lotterie, fürwahr, bei der nur jedes
fünfte Los gewinnt, und bei welchem Ein-
satz an Zeit, Kraft und Hoffnungen!
Und es drängt sich gerade hier die Frage
auf, ob statt so vieler „produktiver" Be-
gabungen nicht besser „rezeptive" Begabungen
Rezeptive Begabung
gezüchtet würden. Hand aufs Herz: Weiß
nicht jeder von uns, der mit Künstlern viel
Umgang hat, soundso viele davon zu nennen,
deren künstlerische Neigungen sie gerade zu
geschmackvoller, anspornender Rezeption,
nicht aber zur Produktion befähigen? Aber
unser Zeitalter hat den Tick aufs Produktive,
Der nicht Produzierende gilt als Mensch
zweiten Ranges. Sobald einer irgend ein
Verhältnis, eine Neigung zur Kunst in sich
spürt, wird schöpferische Begabung diagno-
stiziert und dadurch meistens nur ein Dilet-
tant mehr in die Welt gesetzt. Aber Hin-
horchen und Zusehen können, wenn einer
etwas Ehrliches zeigt, das ist auch eine Tätig-
keit, die aller Ehren wert ist. Und rezeptive
II I.LMK.VnclX /.V I-. KKIM „IUI; MIMIINCI-N
Begabungen möchte ich diejenigen nennen,
die kulturelles Verantwortlichkeitsgefühl in
sich haben, die wissen, daß auch der ver-
ständnisvolle Zuschauer ein Arbeiter im
Dienste der Menschheit ist. Rezeptive Be-
gabungen nenne ich diejenigen, denen künst-
lerische Werte Realitäten sind wie Geld
und Blut, denen ein Bild, ein Buch, ein
Schauspiel wirklich erscheinen, als Bau-
steine am Bau der zeitgenössischen Kultur.
Aber bei uns in Deutschland ist es so —
ich wähle ein Beispiel aus der Tätigkeit des
Schriftstellers, der Klarheit wegen: Rede in
deiner Zeitung, deiner Zeitschrift oder auch
in deinen Büchern zehn Jahre lang mit Men-
schen- und mit Engelzungen, du hörst kein
Sl
Willi dm Michel- München:
noch so leises Echo, sofern deine LeistunfJ
„nur" auf erstklassige Form, „nur" auf Tief-
sinn und Originalität des Gedankens ausgeht.
Aber schneide in der plumpsten, ungewähl-
testen Form eine „aktuelle Frage" oder gar
ein Sonderinteresse an, sprich aus, was nicht
nur du allein und zehn andere, sondern Hun-
derte und Tausende denken: sogleich bedeckt
sich dein Tisch mit Zuschriften, aus denen die
leidenschaftlichste Parteinahme für und wider
herausdröhnt. Was beweist das? Es beweist,
daß gute Form und gutes Denken nicht als
Realitäten gewertet werden. Vor drei Jahren
war's, da schrieb in einer norddeutschen Zei-
tung ein völliger Neuling, dessen Namen noch
niemand gelesen hatte, ein Feuilleton über
irgend eine Sache, mit der vielerlei lokale
Interessen verknüpft waren. Unter den Repli-
zierenden befand sich ein Schriftsteller, der
jahrelang in demselben Blatte kluge, sehr
kluge und gut geschriebene Essais veröffent-
licht hatte. Der Neuling errang mit diesem
einen Aufsatz Ehre und Ansehen, mehr als
der andere in fünf Jahren. Das gute bei der
Sache aber war, daß der „Neuling" und dieser
andere ein und dieselbe Person waren, und
diese Person pflegte dann von seinem Pseudo-
nymen Ich zu sagen: „Ich" bin jetzt wesent-
lich berühmter als ich, obwohl ich genau
fünfzigmal so viele und fünfzigmal bessere
Arbeiten veröffentlicht habe als „Ich".
Scherzhaft liest man manchmal das Be-
Rezeptive Begabung.
dürfnis nach Lesern und Beschauern, nach
Kunstgenießern ausgebeutet, und es sind dann
immer Dilettanten, denen man solchen Hunger
nach Publikum unterschiebt. Ob aber gerade
die Dilettanten unter diesem Mangel am
stärksten leiden, bleibt fraglich. Zum echten,
berufenen Künstler gehört das Bewußtsein,
daß seine Werke Wirklichkeiten sind, daß sie
innerhalb der menschlichen Gesamtentwicke-
lung positiven und nicht unkontrollierbaren
Wert haben. Sieht er diese Werte so nach-
lässig behandelt, wie es die Übung ist, so
wird er darunter mehr leiden als der Dilettant,
der von der „Läßlichkeit" seines Tuns den-
noch mehr oder minder tief durchdrungen ist.
Es gälte meines Erachtens an allen Statten,
ILLUSTR^\TION ZU F. KEIM
ILACH'S JUGENDBÜCHEKEl. GERI-
wo auf Bildung und Erziehung der Menschen
Einfluß geübt wird, darauf hinzuwirken, daß
die Achtung vor dem Kunstwerk als einer sehr
wichtigen und greifbaren Realität mehr ver-
breitet und die Tätigkeit der Rezeption, der
Anteilnahme am Schaffen der Künstler mehr
Menschen als heute zur persönlichen Ange-
legenheit gemacht werde. Der Künstler ist
nicht möglich ohne den Kulturkreis, dem er
angehört. Dafür empfängt dieser Kulturkreis
aber von ihm sein Spiegelbild, seine Darstel-
lung und Ausprägung und damit eine Eörde-
rung. Jedes Darstellen, jedes „Benennen",
sofern es aus guten Quellen schöpft, bedeutet
die Eroberung neuer, sei es auch nur einer
Fußbreite neuer Erde. — W. M.
Bil^MPJ
ORNAJMNTAT K I TllUXC
85
KLEIDER-KULTUR.
'.EIIANKFN
;RA1- HAKIiKNBKRf
Die Biipiilitiit und Eintonicikcit innerer Kleiduny
erinnert ein die GriilJlidikeit nnserer Mietsknsernen-
fassaden von gestern. Im Bauen ist's mittlerweile
besser geworden und es wird nodi immer besser
werden, denn Wolinkünstler haben uns gelelu't, von
innen nach anlien zu bauen und damit das pülilen und
Sehnen unserer Zeit verstanden. Die Bekleidungs-
künstler, die aus dem innersten Bedürfnisse unseres
Körpers heraus uns neue, sdiöne, farbige und zweck-
mälüge Kleider sdiaffen, stehen nodi aus.
Man mag an Essen und 1 riuken spaien, an I abak
und Zigaretten. An Kleidern sollte man nie sparen.
Das Beste hierüber sagt Prentice Mulford: Es ist Kraft-
vergeudung, alte Kleider zu tragen, sidi mit seinen
eigenen Leidienteilen zu bekleiden aus Sparsam-
keit. Nicht einmal die Sc+ilange kriedit in ihre alte
Haut zurück aus ökonomischen Rücksiditen. Die
Natur trägt keine alten Kleider! Die Natur spart
nie nac4i Mensdienart an üefieder, pell und Farben -
schmelz. Sonst würde ihre herrschende Farbe bald
die alter Hosen sein und Gottes Firmament glänzte
speckig wie ein 1 rödlerladen dritten Ranges.
Seitdem wir nicht mehr körperlidi stark sind —
sind wir ernst. Der Ernst ist der Panzer der Vor-
sichtigen und Sparsamen. Der Humor ist das heitre
Gewand der Mutigen und der Freigiebigen oder
derer, denen das Erdreic+i gehört; der Sorglosen.
Unsere Kleider sind geschneiderte Vorsidit: Mein
Bein ist vielleicht nidit ganz gerade — es könnte . . . !
Eine Röhre, einen formenverwischenden, unkennt-
lichen Sdilaudi herum. Mein Rock könnte in der
Sonne grau werden, verbleidien — wählen wir ihn
graugelb — ! Er könnte sich abnützen, drum sei er
ein Sack! Der König von England erschien jüngst
im grüne[i Frack und in hellgrauen Beinkleidern.
God save the King!
So erstrebenswert in idealen Dingen Mannig-
faltigkeit und Vielkopligkeit sein mag, in realen
Dingen ist eine Gleichiiuiliigkeit immer das Zweck-
mäliigste und den Anforderungen eines bequemen
Verkehrs das Angemessenste. Gönnen wir daher de[i
Frauen Mannigfaltigkeit, erstreben wir uns Zweck-
nitiliigkeit. Unter Zweckmäßigkeit verstehe ich Stil
der Kleidung in Farbe und Form je nach der Ver-
anlassung, für die wir uns zu kleiden haben.
„Die Kleidung des neunzehnten lahrhunderts ist
absdieulidi. Sie ist so finster, so deprimierend",
heilit's im „Bildnis des Dorian Gray".
Es ist im zwanzigsten nidit besser geworden,
immer noch ist unsere Männerkleidung tinster und
deprimierend — nuitlos und ängstlidi — mul! das
sein? Gilt nidit audi fiu' uns, was in Winekelmanns
Tagen von der Kleidung galt: Sie soll des Mensdien
Körper artig iinneiüen?
Wenn wir die Menschen veranlassen könnten,
eine Kleidimg zu tragen, die nidit versteckt, sondern
offenbart, nidit umsdilottert, sondern seinen Formen
gemäli bedeckt, wir würden mutiger werden und
mit der Zeit sdiöner und gesunder. Der Sdiledit-
gestaltete würde trachten, seine Fehler du^t^l Körper-
pflege und Leibesübung auszugleichen, der Mil!-
gcstaltete würde nacfi inneren Vorzügen ringen,
die ihn erheben würden, und damit wäre ein Streben
gegeben, das unserer Rasse und unserem Leben zu-
gute käme.
Der prack ist noch das Beste der vorhandenen
Kleiderrequisiten. Er hat, wenn er gut gemacht ist,
eine gefallige, naditfalterhafte Eleganz, die den Kör-
performen angemessen ist und nidit mehr als unbe-
dingt nötig ist verdeckt. In Verbindung mit Knie-
hosen kennzeichnet er sidi unbedingt als raffiniertes
Kiilturprodukt und wird schwer zu ersetzen sein.
Aber dem Gehrock — diesem tristen Ungeheuer,
dieser Ausgeburt leichenbitterlidier Humorlosigkeit,
— diesem Lügner einer Würde, die wir nidit be-
sitzen — null! ein Ende bereitet werden.
Von der Kleidung der Frauen reden, hieße mit
unzarter Hand in göttliche Mysterien eingreifen.
Es widersteht mir. Ich überlasse es den Vivisektoren
der weiblichen Psydie, die, einseitig getrieben vom
geheimen Haß der Geschlediter gegeneinander,
alles ins sdiauders'oll Klare und Nackte animalisdier
Naturtriebe deuten müssen. Ich inödite auch nidit
den wohlmeinenden Gesundheitsapostel spielen und
denen, die ich liebe, das Evangeliimi des Kartoffel-
sacks predigen. Ich bin viel zu sehr davon über-
zeugt, daß edle Frauen genau wissen, was sie zu
tun haben. Wollen sie Vereine gründen zur Ver-
besserung ihrer I radit, sie mögen es tun, idi will
damit einverstanden sein, wollen sie zärtlic-li an alter
Überlieferung hangen, es soll meine Billigung haben.
Sie sind das Leben in seiner besten und genieß-
lidisten Gestalt, ich will's nic~ht ändern, nic4it dran
mäkeln, nidit verschlimmbessern: Das Genus Sphin.v
ist mir labu!
Da sich die Frauen stets aus einem inneren
Gefühl heraus kleiden und dieses Gefühl stets den
weiblidien Bedürfnissen der vorteilhafteste Ratgeber
ist, so kann man getrost behaupten, daß die Frauen
zu allen Zeiten gewußt haben, wie sie sicti kleiden
sollten. Idi meine, wenn ihr Gefühl sie nidit immer
riditig geleitet hatte, die MensL^lheit wäre längst
ausgestorben.
praiienkleider sollen schwatzen, plaudern — aber
nie dozieren. Ein Geriesel von Crepe de chine,
Spitzen und Plissees, Schleifdien und falsdie Blumen
sind mir immer lieber — wie Dr. Jägers Gesund -
heitsgewebe.
Die Therapie mit bezahlten Schneiderredinungen
und die Wunderkuren mit neuen Kleidern werden
von der modernen Medizin noch lange nidit genug
empfohlen.
Frauen lieben Opfer, lieben Leiden, niemand
tut ihnen einen Gefallen, wenn er ihnen die Freuden
weiter Gewänder oder breiter Sdiuhe predigt, es
sei denn, er habe ganz ernste Absiditen.
86
I.UnWIG HOHLWEIN MÜNCHEN.
PLAKAT FÜR DIE BAYR. CAMP -REITER-ÜKS.
AUSFUHR.: VEREINIGTE DRUCKEREIEN UNI)
KUNST- ANSTALTEN, G. M. ». H., MÜNCHEN.
I'R()1-F>S<IK l'Ari. SCHri.l ZK, NAUMIcrKci.
Aufgeführt Ton den Saalccker Vt
^l^. SKSM;|. IMl Sl I HI I .
i^-1
Shmtliclir SrliiiiurkMIiikc aii^^ccfiilirl in .k'r Wiener Werli^lillo- Wien.
KLEIDER-KULTUR.
VRD.WKEX IN SPI.n II:RN. von KINiiliKAh H A K I )FNKK Kr,.
Eine Kleiderkiiltur ohne Körperkultur ist undenkbar.
Wo der Kleiderkultur diese Voraussetjung fehlt, ist
sie eine unerträylidie Liige. Kleiderkultur ohne Kultur
des Herzens oder Verstandes heiüt Oeekeutum.
Einen sdiönen, reinen, gesunden und ausgebil-
deten Körper zu haben, nuili eins unserer höctisten
Ideale werden. Wir müssen unseren Körper heben
lernen wie ein Heihgluni. So dienen wir unserer
Kasse, unserem Volk. Wer seinen Körper lieb hat,
der pflegt ihn — und kleidet ihn an, wie es dem
teuersten Gut, das wir besi^en, zusteht, aber er ver-
weiehlifht ihn nicht und vernadiiässigt ihn nidit.
Mir beweist keiner, daß es ein Zeichen von editer
Männlidikeit ist, wenn jemand im tabakdurchtrank-
ten Sdiiotterrock und grauen Wollhemde mit herab-
genitschten Wollsocken und unmöglidien Fufibehäl-
tern unter Mensdien ersdieint, im Gegenteil, idi
sehe in soldien Gestalten das Lirbild der Verweich-
lidumg, der sc4iliuuiien, inneren Verweit4ilidumg, die
Madiltissigkeit heiüt. Zudem glaube id\ fest an einen
Parallelisuuis innerer inid äußerer tlegligees. Große
harmonisdie Geister sind immer Freunde einer sorg-
fältigen Kleidung. Goethe war in seiner lugend ein
Elegant, im Älter wußte er seinen Ministerfrack zu
tragen. Ähnlidies wird von Lord Bacon und an-
deren Genies beriditet.'
Idi begreife, daß jemand die Gesellsdiaft flieht,
aber ich begreife nicht, wie jemand schlecht oder
unpassend angezogen in Gesellschaft erscheinen mag.
Es ist ein sicheres Zeichen edler Geister, daß sie
das, was sie machen, ganz und gut machen.
Wer zu Hause uidit fünf Minuten si^en kann,
ohne den Kragen zu lösen, Pantoffeln anzuziehen
und sich mit einem Sdilafrock zu behängen, ist ein
Verweidilichter. Den Edlen verpflichtet Alleinsein
zu größter Strenge gegen sidi.
Wer Bedürfnislosigkeit predigt ist ein Kulturfeind.
Die Bedin-fnisse des Mensdien sind fast alle beredi-
tigt. flur üble Angewohnheiten, die auf bedauer-
lidier Liberlieferung oder törichter lladiahinung er-
wadisen sind, gilt es zu bekämpfen, denn sie sind
die wahren Kulturfeinde und zudem sind sie immer
kostspielig. Wer sidi ihrer enträt, ich denke an
Rauchen, Alkoholtrinken, übermäßigen Fleisdigenuß,
erspart sdion dadnrdi so viel, daß er den edlen
Bedürfnissen des Körpers uac+i Bekleidung und Aus-
bildung völlig ge^el^lt werden kann.
Llnfrisdie in der Kleidung ist in Gesellsdiaft eben-
so iinverzeihlidi , wie Llnfrisdie im Denken und
Reden, vielleit-ht nodi unverzeihlidier. Der Llnfrisdie
im Geiste, schledit gekleidet, gibt nichts, er lähmt
nur. Ist er gut und nett angezogen, so erfreut er
wenigstens durch seinen Anblii-k.
In Amerika verzeiht man dunkle Punkte in der
Vergangenheit, niemals Flecke auf einem Rocke. Es
liegt darin das gesunde Empfinden eines Naturvolkes.
Wer seine Kleider liebt, wird audi die Natur
lieben, die der Gottheit strahlendes Gewand ist. Er
wird den Wald lieben, der seinen Rock mit Ozon
frisdit, das Meer, die Seen, die Berge und die Hügel.
Aber die dunstige Stit^kluff der Kneipen und Stanuu-
tische, die ihn bis aufs Hemd mit Spieübürgerodem
und Bier- und Tabaksbrodem widrig durchtränkt,
wird er meiden. Er wird im Luft- und Sonnen-
bade sein ureigenstes Kleid, seine Haut von der
goldenen Allmutter pflegen, heilen, umsdimeidieln
und männlic"h färben lassen, und wird dadurch zum
Glücklidien werden, zum Versöhnten mit sidi und
der Welt.
Es ist eines Mannes unwürdig, auch nur eine
Minute ungerüstet zu sein. Wer sich in seiner Familie
ein plumpes Negligee gestattet, wird sidi bald von
seinen Kindern darin übertroffen sehen oder er
wird sidi kritisieren lassen müssen.
Die Kunst, eine Llnterhaltung genußreic4i zu führen,
besteht darin, im richtigen Moment das I henia zu
wediseln. Wer immer in derselben Kleidung er-
scheint, ist von vorneherein langweilig.
Richtig, wir müssen zur Einfadiheit zurücStkeliren.
Leider ist's nic-lit so leicht, denn aus komplizierten
Verhältnissen zur Einfadiheit »zurückkehren« (mau
sagte besser: sich zur Einfachheit entwickeln), heißt
zur höchsten Kompliziertheit übergehen. Nidits ist
in Kunst und Leben so sdiwierig und darum so
selten wie Einfac4iheit. Einfadiheit ist höchste Vor-
nehmheit und hat mit Nadilässigkeit, Kargheit und
Barbarei nidit das Geringste zu tun. Einfachheit ist
die Mutter der Schönheit. Nur edle Geister können
einfadi sein. Die Einfachen von Geburt, von Gottes-
gnaden sind selten wie die weißen Raben. Wo sie
aber zur Erde herniedergesliegen sind, da waren
sie das leut4itende Erstrebebild, für die, die sidi aus
Erkenntnis zur Einfadiheit zu entwickeln traditeteu.
PROFESSOR KMII. ORI.IK HKIU.IN
TEMPHRA „WIN IKK IN' AI'SCirA"
JR i;.\lIL ORLIK.
Dami-'n-Bililnis.
PROFESSOR EMIL ORLIK-BERLIN.
ViiN" MJ.ix 1'i.ii-i-km;i;k(
Das^Geschmacksreich Emil Orliks ist weit
verzweigt und sein künstlerisches Wesen
betätigt sich in mannifSfach wechselnden Ver-
wandlunfSen.
In der diesjährigen Wiener Kunstschaii sahen
wir den Maler Orlik mit einem Akt von delika-
tem Reiz. Der weiße Fraiienlcib liegt elfenbein-
kühl, milchig schimmernd auf weißem Linnen,
und diese schwimmende lichte Harmonie wogt
über dem Untergrund der samtartigen pfirsich-
flaumigen Blütenstickerei einer Decke. Man
erkennt hier die koloristische Feinschmeckerei,
die einen Akt zum farbigen Stilleben macht.
Man erinnert sich dabei eines anderen Aktes
auf Elfenbein, der in der Miniaturen-Ausstel-
lung bei Friedmann & Weber vor einigen Jah-
ren fesselte, liier war die Äderung, der leint
des Materials, für die Charakteristik der Haut
benutzt worden, und dieses Hibelol war ein
Zeichen des Raffinements, mit dem Orlik sein
Material instrumentiert.
Er ist, als Schüler und Verehrer der Japaner,
ein Komponist der farbigen Flächen. Das zeigt
seine Graphik. Vor allem die Holzschnitte,
und nicht nur die westöstlichen, in denen Erleb-
nis-Motive aus dem von ihm so sehr geliebten
Lande variiert werden, wie die Eujipilger, eine
Symphonie in gelb und weiß, oder die Rikshah-
zieher mit der breit plakathaften Betonung der
rotkörnigen Mantellappcn, sondern auch die
Landschaftsstimmungen aus seiner leiblichen
Heimat Böhmen.
Die Winterbilder erweisen sich besonders
dankbar, derSchnee stilisiertdie Szene flächen-
mäßig dekorativ, und die bunten Fassaden der
Häuser, ihr Gelb und Braun mit dem Quer-
schnitt der Giebel, blaue Kleider, grüne .Jacken,
weiße Kopftücher der Dorffrauen tinien sich
99
l'\'!i-\ Poppe)ihe)-ii .
PK' H- |>-,OK l.MII, iiRLIK I-.KKI.IN.
saftig ab. Eine entschiedene Neigung spricht
sich hier aus, den WirkHchkeits-Ausschnitt un-
naturahstisch zu geben, umgewertet durcli ein
im Ornamentalen lebendes Temperament, und
energisch umgesetzt in die ausdrucksstarke
Handschrift des Materials und der Technik,
die der Künstler sich wählte.
Auf Holzschnitten von Wald und Baum fühlt
und schmeckt man in den kerbigen Strichen,
die das Bild aus der gemaserten Platte heraus-
holen, lebhaft und sinnlich fast Existenz-Struk-
tur, Jahresringe des Holzes.
Orlik hat wie die ostasiatischen Vettern
einen regen Sinn für die geistreiche Pikanterie
der zeichnerischen Handschrift. So ist bei-
spielsweise eine Radierung, „Das Gewitter
kommt", sehr espritvoll angelegt in seinerTech-
nik aus daherprasselnden Strichen; hingefegt
ist sie, und erfüllt vom Unruh-Rhythmus der
Menschenbewegung bei daherf ahrenden Wind-
stößen und stiebenden Regenschauern.
(icmalde: Das gelbe Haus (< islawan).
Es lag nahe , daß sich Orliks dekorative
Neigung auch in der angewandten Kunst be-
tätigte. Geschmackssichere Bucheinkleidungen
verdankt man seiner graziösen Hand und ihr
erlesenes Beispiel ist die deutsche Ausgabe
der Schriften Lafcadio Hearns bei Rütten &
Loening. Sie ruht in Pergamenthüllen, geprägt
mit gold-schwarzen Schmuckleisten, und ihre
Füllungen und die Zierstücke in der typo-
graphischen Innen- Architektur des Buches
haben die kapriziöse Phantasiefülle japanischer
Schnitzerei mit Wolkenbändern, Filigrange-
büsch, Streuregen flimmernder Blüten, Vogel-
gefieder und Wellenringen , verschlungenen
Arabeskencharakteren,
Eine große Serie von Exlibris trägt Orliks
Namen und sie sind , was ihre Haupttugend
ist, nicht vom Bildlichen aus entworfen, son-
dern vom Wesen des sinn- und bedeutungs-
vollen Namensschildes aus erdacht. So das
Bücherzeichen für den .lapansammlcr Jacoby,
Eiinl Oiiik-Bciiüi.
das des Besitzers Monoj5ranim einer Umrah-
mung einschreibt, die von einer weUig platten-
förmig gemusterten Schwertstichblattkontur
gebildet wird. Dazu noch andere Druckbijou-
terien, Kalender, Glückwünsche, japanisch-
deutsche Surinomos, Bordüren, Titelrahmen,
immer mit leichten Fingern gegeben und dem
Arrangementstakt , mit dem Japaner Blumen
in einer Vase ordnen.
Auf Fächern tanzt seine gaukelnde Laune
in Changeant - Phantasien aus Gold- und
Schmetterlingsblütenstaub.
In den Lackarbeiten, die sein schwelgerisches
Raffinement der Technik in höchster Vollen-
dung erweisen , steigert sich die dekorative
Umwertung der Naturformen zu den Kostbar-
keits-Imaginationen einer „Nature extranatu-
relle " , wie sie Baudelaire und Theophile Gautier
gedichtet. Diese Landschaften aus Lack-In-
tarsien sind paradis artificiels mit tropfendem
Haargezweig der Bäume ; rotsilbrig über-
sprühten Milchstraßen; Filigran -Gespinsten
von Märchenspinnen ; Astralleibern von Perl-
mutter in schwarzen Teichen, gespiegelt unter
grüngoldenen Wipfelballen, flüssigen Silber-
bändern, Bächen von Mondbergen ergossen
und blinkend gemustert als schwämmen auf der
Fläche zu Edelsteinen erstarrte Totenaugen.
Verwandte Landschaftsdichtung schwingt in
den Wandgehängen, nur sind hier mit wissen-
dem Materialtakt alle Schmuckwirkung aus
den Textilbedingungen abgeleitet und die
Karton-Entwürfe geben mit ihren die Faden-
stellung markierenden Strichen eine Gewebe-
vorstellung in matten, perlgrauen Harmonien.
Wertvoll ist Orliks malerische Mitarbeiter-
schaft den Bühnenbildern des Reinhardtschen
Theaters geworden. Seitdem er als Professor
l'KOFE.SSOK I-..\ni. OKI.IK liEKl.lN.
AciuarcU: -luii altcs_llaus in Ausclia-
Fflix Pof^f^ciihcro
■ K KMII. I iKI.IK -l;F.KI.rX.
\'iir dem Morgenritt
an das Berliner Kunstfiewerbfimiseuni berufen
ist, hat er sich der neuen dekorativen Szenen-
kunst gewidmet, die mit farbigen likisioncn
die Gefühlswerte des Dramas begleitend, ein
optisches Orchester sein will. Nachhallende
Erinnerungen hat man von solcher Farben-
musik zu Shakespearescher Dramatik. An
den Gerichtsakt des Kaufmanns von Venedig
denkt man, an das koloristische Ensemble
aus den roten Senatorengewändern , dem
ernsten Schwarz der Antoniotracht , den
sciiillernden Nobilistoffen, überklungen von
Goldbrokat des Bellinischen Dogen, und wie
durch diese in der Bewegung und Erregung
der Menschenmassen brausenden Farbenwel-
len die leidenschaftliche Gcfühlswallung der
Szene in alle Sinne wehte. Und an Porzias
Gemach mit mattgoldenen Wänden, von einem
^
J-jiiil Orlik-Bciini.
Kaiikenwürk zarter Linien übersponncn und
mit Leuchtjiestein inkrustiert, mit der gül-
denen Stiejie, über die der Chor der Diene-
rinnen als ein Farbenreigen, blumenstreuend,
musikumklungen wogte. Und dann das Win-
termärchen mit der glücklichen Stihnisch-
ung der strengen Raumbilder, der Hofszenen
zwischen schweren Faltenvorhängen und der
heiteren Pastorale, die erst hinter Schleier
schimmernd, dann sonnenhell auf einem Fabel-
landschaftsteppich aufging: blumenbestickter
Rasenabhang, Bäume in farbigen Floren, schim-
mergrün und seidengelb, überrieselt von einem
Blütenregen, und im Hintergrund die breit-
gelagerten Häuser und der buntbewimpelte
Mastenwald der Schiffe als Flächenornamente.
Die zum Schildern so dankbare dekorative
Tätigkeit Orliks wurde in dieser Charakteristik
besonders betont, das soll aber nicht bedeu-
ten, daß in Orliks Werk das „Kunstgewerb-
liche" an Qualität die gestaltende Kunst über-
wiegt. Daß er gestalten kann, zeigen seine
außerordentlichen graphischen Porträts.
Sie erfassen ihre Menschen frappant, sie
unterwerfen ihre Handschrift hingebungsvoll
den Bedingungen der Technik und sie locken
dabei die letzte Ausdrucksmöglichkeit aus ihr
heraus. So ist gebannt Josef Hoffmann aus
der Orlik verwandten Wiener Geschmacks-
gruppe , so Ferdinand Hodlers und Hermann
Bahrs Haarbusch-Häupter.
Immer gibt es Anregung in Orliks Arbeiten
und seine sichere künstlerische Tugend bleibt,
daß er niemals langweilig wird. — i. i'.
l'KDi'KssnK i'..\ni, oKi.H'; -iiRKi.iN. Kacliuiiuig; Uiik'iiciluiig..
JK EMU. iiRIlK l;l' Kl IN.
Gc-niiiklc : ■ Berglandschaft ■
DAS MALERISCHE.
Denn was außen ist, ist innen". Dieser
Satz, in dem sich der Goethesche Mo-
nismus mit dem romantischen Monismus be-
gegnet, ist zum Leitsatz unserer Betrachtung
der Künste geworden. Technik ist uns keine
bloße Angelegenheit der Hand mehr. Sie ist
Ausdruck psychischer Realitäten, in einem viel
höheren Grade, als es früher der „Gegenstand"
des Kunstwerkes gewesen. Wir meinen sogar
inDingen wie dem Pinselstrich, dem Farbenvor-
trag, der Farbenrhythmik usw. unmittelbarere
Manifestationen des Künstlers zu finden, als
im Ideengehalt seiner Schöpfungen. Oder viel-
mehr : diesen Ideengehalt finden wir gerade
im Technischen am klarsten ausgedrückt. —
Die wilden flammenartigen Pinselornanicntc
eines van Gogh werden uns zu Verrätern der
Brunst und Glut, die diese spröde Natur durch-
wühlte. Wir halten die Technik für das Un-
mittelbare und eigentlich Rätselhafte am Künst-
ler, und roden deshalb von ihr wie von Ge-
dichten, wie von Naturlauten und Interjek-
tionen des Gefühls.
Daß das Äußere ein Inneres ist und um-
gekehrt, das bildet die Voraussetzung für die
Aphorismen über das Malerische, die ich geben
will. Schade nur, daß dem Kigenschaftsworte
„malerisch" kein Hauptwort entspricht, nicht
104
PROFESSOR KMII, ORI.IK MF.KI.IN.
IKMI'IlKA-HII.I): »I'KRDITA«
ini/ieh/i Miclii'l:
einmal ein Hauptwort anderer Ableitung. Der
Grund dafür? Er liegt darin, daß das Wort
„malerisch" in der Bedeutung, wie wir es
heute hanöhaben, sehr jungen Datums ist.
Wir erst haben den Begriff zu einem Ab-
straktum, zu einem substantivischen Begriffe
gemacht; früher ist das Wort in der Tat ledig-
lich ein Adjektivuni gewesen, ein Begleilwort
für eine bestimmte Art von Naturmotiven.
Diese Bedeutung hat das Fremdwort „pitto-
resk" bis auf den heutigen Tag behalten; es
war im Anfang synonym mit „malerisch" und
io6
1 '' k( )rativfs Wandhikl : S* »mmci
bezeichnete lediglich das Objekt, bezeichnete
die Eigenschaft des Objektes, ein passender
Vorwurf für ein Gemälde zu sein. Der heutige
Sprachgebrauch scheidet die Begriffe pittoresk
und malerisch schon sehr deutlich. Während,
wie gesagt, das Fremdwort als Bezeichnung
für eine gewisse Art von Naturniotivcn noch
in Übung ist, verbinden wir das Wort „male-
risch" immer häufiger mit Abstraktis, die die
Arbeitsweise des Künstlers bezeichnen. Wir
nennen malerisch die Bchandlungsweise, den
Farbenvortrag, die Lichtanalysc, die Welt-
Das Malerische.
PROKESSOR EMIL ORLIK— HEREIN.
anschauung des Künstlers, lauter Worte, die
etwas Subjektives bezeichnen, entsprechend
der neueren Richtung der Ästhetik, die den
Schwerpunkt des künstlerischen Schaffens und
Genießens immer mehr in das Subjekt verlegt.
Man kann also sagen, daß die Geschichte
des Wortes „malerisch" paradigmatisch ist für
die neuere Entwicklung der Ästhetik. Die Be-
deutung des Motivs ist zwar noch nicht ganz
geschwunden, aber sie ist, wenigstens in der
ernsthaften Malerei, auf ein Minimum redu-
ziert. Und gar von einem malerischen Motiv
reden wir höchstens insofern, als wir damit
ein Motiv bezeichnen, das günstig ist für jene
besondere Art der Behandlung, für die male-
rische Behandlung.
Was ist „malerisch"?
Ein junger sächsischer Künstler, der mich
kürzlich besuchte, sagte mir, daß für iini und
seine Gesinnungsgenossen das Wort „iiiale-
Dekorativcs Waiulbilil.
risch" ein Scheltwort bedeute. Das Malerische
streite gegen das Einzige, worauf es in der
Kunst ankomme, gegen die Form im einzelnen
wie auch im ganzen. Gerade auf das letztere
legte er das Hauptgewicht. Die monumentale
Form, den monumentalen Zeitausdruck zu
finden, darauf käme es an; jede andere Pro-
blemstellungverwirre die Gemüter und sei da-
her schädlich. So sei auch der Reiz male-
rischer Behandlung ein Schädling, zum min-
desten aber ein Effekt zweiten Ranges, an
welchem dem ernsthaft strebenden Künstler
nichts gelegen sei.
Er kam aus Sachsen, der junge Mann, und
Sachsen ist das Land Max Klingers. Seine
Ansicht schien mir begreiflich. Sic ist die An-
sicht all der zahllosen Künstler, die sich von
den Lockungen des Monuniental-nekoraliven
haben verführen lassen. Diese Lockungen sind
in einem Lande von überwiegender IntcUek-
uk;
<?i».7©t/tW^
J]',7/!chi! Michel:
IMII, ■iKl.lK
tualität, wie es Deutschland ist, besonders
stark. Daß ihnen zu gerne nachfjej^eben wird,
das ist einer der Gründe dafür, daß Deutscli-
land den Nachbarvölkern jiejfenüber (Frank-
reich, Holland, BelfSien) auf dem Gebiete der
Malerei ins zweite Treffen {Seraten ist.
Und nun wiederhole ich die Frage : Was ist
„malerisch"?
Malerisch ist die möglichst reiche Analyse
der Lichtwirkungen, die möglichst differen-
zierte Reproduktion des farbigen Naturein-
druckes. Während der Monumentalkünstler
auf das Auffinden der beherrschenden, der
charakteristischenTöne ausgeht, also eine mehr
abstrahierende Tätigkeit entfaltet, sieht der
Holzschnitt; Heimkehr .
„Maler" in imserem prägnanten Sinne seine
Aufgabe in dem Aufgebot großer Mittel, in
der möglichst reichen Zerlegung des Naturein-
druckes. Der eine bindet, der andere zerlegt;
der eine schematisiert, der andere differenziert ;
die Tätigkeit des einen ist ordnend und ab-
kürzend, die des anderen exzitierend und be-
reichernd. Man sieht, es ist ein Unterschied in
der Weltanschauung. Der Monumentalist —
ich rechne hierzu immer auch den dekorativen
Maler neuester Prägung — wird geleitet von
einer gewissen Bewältigungsgier, von einer
gewissen Herrschsucht, von dem Bedürfnis, zu
überblicken und in gewissem Sinne zu tyran-
nisieren. Im Gegensatze zu ihm, dem künstle-
Das Malerische.
EMIL ORLIK — BERLIN.
fischen Systematiker, könnte man den „Maler"
den analysierenden Poeten nennen. Was bei
jenem die Herrschsucht ist, das ist bei ihm die
Liebe. In der Tat, ich habe immer das Gefühl
jjehabt, daß das „Malerische", also die üppijSe
Abwandlung des Haupttones, das koloristische
Rätselsuchen, den Reichtum der koloristischen
Problemstellung, nur bei solchen Künstlern
möglich ist, die die Welt in der Weise des
Dichters lieben, in der Weise des Mystikers
anbeten. Der „Maler" findet den Weg zum
Ganzen der Welt durch das einzelne Objekt,
durch die sinnliche Erscheinung des einzelnen
Dinges, Er ist verwandt dem Mystiker, der in
der kleinen Blume das Ganze der Welt zu
Farbiger Holzschnitt; . Winter im A\'alde
fühlen vermag. Das Malerische ist stets das
Produkt eines ausgesprochen herzlichen und
liebevollen Anschauens der Dinge. Die Liebe
ist blind, sagt man. Nichts ist falscher als das,
denn immer sieht die Liebe ihren Gegenstand
reicher als Haß oder Gleichgültigkeit die
übrigen. Die Liebe bereichert die Welt, denn
sie ist, gleichviel ob Lebendem oder Totem
zugewandt, immer Dichtung, und vom Dichter
sagt man: Er vermehrt das Inventar der Welt.
Ich fasse den Begriff Mystiker nicht so enge
als es der gemeine Sprachgebrauch will. Ich
identifiziere letzten Endes Mystik mit Poesie.
Und so gewinne ich weitere Merkmale des
„Malerischen". Der „Maler" hat mit dem
;
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KV C M L E R.
Wilhelm Michel:
l'Ki'FESSilR E.Vni. (IRI.IK - HERI.IN.
Raclioning zu Michael Kramer
erhart Hauptni;
Poeten von Weltgefühl gemeinsam die Viel-
deutigkeit dessen, was er ausspricht; er hat
mit ihm gemeinsam die Überwindung des Buch-
stäblichen. Für ihn ist es die Ursünde, gerade-
zu „Rot" oder „Blau" zu sagen. Sein Aus-
druck hat Neben- und Untertöne, hat Vieldeu-
tigkeit und hat letzten Endes infolge dieser
Vieldeutigkeit die Neutralität der Naturdinge.
.Jeder, der einen maßgebenden Begriff von dei
Malerei Rembrandts hat, wird es verstehen
wenn ich sage, daß man bei diesem Künstler
kaum mehr wagt, irgend einen Lokalton mit
einem nackten Adjektivum zu benennen. Es
gibt wohl Übergänge von Gelb zu Rot, von
15raun zu Blau, aber in jeder dieser Farben
scheint die ganze Palette hineingeheininißt zu
sein. Das ist es, was diesen Werken den
vollen, kräftigen Geschmack verleiht, daß eben
die ganze Welt der Farbe in jedem einzelnen
Ton schlummert und durchgefühlt wird, genau
wie uns der Dichter in der kleinen Blume die
ganze Natur anschauen und durchfühlen lassen
kann. Das „Malerische" in der Vollendung,
die es bei Rembrandt erreicht hat, bedeutet
geradezu koloristischen Monismus oder kolo-
ristischen Pantheismus. Man kann auch an
Leibl denken, der mit Werken begann, die
ii6
nach Holbeins Weise die einzelnen Farben-
komplexe, in einer meisterhaften Malerei ge-
geben, sauber und genau auseinander hielten.
Von hier aus vollzog sich Schritt für Schritt
eine Auflockerung, der Pinselführung sowohl
wie der koloristischen Deutung, und aus sei-
nen letzten Jahren gibt es Werke, die schwer-
mütig sind vom Prunk der Farbe, sommerlich
reich und schwermütig vor lauter Reife und
Fülle. Wie Rembrandt versteht er es da, in
jedem Ton, fast in jede Fläche seiner wohl
modellierten Gesichter, die ganze Welt der
Farbe hineinzugeheimnissen. Das ist die Art,
wie der Maler sein Weltgefühl ausdrückt.
Schon hier ist angedeutet worden, was als
letzter Punkt erörtert werden soll, daß das
„Malerische" nur zu einem Teile aus herz-
lichem Anschauen der Natur stammt. Es ent-
hält noch einen zweiten Bestandteil; die freie
Selbstdarstellung des Elementes Farbe. Das
will sagen: Das Malerische ist nicht nur die
reiche Ausdeutung des Natureindruckes, also
etwas Heteronomes, sondern es ist auch das
ungehinderte, üppige Ausleben der Farbe, also
etwas völlig Autonomes. Die Darstellungs-
mittel sind eben nicht nur knechtische Diener
des Ausdruckstrebens, sondern sie sind Or-
Das I\lalc)-Isilie.
ganisnien voll eines ungeheuren Lebenstriebes,
Organismen, die blühen, strahlen, die sich ent-
falten und auf alle Weise manifestieren wollen.
Es ist immer ein wunderbares Erlebnis, wenn
der Dichter in sich das Wort erwachen fühlt,
das er zu führen und nach eigenem Gefallen
zu brauchen glaubte. Da wird es ihm plötz-
lich fühlbar als ein eigenes Wesen, das voll
lachender Kraft und mit verschwenderischer
Geste seine Lebensäußerungen um sich streut.
Und schließlich wird der Diener fast zum Herrn
und der Herr zum bloßen Darstellungsmittel
des Knechtes. Ähnliche Glut eigenen Lebens
ist auch in der Farbe verborgen, und im „Ma-
lerischen" lebt sich die Farbe in holden Spie-
len, in trunkenen Offenharungen aus. Dann
entstehen ähnliche Eindrücke, wie man sie
beim Wellenschlage des Meeres, beim Sausen
des Windes oder beim Spiele anderer Natur-
kräfte erlebt. Es gibt von Theodore Rousseau
Gemälde, die man ebenso gut als brillant ge-
gebene Wirklichkeits- Darstellungen wie als
Elementar- Ereignisse im Reiche der Farbe
auffassen kann. Ein Werk, dem dieses Ele-
ment gänzlich fehlt, wird kaum als ein Kunst-
werk anzusprechen sein. Das entgegengesetzte
Extrem kommt freilich ebenfalls vor, in reinster
Herausbildung vielleicht bei Monticelli, bei
dem sich die Farbe häufig ein Übermaß an
romantischer Freiheit erobert. Aber es bleibt
bestehen, daß die Farbe, dieser wundervolle,
wohlgegliederte und gesetzmäßig gefügte Or-
ganismus, ein unzweifelhaftes Recht auf Frei-
heit hat, und daß es Aufgabe des Künstlers ist,
diesem Recht, diesem Lebenstrieb der Dar-
stellungsniittel zur Verwirklichung zu helfen. —
ric-Enlwurf: Wiiitcn:
PKcilKSMik EMU, iiRI.IK -P.KKI.IN.
SZENERIE: IHK KAI'HF.K . DAS srHI
ICMU. OKI.IK. S/.K.\r,KlK: W I.MEK.MAKIHK.N«
'^IB
IMII, (iKl-IK IIKKI.IX.
S/i.'iiirif: I'raiiz Mn.ir's /.iniiiv
APHORISMEN.
Ein Kunstwerk ist niemals ein Abstrakt-Fertiges,
Monumental-Fixes, wir sind immer die Mitschöpfer.
Kunst ist notwendig Vermehrung der Macht,
wie sie aus der Notwendigkeit ernstester Arbeit und
tiefster Energie und aus derSammlung der höchsten
(lüter entspringt. Durch die Kunst vermehrt sich
mit jedem neuen Werk derselben die Macht des
Lebens. In jedem grofjen Kunstwerk wird das
ganze Thema des Daseins etwas erweitert. Kunst
ist die Perspektive der Menschheit. Rieh. Fuchs.
Je spröder das Material ist — im weitesten
Sinne des Wortes - umso mehr schöpferische
Inbrunst vermag es aufzunehmen, um zu seiner
endlichen Form zu gelangen, umso größer ist ge-
wissermaf3en seine künstlerische Kapazität. Daher
rührt es, dag Werke primitiver Kunstperioden so
oft besonders innige Gefühlswerte verkörpern und
im Beschauer wieder erwecken. O. Kohnstamm.
Alle Vollkommenheit wirkt als Muster und
wird zu praktischem Wert. Rieh. Fuchs.
I'.MII. DKI.IK. Szcner
Oic Käuhrr . I>ic SclienUo.
119
^f>;eOELB^IE<*
HOFBUCHDRUCKER. SR. MAJ. DES KAISERS UND KÖNIGS
PROFESSOR EMIL ORLIK — BERLIN
DRUCKSACHEN MIT ZIERRAHMEN
^l^fSsM
MELON CANDALOUP
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e'^-'H-^'^f^^y^l-/®^® °
A ^^
VERBAND DER
ZEITUNGS-REDAKTEURE
DEUTSCHLANDS
FESTESSEN
ZUM IL VERBANDSTAG
AM DONNERSTAG, DEN
29.SEPTEMBER 1909, IM
STÄDTISCHEN SAALBAU
ZU DARMSTADT
EINLADUNG
FÜR
Mr.
"RGLOGHAGAN
DEUTSCHLANDFAHRT
ENGLISCHER
JOURNALISTEN
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AUliUSTK RODIN l'AKIS.
At;s DKM AIl-.I.IKR HKS MIIMFKS.
AUGUSTE RODIN-PARIS.
VON LOTHAR BRIEGER-WASSERVOGEL.
An der Börse zu Brüssel befinden sich eine
/v Anzahl roher, aber mächtiger Karyatiden,
die mit gewaltigen Schultern und Armen schier
zerbrechend lastende Steinmassen stützen. Ein
belgischer Bildhauer schuf sie seiner Zeit, ein
Herr van Rasbourg, von dem man heute nichts
mehr weiß, als daß er dabei einen jungen Stein-
metzen zum Gehilfen hatte, Auguste Rodin.
Wenige Jahre später führt die staatliche Por-
zellanfabrik von Sevres einige sehr reizvolle
Entwürfe aus, die von einem jungen Bildhauer,
namens Auguste Rodin, stammen, der soeben
in Paris seine Studien vollendet hat. Aus dem
Triebe zum Kolossalisch- Monumentalen und
dem Gefühl für die ästhetische Feinheit der
zierlichsten Details erzeugt sich das Werk
Auguste Rodins. Es kommt her von der Nie-
derung letzter materieller Not, und der junge
Bildhauer, der sich in den Ateliers von Brüssel
und Paris karges Brot mit handwerklicher Arbeit
gewinnt, hat keinen Protektor, niemanden, der
ihn „entdeckt", ihn fördert, ihm die Ausführ-
ung der sein Blut durchrasenden künstlerischen
Impulse möglich macht. Ein Steinmetz unter
vielen, ein stiller Kunstschüler, hat er nichts,
was auffällt oder interessiert. Die besten, die
stärksten jungen Jahre vergehn in der Erohne,
der junge Franzose mit dem Stiernacken formt
gegen billigen Lohn Nippes, Luxusspielwerk.
Aber neben diesem unauffälligen Frohnwerkler
lebt bereits ein anderer Rodin, der Rodin des
Skizzenbuches. Ein Künstler, der jede freie
Stunde benutzt, um mit gierigen Augen Men-
schen und Leben zu verzehren, in sich aufzu-
saugen, der über einen Atlas ihm eigener Be-
wegungsmotive und Masken des Lebens be-
reits in einem Alter verfügt, in dem andere
noch kaum wissen, daß es auch anderes gibt
als die Antike. Die Berufung liegt in uns,
da ist nur zu formen, nichts hinein zu erziehen.
Es ist verblüffend, in diesen jungen Skizzen-
büchern ganz ohne Deuterei den Schöpfer der
neuen Plastik bereits immer zu sehen, den
Bildhauer, dem das Momentane, die Bewegung
alles ist, der Zustand garnichts.
Frankreich liegt im tiefen Schlummer. De-
lacroix ist lange tot, so lange, daß man ihn
schier vergessen hat. Im Louvre irgendwo ver-
staubt, von der Menge kaum beachtet, von
einigen vereinzelten Kunstrevolutionären in
roten Westen und Calabresern angeschwärmt,
die Barke des Dante. Von Daumier weiß man
gerade noch, daß er ein recht amüsanter Kari-
katurist war mit einer lebhaften Abneigung
gegen den roi citoyen Louis Philippe. Aber
ein frischer Hauch beginnt durch diese erstor-
bene Welt zu gehen, neues Leben, das sich
keck rühren will. Lacroix fängt an, seine ersten
Goyapublikationen herauszubringen, und man
hört mit Staunen, was da hinten in Spanien
für ein merkwürdiger Kerl gelebt hat, wild,
unbändig, ein Spieler, ein Händelsucher, ein
Frauenverführer, der dem vollen Leben sein
Recht gab, nicht idealisierte und seiner Lein-
wand ein seit der Renaissance — den ver-
schollenen il Greco nicht zu vergessen — un-
erhörtes Leben gab. Das wirkt. Die franzö-
sische Malerei beginnt sich zu rühren und von
der klassizistischen Leere der großen Louvre-
säle energisch abzurücken. Manet, Monet,
Degas, Millet — zuerst verlacht, predigen jeder
in seiner Weise das Evangelium Goyas, die
Kunst als Selbstzweck, nicht als eine unnatür-
liche Idealisierung mit willkürlichen Mitteln,
sondern als ein Durchgehen der Natur durch
ein künstlerisches Temperament und eine in
ihren Bedingungen wurzelnde höhere Wieder-
geburt daraus. Zola und Huysmans schreiben
ihre Kunstaufsätze, die Literatur stellt sich
leidenschaftlich auf die Seite der neuen Tem-
peramente. Aber in der Plastik sieht es noch
übel aus. Kein Mensch weiß, wie eine Be-
wegung in Wahrheit aussieht. In den Kunst-
schulen steht die Holzpuppe, man gibt ihr
Stellungen, man drapiert sie mit Kleidungs-
stücken, man hat nicht die schwächste Ahnung
davon, daß eine Bewegung in Körper und
Kleid bei lebenden Gliedern ganz anders aus-
sieht als in Holz. Houdon wirkt nicht mehr,
der einzige Große in der Vergangenheit fran-
zösischer Plastik. Ihre Erneuerer, die Schöp-
fer ihrer Zukunft arbeiten noch in der Schule
und im Handwerk, Rodin, Bartholonie, Char-
pentier, Vallgren. Einsam schafft der große
Baryc, der größte Tierbildhauer, den die Neu-
zeit kennt.
I.otlia)' Ihirori-- JJ'a.<;st'/'7'oor/ .■
Alle diese Stadien muß Rodin, der
arme Kunstschüler, durchlaufen, der die
neue Welt bereits in sich träjit, und
dem die Mittel zu eifSenem Schaf-
fen fehlen. Wenig beachteter Schüler,
schlecht besoldeter Gehilfe kitschiger
Bildhauer, die ihm, dem sie heimlich
Mißachtenden, die übelste Arbeit auf-
zwingen, lebt er seine Jugend. Und was
schwächere Naturen niederbricht, ent-
wickelt diesen stahlharten Schöpfer mit
eiserner Notwendigkeit. Wahrend seine
Hände Dinge formen, von denen seine
Seele nichts weiß, wird er innerlich reif
und fertig für den Moment, da seine
Zeit erfüllt ist. Als er schließlich mit
seinem ersten großen Werk, dem „Men-
schen des ehernen Zeitalters", einem
fertigen Meisterwerke bereits, ohne Ver-
gleichbarem in der Kunst der Zeit, vor
die Öffentlichkeit tritt, erregt er einen
Sturm von Aufregung. Die einen sind
entrüstet über diesen ihres Erachtens
rohen Naturalismus, der zugleich Pro-
gramm und Erfüllung ist. Sie kommen
aus der klassizistischen Schule und mei-
nen, Ziel des Bildhauers sei es, durch
128
die Kunst zu veredeln, d. h. nach
griechischem Muster etwas Ruhiges,
einen Zustand darzustellen. Wir ha-
ben alle in der Schule Lessings Lao-
koon gelesen, leider lesen müssen in
einem Alter, wo wir noch keine Kritik
dafür hatten, und kennen seine Ent-
rüstung über den zum Schrei geöff-
neten Mund des Priesters. Die Lehre
war, daß die Darstellung von Er-
regungen den Gesetzen des Schönen
widerspräche. Die anderen endlich
behaupten, solch einen männlichen
Akt zu bilden, sei überhaupt nicht
möglich, und der junge Künstler müsse
ihn über dem menschlichen Körper
abgeformt haben. Da tritt Rodin selbst
vor das Tribunal, legt seine Zeich-
nungen vor, erweist, daß sein Werk
die Frucht zur Zeit unerhörten Be-
wegungsstudiums am menschlichen
Körper ist. In wenigen Tagen ist er
durch den Skandal, der nicht an ihn
kann, einer der bekanntesten Künst-
ler Frankreichs. Das junge Frankreich
bekennt sich mit Begeisterung zu ihm,
zehnjährige treue Anhängerschaft hebt
Allojis/c Rodin— Paris.
ihn auf den künstlerischen Thron
Frankreichs. Und sie hat sich nicht
geirrt, seit den Tagen der Renais-
sance sah die Welt keinen größeren
Bildhauer von selbständiger P'igen-
art. Der Kampf war hart und ein
Wunder, daß Rodin seinen Weg
unbeirrt weiterging. Es gehörte zum
guten Ton in Paris, Rodin zu ver-
lachen und zu verlästern, als end-
lich die Staatsaufträge kamen, ent-
blödeten sichführende Blätternicht,
ihm vorzuwerfen, daß er Staats-
gelder veruntreue und ähnliches
mehr. — Er hat den Kampf für die
neue Plastik allein durchgeführt.
Ohne ihn kein Verständnis für die
Bartholome und Charpentier und
Minne, ja weiter hinaus in die Welt
für die Klinger und Klinisch. War
je ein großer Künstler in Schwerem
und Kampf ein Bahnbrecher, so war
es Auguste Rodin. — Heute, da
Rodin als Altmeister in Meudon
sitzt, die Grundsätze seiner Kunst
schon beinahe Allgemeinplätze sind
und das große Publikum vor jedes
PF, RODIN— PARI
AX'GV.-iTF. RODl.V P.\RI
de lio]<nib.ir.
neue Werk seiner bereits altern-
den und keineswegs mehr unbe-
dingt Meisterhaftes schaffenden
Kraft mit vorgefaßter Bewunde-
rung tritt, ist es schwer, vom Auf-
reizenden und Leidenschaftlichen
der noch vor einem Jahrzehnt um
diese Kunst geführten Kämpfe eine
richtige Vorstellung zu gewinnen.
Rodin lebt in einer schloßartigen
Villa, besitzt in Meudon — außer
den Pariser Ateliers — ein Riesen-
atelier, baut für sich privatim ein
Antikenmuseum und läßt den be-
freundeten Besucher durch Equi-
page und Diener vom Bahnhof ab-
holen. Die vielen Besucher ver-
ehren ihn fast abgöttisch, küssen
seine Hand, reiche Amerikaner zah-
len ein Vermögen für ihr Bildnis-
werk von seiner Hand. Das Große
seiner künstlerischen Intuition hat
noch heute ihr altes Zwingendes
selbst da, wo wie vielfach bei alten
Künstlern die Ausführung ihre Ver-
sprechung nicht immer zu erfüllen
vermag. — Bei Rodin läßt sich nicht
129
Al'firSTK KODIX PARIS.
MAKMOK: SAIM'lKi IilcHIF.Ml AM MKKRES-
MUAM) . M.kl 11)|. N Sl r l/I.N IIIKK ARMK.
. ■ / mrns/i • Rodin — /\ 7
\UC.USTE RODIN l'AKlj.
Martin t: »liadenile
Ufer spiclendtv
wie bei den meisten Künstlern von einer sich
in den Werken offenbarenden Entwicklung
reden. Die war innerlich und liegt zurück in
der Zeit, da ihr zur äußerlichen Manifestation
die materiellen Mittel fehlen. Seine künstle-
rische Persönlichkeit steht vom ersten unter
seinem Namen laufenden Werk mit der Wirk-
lichkeitskraft einer Tatsache abgeschlossen da
und beweist sich von da ab immer nur wieder
in jedem Werke von neuem.
Man kann ihn heute bereits historisch be-
trachten. Er selber tut es, und es gehört zum
Reizvollsten und Lehrreichsten, ihm dabei zu-
zuhören.
Das Griechentum war die Ruhe, die Renais-
sance eine ausladende Geste, die Gegenwart
ist ständig wechselnde, unendlich variable mo-
mentane Bewegung der Menschheit. So stellen
sie sich in ihrer Geschichte wie in ihrer Kunst
dar. Der griechische Mensch , unter einem
sonnigen Himmel lebend, von den günstigsten
Lebensbedingungen umgeben, ist der Begrün-
der der menschlichen Ästhetik. Der von der
Notdurft des Lebens nicht berührte Körper
veredelt sich, gewinnt etwas Aristokratisches,
ja es ist ohne Zweifel wohl dieser Art, daß die
Leidenschaften im nicht äußerlich Kämpfenden
und Leidenden mehr sich als eigen geartete
Ruhezustände äußern denn als selbständige
Bewegung. Die Heftigkeit des Äschylos im
Tragischen ist eigentlich ungriechisch, die tief-
gründige Psychologie des Euripides mit ihrem
Aufweisen nacktester Menschlichkeit war den
Athenern unsympatisch und wurde durch Aris-
tophanes höhnisch verspottet. Diese Artung
des Griechentums , dem ja die Götterideale
Menschen waren und die Leidenschaft ein
Possenmotiv und eine Pöbelei, bestimmte von
vornherein die griechische Kunst. Sie ist wahr
in einem höchsten Sinne in dem, was sie zeigt,
aber sie ist unwahr trotzdem durch das , was
sie verschweigt. Eine außerordentliciie Kennt-
nis des nackten Menschen ebenso wie des Be-
kleideten steht hinter ihr. Das griechische
Auge ist ein realistisches , es sieht die Wirk-
lichkeit , aber es sieht sie nicht ganz. Rodin
erkennt den Realismus des Griechentums an
und bekennt sich selbst als seinen Schüler.
Aber Generationen sind gekommen und ge-
gangen , und das menschliche Auge hat die
Fähigkeit verloren , das Leben als eine Auf-
einanderfolge von Zuständen , von Ruhen zu
Au^Kstc Rodi)i— Paris .
AUGUSTE RODIN— PARIS
sehen , j^enau so wie der Mensch überhaupt
die Fähigkeit verloren hat, ein solches Leben
zu führen. Im letzten Grunde war der Grieche
sehr wohl ein Egoist, aber niemals ein Indivi-
dualist ; er war nie ein Ich, sondern immer
ein Grieche , sein Griechentum war seine
Welt, in sich hat er eine andere nicht, er war
sich bewußt im Gehen , Stehen und Handeln
und in jedem Moment von tausend Augen
beobachtet zu werden — die griechische
frauenhafte Eitelkeit , durch Jacob Burkhard
zuerst enthüllt, ist uns Heutigen unverständlich
— und er lebte und posierte, ohne dabei ein
Schauspieler zu sein, für diese tausend Augen.
Das hat die griechische Kunst mit einer ewigen
Vollendung gefaßt, die vielleicht ihresgleichen
niemals wieder finden wird.
Dann kam das Christentum und trug in das
Leben der Völker den Begriff der Seele hinein,
den das Griechentum nicht kennen wollte.
Denken und Empfinden, Freuden und Leiden
waren keine Funktionen selbstverständlicher
Art mehrdeskörperlichenOrganismus, sondern
Fähigkeiten und Äußerungen einer geheimnis-
vollen Macht, der Seele eben, die, stärker
als der Körper, diesen formt und bildet. Als
Marmnrplastik: Dir Friihling T.cbcn weckciKl .
etwas Unfaßbares und Methaphysisches der
Kunst nicht direkt erreichbar, mußte sie durch
dieselbe in ihrem Einflüsse auf das Physische
gehalten werden. Die Kunst der Renaissance
ist der Ausdruck dieses Hineintragens der
Seele in das griechische Heidentum. Der Zu-
stand ist noch immer vom Griechentum über-
nommen, ruhig sitzt Colleone auf seinem
riesigen Schlachtrosse , ruhig steht der David
des Michelangelo da. Aber die Geste , die
körperliche Äußerung des seelischen Zustandes
ist hinzugekommen. David hält die Schleuder,
in Kopf und Körperhaltung bebt die Spannung
des kommenden Kampfes.
Die Plastik der Gegenwart sah sich vor eine
neue Aufgabe gestellt. Das Leben war wieder
neu geworden, gewann, was es an Innerlich-
keit verlor, an Achtung vor sich selber. Der
moderne Mensch ist ein Individualist ganz
eigener Art, er reckt sich nicht wie der Renais-
sancemensch als eiserner Eroberer in seine
Zeit, sondern er lebt eben diese Zeit ganz mit
seiner Persönlichkeit. Das bedeutet eine Be-
schleunigung des Lebenstempos , die von der
Ruhe des Griechentums weit entfernt ist, aber
auch zur Geste der Renaissance selten die Zeit
Lothar Ihirß'r- Wasscn<ojict :
AIICUSTK Ri.i.iN. liroiizc: Kiii SchatU-ii aus dir (Inippc rKnfci
und Gelegenheit findet. Werden
modernen Menschen erfassen
will, muß ihn in der Bewegung
überraschen, im PlötzUchen und
Momentanen, das wie ein Schein-
werfer jäh über die ganze Per-
sönlichkeit dahin flackert, um
bald darauf nur etwas für das
moderne Auge zu Undifferen-
ziertes zu hinterlassen. — Das
ungefähr ist die kunsthistorische
Auffassung Rodins, die Weltan-
schauung, mit der seine bild-
hauerische Realistik an ihre Auf-
gabe ging. Sie ist mit dem Pessi-
mismus der modernen Dichtung
— Baudelaire, den er wunder-
voll wiedergab, ist Rodins Lieb-
lingsdichter — gesättigt und kennt
keine Beschönigung. Ihr eigent-
liches Material ist die Bronze,
das Material der kommenden
Plastik überhaupt, das Mate-
rial der Bewegung. Von den vie-
len Arbeiten, die es von Rodin
in Marmor und Bronze gibt, wird
man fast immer die Bronze vor-
ziehen mit ihrer grade hier fast
unverhältnismäßig größeren Aus-
drucksstärke, ihrem weit inten-
siveren Leben. — Rodins Kunst
steht am Eingange einer neuen
plastischen Epoche, der Plastik
der Bewegung, und so sicher
diese noch stärker wird, so sicher
ist Rodins Einzigartigkeit in un-
serer Zeit nicht zu verkennen.
Das Schöpferische, Großartigere,
neue Wege Weisende in Rodin
sieht mit dem Auge seiner Zeit,
er ist der einzige absolute Pla-
stiker der Gegenwart ohne anato-
mischen Fehl, der Einzige, dessen
körperliche Kenntnis und Empfin-
dung so stark sind, daß er selbst
das gibt, was nicht mehr das
Auge des Beschauers sondern
nur noch sein Finger kontrolHeren
kann. Ganz wie die größten
Werke des Altertums und der
Renaissance. InkleinerenWerken
selbst wie die Hand Gottes oder
die Versuchung des heiligen An-
tonius. Solch unfehlbare Sicher-
heit von Auge und Hand ist nicht
zu Lernendes oder zu Erziehen-
'34
Aui'nsfc Rodi)i — Paris.
iUSTE RODIN - PAKI^. Maiinorplaitik; Kar yalklc. Sdimirzgcciuälle iliR- Last trageiul«
des , es ist ein in >Iahrluinderten schier ein-
malif^es Gnadengeschenk, in der neuen Kunst
nur mit einem Seitenstück : Adolf Menzel.
Wenn Rodin in seiner Plastik einer alten Frau
diesen müden ausj^emergelten Körper mit allen
seinen Merkmalen unter der Ausscheidung des
Unwesentlichen — Zufälligen und nicht allge-
mein Gültigen — in großartiger Harmonie gibt,
so zeugt grade dieser großzügige Realismus ein
Symbol von ganz anders ewig gültiger Schön-
heit als dies eine kitschig bewußte symbolische
Darstellung „Das Alter" je zu tun vermochte.
Das neue plastische Fvangclium predigt im
Gegensatze zum alten Evangelium von der
Schönheit als Ruhe, daß Schönheit Bewegung
ist. Rodin faßt seine Gestalten in einem
Augenblicke hoher Erregung, er weiß, daß der
Körper die zweckmäßige Schönheit seiner An-
lage eben nur in ihrem Gebrauch unwiderleg-
lich beweisen kann. Die Leidenschaft der
momentanen Bewegung zu monumentalisieren,
diese früheren Zeiten schier widersinnig er-
scheinende Aufgabe, hat Rodins Werk verwirk-
licht und hiermit der Plastik neue Wege ge-
wiesen aus klassizistischer Erstarrung heraus,
ihr eine neue Welt geöffnet. — i. n u.
135
AcM/Voo/:
GESCHMACKS-KUNST.
xN VijN A. l'i
Ml :n(~hi x-r.rKT in.
A rbeiten wie die von Anton Pössenbacher
iV sehen wir, da sie sich mehr oder we-
ni{!er an alte Stile anlehnen, mit besonders
kritischen Augen an. Das ist nur natürlich.
Welche Attentate auf Geschmack, Wahrhaftig-
keit, natürliches Empfinden und Hygiene sind
nicht im Namen alter Stile von ihren Nach-
ahmern begangen worden! Die vielen schmerz-
lichen Erfahrungen haben uns mißtrauisch ge-
macht; nur hervorragende innere Qualitäten
können uns veranlassen, uns für derartige Ar
beiten zu interessieren.
Aber es zeigt sich, daß man der heftigen
Kritik doch eine gewisse Berechtigung zuer-
kannt hat. Auch die Arbeiten derjenigen, die
von der Tradition abzugehen sich nicht ent-
schließen können, haben in den letzten Jahren
eine große Wandlung durchgemacht. Man geht
mit solcher peinlichen Vorsicht zu Werke,
man ist so reserviert, so kritisch gegen sich
selbst geworden, daß die Arbeiten, abgesehen
von den prinzipiellen Grundfragen, der Kritik
kaum mehr faßbare Angriffspunkte bieten. Bei
den besseren der Firmen findet man äußerst
selten mehr gröbere Verstöße, Überladung,
Materialfälschung, konstruktive Sünden. Ge-
schmacklosigkeiten werden in hundertfacher
Sichtung und Siebung ausgemerzt. Diese Läu-
terung kam freilich kaum einigen zehn Firmen
in Deutschland zugute. Die große Masse,
die ihnen geblendet folgt, ist bedauernswert.
Archaismen werden nur im geschmackvollsten
Milieu erträglich. Und dazu bedarf es außer-
gewöhnlicher Umstände. Pössenbacher gehört
zu den Geschmacks -Kaufleuten. Das sind
Sammler, Liebhaber, die ihre reichen Hilfsmittel
und internationalen Beziehungen aufs beste
auszunützen verstehen, um gute Stücke, gute
136
Gesc/ui/acksktDis/.
I■OS^E^■I!A^•HKR — MLNCHEN-llERI.IN.
Motive und gute Ideen aufzuspüren und zu
verwerten. Sie arbeiten mit den Erfahrungen
von Generationen, mit allen Stätten der Kul-
tur stehen sie in Fühlung. Was sie zeigen,
auch wenn es einem Einfall der Laune ent-
sprungen scheint, ist sicher schon reiflich er-
probt. Man läßt experimentieren, dann wägt
man, sichtet man und akzeptiert, nachdem alle
Härten und Sonderlichkeiten abgestreift sind.
Daher bekommen diese Arbeiten das Reife,
Ruhige, Ausgeglichene. Es ist kaum etwas da-
rin, was überrascht, aber man wird angezogen
durch die leise Harmonie, die in ihnen ruht,
durch die außergewöhnliche Feinheit des Tons.
In diesen Räumen soll absolut nichts besonders
auffallen und erregen. Alle lauten und deut-
lichen Konstruktionen sind vermieden, wie ein
Schleier liegt es über den Dingen, der ihre
brutale Bestimmtheit dämpft und auflöst. Hef-
tige Reden und Gesten scheinen in diesen Räu-
men unmöglich. Sie sind nur für kultivierte und
wohlerzogene Menschen, fürbeste Gesellschaft.
Es ist aber doch recht bemerkenswert, was
AUaiuik-HuU'l, Hamburg. SeyeljadU-K..j..-.
dieser „besten Gesellschaft" jetzt geboten
werden kann. Da ist eigentlich keine Spur
von Protzerei. Ornamentaler und plastischer
Schmuck kommt fast gar nicht vor. Die Wände
breiten sich in edlen großen Flächen aus, die
Möbel haben exakte, knappe Formen, die
Hauptlinien der Architektur sind durch keinen
Bruch, keine schnörkelhaften Ausschweifungen
gestört. Man hat immer wieder gepredigt,
nicht der Schmuck macht die Vornehmheit,
hier ist ein augenfälliger Beweis, auch bei
historischen Stilen wirkt das Schlichte, inner-
lich Bedingte noch lange nicht dürftig. Pössen-
bacher hat eine auffallende Kunst, die geraden
Linien weich, leicht und elegant zu ziehen.
Und selbst der Rundbogen ist ohne Schwere.
Das ist charakteristisch für die neueren Ar-
beiten der Firma Pössenbacher, diese reiz-
volle, delikate Behandlung der Geraden, der
einfachen Bögen, der rechtwinkligen Flächen.
Es ist, als wären sie von Frauenhand gezogen,
so sind sie aller geometrischen Härte entkleidet.
Man hat bei Pössenbacher einen ganz be-
141
Gcsrl/niaikskifiis/.
HI K MrN{ 111' \-l;KKI,IN.
stimmten Holzschnitt, eine Vorliebe für Hölzer
mit feiner, aber klarer Zeichnung, und für
breite Leisten. Dem Holz wird bei den jiroßen
Flächen und weitausholenden Rundunfjen recht
viel zu)5eniutet, aber diese eminent schwie-
rigen Wölbungen werden mit vollendeter
Sauberkeit herausgebracht. Überhaupt sucht
man viel eher mit der Meisterschaft der Ar-
beit als mit dem teuren Material zu prunken,
und das ist kein schlechtes Prinzip. Ganz
köstlich werden bei Pössenbacher die feinen
Kannelierungen,Gesimse und Profile behandelt,
da vergißt man über dem Reiz der Arbeit
•allen Streit um die Stile.
Die Beleuchtungs-Körper sind fast alle als
gut zu bezeichnen. Sehr glücklich sind in
dem niedrigen holländischen Klubzimmer
die gedrungenen Messingleuchter mit der
mächtigen Kugel. Die Vorhänge blieben, was
zu loben, durchweg glatt. Es fehlt jegliche
Draperie. Aber von den kleinen, buntge-
druckten Volants, die als Rauchschürzen am
Pf.iiltspnrt. AUantik-H<.tcl. llanibing.
Kamin berechtigt sind, wurde doch zu ausgie-
big Gebrauch gemacht. Man kann sie nicht
gut über eine ganze Wand spannen oder einen
Rüfetteinbau damit garnieren.
Die abgebildeten Räume erscheinen uns in
ihren Einzelheiten und Stimmungen bekannt
und vertraut. Sie fügen sich ohne Zwang in das
Leben der Gesellschaft, der Familie ein. Was
sie aber darüber hinaus wertvoll und bedeut-
sam macht, ist ein seltener Geschmack, ein
feiner Sinn für Valeurs der Linien und Flächen,
für Raunistimmungen, für Qualitäten der Ar-
beit, der das Vertraute doch auf eine beson-
dere Art sagen läßt. Das ist eine sehr gewählte
und gepflegte Sprache, die man immer gerne
hört, aber natürlich macht die kultivierte, die
„soignierte" Sprache noch keine Dichtung.
Und mir scheint, das ist es doch, was die
meisten suchen. Sie wollen gute Möbel, gute
Wohnräume. Nichts weiter. In einem Ge-
dicht, in einem Bilde zu leben, würden sie
mit Heftigkeit ablehnen. \ v vcm.
1^2
sKNBAlHER .ml .NCilt.N-llEkLlN.
Klub^iimiKi riddespurt. AtlaiUik-UuUl, llauibiirg.
SOZIALE VERPFLICHTUNG DES KUNSTGEWERBLERS.
rHi;[.\I liKRLIN.
Ales gewerbliche Schaffen gründet sich auf
soziale Notwendigkeiten. Daseinsbedürf-
nisse erheischen ihre Befriedigung. DerKunst-
gewerbler ist berufen, sie formal zu organi-
sieren. Wohnräume und Hausgeräte sind als
Stützen der Lebensführung anzusehen. Der
Mensch pflegt die Beziehungen zu seiner fer-
neren und engeren Lhngebung zu ordnen nach
den großen Richtlinien üblicher Konventionen.
Konventionen des Geschmacks, der Lebens-
haltung, des geselligen Verkehrs, der sanitären
hrfahrungen und ethischen Anschauungen.
Konventionen, die mit den Lebensprinzipien
jeder neuen Epoche sich wandeln, erneuern
und fortentwickeln. Die Gesellschaft wech-
selt im Lauf der Jahrhunderte ihre Daseins-
geste. Jedem Umschwung folgt eine hrsetzung
der veralteten Gerätformen durch neue, den
veränderten Verhältnissen entsprechende Ge-
staltungen. Der gewerbliche Künstler steht
damit vor der Aufgabe, die hinderliche Un-
bequemlichkeit wegzuräumen und dafür ele-
mentare Kristallisationen des werden-
den Zeitempfindens zu geben.
Eine Gesetzlichkeit, machtvoller als der
Wille des Einzelnen, bestimmt dies Bilden,
Der freie Künstler folgt lediglich dem zünden-
den Gedanken seiner Intuition. Er ringt mit
dem Kosmos, will die rein und groß erschaute
Idee materialisieren, strebt die Materie durch
die Gewalt seiner psychischen Energie zu be-
zwingen. Nicht die Lebensführung, das Leben
selbst bis in die zartesten Wurzeln will er
reinigen, Kraft, Glück und Erlösung spendend.
Anders der Kunstgewerbler. Lösungen wer-
den von ihm gefordert, wo der andere freie
Schöpfungen zu geben hat. Das Zeitbedürf-
nis erwartet von ihm die nützliche und har-
I4i
Pmd IVrs//;,'
SF.M;ACHF,K Mr.NCHEN-liEKI.I
Atl.uUik-n..tfl, Il.imliuig.
nionischc Stilisierunj5. Jene latenten Triebe,
die ungebärdij5, kaum bewußt im Schöße der
Gesellschaft emporzüngeln, verlangen nach
dem denkenden Organ, das sie gestaltend be-
stimmt. Ein Diener der Notdurft, ist in seine
Hand die Macht gegeben, dem profanen Da-
sein Würde und Form zu verleihen. Das künst-
lerische Selbstbestimmungsrecht ist ihm be-
schnitten, damit seiner sozialen Mission die
Wirkung ins Breite und Weite nicht mangele.
Zweckmäßigkeit, Brauchbarkeit,
Sachlichkeit wird von dem gewerblichen
Gegenstand gefordert. Er soll nützlich sein,
soll seinem Verwender aufs Beste dienen.
Durch Behaglichkeit und Bequemlichkeit soll
er den Gebrauch zu einer Freude machen.
Und wir glauben in ihm einen Abglanz von
Schönheit zu verspüren, wenn er diesen un-
seren Interessen die vornehme Befriedigung
gewährt. Eine rein ästhetische Betrachtungs-
weise vermag vielleicht in Konflikt zu geraten,
wo sie die künstlerische Form der zweck-
volleren opfern soll, wo dem heiteren Spiel
der Phantasie zu gunsten der Handlichkeit Ein-
halt geboten werden müßte. Aber ein Ver-
fahren, das Gebrauchsgegenstände nur als
Anschauungswerte zu genießen und zu be-
urteilen sucht, wird immer blindlings neben den
Kern des Problems tasten. Wer wollte vor dem
Moses des Michelangelo, vor den Dürerschen
Aposteln nach dem gemeinen Zweck fragen;
und wer könnte das unterlassen gegenüber
einem Bett, einem Ofen, einem Tisch?
Geradezu physisch erzwingt ein solcher
Gegenstand Erwägungen dieser Art. Ein Stuhl
mahnt uns rein körperlich, festzustellen, ob
sein Hersteller jede Möglichkeit aufgeboten
hat, ihn aufs I^este unseren Bedürfnissen an-
zupassen. Die letzte Nuance an Behaglichkeit
wird erwünscht und wo wir sie missen, sinkt
unweigerlich unsere Wertschätzung. Weder
Form, noch Farbe, weder Aufmachung, noch
Kostbarkeit vermögen uns darüber zu trösten.
Nichts kann uns über die Tatsache hinweg-
bringen, daß hier eine Aufgabe unzulänglich ge-
löst worden ist. Ungetrübte Freud erstellt
N4
Soziale J'offlichhino (-/es Kit>isf:^cn'cri)/en
A. ruNSEXÜACHER MUKCHEN-BERLIN.
sich nur dort ein, wo der Notwendig-
keit die reine Form gefunden worden.
Wider den Menschen, der hierin versagt,
richtet sich unser Groll, nicht allein weil er
unser Geschmacksempfinden verletzt
hat, mehr noch weil er unsozial ist.
Indem der Schaffende sich jenen Anforde-
rungen der Brauchbarkeit widersetzt, da sie
angeblich seineDarstellungsabsichten vereiteln,
gibt er ein Eingeständnis der eigenen
Unzulänglichkeit. Dieses Sträuben ist ein
Zeichen für die geringe Begabung, die der be-
stimmten Bedingung ausweicht, um der be-
schämenden Entlarvung vorzubeugen. Natür-
lich mag dem einen diese, dem anderen jene
Aufgabe nicht liegen; er mag auf eine ganz
andere Tätigkeit eingestellt sein, dann aber
ist es nicht mehr als anständig, sie dem Ge-
eigneteren zu überlassen. Nur der Niedrig-
gesinnte gibt sich preis, indem er das Min-
derwertige für vollwertig ausgibt. Jene Mei-
nung nun , die in dem Aberglauben befangen
lebt, für irgend eine Sache sei die klare For-
sdncilizimmcr. Atlantik-] lutcl, J lambiiifj
mulierung nicht zu finden, ist durch nichts be-
gründet. Wäre es etwa zu dulden, daß ein
Architekt sich weigert, ein Haus wohnlich zu
bauen, damit er es „schön machen" könne?
Wird man ihm nicht mit Recht jeden Verstoß
wider die uneingeschränkte Brauchbarkeit vor-
rechnen, ihn nicht zwingen, Neigungen zu unter-
drücken, die für den etwaigen Bewohner eine
schwere Last bedeuteten? Was hier im großen
ohne weiteres klar ist, gilt in gleichem Maße
für den Kunstgewerbler. Nicht erschweren,
erleichtern soll seine Tätigkeit den Daseins-
prozeß. Das kann er nicht, so er dem Talmi-
flitter der Verzierungskünste verfällt. Der
Schaffende wird indessen nie fehl gehen, wenn
er auf die Stimmen der Wirklichkeit horclit;
und offenbaren sie sich ilim niciit am vernehm-
lichsten in jenen Bedürfnissen, die wir als
soziale zu bezeichnen hatten?
Er vergesse nicht , daß er letzten Endes
ein anvertrautes Mandat versieht. Was er
bildet, ist nicht blos Befreiung seines Ichs, ist
zugleich eine Sache für einen oder viele
■4i
So'jak ] rr^lliilitiiiiii des hiiiis/orivri /i/rrs.
Benutzer. Diese gehen keineswejjs darauf
aus, seine Persönlichkeit zu vergewaltigen; sie
würden sich nur zur Wehr setzen, wenn ein
fremdes Individuum sie in ihrem Hausgerät
tyrannisch zu beherrschen trachtete. Was der
Gewerbler von seiner Persönlichkeit in seine
Krzeugnisse hineingibt, muß notwendigerweise
hinter ihrer Sachlichkeit verschwinden. Oder
kann man es einem Menschen im Ernst zu-
muten, daß sich ihm aus seinen Möbeln diese,
seinen Textilien jene, seinen Keramiken eine
dritte Persönlichkeit entgegenstreckt. Er will
der Beherrscher, nicht der Knecht seiner Um-
gebung sein. So verlangt er einen Ausgleich,
eine Neutralität, verlangt auch in diesem psy-
chischen Moment eine soziale Rücksichtnahme.
Wo gar Massenerzeugnisse herzurichten
sind, wäre ein Aufbegehren gegen eine solche
Verpflichtung nicht verzeihlich. Kann eine
Drucktype, die von Tausenden gelesen werden
soll, um des individuellen Duktus eines Ein-
zelnen willen ihre Lesbarkeit einbüßen? Kann
ein Stoff, der für hunderterlei Zwecke vorbc-
146
stimmt ist, eine Tapete, die für zahllose
Räume den Fond abgeben soll, der sach-
lichen Diskretion ermangeln?
Es ist ein Naturgesetz, daß die starke Kraft
sich inuner unterordnet der höheren Not-
wendigkeit. Für das kunstgewerbliche Schaf-
fen war die Zweckmäßigkeit stets der er-
frischende Jungbrunnen. Wo dieser Halt ver-
loren ging, war Entartung die Folge. Wo das
Individuum sich seiner sozialen Verpflichtung
entledigte, irrte es taumelnd dem Abgrund
des Unzulänglichen zu.
Schließlich ist der Zweck nicht auch eine
Idee? Und warum sollte die unverfälschte
Materialisierung dieser Zweckidee etwas Un-
künstlerisches sein? Wo ist die ästhetische
Tabulatur, die dieser Ethik des kunstgewerb-
lichen Gestaltens einen niederen Rang zu-
weisen möchte? Geschieht es etwa nur da-
rum, weil hier die Idee eine soziale ist, weil
sie statt des Einzelwertes die gemeinschaft-
lichen Verhältnisse in ihrem Zusammenhang
offenbart ? r wi^i m im.
Dr. Geoyo Lelnirrl :
Ml Nl HI'-X-liFKI.I.\.
1 lerrn/immor. Hans Jagenborg Solinguii.
DIE NÄCHSTEN ZIELE UNSERER METALLWARE.
Nach allfjemeineni Spraclii^ebrauche faßt
man als Metallware alle aus unedlen
Metallen jSefertifJten Erzeugnisse zusammen
mit Ausnahme der aus Schmiedeeisen heri^e-
stellten. Die kunst}>ewerbliche Metallware
unserer Tage hält die beiden durch ihre Tech-
nik verschiedenen Wege, der Handarbeit und
der Maschinenarbeit, viel schärfer auseinander
als früher. Im Vergleiche zu den vorherge-
gangenen Jahrzehnten befinden sich heute
unter all den Geräten aus Kupfer, Bronze,
Messing, Zink, Zinn, Nickel, Alfenide, Bri-
lannia usw., mit denen wir uns umgeben, be-
deutend weniger Maschinen-Erzeugnisse, die
Handarbeit vortäuschen wollen, als früher.
Wir haben also aufdiesem Gebiete erfreulicher-
weise einen unleugbaren Fortschritt zu ver-
zeichnen; ihn festzuhalten wird für die nächsten
Jahre die Hauptaufgabe unsrer Metall wäre sein.
Die Gußware hat längere Zeit unter dem
148
flüchtigen Bearbeiten des f^eliefs gelitten. Die
Forderung nach Billigkeit, der besonders die
Handelsbronze auf dem Weltmarkte entspre-
chen mußte, hatte dazu geführt, daß man das
reliefierte Gerät und selbst die einfacheren,
figürlichen Arbeiten nur noch auf der Maschine
kratzte und schliff, nicht aber in den Einzel-
heiten mit der Hand nachging. Diese Art der
„Fertigarbeit" tritt heute zurück, zum Vorteile
des Ganzen. Der Medaillenstil und seine Be-
handlung des Reliefs hat da (wenngleich die
Medaille selbst zuweilen schon wieder etwas
trockenen Vortrag zeigt) heilsamen Einfluß
ausgeübt. Dieser Weg wäre weiter zu ver-
folgen, nicht aber jener heule auch übliche,
der für die Gußware möglichst nur glatte
Flächen anstrebt. Zwei wichtige Gründe spre-
chen dagegen. Zum einen, und das ist vom
künstlerischen Standpunkte aus wesentlich :
die ganz glatte, womöglich geschliffene oder
Die ruiihste)! Zieh' ^tHscrer MetalhiVarc.
SENISACHKK .MIM ilKN-MKRI.lN.
geglänzte Fläche liegt der Gußware nicht ;
sie kommt weit mehr dem Erzeugnis aus
Bronze zu. Zum anderen aber, und das ist
technisch von großer Bedeutung: die glatte
Fläche verteuert die Herstellung, weil sie im
Verhältnis zum erzielbaren Preise mehr Durch-
arbeiten erfordert, als die reliefierte. Das zeigt
sich namentlich dann, wenn die kleinen un-
vermeidbaren Gußfehler gar zu deutlich zu
Tage treten. Unter diesem Übelstande leiden
namentlich die gegossenen glatten Beschläge,
wie sie für Möbel, Türen, Fenster im Ge-
brauche sind. Hier wäre also etwas mehr
Relief anzustreben. Auch steht gerade im
Beschläge die Vorliebe für Messing und mes-
singfarbene Bronze heute zu sehr im Vorder-
grunde ; der wärmere Ton des Rotgusses
würde in viele unserer Räume besser passen
als der immerhin kalte des geschliffenen oder
geglänzten Messings.
Die massive Pressung, wie man sie früher
zu Beschlägen von Lederarbeiten und kleine-
ren Hol/arbeiten verwendet hat, ist im Ver-
schwinden. Soweit sie sich bestrebt hat, ge-
gossene und ziselierte Arbeit vorzutäuschen,
ist ihr Zurücktreten nicht zu bedauern. Zu
wünschen aber wäre es, daß man für den
massiv gepreßten Beschlag wieder einfache,
sinngemäße Formen suchte und dadurch diesem
Zweige der kunstgewerblichen Metallverar-
beitung wieder mehr Ansehen und Aufträge
brächte. Das würde auch dem landläufigen
Beschläge aus dünnem Blech wirksam ent-
gegentreten.
Die Blechware , also die aus Kupfer-, Mes-
sing-, Tombak-, Bronzeblech hergestellte Me-
tallware, läßt heute den Unterschied zwischen
Hand- und Maschinenarbeit am deutlichsten
erkennen. In der Handarbeit steht die ge-
triebene voran. Sie verfolgt im allgemeinen
richtige Wege ; organisch wächst ihr Relief aus
der Fläche heraus. Weich modelliert, oft nur
gleichsam hingeworfen, tritt es aus der Mäche
hervor und bleibt doch wesenseins mit ihr.
Hierin weiter zu schreiten, muß das Ziel der
Treibarbeit bleiben. Anzuerkennen ist, daß
' ly
Die flachsten Ziele itnserer Jlfefa/hvair.
A. I'I>>M'M; \( 111' l; Mr.\illi:N-l;|. Kl IN.
man sich in den vielen Gefäßen, die die Treib-
arbeit notgedrungen hervorbringt, einer tek-
lonisch richtigen Form befleißigt. Jene früher
üblichen getriebenen Gefäße, über deren viel-
gestaltigen Formen man gar nicht zum Fr-
fassen des Ganzen kam, sind fast ganz ver-
schwunden ; klar und einfach aufgebaute Ge-
bilde sind an ihre Stelle getreten. Diese
Richtung ist festzuhalten und v^^eiterzuführen
ohne Rücksicht auf die unausbleiblichen Nach-
ahmungen in gepreßtem Kupferblech oder ver-
kupfertem Zinkblech, die heute noch so wie
früher auf dem Markte erscheinen.
Die Maschinenarbeit in der Blechware
sucht, in ganz richtiger Weise und mit wenig
Ausnahmen, in dem klaren, struktiven Auf-
bau, in der Brauchbarkeit des Stückes und in
der schlichten Schönheit seiner gesamten Fr-
scheinung ihr Ziel. Das soll man in Zukunft
ebenso festhalten, wie das Streben nach Ge-
nauigkeit der Arbeit, nach glatten, geschliffenen
oder blanken Flächen,
Diese Vorzüge entfalten ganz besonders die
iMusikzimmci. tiaus Lichheit Gninowald- Berlin.
Beleuchtungskörper von heute, Sie be-
kunden, mögen sie auf der Maschine oder von
Hand entstanden sein, in ihrem sinngerechten
Aufbau, in der struktiven Verwendung von
Schnur und Birne, von Gasrohr und Brenner,
einen unbedingten Fortschritt gegen früher.
Diese Art weiter zu pflegen, dürfte den An-
forderungen der Zeit durchaus entsprechen.
Schwieriger gestaltet sich auch heute noch
das Gebiet der gefaßten Ware, also all
die Uhren und Schalen, Leuchter und Schreib-
zeuge, Rauchzeuge und sonstigen Geräte, die
Finsätze aus Metall, Stein, Glas, Fayence be-
sitzen. Die Gewohnheit der siebziger und
achtziger Jahre, das Gefaßte möglichst zurück-
treten zu lassen vor der Fassung, ist stark im
Schwinden ; man erblickt jetzt im Finsätze, in
den zu fassenden Teilen , richtigerweise die
Hauptsache und läßt sie in den Vordergrund
treten, während man der Fassung ihre ange-
stammte eigentliche Aufgabe, nämlich nur den
Rahmen für das Gefaßte abzugeben und es
gebrauchsmäßig auszustatten, mehr und mehr
150
A. PDSSKXBACIII'IK -MÜN( 1 1 1:\ lUCK 1 .1 \.
DII-.I.K IM HAl'SE I.lKHIUMl' GKrNKW A 1.1 ) - liKU LI N.
/•'/(• )iätli\lrii /.iflr ii)iscir> Mctiilhvarc
A. PÖSSEMiACHER Ml NCHEN-I'.I-KI.I.N
einräumt. Diese Erkenntnis sollte sich all}>c-
mein Bahn brechen.
In sehr erfreulicher Weise zieht man neuer-
dinjis die Metallware zum Ausbau heran,
sowohl im Innern, wie am Äußeren des Ge-
bäudes. Es ist durchaus richtig, fSroßzüj^itSe,
(getriebene Reliefs aus Bronze-, Tombak- oder
Messinj^blech in die äußere Architektur einzu-
gliedern und ähnliche Arbeiten auch im Innen-
ausbau großer Räume zu verwenden. Gerade
hierin erwachsen der Treibarbeit sinn- und ma-
terialgerechte, außerordentlich dankbare Auf-
gaben. Nicht minder in den größeren Arbeiten
aus Metall, wie sie fürlieizkörperverkleidungen,
für Kamine und für Dauerbrandöfen aufge-
kommen sind. Mehr und mehr sollte man für
diese Zweige die Treibarbeit heranziehen. Sie
wirkt durch das Individuelle ihrer Art doppelt
gut. Neue Materialien, wie das Duranametall
u. a. sind ihr entstanden. Die Verwendung ge-
triebenen Metalles zu Schaufensterfassungen,
zu Fahrstuhltüren, zu Bettstellen und anderen
l'.rzeugnissen verdient rege Förderung.
Kindcrzimnii-r. Haus I.iubhcit (irunewald-Bcilin.
Dadurch kommen auch mehr lichte, helle,
farbige Töne in unsere Innenräume. Sie
sind uns durchaus notwendig. Daneben aber
sollte man den ausgezeichneten Farbenreich-
tum , den das Patinieren auf allen Kupfer-
legierungen zu entwickeln gestattet, nicht so
außer Acht lassen, wie bisher. Man hat sich
heute fast daran gewöhnt, von den Patina-
tönen unserer Metallware nur die dunkel-
braunen und die schwarzen heranzuziehen
oder durch Farbanstrich nachzuahmen. Dieses
Nachahmen ist ganz allgemein und das Bevor-
zugen der dunklen Tönungen im besonderen
für die Folge zu vermeiden. Die meisten
Arbeitsmaterialien der Metallware patinieren
so ausgezeichnet und liefern eine so vollstän-
dige Farbenreihe vom hellsten Gelb über Rot
und Grün bis zum Schwarz, daß man sich ihrer
nicht genug bedienen kann.
Alle diese nächsten Ziele unserer Metall-
ware zu erreichen, bietet geringe Schwierig-
keiten. Das Publikum muß ihnen nur freund-
lich gegenüberstehen. .;ii.k,. iiiiniki.
152
A. PUSSKXBACHKR - .MUXCl IKX - HKK l.l X
HADEZIMMKk. HAUS I.IEIIHEIT ÜKUNEWAI.D-BF.KI.IN
AUSF.: THIERÜARTNKK, VOLT/. He WITTMEK BERLIN
ENTUTKl- TNI) AfSlÜHKUNC; A. l'iisSKNH ACHEK MfNCHEN-liERI.IN.
- \MMI TNCs-M HKA.NK.
KUlHKR-RF.C.AL.
KMWrKi- UMi Afsl rllKTM; : A. l'OSSF.NltACUF.I
|>ELKUCHTUNGSKÖR-
PRR. Von feinsinnigen
Künstlern, wieBrunoPaul,
Weniji, Bisclioff u. Koer-
nif«, läßt sich Richard
L. F. Schulz das Thema
geben und entwickelt da-
raus mit reifem handwerk-
lichen Können ein ganz
ausgezeichnetes Gerät.
Man spürt, wie er die
Absicht seiner Künstler
niciit nur begriffen, wie
er sie nach den Gesetzen
des Materials zur Wirk-
lichkeit gehoben. Unbe-
kümmert um den Entwurf
zeigen die Ausführungen
eine innere Verwandt-
schaft, eine gemeinsame
Gesinnung reinlicher Kul-
tur. Man würde sie ohne
Fabrikmarke erkennen.
R. L.F.Schulz hat an die-
sen Lampen nicht weniger
Anteil als die entwerfen-
den Künstler, ic 'i\. m-kitck.
K.N'IW.: HKKNH.\KI) WK.NI
i:iM-iii'r)' r.FKi p
KNi U-.: ARNO KOKKNKi M.KUS. ENTW.: PAri. KIMHOKK HEKUN. KNTW.: ARNO KuKKNU; MERMN.
AUSKÜHKUXC. : RiniARl) I.. K. M lirLZ r.lKMN.
\i;kik, I knm m III 1/, A.-(i. i)i>?.Ar,
158
ENTWURK: PROFESSOR PETER BEHRENS.
AUSF. : ANHALTER TAPETEN-FABRIK— DESSAU.
PAPII.K-l.Vl'ElE. .VlSGEF. Vi iN DER NORDDEUTSCH. T.VPETE.N-
KAHKIK HöLSCHER & BREIMER HANNOVER- LANGENH.\GEN.
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TAGUNG DES DEUTSCHEN WERKBUNDES
IX FRAXKFITRT a. U. 30. SEPT. 2. OKT. 1909.
Wenn es anfangs so aussah, als wäre der
„Deutsche Werkbund", dieser Zusam-
menschluß von Künstlern und Fabrikanten,
von Theoretikern und Handwerkern, ein ge-
wagtes Experiment, so hat es sich in zwei Ar-
beitsjahren gezeigt, daß der Bund, der aus na-
türlichen Feinden überzeugte Freunde machte,
zu leben vermag. Und nicht nur zu leben; er
erstarkt und schlägt Wurzel und breitet seine
Kreise weit aus auf alle Gebiete der Produk-
tion und der Konsumtion. Er ist heute bereits
ein Faktor, mit dem die Gewerbe- und die
Kunstpolitik (soweit es so etwas gibt) rechnen
muß. Er wurde zur maßgebenden Instanz für
alle Fragen aus dem Gebiete der geschmack-
vollen Qualitätsarbeit. Qualitätsarbeit für je-
den Beruf, für den einzelnen, wie für das Volk,
für den Entwerfenden und den Ausführenden,
für den Verkaufenden und den Einkaufenden,
Qualitätsarbeit aus Überzeugung und
Egoismus, das ist das eigentliche Fundament
und das höchste Ziel des Werkbundes Unfall
derer, die sich unter seine Fahne gestellt.
Die Frankfurter Tagung war die zweite
Jahresversammlung des Plenum. Sie begann
damit, daß Bericht erstattet wurde über die
Leistungen und die Erfolge seit München 1 908.
In der Tat, der Bund ist nicht müßig gewesen;
wer zu lesen vermag, erfuhr durch die nüch-
ternen Worte des Jahresberichtes (der auch
gedruckt vorliegt) von vielen Beratungen der
Kommissionen, von vielen Reisen des Ge-
schäftsführers, von zahllosen Verhandlungen
und einer Fülle von Skripturen und ausge-
sandten Drucksachen. Welche Art auch immer
die einzelne Absicht und ihre Frucht war, die
Tendenz aller geht darauf: die Besten, die
Weitblickendsten , die Einflußreichsten aus
Architektur und Kunstgewerbe, aus Handwerk
und Kaufmannschaft, aus Stadtverwaltung und
Regierung für die Idee der geschmackvollen
Qualitätsarbeit zu gewinnen. Und es ist ge-
wiß kein Optimismus, wenn man aus dem Er-
trag des vergangenen Jahres und auf Grund
der neuesten Frankfurter Tagung zu der Über-
zeugung gelangt, daß der Einfuß des Werk-
bundes dauernd steigt und heute schon so ge-
festigt ist, daß er durch keinerlei Gegnerschaft
mehr aufgehalten werden kann. Darum hat
CS der Werkbund auch nicht mehr notwendig.
mit Kriegsgeschrei zu stürmen; er kann fein
ruhig und würdig seinen wohlbereiteten Weg
gehen. Der Sieg des Werkbundgedankens ist
bereits selbstverständlich geworden.
Zunächst sei berichtet, welcher Art der
Werkbund direkt in die Praxis der Arbeit ein-
greift und fernerhin einzugreifen gedenkt. Vor
allem galt es, Einfluß auf die Ausstellungen
des kommenden Jahres zu gewinnen. Be-
sonders die Brüssler Weltausstellung mußte
nach jeder Richtung so gesichert werden, daß
von ihr wirklich eine Vorführung des Besten,
was Deutschland hervorbringt, zu erwarten
ist. Man darf sagen, daß es dem Werkbund
gelang, alle notwendigen Vorsichtsmaßregeln
und Anspornungen, die ein treffliches Gelingen
dieser wichtigen Parade deutscher Arbeit ga-
rantieren, wirksam zu machen. Es braucht
nicht gesagt zu werden, daß nun auch jedes
Mitglied das Seine tun wird, um dem Erfolge
von St. Louis einen größeren zu gesellen.
Eine kleinere, aber nicht unwichtige Aus-
stellung wird 1910 sich in Berlin auftun. Die
Ton-, Zement- und Kalk-Industrie will eine
Überschau ihrer Produkte geben. Der D.W. B.
hat veranlaßt, daß eine Abteilung für vorbild-
liche Behandlung dieser Materiale eingerichtet
wird. Man weiß zur Genüge, was alles für
Kuriositäten aus Ton, Zement und Kalk auf-
geputzt werden können. Es wird gewiß sehr
nützlich sein, unter den mannigfachen Irr-
tümern und gequälten Surrogaten Dinge zu
sehen, für die das leicht zu mißbrauchende
Material ordentlich und geschmackvoll ange-
wendet wurde. Eine dritte zu erwartende
Ausstellung will der Werkbund selbst in Frank-
furt a. M. veranstalten. Freilich, das Terrain
dieser reichen Stadt ist schwierig zu beackern.
So konnte denn die hierfür eingesetzte Kom-
mission noch nichts Positives berichten ; doch
scheinen die Aussichten immerhin so günstig,
daß an einem Zustandekommen dieses sicher-
lich sehr wichtigen Unternehmen kaum ge-
zweifelt werden kann. — Bei all diesen Aus-
stellungsabsichten ist der Werkbund in hohem
Maße auf das Verständnis und das Entgegen-
kommen der Fabrikanten und der Kaufleute
angewiesen. Er hat dies längst eingesehen;
er hat eingesehen, daß mit reinem Theoreti-
siercn und mit Künstlerideologie nichts zu er-
i6i
Tat
des DaüschcH Wcrklnmdcs.
re-iclien ist, daß alles darauf ankommt, die
Männer der Praxis zu {gewinnen. So sehen
wir den D. W. B. darum auch besonders be-
müht, die Fachleute und die Kaufleute auf-
zuklären und zu erziehen. Dieser Absicht will
besonders das neu begründete Deutsche Mu-
seum für Kunst in Handel und Gewerbe zu
HajSen dienen. Darin sollen alle den Kauf-
mann betreffenden Drucksachen, Plakate, Re-
klamen, Katalo}5e und Packuufien, sollen aber
auch Materialien, Halbfabrikate, alles, dessen
der Innenarchitekt bedarf, in Beispiel und
GefSenbeispiel j^esammelt werden. Nun ließe
sich darüber streiten, ob Haften der geeignete
Ort für eine solche Anstalt sei. Darauf wäre
zu sagen, daß Hagen in der Tat ein wichtiger
Mittelpunkt des rheinisch-westfälischen In-
dustriebezirkes ist. Ferner aber: das Museum
ist hauptsächlich als Zentrale gedacht; von
ihm aus sollen Wander-Ausstellungen durch
ganz Deutschland zirkulieren. Es ist sicher,
daß eine solche dauernde Attackierung
manchen Nutzen bringen wird. Mancher Kauf-
mann wird einsehen lernen, daß sein bis-
heriges Plakat, sein Briefbogen, seine Firmen-
karte schlecht, banal und unzweckmäßig ist.
Notwendig dürfte es allerdings sein, diese
kleinen Ausstellungen möglichst mit erläu-
ternden Vorträgen zu verbinden. Daß Ost-
haus Instinkt und Geschmack genug besitzt,
nur ausgezeichnetes Material zusammenzu-
tragen, dafür bürgt das Museum Folkwang,
das wohl von allen deutschen Museen die
meiste Rasse besitzt. Auch die kleine Probe-
ausstellung, die in Frankfurt zu sehen war,
gibt Gewähr, daß dies Institut der Anschau-
ung in gute Hände gelegt ist. Der D.W. B.
wird sorgen mit oder ohne Hilfe dieser
Ausstellungen durch Vorträge die kaufmän-
nischen Kreise zu beeinflussen. Hierzu die
wichtigsten Maßnahme sind die Kurse, die
er gemeinsam mit dem Verband für das kauf-
männische Unterrichtswesen (Braunschweig)
veranstaltet. Es soll ernstlich daran gegangen
werden, die Bildung des Kaufmanns auf ein
höheres Niveau zu heben, dessen Allgemein-,
dessen spezielle Fachbildung und schließlich
dessen Geschmacksbildung. Diese letzte Pro-
vinz wurde dem Werkbund anvertraut; er
begann seine Arbeit energisch genug, und läßt
schon während dieser Wochen und Monate
in verschiedenen Städten Deutschlands Vor-
tragsreihen abhalten. Damit soll besonders
auf die Dctaillisten, auf die Verkäufer Einfluß
gewonnen werden. Durch diese Vermittler
der Ware an das Publikum hofft man die Kon-
sumenten seihst zu fassen und zu erziehen.
— Weniger den Vertreibenden, als den Pro-
duzenten, den Künstlern und den Fabrikanten,
soll die „gewerbliche Materialkunde" dienen.
Unter diesem Titel wird Dr. Paul Krais im
Auftrage des D. W. B. (bei Felix Krais in Stutt-
gart) ein Werk erscheinen lassen , das in
mehreren Bänden auf das Eingehendste die
einzelnen Materiale , deren Naturgeschichte,
deren technischen Eigenschaften, deren Imi-
tationen und Verfälschungen usw. darstellen
soll. Der Wert eines solchen Lehr- und Nach-
schlagebuches leuchtet sofort ein. Ein Bild-
hauer etwa, der heute beinahe bedingungslos
der Gießerei ausgeliefert ist, wird dann die
Bronze nachprüfen, zum mindesten detailliert
sich zusichern lassen können. Genau so steht
es um den Innenarchitekten, der heute oft die
Qualität der Hölzer nicht zu unterscheiden
vermag, deren Eigenschaften, deren,, Arbeiten"
nicht kennt. Es ist selbstverständlich, daß ein
solches Buch von dokumentarischer Bedeu-
tung nur dann sein kann, wenn wirklich die
besten Kenner daran mitarbeiten ; der Praxis
nützen kann es nur , wenn es in jeder Be-
ziehung klar und präzis und nicht umschweifend
geschrieben ist. Zunächst soll der Band
„Hölzer" erscheinen; sein Register scheint
das Gebiet zweckmäßig einzukreisen. Bald
soll der Band „Metalle" folgen. — Dies Werk-
bundunternehmen , dessen Gesundheit und
Nüchternheit offenbar ist, unterscheidet sich
dadurch sehr vorteilhaft von einem Unterneh-
men, das Dr. Pudor auf ähnliche Ziele richtet.
F^r hat aber den Bogen überspannt, er strebt
nach einerMaterialkontrolle zünftlerischer Art.
Er dürfte damit kein Glück haben. Die Material-
kunde des D. W. B. hingegen wird bereits heute
von vielen Fachleuten mit Ungeduld erwartet.
Gleichfalls den Produzenten sollte die Aus-
stellung vorbildlicher F'abrikbauten dienen. Das
hierzu angesagte Referat von Poelzig (Breslau)
wurde, da er abwesend, verlesen. Die darin
aufgestellten Forderungen umschreiben die
selbstverständlichen Tugenden eines reinen
Zweckbaues. Es wird mehr vom Negativen
und Überflüssigen als vom Vorbildlichen ge-
sprochen. Es ist heute immer noch wichtig ge-
nug, zu sagen, was an architektonischen Gebil-
den fortzubleiben hat. Ästhetische Regeln für
das Positive lassen sich bei der Verschiedenheit
der Aufgabe schwer fixieren. Eins allerdings
kann wohl heute schon als Dogma gelten: „man
sollte, gewitzigt durch die Erfahrungen bei
Maschinen- und Brückenbau, auch beim Fabrik-
bau alles vermeiden, was einer sinngemäßen.
Ta^nuo des Deii/schru ]]\-i khimdt-i
auf den entwickelten staatischen Gesetzen
unserer Zeit basierenden Ausbildung in den
Weg treten kann, und sich vor noch so gut
gemeinten dekorativen Verhüllungen hüten".
Flinen richtigen Gedanken propagandiert der
sächsische Heiniatschutzverein, er belegte ihn
durch mehrere treffliche Beispiele; die Fabrik
soll sich, wenn auch nicht sklavisch , so doch
dem Temperament nach, in die Landschaft ein-
fühlen. Dazu bedarf es keiner besonderen
Volkstümelei, keinesaufgeklebten Fachwerkes;
eine konsequende Bändigung der rohen Zweck-
mäßigkeit dürfte genügen ! Der Fabrik gebührt
weder eine sentimentale noch eine pathetische
Geste, nur ein sachlicher Rhythmus.
Der zweite Arbeitskreis des Werkbundes
umfaßt die theoretischen Erwägungen und die
Versuche, die gesetzgebenden Körperschaften
und denen verwandte Machtkreise zu beein-
flussen. Im Zentrum dieser Bestrebungen steht
die Sorge um die Schule. In München war be-
schlossen worden, auf der Frankfurter Tagung
Leitsätze einzubringen, nach denen der D.W. B.
eine Ausgestaltung der Schule und der Er-
ziehung des gewerblichen Nachwuchses sich
wünscht. Es hat sichergeben, daß solche Leit-
sätze nicht aufzustellen sind ; daß das Gebiet
zu verschiedenartig, zu kompliziert, als daß es
fruchtbar wäre, mit Resolutionen daran herum-
zudoktern. Diese Einsicht, zuderjederkommen
muß , der sich einmal eingehender mit dem
Problem der gewerblichen Erziehung befaßte,
wurde von dem Referenten, Dr. Dohrn, gut
begründet. Sehr instruktiv war dessen Hin-
weis darauf, daß gute Erziehung nur an guten
Aufträgen geschehen könne. Daß alle ge-
werbliche F'rziehung abhängig sei von der wirt-
schaftlichen Gesamtlage. Es bleibt darum
nichts anderes übrig, als vorerst die Situation
nochimmergründlichzustudieren. DerD.W. B.
will über das gewerbliche Unterrichtswesen
eine pädagogisch, national- ökonomisch und
künstlerisch orientierte Denkschrift verfassen;
vorausgesetzt, daß er dazu das nötige Geld
zur Verfügung gestellt bekonmit. V/ie wichtig
eine solche gründliche Bearbeitung der Schul-
frage wäre, ergibt sich am besten aus der Tat-
sache, daß heute eigentlich niemand das ganze,
vielverzweigte Material rein objektiv kennt.
Da es durchaus richtig ist, daß ein guter
Nachwuchs nur durch gute Arbeit der Lehr-
meister wirklich garantiert werden kann, so
muß mit allem Nachdruck nach einer Vermin-
derung der Schundarbeit gestrebt werden.
Dazu wiederum gibt es kein besseres Mittel,
als die Regelung des Submissionswesens. Man
164
weiß, daß diese Frage zur Zeit an vielen Stel-
len beraten wird. Auf der Frankfurter Tagung
konnte darum nichts eigentlich Neues gesagt
werden. Aber es dürfte doch nützen, wenn
auch diese ansehnliche Versammlung mit aller
Entschiedenheit für ein Aufhörender schlimm-
sten Mißstände der Submission plädiert. Es
ist ein geradezu lächerliches Prinzip, eine aus-
geschriebene Arbeit dem billigsten Anbieter
bedingungslos zu überlassen. Die Qualität
und nicht der Preis muß der wichtigste Maß-
stab werden, muß es doppelt bei Arbeiten,
die der Staat oder die Stadt zu vergeben hat.
Wie diesen Mißständen abzuhelfen ist, darüber
wird noch viel verhandelt werden müssen.
Etwas mehr Dampf könnte hier nichts schaden.
Interessant war es zu hören, daß gerade die
Städte, sie, die sich oft ihres Liberalismus und
fortschrittlichen Geistes rühmen, bei Submis-
sionen viel törichter und hartnäckiger verfah-
ren als der Staat.
Besondere Aufmerksamkeit widmete der
D. W. B. dem sogenannten Sparerlaß des
preußischen Ministers für die öffentlichen Ar-
beiten. Auch hier wurde darauf hingewiesen,
daß das Sparen an sich und um jeden Preis,
meist ein Vergeuden sei. Daß man aber sehr
wohl an dem Kunstkram, an den Puppen und
dem dekorativen Beiwerk, sparen könne. Bei
knappen Geldmitteln soll man eben nicht Po-
temkinsche Dörfer aufrichten, soll vielmehr
einen guten Architekten berufen, der dann
gewiß der Notwendigkeit eine knappe, aber
würdige Form geben wird.
Diese wenigen Nachrichten, die keineswegs
ein erschöpfendes Bild von der Frankfurter
Tagung geben, genügen immerhin , um zu be-
weisen wie umsichtig und rührig der D.W. B.
an alle Probleme der modernen Produktion
herantritt, und wie er die Konsumtion auf ein
möglichst hohes Niveau zu heben, bestrebt ist.
Alle diese Reden, Diskussionen und Resolutio-
nen werden mit Sicherheit Früchte tragen.
Der geistige Höhepunkt dieser zweiten Jah-
resversammlung des D.W.B., ein unvergeß-
liches Erlebnis, war die Fanfare, die Van de
Velde in die öffentliche Abendversammlung
hineinschickte. Das war ein gar hartes Unge-
witter, das schwer über den Industriellen un-
moralischer Observanz niederging. Das war
ein erhebender Hymnus künstlerischen Selbst-
bewußtseins. Das war zugleich eine Adelung
aller derer, ob Künstler, ob Fabrikanten, die
wirklich nüt Blut und Seele nach dem neuen
Stil, dem unvergänglichenDenkmaleiner neuen
Menschheit, streben, rohert Ureter.
l'ROKESSOR HRINii [■All..
Haus W'rstiiHl Be
BRUNO PAUL ALS ARCHITEKT.
HFKMANN !'■
ES ist eine Eigenart fast aller Erzeugnisse
der reifen Zeit Bruno Pauls, daß sie dem-
jenigen, der sie erläutern möchte, wenig zu
sagen überlassen. Ihre Gestaltung ergibt sich
so zwanglos aus dem Gebrauchszweck und
dem Material, daß man sich unwillkürlich die
Frage vorlegt, wie man je auf den Gedanken
hat kommen können, es anders zu machen.
Dieser Vorzug der Arbeiten Pauls ergibt
sich zum Teil aus dem, was er zu tun unter-
läßt, und es hat daher nicht an Stimmen ge-
fehlt, die glaubten, aus dieser negativen Eigen-
schaft den Vorwurf mangelnder Individualität
erheben und begründen zu können.
Nicht mit Recht.
Wer Bruno Pauls frühe Arbeiten für den
Siniplizissimus kennt, weiß, daß von den vielen
Malern, die sich der angewandten Kunst ge-
widmet iiaben, Bruno Paul neben Th. Th. Heine
in München zu den markantesten Künstler-
persönlichkeiten und Könnern gehört.
Eerner darf man nicht den großen Unter-
schied vergessen, der zwischen angewandter
Kunst und der sogenannten hohen Kunst be-
steht. Während es bei Werken der Malerei
und Plastik das Wesentliche ist, die Berührung
mit der ausgeprägten Persönlichkeit ihres
Schöpfers zu vermitteln, sollen Gegenstände,
die uns täglich und stündlich umgeben, nicht
die Stimmung eines Dritten aufdrängen, son-
dern ihrem Besitzer bezw. Bewohner Raum
lassen für die Schaffung eines seiner eigenen
Individualität entsprechenden Milieus.
Die Zurückhaltung Bruno Pauls ist daher
eine wohl bewußte und bedachte, in der ein
gut Teil feinen künstlerischen Taktes und nicht
genug anzuerkennender Selbstverleugnung
zum Ausdruck gelangt. Innerhalb dieser selbst
gesetzten Beschränkung bleibt Raum genug zu
künstlerischer Entfaltung und zu dem, der zu
sehen versteht, redet aus diesen Schränken,
Stüiilen und Tischen, die so einfach und schlicht
165
Ihm/O Paul a/s AirJii/rk/.
■■■■■■■■■■■■■■■■■■■
riß ersichtlich, in sehr ■
praktischer Weise ■
■ aussehen, derselbe !;
■ reiche Geist, der jene
"^ —
1
_
1
durch ein Anrichte- J
=
zinimer, einen Vor- ■
—
räum für das Küchen- ■
personal sowie durch ?
■ teil auf die Beine ße-
j
den Flur der Hinter- ■
treppe von denWohn- ■
■ im HinbHck auf den
räumen getrennt. — J
■ ist, öilt nun auch
Wir schreiten in der ■
Richtung der Mittel- Z
■ uneinj^eschränkt von
1
■ J A f^ 1 '* I
-
■ ten Bruno Paul, als der
L
;
ter und gelangen in sei- ■
nen Mittelpunkt, die ■
die Haupttreppe ent- ■
haltende zwei Stock- ■
■ ren Öffentlichkeit be-
■ kannt gemacht wird.
J In dem Hause
1
werk hohe Diele. Von ■
ihr aus betreten wir J
das in derselben Rieh- ■
■ Westend, das hier
■ reproduziert ist, wur-
J de dem Künstler zum
tung liegende Speise- ■
zimmer, von welchem ^
■ ersten Mal die Gele-
,
vier nebeneinander ■
■ [ienheit zu einer völ- 1 |
liegende Flügeltüren ■
J lig geschlossenen Lei- ,
L
auf eine in gleicher ^
■ stung gegeben; vom
^i
Höhe liegende die ■
■ kleinsten Schrankfach
ganze Breite des Hau- ■
J bis zur Umfriedigung
ses einnehmende Ter- p
■ des Gartens ist alles
rasse führen und den ■
■ einheitlich aus der
i«3N.
r\
Blick in den Garten ■
J Hand Bruno Pauls
Cj)
o
und den dahinter lie- ^
■ hervorgegangen. —
genden von einer ■
■ Das Haus liegt mit
Pergola umgebenen ■
2 der südlichen Breit-
Lawn-Tennisplatzöff- ^
■ Seite nach dem Gar-
nen. Die rechte Ecke ■
■ ten, mit der nördlichen
dieser Südseite des ■
S der Straße zu, wie i
Hauses nimmt das ^
Zimmer des Haus- ■
■ aus dem beigefügten j |
■ Grundriß hervorgeht. ' ^^^ _^^
herrn ein; die ent- ■
S — Durch die in der L S^^^^^^^^ "^ttt?
sprechende linke f.cke ^
■ Mitte derStraßenfront \3
y ^..-^
das Wohnzimmer und J
■ und in der Höhe des (
f\\ r ' 1
ein daneben gelege- ■
\ ersten Stockwer-
^ji^^^i ta^HJ
nes Damenzimmer. — h
■ kes belegene Haus- 1
1 ^^^^^^^^i^^^ri^^^^l
Dieser planmäßigen ■
■ tür betreten wir das i
^^^^^^^^^^^^^^H
Anordnung derKäume ■
\ Hntree. Dieses ist
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|! des ersten Stockwcr- ■
! niedrig, langgestreckt
l^^^^^^^^H
1 keskorrespondiertdie J
1 des zweiten: In der ■
■ und legt sich mit sei-
" ^^^^^^^^^^^l^^^^^l
H ner Längsseite quer
^^^^^^^^^^^^^^^H
i rechten Ecke der Süd- ^
■ vor den Eingang.
^^^^^^^^^^^^^^1
' Seite liegt das Schlaf- J
■ An der linken Ecke
1 ^^^^^^^^^^^^^^^^^^|H
zimmer des Herrn, in ■
1 der Vorderfront liegt
i
1 Hl^^^
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der linken das der ^
1 Dame, vor beiden je ■
■ der Garderoberaum,
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l-§F-'-r
ein Badezimmer; zwi- ■
■ auf der rechten Seite
Jl die Küche. — Letz-
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M^m
sehen den beiden ^
■ terc ist, wie eben-
'=^'+' '■ ' letzleren ein liou- j
■ falls aus dem Grund- r.KiN.M.\ri fkriin. Haus Wcsten.l. Gpsamt.inlaso. doir. Dementspre- ■
1 ■
i68
Bntiio Paul als Aixhilckt.
PRlIl-ESSOK BRUNO I'Ari,- IIF.KI.I X. IlAI^ WF.STKiNl). (IKTMIKISS DKS r.M'KK- fM) I lUEK-GKSCMlOSSKS.
Dl. FIcDiiaiiii Po^/ .
ITnii« AVrstcn.l. Str,
chend liegen nach der Straßenseite
zu das Schlafzimmer des Sohnes
auf der einen, das der Tochter auf
der anderen Seite, ebenfalls mit je
einem besonderen Badezimmer ver-
sehen. Alle diese Räume jjruppieren
sich um eine Galerie, welche hinter
den Hauptwänden der j^roßen Trep-
pcnhallc zurücktritt. Ebenso tritt
auch die Südfront des oberen Stock-
werkes hinter der des ersten Stock-
werkes zurück und läßt Platz für
einen die ganze Gartenfront ein-
nehmenden Balkon.
Es folgt das Dachgeschoß mit
reichlichen Zimmern für das Perso-
nal und Kinderzimmer und darüber
ein Bodenraum.
Die Eorm der Zimmer ist fast
durchweg die übliche rechtwinklige.
Nur im Speisezimmer erscheinen die
Ecken dadurch abgestumpft , daß
die Heizungskörper in sie hinein ge-
legt sind und deren Verkleidung bis
zur Decke emporgeführt ist. In allen
Wohn- und Schlafräumen weichen
170
Bruno Paul ah Aycliitckt.
die Längen und Breitenniaße nur wenig von
einander ab, sodaß eine sehr ruhige und wohn-
liche Raumwirkung erzielt wird.
Bezüglich der Höhe wäre noch zu sagen,
daß das Damenzimmer infolge der im Erdge-
schoß befindlichen Gärtnerwohnung etwas
höher liegt und dadurch niedriger wird, was
gerade dem intimen Charakter dieses Ge-
maches sehr zu Gute kommt. Ferner ist das
Entree infolge der darüber liegenden Treppen-
galerie um einiges niedriger als die anderen
Räume, sodaß auch dieser an sich kleine Raum
das richtige Höhenverhältnis erhält.
Bei den Wänden hat Bruno Paul durch Ein-
bauen der Schränke nach einer glatten Gestal-
tung gestrebt, was der geschlossenen ruhigen
Wirkung der Räume sehr zum Vorteil gereicht.
Die gleiche Wirkung erzielt er auf folgende
Weise. Er legt die Heizkörper zwischen die
Fenster und führt ihre vordere Verkleidung bis
zur Decke empor. Dadurch wird eine größere
Tiefe der Fensternischen erwirkt, die es er-
möglicht, die Vorhänge innerhalb der Wand-
ebene anzubringen. Diese Anordnunghatauch
den Vorzug, daß die Vorhänge durch die Zen-
tralheizung nicht leiden, wie dies nur zu leicht
der Fall ist, wenn die Heizkörper, wie üblich,
unter den Fenstern liegen.
Die vorstehende kurze Schilderung des
ganzen Aufbaues verfolgt in erster Linie den
Zweck, zu zeigen, daß Bruno Paul sich bei der
Anordnung der Räume und ihrer Gestaltung
aller Absonderlichkeiten enthalten hat und
jedes Haschen nach originellen Formen ver-
schmäht. Die Lage der Räume zu einander,
ihre Maße und ihre Höhe, die Wände und die
Wandöffnungen ergeben sich zwanglos ledig-
lich aus dem Zweck und den Bedürfnissen. In
dieser kristallklaren und durchsichtigen An-
ordnung liegt ihre Schönheit.
Sie liegt aber auch fernerhin in der in dieser
Raumanordnung zum Ausdruck gelangenden
Rhythmik, die auf das wirkungsvollste durch
die Wahl der Farben und des Materials unter-
stützt wird.
Es sei gleich gesagt, daß die hier besprochene
Leistung Bruno Pauls ihrer ganz außerordent-
lichen Farbenfreudigkeit wegen jeden über-
raschen muß, der sein Schaffen bisher verfolgt
hat. Gewiß bieten schon die in der Ausstellung
der Vereinigten Werkstätten für Kunst im
Handwerk in Berlin, Ecke Bellevuestraße und
Siegesallee , gezeigten Räume dem Durch-
schreitenden eine überaus abwechslungsreiche
und angenehme Abtönung. Aber sie läßt
sich nicht vergleichen mit dem Eindruck der
reichen Farbensymphonie, welchen dieZimnier-
folgen des Hauses Westend dem Besucher, be-
l'Ki il'KSMiK l;RI
Dr. Hcniiaini Post :
sonders wenn das Sonnenlicht das Haus durch-
flutet, hinterläßt. Erst die Gestaltung dieses
Rauinkoniplexes gab dem Künstler die Mög-
lichkeil, die ganze Skala der ihm zur Ver-
fügung stehenden Töne zu entfalten und sie
aufs glücklichste zusammen klingen zu lassen.
Man muß gestehen, daß hierbei dem Künst-
ler auch eine vollendete Holztechnik zu statten
gekommen ist. Es gelangten im ganzen Hause
sogenannte abgesperrte Platten zur Verwen-
dung. Diese werden dadurch hergestellt, daß
man drei verschiedene Holzlagen in der ent-
gegen gesetzten Richtung ihrer Struktur unter
hydraulischem Druck aufeinander leimt. Dies
Verfahren hat in erster Linie den Zweck, das
Holz am Reißen und Werfen zu hindern, er-
möglicht aber zugleich, da es das Arbeiten auf
Rahmen überflüssig macht, die Schönheit des
Holzes in großen Flächen zur Geltung zu
bringen. Nur mit Hilfe dieser flächigen Be-
handlung war es möglich, z. B. die Maserung
der deutschen Birke im Treppenhaus in solchem
Bruno Paul ah Architekt.
v.\\\. UEkLl^.
Abwechslungsreichtum zu zeigen, ohne un-
ruhig zu wirken und so ruhige große Flächen
zur Anwendung zu bringen, wie die bis zur
Decke mit weiß lackiertem Holz getäfelten
Wände des Speisezimmers.
Überhaupt zeigt die außerordentliche Fülle
und Schönheit der zur Verwendung kommen-
den Tapeten, Stoffe, Teppiche, Beleuchtungs-
körper usw., die alle den Vereinigten Werk-
stätten für Kunst im Handwerk entstammen,
wie sehr dieses Unternehmen dem bei seiner
Gründung 1897 obwaltenden Zweck gerecht
geworden ist, nämlich dem Künstler ein voll-
kommenes Handwerkszeug zur Ausführung
seiner Pläne an die Hand zu geben. —
Wie es dem Charakter einer Vorhalle, die
ja in gewissem Sinne jedem zugänglich ist,
entspricht, empfängt das Entree den An-
kömmling mit Zurückhaltung, hervorgerufen
durch die schon erwähnte geringe Höhe des
Raumes einerseits, andererseits auch durch
die feierlich gehaltene Ausstattung (durch kein
Profil unterbrochene schwarz-weiße Marmor-
täfelung bis zur Decke, Türen und Ilolzum-
rahmungen aus schwarz-grün gebeizter F.iche,
Haus Westend. ( iarilembe.
dunkelviolette Stoffe, ebensolche Lampen-
schirme auf dunkelbronzenen Wandleuchtern;
das Terrazzo wiederholt die Farbtöne).
Desto wärmer und volltönender setzt die
Stimmung der hochstrebenden Treppen halle
ein, des eigentlichen Kernes des Hauses (bis
zum zweiten Stock mit leicht profilierter deut-
scher Birke getäfelt, deren Braun ins Goldgrüne
spielt ; der obere Teil der Wände und die
einfach kassettierte Stuckdecke in grünlich
schimmerndem Weiß ; Geländervergitterung
und die das Emporstreben betonenden Strei-
fen der Täfelung dunkelgrün gebeizte Eiche;
dunkelblauer Teppich und Treppenläufer).
Das sich anschließende Speisezimmer
von mittlerer Höhe und behaglicher Breite
vollendet den Dreiklang, indem es den an-
geschlagenen Tönen eine helle und heitere
Note hinzufügt ; weiß-lackierte Holztäfelung
bis zur Decke hinauf, letztere ebenfalls weiß
und nur durch schmalen Goldstreifen abge-
setzt; die Möbel aus hellgelbem Zitronenholz
nüt rotem Saffianlederbezug der Stühle, sil-
berne Leuchter, hellgrüner Teppich ; also alles
I'arben, deren Zusammenstellung in der Iheo-
173
l'Ki il'i;SS( iK I'.KIIN'O l'AUI. IIKKIIX.
KINCA.Ni; I'M) El KMI/. IN IIKK IIIKIK.
AiislIiliiiiiiE VcithiiuU- Werksliilleii liji Kiin-I im Handwerk A -Cr lici
Bruno Paul als Arcliitckt.
PROKESSOR BRT'NO PAUL— BERLIN.
Ausführung; Vereinige Werkstätten für Kunsl
Handwerk A.-Q. -Berlin.
rie manchem fast undenkbar erscheinen wer-
den, die bei dem Hellten Charakter des Speise-
zimmers aber wunderbar zusammengehen.
Der geschilderte Akkord: „Entree-Diele-
Speisezimmer" klingt gewissermaßen nach den
Seiten hin aus und zwar rechts in die abge-
dämpften ernsten Farbentöne des Herren-
arbeitszimniers (Maccasser - Ebenholztäfe-
lung bis in ziemliche Höhe, darüber ein etwas
kräftiger betonter Stuckfries) , links in die
freundlich anmutenden Räume der Dame
des Hauses (blauesWohnzimmer und Damen-
zimmer mit grünem Wandbezug und Palisan-
derholz-Möbeln).
Die Rhythmik der architektonischen Glie-
derung der unteren Räume wiederholt zwang-
los das zweite Stockwerk in der Anordnung
der Lage der Schlafzimmer: das Gemach
des Herrn in M.ihaodui uiimnl wiederum
die rechte Ecke der Gartenfront, das der
Dame (Abb. S. 198) mit weiß lackierten Mö-
beln, hellblauer Wandbespannung und tief-
blauen Vorhängen die linke Ecke ein. Da-
zwischen liegen die blendend hellen Bade-
räume und in der Mitte dieser das in lustigen
Farben gehaltene Boudoir (Abb. S. 202).
Y-s verlohnt sich noch speziell der Heiz-
körperverkieidungen der Zentralheizung
zu gedenken. Gerade bei diesen Schmerzens-
kindern unserer Baumeister hat sich Bruno
Paul wieder einmal in der Kunst bewährt, aus
der Not eine Tugend zu machen und durch
planmäßige in Material und Form völlig ver-
schiedene Gestaltung ein belebendes Element
geschaffen; einmal ist es dunkelgrüner Mar-
mor mit durchbrochenen Messingtüren, dann
ein Gilterwerk aus gedrechselten H o 1 z t e i 1 e n,
dann sind es weiß lackierte Holztüren
175
1>1<( IKlCSSdK J'.KrNil l'Ain, l'.KRLIX.
IIATS WliML.NlJ. BLU:KIN IJIE IKEPl'EX-ANLAGK.
Aiisfiiliriing. VerciiiiKle Wcrkslatlen fiir Kiinsl im llaiuKvcik A (i llerlii
Br
Paul ah Architekt.
PROFESSOR BRUNO PAUL— BERLIN.
oder schließlich Vorhänge aus großen Glas-
perlen.
Noch ein anderer Vorzug verdient hier her-
vorgehoben zu werden. Während nämlich viel-
fach unsere modernen Innenkünstler in den
Fehler verfallen, ihren Räumen eine reichlich
ausgeprägte persönliche Stimmung zu verleihen,
hält Paul hier die richtigen Grenzen inne. Da-
durch ermöglicht er, daß sich auch alte oder
nicht von ihm herstammende Möbel, soweit
sie solide und gut sind, auf das beste in seine
Räume einfügen. Das zeigt besonders das hier
reproduzierte Empfangszimmer, in dem zum
größten Teil Möbel aus der ersten Hälfte des
XIX. Jahrhunderts Verwendung fanden. —
Und nun endlich zur Außenarchitektur.
Auch sie bedarf keiner zahlreichen Erläu-
terungen, denn sie ergibt sich wie von selbst
aus der geschilderten Gestaltung der Räume
und ihrer Lage zu einander; der geschilderte
Raum-Komplex von Außenwänden umgeben,
damit ist fast alles gesagt.
Keine Türmchen und keine malerischen Gie-
bel, keine künstlichen Fensterstellungen und
Haus AVcstend. Galerie.
absonderlichen Fensterformen, keine roman-
tische Spielerei mit bäuerlichem Fachwerkbau
und dergleichen. Was das Auge an der Fas-
sade erfreut, steht alles in notwendigem Zu-
sammenhange mit den Erfordernissen der um-
schlossenen Räume.
Auch die Säulenstellung im zweiten Stock-
werk der Gartenfront dient absolut nicht bloß
dem Schmuck, sondern die Säulen sind tat-
sächlich Träger des darüber vorgeschobenen
großen Zimmers, durch das zugleich die Über-
dachung eines Teils des Balkons bewirkt wird.
Ebenso sind die an den unteren Partien der
Fenster angebrachten Gitter durch die Nie-
drigkeit der Brüstungen gegeben.
Das Rauten-Motiv dieser Gitter, das übri-
gens vom Treppengeländer draußen und drin-
nen wiederholt wird, zusammen mit der Be-
tonung des Haupteinganges durch etwas
reichere Gestaltung der Türumrahmung sind
fast das einzige Ornamentale der Fassade.
Auch ihre Schönheit liegt nicht in einer
reichen Ausgestaltung, sondern in der klaren
Logik und inneren Wahrheit, mit der sie sich
177
Bntno Paid als Air/iifckf.
aus der hinter ihr liegenden Raumgruppierung
ergibt und mit deren GHederung auch deren
Rhythmus nach außen hin zum Ausdruck bringt.
Sie hegt weiterhin in dem ruhigen und wohl-
tuenden Verhältnisse ihrer eigenen Teile zu
einander, nicht zuletzt aber in der fein emp-
fundenen Art, wie das ganze Gebäude in das
Grundstück hineinkomponiert ist. —
Man fragt sich, was den dereinstigen Maler
zu einer so vollkommenen Lösung auf dem
Gebiet der Architektur befähigte und gewiß
wird mancher Berufsarchitekt diese Leistung
eines außerhalb des Faches Stehenden mit
gemischtem Gefühl betrachten. Aber liegt
nicht vielleicht gerade in diesem Umstand
selbst, daß Bruno Paul nicht den zünftigen
Bildungsgang des Architekten durchgemacht
hat, eine Erklärung für das Gelingen?
Erst kürzlich hat Muthesius („Die Einheit
der Architektur", Berlin, Karl Curtius 1908)
darauf hingewiesen, daß bei der architektoni-
schen Berufsausübung der Sinn für die Raum-
bildung nur allzusehr von dem Streben nach
der plastischen Ausgestaltung der Fassade in
den Hintergrund gedrängt werde. Auch wird
es dem Architekten, der durch sein Studium
gezwungen ist, eine gewisse Herrschaft über
die Stilformen aller Zeiten zu gelangen, schwer,
sich von diesen ganz zu emanzipieren und sich
lediglich derjenigen Formen zu bedienen, die
unserer modernen Technik und Bedürfnissen
entsprechen. Gewiß haben auch Berufsarchi-
tekten wie Messel und Hoffmann es in hohem
Grade verstanden, sich von der Herrschaft
einer bloßen Fassadenkunst und den Fesseln
alter Stilformen unabhängig zu machen, sodaß
ihnen aus ihrer Vorbildung kein Hindernis be-
friedigender Raumgestaltung erwachsen ist,
ihnen sogar die Verwendung alter Stile oft
als wirkungsvolle Unterstützung ihrer Zwecke
nützlich ist. Trotz alledem bleibt ein noch
stärkeres Loslösen von all diesen Requisiten
vom Standpunkt einer völlig unabhängigen
modernen Kunst doch das wünschenswerteste.
Architektur ist die Kunst der Raumbildung.
Während nun der Berufsarchitekt sich mühsam
vom althergebrachtenWeg, dervon der Fassade
zur Raumgestaltung führt , losringen muß,
kommt Bruno Paul gerade umgekehrt von der
Raumgestaltung her und gelangt von ihr zur
Ausbildung der Fassade. Mag immerhin noch
eine reichere Ausgestaltung des Hausäußeren
denkbar erscheinen, nie wird sie befriedigen,
ohne den Ausgangspunkt und die Grundlage,
die Bruno Paul hier gefunden hat. —
Merkwürdig ist übrigens der ganze Weg,
den die Entwicklung unserer modernen Nutz-
kunst und mit ihr Bruno Paul genommen hat,
um an das heute erreichte Ziel zu gelangen.
Vom Bild an der Wand stieg die hohe Kunst
sozusagen herab und nahm zunächst Besitz
von den aller unwesentlichsten Gegenständen
des Gebrauchs als Vasen, Plakaten, Exlibris,
dann machte sie sich an die einzelnen Möbel,
vom einzelnen Möbel ging es zur Gruppierung
der Möbel zueinander und dann der Möbel zum
ganzen Raum. Paul hat als einer der ersten diese
Raumkunst inauguriert; nun hat er auch die
weiteren Schritte getan; von der Kunst des
Raums zur Kunst der Räume, zur Architektur.
Es ist hier nicht der Ort, über den Grund
dieses eigenartigen Weges der Entwicklung
vom Entlegensten zum Notwendigsten nachzu-
grübeln. Nur darauf sei hingewiesen, daß die
allerschwerste Aufgabe, aber auch die aller-
notwendigste auf dem einmal in Angriff ge-
nommenen Gebiete immer noch ihrer Lösung
harrt, nämlich eine wirkhch befriedigende
Gestaltung unseres großen Etage n-
Mietshauses, das doch nun einmal bei uns
dem Hauptteil der städtischen Bevölkerung als
Wohnung dient. Auch hier kann nur der von
Bruno Paul eingeschlagene Weg zum Erfolg
verhelfen , nämlich streng von innen nach
außen zu bauen.
Der Mann, auf den man diese Hoffnung mit
Fug und Recht setzen konnte, Alfred Messel,
ist vor kurzem dahingegangen. Möge es zum
Trost gereichen, daß wir in Bruno Paul eine
Persönlichkeit besitzen, die ihrem ganzen
Werdegang nach auf das beste befähigt ist,
den begonnenen Weg weiter zu schreiten, wenn
ihr nur Gelegenheit dazu gegeben wird.
Es ist unbegreiflich, daß z. B. die zahlreichen
Terraingesellschaften und Bauunternehmungen
um Berlin, die sonst alles tun, um das Publi-
kum für sich zu interessieren, bis heute noch
nicht auf den Gedanken gekommen sind, das
Bedürfnis so vieler den besseren und wohl-
habenderen Schichten angehörender und auf
die Mietswohnung angewiesener Personen
nach einem guten Etagenhaus sich zu nutze
zu machen. Es kann gar keinem Zweifel
unterliegen, daß ein nach den obengeschil-
derten Grundsätzen gebautes und ausgestal-
tetes Mietshaus großen Zuzug haben würde.
Neben einer früheren Arbeit des Künstlers,
dem Weinhaus Nürnberg, und dem Modelle
einer Villa, bringt dieses Heft eine weitere
neue Arbeit, das Sporthaus des Berliner Lawn-
Tennis -Turnier-Clubs. In seinem Aufbau er-
innert es unwillkürlich an einen griechischen
179
Bniun Paul ah Architdi.
Tempel in der Form, wie sie z. B. der Tempel
der Nike Apteros neben den Propyläen der
Akropolis von Athen zeij^t. Mit diesem hat
das Sporthaus auch eine gewisse Verwandt-
schaft der Lage gemeinsam , indem es von
einer Anhöhe herabblickt. Von hier aus be-
herrscht es einen der durch Walter Leistikow
berühmt gewordenen Grunewald - Seen und
lehnt sich mit der Rückseite an eine dunkle
Kiefernwand an. Seine Farben: ockergelbei
Putz, grün-blaue Fensterläden und rote Dach-
ziegel tragen in diese etwas düstere Umgebung
einen sehr reizvollen heiteren Ton.
Auch das Innere zeigt die immer weitere
Fntwicklung Pauls zur farbenfreudigen Aus-
gestaltung der einzelnen Räume und ihrer Ab-
tönung zu einander. So z. B. der Durch-
blick aus dem großen Gesellschaftsraum mit
kräftig gelben Wandflächen in das hellgrüne
und auf seinen Möbeln den kecksten Cretonnc-
bezug zeigende Damenzimnier, der überra-
schend lustig anmutet, ohne irgendwie knallig
zu wirken. Die beigegebenen Bilder vermögen
davon natürlich keinen Eindruck zu geben, da
bekanntlich die Photographien vielfach ein
W'.^teiM. Ili
den wirklichen Farbenwerten ganz entgegen-
gesetztes Bild zeigen.
Nicht so konsequent wie beim Haus West-
end will uns allerdings die Außen-Architektur
erscheinen. Der rückseitige, die Wirtschafts-
räunie umfassende Teil, tritt etwas hinter der
übrigen Front zurück, und es fehlt die offene
Halle. Trotzdem ist hier eine der Vorder-
seite entsprechende Säulenstellung angewandt,
die innerlich nicht ganz begründet ist.
Es seien schließlich noch einige Worte dem
veröffentlichten Grabdenkmal gewidmet. Hier
ist Paul von dem üblichen Schema des von
einem niedrigen Geländer umgebenen Grab-
steins abgewichen, indem er die Umfriedung
bis zur Höhe des Steines hinaufführt. Da-
durch gewährt die ganze Anlage einen ge-
schlossenen , ruhigen und zugleich feierlich
prächtigen Eindruck, wie er bei der meist üb-
lichen, etwas spielerisch anmutenden Form
nicht vorhanden ist. Das Schwere, das einer
derartigen Lösung anhaften könnte, ist dabei
auf das glücklichste durch abwechselnde Ver-
goldung der einzelnen bis zur Höhe geführten
Stäbe vermieden. —
PR(JFESSOR BRUNO PAUL BKRI.IX.
ECKPAKTIE AUS DEM HERR.NZIMMER.
Ausführung: Vereinijlc Werkstätten für Kunst im Handwerk A.-ü. — Berlin.
I'RÖKESSl IR l'.RUXc ) l'AUJ.- IIKRLIX.
HArS WESTEND. KAMIN IM HKRRNZIMMKK.
Ausführuni;: Vereinigte Werkstätten für Kunst im Handwerk A.-Q.-Bcriin.
Robert Breuer— Be)liii .
■ K HKUNO PAUr. HERTIN.
W < '>U-nti. l-I t-rrn-Arbcitszimmer.
DIE HINGABE AN DAS KUNSTWERK.
Nicht jedermann kann Kunst genießen, noch
gar sie verstehen. Damit sei niemandem
ein Makel angeheftet. Es gibt vielerlei Gaben.
Wie sich wohl Menschen finden , die ohne
Religion fertig werden, mangelt es auch nicht
an solchen, wegen derer nie ein Pinsclstrich, ein
Meißelstoß hätte geführt zu werden brauchen.
„Ls fehlt das Kunstorgan" (Bayersdorfer). Vom
Standpunkt der Gattung genau so wie religiöser
Nihilismus eine Unvollkommenheit, aber den
ökonomischen, politischen und gesellschaft-
lichen Wert des Individuums nicht herabmin-
dernd. Wir werden diese Leute beklagen und
höflich bitten, uns ihrerseits nicht toll oder voll
IÖ4
süßen Weines zu schelten. Vielleicht versuchen
wir es auch, sie zu bekehren ; bei weitaus den
meisten Kunstspöttern und Ignoranten handelt
es sich nur um einen tiefen Schlaf, um Vernach-
lässigung der für das Ästhetische reservierten
Hirnkammer. Darum wollen wir nicht in miß-
verstandenem Übermenschentum auf jene her-
absehen, sondern liebevoll zu ihnen sprechen:
tuet eure Augen auf, die Schönheit wandelt
vorüber. — Weit unerträglicher ist die „Eitel-
keit der gebildeten Masse" (Floerke). Weil's
zum guten Ton und zum Salongespräch gehört,
pürscht man durch die Ausstellungen, plätschert
höchst possierlich in unklaren Gefühlen und
Die Hi)imhe an c/ax KuJishverk.
trüben Vorstellungen. Diesen , sowie allen
denen , die wirklich ehrlichen Willens sind,
sei vor allem ein Rat gegeben : nicht kate-
gorisch urteilen, besonders nicht laut und ab-
fällig ! Wer einen guten Teil seiner Tage
zwischen Bildern und Statuen zubringt, wird
durch vorwitzige Kunstfexe oft in nicht geringen
Zorn versetzt, von dem höchstens hier und da
einmal ein bereits Abgeschlachteter profitiert,
denn: wenn esdenen da nichtgefällt, muß sicher
irgend etwas daran sein. Demgemäß ; soviel
wie möglich, die orakelnde Weisheit für sich
behalten. Wozu sich unnütz lächerlich machen.
Bescheiden trete man vor das Kunstwerk,
Weihestimmung in Aug und Herz, mit der Ab-
sicht, etwas zu lernen, etwasNeues zu erfahren.
etwas zu erleben. Besonders aber sei eins
nicht vergessen: „Selbst hinter dem Irrtum
steckt doch immer ein Mensch — ein Mensch
wie wir, der sich ehrlich geplagt hat, sein Bestes
zu geben. Haben wir ein Recht, für unser
lumpiges Eintrittsgeld im Laufe einer Stunde
Hunderte von Kunstwerken in hochnäsiger
Weise abzutun und durch geringschätzige Be-
merkungen und Gestikulationen ebenso viele
brave Künstler öffentlich zu kränken ?" (Hirth).
Wer ist aus der Kunst heiligen Hallen ver-
bannt, wer noch nicht zugelassen? „Auf den
Ausstellungen kann man sie durch die Säle
ziehen sehen, stumpf und gelangweilt, mit
müden Blicken über die endlosen Bilderreihen
schweifend, da nur verweilend, wo ein be-
ll.ni^ W r.l.lhl, |l,„|„.|
185
.«aHTT'Sj't'T ;.
BRUNO PAUL BERLIN.
IlAMKN/.lMMKR. srHREIHTISCHKCKE.
Ausfülining: Vereinigte Werksl.illen fü[ K.insl im Haiulxverk A O. -Berlin.
PROFESSUR
liRUNO PAI'L-
BERUN.
KAMIN
IM DAMEN-
ZIMMER.
Die Hhioahe an das Kunstwerk.
aoFEäsoa
so PAUl.
LCSTER nt
sPEISEZIMMEK-
sonderes Geschehnis die Nerven reizt oder
eine süBIicfa glatte Malerei für künstlerische
Vollendung gehalten wird" (Tschudi). Wer
sich auf den Inhalt stürzt und zu jeder eigen-
tömlich geformten Nase, jedem Fliederfauscfa
einen Roman zusammenbuchstabiert. Wer
ans jedem Porträt eine Ähnlichkeit heraus-
liest. Wer das Stilleben zum .Ajibeißen findet,
sich über die .Merkwürdigkeiten der .Mode von
anno dazumal gar nicht genug wxmdem kann.
'X"er vordem Produkt desWebstuhls, der großen
Lein^wand, ungeheorenRespekt zeigt. Wernicht
genügend Gesicfatseindrücke aufgespeichert
besitzt, dauernd den Kopf schütteln muß und
schließlich verstockt wird. Wer nicht irgendwie
selbst ein kleiner Künstler, und sei's im Anrich-
ten einer Bowle oder im Falten der Krawatte.
Wer kann von der Kunst gesegnet werden ?
Wer an dem Werk selbst, ohne alle Nefaen-
umstande , Nebengedanken , Nebenabsichten
sein Vergnügen hat, stille naive Freude, kind-
Hches Entzücken. Wer sich ein wenig fragt :
:9i
I'KCII'F.SSOR IIKCNO FAUI. bliKLlN.
Ausführung: Vereinigte Werlislällen für Kun
■>1']ISI'./.1MMEK.
Handwerk A.-O.-Berlii
Die Hi)igabe an das Kunstwerk.
BKUNO PAl'L.
.I.DECKTEK TISCH.
ob er wohl auch die Din^e bisher so gesehen
hat , wie sie da hingeschrieben stehen, was
neu an dieser Auffassung ist. Wer überlegt :
wie die wunderliebliche Hexerei vor sich ge-
gangen sein mag, daß die Fläche geheimnisvolle
Tiefen verkündigt, die Luft zu flimmern, das
Feuer zu sprühen, die Lippen zu zittern schei-
nen, — Genießen, das heißt (psychologisch be-
griffen) dem ästhetischen Prozeß freien Lauf
lassen. Rein sinnlich beginnt es. Eine Farbe
entzückt uns, wir können uns an ihr garnicht
satt sehen, eine Linie gewährt dem Auge wohlig
wogende Bewegung; immer wieder gleitet der
Blick über den Nacken der Venus, spielt um
Dianens federnden Fuß , ein apollonisches
Handgelenk. Träumerisch verlieren wir uns in
Pissarros nebelverhangenen Straßen. Monets
Luft läßt uns wie durch einen Schleier aus
Seidenfäden dasUnbestimmte sehen. Gemäch-
lich spaziert das Auge in holländischen Land-
schaften und gleitet mit schweren Schwingen
längs Millets gewaltigem Horizont. — Soviel
Kunstwerke, soviel Möglichkeiten, ein Stück
Welt in sich aufzunehmen, in dessen tiefster
Glut und feinstem Schimmer mit allen fasern
der sehenden Seele. Ki.i;iki hkkiiik.
^Ti
UCliiizmanci, uiilc. Vui « .-li.lui.y .ilki AI,
ALTE UND NEUE STADTTEILE.
Denknialscliutz, Heiniatschutz — fjut. Ohne
Not Denkmale vollsaftiger, künstlerischer
Vorzeit, die verloren geganj^ene Schöpferkräfte
in sich gesogen haben, zu zerstören, das wäre
Barbarentum. Man kann noch weiter gehen.
Das unersetzliche Alte darf sogar unter Opfern
konserviert werden. Bauten, Plätze, Straßen-
bilder , in welche die ehrenfesten Väter ihre
Kraft und ihre Würde hineingebaut haben, sind
Güter, sind Werte. Die Opfer, unter denen
man sie bewahrt, sind der Kaufpreis, den man
für diese Güter bezahlt. Unersetzliches darf
man teuer, sogar sehr teuer bezahlen.
Aber auch alte Städte müssen das heutige
Leben mitleben. Sie dehnen sich aus, es muß
gebaut werden. Da erhebt sich die Frage :
Sollen die Architekten rücksichtslos ihre neuen
und ganz unabhängig erdachten Formen neben
die alten setzen odersollen sie sich „anpassen"?
Soll das alte, historisch gewordene Stadtbild
auch in den neuen Stadtteilen gewahrt bleiben,
oder darf ein vom alten ganz abweichendes,
modernes Stadtbild geschaffen werden?
Mit puritanischem Radikalismus ist meines
P.rachtens in dieser Frage gar nichts getan. Denn
der Erbauer eines einzelnen Hauses ist künst-
lerisch nicht unabhängig. Das Haus ist nur die
niederste Einheit in der Baukunst. Über ihm
gibt es die höhere künstlerische Einheit des
Straßenbildes, der Platzwirkung, und über die-
ser, allerdings weniger fühlbar, die Einheit des
Städtebildes. Innerhalb dieser höheren Ein-
heiten bildet das Haus trotz aller seiner Selbst-
ständigkeit einen dienenden Bestandteil. Neue
'94
^^mr:.
l'Knl-l'SSDK l'.Krxo l'Afl. l;i;K LI N.
I-Ml'l' \S(.s/iMM|' K, INIKK XKKWIMH'Nc; AI.IIK MciKKI,,
Ansflilmine: Vcreinii;lc «'erksUlten tili Kuiisl im M.imlv>fik A -O - Tic;
Alte H)id neue Stadtteile.
PROFESSOR BRUNO PAUL — KERLIN.
Stadtbilder wachsen sehr langsam. Ein Haus,
das keine Rücksicht auf seine bauliche Um-
gebung nimmt, begibt sich dadurch auf Jahr-
zehnte und Jahrhunderte hinaus der Möglich-
keit voller künstlerischer Wirkung. Man be-
trachtet den Maler als einen Narren, der seinen
Bildern unvorteilhafte, die Farben tötendeoder
verfälschende Rahmen gibt. Ähnlich handelt
aber der Architekt, der sich seiner Abhängig-
keit von benachbarten architektonischen Mo-
menten nicht bewußt ist.
Dies gilt besonders für die Fälle, in denen
Neubauten im Herzen alter, künstlerisch wert-
voller Städte nötig werden. Sie werden sich
aus den angegebenen Gründen unbedingt dem
Straßenbilde, falls dieses Wert besitzt, unter-
ordnen müssen. Rücksichtslosigkeit bringt
Dissonanzen, und Dissonanzen wirken peinlich
oder, was noch schlimmer ist, lächerlich.
Geltung hat unsere Forderung aber auch
für selbständige neue Stadtteile, die sehr oft
das Entree der Stadt bilden.
Es fragt sich nur: In welcher Weise soll sich
der Wille zur „Anpassung" äußern?
Ich antwortete : Jedenfalls nicht durch Nach-
ahmung. Sie ist in ihrer Fehlerhaftigkeit zu oft
entlarvt worden. Die Harmonie, von der ich
Haus AVestciul. Empfangszimmer. Fensterseite.
rede, läßt sich durch bloßes Kopieren alter
Formen nie erreichen. Betritt man z. B. eine
Stadt, deren Stolz ein alter gotischer Markt-
platz bildet, durch eine Zufahrtstraße, die von
gotisierenden Villen gesäumt wird, so erlebt
man sicher nicht den Eindruck harmonischer
Überleitung zu jenem künstlerischen Kern- und
Höhepunkte der Stadt. Viel eher den einer
grellen Dissonanz, eines schreienden Wider-
spruches. Denn Gotik ist nicht eine Häufung
bestimmter Zier- und Konstruktionsformen.
Gotik ist in erster Linie eine Weltanschauung.
Es ist die innere Ähnlichkeit, auf die es an-
kommt, eine Ähnlichkeit viel mehr der Quali-
tät als der Modalität. Ein Übereinstimmen in
dem Maße der Schöpferkraft, nicht nur in der
Art der Geberde.
Wir Heutigen sind empfindlich für das, was
am Kunstwerk wesentlich und wirklich
ist. Wir lassen uns nicht leicht belügen. Wir
sagen nicht gleich vor einer Fassade, die uns
Spitzbogen, Fialen, Krabben und Kreuzblumen
serviert: Das ist gotisch. Sondern wir sagen
viel leichter: Das ist Kitsch.
Soll nun damit die Vermeidung jedes Ein-
gehens auf die Formensprache älterer Stile
empfohlen sein? Keineswegs. Sondern es soll
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Alte luid neue Shif/ftei/e.
der schöpferischen Anpassung im Gegen-
satze zur buchstäblichen Nachahmung und
im Gegensatze zu snobistischer Eigenbrödelei
das Wort geredet werden.
Es ist möghch, äußerhch sich „anzupassen"
und doch keine Harmonie mit den Alten
zu erzielen. — Es ist möglich, die äußerliche
„Anpassung" zu verschmähen und doch har-
monisch zu wirken. — Es ist möglich, auf die
Formensprache älterer Stile einzugehen und
dennoch die Fehler derNachahmung zu meiden.
Das wären drei Leitsätze, die für die Be-
handlung aller Anpassungsfragen maßgebend
sein könnten. Sie gipfeln letzten Endes in der
einfachen Wahrheit, daß nur Gutes dem Guten
adäquat ist. Ehrlich zu ehrlich, künstlerisch
zu künstlerisch, das gibt stets Gewähr für
einen guten Klang.
Wer als Architekt die Gotik so auffaßt, wie
sie etwa Ruskin in den „Sieben Leuchtern der
Baukunst" aufgefaßt und dargestellt hat, dessen
Bauten werden neben dem schönsten Alten
bestehen können. Das Gotische ist eben hier
von innen heraus erlebt und verstanden, und
dieses innerliche Erleben erst, nicht das Nach-
ahmen, schafft Zugang zu dem, was das Wesen
n '^
n f'
i'Ai I 111 Kl IN. 1 IrizkiTpii im lvii)|il,uiys/.iinmci ;uif ScitL' ic)(. u. m;.
JVMr/,// M,chcl-I\Iümhn,.
I'IC il'KSSilK
l'AI'l l;KKL).N.
derGotik wie jedes anderen Baustiles ausmacht.
— Auf die FrajSe der Anpassunj' gibt es aucli
noch eine Spezial-Antwort. Der Architekt muß
sich vor allem in den ästhetischen Willen des
ortsüblichen Baumaterials feinsinnif^ ein-
leben, so ist ihm die erste Grundlage für die
„schöpferische Anpassung" schon gegeben.
Sicherlich haben die Baumaterialien sehr vieles
dazu beigetragen, bestimmten Gegenden einen
bestimmten baulichen Charakter aufzuprägen.
Und die Verwendung des einen oder des
anderen Bausteines bestinmit sich nach der
Leichtigkeit und Billigkeit seiner Beschaffung.
Die Nähe großer Steinbrüche wird den Back-
stein nicht leicht aufkommen lassen; so kämpft
Haus WcsUnil. AnlJ, i.Utauiu.
auch der rote Sandstein gegen den weißen,
der Kalkstein gegenbeide. Gegenden, in denen
Sandstein und Backstein gleich nahe sind,
prägen sogar diesen Umstand in ihrer Bau-
weise aus. Der Reichtum oder die Armut an
Holz üben ihre Einflüsse. Und alle diese
Einflüsse bleiben sich Jahrhunderte hindurch
gleich; selbst die Eisenbahnen haben daran
nicht viel geändert. Der Baustein, die Art der
Dachbedeckung, die Verwendung des Holzes
— selbstverständlich auch die Rücksichten
auf das Klima, auf Baugewohnheiten, Verkehrs-
verhältnisse und so fort — das sind die festen
Grundelemente , auf denen , naives künst-
lerisches Schaffen vorausgesetzt, die bauliche
Alfc iDid iiaic Sfadücik.
PROFESSOR HRU.NO PAIT.— HF.RUN.
Eigenart einer Gej^end beruht. Sie sind Roh-
stoffe des ästhetischen Zweckes. Werden sie
gebührend berücksichtigt, so liefern sie den
ersehnten Anschluß an die ortsübliche Bau-
weise von selbst. Es ist meine Überzeugung,
daß gewissen altkultivierten Rheingegenden
der gotisierende Charakter lediglich durch den
festen, malerisch-farbenreichen grauen Sand-
stein in Verbindung mit der Schieferdeckung
Aus nebenstehendem Ankleidcraum.
Aiisf.: Vcr. Werks«, für Kunst im Handwerk A.-Q. -Berlin.
gewahrt worden ist. Nur wo Gewaltsamkeiten
gewagt werden, stellen sich Dissonanzen ein.
Oder wo sich der Dilettantismus breit macht.
Und nur ein Dilettant wird die Fingerzeige,
die ihm die genannten Faktoren erteilen, als
Einschränkung, als Belästigung empfinden. In
der schöpferischen Kraft ist das einzige Binde-
mittel gegeben, das Altes und Neues har-
monisch mit einander verknüpft. — m
Dr. M. Srhmid- .lache,
^-
H\
L i:i;ki.ix.
Werkst.
W. >trll,l. I'.IrU in Jk' KulIi.;.
ir Kunst im Handwerk A.-Q. - Berlin.
DIE KRANZSPENDEN UND DER SARG.
Im Sinne des Verstorbenen bittet man von
Kranzspenden abzusehen," Damit ver-
wahrt sich das Feinj^efühl des fjebildeten
Menschen f^eßen eine „alte" aber heute nicht
mehr „jjute Sitte". Warum? Zunächst wohl
aus Bescheidenheit, weil aller Prunk am Grabe
dem Feinempfindenden widerlich erscheint.
Sodann, weil der alte Brauch zum Mißbrauch,
aus einer freiwilligen Ehrung eine lästige
Pflicht geworden ist, lästig dem Geber und
lästig dem Empfänger. Vor allem aber, weil
das verletzte ästhetische Gefühl dagegen pro-
testiert, besonders angesichts all der Ge-
schmacklosigkeiten, die bei einem modernen
Leichenbegängnis damit verknüpft sind. Vor-
über sind die Zeiten, da ein schlichter Sarg
mit wenigen Kränzen geschmückt wurde, um
den Winter des Todes durch Gedanken an
Frühling und Auferstehung zu bannen. Heute
müssen hinter jeder „besseren Leiche" meh-
rere Mielswagcn voll Kränzen und Palmen
204
hinterdreinfahren. Die Blumenspende, einst
ein Zeichen liebevollen Gedenkens, ist heute
ein unerbittlicher Zwang, eine Protzerei und
eine völlig sinnlose Geldverschwendung ge-
worden. Die einzelnen Geber, vor allem die ein-
zelnen Vereine und Gesellschaften, suchen sich
durch die Größe der dem Verstorbenen gewid-
meten bunten „Wagenräder" und den frechen
Glanz goldbedruckter Schleifen zu überbieten.
Lind welcher Anblick beim Eintritt in das
Trauergemach, wo diese Kränze sinnlos ge-
häuft liegen, wo zwischen den trauernd Hinter-
bliebenen Lohndiener sich hindurchdrängen,
um immer neue Tannenreiser und Lorbeer-
gewinde aufzuhäufen, oder vielmehr sie achtlos
hinzulegen, als sei ein Blumenladen zur Sub-
hastation gekommen und müßte schnell ge-
räumt werden. Flüchtig werden die Namen
der Spender genannt und von einer dazu be-
stimmten Person notiert, damit die Adresse
für die übliche gedruckte Danksagung nicht
Die Kianzspriidcii inid der Snro:
fehlt. Es ist alles geschäftsmäßig geordnet.
Wer seine Bluniensendung einreicht, bekommt
die gedruckte Quittung. — Zuweilen werden
auch solche damit beehrt, die aus Sparsam-
keit oder aus Versehen die Blumenspende
unterlassen haben. Man kann's ja nicht genau
kontrollieren. Vorsichtshalber quittiert man
allen Bekannten.
„Im Sinne des Verstorbenen bittet man
von Kranzspenden abzusehen." Das ist die
Reaktion der natürlichen Empfindung gegen
solchen zur Last gewordenen Formalismus.
Nicht, daß wir dem Sarg nun künftig jeden
Blumenschmuck versagen , ist notwendig,
sondern daß diese Ausschmückung in einer
Weise erfolgt, die niemandes Zartgefühl ver-
letzt. In erster Linie sollte sie doch den Hin-
terbliebenen über-
lassen bleiben , die
es selbst am besten
wissen müssen, wie
viel oder wie wenig
und welcher Art Blu-
menschmuck sie wün-
schen. Diese Hinter-
bliebenen wären dann
in der Lage, nach eig-
nem Vermögen und
vor allem nach eignem
Geschmack den Sarg
und das Trauerhaus
oder die Friedhofs-
kapelle mit Blumen
zieren zu lassen. —
Gleichzeitig dürfte
aber auch eine an-
dere tiefgreifende Re-
form durchaus not-
wendig sein. Es hängt
ja mit dem Verlust
künstlerischen Emp-
findens auf allen Ge-
bieten unseres mo-
dernen Lebens auf
das engste zusam-
men, daß nur ganz
ausnahmsweise fürdie
Veranstaltung einer
Trauerfeier daran ge-
dacht wird, ihr durch
Heranziehen künstle-
rischer Kräfte eine,
der Würde und dem
Ernste der Stunde
entsprechende äußere
Form zu verleihen. Ecksihrank aus nib
Der Friedhofsinspektor, oder, wenn die Feier
im Privathause stattfindet, der Besitzer des
„Leichenbestattungs - Geschäftes", meist ein
ehemaliger Lohnkutscher, werden in der Re-
gel damit beauftragt , den äußeren Rahmen
für die Feier zu schaffen. Diese Leute sind
natürlich ihrer ganzen Vergangenheit nach von
jeglicher Geschmacksbildung völlig entblößt,
um so mehr, als für solche Ereignisse nur
noch ganz geringe Reste alter Tradition bei
uns sich erhalten haben und leider nur die
schlechtesten. Es sei an die fürchterlichen
Zerrbilder erinnert, die in den verschiedenen
Städten mit Rudimenten alter Trachten , wie
Dreimaster , Kniehose etc. neben unseren
Leichenwagen herschreiten. Vor allem an diese
Leichenwagen selber, soweit sie nicht genau
nach alten Mustern
erneuert sind. Sollte
es nicht an der Zeit
sein, auch in diesen
Dingen Wandel zu
schaffen? — Hierwird
man einwenden, daß
ein Todesfall meist
die Hinterbliebenen
so plötzlich und so
schwer betrifft, daß
an solche Äußerlich-
keiten niemand den-
ken mag. Andere
wollen gerade durch
Vernachlässigung sol-
cher Dinge ein Zei-
chen ihrer tiefen Er-
griffenheitgeben. Das
mag für den Einzelnen
Geltung und Berech-
tigung haben, etwa
für die allernächsten
Angehörigen. Für die
Gesamtheit kann das
nur als ein bedauer-
liches Zeichen kultu-
rellen Tiefstandes gel-
ten. Viele wilde Stäm-
me imd selbstver-
ständlich alle höher-
stehenden Völker ha-
ben einst sehr sorg-
fältig durchgebildete
\ orschriften und Ge-
bräuche für ihren
Totenkult besessen.
Nichts wurde da dem
nstclicndor Kiuhi-. Zufall überlassen. Der
205
a < <
Die Krniizs/^ri/f/('ii und der Srro.
PKOF. BRl'NO i'\v\. IiKRI.IN. Vom neuen Lloyd-Dainpfer (ieiirge Washington . Xfhrnraiim am (lesellschafts-Salon.
Ausfulininm Vereinigte Werkstätten tiir Kunst im Handwerk A -ü -Berlin.
Ägypter z. B. pflegte an die Beschaffung eines
oder mehrerer Särge schon hei Lebzeiten zu
denken. Es ist der Sarg auch vielen anderen
Völkern , soweit sie nicht die Leichenver-
brennung bevorzugten , Gegenstand größter
Vorsorge gewesen, und das Christentum hat
zunächst hierin nicht die geringste Änderung
gebracht, wie uns die reichskulpierten Sarko-
phage der Katakomben belehren. Die edelste
i;nd stimmungsvollste Dekoration mittelalter-
licher Kirchen besteht zum guten Teile im
Grabschmuck, in den feierlich auf dem Sarge
hingestreckten Gestalten der Bischöfe, Für-
sten und Ritter, in prächtigen Grabplatten,
Erinnerungstafeln und Totenschilden. Barock
und Rokoko wußten den Sarg besonders pom-
pös auszugestalten, haben in Metall wie in
Stein künstlerisch Vollendetes da geschaffen.
Was ist uns davon geblieben? Nichts als ver-
zerrte Nachahmungen dieses Barocksarges,
natürlich in minderwertigem Material. Wer
alle Schrecken des modernen Kunsthandwerks
empfinden will, der betrachte in einem Trauer-
magazin die Zinkgußornamente mit ihrer bru-
2ü8
talen Vergoldung, mit ihrer völlig verkomme-
nen Detaillierung, und er wird verstehen, daß
eine schlichte Holzkiste mit ein paar kräftigen,
geschmiedeten Beschlägen darauf, jedenfalls
immer noch eine würdigere Hülle für einen
Toten wäre, als diese in Eichenholzimitation
bemalten, sinnlos profilierten großen Kästen.
Mit einer Veredelung, vor allem mit Ver-
einfachung der Sargform und mit der Anwen-
dung echten, wenn auch einfachen Materials
hätte also eine Reform unserer Trauerge-
bräuche zu beginnen. Merkwürdig, daß heute,
wo fast jede größere Ausstellung auch Fried-
hofskunst bringt, wo Ausstellungen für christ-
liche Kunst an der Tagesordnung sind, wohl
der Grabstein und die Aschenurne, nicht aber
der Sarg künstlerisch behandelt wird. Augen-
blicklich ist mir hier nur ein auf der Düssel-
dorfer Ausstellung von Theodor Veil aus-
gestellter, in Metall getriebener, sehr guter,
aber auch seiir kostspieliger Sarg in Erinnerung.
In der Regel sollte man am Sarg statt der
gleißenden imitierten Gold- und Silber-Orna-
mente nichts weiter anbringen, als einfache
^-, ^,--^: -ae*äBi-::-:~45^
LJ ! ] hJ\Z m ü'^ Ui ^'jii ili%r^ Gl w^Qw^ i ] Q
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■diriiikMilMiMiktf^HMUBia^^
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SÄ«t«
PROFESSOR BRUNO PAUL.- BF-;K1.1N. IIANDOEKNOPFTE TEPPICHE, WAND- U. MöBELSTOt'KE U.TAPETEN.
VERElHIOTe WERKSTÄTTEN FÜR KUNST IM HANDWERK A. C- BERLIN.
H S o
Die Kra?izspr)nh'ii itiui der Sari
Vorrichtungen, etwa aus Schmiedeeisen, zum
Heben und Trafjen, sowie zum Befestijien
des Biunicnschmuckes. Dieser Blumenschmuck
brauchte durchaus nicht die abgeschmackte,
unablässig wiederholte Form des grünen Rei-
fens mit der angebundenen Schleife und der
unvermeidlichen aufgelegten Palme anzuneh-
men. Er sollte in erster Linie aus breiten
Blumengewinden bestehen, die sinnvoll den
Sarg umschlingen, vielleicht auch in breiten
Flächen umkleiden, überdecken oder umrah-
men. Möchte doch gelegentlich einer unserer
Kunstvereine oder eine unserer Kunstzeit-
schriften in diesem Sinne einen Wettbewerb
ausschreiben, um der Sache Bahn zu brechen.
— Sodann müßte der Schmuck des Trauer-
raumes selbst reformiert werden. Auch für pri-
vate Trauerzimmerausstattung müßten kunst-
gebildete Unternehmer würdiges Material be-
schaffen. Es genügt nicht, die üblichen, für
wenige Stunden hergeliehenen Pyramiden-Lor-
I HIKI IN. Siiortsliaus ilr^ r.
214
Dil- K)-anzüpetidc>i iii/ii der Saro^.
beerbäumchen nebst dem Dutzend Zimmerpal-
men und den vier versilberten Zinkguß-Kande-
labern aufzustellen und mit Tapeziergeschmack
Crepestoffe zu „drapieren". Es bedarf einer
Raumverkleidung aus ruhig hängenden Stoffen,
mit eingewebten oder aufgelegten Blattgewin-
den. Es bedarf einiger vornehmer Beleuch-
tungskörper und weniger, aber gut aufgestell-
ter Pflanzen. Alles wäre auf Grund künstleri-
scher Vorlagen oder unter Hinzuziehung eines
Künstlers herzurichten. Sollte das dem ein-
zelnen zu kostspielig sein — und es wäre viel-
leicht vielen in solchen Tagen eine derartige
Ausgabe unmöglich — so würde auch hier die
altchristliche Zeit mit ihren Begräbnisgenossen-
schaften uns den Weg weisen können, die
schon bei Lebzeiten der Mitglieder Mittel
sammelten, um den Verstorbenen die gebühr-
liche Totenfeier gewähren zu können. Sie
würden auch dafür sorgen, daß der Leichen-
wagen einfach und ansehnlich gebaut, daß Zopf
und Perrücke den Lcichenkutschcrn und Die-
.\rs DEM SPOKT,--HArs DI-S HERI-INKK I-AWN-TKXNIS-TI-KNIFR-CI rH5.
216
SI'OKlsHAlS l>r.> IlF.Kl.lNKK I.AWX-TI.NM
Ausfülirung: Vcrcinicle W
-■MKNlKK-irrilS. SAAI Mll l'.I.UK 1N> I lAM I N / I M M 1 K .
ksliitlcri für Kiiiisl im H.i.uhvirk A -ü.- licrlin.
Die Krauzspciidoi itiid dci' Snrg.
PROFESSOR IlRrNO PAIII. BERLIN.
nern abgenommen , wohlanständige Trauer-
kleidung solchem Personal bestellt würde.
Möchten doch alle Gebildeten davon Ab-
stand nehmen , jährlich die unvermeidliche
Summe für Kranzspenden an ihren Bekannten-
kreis zu entrichten. Dann hat ein Jeder, je
nach seinen Mitteln und Verhältnissen, schon
den Beitrag zur Hand, der ihm die Teilnahme
an einer Genossenschaft, und damit für sich
und seine Angehörigen eine anständige, Ge-
fühl und Geschmack nicht verletzende Trauer-
feier sichert. — In diesem Sinne und zu die-
sem Zwecke sollten wir alle auf Kranzspenden
im Sinne der Verstorbenen verzichten, sni.
Modell [.aiulhaiis Dr. R.
von DER WIRKUMG GUTER KLEIDLIIIG.
Kleider haben ihre Sprat4ie, die gute Psychologen
sofort verstehen. Der Indiskrete, der Plump -Ver-
trauliche, der Bcindle, der I4arr verraten sich schnell.
Das Leben wird uns reizvoller bleiben, wenn die
Kleider nic4it gleich zu viel verraten.
le mehr Kleider wir haben werden, die allgemein
fiir diesen und jenen Zweck als die zweckmäßigsten
anerkannt und von der Gesellsdiaft getragen werden,
desto höher wird unsere Kleiderkultur sein. Unser
Leben ist kompliziert, also muß es auch die Kleidung
sein. Die Ordnung und zwec-kmäßige Verwendung
der ethisdien und asthetisdien Werte gibt den
Gradmesser der Kultur ab. Hardenberg.
:^.a!iiiniiiiiiinmiiiiiiiiiiiriiiiiiiir.-
l;l kl IN. M„l,.|l l.iui.ill.in- llr. K.
219
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l'K<.ir.SSoR KRINO PAVI. 1!1-KI,1N. WEIMIAIS IN NIKMiERG.
SZENERIE-ENTWÜRFE.
an kommt zu schau'n, man niöcht' am
liebsten sehn!" Dies trifft auch heute
noch zu, und alle Vorschläge zur künstlerischen
Reform des Theaters müssen dem Rechnung
tragen, wenn sie nicht von vornherein als tot-
geboren betrachtet werden sollen. Wer —
das sei hier gleich gesagt — eine Dichtung
aus eigner Kraft zu empfinden vermag, und
Dichterworte ganz genießen will, dem wird
die Lektüre in stiller Abgeschlossenheit den
reinsten Genuß bieten. Aber nicht jeder ist
hierzu befähigt; die Gegner des Theaters und
der Szenerie dürfen dies nicht übersehen.
Ohne Zweifel ist die Dichtung wichtiger als
aller szenischer Aufputz, und es ist töricht,
übergroßen Wert auf realistische Gestaltung
des Bühnenhildes zu legen, weil dadurch die
Gefahr wächst, das Interesse der Zuschauer
gar zu sehr von der Hauptsache abzulenken.
Aber auch das Auge hat seine Rechte! Jahr-
zehntelang schien man sie vergessen zu haben,
fast war man so weit gekommen, weder Far-
ben noch Formen erkennen zu können; sie zu
schätzen und ihre Wirkungen zu empfinden
hatte man in der Tat verlernt. Zur Kultur des
Auges, die heute besonders nottut, bietet die
Bühne eine günstige Gelegenheit, und so
müssen auch alle Bestrebungen , die darauf
hinzielen, das Bühnenbild zu veredeln, freudig
begrüßt werden. Über die Art und Weise,
wie das Ziel zu erreichen ist, sind die An-
sichten bisher weit auseinander gegangen.
Während auf der einen Seite eine vollstän-
dige Verachtung des komplizierten Bühnen-
S/.iHiir-l'Tituinf ZU .\n,ln j.M /ji ,lcn Sir
Szriir) ic-l'.ut'd 'ü i ic.
bildes unverkennbar war, scheute man auf
der andern weder Mühe noch Kosten, die
Szenerie immer reicher und naturwahrer zu
gestalten. In einem Punkt jedocii waren alle
einig; im Kampf gegen die groben und dürf-
tigen Mittel, die eine Illusion erzeugen sollten
und dazu ganz und gar ungeeignet waren,
gegen die Versatzstücke schäbiger Tapezier-
kunst und die rohen und oft kindischen Hinter-
grundschildereien mit gedrängter Gegenständ-
lichkeit. Verzicht auf alle diese Mittel, Rück-
kehr zur Einfachheit, wie das antike Theater
sie kannte, verlangten die einen; echte Gobe-
lins sollten die Szenerie charakterisieren und
die Bühne schmücken. Ausnutzung aller Mittel
der neuen Technik, Verfeinerung und künst-
lerische Vervollkommnung aller Effekte war
die Forderung der anderen ; wirkliche Pflanzen,
wirkliche Bäume sollten neben dem schon all-
gemein aufgenommenen wirklichen Mobiliar
die Illusion vollkommener machen und die
Wirkung des koloristisch aufs feinste abge-
stimmten Bühnenbildes vertiefen, Manches
■Entwiuf zu Hamlet , füiifui Alil.
intensive Werk ist unter diesen Forderungen
entstanden und man darf noch gutes erwarten,
da die Erkenntnis nicht mehr fehlt, daß der
Künstler das Recht hat, sein individuelles Emp-
finden auch im Bühnenbilde zum Ausdruck zu
bringen; jeder in seiner Art. So hebt der
Autor der nebenstehenden Entwürfe die Sze-
nerie über das Gegenständliche empor. Er ver-
sucht ihr gewissermaßen die Rolle zu geben,
die in der Oper dem Orchester zuerteilt ist.
Wimniers Szenerie-Entwürfe sind keine Natur-
aussclmitte, aber sie sind geeignet, den Stini-
mungsgehalt der Dichtung zu vertiefen. In die-
sem Sinne mögen die ungewöhnlichen Säulen
der Szenerie zum 5. Akte „Hamlets" verstan-
den werden; sie sind gewollt und der Gewalt
ihrer Wirkung dürfte sich so leicht kein Zu-
schauer entziehen. Diese straffen Vertikalen,
die nach links fallende Freitreppe und die
wenigen Maueröffnungen des oberen Trcppen-
laufs, sie klingen zusammen wie die Töne
eines Traucrmarsches, In dieser Richtung-Iie-
gen noch ungeahnte Möglichkeiten. m.
DER KÜNSTLER- PHILOSOPH.
>N l'AUI. UEMHKIM.
Eine Sehnsucht, stärker denn je, das Evan-
gehum reinen Menschentums in der Kunst
zu suchen, glüht in dem Menschen der Gegen-
wart. Jenseits von Phantasterei und Phi-
listerei sucht er hier Erhebung, Reinigung und
Glück. Der Künstler wird zum Künder, der
in seiner Schöpfung das Credo formuliert.
Wohlverstanden, die Traktätchen- Maler
haben ihre ganze Gefolgschaft nahezu ein-
gebüßt. Nie war das moralisierende Genre
geringer eingeschätzt denn heute. Mag selbst
das Sprüchlein wie von den englischen Prä-
raffaelliten in gepflegterToilette gesagt werden.
Der pictor philosophus, der darauf aus war,
erbauliche Szenen zu stellen und ergötzliche
Anekdoten zu komponieren, blieb an der
Oberfläche kleben. Derart, daß ihm die Jungen
mit den frischen Sinnen und dem wallenden
Künstlerblut mit Goethe nachrufen: „Ein Kerl,
der spekuliert, ist wie ein Tier auf dürrer
Heide ..." Und von einem der prominen-
testen Führer der Berliner Künstler kolportiert
man das Paradoxon; „Der Künstler muß
dumm sein und geil." Gewiß ist das nicht
im gewöhnlichen Alltagssinne aufzufassen,
sondern als Protest gegen den gedanklichen
Schwulst, gegen den niederen Erzählergeist
der Genrenaturen. Der bildende Künstler,
sofern er wahrhaft groß ist, wird niemals dem
Literaten ins Handwerk pfuschen wollen. An
Stelle der lyrischen, epischen, dramatischen
Ausdrucksmittel ist ihm die malerische,
plastische, architektonische Form vor-
behalten. Je reiner er seine Sprache
meistert, um so eindringlicher ist die Gewalt,
mit der er Herz und Sinne zwingt.
Die Weihe, die ein Werk der Kunst aus-
strahlt, kommt niemals vom Objekt, kommt
allein vom Subjekt. Weder der geschilderte
Vorgang noch die rein optische Darstellung
vermögen im Innersten zu ergreifen. Kraft
kommt nur von Kraft, und leidenschaftliche
Erregung entzündet sich nur an der Leiden-
schaft , deren Glut den Gestalter antrieb,
die gemeine Materie zur stolzen Schönheit
umzuschweißen. Wirkungen ethischer und
.VklHUKKl K. I. IMMMLK. b^LllL] IL-ImU« Ul I /AI llallllt-l. ,Clstcl Akl.
Der KiUntlcr-Philosof^h.
relij^iöser Art fjehen von
dem Kunstwerk aus allein
durch die Persönlichkeit, die
sich darin manifestiert hat.
Das fein kultivierte Aujje —
sonderlich das des Kunst-
schaffenden—glaubt sie schon
zu verspüren aus den rein
formalen Elementen. Wenn
auch solche Menschen jeg-
liche Zwischenstufe zu über-
springen, restlos und selbst-
verständlich den Kern heraus-
zufühlen vermögen, so sind
nichtsdestoweniger Farbe,
Meiselschlag oder Massen-
gefüge nur als die Träger
der hier kristallisierten Welt-
idee anzusehen. Darum wird
auch die Fingerfixigkeit der
talentierten Begabung ihr Er-
zeugnis nie zum Bedeutsamen
eniporschrauben können. Der
gewöhnliche Mensch wird
auch als Bildner gewiß nicht
über das Gewöhnliche hinaus-
kommen. Der Masse wird er
das Gefällige, dem Snobis-
mus das sinnlich Reizende zu
-^ " ^^ ^'^"^ ^ -~ ^^ \~ -^
AKIHITKKT K. J. UIMMEK. N/.EMLKIt-KN 1 Wi- Kl- K IVK »KRElHKir IM KRÄHWINKEL«
226
Der Küusllrr-IVnlosoph.
.\U( Hiii.Kr E. ,|. wimmI':k w ik:
aus ik-r Pantomime Die riinzciiii und ilie Marionette-
Schenken haben, walirend das innerUcli Über-
zeugende nur darf^estellt werden kann von
dem tiefblickenden, abgeklärten, weisen Cha-
rakter. Solche Schöpfer -Philosophie braucht
nicht gerade bürgerlich einfältig zu sein. Ihre
Gesetzlichkeit wurzelt tief, tief unter der Ober-
fläche der Tagesgeschehnisse, in einem Grund,
wo letzte Fragen über die Natur und die Welt,
über Kosmos und Seele dem denkenden Geist
sich entgegenstellen. Man blättere in den
Künstlerbüchern, die gerade jetzt mit so viel
b.rnst durchforscht werden, lese die Konfes-
sionen der Leonardo, Delacroix, Gauguin, van
Gogh, I rübner, um etwas von den Gedanken-
gängen zu verspüren, die in diesen Schöpfer-
hirr.en kreisten. Man greife zum Goethe, der
„in jedem Geschäft den ethischen Hebel"
witterte, der als I3ildner so allumfassend ge-
worden, weil er auch als Mensch so rein und
groß gewesen. vw \ wi^iiuim.
irin iinil die .Marie
228
(1SKAR ZWIXTSCHKR- DRESDEN.
KINDF.K-BII.DMS MIT STIF.FMÜTTERrHE.N.
/.WI.NTsCHtK UKKSUt.N.
GemalJe; >GolJ und I'erlnuitter
DIE GRENZEN DER MALEREI.
Die Worte unseres Altmeisters Goethe, „In
der Bescliränkung zei^t sich der Meister" ,
haben für die Kunst eminente Gültigkeit. Daß
man aber die Wahrheit eines solchen Aus-
spruches im allgemeinen wohl anerkennen
kann, ohne ihr im besondern Geltung zu ge-
ben, zeigt wieder jene Malerei, welche ihre
eigenen Grenzen überschreitet und mehr aus-
drücken möchte, als ihre Mittel gestatten.
Wenn wir die Frage ganz allgemein stellen,
welches die Sphäre der Kunst sei, so lautet
die Antwort: alles, was von der sinnlichen
Anschauung wahrgenommen wird. In dieses
gewaltige Gebiet, welches die ganze Welt als
intuitive Vorstellung ist, teilen sich alle Künste,
weil keine Kunst für sich allein imstande ist,
die Totalität ihres Objektes zur Darstellung
zu bringen. Jede einzelne Kunst wird die eine
oder die andere der wesentlichen Erscheinungs-
formen ihres Objektes vernachlässigen oder
ganz ausschalten müssen, entsprechend der
Besonderheit ihrer Mittel.
Dieses Fehlen wird durchaus nicht als Mangel
empfunden, weil es bei einem Kunstwerke gar
nicht darauf ankommt, diese Totalität des Ob-
jektes erschöpfend darzustellen, sondern die
Anschauung auf ganz bestimmte Erscheinungs-
formen zu konzentrieren. Niemand wird beim
Anblick gemalter Blumen Ansprüche an den
Duft derselben erheben, ebenso wenig wie wir
von gemaltem Feuer oder Sonnenlicht die Wir-
kung der Wärme fordern. Diese Konzentration
des Ausdrucks auf einzelne Erscheinungsfor-
men entspricht auch der Beschaffenheit unseres
Vorstellungsvermögens, dem nur eine deut-
liche Vorstellung auf ein Mal gegenwärtig
sein kann.
Da nun alle Künste ihre gemeinsame Quelle
in dem äußern und innern Sinne, der Raum-
undZeitanschauung haben, so besteht zwischen
allen ein Verwandtschaftsverhältnis, das die
Gefahr in sich birgt, daß die Grenze, die jede
von der andern trennt, leicht verwischt wird.
Die ureigentliche Aufgabe der Malerei ist
die Auffassung und Darstellung der materiellen
Erscheinung im Räume in ihrer Reaktion gegen
das Licht. Diese Aufgabe ist begründet in
ihren Mitteln. Sie ist die Kunst des Auges,
das die farbige Erscheinung im Räume, mittels
des Verstandes, im Hirnbilde erfaßt und auf
die Fläche projiziert.
Wenn ein Maler sich darauf beschränkt,
diese Aufgabe zu erfüllen, ohne sich um
die sonstigen Relationen des darzustellenden
Gegenstandes im geringsten zu bekümmern,
so läßt sich dagegen nichts einwenden. Er ist
auf seinem eigenen Grund und Boden und
über jeden Vorwurf erhaben. Er ist „Nur"-
maler. Schlimmer aber steht die Sache, wenn
er sich den Luxus literarischer Ambitionen
>. ZWIXTSCIIKR DRESDEN.
■.KMÄI DK: mi-DMS MIT GF.nRGIN'F.N.
Die Crciizoi der lilalcrei.
fSestattet und in der Darstellung der zeitlichen
und kausalen Beziehungen seines Objektes
den Schwerpunkt seiner Kunst zu erblicken
meint, ohne die wesentlichste Forderung die-
ser Kunst in möglichst vollkommener Weise
zu erfüllen. In diesen Fehler ist eine gewisse
Historienmalerei , die Genremalerei und die
berüchtigte Anekdotenmalerei verfallen, wes-
halb diese Kunstgattungen nicht ganz mit Un-
recht in unserer Zeit in Verruf gekommen sind.
Denn wenn wir uns auf die Grenzen be-
sinnen, welche die Malerei und epirche und
dramatische Poesie von einander trennen, so
finden wir, daß die Malerei zu allererst den
Raum, die Dichtkunst die Zeit zum Gegen-
stand hat. Jene ist ein Spiegel des Seins,
diese ein Spiegel des Werdens. Das ist der
fundamentale Unterschied beider Künste. Ich
will damit nicht gesagt haben , daß die eine
Erscheinungsform die andere ausschließt, son-
dern nur, daß die eine in dieser, die andere
in jener Kunst dominiert, entsprechend der
jeder eigentümlichen Ausdrucksweise. Nie-
mand wird bestreiten wollen, daß die Beweg-
ung Gegenstand der Malerei sein könne. Jede
Bewegung aber steht in Beziehung zur Zeit.
Gewiß kann auch die Zeit Gegenstand der
Malerei, der Raum Gegenstand der Dichtkunst
sein. Der Unterschied besteht nur darin, daß
die Malerei die Zeit mit räumlichen Mitteln,
die Dichtkunst den Raum mit zeitlichen Mitteln
darstellt, denn wie die Fläche, auf der das
malerische Kunstwerk wahrnehmbar wird, im
Räume ist, so ist das Mittel, dessen die Dicht-
O. ZWINTSCHER KLDTZSC'HE-DRESDEN. »SELBST-BILDNIS-
■■■■■■■■■■■■■■■■■
Z>/(' G)(')ize)i der Malerei
■
■
■ kunst sich bedient,
■■■■■■■■■■■■■■■
■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■
HL
^-^^^^^^^^^^
V
%^H
den Stil bedeutet. ■
■'4
'^^H
— Man mag nun \
2 folgen der Worte in
&*•
einwenden, daß ■
■ der Zeit. Aus die-
jUh
doch alle Malerei ■
■ sem ergibt sich, daß
\
|k
«.^^H
vomZeichnerischen S
2 jede Kunst im Hin-
^
am
ausgehen müsse. ■
■ blick auf ihre Aus-
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Gewiß, aber von ■
■ drucksmittel ent-
k^wiM
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dem Zeichneri- S
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sehen, das Seins- ■
■ äußern oder auf
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■ den innern Sinn
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Zustände des Wer- J
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dens festhält. Jedes ■
■ beschränkt ist, im
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malerische Kunst- ■
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■ umfassen kann.
so vorzüglich, das ■
■ Demnach sind Mit-
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J tel und Zweck ent-
dem Maße Zustän- ■
■ weder sinnlich ver-
de des Werdens ■
■ schieden oder sinn-
schildert, bringt ei- \
£ lieh konform. —
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■ Hier möchte ich
Anschauung des ■
■ nur einschalten, daß
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Beschauers, indem ■
5 diejenige Kunst,
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es sein Interesse ■
■ welche am beru-
zwischen den Vor- ■
■ fensten ist, Bewe-
^ ^ ^^ ^^a»
stpllll ntion \?*-»Ti ^/i.'r.
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J somit zeitliche oder
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und her schwanken ■
■ kausale Verhält-
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läßt und so jede ■
2 nisse des Objektes
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Konzentration der !
■ räumlich darzu-
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Anschauung ver- ■
■ stellen, dieZeichen-
^Hr ' " ^IwRs-'^
hindert. Man hat S
a kunst ist. Sie ope-
i^Bv ip^'" 7 T^
bisher dieses Ab- J
■ riert vorherrschend
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■ mit der Linie; die
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liches" Interesse ■
H Linie aber ist das
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genannt. Das ist J
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ungenau ausge- ■
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drückt, denn auch ■
■ Bewegung. Wie nun
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das Sein ist stoff- ■
■ die Zeichenkunst
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lieh. Hier handelt ■
■ durch zu flächige
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5 Behandlung die
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J Wirkung der Linie
IT- - ^—
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am Kausalen, das ■
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[ die Flächenwirkung
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störend beeinflußt. ■
1 der Malerei durch
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• icinälde: Dame in Blau
Mit GcnehiiiigUMg von Klinkli.ii ilt tl liioinunil Lcipzii
Die ganze von Frankreich ausgehende Bewe-
gung, die das rein Malerische erstrebt, ist ein
Beleg dafür. Daß diese Bewegung, also das
Besinnen auf das sinnliche Fundament der
Kunst von Frankreich ausgehen mußte, ist be-
zeichnend für die Eigenart dieses Volkes. In
dieser Hinsicht können wir Deutsche von un-
sern westlichen Nachbarn lernen. Man nennt
uns nicht umsonst das Volk der Dichter und Den-
ker, Wir lieben es, zu fabulieren und uns ins
Abstrakte zu verlieren. Unser Wesen ist nicht
so auf das Sensible, als auf das Intelligible
eingestellt. Das ist unsere Schwäche, aber
auch unsere Stärke. Unsern Nachbarn gehört
die Oberfläche der Dinge, uns aber die Tiefe.
Aus dieser nicht wegzuleugnenden Tatsache
ergeben sich die Richtlinien für die Weiter-
entwicklung unserer Malerei. Die Eigenart
des deutschen Wesens wird dafür sorgen, daß
wir nicht in reiner Oberflächenmalerei stecken
bleiben, denn was bis jetzt erreicht iit, und
dessen wir uns von Herzen freuen sollen, das
ist der rechte Weg, aber nicht das letzte Ziel.
Ebenso wenig, wie diejenigen recht haben,
Die GiYiizeti der ]\Iah\
I.KO l'IJT/.-MUXCHKN.
naUle: Stille Zeit
die auf den Inhalt des Kunstwerkes auf Kosten
des Formalen hinarbeiten, sind ihre extremen
GejSner im Recht, die alles Heil vom Nur-
formalen erwarten. Was soll denn das heißen,
Nurform ? Es gibt keine Form ohne ein form-
gebendes Prinzip. So einfach ist die Welt
denn doch nicht, daß man sie von irgend einer
ihrer vielfältigen Erscheinungsweisen ausge-
hend, erfassen könnte. Die Kunst aber ist die
Welt , aus der Kontemplation des schöpfe-
rischen Künstlergeistes wiedergeboren.
Dieser Künstlergeist ist das Primäre bei je-
dem Kunstwerke. Denn vor aller Form sucht
die in ihrem Wesen mehr oder weniger scharf
umgrenzte Künstlerpersönlichkeit für ihren
Wesensinhalt die adäquate Form, und was
nun so künstlerische Gestalt gewinnt, ist je
nach der Eigenart des Künstlers lachende
Freude an Form oder Farbe, am Minfließen
des Lichtes oder die Teilnahme des Genies an
dem Ewigkeitsgehalt der Dinge.
Das Formale der Malerei wie jeder andern
Die Grciizri! der Jlfa/ere,
i.Ed IT!/, munchk:
Gemälde: »Bikinis in (jraii«
Neue Erwerbung des Vi'allr.it Riclm
Kunst ist den strengsten Gesetzen der For-
men unserer Sinnlichkeit unterworfen; der In-
halt aber für dieses Formale entspringt dem
schöpferischen Geiste, der in reiner Kontem-
plation zum klaren Spiegel der Welt wird, und
ihre ewigen Ideen, die beharrenden wesent-
lichen Formen ihrer Erscheinungen erfaßt und
künstlerisch gestaltet.
Wir wissen, daß die Malerei fähig ist, über
all das Wandelbare und Allzuzeitliche, von
258
dem uns die Zeit und Völkerpsychologie er-
zählt, hinauszuwachsen. Ich erinnere nur an
Hans V Marees, dessen eminente Bedeutung
für unsere Malerei darin liegt, daß er dieses
höchste Ziel erkannt und erstrebt hat und
wenn ihm auch leider nur vergönnt war, es
von ferne zu schauen, so ist er doch wie We-
nige berufen, ein Wegweiser zu sein nach jener
Höhe, wo der künstlerische Wille Ewigkeits-
werte schafft. C. U. SCHWEN/.F.R METTL.VCH.
CKORülC IMINN'I''. I.AETHKM.
MAKMOK-I'IASl IK: IIIE BADENDE«.
BESIT/.EK: FRITZ WAKKNDOREER \VIE>
GEORGE MINNE— LAETHEM.
t'ite Plastik des Ri 'deiibach-DenUmals. Marmor.
Besitzer: Fritz Waerndortcr-Wien,
GEORGE MINNE.
Als ich das erste Mal die pfeilerhaft steil-
^ aufragenden Umrißlinien von Minnes
marmorn weißblinkenden knieenden Knaben
sah, erinnerte ich mich der Worte aus Stefan
George „Altchristlicher Erscheinung": „Man
erwartete die Segnung des Knaben Elidius. Er
mit seiner sündigen Schönheit, kniete nun nackt
und schlicht, und als ob er allein wäre, auf dem
erhöhten vergitterten Chor ; die Stirne in An-
dacht tief geneigt und in einen Mantel von
Schatten und Weihrauch gehüllt. Während in
der Seitenkapelle sich die Oberhirten und
Priester berieten , ob ihm die Heiligung zu
gewähren sei, murmelten weiße Gestalten an
den Altären lange Litaneien , und das Volk
schaute und harrte unter stummen Gebeten."
So durchaus sakral wirkte das monumentale
Steingebilde, vor dem ich staunend stand.
Zuvor hatte ich dann und wann eine Zeich-
nung, einen Holzschnitt von Minne in einem
belgischen Buche und in Heften der „Insel"
gesehen, und mir dabei schon immer gedacht:
das sind doch Arbeiten eines Bildhauers. Nun
sah ich den Bildhauer und andere sahen ihn
mit mir. Dies geschah in Wien.
Irgendwann, irgendwo und irgendwie, hatte
Meier-Graefe einmal einige zeichnerische und
bildnerische Arbeiten von Minne gesehen, und
mit seiner feinen Witterung in ihnen sogleich
die Hand des meisterlichen Künstlers erkannt.
Gleich darauf führte der Weg Meier-Graefe
nach Wien und in den Kreis der Sezessionisten.
Übervoll des neuen und starken Eindruckes,
warb er in eindringlicher Rede um Anteilnahme
für den „neuen, den kommenden Mann in der
Plastik". Professor J. Hoffmann vernahm die
Kunde, fuhr nach Brüssel und brachte Minnes
Brunnen nach Wien. Minnes erstes öffent-
liches Auftreten vollzog sich also in der Wiener
Sezession. Minne berührte das Publikum als
Fremdling und durch seine ganze Art be-
fremdend. Der Menschenschlag, für den das
Barock derwesensgemäße formale Ausdruck zu
sein schien, der sein lebhaftestes Ergötzen an
241
Georoe Mi)i>ic.
GEORGE MINNE. Ringende Knaben . Kichenhdz.
Im foIkw.ing-Miiseum zu Hagen i. Westfalen
den wuchtifi ausladenden Hüften der Rubens-
weiber und allerlei Geschnörkel fand, vermißte
auf den ersten Blick die sinnlich eindrinj<lich wir-
kende Erscheinung. Die von Minne darge-
botene Leiblichkeit dünkte den Wienern allzu
dürftig, das Körperliche ein gebrechliches und
karges Gefäß der Seele , dem der sinnliche
Anreiz völlig mangelte , auf den die Wiener
so sehr schwer verzichten. Der fleischlichen
Fülle zugetan, erschraken sie vor Minnes „aus-
gemergelten Gestalten", den wunderlichen
Gebilden aus „Seele, Haut und Knochen",
die entkutteten asketischen Klostergestalten
glichen. Das Mittelalter schien sich in Minnes
Figuren zu verkörpern, nicht wie es war, son-
dern wie es ekstatische Schwärmer erträumen.
Auf die anfängliche Verblüffung, den gereizten
Ärger und das witzelnde Genörgel, folgten
aber bald stille und dann gar auch noch laute
Bewunderung; steht doch in Wien der St.
Stefansdom, der den Bereitwilligen das Ver-
ständnis der Minneschen Plastiken vermitteln
konnte. Man brauchte bloß an die Figuren
dieses gotischen Bauwerks, oder an die der
Dome ^u Naumburg und Köln zu denken, die
sich den Strebepfeilern und gerillten Trag-
säulen, die sich der gesamten Architektur an-
passen, um zu erkennen, daß Minnes Plastiken
im Anschluß an die Architektur gedacht und
geformt sind, daß sich ihr Stil aus bestimmten
architektonischen Anforderungen ergibt. Man
begriff nun auch, warum die Wiener Sezession
zur Aufstellung des Brunnens eine eigene
Tempelrotunde erbaute, man sah, daß Minnes
Plastiken unbewegliche Stücke sind, und daß
es nicht des vlämischen Bildhauers Schuld ist,
wenn er sie als kleine tragbare Stücke aus-
führt, die in Salons feinschmeckerischer Samm-
ler Aufstellung finden. Der Streit, ob Minnes
Werke schön seien, ruhte aber deswegen noch
nicht , und wenn die einen ihre Schönheit
priesen, schmähten die andern seine Figuren
als geradezu abstoßend. Flin müßiger Streit,
denn es vermochte noch keiner zu sagen, was
wesentliche Schönheit ist. Diejenigen, die
sich für die in diesen Dingen vorgeschrittensten
halten, beanspruchten für ihre Meinung, daß
Proportion Schönheit sei, die Geltung. Doch
kann „Übereinstimmung der Teile darum nicht
Schönheit sein , weil die Frage übrig bleibt :
welche Proportion unter so vielen vorhandenen
Proportionen die schönste sei? Die Teile
\i. Mairn.iipl.istik: Kn.ilie mit Schl.mcli
1 olkwang-Museum zu Hagen i. Westfalen.
geor(;e minxe laethe.m.
PROJEKT F.INKS DKXKMALS. MARMOR.
Im Besitz von Fritz Wacrndorter — Wien.
Givroe Jlfi)
eines Kamtscliadalen stimmen so ^ui als die
Teile des Antinoos überein, und überhaupt
ist Proportion nichts weiter als Maß" (Sturz).
Um Schönheit im landläufig iierf^ebrachten
Sinn ist es Minne auch gar nicht zu tun ; er
sucht zu erj^ründen , was in jeder Form vor-
trefflich und fehlerhaft ist, das letzte zu ver-
werfen, das erste zu wählen, sich über Eigen-
tümlichkeit und Zufälligkeit zu erheben, das
heißt nur die Art, nicht die besondere Gattung
darzustellen. Er hat, wie sein Entdecker sagt,
die Sehnsucht nach etwas Unpersönlichen,
weil im höheren Sinne Persönlichen , einen
Drang nach einem Gemeinschaftlichen , nach
Konventionen, die dem wilden Eigendünkel
Zügel anlegen, nach Ruhe. Danach strebt
Minne, und das Ziel ist ihm wichtiger als das
Mittel. „Der Sieg über die Originalität, höchste
Selbstbezwingung, die Übersetzung des Ehr-
geizes auf ein anderes Niveau, das ist Minne".
Das hier Gesagte will nur als Fingerzeig,
nicht etwa als restlose Erläuterung gewertet
werden. Minnes Wesen und seinem Werk
würde das Höchste fehlen, ließen sie sich rest-
los ausdeuten. Man mag ihn und seine Ar-
beiten mystisch nennen, immerhin — denn
es ist etwas vom katholischen Mystizismus
des Ruysbroeck in ihnen , aber niemals ver-
worren. Wem Minnes Werk nicht in allen
Teilen „plausibel" erscheint, der möge be-
denken, daß das wahre Kunstwerk auch gegen-
über der eindringenden Forschung des um die
Gesetzmäßigkeit des Kunstgeschehens Wissen-
den noch ein Geheimnis bewahrt, das sich nur
dem gesteigerten Gefühl des geistig würdig
Vorbereiteten offenbaren mag. Einige Men-
schen kennen seit ein paar Jahren den Mann
und den größten Teil seiner Werke, sie wissen
aber von beiden nicht viel, und das wenige
ist mehr oder minder sagenhaft. Am ge-
nauesten kennt den Mann und sein Werk der
eminent kultivierte Kunstfreund und Leiter
der „Wiener Werkstätte", Fritz Waerndorfer
in Wien, der sich des Besitzes einer Anzahl
(der größten in privatem Besitze befindlichen)
schöner Plastiken, Zeichnungen und Skizzen-
bücher von Minne erfreut. Über Minne be-
fragt, erzählte Herr Waerndorfer ;
Es gab eine Zeit, in den neunziger Jahren,
da tauchte zuweilen in den Ateliers und in
den Cafes der Brüsseler Künstler ein in den
Gliederverhältnissen wohl gut, aber klein ge-
wachsener und linkischer Mann auf. Sein
weichflächig sanftes Antlitz war blaß und von
blondem Haar und Bart kräuselig umrahmt,
trug aber eine spürende, kräftige Nase und in
trockenem Glänze tiefblickende Augen hinter
träumerisch halbgeschlossenen Lidern. Ein
Zeichner und Bildhauer, kaum gekannt von
den Künstlern Brüssels, lebte er seit Jahren
in einer ärmlichen Behausung aus Stube und
Küche in einem der proletarischen Stadtteile
am Rande der belgischen Residenz. Sein zau-
dernd abgerissenes Sprechen, seine gleichsam
verhaltene Mitteilsamkeit, die für heimlich
verächtliches Schweigen gehalten werden
konnte, sein rasch verhuschendes, scharfliniges
Lächeln oder kurzes, stoßweises, gleichsam
plötzlich aufkollerndes grimmiges Lachen, und
sein unbeholfenes Gehaben, gewannen ihm
anfänglich nicht viel Zuneigung, sondern brach-
ten ihn, so lange man ihn nicht näher kannte
und von ihm noch keine bedeutenderen Ar-
beiten gesehen hatte, in den Ruf, ein plumper,
handwerklicher Steinmetz mit beschränktem
Kopf oder hinterhältig bösartiger Gesinnung
zu sein. Nur wer aufmerksamer hinsah und
sich auf Mienendeutung verstand, gewahrte
die Merkmale einer zwar unmitteilsamen, aber
wahrhaften Güte und den stillen und zähen
Willen eines der Aufopferung fähigen Herois-
mus im Antlitz dieses sonst unscheinbaren
Mannes, George Minnes. Sohn eines vlä-
mischen Bauern aus der Brügger Gegend, der
aber seine Herkunft von Karl dem Fünften
ableitet, blieb Minne unbeachtet im Dunkel,
und litt mit seinem Weibe und seinen Kindern
alle Dürftigkeit bis zur bittersten Hungersnot.
Aber just die Not war es, die ihn nicht nur
beten, die ihn auch arbeiten lehrte. Er dingte
lange Jahre beharrlich nicht um Brot und Ruhm,
sondern um seine Kunst, um die Reinheit und
die gotische Seele in seiner Kunst, bis sich
ihm die Gnade schenkte. Um zur Kunst zu
gelangen, zog er sich von den andern immer
mehr ab und in sich zurück, wurde er insula-
risch, kapselte er sich ein. Der müßige Atelier-
schwatz, all der heftige aber leere Meinungs-
streit, das Prinzipien- und Theoriengezänke
wurden ihm eben so tief widerwärtig, wie der
Dünkel der Maler, Bildhauerund Schriftsteller,
von denen die einen verwöhnte Publikums-
Lieblinge und geldgierige Bourgeois, die andern
verbitterte und verlotterte Bohemiens waren,
und von denen die einen die Lebensführung
der Großindustriellen, die anderen die der
„verkannten" Genies nachäfften. Er siedelte
sich in dem Dorfe Laethem-St. Martin an und
geriet in völlige Verschollenheit. Erst als die
belgische Zeitschrift „van Nu en Straks" Zeich-
nungen von Minne vervielfältigte, darunter die
durch den Ausdruck seltsam ergreifende einer
-44
GEORGE MINNE - LAETHEiM.
MARMOR -PLASTIK: -UIE NONNK :.
Im Besiti von Fritz Waerndorfer-Wicn.
GEORGE MINNE LAETHEM.
MARMOR-PI.ASTIK : DER MAURER .
Im Besitz von Fritz Wacmdorfer— Wien.
iKllK MINNE I.AETHEM.
\-l'l,.\sriK: DIKTRAUKRNI)?-: .
lesilz von Irilz Wacrndorfer-Wien.
Gc,
^fii
Mutter mit dem nackten Säugling im bergenden
Arm und der kosend ans Knie geschmiegten
Tochter (eine Idee, die später in Stein pla-
stische Form gewann) wurde ein kleiner Kreis
von Kunstfreunden auf Minne aufmerksam.
Diese, seine ersten archaisierenden Zeich-
nungen muteten zwar mittelalterlich einfältig
und innig, aber auch ehrlich an. Minne gelangte
zur gotischen Form aus Naturnotwendigkeit,
sie war durchaus kein modisches Stilmäntel-
chen, das er umhängte. So war es auch kein
Zufall, daß er sich zum Illustrieren die Bücher
seiner Landsleute Maeterlinck und Verhaeren
wählte. Er fand in ihnen eben nur mit andern
künstlerischen Ausdrucksniitteln das gleiche
gestaltet, was bei ihm zum bildnerischen Aus-
druck drängte. Wie in allen künstlerisch wert-
grädigen Gebilden der Gotik vollzog sich auch
in Minnes Arbeiten die wundersame Verschmel-
zung der Wiedergabe von Tatsachen aus der
Einbildungssphäre , wie sie wirklicher und
wesenhafter nicht gedacht werden kann, mit
der Darstellung von Dingen der Natur, die in
eine seltsame Höhe des Stils gehoben wurden
aus ihrem langweiligen, gewöhnlichen Dasein :
die Beseelung der Sinnesdinge , die Versinn-
lichung verborgenster Ereignisse des Geistes
und Gemütes.
Ich sehe mich genötigt, mich selbst zu zitieren ,
um verständlich zumachen, was ich hier meine.
Minne ist einer von jenen gotischen Künstlern,
die sich absondern, auf sich selbst beschränken
und in eine tiefe Kontemplation versinken. Er
vermochte sich dahin zu bringen , ein langes
Schweigen zu halten, in dem allgemach große
Dinge vernehmlich wurden. Er hat mit den
bleichen, hageren Mönchen indenkahlenZellen
der einsamen und stillen Klöster gehaust ; er
hat sich bei flackerndem Fackelschein in den
hallenden Gewölben die Lenden gegeißelt, und
saß mit den Mönchen auf den geschnitzten
Chören und sang Lieder zum Preise Gottes,
und er schnitzte und meißelte wie sie aus
Eichenbohlen und Steinblöcken Figuren, die
so wundersam sind, daß Menschen sie kaum
anzufassen wagen , sondern nur anzubeten.
Nun sagt man allerdings , daß die Leiber der
Gotiker garstig seien. Ja, im Sinne der
Griechen. Die Leiber sind die Hüllen der
Seelen und verändern sich mit diesen. Die
Seelen der Gotiker sind nicht mehr griechen-
lieiler, sie litten bittersten Schmerz und ihre
Hüllen weisen die Male. Die alten gotischen
Meister trachteten nach dem künstlerischen
Ausdruck dieser leidensvollcn Seelen , und
weil das Leiden nicht \erschönt, schufen die
Meister Garstiges. Dafür haben die Stigmati-
sationen des Leidens, welche die Gotiker ge-
wahrten, das, was die Griechen nur schön ge-
stalten konnten, bei den Gotikern erschütternd
und erhaben gemacht. Die Garstigkeit des
menschlichen Leibes ist von einer seltsamen
Traurigkeit und Größe , und weil sie diese
große Traurigkeit der leiblichen Häßlichkeit
verstanden und meisterlich wiedergaben, er-
reichten die Meister der Gotik eine hohe Stufe
in der ästhetischen Hierarchie. Der Schmerz,
nicht die Lust ist ihre Muse. Ihre Kunst ent-
springt keiner großen Heiterkeit, sondern einem
großen Ernste. Minne ist ein solcher gotischer
Meister, und er ist, wie Meier- Graefe sagte,
ein wahrer Virtuose des Schmerzes; aber
Minne stellt den Schmerz nicht naturalistisch
dar, er appelliert nicht an unser Mitleid, die
„engere, moralische oder soziale Situation des
Dargestellten bleibt ganz außerhalb, und die-
selbe Bewegung, die uns das Elend zeigt, ver-
weist uns zugleich auf die Ferne dieses Leids,
die unerreichbare Ewigkeit der Schmerzen, und
drängt uns zur Bewunderung, nicht zur Hilfe".
Das gibt den meisten seiner Kunstwerke jenen
uns geheimnisvoll überhauchenden Reiz einer
uns ungeheuer und erhaben anmutenden Größe,
einer Größe, die beispielsweise in der steilen
Kontur und Haltung des trauernd geneigten
Frauenkopfes für sein Rodenbach-Denkmal,
an die Lieblichkeit und Strenge unserer nor-
dischen Gebirge gemahnt, wie zutreffend gesagt
wurde. Größe hat auch die ursprünglich als
Ideenskizze für ein Denkmal des belgischen
Sozialistenführers Volders geschaffene , nun
aber auf Waerndorfers Bestellung in Marmor
ausgeführte Plastik : zwei nackte Männer stehen
spreizbeinig auf schwankem Schiff einander
gegenüber , das Gleichgewicht haltend und
bereit , sich gegenseitig zu stützen. Eine ge-
dankentiefe Symbolik für die soziale Idee, wie
sie in einem plastischen Kunstwerk nicht ein-
facher und zugleich wirkungsvoller gedacht
werden kann. Größe ohne Pose und Palhos
hat auch „Der Redner"; kathedrale Größe
haben die holzgeschnitzten drei vermummten
„Beguinen", Größe hat der „Reliquienträger",
und Größe und unendliche Anmut hat die
„Badende" in ihrer gleichsam ewigen Geste
voll Rhythmus und Wohllaut. —
Mit diesen Marginalien zu Minnes Werken
möge es hier sein Bewenden haben , zumal
Kunstwerke, wie ich schon bei anderer Ge-
legenheit einmal schrieb, nicht da sind, um
besprochen, sondern um erschaut, erfühlt und
genossen zu werden. — auiiii k Knis>ii;K.
-r)
vv
ORTSCHAFT UND KUNST/) Wcnn-
S^leich die Abfassung einer Geschichte
der modernen Bewegung immer noch als ver-
früht zu bezeichnen ist, so tut es doch gut,
wenn die zurückgelegte Wegstrecke ab und zu
von in der Zeit stehenden Männern gemessen
und registriert wird. In dem genannten Werk
hat ein Volkswirtschaftler und Sozialpolitiker
sich der Aufgabe unterzogen. Recht genom-
men, ist damit nur der Anfang vom Ende ge-
schildert. Große Wirtschaftsfragen sind bisher
noch kaum berührt worden, und die Lebens-
führung unter dem Einflüsse der Moderne be-
ginnt neuerdings erst weiteren Kreisen ein
sichtbares Zeichen der Zeit zu werden. Außer
Zweifel scheint schon heute, daß Deutschland
durch die moderne Bewegung auch handels-
politisch gewaltig gewinnen wird. Die bis 1 893
auch noch in Chicago geholten Schlappen sind
seit einem Jahrzehnt mehr als ausgewetzt.
In der Gruppierung der geschichtlichen Mo-
mente , der Herausschälung der treibenden
Kräfte wie der Würdigung des Erreichten ist
Waentig sorgfältig und liebevoll zu Werke ge-
) Wirtscli.ifl mul Kunst. Eine Untersuchuni; iiber Qeschiclile und
Theorie der modernen Knnstgewerbeheweeun^f von Heiiiricli W.ientig-
43)S-S» broeli- M. S.-, geb. M. 9.-. Verl.li; Oustav Hsclier-Jena, imw
gangen. Rekapituliert er auch die einleitende
englische Bewegung etwas ausführlich, deut-
schen Vorgängen nicht immer gleichwertig
gerecht werdend, so wird er doch überall zum
Dolmetsch der großen Geschehnisse. Schärfer
denn je stehen sich die Vertreter der verschie-
denen Produktionsweisen und Geschmacks-
empfinden gegenüber. Da tun's Worte allein
nicht mehr, Taten müssen vermitteln, über-
zeugen. Das kann einzig und allein für Publi-
kum und Kämpfende nur Aufgabe der großen
führenden Kunstzeitschriften sein, nicht der
Tagespresse. Es ist lebhaft zu bedauern, daß
selbst in so ausgezeichneten Büchern wie dem
vorliegenden, dieser großen Kunstzeit-
schriften mit ihrer umfassenden publizisti-
schen Tätigkeit in der schnellen und weit-
reichenden Verbreitung guter Abbil-
dungen der gesamten künstlerischen
Produktion immer nur in den „Literatur-
nachweisen" gedacht wird. Und doch fließen
die Lebensquellen mit ihrer treibenden und
mitreißenden Kraft von hier aus am reichlich-
sten. Es wäre wohl angebracht, den großen
Verdiensten der deutschen Kunstzeitschriften
ein besonderes Kapitel zu widmen. . i. ^' m. i .
iEiiRCL MINNE 1..
Waimorplastik: Der Redner«
. Westfalen.
CiEORüK MINNE- LAEXHKM.
BRUNNEN MIT KNIEENDEN KNABEN.
Im Folkwlng-Muscum zu Hagen i. Westfalen.
IIKUNXEN-HGUK; KMKI..MH.K K.\AI:1. . MALM"
MAK.\li)K-l'l.A>] IK. lil.M r/.KK; Ic il.KU AMi-MUSEU.M /X HA(.RN I.W.
(iEORCiK iMlX.N E - LAETHEM.
MARMOR: MinTF.R MIT MKRBENDEM
KIND . Besitzer: Fritz Waerndorfer-VFien.
GF.()i<c,K MiN'N'K i.AK rin:.\i.
KKAUI'.X-IU'SI !•; IN KAI. KM PIX.
Ik-sil/cr: I olkwanu-Musciiin /u Hayeii i, Wi'stt..k-n
/r7///,'/w Mlchrl:
GEORGE MINNE EAETHEM.
Kalkstein-Grabmal mit der Figur eines facUellöschenden
Genius auf dem Alten Friedhof zu Hagen i. Westfalen.
DIE KUNST VOR GERICHT.
Die Frage der Sittlichkeit in der Kunst ist lei-
der längst keine künstlerische Frage mehr.
Von hüben wie von drüben ist Verwirrung in
sie hineingetragen worden. Keime zu solcher
Verwirrung enthält schon der Buchstabe des
Gesetzes, das für gewisse Fälle die Zitierung
des Künstlers vor das richterliche Forum vor-
sieht. Ich möchte damit keineswegs dem
Staate das Recht abgestritten haben, sich gegen
gewisse, mit künstlerischen Mitteln begangene
Angriffe auf das Schamgefühl zu schützen.
Ich möchte nur auf den notwendigen tragischen
Widerspruch zwischen der Absicht und
der Wirkung des Gesetzesbuchstaben hin-
weisen. Der Buchstabe will immer Lebendiges
schützen, aber in der Praxis gelangt er fast
immer dazu. Lebendiges zu töten. Wenn das
in der Rechtserzeugung begabteste Volk, die
Römer, den Satz aufstellte; Sumnium jus,
summa iniuria ! so hat es darin eine profunde
Kenntnis dieser „Tragik der Formel " bekundet.
Weitere Verwirrung ist in die Frage „Kunst
und Sittlichkeit" durch gewisse rückständige
Volkskreise hineingetragen worden, die sich
gerade der Kunst gegenüber als die berufenen
Hüter von Moral und Sitte aufzuspielen lieben.
Sie haben die Anwendung des Buchstabens,
die Rechtsprechung, häufig in falsche I3ahnen
gelenkt. Sie haben auf diese Weise den un-
natürlichen Zustand geschaffen, daß Künstler
und ihre Genossen der Rechtsprechung und
ihren Organen wie einem Feinde gegenüber
stehen. Die Furcht vor diesem Feinde kann
man aus allen Sachverständigen -Gutachten
herauslesen. Die Sachverständigen sind dazu
gelangt, in ihren Aussagen Politik zu treiben,
weil eben das Vertrauen fehlt, daß aus Zu-
geständnissen ihrerseits nicht haarsträubend
falsche Folgerungen gezogen werden , weil
ferner das Strafmaß des Gesetzes ihren be-
rechtigten Anschauungen nicht entspricht.
Zu guter Letzt beteiligen sich dann noch die
Künstler an der Trübung der ganzen Ange-
legenheit, indem sie mit Schöpfungen an die
Die Kunst vor Gericht.
öffentlichkeil treten , die platterdings keinen
anderen Namen als den der Zote verdienen.
Und das ist der trübste Teil der Angelegenheit.
Ich rede hier keineswegs von Nacktheiten
überhaupt, nicht einmal von erotischen Dar-
stellungen im allgemeinen. Sondern ich meine
nur diejenigen Erotika, die deutlich erkenn-
barer Weise lediglich dem geschäftlichen Zweck
zuliebe und nicht aus innerer künstlerischer
Notwendigkeit entstanden sind. Wenn ein
Künstler — solche Fälle sind vorgekommen —
die Psychopathia sexualis hernimmt und zu
sämtlichen -philien und -isnien mit trockenem,
bureaukratisch pedantischem Stift tempera-
mentlose und nur durch das Stoffliche wirk-
same Illustrationen zeichnet, dann macht er
sich auch vor einem Forum von Künstlern und
Künstlergenossen straffällig. Das heißt die
ohnehin schwierige Situation, in der sich die
Kunst gegenüber dem Ansturm der ewig Ver-
JICORC.E Mi.N.NE i..\i:ii:i..\i. , Diu Jiui Xüiinen . Holz-Skulptur.
~y)
Wilhelm Michel:
ständnislosen befindet, mutwillig und frivol
verschlimmern. Wenn die Freiheit der Kunst
in schamloser Weise zu geschäftlichen Zwecken
ausgenutzt wird, dann erleidet die Position
ihrer Verteidiger eine schlimmere Schwächung
als durch jeden Angriff von außen her. Hin
solches unverantwortlichesGebahren bedeutet:
der Freiheit der Kunst und ihren Verfechtern
in den Rücken fallen.
Diese drei Faktoren sind es, die die Frage
Kunst und Sittlichkeit jetzt nachgerade zu einer
staatspolitischen Frage gemacht haben. Man
forscht nicht mehr : Was ist in dieser Sache
wahr und richtig? sondern man fragt: Was ist
opportun? Was müssen wir abstreiten, um uns
zu nützen, und was dürfen wir zugeben, ohne
uns zu schaden? Wo die Politik aber in irgend
einer Form hineinspielt, da ist es um Recht
und Redlichkeit geschehen. Dann wird hüben
und drüben ins Gelag hinein gesündigt, und
die Kraft der Lungen und die Zahl der Eides-
helfer entscheidet in Dingen , in denen der
Vernunft und dem natürlichen Empfinden das
letzte Wort zustehen sollte.
So haben beispielsweise zahlreiche Sach-
verständigen-Gutachten ein ästhetisches An-
schauen konstruiert, in das nicht
die leiseste erotische Beimischung
hineinspielt. Darf man überhaupt
noch die Erklärung wagen, daß es
dieses „uninteressierte Wohlge-
fallen" kaum gibt? Daß man, wenn
man nicht zufällig — Sopransänger
ist, die Venus von Tizian in der
Tat mit anderen Gefühlen betrach-
tet als etwa die meisterliche Dar-
stellung eines geschlachteten und
abgebrühten Schweines, das doch
auch eine blütenweiße, in den
herrlichsten Nuancen schimmernde
Haut besitzt? Bei der Entstehung
wie beim Genüsse solcher Schil-
derungen nackter Weiblichkeit
reden die Sinne ihr wohlberechtigt
Wort mit, und deshalb verdient
weder der Maler noch der Be-
schauer Schelte. — Ferner: Was
ist selbstverständlicher als daß
sich die Menschheit für die körper-
lichen Funktionen, die der Fort-
pflanzung dienen , dringend , ja
brennend interessiert? Wir schei-
nen ja allmählich dazu gelangt zu
. ... , sein, daß wir die erotische Neugier
der Backfische und Gymnasiasten
nicht mehr als Äußerung früher
Verderbtheit, sondern als eine natürliche und
völlig schuldfreie Regung ansehen und be-
handeln. Warum, um des Himmels willen,
die konventionelle Lüge fördern, der Er-
wachsene, also auch Maler und Kunstfreund,
teile dieses brennende Interesse für die wich-
tige menschliche Angelegenheit nicht mehr?
Dieses Interesse dokumentieren manchmal so-
gar Richter und Staatsanwälte auf jene weit-
verbreitete, höchst naive Weise, daß sie sich
Abende lang am Stammtisch nur mit „ge-
wagten" und eindeutigen Scherzen und Anek-
doten unterhalten. Ich gehe nun nicht so weit,
daß ich alles, was sich wie gesagt selbst Rich-
ter und Staatsanwälte manchmal im Worte
gestatten, dem Maler auch im Bilde gestatten
möchte. Aber sicherlich darf man dem Maler
das Recht nicht streitig machen, sich und
andere mit geschmackvollen künstlerischen
Mitteln über das erotische Thema auf fein-
sinnige, auf derbe, auf ironische, auf eulen-
spiegelige, ja sogar auf leicht frivole Art zu
unterhalten. Denn Frivolität als Verspottung
an sicii ernster Dinge ist zweifellos, wie das
Beispiel Heines, Wedekinds, Lukians und
anderer, so auf der Bank der Spötter saßen.
Die Kunst vor Gericht.
beweist, eine berechtigte Art, sicli mit den
Dingen dieser Welt und den Gefühlen in der
eigenen Brust auseinanderzusetzen.
Für unter allen Umständen verwerflich halte
ich aber Gemeinheit der Darstellungsweise und
Ausbeutung des erotischen Themas zu ledig-
lich geschäftlichen Zwecken. Wobei ich be-
merke, daß Gemeinheit der Darstellungsweise
zu neun Teilen aus Gemeinheit der Hand und
nur zu einem Teile aus Gemeinheit der Ge-
sinnung zu bestehen braucht. Zur Begründung :
ad I. Es wirkt in hohem Grade abstoßend,
wenn ein Kerl, nachdem er kaum ins Hand-
werk hineingerochen und kaum einen Kopf
anständig zeichnen gelernt hat, uns gleich mit
Zoten kommen will. Nein, erst zeige du, daß
du die aufgehäuften Stoff Vorräte der Welt mit
Liebe und Anteil durchwandert hast, dann
wage dich an Dinge, die eine so meisterliche
Überwindung des Buchstäblichen fordern wie
die Erotischen. Erst zeige du, daß du etwas
bist und kannst, erst zeige, daß du ein ganzer
Mann bist, dann gestatte dir Lizenzen. Man
kann sie dir gerne hingehen lassen.
ad II. Es dürfte, meinen Erfahrungen nach,
nicht sehr viele begabte Maler, oder sagen
GF.ORGE .\nx.\K— L.VKTHEM. Maimur; (irabm.il auf ilem Alten Frietlhof /\\ Ilagcn i. Wc-stf.
(;f,<iRgf.
MINNE-
l.AKTHEM.
DER KNABE«
MARMOR.
AUS DEM BESITZ VON ERITZ WAERNIJORKER WIEN.
Die Kunst vor Gerklit.
GKORGE
MINNF-
I.AKIHEM.
M \KM"R-
KEUEK.
FOLKWAXG-
MUSEUM
HAGEN I.W.
wir lieber: Zeichner geben, die nicht gelegent-
Hch in übermütiger, lasziver Laune ein Zöt-
chen zu Papier gebracht hätten. Und die
Laune entschuldigt alles. Es ist damit wie
auf Maskenbällen; was um 10 Uhr noch Frech-
heit und dreister Übergriff war, ist um 12 Uhr
erlaubt und um 2 Uhr — wer weiß? — sogar
geboten, wie die Laune im Menschen und im
Saale es gebietet. Wenn aber der Künstler
ohne diese innere Autorisation, die gar nicht
so unkontrollierbar ist als es aussieht, aus
reinen Geschäftszwecken frivol und schamlos
wird, dann geht er jeder Entlastung verlustig.
Willst du erotische Stoffe behandeln, so ge-
schehe es je nachdem mit Pathos oder mit
Witz, immer aber mit Temperament. Alles
andere ist Prostitution. Echte, aus zwiespäl-
tiger Geistesverfassung entspringende Frivo-
lität kann erheiternd oder erschütternd wirken ;
in jedem Falle wird sie anziehend sein. Affek-
tierte Frivolität, besonders auf erotischem
Gebiete, wirkt immer in hohem Grade wider-
wärtig. Ich verzichte darauf, Namen und Bei-
spiele zu geben; der Kenner wird sie aus
eigenen Mitteln ergänzen.
Und schließlich noch ein Stoßseufzer; wer-
den wir es noch einmal soweit bringen, daß
das in Rede stehende Übel, die Rechtsprechung
263
IVc KiDist vor (jcrii'lil.
in Sachen Kunst und Sitlliclikeit, wirklich an
seiner Wurzel angegriffen wird? Daß man
Klagesachen dieser Art vor das einzige Forum
bringt, welches von kulturellem Standpunkte
aus zuständig ist, vor das Forum von Standes-
gerichten !
Ich weiß, daß die Forderung von Standes-
gerichten unserem demokratischen Zeitalter
übel im Ohre klingt. Wir zählen die nach
langen Kämpfen errungenen Volksgerichte ja
zu den kostbarsten Erwerbungen unserer Zeit.
Untersucht man die Sache aber näher, so ergibt
sich, daß die Standesgerichte, so wie sie von
einem modernen Gesetzgeber einzurichten
wären, der Idee des Volksgerichtes keineswegs
widerstreiten. Die Idee des Volksgerichtes
ist entstanden im Gegensatz zu den Juristen-
gericliten. Sie vertritt den Gedanken, daß
der Schuldige gerichtet werde von Männern,
die ungefähr unter gleichen Bedingungen leben
wie er selbst, die sich
daher in seine Lage
versetzen können und
ihm kein fremdes , to-
tes, sondern sein eige-
nes, lebendiges Reciil
spreciien. Von diesem
Standpunkte aus be-
deuten Standes- , d. h.
natürlich Berufs - Ge-
richte nicht nur keinen
Gegensatz zum Volks-
gericht, sondern gera-
dezu dessen logische
Fortbildung. Sie sind
der natürliche Ausdruck
des allgemeinen drin-
genden Bedürfnisses
nach Nuancierung der
Rechtsfindung, eines
Bedürfnisses, dem man
auf zivilrechtlichem Ge-
biete bekanntlich durch
Errichtung von Kauf-
manns- und Gewerbege-
richten, sogar auf straf-
rechtlichem Gebiete
durch die Jugendge-
richtshöfe , Rechnung
getragen hat. Standes-
gerichte bieten die ein-
zige Gewähr dafür, daß
dem Angeklagten sein
eigenes Recht und
zugleich das Recht des
Volkes gesprochen
wird. — Es ist meine feste Überzeugung, daß
mancher „gröbliche Verletzer des Schamge-
fühles", den das Volksgericht hat freisprechen
müssen, vor einem Künstlergerichtshof viel
weniger glimpflich weggekommen wäre. Ich
habe vorhin schon bemerkt, daß die Rück-
sicht auf das Strafmaß die Gutachten der
Sachverständigen in weitgehender Weise be-
einflußt. Für den Sachverständigen handelt
es sich unter den heutigen Umständen darum :
Soll ich den Kollegen, der auf der Anklage-
bank sitzt, der fremdartigen, starren Zermal-
mungsmaschine, „Recht" genannt, ausliefern
oder nicht? Hätte er Einfluß auf das Strafmaß,
so würde er sich gewiß viel weniger bedenken,
seine Meinung unumwunden auszusprechen.
Ich halte den Künstlergerichtshof für die
einzige Möglichkeit, dem lebendigen Rechts-
bewußtsein des Volkes in Dingen Kunst und
Sittlichkeit zur Verwirklichung zu verhelfen.
Die Künstler nehmen
keine eigene, von der
allgemeinen abweichen-
de Moral für sich in An-
sprucii. Es gibt nur eine
einzige Sittlichkeit, und
vor ihr beugen sich die
Künstler ebensogut wie
alle anderen Berufe. Sie
nennen nicht gut, was
böse ist, sie nennen nicht
keusch, was schamlos
ist. Aber die ganz be-
sonderen Bedingungen,
unter denen der Künst-
ler lebt und arbeitet,
wollen sie berücksich-
tigt wissen. Zu dieser
15erücksichtigung ist ja
auch der Laiengerichts-
iiof gezwungen, nur
macht er das wie nicht
anders zu erwarten
grob und nuancenlos.
Der Künstlergerichtshof
würde die Durchsetzung
der berechtigten An-
sprüche desStaates nicht
\ereiteln; er würde die-
se Ansprüche aber in
einer Weise befriedigen,
die der Idee des Rech-
tes wesentlich mehr an-
gemessen wäre als das
iieutige Verfahren. —
Wll HI IM MI( HF.I,-MÜM"HEN.
PROFESSOR FRANZ VON STUCK.
Haupt-Fassade der \'illa Stuck— München.
VILLA FRANZ VON STUCK.
Franz von Stuck, der Malerei, Plastik und
Graphik mit gleicher Sicherheit übt, ist
auch sein eigener Architekt gewesen. Ein so
guter, daß man wünschen muß, er hätte öfter
auch diese Seite seines starken dekorativen
Talentes geübt. Einer, der immer gewußt und
immer gekonnt hat was er wollte. Dies Haus,
das auf unserer ersten Abbildung mit den
wuchtigen Vertikalen seiner Pyramidenpappeln
fast Böcklinsche Stimmung hat, das im Gegen-
satze zu den meisten Privat-Gebäuden, die
sich also nennen, wirklich im römischen Sinne
als „Villa" wirkt, ist gleichzeitig ein eminent
behagliches Wohnhaus. Keins für einen Spieß-
bürger, aber eins für einen Künstler, dessen
innerster Drang nach großen monumentalen
Aufgaben geht. Das Äußere wirkt pompös
und hat fast keinen Schmuck als reiche Gliede-
rung und noble Proportionen und die zum Teil
fürstlichen Repräsenlationsräume im Innern
sind dennoch wohnlich , weil ihr Prunk nicht
tot ist , sondern in allem die Sprache seines
Schöpfers redet. Jede Handbreite der Wände
und Decken tut das, jedes Stück des Hausrats,
der bis ins Kleinste von Stuck selbst entworfen
wurde. Das geschah, nebenbei gesagt, gerade
zu der Zeit, als unser „neuer Stil" seine tollsten
Sprünge machte und der Drang, originale Zeit-
formen für Möbel zu schaffen, sich in den
kühnsten Extravaganzen auslebte. Heute, wo
sich auch auf diesem Gebiete so vieles geklärt
und gefestigt hat, würden die edlen Formen
der Stuckschen Möbel — etwa wieder auf
eine Ausstellung zur Schau gebracht — hier
sicherlich nicht nur zum Schönsten, sondern
auch zum Modernsten zählen.
So urteilt Fritz von Ostini im Begleittext
der vor wenigen Tagen erschienenen Mono-
graphie „Villa Franz von Stuck" (Verlags-
anstalt Alexander Koch Darmstadt, Preis
Mk. 4. — ). Den vornehmen Charakter des
eminent künstlerischen Werkes vermögen die
wenigen hier in starker V erkleinerung wieder-
gegebenen Abbildungen nur anzudeuten. —
-6i
iiAK I K.\si:i 1 !•; |)|';k \ii.i.a shtk.
i'R( )i-. 1- KAXZ v.Sl i:( K MÜXCHKX.
\ ii.i.A i-K.\.\/ V(i.\ STUCK .\i;-\cni:.\.
BLICK IN DEN MUSIK-SAAL, aus »Villa
FRANZ V. STUCK«, VEKLAGSANSTALT ALEX. KOCH.
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KLEBE-ARBEITEN HAMBURGER KUNSTGEWERBE-SCHÜLER.
VON K(ilU<KT PIKF.UEK WH.MEKMuiKF.
ES gibt stets eine Dissonanz, wenn Kunst
gelehrt werden soll. Kunst und Geschmack
lassen sich nicht lehren, lassen sich nur aus
eingeborenen Anlagen entfalten. Es steht da-
mit ganz anders als etwa mit dem Rechnen,
mit der Orthographie, mit dem Auswendig-
lernen irgend welcher Daten. Man kann
zum Unterricht in der Kunst kein Lehrbuch
und keine Schablone benutzen; alles kommt
hier darauf an, die schlafenden Sinne des
Schülers zu erwecken, ihn mit eigenen Augen
sehen, ihn in sich selbst hineinhorchen zu
machen. Es gilt nicht, dem Novizen irgend
etwas anzudressieren; der Unterricht ist hier
eigentlich mehr ein physiologischer Akt, eine
Art Massage , eine Fortoperation gewisser
Hemmungen, eine Freilegung der prädestinier-
ten Bahnen. Beim Kunstunterricht soll der
Lehrer nicht mehr sein, als ein Geburtshelfer
und im besten Falle ein Organisator der vor-
gefundenen, zur Blüte drängenden Anlagen
des Schülers. Darum ist es so gefährlich, mit
dem Abzeichnen fertiger Kunstwerke beginnen
zu lassen. Die Suggestion anerkannter Kunst-
werte auf die Jugend, besonders die künst-
lerisch veranlagte , ist von vornherein eine
starke. Wie wäre sonst wohl im Jüngling der
Wille zur Kunst erwacht, wenn nicht durch
die Bewunderung von Werken seiner Um-
gebung, wenn nicht durch die Leidenschaft,
die ihn packte , Landschaften und Figuren.
Historiker und Symbolisten, die er preisen
hörte und anbeten sah, aus eigner Kraft, wo-
möglich noch schöner erstehen zu lassen.
Dem Jüngling wird es darum anfangs nur be-
hagen, seine Götter zu kopieren, sich an dem
zu versuchen, was ihm höchstes Ideal und
letztes Ziel scheint. Erst später, wenn er
plötzlich merkt, daß seine Ideale ihm trotz
alles Bemühens nicht die begehrte Antwort
geben, daß er nicht an sie heran kann und im
Grunde doch über sie hinaus möchte, ja, über
sie hinaus muß, dann erst wird er stutzen,
wird das Kopieren als ein Hemmnis, die Götter
als Götzen und den, der ihm diesen tauben
Weg zeigte, als einen Tölpel erkennen lernen.
Hier ruhen die psychologischen Wurzeln der
heftigen, oft erschütternden Konflikte, die den
jungen Künstlern, sonderlich den jungen Aka-
demikern, beschieden sind. Dies h'rkennen
der Versklavung, in die man geraten, der
Zwecklosigkeit einer blinden Gefolgschaft im
Heerbann der einst verhimmelten , jetzt ver-
fluchten Klassiker, ist die sehr simple, sehr
natürliche und sehr alltägliche Erklärung für
die Fauikrankheit, für die Interessenlosigkeit,
von der gedrillte Musterschüler plötzlich er-
griffen werden. Sollten solche Erfahrungen,
ebenso häufig wie bitter, nicht zu der Einsicht
füiiren, daß dieser Weg, der ach so übliche
und für den Lehrer so bequeme, ein falscher
ist; daß es nicht darauf ankommt, den Zögling
die reinsten Werte der Vergangenheit minuziös
nachahmen und sich von ihnen erdrosseln zu
lassen, als vielmehr darauf: zunächst einmal
die leiblichen Augen natürlich sehen, die leib-
lichen Hände natürlich werken zu lehren. Daß
solche Methode die richtige ist, wird vernünf-
ISiSJIp
KLEBK- \KBEri KN V
KLKBK-ARBEITEN VON SCHÜLERN DER KUNSTGEWERBE-SCHULE IN HAMBURO.
/v Ichc-Arhcikn Haiiibnroey Kjoishe'iVt-rheSchüler.
tij^en Leuten nicht erst zu beweisen sein; es
handelt sich nur darum, die Wege zu finden
auf denen diese Pädagogik, die eigentlich mehr
eine Freundschaft ist, möglichst unbeschwer-
lich zum schönen Ziel gelangt. Wobei zu be-
merken, daß dieses Ziel zuvor nie offenbar
ist, daß es für jeden ein anderes sein muß,
daß es aber wohl von des Lehrers Instinkt für
einen erkannten Schüler geahnt werden kann.
Als ein Weg dieses natürliche Anlagen ent-
faltenden Kunstunterrichtes, dieser Aufreiz-
ung und Anspornung des Schülers, sollen nun
auch die Klebearbeiten dienen, deren wir hier
eine Auswahl abgebildet sehen.
Von diesen Klebearbeiten hörte man zum
ersten Mal Ausführlicheres gelegentlich des
letzten Londoner Kongresses für Kunstunter-
richt. Professor Czizek zeigte überaus inter-
essante Blätter, die dadurch entstanden waren,
daß auf einen neutralen Grund aus buntem
Papier geschnittene Formen , allerlei Natura-
listisches, auch Ornamentales, geklebt worden
war. Der Eindruck dieser Übungen muß außer-
ordentlich überzeugend gewesen sein, denn
bald sprachen just die einsichtsvollsten Schul-
männer davon sehr lobend. Zu denen, die
den Wert von Czizeks Klebemethode sofort
erkannten, gehörte der Direktor Meyer von
der Hamburger Kunstgewerbeschule. Impul-
siv, wie er ist, beschloß er, auch an seiner
Anstalt Versuche dieser Unterrichtsart vorzu-
nehmen. Er konnte dies um so eher wagen,
als er in seinem Lehrerkollegium Leute sitzen
hat, die aus gleichem Blut und von gleichem
Temperament wie Czizek. Da war vor allem
der ausgezeichnete Flächenkünstler Czeschka,
unter dessen Händen, von keiner Historie ge-
hemmt,eine üppige Ornamentik in unerschöpf-
lichem Reichtum erblüht. Einen Schüler dieses
Meisters , Herrn Paul Helms , wählte Meyer
zum Einrichter und Turnwart der neuen Gym-
nastik des Klebens. Und das war kein Fehl-
griff; die Resultate, die schon heute, ein Jahr
später, vorliegen, sind nicht nur überraschend,
sie sind begeisternd. Ja, tausendmal ja, das
ist ein fein lustiger Weg, ohne kantiges Joch
und mit nicht mehr Schwärmerei, als sie der
Jugend gebührt. Das ist das Erste und das
Wichtigste, was man diesen Hamburger Schü-
ler-Arbeiten sofort abspürt; daß sie mit un-
gehemmter Freudigkeit, aus freischweifender
Lust am Gestalten erstanden. Man spürt es
an jedem dieser Blätter, wie der Schüler, der
Kamerad, förmlich erschrak, daß er so etwas,
so etwas Lebendiges , so etwas Neues , zu
schaffen vermochte. Das, was da aus seinen
Fingern hervorgegangen, war etwas Selbstän-
diges, etwas, was es sonst noch nie und nir-
gend gab, war ein Erlebnis, wie es nur ihm
geworden, und er, er hatte es fest gehalten.
Da lagen die Papiere, da lagen Schere und
Kleisterpinsel, und daraus war dies hier ge-
worden , dies bunte , fabulöse Mirakel. Da
hatte er also ein Stück Leben, ein Stück der
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KrEriK-ARliKlTEN VON SCHÜLERN DER Kr.NSTGEWEKBE-SCHUl.E IN
276
Kl.nBE-ARBKIT VOM SCHül.HRH DKK K U MSTOF" VVI" R H i:SCH LI LH 111 MAMIUIKO
KLEBE-ARBEIT FINES SCHÜLERS DER
KUNSTOEWERBESCHULE IN HAMBURG
Kr.EBE-ARBEITKN VÖ\ SCHl'l.KRN DKR
KI-.\STC,F\VFRl',r'-s<Hri,K IN IlAMllfR(;.
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Klche-.\yh('Hc>i UaDiliJif'cr Kittis/ordvrbr-Sc/iü/cr.
großen Welt, die ihn taumeln machte, und die
er so heiß liebte, die er ganz in sich einsaugen
und herrisch meistern wollte, eingefangen,
hatte es festgehalten, hatte es angenagelt.
Und jetzt, jetzt lebte dies Stück Wirklichkeit
durch ihn ein neues Dasein; jeder, der das
Blatt ansah, machte ein überzeugtes und hei-
teres Gesicht. Vor allem die Farben, die ge-
fielen besonders, diese frischen, gesunden, un-
gebrochenen Farben. Er selbst, der noch be-
stürzt und gerührt vor dem Ereignis stand, ein
Schöpfer zu sein, er selbst trank diese Farben,
dies schreiende Grün und dies jauchzende
Rot in sich hinein. Und mit neuem Eifer
machte er sich daran, aus der Erinnerung und
nach der Natur E'iguren zu schneiden; oder
er nutzte die Schere für einige bestimmte,
primitive Stereotypen, Kreise, Vierecke, Ovale,
und stellte sich aus diesen Flecken Ornamente
zusammen. Das hatte seinen besonderen Reiz,
auf hellem oder schwarzem Grund die bunten
Atome hin und her zu rücken, in Rhythmen
zu ordnen und wieder aufzulösen , bis daß
etwas herauskam, daran man seinen Gefallen
haben konnte. Das alles war unendlich viel
leichter, als wenn mit dem Pinsel gearbeitet
worden wäre. Da hätte man nicht annähernd
so leicht falsche Gliederungen, unklare Klänge
beseitigen und korrigieren können, da hätte
man erst wieder decken und radieren müssen;
jetzt genügte ein feiner Druck mit den Finger-
spitzen, mit den Exekutoren der Nerven, und
die bunten Flecke reihten und drehten sich nach
dem Willen des jungen Formenfinders. Und
noch eins. Die Schere ist ein wesentlich harm-
loseres Werkzeug, als etwa der Bleistift, die
Feder oder selbst der Pinsel. Sie verliert sich
nicht so leicht in Nebensächlichkeiten , sie
zwingt zur großen Form , zum geschlossenen
Umriß, zur Silhouette. Gibt es nun für den
Anfänger etwas Gesünderes, als genötigt zu
sein, auf die Hauptwerte, auf das Maßgebende,
auf die typischen Verhältnisse, die charakte-
ristischen Auswüchse und Einbiegungen, zu
achten.
Herrgott ja, die Philister und Perrücken
werden wohl zetern, daß dies doch kein Unter-
richt sei, dieweil dabei nicht geseufzt und ge-
schwitzt würde. Hihi, spützen die Mummel-
greise, so etwas ist keine Arbeit, ist nur ein
Spiel, so etwas führt nicht zur Kunst, zur
heiligen, lenkt von ihr ab, verführt, vergiftet,
tööötet. Aber das ist alles Schwindel, was die
graubärtigen Kunstpauker jammern. Selbst-
verständlich können diese Klebearbeiten nicht
das einzige Lehrmittel zur Kunst sein; aber
sie sind wie das Aufreißen eines Fensters vor
den Sinnen und vor der Seele des Jünglings,
daß das frische , ungekränkte Leben einmal
hineinstürze und unvergeßliche Erinnerungen
einbrenne. Einmal etwas gesehen haben, wirk-
lich durch eigene Augen, es gesehen, genossen,
gemeistert haben, das bleibt als ein Erlebnis
von unermeßlicher Süße und von nie ein-
schlafender Lockung. Daß es an vielem, ja
an allem noch fehlt, um wirklich ein Künstler
zu sein, einer, der dauernd erlebt und dauernd
schafft, das werden die Ordentlichen und
Tüchtigen schon von selbst einsehen. Dies
einsehen zu helfen, ist die wichtigste Pflicht
des überwachenden Lehrers. Da soll er mit
allem Takt und mit zarter Achtung vor der
wilden Pflanze anfangen, sanft zu biegen und
zu brechen ; da soll er anreizen, immer Schwie-
rigeres zu versuchen, um an die toten Punkte
und über sie hinaus zu kommen. Wenn dann
den Klebübungen die ersten Exerzitien mit
dem Pinsel folgen, die ersten Versuche, ohne
Vorzeichnung, sei es aus der Vorstellung, sei
es nach der Natur, Körper in Flächen zu über-
setzen, Flächen in scharfen Konturen zusam-
menzuhalten, dann ist schon der erste Schritt
getan, um die Früchte des künstlerischen Spie-
les für reelle Arbeit zu nützen. i<..b. iikiikk.
NEUE THÜRINGER PORZELLANE.
Wenn es allgemein von jenen, denen ein
wirklich gesundes Wiederaufblühen un-
serer dekorativen Kunst am Herzen liegt, be-
klagt wird, daß an diesem bisher die alten, ein-
gesessenen und eingearbeiteten industriellen
Anstalten so wenig Anteil genommen, ja die-
sem sogar in vielen Fällen aus mancherlei
Ursachen noch jetzt feindselig gegenüber-
stehen, so gilt dies, wie schon an dieser Stelle
mehrfach hervorgehoben wurde, leider in ganz
besonderem Maße für die keramische Industrie,
am allermeisten jedoch für die des Porzellans,
die ja wirtschaftlich bei uns eine ganz hervor-
ragende Stelle einnimmt, sich in ihrer Pro-
duktion im 19. Jahrhundert zu einer ganz er-
staunlichen Höhe emporgeschwungen hat.
Und das, trotzdem es Anzeichen genug gibt,
die deutlich zeigen, daß unsere Zeit wieder
völlig reif wird für eine wirklich gediegene
Porzellankunst, die es mit der der Vergangen-
heit, der des 18. Jahrhunderts wieder auf-
nehmen will! Denn dank der modernen Ma-
lerei ist die Farbenfreude wieder erwacht, die
dem 19. Jahrhundert unter dem Einfluß der
Antike so seltsam verloren gegangen war,
ohne die es aber auch keine wirkliche Freude
am Porzellan geben kann ; es haben sich weiter
dank unserem wachsenden Wohlstand auch
unsere Sitten so verfeinert, daß uns delikatere
Stoffe, wie einen solchen das Porzellan dar-
stellt, schon wieder besonders behagen. Und
auch bezahlen können wir mit Hilfe dieses
Wohlstandes eine solche Kunst, die zwar an
sich für das, was sie bietet, nicht teuer ist,
nur dies bisweilen wegen ihrer so leichten
Zerstörbarkeit erscheint. Warum also bleibt
283
M. A. I'H IIKK l'\l) (II.KIIAKIi M AKKS l'.IKI.I\. MiGII.
Porzellan mit Tnler- und IhercLisiirmalerci. aiisgefuhr
- rnlcrweiilliJ.il
I'iiricll.in mit Unter und ÜlicrKl.isiir-M.ilerei. Ausliiliiunc: Schwnr;linrecr Werkstältcn-Unlcrwcißliacli.
265
.Yenr T/iiii inner PorzrIIaiie.
die all(|einfine Kunst
auf diesem Gebiete
noch immer aus? —
Unter diesen Umstän-
den ist es mit doppel-
ter Freude zu begrü-
ßen, daß jetzt in
Deutschland eine rein
private Anstalt sich
auch entschlossen hat,
ein wirklich künstle-
risches Porzellan zu
erzeugen. Es sind dies
die in Thüringen nicht
weit von Schwarzburg
in Unterweißbach ge-
legenen Schwarzbur-
ger Werkstätten, die,
aus der alten, be-
kannten im 18. Jahr-
hundert gegründeten
Porzellan - Manufaktur
von Volkstädt-Rudol-
M H.\ KU HIER DRESDEN.
stände gekonmien ist,
ist natürlich kein ein-
heitlicher Stil, wie
wir einen solchen
zum Beispiel bei der
Kopenhagener Manu-
faktur oder der Nym-
phenburger zu sehen
gewohnt sind. Aber
gemeinsam ist ihnen
allen ein gemäßigter
Naturalismus, der sich
wieder mehr jenem
Stile nähert, den einst
im 1 8. Jahrhundert der
große Porzellanplasti-
ker Kandier geschaffen
hat, der sich aber
gänzlich fern hält von
jenem der Kopenhage-
ner Manufaktur, der an
sich gewiß seine vollen
Vorzüge hat, jedoch
Stadt hervorgegangen, jetzt unter der Leitung kaum geeignet erscheint, wie es lange drohte,
ihres neuen Direktors Adolf Pfeiffer sich an
diese so verdienstvolle Aufgabe gemacht ha-
ben, und jetzt nach nur ganz kurzer Arbeits-
zeit bereits, wie hier die Abbildimgen zeigen,
gar sehr erfreuliche Resultate aufzuweisen
haben, die zu den schönsten Hoffnungen be-
in unserer Zeit der Alleinherrschende zu
werden. Auch gehen diese Werke, da an
ihnen in der Hauptsache schon wieder Über-
glasurfarben verwandt werden, schon ganz
anders wieder in die Farbe und verheißen
uns so wieder eine wirklich farbige Porzellan-
rechtigen. Freilich, was hier bisher in Angriff plastik, deren Aufkommen bisher die einseitige
genommen worden, ist nur ein kleines Gebiet Verwendung der matten Unterglasurfarben,
des Porzellans; es stellt auch nicht gerade sein zu der jene eben genannte Manufaktur das
allerwichtigstes vor. Es ist die Kleinplastik
Menschen- wie Tierplastik. Aber es besteht
die feste Absicht — und es wird daran auch
schon mit allem Fleiße gearbeitet — auch die
übrigen Gebiete künstlerisch zu bearbeiten,
um so mehr, da auf diesen heute in der kera-
mischen Produk-
tion noch bedenk-
liche Lücken klaf-
fen. — Was bisher
geschaffen ward,
wurde dadurch er-
reicht , daß ver-
schiedenen Künst-
lern Aufträge zu
derartigen Schöp-
fungen gegeben
wurde. Doch ist
der Direktor sel-
ber auch fähig,
derartige Arbei-
ten zu leisten.
Was dadurch zu-
nur zu sehr befolgte Beispiel gegeben, allein
verhindert hat. Ganz besonders erfreulich
aber ist es, daß alle diese Arbeiten relativ
billig sind, billiger jedenfalls als die der be-
rühmten großen Manufakturen und so in
der Tat eine Kunst wieder wirklich populär
machen können,
die schon einmal
eine bedeutende
Rolle in unserem
Kunstleben ge-
spielt hat, dann
aber leider so ver-
wildert ist , daß
sie auf den Namen
Kunst keinen An-
spruch mehr ma-
chen durfte und
darum auch bei
allen Kunstver-
ständigen in starke
Verachtung sank.
Ausführung: Scilwarzburger Werkstatt
IKNSr ZIMMERM.VNN.
2.St.
1- KIEDRICH FESTF.RSEN - BERLIN.
STKINZEUO, HUNT BEMALT.
MiELBEKI' NiEMEVER MUNCHE.N.
Vertrieb: Deulsclic Werkst.!
füK/-ELL.\N. .SCn.M.EN, V.\SEN UNI) LEIH
I (ür Ilamhverkskunst-Dresdcn.
WKINKIHLER IN MKn-,IN(, c.I IKIFlü'
II NM I K \nm: IS Mi;-.MNC. (iF.TRiri;!;:
^AMTMCH AI'S(;i:HHR I VHS DEN HOM ANN-WERKEN, G. M. H. H.. VOHWINKEE (KHEINI \N|i|.
II MI M III \, I i^ilidecken und Kissen mit Maschinenstickerei.
Vcrcinitle Werkstätten fiir Kmisl im H.indwerk. A.-O.. München.
A RHKITHN VON LUDWIG VIERTHALKR.
/v Die Münchner Metallkunst iJenießt heute
internationalen Ruf. Die Verhältnisse waren in
München für solche Kleinkunst unfjeniein fjün-
sti^. Hier sammelte sich der jSroße Fremden ver-
kehr aus dem Norden nach den Alpen und nach
Italien, hier pflej^te man sich mit mehr oder
wenij5er nützlichen Geschenken und Erinne-
rungen zu versehen. Hier saßen auch die
Künstler, die das Gewerbe unablässig mit
einem Strom von Ideen tränkten, eine große
Einrichtungs-Industric gab ständig den Hilfs-
gewerben Verdienst und Arbeit. Auch die
Kunstgewerheschule und die permanente Aus-
stellung des Kunstgewerbevereins nützten viel.
Die Münchner Metallkunst hat einen ausge-
sprochen kunstgewerblichen Charakter, wäh-
rend andere Produktionszweige dort mehr in
den Bann einer derb -bunten „Volkskunst"
geraten sind. Das Muster spielt dort im
Metall die Hauptrolle, der Handwerker steht
zurück hinter dem entwerfenden Zeichner, der
auf formale Einfälle den Hauplwert legt. Dem
einen ist diese phantasievolle, manchmal etwas
überladene Münchner Art sympathisch, einem
andern nicht. Sie ist iedenfalls typisch.
Und einer der besten Vertreter des Münch-
ner Metallstils ist unstreitig Ludwig Vierthaler,
der lange Zeit, anregend und angeregt, dort
gewirkt hat, ehe er nach Berlin berufen wurde.
Seine Arbeiten beweisen aber auch, daß in
die reiche, oft turbulente, geschwätzige Or-
namentierungslust der Münchner mehr und
mehr Klarheit, Sammlung, Disziplin, ruhige
Größe einzieht. Die hier abgebildeten Gefäße
zeigen reine Disposition und durchsichtigen
verständlichen Aufbau. Aller Zierrat dient
organischen Zwecken. Die reizvollen Orna-
mente, die so leicht aus der Technik fließen,
haben alle ihre festbestimmte Funktion , sie
umwinden, schaffen Schwerpunkte oder Aus-
läufer, die beliebten Steinböcke und Fasanen
scheinen oft nur spielende Weiterbildungen
einesHenkels oderGriffes zu sein. .\. i mm \n\.
290
l'ko|.i:.ssi .K kl( IIAKI) KII'MKKM HMlIl MINCHKN.
C.KSiK KTE KISSEN fNIl llKc KKN. VERKI N I( ; IE WERKSTÄTTEN KÜK KUNST IM HVNUVVERK A.-C. -MTNCHEN.
KLEINE KUNST-NACHRICHTEN.
|)|-:zi-:mbi-:r 1909.
'ODERNE SILBERARBEITEN. Eine kleine
Ausstellung im Berliner Kunstgewerbe-
Museum beweist, wie entschieden es mit dem
Handwerk der Gold- und Silberschmiede
vorangegangen ist. Es offenbart sich die
wohl zu verstehende Tatsache: dafj besonders
die eigentlichen Praktiker zu neuen und glücklichen
Resultaten gelangten. Oewig, auch da, wo nach
Entwürfen guter Künstler die Arbeiten sorgfältig
ausgeführt werden, steigen die Leistungen wesent-
lich über das Niveau der Handelsware. Aber
zur vollen Entfaltung kommt ein neues Wollen
doch nur dort, wo Vorstellung und Ausführung,
wo Hirnbild und Handgeschick von einer einzigen
Persönlichkeit geleistet werden. Die Edelschmiede,
sie, die wirklich das Werkzeug regieren, schaffen,
sofern sie empfindsame und innerlich reiche
Menschen, die reinsten und die gesündesten der
neuen Formen. Stücke, wie sie die Fa. Bruckmann,
Heilbronn, nach den Zeichnungen verschiedener
Bildhauer herstellt, sind zweifellos von ausge-
zeichneter Qualität; sie können, wenn der Bild-
hauer tüchtig ist, auch schön sein. Aber der
spezifische Reiz der Materialbelebung, jene un-
verkennbare Atmosphäre, in der das Klirren der
Punzen und Hämmer ewiglich zu tönen scheint,
daran fehlt es. Das treffen wir, wenn wir an das
Geschmeide geraten, das der Darmstädter Ernst
Riegel mit wachen Sinnen und liebkosenden
Fingern komponierte. (Das Wort musikalisch
verstanden.) Diese Atmosphäre des Werkzeuges
treffen wir bei Emil Lettre-Berlin. Der ist
ein fabelhafter Techniker; es dürfte schwer halten
seinesgleichen zu finden. Wie er aus einem
einzigen Stück grofje, bauchige Gefäße zu treiben
weif5, wie er klare Formen aus freier Hand direkt
in das Metall schlägt, wie er dem Silber zu einem
tiefen und reichen Oberflächenschein verhilft, das
ist meisterlich, ganz meisterlich. k. hkkii. r.
Ä
BERLIN. Paul Cassirer hat etwa 40 Gemälde
des Paul Cezanne zusammengebracht,
die er im November und Dezember ausstellte.
Was für ein vortrefflicher Maler war doch
dieser Mann! Man braucht zwar nur ein Bild
von ihm zu kennen, und man begreift darin den
ganzen Menschen. Es sind nur die Energien der
Farbe, die er an den Dingen dieser Welt sieht,
und er betreibt mit einer solchen Unbekümmert-
heit farbige Komposition, dag er über diesem
einen künstlerischen Problem jede Rücksicht auf
die reale Erscheinung der Natur, den primären
Empfindungswert des Stofflichen usw. vergißt.
Dabei aber gelingen ihm doch wunderbare Por-
träts, wie etwa das des Kunsthändlers Valabregue,
den er nur durch Variierung der farbigen Stim-
mung von zwei Seiten seines Wesens zeigt. Und
von seinen Stilleben halte ich das mit der Uhr
und der großen Muschel für eines der schönsten,
die überhaupt je gemalt worden sind, i hi.ndfk.
Ä
Bei Qurlitt sind eben mehr als 60 Gemälde
Hans Thomas (auch Majoliken) zu sehen, die
ihn als guten und als schlichten Maler, immer
aber als einen lieben Menschen zeigen. i n.
Ä
Die Galerie Schulte hatte eine grofie Kol-
lektion von mehr als 100 Bildern Eduard von
üebhardts zusammengebracht. Dieser Maler
hat Ziele, die nicht immer künstlerische sind, und
eigentlich Maler ist er nur in seinen ganz frühen
Sachen, etwa in dem Einzug Christi in Jerusalem
von 1863, dessen qualtrocentistische Farbengebung
man vergißt über der reinen Empfindung des
schönen Erzählens, und dann in seinen Skizzen,
die freilich nach modernen Begriffen schon mehr
als ausgeführte Gemälde sind. Wer eine Studie
malen kann, wie den predigenden Christus für
die Bergpredigt von 1903, die in der Farbe und
im Ausdruck so vortrefflich ist, den darf man ruhig
einen Maler heißen. Im fertigen Bild aber macht
er die Wirkung zu Schanden durch eine sehr
unökonomische Detaillierung des Vorgangs in
Malerei und Charakteristik. So geht es ihm fast
immer, und man wird ihn als Künstler stets nur
nach seinen Studien beurteilen dürfen. Als Mensch
erscheint er freilich in den großen Arbeiten am
reinsten, und zwar als ein nicht gewöhnlicher
Mensch von großem sittlichem Ernst. i . n
Ä
Die Galerie Schulte teilt mit, daß sie für
Januar 1910 eine Gedächtnisausstellung von mehr
als 150 Bildnissen des kursächsischen Hofmalers
Anton Greff (1736-1813) vorbereitet, worauf
man sich füglich freuen darf. i !■
P.
ITALIENISCHE BIBELOTS. Im Berliner Künstler-
haus hat Herr H. St. Lerche aus Rom allerlei
Kunstgewerbliches zu zeigen. Um was es sich
handelt, das sollen einige Diagnosen kundtun.
Es gibt zusehen: Eine Vase, etwa einen Meter
hoch, sie heißt: das Meer. Der Fuß ist ein
2^3
KIcilir K/tii\l-XaiIiriilil(-ii.
dämonischer Fisch aus Bronze mit glasigen Augen ;
um ihn herum spritjen Wellen (auch aus Bronze).
Da hinein sind grüne Achate gebettet. Der eigent-
liche Vasenkörper ist keramisch, die Glasur redu-
ziertes Kupfer, rot zu grün, blau überfangen.
Gegen diesen eigentlichen Vasenkörper ist nichts
zu sagen. Als Henkel bäumen sich zwei Fisch-
weiber, sie sit3en am Mund der Vase, sie brüllen
und schwenken ihr Haar, und alsogleich werden
sie abwärts rutschen. Es gibt ferner zu sehen:
Einen Gegenstand, den der Katalog einen Humpen
nennt. Es scheint ein beschnäbelter Helm zu
sein, als Henkel rekelt sich ein trunkener Knabe.
Den muß man um den Bauch fassen, um das
Kuriosum zu heben. Es ist ferner zu sehen: Auf
einer großen, grünen Schüssel hockt ein rotbrauner
Faun; er trägt in der Rechten ein Püppchen, ein
zierliches Weibchen, das flüstert ihm ins Ohr.
Der Faun grinst. Wer noch? Es ist ferner zu
sehen: In Bronze gegossen, auf den Tisch gelegt,
ein Stück Mutterbrust, mit einem Sänglingskopf
daran. Demgemäß: Herr Lerche ist um einige
Posttage zu spät nach Berlin gekommen; der-
artige Scherze sind bei uns längst überwunden.
Im übrigen sei ihm gern attestiert, daß er einige
Phantasie und einen leidlichen dekorativen Ge-
schmack besit5t Die schlichten Schüsseln und
Schalen, die er nach dem Vorbild persischer
Fayence formt und glasiert, können gelobt werden.
DAS BERLINERKUNSTGEWERBE-MUSEUM.
Es läßt sich jeßt feststellen, daß der neue
Direktor, Otto von Falke, sehr recht daran tat,
mit dem Erbe des alten Lessing nicht gar so
pietätvoll umzuspringen. Es war durchaus not-
wendig, dem neuen Prinzip der Museumsgestaltung,
dem Prinzip der Sachlichkeit, der Echtheit und
der Qualität, gegenüber dem alten der Stimmung,
des Halbdunkels und des theatralischen Effektes
zum Siege zu verhelfen. Es widerspricht durch-
aus dem modernen, historischen Bewußtsein, die
Dokumente der Vergangenheit mit Nachahmungen
oder auch nur untereinander so zu vermischen,
daß ein Gesamteindruck, etwa nach der Art des
Münchner National-Museums herauskommt. Man
will die gesicherten, alten Stücke möglichst vor-
teilhaft und leicht zugänglich ausgestellt sehen.
Man will ferner möglichst große Helligkeit.
Nebenbei erwartet man dann, daß der Konservator,
der Kenner, durch geschickte Aufstellung die
Übersicht erleichtert, und das Bedürfnis der
Sinne geschmackvoll einlöst. Nach solchen
Prinzipien hat Falke das Berliner Museum um-
geordnet. Er hat vor allem für Licht gesorgt,
hat die braunen, aus Stuck imitierten Holzdecken
schlankweg weiß gestrichen, hat auch die Wände
entsprechend behandelt. Dann hat er im all-
gemeinen die Fülle der Objekte reduziert, er
wollte nur das Vortrefflichste zeigen. Und das
Typische. Wenn man jeßt durch das Museum
gehl, empfängt man zwar wenig Romantik, dafür
aber eine außerordentlich reine und präzisierte
Analyse. Sehr instruktiv wirkt der moderne
Saal, den Falke aus den Gläsern, den Keramiken,
den Bronzen und einigen wenigen Möbeln der
leßten zwei Jahrzehnte zusammengestellt hat.
Da sieht man mit leisem Grauen, wie schnell,
wie schrecklich schnell die moderne
Bewegung ihre einzelnen Etappen ver-
leugnet und verschwinden läßt. Vom
Jugendstil garnicht zu reden: wo blieb das
Frankreich der Pariser Weltausstellung, wo
Plumet, wo Galle; wo blieb Tiffany, wo Eckmann,
wo Lalique. Alles vorbei, vorüber. Daraus
folgt, daß es sehr diskutiert werden will, ob
ein Museum modernes Kunstgewerbe sammeln
soll. Geschieht es, dann sollte als Maßstab
immer das Einfachste, das Sachlichste und das
technisch Tüchtigste gelten.
In einem der kleinen Ausstellungsräume werden
uns die Neuerwerbungen 1909 vorgeführt.
Besondere Aufmerksamkeit verdient ein aus-
gezeichnetes Exemplar der von Wedgewood im
Jahre 1792 gemachten Nachahmungen der Port-
landvase. Technisch will der tiefe schwarzseidige
Brand des Kobalt bewundert werden. Auch die
Zartheit der Paste, in der die Figuren aufgelegt
wurden, verlangt Anerkennung. — Ein gutes
Stück der Berliner Porzellanmanufaktur ist die
in Bisquit ausgeführte, lebensgroße Büste Friedrich
des Zweiten (1805); noch feiner und charmanter
ist die kleine Schwesterngruppe Schadows, deren
Modell der Meister nach seinem großformatigen
Werk eigenhändig fertigte. - Viel bestaunt
wird die schlesische Zinnkanne (Breslau 1500),
die bei der Versteigerung der Sammlung Lanna
bis auf 33 000 M. getrieben wurde, k. hkij-fk.
EINE AUSSTELLUNG VON ARBEITER-KÜN-
STEN. Der Fall liegt so: ein sentimentaler
Doktor der Physis und Amateur in Soziologie
entdeckt die kunstdurstige Seele des Proletariats,
steigt zur Tiefe und sucht verborgenes Gold
zu heben. Hallo! Die große Revue. 4000 Stüik
kommen herein. Die Banausen von Berlin W
sollen wenigstens einen Tropfen dieses Unver-
fälschten zu schmecken bekommen. Arrangieren
wir also eine Ausstellung von Künsten dilettie-
render Arbeiter. Zittert, dekadente Kultursnobs,
das unverbrauchte Volk ist da. Schon hört man
die Talente keimen, emporschießen, schon wurden
294
Kleine A ini^t-IVacliriiliioi.
sieben auf die Akademie gebracht, noch
einen Momang-, und die neue Ära beginnt. Die
Kunsiseuche kriselt. Gott behüte, man hätte nicht
so viel Ästhetisches schreiben und reden sollen. In
die Ecke, Besen, Besen! . Der Fall liegt so: daf^
ein vernünftiger Sozialpolitiker mit aller Macht
solchem Pinselunfug steuern müfite. Uleich wie
man die Töchter der Bourgois, die Jungfern, die
auch so sehnsüchtig nach Kunst schmachten, ver-
mahnt: stickt keine Haussegen, kopiert keine Mal-
vorlagen, schneidet nicht Kerben! Statt solcher
herzhaften Warnung die tauben Früchte schwacher
Gefühlsduseleien und mangelhafter Erkenntnis der
Berufs- und Klassenpflichten aufzusammeln und
auszustellen, das helfet: den .MüjVggang prämiieren
und den seufzenden Dilettantismus heilig sprechen.
Die Zeiten der Romantik, da der Hirtenbua Papst,
Kaiser oder gar Maler wurde, sind vorüber. Heute
bedarf es zur Kunst neben des Talentes einer
leidlichen Kinderstube, guter Ernährung und et-
licher Moneten. Man glaubt nicht mehr, daf; just
die obdachlose Boheme das Genie gepachtet
habe. Verbirgt sich wirklich ein Talent dort
unten, so wird es sich schon selbst durchringen
und seine Kraft beweisen. Es ist geradezu dumm,
das Künstlerproletariat künstlich vermehren zu
helfen. Einen Wochenlöhner ob scheinbarer
Gaben aus seinem Beruf zu reißen, zu stipen-
dieren und zur Kunst zu locken, ist frevent-
licher Leichtsinn. Der Arbeiter soll, wenn er
freie Zeit hat, vor allem etwas üben und lernen,
was ihn beruflich fördert und ihn möglicher-
weise in eine höhere Lohnklasse bringt. Er soll
sich bemühen, immer besser den Kosmos der
Fabrik zu verstehen, um so die Funktionen eines
minimalen Rades mit Bewußtsein zu vollziehen.
Oder: der Lithograph vervollkommne seine Tech-
nik, er gehe zur Handwerkerschule und lasse
sich sieben, ob er für das Kunsigewerbe reif sei;
ein Seßer studiere englische Druckwerke und lerne
daran Verhältnisse sehen, er verschone sich je-
doch mit „Landschaft und Akt"! Tüchtigkeit im
Beruf hilft am ehesten zur Arbeitsfreude; selbst-
mörderisch aber ist es, die Pflicht des Tages zu
verfluchen, um dem Phantom einer höheren, gei-
stigen Beschäftigung nachzujagen. Das könnte
sich auch ein jeder von uns leisten; dazu braucht
man garnicht Mechaniker oder Kettenscheerer zu
sein. Welcher Jurist, welcher Arzt, welcher Kri-
tiker wüßte nicht letjten Sinnes etwas Besseres,
etwas Geistreicheres zu tun, als seine Tagesarbeit
es ist. Pflichten sind eben Mühlsteine; alles Mehl
aber muß unterm Mühlstein hindurch. Bleibt dem
Arbeiter reelle, freie Zeit, dann soll er sich zu-
erst um die Lebensfragen seines Berufes be-
kümmern; erst dann sei ihm allgemeine Bildung,
dieser Ballast der natürlichen Vernunft, empfohlen;
(Kunst in seiner freien Zeit genießen, wird
seiner inneren Entwicklung gewiß immer dienlich
sein). Besser täte er, mit offnen Augen und Mutter-
wiß durch die Straßen und über die Felder zu
spazieren. Treibt's ihn dann (es wird nicht oft
vorkommen), seine Eindrücke und Phantasien als
Wort oder Bild niederzukrißeln, sei es ihm ge-
segnet. R. I'.K.
Ä
MODERNE GALERIE MÜNCHEN (Thann-
hauser). Mit Pauken und Trompeten ist
die Neue Künstler Vereinigung München
in den schönen Oberlichtsaal unseres jüngsten
Kunstsalons eingezogen.
Im Laufe des Dezember und Januar bringt die
„Moderne Galerie" folgende Ausstellungen: eine
Serie Kuno Amiet und Qiacometti ; eine Kol-
lektion „Kunst im Dienste des Kaufmannes",
arrangiert von der Münchner Vereinigung für an-
gewandte Kunst; tine Sonder- Ausstellung von
Werken Ulrich Hübners; schließlich junge
Franzosen. Außerdem wird die Galerie während
der Ausstellung der Winlersezession, die Haber-
mann gewidmet ist, zwei Säle von älteren
Habermaimschen Werken vorführen. Was jeßt
schon davon zu sehen ist, spannt die Erwartung.
Moderne Kunsthandlung München (BrakI).
Emil Preetorius, der junge Darmstädter,
ist den Lesern dieser Hefte kein Fremdling.
Eine geschmackvolle, hervorragend feinausgebaute
zeichnerische Begabung; die saloppen, genialischen
Allüren fehlen, dafür bewundert man aber die
kluge und gewissenhafte Ökonomie dieses schönen
romantischen Talentes. Seine feine ironische
Linie deutet die Dinge keck und klar. Sie liefert
von ihnen nicht eigentlich zureichende Darstel-
lungen, sondern treffsichere, knappe und peinlich
ausgefeilte Epigramme. In der ironischen Kunst
des Schattenrisses hat es Emil Preetorius zu
hoher Vollendung gebracht; das beweisen seine
Illustrationen zu dem von Otto Wolfskehl neu
übersetjten „Onkel Benjamin", der im Hypeiion-
verlag zu München neu herausgekommen ist. -
Ein neuer Mann ist sein Bruder Willy Preetorius,
ein Maler von feinstem Gefühl für die Struktur
der Landschaft. Man wird noch von ihm hören.
Wenn man von der Neuen Künstlervereinigung
München, die in der Modernen Galerie zu Gaste
weilt, herkommt, dann betrachtet man Brakls
Van (jogh- Kollektion mit besonderem Interesse.
Hier ist ein sonniger Garten mit vier Menschen,
ein Stückchen Erde von strahlender Schönheit,
eine Arbeit von solcher Meisterschaft, daß sie
-95
Kleine Kiotst-NiwJn iehte)i.
jeden späteren Monat schlägt. Hier ist der Pflug-,
bei dem Millet Pate gestanden hat, gewaltig und
grof;artig in die Farbensprache einer anderen
Zeit umgedeutet. Kurz, hier sind Meisterwerke,
Dokumente einer glühenden, inbrünstigen Seele.
Aber zu Nutj und Frommen der Schwachen, die
aus dem fertigen Werke des Meisters gerne einige
billige Formeln zur Verhüllung ihrer Unzuläng-
lichkeit stehlen möchten, sollte man eine War-
nung daneben schreiben: Pueri , fugite hinc!
latet anguis in herba. u, Miniii.
KOPENHAGEN. Arnold Krog, fünfund-
zwanzig .Jahre künstlerischer Direktor der
Königlichen Porzellanfabrik in Kopenhagen. Die
Königliche Porzellanfabrik in Kopenhagen verdankt
ihren Weltruf zwei Männern : ihrem obersten Leiter,
dem vor einigen Jahren verstorbenen Etatsrat
Philip Schou, und dem Professor Arnold Krog,
in dessen Händen sich seit dem 1. Januar 1885
die künstlerische Leitung der Fabrik befindet.
Die fünfundzwanzigjährige Tätigkeit, auf die Krog
gegenwärtig zurückblickt, darf nicht mit Still-
schweigen übergangen werden in einer Zeit-
schrift, die so oft in Bild und Wort über die
Werke berichtet hat, die von seiner Hand ge-
schaffen oder unter seiner Anleitung und Pflege
entstanden sind - um so mehr, als er infolge
seiner bescheidenen Zurückhaltung - wenigstens
außerhalb Dänemarks - bisher nicht die Aner-
kennung gefunden hat, die seiner ergebnisreichen
Lebensarbeit gebührte. Stand er doch in der
vordersten Reihe der Männer, die das Aufblühen
des dänischen Kunsthandwerks im legten Viertel-
jahrhunderl hervorgerufen haben. Als .'Architekt
vorgebildet auf der Kunstakademie in Kopenhagen,
war er Alters- und- Studiengenosse des Malers
Kröyer und des Erbauers des Kopenhagener
Rathauses Martin Nyrop. Die Eigenschaften
beider, des Malers und des Architekten, muffte
er in sich vereinigen, um seine Aufgabe in den
Arbeitssälen der Porzellanfabrik zu erfüllen. Als
er von Schou zum künstlerischen Direktor erwählt
wurde, lag ihm eigentlich nichts ferner, als Por-
zellan zu dekorieren. Was er hierfür mitbrachte,
war höchstens eine gesunde Abneigung gegen
alles Überladene und gegen die Mifihandlung des
edlen weij^en Materials durch überreiche Ver-
goldung und phantastische Formengebung. Er
überzeugte sich, dafs eine Gesundung nur zu
erreichen sei, wenn man das Material wieder in
seine Rechte einset5en und die Formengebung so
einfach wie möglich gestalten würde. Diese Orund-
anschauungen leiteten ihn bei allen seinen Ver-
suchen. Er legte nicht das Hauptgewicht auf die
Überglasiiminlerei und Vergoldung, sondern be-
296
vorzugte die diskretere Malerei unter der Glasur.
Die F'ormen wurden ihrer modellierten, angeset5ten
Zieraten entkleidet und auf die einfachsten ge-
bogenen Flächen zurückgeführt, die der Malerei
freien Spielraum boten. Für seine malerisch-
dekorative .Auffassung empfing Krog zuerst be-
stimmende Anregungen aus der japanischen Kunst ;
seinen Formenschat5 fand er aber in der dänischen
Natur, deren Flora und Fauna er und seine Mit-
arbeiter bald mehr, bald weniger der Flächen-
dekoration anzupassen, stets aber mit feinem Ge-
schmack darzustellen wuJ3ten. Krog hat sich mit
dem, was er geschaffen hat, nicht nur um die
Wiedergeburt des dänischen Porzellans verdient
gemacht; sein Vorgehen hat auch anspornend
und bildend auf die übrigen Porzellanfabriken
Europas eingewirkt. Sein Name wird daher stets
mit Ehren in der Geschichte der angewandten
Kunst der Neuzeit genannt werden.
Ä
BUENOS AIRES. Internationale Zentenar-Aus-
stellung (Kunst) 1910. Die Arbeiten zur Siche-
rung offizieller Erwerbungen von ausgestellten
Kunstwerken nehmen einen zufriedenstellenden
Verlauf. - Die Regierung wird 460000 Frs. und
die Stadtverwaltung von Buenos Aires 120000 Frs.
hierauf verwenden. Sämtliche 16 Provinzial-
Regierungen der Republik und die Stadtver-
waltungen der größeren Provinzialstädte haben
Erwerbungen von Kunstwerken in Aussicht
gestellt, welche den Stamm für anläßlich der
Zentenarfeier zu gründende National - .Museen
bilden sollen. Bis jet3t existiert in der ganzen
Argentinischen Republik nur ein einziges National-
Museum, welches sich in Buenos Aires befindet.
Auf diese Weise werden die für offizielle Er-
werbungen aufzuwendenden Summen eine .Million
Franken bei weitem überschreiten: auf^erdem
haben sich die großen Vereine und Klubs ver-
pflichtet, größere Ankäufe zu machen, und da
auf den kleineren Privat-Ausslellungen in Buenos
Aires jährlich für über eine Million Kunstwerke
verkauft werden, so dürften schon jetjt Verkäufe
für über zwei Millionen Franken als gesichert
anzusehen sein.
Ä
'ATERIAL-BUCH. Bezugnehmend auf die
Berichterstattung über die Versammlung
des Deutschen Werkbundes in Frankfurt a. M.
möchte Herr Dr. Heinrich Pudor erklären, daß
er nach einer Materialkontrolle geseßlicher Art
strebt, nicht zünftlerischer Art, wenn sie auch
den Zünften (gemeint seien die Innungen) zugute
kommen soll. Ausdrückliche Voraussetjung der
gesetzlichen Kontrolle sei dabei die chemotech-
nische Prüfung.
WILLI GEIGLR- MÜNCHEM-FLORF.NZ.
GEMÄLDK ; AHDALUSIEKIH.
i il.LI GEIGER- MÜNCHEN-FLORENZ.
Kadiening aus der Mappe: Stierkampf
WILLI GEIGER-MÜNCHEN-FLORENZ.
VON GEORG JAKOB WOI.F -MÜNCHEN.
\^
JiWi Geiger trat zu einer Zeit schöpferisch
mit der Kunst in Verbindung, da die
angewandte Ästhetik sozusagen auf einem toten
Punkt stand. Der Sezessionismus hatte sich
ausgetobt und verschnaufte sich gerade nacii
einem erbitterten, schheßhch aber doch erfolg-
gekrönten Anlauf, die konservative Kunst hin-
gegen hatte sich von dem schvi^eren Schlag noch
nicht zu der heute bereits unverkennbaren
inneren Reorganisation erholt und dazv^fischen
hatte sich, als ein Ausfluß der literarisch-philo-
sophischen Richtung der Zeit, etwas breit ge-
macht, für das man die Schlagworte „Ideen-
kunst" und „Künstler-Philosophentum" allzu
bereit hatte; eine überragende Gestalt derdeut-
schen Kunst, ein Genie, an das sich all die Klei-
neren nicht reiben durften, hatte ungewollt diese
nicht gerade glückliciie Erscheinung veranlaßt:
Max Klinger. Die Kritik aber war ob all dieser
Erscheinungen verwirrt, dereine zog dahin, der
andere dorthin. Die ehernen Gesetzestafeln der
Kunst waren zerbrochen, und auf schwanken-
dem Steg über einen ungebändigten Ozean
mußten die Jünger der Kunst hinüberbalan-
zieren in die seligen Gefilde einer reinen Kunst.
Solche wirre Kunstverhältnisse traf vor einem
Jahrzehnt Willi Geiger an, als er begann, mit
eigenen Schöpfungen auf den Plan zu treten.
Er brachte außer seinem damals noch ziemlich
latenten künstlerischen Ingenium als Wertvoll-
stes ein unverbrauchtes, geradegewachsenes
Menschentum mit. Die verweichlichenden,
Eigenart fressenden Einflüsse einer dekadenten
Großstadt-Atmosphäre hatten an iiim nicht
gezehrt. Seine Jugend hatte er, der im Jahre
1878 in der niederbayerischen Provinzhaupt-
stadl Landshut geboren wurde, in dieser köst-
lichen gotischen Stadt verlebt, liebevoll gehütet
^99
Gror'> yakoll ]J'oI/—I\finicIii'>i.
von einem prächlijjen Elternpaar, einem klujicn,
starkhändifien Vater und einer gütis^en, besorg-
ten, lieben Mutter; dort hatte er die Schulen
besucht, durch die gotischen Gassen war er
Tag um Tag gegangen , um die altehrwürdige
Martinskirche hatte er gespielt, und unver-
sehens war von dem gotischen Stadtgeist etwas
übergesprungen auf ihn selbst; das Gotische,
das namentlich in seinen graphischen Früh-
werken lebendig ist, muß man unbedingt auf
solche heimatliche .lugendeindrücke zurück-
führen.
Geiger war nicht von vornherein zum Künst-
ler bestimmt, doch zog man bei der Berufswahl
seine zeichnerischen Fähigkeiten in Rechnung
und dem Willen seines Vaters gemäß, mit
dem er ganz einig ging, bezog er die
Kunstgewerbeschule und das Polytechnikum
in München , um sich für den Beruf eines
Zeichenlehrers vorzubereiten. Und vielleicht
wäre Geiger heute irgendwo an einer Provinz-
lateinschule als braver, tüchtiger Zeichenlehrer
tätig, wenn nicht zur rechten Zeit die rechten
Leute gekommen wären, die das Außerordent-
liche dieses jungen Künstlers erkannten , die
ihm halfen, seinen Weg hinüberzuleiten ins
Land der Kunst. Der alte Lenbach und Stuck,
die um ihre Meinung gefragt wurden, ob Geiger
als Künstler es zu etwas Rechtem bringen werde,
sagten unbedenklich ja, als sie seine Arbeiten
sahen, und so konnte denn Geiger, nachdem
er vorher kurze Zeit selbständig in Venedig
gearbeitet hatte, an der Münchner Akademie
bei Stuck und bei Malm eintreten. Bei Stuck
300
J J m Gckcr-Müm-hcn -Flo
malte er , ohne daß indes seine malerischen
Frühwerke einen wesentlich eigenartigen Ein-
druckhättenvermittelnkönnen, bei Halmlernte
er das Radieren, dessenTechnik er bald spielend
beherrschte, und hier ist das Gebiet, wo er
bisher seine größten Triumphe feiern konnte,
wiewohl es für den Kenner Geigerscher Kunst
keinem Zweifel unterliegt, daß auch seine emi-
nente malerische Veranlagung über kurz oder
lang in einer bezwingenden Leistung sich vor
der breitesten Öffentlichkeit bekunden wird.
Das erste Werk , mit dem Geiger die Auf-
merksamkeit der Kunstfreunde auf sich lenkte.
war ein Zyklus von zwanzig Tuschzeichnungen,
der unter dem literarisch angehauchten Titel
„Seele" im Jahre 1903 im Selbstverlag des
Künstlers erschien. Auch Geiger brachte mit
diesem Werk seinerZeit und ihren verworrenen
Anschauungen von Kunst den üblichen Tribut
dar; nicht alles daran, das weiß ich gewiß, würde
Geiger heute noch als vollgültig unterschreiben.
Und doch, nimmt man ein Blatt ums andere
aus dieser Mappe , so wird man mit Staunen
gewahr, daß sich hier nach Abstraktion des
Stofflichen, der Idee, der Allegorie, die leicht
überwucherte, bereits das phänomenale In-
i U,l.l GtluhK MUM HEN.
Kadicruiij;; l)ie l'auaL>>. Aus Uci ilapiic; »-Liebe«. Selbstverlag.
]]'///i (Icii'cr—.Miiinlh-ii-I-'loiciiz.
j«enium Willi Geiger in ganzer Wirksamkeit
zeigt. Ein unergründlicher Pessimismus peitscht
durch diesen Zyklus. Das Weib, dieses immer
wiederkehrende Grundmotiv Geigerscher
Kunst, das sinnliche Weib, okkupiert auch
hier schon seinen Platz. Rein bildkünstlerisch
angesehen, ist die Mehrzahl der Blätter noch
nicht ganz reif, aber Einzelnes steht doch auf
einer Höhe , die keiner von Geigers Mit-
strebenden bisher erreicht: ich erinnere an das
Blatt „Der Walzer" ; es ist ein grandioser Aus-
druck todtrauriger Lustigkeit. Das ist über-
haupt der Grundzug dieses Zyklus: himmel-
hochjauchzend — zum Tode betrübt. Aber
nicht als ob man das wie inneren Widerspruch
empfände, vielmehr verspürt man; hier ist die
abgründige Melancholie eines vlünglings am
Werke. Er ist melancholisch nicht aus deka-
denter Langeweile, sondern weil er mit dem
spröden Ich einen harten Kampf führen muß;
das macht ihn auch zum Pessimisten, und wenn
zwischenherein das Laclien grillt, das sinnlos
gierige, wilde .lungmännerlachen, so wirkt es
nur schaudervoll in seinem herben, strengen
Kontrast . . .
LJnd doch war Geiger in jener Zeit nicht
aller guten Geister, nicht einer gewissen inne-
ren Gehaltenheit bar; er ist eben eine schwer
zu fassende, psychologisch nicht immer durch-
sichtige Individualität wie alle innerlich Rei-
chen, die nicht von vornherein auf ein ge-
wisses Schema sich festlegen, sondern in bei-
nahe schrankenloserUngebundenheit ihrEigen-
wesen schalten und walten lassen. Fast gleich-
zeitig mit der „Seele" ist eine Serie getuschter
Landshuter Stadtbilder entstanden, brillante
Zeichnungen, die auf handgroßen Blättern die
Seele dieser gotischen Stadt einfangen. Frei-
lich, solche Arbeiten sind im Gesamtwerk
Geigers nur harmlose Intermezzi, Ausflüsse
sorgloser, sonnenschwerer Ferientage, die er
in dem trautbürgerlichen väterlichen Hause in
der oberen Altstadt zu Landshut verlebt. . . .
Im Lebenswerke Geigers kann die Mappe
■' ii .ij(it 'i>*Ma)i
xvii.i.i okuu;k Ml m ukn. k.vdikkum;: vi:m s iiiki
—\ —
/ / '//// Geisel —Mfiiiclicii - Florenz
Ä* fl^^*.- y Wio-K ,^
wii.ij <;eu;ek mi'nchkn.
„Liebe", zehn Radierungen in glänzender
Technik , einen bevorzugten Platz bean-
spruchen. Die zwei Jahre, die zwischen
dem Erscheinen der „Seele" und der „Liebe"
liegen, sind die entscheidenden in Geigers
Entwicklung. Da ist er, wie der erste Blick
lehrt, viel gegenständlicher geworden. Denn
das sind keine Allegorien mehr, sondern
Lebensausschnitte, die freilich zu symbolischer
Eindruckstiefe gesteigert sind. Man empfindet
das Lebenssymbol, wenn man die „Duell-
pause" betrachtet oder den „Kuß" und be-
sonders das grauenvoll-groteske Blatt „Die
tausendste Brautnacht", das auf mich immer
die schreckliche Wirkung ausübt, als lauere
irgendwo versteckt das scheußliche Gespenst
der Blutschande. Die „Liebe" zeigt Geiger
innerlich erstarkt, gefestigt, auch technisch ge-
reift. Aber immer noch liegt es wie schwere
I räunierei über seinem Werk, und der Traum,
K.ndieiiing aus Der SLiork.inipf . Selbstverl.i[i
der stets aufs Neue zu ihm tritt, heißt ; Weib.
Es ist der gellende Ruf der Salome, der immer
wieder schrill seine Chopinschen Traumlieder
zerreißt. Im „GemeinsamenZiel", einer privat
erschienenen, nur einem kleinen Freundeskreis
zugänglich gemachten erotischen Mappe, ist
dieser Ruf der Salome in aller Ungebunden-
heit künstlerisch fixiert. Der Kampf mit dem
Weib, der das eigentliche Element der Geiger-
schen Kunst in ihrer Frühzeit ist, wird hier
von einem ganz anderen Standpunkt aus ge-
führt : Geiger steht nicht mehr mitten drinnen
im blutigen Handgemenge, sondern sieht ihm
— um mich eines ziemlich verbrauchten Aus-
drucks zu bedienen — „von hoher Warte aus"
zu und registriert mit einem ganz leisen, linden
faunischen Lächeln seine sexuellen Gesichte.
Zeichnerisch hat er diese I^lätter, die, wie es
spöttisch auf dem Titelblatt heißt, in der „hei-
ligen Stadt" Rom entstanden sind, später nicht
J f '////' Gciori —Miiinl/rii - Floicii :
mehr überboten; sie sind schlechthin meister-
lich, nicht nur in ihrem Genre, sondern im
ganzen Komplex moderner graphischer Kunst.
Viel zu wenig beachtet wird ein anderes
Werk Geigers, das in erstaunlich kurzer Zeit im
Jahre 1906 in Tunis entstand, Originalzeich-
nungen, die unter deniTitel „Aphorismen" in
einer Mappe gesammelt wurden. Es ist auf-
fallend viel Humor in ihnen, namentlich viel
Tierhumor, der in allen Farben schillert. Kom-
positionen sind diese mit einer echten, stili-
stisch derb vereinfachenden Geigerklaue hin-
gesetzten Zeichnungen von schönster Rundung,
wohlverstanden: nicht im Sinne wohlgeschnie-
gelten akademischen Linienschwungs mit süß-
licher Nazarenerweichheit , sondern im Ver-
stände wohlüberlegter Raumausbalanzierung,
die sich auch mit Geigers charakteristischen,
gotisch hageren , eckigen Gestalten herbei-
führen läßt.
Die beiden jüngsten zyklischen Werke des
Künstlers zeigen Geiger auf neuen Wegen.
Im einen läßt er alles Ideenhafte, selbst den
leisen Märchenzauber, der uns bei den „Apho-
rismen" begegnet, weg und beschränkt sich
darauf , uns in strenger Gegenständlich-
keit die verschiedenen Phasen eines „Stier-
kampfes" zu zeigen. Er selbst hatte in Sevilla
JK^«
Aviij.i (,i:i(;i.:k müxchex.
KAIIIl.KrNC, ATS DKk MAPPE: t.IKBE«.
\Villi Gciocr—l\'Ifniclicii-F!orenz.
WILLI GEIGER-MUNCHEN.
mancher Corida angewohnt und unter Toreros
sich umgetrieben; dazu kam Goyas Einfkiß,
und mehr und mehr reizte es nun Geiger,
diese bUtzschnellen Bewegungen, diese ab-
sonderhch geschwungenen Kurven mit der
Nadel festzuhalten. Der Farbe, der zitternden,
bunt ineinander fließenden, zu einem selt-
sam berauschenden Bouquet sich mischenden,
mußte er freilich bei der Mehrzahl dieser Ra-
dierungen entraten. Immerhin hat er zwei
davon in großem Format in Farben radiert,
und ich stehe nicht an, in ihnen die besten
Arbeiten Geigers auf diesem Gebiete zu er-
kennen. Die einfarbigen Radierungen des
„Stierkampfs" haben mit Goyas Stierkampf-
Grotesken nur das Motiv gemeinsam. Im üb-
rigen sind sie viel sachlicher, weit mehr auf
eine reale Basis gestellt. Die Bewegung wie-
derzugeben ist ihr hauptsächlichstes Streben.
Man muß sehen, wie Geiger das macht, z. B.
bei dem gefährlichen Moment, da der Torero
Das hohe Lied«, llhistration.
mit blitzschneller Behendigkeit den Stoß des
Stieres in das rote Tuch abfängt. Eine gewisse
Nervosität des Strichs, die allen Arbeiten
Geigers eigen, ist gerade hier am Platze —
das Blatt ist von wundervoller Eindruckstiefe
und Überzeugungstreue. Andere der Stier-
kampf-Blätter sind überraschend durch ihre
Raumkomposition. Irgendwo, in der rechten
oberen Ecke oder links oben am Plattenrand,
spielt sich eine bewegte Szene ab; die anderen
Partien der Platte sind, wenn auch technisch
leicht durchgearbeitet, gegenständlich ganz
leer. Aber der Eindruck der Leere ist doch nicht
da. Vielmehr scheint es, daß hier der Sand
der weiten Arena brennt, und die Gesanit-
wirkung erhält die schönste, zügigste Groß-
räumigkeit, die man sich wünschen kann.
In dem anderen Werk der Reifezeit, den
„Verwandlungen der Venus", zehn Radier-
ungen zu Richard Dehmels urweltgroßer Rhap-
sodie, war Geiger vor eine ungewöhnliche
ZEICHNUNG AUS APHORISMEN«.
ZEICHNUNG AUS : APIIORISMEX«.
MW^if fpürl'Mimft/ , fh-nr^ir/ti^af:'
ZEICHNUNG AUS APHORISMEN
'f/lifV,i'Sifi;<H»l^ yf , & iürxf^ß-.
ZEICHNUNG AUS APHORISMEN
/1Vir.f>^t'/^
WIII.I r.KIf.KR MU.NCHKN. KX IJISKIS. /EICHXUNGEN.
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Uli I I (11 IGKK MINCHEN. EX 1, IURIS. ZEICHNUNGEN.
EX LIBRIS FÜR
FRANZ V. STUCK.
Wn.U CEIGEK-
mCnchen.
VO N ^
i'y
U'/I/i C] ei ;>(•>■— Mini dir )i-FIorL')iz
Aufgabe gestellt: hier mußte er seiner unge-
stümen Phantasie Zügel anlegen; wenn er sich
auch nicht subordinierte, so war es doch nötig,
sich zu koordinieren. In den Motiven wenig-
stens mußte er mit Dehmel, der freilich ein
ihm nahe verwandter Geist ist, einig gehen.
Man hat es also bei diesem Zyklus sozusagen
mit einem Illustrationswerk zu tun, freilich mit
einem ganz besonderer Art, auf das die gute
Deutung, die Hans Wolfgang Singer für die
neue Illustrationskunst prägte, zutrifft : Der
Graphiker sucht des Künstlers Ausgangspunkt
und sein Ziel zu erfassen und die gleiche
Wirkung auf gleicher Grundlage mit den ihm
eigenen Mitteln der Linie, Fläche und Form
zu erreichen . . . Durch Dehmels Rhapsodie
geht eine schwüle Erotik, die nur manchmal
zerreißt und ein Stück heiter lachender, tief-
himmelblauer hellenischer Liebesseligkcit auf-
blitzen läßt. Das so situierle Thema ist Geiger
durchaus gemäß, denn wie im ersten Augen-
blick, da er sich schöpferisch der Kunst nahte,
brennt heute noch, wenn auch dem ober-
flächlich Zusehenden nicht sofort klar ersicht-
lich, in seiner Kunst die Erotik, ein heiliges
Feuer, bald aufsteigend wie eine mächtige
Johannislohe, bald traut, „intim", als prassele
ein liebes, leise summendes Herdfeuer. . . Das
Sprunghafte des Themas kam Geiger nicht un-
gelegen, da es ihm die Möglichkeit bot, mit
seiner ganzen Vielseitigkeit zu brillieren, von
pathetischer Dekoration (Venus Mors) bis zur
durchgeistigten Intimität (Venus socia), von
phantastischer Groteske (Venus perversa) bis
zur edlen Klarheit, die aufbraust wie Orgel-
klang in einer weiträumigen , ganz men-
BESITZ DES :
WILLI GEIGER MÜNCHEN.
KADIKRUNG: -> DER DURST .
iriv/i Gc
- J\füi/c/ieii-F/oiY)iz.
schenleeren Basilika (Venus mater) ... —
Das sind Geigers Hauptwerke, die Leucht-
türme auf seiner Fahrt über den zischenden
Kunstozean. Nach ihnen müssen wir unser
Urteil über den Künstler orientieren. Aber
CS wäre total falsch, daneben die kleineren
Arbeiten Geigers, die Einzelblätter, Exlibris,
Gelegenheitsarbeiten etc. gering zu werten.
Ist doch Geiger weiten Kreisen gerade durch
seine gezeichneten und radierten Exlibris be-
kannt geworden, gilt er doch heute mit Recht
als einer der besten deutschen Exlibriskünstler.
Und doch — das sind für ihn nur Gelegen-
heitsarbeiten, und sie haben alle Vorzüge,
aber auch die Mängel solcher Gelegen-
heitsarbeiten. Die Intimität, die Frische, das
Spontane, das ist vielen solcher unter der
Gunst einer guten Stunde entstandenen Ar-
beiten eigen, manchmal freilich verspürt man
dann auch ; hier fiel dem Künstlernichts Rechtes
ein und er begnügte sich mit einer geschickten
Dekoration — kein Wunder; Geiger hat mehr
als hundert Exlibris entworfen, und viele für
Leute, die ihn nichts angingen, von denen er
nichts wußte. Hat er aber für seine Freunde
Exlibris gezeichnet oder radiert, so wurden
es immer Kabinettstückchen leise ironischer
Charakterisierung; da traf er den Nagel stets
auf den Kopf. Unzählig ist die Reihe derKarten,
Einzelblätter, Illustrationen, Buchschmuckar-
beiten etc., die im Laufe eines Jahrzehnts
Geigers nimmermüdem, stets wieder originel-
lem Stifte entglitt. In den Mappen der Geiger-
sammler häuft sich heute schon ein Schatz
halbvergessener Arbeiten ; Lithographien für
das Künstlerfest „Elenden-Kirchweih", ein
Plakat für die Zeitschrift „Freistatt", das
wundervoin geschmückte Heft „Frühling", in
dem eine Schar begeisterter junger Münchner
Dichter junge Lyrik verzapfte, und das Geiger
mit teilweise bunten, prächtigen Zeichnungen
ausstattete, ferner Illustrationen für das Witz-
blatt „Auster" und neuerdings für die „Jugend",
Karten zu Festen, Ansichten von München,
gelegentliche Porträtzeichnungen, Variete- Gro-
tesken und endlich radierte Einzelblätter; zum
Teil farbige Nachschöpfungen berühmter Ge-
mälde von Velasquez und Goya, zum Teil Ori-
ginalradierungen wie „Der Durst", ein herbes
Blatt, das einer akademischen Konkurrenz
seine Entstehung verdankt, wie das Blatt „ Ver-
sailles" mit seiner unvergleichlichen Wieder-
gabe der großen Fontaine.
Geiger der Maler ist ein Kapitel für sich,
wenn auch seit dem spanischen Studienjahr
des Künstlers manche Fäden sich hinüber-
spinnen zu Geiger dem Graphiker. Dasfrüheste
Bild Geigers entstand in Venedig; ich erinnere
mich seiner noch gut ; rote Chioggiasegel vor
der schweren Lagune ; es war eine etwas zähe,
breiige Malerei. Bald darauf sah man einiges
in der Münchner Sezession, z. B. ein paar
Pferde, eine Landschaft. Dann trat eine Pause
in der malerischen Produktion ein, denn die
in Stucks Atelier nach dem gestellten Modell
gemalten Akte wird man doch nicht wohl als
Ausflüsse persönlicher Kunst gelten lassen
können. Bis einmal zur guten Sommerszeit
Geiger ein Malrausch packte. Er war bei
einem Verwandten auf einer niederbayerischen
Mühle zu Gast, und da brach ein wahres Mal-
fieber los. Es entstanden ungemein frische
Landschaften, derb angepackt, keck aus der
Natur herausgeschnitten, „herausgerissen",
um mit Albrecht Dürer zu sprechen. Und
ähnlich packte es ihn einige Jahre später in
Spanien. Da hatte er fleißig Velasquez und
Goya im Prado kopiert, und darüber war ihm
eine neue malerische Welt aufgegangen. Die
Farbigkeit des Landes und ein gelegentlicher
Abstecher in die sonnenflirrenden Lande Nord-
afrikas taten das Übrige. Es sind Bilder, die
mit der herben Geigerschen Linie eine be-
rückende Farbenpracht, eine zündende Licht-
fülle verbinden. Und auf diesem Felde liegen
für Geiger noch Zukunftsmöglichkeiten, wenn
er auch im tiefsten Kern seines Wesens wohl
immer ein Graphiker bleiben wird. . .
Willi Geiger ist heute wenig über dreißig
Jahre alt, und erst ein Jahrzehnt ist darüber
hingegangen , daß er uns seine Kunst in
ihren Äußerungen kennen lehrte. Ein Jahr-
zehnt voll Arbeit und Kampf, voll Mut und
Schmerz, voll innerer und äußerer Erfolge.
Auch äußerer, gewiß; denn als solche muß
man es ansehen, daß Geiger den Schackpreis
der Münchner Akademie erhielt, der ihm einen
je einjährigen Aufenthalt in Italien und Spanien
ermöglichte; daß ihn neuerdings der deutsche
Künstlerbund mit dem Villa Romana-Preis
auszeichnete, der ihn als Stipendiaten auf ein
Jahr nach Florenz zu ernster Arbeit führte.
Geiger ist heute ein innerlich Gereifter, aber
seine Kunst ist noch lange nicht erstarrt, hat
sich noch nicht irgendwie bindend festgelegt,
ist noch nicht auf die herkömmliche „persön-
liche Note" eingestellt. Noch wächst es, dehnt
es sich in ihm , immer weiter tut sich der
Horizont vor ihm auf. Und so wollen wir denn
getrost der Zukunft eines Künstlers harren,
auf den schon die Gegenwart mit Stolz und
Bewunderung blicken darf. — w.
H. Lan'j-Daiioli .
ShV KOGAN MÜNCHEN.
MOYSSEY KOGAN-MÜNCHEN.
Menschenbild, das icli su innig hebe,
Vermächtnis habe ich Dir zu lassen,
singt heut seligleise mir im Blut .
iVtondjerl: Der Denke
Bestünde nicht Hoffnung, daß die Schöp-
fungen Kojians selbst die Gabe der
Rede besitzen und in dem musikahschen
Rhythmus, der sanften Schönheit ihrer Linien
sich unmittelbar jeder empfänglichen Seele
mitteilen, — daß beide, der Einfache und der
Vielfältig-Veranlagte, in ihnen ein Gemein-
sames, Beglückendes finden werden, so er-
schienen alle begleitenden Worte unnütz.
Begeisterung und — Sachlichkeit sind beide
gleich zwecklose Anwälte echter Kunst ! Und
doch bedürfte es zweier Flrklärungsweisen,
zweier Sprachen, um mitzuhelfen, daß auf die
Werke Kogans endlich die Aufmerksamkeit
gelenkt wird, die ihrer Bedeutung zukommt.
Unterhaltsam berichtend für die Vielen:
Seht da ein homo novus, ein Begnadeter, der
seit .lahrcn, von Wenigen erkannt, in Euren
32^1
Mauern weilt und dort eine zweite Heimat
fand. Ein Sonderling, dem die Kunst nicht
die „melkende Kuh" ist, ein Narr, der, als ihm
vor Jahren zur Zeit der schwersten Entbehrung
von erkennender Seite ein Auftrag zuteil
wurde, der ihm die ungestörte Arbeit zweier
Jahre ermöglichte, — weinte, weil seine Kunst
um Brot ging. Ein ganz Unverbesserlicher mit
staunenswerten Idealen, dem es nur um die
Kunst selbst zu tun ist, ein Weltschmerzlicher,
mit Heilandsgedanken für die Menschheit.
Mit keinem Schlager tritt er auf den Plan.
Sondern mit kleinen Plaketten und Medaillen,
an denen auch der offizielle Kunstverständige
achtlos vorübergeht. Unvollendet stehen in
schmerzlicher Schönheit seine Marmortorsi ;
— dazwischen reiht sich Tafel an Tafel : ein
Spiel edler Körper — Gedichte in Wachs —
Hloyssi'v Kaija)! -Rlüiiclioi.
Mui.sbEV KÜGAiN — MÜNCHEN.
alle im Negativ geschnitten, Schöpfungen
die darauf warten, in Gold und im Edelsten,
was die Erde bietet, festgehalten zu werden.
Ein einziger, der berufen scheint, die Wieder-
geburt der Gemme einzuleiten; man be-
denke: „konkurrenzlos!" Doch er hat keine
Muße zur Ausführung, ihn interessiert nicht
die kunstgewerbliche Anwendung und Ver-
arbeitung, er ist immer ruhelos, „innerlich voll
von Figur", das sind ihm alles nur Übergänge
zu Größerem, Bevorstehendem. Nur ein paar
Medaillen in Stahl geschnitten, ein paar Ver-
suche in Halbedelstein, dann weiter.
Seine Werke weisen eine wundersam stetige
Entwicklung auf, die Bürgschaft großer Zu-
kunft. Vereinzelt steht am Beginne seiner
Laufbahn eine Plakette: ein Greisenkopf nach
Dürer. Noch ganz Hochrelief, noch ganz
„Ausdruck", aber mit einer subtilen, die For-
men gleichsam liebkosenden Kraft modelliert.
Ein „Drama" war unter den ersten Entwürfen,
ein Grabmal, Gedanken zu einem Freiheits-
denkmal, Äußerungen einer leidenschaftlichen
Seele, die an fremdem Gram teilnimmt. Dann
tauchten Probleme auf, das Bewußtsein der
Kraft und der Schöpfungsdrang, mehr zu geben
als alle anderen. Und mit Zeiten eiserner
Schaffenskraft wechseln Perioden tiefster
Schwermut und Einsamkeit. Die stolze Freude
und die ewige Unbefriedigtheit des Großen
an den eignen Geschöpfen, das geniale Fort-
schreiten zu immer neuen Gestaltungen, —
das charakterisiert auch Kogans Künstler-
tum. Ein Marmor: „Schmerz", ein klassischer
Rückenakt, ein frühlinghafter Mädchen-Torso,
entstanden neben Plaketten wie die „Vision",
jener wundersamen komplexen Einheit dreier
Körper. Trotz ihrer traumhaften Konturen
bieten diese Reliefs nicht „malerische", son-
dern die echte Plastik der Wölbungen und
Höhlungen mit strenger, innewohnender Archi-
tektur und neugeformten Raumhcziehungen.
Friesartig beginnen dann die Plaketten sich
zu dehnen. Ein Symphonisches klingt in ihnen,
ein Hervorquellen und Versinken in ewig le-
bendiger Eurhythmie. Ein Vergleich der „Ver-
MdV.sM'A KciCAN Ml N( HI-N.
ri.AKElTE.N: UAS GOI.UE.N'E ZEITALIEK
OllEX: „DIE KUNST . EIN i;KAHMAl_ . WEKUrNi; . f.NIT N: UHVIHMISCHE STUDIEN-. JIOENI
MliSssK\ Kc_><;AN Mi-M HEN. M I I > \ 1 M F N IM 1 IM. AKFTTEN.
MnVsM \ Kl .I.W MUNXHEN.
PI-ATCF.TTKX: DAS COI-DENE ZEITALTER
OHKN: -DIE I.IME«. DI-.K lAN/. . UNTEN: » »ER RHYTHMUS«. SDIELIKBE
,\U)Nsm;v kiic;an mCm hin. mkdaui.en unh n.AKETTEN.
//. Ia\
- Daiioli
MOVSSEV KOGAN- MÜNCHEN.
Relief: X'ergangenhoit ^
gangenheit" mit Dauniiers „Les Fugitifs" be-
lehre über die Weiterführung dieses Problems
innerhalb der Plastik. — In fortschreitender
Entwicklung beschränkt er, unter scheinbarer
Opferung anatomischer Muskelkenntnisse, die
Modellierung der Körper auf das Äußerste.
Eine Primitivität der Reife spricht aus seinen
heutigen Werken, eine enorme Konzentration
des Lebens und des Ausdrucks in die Fläche,
die dennoch von der geheimnisvollen Atmo-
sphäre endloser Raumtiefe umspielt ist. Wun-
derbar lebendige Intensität vibriert in diesen
Gestalten, in denen der Geist ganz Körper und
der Körper ganz zu Seele entmaterialisiert
ward. Von Kogan gilt das Wort, er könnte
seine Akte mit dem Fingernagel auf eine Schuh-
sohle ritzen und es würden dennoch Men-
schendaraus. — „Primavera", „Die Werbung",
„Das goldene Zeitalter" sind Schöpfungen
der letzten Zeit. Wie bei Marees sind auch
diese Gestalten nicht zusammen „komponiert",
sondern selbständige Individuen, gebunden
durch eine latente Einheit „im inneren Geist".
Echte Synthese liegt in dieser Verinner-
lichung und Bannung aller äußern Dramatik in
den umgrenzten Raum und die beseelte Kontur,
deren Rhythmus sich in klassische Gesten von
der Schönheit attischer Grabmäler verdichtet.
Und CS begibt sich, daß die Plastik dieses Welt-
fremden plötzlich diejenige wird, die unseren
„Bedürfnissen" entgegenkommt. Plastik, die
Beziehungen zum Raum hat , die einen
„Zweck erfüllt". . . Wo aber ist der Künstler,
der diesen Kostbarkeiten die würdige Fassung,
den rechten Rahmen zu geben verstünde? —
Und dann: die Plaketten (es sind nur wenige
Bildnisse darunter) enthalten nichts aktuelles
und nichts geläufiges, sie sind nichts für Samm-
ler „berühmter Persönlichkeiten" und billiger
Bibelots, sie geben nur Schönheit, und Schön-
heit ist heute kein gangbarer Marktartikel . . .
Man müßte vielleicht ferner von dem Künst-
ler selbst plaudern, daß das Kind schon aus der
weißen Kreide des heimatlichen Bodens, — in
Südrußland , — Köpfe schnitzte , daß seine
Mutter ein Steppenkind und schön war und
süß melancholische Lieder sang. Von seinem
wechselnden Werdegang berichten, dem ent-
scheidenden Eindruck in der Elfenbeinsamm-
lung des National-Museums und dem Entstehen
der ersten Meisterplakette. Wie er den offenen
Armen der Akademie schnöde entwich; von
seiner bisher unerfüllten Sehnsucht nach Rom,
daß er, von Rodin erkannt, Mitglied der Jury
des Herbstsalons in Paris wurde, und nun im
Folkwang-Museum im stillen Hagen schaf-
fend, Gelegenheit hat, als Lehrer von seiner
reichen Fülle in empfängliche Herzen zu säen, . .
328
■J^ii*«***"'-^ <
. I /<7i 'ssn ' Kooan — Mii uchen.
Und dann müßte man vor einem kleinen
Kreise Williger und Andächtiger weiter
sprechen: Lust ist tief, sie erscheint wohl dem
Kranken als Grund der Welt; tiefer aber noch
ist der ewige Schmerz, der keine Rückkehr zu
sich selbst ersehnt. Der Urschmerz der Nacht,
die von Ewigkeit her das Licht gebärt, der
Drang des Tierisch-Trüben, der schmerzlichen
Sinnesliebe nach Läuterung , nach Reinheit.
SehthiereinenKünstler! DasMysterium einer
Seele, die unter der Last eigener und fremder
Qual leidend, stets ihrer „obem Melodie"
lauschend, unbesiegt den Prüfungspfad zur
Klarheit durchschreitet.
Ein Überwindender, der die Geste der qual-
vollen Mundwinkel, der mit der Hand schmerz-
lich gekrampften Brüste zu leisem Lächeln löst,
der seine von jeder dunklen Leidenschaft be-
freiten Gestalten in lichte Hüllen kleidet, einen
seligen Reigen von Menschen in Zwiesprach
der Seelen erschafft, Schatten eines Ge-
schlechtes, das wir erst erträumen.
Neben Minnes Asketen-Inbrunst, neben
Maillols Freude und Bourdclles Kühnheit gibt
Kogan leidgeborene Schönheit. Nicht
gotisch, nicht ägyptisch, noch griechisch sind
seine Geschöpfe, sondern Wesen unseres
Blutes, aber zeitlos geworden, jener edlen
Einfalt und stillen GröCe genähert, Geschöpfe,
die beglücken, die „lächelnd und erhobenen
Hauptes besehen werden können".
Es ist heute, da nur die Oberfläche an sich
aktuell ist, wohl verfrüht, von einer Kunst
zu reden, die, wie jene Raffaels, im tiefsten
Sinne „organisch", von der durchgeistigten
Oberfläche aus die Perspektive in ein unbe-
grenztes Ideal gestattet. Und doch besteht
Hoffnung, daß wir einer solchen Kunst ent-
gegengehen, die ein allen gemeinsames Be-
glückendes birgt, — daß wir mit neuen Augen
solche Gesichte eines „Goldenen Zeitalters"
sehen werden. Ich erinnere an die Worte
Rodins: „Wir sind heute zu gequält, aber wir
werden zu dieser Kunst starker Gesundheit
zurückkehren und das wird der Stil zukünftiger
.lahrhunderte werden". ii. i am^ii.vm'I r
I.^
HEENKICH VOGEI.EK WORPSWEDE.
Federzeichiiunp
HEINRICH VOGELER-WORPSWEDE.
HAM'KK I'.REMEN.
ES war schade , daß Worpswede zum
Schlagwort wurde, denn aus seiner Mode-
berühmtheit von 1895 konnte jeder Kundige
schon damals schließen, daß zehn Jahre später
die Spatzen sich erzählen würden , Worps-
wede sei tot und endgültig überwunden. Das
neue Schlagwort ist nicht besser als das alte
und um nichts richtiger. In diesen letztver-
gangenen Wochen hat die Nachlaß-Ausstellung
Fritz Overbecks in der Bremer Kunsthalle uns
davon überzeugen müssen , welche unver-
brauchte Kraft und welche erfrischende Größe
in der schlichten Natur-Auffassung lag. Und
wenn die Übrigen Jahre gehabt haben , in
denen die Fruchtbarkeit ihrer Produktion
größer gewesen ist als ihre schöpferische Kraft,
so ist doch unser Vertrauen in ihre Kunst
darum nicht geringer als damals, als ihr Ruhm
neu und ihr Wollen original schien.
Am wenigsten wird man Heinrich Vogelcr
gerecht werden , wenn man ihn mit dem
Schlagwort von der Worpsweder Mode heute
preist oder morgen gering schätzt, l'reilich
warerauchniemalsmit den Äußerlichkeiten der
Moorlandschaft am Weiherberg so verknüpft
wie die übrigen , die Landschafter. Er hatte
vom ersten Tage an seine besondere Art, die
Menschen und Dinge um sich her zu sehen.
Die einen sagten, wie sonderbar; die andern
nannten es gewollte Naivität ; und erst wer
den Menschen kannte , der verstand den
Künstler, der fühlte, daß dieser Mann nur so
und nicht anders malen könne; denn so sah
die Welt aus , die er in seinem Herzen trug.
Es gibt nun einmal Menschen , die am hell-
lichten Tage Märchen träumen , und man tut
gut daran, sie nicht zu stören. Sie sehen die
Madonna und Rittersleute und Quellnymphen
leibhaftig und alle Tage vor sich , und haben
recht, wenn sie uns nicht glauben wollen, daß
all das nur triviale Alltagsmenschen seien.
Und Vogeler ist eines von diesen Sonntags-
kindern , denen die Welt sich mit Wundern
auftul überall , wo sie gehen. Und weil
Mensch und Künstler in ihm immer und selbst-
verständlich eins gewesen sind , so kann er
Heinrich Voor/er— IVnr/'swedr.
HEINRICH VOGELKR WORPSWEDE.
gar nicht anders , als diese Wirklichkeits-
wunder , diese in tausend Liedern singende
Natur festzuhalten. Von phantastischer Er-
findung, von Romantik im üblichen Sinne kann
kaum gesprochen werden ; denn was er malt,
ist alles wirklicii, und nur der Hauch, in dem
es uns begegnet : ein merkwürdiges Zusammen-
treffen von wildem Dornengewirr und zarter
Rosenpracht, dort eine bizarre Naturform, ein
Lichtschimmer oder eine rätselhafte Geste
machen die Wirklichkeit zum erlebten Märchen.
Für Künstler von Heinrich Vogelers Art
sind schlechte Zeiten. Die Romantik steht
heute nicht hoch im Preis; wenigstens nicht in
der Malerei. Die Kenner haben das Glaubens-
bekenntnis unserer Zeit so formuliert, daß es
auf Monet, Cezanne und Liebermann paßt ;
d. h. der Mensch im Künstler kommt nur so-
weit in Frage, als er den Natureindruck in
seine Farbenpartikel zerlegen und aus diesen
so eindrucksvoll als möglich wieder aufbauen
kann; l'hantasie ist nur im Sinne eines Farben-
rausches schätzbar; und da der Stoff nichts,
das Wie der Wiedergabe alles bedeutet, jedes
Gemälde also nichts weiter als ein Natur-
eindruck, gesehen durch ein Farbentempera-
ment, sein kann, so bleibt nicht nur die Seele,
das menschlich Persönliche des Gemüts —
Verzeihung, daß ich von solchen Dingen zu
sprechen wage, ich weiß, es ist längst nicht
mehr der Brauch — sondern auch alle eigent-
liche formale Gestaltungskraft in dieser heu-
tigen Ästhetik unfruchtbar und unverwend-
bar, ausgeschlossen. Es ist noch immer nicht
aufgeklärt, wie in dieses Glaubensbekenntnis
der Kenner die unvermittelt und unerwartet
ins Land gekommene Begeisterung für Hans
von Marees sich reimen soll; sie ist der
einzige, menschlich schöne Irrtum in dem
sonst so dogmatisch streng gehüteten System
der heute gültigen Kunstreligion. Ich fürchte
also, daß Heinrich Vogeler, der nun einmal
nicht anders kann als bilden, gestalten und
fabulieren, vorläufig dieser Ästhetik nicht ge-
332
HEINRICH \( ICICLKR.
KAIMF.Kr.NG: UI.NTEkMÄKCHEN-
Ifri)i)'i(li } 'oor/r> — \Vo>-ps'ivcdi\
IlLlNKIlJll \i
iRl'.sU liDli.
nehm sein wird. Die Gemeinde der Seinigen
wird darum nicht klein sein. Vogeler hat noch
einen zweiten Fehler; er ist Zeichner, d. h.
auch in seinen Gemälden ist die Zeichnung
der Träger des Ganzen. Und er liebt das
Detail, den vollen Reichtum im Formenspiel
zarten Gezweigs, die Zierlichkeit der Gräser,
die leisen Regungen in den Linien eines Arms ;
er liebt und versteht das alles zu beleben
wie einer unserer alten deutschen Meister
vor vierhundert Jahren; jene solide Reife der
Handwerksarbeit und jene liebevolle Hingabe
an das Detail, ich wüßte nicht, wer unter den
Heutigen sie noch so ungewollt und selbst-
verständlich besäße, wie eben Vogeler. Das
Tüfteln und Kläubeln, von dem Dürer spricht,
es ist sein eigenstes Wesen, und was wir bei
Schongauer lieben, warum soll es uns hier
unwert sein? Es gehört in der Tat ein unge-
wöhnlich feinzusehendes Auge und überdies
ein sonntägliches Gemüt dazu, um die Natur
so zu uns reden zu machen.
Als Vogeler anfing, neigte seine Malerei zur
Illustration; das Erzählende, der Stoff- und
Stimmungsgehalt überwog oft und beeinträch-
tigte die Formgestaltung. Das lag nahe und
war in seiner gleichzeitigen Graphik fast ein
Vorzug. Die ersten Jahre seiner Arbeit waren
nach dieser Richtung von erstaunlicher Er-
giebigkeit; was seitdem entstand bis auf seine
neuesten Gemälde herunter, liegt fast alles in
den Bildentwürfen seiner damaligen Skizzen-
bücher schon fest. Oft haben sie damals schon
bald durch die Stärke des Naturausdrucks wie
„Die heiligen drei Könige im Schnee" bei
Woldc und „Die Mutter in der Rosenlaube"
in der Bremer Kunsthalle oder aber durch die
klare Herausarbeitung des Formproblems wie
in der „Verkündigung" das Wesen der Illu-
stration überwunden und bis auf den letzten
Rest abgestreift. Schon damals und in den
letzten Jahren häufiger zwingt sich der Künst-
ler, gleichsam um die Natur nicht zu verlieren
und um den oft allzu spitzen Pinsel zu breiter
334
HEINRICH VOGELER- WORPSWEDE.
GEMÄLDE: »KOMMENDER FRÜHLING«.
" v" >^9S^ r«r»r -'^■jt" \ \j »'-
HEINRICH VOGELER.
GEMÄLDE: »\\^NTERMÄRCHE^•
//r/ui'tr/i Vnoc/rr— M'o>/'s7vrifr.
HKINKICH VOC.Kl.ER WORPSWEDE.
Siclicrlieit zu jjcwölinen, zur Wiedergabe ein-
faclier Naturausschnitte, Sein Wohnhaus und
die nächste Umgebung der Landscliaft gibt
ilini dazu die Motive. Außerdem entstehen
Stilleben einfachster Art, ein Stück der Atelier-
wand, eine Sofaecke mit ein paar Silhouetten
und Bildchen, die drüber hängen, und ähn-
liche Motive. Der „Vorfrühling" und der
Blick vom Hügel auf die weite Fläche des
sonnenbeschienenen Moors unter den hier
wiedergegebenen Gemälden gehören auch noch
in die Gruppe dieser Exerzitien. Auch das
Bildnis seiner Gattin, wie sie in weißem Kleide
im Schatten am Stamm eines Baumes sitzt,
hat der Künstler so als durchgearbeitete Na-
turstudie vor der Natur entstehen lassen.
Seine letzten Gemälde gehen dagegen den
Weg, den seine unvergleichlichen Radierungen
schon vorher gewiesen haben, den Weg, der
den Natureindruck überwinden und neu ge-
Gemäldc: Dame in Weiß«.
staltet als ein klar gelöstes Formprobleni zu
bilden lehrt. Diese Bücherzeichen sind ein-
facher und größer in der Auffassung geworden.
Man spürt ein neues kräftiges Formenipfinden
aus ihnen; so auch in den Gemälden.
In dem Gemälde „Kommender Frühling" tritt
dies Streben zum ersten Male hervor. In dem
schlank schreitenden Rhythmus des jungfräu-
lichen Körpers, den er als den kommenden
Frühling zwischen dünnen Birkenstämmchen
über die Heide schreiten läßt, ist diese große
Form durch die Kompositionsarbeit am rein-
sten und selbstverständlichsten erfaßt. Die
an zarter Finesse der Nadelarbeit unüber-
treffliche kleine Radierung „Die Nymphe"
war offenbar eine Vorstufe zu diesem Akt im
Freien. Nun tauchen die uralten Themen wie-
der auf. Das „Wintermärchen" von den hei-
ligen drei Königen und die Ansicht des eige-
nen Wohnhauses, Sic werden nicht mehr als
336
Heivricil I'^oor/i'r— JInr/^>;7('iY/r.
■^e^«^v
Naturkopien oder im Sinne illustrativer Er-
zählung behandelt, sondern mit einem neuen
starken Fornigefühl, das die einzige Richt-
schnur für Komposition und Aufbau gibt.
Vielleiciit nähert sich Vogeler damit den
alten Meistern noch um einen Schritt mehr;
zum mindesten entfernt er sich in der Auffas-
sung wie in der runden Klarheit seiner Tech-
nik noch mehr von denen, die in skizzierender
Improvisation das augenblickliche Leben des
Natureindrucks farbig festzuhalten streben. —
Was Vkfir sonst aus den letzten Jahren an
Arbeiten des Künstlers mitzuteilen haben,
verdankt seine F.ntstehung der Tatsache, daß
Vogeler nicht zufällig nur, sondern von Herzen
ein Worpsweder ist, und daß er darum nicht
müßig zusehen mag , wie mit dem Wachstum
des Dorfes am Weiherberg durch nicht ver-
standenes Bauen die Landschaft verunziert
wird. Manchen hübschen Erfolg haben diese
i3«
\
(iemälde; Antil^es Märchen
architektonischen Bemühungen im Sinne des
Heimatschutzes schon getragen; und das feine
Empfinden des Malers weiß diesen be-
scheidenen Bauwerken mit überraschend ein-
fachen Mitteln persönlichen Reiz und Stimmung
zu verleihen. Mit dem Kunstgewerbe -Haus
in Worpswede zusammen hat Vogeler endlich
in mühevoller Arbeit ländliche Werkstätten
ins Leben gerufen, in denen ein solides Mo-
biliar hervorgebracht wird, das, angelehnt an
altheimische Formen und Schmuckmotive, ge-
eignet sein könnte, dem Landhaus des Städters
und der Stube der wohlhabenderen unter den
Bauern ein gut Teil von der Behaglichkeit zu
erhalten, die ihnen der alte Hausrat bis in die
Tage unsrer Großväter gegeben hat. — m ii.
Ä
Wer in der wirklichen Welt arbeiten kann und
in der idealen leben, der hat das Höchste er-
iiiiiyen. Boeiiio
SCHWARZ-WEISS-AUSSTELLUNG^BERLIN.
Die Berliner Sezession tat Recht daran, all-
jährlich im Winter graphische Erzeugnisse
ihrer Mitglieder und Freunde auszustellen und
sie verdient umso größeren Dank, als der Gra-
phik gegenüber heute mit einem sehr geringen
Interesse des Publikums zu rechnen ist. Der
Jury gereicht es zu besonderem Ruhme, daß
man kaum ein einziges formal minderwertiges
Blatt unter den Kunstwerken findet. Freilich
aber öfters, und gerade bei den Jüngeren,
eine Sterilität der Empfindung, die für die
künstlerische Persönlichkeit nichts Gutes er-
hoffen läßt. — Die Ausstellungsleitung hat
das graphische Material in fünf Abteilungen
in besondere Räume geschieden; in dem
großen Saal sind dazu eine Anzahl dekorativer
Arbeiten untergebracht, und einige Plastiken
in allen Räumen gut verteilt. — Unter dem
deutschen Erzeugnis steht diesmal an erster
Stelle ein imponierendes Werk Max Sle-
vogts: die zahlreichen Lithographien zum
„Lederstrumpf". Es ist bewundernswert, wie
viel Erzählergabe, — eine seltene Erschei-
nung in unseren Tagen — Geist und Können
der Künstler an diese Arbeit gewandt hat.
Liebermann, der viele Lithographien, Zeich-
nungen und Pastelle ausstellt, kann so viel und
vielerlei, daß man nur seinen Namen zu nennen
braucht, um die Vorstellung hohen Genusses
zu wecken. Thoma hat Lithographien und
ii';
Sc/nvarz- U^-iß-.-liissirl/inio— /h-r/in.
HICINKUH ViiC,I-,l.l-,R \V. ■K1'>X\ KDI.
Zeichnungen gesandt; seine liebenswerte Per-
sönlichkeit begrüßen wir stets mit Freude.
Für Boehle hege ich immer mehr die bange
Befürchtung, daß er manieriert werden wird
oder schon ist. Aber man weiß von seinen
neuesten Arbeiten so wenig, daß er diese
Epoche seiner Entwicklung schon längst über-
wunden haben kann. Corinth ist mit einer
Anzahl Radierungen und Zeichnungen ver-
treten, die wie immer sein großes Talent ver-
raten; seine farbigen Lithographien zum Buche
Judith gefallen mir wenig. Trübner, von
dem nur einige Radierungen zu sehen sind,
scheinen die Ausdrucksmittel der Graphik
nicht zu liegen. — Aus Kalckreuths Graphik
spricht ganz der
noble Mensch
und gediegene
Künstler. Orlik
hat ein paar
Schabkunstblät-
ter und Zeich-
nungen ausge-
stellt, die den
erfahrenen und
gewissenhaften
Graphiker gut
charakterisie-
ren. Baluschek
ist zwar besser
als sonst, doch
ihm schadet die
Nachbarschaft
derKätheKoll-
witz. DieTrosl-
l'nijekt zu einem Landhaus in .\iedeIsaLll^en.
losigkeit der Stimmung der Blätter dieser
starken Künstlerin ist eben nicht jedermanns
Sache. Martin Brandenburg überrascht
durch eine Anzahl Pastelle und Zeichnungen.
Seine „Spielenden Jungen" sind ein in Farbe
und Bewegung gleich gutes Werk. Auch fallen
die sentinientalischen und verstiegenen Stoffe
seiner Ölbilder und die oft manierierte Farben-
gebung in diesen kleinen Arbeiten weniger
auf. Immerhin erstaunt man vor Sachen wie;
„Der Vampyr", „Der Selbstmörder", „Das
Plötzliche", über eine fast pathologische Rich-
tung der Phantasie. Ähnlich ergeht es mir mit
Marcus Behmer. Fs sind von ihm so viel
hübsche Radierungen und Zeichnungen zu
sehen, daß man
sich fragt, ob es
derselbe Mann
ist, den man ge-
legentlich auf
recht extrava-
ganten Wegen
erblickt. Paul
Bach, Paul
Baum u . Theo
v. Brokhusen
haben z. T. sehr
hübsche Zeich-
nungen gesandt.
Christ. Rohlfs
zeichnete einen
schönen weib-
lichen Akt, seine
Aquarelle aber
sind in Vorwurf
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E'd'ald Boidcr—Bci li).
HEINRICH VOlUil.l'.K
und Farbengebung bedenklich. Bischoff-
Culni, Linde-Walther, Oscar Moll,
Philipp Franck, Hans von Volkmann
kennt man als tüchtige Künstler. Von einer
Dame, Erna Frank, sah ich schon öfters feine
Radierungen. Fritz Rheins Aquarelle sind
in der Farbe sehr schön, und Eugen Spiro
hat überraschend gute Zeichnungen und Pa-
stelle von vornehmer Stilisierung und Farben-
gebung geliefert. Ernst Stern zeigt mit einer
Anzahl Zeichnungen, daß er auch anderes
kann als Karikaturen zeichnen, während Zille
alles zum oft amüsanten Zerrbild wird. Von
Ulrich Hübner sind eine Anzahl Gouachen,
Meerbilder, ausgestellt. Er malt heute die rela-
tiv besten Marinen, Schließlich wären noch die
stets einwandfreien Radierungen des geschick-
ten Hermann Struck, schöne und in ihrer
Art genügend bekannte Arbeiten von E. R.
Weiß und in der Farbe eigenartige Entwürfe
zu Theaterdekorationen von Carl Walser zu
nennen. Die Zeichnungen Karl Hofers sind
sehr talentvoll wie immer. — Es ist besonders
erfreulich zu sehen , wie gern und oft unsere
jungen Künstler sich der graphischen Aus-
Diele in einem Landhaus in Xicdersachsen.
drucksmittel bedienen. Wir haben einen sehr
respektablen künstlerischen Nachwuchs, der
allerdings hier in der Sezession nicht so zur
Geltung kommt, wie etwa auf der letzten Aus-
stellung des „Deutschen Künstlerbundes" in
der Galerie Arnold zu Dresden. Immerhin
braucht man nur Namen wie Wilh. Laage,
Adolf Schinnerer (der sein jüngstes Werk,
den Zyklus „Simson", ausgestellt hat), Wal t er
Klemm, A d o I f T h o m a n n , R e i f f e r s c h e i d
herauszugreifen, um allein die Reifsten zu nen-
nen. Von Max Beckmann sieht man eine An-
zahl Zeichnungen, erste Entwürfe zu seinen
Riesenbildern wie „Auferstehung" und „Unter-
gang von Messina". Büttner, Feininger,
Großmann, Winkel, Wulff zeigen sich als
sehr geschickte Künstler. Richard Dreher
hätte lieber ein paar seiner schönen Federzeich-
nungen ausstellen sollen als die vier Aquarelle.
— Als Ausländer sind van Gogh, Manet,
Toulouse-Lautrec, Constantin Guys mit
z. T. sehr schönen Blättern vertreten. Es sind
dann ferner da hübsche Sachen von L e B e a u ,
Conder, Matthes, ein paar interessante
Zeichnimgen \ on Puvis de Chavannes,
l\-\
Sc/ncarz- JJ\-i/j-.-hissit'I/u!io~f>crli)i.
Pissarro, Renoir, Rodin,
Gauguin und schließlich ei-
nige charakteristische Aqua-
relle der Neoimpressionisten
Signac und Groß. Anders,
Zorn und Larsson haben
größere Kollektionen von Ra-
dierungen und Zeichnungen
zur Verfügung gestellt, und
man bewundert bei dem einen
mehr das große Können, bei
dem andern die schöne Seele.
Sehr merkwürdige Zeichnun-
gen sieht man von dem verstor-
benen Schweden Ernst Jo-
sephson aus seiner Wahn-
sinnszeit. Von Munch ist
ein Zyklus Steinzeichnungen
da. Mit Jan Toorops Ar-
beiten, soweit sie einer christ-
lich-katholischen Mystik ihr
Dasein verdanken, kann ich
mich wenig befreunden. Umso
schöner zeugen von seinem
großen Talent die farbigen
Lithographien. — In dem
großen Saal des Sezessions-
hauses sind dann, an Stelle
der sonst üblichen Plastik,
dekorative Gemälde und Ent-
Dieleiimübel: 1 ruhe.
üielenmübel; SchraiU;.
würfe zu sehen. Interessant sind H o d -
lers Riesenleinwande, „Aufstieg und
Absturz der Bergsteiger", als Diorama
im Auftrag gemalt in früheren Jahren.
Die Arbeiten Arn. Waldschmidts
— Zeichnungen und ein großes Tem-
peragemälde: „Prometheus" — legen
Zeugnis ab von einem bewunderns-
würdigen Willen zur Kunst und von
einem Bemühen um die höchsten Auf-
gaben. Aber der Künstler ist nicht
„Auge" genug und zu viel Philosoph.
— Wenige, aber gute Plastiken von
Corinth (so viel ich weiß ein erster
Versuch), Barlach,Kolbe, Kruse etc.
dienen eigentlich mehr raumschmük-
kenden Absichten der Ausstellungs-
leitung. I WAI II H|. MIEK.
Das schönste Oliick des denkenden
Mfnsclicn ist, das Erforschliclie eiforsclit
zn lirtben, und dtis Uneiforscliliclie ruliiy
zu verehren. Goethe.
ag^^~ -iw^--^ £3^
Si ubns ^eoTj Strauc/i
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HKINRU U VOCKI.KR WORI'SWF.nF..
KXI.raRIS. RADIERUNGKN.
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HEINRICH
VOGELEK-
VVORI'.S\VEl>E.
EXLIBRIS.
RADIERUNGEN.
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KKllH iiKN \M)' \ 1 II' K 11' U I ,kc .NSI K I I rni H.
.M'SI.FI I HU I l\ \ ll-l I AKÜli.l k HMUKl-l.
.\rSMi:i I INC. IJIS K. K. IIKSIT-KK. MlSl.rMS I UK KINM IM) l\l>rslKII. WIEN.
PROFESSOR OTTO PRriSCUKK WIKX,
l'KI'PICH AlK DF.K AI'SS I Kl.l.. IiK.s K. k. .■ISII.KK.
Ml-SKUMS FÖK Kr.VST TM) INUrslKIK WIIN.
KEI.U'ITA.-
JAKOKSON-
WIEN.
\ATrRI.ErNEN
MIT KURBEI.-
~ I ICKEREI.
AUSSTELLUNG OESTERR. KUNSTGEWERBE 1909-1910
IM K. K. SirsEfM FÜR KrSST ÜND INDISTRIE IN WIEN.
Ein neuer Direktor mit einem neuen Pro-
gramm veranstaltete mit neuen Arbeiten
im neuen Hause des Museums eine sehens-
werte Ausstellung schöner und zweckmäßiger
Erzeugnisse der modernen österreichischen
Kunstgewerbe. Sie war für Wien ein in mehr-
facher Beziehung überaus erfreuliches Ereig-
nis, weil in dieser Stadt die Musik und das
Schauspiel das künstlerische Interesse des
Publikums sonst in überwiegendem Maße
aufbrauchen. Da nach Ansicht der Kultur-
historiker die Wertschätzung der \ ölker im
friedlichen Wettstreit der Ausstellungen fast
nur nach Maßgabe des künstlerischen Ver-
mögens, mit dem sie aufzutreten weissen, be-
stimmt wird, darf man sich dieser Ausstellung
mit Grund erfreuen, denn sie war nicht bloß
mit reifen und runden Werken des Kunst-
gewerbes gut bestellt, sondern auch gut be-
sucht, gehört doch die Zahl von über 100 000
Besuchern, und zwar nicht nur in Wien, zu
den bemerkenswerten Seltenheiten.
Der neue Direktor des Oesterreichischen
Museums für Kunst und Industrie. Dr. Eduard
Leisching, hat auf alle diktatorische Program-
matik verzichtet; er bevorzugt nicht eine ge-
wisse Richtung, nicht einen bestimmten Stil,
sondern ist auf ein vorurteilsloses Zusammen-
fassen und zur Geltungbringen aller auf dem
Gebiete des Kunstgewerbes tätigen schöpfe-
rischen und ausführenden Kräfte Oesterreichs
bedacht. „Bei der Prüfung und Zulassung der
AussteUungsobjekte hat die Direktion sich in
erster Linie — wie es im Katalogvorw'ort
heißt — von der Erwägung leiten lassen, daß
nur das in die Räume des Museums Eingang
finden sollte, was echt kunsthandwerksmäßige
Behandlung von Material und Technik auf-
weist. Weder die Bevorzugung von Prunk-
stücken noch die einseitige Betonung einer
bestimmten Stilrichtung scheint ihr zu den
Aufgaben des Museums zu gehören ; sie er-
achtet es vielmehr als ihre Pflicht, alles ge-
sunde, ehrliche Streben nachVervoUkommnung
künstlerischer Arbeit zu fördern, ohne die
lebendige Entwicklung in Fesseln zu schlagen.
Sie will beitragen zur Ausgleichung vorhan-
dener Gegensätze und dem freien Spiel der
Kräfte einen Boden bereiten, auf dem alle
tüchtigen Leistungen vor den Augen der Öffent-
lichkeit und zu deren Nutzen zusammenwirken
können." Der Weg zu dem in diesen Worten
Aiissiellniiii iis/rn: Kuns/onvcrhe igng—igio.
angedeuteten Ziel scheint nun durch diese
Ausstellung gebahnt, alle Beteiligten haben
somit Ursache, sich des neuen Museumsvor-
standes zu freuen und mit seiner bisherigen
Tätigkeit zufrieden zu sein, denn sie sind in
diesen Dingen wahrlich nicht verwöhnt worden.
Wir sind auch mit Ausstellungen von der Güte
und Reichhaltigkeit dieser jüngsten bisher nicht
verwöhnt worden, für die von der Direktion
auch die österreichischen Provinzen planmäßig
zugezogen wurden, so daß ihr der Charakter
einer gesamtösterreichischen Kunstgewerbe-
schau verliehen war. Sie kam in viermonat-
licher rastlos angestrengter Tag- und Nacht-
arbeit zustande. Als künstlerischer Beirat des
Direktors hat sich der junge Professor Otto
Prutscher, der selbst wieder aus der Hoffmann-
Klasse der Kunstgewerbeschule hervorging,
überaus verdienstlich betätigt. Ein zweiter
Helfer, der mit Auszeichnung genannt werden
muß, ist Remigius Geyling, den sich Prutscher
seinerseits wieder als Adjutanten kürte. —
Die Ausstellung, die
sich durch die bei-
den Häuser des Mu-
seums erstreckte,
veranschaulichte in
wirkungsvoller Wei-
se , daß sich das
österr. Kunstgewer-
be auf gutem Wege
befindet. Der zwei-
undein viertelhun-
dert Seiten umfas-
sende Katalog zählt
an die 3000 Objekte
auf, und ist selbst
auch ein hübsch ge-
ratenes Ding der
Typographie. Außer
den fast durchwegs
gelungenen 44 In-
terieurs sah man
noch alles mög-
liche, was durch die
künstlerische Ge-
staltung, durch die
technische Bearbei-
tung oder durch
das verwendete Ma-
terial wertvoll er-
schien. Man sah
teure Dinge , aber
auch solche , die
sich der Minderbe-
mittelte anschaffen
kann, und die dennoch geschmackvoll sind und
der Kritik des Ästheten und Handwerkers
gleicherweise standhalten. Gute Gelegenheit
bot die Ausstellung , die ersprießliche Tätig-
keit der staatlichen Fachschulen kennen zu
lernen. An allem machte sich ein frischer und
froher Zug bemerkbar und die zunehmende
Freude an der künstlerischen Handarbeit.
Man konnte in der Ausstellung wahrnehmen,
daß es den ausführenden Arbeitern wirk-
liches Vergnügen bereitet, die gute, technisch
vollendete Arbeit früherer Epochen neuer-
dings anzustreben, und daß sie die ihnen vom
Museum in Form von künstlerischen Ent-
würfen dargebotene Anregung begierig auf-
greifen. Die innere , gefühls- und gedanken-
mäßige Teilnahme des Ausführenden an der
Arbeit seiner Hände ward spürbar, und der
gewaltige Unterschied zwischen der einförmig
mechanischen Fabriksarbeit und der durch-
geistigten Leistung der Menschenhand. Aber
auch da, wo die rein maschinelle Herstellung
unumgänglich ist,
erscheint nunmehr
die Arbeit veredelt
durch die zugrunde
liegenden wirklich
künstlerischen Ent-
würfe, wie z, B. bei
den Webereien und
Teppichknüpf ereien.
Es ist daher unge-
heuchelt , wenn ich
sage , daß es in
der Tat ein Genuß
war, diese spezifisch
österr. Kunstgewer-
beausstellung zu be-
sichtigen, und daß
man bei einem Rund-
gang durch ihre Räu-
me zu der sicheren
Zuversicht kam, daß
sich das Österreich.
Kunstgewerbe „auf
guten Wegen" be-
findet. Die hier dar-
gebotenen Illustra-
tionsbeispiele , die
einerbesonderenEr-
läuterung nicht be-
dürfen, werden, wie
ich hoffe, meinen
Worten die Beweis-
kraft verleihen. —
WI'.KKSTÄTTE FÜR STICKF.REl: F.MMY HORMANN- RREMEN. CESTICKTE KISSKN üMl DFlKF.N.
«rJS^^
^i
i^\
CARL JOHANN BAUER MÜNCHEN.
ISKOSniEN, RINGE, MANSCHETTENKNÖPFE IN GOLD UND SILBER MIT HALHEDELSTEIXEN.
35S
KLEINE KUNST-NACHRICHTEN.
lANTAK 1910.
BERLIN. Die Kgl. Akademie der Künste
hatte für den Dezember und die ersten Tage
des neuen Jalires Melchior Lechter ihre
Räume zur Ausstellung- seines großen Glasgemälde-
Triptychons für das Landesmuseum der Provinz
Westfalen zu Münster überlassen. Das Hauptbild:
die fons sacra in Gestalt eines gotischen Brunnens,
aus dem die Künste göttliche Kraft schöpfen, ein
hohes, stehendes Rechteck; rechts und links klei-
nere Kompositionen: die Symbole der ars coele-
stina und der ars humana. Und wer nun das
Glück hatte, dag sich an diesen trüben Winter-
tagen die Sonne auf Augenblicke seiner erbarmte,
und die Farben des Glases hell aufleuchteten,
dann erlebte er in dem verdunkelten Raum die
feierlichste Stimmung. - Melchior Lechter treibt
eine Kunst für sieh ganz allein, schon weil er
sich der Glasmalerei zugewandt hat. Seine Vor-
arbeiten zu den grof^en dekorativen Werken, die
Studien und Kartons, sind, soweit sie menschliche
Wesen darstellen, manieriert, das ornamentale
Zierwerk ist oft kraus und unverständlich, ein
Entwurf auf dem Karton bedeutet für die Emp-
findung nichts. Und dann tritt man vor sein Glas-
bild, und man erliegt einer geheimnisvollen Kraft,
die man bei Lechter nie vermutet hätte. Wir wissen,
welche hohen künstlerischen Werte die alten Glas-
maler in Übung ihres Handwerks zu Zeiten schu-
fen, und sind erstaunt, daß einem Manne unter
uns in diesen unfruchtbaren Tagen gelingt, was
vorher nur strenge Handwerkszucht und glück-
licher Instinkt gemeinsam erreichten. Man ist zu
hoher Achtung vor dieser grof5en Tat koloristischer
Berechnung geneigt. Wie dieses Blau mit dem
Goldorange, das Meergrün mit dem Dunkelrot
zusammengeht, das zeugt nicht von Dilettanten-
arbeit. Dazu gehören Augen, ernste Bemühung
und viel Geschmack. Aber die hochfeierliche
Stimmung, das Ergriffensein vor dem Werk spricht
auch für einen ungewöhnlichen künstlerischen
Geist seines Erzeugers. kw.m.h nF.N)>r:K.
Ä
MÜNCHEN. Jede neue Saison läßt erkennen,
daß sich das Ausstellungswesen unserer
Stadt bedeutend gehoben hat. Mit Münchens
hermetischer Abgeschlossenheitgegen das Fremde
ist es gründlich vorbei. In diesem Monat gab
es die vortreffliche Anders Zorn-Kollektion in
der Galerie Heinemann, außerdem in der Mo-
dernen Galerie Kollektionen der berühmten
Schweizer Meister Kuno Amiet und Giaco-
metti, Maler, die auf großzügige Vereinfach-
ungen des Natureindruckes ausgehen, um so desto
sicherer die malerische und psychologische Pointe
der Erscheinung zu treffen.
Die Sezession veranstaltet eine umfang-
reiche Revue über das Schaffen ihres langjährigen
ersten Präsidenten Hugo von Habermann.
Man sieht den feinen, geistreichen Künstler hier
ganz deutlich aus Münchens malerischer Kultur
der 70er und 80er Jahre hervorwachsen, jener
Kultur, in welcher mit ihm Uhde, Trübner,
A. V. Keller, W. v. Diez, Munkacsy, Gysis und
so viele, viele andere wurzeln, über welche die
Zeit mittlerweile siegreich dahingegangen ist.
Von großem Interesse ist es, daß gleichzeitig
mit dieser Ausstellung die Moderne Galerie eine
große Anzahl Habermannscher Studien und Skizzen
zeigen kann, die gewissermaßen die Arabesken
und Randzeichnungen zu den in der Sezession
vereinigten Hauptwerken bilden.
In der Modernen Kunsthandlung (F. J.
BrakI) ist Max Feldbauer zu Gast. Ein fesseln-
der Kolorist, aber leider häufig so unkräftig im
Erfassen der Form! Form ist Licht und Licht
ist Farbe - bei Feldbauer ist die enge Beziehung
zwischen diesen drei Faktoren durchbrochen. So
pikant oft der farbige Reiz seiner Tafeln ist, so
wenig befriedigen sie als Deutungen der Wirk-
lichkeit, als Interpretationen der Erscheinung.
Im Kunstverein debütiert der Deutsche
Künstlerverband mit der ersten seiner jury-
freien Ausstellungen. Die Jurylosigkeit macht
sich nirgends bemerkbar, weder im Guten noch
im Schlimmen. Und so bietet die Ausstellung
eigentlich nichts von dem, was man von ihr hoffte
und fürchtete. Sie empört nicht durch Albern-
heiten und entzückt nicht durch gelungene Wag-
nisse. Vielleicht muß die zweite Ausstellung ab-
gewartet werden, damit sich das wirkliche Wesen
des Verbandes enthüllt.
Die Hofmöbelfabrik M. Ball in hat ihr neues
Geschäfts- und Ausstellungshaus am Promenade-
plaß eröffnet. Es enthält 77 eingerichtete Räume.
Als Architekten sind zum Teil hervorragende
Münchner Künstler beteiligt: F. v. Thiersch, Em.
v. Seidl, Theodor Fischer, Ludwig Hohlwein,
Benno Becker, P. Troost , P. Danzer, Theodor
Veil, Mathias Feller u. a.
Das Haus, dessen Fassade Dr. G. v. Cube
sehr geschmackvoll bearbeitet hat, bedeutet in
jeder Hinsicht eine hervorragende Leistung, u. m.
Klei
si-XacInichten.
RHEINISCHE SIEGE. Wer mit wachen Augen
. durch den Industriebezirk fahrt, wird deut-
lich spüren, dafi es dort in Dingen der guten
Architektur und des kunstgewerbHchen Ge-
schmackes vorwärtsgeht. Von der eigentlichen
Hochburg der raffiniertesten Künste, von Hagen,
wollen wir hier nicht reden. Das Werk, das durch
die starke Persönlichkeit des Carl Ernst Osthaus
zustande kam, kann nicht gut als ein natürliches
Produkt der kulturellen Entwicklung von Rheinland-
Westfalen eingeschätzt werden. Dag Osthaus
durch Peter Behrens und van de Velde just in
Hagen bauen lägt, dafi er sein wundervolles
Museum trot) aller Bedenken in der nüchternen,
proletarisierten Stadt verbleiben heißt, das ist
mehr ein Zufall als eine Notwendigkeit. Immer-
hin, man darf den EinfluJ3, der von Hagen aus-
geht, nicht unterschätzen. Worauf es uns aber
hier ankommt, ist: nachzuweisen, dag das allge-
meine Niveau des Industriegebietes steigt. Da
sind zum Beispiel die Bahnhöfe von Rheydt und
München-Ciladbach; sehr überzeugende, in Zweck-
mäßigkeit schöne, logisch eindrucksvolle Konstruk-
tionen aus Eisenbeton. Kommt man aus Düssel-
dorf, wo die gußeisernen Träger noch als Säulen
mit antiken oder gar naturalistisch geschmückten
Kapitalen ausgebildet sind, so wird man doppelt
den formalen Trieb schätzen, der endlich dem Eisen
die homogene Form zu finden wußte. Sehr er-
freulich sind auch die Fortschritte im Landhaus-
bau und nicht geringer die in der Anlage von
Arbeiterkolonien. Was etwa durch die Krupp-
schen Baumeister, besonders durch Schmohl und
Schneegans, geleistet wird, das ist schlankweg
mustergültig. Man braucht gar nicht der frühesten,
nur der nackten Notdurft gehorchenden Arbeiter-
häuser dieser Kolonien zu gedenken', man kann
getrost die Bauten der neunziger Jahre ver-
gleichen, und man wird mit starker Befriedigung
feststellen, wie energisch seit einiger Zeit dem
sozialen Bedürfnis kongenialer Ausdruck, nicht
nur in der Architektur des einzelnen Hauses, auch
in der Anlage und Aufteilung des Terrains, ge-
funden wurde. Etwa: die let5ten Erweiterungen
des Alten-Hofes in Essen; sie sind so reif, daß
man sich verleitet sieht, den Vergleich mit eng-
lischen Musterkolonien zu wagen. — Vorzügliche
Häuser, gut errechnete Typen baut Muthesius in
Duisburg. Auch dort bedarf es nur einer kurzen
Wanderung durch die seit etwa zwanzig Jahren
angesiedelten Straßen des Bauvereins, um dem
Gefühllosesten zu demonstrieren, wie aus einer
banalen Schichtung roher Ziegelsteine, durch die
Regie eines geschmackvollen Architekten, freund-
liche Schönheit wurde. - Ein weiteres Symptom
<les Fortschrittes ist die Entwicklung der Kunst-
gewerbeschule zu Aachen. Unter Direktor Abele
wird viel (jutes geleistet. Das Schulgebäude selbst
weist ein interessantes und trefflich gelungenes
Experiment. Aus einem Fabrikbau im Shedsystem
wurde durch geschickte Disposition eine ebenso
brauchbare, wie ästhetisch wohltuende Anlage
geschaffen. Von den Lehrern dieser Schule hat
besonders der Bildhauer Burger sich hervorgetan;
von ihm ist der monumentale Brunnen vor dem
Bahnhof, von ihm ist auch das in seiner Stabilität
elastische Denkmal für den „Schmidt von Aachen".
Solcher Art sind die Merkmale, deren einige
wir notieren wollten, um die rheinischen Siege
auf dem Gebiete der Architektur und des Kunst-
gewerbes, der Konstruktion und des Geschmackes,
zu belegen. r. kr.
Ä
KUNSTGEWERBE-AUSSTELLUNG IN HAM-
BURG. Zur Förderung hamburgischen
Kunstgewerbes wurden dem Kunstgewerbe-Ver-
ein Räume des Museums für Kunst und Gewerbe
zur Verfügung gestellt, um eine Ausstellung
„Raumkunst im neuzeitlichen Landhause" zu ver-
anstalten. Die Ausstellung soll zeigen, daß künst-
lerische und technische Kräfte in Hamburg hin-
reichend vorhanden sind, die in neuzeitlichem
Sinne einfache gediegene Arbeit und kostbare
Einrichtungen und Einzelgegenstände zu schaffen
vermögen. In der verhältnismäßig kleinen Aus-
stellung haben doch die hauptsächlichsten Träger
des hamburgischen Kunstgewerbes eine Ausstel-
lung von ungefähr 30 Räumen zustande gebracht,
in denen nicht weniger als 18 Zimmereinrich-
tungen vertreten sind. In den übrigen Räumen
sind kunstgewerbliche Einzelerzeugnisse, Kera-
miken, Gold- und Silberarbeiten, Hammer- und
Einlegearbeiten in Messing, Beleuchtungskörper,
Posamenten und Modelle von Landhäusern und
Gartenanlagen zur Ausstellung gebracht. Die
großen Firmen haben sich unter Zurückseßung
aller Sonderinteressen zu einer einheitlichen Gruppe
zusammengeschlossen; sie bieten durch dieses
Vorgehen ein vorbildliches Beispiel. Aber auch
die kleinen Geschäfte haben ihr Bestes ge-
leistet. Während der Ausstellung, die am
28. November eröffnet wurde und die bis zum
15. Februar dauert, wurde vor Weihnachten eine
Weihnachtsmesse abgehalten. Eine Ausstellung
von Entwürfen zu Landhäusern, zu Garten-Archi-
tekturen, Gartenanlagen und zu Innenräumen hat
in der Zeit vom 6. bis 26. Januar stattgefunden.
Ebenso läßt der Kunstgewerbe-Verein einen Zyklus
von aufklärenden Vorträgen halten, und zugleich
wird in den leßten 14 Tagen noch eine Ausstel-
lung von gewebten Stoffen, Stickereien und Wand-
bekleidungen der Ausstellung wiederum- einen
360
Kleine I\!/>is/-\(icI/ric/ife)i.
neuen Reiz verleihen. Alles in allem zeigt der
Kunstgewerbe- Verein, dag er bestrebt ist, die
hamburgischen Aufträge für die hamburgische
Arbeit zu gewinnen, und zugleich Anregungen
im neuzeitlichen Sinne zu geben.
H.A.MBURO. Im September vorigen Jahres
erschien in den „Hamburger Nachrichten"
ein .Artikel „Hamburger Baukunst", Kritische
Betrachtungen von Dr. Max Emden. Der .'^utor
bezweckte damit, die Bewohner Hamburgs für
die Fragen der Baukunst zu interessieren und
ihnen vor Augen zu führen, daf; bereits die
schwersten Schädigungen des Stadtbildes aus
der allgemeinen Qleichgiltigkeit erwachsen sind.
Seitens des Hamburger .Architekten- und Ingenieur-
Vereins, der Ortsgruppe Hamburg des Bundes
Deutscher .■Architekten und einzelner Hamburger
Privatarchitekten wurde die Diskussion aufge-
nommen. Teilweise versuchten die Entgegnungen
den Kritiker mit alten, unbrauchbaren Waffen
mundtot zu machen; teilweise boten sie aber auch
zweckmäßige Darlegungen und Präzisierungen der
Ursachen, die in Hamburg - wie auch in andern
Städten — das Können der tüchtigsten Kräfte so
selten in Erscheinung treten lassen. Es wäre
überaus erfreulich, wenn die Diskussionen nicht
ohne Einfluß auf die weitere Entwicklung der
Hamburger Architektur sein würden. Um sie vor
allzuschnellem Vergessenwerden zu bewahren,
hat Dr. Emden sämtliche Ausführungen zu einer
Broschüre zusammenfassen lassen, der auch einige
.Artikel ähnlicher Tendenz beigegeben sind :
„Bremen und die Städtebaukunst" von E. Högg,
„Denkmalpflege in Bremen" von Dr. Schäfer,
sowie „Wie bauen wir in Cuxhaven?" und „Wie
müssen wir in Cuxhaven bauen?" von Dr. Paulsen.
Ä
AUS HANNOVER. Der Kunstverein hat das
. Pech, durch peinliche Vorgänge der Ver-
gangenheit den auswärtigen Künstlern ein wenig
anrüchig geworden zu sein. So kommen zu seinen
.Ausstellungen in der Regel nicht viele Gäste, und
das Niveau wird durch die Hannoveraner bestimmt.
Man darf nun sagen, daf) die let)te .Ausstellung
einen recht anständigen Durchschnitt wahrte. Es
gab eine Reihe interessanter Arbeiten; am meisten
Aufmerksamkeit verdient wohl das Ehepaar Heit-
müller. Er ist der kräftigere, sie die geschick-
tere; beide wandeln sie auf den Spuren Hodlers,
van Goghs und Munchs. Diese Dreifältigkeit be-
deutet eine Gefahr, die indeß, wenigstens bei
einigen Stücken, so bei dem Lupinenfeld, so bei
einem Knabenporträt, trefflich überwunden war.
Eine recht liebenswürdige Künstlerin lernte man
in Aenne Koken kennen. k. h.
.Auffallend ist, daß der Hannoversche Künstler-
verein ein so geringes Interesse für das Kunst-
gewerbe hat. Die Ausstellung zeigte uns nur
vereinzelte Stücke; darunter aber eins, das man-
cherlei erhoffen läßt: einen silbernen Tafelaufsa^
von Berthold Körting. Eine delikate und phan-
tastische .Arbeit. Es ist wohl keine allzu opti-
mistische Vermutung, da|5 in Hannover manch
tüchtiger Kunstgewerbler, manch fähiger Innen-
architekt lebt; es wäre an der Zeit und nüt3lich,
diesen Leuten Gelegenheit zu geben, sich den
Bürgern und Käufern empfehlen zu können. Es
ließen sich solche .Ausstellungen sehr leicht und
grogzügig arrangieren, denn wenige Städte haben
ein so geräumiges Künstlerhaus. Nach der Stim-
mung, die besonders in den jüngeren Kreisen
der Hannoverschen Künstler und Kunstfreunde
herrscht, ist hier schon für die allernächste Zeit
eine Wandlung zu erwarten. Dag irgend etwas
unbedingt geschehen muß, dafür zeugte mit
blecherner und tepperner Stimme die let3te Weih-
nachts- Ausstellung in der Kunstgewerbehalle.
Soviel absonderliche Geschmacklosigkeiten hatte
ich schon lange nicht als Ragout genossen. Doch,
mit Bestimmtheit: es wird besser werden. Der
Stadtdirektor Tramm hat offenbar die Notwendig-
keit eines entschlossenen Fortschrittes begriffen.
Die Wahl des Professors Rog, der an der tech-
nischen Hochschule in moderner Auffassung
Kunstgeschichte lehrt, scheint ein hoffnungsvolles
.Anzeichen. Die Werkbundidee wird gleichzeitig
von dem erfahrenen Schaper und von den tem-
peramentvollen Jungen gepflegt. Und schlieg-
lich: ein Symptom von nicht geringer Bedeutung:
man hat den Erbauer des neuen Rathauses ab-
gelöst, hat sich davor geschütjt, durch ihn auch
das Innere verderben zu lassen. Für die Regie
der großen Räume wurde Wallot gewonnen.
Einige sprechen davon, dag Hodler die Wand-
gemälde schaffen wird. Das wäre sehr zu be-
grüßen. Und wenn Schaper an anderen Stellen
die von ihm glänzend beherrschte Technik des
Mosaiks entfaltet, so dürfte das Innere über die
Grobheiten der .Augenseite hinwegtrösten.
KOBEKT KKEITK.
NEUE BAUTEN VON LUDWIG HOFFMANN.
Die Qualität des Berliner Stadtbaumeisters
steigt proportional zu der Fülle der ihm gestell-
ten .Aufgaben. Immer freier entfaltet sich das
sichere Können dieses ausgezeichnet verprovian-
tierten Synthetikers. Es ist billig zu sagen, dag
er stets mit ererbten, mit historischen Formen
wirtschaftet. Er ist ein Eklektiker; aber er ist
es auf eine so vollkommene und temperamentvolle
Weise, dag man ihn beinahe einen Schöpfer
A Iciiii Kit>f<l-Nacln iclit,-i
nennen darf. - Wo bislang der halb verfallene,
graue Bau des früfieren Waisenfiauses stand, hat
Hüffmann den städtischen Gaswerken ein Ver-
waltungsgebäude errichtet. Ein Mittelding zwischen
Renaissance und Schinkel. Florentinisch-römisch,
gekreuzt mit preufiischem Drill. Die Pfeiler stehen
beinahe robust, zum Parademarsch bereit. Die
Strenge aber wird durch das Wohlmaß der Ver-
hältnisse schön gemildert. Nicht recht notwendig
scheinen die vielen Köpfe, die stark plastisch
über den Fenstern des Untergeschosses heraus-
stof5en. — Ganz in der Nähe steht das neue Rat-
haus. Ein stattliches Geviert, mit der Hauptfront
gegen die JüdenstrafiC, mit der Rückfront gegen
die KlosterstraJ3e, rechts (von vorn gesehen) durch
die Stralauer-, links durch die Parochialstraße
begrenzt. Das Format des Terrains war kein
besonders glückliches; die Hauplfront in der Jüden-
straße ist wesentlich kürzer als die Front in der
Kloslerslraf^e. Dadurch ergibt sich für den Grund-
riß ein Trapez. Hierzu kommt: beide Parallel-
fronten wurden in sich gebrochen; die Eckpartien
springen mächtig hervor; die Mitte wurde einwärts
geschweift, in deren Zentrum steht ein massiver
Portalbau. Jedenfalls: kein leicht zu gestaltender
Grundriß, kein Organismus, der aus sich selbst
zum Monumentalen drängt. Daraus erklärt es
sich vielleicht, daß Hoffmann das äußere Pathos
ungewöhnlich betonte. Er verwendete eine tur-
bulente Rustika; er arrangierte besonders um die
Fenster der oberen Stockwerke ein Orchester von
Paukenschlägen. Im Detail betrachtet: ein wenig
viel von sich durchdringenden, aus der Fläche
stoßenden Quadern, ein wenig viel an starkem
Relief, an massiger Plastik. In seiner Ganzheit
entbehrt der Bau aber keineswegs einer sicheren
und ruhigen Monumentalität, die sich in dem
korpulenten und doch geschmeidigen Turm zu
überzeugender Wirkung steigert. Freilich, es ließe
sich überlegen, ob dieses neue Rathaus, das keinen
eigentlichen Repräsentationsraum, nur Arbeits-
zimmer enthält, nicht ohne Turm hätte auskommen
können. Aber, aber: Hoffmann müßte nicht mit
ganzer Seele Baumeister sein, wenn er diese Ge-
legenheit verpaßt hätte, einen Turm in die Wolken
zu schicken. Und in der Tat, es sind Wallungen
von herrischer Gesundheit und kühnem Rhyth-
mus, wenn man von weit her den steinernen
Riesen sich empordrängen sieht. - Welche Fort-
schritte Hoffmann während der leßten Jahre ge-
macht hat, das kann man feststellen, wenn man
vom neuen Rathaus gegen den Spittelmarkt hin-
geht und zum Standesamt an der Fischerbrücke
gelangt. Wie zaghaft und spröde ist doch hier
die Disposition und wie arm der Ausdruck. Hoff-
mann ist mächtig vorangekommen. k. i;ki n k.
362
Bei Cassirer waren Anfang Januar klei-
nere Kollektionen einzelner Künstler zu sehen.
Gurt Herrmann verwertet die Doktrin des
Neoimpressionismus sehr glücklich zu persönlicher
Gestallung. Ob er zwar Motive aus Oberfranken,
vom Lago Maggiore, oder ob er Berliner Straßen
im Schnee malt, ist für die individuelle Stimmung
des Bildes gleichgültig; es wird alles zu Stilleben
mit allgemeinem und immer demselben Gefühls-
inhalt. Man spürt aber bei dem Maler die ge-
diegene Arbeit und ein für dekorative Werte be-
sonders empfängliches Auge. - Von Friß Rhein
hört man im allgemeinen viel zu wenig. Er ist
ein sicherer und geschmackvoller Könner und
kennt sehr genau die Grenzen seines Talents.
Ihm liegen die konzentrierten Stimmungen starker
Farben, so sind sein „Stilleben" und die „Gärtnerei
in Holland" besonders gut. Aber auch die helle
Strandszene ist sehr fein. — Konrad v. Kardorff,
den man als Porträtmaler kennt, zeigt vor allem
Stilleben und Landschaften, z. T. solide Arbeit;
in den Landschaften fehlt vielleicht noch das per-
sönliche Erlebnis, oder er beherrscht die Mittel
noch nicht so recht, es zum Ausdruck zu bringen. -
Die Ausstellung von neueren Bildern Arthur
Kampfs während des Januar bei Gurlitt ist
recht geschmackvoll arrangiert. — Daneben eine
Anzahl schöner Bilder W. Trübners vom Slarn-
berger See, Park und Schloß Hemsbach. Im wei-
teren Saal ausgewählte Werke aus der Schule von
Fontainebleau, von denen ich ein paar reizende
Bilder Henri Harpignies hervorhebe. -
Am Neujahrstage wurde die Anton Graff-
Gedächtnis-Ausstellung von ca. 180 Por-
träts bei Schulte eröffnet. Vorher war eine Kol-
lektion der entzückenden hellen Bilder des Schwe-
den Carl Larsson zu sehen, die in Sujet und
Malweise so selten liebenswürdig sich präsentie-
ren. Daneben hielten sich nur noch die hübschen
Landschaften Rudolf Siecks, während von dem
Rest nichts zu sagen ist. - 1 u \i d i;i mh 1;
DARMSTADT. Ausstellung des Deut-
schen Künstlerbundes 1910. Der Groß-
herzog von Hessen hat das gesamte Risiko der
Ausstellung des Deutschen Künstlerbundes über-
nommen. Die Herren: Kunstmaler Adolf Beyer,
Professor Graf von Kaickreuth, Hofrat Alexander
Koch, Beigeordneter Mueller, Prof. Albin Müller,
Stadtverordneter Stemmer, Oberregierungsrat Dr.
Wagner, Kabinettssekretär Dr. Wehner, Rudolf
Wittich und Direktor Zobel bilden unter dem Vor-
siß des Oeheimerats Römheld die „Qeschäfts-
leitung der Ausstellung". Am 10. Januar hat die
erste Sißung im Alten Palais stattgefunden.
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Schauplatz: Wochenaus-
stellunij des Kunstver-
L'ines einer großen süddeut-
schen Residenzstadt. Es ist
nachmittags drei Uhr, die
Stunde, da alles, was den
bessergekleidetcn Ständen
angehört , verdaut. Post
coenam stabis aut passus
niille meabis, sagt ein altes
lateinisches Sprichwort —
Küchenlateinisch im eigent-
lichen wie im übertragenen
Sinne. Was liegt näher als
die „millc passus" der \ er-
dauung zum Kunst verein hin-
überzumachen, zumal man
sich dunkel zu erinnern
glaubt, daß man zu seinen
.\\itgliedern zählt? — Ein
Bild, das man um diese
Stunde dort sehr oft sehen
kann, sieht folgendermaßen
aus. — Auf dem Treppenpodest wartet der an-
geseilte Dackel oder Schnauzel und blickt mit
.\ugen des Jammers in die Höhe. Drohen aber
\ or den Bildern \ on Putz. Slevogt. von Cezanne.
\ an Gogh und Gauguin steht der Herr und
pfeift vor Zorn. Mit dem Spazierstock peitscht
or seine Absätze , einem grimmigen Löwen
ähnlich, der mit dem Schweif seine Elanken
bearbeitet, und trägt eine .Miene zur Schau.
als sähe er der Mißhandlung eines Kindes
oder sonst einer im höchsten Grade empören-
den Tal zu. — Ein Herr
Uli Vollbart erscheint,
pflanzt sich vor den Bil-
dern auf und lacht über
die mühevolle Jahresar-
beit eines vortrefflichen
.\\annes so herzlich wie
über die Capriolen des
dummen .August im Zir-
kus. — Beiden gemeinsam
ist, wie man sieht, die l n-
tähigkeit oder die Unlust,
erstens: an das ernste
Streben des Künstlers zu
glauben, und zweitens
naiv und harmlos das hin-
zunehmen, was vor ihren
Augen steht. — Auf die-
sen zweiten Punkt möchte
ich besonderes Gewiciit
legen. Es ist cuic llaupt-
eigenschaft des Publikums,
eine Eigenschaft, über die
der Fachmann stets wieder
von neuem staunt, daß es
niemals das sieht, was ihm
greifbar, auf einen Meter Ent-
fernung, dargeboten wird.
Zumal beim deutschen Publi-
kum spürt man immer wie-
der, daß es mit toten, blin-
den Augen vor den Schöp-
fungen seiner Künstler steht
und sich niemals rein an das
hält, was vorhanden ist. Es
sucht immer etwas anderes,
ist völlig unfähig, auf den
Künstler einzugehen und
tritt mit dem unverschämten
.Anspruch auf. den Künst-
ler innerlich zu korrigieren,
ehe es ihn überhaupt ange-
hört hat. Im Leben lernt man
einen Menschen nicht ken-
nen, wenn man ihm, ehe er
sich noch vorgestellt hat, in die Rede fällt.
Genau das gleiche gilt für die Betrachtung
von Werken der Kunst und der Bildhauerei.
Daraus folgt , daß der Laie , der das Be-
dürfnis spürt, zur Kunst und insbesondere zur
zeitgenössischen Produktion in ein ersprieß-
liches Verhältnis zu treten . in erster Linie
eine innere Reinigung vorzunehmen hat, eine
Reinigung von dem bösen Geiste der Feind-
seligkeit gegen das Fremde. Ich spreche nicht
davon, daß er seine Vorurteile ablegen solle,
denn Vorurteile haben wir
alle. .-Vber eine gewisse
sanftmütige , nachgiebige
Stimmung, eine gewisse
.Menschenfreundlichkeit
ist nötig, um das Kunst-
werk überhaupt klar zu
sehen. Ein wenig Miß-
trauen gegenüber den
eigenen Gegensalzgefüh-
len ist nötig , inn die Ar-
beit der Sinne von verfäl-
schenden Faktoren freizu-
halten. Reinheit und Tüch-
tigkeit des Auges sind nur
auf Grund psychologi-
scher, ja ethischer Vor-
arbeit zu erzielen. Und
beide Eigenschaften sind
nötig, damit man in die
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für den Genuß nutzbar zu machen.
Sehen, was da ist. Das bedeutet in erster
Linie, daß man sich zunächst rein an die
sinnliche Erscheinung des Kunstwerkes
iiält. Die Linie, die Farbe, der Vortrat^, die
Teclmik, sie sind es, die die eifientliche piece
de resistancc des Kunstwerkes bilden. Zu
unseren Sinnen spricht die ganze Welt , an
unsere Sinne wendet sich alles, was zu unse-
rem Geiste und zu unserem Herzen will. Was
nicht in den Sinnen ist, kommt auch nicht ins
Gefühl und in die Seele. Gestalt, sichtbare
und tastbare Gestalt macht das Wesen der
Welt aus. Man muß ein Kunstwerk zunächst
ansehen wie einen Wald , wie eine Bergland-
schaft, wie ein Kornfeld, wie einen gestirnten
Himmel. Es wird dafür so dankbar sein, daß
es alles andere, was es uns darüber hinaus zu
geben hat, ganz freiwillig und ungebeten dar-
reicht. Haben die Sinne gute, tüchtige Arbeit
getan, so wirkt sie fort und fort bis ins Innerste
hinein. Hat man die optische Erscheinung
eines Kunstwerkes nach allen Seiten hin wohl
begriffen, haben seine Linien über den Rhyth-
mus des Lebens in uns Gewalt gewonnen, sind
die Akkorde seiner Farben in den Saiten un-
serer Seele nachgeklungen, hat seine räum-
liche , stoffliche und formale Charakteristik
stark zu uns gesprochen, so haben wir es ver-
standen und ihm Genüge getan. Der Talmud
sagt (in Strindbcrgs ,, Schwarzen Fahnen" finde
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kennen lernen willst, so betrachte sehr ge-
nau das Sichtbare". Unverständliche Kunst-
werke gibt es nicht. Es gibt höchstens unver-
ständliche Allegorien. — wii.heim iikhei,.
Es gibt nur eine Weise, gute Kunst zu erlangen,
— die einfddiste und zugieidi die sdiwierigste, -
ncuiilich sie zu genießen. Erforsdie die Cesdiichte
der Völker und die große Tatsadie wird dir klar
und unverkennbar ins Auge fallen, daß gute Kunst
nur von Völkern hervorgebracht worden ist, die
ihre Freude an ihr hatten. lohn Ruskin.
379
ZUM VERSTEHEN DES TECHNISCHEN.
Der Bilderliebhaber bedauert es oft, daß er
dem Technischen der Malerei ratlos gegen-
über steht. Gar zu gern möchte er ein wenig
davon ahnen, wie das farbige Wunder wurde.
Solchen Absichten sollen hier einige Finger-
zeige gegeben werden. — Das einfachste ist
die Bleistiftzeichnung. Winzige Graphitschüpp-
chen lagern sich eng deckend übereinander und
erzeugen eine glänzende Oberfläche. Kommt
Kohle zur Anwendung, so gibt es einen stump-
fen Effekt; der Strich ist in sich zerrissen. Die
einzelnen Kohleteilchen sind weit größer als die
des Graphits, ihre Lagerung ist weniger dicht.
Demgemäß wird nur sehr wenig Licht direkt
reflektiert ; die eindringenden Strahlen werden
von schwarzer Kohle verschluckt, von bunter
Kreide, deren optische Wirkung der der Kohle
ähnelt , als gefärbtes Tiefenlicht zurückge-
worfen. Dessen Menge muß mit der Feine und
Dichtigkeit der Stäubchen zunehmen. Da sich
die Kreidepartikelchen nicht wie Ziegel über-
einander schieben, sondern wie ein Haufen
mikroskopisch kleiner Körnchen nebeneinan-
der liegen, so kann es zu einer Glanzwirkung
wie beim Bleistift nicht kommen. Auf diesem
Prinzipe beruht die Pastelltechnik. Die Pastell-
stifte bestehen aus mit Gummilösung und je
nach dem Helligkeitsgrad mit Schlemmkreide
zusammengeknetetem Farbpulver. Das reine,
trockne Pigment wirft , auf dem Malgrund
liegend, eine ungeheure Menge farbigen Lichts
zurück. Ob der Feine des Korns und der da-
durch bedingten Tiefe des Lichteinfalles kommt
der eigentümliche Sammeteffekt zustande; ein
Pastell ist wie eine Pfirsichschale.
Die trocken auf das Papier gebrachten Pulver
unterliegen der Gefahr des Verwischtwerdens
und des Abstäubens. Dem kann durch Fixier-
mittel, farblose Schellack- oder Kaseinlösung,
mit dem Zerstäuber aufgetragen, vorgebeugt
werden. Dabei verliert die Bleistiftzeichnung
einen Teil ihres Glanzes, das Pastell wird ein
wenig dunkler. Pastell ist ein sehr dauerhaftes,
vielleicht das dauerhafteste Verfahren; die
in Dresden befindlichen Pastellgemälde von
Carriera und Mengs scheinen von der' Zeit
unberührt. Die Ursache liegt einmal in der
Nichtanwendung eines veränderlichen Binde-
mittels, ferner in dem ziemlich starken Auf-
trag der Farbpulver, der ein etwaiges Ausblei-
chen oder einen Verfall nicht so bald deutlich
werden läßt. Genau das Gegenteil hiervon,
ein möglichst dünner, gehauchter Farbenauf-
trag ist das Charakteristikum der Aquarell-
technik. Das mit Gummi angerichtete Pigment
wird in Wasser gelöst und mittels Pinsel aufge-
tragen. Die Aquarellwirkung beruht einzig auf
der Lasur. *]
Die Technik, die mit Wasser lösliche Farben
deckend anwendet, heißt Gouache. Die Pig-
mente werden mit Zinkweiß aufgehellt. — Für
sämtliche auf Papiergrund stehendenMalereien
gilt als Hauptbedingung der Dauerhaftigkeit ein
gutes holzfreies Papier, das weder reißt noch
vergilbt. Bei aller Malerei dürfen selbstver-
ständlich nur chemisch sichere, nie sich gegen-
seitig zersetzende Pigmente zur Verwendung
kommen; alle ausbleichenden Farben, so die
meisten Teerfarben, sind verbannt.
Das Fresko wird im Prinzip auch heute noch
so hergestellt, wie es schon die Alten taten.
Auf frischen Wandputz aus Kalk und feinem
Sand werden die mit Kalkwasser angerührten
Farben aufgetragen. Sie verbinden sich gut
mit dem Grund, und die Lebensdauer des Ge-
mäldes wäre gesichert, wenn nicht äußere und
innerhalb der Mauer selbst aufsteigende Feuch-
tigkeit sein Dasein gefährden würde.
Das Auseinanderfallen der als Bild wirken-
den Farbmasse und des tragenden Grundes
ist eine Hauptsorge der Malerei , soweit sie
einen deckenden, gebundenen und erhärtenden
Farbbrei verwendet; dies traf schon bei der
Gouache zu, ernste Bedeutung bekommt diese
Sorge erst bei der Anwendung von Ölfarben.
Die Ölfarbe verdankt ihren Siegeszug dem
Umstände, daß, mit ihr gedeckt und lasiert,
auch sehr schnell gearbeitet werden kann;
nicht weniger wichtig ist; sie sieht auf dem
fertigen Bilde fast so aus, wie sie in den Pinsel
genommen wird, während alle Wasserfarben
nach dem Trocknen heller und stumpfer wer-
den. Der Maler vermag komplizierteren Ab-
sichten mit größerer Sicherheit nachzugehen.
Das zum Anreiben dienende Öl ist Lein-, Nuß-
oder Mohnöl, das an der Luft fest wird. Der
Trocknungsprozeß beruht auf Oxydation:
Sauerstoff wird aufgenommen und gebunden.
■| Ausführlicheres siehe bei W. Ostwald,
Malertjriefe, inul Linke, Die Malerfarben.
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J. Haffinauii, Q
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Den Malfirund deckt
..diedurclisichli^ePastc
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in wclcliem die Farb-
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laßert sind" (Ostwald).
Zur NüancierunjS der
Deckfarben nimmt man
das stark lichtbrechen-
de Bleiweiß, hinjSegen
für die Lasur möglichst
lichtdurchlässii^e Mit-
tel. Die Wirkung der
Lasur ist die eines far-
bigen Glases. — So-
weit wäre alles sehr
gut; leider hören die
chemischen Kräfte nicht
nach des Künstlers
Belieben auf, zu wir-
ken. Das ölige Binde-
mittel unterliegt durch
Oxydation andauern-
der Veränderung. „Der
Untergang der Ölge-
mälde ist daher nur eine
Frage der Zeit, wenn
nichts geschieht oder
^^eschehen kann, diese
l'.inflüsse der Atmo-
^phäre zu beseitigen"
(i'ettenkofer). Anfangs,
aucii in bereits „ trocke-
nem" Zustand, den Tö-
nen, wie sie auf der
Palette gemischt wur-
den, fast gleichwertig,
bekommt das Bild mit
der Zeit den sogenann-
ten Galerieton. Die nur
relativ trockene Farbe
dunkelt nach. Damit
parallel geht eine be-
ständige Volumenver-
änderung, die sich dann
störend bemerkbar
macht, wenn der Bild-
träger nicht im gleichen
Tempo sich dehnt resp.
zusammenzieht. Nach
unbiegsamen mechani-
schen Gesetzen muß sol-
chenfalls eine der auf-
einander gebundenen
Schichten ihre Struktur
lockern ; wenn dies aus
Mangel an Elastizität
nicht mehr möglich, wird
sie reißen. Zwingender-
weise geben Holz und Lein-
wand in diesem ungleichen
Kampf den Ausschlag; die
erhärtete Farbschicht reißt,
das Bild bekommt Sprünge.
Die gleiche unangenehme
Konkurrenz kann aber
auch zwischen zwei Schich-
ten innerhalb der Farb-
masse beginnen, um so
leichter, als die verschie-
denen Farben sehr ver-
schieden trocknen. Bei
prinzipiell durchgeführter
Priniamalerei, das heißt,
wenn der Grund in der
Hauptsache nur einmal mit
dem Pinsel übergangen.
scheidet diese Möglich-
keit selbstverständlich
aus. Hingegen hat es die
fatalsten Folgen, wenn
einzelne Schichten, vor-
züglich die oberste, mit
besonders schnell trock-
nenden Mitteln, etwa
mit Sikkativ gemalt
wurden. Dann gibt es
eine heillose Verwü-
stung; Schollenbildung,
die Farbmasse blättert
ab. Nachlässigkeiten
und unüberlegtes Ha-
sten rächen sich in kei-
ner Technik so, wie
beim Lasieren. Herr-
liche Kunstwerke kom-
dl
, J. Hnffmi
' Gürtel-
I schließe.
I Silber.
men dadurch frühzeitig zu
Schaden. Ein garnicht tief
genug zu beklagendes Bei-
spiel aus der Neuzeit schei-
nen einige der besten Men-
zel zu geben. Aber auch
sehr sorgfältige Arbeiten
entgehen nicht der Ver-
änderung. Von Rubens'
„Hl. Cäcilie" in Berlin sagt
Bode; Auf den ersten Blick
kann das Bild den „Ein-
druck" einer Improvisation
hervorrufen, so flüchtig er-
scheint in einzelnen Teilen
die Ausführung. Aber in
eben diesen Teilen wird
man bei näherer Betrach-
tung gewahr werden, daß
gerade die außergewölin-
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Brosche
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licht- Sorfifalt, die
iIlt Künstler auf
diese Komposition
verwandte, an die-
ser Wirkung! schuld
ist: die Übernia-
lungen, zwei oder
jjar drei übereinan-
der, unter denen
sich mit der Zeit die
untere Malerei mehr
oder weniger stark
wieder (ieltend (ge-
macht hat. Deutlich
erkennen wir, daß
die tieffjrüne Sani-
metjacke ursprünf^-
lich als Mantel j^e-
dacht war und einen
firoßenTeil des {iold-
j^elben Kleides be-
deckte". Die jewei-
lige untere Schicht
ist durchfjewachsen;
Sauerstoff heißt der
Attentäter. Eskäme
also darauf an , die
Luft von dem Ge-
mälde abzuschlies-
sen. Ein guter Fir-
nis - Überzug nach
möglichst gründli-
chem Austrocknen
angebracht, hilft
viel. Auch ein un-
ter Glas gehaltenes,
solid gerahmtes Bild
hat eine gewisse
Versicherung gegen
den selbstmörderi-
schen Lufthunger.
Allerdings scheint
hier Skepsis nicht
unangebracht. So
schwer wiegt der
Nutzen keinesfalls,
daß etwa die Gale-
rien, dem Beispiel
des rauchverhüllten
Englands folgend,
sämtliche Kunst-
werke hinter dicke
Spiegelscheiben
steckenmüßten. Um
sowenii'er als es ge-
' ' n.uißerO
auch gewisse in H2
O lebende Mikro-
organismen durch
Kolonisation^im Öl-
bild an dem Ver-
fallprozeß mitarbei-
ten. Ein absoluter
Luftabschluß läßt
sich auf der Bild-
seite nicht ermög-
lichen , eher kann
die Rückwand ge-
schützt werden, et-
wa durch einen
Staniolüberzug. Die
Holztafel scheint
in der Tat besseren
Widerstand zu lei-
sten als Leinwand,
Ostwald stellt einen
Metallgrund in Aus-
sicht. (Auf Metall ist
auch früher schon
gemalt worden.) —
Da das Öl zersetzt
wird, kann eine mög-
lichste Einschrän-
kung d. gefährlichen
Bindemittels nicht
unvorteilhaft sein.
Ein einsaugender,
„gut schluckender"
Grund hilft dazu.
Allerdings verliert
ein derartig gemal-
tes Bild seine fein-
sten optischen Rei-
ze, das Tiefenlicht,
,,es schlägt ein".
Dann muß es wie
das Aquarell „her-
ausgeholt" werden.
Die hierzu benutz-
ten Harze zerfallen
nüt der Zeit, das
Bild wird „blind"
und sieht bläulich
wie mit Schimmel-
pilzen überzogen
aus. Dem vermag
Pettenkofers Rege-
nerationsverfahren,
abzuhelfen, dieTafel
wird Spiritusdämp-
fen ausgesetzt und
aufs neue mit Harz
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° „gesättigt". — Ein
Q anderer Weg, die
,■ Ölmasse zu verrin-
gern, ist der mög-
lichst dünne Far-
benauftrag, den die
starke Lichtbre-
chung der Deckfar-
ben sehr wohl ge-
stattet. Sehr pasto-
seMalerei unterhegt
ganz besonders der
Gefahr des Ab-
bröckeins, auch die
Trübungen werden,
je stärker das Ölla-
ger, um so mehr be-
merkbar. — Die
Glattmaler pflegen
allerdings die Ge-
fahr des pastosen
Auftrages meistens
zu übertreiben. Die
„Kleckser" malen
gewöhnlich prima
und besitzen damit
ein Präservativ ;
überdies handelt es
sich häufig, beson-
ders bei eingesetz-
ten Lichtern u.dgl.,
um nebeneinander
stehende, nicht in-
tim zusammengrei-
fende,kleinereFarb-
flecke , nachgiebi-
ger als die großen,
gleichmäßig lasier-
ten Flächen; da-
durch wird die Ge-
fahr des Springens
und Abblätterns zu-
rückgedrängt. Rem-
brandts Farbperlen
auf dem Berliner
„Mann mit dem
Helm" haben sich
wunderbar gehal-
ten. — Öllasur
wird häufig über
Temperadeckfarbe
gelegt. Böcklin er-
zielte damit gute
Resultate. Unter
der heutigen Tem-
pera versteht man
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Farbe, die mit einer
Ei- oder Kasein-
Leinöl-Emulsion
bereitet ist. Die
Emulsion bindet die
Pigmente zwiefach
an die Unterlage,
durchOxydationdes
Öls und durch Erhär-
tung des wasserlös-
lichen Bindemittels.
— Der strukturelle
Zusammenhang der
Bildmasse mag noch
so gesichert sein,
alle Mühe ist um-
sonst, wenn das
Fundament versagt ;
eine elastische, we-
der physikalisch
noch chemisch er-
heblich veränder-
liche Grundierung
ist die allererste
Lebensfrage jegli-
cher Malerei. —
Diese in knappen
Grundzügen vorge-
führten Techniken
werden von der
handwerklichen Ge-
schicklichkeit und
dem Spürsinn für
Materialwirkung
verschiedentlich
ausgebaut — ein
Unternehmen, des-
sen Erfolg aber nur
dann sicher, wenn
naturwissenschaft-
liche, speziell che-
mische Kenntnisse
die Versuche inspi-
rieren. Um an einem
eklatanten Beispiel
zu zeigen, wie leb-
haft gerade die Neu-
zeit nach einer Ver-
vollkommnung der
Malmittel strebt, —
vergleiche die Raf-
faelli-Ölfarbstifte —
seien einige Nach-
richten Floerkes
über Böcklins Ex-
perimentieren wie-
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K. Tescline
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dertScfSeben Sclion in den
fünfziger Jafiren bereitete Böck-
lin punisches Wachs (Wachsseife)
und malte damit . , . Von seinen
für Schack {Jemalten Bildern war
eines, ein antikes Oktoberfest, mit
Weihrauch gemalt. Die zunächst
blinde Malerei wurde durch Über-
gehen mit einem heißen Eisen wie
mit einem festen, durchsichtigen
Firnis überzogen . . . Jetzt (Mitte
1888) malt er mit Kirschharz und
Wasser .... Mitte 1889 hat er
wieder nach einem Rezept des
Theophilus nichts weiter als Was-
ser, Terpentin und Kopaivabalsam
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als Malmittel auf dickem, schluk-
kendem Grund. . . Nach Tempera,
Petroleum, reinem Leim, Fres-
ko und Gott weiß was, braucht
er nun einen Firnis, der wie rei-
ner Leim aus dem Pinsel fließt.
Selbstverständlich ist es nicht
einmal dem Künstler, j^eschweige
dem Laien möi^lich, aus dem fer-
tigen Werk die Technik der Her-
stelluni» zu erkennen; aber eine
ungefähre Vorstellung von dem
Material und dessen Bearbeitung
muß, wer die Wirkung eines Wer-
kes verstehen will, zu erlangen
vermögen. —
HI-KLIN-WILMERMIORK. ROH. BREUER.
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DEUTSCH-BÖHMISCHER KUNST-FRÜHLING.
C"* anz seltsamen Bedingungen entwächst das
J deutsche Kunstleben Böhmens. Seinen
natürlichen Brennpunkt bildet die Landes-
hauptstadt Prag. Aber diese Stadt ist über-
wiegend tschechisch, und ihre offiziellen Ver-
treter fördern lediglich tschechische Kunst.
Daß sie jedoch auch darin keineswegs richtig
vorgehen , zeigt klar der Bau des slavischen
Kepräsentationshauses, das Millionen bereits
verschlungen hat und von Tag zu Tag — je
mehr es seiner Vollendung entgegenschreitet
— fürchterlicher wird. Derzeit sieht es halb
einer Fabrik, halb einer Bahnhofshalle ähn-
lich; an seiner Stirnseile prangt ein Riesen-
gemälde, das nicht einmal die Qualitäten eines
mittelmäßigen Plakats besitzt. Während ein
solches Ungeheuer zu repräsentativen Zwecken
errichtet wird, fallen in den Seitenstraßen
teuere Schätze Alt-Prags — steinerne Zeugen
^S8
seiner früheren vornehmen Baukultur — mo-
dernem Großstadtgrößenwahn zum Opfer;
alte herrliche Platzanlagen werden brutal zer-
stört. . . . Doch liegt es mir fern, diese offizielle
Kunstbarbarei mit der ganzen tschechischen
Kunstpflege gleichzusetzen. Die Tschechen
haben einen ganzvortrefflichenKünstlerverein,
den „Manes"; man könnte seine Tendenzen
wohl am besten mit denen der deutschen
Sezessionen vergleichen. In seinem schmucken
Ausstellungsgebäude, einem Werke Koteras
— des begabtesten, tschechischen Architekten,
führte uns dieser Verein bereits glänzende
Ausstellungen vor: in erster Linie pflegt er
moderne französische Kunst , aber auch
Deutsche kamen zur Sprache, so z. B. in einer
sehr gut gewählten Ausstellung der Worps-
wederMaler, einerumfassendenKollektion der
Arbeiten L. v. Hofmanns etc. In seinem Ver-
läge erscheinen auch die beiden besten tschechi-
schen Kunstzeitschriften. Aber dieser Verein
stellt die edelste Frucht eines nach Millionen
zählenden Volkes dar, für das Prag, sein „gol-
denesMütterchen", die Zentrale bedeutet. Für
die Deutschen stellt sich die Sache natürlich
wesentlich anders. Prag ist — und dies zu
leugnen wäre kindisch — in Angelegenheiten
der bildenden Künste bis heute Provinz; und
die großen deutschen Kunstschlachten werden
in Berlin, München, Wien, Darmstadt usw.
geschlagen, aber jedenfalls nicht in Prag. Und
viele der besten unserer Künstler .suchten da-
iier den Weg in die Fremde, die sie gastlich
aufnahm. Noch zwei weitere, bedeutende
Übelstände wirken störend und hemmend. An
der Kunstakademie zu Prag lehrt nur ein ein-
ziger deutscher Professor, der als Lehrer und
Künstler gleich vortreffliche Franz Thiele. F.s
ist daher unseren deutschen Kunststudierenden
der Weg zu ihrem Beruf recht erschwert, und
wer kann, flieht in die Fremde. Und dadurch,
daß Stellen für reife Künstler fehlen, gelingt
es nur selten, sie in Prag zu halten. Eine der
dringendsten Forderungen zielt demnach auf
Gründung einer deutschen Kunstschule. Sie
ist eine unerläßliche Notwendigkeit zur Heran-
bildung unserer jungen Künstler und zur Ver-
hütung, daß wir der besten Kräfte verlustig
gehen. Der zweite Übelstand liegt in dem
Publikum , das zwar sehr musikliebend und
recht theaterfreudig ist, aber gerade der bil-
denden Kunst wenig Aufmerksamkeit schenkt.
Allerdings trägt es nicht die Schuld, denn es
wurde noch fast kein Versuch unternommen,
das Publikum ästhetisch und künstlerisch in
dieser Richtung zu erziehen. Und da selbst
die Mehrzahl unserer Zeitungskritiker der bil-
denden Kunst völlig verständnislos und dilet-
tantisch gegenübersteht, darf es nicht wunder-
nehmen, daß die breiten Schichten ohne Füh-
rung planlos irren.
Glücklicherweise können wir jedoch unsere
Blicke lichteren Bildern zuwenden und der
wahrhaft kunstfördernden Finrichtungen ge-
denken. Größte Verdienste hat sich da die
„ Gesellschaft zur Förderung deutscherWissen-
schaft, Kunst und Literatur in Böhmen" er-
;,S.,
DI
worbcii. Sie ist die Zen-
trale, die sorgsam dar-
über wacht, daß kein
Talent zuj^rundc s^ehl;
sie ist stets bereit, mit
Rat und Tat z.u helfen.
Große Summen Geldes
verwendet sie auf Sti-
pendien, Unterstützun-
gen usw. Sie fSibt auch
die jslänzend jjeleitcte
Monatsschrift „Deut-
sche Arbeit" heraus,
in der fortlaufend Wer-
ke deutsch-böhmischer
Künstler reproduziert
werden. LJnd dafür, daß
wenigstens eine gewisse
Anzahl bedeutender
heimischer Arbeiten an-
gekauft wird, sorgt die
„Moderne Galerie des
Königreiches Böhmen in
Prag", die durch den
Allerhöchsten Stiftsbrief
Seiner Majestät des Kai-
sers Franz Josef I. im
Jahre 1902 begründet
wurde „als eine Stif-
tung, welche für immer-
währende Zeiten und
unveränderlich im Be-
sitze des Königreiches
Böhmen zu verbleiben
hat".' Ihre Mission ist
dahin gekennzeichnet,
„daß sie den bildenden
Künstlern beider Volks-
stämme des Königrei-
ches Böhmen Gelegen-
heit geben solle, ihr
reiches Können für das
Gedeihen und die Blüte
der heimischen Kunst in
friedlichem Wettstreit
einzusetzen". Ältere
und fremdländische
Kunst ist daher pro-
grammgemäß aus der
Modernen Galerie aus-
geschlossen. Die Zinsen
des zwei Millionen Kro-
nen betragenden Stif-
tungs -Vermögens und
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iiumclierlei Sclienkuiij^en sorgen für unab-
lässige Vermehrung der Kunstsammlung, die
1905 in drei Sälen eröffnet wurde und heute
bereits sechs Räume füllt.
. Was nun die deutsch-böhmische Künstler-
schaft anbelangt, so ist sie in zwei Gruppen
geteilt; die eine — der „Verein Deutscher
bildender Künstler in Böhmen" — schart um
sich die Jiuigen und Werdenden; die andere,
weit bedeutendere Gruppe — der neu gegrün-
dete „Deutsch-böhmische Künstlerbund" —
umfaßt fast alles, was wir an ernsten und
reifen Künstlern besitzen; und auch von den
Jungen haben sich einige Begabte den berufe-
nen Kührcrn angeschlossen. Der eben genannte
39-1
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Künstlerbund hat nun im Künstlerhaus Rudol-
finum eine Ausstellung veranstaltet, die in ihrer
erlesenen Güte ein Bild mächtiger, strotzend-
reicher heimischer Kunstfülle bietet.
Außerhalb Österreichs bringt man leider
den deutschen kulturellen Verhältnissen in
Böhmen recht wenig Interesse entgegen; man
denkt dabei meist nur an nationale Wirren,
gestörten Studentenbumniel und ähnliche un-
erfreuliche Dinge, weit weniger aber an die
ungeheuere positive Arbeit, die dieser Zweig
des großen deutschen Stammes leistet. Und
gerade in seinem Schaffen liegt der glänzende
Beweis für reine Stärke und Gesundheit. Und
daß er auch auf dem Gebiete der bildenden
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Künste eine höchst ehrenvolle Stellung ein-
nimmt, mag diese knappe Skizze zeigen.
Am meisten bekannt von den deutsch-
böhmischen Künstlern dürften wohl Gustav
Klimt, Franz Metzner und Emil Orlik
sein. Und es sollte vi^ohl niclit geschehen, daß
heute noch eine so berühmte Kunstgeschichte,
wie die Springers, Orlik zu den slavischen
Künstlern rechnet. Um Metzner und Orlik
hat sich die Heimat sehr verdient gemacht.
Metzner kamen verhältnismäßig viele Aufträge
von Prag zu; so das Nibelungendenkmal für
den Hof der Modernen Galerie, das Mozart-
denkmal für das Landestheater usw. Auf Or-
lik's Leben hat wohl seine Japanreise ent-
scheidend eingewirkt, und diese wurde ihm
durch ein hohes heimisches Stipendium er-
möglicht. Und wie sehr die Heimat seine
Werke schätzt, beweist die Tatsache, daß die
Moderne Galerie heute bereits über sechzig
seiner Arbeiten besitzt, darunter die bekann-
tenÖlgemälde: „DasModell" und „Alt -Wien".
Leider leben alle drei Künstler fern von ihrer
Heimat; doch können wir uns wenigstens
damit trösten, daß viele Fäden von ihnen
zu uns herüberführen, und sie gern und fleißig
unsere Ausstellungen beschicken.
Von bekannten deutsch-böhmischen Künst-
lern wirken ferner im Ausland E. Hegen-
barth als Akademie -Professor in Dresden,
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Czeschka in I laniburji und der junf^c Huj^o
Steiner in Leipzig. Und in jüngster Zeit
wanderten unsere vortrefflichen Holzschnitt-
künstler Walter Klemm und Karl Thic-
mann nach Dachau aus; wieder ein schwer
zu ersetzender Verlust! In Wien leben
Michael Powolny, dessen Majoliken wohl
' • meiner Beliebtheit sich erfreuen, fer-
ner die beiden Plakettcnkünstler Arnold
Hart ig und Ludwig Hujer. Lind diese' Liste
könnte leider noch verlängert werden! Aber
klar zeigt sie doch , welcher Reichtum von
Begabungen unserem Volkstum entwächst.
Und wenn wir auch wehmütig sagen „sie
kommen von uns", so können wir doch auch
freudig ausrufen „sie gehören zu uns", wenn
wir in der — eben erwähnten — Ausstellung
tu
\ or ihren Werken stehen , und aus ihnen der
Atem ihrer Eigenart verwandt uns entgegen-
weht. Und gerade durch die jetzt vollzogene
ZentraHsation, durch größere Ankäufe, Unter-
stützungen usw. schaffen wir in der Heimat
den Ausgewanderten festen Rückhalt und
ketten sie enger an uns.
Sprachen wir bisher von Deutschböhnien
außerhalb Böhmens, wollen wir nun freudig
derer gedenken, die schaffend unter uns wei-
len. Und da müssen wir vor allem einen
Namen nennen, der uns besonders ans Herz
gewachsen ist: Karl Krattner. Keiner hat
sich so wie er um das Erstarken und Erblühen
deutsch -böhmischer Kunstgemeinschaft be-
müht; der neue Künstlerbund ist eigent-
lich sein Werk. Gilt so unsere Liebe dem
tüchtigen Organisator, schlägt unsere Bewun-
derung dem großen Künstler entgegen. Ich
wage es zu sagen, daß er weitaus der bedeu-
tendste unserer religiösen Maler ist. Hoheits-
volle Feste der Farbe sind seine Werke, ein
Hauch festlicher Größe umspinnt sie. Fern
scheinen sie uns in ihrem hehren Lichte, und
nah stehen sie unseren fühlenden Sinnen. Ihr
mächtiger Rhythmus erfaßt uns und schlägt uns
gleich stürmischem Wogenbrausen entgegen;
zu ruhiger Harmonie schließt sich das Ganze,
und alles Brausen verstummt und macht
Platz dem stillen Glücksgefühl, das uns vor
den großen Offenbarungen der Kunst ergreift.
Wer seine große „Kreuzigung" oder seine
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Entwürfe zur Apokalypse sah , wird meine
Worte nicht für leere Schwärmerei halten und
mit mir auf die Zukunft dieses Künstlers
(irößtes Hoffen setzen. Langsam reift er, sein
Reifen gleicht dem Wachsen starker Eichen.
Und so etwas Starkes, Kraft -strotzendes,
Zeiten-überdauerndes erwarten wir nach den
köstlichen Proben, die er bot.
Franz Thiele erwähnte ich bereits als
vortrefflichen Akademieprofessor; dazu be-
fähigt ihn besonders seine Vielseitigkeit. Mag
er nackte badende Jungen malen oder das
Porträt einer eleganten Dame, oder mag er
gar in großzügigen, plastischen Versuchen sich
ergehen, stets fesselt er uns durch die Tüch-
tigkeil seiner Arbeit und die Vornehmheit
seiner künstlerischen Auffassung. Weit ein-
seitiger, aber in seiner Einseitigkeit bewun-
dernswert ist W. F.Jäger, unser bester Land-
schafter. In seinen Bildern, da lebt die Eigen-
art unseres Landes: der breite, sanfte, fast
melancholische Rhythmus seiner Höhenzüge,
seine sonderbare Anmut , sein fruchtbarer
Reichtum. Durch ein kleines Gedicht R. M.
Rilkes läßt sich wohl diese Stimmung am
besten kennzeichnen:
Mich rührt so sehr
böhmischen Volkes Weise,
schleicht sie ins Herz sich leise,
nirtdit sie es sctivver.
Wenn ein Kind Siidit
singt beim Kditoffeljiiten,
klingt Dir sein Lied im spulen
Tranni nodi der Nadit.
Magst Du anch sein
weit über Land gefahren,
fällt es Dir dodi nach lahren
stets wieder ein.
Weiter wären hier zu nennen der phan-
tasievolle Radierer August Brömse, dann
Rudolf Jettmar, aus dessen Aquarellen
eine ganz eigenartige Schwermut uns entgegen-
schaut, der elegante Ferdinand Michl,
den sein Pariser Aufenthalt fast in einen Fran-
zosen umgewandelt hat, der feinfühlige Land-
schafter Eduard Ameseder und der junge
Alfred Justitz, dessen Talent durch alle
Anfängerschaft und Schülerhaftigkeit hindurch
sich bemerkbar macht.
Doch sei hier auch der Führer der anderen
Künstlergruppe — des „Vereins Deutscher
bildender Künstler in Böhmen" — gedacht.
Vielseitigste Begabung zeigt der junge Rieh.
Teschner. Ob er sich nun in seltsam phan-
tastischen Bildern und Radierungen versucht
oder große Mosaiken entwirft oder auch
Marionetten verfertigt, stets fesselt er durch
sicheren Geschmack. Leider zersplittert sich
nur sein starkes Talent, und statt großer Lei-
stungen entstehen niedliche Kleinigkeiten. In
ihrer entzückenden Eigenart bilden aber auch
sie willkommene Gaben. Die Höhe seines
bisherigen Schaffens bedeuten wohl die De-
korationen zu der Erstaufführung von „Pelleas
und Melisande" im Neuen Deutschen Theater
zu Prag. Sie waren ganz der schwermütigen
Romantik des Stückes angepaßt und glühten
in vornehmer Farbenpracht. Vielleicht ist dies
der hoffnungsvolle Weg für seine Zukunft.
Dann erwähne ich noch zwei Plastiker; Wil-
fert und Rieber. Beide sind noch jung und
im Werden begriffen, doch legten auch beide
bereits bedeutende Proben ihres Könnens
ab. Von der weiblichen Künstlerschaft seien
nur die geschmackvolle Porträtmalerin Otty
Schneider und die von Kaiser mannigfach
beeinflußte Landschafterin Lili Goedl-
Brandhuber erwähnt.
Von deutsch-böhmischen Architekten dürfte
wohl 0 h m a n n , der h.rbauer des Magdeburger
Kaiser Friedrich- Museums, der bekannteste
sein. Doch kommt er über einen — aller-
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hinaus. Weitaus bedeutender und origineller
scheint mir Baurat Zasche. Seine bisherigen
Hauptleistungen sind die neue Kirche zu
Gablonz, die Tonhalle auf der vorjährigen
Jubiläumsausstellung zu Prag, ferner in Prag
die „blaue Villa", das „Drei-Keiterhaus" und
die Paläste der Kisen-lndustriegesellschaft und
des Wiener Bankvereins. An zwei grofien Auf-
trägen arbeitet er derzeit: an dem Neubau des
deutschen Kasinos und an der neuen deutschen
Universität. Wie erquickende Oasen ragen
seine Bauten aus dem modernen Prager Bau-
elend heraus. Alles, was wir von guter Archi-
V-
tektur verlangen können, besitzen sie : Zweck-
mäßigkeit der Anlage und glänzende Harmonie
der Verhältnisse. Monumental einfach wirken
sie und doch nicht kahl oder armselig.
Dies wäre nur eine knappe Übersicht, gleich-
sam ein flüchtiges Bild, dem gar manche Ein-
zelheiten fehlen. Auf das einzelne kam
es mir auch nicht an, aber das eine ist mir
vielleicht geglückt: zu zeigen, daß wir in
Deutschböhmen eine zahlreiche junge Künst-
lerschaft besitzen mit bedeutenden Meistern
als Führern und einem lebenskräftigen Nach-
wuchs! Trotz aller Hindernisse keimt und
sproßt hier ein üppiger Kunstfrühling auf! —
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lei Reue nach sich ziehen, sind diejenigen, die man geboren, der Zufall überliefert sie nidit : dnrdi
liber die Unwissenheit gewinnt. Die ehrenwerteste
Besdiattignng und zugleich die nii^lichste für die
Nationen ist diejenige, die auf Erweiterung des
menscJilichen Ideenkreises ausgeht. N.ipolodii.
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Das Publikum ist im ganzen nidit fähig, irgend-
ein Talent :u beurteilen; denn die Orundsä^e,
Clbung und Studium allein können wir dazu ge-
langen. Ooollic-.
Immer ist es ein Zeichen der eigenen Vortrefflicfi-
keit, wenn die Seele audi aus den unsdieinbarsten
Zügen anderer das Sdiöne herauszufinden weili.
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KARIKATUR UND KUNST.
Das Witzblatt hat den Karikaturisten um
seinen Nimbus gebracht. Wie der Tor-
rero soll er allwöchentlich in die Arena steigen
und echtes Herzblut verspritzen. Schließlich
hat er sich daran gewöhnt, den gierigen Rachen
der Schnellpresse mit lustigen Bosheiten und
ironischen Scherzen zu stopfen. Da er sich
nicht enthalten darf, bis ihn der große Zorn
überkommt, mußte er zum gewerbsmäßigen
Witzbold werden.
Der Satiriker ist Agitator, Kämpfer, Ver-
nichter der bestehenden Mächte, Zerstörer von
Vorurteilen, der Schicklichkeiten und Autori-
täten, Aufrührer und Aufwiegler. Ein cthi-
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scher Wille bestimmt sein Gestalten. Jen-
seits von Gut und Böse wird er zum aniüsier-
lichen Popanz, der keinen Spatzen schrecket . . .
Ist auch seine Geste rhetorisch, so bedarf
sie doch der kristallklaren Form. Der Aus-
druck muß überzeugend stark, mitreißend wahr
sein, denn auf ihm balanciert die Wirkung.
Und was wäre der trefflichste Hieb, dem die
Wirkung versagt ist!
So marschiert er ständig auf der
Grenze zur Kunst. Das Künstlerische stets
getrübt durch die Tendenz, und die Tendenz
wiederum abgeklärt durch die Macht des
künstlerischen Ausdrucksvermögens. Nur die
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niedere Komik findet ilir Gen{i)>cn an der llhi-
strierung einer Pointe. Die Heilenianns, Recni-
zeks mit ihrer Kaffeehauserotik, die Jüttner,
Gestwicki, Schmidlhamnier mit ihren persi-
flierenden Froz7,eleien oder der gute Zille
mit der Treffsicherheit des sentinientalischen
Spießerblicks sind gewiß für manchen und
nianclie amüsicrliche Leute. Wo der Spaß-
macher aufhört, beginnt der große Satiriker
erst seine Geißel zu schwingen. Er greift über
sich und über die Sphäre des vergnüglichen
Schmunzeins hinaus. Weil er innerlich Künst-
ler ist, will er Wahrheit künden. — Wahr-
heit nach seiner Art, Wahrheit, wie sie das
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Irübc Mäniniclien des
Nachtlichts ahnen läßt,
l'iir den Zorn, den Haß
und die Verachtung
die fSroße, die über-
zcujiendeForm zu su-
chen, ist sein Bef^eh-
ren. Diese Satire duldet
daher die ästhetische Be-
trachtungsweise. Soll doch
hier ein menschliches Rin-
gen um Menschheitswerte
auf eine knappe Formel
gebracht werden. Mag ihr
Vorzeichen auch negativ
sein, mag sie statt der
weihevollen Ruhe den lei-
denschaftlichsten Ingrimm
entfachen, erkennbar bleibt
immer die Schöpferwucht,
die den ernsten Künstler
zu seiner Tal antreibt. —
Dadurch allein vermag die
Karikatur auch fortzuwir-
ken über ihre Stunde und
ihr Zeitalter hinaus. Der
äußerliche Anlaß kann ent-
fallen, die Aktualität eines
Goya, llogdrth, Daumier,
Toulouse-Lautrec und —
um die Verzweigung der
Linie anzudeuten Heine,
Rud. Wilke, Gulbransson,
Ernst Stern, entschwindet,
unvergänglich ist die
Art der Auseinander-
setzung mitdem Pöbel-
instinkt. War dieser mit
dem Röntgenstrahlenblick
seiner Zufälligkeit entklei-
det, war die Gesetzlichkeit
der jammerbaren Triebe
aufgezeigt, dann behält das
Blatt für alle Zeiten Wert
und Wucht. Denn nicht
nur das Edle erhält sich
immerdar unter der ständig
zerfallenden , ständig er-
neuernden Oberfläche.
Der Witzbold erregt die
Lachmuskeln. Eulenspie-
geleien sind unterhaltsam
und beliebt. Die wirkliche
Satire aber ist Herois-
mus und fordert Hero-
ismus. — Somit wäre die
Karikatur wohl ethisch
zu betrachten, doch
ästhetisch zu bewer-
ten. F'AUl. WEsTHr.IM.
höher die Kultur, desto
ivollcr wird die Arbeit. R.
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DER MODE.
An der duidi Über-
L lieferung und
Übereinkommen ge-
heiligten Ordnung un-
serer Kleiderkultur, lUi
der allgemeinen Mei-
nung über das, was zu
tragen schicklich und
zwecklich ist, hat kein
Andrer ein Recht, zu
rütteln und zu rühren,
nicht der nüchterne
Verstand, der mit dem
Plastron der Logik
um Hygiene oder so-
ziale Einfachheit ra-
piert, nicht die über-
sctiwellende Phanta-
sie, die sich Farben und
Formen gebauschter,
gestickter, gepuffter, in
Purpur getauchterCe-
wander ihrer Augen-
trunksucht erwünscht
— denn allein die ge-
heimnisvolle Königin
Mode. Nur sie allein kann das Zauberwort spredien:
Mutabor! — Die Mode macht sich alle Äuüerungen
unseres Lebens tributpflictitig, was da geboren wird.
was immer erwächst,
null! ihr zahlen, wenn
es ihr beliebt. Was
einkommt, verwendet
sie dazu, die Dinge
und die Gedanken zu
kleiden. Sie ist lau-
nisdi wie ein Weib,
bald beeinflußt sie die
Produktion, bald läßt
sie sidi von der Pro-
duktion beeinflussen.
-- Die jungen sind der
Mode treustes und
begeistertstesGefolge,
mittleres Alter schließt
sich ihr vorsichtig ge-
messen an, drohend
und mit dem Krück-
stock fuchtelnd, hum-
peln die Alten hinter-
drein, woferne sie es
nidit vorziehen,
sdunähend am Wege-
rain si^en zu bleiben,
ohnmäditigVersdiwö-
rungen anzettelnd, an
deren Ausführung sie
Freund Heins Sense
grausam hindert. Der Mode voran ziehen die
Kinder der ewigen Jugend und streuen ihr Blumen.
Der Weise sieht ihr liebevoll zu, wenn sie das
417
kaleidcnkopisclie Lehfiist-i diolit und die bimten
GIcissplitteidien sidi zu nciioii lustigen Mustern
ordnen.
Wie die Kleiderinode dussielit, diiriiber sind sidi
die Geister nie einiy geworden. Einige beluinpten,
sie triige die Züge des Königs von England, andere
vermuten in ihr eine griilüiclie Hydra von Schneider-
meister- und Stofffabriiidnteniiöpfen, die bald zu
London, bald zu Paris ein sagenhaftes Dasein führte,
wieder andere madien aus ihr eine noch unbe-
l;aiMite Natnrkraft, die unter Mitwirkung meteoro-
logisdier Einflüsse und unter Mitarbeit von geo-
grapllis^^len und ethnologisc-lien Faktoren den Wedi-
sel unserer kütisllidien Llbere|)iderTnis bewirkt.
Sei dem wie es will — jedenfalls ist sie da, dort
wo man sich Elfenbeinklö^e in Nase und Ohren
zwängt, dort wo man an Pool und Worth glaubt —
und sie wird bleiben, so lange lehova nidit der
Evolution seines paradiesisdien pell- und Blatter-
kostiüus Einhalt gebietet, hoffentlich ewig zum Segen
der Mensdiheit.
Wenn die Mode uns unsere Mitmenschen nicht
immer neu »aufmadite« — wir würden vor Lange-
weile aussterben.
Et^lte Lebenskunst wird iuuner gerne bei der
Mode um Audienzen bitten. Wer sich nidit mit
der Mode auseinanderse^t, ist schon halb gestorben.
KUN'> 4;ka1' h \kiif.\i;i.k<..
nri'K-i F. j. wiMMia;. riii:.\ ier-haiiU'.
KLEINE KUNST-NACHRICHTEN.
l'EBKUAR 1910.
BERLIN. Nicht gerade viel von nationaler
Eigenart lägt die ungarische Aus-
stellung im Hause der Sezession erkennen,
und das künstlerisch Beste ist dem französischen
Einflufi von Corot und Courbet bis zu Manet zu
verdanken, ja bis zu einer nicht sehr geschickten
Nachahmung Qauguins und Cezannes hat man
es dort zu Lande gebracht. Als einer der besten
älteren Maler erweist sich Munkascy, und
jenes Waldinnere, in das helles Sonnenlicht fällt,
ist vielleicht das schönste Bild, das ich je von
ihm sah. Er ist der einzige, der nicht nur von
den Franzosen genommen hat, sondern der selbst
Schule machte. Am bekanntesten ist sein Ein-
flufi auf den jungen Liebermann. Paal, auch
einer der Älteren, verlor seine heimische Eigen-
art in Barbizon, während Paul von Szinyei in
München mit Leibl und Böcklin gemeinsame
Sache machte und besonders den letzteren schlimm
genug imitierte. Erst später fand er sich selbst
und lenkte in den Impressionismus ein. Ein sehr
hübsches Bild, die „Landpartie", hat auch in
der Farbengebung Eigentümlichkeiten, die man
beinahe national nennen könnte. Und kaum
anders als in der Wahl der Harmonie der Farben
zeigt sich überhaupt das Ungarische bei diesen
Malern. Unter den Jüngeren fiel mir das be-
sonders bei Rippl-Ronai und Stefan Csok
auf. Weitaus der geschid<teste Maler unter
ihnen ist aber Adolf Fenyes, freilich auch der-
jenige, der am meisten französische Art ange-
nommen hat. Seine hellen, sonnigen, lufter-
füllten Bilder fallen auf und bleiben in angenehmer
Erinnerung. Karl von Ferenczy ist weniger
gleichmäJ5ig gut, hat aber einige starke Land-
schaften in der Ausstellung. Auch ein gewisses
slavisches Element macht sich bemerklich, dem
deutschen Empfinden am fernsten stehend und
allgemein von einem dekadenten Mystizismus.
Es ist bezeichnend, daf; in diesen Bildern, auch
Entwürfen, Tapisserien, die Linie vorherrscht.
Das Berliner Publikum scheint sich für die
Ungarn nicht sonderlich zu interessieren. Der
Besuch der Ausstellung ist schwach, und das
haben die opferwilligen Veranstalter nicht ver-
dient. - Von der Spaltung in der Sezession
hat die Tagespresse genügend berichtet und
auch davon, dag man den Rij^ notdürftig wieder
geleimt hat. Die Alten und die Jungen haben
sich zu einem glatten Kompromiß verstanden,
zurzeit vielleicht das Beste, was sie überhaupt
tun konnten. Lange wird es nicht dauern, denn
die jungen Künstler, unter denen sich starke Be-
gabungen mit Zielen befinden, die dem Wesen
des von der Sezession bisher gehüteten Im-
pressionismus zuwiderlaufen, werden die Rechte
der Jugend und der Zukunft geltend machen.
Vorläufig aber ist wenig zu sagen, und was ge-
schehen mug, wird kommen, sobald die Zeit
reif dazu geworden ist. f.wai u i:i ni.kk.
*
CADINEN. Bei A. Werlheim in Berlin gibt
es jetjt eine große Kollektion neuer Kera-
mik aus Cadinen zu sehen. Blumentöpfe, Pllan-
zenkübel, Pflanzenkästen, Vasen, mancherlei Klein-
gerät, Plastiken. Am trefflichsten sind die Terra-
kotten; doch auch die mit ein- oder mehrfarbiger
Glasur überzogenen Gefäße haben gute Quali-
täten. Jedenfalls darf festgestellt werden, daß
die Kaiserliche Manufaktur unter der Führung
rühriger Künstler vorangekommen ist. Wir wer-
den davon im nächsten Heft durch eine Ver-
öffentlichung mit wohl gelungenen Bildern noch
mehr zu berichten haben.
P'RIEDRICH NAUMANN. Die Freunde der
Qualitätsarbeit und der Schönheit wissen
immer noch nicht zur Genüge, wie viel Friedrich
Naumann dazu beigetragen hat, daß die Dunkel-
heit eines satten Philisteriums, die über dem sieg-
haften Deutschland lagerte, der Morgenröte einer
neudeutschen Kultur wich. So scheint es nicht
unangebracht, scheint es vielmehr eine Pflicht,
immer wieder auf Naumanns Schriften hinzu-
weisen; wie eine Art Danksagung mag es em-
pfunden sein, daß wir dies gerade heute tun : am
25. .März wird Naumann 50 Jahre alt werden.
Die Deutschen sind gegen ihre führenden Geister
immer undankbar gewesen; um so nachdrücklicher
sollten die Wissenden dafür sorgen, daß die
wenigen Lichter, die uns wurden, nicht unter den
Scheffel geraten. ki;.
<*
C ASSEL. Unter den Sondergruppen der künst-
lerisch Schaffenden der Gegenwart nehmen
die „Elbier" in Dresden, deren geschlossene Vor-
führung der Kunstverein in Cassel in einer sehr
beachtenswerten Ausstellung vom 15. Dezember
1909 bis 15. Januar 1910 zeigte, eine eigenartige
und für das Kunstschaffen unserer Zeit bezeich-
nende Stellung ein. Diese manifestiert sich vor
allem in der einheitlich guten, von einem ehr-
Kleine Kjnnit-A'acli richten.
liehen und gründlichen Streben getragenen künst-
lerischen Richtung, die fast alle Werke der Aus-
stellung, Bilder und Plastiken, vorteilhaft aus-
zeichnet. Dieses einheitliche Streben nach hohen
und höchsten künstlerischen Zielen in der Freun-
desgruppe der „Elbier", deren Zahl von 7 vor
nahezu einem Jahrzehnt, heute auf 13 gestiegen
ist, bringt es mit sich, daß ihre Ausstellungen
eine seltene Einheitlichkeit in der künstlerischen
Tendenz verraten, die vor allem in den Bildern
auffallend zum Ausdruck kommt. Natürlich kann
von einer Ähnlichkeit im mathematischen Sinne
hier keine Rede sein, es ist vielmehr jene innere
Harmonie gemeint, durch die ähnlich veranlagte
Künstler infolge inniger Wechselbeziehungen und
gegenseitiger Beeinflussungen nach der künst-
lerischen Seite hin, in ihren Werken sich ähnlich
werden, mögen die behandelten Gebiete auch
noch so weit auseinander liegen. Dieses ernste,
ehrliche, gründliche Streben nach solch innerer
künstlerischen Einheitlichkeit verleiht den Aus-
stellungen der „Elbier" einen eigenen Reiz, der
dadurch noch erhöht wird, daJ3 die Stoffgebiete
mehrerer unter ihnen fast gleich sind, bei der
Behandlung aber jene feinen individuellen Unter-
schiede auftauchen, die das Wesen des wahren
Künstlers let3ten Endes ausmachen. Da unter
den 13 Künstlern nur 3 Plastiker sind, so tritt
die Plastik naturgemäf; bei ihren Ausstellungen
ein wenig in den Hintergrund, bleibt jedoch nach
der erwähnten Seite hin immer beachtenswert
und interessant.
Der Kunstverein in Cassel hat durch diese
wertvolle Ausstellung, die einen zwar kleinen,
aber lebendigen und temperamentvollen Aus-
schnitt aus dem besten Kunstschaffen der Gegen-
wart zeigt, den Kreis seiner letjtjährigen, fast
stets bedeutenden Ausstellungen um eine wich-
tige vermehrt und wiederum bewiesen, daJ3 er
mit den reformatorischen Bestrebungen des neuen
Vorstandes, den Kunstsinn des Publikums durch
die besten Darbietungen aus allen Kunstgebielen
in seinen Ausstellungen allmählich immer mehr
zu wecken und zu fördern, sich auf dem rechten
Weg befindet. \\ .
Ä
ILLUMINATION. Zu Kaisers Geburtstag zündet
die Berliner City Freudenlichter an. Elek-
trische Ströme sollen patriotisch aufrauschen.
Nun hat Norddeutschland wenig Instinkt für fest-
lichen Schmuck, und so waren denn auch diese
Illuminationen meist recht banal und geschmack-
los. Immerhin: in den letjten Jahren ist es lang-
sam etwas besser geworden; und diesmal konnte
man im allgemeinen schon zufrieden sein. Zum
mindesten sind einige Prinzipien begriffen worden.
Die üble Buntheit und das gehäufte Arrangement,
zu dem die leicht beweglichen elektrischen
Birnen verführten, scheinen überwunden. Man
steckt nicht mehr Dut3ende und Hunderte von
Glühlampen dicht nebeneinander in die naturalisti-
sche Form von Fahnen, Kronen, Adlern oder Schrift-
zügen. Man sieht nicht mehr in der brutalen
Massenwirkung den höchsten Effekt. Man hat
gelernt, dag auch die Helligkeit erst zur rechten
Wirkung kommt, wenn sie formal gebändigt
wurde, wenn sie einem klaren Thema dient. Und
man hat ferner gelernt, dag solches Thema nur
architektonischer Art sein kann. Messel war
der erste, der diese Erkenntnis zur Tat erhob;
er rahmte die Pfeiler und die Hauptmassen seines
Wertheimbaues mit einer dichtgeschlossenen
Reihe von Lampen und gewann so mühelos und
selbstverständlich eine starke Monumentalität. Das
Ei des Columbus. Dies streng architektonische
Prinzip hat gesiegt; bei der let5ten Illumination
konnte man viele groge Geschäftshäuser sehen,
deren Fassaden mit leuchtenden Linien umrahmt,
mit leuchtenden Linien rhythmisch gegliedert
waren. Es ist anzunehmen, dag hierzu Peter
Behrens als künstlerischer Beirat der A. E. G.
das Seine beigetragen hat. Einige Anordnungen
schienen seine Hand deutlich zu verraten. Dag
in der Tat für die Illumination städtischer Bauten
das architektonische üeset) und der Rhythmus
die alleinigen Mittel klarer und pathetischer Wir-
kung sind, das bewies am besten die Gesamt-
heit des Pariser Platjes. Diese edelste Raum-
einheit des Berliner Stadtbildes war allseitig
von brennenden Kerzen umfagt. Diese Kerzen
standen hinter den Fenstern der den Plat)
begrenzenden Häuser, sie standen in Gliedern,
unterbrochen durch die Intervalle der Mauern.
Ästhetisch war nichts anderes geleistet, als
eine möglichste Verdeutlichung und scharfe
Sichtbarmachung der natürlichen Etagen, des
stets vorhandenen Fassadenbildes. Das genügte,
um einen starken Eindruck zu vermitteln. Es
gibt eben keinen reineren Grad städtischer
Monumentalität als den geschlossener Raum-
wirkung, als den architektonischer Ordnung.
Unter den Schaufenstern, die dem Kaiser zu
Ehren hergerichtet worden waren, war eines beson-
ders beachtenswert, das der Frau Oppler. Sie
hatte es für Julius Brühl, das Stickereigeschäft,
dessen künstlerische Führung sie übernommen, zu-
sammengestellt. Der Raum des ganzen Fensters
war nach hinten in voller Höhe durch einen Vor-
hang von dunkelgrüner Seide abgeschlossen.
Die Ausschmückung wurde durch zwei Banner
und einen hohen Leuchter bestritten. Die Banner
standen links und rechts, seiden, blaurot und
420
Kleine Kitnsl-N'achruhte)!.
violett, mit ornamentaler Stickerei; sie standen
als architektonischer Akzent, als Seitenkulisse, als
Facette eines Raumkörpers, in dessen Achse der
steile, eingliedrige Leuchter ragte. Um die
Basis des Leuchters lagen im Kreis Docken
weifjer und schwarzer Wolle, betont durch rote
Knäuel. k. ukeiik.
Ä
NEUES AUS HAMBURG. Schumacher, dem
neuen Verwalter des Hamburgischen Stadt-
bildes, mangelt es nicht an Arbeit. Er baut
grof3e Objekte, er baut auch den viel umstrittenen
Stadtpark. Er wird ihn in der Tat bauen; aus
Pflanzen ein nutzbares Gebilde, eine bewohnbare
Stätte der Erholung und des Sportes organisierend.
Die Gartenarchitekten haben über die Landschafts-
gärtner gesiegt. Lichtwark hat sich wieder
einmal als ein Kulturpionier des Reichtums er-
wiesen. Und nicht minder hat sich Leberecht
Migge, dessen Agitation für eine vernunftge-
mäge Nutjgestaltung des Parkes die Diskussion
heftig anfachte, trefflich bewährt. In diesem Migge,
der die Firma Jacob Ochs künstlerisch leitet,
besitjt Hamburg ein ausgezeichnetes Talent für
schöne, der Zeit gehorchende Gärten. In der be-
rühmten Alsterslraf^e ist eine Miggesche Anlage, die
ein starkes sinnliches Verständnis für das Wesent-
liche eines modernen Gartens aufweist. - Einen
erfolgreichen und sehr geschickten Dirigenten
der künstlerischen Praxis besit5t Hamburg in
Richard Meyer, dem Direktor der Kunst-
gewerbeschule. Er hat nicht nur seine Anstalt
durch die Hinzuziehung junger, eigener Kräfte
gut verproviantiert; er sorgt auch dafür, dafi das
Handwerk und die Kunstindustrie immer ent-
schiedener zur Qualität dringen. Es zeigt sich in
Hamburg eine Tendenz, den Bedarf für öffentliche
Zwecke auf die einheimische Produktion zu be-
schränken. So gefährlich solch Unternehmen ist,
so förderlich kann es doch für das Ganze sein,
wenn die Okkupation der Lieferungen nicht durch
Schachzüge der Bürokratie, vielmehr durch Güte
und Schönheit der Ware erzwungen wird. Direktor
Meyer müht sich auch, das Publikum zu er-
ziehen. Er beginnt so früh wie möglich, schon
bei den Kindern. - Übrigens wird er demnächst,
das heißt in ein bis zwei Jahren, ein ausgezeich-
netes, von Schumacher entworfenes Schulgebäude
bekommen. Es dürfte dann Hamburg das um-
fassendste und wohnlichste aller Kunstschul-
gebäude im Reich besi^en. - Die große Archi-
tektur der Stadt hat einige neue Hotels auf-
zuweisen; es sind dies die üblichen metropolen
Paläste. Das Vorlesungsgebäude am Dammtor
wird bald fertig sein; man spürt schon jet3t,
daß es im Grundriß hervorragend und typisch.
in der Außenarchitektur schwächlich ist. Neue
Cityhäuser wären zu registrieren. Oleich am
Bahnhof der mächtige Bau des Bieberhauses,
eine sehr respektable, charakteristische Leistung.
Wesentlich vollkommener in der Form und un-
bedingt in die Zukunft weisend sind die Kontor-
häuser von Elingius und die von Schoß.
Elingius verwendet viel Keramik. Es müßte von
eindeutiger, unvergeßlicher Wirkung sein, die
vom Handel erfüllten Straßen, gar die Fleets,
von solchen vertikal strebenden Gerüsten aus
reinlichem Glasurstein begrenzt zu sehen.
R. BREUER.
DIE BENNIGSENSTRASSE IN HANNOVER.
Ein Preisausschreiben, das allen Freunden
des Städtebaues ebenso wichtig wie interessant
hätte sein müssen, ist in die Scheuern gekommen.
Leider war die Teilnahme von Großdeutschland
durch eine wenig geschickte Zusammensetjung des
Preisgerichts so ziemlich ausgeschaltet worden.
Man hatte nämlich, bis auf den Darmstädter Pütjer,
nur Hannoveraner, vorwiegend Hannoversche
Baubeamte gewählt. So beteiligten sich natur-
gemäß nicht gerade unsere besten Städtebauer
an diesem Wettrennen. Was nicht nur für Han-
nover, was für die Renaissance unserer Stadt-
kultur überhaupt bedauerlich ist. Immerhin
ist das Resultat des Ausschreibens doch
noch ganz respektabel. Die Aufgabe war
die: eine lange, breite Straße, die längs einer
weit sich dehnenden Wiese, der Masch, läuft,
sollte einseitig geschlossen, mit mehrstöckigen
Wohnhäusern bebaut werden. Einseitig, weil
die Masch, die kein Bauland gibt, sich vor der
Front der Häuser frei entwickeln und als Wiese,
vielleicht auch als Park rhythmisch gestaltet
werden soll. Geschlossen, weil das Terrain
durch solche Freigebigkeit zum Villenbau zu
teuer wäre, und, weil bei dem gewaltigen Luft-
raum vor der Front die schmalen Öffnungen
nach links und rechts nur wenig Bedeutung
hätten. In diese Straße münden nun, vom auf-
gebauten Hinterland herkommend, einige Quer-
straßen, deren wichtigste die Geibelstraße ist.
Wo sie in die Bennigsenstraße stößt, erweitert
sich diese zu einer leichten Plafsanlage; jenseits,
in der Achse der Geibelstraße, steht eine Bismarck-
säule. Somit ergab sich die Notwendigkeit, an
dieser Stelle den langen Korso zu unterbrechen.
Leider haben nun die meisten Entwürfe und auch
die preisgekrönten es nicht bei diesem einen
Intervall bewenden lassen; sie haben vielmehr
noch einen zweiten oder gar einen dritten Plat3 vor-
gesehen und möglichst deutlich und pathetisch
ausgestaltet. Daß solch Überfluß eine Störung
421
Kleine Kunst- XacliruhteJi.
der prädestinierten .Monumentalität der Avenue
bedeutet, steht auper Frage. So sind denn auch
jene Entwürfe zweifellos am gesündesten, die
nichts anderes taten, als das Gegebene, die
Breite und die Länge der Straße, ihren
großen .^tem, prinzipiell und bewußt ausgestaltend
zu nutjen. Damit ist denn auch zugleich die
ästhetische Formel für die Fassadenbildung fest-
gelegt. Es kann sich nur darum handeln, die
Reihe zu wahren, durch einen straffen Rhythmus
die hinflutende Perspektive fühlbarer und ge-
waltiger zu machen. Das haben einige der Be-
werber auch richtig begriffen. — Immerhin,
wenn Hannover ernsthaft will, kann es
die eingegangenen Entwürfe trefflich
nu^en, um zu einer Straßenanlage zu ge-
langen, die dann mustergültig und ein
Ruhm des deutschen Städtebaues heißen
dürfte. F. BRErEK.
er
POSEN. Im Januar fand im Kaiser Friedrich-
.Museum eine gut besuchte .Ausstellung von
.Architekturen von Professor Bruno Paul statt.
.Außer einer .Anzahl von .Modellen, Grundrissen,
Aufrissen, Perspektiven gelangte auch eine .Anzahl
großer, zum Teil farbiger .Ansichten von Innen-
.Architekturen desselben Künstlers vom Ozean-
dampfer „George Washington" des Nordd. Lloyd
zur .Ausstellung. Besorgt wurde die .Ausstellung
von Dr. Hermann Post, Sekretär der Vereinigten
Werkstätten für Kunst im Handwerk, Berlin.
Die .Ausstellung, welche ganz neue .Arbeiten
des Künstlers enthält, wird im .März d. J. im
Kaiser Wilhelm-Museum in Crefeld gezeigt werden ;
auch wird beabsichtigt, die .Ausstellung noch in
anderen Städten zur .Aufstellung zu bringen.
LEIPZIG. Die O ß wald -.Auss t el I ung im
j Kunst- Verein. Der .Münchner .Maler
Fri5 Oßwald, dessen Kollektiv -.Ausstellung
soeben einen durchschlagenden Erfolg
hatte, bedeutet in der jüngsten .Maler-Generation
eine der wenigen Persönlichkeiten, auf die unsere
Erwartungen am meisten gespannt sein dürfen.
Ein angeborenes .Maler-Temperament, das ge-
waltsam den künstlerischen .Ausgleich zwischen
sich und der Natur sucht, ein starker Eigenwille,
der die Natur zu feinen, farbigen Harmonien und
Rhythmen einigt und doch der Stimmung die
Herrschaft über .die Schöpfung läßt, das um-
schreibt etwa das Charakteristische bei Oßwald.
Neben den bekannten Schneebildern, von denen
die zulefjt gemalten einen bisher noch nicht be-
merkten, dekorativen Unterton verraten, der wie
ein neuer Fortschritt in der künstlerischen Ent-
wicklung des jungen .Meisters anmutet, zeigte er
in Leipzig eine Reihe von sommerlichen und
herbstlichen Landschaftsbildem, so eine „Rhein-
brücke bei Mainz", „Ruderer auf dem Stamberger
See** u. a., die durch ihren kühnen Impressionis-
mus bemerkenswert sind, wie durch den reinen
Stimmungszauber und die überlegene malerische
Form. Ein schnell hingeschriebenes Selbstporträt
gab gewissermaßen den .Abschluß dieser präch-
tigen, auch in sich harmonisch abgerundeten
Kunstschau, aus der - was ähnlich nie dagewesen
ist - an zwei Drittel aller Werke (22 Stück) in
hiesigen Privatbesit5 übergingen. «.;. k.
M.AGDEBLRG. Das Kaiser Friedrich-.Museum
erwarb eine .Gewitterlandschaft" von Karl
Haider, den „Schottenjungen" von Trübner
und ein „Entenstilleben" von Karl Schuch. .Mit
diesen Werken sind abermals einige der bedeu-
tendsten Vertreter deutscher .Malerei in die Ge-
mäldesammlung eingezogen. Das Trübnersche
Bild vor allem gehört zu seinen besten Leistungen
in der Zeit, als er aus dem sammetweichen Dunkel
seiner Frühzeit heraus warund noch nicht den brei-
ten, mit derSpachtel „gemauerten" .Auftrag der Far-
ben angenommen hatte. Die Textur ist seidig, schim-
mernd, vorzüglich in den Fleischteilen, von dem
leuchtenden Glänze, der uns an den besten Bildern
Trübners stets von neuem entzückt. Dieses Exem-
plar des Schottenjungen ist weniger bekannt als
das frühere von 1891, in dem der Knabe aufrecht
vor dem Gobelin steht; hier stütjt er sich mit der
Linken auf einen .Armstuhl. Das Problem ist
beidemal dasselbe, meisterhaft gelöst (und viel-
leicht von Velazquez' „Spinnerinnen" angeregt):
die Gestalt als lebendige vor den gewirkten
Teppichfiguren heraustreten zu lassen und dabei
doch die koloristische Einheit zu wahren. Fast
möchte man schwanken, was schöner gemalt sei,
der Gobelin oder der Knabe selber. Das kolo-
ristische .Motiv ist ein Sichdurchdringen von
Dunkelgrün und Rot durch das ganze Bild; an
sich schon ein flächenhaftes Farbenspiel von jener
erstaunlichen Vielgestaltigkeit und Vollkommen-
heit, die bei Trübner selbst gegenständlich so
verfehlte Darstellungen wie die Kentaurenbilder
etc. zu höchstem Genuß für die .Augen umwertet.
- Das Stilleben von Schuch ist in seinem stillen
zurückhaltenden Dunkelbraun gemalt; Haiders
Frühlingslandschaft, als ein rechter Gegensa^,
ist von der zeichnerischen Präzision des .Meisters,
die doch eine bedeutende Stimmungskraft enthält:
hier den Kontrast der sonnig leuchtenden Wiese
und des in schwarze Gewitterwolken ragenden
Waldgebirges. v. f. schmidt.
4--
Inhalts-Verzeichnis.
BAND XXV
Oktober 1909— März 1910.
TEXT -BEITRAGE:
Julius Diez — München. Von Fritz von Seite
Ostini — München 3^28
Modelle zum Völkerechlacht-Denknial. Von
A. Jaumann — Berlin .... 33
Frank Eugene Smith — München. Von Dr.
M. K. Rohe — München . . . 41 — 48
Werktätige Jugenderziehung. Von Direktor
Dr. Pabst — Leipzig 51 — 54
Architekt Karl Witzmann — Wien. Von
A. S. Levetus — Wien .... 57 — 60
Die gebildete Frau im Kunstgewerbehandel.
Von Dr. KarlWidmer — Karlsruhe 63 — 69
Aphorismen 69
Stickereien von Margarete von Brauchitsch.
Von Georg Muschner — München 70
Rezeptive Begabung. VonWilh. Michel
— München 79 — 83
KJeider-Kultur. Von Kuno Graf Har-
denberg— Dresden 86. 96
Hohlwein-Plakate. Von Wilhelm Michel
— München 89
Professor Emil Orlik — Berlin. Von Felix
Poppenberg — Berlin
Das Malerische. Von Wilhelm Michel
Aphorismen. Von Rieh. Fuchs .
Auguste Rodin — Paris. Von Lothar
Brieger-Wasservogel — Berlin
Geschmacks-Kunst. Von Adolf Vogt —
Berlin
Soziale Verpflichtung des Kunstgewerblers.
Von Paul Westheim — Berlin
Die nächsten Ziele unserer Metalhvare. Von
Dr. Georg Lehnert — Berlin .
Beleuchtungskörper. Von Robert Breuer
— Berlin
Tagung des Deutschen Werkbundes in Frank-
furt a. M. 1909. Von Rob. Breuer
— Berlin 161 — 164
99—
104 —
103
"7
119
127—
135
.36-
142
'43-
146
148-
152
156
Bruno Paul als Architekt. Von Dr. Her-
mann Post — Berlin
Die Hingabe an das Kunstwerk. Von
Robert Breuer — Berlin
Alte und neue Stadtteile. Von Wilhelm
Küchel — München
Die Kranzspenden und der Sarg. Von Dr.
M. Schmid — Aachen
Von der Wirkung guter Kleidung. Von
Kuno Graf Hardenberg
Szenerie-Entwürfe. Von F. St. . . .
Der Künstler-Philosoph. Von Paul West-
heim— Berlin
Die Grenzen der Malerei. Von G. W.
Schwenzer — Mettlach ....
George Minne. Von Arthur Rößler —
Wien ' .
Wirtschaft und Kunst. Von O. Seh.
Die Kunst vor Gericht. Von Wilhelm
Michel — München
Villa Franz von Stuck
Klebe-Arbeiten Hamburger Kunstgewerbe-
schüler. Von Robert Breuer —
Berlin
Neue Thüringer Porzellane. Von Dr. Ernst
Zimmermann — Dresden
Arbeiten von Ludwig Vierthaler. Von A.
Jaumann — Berlin
Willi Geiger — München-Florenz. Von Dr.
Georg Jacob Wolf — München .
Moyssey Kogan — München. Von H. Lang-
Danoli — Darmstadt
Heinrich Vogeler — Worpswede. Von Dr.
Karl Schäfer — Bremen.
Schwarz -Weiß - Ausstellung — Berlin. Von
Ewald Bender — Berlin. . . .
Ausstellung österr. Kunstgewerbe 1909 —
1910. Von Arthur Rößler — Wien
Vom Bilderbetrachten. VonWilh. Michel
— München
.65-
-180
184-
-193
■94-
-203
204-
-219
219
221-
-222
223"
-228
231-
-238
241-
-249
250
258-
-264
265
270 — 282
283—286
290
299—323
324—329
33'— 338
339—345
355—356
375—379
Zum Verstehen des Technischen. Von R ob. Seite
Breuer — Berlin 381—38;
Deutsch-böhmischer Kunstfrühling. Von Dr.
Emil Utitz — Prag 388 — 402
Karikatur und Kunst. Von Paul West-
heim— Berlin 404 — 408
VonderMode. \'on K. G raf H ardenberg 417—418
TON- UND FARBDRUCKE:
Gemälde: -Mutter und Kind . Von Hans Seite
Unger — Loschwitz 2
Zeichnung: Spuk«. Von Prof. Julius
Diez — München 12
Zeichnung: »Sumpf-Gespenster«. Von Prof.
Julius Di«z — München ....
Porträt-Aufnahme: »Prinz Rupprecht«. Von
Frank EugeneSmith — München
Photographisches Bild: Adam imd Eva«.
Von Frank Eugene Smith —
München
Gemälde: Rosen«. Von Prof. E
Orlik— Berlin
Plakat. Von Ludwig Hohl wein —
München
Tempera: "Winter in Auscha«. Von Prof.
Emil Orlik — Berlin
Gemälde: »Weiblicher Akt .
Emil Orlik — Berlin .
Dnicksachen mit Zierrahmen.
Emil Orlik — Berlin .
Atlantik - Hotel — Hamburg:
Von A. Possenbacher-
Berlin
Atlantik-Hotel- Hamburg: Teestube. Von A.
Pössenbacher — München- Berlin
Haus Westend— Berlin: Speisezimmer. Von
Prof. Bruno Paul — Berlin . . .
HausWestend — Berlin. Damenschlafzmimer.
Von Prof. Bruno Paul — Berlin
Handgeknüpfte Teppiche, Wand- und Möbel-
stoffe und Tapeten 21
Gemälde: »Kinderbildnis*. Von Oskar
Zwintscheij — Dresden ....
Marmor - Plastik : »Die Badende». Von
George Minne-Laethem
Klebe-Arbeiten von Schülern der Kunstge-
wtrbesc^ile in Hamburg .... 2;
Gemälde: . Andalusierin«. Von Willi
fieiger — München-Florenz
Von Prof.
Von Prof.
Klubzimmer.
-München-
A<iuatinta-Ätzung nach Gojas »Maya.. \'on
W. Geiger — München-Florenz .
Bronze - Plakette : »Primavera«. Von
Mojssey Kogan — München .
Gemälde: »Kommender Frühling«. Von
Heinrich Vogeler — Worpswede
'3
40
49
55
87
98
107
-124
138
"39
l8q
'99
-21 I
230
240
280
298
303
329
335
Gemälde: .Susanna im Bade> . Von Prof. Seue
Adolf Hengeler — München 364
Domino - Entwürfe. Von F. Diveky —
Wien 413—416
ABBILDUNGEN UND FARBDRUCKE;
Ankleidezimmer S. 202, 203 ; Architektur S. 6, 34 -
38, 165 — 170, 214, 215, 219, 220, 265, 266, 340, 342,
343,388 — 391,396,397; Badezimmer S. 153; Beleuch-
tungsköiper S. 156, 157, igi; Blumenständer S. 356,
408: Bucheinbände S. 76, 77, 79; Buchschmuck S. 27,
79, 8g, 282 ; Dameiizimmer S. 14b, 185 — 187, 202, 203;
Dampfer-Räume .S. 206 — 208, 213: Decken S. 72, 73,
84, 290—292, 357; Dielen .S. 147, 151, 174, 175, 344,
399; Drucksachen (Einladungs-Menukarten etc.) S. 121
— 124; Einladungskarten .S. 121, 124; Empfangsräume
S. 197, 201, 268, 269; Erker und Fenster S. 60, 185,
197; Exlibris S. 26, 114, 115, 318, 319, 346, 347;
Fächer S. 410, 41 1; Figurinen S. 24, 25, 120, 224,
225, 227, 228; Fremdenzimmer S. 400, 401; Früh-
stückszimmer S. 71, 348, 398: Garderoben S. 173;
Gartenanlagen S. 171, 26b; Garten- und Veranda-Möbel
S. 92, 93, 348, 396, 397; Gemälde S. 2, 5, 10, 15,
16 — 18, 20, 21, 55, 98 — 102, 104, 105, 107, 1 10,
230—238, 298, 332, 334—338, 365; Gläser S. 78,
376. 377; Gold- und Silberarbeiten S. 94, 95, 358,
365—375, 377, 386, 387; Grabmäler S. 218; Grund-
risse S. 36, 37, 169, 214, 220, 340, 342, 343: Hallen
S. 6, 58, 59, 68, 172; Heizkörper- Verkleidungen S. 201;
HeiTen- und Arbeitszimmer .S. 61, 148, 14g, 180—184,
405; Holzschnitte S. 111 — 113; Hotel-Bauten und
Räume S. 136, 138 — 145; Illustrationen S. 80 — 83.
IIb, 308, 309, 315; Kamine und Ofen S. 175, 181,
183, 187, 2ib, 2b9; Kassetten und Dosen S. 288,
289, 372 — 375, 379, 424: Keramik (figürliche und
ornamentale) S. 74, 75, 163, 283 — 28", 378 — 380;
Kinderzimmer S. 152, 403, 404; Kissen und Decken
S. 72, 73, 160, 290 — 292, 355, 357; Klebe-Arbeiten
S. 270 — 281; Klubzimmer S. 136, 138, 142, 143,
214 — 217; Korbmöbel S. 70, 71; Kostüme S. 224,
225, 227, 228, 413 — 416; Küchen S. 204, 205; Land-
häuser und Villen S 34 — 38, 165 — 167, 170, 219,
220, 265, 266, 340, 342, 343, 388, 389; Lederarbeiten
S. 76, 77; Malerei (dekorative) S. 3, 4, 7 — 10, 15,
18, ig, 22, 28, 106. 109; Metallarbeiten S. 201, 218,
288, 289, 356; Mosaiken S. 3, 5, 7 — 9; Möbel (ver-
schiedene) S. 92, 93, 154, 155, 173, 192, 205, 345,
394i 395i 407~4°9; Musikzimmer S. 150, 267; Orna-
mentale Entwürfe S. 84, 85, 270 — 273, 392, 393 ; Photo-
graphie (Bildnisse) S. 40—54; Plakate S. 87, 90, 91;
Plaketten und Medaillen S. 325—331; Plastik (figür-
liche) S. 30—33, 126, 128 — 135, 163, 240 — 264, 283
— 286, 324 — 330, 378 — 380, 384 — 387: Porzellan-Ser-
vice S. 74; Radierungen S. 26, 103, 116, 2gg — 315,
3iq — 321, 333, 339. 3461 347; Restaurations-Räume
S. 136, 139, 141, 217, 348; Salon S. 402; Schlafzimmer
S. 6b, ig8, 199, 349; Schmucksachen S. 94, 95, 358,
382, 383; Speisezimmer S. 63 — 65, 188 — 193, 341,
349- 35'. 4°^. 4°7; Stickereien S. 70 — 73, 84, 85,
290 — 292, 354, 357, 411, 412, 4:7, 418; Stoffmuster
S. 211, 392, 393; Szenerien S. 23, 117 — 119, 221 —
223, 226; Tafelgeräte S. 74, 78, 365 — 371. 373,
374. 376, 377. 379. 380; Tapeten S. 158, 159, 211;
Teppiche S. 210, 352, 355; Theaterdekorationen S. 23,
117 — 119, 221 — 223, 226; Treppenhäuser S. 6, 58,
59, 68, 147, 174, 17b — 178, 399; Vorräume S. 67,
173, 408; Webereien S. 160, 211, 352, 353; Wohn-
zimmer S. 60, 194 — 196, 341,350; Zeichnungen S, 12,
13. 27, 316—318, 331.
KLEINE KUNST- NACHRICHTEN:
Seite
Berlin 293. 294 — 295. 359. 361—362. 419—421
Buenos Aires 296
Cadinen 419
Cassel 419
Darmstadt 362
Hamburg 360. 361. 421
Hannover 361. 421
Kopenhagen 296
Leipzig 422
Magdeburg 422
München 295 — 296. '59
Posen 42-
Rheinland-Westfalen 360
Namen -Verzeichnis.
80
365-
Bauer, Karl Joh. — München 358
Behrens, Prof. Peter — Neubabelsberg . 158 — 159
Bender, E. — Berlin . . . . 293 — 294.
339—345- 359— 3b2- 4'9
Bibrowicz, Wanda — Breslau 160
Bischoff, Paul — Berlin 156—157
Brauchitsch, Margarete von — München . 70
— 72. 290 — 291
Breuer, Architekt C. — Wien . 396. 397. 399 — 402
Breuer, Robert — Berlin. 156. 161 — 164.
184 — 193. 270 — 282. 293 — 295. 360
—362. 381
Brieger- Wasservogel, Lothar — Berlin
Czeschka, Prof. C. O. — Hamburg
-83-
Delavilla, Prof. Franz — Wien
Diez, Prof. Julius — München .
Divek-y, F. — Wien ....
Doves-Press — London
Festersen, Friedr. — Berlin .
Fischer, Friedrich — Riesenfeld
Qeiger, Willi — München- Florenz
Geiringer, Helene — Wien .
Hamburger Kunstgewerbeschule
Hardenberg, K. Graf — Dresden 8(
Hengeler, Prof. Adolf — München
Hoffmann. Prof. J.— Wien . 368—3
382. 383. 388-393. 396
Hohlwein, Ludwig — München
Hölscher & Breimer — Langenhagen
Hormann, Emmy — Bremen
Jakobson, Felicitas — Wien
Jaumann, Anton — Berlin .
Klaus, Architekt Karl — Wien
96. 219
419—422
127 — 135
-3&7- 374
352
3-28
413—416
76
75. 287
'59
298—323
354
270 — 281
417-418
364
-409. 424
87-9'
159
357
355
33. 290
35'
Kogan, Moyssey — München . .
Kopenhagen, Kgl. Porzellanfabrik
Koemig, Arno — Berlin .
Lang-Danoli, H. — Darmstadt .
Läuger, Prof. Ma-\ — Karlsrtihe
Lehnert, Prof. Georg — Berlin .
Levetus, A. S. — Wien .
Löffler, Prof. B. -Wien . .
Margold, J. E. — AVien .
Metzner, Prof. Franz — Berlin
Michel, Wilhelm — München . 79 — 83. 89
104 — 117. 194 — 203. 258 — 264
295 — 296. 359
Minne, George — Laethem
Moser, Prof. Koloman — Wien 95
372. 383
Newton, Ernest — London ....
Niemeyer, Adelbert — München .
Orlik, Prof. Emil— Berlin ....
Ostini, Fritz von — München .
Pabst, Direktor Dr. — -Leipzig . .
Paul, Prof. Bruno — Berlin
Poppenberg, Dr. Felix — Berlin . .
Pössenbacher, Anton — München-Berlin
Post, Dr. H.— Berlin
Powolny, Prof. M. — Wien
Prutscher, Prof. Otto — Wien ... 77
78. 94- 348- 353
Putz, Prof. Leo — München ....
Riemerschmid, Prof. Richard — Pasing .
Rodin, Auguste — Paris
Rohe, Dr. M. K.— München ....
Roeßler, Arthur — Wien . . 241 — 249
Schäfer, Di. Karl — Bremen ....
Seite
324—330
'63
'57
324—330
75
148-152
57—60
-95- 378
84-85
30—33
375—379
240 — 264
394—395
34—35
74. 287
98—124
3-28
51—54
165 — 220
99—103
«36—155
165 — 180
379—380
356- 376
236—238
292
126—135
41-48
355-35<>
33'-338
Schmid, Prof. Dr. Mix — Aachen
Schmidt, Dr. P. F. — Magdeburg
Schultze-Naumburg, Prof. Paul — Saaleck
Schulz, Rieh. L. F.— Berlin ....
Schütz, Anhalter Tapetenfabrik — Dessau
Schwarzburger Werkstätten — Unterweißbach
Schwenzer, G. W. — Mettlach . . .
Seidl, Prof. Emanuel von — München
Smith, Fr. Eugene — München
Stuck, Franz von — München
Teschner, Maler R. — Wien
Unger, Hans — Loschwitz
Utitz, Dr. Emil— Prag . .
Vierthaler, Ludwig — Berlin
Vogeler, Heinrich— Worpswede
377
Seite
204 — 219
422
92—93
■56—157
158—159
282—286
231-238
36-38
40—54
265 — 269
384-387
3S8— 402
■43
94—95
Vogt, Adolf— Beilin . . .
Weltmann, Ella — Wien
Wenig, Bernhard — München .
Westheim, Paul — Berlin
Widmer, Prof. Karl— Karlsruhe
Wiener Werkstätte — Wien
Wien, Ausstellung österr. Kunstgewerbe
Wimmer, Architekt E. J. — Wien . 221
— 228. 375. 410—412
Witzniann, Architekt Carl — Wien 57 — b8,
95- 349
Wolf, Dr. Georg Jacob — München .
Zeymer, Architekt Fntz — Wien ...
Zimmermann, Dr. Ernst — Dresden
Zwintscher, Prof. Oskar — Klotzsche
136 — 142
84-85
■56
223. 404
63 — 69
365—424
348—356
417—418
373- 382
299—323
350
283 — 286
230—235
Deutsche Kunst und Dekoration
DA
3d.25
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