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Full text of "Deutsche kunst und dekoration"

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PURCHASFJ)  FOR  TUE 

UNIVERS/TY  OF  TORONTO  LIBRAHV 

FROM  THE 

C/\N/\D/\  COUNCIL  SPECIAL  GRANT 

FOR 

IiIsa?ORY  OF  -'vTa: 


DEUTSCHE  KUNST 
UND  DEKORATION 


ILLUSTRIERTE  MONATSHEFTE 

FÜR  MODERNE  MALEREI 
PLASTIK  •  ARCHITEKTUR 
WOHNUNGS-KUNST  UND 
KÜNSTLERISCHE  FRAUEN- 
ARBEITEN 


DARMSTADT 

VERLAGSANSTALT  ALEXANDER  KOCH 


P?/"  ^Jj)Ei-4 


DEUTSCHE  KUNST 
UND  DEKORATION 


HERAUSGEGEBEN   UND  REDIGIERT 

VON 

HOFRAT  ALEXANDER   KOCH 


BAND  XXV 

OKTOBER    1909   -    A\ÄRZ    1910. 


(TY  Cf  (Q* 


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ALLE  RECHTE  VORBEHALTEN. 


HANS  UNGER-LUÖCU  WITZ. 
GF.MÄLUE:    »MUTTER    UNI)    KIND«. 


I'KOKESSOR  JULIUS  DIEZ  -  MÜNCHEN'. 


ilosaik.    Hcii-snalpoital.  Univevsität  iliinchen. 


JULIUS  DIEZ-MÜNCHEN. 


I^iner  von  jenen  Seltenen,  die  man  „geborene 
_^  Stilisten"  heißen  darf,  ist  der  Münchner 
Julius  D  i  e  z.  Seine  Form  bestimmt  kein  Wol- 
len, sondern  ein  Müssen,  sein  Stil  stand  fest  von 
den  ersten  Zeichnungen  an,  die  der  Anfänger 
der  Öffentlichkeit  übergab.  Da  war  nichts  müh- 
sam gesucht,  nichts  ergrübelt.  Das  Feste,  fremd- 
artig fferbe,  dekorativ  Sichere,  der  eigentüm- 
liche Humor  der  Linie,  derbeiDiez  selbst  im  rein 
Ornamentalen  fühlbar  wird  —  das  alles  sprach 
schon  aus  den  ersten  Buchschmuckzeichnungen, 
die  er  im  Herbst  1896  zu  uns  auf  die  Redak- 
tion der  „Jugend"  brachte.  Es  sei  dem 
Schreiber  dieser  Zeilen  nicht  verargt,  wenn  er 
da  von  eigenen  Erlebnissen  redet.  Sie  waren 
seltsam  schön.  Das  Glück ,  es  miterlebt  zu 
haben,  wie  in  jenen  Wendejahren  in  München 
plötzlich  junge  Kräfte  in  ungeahnter  Fülle  sich 
entfalteten,  wie  sich  Biüt'  an  Blüte  drängt  am 
Baum  der  jungen  Kunst,  wie  das  Blatt,  das 
der  künstlerischen    .lugend   Freiheit   und   Kr- 


werbsmöglichkeiten,  eine  fröhliche  Palaestra 
Musarum  bot,  bald  sich  fast  des  Übermaßes 
von  Angebot  kaum  mehr  erwehren  konnte  — 
jene  Erinnerung  wird  als  ein  unverwelklicher 
Besitz  mich  durchs  Leben  begleiten.  Jeder 
Tag  brachte  Neues  und  Frohes ,  gewährte 
frische  Eindrücke  ins  Werden  und  Schaffen 
der  jungen  Maler,  neue  Begriffe  von  den  viel- 
gestaltigen ,  unerschöpflichen  Möglichkeiten, 
die  in  der  Kunst  für  den  persönlichen  Aus- 
druck bestehen.  Die  „Stilisten",  die,  die  mit 
jedem  Strich  etwas  ganz  eigenes  zu  sagen 
hatten,  zogen  uns  in  Anbetracht  der  damals 
mehr  graphischen  Bestrebungen  der  Zeitschrift 
selbstverständlich  am  meisten  an.  Es  kamen 
ihrer  viele.  Echte  und  Unechte,  Gute  und 
Blender,  Zahme  und  Wilde.  Unter  denen, 
deren  Art  sofort  mit  Jubel  begrüßt  wurde, 
waren  in  erster  Linie  Fritz  Erler  und  Julius 
Diez.  Das  waren  Zweie,  an  denen  jede  Faser 
echt    war    und    deren    Ausdrucksweise    vom 


(Uns  Diez—]\ffi)iclic>i. 


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1-K.S.-.CIK  Jl  l.U  >  Uli-,/. 


Klllwutl;      Uk 


ersten  selbständigen  Versuch  an  ihren  unver- 
kennbaren, aus  tausend  Erscheinungen  sofort 
herauszufindenden  Charakter  hatte!  Bei  der 
großen  Mehrzahl  der  jungen  Graphiker  von  da- 
mals fühlte  man  bald  Anlehnung,  bald  Gevi'alt- 
samkeit  und  Originellseinwollen.  Die  Zweie 
waren,  wie  sie  sein  mußten,  frei,  stark  und 
gesund.  Und  beide  von  einem  Reichtum  der 
künstlerischen  Einfälle,  der  nie  versiegte.  Ge- 
meinsam hatten  sie  auch  das,  daß  sie  beide 
das  Publikum  zunächst  am  wenigsten  begriff, 
weil  sie  am  rücksichtslosesten  ihre  eigenen 
Wege  gingen.  Und  noch  eins:  daß  sie  sich  in 
ihrer  Formel  nicht  erschöpften  und  nicht  zum 
Überdrusse  wiederholten  ,  weil  diese  Formel 
eben  nicht  eine  angenommene  war ,  sondern 
aus  ihrem  innersten  Wesen  entsprang.  Man- 
cher Blender  und  Geschicklichkeitsmensch  von 
damals  ist  denn  heute  auch  vergessen  oder 
hat  sich  anderen  Spezialitäten  zugewandt.  D  i  e 
Beiden  mußten  ihren  Weg  machen  und  haben 
ihn  gemacht  und  stehen  heute  in  der  allerersten 
Reihe  der  dekorativen  Künstler  Deutschlands. 
Diez  hat  die  originale  Kraft  seiner  Begabung 
bewahrt,  trotzdem  seine  künstlerische  Lehrzeit 
sehr  danach  angetan  war,  ihn  zum  „retrospek- 
tiven Stilisten"  Münchnerischer  Prägung  wer- 
den zu  lassen.  Er  erhielt  die  erste  Ausbildung 
auf  der  Münchener  Kunstgewerbeschule,  wo 
damals  die  historischen  Stilarten  in  Reinkultur 
gepflegt  wurden.    Das  sei  kein  Vorwurf!   Jene 


waren  ja  auch  das  Einzige  und  Beste,  was  man 
zu  geben  hatte,  ausgeprobte  und  sichere  For- 
meln, die  Jedem  die  Möglichkeit  gaben,  etwas 
Gutes  und  Gangbares  zu  leisten.  Als  Diez 
dann  an  die  Kunstakademie  übertrat,  fand  er 
in  der  Schule  an  Rudolph  Seitz,  nachdem  er 
erst  bei  Hackl  nach  der  Natur  gearbeitet  hatte, 
wieder  die  gleichen  Bestrebungen.  SeinMeister 
war  einer  der  gründlichsten  Kenner  und  Gön- 
ner alter  Form  und  Technik,  die  es  gab,  ein 
Mann  von  heißer  Begeisterung  für  die  Schön- 
heit des  alten  Kunsthandwerks  und  der  frühe- 
ren deutschen  Malerei,  namentlich  der  Barock 
und  Rokoko.  Er  schreibt  die  Handschrift  dieser 
Epochen  mit  einer  Sicherheit,  die  kaum  ein 
Zweiter  erreicht  und  sein  Schüler  strebte,  es 
ihm  nach  zu  tun.  Aber  an  Julius  Diez,  dessen 
Talent  er  wohl  erkannte,  hat  er  nach  jener 
Richtung  hin  wenig  Freude  erlebt.  Der  war 
ein  Eigener  und  ließ  sich  nicht  dazu  bewegen, 
zu  dem  Besonderen,  das  er  zu  sagen  hatte,  die 
überkommenen  Redewendungen  zu  gebrau- 
chen. Sein  Stil  war  nicht  „rein",  war  uner- 
laubt persönlich  und  er  gab  sich  auch  keine 
Mühe  jenen  reinen  Stil  zu  erlernen.  Vielleicht 
gab  er  sich  im  Sinn  der  Schule  überhaupt  nicht 
viel  Mühe  und  höchstwahrscheinlich  war  dies 
sein  Glück.  Es  ging  ihm  nichts  weniger  als 
glänzend  und  er  mußte,  um  über  des  Lebens 
bitterste  Not  weg  zu  kommen,  in  einer  Zeit 
schon  verdienen,  wo  andere  noch  nichts  zu  tun 


1 


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i'Ki  '1-.  jrijrs  Dil./    Mr.\(  iii:.\.   /i mk  \i-ii am  i. 

l>ls    1   l;\VI   I  I  I.KrN(,,-.-lL\I    Ivs    1)1  K    rM\lK-.ll    \l     Ml    NC    III   \. 
\KlliniKI      Kl-,1,.     1;A1-  \M  IS-ASMSMIK     I..     1;FM  !■  I.MI-.  VKK. 


Jidius  Diez  -Miivclieii. 


PROFESSOR  JUMTS  DIF.Z      MINTHEN. 


haben,  als  zu  lernen.  So  wurde  er  selbständig 
in  der  Schule  der  Frau  Sorge.  Aus  dem  Banne 
ihrerharten  Zucht  kam  er  erst,  als  die  „Jujjend" 
gegründet  wurde.  Und  die  ersten  Arbeiten, 
die  er  ihr  brachte,  waren  so  überraschend  reif, 
frei  und  kräftig,  daß  wir,  als  wir  sie  sahen,  nur 
hins  nicht  begreifen  konnten;  daß  dieser  fünf- 
undzwanzigjährige  Julius  Diez  nicht  schon 
längst  bekannt  und  begehrt  war! 

Leute  wie  er,  sind  eben  von  Anbeginn  in 
sich  fertig  und  die  Schule  kann  ihnen  nicht 
mehr  geben,   als  das  A-B-C  des  Handwerks. 


Miisail;  in  nebfiislc-luiuln  Hai 


Diez  wäre  zweifellos  auch  in  der  Werkstatt 
eines  realistischen  oder  impressionistischen 
Meisters  so  geworden,  wie  er  wurde.  Ein 
Paradiesvogel  wird  kein  Nußhäher  —  auch 
wenn  er  zufällig  im  Wipfel  einer  deutschen 
Eiche  ausgebrütet  wird  und  in  jedem  Talent, 
das  geboren  wird,  liegt  auch  schon  die  Not- 
wendigkeit seiner  Eigenart.  WasunserKünstler 
auch  geschaffen  hat,  Buchschmuck,  Illustra- 
tionen, Karrikaturen,  Slaffeleibilder,  Plakat- 
kunst oder  Dekorationen  großen  Umfangs,  es 
war  immer  aus  einem  Geiste.    Er  weiß  die 


Fritz  V.  Ostini  : 


)R  jri.IfS  DIKZ      MrN<HF.N. 


lik  im  W icshatlcncr  Kurhaus. 


Mittel,  die  er  fürs  Große  oder  fürs  Kleine,  fürs 
Lichte  oder  fürs  Schwere  anzuwenden  hat, 
sehr  wohl  auseinander  zu  halten  —  ja  ich  finde 
einen  seiner  glänzendsten  Vorzüge  darin,  daß 
er  sich  hierbei  fast  nie  vergreift.  Aber  alles, 
was  er  macht,  bleibt  Diez,  Diez  zum  Nicht- 
verkennen !  So  unmittelbar  ist  sein  Stil  aus 
seinem  Wesen  herausgewachsen,  so  unverrückt 
und  selbstgetreu  geht  er  seines  Weges.  Für 
Kinen,  der  ihn  von  allem  Anfang  an  verfolgte, 
war  es  z.  B.  wirklich  ein  Genuß,  zu  sehen,  wie 
er  seit  dem  vorigen  Jahre  die  absolut  neuen 
dekorativen  Aufgaben  anging,  die  ihm  das 
Problem  des  Künstlertheaters  brachte,  wie 
auch  die  i5ilder,   die   er,   statt  mit   Pinsel   und 


Farben  auf  Leinwand,  mit  lebendigen  Men- 
schen auf  den  Bühnenhintergrund  malte,  „stil- 
echtester Diez"  waren  und  wie  famos  seine 
Kunst  auch  in  dieser  neuen  Realität  bestand. 
Das  Charakteristischste  nun  am  Julius  Diez- 
Stil  ist  wohl,  daß  er  leicht  altertümelnd,  oft 
direkt  archaistisch  wirkt  und  dabei  in  Wahr- 
heit von  Elementen  geschichtlich  gewordener 
Stilarten  fast  nichts  in  sich  hat.  Das  kernige 
Schwarz-vifeiß  seines  Buchschmuckes  ließ  zu- 
nächst ein  wenig  an  den  alten  deutschen  Holz- 
schnitt denken.  Aber  man  sah  bald,  daß  seine 
Formenwelt  eine  ganz  andere  war,  daß  die 
Äimlichkeit  darin  bestand,  daß  auch  er  mit 
klaren  sauberen  Strichen  die  Dinge  umriß  und 


ytilius  Dicz-Münclien. 


iR  JUUUS  ÜIEZ— XlCXCHEX. 


mit  kluger  Ökonomie  seine  starken  Gegensätze 
anwendet.  Alles  andere  war  Eigenes,  seine 
Formensprache  und  seine  Gedanken.  Und  vor 
allem,  wie  gesagt,  sein  eigenartiger  Humor,  der 
ihn  jedes  Ding  unter  anderem  Gesichtswinkel 
sehen  läßt,  als  es  die  Alltagsmenschen  sehen 
würden.  Die  Vignetten,  am  Schlüsse  dieses 
Aufsatzes  eingefügt,  geben  einen  Begriff  von 
dem,  was  ich  meine.  Da  hat  alles  seinen  Hu- 
mor, der  Liebesgott  auf  dem  Ballsaallüster, 
dcrPutto  auf  dem  Glückstier,  wie  der,  welcher 
der  maskierten  Krinolinendame  die  Schleppe 
trägt  und  die  antike  Maske,  aus  deren  weitem 
Mund  die  Rosen  quellen.  Kein  Humor,  der 
grinst  und  Witzchen  macht,  nur  einer,  der  den 


Miisall;  im  Wiesbadener  Kurhaus 


Dingen  launig  eine  besondere  Deutung  gibt 
und  immer  mit  Grazie  verschwistert  ist.  Mit 
einer  herben  Grazie  freilich,  nicht  mit  einer 
süßen!  Das  Ganze  ist  anmutig  bei  Diez,  im 
Einzelnen  hat  er  seine  Schrullen.  Ein  glatt 
holdseliges  Gesicht  gibt  er  seinen  Geschöpfen 
selten  und  wenn  er  das  Nackte  schildert,  stattet 
er  es  nicht  immer  mit  sinnlichen  Reizen  aus. 
In  seinen  kantig  geschnittenen  Gesichtern,  in 
seinen  leicht  schematisierten,  selten  sehr  run- 
den Akten  steckt  groteskes  Wesen,  lächelt  der 
Schalk.  Auch  da,  wo  das  Ganze  hoch  ernst 
ist  —  wie  in  den  Grotesken  der  Renaissance, 
wo  ja  auch  die  zarteste  Zierlichkeit  oft  mit 
der  bizarrsten  Verzerrung  zusammengeflochten 


■JM 


l'Kiil-.  jn.ll'S    DIKZ      .\H'.N(  IIKX. 

I'AM  KLI.-l'.II.Il:       l'AKK-MÄK(  HK.\     .      I'.l-S.  ; 
Hol'KAI'  AI.KXANDKK  KOI'H      DAKMMADI. 


l'ROFKSSOK    IIJI.IUS    Uli-;/.      MÜNCHEN 

ZKICHNUNO:  ^s1'r:K-.    G.M.FRIF  KNORU      MÜNCHEN 


y!//l!/S    DicZ-MlUlillCll. 


PRotESSOR  JULIUS  DIEZ  — MÜNCHEN. 


war.  Auf  ganz  bewußte  dekorative  Wirkungen 
geht  er  immer  aus,  auch  wenn  er  Buchschmuck 
entwirft,  illustriert,  oder  —  selten  genug !  — 
ein  Staffeleihild  malt.  Diese  Diezschen  Staf- 
feleibilder sind  im  Grunde  stets  doch  verklei- 
nerte Wandgemälde,  auch  wenn  sie  ganz  intime 
malerische  Reize  haben.  Alles  ist  über  das 
Flüchtige,  Zufällige  hinausgehoben  und  im 
Kerne  monumental  und  oft  ist  solch  ein  Staf- 
feleibild in  seinen  Farbflecken,  wie  in  seinen 
Linien  ganz  streng  stilisiert  —  man  sehe  z.  B. 
das  obenstehende  Bild,  den  „Kuppler",  an, 
oder  die  „Galante  Unterhaltung".  Er  kommt 
nie  aus  seiner  Richtung,  was  er  anpackt! 

Je  nach  den  Zwecken  seines  Buchschmucks 
hat  Diez  Dinge  gezeichnet,  die  sich  gotisch 
ausnahmen  oder  barock ,  dann  wieder  die 
Grazie  des  Rokoko ,  oder  die  behäbige  Zier- 
lichkeit des  Biedermeierstils  zu  haben  schie- 
nen. Es  war  immer  Täuschung,  immer  war's 
unverfälschter  Diez.  Was  da  Gotik  oder  Bie- 
dermeierei vortäuschte,  war  meist  nur  das 
Gegenständliche,  das  den  wirklichen,  den 
künstlerischen  Stil  der  Sache  nicht  berührte. 
Der  stammt  aus  des  Malers  ureigener  An- 
schauungsweise  und  weil   er  ein  echter  Sohn 


(ir-niiililr:  »Der  Kuppler   . 

i  Ksl-  Kuprersliclikabinells-Milncheii. 


seiner  Zeit  ist,  ist  auch  —  man  verzeihe  das 
verfängliche  und  vielmißbrauchte  Wort !  —  sein 
Stil  schlechthin  modern! 

Er  hat  ihn  vielfach  an  kleineren  Aufgaben 
geübt  und  das  war  gewiß  kein  Unglück  —  fand 
er  doch  dadurch  die  Möglichkeit  zu  freierem 
Schaffen  und  die  Popularität,  die  ihm  dann  auch 
größere  Aufträge  brachte.  Aber  diese  kleinen 
Schöpfungen,  die  zahllosen  und  prachtvollen 
ernsten  und  heiteren  Zeichnungen  für  die 
Jugend,  die  Exlibris  und  Vignetten,  sind  schließ- 
lich doch  nur  Übergangsarbeiten  oder  Dinge 
gewesen,  die  so  nebenher  abfielen.  Seine 
Begabung  drängt  ins  Große.  Man  spürt  es  an 
dem  schweren  Gehalt  jener  dekorativen  Klei- 
nigkeiten und  spürt  es  noch  viel  mehr  an  den 
wirklicli  großen  Dingen,  die  er  schaffen  durfte. 
Da  ist's  oft,  wie  ein  jauchzendes  Aufatmen, 
da  gewinnt  er  erst  Wucht  und  Bedeutung!  Kr 
ist  geschickt  und  geschmackvoll  genug,  sich 
auch  nnt  dem  kleinen  Format  abzufinden. 
Aber  er  nuiß  sich  schließlich  doch  hinein- 
zwängen und  die  rechte  Freude  hat  er  dann 
erst,  wenn  er  sich  auf  großen  Flächen  ausleben 
darf.  Dann  gibt  er  das  Beste,  was  er  hat,  zur 
Arbeit:    sein   ungewöhnlich  vornehmes  archi- 


rrilz  V.  Osii. 


•Die  llLiii>tziitKisL-n 


tektonisches  Gefühl,  seinen  Sinn  für  die  jjroße 
Linie,  für  Harmonie  und  Rhythmus  der  Farben. 
Er  hat  noch  vor  keiner  großen  dekorativen 
Aufgabe  versagt,  auch  wenn  sie  ganz  neue 
Anforderungen  an  ihn  stellte,  wenn  er  für  Glas- 
malerei oder  Mosaik  Entwürfe  zu  liefern, 
Kiesenflächen  zu  dekorieren,  z.  B.  ein  hundert 
und  dreißig  Meter  langes  Fresko  zu  malen 
hatte,  wie  1908  für  das  Restaurant  des  Mün- 
chener Ausstellungsparkes.  Wie  wenig  starr 
seine  Eigenart  trotz  der  seltenen  Bestimmtheit 
ihres  Charakters  ist,  zeigt  er  gerade  in  der 
Leichtigkeit,  mit  der  er  sie  den  Zwecken  jedes 
neuen  Materials  anschmiegt.  Zu  seinen  ersten 
größeren  Kartons  gehörten  z.  B.  die  für  Hugo 
Lichts  prachtvolles  neues  Rathaus  in  Leipzig 
und  sie  fielen  wunderbar  schön  und  malerial- 
gemäß  aus,  ob  es  sich  nun  um  ganz  einfache, 
nur  linearverzierte  Fenster  aus  lichten  Schei- 
ben oder  um  eigentliche  farbenprächtige  Glas- 
bildnerei  handelte.  Er  fand  dort  beide  Auf- 
gaben und  löste  beide  gleich  gut  und  gleich 
logisch.  Andere  Glasfenster,  die  nicht  min- 
deren Beifall  fanden,  hat  Diez  für  das  Stadt- 
liaus  in  Essen,  für  das  Rathaus  in  Remscheid 
usw.  entworfen. 


Besondere  Lust  scheint  der  Künstler  an  der 
Wanddekoration  in  Mosaik  zu  haben,  eine 
Vorliebe,  die  sich  ohne  Weiteres  begreift.  Er 
liebt  die  strenge  Form,  die  straffe  Kontur,  die 
scharfumgrenzten  Flächen  —  lauter  Dinge, 
welche  die  Mosaikkunst  von  dem  Schöpfer 
ihrer  Entwürfe  auch  ihrerseits  fordert.  Seine 
spezielle  Stärke  ist  es,  den  Bildschmuck  or- 
ganisch und  doch  mit  selbstherrlichem  Ge- 
schmack in  einen  Raum  zu  passen  und  er  zeigt 
diese  Stärke  auch  in  der  kleinsten  Vignette. 
Um  wie  viel  mehr  bei  Aufgaben,  die  ihn  direkt 
mit  der  Architektur  zusammen  zu  arbeiten 
zwingen.  Er  liebt  auch  als  geborener  Deko- 
rateur die  Verwendung  glanzvoller,  reiner  Far- 
ben —  so  konnte  ihm  kaum  ein  Material  will- 
kommener sein,  als  die  Glasmosaik  mit  ihrem 
unverwüstlich  frischen  Farbenschmelz ,  die 
Höhen  und  Tiefen,  Glanz  und  Kontraste  hat, 
wie  kein  anderes  Mittel  der  Malerei.  Man 
möchte  fast  sagen,  die  Mosaikkunst  und  die 
Glasmalerei  haben  die  „Farbe  an  sich"  zur 
Verfügung,  die  optisch  reine,  die  kein  Binde- 
mittel trübt  und  kein  Malgrund  aufsaugt.  Die 
Freude  an  solcher  blühender  F'arbe  spricht 
froh  und  laut  aus  den  schönen  großen  Medail- 


l6 


Julius  Dirz-Mtuiilic 


nv/.     MIXiHKN. 


Ions,  die  Julius  Diez  für  das  Wiesbadener  Kur- 
haus jieschaffen  hat.  Sie  sind  von  wahrhaft 
festHcher  Heiterkeit.  Anders  wieder  faßte  er 
seine  Auffjabe,  als  es  galt,  die  i>roße  Halle 
in  German  Bestelnieyers  stattlichem  Neubau 
der  Münchner  Universität  mit  musivischem 
Schmuck  zu  versehen.  Die  ganze  gewaltige 
Ostwand  des  imposanten  Raums  stand  dem 
Künstler  zur  Verfügung  und  die  Aufgabe,  in 
Schmuck  dieser  großen  Fläche  den  architek- 
tonischen Gedanken  des  Ganzen,  so  zu  sagen, 
zu  krönen,  war  schwer  und  reizvoll  genug. 
Es  galt,  diskret  und  doch  stark  zu  sein,  die 
Fläche  zu  gliedern  und  zugleich  geschlossen  zu 
halten,  Reichtum  mit  Einfachheit  zu  verbinden 
—  und  Diez  hat  alle  diese  Widersprüche  mit 
Klugheit  und  Geschmack  gelöst,  tjber  der 
stucco-lustroVerkleidung  jener  Wand,  derhalb- 
runden  Stirnwand  eines  Tonnen -Gewölbes, 
prangt  zwischen  feingegliederten  Stuckpfeiler- 
chen,  die  vergoldet  sind,  das  dreiflügeligc,  von 
einem  giebelartigen  Feld  gekrönte  Mosaikbild. 
Die  Harmonie  von  Gold,  Grün  und  dunklen 
grauen  Farben,  in  der  es  gehalten  ist,  nimmt 
den  Gesamtton  der  Steinverkleidung  der  un- 


Walpiirgisiiaclit 


teren  Wandpfeiler  und  Sockel  wieder  auf,  die, 
ganz  einfach  an  Form,  nur  durch  die  Schönheit 
ihres  Materials  wirken.  Auf  den  Seitenflügeln 
des  eigentlichen  Bildes  sehen  wir  geflügelte 
Genien  im  Profil;  sie  tragen  die  Attribute  der 
Göttin  der  Weisheit.  Und  den  Born  des  Wis- 
sens, der  an  dieser  Stelle  quillt  —  rings  um 
den  Raum  reihen  sich  die  Hörsäle  —  schildert 
das  Mittelstück.  Zierliche  Putten  tragen  das 
obere  Becken  des  Springbrunnens,  Medaillons 
mit  den  Symbolen  der  vier  Fakultäten  umgeben 
ihn.  Das  Ganze  ist  von  einer  frohen  Feierlich- 
keit, gleich  weit  weg  von  akademischer  Steif- 
heit, wie  von  Extravaganz.  Über  dem,  aus  kost- 
barem Marmor  gefertigten  Portal  des  „Gros- 
sen Hörsaals",  derdieserWand  gegenüberliegt, 
prangt  ein  anderes  Mosaikbild  nach  Diezschem 
Entwurf ;  die  Wissenschaft  in  blauem  Gewände, 
ihre  goldenen  Samen  aussäend.  Es  wird  er- 
zählt, daß  sich  liochmögende  Herren  selbst  an 
dieser  Stätte  der  Weisheit  sehr  ablehnend 
gegen  Diezens  l'.ntwurf  verhielten,  weil  ihnen 
die  charaktervolle  Gestalt  der  Samcnstrcuerin 
nicht  „schön"  genug  war.  Man  sieht's  mit  bit- 
terem Lachen  immer  wieder,  wie  wenig  Frei- 


<'  iK.  JULIUS  DIEZ-JIUXCHEN.    .  galante 

.  I  I.KlIAI.lINr.    .     lirRLHIAl  T  I-ÜK   DIE     JUGEND    . 


Jtilius  Diez-J\fü)h/ic> 


'I  ri,--"K    II'l  irs   MF/  -MlNl  HEN. 


heit  und  Bildung  gerade  den  freien  Künsten 
gegenüber  auch  die  Gebildetsten  zu  zeigen 
pflegen !  An  unserer  Nachbildung  des  Entwur- 
fes kann  man  sich  überzeugen,  daß  Diez  an 
jener  Figur  gewiß  keinen  „Häßlichkeitskultus" 
getrieben  hat  —  aber  die  Zahl  derer,  denen 
der  Begriff  „Frauenschönheit"  mit  dem  Pup- 
penhaften identisch  ist,  scheint  merkwürdig 
groß  zu  sein!  —  Auch  der  neue  Bahnhof  in 
Nürnberg  hat  Mosaikschmuck  von  Julius  Diez 
erhalten  —  ihm  macht  diese  Technik,  eine 
Technik  der  Kraft  und  sicheren  Ruhe,  ganz  be- 
sondere Freude! 

Als  der  bekannte  Münchner  Baukünstler 
Emanuel  von  Seidl  den  Auftrag  erhielt,  ein 
monumentales  Restaurationsgebäude  für  den 
neuen  Münchner  Ausstellungspark  zu  schaffen, 
zog  er  zur  malerischen  Ausschmückung  des 
originellen  Baues  mit  in  erster  Linie  unsern 
Maler  heran  und  die  Nuß,  die  er  ihm  zu  knacken 
gab,  war  hart  genug.  Von  dem  hohen  Festsaal- 
bau gehen,  in  mehrfach  gebrochenen  Bogen, 
zwei  nach  vorn  offene,  gewölbte  Wandelhallen 
aus,  die,  in  Pavillons  endigend,  die  Wirtschafts- 
terrasse umarmen.  Die  Rückflächen  dieser 
beiden,  nach  vorn  offenen  Wandelhallen  nun, 
von  denen  jede  65  Meter  mißt,  galt  es  mit  einer 
zusammenhängenden  Fresken-Dekoration  zu 
zieren,  also  einen  Riesenfries  zu  schaffen,  der 
sich  über  dem  Lambris  hin-  und  bis  in  die 
gewölbte  Decke  hineinzog.  Schon  die  Fest- 
stellung einer  Idee,  die  für  den  enormen  Raum 
ausreichte  und  etwas  anderes  brachte,  als  die 
gewohnten  Aufzüge  und  Allegorien,  kostete 
nicht  wenig  Kopfzerbrechen.  Die  Fläche  mußte 


Ii' li.irativi!,  l'anneau:  » Waj/cnlL-nker 


„gedeckt"  werden  und  durfte  doch  nicht  all- 
zuviele  Arbeit  kosten.  —  Diez  half  sich  durch 
einen  wirklich  genialen  Einfall:  Er  verwandelte 
den  ganzen,  ausgedehnten  Raum  in  eine  Gar- 
ten- oder  Parkanlage  im  Sinne  der  Watteau- 
Zeit,  eine  jener  pittoresken  Anlagen,  in  denen 
bizarre  Gartenkünste  mit  der  freien  Natur 
zusammenwirken.  Da  gibt  es  geschnittene 
Hecken,  Spaliere  und  Bogengänge,  grüne 
Brunnentempel,  Tore  und  Lauben,  Pyramiden- 
bäumchen  und  allerlei  tolle  Figuren,  wie  sie 
damals  die  Gartenkünstler  aus  Buchs  und 
Taxus  schnitten.  Und  diese  etwas  steife  Herr- 
lichkeit der  barocken  Gartenkunst  wird  immer 
wieder  unterbrochen  durch  ungebändigte  und 
unverschnittene  Natur,  grüne  malerische  Bir- 
ken und  andere  Bäume,  oder  durch  architek- 
tonischen Zierat,  Balluslraden  mit  Vasen  und 
Urnen,  Brücken  und  Brunnen  und  mytholo- 
gische Steinfiguren,  wie  sie  zum  Barockgarten 
gehören:  da  ist  ein  l*"aun  auf  einem  Kiniiorn, 
ein  Aktäon,  der  sich  eben  in  einen  Hirsch, 
eine  Daphne,  die  sich  eben  in  einen  Lorbeer- 
baum verwandelt.  Durch  Blumensträuße,  die 
da  und  dort  auf  dem  Geländer  liegen,  durch 
bebänderte  Girlanden  und  Buketts ,  durcii 
eine  Menge  farbenprächtiger  Wundervögcl, 
kommt  bunte  Farbe  in  das  Garlengrün.  Auch 
drollige  Affen  treiben  sich  dazwischen  umher. 
Die  menschliche  Gestalt  ist  spärlich  verwen- 
det. Nur  eine  kleine  Zahl  famos  gekennzeich- 
neter Rokokotypen  ist  zu  sehen  und  wirkt 
dann  aber  um  so  lustiger  und  lebendiger.  I  Her 
wird  eine  vornehme  Dame  von  Gondolieren 
auf  bauchigem   Boot  durch   einen   Kanal   ge- 


1;^ 


Fritz  V.  Ost  Uli. 


jri.irs  UIE/,   -MIXCHEN. 


emäklc 
onsgalei- 


rudert ;  dort  läßt  ein  hübsches  Mädchen  einen 
Drachen  steigen;  dort  fährt  im  Jagdgewand 
eine  schlanke  Schöne  mit  einem  Gespann  von 
Hirschen  über  eine  Brücke  ;  ein  Vogelfänger, 
der  direkt  aus  der  Comedia  dell'arte  zu  kom- 
men scheint,  lehnt  an  einem  Tor  —  alles  hat 
Reiz  und  Witz  und  kennzeichnet  die  Zeit,  für 
die  Diez  übrigens  immer  eine  gewisse  Vorliebe 
zeigt  —  was  die  Typen,  nicht  was  die  Schnör- 
kel des  Stils  angeht!  Auch  auf  seinen  Tafel- 
bildern spielen  die  galanten  Damen  mit  Reif- 
rock und  turmhoher  Puderperrücke  eine  Rolle. 
Aber  Rokokobilder  malt  er  nicht,  sondern  Ge- 
schöpfe eigener  Phantasie.  Ihn  reizt  das,  was 
auch  in  der  Tracht  ein  wenig  burlesken  Cha- 
rakter hat,  wie  alles,  was  nicht  alltäglich  ist. 
Wie  Diezens  sämtliche  Tafelbilder,  sind 
auch  alle  seine  für  die  „Jugend"  gezeichneten 
Titelblätter  und  Vollbilder  phantastischer  Art, 
phantastisch  in  der  Weise,  wie  etwa  Dürers 
Melancholie  und  Fortuna  oder  die  Apokalyp- 
tischen Blätter.  Auch  hier  keine  Originalität 
um  jeden  Preis,  sondern  eine,  die  ganz  leicht 
und  natürlich  aus  unendlich  fruchtbarer  Vor- 
stellungskraft quillt.  „Die  große  Waag",  „Frau 
Wahrheit  will  beherbergt  sein"  und  ähnliche 
Kompositionen  dieser  Art  machten  das  markige 
und  selbstherrliche  Talent  des  jungen  Diez  zu- 
erst bekannt.  Eine  ganze  Reihe  solcher,  aufs 
Sorgsamste  ausgeführter  Blätter  hat  der  Künst- 
ler übrigens  schon  vor  Gründung  der  „Jugend" 
an  den  „Pan"  gegeben,  in  dessen  Mappen  sie 
leider,  ohne  reproduziert  worden  zu  sein, 
spurlos  verschwunden  sind. 


In  seinen  Staffeleigemälden  blieb  und  bleibt 
Diez  fast  immer  auf  dem  Gebiete  des  Spuk- 
und  Märchenhaften,  wobei  seine  Besonderlieit 
schwer  mit  Worten  festzustellen  ist.  Vielleicht 
liegt  sie  in  der  merkwürdigen  Verbindung  von 
Poesie  und  Humor;  die  erstere  bringt  der  Ma- 
ler, den  zweiten  der  Zeichner  ins  Bild.  Der 
Maler  Diez  kann  dabei  ganz  merkwürdig  weich 
und  zart  werden,  wie  in  dem  seltsamen  Pastell 
mit  den  „Sumpfgespenstern",  worunter  man 
sich  etwa  die  Geister  verstorbener  Kriegs- 
männer vorstellen  mag,  die  auf  der  Walstatt, 
wo  sie  gefallen  sind,  umgehen.  Noch  feiner 
als  Malerei  ist  der  „Spuk"  aus  der  Galerie 
Knorr  mit  den  nonnenhaften  Trudenweiblein, 
die  irgend  ein  blühendes  Menschenkind  zur 
Exekution  führen  —  ein  ganzes  Märchen  läßt 
sich  aus  dem  schönen  Nachtstück  spinnen. 
Gespenstisch  im  höchsten  Grade  sind  ferner 
die  „Pest",  die  „Panik",  die  auch  als  Farbe 
ihren  fremdartigen  Zauber  haben  —  Teufeleien 
mit  starkem  Einschlag  von  Humor  sind  der 
„Kuppler"  und  „Fortuna".  Ein  großer  Schalk 
spricht  daraus,  der  seine  ganz  eigenen  Ge- 
danken hat.  Dortdcrgeschwänzteund gehörnte 
Liebesbote  und  ganz  hinten,  durch  den  Mauer- 
bogen sichtbar,  sein  Auftraggeber,  derbehäbige 
Chinese  !  Mit  mehr  burlesker  Anmut  hat  noch 
keiner  das  Thema  von  der  käuflichen  Liebe 
behandelt.  Im  zweiten  Bild  ist  der  Teufel  als 
Leibkutscher  der  Dirne  Fortuna  angestellt  — 
in  einem  dritten  liest  er  einer  Schönen  aus 
einem  galanten  Buche  vor  —  den  Satan  und 
das  Weib  bringt  der  Maler  gerne  in  gegenseitige 


Julius.  Dicz—]\Iüuchc) 


Beziehuns^en.  Auf  der  Großen  Ausstellung  im 
Münchner  Glaspalast  1909  sind  zwei  weitere, 
hier  wiedergegebenc  Gemälde  von  Diez  zu 
sehen  —  leider  höchst  unjilücklich  (^ehänj^t  — 
die  schwermütigen  „Herbstzeitlosen"  und  die 
wildburleske  „Walpurgisnacht".  Die  letztere, 
so  ganz  anders  als  alle  bisher  bekannten  Va- 
rianten des  Themas,  erklärt  sich  ohne  weiteres 
aus  der  Reproduktion.  Zum  ersten  Bilde  ist 
zu  erzählen,  daß  die  traurig  und  schattenhaft 
wandelnden  Gestalten  in  die  Farben  der  Herbst- 
zeitlose, Weiß,  Lila  mit  ein  wenig  Orangegelb 
im  Futter  der  Kapuzen,  gekleidet  sind.  Man 
beachte,  wie  groß  die  beiden  Bilder  auch  in 
der  kleinen  Wiedergabe  wirken. 

Seine  Lust  am  Märchen  betätigt  Julius  Diez 
einmal  auch  in  einem  ausgezeichnet  frischen 
und  originellen  Märchenbuch  „Miaulina",  das 


ein  Liebling  der  Kinderwelt  hätte  werden 
müssen  —  wenn  nicht  eben  die  Kinderwelt 
ihre  eigenen  Bedürfnisse  hätte,  sehr  schwer 
zu  ergründende !  Stümper  und  Dilettanten 
haben  da  gemeiniglich  mehr  Glück,  als  Künstler 
und  das  Läppische  gefällt  oft  besser,  als  der 
echte  Humor.  Was  hierbei  Erziehung  und 
was  tiefer  gegründetes  Naturbedürfnis  ist  — 
wer  mag  es  sagen?  Wer  Verständnis  und 
Liebe  für  einen  unserer  eigenartigsten  und 
kernigsten  Künstler  besitzt,  wird  auch  an  der 
„Miaulina",  trotz  des  Mißverhältnisses  von 
Text  und  Künstlerarbeit,  seine  große  Freude 
haben.  An  zeichnerischem  Buchschmuck  und 
anderer  stilistischer  Kleinkunst  hat  Diez  übri- 
gens auch  sonst  noch  eine  unabsehbare  Fülle 
von  Arbeiten  produziert.  So  zeichnete  er, 
noch  als  Kunstgewerbeschüler,  den  damaligen 


I'RUI'ESSÜR  JUUU 


Julius  Dirz—]lfüiic//en. 


Bedürfnissen  des  Kunsthandwerks  entf^egen- 
koniniend,  Entwürfe  für  Majoliken,  Platten  und 
Krüge  für  die  Firma  Villeroy  und  Boch,  lieferte 
eine  Anzahl  Blätter  für  die  „Allegorien  und 
Embleme"  von  Gerlach  und  Schenk,  bei  denen 
auch  ein  Franz  Stuck  etwas  früher  sich  seine 
Sporen  verdient  und  seine  Selbständigkeit  er- 
stritten hatte.  Von  ihm  stammt  Buchschmuck 
aller  Art,  auch  für  ein  Büchlein  des  Schreibers 
dieser  Zeilen  —  von  ihm  stammen  nicht  wenige 
Exlibris,  die  von  den  zahlreichen  Freunden  und 
Sammlern  dieses  Kunstzweiges  mit  Recht  als 
besondere  Kostbarkeiten  geschätzt  werden. 
Auf  Seite  27  findet  der  Leser  eine  Auswahl  aus 
einer  großen  Serie  von  Vignetten  und  anderen 
Buchornamenten,  die  Diez  eben  für  eine  Schrift- 
gießerei in  Frankfurt  ausgeführt  hat.  Eine 
treffliche  Idee,  auch  die  „vorrätigen"  typo- 
graphischen Schmuckstücke ,  die  durch  den 
Handel  in  alle  Offizinen  kommen,  von  einem 
Künstler  solchen  Ranges  fertigen  zu  lassen! 
Auch  eine  Anzahl  kraft-  und  charaktervoller 
Plakate,   wie    das    der  Ausstellung   München 

1908,  das  der  Münchner  Internationalen  von 

1909,  das   der  hübschen  kleinen  Tölzer  Ge- 


il.-k.iratn.-n  IUI,!:     l-.„tiina 

von   Professor  Bermann-Münctie 


werbe-Ausstellung  dieses  Sommers ,  ist  aus 
seiner  Künstlerwerkstatt  hervorgegangen. 
1!  Nichts  Künstlerisches  blieb  ihm  fremd.  Auch 
die  künstlerische  Lehrtätigkeit  nicht ,  die  er 
nun  im  zweiten  Jahre  an  derselben  Münchner 
Kunstgewerbeschule  übt,  in  der  er  seine  Lehr- 
zeit verbracht  hat.  Daß  die  Wahl  auf  ihn  fiel, 
der  sich  selbst  dereinst  gegen  die  Schule  seine 
Individualität  bewahrt  hat,  ist  wohl  zu  be- 
grüßen. Er  wird  gewiß  nicht  in  Gefahr  kom- 
men, wie  Andere  so  oft  tun,  den  Schülern 
seinen  Charakter  aufzudrängen!  Und  er 
weiß  aus  jener,  für  ihn  an  Nöten  und  Kämpfen 
reichen  Lehrzeit  gar  gut,  was  ein  Werdender 
an  Ermunterung  und  Hilfe  braucht! 

Julius  Diez  hat  auch  zu  denen  gehört,  die 
im  Jahre  1908  mit  froher  Begeisterung  auf  die 
epochemachende  Idee  des  Münchner  Künst- 
lertheaters eingingen  —  und  hat  auch  zu 
denen  gehört,  die  damit  die  schönsten  Erfolge 
erzielten.  Sein  „Was  ihr  wollt"  war  mit  Fritz 
Erlers  „Faust"  wie  gesagt  „Clou"  jener  Sai- 
son, seine  Arbeit  war  außerdem  die  wenigst 
umstrittene  von  allen ,  war  ein  Griff  ins 
Volle,  ein  Gelingen  im  Ganzen.    Er  faßte  mit 


K<r^'^ 


S/.ENKRIE:      MA>>  11 


l'KuHi.s>oK  jri.lU.S  Uli-./.      .\U  M  Ill.N. 


»i.i.i    .   Kl  N^i  i.i.u-ijm:.\i  i:k-.\ii  Nun  N. 


.MASS  M;K   MASS  . 


.  w  \s  liii;  woi  I  r 


CRAWSLICH 


MASS    !■!   K    MASS  :.  'MASS   IIK   MAS 

PKliKKssdU  jri.ll-s  Dil'/      MÜNCHKN.       I-ICUKIXKX   VVR   DAS  H(l|. -THEATER     MÜNCHEN. 


JUNKER 


WAS  IHR  Wi.l.I.T 


MASS  MR  M.' 


Juliii--   DicZ-]\If(!hllCi 


AAA 


Liebe  die  Aufgabe  an,  die  für  ilin  niclit  eine 
nebensächliche  Beschäftigung ,  wie  sie  dem 
Maler  etwa  jedes  Künstlerfest  bringen  kann, 
bedeutete ,  sondern  eine  Frage  der  großen 
ernsten  Kunst!  Ein  Arbeiten  mit  Mitteln  und 
in  Dimensionen,  wie  sie  sonst  nicht  wieder 
zur   Verfügung    stehen,    ein   Malen   mit   wirk- 


lyCYKARÜ 

^PAVLir^ 


licheni  Licht,  ja  mit  lebendiger  Bewegung! 
Den  Stilisten  reizte  die  großzügige,  grundsätz- 
liche Vereinfachung  der  Szene ,  wie  sie  das 
Künstlertheater  verlangte,  der  Maler  die  Auf- 
gabe, durch  Mittel  der  Farbe,  Formgedanken 
und  das  Spiel  wechselnder  Beleuchtung  das 
Werk  des  Dichters  zu  heben.   In  seinem  „Was 


l'RolEbSoR  FKAXZ  METZKER— BEKUN. 


Uitail  für  (las  \'..lk,  istlilaiht-IX-nkmal  in  l.'-ipzis;. 


MODELLE  ZUM  VÖLKERSCHLACHT-DENKMAL. 


Fließender  Stahl  ballt  sich,  bäumt  sich,  zieht 
sich  zusammen  zu  Gestalten  —  es  stehen 
Männer  da,  Riesen,  von  einem  undenkbaren 
Alter,  wie  aus  der  Zeit,  da  die  Erde,  die  me- 
tallen glühende ,  erstmals  erstarrte.  Heiße 
Lava  strömt  ihnen  hart  und  schnittifj  vom 
Haupte.  Der  stählerne  Mechanismus  des  Schä- 
dels, der  in  unrückbaren  Klammern  verankert 
sitzt,  gebiert  stöhnend  den  ersten  Gedanken. 
Tausend  Tonnen  schwere  Platten  aus  fahlem 
Nickelstahl  umhangen  unangreifbar  diese  Pan- 
zerturmritter, die  festgegossen,  festgeschmiedet 
stehen  wie  für  die  Ewigkeit.  Wie  Eggenzähne, 
wie  Baggerkrallen  greifen  die  Finger,  fünfglicd- 
riges  Stahlgestänge  spannt  sie  statt  der  Sehnen. 
Es  drängt,  steigt,  zwanzigtausend  Pferdekräfte 
wuchten  und  stampfen  und  ziehen  und  pressen 
und  die  kolossale  Eisenwand  hält  sie  mit  letzter 
Macht  kaum  noch  in  Fesseln  .  .  . 

Über  den  Orgien  von  Stahl  und  Kraft  er- 


hebt sich  bleich  ein  rätselhaftes  Antlitz  wie 
eine  seit  Millionen  Jahren  aufgesparte  Frage; 
Wird  der  Mensch  auch  diese  Zeit  der  wahn- 
sinnigsten Kraftsteigerungen  überwinden,  um 
als  ein  edlerer,  höherer,  reicherer  in  die  Zu- 
kunft zu  gehen?  Dem  Streiten  von  1813  ist 
heute  ein  Völkerringen  gefolgt  von  riesigster 
Ausdehnung,  von  erdstürzender  Gewalt,  ein 
Ringen  ohne  Ruhetage  und  Waffenstillstände. 
Es  donnert  in  den  Fabriken,  es  zermalmt  Ar- 
meen von  Arbeitern,  es  schleudert  die  Völker 
herum  wie  Sturmwind,  es  zerreißt  ihnen  die 
Nerven  und  versengt  ihnen  die  Seelen  .  .  . 
S  Werden  dieVölker  dieses  wahnsinnigeWett- 
rennen  um  die  Güter  der  Erde,  diese  Über- 
steigerung aller  Kräfte  heil  überwinden?  Dann 
wird  das  Völkerschlacht-Denkmal,  das  so  we- 
nig vom  Geist  und  vom  Kämpfen  des  Jahres 
1813  meldet,  dem  Mensciien  von  1913  ein 
ewiges,  glückliches  Siegesmal  sein.    \  i  mm  \\\ 


AK(  HIlKKl    KKMST  M-.WT' >N      I.i.M«i\. 


riTiiN   CRKV  HOI'SE      HAMP;>H1RK. 


AKCHITEKr  EKXEST  NEWTON      I.ciNDOX. 


HAf.s  IN   IIAIEIEEI).    c;ARTENER(iNT. 


ARl.Hll  KKT  ICKNKST  NF.WTOX- I.ÜNr)ON. 


MAl'S  I.fCKI.I-.l    i.N    Uu.  KLNl.HAM-lir.KKMlIKI"..    l_;AK  ll.NMJI  I  . 


I'KOl'I'N.si  IK   KMANril     \"ciN    si;  1  i  H  -  M  r  \(  Hl-: 


HAIS  KUI.  [MANN      I- IJiKKl- Kl.l  i 


H  t'Jßc/rhrß 


l'KoFEbSOR  EMAKUEL  VON  SEIDI,- MÜNCHEN. 


WOHNHAUS  FRIEDRICH  LAMPE- LEIPZIG. 


FRANK  EUGENE  SMITH    MÜNCHEN. 

POKIKÄT-AUKNAIIME;     >/I'KlN/.    KUfl'RECUT«. 


IKANK    FI  i;KNE 


l'..Hi;u  Aufiiahni.' 


FRANK  EUGENE  SMITH-MÜNCHEN. 


I"*  s  sei  mir  hier  ferne,  wieder  einmal  an  die 
^  Frage  zu  rühren,  die  schon  Jahre  hindurch 
unter  Diskussion  steht  und  Stoff  zu  den  lang- 
stieHgsten  Kontroversen  hefert :  ob  nämhch 
eine  Photographie  als  Kunstwerk  betrachtet 
werden  könne  oder  nicht?  Ich  halte  es  da  mit 
Bernard  Shaw,  der,  selbst  ein  eifriger  Photo- 
graph und  fanatischer  Bewunderer  der  durch  die 
Photographie  gebotenenMöglichkeiten,  bereits 
Vorjahren  das  treffliche  Wort  fand:  „Nur  für 
hysterische  Frauen  oder  Männer  kann  es  hier- 
über überhaupt  zu  Erörterungen  kommen ; 
denn  sobald  wir  erkannt  haben,  daß  die  Pho- 
tographie uns  irgend  etwas  bedeutet,  ersteht 
nur  die  eine  Frage,  wie  wir  sie  zu  höchstmög- 
lichster Vollendung  bringen  können".  Und  im 
Anschluß  an  diesesZitat  gestatte  man  niirgleich 
noch  ein  anderes  aus  dem  nämlichen  Autor: 
„Wahrheit  ist's,  daß  weder  eine  Photographie 
noch  ein  Gemälde  von  Haus  aus  „künstlerisch" 
sind.  Niemand,  dem  auch  nur  das  ABC  der 
Kritik  geläufig  ist,  wird  annehmen,  daß  sich 
die  bildende  Kunst  auf  die  Prozesse  bezieht, 
durch  welche  ihre  Werke  hervorgebracht  wer- 


den, statt  auf  die  Qualitäten  in  letzteren". 
—  Die  Qualität  der  Schöpfung  —  gewiß,  sie 
ist  es,  auf  die  es  einzig  und  allein  ankommt ! 
Hervorragende  künstlerische  Qualitäten  nun 
waren  es,  die  mir  vorlagen,  als  ich,  ich  glaube 
es  ist  nun  drei  Jahre  her,  zum  erstenmal  Ar- 
beiten Frank  Eugene  Smiths  in  einer  Aus- 
stellung bei  Zimmermann  in  München  vor 
Augen  bekam.  Ich  hatte  vorher  nie  ähnlich 
Gutes  auf  diesem  Gebiete  gesehen  und  muß 
bekennen,  diese  Blätter  gewährten  mir  ganz 
die  gleiche  Freude,  wie  sie  jedes  andere  Kunst- 
werk von  Rang  mir  zu  übermitteln  pflegt. 
Überrascht  vor  allem  war  ich  durch  die  stark 
persönliche  Note  in  diesen  Schöpfungen  (und 
sie  ist  es  doch,  die  man  in  erster  Linie  den  Unter- 
scheidungszeichen der  Kunstwerke  gegenüber 
rein  handwerklichen  Krzeugnissen  zuzäiill). 
Kurze  Zeil  darauf  fügte  es  der  Zufall,  daß  ich 
mit  Smith  persönlich  bekannt  wurde  und  durch 
ihn,  etwas  später  noch,  mit  Alfred  Stieglitz, 
den)  Herausgeber  der  vornehmen  New -Yor- 
ker Zeitschrift  „Camera  Work".  Ich  betrachte 
meine  Bekanntschaft  mit  beiden  Männirn  für 


Fia)ik  Eitooic  S)iiilli—l\Iiuiclic) 


l-KA\k    I  ll.l.M: 


1  IH      MI   \i 


einen  dauernden  Gewinn.  Denn  beide,  obgleich 
in  manchem  ihres  Wesens  gänzlich  von  ein- 
ander verschieden,  gehören  jenem  prächtigen 
Typ  des  Amerikanertunis  an,  der  gegenüber 
dem  vorherrschenden  Geschäftsrationalismus 
im  Lande,  mit  idealster  Begeisterung  sich  einer 
Idee  hingibt,  dabei  aber  wiederum  nicht  mit 
getrübten,  sondern  ganz  hellen  Augen.  In 
Amerika  und  unter  solchen  Männern  war  es 
denn  auch,  daß  die  Photographie  zuerst  zu 
jener  Höhe  geführt  wurde,  wie  Shaw  sie  für 
sie  verlangt.  Im  November  1905  wurde  in  der 
Metropole  der  Vereinigten  Staaten  in  der  5. 
Avenue  der  Ausstellungsraum  der  „Photo- 
sezession" eröffnet,  einer  kleinen  Gesellschaft 
ausgezeichneter  Photographen  und  Freunde 
der  Photographie,  zu  dem  Zweck  und  mit  der 
Absicht,  nur  das  Beste  vom  Besten  vorzu- 
führen. Die  Geschichte  dieser  Korporation 
ist  gleich  jeder  anderen,  die  noch  je  versuchte, 
eine  Sache  aus  den  Bahnen  steriler  Konven- 
tion herauszureißen  und  neuen  Zielen  zuzu- 
leiten. Sie  erfuhr  allen  nur  erdenklichen  Haß, 
jede  Sorte  Mißgunst;  namentlich  von  Seiten 
der  Berufs- Photographen,   deren   allgemeiner 


Photcigiapliic;  ;  Memiett'  . 

Mangel  an  Ingenium  natürlich  durch  die  Mög- 
lichkeit des  Vergleiches  mit  einemmal  klar  an 
den  Tag  kam.  Stieglitz  aber  und  seine  Schar, 
unter  ihnen  eine  Reihe  auch  auf  anderen  Ge- 
bieten bildender  Kunst  ganz  Vorzügliches 
leistender  Männer ,  hielten  tapfer  aus  und 
können  heute  mit  Stolz  auf  ihre  nun  mehrjährige 
Tätigkeit  zurückblicken.  Auch  der  Erfolg  in 
der  Öffentlichkeit  hat  sich  eingestellt  und  wenn, 
in  Amerika  besonders,  heute  bereits  Samm- 
ler existieren,  die,  wie  Andere  Kollektionen 
von  Bildern,  Schnitten  und  Stichen  etc.  sich 
anlegen,  Photographiewerke  erwerben  und 
erkannt  haben,  welcher  Individualwert  dem 
einzelnen  Abzug  zukommen  kann,  so  ist  dies 
nicht  zum  geringsten  Verdienst  der  Bemüh- 
ungen der  Photosezession.  Dabei  herrscht  in 
dieser  wohltuender  Weise  nicht  die  Spur  einer 
Orthodoxie  vor.  Die  verschiedensten  Indivi- 
dualitäten kommen  zu  Wort ,  oft  mit  recht 
gegensätzlichen  Ansichten  über  Ziele  und  Wege 
photographischer  Wiedergabe  ;  Bedingung  ist, 
wie  gesagt,  nur  die  exquisite  Güte  der  vorge- 
führten Werke. 

Frank    F.ugene  Smith  war  einer  der  ersten, 


FRANK  KfGHNK  SAUIH     MÜXCHEX. 
PHOTOGKAl'IIISCHKS  BILDNIS:  I-:.  (!. 


F)-a)ik  l-'j(''Ciir  S^))nlli~MiuicIi(ii. 


IRNNK  EtaF-XE  --MITH      MINCHEN. 


dessen  Arbeiten  auf  den  Ausstellungen  der 
kleinen  Galerie  besonderem  Interesse  und  all- 
)5emeinerer  Wertschätzuni^  begejjneten.  Maler 
von  Haus  aus  und  wie  jeder,  der  jemals  Proben 
dieser  seiner  malerischen  Leistungen  zu  Ge- 
sicht bekam  (er  ist  in  dem  Punkt  sehr  zu- 
rückhaltend), zugestehen  wird,  ein  Koloristvon 
nicht  alltäglicher  Begabung,  verleugnet  er  auch 
in  seinen  Photographien  nicht  seine  zuvörderst 
malerische  Begabung.  Man  hat  ihm  daraus 
manchmal  schon  einen  Vorwurf  zu  machen  ge- 
sucht, ihm  besonders  auch  gewisse  technische 
Manipulationen,  die  er  mit  der  Platte  vor- 
nimmt —  von  den  hier  wiedergegebenen  Ar- 
beiten sieht  man  sie  am  besten  an  dem  Blatt 
„Adam  und  Eva",  bei  dem  mit  der  Nadel  in 
die  Platte  gearbeitet  ist  —  anzukreiden  ge- 
sucht. Aber  man  tut  dies,  wie  ich  denke,  mit 
großem  Unrecht.  Denn  obgleich  ich  persönlich 
in  meiner  Ansicht  über  Photographie  auch 
Smith  gegenüber  kein  Hehl  daraus  mache, 
Purist  etwa  vom  Schlage  Shaws  oder  Stieglitz's 
zu  sein,  so  halte  ich  doch  sein  Vorgehen,  ge- 
rade bei  ihm,  und  nicht  zum  mindesten  aus 
unserer  näheren  Bekanntschaft  heraus,  für  voll- 
kommen gerechtfertigt.    Die  gelegentliche  An- 


r.ildni^;  Crahri.lla  T.rnl.ath. 


Wendung  des  Pinsels  und  der  Nadel  geschieht 
nicht,  um  damit  billige  Effekte  zu  erzielen,  wie 
man  sie  in  München,  wo  Smith  seit  ein  paar 
Jahren  seinen  Wohnort  aufgeschlagen  und  sein 
Beispiel  manchen  unselbständigen  und  schwa- 
chen Geist  zur  Nachahmung  verleitet  hat,  jetzt 
mitunter  sehen  kann,  sondern  sie  sind  ihm 
gänzlich  untergeordnete  Hülfen  zur  Abrundung 
seiner  Kompositionen,  in  die  er  als  neues 
und  eigenstes  Element  eine  bislang  unbe- 
kannte Reichhaltigkeit  der  Tonstufen 
gebracht  hat.  So  hat  er  auch  als  Lehrer  sich 
nie  bemüßigt  gesehen,  seine  Schüler  zur  An- 
wendung ähnlicher  Mittel  zu  führen;  sich  wohl 
bewußt,  daß  sie  nur  bei  ihm  Sinn  und  Berech- 
tigung erlangen.  Und  nichts  liegt  ihm  ferner, 
als  die  Reihen  derjenigen  zu  stärken,  die  aus 
Malerei  und  Zeichenkunst  kommend  in  die 
Dunkelkammer  allerhand  von  der  Korruption 
und  Unvollkoninienheit  jener  Kunstgattungen 
tragen  und  die  Aufgabe  der  Photographie  in 
der  Aufnahme  irgend  einer  malerischen  oder 
zeichnerischen  Manier  in  sie  zu  erfassen  glau- 
ben, statt  einen  der  vollendetsten  Führer  zur 
Natur  in  ihr  zu  sehen. 

Als    das   eigenste    und   feinste    Element    in 


KKAXK    Kl'CHXK    SMllII. 

IIIIIIMS:   (iAIlKlIM,  A     1  IM;  \i   ]{. 


Frank  F.ii 


Sui  itli — jlfüiii/ic 


FKAXK   EUliENE  SMIIH      MINc  KEN. 


Porträt- All  fnalime. 


Sinitlis  Schöpfungen  hob  ich  die  Fülle  in  seiner 
Tonskala  hervor.  Als  Beispiel  hierfür  diene 
das  auf  S.  45  wiedergegebene  Kinderporträt 
von  Gabriella  Lenbach.  Die  Zartheit,  Duftig- 
keit und  Wahrheit,  die  hier  durch  Kontrastier- 
ung und  Zusammensciiluß  differenziertester 
Valeurs  erreicht  viferden,  sind  vk^undervoll.  Und 
wie  atmen  uns  in  dem  oben  zitierten  Blatt 
„Adam  und  Eva"  die  Körper  aus  dem  Dunkel 
entgegen,  in  ihrem  Leben  von  Licht  und  Schat- 
ten geradezu  meisterhaft  behandelt.  Lebens- 
fülle seinen  Aufnahmen  zu  geben,  das  ist  es,  wo- 
nach Smith  in  höchstem  Maße  strebt;  sie  sollen 
dem  Auge  interessant  werden,  aus  der  Sphäre 
derLangweile  emporragen,  diephotographische 
Arbeiten  so  vielfach  uniluillt.    In  seinen   [Mil- 


dern gibt  es  keine  toten  Punkte,  in  jedes  Eck 
strömt  Leben,  vom  Mittelpunkt  der  Darstel- 
lung ausgehend,  aus.  Und  diese  Sehnsucht 
nach  Vitalität  seiner  Schöpfungen  ist  es  auch 
allein,  die  Smith  bewegt,  in  seine  Platten  ge- 
legentlich mit  Stift  und  Pinsel  hineinzuarbeiten. 
Er  will  damit  nicht  den  Charakter  der  Photo- 
graphie verwischen,  nichts  vortäuschen,  son- 
dern lediglich  da  noch  ausgleichen,  wo  die 
Photographie  wie  jede  andere  Art  der  Natur- 
wiedergabe LlnvoUkonimenheiten  zeigt.  Frei- 
lich das  Recht  zu  solcher  Behandlung  wird 
man  immer  nur  ihm  allein  und  allenfalls 
einigen  wenigen  seinesGeistes  zugestehen  kön- 
nen, jeder  Unberufene  muß  mit  solcher  Tech- 
nik  unfehlbar   zu   Schanden   kommen.     Es  ist 


KRANK  El-i.l 


WERKTÄTIGE  JUGEND-ERZIEHUNG. 


Ücr  enormen  Entwicklunji  der  Industrie  und 
des  Maschinenwesens,  wie  sie  sich  seit 
der  zweiten  Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts 
vollzogen  hat,  steht  auf  der  anderen  Seite  der 
Niedergangdes  Handwerks  entgegen.  Es  unter- 
liegt auch  gar  keinem  Zweifel,  daß  das  Hand- 
werk in  seinen  althergebrachten  Betriebsfor- 
nicn  noch  mehr  zurückgedrängt  werden  wird, 
daran  werden  alle  Klagen  nichts  äiulern,  denn 


sie  können  den  Gang  der  naturgemäßen  wirt- 
schaftlichen Entwicklung  nicht  aufhalten.  Aber 
eine  andere  Frage  ist  die,  ob  wirklich  auch  die 
qualifizierte  Handarbeit  an  Bedeutung  ver- 
liert, oder  ob  sich  nur  die  technischen  An- 
sprüche an  dieselbe  ändern,  und  ob  nicht  ge- 
rade durch  den  Fortschritt  der  Maschinen-In- 
dustrie die  Nachfrage  nach  handgeschickten 
und  gut  durchgebildeten  Arbeitern  sich  slei- 


Dircklor  Dr.  Pahst-T^apiio .- 


k    LA.SKCR  I 
i        *        t       dl 


KRANK  EUGENE  SMIIH   MINCHEN. 


-Bildnib:  .Schachwellnu'ister  Dr.  l'^inama'l  I.askcr. 


j^ert.  Eine  genauere  Prüfung  dieser  Fragen 
zeigt,  daß  selbst  durch  die  besten  Maschinen 
geschulte  und  geübte  Hände  nicht  entbehrlich 
gemacht  werden,  im  Gegenteil:  je  feiner  und 
komplizierter  die  Maschinen  werden,  desto 
geübter  müssen  auch  die  Hände  sein,  welche 
diese  Maschinen  bedienen  sollen.  In  einem 
Vortrage  machte  W.  v.  Oechelhäuser  die  sehr 
beachtenswerte    Bemerkung,    „daß    mitunter 


kostbare  Werkzeugmaschinen  zeitweilig  außer 
Betrieb  bleiben  müssen ,  weil  man  nicht  ge- 
nügend tüchtige  Arbeiter  dafür  findet".  Mit 
anderen  Worten  also;  unsere  allgemeine  und 
unsere  gewerbliche  Erziehung  leisten  das  nicht, 
was  im  heutigen  Maschinenzeitalter  von  der  Er- 
ziehung des  Arbeiters  gefordert  werden  muß. 
Diese  Klage  wiederholt  sich  mit  einigen  Va- 
riationen auf  allen  Gebieten  gewerblicher  und 


PKorrssoR  r:Mii.  ori.ik 


ARCHITEKT  CARL  WITZMANN-WIEN. 


VCiX  A.  S.  I.EVEITS-WIEN. 


Daß  Carl  Witzmann  zu  den  begabtesten 
jüngeren  Architekten  Wiens  gehört,  ist 
schon  an  dieser  Stelle  anerkannt  worden.  Als 
Schüler  Professor  Hoffmanns  hat  er  gleich 
am  Anfange  seiner  Tätigkeit  die  größten  Hoff- 
nungen erweckt,  und  seine  Entwicklung  hat 
uns  nicht  enttäuscht.  Als  gelernter  Tischler 
kam  er  an  die  Wiener  Kunstgewerbe-Schule; 
die  Erfahrungen  und  praktischen  Kenntnisse, 
mit  denen  er  ausgerüstet  war,  zusammen  mit 
seiner  künstlerischen  Begabung,  dem  weiten 
Blick  und  dem  feinen,  angeborenen  und  aus- 
gebildeten Schönheitsgefühl,  sind  ihm  sehr  zu- 
statten gekommen. 

In  seinen  Arbeiten  liegt  immer  viel  erfreu- 
liche Frische,  seine  Entwürfe  sind  fein  erson- 
nen, die  Raumlösung  und  Ausstattung  gut  und 
zweckentsprechend,  stets  den  Ciiarakter  ihrer 
Bestimmung  spiegelnd. 

Seine  gründliche  Ausbildung  als  Handwerker 
befähigt  ihn,  die  Ausführung  seiner  Entwürfe 
bis  ins  kleinste  zu  überwachen.  Künstlerischer 
Takt  leitet  ihn,  die  Beziehungen  zwischen  dem 
Bewohner  und  seinem  Heim  mit  Sicherheit 
herauszuarbeiten,  sodaß  alles  im  schönsten 
Elinklang  steht.  Die  hier  abgebildete  Wohnung 
des  Herrn  J.  mag  als  Beispiel  dienen.  Im 
Wohnzimmer  hat  Witzmann  den  Liebhabe- 
reien des  Besitzers,  eines  eifrigen  Liebhaber- 
Photographen  und  Sammlers  ,  Rechnung  ge- 
tragen. Eine  Reihe  großer  künstlerisch  durch- 
geführter Landschafts-Aufnahmen  ist  in  die 
Täfelung  der  Wand  eingefügt.  Der  Raum  ist 
von  reizvollster  Wirkung,  E^in  breit  gehaltener 
Kamin  aus  grauem  Malplaquet,  mit  Säulen  aus 
schwarz-weißem  Brescia-Marmor  ist  ihm  ein 
besonderer  Schmuck.  Die  darüber  befindliche 
ornamentale  Malerei,  eine  eigenhändige  Arbeit 
Witzmanns,  in  blauen,  violetten  und  silbernen 
Tönen  gehalten  ,  stimmt  harmonisch  zu  der 
grauen  E  arbe  der  Wände  und  den  vorherrschend 
grauen  Tönen  des  Zimmers.  Die  nicht  nur  an 
der  Decke,  sondern  auch  tiefhängend  an  den 
Wänden  angebrachten  Beleuchtungskörper  er- 
möglichen eine  gleichmäßige  Lichtverteilung  im 
Raum.  Diebequenien  und  schönen  Sitzgelegen- 
heiten  und   die  gemütliche  Ecnsterpartie   sind 


bemerkenswert  gute  Lösungen.  Die  Bleiver- 
glasung  des  Fensters  ist  in  weiß,  blau,  violett 
und  grün  gehalten.  Das  ganze  Zimmer  atmet 
wohltuende  Ruhe. 

Beim  Speisezimmer  hat  Witzmann  zwei  klei- 
ne Räume  zu  einer  schönen  Einheit  vereinigt. 
Den  unteren  Teil  eines  der  beiden  Fenster  hat 
er  zugebaut  und  damit  eine  Eckpartie  gewon- 
nen. Um  eine  geschlossene  Wirkung  des  Rau- 
mes zu  erzielen,  sind  die  Wände  durch  Scha- 
blonierung  in  quadratische  Felder  eingeteilt;  die 
Fenstervorhänge  weisen  das  nämliche  Motiv 
auf.  Gleich  beim  Eingange  befinden  sich  zwei 
Nischen;  die  eine  dient  als  Plauderecke,  die 
andere  als  Servierraum,  so  daß  der  Anrichte- 
tisch unmittelbar  bei  der  Türe  steht.  Der  Ka- 
minumbau  der  Plauderecke  ist  ganz  einfach 
gehalten  und  weiß  lackiert,  die  freistehenden 
Möbelstücke  schwarz  gebeiztes  Eichenholz. 
Schlicht  und  fein  sind  auch  Kredenz  und  Ser- 
viertisch. Es  war  dem  Architekten  darum  zu 
tun,  sie  möglichst  glatt  zu  halten,  deshalb  hat 
er  statt  der  üblichen  Messinggriffe  solche  aus 
Holz  angebracht,  die  im  Einklang  mit  den  ge- 
schnitzten Säulen  stehen. 

Das  Schlafzimmer,  in  Ahornholz  weiß  lak- 
kiert,  ist  ein  besonders  reizvoller  Raum.  Vor- 
hänge aus  bedrucktem  Leinen,  gelb  auf  weiß, 
mit  Schleifen  zusammengehalten,  umgeben 
das  Bett.  Die  Wände  wiederholen  Earbe  und 
Muster  der  Vorhänge,  die  Bettdecke  ist  gelb. 
Die  Schränke  sind  im  Profil  ganz  glatt,  die 
Ecken  abgerundet.  Die  Polster  von  Sopha 
und  Sessel  sind  derart  angebracht,  daß  sie 
mühelos  abgenommen  werden  können. 

Der  Vorraum  ist  ebenfalls  höchst  praktisch 
eingerichtet,  in  weiß  lackiertem  Ahornholz 
gehalten,  der  Fußboden  mit  Linoleum  belegt. 

In  der  ebenfalls  von  Wilzmann  eingerich- 
teten Halle  des  Herrn  B.  waren  manche 
Schwierigkeiten  zu  überwinden,  doch  gerade 
in  der  Beseitigung  solcher  liegt  für  den  schaf- 
fensfreudigen Künstler  der  größte  Reiz.  Um 
eine  hohe  und  geräunnge  Halle  herzustellen, 
hat  der  Architekt  die  vorhandene  Decke  durch- 
brochen und  die  obere  Stiege  liefer  gelegt. 
Reizvoll  ist   auch   das   Bhnnen- Arrangement, 


IM 
IHK 

AK 

II  M 

.WII/MAXN     WIKX 

1      ms     HAI   ST>    H.      XVJKN 

IHK 

1.   sori.EK  -WIKN. 

A)rliilckt  Carl  ]]  ilziuaini. 


K,L,,.a,lh 


AiisfLilir 


das  er  an  den  Treppenabsätzen  und  in  den 
Fensternischen  angebracht  hat.  Die  Bleiver- 
glasung  am  Fenster  des  unteren  Stiegenhauses, 
fein  abgetönt  in  blau,  grün  und  gelb,  belebt 
die  Halle  in  schönster  Weise.  Hin  hübsches 
Frühstücksplätzchen  befindet  sich  davor. 

Noch  eine  Halle,  in  einem  Landhause  in 
Klagenfurt,  ist  zu  erwähnen.  Im  Gegensatze 
zu  der  vorigen  war  hier  der  Raum  sehr  be- 
schränkt, folglich  mußte  jedes  Plätzchen  aus- 
genutzt werden,  und  so  kommt  es,  daß  auf  der 
Abbildung  eigentlich  nur  der  Stiegenantritt  zu 


sehen  ist.  Die  Wände  sind  mit  I^auhputz  be- 
worfen, die  Täfelung  in  graublauer  Farbe  gehal- 
ten. Die  freistehenden  Möbelstücke  sind  aus 
schwarz  gebeiztem  Eichenholz.  Für  Wand- 
bespannung und  Vorhänge  wurde  ein  von  Prof. 
Hoffmann  entworfener  Druckstoff  benützt. 

Bei  allen  seinen  Arbeiten  hat  Witzmann 
stets  das  künstlerische  Moment  vor  Augen, 
ohne  die  Zweckmäßigkeit  zu  übersehen.  Als 
echter  Schüler  Hoffmanns  versteht  er  es,  die 
Schönheit  des  Materials  herauszuarbeiten  und 
er  geht  seinen  Weg  mit  Bedacht  und  Würde. 


_\kl_Hll!  Kl    lAkl.   \Vn/.\IANN      W  IK.N. 


Au>  um^tL-hriuKiii  Speis 


DIE  GEBILDETE  FRAU  IM  KUNSTGEWERBEHANDEL. 


KAkI,  \\I1J\TKK      KAKI  sKT  Hl:. 


Der  Kampf  der  Frau  um  die  Erschließung 
neuer  Berufe  ist  heute  schon  eines  der 
wichtigsten  sozialen  Probleme  unserer  Zeit. 
Seine  Bedeutung  wird  in  dem  Maße  weiter- 
wachsen, wie  sich  die  Bedingungen  für  die 
natürliche  Berufserfüllung  der  Frau  durch 
die  gesellschaftlichen  Verhältnisse  in  der  heu- 
tigen Kulturwelt  weiterhin  verschlechtern  wer- 
den. Ins  Gewicht  fallen  dabei  freilich  nur  die- 
jenigen Bestrebungen,  die  aus  einem  ernsten 
wirtschaftlichen  Bedürfnis  hervorgehen  und  die 
von  dem  redlichen  Willen  geleitet  sind,  sich 
den  Anspruch  auf  Selbständigkeit  auch  durch 
brauchbare  Arbeit  zu  verdienen.  Denn  aller 
Erfolg  beruht  schließlich  auf  Gegenseitigkeit. 
Die  schönsten  Humanitäts- Forderungen  der 
Frauenbewegung  haben  nur  dann  Aussicht,  sich 
durchzusetzen,  wenn  ihre  Erfüllung  nicht  nur 


im  Interesse  der  Frau  selbst,  sondern  auch  in 
dem  der  Mitwelt  liegt.  Darum  liegt  die  Lösung 
der  Frauenfrage  nicht  in  der  Eroberung  von 
Männerberufen,  wo  die  natürliche  Überlegen- 
heit des  Mannes  ihre  Mitarbeit  von  vornherein 
überflüssigmacht,  sondern  in  der  Erweiterung 
des  Arbeitsfeldes,  wofür  die  Frauen  von  Haus 
aus  gewisse,  in  der  weiblichen  Natur  liegende 
Vorzüge  mitbringen. 

Ein  solches  Arbeitsfeld  ist  der  Kunstgc- 
werbehandel.  Er  befaßt  sich  mit  einem  Ge- 
biet, wo  die  weibliche  Mithilfe  fast  so  unent- 
behrlich ist,  wie  in  manchem  spezifisch  weib- 
lichen Berufe,  z.  B.  der  Toilettenbranche.  Denn 
auch  hier  spielt  neben  den  rein  praktischen 
Fragen  die  Geschniacksfrage  bei  Bestellung  und 
Einkauf  eine  entscheidende  Rolle  ;  und  auch 
hier  sind  die  Kaufenden  vorwiegend  Frauen, 


-  ''^^  ,ti*  •  "-t="  i-.'i  -^"  *»-  "^  •^*  -S".  ■.^>" 


AK(  III  I  |..K  I    ("Akr.  WIIZMAXNT. 

M'l'  l'^^■/IM\II   k   IS    Hl'  U  W'iHM'NC.  V.  A.J. 
\I"M' I    IIHIM,:     \liiill'    IM.IKKk       WIKN. 


Die  orehüdete  Frau  im  Kioisfsewerhe/iatiJcl. 


Frauen  aber  haben,  weit  mehr  als  Männer,  das 
Bedürfnis,  bei  jeder  Wahl,  wo  Urteil  und  Ent- 
schlußfähigkeit verlangt  werden,  sich  leiten  und 
beraten  zu  lassen  ;  und  dann  erst  recht,  wenn 
außer  dem  persönlichen  Geschmack  auch  noch 
die  Mode  und  der  wechselnde  Zeitgeschmack 
mitsprechen  und  es  also  gilt,  darüber  auf  dem 
Laufenden  gehalten  zu  werden.  Andererseits 
eignen  sich  aber  die  Frauen  auch  für  die  Rolle, 
in  diesen  Dingen  den  Ratgeber  zu  spielen,  ganz 


in  der  Wohnung  V.  A.  J.     Wien. 


besonders  gut.  Die  Gegenstände,  um  die  es 
sich  handelt,  fallen  zum  überwiegenden  Teil  in 
das  Gebiet,  wo  die  Prau  waltet  und  schaltet; 
Wohnung  und  Küche.  Die  Frauen  bringen  für 
diesen  Beruf  also  das  mit,  was  das  wichtigste 
Motiv  jeder  Berufswahl  sein  sollte;  das  natür- 
liche Interesse  an  der  Sache.  Dazu  kommen 
gewisse  persönliche  Vorzüge,  die  in  der  weib- 
lichen Natur  liegen;  die  größere  Liebenswür- 
digkeit und  Geduld  des  Anhörens  und  Anbie- 


.\I<(  III  I  l.K  I    <   AKI.  W  I  1/„MAXX     WIKX. 

Sl    III  AI'  -  /IMMI    k      hlK     «•  ■IIMNC,  V.  A.  |.      WIEN. 
ArshiHkl    \i.:     \ir.l;l' 1  !■  \|-,l;.    A.  T.Kr.F.KER      WIEN. 


AKClilT.  CARl.   WirZMAXX      W  II\. 

VoK -ZIMMl'.K    DTK   WOHMXG    V.A.j.      UIKN. 


ARCII.  (ARI,  WnZMAXX     WIKX. 

HAI  I  K    IM     l_AM)H  \1  .s    L.        lu    \|,I\|.  IKI. 


Die  scbilddc  Fra 


KiDisto-civcrbchandcl. 


tens,  die  nun  einmal  da,  wo  ihr  eigenes  Ge- 
schlecht das  Hauptkontingent  der  Kunden  stellt, 
eine  besonders  große  Rolle  spielen.  Weib- 
licher Bedienung  gegenüber  sind  die  Käufer- 
innen im  allgemeinen  unbefangener  im  Fragen 
und  im  Angeben  ihrer  Wünsche  als  Männern 
gegenüber. 

Das  alles  kommt  zusammen,  um  die  Tätig- 
keit der  Frau  im  Kunstgewerbehandel  zu  einer 
für  beide  Teile  —  den  arbeitgebenden  und 
arbeitsuchenden  —  gleich  wichtigen  und  dank- 
baren Aufgabe  zu  machen.  Und  die  Bedeutung 
dieser  Aufgabe  steigert  sich  damit,  daß  es  sich 
hier  nicht  allein  um  materielle  Bedürfnisse, 
sondern  um  höhere  Kulturfragen  handelt :  wird 
doch  der  Geschmack,  der  in  unsern  Wohn- 
räumen herrscht,  im  wesentlichen  davon  be- 
stimmt, was  von  den  Frauen  und  für  die  Frauen 
angeschafft  wird.  Es  äußert  sich  hier  wie- 
der der  unmittelbare  und  ausschlag- 
gebende Einfluß,  den  der  Kunstge- 
werbehandel auf  das  künstlerische  Ni- 
veau unseres   heutigen  Lebens   ausübt. 

Um  seiner  Kulturaufgabe  in  diesem  Sinne 
gerecht  zu  werden,  müßte  der  Kunstgewerbe- 
händler aber  vor  allem  auch  über  einen  tüch- 
tigen Stab  gebildeter  Ve rkäuferinnen  ver- 
fügen können.  Denn  die  Summe  rein  fach- 
mäßiger Kenntnisse,  die  allenfalls  für  ein  Putz- 
und  Modegeschäft  ausreichen,  genügt  nicht, 
wo  es  sich  um  Auskünfte  handelt,  die  sich  zum 
Teil  mit  den  feinsten  Bildungsfragen  berühren; 
Fragen,  in  denen  sich  die  gebildete  Dame  nur 
dem  gebildeten  Urteil  unterwirft.  Leider  be- 
rührt man  aber  damit  eine  der  größten  Lücken 
in  der  Organisation  unseres  heutigen  Kunst- 
gewerbehandels.    Es   fehlt    ihm    durchaus    an 


einem  solchen  Stand  von  Verkäuferinnen,  die 
auf  einem  höheren  Niveau  allgemeiner  Bildung 
stehen  —  einzelne  Ausnahmen  können  daran 
nichts  ändern.  Gesellschaftliche  Rücksichten 
und  Vorurteile,  die  das  Mädchen  aus  dem  Volk 
nicht  beschweren,  hindern  die  Töchter  unserer 
gebildeten  Stände,  einen  Weg  zu  beschreiten, 
der  eine  so  glückliche  Lösung  der  Frauenfrage 
sein  könnte.  So  ist  es  wenigstens  in  Deutsch- 
land, dem  klassischen  Land  der  gesellschaft- 
lichen Engherzigkeit.  In  England  denkt  man 
über  diese  Dinge  heute  schon  viel  freier,  als 
bei  uns.  Am  weitesten  voraus  aber  ist  uns 
darin  Skandinavien.  Hier  gilt  es  als  etwas 
Selbstverständliches,  daß  man  einer  Dame  die 
gesellschaftliche  Achtung  darum  nicht  versagt, 
weil  sie  durch  ehrliche  Arbeit  ihr  Brot  ver- 
dient. In  dänischen  und  schwedischen  Kunst- 
gewerbeläden kann  man  deshalb  allenthalben 
Verkäuferinnen  treffen,  die  durch  ihre  Kennt- 
nisse und  durch  ihr  Auftreten  beweisen,  daß 
sie  den  gebildeten  Ständen  angehören.  So  hat 
gerade  hier  im  Eldorado  der  Frauenemanzi- 
pation die  Frau  gezeigt,  wie  man  auch  ohne 
die  unerfüllbaren  Prätentionen  eines  beding- 
ungslosen Konkurrenzkampfs  der  Geschlechter 
seinen  Teil  zu  einer  gesunden  Lösung  der 
Frauenfrage  beitragen  kann  :  nicht  durch  Ein- 
reißen der  natürlichen  Grenzen,  die  der  Tätig- 
keit der  Frau  gesetzt  sind,  sondern  durch  Über- 
windung der  künstlichen  Schranken,  die  ihr 
Kastengeist  und  Standesvorurteil  setzen.  Es 
ist  schade ,  daß  das  Beispiel  der  Skandina- 
vierin bei  uns  nicht  mehr  bekannt  ist.  Es  würde 
vielleicht  auch  bei  uns  manchen  helfen  können, 
sich  auf  dem  gleichen  Wege  eine  befriedigende 
Lebensaufgabe  zu  sichern.   — ]  k.  u. 


APHORISMEN. 


Wer  geyeii  sidi  seihst  und  ciruiere  wdlir  ist  und 
bleibt,  besi^t  die  sdiönste  Eigenscluift  der  giöliten 
Talente.  Goethe. 

Die  Bewunderung  ist  das  Vermögen,  am  Schönen 
und  Sinnreidien  sich  zu  freuen;  wir  werden,  wenn 
wir  diese  zerstören,  gemein  und   uuehrerbietig. 

lohn   Knskin. 

Kunst  ist  Ausdiui-kstdtigkeit.  Abel-  nicht  alle  Aus- 
diiukstätigkcit  ist  Kunst.  Wenn  jemand  lacht  oder 
weint,  liefert  er  nocii  kein  Kunstwerk.  Dazu  wird 
Ausdnickstiitlgkeit  erst,  wenn  sie  zu  selbständiger  und 
versIciiulliilK-r-  IJsilieluuug  gelangt.    ().  Koluisliuniu. 


Gewöhnlic+ikeit  wird  jedem  geglaubt,  zum  Unge- 
wöhnlidien  bedarf  es  der  Autorität.     August  Panly. 

Genie  ist  eine  lange  Geduld.  In  jcglidiem  Ding 
steckt  etwas,  das  nodi  keiner  gesehen  und  keiner  aus- 
gedrückt liat,  dies  nui(i  man  herausholen.     t"lau!)ert. 

Unsere  zarte,  fülill)are  und  feiu  empfänglidie  tliitur 
hat  aller  Sinuc  nötig,  die  ihr  Gott  gegebei\,  sie 
kann  keinen  seines  Dienstes  entlassen,  um  sich  einem 
andren  allein  anzuvertrauen:  denn  eben  iniGcs.imt- 
gcbraudi  aller  Sinne  und  Organe  zündet  und 
leuditet   allein   die  padel  des   Lebens.  Herder. 


69 


MARGARKIE  VON'   I'.K  AllH  I  I  SlH      MIM'HEN. 


( iarten-Schirni  mit  Kurbel-Stickerei. 
!n  für  Kunst  im  Handwerk,  A.-G.,  München. 


STICKEREIEN  VON  MARGARETE  VON  BRAUCHITSCH. 


Frau  von  Braucliitsch  gehört  zu  den  wenigen 
originellen  Kunststickerinnen,  die  eigene 
Technik  und  eigene  Ideen  haben.  Viele  fußen 
auf  ihr,  ehrlich  oder  unehrlich.  Wer  die  Tech- 
nik und  die  künstlerische  Art  der  Frau  von 
Brauchitsch  einmal  eingehend  studiert  hat, 
wird  sie  immer  wieder  erkennen.  Sie  allein 
ist  so  originell  in  der  Wahl  der  Stoffe,  der 
Farben  und  Linienführungen,  daß  sie  unter 
den  vielen  modernen  Kunststickerinnen  eine 
Richtung  für  sich  bedeutet.  Sie  entdeckte  vor 
weit  länger  als  zehn  Jahren  die  Stoffe,  die  sie 
seitdem  so  fein  zu  benutzen  versteht;  sie  er- 
fand neuerdings  die  Bestickung  vorhandener 
Kunststoffe  mit  farbigen  Seiden,  Wollen,  Gar- 
nen derart,  daß  die  Muster  der  Weberei  in  den 
Konturen  naciigezogen  werden,  wie  Vorhänge 


und  Stuhlkissen  unserer  Bilder  es  z.T.  zeigen. 
Sie  ist  völlig  originell  in  den  Farben,  die  sie 
selbst  erfindet,  und  die  sie  dank  ihres  einfachen 
Prinzipsunendlichreichvariierenkann.  Ebenso 
kann  sie  ihre  Formen  von  den  einfachsten  Or- 
namenten bis  zur  gobelinartigen  Vollstickerei 
durchführen.  Wenn  Aufträge  vorlägen,  denke 
ich  mir,  könnte  diese  Künstlerin  eine  neue 
Kultur  der  Wandteppiche  herbeiführen  helfen, 
etwa  wie  sie  es  auf  dem  Gebiet  der  Theater- 
vorhänge bereits  getan  —  sie  hat  für  ca.  zehn 
neue  Theaterbauten  die  Vorhänge  geliefert. 
Unsere  Proben  stammen  aus  einerihrer  Ausstel- 
lungen in  den  Münchner  Werkstätten.  Sobald 
der  Raum  es  gestattet,  werden  wir  auf  diese 
Künstlerin  imd  auf  die  Probleme  der  modernen 
Stickerei  noch  einmal  zurückkommen.       ■•   m. 


70 


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78 


F..  MAKGi  1U-)  —  WIEN 


GOLDPRAGlNd  FIXFS  H  rCHllANDFS 


REZEPTIVE  BEGABUNG. 


Vi  in    U'/I  Uli  M    MH   UFF 


■  MIM  HIN. 


/Vch,  sie  tut  uns  wirklich  not!  Man  höre 
■^^  nur  in  den  Reden  aller  zeitgenössischen 
Künstler,  der  großen  wie  der  kleinen:  Überall 
ein  Notschrei  nach  dem,  der  aufnimmt,  nach 
dem,  der  durch  sein  Verlangen  nach  dem 
Kunstwerk  diesem  und  seinem  Schöpfer  erst 
die  eigentliche  Autorisation  verleiht.  Kunst 
ist  ganz  sicher  etwas  Soziales.  Sie  setzt  ihrem 
innersten  Wesen  nach  den  Zuschauer  und 
Zuhörer  voraus.  Er  gehört  zu  ihrem  Begriffe, 
so  gewiß  dieser  Begriff  gipfelt  in  einem  Deut- 
lichmachen, in  einem  Erkennbarmachen  für 
Dritte.  Kunst  ist  Mitteilungsdrang,  und  der 
Begriff  „künstlerische  Gestaltung"  wäre  gar 
nicht  zu  konstruieren  ohne  Auge  und  Ohr  des 
Rezeptiven.     Aus   dem  Inneren  ein  Äußeres 


machen,  daran  hängt  des  Künstlers  Herz. 
Aber  das  Äußere,  das  nicht  gesehen,  nicht 
erkannt  und  geliebt  wird?  „Du  großes  Ge- 
stirn, was  wärest  du  ohne  die,  denen  du 
leuchtest?"  Mit  diesen  schopenhauerischen 
Worten  verläßt  Zarathustra  seine  Höhle.  Und 
wie  der  Sonne,  so  geht  es  der  Kunst.  Sie 
„ist"   nur,   soweit  sie  genossen  wird. 

Der  Künstler  unserer  Zeit  empfindet  das 
mit  grausamer  Deutlichkeit.  Schon  ehe  er  sein 
Werk  hinausgibt,  spürt  er  das  kalte,  feindliche 
Schweigen,  von  dem  sein  Werk  verschlungen 
werden  wird.  Er  ist  doch  auch  Kind  seiner 
Zeit,  leidet  unter  den  gleichen  Leiden,  die 
die  Tausende  bewegen,  freut  sich  an  gleichen 
Freuden  wie  sie.     Er  hat  ein  Recht  zu  erwar- 


79 


l  J  'ilheliu  Michel  -  MimcJicn  : 


CV.ESCHKA—  HAMHl  RH 


ten,  daß  man  auf  ihn  horcht,  wenn  er  die  Früchte 
dieser  Mit-Freude  und  dieses  Mit-Leidens  zu 
Markte  bringt,  wenn  er  gewissenhaft  und  red- 
hch,  mit  Können  und  Fleiß  das  gestaltet,  was 
aus  der  allgemeinen  Nährquelle  der  Epoche 
ihm  in  den  dargebotenen  Becher  fließt. 

Statt  dessen  stößt  er  gerade  dann  auf 
Widerstand,  wenn  er  dem  inneren  Gesetz  am 
treuesten  gehorcht  hat.  Wer  hat  es  nicht 
schon  erfahren,  daß  die  Welt  gerade  das  per- 
horresziert,  was  der  Künstler  am  reinsten 
und  am  redlichsten  gesagt  zu  haben  glaubte? 
Immer  will  sie  etwas  abnehmen  von  seiner 
Originalität,  von  der  Eigenart  seiner  Aus- 
drucksweisc.  Und  noch  häufiger  als  dieses 
wenigstens  teilweise  Zuhören   ist  wie  gesagt 


80 


das  tote  Schweigen.  Der  Künstler  bietet 
Ware  an,  die  niemand  will. 

Achtzig  Prozent  der  Einsendungen  werden 
von  der  Münchener  Sezession  alljährlich  zu- 
rückgewiesen. Sie  müssen  zurückgewiesen 
werden,  schon  weil  die  vorhandenen  Räume 
den  Reichtum  nicht  fassen  könnten.  Das  be- 
deutet ein  ungeheures  Angebot,  dem  keine 
Nachfrage  entspricht,  ja  dem  nicht  einmal  der 
Weg  zu  den  „Konsumenten"  freigegeben  wird. 
Eine  böse  Lotterie,  fürwahr,  bei  der  nur  jedes 
fünfte  Los  gewinnt,  und  bei  welchem  Ein- 
satz an  Zeit,  Kraft  und  Hoffnungen! 

Und  es  drängt  sich  gerade  hier  die  Frage 
auf,  ob  statt  so  vieler  „produktiver"  Be- 
gabungen nicht  besser  „rezeptive"  Begabungen 


Rezeptive  Begabung 


gezüchtet  würden.  Hand  aufs  Herz:  Weiß 
nicht  jeder  von  uns,  der  mit  Künstlern  viel 
Umgang  hat,  soundso  viele  davon  zu  nennen, 
deren  künstlerische  Neigungen  sie  gerade  zu 
geschmackvoller,  anspornender  Rezeption, 
nicht  aber  zur  Produktion  befähigen?  Aber 
unser  Zeitalter  hat  den  Tick  aufs  Produktive, 
Der  nicht  Produzierende  gilt  als  Mensch 
zweiten  Ranges.  Sobald  einer  irgend  ein 
Verhältnis,  eine  Neigung  zur  Kunst  in  sich 
spürt,  wird  schöpferische  Begabung  diagno- 
stiziert und  dadurch  meistens  nur  ein  Dilet- 
tant mehr  in  die  Welt  gesetzt.  Aber  Hin- 
horchen und  Zusehen  können,  wenn  einer 
etwas  Ehrliches  zeigt,  das  ist  auch  eine  Tätig- 
keit, die  aller  Ehren  wert  ist.     Und  rezeptive 


II  I.LMK.VnclX   /.V   I-.  KKIM    „IUI;  MIMIINCI-N 


Begabungen  möchte  ich  diejenigen  nennen, 
die  kulturelles  Verantwortlichkeitsgefühl  in 
sich  haben,  die  wissen,  daß  auch  der  ver- 
ständnisvolle Zuschauer  ein  Arbeiter  im 
Dienste  der  Menschheit  ist.  Rezeptive  Be- 
gabungen nenne  ich  diejenigen,  denen  künst- 
lerische Werte  Realitäten  sind  wie  Geld 
und  Blut,  denen  ein  Bild,  ein  Buch,  ein 
Schauspiel  wirklich  erscheinen,  als  Bau- 
steine am  Bau  der  zeitgenössischen  Kultur. 
Aber  bei  uns  in  Deutschland  ist  es  so  — 
ich  wähle  ein  Beispiel  aus  der  Tätigkeit  des 
Schriftstellers,  der  Klarheit  wegen:  Rede  in 
deiner  Zeitung,  deiner  Zeitschrift  oder  auch 
in  deinen  Büchern  zehn  Jahre  lang  mit  Men- 
schen- und  mit  Engelzungen,   du  hörst  kein 


Sl 


Willi  dm  Michel-  München: 


noch  so  leises  Echo,  sofern  deine  LeistunfJ 
„nur"  auf  erstklassige  Form,  „nur"  auf  Tief- 
sinn und  Originalität  des  Gedankens  ausgeht. 
Aber  schneide  in  der  plumpsten,  ungewähl- 
testen Form  eine  „aktuelle  Frage"  oder  gar 
ein  Sonderinteresse  an,  sprich  aus,  was  nicht 
nur  du  allein  und  zehn  andere,  sondern  Hun- 
derte und  Tausende  denken:  sogleich  bedeckt 
sich  dein  Tisch  mit  Zuschriften,  aus  denen  die 
leidenschaftlichste  Parteinahme  für  und  wider 
herausdröhnt.  Was  beweist  das?  Es  beweist, 
daß  gute  Form  und  gutes  Denken  nicht  als 
Realitäten  gewertet  werden.  Vor  drei  Jahren 
war's,  da  schrieb  in  einer  norddeutschen  Zei- 
tung ein  völliger  Neuling,  dessen  Namen  noch 
niemand   gelesen    hatte,    ein   Feuilleton   über 


irgend  eine  Sache,  mit  der  vielerlei  lokale 
Interessen  verknüpft  waren.  Unter  den  Repli- 
zierenden befand  sich  ein  Schriftsteller,  der 
jahrelang  in  demselben  Blatte  kluge,  sehr 
kluge  und  gut  geschriebene  Essais  veröffent- 
licht hatte.  Der  Neuling  errang  mit  diesem 
einen  Aufsatz  Ehre  und  Ansehen,  mehr  als 
der  andere  in  fünf  Jahren.  Das  gute  bei  der 
Sache  aber  war,  daß  der  „Neuling"  und  dieser 
andere  ein  und  dieselbe  Person  waren,  und 
diese  Person  pflegte  dann  von  seinem  Pseudo- 
nymen Ich  zu  sagen:  „Ich"  bin  jetzt  wesent- 
lich berühmter  als  ich,  obwohl  ich  genau 
fünfzigmal  so  viele  und  fünfzigmal  bessere 
Arbeiten  veröffentlicht  habe  als  „Ich". 

Scherzhaft   liest   man   manchmal   das   Be- 


Rezeptive  Begabung. 


dürfnis  nach  Lesern  und  Beschauern,  nach 
Kunstgenießern  ausgebeutet,  und  es  sind  dann 
immer  Dilettanten,  denen  man  solchen  Hunger 
nach  Publikum  unterschiebt.  Ob  aber  gerade 
die  Dilettanten  unter  diesem  Mangel  am 
stärksten  leiden,  bleibt  fraglich.  Zum  echten, 
berufenen  Künstler  gehört  das  Bewußtsein, 
daß  seine  Werke  Wirklichkeiten  sind,  daß  sie 
innerhalb  der  menschlichen  Gesamtentwicke- 
lung positiven  und  nicht  unkontrollierbaren 
Wert  haben.  Sieht  er  diese  Werte  so  nach- 
lässig behandelt,  wie  es  die  Übung  ist,  so 
wird  er  darunter  mehr  leiden  als  der  Dilettant, 
der  von  der  „Läßlichkeit"  seines  Tuns  den- 
noch mehr  oder  minder  tief  durchdrungen  ist. 
Es  gälte  meines  Erachtens  an  allen  Statten, 


ILLUSTR^\TION    ZU    F.   KEIM 
ILACH'S  JUGENDBÜCHEKEl.    GERI- 


wo  auf  Bildung  und  Erziehung  der  Menschen 
Einfluß  geübt  wird,  darauf  hinzuwirken,  daß 
die  Achtung  vor  dem  Kunstwerk  als  einer  sehr 
wichtigen  und  greifbaren  Realität  mehr  ver- 
breitet und  die  Tätigkeit  der  Rezeption,  der 
Anteilnahme  am  Schaffen  der  Künstler  mehr 
Menschen  als  heute  zur  persönlichen  Ange- 
legenheit gemacht  werde.  Der  Künstler  ist 
nicht  möglich  ohne  den  Kulturkreis,  dem  er 
angehört.  Dafür  empfängt  dieser  Kulturkreis 
aber  von  ihm  sein  Spiegelbild,  seine  Darstel- 
lung und  Ausprägung  und  damit  eine  Eörde- 
rung.  Jedes  Darstellen,  jedes  „Benennen", 
sofern  es  aus  guten  Quellen  schöpft,  bedeutet 
die  Eroberung  neuer,  sei  es  auch  nur  einer 
Fußbreite  neuer  Erde.  —  W.  M. 


Bil^MPJ 


ORNAJMNTAT  K   I  TllUXC 


85 


KLEIDER-KULTUR. 


'.EIIANKFN 


;RA1-  HAKIiKNBKRf 


Die  Biipiilitiit  und  Eintonicikcit  innerer  Kleiduny 
erinnert  ein  die  GriilJlidikeit  nnserer  Mietsknsernen- 
fassaden  von  gestern.  Im  Bauen  ist's  mittlerweile 
besser  geworden  und  es  wird  nodi  immer  besser 
werden,  denn  Wolinkünstler  haben  uns  gelelu't,  von 
innen  nach  anlien  zu  bauen  und  damit  das  pülilen  und 
Sehnen  unserer  Zeit  verstanden.  Die  Bekleidungs- 
künstler, die  aus  dem  innersten  Bedürfnisse  unseres 
Körpers  heraus  uns  neue,  sdiöne,  farbige  und  zweck- 
mälüge  Kleider  sdiaffen,   stehen  nodi  aus. 

Man  mag  an  Essen  und  1  riuken  spaien,  an  I  abak 
und  Zigaretten.  An  Kleidern  sollte  man  nie  sparen. 
Das  Beste  hierüber  sagt  Prentice  Mulford:  Es  ist  Kraft- 
vergeudung, alte  Kleider  zu  tragen,  sidi  mit  seinen 
eigenen  Leidienteilen  zu  bekleiden  aus  Sparsam- 
keit. Nicht  einmal  die  Sc+ilange  kriedit  in  ihre  alte 
Haut  zurück  aus  ökonomischen  Rücksiditen.  Die 
Natur  trägt  keine  alten  Kleider!  Die  Natur  spart 
nie  nac4i  Mensdienart  an  üefieder,  pell  und  Farben - 
schmelz.  Sonst  würde  ihre  herrschende  Farbe  bald 
die  alter  Hosen  sein  und  Gottes  Firmament  glänzte 
speckig   wie  ein  1  rödlerladen  dritten   Ranges. 

Seitdem  wir  nicht  mehr  körperlidi  stark  sind  — 
sind  wir  ernst.  Der  Ernst  ist  der  Panzer  der  Vor- 
sichtigen und  Sparsamen.  Der  Humor  ist  das  heitre 
Gewand  der  Mutigen  und  der  Freigiebigen  oder 
derer,  denen  das  Erdreic+i  gehört;  der  Sorglosen. 
Unsere  Kleider  sind  geschneiderte  Vorsidit:  Mein 
Bein  ist  vielleicht  nidit  ganz  gerade  —  es  könnte  . . .  ! 
Eine  Röhre,  einen  formenverwischenden,  unkennt- 
lichen Sdilaudi  herum.  Mein  Rock  könnte  in  der 
Sonne  grau  werden,  verbleidien  —  wählen  wir  ihn 
graugelb  — !  Er  könnte  sich  abnützen,  drum  sei  er 
ein  Sack!  Der  König  von  England  erschien  jüngst 
im  grüne[i  Frack  und  in  hellgrauen  Beinkleidern. 
God  save  the   King! 

So  erstrebenswert  in  idealen  Dingen  Mannig- 
faltigkeit und  Vielkopligkeit  sein  mag,  in  realen 
Dingen  ist  eine  Gleichiiuiliigkeit  immer  das  Zweck- 
mäliigste  und  den  Anforderungen  eines  bequemen 
Verkehrs  das  Angemessenste.  Gönnen  wir  daher  de[i 
Frauen  Mannigfaltigkeit,  erstreben  wir  uns  Zweck- 
nitiliigkeit.  Unter  Zweckmäßigkeit  verstehe  ich  Stil 
der  Kleidung  in  Farbe  und  Form  je  nach  der  Ver- 
anlassung, für  die  wir  uns  zu   kleiden   haben. 

„Die  Kleidung  des  neunzehnten  lahrhunderts  ist 
absdieulidi.  Sie  ist  so  finster,  so  deprimierend", 
heilit's  im   „Bildnis  des  Dorian   Gray". 

Es  ist  im  zwanzigsten  nidit  besser  geworden, 
immer  noch  ist  unsere  Männerkleidung  tinster  und 
deprimierend  —  nuitlos  und  ängstlidi  —  mul!  das 
sein?  Gilt  nidit  audi  fiu'  uns,  was  in  Winekelmanns 
Tagen  von  der  Kleidung  galt:  Sie  soll  des  Mensdien 
Körper  artig  iinneiüen? 

Wenn  wir  die  Menschen  veranlassen  könnten, 
eine  Kleidimg  zu  tragen,  die  nidit  versteckt,  sondern 
offenbart,  nidit  umsdilottert,  sondern  seinen  Formen 
gemäli    bedeckt,    wir    würden    mutiger  werden    und 


mit  der  Zeit  sdiöner  und  gesunder.  Der  Sdiledit- 
gestaltete  würde  trachten,  seine  Fehler  du^t^l  Körper- 
pflege und  Leibesübung  auszugleichen,  der  Mil!- 
gcstaltete  würde  nacfi  inneren  Vorzügen  ringen, 
die  ihn  erheben  würden,  und  damit  wäre  ein  Streben 
gegeben,  das  unserer  Rasse  und  unserem  Leben  zu- 
gute käme. 

Der  prack  ist  noch  das  Beste  der  vorhandenen 
Kleiderrequisiten.  Er  hat,  wenn  er  gut  gemacht  ist, 
eine  gefallige,  naditfalterhafte  Eleganz,  die  den  Kör- 
performen angemessen  ist  und  nidit  mehr  als  unbe- 
dingt nötig  ist  verdeckt.  In  Verbindung  mit  Knie- 
hosen kennzeichnet  er  sidi  unbedingt  als  raffiniertes 
Kiilturprodukt  und  wird  schwer  zu  ersetzen  sein. 

Aber  dem  Gehrock  —  diesem  tristen  Ungeheuer, 
dieser  Ausgeburt  leichenbitterlidier  Humorlosigkeit, 
—  diesem  Lügner  einer  Würde,  die  wir  nidit  be- 
sitzen —  null!  ein  Ende  bereitet  werden. 

Von  der  Kleidung  der  Frauen  reden,  hieße  mit 
unzarter  Hand  in  göttliche  Mysterien  eingreifen. 
Es  widersteht  mir.  Ich  überlasse  es  den  Vivisektoren 
der  weiblichen  Psydie,  die,  einseitig  getrieben  vom 
geheimen  Haß  der  Geschlediter  gegeneinander, 
alles  ins  sdiauders'oll  Klare  und  Nackte  animalisdier 
Naturtriebe  deuten  müssen.  Ich  inödite  auch  nidit 
den  wohlmeinenden  Gesundheitsapostel  spielen  und 
denen,  die  ich  liebe,  das  Evangeliimi  des  Kartoffel- 
sacks predigen.  Ich  bin  viel  zu  sehr  davon  über- 
zeugt, daß  edle  Frauen  genau  wissen,  was  sie  zu 
tun  haben.  Wollen  sie  Vereine  gründen  zur  Ver- 
besserung ihrer  I  radit,  sie  mögen  es  tun,  idi  will 
damit  einverstanden  sein,  wollen  sie  zärtlic-li  an  alter 
Überlieferung  hangen,  es  soll  meine  Billigung  haben. 
Sie  sind  das  Leben  in  seiner  besten  und  genieß- 
lidisten  Gestalt,  ich  will's  nic~ht  ändern,  nic4it  dran 
mäkeln,  nidit  verschlimmbessern:  Das  Genus  Sphin.v 
ist   mir    labu! 

Da  sich  die  Frauen  stets  aus  einem  inneren 
Gefühl  heraus  kleiden  und  dieses  Gefühl  stets  den 
weiblidien  Bedürfnissen  der  vorteilhafteste  Ratgeber 
ist,  so  kann  man  getrost  behaupten,  daß  die  Frauen 
zu  allen  Zeiten  gewußt  haben,  wie  sie  sicti  kleiden 
sollten.  Idi  meine,  wenn  ihr  Gefühl  sie  nidit  immer 
riditig  geleitet  hatte,  die  MensL^lheit  wäre  längst 
ausgestorben. 

praiienkleider  sollen  schwatzen,  plaudern  —  aber 
nie  dozieren.  Ein  Geriesel  von  Crepe  de  chine, 
Spitzen  und  Plissees,  Schleifdien  und  falsdie  Blumen 
sind  mir  immer  lieber  —  wie  Dr.  Jägers  Gesund - 
heitsgewebe. 

Die  Therapie  mit  bezahlten  Schneiderredinungen 
und  die  Wunderkuren  mit  neuen  Kleidern  werden 
von  der  modernen  Medizin  noch  lange  nidit  genug 
empfohlen. 

Frauen  lieben  Opfer,  lieben  Leiden,  niemand 
tut  ihnen  einen  Gefallen,  wenn  er  ihnen  die  Freuden 
weiter  Gewänder  oder  breiter  Sdiuhe  predigt,  es 
sei   denn,   er  habe  ganz   ernste   Absiditen. 


86 


I.UnWIG   HOHLWEIN    MÜNCHEN. 

PLAKAT  FÜR  DIE  BAYR.  CAMP -REITER-ÜKS. 
AUSFUHR.:  VEREINIGTE  DRUCKEREIEN  UNI) 
KUNST- ANSTALTEN,   G.  M.  ».  H.,   MÜNCHEN. 


I'R()1-F>S<IK   l'Ari.  SCHri.l  ZK,      NAUMIcrKci. 

Aufgeführt  Ton  den  Saalccker  Vt 


^l^.    SKSM;|.    IMl    Sl  I    HI  I  . 


i^-1 


Shmtliclir  SrliiiiurkMIiikc  aii^^ccfiilirl  in  .k'r  Wiener  Werli^lillo-  Wien. 


KLEIDER-KULTUR. 

VRD.WKEX  IN  SPI.n  II:RN.     von    KINiiliKAh    H  A  K  I  )FNKK  Kr,. 


Eine  Kleiderkiiltur  ohne  Körperkultur  ist  undenkbar. 
Wo  der  Kleiderkultur  diese  Voraussetjung  fehlt,  ist 
sie  eine  unerträylidie  Liige.  Kleiderkultur  ohne  Kultur 
des   Herzens  oder  Verstandes   heiüt  Oeekeutum. 

Einen  sdiönen,  reinen,  gesunden  und  ausgebil- 
deten Körper  zu  haben,  nuili  eins  unserer  höctisten 
Ideale  werden.  Wir  müssen  unseren  Körper  heben 
lernen  wie  ein  Heihgluni.  So  dienen  wir  unserer 
Kasse,  unserem  Volk.  Wer  seinen  Körper  lieb  hat, 
der  pflegt  ihn  —  und  kleidet  ihn  an,  wie  es  dem 
teuersten  Gut,  das  wir  besi^en,  zusteht,  aber  er  ver- 
weiehlifht    ihn    nicht    und    vernadiiässigt    ihn    nidit. 

Mir  beweist  keiner,  daß  es  ein  Zeichen  von  editer 
Männlidikeit  ist,  wenn  jemand  im  tabakdurchtrank- 
ten  Sdiiotterrock  und  grauen  Wollhemde  mit  herab- 
genitschten  Wollsocken  und  unmöglidien  Fufibehäl- 
tern  unter  Mensdien  ersdieint,  im  Gegenteil,  idi 
sehe  in  soldien  Gestalten  das  Lirbild  der  Verweich- 
lidumg,  der  sc4iliuuiien,  inneren  Verweit4ilidumg,  die 
Madiltissigkeit  heiüt.  Zudem  glaube  id\  fest  an  einen 
Parallelisuuis  innerer  inid  äußerer  tlegligees.  Große 
harmonisdie  Geister  sind  immer  Freunde  einer  sorg- 
fältigen Kleidung.  Goethe  war  in  seiner  lugend  ein 
Elegant,  im  Älter  wußte  er  seinen  Ministerfrack  zu 
tragen.  Ähnlidies  wird  von  Lord  Bacon  und  an- 
deren  Genies  beriditet.' 

Idi  begreife,  daß  jemand  die  Gesellsdiaft  flieht, 
aber  ich  begreife  nicht,  wie  jemand  schlecht  oder 
unpassend  angezogen  in  Gesellschaft  erscheinen  mag. 
Es  ist  ein  sicheres  Zeichen  edler  Geister,  daß  sie 
das,  was  sie  machen,  ganz  und  gut  machen. 

Wer  zu  Hause  uidit  fünf  Minuten  si^en  kann, 
ohne  den  Kragen  zu  lösen,  Pantoffeln  anzuziehen 
und  sich  mit  einem  Sdilafrock  zu  behängen,  ist  ein 
Verweidilichter.  Den  Edlen  verpflichtet  Alleinsein 
zu  größter  Strenge  gegen  sidi. 

Wer  Bedürfnislosigkeit  predigt  ist  ein  Kulturfeind. 
Die  Bedin-fnisse  des  Mensdien  sind  fast  alle  beredi- 
tigt.  flur  üble  Angewohnheiten,  die  auf  bedauer- 
lidier  Liberlieferung  oder  törichter  lladiahinung  er- 
wadisen  sind,  gilt  es  zu  bekämpfen,  denn  sie  sind 
die  wahren  Kulturfeinde  und  zudem  sind  sie  immer 
kostspielig.  Wer  sidi  ihrer  enträt,  ich  denke  an 
Rauchen,  Alkoholtrinken,  übermäßigen  Fleisdigenuß, 
erspart  sdion  dadnrdi  so  viel,  daß  er  den  edlen 
Bedürfnissen  des  Körpers  uac+i  Bekleidung  und  Aus- 
bildung  völlig  ge^el^lt  werden   kann. 


Llnfrisdie  in  der  Kleidung  ist  in  Gesellsdiaft  eben- 
so iinverzeihlidi ,  wie  Llnfrisdie  im  Denken  und 
Reden,  vielleit-ht  nodi  unverzeihlidier.  Der  Llnfrisdie 
im  Geiste,  schledit  gekleidet,  gibt  nichts,  er  lähmt 
nur.  Ist  er  gut  und  nett  angezogen,  so  erfreut  er 
wenigstens  durch  seinen   Anblii-k. 

In  Amerika  verzeiht  man  dunkle  Punkte  in  der 
Vergangenheit,  niemals  Flecke  auf  einem  Rocke.  Es 
liegt  darin  das  gesunde  Empfinden  eines  Naturvolkes. 

Wer  seine  Kleider  liebt,  wird  audi  die  Natur 
lieben,  die  der  Gottheit  strahlendes  Gewand  ist.  Er 
wird  den  Wald  lieben,  der  seinen  Rock  mit  Ozon 
frisdit,  das  Meer,  die  Seen,  die  Berge  und  die  Hügel. 
Aber  die  dunstige  Stit^kluff  der  Kneipen  und  Stanuu- 
tische,  die  ihn  bis  aufs  Hemd  mit  Spieübürgerodem 
und  Bier-  und  Tabaksbrodem  widrig  durchtränkt, 
wird  er  meiden.  Er  wird  im  Luft-  und  Sonnen- 
bade sein  ureigenstes  Kleid,  seine  Haut  von  der 
goldenen  Allmutter  pflegen,  heilen,  umsdimeidieln 
und  männlic"h  färben  lassen,  und  wird  dadurch  zum 
Glücklidien  werden,  zum  Versöhnten  mit  sidi  und 
der  Welt. 


Es  ist  eines  Mannes  unwürdig,  auch  nur  eine 
Minute  ungerüstet  zu  sein.  Wer  sich  in  seiner  Familie 
ein  plumpes  Negligee  gestattet,  wird  sidi  bald  von 
seinen  Kindern  darin  übertroffen  sehen  oder  er 
wird  sidi   kritisieren  lassen   müssen. 


Die  Kunst,  eine  Llnterhaltung  genußreic4i  zu  führen, 
besteht  darin,  im  richtigen  Moment  das  I  henia  zu 
wediseln.  Wer  immer  in  derselben  Kleidung  er- 
scheint,  ist  von  vorneherein   langweilig. 


Richtig,  wir  müssen  zur  Einfadiheit  zurücStkeliren. 
Leider  ist's  nic-lit  so  leicht,  denn  aus  komplizierten 
Verhältnissen  zur  Einfadiheit  »zurückkehren«  (mau 
sagte  besser:  sich  zur  Einfachheit  entwickeln),  heißt 
zur  höchsten  Kompliziertheit  übergehen.  Nidits  ist 
in  Kunst  und  Leben  so  sdiwierig  und  darum  so 
selten  wie  Einfac4iheit.  Einfadiheit  ist  höchste  Vor- 
nehmheit und  hat  mit  Nadilässigkeit,  Kargheit  und 
Barbarei  nidit  das  Geringste  zu  tun.  Einfachheit  ist 
die  Mutter  der  Schönheit.  Nur  edle  Geister  können 
einfadi  sein.  Die  Einfachen  von  Geburt,  von  Gottes- 
gnaden sind  selten  wie  die  weißen  Raben.  Wo  sie 
aber  zur  Erde  herniedergesliegen  sind,  da  waren 
sie  das  leut4itende  Erstrebebild,  für  die,  die  sidi  aus 
Erkenntnis   zur  Einfadiheit  zu  entwickeln  traditeteu. 


PROFESSOR  KMII.  ORI.IK      HKIU.IN 
TEMPHRA   „WIN  IKK    IN'    AI'SCirA" 


JR  i;.\lIL  ORLIK. 


Dami-'n-Bililnis. 


PROFESSOR  EMIL  ORLIK-BERLIN. 


ViiN"  MJ.ix  1'i.ii-i-km;i;k( 


Das^Geschmacksreich  Emil  Orliks  ist  weit 
verzweigt  und  sein  künstlerisches  Wesen 
betätigt  sich  in  mannifSfach  wechselnden  Ver- 
wandlunfSen. 

In  der  diesjährigen  Wiener  Kunstschaii  sahen 
wir  den  Maler  Orlik  mit  einem  Akt  von  delika- 
tem Reiz.  Der  weiße  Fraiienlcib  liegt  elfenbein- 
kühl, milchig  schimmernd  auf  weißem  Linnen, 
und  diese  schwimmende  lichte  Harmonie  wogt 
über  dem  Untergrund  der  samtartigen  pfirsich- 
flaumigen Blütenstickerei  einer  Decke.  Man 
erkennt  hier  die  koloristische  Feinschmeckerei, 
die  einen  Akt  zum  farbigen  Stilleben  macht. 

Man  erinnert  sich  dabei  eines  anderen  Aktes 
auf  Elfenbein,  der  in  der  Miniaturen-Ausstel- 
lung bei  Friedmann  &  Weber  vor  einigen  Jah- 
ren fesselte,  liier  war  die  Äderung,  der  leint 
des  Materials,  für  die  Charakteristik  der  Haut 
benutzt  worden,   und   dieses  Hibelol  war  ein 


Zeichen  des  Raffinements,  mit  dem  Orlik  sein 
Material  instrumentiert. 

Er  ist,  als  Schüler  und  Verehrer  der  Japaner, 
ein  Komponist  der  farbigen  Flächen.  Das  zeigt 
seine  Graphik.  Vor  allem  die  Holzschnitte, 
und  nicht  nur  die  westöstlichen,  in  denen  Erleb- 
nis-Motive aus  dem  von  ihm  so  sehr  geliebten 
Lande  variiert  werden,  wie  die  Eujipilger,  eine 
Symphonie  in  gelb  und  weiß,  oder  die  Rikshah- 
zieher  mit  der  breit  plakathaften  Betonung  der 
rotkörnigen  Mantellappcn,  sondern  auch  die 
Landschaftsstimmungen  aus  seiner  leiblichen 
Heimat  Böhmen. 

Die  Winterbilder  erweisen  sich  besonders 
dankbar,  derSchnee  stilisiertdie  Szene  flächen- 
mäßig dekorativ,  und  die  bunten  Fassaden  der 
Häuser,  ihr  Gelb  und  Braun  mit  dem  Quer- 
schnitt der  Giebel,  blaue  Kleider,  grüne  .Jacken, 
weiße  Kopftücher  der  Dorffrauen   tinien   sich 


99 


l'\'!i-\  Poppe)ihe)-ii . 


PK' H- |>-,OK    l.MII,  iiRLIK      I-.KKI.IN. 


saftig  ab.  Eine  entschiedene  Neigung  spricht 
sich  hier  aus,  den  WirkHchkeits-Ausschnitt  un- 
naturahstisch  zu  geben,  umgewertet  durcli  ein 
im  Ornamentalen  lebendes  Temperament,  und 
energisch  umgesetzt  in  die  ausdrucksstarke 
Handschrift  des  Materials  und  der  Technik, 
die  der  Künstler  sich  wählte. 

Auf  Holzschnitten  von  Wald  und  Baum  fühlt 
und  schmeckt  man  in  den  kerbigen  Strichen, 
die  das  Bild  aus  der  gemaserten  Platte  heraus- 
holen, lebhaft  und  sinnlich  fast  Existenz-Struk- 
tur, Jahresringe  des  Holzes. 

Orlik  hat  wie  die  ostasiatischen  Vettern 
einen  regen  Sinn  für  die  geistreiche  Pikanterie 
der  zeichnerischen  Handschrift.  So  ist  bei- 
spielsweise eine  Radierung,  „Das  Gewitter 
kommt",  sehr  espritvoll  angelegt  in  seinerTech- 
nik  aus  daherprasselnden  Strichen;  hingefegt 
ist  sie,  und  erfüllt  vom  Unruh-Rhythmus  der 
Menschenbewegung  bei  daherf  ahrenden  Wind- 
stößen und  stiebenden  Regenschauern. 


(icmalde:     Das  gelbe  Haus    (<  islawan). 


Es  lag  nahe ,  daß  sich  Orliks  dekorative 
Neigung  auch  in  der  angewandten  Kunst  be- 
tätigte. Geschmackssichere  Bucheinkleidungen 
verdankt  man  seiner  graziösen  Hand  und  ihr 
erlesenes  Beispiel  ist  die  deutsche  Ausgabe 
der  Schriften  Lafcadio  Hearns  bei  Rütten  & 
Loening.  Sie  ruht  in  Pergamenthüllen,  geprägt 
mit  gold-schwarzen  Schmuckleisten,  und  ihre 
Füllungen  und  die  Zierstücke  in  der  typo- 
graphischen Innen- Architektur  des  Buches 
haben  die  kapriziöse  Phantasiefülle  japanischer 
Schnitzerei  mit  Wolkenbändern,  Filigrange- 
büsch, Streuregen  flimmernder  Blüten,  Vogel- 
gefieder und  Wellenringen ,  verschlungenen 
Arabeskencharakteren, 

Eine  große  Serie  von  Exlibris  trägt  Orliks 
Namen  und  sie  sind  ,  was  ihre  Haupttugend 
ist,  nicht  vom  Bildlichen  aus  entworfen,  son- 
dern vom  Wesen  des  sinn-  und  bedeutungs- 
vollen Namensschildes  aus  erdacht.  So  das 
Bücherzeichen  für  den  .lapansammlcr  Jacoby, 


Eiinl  Oiiik-Bciiüi. 


das  des  Besitzers  Monoj5ranim  einer  Umrah- 
mung einschreibt,  die  von  einer  weUig  platten- 
förmig  gemusterten  Schwertstichblattkontur 
gebildet  wird.  Dazu  noch  andere  Druckbijou- 
terien, Kalender,  Glückwünsche,  japanisch- 
deutsche Surinomos,  Bordüren,  Titelrahmen, 
immer  mit  leichten  Fingern  gegeben  und  dem 
Arrangementstakt ,  mit  dem  Japaner  Blumen 
in  einer  Vase  ordnen. 

Auf  Fächern  tanzt  seine  gaukelnde  Laune 
in  Changeant  -  Phantasien  aus  Gold-  und 
Schmetterlingsblütenstaub. 

In  den  Lackarbeiten,  die  sein  schwelgerisches 
Raffinement  der  Technik  in  höchster  Vollen- 
dung erweisen ,  steigert  sich  die  dekorative 
Umwertung  der  Naturformen  zu  den  Kostbar- 
keits-Imaginationen einer  „Nature  extranatu- 
relle " ,  wie  sie  Baudelaire  und  Theophile  Gautier 
gedichtet.    Diese  Landschaften  aus   Lack-In- 


tarsien sind  paradis  artificiels  mit  tropfendem 
Haargezweig  der  Bäume ;  rotsilbrig  über- 
sprühten Milchstraßen;  Filigran -Gespinsten 
von  Märchenspinnen ;  Astralleibern  von  Perl- 
mutter in  schwarzen  Teichen,  gespiegelt  unter 
grüngoldenen  Wipfelballen,  flüssigen  Silber- 
bändern, Bächen  von  Mondbergen  ergossen 
und  blinkend  gemustert  als  schwämmen  auf  der 
Fläche   zu  Edelsteinen  erstarrte  Totenaugen. 

Verwandte  Landschaftsdichtung  schwingt  in 
den  Wandgehängen,  nur  sind  hier  mit  wissen- 
dem Materialtakt  alle  Schmuckwirkung  aus 
den  Textilbedingungen  abgeleitet  und  die 
Karton-Entwürfe  geben  mit  ihren  die  Faden- 
stellung markierenden  Strichen  eine  Gewebe- 
vorstellung in  matten,  perlgrauen  Harmonien. 

Wertvoll  ist  Orliks  malerische  Mitarbeiter- 
schaft den  Bühnenbildern  des  Reinhardtschen 
Theaters  geworden.    Seitdem  er  als  Professor 


l'KOFE.SSOK  I-..\ni.  OKI.IK      liEKl.lN. 


AciuarcU:  -luii  altcs_llaus  in  Ausclia- 


Fflix  Pof^f^ciihcro 


■  K  KMII.  I  iKI.IK  -l;F.KI.rX. 


\'iir  dem  Morgenritt 


an  das  Berliner  Kunstfiewerbfimiseuni  berufen 
ist,  hat  er  sich  der  neuen  dekorativen  Szenen- 
kunst gewidmet,  die  mit  farbigen  likisioncn 
die  Gefühlswerte  des  Dramas  begleitend,  ein 
optisches  Orchester  sein  will.  Nachhallende 
Erinnerungen  hat  man  von  solcher  Farben- 
musik zu  Shakespearescher  Dramatik.  An 
den  Gerichtsakt  des  Kaufmanns  von  Venedig 
denkt    man,    an    das    koloristische   Ensemble 


aus  den  roten  Senatorengewändern ,  dem 
ernsten  Schwarz  der  Antoniotracht ,  den 
sciiillernden  Nobilistoffen,  überklungen  von 
Goldbrokat  des  Bellinischen  Dogen,  und  wie 
durch  diese  in  der  Bewegung  und  Erregung 
der  Menschenmassen  brausenden  Farbenwel- 
len die  leidenschaftliche  Gcfühlswallung  der 
Szene  in  alle  Sinne  wehte.  Und  an  Porzias 
Gemach  mit  mattgoldenen  Wänden,  von  einem 


^ 


J-jiiil  Orlik-Bciini. 


Kaiikenwürk  zarter  Linien  übersponncn  und 
mit  Leuchtjiestein  inkrustiert,  mit  der  gül- 
denen Stiejie,  über  die  der  Chor  der  Diene- 
rinnen als  ein  Farbenreigen,  blumenstreuend, 
musikumklungen  wogte.  Und  dann  das  Win- 
termärchen mit  der  glücklichen  Stihnisch- 
ung  der  strengen  Raumbilder,  der  Hofszenen 
zwischen  schweren  Faltenvorhängen  und  der 
heiteren  Pastorale,  die  erst  hinter  Schleier 
schimmernd,  dann  sonnenhell  auf  einem  Fabel- 
landschaftsteppich aufging:  blumenbestickter 
Rasenabhang,  Bäume  in  farbigen  Floren,  schim- 
mergrün und  seidengelb,  überrieselt  von  einem 
Blütenregen,  und  im  Hintergrund  die  breit- 
gelagerten  Häuser  und  der  buntbewimpelte 
Mastenwald  der  Schiffe  als  Flächenornamente. 
Die    zum    Schildern    so    dankbare    dekorative 


Tätigkeit  Orliks  wurde  in  dieser  Charakteristik 
besonders  betont,  das  soll  aber  nicht  bedeu- 
ten, daß  in  Orliks  Werk  das  „Kunstgewerb- 
liche" an  Qualität  die  gestaltende  Kunst  über- 
wiegt. Daß  er  gestalten  kann,  zeigen  seine 
außerordentlichen  graphischen  Porträts. 

Sie  erfassen  ihre  Menschen  frappant,  sie 
unterwerfen  ihre  Handschrift  hingebungsvoll 
den  Bedingungen  der  Technik  und  sie  locken 
dabei  die  letzte  Ausdrucksmöglichkeit  aus  ihr 
heraus.  So  ist  gebannt  Josef  Hoffmann  aus 
der  Orlik  verwandten  Wiener  Geschmacks- 
gruppe ,  so  Ferdinand  Hodlers  und  Hermann 
Bahrs  Haarbusch-Häupter. 

Immer  gibt  es  Anregung  in  Orliks  Arbeiten 
und  seine  sichere  künstlerische  Tugend  bleibt, 
daß  er  niemals  langweilig  wird.  —  i.  i'. 


l'KDi'KssnK  i'..\ni,  oKi.H'; -iiRKi.iN.    Kacliuiiuig;    Uiik'iiciluiig.. 


JK  EMU.  iiRIlK      l;l'  Kl  IN. 


Gc-niiiklc :    ■  Berglandschaft  ■ 


DAS  MALERISCHE. 


Denn  was  außen  ist,  ist  innen".  Dieser 
Satz,  in  dem  sich  der  Goethesche  Mo- 
nismus mit  dem  romantischen  Monismus  be- 
gegnet, ist  zum  Leitsatz  unserer  Betrachtung 
der  Künste  geworden.  Technik  ist  uns  keine 
bloße  Angelegenheit  der  Hand  mehr.  Sie  ist 
Ausdruck  psychischer  Realitäten,  in  einem  viel 
höheren  Grade,  als  es  früher  der  „Gegenstand" 
des  Kunstwerkes  gewesen.  Wir  meinen  sogar 
inDingen  wie  dem  Pinselstrich,  dem  Farbenvor- 
trag, der  Farbenrhythmik  usw.  unmittelbarere 
Manifestationen  des  Künstlers  zu  finden,  als 
im  Ideengehalt  seiner  Schöpfungen.  Oder  viel- 
mehr :   diesen   Ideengehalt   finden  wir  gerade 


im  Technischen  am  klarsten  ausgedrückt.  — 
Die  wilden  flammenartigen  Pinselornanicntc 
eines  van  Gogh  werden  uns  zu  Verrätern  der 
Brunst  und  Glut,  die  diese  spröde  Natur  durch- 
wühlte. Wir  halten  die  Technik  für  das  Un- 
mittelbare und  eigentlich  Rätselhafte  am  Künst- 
ler, und  roden  deshalb  von  ihr  wie  von  Ge- 
dichten, wie  von  Naturlauten  und  Interjek- 
tionen des  Gefühls. 

Daß  das  Äußere  ein  Inneres  ist  und  um- 
gekehrt, das  bildet  die  Voraussetzung  für  die 
Aphorismen  über  das  Malerische,  die  ich  geben 
will.  Schade  nur,  daß  dem  Kigenschaftsworte 
„malerisch"  kein  Hauptwort  entspricht,   nicht 


104 


PROFESSOR  KMII,  ORI.IK     MF.KI.IN. 


IKMI'IlKA-HII.I):   »I'KRDITA« 


ini/ieh/i  Miclii'l: 


einmal  ein  Hauptwort  anderer  Ableitung.  Der 
Grund  dafür?  Er  liegt  darin,  daß  das  Wort 
„malerisch"  in  der  Bedeutung,  wie  wir  es 
heute  hanöhaben,  sehr  jungen  Datums  ist. 
Wir  erst  haben  den  Begriff  zu  einem  Ab- 
straktum,  zu  einem  substantivischen  Begriffe 
gemacht;  früher  ist  das  Wort  in  der  Tat  ledig- 
lich ein  Adjektivuni  gewesen,  ein  Begleilwort 
für  eine  bestimmte  Art  von  Naturmotiven. 
Diese  Bedeutung  hat  das  Fremdwort  „pitto- 
resk" bis  auf  den  heutigen  Tag  behalten;  es 
war  im  Anfang  synonym  mit  „malerisch"  und 


io6 


1 ''  k(  )rativfs  Wandhikl :     S*  »mmci 


bezeichnete  lediglich  das  Objekt,  bezeichnete 
die  Eigenschaft  des  Objektes,  ein  passender 
Vorwurf  für  ein  Gemälde  zu  sein.  Der  heutige 
Sprachgebrauch  scheidet  die  Begriffe  pittoresk 
und  malerisch  schon  sehr  deutlich.  Während, 
wie  gesagt,  das  Fremdwort  als  Bezeichnung 
für  eine  gewisse  Art  von  Naturniotivcn  noch 
in  Übung  ist,  verbinden  wir  das  Wort  „male- 
risch" immer  häufiger  mit  Abstraktis,  die  die 
Arbeitsweise  des  Künstlers  bezeichnen.  Wir 
nennen  malerisch  die  Bchandlungsweise,  den 
Farbenvortrag,    die    Lichtanalysc,    die   Welt- 


Das  Malerische. 


PROKESSOR  EMIL  ORLIK— HEREIN. 


anschauung  des  Künstlers,  lauter  Worte,  die 
etwas  Subjektives  bezeichnen,  entsprechend 
der  neueren  Richtung  der  Ästhetik,  die  den 
Schwerpunkt  des  künstlerischen  Schaffens  und 
Genießens  immer  mehr  in  das  Subjekt  verlegt. 

Man  kann  also  sagen,  daß  die  Geschichte 
des  Wortes  „malerisch"  paradigmatisch  ist  für 
die  neuere  Entwicklung  der  Ästhetik.  Die  Be- 
deutung des  Motivs  ist  zwar  noch  nicht  ganz 
geschwunden,  aber  sie  ist,  wenigstens  in  der 
ernsthaften  Malerei,  auf  ein  Minimum  redu- 
ziert. Und  gar  von  einem  malerischen  Motiv 
reden  wir  höchstens  insofern,  als  wir  damit 
ein  Motiv  bezeichnen,  das  günstig  ist  für  jene 
besondere  Art  der  Behandlung,  für  die  male- 
rische Behandlung. 

Was  ist  „malerisch"? 

Ein  junger  sächsischer  Künstler,  der  mich 
kürzlich  besuchte,  sagte  mir,  daß  für  iini  und 
seine   Gesinnungsgenossen   das   Wort    „iiiale- 


Dekorativcs  Waiulbilil. 


risch"  ein  Scheltwort  bedeute.  Das  Malerische 
streite  gegen  das  Einzige,  worauf  es  in  der 
Kunst  ankomme,  gegen  die  Form  im  einzelnen 
wie  auch  im  ganzen.  Gerade  auf  das  letztere 
legte  er  das  Hauptgewicht.  Die  monumentale 
Form,  den  monumentalen  Zeitausdruck  zu 
finden,  darauf  käme  es  an;  jede  andere  Pro- 
blemstellungverwirre die  Gemüter  und  sei  da- 
her schädlich.  So  sei  auch  der  Reiz  male- 
rischer Behandlung  ein  Schädling,  zum  min- 
desten aber  ein  Effekt  zweiten  Ranges,  an 
welchem  dem  ernsthaft  strebenden  Künstler 
nichts  gelegen  sei. 

Er  kam  aus  Sachsen,  der  junge  Mann,  und 
Sachsen  ist  das  Land  Max  Klingers.  Seine 
Ansicht  schien  mir  begreiflich.  Sic  ist  die  An- 
sicht all  der  zahllosen  Künstler,  die  sich  von 
den  Lockungen  des  Monuniental-nekoraliven 
haben  verführen  lassen.  Diese  Lockungen  sind 
in   einem  Lande  von  überwiegender  IntcUek- 


uk; 


<?i».7©t/tW^ 


J]',7/!chi!  Michel: 


IMII,  ■iKl.lK 


tualität,  wie  es  Deutschland  ist,  besonders 
stark.  Daß  ihnen  zu  gerne  nachfjej^eben  wird, 
das  ist  einer  der  Gründe  dafür,  daß  Deutscli- 
land  den  Nachbarvölkern  jiejfenüber  (Frank- 
reich, Holland,  BelfSien)  auf  dem  Gebiete  der 
Malerei  ins  zweite  Treffen  {Seraten  ist. 

Und  nun  wiederhole  ich  die  Frage  :  Was  ist 
„malerisch"? 

Malerisch  ist  die  möglichst  reiche  Analyse 
der  Lichtwirkungen,  die  möglichst  differen- 
zierte Reproduktion  des  farbigen  Naturein- 
druckes. Während  der  Monumentalkünstler 
auf  das  Auffinden  der  beherrschenden,  der 
charakteristischenTöne  ausgeht,  also  eine  mehr 
abstrahierende  Tätigkeit   entfaltet,    sieht   der 


Holzschnitt;     Heimkehr    . 

„Maler"  in  imserem  prägnanten  Sinne  seine 
Aufgabe  in  dem  Aufgebot  großer  Mittel,  in 
der  möglichst  reichen  Zerlegung  des  Naturein- 
druckes. Der  eine  bindet,  der  andere  zerlegt; 
der  eine  schematisiert,  der  andere  differenziert ; 
die  Tätigkeit  des  einen  ist  ordnend  und  ab- 
kürzend, die  des  anderen  exzitierend  und  be- 
reichernd. Man  sieht,  es  ist  ein  Unterschied  in 
der  Weltanschauung.  Der  Monumentalist  — 
ich  rechne  hierzu  immer  auch  den  dekorativen 
Maler  neuester  Prägung  —  wird  geleitet  von 
einer  gewissen  Bewältigungsgier,  von  einer 
gewissen  Herrschsucht,  von  dem  Bedürfnis,  zu 
überblicken  und  in  gewissem  Sinne  zu  tyran- 
nisieren.   Im  Gegensatze  zu  ihm,  dem  künstle- 


Das  Malerische. 


EMIL  ORLIK  — BERLIN. 


fischen  Systematiker,  könnte  man  den  „Maler" 
den  analysierenden  Poeten  nennen.  Was  bei 
jenem  die  Herrschsucht  ist,  das  ist  bei  ihm  die 
Liebe.  In  der  Tat,  ich  habe  immer  das  Gefühl 
jjehabt,  daß  das  „Malerische",  also  die  üppijSe 
Abwandlung  des  Haupttones,  das  koloristische 
Rätselsuchen,  den  Reichtum  der  koloristischen 
Problemstellung,  nur  bei  solchen  Künstlern 
möglich  ist,  die  die  Welt  in  der  Weise  des 
Dichters  lieben,  in  der  Weise  des  Mystikers 
anbeten.  Der  „Maler"  findet  den  Weg  zum 
Ganzen  der  Welt  durch  das  einzelne  Objekt, 
durch  die  sinnliche  Erscheinung  des  einzelnen 
Dinges,  Er  ist  verwandt  dem  Mystiker,  der  in 
der  kleinen   Blume    das   Ganze    der  Welt   zu 


Farbiger  Holzschnitt;   . Winter  im  A\'alde 


fühlen  vermag.  Das  Malerische  ist  stets  das 
Produkt  eines  ausgesprochen  herzlichen  und 
liebevollen  Anschauens  der  Dinge.  Die  Liebe 
ist  blind,  sagt  man.  Nichts  ist  falscher  als  das, 
denn  immer  sieht  die  Liebe  ihren  Gegenstand 
reicher  als  Haß  oder  Gleichgültigkeit  die 
übrigen.  Die  Liebe  bereichert  die  Welt,  denn 
sie  ist,  gleichviel  ob  Lebendem  oder  Totem 
zugewandt,  immer  Dichtung,  und  vom  Dichter 
sagt  man:  Er  vermehrt  das  Inventar  der  Welt. 
Ich  fasse  den  Begriff  Mystiker  nicht  so  enge 
als  es  der  gemeine  Sprachgebrauch  will.  Ich 
identifiziere  letzten  Endes  Mystik  mit  Poesie. 
Und  so  gewinne  ich  weitere  Merkmale  des 
„Malerischen".     Der    „Maler"    hat    mit    dem 


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POEN/KiEN 


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KV  C  M  L  E  R. 


Wilhelm  Michel: 


l'Ki'FESSilR  E.Vni.  (IRI.IK  -  HERI.IN. 


Raclioning  zu     Michael  Kramer 


erhart  Hauptni; 


Poeten  von  Weltgefühl  gemeinsam  die  Viel- 
deutigkeit dessen,  was  er  ausspricht;  er  hat 
mit  ihm  gemeinsam  die  Überwindung  des  Buch- 
stäblichen. Für  ihn  ist  es  die  Ursünde,  gerade- 
zu „Rot"  oder  „Blau"  zu  sagen.  Sein  Aus- 
druck hat  Neben-  und  Untertöne,  hat  Vieldeu- 
tigkeit und  hat  letzten  Endes  infolge  dieser 
Vieldeutigkeit  die  Neutralität  der  Naturdinge. 
.Jeder,  der  einen  maßgebenden  Begriff  von  dei 
Malerei  Rembrandts  hat,  wird  es  verstehen 
wenn  ich  sage,  daß  man  bei  diesem  Künstler 
kaum  mehr  wagt,  irgend  einen  Lokalton  mit 
einem  nackten  Adjektivum  zu  benennen.  Es 
gibt  wohl  Übergänge  von  Gelb  zu  Rot,  von 
15raun  zu  Blau,  aber  in  jeder  dieser  Farben 
scheint  die  ganze  Palette  hineingeheininißt  zu 
sein.  Das  ist  es,  was  diesen  Werken  den 
vollen,  kräftigen  Geschmack  verleiht,  daß  eben 
die  ganze  Welt  der  Farbe  in  jedem  einzelnen 
Ton  schlummert  und  durchgefühlt  wird,  genau 
wie  uns  der  Dichter  in  der  kleinen  Blume  die 
ganze  Natur  anschauen  und  durchfühlen  lassen 
kann.  Das  „Malerische"  in  der  Vollendung, 
die  es  bei  Rembrandt  erreicht  hat,  bedeutet 
geradezu  koloristischen  Monismus  oder  kolo- 
ristischen Pantheismus.  Man  kann  auch  an 
Leibl   denken,   der   mit  Werken   begann,    die 


ii6 


nach  Holbeins  Weise  die  einzelnen  Farben- 
komplexe, in  einer  meisterhaften  Malerei  ge- 
geben, sauber  und  genau  auseinander  hielten. 
Von  hier  aus  vollzog  sich  Schritt  für  Schritt 
eine  Auflockerung,  der  Pinselführung  sowohl 
wie  der  koloristischen  Deutung,  und  aus  sei- 
nen letzten  Jahren  gibt  es  Werke,  die  schwer- 
mütig sind  vom  Prunk  der  Farbe,  sommerlich 
reich  und  schwermütig  vor  lauter  Reife  und 
Fülle.  Wie  Rembrandt  versteht  er  es  da,  in 
jedem  Ton,  fast  in  jede  Fläche  seiner  wohl 
modellierten  Gesichter,  die  ganze  Welt  der 
Farbe  hineinzugeheimnissen.  Das  ist  die  Art, 
wie  der  Maler  sein  Weltgefühl  ausdrückt. 

Schon  hier  ist  angedeutet  worden,  was  als 
letzter  Punkt  erörtert  werden  soll,  daß  das 
„Malerische"  nur  zu  einem  Teile  aus  herz- 
lichem Anschauen  der  Natur  stammt.  Es  ent- 
hält noch  einen  zweiten  Bestandteil;  die  freie 
Selbstdarstellung  des  Elementes  Farbe.  Das 
will  sagen:  Das  Malerische  ist  nicht  nur  die 
reiche  Ausdeutung  des  Natureindruckes,  also 
etwas  Heteronomes,  sondern  es  ist  auch  das 
ungehinderte,  üppige  Ausleben  der  Farbe,  also 
etwas  völlig  Autonomes.  Die  Darstellungs- 
mittel sind  eben  nicht  nur  knechtische  Diener 
des  Ausdruckstrebens,   sondern  sie  sind  Or- 


Das  I\lalc)-Isilie. 


ganisnien  voll  eines  ungeheuren  Lebenstriebes, 
Organismen,  die  blühen,  strahlen,  die  sich  ent- 
falten und  auf  alle  Weise  manifestieren  wollen. 
Es  ist  immer  ein  wunderbares  Erlebnis,  wenn 
der  Dichter  in  sich  das  Wort  erwachen  fühlt, 
das  er  zu  führen  und  nach  eigenem  Gefallen 
zu  brauchen  glaubte.  Da  wird  es  ihm  plötz- 
lich fühlbar  als  ein  eigenes  Wesen,  das  voll 
lachender  Kraft  und  mit  verschwenderischer 
Geste  seine  Lebensäußerungen  um  sich  streut. 
Und  schließlich  wird  der  Diener  fast  zum  Herrn 
und  der  Herr  zum  bloßen  Darstellungsmittel 
des  Knechtes.  Ähnliche  Glut  eigenen  Lebens 
ist  auch  in  der  Farbe  verborgen,  und  im  „Ma- 
lerischen" lebt  sich  die  Farbe  in  holden  Spie- 
len, in  trunkenen  Offenharungen  aus.  Dann 
entstehen  ähnliche  Eindrücke,  wie  man  sie 
beim  Wellenschlage  des  Meeres,  beim  Sausen 


des  Windes  oder  beim  Spiele  anderer  Natur- 
kräfte erlebt.  Es  gibt  von  Theodore  Rousseau 
Gemälde,  die  man  ebenso  gut  als  brillant  ge- 
gebene Wirklichkeits- Darstellungen  wie  als 
Elementar- Ereignisse  im  Reiche  der  Farbe 
auffassen  kann.  Ein  Werk,  dem  dieses  Ele- 
ment gänzlich  fehlt,  wird  kaum  als  ein  Kunst- 
werk anzusprechen  sein.  Das  entgegengesetzte 
Extrem  kommt  freilich  ebenfalls  vor,  in  reinster 
Herausbildung  vielleicht  bei  Monticelli,  bei 
dem  sich  die  Farbe  häufig  ein  Übermaß  an 
romantischer  Freiheit  erobert.  Aber  es  bleibt 
bestehen,  daß  die  Farbe,  dieser  wundervolle, 
wohlgegliederte  und  gesetzmäßig  gefügte  Or- 
ganismus, ein  unzweifelhaftes  Recht  auf  Frei- 
heit hat,  und  daß  es  Aufgabe  des  Künstlers  ist, 
diesem  Recht,  diesem  Lebenstrieb  der  Dar- 
stellungsniittel  zur  Verwirklichung  zu  helfen.  — 


ric-Enlwurf:     Wiiitcn: 


PKcilKSMik   EMU,  iiRI.IK    -P.KKI.IN. 


SZENERIE:      IHK  KAI'HF.K    .     DAS  srHI 


ICMU.  OKI.IK.     S/.K.\r,KlK:       W  I.MEK.MAKIHK.N« 


'^IB 


IMII,  (iKl-IK      IIKKI.IX. 


S/i.'iiirif:      I'raiiz  Mn.ir's  /.iniiiv 


APHORISMEN. 


Ein  Kunstwerk  ist  niemals  ein  Abstrakt-Fertiges, 
Monumental-Fixes,  wir  sind  immer  die  Mitschöpfer. 

Kunst  ist  notwendig  Vermehrung  der  Macht, 
wie  sie  aus  der  Notwendigkeit  ernstester  Arbeit  und 
tiefster  Energie  und  aus  derSammlung  der  höchsten 
(lüter  entspringt.  Durch  die  Kunst  vermehrt  sich 
mit  jedem  neuen  Werk  derselben  die  Macht  des 
Lebens.  In  jedem  grofjen  Kunstwerk  wird  das 
ganze  Thema  des  Daseins  etwas  erweitert.  Kunst 
ist  die  Perspektive  der  Menschheit.     Rieh.  Fuchs. 


Je  spröder  das  Material  ist  —  im  weitesten 
Sinne  des  Wortes  -  umso  mehr  schöpferische 
Inbrunst  vermag  es  aufzunehmen,  um  zu  seiner 
endlichen  Form  zu  gelangen,  umso  größer  ist  ge- 
wissermaf3en  seine  künstlerische  Kapazität.  Daher 
rührt  es,  dag  Werke  primitiver  Kunstperioden  so 
oft  besonders  innige  Gefühlswerte  verkörpern  und 
im  Beschauer  wieder  erwecken.     O.  Kohnstamm. 

Alle  Vollkommenheit  wirkt  als  Muster  und 
wird  zu  praktischem   Wert.  Rieh.  Fuchs. 


I'.MII.  DKI.IK.    Szcner 


Oic  Käuhrr   .    I>ic  SclienUo. 


119 


^f>;eOELB^IE<* 


HOFBUCHDRUCKER.  SR.  MAJ.  DES  KAISERS  UND  KÖNIGS 


PROFESSOR  EMIL  ORLIK  —  BERLIN 
DRUCKSACHEN   MIT  ZIERRAHMEN 


^l^fSsM 


MELON  CANDALOUP 

HEIDSIECK  &  CO.  MONOPOLE 
GOÜT  AMERICAIN  1900 

CONSOMME  DOUBLE 

TRUITE  AU  BLEU,  BEURRE  FRAIS 

I°00  BOCKSTEINER 
CRESCENZ:  FRAU  AMLINGER.  TRIER 

CIMIER  DE  CHEVREUIL  A  LA 
FINANCIERE 

IBti  COS  D'ESTOURNEL 
TIRAGE  DU  CHATEAU 

RAGOUT  D'ECREVISSES 
EN  CROUTE 

l&ii  RAUENTHALER  SIEBENMORGEN 

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POL.  ROGER,  VIN  BRUT  1808  NATURE 
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FRAISES  -  CRfiME  GERVAIS 

CAFE.  LIQUEUR 
BIERES  DE  MUNICH  ET  DE  PILSEN 


e'^-'H-^'^f^^y^l-/®^®  ° 


A    ^^ 


VERBAND  DER 

ZEITUNGS-REDAKTEURE 

DEUTSCHLANDS 

FESTESSEN 

ZUM  IL  VERBANDSTAG 

AM  DONNERSTAG,  DEN 
29.SEPTEMBER  1909,  IM 
STÄDTISCHEN  SAALBAU 
ZU  DARMSTADT 


EINLADUNG 

FÜR 

Mr. 
"RGLOGHAGAN 


DEUTSCHLANDFAHRT 


ENGLISCHER 
JOURNALISTEN 


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AUliUSTK   RODIN      l'AKIS. 

At;s  DKM  AIl-.I.IKR  HKS  MIIMFKS. 


AUGUSTE  RODIN-PARIS. 


VON  LOTHAR  BRIEGER-WASSERVOGEL. 


An  der  Börse  zu  Brüssel  befinden  sich  eine 
/v  Anzahl  roher,  aber  mächtiger  Karyatiden, 
die  mit  gewaltigen  Schultern  und  Armen  schier 
zerbrechend  lastende  Steinmassen  stützen.  Ein 
belgischer  Bildhauer  schuf  sie  seiner  Zeit,  ein 
Herr  van  Rasbourg,  von  dem  man  heute  nichts 
mehr  weiß,  als  daß  er  dabei  einen  jungen  Stein- 
metzen zum  Gehilfen  hatte,  Auguste  Rodin. 
Wenige  Jahre  später  führt  die  staatliche  Por- 
zellanfabrik von  Sevres  einige  sehr  reizvolle 
Entwürfe  aus,  die  von  einem  jungen  Bildhauer, 
namens  Auguste  Rodin,  stammen,  der  soeben 
in  Paris  seine  Studien  vollendet  hat.  Aus  dem 
Triebe  zum  Kolossalisch- Monumentalen  und 
dem  Gefühl  für  die  ästhetische  Feinheit  der 
zierlichsten  Details  erzeugt  sich  das  Werk 
Auguste  Rodins.  Es  kommt  her  von  der  Nie- 
derung letzter  materieller  Not,  und  der  junge 
Bildhauer,  der  sich  in  den  Ateliers  von  Brüssel 
und  Paris  karges  Brot  mit  handwerklicher  Arbeit 
gewinnt,  hat  keinen  Protektor,  niemanden,  der 
ihn  „entdeckt",  ihn  fördert,  ihm  die  Ausführ- 
ung der  sein  Blut  durchrasenden  künstlerischen 
Impulse  möglich  macht.  Ein  Steinmetz  unter 
vielen,  ein  stiller  Kunstschüler,  hat  er  nichts, 
was  auffällt  oder  interessiert.  Die  besten,  die 
stärksten  jungen  Jahre  vergehn  in  der  Erohne, 
der  junge  Franzose  mit  dem  Stiernacken  formt 
gegen  billigen  Lohn  Nippes,  Luxusspielwerk. 
Aber  neben  diesem  unauffälligen  Frohnwerkler 
lebt  bereits  ein  anderer  Rodin,  der  Rodin  des 
Skizzenbuches.  Ein  Künstler,  der  jede  freie 
Stunde  benutzt,  um  mit  gierigen  Augen  Men- 
schen und  Leben  zu  verzehren,  in  sich  aufzu- 
saugen, der  über  einen  Atlas  ihm  eigener  Be- 
wegungsmotive und  Masken  des  Lebens  be- 
reits in  einem  Alter  verfügt,  in  dem  andere 
noch  kaum  wissen,  daß  es  auch  anderes  gibt 
als  die  Antike.  Die  Berufung  liegt  in  uns, 
da  ist  nur  zu  formen,  nichts  hinein  zu  erziehen. 
Es  ist  verblüffend,  in  diesen  jungen  Skizzen- 
büchern ganz  ohne  Deuterei  den  Schöpfer  der 
neuen  Plastik  bereits  immer  zu  sehen,  den 
Bildhauer,  dem  das  Momentane,  die  Bewegung 
alles  ist,  der  Zustand  garnichts. 

Frankreich  liegt  im  tiefen  Schlummer.  De- 
lacroix  ist  lange  tot,  so  lange,  daß  man  ihn 
schier  vergessen  hat.   Im  Louvre  irgendwo  ver- 


staubt, von  der  Menge  kaum  beachtet,  von 
einigen  vereinzelten  Kunstrevolutionären  in 
roten  Westen  und  Calabresern  angeschwärmt, 
die  Barke  des  Dante.  Von  Daumier  weiß  man 
gerade  noch,  daß  er  ein  recht  amüsanter  Kari- 
katurist war  mit  einer  lebhaften  Abneigung 
gegen  den  roi  citoyen  Louis  Philippe.  Aber 
ein  frischer  Hauch  beginnt  durch  diese  erstor- 
bene Welt  zu  gehen,  neues  Leben,  das  sich 
keck  rühren  will.  Lacroix  fängt  an,  seine  ersten 
Goyapublikationen  herauszubringen,  und  man 
hört  mit  Staunen,  was  da  hinten  in  Spanien 
für  ein  merkwürdiger  Kerl  gelebt  hat,  wild, 
unbändig,  ein  Spieler,  ein  Händelsucher,  ein 
Frauenverführer,  der  dem  vollen  Leben  sein 
Recht  gab,  nicht  idealisierte  und  seiner  Lein- 
wand ein  seit  der  Renaissance  —  den  ver- 
schollenen il  Greco  nicht  zu  vergessen  —  un- 
erhörtes Leben  gab.  Das  wirkt.  Die  franzö- 
sische Malerei  beginnt  sich  zu  rühren  und  von 
der  klassizistischen  Leere  der  großen  Louvre- 
säle  energisch  abzurücken.  Manet,  Monet, 
Degas,  Millet  —  zuerst  verlacht,  predigen  jeder 
in  seiner  Weise  das  Evangelium  Goyas,  die 
Kunst  als  Selbstzweck,  nicht  als  eine  unnatür- 
liche Idealisierung  mit  willkürlichen  Mitteln, 
sondern  als  ein  Durchgehen  der  Natur  durch 
ein  künstlerisches  Temperament  und  eine  in 
ihren  Bedingungen  wurzelnde  höhere  Wieder- 
geburt daraus.  Zola  und  Huysmans  schreiben 
ihre  Kunstaufsätze,  die  Literatur  stellt  sich 
leidenschaftlich  auf  die  Seite  der  neuen  Tem- 
peramente. Aber  in  der  Plastik  sieht  es  noch 
übel  aus.  Kein  Mensch  weiß,  wie  eine  Be- 
wegung in  Wahrheit  aussieht.  In  den  Kunst- 
schulen steht  die  Holzpuppe,  man  gibt  ihr 
Stellungen,  man  drapiert  sie  mit  Kleidungs- 
stücken, man  hat  nicht  die  schwächste  Ahnung 
davon,  daß  eine  Bewegung  in  Körper  und 
Kleid  bei  lebenden  Gliedern  ganz  anders  aus- 
sieht als  in  Holz.  Houdon  wirkt  nicht  mehr, 
der  einzige  Große  in  der  Vergangenheit  fran- 
zösischer Plastik.  Ihre  Erneuerer,  die  Schöp- 
fer ihrer  Zukunft  arbeiten  noch  in  der  Schule 
und  im  Handwerk,  Rodin,  Bartholonie,  Char- 
pentier,  Vallgren.  Einsam  schafft  der  große 
Baryc,  der  größte  Tierbildhauer,  den  die  Neu- 
zeit kennt. 


I.otlia)'  Ihirori--  JJ'a.<;st'/'7'oor/ .■ 


Alle  diese  Stadien  muß  Rodin,  der 
arme  Kunstschüler,  durchlaufen,  der  die 
neue  Welt  bereits  in  sich  träjit,  und 
dem  die  Mittel  zu  eifSenem  Schaf- 
fen fehlen.  Wenig  beachteter  Schüler, 
schlecht  besoldeter  Gehilfe  kitschiger 
Bildhauer,  die  ihm,  dem  sie  heimlich 
Mißachtenden,  die  übelste  Arbeit  auf- 
zwingen, lebt  er  seine  Jugend.  Und  was 
schwächere  Naturen  niederbricht,  ent- 
wickelt diesen  stahlharten  Schöpfer  mit 
eiserner  Notwendigkeit.  Wahrend  seine 
Hände  Dinge  formen,  von  denen  seine 
Seele  nichts  weiß,  wird  er  innerlich  reif 
und  fertig  für  den  Moment,  da  seine 
Zeit  erfüllt  ist.  Als  er  schließlich  mit 
seinem  ersten  großen  Werk,  dem  „Men- 
schen des  ehernen  Zeitalters",  einem 
fertigen  Meisterwerke  bereits,  ohne  Ver- 
gleichbarem in  der  Kunst  der  Zeit,  vor 
die  Öffentlichkeit  tritt,  erregt  er  einen 
Sturm  von  Aufregung.  Die  einen  sind 
entrüstet  über  diesen  ihres  Erachtens 
rohen  Naturalismus,  der  zugleich  Pro- 
gramm und  Erfüllung  ist.  Sie  kommen 
aus  der  klassizistischen  Schule  und  mei- 
nen,  Ziel  des  Bildhauers  sei  es,   durch 


128 


die  Kunst  zu  veredeln,  d.  h.  nach 
griechischem  Muster  etwas  Ruhiges, 
einen  Zustand  darzustellen.  Wir  ha- 
ben alle  in  der  Schule  Lessings  Lao- 
koon  gelesen,  leider  lesen  müssen  in 
einem  Alter,  wo  wir  noch  keine  Kritik 
dafür  hatten,  und  kennen  seine  Ent- 
rüstung über  den  zum  Schrei  geöff- 
neten Mund  des  Priesters.  Die  Lehre 
war,  daß  die  Darstellung  von  Er- 
regungen den  Gesetzen  des  Schönen 
widerspräche.  Die  anderen  endlich 
behaupten,  solch  einen  männlichen 
Akt  zu  bilden,  sei  überhaupt  nicht 
möglich,  und  der  junge  Künstler  müsse 
ihn  über  dem  menschlichen  Körper 
abgeformt  haben.  Da  tritt  Rodin  selbst 
vor  das  Tribunal,  legt  seine  Zeich- 
nungen vor,  erweist,  daß  sein  Werk 
die  Frucht  zur  Zeit  unerhörten  Be- 
wegungsstudiums am  menschlichen 
Körper  ist.  In  wenigen  Tagen  ist  er 
durch  den  Skandal,  der  nicht  an  ihn 
kann,  einer  der  bekanntesten  Künst- 
ler Frankreichs.  Das  junge  Frankreich 
bekennt  sich  mit  Begeisterung  zu  ihm, 
zehnjährige  treue  Anhängerschaft  hebt 


Allojis/c  Rodin— Paris. 


ihn  auf  den  künstlerischen  Thron 
Frankreichs.  Und  sie  hat  sich  nicht 
geirrt,  seit  den  Tagen  der  Renais- 
sance sah  die  Welt  keinen  größeren 
Bildhauer  von  selbständiger  P'igen- 
art.  Der  Kampf  war  hart  und  ein 
Wunder,  daß  Rodin  seinen  Weg 
unbeirrt  weiterging.  Es  gehörte  zum 
guten  Ton  in  Paris,  Rodin  zu  ver- 
lachen und  zu  verlästern,  als  end- 
lich die  Staatsaufträge  kamen,  ent- 
blödeten sichführende  Blätternicht, 
ihm  vorzuwerfen,  daß  er  Staats- 
gelder veruntreue  und  ähnliches 
mehr.  —  Er  hat  den  Kampf  für  die 
neue  Plastik  allein  durchgeführt. 
Ohne  ihn  kein  Verständnis  für  die 
Bartholome  und  Charpentier  und 
Minne,  ja  weiter  hinaus  in  die  Welt 
für  die  Klinger  und  Klinisch.  War 
je  ein  großer  Künstler  in  Schwerem 
und  Kampf  ein  Bahnbrecher,  so  war 
es  Auguste  Rodin.  —  Heute,  da 
Rodin  als  Altmeister  in  Meudon 
sitzt,  die  Grundsätze  seiner  Kunst 
schon  beinahe  Allgemeinplätze  sind 
und  das  große  Publikum  vor  jedes 


PF,  RODIN— PARI 


AX'GV.-iTF.  RODl.V     P.\RI 


de  lio]<nib.ir. 


neue  Werk  seiner  bereits  altern- 
den und  keineswegs  mehr  unbe- 
dingt Meisterhaftes  schaffenden 
Kraft  mit  vorgefaßter  Bewunde- 
rung tritt,  ist  es  schwer,  vom  Auf- 
reizenden und  Leidenschaftlichen 
der  noch  vor  einem  Jahrzehnt  um 
diese  Kunst  geführten  Kämpfe  eine 
richtige  Vorstellung  zu  gewinnen. 
Rodin  lebt  in  einer  schloßartigen 
Villa,  besitzt  in  Meudon  —  außer 
den  Pariser  Ateliers  —  ein  Riesen- 
atelier, baut  für  sich  privatim  ein 
Antikenmuseum  und  läßt  den  be- 
freundeten Besucher  durch  Equi- 
page und  Diener  vom  Bahnhof  ab- 
holen. Die  vielen  Besucher  ver- 
ehren ihn  fast  abgöttisch,  küssen 
seine  Hand,  reiche  Amerikaner  zah- 
len ein  Vermögen  für  ihr  Bildnis- 
werk von  seiner  Hand.  Das  Große 
seiner  künstlerischen  Intuition  hat 
noch  heute  ihr  altes  Zwingendes 
selbst  da,  wo  wie  vielfach  bei  alten 
Künstlern  die  Ausführung  ihre  Ver- 
sprechung nicht  immer  zu  erfüllen 
vermag.  —  Bei  Rodin  läßt  sich  nicht 


129 


Al'firSTK  KODIX     PARIS. 

MAKMOK:      SAIM'lKi    IilcHIF.Ml  AM    MKKRES- 
MUAM)     .     M.kl  11)|.  N   Sl  r  l/I.N    IIIKK   ARMK. 


.  ■  /  mrns/i  •   Rodin  —  /\  7 


\UC.USTE  RODIN      l'AKlj. 


Martin  t:  »liadenile 


Ufer  spiclendtv 


wie  bei  den  meisten  Künstlern  von  einer  sich 
in  den  Werken  offenbarenden  Entwicklung 
reden.  Die  war  innerlich  und  liegt  zurück  in 
der  Zeit,  da  ihr  zur  äußerlichen  Manifestation 
die  materiellen  Mittel  fehlen.  Seine  künstle- 
rische Persönlichkeit  steht  vom  ersten  unter 
seinem  Namen  laufenden  Werk  mit  der  Wirk- 
lichkeitskraft einer  Tatsache  abgeschlossen  da 
und  beweist  sich  von  da  ab  immer  nur  wieder 
in  jedem  Werke  von  neuem. 

Man  kann  ihn  heute  bereits  historisch  be- 
trachten. Er  selber  tut  es,  und  es  gehört  zum 
Reizvollsten  und  Lehrreichsten,  ihm  dabei  zu- 
zuhören. 

Das  Griechentum  war  die  Ruhe,  die  Renais- 
sance eine  ausladende  Geste,  die  Gegenwart 
ist  ständig  wechselnde,  unendlich  variable  mo- 
mentane Bewegung  der  Menschheit.  So  stellen 
sie  sich  in  ihrer  Geschichte  wie  in  ihrer  Kunst 
dar.  Der  griechische  Mensch ,  unter  einem 
sonnigen  Himmel  lebend,  von  den  günstigsten 
Lebensbedingungen  umgeben,  ist  der  Begrün- 
der der  menschlichen  Ästhetik.  Der  von  der 
Notdurft  des  Lebens  nicht  berührte  Körper 
veredelt  sich,  gewinnt  etwas  Aristokratisches, 
ja  es  ist  ohne  Zweifel  wohl  dieser  Art,  daß  die 


Leidenschaften  im  nicht  äußerlich  Kämpfenden 
und  Leidenden  mehr  sich  als  eigen  geartete 
Ruhezustände  äußern  denn  als  selbständige 
Bewegung.  Die  Heftigkeit  des  Äschylos  im 
Tragischen  ist  eigentlich  ungriechisch,  die  tief- 
gründige Psychologie  des  Euripides  mit  ihrem 
Aufweisen  nacktester  Menschlichkeit  war  den 
Athenern  unsympatisch  und  wurde  durch  Aris- 
tophanes  höhnisch  verspottet.  Diese  Artung 
des  Griechentums ,  dem  ja  die  Götterideale 
Menschen  waren  und  die  Leidenschaft  ein 
Possenmotiv  und  eine  Pöbelei,  bestimmte  von 
vornherein  die  griechische  Kunst.  Sie  ist  wahr 
in  einem  höchsten  Sinne  in  dem,  was  sie  zeigt, 
aber  sie  ist  unwahr  trotzdem  durch  das  ,  was 
sie  verschweigt.  Eine  außerordentliciie  Kennt- 
nis des  nackten  Menschen  ebenso  wie  des  Be- 
kleideten steht  hinter  ihr.  Das  griechische 
Auge  ist  ein  realistisches  ,  es  sieht  die  Wirk- 
lichkeit ,  aber  es  sieht  sie  nicht  ganz.  Rodin 
erkennt  den  Realismus  des  Griechentums  an 
und  bekennt  sich  selbst  als  seinen  Schüler. 
Aber  Generationen  sind  gekommen  und  ge- 
gangen ,  und  das  menschliche  Auge  hat  die 
Fähigkeit  verloren  ,  das  Leben  als  eine  Auf- 
einanderfolge von  Zuständen  ,   von  Ruhen    zu 


Au^Kstc  Rodi)i— Paris . 


AUGUSTE  RODIN— PARIS 


sehen  ,  j^enau  so  wie  der  Mensch  überhaupt 
die  Fähigkeit  verloren  hat,  ein  solches  Leben 
zu  führen.  Im  letzten  Grunde  war  der  Grieche 
sehr  wohl  ein  Egoist,  aber  niemals  ein  Indivi- 
dualist ;  er  war  nie  ein  Ich,  sondern  immer 
ein  Grieche ,  sein  Griechentum  war  seine 
Welt,  in  sich  hat  er  eine  andere  nicht,  er  war 
sich  bewußt  im  Gehen  ,  Stehen  und  Handeln 
und  in  jedem  Moment  von  tausend  Augen 
beobachtet  zu  werden  —  die  griechische 
frauenhafte  Eitelkeit ,  durch  Jacob  Burkhard 
zuerst  enthüllt,  ist  uns  Heutigen  unverständlich 
—  und  er  lebte  und  posierte,  ohne  dabei  ein 
Schauspieler  zu  sein,  für  diese  tausend  Augen. 
Das  hat  die  griechische  Kunst  mit  einer  ewigen 
Vollendung  gefaßt,  die  vielleicht  ihresgleichen 
niemals  wieder  finden  wird. 

Dann  kam  das  Christentum  und  trug  in  das 
Leben  der  Völker  den  Begriff  der  Seele  hinein, 
den  das  Griechentum  nicht  kennen  wollte. 
Denken  und  Empfinden,  Freuden  und  Leiden 
waren  keine  Funktionen  selbstverständlicher 
Art  mehrdeskörperlichenOrganismus,  sondern 
Fähigkeiten  und  Äußerungen  einer  geheimnis- 
vollen Macht,  der  Seele  eben,  die,  stärker 
als  der  Körper,  diesen  formt  und  bildet.    Als 


Marmnrplastik:     Dir  Friihling  T.cbcn  weckciKl   . 

etwas  Unfaßbares  und  Methaphysisches  der 
Kunst  nicht  direkt  erreichbar,  mußte  sie  durch 
dieselbe  in  ihrem  Einflüsse  auf  das  Physische 
gehalten  werden.  Die  Kunst  der  Renaissance 
ist  der  Ausdruck  dieses  Hineintragens  der 
Seele  in  das  griechische  Heidentum.  Der  Zu- 
stand ist  noch  immer  vom  Griechentum  über- 
nommen, ruhig  sitzt  Colleone  auf  seinem 
riesigen  Schlachtrosse ,  ruhig  steht  der  David 
des  Michelangelo  da.  Aber  die  Geste ,  die 
körperliche  Äußerung  des  seelischen  Zustandes 
ist  hinzugekommen.  David  hält  die  Schleuder, 
in  Kopf  und  Körperhaltung  bebt  die  Spannung 
des  kommenden  Kampfes. 

Die  Plastik  der  Gegenwart  sah  sich  vor  eine 
neue  Aufgabe  gestellt.  Das  Leben  war  wieder 
neu  geworden,  gewann,  was  es  an  Innerlich- 
keit verlor,  an  Achtung  vor  sich  selber.  Der 
moderne  Mensch  ist  ein  Individualist  ganz 
eigener  Art,  er  reckt  sich  nicht  wie  der  Renais- 
sancemensch als  eiserner  Eroberer  in  seine 
Zeit,  sondern  er  lebt  eben  diese  Zeit  ganz  mit 
seiner  Persönlichkeit.  Das  bedeutet  eine  Be- 
schleunigung des  Lebenstempos  ,  die  von  der 
Ruhe  des  Griechentums  weit  entfernt  ist,  aber 
auch  zur  Geste  der  Renaissance  selten  die  Zeit 


Lothar  Ihirß'r-  Wasscn<ojict : 


AIICUSTK  Ri.i.iN.        liroiizc:      Kiii  SchatU-ii     aus  dir  (Inippc     rKnfci 


und  Gelegenheit  findet.  Werden 
modernen     Menschen     erfassen 
will,  muß  ihn   in  der  Bewegung 
überraschen,  im  PlötzUchen  und 
Momentanen,  das  wie  ein  Schein- 
werfer jäh  über  die   ganze   Per- 
sönlichkeit   dahin    flackert,    um 
bald   darauf   nur  etwas   für   das 
moderne    Auge    zu    Undifferen- 
ziertes  zu  hinterlassen.    —   Das 
ungefähr  ist  die  kunsthistorische 
Auffassung  Rodins,  die  Weltan- 
schauung,   mit    der    seine    bild- 
hauerische Realistik  an  ihre  Auf- 
gabe ging.    Sie  ist  mit  dem  Pessi- 
mismus der  modernen  Dichtung 
—  Baudelaire,   den  er  wunder- 
voll wiedergab,  ist  Rodins  Lieb- 
lingsdichter —  gesättigt  und  kennt 
keine  Beschönigung.    Ihr  eigent- 
liches  Material    ist   die   Bronze, 
das    Material    der    kommenden 
Plastik    überhaupt,     das    Mate- 
rial der  Bewegung.  Von  den  vie- 
len Arbeiten,  die  es  von  Rodin 
in  Marmor  und  Bronze  gibt,  wird 
man  fast  immer  die  Bronze  vor- 
ziehen mit  ihrer  grade   hier  fast 
unverhältnismäßig  größeren  Aus- 
drucksstärke, ihrem  weit  inten- 
siveren Leben.  —  Rodins  Kunst 
steht   am  Eingange  einer  neuen 
plastischen  Epoche,   der  Plastik 
der    Bewegung,    und    so    sicher 
diese  noch  stärker  wird,  so  sicher 
ist  Rodins  Einzigartigkeit  in  un- 
serer  Zeit   nicht   zu   verkennen. 
Das  Schöpferische,  Großartigere, 
neue  Wege  Weisende   in   Rodin 
sieht  mit  dem  Auge  seiner  Zeit, 
er  ist   der  einzige  absolute  Pla- 
stiker der  Gegenwart  ohne  anato- 
mischen Fehl,  der  Einzige,  dessen 
körperliche  Kenntnis  und  Empfin- 
dung so  stark  sind,  daß  er  selbst 
das    gibt,    was    nicht    mehr    das 
Auge    des    Beschauers    sondern 
nur  noch  sein  Finger  kontrolHeren 
kann.      Ganz     wie    die    größten 
Werke    des    Altertums    und  der 
Renaissance.  InkleinerenWerken 
selbst  wie  die  Hand  Gottes  oder 
die  Versuchung  des  heiligen  An- 
tonius.   Solch  unfehlbare  Sicher- 
heit von  Auge  und  Hand  ist  nicht 
zu  Lernendes  oder  zu  Erziehen- 


'34 


Aui'nsfc  Rodi)i  —  Paris. 


iUSTE  RODIN  -  PAKI^.     Maiinorplaitik;    Kar yalklc.      Sdimirzgcciuälle  iliR-  Last  trageiul« 


des ,  es  ist  ein  in  >Iahrluinderten  schier  ein- 
malif^es  Gnadengeschenk,  in  der  neuen  Kunst 
nur  mit  einem  Seitenstück :  Adolf  Menzel. 
Wenn  Rodin  in  seiner  Plastik  einer  alten  Frau 
diesen  müden  ausj^emergelten  Körper  mit  allen 
seinen  Merkmalen  unter  der  Ausscheidung  des 
Unwesentlichen  —  Zufälligen  und  nicht  allge- 
mein Gültigen  —  in  großartiger  Harmonie  gibt, 
so  zeugt  grade  dieser  großzügige  Realismus  ein 
Symbol  von  ganz  anders  ewig  gültiger  Schön- 
heit als  dies  eine  kitschig  bewußte  symbolische 
Darstellung  „Das  Alter"  je  zu  tun  vermochte. 
Das  neue  plastische  Fvangclium   predigt  im 


Gegensatze  zum  alten  Evangelium  von  der 
Schönheit  als  Ruhe,  daß  Schönheit  Bewegung 
ist.  Rodin  faßt  seine  Gestalten  in  einem 
Augenblicke  hoher  Erregung,  er  weiß,  daß  der 
Körper  die  zweckmäßige  Schönheit  seiner  An- 
lage eben  nur  in  ihrem  Gebrauch  unwiderleg- 
lich beweisen  kann.  Die  Leidenschaft  der 
momentanen  Bewegung  zu  monumentalisieren, 
diese  früheren  Zeiten  schier  widersinnig  er- 
scheinende Aufgabe,  hat  Rodins  Werk  verwirk- 
licht und  hiermit  der  Plastik  neue  Wege  ge- 
wiesen aus  klassizistischer  Erstarrung  heraus, 
ihr  eine    neue  Welt  geöffnet.   —  i.  n  u. 


135 


AcM/Voo/: 


GESCHMACKS-KUNST. 


xN    VijN    A.   l'i 


Ml :n(~hi  x-r.rKT  in. 


A  rbeiten  wie  die  von  Anton  Pössenbacher 
iV  sehen  wir,  da  sie  sich  mehr  oder  we- 
ni{!er  an  alte  Stile  anlehnen,  mit  besonders 
kritischen  Augen  an.  Das  ist  nur  natürlich. 
Welche  Attentate  auf  Geschmack,  Wahrhaftig- 
keit, natürliches  Empfinden  und  Hygiene  sind 
nicht  im  Namen  alter  Stile  von  ihren  Nach- 
ahmern begangen  worden!  Die  vielen  schmerz- 
lichen Erfahrungen  haben  uns  mißtrauisch  ge- 
macht; nur  hervorragende  innere  Qualitäten 
können  uns  veranlassen,  uns  für  derartige  Ar 
beiten  zu  interessieren. 

Aber  es  zeigt  sich,  daß  man  der  heftigen 
Kritik  doch  eine  gewisse  Berechtigung  zuer- 
kannt hat.  Auch  die  Arbeiten  derjenigen,  die 
von  der  Tradition  abzugehen  sich  nicht  ent- 
schließen können,  haben  in  den  letzten  Jahren 
eine  große  Wandlung  durchgemacht.  Man  geht 
mit    solcher    peinlichen   Vorsicht    zu   Werke, 


man  ist  so  reserviert,  so  kritisch  gegen  sich 
selbst  geworden,  daß  die  Arbeiten,  abgesehen 
von  den  prinzipiellen  Grundfragen,  der  Kritik 
kaum  mehr  faßbare  Angriffspunkte  bieten.  Bei 
den  besseren  der  Firmen  findet  man  äußerst 
selten  mehr  gröbere  Verstöße,  Überladung, 
Materialfälschung,  konstruktive  Sünden.  Ge- 
schmacklosigkeiten werden  in  hundertfacher 
Sichtung  und  Siebung  ausgemerzt.  Diese  Läu- 
terung kam  freilich  kaum  einigen  zehn  Firmen 
in  Deutschland  zugute.  Die  große  Masse, 
die  ihnen  geblendet  folgt,  ist  bedauernswert. 
Archaismen  werden  nur  im  geschmackvollsten 
Milieu  erträglich.  Und  dazu  bedarf  es  außer- 
gewöhnlicher Umstände.  Pössenbacher  gehört 
zu  den  Geschmacks -Kaufleuten.  Das  sind 
Sammler,  Liebhaber,  die  ihre  reichen  Hilfsmittel 
und  internationalen  Beziehungen  aufs  beste 
auszunützen  verstehen,   um  gute  Stücke,  gute 


136 


Gesc/ui/acksktDis/. 


I■OS^E^■I!A^•HKR  — MLNCHEN-llERI.IN. 


Motive  und  gute  Ideen  aufzuspüren  und  zu 
verwerten.  Sie  arbeiten  mit  den  Erfahrungen 
von  Generationen,  mit  allen  Stätten  der  Kul- 
tur stehen  sie  in  Fühlung.  Was  sie  zeigen, 
auch  wenn  es  einem  Einfall  der  Laune  ent- 
sprungen scheint,  ist  sicher  schon  reiflich  er- 
probt. Man  läßt  experimentieren,  dann  wägt 
man,  sichtet  man  und  akzeptiert,  nachdem  alle 
Härten  und  Sonderlichkeiten  abgestreift  sind. 

Daher  bekommen  diese  Arbeiten  das  Reife, 
Ruhige,  Ausgeglichene.  Es  ist  kaum  etwas  da- 
rin, was  überrascht,  aber  man  wird  angezogen 
durch  die  leise  Harmonie,  die  in  ihnen  ruht, 
durch  die  außergewöhnliche  Feinheit  des  Tons. 
In  diesen  Räumen  soll  absolut  nichts  besonders 
auffallen  und  erregen.  Alle  lauten  und  deut- 
lichen Konstruktionen  sind  vermieden,  wie  ein 
Schleier  liegt  es  über  den  Dingen,  der  ihre 
brutale  Bestimmtheit  dämpft  und  auflöst.  Hef- 
tige Reden  und  Gesten  scheinen  in  diesen  Räu- 
men unmöglich.  Sie  sind  nur  für  kultivierte  und 
wohlerzogene  Menschen, fürbeste  Gesellschaft. 

Es  ist  aber  doch  recht  bemerkenswert,  was 


AUaiuik-HuU'l,  Hamburg.   SeyeljadU-K..j..-. 

dieser  „besten  Gesellschaft"  jetzt  geboten 
werden  kann.  Da  ist  eigentlich  keine  Spur 
von  Protzerei.  Ornamentaler  und  plastischer 
Schmuck  kommt  fast  gar  nicht  vor.  Die  Wände 
breiten  sich  in  edlen  großen  Flächen  aus,  die 
Möbel  haben  exakte,  knappe  Formen,  die 
Hauptlinien  der  Architektur  sind  durch  keinen 
Bruch,  keine  schnörkelhaften  Ausschweifungen 
gestört.  Man  hat  immer  wieder  gepredigt, 
nicht  der  Schmuck  macht  die  Vornehmheit, 
hier  ist  ein  augenfälliger  Beweis,  auch  bei 
historischen  Stilen  wirkt  das  Schlichte,  inner- 
lich Bedingte  noch  lange  nicht  dürftig.  Pössen- 
bacher  hat  eine  auffallende  Kunst,  die  geraden 
Linien  weich,  leicht  und  elegant  zu  ziehen. 
Und  selbst  der  Rundbogen  ist  ohne  Schwere. 

Das  ist  charakteristisch  für  die  neueren  Ar- 
beiten der  Firma  Pössenbacher,  diese  reiz- 
volle, delikate  Behandlung  der  Geraden,  der 
einfachen  Bögen,  der  rechtwinkligen  Flächen. 
Es  ist,  als  wären  sie  von  Frauenhand  gezogen, 
so  sind  sie  aller  geometrischen  Härte  entkleidet. 

Man  hat  bei  Pössenbacher  einen  ganz  be- 


141 


Gcsrl/niaikskifiis/. 


HI  K      MrN{  111'  \-l;KKI,IN. 


stimmten  Holzschnitt,  eine  Vorliebe  für  Hölzer 
mit  feiner,  aber  klarer  Zeichnung,  und  für 
breite  Leisten.  Dem  Holz  wird  bei  den  jiroßen 
Flächen  und  weitausholenden  Rundunfjen  recht 
viel  zu)5eniutet,  aber  diese  eminent  schwie- 
rigen Wölbungen  werden  mit  vollendeter 
Sauberkeit  herausgebracht.  Überhaupt  sucht 
man  viel  eher  mit  der  Meisterschaft  der  Ar- 
beit als  mit  dem  teuren  Material  zu  prunken, 
und  das  ist  kein  schlechtes  Prinzip.  Ganz 
köstlich  werden  bei  Pössenbacher  die  feinen 
Kannelierungen,Gesimse  und  Profile  behandelt, 
da  vergißt  man  über  dem  Reiz  der  Arbeit 
•allen  Streit  um  die  Stile. 

Die  Beleuchtungs-Körper  sind  fast  alle  als 
gut  zu  bezeichnen.  Sehr  glücklich  sind  in 
dem  niedrigen  holländischen  Klubzimmer 
die  gedrungenen  Messingleuchter  mit  der 
mächtigen  Kugel.  Die  Vorhänge  blieben,  was 
zu  loben,  durchweg  glatt.  Es  fehlt  jegliche 
Draperie.  Aber  von  den  kleinen,  buntge- 
druckten Volants,   die  als  Rauchschürzen  am 


Pf.iiltspnrt.   AUantik-H<.tcl.  llanibing. 


Kamin  berechtigt  sind,  wurde  doch  zu  ausgie- 
big Gebrauch  gemacht.  Man  kann  sie  nicht 
gut  über  eine  ganze  Wand  spannen  oder  einen 
Rüfetteinbau  damit  garnieren. 

Die  abgebildeten  Räume  erscheinen  uns  in 
ihren  Einzelheiten  und  Stimmungen  bekannt 
und  vertraut.  Sie  fügen  sich  ohne  Zwang  in  das 
Leben  der  Gesellschaft,  der  Familie  ein.  Was 
sie  aber  darüber  hinaus  wertvoll  und  bedeut- 
sam macht,  ist  ein  seltener  Geschmack,  ein 
feiner  Sinn  für  Valeurs  der  Linien  und  Flächen, 
für  Raunistimmungen,  für  Qualitäten  der  Ar- 
beit, der  das  Vertraute  doch  auf  eine  beson- 
dere Art  sagen  läßt.  Das  ist  eine  sehr  gewählte 
und  gepflegte  Sprache,  die  man  immer  gerne 
hört,  aber  natürlich  macht  die  kultivierte,  die 
„soignierte"  Sprache  noch  keine  Dichtung. 
Und  mir  scheint,  das  ist  es  doch,  was  die 
meisten  suchen.  Sie  wollen  gute  Möbel,  gute 
Wohnräume.  Nichts  weiter.  In  einem  Ge- 
dicht, in  einem  Bilde  zu  leben,  würden  sie 
mit  Heftigkeit  ablehnen.  \ v  vcm. 


1^2 


sKNBAlHER     .ml  .NCilt.N-llEkLlN. 


Klub^iimiKi  riddespurt.    AtlaiUik-UuUl,  llauibiirg. 


SOZIALE  VERPFLICHTUNG  DES  KUNSTGEWERBLERS. 


rHi;[.\I      liKRLIN. 


Ales  gewerbliche  Schaffen  gründet  sich  auf 
soziale  Notwendigkeiten.  Daseinsbedürf- 
nisse erheischen  ihre  Befriedigung.  DerKunst- 
gewerbler  ist  berufen,  sie  formal  zu  organi- 
sieren. Wohnräume  und  Hausgeräte  sind  als 
Stützen  der  Lebensführung  anzusehen.  Der 
Mensch  pflegt  die  Beziehungen  zu  seiner  fer- 
neren und  engeren  Lhngebung  zu  ordnen  nach 
den  großen  Richtlinien  üblicher  Konventionen. 
Konventionen  des  Geschmacks,  der  Lebens- 
haltung, des  geselligen  Verkehrs,  der  sanitären 
hrfahrungen  und  ethischen  Anschauungen. 
Konventionen,  die  mit  den  Lebensprinzipien 
jeder  neuen  Epoche  sich  wandeln,  erneuern 
und  fortentwickeln.  Die  Gesellschaft  wech- 
selt im  Lauf  der  Jahrhunderte  ihre  Daseins- 
geste. Jedem  Umschwung  folgt  eine  hrsetzung 
der  veralteten  Gerätformen  durch  neue,  den 
veränderten  Verhältnissen  entsprechende  Ge- 


staltungen. Der  gewerbliche  Künstler  steht 
damit  vor  der  Aufgabe,  die  hinderliche  Un- 
bequemlichkeit wegzuräumen  und  dafür  ele- 
mentare Kristallisationen  des  werden- 
den Zeitempfindens  zu  geben. 

Eine  Gesetzlichkeit,  machtvoller  als  der 
Wille  des  Einzelnen,  bestimmt  dies  Bilden, 
Der  freie  Künstler  folgt  lediglich  dem  zünden- 
den Gedanken  seiner  Intuition.  Er  ringt  mit 
dem  Kosmos,  will  die  rein  und  groß  erschaute 
Idee  materialisieren,  strebt  die  Materie  durch 
die  Gewalt  seiner  psychischen  Energie  zu  be- 
zwingen. Nicht  die  Lebensführung,  das  Leben 
selbst  bis  in  die  zartesten  Wurzeln  will  er 
reinigen,  Kraft,  Glück  und  Erlösung  spendend. 
Anders  der  Kunstgewerbler.  Lösungen  wer- 
den von  ihm  gefordert,  wo  der  andere  freie 
Schöpfungen  zu  geben  hat.  Das  Zeitbedürf- 
nis erwartet  von   ihm   die  nützliche   und  har- 


I4i 


Pmd  IVrs//;,' 


SF.M;ACHF,K      Mr.NCHEN-liEKI.I 


Atl.uUik-n..tfl,  Il.imliuig. 


nionischc  Stilisierunj5.  Jene  latenten  Triebe, 
die  ungebärdij5,  kaum  bewußt  im  Schöße  der 
Gesellschaft  emporzüngeln,  verlangen  nach 
dem  denkenden  Organ,  das  sie  gestaltend  be- 
stimmt. Ein  Diener  der  Notdurft,  ist  in  seine 
Hand  die  Macht  gegeben,  dem  profanen  Da- 
sein Würde  und  Form  zu  verleihen.  Das  künst- 
lerische Selbstbestimmungsrecht  ist  ihm  be- 
schnitten, damit  seiner  sozialen  Mission  die 
Wirkung  ins  Breite  und  Weite  nicht  mangele. 
Zweckmäßigkeit,  Brauchbarkeit, 
Sachlichkeit  wird  von  dem  gewerblichen 
Gegenstand  gefordert.  Er  soll  nützlich  sein, 
soll  seinem  Verwender  aufs  Beste  dienen. 
Durch  Behaglichkeit  und  Bequemlichkeit  soll 
er  den  Gebrauch  zu  einer  Freude  machen. 
Und  wir  glauben  in  ihm  einen  Abglanz  von 
Schönheit  zu  verspüren,  wenn  er  diesen  un- 
seren Interessen  die  vornehme  Befriedigung 
gewährt.  Eine  rein  ästhetische  Betrachtungs- 
weise vermag  vielleicht  in  Konflikt  zu  geraten, 
wo  sie  die  künstlerische  Form  der  zweck- 
volleren  opfern   soll,   wo   dem  heiteren  Spiel 


der  Phantasie  zu  gunsten  der  Handlichkeit  Ein- 
halt geboten  werden  müßte.  Aber  ein  Ver- 
fahren, das  Gebrauchsgegenstände  nur  als 
Anschauungswerte  zu  genießen  und  zu  be- 
urteilen sucht,  wird  immer  blindlings  neben  den 
Kern  des  Problems  tasten.  Wer  wollte  vor  dem 
Moses  des  Michelangelo,  vor  den  Dürerschen 
Aposteln  nach  dem  gemeinen  Zweck  fragen; 
und  wer  könnte  das  unterlassen  gegenüber 
einem  Bett,  einem  Ofen,  einem  Tisch? 

Geradezu  physisch  erzwingt  ein  solcher 
Gegenstand  Erwägungen  dieser  Art.  Ein  Stuhl 
mahnt  uns  rein  körperlich,  festzustellen,  ob 
sein  Hersteller  jede  Möglichkeit  aufgeboten 
hat,  ihn  aufs  I^este  unseren  Bedürfnissen  an- 
zupassen. Die  letzte  Nuance  an  Behaglichkeit 
wird  erwünscht  und  wo  wir  sie  missen,  sinkt 
unweigerlich  unsere  Wertschätzung.  Weder 
Form,  noch  Farbe,  weder  Aufmachung,  noch 
Kostbarkeit  vermögen  uns  darüber  zu  trösten. 
Nichts  kann  uns  über  die  Tatsache  hinweg- 
bringen, daß  hier  eine  Aufgabe  unzulänglich  ge- 
löst worden  ist.    Ungetrübte  Freud  erstellt 


N4 


Soziale  J'offlichhino  (-/es  Kit>isf:^cn'cri)/en 


A.  ruNSEXÜACHER     MUKCHEN-BERLIN. 


sich  nur  dort  ein,  wo  der  Notwendig- 
keit die  reine  Form  gefunden  worden. 
Wider  den  Menschen,  der  hierin  versagt, 
richtet  sich  unser  Groll,  nicht  allein  weil  er 
unser  Geschmacksempfinden  verletzt 
hat,  mehr  noch  weil  er  unsozial  ist. 

Indem  der  Schaffende  sich  jenen  Anforde- 
rungen der  Brauchbarkeit  widersetzt,  da  sie 
angeblich  seineDarstellungsabsichten  vereiteln, 
gibt  er  ein  Eingeständnis  der  eigenen 
Unzulänglichkeit.  Dieses  Sträuben  ist  ein 
Zeichen  für  die  geringe  Begabung,  die  der  be- 
stimmten Bedingung  ausweicht,  um  der  be- 
schämenden Entlarvung  vorzubeugen.  Natür- 
lich mag  dem  einen  diese,  dem  anderen  jene 
Aufgabe  nicht  liegen;  er  mag  auf  eine  ganz 
andere  Tätigkeit  eingestellt  sein,  dann  aber 
ist  es  nicht  mehr  als  anständig,  sie  dem  Ge- 
eigneteren zu  überlassen.  Nur  der  Niedrig- 
gesinnte gibt  sich  preis,  indem  er  das  Min- 
derwertige für  vollwertig  ausgibt.  Jene  Mei- 
nung nun ,  die  in  dem  Aberglauben  befangen 
lebt,  für  irgend  eine  Sache  sei  die  klare  For- 


sdncilizimmcr.   Atlantik-]  lutcl,  J  lambiiifj 


mulierung  nicht  zu  finden,  ist  durch  nichts  be- 
gründet. Wäre  es  etwa  zu  dulden,  daß  ein 
Architekt  sich  weigert,  ein  Haus  wohnlich  zu 
bauen,  damit  er  es  „schön  machen"  könne? 
Wird  man  ihm  nicht  mit  Recht  jeden  Verstoß 
wider  die  uneingeschränkte  Brauchbarkeit  vor- 
rechnen, ihn  nicht  zwingen,  Neigungen  zu  unter- 
drücken, die  für  den  etwaigen  Bewohner  eine 
schwere  Last  bedeuteten?  Was  hier  im  großen 
ohne  weiteres  klar  ist,  gilt  in  gleichem  Maße 
für  den  Kunstgewerbler.  Nicht  erschweren, 
erleichtern  soll  seine  Tätigkeit  den  Daseins- 
prozeß. Das  kann  er  nicht,  so  er  dem  Talmi- 
flitter der  Verzierungskünste  verfällt.  Der 
Schaffende  wird  indessen  nie  fehl  gehen,  wenn 
er  auf  die  Stimmen  der  Wirklichkeit  horclit; 
und  offenbaren  sie  sich  ilim  niciit  am  vernehm- 
lichsten in  jenen  Bedürfnissen,  die  wir  als 
soziale  zu  bezeichnen  hatten? 

Er  vergesse  nicht ,  daß  er  letzten  Endes 
ein  anvertrautes  Mandat  versieht.  Was  er 
bildet,  ist  nicht  blos  Befreiung  seines  Ichs,  ist 
zugleich  eine  Sache  für  einen  oder  viele 


■4i 


So'jak  ]  rr^lliilitiiiiii  des  hiiiis/orivri  /i/rrs. 


Benutzer.  Diese  gehen  keineswejjs  darauf 
aus,  seine  Persönlichkeit  zu  vergewaltigen;  sie 
würden  sich  nur  zur  Wehr  setzen,  wenn  ein 
fremdes  Individuum  sie  in  ihrem  Hausgerät 
tyrannisch  zu  beherrschen  trachtete.  Was  der 
Gewerbler  von  seiner  Persönlichkeit  in  seine 
Krzeugnisse  hineingibt,  muß  notwendigerweise 
hinter  ihrer  Sachlichkeit  verschwinden.  Oder 
kann  man  es  einem  Menschen  im  Ernst  zu- 
muten, daß  sich  ihm  aus  seinen  Möbeln  diese, 
seinen  Textilien  jene,  seinen  Keramiken  eine 
dritte  Persönlichkeit  entgegenstreckt.  Er  will 
der  Beherrscher,  nicht  der  Knecht  seiner  Um- 
gebung sein.  So  verlangt  er  einen  Ausgleich, 
eine  Neutralität,  verlangt  auch  in  diesem  psy- 
chischen Moment  eine  soziale  Rücksichtnahme. 
Wo  gar  Massenerzeugnisse  herzurichten 
sind,  wäre  ein  Aufbegehren  gegen  eine  solche 
Verpflichtung  nicht  verzeihlich.  Kann  eine 
Drucktype,  die  von  Tausenden  gelesen  werden 
soll,  um  des  individuellen  Duktus  eines  Ein- 
zelnen willen  ihre  Lesbarkeit  einbüßen?  Kann 
ein  Stoff,  der  für  hunderterlei  Zwecke  vorbc- 


146 


stimmt  ist,  eine  Tapete,  die  für  zahllose 
Räume  den  Fond  abgeben  soll,  der  sach- 
lichen Diskretion  ermangeln? 

Es  ist  ein  Naturgesetz,  daß  die  starke  Kraft 
sich  inuner  unterordnet  der  höheren  Not- 
wendigkeit. Für  das  kunstgewerbliche  Schaf- 
fen war  die  Zweckmäßigkeit  stets  der  er- 
frischende Jungbrunnen.  Wo  dieser  Halt  ver- 
loren ging,  war  Entartung  die  Folge.  Wo  das 
Individuum  sich  seiner  sozialen  Verpflichtung 
entledigte,  irrte  es  taumelnd  dem  Abgrund 
des  Unzulänglichen  zu. 

Schließlich  ist  der  Zweck  nicht  auch  eine 
Idee?  Und  warum  sollte  die  unverfälschte 
Materialisierung  dieser  Zweckidee  etwas  Un- 
künstlerisches sein?  Wo  ist  die  ästhetische 
Tabulatur,  die  dieser  Ethik  des  kunstgewerb- 
lichen Gestaltens  einen  niederen  Rang  zu- 
weisen möchte?  Geschieht  es  etwa  nur  da- 
rum, weil  hier  die  Idee  eine  soziale  ist,  weil 
sie  statt  des  Einzelwertes  die  gemeinschaft- 
lichen Verhältnisse  in  ihrem  Zusammenhang 
offenbart  ?  r  wi^i  m  im. 


Dr.  Geoyo  Lelnirrl : 


Ml  Nl  HI'-X-liFKI.I.\. 


1  lerrn/immor.    Hans  Jagenborg    Solinguii. 


DIE  NÄCHSTEN  ZIELE  UNSERER  METALLWARE. 


Nach  allfjemeineni  Spraclii^ebrauche  faßt 
man  als  Metallware  alle  aus  unedlen 
Metallen  jSefertifJten  Erzeugnisse  zusammen 
mit  Ausnahme  der  aus  Schmiedeeisen  heri^e- 
stellten.  Die  kunst}>ewerbliche  Metallware 
unserer  Tage  hält  die  beiden  durch  ihre  Tech- 
nik verschiedenen  Wege,  der  Handarbeit  und 
der  Maschinenarbeit,  viel  schärfer  auseinander 
als  früher.  Im  Vergleiche  zu  den  vorherge- 
gangenen Jahrzehnten  befinden  sich  heute 
unter  all  den  Geräten  aus  Kupfer,  Bronze, 
Messing,  Zink,  Zinn,  Nickel,  Alfenide,  Bri- 
lannia  usw.,  mit  denen  wir  uns  umgeben,  be- 
deutend weniger  Maschinen-Erzeugnisse,  die 
Handarbeit  vortäuschen  wollen,  als  früher. 
Wir  haben  also  aufdiesem  Gebiete  erfreulicher- 
weise einen  unleugbaren  Fortschritt  zu  ver- 
zeichnen; ihn  festzuhalten  wird  für  die  nächsten 
Jahre  die  Hauptaufgabe  unsrer  Metall  wäre  sein. 
Die  Gußware  hat  längere  Zeit  unter  dem 


148 


flüchtigen  Bearbeiten  des  f^eliefs  gelitten.  Die 
Forderung  nach  Billigkeit,  der  besonders  die 
Handelsbronze  auf  dem  Weltmarkte  entspre- 
chen mußte,  hatte  dazu  geführt,  daß  man  das 
reliefierte  Gerät  und  selbst  die  einfacheren, 
figürlichen  Arbeiten  nur  noch  auf  der  Maschine 
kratzte  und  schliff,  nicht  aber  in  den  Einzel- 
heiten mit  der  Hand  nachging.  Diese  Art  der 
„Fertigarbeit"  tritt  heute  zurück,  zum  Vorteile 
des  Ganzen.  Der  Medaillenstil  und  seine  Be- 
handlung des  Reliefs  hat  da  (wenngleich  die 
Medaille  selbst  zuweilen  schon  wieder  etwas 
trockenen  Vortrag  zeigt)  heilsamen  Einfluß 
ausgeübt.  Dieser  Weg  wäre  weiter  zu  ver- 
folgen, nicht  aber  jener  heule  auch  übliche, 
der  für  die  Gußware  möglichst  nur  glatte 
Flächen  anstrebt.  Zwei  wichtige  Gründe  spre- 
chen dagegen.  Zum  einen,  und  das  ist  vom 
künstlerischen  Standpunkte  aus  wesentlich : 
die  ganz   glatte,   womöglich   geschliffene  oder 


Die  ruiihste)!  Zieh'  ^tHscrer  MetalhiVarc. 


SENISACHKK      .MIM  ilKN-MKRI.lN. 


geglänzte  Fläche  liegt  der  Gußware  nicht ; 
sie  kommt  weit  mehr  dem  Erzeugnis  aus 
Bronze  zu.  Zum  anderen  aber,  und  das  ist 
technisch  von  großer  Bedeutung:  die  glatte 
Fläche  verteuert  die  Herstellung,  weil  sie  im 
Verhältnis  zum  erzielbaren  Preise  mehr  Durch- 
arbeiten erfordert,  als  die  reliefierte.  Das  zeigt 
sich  namentlich  dann,  wenn  die  kleinen  un- 
vermeidbaren Gußfehler  gar  zu  deutlich  zu 
Tage  treten.  Unter  diesem  Übelstande  leiden 
namentlich  die  gegossenen  glatten  Beschläge, 
wie  sie  für  Möbel,  Türen,  Fenster  im  Ge- 
brauche sind.  Hier  wäre  also  etwas  mehr 
Relief  anzustreben.  Auch  steht  gerade  im 
Beschläge  die  Vorliebe  für  Messing  und  mes- 
singfarbene  Bronze  heute  zu  sehr  im  Vorder- 
grunde ;  der  wärmere  Ton  des  Rotgusses 
würde  in  viele  unserer  Räume  besser  passen 
als  der  immerhin  kalte  des  geschliffenen  oder 
geglänzten  Messings. 

Die  massive  Pressung,  wie  man  sie  früher 
zu  Beschlägen  von  Lederarbeiten  und  kleine- 
ren Hol/arbeiten    verwendet   hat,    ist  im  Ver- 


schwinden. Soweit  sie  sich  bestrebt  hat,  ge- 
gossene und  ziselierte  Arbeit  vorzutäuschen, 
ist  ihr  Zurücktreten  nicht  zu  bedauern.  Zu 
wünschen  aber  wäre  es,  daß  man  für  den 
massiv  gepreßten  Beschlag  wieder  einfache, 
sinngemäße  Formen  suchte  und  dadurch  diesem 
Zweige  der  kunstgewerblichen  Metallverar- 
beitung wieder  mehr  Ansehen  und  Aufträge 
brächte.  Das  würde  auch  dem  landläufigen 
Beschläge  aus  dünnem  Blech  wirksam  ent- 
gegentreten. 

Die  Blechware  ,  also  die  aus  Kupfer-,  Mes- 
sing-, Tombak-,  Bronzeblech  hergestellte  Me- 
tallware, läßt  heute  den  Unterschied  zwischen 
Hand-  und  Maschinenarbeit  am  deutlichsten 
erkennen.  In  der  Handarbeit  steht  die  ge- 
triebene voran.  Sie  verfolgt  im  allgemeinen 
richtige  Wege  ;  organisch  wächst  ihr  Relief  aus 
der  Fläche  heraus.  Weich  modelliert,  oft  nur 
gleichsam  hingeworfen,  tritt  es  aus  der  Mäche 
hervor  und  bleibt  doch  wesenseins  mit  ihr. 
Hierin  weiter  zu  schreiten,  muß  das  Ziel  der 
Treibarbeit   bleiben.     Anzuerkennen    ist,    daß 


'  ly 


Die  flachsten  Ziele  itnserer  Jlfefa/hvair. 


A.   I'I>>M'M;  \(   111'  l;       Mr.\illi:N-l;|.  Kl  IN. 


man  sich  in  den  vielen  Gefäßen,  die  die  Treib- 
arbeit notgedrungen  hervorbringt,  einer  tek- 
lonisch  richtigen  Form  befleißigt.  Jene  früher 
üblichen  getriebenen  Gefäße,  über  deren  viel- 
gestaltigen Formen  man  gar  nicht  zum  Fr- 
fassen des  Ganzen  kam,  sind  fast  ganz  ver- 
schwunden ;  klar  und  einfach  aufgebaute  Ge- 
bilde sind  an  ihre  Stelle  getreten.  Diese 
Richtung  ist  festzuhalten  und  v^^eiterzuführen 
ohne  Rücksicht  auf  die  unausbleiblichen  Nach- 
ahmungen in  gepreßtem  Kupferblech  oder  ver- 
kupfertem Zinkblech,  die  heute  noch  so  wie 
früher  auf  dem  Markte  erscheinen. 

Die  Maschinenarbeit  in  der  Blechware 
sucht,  in  ganz  richtiger  Weise  und  mit  wenig 
Ausnahmen,  in  dem  klaren,  struktiven  Auf- 
bau, in  der  Brauchbarkeit  des  Stückes  und  in 
der  schlichten  Schönheit  seiner  gesamten  Fr- 
scheinung  ihr  Ziel.  Das  soll  man  in  Zukunft 
ebenso  festhalten,  wie  das  Streben  nach  Ge- 
nauigkeit der  Arbeit,  nach  glatten,  geschliffenen 
oder  blanken  Flächen, 

Diese  Vorzüge  entfalten  ganz  besonders  die 


iMusikzimmci.    tiaus  Lichheit    Gninowald- Berlin. 


Beleuchtungskörper  von  heute,  Sie  be- 
kunden, mögen  sie  auf  der  Maschine  oder  von 
Hand  entstanden  sein,  in  ihrem  sinngerechten 
Aufbau,  in  der  struktiven  Verwendung  von 
Schnur  und  Birne,  von  Gasrohr  und  Brenner, 
einen  unbedingten  Fortschritt  gegen  früher. 
Diese  Art  weiter  zu  pflegen,  dürfte  den  An- 
forderungen der  Zeit  durchaus  entsprechen. 
Schwieriger  gestaltet  sich  auch  heute  noch 
das  Gebiet  der  gefaßten  Ware,  also  all 
die  Uhren  und  Schalen,  Leuchter  und  Schreib- 
zeuge, Rauchzeuge  und  sonstigen  Geräte,  die 
Finsätze  aus  Metall,  Stein,  Glas,  Fayence  be- 
sitzen. Die  Gewohnheit  der  siebziger  und 
achtziger  Jahre,  das  Gefaßte  möglichst  zurück- 
treten zu  lassen  vor  der  Fassung,  ist  stark  im 
Schwinden  ;  man  erblickt  jetzt  im  Finsätze,  in 
den  zu  fassenden  Teilen ,  richtigerweise  die 
Hauptsache  und  läßt  sie  in  den  Vordergrund 
treten,  während  man  der  Fassung  ihre  ange- 
stammte eigentliche  Aufgabe,  nämlich  nur  den 
Rahmen  für  das  Gefaßte  abzugeben  und  es 
gebrauchsmäßig  auszustatten,  mehr  und  mehr 


150 


A.  PDSSKXBACIII'IK  -MÜN(  1 1 1:\  lUCK  1 .1  \. 

DII-.I.K  IM    HAl'SE  I.lKHIUMl'     GKrNKW  A  1.1 )  -  liKU  LI  N. 


/•'/(•  )iätli\lrii  /.iflr  ii)iscir>    Mctiilhvarc 


A.  PÖSSEMiACHER      Ml  NCHEN-I'.I-KI.I.N 


einräumt.    Diese  Erkenntnis  sollte   sich  all}>c- 
mein  Bahn  brechen. 

In  sehr  erfreulicher  Weise  zieht  man  neuer- 
dinjis  die  Metallware  zum  Ausbau  heran, 
sowohl  im  Innern,  wie  am  Äußeren  des  Ge- 
bäudes. Es  ist  durchaus  richtig,  fSroßzüj^itSe, 
(getriebene  Reliefs  aus  Bronze-,  Tombak-  oder 
Messinj^blech  in  die  äußere  Architektur  einzu- 
gliedern und  ähnliche  Arbeiten  auch  im  Innen- 
ausbau großer  Räume  zu  verwenden.  Gerade 
hierin  erwachsen  der  Treibarbeit  sinn-  und  ma- 
terialgerechte,  außerordentlich  dankbare  Auf- 
gaben. Nicht  minder  in  den  größeren  Arbeiten 
aus  Metall,  wie  sie  fürlieizkörperverkleidungen, 
für  Kamine  und  für  Dauerbrandöfen  aufge- 
kommen sind.  Mehr  und  mehr  sollte  man  für 
diese  Zweige  die  Treibarbeit  heranziehen.  Sie 
wirkt  durch  das  Individuelle  ihrer  Art  doppelt 
gut.  Neue  Materialien,  wie  das  Duranametall 
u.  a.  sind  ihr  entstanden.  Die  Verwendung  ge- 
triebenen Metalles  zu  Schaufensterfassungen, 
zu  Fahrstuhltüren,  zu  Bettstellen  und  anderen 
l'.rzeugnissen  verdient  rege  Förderung. 


Kindcrzimnii-r.    Haus  I.iubhcit    (irunewald-Bcilin. 


Dadurch  kommen  auch  mehr  lichte,  helle, 
farbige  Töne  in  unsere  Innenräume.  Sie 
sind  uns  durchaus  notwendig.  Daneben  aber 
sollte  man  den  ausgezeichneten  Farbenreich- 
tum ,  den  das  Patinieren  auf  allen  Kupfer- 
legierungen zu  entwickeln  gestattet,  nicht  so 
außer  Acht  lassen,  wie  bisher.  Man  hat  sich 
heute  fast  daran  gewöhnt,  von  den  Patina- 
tönen unserer  Metallware  nur  die  dunkel- 
braunen und  die  schwarzen  heranzuziehen 
oder  durch  Farbanstrich  nachzuahmen.  Dieses 
Nachahmen  ist  ganz  allgemein  und  das  Bevor- 
zugen der  dunklen  Tönungen  im  besonderen 
für  die  Folge  zu  vermeiden.  Die  meisten 
Arbeitsmaterialien  der  Metallware  patinieren 
so  ausgezeichnet  und  liefern  eine  so  vollstän- 
dige Farbenreihe  vom  hellsten  Gelb  über  Rot 
und  Grün  bis  zum  Schwarz,  daß  man  sich  ihrer 
nicht  genug  bedienen  kann. 

Alle  diese  nächsten  Ziele  unserer  Metall- 
ware zu  erreichen,  bietet  geringe  Schwierig- 
keiten. Das  Publikum  muß  ihnen  nur  freund- 
lich gegenüberstehen.  .;ii.k,.  iiiiniki. 


152 


A.  PUSSKXBACHKR  -  .MUXCl  IKX  -  HKK  l.l  X 
HADEZIMMKk.  HAUS  I.IEIIHEIT  ÜKUNEWAI.D-BF.KI.IN 
AUSF.:  THIERÜARTNKK,  VOLT/.  He  WITTMEK     BERLIN 


ENTUTKl-    TNI)  AfSlÜHKUNC;   A.  l'iisSKNH ACHEK      MfNCHEN-liERI.IN. 


-  \MMI  TNCs-M   HKA.NK. 


KUlHKR-RF.C.AL. 


KMWrKi-   UMi  Afsl  rllKTM; :   A.  l'OSSF.NltACUF.I 


|>ELKUCHTUNGSKÖR- 
PRR.  Von  feinsinnigen 
Künstlern,  wieBrunoPaul, 
Weniji,  Bisclioff  u.  Koer- 
nif«,  läßt  sich  Richard 
L.  F.  Schulz  das  Thema 
geben  und  entwickelt  da- 
raus mit  reifem  handwerk- 
lichen Können  ein  ganz 
ausgezeichnetes  Gerät. 
Man  spürt,  wie  er  die 
Absicht  seiner  Künstler 
niciit  nur  begriffen,  wie 
er  sie  nach  den  Gesetzen 
des  Materials  zur  Wirk- 
lichkeit gehoben.  Unbe- 
kümmert um  den  Entwurf 
zeigen  die  Ausführungen 
eine  innere  Verwandt- 
schaft, eine  gemeinsame 
Gesinnung  reinlicher  Kul- 
tur. Man  würde  sie  ohne 
Fabrikmarke  erkennen. 
R.  L.F.Schulz  hat  an  die- 
sen Lampen  nicht  weniger 
Anteil  als  die  entwerfen- 
den Künstler,   ic  'i\.  m-kitck. 


K.N'IW.:    HKKNH.\KI)  WK.NI 


i:iM-iii'r)'     r.FKi  p 


KNi  U-.:  ARNO  KOKKNKi      M.KUS.  ENTW.:   PAri.  KIMHOKK      HEKUN.  KNTW.:  ARNO  KuKKNU;      MERMN. 

AUSKÜHKUXC.  :   RiniARl)  I..  K.  M  lirLZ      r.lKMN. 


\i;kik,  I  knm   m  III  1/,  A.-(i.     i)i>?.Ar, 


158 


ENTWURK:  PROFESSOR  PETER  BEHRENS. 
AUSF.  :  ANHALTER  TAPETEN-FABRIK— DESSAU. 


PAPII.K-l.Vl'ElE.    .VlSGEF.  Vi  iN  DER  NORDDEUTSCH.  T.VPETE.N- 
KAHKIK  HöLSCHER   &   BREIMER     HANNOVER- LANGENH.\GEN. 


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TAGUNG  DES  DEUTSCHEN  WERKBUNDES 

IX  FRAXKFITRT  a.  U.  30.  SEPT.     2.  OKT.  1909. 


Wenn  es  anfangs  so  aussah,  als  wäre  der 
„Deutsche  Werkbund",  dieser  Zusam- 
menschluß von  Künstlern  und  Fabrikanten, 
von  Theoretikern  und  Handwerkern,  ein  ge- 
wagtes Experiment,  so  hat  es  sich  in  zwei  Ar- 
beitsjahren gezeigt,  daß  der  Bund,  der  aus  na- 
türlichen Feinden  überzeugte  Freunde  machte, 
zu  leben  vermag.  Und  nicht  nur  zu  leben;  er 
erstarkt  und  schlägt  Wurzel  und  breitet  seine 
Kreise  weit  aus  auf  alle  Gebiete  der  Produk- 
tion und  der  Konsumtion.  Er  ist  heute  bereits 
ein  Faktor,  mit  dem  die  Gewerbe-  und  die 
Kunstpolitik  (soweit  es  so  etwas  gibt)  rechnen 
muß.  Er  wurde  zur  maßgebenden  Instanz  für 
alle  Fragen  aus  dem  Gebiete  der  geschmack- 
vollen Qualitätsarbeit.  Qualitätsarbeit  für  je- 
den Beruf,  für  den  einzelnen,  wie  für  das  Volk, 
für  den  Entwerfenden  und  den  Ausführenden, 
für  den  Verkaufenden  und  den  Einkaufenden, 
Qualitätsarbeit  aus  Überzeugung  und 
Egoismus,  das  ist  das  eigentliche  Fundament 
und  das  höchste  Ziel  des  Werkbundes  Unfall 
derer,  die  sich  unter  seine  Fahne  gestellt. 

Die  Frankfurter  Tagung  war  die  zweite 
Jahresversammlung  des  Plenum.  Sie  begann 
damit,  daß  Bericht  erstattet  wurde  über  die 
Leistungen  und  die  Erfolge  seit  München  1 908. 
In  der  Tat,  der  Bund  ist  nicht  müßig  gewesen; 
wer  zu  lesen  vermag,  erfuhr  durch  die  nüch- 
ternen Worte  des  Jahresberichtes  (der  auch 
gedruckt  vorliegt)  von  vielen  Beratungen  der 
Kommissionen,  von  vielen  Reisen  des  Ge- 
schäftsführers, von  zahllosen  Verhandlungen 
und  einer  Fülle  von  Skripturen  und  ausge- 
sandten Drucksachen.  Welche  Art  auch  immer 
die  einzelne  Absicht  und  ihre  Frucht  war,  die 
Tendenz  aller  geht  darauf:  die  Besten,  die 
Weitblickendsten ,  die  Einflußreichsten  aus 
Architektur  und  Kunstgewerbe,  aus  Handwerk 
und  Kaufmannschaft,  aus  Stadtverwaltung  und 
Regierung  für  die  Idee  der  geschmackvollen 
Qualitätsarbeit  zu  gewinnen.  Und  es  ist  ge- 
wiß kein  Optimismus,  wenn  man  aus  dem  Er- 
trag des  vergangenen  Jahres  und  auf  Grund 
der  neuesten  Frankfurter  Tagung  zu  der  Über- 
zeugung gelangt,  daß  der  Einfuß  des  Werk- 
bundes dauernd  steigt  und  heute  schon  so  ge- 
festigt ist,  daß  er  durch  keinerlei  Gegnerschaft 
mehr  aufgehalten  werden  kann.  Darum  hat 
CS  der  Werkbund  auch  nicht  mehr  notwendig. 


mit  Kriegsgeschrei  zu  stürmen;  er  kann  fein 
ruhig  und  würdig  seinen  wohlbereiteten  Weg 
gehen.  Der  Sieg  des  Werkbundgedankens  ist 
bereits  selbstverständlich  geworden. 

Zunächst  sei  berichtet,  welcher  Art  der 
Werkbund  direkt  in  die  Praxis  der  Arbeit  ein- 
greift und  fernerhin  einzugreifen  gedenkt.  Vor 
allem  galt  es,  Einfluß  auf  die  Ausstellungen 
des  kommenden  Jahres  zu  gewinnen.  Be- 
sonders die  Brüssler  Weltausstellung  mußte 
nach  jeder  Richtung  so  gesichert  werden,  daß 
von  ihr  wirklich  eine  Vorführung  des  Besten, 
was  Deutschland  hervorbringt,  zu  erwarten 
ist.  Man  darf  sagen,  daß  es  dem  Werkbund 
gelang,  alle  notwendigen  Vorsichtsmaßregeln 
und  Anspornungen,  die  ein  treffliches  Gelingen 
dieser  wichtigen  Parade  deutscher  Arbeit  ga- 
rantieren, wirksam  zu  machen.  Es  braucht 
nicht  gesagt  zu  werden,  daß  nun  auch  jedes 
Mitglied  das  Seine  tun  wird,  um  dem  Erfolge 
von  St.  Louis  einen  größeren  zu  gesellen. 
Eine  kleinere,  aber  nicht  unwichtige  Aus- 
stellung wird  1910  sich  in  Berlin  auftun.  Die 
Ton-,  Zement-  und  Kalk-Industrie  will  eine 
Überschau  ihrer  Produkte  geben.  Der  D.W.  B. 
hat  veranlaßt,  daß  eine  Abteilung  für  vorbild- 
liche Behandlung  dieser  Materiale  eingerichtet 
wird.  Man  weiß  zur  Genüge,  was  alles  für 
Kuriositäten  aus  Ton,  Zement  und  Kalk  auf- 
geputzt werden  können.  Es  wird  gewiß  sehr 
nützlich  sein,  unter  den  mannigfachen  Irr- 
tümern und  gequälten  Surrogaten  Dinge  zu 
sehen,  für  die  das  leicht  zu  mißbrauchende 
Material  ordentlich  und  geschmackvoll  ange- 
wendet wurde.  Eine  dritte  zu  erwartende 
Ausstellung  will  der  Werkbund  selbst  in  Frank- 
furt a.  M.  veranstalten.  Freilich,  das  Terrain 
dieser  reichen  Stadt  ist  schwierig  zu  beackern. 
So  konnte  denn  die  hierfür  eingesetzte  Kom- 
mission noch  nichts  Positives  berichten  ;  doch 
scheinen  die  Aussichten  immerhin  so  günstig, 
daß  an  einem  Zustandekommen  dieses  sicher- 
lich sehr  wichtigen  Unternehmen  kaum  ge- 
zweifelt werden  kann.  —  Bei  all  diesen  Aus- 
stellungsabsichten ist  der  Werkbund  in  hohem 
Maße  auf  das  Verständnis  und  das  Entgegen- 
kommen der  Fabrikanten  und  der  Kaufleute 
angewiesen.  Er  hat  dies  längst  eingesehen; 
er  hat  eingesehen,  daß  mit  reinem  Theoreti- 
siercn  und  mit  Künstlerideologie  nichts  zu  er- 


i6i 


Tat 


des  DaüschcH  Wcrklnmdcs. 


re-iclien  ist,  daß  alles  darauf  ankommt,  die 
Männer  der  Praxis  zu  {gewinnen.  So  sehen 
wir  den  D.  W.  B.  darum  auch  besonders  be- 
müht, die  Fachleute  und  die  Kaufleute  auf- 
zuklären und  zu  erziehen.  Dieser  Absicht  will 
besonders  das  neu  begründete  Deutsche  Mu- 
seum für  Kunst  in  Handel  und  Gewerbe  zu 
HajSen  dienen.  Darin  sollen  alle  den  Kauf- 
mann betreffenden  Drucksachen,  Plakate,  Re- 
klamen, Katalo}5e  und  Packuufien,  sollen  aber 
auch  Materialien,  Halbfabrikate,  alles,  dessen 
der  Innenarchitekt  bedarf,  in  Beispiel  und 
GefSenbeispiel  j^esammelt  werden.  Nun  ließe 
sich  darüber  streiten,  ob  Haften  der  geeignete 
Ort  für  eine  solche  Anstalt  sei.  Darauf  wäre 
zu  sagen,  daß  Hagen  in  der  Tat  ein  wichtiger 
Mittelpunkt  des  rheinisch-westfälischen  In- 
dustriebezirkes ist.  Ferner  aber:  das  Museum 
ist  hauptsächlich  als  Zentrale  gedacht;  von 
ihm  aus  sollen  Wander-Ausstellungen  durch 
ganz  Deutschland  zirkulieren.  Es  ist  sicher, 
daß  eine  solche  dauernde  Attackierung 
manchen  Nutzen  bringen  wird.  Mancher  Kauf- 
mann wird  einsehen  lernen,  daß  sein  bis- 
heriges Plakat,  sein  Briefbogen,  seine  Firmen- 
karte schlecht,  banal  und  unzweckmäßig  ist. 
Notwendig  dürfte  es  allerdings  sein,  diese 
kleinen  Ausstellungen  möglichst  mit  erläu- 
ternden Vorträgen  zu  verbinden.  Daß  Ost- 
haus Instinkt  und  Geschmack  genug  besitzt, 
nur  ausgezeichnetes  Material  zusammenzu- 
tragen, dafür  bürgt  das  Museum  Folkwang, 
das  wohl  von  allen  deutschen  Museen  die 
meiste  Rasse  besitzt.  Auch  die  kleine  Probe- 
ausstellung, die  in  Frankfurt  zu  sehen  war, 
gibt  Gewähr,  daß  dies  Institut  der  Anschau- 
ung in  gute  Hände  gelegt  ist.  Der  D.W.  B. 
wird  sorgen  mit  oder  ohne  Hilfe  dieser 
Ausstellungen  durch  Vorträge  die  kaufmän- 
nischen Kreise  zu  beeinflussen.  Hierzu  die 
wichtigsten  Maßnahme  sind  die  Kurse,  die 
er  gemeinsam  mit  dem  Verband  für  das  kauf- 
männische Unterrichtswesen  (Braunschweig) 
veranstaltet.  Es  soll  ernstlich  daran  gegangen 
werden,  die  Bildung  des  Kaufmanns  auf  ein 
höheres  Niveau  zu  heben,  dessen  Allgemein-, 
dessen  spezielle  Fachbildung  und  schließlich 
dessen  Geschmacksbildung.  Diese  letzte  Pro- 
vinz wurde  dem  Werkbund  anvertraut;  er 
begann  seine  Arbeit  energisch  genug,  und  läßt 
schon  während  dieser  Wochen  und  Monate 
in  verschiedenen  Städten  Deutschlands  Vor- 
tragsreihen abhalten.  Damit  soll  besonders 
auf  die  Dctaillisten,  auf  die  Verkäufer  Einfluß 
gewonnen  werden.  Durch  diese  Vermittler 
der  Ware  an  das  Publikum  hofft  man  die  Kon- 


sumenten seihst  zu  fassen  und  zu  erziehen. 
—  Weniger  den  Vertreibenden,  als  den  Pro- 
duzenten, den  Künstlern  und  den  Fabrikanten, 
soll  die  „gewerbliche  Materialkunde"  dienen. 
Unter  diesem  Titel  wird  Dr.  Paul  Krais  im 
Auftrage  des  D.  W.  B.  (bei  Felix  Krais  in  Stutt- 
gart) ein  Werk  erscheinen  lassen ,  das  in 
mehreren  Bänden  auf  das  Eingehendste  die 
einzelnen  Materiale ,  deren  Naturgeschichte, 
deren  technischen  Eigenschaften,  deren  Imi- 
tationen und  Verfälschungen  usw.  darstellen 
soll.  Der  Wert  eines  solchen  Lehr-  und  Nach- 
schlagebuches leuchtet  sofort  ein.  Ein  Bild- 
hauer etwa,  der  heute  beinahe  bedingungslos 
der  Gießerei  ausgeliefert  ist,  wird  dann  die 
Bronze  nachprüfen,  zum  mindesten  detailliert 
sich  zusichern  lassen  können.  Genau  so  steht 
es  um  den  Innenarchitekten,  der  heute  oft  die 
Qualität  der  Hölzer  nicht  zu  unterscheiden 
vermag,  deren  Eigenschaften,  deren,,  Arbeiten" 
nicht  kennt.  Es  ist  selbstverständlich,  daß  ein 
solches  Buch  von  dokumentarischer  Bedeu- 
tung nur  dann  sein  kann,  wenn  wirklich  die 
besten  Kenner  daran  mitarbeiten  ;  der  Praxis 
nützen  kann  es  nur ,  wenn  es  in  jeder  Be- 
ziehung klar  und  präzis  und  nicht  umschweifend 
geschrieben  ist.  Zunächst  soll  der  Band 
„Hölzer"  erscheinen;  sein  Register  scheint 
das  Gebiet  zweckmäßig  einzukreisen.  Bald 
soll  der  Band  „Metalle"  folgen.  —  Dies  Werk- 
bundunternehmen ,  dessen  Gesundheit  und 
Nüchternheit  offenbar  ist,  unterscheidet  sich 
dadurch  sehr  vorteilhaft  von  einem  Unterneh- 
men, das  Dr.  Pudor  auf  ähnliche  Ziele  richtet. 
F^r  hat  aber  den  Bogen  überspannt,  er  strebt 
nach  einerMaterialkontrolle  zünftlerischer  Art. 
Er  dürfte  damit  kein  Glück  haben.  Die  Material- 
kunde des  D.  W.  B.  hingegen  wird  bereits  heute 
von  vielen  Fachleuten  mit  Ungeduld  erwartet. 
Gleichfalls  den  Produzenten  sollte  die  Aus- 
stellung vorbildlicher  F'abrikbauten  dienen.  Das 
hierzu  angesagte  Referat  von  Poelzig  (Breslau) 
wurde,  da  er  abwesend,  verlesen.  Die  darin 
aufgestellten  Forderungen  umschreiben  die 
selbstverständlichen  Tugenden  eines  reinen 
Zweckbaues.  Es  wird  mehr  vom  Negativen 
und  Überflüssigen  als  vom  Vorbildlichen  ge- 
sprochen. Es  ist  heute  immer  noch  wichtig  ge- 
nug, zu  sagen,  was  an  architektonischen  Gebil- 
den fortzubleiben  hat.  Ästhetische  Regeln  für 
das  Positive  lassen  sich  bei  der  Verschiedenheit 
der  Aufgabe  schwer  fixieren.  Eins  allerdings 
kann  wohl  heute  schon  als  Dogma  gelten:  „man 
sollte,  gewitzigt  durch  die  Erfahrungen  bei 
Maschinen-  und  Brückenbau,  auch  beim  Fabrik- 
bau alles  vermeiden,  was  einer  sinngemäßen. 


Ta^nuo  des  Deii/schru  ]]\-i khimdt-i 


auf  den  entwickelten  staatischen  Gesetzen 
unserer  Zeit  basierenden  Ausbildung  in  den 
Weg  treten  kann,  und  sich  vor  noch  so  gut 
gemeinten  dekorativen  Verhüllungen  hüten". 
Flinen  richtigen  Gedanken  propagandiert  der 
sächsische  Heiniatschutzverein,  er  belegte  ihn 
durch  mehrere  treffliche  Beispiele;  die  Fabrik 
soll  sich,  wenn  auch  nicht  sklavisch  ,  so  doch 
dem  Temperament  nach,  in  die  Landschaft  ein- 
fühlen. Dazu  bedarf  es  keiner  besonderen 
Volkstümelei,  keinesaufgeklebten  Fachwerkes; 
eine  konsequende  Bändigung  der  rohen  Zweck- 
mäßigkeit dürfte  genügen !  Der  Fabrik  gebührt 
weder  eine  sentimentale  noch  eine  pathetische 
Geste,  nur  ein  sachlicher  Rhythmus. 

Der  zweite  Arbeitskreis  des  Werkbundes 
umfaßt  die  theoretischen  Erwägungen  und  die 
Versuche,  die  gesetzgebenden  Körperschaften 
und  denen  verwandte  Machtkreise  zu  beein- 
flussen. Im  Zentrum  dieser  Bestrebungen  steht 
die  Sorge  um  die  Schule.  In  München  war  be- 
schlossen worden,  auf  der  Frankfurter  Tagung 
Leitsätze  einzubringen,  nach  denen  der  D.W.  B. 
eine  Ausgestaltung  der  Schule  und  der  Er- 
ziehung des  gewerblichen  Nachwuchses  sich 
wünscht.  Es  hat  sichergeben,  daß  solche  Leit- 
sätze nicht  aufzustellen  sind  ;  daß  das  Gebiet 
zu  verschiedenartig,  zu  kompliziert,  als  daß  es 
fruchtbar  wäre,  mit  Resolutionen  daran  herum- 
zudoktern. Diese  Einsicht,  zuderjederkommen 
muß ,  der  sich  einmal  eingehender  mit  dem 
Problem  der  gewerblichen  Erziehung  befaßte, 
wurde  von  dem  Referenten,  Dr.  Dohrn,  gut 
begründet.  Sehr  instruktiv  war  dessen  Hin- 
weis darauf,  daß  gute  Erziehung  nur  an  guten 
Aufträgen  geschehen  könne.  Daß  alle  ge- 
werbliche F'rziehung  abhängig  sei  von  der  wirt- 
schaftlichen Gesamtlage.  Es  bleibt  darum 
nichts  anderes  übrig,  als  vorerst  die  Situation 
nochimmergründlichzustudieren.  DerD.W.  B. 
will  über  das  gewerbliche  Unterrichtswesen 
eine  pädagogisch,  national- ökonomisch  und 
künstlerisch  orientierte  Denkschrift  verfassen; 
vorausgesetzt,  daß  er  dazu  das  nötige  Geld 
zur  Verfügung  gestellt  bekonmit.  V/ie  wichtig 
eine  solche  gründliche  Bearbeitung  der  Schul- 
frage wäre,  ergibt  sich  am  besten  aus  der  Tat- 
sache, daß  heute  eigentlich  niemand  das  ganze, 
vielverzweigte  Material  rein   objektiv   kennt. 

Da  es  durchaus  richtig  ist,  daß  ein  guter 
Nachwuchs  nur  durch  gute  Arbeit  der  Lehr- 
meister wirklich  garantiert  werden  kann,  so 
muß  mit  allem  Nachdruck  nach  einer  Vermin- 
derung der  Schundarbeit  gestrebt  werden. 
Dazu  wiederum  gibt  es  kein  besseres  Mittel, 
als  die  Regelung  des  Submissionswesens.  Man 


164 


weiß,  daß  diese  Frage  zur  Zeit  an  vielen  Stel- 
len beraten  wird.  Auf  der  Frankfurter  Tagung 
konnte  darum  nichts  eigentlich  Neues  gesagt 
werden.  Aber  es  dürfte  doch  nützen,  wenn 
auch  diese  ansehnliche  Versammlung  mit  aller 
Entschiedenheit  für  ein  Aufhörender  schlimm- 
sten Mißstände  der  Submission  plädiert.  Es 
ist  ein  geradezu  lächerliches  Prinzip,  eine  aus- 
geschriebene Arbeit  dem  billigsten  Anbieter 
bedingungslos  zu  überlassen.  Die  Qualität 
und  nicht  der  Preis  muß  der  wichtigste  Maß- 
stab werden,  muß  es  doppelt  bei  Arbeiten, 
die  der  Staat  oder  die  Stadt  zu  vergeben  hat. 
Wie  diesen  Mißständen  abzuhelfen  ist,  darüber 
wird  noch  viel  verhandelt  werden  müssen. 
Etwas  mehr  Dampf  könnte  hier  nichts  schaden. 
Interessant  war  es  zu  hören,  daß  gerade  die 
Städte,  sie,  die  sich  oft  ihres  Liberalismus  und 
fortschrittlichen  Geistes  rühmen,  bei  Submis- 
sionen viel  törichter  und  hartnäckiger  verfah- 
ren als  der  Staat. 

Besondere  Aufmerksamkeit  widmete  der 
D.  W.  B.  dem  sogenannten  Sparerlaß  des 
preußischen  Ministers  für  die  öffentlichen  Ar- 
beiten. Auch  hier  wurde  darauf  hingewiesen, 
daß  das  Sparen  an  sich  und  um  jeden  Preis, 
meist  ein  Vergeuden  sei.  Daß  man  aber  sehr 
wohl  an  dem  Kunstkram,  an  den  Puppen  und 
dem  dekorativen  Beiwerk,  sparen  könne.  Bei 
knappen  Geldmitteln  soll  man  eben  nicht  Po- 
temkinsche  Dörfer  aufrichten,  soll  vielmehr 
einen  guten  Architekten  berufen,  der  dann 
gewiß  der  Notwendigkeit  eine  knappe,  aber 
würdige  Form  geben  wird. 

Diese  wenigen  Nachrichten,  die  keineswegs 
ein  erschöpfendes  Bild  von  der  Frankfurter 
Tagung  geben,  genügen  immerhin ,  um  zu  be- 
weisen wie  umsichtig  und  rührig  der  D.W.  B. 
an  alle  Probleme  der  modernen  Produktion 
herantritt,  und  wie  er  die  Konsumtion  auf  ein 
möglichst  hohes  Niveau  zu  heben,  bestrebt  ist. 
Alle  diese  Reden,  Diskussionen  und  Resolutio- 
nen werden  mit  Sicherheit  Früchte  tragen. 

Der  geistige  Höhepunkt  dieser  zweiten  Jah- 
resversammlung des  D.W.B.,  ein  unvergeß- 
liches Erlebnis,  war  die  Fanfare,  die  Van  de 
Velde  in  die  öffentliche  Abendversammlung 
hineinschickte.  Das  war  ein  gar  hartes  Unge- 
witter,  das  schwer  über  den  Industriellen  un- 
moralischer Observanz  niederging.  Das  war 
ein  erhebender  Hymnus  künstlerischen  Selbst- 
bewußtseins. Das  war  zugleich  eine  Adelung 
aller  derer,  ob  Künstler,  ob  Fabrikanten,  die 
wirklich  nüt  Blut  und  Seele  nach  dem  neuen 
Stil,  dem  unvergänglichenDenkmaleiner  neuen 
Menschheit,  streben,  rohert  Ureter. 


l'ROKESSOR   HRINii   [■All.. 


Haus  W'rstiiHl     Be 


BRUNO  PAUL  ALS  ARCHITEKT. 


HFKMANN    !'■ 


ES  ist  eine  Eigenart  fast  aller  Erzeugnisse 
der  reifen  Zeit  Bruno  Pauls,  daß  sie  dem- 
jenigen, der  sie  erläutern  möchte,  wenig  zu 
sagen  überlassen.  Ihre  Gestaltung  ergibt  sich 
so  zwanglos  aus  dem  Gebrauchszweck  und 
dem  Material,  daß  man  sich  unwillkürlich  die 
Frage  vorlegt,  wie  man  je  auf  den  Gedanken 
hat  kommen  können,  es  anders  zu  machen. 

Dieser  Vorzug  der  Arbeiten  Pauls  ergibt 
sich  zum  Teil  aus  dem,  was  er  zu  tun  unter- 
läßt, und  es  hat  daher  nicht  an  Stimmen  ge- 
fehlt, die  glaubten,  aus  dieser  negativen  Eigen- 
schaft den  Vorwurf  mangelnder  Individualität 
erheben  und  begründen  zu  können. 

Nicht  mit  Recht. 

Wer  Bruno  Pauls  frühe  Arbeiten  für  den 
Siniplizissimus  kennt,  weiß,  daß  von  den  vielen 
Malern,  die  sich  der  angewandten  Kunst  ge- 
widmet iiaben,  Bruno  Paul  neben  Th.  Th.  Heine 
in  München  zu  den  markantesten  Künstler- 
persönlichkeiten und  Könnern  gehört. 


Eerner  darf  man  nicht  den  großen  Unter- 
schied vergessen,  der  zwischen  angewandter 
Kunst  und  der  sogenannten  hohen  Kunst  be- 
steht. Während  es  bei  Werken  der  Malerei 
und  Plastik  das  Wesentliche  ist,  die  Berührung 
mit  der  ausgeprägten  Persönlichkeit  ihres 
Schöpfers  zu  vermitteln,  sollen  Gegenstände, 
die  uns  täglich  und  stündlich  umgeben,  nicht 
die  Stimmung  eines  Dritten  aufdrängen,  son- 
dern ihrem  Besitzer  bezw.  Bewohner  Raum 
lassen  für  die  Schaffung  eines  seiner  eigenen 
Individualität  entsprechenden  Milieus. 

Die  Zurückhaltung  Bruno  Pauls  ist  daher 
eine  wohl  bewußte  und  bedachte,  in  der  ein 
gut  Teil  feinen  künstlerischen  Taktes  und  nicht 
genug  anzuerkennender  Selbstverleugnung 
zum  Ausdruck  gelangt.  Innerhalb  dieser  selbst 
gesetzten  Beschränkung  bleibt  Raum  genug  zu 
künstlerischer  Entfaltung  und  zu  dem,  der  zu 
sehen  versteht,  redet  aus  diesen  Schränken, 
Stüiilen  und  Tischen,  die  so  einfach  und  schlicht 


165 


Ihm/O  Paul  a/s  AirJii/rk/. 


■■■■■■■■■■■■■■■■■■■ 

riß  ersichtlich,  in  sehr       ■ 
praktischer         Weise       ■ 

■  aussehen,       derselbe       !; 

■  reiche  Geist,  der  jene 

"^ — 

1 

_ 

1 

durch    ein    Anrichte-       J 

= 

zinimer,     einen    Vor-       ■ 



— 

räum  für  das  Küchen-       ■ 
personal  sowie  durch       ? 

■       teil  auf  die  Beine  ße- 

j 

den  Flur  der  Hinter-       ■ 

treppe  von  denWohn-       ■ 

■       im   HinbHck    auf  den 

räumen    getrennt.    —       J 

■       ist,     öilt     nun     auch 

Wir  schreiten   in   der       ■ 

Richtung    der   Mittel-       Z 

■       uneinj^eschränkt    von 

1 

■             J                   A       f^                   1    '*     I 

- 

■       ten  Bruno  Paul,  als  der 

L 

; 

ter  und  gelangen  in  sei-       ■ 

nen   Mittelpunkt,    die       ■ 

die  Haupttreppe  ent-       ■ 

haltende  zwei  Stock-       ■ 

■       ren  Öffentlichkeit  be- 

■       kannt   gemacht   wird. 
J              In      dem     Hause 

1 

werk  hohe  Diele.  Von       ■ 

ihr    aus    betreten  wir       J 
das  in  derselben  Rieh-       ■ 

■       Westend,    das    hier 



■       reproduziert  ist,  wur- 
J       de  dem  Künstler  zum 



tung  liegende  Speise-       ■ 



zimmer,  von  welchem       ^ 

■       ersten  Mal  die  Gele- 

, 

vier       nebeneinander       ■ 

■       [ienheit   zu   einer  völ-        1         | 

liegende     Flügeltüren       ■ 

J       lig  geschlossenen  Lei-       , 

L 



auf    eine    in    gleicher       ^ 

■       stung    gegeben;    vom 

^i 

Höhe      liegende      die       ■ 

■       kleinsten  Schrankfach 

ganze  Breite  des  Hau-       ■ 

J       bis   zur  Umfriedigung 

ses  einnehmende  Ter-       p 

■       des  Gartens  ist   alles 

rasse  führen  und  den       ■ 

■       einheitlich     aus      der 

i«3N. 

r\ 

Blick    in   den   Garten       ■ 

J       Hand      Bruno     Pauls 

Cj) 

o 

und  den  dahinter  lie-       ^ 

■       hervorgegangen.       — 

genden      von      einer       ■ 

■       Das    Haus     liegt    mit 

Pergola      umgebenen       ■ 

2       der    südlichen    Breit- 

Lawn-Tennisplatzöff-       ^ 

■       Seite   nach   dem  Gar- 

nen.    Die  rechte  Ecke       ■ 

■       ten,  mit  der  nördlichen 

dieser    Südseite     des       ■ 

S       der    Straße    zu,    wie       i 

Hauses     nimmt     das       ^ 
Zimmer     des     Haus-       ■ 

■       aus   dem   beigefügten        j  | 

■       Grundriß  hervorgeht.        '                                ^^^      _^^ 

herrn    ein;     die    ent-       ■ 

S       —    Durch   die  in   der         L                       S^^^^^^^^          "^ttt? 

sprechende  linke  f.cke       ^ 

■       Mitte  derStraßenfront        \3 

y               ^..-^ 

das  Wohnzimmer  und       J 

■       und  in  der  Höhe  des           ( 

f\\                                r           '                               1 

ein    daneben    gelege-       ■ 

\       ersten     Stockwer- 

^ji^^^i                   ta^HJ 

nes  Damenzimmer. —       h 

■       kes    belegene    Haus-          1 

1  ^^^^^^^^i^^^ri^^^^l 

Dieser      planmäßigen       ■ 

■       tür  betreten  wir  das          i 

^^^^^^^^^^^^^^H 

Anordnung  derKäume       ■ 

\       Hntree.       Dieses     ist 

^  ^^^^^^^^^^^^^^^H 

|!       des  ersten  Stockwcr-       ■ 

!       niedrig,  langgestreckt 

l^^^^^^^^H 

1       keskorrespondiertdie       J 
1       des  zweiten:   In  der       ■ 

■       und  legt  sich  mit  sei- 

"  ^^^^^^^^^^^l^^^^^l 

H       ner    Längsseite    quer 

^^^^^^^^^^^^^^^H 

i       rechten  Ecke  der  Süd-       ^ 

■       vor       den       Eingang. 

^^^^^^^^^^^^^^1 

'              Seite  liegt  das  Schlaf-       J 

■       An    der    linken   Ecke 

1  ^^^^^^^^^^^^^^^^^^|H 

zimmer  des  Herrn,  in       ■ 

1       der  Vorderfront  liegt 

i 

1  Hl^^^ 

'    lü 

ijiiii  ' 

^^^^ 

der    linken     das     der       ^ 
1       Dame,  vor  beiden  je       ■ 

■       der    Garderoberaum, 

\    '  - 

w 

:™f-- 



^      

l-§F-'-r 

ein  Badezimmer;  zwi-       ■ 

■       auf  der  rechten  Seite 

Jl       die  Küche.   —   Letz- 

m 

M^m 

sehen      den      beiden       ^ 

■       terc     ist,    wie    eben- 

'=^'+'         '■                     '                                                letzleren      ein      liou-       j 

■        falls  aus  dem  Grund-        r.KiN.M.\ri     fkriin.   Haus  Wcsten.l.  Gpsamt.inlaso.        doir.          Dementspre-        ■ 

1                                                                                                                                                                                                               ■ 

i68 


Bntiio  Paul  als  Aixhilckt. 


PRlIl-ESSOK  BRUNO  I'Ari,- IIF.KI.I  X.        IlAI^  WF.STKiNl).    (IKTMIKISS  DKS  r.M'KK-  fM)  I  lUEK-GKSCMlOSSKS. 


Dl.  FIcDiiaiiii  Po^/ . 


ITnii«  AVrstcn.l.   Str, 


chend  liegen  nach  der  Straßenseite 
zu  das  Schlafzimmer  des  Sohnes 
auf  der  einen,  das  der  Tochter  auf 
der  anderen  Seite,  ebenfalls  mit  je 
einem  besonderen  Badezimmer  ver- 
sehen. Alle  diese  Räume  jjruppieren 
sich  um  eine  Galerie,  welche  hinter 
den  Hauptwänden  der  j^roßen  Trep- 
pcnhallc  zurücktritt.  Ebenso  tritt 
auch  die  Südfront  des  oberen  Stock- 
werkes hinter  der  des  ersten  Stock- 
werkes zurück  und  läßt  Platz  für 
einen  die  ganze  Gartenfront  ein- 
nehmenden Balkon. 

Es  folgt  das  Dachgeschoß  mit 
reichlichen  Zimmern  für  das  Perso- 
nal und  Kinderzimmer  und  darüber 
ein  Bodenraum. 

Die  Eorm  der  Zimmer  ist  fast 
durchweg  die  übliche  rechtwinklige. 
Nur  im  Speisezimmer  erscheinen  die 
Ecken  dadurch  abgestumpft ,  daß 
die  Heizungskörper  in  sie  hinein  ge- 
legt sind  und  deren  Verkleidung  bis 
zur  Decke  emporgeführt  ist.  In  allen 
Wohn-    und    Schlafräumen    weichen 


170 


Bruno  Paul  ah  Aycliitckt. 


die  Längen  und  Breitenniaße  nur  wenig  von 
einander  ab,  sodaß  eine  sehr  ruhige  und  wohn- 
liche Raumwirkung  erzielt  wird. 

Bezüglich  der  Höhe  wäre  noch  zu  sagen, 
daß  das  Damenzimmer  infolge  der  im  Erdge- 
schoß befindlichen  Gärtnerwohnung  etwas 
höher  liegt  und  dadurch  niedriger  wird,  was 
gerade  dem  intimen  Charakter  dieses  Ge- 
maches sehr  zu  Gute  kommt.  Ferner  ist  das 
Entree  infolge  der  darüber  liegenden  Treppen- 
galerie um  einiges  niedriger  als  die  anderen 
Räume,  sodaß  auch  dieser  an  sich  kleine  Raum 
das  richtige  Höhenverhältnis  erhält. 

Bei  den  Wänden  hat  Bruno  Paul  durch  Ein- 
bauen der  Schränke  nach  einer  glatten  Gestal- 
tung gestrebt,  was  der  geschlossenen  ruhigen 
Wirkung  der  Räume  sehr  zum  Vorteil  gereicht. 
Die  gleiche  Wirkung  erzielt  er  auf  folgende 
Weise.  Er  legt  die  Heizkörper  zwischen  die 
Fenster  und  führt  ihre  vordere  Verkleidung  bis 
zur  Decke  empor.  Dadurch  wird  eine  größere 
Tiefe  der  Fensternischen  erwirkt,  die  es  er- 
möglicht, die  Vorhänge  innerhalb  der  Wand- 
ebene anzubringen.  Diese  Anordnunghatauch 
den  Vorzug,  daß  die  Vorhänge  durch  die  Zen- 
tralheizung nicht  leiden,  wie  dies  nur  zu  leicht 
der  Fall  ist,  wenn  die  Heizkörper,  wie  üblich, 
unter  den  Fenstern  liegen. 

Die    vorstehende    kurze    Schilderung     des 


ganzen  Aufbaues  verfolgt  in  erster  Linie  den 
Zweck,  zu  zeigen,  daß  Bruno  Paul  sich  bei  der 
Anordnung  der  Räume  und  ihrer  Gestaltung 
aller  Absonderlichkeiten  enthalten  hat  und 
jedes  Haschen  nach  originellen  Formen  ver- 
schmäht. Die  Lage  der  Räume  zu  einander, 
ihre  Maße  und  ihre  Höhe,  die  Wände  und  die 
Wandöffnungen  ergeben  sich  zwanglos  ledig- 
lich aus  dem  Zweck  und  den  Bedürfnissen.  In 
dieser  kristallklaren  und  durchsichtigen  An- 
ordnung liegt  ihre  Schönheit. 

Sie  liegt  aber  auch  fernerhin  in  der  in  dieser 
Raumanordnung  zum  Ausdruck  gelangenden 
Rhythmik,  die  auf  das  wirkungsvollste  durch 
die  Wahl  der  Farben  und  des  Materials  unter- 
stützt wird. 

Es  sei  gleich  gesagt,  daß  die  hier  besprochene 
Leistung  Bruno  Pauls  ihrer  ganz  außerordent- 
lichen Farbenfreudigkeit  wegen  jeden  über- 
raschen muß,  der  sein  Schaffen  bisher  verfolgt 
hat.  Gewiß  bieten  schon  die  in  der  Ausstellung 
der  Vereinigten  Werkstätten  für  Kunst  im 
Handwerk  in  Berlin,  Ecke  Bellevuestraße  und 
Siegesallee ,  gezeigten  Räume  dem  Durch- 
schreitenden eine  überaus  abwechslungsreiche 
und  angenehme  Abtönung.  Aber  sie  läßt 
sich  nicht  vergleichen  mit  dem  Eindruck  der 
reichen  Farbensymphonie,  welchen  dieZimnier- 
folgen  des  Hauses  Westend  dem  Besucher,  be- 


l'Ki  il'KSMiK    l;RI 


Dr.  Hcniiaini  Post : 


sonders  wenn  das  Sonnenlicht  das  Haus  durch- 
flutet, hinterläßt.  Erst  die  Gestaltung  dieses 
Rauinkoniplexes  gab  dem  Künstler  die  Mög- 
lichkeil, die  ganze  Skala  der  ihm  zur  Ver- 
fügung stehenden  Töne  zu  entfalten  und  sie 
aufs  glücklichste  zusammen  klingen  zu  lassen. 
Man  muß  gestehen,  daß  hierbei  dem  Künst- 
ler auch  eine  vollendete  Holztechnik  zu  statten 
gekommen  ist.  Es  gelangten  im  ganzen  Hause 
sogenannte  abgesperrte  Platten  zur  Verwen- 
dung.   Diese  werden  dadurch  hergestellt,  daß 


man  drei  verschiedene  Holzlagen  in  der  ent- 
gegen gesetzten  Richtung  ihrer  Struktur  unter 
hydraulischem  Druck  aufeinander  leimt.  Dies 
Verfahren  hat  in  erster  Linie  den  Zweck,  das 
Holz  am  Reißen  und  Werfen  zu  hindern,  er- 
möglicht aber  zugleich,  da  es  das  Arbeiten  auf 
Rahmen  überflüssig  macht,  die  Schönheit  des 
Holzes  in  großen  Flächen  zur  Geltung  zu 
bringen.  Nur  mit  Hilfe  dieser  flächigen  Be- 
handlung war  es  möglich,  z.  B.  die  Maserung 
der  deutschen  Birke  im  Treppenhaus  in  solchem 


Bruno  Paul  ah  Architekt. 


v.\\\.    UEkLl^. 


Abwechslungsreichtum  zu  zeigen,  ohne  un- 
ruhig zu  wirken  und  so  ruhige  große  Flächen 
zur  Anwendung  zu  bringen,  wie  die  bis  zur 
Decke  mit  weiß  lackiertem  Holz  getäfelten 
Wände  des  Speisezimmers. 

Überhaupt  zeigt  die  außerordentliche  Fülle 
und  Schönheit  der  zur  Verwendung  kommen- 
den Tapeten,  Stoffe,  Teppiche,  Beleuchtungs- 
körper usw.,  die  alle  den  Vereinigten  Werk- 
stätten für  Kunst  im  Handwerk  entstammen, 
wie  sehr  dieses  Unternehmen  dem  bei  seiner 
Gründung  1897  obwaltenden  Zweck  gerecht 
geworden  ist,  nämlich  dem  Künstler  ein  voll- 
kommenes Handwerkszeug  zur  Ausführung 
seiner  Pläne  an  die  Hand  zu  geben.  — 

Wie  es  dem  Charakter  einer  Vorhalle,  die 
ja  in  gewissem  Sinne  jedem  zugänglich  ist, 
entspricht,  empfängt  das  Entree  den  An- 
kömmling mit  Zurückhaltung,  hervorgerufen 
durch  die  schon  erwähnte  geringe  Höhe  des 
Raumes  einerseits,  andererseits  auch  durch 
die  feierlich  gehaltene  Ausstattung  (durch  kein 
Profil  unterbrochene  schwarz-weiße  Marmor- 
täfelung bis  zur  Decke,  Türen  und  Ilolzum- 
rahmungen  aus  schwarz-grün  gebeizter  F.iche, 


Haus  Westend.    ( iarilembe. 

dunkelviolette  Stoffe,  ebensolche  Lampen- 
schirme auf  dunkelbronzenen  Wandleuchtern; 
das  Terrazzo  wiederholt  die  Farbtöne). 

Desto  wärmer  und  volltönender  setzt  die 
Stimmung  der  hochstrebenden  Treppen  halle 
ein,  des  eigentlichen  Kernes  des  Hauses  (bis 
zum  zweiten  Stock  mit  leicht  profilierter  deut- 
scher Birke  getäfelt,  deren  Braun  ins  Goldgrüne 
spielt ;  der  obere  Teil  der  Wände  und  die 
einfach  kassettierte  Stuckdecke  in  grünlich 
schimmerndem  Weiß ;  Geländervergitterung 
und  die  das  Emporstreben  betonenden  Strei- 
fen der  Täfelung  dunkelgrün  gebeizte  Eiche; 
dunkelblauer  Teppich  und  Treppenläufer). 

Das  sich  anschließende  Speisezimmer 
von  mittlerer  Höhe  und  behaglicher  Breite 
vollendet  den  Dreiklang,  indem  es  den  an- 
geschlagenen Tönen  eine  helle  und  heitere 
Note  hinzufügt ;  weiß-lackierte  Holztäfelung 
bis  zur  Decke  hinauf,  letztere  ebenfalls  weiß 
und  nur  durch  schmalen  Goldstreifen  abge- 
setzt; die  Möbel  aus  hellgelbem  Zitronenholz 
nüt  rotem  Saffianlederbezug  der  Stühle,  sil- 
berne Leuchter,  hellgrüner  Teppich ;  also  alles 
I'arben,  deren  Zusammenstellung  in  der  Iheo- 


173 


l'Ki  il'i;SS(  iK   I'.KIIN'O  l'AUI.     IIKKIIX. 

KINCA.Ni;  I'M)  El   KMI/.   IN    IIKK   IIIKIK. 


AiislIiliiiiiiE     VcithiiuU-  Werksliilleii  liji    Kiin-I  im   Handwerk  A  -Cr       lici 


Bruno  Paul  als  Arcliitckt. 


PROKESSOR  BRT'NO  PAUL— BERLIN. 

Ausführung;  Vereinige  Werkstätten  für  Kunsl 


Handwerk  A.-Q. -Berlin. 


rie  manchem  fast  undenkbar  erscheinen  wer- 
den, die  bei  dem  Hellten  Charakter  des  Speise- 
zimmers aber  wunderbar  zusammengehen. 

Der  geschilderte  Akkord:  „Entree-Diele- 
Speisezimmer"  klingt  gewissermaßen  nach  den 
Seiten  hin  aus  und  zwar  rechts  in  die  abge- 
dämpften ernsten  Farbentöne  des  Herren- 
arbeitszimniers  (Maccasser  -  Ebenholztäfe- 
lung bis  in  ziemliche  Höhe,  darüber  ein  etwas 
kräftiger  betonter  Stuckfries) ,  links  in  die 
freundlich  anmutenden  Räume  der  Dame 
des  Hauses  (blauesWohnzimmer  und  Damen- 
zimmer mit  grünem  Wandbezug  und  Palisan- 
derholz-Möbeln). 

Die  Rhythmik  der  architektonischen  Glie- 
derung der  unteren  Räume  wiederholt  zwang- 
los das  zweite  Stockwerk  in  der  Anordnung 
der  Lage  der  Schlafzimmer:  das  Gemach 
des    Herrn    in    M.ihaodui    uiimnl    wiederum 


die  rechte  Ecke  der  Gartenfront,  das  der 
Dame  (Abb.  S.  198)  mit  weiß  lackierten  Mö- 
beln, hellblauer  Wandbespannung  und  tief- 
blauen Vorhängen  die  linke  Ecke  ein.  Da- 
zwischen liegen  die  blendend  hellen  Bade- 
räume  und  in  der  Mitte  dieser  das  in  lustigen 
Farben  gehaltene  Boudoir  (Abb.  S.  202). 

Y-s  verlohnt  sich  noch  speziell  der  Heiz- 
körperverkieidungen  der  Zentralheizung 
zu  gedenken.  Gerade  bei  diesen  Schmerzens- 
kindern unserer  Baumeister  hat  sich  Bruno 
Paul  wieder  einmal  in  der  Kunst  bewährt,  aus 
der  Not  eine  Tugend  zu  machen  und  durch 
planmäßige  in  Material  und  Form  völlig  ver- 
schiedene Gestaltung  ein  belebendes  Element 
geschaffen;  einmal  ist  es  dunkelgrüner  Mar- 
mor mit  durchbrochenen  Messingtüren,  dann 
ein  Gilterwerk  aus  gedrechselten  H  o  1  z  t  e  i  1  e  n, 
dann    sind    es    weiß    lackierte    Holztüren 


175 


1>1<(  IKlCSSdK     J'.KrNil    l'Ain,     l'.KRLIX. 

IIATS  WliML.NlJ.  BLU:KIN  IJIE  IKEPl'EX-ANLAGK. 


Aiisfiiliriing.   VerciiiiKle  Wcrkslatlen  fiir  Kiinsl  im  llaiuKvcik  A    (i       llerlii 


Br 


Paul  ah  Architekt. 


PROFESSOR  BRUNO  PAUL— BERLIN. 


oder  schließlich  Vorhänge  aus  großen  Glas- 
perlen. 

Noch  ein  anderer  Vorzug  verdient  hier  her- 
vorgehoben zu  werden.  Während  nämlich  viel- 
fach unsere  modernen  Innenkünstler  in  den 
Fehler  verfallen,  ihren  Räumen  eine  reichlich 
ausgeprägte  persönliche  Stimmung  zu  verleihen, 
hält  Paul  hier  die  richtigen  Grenzen  inne.  Da- 
durch ermöglicht  er,  daß  sich  auch  alte  oder 
nicht  von  ihm  herstammende  Möbel,  soweit 
sie  solide  und  gut  sind,  auf  das  beste  in  seine 
Räume  einfügen.  Das  zeigt  besonders  das  hier 
reproduzierte  Empfangszimmer,  in  dem  zum 
größten  Teil  Möbel  aus  der  ersten  Hälfte  des 
XIX.  Jahrhunderts  Verwendung  fanden.  — 

Und  nun  endlich  zur  Außenarchitektur. 

Auch  sie  bedarf  keiner  zahlreichen  Erläu- 
terungen, denn  sie  ergibt  sich  wie  von  selbst 
aus  der  geschilderten  Gestaltung  der  Räume 
und  ihrer  Lage  zu  einander;  der  geschilderte 
Raum-Komplex  von  Außenwänden  umgeben, 
damit  ist  fast  alles  gesagt. 

Keine  Türmchen  und  keine  malerischen  Gie- 
bel, keine  künstlichen   Fensterstellungen  und 


Haus  AVcstend.  Galerie. 


absonderlichen  Fensterformen,  keine  roman- 
tische Spielerei  mit  bäuerlichem  Fachwerkbau 
und  dergleichen.  Was  das  Auge  an  der  Fas- 
sade erfreut,  steht  alles  in  notwendigem  Zu- 
sammenhange mit  den  Erfordernissen  der  um- 
schlossenen Räume. 

Auch  die  Säulenstellung  im  zweiten  Stock- 
werk der  Gartenfront  dient  absolut  nicht  bloß 
dem  Schmuck,  sondern  die  Säulen  sind  tat- 
sächlich Träger  des  darüber  vorgeschobenen 
großen  Zimmers,  durch  das  zugleich  die  Über- 
dachung eines  Teils  des  Balkons  bewirkt  wird. 

Ebenso  sind  die  an  den  unteren  Partien  der 
Fenster  angebrachten  Gitter  durch  die  Nie- 
drigkeit der  Brüstungen  gegeben. 

Das  Rauten-Motiv  dieser  Gitter,  das  übri- 
gens vom  Treppengeländer  draußen  und  drin- 
nen wiederholt  wird,  zusammen  mit  der  Be- 
tonung des  Haupteinganges  durch  etwas 
reichere  Gestaltung  der  Türumrahmung  sind 
fast  das  einzige  Ornamentale  der  Fassade. 

Auch  ihre  Schönheit  liegt  nicht  in  einer 
reichen  Ausgestaltung,  sondern  in  der  klaren 
Logik  und  inneren  Wahrheit,   mit  der  sie  sich 


177 


Bntno  Paid  als  Air/iifckf. 


aus  der  hinter  ihr  liegenden  Raumgruppierung 
ergibt  und  mit  deren  GHederung  auch  deren 
Rhythmus  nach  außen  hin  zum  Ausdruck  bringt. 

Sie  hegt  weiterhin  in  dem  ruhigen  und  wohl- 
tuenden Verhältnisse  ihrer  eigenen  Teile  zu 
einander,  nicht  zuletzt  aber  in  der  fein  emp- 
fundenen Art,  wie  das  ganze  Gebäude  in  das 
Grundstück  hineinkomponiert  ist.  — 

Man  fragt  sich,  was  den  dereinstigen  Maler 
zu  einer  so  vollkommenen  Lösung  auf  dem 
Gebiet  der  Architektur  befähigte  und  gewiß 
wird  mancher  Berufsarchitekt  diese  Leistung 
eines  außerhalb  des  Faches  Stehenden  mit 
gemischtem  Gefühl  betrachten.  Aber  liegt 
nicht  vielleicht  gerade  in  diesem  Umstand 
selbst,  daß  Bruno  Paul  nicht  den  zünftigen 
Bildungsgang  des  Architekten  durchgemacht 
hat,  eine  Erklärung  für  das  Gelingen? 

Erst  kürzlich  hat  Muthesius  („Die  Einheit 
der  Architektur",  Berlin,  Karl  Curtius  1908) 
darauf  hingewiesen,  daß  bei  der  architektoni- 
schen Berufsausübung  der  Sinn  für  die  Raum- 
bildung nur  allzusehr  von  dem  Streben  nach 
der  plastischen  Ausgestaltung  der  Fassade  in 
den  Hintergrund  gedrängt  werde.  Auch  wird 
es  dem  Architekten,  der  durch  sein  Studium 
gezwungen  ist,  eine  gewisse  Herrschaft  über 
die  Stilformen  aller  Zeiten  zu  gelangen,  schwer, 
sich  von  diesen  ganz  zu  emanzipieren  und  sich 
lediglich  derjenigen  Formen  zu  bedienen,  die 
unserer  modernen  Technik  und  Bedürfnissen 
entsprechen.  Gewiß  haben  auch  Berufsarchi- 
tekten wie  Messel  und  Hoffmann  es  in  hohem 
Grade  verstanden,  sich  von  der  Herrschaft 
einer  bloßen  Fassadenkunst  und  den  Fesseln 
alter  Stilformen  unabhängig  zu  machen,  sodaß 
ihnen  aus  ihrer  Vorbildung  kein  Hindernis  be- 
friedigender Raumgestaltung  erwachsen  ist, 
ihnen  sogar  die  Verwendung  alter  Stile  oft 
als  wirkungsvolle  Unterstützung  ihrer  Zwecke 
nützlich  ist.  Trotz  alledem  bleibt  ein  noch 
stärkeres  Loslösen  von  all  diesen  Requisiten 
vom  Standpunkt  einer  völlig  unabhängigen 
modernen  Kunst  doch  das  wünschenswerteste. 

Architektur  ist  die  Kunst  der  Raumbildung. 
Während  nun  der  Berufsarchitekt  sich  mühsam 
vom  althergebrachtenWeg,  dervon  der  Fassade 
zur  Raumgestaltung  führt ,  losringen  muß, 
kommt  Bruno  Paul  gerade  umgekehrt  von  der 
Raumgestaltung  her  und  gelangt  von  ihr  zur 
Ausbildung  der  Fassade.  Mag  immerhin  noch 
eine  reichere  Ausgestaltung  des  Hausäußeren 
denkbar  erscheinen,  nie  wird  sie  befriedigen, 
ohne  den  Ausgangspunkt  und  die  Grundlage, 
die  Bruno  Paul  hier  gefunden  hat.  — 

Merkwürdig   ist   übrigens   der  ganze   Weg, 


den  die  Entwicklung  unserer  modernen  Nutz- 
kunst und  mit  ihr  Bruno  Paul  genommen  hat, 
um  an  das  heute   erreichte  Ziel  zu   gelangen. 

Vom  Bild  an  der  Wand  stieg  die  hohe  Kunst 
sozusagen  herab  und  nahm  zunächst  Besitz 
von  den  aller  unwesentlichsten  Gegenständen 
des  Gebrauchs  als  Vasen,  Plakaten,  Exlibris, 
dann  machte  sie  sich  an  die  einzelnen  Möbel, 
vom  einzelnen  Möbel  ging  es  zur  Gruppierung 
der  Möbel  zueinander  und  dann  der  Möbel  zum 
ganzen  Raum.  Paul  hat  als  einer  der  ersten  diese 
Raumkunst  inauguriert;  nun  hat  er  auch  die 
weiteren  Schritte  getan;  von  der  Kunst  des 
Raums  zur  Kunst  der  Räume,  zur  Architektur. 

Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  über  den  Grund 
dieses  eigenartigen  Weges  der  Entwicklung 
vom  Entlegensten  zum  Notwendigsten  nachzu- 
grübeln. Nur  darauf  sei  hingewiesen,  daß  die 
allerschwerste  Aufgabe,  aber  auch  die  aller- 
notwendigste  auf  dem  einmal  in  Angriff  ge- 
nommenen Gebiete  immer  noch  ihrer  Lösung 
harrt,  nämlich  eine  wirkhch  befriedigende 
Gestaltung  unseres  großen  Etage  n- 
Mietshauses,  das  doch  nun  einmal  bei  uns 
dem  Hauptteil  der  städtischen  Bevölkerung  als 
Wohnung  dient.  Auch  hier  kann  nur  der  von 
Bruno  Paul  eingeschlagene  Weg  zum  Erfolg 
verhelfen ,  nämlich  streng  von  innen  nach 
außen  zu  bauen. 

Der  Mann,  auf  den  man  diese  Hoffnung  mit 
Fug  und  Recht  setzen  konnte,  Alfred  Messel, 
ist  vor  kurzem  dahingegangen.  Möge  es  zum 
Trost  gereichen,  daß  wir  in  Bruno  Paul  eine 
Persönlichkeit  besitzen,  die  ihrem  ganzen 
Werdegang  nach  auf  das  beste  befähigt  ist, 
den  begonnenen  Weg  weiter  zu  schreiten,  wenn 
ihr  nur  Gelegenheit  dazu  gegeben  wird. 

Es  ist  unbegreiflich,  daß  z.  B.  die  zahlreichen 
Terraingesellschaften  und  Bauunternehmungen 
um  Berlin,  die  sonst  alles  tun,  um  das  Publi- 
kum für  sich  zu  interessieren,  bis  heute  noch 
nicht  auf  den  Gedanken  gekommen  sind,  das 
Bedürfnis  so  vieler  den  besseren  und  wohl- 
habenderen Schichten  angehörender  und  auf 
die  Mietswohnung  angewiesener  Personen 
nach  einem  guten  Etagenhaus  sich  zu  nutze 
zu  machen.  Es  kann  gar  keinem  Zweifel 
unterliegen,  daß  ein  nach  den  obengeschil- 
derten Grundsätzen  gebautes  und  ausgestal- 
tetes Mietshaus  großen  Zuzug  haben  würde. 

Neben  einer  früheren  Arbeit  des  Künstlers, 
dem  Weinhaus  Nürnberg,  und  dem  Modelle 
einer  Villa,  bringt  dieses  Heft  eine  weitere 
neue  Arbeit,  das  Sporthaus  des  Berliner  Lawn- 
Tennis -Turnier-Clubs.  In  seinem  Aufbau  er- 
innert es  unwillkürlich  an   einen  griechischen 


179 


Bniun  Paul  ah  Architdi. 


Tempel  in  der  Form,  wie  sie  z.  B.  der  Tempel 
der  Nike  Apteros  neben  den  Propyläen  der 
Akropolis  von  Athen  zeij^t.  Mit  diesem  hat 
das  Sporthaus  auch  eine  gewisse  Verwandt- 
schaft der  Lage  gemeinsam ,  indem  es  von 
einer  Anhöhe  herabblickt.  Von  hier  aus  be- 
herrscht es  einen  der  durch  Walter  Leistikow 
berühmt  gewordenen  Grunewald  -  Seen  und 
lehnt  sich  mit  der  Rückseite  an  eine  dunkle 
Kiefernwand  an.  Seine  Farben:  ockergelbei 
Putz,  grün-blaue  Fensterläden  und  rote  Dach- 
ziegel tragen  in  diese  etwas  düstere  Umgebung 
einen  sehr  reizvollen  heiteren  Ton. 

Auch  das  Innere  zeigt  die  immer  weitere 
Fntwicklung  Pauls  zur  farbenfreudigen  Aus- 
gestaltung der  einzelnen  Räume  und  ihrer  Ab- 
tönung zu  einander.  So  z.  B.  der  Durch- 
blick aus  dem  großen  Gesellschaftsraum  mit 
kräftig  gelben  Wandflächen  in  das  hellgrüne 
und  auf  seinen  Möbeln  den  kecksten  Cretonnc- 
bezug  zeigende  Damenzimnier,  der  überra- 
schend lustig  anmutet,  ohne  irgendwie  knallig 
zu  wirken.  Die  beigegebenen  Bilder  vermögen 
davon  natürlich  keinen  Eindruck  zu  geben,  da 
bekanntlich    die    Photographien    vielfach    ein 


W'.^teiM.    Ili 


den  wirklichen  Farbenwerten  ganz  entgegen- 
gesetztes Bild  zeigen. 

Nicht  so  konsequent  wie  beim  Haus  West- 
end will  uns  allerdings  die  Außen-Architektur 
erscheinen.  Der  rückseitige,  die  Wirtschafts- 
räunie  umfassende  Teil,  tritt  etwas  hinter  der 
übrigen  Front  zurück,  und  es  fehlt  die  offene 
Halle.  Trotzdem  ist  hier  eine  der  Vorder- 
seite entsprechende  Säulenstellung  angewandt, 
die  innerlich  nicht  ganz  begründet  ist. 

Es  seien  schließlich  noch  einige  Worte  dem 
veröffentlichten  Grabdenkmal  gewidmet.  Hier 
ist  Paul  von  dem  üblichen  Schema  des  von 
einem  niedrigen  Geländer  umgebenen  Grab- 
steins abgewichen,  indem  er  die  Umfriedung 
bis  zur  Höhe  des  Steines  hinaufführt.  Da- 
durch gewährt  die  ganze  Anlage  einen  ge- 
schlossenen ,  ruhigen  und  zugleich  feierlich 
prächtigen  Eindruck,  wie  er  bei  der  meist  üb- 
lichen, etwas  spielerisch  anmutenden  Form 
nicht  vorhanden  ist.  Das  Schwere,  das  einer 
derartigen  Lösung  anhaften  könnte,  ist  dabei 
auf  das  glücklichste  durch  abwechselnde  Ver- 
goldung der  einzelnen  bis  zur  Höhe  geführten 
Stäbe  vermieden.  — 


PR(JFESSOR  BRUNO  PAUL    BKRI.IX. 

ECKPAKTIE  AUS  DEM  HERR.NZIMMER. 

Ausführung:  Vereinijlc  Werkstätten  für  Kunst  im  Handwerk  A.-ü.  — Berlin. 


I'RÖKESSl  IR  l'.RUXc )  l'AUJ.-  IIKRLIX. 

HArS  WESTEND.      KAMIN    IM    HKRRNZIMMKK. 
Ausführuni;:  Vereinigte  Werkstätten  für  Kunst  im  Handwerk  A.-Q.-Bcriin. 


Robert  Breuer— Be)liii . 


■  K   HKUNO   PAUr.     HERTIN. 


W  <  '>U-nti.    l-I  t-rrn-Arbcitszimmer. 


DIE  HINGABE  AN  DAS  KUNSTWERK. 


Nicht  jedermann  kann  Kunst  genießen,  noch 
gar  sie  verstehen.  Damit  sei  niemandem 
ein  Makel  angeheftet.  Es  gibt  vielerlei  Gaben. 
Wie  sich  wohl  Menschen  finden ,  die  ohne 
Religion  fertig  werden,  mangelt  es  auch  nicht 
an  solchen,  wegen  derer  nie  ein  Pinsclstrich,  ein 
Meißelstoß  hätte  geführt  zu  werden  brauchen. 
„Ls  fehlt  das  Kunstorgan"  (Bayersdorfer).  Vom 
Standpunkt  der  Gattung  genau  so  wie  religiöser 
Nihilismus  eine  Unvollkommenheit,  aber  den 
ökonomischen,  politischen  und  gesellschaft- 
lichen Wert  des  Individuums  nicht  herabmin- 
dernd. Wir  werden  diese  Leute  beklagen  und 
höflich  bitten,  uns  ihrerseits  nicht  toll  oder  voll 


IÖ4 


süßen  Weines  zu  schelten.  Vielleicht  versuchen 
wir  es  auch,  sie  zu  bekehren ;  bei  weitaus  den 
meisten  Kunstspöttern  und  Ignoranten  handelt 
es  sich  nur  um  einen  tiefen  Schlaf,  um  Vernach- 
lässigung der  für  das  Ästhetische  reservierten 
Hirnkammer.  Darum  wollen  wir  nicht  in  miß- 
verstandenem Übermenschentum  auf  jene  her- 
absehen, sondern  liebevoll  zu  ihnen  sprechen: 
tuet  eure  Augen  auf,  die  Schönheit  wandelt 
vorüber.  —  Weit  unerträglicher  ist  die  „Eitel- 
keit der  gebildeten  Masse"  (Floerke).  Weil's 
zum  guten  Ton  und  zum  Salongespräch  gehört, 
pürscht  man  durch  die  Ausstellungen,  plätschert 
höchst  possierlich   in   unklaren  Gefühlen   und 


Die  Hi)imhe  an  c/ax  KuJishverk. 


trüben  Vorstellungen.  Diesen ,  sowie  allen 
denen ,  die  wirklich  ehrlichen  Willens  sind, 
sei  vor  allem  ein  Rat  gegeben :  nicht  kate- 
gorisch urteilen,  besonders  nicht  laut  und  ab- 
fällig !  Wer  einen  guten  Teil  seiner  Tage 
zwischen  Bildern  und  Statuen  zubringt,  wird 
durch  vorwitzige  Kunstfexe  oft  in  nicht  geringen 
Zorn  versetzt,  von  dem  höchstens  hier  und  da 
einmal  ein  bereits  Abgeschlachteter  profitiert, 
denn:  wenn  esdenen  da  nichtgefällt,  muß  sicher 
irgend  etwas  daran  sein.  Demgemäß  ;  soviel 
wie  möglich,  die  orakelnde  Weisheit  für  sich 
behalten.  Wozu  sich  unnütz  lächerlich  machen. 
Bescheiden  trete  man  vor  das  Kunstwerk, 
Weihestimmung  in  Aug  und  Herz,  mit  der  Ab- 
sicht, etwas  zu  lernen,  etwasNeues  zu  erfahren. 


etwas  zu  erleben.  Besonders  aber  sei  eins 
nicht  vergessen:  „Selbst  hinter  dem  Irrtum 
steckt  doch  immer  ein  Mensch  —  ein  Mensch 
wie  wir,  der  sich  ehrlich  geplagt  hat,  sein  Bestes 
zu  geben.  Haben  wir  ein  Recht,  für  unser 
lumpiges  Eintrittsgeld  im  Laufe  einer  Stunde 
Hunderte  von  Kunstwerken  in  hochnäsiger 
Weise  abzutun  und  durch  geringschätzige  Be- 
merkungen und  Gestikulationen  ebenso  viele 
brave  Künstler  öffentlich  zu  kränken  ?"  (Hirth). 
Wer  ist  aus  der  Kunst  heiligen  Hallen  ver- 
bannt, wer  noch  nicht  zugelassen?  „Auf  den 
Ausstellungen  kann  man  sie  durch  die  Säle 
ziehen  sehen,  stumpf  und  gelangweilt,  mit 
müden  Blicken  über  die  endlosen  Bilderreihen 
schweifend,   da   nur   verweilend,   wo   ein   be- 


ll.ni^   W  r.l.lhl,     |l,„|„.| 


185 


.«aHTT'Sj't'T    ;. 


BRUNO  PAUL    BERLIN. 


IlAMKN/.lMMKR.    srHREIHTISCHKCKE. 


Ausfülining:  Vereinigte  Werksl.illen  fü[    K.insl  im   Haiulxverk  A    O. -Berlin. 


PROFESSUR 

liRUNO  PAI'L- 

BERUN. 


KAMIN 
IM  DAMEN- 
ZIMMER. 


Die  Hhioahe  an  das  Kunstwerk. 


aoFEäsoa 

so  PAUl. 


LCSTER   nt 
sPEISEZIMMEK- 


sonderes  Geschehnis  die  Nerven  reizt  oder 
eine  süBIicfa  glatte  Malerei  für  künstlerische 
Vollendung  gehalten  wird"  (Tschudi).  Wer 
sich  auf  den  Inhalt  stürzt  und  zu  jeder  eigen- 
tömlich  geformten  Nase,  jedem  Fliederfauscfa 
einen  Roman  zusammenbuchstabiert.  Wer 
ans  jedem  Porträt  eine  Ähnlichkeit  heraus- 
liest. Wer  das  Stilleben  zum  .Ajibeißen  findet, 
sich  über  die  .Merkwürdigkeiten  der  .Mode  von 
anno  dazumal  gar  nicht  genug  wxmdem  kann. 
'X"er  vordem  Produkt  desWebstuhls,  der  großen 


Lein^wand,  ungeheorenRespekt  zeigt.  Wernicht 
genügend  Gesicfatseindrücke  aufgespeichert 
besitzt,  dauernd  den  Kopf  schütteln  muß  und 
schließlich  verstockt  wird.  Wer  nicht  irgendwie 
selbst  ein  kleiner  Künstler,  und  sei's  im  Anrich- 
ten einer  Bowle  oder  im  Falten  der  Krawatte. 
Wer  kann  von  der  Kunst  gesegnet  werden  ? 
Wer  an  dem  Werk  selbst,  ohne  alle  Nefaen- 
umstande  ,  Nebengedanken ,  Nebenabsichten 
sein  Vergnügen  hat,  stille  naive  Freude,  kind- 
Hches  Entzücken.    Wer  sich  ein  wenig  fragt : 


:9i 


I'KCII'F.SSOR  IIKCNO  FAUI.      bliKLlN. 

Ausführung:  Vereinigte  Werlislällen  für  Kun 


■>1']ISI'./.1MMEK. 


Handwerk  A.-O.-Berlii 


Die  Hi)igabe  an  das  Kunstwerk. 


BKUNO  PAl'L. 


.I.DECKTEK  TISCH. 


ob  er  wohl  auch  die  Din^e  bisher  so  gesehen 
hat ,  wie  sie  da  hingeschrieben  stehen,  was 
neu  an  dieser  Auffassung  ist.  Wer  überlegt : 
wie  die  wunderliebliche  Hexerei  vor  sich  ge- 
gangen sein  mag,  daß  die  Fläche  geheimnisvolle 
Tiefen  verkündigt,  die  Luft  zu  flimmern,  das 
Feuer  zu  sprühen,  die  Lippen  zu  zittern  schei- 
nen, —  Genießen,  das  heißt  (psychologisch  be- 
griffen) dem  ästhetischen  Prozeß  freien  Lauf 
lassen.  Rein  sinnlich  beginnt  es.  Eine  Farbe 
entzückt  uns,  wir  können  uns  an  ihr  garnicht 
satt  sehen,  eine  Linie  gewährt  dem  Auge  wohlig 
wogende  Bewegung;  immer  wieder  gleitet  der 


Blick  über  den  Nacken  der  Venus,  spielt  um 
Dianens  federnden  Fuß ,  ein  apollonisches 
Handgelenk.  Träumerisch  verlieren  wir  uns  in 
Pissarros  nebelverhangenen  Straßen.  Monets 
Luft  läßt  uns  wie  durch  einen  Schleier  aus 
Seidenfäden  dasUnbestimmte  sehen.  Gemäch- 
lich spaziert  das  Auge  in  holländischen  Land- 
schaften und  gleitet  mit  schweren  Schwingen 
längs  Millets  gewaltigem  Horizont.  —  Soviel 
Kunstwerke,  soviel  Möglichkeiten,  ein  Stück 
Welt  in  sich  aufzunehmen,  in  dessen  tiefster 
Glut  und  feinstem  Schimmer  mit  allen  fasern 
der  sehenden  Seele.  Ki.i;iki   hkkiiik. 


^Ti 


UCliiizmanci,  uiilc.  Vui  «  .-li.lui.y  .ilki  AI, 


ALTE  UND  NEUE  STADTTEILE. 


Denknialscliutz,  Heiniatschutz  —  fjut.  Ohne 
Not  Denkmale  vollsaftiger,  künstlerischer 
Vorzeit,  die  verloren  geganj^ene  Schöpferkräfte 
in  sich  gesogen  haben,  zu  zerstören,  das  wäre 
Barbarentum.  Man  kann  noch  weiter  gehen. 
Das  unersetzliche  Alte  darf  sogar  unter  Opfern 
konserviert  werden.  Bauten,  Plätze,  Straßen- 
bilder ,  in  welche  die  ehrenfesten  Väter  ihre 
Kraft  und  ihre  Würde  hineingebaut  haben,  sind 
Güter,  sind  Werte.  Die  Opfer,  unter  denen 
man  sie  bewahrt,  sind  der  Kaufpreis,  den  man 
für  diese  Güter  bezahlt.  Unersetzliches  darf 
man  teuer,  sogar  sehr  teuer  bezahlen. 

Aber  auch  alte  Städte  müssen  das  heutige 
Leben  mitleben.  Sie  dehnen  sich  aus,  es  muß 
gebaut  werden.  Da  erhebt  sich  die  Frage : 
Sollen  die  Architekten  rücksichtslos  ihre  neuen 


und  ganz  unabhängig  erdachten  Formen  neben 
die  alten  setzen  odersollen  sie  sich  „anpassen"? 
Soll  das  alte,  historisch  gewordene  Stadtbild 
auch  in  den  neuen  Stadtteilen  gewahrt  bleiben, 
oder  darf  ein  vom  alten  ganz  abweichendes, 
modernes  Stadtbild  geschaffen  werden? 

Mit  puritanischem  Radikalismus  ist  meines 
P.rachtens  in  dieser  Frage  gar  nichts  getan.  Denn 
der  Erbauer  eines  einzelnen  Hauses  ist  künst- 
lerisch nicht  unabhängig.  Das  Haus  ist  nur  die 
niederste  Einheit  in  der  Baukunst.  Über  ihm 
gibt  es  die  höhere  künstlerische  Einheit  des 
Straßenbildes,  der  Platzwirkung,  und  über  die- 
ser, allerdings  weniger  fühlbar,  die  Einheit  des 
Städtebildes.  Innerhalb  dieser  höheren  Ein- 
heiten bildet  das  Haus  trotz  aller  seiner  Selbst- 
ständigkeit einen  dienenden  Bestandteil.  Neue 


'94 


^^mr:. 


l'Knl-l'SSDK  l'.Krxo  l'Afl.     l;i;K  LI  N. 

I-Ml'l'  \S(.s/iMM|' K,    INIKK    XKKWIMH'Nc;    AI.IIK    MciKKI,, 


Ansflilmine:  Vcreinii;lc  «'erksUlten  tili    Kuiisl  im   M.imlv>fik  A  -O  -  Tic; 


Alte  H)id  neue  Stadtteile. 


PROFESSOR  BRUNO  PAUL  — KERLIN. 

Stadtbilder  wachsen  sehr  langsam.  Ein  Haus, 
das  keine  Rücksicht  auf  seine  bauliche  Um- 
gebung nimmt,  begibt  sich  dadurch  auf  Jahr- 
zehnte und  Jahrhunderte  hinaus  der  Möglich- 
keit voller  künstlerischer  Wirkung.  Man  be- 
trachtet den  Maler  als  einen  Narren,  der  seinen 
Bildern  unvorteilhafte,  die  Farben  tötendeoder 
verfälschende  Rahmen  gibt.  Ähnlich  handelt 
aber  der  Architekt,  der  sich  seiner  Abhängig- 
keit von  benachbarten  architektonischen  Mo- 
menten nicht  bewußt  ist. 

Dies  gilt  besonders  für  die  Fälle,  in  denen 
Neubauten  im  Herzen  alter,  künstlerisch  wert- 
voller Städte  nötig  werden.  Sie  werden  sich 
aus  den  angegebenen  Gründen  unbedingt  dem 
Straßenbilde,  falls  dieses  Wert  besitzt,  unter- 
ordnen müssen.  Rücksichtslosigkeit  bringt 
Dissonanzen,  und  Dissonanzen  wirken  peinlich 
oder,  was  noch  schlimmer  ist,  lächerlich. 

Geltung  hat  unsere  Forderung  aber  auch 
für  selbständige  neue  Stadtteile,  die  sehr  oft 
das  Entree  der  Stadt  bilden. 

Es  fragt  sich  nur:  In  welcher  Weise  soll  sich 
der  Wille  zur  „Anpassung"  äußern? 

Ich  antwortete :  Jedenfalls  nicht  durch  Nach- 
ahmung. Sie  ist  in  ihrer  Fehlerhaftigkeit  zu  oft 
entlarvt  worden.    Die  Harmonie,   von  der  ich 


Haus  AVestciul.  Empfangszimmer.   Fensterseite. 

rede,  läßt  sich  durch  bloßes  Kopieren  alter 
Formen  nie  erreichen.  Betritt  man  z.  B.  eine 
Stadt,  deren  Stolz  ein  alter  gotischer  Markt- 
platz bildet,  durch  eine  Zufahrtstraße,  die  von 
gotisierenden  Villen  gesäumt  wird,  so  erlebt 
man  sicher  nicht  den  Eindruck  harmonischer 
Überleitung  zu  jenem  künstlerischen  Kern- und 
Höhepunkte  der  Stadt.  Viel  eher  den  einer 
grellen  Dissonanz,  eines  schreienden  Wider- 
spruches. Denn  Gotik  ist  nicht  eine  Häufung 
bestimmter  Zier-  und  Konstruktionsformen. 
Gotik  ist  in  erster  Linie  eine  Weltanschauung. 
Es  ist  die  innere  Ähnlichkeit,  auf  die  es  an- 
kommt, eine  Ähnlichkeit  viel  mehr  der  Quali- 
tät als  der  Modalität.  Ein  Übereinstimmen  in 
dem  Maße  der  Schöpferkraft,  nicht  nur  in  der 
Art  der  Geberde. 

Wir  Heutigen  sind  empfindlich  für  das,  was 
am  Kunstwerk  wesentlich  und  wirklich 
ist.  Wir  lassen  uns  nicht  leicht  belügen.  Wir 
sagen  nicht  gleich  vor  einer  Fassade,  die  uns 
Spitzbogen,  Fialen,  Krabben  und  Kreuzblumen 
serviert:  Das  ist  gotisch.  Sondern  wir  sagen 
viel  leichter:   Das  ist  Kitsch. 

Soll  nun  damit  die  Vermeidung  jedes  Ein- 
gehens auf  die  Formensprache  älterer  Stile 
empfohlen  sein?  Keineswegs.    Sondern  es  soll 


197 


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Alte  luid  neue  Shif/ftei/e. 


der  schöpferischen  Anpassung  im  Gegen- 
satze zur  buchstäblichen  Nachahmung  und 
im  Gegensatze  zu  snobistischer  Eigenbrödelei 
das  Wort  geredet  werden. 

Es  ist  möghch,  äußerhch  sich  „anzupassen" 
und  doch  keine  Harmonie  mit  den  Alten 
zu  erzielen.  —  Es  ist  möglich,  die  äußerliche 
„Anpassung"  zu  verschmähen  und  doch  har- 
monisch zu  wirken.  —  Es  ist  möglich,  auf  die 
Formensprache  älterer  Stile  einzugehen  und 
dennoch  die  Fehler  derNachahmung  zu  meiden. 

Das  wären  drei  Leitsätze,  die  für  die  Be- 
handlung aller  Anpassungsfragen  maßgebend 


sein  könnten.  Sie  gipfeln  letzten  Endes  in  der 
einfachen  Wahrheit,  daß  nur  Gutes  dem  Guten 
adäquat  ist.  Ehrlich  zu  ehrlich,  künstlerisch 
zu  künstlerisch,  das  gibt  stets  Gewähr  für 
einen  guten  Klang. 

Wer  als  Architekt  die  Gotik  so  auffaßt,  wie 
sie  etwa  Ruskin  in  den  „Sieben  Leuchtern  der 
Baukunst"  aufgefaßt  und  dargestellt  hat,  dessen 
Bauten  werden  neben  dem  schönsten  Alten 
bestehen  können.  Das  Gotische  ist  eben  hier 
von  innen  heraus  erlebt  und  verstanden,  und 
dieses  innerliche  Erleben  erst,  nicht  das  Nach- 
ahmen, schafft  Zugang  zu  dem,  was  das  Wesen 


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i'Ai  I      111  Kl  IN.     1  IrizkiTpii  im  lvii)|il,uiys/.iinmci  ;uif  ScitL'  ic)(.  u.  m;. 


JVMr/,//  M,chcl-I\Iümhn,. 


I'IC  il'KSSilK 


l'AI'l        l;KKL).N. 


derGotik  wie  jedes  anderen  Baustiles  ausmacht. 
—  Auf  die  FrajSe  der  Anpassunj'  gibt  es  aucli 
noch  eine  Spezial-Antwort.  Der  Architekt  muß 
sich  vor  allem  in  den  ästhetischen  Willen  des 
ortsüblichen  Baumaterials  feinsinnif^  ein- 
leben, so  ist  ihm  die  erste  Grundlage  für  die 
„schöpferische  Anpassung"  schon  gegeben. 
Sicherlich  haben  die  Baumaterialien  sehr  vieles 
dazu  beigetragen,  bestimmten  Gegenden  einen 
bestimmten  baulichen  Charakter  aufzuprägen. 
Und  die  Verwendung  des  einen  oder  des 
anderen  Bausteines  bestinmit  sich  nach  der 
Leichtigkeit  und  Billigkeit  seiner  Beschaffung. 
Die  Nähe  großer  Steinbrüche  wird  den  Back- 
stein nicht  leicht  aufkommen  lassen;  so  kämpft 


Haus  WcsUnil.   AnlJ,  i.Utauiu. 

auch  der  rote  Sandstein  gegen  den  weißen, 
der  Kalkstein  gegenbeide.  Gegenden,  in  denen 
Sandstein  und  Backstein  gleich  nahe  sind, 
prägen  sogar  diesen  Umstand  in  ihrer  Bau- 
weise aus.  Der  Reichtum  oder  die  Armut  an 
Holz  üben  ihre  Einflüsse.  Und  alle  diese 
Einflüsse  bleiben  sich  Jahrhunderte  hindurch 
gleich;  selbst  die  Eisenbahnen  haben  daran 
nicht  viel  geändert.  Der  Baustein,  die  Art  der 
Dachbedeckung,  die  Verwendung  des  Holzes 
—  selbstverständlich  auch  die  Rücksichten 
auf  das  Klima,  auf  Baugewohnheiten, Verkehrs- 
verhältnisse und  so  fort  —  das  sind  die  festen 
Grundelemente ,  auf  denen ,  naives  künst- 
lerisches Schaffen  vorausgesetzt,  die  bauliche 


Alfc  iDid  iiaic  Sfadücik. 


PROFESSOR  HRU.NO  PAIT.— HF.RUN. 

Eigenart  einer  Gej^end  beruht.  Sie  sind  Roh- 
stoffe des  ästhetischen  Zweckes.  Werden  sie 
gebührend  berücksichtigt,  so  liefern  sie  den 
ersehnten  Anschluß  an  die  ortsübliche  Bau- 
weise von  selbst.  Es  ist  meine  Überzeugung, 
daß  gewissen  altkultivierten  Rheingegenden 
der  gotisierende  Charakter  lediglich  durch  den 
festen,  malerisch-farbenreichen  grauen  Sand- 
stein  in  Verbindung   mit  der  Schieferdeckung 


Aus  nebenstehendem  Ankleidcraum. 

Aiisf.:  Vcr.   Werks«,  für  Kunst  im  Handwerk  A.-Q. -Berlin. 

gewahrt  worden  ist.  Nur  wo  Gewaltsamkeiten 
gewagt  werden,  stellen  sich  Dissonanzen  ein. 
Oder  wo  sich  der  Dilettantismus  breit  macht. 
Und  nur  ein  Dilettant  wird  die  Fingerzeige, 
die  ihm  die  genannten  Faktoren  erteilen,  als 
Einschränkung,  als  Belästigung  empfinden.  In 
der  schöpferischen  Kraft  ist  das  einzige  Binde- 
mittel gegeben,  das  Altes  und  Neues  har- 
monisch mit  einander  verknüpft.    —  m 


Dr.  M.  Srhmid- .lache, 


^- 


H\ 


L    i:i;ki.ix. 


Werkst. 


W.  >trll,l.     I'.IrU  in  Jk'    KulIi.;. 
ir  Kunst  im  Handwerk  A.-Q.  -  Berlin. 


DIE  KRANZSPENDEN  UND  DER  SARG. 


Im  Sinne  des  Verstorbenen  bittet  man  von 
Kranzspenden  abzusehen,"  Damit  ver- 
wahrt sich  das  Feinj^efühl  des  fjebildeten 
Menschen  f^eßen  eine  „alte"  aber  heute  nicht 
mehr  „jjute  Sitte".  Warum?  Zunächst  wohl 
aus  Bescheidenheit,  weil  aller  Prunk  am  Grabe 
dem  Feinempfindenden  widerlich  erscheint. 
Sodann,  weil  der  alte  Brauch  zum  Mißbrauch, 
aus  einer  freiwilligen  Ehrung  eine  lästige 
Pflicht  geworden  ist,  lästig  dem  Geber  und 
lästig  dem  Empfänger.  Vor  allem  aber,  weil 
das  verletzte  ästhetische  Gefühl  dagegen  pro- 
testiert, besonders  angesichts  all  der  Ge- 
schmacklosigkeiten, die  bei  einem  modernen 
Leichenbegängnis  damit  verknüpft  sind.  Vor- 
über sind  die  Zeiten,  da  ein  schlichter  Sarg 
mit  wenigen  Kränzen  geschmückt  wurde,  um 
den  Winter  des  Todes  durch  Gedanken  an 
Frühling  und  Auferstehung  zu  bannen.  Heute 
müssen  hinter  jeder  „besseren  Leiche"  meh- 
rere   Mielswagcn   voll    Kränzen    und    Palmen 


204 


hinterdreinfahren.  Die  Blumenspende,  einst 
ein  Zeichen  liebevollen  Gedenkens,  ist  heute 
ein  unerbittlicher  Zwang,  eine  Protzerei  und 
eine  völlig  sinnlose  Geldverschwendung  ge- 
worden. Die  einzelnen  Geber,  vor  allem  die  ein- 
zelnen Vereine  und  Gesellschaften,  suchen  sich 
durch  die  Größe  der  dem  Verstorbenen  gewid- 
meten bunten  „Wagenräder"  und  den  frechen 
Glanz  goldbedruckter  Schleifen  zu  überbieten. 
Lind  welcher  Anblick  beim  Eintritt  in  das 
Trauergemach,  wo  diese  Kränze  sinnlos  ge- 
häuft liegen,  wo  zwischen  den  trauernd  Hinter- 
bliebenen Lohndiener  sich  hindurchdrängen, 
um  immer  neue  Tannenreiser  und  Lorbeer- 
gewinde aufzuhäufen,  oder  vielmehr  sie  achtlos 
hinzulegen,  als  sei  ein  Blumenladen  zur  Sub- 
hastation  gekommen  und  müßte  schnell  ge- 
räumt werden.  Flüchtig  werden  die  Namen 
der  Spender  genannt  und  von  einer  dazu  be- 
stimmten Person  notiert,  damit  die  Adresse 
für  die   übliche    gedruckte   Danksagung  nicht 


Die  Kianzspriidcii  inid  der  Snro: 


fehlt.  Es  ist  alles  geschäftsmäßig  geordnet. 
Wer  seine  Bluniensendung  einreicht,  bekommt 
die  gedruckte  Quittung.  —  Zuweilen  werden 
auch  solche  damit  beehrt,  die  aus  Sparsam- 
keit oder  aus  Versehen  die  Blumenspende 
unterlassen  haben.  Man  kann's  ja  nicht  genau 
kontrollieren.  Vorsichtshalber  quittiert  man 
allen  Bekannten. 

„Im  Sinne  des  Verstorbenen  bittet  man 
von  Kranzspenden  abzusehen."  Das  ist  die 
Reaktion  der  natürlichen  Empfindung  gegen 
solchen  zur  Last  gewordenen  Formalismus. 
Nicht,  daß  wir  dem  Sarg  nun  künftig  jeden 
Blumenschmuck  versagen ,  ist  notwendig, 
sondern  daß  diese  Ausschmückung  in  einer 
Weise  erfolgt,  die  niemandes  Zartgefühl  ver- 
letzt. In  erster  Linie  sollte  sie  doch  den  Hin- 
terbliebenen über- 
lassen bleiben ,  die 
es  selbst  am  besten 
wissen  müssen,  wie 
viel  oder  wie  wenig 
und  welcher  Art  Blu- 
menschmuck sie  wün- 
schen. Diese  Hinter- 
bliebenen wären  dann 
in  der  Lage,  nach  eig- 
nem Vermögen  und 
vor  allem  nach  eignem 
Geschmack  den  Sarg 
und  das  Trauerhaus 
oder  die  Friedhofs- 
kapelle mit  Blumen 
zieren  zu  lassen.  — 
Gleichzeitig  dürfte 
aber  auch  eine  an- 
dere tiefgreifende  Re- 
form durchaus  not- 
wendig sein.  Es  hängt 
ja  mit  dem  Verlust 
künstlerischen  Emp- 
findens auf  allen  Ge- 
bieten unseres  mo- 
dernen Lebens  auf 
das  engste  zusam- 
men, daß  nur  ganz 
ausnahmsweise  fürdie 
Veranstaltung  einer 
Trauerfeier  daran  ge- 
dacht wird,  ihr  durch 
Heranziehen  künstle- 
rischer Kräfte  eine, 
der  Würde  und  dem 
Ernste  der  Stunde 
entsprechende  äußere 
Form      zu     verleihen.  Ecksihrank  aus  nib 


Der  Friedhofsinspektor,  oder,  wenn  die  Feier 
im  Privathause  stattfindet,  der  Besitzer  des 
„Leichenbestattungs  -  Geschäftes",  meist  ein 
ehemaliger  Lohnkutscher,  werden  in  der  Re- 
gel damit  beauftragt ,  den  äußeren  Rahmen 
für  die  Feier  zu  schaffen.  Diese  Leute  sind 
natürlich  ihrer  ganzen  Vergangenheit  nach  von 
jeglicher  Geschmacksbildung  völlig  entblößt, 
um  so  mehr,  als  für  solche  Ereignisse  nur 
noch  ganz  geringe  Reste  alter  Tradition  bei 
uns  sich  erhalten  haben  und  leider  nur  die 
schlechtesten.  Es  sei  an  die  fürchterlichen 
Zerrbilder  erinnert,  die  in  den  verschiedenen 
Städten  mit  Rudimenten  alter  Trachten ,  wie 
Dreimaster ,  Kniehose  etc.  neben  unseren 
Leichenwagen  herschreiten.  Vor  allem  an  diese 
Leichenwagen  selber,  soweit  sie  nicht  genau 
nach  alten  Mustern 
erneuert  sind.  Sollte 
es  nicht  an  der  Zeit 
sein,  auch  in  diesen 
Dingen  Wandel  zu 
schaffen?  — Hierwird 
man  einwenden,  daß 
ein  Todesfall  meist 
die  Hinterbliebenen 
so  plötzlich  und  so 
schwer  betrifft,  daß 
an  solche  Äußerlich- 
keiten niemand  den- 
ken mag.  Andere 
wollen  gerade  durch 
Vernachlässigung  sol- 
cher Dinge  ein  Zei- 
chen ihrer  tiefen  Er- 
griffenheitgeben. Das 
mag  für  den  Einzelnen 
Geltung  und  Berech- 
tigung haben,  etwa 
für  die  allernächsten 
Angehörigen.  Für  die 
Gesamtheit  kann  das 
nur  als  ein  bedauer- 
liches Zeichen  kultu- 
rellen Tiefstandes  gel- 
ten. Viele  wilde  Stäm- 
me imd  selbstver- 
ständlich alle  höher- 
stehenden Völker  ha- 
ben einst  sehr  sorg- 
fältig durchgebildete 
\  orschriften  und  Ge- 
bräuche für  ihren 
Totenkult  besessen. 
Nichts  wurde  da  dem 
nstclicndor  Kiuhi-.  Zufall  überlassen.  Der 


205 


a  <  < 


Die  Krniizs/^ri/f/('ii  und  der  Srro. 


PKOF.  BRl'NO  i'\v\.    IiKRI.IN.     Vom  neuen  Lloyd-Dainpfer    (ieiirge  Washington   .    Xfhrnraiim  am  (lesellschafts-Salon. 

Ausfulininm  Vereinigte  Werkstätten  tiir  Kunst  im  Handwerk  A  -ü  -Berlin. 


Ägypter  z.  B.  pflegte  an  die  Beschaffung  eines 
oder  mehrerer  Särge  schon  hei  Lebzeiten  zu 
denken.  Es  ist  der  Sarg  auch  vielen  anderen 
Völkern ,  soweit  sie  nicht  die  Leichenver- 
brennung bevorzugten  ,  Gegenstand  größter 
Vorsorge  gewesen,  und  das  Christentum  hat 
zunächst  hierin  nicht  die  geringste  Änderung 
gebracht,  wie  uns  die  reichskulpierten  Sarko- 
phage der  Katakomben  belehren.  Die  edelste 
i;nd  stimmungsvollste  Dekoration  mittelalter- 
licher Kirchen  besteht  zum  guten  Teile  im 
Grabschmuck,  in  den  feierlich  auf  dem  Sarge 
hingestreckten  Gestalten  der  Bischöfe,  Für- 
sten und  Ritter,  in  prächtigen  Grabplatten, 
Erinnerungstafeln  und  Totenschilden.  Barock 
und  Rokoko  wußten  den  Sarg  besonders  pom- 
pös auszugestalten,  haben  in  Metall  wie  in 
Stein  künstlerisch  Vollendetes  da  geschaffen. 
Was  ist  uns  davon  geblieben?  Nichts  als  ver- 
zerrte Nachahmungen  dieses  Barocksarges, 
natürlich  in  minderwertigem  Material.  Wer 
alle  Schrecken  des  modernen  Kunsthandwerks 
empfinden  will,  der  betrachte  in  einem  Trauer- 
magazin  die  Zinkgußornamente  mit  ihrer  bru- 


2ü8 


talen  Vergoldung,  mit  ihrer  völlig  verkomme- 
nen Detaillierung,  und  er  wird  verstehen,  daß 
eine  schlichte  Holzkiste  mit  ein  paar  kräftigen, 
geschmiedeten  Beschlägen  darauf,  jedenfalls 
immer  noch  eine  würdigere  Hülle  für  einen 
Toten  wäre,  als  diese  in  Eichenholzimitation 
bemalten,   sinnlos  profilierten  großen  Kästen. 

Mit  einer  Veredelung,  vor  allem  mit  Ver- 
einfachung der  Sargform  und  mit  der  Anwen- 
dung echten,  wenn  auch  einfachen  Materials 
hätte  also  eine  Reform  unserer  Trauerge- 
bräuche zu  beginnen.  Merkwürdig,  daß  heute, 
wo  fast  jede  größere  Ausstellung  auch  Fried- 
hofskunst bringt,  wo  Ausstellungen  für  christ- 
liche Kunst  an  der  Tagesordnung  sind,  wohl 
der  Grabstein  und  die  Aschenurne,  nicht  aber 
der  Sarg  künstlerisch  behandelt  wird.  Augen- 
blicklich ist  mir  hier  nur  ein  auf  der  Düssel- 
dorfer Ausstellung  von  Theodor  Veil  aus- 
gestellter, in  Metall  getriebener,  sehr  guter, 
aber  auch  seiir  kostspieliger  Sarg  in  Erinnerung. 

In  der  Regel  sollte  man  am  Sarg  statt  der 
gleißenden  imitierten  Gold-  und  Silber-Orna- 
mente  nichts  weiter  anbringen,   als   einfache 


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PROFESSOR  BRUNO  PAUL.- BF-;K1.1N.  IIANDOEKNOPFTE  TEPPICHE,  WAND-  U.  MöBELSTOt'KE  U.TAPETEN. 
VERElHIOTe  WERKSTÄTTEN  FÜR  KUNST  IM  HANDWERK  A.  C- BERLIN. 


H  S  o 


Die  Kra?izspr)nh'ii  itiui  der  Sari 


Vorrichtungen,  etwa  aus  Schmiedeeisen,  zum 
Heben  und  Trafjen,  sowie  zum  Befestijien 
des  Biunicnschmuckes.  Dieser  Blumenschmuck 
brauchte  durchaus  nicht  die  abgeschmackte, 
unablässig  wiederholte  Form  des  grünen  Rei- 
fens mit  der  angebundenen  Schleife  und  der 
unvermeidlichen  aufgelegten  Palme  anzuneh- 
men. Er  sollte  in  erster  Linie  aus  breiten 
Blumengewinden  bestehen,  die  sinnvoll  den 
Sarg  umschlingen,  vielleicht  auch  in  breiten 
Flächen  umkleiden,  überdecken  oder  umrah- 
men. Möchte  doch  gelegentlich  einer  unserer 
Kunstvereine  oder  eine  unserer  Kunstzeit- 
schriften in  diesem  Sinne  einen  Wettbewerb 
ausschreiben,  um  der  Sache  Bahn  zu  brechen. 
—  Sodann  müßte  der  Schmuck  des  Trauer- 
raumes selbst  reformiert  werden.  Auch  für  pri- 
vate Trauerzimmerausstattung  müßten  kunst- 
gebildete Unternehmer  würdiges  Material  be- 
schaffen. Es  genügt  nicht,  die  üblichen,  für 
wenige  Stunden  hergeliehenen  Pyramiden-Lor- 


I      HIKI  IN.       Siiortsliaus  ilr^  r. 


214 


Dil-  K)-anzüpetidc>i  iii/ii  der  Saro^. 


beerbäumchen  nebst  dem  Dutzend  Zimmerpal- 
men und  den  vier  versilberten  Zinkguß-Kande- 
labern aufzustellen  und  mit  Tapeziergeschmack 
Crepestoffe  zu  „drapieren".  Es  bedarf  einer 
Raumverkleidung  aus  ruhig  hängenden  Stoffen, 
mit  eingewebten  oder  aufgelegten  Blattgewin- 
den. Es  bedarf  einiger  vornehmer  Beleuch- 
tungskörper und  weniger,  aber  gut  aufgestell- 
ter Pflanzen.  Alles  wäre  auf  Grund  künstleri- 
scher Vorlagen  oder  unter  Hinzuziehung  eines 
Künstlers  herzurichten.    Sollte  das  dem  ein- 


zelnen zu  kostspielig  sein  —  und  es  wäre  viel- 
leicht vielen  in  solchen  Tagen  eine  derartige 
Ausgabe  unmöglich  —  so  würde  auch  hier  die 
altchristliche  Zeit  mit  ihren  Begräbnisgenossen- 
schaften uns  den  Weg  weisen  können,  die 
schon  bei  Lebzeiten  der  Mitglieder  Mittel 
sammelten,  um  den  Verstorbenen  die  gebühr- 
liche Totenfeier  gewähren  zu  können.  Sie 
würden  auch  dafür  sorgen,  daß  der  Leichen- 
wagen einfach  und  ansehnlich  gebaut,  daß  Zopf 
und  Perrücke  den  Lcichenkutschcrn  und  Die- 


.\rs  DEM  SPOKT,--HArs  DI-S  HERI-INKK  I-AWN-TKXNIS-TI-KNIFR-CI  rH5. 


216 


SI'OKlsHAlS  l>r.>  IlF.Kl.lNKK    I.AWX-TI.NM 
Ausfülirung:  Vcrcinicle  W 


-■MKNlKK-irrilS.       SAAI    Mll    l'.I.UK   1N>   I  lAM  I  N  /  I  M  M  1  K  . 
ksliitlcri  für  Kiiiisl  im   H.i.uhvirk  A  -ü.-  licrlin. 


Die  Krauzspciidoi  itiid  dci'  Snrg. 


PROFESSOR  IlRrNO  PAIII.      BERLIN. 

nern  abgenommen ,  wohlanständige  Trauer- 
kleidung solchem  Personal  bestellt  würde. 
Möchten  doch  alle  Gebildeten  davon  Ab- 
stand nehmen ,  jährlich  die  unvermeidliche 
Summe  für  Kranzspenden  an  ihren  Bekannten- 
kreis zu  entrichten.  Dann  hat  ein  Jeder,  je 
nach  seinen  Mitteln  und  Verhältnissen,  schon 
den  Beitrag  zur  Hand,  der  ihm  die  Teilnahme 
an  einer  Genossenschaft,  und  damit  für  sich 
und  seine  Angehörigen  eine  anständige,  Ge- 
fühl und  Geschmack  nicht  verletzende  Trauer- 
feier sichert.  —  In  diesem  Sinne  und  zu  die- 
sem Zwecke  sollten  wir  alle  auf  Kranzspenden 
im  Sinne  der  Verstorbenen  verzichten,      sni. 


Modell  [.aiulhaiis  Dr.  R. 

von  DER  WIRKUMG  GUTER  KLEIDLIIIG. 

Kleider  haben  ihre  Sprat4ie,  die  gute  Psychologen 
sofort  verstehen.  Der  Indiskrete,  der  Plump -Ver- 
trauliche, der  Bcindle,  der  I4arr  verraten  sich  schnell. 
Das  Leben  wird  uns  reizvoller  bleiben,  wenn  die 
Kleider  nic4it  gleich  zu  viel  verraten. 

le  mehr  Kleider  wir  haben  werden,  die  allgemein 
fiir  diesen  und  jenen  Zweck  als  die  zweckmäßigsten 
anerkannt  und  von  der  Gesellsdiaft  getragen  werden, 
desto  höher  wird  unsere  Kleiderkultur  sein.  Unser 
Leben  ist  kompliziert,  also  muß  es  auch  die  Kleidung 
sein.  Die  Ordnung  und  zwec-kmäßige  Verwendung 
der  ethisdien  und  asthetisdien  Werte  gibt  den 
Gradmesser  der  Kultur  ab.  Hardenberg. 


:^.a!iiiniiiiiiinmiiiiiiiiiiiriiiiiiiir.- 

l;l  kl  IN.       M„l,.|l   l.iui.ill.in-   llr.    K. 


219 


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l'K<.ir.SSoR  KRINO  PAVI.      1!1-KI,1N.     WEIMIAIS  IN    NIKMiERG. 


SZENERIE-ENTWÜRFE. 


an  kommt  zu  schau'n,  man  niöcht'  am 
liebsten  sehn!"  Dies  trifft  auch  heute 
noch  zu,  und  alle  Vorschläge  zur  künstlerischen 
Reform  des  Theaters  müssen  dem  Rechnung 
tragen,  wenn  sie  nicht  von  vornherein  als  tot- 
geboren betrachtet  werden  sollen.  Wer  — 
das  sei  hier  gleich  gesagt  —  eine  Dichtung 
aus  eigner  Kraft  zu  empfinden  vermag,  und 
Dichterworte  ganz  genießen  will,  dem  wird 
die  Lektüre  in  stiller  Abgeschlossenheit  den 
reinsten  Genuß  bieten.  Aber  nicht  jeder  ist 
hierzu  befähigt;  die  Gegner  des  Theaters  und 
der  Szenerie  dürfen  dies  nicht  übersehen. 

Ohne  Zweifel  ist  die  Dichtung  wichtiger  als 
aller  szenischer  Aufputz,  und  es  ist  töricht, 
übergroßen  Wert  auf  realistische  Gestaltung 
des  Bühnenhildes  zu  legen,  weil  dadurch  die 


Gefahr  wächst,  das  Interesse  der  Zuschauer 
gar  zu  sehr  von  der  Hauptsache  abzulenken. 
Aber  auch  das  Auge  hat  seine  Rechte!  Jahr- 
zehntelang schien  man  sie  vergessen  zu  haben, 
fast  war  man  so  weit  gekommen,  weder  Far- 
ben noch  Formen  erkennen  zu  können;  sie  zu 
schätzen  und  ihre  Wirkungen  zu  empfinden 
hatte  man  in  der  Tat  verlernt.  Zur  Kultur  des 
Auges,  die  heute  besonders  nottut,  bietet  die 
Bühne  eine  günstige  Gelegenheit,  und  so 
müssen  auch  alle  Bestrebungen ,  die  darauf 
hinzielen,  das  Bühnenbild  zu  veredeln,  freudig 
begrüßt  werden.  Über  die  Art  und  Weise, 
wie  das  Ziel  zu  erreichen  ist,  sind  die  An- 
sichten bisher  weit  auseinander  gegangen. 
Während  auf  der  einen  Seite  eine  vollstän- 
dige  Verachtung   des  komplizierten   Bühnen- 


S/.iHiir-l'Tituinf  ZU   .\n,ln  j.M       /ji  ,lcn  Sir 


Szriir)  ic-l'.ut'd  'ü  i  ic. 


bildes  unverkennbar  war,  scheute  man  auf 
der  andern  weder  Mühe  noch  Kosten,  die 
Szenerie  immer  reicher  und  naturwahrer  zu 
gestalten.  In  einem  Punkt  jedocii  waren  alle 
einig;  im  Kampf  gegen  die  groben  und  dürf- 
tigen Mittel,  die  eine  Illusion  erzeugen  sollten 
und  dazu  ganz  und  gar  ungeeignet  waren, 
gegen  die  Versatzstücke  schäbiger  Tapezier- 
kunst und  die  rohen  und  oft  kindischen  Hinter- 
grundschildereien  mit  gedrängter  Gegenständ- 
lichkeit. Verzicht  auf  alle  diese  Mittel,  Rück- 
kehr zur  Einfachheit,  wie  das  antike  Theater 
sie  kannte,  verlangten  die  einen;  echte  Gobe- 
lins sollten  die  Szenerie  charakterisieren  und 
die  Bühne  schmücken.  Ausnutzung  aller  Mittel 
der  neuen  Technik,  Verfeinerung  und  künst- 
lerische Vervollkommnung  aller  Effekte  war 
die  Forderung  der  anderen ;  wirkliche  Pflanzen, 
wirkliche  Bäume  sollten  neben  dem  schon  all- 
gemein aufgenommenen  wirklichen  Mobiliar 
die  Illusion  vollkommener  machen  und  die 
Wirkung  des  koloristisch  aufs  feinste  abge- 
stimmten   Bühnenbildes    vertiefen,     Manches 


■Entwiuf  zu     Hamlet   ,  füiifui   Alil. 


intensive  Werk  ist  unter  diesen  Forderungen 
entstanden  und  man  darf  noch  gutes  erwarten, 
da  die  Erkenntnis  nicht  mehr  fehlt,  daß  der 
Künstler  das  Recht  hat,  sein  individuelles  Emp- 
finden auch  im  Bühnenbilde  zum  Ausdruck  zu 
bringen;  jeder  in  seiner  Art.  So  hebt  der 
Autor  der  nebenstehenden  Entwürfe  die  Sze- 
nerie über  das  Gegenständliche  empor.  Er  ver- 
sucht ihr  gewissermaßen  die  Rolle  zu  geben, 
die  in  der  Oper  dem  Orchester  zuerteilt  ist. 
Wimniers  Szenerie-Entwürfe  sind  keine  Natur- 
aussclmitte,  aber  sie  sind  geeignet,  den  Stini- 
mungsgehalt  der  Dichtung  zu  vertiefen.  In  die- 
sem Sinne  mögen  die  ungewöhnlichen  Säulen 
der  Szenerie  zum  5.  Akte  „Hamlets"  verstan- 
den werden;  sie  sind  gewollt  und  der  Gewalt 
ihrer  Wirkung  dürfte  sich  so  leicht  kein  Zu- 
schauer entziehen.  Diese  straffen  Vertikalen, 
die  nach  links  fallende  Freitreppe  und  die 
wenigen  Maueröffnungen  des  oberen  Trcppen- 
laufs,  sie  klingen  zusammen  wie  die  Töne 
eines  Traucrmarsches,  In  dieser  Richtung-Iie- 
gen  noch  ungeahnte  Möglichkeiten.  m. 


DER  KÜNSTLER- PHILOSOPH. 


>N   l'AUI.  UEMHKIM. 


Eine  Sehnsucht,  stärker  denn  je,  das  Evan- 
gehum  reinen  Menschentums  in  der  Kunst 
zu  suchen,  glüht  in  dem  Menschen  der  Gegen- 
wart. Jenseits  von  Phantasterei  und  Phi- 
listerei  sucht  er  hier  Erhebung,  Reinigung  und 
Glück.  Der  Künstler  wird  zum  Künder,  der 
in  seiner  Schöpfung  das  Credo  formuliert. 

Wohlverstanden,  die  Traktätchen- Maler 
haben  ihre  ganze  Gefolgschaft  nahezu  ein- 
gebüßt. Nie  war  das  moralisierende  Genre 
geringer  eingeschätzt  denn  heute.  Mag  selbst 
das  Sprüchlein  wie  von  den  englischen  Prä- 
raffaelliten  in  gepflegterToilette  gesagt  werden. 
Der  pictor  philosophus,  der  darauf  aus  war, 
erbauliche  Szenen  zu  stellen  und  ergötzliche 
Anekdoten  zu  komponieren,  blieb  an  der 
Oberfläche  kleben.  Derart,  daß  ihm  die  Jungen 
mit  den  frischen  Sinnen  und  dem  wallenden 
Künstlerblut  mit  Goethe  nachrufen:  „Ein  Kerl, 
der  spekuliert,  ist  wie  ein  Tier  auf  dürrer 
Heide  ..."  Und  von  einem  der  prominen- 
testen Führer  der  Berliner  Künstler  kolportiert 
man    das    Paradoxon;     „Der    Künstler    muß 


dumm  sein  und  geil."  Gewiß  ist  das  nicht 
im  gewöhnlichen  Alltagssinne  aufzufassen, 
sondern  als  Protest  gegen  den  gedanklichen 
Schwulst,  gegen  den  niederen  Erzählergeist 
der  Genrenaturen.  Der  bildende  Künstler, 
sofern  er  wahrhaft  groß  ist,  wird  niemals  dem 
Literaten  ins  Handwerk  pfuschen  wollen.  An 
Stelle  der  lyrischen,  epischen,  dramatischen 
Ausdrucksmittel  ist  ihm  die  malerische, 
plastische,  architektonische  Form  vor- 
behalten. Je  reiner  er  seine  Sprache 
meistert,  um  so  eindringlicher  ist  die  Gewalt, 
mit  der  er  Herz  und  Sinne  zwingt. 

Die  Weihe,  die  ein  Werk  der  Kunst  aus- 
strahlt, kommt  niemals  vom  Objekt,  kommt 
allein  vom  Subjekt.  Weder  der  geschilderte 
Vorgang  noch  die  rein  optische  Darstellung 
vermögen  im  Innersten  zu  ergreifen.  Kraft 
kommt  nur  von  Kraft,  und  leidenschaftliche 
Erregung  entzündet  sich  nur  an  der  Leiden- 
schaft ,  deren  Glut  den  Gestalter  antrieb, 
die  gemeine  Materie  zur  stolzen  Schönheit 
umzuschweißen.      Wirkungen    ethischer    und 


.VklHUKKl    K.    I.   IMMMLK.        b^LllL]  IL-ImU«  Ul  I    /AI       llallllt-l.     ,Clstcl    Akl. 


Der  KiUntlcr-Philosof^h. 


relij^iöser  Art  fjehen  von 
dem  Kunstwerk  aus  allein 
durch  die  Persönlichkeit,  die 
sich  darin  manifestiert  hat. 
Das  fein  kultivierte  Aujje  — 
sonderlich  das  des  Kunst- 
schaffenden—glaubt sie  schon 
zu  verspüren  aus  den  rein 
formalen  Elementen.  Wenn 
auch  solche  Menschen  jeg- 
liche Zwischenstufe  zu  über- 
springen, restlos  und  selbst- 
verständlich den  Kern  heraus- 
zufühlen vermögen,  so  sind 
nichtsdestoweniger  Farbe, 
Meiselschlag  oder  Massen- 
gefüge  nur  als  die  Träger 
der  hier  kristallisierten  Welt- 
idee anzusehen.  Darum  wird 
auch  die  Fingerfixigkeit  der 
talentierten  Begabung  ihr  Er- 
zeugnis nie  zum  Bedeutsamen 
eniporschrauben  können.  Der 
gewöhnliche  Mensch  wird 
auch  als  Bildner  gewiß  nicht 
über  das  Gewöhnliche  hinaus- 
kommen. Der  Masse  wird  er 
das  Gefällige,  dem  Snobis- 
mus das  sinnlich  Reizende  zu 


-^  " ^^  ^'^"^ ^  -~  ^^   \~  -^ 


AKIHITKKT  K.  J.  UIMMEK.       N/.EMLKIt-KN  1  Wi- Kl- K  IVK    »KRElHKir  IM   KRÄHWINKEL« 


226 


Der  Küusllrr-IVnlosoph. 


.\U(  Hiii.Kr  E.  ,|.  wimmI':k    w  ik: 


aus  ik-r  Pantomime     Die   riinzciiii  und  ilie  Marionette- 


Schenken  haben,  walirend  das  innerUcli  Über- 
zeugende nur  darf^estellt  werden  kann  von 
dem  tiefblickenden,  abgeklärten,  weisen  Cha- 
rakter. Solche  Schöpfer -Philosophie  braucht 
nicht  gerade  bürgerlich  einfältig  zu  sein.  Ihre 
Gesetzlichkeit  wurzelt  tief,  tief  unter  der  Ober- 
fläche der  Tagesgeschehnisse,  in  einem  Grund, 
wo  letzte  Fragen  über  die  Natur  und  die  Welt, 
über  Kosmos  und  Seele  dem  denkenden  Geist 
sich    entgegenstellen.      Man    blättere    in    den 


Künstlerbüchern,  die  gerade  jetzt  mit  so  viel 
b.rnst  durchforscht  werden,  lese  die  Konfes- 
sionen der  Leonardo,  Delacroix,  Gauguin,  van 
Gogh,  I  rübner,  um  etwas  von  den  Gedanken- 
gängen zu  verspüren,  die  in  diesen  Schöpfer- 
hirr.en  kreisten.  Man  greife  zum  Goethe,  der 
„in  jedem  Geschäft  den  ethischen  Hebel" 
witterte,  der  als  I3ildner  so  allumfassend  ge- 
worden, weil  er  auch  als  Mensch  so  rein  und 
groß  gewesen.  vw  \   wi^iiuim. 


irin  iinil  die  .Marie 


228 


(1SKAR  ZWIXTSCHKR- DRESDEN. 

KINDF.K-BII.DMS    MIT    STIF.FMÜTTERrHE.N. 


/.WI.NTsCHtK      UKKSUt.N. 


GemalJe;  >GolJ  und  I'erlnuitter 


DIE  GRENZEN  DER  MALEREI. 


Die  Worte  unseres  Altmeisters  Goethe,  „In 
der  Bescliränkung  zei^t  sich  der  Meister" , 
haben  für  die  Kunst  eminente  Gültigkeit.  Daß 
man  aber  die  Wahrheit  eines  solchen  Aus- 
spruches im  allgemeinen  wohl  anerkennen 
kann,  ohne  ihr  im  besondern  Geltung  zu  ge- 
ben, zeigt  wieder  jene  Malerei,  welche  ihre 
eigenen  Grenzen  überschreitet  und  mehr  aus- 
drücken möchte,  als  ihre  Mittel  gestatten. 

Wenn  wir  die  Frage  ganz  allgemein  stellen, 
welches  die  Sphäre  der  Kunst  sei,  so  lautet 
die  Antwort:  alles,  was  von  der  sinnlichen 
Anschauung  wahrgenommen  wird.  In  dieses 
gewaltige  Gebiet,  welches  die  ganze  Welt  als 
intuitive  Vorstellung  ist,  teilen  sich  alle  Künste, 
weil  keine  Kunst  für  sich  allein  imstande  ist, 
die  Totalität  ihres  Objektes  zur  Darstellung 
zu  bringen.  Jede  einzelne  Kunst  wird  die  eine 
oder  die  andere  der  wesentlichen  Erscheinungs- 
formen ihres  Objektes  vernachlässigen  oder 
ganz  ausschalten  müssen,  entsprechend  der 
Besonderheit  ihrer  Mittel. 

Dieses  Fehlen  wird  durchaus  nicht  als  Mangel 
empfunden,  weil  es  bei  einem  Kunstwerke  gar 
nicht  darauf  ankommt,  diese  Totalität  des  Ob- 
jektes erschöpfend  darzustellen,  sondern  die 
Anschauung  auf  ganz  bestimmte  Erscheinungs- 
formen zu  konzentrieren.  Niemand  wird  beim 
Anblick  gemalter  Blumen  Ansprüche  an  den 
Duft  derselben  erheben,  ebenso  wenig  wie  wir 


von  gemaltem  Feuer  oder  Sonnenlicht  die  Wir- 
kung der  Wärme  fordern.  Diese  Konzentration 
des  Ausdrucks  auf  einzelne  Erscheinungsfor- 
men entspricht  auch  der  Beschaffenheit  unseres 
Vorstellungsvermögens,  dem  nur  eine  deut- 
liche Vorstellung  auf  ein  Mal  gegenwärtig 
sein  kann. 

Da  nun  alle  Künste  ihre  gemeinsame  Quelle 
in  dem  äußern  und  innern  Sinne,  der  Raum- 
undZeitanschauung  haben,  so  besteht  zwischen 
allen  ein  Verwandtschaftsverhältnis,  das  die 
Gefahr  in  sich  birgt,  daß  die  Grenze,  die  jede 
von  der  andern  trennt,  leicht  verwischt  wird. 

Die  ureigentliche  Aufgabe  der  Malerei  ist 
die  Auffassung  und  Darstellung  der  materiellen 
Erscheinung  im  Räume  in  ihrer  Reaktion  gegen 
das  Licht.  Diese  Aufgabe  ist  begründet  in 
ihren  Mitteln.  Sie  ist  die  Kunst  des  Auges, 
das  die  farbige  Erscheinung  im  Räume,  mittels 
des  Verstandes,  im  Hirnbilde  erfaßt  und  auf 
die  Fläche  projiziert. 

Wenn  ein  Maler  sich  darauf  beschränkt, 
diese  Aufgabe  zu  erfüllen,  ohne  sich  um 
die  sonstigen  Relationen  des  darzustellenden 
Gegenstandes  im  geringsten  zu  bekümmern, 
so  läßt  sich  dagegen  nichts  einwenden.  Er  ist 
auf  seinem  eigenen  Grund  und  Boden  und 
über  jeden  Vorwurf  erhaben.  Er  ist  „Nur"- 
maler.  Schlimmer  aber  steht  die  Sache,  wenn 
er   sich   den   Luxus   literarischer  Ambitionen 


>.  ZWIXTSCIIKR     DRESDEN. 

■.KMÄI  DK:  mi-DMS  MIT  GF.nRGIN'F.N. 


Die  Crciizoi  der  lilalcrei. 


fSestattet  und  in  der  Darstellung  der  zeitlichen 
und  kausalen  Beziehungen  seines  Objektes 
den  Schwerpunkt  seiner  Kunst  zu  erblicken 
meint,  ohne  die  wesentlichste  Forderung  die- 
ser Kunst  in  möglichst  vollkommener  Weise 
zu  erfüllen.  In  diesen  Fehler  ist  eine  gewisse 
Historienmalerei ,  die  Genremalerei  und  die 
berüchtigte  Anekdotenmalerei  verfallen,  wes- 
halb diese  Kunstgattungen  nicht  ganz  mit  Un- 
recht in  unserer  Zeit  in  Verruf  gekommen  sind. 
Denn  wenn  wir  uns  auf  die  Grenzen  be- 
sinnen, welche  die  Malerei  und  epirche  und 
dramatische  Poesie  von  einander  trennen,  so 
finden  wir,  daß  die  Malerei  zu  allererst  den 
Raum,  die  Dichtkunst  die  Zeit  zum  Gegen- 
stand hat.  Jene  ist  ein  Spiegel  des  Seins, 
diese  ein  Spiegel   des  Werdens.    Das   ist    der 


fundamentale  Unterschied  beider  Künste.  Ich 
will  damit  nicht  gesagt  haben ,  daß  die  eine 
Erscheinungsform  die  andere  ausschließt,  son- 
dern nur,  daß  die  eine  in  dieser,  die  andere 
in  jener  Kunst  dominiert,  entsprechend  der 
jeder  eigentümlichen  Ausdrucksweise.  Nie- 
mand wird  bestreiten  wollen,  daß  die  Beweg- 
ung Gegenstand  der  Malerei  sein  könne.  Jede 
Bewegung  aber  steht  in  Beziehung  zur  Zeit. 
Gewiß  kann  auch  die  Zeit  Gegenstand  der 
Malerei,  der  Raum  Gegenstand  der  Dichtkunst 
sein.  Der  Unterschied  besteht  nur  darin,  daß 
die  Malerei  die  Zeit  mit  räumlichen  Mitteln, 
die  Dichtkunst  den  Raum  mit  zeitlichen  Mitteln 
darstellt,  denn  wie  die  Fläche,  auf  der  das 
malerische  Kunstwerk  wahrnehmbar  wird,  im 
Räume  ist,  so  ist  das  Mittel,  dessen  die  Dicht- 


O.  ZWINTSCHER    KLDTZSC'HE-DRESDEN.       »SELBST-BILDNIS- 


■■■■■■■■■■■■■■■■■ 

Z>/('  G)(')ize)i  der  Malerei 

■ 

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einwenden,        daß       ■ 

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doch    alle    Malerei       ■ 

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vomZeichnerischen       S 

2       jede  Kunst  im  Hin- 

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ausgehen       müsse.        ■ 

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Gewiß,     aber    von       ■ 

■       drucksmittel      ent- 

k^wiM 

t\f 

LJLa 

dem          Zeichneri-        S 

■       weder      auf      den 

^^ 

ä£^ 

sehen,    das    Seins-        ■ 

■       äußern     oder     auf 

S 

Hk 

bestände  und  nicht        ■ 

■       den     innern     Sinn 

i 

B 

Zustände  des  Wer-        J 

■       (Raum    oder    Zeit) 

1 

w^ 

dens  festhält.  Jedes        ■ 

■       beschränkt    ist,   im 

' 

A 

■^ 

malerische     Kunst-        ■ 

■  Hinbhck     auf     ihre 

■  Zwecke  aber  beide 

Wm 

werk,  und  wäre  es        S 

V 

rein  malerisch  noch        ■ 

■       umfassen          kann. 

so    vorzüglich,    das        ■ 

■       Demnach  sind  Mit- 

aber   in    bedeuten-        \ 

J       tel  und  Zweck  ent- 

dem  Maße  Zustän-        ■ 

■       weder  sinnlich  ver- 

de     des     Werdens        ■ 

■       schieden  oder  sinn- 

schildert,  bringt  ei-        \ 

£       lieh     konform.     — 

nen  Konflikt  in  die        ■ 

■       Hier     möchte     ich 

Anschauung       des       ■ 

■       nur  einschalten,  daß 

. 

Beschauers,  indem        ■ 

5       diejenige        Kunst, 

jgä 

es     sein     Interesse        ■ 

■       welche     am     beru- 

zwischen  den  Vor-        ■ 

■       fensten   ist,    Bewe- 

^  ^            ^^  ^^a» 

stpllll  ntion   \?*-»Ti  ^/i.'r. 

jk#  SJJM 

■Jit iiuiij^t. jj  von  ocin        ■ 

'       gungsmotive       und 

SM 

und     Werden     hin        ■ 

J       somit  zeitliche  oder 

pL  • 

und  her  schwanken        ■ 

■       kausale        Verhält- 

.'^M 

•  ^»ai 

läßt     und    so    jede        ■ 

2       nisse  des  Objektes 

S^ 

Konzentration    der       ! 

■       räumlich      darzu- 

fral»>;         -lli 

Anschauung      ver-        ■ 

■       stellen,  dieZeichen- 

^Hr ' "  ^IwRs-'^ 

hindert.      Man   hat       S 

a       kunst  ist.    Sie  ope- 

i^Bv   ip^'"  7  T^ 

bisher    dieses   Ab-       J 

■       riert  vorherrschend 

^^^HMww  v 

lenkende        „stoff-        ■ 

■       mit   der  Linie;    die 

,|^B2|**,  *-!'-/ 

liches"        Interesse       ■ 

H       Linie  aber   ist  das 

•»K»?^  """-   — 

■■nla"  -. "^ - J 

genannt.      Das    ist       J 

2       adäquate           Aus- 

-__! 

^^^B  *f^r  "       J 

ungenau         ausge-       ■ 

■       drucksmittel        der 

P^-.:v^ 

It^Hil 

drückt,    denn  auch       ■ 

■       Bewegung.  Wie  nun 

ll     _if|#iin  ^- 

^Vv 

das  Sein  ist   stoff-       ■ 

■       die       Zeichenkunst 

r      "' 

lieh.     Hier  handelt       ■ 

■       durch     zu    flächige 

•^i* 

es     sich     vielmehr       ■ 

5       Behandlung         die 

^^ 

^1 

um     ein     Interesse       5 

J       Wirkung   der  Linie 

IT-    -     ^— 

€^ 

'-■■ 

am    Kausalen,    das       ■ 

■       beeinträchtigt,     so 

^           '"% 

die         Betrachtung       ■ 

J       erleidet  umgekehrt 

■t 

^^^  i 

des   rein    Seienden       \ 

[       die  Flächenwirkung 

_                  " 

Wt    ^    ^^B' 

störend   beeinflußt.        ■ 

1       der   Malerei   durch 

'■  "ri 

—   Es  ist  ein  Ver-       ■ 

!       zu  starkes  Betonen 

-  — A 

^p     ~       J 

-'■■  "^tA  ■  '■ 

dienst  unserer  Zeit,       J 

[       des    Linearen   Ein- 

y- 

^^K  'V 

yj'.,. 

diese    das    Wesen       ■ 

1       büße.    Das  ist  eine        ■ 

■  ^_^.,„, 

'^r    ^ 

^   Ibl' 

der  Malerei  im  in-       ■ 

1       im  Wesen  der  Sache        ■ 

•  " 

»r    A 

ti  SL 

nersten    Kern     be-       J 

'        begründete  Gesetz-         1 

%Mi 

5    i 

il  W». 

rührenden    Proble-        ■ 

mäßigkeit,       deren        1 

' 

'  V^     \ 

iA  rlH\. 

nie  aufgegriffen  und       S 

Außcrachtlassen 

jr^'m.      1 

^'^   ll'.:       v^i 

}^egen      tief      wur-       J 

ein    Verstoß   gegen 

/\VI\  ISCIIKK 

■■■■■■■■ 

■■■■■■■■ 

zelnde  Irrtümer  an-        ■ 
gekämpft  zu  haben.       \ 

■■■■■■■■■■■ ■■■■■! 

(7.  JJ:  Srlnvr>izc,-}r,-tll,uli. 


I  in  i'rT/.-_\ir.\cHE\. 


•  icinälde:     Dame  in  Blau 


Mit  GcnehiiiigUMg  von   Klinkli.ii  ilt  tl  liioinunil     Lcipzii 


Die  ganze  von  Frankreich  ausgehende  Bewe- 
gung, die  das  rein  Malerische  erstrebt,  ist  ein 
Beleg  dafür.  Daß  diese  Bewegung,  also  das 
Besinnen  auf  das  sinnliche  Fundament  der 
Kunst  von  Frankreich  ausgehen  mußte,  ist  be- 
zeichnend für  die  Eigenart  dieses  Volkes.  In 
dieser  Hinsicht  können  wir  Deutsche  von  un- 
sern  westlichen  Nachbarn  lernen.  Man  nennt 
uns  nicht  umsonst  das  Volk  der  Dichter  und  Den- 
ker, Wir  lieben  es,  zu  fabulieren  und  uns  ins 
Abstrakte  zu  verlieren.  Unser  Wesen  ist  nicht 
so   auf  das  Sensible,   als   auf  das    Intelligible 


eingestellt.  Das  ist  unsere  Schwäche,  aber 
auch  unsere  Stärke.  Unsern  Nachbarn  gehört 
die  Oberfläche  der  Dinge,  uns  aber  die  Tiefe. 
Aus  dieser  nicht  wegzuleugnenden  Tatsache 
ergeben  sich  die  Richtlinien  für  die  Weiter- 
entwicklung unserer  Malerei.  Die  Eigenart 
des  deutschen  Wesens  wird  dafür  sorgen,  daß 
wir  nicht  in  reiner  Oberflächenmalerei  stecken 
bleiben,  denn  was  bis  jetzt  erreicht  iit,  und 
dessen  wir  uns  von  Herzen  freuen  sollen,  das 
ist  der  rechte  Weg,  aber  nicht  das  letzte  Ziel. 
Ebenso   wenig,    wie    diejenigen    recht   haben, 


Die  GiYiizeti  der  ]\Iah\ 


I.KO  l'IJT/.-MUXCHKN. 


naUle:     Stille  Zeit 


die  auf  den  Inhalt  des  Kunstwerkes  auf  Kosten 
des  Formalen  hinarbeiten,  sind  ihre  extremen 
GejSner  im  Recht,  die  alles  Heil  vom  Nur- 
formalen erwarten.  Was  soll  denn  das  heißen, 
Nurform  ?  Es  gibt  keine  Form  ohne  ein  form- 
gebendes Prinzip.  So  einfach  ist  die  Welt 
denn  doch  nicht,  daß  man  sie  von  irgend  einer 
ihrer  vielfältigen  Erscheinungsweisen  ausge- 
hend, erfassen  könnte.  Die  Kunst  aber  ist  die 
Welt ,  aus  der  Kontemplation  des  schöpfe- 
rischen Künstlergeistes  wiedergeboren. 


Dieser  Künstlergeist  ist  das  Primäre  bei  je- 
dem Kunstwerke.  Denn  vor  aller  Form  sucht 
die  in  ihrem  Wesen  mehr  oder  weniger  scharf 
umgrenzte  Künstlerpersönlichkeit  für  ihren 
Wesensinhalt  die  adäquate  Form,  und  was 
nun  so  künstlerische  Gestalt  gewinnt,  ist  je 
nach  der  Eigenart  des  Künstlers  lachende 
Freude  an  Form  oder  Farbe,  am  Minfließen 
des  Lichtes  oder  die  Teilnahme  des  Genies  an 
dem  Ewigkeitsgehalt  der  Dinge. 

Das  Formale  der  Malerei  wie  jeder  andern 


Die  Grciizri!  der  Jlfa/ere, 


i.Ed  IT!/,    munchk: 


Gemälde:  »Bikinis  in  (jraii« 


Neue  Erwerbung  des  Vi'allr.it  Riclm 


Kunst  ist  den  strengsten  Gesetzen  der  For- 
men unserer  Sinnlichkeit  unterworfen;  der  In- 
halt aber  für  dieses  Formale  entspringt  dem 
schöpferischen  Geiste,  der  in  reiner  Kontem- 
plation zum  klaren  Spiegel  der  Welt  wird,  und 
ihre  ewigen  Ideen,  die  beharrenden  wesent- 
lichen Formen  ihrer  Erscheinungen  erfaßt  und 
künstlerisch  gestaltet. 

Wir  wissen,  daß  die  Malerei  fähig  ist,  über 
all   das  Wandelbare   und  Allzuzeitliche,   von 


258 


dem  uns  die  Zeit  und  Völkerpsychologie  er- 
zählt, hinauszuwachsen.  Ich  erinnere  nur  an 
Hans  V  Marees,  dessen  eminente  Bedeutung 
für  unsere  Malerei  darin  liegt,  daß  er  dieses 
höchste  Ziel  erkannt  und  erstrebt  hat  und 
wenn  ihm  auch  leider  nur  vergönnt  war,  es 
von  ferne  zu  schauen,  so  ist  er  doch  wie  We- 
nige berufen,  ein  Wegweiser  zu  sein  nach  jener 
Höhe,  wo  der  künstlerische  Wille  Ewigkeits- 
werte  schafft.  C.  U.  SCHWEN/.F.R     METTL.VCH. 


CKORülC  IMINN'I''.      I.AETHKM. 

MAKMOK-I'IASl  IK:       IIIE  BADENDE«. 


BESIT/.EK:   FRITZ  WAKKNDOREER      \VIE> 


GEORGE  MINNE— LAETHEM. 


t'ite  Plastik  des  Ri 'deiibach-DenUmals.    Marmor. 
Besitzer:  Fritz  Waerndortcr-Wien, 


GEORGE  MINNE. 


Als  ich  das  erste  Mal  die  pfeilerhaft  steil- 
^  aufragenden  Umrißlinien  von  Minnes 
marmorn  weißblinkenden  knieenden  Knaben 
sah,  erinnerte  ich  mich  der  Worte  aus  Stefan 
George  „Altchristlicher  Erscheinung":  „Man 
erwartete  die  Segnung  des  Knaben  Elidius.  Er 
mit  seiner  sündigen  Schönheit,  kniete  nun  nackt 
und  schlicht,  und  als  ob  er  allein  wäre,  auf  dem 
erhöhten  vergitterten  Chor ;  die  Stirne  in  An- 
dacht tief  geneigt  und  in  einen  Mantel  von 
Schatten  und  Weihrauch  gehüllt.  Während  in 
der  Seitenkapelle  sich  die  Oberhirten  und 
Priester  berieten ,  ob  ihm  die  Heiligung  zu 
gewähren  sei,  murmelten  weiße  Gestalten  an 
den  Altären  lange  Litaneien ,  und  das  Volk 
schaute  und  harrte  unter  stummen  Gebeten." 
So  durchaus  sakral  wirkte  das  monumentale 
Steingebilde,  vor  dem  ich  staunend  stand. 
Zuvor  hatte  ich  dann  und  wann  eine  Zeich- 
nung, einen  Holzschnitt  von  Minne  in  einem 
belgischen  Buche  und  in  Heften  der  „Insel" 
gesehen,  und  mir  dabei  schon  immer  gedacht: 


das  sind  doch  Arbeiten  eines  Bildhauers.  Nun 
sah  ich  den  Bildhauer  und  andere  sahen  ihn 
mit  mir.    Dies  geschah  in  Wien. 

Irgendwann,  irgendwo  und  irgendwie,  hatte 
Meier-Graefe  einmal  einige  zeichnerische  und 
bildnerische  Arbeiten  von  Minne  gesehen,  und 
mit  seiner  feinen  Witterung  in  ihnen  sogleich 
die  Hand  des  meisterlichen  Künstlers  erkannt. 
Gleich  darauf  führte  der  Weg  Meier-Graefe 
nach  Wien  und  in  den  Kreis  der  Sezessionisten. 
Übervoll  des  neuen  und  starken  Eindruckes, 
warb  er  in  eindringlicher  Rede  um  Anteilnahme 
für  den  „neuen,  den  kommenden  Mann  in  der 
Plastik".  Professor  J.  Hoffmann  vernahm  die 
Kunde,  fuhr  nach  Brüssel  und  brachte  Minnes 
Brunnen  nach  Wien.  Minnes  erstes  öffent- 
liches Auftreten  vollzog  sich  also  in  der  Wiener 
Sezession.  Minne  berührte  das  Publikum  als 
Fremdling  und  durch  seine  ganze  Art  be- 
fremdend. Der  Menschenschlag,  für  den  das 
Barock  derwesensgemäße  formale  Ausdruck  zu 
sein  schien,  der  sein  lebhaftestes  Ergötzen  an 


241 


Georoe  Mi)i>ic. 


GEORGE  MINNE.  Ringende  Knaben   .    Kichenhdz. 

Im   foIkw.ing-Miiseum  zu  Hagen  i.  Westfalen 

den  wuchtifi  ausladenden  Hüften  der  Rubens- 
weiber und  allerlei  Geschnörkel  fand,  vermißte 
auf  den  ersten  Blick  die  sinnlich  eindrinj<lich  wir- 
kende Erscheinung.  Die  von  Minne  darge- 
botene Leiblichkeit  dünkte  den  Wienern  allzu 
dürftig,  das  Körperliche  ein  gebrechliches  und 
karges  Gefäß  der  Seele  ,  dem  der  sinnliche 
Anreiz  völlig  mangelte  ,  auf  den  die  Wiener 
so  sehr  schwer  verzichten.  Der  fleischlichen 
Fülle  zugetan,  erschraken  sie  vor  Minnes  „aus- 
gemergelten Gestalten",  den  wunderlichen 
Gebilden  aus  „Seele,  Haut  und  Knochen", 
die  entkutteten  asketischen  Klostergestalten 
glichen.  Das  Mittelalter  schien  sich  in  Minnes 
Figuren  zu  verkörpern,  nicht  wie  es  war,  son- 
dern wie  es  ekstatische  Schwärmer  erträumen. 
Auf  die  anfängliche  Verblüffung,  den  gereizten 
Ärger  und  das  witzelnde  Genörgel,  folgten 
aber  bald  stille  und  dann  gar  auch  noch  laute 
Bewunderung;  steht  doch  in  Wien  der  St. 
Stefansdom,  der  den  Bereitwilligen  das  Ver- 
ständnis der  Minneschen  Plastiken  vermitteln 
konnte.  Man  brauchte  bloß  an  die  Figuren 
dieses  gotischen  Bauwerks,  oder  an  die  der 
Dome  ^u  Naumburg  und  Köln  zu  denken,  die 
sich    den    Strebepfeilern    und    gerillten   Trag- 


säulen, die  sich  der  gesamten  Architektur  an- 
passen, um  zu  erkennen,  daß  Minnes  Plastiken 
im  Anschluß  an  die  Architektur  gedacht  und 
geformt  sind,  daß  sich  ihr  Stil  aus  bestimmten 
architektonischen  Anforderungen  ergibt.  Man 
begriff  nun  auch,  warum  die  Wiener  Sezession 
zur  Aufstellung  des  Brunnens  eine  eigene 
Tempelrotunde  erbaute,  man  sah,  daß  Minnes 
Plastiken  unbewegliche  Stücke  sind,  und  daß 
es  nicht  des  vlämischen  Bildhauers  Schuld  ist, 
wenn  er  sie  als  kleine  tragbare  Stücke  aus- 
führt, die  in  Salons  feinschmeckerischer  Samm- 
ler Aufstellung  finden.  Der  Streit,  ob  Minnes 
Werke  schön  seien,  ruhte  aber  deswegen  noch 
nicht ,  und  wenn  die  einen  ihre  Schönheit 
priesen,  schmähten  die  andern  seine  Figuren 
als  geradezu  abstoßend.  Flin  müßiger  Streit, 
denn  es  vermochte  noch  keiner  zu  sagen,  was 
wesentliche  Schönheit  ist.  Diejenigen,  die 
sich  für  die  in  diesen  Dingen  vorgeschrittensten 
halten,  beanspruchten  für  ihre  Meinung,  daß 
Proportion  Schönheit  sei,  die  Geltung.  Doch 
kann  „Übereinstimmung  der  Teile  darum  nicht 
Schönheit  sein  ,  weil  die  Frage  übrig  bleibt : 
welche  Proportion  unter  so  vielen  vorhandenen 
Proportionen    die    schönste    sei?     Die    Teile 


\i.      Mairn.iipl.istik:     Kn.ilie  mit  Schl.mcli 
1  olkwang-Museum  zu  Hagen  i.  Westfalen. 


geor(;e  minxe    laethe.m. 

PROJEKT  F.INKS  DKXKMALS.  MARMOR. 
Im    Besitz    von    Fritz    Wacrndorter  —  Wien. 


Givroe  Jlfi) 


eines  Kamtscliadalen  stimmen  so  ^ui  als  die 
Teile  des  Antinoos  überein,  und  überhaupt 
ist  Proportion  nichts  weiter  als  Maß"  (Sturz). 
Um  Schönheit  im  landläufig  iierf^ebrachten 
Sinn  ist  es  Minne  auch  gar  nicht  zu  tun  ;  er 
sucht  zu  erj^ründen  ,  was  in  jeder  Form  vor- 
trefflich und  fehlerhaft  ist,  das  letzte  zu  ver- 
werfen, das  erste  zu  wählen,  sich  über  Eigen- 
tümlichkeit und  Zufälligkeit  zu  erheben,  das 
heißt  nur  die  Art,  nicht  die  besondere  Gattung 
darzustellen.  Er  hat,  wie  sein  Entdecker  sagt, 
die  Sehnsucht  nach  etwas  Unpersönlichen, 
weil  im  höheren  Sinne  Persönlichen ,  einen 
Drang  nach  einem  Gemeinschaftlichen ,  nach 
Konventionen,  die  dem  wilden  Eigendünkel 
Zügel  anlegen,  nach  Ruhe.  Danach  strebt 
Minne,  und  das  Ziel  ist  ihm  wichtiger  als  das 
Mittel.  „Der  Sieg  über  die  Originalität,  höchste 
Selbstbezwingung,  die  Übersetzung  des  Ehr- 
geizes auf  ein  anderes  Niveau,  das  ist  Minne". 
Das  hier  Gesagte  will  nur  als  Fingerzeig, 
nicht  etwa  als  restlose  Erläuterung  gewertet 
werden.  Minnes  Wesen  und  seinem  Werk 
würde  das  Höchste  fehlen,  ließen  sie  sich  rest- 
los ausdeuten.  Man  mag  ihn  und  seine  Ar- 
beiten mystisch  nennen,  immerhin  —  denn 
es  ist  etwas  vom  katholischen  Mystizismus 
des  Ruysbroeck  in  ihnen  ,  aber  niemals  ver- 
worren. Wem  Minnes  Werk  nicht  in  allen 
Teilen  „plausibel"  erscheint,  der  möge  be- 
denken, daß  das  wahre  Kunstwerk  auch  gegen- 
über der  eindringenden  Forschung  des  um  die 
Gesetzmäßigkeit  des  Kunstgeschehens  Wissen- 
den noch  ein  Geheimnis  bewahrt,  das  sich  nur 
dem  gesteigerten  Gefühl  des  geistig  würdig 
Vorbereiteten  offenbaren  mag.  Einige  Men- 
schen kennen  seit  ein  paar  Jahren  den  Mann 
und  den  größten  Teil  seiner  Werke,  sie  wissen 
aber  von  beiden  nicht  viel,  und  das  wenige 
ist  mehr  oder  minder  sagenhaft.  Am  ge- 
nauesten kennt  den  Mann  und  sein  Werk  der 
eminent  kultivierte  Kunstfreund  und  Leiter 
der  „Wiener  Werkstätte",  Fritz  Waerndorfer 
in  Wien,  der  sich  des  Besitzes  einer  Anzahl 
(der  größten  in  privatem  Besitze  befindlichen) 
schöner  Plastiken,  Zeichnungen  und  Skizzen- 
bücher von  Minne  erfreut.  Über  Minne  be- 
fragt, erzählte  Herr  Waerndorfer ; 

Es  gab  eine  Zeit,  in  den  neunziger  Jahren, 
da  tauchte  zuweilen  in  den  Ateliers  und  in 
den  Cafes  der  Brüsseler  Künstler  ein  in  den 
Gliederverhältnissen  wohl  gut,  aber  klein  ge- 
wachsener und  linkischer  Mann  auf.  Sein 
weichflächig  sanftes  Antlitz  war  blaß  und  von 
blondem  Haar  und  Bart  kräuselig  umrahmt, 
trug  aber  eine  spürende,  kräftige  Nase  und  in 


trockenem  Glänze  tiefblickende  Augen  hinter 
träumerisch  halbgeschlossenen  Lidern.  Ein 
Zeichner  und  Bildhauer,  kaum  gekannt  von 
den  Künstlern  Brüssels,  lebte  er  seit  Jahren 
in  einer  ärmlichen  Behausung  aus  Stube  und 
Küche  in  einem  der  proletarischen  Stadtteile 
am  Rande  der  belgischen  Residenz.  Sein  zau- 
dernd abgerissenes  Sprechen,  seine  gleichsam 
verhaltene  Mitteilsamkeit,  die  für  heimlich 
verächtliches  Schweigen  gehalten  werden 
konnte,  sein  rasch  verhuschendes,  scharfliniges 
Lächeln  oder  kurzes,  stoßweises,  gleichsam 
plötzlich  aufkollerndes  grimmiges  Lachen,  und 
sein  unbeholfenes  Gehaben,  gewannen  ihm 
anfänglich  nicht  viel  Zuneigung,  sondern  brach- 
ten ihn,  so  lange  man  ihn  nicht  näher  kannte 
und  von  ihm  noch  keine  bedeutenderen  Ar- 
beiten gesehen  hatte,  in  den  Ruf,  ein  plumper, 
handwerklicher  Steinmetz  mit  beschränktem 
Kopf  oder  hinterhältig  bösartiger  Gesinnung 
zu  sein.  Nur  wer  aufmerksamer  hinsah  und 
sich  auf  Mienendeutung  verstand,  gewahrte 
die  Merkmale  einer  zwar  unmitteilsamen,  aber 
wahrhaften  Güte  und  den  stillen  und  zähen 
Willen  eines  der  Aufopferung  fähigen  Herois- 
mus im  Antlitz  dieses  sonst  unscheinbaren 
Mannes,  George  Minnes.  Sohn  eines  vlä- 
mischen  Bauern  aus  der  Brügger  Gegend,  der 
aber  seine  Herkunft  von  Karl  dem  Fünften 
ableitet,  blieb  Minne  unbeachtet  im  Dunkel, 
und  litt  mit  seinem  Weibe  und  seinen  Kindern 
alle  Dürftigkeit  bis  zur  bittersten  Hungersnot. 
Aber  just  die  Not  war  es,  die  ihn  nicht  nur 
beten,  die  ihn  auch  arbeiten  lehrte.  Er  dingte 
lange  Jahre  beharrlich  nicht  um  Brot  und  Ruhm, 
sondern  um  seine  Kunst,  um  die  Reinheit  und 
die  gotische  Seele  in  seiner  Kunst,  bis  sich 
ihm  die  Gnade  schenkte.  Um  zur  Kunst  zu 
gelangen,  zog  er  sich  von  den  andern  immer 
mehr  ab  und  in  sich  zurück,  wurde  er  insula- 
risch,  kapselte  er  sich  ein.  Der  müßige  Atelier- 
schwatz, all  der  heftige  aber  leere  Meinungs- 
streit, das  Prinzipien-  und  Theoriengezänke 
wurden  ihm  eben  so  tief  widerwärtig,  wie  der 
Dünkel  der  Maler,  Bildhauerund  Schriftsteller, 
von  denen  die  einen  verwöhnte  Publikums- 
Lieblinge  und  geldgierige  Bourgeois,  die  andern 
verbitterte  und  verlotterte  Bohemiens  waren, 
und  von  denen  die  einen  die  Lebensführung 
der  Großindustriellen,  die  anderen  die  der 
„verkannten"  Genies  nachäfften.  Er  siedelte 
sich  in  dem  Dorfe  Laethem-St.  Martin  an  und 
geriet  in  völlige  Verschollenheit.  Erst  als  die 
belgische  Zeitschrift  „van  Nu  en  Straks"  Zeich- 
nungen von  Minne  vervielfältigte,  darunter  die 
durch  den  Ausdruck  seltsam  ergreifende  einer 


-44 


GEORGE  MINNE  -  LAETHEiM. 
MARMOR -PLASTIK:  -UIE  NONNK  :. 
Im    Besiti    von   Fritz  Waerndorfer-Wicn. 


GEORGE  MINNE  LAETHEM. 
MARMOR-PI.ASTIK  :  DER  MAURER  . 
Im    Besitz    von    Fritz   Wacmdorfer— Wien. 


iKllK  MINNE  I.AETHEM. 
\-l'l,.\sriK:  DIKTRAUKRNI)?-:  . 
lesilz    von    Irilz   Wacrndorfer-Wien. 


Gc, 


^fii 


Mutter  mit  dem  nackten  Säugling  im  bergenden 
Arm  und  der  kosend  ans  Knie  geschmiegten 
Tochter  (eine  Idee,  die  später  in  Stein  pla- 
stische Form  gewann)  wurde  ein  kleiner  Kreis 
von   Kunstfreunden    auf  Minne    aufmerksam. 

Diese,  seine  ersten  archaisierenden  Zeich- 
nungen muteten  zwar  mittelalterlich  einfältig 
und  innig,  aber  auch  ehrlich  an.  Minne  gelangte 
zur  gotischen  Form  aus  Naturnotwendigkeit, 
sie  war  durchaus  kein  modisches  Stilmäntel- 
chen,  das  er  umhängte.  So  war  es  auch  kein 
Zufall,  daß  er  sich  zum  Illustrieren  die  Bücher 
seiner  Landsleute  Maeterlinck  und  Verhaeren 
wählte.  Er  fand  in  ihnen  eben  nur  mit  andern 
künstlerischen  Ausdrucksniitteln  das  gleiche 
gestaltet,  was  bei  ihm  zum  bildnerischen  Aus- 
druck drängte.  Wie  in  allen  künstlerisch  wert- 
grädigen  Gebilden  der  Gotik  vollzog  sich  auch 
in  Minnes  Arbeiten  die  wundersame  Verschmel- 
zung der  Wiedergabe  von  Tatsachen  aus  der 
Einbildungssphäre ,  wie  sie  wirklicher  und 
wesenhafter  nicht  gedacht  werden  kann,  mit 
der  Darstellung  von  Dingen  der  Natur,  die  in 
eine  seltsame  Höhe  des  Stils  gehoben  wurden 
aus  ihrem  langweiligen,  gewöhnlichen  Dasein  : 
die  Beseelung  der  Sinnesdinge  ,  die  Versinn- 
lichung  verborgenster  Ereignisse  des  Geistes 
und  Gemütes. 

Ich  sehe  mich  genötigt,  mich  selbst  zu  zitieren , 
um  verständlich  zumachen,  was  ich  hier  meine. 
Minne  ist  einer  von  jenen  gotischen  Künstlern, 
die  sich  absondern,  auf  sich  selbst  beschränken 
und  in  eine  tiefe  Kontemplation  versinken.  Er 
vermochte  sich  dahin  zu  bringen  ,  ein  langes 
Schweigen  zu  halten,  in  dem  allgemach  große 
Dinge  vernehmlich  wurden.  Er  hat  mit  den 
bleichen,  hageren  Mönchen  indenkahlenZellen 
der  einsamen  und  stillen  Klöster  gehaust ;  er 
hat  sich  bei  flackerndem  Fackelschein  in  den 
hallenden  Gewölben  die  Lenden  gegeißelt,  und 
saß  mit  den  Mönchen  auf  den  geschnitzten 
Chören  und  sang  Lieder  zum  Preise  Gottes, 
und  er  schnitzte  und  meißelte  wie  sie  aus 
Eichenbohlen  und  Steinblöcken  Figuren,  die 
so  wundersam  sind,  daß  Menschen  sie  kaum 
anzufassen  wagen ,  sondern  nur  anzubeten. 
Nun  sagt  man  allerdings  ,  daß  die  Leiber  der 
Gotiker  garstig  seien.  Ja,  im  Sinne  der 
Griechen.  Die  Leiber  sind  die  Hüllen  der 
Seelen  und  verändern  sich  mit  diesen.  Die 
Seelen  der  Gotiker  sind  nicht  mehr  griechen- 
lieiler,  sie  litten  bittersten  Schmerz  und  ihre 
Hüllen  weisen  die  Male.  Die  alten  gotischen 
Meister  trachteten  nach  dem  künstlerischen 
Ausdruck  dieser  leidensvollcn  Seelen  ,  und 
weil   das  Leiden   nicht  \erschönt,    schufen  die 


Meister  Garstiges.  Dafür  haben  die  Stigmati- 
sationen des  Leidens,  welche  die  Gotiker  ge- 
wahrten, das,  was  die  Griechen  nur  schön  ge- 
stalten konnten,  bei  den  Gotikern  erschütternd 
und  erhaben  gemacht.  Die  Garstigkeit  des 
menschlichen  Leibes  ist  von  einer  seltsamen 
Traurigkeit  und  Größe ,  und  weil  sie  diese 
große  Traurigkeit  der  leiblichen  Häßlichkeit 
verstanden  und  meisterlich  wiedergaben,  er- 
reichten die  Meister  der  Gotik  eine  hohe  Stufe 
in  der  ästhetischen  Hierarchie.  Der  Schmerz, 
nicht  die  Lust  ist  ihre  Muse.  Ihre  Kunst  ent- 
springt keiner  großen  Heiterkeit,  sondern  einem 
großen  Ernste.  Minne  ist  ein  solcher  gotischer 
Meister,  und  er  ist,  wie  Meier- Graefe  sagte, 
ein  wahrer  Virtuose  des  Schmerzes;  aber 
Minne  stellt  den  Schmerz  nicht  naturalistisch 
dar,  er  appelliert  nicht  an  unser  Mitleid,  die 
„engere,  moralische  oder  soziale  Situation  des 
Dargestellten  bleibt  ganz  außerhalb,  und  die- 
selbe Bewegung,  die  uns  das  Elend  zeigt,  ver- 
weist uns  zugleich  auf  die  Ferne  dieses  Leids, 
die  unerreichbare  Ewigkeit  der  Schmerzen,  und 
drängt  uns  zur  Bewunderung,  nicht  zur  Hilfe". 
Das  gibt  den  meisten  seiner  Kunstwerke  jenen 
uns  geheimnisvoll  überhauchenden  Reiz  einer 
uns  ungeheuer  und  erhaben  anmutenden  Größe, 
einer  Größe,  die  beispielsweise  in  der  steilen 
Kontur  und  Haltung  des  trauernd  geneigten 
Frauenkopfes  für  sein  Rodenbach-Denkmal, 
an  die  Lieblichkeit  und  Strenge  unserer  nor- 
dischen Gebirge  gemahnt,  wie  zutreffend  gesagt 
wurde.  Größe  hat  auch  die  ursprünglich  als 
Ideenskizze  für  ein  Denkmal  des  belgischen 
Sozialistenführers  Volders  geschaffene ,  nun 
aber  auf  Waerndorfers  Bestellung  in  Marmor 
ausgeführte  Plastik :  zwei  nackte  Männer  stehen 
spreizbeinig  auf  schwankem  Schiff  einander 
gegenüber ,  das  Gleichgewicht  haltend  und 
bereit ,  sich  gegenseitig  zu  stützen.  Eine  ge- 
dankentiefe  Symbolik  für  die  soziale  Idee,  wie 
sie  in  einem  plastischen  Kunstwerk  nicht  ein- 
facher und  zugleich  wirkungsvoller  gedacht 
werden  kann.  Größe  ohne  Pose  und  Palhos 
hat  auch  „Der  Redner";  kathedrale  Größe 
haben  die  holzgeschnitzten  drei  vermummten 
„Beguinen",  Größe  hat  der  „Reliquienträger", 
und  Größe  und  unendliche  Anmut  hat  die 
„Badende"  in  ihrer  gleichsam  ewigen  Geste 
voll  Rhythmus  und  Wohllaut.  — 

Mit  diesen  Marginalien  zu  Minnes  Werken 
möge  es  hier  sein  Bewenden  haben ,  zumal 
Kunstwerke,  wie  ich  schon  bei  anderer  Ge- 
legenheit einmal  schrieb,  nicht  da  sind,  um 
besprochen,  sondern  um  erschaut,  erfühlt  und 
genossen  zu  werden.  —  auiiii  k  Knis>ii;K. 


-r) 


vv 


ORTSCHAFT  UND  KUNST/)  Wcnn- 
S^leich  die  Abfassung  einer  Geschichte 
der  modernen  Bewegung  immer  noch  als  ver- 
früht zu  bezeichnen  ist,  so  tut  es  doch  gut, 
wenn  die  zurückgelegte  Wegstrecke  ab  und  zu 
von  in  der  Zeit  stehenden  Männern  gemessen 
und  registriert  wird.  In  dem  genannten  Werk 
hat  ein  Volkswirtschaftler  und  Sozialpolitiker 
sich  der  Aufgabe  unterzogen.  Recht  genom- 
men, ist  damit  nur  der  Anfang  vom  Ende  ge- 
schildert. Große  Wirtschaftsfragen  sind  bisher 
noch  kaum  berührt  worden,  und  die  Lebens- 
führung unter  dem  Einflüsse  der  Moderne  be- 
ginnt neuerdings  erst  weiteren  Kreisen  ein 
sichtbares  Zeichen  der  Zeit  zu  werden.  Außer 
Zweifel  scheint  schon  heute,  daß  Deutschland 
durch  die  moderne  Bewegung  auch  handels- 
politisch gewaltig  gewinnen  wird.  Die  bis  1 893 
auch  noch  in  Chicago  geholten  Schlappen  sind 
seit  einem  Jahrzehnt  mehr  als  ausgewetzt. 

In  der  Gruppierung  der  geschichtlichen  Mo- 
mente ,  der  Herausschälung  der  treibenden 
Kräfte  wie  der  Würdigung  des  Erreichten  ist 
Waentig  sorgfältig  und  liebevoll  zu  Werke  ge- 

)  Wirtscli.ifl  mul  Kunst.  Eine  Untersuchuni;  iiber  Qeschiclile  und 
Theorie  der  modernen  Knnstgewerbeheweeun^f  von  Heiiiricli  W.ientig- 
43)S-S»  broeli-  M.  S.-,  geb.  M.  9.-.   Verl.li;  Oustav  Hsclier-Jena,  imw 


gangen.  Rekapituliert  er  auch  die  einleitende 
englische  Bewegung  etwas  ausführlich,  deut- 
schen Vorgängen  nicht  immer  gleichwertig 
gerecht  werdend,  so  wird  er  doch  überall  zum 
Dolmetsch  der  großen  Geschehnisse.  Schärfer 
denn  je  stehen  sich  die  Vertreter  der  verschie- 
denen Produktionsweisen  und  Geschmacks- 
empfinden gegenüber.  Da  tun's  Worte  allein 
nicht  mehr,  Taten  müssen  vermitteln,  über- 
zeugen. Das  kann  einzig  und  allein  für  Publi- 
kum und  Kämpfende  nur  Aufgabe  der  großen 
führenden  Kunstzeitschriften  sein,  nicht  der 
Tagespresse.  Es  ist  lebhaft  zu  bedauern,  daß 
selbst  in  so  ausgezeichneten  Büchern  wie  dem 
vorliegenden,  dieser  großen  Kunstzeit- 
schriften mit  ihrer  umfassenden  publizisti- 
schen Tätigkeit  in  der  schnellen  und  weit- 
reichenden Verbreitung  guter  Abbil- 
dungen der  gesamten  künstlerischen 
Produktion  immer  nur  in  den  „Literatur- 
nachweisen" gedacht  wird.  Und  doch  fließen 
die  Lebensquellen  mit  ihrer  treibenden  und 
mitreißenden  Kraft  von  hier  aus  am  reichlich- 
sten. Es  wäre  wohl  angebracht,  den  großen 
Verdiensten  der  deutschen  Kunstzeitschriften 
ein  besonderes  Kapitel  zu  widmen.    .  i.  ^'  m.    i  . 


iEiiRCL  MINNE      1.. 


Waimorplastik:     Der  Redner« 

.  Westfalen. 


CiEORüK  MINNE-  LAEXHKM. 
BRUNNEN  MIT  KNIEENDEN  KNABEN. 
Im  Folkwlng-Muscum  zu  Hagen  i.  Westfalen. 


IIKUNXEN-HGUK;      KMKI..MH.K  K.\AI:1.    .      MALM" 


MAK.\li)K-l'l.A>]  IK.      lil.M  r/.KK;   Ic  il.KU  AMi-MUSEU.M  /X  HA(.RN   I.W. 


(iEORCiK  iMlX.N E  -  LAETHEM. 
MARMOR:  MinTF.R  MIT  MKRBENDEM 
KIND    .     Besitzer:    Fritz  Waerndorfer-VFien. 


GF.()i<c,K  MiN'N'K    i.AK rin:.\i. 

KKAUI'.X-IU'SI  !•;  IN   KAI. KM  PIX. 

Ik-sil/cr:  I  olkwanu-Musciiin  /u  Hayeii  i,  Wi'stt..k-n 


/r7///,'/w  Mlchrl: 


GEORGE  MINNE      EAETHEM. 


Kalkstein-Grabmal  mit  der  Figur  eines  facUellöschenden 
Genius  auf  dem  Alten  Friedhof  zu  Hagen  i.  Westfalen. 


DIE  KUNST  VOR  GERICHT. 


Die  Frage  der  Sittlichkeit  in  der  Kunst  ist  lei- 
der längst  keine  künstlerische  Frage  mehr. 
Von  hüben  wie  von  drüben  ist  Verwirrung  in 
sie  hineingetragen  worden.  Keime  zu  solcher 
Verwirrung  enthält  schon  der  Buchstabe  des 
Gesetzes,  das  für  gewisse  Fälle  die  Zitierung 
des  Künstlers  vor  das  richterliche  Forum  vor- 
sieht. Ich  möchte  damit  keineswegs  dem 
Staate  das  Recht  abgestritten  haben,  sich  gegen 
gewisse,  mit  künstlerischen  Mitteln  begangene 
Angriffe  auf  das  Schamgefühl  zu  schützen. 
Ich  möchte  nur  auf  den  notwendigen  tragischen 
Widerspruch  zwischen  der  Absicht  und 
der  Wirkung  des  Gesetzesbuchstaben  hin- 
weisen. Der  Buchstabe  will  immer  Lebendiges 
schützen,  aber  in  der  Praxis  gelangt  er  fast 
immer  dazu.  Lebendiges  zu  töten.  Wenn  das 
in  der  Rechtserzeugung  begabteste  Volk,  die 
Römer,  den  Satz  aufstellte;  Sumnium  jus, 
summa  iniuria !  so  hat  es  darin  eine  profunde 
Kenntnis  dieser  „Tragik  der  Formel "  bekundet. 
Weitere  Verwirrung  ist  in  die  Frage  „Kunst 


und  Sittlichkeit"  durch  gewisse  rückständige 
Volkskreise  hineingetragen  worden,  die  sich 
gerade  der  Kunst  gegenüber  als  die  berufenen 
Hüter  von  Moral  und  Sitte  aufzuspielen  lieben. 
Sie  haben  die  Anwendung  des  Buchstabens, 
die  Rechtsprechung,  häufig  in  falsche  I3ahnen 
gelenkt.  Sie  haben  auf  diese  Weise  den  un- 
natürlichen Zustand  geschaffen,  daß  Künstler 
und  ihre  Genossen  der  Rechtsprechung  und 
ihren  Organen  wie  einem  Feinde  gegenüber 
stehen.  Die  Furcht  vor  diesem  Feinde  kann 
man  aus  allen  Sachverständigen -Gutachten 
herauslesen.  Die  Sachverständigen  sind  dazu 
gelangt,  in  ihren  Aussagen  Politik  zu  treiben, 
weil  eben  das  Vertrauen  fehlt,  daß  aus  Zu- 
geständnissen ihrerseits  nicht  haarsträubend 
falsche  Folgerungen  gezogen  werden ,  weil 
ferner  das  Strafmaß  des  Gesetzes  ihren  be- 
rechtigten Anschauungen  nicht  entspricht. 

Zu  guter  Letzt  beteiligen  sich  dann  noch  die 
Künstler  an  der  Trübung  der  ganzen  Ange- 
legenheit,  indem   sie  mit  Schöpfungen  an  die 


Die  Kunst  vor  Gericht. 


öffentlichkeil  treten ,  die  platterdings  keinen 
anderen  Namen  als  den  der  Zote  verdienen. 
Und  das  ist  der  trübste  Teil  der  Angelegenheit. 
Ich  rede  hier  keineswegs  von  Nacktheiten 
überhaupt,  nicht  einmal  von  erotischen  Dar- 
stellungen im  allgemeinen.  Sondern  ich  meine 
nur  diejenigen  Erotika,  die  deutlich  erkenn- 
barer Weise  lediglich  dem  geschäftlichen  Zweck 
zuliebe  und  nicht  aus  innerer  künstlerischer 
Notwendigkeit    entstanden    sind.     Wenn   ein 


Künstler  —  solche  Fälle  sind  vorgekommen  — 
die  Psychopathia  sexualis  hernimmt  und  zu 
sämtlichen  -philien  und  -isnien  mit  trockenem, 
bureaukratisch  pedantischem  Stift  tempera- 
mentlose und  nur  durch  das  Stoffliche  wirk- 
same Illustrationen  zeichnet,  dann  macht  er 
sich  auch  vor  einem  Forum  von  Künstlern  und 
Künstlergenossen  straffällig.  Das  heißt  die 
ohnehin  schwierige  Situation,  in  der  sich  die 
Kunst  gegenüber  dem  Ansturm  der  ewig  Ver- 


JICORC.E  Mi.N.NE    i..\i:ii:i..\i.      ,  Diu  Jiui  Xüiinen   .  Holz-Skulptur. 


~y) 


Wilhelm  Michel: 


ständnislosen  befindet,  mutwillig  und  frivol 
verschlimmern.  Wenn  die  Freiheit  der  Kunst 
in  schamloser  Weise  zu  geschäftlichen  Zwecken 
ausgenutzt  wird,  dann  erleidet  die  Position 
ihrer  Verteidiger  eine  schlimmere  Schwächung 
als  durch  jeden  Angriff  von  außen  her.  Hin 
solches  unverantwortlichesGebahren  bedeutet: 
der  Freiheit  der  Kunst  und  ihren  Verfechtern 
in  den  Rücken  fallen. 

Diese  drei  Faktoren  sind  es,  die  die  Frage 
Kunst  und  Sittlichkeit  jetzt  nachgerade  zu  einer 
staatspolitischen  Frage  gemacht  haben.  Man 
forscht  nicht  mehr :  Was  ist  in  dieser  Sache 
wahr  und  richtig?  sondern  man  fragt:  Was  ist 
opportun?  Was  müssen  wir  abstreiten,  um  uns 
zu  nützen,  und  was  dürfen  wir  zugeben,  ohne 
uns  zu  schaden?  Wo  die  Politik  aber  in  irgend 
einer  Form  hineinspielt,  da  ist  es  um  Recht 
und  Redlichkeit  geschehen.  Dann  wird  hüben 
und  drüben  ins  Gelag  hinein  gesündigt,  und 
die  Kraft  der  Lungen  und  die  Zahl  der  Eides- 
helfer entscheidet  in  Dingen ,  in  denen  der 
Vernunft  und  dem  natürlichen  Empfinden  das 
letzte  Wort  zustehen  sollte. 

So  haben  beispielsweise  zahlreiche  Sach- 
verständigen-Gutachten ein  ästhetisches  An- 


schauen konstruiert,  in  das  nicht 
die  leiseste  erotische  Beimischung 
hineinspielt.  Darf  man  überhaupt 
noch  die  Erklärung  wagen,  daß  es 
dieses  „uninteressierte  Wohlge- 
fallen" kaum  gibt?  Daß  man,  wenn 
man  nicht  zufällig  —  Sopransänger 
ist,  die  Venus  von  Tizian  in  der 
Tat  mit  anderen  Gefühlen  betrach- 
tet als  etwa  die  meisterliche  Dar- 
stellung eines  geschlachteten  und 
abgebrühten  Schweines,  das  doch 
auch  eine  blütenweiße,  in  den 
herrlichsten  Nuancen  schimmernde 
Haut  besitzt?  Bei  der  Entstehung 
wie  beim  Genüsse  solcher  Schil- 
derungen nackter  Weiblichkeit 
reden  die  Sinne  ihr  wohlberechtigt 
Wort  mit,  und  deshalb  verdient 
weder  der  Maler  noch  der  Be- 
schauer Schelte.  —  Ferner:  Was 
ist  selbstverständlicher  als  daß 
sich  die  Menschheit  für  die  körper- 
lichen Funktionen,  die  der  Fort- 
pflanzung dienen ,  dringend  ,  ja 
brennend  interessiert?  Wir  schei- 
nen ja  allmählich  dazu  gelangt  zu 
.  ...  ,  sein,  daß  wir  die  erotische  Neugier 
der  Backfische  und  Gymnasiasten 
nicht  mehr  als  Äußerung  früher 
Verderbtheit,  sondern  als  eine  natürliche  und 
völlig  schuldfreie  Regung  ansehen  und  be- 
handeln. Warum,  um  des  Himmels  willen, 
die  konventionelle  Lüge  fördern,  der  Er- 
wachsene, also  auch  Maler  und  Kunstfreund, 
teile  dieses  brennende  Interesse  für  die  wich- 
tige menschliche  Angelegenheit  nicht  mehr? 
Dieses  Interesse  dokumentieren  manchmal  so- 
gar Richter  und  Staatsanwälte  auf  jene  weit- 
verbreitete, höchst  naive  Weise,  daß  sie  sich 
Abende  lang  am  Stammtisch  nur  mit  „ge- 
wagten" und  eindeutigen  Scherzen  und  Anek- 
doten unterhalten.  Ich  gehe  nun  nicht  so  weit, 
daß  ich  alles,  was  sich  wie  gesagt  selbst  Rich- 
ter und  Staatsanwälte  manchmal  im  Worte 
gestatten,  dem  Maler  auch  im  Bilde  gestatten 
möchte.  Aber  sicherlich  darf  man  dem  Maler 
das  Recht  nicht  streitig  machen,  sich  und 
andere  mit  geschmackvollen  künstlerischen 
Mitteln  über  das  erotische  Thema  auf  fein- 
sinnige, auf  derbe,  auf  ironische,  auf  eulen- 
spiegelige,  ja  sogar  auf  leicht  frivole  Art  zu 
unterhalten.  Denn  Frivolität  als  Verspottung 
an  sicii  ernster  Dinge  ist  zweifellos,  wie  das 
Beispiel  Heines,  Wedekinds,  Lukians  und 
anderer,  so  auf  der  Bank  der  Spötter  saßen. 


Die  Kunst  vor  Gericht. 


beweist,  eine  berechtigte  Art,  sicli  mit  den 
Dingen  dieser  Welt  und  den  Gefühlen  in  der 
eigenen  Brust  auseinanderzusetzen. 

Für  unter  allen  Umständen  verwerflich  halte 
ich  aber  Gemeinheit  der  Darstellungsweise  und 
Ausbeutung  des  erotischen  Themas  zu  ledig- 
lich geschäftlichen  Zwecken.  Wobei  ich  be- 
merke, daß  Gemeinheit  der  Darstellungsweise 
zu  neun  Teilen  aus  Gemeinheit  der  Hand  und 
nur  zu  einem  Teile  aus  Gemeinheit  der  Ge- 
sinnung zu  bestehen  braucht.  Zur  Begründung : 

ad  I.  Es  wirkt  in  hohem  Grade  abstoßend, 
wenn  ein  Kerl,   nachdem  er  kaum  ins  Hand- 


werk hineingerochen  und  kaum  einen  Kopf 
anständig  zeichnen  gelernt  hat,  uns  gleich  mit 
Zoten  kommen  will.  Nein,  erst  zeige  du,  daß 
du  die  aufgehäuften  Stoff  Vorräte  der  Welt  mit 
Liebe  und  Anteil  durchwandert  hast,  dann 
wage  dich  an  Dinge,  die  eine  so  meisterliche 
Überwindung  des  Buchstäblichen  fordern  wie 
die  Erotischen.  Erst  zeige  du,  daß  du  etwas 
bist  und  kannst,  erst  zeige,  daß  du  ein  ganzer 
Mann  bist,  dann  gestatte  dir  Lizenzen.  Man 
kann  sie  dir  gerne  hingehen  lassen. 

ad  II.    Es  dürfte,  meinen  Erfahrungen  nach, 
nicht   sehr  viele   begabte   Maler,   oder  sagen 


GF.ORGE  .\nx.\K— L.VKTHEM.      Maimur;  (irabm.il  auf  ilem  Alten  Frietlhof  /\\  Ilagcn  i.  Wc-stf. 


(;f,<iRgf. 

MINNE- 
l.AKTHEM. 


DER  KNABE« 
MARMOR. 


AUS  DEM  BESITZ  VON  ERITZ  WAERNIJORKER      WIEN. 


Die  Kunst  vor  Gerklit. 


GKORGE 
MINNF- 

I.AKIHEM. 


M  \KM"R- 
KEUEK. 
FOLKWAXG- 
MUSEUM 
HAGEN   I.W. 


wir  lieber:  Zeichner  geben,  die  nicht  gelegent- 
Hch  in  übermütiger,  lasziver  Laune  ein  Zöt- 
chen  zu  Papier  gebracht  hätten.  Und  die 
Laune  entschuldigt  alles.  Es  ist  damit  wie 
auf  Maskenbällen;  was  um  10 Uhr  noch  Frech- 
heit und  dreister  Übergriff  war,  ist  um  12  Uhr 
erlaubt  und  um  2  Uhr  —  wer  weiß?  —  sogar 
geboten,  wie  die  Laune  im  Menschen  und  im 
Saale  es  gebietet.  Wenn  aber  der  Künstler 
ohne  diese  innere  Autorisation,  die  gar  nicht 
so  unkontrollierbar  ist  als  es  aussieht,  aus 
reinen  Geschäftszwecken  frivol  und  schamlos 
wird,  dann  geht  er  jeder  Entlastung  verlustig. 
Willst  du  erotische  Stoffe  behandeln,  so  ge- 


schehe es  je  nachdem  mit  Pathos  oder  mit 
Witz,  immer  aber  mit  Temperament.  Alles 
andere  ist  Prostitution.  Echte,  aus  zwiespäl- 
tiger Geistesverfassung  entspringende  Frivo- 
lität kann  erheiternd  oder  erschütternd  wirken ; 
in  jedem  Falle  wird  sie  anziehend  sein.  Affek- 
tierte Frivolität,  besonders  auf  erotischem 
Gebiete,  wirkt  immer  in  hohem  Grade  wider- 
wärtig. Ich  verzichte  darauf,  Namen  und  Bei- 
spiele zu  geben;  der  Kenner  wird  sie  aus 
eigenen  Mitteln  ergänzen. 

Und  schließlich  noch  ein  Stoßseufzer;  wer- 
den wir  es  noch  einmal  soweit  bringen,  daß 
das  in  Rede  stehende  Übel,  die  Rechtsprechung 


263 


IVc  KiDist  vor  (jcrii'lil. 


in  Sachen  Kunst  und  Sitlliclikeit,  wirklich  an 
seiner  Wurzel  angegriffen  wird?  Daß  man 
Klagesachen  dieser  Art  vor  das  einzige  Forum 
bringt,  welches  von  kulturellem  Standpunkte 
aus  zuständig  ist,  vor  das  Forum  von  Standes- 
gerichten ! 

Ich  weiß,  daß  die  Forderung  von  Standes- 
gerichten unserem  demokratischen  Zeitalter 
übel  im  Ohre  klingt.  Wir  zählen  die  nach 
langen  Kämpfen  errungenen  Volksgerichte  ja 
zu  den  kostbarsten  Erwerbungen  unserer  Zeit. 
Untersucht  man  die  Sache  aber  näher,  so  ergibt 
sich,  daß  die  Standesgerichte,  so  wie  sie  von 
einem  modernen  Gesetzgeber  einzurichten 
wären,  der  Idee  des  Volksgerichtes  keineswegs 
widerstreiten.  Die  Idee  des  Volksgerichtes 
ist  entstanden  im  Gegensatz  zu  den  Juristen- 
gericliten.  Sie  vertritt  den  Gedanken,  daß 
der  Schuldige  gerichtet  werde  von  Männern, 
die  ungefähr  unter  gleichen  Bedingungen  leben 
wie  er  selbst,  die  sich 
daher  in  seine  Lage 
versetzen  können  und 
ihm  kein  fremdes ,  to- 
tes, sondern  sein  eige- 
nes, lebendiges  Reciil 
spreciien.  Von  diesem 
Standpunkte  aus  be- 
deuten Standes- ,  d.  h. 
natürlich  Berufs  -  Ge- 
richte nicht  nur  keinen 
Gegensatz  zum  Volks- 
gericht, sondern  gera- 
dezu dessen  logische 
Fortbildung.  Sie  sind 
der  natürliche  Ausdruck 
des  allgemeinen  drin- 
genden Bedürfnisses 
nach  Nuancierung  der 
Rechtsfindung,  eines 
Bedürfnisses,  dem  man 
auf  zivilrechtlichem  Ge- 
biete bekanntlich  durch 
Errichtung  von  Kauf- 
manns- und  Gewerbege- 
richten, sogar  auf  straf- 
rechtlichem Gebiete 
durch  die  Jugendge- 
richtshöfe ,  Rechnung 
getragen  hat.  Standes- 
gerichte bieten  die  ein- 
zige Gewähr  dafür,  daß 
dem  Angeklagten  sein 
eigenes  Recht  und 
zugleich  das  Recht  des 
Volkes         gesprochen 


wird.  —  Es  ist  meine  feste  Überzeugung,  daß 
mancher  „gröbliche  Verletzer  des  Schamge- 
fühles", den  das  Volksgericht  hat  freisprechen 
müssen,  vor  einem  Künstlergerichtshof  viel 
weniger  glimpflich  weggekommen  wäre.  Ich 
habe  vorhin  schon  bemerkt,  daß  die  Rück- 
sicht auf  das  Strafmaß  die  Gutachten  der 
Sachverständigen  in  weitgehender  Weise  be- 
einflußt. Für  den  Sachverständigen  handelt 
es  sich  unter  den  heutigen  Umständen  darum  : 
Soll  ich  den  Kollegen,  der  auf  der  Anklage- 
bank sitzt,  der  fremdartigen,  starren  Zermal- 
mungsmaschine,  „Recht"  genannt,  ausliefern 
oder  nicht?  Hätte  er  Einfluß  auf  das  Strafmaß, 
so  würde  er  sich  gewiß  viel  weniger  bedenken, 
seine  Meinung  unumwunden  auszusprechen. 
Ich  halte  den  Künstlergerichtshof  für  die 
einzige  Möglichkeit,  dem  lebendigen  Rechts- 
bewußtsein des  Volkes  in  Dingen  Kunst  und 
Sittlichkeit  zur  Verwirklichung  zu  verhelfen. 
Die  Künstler  nehmen 
keine  eigene,  von  der 
allgemeinen  abweichen- 
de Moral  für  sich  in  An- 
sprucii.  Es  gibt  nur  eine 
einzige  Sittlichkeit,  und 
vor  ihr  beugen  sich  die 
Künstler  ebensogut  wie 
alle  anderen  Berufe.  Sie 
nennen  nicht  gut,  was 
böse  ist,  sie  nennen  nicht 
keusch,  was  schamlos 
ist.  Aber  die  ganz  be- 
sonderen Bedingungen, 
unter  denen  der  Künst- 
ler lebt  und  arbeitet, 
wollen  sie  berücksich- 
tigt wissen.  Zu  dieser 
15erücksichtigung  ist  ja 
auch  der  Laiengerichts- 
iiof  gezwungen,  nur 
macht  er  das  wie  nicht 
anders  zu  erwarten 
grob  und  nuancenlos. 
Der  Künstlergerichtshof 
würde  die  Durchsetzung 
der  berechtigten  An- 
sprüche desStaates  nicht 
\ereiteln;  er  würde  die- 
se Ansprüche  aber  in 
einer  Weise  befriedigen, 
die  der  Idee  des  Rech- 
tes wesentlich  mehr  an- 
gemessen wäre  als  das 
iieutige    Verfahren.    — 

Wll  HI  IM  MI(  HF.I,-MÜM"HEN. 


PROFESSOR  FRANZ  VON  STUCK. 


Haupt-Fassade  der  \'illa  Stuck— München. 


VILLA  FRANZ  VON  STUCK. 


Franz  von  Stuck,  der  Malerei,  Plastik  und 
Graphik  mit  gleicher  Sicherheit  übt,  ist 
auch  sein  eigener  Architekt  gewesen.  Ein  so 
guter,  daß  man  wünschen  muß,  er  hätte  öfter 
auch  diese  Seite  seines  starken  dekorativen 
Talentes  geübt.  Einer,  der  immer  gewußt  und 
immer  gekonnt  hat  was  er  wollte.  Dies  Haus, 
das  auf  unserer  ersten  Abbildung  mit  den 
wuchtigen  Vertikalen  seiner  Pyramidenpappeln 
fast  Böcklinsche  Stimmung  hat,  das  im  Gegen- 
satze zu  den  meisten  Privat-Gebäuden,  die 
sich  also  nennen,  wirklich  im  römischen  Sinne 
als  „Villa"  wirkt,  ist  gleichzeitig  ein  eminent 
behagliches  Wohnhaus.  Keins  für  einen  Spieß- 
bürger, aber  eins  für  einen  Künstler,  dessen 
innerster  Drang  nach  großen  monumentalen 
Aufgaben  geht.  Das  Äußere  wirkt  pompös 
und  hat  fast  keinen  Schmuck  als  reiche  Gliede- 
rung und  noble  Proportionen  und  die  zum  Teil 
fürstlichen  Repräsenlationsräume  im  Innern 
sind  dennoch  wohnlich ,  weil  ihr  Prunk  nicht 
tot  ist ,   sondern  in  allem  die  Sprache  seines 


Schöpfers  redet.  Jede  Handbreite  der  Wände 
und  Decken  tut  das,  jedes  Stück  des  Hausrats, 
der  bis  ins  Kleinste  von  Stuck  selbst  entworfen 
wurde.  Das  geschah,  nebenbei  gesagt,  gerade 
zu  der  Zeit,  als  unser  „neuer  Stil"  seine  tollsten 
Sprünge  machte  und  der  Drang,  originale  Zeit- 
formen für  Möbel  zu  schaffen,  sich  in  den 
kühnsten  Extravaganzen  auslebte.  Heute,  wo 
sich  auch  auf  diesem  Gebiete  so  vieles  geklärt 
und  gefestigt  hat,  würden  die  edlen  Formen 
der  Stuckschen  Möbel  —  etwa  wieder  auf 
eine  Ausstellung  zur  Schau  gebracht  —  hier 
sicherlich  nicht  nur  zum  Schönsten,  sondern 
auch  zum  Modernsten  zählen. 

So  urteilt  Fritz  von  Ostini  im  Begleittext 
der  vor  wenigen  Tagen  erschienenen  Mono- 
graphie „Villa  Franz  von  Stuck"  (Verlags- 
anstalt Alexander  Koch  Darmstadt,  Preis 
Mk.  4.  — ).  Den  vornehmen  Charakter  des 
eminent  künstlerischen  Werkes  vermögen  die 
wenigen  hier  in  starker  V  erkleinerung  wieder- 
gegebenen Abbildungen  nur  anzudeuten.    — 


-6i 


iiAK  I  K.\si:i  1  !•;  |)|';k  \ii.i.a  shtk. 

i'R(  )i-.  1-  KAXZ  v.Sl  i:(  K     MÜXCHKX. 


\  ii.i.A  i-K.\.\/  V(i.\  STUCK    .\i;-\cni:.\. 
BLICK  IN  DEN  MUSIK-SAAL,    aus  »Villa 

FRANZ  V.  STUCK«,  VEKLAGSANSTALT  ALEX.  KOCH. 


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KLEBE-ARBEITEN  HAMBURGER  KUNSTGEWERBE-SCHÜLER. 


VON   K(ilU<KT   PIKF.UEK      WH.MEKMuiKF. 


ES  gibt  stets  eine  Dissonanz,  wenn  Kunst 
gelehrt  werden  soll.  Kunst  und  Geschmack 
lassen  sich  nicht  lehren,  lassen  sich  nur  aus 
eingeborenen  Anlagen  entfalten.  Es  steht  da- 
mit ganz  anders  als  etwa  mit  dem  Rechnen, 
mit  der  Orthographie,  mit  dem  Auswendig- 
lernen irgend  welcher  Daten.  Man  kann 
zum  Unterricht  in  der  Kunst  kein  Lehrbuch 
und  keine  Schablone  benutzen;  alles  kommt 
hier  darauf  an,  die  schlafenden  Sinne  des 
Schülers  zu  erwecken,  ihn  mit  eigenen  Augen 
sehen,  ihn  in  sich  selbst  hineinhorchen  zu 
machen.  Es  gilt  nicht,  dem  Novizen  irgend 
etwas  anzudressieren;  der  Unterricht  ist  hier 
eigentlich  mehr  ein  physiologischer  Akt,  eine 
Art  Massage ,  eine  Fortoperation  gewisser 
Hemmungen,  eine  Freilegung  der  prädestinier- 
ten Bahnen.  Beim  Kunstunterricht  soll  der 
Lehrer  nicht  mehr  sein,  als  ein  Geburtshelfer 
und  im  besten  Falle  ein  Organisator  der  vor- 
gefundenen, zur  Blüte  drängenden  Anlagen 
des  Schülers.  Darum  ist  es  so  gefährlich,  mit 
dem  Abzeichnen  fertiger  Kunstwerke  beginnen 
zu  lassen.  Die  Suggestion  anerkannter  Kunst- 
werte auf  die  Jugend,  besonders  die  künst- 
lerisch veranlagte ,  ist  von  vornherein  eine 
starke.  Wie  wäre  sonst  wohl  im  Jüngling  der 
Wille  zur  Kunst  erwacht,  wenn  nicht  durch 
die  Bewunderung  von  Werken  seiner  Um- 
gebung, wenn  nicht  durch  die  Leidenschaft, 
die  ihn  packte ,  Landschaften  und  Figuren. 
Historiker  und  Symbolisten,  die  er  preisen 
hörte  und  anbeten  sah,  aus  eigner  Kraft,  wo- 
möglich   noch    schöner    erstehen    zu    lassen. 


Dem  Jüngling  wird  es  darum  anfangs  nur  be- 
hagen, seine  Götter  zu  kopieren,  sich  an  dem 
zu  versuchen,  was  ihm  höchstes  Ideal  und 
letztes  Ziel  scheint.  Erst  später,  wenn  er 
plötzlich  merkt,  daß  seine  Ideale  ihm  trotz 
alles  Bemühens  nicht  die  begehrte  Antwort 
geben,  daß  er  nicht  an  sie  heran  kann  und  im 
Grunde  doch  über  sie  hinaus  möchte,  ja,  über 
sie  hinaus  muß,  dann  erst  wird  er  stutzen, 
wird  das  Kopieren  als  ein  Hemmnis,  die  Götter 
als  Götzen  und  den,  der  ihm  diesen  tauben 
Weg  zeigte,  als  einen  Tölpel  erkennen  lernen. 
Hier  ruhen  die  psychologischen  Wurzeln  der 
heftigen,  oft  erschütternden  Konflikte,  die  den 
jungen  Künstlern,  sonderlich  den  jungen  Aka- 
demikern,  beschieden  sind.  Dies  h'rkennen 
der  Versklavung,  in  die  man  geraten,  der 
Zwecklosigkeit  einer  blinden  Gefolgschaft  im 
Heerbann  der  einst  verhimmelten ,  jetzt  ver- 
fluchten Klassiker,  ist  die  sehr  simple,  sehr 
natürliche  und  sehr  alltägliche  Erklärung  für 
die  Fauikrankheit,  für  die  Interessenlosigkeit, 
von  der  gedrillte  Musterschüler  plötzlich  er- 
griffen werden.  Sollten  solche  Erfahrungen, 
ebenso  häufig  wie  bitter,  nicht  zu  der  Einsicht 
füiiren,  daß  dieser  Weg,  der  ach  so  übliche 
und  für  den  Lehrer  so  bequeme,  ein  falscher 
ist;  daß  es  nicht  darauf  ankommt,  den  Zögling 
die  reinsten  Werte  der  Vergangenheit  minuziös 
nachahmen  und  sich  von  ihnen  erdrosseln  zu 
lassen,  als  vielmehr  darauf:  zunächst  einmal 
die  leiblichen  Augen  natürlich  sehen,  die  leib- 
lichen Hände  natürlich  werken  zu  lehren.  Daß 
solche  Methode  die  richtige  ist,  wird  vernünf- 


ISiSJIp 


KLEBK-  \KBEri  KN    V 


KLKBK-ARBEITEN  VON  SCHÜLERN  DER  KUNSTGEWERBE-SCHULE  IN  HAMBURO. 


/v  Ichc-Arhcikn  Haiiibnroey  Kjoishe'iVt-rheSchüler. 


tij^en  Leuten  nicht  erst  zu  beweisen  sein;  es 
handelt  sich  nur  darum,  die  Wege  zu  finden 
auf  denen  diese  Pädagogik,  die  eigentlich  mehr 
eine  Freundschaft  ist,  möglichst  unbeschwer- 
lich zum  schönen  Ziel  gelangt.  Wobei  zu  be- 
merken, daß  dieses  Ziel  zuvor  nie  offenbar 
ist,  daß  es  für  jeden  ein  anderes  sein  muß, 
daß  es  aber  wohl  von  des  Lehrers  Instinkt  für 
einen  erkannten  Schüler  geahnt  werden  kann. 
Als  ein  Weg  dieses  natürliche  Anlagen  ent- 
faltenden Kunstunterrichtes,  dieser  Aufreiz- 
ung und  Anspornung  des  Schülers,  sollen  nun 
auch  die  Klebearbeiten  dienen,  deren  wir  hier 
eine  Auswahl  abgebildet  sehen. 

Von  diesen  Klebearbeiten  hörte  man  zum 
ersten  Mal  Ausführlicheres  gelegentlich  des 
letzten  Londoner  Kongresses  für  Kunstunter- 
richt. Professor  Czizek  zeigte  überaus  inter- 
essante Blätter,  die  dadurch  entstanden  waren, 
daß  auf  einen  neutralen  Grund  aus  buntem 
Papier  geschnittene  Formen ,  allerlei  Natura- 
listisches, auch  Ornamentales,  geklebt  worden 
war.  Der  Eindruck  dieser  Übungen  muß  außer- 
ordentlich überzeugend  gewesen  sein,  denn 
bald  sprachen  just  die  einsichtsvollsten  Schul- 
männer davon  sehr  lobend.  Zu  denen,  die 
den  Wert  von  Czizeks  Klebemethode  sofort 
erkannten,  gehörte  der  Direktor  Meyer  von 
der  Hamburger  Kunstgewerbeschule.  Impul- 
siv, wie  er  ist,  beschloß  er,  auch  an  seiner 
Anstalt  Versuche  dieser  Unterrichtsart  vorzu- 
nehmen.    Er  konnte  dies   um  so  eher  wagen, 


als  er  in  seinem  Lehrerkollegium  Leute  sitzen 
hat,  die  aus  gleichem  Blut  und  von  gleichem 
Temperament  wie  Czizek.  Da  war  vor  allem 
der  ausgezeichnete  Flächenkünstler  Czeschka, 
unter  dessen  Händen,  von  keiner  Historie  ge- 
hemmt,eine  üppige  Ornamentik  in  unerschöpf- 
lichem Reichtum  erblüht.  Einen  Schüler  dieses 
Meisters  ,  Herrn  Paul  Helms  ,  wählte  Meyer 
zum  Einrichter  und  Turnwart  der  neuen  Gym- 
nastik des  Klebens.  Und  das  war  kein  Fehl- 
griff; die  Resultate,  die  schon  heute,  ein  Jahr 
später,  vorliegen,  sind  nicht  nur  überraschend, 
sie  sind  begeisternd.  Ja,  tausendmal  ja,  das 
ist  ein  fein  lustiger  Weg,  ohne  kantiges  Joch 
und  mit  nicht  mehr  Schwärmerei,  als  sie  der 
Jugend  gebührt.  Das  ist  das  Erste  und  das 
Wichtigste,  was  man  diesen  Hamburger  Schü- 
ler-Arbeiten sofort  abspürt;  daß  sie  mit  un- 
gehemmter Freudigkeit,  aus  freischweifender 
Lust  am  Gestalten  erstanden.  Man  spürt  es 
an  jedem  dieser  Blätter,  wie  der  Schüler,  der 
Kamerad,  förmlich  erschrak,  daß  er  so  etwas, 
so  etwas  Lebendiges ,  so  etwas  Neues ,  zu 
schaffen  vermochte.  Das,  was  da  aus  seinen 
Fingern  hervorgegangen,  war  etwas  Selbstän- 
diges, etwas,  was  es  sonst  noch  nie  und  nir- 
gend gab,  war  ein  Erlebnis,  wie  es  nur  ihm 
geworden,  und  er,  er  hatte  es  fest  gehalten. 
Da  lagen  die  Papiere,  da  lagen  Schere  und 
Kleisterpinsel,  und  daraus  war  dies  hier  ge- 
worden ,  dies  bunte ,  fabulöse  Mirakel.  Da 
hatte  er  also  ein  Stück  Leben,  ein  Stück  der 


••^W* 


KrEriK-ARliKlTEN   VON  SCHÜLERN  DER  Kr.NSTGEWEKBE-SCHUl.E   IN 


276 


Kl.nBE-ARBKIT  VOM  SCHül.HRH  DKK  K  U  MSTOF"  VVI"  R  H  i:SCH  LI  LH  111  MAMIUIKO 


KLEBE-ARBEIT  FINES  SCHÜLERS  DER 
KUNSTOEWERBESCHULE  IN  HAMBURG 


Kr.EBE-ARBEITKN     VÖ\    SCHl'l.KRN     DKR 
KI-.\STC,F\VFRl',r'-s<Hri,K    IN    IlAMllfR(;. 


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Klche-.\yh('Hc>i  UaDiliJif'cr  Kittis/ordvrbr-Sc/iü/cr. 


großen  Welt,  die  ihn  taumeln  machte,  und  die 
er  so  heiß  liebte,  die  er  ganz  in  sich  einsaugen 
und  herrisch  meistern  wollte,  eingefangen, 
hatte  es  festgehalten,  hatte  es  angenagelt. 
Und  jetzt,  jetzt  lebte  dies  Stück  Wirklichkeit 
durch  ihn  ein  neues  Dasein;  jeder,  der  das 
Blatt  ansah,  machte  ein  überzeugtes  und  hei- 
teres Gesicht.  Vor  allem  die  Farben,  die  ge- 
fielen besonders,  diese  frischen,  gesunden,  un- 
gebrochenen Farben.  Er  selbst,  der  noch  be- 
stürzt und  gerührt  vor  dem  Ereignis  stand,  ein 
Schöpfer  zu  sein,  er  selbst  trank  diese  Farben, 
dies  schreiende  Grün  und  dies  jauchzende 
Rot  in  sich  hinein.  Und  mit  neuem  Eifer 
machte  er  sich  daran,  aus  der  Erinnerung  und 
nach  der  Natur  E'iguren  zu  schneiden;  oder 
er  nutzte  die  Schere  für  einige  bestimmte, 
primitive  Stereotypen,  Kreise, Vierecke,  Ovale, 
und  stellte  sich  aus  diesen  Flecken  Ornamente 
zusammen.  Das  hatte  seinen  besonderen  Reiz, 
auf  hellem  oder  schwarzem  Grund  die  bunten 
Atome  hin  und  her  zu  rücken,  in  Rhythmen 
zu  ordnen  und  wieder  aufzulösen ,  bis  daß 
etwas  herauskam,  daran  man  seinen  Gefallen 
haben  konnte.  Das  alles  war  unendlich  viel 
leichter,  als  wenn  mit  dem  Pinsel  gearbeitet 
worden  wäre.  Da  hätte  man  nicht  annähernd 
so  leicht  falsche  Gliederungen,  unklare  Klänge 
beseitigen  und  korrigieren  können,  da  hätte 
man  erst  wieder  decken  und  radieren  müssen; 
jetzt  genügte  ein  feiner  Druck  mit  den  Finger- 
spitzen, mit  den  Exekutoren  der  Nerven,  und 
die  bunten  Flecke  reihten  und  drehten  sich  nach 
dem  Willen  des  jungen  Formenfinders.  Und 
noch  eins.  Die  Schere  ist  ein  wesentlich  harm- 
loseres Werkzeug,  als  etwa  der  Bleistift,  die 
Feder  oder  selbst  der  Pinsel.  Sie  verliert  sich 
nicht  so  leicht  in  Nebensächlichkeiten ,  sie 
zwingt  zur  großen  Form ,  zum  geschlossenen 
Umriß,  zur  Silhouette.  Gibt  es  nun  für  den 
Anfänger  etwas  Gesünderes,  als  genötigt  zu 
sein,  auf  die  Hauptwerte,  auf  das  Maßgebende, 


auf  die  typischen  Verhältnisse,  die  charakte- 
ristischen Auswüchse  und  Einbiegungen,  zu 
achten. 

Herrgott  ja,  die  Philister  und  Perrücken 
werden  wohl  zetern,  daß  dies  doch  kein  Unter- 
richt sei,  dieweil  dabei  nicht  geseufzt  und  ge- 
schwitzt würde.  Hihi,  spützen  die  Mummel- 
greise, so  etwas  ist  keine  Arbeit,  ist  nur  ein 
Spiel,  so  etwas  führt  nicht  zur  Kunst,  zur 
heiligen,  lenkt  von  ihr  ab,  verführt,  vergiftet, 
tööötet.  Aber  das  ist  alles  Schwindel,  was  die 
graubärtigen  Kunstpauker  jammern.  Selbst- 
verständlich können  diese  Klebearbeiten  nicht 
das  einzige  Lehrmittel  zur  Kunst  sein;  aber 
sie  sind  wie  das  Aufreißen  eines  Fensters  vor 
den  Sinnen  und  vor  der  Seele  des  Jünglings, 
daß  das  frische ,  ungekränkte  Leben  einmal 
hineinstürze  und  unvergeßliche  Erinnerungen 
einbrenne.  Einmal  etwas  gesehen  haben,  wirk- 
lich durch  eigene  Augen,  es  gesehen,  genossen, 
gemeistert  haben,  das  bleibt  als  ein  Erlebnis 
von  unermeßlicher  Süße  und  von  nie  ein- 
schlafender Lockung.  Daß  es  an  vielem,  ja 
an  allem  noch  fehlt,  um  wirklich  ein  Künstler 
zu  sein,  einer,  der  dauernd  erlebt  und  dauernd 
schafft,  das  werden  die  Ordentlichen  und 
Tüchtigen  schon  von  selbst  einsehen.  Dies 
einsehen  zu  helfen,  ist  die  wichtigste  Pflicht 
des  überwachenden  Lehrers.  Da  soll  er  mit 
allem  Takt  und  mit  zarter  Achtung  vor  der 
wilden  Pflanze  anfangen,  sanft  zu  biegen  und 
zu  brechen ;  da  soll  er  anreizen,  immer  Schwie- 
rigeres zu  versuchen,  um  an  die  toten  Punkte 
und  über  sie  hinaus  zu  kommen.  Wenn  dann 
den  Klebübungen  die  ersten  Exerzitien  mit 
dem  Pinsel  folgen,  die  ersten  Versuche,  ohne 
Vorzeichnung,  sei  es  aus  der  Vorstellung,  sei 
es  nach  der  Natur,  Körper  in  Flächen  zu  über- 
setzen, Flächen  in  scharfen  Konturen  zusam- 
menzuhalten, dann  ist  schon  der  erste  Schritt 
getan,  um  die  Früchte  des  künstlerischen  Spie- 
les für  reelle  Arbeit  zu  nützen.     i<..b.  iikiikk. 


NEUE  THÜRINGER  PORZELLANE. 


Wenn  es  allgemein  von  jenen,  denen  ein 
wirklich  gesundes  Wiederaufblühen  un- 
serer dekorativen  Kunst  am  Herzen  liegt,  be- 
klagt wird,  daß  an  diesem  bisher  die  alten,  ein- 
gesessenen und  eingearbeiteten  industriellen 
Anstalten  so  wenig  Anteil  genommen,  ja  die- 
sem sogar  in  vielen  Fällen  aus  mancherlei 
Ursachen  noch  jetzt  feindselig  gegenüber- 
stehen, so  gilt  dies,  wie  schon  an  dieser  Stelle 
mehrfach  hervorgehoben  wurde,  leider  in  ganz 
besonderem  Maße  für  die  keramische  Industrie, 
am  allermeisten  jedoch  für  die  des  Porzellans, 
die  ja  wirtschaftlich  bei  uns  eine  ganz  hervor- 
ragende Stelle  einnimmt,  sich  in  ihrer  Pro- 
duktion im  19.  Jahrhundert  zu  einer  ganz  er- 
staunlichen Höhe  emporgeschwungen  hat. 
Und  das,  trotzdem  es  Anzeichen  genug  gibt, 
die  deutlich   zeigen,   daß   unsere  Zeit    wieder 


völlig  reif  wird  für  eine  wirklich  gediegene 
Porzellankunst,  die  es  mit  der  der  Vergangen- 
heit, der  des  18.  Jahrhunderts  wieder  auf- 
nehmen will!  Denn  dank  der  modernen  Ma- 
lerei ist  die  Farbenfreude  wieder  erwacht,  die 
dem  19.  Jahrhundert  unter  dem  Einfluß  der 
Antike  so  seltsam  verloren  gegangen  war, 
ohne  die  es  aber  auch  keine  wirkliche  Freude 
am  Porzellan  geben  kann  ;  es  haben  sich  weiter 
dank  unserem  wachsenden  Wohlstand  auch 
unsere  Sitten  so  verfeinert,  daß  uns  delikatere 
Stoffe,  wie  einen  solchen  das  Porzellan  dar- 
stellt, schon  wieder  besonders  behagen.  Und 
auch  bezahlen  können  wir  mit  Hilfe  dieses 
Wohlstandes  eine  solche  Kunst,  die  zwar  an 
sich  für  das,  was  sie  bietet,  nicht  teuer  ist, 
nur  dies  bisweilen  wegen  ihrer  so  leichten 
Zerstörbarkeit  erscheint.     Warum  also  bleibt 


283 


M.  A.  I'H  IIKK    l'\l)  (II.KIIAKIi  M  AKKS      l'.IKI.I\.      MiGII. 

Porzellan  mit   Tnler-  und  IhercLisiirmalerci.   aiisgefuhr 


-  rnlcrweiilliJ.il 


I'iiricll.in  mit   Unter    und   ÜlicrKl.isiir-M.ilerei.      Ausliiliiunc:  Schwnr;linrecr  Werkstältcn-Unlcrwcißliacli. 


265 


.Yenr  T/iiii  inner  PorzrIIaiie. 


die  all(|einfine  Kunst 
auf  diesem  Gebiete 
noch  immer  aus?  — 
Unter  diesen  Umstän- 
den ist  es  mit  doppel- 
ter Freude  zu  begrü- 
ßen, daß  jetzt  in 
Deutschland  eine  rein 
private  Anstalt  sich 
auch  entschlossen  hat, 
ein  wirklich  künstle- 
risches Porzellan  zu 
erzeugen.  Es  sind  dies 
die  in  Thüringen  nicht 
weit  von  Schwarzburg 
in  Unterweißbach  ge- 
legenen Schwarzbur- 
ger Werkstätten,  die, 
aus  der  alten,  be- 
kannten im  18.  Jahr- 
hundert gegründeten 
Porzellan  -  Manufaktur 
von  Volkstädt-Rudol- 


M  H.\   KU  HIER      DRESDEN. 


stände  gekonmien  ist, 
ist  natürlich  kein  ein- 
heitlicher Stil,  wie 
wir  einen  solchen 
zum  Beispiel  bei  der 
Kopenhagener  Manu- 
faktur oder  der  Nym- 
phenburger  zu  sehen 
gewohnt  sind.  Aber 
gemeinsam  ist  ihnen 
allen  ein  gemäßigter 
Naturalismus,  der  sich 
wieder  mehr  jenem 
Stile  nähert,  den  einst 
im  1 8.  Jahrhundert  der 
große  Porzellanplasti- 
ker  Kandier  geschaffen 
hat,  der  sich  aber 
gänzlich  fern  hält  von 
jenem  der  Kopenhage- 
ner Manufaktur,  der  an 
sich  gewiß  seine  vollen 
Vorzüge    hat,    jedoch 


Stadt  hervorgegangen,  jetzt  unter  der  Leitung     kaum  geeignet  erscheint,  wie  es  lange  drohte, 


ihres  neuen  Direktors  Adolf  Pfeiffer  sich  an 
diese  so  verdienstvolle  Aufgabe  gemacht  ha- 
ben, und  jetzt  nach  nur  ganz  kurzer  Arbeits- 
zeit bereits,  wie  hier  die  Abbildimgen  zeigen, 
gar  sehr  erfreuliche  Resultate  aufzuweisen 
haben,   die   zu  den  schönsten  Hoffnungen  be- 


in  unserer  Zeit  der  Alleinherrschende  zu 
werden.  Auch  gehen  diese  Werke,  da  an 
ihnen  in  der  Hauptsache  schon  wieder  Über- 
glasurfarben  verwandt  werden,  schon  ganz 
anders  wieder  in  die  Farbe  und  verheißen 
uns  so  wieder  eine  wirklich  farbige  Porzellan- 


rechtigen.  Freilich,  was  hier  bisher  in  Angriff  plastik,  deren  Aufkommen  bisher  die  einseitige 
genommen  worden,  ist  nur  ein  kleines  Gebiet  Verwendung  der  matten  Unterglasurfarben, 
des  Porzellans;  es  stellt  auch  nicht  gerade  sein      zu   der  jene   eben   genannte   Manufaktur   das 


allerwichtigstes  vor.  Es  ist  die  Kleinplastik 
Menschen-  wie  Tierplastik.  Aber  es  besteht 
die  feste  Absicht  —  und  es  wird  daran  auch 
schon  mit  allem  Fleiße  gearbeitet  —  auch  die 
übrigen  Gebiete  künstlerisch  zu  bearbeiten, 
um  so  mehr,  da  auf  diesen  heute  in  der  kera- 
mischen Produk- 
tion noch  bedenk- 
liche Lücken  klaf- 
fen. —  Was  bisher 
geschaffen  ward, 
wurde  dadurch  er- 
reicht ,  daß  ver- 
schiedenen Künst- 
lern Aufträge  zu 
derartigen  Schöp- 
fungen gegeben 
wurde.  Doch  ist 
der  Direktor  sel- 
ber auch  fähig, 
derartige  Arbei- 
ten zu  leisten. 
Was   dadurch    zu- 


nur  zu  sehr  befolgte  Beispiel  gegeben,  allein 
verhindert  hat.  Ganz  besonders  erfreulich 
aber  ist  es,  daß  alle  diese  Arbeiten  relativ 
billig  sind,  billiger  jedenfalls  als  die  der  be- 
rühmten großen  Manufakturen  und  so  in 
der  Tat  eine  Kunst  wieder  wirklich  populär 
machen  können, 
die  schon  einmal 
eine  bedeutende 
Rolle  in  unserem 
Kunstleben  ge- 
spielt hat,  dann 
aber  leider  so  ver- 
wildert ist ,  daß 
sie  auf  den  Namen 
Kunst  keinen  An- 
spruch mehr  ma- 
chen durfte  und 
darum  auch  bei 
allen  Kunstver- 
ständigen in  starke 
Verachtung    sank. 


Ausführung:  Scilwarzburger  Werkstatt 


IKNSr  ZIMMERM.VNN. 


2.St. 


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A  RHKITHN  VON  LUDWIG  VIERTHALKR. 
/v  Die  Münchner  Metallkunst  iJenießt  heute 
internationalen  Ruf.  Die  Verhältnisse  waren  in 
München  für  solche  Kleinkunst  unfjeniein  fjün- 
sti^.  Hier  sammelte  sich  der  jSroße  Fremden  ver- 
kehr aus  dem  Norden  nach  den  Alpen  und  nach 
Italien,  hier  pflej^te  man  sich  mit  mehr  oder 
wenij5er  nützlichen  Geschenken  und  Erinne- 
rungen zu  versehen.  Hier  saßen  auch  die 
Künstler,  die  das  Gewerbe  unablässig  mit 
einem  Strom  von  Ideen  tränkten,  eine  große 
Einrichtungs-Industric  gab  ständig  den  Hilfs- 
gewerben Verdienst  und  Arbeit.  Auch  die 
Kunstgewerheschule  und  die  permanente  Aus- 
stellung des  Kunstgewerbevereins  nützten  viel. 
Die  Münchner  Metallkunst  hat  einen  ausge- 
sprochen kunstgewerblichen  Charakter,  wäh- 
rend andere  Produktionszweige  dort  mehr  in 
den  Bann  einer  derb -bunten  „Volkskunst" 
geraten  sind.  Das  Muster  spielt  dort  im 
Metall  die  Hauptrolle,  der  Handwerker  steht 
zurück  hinter  dem  entwerfenden  Zeichner,  der 


auf  formale  Einfälle  den  Hauplwert  legt.  Dem 
einen  ist  diese  phantasievolle,  manchmal  etwas 
überladene  Münchner  Art  sympathisch,  einem 
andern  nicht.    Sie  ist  iedenfalls  typisch. 

Und  einer  der  besten  Vertreter  des  Münch- 
ner Metallstils  ist  unstreitig  Ludwig  Vierthaler, 
der  lange  Zeit,  anregend  und  angeregt,  dort 
gewirkt  hat,  ehe  er  nach  Berlin  berufen  wurde. 
Seine  Arbeiten  beweisen  aber  auch,  daß  in 
die  reiche,  oft  turbulente,  geschwätzige  Or- 
namentierungslust  der  Münchner  mehr  und 
mehr  Klarheit,  Sammlung,  Disziplin,  ruhige 
Größe  einzieht.  Die  hier  abgebildeten  Gefäße 
zeigen  reine  Disposition  und  durchsichtigen 
verständlichen  Aufbau.  Aller  Zierrat  dient 
organischen  Zwecken.  Die  reizvollen  Orna- 
mente, die  so  leicht  aus  der  Technik  fließen, 
haben  alle  ihre  festbestimmte  Funktion ,  sie 
umwinden,  schaffen  Schwerpunkte  oder  Aus- 
läufer, die  beliebten  Steinböcke  und  Fasanen 
scheinen  oft  nur  spielende  Weiterbildungen 
einesHenkels  oderGriffes  zu  sein.     .\.  i  mm  \n\. 


290 


l'ko|.i:.ssi  .K    kl(  IIAKI)  KII'MKKM  HMlIl      MINCHKN. 
C.KSiK  KTE  KISSEN    fNIl   llKc  KKN.       VERKI  N  I( ;  IE  WERKSTÄTTEN    KÜK  KUNST  IM    HVNUVVERK  A.-C. -MTNCHEN. 


KLEINE  KUNST-NACHRICHTEN. 


|)|-:zi-:mbi-:r  1909. 


'ODERNE  SILBERARBEITEN.  Eine  kleine 
Ausstellung  im  Berliner  Kunstgewerbe- 
Museum  beweist,  wie  entschieden  es  mit  dem 
Handwerk  der  Gold-  und  Silberschmiede 
vorangegangen  ist.  Es  offenbart  sich  die 
wohl  zu  verstehende  Tatsache:  dafj  besonders 
die  eigentlichen  Praktiker  zu  neuen  und  glücklichen 
Resultaten  gelangten.  Oewig,  auch  da,  wo  nach 
Entwürfen  guter  Künstler  die  Arbeiten  sorgfältig 
ausgeführt  werden,  steigen  die  Leistungen  wesent- 
lich über  das  Niveau  der  Handelsware.  Aber 
zur  vollen  Entfaltung  kommt  ein  neues  Wollen 
doch  nur  dort,  wo  Vorstellung  und  Ausführung, 
wo  Hirnbild  und  Handgeschick  von  einer  einzigen 
Persönlichkeit  geleistet  werden.  Die  Edelschmiede, 
sie,  die  wirklich  das  Werkzeug  regieren,  schaffen, 
sofern  sie  empfindsame  und  innerlich  reiche 
Menschen,  die  reinsten  und  die  gesündesten  der 
neuen  Formen.  Stücke,  wie  sie  die  Fa.  Bruckmann, 
Heilbronn,  nach  den  Zeichnungen  verschiedener 
Bildhauer  herstellt,  sind  zweifellos  von  ausge- 
zeichneter Qualität;  sie  können,  wenn  der  Bild- 
hauer tüchtig  ist,  auch  schön  sein.  Aber  der 
spezifische  Reiz  der  Materialbelebung,  jene  un- 
verkennbare Atmosphäre,  in  der  das  Klirren  der 
Punzen  und  Hämmer  ewiglich  zu  tönen  scheint, 
daran  fehlt  es.  Das  treffen  wir,  wenn  wir  an  das 
Geschmeide  geraten,  das  der  Darmstädter  Ernst 
Riegel  mit  wachen  Sinnen  und  liebkosenden 
Fingern  komponierte.  (Das  Wort  musikalisch 
verstanden.)  Diese  Atmosphäre  des  Werkzeuges 
treffen  wir  bei  Emil  Lettre-Berlin.  Der  ist 
ein  fabelhafter  Techniker;  es  dürfte  schwer  halten 
seinesgleichen  zu  finden.  Wie  er  aus  einem 
einzigen  Stück  grofje,  bauchige  Gefäße  zu  treiben 
weif5,  wie  er  klare  Formen  aus  freier  Hand  direkt 
in  das  Metall  schlägt,  wie  er  dem  Silber  zu  einem 
tiefen  und  reichen  Oberflächenschein  verhilft,  das 
ist  meisterlich,  ganz  meisterlich.  k.  hkkii.  r. 

Ä 

BERLIN.  Paul  Cassirer  hat  etwa  40  Gemälde 
des  Paul  Cezanne  zusammengebracht, 
die  er  im  November  und  Dezember  ausstellte. 
Was  für  ein  vortrefflicher  Maler  war  doch 
dieser  Mann!  Man  braucht  zwar  nur  ein  Bild 
von  ihm  zu  kennen,  und  man  begreift  darin  den 
ganzen  Menschen.  Es  sind  nur  die  Energien  der 
Farbe,  die  er  an  den  Dingen  dieser  Welt  sieht, 
und  er  betreibt  mit  einer  solchen  Unbekümmert- 
heit farbige  Komposition,  dag  er  über  diesem 
einen  künstlerischen  Problem   jede  Rücksicht  auf 


die  reale  Erscheinung  der  Natur,  den  primären 
Empfindungswert  des  Stofflichen  usw.  vergißt. 
Dabei  aber  gelingen  ihm  doch  wunderbare  Por- 
träts, wie  etwa  das  des  Kunsthändlers  Valabregue, 
den  er  nur  durch  Variierung  der  farbigen  Stim- 
mung von  zwei  Seiten  seines  Wesens  zeigt.  Und 
von  seinen  Stilleben  halte  ich  das  mit  der  Uhr 
und  der  großen  Muschel  für  eines  der  schönsten, 
die  überhaupt  je  gemalt  worden  sind,    i    hi.ndfk. 

Ä 

Bei  Qurlitt  sind  eben  mehr  als  60  Gemälde 
Hans  Thomas  (auch  Majoliken)  zu  sehen,  die 
ihn  als  guten  und  als  schlichten  Maler,  immer 
aber  als  einen  lieben  Menschen  zeigen.        i    n. 

Ä 

Die  Galerie  Schulte  hatte  eine  grofie  Kol- 
lektion von  mehr  als  100  Bildern  Eduard  von 
üebhardts  zusammengebracht.  Dieser  Maler 
hat  Ziele,  die  nicht  immer  künstlerische  sind,  und 
eigentlich  Maler  ist  er  nur  in  seinen  ganz  frühen 
Sachen,  etwa  in  dem  Einzug  Christi  in  Jerusalem 
von  1863,  dessen  qualtrocentistische  Farbengebung 
man  vergißt  über  der  reinen  Empfindung  des 
schönen  Erzählens,  und  dann  in  seinen  Skizzen, 
die  freilich  nach  modernen  Begriffen  schon  mehr 
als  ausgeführte  Gemälde  sind.  Wer  eine  Studie 
malen  kann,  wie  den  predigenden  Christus  für 
die  Bergpredigt  von  1903,  die  in  der  Farbe  und 
im  Ausdruck  so  vortrefflich  ist,  den  darf  man  ruhig 
einen  Maler  heißen.  Im  fertigen  Bild  aber  macht 
er  die  Wirkung  zu  Schanden  durch  eine  sehr 
unökonomische  Detaillierung  des  Vorgangs  in 
Malerei  und  Charakteristik.  So  geht  es  ihm  fast 
immer,  und  man  wird  ihn  als  Künstler  stets  nur 
nach  seinen  Studien  beurteilen  dürfen.  Als  Mensch 
erscheint  er  freilich  in  den  großen  Arbeiten  am 
reinsten,  und  zwar  als  ein  nicht  gewöhnlicher 
Mensch  von  großem  sittlichem  Ernst.  i .  n 

Ä 
Die  Galerie  Schulte  teilt  mit,  daß  sie  für 
Januar  1910  eine  Gedächtnisausstellung  von  mehr 
als  150  Bildnissen  des  kursächsischen  Hofmalers 
Anton  Greff  (1736-1813)  vorbereitet,  worauf 
man  sich  füglich  freuen  darf.  i    !■ 

P. 

ITALIENISCHE  BIBELOTS.  Im  Berliner  Künstler- 
haus hat  Herr  H.  St.  Lerche  aus  Rom  allerlei 
Kunstgewerbliches  zu  zeigen.  Um  was  es  sich 
handelt,  das  sollen  einige  Diagnosen  kundtun. 
Es  gibt  zusehen:  Eine  Vase,  etwa  einen  Meter 
hoch,    sie  heißt:    das    Meer.      Der    Fuß    ist   ein 


2^3 


KIcilir  K/tii\l-XaiIiriilil(-ii. 


dämonischer  Fisch  aus  Bronze  mit  glasigen  Augen ; 
um  ihn  herum  spritjen  Wellen  (auch  aus  Bronze). 
Da  hinein  sind  grüne  Achate  gebettet.  Der  eigent- 
liche Vasenkörper  ist  keramisch,  die  Glasur  redu- 
ziertes Kupfer,  rot  zu  grün,  blau  überfangen. 
Gegen  diesen  eigentlichen  Vasenkörper  ist  nichts 
zu  sagen.  Als  Henkel  bäumen  sich  zwei  Fisch- 
weiber, sie  sit3en  am  Mund  der  Vase,  sie  brüllen 
und  schwenken  ihr  Haar,  und  alsogleich  werden 
sie  abwärts  rutschen.  Es  gibt  ferner  zu  sehen: 
Einen  Gegenstand,  den  der  Katalog  einen  Humpen 
nennt.  Es  scheint  ein  beschnäbelter  Helm  zu 
sein,  als  Henkel  rekelt  sich  ein  trunkener  Knabe. 
Den  muß  man  um  den  Bauch  fassen,  um  das 
Kuriosum  zu  heben.  Es  ist  ferner  zu  sehen:  Auf 
einer  großen,  grünen  Schüssel  hockt  ein  rotbrauner 
Faun;  er  trägt  in  der  Rechten  ein  Püppchen,  ein 
zierliches  Weibchen,  das  flüstert  ihm  ins  Ohr. 
Der  Faun  grinst.  Wer  noch?  Es  ist  ferner  zu 
sehen:  In  Bronze  gegossen,  auf  den  Tisch  gelegt, 
ein  Stück  Mutterbrust,  mit  einem  Sänglingskopf 
daran.  Demgemäß:  Herr  Lerche  ist  um  einige 
Posttage  zu  spät  nach  Berlin  gekommen;  der- 
artige Scherze  sind  bei  uns  längst  überwunden. 
Im  übrigen  sei  ihm  gern  attestiert,  daß  er  einige 
Phantasie  und  einen  leidlichen  dekorativen  Ge- 
schmack besit5t  Die  schlichten  Schüsseln  und 
Schalen,  die  er  nach  dem  Vorbild  persischer 
Fayence  formt  und  glasiert,  können  gelobt  werden. 


DAS  BERLINERKUNSTGEWERBE-MUSEUM. 
Es  läßt  sich  jeßt  feststellen,  daß  der  neue 
Direktor,  Otto  von  Falke,  sehr  recht  daran  tat, 
mit  dem  Erbe  des  alten  Lessing  nicht  gar  so 
pietätvoll  umzuspringen.  Es  war  durchaus  not- 
wendig, dem  neuen  Prinzip  der  Museumsgestaltung, 
dem  Prinzip  der  Sachlichkeit,  der  Echtheit  und 
der  Qualität,  gegenüber  dem  alten  der  Stimmung, 
des  Halbdunkels  und  des  theatralischen  Effektes 
zum  Siege  zu  verhelfen.  Es  widerspricht  durch- 
aus dem  modernen,  historischen  Bewußtsein,  die 
Dokumente  der  Vergangenheit  mit  Nachahmungen 
oder  auch  nur  untereinander  so  zu  vermischen, 
daß  ein  Gesamteindruck,  etwa  nach  der  Art  des 
Münchner  National-Museums  herauskommt.  Man 
will  die  gesicherten,  alten  Stücke  möglichst  vor- 
teilhaft und  leicht  zugänglich  ausgestellt  sehen. 
Man  will  ferner  möglichst  große  Helligkeit. 
Nebenbei  erwartet  man  dann,  daß  der  Konservator, 
der  Kenner,  durch  geschickte  Aufstellung  die 
Übersicht  erleichtert,  und  das  Bedürfnis  der 
Sinne  geschmackvoll  einlöst.  Nach  solchen 
Prinzipien  hat  Falke  das  Berliner  Museum  um- 
geordnet. Er  hat  vor  allem  für  Licht  gesorgt, 
hat  die  braunen,  aus  Stuck  imitierten  Holzdecken 


schlankweg  weiß  gestrichen,  hat  auch  die  Wände 
entsprechend  behandelt.  Dann  hat  er  im  all- 
gemeinen die  Fülle  der  Objekte  reduziert,  er 
wollte  nur  das  Vortrefflichste  zeigen.  Und  das 
Typische.  Wenn  man  jeßt  durch  das  Museum 
gehl,  empfängt  man  zwar  wenig  Romantik,  dafür 
aber  eine  außerordentlich  reine  und  präzisierte 
Analyse.  Sehr  instruktiv  wirkt  der  moderne 
Saal,  den  Falke  aus  den  Gläsern,  den  Keramiken, 
den  Bronzen  und  einigen  wenigen  Möbeln  der 
leßten  zwei  Jahrzehnte  zusammengestellt  hat. 
Da  sieht  man  mit  leisem  Grauen,  wie  schnell, 
wie  schrecklich  schnell  die  moderne 
Bewegung  ihre  einzelnen  Etappen  ver- 
leugnet und  verschwinden  läßt.  Vom 
Jugendstil  garnicht  zu  reden:  wo  blieb  das 
Frankreich  der  Pariser  Weltausstellung,  wo 
Plumet,  wo  Galle;  wo  blieb  Tiffany,  wo  Eckmann, 
wo  Lalique.  Alles  vorbei,  vorüber.  Daraus 
folgt,  daß  es  sehr  diskutiert  werden  will,  ob 
ein  Museum  modernes  Kunstgewerbe  sammeln 
soll.  Geschieht  es,  dann  sollte  als  Maßstab 
immer  das  Einfachste,  das  Sachlichste  und  das 
technisch  Tüchtigste  gelten. 

In  einem  der  kleinen  Ausstellungsräume  werden 
uns  die  Neuerwerbungen  1909  vorgeführt. 
Besondere  Aufmerksamkeit  verdient  ein  aus- 
gezeichnetes Exemplar  der  von  Wedgewood  im 
Jahre  1792  gemachten  Nachahmungen  der  Port- 
landvase. Technisch  will  der  tiefe  schwarzseidige 
Brand  des  Kobalt  bewundert  werden.  Auch  die 
Zartheit  der  Paste,  in  der  die  Figuren  aufgelegt 
wurden,  verlangt  Anerkennung.  —  Ein  gutes 
Stück  der  Berliner  Porzellanmanufaktur  ist  die 
in  Bisquit  ausgeführte,  lebensgroße  Büste  Friedrich 
des  Zweiten  (1805);  noch  feiner  und  charmanter 
ist  die  kleine  Schwesterngruppe  Schadows,  deren 
Modell  der  Meister  nach  seinem  großformatigen 
Werk  eigenhändig  fertigte.  -  Viel  bestaunt 
wird  die  schlesische  Zinnkanne  (Breslau  1500), 
die  bei  der  Versteigerung  der  Sammlung  Lanna 
bis  auf  33  000  M.  getrieben  wurde,      k.  hkij-fk. 

EINE  AUSSTELLUNG  VON  ARBEITER-KÜN- 
STEN. Der  Fall  liegt  so:  ein  sentimentaler 
Doktor  der  Physis  und  Amateur  in  Soziologie 
entdeckt  die  kunstdurstige  Seele  des  Proletariats, 
steigt  zur  Tiefe  und  sucht  verborgenes  Gold 
zu  heben.  Hallo!  Die  große  Revue.  4000  Stüik 
kommen  herein.  Die  Banausen  von  Berlin  W 
sollen  wenigstens  einen  Tropfen  dieses  Unver- 
fälschten zu  schmecken  bekommen.  Arrangieren 
wir  also  eine  Ausstellung  von  Künsten  dilettie- 
render  Arbeiter.  Zittert,  dekadente  Kultursnobs, 
das  unverbrauchte  Volk  ist  da.  Schon  hört  man 
die  Talente  keimen,  emporschießen,  schon  wurden 


294 


Kleine  A ini^t-IVacliriiliioi. 


sieben  auf  die  Akademie  gebracht,  noch 
einen  Momang-,  und  die  neue  Ära  beginnt.  Die 
Kunsiseuche  kriselt.  Gott  behüte,  man  hätte  nicht 
so  viel  Ästhetisches  schreiben  und  reden  sollen.  In 
die  Ecke,  Besen,  Besen!  .  Der  Fall  liegt  so:  daf^ 
ein  vernünftiger  Sozialpolitiker  mit  aller  Macht 
solchem  Pinselunfug  steuern  müfite.  Uleich  wie 
man  die  Töchter  der  Bourgois,  die  Jungfern,  die 
auch  so  sehnsüchtig  nach  Kunst  schmachten,  ver- 
mahnt: stickt  keine  Haussegen,  kopiert  keine  Mal- 
vorlagen, schneidet  nicht  Kerben!  Statt  solcher 
herzhaften  Warnung  die  tauben  Früchte  schwacher 
Gefühlsduseleien  und  mangelhafter  Erkenntnis  der 
Berufs-  und  Klassenpflichten  aufzusammeln  und 
auszustellen,  das  helfet:  den  .MüjVggang  prämiieren 
und  den  seufzenden  Dilettantismus  heilig  sprechen. 
Die  Zeiten  der  Romantik,  da  der  Hirtenbua  Papst, 
Kaiser  oder  gar  Maler  wurde,  sind  vorüber.  Heute 
bedarf  es  zur  Kunst  neben  des  Talentes  einer 
leidlichen  Kinderstube,  guter  Ernährung  und  et- 
licher Moneten.  Man  glaubt  nicht  mehr,  daf;  just 
die  obdachlose  Boheme  das  Genie  gepachtet 
habe.  Verbirgt  sich  wirklich  ein  Talent  dort 
unten,  so  wird  es  sich  schon  selbst  durchringen 
und  seine  Kraft  beweisen.  Es  ist  geradezu  dumm, 
das  Künstlerproletariat  künstlich  vermehren  zu 
helfen.  Einen  Wochenlöhner  ob  scheinbarer 
Gaben  aus  seinem  Beruf  zu  reißen,  zu  stipen- 
dieren  und  zur  Kunst  zu  locken,  ist  frevent- 
licher Leichtsinn.  Der  Arbeiter  soll,  wenn  er 
freie  Zeit  hat,  vor  allem  etwas  üben  und  lernen, 
was  ihn  beruflich  fördert  und  ihn  möglicher- 
weise in  eine  höhere  Lohnklasse  bringt.  Er  soll 
sich  bemühen,  immer  besser  den  Kosmos  der 
Fabrik  zu  verstehen,  um  so  die  Funktionen  eines 
minimalen  Rades  mit  Bewußtsein  zu  vollziehen. 
Oder:  der  Lithograph  vervollkommne  seine  Tech- 
nik, er  gehe  zur  Handwerkerschule  und  lasse 
sich  sieben,  ob  er  für  das  Kunsigewerbe  reif  sei; 
ein  Seßer  studiere  englische  Druckwerke  und  lerne 
daran  Verhältnisse  sehen,  er  verschone  sich  je- 
doch mit  „Landschaft  und  Akt"!  Tüchtigkeit  im 
Beruf  hilft  am  ehesten  zur  Arbeitsfreude;  selbst- 
mörderisch aber  ist  es,  die  Pflicht  des  Tages  zu 
verfluchen,  um  dem  Phantom  einer  höheren,  gei- 
stigen Beschäftigung  nachzujagen.  Das  könnte 
sich  auch  ein  jeder  von  uns  leisten;  dazu  braucht 
man  garnicht  Mechaniker  oder  Kettenscheerer  zu 
sein.  Welcher  Jurist,  welcher  Arzt,  welcher  Kri- 
tiker wüßte  nicht  letjten  Sinnes  etwas  Besseres, 
etwas  Geistreicheres  zu  tun,  als  seine  Tagesarbeit 
es  ist.  Pflichten  sind  eben  Mühlsteine;  alles  Mehl 
aber  muß  unterm  Mühlstein  hindurch.  Bleibt  dem 
Arbeiter  reelle,  freie  Zeit,  dann  soll  er  sich  zu- 
erst um  die  Lebensfragen  seines  Berufes  be- 
kümmern; erst  dann  sei  ihm  allgemeine  Bildung, 


dieser  Ballast  der  natürlichen  Vernunft,  empfohlen; 
(Kunst  in  seiner  freien  Zeit  genießen,  wird 
seiner  inneren  Entwicklung  gewiß  immer  dienlich 
sein).  Besser  täte  er,  mit  offnen  Augen  und  Mutter- 
wiß  durch  die  Straßen  und  über  die  Felder  zu 
spazieren.  Treibt's  ihn  dann  (es  wird  nicht  oft 
vorkommen),  seine  Eindrücke  und  Phantasien  als 
Wort  oder  Bild  niederzukrißeln,  sei  es  ihm  ge- 
segnet. R.  I'.K. 
Ä 

MODERNE  GALERIE  MÜNCHEN  (Thann- 
hauser).  Mit  Pauken  und  Trompeten  ist 
die  Neue  Künstler  Vereinigung  München 
in  den  schönen  Oberlichtsaal  unseres  jüngsten 
Kunstsalons  eingezogen. 

Im  Laufe  des  Dezember  und  Januar  bringt  die 
„Moderne  Galerie"  folgende  Ausstellungen:  eine 
Serie  Kuno  Amiet  und  Qiacometti  ;  eine  Kol- 
lektion „Kunst  im  Dienste  des  Kaufmannes", 
arrangiert  von  der  Münchner  Vereinigung  für  an- 
gewandte Kunst;  tine  Sonder- Ausstellung  von 
Werken  Ulrich  Hübners;  schließlich  junge 
Franzosen.  Außerdem  wird  die  Galerie  während 
der  Ausstellung  der  Winlersezession,  die  Haber- 
mann gewidmet  ist,  zwei  Säle  von  älteren 
Habermaimschen  Werken  vorführen.  Was  jeßt 
schon  davon  zu  sehen  ist,  spannt  die  Erwartung. 


Moderne  Kunsthandlung  München  (BrakI). 
Emil  Preetorius,  der  junge  Darmstädter, 
ist  den  Lesern  dieser  Hefte  kein  Fremdling. 
Eine  geschmackvolle,  hervorragend  feinausgebaute 
zeichnerische  Begabung;  die  saloppen, genialischen 
Allüren  fehlen,  dafür  bewundert  man  aber  die 
kluge  und  gewissenhafte  Ökonomie  dieses  schönen 
romantischen  Talentes.  Seine  feine  ironische 
Linie  deutet  die  Dinge  keck  und  klar.  Sie  liefert 
von  ihnen  nicht  eigentlich  zureichende  Darstel- 
lungen, sondern  treffsichere,  knappe  und  peinlich 
ausgefeilte  Epigramme.  In  der  ironischen  Kunst 
des  Schattenrisses  hat  es  Emil  Preetorius  zu 
hoher  Vollendung  gebracht;  das  beweisen  seine 
Illustrationen  zu  dem  von  Otto  Wolfskehl  neu 
übersetjten  „Onkel  Benjamin",  der  im  Hypeiion- 
verlag  zu  München  neu  herausgekommen  ist.  - 
Ein  neuer  Mann  ist  sein  Bruder  Willy  Preetorius, 
ein  Maler  von  feinstem  Gefühl  für  die  Struktur 
der  Landschaft.  Man  wird  noch  von  ihm  hören. 
Wenn  man  von  der  Neuen  Künstlervereinigung 
München,  die  in  der  Modernen  Galerie  zu  Gaste 
weilt,  herkommt,  dann  betrachtet  man  Brakls 
Van  (jogh- Kollektion  mit  besonderem  Interesse. 
Hier  ist  ein  sonniger  Garten  mit  vier  Menschen, 
ein  Stückchen  Erde  von  strahlender  Schönheit, 
eine   Arbeit   von   solcher  Meisterschaft,    daß    sie 


-95 


Kleine  Kiotst-NiwJn  iehte)i. 


jeden  späteren  Monat  schlägt.  Hier  ist  der  Pflug-, 
bei  dem  Millet  Pate  gestanden  hat,  gewaltig  und 
grof;artig  in  die  Farbensprache  einer  anderen 
Zeit  umgedeutet.  Kurz,  hier  sind  Meisterwerke, 
Dokumente  einer  glühenden,  inbrünstigen  Seele. 
Aber  zu  Nutj  und  Frommen  der  Schwachen,  die 
aus  dem  fertigen  Werke  des  Meisters  gerne  einige 
billige  Formeln  zur  Verhüllung  ihrer  Unzuläng- 
lichkeit stehlen  möchten,  sollte  man  eine  War- 
nung daneben  schreiben:  Pueri ,  fugite  hinc! 
latet  anguis  in  herba.  u,  Miniii. 

KOPENHAGEN.  Arnold  Krog,  fünfund- 
zwanzig .Jahre  künstlerischer  Direktor  der 
Königlichen  Porzellanfabrik  in  Kopenhagen.  Die 
Königliche  Porzellanfabrik  in  Kopenhagen  verdankt 
ihren  Weltruf  zwei  Männern :  ihrem  obersten  Leiter, 
dem  vor  einigen  Jahren  verstorbenen  Etatsrat 
Philip  Schou,  und  dem  Professor  Arnold  Krog, 
in  dessen  Händen  sich  seit  dem  1.  Januar  1885 
die  künstlerische  Leitung  der  Fabrik  befindet. 
Die  fünfundzwanzigjährige  Tätigkeit,  auf  die  Krog 
gegenwärtig  zurückblickt,  darf  nicht  mit  Still- 
schweigen übergangen  werden  in  einer  Zeit- 
schrift, die  so  oft  in  Bild  und  Wort  über  die 
Werke  berichtet  hat,  die  von  seiner  Hand  ge- 
schaffen oder  unter  seiner  Anleitung  und  Pflege 
entstanden  sind  -  um  so  mehr,  als  er  infolge 
seiner  bescheidenen  Zurückhaltung  -  wenigstens 
außerhalb  Dänemarks  -  bisher  nicht  die  Aner- 
kennung gefunden  hat,  die  seiner  ergebnisreichen 
Lebensarbeit  gebührte.  Stand  er  doch  in  der 
vordersten  Reihe  der  Männer,  die  das  Aufblühen 
des  dänischen  Kunsthandwerks  im  legten  Viertel- 
jahrhunderl  hervorgerufen  haben.  Als  .'Architekt 
vorgebildet  auf  der  Kunstakademie  in  Kopenhagen, 
war  er  Alters-  und-  Studiengenosse  des  Malers 
Kröyer  und  des  Erbauers  des  Kopenhagener 
Rathauses  Martin  Nyrop.  Die  Eigenschaften 
beider,  des  Malers  und  des  Architekten,  muffte 
er  in  sich  vereinigen,  um  seine  Aufgabe  in  den 
Arbeitssälen  der  Porzellanfabrik  zu  erfüllen.  Als 
er  von  Schou  zum  künstlerischen  Direktor  erwählt 
wurde,  lag  ihm  eigentlich  nichts  ferner,  als  Por- 
zellan zu  dekorieren.  Was  er  hierfür  mitbrachte, 
war  höchstens  eine  gesunde  Abneigung  gegen 
alles  Überladene  und  gegen  die  Mifihandlung  des 
edlen  weij^en  Materials  durch  überreiche  Ver- 
goldung und  phantastische  Formengebung.  Er 
überzeugte  sich,  dafs  eine  Gesundung  nur  zu 
erreichen  sei,  wenn  man  das  Material  wieder  in 
seine  Rechte  einset5en  und  die  Formengebung  so 
einfach  wie  möglich  gestalten  würde.  Diese  Orund- 
anschauungen  leiteten  ihn  bei  allen  seinen  Ver- 
suchen. Er  legte  nicht  das  Hauptgewicht  auf  die 
Überglasiiminlerei  und  Vergoldung,   sondern  be- 


296 


vorzugte  die  diskretere  Malerei  unter  der  Glasur. 
Die  F'ormen  wurden  ihrer  modellierten,  angeset5ten 
Zieraten  entkleidet  und  auf  die  einfachsten  ge- 
bogenen Flächen  zurückgeführt,  die  der  Malerei 
freien  Spielraum  boten.  Für  seine  malerisch- 
dekorative .Auffassung  empfing  Krog  zuerst  be- 
stimmende Anregungen  aus  der  japanischen  Kunst ; 
seinen  Formenschat5  fand  er  aber  in  der  dänischen 
Natur,  deren  Flora  und  Fauna  er  und  seine  Mit- 
arbeiter bald  mehr,  bald  weniger  der  Flächen- 
dekoration anzupassen,  stets  aber  mit  feinem  Ge- 
schmack darzustellen  wuJ3ten.  Krog  hat  sich  mit 
dem,  was  er  geschaffen  hat,  nicht  nur  um  die 
Wiedergeburt  des  dänischen  Porzellans  verdient 
gemacht;  sein  Vorgehen  hat  auch  anspornend 
und  bildend  auf  die  übrigen  Porzellanfabriken 
Europas  eingewirkt.  Sein  Name  wird  daher  stets 
mit  Ehren  in  der  Geschichte  der  angewandten 
Kunst  der  Neuzeit  genannt  werden. 

Ä 

BUENOS  AIRES.  Internationale  Zentenar-Aus- 
stellung  (Kunst)  1910.  Die  Arbeiten  zur  Siche- 
rung offizieller  Erwerbungen  von  ausgestellten 
Kunstwerken  nehmen  einen  zufriedenstellenden 
Verlauf.  -  Die  Regierung  wird  460000  Frs.  und 
die  Stadtverwaltung  von  Buenos  Aires  120000  Frs. 
hierauf  verwenden.  Sämtliche  16  Provinzial- 
Regierungen  der  Republik  und  die  Stadtver- 
waltungen der  größeren  Provinzialstädte  haben 
Erwerbungen  von  Kunstwerken  in  Aussicht 
gestellt,  welche  den  Stamm  für  anläßlich  der 
Zentenarfeier  zu  gründende  National  -  .Museen 
bilden  sollen.  Bis  jet3t  existiert  in  der  ganzen 
Argentinischen  Republik  nur  ein  einziges  National- 
Museum,  welches  sich  in  Buenos  Aires  befindet. 
Auf  diese  Weise  werden  die  für  offizielle  Er- 
werbungen aufzuwendenden  Summen  eine  .Million 
Franken  bei  weitem  überschreiten:  auf^erdem 
haben  sich  die  großen  Vereine  und  Klubs  ver- 
pflichtet, größere  Ankäufe  zu  machen,  und  da 
auf  den  kleineren  Privat-Ausslellungen  in  Buenos 
Aires  jährlich  für  über  eine  Million  Kunstwerke 
verkauft  werden,  so  dürften  schon  jetjt  Verkäufe 
für  über  zwei  Millionen  Franken  als  gesichert 
anzusehen  sein. 

Ä 

'ATERIAL-BUCH.  Bezugnehmend  auf  die 
Berichterstattung  über  die  Versammlung 
des  Deutschen  Werkbundes  in  Frankfurt  a.  M. 
möchte  Herr  Dr.  Heinrich  Pudor  erklären,  daß 
er  nach  einer  Materialkontrolle  geseßlicher  Art 
strebt,  nicht  zünftlerischer  Art,  wenn  sie  auch 
den  Zünften  (gemeint  seien  die  Innungen)  zugute 
kommen  soll.  Ausdrückliche  Voraussetjung  der 
gesetzlichen  Kontrolle  sei  dabei  die  chemotech- 
nische  Prüfung. 


WILLI  GEIGLR-  MÜNCHEM-FLORF.NZ. 


GEMÄLDK ;  AHDALUSIEKIH. 


i  il.LI    GEIGER-  MÜNCHEN-FLORENZ. 


Kadiening  aus  der  Mappe:     Stierkampf 


WILLI  GEIGER-MÜNCHEN-FLORENZ. 


VON  GEORG  JAKOB  WOI.F  -MÜNCHEN. 


\^ 


JiWi  Geiger  trat  zu  einer  Zeit  schöpferisch 
mit  der  Kunst  in  Verbindung,  da  die 
angewandte  Ästhetik  sozusagen  auf  einem  toten 
Punkt  stand.  Der  Sezessionismus  hatte  sich 
ausgetobt  und  verschnaufte  sich  gerade  nacii 
einem  erbitterten,  schheßhch  aber  doch  erfolg- 
gekrönten Anlauf,  die  konservative  Kunst  hin- 
gegen hatte  sich  von  dem  schvi^eren  Schlag  noch 
nicht  zu  der  heute  bereits  unverkennbaren 
inneren  Reorganisation  erholt  und  dazv^fischen 
hatte  sich,  als  ein  Ausfluß  der  literarisch-philo- 
sophischen Richtung  der  Zeit,  etwas  breit  ge- 
macht, für  das  man  die  Schlagworte  „Ideen- 
kunst" und  „Künstler-Philosophentum"  allzu 
bereit  hatte;  eine  überragende  Gestalt  derdeut- 
schen Kunst,  ein  Genie,  an  das  sich  all  die  Klei- 
neren nicht  reiben  durften,  hatte  ungewollt  diese 
nicht  gerade  glückliciie  Erscheinung  veranlaßt: 
Max  Klinger.  Die  Kritik  aber  war  ob  all  dieser 


Erscheinungen  verwirrt,  dereine  zog  dahin,  der 
andere  dorthin.  Die  ehernen  Gesetzestafeln  der 
Kunst  waren  zerbrochen,  und  auf  schwanken- 
dem Steg  über  einen  ungebändigten  Ozean 
mußten  die  Jünger  der  Kunst  hinüberbalan- 
zieren  in  die  seligen  Gefilde  einer  reinen  Kunst. 
Solche  wirre  Kunstverhältnisse  traf  vor  einem 
Jahrzehnt  Willi  Geiger  an,  als  er  begann,  mit 
eigenen  Schöpfungen  auf  den  Plan  zu  treten. 
Er  brachte  außer  seinem  damals  noch  ziemlich 
latenten  künstlerischen  Ingenium  als  Wertvoll- 
stes ein  unverbrauchtes,  geradegewachsenes 
Menschentum  mit.  Die  verweichlichenden, 
Eigenart  fressenden  Einflüsse  einer  dekadenten 
Großstadt-Atmosphäre  hatten  an  iiim  nicht 
gezehrt.  Seine  Jugend  hatte  er,  der  im  Jahre 
1878  in  der  niederbayerischen  Provinzhaupt- 
stadl  Landshut  geboren  wurde,  in  dieser  köst- 
lichen gotischen  Stadt  verlebt,  liebevoll  gehütet 


^99 


Gror'>   yakoll  ]J'oI/—I\finicIii'>i. 


von  einem  prächlijjen  Elternpaar,  einem  klujicn, 
starkhändifien  Vater  und  einer  gütis^en,  besorg- 
ten, lieben  Mutter;  dort  hatte  er  die  Schulen 
besucht,  durch  die  gotischen  Gassen  war  er 
Tag  um  Tag  gegangen  ,  um  die  altehrwürdige 
Martinskirche  hatte  er  gespielt,  und  unver- 
sehens war  von  dem  gotischen  Stadtgeist  etwas 
übergesprungen  auf  ihn  selbst;  das  Gotische, 
das  namentlich  in  seinen  graphischen  Früh- 
werken lebendig  ist,  muß  man  unbedingt  auf 
solche  heimatliche  .lugendeindrücke  zurück- 
führen. 

Geiger  war  nicht  von  vornherein  zum  Künst- 
ler bestimmt,  doch  zog  man  bei  der  Berufswahl 
seine  zeichnerischen  Fähigkeiten  in  Rechnung 
und  dem  Willen  seines  Vaters  gemäß,  mit 
dem     er     ganz     einig     ging,     bezog     er     die 


Kunstgewerbeschule  und  das  Polytechnikum 
in  München ,  um  sich  für  den  Beruf  eines 
Zeichenlehrers  vorzubereiten.  Und  vielleicht 
wäre  Geiger  heute  irgendwo  an  einer  Provinz- 
lateinschule als  braver,  tüchtiger  Zeichenlehrer 
tätig,  wenn  nicht  zur  rechten  Zeit  die  rechten 
Leute  gekommen  wären,  die  das  Außerordent- 
liche dieses  jungen  Künstlers  erkannten  ,  die 
ihm  halfen,  seinen  Weg  hinüberzuleiten  ins 
Land  der  Kunst.  Der  alte  Lenbach  und  Stuck, 
die  um  ihre  Meinung  gefragt  wurden,  ob  Geiger 
als  Künstler  es  zu  etwas  Rechtem  bringen  werde, 
sagten  unbedenklich  ja,  als  sie  seine  Arbeiten 
sahen,  und  so  konnte  denn  Geiger,  nachdem 
er  vorher  kurze  Zeit  selbständig  in  Venedig 
gearbeitet  hatte,  an  der  Münchner  Akademie 
bei  Stuck  und  bei  Malm  eintreten.    Bei  Stuck 


300 


J  J  m  Gckcr-Müm-hcn  -Flo 


malte  er ,  ohne  daß  indes  seine  malerischen 
Frühwerke  einen  wesentlich  eigenartigen  Ein- 
druckhättenvermittelnkönnen,  bei  Halmlernte 
er  das  Radieren,  dessenTechnik  er  bald  spielend 
beherrschte,  und  hier  ist  das  Gebiet,  wo  er 
bisher  seine  größten  Triumphe  feiern  konnte, 
wiewohl  es  für  den  Kenner  Geigerscher  Kunst 
keinem  Zweifel  unterliegt,  daß  auch  seine  emi- 
nente malerische  Veranlagung  über  kurz  oder 
lang  in  einer  bezwingenden  Leistung  sich  vor 
der  breitesten  Öffentlichkeit  bekunden  wird. 
Das  erste  Werk ,  mit  dem  Geiger  die  Auf- 
merksamkeit der  Kunstfreunde  auf  sich  lenkte. 


war  ein  Zyklus  von  zwanzig  Tuschzeichnungen, 
der  unter  dem  literarisch  angehauchten  Titel 
„Seele"  im  Jahre  1903  im  Selbstverlag  des 
Künstlers  erschien.  Auch  Geiger  brachte  mit 
diesem  Werk  seinerZeit  und  ihren  verworrenen 
Anschauungen  von  Kunst  den  üblichen  Tribut 
dar;  nicht  alles  daran,  das  weiß  ich  gewiß,  würde 
Geiger  heute  noch  als  vollgültig  unterschreiben. 
Und  doch,  nimmt  man  ein  Blatt  ums  andere 
aus  dieser  Mappe  ,  so  wird  man  mit  Staunen 
gewahr,  daß  sich  hier  nach  Abstraktion  des 
Stofflichen,  der  Idee,  der  Allegorie,  die  leicht 
überwucherte,    bereits   das   phänomenale  In- 


i  U,l.l  GtluhK     MUM  HEN. 


Kadicruiij;;     l)ie  l'auaL>>.   Aus  Uci  ilapiic;  »-Liebe«.    Selbstverlag. 


]]'///i  (Icii'cr—.Miiinlh-ii-I-'loiciiz. 


j«enium  Willi  Geiger  in  ganzer  Wirksamkeit 
zeigt.  Ein  unergründlicher  Pessimismus  peitscht 
durch  diesen  Zyklus.  Das  Weib,  dieses  immer 
wiederkehrende  Grundmotiv  Geigerscher 
Kunst,  das  sinnliche  Weib,  okkupiert  auch 
hier  schon  seinen  Platz.  Rein  bildkünstlerisch 
angesehen,  ist  die  Mehrzahl  der  Blätter  noch 
nicht  ganz  reif,  aber  Einzelnes  steht  doch  auf 
einer  Höhe ,  die  keiner  von  Geigers  Mit- 
strebenden bisher  erreicht:  ich  erinnere  an  das 
Blatt  „Der  Walzer"  ;  es  ist  ein  grandioser  Aus- 
druck todtrauriger  Lustigkeit.  Das  ist  über- 
haupt der  Grundzug  dieses  Zyklus:  himmel- 
hochjauchzend —  zum  Tode  betrübt.  Aber 
nicht  als  ob  man  das  wie  inneren  Widerspruch 
empfände,  vielmehr  verspürt  man;  hier  ist  die 
abgründige  Melancholie  eines  vlünglings  am 
Werke.  Er  ist  melancholisch  nicht  aus  deka- 
denter Langeweile,  sondern  weil  er  mit  dem 
spröden  Ich  einen  harten  Kampf  führen  muß; 
das  macht  ihn  auch  zum  Pessimisten,  und  wenn 
zwischenherein  das  Laclien  grillt,   das  sinnlos 


gierige,  wilde  .lungmännerlachen,  so  wirkt  es 
nur  schaudervoll  in  seinem  herben,  strengen 
Kontrast  .  .  . 

LJnd  doch  war  Geiger  in  jener  Zeit  nicht 
aller  guten  Geister,  nicht  einer  gewissen  inne- 
ren Gehaltenheit  bar;  er  ist  eben  eine  schwer 
zu  fassende,  psychologisch  nicht  immer  durch- 
sichtige Individualität  wie  alle  innerlich  Rei- 
chen, die  nicht  von  vornherein  auf  ein  ge- 
wisses Schema  sich  festlegen,  sondern  in  bei- 
nahe schrankenloserUngebundenheit  ihrEigen- 
wesen  schalten  und  walten  lassen.  Fast  gleich- 
zeitig mit  der  „Seele"  ist  eine  Serie  getuschter 
Landshuter  Stadtbilder  entstanden,  brillante 
Zeichnungen,  die  auf  handgroßen  Blättern  die 
Seele  dieser  gotischen  Stadt  einfangen.  Frei- 
lich, solche  Arbeiten  sind  im  Gesamtwerk 
Geigers  nur  harmlose  Intermezzi,  Ausflüsse 
sorgloser,  sonnenschwerer  Ferientage,  die  er 
in  dem  trautbürgerlichen  väterlichen  Hause  in 
der  oberen  Altstadt  zu  Landshut  verlebt.  .  .  . 

Im  Lebenswerke  Geigers  kann   die  Mappe 


■'  ii  .ij(it  'i>*Ma)i 


xvii.i.i  okuu;k     Ml  m  ukn.     k.vdikkum;:     vi:m  s   iiiki 


—\  — 


/  / '////  Geisel  —Mfiiiclicii  -  Florenz 


Ä*  fl^^*.-    y  Wio-K  ,^ 


wii.ij  <;eu;ek    mi'nchkn. 


„Liebe",  zehn  Radierungen  in  glänzender 
Technik ,  einen  bevorzugten  Platz  bean- 
spruchen. Die  zwei  Jahre,  die  zwischen 
dem  Erscheinen  der  „Seele"  und  der  „Liebe" 
liegen,  sind  die  entscheidenden  in  Geigers 
Entwicklung.  Da  ist  er,  wie  der  erste  Blick 
lehrt,  viel  gegenständlicher  geworden.  Denn 
das  sind  keine  Allegorien  mehr,  sondern 
Lebensausschnitte,  die  freilich  zu  symbolischer 
Eindruckstiefe  gesteigert  sind.  Man  empfindet 
das  Lebenssymbol,  wenn  man  die  „Duell- 
pause" betrachtet  oder  den  „Kuß"  und  be- 
sonders das  grauenvoll-groteske  Blatt  „Die 
tausendste  Brautnacht",  das  auf  mich  immer 
die  schreckliche  Wirkung  ausübt,  als  lauere 
irgendwo  versteckt  das  scheußliche  Gespenst 
der  Blutschande.  Die  „Liebe"  zeigt  Geiger 
innerlich  erstarkt,  gefestigt,  auch  technisch  ge- 
reift. Aber  immer  noch  liegt  es  wie  schwere 
I  räunierei  über  seinem  Werk,  und  der  Traum, 


K.ndieiiing  aus      Der  SLiork.inipf   .    Selbstverl.i[i 

der  stets  aufs  Neue  zu  ihm  tritt,  heißt ;  Weib. 
Es  ist  der  gellende  Ruf  der  Salome,  der  immer 
wieder  schrill  seine  Chopinschen  Traumlieder 
zerreißt.  Im  „GemeinsamenZiel",  einer  privat 
erschienenen,  nur  einem  kleinen  Freundeskreis 
zugänglich  gemachten  erotischen  Mappe,  ist 
dieser  Ruf  der  Salome  in  aller  Ungebunden- 
heit  künstlerisch  fixiert.  Der  Kampf  mit  dem 
Weib,  der  das  eigentliche  Element  der  Geiger- 
schen  Kunst  in  ihrer  Frühzeit  ist,  wird  hier 
von  einem  ganz  anderen  Standpunkt  aus  ge- 
führt :  Geiger  steht  nicht  mehr  mitten  drinnen 
im  blutigen  Handgemenge,  sondern  sieht  ihm 
—  um  mich  eines  ziemlich  verbrauchten  Aus- 
drucks zu  bedienen  —  „von  hoher  Warte  aus" 
zu  und  registriert  mit  einem  ganz  leisen,  linden 
faunischen  Lächeln  seine  sexuellen  Gesichte. 
Zeichnerisch  hat  er  diese  I^lätter,  die,  wie  es 
spöttisch  auf  dem  Titelblatt  heißt,  in  der  „hei- 
ligen Stadt"  Rom  entstanden  sind,  später  nicht 


J f '////'  Gciori  —Miiinl/rii - Floicii : 


mehr  überboten;  sie  sind  schlechthin  meister- 
lich, nicht  nur  in  ihrem  Genre,  sondern  im 
ganzen  Komplex  moderner  graphischer  Kunst. 
Viel  zu  wenig  beachtet  wird  ein  anderes 
Werk  Geigers,  das  in  erstaunlich  kurzer  Zeit  im 
Jahre  1906  in  Tunis  entstand,  Originalzeich- 
nungen, die  unter  deniTitel  „Aphorismen"  in 
einer  Mappe  gesammelt  wurden.  Es  ist  auf- 
fallend viel  Humor  in  ihnen,  namentlich  viel 
Tierhumor,  der  in  allen  Farben  schillert.  Kom- 
positionen sind  diese  mit  einer  echten,  stili- 
stisch derb  vereinfachenden  Geigerklaue  hin- 
gesetzten Zeichnungen  von  schönster  Rundung, 
wohlverstanden:  nicht  im  Sinne  wohlgeschnie- 


gelten akademischen  Linienschwungs  mit  süß- 
licher Nazarenerweichheit ,  sondern  im  Ver- 
stände wohlüberlegter  Raumausbalanzierung, 
die  sich  auch  mit  Geigers  charakteristischen, 
gotisch  hageren ,  eckigen  Gestalten  herbei- 
führen läßt. 

Die  beiden  jüngsten  zyklischen  Werke  des 
Künstlers  zeigen  Geiger  auf  neuen  Wegen. 
Im  einen  läßt  er  alles  Ideenhafte,  selbst  den 
leisen  Märchenzauber,  der  uns  bei  den  „Apho- 
rismen" begegnet,  weg  und  beschränkt  sich 
darauf ,  uns  in  strenger  Gegenständlich- 
keit die  verschiedenen  Phasen  eines  „Stier- 
kampfes" zu  zeigen.    Er  selbst  hatte  in  Sevilla 


JK^« 


Aviij.i  (,i:i(;i.:k   müxchex. 

KAIIIl.KrNC,    ATS  DKk  MAPPE:      t.IKBE«. 


\Villi  Gciocr—l\'Ifniclicii-F!orenz. 


WILLI    GEIGER-MUNCHEN. 

mancher  Corida  angewohnt  und  unter  Toreros 
sich  umgetrieben;  dazu  kam  Goyas  Einfkiß, 
und  mehr  und  mehr  reizte  es  nun  Geiger, 
diese  bUtzschnellen  Bewegungen,  diese  ab- 
sonderhch  geschwungenen  Kurven  mit  der 
Nadel  festzuhalten.  Der  Farbe,  der  zitternden, 
bunt  ineinander  fließenden,  zu  einem  selt- 
sam berauschenden  Bouquet  sich  mischenden, 
mußte  er  freilich  bei  der  Mehrzahl  dieser  Ra- 
dierungen entraten.  Immerhin  hat  er  zwei 
davon  in  großem  Format  in  Farben  radiert, 
und  ich  stehe  nicht  an,  in  ihnen  die  besten 
Arbeiten  Geigers  auf  diesem  Gebiete  zu  er- 
kennen. Die  einfarbigen  Radierungen  des 
„Stierkampfs"  haben  mit  Goyas  Stierkampf- 
Grotesken  nur  das  Motiv  gemeinsam.  Im  üb- 
rigen sind  sie  viel  sachlicher,  weit  mehr  auf 
eine  reale  Basis  gestellt.  Die  Bewegung  wie- 
derzugeben ist  ihr  hauptsächlichstes  Streben. 
Man  muß  sehen,  wie  Geiger  das  macht,  z.  B. 
bei  dem  gefährlichen  Moment,  da  der  Torero 


Das  hohe   Lied«,     llhistration. 

mit  blitzschneller  Behendigkeit  den  Stoß  des 
Stieres  in  das  rote  Tuch  abfängt.  Eine  gewisse 
Nervosität  des  Strichs,  die  allen  Arbeiten 
Geigers  eigen,  ist  gerade  hier  am  Platze  — 
das  Blatt  ist  von  wundervoller  Eindruckstiefe 
und  Überzeugungstreue.  Andere  der  Stier- 
kampf-Blätter sind  überraschend  durch  ihre 
Raumkomposition.  Irgendwo,  in  der  rechten 
oberen  Ecke  oder  links  oben  am  Plattenrand, 
spielt  sich  eine  bewegte  Szene  ab;  die  anderen 
Partien  der  Platte  sind,  wenn  auch  technisch 
leicht  durchgearbeitet,  gegenständlich  ganz 
leer.  Aber  der  Eindruck  der  Leere  ist  doch  nicht 
da.  Vielmehr  scheint  es,  daß  hier  der  Sand 
der  weiten  Arena  brennt,  und  die  Gesanit- 
wirkung  erhält  die  schönste,  zügigste  Groß- 
räumigkeit, die  man  sich  wünschen  kann. 

In  dem  anderen  Werk  der  Reifezeit,  den 
„Verwandlungen  der  Venus",  zehn  Radier- 
ungen zu  Richard  Dehmels  urweltgroßer  Rhap- 
sodie,   war    Geiger    vor    eine    ungewöhnliche 


ZEICHNUNG   AUS      APHORISMEN«. 


ZEICHNUNG    AUS    :  APIIORISMEX«. 


MW^if  fpürl'Mimft/ ,  fh-nr^ir/ti^af:' 


ZEICHNUNG    AUS       APHORISMEN 


'f/lifV,i'Sifi;<H»l^  yf  ,  &  iürxf^ß-. 


ZEICHNUNG    AUS      APHORISMEN 


/1Vir.f>^t'/^ 


WIII.I  r.KIf.KR      MU.NCHKN.      KX  IJISKIS.      /EICHXUNGEN. 


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Uli  I  I   (11  IGKK      MINCHEN.         EX    1, IURIS.     ZEICHNUNGEN. 


EX  LIBRIS  FÜR 
FRANZ  V.  STUCK. 


Wn.U  CEIGEK- 

mCnchen. 


VO  N  ^ 


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U'/I/i  C]  ei ;>(•>■— Mini  dir  )i-FIorL')iz 


Aufgabe  gestellt:  hier  mußte  er  seiner  unge- 
stümen Phantasie  Zügel  anlegen;  wenn  er  sich 
auch  nicht  subordinierte,  so  war  es  doch  nötig, 
sich  zu  koordinieren.  In  den  Motiven  wenig- 
stens mußte  er  mit  Dehmel,  der  freilich  ein 
ihm  nahe  verwandter  Geist  ist,  einig  gehen. 
Man  hat  es  also  bei  diesem  Zyklus  sozusagen 
mit  einem  Illustrationswerk  zu  tun,  freilich  mit 
einem  ganz  besonderer  Art,  auf  das  die  gute 
Deutung,  die  Hans  Wolfgang  Singer  für  die 
neue  Illustrationskunst  prägte,  zutrifft :  Der 
Graphiker  sucht  des  Künstlers  Ausgangspunkt 
und  sein  Ziel  zu  erfassen  und  die  gleiche 
Wirkung  auf  gleicher  Grundlage  mit  den  ihm 
eigenen  Mitteln  der  Linie,  Fläche  und  Form 
zu  erreichen  .  .  .  Durch  Dehmels  Rhapsodie 
geht  eine  schwüle  Erotik,  die  nur  manchmal 
zerreißt  und  ein  Stück  heiter  lachender,   tief- 


himmelblauer hellenischer  Liebesseligkcit  auf- 
blitzen läßt.  Das  so  situierle  Thema  ist  Geiger 
durchaus  gemäß,  denn  wie  im  ersten  Augen- 
blick, da  er  sich  schöpferisch  der  Kunst  nahte, 
brennt  heute  noch,  wenn  auch  dem  ober- 
flächlich Zusehenden  nicht  sofort  klar  ersicht- 
lich, in  seiner  Kunst  die  Erotik,  ein  heiliges 
Feuer,  bald  aufsteigend  wie  eine  mächtige 
Johannislohe,  bald  traut,  „intim",  als  prassele 
ein  liebes,  leise  summendes  Herdfeuer.  .  .  Das 
Sprunghafte  des  Themas  kam  Geiger  nicht  un- 
gelegen, da  es  ihm  die  Möglichkeit  bot,  mit 
seiner  ganzen  Vielseitigkeit  zu  brillieren,  von 
pathetischer  Dekoration  (Venus  Mors)  bis  zur 
durchgeistigten  Intimität  (Venus  socia),  von 
phantastischer  Groteske  (Venus  perversa)  bis 
zur  edlen  Klarheit,  die  aufbraust  wie  Orgel- 
klang    in     einer    weiträumigen ,     ganz     men- 


BESITZ    DES    : 


WILLI    GEIGER      MÜNCHEN. 
KADIKRUNG:   -> DER  DURST   . 


iriv/i  Gc 


-  J\füi/c/ieii-F/oiY)iz. 


schenleeren  Basilika  (Venus  mater)  ...  — 
Das  sind  Geigers  Hauptwerke,  die  Leucht- 
türme auf  seiner  Fahrt  über  den  zischenden 
Kunstozean.  Nach  ihnen  müssen  wir  unser 
Urteil  über  den  Künstler  orientieren.  Aber 
CS  wäre  total  falsch,  daneben  die  kleineren 
Arbeiten  Geigers,  die  Einzelblätter,  Exlibris, 
Gelegenheitsarbeiten  etc.  gering  zu  werten. 
Ist  doch  Geiger  weiten  Kreisen  gerade  durch 
seine  gezeichneten  und  radierten  Exlibris  be- 
kannt geworden,  gilt  er  doch  heute  mit  Recht 
als  einer  der  besten  deutschen  Exlibriskünstler. 
Und  doch  —  das  sind  für  ihn  nur  Gelegen- 
heitsarbeiten, und  sie  haben  alle  Vorzüge, 
aber  auch  die  Mängel  solcher  Gelegen- 
heitsarbeiten. Die  Intimität,  die  Frische,  das 
Spontane,  das  ist  vielen  solcher  unter  der 
Gunst  einer  guten  Stunde  entstandenen  Ar- 
beiten eigen,  manchmal  freilich  verspürt  man 
dann  auch ;  hier  fiel  dem  Künstlernichts  Rechtes 
ein  und  er  begnügte  sich  mit  einer  geschickten 
Dekoration  —  kein  Wunder;  Geiger  hat  mehr 
als  hundert  Exlibris  entworfen,  und  viele  für 
Leute,  die  ihn  nichts  angingen,  von  denen  er 
nichts  wußte.  Hat  er  aber  für  seine  Freunde 
Exlibris  gezeichnet  oder  radiert,  so  wurden 
es  immer  Kabinettstückchen  leise  ironischer 
Charakterisierung;  da  traf  er  den  Nagel  stets 
auf  den  Kopf.  Unzählig  ist  die  Reihe  derKarten, 
Einzelblätter,  Illustrationen,  Buchschmuckar- 
beiten etc.,  die  im  Laufe  eines  Jahrzehnts 
Geigers  nimmermüdem,  stets  wieder  originel- 
lem Stifte  entglitt.  In  den  Mappen  der  Geiger- 
sammler häuft  sich  heute  schon  ein  Schatz 
halbvergessener  Arbeiten ;  Lithographien  für 
das  Künstlerfest  „Elenden-Kirchweih",  ein 
Plakat  für  die  Zeitschrift  „Freistatt",  das 
wundervoin geschmückte  Heft  „Frühling",  in 
dem  eine  Schar  begeisterter  junger  Münchner 
Dichter  junge  Lyrik  verzapfte,  und  das  Geiger 
mit  teilweise  bunten,  prächtigen  Zeichnungen 
ausstattete,  ferner  Illustrationen  für  das  Witz- 
blatt „Auster"  und  neuerdings  für  die  „Jugend", 
Karten  zu  Festen,  Ansichten  von  München, 
gelegentliche  Porträtzeichnungen, Variete- Gro- 
tesken und  endlich  radierte  Einzelblätter;  zum 
Teil  farbige  Nachschöpfungen  berühmter  Ge- 
mälde von  Velasquez  und  Goya,  zum  Teil  Ori- 
ginalradierungen wie  „Der  Durst",  ein  herbes 
Blatt,  das  einer  akademischen  Konkurrenz 
seine  Entstehung  verdankt,  wie  das  Blatt  „  Ver- 
sailles" mit  seiner  unvergleichlichen  Wieder- 
gabe der  großen  Fontaine. 

Geiger  der  Maler  ist  ein  Kapitel  für  sich, 
wenn  auch  seit  dem  spanischen  Studienjahr 
des    Künstlers    manche   Fäden    sich    hinüber- 


spinnen zu  Geiger  dem  Graphiker.  Dasfrüheste 
Bild  Geigers  entstand  in  Venedig;  ich  erinnere 
mich  seiner  noch  gut ;  rote  Chioggiasegel  vor 
der  schweren  Lagune ;  es  war  eine  etwas  zähe, 
breiige  Malerei.  Bald  darauf  sah  man  einiges 
in  der  Münchner  Sezession,  z.  B.  ein  paar 
Pferde,  eine  Landschaft.  Dann  trat  eine  Pause 
in  der  malerischen  Produktion  ein,  denn  die 
in  Stucks  Atelier  nach  dem  gestellten  Modell 
gemalten  Akte  wird  man  doch  nicht  wohl  als 
Ausflüsse  persönlicher  Kunst  gelten  lassen 
können.  Bis  einmal  zur  guten  Sommerszeit 
Geiger  ein  Malrausch  packte.  Er  war  bei 
einem  Verwandten  auf  einer  niederbayerischen 
Mühle  zu  Gast,  und  da  brach  ein  wahres  Mal- 
fieber los.  Es  entstanden  ungemein  frische 
Landschaften,  derb  angepackt,  keck  aus  der 
Natur  herausgeschnitten,  „herausgerissen", 
um  mit  Albrecht  Dürer  zu  sprechen.  Und 
ähnlich  packte  es  ihn  einige  Jahre  später  in 
Spanien.  Da  hatte  er  fleißig  Velasquez  und 
Goya  im  Prado  kopiert,  und  darüber  war  ihm 
eine  neue  malerische  Welt  aufgegangen.  Die 
Farbigkeit  des  Landes  und  ein  gelegentlicher 
Abstecher  in  die  sonnenflirrenden  Lande  Nord- 
afrikas taten  das  Übrige.  Es  sind  Bilder,  die 
mit  der  herben  Geigerschen  Linie  eine  be- 
rückende Farbenpracht,  eine  zündende  Licht- 
fülle verbinden.  Und  auf  diesem  Felde  liegen 
für  Geiger  noch  Zukunftsmöglichkeiten,  wenn 
er  auch  im  tiefsten  Kern  seines  Wesens  wohl 
immer  ein  Graphiker  bleiben  wird.  .  . 

Willi  Geiger  ist  heute  wenig  über  dreißig 
Jahre  alt,  und  erst  ein  Jahrzehnt  ist  darüber 
hingegangen ,  daß  er  uns  seine  Kunst  in 
ihren  Äußerungen  kennen  lehrte.  Ein  Jahr- 
zehnt voll  Arbeit  und  Kampf,  voll  Mut  und 
Schmerz,  voll  innerer  und  äußerer  Erfolge. 
Auch  äußerer,  gewiß;  denn  als  solche  muß 
man  es  ansehen,  daß  Geiger  den  Schackpreis 
der  Münchner  Akademie  erhielt,  der  ihm  einen 
je  einjährigen  Aufenthalt  in  Italien  und  Spanien 
ermöglichte;  daß  ihn  neuerdings  der  deutsche 
Künstlerbund  mit  dem  Villa  Romana-Preis 
auszeichnete,  der  ihn  als  Stipendiaten  auf  ein 
Jahr  nach  Florenz  zu  ernster  Arbeit  führte. 
Geiger  ist  heute  ein  innerlich  Gereifter,  aber 
seine  Kunst  ist  noch  lange  nicht  erstarrt,  hat 
sich  noch  nicht  irgendwie  bindend  festgelegt, 
ist  noch  nicht  auf  die  herkömmliche  „persön- 
liche Note"  eingestellt.  Noch  wächst  es,  dehnt 
es  sich  in  ihm ,  immer  weiter  tut  sich  der 
Horizont  vor  ihm  auf.  Und  so  wollen  wir  denn 
getrost  der  Zukunft  eines  Künstlers  harren, 
auf  den  schon  die  Gegenwart  mit  Stolz  und 
Bewunderung  blicken  darf.  —  w. 


H.  Lan'j-Daiioli . 


ShV    KOGAN      MÜNCHEN. 


MOYSSEY  KOGAN-MÜNCHEN. 


Menschenbild,  das  icli  su  innig   hebe, 
Vermächtnis  habe  ich  Dir  zu  lassen, 
singt  heut  seligleise  mir  im  Blut  . 

iVtondjerl:    Der  Denke 


Bestünde  nicht  Hoffnung,  daß  die  Schöp- 
fungen Kojians  selbst  die  Gabe  der 
Rede  besitzen  und  in  dem  musikahschen 
Rhythmus,  der  sanften  Schönheit  ihrer  Linien 
sich  unmittelbar  jeder  empfänglichen  Seele 
mitteilen,  —  daß  beide,  der  Einfache  und  der 
Vielfältig-Veranlagte,  in  ihnen  ein  Gemein- 
sames, Beglückendes  finden  werden,  so  er- 
schienen alle  begleitenden  Worte  unnütz. 

Begeisterung  und  —  Sachlichkeit  sind  beide 
gleich  zwecklose  Anwälte  echter  Kunst !  Und 
doch  bedürfte  es  zweier  Flrklärungsweisen, 
zweier  Sprachen,  um  mitzuhelfen,  daß  auf  die 
Werke  Kogans  endlich  die  Aufmerksamkeit 
gelenkt  wird,  die  ihrer  Bedeutung  zukommt. 

Unterhaltsam  berichtend  für  die  Vielen: 
Seht  da  ein  homo  novus,  ein  Begnadeter,  der 
seit  .lahrcn,   von  Wenigen  erkannt,   in  Euren 


32^1 


Mauern  weilt  und  dort  eine  zweite  Heimat 
fand.  Ein  Sonderling,  dem  die  Kunst  nicht 
die  „melkende  Kuh"  ist,  ein  Narr,  der,  als  ihm 
vor  Jahren  zur  Zeit  der  schwersten  Entbehrung 
von  erkennender  Seite  ein  Auftrag  zuteil 
wurde,  der  ihm  die  ungestörte  Arbeit  zweier 
Jahre  ermöglichte,  —  weinte,  weil  seine  Kunst 
um  Brot  ging.  Ein  ganz  Unverbesserlicher  mit 
staunenswerten  Idealen,  dem  es  nur  um  die 
Kunst  selbst  zu  tun  ist,  ein  Weltschmerzlicher, 
mit  Heilandsgedanken  für  die  Menschheit. 

Mit  keinem  Schlager  tritt  er  auf  den  Plan. 
Sondern  mit  kleinen  Plaketten  und  Medaillen, 
an  denen  auch  der  offizielle  Kunstverständige 
achtlos  vorübergeht.  Unvollendet  stehen  in 
schmerzlicher  Schönheit  seine  Marmortorsi ; 
—  dazwischen  reiht  sich  Tafel  an  Tafel :  ein 
Spiel  edler  Körper   —  Gedichte  in  Wachs  — 


Hloyssi'v  Kaija)!  -Rlüiiclioi. 


Mui.sbEV  KÜGAiN  — MÜNCHEN. 

alle  im  Negativ  geschnitten,  Schöpfungen 
die  darauf  warten,  in  Gold  und  im  Edelsten, 
was  die  Erde  bietet,  festgehalten  zu  werden. 
Ein  einziger,  der  berufen  scheint,  die  Wieder- 
geburt der  Gemme  einzuleiten;  man  be- 
denke: „konkurrenzlos!"  Doch  er  hat  keine 
Muße  zur  Ausführung,  ihn  interessiert  nicht 
die  kunstgewerbliche  Anwendung  und  Ver- 
arbeitung, er  ist  immer  ruhelos,  „innerlich  voll 
von  Figur",  das  sind  ihm  alles  nur  Übergänge 
zu  Größerem,  Bevorstehendem.  Nur  ein  paar 
Medaillen  in  Stahl  geschnitten,  ein  paar  Ver- 
suche in  Halbedelstein,  dann  weiter. 

Seine  Werke  weisen  eine  wundersam  stetige 
Entwicklung  auf,  die  Bürgschaft  großer  Zu- 
kunft. Vereinzelt  steht  am  Beginne  seiner 
Laufbahn  eine  Plakette:  ein  Greisenkopf  nach 
Dürer.  Noch  ganz  Hochrelief,  noch  ganz 
„Ausdruck",  aber  mit  einer  subtilen,  die  For- 
men gleichsam  liebkosenden  Kraft  modelliert. 
Ein  „Drama"  war  unter  den  ersten  Entwürfen, 
ein  Grabmal,  Gedanken  zu  einem  Freiheits- 
denkmal, Äußerungen  einer  leidenschaftlichen 


Seele,  die  an  fremdem  Gram  teilnimmt.  Dann 
tauchten  Probleme  auf,  das  Bewußtsein  der 
Kraft  und  der  Schöpfungsdrang,  mehr  zu  geben 
als  alle  anderen.  Und  mit  Zeiten  eiserner 
Schaffenskraft  wechseln  Perioden  tiefster 
Schwermut  und  Einsamkeit.  Die  stolze  Freude 
und  die  ewige  Unbefriedigtheit  des  Großen 
an  den  eignen  Geschöpfen,  das  geniale  Fort- 
schreiten zu  immer  neuen  Gestaltungen,  — 
das  charakterisiert  auch  Kogans  Künstler- 
tum.  Ein  Marmor:  „Schmerz",  ein  klassischer 
Rückenakt,  ein  frühlinghafter  Mädchen-Torso, 
entstanden  neben  Plaketten  wie  die  „Vision", 
jener  wundersamen  komplexen  Einheit  dreier 
Körper.  Trotz  ihrer  traumhaften  Konturen 
bieten  diese  Reliefs  nicht  „malerische",  son- 
dern die  echte  Plastik  der  Wölbungen  und 
Höhlungen  mit  strenger,  innewohnender  Archi- 
tektur und  neugeformten  Raumhcziehungen. 
Friesartig  beginnen  dann  die  Plaketten  sich 
zu  dehnen.  Ein  Symphonisches  klingt  in  ihnen, 
ein  Hervorquellen  und  Versinken  in  ewig  le- 
bendiger Eurhythmie.   Ein  Vergleich  der  „Ver- 


MdV.sM'A    KciCAN      Ml  N(  HI-N. 


ri.AKElTE.N:      UAS  GOI.UE.N'E  ZEITALIEK 


OllEX:    „DIE  KUNST    .       EIN  i;KAHMAl_    .       WEKUrNi;     .       f.NIT  N:       UHVIHMISCHE  STUDIEN-.       JIOENI 
MliSssK\     Kc_><;AN       Mi-M  HEN.        M  I  I  >  \  1  M  F  N    IM  1   IM.  AKFTTEN. 


MnVsM  \    Kl  .I.W     MUNXHEN. 


PI-ATCF.TTKX:      DAS  COI-DENE  ZEITALTER 


OHKN:    -DIE  I.IME«.       DI-.K    lAN/.    .       UNTEN:   » »ER  RHYTHMUS«.     SDIELIKBE 

,\U)Nsm;v  kiic;an    mCm  hin.     mkdaui.en  unh  n.AKETTEN. 


//.   Ia\ 


-  Daiioli 


MOVSSEV    KOGAN- MÜNCHEN. 


Relief:     X'ergangenhoit  ^ 


gangenheit"  mit  Dauniiers  „Les  Fugitifs"  be- 
lehre über  die  Weiterführung  dieses  Problems 
innerhalb  der  Plastik.  —  In  fortschreitender 
Entwicklung  beschränkt  er,  unter  scheinbarer 
Opferung  anatomischer  Muskelkenntnisse,  die 
Modellierung  der  Körper  auf  das  Äußerste. 
Eine  Primitivität  der  Reife  spricht  aus  seinen 
heutigen  Werken,  eine  enorme  Konzentration 
des  Lebens  und  des  Ausdrucks  in  die  Fläche, 
die  dennoch  von  der  geheimnisvollen  Atmo- 
sphäre endloser  Raumtiefe  umspielt  ist.  Wun- 
derbar lebendige  Intensität  vibriert  in  diesen 
Gestalten,  in  denen  der  Geist  ganz  Körper  und 
der  Körper  ganz  zu  Seele  entmaterialisiert 
ward.  Von  Kogan  gilt  das  Wort,  er  könnte 
seine  Akte  mit  dem  Fingernagel  auf  eine  Schuh- 
sohle ritzen  und  es  würden  dennoch  Men- 
schendaraus.  —  „Primavera",  „Die  Werbung", 
„Das  goldene  Zeitalter"  sind  Schöpfungen 
der  letzten  Zeit.  Wie  bei  Marees  sind  auch 
diese  Gestalten  nicht  zusammen  „komponiert", 
sondern  selbständige  Individuen,  gebunden 
durch  eine  latente  Einheit  „im  inneren  Geist". 
Echte  Synthese  liegt  in  dieser  Verinner- 
lichung  und  Bannung  aller  äußern  Dramatik  in 
den  umgrenzten  Raum  und  die  beseelte  Kontur, 
deren  Rhythmus  sich  in  klassische  Gesten  von 
der  Schönheit  attischer  Grabmäler  verdichtet. 
Und  CS  begibt  sich,  daß  die  Plastik  dieses  Welt- 


fremden plötzlich  diejenige  wird,  die  unseren 
„Bedürfnissen"  entgegenkommt.  Plastik,  die 
Beziehungen  zum  Raum  hat ,  die  einen 
„Zweck  erfüllt".  .  .  Wo  aber  ist  der  Künstler, 
der  diesen  Kostbarkeiten  die  würdige  Fassung, 
den  rechten  Rahmen  zu  geben  verstünde?  — 

Und  dann:  die  Plaketten  (es  sind  nur  wenige 
Bildnisse  darunter)  enthalten  nichts  aktuelles 
und  nichts  geläufiges,  sie  sind  nichts  für  Samm- 
ler „berühmter  Persönlichkeiten"  und  billiger 
Bibelots,  sie  geben  nur  Schönheit,  und  Schön- 
heit ist  heute  kein  gangbarer  Marktartikel  .  .  . 

Man  müßte  vielleicht  ferner  von  dem  Künst- 
ler selbst  plaudern,  daß  das  Kind  schon  aus  der 
weißen  Kreide  des  heimatlichen  Bodens,  —  in 
Südrußland ,  —  Köpfe  schnitzte ,  daß  seine 
Mutter  ein  Steppenkind  und  schön  war  und 
süß  melancholische  Lieder  sang.  Von  seinem 
wechselnden  Werdegang  berichten,  dem  ent- 
scheidenden Eindruck  in  der  Elfenbeinsamm- 
lung des  National-Museums  und  dem  Entstehen 
der  ersten  Meisterplakette.  Wie  er  den  offenen 
Armen  der  Akademie  schnöde  entwich;  von 
seiner  bisher  unerfüllten  Sehnsucht  nach  Rom, 
daß  er,  von  Rodin  erkannt,  Mitglied  der  Jury 
des  Herbstsalons  in  Paris  wurde,  und  nun  im 
Folkwang-Museum  im  stillen  Hagen  schaf- 
fend, Gelegenheit  hat,  als  Lehrer  von  seiner 
reichen  Fülle  in  empfängliche  Herzen  zu  säen,  .  . 


328 


■J^ii*«***"'-^  < 


. I /<7i 'ssn '  Kooan — Mii uchen. 


Und  dann  müßte  man  vor  einem  kleinen 
Kreise  Williger  und  Andächtiger  weiter 
sprechen:  Lust  ist  tief,  sie  erscheint  wohl  dem 
Kranken  als  Grund  der  Welt;  tiefer  aber  noch 
ist  der  ewige  Schmerz,  der  keine  Rückkehr  zu 
sich  selbst  ersehnt.  Der  Urschmerz  der  Nacht, 
die  von  Ewigkeit  her  das  Licht  gebärt,  der 
Drang  des  Tierisch-Trüben,  der  schmerzlichen 
Sinnesliebe  nach  Läuterung ,  nach  Reinheit. 
SehthiereinenKünstler!  DasMysterium einer 
Seele,  die  unter  der  Last  eigener  und  fremder 
Qual  leidend,  stets  ihrer  „obem  Melodie" 
lauschend,  unbesiegt  den  Prüfungspfad  zur 
Klarheit  durchschreitet. 

Ein  Überwindender,  der  die  Geste  der  qual- 
vollen Mundwinkel,  der  mit  der  Hand  schmerz- 
lich gekrampften  Brüste  zu  leisem  Lächeln  löst, 
der  seine  von  jeder  dunklen  Leidenschaft  be- 
freiten Gestalten  in  lichte  Hüllen  kleidet,  einen 
seligen  Reigen  von  Menschen  in  Zwiesprach 
der  Seelen  erschafft,  Schatten  eines  Ge- 
schlechtes, das  wir  erst  erträumen. 

Neben    Minnes    Asketen-Inbrunst,    neben 


Maillols  Freude  und  Bourdclles  Kühnheit  gibt 
Kogan  leidgeborene  Schönheit.  Nicht 
gotisch,  nicht  ägyptisch,  noch  griechisch  sind 
seine  Geschöpfe,  sondern  Wesen  unseres 
Blutes,  aber  zeitlos  geworden,  jener  edlen 
Einfalt  und  stillen  GröCe  genähert,  Geschöpfe, 
die  beglücken,  die  „lächelnd  und  erhobenen 
Hauptes  besehen  werden  können". 

Es  ist  heute,  da  nur  die  Oberfläche  an  sich 
aktuell  ist,  wohl  verfrüht,  von  einer  Kunst 
zu  reden,  die,  wie  jene  Raffaels,  im  tiefsten 
Sinne  „organisch",  von  der  durchgeistigten 
Oberfläche  aus  die  Perspektive  in  ein  unbe- 
grenztes Ideal  gestattet.  Und  doch  besteht 
Hoffnung,  daß  wir  einer  solchen  Kunst  ent- 
gegengehen, die  ein  allen  gemeinsames  Be- 
glückendes birgt,  —  daß  wir  mit  neuen  Augen 
solche  Gesichte  eines  „Goldenen  Zeitalters" 
sehen  werden.  Ich  erinnere  an  die  Worte 
Rodins:  „Wir  sind  heute  zu  gequält,  aber  wir 
werden  zu  dieser  Kunst  starker  Gesundheit 
zurückkehren  und  das  wird  der  Stil  zukünftiger 
.lahrhunderte  werden".  ii.  i  am^ii.vm'I  r 


I.^ 


HEENKICH   VOGEI.EK      WORPSWEDE. 


Federzeichiiunp 


HEINRICH  VOGELER-WORPSWEDE. 


HAM'KK      I'.REMEN. 


ES  war  schade  ,  daß  Worpswede  zum 
Schlagwort  wurde,  denn  aus  seiner  Mode- 
berühmtheit von  1895  konnte  jeder  Kundige 
schon  damals  schließen,  daß  zehn  Jahre  später 
die  Spatzen  sich  erzählen  würden ,  Worps- 
wede sei  tot  und  endgültig  überwunden.  Das 
neue  Schlagwort  ist  nicht  besser  als  das  alte 
und  um  nichts  richtiger.  In  diesen  letztver- 
gangenen Wochen  hat  die  Nachlaß-Ausstellung 
Fritz  Overbecks  in  der  Bremer  Kunsthalle  uns 
davon  überzeugen  müssen ,  welche  unver- 
brauchte Kraft  und  welche  erfrischende  Größe 
in  der  schlichten  Natur-Auffassung  lag.  Und 
wenn  die  Übrigen  Jahre  gehabt  haben ,  in 
denen  die  Fruchtbarkeit  ihrer  Produktion 
größer  gewesen  ist  als  ihre  schöpferische  Kraft, 
so  ist  doch  unser  Vertrauen  in  ihre  Kunst 
darum  nicht  geringer  als  damals,  als  ihr  Ruhm 
neu  und  ihr  Wollen  original  schien. 

Am  wenigsten  wird  man  Heinrich  Vogelcr 
gerecht  werden ,  wenn  man  ihn  mit  dem 
Schlagwort  von  der  Worpsweder  Mode  heute 
preist   oder   morgen    gering  schätzt,     l'reilich 


warerauchniemalsmit  den  Äußerlichkeiten  der 
Moorlandschaft  am  Weiherberg  so  verknüpft 
wie  die  übrigen  ,  die  Landschafter.  Er  hatte 
vom  ersten  Tage  an  seine  besondere  Art,  die 
Menschen  und  Dinge  um  sich  her  zu  sehen. 
Die  einen  sagten,  wie  sonderbar;  die  andern 
nannten  es  gewollte  Naivität ;  und  erst  wer 
den  Menschen  kannte ,  der  verstand  den 
Künstler,  der  fühlte,  daß  dieser  Mann  nur  so 
und  nicht  anders  malen  könne;  denn  so  sah 
die  Welt  aus  ,  die  er  in  seinem  Herzen  trug. 
Es  gibt  nun  einmal  Menschen  ,  die  am  hell- 
lichten Tage  Märchen  träumen  ,  und  man  tut 
gut  daran,  sie  nicht  zu  stören.  Sie  sehen  die 
Madonna  und  Rittersleute  und  Quellnymphen 
leibhaftig  und  alle  Tage  vor  sich  ,  und  haben 
recht,  wenn  sie  uns  nicht  glauben  wollen,  daß 
all  das  nur  triviale  Alltagsmenschen  seien. 
Und  Vogeler  ist  eines  von  diesen  Sonntags- 
kindern ,  denen  die  Welt  sich  mit  Wundern 
auftul  überall ,  wo  sie  gehen.  Und  weil 
Mensch  und  Künstler  in  ihm  immer  und  selbst- 
verständlich  eins   gewesen   sind  ,   so   kann   er 


Heinrich  Voor/er—  IVnr/'swedr. 


HEINRICH  VOGELKR     WORPSWEDE. 


gar  nicht  anders ,  als  diese  Wirklichkeits- 
wunder ,  diese  in  tausend  Liedern  singende 
Natur  festzuhalten.  Von  phantastischer  Er- 
findung, von  Romantik  im  üblichen  Sinne  kann 
kaum  gesprochen  werden  ;  denn  was  er  malt, 
ist  alles  wirklicii,  und  nur  der  Hauch,  in  dem 
es  uns  begegnet :  ein  merkwürdiges  Zusammen- 
treffen von  wildem  Dornengewirr  und  zarter 
Rosenpracht,  dort  eine  bizarre  Naturform,  ein 
Lichtschimmer  oder  eine  rätselhafte  Geste 
machen  die  Wirklichkeit  zum  erlebten  Märchen. 
Für  Künstler  von  Heinrich  Vogelers  Art 
sind  schlechte  Zeiten.  Die  Romantik  steht 
heute  nicht  hoch  im  Preis;  wenigstens  nicht  in 
der  Malerei.  Die  Kenner  haben  das  Glaubens- 
bekenntnis unserer  Zeit  so  formuliert,  daß  es 
auf  Monet,  Cezanne  und  Liebermann  paßt ; 
d.  h.  der  Mensch  im  Künstler  kommt  nur  so- 
weit in  Frage,  als  er  den  Natureindruck  in 
seine  Farbenpartikel  zerlegen  und  aus  diesen 
so  eindrucksvoll  als  möglich  wieder  aufbauen 
kann;  l'hantasie  ist  nur  im  Sinne  eines  Farben- 


rausches schätzbar;  und  da  der  Stoff  nichts, 
das  Wie  der  Wiedergabe  alles  bedeutet,  jedes 
Gemälde  also  nichts  weiter  als  ein  Natur- 
eindruck, gesehen  durch  ein  Farbentempera- 
ment, sein  kann,  so  bleibt  nicht  nur  die  Seele, 
das  menschlich  Persönliche  des  Gemüts  — 
Verzeihung,  daß  ich  von  solchen  Dingen  zu 
sprechen  wage,  ich  weiß,  es  ist  längst  nicht 
mehr  der  Brauch  —  sondern  auch  alle  eigent- 
liche formale  Gestaltungskraft  in  dieser  heu- 
tigen Ästhetik  unfruchtbar  und  unverwend- 
bar, ausgeschlossen.  Es  ist  noch  immer  nicht 
aufgeklärt,  wie  in  dieses  Glaubensbekenntnis 
der  Kenner  die  unvermittelt  und  unerwartet 
ins  Land  gekommene  Begeisterung  für  Hans 
von  Marees  sich  reimen  soll;  sie  ist  der 
einzige,  menschlich  schöne  Irrtum  in  dem 
sonst  so  dogmatisch  streng  gehüteten  System 
der  heute  gültigen  Kunstreligion.  Ich  fürchte 
also,  daß  Heinrich  Vogeler,  der  nun  einmal 
nicht  anders  kann  als  bilden,  gestalten  und 
fabulieren,  vorläufig  dieser  Ästhetik  nicht  ge- 


332 


HEINRICH   \(  ICICLKR. 


KAIMF.Kr.NG:      UI.NTEkMÄKCHEN- 


Ifri)i)'i(li  }  'oor/r>  —  \Vo>-ps'ivcdi\ 


IlLlNKIlJll   \i 


iRl'.sU  liDli. 


nehm  sein  wird.  Die  Gemeinde  der  Seinigen 
wird  darum  nicht  klein  sein.  Vogeler  hat  noch 
einen  zweiten  Fehler;  er  ist  Zeichner,  d.  h. 
auch  in  seinen  Gemälden  ist  die  Zeichnung 
der  Träger  des  Ganzen.  Und  er  liebt  das 
Detail,  den  vollen  Reichtum  im  Formenspiel 
zarten  Gezweigs,  die  Zierlichkeit  der  Gräser, 
die  leisen  Regungen  in  den  Linien  eines  Arms ; 
er  liebt  und  versteht  das  alles  zu  beleben 
wie  einer  unserer  alten  deutschen  Meister 
vor  vierhundert  Jahren;  jene  solide  Reife  der 
Handwerksarbeit  und  jene  liebevolle  Hingabe 
an  das  Detail,  ich  wüßte  nicht,  wer  unter  den 
Heutigen  sie  noch  so  ungewollt  und  selbst- 
verständlich besäße,  wie  eben  Vogeler.  Das 
Tüfteln  und  Kläubeln,  von  dem  Dürer  spricht, 
es  ist  sein  eigenstes  Wesen,  und  was  wir  bei 
Schongauer  lieben,  warum  soll  es  uns  hier 
unwert  sein?  Es  gehört  in  der  Tat  ein  unge- 
wöhnlich feinzusehendes  Auge  und  überdies 
ein  sonntägliches  Gemüt  dazu,  um  die  Natur 
so  zu  uns  reden  zu  machen. 


Als  Vogeler  anfing,  neigte  seine  Malerei  zur 
Illustration;  das  Erzählende,  der  Stoff-  und 
Stimmungsgehalt  überwog  oft  und  beeinträch- 
tigte die  Formgestaltung.  Das  lag  nahe  und 
war  in  seiner  gleichzeitigen  Graphik  fast  ein 
Vorzug.  Die  ersten  Jahre  seiner  Arbeit  waren 
nach  dieser  Richtung  von  erstaunlicher  Er- 
giebigkeit; was  seitdem  entstand  bis  auf  seine 
neuesten  Gemälde  herunter,  liegt  fast  alles  in 
den  Bildentwürfen  seiner  damaligen  Skizzen- 
bücher schon  fest.  Oft  haben  sie  damals  schon 
bald  durch  die  Stärke  des  Naturausdrucks  wie 
„Die  heiligen  drei  Könige  im  Schnee"  bei 
Woldc  und  „Die  Mutter  in  der  Rosenlaube" 
in  der  Bremer  Kunsthalle  oder  aber  durch  die 
klare  Herausarbeitung  des  Formproblems  wie 
in  der  „Verkündigung"  das  Wesen  der  Illu- 
stration überwunden  und  bis  auf  den  letzten 
Rest  abgestreift.  Schon  damals  und  in  den 
letzten  Jahren  häufiger  zwingt  sich  der  Künst- 
ler, gleichsam  um  die  Natur  nicht  zu  verlieren 
und  um  den  oft  allzu  spitzen  Pinsel  zu  breiter 


334 


HEINRICH   VOGELER- WORPSWEDE. 
GEMÄLDE:  »KOMMENDER  FRÜHLING«. 


"  v"  >^9S^  r«r»r  -'^■jt"  \  \j  »'- 


HEINRICH  VOGELER. 


GEMÄLDE:  »\\^NTERMÄRCHE^• 


//r/ui'tr/i  Vnoc/rr—  M'o>/'s7vrifr. 


HKINKICH    VOC.Kl.ER      WORPSWEDE. 


Siclicrlieit  zu  jjcwölinen,  zur  Wiedergabe  ein- 
faclier  Naturausschnitte,  Sein  Wohnhaus  und 
die  nächste  Umgebung  der  Landscliaft  gibt 
ilini  dazu  die  Motive.  Außerdem  entstehen 
Stilleben  einfachster  Art,  ein  Stück  der  Atelier- 
wand, eine  Sofaecke  mit  ein  paar  Silhouetten 
und  Bildchen,  die  drüber  hängen,  und  ähn- 
liche Motive.  Der  „Vorfrühling"  und  der 
Blick  vom  Hügel  auf  die  weite  Fläche  des 
sonnenbeschienenen  Moors  unter  den  hier 
wiedergegebenen  Gemälden  gehören  auch  noch 
in  die  Gruppe  dieser  Exerzitien.  Auch  das 
Bildnis  seiner  Gattin,  wie  sie  in  weißem  Kleide 
im  Schatten  am  Stamm  eines  Baumes  sitzt, 
hat  der  Künstler  so  als  durchgearbeitete  Na- 
turstudie vor  der  Natur  entstehen  lassen. 

Seine  letzten  Gemälde  gehen  dagegen  den 
Weg,  den  seine  unvergleichlichen  Radierungen 
schon  vorher  gewiesen  haben,  den  Weg,  der 
den  Natureindruck  überwinden   und   neu  ge- 


Gemäldc:     Dame  in  Weiß«. 


staltet  als  ein  klar  gelöstes  Formprobleni  zu 
bilden  lehrt.  Diese  Bücherzeichen  sind  ein- 
facher und  größer  in  der  Auffassung  geworden. 
Man  spürt  ein  neues  kräftiges  Formenipfinden 
aus  ihnen;  so  auch  in  den  Gemälden. 

In  dem  Gemälde  „Kommender Frühling"  tritt 
dies  Streben  zum  ersten  Male  hervor.  In  dem 
schlank  schreitenden  Rhythmus  des  jungfräu- 
lichen Körpers,  den  er  als  den  kommenden 
Frühling  zwischen  dünnen  Birkenstämmchen 
über  die  Heide  schreiten  läßt,  ist  diese  große 
Form  durch  die  Kompositionsarbeit  am  rein- 
sten und  selbstverständlichsten  erfaßt.  Die 
an  zarter  Finesse  der  Nadelarbeit  unüber- 
treffliche kleine  Radierung  „Die  Nymphe" 
war  offenbar  eine  Vorstufe  zu  diesem  Akt  im 
Freien.  Nun  tauchen  die  uralten  Themen  wie- 
der auf.  Das  „Wintermärchen"  von  den  hei- 
ligen drei  Königen  und  die  Ansicht  des  eige- 
nen Wohnhauses,    Sic  werden  nicht  mehr  als 


336 


Heivricil  I'^oor/i'r—  JInr/^>;7('iY/r. 


■^e^«^v 


Naturkopien  oder  im  Sinne  illustrativer  Er- 
zählung behandelt,  sondern  mit  einem  neuen 
starken  Fornigefühl,  das  die  einzige  Richt- 
schnur   für    Komposition    und    Aufbau    gibt. 

Vielleiciit  nähert  sich  Vogeler  damit  den 
alten  Meistern  noch  um  einen  Schritt  mehr; 
zum  mindesten  entfernt  er  sich  in  der  Auffas- 
sung wie  in  der  runden  Klarheit  seiner  Tech- 
nik noch  mehr  von  denen,  die  in  skizzierender 
Improvisation  das  augenblickliche  Leben  des 
Natureindrucks  farbig  festzuhalten  streben.  — 

Was  Vkfir  sonst  aus  den  letzten  Jahren  an 
Arbeiten  des  Künstlers  mitzuteilen  haben, 
verdankt  seine  F.ntstehung  der  Tatsache,  daß 
Vogeler  nicht  zufällig  nur,  sondern  von  Herzen 
ein  Worpsweder  ist,  und  daß  er  darum  nicht 
müßig  zusehen  mag ,  wie  mit  dem  Wachstum 
des  Dorfes  am  Weiherberg  durch  nicht  ver- 
standenes Bauen  die  Landschaft  verunziert 
wird.    Manchen  hübschen  Erfolg  haben  diese 


i3« 


\ 


(iemälde;     Antil^es  Märchen 


architektonischen  Bemühungen  im  Sinne  des 
Heimatschutzes  schon  getragen;  und  das  feine 
Empfinden  des  Malers  weiß  diesen  be- 
scheidenen Bauwerken  mit  überraschend  ein- 
fachen Mitteln  persönlichen  Reiz  und  Stimmung 
zu  verleihen.  Mit  dem  Kunstgewerbe -Haus 
in  Worpswede  zusammen  hat  Vogeler  endlich 
in  mühevoller  Arbeit  ländliche  Werkstätten 
ins  Leben  gerufen,  in  denen  ein  solides  Mo- 
biliar hervorgebracht  wird,  das,  angelehnt  an 
altheimische  Formen  und  Schmuckmotive,  ge- 
eignet sein  könnte,  dem  Landhaus  des  Städters 
und  der  Stube  der  wohlhabenderen  unter  den 
Bauern  ein  gut  Teil  von  der  Behaglichkeit  zu 
erhalten,  die  ihnen  der  alte  Hausrat  bis  in  die 
Tage  unsrer  Großväter  gegeben  hat.  —      m  ii. 

Ä 
Wer  in  der  wirklichen  Welt  arbeiten    kann  und 
in    der    idealen    leben,    der    hat    das    Höchste    er- 

iiiiiyen.  Boeiiio 


SCHWARZ-WEISS-AUSSTELLUNG^BERLIN. 


Die  Berliner  Sezession  tat  Recht  daran,  all- 
jährlich im  Winter  graphische  Erzeugnisse 
ihrer  Mitglieder  und  Freunde  auszustellen  und 
sie  verdient  umso  größeren  Dank,  als  der  Gra- 
phik gegenüber  heute  mit  einem  sehr  geringen 
Interesse  des  Publikums  zu  rechnen  ist.  Der 
Jury  gereicht  es  zu  besonderem  Ruhme,  daß 
man  kaum  ein  einziges  formal  minderwertiges 
Blatt  unter  den  Kunstwerken  findet.  Freilich 
aber  öfters,  und  gerade  bei  den  Jüngeren, 
eine  Sterilität  der  Empfindung,  die  für  die 
künstlerische  Persönlichkeit  nichts  Gutes  er- 
hoffen läßt.  —  Die  Ausstellungsleitung  hat 
das  graphische  Material  in  fünf  Abteilungen 
in    besondere    Räume    geschieden;     in    dem 


großen  Saal  sind  dazu  eine  Anzahl  dekorativer 
Arbeiten  untergebracht,  und  einige  Plastiken 
in  allen  Räumen  gut  verteilt.  —  Unter  dem 
deutschen  Erzeugnis  steht  diesmal  an  erster 
Stelle  ein  imponierendes  Werk  Max  Sle- 
vogts:  die  zahlreichen  Lithographien  zum 
„Lederstrumpf".  Es  ist  bewundernswert,  wie 
viel  Erzählergabe,  —  eine  seltene  Erschei- 
nung in  unseren  Tagen  —  Geist  und  Können 
der  Künstler  an  diese  Arbeit  gewandt  hat. 
Liebermann,  der  viele  Lithographien,  Zeich- 
nungen und  Pastelle  ausstellt,  kann  so  viel  und 
vielerlei,  daß  man  nur  seinen  Namen  zu  nennen 
braucht,  um  die  Vorstellung  hohen  Genusses 
zu  wecken.    Thoma   hat   Lithographien   und 


ii'; 


Sc/nvarz-  U^-iß-.-liissirl/inio—  /h-r/in. 


HICINKUH   ViiC,I-,l.l-,R      \V.  ■K1'>X\  KDI. 

Zeichnungen  gesandt;  seine  liebenswerte  Per- 
sönlichkeit begrüßen  wir  stets  mit  Freude. 
Für  Boehle  hege  ich  immer  mehr  die  bange 
Befürchtung,  daß  er  manieriert  werden  wird 
oder  schon  ist.  Aber  man  weiß  von  seinen 
neuesten  Arbeiten  so  wenig,  daß  er  diese 
Epoche  seiner  Entwicklung  schon  längst  über- 
wunden haben  kann.  Corinth  ist  mit  einer 
Anzahl  Radierungen  und  Zeichnungen  ver- 
treten, die  wie  immer  sein  großes  Talent  ver- 
raten; seine  farbigen  Lithographien  zum  Buche 
Judith  gefallen  mir  wenig.  Trübner,  von 
dem  nur  einige  Radierungen  zu  sehen  sind, 
scheinen  die  Ausdrucksmittel  der  Graphik 
nicht  zu  liegen.  —  Aus  Kalckreuths  Graphik 
spricht  ganz  der 
noble  Mensch 
und  gediegene 
Künstler.  Orlik 
hat  ein  paar 
Schabkunstblät- 
ter und  Zeich- 
nungen ausge- 
stellt, die  den 
erfahrenen  und 
gewissenhaften 

Graphiker  gut 

charakterisie- 
ren. Baluschek 
ist   zwar   besser 
als   sonst,    doch 
ihm  schadet  die 

Nachbarschaft 
derKätheKoll- 
witz.  DieTrosl- 


l'nijekt  zu  einem  Landhaus  in  .\iedeIsaLll^en. 

losigkeit  der  Stimmung  der  Blätter  dieser 
starken  Künstlerin  ist  eben  nicht  jedermanns 
Sache.  Martin  Brandenburg  überrascht 
durch  eine  Anzahl  Pastelle  und  Zeichnungen. 
Seine  „Spielenden  Jungen"  sind  ein  in  Farbe 
und  Bewegung  gleich  gutes  Werk.  Auch  fallen 
die  sentinientalischen  und  verstiegenen  Stoffe 
seiner  Ölbilder  und  die  oft  manierierte  Farben- 
gebung  in  diesen  kleinen  Arbeiten  weniger 
auf.  Immerhin  erstaunt  man  vor  Sachen  wie; 
„Der  Vampyr",  „Der  Selbstmörder",  „Das 
Plötzliche",  über  eine  fast  pathologische  Rich- 
tung der  Phantasie.  Ähnlich  ergeht  es  mir  mit 
Marcus  Behmer.  Fs  sind  von  ihm  so  viel 
hübsche  Radierungen  und  Zeichnungen  zu 
sehen,  daß  man 
sich  fragt,  ob  es 
derselbe  Mann 
ist,  den  man  ge- 
legentlich auf 
recht  extrava- 
ganten Wegen 
erblickt.  Paul 
Bach,  Paul 
Baum  u .  Theo 
v.  Brokhusen 
haben  z.  T.  sehr 
hübsche  Zeich- 
nungen gesandt. 
Christ.  Rohlfs 
zeichnete  einen 
schönen  weib- 
lichen Akt,  seine 
Aquarelle  aber 
sind  in  Vorwurf 


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340 


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KNTH  TRF  FÜR  F.IN   W  i 


MFINRK  II    VdCKLER     WORPSWEDE.  hiM  W  LKF  F  LK  lü.N   MI.I.SI:./,1MMKR. 

AUSGEFÜHR'l-  VOM  KUNSTdFVVFRHE-HAUS  IN  WORPSWEDE. 


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^iil-buurp  für  e'ln'ZM'B'\famUl9nhau^ 
m  ira  nße-ya  m  r-i^m  5Ya  1 1  TTl  W  --1 00. 


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HEINRICH    ViKlKI.KK      \Vc  >K1'S\VICI)E.      KNTWUKF:   /.WEM' AM  1 1.1  [i\  HA  IS  Mll'  .SNllKBAUTF.M  .STALL. 


E'd'ald  Boidcr—Bci  li). 


HEINRICH  VOlUil.l'.K 


und  Farbengebung  bedenklich.  Bischoff- 
Culni,  Linde-Walther,  Oscar  Moll, 
Philipp  Franck,  Hans  von  Volkmann 
kennt  man  als  tüchtige  Künstler.  Von  einer 
Dame,  Erna  Frank,  sah  ich  schon  öfters  feine 
Radierungen.  Fritz  Rheins  Aquarelle  sind 
in  der  Farbe  sehr  schön,  und  Eugen  Spiro 
hat  überraschend  gute  Zeichnungen  und  Pa- 
stelle von  vornehmer  Stilisierung  und  Farben- 
gebung  geliefert.  Ernst  Stern  zeigt  mit  einer 
Anzahl  Zeichnungen,  daß  er  auch  anderes 
kann  als  Karikaturen  zeichnen,  während  Zille 
alles  zum  oft  amüsanten  Zerrbild  wird.  Von 
Ulrich  Hübner  sind  eine  Anzahl  Gouachen, 
Meerbilder,  ausgestellt.  Er  malt  heute  die  rela- 
tiv besten  Marinen,  Schließlich  wären  noch  die 
stets  einwandfreien  Radierungen  des  geschick- 
ten Hermann  Struck,  schöne  und  in  ihrer 
Art  genügend  bekannte  Arbeiten  von  E.  R. 
Weiß  und  in  der  Farbe  eigenartige  Entwürfe 
zu  Theaterdekorationen  von  Carl  Walser  zu 
nennen.  Die  Zeichnungen  Karl  Hofers  sind 
sehr  talentvoll  wie  immer.  —  Es  ist  besonders 
erfreulich  zu  sehen  ,  wie  gern  und  oft  unsere 
jungen  Künstler   sich   der  graphischen  Aus- 


Diele  in  einem  Landhaus  in  Xicdersachsen. 

drucksmittel  bedienen.  Wir  haben  einen  sehr 
respektablen  künstlerischen  Nachwuchs,  der 
allerdings  hier  in  der  Sezession  nicht  so  zur 
Geltung  kommt,  wie  etwa  auf  der  letzten  Aus- 
stellung des  „Deutschen  Künstlerbundes"  in 
der  Galerie  Arnold  zu  Dresden.  Immerhin 
braucht  man  nur  Namen  wie  Wilh.  Laage, 
Adolf  Schinnerer  (der  sein  jüngstes  Werk, 
den  Zyklus  „Simson",  ausgestellt  hat),  Wal  t  er 
Klemm,  A  d  o  I  f  T  h  o  m  a  n  n ,  R  e  i  f  f  e  r  s  c  h  e  i  d 
herauszugreifen,  um  allein  die  Reifsten  zu  nen- 
nen. Von  Max  Beckmann  sieht  man  eine  An- 
zahl Zeichnungen,  erste  Entwürfe  zu  seinen 
Riesenbildern  wie  „Auferstehung"  und  „Unter- 
gang von  Messina".  Büttner,  Feininger, 
Großmann,  Winkel,  Wulff  zeigen  sich  als 
sehr  geschickte  Künstler.  Richard  Dreher 
hätte  lieber  ein  paar  seiner  schönen  Federzeich- 
nungen ausstellen  sollen  als  die  vier  Aquarelle. 
—  Als  Ausländer  sind  van  Gogh,  Manet, 
Toulouse-Lautrec,  Constantin  Guys  mit 
z.  T.  sehr  schönen  Blättern  vertreten.  Es  sind 
dann  ferner  da  hübsche  Sachen  von  L  e  B  e  a  u  , 
Conder,  Matthes,  ein  paar  interessante 
Zeichnimgen    \  on    Puvis    de    Chavannes, 


l\-\ 


Sc/ncarz-  JJ\-i/j-.-hissit'I/u!io~f>crli)i. 


Pissarro,  Renoir,  Rodin, 
Gauguin  und  schließlich  ei- 
nige charakteristische  Aqua- 
relle der  Neoimpressionisten 
Signac  und  Groß.  Anders, 
Zorn  und  Larsson  haben 
größere  Kollektionen  von  Ra- 
dierungen und  Zeichnungen 
zur  Verfügung  gestellt,  und 
man  bewundert  bei  dem  einen 
mehr  das  große  Können,  bei 
dem  andern  die  schöne  Seele. 
Sehr  merkwürdige  Zeichnun- 
gen sieht  man  von  dem  verstor- 
benen Schweden  Ernst  Jo- 
sephson  aus  seiner  Wahn- 
sinnszeit. Von  Munch  ist 
ein  Zyklus  Steinzeichnungen 
da.  Mit  Jan  Toorops  Ar- 
beiten, soweit  sie  einer  christ- 
lich-katholischen Mystik  ihr 
Dasein  verdanken,  kann  ich 
mich  wenig  befreunden.  Umso 
schöner  zeugen  von  seinem 
großen  Talent  die  farbigen 
Lithographien.  —  In  dem 
großen  Saal  des  Sezessions- 
hauses sind  dann,  an  Stelle 
der  sonst  üblichen  Plastik, 
dekorative  Gemälde  und  Ent- 


Dieleiimübel:   1  ruhe. 


üielenmübel;  SchraiU;. 


würfe  zu  sehen.  Interessant  sind  H  o  d  - 
lers  Riesenleinwande,  „Aufstieg  und 
Absturz  der  Bergsteiger",  als  Diorama 
im  Auftrag  gemalt  in  früheren  Jahren. 
Die    Arbeiten    Arn.  Waldschmidts 

—  Zeichnungen  und  ein  großes  Tem- 
peragemälde: „Prometheus"  —  legen 
Zeugnis  ab  von  einem  bewunderns- 
würdigen Willen  zur  Kunst  und  von 
einem  Bemühen  um  die  höchsten  Auf- 
gaben. Aber  der  Künstler  ist  nicht 
„Auge"  genug  und   zu  viel  Philosoph. 

—  Wenige,  aber  gute  Plastiken  von 
Corinth  (so  viel  ich  weiß  ein  erster 
Versuch), Barlach,Kolbe, Kruse  etc. 
dienen  eigentlich  mehr  raumschmük- 
kenden  Absichten  der  Ausstellungs- 
leitung.      I  WAI  II  H|.  MIEK. 


Das  schönste  Oliick  des  denkenden 
Mfnsclicn  ist,  das  Erforschliclie  eiforsclit 
zn  lirtben,  und  dtis  Uneiforscliliclie  ruliiy 
zu   verehren.  Goethe. 


ag^^~        -iw^--^  £3^ 


Si  ubns  ^eoTj  Strauc/i 


iäODiX^K^Kl 


J2*A STA  LANCE 


HKINRU U  VOCKI.KR      WORI'SWF.nF.. 


KXI.raRIS.       RADIERUNGKN. 


346 


IX  LIBRIS       >-^     ^^    Ä^ 


HEINRICH 

VOGELEK- 

VVORI'.S\VEl>E. 


EXLIBRIS. 
RADIERUNGEN. 


l'KOK.   "\   \i>    PKIlM  IHK       Ull.N. 


TEE-SAI.nx. 


'^B^l*' 


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l'Ri  1M';SSI  i|<     l-KA.W.    DHI.WlI.l.A. 

KKllH  iiKN  \M)'  \  1  II'  K  11'  U  I  ,kc  .NSI   K    I  I   rni   H. 
.M'SI.FI  I    HU  I      l\     \  ll-l  I  AKÜli.l   k     HMUKl-l. 


.\rSMi:i  I  INC.    IJIS   K.   K.  IIKSIT-KK.  MlSl.rMS    I  UK    KINM     IM)    l\l>rslKII.      WIEN. 


PROFESSOR  OTTO  PRriSCUKK     WIKX, 

l'KI'PICH    AlK  DF.K  AI'SS  I  Kl.l..    IiK.s  K.    k.  .■ISII.KK. 
Ml-SKUMS     FÖK      Kr.VST     TM)     INUrslKIK      WIIN. 


KEI.U'ITA.- 

JAKOKSON- 

WIEN. 


\ATrRI.ErNEN 
MIT  KURBEI.- 
~  I  ICKEREI. 


AUSSTELLUNG  OESTERR.  KUNSTGEWERBE   1909-1910 

IM  K.  K.  SirsEfM  FÜR  KrSST  ÜND  INDISTRIE  IN  WIEN. 


Ein  neuer  Direktor  mit  einem  neuen  Pro- 
gramm veranstaltete  mit  neuen  Arbeiten 
im  neuen  Hause  des  Museums  eine  sehens- 
werte Ausstellung  schöner  und  zweckmäßiger 
Erzeugnisse  der  modernen  österreichischen 
Kunstgewerbe.  Sie  war  für  Wien  ein  in  mehr- 
facher Beziehung  überaus  erfreuliches  Ereig- 
nis, weil  in  dieser  Stadt  die  Musik  und  das 
Schauspiel  das  künstlerische  Interesse  des 
Publikums  sonst  in  überwiegendem  Maße 
aufbrauchen.  Da  nach  Ansicht  der  Kultur- 
historiker die  Wertschätzung  der  \  ölker  im 
friedlichen  Wettstreit  der  Ausstellungen  fast 
nur  nach  Maßgabe  des  künstlerischen  Ver- 
mögens, mit  dem  sie  aufzutreten  weissen,  be- 
stimmt wird,  darf  man  sich  dieser  Ausstellung 
mit  Grund  erfreuen,  denn  sie  war  nicht  bloß 
mit  reifen  und  runden  Werken  des  Kunst- 
gewerbes gut  bestellt,  sondern  auch  gut  be- 
sucht, gehört  doch  die  Zahl  von  über  100  000 
Besuchern,  und  zwar  nicht  nur  in  Wien,  zu 
den  bemerkenswerten  Seltenheiten. 

Der  neue  Direktor  des  Oesterreichischen 
Museums  für  Kunst  und  Industrie.  Dr.  Eduard 
Leisching,  hat  auf  alle  diktatorische  Program- 
matik verzichtet;    er  bevorzugt  nicht  eine  ge- 


wisse Richtung,  nicht  einen  bestimmten  Stil, 
sondern  ist  auf  ein  vorurteilsloses  Zusammen- 
fassen und  zur  Geltungbringen  aller  auf  dem 
Gebiete  des  Kunstgewerbes  tätigen  schöpfe- 
rischen und  ausführenden  Kräfte  Oesterreichs 
bedacht.  „Bei  der  Prüfung  und  Zulassung  der 
AussteUungsobjekte  hat  die  Direktion  sich  in 
erster  Linie  —  wie  es  im  Katalogvorw'ort 
heißt  —  von  der  Erwägung  leiten  lassen,  daß 
nur  das  in  die  Räume  des  Museums  Eingang 
finden  sollte,  was  echt  kunsthandwerksmäßige 
Behandlung  von  Material  und  Technik  auf- 
weist. Weder  die  Bevorzugung  von  Prunk- 
stücken noch  die  einseitige  Betonung  einer 
bestimmten  Stilrichtung  scheint  ihr  zu  den 
Aufgaben  des  Museums  zu  gehören ;  sie  er- 
achtet es  vielmehr  als  ihre  Pflicht,  alles  ge- 
sunde, ehrliche  Streben  nachVervoUkommnung 
künstlerischer  Arbeit  zu  fördern,  ohne  die 
lebendige  Entwicklung  in  Fesseln  zu  schlagen. 
Sie  will  beitragen  zur  Ausgleichung  vorhan- 
dener Gegensätze  und  dem  freien  Spiel  der 
Kräfte  einen  Boden  bereiten,  auf  dem  alle 
tüchtigen  Leistungen  vor  den  Augen  der  Öffent- 
lichkeit und  zu  deren  Nutzen  zusammenwirken 
können."    Der  Weg  zu  dem  in  diesen  Worten 


Aiissiellniiii  iis/rn:  Kuns/onvcrhe  igng—igio. 


angedeuteten  Ziel  scheint  nun  durch  diese 
Ausstellung  gebahnt,  alle  Beteiligten  haben 
somit  Ursache,  sich  des  neuen  Museumsvor- 
standes zu  freuen  und  mit  seiner  bisherigen 
Tätigkeit  zufrieden  zu  sein,  denn  sie  sind  in 
diesen  Dingen  wahrlich  nicht  verwöhnt  worden. 
Wir  sind  auch  mit  Ausstellungen  von  der  Güte 
und  Reichhaltigkeit  dieser  jüngsten  bisher  nicht 
verwöhnt  worden,  für  die  von  der  Direktion 
auch  die  österreichischen  Provinzen  planmäßig 
zugezogen  wurden,  so  daß  ihr  der  Charakter 
einer  gesamtösterreichischen  Kunstgewerbe- 
schau verliehen  war.  Sie  kam  in  viermonat- 
licher rastlos  angestrengter  Tag-  und  Nacht- 
arbeit zustande.  Als  künstlerischer  Beirat  des 
Direktors  hat  sich  der  junge  Professor  Otto 
Prutscher,  der  selbst  wieder  aus  der  Hoffmann- 
Klasse  der  Kunstgewerbeschule  hervorging, 
überaus  verdienstlich  betätigt.  Ein  zweiter 
Helfer,  der  mit  Auszeichnung  genannt  werden 
muß,  ist  Remigius  Geyling,  den  sich  Prutscher 
seinerseits  wieder  als  Adjutanten  kürte.  — 
Die  Ausstellung,  die 
sich  durch  die  bei- 
den Häuser  des  Mu- 
seums erstreckte, 
veranschaulichte  in 
wirkungsvoller  Wei- 
se ,  daß  sich  das 
österr.  Kunstgewer- 
be auf  gutem  Wege 
befindet.  Der  zwei- 
undein viertelhun- 
dert Seiten  umfas- 
sende Katalog  zählt 
an  die  3000  Objekte 
auf,  und  ist  selbst 
auch  ein  hübsch  ge- 
ratenes Ding  der 
Typographie.  Außer 
den  fast  durchwegs 
gelungenen  44  In- 
terieurs sah  man 
noch  alles  mög- 
liche, was  durch  die 
künstlerische  Ge- 
staltung, durch  die 
technische  Bearbei- 
tung oder  durch 
das  verwendete  Ma- 
terial wertvoll  er- 
schien. Man  sah 
teure  Dinge ,  aber 
auch  solche ,  die 
sich  der  Minderbe- 
mittelte   anschaffen 


kann,  und  die  dennoch  geschmackvoll  sind  und 
der  Kritik  des  Ästheten  und  Handwerkers 
gleicherweise  standhalten.  Gute  Gelegenheit 
bot  die  Ausstellung  ,  die  ersprießliche  Tätig- 
keit der  staatlichen  Fachschulen  kennen  zu 
lernen.  An  allem  machte  sich  ein  frischer  und 
froher  Zug  bemerkbar  und  die  zunehmende 
Freude  an  der  künstlerischen  Handarbeit. 
Man  konnte  in  der  Ausstellung  wahrnehmen, 
daß  es  den  ausführenden  Arbeitern  wirk- 
liches Vergnügen  bereitet,  die  gute,  technisch 
vollendete  Arbeit  früherer  Epochen  neuer- 
dings anzustreben,  und  daß  sie  die  ihnen  vom 
Museum  in  Form  von  künstlerischen  Ent- 
würfen dargebotene  Anregung  begierig  auf- 
greifen. Die  innere ,  gefühls-  und  gedanken- 
mäßige Teilnahme  des  Ausführenden  an  der 
Arbeit  seiner  Hände  ward  spürbar,  und  der 
gewaltige  Unterschied  zwischen  der  einförmig 
mechanischen  Fabriksarbeit  und  der  durch- 
geistigten Leistung  der  Menschenhand.  Aber 
auch  da,  wo  die  rein  maschinelle  Herstellung 
unumgänglich  ist, 
erscheint  nunmehr 
die  Arbeit  veredelt 
durch  die  zugrunde 
liegenden  wirklich 
künstlerischen  Ent- 
würfe, wie  z,  B.  bei 
den  Webereien  und 
Teppichknüpf  ereien. 
Es  ist  daher  unge- 
heuchelt ,  wenn  ich 
sage ,  daß  es  in 
der  Tat  ein  Genuß 
war,  diese  spezifisch 
österr.  Kunstgewer- 
beausstellung zu  be- 
sichtigen, und  daß 
man  bei  einem  Rund- 
gang durch  ihre  Räu- 
me zu  der  sicheren 
Zuversicht  kam,  daß 
sich  das  Österreich. 
Kunstgewerbe  „auf 
guten  Wegen"  be- 
findet. Die  hier  dar- 
gebotenen Illustra- 
tionsbeispiele ,  die 
einerbesonderenEr- 
läuterung  nicht  be- 
dürfen, werden,  wie 
ich  hoffe,  meinen 
Worten  die  Beweis- 
kraft  verleihen.    — 


WI'.KKSTÄTTE  FÜR  STICKF.REl:    F.MMY  HORMANN- RREMEN.      CESTICKTE  KISSKN   üMl  DFlKF.N. 


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CARL  JOHANN   BAUER    MÜNCHEN. 
ISKOSniEN,  RINGE,  MANSCHETTENKNÖPFE  IN  GOLD  UND  SILBER  MIT  HALHEDELSTEIXEN. 


35S 


KLEINE  KUNST-NACHRICHTEN. 


lANTAK    1910. 


BERLIN.  Die  Kgl.  Akademie  der  Künste 
hatte  für  den  Dezember  und  die  ersten  Tage 
des  neuen  Jalires  Melchior  Lechter  ihre 
Räume  zur  Ausstellung-  seines  großen  Glasgemälde- 
Triptychons  für  das  Landesmuseum  der  Provinz 
Westfalen  zu  Münster  überlassen.  Das  Hauptbild: 
die  fons  sacra  in  Gestalt  eines  gotischen  Brunnens, 
aus  dem  die  Künste  göttliche  Kraft  schöpfen,  ein 
hohes,  stehendes  Rechteck;  rechts  und  links  klei- 
nere Kompositionen:  die  Symbole  der  ars  coele- 
stina  und  der  ars  humana.  Und  wer  nun  das 
Glück  hatte,  dag  sich  an  diesen  trüben  Winter- 
tagen die  Sonne  auf  Augenblicke  seiner  erbarmte, 
und  die  Farben  des  Glases  hell  aufleuchteten, 
dann  erlebte  er  in  dem  verdunkelten  Raum  die 
feierlichste  Stimmung.  -  Melchior  Lechter  treibt 
eine  Kunst  für  sieh  ganz  allein,  schon  weil  er 
sich  der  Glasmalerei  zugewandt  hat.  Seine  Vor- 
arbeiten zu  den  grof^en  dekorativen  Werken,  die 
Studien  und  Kartons,  sind,  soweit  sie  menschliche 
Wesen  darstellen,  manieriert,  das  ornamentale 
Zierwerk  ist  oft  kraus  und  unverständlich,  ein 
Entwurf  auf  dem  Karton  bedeutet  für  die  Emp- 
findung nichts.  Und  dann  tritt  man  vor  sein  Glas- 
bild, und  man  erliegt  einer  geheimnisvollen  Kraft, 
die  man  bei  Lechter  nie  vermutet  hätte.  Wir  wissen, 
welche  hohen  künstlerischen  Werte  die  alten  Glas- 
maler in  Übung  ihres  Handwerks  zu  Zeiten  schu- 
fen, und  sind  erstaunt,  daß  einem  Manne  unter 
uns  in  diesen  unfruchtbaren  Tagen  gelingt,  was 
vorher  nur  strenge  Handwerkszucht  und  glück- 
licher Instinkt  gemeinsam  erreichten.  Man  ist  zu 
hoher  Achtung  vor  dieser  grof5en  Tat  koloristischer 
Berechnung  geneigt.  Wie  dieses  Blau  mit  dem 
Goldorange,  das  Meergrün  mit  dem  Dunkelrot 
zusammengeht,  das  zeugt  nicht  von  Dilettanten- 
arbeit. Dazu  gehören  Augen,  ernste  Bemühung 
und  viel  Geschmack.  Aber  die  hochfeierliche 
Stimmung,  das  Ergriffensein  vor  dem  Werk  spricht 
auch  für  einen  ungewöhnlichen  künstlerischen 
Geist  seines  Erzeugers.  kw.m.h  nF.N)>r:K. 

Ä 

MÜNCHEN.  Jede  neue  Saison  läßt  erkennen, 
daß  sich  das  Ausstellungswesen  unserer 
Stadt  bedeutend  gehoben  hat.  Mit  Münchens 
hermetischer  Abgeschlossenheitgegen  das  Fremde 
ist  es  gründlich  vorbei.  In  diesem  Monat  gab 
es  die  vortreffliche  Anders  Zorn-Kollektion  in 
der  Galerie  Heinemann,  außerdem  in  der  Mo- 
dernen Galerie  Kollektionen  der  berühmten 
Schweizer    Meister    Kuno    Amiet    und    Giaco- 


metti,  Maler,  die  auf  großzügige  Vereinfach- 
ungen des  Natureindruckes  ausgehen,  um  so  desto 
sicherer  die  malerische  und  psychologische  Pointe 
der  Erscheinung  zu  treffen. 

Die  Sezession  veranstaltet  eine  umfang- 
reiche Revue  über  das  Schaffen  ihres  langjährigen 
ersten  Präsidenten  Hugo  von  Habermann. 
Man  sieht  den  feinen,  geistreichen  Künstler  hier 
ganz  deutlich  aus  Münchens  malerischer  Kultur 
der  70er  und  80er  Jahre  hervorwachsen,  jener 
Kultur,  in  welcher  mit  ihm  Uhde,  Trübner, 
A.  V.  Keller,  W.  v.  Diez,  Munkacsy,  Gysis  und 
so  viele,  viele  andere  wurzeln,  über  welche  die 
Zeit  mittlerweile  siegreich  dahingegangen  ist. 
Von  großem  Interesse  ist  es,  daß  gleichzeitig 
mit  dieser  Ausstellung  die  Moderne  Galerie  eine 
große  Anzahl  Habermannscher  Studien  und  Skizzen 
zeigen  kann,  die  gewissermaßen  die  Arabesken 
und  Randzeichnungen  zu  den  in  der  Sezession 
vereinigten  Hauptwerken  bilden. 

In  der  Modernen  Kunsthandlung  (F.  J. 
BrakI)  ist  Max  Feldbauer  zu  Gast.  Ein  fesseln- 
der Kolorist,  aber  leider  häufig  so  unkräftig  im 
Erfassen  der  Form!  Form  ist  Licht  und  Licht 
ist  Farbe  -  bei  Feldbauer  ist  die  enge  Beziehung 
zwischen  diesen  drei  Faktoren  durchbrochen.  So 
pikant  oft  der  farbige  Reiz  seiner  Tafeln  ist,  so 
wenig  befriedigen  sie  als  Deutungen  der  Wirk- 
lichkeit,   als    Interpretationen    der    Erscheinung. 

Im  Kunstverein  debütiert  der  Deutsche 
Künstlerverband  mit  der  ersten  seiner  jury- 
freien Ausstellungen.  Die  Jurylosigkeit  macht 
sich  nirgends  bemerkbar,  weder  im  Guten  noch 
im  Schlimmen.  Und  so  bietet  die  Ausstellung 
eigentlich  nichts  von  dem,  was  man  von  ihr  hoffte 
und  fürchtete.  Sie  empört  nicht  durch  Albern- 
heiten und  entzückt  nicht  durch  gelungene  Wag- 
nisse. Vielleicht  muß  die  zweite  Ausstellung  ab- 
gewartet werden,  damit  sich  das  wirkliche  Wesen 
des  Verbandes  enthüllt. 

Die  Hofmöbelfabrik  M.  Ball  in  hat  ihr  neues 
Geschäfts-  und  Ausstellungshaus  am  Promenade- 
plaß  eröffnet.  Es  enthält  77  eingerichtete  Räume. 
Als  Architekten  sind  zum  Teil  hervorragende 
Münchner  Künstler  beteiligt:  F.  v.  Thiersch,  Em. 
v.  Seidl,  Theodor  Fischer,  Ludwig  Hohlwein, 
Benno  Becker,  P.  Troost ,  P.  Danzer,  Theodor 
Veil,  Mathias  Feller  u.  a. 

Das  Haus,  dessen  Fassade  Dr.  G.  v.  Cube 
sehr  geschmackvoll  bearbeitet  hat,  bedeutet  in 
jeder  Hinsicht  eine  hervorragende  Leistung,    u.  m. 


Klei 


si-XacInichten. 


RHEINISCHE  SIEGE.  Wer  mit  wachen  Augen 
.  durch  den  Industriebezirk  fahrt,  wird  deut- 
lich spüren,  dafi  es  dort  in  Dingen  der  guten 
Architektur  und  des  kunstgewerbHchen  Ge- 
schmackes vorwärtsgeht.  Von  der  eigentlichen 
Hochburg  der  raffiniertesten  Künste,  von  Hagen, 
wollen  wir  hier  nicht  reden.  Das  Werk,  das  durch 
die  starke  Persönlichkeit  des  Carl  Ernst  Osthaus 
zustande  kam,  kann  nicht  gut  als  ein  natürliches 
Produkt  der  kulturellen  Entwicklung  von  Rheinland- 
Westfalen  eingeschätzt  werden.  Dag  Osthaus 
durch  Peter  Behrens  und  van  de  Velde  just  in 
Hagen  bauen  lägt,  dafi  er  sein  wundervolles 
Museum  trot)  aller  Bedenken  in  der  nüchternen, 
proletarisierten  Stadt  verbleiben  heißt,  das  ist 
mehr  ein  Zufall  als  eine  Notwendigkeit.  Immer- 
hin, man  darf  den  EinfluJ3,  der  von  Hagen  aus- 
geht, nicht  unterschätzen.  Worauf  es  uns  aber 
hier  ankommt,  ist:  nachzuweisen,  dag  das  allge- 
meine Niveau  des  Industriegebietes  steigt.  Da 
sind  zum  Beispiel  die  Bahnhöfe  von  Rheydt  und 
München-Ciladbach;  sehr  überzeugende,  in  Zweck- 
mäßigkeit schöne,  logisch  eindrucksvolle  Konstruk- 
tionen aus  Eisenbeton.  Kommt  man  aus  Düssel- 
dorf, wo  die  gußeisernen  Träger  noch  als  Säulen 
mit  antiken  oder  gar  naturalistisch  geschmückten 
Kapitalen  ausgebildet  sind,  so  wird  man  doppelt 
den  formalen  Trieb  schätzen,  der  endlich  dem  Eisen 
die  homogene  Form  zu  finden  wußte.  Sehr  er- 
freulich sind  auch  die  Fortschritte  im  Landhaus- 
bau und  nicht  geringer  die  in  der  Anlage  von 
Arbeiterkolonien.  Was  etwa  durch  die  Krupp- 
schen Baumeister,  besonders  durch  Schmohl  und 
Schneegans,  geleistet  wird,  das  ist  schlankweg 
mustergültig.  Man  braucht  gar  nicht  der  frühesten, 
nur  der  nackten  Notdurft  gehorchenden  Arbeiter- 
häuser dieser  Kolonien  zu  gedenken',  man  kann 
getrost  die  Bauten  der  neunziger  Jahre  ver- 
gleichen, und  man  wird  mit  starker  Befriedigung 
feststellen,  wie  energisch  seit  einiger  Zeit  dem 
sozialen  Bedürfnis  kongenialer  Ausdruck,  nicht 
nur  in  der  Architektur  des  einzelnen  Hauses,  auch 
in  der  Anlage  und  Aufteilung  des  Terrains,  ge- 
funden wurde.  Etwa:  die  let5ten  Erweiterungen 
des  Alten-Hofes  in  Essen;  sie  sind  so  reif,  daß 
man  sich  verleitet  sieht,  den  Vergleich  mit  eng- 
lischen Musterkolonien  zu  wagen.  —  Vorzügliche 
Häuser,  gut  errechnete  Typen  baut  Muthesius  in 
Duisburg.  Auch  dort  bedarf  es  nur  einer  kurzen 
Wanderung  durch  die  seit  etwa  zwanzig  Jahren 
angesiedelten  Straßen  des  Bauvereins,  um  dem 
Gefühllosesten  zu  demonstrieren,  wie  aus  einer 
banalen  Schichtung  roher  Ziegelsteine,  durch  die 
Regie  eines  geschmackvollen  Architekten,  freund- 
liche Schönheit  wurde.  -  Ein  weiteres  Symptom 
<les  Fortschrittes  ist  die  Entwicklung  der  Kunst- 


gewerbeschule zu  Aachen.  Unter  Direktor  Abele 
wird  viel  (jutes  geleistet.  Das  Schulgebäude  selbst 
weist  ein  interessantes  und  trefflich  gelungenes 
Experiment.  Aus  einem  Fabrikbau  im  Shedsystem 
wurde  durch  geschickte  Disposition  eine  ebenso 
brauchbare,  wie  ästhetisch  wohltuende  Anlage 
geschaffen.  Von  den  Lehrern  dieser  Schule  hat 
besonders  der  Bildhauer  Burger  sich  hervorgetan; 
von  ihm  ist  der  monumentale  Brunnen  vor  dem 
Bahnhof,  von  ihm  ist  auch  das  in  seiner  Stabilität 
elastische  Denkmal  für  den  „Schmidt  von  Aachen". 
Solcher  Art  sind  die  Merkmale,  deren  einige 
wir  notieren  wollten,  um  die  rheinischen  Siege 
auf  dem  Gebiete  der  Architektur  und  des  Kunst- 
gewerbes, der  Konstruktion  und  des  Geschmackes, 
zu  belegen.  r.  kr. 

Ä 

KUNSTGEWERBE-AUSSTELLUNG  IN  HAM- 
BURG. Zur  Förderung  hamburgischen 
Kunstgewerbes  wurden  dem  Kunstgewerbe-Ver- 
ein Räume  des  Museums  für  Kunst  und  Gewerbe 
zur  Verfügung  gestellt,  um  eine  Ausstellung 
„Raumkunst  im  neuzeitlichen  Landhause"  zu  ver- 
anstalten. Die  Ausstellung  soll  zeigen,  daß  künst- 
lerische und  technische  Kräfte  in  Hamburg  hin- 
reichend vorhanden  sind,  die  in  neuzeitlichem 
Sinne  einfache  gediegene  Arbeit  und  kostbare 
Einrichtungen  und  Einzelgegenstände  zu  schaffen 
vermögen.  In  der  verhältnismäßig  kleinen  Aus- 
stellung haben  doch  die  hauptsächlichsten  Träger 
des  hamburgischen  Kunstgewerbes  eine  Ausstel- 
lung von  ungefähr  30  Räumen  zustande  gebracht, 
in  denen  nicht  weniger  als  18  Zimmereinrich- 
tungen vertreten  sind.  In  den  übrigen  Räumen 
sind  kunstgewerbliche  Einzelerzeugnisse,  Kera- 
miken, Gold-  und  Silberarbeiten,  Hammer-  und 
Einlegearbeiten  in  Messing,  Beleuchtungskörper, 
Posamenten  und  Modelle  von  Landhäusern  und 
Gartenanlagen  zur  Ausstellung  gebracht.  Die 
großen  Firmen  haben  sich  unter  Zurückseßung 
aller  Sonderinteressen  zu  einer  einheitlichen  Gruppe 
zusammengeschlossen;  sie  bieten  durch  dieses 
Vorgehen  ein  vorbildliches  Beispiel.  Aber  auch 
die  kleinen  Geschäfte  haben  ihr  Bestes  ge- 
leistet. Während  der  Ausstellung,  die  am 
28.  November  eröffnet  wurde  und  die  bis  zum 
15.  Februar  dauert,  wurde  vor  Weihnachten  eine 
Weihnachtsmesse  abgehalten.  Eine  Ausstellung 
von  Entwürfen  zu  Landhäusern,  zu  Garten-Archi- 
tekturen, Gartenanlagen  und  zu  Innenräumen  hat 
in  der  Zeit  vom  6.  bis  26.  Januar  stattgefunden. 
Ebenso  läßt  der  Kunstgewerbe-Verein  einen  Zyklus 
von  aufklärenden  Vorträgen  halten,  und  zugleich 
wird  in  den  leßten  14  Tagen  noch  eine  Ausstel- 
lung von  gewebten  Stoffen,  Stickereien  und  Wand- 
bekleidungen   der    Ausstellung    wiederum-  einen 


360 


Kleine  I\!/>is/-\(icI/ric/ife)i. 


neuen  Reiz  verleihen.  Alles  in  allem  zeigt  der 
Kunstgewerbe- Verein,  dag  er  bestrebt  ist,  die 
hamburgischen  Aufträge  für  die  hamburgische 
Arbeit  zu  gewinnen,  und  zugleich  Anregungen 
im  neuzeitlichen  Sinne  zu  geben. 

H.A.MBURO.  Im  September  vorigen  Jahres 
erschien  in  den  „Hamburger  Nachrichten" 
ein  .Artikel  „Hamburger  Baukunst",  Kritische 
Betrachtungen  von  Dr.  Max  Emden.  Der  .'^utor 
bezweckte  damit,  die  Bewohner  Hamburgs  für 
die  Fragen  der  Baukunst  zu  interessieren  und 
ihnen  vor  Augen  zu  führen,  daf;  bereits  die 
schwersten  Schädigungen  des  Stadtbildes  aus 
der  allgemeinen  Qleichgiltigkeit  erwachsen  sind. 
Seitens  des  Hamburger  .Architekten-  und  Ingenieur- 
Vereins,  der  Ortsgruppe  Hamburg  des  Bundes 
Deutscher  .■Architekten  und  einzelner  Hamburger 
Privatarchitekten  wurde  die  Diskussion  aufge- 
nommen. Teilweise  versuchten  die  Entgegnungen 
den  Kritiker  mit  alten,  unbrauchbaren  Waffen 
mundtot  zu  machen;  teilweise  boten  sie  aber  auch 
zweckmäßige  Darlegungen  und  Präzisierungen  der 
Ursachen,  die  in  Hamburg  -  wie  auch  in  andern 
Städten  —  das  Können  der  tüchtigsten  Kräfte  so 
selten  in  Erscheinung  treten  lassen.  Es  wäre 
überaus  erfreulich,  wenn  die  Diskussionen  nicht 
ohne  Einfluß  auf  die  weitere  Entwicklung  der 
Hamburger  Architektur  sein  würden.  Um  sie  vor 
allzuschnellem  Vergessenwerden  zu  bewahren, 
hat  Dr.  Emden  sämtliche  Ausführungen  zu  einer 
Broschüre  zusammenfassen  lassen,  der  auch  einige 
.Artikel  ähnlicher  Tendenz  beigegeben  sind : 
„Bremen  und  die  Städtebaukunst"  von  E.  Högg, 
„Denkmalpflege  in  Bremen"  von  Dr.  Schäfer, 
sowie  „Wie  bauen  wir  in  Cuxhaven?"  und  „Wie 
müssen  wir  in  Cuxhaven  bauen?"  von  Dr.  Paulsen. 
Ä 

AUS  HANNOVER.  Der  Kunstverein  hat  das 
.  Pech,  durch  peinliche  Vorgänge  der  Ver- 
gangenheit den  auswärtigen  Künstlern  ein  wenig 
anrüchig  geworden  zu  sein.  So  kommen  zu  seinen 
.Ausstellungen  in  der  Regel  nicht  viele  Gäste,  und 
das  Niveau  wird  durch  die  Hannoveraner  bestimmt. 
Man  darf  nun  sagen,  daf)  die  let)te  .Ausstellung 
einen  recht  anständigen  Durchschnitt  wahrte.  Es 
gab  eine  Reihe  interessanter  Arbeiten;  am  meisten 
Aufmerksamkeit  verdient  wohl  das  Ehepaar  Heit- 
müller.  Er  ist  der  kräftigere,  sie  die  geschick- 
tere; beide  wandeln  sie  auf  den  Spuren  Hodlers, 
van  Goghs  und  Munchs.  Diese  Dreifältigkeit  be- 
deutet eine  Gefahr,  die  indeß,  wenigstens  bei 
einigen  Stücken,  so  bei  dem  Lupinenfeld,  so  bei 
einem  Knabenporträt,  trefflich  überwunden  war. 
Eine  recht  liebenswürdige  Künstlerin  lernte  man 
in  Aenne  Koken  kennen.  k.  h. 


.Auffallend  ist,  daß  der  Hannoversche  Künstler- 
verein ein  so  geringes  Interesse  für  das  Kunst- 
gewerbe hat.  Die  Ausstellung  zeigte  uns  nur 
vereinzelte  Stücke;  darunter  aber  eins,  das  man- 
cherlei erhoffen  läßt:  einen  silbernen  Tafelaufsa^ 
von  Berthold  Körting.  Eine  delikate  und  phan- 
tastische .Arbeit.  Es  ist  wohl  keine  allzu  opti- 
mistische Vermutung,  da|5  in  Hannover  manch 
tüchtiger  Kunstgewerbler,  manch  fähiger  Innen- 
architekt lebt;  es  wäre  an  der  Zeit  und  nüt3lich, 
diesen  Leuten  Gelegenheit  zu  geben,  sich  den 
Bürgern  und  Käufern  empfehlen  zu  können.  Es 
ließen  sich  solche  .Ausstellungen  sehr  leicht  und 
grogzügig  arrangieren,  denn  wenige  Städte  haben 
ein  so  geräumiges  Künstlerhaus.  Nach  der  Stim- 
mung, die  besonders  in  den  jüngeren  Kreisen 
der  Hannoverschen  Künstler  und  Kunstfreunde 
herrscht,  ist  hier  schon  für  die  allernächste  Zeit 
eine  Wandlung  zu  erwarten.  Dag  irgend  etwas 
unbedingt  geschehen  muß,  dafür  zeugte  mit 
blecherner  und  tepperner  Stimme  die  let3te  Weih- 
nachts- Ausstellung  in  der  Kunstgewerbehalle. 
Soviel  absonderliche  Geschmacklosigkeiten  hatte 
ich  schon  lange  nicht  als  Ragout  genossen.  Doch, 
mit  Bestimmtheit:  es  wird  besser  werden.  Der 
Stadtdirektor  Tramm  hat  offenbar  die  Notwendig- 
keit eines  entschlossenen  Fortschrittes  begriffen. 
Die  Wahl  des  Professors  Rog,  der  an  der  tech- 
nischen Hochschule  in  moderner  Auffassung 
Kunstgeschichte  lehrt,  scheint  ein  hoffnungsvolles 
.Anzeichen.  Die  Werkbundidee  wird  gleichzeitig 
von  dem  erfahrenen  Schaper  und  von  den  tem- 
peramentvollen Jungen  gepflegt.  Und  schlieg- 
lich:  ein  Symptom  von  nicht  geringer  Bedeutung: 
man  hat  den  Erbauer  des  neuen  Rathauses  ab- 
gelöst, hat  sich  davor  geschütjt,  durch  ihn  auch 
das  Innere  verderben  zu  lassen.  Für  die  Regie 
der  großen  Räume  wurde  Wallot  gewonnen. 
Einige  sprechen  davon,  dag  Hodler  die  Wand- 
gemälde schaffen  wird.  Das  wäre  sehr  zu  be- 
grüßen. Und  wenn  Schaper  an  anderen  Stellen 
die  von  ihm  glänzend  beherrschte  Technik  des 
Mosaiks  entfaltet,  so  dürfte  das  Innere  über  die 
Grobheiten  der  .Augenseite  hinwegtrösten. 

KOBEKT  KKEITK. 

NEUE  BAUTEN  VON  LUDWIG  HOFFMANN. 
Die  Qualität  des  Berliner  Stadtbaumeisters 
steigt  proportional  zu  der  Fülle  der  ihm  gestell- 
ten .Aufgaben.  Immer  freier  entfaltet  sich  das 
sichere  Können  dieses  ausgezeichnet  verprovian- 
tierten Synthetikers.  Es  ist  billig  zu  sagen,  dag 
er  stets  mit  ererbten,  mit  historischen  Formen 
wirtschaftet.  Er  ist  ein  Eklektiker;  aber  er  ist 
es  auf  eine  so  vollkommene  und  temperamentvolle 
Weise,    dag    man    ihn    beinahe    einen    Schöpfer 


A  Iciiii    Kit>f<l-Nacln  iclit,-i 


nennen  darf.  -  Wo  bislang  der  halb  verfallene, 
graue  Bau  des  früfieren  Waisenfiauses  stand,  hat 
Hüffmann  den  städtischen  Gaswerken  ein  Ver- 
waltungsgebäude errichtet.  Ein  Mittelding  zwischen 
Renaissance  und  Schinkel.  Florentinisch-römisch, 
gekreuzt  mit  preufiischem  Drill.  Die  Pfeiler  stehen 
beinahe  robust,  zum  Parademarsch  bereit.  Die 
Strenge  aber  wird  durch  das  Wohlmaß  der  Ver- 
hältnisse schön  gemildert.  Nicht  recht  notwendig 
scheinen  die  vielen  Köpfe,  die  stark  plastisch 
über  den  Fenstern  des  Untergeschosses  heraus- 
stof5en.  —  Ganz  in  der  Nähe  steht  das  neue  Rat- 
haus. Ein  stattliches  Geviert,  mit  der  Hauptfront 
gegen  die  JüdenstrafiC,  mit  der  Rückfront  gegen 
die  KlosterstraJ3e,  rechts  (von  vorn  gesehen)  durch 
die  Stralauer-,  links  durch  die  Parochialstraße 
begrenzt.  Das  Format  des  Terrains  war  kein 
besonders  glückliches;  die  Hauplfront  in  der  Jüden- 
straße  ist  wesentlich  kürzer  als  die  Front  in  der 
Kloslerslraf^e.  Dadurch  ergibt  sich  für  den  Grund- 
riß ein  Trapez.  Hierzu  kommt:  beide  Parallel- 
fronten wurden  in  sich  gebrochen;  die  Eckpartien 
springen  mächtig  hervor;  die  Mitte  wurde  einwärts 
geschweift,  in  deren  Zentrum  steht  ein  massiver 
Portalbau.  Jedenfalls:  kein  leicht  zu  gestaltender 
Grundriß,  kein  Organismus,  der  aus  sich  selbst 
zum  Monumentalen  drängt.  Daraus  erklärt  es 
sich  vielleicht,  daß  Hoffmann  das  äußere  Pathos 
ungewöhnlich  betonte.  Er  verwendete  eine  tur- 
bulente Rustika;  er  arrangierte  besonders  um  die 
Fenster  der  oberen  Stockwerke  ein  Orchester  von 
Paukenschlägen.  Im  Detail  betrachtet:  ein  wenig 
viel  von  sich  durchdringenden,  aus  der  Fläche 
stoßenden  Quadern,  ein  wenig  viel  an  starkem 
Relief,  an  massiger  Plastik.  In  seiner  Ganzheit 
entbehrt  der  Bau  aber  keineswegs  einer  sicheren 
und  ruhigen  Monumentalität,  die  sich  in  dem 
korpulenten  und  doch  geschmeidigen  Turm  zu 
überzeugender  Wirkung  steigert.  Freilich,  es  ließe 
sich  überlegen,  ob  dieses  neue  Rathaus,  das  keinen 
eigentlichen  Repräsentationsraum,  nur  Arbeits- 
zimmer enthält,  nicht  ohne  Turm  hätte  auskommen 
können.  Aber,  aber:  Hoffmann  müßte  nicht  mit 
ganzer  Seele  Baumeister  sein,  wenn  er  diese  Ge- 
legenheit verpaßt  hätte,  einen  Turm  in  die  Wolken 
zu  schicken.  Und  in  der  Tat,  es  sind  Wallungen 
von  herrischer  Gesundheit  und  kühnem  Rhyth- 
mus, wenn  man  von  weit  her  den  steinernen 
Riesen  sich  empordrängen  sieht.  -  Welche  Fort- 
schritte Hoffmann  während  der  leßten  Jahre  ge- 
macht hat,  das  kann  man  feststellen,  wenn  man 
vom  neuen  Rathaus  gegen  den  Spittelmarkt  hin- 
geht und  zum  Standesamt  an  der  Fischerbrücke 
gelangt.  Wie  zaghaft  und  spröde  ist  doch  hier 
die  Disposition  und  wie  arm  der  Ausdruck.  Hoff- 
mann ist  mächtig  vorangekommen.       k.  i;ki n  k. 


362 


Bei  Cassirer  waren  Anfang  Januar  klei- 
nere Kollektionen  einzelner  Künstler  zu  sehen. 
Gurt  Herrmann  verwertet  die  Doktrin  des 
Neoimpressionismus  sehr  glücklich  zu  persönlicher 
Gestallung.  Ob  er  zwar  Motive  aus  Oberfranken, 
vom  Lago  Maggiore,  oder  ob  er  Berliner  Straßen 
im  Schnee  malt,  ist  für  die  individuelle  Stimmung 
des  Bildes  gleichgültig;  es  wird  alles  zu  Stilleben 
mit  allgemeinem  und  immer  demselben  Gefühls- 
inhalt. Man  spürt  aber  bei  dem  Maler  die  ge- 
diegene Arbeit  und  ein  für  dekorative  Werte  be- 
sonders empfängliches  Auge.  -  Von  Friß  Rhein 
hört  man  im  allgemeinen  viel  zu  wenig.  Er  ist 
ein  sicherer  und  geschmackvoller  Könner  und 
kennt  sehr  genau  die  Grenzen  seines  Talents. 
Ihm  liegen  die  konzentrierten  Stimmungen  starker 
Farben,  so  sind  sein  „Stilleben"  und  die  „Gärtnerei 
in  Holland"  besonders  gut.  Aber  auch  die  helle 
Strandszene  ist  sehr  fein.  —  Konrad  v.  Kardorff, 
den  man  als  Porträtmaler  kennt,  zeigt  vor  allem 
Stilleben  und  Landschaften,  z.  T.  solide  Arbeit; 
in  den  Landschaften  fehlt  vielleicht  noch  das  per- 
sönliche Erlebnis,  oder  er  beherrscht  die  Mittel 
noch  nicht  so  recht,  es  zum  Ausdruck  zu  bringen.  - 

Die  Ausstellung  von  neueren  Bildern  Arthur 
Kampfs  während  des  Januar  bei  Gurlitt  ist 
recht  geschmackvoll  arrangiert.  —  Daneben  eine 
Anzahl  schöner  Bilder  W.  Trübners  vom  Slarn- 
berger  See,  Park  und  Schloß  Hemsbach.  Im  wei- 
teren Saal  ausgewählte  Werke  aus  der  Schule  von 
Fontainebleau,  von  denen  ich  ein  paar  reizende 
Bilder  Henri   Harpignies  hervorhebe.   - 

Am  Neujahrstage  wurde  die  Anton  Graff- 
Gedächtnis-Ausstellung  von  ca.  180  Por- 
träts bei  Schulte  eröffnet.  Vorher  war  eine  Kol- 
lektion der  entzückenden  hellen  Bilder  des  Schwe- 
den Carl  Larsson  zu  sehen,  die  in  Sujet  und 
Malweise  so  selten  liebenswürdig  sich  präsentie- 
ren. Daneben  hielten  sich  nur  noch  die  hübschen 
Landschaften  Rudolf  Siecks,  während  von  dem 
Rest  nichts  zu  sagen  ist.    -  1  u  \i  d  i;i mh  1; 


DARMSTADT.  Ausstellung  des  Deut- 
schen Künstlerbundes  1910.  Der  Groß- 
herzog von  Hessen  hat  das  gesamte  Risiko  der 
Ausstellung  des  Deutschen  Künstlerbundes  über- 
nommen. Die  Herren:  Kunstmaler  Adolf  Beyer, 
Professor  Graf  von  Kaickreuth,  Hofrat  Alexander 
Koch,  Beigeordneter  Mueller,  Prof.  Albin  Müller, 
Stadtverordneter  Stemmer,  Oberregierungsrat  Dr. 
Wagner,  Kabinettssekretär  Dr.  Wehner,  Rudolf 
Wittich  und  Direktor  Zobel  bilden  unter  dem  Vor- 
siß  des  Oeheimerats  Römheld  die  „Qeschäfts- 
leitung  der  Ausstellung".  Am  10.  Januar  hat  die 
erste  Sißung  im  Alten  Palais  stattgefunden. 


FKIJF.   ADiil.F   JIEXCEI.EK      MÜXCIIKN. 

(IKMÄI.DE  :        SrSANNA     IM     IIAIII.     .         AN(;EKAr|.  1' 

v.iM  KF.STNER-MrM-i:.\i      iianm>vi:k,    /.rviiR    in 

IIRAKI.S  MOIIERNEK  Ki:.\s  Hl  A  M  )|  INC,      MÜNcHFX. 


ARBEITEN  DER  WIENER  WERKSTÄTTE-WIER 


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BILDERBHTRACHTEX. 

Schauplatz:  Wochenaus- 
stellunij  des  Kunstver- 
L'ines  einer  großen  süddeut- 
schen Residenzstadt.  Es  ist 
nachmittags  drei  Uhr,  die 
Stunde,  da  alles,  was  den 
bessergekleidetcn  Ständen 
angehört ,  verdaut.  Post 
coenam  stabis  aut  passus 
niille  meabis,  sagt  ein  altes 
lateinisches  Sprichwort  — 
Küchenlateinisch  im  eigent- 
lichen wie  im  übertragenen 
Sinne.  Was  liegt  näher  als 
die  „millc  passus"  der  \  er- 
dauung  zum  Kunst  verein  hin- 
überzumachen, zumal  man 
sich  dunkel  zu  erinnern 
glaubt,  daß  man  zu  seinen 
.\\itgliedern  zählt?  —  Ein 
Bild,  das  man  um  diese 
Stunde  dort  sehr  oft  sehen 
kann,  sieht  folgendermaßen 
aus.  —  Auf  dem  Treppenpodest  wartet  der  an- 
geseilte Dackel  oder  Schnauzel  und  blickt  mit 
.\ugen  des  Jammers  in  die  Höhe.  Drohen  aber 
\  or  den  Bildern  \  on  Putz.  Slevogt.  von  Cezanne. 
\  an  Gogh  und  Gauguin  steht  der  Herr  und 
pfeift  vor  Zorn.  Mit  dem  Spazierstock  peitscht 
or  seine  Absätze ,  einem  grimmigen  Löwen 
ähnlich,  der  mit  dem  Schweif  seine  Elanken 
bearbeitet,  und  trägt  eine  .Miene  zur  Schau. 
als  sähe  er  der  Mißhandlung  eines  Kindes 
oder  sonst  einer  im  höchsten  Grade  empören- 
den Tal  zu.  —  Ein  Herr 
Uli  Vollbart  erscheint, 
pflanzt  sich  vor  den  Bil- 
dern auf  und  lacht  über 
die  mühevolle  Jahresar- 
beit eines  vortrefflichen 
.\\annes  so  herzlich  wie 
über  die  Capriolen  des 
dummen  .August  im  Zir- 
kus. —  Beiden  gemeinsam 
ist,  wie  man  sieht,  die  l  n- 
tähigkeit  oder  die  Unlust, 
erstens:  an  das  ernste 
Streben  des  Künstlers  zu 
glauben,  und  zweitens 
naiv  und  harmlos  das  hin- 
zunehmen, was  vor  ihren 
Augen  steht.  —  Auf  die- 
sen zweiten  Punkt  möchte 
ich    besonderes    Gewiciit 


legen.      Es    ist    cuic    llaupt- 
eigenschaft  des    Publikums, 
eine  Eigenschaft,   über    die 
der  Fachmann  stets  wieder 
von  neuem  staunt,    daß   es 
niemals   das   sieht,  was  ihm 
greifbar,  auf  einen  Meter  Ent- 
fernung,   dargeboten    wird. 
Zumal  beim  deutschen  Publi- 
kum  spürt  man  immer  wie- 
der, daß  es  mit  toten,  blin- 
den Augen   vor  den  Schöp- 
fungen seiner  Künstler  steht 
und  sich  niemals  rein  an  das 
hält,  was  vorhanden  ist.    Es 
sucht  immer  etwas  anderes, 
ist   völlig   unfähig,    auf    den 
Künstler      einzugehen     und 
tritt  mit  dem  unverschämten 
.Anspruch    auf.    den    Künst- 
ler  innerlich  zu  korrigieren, 
ehe  es  ihn  überhaupt  ange- 
hört hat.   Im  Leben  lernt  man 
einen  Menschen  nicht  ken- 
nen, wenn  man  ihm,   ehe  er 
sich  noch   vorgestellt  hat,   in   die   Rede   fällt. 
Genau   das  gleiche   gilt   für    die    Betrachtung 
von  Werken   der  Kunst   und  der  Bildhauerei. 
Daraus  folgt ,   daß    der   Laie  ,   der  das  Be- 
dürfnis spürt,  zur  Kunst  und  insbesondere  zur 
zeitgenössischen  Produktion  in  ein  ersprieß- 
liches  Verhältnis   zu   treten .    in    erster  Linie 
eine  innere  Reinigung  vorzunehmen  hat,  eine 
Reinigung  von  dem  bösen  Geiste  der  Feind- 
seligkeit gegen  das  Fremde.  Ich  spreche  nicht 
davon,  daß  er  seine  Vorurteile  ablegen  solle, 
denn  Vorurteile  haben  wir 
alle.     .-Vber   eine   gewisse 
sanftmütige  ,    nachgiebige 
Stimmung,    eine    gewisse 
.Menschenfreundlichkeit 
ist  nötig,   um   das  Kunst- 
werk   überhaupt   klar   zu 
sehen.     Ein    wenig    Miß- 
trauen     gegenüber      den 
eigenen    Gegensalzgefüh- 
len  ist  nötig  ,   inn   die  Ar- 
beit der  Sinne  von  verfäl- 
schenden Faktoren  freizu- 
halten. Reinheit  und  Tüch- 
tigkeit des  Auges  sind  nur 
auf     Grund     psychologi- 
scher,   ja   ethischer  Vor- 
arbeit  zu    erzielen.    Und 
beide  Eigenschaften  sind 
nötig,   damit  man   in   die 


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Q  J    HüifiiLinn. 
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^AMTLICHE  GIi(;ENST.\NDlC  SIND  KKZEI'(;N1SMC  HER  WIENER  W  ERK.STAJ  TE     WIEN. 


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LajSe  kommt,   zu  sehen,  was  da  ist,  und  dies 
für  den  Genuß  nutzbar  zu  machen. 

Sehen,  was  da  ist.  Das  bedeutet  in  erster 
Linie,  daß  man  sich  zunächst  rein  an  die 
sinnliche  Erscheinung  des  Kunstwerkes 
iiält.  Die  Linie,  die  Farbe,  der  Vortrat^,  die 
Teclmik,  sie  sind  es,  die  die  eifientliche  piece 
de  resistancc  des  Kunstwerkes  bilden.  Zu 
unseren  Sinnen  spricht  die  ganze  Welt ,  an 
unsere  Sinne  wendet  sich  alles,  was  zu  unse- 
rem Geiste  und  zu  unserem  Herzen  will.  Was 
nicht  in  den  Sinnen  ist,  kommt  auch  nicht  ins 
Gefühl  und  in  die  Seele.  Gestalt,  sichtbare 
und  tastbare  Gestalt  macht  das  Wesen  der 
Welt  aus.  Man  muß  ein  Kunstwerk  zunächst 
ansehen  wie  einen  Wald  ,  wie  eine  Bergland- 


schaft, wie  ein  Kornfeld,  wie  einen  gestirnten 
Himmel.  Es  wird  dafür  so  dankbar  sein,  daß 
es  alles  andere,  was  es  uns  darüber  hinaus  zu 
geben  hat,  ganz  freiwillig  und  ungebeten  dar- 
reicht. Haben  die  Sinne  gute,  tüchtige  Arbeit 
getan,  so  wirkt  sie  fort  und  fort  bis  ins  Innerste 
hinein.  Hat  man  die  optische  Erscheinung 
eines  Kunstwerkes  nach  allen  Seiten  hin  wohl 
begriffen,  haben  seine  Linien  über  den  Rhyth- 
mus des  Lebens  in  uns  Gewalt  gewonnen,  sind 
die  Akkorde  seiner  Farben  in  den  Saiten  un- 
serer Seele  nachgeklungen,  hat  seine  räum- 
liche ,  stoffliche  und  formale  Charakteristik 
stark  zu  uns  gesprochen,  so  haben  wir  es  ver- 
standen und  ihm  Genüge  getan.  Der  Talmud 
sagt  (in  Strindbcrgs  ,, Schwarzen  Fahnen"  finde 


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IL  Professor 
D  M.  Powolny. 
g'  Bonbonniere. 

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ich  das  Wort);  „Wenn  Du  das  Unsiclitbare 
kennen  lernen  willst,  so  betrachte  sehr  ge- 
nau das  Sichtbare".  Unverständliche  Kunst- 
werke gibt  es  nicht.  Es  gibt  höchstens  unver- 
ständliche Allegorien.  —  wii.heim  iikhei,. 
Es  gibt   nur  eine  Weise,   gute   Kunst  zu   erlangen, 


—  die  einfddiste  und  zugieidi  die  sdiwierigste,  - 
ncuiilich  sie  zu  genießen.  Erforsdie  die  Cesdiichte 
der  Völker  und  die  große  Tatsadie  wird  dir  klar 
und  unverkennbar  ins  Auge  fallen,  daß  gute  Kunst 
nur  von  Völkern  hervorgebracht  worden  ist,  die 
ihre   Freude  an  ihr  hatten.  lohn   Ruskin. 


379 


ZUM  VERSTEHEN  DES  TECHNISCHEN. 


Der  Bilderliebhaber  bedauert  es  oft,  daß  er 
dem  Technischen  der  Malerei  ratlos  gegen- 
über steht.  Gar  zu  gern  möchte  er  ein  wenig 
davon  ahnen,  wie  das  farbige  Wunder  wurde. 
Solchen  Absichten  sollen  hier  einige  Finger- 
zeige gegeben  werden.  —  Das  einfachste  ist 
die  Bleistiftzeichnung.  Winzige  Graphitschüpp- 
chen  lagern  sich  eng  deckend  übereinander  und 
erzeugen  eine  glänzende  Oberfläche.  Kommt 
Kohle  zur  Anwendung,  so  gibt  es  einen  stump- 
fen Effekt;  der  Strich  ist  in  sich  zerrissen.  Die 
einzelnen  Kohleteilchen  sind  weit  größer  als  die 
des  Graphits,  ihre  Lagerung  ist  weniger  dicht. 
Demgemäß  wird  nur  sehr  wenig  Licht  direkt 
reflektiert ;  die  eindringenden  Strahlen  werden 
von  schwarzer  Kohle  verschluckt,  von  bunter 
Kreide,  deren  optische  Wirkung  der  der  Kohle 
ähnelt ,  als  gefärbtes  Tiefenlicht  zurückge- 
worfen. Dessen  Menge  muß  mit  der  Feine  und 
Dichtigkeit  der  Stäubchen  zunehmen.  Da  sich 
die  Kreidepartikelchen  nicht  wie  Ziegel  über- 
einander schieben,  sondern  wie  ein  Haufen 
mikroskopisch  kleiner  Körnchen  nebeneinan- 
der liegen,  so  kann  es  zu  einer  Glanzwirkung 
wie  beim  Bleistift  nicht  kommen.  Auf  diesem 
Prinzipe  beruht  die  Pastelltechnik.  Die  Pastell- 
stifte bestehen  aus  mit  Gummilösung  und  je 
nach  dem  Helligkeitsgrad  mit  Schlemmkreide 
zusammengeknetetem  Farbpulver.  Das  reine, 
trockne  Pigment  wirft ,  auf  dem  Malgrund 
liegend,  eine  ungeheure  Menge  farbigen  Lichts 
zurück.  Ob  der  Feine  des  Korns  und  der  da- 
durch bedingten  Tiefe  des  Lichteinfalles  kommt 
der  eigentümliche  Sammeteffekt  zustande;  ein 
Pastell  ist  wie  eine  Pfirsichschale. 

Die  trocken  auf  das  Papier  gebrachten  Pulver 
unterliegen  der  Gefahr  des  Verwischtwerdens 
und  des  Abstäubens.  Dem  kann  durch  Fixier- 
mittel, farblose  Schellack-  oder  Kaseinlösung, 
mit  dem  Zerstäuber  aufgetragen,  vorgebeugt 
werden.  Dabei  verliert  die  Bleistiftzeichnung 
einen  Teil  ihres  Glanzes,  das  Pastell  wird  ein 
wenig  dunkler.  Pastell  ist  ein  sehr  dauerhaftes, 
vielleicht  das  dauerhafteste  Verfahren;  die 
in  Dresden  befindlichen  Pastellgemälde  von 
Carriera  und  Mengs  scheinen  von  der'  Zeit 
unberührt.  Die  Ursache  liegt  einmal  in  der 
Nichtanwendung  eines  veränderlichen  Binde- 
mittels, ferner  in  dem  ziemlich  starken  Auf- 
trag der  Farbpulver,  der  ein  etwaiges  Ausblei- 


chen oder  einen  Verfall  nicht  so  bald  deutlich 
werden  läßt.  Genau  das  Gegenteil  hiervon, 
ein  möglichst  dünner,  gehauchter  Farbenauf- 
trag ist  das  Charakteristikum  der  Aquarell- 
technik. Das  mit  Gummi  angerichtete  Pigment 
wird  in  Wasser  gelöst  und  mittels  Pinsel  aufge- 
tragen. Die  Aquarellwirkung  beruht  einzig  auf 
der  Lasur.  *] 

Die  Technik,  die  mit  Wasser  lösliche  Farben 
deckend  anwendet,  heißt  Gouache.  Die  Pig- 
mente werden  mit  Zinkweiß  aufgehellt.  —  Für 
sämtliche  auf  Papiergrund  stehendenMalereien 
gilt  als  Hauptbedingung  der  Dauerhaftigkeit  ein 
gutes  holzfreies  Papier,  das  weder  reißt  noch 
vergilbt.  Bei  aller  Malerei  dürfen  selbstver- 
ständlich nur  chemisch  sichere,  nie  sich  gegen- 
seitig zersetzende  Pigmente  zur  Verwendung 
kommen;  alle  ausbleichenden  Farben,  so  die 
meisten  Teerfarben,  sind  verbannt. 

Das  Fresko  wird  im  Prinzip  auch  heute  noch 
so  hergestellt,  wie  es  schon  die  Alten  taten. 
Auf  frischen  Wandputz  aus  Kalk  und  feinem 
Sand  werden  die  mit  Kalkwasser  angerührten 
Farben  aufgetragen.  Sie  verbinden  sich  gut 
mit  dem  Grund,  und  die  Lebensdauer  des  Ge- 
mäldes wäre  gesichert,  wenn  nicht  äußere  und 
innerhalb  der  Mauer  selbst  aufsteigende  Feuch- 
tigkeit sein  Dasein  gefährden  würde. 

Das  Auseinanderfallen  der  als  Bild  wirken- 
den Farbmasse  und  des  tragenden  Grundes 
ist  eine  Hauptsorge  der  Malerei ,  soweit  sie 
einen  deckenden,  gebundenen  und  erhärtenden 
Farbbrei  verwendet;  dies  traf  schon  bei  der 
Gouache  zu,  ernste  Bedeutung  bekommt  diese 
Sorge  erst  bei  der  Anwendung  von  Ölfarben. 
Die  Ölfarbe  verdankt  ihren  Siegeszug  dem 
Umstände,  daß,  mit  ihr  gedeckt  und  lasiert, 
auch  sehr  schnell  gearbeitet  werden  kann; 
nicht  weniger  wichtig  ist;  sie  sieht  auf  dem 
fertigen  Bilde  fast  so  aus,  wie  sie  in  den  Pinsel 
genommen  wird,  während  alle  Wasserfarben 
nach  dem  Trocknen  heller  und  stumpfer  wer- 
den. Der  Maler  vermag  komplizierteren  Ab- 
sichten mit  größerer  Sicherheit  nachzugehen. 
Das  zum  Anreiben  dienende  Öl  ist  Lein-,  Nuß- 
oder Mohnöl,  das  an  der  Luft  fest  wird.  Der 
Trocknungsprozeß  beruht  auf  Oxydation: 
Sauerstoff  wird  aufgenommen  und  gebunden. 

■|  Ausführlicheres  siehe  bei  W.  Ostwald, 
Malertjriefe,  inul  Linke,  Die  Malerfarben. 


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J.  Haffinauii,    Q 


Arclii 
(-.  Wi 
Kolli. 


Den  Malfirund  deckt 
..diedurclisichli^ePastc 
dcsfestjSewordenenÖls, 
in  wclcliem  die  Farb- 
stoffkörperchcn  einfSe- 
laßert  sind"  (Ostwald). 
Zur  NüancierunjS  der 
Deckfarben  nimmt  man 
das  stark  lichtbrechen- 
de Bleiweiß,  hinjSegen 
für  die  Lasur  möglichst 
lichtdurchlässii^e  Mit- 
tel. Die  Wirkung  der 
Lasur  ist  die  eines  far- 
bigen Glases.  —  So- 
weit wäre  alles  sehr 
gut;  leider  hören  die 
chemischen  Kräfte  nicht 
nach      des      Künstlers 


Belieben  auf,  zu  wir- 
ken. Das  ölige  Binde- 
mittel unterliegt  durch 
Oxydation  andauern- 
der Veränderung.  „Der 
Untergang  der  Ölge- 
mälde ist  daher  nur  eine 
Frage  der  Zeit,  wenn 
nichts  geschieht  oder 
^^eschehen  kann,  diese 
l'.inflüsse  der  Atmo- 
^phäre  zu  beseitigen" 
(i'ettenkofer).  Anfangs, 
aucii  in  bereits  „  trocke- 
nem" Zustand,  den  Tö- 
nen, wie  sie  auf  der 
Palette  gemischt  wur- 
den, fast  gleichwertig, 
bekommt  das  Bild  mit 


der  Zeit  den  sogenann- 
ten Galerieton.  Die  nur 
relativ  trockene  Farbe 
dunkelt  nach.  Damit 
parallel  geht  eine  be- 
ständige Volumenver- 
änderung, die  sich  dann 
störend  bemerkbar 

macht,  wenn  der  Bild- 
träger nicht  im  gleichen 
Tempo  sich  dehnt  resp. 
zusammenzieht.  Nach 
unbiegsamen  mechani- 
schen Gesetzen  muß  sol- 
chenfalls eine  der  auf- 
einander gebundenen 
Schichten  ihre  Struktur 
lockern  ;  wenn  dies  aus 
Mangel     an     Elastizität 


nicht  mehr  möglich,  wird 
sie  reißen.  Zwingender- 
weise geben  Holz  und  Lein- 
wand in  diesem  ungleichen 
Kampf  den  Ausschlag;  die 
erhärtete  Farbschicht  reißt, 
das  Bild  bekommt  Sprünge. 
Die  gleiche  unangenehme 
Konkurrenz  kann  aber 
auch  zwischen  zwei  Schich- 
ten innerhalb  der  Farb- 
masse beginnen,  um  so 
leichter,  als  die  verschie- 
denen Farben  sehr  ver- 
schieden trocknen.  Bei 
prinzipiell  durchgeführter 
Priniamalerei,  das  heißt, 
wenn  der  Grund  in  der 
Hauptsache  nur  einmal  mit 
dem     Pinsel     übergangen. 


scheidet  diese  Möglich- 
keit selbstverständlich 
aus.  Hingegen  hat  es  die 
fatalsten  Folgen,  wenn 
einzelne  Schichten,  vor- 
züglich die  oberste,  mit 
besonders  schnell  trock- 
nenden Mitteln,  etwa 
mit  Sikkativ  gemalt 
wurden.  Dann  gibt  es 
eine  heillose  Verwü- 
stung; Schollenbildung, 
die  Farbmasse  blättert 
ab.  Nachlässigkeiten 
und  unüberlegtes  Ha- 
sten rächen  sich  in  kei- 
ner Technik  so,  wie 
beim  Lasieren.  Herr- 
liche Kunstwerke  kom- 


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,  J.  Hnffmi 
'  Gürtel- 
I  schließe. 
I  Silber. 


men  dadurch  frühzeitig  zu 
Schaden.  Ein  garnicht  tief 
genug  zu  beklagendes  Bei- 
spiel aus  der  Neuzeit  schei- 
nen einige  der  besten  Men- 
zel zu  geben.  Aber  auch 
sehr  sorgfältige  Arbeiten 
entgehen  nicht  der  Ver- 
änderung. Von  Rubens' 
„Hl.  Cäcilie"  in  Berlin  sagt 
Bode;  Auf  den  ersten  Blick 
kann  das  Bild  den  „Ein- 
druck" einer  Improvisation 
hervorrufen,  so  flüchtig  er- 
scheint in  einzelnen  Teilen 
die  Ausführung.  Aber  in 
eben  diesen  Teilen  wird 
man  bei  näherer  Betrach- 
tung gewahr  werden,  daß 
gerade    die    außergewölin- 


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aiv..,„    ,.,. 
Brosche 
-■  Silber  n 

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nit  Malbalrl    D 
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R.    Icsdiiier, 
Fieur  aus 
Spcckslein 
mit  Halbedcl 


licht-    Sorfifalt,    die 
iIlt     Künstler     auf 
diese    Komposition 
verwandte,  an  die- 
ser Wirkung!  schuld 
ist:      die     Übernia- 
lungen,    zwei    oder 
jjar  drei  übereinan- 
der,    unter     denen 
sich  mit  der  Zeit  die 
untere  Malerei  mehr 
oder  weniger  stark 
wieder  (ieltend   (ge- 
macht hat.  Deutlich 
erkennen   wir,    daß 
die    tieffjrüne   Sani- 
metjacke   ursprünf^- 
lich   als  Mantel   j^e- 
dacht  war  und  einen 
firoßenTeil  des  {iold- 
j^elben   Kleides   be- 
deckte". Die  jewei- 
lige   untere   Schicht 
ist  durchfjewachsen; 
Sauerstoff  heißt  der 
Attentäter.  Eskäme 
also  darauf  an ,  die 
Luft  von   dem   Ge- 
mälde   abzuschlies- 
sen.    Ein  guter  Fir- 
nis -  Überzug     nach 
möglichst      gründli- 
chem   Austrocknen 
angebracht,         hilft 
viel.    Auch   ein  un- 
ter Glas  gehaltenes, 
solid  gerahmtes  Bild 
hat     eine     gewisse 
Versicherung  gegen 
den    selbstmörderi- 
schen     Lufthunger. 
Allerdings     scheint 
hier    Skepsis    nicht 
unangebracht.       So 
schwer    wiegt     der 
Nutzen    keinesfalls, 
daß  etwa  die  Gale- 
rien,   dem    Beispiel 
des  rauchverhüllten 
Englands      folgend, 
sämtliche        Kunst- 
werke  hinter  dicke 

Spiegelscheiben 
steckenmüßten.  Um 
sowenii'er  als  es  ge- 
'      '    n.uißerO 


auch  gewisse  in  H2 
O    lebende    Mikro- 
organismen     durch 
Kolonisation^im  Öl- 
bild   an    dem    Ver- 
fallprozeß mitarbei- 
ten.   Ein   absoluter 
Luftabschluß       läßt 
sich    auf    der   Bild- 
seite   nicht    ermög- 
lichen ,    eher    kann 
die    Rückwand    ge- 
schützt werden,  et- 
wa     durch      einen 
Staniolüberzug.  Die 
Holztafel        scheint 
in  der  Tat  besseren 
Widerstand   zu   lei- 
sten  als  Leinwand, 
Ostwald  stellt  einen 
Metallgrund  in  Aus- 
sicht. (Auf  Metall  ist 
auch    früher    schon 
gemalt  worden.)  — 
Da  das  Öl  zersetzt 
wird,  kann  eine  mög- 
lichste     Einschrän- 
kung d.  gefährlichen 
Bindemittels     nicht 
unvorteilhaft     sein. 
Ein      einsaugender, 
„gut  schluckender" 
Grund    hilft    dazu. 
Allerdings     verliert 
ein  derartig  gemal- 
tes Bild  seine   fein- 
sten optischen  Rei- 
ze, das  Tiefenlicht, 
,,es     schlägt     ein". 
Dann    muß    es    wie 
das  Aquarell   „her- 
ausgeholt" werden. 
Die   hierzu   benutz- 
ten Harze   zerfallen 
nüt    der    Zeit,    das 
Bild    wird    „blind" 
und    sieht    bläulich 
wie    mit   Schimmel- 
pilzen      überzogen 
aus.      Dem    vermag 
Pettenkofers   Rege- 
nerationsverfahren, 
abzuhelfen,  dieTafel 
wird  Spiritusdämp- 
fen  ausgesetzt   und 
aufs   neue  mit  Harz 


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Da'ai'aa'a.'a.'a.'a 

°        „gesättigt".   —   Ein 
Q        anderer   Weg,     die 
,■        Ölmasse   zu  verrin- 
gern,   ist  der  mög- 
lichst   dünne    Far- 
benauftrag, den  die 
starke         Lichtbre- 
chung der  Deckfar- 
ben  sehr  wohl   ge- 
stattet. Sehr  pasto- 
seMalerei  unterhegt 
ganz  besonders  der 
Gefahr      des     Ab- 
bröckeins, auch  die 
Trübungen  werden, 
je  stärker  das  Ölla- 
ger,  um  so  mehr  be- 
merkbar.     —     Die 
Glattmaler    pflegen 
allerdings    die    Ge- 
fahr   des    pastosen 
Auftrages   meistens 
zu  übertreiben.  Die 
„Kleckser"      malen 
gewöhnlich      prima 
und   besitzen  damit 
ein         Präservativ ; 
überdies  handelt  es 
sich  häufig,   beson- 
ders  bei   eingesetz- 
ten Lichtern  u.dgl., 
um     nebeneinander 
stehende,    nicht   in- 
tim   zusammengrei- 
fende,kleinereFarb- 
flecke ,      nachgiebi- 
ger als  die  großen, 
gleichmäßig     lasier- 
ten    Flächen;     da- 
durch wird  die  Ge- 
fahr   des   Springens 
und  Abblätterns  zu- 
rückgedrängt. Rem- 
brandts  Farbperlen 
auf     dem     Berliner 
„Mann      mit     dem 
Helm"    haben    sich 
wunderbar      gehal- 
ten.      —       Öllasur 
wird     häufig     über 
Temperadeckfarbe 
gelegt.     Böcklin  er- 
zielte    damit     gute 
Resultate.        Unter 
der    heutigen    Tem- 
pera  versteht    man 


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Farbe,  die  mit  einer 
Ei-     oder     Kasein- 
Leinöl-Emulsion 
bereitet      ist.       Die 
Emulsion  bindet  die 
Pigmente     zwiefach 
an     die    Unterlage, 
durchOxydationdes 
Öls  und  durch  Erhär- 
tung des  wasserlös- 
lichen Bindemittels. 
—  Der  strukturelle 
Zusammenhang  der 
Bildmasse  mag  noch 
so     gesichert     sein, 
alle  Mühe    ist    um- 
sonst,    wenn      das 
Fundament  versagt ; 
eine  elastische,  we- 
der        physikalisch 
noch    chemisch    er- 
heblich      veränder- 
liche     Grundierung 
ist      die      allererste 
Lebensfrage      jegli- 
cher    Malerei.      — 
Diese    in     knappen 
Grundzügen  vorge- 
führten    Techniken 
werden      von      der 
handwerklichen  Ge- 
schicklichkeit     und 
dem     Spürsinn    für 
Materialwirkung 
verschiedentlich 
ausgebaut     —     ein 
Unternehmen,    des- 
sen Erfolg  aber  nur 
dann   sicher,    wenn 
naturwissenschaft- 
liche,   speziell   che- 
mische    Kenntnisse 
die  Versuche   inspi- 
rieren. Um  an  einem 
eklatanten   Beispiel 
zu  zeigen,  wie  leb- 
haft gerade  die  Neu- 
zeit nach  einer  Ver- 
vollkommnung   der 
Malmittel  strebt,  — 
vergleiche   die  Raf- 
faelli-Ölfarbstifte  — 
seien    einige   Nach- 
richten        Floerkes 
über    Böcklins    Ex- 
perimentieren   wie- 


QMalor 
K.  Tescline 
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DSpeckstrin 
mit  Halbed 

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dertScfSeben Sclion  in  den 

fünfziger  Jafiren  bereitete  Böck- 
lin  punisches  Wachs  (Wachsseife) 
und  malte  damit  .  ,  .  Von  seinen 
für  Schack  {Jemalten  Bildern  war 
eines,  ein  antikes  Oktoberfest,  mit 
Weihrauch  gemalt.  Die  zunächst 
blinde  Malerei  wurde  durch  Über- 
gehen mit  einem  heißen  Eisen  wie 
mit  einem  festen,  durchsichtigen 
Firnis  überzogen  .  .  .  Jetzt  (Mitte 
1888)  malt  er  mit  Kirschharz  und 
Wasser  ....  Mitte  1889  hat  er 
wieder  nach  einem  Rezept  des 
Theophilus  nichts  weiter  als  Was- 
ser, Terpentin  und  Kopaivabalsam 


;86 


als  Malmittel  auf  dickem,  schluk- 
kendem  Grund. . .  Nach  Tempera, 
Petroleum,  reinem  Leim,  Fres- 
ko und  Gott  weiß  was,  braucht 
er  nun  einen  Firnis,  der  wie  rei- 
ner Leim  aus  dem  Pinsel  fließt. 
Selbstverständlich  ist  es  nicht 
einmal  dem  Künstler,  j^eschweige 
dem  Laien  möi^lich,  aus  dem  fer- 
tigen Werk  die  Technik  der  Her- 
stelluni»  zu  erkennen;  aber  eine 
ungefähre  Vorstellung  von  dem 
Material  und  dessen  Bearbeitung 
muß,  wer  die  Wirkung  eines  Wer- 
kes verstehen  will,  zu  erlangen 
vermögen.  — 

HI-KLIN-WILMERMIORK.    ROH.  BREUER. 


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DEUTSCH-BÖHMISCHER  KUNST-FRÜHLING. 


C"*  anz  seltsamen  Bedingungen  entwächst  das 
J  deutsche  Kunstleben  Böhmens.  Seinen 
natürlichen  Brennpunkt  bildet  die  Landes- 
hauptstadt Prag.  Aber  diese  Stadt  ist  über- 
wiegend tschechisch,  und  ihre  offiziellen  Ver- 
treter fördern  lediglich  tschechische  Kunst. 
Daß  sie  jedoch  auch  darin  keineswegs  richtig 
vorgehen ,  zeigt  klar  der  Bau  des  slavischen 
Kepräsentationshauses,  das  Millionen  bereits 
verschlungen  hat  und  von  Tag  zu  Tag  —  je 
mehr  es  seiner  Vollendung  entgegenschreitet 
—  fürchterlicher  wird.  Derzeit  sieht  es  halb 
einer  Fabrik,  halb  einer  Bahnhofshalle  ähn- 
lich; an  seiner  Stirnseile  prangt  ein  Riesen- 
gemälde, das  nicht  einmal  die  Qualitäten  eines 
mittelmäßigen  Plakats  besitzt.  Während  ein 
solches  Ungeheuer  zu  repräsentativen  Zwecken 
errichtet  wird,  fallen  in  den  Seitenstraßen 
teuere  Schätze  Alt-Prags  —  steinerne  Zeugen 


^S8 


seiner  früheren  vornehmen  Baukultur  —  mo- 
dernem Großstadtgrößenwahn  zum  Opfer; 
alte  herrliche  Platzanlagen  werden  brutal  zer- 
stört. . . .  Doch  liegt  es  mir  fern,  diese  offizielle 
Kunstbarbarei  mit  der  ganzen  tschechischen 
Kunstpflege  gleichzusetzen.  Die  Tschechen 
haben  einen  ganzvortrefflichenKünstlerverein, 
den  „Manes";  man  könnte  seine  Tendenzen 
wohl  am  besten  mit  denen  der  deutschen 
Sezessionen  vergleichen.  In  seinem  schmucken 
Ausstellungsgebäude,  einem  Werke  Koteras 
—  des  begabtesten,  tschechischen  Architekten, 
führte  uns  dieser  Verein  bereits  glänzende 
Ausstellungen  vor:  in  erster  Linie  pflegt  er 
moderne  französische  Kunst ,  aber  auch 
Deutsche  kamen  zur  Sprache,  so  z.  B.  in  einer 
sehr  gut  gewählten  Ausstellung  der  Worps- 
wederMaler,  einerumfassendenKollektion  der 
Arbeiten  L.  v.  Hofmanns  etc.     In  seinem  Ver- 


läge  erscheinen  auch  die  beiden  besten  tschechi- 
schen Kunstzeitschriften.  Aber  dieser  Verein 
stellt  die  edelste  Frucht  eines  nach  Millionen 
zählenden  Volkes  dar,  für  das  Prag,  sein  „gol- 
denesMütterchen",  die  Zentrale  bedeutet.  Für 
die  Deutschen  stellt  sich  die  Sache  natürlich 
wesentlich  anders.  Prag  ist  —  und  dies  zu 
leugnen  wäre  kindisch  —  in  Angelegenheiten 
der  bildenden  Künste  bis  heute  Provinz;  und 
die  großen  deutschen  Kunstschlachten  werden 
in  Berlin,  München,  Wien,  Darmstadt  usw. 
geschlagen,  aber  jedenfalls  nicht  in  Prag.  Und 
viele  der  besten  unserer  Künstler  .suchten  da- 
iier  den  Weg  in  die  Fremde,  die  sie  gastlich 
aufnahm.  Noch  zwei  weitere,  bedeutende 
Übelstände  wirken  störend  und  hemmend.  An 
der  Kunstakademie  zu  Prag  lehrt  nur  ein  ein- 
ziger deutscher  Professor,  der  als  Lehrer  und 
Künstler  gleich  vortreffliche  Franz  Thiele.  F.s 
ist  daher  unseren  deutschen  Kunststudierenden 
der  Weg  zu  ihrem  Beruf  recht  erschwert,  und 
wer  kann,  flieht  in  die  Fremde.  Und  dadurch, 
daß  Stellen  für  reife  Künstler  fehlen,  gelingt 
es  nur  selten,  sie  in  Prag  zu  halten.    Eine  der 


dringendsten  Forderungen  zielt  demnach  auf 
Gründung  einer  deutschen  Kunstschule.  Sie 
ist  eine  unerläßliche  Notwendigkeit  zur  Heran- 
bildung unserer  jungen  Künstler  und  zur  Ver- 
hütung, daß  wir  der  besten  Kräfte  verlustig 
gehen.  Der  zweite  Übelstand  liegt  in  dem 
Publikum ,  das  zwar  sehr  musikliebend  und 
recht  theaterfreudig  ist,  aber  gerade  der  bil- 
denden Kunst  wenig  Aufmerksamkeit  schenkt. 
Allerdings  trägt  es  nicht  die  Schuld,  denn  es 
wurde  noch  fast  kein  Versuch  unternommen, 
das  Publikum  ästhetisch  und  künstlerisch  in 
dieser  Richtung  zu  erziehen.  Und  da  selbst 
die  Mehrzahl  unserer  Zeitungskritiker  der  bil- 
denden Kunst  völlig  verständnislos  und  dilet- 
tantisch gegenübersteht,  darf  es  nicht  wunder- 
nehmen, daß  die  breiten  Schichten  ohne  Füh- 
rung planlos  irren. 

Glücklicherweise  können  wir  jedoch  unsere 
Blicke  lichteren  Bildern  zuwenden  und  der 
wahrhaft  kunstfördernden  Finrichtungen  ge- 
denken. Größte  Verdienste  hat  sich  da  die 
„  Gesellschaft  zur  Förderung  deutscherWissen- 
schaft,   Kunst   und  Literatur  in  Böhmen"   er- 


;,S., 


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worbcii.  Sie  ist  die  Zen- 
trale, die  sorgsam  dar- 
über wacht,  daß  kein 
Talent  zuj^rundc  s^ehl; 
sie  ist  stets  bereit,  mit 
Rat  und  Tat  z.u  helfen. 
Große  Summen  Geldes 
verwendet  sie  auf  Sti- 
pendien, Unterstützun- 
gen usw.  Sie  fSibt  auch 
die  jslänzend  jjeleitcte 
Monatsschrift  „Deut- 
sche Arbeit"  heraus, 
in  der  fortlaufend  Wer- 
ke deutsch-böhmischer 
Künstler  reproduziert 
werden.  LJnd  dafür,  daß 
wenigstens  eine  gewisse 
Anzahl  bedeutender 
heimischer  Arbeiten  an- 
gekauft wird,  sorgt  die 
„Moderne  Galerie  des 
Königreiches  Böhmen  in 
Prag",  die  durch  den 
Allerhöchsten  Stiftsbrief 
Seiner  Majestät  des  Kai- 
sers  Franz  Josef   I.   im 


Jahre  1902  begründet 
wurde  „als  eine  Stif- 
tung, welche  für  immer- 
währende Zeiten  und 
unveränderlich  im  Be- 
sitze des  Königreiches 
Böhmen  zu  verbleiben 
hat".'  Ihre  Mission  ist 
dahin  gekennzeichnet, 
„daß  sie  den  bildenden 
Künstlern  beider  Volks- 
stämme  des  Königrei- 
ches Böhmen  Gelegen- 
heit geben  solle,  ihr 
reiches  Können  für  das 
Gedeihen  und  die  Blüte 
der  heimischen  Kunst  in 
friedlichem  Wettstreit 
einzusetzen".  Ältere 
und  fremdländische 

Kunst  ist  daher  pro- 
grammgemäß aus  der 
Modernen  Galerie  aus- 
geschlossen. Die  Zinsen 
des  zwei  Millionen  Kro- 
nen betragenden  Stif- 
tungs -Vermögens     und 


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Stoffmuster 
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Wien. 
Muster  sei 
geschützt. 


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iiumclierlei  Sclienkuiij^en  sorgen  für  unab- 
lässige Vermehrung  der  Kunstsammlung,  die 
1905  in  drei  Sälen  eröffnet  wurde  und  heute 
bereits  sechs  Räume  füllt. 
.  Was  nun  die  deutsch-böhmische  Künstler- 
schaft anbelangt,  so  ist  sie  in  zwei  Gruppen 
geteilt;  die  eine  —  der  „Verein  Deutscher 
bildender  Künstler  in  Böhmen"  —  schart  um 
sich  die  Jiuigen  und  Werdenden;  die  andere, 
weit  bedeutendere  Gruppe  —  der  neu  gegrün- 
dete „Deutsch-böhmische  Künstlerbund"  — 
umfaßt  fast  alles,  was  wir  an  ernsten  und 
reifen  Künstlern  besitzen;  und  auch  von  den 
Jungen  haben  sich  einige  Begabte  den  berufe- 
nen Kührcrn  angeschlossen.  Der  eben  genannte 


39-1 


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Künstlerbund  hat  nun  im  Künstlerhaus  Rudol- 
finum  eine  Ausstellung  veranstaltet,  die  in  ihrer 
erlesenen  Güte  ein  Bild  mächtiger,  strotzend- 
reicher  heimischer  Kunstfülle  bietet. 

Außerhalb  Österreichs  bringt  man  leider 
den  deutschen  kulturellen  Verhältnissen  in 
Böhmen  recht  wenig  Interesse  entgegen;  man 
denkt  dabei  meist  nur  an  nationale  Wirren, 
gestörten  Studentenbumniel  und  ähnliche  un- 
erfreuliche Dinge,  weit  weniger  aber  an  die 
ungeheuere  positive  Arbeit,  die  dieser  Zweig 
des  großen  deutschen  Stammes  leistet.  Und 
gerade  in  seinem  Schaffen  liegt  der  glänzende 
Beweis  für  reine  Stärke  und  Gesundheit.  Und 
daß  er  auch   auf  dem  Gebiete  der  bildenden 


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Künste   eine   höchst   ehrenvolle   Stellung   ein- 
nimmt, mag  diese  knappe  Skizze  zeigen. 

Am  meisten  bekannt  von  den  deutsch- 
böhmischen Künstlern  dürften  wohl  Gustav 
Klimt,  Franz  Metzner  und  Emil  Orlik 
sein.  Und  es  sollte  vi^ohl  niclit  geschehen,  daß 
heute  noch  eine  so  berühmte  Kunstgeschichte, 
wie  die  Springers,  Orlik  zu  den  slavischen 
Künstlern  rechnet.  Um  Metzner  und  Orlik 
hat  sich  die  Heimat  sehr  verdient  gemacht. 
Metzner  kamen  verhältnismäßig  viele  Aufträge 
von  Prag  zu;  so  das  Nibelungendenkmal  für 
den  Hof  der  Modernen  Galerie,  das  Mozart- 
denkmal für  das  Landestheater  usw.  Auf  Or- 
lik's  Leben   hat   wohl   seine  Japanreise    ent- 


scheidend eingewirkt,  und  diese  wurde  ihm 
durch  ein  hohes  heimisches  Stipendium  er- 
möglicht. Und  wie  sehr  die  Heimat  seine 
Werke  schätzt,  beweist  die  Tatsache,  daß  die 
Moderne  Galerie  heute  bereits  über  sechzig 
seiner  Arbeiten  besitzt,  darunter  die  bekann- 
tenÖlgemälde:  „DasModell"  und  „Alt -Wien". 
Leider  leben  alle  drei  Künstler  fern  von  ihrer 
Heimat;  doch  können  wir  uns  wenigstens 
damit  trösten,  daß  viele  Fäden  von  ihnen 
zu  uns  herüberführen,  und  sie  gern  und  fleißig 
unsere  Ausstellungen  beschicken. 

Von  bekannten  deutsch-böhmischen  Künst- 
lern wirken  ferner  im  Ausland  E.  Hegen- 
barth    als  Akademie -Professor  in  Dresden, 


393 


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1' r  i  t  z  II  c  j^c  ti  b  a  r  t  h  in  München,  C.  0, 
Czeschka  in  I  laniburji  und  der  junf^c  Huj^o 
Steiner  in  Leipzig.  Und  in  jüngster  Zeit 
wanderten  unsere  vortrefflichen  Holzschnitt- 
künstler Walter  Klemm  und  Karl  Thic- 
mann  nach  Dachau  aus;  wieder  ein  schwer 
zu  ersetzender  Verlust!  In  Wien  leben 
Michael  Powolny,  dessen  Majoliken  wohl 
'   •  meiner    Beliebtheit    sich    erfreuen,     fer- 


ner die  beiden  Plakettcnkünstler  Arnold 
Hart  ig  und  Ludwig  Hujer.  Lind  diese' Liste 
könnte  leider  noch  verlängert  werden!  Aber 
klar  zeigt  sie  doch ,  welcher  Reichtum  von 
Begabungen  unserem  Volkstum  entwächst. 
Und  wenn  wir  auch  wehmütig  sagen  „sie 
kommen  von  uns",  so  können  wir  doch  auch 
freudig  ausrufen  „sie  gehören  zu  uns",  wenn 
wir  in  der  —  eben  erwähnten  —  Ausstellung 


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\  or  ihren  Werken  stehen ,  und  aus  ihnen  der 
Atem  ihrer  Eigenart  verwandt  uns  entgegen- 
weht. Und  gerade  durch  die  jetzt  vollzogene 
ZentraHsation,  durch  größere  Ankäufe,  Unter- 
stützungen usw.  schaffen  wir  in  der  Heimat 
den  Ausgewanderten  festen  Rückhalt  und 
ketten  sie  enger  an  uns. 

Sprachen  wir  bisher  von  Deutschböhnien 
außerhalb  Böhmens,  wollen  wir  nun  freudig 
derer  gedenken,  die  schaffend  unter  uns  wei- 
len. Und  da  müssen  wir  vor  allem  einen 
Namen  nennen,  der  uns  besonders  ans  Herz 
gewachsen  ist:  Karl  Krattner.  Keiner  hat 
sich  so  wie  er  um  das  Erstarken  und  Erblühen 
deutsch -böhmischer  Kunstgemeinschaft  be- 
müht;   der     neue     Künstlerbund     ist    eigent- 


lich sein  Werk.  Gilt  so  unsere  Liebe  dem 
tüchtigen  Organisator,  schlägt  unsere  Bewun- 
derung dem  großen  Künstler  entgegen.  Ich 
wage  es  zu  sagen,  daß  er  weitaus  der  bedeu- 
tendste unserer  religiösen  Maler  ist.  Hoheits- 
volle Feste  der  Farbe  sind  seine  Werke,  ein 
Hauch  festlicher  Größe  umspinnt  sie.  Fern 
scheinen  sie  uns  in  ihrem  hehren  Lichte,  und 
nah  stehen  sie  unseren  fühlenden  Sinnen.  Ihr 
mächtiger  Rhythmus  erfaßt  uns  und  schlägt  uns 
gleich  stürmischem  Wogenbrausen  entgegen; 
zu  ruhiger  Harmonie  schließt  sich  das  Ganze, 
und  alles  Brausen  verstummt  und  macht 
Platz  dem  stillen  Glücksgefühl,  das  uns  vor 
den  großen  Offenbarungen  der  Kunst  ergreift. 
Wer    seine    große    „Kreuzigung"    oder    seine 


3^9 


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Entwürfe  zur  Apokalypse  sah ,  wird  meine 
Worte  nicht  für  leere  Schwärmerei  halten  und 
mit  mir  auf  die  Zukunft  dieses  Künstlers 
(irößtes  Hoffen  setzen.  Langsam  reift  er,  sein 
Reifen  gleicht  dem  Wachsen  starker  Eichen. 
Und  so  etwas  Starkes,  Kraft -strotzendes, 
Zeiten-überdauerndes  erwarten  wir  nach  den 
köstlichen  Proben,  die  er  bot. 

Franz  Thiele  erwähnte  ich  bereits  als 
vortrefflichen  Akademieprofessor;  dazu  be- 
fähigt ihn  besonders  seine  Vielseitigkeit.  Mag 
er  nackte  badende  Jungen  malen  oder  das 
Porträt  einer  eleganten  Dame,  oder  mag  er 
gar  in  großzügigen,  plastischen  Versuchen  sich 
ergehen,  stets  fesselt  er  uns  durch  die  Tüch- 
tigkeil seiner  Arbeit  und  die  Vornehmheit 
seiner  künstlerischen  Auffassung.  Weit  ein- 
seitiger, aber  in  seiner  Einseitigkeit  bewun- 
dernswert ist  W.  F.Jäger,  unser  bester  Land- 
schafter. In  seinen  Bildern,  da  lebt  die  Eigen- 
art  unseres  Landes:   der  breite,   sanfte,   fast 


melancholische  Rhythmus  seiner  Höhenzüge, 
seine  sonderbare  Anmut ,  sein  fruchtbarer 
Reichtum.  Durch  ein  kleines  Gedicht  R.  M. 
Rilkes  läßt  sich  wohl  diese  Stimmung  am 
besten  kennzeichnen: 

Mich  rührt  so  sehr 
böhmischen   Volkes   Weise, 
schleicht  sie   ins  Herz   sich   leise, 
nirtdit  sie  es  sctivver. 
Wenn  ein  Kind  Siidit 
singt  beim   Kditoffeljiiten, 
klingt  Dir  sein  Lied   im  spulen 
Tranni   nodi  der  Nadit. 
Magst  Du  anch  sein 
weit  über  Land  gefahren, 
fällt  es  Dir  dodi  nach  lahren 
stets  wieder  ein. 

Weiter  wären  hier  zu  nennen  der  phan- 
tasievolle Radierer  August  Brömse,  dann 
Rudolf  Jettmar,  aus  dessen  Aquarellen 
eine  ganz  eigenartige  Schwermut  uns  entgegen- 


schaut,  der  elegante  Ferdinand  Michl, 
den  sein  Pariser  Aufenthalt  fast  in  einen  Fran- 
zosen umgewandelt  hat,  der  feinfühlige  Land- 
schafter Eduard  Ameseder  und  der  junge 
Alfred  Justitz,  dessen  Talent  durch  alle 
Anfängerschaft  und  Schülerhaftigkeit  hindurch 
sich  bemerkbar  macht. 

Doch  sei  hier  auch  der  Führer  der  anderen 
Künstlergruppe  —  des  „Vereins  Deutscher 
bildender  Künstler  in  Böhmen"  —  gedacht. 
Vielseitigste  Begabung  zeigt  der  junge  Rieh. 
Teschner.  Ob  er  sich  nun  in  seltsam  phan- 
tastischen Bildern  und  Radierungen  versucht 
oder  große  Mosaiken  entwirft  oder  auch 
Marionetten  verfertigt,  stets  fesselt  er  durch 
sicheren  Geschmack.  Leider  zersplittert  sich 
nur  sein  starkes  Talent,  und  statt  großer  Lei- 
stungen entstehen  niedliche  Kleinigkeiten.  In 
ihrer  entzückenden  Eigenart  bilden  aber  auch 
sie    willkommene    Gaben.     Die    Höhe    seines 


bisherigen  Schaffens  bedeuten  wohl  die  De- 
korationen zu  der  Erstaufführung  von  „Pelleas 
und  Melisande"  im  Neuen  Deutschen  Theater 
zu  Prag.  Sie  waren  ganz  der  schwermütigen 
Romantik  des  Stückes  angepaßt  und  glühten 
in  vornehmer  Farbenpracht.  Vielleicht  ist  dies 
der  hoffnungsvolle  Weg  für  seine  Zukunft. 
Dann  erwähne  ich  noch  zwei  Plastiker;  Wil- 
fert  und  Rieber.  Beide  sind  noch  jung  und 
im  Werden  begriffen,  doch  legten  auch  beide 
bereits  bedeutende  Proben  ihres  Könnens 
ab.  Von  der  weiblichen  Künstlerschaft  seien 
nur  die  geschmackvolle  Porträtmalerin  Otty 
Schneider  und  die  von  Kaiser  mannigfach 
beeinflußte  Landschafterin  Lili  Goedl- 
Brandhuber  erwähnt. 

Von  deutsch-böhmischen  Architekten  dürfte 
wohl  0  h  m  a  n  n  ,  der  h.rbauer  des  Magdeburger 
Kaiser  Friedrich- Museums,  der  bekannteste 
sein.     Doch   kommt   er  über   einen   —   aller- 


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dinj«s  (SeschmackvoUen  —  Eklektizismus  nicht 
hinaus.  Weitaus  bedeutender  und  origineller 
scheint  mir  Baurat  Zasche.  Seine  bisherigen 
Hauptleistungen  sind  die  neue  Kirche  zu 
Gablonz,  die  Tonhalle  auf  der  vorjährigen 
Jubiläumsausstellung  zu  Prag,  ferner  in  Prag 
die  „blaue  Villa",  das  „Drei-Keiterhaus"  und 
die  Paläste  der  Kisen-lndustriegesellschaft  und 
des  Wiener  Bankvereins.  An  zwei  grofien  Auf- 
trägen arbeitet  er  derzeit:  an  dem  Neubau  des 
deutschen  Kasinos  und  an  der  neuen  deutschen 
Universität.  Wie  erquickende  Oasen  ragen 
seine  Bauten  aus  dem  modernen  Prager  Bau- 
elend heraus.    Alles,  was  wir  von  guter  Archi- 


V- 


tektur  verlangen  können,  besitzen  sie :  Zweck- 
mäßigkeit der  Anlage  und  glänzende  Harmonie 
der  Verhältnisse.  Monumental  einfach  wirken 
sie  und  doch  nicht  kahl  oder  armselig. 

Dies  wäre  nur  eine  knappe  Übersicht,  gleich- 
sam ein  flüchtiges  Bild,  dem  gar  manche  Ein- 
zelheiten fehlen.  Auf  das  einzelne  kam 
es  mir  auch  nicht  an,  aber  das  eine  ist  mir 
vielleicht  geglückt:  zu  zeigen,  daß  wir  in 
Deutschböhmen  eine  zahlreiche  junge  Künst- 
lerschaft besitzen  mit  bedeutenden  Meistern 
als  Führern  und  einem  lebenskräftigen  Nach- 
wuchs! Trotz  aller  Hindernisse  keimt  und 
sproßt  hier  ein  üppiger  Kunstfrühling  auf!  — 


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Die  wdlireii  Erobeiimgen,  die  einzigen,  die  keiner-  wonach  es  gesdielien  kdnn,  werden  nicht  mit  uns 
lei  Reue  nach  sich  ziehen,  sind  diejenigen,  die  man  geboren,  der  Zufall  überliefert  sie  nidit :  dnrdi 
liber  die  Unwissenheit  gewinnt.  Die  ehrenwerteste 
Besdiattignng  und  zugleich  die  nii^lichste  für  die 
Nationen  ist  diejenige,  die  auf  Erweiterung  des 
menscJilichen   Ideenkreises  ausgeht.  N.ipolodii. 

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Das  Publikum  ist  im   ganzen  nidit  fähig,  irgend- 
ein    Talent    :u    beurteilen;    denn    die    Orundsä^e, 


Clbung    und    Studium    allein    können  wir   dazu  ge- 
langen. Ooollic-. 

Immer  ist  es  ein  Zeichen  der  eigenen  Vortrefflicfi- 
keit,  wenn  die  Seele  audi  aus  den  unsdieinbarsten 
Zügen    anderer    das    Sdiöne    herauszufinden    weili. 

KlelU. 


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KARIKATUR  UND  KUNST. 


Das  Witzblatt  hat  den  Karikaturisten  um 
seinen  Nimbus  gebracht.  Wie  der  Tor- 
rero  soll  er  allwöchentlich  in  die  Arena  steigen 
und  echtes  Herzblut  verspritzen.  Schließlich 
hat  er  sich  daran  gewöhnt,  den  gierigen  Rachen 
der  Schnellpresse  mit  lustigen  Bosheiten  und 
ironischen  Scherzen  zu  stopfen.  Da  er  sich 
nicht  enthalten  darf,  bis  ihn  der  große  Zorn 
überkommt,  mußte  er  zum  gewerbsmäßigen 
Witzbold  werden. 

Der  Satiriker  ist  Agitator,  Kämpfer,  Ver- 
nichter der  bestehenden  Mächte,  Zerstörer  von 
Vorurteilen,  der  Schicklichkeiten  und  Autori- 
täten, Aufrührer   und  Aufwiegler.     Ein  cthi- 


40^ 


scher  Wille  bestimmt  sein  Gestalten.  Jen- 
seits von  Gut  und  Böse  wird  er  zum  aniüsier- 
lichen  Popanz,  der  keinen  Spatzen  schrecket .  .  . 

Ist  auch  seine  Geste  rhetorisch,  so  bedarf 
sie  doch  der  kristallklaren  Form.  Der  Aus- 
druck muß  überzeugend  stark,  mitreißend  wahr 
sein,  denn  auf  ihm  balanciert  die  Wirkung. 
Und  was  wäre  der  trefflichste  Hieb,  dem  die 
Wirkung  versagt  ist! 

So  marschiert  er  ständig  auf  der 
Grenze  zur  Kunst.  Das  Künstlerische  stets 
getrübt  durch  die  Tendenz,  und  die  Tendenz 
wiederum  abgeklärt  durch  die  Macht  des 
künstlerischen  Ausdrucksvermögens.    Nur  die 


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niedere  Komik  findet  ilir  Gen{i)>cn  an  der  llhi- 
strierung  einer  Pointe.  Die  Heilenianns,  Recni- 
zeks  mit  ihrer  Kaffeehauserotik,  die  Jüttner, 
Gestwicki,  Schmidlhamnier  mit  ihren  persi- 
flierenden Froz7,eleien  oder  der  gute  Zille 
mit  der  Treffsicherheit  des  sentinientalischen 
Spießerblicks    sind    gewiß    für   manchen    und 


nianclie  amüsicrliche  Leute.  Wo  der  Spaß- 
macher aufhört,  beginnt  der  große  Satiriker 
erst  seine  Geißel  zu  schwingen.  Er  greift  über 
sich  und  über  die  Sphäre  des  vergnüglichen 
Schmunzeins  hinaus.  Weil  er  innerlich  Künst- 
ler ist,  will  er  Wahrheit  künden.  —  Wahr- 
heit nach  seiner  Art,  Wahrheit,  wie  sie  das 


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Irübc  Mäniniclien  des 
Nachtlichts  ahnen  läßt, 
l'iir  den  Zorn,  den  Haß 
und  die  Verachtung 
die  fSroße,  die  über- 
zcujiendeForm  zu  su- 
chen, ist  sein  Bef^eh- 
ren.  Diese  Satire  duldet 
daher  die  ästhetische  Be- 
trachtungsweise. Soll  doch 
hier  ein  menschliches  Rin- 
gen um  Menschheitswerte 
auf  eine  knappe  Formel 
gebracht  werden.  Mag  ihr 
Vorzeichen  auch  negativ 
sein,  mag  sie  statt  der 
weihevollen  Ruhe  den  lei- 
denschaftlichsten Ingrimm 
entfachen,  erkennbar  bleibt 
immer  die  Schöpferwucht, 
die  den  ernsten  Künstler 
zu  seiner  Tal  antreibt.  — 
Dadurch  allein  vermag  die 
Karikatur  auch  fortzuwir- 
ken über  ihre  Stunde  und 
ihr  Zeitalter  hinaus.  Der 
äußerliche  Anlaß  kann  ent- 
fallen, die  Aktualität  eines 
Goya,  llogdrth,  Daumier, 
Toulouse-Lautrec  und  — 
um    die    Verzweigung    der 


Linie  anzudeuten  Heine, 
Rud.  Wilke,  Gulbransson, 
Ernst  Stern,  entschwindet, 
unvergänglich  ist  die 
Art  der  Auseinander- 
setzung mitdem  Pöbel- 
instinkt. War  dieser  mit 
dem  Röntgenstrahlenblick 
seiner  Zufälligkeit  entklei- 
det, war  die  Gesetzlichkeit 
der  jammerbaren  Triebe 
aufgezeigt,  dann  behält  das 
Blatt  für  alle  Zeiten  Wert 
und  Wucht.  Denn  nicht 
nur  das  Edle  erhält  sich 
immerdar  unter  der  ständig 
zerfallenden ,  ständig  er- 
neuernden Oberfläche. 
Der  Witzbold  erregt  die 
Lachmuskeln.  Eulenspie- 
geleien sind  unterhaltsam 
und  beliebt.  Die  wirkliche 
Satire  aber  ist  Herois- 
mus und  fordert  Hero- 
ismus. —  Somit  wäre  die 
Karikatur  wohl  ethisch 
zu  betrachten,  doch 
ästhetisch  zu  bewer- 
ten.               F'AUl.  WEsTHr.IM. 


höher  die  Kultur,    desto 
ivollcr  wird  die  Arbeit.  R. 


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412 


F.  DIVRKV.    DOMINO  -  ENTWURF. 


"Deul^chc  KiinU  und  Dckor.illon.. 


KDIVHKV.    noMIHO-  I'NTWLIRF. 


I .  D1VI:KV.    DOMINO-  [(nWLlRl-. 


F  DIVEKV.    nOMIIlO-FLilTWURF. 


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VON 
DER  MODE. 

An  der  duidi  Über- 
L  lieferung  und 
Übereinkommen  ge- 
heiligten Ordnung  un- 
serer Kleiderkultur,  lUi 
der  allgemeinen  Mei- 
nung über  das,  was  zu 
tragen  schicklich  und 
zwecklich  ist,  hat  kein 
Andrer  ein  Recht,  zu 
rütteln  und  zu  rühren, 
nicht  der  nüchterne 
Verstand,  der  mit  dem 
Plastron  der  Logik 
um  Hygiene  oder  so- 
ziale Einfachheit  ra- 
piert,  nicht  die  über- 
sctiwellende  Phanta- 
sie, die  sich  Farben  und 
Formen  gebauschter, 
gestickter,  gepuffter,  in 
Purpur  getauchterCe- 
wander  ihrer  Augen- 
trunksucht erwünscht 
—  denn  allein  die  ge- 
heimnisvolle   Königin 

Mode.  Nur  sie  allein  kann  das  Zauberwort  spredien: 
Mutabor!  —  Die  Mode  macht  sich  alle  Äuüerungen 
unseres  Lebens  tributpflictitig,  was  da  geboren  wird. 


was  immer  erwächst, 
null!  ihr  zahlen,  wenn 
es  ihr  beliebt.  Was 
einkommt,  verwendet 
sie  dazu,  die  Dinge 
und  die  Gedanken  zu 
kleiden.  Sie  ist  lau- 
nisdi  wie  ein  Weib, 
bald  beeinflußt  sie  die 
Produktion,  bald  läßt 
sie  sidi  von  der  Pro- 
duktion beeinflussen. 
--  Die  jungen  sind  der 
Mode  treustes  und 
begeistertstesGefolge, 
mittleres  Alter  schließt 
sich  ihr  vorsichtig  ge- 
messen an,  drohend 
und  mit  dem  Krück- 
stock fuchtelnd,  hum- 
peln die  Alten  hinter- 
drein, woferne   sie  es 

nidit  vorziehen, 
sdunähend  am  Wege- 
rain si^en   zu  bleiben, 
ohnmäditigVersdiwö- 
rungen  anzettelnd,  an 
deren  Ausführung  sie 
Freund     Heins    Sense 
grausam    hindert.      Der    Mode    voran    ziehen    die 
Kinder  der  ewigen  Jugend  und  streuen  ihr  Blumen. 
Der    Weise    sieht    ihr    liebevoll    zu,    wenn    sie    das 


417 


kaleidcnkopisclie  Lehfiist-i  diolit  und  die  bimten 
GIcissplitteidien  sidi  zu  nciioii  lustigen  Mustern 
ordnen. 

Wie  die  Kleiderinode  dussielit,  diiriiber  sind  sidi 
die  Geister  nie  einiy  geworden.  Einige  beluinpten, 
sie  triige  die  Züge  des  Königs  von  England,  andere 
vermuten  in  ihr  eine  griilüiclie  Hydra  von  Schneider- 
meister- und  Stofffabriiidnteniiöpfen,  die  bald  zu 
London,  bald  zu  Paris  ein  sagenhaftes  Dasein  führte, 
wieder  andere  madien  aus  ihr  eine  noch  unbe- 
l;aiMite  Natnrkraft,  die  unter  Mitwirkung  meteoro- 
logisdier  Einflüsse  und  unter  Mitarbeit  von  geo- 
grapllis^^len  und  ethnologisc-lien  Faktoren  den  Wedi- 
sel      unserer     kütisllidien      Llbere|)iderTnis     bewirkt. 


Sei  dem  wie  es  will  —  jedenfalls  ist  sie  da,  dort 
wo  man  sich  Elfenbeinklö^e  in  Nase  und  Ohren 
zwängt,  dort  wo  man  an  Pool  und  Worth  glaubt  — 
und  sie  wird  bleiben,  so  lange  lehova  nidit  der 
Evolution  seines  paradiesisdien  pell-  und  Blatter- 
kostiüus  Einhalt  gebietet,  hoffentlich  ewig  zum  Segen 
der  Mensdiheit. 

Wenn  die  Mode  uns  unsere  Mitmenschen  nicht 
immer  neu  »aufmadite«  —  wir  würden  vor  Lange- 
weile aussterben. 

Et^lte  Lebenskunst  wird  iuuner  gerne  bei  der 
Mode  um  Audienzen  bitten.  Wer  sich  nidit  mit 
der  Mode  auseinanderse^t,  ist  schon  halb  gestorben. 
KUN'>  4;ka1'  h  \kiif.\i;i.k<.. 


nri'K-i   F.  j.  wiMMia;.      riii:.\  ier-haiiU'. 


KLEINE  KUNST-NACHRICHTEN. 


l'EBKUAR   1910. 


BERLIN.  Nicht  gerade  viel  von  nationaler 
Eigenart  lägt  die  ungarische  Aus- 
stellung im  Hause  der  Sezession  erkennen, 
und  das  künstlerisch  Beste  ist  dem  französischen 
Einflufi  von  Corot  und  Courbet  bis  zu  Manet  zu 
verdanken,  ja  bis  zu  einer  nicht  sehr  geschickten 
Nachahmung  Qauguins  und  Cezannes  hat  man 
es  dort  zu  Lande  gebracht.  Als  einer  der  besten 
älteren  Maler  erweist  sich  Munkascy,  und 
jenes  Waldinnere,  in  das  helles  Sonnenlicht  fällt, 
ist  vielleicht  das  schönste  Bild,  das  ich  je  von 
ihm  sah.  Er  ist  der  einzige,  der  nicht  nur  von 
den  Franzosen  genommen  hat,  sondern  der  selbst 
Schule  machte.  Am  bekanntesten  ist  sein  Ein- 
flufi auf  den  jungen  Liebermann.  Paal,  auch 
einer  der  Älteren,  verlor  seine  heimische  Eigen- 
art in  Barbizon,  während  Paul  von  Szinyei  in 
München  mit  Leibl  und  Böcklin  gemeinsame 
Sache  machte  und  besonders  den  letzteren  schlimm 
genug  imitierte.  Erst  später  fand  er  sich  selbst 
und  lenkte  in  den  Impressionismus  ein.  Ein  sehr 
hübsches  Bild,  die  „Landpartie",  hat  auch  in 
der  Farbengebung  Eigentümlichkeiten,  die  man 
beinahe  national  nennen  könnte.  Und  kaum 
anders  als  in  der  Wahl  der  Harmonie  der  Farben 
zeigt  sich  überhaupt  das  Ungarische  bei  diesen 
Malern.  Unter  den  Jüngeren  fiel  mir  das  be- 
sonders bei  Rippl-Ronai  und  Stefan  Csok 
auf.  Weitaus  der  geschid<teste  Maler  unter 
ihnen  ist  aber  Adolf  Fenyes,  freilich  auch  der- 
jenige, der  am  meisten  französische  Art  ange- 
nommen hat.  Seine  hellen,  sonnigen,  lufter- 
füllten Bilder  fallen  auf  und  bleiben  in  angenehmer 
Erinnerung.  Karl  von  Ferenczy  ist  weniger 
gleichmäJ5ig  gut,  hat  aber  einige  starke  Land- 
schaften in  der  Ausstellung.  Auch  ein  gewisses 
slavisches  Element  macht  sich  bemerklich,  dem 
deutschen  Empfinden  am  fernsten  stehend  und 
allgemein  von  einem  dekadenten  Mystizismus. 
Es  ist  bezeichnend,  daf;  in  diesen  Bildern,  auch 
Entwürfen,  Tapisserien,  die  Linie  vorherrscht. 
Das  Berliner  Publikum  scheint  sich  für  die 
Ungarn  nicht  sonderlich  zu  interessieren.  Der 
Besuch  der  Ausstellung  ist  schwach,  und  das 
haben  die  opferwilligen  Veranstalter  nicht  ver- 
dient. -  Von  der  Spaltung  in  der  Sezession 
hat  die  Tagespresse  genügend  berichtet  und 
auch  davon,  dag  man  den  Rij^  notdürftig  wieder 
geleimt  hat.  Die  Alten  und  die  Jungen  haben 
sich  zu  einem  glatten  Kompromiß  verstanden, 
zurzeit   vielleicht    das  Beste,    was  sie  überhaupt 


tun  konnten.  Lange  wird  es  nicht  dauern,  denn 
die  jungen  Künstler,  unter  denen  sich  starke  Be- 
gabungen mit  Zielen  befinden,  die  dem  Wesen 
des  von  der  Sezession  bisher  gehüteten  Im- 
pressionismus zuwiderlaufen,  werden  die  Rechte 
der  Jugend  und  der  Zukunft  geltend  machen. 
Vorläufig  aber  ist  wenig  zu  sagen,  und  was  ge- 
schehen mug,  wird  kommen,  sobald  die  Zeit 
reif  dazu  geworden  ist.  f.wai  u  i:i  ni.kk. 

* 

CADINEN.  Bei  A.  Werlheim  in  Berlin  gibt 
es  jetjt  eine  große  Kollektion  neuer  Kera- 
mik aus  Cadinen  zu  sehen.  Blumentöpfe,  Pllan- 
zenkübel,  Pflanzenkästen,  Vasen,  mancherlei  Klein- 
gerät, Plastiken.  Am  trefflichsten  sind  die  Terra- 
kotten; doch  auch  die  mit  ein-  oder  mehrfarbiger 
Glasur  überzogenen  Gefäße  haben  gute  Quali- 
täten. Jedenfalls  darf  festgestellt  werden,  daß 
die  Kaiserliche  Manufaktur  unter  der  Führung 
rühriger  Künstler  vorangekommen  ist.  Wir  wer- 
den davon  im  nächsten  Heft  durch  eine  Ver- 
öffentlichung mit  wohl  gelungenen  Bildern  noch 
mehr  zu  berichten  haben. 

P'RIEDRICH  NAUMANN.  Die  Freunde  der 
Qualitätsarbeit  und  der  Schönheit  wissen 
immer  noch  nicht  zur  Genüge,  wie  viel  Friedrich 
Naumann  dazu  beigetragen  hat,  daß  die  Dunkel- 
heit eines  satten  Philisteriums,  die  über  dem  sieg- 
haften Deutschland  lagerte,  der  Morgenröte  einer 
neudeutschen  Kultur  wich.  So  scheint  es  nicht 
unangebracht,  scheint  es  vielmehr  eine  Pflicht, 
immer  wieder  auf  Naumanns  Schriften  hinzu- 
weisen; wie  eine  Art  Danksagung  mag  es  em- 
pfunden sein,  daß  wir  dies  gerade  heute  tun  :  am 
25.  .März  wird  Naumann  50  Jahre  alt  werden. 
Die  Deutschen  sind  gegen  ihre  führenden  Geister 
immer  undankbar  gewesen;  um  so  nachdrücklicher 
sollten  die  Wissenden  dafür  sorgen,  daß  die 
wenigen  Lichter,  die  uns  wurden,  nicht  unter  den 
Scheffel  geraten.  ki;. 

<* 

C ASSEL.  Unter  den  Sondergruppen  der  künst- 
lerisch Schaffenden  der  Gegenwart  nehmen 
die  „Elbier"  in  Dresden,  deren  geschlossene  Vor- 
führung der  Kunstverein  in  Cassel  in  einer  sehr 
beachtenswerten  Ausstellung  vom  15.  Dezember 
1909  bis  15.  Januar  1910  zeigte,  eine  eigenartige 
und  für  das  Kunstschaffen  unserer  Zeit  bezeich- 
nende Stellung  ein.  Diese  manifestiert  sich  vor 
allem   in   der  einheitlich  guten,   von   einem   ehr- 


Kleine  Kjnnit-A'acli richten. 


liehen  und  gründlichen  Streben  getragenen  künst- 
lerischen Richtung,  die  fast  alle  Werke  der  Aus- 
stellung, Bilder  und  Plastiken,  vorteilhaft  aus- 
zeichnet. Dieses  einheitliche  Streben  nach  hohen 
und  höchsten  künstlerischen  Zielen  in  der  Freun- 
desgruppe der  „Elbier",  deren  Zahl  von  7  vor 
nahezu  einem  Jahrzehnt,  heute  auf  13  gestiegen 
ist,  bringt  es  mit  sich,  daß  ihre  Ausstellungen 
eine  seltene  Einheitlichkeit  in  der  künstlerischen 
Tendenz  verraten,  die  vor  allem  in  den  Bildern 
auffallend  zum  Ausdruck  kommt.  Natürlich  kann 
von  einer  Ähnlichkeit  im  mathematischen  Sinne 
hier  keine  Rede  sein,  es  ist  vielmehr  jene  innere 
Harmonie  gemeint,  durch  die  ähnlich  veranlagte 
Künstler  infolge  inniger  Wechselbeziehungen  und 
gegenseitiger  Beeinflussungen  nach  der  künst- 
lerischen Seite  hin,  in  ihren  Werken  sich  ähnlich 
werden,  mögen  die  behandelten  Gebiete  auch 
noch  so  weit  auseinander  liegen.  Dieses  ernste, 
ehrliche,  gründliche  Streben  nach  solch  innerer 
künstlerischen  Einheitlichkeit  verleiht  den  Aus- 
stellungen der  „Elbier"  einen  eigenen  Reiz,  der 
dadurch  noch  erhöht  wird,  daJ3  die  Stoffgebiete 
mehrerer  unter  ihnen  fast  gleich  sind,  bei  der 
Behandlung  aber  jene  feinen  individuellen  Unter- 
schiede auftauchen,  die  das  Wesen  des  wahren 
Künstlers  let3ten  Endes  ausmachen.  Da  unter 
den  13  Künstlern  nur  3  Plastiker  sind,  so  tritt 
die  Plastik  naturgemäf;  bei  ihren  Ausstellungen 
ein  wenig  in  den  Hintergrund,  bleibt  jedoch  nach 
der  erwähnten  Seite  hin  immer  beachtenswert 
und  interessant. 

Der  Kunstverein  in  Cassel  hat  durch  diese 
wertvolle  Ausstellung,  die  einen  zwar  kleinen, 
aber  lebendigen  und  temperamentvollen  Aus- 
schnitt aus  dem  besten  Kunstschaffen  der  Gegen- 
wart zeigt,  den  Kreis  seiner  letjtjährigen,  fast 
stets  bedeutenden  Ausstellungen  um  eine  wich- 
tige vermehrt  und  wiederum  bewiesen,  daJ3  er 
mit  den  reformatorischen  Bestrebungen  des  neuen 
Vorstandes,  den  Kunstsinn  des  Publikums  durch 
die  besten  Darbietungen  aus  allen  Kunstgebielen 
in  seinen  Ausstellungen  allmählich  immer  mehr 
zu  wecken  und  zu  fördern,  sich  auf  dem  rechten 
Weg  befindet.  \\ . 

Ä 

ILLUMINATION.  Zu  Kaisers  Geburtstag  zündet 
die  Berliner  City  Freudenlichter  an.  Elek- 
trische Ströme  sollen  patriotisch  aufrauschen. 
Nun  hat  Norddeutschland  wenig  Instinkt  für  fest- 
lichen Schmuck,  und  so  waren  denn  auch  diese 
Illuminationen  meist  recht  banal  und  geschmack- 
los. Immerhin:  in  den  letjten  Jahren  ist  es  lang- 
sam etwas  besser  geworden;  und  diesmal  konnte 
man  im  allgemeinen  schon  zufrieden  sein.  Zum 
mindesten  sind  einige  Prinzipien  begriffen  worden. 


Die  üble  Buntheit  und  das  gehäufte  Arrangement, 
zu  dem  die  leicht  beweglichen  elektrischen 
Birnen  verführten,  scheinen  überwunden.  Man 
steckt  nicht  mehr  Dut3ende  und  Hunderte  von 
Glühlampen  dicht  nebeneinander  in  die  naturalisti- 
sche Form  von  Fahnen,  Kronen,  Adlern  oder  Schrift- 
zügen. Man  sieht  nicht  mehr  in  der  brutalen 
Massenwirkung  den  höchsten  Effekt.  Man  hat 
gelernt,  dag  auch  die  Helligkeit  erst  zur  rechten 
Wirkung  kommt,  wenn  sie  formal  gebändigt 
wurde,  wenn  sie  einem  klaren  Thema  dient.  Und 
man  hat  ferner  gelernt,  dag  solches  Thema  nur 
architektonischer  Art  sein  kann.  Messel  war 
der  erste,  der  diese  Erkenntnis  zur  Tat  erhob; 
er  rahmte  die  Pfeiler  und  die  Hauptmassen  seines 
Wertheimbaues  mit  einer  dichtgeschlossenen 
Reihe  von  Lampen  und  gewann  so  mühelos  und 
selbstverständlich  eine  starke  Monumentalität.  Das 
Ei  des  Columbus.  Dies  streng  architektonische 
Prinzip  hat  gesiegt;  bei  der  let5ten  Illumination 
konnte  man  viele  groge  Geschäftshäuser  sehen, 
deren  Fassaden  mit  leuchtenden  Linien  umrahmt, 
mit  leuchtenden  Linien  rhythmisch  gegliedert 
waren.  Es  ist  anzunehmen,  dag  hierzu  Peter 
Behrens  als  künstlerischer  Beirat  der  A.  E.  G. 
das  Seine  beigetragen  hat.  Einige  Anordnungen 
schienen  seine  Hand  deutlich  zu  verraten.  Dag 
in  der  Tat  für  die  Illumination  städtischer  Bauten 
das  architektonische  üeset)  und  der  Rhythmus 
die  alleinigen  Mittel  klarer  und  pathetischer  Wir- 
kung sind,  das  bewies  am  besten  die  Gesamt- 
heit des  Pariser  Platjes.  Diese  edelste  Raum- 
einheit des  Berliner  Stadtbildes  war  allseitig 
von  brennenden  Kerzen  umfagt.  Diese  Kerzen 
standen  hinter  den  Fenstern  der  den  Plat) 
begrenzenden  Häuser,  sie  standen  in  Gliedern, 
unterbrochen  durch  die  Intervalle  der  Mauern. 
Ästhetisch  war  nichts  anderes  geleistet,  als 
eine  möglichste  Verdeutlichung  und  scharfe 
Sichtbarmachung  der  natürlichen  Etagen,  des 
stets  vorhandenen  Fassadenbildes.  Das  genügte, 
um  einen  starken  Eindruck  zu  vermitteln.  Es 
gibt  eben  keinen  reineren  Grad  städtischer 
Monumentalität  als  den  geschlossener  Raum- 
wirkung, als  den  architektonischer  Ordnung. 
Unter  den  Schaufenstern,  die  dem  Kaiser  zu 
Ehren  hergerichtet  worden  waren,  war  eines  beson- 
ders beachtenswert,  das  der  Frau  Oppler.  Sie 
hatte  es  für  Julius  Brühl,  das  Stickereigeschäft, 
dessen  künstlerische  Führung  sie  übernommen,  zu- 
sammengestellt. Der  Raum  des  ganzen  Fensters 
war  nach  hinten  in  voller  Höhe  durch  einen  Vor- 
hang von  dunkelgrüner  Seide  abgeschlossen. 
Die  Ausschmückung  wurde  durch  zwei  Banner 
und  einen  hohen  Leuchter  bestritten.  Die  Banner 
standen    links   und   rechts,    seiden,   blaurot   und 


420 


Kleine  Kitnsl-N'achruhte)!. 


violett,  mit  ornamentaler  Stickerei;  sie  standen 
als  architektonischer  Akzent,  als  Seitenkulisse,  als 
Facette  eines  Raumkörpers,  in  dessen  Achse  der 
steile,  eingliedrige  Leuchter  ragte.  Um  die 
Basis  des  Leuchters  lagen  im  Kreis  Docken 
weifjer  und  schwarzer  Wolle,  betont  durch  rote 
Knäuel.  k.  ukeiik. 

Ä 

NEUES  AUS  HAMBURG.  Schumacher,  dem 
neuen  Verwalter  des  Hamburgischen  Stadt- 
bildes, mangelt  es  nicht  an  Arbeit.  Er  baut 
grof3e  Objekte,  er  baut  auch  den  viel  umstrittenen 
Stadtpark.  Er  wird  ihn  in  der  Tat  bauen;  aus 
Pflanzen  ein  nutzbares  Gebilde,  eine  bewohnbare 
Stätte  der  Erholung  und  des  Sportes  organisierend. 
Die  Gartenarchitekten  haben  über  die  Landschafts- 
gärtner gesiegt.  Lichtwark  hat  sich  wieder 
einmal  als  ein  Kulturpionier  des  Reichtums  er- 
wiesen. Und  nicht  minder  hat  sich  Leberecht 
Migge,  dessen  Agitation  für  eine  vernunftge- 
mäge  Nutjgestaltung  des  Parkes  die  Diskussion 
heftig  anfachte,  trefflich  bewährt.  In  diesem  Migge, 
der  die  Firma  Jacob  Ochs  künstlerisch  leitet, 
besitjt  Hamburg  ein  ausgezeichnetes  Talent  für 
schöne,  der  Zeit  gehorchende  Gärten.  In  der  be- 
rühmten Alsterslraf^e  ist  eine  Miggesche  Anlage,  die 
ein  starkes  sinnliches  Verständnis  für  das  Wesent- 
liche eines  modernen  Gartens  aufweist.  -  Einen 
erfolgreichen  und  sehr  geschickten  Dirigenten 
der  künstlerischen  Praxis  besit5t  Hamburg  in 
Richard  Meyer,  dem  Direktor  der  Kunst- 
gewerbeschule. Er  hat  nicht  nur  seine  Anstalt 
durch  die  Hinzuziehung  junger,  eigener  Kräfte 
gut  verproviantiert;  er  sorgt  auch  dafür,  dafi  das 
Handwerk  und  die  Kunstindustrie  immer  ent- 
schiedener zur  Qualität  dringen.  Es  zeigt  sich  in 
Hamburg  eine  Tendenz,  den  Bedarf  für  öffentliche 
Zwecke  auf  die  einheimische  Produktion  zu  be- 
schränken. So  gefährlich  solch  Unternehmen  ist, 
so  förderlich  kann  es  doch  für  das  Ganze  sein, 
wenn  die  Okkupation  der  Lieferungen  nicht  durch 
Schachzüge  der  Bürokratie,  vielmehr  durch  Güte 
und  Schönheit  der  Ware  erzwungen  wird.  Direktor 
Meyer  müht  sich  auch,  das  Publikum  zu  er- 
ziehen. Er  beginnt  so  früh  wie  möglich,  schon 
bei  den  Kindern.  -  Übrigens  wird  er  demnächst, 
das  heißt  in  ein  bis  zwei  Jahren,  ein  ausgezeich- 
netes, von  Schumacher  entworfenes  Schulgebäude 
bekommen.  Es  dürfte  dann  Hamburg  das  um- 
fassendste und  wohnlichste  aller  Kunstschul- 
gebäude im  Reich  besi^en.  -  Die  große  Archi- 
tektur der  Stadt  hat  einige  neue  Hotels  auf- 
zuweisen; es  sind  dies  die  üblichen  metropolen 
Paläste.  Das  Vorlesungsgebäude  am  Dammtor 
wird  bald  fertig  sein;  man  spürt  schon  jet3t, 
daß  es    im  Grundriß   hervorragend   und  typisch. 


in  der  Außenarchitektur  schwächlich  ist.  Neue 
Cityhäuser  wären  zu  registrieren.  Oleich  am 
Bahnhof  der  mächtige  Bau  des  Bieberhauses, 
eine  sehr  respektable,  charakteristische  Leistung. 
Wesentlich  vollkommener  in  der  Form  und  un- 
bedingt in  die  Zukunft  weisend  sind  die  Kontor- 
häuser von  Elingius  und  die  von  Schoß. 
Elingius  verwendet  viel  Keramik.  Es  müßte  von 
eindeutiger,  unvergeßlicher  Wirkung  sein,  die 
vom  Handel  erfüllten  Straßen,  gar  die  Fleets, 
von  solchen  vertikal  strebenden  Gerüsten  aus 
reinlichem  Glasurstein  begrenzt  zu  sehen. 

R.  BREUER. 

DIE  BENNIGSENSTRASSE  IN  HANNOVER. 
Ein  Preisausschreiben,  das  allen  Freunden 
des  Städtebaues  ebenso  wichtig  wie  interessant 
hätte  sein  müssen,  ist  in  die  Scheuern  gekommen. 
Leider  war  die  Teilnahme  von  Großdeutschland 
durch  eine  wenig  geschickte  Zusammensetjung  des 
Preisgerichts  so  ziemlich  ausgeschaltet  worden. 
Man  hatte  nämlich,  bis  auf  den  Darmstädter  Pütjer, 
nur  Hannoveraner,  vorwiegend  Hannoversche 
Baubeamte  gewählt.  So  beteiligten  sich  natur- 
gemäß nicht  gerade  unsere  besten  Städtebauer 
an  diesem  Wettrennen.  Was  nicht  nur  für  Han- 
nover, was  für  die  Renaissance  unserer  Stadt- 
kultur überhaupt  bedauerlich  ist.  Immerhin 
ist  das  Resultat  des  Ausschreibens  doch 
noch  ganz  respektabel.  Die  Aufgabe  war 
die:  eine  lange,  breite  Straße,  die  längs  einer 
weit  sich  dehnenden  Wiese,  der  Masch,  läuft, 
sollte  einseitig  geschlossen,  mit  mehrstöckigen 
Wohnhäusern  bebaut  werden.  Einseitig,  weil 
die  Masch,  die  kein  Bauland  gibt,  sich  vor  der 
Front  der  Häuser  frei  entwickeln  und  als  Wiese, 
vielleicht  auch  als  Park  rhythmisch  gestaltet 
werden  soll.  Geschlossen,  weil  das  Terrain 
durch  solche  Freigebigkeit  zum  Villenbau  zu 
teuer  wäre,  und,  weil  bei  dem  gewaltigen  Luft- 
raum vor  der  Front  die  schmalen  Öffnungen 
nach  links  und  rechts  nur  wenig  Bedeutung 
hätten.  In  diese  Straße  münden  nun,  vom  auf- 
gebauten Hinterland  herkommend,  einige  Quer- 
straßen, deren  wichtigste  die  Geibelstraße  ist. 
Wo  sie  in  die  Bennigsenstraße  stößt,  erweitert 
sich  diese  zu  einer  leichten  Plafsanlage;  jenseits, 
in  der  Achse  der  Geibelstraße,  steht  eine  Bismarck- 
säule.  Somit  ergab  sich  die  Notwendigkeit,  an 
dieser  Stelle  den  langen  Korso  zu  unterbrechen. 
Leider  haben  nun  die  meisten  Entwürfe  und  auch 
die  preisgekrönten  es  nicht  bei  diesem  einen 
Intervall  bewenden  lassen;  sie  haben  vielmehr 
noch  einen  zweiten  oder  gar  einen  dritten  Plat3  vor- 
gesehen und  möglichst  deutlich  und  pathetisch 
ausgestaltet.     Daß   solch   Überfluß  eine  Störung 


421 


Kleine  Kunst- XacliruhteJi. 


der  prädestinierten  .Monumentalität  der  Avenue 
bedeutet,  steht  auper  Frage.  So  sind  denn  auch 
jene  Entwürfe  zweifellos  am  gesündesten,  die 
nichts  anderes  taten,  als  das  Gegebene,  die 
Breite  und  die  Länge  der  Straße,  ihren 
großen  .^tem,  prinzipiell  und  bewußt  ausgestaltend 
zu  nutjen.  Damit  ist  denn  auch  zugleich  die 
ästhetische  Formel  für  die  Fassadenbildung  fest- 
gelegt. Es  kann  sich  nur  darum  handeln,  die 
Reihe  zu  wahren,  durch  einen  straffen  Rhythmus 
die  hinflutende  Perspektive  fühlbarer  und  ge- 
waltiger zu  machen.  Das  haben  einige  der  Be- 
werber auch  richtig  begriffen.  —  Immerhin, 
wenn  Hannover  ernsthaft  will,  kann  es 
die  eingegangenen  Entwürfe  trefflich 
nu^en,  um  zu  einer  Straßenanlage  zu  ge- 
langen, die  dann  mustergültig  und  ein 
Ruhm  des  deutschen  Städtebaues  heißen 

dürfte.  F.  BRErEK. 

er 

POSEN.  Im  Januar  fand  im  Kaiser  Friedrich- 
.Museum  eine  gut  besuchte  .Ausstellung  von 
.Architekturen  von  Professor  Bruno  Paul  statt. 
.Außer  einer  .Anzahl  von  .Modellen,  Grundrissen, 
Aufrissen,  Perspektiven  gelangte  auch  eine  .Anzahl 
großer,  zum  Teil  farbiger  .Ansichten  von  Innen- 
.Architekturen  desselben  Künstlers  vom  Ozean- 
dampfer „George  Washington"  des  Nordd.  Lloyd 
zur  .Ausstellung.  Besorgt  wurde  die  .Ausstellung 
von  Dr.  Hermann  Post,  Sekretär  der  Vereinigten 
Werkstätten  für  Kunst  im  Handwerk,  Berlin. 

Die  .Ausstellung,  welche  ganz  neue  .Arbeiten 
des  Künstlers  enthält,  wird  im  .März  d.  J.  im 
Kaiser  Wilhelm-Museum  in  Crefeld  gezeigt  werden ; 
auch  wird  beabsichtigt,  die  .Ausstellung  noch  in 
anderen  Städten  zur  .Aufstellung  zu  bringen. 


LEIPZIG.  Die  O  ß  wald -.Auss  t  el  I  ung  im 
j  Kunst- Verein.  Der  .Münchner  .Maler 
Fri5  Oßwald,  dessen  Kollektiv -.Ausstellung 
soeben  einen  durchschlagenden  Erfolg 
hatte,  bedeutet  in  der  jüngsten  .Maler-Generation 
eine  der  wenigen  Persönlichkeiten,  auf  die  unsere 
Erwartungen  am  meisten  gespannt  sein  dürfen. 
Ein  angeborenes  .Maler-Temperament,  das  ge- 
waltsam den  künstlerischen  .Ausgleich  zwischen 
sich  und  der  Natur  sucht,  ein  starker  Eigenwille, 
der  die  Natur  zu  feinen,  farbigen  Harmonien  und 
Rhythmen  einigt  und  doch  der  Stimmung  die 
Herrschaft  über  .die  Schöpfung  läßt,  das  um- 
schreibt etwa  das  Charakteristische  bei  Oßwald. 
Neben  den  bekannten  Schneebildern,  von  denen 
die  zulefjt  gemalten  einen  bisher  noch  nicht  be- 
merkten, dekorativen  Unterton  verraten,  der  wie 
ein  neuer  Fortschritt  in   der  künstlerischen  Ent- 


wicklung des  jungen  .Meisters  anmutet,  zeigte  er 
in  Leipzig  eine  Reihe  von  sommerlichen  und 
herbstlichen  Landschaftsbildem,  so  eine  „Rhein- 
brücke bei  Mainz",  „Ruderer  auf  dem  Stamberger 
See**  u.  a.,  die  durch  ihren  kühnen  Impressionis- 
mus bemerkenswert  sind,  wie  durch  den  reinen 
Stimmungszauber  und  die  überlegene  malerische 
Form.  Ein  schnell  hingeschriebenes  Selbstporträt 
gab  gewissermaßen  den  .Abschluß  dieser  präch- 
tigen, auch  in  sich  harmonisch  abgerundeten 
Kunstschau,  aus  der  -  was  ähnlich  nie  dagewesen 
ist  -  an  zwei  Drittel  aller  Werke  (22  Stück)  in 
hiesigen  Privatbesit5  übergingen.  «.;.  k. 


M.AGDEBLRG.  Das  Kaiser  Friedrich-.Museum 
erwarb  eine  .Gewitterlandschaft"  von  Karl 
Haider,  den  „Schottenjungen"  von  Trübner 
und  ein  „Entenstilleben"  von  Karl  Schuch.  .Mit 
diesen  Werken  sind  abermals  einige  der  bedeu- 
tendsten Vertreter  deutscher  .Malerei  in  die  Ge- 
mäldesammlung eingezogen.  Das  Trübnersche 
Bild  vor  allem  gehört  zu  seinen  besten  Leistungen 
in  der  Zeit,  als  er  aus  dem  sammetweichen  Dunkel 
seiner  Frühzeit  heraus  warund  noch  nicht  den  brei- 
ten, mit derSpachtel  „gemauerten"  .Auftrag der  Far- 
ben angenommen  hatte.  Die  Textur  ist  seidig,  schim- 
mernd, vorzüglich  in  den  Fleischteilen,  von  dem 
leuchtenden  Glänze,  der  uns  an  den  besten  Bildern 
Trübners  stets  von  neuem  entzückt.  Dieses  Exem- 
plar des  Schottenjungen  ist  weniger  bekannt  als 
das  frühere  von  1891,  in  dem  der  Knabe  aufrecht 
vor  dem  Gobelin  steht;  hier  stütjt  er  sich  mit  der 
Linken  auf  einen  .Armstuhl.  Das  Problem  ist 
beidemal  dasselbe,  meisterhaft  gelöst  (und  viel- 
leicht von  Velazquez'  „Spinnerinnen"  angeregt): 
die  Gestalt  als  lebendige  vor  den  gewirkten 
Teppichfiguren  heraustreten  zu  lassen  und  dabei 
doch  die  koloristische  Einheit  zu  wahren.  Fast 
möchte  man  schwanken,  was  schöner  gemalt  sei, 
der  Gobelin  oder  der  Knabe  selber.  Das  kolo- 
ristische .Motiv  ist  ein  Sichdurchdringen  von 
Dunkelgrün  und  Rot  durch  das  ganze  Bild;  an 
sich  schon  ein  flächenhaftes  Farbenspiel  von  jener 
erstaunlichen  Vielgestaltigkeit  und  Vollkommen- 
heit, die  bei  Trübner  selbst  gegenständlich  so 
verfehlte  Darstellungen  wie  die  Kentaurenbilder 
etc.  zu  höchstem  Genuß  für  die  .Augen  umwertet. 
-  Das  Stilleben  von  Schuch  ist  in  seinem  stillen 
zurückhaltenden  Dunkelbraun  gemalt;  Haiders 
Frühlingslandschaft,  als  ein  rechter  Gegensa^, 
ist  von  der  zeichnerischen  Präzision  des  .Meisters, 
die  doch  eine  bedeutende  Stimmungskraft  enthält: 
hier  den  Kontrast  der  sonnig  leuchtenden  Wiese 
und  des  in  schwarze  Gewitterwolken  ragenden 
Waldgebirges.  v.  f.  schmidt. 


4-- 


Inhalts-Verzeichnis. 

BAND  XXV 

Oktober  1909— März  1910. 


TEXT -BEITRAGE: 

Julius  Diez — München.     Von    Fritz    von         Seite 

Ostini  —  München 3^28 

Modelle  zum  Völkerechlacht-Denknial.    Von 

A.  Jaumann  —  Berlin        ....  33 

Frank  Eugene  Smith — München.     Von  Dr. 

M.   K.   Rohe  —  München       .      .     .  41 — 48 

Werktätige  Jugenderziehung.    Von  Direktor 

Dr.  Pabst  —  Leipzig 51 — 54 

Architekt    Karl    Witzmann — Wien.       Von 

A.  S.   Levetus — Wien       ....  57 — 60 

Die  gebildete  Frau  im  Kunstgewerbehandel. 

Von  Dr.  KarlWidmer  — Karlsruhe  63 — 69 

Aphorismen 69 

Stickereien  von  Margarete  von  Brauchitsch. 

Von  Georg  Muschner  —  München  70 

Rezeptive  Begabung.     VonWilh.  Michel 

—  München 79 — 83 

KJeider-Kultur.     Von    Kuno   Graf  Har- 
denberg—  Dresden 86.    96 

Hohlwein-Plakate.  Von  Wilhelm  Michel 

—  München 89 

Professor  Emil  Orlik — Berlin.     Von  Felix 

Poppenberg  —  Berlin 

Das  Malerische.     Von  Wilhelm   Michel 
Aphorismen.      Von   Rieh.  Fuchs    . 
Auguste     Rodin  —  Paris.        Von     Lothar 

Brieger-Wasservogel — Berlin 
Geschmacks-Kunst.      Von   Adolf  Vogt  — 

Berlin 

Soziale  Verpflichtung   des  Kunstgewerblers. 

Von  Paul  Westheim — Berlin 
Die  nächsten  Ziele  unserer  Metalhvare.   Von 

Dr.  Georg  Lehnert  —  Berlin     . 
Beleuchtungskörper.    Von  Robert  Breuer 

—  Berlin 

Tagung  des  Deutschen  Werkbundes  in  Frank- 
furt a.  M.  1909.    Von  Rob.   Breuer 

—  Berlin 161  — 164 


99— 
104 — 

103 
"7 
119 

127— 

135 

.36- 

142 

'43- 

146 

148- 

152 

156 

Bruno  Paul  als  Architekt.  Von  Dr.  Her- 
mann Post  —  Berlin 

Die  Hingabe  an  das  Kunstwerk.  Von 
Robert  Breuer  —  Berlin 

Alte  und  neue  Stadtteile.  Von  Wilhelm 
Küchel  —  München 

Die  Kranzspenden  und  der  Sarg.  Von  Dr. 
M.  Schmid  —  Aachen 

Von  der  Wirkung  guter  Kleidung.  Von 
Kuno  Graf  Hardenberg 

Szenerie-Entwürfe.     Von  F.  St.       .     .     . 

Der  Künstler-Philosoph.  Von  Paul  West- 
heim—  Berlin 

Die  Grenzen  der  Malerei.  Von  G.  W. 
Schwenzer  —  Mettlach     .... 

George  Minne.  Von  Arthur  Rößler  — 
Wien '  . 

Wirtschaft  und  Kunst.     Von  O.  Seh. 

Die  Kunst  vor  Gericht.  Von  Wilhelm 
Michel  —  München 

Villa  Franz  von  Stuck 

Klebe-Arbeiten  Hamburger  Kunstgewerbe- 
schüler. Von  Robert  Breuer  — 
Berlin 

Neue  Thüringer  Porzellane.  Von  Dr.  Ernst 
Zimmermann  —  Dresden 

Arbeiten  von  Ludwig  Vierthaler.  Von  A. 
Jaumann  —  Berlin 

Willi  Geiger — München-Florenz.  Von  Dr. 
Georg  Jacob  Wolf  —  München     . 

Moyssey  Kogan — München.  Von  H.  Lang- 
Danoli  —  Darmstadt 

Heinrich  Vogeler — Worpswede.  Von  Dr. 
Karl  Schäfer  —  Bremen. 

Schwarz  -Weiß  -  Ausstellung — Berlin.  Von 
Ewald  Bender  —  Berlin.      .      .     . 

Ausstellung  österr.  Kunstgewerbe  1909 — 
1910.    Von  Arthur  Rößler — Wien 

Vom  Bilderbetrachten.  VonWilh.  Michel 
—  München 


.65- 

-180 

184- 

-193 

■94- 

-203 

204- 

-219 

219 

221- 

-222 

223" 

-228 

231- 

-238 

241- 

-249 

250 

258- 

-264 

265 

270 — 282 

283—286 

290 

299—323 
324—329 

33'— 338 
339—345 
355—356 
375—379 


Zum  Verstehen  des  Technischen.   Von  R ob.  Seite 

Breuer  —  Berlin 381—38; 

Deutsch-böhmischer  Kunstfrühling.   Von  Dr. 

Emil   Utitz  — Prag 388  —  402 

Karikatur    und  Kunst.     Von  Paul   West- 
heim—  Berlin 404 — 408 

VonderMode.   \'on  K.  G  raf  H  ardenberg  417—418 

TON-  UND  FARBDRUCKE: 

Gemälde:    -Mutter  und  Kind   .    Von  Hans         Seite 

Unger  —  Loschwitz 2 

Zeichnung:       Spuk«.      Von     Prof.    Julius 

Diez  —  München 12 

Zeichnung:    »Sumpf-Gespenster«.   Von  Prof. 

Julius  Di«z  —  München   .... 
Porträt-Aufnahme:   »Prinz  Rupprecht«.  Von 

Frank  EugeneSmith  —  München 
Photographisches  Bild:      Adam  imd  Eva«. 

Von      Frank      Eugene      Smith  — 

München 

Gemälde:        Rosen«.       Von     Prof.    E 

Orlik— Berlin 

Plakat.       Von      Ludwig     Hohl  wein  — 

München 

Tempera:   "Winter  in  Auscha«.    Von  Prof. 

Emil  Orlik  — Berlin 

Gemälde:     »Weiblicher    Akt  . 

Emil  Orlik  — Berlin    . 
Dnicksachen    mit    Zierrahmen. 

Emil  Orlik  — Berlin    . 
Atlantik  -  Hotel —  Hamburg: 

Von  A.  Possenbacher- 
Berlin      

Atlantik-Hotel- Hamburg:  Teestube.  Von  A. 

Pössenbacher  —  München- Berlin 
Haus  Westend— Berlin:  Speisezimmer.  Von 

Prof.   Bruno  Paul  — Berlin   .      .     . 
HausWestend — Berlin.  Damenschlafzmimer. 

Von  Prof.   Bruno  Paul  —  Berlin 
Handgeknüpfte  Teppiche,  Wand-  und  Möbel- 
stoffe und  Tapeten 21 

Gemälde:     »Kinderbildnis*.      Von    Oskar 

Zwintscheij — Dresden     .... 
Marmor  -  Plastik :      »Die     Badende».       Von 

George  Minne-Laethem 
Klebe-Arbeiten  von  Schülern  der  Kunstge- 

wtrbesc^ile  in  Hamburg       ....      2; 
Gemälde:       .  Andalusierin«.       Von     Willi 
fieiger  —  München-Florenz 


Von   Prof. 


Von    Prof. 


Klubzimmer. 
-München- 


A<iuatinta-Ätzung  nach  Gojas  »Maya..   \'on 
W.  Geiger  —  München-Florenz  . 

Bronze  -  Plakette :      »Primavera«.        Von 
Mojssey  Kogan  —  München    . 

Gemälde:     »Kommender    Frühling«.     Von 
Heinrich     Vogeler — Worpswede 


'3 
40 

49 
55 
87 
98 
107 
-124 

138 
"39 
l8q 
'99 

-21  I 
230 
240 
280 
298 
303 
329 

335 


Gemälde:    .Susanna  im   Bade> .     Von  Prof.  Seue 

Adolf  Hengeler  —  München  364 

Domino  -  Entwürfe.     Von     F.    Diveky  — 

Wien 413—416 


ABBILDUNGEN  UND  FARBDRUCKE; 

Ankleidezimmer  S.  202,  203  ;  Architektur  S.  6,  34  - 
38,  165  — 170,  214,  215,  219,  220,  265,  266,  340,  342, 
343,388 — 391,396,397;  Badezimmer  S.  153;  Beleuch- 
tungsköiper  S.  156,  157,  igi;  Blumenständer  S.  356, 
408:  Bucheinbände  S.  76,  77,  79;  Buchschmuck  S.  27, 
79,  8g,  282  ;  Dameiizimmer  S.  14b,  185  — 187,  202,  203; 
Dampfer-Räume  .S.  206  —  208,  213:  Decken  S.  72,  73, 
84,  290—292,  357;  Dielen  .S.  147,  151,  174,  175,  344, 
399;  Drucksachen  (Einladungs-Menukarten  etc.)  S.  121 
— 124;  Einladungskarten  .S.  121,  124;  Empfangsräume 
S.  197,  201,  268,  269;  Erker  und  Fenster  S.  60,  185, 
197;  Exlibris  S.  26,  114,  115,  318,  319,  346,  347; 
Fächer  S.  410,  41 1;  Figurinen  S.  24,  25,  120,  224, 
225,  227,  228;  Fremdenzimmer  S.  400,  401;  Früh- 
stückszimmer S.  71,  348,  398:  Garderoben  S.  173; 
Gartenanlagen  S.  171,  26b;  Garten-  und  Veranda-Möbel 
S.  92,  93,  348,  396,  397;  Gemälde  S.  2,  5,  10,  15, 
16 — 18,  20,  21,  55,  98 — 102,  104,  105,  107,  1 10, 
230—238,  298,  332,  334—338,  365;  Gläser  S.  78, 
376.  377;  Gold-  und  Silberarbeiten  S.  94,  95,  358, 
365—375,  377,  386,  387;  Grabmäler  S.  218;  Grund- 
risse S.  36,  37,  169,  214,  220,  340,  342,  343:  Hallen 
S.  6,  58,  59,  68,  172;  Heizkörper- Verkleidungen  S.  201; 
HeiTen-  und  Arbeitszimmer  .S.  61,  148,  14g,  180—184, 
405;  Holzschnitte  S.  111  — 113;  Hotel-Bauten  und 
Räume  S.  136,  138  — 145;  Illustrationen  S.  80 — 83. 
IIb,  308,  309,  315;  Kamine  und  Ofen  S.  175,  181, 
183,  187,  2ib,  2b9;  Kassetten  und  Dosen  S.  288, 
289,  372 — 375,  379,  424:  Keramik  (figürliche  und 
ornamentale)  S.  74,  75,  163,  283  —  28",  378 — 380; 
Kinderzimmer  S.  152,  403,  404;  Kissen  und  Decken 
S.  72,  73,  160,  290  —  292,  355,  357;  Klebe-Arbeiten 
S.  270 — 281;  Klubzimmer  S.  136,  138,  142,  143, 
214 — 217;  Korbmöbel  S.  70,  71;  Kostüme  S.  224, 
225,  227,  228,  413 — 416;  Küchen  S.  204,  205;  Land- 
häuser und  Villen  S  34 — 38,  165  — 167,  170,  219, 
220,  265,  266,  340,  342,  343,  388,  389;  Lederarbeiten 
S.  76,  77;  Malerei  (dekorative)  S.  3,  4,  7  — 10,  15, 
18,  ig,  22,  28,  106.  109;  Metallarbeiten  S.  201,  218, 
288,  289,  356;  Mosaiken  S.  3,  5,  7 — 9;  Möbel  (ver- 
schiedene) S.  92,  93,  154,  155,  173,  192,  205,  345, 
394i  395i  407~4°9;  Musikzimmer  S.  150,  267;  Orna- 
mentale Entwürfe  S.  84,  85,  270  —  273,  392, 393  ;  Photo- 
graphie (Bildnisse)  S.  40—54;  Plakate  S.  87,  90,  91; 
Plaketten  und  Medaillen  S.  325—331;  Plastik  (figür- 
liche) S.  30—33,  126,  128 — 135,  163,  240 — 264,  283 
—  286,  324 — 330,  378 — 380,  384 — 387:  Porzellan-Ser- 
vice S.   74;     Radierungen  S.  26,   103,   116,    2gg — 315, 


3iq — 321,  333,  339.  3461  347;  Restaurations-Räume 
S.  136,  139,  141,  217,  348;  Salon  S.  402;  Schlafzimmer 
S.  6b,  ig8,  199,  349;  Schmucksachen  S.  94,  95,  358, 
382,  383;  Speisezimmer  S.  63 — 65,  188  — 193,  341, 
349-  35'.  4°^.  4°7;  Stickereien  S.  70 — 73,  84,  85, 
290 — 292,  354,  357,  411,  412,  4:7,  418;  Stoffmuster 
S.  211,  392,  393;  Szenerien  S.  23,  117 — 119,  221  — 
223,  226;  Tafelgeräte  S.  74,  78,  365 — 371.  373, 
374.  376,  377.  379.  380;  Tapeten  S.  158,  159,  211; 
Teppiche  S.  210,  352,  355;  Theaterdekorationen  S.  23, 
117  — 119,  221 — 223,  226;  Treppenhäuser  S.  6,  58, 
59,  68,  147,  174,  17b — 178,  399;  Vorräume  S.  67, 
173,  408;  Webereien  S.  160,  211,  352,  353;  Wohn- 
zimmer S.  60,  194 — 196,  341,350;  Zeichnungen  S,  12, 
13.   27,  316—318,  331. 


KLEINE  KUNST- NACHRICHTEN: 

Seite 

Berlin         293.    294  —  295.   359.   361—362.  419—421 

Buenos  Aires 296 

Cadinen 419 

Cassel 419 

Darmstadt 362 

Hamburg 360.  361.    421 

Hannover 361.    421 

Kopenhagen 296 

Leipzig 422 

Magdeburg 422 

München 295 — 296.     '59 

Posen 42- 

Rheinland-Westfalen 360 


Namen  -Verzeichnis. 


80 
365- 


Bauer,  Karl  Joh. — München 358 

Behrens,  Prof.  Peter — Neubabelsberg     .  158  — 159 

Bender,  E. — Berlin    .      .      .     .     293 — 294. 

339—345-     359— 3b2-     4'9 

Bibrowicz,  Wanda — Breslau 160 

Bischoff,  Paul — Berlin 156—157 

Brauchitsch,  Margarete  von — München  .  70 

— 72.      290 — 291 
Breuer,  Architekt  C. — Wien    .    396.    397.     399 — 402 
Breuer,  Robert — Berlin.      156.   161  — 164. 
184 — 193.  270  —  282.  293 — 295.  360 
—362.     381 
Brieger- Wasservogel,  Lothar — Berlin 
Czeschka,  Prof.  C.   O. — Hamburg 

-83- 
Delavilla,  Prof.   Franz — Wien 
Diez,  Prof.  Julius — München  . 
Divek-y,  F. — Wien     .... 
Doves-Press — London 
Festersen,  Friedr. — Berlin   . 
Fischer,  Friedrich — Riesenfeld 
Qeiger,  Willi — München- Florenz 
Geiringer,   Helene — Wien    . 
Hamburger  Kunstgewerbeschule 
Hardenberg,  K.  Graf — Dresden  8( 
Hengeler,  Prof.   Adolf — München 
Hoffmann.  Prof.  J.— Wien       .    368—3 

382.    383.    388-393.    396 
Hohlwein,  Ludwig — München 
Hölscher  &  Breimer — Langenhagen 
Hormann,  Emmy — Bremen 
Jakobson,  Felicitas — Wien 
Jaumann,  Anton — Berlin     . 
Klaus,  Architekt  Karl — Wien 


96.  219 


419—422 
127  —  135 

-3&7-  374 

352 

3-28 

413—416 

76 

75.  287 

'59 
298—323 

354 
270 — 281 
417-418 

364 

-409.  424 

87-9' 

159 

357 

355 

33.  290 

35' 


Kogan,  Moyssey — München  .  . 
Kopenhagen,  Kgl.  Porzellanfabrik 
Koemig,  Arno — Berlin  . 
Lang-Danoli,  H. — Darmstadt  . 
Läuger,  Prof.  Ma-\ — Karlsrtihe 
Lehnert,  Prof.  Georg — Berlin  . 
Levetus,  A.  S. — Wien  . 
Löffler,  Prof.  B. -Wien  .  . 
Margold,  J.  E. — AVien  . 
Metzner,  Prof.  Franz — Berlin 
Michel,  Wilhelm — München  .  79 — 83.  89 
104 — 117.  194 — 203.  258 — 264 
295  —  296.    359 

Minne,  George — Laethem 

Moser,  Prof.   Koloman — Wien  95 

372.      383 
Newton,  Ernest — London   .... 
Niemeyer,  Adelbert — München     . 
Orlik,  Prof.  Emil— Berlin  .... 
Ostini,  Fritz  von — München     . 
Pabst,  Direktor  Dr. — -Leipzig       .     . 
Paul,  Prof.   Bruno — Berlin 
Poppenberg,  Dr.  Felix — Berlin     .     . 
Pössenbacher,  Anton — München-Berlin 

Post,  Dr.  H.— Berlin 

Powolny,  Prof.   M. — Wien 
Prutscher,  Prof.  Otto — Wien  ...       77 
78.    94-    348-     353 
Putz,  Prof.   Leo — München      .... 
Riemerschmid,  Prof.  Richard — Pasing  . 

Rodin,  Auguste — Paris 

Rohe,  Dr.  M.  K.— München  .... 
Roeßler,  Arthur — Wien      .      .    241  —  249 
Schäfer,   Di.   Karl — Bremen     .... 


Seite 

324—330 

'63 

'57 

324—330 

75 

148-152 

57—60 

-95-     378 

84-85 

30—33 


375—379 
240 — 264 

394—395 
34—35 

74.  287 

98—124 

3-28 

51—54 
165 — 220 
99—103 

«36—155 
165  —  180 
379—380 

356-  376 
236—238 
292 
126—135 
41-48 
355-35<> 
33'-338 


Schmid,  Prof.  Dr.  Mix — Aachen 
Schmidt,  Dr.  P.  F. — Magdeburg 
Schultze-Naumburg,  Prof.  Paul — Saaleck 
Schulz,  Rieh.   L.  F.— Berlin    .... 
Schütz,  Anhalter  Tapetenfabrik — Dessau 
Schwarzburger  Werkstätten — Unterweißbach 
Schwenzer,  G.  W. — Mettlach   .      .     . 
Seidl,  Prof.  Emanuel  von — München 
Smith,  Fr.  Eugene — München 
Stuck,  Franz  von — München 
Teschner,  Maler  R. — Wien 
Unger,  Hans — Loschwitz 
Utitz,  Dr.  Emil— Prag  .     . 
Vierthaler,  Ludwig — Berlin 
Vogeler,  Heinrich— Worpswede 


377 


Seite 
204  —  219 
422 
92—93 

■56—157 
158—159 
282—286 
231-238 
36-38 
40—54 
265  —  269 

384-387 
3S8— 402 


■43 


94—95 


Vogt,  Adolf— Beilin       .     .      . 
Weltmann,  Ella — Wien 
Wenig,  Bernhard — München    . 
Westheim,   Paul — Berlin 
Widmer,  Prof.   Karl— Karlsruhe 
Wiener  Werkstätte — Wien 
Wien,  Ausstellung  österr.   Kunstgewerbe 
Wimmer,  Architekt  E.  J. — Wien     .      221 
—  228.     375.     410—412 
Witzniann,  Architekt  Carl — Wien    57 — b8, 

95-    349 
Wolf,  Dr.  Georg  Jacob — München    . 
Zeymer,  Architekt  Fntz — Wien  ... 
Zimmermann,  Dr.   Ernst — Dresden 
Zwintscher,  Prof.   Oskar — Klotzsche 


136 — 142 

84-85 

■56 

223.  404 

63  —  69 

365—424 

348—356 

417—418 

373-  382 
299—323 
350 
283  —  286 
230—235 


Deutsche  Kunst  und  Dekoration 


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