Skip to main content

Full text of "Deutsche kunst und dekoration"

See other formats


h^m^- 


PURCHASED  FOR  THE 

L/NIVERSITY  OF  TORONTO  LIBRARY 

FROM  THE 

CANADA  COUNCIL  SPECIAL  GRANT 

FOR 

HISrORI  OF  iiP2 


J)  'h^^^~)D'zu 


y*^ 


DEUTSCHE  KUNST 
UND  DEKORATION 


ILLUSTRIERTE  MONATSHEFTE 

FÜR  MODERNE  MALEREI 
PLASTIK  •  ARCHITEKTUR 
WOHNUNGS-KUNST  UND 
KÜNSTLERISCHE  FRAUEN- 
ARBEITEN 


DARMSTADT 

VERLAGSANSTALT  ALEXANDER  KOCH 


i^  t  ^  ■-  J  ^^-  ^l 


DEUTSCHE  KUNST 
UND   DEKORATION 


HERAUS(iE(iEBEN  UND  REDKilERT 

VON 

HOFRAT    ALEXANDER   KOCH 


BAND  XXXI 

OKTOBER   1912-AlÄRZ   1913. 


^^§'RAi^   y. 


ALLE   RECHTE   VORBEHALTEN. 


JOH.  CONR. 


HERBERT'SCHE  HOFBUCHDRUCKEREI    NACHF.    DR,  ADOLF  KOCH,    DARMSTADT. 


PROF.  FRITZ  ERLER.     »BERGFRÜHLING. 


l-KOHiSSOR  EUGEN  BRj'XHT. 


»EICHENGRUPPE  AM  MKKK-    (lülü). 


JUBILÄUMS-AUSSTELLUNG  EUGEN  BRACHT 

DARMSTAUr,  JUI.I-  MITTK  oKTuHF.R   lüia. 


Die  „FrcieVereinigungDarmstädter  Künstler" 
hat  den  siebzigsten  Geburtstag  des  deut- 
schen Altmeisters  zu  einer  umfassenden,  rund 
vierhundert  Nummern  zählenden  Ausstellung 
seiner  Werke  auf  der  Mathildenhöhe  benutzt, 
die  zum  ersten  Mal  einen  vollen  (Jberblick 
über  das  gesamte  Lebenswerk  des  Künstlers 
gibt  und  den  willkommenen  Anlaß  darbietet, 
Brachts  Schaffen  im  Rahmen  der  deutschen 
Landschaftsmalerei  näher  zu  umreißen.  Die 
Voraussetzung  für  diese  besondere  Ehrung  war 
die  Tatsache,  daß  Bracht  —  wenn  auch  nicht 
von  Geburt  Darmstädler  —  doch  den  größten 
Teil  seiner  Jugend  in  der  lieblich-heiteren  hes- 
sischen Residenz  verleben  konnte,  und  daß  er 
gerade  hier  jene  wichtigen  Anregungen  emp- 
fangen hat,  die  zuerst  bestimmend  in  seine 
Künstlerlaufbahn  eingegriffen  haben.  Es  ist 
auch  nicht  zuviel  gesagt,  wenn  man  behauptet. 


daß  es  vor  allem  die  Landschaft  der  Bergstraße 
und  der  benachbarten  Mainebene  gewesen  ist, 
die  schon  in  dem  Knaben  die  Sehnsucht  zur 
Natur  geweckt  und  seine  Augen  für  die  feinen 
Reize  atmosphärischer  Stimmung,  für  die  laut- 
losen Lebewesen  von  Wald  und  Feld,  für  die 
Anatomie  der  Bäume,  die  Liniensprachc  der 
Landschaft  im  Großen  geöffnet  hat.  Und  daß 
es  eben  diese  Eindrücke  gewesen  sind,  die 
neben  anderen  örtlich  bedingten  Zufälligkeiten 
Bracht  dauernd  der  Kunst  zugeführt  haben. 
Der  Entwicklungsgang  im  besonderen  aber, 
den  die  Kunst  des  Meisters  durch  ein  mehr  als 
fünfzigjähriges,  nur  einmal  für  längere  Zeit  unter- 
brochenes Schaffen  aufzeichnet,  läßt  deutlich 
auch  jene  Perioden  erkennen,  die  im  großen 
Rahmen  der  deutschen  Landschafismalerei  die 
ungleich  wertvolleren  genannt  werden  dürfen. 
Denn  Brachts  Werk  weist  deutlich  zwei  ver- 


191213.  I.  1 


/ubi/äuins-.lusstel/uvo  Eugm  Bracht. 


PROFESSOK  Eü<;l-:.\  BKACHT  -  DRESDEN. 


schiedene,  ja  man  möchte  sagen,  diametral  ent- 
gegengesetzte Tendenzen,  in  denen  viel  von 
dem  wiederkehrt,  was  bisher  überhaupt  das 
Merkmal  der  deutschen  Landschaftsmaler  ge- 
wesen ist,  die  vor  ihm  und  mit  ihm  ihr  beson- 
deres Verhältnis  zur  Natur  gesucht  haben.  War 
es  auf  der  einen  Seite  ein  Verlangen  nach  sach- 
licherEhrlichkeit,  das  besonders  für  die  Arbeiten 
bis  etwa  um  1880  charakteristisch  ist,  so  über- 
wiegt in  der  zweiten,  mittleren  Periode  unzwei- 
deutig ein  starker  Zug  von  Romantik,  der  die 
Arbeiten  des  Meisters  künstlich  ins  Monumental- 
Dekorative  steigert  und  den  Maler  bewußt 
von  der  Natur  auf  Kosten  der  Phantasie  ab- 
rücken läßt.  Diese  von  einem  nicht  immer 
geläuterten  Geschmack  des  großen  Publikums 
getragenen  Schilderungen  des  Hochgebirges  und 
des  Orientes,  die  sich  von  dem  Verlangen  un- 
serer Zeit  desto  mehr  entfernen,  je  deutlicher 
man  in  ihnen  ein  Stück  von  der  Seele  Calames 
wiederentdeckt  und  das  Versagen  des  wahrhaft 
Artistischen  auf  Kosten  billiger  Effektwirkungen 
bemerkt,  berühren  sich  in  nichts  mehr  mit  den 
großartigen  Schöpfungen  der  ersten  Epoche, 
als    der    junge   Landschafter   auf   dem   besten 


»WEISSHORNKETlt  IN   DEN    \V.\LLlstk  Ai-l-tN      (1912). 


Wege  war,  ein  deutscher  Corot  zu  werden.  Es 
ist  geradezu  überraschend  zu  sehen,  wie  Bracht 
in  seinen  Anfängen  z.  B.  versucht  hat,  das 
Wesen  des  Impressionismus  zu  ergründen,  wie 
Arbeiten  vom  Schlage  der  „Ahlbecker  Fischer" 
vom  Jahre  1870  oder  selbst  Werke,  die  wie  der 
„Eichwald  bei  Schwanheim"  oder  die  „Italie- 
nische Landstraße",  die  rund  zehn  Jahre  früher 
entstanden  sind,  voll  des  ursprünglichsten  Ein- 
fühlens  in  die  Natur  erscheinen,  wie  sich  hier 
die  Empfindung  zu  den  feinsten  malerischen 
Akkorden  verdichtet  und  sich  selbst  die  zarten 
Konturen  der  zeichnerischen  Komposition 
im  Ton,  in  der  harmonischen  Gesamtwir- 
kung auflösen.  Diese  Bilder  könnten  in  un- 
seren Tagen  entstanden  sein,  und  sie  würden 
ihren  Platz  auch  in  einer  noch  so  modernen, 
von  Qualität  ausgezeichneten  Ausstellung  be- 
haupten, weil  sie  von  Werten  getragen  sind, 
die  allen  guten  Schöpfungen  echter  malerischen 
Kunst  innewohnen.  Denn  solange  Bracht  von 
jener  naiven  Sehnsucht  seiner  Frühzeit  erfüllt 
gewesen  ist,  die  dem  Romantiker  noch  keinen 
Raum  gab,  der  sich  später  erst  an  den  bunten 
Phantasmagorien  fremder  Länder  entzündete. 


l'RiiKKSSOK   Klr.F.N    IIKAI  H T-DKKSDF.N. 


i'K..vi-m;  \irs(  IHK  im  in  im;,  ii:iiir 


rK'iir.-Sh'iR  r.ii^iN  i;kac  iii     hkimun.      iu.k  iii.iium  n.\r  i  k     ii- 


fubilätims-Ausstellunor  Engen  Bracht. 


PROFESSOR  EUGEN  BRACHT— DRESDEN. 


steht  er  mit  jenen  wenigen  Schöpfungen,  die' 
die  wirkliche  Entdeckung  der  Darmslädter 
Ausstellung  genannt  werden  dürfen,  unbedingt 
in  einer  Linie  mit  den  großen  Franzosen  aus 
der  Schule  von  Barbizon,  und  der  Historiker 
wird  es  immer  wieder  bedauern,  daß  auch  hier,' 
wie  bei  so  vielen  anderen,  die  ähnlich  dem 
Ungeschmack  der  Menge  unterlagen,  jäh  eine 
Entwicklung  unterbrochen  worden  ist,  die  in 
logischer  Steigerung  unbedingt  revolutionierend 
im  Sinne  der  Moderne  hätte  wirken  müssen.' 
Aus  der  Geschichte  der  deutschen  Landschafts- 
malerei sind  aber  diese  frühen  Jahrzehnte  der 
Brachtschen  Kunst  nicht  mehr  auszuscheiden, 
und  wenn  man  ehrlich  ist,  so  wird  man  es  auch 
beklagen  müssen,  daß  sich  der  Meister  jemals 
von  der  deutschen  Heimaterde  entfernt  hat. 
Zwei  Grundzüge  sind  es  vor  allem,  die  diesen 
frühen,  auch  im  Format  meist  noch  stark  redu- 


»RÜGENER  KUSTE     (191) |. 


zierten  Arbeiten  ihr  besonderes  Gepräge  geben : 
Die  fabelhafte  Größe  des  Formgefühls  im  Kleinen 
und  die  Frische,  mit  der  im  strengen  Rahmen 
einer  sicher  empfundenen  Zeichnung  der  male- 
rische Eindruck  einer  Minute  festgehalten  und 
die  Stimmung  der  Natur  bis  zum  letzten  er- 
gründet ist.  Hier  begegnet  die  Tradition  der 
Klassizisten  im  Verein  mit  dem  Verlangen  eines 
ausschließhch  malerischen  Sehens.  Alles,  was 
selbst  in  den  ersten  Zeichnungen,  wie  auf  den 
Blättern  mit  der  Heidelberger  Schloßruine  für 
den  Kenner  als  akademische  Schulung  erscheint, 
tritt  doch  schon  bescheiden  vor  der  köstlich 
impressionistischen  Auffassung  des  Gesamt- 
bildes zurück,  und  es  kann  immer  nur  wieder- 
holt werden,  daß  Brachts  Schaffen  in  dem  Maße 
an  Qualität  verloren  hat,  wie  die  Motive  an 
Anspruch  gewinnen.  Das  soll  für  den  Künstler 
um  so  weniger  ein  Tadel  sein,  als  sein  Lebens- 


PROFESSOR 

E.  BRACHT- 

DRESDEN. 


liihi/ä!i!!is-A2(!!stelhiiio  Eu^en  Bracht. 


;' ' '  **^. 

^. 

...f*  v^i 

iSä 

•  -¥^ 

wr 

*^^      - 

.■  ^ 

r 

<-4l 

^ 

^./m 

'4^ 

1 

t 

^^^^^1 

&:  ^  .:il 

'iJI^^^^Mfc       i#ii'^?' 

B 

ii 

Jm^:-  Mi^-# 

^^^^^1 

H 

■HP 

Hk                .api 

i 

^^^^~  ^ " ,-  ,B 

^^^^^^^^^^^^^^^^*^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^B 

l'ROl-K.SSUR  El'GEN  URACH  1-  DRESDEN. 


werk  auch  in  der  mittleren  Epoche  noch  von 
einem  seltenen  Temperament  erfüllt  geblieben 
ist,  während  sich  so  viele  andere  seinerKollegen 
längst  im  reinen  Panorama-  und  Plakatstil  ver- 
loren haben.  Dem  ist  Bracht  dank  seiner  ein- 
geborenen Künstlerschaft  nie  ganz  verfallen, 
so  hart  er  auch  an  den  Grenzen  vorbeistreifte; 
denn  jedes  dieser  Bilder  weist  zuletzt  immer 
noch  irgendwo  das  persönliche  Zeichen  seines 
Schöpfers  und  den  starken  Mut,  die  Natur  zu 
übertrumpfen  mit  Hilfe  einer  mehr  literarischen 
als  künstlerischen  Imagination.  Vielleicht  ist 
des  Meisters  Kunst  in  jenen  Jahrzehnten  der 
zweiten  Periode  zu  sehr  auch  reine  Atelierkunst 
gewesen;  denn  in  den  Skizzen  und  Studien 
seiner  Reisen  lebt  in  der  Tat  viel  von  dem 
Geiste  des  frühen  Impressionisten  fort,  und  man 
erkennt  ohne  Mühe  den  künstlerischen  Abstand, 
der  viele  jener  ausgeführten,  dimensional  meist 
übertriebenen   Bilder   von   der    ursprünglichen 


.M(1ND.\UFGANG  UBERM  WAU)      (1901). 


Frische  der  ersten  Skizzen  trennt.  Im  übrigen 
darf  man  auch  zur  richtigen  Einschätzung  des 
Meislers  im  Sinne  der  deutschen  Kunstgeschichte 
nicht  vergessen,  daß  die  schlechte  Romantik  — 
ähnlich  wie  die  beliebte  Genremalerei  —  die 
Kultur  der  neunziger  Jahre  auch  anderswo  ent- 
scheidend bestimmt  hat,  daß  es  neben  Bracht 
auch  andere  Künstler  von  ähnlicher  Qualität 
gegeben  hat,  deren  Ruhm  nur  durch  den  „mau- 
vais  goüt"  ihrer  Zeit  verdunkelt  wird. 

Unser  Meister  aber  hat  das  seltene  Glück 
gehabt,  auch  diese  Epoche  seines  Schaffens 
überwinden  zu  können  und,  getragen  von  den 
Tendenzen  jener  Revolutionäre  von  gestern, 
die  längst  als  die  Klassiker  von  heute  erscheinen, 
den  Ansciiluß  an  die  künstlerische  Ehrlichkeit 
der  Gegenwart  wiederzufinden.  So  seltsam 
es  klingen  mag,  so  sehr  besteht  doch  die 
Tatsache  zu  Recht,  daß  Bracht  mit  Beginn 
des    letzten   Jahrzehntes    in    seinem    Schaffen 


luhiläuiin-Anssldliivc'  Euocn  Bracht. 


PRiiKEsstiK  i:rt;i;N  bracht- dresuen. 


/.WINGENBERO  AN  DER  UERUSTRASSE  IN  BAUMBLÜTE«  (IKlä). 


da  wieder  angeknüpft  hat,  wo  er  die  Wege 
im  Anfang  der  siebziger  Jahre  endgültig  ver- 
lassen zu  haben  schien.  Dresden  und  die  Um- 
gebung des  Muldetales  sind  es  vor  allem 
gewesen,  die  seinen  starken  malerischen  Trieb 
zur  reinen  Natur  zurückgelenkt  haben.  Und 
diese  Arbeiten  gehören  zu  dem  Besten,  was 
wir  vielleicht  auf  lange  hinaus  der  deutschen 
Landschaftskunst  verdanken.  Sie  haben  nichts 
mehr  vom  künstlichen  Streben  nach  Monumen- 
talität und  sind  doch  auch  von  echter  Romantik 
durchwebt.  Sie  haben  oft  die  gleiche  Sonnen- 
freudigkeit wie  jene  bunten  orientalischen  Pa- 
noramen, aber  man  empfindet  dieselbe  nicht 
mehr  als  nur  äußerlich,  sondern  als  die  letzte 
Essenz  ungeschminkterStimmung.  Hier  sind  die 
innere  Triebkraft  der  Palette,  der  freie  Im- 
pressionismus malerischen  Gefühles  nur  noch 
Ausdruck  eines  Sentiments,  das  sich  in  intimer 


Beziehung  zur  Natur  wähnt,  und  man  darf  ohne 
Übertreibung  behaupten,  daß  Bracht  erst  auf 
diesen  Bildern  zu  dem  prädestinierten  Schil- 
derer des  deutschen  lleimalbodens  geworden 
ist,  der  er  längst  von  .lugend  aus  gewesen  sein 
könnte.  Auch  daß  er  mit  dem  Kinlrilt  in  die 
Industriegebiete,  in  jenes  Reich  der  Arbeit,  das 
wie  kaum  ein  zweites  den  Geist  und  den  Willen 
unseres  .lahrhundcrts  verkörpert,  seinem  bis- 
herigen Schaffen  ein  neues  und  vielveriieiOendcs 
Thema  zugesellte,  darf  nicht  unerwähnt  bleiben, 
weil  auch  diese  Werke  der  jüngsten  (-".poche 
den  Künstler  auf  einer  neuen  Höhe  zeigen.  Ja, 
man  möchte  sagen,  daß  eben  hier  jene  Roman- 
tik in  ihm  endlich  zu  einer  dankbaren  Aufgabe 
gekommen  ist,  die  sich  vor  den  Thcalerkulissen 
seiner  Hochgebirge  nur  in  äußeren  Effekten  ver- 
irrte. Denn  es  sind  letzten  Endes  immer  nur 
malerische  Schönheiten,  die  den  Künstler  zum 


[vbiläums-Aussielluvg  Eugm  Bmclit. 


Industriebildhinjiebracht  haben:  Ein  durch  den 
Qualm  der  Fabrikessen  tonig  verhangener  Him- 
mel über  der  Landschaft,  das  Spiel  von  Sonnen- 
licht mit  den  schweren  Reflexen  der  dunklen 
Rauchwolken  und  der  vielgHedrige  Organismus 
eines  von  Hunderten  von  Menschenhänden  ge- 
triebenen Werkes  im  Gegensatz  zu  dem  stillen 
Frieden  der  umgebenden  Natur. 

So  ist  das  Fazit  im  ganzen,  das  der  Sieb- 
zigjährige heute  aus  seinem  Schaffen  ziehen 
kann,  ein  großer  Gewinn  für  die  deutsche  Kunst, 
und  es  ist  das  besondere  Verdienst  der  Darm- 
städtcr  Veranstaltung,  daß  sie  überhaupt  zum 
ersten  Mal  die  Gelegenheit  darbietet,  die 
verschiedenen  Perioden  in  der  künstlerischen 
Entwicklung  des  Meisters  gegen  einander  ab- 
zuschätzen. l'KOF.  GEOKG  liIERM.\NN. 


STUDIE  UND  ATELIERBILD.  Eine  Wandlung 
der  Anschauung  und  der  Betätigung  liat  sidi  bei 
mir  vollzogen  in  den  legten  lahrzehnten  hinsiditlidi 
dei  Sdiatjung  der  S  t  u  d  i  e  einerseits  und  des  A  t e li e r- 
bildes  andererseits.  ...  Ich  bin  audi  da  angelangt, 
die  vor  der  Natur  gemalten  Stücke  mehr  zu  schätzen 
als  jeglidie  Atelierarbeit,  so  daß  idi  mich  nur  sdiwer 
davon  trenne,  wenn  sie  ausgestellt  werden  und  ver- 
kauft werden  sollen ! 

Im  ganzen  vermag  kein  Künstler  die  Bedingungen, 
unter  denen  ein  Werk  entstand,  sowohl  psydiologisdie 
wie  teduiische,  noch  einmal  erstehen  zu  lassen:  tlber- 
tragung  einer  Skizze  auf  Pappe,  auf  eine  Leinwand 
zum  Beispiel,  ist  ganz  unmöglidi  ohne  Abschwädmng; 
es  zeigen  sich  dabei  Grenzen,  die  unüberwindlidi  sind! 

Fast  leiditer  ist  die  Übertragung  einer  Aquarell- 
Skizze  auf  Leinwand  in  Ölfarbe  -  wohl  audi  weil 
es  keine  Wiederholung  wird,  sondern  eine  tedmisdie 
Neuschöpfung! EUGEN  BRACHT. 


f 


* 


rKulESSOS.  EUGEN  BRACHT  DRESDEN.   WALDWIE.SE  NACH  DEM  REGEN«  (1900). 


PROF.  ALBERT  MAENNCHEX-BERLIN. 
»TANZENDE    MÄDCHEN«.    TEMPERA. 


l'R4iF.  HERMANN  GoHLER -KARI-SRlllE. 


('.EMALr)E:      BEIM  VENi;S-TEMI'EL' 


DIE  GROSSE  BERLINER  KUNST-AUSSTELLUNG. 


L'ber  die  große  Berliner  Kunstausstellung 
'  schreiben,  ist  für  den  ernsten  Kritiker, 
handelt  es  sich  niciit  um  Sonderabteilungen, 
selten  eine  Freude,  und  die  Mühe,  einigermaßen 
gewissenhaft  —  der  Ausstellungsbesuchermacht 
sich  von  der  Arbeit  kaum  eine  Vorstellung  — 
aus  den  2500  Nummern  das  Akzeptablere 
herauszunehmen  und  zu  werten,  ist  ihm  kaum 
zu  vergelten.  Begnügen  sich  die  meisten  doch 
mit  einer  Aufzählung  von  Namen,  die  durch  die 
stets  gleichen  Redensarten  in  Zusammenhang 
gebracht  werden.  Ein  größeres  Publikum  wird 
nicht  leicht  verstehen,  warum  der  Kunstkenner 
an  dem  dort  Gebotenen  keinen  Gefallen  findet  — 
die  Bilder  sind  doch  alle  so  schön  —  und  hält  eine 
Ablehnung  für  die  Folge  eines  Parteistandpunk- 
tes, von  dem  aus  nun  diesen  Künstlern  Unrecht 
geschehe.  Doch  dem  ist  durchaus  nicht  so, 
und  wir  sind  nichts  weniger  als  einseitig,  denn 


wir  schätzen  die  gute  Kunst  jeder  Richtung, 
neben  Cezanne  z.  B.  unseren  Oberländer.  Der 
Grund  aber  für  die  Ablehnung  des  Kenners  und 
den  Beifall  des  Laien  ist  da  zu  suchen:  es  ist 
heute  nichts  seltener,  als  die  Erziehung  des 
Auges;  daher  noch  weniger  gute  Kritiker  als 
gute  Maler.  Spielt  ein  Musiker  einen  falschen 
Ton,  so  hört  dies  jeder  Musikalische  heraus,  er 
braucht  sonst  garnicht  allzuviel  von  Kunst  zu 
verstehen;  setzt  aber  der  Maler  einen  „fal- 
schen Ton"  auf  die  Leinwand,  —  am  Lehrter 
Bahnhof  ist  dies  die  Regel  —  so  sehen  es  die 
wenigsten.  Und  weil  sie  es  nicht  sehen,  — 
was  wäre  auch  schwieriger?  —  bleiben  diese 
Bilder  für  sie  doch  schön.  In  der  Musik  ist  es 
ja  das  gleiche:  den  Unmusikalischen  entzückt 
die  Melodie,  auch  wenn  sie  noch  so  unrein  ge- 
spielt wird.  Fr  kennt  den  Unterschied  nicht. 
Zwischen  den  Bildern  am  Lehrter  Bahnhof  und 


l'.TJ  l.l.  1.  : 


'i 


Die  Siroße  Berliner  Ktinst- Ausstellung. 


dem,  was  wir  unter  Kunst  verstehen,  klafft  da- 
her der  gleiche  Unterschied,  wie  etwa  zwischen 
der  Tannhäuser-Ouvertüre,  die  im  Sommer  bei 
Kroll  gespielt  wird,  und  der,  die  wir  vom  phil- 
harmonischen Orchester  unterMucks  Leitung  im 
Winter  im  Opernhaus  hören.  Nun  ist  es  ganz 
selbstverständlich,  daß  wir  nicht  von  jedem  Or- 
chester solcheMeisterleistung  verlangen  können 
und  daß  es  viele  gibt,  die  sich  mit  derDarbietung 
bei  Kroll  begnügen,  daran  erfreuen.  Nur  darf 
man  dem  Kenner  nicht  verargen,  wenn  er  der 
Ansicht  ist,  die  Maler  am  Lehrter  Bahnhof  zögen 
aus  der  Natur  nicht  mehr  heraus,  verdeutlichten 
ihren  Eindruck  nicht  reiner  und  zwingender,  wie 
etwa  der  Dirigent  und  seine  Leute  bei  Kroll  es 
derKompositiondes  großenMusikers  gegenüber 
vermögen.  Das  Motiv  ist  in  beiden  Fällen  das 
gleiche,  der  Unterschied  liegt  in  der  Behandlung. 
Daß  beide  Veranstaltungen  in  unserer  Zeit  nicht 
zu  umgehen  sind,  sehen  wir  sehr  wohl  ein,  und 
solange  es  Akademien  gibt,  die  ein  Gros  von 
Malern  heranziehen,  wird  es  Ausstellungen 
wie  die  „Große  Berliner"  geben.  Man  geht 
aber  fehl,  wenn  man  behauptet,  daß  wir  unge- 
rechte Anforderungen  stellen;  wir  begnügen  uns 
im  Gegenteil  mit  dem  schlichtesten  Bild,  sofern 
es  ein  reines  Kunstwerk  ist.  In  diesem  Falle 
liegt  es  aber  anders,  nämlich  genau  so  wie  in 
der  Musik:  ein  Volkslied  von  einer  Bauerndirn 
rein  und  ausdrucksvoll  gesungen  (oder  auch  ein 
moderner  Gassenhauer  von  einem  Kabaretti- 
sten), ist  für  ein  empfindliches  Ohr  bessere  Kunst 
als  eine  schlecht  gespielte  Wagnerouvertüre ;  in 
den  Bildern  am  Lehrter  Bahnhof  handelt  es  sich 
aber  zumeist  um  eine  Kunstgattung  dieser  Art, 
und  wenn  ein  renegatischer  Berliner  Kunst- 
kritiker, für  den  früher  in  einseitigster  Weise 
nur  der  Leibl-Liebermann-Kreis  existierte,  sich 
heute  auf  selten  der  „Großen"  schlägt  und  be- 
hauptet, dort  beginne  die  „  Ideenmalerei "  wieder, 
das  Handwerk  sei  diesen  nicht  Selbstzweck,  so 
beweist  er  damit  nur,  daß  seine  früheren  Urteile 
mehr  auf  der  Schärfe  seines  Ohres  als  der  Er- 
ziehung seines  Auges  beruhten.  Dieser  Art 
Ideenmalerei  gab  es  am  Lehrter  Bahnhof  stets, 
und  in  derKamraer  der  nachHunderten  zählenden 
Refüsierten  wird  sie  wohl  neun  Zehntel  aus- 
machen. Wir  dagegen  haben  am  Lehrter  Bahn- 
hof von  jeher  nach  den  vereinzelten  schlichten, 
anspruchslosen  Leistungen  gesucht  und  diese 
gern  herausgestellt  vor  die  Arbeiten  jener,  die 
nicht  wissen,  daß  sie  den  Aufgaben,  die  sie  sich 
wählen,  gamicht  gewachsen  sind,  daß  sie  diese 
Themata,  die  nach  der  Kraft  des  Genies  rufen, 
mißhandeln,  wie  eine  Dorfkapelle  die  9.  Sinfonie. 
So  ist  es  im  Grunde  nicht  Sache  des  Kenners, 
über  derartige  Ausstellungen  zu  urteilen  —  wie 


gesagt,  wer  aus  der  Berliner  Oper  kommt,  hört 
das  gleiche  Stück  nicht  gern  noch  einmal  in  einem 
Provinz -Theater,  und  doch  erfreuen  sich  dort 
Hunderte  daran  — ;  es  ist  eine  Sache  des  großen 
Publikums,  je  nach  dem  Geschmack  des  ein- 
zelnen, sich  das  Seine  auszusuchen.  Hier  fragt 
jeder:  „Was  stellt  es  dar?";  schon  gut,  auch 
wir  sind  für,  nicht  gegen  den  Stoff ;  nur  vergesse 
man  nicht,  daß  nur  die  reinsten,  stärksten  und 
oft  schlichtesten  Mittel  dem  Stoff  seine  eigensten 
Geheimnisse  entlocken,  ihn  zum  Reden  bringen. 
Von  diesem  Standpunkt  aus  sind  wir  gerade 
gegen  das,  was  hier  als  Ideenmalerei  auftritt,  da 
sie  zumeist  von  solchen  gepflegt  wird,  die  dem 
Einfachsten  die  Zunge  nicht  zu  lösen  vermögen, 
und  entscheiden  uns  für  einen  Teil  der  Land- 
schaftsmalerei, die  in  diesem  Jahre  vornehm- 
lich in  den  Düsseldorfer  Sälen  die  Höhe  eines 
anerkennenswerten  Durchschnitts  erreicht.  Es 
kann  den  Düsseldorfer  Künstlern  gamicht  hoch 
genug  angerechnet  werden,  daß  gerade  sie,  die 
so  lange  im  Ruf  der  gemalten  Histörchen  und 
Anekdötchen  standen,  alles  derartige  aus  ihren 
Räumen  verbannten,  auf  die  oben  erwähnte 
mißverstandene  „Ideenmalerei"  größtenteils 
verzichten  und  sich  als  in  einem  unmittelbaren, 
frischen  und  gesunden  Verkehr  mit  der  Natur 
einführen.  Ich  möchte  hier  an  erster  Stelle  die 
beiden  kleinen  Landschaften  von  Ernst  Hardt 
nennen;  besonders  die  „Im  Sonnenschein",  in 
der  mit  bemerkenswerter  Sicherheit  und  Ein- 
fachheit des  Striches  und  Klarheit  und  Bestimmt- 
heit unaufdringUcher  Töne  das  Motiv  belebt 
wird.  Neben  ihm  könnte  noch  auf  manches 
andere  Bild  aus  den  Düsseldorfer  Sälen  ge- 
wiesen werden.  Wende  ich  mich  nun  gar  zu  der 
„Sonder-KoUektion"  von  Gerhard  Jansen 
—  der  besten  unter  den  heurigen  — ,  so  müßte 
ich  sagen:  der  Mann  ist  so  talentvoll,  daß  seine 
Art  mir  schon  einen  anderen  Maßstab  in  die 
Hand  zwingt,  einen,  der  sich  bald  gegen  ihn 
richten  würde;  doch  dann  wäre  ich  genötigt,  den 
Standpunkt  dieses  Berichtes  überhaupt  zu  ver- 
lassen: Jeder  Gegenstand  zwingt  uns  den  Grad 
der  Beurteilung  auf.  So  wird  der  Ausstellungs- 
besucher bald  erkennen,  daß  er  es  in  diesen 
Bildern,  neben  wenigen  anderen,  mit  dem  Aus- 
gereiftesten zu  tun  hat,  dem  er  hier  begegnet. 
Die  Ausstellung  am  Lehrter  Bahnhof  ist  in 
diesem  Jahr  reizloser  als  sonst  wohl,  weil  an- 
regende retrospektive  Veranstaltungen  fehlen. 
Die  Abteilung  „Städtebilder"  vermag  jene  nicht 
zu  ersetzen.  In  ihr  bemerkten  wir  einiges  von 
Thoma,  Trübner,  Schönleber,  das  der  Er- 
wähnung wert  wäre.  Im  ersten  großen  Skulp- 
turensaal dominieren  zwei  Figuren  von  Metz- 
ner;  doch  nicht  nur,  daß  sie  hier  das  Niveau 


y 


k 


^ 


\ 


PKi>K.  A.   KAMI'h- 
(  lIARLiiITENUlRi;. 


(f    Haa-^ 


/.KICIINUNOEN; 
AKTSTUDIEN. 


Dir  oroße  Jierliiier  /\'unsf-.lt(ssfcliu»S;. 


OTTO  THIELE- BERLIN. 


beträchtlich  überragen,  wir  fanden  auch,  daß  sie 
im  Ausformungsvermögen  des  Künstlers  einen 
entschiedenen  Fortschritt  bedeuten,  eine  Ver- 
tiefung, Kräftigung.  War  seinem  Streben  nach 
Größe,  ja  übermenschlicher  Gewaltsamkeit  des 
Ausdrucks  und  der  Form  früher  ein  Zug  von 
Hohlheit  nicht  leicht  abzusprechen,  so  ist  nun 
erfreulicherweise  in  diesen  beiden  Körpern  das 
Gegenteil  zu  konstatieren :  ihre  Kraft  wirkt  echt, 
ihre  Größe  ohne  Anstrengung  groß,  ihre  Haltung 
aus  plastischem  Denken  hervorgegangen. 

Ein  mir  bis  dahin  unbekannter  Name  ist  der 
des  in  Florenz  lebenden  Plontke:  in  seiner 
„Venus"  ist  das  Vorbild  —  Lorenzo  di  Credi  — 
allzu  sichtbar,  und  das  kleinliche  Blümchen  in 
der  Hand  möchten  wir  missen,  sein  florenti- 
nisches  Fuhrwerk  zeigt  mehr  Eigenheit.  Die 
eigentliche  Begabung  des  Künstlers  scheint  je- 
doch im  Dekorativen  zu  liegen. 

Unter  den  der  Zahl  wie  Qualität  nach  nicht 
allzu  vorteilhaft  vertretenen  Ausländern  nimmt 
Brangwyn  den  vorderen  Platz  ein  mit  seinem 
„Trödlerladen",   einem  Bilde,   das  in  der  alt- 


■  AM  .ALI-.XANDER-UI-ER« 


meisternden  Art  des  Kolorits  an  manche 
Malereien  der  vorerwähnten  Düsseldorfer  Ger- 
hard Jansen  erinnert,  doch  gerade  an  die  ihres 
Galerietons  wegen  weniger  selbständigen. 

Von  Münchner  Künstlern  fiel  uns  Hans 
Tg  epper  mit  seiner  „Grünen  Dame"  —  breiter, 
sicherer  Vortrag  im  Scholle-Charakter  —  und 
RobertWeise,  der  jetzt  freilich  unter  die  Stutt- 
garter zu  rechnen  ist,  mit  seinem  jugendlichen 
„Eselreiter"  auf.  Das  Bild  Weise's  ist  sympa- 
thisch durch  eine  schlichte,  anspruchslose,  aber 
aufrichtige  Naturbeobachtung,  der  eine  gleiche, 
neuerdingsvonTrübnervielleicht  ein  kleinwenig, 
jedoch  nicht  nachteilig  beeinflußte  Malweise 
entspricht.  Der  Künstler  hat  sich  eher  entwickelt, 
im  Sehen  bereichert,  als  daß  er  zurückgegangen 
wäre,  gegen  die  Zeit,  da  er  noch  zur  „Scholle" 
gehörte.  —  Dem  holländischen  Amerikaner 
Gari  Melchers  scheint  der  Aufenthalt  in 
Deutschland  schlecht  zu  bekommen.  Gegen 
sein  altes,  qualitätvolles  Bild  „Fechtmeister" 
muß  seine  neue  Produktion  als  ein  bedauerlicher 
Rückgang  bezeichnet  werden;  so  bunt  und  ton- 


i6 


Die  sitvße  Berliner  Kuust-Ausstelluns;. 


HEINRICH  KXIRR— MUN-CHEN. 


los  in  der  Farbe,  wie  konventionell  in  Auf- 
fassung und  Arrangement,  ein  rechterAkademie- 
lehrer-lmpressionismus. 

Als  geistig  und  im  Vortrag  verwandte,  d.  h. 
aus  dem  Sinne  einer  volkstümlichen  Denkart  her- 
vorgegangene Arbeiten  wären  die  „  Bretonischen 
Typen"  von  Jvan  Thiele,  die  „Einholung  der 
Braut"  von  0.  H,  Engel  und  die  „Schwälmer 
Jungen"  von  Thielmann  zu  nennen.  Früher 
begegnete  man  nicht  ohne  Vergnügen  noch 
ähnlichen  Bildern  von  Bantzer  und  Winter,  die 


»FELIITMEISTER  iMAGNA-M  -. 


diesmal  fehlen.  Es  ist  gesunde  Volkskunst,  sach- 
lich und  echt  innerhalb  der  Grenzen  solcher 
Begabungen  gehalten,  wie  in  der  Literatur  etwa 
die  Dichtungen  des  Pastors  Frenssen.  Man 
sieht  diese  Kunst  jedenfalls  lieber  als  einen  ver- 
logenen und  hohlen  Impressionismus. 

Das  ausgesprochene  Gegenteil  solcher  Künst- 
ler, bei  denen  gesundes  Empfinden,  sichere 
Charakter-Beobachtung  und  ein  schlichtes,  aber 
hinreichendes  Können  in  schönem  Gleichgewicht 
einander  die  Balance  halten,  ist  Arthur  Kamp  f. 


I  MAI.DF.: 

I  Kl  MIMI-ISTKK 


Die  oroße  Bctliner  Kmist-AmstelhuK^. 


PROFESSOR  OTTO  H.  EXCI-X      riERLIN. 


Bei  ihm  steckt  alles  im  Handwerk;  aber  das 
eigentümliche  ist,  daß  dieses  hin  und  wieder 
jene  Grenzen  erreicht  —  und  zwar  dort,  wo 
es  mit  den  geringsten  Mitteln  arbeitet,  nur  mit 
der  wie  im  Fluß  hingeschriebenen  Kontur  — , 
da  das  Resultat  jenem  der  vollendeten  Meister- 
schaft der  geistigen  Schöpfung  ähnelt,  gleich- 
kommt: ich  denke  hier  an  die  Riickenlinie  des 
Frauenaktes  in  Rotstift.  Je  mehr  Kampf  gibt, 
je  weiter  er  nach  dem  Innern  zu  ausführt  und 
plastisch  ausfüllt,  je  akademischer  wird  er,  zu- 
mal in  den  „Studienköpfen",  aus  denen  erden 
Modellcharakter  nicht  herausbringt.  Dieser 
Roistiftakt  aber  gehört  zu  dem  wenigen,  das 
man  besitzen  möchte.  —  Die  Figur  eines  jungen 
„Fechters"  steht  ihm  nahe. 

In  einem  der  großen  vorderen  Seitensäle 
findet  sich  unter  den  Berliner  Kollektionen  ein 
aus  7  Riesen -Leinwanden  sich  zusammen- 
setzender Zyklus:  „Lebensgeschichte  einer 
Borsig-Lokomotive"  von  Paul  Meyerheim, 
die  ein  klares  Beispiel  davon  gibt,  was  man  in 
den  70  er  Jahren  in  Berlin  unter  Realismus 
verstand.    Malerisch  ist  das  Bild  „Schmieden 


'XIARIEN  .\N  DER  ELENSIURCiER  KOIIRUE'. 


eines  Treibrades"  wohl  das  gelungenste.  Von 
unserer  Ansicht  aus  wäre  es  dem  Beschauer 
anzuraten,  derartige  Arbeiten  mit  verwandten 
Menzels  zu  vergleichen,  um  zu  einem  klaren 
Schlüsse  und  Urteil  über  Wert  und  Lösung  einer 
solchen  Aufgabe  zu  gelangen.  Nach  der  anderen 
Seite  hin  aber  könnte  er  auch  zur  Taxierung 
von  früheren  und  heutigen  Begabungen,  näm- 
lich um  die  heuligen  nicht  zu  überschätzen, 
was  so  leicht  geschieht,  daran  denken,  was  diese 
nur  der  Zeitströmung  verdanken  und  dazu  die 
geistesverwandten  Secessionisten  Baluschek 
und  Brandenburg  in  Betracht  ziehen. 

Ich  möchte  diesen  Bericht  nicht  schließen, 
ohne  auf  das  in  einem  der  Hauptmittelsäle 
hängende  Porträt  von  Fritz  Pfuhle,  dem 
Schöpfer  der  „Blauen  Madonna",  zu  weisen,  in 
dem  herb  in  der  Farbe,  sachlich  inderZeichnung, 
und  ausdrucksvoll  eine  junge  Dame  dargestellt 
ist.  Es  könnte  natürlich  noch  eine  Reihe  von 
Künstlern  mit  dem  gleichen  Recht  hier  ange- 
führt werden,  doch  eingehender  können  wir  uns 
in  diesem  Jahre  mit  der  Ausstellung  nicht  be- 
fassen   RUDOLF  KLEIN. 


THEODOR  BOHNENBEGER    MÜNCHEN. 
•   .KNABE  AUF  SHET^  AN  D-PONY.    . 


N, 


PROF.  K.  A.  WÜHLE— DANZli;. 


IIIE  BLAI'E  MADONNA« 


QUELLEN  DES  BEHAGENS. 


VOM  SAMMELN. 


Drei  gute  Genien  wirken  am  Behagen  im 
Hause  vor  Allem,  drei  freundliche  Ge- 
schwister: Sie  heißen  Ordnung,  Geschmack  und 
Sammelfreude.  Die  Sammelfreude  sucht  und 
schafft  herbei,  der  Geschmack  wählt  und  wertet, 
die  Ordnung  weist  jedem  seinenPlatz,  waltet  und 
erhält.  Vom  Sammeln  sei  hier  die  Rede.  Der 
Sammeltrieb  (oder  die  Sammelfreude)  ist  ein 
wichtiger  Kulturfaktor:  Er  verbindet  Natur  und 
Menschenwerk  mit  dem  Menschen,  er  verbin- 
det die  Vergangenheit  mit  der  Gegenwart  und 
die  Gegenwart  mit  der  Zukunft,  er  schlägt 
Brücken  von  Seele  zu  Geist  und  von  Geist  zu 
den  Seelen.  Er  bereichert,  belehrt,  er  hebt  die 
Achtung  vor  göttlichen  und  menschlichen  Schöp- 
fungen, er  mehrt  Wissen  und  Erkenntnis.  Seine 
Wurzeln  liegen  tief  im  Gemüt,  wenn  er  sich 
auch  oft  als  einen  Sohn  des  Verstandes  ausgibt. 
Nichts  erscheint  ihm  zu  gering,  er  ist  so  recht 
ein  Beamter  der  AUiebe,  die  ihn  bestellt  hat 
und  besoldet,  ihre  vielfältigen  Kinder  zu  ver- 


einen, zu  hüten  und  zu  bewahren.  Wo  er  nicht 
zu  einer  sinnlosen  Leidenschaft,  zur  törichten 
Habgier,  zur  eigennützigen  Gewinnsucht  ent- 
artet, da  bringt  er  nur  Segen  und  Anregung. 
Wenn  er  auch  nicht  im  eigentlichen  Sinne  zu 
den  erzeugenden  Tätigkeiten  gehört,  so  kann 
man  ihm  doch  nicht  eine  gewisse  Fruchtbarkeit 
abstreiten:  Sammlungen,  feinsinnig  und  von 
hoher  Warte  zusammengestellt,  können  wie 
lebende  oder  sagen  wir  künstlerische  Orga- 
nismen, die  Generationen  nicht  nur  entzücken, 
sondern  auch  befruchten.  Bei  Bildung  dessen, 
was  man  Stil  nennt,  hat  er  einen  hervorragenden 
Anteil.  In  dieser  Hinsicht  ist  er  ein  naher  Ver- 
wandter der  Kunst,  die  er  so  gerne  beschützt. 
In  jedem  umfangreicheren  Menschen  ist  er 
hoch  entwickelt,  aber  er  lebt  auch  in  den 
schlichtesten  Seelen.  Alle  großen  Künstler  sind 
leidenschaftliche  Sammler,  von  denen  ange- 
fangen, die  die  Schatzkammer  ihres  Gedächt- 
nisses mit  Hilfe  ihrer  scharfen  Sinne  mit  den 


24 


I^om  Saf/ime/n. 


l.ri>\VI(.  MlllKMANN      DKMDEN. 


Abbildern  der  Dinge  und  der  Ereignisse  füllen, 
bis  zu  den  großen  Eroberern,  die  die  Museen 
ihres  Vaterlandes  mit  den  Schätzen  der  Kunst 
und  der  Natur  aus  aller  Welt  füllen.  Was 
sammelte  ein  Goethe  nicht  alles?  Man  gehe 
nach  Weimar  und  forsche  in  dem  behaglichen 
schlichten  Tempel  des  Genius  nach:  Er  sam- 
melte Stiche  und  Holzschnitte,  Erinnerungen 
und  Naturalien,  Fayencen  und  Statuen,  er 
sammelte  sich  selbst.  Es  gab  für  ihn,  den  um- 
fangreichsten aller  Deutschen,  so  viele  Gründe 
immer  mehr'und  immer  aufs  neue  zu  sammeln. 
Und  wie  er,  so  taten  es  und  tun  es  noch  alle 
die  Großen,  die  da  wissen,  was  es  heißt;  Sein 
Leben  und  das  Leben  der  Menschheit  zu  leben. 
Will  man  den  Sammeltrieb  in  Kategorien 
einteilen,  so  mag  man  von  einem  ästhetischen 
reden,  einem,  der  auf  das  Aneignen  solcher 
Werte  bedacht  ist,  die  dem  Empfinden  Erre- 
gungen und  Anregungen  bereiten,  von  einem 
wissenschaftlichen,  der  darauf  ausgeht, 
wohlgeordnetes  Material  für  geistige  Arbeiten 
zu  beschaffen,  einem  praktischen ,  der  sich 


01..\1.VL1jU.      I.K.MI.I.ILII 


damit  beschäftigt,  Werkzeug  und  Vorbild  zu 
technischen  Zwecken  zu  gewinnen,  und  endlich 
einen  zärtlichen,  der  seine  Genüge  findet, 
wenn  er  Dinge,  die  für  ihn  mit  einer  lieben 
Erinnerung  an  Orte.  Zeiten  und  Menschen  ver- 
knüpft sind,  um  sich  häuft.  Endlich  könnte  man 
auch  noch  von  einem  phantastischen  Sam- 
meltrieb reden,  doch  bei  näherer  Betrachtung 
ist  er  im  Grunde  nur  eine  Spielart  des  ästheti- 
schen oder  wissenschaftlichen  odei  eine  Per- 
version eines  der  beiden.  Vielleicht  könnte 
man  auch  von  einem  Sammeltrieb  der  Sinne, 
des  Verstandes,  des  Gemüts  und  der  Kräfte 
sprechen.  Für  eine  häusliche  Kultur  ist  das 
Sammeln  von  höchster  Wichtigkeit.  Man  ver- 
gegenwärtige sich  ein  Haus,  wo  nur  angeschafft 
und  beschafft  wird  und  halte  sich  dagegen 
ein  Hauswesen  vor  Augen,  wo  liebevolle  Samniel- 
geister  walten.  Hier  seelenlose  Nüchternheit, 
geschäftliche  Tapeziererherrlichkeit  im  besten 
Falle,  dort  reiches  geordnetes  Leben,  geistige 
Gastlichkeit  und  freundliche  Fülle  —  hier  kalte 
Unpersönlichkeit.dortl'crsönliciikeilundMensch 


25 


l''oTn  Sammehi. 


HANS    lOEPPEK— MÜNCHEN. 

lichkeit.  Am  behaglichsten  werden  sich  immer 
die  Häuslichkeiten  ausnehmen,  wo  jeder  Sam- 
meltrieb ein  Feld  hat;  Eine  schöne  Bücherei, 
Jagdtrophäen,  Waffen,  Bildnisse  verehrter  Hel- 
den. Was  ist  das  Zimmer  des  Hausherrn  ohne 
solche  Beigaben  oder  ähnliche?  Was  ist  das 
Zimmer  der  Hausfrau  —  und  wäre  es  vom 
raffiniertesten  Raumkünstler  ausgestattet,  ohne 
den  zärtlichen  Sammelgeist,  der  nicht  müde  wird. 


i;EiM.\lue;  -die  gru.ne  u.vme«- 


Bildnisse  von  Lieben  um  sich  zu  versammeln  und 
kleine  mysteriöse  Nichtigkeiten  zu  verteilen? 
Es  würde  eben  das  Beste,  das  Weiblich-Persön- 
liche fehlen.  Alle  feineren  Raumkünstler  tragen 
klug  erwägend  diesem  Sammeltriebe  Rechnung, 
indem  sie  diesen  Dingen  liebevoll  schützende 
und  rechtfertigende  Einheiten  gestalten. 

DieEmpf  angsräume  sollen  freilich  frei  sein  vom 
Allzumenschlichen  und  Allzupersönlichen.  Hier 


26 


Vom  Sammeln. 


rKi'UvsoR   .1.  H.  i;m;|-.I.      llKKr.lN. 

muß  der  ästhetische  Sammeltrieb  regieren,  und 
Affektionswerle  sind  hier  nicht  am  I'latze.  Die 
Gastlichkeit  verlanjit  Diskretion  und  verbietet 
es,  dem  ferneren  Besucher  mit  seinen  innersten 
Liebhabereien  zu  kommen.  Gute  Gemälde  und 
schöne  GesJenstände  von  allgemeinem  Interesse 
sind  hier  allein  am  Platze.  Doch  das  sind  Lehren, 
die  allgemein  bekannt  sind. 

P'tne  hübsche  Rücherei,  Vk'er  schätzte  sie  nicht ! 
Wirkliche  Sammlungen  wissenschaftlicher  oder 
ästhetischer  Art  größeren  Umfanges  zu  einem 
kleinen  Museum  vereint,  verleihen  einem  Hause 


ZEU'HNrMi:    »MI    III  K    I    Ml    KIM) 

besonderen  Reiz,  zumal  auf  dem  Lande  sind 
sie  unschätzbare  Anreger,  Tröster  an  Regen- 
tagen und  an  langen  Winterabenden. 

Auch  Korridore  eignen  sich  auf  das  trefflich- 
ste, Sammlungen  irgendwelcher  Art  geschmack- 
voll zu  gruppieren.  Gravüren  aus  fernen  Län- 
dern, Ethnographika,  Waffen,  .lagdtrophäen 
sind  ein  weil  persönlicherer  Schmuck,  voraus- 
gesetzt eine  wirkliche  Sammelleidenschaft  hat 
sie  herbeigetragen,  als  die  schönsten  Schablo- 
nierungen  oder  rhythmischen  Ornamente  eines 
Baumeisters.    Dergleichen   sind   in  öffentlichen 


Vom  Sammeln. 


I'AUI.  PLÖN!  KE- DRESDEN. 


Gebäuden,  in  Hotels,  in  Schulen  vielleicht  an- 
gebracht, dem  Geiste  echten  Behagens,  das 
aus  dem  Menschlichen  seine  Befriedigung  und 
Freude  erzeugt,  widersprechen  sie. 

So  achten  denn  tüchtige  Raumkünstler,  ehe 
sie  ihr  Werk  in  einem  Hause  beginnen,  sorg- 
fältig auf  die  Sammelleidenschaften  der  Bewoh- 
ner, und  wo  sie  solche  entdecken,  beginnen  sie 
auf  diesen  fußend  ihr  Werk,  und  wo  sie  keine 
starken  finden,  da  suchen  sie  nach  Ansätzen 
und  der  Möglichkeit,  welche  zu  entwickeln: 
Denn  ohne  sie  ist  und  bleibt  ein  Hauswesen 
allenfalls  ein  Dokument  für  die  begabte  Per- 
sönlichkeit des  Raumkünstlers  oder  Architekten, 
wird  aber  nie  ein  Dokument  für  die  Persönlich- 
keit der  Bewohner  sein,  wofern  diese  nicht  ihren 
Ehrgeiz  in  rauhem  Puritanismus  suchen  —  oder 
in  absoluter  Unpersönlichkeit ,  was  allerdings 
auch  ein  Ausfluß  von  Persönlichkeit,  wenn  auch 
kein  menschlicher  und  sympathischer  sein  kann. 
Am  verbreitetsten  ist  in  unseren  Tagen  das 
Antiquitätensammeln  und  in  manchen  Städten 
gibts  ebensoviel  Altertumshändler  wie  Brot- 
läden. Es  ist  das  kein  gutes  Symptom  und  deutet 
darauf  hin,  daß  man  spielerisches  Maskieren, 
ein  Sich-in-andere-Zeiten-Hineinstimmeln  dem 
gesunderen  und  frischeren  Sich-in-seine-Zeit- 
einleben  vorzieht.  Aber  auch  wirtschaftlich 
und  kulturell  ist  das  Altertumssammeln  kein 
Glück!    Ist  es  denn  menschHch,  ist  es  gerecht. 


»FLORENTINISCHES  FUHRWERK« 

daß  ein  Künstler  sein  hundertjähriges  Ver- 
hungerungsjubiläum  gefeiert  haben  muß,  bis  ein 
Trödler  oder  ein  schäbiger  Zwischenhändler 
den  Lohn  für  sein  heiliges  Schaffen  einstreichen 
kann!  —  Gott  sei  Dank  hat  das  Altertums- 
sammeln seine  Strafe  in  sich:  Selten  sind  die 
guten  Antiquitäten,  alt  wie  es  selbst,  ist  das 
Fälschen,  und  die  Austin's  de  Bordeaux,  die 
im  Mittelalter  antiquitätenhungrige  Kaiser  an- 
schmierten, betrügen  auch  noch  unsere  anti- 
quitätenlüsternen Damen  und  Herren  —  und 
betrügen  sie  hoffentlich  noch  so  lange,  bis  sie 
es  endlich  lernen,  daß  gute  ehrliche  Schöpfun- 
gen ihrer  Zeit  besser  sind  als  die  besten,  aber 
unehrlichen  Fälschungen  vergangener  Werte. 
Und  —  Gott  sei  Dank:  Unser  modernes  auf- 
blühendes Kunstgewerbe  und  unsere  frische 
junge  Kunst  mit  ihrem  unendlichen  Reichtum, 
bietet  den  Verständigen  und  Einsichtigen  längst 
ein  dankbareres  ästhetisches  Sammelgebiet  als 
die  zweifelhafte  Luft  der  Trödlerläden. 

Es  hat  Sinn,  historische  Dokumente  zu  sam- 
meln, es  hat  Sinn,  praktische  Dinge  zu  Nutz 
und  Frommen  zu  vereinen,  es  hat  Sinn,  Kunst- 
werke aus  allen  Zeiten  zu  sammeln,  wenn  sie 
echt  und  gut  sind  —  aber  seine  Wohnung  mit 
Trödel  zu  bevölkern,  mit  altem  Gerumpel  elen- 
dester Technik  und  Machart,  nur  weil  es  den 
Nachteil  hat,  alt  und  schmutzig  zu  sein  —  das 
hat  eben  keinen  Sinn,    kuno  gr.\e  Hardenberg. 


28 


i^ 


Ä  t 


-'^^ 


f 


\ 


ARI.    I.AK-si  •%       M    \\tU  ikN. 


GEMÄLDE:      i',\<'  'U.\     Mi   Hl 


t 


W.  HAMBUCHEN— DUSSELDORF.    »FRÜHER  HERBSTMORGEN« 


VAI.KNTIN  DE  /.UBIAURRE. 


»HAUER  AUS  SEGOVIA« 


RAMON  UND  VALENTIN  DE  ZUBIAURRE-MADRID. 


Baskische  Erde  und  die  Meisterwerke  der 
spanischen  Vergangenheit  —  das  sind  die 
nährenden  Elemente  in  der  Kunst  der  Brüder 
Zubiaurre.  In  unseren  internationalen  Aus- 
stellungen sind  sie  längst  gerngesehene  Gäste, 
in  Paris  und  Berlin  haben  sie  ihre  Triumphe  ge- 
feiert, der  Erfolg  hat  ihr  Schaffen  vielseitig  ge- 
krönt. Wohl  gerade  deshalb,  weil  ihre  Kunst 
von  vornherein  national  war  und  blieb.  Der 
Ernst,  die  Strenge  spanischen  Wesens,  das  eher 
zur  Härte  als  zur  Liebenswürdigkeit  neigt, 
treten  stark  hervor.  Scharf  und  tief  gekerbt 
wie  die  Züge  der  baskischen  Bauern,  die  den 
Brüdern  so  oft  als  Modelle  gedient  haben,  ist 
auch  das  Antlitz  diescrKunst, herb,  verschlossen 
und  voll  pompöser  Repräsentation  ihre  Haltung. 
Die  spanische  Kunst,  die  Dichtung  nicht  ausge- 
schlossen, kennt  nicht  das  pikante  Flirren  des 
Lichtes,  kennt  nicht  das  gallische  Lächeln  und 
nicht  die  tiefe  germanische  Süße  eines  von  Grund 
aus  malerisch  erfaßten  Weltbildes.    Ihr  Grund- 


zug ist  Herbheit  und  Härte,  düstere  Pracht  und 
Vornehmheit  der  Gebärde,  Armut  der  Abstu- 
fungen und  Vorherrschaft  des  Zeichnerischen. 
In  diesen  Gemälden  der  Brüder  Zubiaurre 
gehen  die  Linien  einen  unbestechlich  klaren  und 
strengen  Gang;  klar  und  großflächig  sitzen  die 
Töne  nebeneinander,  für  welche  in  der  Haupt- 
sache das  graugelbliche  Grün  des  Apfels  cha- 
rakteristisch ist.  Das  Momentane  der  Erschei- 
nung aufzufassen,  lehnt  diese  Kunst  von  vorn- 
herein ab.  Sie  ist  auf  das  Ewige,  das  Dauer- 
bare der  Objekte  eingestellt,  mithin  in  ihrem 
Charakter  wesentlich  idealistisch  angelegt.  Den 
Reiz  der  Bewegung  scheint  sie  nicht  zu  kennen ; 
es  sind  immer  die  Augenblicke  tiefer  innerer 
und  äußerer  Ruhe,  in  denen  sie  ihre  Menschen 
erfaßt :  Bauern  beim  Gebet,  im  beschau- 
lichen Trunk,  Menschen,  die  zu  wissen  scheinen, 
daß  man  sie  porträtiert  und  die  daher  alle 
Sammlung  der  Seele  aufbieten,  damit  in  ihren 
Zügen  das  Innere  kräftig  nach  außen  trete. 


I9i-j;i:!.  I.  4. 


3' 


Ratnön  und  Valentin  de  Zubiaurre-Madrid. 


RAMiiN  UE  ZUlilAURRE— MADR[D. 


Seltsam  und  in  der  Geschichte  der  Malerei 
nicht  oft  erhört  ist  dieses  Zusammenwachsen 
zweier  Künstlerpersönlichkeiten  zu  einem  ein- 
zigen, geschlossenen  „CEuvre".  Nur  im  AUer- 
persönlichsten,  im  Strich,  im  Manuellen  des 
Ausdrucks  bleiben  Unterschiede  bestehen ;  aber 
der  Geist,  die  künstlerische  Auffassung,  das 
Temperament,  das  malerische  Weltbild  haben 
die  Brüder  Zubiaurre  völlig  miteinander  ge- 
meinsam. Offenbar  gab  es  in  ihrer  Entwicke- 
lung  schon  frühe  einen  Punkt,  in  dem  die  bei- 
den, vielleicht  nach  längerem,  redlichem  Diffe- 
renzierungsstreben, ihre  innere  Gleichartigkeit 
erkannten.  Und  von  diesem  Zeitpunkte  an 
dürften  sich  die  Brüder  entschlossen  haben,  das 
auf  Unterscheidung  gerichtete  Bemühen  aufzu- 
geben und  ihre  blutsverwandten  Kräfte  unter 
einer  ideellen  „Personal -Union"  zu  sammeln. 
Ich  glaube,  man  hat  in   diesem   gegenseitigen 


»DER  CHEl-    DER  FAMJLIE« 


Opfer  nur  einen  Beweis  für  den  tiefen  Ernst 
und  die  Strenge  ihrer  künstlerischen  Auffassung 
zu  erblicken.  Dieses  Opfer  der  Subjektivität 
konnte  nur  geschehen  auf  Grund  der  Überzeu- 
gung, daß  Kunst  die  Offenbarung  von  etwas 
objektiv  Gesetzmäßigem  ist.  Man  sieht  ja,  wie 
selbst  das  fingierte  Subjekt,  das  Blut,  das  Genie 
der  Familie,  in  den  Bildern  der  Brüder  hinter 
der  ruhigen,  leidenschaftslosen  und  doch  festen 
Erfassung  des  Objektes  schlicht  zurücktritt. 

Mit  ihrer  ganzen  idealistisch-konzentrierten 
Art  gehören  die  Brüder  Zubiaurre  zu  jener 
großen  und  im  Grunde  genommen  zeitlosen 
Gruppe  von  Malern,  der  viele  der  Primitiven, 
der  Männer  wie  Hodler,  Karl  Haider  und  alle 
diejenigen  angehören,  in  deren  Werken  weniger 
das  unruhige  Subjekt,  als  das  echte,  wahre  ob- 
jektive Wesen  der  Welt  zutage  tritt.  Es  ist 
ganz   folgerichtig,    daß    in    ihren   Werken    das 


32 


Rainön  und  l^alentin  de  Zuhiaurre   Madrid. 


VALENTIN  l)E  ZUItlAUKKE -MAÜKU). 


Schwergewicht  nicht  auf  dem  malerischen  Reize, 
sondern  auf  dem  kompositionellen  Wohllaut 
liegt.  Wie  allen  Idealisten  ist  ihnen  das  lineare 
Element  das  Wertvollste,  bauen  sie  ihre  Bilder 
nach  strengen  architektonischen  Grundsätzen 
auf.  Sehr  oft  bedienen  sie  sich  der  Silhouetten- 
wirkung, besonders  Valentin,  der  es  liebt, 
dunkle  Figuren  als  große  ruhige  Flächen  auf 
hellen  Grund  zu  stellen  und  so  oft  linienrhyth- 
mische Wirkungen  von  beträchtlicher  Kraft  und 
stiller  Schönheit  erreicht.  — 

Zum  Schlüsse  darf  vielleicht  noch  ein  weniges 
über  die  Künstler  selbst  gesagt  werden.  Sie 
entstammen  einer  alten  baskischen  Familie  und 
sind  beide  noch  jung  und  im  Anfange  ihres 
Weges.  Valentin  ist  am  22.  August  1879,  Ra- 
mon  am  1 .  September  1 882  geboren,  der  erstere 
in  Madrid,  der  letztere  in  einem  kleinen  Dorfe 
Vircaya.  Den  lebhaften  künstlerischen  Impuls 
verdanken  die  Brüder  dem  Vater,  einem  Musiker 
von  Rang  und  von  großer  Kraft  der  Begabung. 


»RCCKKEHK  vom  MARKT 


Ihre  erste  Ausbildung  erhielten  sie  an  der 
Madrider  Akademie;  dann  folgte  ein  mehrmo- 
natlicher Studienaufenthalt  in  Paris.  Reisen 
führten  die  Brüder  durch  alle  bedeutenderen 
Kunstzentren  Europas;  hier  sammelten  sie,  vor 
den  Meisterwerken  alter  und  neuer  Zeit,  die 
Eindrücke,  die  ihnen  schließlich  die  F'reiheit 
gaben,  nach  ihrer  Heimkehr  ganz  national  und 
eigenartig  zu  produzieren.  Die  Kenntnis  alles 
Fremden  diente  lediglich  dazu,  ihnen  ihren  er- 
erbten Besitz  an  wurzelhafter  Eigenart  stärker 
zu  fühlen  zu  geben;  nirgends  sieht  man  sie  in 
ihrem  Schaffen  fremdem  Einflüsse  erliegen.  Ich 
kann  die  Bemerkung  nicht  unterdrücken,  daß 
hierin  ein  nachahmenswertes  Beispiel  für  viele 
unserer  jungen  Künstler  liegt.  Jedes  Studium 
des  Fremden,  das  nicht  die  schärfere  Heraus- 
bildung der  eigenen  nationalen  Art  zum  Haupt- 
ergebnis hat,  ist  ein  Schade,  keine  Förderung. 
Alles  F'remde  soll  unsere  Eigenform  stärken 
und  festigen,  nicht  auflösen,      wilmelm  michei.. 


33 


VALK.NTIX   DE  ZUIUAUKKE. 


GE^L\LDE:    >  VVALLFAUKliK  - 


WEM  GEHÖRT  DIE  STADT? 

EINE  GRUNDSÄTZLICHE  GLOSSE  VON  RICHARD  SCHAUKAL      WIEN. 


Vrorbemerkung;  Der  schlicht  -  monumen- 
tale ,  historische  „Trattnernhof"  auf  dem 
Wiener  ..Graben"  ist  im  vorigen  Jahre  nieder- 
gerissen worden.  An  seiner  Stelle  erhebt  sich 
eines  der  üblichen  protzigen  Ungeheuer ,  ein 
Doppelbau.  Die  Frage,  ob  zwischen  den  Häu- 
sern —  das  alte  war  ein  „Durch-Haus"  gewesen 
—  eine  auf  der  Grabenseite  überbrückte 
(breite)  Gasse  anzulegen  sei  oder  ob  dies 
ohne  die  (den  Wandcharakter  des  Grabens 
wahrende)  Brücke  zu  geschehen  habe,  war  leb- 
haft öffentlich  besprochen  worden.  Gegen 
den  Durchbruch  hatte  sich,  abgesehen  von 
der  Zentralkommission  zur  Erhaltung  der 
Kunst-  und  historischen  Denkmäler,  neben 
andern  Künstlerverbänden  auch  die  Vereinigung 
bildender  Künstler  Oesterreichs  „Sezession" 
ausgesprochen.  In  einer  Sitzung  der  Bezirks- 
vertretung war  die  Haltung  der  Künstlerschaft 
erörtert  und  gesagt  worden,    zumal  die   „Se- 


zession "  hätte  sich  besser  nicht  einmischen, 
vorerst  ihr  eigenes  Gebäude  bedenken  sollen. 
In  einer  Großstadt  sei  der  Verkehr  zu  heben, 
nicht  aber  durch  Schrullen  zu  behindern.  Da- 
gegen hat  die  „Sezession"  protestiert  und  im 
Protest  hervorgehoben,  daß  der  Verkehr  kei- 
neswegs behindert  wäre,  wenn  man  das  un- 
nötige Aufreißen  der  Platzwand  vermiede.  Es 
handle  sich  dabei  übrigens  gar  nicht  um  den 
Verkehr,  sondern  um  die  Steigerung  des  Miet- 
wertes der  in  jener  Gasse  unterzubringenden 
Geschäftslokale.  Die  Bezirks-Vertretung  hat 
die  Zuschrift  der  „Sezession"  zurückgewiesen, 
weil  es  nicht  Sache  der  Vereinigung  sei,  sich 
darum  zu  kümmern,  was  in  einer  Sitzung 
„freigewählter  Männer"  gesprochen  worden 
sei,  und  dies  zu  rügen.  —  Die  Grabenwand 
wird  aufgerissen. 

Am  „  Graben  "  ist  nicht  mehr  viel  zu  verderben. 
Seit  ihm  die  ehrwürdig-heimUche  Wirkung  des 


34 


IVefU  ochört  die  Stadt? 


RAM6n  de  ZUWAURRE— MADRID. 

ruhigen,  großen  „Trattnernhofs"  weggenommen 
worden  ist,  verbleibt  ihm  nur  noch  das  edle, 
heitere  Gebäude  der  Sparkasse  als  vereinsamtes 
Zeichen  einer  besseren,  einer  vornehmerenZeit, 
verbleibt  ihm,  der  selbst  nicht  mehr  ist.  Wo 
ist  der  Wiener  „Graben"?  Sieht  man  wirk- 
lich noch  die  „Pestsäule",  oder  steht  sie  bereits 
im  Museum  —  dieser  trübseligen  Ausflucht  der 
ihre  Grundlage,  die  Kultur,  zerstörenden  „Bil- 
dung" — ,  sieht  man  noch  die  zwei  lieben  kleinen 
Brunnen?  Fremde  finden  jene  nach  dem  Reise- 
handbuch, Kinder,  die  im  Wasser  das  ewige 
Antlitz  der  Natur  lockt ,  schenken  diesen  ihre 
unverderbte  Aufmerksamkeit;  der  Wiener  von 
heute  sieht  „Auslagen"   und  Bekannte,  Stell- 


»PORTRÄT  MIQUEL  DE  TJNAMUN     SALAMANCA« 

wagen  und  „Autotaxi",  je  nachdem,  kaum 
mehr  die  einst  hier  herrschende  Reihe  der 
Grabenfiaker,  die  wohl  auch  bald  ins  Museum 
werden  wandern  müssen.  Aber  man  beschwöre 
einen  alten  Wiener  und  frage  ihn  nach  dem 
„Graben";  er  würde  ihn  nicht  finden.  An  sei- 
ner Stelle  stehen,  dem  Volk  der  Müßiggänger, 
das  nur  in  Augenhöhe  Umschau  hält ,  unsicht- 
bar, die  ordinären  Gebäude,  die  viel  von 
falscher  Prunksucht  und  hohem  Zins,  nichts  aber 
vom  Wesen  der  einzigartigen  Stätte  aussagen, 
die,  wie  der  Stefansturm,  wie  die  Reste  der 
rheresianischen  und  Joscphinischen  Noblesse, 
Wien  als  ein  kostbares  Stück  lebendiger  Kultur- 
geschichte hatte  gelten  lassen.    Es  handelt  sich 


37 


Wem  gehört  die  Stadt? 


KAMON   DE  ZUUIAUKKE  -MAUKID. 

also  gar  nicht  mehr  um  den  „Graben",  dem  ja 
auch  bereits  die  wundervollen  Paläste  seiner 
melancholischen  Zubringer,  der  melodisch  ge- 
wundenen Seitengassen,  vom  geschändeten 
Leib  gerissen  werden  ,  es  handelt  sich  darum, 
ob  es  wahr  ist,  daß  sich,  wenn  Wien  zerstört 
wird,  dieKünstler  nicht  einzumischen 
hätten. 

Es  bleibt  ja  leider  ein  meist  aussichls-  und 
ergebnisloses,  ein  ideales  Unternehmen,  wenn 
sie's  tun.  Aber  sie  können's  einmal  nicht 
lassen,  und  nun  sollen  sie's  nicht  einmal  mehr 
dürfen ,  die  armen  Narren  der  besseren,  das 
ist  natürhcherweise  der  schwächeren  Über- 
zeugung? Ich  meine,  nicht  nur  diese  weni- 
gen Rufer  in  der  Wüste  dürften's ,  sondern 
es  müßte  ihr  uneigennütziges,  ihr  dankens- 
wertes ,  ihr  mutiges  Auftreten  für  die  Sache 
Wiens  ein  Echo  wecken  ,  das  nicht  verhallte. 
Ich  wiederhole ,  es  handelt  sich  hier  garnicht 
um  den  „Graben",  dieses  armselige  Zerrbild 
einstiger  Schönheit,  es  handelt  sich  nicht  darum, 
was  für  Gründe  für  das  Aufreißen  seiner  Platz- 
wand „freigewählte  Männer"  sich  nicht  bereden 


»EIN  FESTT.'^G  IN  GARAY« 

lassen  mögen,  es  handelt  sich  darum,  ob  Wien 
als  eine  zwar  längst  brüchige ,  aber  doch  noch 
nicht  verendete  sinnfällige  Vorstellung 
den  Wienern  gehört  oder  den  Hausherren. 
Man  sollte  denken ,  daß  darauf  Wien  selbst 
seinen  „Vertretern"  die  Antwort  auch  ohne  die 
Künstler  nicht  schuldig  bleiben  könnte. 

Dürfen  Hausherren  eine  Stadt  auf  ihre  Fasson 
erneuern?  Es  ist  geschehen.  Es  geschieht 
täglich  um  uns  herum  —  man  wagt  es,  selbst 
in  seine  Rebengelände,  dort,  wo  noch  in  alten 
Gärten  selige  weiße  und  gelbe  Alt  -Wiener 
Träume  dauern ,  Schandgreuel  baumeister- 
lichen Stumpfsinns  zu  verpflanzen  —  aber 
darf  das  wirklich  sein?  Nein!  Erzwingen 
müßte ,  wenn  schon  die  Theorie  versagt ,  die 
Norm  mangelt ,  der  ungeduldige  Unmut  der 
von  diesem  Unfug  Betroffenen ,  durch  ihn 
schwer,  an  der  Seele  Geschädigten  eine 
andere,  eine  derTradition,  der  Geschichte  Wiens 
würdige  Praxis.  Glaubt  dieses  scheinbar  teil- 
nahmslose, aber  sehr  beteiligte  Publikum,  daß, 
wenn  es  schon  selbst  geblendet  ist  vom  After- 
tum  seiner  gottverlassenen  Ära,  seinem  Nach- 


38 


Wem  gehört  die  Stadt? 


KAM^'N   DE  /.riUAl  KKE     MAliRlli 


wuchs  nichts  fehlen  werde,  dem  es  dereinst  — 
denn  üiese  „Kultur"  muß  ja  doch  auch  einmal 
zugrunde  gehen  —  Rechenschaft  wird  ablegen 
müssen  über  sein  unsühnbares  Versäumnis? 
O,  es  gibt  Erinnerungen  an  nie  Gesehenes, 
Atavismen  der  immer  neuen  und  doch  uralt- 
ewigen Phantasie,  die  sich  anklagend  erheben 
gegen  schlechte  Hüter  des  wahrhaftigen  Hortes. 
Es  gibt  eine  Trauer  auf  Ruinen  —  und  nicht 
einmal  Ruinen  werden  zeugen!  —  die  ebenso 
schmerzlich  ist  wie  der  erlebte  Abschied.  Wer- 
det ihr  euren  Enkeln  zur  Rechtfertigung  eurer 
Sünden  wider  den  heiligen  Geist  dieser  Stadt 
vielleicht  vom  „Verkehr"  sprechen,  dem  immer 
wieder  mitten  durch  kostbarsten  ererbten,  von 
den  Vorfahren  euch  anvertrauten  Wert  öde 
Gassen  hätten  gebrochen  werden  müssen? 
Vom  Verkehr,  der  sinnlos,  aber  alle  Sinne  massa- 
krierend, sich  selbst  zum  Ziel  setzt  und  wie  die 
Wassersucht  den  Umfangeines  organischen  Ge- 
bildes wohl  ins  Maßlose  erweitert,  aber  seine 
Form  zerstört!   Und  —  werden  eure  Enkel,  die 


-M.VÜCllE.N   .VUS  SALA.MA.NCA^ 

trotz  Luftschiffen  doch  wieder  am  Himmel 
werden  gelandet  sein,  fragen,  —  und  habt  ihr, 
Sklaven  der  Mittel  ohne  Zweck,  denn  eurem 
Götzen  nicht  huldigen  können,  ohne  ihm  Heka- 
tomben zu  schlachten?  Hat  er  sich  nicht  be- 
dienen lassen ,  ohne  daß  ihr  euch  von  allem 
entblößtet,  was  dem  armseligen  menschlichen 
Dasein  Inhalt  gibt:  Sitte, Rhythmus, Harmonie? 
So  werden,  so  müssen  eure  Enkel  sprechen, 
denen  ihr  weismachen  wollt,  daß  sie  Wiener 
wären,  und  die,  erfüllt  vom  wehmütigen  Zauber 
alter  Bilder,  Wien  suchen  werden,  das  ihr  euch 
vor  der  Nase  in  eine  Barbaren-Ansiedlung  habt 
verwandeln  lassen!  —  r.  sch. 

Wir  iiiiisscn  dem  uns  iiinewoliiiciuk'ii  Driiny  luidi 
sdionlic-itsvoller  Gcstdltiiiui  jene  Ziele  und  Riditlinicn 
yeben,  die  aus  unserer  Kultur  lieivoryelicn  und  uns 
mit  dem  portsdiritt  des  Zeitgeistes  tiudi  im  Kunst- 
leben vorwärtsbringen.  Wir  müssen  suHien,  mit  der 
liußersten  Erfüllung  der  Anfijiibe  liinsiclillieh  Zweck, 
Todniik  unseren  IJcuiwerken  dudi  die  ihrer  Bestinnnuriy 
entsprcdiende   Sdiönlieit   zu  geben.   .   .   MARI>1A(I(I. 


39 


VALENTIN  UE  ZUBIAURKE-MACRID. 


»BASKISCHE  TYPEN« 


R.\MoX  DE 
ZUBIAÜRRE- 

MADRID.      K^s 


»DIE  ALTEN  VON  ONDAkROA« 


PROF.  A.  NIEMEYER-MÜNCHEN. 

PORTAL  DES  HAUSES  A.  KRAWEHL -ESSEN. 


>^DELBERT 


NIEMEYERj 


Niemeyers  Ansprache  hei  der  Einweihung  des  Hauses. 

..Das  Programm  des  Festes  erfordert  es,  daß  ich  als  Architekt  die  Übergabe 
des  Hauses  mit  einigen  Worten  einleite:  Meinem  Bauherrn  zur  Freude  und 
mir  zum  Stolz  gereicht  es,  daß  ein  so  illustrer  Kreis  von  Gästen  zu  dieser 
Feier  erschienen  ist.  Zunächst  muß  ich  meinen  Geschwistern  meinen  Dank 
aussprechen  für  das  einzig  dastehende  Vertrauen,  das  sie  mir  erwiesen, 
indem  sie  mir  die  ganze  Herstellung  des  Baues  vor  zweieinhalb  Jahren  über- 
trugen. Dieses  Vertrauen  habe  ich  zu  rechtfertigen  versucht,  indem  ich  mich 
bemüht  habe,  das  Haus  dem  Wesen  seiner  Bewohner  anzupassen.  --  Ich 
hoffe,  es  spiegelt  sich  in  allem,  was  Sie  innen  und  außen  am  Hause  sehen,  der 
vornehm  schlichte,  großzügige  Charakter  des  Hausherrn,  dem  jeder  falsche 
Prunk  fernliegt,  seine  Begeisterung  für  alles  Künstlerische  und  seine  Vor- 
liebe für  das  Gediegene  ebenso  wieder,  wie  das  lebensfrohe,  anmutige  und 
heitere  Wesen  der  Hausfrau.  —  Vergeblich  werden  Sie  suchen  in  diesem 
Hause  nach  Teppichen  des  Orients,  nach  Palisander,  Perlmutter  und  Elfen- 
bein, vergebens  nach  Räumen  im  Stil  Louis-seize  oder  Louis-Philippe,  des 
noch  Moderneren.  Es  ist  alles  gut  deutsch  ausgefallen,  hoffe  ich,  Stil: 
Krawehl-Niemeyer.  —  Und  das  Beste,  was  Sie  am  Bau  sehen,  ist  das,  was 
Sie  nicht  gleich  sehen,  es  ist  die  Güte  deutscher  Handwerkskunst.  —  Ich 
überreiche  Euch  nun  als  letzte  Arbeit  am  Bau  den  Schlüssel  der  Tore: 
Verschließt  damit  die  Pforten  den  Poesielosen  und  Kleingläubigen,  öffnet 
damit  Euer  Heim  allem  Schönen,  den  Künsten,  der  Freundschaft  und 
Treue,  und  laßt  ein  jederzeit  solche  Gäste,  wie  Ihr  sie  heute  geladen  habt." 


i;m-';i3.  I. 


U 


I'KOt.  A.  KIEMEVEK— MÜNCHEN. 


HAUb  A.  KKAUEHL      EbSEN. 


ADELBERT  NIEMEYERS  HAUS  KRAWEHL. 


Hervorragende  künstlerische  Überlegenheit 
in  Form  und  Sinn,  durch  Erfindung  und 
Anpassung,  Architektur  und  Zier  spricht  aus 
der  kurzen,  vielsagenden  Ansprache  Nie- 
meyers, die  ich  mit  herzHcher  Freude  meinen 
Zeilen  vorausschicke. 

Diese  wfoUen  beschreiben  und  charakteri- 
sieren. —  Beides  läßt  sich  hier  kaum  trennen: 
Denn  wo  der  Künstler  mit  jeder  Gabe  in  reinen, 
vollen  Akkorden  der  Hausfrau  heiteres  Wesen, 
des  Hausherrn  großzügigen,  schlichten  Sinn 
symphonisch  umschloß,  da  hat  die  ganze  Anlage 
und  jeder  Raum,  da  hat  Größtes  und  Kleinstes 
viel  mehr  als  architektonischen  oder  zierenden 
Zweck,  da  ist  alles  und  jedes  Schöpfung  eines 
unnachahmlichen  künstlerischen  Ingeniums. 

So,  als  ob's  nicht  anders  sein  könnte,  ist  das 
Äußere,  sind  Umriß  und  Aufbau  des  großen, 
freistehenden  Hauses.  In  der  breiten  Anlage 
liegt  gefestigtes  Behagen.  Die  Schlichtheit,  die 
doch  zu  dominieren  weiß,  die  hofbildende 
Stellung  der  drei  Hausteile,  das  vorspringende 


Portal,  die  Symmetrie  der  Massen,  der  Fenster 
und  Kamine,  die  Meidung  alles  Unruhigen, 
Überflüssigen ,  Gesuchten  und  Auffallenden 
verleihen  dem  Hause  zurückhaltenden  Adel. 
Keine  unruhige  Geste,  kein  buntes  Tuch.  Es 
wirkt  wie  einer,  der  durch  feste  Einheitlichkeit 
der  Gedanken  und  Äußerungen  zur  Führung 
begabt  ist.  —  Die  grauschwarzen  Reeser  Pfannen 
des  gebrochenen  Daches  über  gelblich  weißem 
Verputz,  die  warm-grauen  Fensterläden,  die 
die  weißen  Fensterstöcke  noch  lichter,  noch 
freundlicher  rausschauen  lassen,  das  schwarze 
eiserne  Gitter  zwischen  der  rustikalen  Mauer 
und  an  den  Balkons  geben  dem  ganzen  Grund- 
stück behagliches  Selbstbewußtsein.  —  Und 
was  an  die  alten  heimischen  Kotten,  an  alte 
Bauart  erinnert,  entspringt  tüchtigem  Sinn,  ge- 
sundem Gefühl  für  bleibende  Werte  jenseits 
von  modern  und  unmodern. 

Wer  Niemeyers  eminente  künstlerische 
Selbstzucht  ermessen  will,  prüfe  das  schlichte 
äußere    Tor     und     den    Portalvorbau    genau 


44 


SCHMIEDEEISERNES  TOR  AM  HAUS  A.  KRAWKHL. 


AMOEIDEZ 
D  KINDER. 


i 


i 


PROFESSOR  ADELBERT  NIEMEYER— MÜNCHEN. 
WESTSEITE  DES  HAUSES  A.  KRAWEHL— ESSEN. 


PRÜF.  AllKl.lU.KT  NJKMliVKK-    MINCHKN. 


ÜSI-   LMj  Ui.,-,I.S1.IIL  1J|>  UACSKS  A.  KKAWKIll.. 


\     MI      U    >  :   k       Ml    \i    III   N       -  I  K   \-~l 


\     I.  I     \\\  1   Hl        1  -.MCN. 


l'Ruh.  A.  MtMtiKK-MUNCHliN.    VESllHÜL  UND  HERREN-GARDEKOllE  IM   HAUSE  A.  KkAWEHL-ESSEN. 


l'KOF.    A.  iME.MEVER.     HALLE   IM    HAUSE   A.  KRAWEHL. 
AUSFÜHRUNG:   DEUTSCHE  WERKSTÄTTEN  —  MÜNCHEN. 


mjii' » 


Mil. 


u 

o 


D 
•< 

2 

U 

n 
u 
z 

o 


^■lihlheti  Xietuexers  I/tms  KraivehL 


(Seite  45  und  42).  Eklektiker  hätten  diese 
exponiertesten  Teile  reicher,  andere  hätten 
durch  komplizierte  Linienführung  die  Augen 
bis  zur  Ermüdung  zu  reizen  versucht.  Ein  Mo- 
derner aber  von  der  Sicherheit  Niemeyers  läßt 
ruhig  Sensationssucher  und  Unkünstlerische 
vorübergehen;  der  Reiz  dieser  geschwungenen, 
bergenden  Linie  über  den  Torstäben,  das  ganze 
Tor  wird  ja  doch  einmal  von  guten  Nach- 
empfindern, aber  schlechten  Erfindern  nach- 
gemacht werden  —  zur  späteren  besten  An- 
erkennung. —  Das  gleiche  gilt  vom  l^ortalbau. 
Welche  Noblesse,  welche  Gemessenheit,  welche 
leinheit  gegenseitiger  Wirkungen.  Diesmal 
sind  reiche  Mittel  in  Dienst  gestellt.  Fein  ge- 
schwellte, würdige,  feste,  monolithe  Säulen  aus 
Ruhrkohlensandstein  tragen  den  schützenden 
Balkon.  Die  massive  Portalwand  aus  Treucht- 
lingcr  Marmor  von  verhaltener  Farbe  um- 
schließt   die    mitt  schwarz  -  grünlich   lackierte 


Haustür.  Aus  ihren  ungeteilten  tiefen  Flächen 
leuchten  kräftig  gearbeitete  Messingbeschläge. 
Das  ist  echt  Nicmeyersche  Kunst :  liebenswürdig 
lachend,  so  nur  um  die  Mundwinkel  und  mit 
fröhlichen,  schelmischen  Augen.  Über  der  Tür 
eine  Marmorkartuche  mit  dem  I  lauszeichen  der 
Krawehls  —  eine  Karawelle,  die  mutig  die 
Wellen  teilt.  Könnte  auch  Niemeyers  Zeichen 
sein,  seine  tüchtige  Kunst  gewinnt  reiches  Neu- 
land der  Schönheit. 

Die  Umfriedung  des  Grundstücks  folgt  ge- 
schickt den  Essener  Bauvorschritten  so,  daß 
nur  die  Teile  des  Gartens,  die  dem  Verweilen 
der  Familie  dienen,  den  Blicken  der  Passanten 
entzogen  sind.  Die  Quaderung  der  Mauer  hat 
unter  Kohlhart's,  des  verdienten  Bauleiters, 
künstlerischer  Überwachung  jene  scheinbar  zu- 
fällig belebende  Unregelmäßigkeit  bekommen, 
die  wir  in  allen  Flächen  der  Natur  —  allem 
Terrain,  allen  Felswänden  und  Wiesen  — ,  unbe- 


l'KOtESSOR  A.  .\IEMEVER- MÜNCHEN.  KAMINPLATZ  IN  DER  HALLE  A.  KRAWIIIL. 

ArsFÜHRrNG  DER  .\L\R.MOR-AKIIErrEN :  KU^KER  A.-G.     KIEKERSFKI.DEN. 


1912  l:i.  I. 


53 


Adc/heti  Niemevcrs  Haus  Krawehl. 


I'KÜFESSOR  A.  NIEMEVER— MÜNCHEN. 


wüßt  oder  bewußt,  als  reizend  empfinden.  — 
Das  Haus  hat  nur  zwei  Balkone.  Genug  für 
das  Stadthaus  einer  FamiHe,  der  für  alle  schönen 
Tage  auf  naher  herrlicherBerghöhe  ein  Landhaus 
offen  steht.  Wohl  aber  ist  das  flaus  nach  Sonne 
und  Licht  orientiert.  Alle  Wohn-  und  Schlaf- 
zimmer liegen  an  den  Sonnenseiten  desLIauses. 
Auch  das  zeigen  die  Grundrisse :  Regelmäßig- 
keit nach  außen  und  innere  Zweckmäßigkeit 
widerstreben  sich  nicht,  sie  loben  miteinander 
das  Werk  des  Architekten.  Der  folgt  nicht  der 
Tagesmeinung  von  heute,  alles,  was  regelmäßig, 
sei  akademisch,  und  deutscher  Art  entspräche 
nur  die  unregelmäßige  Fassade.  Diese  Meinung 
ist  falsch  und  bequem.  Die  vollendete  archi- 
tektonische Schöpfung  geht  nicht  aus  der  Er- 
füllung zweckmäßiger  Forderungen  allein  her- 
vor, —  sondern  immer  aus  einer  gesetzmäßigen 
Meisterung  der  Form.  Leichter  ist's  „malerisch- 
unregelmäßig" zu  bauen,  als  praktisch  und 
ausgleichend.  Die  Meister  der  Baukunst  aller 
Zeiten  sind  Anerkenner  des  Problems,  das  auch 
hier  Niemeyer  gelöst.  Hat  er  doch  die  einzel- 
nen  Raumgruppen    des    Hauses    zu    je    einer 


HALLE  IM  HAUSE  A.  KRAWEHL     ESSEN. 


Einheit  zusammenzuschließen  gewußt.  —  Mit 
welch  farbfreudiger  Liebwürdigkeit  empfängt 
nun  dies  Haus  den  Eintretenden.  Weder 
Bilder  noch  Worte  geben  dies  wieder.  Nie- 
meyers Räume  lachen  und  leuchten  auch  bei 
trüben  Tagen  von  Licht,  Sonne,  Farbe.  Wie 
armselig  schaffen  neben  ihm  so  viele  Architek- 
ten, die  von  der  technischen  Hochschule  nur 
Raumrechenkunst  und  Eklektizismus  mitge- 
bracht. Über  diesen  steht  Niemeyer,  dessen 
Malername  die  Secession  ehrt,  als  genialer 
Neuerer  und  Führer.  Besonders  in  Anlage  und 
Gestaltung  der  Parterreräume  des  Hauses  Kra- 
wehl bewährt  sich  unser  Künstler  als  zweifach 
hochbegabter  Architekt.  Frei  von  der  hemmen- 
den Gedächtnisbelastung  der  Nachahmer,  folgt 
er  allen  Großen  der  Baukunst  in  der  gegen- 
seitigen Wertung  aller  Größen,  aller  Formbezie- 
hungen gestaltender  und  zierender  Teile.  Aber 
ein  Neues  gibt  er  in  unvergleichlicher  Weise. 
Ich  kenne  keinenAlten,  keinenModernen,  der's 
ihm  hierin  gleichtäte.  Er  macht  sich  auch  als 
Architekt  die  Farben  Untertan  ohne  jede  Auf- 
dringlichkeit der  Wirkung.    Das  ist  das  aus- 


54 


PROFESSOR  A.  NIEMKVEK  MÜNCIIICN". 
HAUS  A.  KKAWKllI.— ESSEN.  AUlüANc;  MIT  TKül- 
PEN  -  l'KOSTEN  VON    NIDDA-RÜMEI.IN     MÜNCHE.N. 


A'hlhcrt  Xietiicvers  Ilmis  hrawchl. 


PROF.  ADELBEKT  NIEMEYER— MÜNCHEN. 


zeichnende ;  dem  rätselhaften  Zauber  seiner 
farbeinheitlichen  Räume  wird  sich  jeder  hin- 
geben, nur  wenige  werden  sich  sofort  darüber 
klar  werden.  Das  gemessen  hohe  Entree  erfüllt 
immer  warmes  wie  sonniges  Licht.  Die  orange- 
gelben Vorhänge  der  dunklen  eichenen  Glas- 
türen, der  gelbe  Marmor  der  glatten  Wände, 
die  nur  durch  wenige  schwarze  Linien  aufgeteilt, 
geben  dem  würdigen  Vorraum  frohe  Stimmung, 
nehmen  der  Strenge  das  Pathos  der  Feierlich- 
keit. Wir  sind  in  einem  Hause  der  Sonne 
und  edler  Fröhlichkeit.  Noch  nie  sah  ich  so 
„schmucke"  Garderoben  wie  die  hier  rechts 
und  links  vom  Eingang.  Weiß,  Braun  und  Silber ! 
Glasierte  Tonplatten,  entzückend  gefaßt  nach 
dem  Plafond  zu,  vernickeltes  Metall,  bearbeitet 
mit  der  Liebe  des  GoJdschmieds  und  diese  Kühle 
und  Frische  des  Vorraums  wieder  getaucht  in 
ein  warmes,  orangenes  Licht. 

Aus  den  niedrigen  Vorräumen  tritt  man  nun 
in  den  höchsten  Raum  des  Hauses,  die  wohn- 
liche Halle,  um  die  sich  Musik-,  Eß-,  Damen- 
zimmer, Bibliothek,  Herrenzimmer  so  grup- 
pieren, daß  alle  Räume  gegenseitig,  alle  mit 
diesem  Hauptraum  unmittelbar  verbunden  sind. 


BIBLIOTHEK.    .\USK;  DEUTSCHE  WERKSTÄTTEN  — MÜNCHEN. 


Und  diese  Verbindung  von  Behagen  und  Opu- 
lenz hat  Niemeyer  durch  Farbenwahl  und  Licht, 
malerisch -architektonisch  anscheinend  ohne 
jede  Mühe  aufs  höchste  gesteigert.  Der  Raum 
hat  kein  direktes  Licht,  und  doch  meint  man  die 
träumerisch-warme  Lichtfülle  zu  genießen  eines 
Lustschlößchens  unter  beschattenden  Bäumen 
eines  Parks.  Von  den  Türen  des  Eingangs,  von 
den  Fenstern  oben  ringsum  wirkt  jenes  warme 
goldene  Licht,  aus  dem  Niemeyer  in  diesem 
Hause,  vortrefflich  rechnend  mit  dem  jeweils 
andersartigen  Reflex  der  Wände,  immer  neue 
Harmonien  der  Töne  und  Stimmungen  zu  schaf- 
fen wußte.  Denn  hier  tritt  wieder  die  klassische 
d.  h.  führende  Mäßigung  der  Mittel  durch  den 
Meister  des  Hauses  hervor.  Er  sucht  nicht,  in 
immer  wieder  anderen,  stark  kontrastierenden 
Farben  die  einzelnen  Teile  des  Hauses  effekt- 
voll zu  machen.  Das  ist  ihm  zu  billig,  zu  äußer- 
lich. Der  Tapezierermanier  stellt  er  höchste 
geläuterte  Kunst  farbiger  Raumschöpfung  ent- 
gegen. Er  arbeitet  nie  „mit  allen  Mitteln"  — 
ein  Gedanke  des  Künstlers  bestimmt  alles. 
Das  sind  Räume,  die  in  der  Bemessung  der 
Höhen,  Weiten  und  Einteilungen  jedem  Archi- 


56 


PROF.  ADELBERT    NIEHEYER  —  MÜNCHEN 
BIBLIOTHEK  IM  HAUSE  KR  AWEHL  -  ESSEN 


$  -r  = 


V^  r-  A  y,  y. 

a  -  a  a  -^ 

j-  Ä  ^  —  w 

<  3!  ^  ^  5 


■Idelbert  Nienieyers  Haits  Krawchl. 


tekten,  in  der  Wertung  und  Nutzung  der  lokalen 
und  der  relativen  Farben  selbst  Meistern  in 
absoluter  Malerei  wie  Whistler  höchsten  Ge- 
nuß bieten  könnten.  —  Architektonisches  und 
Malerisches  läßt  sich  nicht  trennen.  So  kann 
die  Beschreibung  nur  trennen,  was  gegenseitig 


gedacht  ist,  keine  Aufzählung  der  Mittel  das 
Ganze  erschöpfen.  Denn  nirgends  und  niemals 
benutzt  Niemeyer  Mittelchen  oder  gar  Witzchen, 
nicht  Gobelins,  Aubussonteppiche  und  Empire- 
lüster, die  selbst  recht  anerkannte  Architekten 
unserer  Zeit  nicht  verschmähen. 


I'KLIF.   A.  MEMEN  EK 


MÜNCHEN.  AUSF:  DEUTSCHE  WERKST.-MÜNCHEN  (1904).  HERRENZIMMER  IM  HAUSE  A.  KRAWEHL. 


Adclbot  Xtancvers  //aus  /\rmve/il. 


Nur  einige  harbnotizen  zu  den  Bildern:  Der 
Kamin  da  aus  tiefem  verde  antico,  in  den  be- 
haglichen geblümten  Sesseln  grün  und  rot.  Das 
Kränzel  oben,  so  etwa  in  den  Farben  der  Wein- 
ernte, fein,  wie  so  vieles  kaum  Gesehenes  im 
Hause,  vom  bekannten  Münchner  Bildhauer 
Professor  Ernst  Pfeiffer  ausgeführt.  Gegen- 
über der  Kaniinwand  der  erhöhte  Bibliothek- 
eingang neben  der  Treppe.  I  Her  flutet  ein  volles 
grünes  Licht  über  den  warmen  Teppich  zum 
schwarzweißen  Marmorboden  und  gibt  dem  holz- 
geschnitzten molligen  Putto  auf  dem  eichenen 
Treppenpfosten  etwas  vom  lustigen  Versteck. 
Der  kleine  Treppenrutscher  ist  ein  kostbares 
Werk  Nidda  Rümelins.  Vom  Treppenaufgang 
kommt  helles  Licht.  Man  sieht  eine  rosig  ge- 
blümte Tapete.  In  der  weißen  Vertäfelung  der 
Halle  links  bemerkt  man  nicht  die  Türe  zum 
Damenzinmier.  Auch  des  Abends  ist  die  Halle 
ein  Lichtgenuß.  Da  erwärmt  abendgolddämm- 
riger  Schein,  von  den  oberen  Fenstern  her, 
die  lichte  Halle.  Deckenlicht  fehlt  wohlweislich. 
Einige  kabinenartige  Wandlichter,  Steh-  und 
Tischlampen  dienen  jeweiligem  Bedürfnis.    Wie 


stimmungsvoll  der  Kaminplatz,  läßt  unsere  vor- 
zügliche Abbildung  auf  Seite  53  ahnen. 

Die  Möbel,  die  Lampen,  die  Wandschränk- 
chen sind  echt  Nicmeyerschc  Schöpfungen,  alles 
liebenswürdig,  wählerisch,  alles  leise  Lustigkeit, 
nichts  patzig,  aufdringlich.  Da  und  dort  ein  altes 
Hausstück  verwendet,  wie  die  alte  holländische 
Hausorgel,  zu  deren  Tönen  oft  Kinderchöre  von 
der  Galerie  herab  die  Halle  erfüllen. 

Die  sogenannte  „Bibliothek"  beherrscht  far- 
big das  geräucherte  grau-grüne  Eichenholz  der 
Möbel,  der  Vertäfelungen,  der  Balustrade,  der 
Balkendecke.  Der  Podest,  auf  dem  die  Schränke 
stehen,  erfüllt  mehr  als  eine  architektonische 
und  praktische  Aufgabe.  Er  isoliert  das  Zimmer 
etwas  von  den  Festräumen,  lädt  zur  Ruhe,  zur 
Lektüre.  Unter  dem  Podest  haben  große  Mappen 
Platz  gefunden.  Hier  und  im  Nebenzimmer  sind 
an  den  Wänden  auch  einige  Gemälde  Adelbert 
Nienieyers  angebracht,  die  den  Raum  als  solchen 
eines  hervorragenden  Kunstsammlers  charak- 
terisieren. —  Das  Zimmer  der  Dame  war  alten 
Empiremöbeln  anzupassen.  Auch  diese  Auf- 
gabe hat  Professor  Niemeyer,  dessen  sprudeln- 


l'Kül-.  .\.  ME.UEVEK     .MU.NCHEN.    .\UbK:  UEUlsCHE  WEKK>1.      MU.NlHE.N   (l'-'"*'     HEKKE.V/.l.M.MEK  I.\I  H.\UM    A.  KKAUI.HI.. 


Ci 


'\delbert  Niemeyers  IImis  Kraivehl. 


A.  NIEMEVER.    AUSF:  DEUTSCHE  WERKSTATTEN. 


der  Erfindergabe  sonst  gerade  hier  ein  herrliches 
Feld  eröffnet  worden  wäre,  geistreich  erfüllt. 
Eine  Aufgabe,  die  gutes  Gefühl  und  Klugheit 
auf  die  Probe  stellt.  Nur  der  Teppich  mit  der 
griechischen  Kante,  Stehlampe  und  Tischdecke 
sind  wohl  neu.  Der  Architekt  jeder  Übergangs- 
zeit muß  sich  auch  auf  Anpassung  verstehen.  Je 
mehr  er  das  Essentiale  der  alten  Kulturform 
erfaßt,  um  so  besser  legitimiert  er  sich  auch  in 
der  Anpassung  als  Künstler.  Niemeyer  ist  so 
ein  Künstler.  Er  hat  Kulturgefühl.  Ein  anderer 
würdenicht  bedacht  haben,  daß  ein  Raum  jener 
Zeit  tiefe,  dicke  Wände  haben  muß.  Auch  den 
bürgerlichen  Ton  des  Ganzen  hat  er  sicher 
getroffen.  Ist  nicht  pseudokaiserlich  —  nicht 
pseudofranzösisch.  So  ist's  nur  gewiß,  daß 
unser  Niemeyer,  bei  aller  reichen  Schöpferlaune, 
auch  einmal  ein  altes  Schloß  mit  alten  Möbeln 
künstlerischer  zu  erneuern  wüßte,  als  jene 
Eklektiker  der  Form,  die  man  richtiger  schlechte 
Tapezierer  als  Architekten  nennen  sollte.  Nie- 
meyer, der  Sprößling  eines  alten  gelehrten, 
literarischen  Geschlechts,  besitzt  als  unver- 
äußerlichen Vorzug  Kultur  der  Form.  Die  kommt 
ihm  immer  sehr  offensichtlich  zu  gute. 


MUSIKRAUM  IM  H.\USE  .\.  KKAWEHL— ESSEN. 


Neben  der  Bibliothek  ein  Herrenzimmer. 
Hier  sind  einige  ältere  Möbel  Niemeyerscher 
Erfindung.  Ich  schätze  auch  diese  hoch  —  rein 
historisch,  denn  schon  damals,  vor  beiläufig 
10  Jahren,  als  die  Kurven  des  „Jugendstils" 
so  viel  Verwirrung  anrichteten ,  trat  die  Schaf- 
fensart unseres  Mitgründers  der  Secession  und 
der  „Werkstätten"  gegen  unkultivierte  Stürmer 
und  Dränger  klar  hervor.  Zur  Abbildung  auf 
Seite  61  nur  das:  Auch  hier,  wie  in  der  Halle, 
ist  der  Kamin  echt,  keine  Attrappe.  Niemeyer 
haßt  Scheinkamine  und  scheinbare  Wachskerzen. 
Er  scheut  sich  aber  nicht,  alte  Beleuchtungs- 
und Heizungsmittel  dort  zu  verwenden,  wo  sie 
ihm  geboten  und  künstlerisch-gemütlich  uner- 
setzlich erscheinen. 

Der  Musikraum,  durch  eine  breite,  vierflüge- 
lige  Schiebetür  mit  der  Halle  mehr  verbunden 
als  von  ihr  getrennt,  wird  für  alle  Zeiten  eine 
künstlerische  Auszeichnung  Essens  und  der 
Kultur  seiner  vornehmsten  Bürger  bleiben.  Das 
ist  ein  Raum  von  gleicher  künstlerischer  Be- 
deutung für  Niemeyer  und  unsere  Zeit,  wie  die 
Amalienburg  fürCuvillies  und  das  ganzeRokoko. 

Das  von  Linien,  Flächen,  Formen  abhängige 


02 


PROF.   ADELBERT    NIEMEYER  —  MÜNXHEN 
MUSIKRAUM  IM  HAUSE  KR AWEHL  — ESSEN 


PROF.  A.  NIEMEYEK.     AfSK;    DEUTSCHE  WERKSTATTEN- 
MCNCHEN.  MUSIKKAUM  IM  HAUSK  A.  KRAWEHL— ESSEN. 


Ial2/13.  1.  7. 


>       '^Ä» 


PROtESSOR  FRITZ  ERLER    MÜNCHEN. 


SUPRAPORTBir.DKR   IM   HAUSE  KKAWKIIL, 


l'KOF.  A.  NIEMEYER.     AUSF:    DEUTSCHE  WERKSTATTEN- 

MÜiNCHEN.  MUSIKRAUM  IM  HAUSE  A.  KRAWEHL— ESSEN. 


lOlilU.  I.  8. 


PROFESSOR  ADELB.  NIEMEYER-MUXCHEN. 

NISCHE    IM    SPEISEZIMMER    DES    HAUSES   A.   KKAWEHL. 
AUSFÜHRUNG:    DEUTSCHE   WERKSTÄTTEN  —  MÜ^XHEN. 


.1 


Adelbert  Niemeyers  Hmis  Kraivelil. 


I 


% 


l'liol-tsbuK  A.  ML.MKVtK.     ALbt;  DEUlbCllt  WERKMATTliN      MÜNCHEN.     »l'ElbEZlMWEK  IM  llAL.sE  KK.\.\VEHL— ESSEN. 


Architektonische  ist  den  Abbildungen  nach- 
zufühlen, auch  zur  farbigen  Abbildung  nur  weni- 
ges. Der  graue  Nußbaum-Parkettboden,  abge- 
schlossen durch  einen  wunderbar  grauen  Mar- 
morsockel,  der  ringsum  läuft.  Ebenso  die 
Marmorfassung  der  gemessen  profilierten  Türen. 
Silberne  feine  Stäbe  lindem  die  dunklen  Auf- 


74 


teilungen  der  gelblichenWände  aus  Stucco  lustro. 
Die  altsilbernen  Armwandleuchter  von  präch- 
tiger Erfindung  und  Arbeit,  die  gleichartigen 
Beschläge  der  ruhigen  Türen  und  Schränke,  das 
tiefbraune  Holz  der  Möbel,  deren  grau-grüner 
Seidendamast,  auf  dem  grüne  oder  gelbe  Kissen 
ruhen,  machen  allein  schon  den  in  mildes,  weißes 


l'Ki.l  i:.vsi>k   AliKl.BERT  MKMKVKK   MÜM  IIF.N.    lil.VMEN/.lMMKK   IM  HAVSE  A.  KKAWEHI.— ESSEN'. 


Adelberf  Niemeyers  Hmis  Kraivehl. 


PROF.  ADELBF.RT  NIEMEYER -MÜNCHEN. 

Licht  gehüllten  Raum  zu  einem  vollen  musikali- 
schen Genuß.  Und  nun  Fritz  Erlers  Supraporten ! 
Die  Farbenakkorde  des  Raumes  werden  hier 
frei  aufgenommen  und  umgestaltet.  Sie  sind 
farbig  eins  mit  dem  Ganzen.  Ich  schätze  die 
Bilder  hoch,  auch  als  monumentale  Leistungen : 
die  Gemälde  sind  inhärente  Teile  der  Archi- 
tektur. Und  das  Herbe  der  Erscheinungen  mil- 


G^VNG  IM  I.  STOCK  ÜE.s    HAI   >i  >   A.  KkAHIHI,. 

dert  und  realisiert  das  Träumerische.  In  Fritz 
Erler  fand  Niemeyer  den  richtigen  Künstler. 
Der  Architekt  hat  des  Malers  Schöpfung, 
dieser  hat  die  des  Architekten  geistreich  unter- 
stützt. —  Der  Raum  wird  gewiß  einst  als  In- 
terieur unserer  Zeit  oft  gemalt  werden.  Denn 
die  Stimmung  des  Lichts  ist  so  entzückend,  so 
edel    bemessen    auf    einen    etwa    silberhellen 


70 


[({clbert  Xionexers  Tfaics  Kraivehl. 


TKott-SSOK  A.  MEMliVtR     MÜ.NLHEN. 


Ill-Ki  Hi.AM,   IM  ZW  l,srill.;.NGESCHOS.S  Dies  HAr.sIiS  A.  KRAWKIU.. 


Klang,  wie  wirs  von  allzufrostigen,  modernen 
Repräsentalionsräumen  nicht  kennen.  Der 
Kaum  ist  die  künstlerische  Umschreibung  der 
jiingfröhlichen  anmutigen  Herrin  des  Hauses,  — 

Des  Abends  wird  gern  auf  die  Deckenbe- 
leuchtung verzichtet,  dann  zittert  der  Wachs- 
kerzen wärmeres  rötliches  Licht  von  den  Schil- 
dern der  Wandleuchter  auf  gelbem  Feld  durch 
den  festlich  gehobenen  herrlichen  Raum. 

Neben  Musikraum  und  Halle  das  große  über- 
sichtliche Speisezimmer  von  etwa  8  zu  10  Meter. 
Hochpoliertes  goldgelbes  Kirschholz  derDecke 
und  Möbel  über  einem  Teppich  mit  allerlei 
blau  gibt  die  farbige  Note.  Die  Gestaltung  der 
Wandvertäfelung,  bald  Bild,  bald  Schrank,  ist 
hervorragendes  Freispiel  wie  alles,  was  Niemeyer 
bildet,  Anmut  und  Würde,  Reiz  und  Schlicht- 
heit verbindet.  Die  schönen  Niemeyerschen 
oval  gefaßten  Stilleben  sind  farbige  und  räum- 
liche Helfer,  wie  die  Glasschränke  mit  dem 
farbigen  Porzellan  gleichzeitig  belebende  Licht- 
quellen des  Saales.  Die  Schränke  sind  innen 
belichtet,   die   Vorhänge   verteilen    das   Licht. 


Die  große  Nische  mit  der  Frühstückstafel  für 
die  Familie  am  Fenster  ist  baulich  genützt  durch 
eine  zur  Küche  gehörende  Kammer  und  eine 
die  zum  Speisezimmer  gehört  und  das  Silber- 
gerät verwahrt.  Niemeyer  hat  auf  ein  Büfett 
verzichtet,  es  wäre  hier  nur  leere  Form.  Dafür 
gewährt  die  elegante  Anrichte  mit  den  schönsten 
blauenden  Porzellan-  und  Fayencetellern,  ge- 
währen die  Wandschränke  mit  so  viel  schönen 
Geräten  und  Gläsern  Niemeyers  und  anderer 
Meister  Anregung  genug. 

Neben  dem  Herrenzimmer  liegt  das  Blumen- 
zimmer. Weiß  und  braun  Boden  und  Decke. 
Die  Vorhänge  rosig.  In  den  Doppelfenstern  der 
bunten  Blumen  wechselnde  Fülle.  Auch  des 
Abends  spenden  die  Fenster  rosiges  künstliches 
Licht,  als  obs  für  dies  Haus  weder  Nacht  noch 
Winter  gäbe.  Korbgeflecht  decken  hier  die 
Heizkörper  unter  den  Fenstern.  Unsere  Ab- 
bildung zeigt  vortrefflich,  wie  das  Licht  an  den 
gelblich -warmen  Fliesen  der  Wände  spielt. 
Leider  unmöglich  die  zurückhaltende  Feinheit 
der  Stäbe,   Pfeiler,   Friese  dieser  keramischen 


l■K"l•l■;^^'lK 


ADEl.JtKKl    MKMEVtK.  DAMEN-ZIMMER  IM  HAUSE  KRAWEHL. 

AUSFÜHRUNG:  DEUTSCHE  WERKSTÄTTEX  FÜR  HANDWERKSKUNST— MÜNCHEN. 


ADELBERT  NIEMEYER-MÜXXHEN. 

KINDERZIMMER  IM  HAUSE  KRA\VEHL— ESSEN. 


Adelbert  AUe^neyers  /Taus  Krawehl. 


rkOFF-SSOR  A.  NIEMEYER-VUNCHEN. 

Verkleidunjl  und  des  Wandbrünnleins,  das  alles 
wieder  dem  hochentwickelten  künstlerischen 
Fühlen  und  Können  ErnstPfeiffers  zu  danken  ist. 
Nur  ganz  wcnijj  allgemeines  zu  den  übrigen 
Teileii  des  Hauses.  Breit  sind  alle  Treppen  und 
Gänge.  Raumenge  paßt  nicht  zu  solchem  Haus- 
herrn, dessen  Geist  der  Künstler  immer  zu 
prägen  gewußt.  Raumlecre,  Monotonie  aber 
kennt  nicht  ein  so  fruchtbarer  Raum- und  Farb- 
schöpfer wie  Nienieyer.  In  jedem  Zimmer  be- 
grüßt uns  wieder  eine  andere  Harmonie  der 
Farben.  Und  alle  die  Teppiche  und  Gewebe, 
die  Möbel  und  Geräte,  die  Kissen  und  die  Bil- 
der des  Hauses  Krawehl  könnten  ein  „Museum 
Niemeyer"  füllen,  das  dieses  Künstlers  glück- 
liche und  leichte  Erfindung,  seine  liebenswür- 
dige Eleganz,  seine  hohe  Kultur  glänzend  offen- 
barte. —  Viele  Räume  wären  noch  zu  erwähnen. 
Das  luxuriöse  Ankleidezimmer  der  Dame  zumal. 
Und  dann  gleich  ihre  andere  Domäne;  Die  er- 
staunliche Flucht  von  Küchen,  Anrichte-,  Wirt- 
schaftsräumen, deren  Decken,  Böden  undWände 
verkachelt  sind!  Hier  ist  Niemeyer  den  An- 
gaben der  praktischen  Hausfrau  mit  allem  Ver- 
ständnis für  jede  bewährte  technische  Errungen- 


KI.M)KK/.I.\1.\1KU    IM    IIAIM'.  .\.   KKAXMIII. 

Schaft  gefolgt.  Hier  wäre  auch  das  weit  ab  vom 
Hause  erbaute  Stallgebäude  zu  nennen.  — 
Natürlich  wetteifern  in  den  luxuriösen  Bädern 
des  Hauses  Form-  und  Farbensinn.  Selbst  aus 
dem  riesigen  Kellerraum  von  der  ganzen  Länge 
des  Querbaus  hat  Niemeyer  mit  einfachen  Mit- 
teln einen  Saal  geschaffen  mit  kleiner  Bühne. 
Hier  sind  die  Geister  künstlerischer  Fest-Im- 
provisation zitiert.  — 

Sind  die  Kellerräume  möglichst  übersichtlich 
gruppiert,  sind  Küche  und  Speisesaal  ebenso 
geschickt  getrennt  wie  verbunden,  so  sind  die 
Räume  im  ersten  Stockwerk  in  drei  selbstän- 
dige Gruppen  geteilt,  für  die  Poltern,  die  Kin- 
der, die  Gäste.  Auch  sonst  ist  gar  sehr  viel 
praktisches  hier  geschaffen,  was  allen  Archi- 
tekten zur  Nachahmung  zu  empfehlen  ist.  Nie- 
meyer ist  groß  als  Künstler,  groß  als  Architekt, 
weil  er  ein  tüchtiger  Praktiker  ist.  Weise  schal- 
tet er  mit  den  materiellen  Mitteln,  wie  mit  dem 
Material.  Wo  längstmöglichc  Dauerhaftigkeit 
zu  erstreben  ist,  ist  das  kostbarste  Material 
gewählt  worden.  So  Kupfer  für  alle  Röhren 
und  Leitungen  im  und  am  Hause.  Aber  nie- 
mals ist  mit  Material  geprotzt  worden,  wo  die 


Adelbcrt  Nicmryers  Haus  Krawelil. 


I'KOI'KSSOK  A.  XIEMEVEK  — MÜNCHEN. 

künstlerische  Wirkung  unabhängig  vom  Mate- 
rial, wo  das  einfachere  wohl  gar  eine  schönere 
Lösung  erschließt.  Deshalb  ist  die  Fassade  nur 
verputzt,  nicht  mit  Hauslein  umkleidet.  Die 
kunstaristokratische  Qualität  bestimmte  immer 
die  Materialwahl  Niemeyers. 

Zur  Ausführung  der  Innenausstattung  hat  er 
sich  durchaus  der  „Deutschen  Werkstätten" 
in  München,  die  unter  Bertschs  berühmter 
Leitung  stehen,  bedient. 

Noch  viel  mehr  künstlerische  Werke  wird 
das  Haus  mit  der  Zeit  einst  bergen  als  jetzt.  — 
So  wird  des  Gartens  Bassin  wohl  bald  von 
einer  edlen  Bronze  geziert  werden. 

Doch  so  wie  es  ist,  ist  das  Haus  eine  raum- 
künstlerische Symphonie.  Hoch  ragt  dieses 
Kaufherrn  künstlerische  Gesinnung  und  kunst- 
wirtschaftliche Einsicht,  der  sich  dies  Heim  be- 
stellt. So  oft  auch  Herr  Krawehl  England  und 
Frankreich  alljährlich  besucht,  hat  er  nicht  alte 
oder  neue  fremde  Möbel  und  Werke  dort  an- 
gekauft. Das  können  auch  Ungebildete.  Er 
wollte  ein  Heim  von  einzigartiger  künstlerischer 
Physiognomie  und  Bedeutung.  Adelbert  Nie- 
nieyer  schuf's  ihm.  Das  ganze  Werk  ist  erfüllt 
von  der  frohen  und  sicheren  Art  Niemeyerscher 


RAUM   I,\[  KEJ.LER  11  K  IMlid  >VI.S.  EESTE. 

Kunst,  der  congenial  ist  des  Hausherrn  groß- 
zügiger, weltmännischer  Sinn.  Die  Wahl  dieses 
Künstlers  war  denkbar  glücklich.  Ein  Führer 
neuer  deutscher  Kunst,  hat  er  nichts  von  der 
mißfälligen  Herbheit  der  Problematiker.  Auch 
jenseits  deutscher  Grenzen  ist  sein  Geschmack 
anerkannt.  Liebenswürdige  Anmut  charakte- 
risiert seine  Kunst,  unerschöpfliche  Erfindung 
sein  Gestalten  als  Architekt,  Kunstgewerbler, 
Maler.  Auf  allen  Gebieten  der  Kunst  erfolg- 
reich, beweisen  die  vielen  Nachahmungen,  die 
Unnachahmlichkeit  seiner  künstlerischen  Per- 
sönlichkeit, die  süddeutsche  Volkstümlichkeit 
und  norddeutschen  Intellekt  sympathisch  vereint. 

Wer  dies  Haus  Krawehl  und  so  viele  andere 
große  und  kleine  Schöpfungen  Niemeyers  kennt, 
wie  ich,  ist  sicher:  Niemeyers  Name  bleibt  als 
der  eines  geschmacklichen  Führers  unserer  Zeit, 
einer  unvergleichlich  glücklich  schaffenden  Per- 
sönlichkeit. So  wird  auch  des  Bauherrn  Namen 
mit  des  Künstlers  Werk  allzeit  ruhmvoll  ver- 
bunden bleiben:  Das  Haus  ist  ein  Monument 
neuen  deutschen  Geschmacks. 

Was  könnte  es  beglückenderes  geben  für 
irgend  einen  Bauherrn  als  solches  Bewußt- 
sein ? DR    E,  W.  BREDT. 


1»12/13.  1.  lu. 


PROFESSOR  NIEMEYER    MÜNCHEX. 

AUSFÜHRUNG:  VILLEROY  &  BOCH  —  MÜNCHEN. 
KÜCHE  U.  SPÜLR.\UM  IM   H.\rSE  A.  KR.\\VEHL. 


l'K"!-.  A.  NIEMEVF.R     iMÜNCHEN.     KÜCHE  UNI>  SPÜl.RAUM  IM  HAfSE  A.  KKAWEHI.-ESSEN. 


^^mm 


PROKESSOR  -WJEI.BERT  NIEMEVER. 


AUTOGARjVdE  UiN'D  STALLUNG  liE»  ILVU^Eb  KRAWEHL— ESSEN. 


GARTEN- 
SEITE DES 
HAUSES 
KRAWEHL 


RICHARD  ADOLF  ZUTT-MARIABRUNN. 
»PORTRÄT.  EST  STEIN  GESCHNITTEN. 


ENTWIKK:   ROSA  NKl'UIKTH. 


AUSK:   KKKAMIMIIK  WKKKGENOSSENSCHAKT. 


DIE  AUSSTELLUNG  IM  ÖSTERREICHISCHEN  MUSEUM 
FÜR  KUNST  UND  INDUSTRIE   1912. 


npU  FELIX  AUSTRIA.  Eine  österreichische 
Ausstellung  war  es.  Österreichisch  in  ihrer 
ganzen  Aufmachung,  österreichisch  in  jedem 
kleinsten  Gegenstand,  in  jeder  Linie.  Die  Gäste 
aus  dem  deutschen  Norden,  die  uns  im  Frühjahr 
zu  besuchen  kamen,  fühlten  das  wohl.  Sie  merk- 
ten, daß  diese  Arbeiten,  die  da  aus  allen  Kron- 
ländern zusammengekommen  waren,  aus  einem 
Geiste  geschaffen  wurden,  daß  diese  Künstler, 
mit  so  seltsam  fremdländisch  klingenden  Namen : 
Bazant,  Czapek,  Dellavilla,  Galle,  Gocar,  Hun- 
falvy,  Johnovä,  Kovafik,  Rzivnatzovä,  Strnad 
und  so  fort  in  langer  Reihe,  mit  den  deutschen 
Künstlern  Österreichs  einGemeinsames  verbinde: 
die  österreichische  Empfindung,  der  österreich- 
ische Stil.  Politiker  mögen  es  leugnen,  mögen 
diesen  alten  Staat  ein  überholtes,  unnatürliches 
Konglomerat  von  Nationen  nennen.  Die  Künst- 
ler beweisen  es  in  ihren  Werken,  daß  es  ein 
Österreich  gibt  und  ein  österreichisches  Fühlen. 
Was  uns  in  dieser  Ausstellung  gezeigt  wurde, 
das  klang  in  keiner  Form,  in  keiner  Farbenhar- 
monie an  Münchnerisches  an,  an  Berlinerisches, 
Nord-  oder  Westdeutsches  —  aber  es  war  alles 
österreichisch,  ob  es  nun  aus  der  grünen 
Steiermark  kam  oder  aus  dem  industriereichen 
Böhmerlande.  .  .  . 

QUALITÄTSARHKIT.  Qualitätsarbeit  sollte 
gezeigt  werden.  Der  deutsche  Werkbund  weilte 
zu  seiner  fünften  Tagung  in  Wien  und  es  galt, 
„den    reichsdeutschen  Vorkämpfern    die    Lei- 


stungsfähigkeit Österreichs  auf  diesem  Gebiete 
vor  Augen  zuführen".  Über  die  Früchte  solchen 
Bemühens  gab  es  unter  denen,  die  sie  sehen 
durften,  nur  eine  einzige  Stimme  des  Lobes. 
Die  Saat  heißen  Strebens,  redlichen  Wollens 
beginnt  aufzugehen,  an  allen  Ecken  und  Enden 
regen  sich  die  frischen,  jungen  Kräfte  und,  zö- 
gernd zwar  und  langsam,  aber  kräftiger  von  Tag 
zu  Tag  wächst  die  Hoffnung,  daß  uns  ein  neuer 
Frühling  der  Kunst  emporblüht.  Freilich,  wenn 
unser  Hoffen  in  Erfüllung  gehen  soll,  werden 
diese  Kunst,  dieses  Kunsthandwerk  aufhören 
müssen,  so  exklusiv  zu  sein,  wie  sie  heule  sind. 
Die  Künstler  werden  aufhören  müssen,  nur  für  die 
Reichen  zu  schaffen,  sie  werden  aufhören  müs- 
sen, von  Mäzenatentum  zureden  und  zu  träumen. 
Sie  werden  den  Geist  unserer  Zeit  begreifen, 
für  die  Massen  arbeiten  lernen  müssen,  die  mit 
zäher  Beharrlichkeit  ihren  Anteil  an  den  Schön- 
heilen dieser  Welt  fordern.  Es  soll  der  Dichter 
mit  dem  Fürsten  gehen  —  so  hieß  es  einst.  Des 
Wortes  Wahrheit  hat  sich  gewandelt  —  es  soll 
der  Künstler  mit  dem  Volke  gehen.  Und  dieses 
Volk  wird  nicht  freier,  nicht  froher,  nicht  glück- 
licher, wenn  die  Millionäre  sich  mit  kunstvollen 
Möbeln  und  Geräten  umgeben.  Qualitäts- 
arbeit für  die  Massen  —  das  ist  das  Problem 
unserer  Zeit.  Blumentöpfe,  die  hunderte  von 
Kronen  kosten,  Trinkgläser,  deren  jedes  ein  klei- 
nes Vermögen  repräsentiert,  Stühle  und  Tische, 
deren  Preise  für  ein  bürgerliches  Einkommen  un  - 


«9 


HEr.KNi-: 

JilllNOVA- 
WIKN. 


AISFUHRUNG: 

KER,\MISCHE 

WERKGEXOS- 

SENSCHAKT. 


Die  .  lussfc/hino  i»i  östcrreiclihchai  .]fuseit 


erschwinglich  sind,  so  wundervoll,  so  edel  sie 
sein  mögen:  sie  iielfen  uns  nicht  weiter.  Wenn 
man  sagt,  daß  diese  Frühjahrsaussteliung  öster- 
reichischer Kunstgewerbe  eine  Ausstellung  für 
die  Reichen  war,  so  ist  damit  der  einzige  Tadel 
ausgesprochen,  den  sie  verdient. 

TIIF.ORIF.  UND  PRAXIS.  Fin  Erzherzog  hat 
diese  Ausstellung  eröffnet,  ein  kluger  Minister 
hat  ihr  Worte  bedingungsloser  Anerkennung 
gespendet.  Ein  Erzherzog  und  ein  Minister  — 
in  den  Schlössern  aber,  auch  in  den  „modernen", 
herrscht  noch  immer  kalter,  überladener  Prunk, 
und  der  Kiesenbau  des  neuen  Kriegsministeriums 
am  Stubenring  zeugt  mehr  von  der  Wiener 
Bauschande  als  von  der  Wiener  Kunst.  In  jedem 
Ministerium  sitzen  wohl  an  die  tausend  Beamte. 
Diese  tausend  Beamte  brauchen  tausendTinten- 
fässer  und  jedes  dieser  Tintenfässer  ist  erbärm- 
lichster Schund.  Sie  brauchen  tausend  Schreib- 
tische und  jeder  dieser  Schreibtische  ist  billigste 
Dutzendtischlerware;  sie  brauchen  tausend 
Stühle  und  jeder  dieser  Stühle  ist  schäbige, 
kunstlose  Schleuderarbeit.  Exzellenz!  Minister 
der  öffentlichen  Arbeiten!  Sie  sprachen  so 
klug,  so  einsichtig  von  unseren  Zielen.  Geben 
Sie  ein  Beispiel!  Es  gibt  noch  Mittel,  dem 
Kunstgewerbe  auf  die  Beine  zu  helfen.  .  .  . 

ERZIEHUNG  ZUM  KUNSTGEWERBE.  Es 
fehlt  uns  nicht  an  Künstlern,  nicht  an  Schöpfern 
neuer  Schönheit;   wohl  aber  an  denen,   die  sie 


verwenden  wollen,  verwenden  können.  Das 
wissen  die  Leiter  des  österreichischen  Museums 
für  Kunst  und  Industrie  sehr  wohl,  und  seit 
einiger  Zeit  sind  sie  daran  gegangen,  die  Kon- 
sumentcnkrcise  planmäßig  zu  beeinflussen,  sie 
zu  erziehen.  Die  Wiener  Kunstgewerbeschule 
veranstaltet  jetzt  .lugendkurse,  an  denen  Kinder 
im  Alter  von  sechs  bis  14  Jahren  teilnehmen. 
Es  wird  da  gemalt,  gezeichnet,  modelliert,  ge- 
stickt, genäht,  entworfen.  Nicht  Künstler  sollen 
diese  Kurse  erziehen,  nicht  Produzenten,  son- 
dern Konsumenten.  Die  künstlerische  Emp- 
findung soll  geweckt,  geführt,  geklärt  werden. 
Es  ist  ein  Versuch.  Ließe  er  sich  im  Großen 
durchführen,  an  allen  Schulen  des  Reiches  mit 
gleichem  Verständnis  —  in  zehn  Jahren  hätte 
aller  Jammer  ein  Ende.  Denn  des  Konsumenten 
Wille  geschieht.  Verlangt  er  Schund,  so  wird 
Schund  fabriziert,  fordert  er  edle  Arbeit,  so 
wird  sie  ihm  in  überreicher  Fülle. 

SCHULE  UND  SCHÜLER.  Diese  Ausstel- 
lung war  ein  wunderbarer  Beweis  für  den  Wert 
guter  Schulen.  Vor  fünfzehn,  zwanzig  Jahren 
gab  es  in  Österreich  so  gut  wie  kein  Kunstge- 
werbe. Als  die  jungen,  mutigen  Kräfte  die 
Kunstgewerbeschule  in  ihre  Hände  bekamen, 
wurde  es  allgemach  lebendig  und  heute  sind 
die  Schüler  den  Meistern  längst  ebenbürtig  an 
die  Seite  getreten.  Nörgler  behaupten  zwar, 
daß  der  Lehrer,  je  besser,  je  bedeutender  er 


KM  wirf:  <il<;.\  .sint— wit.\. 


KKK.XMIK:       U'IMiMl   Mli;« 


91 


AUS.S1ELLU.MJIS-RAU.\1  DER    -WlE.NtR  KERAMIK    .    M.  l'oWiiI.NV  VSU  11.  I.iihKLEK.    W  AN  I)l;EM  AHM , :   l'K.  IK.  li.  LUhhLEK. 


Die  Ausstellung  im  österreichischen  Miiseuni. 


lllA  SCHWETZ-LEHM,\NN— WIES. 


ist,  um  SO  mehr  die  Schüler  in  seinen  Bann 
schlägt,  daß  sie  sich  ihm  zu  sehr  anpassen,  zu 
viel  seiner  Art  annehmen.  Ich  glaube  aber,  es 
ist  kein  Grund,  sich  darüber  zu  grämen.  Denn 
der  hochstehende  Durchschnitt  scheint  mir 
wichtiger  zu  sein  als  die  exzellente  Einzel- 
leistung. Österreich  war  schon  zu  lange  nur 
das  Land  hervorragender  Einzelleistungen.  Es 
war  Zeit,  daß  wir  daran  dachten,  den  Durch- 
schnitt zu  heben.  An  der  heutigen  Leistungs- 
fähigkeit des  österreichischen  Kunstgewerbes 
haben  außer  den  großen  Kunstgewerbeschulen 
vor  allem  die  Fachschulen  einen  erheblichen 
Teil  des  Verdienstes.  Denn  gerade  sie  bilden 
wirkliche  Kunstgewerbetreibende  heran,  die 
keinen  anderen  Ehrgeiz  haben,  als  vollgültige 
Handwerker  zusein.  Der  Aufschwung  der 
österreichischen  Fachschulen  aber  begann  mit 
dern  Einzug  des  modernen  Gedankens.  Was 
sie  ihre  Schüler  lehren,  ist  vor  allem  eines;  im 
Material  zu  denken,  aus  dem  Material 
heraus  zu  schaffen. 

GRÖSSE  IM  KLEINEN.     Kürzlich   las  ich 
irgendwo:  Geschmack  ohne  schöpferische  Kraft 


AU.SF:   KKK.\MI.SCHE  WEKKdENOSSENSCHAFT. 


ist  Kunstgewerbe.  Wie  unwahr  das  ist,  läßt 
sich  am  besten  an  kleingewerblichen  Erzeug- 
nissen erkennen,  von  denen  dieses  Heft  eine 
große  Zahl  wiedergibt,  die  in  Form  und  Farbe, 
Maß  und  Empfindung  vollendete  Kunst  sind. 
Keramiken  gab  es  in  dieser  Ausstellung,  die  so 
großzügig  komponiert  waren,  so  bedeutend  in 
der  Auffassung,  so  ebenmäßig,  daß  es  blinde 
Torheit  wäre,  sie  geringer  zu  werten,  als  die 
Werke  der  sogenannten  „hohen"  Kunst.  Es 
kann  in  einem  kunstgewerblichen  Werke,  in 
einem  Bucheinband,  einer  Blumenvase,  einem 
Schmuckstück  mehr  künstlerischer  Einfall, 
künstlerische  Größe  stecken,  als  in  manchen 
Riesenschinken,  in  Öl  auf  Leinewand  gepinselt. 
Es  mag  wahr  sein,  daß  der  große  Künstler 
für  die  F'wigkeit  schafft,  der  Kunstgewerbler 
nur  für  den  Tag.  Wir  Alltagsmenschen  in  un- 
serer Schwäche  aber  empfinden  die  Bedürfnisse 
des  Tages  stärker,  als  die  Bedürfnisse  der 
Ewigkeit.  Jene  gilt  es  zuerst  zu  befriedigen. 
Deshalb  wird  ein  kraftvolles  Kunstgewerbe 
immer  der  beste  Nährboden  sein  und  bleiben 
für  eine  große  Kunst.  —  ikanz  ii.anek. 


1913:13. 1.  II. 


93 


M.  HiWOLNV   ITM)  II.  LöhhLER-WlF.N.      WIENER  KERAMIK  MIT  SCHWARZEM  IJEKi  IR. 


AUCH.  HANS  IHILF.K.    AUSFUHRUNG:  J.  DEIMKL. 


]Kr(,IllSLllALl..\'   U.  DOSE  IN  GETRIKBENEM  SILHEK. 


ARUH.  ERNST  LICHTBLAU.    AUSF:  J.  POLLAJC.    BOWLE  LN  SILBER  MIT  ELKENBEINGRIFFEN, 


K.    KAKlilK.    AlSriHKlNG:   I£.  KKlliDMAN.N. 


KAIIKK-SLKVICI;.    SIl.l'.KK    VT R(ioI.l)l.T. 


ARCH.  ERNST  UCHTBLAU.    AUSF:  J.  POLLAK.    SILBERKASSEITE  MIT  EMAILEINLAGEN. 


AKIH.  lAKI.  WIT/.MANX.  AUSF :  K.  KREHAI". 


SCHREIBGARMTrR  IN   PERLMUriEK. 


-  • "  ,  '  ^  -Hf  TtTjaftrfiiti-'i  -t  ;v] 


ARCH.  J.  BOLEK.    AUSFUHRUNG:  A.  POLLAK.     LEUCHTER  UND  TEEKANNE  IX  SILBER. 


T;  ü  =* 

S  ?  ;: 

555 


:=r  u.  X 

—  X  -J 

1=:  :„  — 

-  <  := 


k 


PKOK.  JOSEF  HOFFMANN.    AUSFUHRUNG:  J.  BOCK. 


fruhstucks-servu:e  in  Porzellan  mit  golu-dekgr. 


FR.  FOCHLER-WIEN.    AUSF:  WIENER  KUNSTKERAMISCHE  WERKSTÄTTEN.    VASE  U.  TINTENZEUG.    F.WENCE  BEMALT. 


fHK.it.  j.  HUH-MA-N.V.    AUSl-  ;  J.  BOCK. 


PORZELLAN-SERVICE. 


J.  »  L.  l.<iH.\li;VK     WII  .\.     l'iiKAI.  IM)  ZIKKVASKN  I.N  GE.SCHI.lFI-i:.\EM  KRISTALLGLAS. 


m-lllJ.  I.  12. 


J.  E.  WIMMER— WIEN.  AUSFÜHRUNG:  WIENER  WEKKSTÄTTE-    WIEN.    BLUSEN  ITNI)  KLEID  IN  BEDRUCKTEM  SEIDENSTOFF. 


iMuURh  1  \i,  AI  -.iihri;n<;  :  vvunm-:  dkhk    wii:.\.   ki.f.ii)  in  i  rkit.  di;  .  hink,  ci-.iiatik 


GUIDO  HEIGL.    AUSF:  THEYER  &  HARIJTMUTH. 


KASSETTEN  FÜR  BRIEF-PAPIER. 


iiaaiii*''' 


■  ■■■■^ 


■■■■■I 


<iia         i~    «lawi    i  M  M  m  m  m  m 

'in     '         tiia        k     laiaaja 

■  i'i'iiti  tiitaa«ti 

ij     '         tiiifl«iaia««a 


K.  K.  LEHR-  UND  VERSUCHSANSTALT  FÜR  K'ÜUBFLECHTEREI-WIEN.    GEFLOCHTENE  KÖRBCHEN, 


i»r2.i3.  1.  13. 


ENTW.  U.  AUSK:  MELITTA  LÖFFLKR. 


UOLLSTU'KEKEIEN   AUF  SEIDE. 


Es  gibt  nichts  Absolutes  in  der  Kunst.  Kunst  ist  nicht 
Wissenschaft.  Der  Weg  für  neue  Versuche,  für  neue 
Methoden,  neue  Anwendungen  und  Ausnuijungen  ist 
immer  offen,  und  gerade  das  macht  die  Ausübung  der 
Kunst  in  allen  ihren  Formen  so  anziehend,  immer 
frisch  und  begeisternd.  WALTER  CRANE. 

Unedle  Arbeit,  das  ist  Arbeit,  die  den  Arbei- 
tenden entwertet,  seinem  Leibe  oder  seiner  Seele 
Schaden  bringt,  die  bei  ihm  Fähigkeiten  weder  ent- 
wickelt, nodi  verlangt. 

Unedle  Arbeit,  das  ist  ein  treuloses  Schaffen,  bei 
dem  der  Schaffende  nicfit  sich  selbst  gibt,  bei  dem 
er  sich  betrügt,  oder  d  i  e  betrügt,  die  das  Werk  ge- 


braudien  oder  genießen  sollen  und  nicht  mit  Künst- 
lichkeit und  falschem  Schein  getäuscht  werden  wollen. 
Unedle  Arbeit    ist  endlich  Arbeit,    die    den  Stoff 
vergewaltigt,   ihn  wider  seine  Natur  gebraudit. 

Dr.  ADOLF  VETTER-WIEN. 

Häßlich  ist  in  der  Kunst  das,  was  keinen  Charakter 
hat,  das  heißt  weder  äußere  nodi  innere  Wahrheit 
besi^t,  was  falsch  und  künstlich  ist,  was  anstatt  aus- 
drucksvoll zu  sein,  »einnehmend«  sein  mödite,  was 
ohne  Grund  lächelt,  ohne  innere  Ursache,  sich  auf- 
drängt und  spreizt,  alles  was  ohne  Seele  und  Wahrheit 
ist,  was  sich  nur  mit  Anmut  brüsten  will,  kurz:  alles 
was  lügt.     —      —     —     —     —     —     —        RODIN. 


KLEINE  KUNST-NACHRICHTEN. 

SKi'i  1';.mi;ki<  li)V2. 


DIE  NKUEN  STUTTGARTER  HOFBÜHNEN. 
Am  15.  September  werden  sich  die  beiden 
neuen  Theater  auftun.  Die  Lag-e  ist  denJtbar  g-ünstig ; 
alte,  schöne  Parl<bestände  liefern  Hintergrund  und 
Rahmen;  besonders  die  Fassade  des  „Qrofien  Hauses" 
erhält  von  den  umgebenden  Baumgruppen  eine  sehr 
wirksame  Unterstüt5ung.  Max  Littmann,  der  Er- 
bauer, hat  sich  in  dieser  seiner  neuesten  Schöpfung 
seines  Rufes  als  erster  Fachmann  des  Theaterbaues 
würdig  erwiesen.  Die  ganze  Anlage  besteht  aus 
3  Teilen:  dem  „Großen  Hause"  (für  das  große  Wort- 
und  Tondrama),  dem  „Kleinen  Hause"  (für  das  Wort- 
drama intimerer  Gattung  und  für  die  Spieloper, 
Operette  und  Verwandtes)  und  endlich  dem  Magazin- 
und  Verwaltungsgebäude.  Dieses  ist  von  Littmann 
aufierordentlich  geschickt  zwischen  die  beiden  Bühnen- 
häuser eingefügt  worden,  sodag  sich  zwischen  den 
drei  Bauten,  die  architektonisch  durchaus  ein  Ganzes 
bilden,  die  mannigfaltigsten  und  für  den  Betrieb 
ersprießlichsten  Verbindungen  ergeben.  Die  ganze 
Anlage  atmet  Ruhe  und  vornehmen  Geist.    Für  die 


Fronten  kam  überall  Maulbronner  Sandstein  zur  Ver- 
wendung, ein  köstliches  Material  von  gelbgrauen 
bis  braunvioletten  Tönen.  Am  Innenausbau  ist  in 
erster  Linie  das  überall  hervortretende  technische 
Raffinement  zu  bemerken;  diese  beiden  Bühnen- 
häuser verfügen  wohl  über  alle  Einrichtungen,  die 
die  moderne  Technik  überhaupt  in  den  Dienst  eines 
großen  Theaterbetriebs  zu  stellen  vermag.  Der 
Unterschied  in  der  Bestimmung  der  beiden  Häuser 
war  auch  maßgebend  für  die  künstlerische  Gestal- 
tung des  Inneren.  Das  Zuschauerhaus  der  großen 
Bühne,  grau,  Silber  und  Altgold,  ist  durchaus  auf 
Repräsentation  gestimmt;  das  Foyer,  eine  pompöse 
Säulenhalle  in  gelblichem  Marmor,  bietet  einen 
herrlichen  Rahmen  für  höfische  Prachtentfaltung. 
Die  verschiedenen  Vorzimmer  vor  den  Logen  der 
Fürstlichkeiten,  des  Intendanten  usw.  sind  Meister- 
werke der  modernen  Innenausstattung.  Kleiner 
in  den  Mitteln,  aber  in  der  Wirkung  womöglich 
noch  schlagender,  wärmer  und  geschlossener  sind 
die    entsprechenden    Räume    des    Kleinen    Hauses: 


PROFES.SOR  M.\X  LITTM.^SN.      DIE  KÖ.VtCiLlCHEiN    Hui' IHE.MtK  liN  .l  1  U  1  rü.\K  1 .       I).\.s  KLEINE  HAUS 


io8 


Kleine  Kunst-  Xachrichtetu 


l'Ri)KK.S.S<iK   MAX   I.IITMANX      mCN<HKX.     DIE   KÜNlr.l  Irlll-N  IIi  i|  Uli:  \  I  I.K    IN  S  ir  1  1(  .AK  l .        DAS  liKoSSK  HAUS 


das  Foyer  in  amerikanischer  Birke  mit  Gemälden 
von  Adolf  Münzer;  das  Zusdiauerhaus,  ein 
wahres  Schmuckkästchen,  in  herrlichen,  warmen 
Mahag-onitönen.  Diese  beiden  Räumlichkeiten  bilden 
ohne  Fra^re  die  künstlerischen  Höhepunkte  der 
^ranzen  Anlage.  Die  Mitarbeit  der  Malerei  und  der 
Plastik  verdienen  alle  Anerkennung;  zu  erwähnen 
sind  insbesondere  die  ruhigen,  schönen  Hermen  von 
Fpple  im  Foyer  des  Grofien  Hauses,  das  grofie 
Deckengemälde  im  Zuschauerhause  daselbst  vnn 
.luliusMösselund  die  ausgezeichneten  dekorativen 
Malereien  von  Sachse  &  Rothmann  im  Theater- 
restaurant; der  Figurenschmuck  an  der  Fassade 
des  Grofien  Hauses  beruht  auf  Bewegungsstudien 
des  Professors  Ludwig  Habich  und  erfüllt  an 
seiner  Stelle  recht  gut  seinen  Zweck.  Dafi  der 
Krbauer  im  übrigen  seine  sämtlichen  wertvollen 
Erfindungen  auf  bühnentechnischem  Gebiete  hier 
verwertet  hat,  versteht  sich  von  selbst.  Die  Reife, 
die  Klarheit  und  die  Brauchbarkeit  der  ganzen  An- 
lage sind  in  jeder  Hinsicht  vorbildlich.  u    \i. 


MANNHEIM.  Kunsthalle.  Für  die  Monate 
August  und  September  ist  eine  Ausstellung 
südwestdeutscher,  vorwiegend  badischer 
Künstler  veranstaltet  worden.  Sie  kann  gewisscr- 
niaf^en  als  Ergänzung  der  Baden-Badener  Kunst- 
au-stcllung  gelten,  von  der  sie  sich  durch  strenge 
Sichtujig  und  geschlossene  Einheitlichkeit  der  Grup- 
pierung auszeichnet.  Der  grofje  Saal  mit  Werken 
von  Hofer,  Wieck,  Freyhold,  E.  R.  Weif;,  Caspar 
und  Schinnerer  hat  einen  starken  einheitlichen  Klang, 
der  bedingt  ist  durch  die  allen  Werken  zugrunde- 
liegende Sdiulung  an  Cezannes  flächenhafter  Far- 
bigkeit. Reich  bewegte  Akte  von  Hof  er  klingen 
mit  plast  sehen  Figuren  von  Hoetger  herrlidi  zu- 
sammen. Freyhold  und  Wieck  zeigen  wogende, 
und  stolz  emporstrebende  Blumenstücke  mit  starken 
leurtitenden  Farben.  E.  R.  Weifi  zeigt  in  seinen 
Landschaften  und  Stilleben  die  starke,  malerische 
Kultur,  die  ihm  Cezanne  (und  vielleicht  auch  Matisse) 
an  die  Hand  gegeben  haben.  Schinncrcrs  „Lie- 
bespaar" springt  in   den  Farben  noch  zu  sehr  aus- 


109 


^.-^ 


m 


PAUL  POIRET— PARIS.    ABENDTOILETTE.    TUNIK.\  SCHWARZER  .\TLAS,  UNTEKKLLIU  WEIS.SER  .\TLAS  .MIT 
TÜLLSCHLEIER,  DIAMANTSCHNÜRE,  DIAMANTBORDÜRE  UND  FRANSE  ALS  ALLEINIGER  SCHMUCK. 


I'AI-|.  KURF.T     PARJ.S.  AIIKMIK  ill.KTl  K  l.N   W  1■:IS^KM   AI  LAS  Mll    Sl  HWAkZKM  tC  ll.f  IIKKU  IKl' ,  SCHWAKZK 

FRANSE,  SlHMALES  PERLMIEDEK.     KOPFSCHMUCK  VIOLETTE  SEIiil.  MIT  DI AMA.VTSI'ANGE  UND  HciHEM  KI.IHF.R. 


Alehie  Kioist-Nachrichten. 


einander.  Von  starker,  explosiver,  seelischer  Schön- 
heit sind  die  beiden  visionären  Werke  K.  Caspars, 
die  —  obwohl  sie  aus  Greco  starke  Anregung 
gewonnen  —  doch  einen  persönlichen  und  einheit- 
lichen Stil  aufweisen.  -  Zwei  weitere  Kabinette  führen 
Künstler  von  leuchtender  Farbigkeit  zusammen: 
den  Mannheimer  Th.  Schindler,  der  in  seinen 
letjten  Werken  noch  intensiver  und  reicher  gewor- 
den ist;  den  Pforzheimer  Adolf  Hilde nbr and, 
der  in  weichen,  fliefjenden  Farbströmen  in  an- 
spruchslosester Weise  eine  lyrische  Naturstimmung 
von  nachhaltiger  Wirkung  erreicht.  Beide  haben  eine 
starke  Empfindung  für  die  soziale  Psyche.  Brasch 
undS.  von  Leth  haben  in  der  Anwendung  ihrer  tech- 
nischen Mittel  manches  verwandte,  aber  Leth  ist 
kräftiger,  heiterer,  sinnlicher  und  im  Ausdruck  far- 
biger. Der  Kubist  Kanoldt,  der  von  Geburt  Karls- 
ruher ist,  verleiht  einem  Kabinett  durch  den  sonoren 
Klang  seiner  Farben  eine  stimmungsvolle  Weihe. - 
Emil  Bizer  zeigt  farbig  heitere  Landschaften,  die 


sich  mit  der  Schweizer  Kunst  berühren.  Die 
Trübnerschule  (Coste,  Dahlen,  Gräber,  Grimm, 
üöbel,  Segewit3,  Wallischek)  zeigt  die  technische 
Meisterlichkeit,  vermag  aber  kaum  neue  und  eigene 
Töne  anzuschlagen.  Nur  Hans  Sprung  hat  sich 
mit  einem  Ruck  energisch  von  Trübner  losgemacht 
und  eine  farbige  Lebendigkeit  und  Leuchtkraft  er- 
halten, die  fast  von  Renoir  herzukommen  scheint. 
Besonders  seine  „Stilleben"  und  eine  kleine  deli- 
kate Landschaft  fesseln  stark.  Ein  weiterer  Saal 
vereinigt  Stilleben  von  E.  R.  Weiß,  Helene  Al- 
biker,  M.  Lesser,  Knapp,  Segewitj  und  P. 
Dahlen,  und  in  einem  letjten  Kabinett  fesseln 
einige  Arbeiten  von  A.  Strübe,  die  an  die  Trüb- 
nersche  Art  der  70  er  Jahre  erinnern,  ferner  Land- 
schaften von  Dillinger  und  Örtel.  Unter  den 
graphischen  Arbeiten  fallen  wiederum  Handzeich- 
nungen von  Th.  Schindler  auf,  die  mit  schnellen 
und  persönlichen  Strichen  eine  tiefe  Innerlichkeit 
der  Natur  uns  übermitteln.  w.  f.  stcirck. 


Lotte  I'Kitzel— München.  »vrrRiNENi'Ui-PE.N« 


I.KIVI  -I  l\li\r  -Ul  IMAK. 


i'.aiji;a.\stai.]  <i 


MÜNCHNER  JAHRESAUSSTELLUNG  IM  GLASPALAST. 


Die  diesjährige  Ausstellung  im  Münchner 
Glaspalast  gehört  gewiß  nicht  zu  jenen, 
deren  Jahr  man  sich  einprägen  müßte.  Neue 
Probleme  werden  nicht  behandelt,  es  geschehen 
keine  aufregenden  Dinge,  ja  nicht  einmal  eine 
Sensation,  von  derman  eine  Saison  lang  spricht, 
ist  zu  verzeichnen.  Das  wäre  ja  noch  kein 
Mangel,  und  das  Durchschnittsniveau  der  Aus- 
stellung ist  im  Grunde  kein  schlechtes.  Aber 
es  fehlen  die  eigentlich  starken  Leistungen, 
in  denen  man  eine  besondere  Kraft  lebendig 
spürte.  Und  so  wirkt  die  Ausstellung,  obwohl 
der  Durchschnitt  vielleicht  besser  ist  als  in 
manchem  früheren  Jahre,  durch  die  verhältnis- 
mäßige Gleichwertigkeit  vieler  sich  ehrlich 
mühender  Begabungen  doch  im  Gesamteindruck 
ziemlich  gleichförmig  und  ermüdend.  Das  er- 
freulichste an  der  Ausstellung  ist,  noch  zu  kon- 
statieren, wie  mannigfache  Werte  und  Me- 
thoden, die  zuerst  Besitz  einer  Richtung  waren 
und  unter  einem  Etikett  gingen,  wie  die  ver- 


schiedenen impressionistischen  und  koloristi- 
schen Dinge,  in  gemäßigter  Gestalt  allmählich 
durchdringen  und  Allgemeinbesitz  werden. 
Manches  Bild  aus  dem  Glaspalast  könnte  ge- 
wiß ebensogut  in  der  Secession  hängen.  Damit 
soll  nicht  etwa  ein  borniertes  Werturteil  abge- 
geben werden,  es  soll  nur  konstatiert  werden, 
daß  die  Anregungen  gewirkt  haben.  Das  All- 
gemeinniveau der  Produktion  bei  den  Künstlern, 
die  nicht  einen  führenden  Namen  erringen  und 
nicht  für  eine  Elite  kundiger  Sammler,  son- 
dern für  den  Geschmack  des  naiven  Publi- 
kums arbeiten,  ist  ganz  zweifellos  besser  ge- 
worden, ebenso  wie  die  kunstgewerbliche  Pro- 
duktion im  allgemeinen  besser  geworden  ist. 
Diese  erfreuliche  Konstatierung  ist  zugleich  das 
einzige  allgemeinere  Urteil,  das  sich  zu  der  Aus- 
stellung im  Glaspalast  sagen  läßt.  Im  übrigen 
liegt  alles  bei  den  Einzelnen;  so  wenig  wie  be- 
sondere Persönlichkeiten  treten  besondere 
Richtungen  auf,  die  durch  ihre  Geschlossenheit 


1812,13.  II.  1. 


Müvchiier  /a//'rsa!issfe//ii>io  im  G/as/^a/asf. 


AMON  MrLLEK-«'lS(  HIN  -Mi:X(:HEX. 


ein  allgemeineres  Interesse  erregten.  Jedes 
Werk  tritt  für  sich  auf,  ohne  daß  uns  doch 
eines  ganz  fesselte.  Bei  dieser  Lage  muß 
unsere  Aufgabe  von  vornherein  zersplittern. 
Wir  können  hier  nur  ein  paar  unzusammenhän- 
gende Notizen  geben,  die  in  keiner  Weise  er- 
schöpfen sollen ;  wir  müssen  im  einzelnen  stecken 
bleiben,  weil  eben  nichts  weiter  da  ist  als 
„Dies  und  Jenes". 

Wir  verweilen  hier  nicht  bei  dem  in  der  Ein- 
gangshalle aufgestellten  plastischen  Werke  von 
Ludwig  Manzel  „Kommet  her  zu  mir",  das 
anders  zu  beurteilen  wäre,  wenn  es  vor  Bar- 
tholomes  „Aux  morts"  entstanden  wäre  und 
das  bei  allen  Vorzügen  im  einzelnen  an  dem 
Grundmangel  leidet,  daß  ihm  der  architekto- 
nische Mutterboden  fehlt,  aus  dem  heraus  allein 
für  die  ganze  Anlage  die  überzeugende  Mo- 
tivierung erwachsen  würde.  Wir  verweilen 
hier  ebensowenig  bei  Adolf  Hildebrands 
genügend    besprochenem    Bremer    Bismarck- 


GEMAFllE:      HEKBSTTAC.« 


denkmal,  dessen  Modell  in  der  Empfangshalle 
dominiert.  Wir  wollen  uns  auch  nicht  aus- 
führlich über  die  Kollektivausstellungen  ver- 
breiten; sie  gelten  den  Tolen  des  Vorjahres, 
Ludwig  V.  Löfftz,  an  dessen  Werken  in- 
teressant zu  konstatieren  ist,  wie  sich  in  späteren 
Jahren  die  Palette  zaghaft  aufhellt,  Otto 
S  e  i  t  z ,  unter  dessen  Bildern  jenseits  aller  großen 
Formate  ein  paar  kleinformatige  Stimmungs- 
landschaften überraschen,  in  denen  er  den  Reiz 
des  wolkenlosen  blauen  Himmels,  der  inein- 
anderwirrenden  Baumwipfel  —  wenn  auch  mit 
konventioneller  Palette  —  aufsucht,  Frank 
Kirchbach,  von  dem  uns  ein  gutes  Porträt 
seines  Bruders  warnt,  ihn  einseitig  nach  seinen 
historischen  Kompositionen  zu  beurteilen,  und 
August  Holmberg.  Ferner  von  Lebenden 
F.  A.  V.  Kaulbach,  in  dessen  Porträts  auf 
jeden  Fall  Rassigkeit  und  Bravour  steckt,  und 
Martin  Feuerstein,  der  an  eine  zeitlose 
christliche    Monumentalkunst    glaubt,     welche 


ii6 


l.UUWlii  \,.N  HUFMAXN. 


GEMÄLDE:     I-'KI'IIIJNC. 


Jifünc/iner  Jahresmisstellung  im  Glaspalast. 


M.  ^U.BERT  KOENIG  -MÜNCHEN. 


Über  alle  ephemeren  Wandlungen  durch  ihren 
Gegenstand  erhaben  ist,  nur  daß  er  dabei  an 
die  romantische  Malerei  des  neunzehnten  Jahr- 
hunderts anknüpft,  welche  selbst  eine  literarische 
und  abgeleitete  war  und  zu  den  malerischen 
Dingen  nur  ein  sekundäres  Verhältnis  hatte. 

Von  den  Bildern,  die  der  Jury  der  „Münchner 
Künstlergenossenschaft "  unterlagen,  folgt  natür- 
lich die  überwiegende  Zahl  konservativen  Mal- 
weisen ,  wofür  die  Reproduktion  von  Peter 
Philippis  „Landwirt"  einen  sympathischen 
Vertreter  zeigen  mag.  An  den  Bildern  von  Gg. 
Schildknecht  besticht  die  solide  Grundlage, 
und  die  Modellierung  ist  mit  solcher  Wärme  er- 
faßt, daß  man  darüber  vergißt,  daß  die  Farbe 
doch  etwas  sehr  zurückgehalten  ist.  —  Am 
besten  ist  das  Landschaftsbild  vertreten.  Neben 
guten  konservativen  Leistungen  meist  bekannter 
Namen  folgt  eine  größereZahl  impressionistischen 
Zielen  (Bolgiano,  Leuteritz,  Laubitz  u.  a.).  Die 
erfreulichste  Erscheinung  auf  der  Ausstellung 
sind  aber  wohl  eine  Zahl  von  Landschaftsmalern, 
die  sich  die  koloristischen  Errungenschaften  un- 
serer Zeit  mit  empfänglichem  Sinn  aneignen, 
ohne  sie  nach  einer  technischen  Richtung  zu  trei- 
ben, sondern  sie  benutzen,  um  inhaltlicheWerte 
zu  kultivieren  und  eine  schlichte  Stimmungs- 
wirkung zu  erreichen.  So  nennen  wir  A.  Müller- 
Wischin,  an  dessen  „Herbsttag  "  man  wohl  auch 


BLICK  AUF  DEN  .MUMERSEE 


in  der  Reproduktion  erkennt,  wie  alles  ebenso 
malerisch  zusammengenommen  wie  intim  emp- 
funden ist,  ferner  O.  Gampert,  Peter  Paul 
Müller,  M.  Albert  König,  Ernst  Müller- 
Bernburg:  alles  mehr  feinfühlige  als  überwäl- 
tigende Begabungen,  von  denen  jeder  ein  Gebiet 
sich  errungen  hat,  das  er  mit  Liebe  bebaut.  — 
Ferner  wollen  wir  das  Jahrmarktsbild  des  ver- 
storbenen Russen Pimonenko  nicht  unerwähnt 
lassen,  in  dem  eine  Menge  Licht  steckt,  ohne 
daß  es  im  geringsten  kreidig  wird. 

Von  den  Ausstellungen  der  Einzelgruppen 
nimmt  die  derLuitpoldgruppe  den  größten  Raum 
ein.  Die  Ausstellung  läßt  schon  durch  den  er- 
sten Gesamteindruck,  den  die  großen,  lichten 
Bilder  machen,  erkennen,  daß  die  Mitglieder  der 
Gruppe  durch  gemeinsame  Interessen  geeint  sind . 
Sie  folgen  meist  Lichtproblemen,  sie  finden  an 
der  einfachen  Kontur  eine  Menge  farbiger  Reize 
und  werden  durch  den  Reichtum  im  einzelnen 
von  selbst  zu  großen  Formaten  geführt.  Diese 
Einstellung  führt  zu  schönen  Ergebnissen,  wenn 
der  Blick  aufs  Sinnenfällige  geht,  so  inderLand- 
schaft,  wenn  womöglich  noch  ein  paar  belebende 
Tiere  verhindern,  daß  der  Betrachter  auf  ideelle 
Werte  abgleitet,  und  im  Porträt;  sie  läßt  meist 
im  Stich,  wenn  eine  Steigerung  ins  Monumentale 
oder  sonst  ins  ideell  Bedeutsame  versucht  wird. 
In  der  diesmaligen  Ausstellung  sind  respektable 


118 


Münchner  /a/naaussfe/hing  im  Glaspalast. 


i'Koi'.  (;i-:oRc; 

1  llllllK.N'KCHr- 

MrNl'HE.N. 


liAl'KKNFKAI' 


Namen  mit  niveaugerechten  Leistungen  vertre- 
ten, ohne  daß  man  jedoch  etwas  verspürte,  was 
weiter  führen  könnte. 

In  der  Ausstellung  der  „Bayerngruppe"  prä- 
sentieren sich  Namen  wie  Ernst  Liebermann, 
Hans  v.  Bartels,  die  Brüder  Schuster- 
Woldan,  Geffcken,  Hoch,  Sieck,  Bios, 
Rabending.  Die  beigefügte  Reproduktion 
nach  Liebermann  wirkt  vielleicht  etwas  leer,  der 
Reiz  liegt  darin,  wie  das  durch  die  Vorhänge 
flächig  einfallende  Licht  von  dem  schokoladefar- 
benen  Parkett  zurückstrahlt. 

Recht  solide,  gereifte  Werke  bringt  die  Aus- 
stellung des  „Bundes".  Hier  finden  wir  die 
Porträts  von  Anton  Gregoritsch,  Walter 
Thor,Abecassis,Bohnenberger,dieLand- 
schaften  von  Küstner,  die  Plastiken  von  Vier- 


thaler. Männer,  die  mit  Fleiß  an  sich  selbst 
gearbeitet  haben  und  wissen,  was  sie  an  sich 
haben  und  von  sich  verlangen  können. 

Vonden  auswärtigen  Künstlergruppen  schnei- 
den am  besten  die  Weimarer  ab,  welche  die 
hellen  Räume  der  „Scholle  "bezogen  haben  (diese 
hat  dies  Jahr  bei  Brakl  ausgestellt).  L.  v.  Hof- 
mann hat  drei  wenn  auch  nicht  überwältigende, 
so  doch  vollgültige  Repräsentanten  seiner  far- 
benschönen Phantasiekunst  geschickt.  Sein 
Gegenpol  ist  Mackense  n;  dessen  realistische 
Bilder  sind  wohl  streng  und  mit  Selbstkritik  ge- 
malt, aber  doch  etwas  nüchtern.  MaxThedy 
verwaltet  mit  bekannter  höchster  Sorgfalt  das 
altmeisterliche  Erbe.  Besonderes  Interesse  er- 
regen ein  paar  Bilder  des  vielgenannten  Egger- 
Lienz.    Diese  eckigen  Gestalten  sind  zweifei- 


Mülleimer  /(i/iresaitssiclhuis;  ivi  Glaspalasl. 


M.IIIS  W.C.KR- 
I.IKNZWl  IM  \K 


OI.GEMAI.IJK : 

KOPI-STI'DIl 


los  mit  Temperament  und  Können  hingesetzt, 
aber  vorläufig  ist  alles  noch  mehr  Falhelik  als 
innere  Größe,  und  die  Gefahr  der  Kraftgebärde 
liegt  nicht  fern. 

Unter  den  badischen  Künstlern  möchten  wir 
neben  Thema,  Volkmann  und  Schönleber  ins- 
besondere Rudolf  Hellwag  nennen.  Seine 
„Glücklichen  Stunden",  die  an  ältere  franzö- 
sische Anregungen  anknüpfen,  sind  ein  gutes 
Bild.  Wie  die  Menschen  unter  diesen  hohen 
Stämmen  gesehen  sind,  wie  das  ganze  i5ild 
durch  ein  saftiges  Braun  zusammengehalten 
ist,  von  dem  sich  die  Farben  nur  sparsam  los- 
lösen, um  sofort  Licht  und  Weite  zu  geben, 
das  ist  wirklich  malerisch  erfaßt,  wenn  auch 
nicht  allzu  originell  vorgetragen.  Die  beiden 
anderen   Bilder    desselben   Künstlers    bleiben 


dagegen  zurück;  hier  sind  einzelne  Teile  de- 
korativ gesteigert,  ohne  daß  doch  eine  reine 
Wirkung  erreicht  ist. 

Die  Ausstellung  der  Düsseldorfer  macht, 
abgesehen  von  älteren  Werken  wie  den  Por- 
träts von  Ludwig  Keller,  einen  ziemlich  jugend- 
lichen Eindruck.  Hier  scheint  alles  mögliche 
rege  zu  sein  und  das  wäre  ja  erfreulich. 

Von  Plastiken  nennen  wir  hier  nur  die 
„Träumerei"  von  Hermann  Jacobs  (Berlin), 
eine  Brunnenfigur,  gut  charakterisiert  in  der 
mädchenhaften  Haltung  und  der  Durchbildung 
des  Körpers,  ferner  von  Otto  Pilz  (Dresden) 
einen  sehr  lebendig  komponierten  „Faunjungen 
mit  zwei  Bären"  und  eine  kleinere  Plastik. 
Dann  wäre  aus  den  kleineren  Bronzen  noch 
manches  Gute  zu  nennen.        ki  n"  .\utii..\z\vk\  . 


G.   SCHUSTER -WOLD AN  -  MÜNCHEN. 
DOPPELBILDNIS:    »DAME  MIT  KIND« 


"^'V 


PROF.  RUD.  HELLWAG    KARLSRUHE. 
GEMÄLDE:    .GLUCKLICHE   STUNDEN. 


IHEODOR  BOHNKN- 

l'.l  K(JKR-VC.N('HKX. 

KLEINICK  PASCHA 


\v\-Jtl:i.  11.  2. 


i  i,K.\     UUSSELDORF. 


1  in:  1TT/.XL\CHEK1.N  NE.N 


DIE  ERZIEHUNG  FÜR  DAS  KUNSTHANDWERK. 


LTnsre  soziale  Entwicklung  hat  dahin  geführt, 
J  daß  die  Schule  einen  großen  Teil  der  Er- 
ziehung übernehmen  muß,  die  früher  von  der 
Familie  und  von  der  Werkstatt  besorgt  wurde. 
Damit  tritt  an  das  Gewerbe  und  weiterhin  auch 
an  den  Staat  die  Notwendigkeit  heran,  einen 
Ersatz  für  das  Verlorene  zu  schaffen.  Im  Kunst- 
gewerbe vollzieht  sich  der  Werdegang  der 
Heranwachsenden  im  allgemeinen  so,  daß  sie 
nach  vollendeter  Schulpflicht  die  Lehre  durch- 
laufen und  während  dieser  Zeit  die  allgemeinen 
Fortbildungsschulen  besuchen.  Während  der 
Gehilfenzeit  und  darüber  hinaus  stehen  ihnen 
die  gewerblichen  Mittelschulen,  die  Akademien 
und  Hochschulen  offen,  in  welche  Anstalten 
übrigens  auch  solche  Schüler  eintreten,  die  aus 
den  humanistischen  und  realistischen  Bildungs- 
anstalten kommen  und  keine  gewerbliche  Lehr- 
zeit hinter  sich  haben.  Mit  der  Eignung  und 
Vorbereitung  dieser  jungen  Leute  zum  Kunst- 
gewerbe ist  es  nun  freilich  oft  schlecht  bestellt. 


Mit  einer  gewissen  Summe  von  allgemeinen 
Kenntnissen  sind  sie  wohl  ausgestattet,  aber 
was  ihnen  vor  allem  fehlt,  das  ist  der  Geschmack 
und  das  Gefühl  für  die  künstlerische  Gestaltung 
ihrer  Arbeit  und  für  die  technische  Hand- 
fertigkeit. Hieraus  ergeben  sich  eine  Reihe 
von  Forderungen  reformatorischer  Art  an  den 
heutigen  Schulbetrieb,  die  zu  erfüllen  man  sich 
jetzt  allenthalben  anschickt  und  von  denen  in 
erster  Linie  zu  nennen  sind:  ausgiebige  Pflege 
des  Zeichenunterrichtes  und  Einführung  des 
Handfertigkeitsunterrichtes  auf  den  verschie- 
denen Stufen  der  Volksschule,  beginnend  mit 
leichten  Arbeiten  in  den  ersten  Schuljahren  und 
fortschreitend  bis  zu  den  strengeren  Werkstatt- 
arbeiten der  obersten  Klasse. 

Auf  einem  anderen  Wege  sucht  man  in  Frank- 
furt diese  Frage  zu  lösen.  Jeder  Lehrling  in 
einem  gewerblichen  Betriebe  bekommt  dort 
jährlich  einige  praktische  Aufgaben  gestellt,  die 
er  in  der  Werkstatt  seines  Meisters  auszuführen 


126 


I'KOK  KRANZ  r.RASSKI.     KMMKRI.NC.. 


KNIKN    .\M    IMK 


*l 


>-  '-^ 


-j 


PROFESSOR  JULIUS  BERGMANN     KARLSRUHE.     OEMAL13E:   ;  MANN  MIT  KUH« 


iDie  Erziehung  für  das  Kunstkandiverk. 


hat.  Die  Art  der  Ausführung  unterliegt  der 
Beurteilung  der  Schule,  und  auf  diese  Weise 
überwacht  die  Behörde  die  praktische  Ausbil- 
dung des  Lehrlings  und  sucht  sie  zu  fördern. 

Besondere  Maßnahmen  erfordert  die  für  die 
Zukunft  unserer  wirtschaftlichen  Produktion  so 
notwendige  Ausbildung  der  künstlerischen 
Begabungen.  Denn  es  ist  zweifellos  richtig,  daß 
unsere  wirtschaftliche  Zukunft  auf  der  Erzeugung 
von  Gütern  beruht,  die  andere  Völker  nicht 
so  gut  wie  wir  erzeugen  können.  Die  Erzeu- 
gung solcher  Produkte  hängt  von  der  künst- 
lerischen Begabung  und  der  technischen 
Geschicklichkeit  der  Produzierenden  ab. 
Der  ideale  Zustand  würde  der  sein,  daß  eine 
Person  beide  Eigenschaften  in  sich  vereinigt. 
In  der  Regel  wird  freilich  schon  hier  eine  Tei- 
lung der  Arbeit  eintreten,  indem  die  eine  Per- 
son der  Künstler  ist,  der  den  Entwurf  macht, 
und  eine  andere  derTechniker,  derihn  ausführt. 
Daraus  ergibt  sich  die  Notwendigkeit,  beide  so 
auszubilden,  daß  sie  gewissermaßen  wie  in  einer 
höheren  Einheit  zusammenarbeiten  lernen.  — 
Nur  wenn  der  Künstler  sich  mit  allen  Einzel- 


heiten des  technischen  Betriebs  vertraut  gemacht 
hat,  und  nur  wenn  die  Arbeit  des  Technikers 
getragen  wird  vom  Gefühl  für  die  Ideen  des 
Künstlers,  nur  dann  wird  die  Erziehung  zum 
Kunstgewerbe  die  erwünschten  Früchte  tragen. 
Nicht  durch  die  Einführung  in  die  kunsthisto- 
rische Betrachtungsweise  und  auch  nicht  durch 
liunsttheoretische  Betrachtungen,  sondern  durch 
praktische  Einführung  in  die  Technik  und  in 
den  Geist  guter  Kunstwerke  werden  die 
Eigenschaften  entwickelt,  auf  die  es  bei  der 
Erziehung  hauptsächlich  ankommt.  Deshalb 
wird  die  Werkstatt,  in  der  ein  tüchtiger  Meister 
waltet,  immer  noch  die  beste  Erziehungsstätte 
sein,  und  die  Schule  wird  sich  einer  solchen  um 
so  mehr  annähern,  jemehr  sie  von  den  Vor- 
zügen der  guten  alten  Meisterlehre  in  sich  auf- 
zunehmen vermag.  Die  gesamte  Entwicklung 
unseres  kunstgewerblichen  Erziehungswesens 
drängt  mehr  und  mehr  nach  der  praktischen 
Seite  im  Sinne  der  guten  Werkstalterziehung, 
und  alle  Erfahrungen  sprechen  dafür,  daß  haupt- 
sächlich die  künstlerische  Qualität  der  Lehrkräfte 
den  Erfolg  verbürgt,    prok.  ur.  a.  pah.st— ikip/jg. 


PROFE.S.SOR 

E.  I.1RBERM.\NN- 

MÜNCHEN. 


\<IK/,IMMER  I.  1). 
KUI..  RESIDENZ 
IN   I.ANUSHVT. 
(I'RIVATBESITZ) 


BünBiB 


MAURICE  DENIS-  PARIS. 

GEMÄLDE:  MUTTER  UND  KIND. 
SAMMLUNG   CÜRT  HERRMANN. 


im 


Mrr. 


••-»^ 


Xr:J;**y>i^ 


M.  K.  <  KiisN- 
1  K  I.AVAMii  IN 

si  i:st(i  k 


4 


Ä 


.1 


,^^ 


'^>   ^^' 


DER  KÜNSTLER  UND  SEINE  WELT. 

cuRi  iii;krman.\   r.i:Ki,iN  als  malek  ux'd  ,sa.mmi.I';k. 


\  \  '^ir  wissen,  daß  Rembrandl  ein  Sammler 
\  \  war.  Kostbare  Gewebe  und  edle  Melalle, 
Waffen,  Trink)Jefäße,  faltenschwere  Mäntel, 
Gleißendes  und  Glühendes  hatte  er  um  sich 
versammelt.  Daß  seine  Träume  von  dem  einen 
zum  andern  gingen  und  alle  Pracht  und  alle 
Leidenschaften  des  Orients  erlebten,  unendlich 
fern  der  grauen,  wäßrigen  Kränierstadt ;  eine 
Welt,  die  ihm  allein  gehörte,  ihm,  Rembrandt. 
Aus  dieser  Welt  wuchsen  seine  Bilder.  Er  sah 
einen  Goldhelm  an :  so  ward  daraus  ein  Kleinod 
der  Malgeschichte.  Fr  nahm  ein  purpurnes  Ge- 
wand vom  geschmiedeten  Riegel  und;  Saskia 
thronte  für  ewige  Zeiten,  eine  Göttin  der 
Liebe.  Als  aber  dann  dies  alles  zum  Teufel 
ging  und  er,  der  Spott  von  Amsterdam,  ein 
Bettler  durch  die  Straßen  schlich,  da  war  er, 
malend,  noch  immer  der  gleiche;  Rembrandt, 
der  Held,  der  Dämon.  Die  Altersbildnisse  des 
Verlumpten  geben  die  eigentliche  Wahrheit; 
daß  Rembrandts  zeugungsstarke  Welt  nicht  um 
ihn,  sondern  in  ihm  war. 

Mit  Makart  stand  es  anders.  Man  denke 
sich  diesen  Dekorateur  des  Fleisches  in  einer 
Scheune  oder  in  einer  Matrosenspelunke,  denke 
ihn  sich  mit  gerauftem  Haar  und  gedunsener 


Haut.  Der  Zärtling,  das  Genie  der  Portiere 
brauchte  das  Halbdunkel  des  Museums,  die 
Schmeichelung  des  Teppichs  und  die  anreizende 
Freundschaft  eines  kopierten  Tizians.  Makart 
brauchte  ein  Milieu  ;  Rembrandt  war  seine  eigne 
Well.  Das  sind  so  Unterschiede.  Michelangelo 
hätte  in  einer  Wüste  leben  können;  vielleicht 
leble  er  nie  wo  anders.  Als  er  die  Sixtina 
malte,  lag  er  rücklings  auf  einem  Leitergerüst. 
Das  war  alles,  was  ihn  umgab.  Die  Gehilfen 
hatte  er  vor  die  Tür  getrieben;  er  war  mit  sich 
selber  allein.  Als  solch  ein  Einsamer,  fern  von 
aller  früheren  und  fremden  Schönheit,  lebte 
auch  van  Gogh  in  Arles.  Er  wußte  kaum,  ob 
es  außer  ihm  je  einen  Künstler  gegeben  iialte; 
er  kannte  keinen.  In  der  kahlen  Armut  seiner 
Bauernstube  stapelte  er,  was  seine  fiebernde 
Hand  aus  sterblicher  Wirkliclikeit  zum  ewigen 
Sein  entriß. 

Die  Menschen  sind  verschieden.  Der  Schwede 
Larsson  weiß  über  seine  Kinder  beinahe  eben- 
soviel zu  erzählen  wie  von  seinen  Bildern  ;  zu- 
weilen möchte  man  meinen,  daß  er  überhaupt 
nur  male,  um  das  „Haus  in  der  Sonne"  zärt- 
lich zu  schmücken.  An  Ähnliches  denkt  man  bei 
Curt  Herrmann.   Er  wohnt  zwischen  Möbeln 


<i> 


l'IKRKK  I'.ONNARI)      PARIS. 


(lEiMALDE;      AN  DER  SEINE« 


1 1  emFJmmSBOKBBn.T^'-: '  "'- 

THEO  VAN  RYSSELBERGHE— PARIS.    OE.MÄLl-)!. ;      AKl     .    SAMMLUNG  CURT  HERRMANN. 


Der  Künstler  uud  seine  We/f. 


von  Van  de  Velde  und  malte  in  die  Architektur 
dieses  Kosmopoliten  gehorsame  Dekorationen. 

Es  gibt  etwas,  was  man  das  Mirakel  der 
gesättigten  Atmosphäre  nennen  könnte,  i^ings- 
um  lebt  und  webt  Kultur;  niemand  kann  sich 
ihrer  Wirkung  entziehen.  Sie  wird  zur  Idee, 
zum  Gesetz,  zum  höchsten  Maßstab.  So  will 
das  Verhältnis  des  englischen  Hauses  mit  seiner 
Tradition  und  seiner  verwandelten  Gotik  zu  den 
Präraffaelilen  verstanden  sein.  Es  wurden  diese 
Maler  zu  jenem  Milieu  einfach  hinzugetan.  Morris 
und  Crane  sind  fast  eine  Einheit :  der  moralische 
Apostel  und  der,  der  ein  Künstler  sein  wollte, 
ein  Freier,  ein  Schweifender.  Die  Frage  ist: 
ob  so  etwas  wahr  sein  kann.  Es  ist  wohl  richtig, 
daß  jedes  Kunstwerk  eine  dekorative  Wirkung 
zu  leisten  vermag;  ob  das  Schmücken  des  Raumes 
aber  die  letzte  Absicht  der  Kunst  ist,  das  bleibt 
anzuzweifeln.  Das  muß  verneint  sein.  Die 
Persönlichkeit  ist  mehr  als  der  Raum.  Der 
Hersteller  des  Raumes  bleibt  immer  der  Diener 
anderer  und  ist  darum  dem  Maler  gegenüber 
leicht  der  Schwächere.   Der  Maler  kann,  wenn 


er  will,  alles  aus  sich,  alles  für  sich  schaffen. 
Wenn  nun  das  Umgekehrte  eintritt,  daß  der 
Maler  sich  dem  Raumhersteller  eingliedert,  so 
wird  die  dekorierende  Dienstbereitschaft  maß- 
gebender als  das  Drama  der  Persönlichkeit. 
Es  wird  immer  gefährlich  sein,  einen  blut- 
starken Maler  in  ein  Haus  einzulassen  :  er  wird 
es  sprengen,  oder  er  wird  sich  kaum  darum 
kümmern.  Man  denke  sich  Rembrandt  unter 
der  Aufsicht  eines  Architekten;  das  wäre  der 
Ausbruch  eines  Vulkancs  geworden.  Man  denke 
sich  Manet  beauftragt,  für  ein  bestimmtes  Zim- 
mer ein  Stilleben  zu  malen.  Er  hätte  wahn- 
sinnig gelacht.  Er  hätte  die  F'orderung  des 
guten  Geschmackes,  wie  sie  für  die  Rauniein- 
richtung  mit  Recht  besteht,  für  ein  Erdrosseln 
gehalten.  Die  Zugehörigkeit  zu  irgend  einer 
Kultur  war  für  ihn  nur  eine  Blague.  Als  Lieber- 
mann einmal  gefragt  wurde,  ob  er  es  nicht 
logisch  und  kultiviert  finden  würde,  wenn  seine 
Bilder  in  Rahmen  von  Van  de  Velde  hingen,  soll 
er  beinahe  eklig  geworden  sein.  Gewiß,  er 
sammelt  Japan;  als  er  sich  aber  ein  Haus  bauen 
ließ,  wählte   er  einen  Schüler  Messeis.    Sollte 


V.\l.r.\T— KVKI.N.       liliM.VI.DIi;      .N.\C1I   Dl.K 


,1  .vi;  crnr  hkrrm.xnn. 


iJ3 


Der  Künstler  und  seine  Weif. 


PATL  (lAUGriX. 


KRETOMM'HI-:  LAMiMHAl  1 


es,  dazu  im  Vergleich,  nur  ein  Zufall  sein,  daß 
Van  de  Velde  über  jene  Maler,  die  (naiv  ange- 
schaut) den  Impressionismus  dekorativ  nützten, 
diese  Worte  schrieb  :  „Nirgends  ist  die  intellek- 
tuelle Teilnahme  an  der  Entwicklung  der  neuen 
Linie  so  weitgehend  wie  in  den  Werken  der 
Neo-Impressionisten."  Und:  „Seurat  befreite 
als  erster  die  Linie  von  den  Eigenarten  des 
romantischen  Rhythmus  und  seiner  Akzentu- 
ierung." Sollte  es  nur  ein  Zufall  sein,  daß  Van 
de  Velde  in  seinem  eigenen  Hause  Seurat  und 
Signac  hängen  hat,  und  Curt  Herrmann,  der 
deutsche  Schüler  dieser  französischen  Neos, 
sich  durch  Van  de  Velde  einrichten  ließ.  Man 
kann  getrost  daran  erinnern,  wie  Velde  von 
denen,  die  „ihre  Empfindungen,  das  Tempo  und 
den  Rhythmus  ihres  Lebens  dem  Pulsschlag 
unserer  Zeit  angepaßt  haben",  erwartet,  daß  sie 
neben  Seurat  und  Signac  einen  Manet  besitzen 
und  ehren ;  es  bleibt  in  dem,  was  er  über  die 
Notwendigkeit  sagt,  die  Bilder  zu  lieben,  doch 
deutlich   die  Tendenz   zur  Kulturgemeinschaft 


spürbar.  Eine  Tendenz,  die  fruchtbar  ist  für 
den  Architekten;  die  aber  dem  Maler  gefähr- 
lich werden  kann,  weil  sie  gar  leicht  die  dis- 
krete und  schwankende  Grenze  zwischen  dem 
Dekorativen  und  dem  Kunstgewerblichen  gegen 
dieses  hin  verschiebt. 

Man  fühlt  sich  gedrängt,  zu  fragen:  ob  nach 
der  Art  Seurats  oder  Signacs  das  Bildnis  eines 
versoffenen  Bettlers  als  ein  Dokument  genialer 
Menschlichkeit  gemalt  werden  könnte.  Und : 
welchen  Lebenszweck  ein  Stilleben  des  Curt 
Herrmann  zu  erfüllen  hätte,  wenn  es  nicht  einem 
spiritualisierten  Raum  der  klingende  Akzent, 
der  destillierteste  Schmuck  sein  würde.  Sol- 
cherlei fragt  man;  und  es  wird  einem  immer 
gewisser,  daß  für  Rembrandt,  Liebermann,  Gogh 
der  Rahmen,  das  Zimmer,  der  Saal  nie  mehr  als 
eine  zufällige  Herberge  sein  kann  und  stets  eine 
Gleichgültigkeit  bleiben  muß:  sie  werden  von 
dem  Mirakel  des  gesättigten  Raumes  nicht  be- 
rührt,   Sie  leben  jenseits  der  Kultur. 


'34 


/''(■;'  Künstler  und  sehie  Welt. 


Wir  sind  ganz  entzückt  von  jenen  Malern, 
die  aus  einer  Palette  reiner,  durch  nichts  ge- 
trübter Farben  die  graziösesten  Lichtspiele, 
Mosaiken  von  nervösem  Reiz  und  artistisch 
parfümierte  Feuerwerke  zu  locken  wissen.  Wir 
iinden,  daß  diese  heiteren  Arrangements  ge- 
pllegter  Sinnenlust  in  geistreicher  Verwandt- 
schaft stehen  zu  dem  irisierenden  Zauber  antiker 
Gläser,  zu  der  paradoxen  Monumentalität 
chinesischer  Porzellane  und  zu  der  gleißenden 
Kälte  von  Gefäßen,  die  aus  Silber  geschlagen 
wurden.  Daher  kommt  es,  daß  wir  durch  Bilder 
von  Seurat,  Signac,  Groß,  Luce,  Rysselberghe 
gewissermaßen  in  eine  moussierende  Wallung 
versetzt  werden;  wir  fühlen  unsere  Nerven  um- 
schmeichelt von  einer  weißen  Farbigkeit  und 
unsere  Gedanken  durch  das  Gleichmaß  eines 
durchsichtigen  Rhythmus  zur  Ruhe  gebracht. 
Optische  \'ibrationsmassage  und  Fata  Morgana 
eines  aus  Wollust  disziplinierten  Milieus.   .    .    . 


Indessen,  wie  das  bei  Künstlern  oft  der  Fall 
ist,  so  werden  auch  diesmal  die  um  Seurat, 
die  Franzosen  wie  die  Deutschen,  nicht  zufrieden 
sein,  wenn  man  das  an  ihnen  liebt,  was  ihr 
Wesentliches  ist.  Diese  Maler  meinen,  daß  der 
eigentliche  Wert  ihrer  Art,  die  sie  Neo-Impres- 
sionismus heißen,  eine  wissenschaftlich  ge- 
gründete Farbentheorie  sei;  nämlich  die,  daß 
„jede  Mischung  auf  der  Palette  den  Weg  zum 
Schwarz  bedeutet".  Sie  wissen,  daß  die  che- 
mische Mischung  von  Blau  und  Gelb  Grün 
erzeugt,  die  optische  Mischung  eines  Blau,  das 
neben  Gelb  steht.  Weiß  ergibt.  Solche  Wissen- 
schaft machen  sie  sich  zum  Gesetz.  Etwas 
Ähnliches  gab  es  schon  einmal;  damals,  als  die 
Perspektive  in  die  Welt  kam.  Die  italienischen 
A'Valerbücher  der  Renaissance  sind  voll  von 
theoretischen  Mitteln,  durch  die  Perspektive 
das  reine  Kunstwerk  zu  gewinnen.  Wir  lernten 
längst,   daß  all  solche  Wissenschaft   überwun- 


NIN'IN)    \'AN<.''i.H.      t.IMXLi'l:       l:\lIKMi\lslK     .     >  \  M  M  I  l    N<.,    i    U  K  I     H  i   K  K  M  \  .\ -N  . 


11)12/13.  II.  3. 


•35 


Der  Künstler  utid  seine  Weif. 


den  wurde.  Die  Europäer  nahmen  die  Perspek- 
tive in  ihre  Sinnlichkeit  liinein.  Und  erst,  als 
die  Mathematik  völlig  Fleisch  geworden  war, 
wurde  sie  künstlerische  Form.  Das  ist  der  Weg 
von  PoUaiuolo  zu  Liebermann.  Daneben  aber, 
beinahe  könnte  man  sagen;  darüber  hinaus, 
wurde  entdeckt,  daß  ganze  Rassen  für  die 
Perspektive  kein  Gefühl  haben,  es  nicht  haben 
können,  wenn  sie  nicht  in  ihrem  natürlichen 
Empfinden  und  ihrer  künstlerischen  Bestimmung 
tödlich  gelähmt  sein  wollen:  Asia.  Wobei  noch 
anzumerken  ist,  daß  dieser  Widerwille  gegen 
die  Perspektive,  von  der  die  Renaissance  glaubte, 
daß  sie  die  Wissenschaft  der  Kunst  sei,  heute 
selbst  in  Europa  wieder  machtvoll  zunimmt: 
Hodler,  Pechstein  und  all  die  Jungen.  Wir 
müßten  nun  einigermaßen  gewaltsam  jegliche  Er- 


kenntnistheorie verleugnen,  sollten  wir  glauben, 
daß  die  neue  Wissenschaft  von  der  Farbteilung 
ein  höheres  Recht  und  eine  gewissere  Zukunft 
hätte,  als  jene  alte  Perspektive.  Wir  streiten 
nicht,  daß  die  Farbteilung  zuweilen  Vorteile 
gewährt  und  die  Kraft  des  einzelnen  Fleckes 
wie  die  der  Zusammenklänge  elastisch  zu  steigern 
vermag.  Nur:  es  kann  solche  technische  Mög- 
lichkeit niemals  Postulat  der  künstlerischen  Ab- 
sicht sein.  Der  Künstler  hat  immer  nur  einen 
Imperativ  über  sich:  den  seines  Blutes.  Einiges, 
von  dem,  was  die  Chemiker  lehren,  wird  viel- 
leicht, wie  damals  die  Perspektive,  in  der  Künst- 
ler Blut  übergehen;  aber  auch  dann  wird  die 
Farbteilung  für  die  andern,  die  nicht  wollen, 
nicht  können,  kein  Sakrileg  sein.  Das  muß  ge- 
sagt werden,  wenn  man  gerade  dabei  ist,  sich 


11.  vriLLARD- 
PAKls. 


GF.M.\LDE  : 

Mädchen'« 


Der  Künstler  und  seine  Welt. 


iBBSai 


er  KT  HKRRMAXN— HERI.IN. 


ZU  freuen  an  einigen  Individuen,  die  mit  leiden- 
scliaftlicher  Heftigkeit  und  charaktervollem  Fa- 
natismus diese  Farbteilung  zu  einer  Gymnastik 
ihrer  Sinne  und  ihres  Handgeschickes  nutzten. 
Das  muß  gesagt  sein,  wenn  man  vor  den  Möbeln 
eines  Architekten  steht,  dessen  Instinkt  sich 
das  Eigentliche  der  Farbteilung,  die  Logik  der 
Reinheit,  beinahe  in  höherem  Maße  zunutze 
machte,  als  dies  jene  Maler  vermochten. 
»         •         • 

Die  Möbel,  die  Van  de  Velde  für  Curt  Herr- 
mann schuf,  sind  in  Vollkommenheit  eine  Er- 
füllung dessen,  was  Karl  Scheffler  einmal  von 
diesem  reifen  Europäer  (der  zugleich  Kosmo- 
polit ist)  sagte:  „In  der  äslhetischenSensibilität 
konzentriert  sich  ihm  symbolisch  der  Sinn  des 
Daseins."  Das  weiße  Speisezimmer  hat  das 
Temperament  eines  kühlen  Bergstromes  und  die 
Durchsichtigkeit  eines  Kristalles.  Man  sieht 
weniger  die  festen  Körper,  als  die  Bewegungen 
des  Hirnes,  durch  die  sie  entstanden.  Sie  sind 
weniger  materielle  Bildungen,  als  Spannungen 
der  Intellektualität.  Sie  sind  unarchitcktonisch 
in  dem  Sinne,  wie  die  Wunder  der  Ingenieure 
es  sind.  Sie  sind  Elemente  höchster  Architek- 
tur, wenn  man  solche  Eigenschaft  Körpern  zu- 


»    y 

GEMÄLDE:      H.VUSER  IM  SCH.SEE« 


gestehen  will,  die  unser  unbewußtes  Sehnen 
nach  dem  Raum  zu  einer  unentrinnbaren  Illusion 
steigern.  Es  ist  durchaus  möglich,  daß  der  Fach- 
mann diese  Möbel,  obgleich  sie  ganz  aus  Zweck- 
mäßigkeit und  Werkzeug  heraus  gedacht  wurden , 
für  unbedeutend  achtet,  schon  darum,  weil  sie 
so  wenig  kompliziert  sind.  Wir  andern  aber 
fühlen  das  Geistige  einer  schöpferisch  streben- 
den Sinnlichkeit ,  deren  Bewußtsein  mit  der 
Gleichmäßigkeit  der  Magnetnadel  dahin  weist: 
daß  alles  Leben  schon  in  der  Regung  Form 
sei.  Für  solche  Lebensart  gibt  es  keinen  besse- 
ren Beweis  als  den,  daß  Velde  sich  nicht,  wie 
die  meisten  Architekten,  damit  begnügt,  einige 
Ornamente  oder  reduzierte  Illustrationen  über 
die  Räume  zu  verteilen;  daß  er  vielmehr  nur 
die  besten  und  selbständigsten  Maler  zu  er- 
tragen vermag.  Er  ist  ein  leidenschaftlicher 
Liebhaber  des  Bildes,  das  aller  Wirklichkeit  ab- 
gekehrt, musikalisch  klingt ;  er  ist,  was  die  Macht 
der  Vorstellung  betrifft ,  vielleicht  der  einzige 
wirklich  vollkommene  Neo-Impressionist. 
«         «         « 

Es  ist  ganz  selbstverständlich,  daß  Curt  I lerr- 
mann,  der  ehrlich  um  den  Stil  kämpft,')  und  der 

')  Curt  Herrmann,  Der  Kampf  um  den  Stil.     Berlin.   \^\\.  E.  ReilJ. 


»37 


Der  Künstler  und  seine  IVelf. 


CVV.I 

IIIKKMANN- 

I'.KKIIW 


C.EMALDE: 

eisenbahn- 
brCcke 


weiß,  daß  die  Kunst  der  Sinn  der  Welt  ist,  in 
seinem  Milieu  nichts  duldet,  was  nicht  irgend- 
wie dem  ersehnten  Konzert  entgegenschwingen 
würde.  So  finden  wir  in  seiner  Wohnung  nur 
Künstler,  die  durch  die  Kunst  die  Erde  von 
sich  selber  befreien  wollen,  nur  Künstler,  denen 
die  Kunst  in  ungezügeltem  Grad  etwas  Selb- 
ständiges ist.  VonManet  und  Liebermann,  über 
van  Gogh  und  Gauguin  zu  Signac  und  Groß,  zu 
Denis  und  Matisse:  das  ist  die  Phalanx,  die 
in  den  Schlachten  des  Rhythmus  gegen  den 
Naturalismus,  der  höheren,  musikaUschen  Wirk- 
lichkeit gegen  die  plumpe  oder  effektreiche  der 
Satten  kühn ,  hoffnungsfroh  und  selig  voran- 
schreitet.')   Gurt  Herrmann  liebt  diese  Phalanx 


')  Die  Sammluag  umfaßt:  Manet, Pfirsiche;  Liebermann, Korb- 
flicker  (77);  2  van  Gogh;  1  Gauguin;  3  Bonnard;  1  VuUlard; 
2  Denis;  3  CroB;  8  Signac;  2  Ryssclberghe;  1   Lucc ;    1   Matisse; 


mit  der  großen  Glut  eines  zielgewissen  Mannes ; 
in  ihrem  Gefolge  zu  marschieren  ist  das  Glück 
seines  Lebens.  So  wollen  seine  eignen  Bilder 
angesehen  sein.  Es  ist  Programm  in  ihnen,  Be- 
kenntnis zu  einem  Kulturkreis,  Suchen  nach 
einer  Welt.  Das  ist  zugleich  ihre  Gefahr  und 
ihr  Segen.  Gefahr:  wenn  man  an  Rembrandt 
denkt,  der  nicht  mehr  nach  einer  Welt  suchte, 
sondern  selber  diese  Welt  war.  Segen:  wenn 
man  sieht,  wie  der  heute  schon  Sechzigjährige 
mit  beweglichem  Eifer,  von  seinem  Milieu  und 
seinen  leidenschaftlich  geliebten  Genossen  im- 
mer wieder  gespornt,  nicht  müde  wird,  für  die 
jungen  und  jüngsten  Reizungen  seiner  Sinne  eine 
geschliffene  Form  und  damit  einen  neuen  Bau- 
stein für  die  begehrte  Welt  zu  finden,    k  breuer. 

7  Valtat;  1  Manguin;  2  Derain ;  1  Serusier;  1  Guerin;  1  Sue. 
Außerdem  Zeichnungen  von  Heine,  Maillol,  Rodin. 


'38 


VINCENT  VAN  GOGH.    »KORNFELD. 

AUS   DER  SAMMLUNG   C.  HKRRMANN— BERLIN. 


CLKT  Hl.KKMAN.N      liEKLlN. 


,-.1  ll.l.l.lil.N. 


DER  IMPRESSIONISMUS  UND  DIE  KULTUR  DER  GEGENWART. 

\ii\    liK.  UALIllK  c.l-oKGl-  Ml  .NTIIEN. 


IederStil  ist  die  Folge  der  Auseinandersetzung 
-  der  künstlerischen  Persönlichkeit  mit  den 
Erscheinungsformen  des  Daseins.  Der  eine 
findet  sich  mit  ihnen  ab,  indem  er  seiner  Um- 
gebung durch  die  Mittel  der  Metaphysik  bei- 
zukommen sucht,  er  wird  dabei  zum  Romantiker 
oder  Mystiker.  Der  andere  wiederum  beobachtet 
mit  klarem  Blick,  sichtet,  seziert  oft  mit  grau- 
samer Schärfe  die  Dinge  und  reflektiert  seine 
nur  vom  eigenen  Temperament  begrenzten  Er- 
fahrungen ohne  besondere  Zugaben  aus  den 
Tiefen  des  schaffenden  Ichs,   er  wird  zum  Na- 


turalisten. In  jede  der  beiden  Arten  künst- 
lerischer Produktion  wirft  die  Zeit  ihr  gewich- 
tiges Wort  mit  einem  tiefgehenden  Einfluß,  der 
je  nach  dem  Stande  der  Kultur  der  einen  von 
beiden  den  Vorzug  gibt.  Die  künstlerische 
Produktion  lebt  mit  der  Zeit,  sie  ist  mit  ihr 
verwoben  in  den  Teppich  der  Gesamlkultur  als 
wirkende  Kraft  sowohl  wie  als  sichtbares  Orna- 
ment. Sie  hat  in  diesem  Sinne  ihren  Anteil  an 
allen  kulturellen  Revolutionen  der  Jahrhunderte 
bis  in  die  neueste  Zeit  des  modernen  Naturalis- 
mus   und   der   romantisch-mystischen    Gegen- 


141 


CURT  HERRMANN— BERLIN. 


»  SUDLICH  E  LANDSCHAFT  < 


CUKT  HI;kKMA.\.\— l;l,KLI.\.     uLMALIih:       BKICKKNHAU   IN   MOAUl  1    BEI  WIM  ERSONNE» 


Der  Impressionismus  und  die  h'u/fur  der  Gegenwart. 


CLKT  HEKRMANN     BERLIN. 


reaklion,  die  der  Gegenwart  auf  dem  Gebiete 
der  Malerei  den  Stil  des  Impressionismus  und 
seiner  Weiterbildungen  als  Spiegelbild  der  geisti- 
gen Bestrebungen  um  die  letzte  Jahrhundert- 
wende schenkte. 

Es  soll  nicht  gesagt  sein,  daß  der  Impressio- 
nismus allein  neben  anderen  malerischen  Aus- 
drucksformen und  erschöpfend  das  Leben 
der  Gegenwart  manifestiere.  Zweifellos  aber 
kommt  er  ihrem  Wesen  am  nächsten,  jenem 
Wesen,  das  er  erfaßte,  als  es  aufzudämmern 
begann,  und  dessen  Entwicklung  auch  die  seine 
wurde.  Er  ist  die  logische  Konsequenz  jener 
auf  wissenschaftlicher  und  sozialer  Basis  be- 
gründeten Umwertung  fast  aller  Güter  und 
Begriffe,  die  das  gesamte  Fühlen  und  Denken 
von  dem  Ballast  abgegriffener  Ideale  und  blasser 
Romantik  befreite  und  ihm  natürlichere  Bahnen 
wies.  Man  hatte  das  vegetative  Dasein  im  Un- 
wirklichen statt,  der  Wille  zum  Leben  ergriff 
den  einzelnen  mit  einer  noch  niemals  in  gleicher 
Hingebung  auf  die  Realitäten  des  Daseins  hin- 
zielenden Energie.  Das  war  die  Geburtsstunde 
des  Naturalismus,  des  wissenschaftlichen,  poli- 
tischen, sozialen  und  künstlerischen  Naturalis- 
mus. Hand  in  Hand  damit  ging  ein  Forscher- 
drang auf  allen  Gebieten,  der  bis  in  die  ver- 
borgensten Winkel  hinabstieg  und  die  Ent- 
deckung heraufbrachte,  daß  jegliche  physische 


bLlJLiCHE  LA.\1)SCH.\FT« 


Erscheinung  mit  dem  Weltganzen  zu  einer 
unzertrennlichen  Einheit  verbunden  sei.  Immer 
tiefer  fühlte  sich  der  einzelne  als  ein  Glied  des 
Ganzen,  durch  welches  das  All  seine  Offen- 
barungen gibt.  Ein  naturalistischer  Pantheismus 
entwuchs  dieser  Denkungsweise,  die  alle  Dinge 
miteinander  in  Verbindung  brachte  und  in  ihr 
die  Idee  des  Göttlichen  erkannte. 

Selbstverständlich  ging  in  dieser  Zeit  der 
wissenschaftlichen  und  literarischen  Hinneigung 
zum  Naturalismus  die  bildende  Kunst  nicht  ver- 
alteten Idealen  nach.  Die  Malerei  der  Ver- 
gangenheit hatte  die  Gegenstände  nur  als  tote 
Einzelheiten  ohne  lebendigen  Zusammenhang 
mit  der  Gesamtheit  erfaßt  und  wiedergegeben. 
Der  Impressionismus  empfand  mit  demokrati- 
scher Wertung  des  Stoffes  das  Leben  der  Dinge, 
wie  es  in  ihren  äußeren  Erscheinungsformen  zu- 
tage tritt  und  die  Einzelheiten  miteinander  ver- 
bindet. Den  vergangenen  Generationen  jede 
echte  Naturempfindung  absprechen  zu  wollen, 
wäre  ungerecht.  Sie  zeigen  aber  meist  einen  aus- 
gesprochenen Mangel  an  innerer  Unberührtheit 
zu  naiver  Naturbetrachtung;  ihr  Kunstwollen 
stand  oft  allzusehr  unter  klassizierenden  oder 
gar  moralisierenden  Tendenzen,  sodaß  ihr  Sinn 
für  das  gegebene  Einfache  sich  auf  ein  Minimum 
reduzierte.  Erst  der  Impressionismus  trat  ohne 
Nebenabsichten  als  echtes  Kind  seiner  Zeit  an 


»43 


Der  hnpressionismvs  und  die  Kultur  der  (legenwart. 


PROFESSOR  HENRY    VAN  IJE  VELDE. 


die  Natur  heran  und  nahm  sie,  wie  sie  ist,  und 
gabsiewieder  voll  Farbe,  Licht  und  einer  Schön- 
heit, die  jeder  natürlichen  Gesetzmäßigkeit  ent- 
springt. Er  ging  hin  mit  dem  gleichen  Forscher- 
drang wie  Wissenschaft  und  Literatur  und  ent- 
deckte den  Wert  und  die  Reize  des  Unschein- 
baren, mit  gleicher  Liebe  die  Gesamtheit  der 
Erscheinungen  umfassend.  Ein  Spargelbündel, 
das  Arrangement  eines  Frühstückstisches,  der 
moderne  Straßenverkehr  reizten  ihn  nicht 
minder  wie  die  farbenzitternde  Lyrik  eines  Gar- 
tenwinkels oder  die  sinnenfrohe  Schönheit  eines 
weiblichen  Körpers.  In  der  naturalistischen  Lite- 
ratur war  der  historische  Roman  und  die  Schil- 
derungen von  Haupt-  und  Staatsaktionen  zu 


\V011NZI.\1.\1ER  DES  MALERS  CURT  HERKMANN.  HELLES 
MAHAGONI  MIT  GELBSCHWARZ  GESTREIFTEM  BEZUG. 


Gunsten  einer  ausschließlichen  Hingabe  an  das 
Alltägliche  ebenfalls  in  Mißkredit  geraten.  Über- 
all suchte  man  die  Probleme  des  geistigen 
Lebens  in  der  nächsten  Nähe. 

Ohne  in  die  verborgenste  Seele  der  Dinge 
hinabzudringen  und  diese  zu  enthüllen,  begnügt 
sich  der  Impressionismus  mit  dem  sichtbaren  Ge- 
genständlichen. Das  schnelle  Erfassen  und  die 
Wiedergabe  des  flüchtigenEindrucks  wurzeln  in 
dem  Charakter  einer  Zeit,  die  infolge  der  gestei- 
gerten Hast  des  täglichen  Verkehrs  fast  alle  ihre 
Eindrücke  nur  noch  als  flüchtige  Impressionen 
erhält.  Die  Beschränkung  auf  das  Wesentliche 
„der  organischen  Schönheit  des  Lebens  im 
Augenblick  " ,  im  Gegensatz  zu  der  beschaulichen 


144 


< 


w 

Q 

w 

Q 

> 

z 
w 
s 

o 

Oh 


Der  Impressioiiismvs  und  die  Kultur  der  GegetnvaH. 


1-K< ■KKSSOK  HENKV   VAN  DE  VELDE. 


Breite  der  Biedermeierzeit,  wie  der  Impressionis- 
mus sie  befolgt,  ist  die  notwendige  Folge  der 
Raschlebigkeit  der  Gegenwart.  Betrachtet  man 
Manets  „Picknick"  oder  eine  Ballettszene  von 
D  e  ga  s  oder  ein  Straßenbild  von  Pissarro,  so 
wird  man  dieErfüUung  dieser  Forderung  in  der  auf 
das  Notwendigste  beschränkten  Detailschilde- 
rung erkennen.  Ein  lichter  Farbfleck  ohne  unter- 
scheidende Valeurs  deutet  ein  Gesicht  an, 
während  ein  einziger  leicht  gekrümmter  Pin- 
selstrich innerhalb  seiner  Grenzen  den  Ausdruck 
aller  Körperbewegung  festhält. 

Des  gleichen  Mittels,  das  die  naturalistischen 
Bestrebungen  auf  allen  Gebieten  zu  ihrem  Ziel 
führte,  bedurfte  auch  der  Impressionismus,  um 
seinen  Impressionen  die  innere  und  äußere  Ein- 
heit und  somit  die  Vollkommenheit  zu  geben. 


1  KKI  KVoKli.M.   DES  SPEISEZIMMERN 


Der  Weg,  der  auf  ihren  Bildern  jene  ineinander- 
fließende Einheit  erreicht,  führt  über  das  Licht, 
die  Sonne  sowohl  wie  die  Wunder  der  künst- 
lichen Beleuchtung.  Unter  seinem  Einfluß  wer- 
den die  Dinge  ihrer  Flinzelgegenständlichkeil 
entkleidet  und  zu  einander  in  jenen  engen  Zu- 
sammenhang gebracht ,  der  ihr  pantheistisches 
Dasein  belegt.  Auf  allen  Gebieten  kultiviert  die 
moderne  Zeit  jene  Sehnsucht  nach  Helle,  sei  es 
als  Symbol  indem  Streben  nach  höchster  Klar- 
heil auf  dem  Gebiete  des  Geistigen  oder  als 
natürliches  Bedürfnis  im  Rahmen  der  realen  All- 
täglichkeit. Überall  weichen  die  dunklen  Gassen 
breiten  Straßen,  durch  die  das  Tageslicht  unge- 
hindert flutet,  durch  große  helle  Fenster  strömt 
es  in  die  Wohnungen,  Schulzimmer  und  Fabrik- 
räume.   Dieses  Licht  zerbrach  die  die  Einheit 


1912,13.  II.  4. 


'47 


PROFESSOR   HENRY   VAN  DE  VEI.DE.  \ITRINE  IN  VORSTEHENDEM  SPEISEZIMMER. 

WAND-TEIL  MIT  EINGELASSENEM  BILD  VON  CURT  HERRMANN. 


PROFESSOR  HENRY  VAN  HE  \'ELDE.  BÜFETT  IN  VORSTEHENDEM  SPEISEZIMMI.R. 

MÖBEL  UND  WAND  WEISS.     EINGELASSENES  BILD  VON  CURT  IIF.RRMA.NX. 


Der  Impressionismus  titid  die  Kultur  der  Gegenwart. 


hemmenden  Fesseln  der  ausgesprochenen  Linie 
auf  den  Bildern  der  Impressionisten  und  ermög- 
lichte, frei  von  a  11  er  K  o  n  v  en  t  ion  ,  jene 
Hymnen  auf  den  Zusammenhang  des  Lebens,  die 
auch  die  Dichter  jener  Zeit  mit  eruptiver  Gewalt 
hinausschleuderten,  freivonderaltgeheilig- 
tcn  Gebundenheit  der  Verse  im  Reim,  den- 
noch zusammengehalten  von  dem  harmonischen 
Rhythmus  aus  dem  Reiche  einer  geschaulen 
Natureinheit. 

Die  naturalistische  Bewegung  im  letzten  Vier- 
tel des  vorigen  Jahrhunderts  verlangte  das 
höchstmögliche  Maß  an  Naturwahrheit  ohne 
Wiedergabe  tieferer  seelischer  Erlebnisse  im 
Kunstwerk.  Man  forderte  strengste  Objektivität 
von  dem  schaffenden  Genie.  Das  übervolle 
Herz  der  Dichter  war  nur  selten  im  Stande, 
diesem  Verlangen  jederzeit  gerecht  zu  werden. 
Der  Impressionismus  aber  kam  unter  allen 
Künsten  dem  künstlerischen  Programm  seiner 
Zeit  am  nächsten.  Er  begnügte  sich  in  reiner 
Malerei  mit  dem  getreuen  Abbild  des  Natür- 
lichen, ohne  sein  Herzblut  an  dem  Dargestellten 
zu  verlieren.  Der  ursprüngliche  Impressionismus 
versuchte  niemals  hinter  die  Grenzen  der  Er- 
scheinungen zu  dringen.  Ob  dieses  Festhalten 
der  reinen  Daseinsform  in  Verbindung  mit  der 
Negation  des  Seelischen  der  Endzweck  aller 
Kunst  ist,  ist  eine  andere  Frage.  Obwohl  man 
darin  der  geistigen  Forderung  einer  Epoche 
gerecht  wurde,  so  hat  doch  die  Folgezeit  eine 
andere  Antwort  hierauf  gefunden. 

Mit  dem  Neoimpressionismus  erlangte  der 
naturalistische  Impressionismus  die  letzte  er- 
reichbare Stufe  äußerer  Vervollkommnung.  Er 
erinnert  an  manche  ästhetisierende  Richtung  in 
der  modernen  Literatur,  die  in  einer  raffinierten 
Auswahl  sprachlicher  Finessen  alles  Heil  er- 
blickte. Die  unausbleibliche  Reaktion  mußte 
der  Notwehr  der  bis  dahin  zurückgedrängten 
seelischen  Empfindung  entspringen.  Indem  der 
Naturalismus  dem  gesamten  kulturellen  Leben 
zu  einer  gesunden  Blutauffrischung  verholfen 
hatte,  war  seine  Mission  erfüllt.  Die  Seele  des 
Einzelindividuums  verlangte  nun  wieder  ihre 
Rechte.  Der  einzelne  sucht  sich  mit  dem 
Ganzen  wieder  tiefer  auseinanderzusetzen  und 
mit  seiner  Empfindungswelt  in  die  pantheistische 
Einheit  aller  Dinge  einzudringen,  bis  er  die 
subtilen  Fäden,  die  die  eigene  Seele  mit  dem 
Wesen  der  Gesamtheit  verbinden,  entdeckt. 
Philosophie,  Literatur,  Musik  und  bildende 
Kunst  gehen  hier  die  gleichen  Wege.  Als  der 
erste  unter  den  Impressionisten  verläßt  van 
Gogh  jenen  extremen  Naturalismus  und  legt 
die  Seele  der  Landschaft  bloß,  oft  mit  einer 
Unerbittlichkeit  der  forschenden  Empfindung, 


die  hinter  den  Härten  einer  Vivisektion  um 
nichts  zurücksteht.  Cezanne  findet  trotz  aller 
Belebung  der  Fläche  seine  Seele  in  der  lyrisch- 
mystischen Stimmung  der  Umwelt  wieder,  an 
deren  Vergeistigung  er  seine  Kräfte  setzt. 
Gauguin  unddieExpressionisten  schreiten 
mit  Erfolg  in  der  Entdeckung  des  Seelischen 
fort.  Die  Silhouette  kommt  wieder  zu  Ansehen 
und  wird  unschätzbares  Mittel  und  Symbol  des 
geistigen  Ausdrucks.  Das  Äußere  ordnet  sich 
einer  gestaltenden  inneren  Dynamik  unter,  es 
ist  nicht  mehr  Ziel,  sondern  Mittel  der  Kunst. 
Damit  sind  die  ursprünglichen  Forderungen  des 
Impressionismus  zu  Gunsten  des  nach  Ausdruck 
ringenden  seelischen  Gehalts  verlassen,  eine 
Entwicklung,  die  die  geistige  Bewegung  der 
fortgeschrittenen  Kultur  mit  ihrem  bestimmten 
Willen  nach  Vertiefung  mit  sich  brachte.  Der 
Schritt  von  der  reinen  Form  zu  der  Weltidee 
im  einzelnen  sichtbaren  Glied  des  Ganzen,  von 
der  materiellen  Natur  zur  durchgeistigten  Natur, 
ist  getan.  Über  den  Impressionismus  hinweg 
drängt  die  Kunst  zu  einer  neuen  Stiläußerung, 
die  die  Monumentalität  eines  Strebens  nach 
hohen  Zielen  umfaßt,  dabei  aber  den  sichtbaren 
Einfluß  der  Malerei  des  schnell  erfaßten  Ein- 
drucks nicht  abzuleugnen  vermag.  Diese  ex- 
pressionistischen Bestrebungen  sind  die  ersten 
Anzeichen  einer  neuen  Kultur,  die  ihre  religiös- 
künstlerische Kraft  dem  erstarkten  vergeistigten 
Pantheismus  der  Gegenwart  verdankt. 

Es  fehlt  uns  heute  noch  der  zeitliche  Ab- 
stand, um  über  die  Lebensfähigkeit  dieser 
neuesten  Kunstrichtung  ein  abschließendes  voll- 
wertiges Urteil  zu  geben.  Das  Experiment 
herrscht  allenthalben  noch  vor.  Die  bereits 
erzielten  Erfolge  berechtigen  zu  der  Hoffnung 
auf  eine  der  Vergangenheit  zum  mindesten 
ebenbürtige  Kunst.  Auswüchse  sind,  wie  bei 
jeder  vorwärts  drängenden  Entwicklung,  nicht 
zu  vermeiden.  Das  zeigt  gerade  in  letzter  Zeit 
die  exzentrische  Erscheinung  des  Kubismus 
nicht  minder  wie  die  des  Futurismus.  Dem 
strebenden  Genie  aber  sind  die  Fehler  der 
anderen  der  beste  Lehrmeister,  umsomehr  als 
die  Erkenntnis  des  falschen  Weges  schon  ein 
Fortschritt  zur  Vervollkommnung  bedeutet,      r.. 

Ä 
Die  le^te  höchste  Aufgabe  des  Bildhauers  bleibt 
es  immer,  dem  Steine  Leben  zu  verleihen.  Alles 
andere.  Form,  Gruppierung,  Verhältnisse  usw.,  sind 
ja  nur  die  Mittel  zu  diesem  Endzweck,  und  da  sollte 
man  allerdings  denken,  daß  nur  der,  der  mit  dem 
feindseligen  Material  gerungen  hat,  diesen  Triumph 
erreichen  könnte.  Ich  glaube,  daß  das  Problem  der 
Beherrfchung  des  Materials  noch  heute  ebensosehr 
Aufgabe  der  bildenden  Kunst  ist  wie  zu  allen 
anderen  Zeiten HANS  v.  MAREES. 


150 


CHARLES  TOOBY- MÜNCHEN 

Ölgemälde:  »stier  im  stall« 


CH.VRLES  TOOBY— MÜNCHEN. 


»IM  ^L\1«   (res:  i'Aul  sachs— München). 


NEUE  ARBEITEN  VON  CHARLES  TOOBY. 

Von  lunz  voxosTiNr    mümuhn. 


Dem  frischen,  kerngesunden  Malertalent  von 
Charles  Tooby  hat  der  langjährige  Kampf 
mit  der  Gleichgültigkeit  des  Publikums  ebenso- 
wenig geschadet,  als  es  der  ewige  Wechsel  von 
„Richtungen"  und  alleinseligmachenden  Offen- 
barungen irre  machen  konnte,  der  unsere  Kunst 
seit  zwanzig  Jahren  im  Kreise  herunihetzt.  Er 
ist  Charles  Tooby  geblieben  und  hat  sich  nur 
auf  seiner  eigenen  Linie  vervollkommnet  —  zu- 
frieden damit,  unter  seinesgleichen  als  ein  Erster 
zu  gelten.  Wirklich  ein  Erster !  Der  englisch- 
deutsche Tiermaler  und  Landschafter  Tooby  ge- 
hört fraglos  zu  den  Besten,  die  wir  in  Deutsch- 
land haben  und  ist  unter  Kunstgenossen  längst 
als  solcher  geschätzt,  so  daß  ihn  die  Münchner 
Sezession  vor  Jahren  schon  durch  eine  Sonder- 
ausstellung seiner  Werke  ehrte.  Vielleicht  hat 
das  Gros  der  Besucher  damals  nicht  begriffen, 
um  welche  bedeutsame  Persönlichkeit  es  sich 
handelte,  nicht  begriffen  gerade  wegen  des 
besonderen  Vorzugs  Toobyscher  Malerei:  daß 
sie  so  vollkommen  prätensionslos  und  selbst- 


verständlich wirkt.  Keine  Zeitphrase  klingt  darin 
wieder  und  sie  blufft  nicht  mit  Geschicklich- 
keiten, die  blenden  —  sie  ist  nur  schlechthin 
stark  und  gut,  erscheint  so  unmittelbar  und 
wahrhaftig,  daß  ich  glaube,  Tooby  hat  sich  über- 
haupt über  eine  Theorie  nie  den  Kopf  zer- 
brochen. Er  besitzt  die  beste  Art  von  Maler- 
kultur, die  angeboren,  die  nicht  von  des  Ge- 
dankens Blässe  angekränkelt  ist!  Die  Güte 
seiner  Arbeit  hat  mit  Bravour  nichts  zu  tun,  der 
Eindruck  macht  bei  ihm  auf  dem  Weg  vom  Auge 
zur  Hand  nicht  den  Umweg  über  ein  Malerrezept 
und  so  ist  er  ein  Impressionist  im  gesundesten 
Sinne;  nicht  einer,  der  erst  fragt,  wie  es  die 
„großen  Vorbilder"  gemacht  haben  und  der  sich 
bemüht,  zu  empfinden  wie  jene!  So  hat  Tooby 
viel  mit  den  ebenfalls  von  den  vielen  spät  oder 
nie  erkannten  Karl  Schuch  und  Hagemeister 
gemein,  deren  Impressionismus  ebenfalls  von 
allen  dogmatischen  Phrasen  frei  ist. 

In  seinem  Werk  ist  eine  große  Harmonie  — 
alles  ist  Guß  aus  dem  gleichen  Metall.    Dies 


'53 


^^. 


CH-UiLES  TuuliV-MU.NClUi^. 


j.\VEIH£K  I.N   WuRCEbTERblllRL     (bbs  ;  DR.  w.  KANTER). 


CHARLES  TOOBY     MÜNCHEN.    »ALTES  BAUERNHAUS«    (BBS  :  PAUL  SACHS— MÜNCHEN). 


V.  :    X'  :'-      ■ 


CHARLES  TuoliV     MLNCHEN 


»KUHF.  IM  FF.I.DF.  !,  ENCLANI). 


-  1 

^H?^B> 

■  "A 

H 

■P 

J 

1 

i^^ 

V 

ly 

^^^H  ^^ 

^!|^^ 

yl 

^^^^^^^MU        V  "^  •*.-~' 

iküi^dlfl! 

pjS^^  M 

■ 

CHAKLES  TOOBY— MÜNCHEN.  »KUH  UNTER  HÄUMF.Na  (Bus:  DR  w.  KANTER). 


Netie  Arbeiten  von  C/ianes  Toobv. 


CHARLES  TOOKV— MÜNCHEN. 


aber  ist  in  sehr  verschiedene  Formen  gegossen, 
was  er  uns  in  jener  großen  Kollektion  wie  in 
vielen  Einzelausstellungen  alle  die  Jahre  her 
bewies.  Wenige  Tiermaler  sind  so  wenig  Spe- 
zialisten, wie  er :  Rinder  malt  er  wohl  am  öftesten, 
weil  sie  eben  sein  Malerauge  am  öftesten  zu 
sehen  bekommt  und  weil  sie  die  zugänglichsten 
und  geduldigsten  Modelle  sind.  Aber  seinem 
Pinsel  gehört  alles,  was  kreucht  und  fleucht, 
Pferde,  Schafe  und  Hunde,  totes  und  lebendiges 
Groß-  und  Kleinwild,  die  Vögel  vom  Königs- 
adler bis  zum  Finken  und  dazu  die  gesamte  Ein- 
wohnerschaft des  Tiergartens  —  abgesehen  von 
den  zweibeinigen  Primaten.  Landschafter  ist 
er  nicht  nur  gelegentlich,  sondern  mit  ganzer 
Seele;  reine  Landschaften  von  prächtiger  Farbe 
und  wundersamer  Größe  des  Eindrucks  zählen 
zu  Toobys  gehaltvollsten  Werken  und  in  vielen 
seiner  Bilder  sind  Tier  und  Landschaft  gleich- 
wertig betrachtete  Faktoren,  sind  eben  zu- 
sammen ein  Ganzes. 

Charles  Tooby  bezeichnet  es  selbst  als  sein 
Ziel,  dasTier  „impressionistisch"  wiederzugeben 


:  GEFLÜGEL  IM  ST.\LL«  (bes;  Alexander  kulhi. 


—  man  darf  ihn  dabei  aber  ja  nicht  mißverstehen. 
Es  ist  nicht  der  flüchtige,  der  momentane  Ein- 
druck, den  er  festhält,  dazu  hat  er  das  Tier  viel 
zu  lieb,  versteht  es  viel  zu  gut,  sowohl  dessen 
Physis  als  der  Psyche  nach !  Man  muß  sogar, 
um  ihn  ganz  zu  würdigen,  eigentlich  selber  Tier- 
freund und  Tierkenner  sein  — •  was  ja  auch  für 
den  malerisch  auf  ganz  anderen  Wegen  wandeln- 
den Heinrich  v.  Zügel  gilt.  Trotz  aller  Breite 
und  robusten  Kraft  seines  malerischen  Stils  ist 
Tooby  ein  fast  wissenschaftlich  genauer  Beob- 
achter der  tierischen  Form,  unterscheidet  zum 
Beispiel  in  seinen  Viehbildern  Rassen  und  Alters- 
stufen mit  sachlichster  Schärfe  und  differenziert 
seine  Tiere  stets  meisterlich  nach  ihrem  Tem- 
perament. Ebensoweit  geht  seineUnterscheidung 
landschaftlicher  Charaktere.  Was  er  von  seinem 
letzten  Aufenthalte  in  England  zurückbrachte, 
ist  in  Ton  und  Farbe  ganz  anders,  als  das,  was 
er  in  seiner  süddeutschen,  zweiten  Heimat  stu- 
diert. Das  Grün  seiner  englischen  Landschaften 
fällt  sofort  durch  seine  volle  und  satte  Leucht- 
kraft auf  —  wer  mit  sehenden  Augen  einmal. 


156 


•^ ^.sfimjk'-^    ■/ 


CHARLES  TOOBY     MÜN'CHEN. 


»WEIDENLANDSCHAFT    ,  ENCLAND  (bes:  dr.w.  Kanter) 


CHARLES  TOOBY— MÜN'CHEN.    »•SOMMERLv\NDSCHAFT  MIT  Kl' KEN    ,  ENGLAND  lims:  PAur.  SArHs— minchbn). 


1912/13.  11.  5. 


«59 


CHARLES    1 1  1(111  Y  -  Ml  XlHEN. 


SCHAFE  MIT  LÄMMERN     (BES;  DR.  w.  KANTER), 


CHARLES  T(uibV-MI:NCHEN.     »ALI  EM  .  LISCHER  KUHSTALL      iBES:  E.  KAIM -HKKSLAU) . 


A^eiie  .[rheiteyt  von  Charles  Toob\ 


entzückt      und 
staunend  ,   das 

wunderbare 
Grün  engli- 
scher Wiesen 
erblickt  hat, 
muß  schon  aus 
der  Farbe  die- 
ser Tooby  sehen 
Bilder  die  Hei- 
mat ihrer  Mo- 
tive erraten. 

Impressioni- 
stisch ist  seine 

Tiermalerei, 
weil    sie    ohne 
Tüftelei       und 
Reflexion   den 

empfangenen 
Findruck  un- 
verfälscht gibt; 
Nicht  impres- 
sionistisch ist 
sie  aber  in  be- 
zug  auf  das 
l'ingehen  aufs 
Stoffliche,  das 
der  Impressio- 
nismus strenger 
Observanz  ja 
wohl   mit   dem 


Bann  belegt. 
I"s  ist  ebenso 
bewunderns- 
wert wie  cha- 
rakteristisch 
an  Tooby,  wie 
hervorragend 
stofflich  er  sei- 
ne Tiere  be- 
handelt —  oft 
hat  man,  wenn 
man  diese  Tier- 
scliilderungen 
betrachtet,  ein 
Gefühl,  als 
streiche  man 
mit  der  Hand 
über  Vließ  und 
Gefieder,  so 
unsagbar  wahr 
ist  es  gegeben, 
„minutiös  nach- 
gebildet"—  so 
möchte  man 
glauben,  bis 
man  sich  über- 
zeugt, daß  hier 
ein  breiter  Pin- 
sel kräftigste 
Primamalerei 
geleistet      hat. 


CHARLES  TOOBY— MÜ.NCHE.N.    »REIHER«   UMJ     ERLEGTER  FUCHS 


Neue  Arbeiten  von  Charles  Tooby. 


Wie  er  das  Gefieder  eines  toten  Adlers, 
Falken  oder  Reihers  oder  delikat  gefärbter 
kleiner  Singvögel ,  den  glatten ,  schimmern- 
den Haarsammet  wohlgepflegter  Rinder ,  den 
rauhweichen  Pelz  eines  Fuchses  oder  Neufund- 
länders, das  kurze,  feste  Grannenhaar  eines 
Löwen,  das  glatte  Prunkfell  des  Tigers,  die  Decke 
eines  Rehbocks  malt,  immer  flott  und  zugig  blei- 
bend und  doch  fast  mit  „zoologischer"  Sach- 
Uchkeit  —  das  setzt  ein  erstaunliches  Maß  an 
malerischem  Können  und  Schulung  des  Auges 
voraus.  Er  schildert  aber  auch  mit  gleich  einfach- 
sicheren Mitteln  das  Spiel  des  Lichts  über  den 
Tieren  in  freier  Luft  oder  die  verwickelten  Be- 
leuchtungsverhältnisse im  dunklen  oder  hellen 
Stall,  gibt  Stimmungslandschaften  von  nobler 
Ruhe  und  Eindringlichkeit  —  immer  derselbe 
und  immer  wieder  neu!  Man  kann  Tooby  ver- 
stehen oder  nicht  verstehen,  kann  ihn  aner- 
kennen oder  grundsätzlich  anderer  Meinung 
sein,  meinetwegen  —  nur  eins  kann  man  nicht: 
an  seiner  Malerei  irgend  eineUnwahrhaftigkeit, 
eine  Absicht  entdecken,  die  nicht  reinkünstle- 
rische Ziele  verfolgt.  Und  ebensowenig  eine 
Inkongruenz  zwischen  Wollen  und  Können. 

Charles  Tooby  ist  in  England  geboren  —  1 863 
in  London.  Er  wuchs  in  Surrey  auf  dem  Lande 
auf.  Im  Alter  von  sieben  oder  acht  Jahren 
stürzte  er  so  unglücklich,  daß  er  drei  Jahre 
liegen  mußte,  und  über  diese  Zeit  half  ihm  die 
Lust  zum  Zeichnen  hinweg,  die  von  seiner 
künstlerisch  veranlagten  Mutter  verständnisvoll 
gepflegt  wurde.  Was  er  zeichnete,  waren  Kühe 
und  Stiere,  Pferde,  Geflügel,  kurz,  was  er  an 
Haustieren  zu  sehen  bekam.  Sein  Vater  war 
kurz  nach  der  Geburt  des  Knaben  gestorben 
und  mag  wohl  auch  kein  alltäglicher  Geist  ge- 
wesen sein.  Er  war  Gründer  des  Savage-Klubs, 
eines  der  originellsten  Londoner  Klubs,  der 
besonders  von  Künstlern  frequentiert  wird.  — 
Mit  18  Jahren  trat  Charles  Tooby  als  Clerk 
in  die  Bank  von  England  ein  und  hatte  hier 
bald  Aussicht  auf  ein  glänzendes  Vorwärts- 
kommen gewonnen.  Die  Arbeit  in  der  Bank 
aber  war  ihm  so  widerwärtig,  daß  er  auf  alle 
jene  schönen  Aussichten  verzichtete  und  nach 
zweijährigem  Martyrium  auf  den  Rat  eines  deut- 
schen Freundes  nach  Dresden  ging,  um  Maler 
zu  werden.  Der  pedantische  Betrieb  auf  der 
dortigen  Akademie  sagte  ihm  freilich  wenig  zu. 
Das  widersprach  seiner  künstlerischen  Natur 
ganz  so,  wie  die  Arbeit  im  Bankkontor.  Statt 
ein  braver  Akademieschüler  zu  werden,  ar- 
beitete er  denn  auch  von  früh  bis  spät  im  Zoo- 
logischen Garten,  und  was  er  dort  von  den 
mannigfachen  Modellen  aus  aller  Herren  Län- 
dern geschaffen  hatte,  verschaffte  ihm  dann  die 


Aufnahme  in  die  Schule  des  Professors  A.  Bren- 
del in  Weimar.  Ein  Jahr  später  hatte  er  dort 
die  Medaille  für  Tiermalerei  und  ein  eigenes 
Atelier  bekommen. 

Von  Weimar  aus  begab  sich  Tooby  nach  seiner 
englischen  Heimat,  heiratete  dort  und  übersie- 
delte dann  für  immer  nach  München.  Er  hat  frei- 
lich noch  mehrmals  vorübergehenden  Aufenthalt 
in  England  genommen  und  dort  u.  a.  das  von  der 
Münchner  Pinakothek  angekaufte  Bild  „'Nach 
dem  Regen",  später  die  prachtvolle  Landschaft 
„Wind  und  Sonne"  gemalt,  die  von  der  Se- 
zessionsgalerie erworben  wurde.  So  reich  be- 
fruchtend die  Eindrücke  der  Heimat  aber  auch 
immer  wieder  auf  ihn  wirkten,  als  Maler  dürfen 
und  müssen  wir  ihn  zu  den  Unsrigen  zählen. 
Seine  Malerei  ist  zu  voUsäftig  gesund,  sein  Tem- 
perament zu  wenig  gebändigt  durch  Überliefe- 
rung und  Konvention,  um  für  englisch  zu  gelten. 
Die  herbsinnliche  Lebendigkeit  seiner  Darstel- 
lung, die  Wucht  seines  Vortrags  entspricht  unend- 
lich viel  besser  dem  deutschen  Ideal,  d.  h.  dem 
Ideal,  das  die  guten  deutschen  Maler  hatten,  ehe 
es  in  Deutschland  Mode  wurde,  französisch  zu 
empfinden.  Zwei  Namen,  die  hieher  gehören, 
wurden  schon  genannt,  dasFreundespaarSchuch 
und  Hagemeister.  Tooby  hat  den  ersteren  wohl, 
wie  wir  alle,  relativ  spät  kennen  gelernt,  den 
letzteren  —  ebenfalls  wie  „wir  alle!"  —  ver- 
mutlich erst  im  letzten  Jahr  —  aber  seine  Kunst 
steht  so  ziemlich  auf  dem  gleichen  Boden  wie 
die  der  beiden.  Auch  sein  Verhältnis  zum  Still- 
leben, das  wohl  auch  für  ihn  Übungsgebiet  und 
Vorstufe  ist,  scheint  mir  ähnlich  wie  bei  Schuch. 
Nur  stellt  Schuch  sich  das  Problem  absolut  ko- 
loristisch, während  Tooby  —  wie  auch  Hage- 
meister, wenn  er  Wild  malt  —  dazu  noch  seine 
Freude  an  gegenständlich  treuer  Wiedergabe 
der  Objekte,  der  toten  Tiere,  hat. 

Ganz  so  undankbar  wie  gegen  diese  beiden 
war  nun  freilich  die  Mitwelt  gegen  Charles  Tooby 
nicht.  Er  hat  seinen  Erfolg  noch  erlebt,  ehe  er 
fünfzig  Jahre  alt  geworden,  und  es  steht  zu 
hoffen,  daß  es  hiermit  noch  stetig  aufwärts  geht. 
Außer  den  genannten  Münchner  Sammlungen 
besitzen  auch  die  Galerien  von  Weimar  und 
Hannover,  der  Prinzregent  von  Bayern  und  zahl- 
reiche Privatsammler  Bilder  von  Tooby.  Ja,  es 
gibt  deren,  die  ihn  speziell  „sammeln".  So  fest 
begründete  Qualitäten,  so  echte  und  blanke 
Künstlerschaft  müssen  schließlich  den  Wider- 
stand der  stumpfen  Welt  besiegen.  Nicht  so  weit 
vielleicht,  daß  Tooby  einmal  populär  wird,  aber 
so  weit,  daß  für  die  Urteilsfähigen  feststeht :  was 
er  uns  schenkte,  gehört  zu  den  wertvollsten  und 
echtesten  Schöpfungen  der  Kunst  seinerZeit  und 
muß  dauern  für  die  Zukunft !  —  f.  v.  o. 


162 


MiiKlI.V   HilKlX-.K  &  A.  i;.\VV,\M>. 


I.ANllll.\r.s  INVKKI.ll  1  II      \oK\\l(  H. 


ENGLISCHE  LANDHÄUSER. 


"\  \  ^ir  können  wohl  Technisches,  den  Charak- 
\  \  ter  der  Materalien,  ihre  richtige  Anwen- 
dung usw.  lehren,  aber  je  weniger  wir  „Kunst" 
zu  dozieren  suchen,  umso  besser!  Lehrt 
rechtes  Fühlen  und  Denken,  die  Kunst 
kommt  dann  schon  von  selbst!"  —  „Wahre 
Originalität  ist  der  Ausfluß  von  Wahrhaftig- 
keit". Solches  lehrt  C.  F.  A.  Voysey  und  in 
solchem  Geiste  schafft  jene  Gruppe  von  eng- 
lischen Architekten,  die  sich  an  Norman  Shaw, 
Ernest  Newton,  Baillie  Scott,  Kdwin 
Lutyens  anschließen:  W.F.  Unsworth,  Mor- 
ley  Horder,  Maberley  Smith,  Geoffrey 
Lucas,  Halsey  Ricardo,  Ernest  Gimson 
und  noch  manch  anderer,  —  Die  Schaffung  von 
Wohnstätten,  die  sich  wie  lebendig- warme 
Organismen  der  umgebenden  Natur  einfügen 
und  den  körperlichen  und  seelischen  Bedürf- 
nissen kultivierter  Menschen  Erfüllung  bieten, 
erfordert  nicht  nur  formgebende  und  rauni- 
beherrschende  Kraft,  sondern  auch  Weisheit 
und    Einfühlungsvermögen    —    eine    spezielle 


Begabung,  die  das  ergibt,  wofür  der  Engländer 
den  treffenden  Ausdruck  „Domestic  archi- 
tecture",  —  zum  Unterschied  der  Monumental- 
Architektur  mit  ihren  anders  gearteten  Proble- 
men, —  gefunden  hat.  Aus  einem  innigen 
Bündnis  zwischen  Zweckmäßigkeit  und 
Schönheit,  aus  einem  starken  Empfinden  für 
Natur-,  Material-  und  Formenschönheit,  für 
guteTradition,  individuelle,  lokale  und  nationale 
F^igenart  und  ausgebildetem  technischen  und 
handwerklichen  Können  erwächst  die  Natür- 
lichkeit der  englischen  Landiiäuser,  Sie  wirken 
pittoresk  durch  natürliche  Mittel,  niemals  aber 
„quaint";  artistisch,  geziert.  Nicht  nur  in  Neu- 
schöpfungen, auch  in  feinsinnigsten  „Restau- 
rierungen", in  der  Anpassung  alter  Wohnstätten 
an  die  Forderungen  der  Neuzeit,  wie  in  dem 
abgebildeten  Landhaus  „By  the  Church"  in 
Steep,  zeigt  sich  die  Kraft  und  das  Künstlertum 
dieser  Architekten.  Ihre  Arbeits-Intensität 
und  ihr  „Patriotismus  in  derArchitektur" 
dürfen  stets  als  vorbildlich  gelten,    i.ang-ua.noli. 


■63 


ARlHITEKT  C.  F.  A.  VOVsEV— LUMJON. 


L.\J<UHAUS  LITTLEHOLME  MIl     1 1-KKA.s.sI.N-A.NLAGE. 


VOM  SCHMUCK. 


Schmuck  ist  uns  vielleicht  nicht  nur  wegen 
seiner  Materialreize  so  anziehend,  sondern 
in  erster  Linie  wegen  seiner  innigen  Verbindung 
mit  dem  Menschen.  Er  ist  der  erste  und  der 
treueste  Begleiter  des  Menschen  auf  dessen 
jahrtausendelanger  Wanderung  aus  der  Nacht 
des  Tierdaseins  zu  höchster  Vervollkommnung. 
Aus  Gräbern,  die  das  Gebein  längst  verzehrt 
haben,  holen  wir  kunstvolle  Spangen,  Armreife, 
Ringe,  Ketten  und  Diademe  ans  Licht.  Von 
großen,  wichtigen  Kulturstufen  der  Menschheit 
ist  uns  nichts  geblieben  als  der  Schmuck,  der 
früher  auftaucht  als  die  Kleidung  und  dessen  Be- 
arbeitung daher  auch  am  frühesten  zur  Meister- 
schaft gedieh. 

Noch  klarer  ist  die  innige  Verbindung  des 
Schmuckes  mit  dem  Menschen  in  seinen  Formen 
selbst  ausgesprochen.  Denn  diese  wiederholen 
nur  die  Formen  der  wesentlichen  Teile  des 
menschUchen  Leibes,  sie  sind  ein  Nachhall 
menschlicher  Körperformen.  Wie  ein  Echo  der 
Rundung  des  Armes  ist  die  ihn  umschließende 
Spange,  die  Ringe  fixieren  den  Querschnitt  des 
Fingers,  der  Gürtel  mißt  den  Umfang  des  Leibes ; 


der  wogende  Busen  und  der  zarte  Hals  der 
Frauen  gestalteten  die  Kette  und  den  Behang 
aus  Goldblättchen  und  edlen  Steinen,  und  die 
Krone  endlich  wiederholt  den  Umfang  des 
Hauptes. 

So  ist  der  Schmuck  historisch  und  seiner 
Verwendung  nach  des  Menschen  treuester  Be- 
gleiter geworden.  Und  von  dieser  innigen 
Verbindung  her  hat  er  das  Sprechende,  Bedeu- 
tungsvolle und  Ausdrucksvolle  erhalten,  das 
ihm  anhaftet.  Unter  allen  toten  Dingen  ist  der 
Schmuck  so  das  lebendigste  geworden.  Oft  er- 
scheint er  als  Symbol,  oft  wird  er  zum  Amulett, 
zur  Waffe,  zum  Verräter,  zum  Fluche,  zum 
Träger  süßer  und  schrecklicher  Geheimnisse. 
Was  knüpft  sich  nicht  allein  an  die  einfachen 
Reifen,  die  die  Finger  schmücken,  an  wunder- 
samen Bedeutungen  und  Ereignissen!  Ringe 
geb^n  Macht  über  irdische  und  außerirdische 
Dinge,  sie  dienen  als  Erkennungszeichen,  sie 
bringen  Fluch  und  Segen  und  spenden  oft  genug 
den  tödlichen  Saft,  der  von  aller  Not  befreit. 
Als  Tiberius  im  Sterben  lag,  heißt  es,  zog  er 
den  Ring,  das  Zeichen  seiner  Macht,  vom  Finger, 


i66 


o 

I 

M 
0 
33 
a 
o 
o 


o 

Q 
O 

>< 

w 

< 

X 

O 
Q 


H 

W 

H 

S 


1912A3.  11.6. 


Vom  Sck/imck. 


AK(  HlTliKT  C.  F.  A.  VOYSK Y- LOMJON. 


als  besänne  er  sich,  wem  er  wohl  mit  dem 
Kleinod  die  Nachfolge  in  der  Herrschaft  über- 
geben könne.  Aber  nach  einem  Augenblicke 
vergeblichen  Nachdenkens  steckte  er  den  Ring 
wieder  an  und  starb  mit  festgeschlossener  Faust. 
Die  stumme  Rolle,  die  das  Kleinod  in  dieser 
Anekdote  spielt,  ist  sie  nicht  sprechender  als 
viele  Worte! 

Die  Geschichte  des  Schmuckes  liefert  fast 
„  in  nuce  "  eine  Kulturgeschichte  der  Menschheit. 

Roms  luxuriöse  Überfeinerung  könnte  kaum 
besser  gekennzeichnet  werden  als  durch  die 
von  Juvenal  bezeugte  Sitte,  daß  man  im  Sommer 
andere  und  leichtere  Ringe  trug  als  im  Winter. 
Ähnlich  aufschlußreich  sind  die  Beobachtungen, 
daß  das  Christentum  die  Gräber  schmuckärmer 
macht,  da  ja  die  Seele  fortan  alles  ist  und  bei 
ihrem  Scheiden  den  Leib,  dem  die  Heiden  alle 
Ehren  des  Lebenden  erwiesen,  als  wertlose 
Schlacke  zurückläßt ;  daß  ferner  eine  urwüchsige 
germanische  Goldschmiedekunst  fehlt,  da  unsere 
Altvorderen  jegliches  Handwerk  mißachteten; 
daß  Karl  der  Kühne,  Herr  des  üppigen  Burgund, 
einen  Siegelring  von  einem  halben  Pfund  Ge- 
wicht trug;  daß  schließlich  in  der  neuesten  Zeit, 


HALLE  l.\I    LANUH.AUSE  LOUGE  STVLE-HATH. 


der  Ära  einer  rein  materialistischen  Zivilisation, 
der  Schmuck  nur  nach  seinem  Geldwerte,  nicht 
mehr  nach  dem  Werte  der  Arbeit  und  nach  dem 
Geschmacke  seiner  Herstellung  geschätzt  wird. 

Noch  etwas  anderes  kommt  hinzu,  um  den 
Schmuck  kulturell  und  kunsthistorisch  bedeu- 
tungsvoll und  aufschlußreich  erscheinen  zu 
lassen.  Die  Techniken  der  Edelmetallbearbei- 
tung waren  bei  den  alten  Ägyptern  und  im  frühen 
Byzanz  etwa  genau  so  entwickelt  wie  heutigen 
Tages.  Fortschritte  sind  so  gut  wie  nicht  mehr 
gemacht  worden.  Eben  deshalb  aber  gibt  der 
Schmuck  den  reinsten  Aufschluß  über  das  Kunst- 
wollen und  die  stilistischen  Absichten  seiner 
Schöpfer.  Die  Formgebung  wird  durch  keinerlei 
technische  Hemmnisse  gestört  oder  abgelenkt, 
oder  vielmehr,  durch  keine  größeren  Hemmnisse, 
als  sie  auch  für  uns  noch  bestehen.  Was  im 
Schmuck  erscheint,  ist  daher  der  reine  Form- 
geist der  alten  Jahrhunderte. 

Vergleicht  man  von  diesem  Standpunkte  aus 
die  heutigen  Erzeugnisse  mit  den  früheren,  so 
zeigt  sich  mit  untrüglicher  Deutlichkeit,  daß 
unser  Kunstwollen  beträchtlich  barbarischer  ist, 
als  das  jeder  vorangegangenen  Epoche. 


Vom  ScJnniick. 


Fast  kann  man  sagen,  daß  die  letzten  zwei 
Jahrhunderte  an  Schmuck  nichts  hervorgebracht 
haben,  was  sich  mit  den  Erzeugnissen  früherer 
Zeiten  vergleichen  Ueße.  Der  struktive  Sinn  ist 
fast  völlig  geschwunden,  die  Materialbehandlung 
trotz  unserer  „Errungenschaften"  häufig  viel 
roher,  als  sie  in  jenen  Zeiten  war,  die  wir  von 
der  Höhe  unserer  Kultur  herab  belächeln.  Keine 
Zeit  ist  mit  den  köstlichsten  Materialien  so  um- 
gegangen wie  die  unsere,  in  der  man  alberne, 
negerhaft  rohe  Pflanzenformen  mit  zentral- 
afrikanischem Geschmacke  unter  blitzenden 
Brillanten  und  anderen  Juwelen  verschwinden 
ließ,  um  das  Ganze  dann  einer  begüterten  Dame 
an  den  Hals  zu  hängen. 

Auf  dem  Gebiete  des  Schmuckes  hat  das 
19.  Jahrhundert  gehaust  wieMummiusinKorinth. 
Es  hat  kostbare  altererbte  Materialkenntnisse 
und  Techniken  untergehen  lassen.  Keine  Ah- 
nung mehr  von  dem  Reichtum  an  Erfindung  und 
Motiven,  der  noch  zur  Zeit  der  Gotik  und  der 
Renaissance  bei  uns  herrschte;  von  unseren 
Ringen  sind  die  geschnittenen  Steine,  die  dreh- 
baren Siegelplatten,  die  Emaillierungen,  die 
Zellenverglasungen    fast    ganz    verschwunden. 


Die  Gesinnung  der  Edelmetallbearbeitung  ist  ins 
Unglaubliche  entartet;  Schmuck  ist  vorwiegend 
verwandeltes  und  notdürftig  zum  Schaustück 
umgemodeltes  Geld  geworden.  Da  Geldwert 
notwendig  mit  ihm  verbunden  ist,  erlag  das,  was 
Geschmack  und  gute  Gesinnung  an  ihm  war, 
der  rohen  Überschätzung  des  Besitzes. 

Es  war  hohe  Zeit,  daß  moderne  Künstler  mit 
der  Roheit  und  Lieblosigkeit,  die  die  letzten 
Jahrzehnte  in  der  Behandlung  edler  Metalle 
und  Steine  bekundeten,  aufräumten,  und  mit 
neuer  Gesinnung,  voller  Achtung  vor  Material 
und  Technik,  an  das  Problem  des  Schmuckes 
herantraten.  Wir  wissen,  wie  vieles  sie  erreicht 
haben.  Wir  wissen  aber  auch,  wie  jammervoll 
das  Publikum  vor  diesem  Angebot  versagt  hat. 
Nur  sehr  billige  Modelle  haben  sich  durchge- 
setzt, die  indes  ihren  Erfolg  wohl  mehr  der 
Wohlfeilheit  als  ihrem  Geschmacke  zu  ver- 
danken haben.  Das  eine  haben  wir  schon  er- 
reicht, daß  diejenigen,  die  ihr  Besitz  dafür  prä- 
destiniert, sich  verpflichtet  fühlen,  eine  künst- 
lerisch anständige  Wohnung  zu  besitzen.  Auf 
dem  Gebiete  des  Schmuckes  sind  wir  noch 
lange  nicht  so  weit,      wii.helm  michel-münxhen. 


.\RCH.  GEOFl-REV  LUCA.S.    L.VNDHAUS    .POYNDERS  END« -HITCHIN.     KAM1NPL.\TZ  IN   DER  HALLE. 


172 


ARCHITEKT    CARL   WITZMANN  -  WIEN. 
EMPFANGSRAUM.  AUSFÜHRUNG:  LUDWIG  SCHMITT. 


AKi  HIIEKT  I  AKI.  \Vll/..\l.\X.N      W  IF.X. 


F.IM'.ANU  ZIK  AlSSTELLrXGSHALl.E. 


RAUMKUNST  AUF  DER  WIENER  FRÜHJAHRSAUSSTELLUNG 
DES  ÖSTERREICH.  MUSEUMS  FÜR  KUNST  UND  INDUSTRIE. 


\M\-    KKANZ  PI.ANKK. 


ie  letzte  Heerschau  des  heimischen  Kunst- 
jSewerbcs  im   „Österreichischen  Museum 


I )". 

für  Kunst  und  Industrie"  war  mit  besonderer 
Sorgfalt  vorbereitet  worden.  Galt  es  durch  die 
früheren  Ausstellungen  zu  zeigen,  was  die  Ar- 
beit und  die  Lrfolge  eines  Jahres  gewesen  sind, 
so  war  diesmal  das  Ziel  weiter  gesteckt,  der 
Überblick  umfassender.  Sie  sollte  einen  Mark- 
slein bilden  für  die  kunstgewerbliche  Produk- 
tion Österreichs,  eine  Generalprüfung  und  eine 
Siegesfeier  zugleich.  Dem  Beschauer  sollte  es 
ermöglicht  werden,  in  den  besten  Werken  der 
besten  Künstler  zu  sehen,  welche  Früchte  die 
Jahre  des  Kampfes  getragen  haben,  er  sollte 
erkennen,  wohin  der  Weg  führt,  der  durch  das 
heiße  Ringen  um  die  neuen  Ausdrucksformen 
geebnet  wurde.  Es  galt,  den  wohlmeinenden 
Freunden,  den  mißgünstigen  Feinden,  den  kri- 
tischen Indifferenten  gleichzeitig  die  sichern 
Unterlagen  für  ein  endgültiges,  abschließendes 
Urteil  über  die  gesamte  moderne  kunstgewerb- 
liche Tätigkeit  in  Österreich  zu  liefern. 


Dieser  innere  Charakter  der  Ausstellung  hat 
ihr  äußeres  Gepräge  in  starkem  Maße  beein- 
flußt. Sie  wollte  nicht  durch  ihre  Ausdehnung, 
nicht  durch  die  Zahl  ihrer  Objekte  glänzen, 
vielmehr  war  es  ihr  Ziel,  sowohl  in  den  Finzel- 
gegenständen  wie  in  den  Interieurs,  gerade 
solche  vorzuführen,  in  denen  sich  die  Bestre- 
bungen der  österreichischen  Kunst,  des  öster- 
reichischen Kunstgewerbes  am  reinsten  und 
klarsten  wiederspiegeln.  Durch  die  strenge 
Auslese  war  eine  Beschränkung  von  Anfang  an 
gegeben.  Doch  sie  gereichte  der  Ausstellung 
nur  zum  Nutzen.  Denn  erst  dadurch  erhielt  sie 
ihre  Abgeschlossenheit ,  ihren  abgerundeten 
Eindruck,  die  stille,  überzeugende  Kraft  innerer 
Bedeutung.  Erst  dieser  Beschränkung  war  es 
zu  danken,  daß  ihre  Aufmachung  zu  den  besten, 
wirkungsvollsten  und  anregendsten  Werken 
dieser  Ausstellung  überhaupt  gezählt  werden 
durfte.  Wenn  in  diesem  Zusammenhange  der 
Name  des  Architekten  Carl  Witz  mann,  der 
die  Installation  besorgt  hat,  erwähnt  werden 


'75 


Raumkufist  auf  der  Wiener  FrühjaJirsausstellutig 


ARCHITEKT  CARL  WnZMAXN— WIEN. 


AUS  DER  AUSSTELLUNGSHALLE  FÜR  ALLtiEMEINES  KUNSTGEWERBE. 


soll,  so  wird  damit  ein  Verdienst  gewürdigt, 
das  infolge  der  großen  Hindernisse,  die  sich 
seiner  Arbeit  entgegengestellt  haben,  doppelt 
bewertet  zu  werden  verlangen  darf.  Denn  auch 
der  neue,  vor  gar  nicht  langer  Zeit  errichtete 
Zubau  des  Österreichischen  Museums  ist  in 
seiner  ganzen  Anlage  so  durchaus  ungeeignet 
zur  Aufnahme  einer  modernen  kunstgewerb- 
lichen Ausstellung,  daß  es  der  ganzen  Kraft 
eines  bedeutenden  raunigestaltenden  Talentes 
bedarf,  die  Schwächen  des  Baumeisters  zu  ver- 
decken und  in  den  unvollkommenen  Rahmen 
ein  immer  neues,  wechselvolles  Bild  zu  zwän- 
gen. Der  Leser  hat  an  einigen  bildlichen  Bei- 
spielen Gelegenheit  zu  sehen,  mit  wie  einfachen 
Mitteln  Witzmann  der  Schwierigkeiten  Herr 
geworden  ist  —  allein  die  Bilder  lassen  es 
leider  nicht  erkennen,  wie  hier  durch  ein  paar 
Holzbalken,  durch  ein  paar  Gipswände,  im  ge- 
liebten Wiener  Schwarz -Weiß  gehalten,  die 
traurige  Grundarchitektur  der  großen  Ausstel- 
lungsräume verändert  und  veredelt  wurde. 

Es  sollte  also  eine  Generalprüfung  sein  und 
eine  Siegesfeier  zugleich.  Und  es  war  beides. 
Die  nörgelnde  Zweifelsucht  ist  verstummt,  und 
langsam  beginnen  auch  die  ahnungslosen  Ge- 


müter, die  aus  Beruf  oder  Neigung  allem  Neuen 
mit  starkem  Mißtrauen,  wenn  nicht  mit  Haß 
begegnen,  zu  merken,  daß  hier  kein  Feld  mehr 
ist  für  ihre  Aufregung,  keine  Gelegenheit,  sich 
zu  chokieren.  Der  billige  Witz,  der  den  Genius 
zu  lähmen,  die  Größe  durch  Lächerlichkeit  zu 
töten  versucht  hat,  ist  in  seiner  ganzen,  nackten 
Albernheit  entlarvt,  und  die  seichten  Spötter 
von  vorgestern  haben  sich  in  die  Einsamkeit 
ihrer  Beschämung  zurückgezogen.  Wenn  sie  zu 
den  Bekehrten  gehören,  so  soll  ihr  Widerstand 
vergessen  werden,  trotzdem  sie  getan  haben, 
was  in  ihren  Kräften  stand,  den  Weg  zu  er- 
schweren, das  Ziel  zu  verwirren.  Sie  haben 
den  Sieg  vielleicht  ein  wenig  verzögert,  ihn 
aufzuhalten  waren  sie  zu  schwach.  Und  heute 
schwingt  sich  hell  und  klar  über  all  den  Zank 
und  Zwist  das  fröhliche  Bewußtsein  ehrlich  er- 
kämpfter Geltung.  In  harten  Zeiten  hat  sich 
das  Wiener  Kunstgewerbe  Ruf  und  Namen  er- 
worben. Nun,  da  es  in  stolzer  Selbständigkeit 
zu  seiner  heutigen  Höhe  emporgewachsen  ist, 
empfindet  es  auch  in  der  Heimat  kaum  jemand 
mehr  als  revolutionär.  Man  freut  sich  vielmehr 
seiner  stillen  Größe  und  weiß;  Die  Prüfung  ist 
bestanden,    die    Siegesfeier,    so    ohne    Über- 


.76 


IMW:  AkcHlIKKT  CAKI    «ll/M  ANN      WIKN. 
EMPFANGSZIMMKR.     Afsh  :    1  lUW.  M  HMIII . 


Raumkunst  au/  der  Wiener  Frühjakrsausstellung. 


AKl  HllKKl  lARl.  \VI  I  ZMA.NN  — WlIiN. 


schwenglichkeit ,  so  ohne  Pathos,  so  wenig 
überhebungsvoU  sie  war,  wird  doch  nachwirken 
durch  Jahre  und  Jahrzehnte. 

Soll  man  diese  letzteWiener  Frühjahrsausstel- 
lung besprechen,  so  muß  man  vorneweg  jeden 
Anspruch  auf  Vollständigkeit  aufgeben.  Es  ist 
schwer,  aus  der  Fülle  das  Einzelne  hervorzu- 
heben, weil  man  gerade  dadurch  leicht  denen 
Unrecht  tut,  die  man  bei  solcher  Aufzählung 
vergißt.  Maßhalten  aber  wird  hier  zur  Pflicht, 
wenn  man  nicht  den  Katalog  mit  Beifügung 
einiger  kritischen  Bemerkungen,  Namen  für  Na- 
men, Werk  für  Werk,  wiedergeben  will.  Denn 
die  Sichtung  war  eine  so  sorgfältige,  daß  kaum 
ein  Gegenstand  in  der  Ausstellung  verblieb, 
der  nicht  der  Erwähnung  wert  wäre.  Leichter 
ist  die  Aufgabe  schon,  wenn  man  sich,  wie  es 
hier  geschehen  soll,  auf  die  Raumkunst  be- 
schränkt. Aber  auch  hier  muß  man  es  sich  damit 
genug  sein  lassen,  bei  den  einzelnen  Räumen 
durch  eine  kurze  Bemerkung,  durch  ein  paar 
Worte   das  Wichtigste   anzudeuten,   muß  sich 


178 


Al.vMKLLLMj.iKAl  M   IM  K.  K.  OsTEKkElCHISCHEN  MUSEUM. 


damit  begnügen,  zur  liebevollen  Betrachtung 
der  Bilder  anzuregen,  die  in  ihrer  Art  dem 
willigen  Beschauer  mehr  geben  werden  als  es 
die  schönsten  Worte  vermöchten. 

Dies  gilt  von  allen  Räumen.  Es  gilt  von 
Witzmanns  „Empfangsraum  eines  Privat- 
sammlers", von  diesem  Schmuckkästchen  sub- 
tilsten Geschmackes.  Da  ist  diskretester  Luxus 
verbunden  mit  raffiniertester  Eleganz.  In  Form 
und  Farbe  eines  zum  andern  abgestimmt,  eigen- 
artig, von  der  ovalen  Grundform  an  bis  ins 
kleinste  Detail:  in  kargem  Räume  die  ganze 
Stimmung  hoher,  künstlerischer  Kultur  bannend. 
Es  gilt  im  gleichen  Maße  von  dem  Speisezimmer 
Prof.  Josef  Hoffmanns  und  dem  Holubs, 
das  ich  als  beste  Probe  seines  Talentes  bezeich- 
nen möchte,  die  es  bisher  gezeitigt  hat.  Eben- 
bürtig gesellt  sich  zu  ihnen  das  Damenzimnier 
Prof.  Prutschers,  in  hellen  Farben  und  in 
runden  Formen  gehalten,  fein  und  zierlich  in 
allen  Linien,  wie  sichs  für  ein  Damenzimmer 
nur  immer  gehört;  dann  ein  Salon  (vom  Archi- 


REPKASF.NTATIOXS-RAIM    DF.R   AUSSTF-I.UNI',  1)I:r  KINST- 
UEWF.RIlESCHri.K  DES  K    K.  ÖSTERREICH.  MISEIMS     WU  N. 


1912,13.  11.  1. 


Raumkwist  auf  der  Wiener  Frtthjahrsausstelhmg. 


ARCHITEKT  ROBERT  ÖRLEY— WIEN. 


tekten  Wimmer  entworfen),  der  seiner  selt- 
samen Wandbespannung  wegen  viel  bewundert 
wurde  :  farbenprächtige  Stickereien  auf  schwar- 
zem Leinen,  jede  einzelne  ein  kleines  Kunst- 
werk, zusammen  eine  unerhörte  Fülle  von  Fleiß 
und  Erfindung.  Das  Entzücken  der  Damen  aber 
war  mit  Recht  Dr.  Franks  „Wohnhalle", 
namentlich  die  gemütliche  Fensterseite  mit  den 
Holzbänken,  dem  Blumenbrett,  dem  Vogelbauer 
—  so  rührend  altmodisch  und  „doch  so  modern " . 
Zwei  Gartenhallen  blieben  noch  zu  erwähnen: 
die  eine  von  Örley,  mit  mattgrünen  Stein- 
platten ausgekleidet,  die  anscheinend  aus  einem 
Gemenge  von  gefärbtem  Zement  und  Kiesel- 
steinen bestehen,  vom  Künstler,  nach  dessen 
Angaben  sie  gegossen  wurden,  „Konglomerat" 


i8o 


GARTENHALLE.    WAND  BETONPLATTEN. 


genannt;  die  andere  von  Strnad,  welche  ihrer 
Möbel  wegen,  die  an  altfranzösische  Originale 
erinnerten,  von  vielen  mit  einiger  Verwunde- 
rung betrachtet  wurde. 

Zum  ersten  Male  war  der  Ausstellung  ein 
Garten  angegUedert,  dessen  Plan  vom  Archi- 
tekten Poppovits  entworfen  worden  war.  Die 
Ausführung  war  das  Werk  des  städtischen 
Gartendirektors  Wenzel  Hybler,  eines  Man- 
nes, dessen  Begabung  sich  in  den  öffentlichen 
Anlagen  Wiens  auf  das  schönste  betätigt.  Dieser 
Garten  gab  die  Möglichkeit  zu  einer  kleinen 
Zusammenstellung  von  Friedhofskunst,  zur  An- 
lage eines  Cafes,  zur  Errichtung  eines  Ein- 
familienhauses in  allerdings  sehr  kleinen  Dimen- 
sionen, und  eines  von  Ernst  Lichtblau  ent- 


i-    X    s 
z    "    =* 


<  Ä  S  •<  ^  ^ 

K  S  5  5  K  « 

irt  ^  -^  '  £  q 

X  »  "J  SS  w  ■< 

1  S  >  ^  s 

=  i  S  -  s 


Raumkunst  au/  der  II  ioii')-  Frühjahrsaicsstellumi. 


worfenen  Gartenpavillons,  eines  kunstgewerb- 
lichen Gedichtes  für  empfindsame  poetische 
Traumer. 

Wurde  durch  diese  Schöpfungen  gezeigt, 
was  die  kunstgewerblichen  Führer  Österreichs 
heute  leisten,  so  wurde  in  sieben  anderen 
Räumen  vorgeführt,  wie  der  Nachwuchs  belehrt, 
unterrichtet  und  angewiesen  wird :  in  den  sieben 
Räumen,  die  der  Ausstellung  der  Wiener  Kunst- 
gewerbeschule gewidmet  waren.  Sie  forderten 
das  sachliche  Interesse  vielleicht  am  meisten 
heraus.  Von  diesen  Schülern,  diesen  Lehrern 
und  ihren  Methoden,  von  diesem  innigen  Zu- 
sammenarbeiten verlohnte  es  sich  schon,  einmal 
ausführlicher  zu  sprechen.  Hier,  wo  der  knappe 
Raum   das   verbietet,    genüge   es  festzustellen, 


daß  der  Aufschwung  der  Wiener  Kunstgewerbe- 
schule den  Aufschwung  des  österreichischen 
Kunstgewerbes  bedeutet  hat,  daß  sie  derwich- 
tigste,  lebenskräftigste  Born  unserer  kunstge- 
werblichen Produktion  geworden  ist  und  der 
Sammelpunkt  unserer  besten  Hoffnungen.  w 
P. 

O'ic  meliteii  Leiito  schälen  einen  Sloll  nur,  wiini 
er  liing,  ein  Objekt,  wenn  es  sdiwer,  eine  pciihe, 
wenn  sie  sdireiend  ist.  Sie  sduiljen  einen  Ballen 
Bduniwolk-  liölici-  <ik  jlle  Didnien,  die  je  yesciiriehen 
wurden,  und  Sciyen  mit  Miileliiciiidic:  »Wiis  beweist 
»Atluilic«  von   Kdcine  eigentlidi  ?« 

Diese  Art  Menschen  sehen  in  der  Kunst  nur  einen 
Zeitvertreib  nndi  dem  Essen,  eine  Zerstreuung  nadi 

der  Arbeit,  ein  Spiel  für  große   Kinder 

GUSTAVE  Pl.AUIlERT. 


ENTW:  PKnK. 

J.  HoKKMAXN 

.sf.sFi'HKrxc: 

J.  SOUI.EK. 


M  IUI.  MI  1 
.■i(  H.MT/.F.KEl 
INI)  r.OIlF.I.l.N- 
IIE/.I'G. 


PROF.  O.  PRUTSCHEK.    AUSK:  A.  KNOiiLOCH  NACHF.     DAMENZIMMER.    MÜBEL  WEISS  LACKIERT  M.  BL.\UEN  ATLASBEZLGEN. 


DAS  PROBLEM  DES  DENKMALS. 


Unter  den  Gründen,  die  an  dem  künstle- 
rischen Zerfall  der  Denkmalskunst  im  neun- 
zehnten Jahrhundert  schuld  sind,  ist  die  Denk- 
malssucht unserer  Zeit  sicherlich  einer  der 
wichtigsten.  In  früheren  Jahrhunderten  war  die 
Errichtung  eines  öffentlichen  Standbildes  eine 
außerordentliche  Kulturaufgabe,  die  schon  ihrer 
Seltenheit  wegen  den  Händen  berufener  Künst- 
ler vorbehalten  blieb.  Heute  vergeht  kaum  ein 
Tag,  an  dem  nicht  irgendwo  ein  Sockel  mit 
einer  Statue  oder  einer  Büste  enthüllt  wird. 
Die  Kunst  ist  damit  vor  eine  Art  Massenpro- 
duktion gestellt  worden.  Kein  Wunder,  daß 
durch  diese  Profanierung  ihrer  Aufgabe  auch 
die  künstlerische  QuaHtät  gesunken  ist.  Eine 
Verjüngung  der  Denkmalskunst  müßte  deshalb 
vor  allem  damit  einsetzen,  daß  dem  Denkmal 
wieder  jener  Charakter  des  Außerordentlichen 
gegeben  wird.  Mit  andern  Worten  :  die  Trivia- 
lität, die  der  eigentliche  Grundzug  unseres  mo- 
dernen Denkmalswesens  ist,  könnte  nur  durch 
eine  Beschränkung  der  überreichen  Denk- 
malsproduktion selbst  bekämpft  werden. 


Nun  läßt  sich  aber  das  Bedürfnis,  dem  diese 
Tausende  und  Abertausende  künstlerisch  wert- 
loser Standbilder  in  unserer  Zeit  das  Dasein 
verdanken,  auch  nicht  ohne  weiteres  aus  der 
Welt  schaffen.  Auch  dieser  Denkmalssucht  liegt 
ein  zwar  entartetes,  aber  an  sich  berechtigtes 
Kulturbedürfnis  zu  Grunde.  Es  ist  nur  die 
Form,  in  der  es  sich  betätigt,  wodurch  es  für 
die  Kunst  entwertet  worden  ist.  Andere  Zeiten 
haben  hier  eine  viel  reichere,  für  das  Kunst- 
leben fruchtbarere  Tradition  der  künstlerischen 
Aufgaben  gehabt.  Daß  diese  Tradition  abge- 
storben ist,  bevor  sich  für  die  Kunst  eine  neue 
Quelle  solcher  Aufgaben  aufschließen  konnte, 
ist  eben  die  Ursache  des  Übels, 

Das  Mittelalter  hat  die  moderne  Form  des 
Denkmal-Standbildes  überhaupt  nicht  gekannt. 
Wie  alles,  was  jene  Zeit  an  öffentUcher  Kunst 
hervorgebracht  hat,  stand  auch  die  Aufgabe, 
die  heute  der  Denkmalskunst  zufällt,  im  un- 
mittelbaren Dienst  der  Religion :  dem  Andenken 
großer  Taten  und  denkwürdiger  Ereignisse  er- 
richtete man  keine  Standbilder,  sondern  stiftete 


i86 


OTTO  PRUTSCHER-WIEN.  ff.nsterseitf.  des 

NEBENST.  DAMENZIMMERS.   AUSF :  KNOBLOCH  NACHF. 


ARCH.  ADOLF  O.  HOLUB-WIEN.   Speisezimmer 

MIT  AUSGANG  ZUM  GARTEN.    AVSF:  AUGUST  UNGETHÜM. 


/^as  Problem  des  Denkmals. 


M       Kirchen  und  Kapellen, 

■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■ 

■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■ 

Bedürfnis   des  Volks-       ■ 

!       Altäre,  Heiligenbilder 

lebens      hervorgegan-       ! 

gen     waren.       Damit       ■ 

■       ßildnisplastik    als    ei- 

^Sm/II 

verhinderten   sie  eine       ■ 

J       gentliche      Grabmals- 

M^WWtl 

unfruchtbare      Einsei-       5 

■       kunst    mit    dem    Kul- 

tigkeit  der  Kunstbetä-       ■ 

■       tusbcdürfnis  eng  ver- 

MM^II^^ 

tigung  und  eine  unge-       ■ 

\       wachsen.  —  Den  mo- 

N 

sunde    Überspannung       2 

■       dernen      Begriff     des 

der      Leistungskräfte:       ■ 

■       Denkmals   —  das  öf- 

sie     entlasteten      die       ■ 

J       fentliche  Standbild  als 

hohe  Kunst  und  gaben       ^ 

■       Dokument  des  Ruhms 

dem   Handwerk,    was       ■ 

■       ^     hat     die    Renais- 

des  Handwerks  ist.  —       ■ 

\       sance    in    die    Kultur 

'S.. 

In    demselben    Maße,       ^ 

■       der     Neuzeit     einge- 

wie  aber  die  Religion       ■ 

■       führt.   Seitdem  ist  die 

^ 

aufhörte,    die    umfas-       ■ 

\       Denkmalsplastik      für 

C  ' 

sende  Grundlage  der       J 

■       die     Bildhauerei     die 

gesamten  Volkskultur       ■ 

■       wichtigste   Monumen- 

zu  sein,  mußten  diese       ■ 

J       tal-Aufgabe       gewor- 

Formen        absterben.       " 

■       den.      Sie    ist     freie 

Die       Denkmalskunst       ■ 

■       Kunst  im  modernen 

\ 

verlor  damit  den  na-       ■ 

5       Sinn  des  Wortes ;  blieb 

lürlichen     Nährboden       ■ 

■       aber  als   solche  den 

für     eine      vielseitige       ■ 

■       großen   und    außerge- 

und  formenreiche  Fort-       ■ 

!       wohnlichen  Aufgaben 

entwicklung.    Für  alle       J 

■       vorbehalten,    wie    sie 

ihre  Bedürfnisse  fort-       ■ 

■       der          monumentale 

an     auf    das     einzige       ■ 

J       Ruhmsinn   kunstsinni-  . 

Schema   der   abstrak-       J 

■       ger  Fürsten  und  Repu- 

ten     Standbildplastik       ■ 

■       büken     den     größten 

angewiesen,   verküm-       ■ 

J       Künstlern     ihrer    Zeit 

merte    sie    schließlich       g 

■       stellte.     —    Daneben 

^^^sSttjHr^  V 

in    der    ewigen    Wie-       ■ 

■       blieben,  namentlichfür 

derholung    einer    und       ■ 

\       die    eigentlich    volks- 

derselben       Aufgabe.       " 

■       tümlichen  I5edürfnisse 

■        W        ■          '^^ 

Die  Kunstform,  in  der       ■ 

■       der  Denkmalskunst  im 

die       Denkmalskunst       ■ 

,       weiteren    Sinne    jene 

einst     ihre     höchsten       ^ 

■       mittelalterlichen    For- 

^^^^^^^^^^B_3P^^^^^^^^^^^^^^^^^^| 

Leistungen    hervorge-       ■ 

■       men   fortbestehen:    in 

^^^^^^^^Hm            ^^^^^^h 

bracht    hatte,    verlor,       ■ 

\       katholischen     Gegen- 

^^^^^^^^K                                  ■'^^1 

in  Tausenden  von  un-       ^ 

■       den  haben  sie  sich  ja 

berufenen        Händen       ■ 

■       bis  auf   den  heutigen 

mißbraucht  und  abge-       ■ 

\       Tag    erhalten,    wenn 

^^^^^^^^H^^^^^^^^^^^^^^^^l 

nutzt,      immer     mehr       J 

■       auch  verkümmert  und 

von  ihrem  Kulturwert.       ■ 

■       erstarrt    und    für    die 

—  So  lautet  denn  die       ■ 

\       lebendige      Kunstent- 

Grundfrage,  die  fürdas       § 

■       Wicklung    unfruchtbar 

Problemdesmodernen       ■ 

■       geworden.  —  So  lange 

Denkmals       entschei-       ■ 

g       diese     Formen     aber 

dend  ist,  so:   machen       § 

J       noch  lebendig  waren, 

es  die  Bedingungen  der       ■ 

■       lag    in   ihnen   für   die 

modernen  Kultur  wahr-       ■ 

B       Kunst  eine  der  stärk- 

scheinlich,  daß  sich  die       g 

■       sten     Wurzeln      ihrer 

Denkmalskunstwieder       ■ 

■       Lebenskraft.  Sie  stell- 

von    dem    einseitigen       ■ 

■       ten  ihr  Aufgaben,  die 

\K(  iiiM-ki  A.  u.  Moi.ni    wiK.s.     u amiki-,i.ii-;k  in  s ru(  k. 

Bann  dieser  abstrak-       ■ 

J       aus     dem    wirklichen 

^1  1  Ml.  M.  GF..srilKTEM  PiJLSrKK  U.  GESCHNITZTKR  LF.H.NK. 
■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■ 

ten  Kunstform  befreit?       ■ 

■■■■■■■■■■■■■■■■■■B 

mi'i3.  II. ». 


189 


ENTW:  Dk.  JOSEF  FRANK.  FRXSTERSEITE  XEBEN- 
STEHENDER  WOHNHALLE.    AUSFUHR:  J.  MÜLLER— WIEN. 


Das  Problem  des  Denkmals. 


KNTW:  AKc  HiriiKI    liK    JuMU'  l-RA.XK     WIEN. 


Sind  die  Möglichkeiten  da,  sie  wieder  auf  eine 
breitere  und  fruchtbarere  Basis  zu  stellen,  in- 
dem sie,  im  Sinne  ihrer  früheren  Tradition,  auch 
wieder  an  die  mannigfaltigen  Aufgaben  des 
Lebens  selbst  anknüpft  ?  Wenn  nicht  alle  Zeichen 
trügen,  sind  wir  schon  auf  diesem  Wege.  Auf 
allen  Gebieten  hat  die  moderne  Kunst  ange- 
fangen, die  Formen  der  modernen  Kniwicklung, 
denen  sie  anfangs  ratlos  und  ablehnend  gegen- 
überstand, zu  verarbeiten.  Die  moderne  Kultur 
ist  „kunstreif"  geworden.  Es  kostet  nur  den 
Willen  zur  Tat,  diese  Formen  und  Aufgaben 
auch  in  den  Dienst  der  Denkmalskunst  zu  stellen : 
statt  nutzlose  Standbilder,  Gedenksteine  usw. 
auf  verlorene  Posten  zu  stellen,  das  Andenken 
verdienstvoller  Männer  dadurch  zu  verewigen, 
daß  man  öffentliche,  dem  Gemeinwohl  dienende 
Einrichtungen,  die  mit  ihrem  Wirken  verbunden 
sind,  auf  eine  künstlerisch  und  praktisch  voll- 
kommene Weise  ausstattet  und  ihrem  Namen 
weiht.  Die  geistigen  wie  die  materiellen  Be- 
dürfnisse der  heutigen  Zeit  müßten  dafür  heran- 
gezogen werden:  in  diesem  Sinne  könnte  bei- 
spielsweise die  EhrunggroßerStaatsmänner  usw. 


HEI/.UXGSl'I.ATZ  l.\  DF.R  WOH.NIiAl.I.r.  EI.NEs  I.ANUHAfSES. 


der  Raumkunst  in  der  Einrichtung  der  Rat- 
häuser, Staatsgebäude,  Verkehrsanstalten  eben- 
soviele  neue,  dankbare  Aufgaben  stellen,  wie 
die  Ehrung  von  Gelehrten  und  Künstlern 
durch  die  Anlage  und  Ausstattung  von  Mu- 
seen, Bibliotheken  und  dergleichen.  Das  wäre 
eine  Form  der  Denkmalskunst,  die  im  Geist  der 
Zeit  und  im  innersten  Wesen  der  modernen 
Kunst  selbst  liegt.  Der  Nachteil  des  Künst- 
lichen, das  ihr  im  Anfang  noch  anhaften  mag, 
würde  sich  von  selbst  überwinden,  wenn  sie 
einmal  eingebürgert  und  ins  Volksbewußtsein 
eingedrungen  wäre.  Das  wäre  nur  eine  Frage 
der  Zeit.  Der  eigentlichen  Monumentalkunst 
aber  könnte  diese  Entlastung  nur  zum  Heil 
werden.  Sie  würde  dadurch  wieder  von  Le- 
bensbedingungen befreit,  die  mit  dem  Wesen 
des  Monumentalen  unvereinbar  sind.  Sie 
könnte  wieder  erstarken  und  sich  verjüngen  in 
einer  Atmosphäre,  in  der  sie  in  den  Zeiten  ihrer 
Blüte  groß  geworden  ist.  k.  widmer- Karlsruhe. 
Ä 

VOM    DENKMAL  -  PROGRAMM.      Genügen 
nicht   alle   schlechten  Denkmäler,   um   uns   zu 


191 


PROF.  Dr.  OSKAR  STRNAD     WIEN. 
G.VRTENSAAL.    ZrEGEL   UND  TERR,\KOTTEN. 


J'^om  Denkmal-Progravwi. 


überzeugen,  daß  es  unmöglich  ist,  auf  Grund 
der  für  die  Konkurrenzen  festgelegten  Pro- 
gramme Werke  zu  schaffen,  die  wirklich  künst- 
lerisch sind?  Vielleicht,  daß  man  irgend  ein 
Pferd  sehen  wird,  das  im  Rahmen  der  Kunst 
Geltung  haben  kann,  aber  das  übrige  bleibt 
bemitleidenswert.  Ein  Denkmal  sollte  durch 
das  Krhabene  seiner  Schönheit  das  Gedächtnis 
desjenigen  verewigen,  der  solcher  Ehrung  wür- 
dig ist,  aber  es  entspringt  kaum  gesundem 
Menschenverstand,  einen  Künstler,  der  Schönes 


schaffen  muß,  zu  zwingen,  dieses  auf  Grund 
einer  Silhouette  in  Hosen  und  Überrock  oder 
in  Soldatenmontur  zu  tun.  An  dem  Tage,  wo 
das  Kunstgefühl  weiter  verbreitet  sein  wird, 
werden  diese  kindischen  Scherze  mit  Recht 
verlacht  werden.  —  giovannisegantim. 

« 

Es  diuiert  fiiiditbiir  liiiific,  bis  eine  Kcniiliiis,  eine 
OesdiiiicU-ksiiditiiiiy,  respektive  Verbesserung  von  der 
Kunst  ins  Handwerk  und  vollends  ins  dllgenieine  Be- 
v.'ußtsein  durdigedrungen  ist FRIEDRICH  PECHT. 


RULlui.K  .suM.SU.KillUtK     SIEVK.    UKK.N  .MIT   VICK  1  llitTE.N,  (.Kl  .M  W..S.MEK  I  I..N   K.SL  II  1.I..N  f.  HOHKN  BEINEN. 


U-ER  KARL  KKIKA\VA-\V1EN.        DIE  FRUCHTBARKEIT.    GARTENPLASTIK  IN  SA.XDSTEIX.    AUSSTELLUNG-WIEN. 


AKi  Hl  I  i:ki 


1 11  Hl  ni.Ai'. 


L>AKTEN-I'AV11,U)N. 


DAS  PATHOS  DER  GÄRTEN. 


VON   PAIl.  XVKMHFIM. 


Der  Garten  ist  ein  weithin  sichtbares  Zeichen 
des  Machtbewußtseins.  Nur  der  gefestigte 
Besitz,  der  sich  durch  keine  äußere  Gewalt, 
keine  Gesetzesmaßnahmen,  keine  Kurszettel- 
launen bedroht  fühlt,  gelangt  dazu,  ein  ausge- 
dehntes Gelände  nach  Wunsch  und  Geschmack 
aufzuteilen.  Man  legt  sein  Geld  nicht  so  unan- 
tastbar fest,  wenn  man  Angst  haben  muß,  eines 
Tages  ohne  Bankkredit  dazustehen ;  man  pflanzt 
nicht  einer  Saisonmode  zuliebe  Blumen  und 
Büsche;  Laubgänge  und  Baunialleen,  die  nach 
Jahrzehnten  erst  Schatten  spenden,  werden 
nicht  abgesteckt  mit  dem  Gedanken  an  den  Un- 
bekannten, der  das  Ganze  einst  ersteigern 
könnte.  Jener  Geschlechterwille,  der  in  dem 
einzelnen  nur  ein  Bindeglied  zwischen  Ahnen 
und  Enkeln  sieht,  manifestiert  sich  —  bewußt 
oder  unbewußt  —  in  jeder  Gartenanlage  großen 
Stiles.  Sie  will  heute,  wo  soziale  Instinkte  das 
Patriarchenbewußtsein  auszulöschen  scheinen, 
nur  noch  ausnahmsweise  gelingen.  Es  sieht  so 
aus,  als  ob  unsere  Gärtner  die  Fähigkeit  zur 


großen  Konzeption  gänzlich  eingebüßt  hätten, 
nachdem  von  ihnen  tagaus,  tagein  gefordert 
wird,  Luxus  zum  billigsten  Submissionspreis  zu 
liefern.  Befangen  in  allerlei  Traditionen,  geben 
sie  sich  nicht  einmal  die  Mühe,  das  Entschei- 
dende an  den  Vorbildern  der  Vergangenheit  zu 
erkennen.  Die  schroffsten  Gegensätze:  das 
Prinzip  des  romantisch  regellosen  Landschafts- 
gartens und  der  ornamentalen  Gebundenheit 
eines  Renaissanceparterres  vermengen  sie  ohne 
Skrupel.  Wie  sie  überhaupt  mit  Vorliebe  alte 
Begriffe  aufnehmen,  ihnen  einen  ganz  anderen, 
ganz  falschen  Sinn  unterschieben  und  damit 
natürlich  jegliche  Manier  zu  rechtfertigen  im- 
stande sind.  Man  braucht  nur  die  Schriften 
dieser  Garten-Fachleute  durchzublättern.  So 
haben  zum  Beispiel  im  18.  Jahrhundert  der 
Engländer  Barrington,  der  Franzose  de  Lille 
und  andere  eine  „malerische  Gartengestaltung" 
verlangt.  Darunter  wollten  sie  eine  überlegte 
Zusammenstellung  der  Farben  und  Konturen 
der  Gewächse,  ein  malerisches  Komponieren 


«95 


Das  Pathos  der  Gärien. 


ARCHITEKT  OTTO  LICHTBLAU— WIEN. 


mit  dem  Grün  der  Rasenflächen,  dem  helleren 
oder  dunkleren  Grün  des  Buschwerkes  oder 
der  Bäume,  den  bunten  Farben  der  Blüten  usw. 
verstanden  wissen.  Bei  manchen  Garten- 
Arrangeuren  ist  nur  eine  Anlage  malerisch  kom- 
poniert, wenn  ein  Maler  Lust  hat,  sie  zum  Motiv 
für  seinePinseleien  zu  nehmen  (!).  Ähnlich  ergeht 
es  dem  uns  so  bedeutsamen  Begriff  der  „archi- 
tektonischen Gartengestaltung".  Der  bedeutet 
selbstverständlich  eine  einheitliche,  bewußt  dis- 
ponierte Anlage,  in  der  alle  Glieder:  Bauten, 
die  Rasenflächen,  das  Baumwerk,  Wasser  und 
Gesträuch,  Wege  und  Beete,  Höhen  und  Täler 
wie  die  Teile  eines  Hauses  zu  einem  festen  Plan 
zusammengeschlossen,  wo  alle  Mittel  der  Natur 
und  der  Kunst  einem  formenden  Menschen- 
willen Untertan  geworden  sind.    Darunter  ver- 


AUS  LIEM    \''l  -M  III  MlKN   PA\  ILLON. 


stehen  unsere  Garten-Leutchen  auf  einmal  ein 
Ausstaffieren  des  Gartens  mit  allerlei  Bauereien, 
mit  unmotivierten  Mauern,  Häuschen,  Stand- 
bildern, während  es  darauf  ankäme,  ohne  Bei- 
werk, in  der  Hauptsache  mit  dem  Pflanzenma- 
terial räumliche  Einheiten,  räumliche  Bewegung 
zu  schaffen.  Diese  architektonische  Geschlossen- 
heit, die  jedem  Stengelchen  seinen  Platz  an- 
weist, die  der  Natur  gewissermaßen  Verhal- 
tungsmaßregeln aufzwingt,  also  das  Herrenbe- 
wußtsein am  stärksten  betont,  wird  erstrebt  von 
allen  modernen  Gartengestaltern,  von  Olbrich, 
Läuger,  Muthesius, Behrens,  Migge, Gildemeister 
und  den  Engländern,  die  mit  gutem  Beispiel 
vorangegangen  waren.  Die  Landschaftsgärt- 
nerei ,  das  verzückte  Schwärmen  für  Willkür 
und    zurechtgemachte    Regellosigkeit,    scheint 


196 


ARCllllEKT  OrXU  LltlllBLAU     \Vli;.\. 
TEE-R.\UM  IM  PAVILLON.  AUSF:  LEOPOLD  SIMIZEK. 


191213.  II.  9. 


.\l<(  H.  dl  ro   I.ICHTBI.AI" -WIEN. 


EINGANG  ZfM  PAVILLON. 


ARCHITEKT 
JOSEF  ZOTTL 


KI.UMENKUBEL 
N  KUNSTSTEIN. 


w-^a^s'TV.'"--^ **."-*)  .*» 


AK<  H.  J.tSLK  /.yni-  WIEN.    ClAklKMiANKK.   W  Kls.S   l..\i  KlEKl.    AISICHKUNO:   PKAG-KIDNICKKK  KORIUVAKICNI- AHKIK. 


Das  Pathos  der  Gärten. 


damit  als  Entartungsepisode  verschwinden  zu 
wollen.  Mit  Recht,  denn  das  Gartenideal  aller 
Zeiten  war  die  architektonische,  die  bewußte 
Disziplinierung.  Im  Mittelalter  hatte  man  viel- 
leicht nicht  den  Mut  und  die  Mittel,  um  einem 
schwierigen  Gelände  den  Idealplan  aufzuzwin- 
gen. Man  unterwarf  sich  der  gegebenen  Situa- 
tion. So  konnte  es  vorkommen,  daß  der  Garten 
durch  Berge,  Täler  oder  einen  Fluß  von  dem 
Haus  getrennt  war.  Zwischen  der  Burg,  die  auf 
der  Höhe  lag,  und  der  quadratischen  Garten- 
ebene —  eine  andere  Form  hätte  man  damals 
nicht  für  vollwertig  angesehen  —  konnten  aus 
solch  äußerlichen  Ursachen  wohl  weite  Entfer- 
nungen liegen,  was  aber  nichts  an  der  Tatsache 
änderte,  daß  man  diesen  abgetrennten  Garten- 
teil streng  und  klar  gliederte.  Die  quadratische 
Form  wird  von  der  Renaissance  übernommen, 
die  in  ihr  lineare 
Parterre  -  Orna- 
mente zu  entwik- 
keln  beginnt.  Die 
Freude  an  diesen 
Parterre  -  Zeich- 
nungen ist  zu  be- 
greifen aus  der 
Gewohnheit,  den 
Garten  in  der 
Aufsicht  zu  ge- 
nießen. Man  pro- 
meniert auf  einem 
wallartigen  Um- 
gang und  erfreut 
sich  von  hier  oben 
aus  ander  kunst- 
vollen Ornamen- 
tik, die  in  jedem 
Kompartiment  — 
im  Quirinalgarten 
mögen  es  wohl 
hundert  gewesen 
sein!  —  anders 
war.  Erst  das  Ba- 
rock verknüpft 
dieses  lose  Ne- 
beneinander zu 
einer  majestä- 
tisch kühnen  Ein- 
heitlichkeit. Die 
Felder  werden 
axial  und  sym- 
metrisch auf  das 
Haus  bezogen. 
Man  schafftweite 

Perspektiven, 
mächtige      Hori- 
zonte, Kaskaden, 


ENTW:  E.  J. 


WIMMER. 

AUSF 


Treppenanlagen;  Abhänge  und  Gefälle  schaffen 
lebhafte  Bewegungsrhythmen.  Man  bevorzugte 
die  ungewöhnliche  Situation  und  war  begeistert 
über  die  mühsame  und  originelle  Bewältigung. 
Bei  allem  Streben  nach  Zusammenfassung  sucht 
man  gleichzeitig  Kontraste,  Überraschungen  zu 
schaffen.  Die  Eindeutigkeit  ist  als  Monotonie 
verpönt.  Die  Taxusgänge,  Boskette  und  Alleen 
sollen  wie  die  Kabinette  des  Hauses  zugleich 
intim  und  zeremoniös  wirken.  Im  Gegensatz 
zur  Formlosigkeit  der  freien  Natur  war  hier 
alles  einem  straffen,  autokratischen  Willen  zur 
Form  unterworfen.  Zopf  und  Puderquaste 
hängen  im  Raritätenkabinett.  Dermoderne  Gar- 
tengestalter, der  eine  architektonische  Diszipli- 
nierung anstrebt,  kann  gewiß  nicht  zurückgreifen 
auf  das  Pathos  des  Barock.  Das  neue  Lebens- 
gefühl,  das   auf  Bürgerlichkeit   eingestellt   ist, 

will  im  Garten 
ganz  andere  Wün- 
sche befriedigt 
sehen.  Der  kleine 
Rahmen,  den  un- 
sereiner sich  um 
sein  „Eigenheim" 
legen  kann,  dient 
ja  viel  weniger 
der  Repräsenta- 
tion als  der  Mu- 
ße ,  der  persön- 
Uchen  Hygiene, 
der  Weltabge- 
schiedenheit. 
Statt  des  großen 
Rhythmus,  der 
das  moderne  Da- 
seinauf allenGas- 
sen  umrauscht, 
sehnenwirunsim 
Garten  nach  trau- 
lichen Stimmun- 
gen. Aus  der 
Herrschaft  über 
die  Natur  ist  all- 
mählich eine  Lie- 
be zur  Natur  ge- 
worden. —      \v. 


Können  Schön- 
heit und  Nü^lich- 
keit  nicht  vereinigt 
leben,  wie  sie  in 
Bauwerken,  wie  sie 
im  Körper  des  Men- 
schen eng  verbun- 
den wohnen?      — 

Leonardo  da  Vinci. 


BLUMENSTANDER  AUS  MESSING. 
WreNER  \\'ERKSTÄTTE. 


Der  Edclschiiiied. 


DER    EDELSCHMIED. 
Jedesmal,  wenn  man 
mir  die  Arbeiten  eines  mo- 
dernen Edelschmiedes  zeigt, 
bin  ich  verwundert;  darüber 
nämlich,    daß   es    so    etwas 
wieder  gibt.   Ich  weiß  natür- 
lich:    Hoffmann     in    Wien, 
Lettre  in  Berlin,  Riegel  in 
Darmstadt,  Lalique  in  Paris 
und  vielleicht  noch  vier  oder 
fünf  der  gleichen  Wesensart. 
Aber  ich  weiß  auch,  daß  zum 
Exempel  allein  in  Pforzheim, 
dieser    einen    Zentrale    der 
deutschen  Bijouterie  -  Indu- 
strie ,   dreißigtausend  Men- 
schen   arbeiten    und    dabei 
täglich    für     120—150  000 
Mark  Gold  verformen.  Und 
schließlich:    ich  kenne  das, 
was  diese  Tausende  tagaus, 
tagein     produzieren;      man 
kann  es  in  allen  Großstädten 
der  Welt  zu  sehen  bekom- 
men ,    in  Frankfurt   wie    in 
Paris,  aber  auch  in  Buenos- 
Aires  oder  sonstwo  bei  den 
Halbbarbaren.    Diese  Inter- 
nationalität  der  Massenhaf- 
tigkeit    mit   dem   Troß    der 
Maschinen,  der  Händler  und 
derModezeichner  haben  den 
Edelschmied  verdrängt.   Sie 
scheinen   für   immer   dahin, 
die    Zeiten,    deren    wenige 
Zeugen    sich    köstlich    und 
gleißend  in  die  Museen  ge- 
rettet haben.   Ägypten,  My- 
kenä,  Hellas,  gotische  Kel- 
che, Becher  und  Geschmeide 
aus   den   frohen  Tagen   der 
Renaissance,  die  Tabatieren 
desRokoko  undselbst.wenn 
auch  schon  ein  wenig  mager, 
die  Broschen  und  Armbän- 
der der  Biedermeierdamen: 
das   war    die    rassige    Bele- 
bung, die  musikalische  Be- 
seelung des  Goldes,  des  Sil- 
bers und  der  Gesteine.   Da- 
mals   arbeiteten    die   Edel- 
schmiede  für  die  Könige  und 
für  die  Götter;  heute  besteht 
die    Kundschaft     aus    Bar- 
damen  und  Börsenjobbern, 
Ringkämpfern  und  Negerin- 


ALUINS    l   M.l-.KKK.        Kl.NC,    LMJ   BK'.ftLlllO 
IN  GOLD  M[T  SMAKACD    T'ND    PERT.KN. 


ALFOiNS  t:\-GERER     BERLIN.     BROSCHE  UNI) 
ANHÄNGER  IN  GOLD  UND  PERLEN. 


nen.    An    solchen    klobigen 
Tatsachen    sind    die    zärt- 
lichen Schönheiten  der  ver- 
liebten    Edelschmiede     zu- 
grunde gegangen.    Die  we- 
nigen, die  heule  hier  und  da 
neu  versuchen,  das  Gold  zu 
hämmern  und  das  Silber  zu 
treiben  nach  eigner  Melodie 
für  leicht  beschwingte  Sinne, 
sind  uns  darum  liebe  Gesel- 
len,  die  wir  zu  uns  laden, 
selbst,  wenn  sie  erst  tastend 
suchen,  was  wir  ahnend  be- 
gehren. Uns  kränkt  die  Kor- 
rektheit   der    Stanze ,     die 
Langweile    der    Schablone, 
die  Härte  des  mechanischen 
Druckes.   Wir  möchten  spü- 
ren, wie  die  Hand   auf  dem 
Metall  und  in  es  hinein  ihre 
Empfindungen    spielte;    wir 
möchten  sehen,  wie  es  sich 
unter  den  achtsamen  Schlä- 
gen    des    Meißels     dehnte 
und  bog,  wie  es  das  Sprin- 
gen und  Atmen  lernte.  Wir 
möchten  aus  den  flimmern- 
den Spuren  das  Antlitz  des 
Werkzeuges  kennen  lernen, 
ob    es    spitz    oder    stumpf, 
schmal     oder     breit     war; 
möchten     den    Dialog    sol- 
cher Werkzeuge  belauschen. 
Möchten  dann    sehen,    wie 
hier  goldene  Drähte  gefloch- 
ten ,    dort    silberne   Kugeln 
aufgelötet      wurden,      wie 
Steine  ihre  Umarmung,  und 
Perlen  ihr  Bett   empfingen. 
Wir  sind  inzwischen  so  be- 
scheiden geworden,  daß  es 
uns  schon  freut ,  wenn  wir 
auch  nur  ein  Zipfelchen  solch 
wahrer  Art  des  Edelschmie- 
des  zu    fassen   bekommen. 
Diesmal    ist    es    immerhin 
mehr.    Alfons  Ungerer,  von 
dem  wir  hier  einige  Arbeiten 
zeigen,    ist    zwar    noch   ein 
Anfangender,  doch  beschert 
er   uns    bereits    etwas   von 
jenem  Spiel  der  Hand  und 
jenem    Dialog    der    Werk- 
zeuge ,    davon  wir   sagten : 
daß  sie  das  wahre  Bijou  der 
Bijouterie  seien,    r.  hreuer. 


KRAU  EI.>iF.  WISLICENUS- liKF.SI-AU.     SCHMUCKKASTEN   IN  .->F.1[)K.\STICKEKEI  MIT  GLASl'EKLEN  UND  SUliKK. 


SPIELE  DER  NADEL. 

/.U  DEN  AKliEITEN   VON  VKAV  EI-.sE  WISLICENUS. 


I^'s  gibt  nichts  Langweiligeres,  als  natura- 
^,  lislisches  Kunstgewerbe.  Besonders  zu 
einer  Zeit,  die  technisch  so  raffiniert  ist,  jede 
Illusion  glaubhaft  zu  machen.  Wenn  die  Völker 
alt  werden,  geht  ihre  Sehnsucht  nach  der  Ab- 
straktion, nach  dem  Musikalischen,  dem  Geisti- 
gen. In  der  Jugend  wollen  sie  die  Wirklichkeit 
erobern.  So  wahr,  wie  sie  es  sehen  und  wie 
irgend  möglich  möchten  sie  das  natürliche  Leben 
festhalten.  Da  aber  zu  jenen  frühen  Zeiten  das 
technische  Vermögen  meist  ein  geringes  ist,  so 
bleibt  das  naturalistische  Wollen  gehemmt,  und 
was  entsteht,  erscheint  wenigstens  uns,  den 
spätcnMenschen,  als  einOrnament.  Wir  müssen 
uns  aber  darüber  klar  sein,  daß  die  Primitiven 
nie  solches  Ornament  erstrebten,  vielmehr  stets 
die  Wahrheit.  Nur;  diese  Wahrheit  war  für  sie 
so  kurz,  so  eindeutig,  so  epigrammatisch,  daß 
sie  uns,  den  Lastträgern,  unter  tausend  Einzel- 
heiten als  ein  köstliches  Destillat  erscheint. 
Wir  lieben  diese  primitiven  Ornamente.  Was 
geht  es  uns  an,  dsJi  sie  eigentlich  so  etwas  wie 


Naturgeschichte  sind;  wir  lieben  sie  ja  gerade 
darum,  weil  wir  von  unserer  eignen  kompli- 
zierten Naturkunde  loskommen  möchten.  Ja, 
und  so  schreiben  wir  denn  zaghafte  Hierogly- 
phen, Bilder,  die  aller  Wirklichkeit  abgewandt 
nach  dem  absoluten  Klang,  dem  reinen  Rhyth- 
mus, der  würdelosen  Funktion  tasten.  Das 
sieht  dann  beinahe  so  aus,  als  wäre  es  primitiv, 
ist  aber  gezüchtete  Blüte  einer  bereits  skeptisch 
gewordenen  Kultur.  Über  diese  Zusammenhänge 
muß  man  Klarheit  haben ;  damit  man  nicht  etwa 
der  Versuchung  erliegt,  krampfhaft  Volkskunst 
zu  kopieren.  Die  Primitivität  der  Modernen 
ist  eine  bewußte  Verleugnung  der  Natur.  Wir 
wollen  keine  Blumen,  nur  Träume  davon,  keine 
Sterne,  nur  ein  Aufleuchten,  ein  Anflammen. 
Wir  könnten  natürlich  auch  Blumen  machen; 
gewiß,  es  wäre  uns  ein  kleines,  Rosen  so  ähn- 
lich zu  sticken,  daß  die  Falter  danach  flögen. 
Auch  Frau  Wislicenus  könnte  das.  Da  sie 
aber  mit  der  Naivität  des  Weibes  dem  Instinkt 
der  Zeit    gehorcht,    liebt  sie   es,    von   jedem 


203 


spiele  der  Nadel. 


FRAU  ELSE  WISLICENÜS— BRESLAU. 


naturalistischen  Zweck  befreit,  zu  spielen. 
Nicht  ein  Spiel  des  Zufalles,  vielmehr  eines, 
das  vom  Takt  reifer  Augen  und  zärtlicher 
Finger  die  Melodie  und  das  Temperament  be- 
stimmt erhält.  Nichts  schafft  dem  Verächter 
des  Naturalismus  größeres  Vergnügen,  als  in 
dem  formlosen,  nicht  lesbaren  Stoff  zu  schwelgen 
und  ihn  eben  nur  so  ein  wenig  aufwallen  zu 
lassen.  Man  hat  Wolle  vor  sich  ausgeschüttet, 
Seide,  Perlen;  daraus  könnte  man  eine  ganze 
Menagerie  ins  Leben  rufen.  Man  begnügt 
sich  aber  damit,  in  den  Strähnen  zu  wühlen. 


lAM   Hl,   MI  I 


>l,l'-    IM)  li  KI,EN5TlCK£RiiI. 


die  Farben  laut  und  glühend  durch  die  Finger 
rinnen  zu  lassen,  das  Gegleiß  des  Goldes  leise 
auffliegen  zu  machen.  Wenn  dabei  dann  et- 
was herauskommt,  was  von  ferne  an  den  Himmel 
im  Mai,  an  die  Wiesen  des  Sommers  oder  an 
den  herbstlichen  Blätterfall  erinnert,  so  läßt 
man  sich  dadurch  im  Genießen  des  zwecklosen 
Spieles  nicht  stören.  Man  dreht  und  wendet 
das  Kaleidoskop  ganz  wie  ein  Wilder,  aber  mit 
feinster  Witterung  für  den  günstigen  Augenblick, 
da  es  gilt,  einzuhalten  und  das  flammende 
Rot,  das  strotzende  Grün  und^^s  jauchzende 


J04 


Spie/e  der  Nadel. 


FRAU  Kl.sr.  WISLICE.NUS     BRESLAU. 


Gelb  zu  einem  Bukelt  der  Harmonien  zu  binden. 
—  Es  gibt  noch  ein  besonderes  Raffinement; 
das  Vergilbte,  die  zerschlissene  Pracht  dessen, 
was  einst  strahlte,  neu  zu  schmücken.  Man 
nimmt  einen  Brokat,  einen  Fetzen  vom  Mantel 
eines  spanischen  Ritters,  man  atmet  mit  den 
Fingerspilzen  die  Romantik  des  Granatapfels 
und  läßt  über  die  Runen  des  köstlichen  Ge- 
webes die  Farbenpracht  der  modernen  Chemie 
rieseln.  Ähnliches  taten  die  Kleriker  des  Mittel- 


'lASCHE  MIT  SEn)E.\-  UNI)  PEKI.E.NSX1CKEREI. 


alters;  sie  nahmen  einen  Mameluckensloff  und 
stickten  quer  über  die  Sprüche  des  Korans  das 
Kruzifix  der  Kasel.  Zu  allen  reichen  Zeiten 
schöpfte  die  Leidenschaft  der  textilen  Künste 
aus  der  Phantastik  des  Nadelspieles,   k.  ureuer. 

Ä 

Um  Kunst  nacheinpfiiidcn  zu  können,  brdiidit  es  in 
cntcr  Linie  Herz  und  Pliiintasie.  Der  Verstand  kann 
nddiher   koniinen    und   sidi   die  Sadie  zureditlegeu. 

A.NSHLM   tHt'KRnACH. 


191?'13.  II.   10, 


205 


FRAU  ELSE  AVISUCENUS— BRESLAU.  FAMILlEN'CHRi.iMK  LN  WELSSEM  LEUER  MIT  PERLEN'-  UND  SILBERSTICKEREL 


ENTW.   U.  AUSF:  FR.VU  ELsE  WlSLKEXUb     BRESLAU.     K.VFhEEW.VK.MLR  L\  FAKliluLk  WuLLslIi  Kl.KEl. 


KLEINE  KUNST-NACHRICHTEN. 

«iKTOBKR   l'Jli. 


KXABHNHANDARBRIT.  Im  Berliner  Kuiist<re- 
werbemuseum  zeigte  Peter  Jessen  eine  Samm- 
lung von  Musterstiicken  zur  Anres^unpf  für  den  Hand- 
arbeitsunterrictit  der  Knaben  und  Mädchen.  Was 
die  Mädchen  betrifft,  so  sind  diese  Nadelarbeiten, 
wie  sie  etwa  im  Letteverein  oder  in  der  Potsdamer 
Gewerbeschule  jjefertig^t  werden,  j^enügend  bekannt, 
als  frei  von  geschmacklosen  Spielereien,  als  kluge 
Erziehung  zur  Sachlichkeit  und  zur  technischen 
Vernunft.  .Auch  von  der  Handarbeit  der  Knaben 
weiR  man  seit  einiger  Zeit,  daf,  die  Laubsägemanicr 
und  der  Holzbrand  zwar  noch  nicht  ausgestorben 
sind  (die  Charlottenburger  Schulen,  sogar  die  Gym- 
nasien stecken  nodi  mitten  darin),  dafi  aber  immer- 
hin ein  guter  Teil  dieses  Unterrichtes  im  Sinne 
eines  gesunden  Handwerkes  den  schlichten  Auf- 
gaben des  .Alltages  und  zugleich  den  elementaren 
Grundsät5en  aller  Produktion  gerecht  zu  werden 
versucht.     Das  wird  uns  auch  hier  bestätigt.     Wir 


treffen  solch  solides  Handwerk  in  den  Schülerarbeiten, 
in  höherem  Maf'^e  noch  in  den  Instituten  der  Lehrer- 
bildung. Das  Pabstsche  Seminar  in  Leipzig,  die 
staatlidien  Handfertigkeitskurse  und  nicht  weniger 
der  Vorkursus  an  der  Berliner  Kunstschule  wollen 
in  diesem  Zusammenhang  genannt  sein.  Wir  be- 
gegnen mit  Vergnügen  der  bunten  Lustigkeit,  wie 
sie  Hamburg  nutjt,  die  Instinkte  für  das  dreiste 
.Anschauen  und  das  kecke  Gestalten  zu  wecken. 
Wichtiger  und  neu  aber  sind  doch  die  Resultate, 
die  Lauweriks  in  dem  Hagener  Seminar  erreiclite. 
Hinter  diesen  Arbeiten  lebt  eine  wache  künst- 
lerisdie  Empfindsamkeit,  ein  gespanntes  Gefühl 
nicht  nur  für  die  Vernunft,  auch  für  den  ner- 
vösen Rhythmus  des  Materials.  Es  rriag  sein,  daf, 
diese  charmanten  Schnit3dosen  und  diese  graziösen 
Metallarbeiten  schon  über  das  hinausgehen,  was 
die  Durchschnittsbegabung  hervorbringen  kann; 
einerlei,  was  Lauweriks   macht  und   lehrt   erinnert 


ENrNVURf  U.  AUSFÜHRUNG:  EM.\I.\  M.\VER-H.\MBURG.    KISSE.M'L.MTE  IN  BL  NTIvR  WOl.I-STICKEKI.I. 


207 


\VII.LI 

IIKINEMANN 

BERLIN 


R0IIRMO8BL 

UND  ELEKTR. 
rlSCHLAMl'bN, 


20S 


Kleine  Ku7ist-Nachrichten. 


\\\\.\  I   HEINEMA.NX     BERLIN 


an  die  besten,  an  die  jungfräulichen  Zeiten  unseres 

Kunstgewerbes,  da  Obrist  und  Kndell,  Van  de  Velde 
und  Pankok  aus  innerem  Drang  tektonisdie  Gefühle 
plastisch  werden  liefien  und  so  dem  Material  nicht 
nur  gehorchten,  sondern  es  zur  Form  eiitmateria- 
lisierten.  —  —  k  ht. 


F.I.KK  I  KIScHK   IISCHLAMI'EN   IN   Ki  illUi.EI' LECH  I 


A  \  riESB, 
vV    Kuns 


Wiesbaden.  Die  Oesellscliaft  für  bildende 
ist  eröffnete  ihre  Wintersaison  mit  einer 
Kollektivausstellung  der  Werke  des  Grafen  Kalck- 
reuth,  etwa  60  Gemälde  und  50  Graphiken.  Man  ist 
überrascht,  zu  sehen,  mit  welcher  Energie  aucli  dieser 
Führer  aus  der  Reihe  der  älteren  Sezess'onisten  sicfi 


WILLI   HEINEMANN     BERLIN.    VITRINE,  TISIH   INI)  .SESSEL  IN  RdHR. 


Kleine  Kunst-Nachrichten. 


ENTWURF  UND  AUSFUHRUNG:  G.  KRiroi.K      l'.KKl  IX.    ELEKTRISCHE  ll-c  III   \MIEN  IN  BRONZE.    SCHIRME  IN  FÄRB.  SEIliK. 


den  koloristischen  Problemen  zugewandt  hat.  Fast 
könnte  man  g-Jauben  zwei  verschiedenen  Künstlern 
gegenüber  zu  stehen,  so  scharf  ist  der  Bruch 
zwischen  den  älteren  Arbeiten  und  denen  aus  den 
let5ten  beiden  Jahren.  An  Stelle  der  Tonmalerei  ist 
die  Komposition  nach  dem  farbigen  Kontrapunkt  ge- 
treten und  in  dem  neben  der  ahen  Köchin  vielleicht 
bedeutendsten  Porträt  dieser  an  hervorragenden 
Bildnissen  so  reichen  Ausstellung  erinnert  die  Art, 
wie  sich  die  Dargestellte  in  ihrem  dunkelblauen 
Kleid  von  dem  rein  goldgelben  Grund  abhebt,  direkt 
an  den  koloristischen  Aufbau  der  Arlesienne  des 
van  Gogh,  so  spezifisch  kalckreuthisch  auch  im  übrigen 
Komposition  und  Auffassung  ist. 
Aber  wie  der  Künstler  niemals 
zur  Einseitigkeit  neigte,  so  hat 
er  auch  den  blau-gelben  Kontrast- 
effekt, dem  manche  der  Jüngsten 
ganz  verfallen  scheinen,  nur  ge- 
legentlich angewandt,  in  dem 
lebenssprühenden  Bildnis  des 
Grafen  York  z.  B.  ist  die  farbige 
Komposition  auf  den  Qegensat} 
des  bläulichroten  Hemdes  und 
des  tiefgrünen  Grundes  aufge- 
baut. Ganz  besonders  eigen- 
artig berührt  es,  zu  sehen,  da|3 
auch  in  den  neuesten  Land- 
schaften des  Meisters  die  reine 
Farbe  an  die  Stelle  der  Milieu- 
schilderung getreten  ist:  sogar 
in  Objekten,  wie  „Der  abendliche 
Blick  in  ein  Hamburger  Fleet", 
die  so  sehr  zur  Wiedergabe 
atmosphärischer    Erscheinungen 


einladen.  Endlich  verdanken  wir  den  neuen  Ten- 
denzen den  Einzug  des  Früchtestillebens  in  das 
Werk  des  Meisters.  Hier  ist  die  Farbe  an  den 
glühend -goldgelben  Orangen  bis  zur  höchsten  In- 
tensität gesteigert,  wobei  freilich  eine  gewisse 
Trockenheit  in  der  Zeichnung  die  Wirkung  etwas 
beeinträchtigt.  v.  g  m. 


M' 


KRUGER.   ELEKTRISCHE  TISCHL.\MPE. 


ÜNCHEN.  DerVerbanddeutscherArchi- 
t  e  k  t  e  n  -  u  n  d  1  n  g  e  n  i  e  u  r  V  e  r  e  i  n  e  hielt  seine 
diesjährige  Abgeordneten-  und  Wanderversammlung 
in  der  Zeit  vom  12.-16.  September  in  München 
ab.  Die  geschäftlichen  Verhandlungen  betrafen  fast 
ausschliefilich  organisatorische 
Fragen.  Von  allgemeinerem 
Interesse  war  die  Besichtigung 
des  Neubaues  des  Deutschen 
Museums,  zu  der  die  Herren 
Reichsrat  Oskar  von  Miller, 
Gabriel  von  Seidl  und  städt. 
Bauamtmann  Bosch  die  ein- 
leitenden Vorträge  hielten.  Der 
Neubau  interessiert  vor  allem 
dadurch,  daji  er  fast  durchweg 
aus  Eisenbeton  hergestellt  ist 
(nur  an  einem  kleinen  Teil  der 
Fassade  ist  Muschelkalkstein 
verwendet);  selbst  die  Dach- 
stühle sind  aus  Beton.  Wir 
haben  also  hier  einen  reinen 
Eisenbetonbau  von  seltenen 
Dimensionen  vor  uns,  denn  der 
Bau  wird  nach  seiner  Fertigstel- 
lung 600000  Kub'kmeter  über- 
dachten Raumes  umfassen.   Dies 


Kleine  ICu7ist-Nacfi ric/iieti. 


I-MUIKI'   r.ND  AIsIÜ'IIRUM;:  i;.  KRÜOEI— BKKLIN.  ELKKTRISCHE  H,^NGELAMPEN  mit  FAKI:|c.i,n   s!  i{>{  SN,  iiiiiMi  N. 

ist  konstruktiv  um  so  interessanter,  als  der  schwere      ohne  daf;  irgend  ein  besonderer  bauhfh  orig'ineller 

Gedanke  sich  regte.    Die  viereckigen   Fenster  (von 
verschiedener   Ausmessung   in    den    verschiedenen 
Stockwerken)    ziehen    sich   in    gleichmäfiigen    Hori- 
zontalreihen dahin,    nur  im  Mittelbau  oder  an  den 
Verbindungsbauten   trifft   man  vereinzelt   auf  ovale 
Fensteröffnungen     oder    sonst    barockale    Formen, 
wie  man    sie    bei  Gabriel  v.  Seidl    kennt    und   wie 
sie  sich  immer  gut  in  das  Münch- 
ner   Stadtbild    einfügen.    Wenn 
sonst  im  Innern  gelegentlich  wie 
bei    den    Treppenhäusern    usw. 
manche    originelle   Formen   sich 
ergeben  haben,  so  war  das  mehr 
eine     konstruktive     Folge     der 
grofidimensionierten       Verwen- 
dung des  Betonmaterials.    k  m. 


Bau    auf    einem     äußerst    ungünstigen    Baugrund 
aufzuführen     war    (der    Kohleninsel     im    Isarbett), 
der  erst   durch   ein  dichtes  Heer  von  Betonpfeilern 
gefestigt  werden    mufite.     In  der    räumlichen  Glie- 
derung   des    Baues    besticht    vor    allem    die    klare 
Grundrij'igestaltung,   für  die  ein   einfaches  Quadrat 
zu    gründe    gelegt    ist.     Für    die    Anordnung   der 
Räume    im  einzelnen  waren  die 
sehr  verschiedenartigen  Ausstel- 
lungsbedürfnisse      maf5gebend, 
galt    es    doch    Dinge,    wie    ein 
Bergwerk  und  drei  Sternwarten 
unter  ein  Dach  zu  bringen.    Die 
Rolle  des  Architekten  mufite  sich 
dabei,  wie  sich  Gabriel  v.  Seidl 
ausdrückte,   mehr  auf  die  eines 
künstlerisclien    Redakteurs     be- 
schränken.     Die     Raumordnung 
wurde    prinzipiell    so    gehalten, 
daf;    in    den    Geschossen    zwei 
nebeneinander  liegende   Reihen 
von  Sälen  durchgeführt  wurden. 
Der  äufiere  Eindruck  des  Baues 
erhält  durch  die  gradlinig  durch- 
geführten Dachfirste  etwas  Grofi- 
zügiges.     Im   allgmeinen    ist   in 
der     Fassadenausstattung     die 
größte  Einfachheit  befolgt  wor- 
den,   welche    wohltuend    wirkt. 


M 


O   KRUGER.   ELEKIKISCHE  libCHLAMPE. 


[ODEBLÄTTER.  Bei  Fried- 
mann &  Weber  gibt  es 
eine  Galerie  der  Moden, 
ein  ganz  amüsantes  Ragout  aus 
den  zierlichsten  und  unwägbar- 
sten Dingen,  die  nötig  sind,  um 
aus  Adam  den  Dandy  und  aus 
Eva  die  Dame  zu  machen.  Das 
Kunstgewerbe  des  Boudoirs, 
dazu  Hüte  und  Kostüme,  wie 
Künstler  sie  wagen;  sehr  heiter 
und    wit3ig,     zuweilen     beinahe 


211 


Kleine  Kunst-Nachrichte^r. 


geistreich.  Das  eigentlich  Interessante  aber  bleibt 
dodi  die  Frage:  ob  wir  heute  schon  wieder  Mode- 
bilder  machen  können.  Im  18.  und  noch  mehr  in 
der  ersten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  hatte  das 
Modebild  seine  Klassik.  Davon  gibt  diese  „Galerie" 
reizvolle  Proben.  Oarvani,  Guys,  Manet  sind  das 
Mafi  dieser  Blätter.  Zugleich  sind  es,  was  die  Dar- 
stellung betrifft,  technisch  vollendete  Werkzeich- 
nungen, nach  denen  Krinolinen  genäht  und  Knicker 
befranst  werden  konnten.  Die  Modernen  aber 
machen  statt  solcher  Sclineiderei  meist  Graphik, 
doppeldeutige  Illustrationen,  wit3iges  Ornament. 
Es  ist  und  bleibt  indes,  wie  jene  allen  Blätter 
lächelnd  beweisen,  das  Modebild  wesentlich  ver- 
wandt dem  Grundriß  und  Aufrif^  des  Architekten,  nr. 
Ä 

GARTENKUNST.  Die  Brandenburger  Gruppe 
der  Gesellschaft  für  Gartenkunst  hat 
im  Berliner  Kunstgewerbemuseum  zusammenge- 
stellt, was  es  an  Planungen  neuer  Parke,  Plat)- 
anlagen  und  Gärten  gibt.  Zum  Vergleicli  wurden  in 
Kupfern  die  Gartenkünste 
von  der  Renaissance  bis 
zum  Biedermeier  gezeigt. 
Das  Resultat  dieser  ge- 
schickten Ausstellung  ist 
etwa  dieses:  Der  Park 
als  Kopie  der  Wildnis, 
auch  der  Garten  als  Minia- 
tur birkenweij^er  Natur- 
idylle wurden  überwun- 
den. Die  kluge  Lehre 
vom  Zweck  hat  den  Gar- 
ten als  eine  Erweiterung 
des  Hauses  und  den  Park 
als  eine  Freiluftwohnung 
der  Masse  begriffen.  So- 
weit sind  wir  nun.  Un- 
sere Gärten  wollen  der 
Hygiene  und  der  Behag- 
lichkeit des  Einen  dienen, 
unsere  Parke  derGesund- 
heit  und  der  Lebenslust 
des  Volkes.  Die  grüne 
Mauer,  die  Wand  aus 
blühenden  Stauden,  die 
Spielwiese,  der  überschat- 
tete Grünraum,  das  alles 
wurde  selbstverständlich. 
Wir  könnten's  zufrieden 
sein.  Fragt  sich  nur:  wa- 
rum wir  tief  und  selig 
erst  vor  den  graphischen 
Darstellungen  von  Gärten 
der  alten  Zeiten  zu  emp- 
finden vermögen.  Diese 
Kupfer  überwältigen  uns 


l'kiil'.  KKN.il  KIIJ.KL  I  I.\KMST.\L)T.  SII.HEKNKR  POK.VL. 
DANK-  l'.  ERINNBRUNGS-ZEICHEN  DER  TEILNEHMER  DER  ITALIBNFAHRI 
DEUTSCHER  STl'DBNTEN  ( 191 1  f.  DER  IT  AL.  STUDENTENSCHAFT  GEWIDMET. 


durch  die  Erkenntnis,  daf^  Gärten  noch  etwas  mehr 
sein  können  als  Helfer  zur  Lebenskultur.  Nämlich: 
rhythmische  Form,  sinnlicher  Ausdruck  für  starke 
Empfindung.  Das  aber  gerade  ist  es,  woran  es 
unseren  Gärten  und  Parken  noch  mangelt.  Denkt 
man  an  Schönbrunn,  an  den  Belvedere,  an  Ver- 
sailles, St.  Cloud,  an  Potsdam,  so  sieht  man  bei 
Denen  von  heute  noch  allzu  sehr  die  Theorie  und 
das  Schema.  Es  fehlt  die  schöne  Leidenschaft  und 
der  grof^e  Atem  des  Musikalisdien.  k.  ur. 

Ä 

C REFELD.  Das  Kaiser  Wilhelm-Museum 
■  ist  um  das  Doppelte  seines  Rauminhaltes 
erweitert  worden.  Der  Neubau  wurde  durch  den 
Ersteller  des  alten  Hauses  geleistet,  recht  und 
schlecht  in  polyteclinischer  Renaissance.  Das  lief-; 
sich  nicht  gut  vermeiden,  ändert  aber  wenig  an 
dem  Ergebnis  dieser  fruchtbaren  Museumsarbeit. 
Was  Deneken  in  Crefeld  geschaffen  hat,  ist  ein 
Stück  deutscher  Kultur,  doppelt  wertvoll  an  einem 
Einfallstor  französischer  Art.  Das  Museum,  wie  es 
nun  fertig  ist,  kann  den 
Bürgern  ein  liebenswür- 
diger Erzieher  zur  schö- 
nen Qualität  sein.  Gewif;, 
unter  den  Bildern  ist  vie- 
les, was  an  „Museums- 
verein" mahnt;  auch  das 
Kunstgewerbe  ist  nicht 
immer  erster  Klasse 
(wenngleich  einige  Stücke 
des  Cinquecento,  beson- 
ders ein  Robbia,  gar  eine 
Plastik,  diederSchuledes 
Lionardo  gehören  soll, 
ganz  vortrefflich  sind).  In- 
dessen, die  Absicht  Dene- 
kens  geht  auf  Gesamt- 
stimmung, auf  den  Zu- 
sammenklang einer  Zeit- 
empfindung aus  Möbel, 
Bild  und  Kleingerät.  Es 
werden  nidit  historische 
Naturalismen  erstrebt, 
vielmehr:  Impressionen 
von  dem  Temperament 
und  dem  Formengeist 
der  Künste,  wie  sie  einst 
lebten,  im  Museum  ver- 
wahrt aber  so  leicht  ver- 
storben wirken.  Deneken 
scheut  den  Museumstod. 
Die  Auferstehung  des 
Alten  zu  neuem,  Erzie- 
hung wirkendem  Leben 
gibt  das  Thema  seiner 
Crefelder  Arbeit,    k   ur. 


MALER  HANS  BRÜHLMANN  t 

»    GEMÄLDE:  »RESIGNATION«  (1905)    ♦ 


% 


^^aniattm 


HANS  BRLHLMAN.N  t        STUllGAKT. 


GEMALUE:    .LANDSCHAFT  (laO») 


MALER  HANS  BRÜHLMANN  f -STUTTGART. 

(1878— lyil.) 


In  der  deutschen  Kunst  des  neunzehnten  Jahr- 
X  hunderts  kann  man  die  eine  Linie  verfolgen, 
die  auf  die  monumentale  Gestaltung  der  Er- 
scheinungen ausgeht.  Cornelius  und  die  Naza- 
rener,  Rethel  und  Piloty  haben  sich  in  der  Er- 
reichung eines  monumentalen  Linienstiles  ver- 
sucht; auch  Feuerbach  und  Böcklin  bleiben  in 
ihrem  besten  Streben  wesentlich  auf  die  wuch- 
tige Ausdruckskraft  des  Lineamentes  und  die 
monumentale  Geste  beschränkt.  Erst  Hans  von 
Marees  verband  mit  seinem  Streben  nach  der 
Herausarbeitung  und  Steigerung  des  Wesent- 
lichen ein  eminentes,  malerisches  Fühlen  und 
Können.  Die  reiche  malerische  Harmonie  der 
Gliederung  und  die  ausdrucksvolle  Rhythmi- 
sierung der  Farben  kennzeichnen  ihn  als  den 
Führer  einer  neudeutschen  monumentalen 
Malerei.  In  Frankreich  brachte  Puvis  de 
Chavanne  die  Umsetzung  des  Impressionismus 
in  die  monumentale  Kaumkunst,  ohne  jedoch 
den  farbigen  Reichtum  Marees'  zu  erreichen. 
Erst  Cezanne  führte  der  monumentalen  Malerei 
wieder  neue,  rein  malerische  Kräfte  zu,  die  große 
Flächigkeit  und  die  vereinfachten,  rhythmisch 
gebundenen  Farben.  Abseits  dieser  malerischen 


Flächenkunst  fand  Hodler  die  gewaltigsten 
Ausdrucksformeln  für  die  menschliche  Erschei- 
nung in  der  Linie.  So  ging  der  Weg  des  Monu- 
mentalen bis  zur  Jahrhundertwende.  Eine  neue 
Generation  trat  in  die  Fußstapfen  und  verfolgte 
selbständig  die  Spuren  und  Anregungen  dieser 
älteren  Führer. 

So  fand  sich  ein  Kreis  tüchtiger,  junger  Kräfte, 
deren  künstlerische  Ziele  sich  auf  diesen  Bahnen 
bewegten,  in  Stuttgart  zusammen.  Karl  Hofer 
und  Hans  Brühlmann  waren  die  stärksten  unter 
ihnen.  Sie  haben  hier  zusammen  gelernt  und 
sich  gegenseitig  angeregt;  Haller,  W.  Laage  und 
E.  R.  Weiß  waren  Mitstrebende.  Brühlmann 
mußte  sich  den  Weg  zur  Öffentlichkeit  mühsam 
erringen.  Lange  stand  er  selbst  und  mit  Absicht 
im  Hintergrund,  von  seiner  verständnisvollen 
und  aufopfernden  Frau  Nina  begleitet  und  ge- 
fördert. Er  verschmähte  äußere  Erfolge.  Er 
kannte,  wie  seine  Gattin  einmal  sagte,  nur  die 
Arbeit ;   denn   seine  Zeit   war  kurz   bemessen. 

In  Brühlmanns  Werken  liegen  zwei  Seiten 
seines  Wesens  zutage:  Eine  mehr  spielerisch- 
malerische, die  sich  in  seinen  farbsprühenden 
Stilleben   und  Ländschaften    der   letzten   Zeit 


1912,13.  III.  1. 


2'5 


ßlaler  Hans  Brühlman7i. 


HANS  BKUHLMANN  t  —  STUTTGART 


ausspricht  und  eine  ernste,  feierliche,  monu- 
mentale, die  in  seinen  groß  gesehenen  und  klar 
organisierten  Akten  deutlich  wird.  —  Bei  Kalck- 
reuth  hatte  er  mit  tiefem  Ernst  seine  Kunst  be- 
gonnen und  starke  Proben  seines  Könnens  ab- 
gelegt, wie  die  beiden  großen  Landschaften 
(Filderlandschaft  1905  und  Toggenburger  Land- 
schaft 1904)  bezeugen,  die  noch  ganz  in 
den  etwas  herben  und  schwermütigen  Kolo- 
rismus  Kalckreuths  getaucht  sind.  Und  doch 
verraten  auch  sie  schon  in  der  weiten  Ferne 
groß  gesehener  Felder  die  persönliche  Natur- 
auffassung, die  ihn,  der  in  Paris  Cezanne  mit 
Bewunderung  und  tiefem  Verständnis  studiert 
hatte,  jene  eminent  persönlich  gemalten  Land- 
schaften, jene  monumentale  Vereinfachung  des 
Naturbildes  sehen  ließ,  für  das  van  Gogh  den 
ersten  und  stärksten  Ausdruck  gefunden  hatte. 
Ein  schönes  Beispiel  dieser  späteren  Land- 
schaften besitzt  das  Wallraf-Richartz-Museum 
zu  Cöln  in  der  „Breisgau-Landschaft"  (1908). 
Noch  im  Anfange  des  Jahres  1910  entstanden 
in  Vättis  Zeichnungen  und  Studien,  die  jene 
eindringliche  Konzentration  mit  sicher  bestimm- 
ten Strichen  festlegten  und  ahnen  ließen,  daß 
er  auf  dem  Gebiete  der  Landschaftskunst  Per- 
sönliches und  Bedeutendes  zu  schaffen  berufen 
war.  —  Groß  ist  die  Zahl  seiner  Stilleben.  Sie 
zeigen  eine  Entwicklung  nach  dem  Farbig- 
Sprühenden.    Die  früheren  sind  von  einer  ver- 


^KE^K1■,^    IN    1>1.N    PHLllNGEK   HALLEN    llöli; 


haltenen  und  delikaten  Farbigkeit  mit  reichen 
Toninhalten,  die  einen  fast  an  Schuch  denken 
lassen  (wie  z.  B.  die  Äpfel  auf  der  Schale,  Still- 
leben mit  Artischocke).  Die  späteren  sind  vita- 
ler, sprudelnder,  von  einer  intensiveren  Leucht- 
kraft. Was  sie  auszeichnet,  ist  das  farbige 
Gleichgewicht  ihrer  Kompositionen.  Der  Strudel 
der  Farben  ergießt  sich  über  die  Fläche,  und 
doch  wird  das  Ganze  innerlich  zusammenge- 
halten und  zu  einer  Einheit  gestaltet.  Auch  in 
ihnen  steckt  wahrhafte,  schlichte  Größe  und 
monumentale  Kraft,  die  des  Künstlers  letzte 
Absicht  war.  Der  Weg  zum  Monumentalen 
wird  am  eindringlichsten  in  seinen  Figurenbil- 
dern klar  gelegt.  Glückliche  Umstände  ermög- 
lichten ihm  bereits  frühzeitig,  sich  in  großen 
Formen  und  Flächen  auszusprechen.  Durch 
Theodor  Fischer,  der  selbst  durch  ein  starkes 
Gefühl  für  das  Zusammenwirken  der  bildenden 
Künste  und  monumental- schöpferischen  Stil 
ausgezeichnet  ist,  hatte  Brühlmann  Gelegenheit 
bekommen,  in  den  PfuUinger  Hallen  zwei  Fres- 
ken (die  Herabkunft  der  Freude  und  die  Resig- 
nation 1907)  zu  malen.  Der  Eindruck  ist  groß 
und  nachhaltig:  alles  ist  auf  die  ausdrucksvolle 
Geste  angelegt;  die  Figuren  sind  voll  von  jener 
klaren  und  ruhigen  Gebärde  Giottos,  von  dessen 
erhabener  Kunst  Brühlmann  sich  auf  einer 
italienischen  Reise  vollgesogen  hatte.  Auch 
in  dem  dritten  Fresko,  Christus  in  Emmaus,  im 


?i6 


j\Ialcr  Hans  Btiihhna. 


HANS  BRUHLMAXN  t   STUTTGART. 


Türbogen  der  Erlöserkirche  zu  Stuttgart  (1908), 
klingt  der  feierlich-gemessene  Ton  klassisch- 
primitiver  Formensprache  mächtig  weiter.  Ein 
neuer  Auftrag  stand  dem  Künstler  bevor:  in 
der  Halle  des  Züricher  Kunsthauses  sollte  er 
—  Schweizer  von  Geburt  —  große  Figuren- 
darstellungen schaffen.  Seine  unheilbare  Krank- 
heit nahm  ihm  den  Pinsel  aus  der  Hand,  und 
ließ  ihn  nicht  über  einige  Vorarbeiten  und  Vor- 
studien hinauskommen.  In  ihnen  aber  offen- 
bart sich  des  Künstlers  Wesen  und  Eigenart 
fast  am  reinsten  und  größten. 

Schon  in  Stuttgarter  Lehrjahren  hatte  er  der 
seelenvollen  Durchbildung  der  Figuren  und  Akte 
seine  Kraft  zugewandt,  und  seine  reifsten  Ar- 
beiten zeigen  eine  Entrücklheit  aus  der  Sphäre 
des  Ateliers,  die  ihnen  eine  ganz  bestimmte 
feierliche  Note  verleiht.  Die  Vorstudien  für  das 
Züricher  Kunsthaus  sprechen  die  eindringlichste 
Sprache :  die  Schlafende,  das  Mädchen  im  Profil, 
der  Frauenakl  mit  Äpfeln  und  ein  sitzender  Akt, 
alle  1909  entstanden.  Die  Gesetzmäßigkeit  des 
inneren  Organismus  ist  in  einem  klaren,  ein- 
heitlichen Aufbau  gekennzeichnet;  der  organi- 
sche Zusammenhang  der  Körper  mit  sicherer 
Präzision  durchgebildet.  Linien  und  Farben 
klingen  harmonisch  zu  einem  Ganzen  zusammen. 
Das  konstruktive  Gerüst  ist  nicht  aufdring- 
lich, sondern  malerisch  gebändigt.  Lebendigste 
Schöpferkraft  sprüht  uns  entgegen.  Es  ist  präch- 


FRESKEN  IN  UEN  1'KUI.LINGER  H.M.LEN  (19U7). 


tig  zu  sehen,  wie  die  Körper  sich  über  die 
Fläche  ausbreiten,  den  Raum  füllen,  ja  fast  den 
Rahmen  zu  sprengen  scheinen  in  ihrer  inneren 
und  gefestigten  Großheit.  Eine  malerische  Be- 
reicherung erfahren  sie  durch  die  Tücher,  die 
in  rauschenden  Wogen  die  Formen  der  Körper 
umgleiten,  durch  die  duftig  gemalten  Teppiche, 
durch  Früchte  und  sonstige  Akzidenzien  male- 
rischer Art.  Das  letzte  Werk  des  Künstlers, 
die  Wasserschöpferin,  ist  ganz  Linie  und  Farbe 
in  harmonischem  Gleichklang. 

In  einigen  kleineren  Bildern  (vergl.  Abb. 
Seite  222),  Farbskizzen  und  Studien  werden 
Bewegungsprobleme  malerisch  und  linear  gelöst. 
Landschaftliche  Details  ordnen  sich  der  Kompo- 
sition unter  und  stützen  sie  in  ihrer  Gefügtheit. 
Menschen  und  Natur  sind  in  eine  Einheit 
gebunden,  der  Sphäre  des  Alltags  entrückt 
worden;  in  erhabenem  Rhythmus  klingen  sie 
zusammen.  Wohl  spricht  der  Geist  Marees'  und 
Cezannes  aus  manchen  dieser  Figuren-Skizzen 
unverkennbar,  und  doch  schlummern  in  ihnen 
Ahnungen  zu  großen  Kompositionen,  die  noch 
viel  für  die  Zukunft  versprechen  ließen.  Sie 
atmen  alle  ein  hohes  persönliches  Gefühl  für 
Rhythmus,  Einfachheit  und  Größe. 

Allzufrüh  starb  der  begabte  Künstler,  kaum 
33  Jahre  alt,  am  29.  September  1911,  von 
tückischer  Krankheit  in  den  Tod  getrieben.  Am 
25.  Februar  1878  war  er  als  Pfarrerssohn  zu 


217 


Maler  Hans  Brühhiian7i. 


Amriswil  im  Thurgau  geboren  und  hatte  seine 
Jugend  in  der  väterlichen  Pfarre  zu  Ebnat  im 
Toggenburgischen  verlebt.  Bei  dem  Radierer 
Hermann  Gattiker  zu  Rüschlikon  erhielt  er 
ersten  Unterricht,  kam  dann  1902  nach  man- 
chen Kämpfen  im  Vaterhaus  zu  einem  Glasmaler 
nach  Hamburg,  von  wo  ihn  Lichtwarks  Initiative 
nach  Stuttgart  zu  Kalckreuth  holte.  Hier  in 
Stuttgart  verlebte  er  die  nächsten  Jahre  mit 
wenigen  Unterbrechungen,  die  ihn  nach  Paris, 
Florenz  und  Rom  führten.  Theodor  Fischer  und 
Adolf  Hölzel  waren  ihm  Lehrer  und  Freunde. 


Gewiß  ist  manches  in  seinem  Werke  unausge- 
reift  und  problematisch.  Der  Bogen  zerbrach, 
noch  ehe  die  Sehne  zur  Höhe  gespannt  war. 
Ähnlich  wie  Marees  war  es  Brühlmann  nicht 
gegeben,  eine  seiner  letzten  Kompositionen  zur 
Vollendung  zu  bringen.  Auch  sein  Leben  war 
ein  Kampf  um  die  Lösung  des  Problems  einer 
malerischen  Monumentalkunst.  Doch  können 
wir  selbst  der  fragmentarischen  Form  seines 
Werkes,  das  in  blühendstem  Wachstum  unter- 
brochen wurde,  unsere  Anerkennung  nicht  ver- 
sagen.      DR.  Wir.LV  F.  STORCK— M.\NNHEIM. 


MALER 

H.\NS 

ilKCHLM.\NN. 


GEM-\LDE: 
».SITZENDER 
AKT«   ll'JO'.l). 


m.\ij:r 

HANS 

ItkCllLMANN. 


liKMAI.UlC: 
•  MÄDCHEN 

AM   FENSTER« 


.DOPPEL- 

i'.ii.nxis« 


"^flfW^ 


BRUm.MANN 


BLUMEN- 
STÜCK UND 
SrtLLEIiEN        P 


[lt.1  BESITZ  UKS  VKKEINS  DKR  KUNSTFREUNDE  IN  DEN  LANPHRN  AM  RHEIN.) 


MALEK  il,VN^  JiKÜIILMANN  t    »BLUätENSTLCK  -  U.  ^  i- KLClUL-bl  lLLEbl.^  ^  (ÜEülTZEK;  bELlOMANN  -  KÖLN). 


MALER    HANS 
BRÜHLMANN  t 


FIGÜRLICHE 

KOMrOSITIONEN 

SKIZZEN. 


PROFESSOR  SASCHA  SCHNEIDER-^FLORENZ. 
MARMORPLASTIK.    KOPF  EINES  JUNGLINGS. 


SASCHA  SCHNEIDER-AUSSTELLUNG  IN  DER  G/VLERIE  ERNST  ARNOLD  IN  DRESDEN.    OKTOIiER-  NOVEMBER  1912. 


SASCHA  SCHNEIDER-FLORENZ. 


I^s  ist  eine  wohl  beobachtete,  aber  nicht  ge- 
^  nügend  betonte  Tatsache,  daß,  bei  der 
ParalleUtät  aller  geistigen  und  künstlerischen 
Bewegungen,  in  Deutschland  die  Literatur  den 
Schrittmacher  der  bildenden  Kunst  zu  spielen 
pflegt.  Der  Deutsche  bedarf  der  Worte  als 
Leiterin  seines  Auges. 

Seit  Jahren,  man  kann  sagen,  seit  Jahrzehn- 
ten hat  die  Dichtung  in  Selbstbesinnung  unter 
der  Führung  Stefan  Georges  und  seines  Kreises 
die  strenge  äußere  F"orm  wieder  belebt,  und 
auch  in  der  Aligemeinheit  hat  das  Versdrama 
Eingang  und  neuen  Beifall  gefunden.  Daß 
George  sich  bei  dieser  Reorganisation  der  Dich- 
tung der  italienischen  Form,  des  Sonetts,  be- 
diente, dürfte  kein  Zufall  sein.  Immer  ist  deut- 
sche Kunst  zu  ihrer  höchsten  Höhe  geschrit- 
ten, wenn  Helena  mit  Faust  sich  vermählte, 
deutscher  Geist  in  griechische  Form  sich  band. 

„Ringe,  Deutscher,  nach  römischer  Kraft, 
nach  griechischer  Schönheit! 

Beides  gelang  Dir,  doch  nie  glückte  der 
gallische  Sprung."    (Schiller.) 

Wenn  in  allen  Sczessionsausstellungen  seit 
einigen  Jahren  Gemälde  von  Hodler,  Egger- 
Lienz  und  wenigen  anderen  so  bedeutend  auf- 
fielen, wenn  sie  für  viele  eine  Erholung  und 


innere  Beruhigung  wurden,  war  es  nicht  die 
strengere  Formung  gegenüber  den  anderen 
Bildern,  die  hier  fesselte  und  die  heitere  Ruhe 
edlerer  Kunst  spendete  ? 

Diese  Kunst  greift,  wie  die  Dichtung  unter 
Stefan  George  schon  lange  vorher  getan  hat, 
auf  die  Zeit  zurück,  da  das  Helenadrama  im 
Faust  geschaffen  wurde,  sie  schließt  sich  be- 
wußt an  die  Epoche  an,  da  ein  Genelli  sagen 
konnte:  „Der  Fisch  gehört  ins  Wasser,  der 
Künstler  nach  Rom". 

Wer  von  Carstens  und  Genelli  herkommt, 
der  wird  den  Weg  zu  der  neuen  Richtung  finden, 
als  deren  Vorkämpfer  nach  seinen  jüngsten 
Werken  sich  Sascha  Schneider  betrachten  darf. 

Als  symbolisches  Bild  dieses  Kunstwollens 
kann  Genellis  Zeichnung  (Tafel  16.  Aus  dem 
Leben  eines  Künstlers)  gelten,  wo  dieser  nackte 
Heide  mit  Begeisterung  Verse  der  Ilias  rezitiert 
und  den  Besucher  nicht  merkt,  der  sein  Jesuiten- 
gesicht voll  staunendem  Schrecken  zur  Türe 
hereinsteckt. 

Diese  neue  Tendenz  in  dem  Schaffen  Schnei- 
ders kommt  für  den  intimeren  Kenner  seiner 
Kunst  nicht  unerwartet.  Wer  den  Künstler  seit 
Jahren  aufmerksam  beobachtete,  wer  seiner  stets 
anregenden  Unterhaltung  einmal  folgen  durfte. 


1912  13.  in.  2. 


225 


Professor  Sa'^cha  Schneider -Floraiz. 


PROFESSOR  SASCHA  SCHNEIDER— KLOKENZ. 


dem  wurde  bald  klar,  daß  die  mystisch-christ- 
liche Einkleidung  seiner  Akte  nur  ein  modisches 
Kostüm  war,  dem  sich  diese  Gestalten  ungern 
fügten.  Weil  Sascha  Schneider  ein  überaus 
feiner  Beobachter  und  Menschenkenner  ist, 
tief  gebildet,  wie  wenig  bildende  Meister,  wußte 
er  genau,  daß  des  Deutschen  Kunstfreude  über 
Worte  zum  Blick  schreitet,  und  er  wählte  geistig 
anregende  Zusammenhänge  in  seinen  Gestalten, 
um  das  Interesse  der  Menge  für  den  schönen 
menschlichen  Körper  über  diese  Brücke  hinzu- 
führen. 

Kraft  und  Schönheit  zu  künden,  war  hierbei 
sein  Ziel.  Auch  dieses  wird  aus  seiner  inneren 
Veranlagung  verständlich.  Jeder  echte  Künst- 
ler ist  Gestalter  seiner  Sehnsucht.  Wer,  wie 
Schneider,  seinen  Blick  für  den  Körper  in  Ring- 
schulen geschärft  hatte,  wer,  wie  er,  jede  Minute 
seiner  Erholung  der  Erinnerung  griechischer 
Kunst  weihte,  der  mußte  jenes  Körperideal, 
jene  Körperkultur  der  Alten  sehnsuchtsvoll  mit 
seiner  Seele  suchen. 

Was  ein  schöner  Mensch  ist,  wissen  wir  im 
Leben  alle;  warum  fehlte  er  in  unserer  Kunst? 

Ehe  Sascha  Schneider  jedoch  die  Klarheit 
im  Ausdruck  seines  Kunstwollens  erreichte, 
die  wir  heute  bewundern,  mußte  er  den  großen 
Gegner  in  sich  selbst  bekämpfen.  Eine  Kraft- 
natur, athletisch  in  Denken  und  Handeln,  lag 
seiner  Veranlagung  gewaltige  Gebärde  als  Aus- 
druck innerer  und  äußerer  Fülle. 


GEMÄLDE:   »KNABENKIEGE«    galbrie  H.  Arnold— DREsntN. 


„Der  schöne  Mensch  im  bloßen  Gefühl  seiner 
Existenz  ohneLeidenschaft  inRuhe  ist  dereigent- 
lichste  Gegenstand  der  Nachahmung  des  bilden- 
den Künstlers,  und  seine  Nummer  Eins ;  in  dieser 
Verfassung  ohne  alle  Bekleidung  liegt  die  reinste 
Harmonie  der  Schönheit,  und  sie  paßt  am  aller- 
besten zu  dem  gänzlichen  Mangel  an  Bewegung 
seiner  Werke.  Alle  Leidenschaft,  alle  Hand- 
lung zieht,  leitet  unsere  Betrachtung  von  ihren 
schönen  körperlichen  Formen  ab.  Zur  Schön- 
heit selbst  gehört  der  Charakter  oder  das,  wo- 
durch sich  eine  Person  von  der  anderen  unter- 
scheidet. Schönheit  mit  lebendigem  Charakter 
ist  das  schwerste  der  Kunst." 

Diese  Einsicht,  die  Wilhelm  Heinse  als 
Zeuge  der  Zeit  und  des  Strebens  eines  Carstens 
im  Ardinghello  niederlegte,  findet  ihren  Aus- 
druck in  Schneiders  Gestalten.  Still  und  ruhig 
stehen  sie,  gelassen  in  der  Würde  ihrer  Schön- 
heit, mit  möglichster  Beschränkung  des  Gesichts- 
ausdrucks. „Nur  ein  tadellos  schön  gebauter 
Mensch"  sagt  der  Künstler  in  seiner  Schrift 
„Mein  Gestalten  und  Bilden"  (Verlag  Galerie 
E.  Arnold — Dresden)  darf  es  wagen,  kerzen- 
gerade sich  zu  präsentieren  und  eine  symme- 
trische Körperstellung  einzunehmen.  Hierbei 
offenbart  sich  der  kleinste  organische  Fehler. 
Jede  andere  Stellung,  gebeugt,  gebückt,  kauernd 
oder  liegend  verbirgt  Defekte." 

Typen  der  Schönheit  will  der  Künstler  ge- 
stalten, Vorbilder  einer  kommenden  Mensch- 


226 


PKol'KSSOR  SASt  HA  SCHNElIiEK  KI.OREN/. 
GEMÄLDE:  »DIE  IIF.HELMTEN  WÄCHTER« 
AUSGKSTBLLT  IN  DKR  GAI.RKIB  K.  ARNOLD — DRKSDBN. 


»r     -«^ 


l^  / 


\ 


t 


AUSSTELLUNG 

DER    GALERIE 

ERNST    ARNOLD 

IN    DRESDEN. 


PROF, 


SASCHA  SCHNEIDER -FLORENZ.    GEMÄLDE  .KNABE« 


SASCHA  SCHNEIDER.    GEMÄLDE:   »JÜNGLING  IN   VOLLKRAFT,  ANGRIH'SIIEKEII« 


PROFESSOR  SASCHA  SCIIXEIDEK    FLORENZ. 

OEMÄLDE.    AUSGESTELLT  IN  DER  GALERIE  ERNST  ARNOLD. 


-.4««^ 


SASCHA  SCHNEIDER    FLORENZ. 


/ 


PROFESSOR  SASCHA  SCHNEIDER 

AUSSTELLUNG  OALEKIE  ARNOI.l)-l)KESr)EN. 


\; 


y 


PROFESSOR 

SASCHA 

SCHNEI  ÜER- 

FLORENZ. 


AUSGESTELLT 
IN  DER  GALERIE 
ERNST  ARNOLD 
IN   DRESDEN. 


cS.S.  / 


Professor  Sascha  Schneider— Florenz. 


1  KoH.SbOR  SASCHA  SCHNEIDER— hLOKE.N/. 


heit,  „kein  träumerisches  Zurückschauen  nach 
einer  2000  Jahre  hinter  uns  liegenden  Ver- 
gangenheit, sondern  ein  hoffnungsvolles  Vor- 
wärtsschauen in  eine  lebendige  Zukunft,  auf 
eine  neu  sich  gestaltende  Kultur".  Allein  als 
Vorbild  bedarf  eine  jede  Gestalt  ihres  Charak- 
ters, darum  bleibt  sie  in  ihrer  schlichten  Einfalt 
nicht  geringer  als  künstlerische  Vision  denn  alle 
Verbildlichung  phantastischer  Einfälle.  Auf 
diese  Art  schließt  sich  abermals  der  Ring  in 
der  Entwicklung  Sascha  Schneiders ;  seine  Phan- 
tasie und  seine  Gestaltungskraft  behalten  ihre 
Richtung  von  Anbeginn,  nur  ist  ihnen  allmäh- 
lich die  Verklärung  zur  Ruhe,  zur  Würde  Ägyp- 
tens und  Hellas'  geworden. 

Wie  Schönheit  und  Charakter  sich  im  Kunst- 
werk einen,  sei  an  einzelnen  Gemälden  ange- 
deutet, leider  ist  es  dabei  dem  Schreiber  nicht 
möglich,  mit  Worten  jede  Linie  der  Körper 
kosend  abzutasten.  Das  genießende  Auge 
gleitet  beglückt  über  das  sanfte  An-  und  Ab- 
schwellen der  Konturen,  und  in  zartesten  Rhyth- 
men lösen  sich  tiefste  Empfindungen. 

„  Schachspielende  Kinder. "  Blond  u.  Schwarz, 
Ausdruck  zweier  Temperamente,  zweier  Arten 
einander  gegenübergestellt,  sollen  sie  nichts 
anderes  als  durch  ihre  Existenz  erfreuen.  Ist  dies 
nicht  der  eigentliche  Sinn  jedes  Kinderdaseins? 


GEM-\LUE:   »SCHACHSl'lELE.NUE  Kl.NUEK« 


Freude  am  Leben,  im  Gefühl  des  Lebens. 
Allein  Kinder  sind  nicht  Herr  der  Gefühle  und 
ihrer  Glieder,  sie  setzen  der  Bewegung  nicht 
immer  das  rechte  Maß.  Daher  spreitet  der 
Dunkelhaarige ,  Rassigere  seine  Arme  weit. 
Alles  wie  unabsichtlich,  dennoch  von  innen 
heraus  gebildet  und  durch  die  Fläche,  die  diese 
Körper  beleben  und  zieren,  gefordert. 

Anders  wieder  der  aufrechtstehende  Knabe 
in  der  Zeit,  da  das  Sehnen  erwacht.  Er  hat 
zum  ersten  Mal  empfunden,  was  „Ich"  sein 
heißt.  Hat  mit  Schaudern  gefühlt ,  daß  Worte, 
die  ein  Schmerz  entpreßt ,  ins  Leere  gehen 
können.  Ohne  Widerhall  in  Vater-  und  Mutter- 
herzen. Langsam  wird  aus  diesen  Sehnsüchten 
die  Gewißheit  und  der  Wille  erwachen,  sich  in 
einem  anderen  Wesen  zu  ergänzen  und  eine 
neue  Feinheit  zu  schaffen.  Doch  jetzt  nach  der 
ersten  Erkenntnis  seiner  selbst,  zieht  er  sich  in 
sich  zurück;  daher  der  enge  Zusammenschluß 
der  Linien,  das  Stemmen  der  Arme  in  die 
Seiten,  daher  der  gesenkte  Blick. 

Dagegen  der  dunkelhaarige  Jüngling  in  der 
Vollkraft  der  Jahre.  Nicht  enggeschlossen  gehen 
die  kräftigen  Arme  parallel  dem  Körper.  An- 
griffbereit schmiegen  sie  sich  nicht  an.  Auch 
die  Beine,  etwas  gespreitet  wie  zum  Sprunge, 
künden  kühnen  Entschluß.    Hier  ist  kein  Ent- 


191irt3.  III.  3. 


237 


PROFESbOS 


,S.OR  -SASCHA  SCHNEIUER-FLORENZ.     MARMORPLASTiK  :   »KNAKE« 


AUSGKSTELl.T    IN 
ni'.R  OAI.KR1K 
F.  AKNOI.D 
IN  DRHSDUN. 


PRÜFLS.V'K  >,\M  MA  >CHM.iÜt:K-  FLUKK.N/.      MAKMOKI'I.ASTIK  :    vKNAlJi:. 


Professor  Sascha  Schneider   Florem 


PROFESSOR  SASCHA  SCHNEIDER-FLORENZ. 


ringen  innerer  Gebundenheiten,  hier  ist  Frei- 
heit, Männlichkeit  und  Schönheit,  Kalokagathia 

der  Griechen.  ^  ,    .  11 

Die  behelmten  Wächter,"  Sehnig  und  ela- 
stisch, im  Bewußtsein  der  Stärke  hüten  sie 
Heiliges,  doch  ohne  Übermut,  weil  jeder  im 
andren  den  ebenbürtigen  Partner  findet  und 
nicht  ahnt,  daß  Schwäche  und  Mutlosigkeit 
leben.  Als  Krieger  lieben  sie  bunten  Glanz  der 
Waffen,  lieben  sie  das  Gold,  das  Sieger  ziert. 


MARMORPLASTIK:   »KOPF  EINES  KNABEN. 


Der  mit  dem  Schwerte  ist  der  Angreifende. 
Dementsprechend  gibt  sein  Umriß  nicht  Ge- 
schlossenheit, sondern  Entschlossenheit.  Deri 
Verteidiger  des  Errungenen,  den  Erhalter  halt 
ein  fester  Kontur  zusammen,  dessen  Linien 
variiert  und  verstärkt  werden  durch  das  Gefalt 
seines  roten  Gewandes. 

Frauen  und  Kinder  sind  gleicher  Seele^  Itir 
Dasein  schon  ist  Wert,  weil  freudespendend. 
Nicht  mit  Mühe  müssen  sie  gleich  dem  Manne 


240 


Professor  Sascha  Schneider— Florenz. 


l-KOKESSOR  SASCHA  SCHNEIDER     KLOR£NZ. 


wirken,  um  wertvoll  zu  sein,  sondern  indem  sie 
sind,  wirken  sie  erfreuend.  So  wird  ihr  Dasein 
Spiel,  und  Spiel  ist  ihnen  Arbeit-  Dabei  bleibt 
der  Kreis  ihrer  Wirkung  nicht  eng  umgrenzt. 
Jeder,  der  sie  sieht,  empfängt  ihren  Wert,  genießt 
Glück.  Nicht  im  Wollen  tragen  sie  ihren  Reich- 
tum wie  der  Mann,  den  erst  die  Tat  krönt.  Ihre 
Krone  ist  ihre  Existenz.  So  verschwenden  sie, 
ohne  sich  wegzuwerfen,  so  bleiben  sie  stets 
spendend,    ohne    zu    zerflattern.     Daher    ihre 


MAKMOKPLA.sTiK;    vKOPF  EINES  KNABEN« 

AUSSTKLLUNG  IN  DKK  GALBKIB  «.  ARNOLD- DRKSDKN  . 


reicheren  Bewegungen,  grazil,  preziös.  Erst  die 
Schleier,  ein  Äußeres,  geben  Zusammenschluß. 
Aber  wer,  dessen  Äußeres  Wert  bedeutet, 
könnte  der  Äußerlichkeit  entraten? 

Doch  eins  muß  noch  erwähnt  werden,  wo 
derKünsller  die  Natur  zu  durchbrechen  scheint, 
wo  er  über  den  Charakter  hinweg  in  den  Mythos 
schreitet.  Es  ist  das  die  Gestalt  des  Mannes 
mit  den  langen  Haaren,  sowohl  in  Malerei  wie 
Plastik  dargestellt. 


241 


Professor  Sascha  Scliiieidcr— Florenz. 


■       „Lange   Haare    sind 

Eingebildete  fällt  zu-       ■ 

J       nicht    ein    Vorrecht 

sammen,  da  ist  Not-       J 

wendigkeit,    da    ist       ■ 

■       schlechts",   sagt   der 

i-                                                 

Gott".   (Goethe.)   —       Z 

J       Künstler.   „Zweifels- 

■^^i^tf 

So  wollen  diese  Ge-       J 

■       ohne  hat  das  männ- 

JMäitf^^^^k 

mälde  als  Gestaltung       ■ 

■       hche  stärkeren  Haar- 

^^^gtg^K 

erfaßt     sein.       Wer       ■ 

"       wuchs        überhaupt. 

^^^^^^B 

ihnen  Bedeutung  als       5 

■       Kurz      geschnittenes 

^^^^^HT 

Malereien  abspricht,       ■ 

■       Haar  als  charakteri- 

F^^K^^ 

halte  in  dieser  Weise       ■ 

P       stisch  für  Männlich- 

jK^ 

mit  ihnen  Zwiespra-       " 

■       keit   anzusehen,    ist 

"^^L. 

che     und    bedenke,       ■ 

■       Tradition;  sie  ist  je- 

i    j^k 

daßSaschaSchneider       ■ 

B       doch  falsch.    Kurzes 

1 

nicht  wie  Lovis  Co-       ^ 

■       Haar   ist    nur    prak- 

* 

rinth  malen  darf  und       ■ 

■       tisch.     Langes  Haar 

P%» 

kann,     sondern    nur       ■ 

\       beim  Manne  tritt  fast 

■ 

wie    Sascha   Schnei-       J 

■       stets     in    besonders 

m 

der.  —  Leichter  zu-       ■ 

■       kriegerischen   Zeiten 

Vj^ 

gänglich  für  die  All-       ■ 

"       und     bei    besonders 

^K^ 

gemeinheit        dürfte       J 

■       kriegerischen  Rassen 

^^ 

des  Künstlers  Plastik       ■ 

■       auf.    Wir   finden   es 

^B 

sein.   Auch  sie  sucht       ■ 

■       beiden  Assyrern,  den 

^Kk 

aus  der  menschlichen       ^ 

■       Persern,  den  Sparta- 

^m       4,' 

Erscheinung  das  Ty-       ■ 

■       nern  ,  den  Japanern, 

pische     herauszurei-       ■ 

2       den  Mandschus,  den 

^^^B' 

ßen.       Unsere    Zeit       * 

■       Indianern,   den  Ger- 

^^^B 

sieht  diesen  Bestre-       ■ 

■       manen,  den  Rittern. 

^^^B                     ^  W 

bungen     so      fremd       ■ 

3       Allongeperücke  und 

^^^^■S^^b^^hUV 

gegenüber;  wer  aber       ^ 

■       Zopf  gehören  eben- 

^^^^^^^^E^^B^ « 

sich     erinnert,     daß       J 

■       falls       kriegerischen 

^^^^^^^^«ir 

Schneider       bewußt       ■ 

2       Zeiten  an.  Das  lange 

^^^^^^^1 

dort  anfängt,  wo  Car-       ^ 

■       HaarSimsonsistganz 

^^^^^^^^H 

stens'    müden    Hän-       J 

■       bezeichnend.  Derbe- 

^^^^^^^H 

denPinselundMeißel       ■ 

P       kannte     Christustyp 

^^^^^^H 

entsunken  sind,  der       ■ 

■       mit   dem   gescheitel- 

^^^^^^H 

wird  an  Raffael,  den       ■ 

■       ten  langen  Haar  ent- 

BHH^^^^B 

Abgott    jenes    römi-       ■ 

1       stand  unter  den  krie- 

TT^-W^^^ 

sehen  Kreises,    den-       ^ 

J       gerischen  Normannen 

i           ^Hf 

ken:  „Per   dipingere       ■ 

■       in  Sizilien".  —  Doch 

«     .     Mf  7 

una  bella  mi  bisog-       ■ 

B       das    Haar    ist    nicht 

^^B_^^**y^^^^Eni.;' 

nerebbe   vedere    piü       ^ 

■       allein     ungewöhn- 

^^^^^^^r 

belle,  ma  per  essere       ■ 

■       lieh  und  bedeutungs- 

^^^^^V 

carestia  di  belle  don-       ■ 

\       voll.    Trotz   der  An- 

^^^^^M 

ne,  io   mi   servo   di       " 

■       griffstellung     scheint 

^^^B 

una  certa  Idea,  che       ■ 

■       dieser  Heros,  dessen 

^^^V 

mi  viene   in  mente"       ■ 

P       Dasein  nicht  von  die- 

■Hv 

(aus  Raffaels  Brief  an       ^ 

■       ser  Welt  ist,  auf  sich 

^^TatFy. 

Conte     Castiglione).       ■ 

■       selbstgestelltzusein. 

.BB. 

Nur     begnügt     sich       ■ 

B       So  ist  er  trotz  seiner 

i^          "**■"* 

der    Künstler    nicht       £ 

■       Kraft  abgeschlossen. 

.^^^^"''"'         .--i»         _^ 

allein  mit  der  „wei-       ■ 

■       zeitlos,    ewig.     Hier 

'^^^BfelE^^nr^s^flHH^^^K 

chen   Schönheit  des       ■ 

a       schwindet  unter  der 

^^^^Il'^^^^I^^^^^^h 

Weibes".  Erfordert       ^ 

■       Charakterisierung  der 

^ — W^^^ 

„dieselbe       Einsicht       ■ 

■       Größe   der   mensch- 

und  Pflege  auch  ge-       ■ 

■           liehe   Charakter. 

PROFESSOR  SASCH.V  Sl:HNEIDER-I-Ll>KENZ     BRONZE:   .JÜNGLING 

genüber  dem  mann-       ■ 

■        „Alles    Willkürliche, 

liehen       Geschlecht,       J 

242 


Professor  Sasc/ia  Schneide) —Florenz. 


dessen  stattlichere 
und  (größer  geartete 
Schönheit,  so  un- 
cndhch  reicher  an 
Ausbildungsraög- 
Hchkeiten,  ganz  in 
den  Hintergrund  ge- 
treten, um  nicht  zu 
sagen ,  vergessen 
ist."  —  Bei  den 
F'lastiken  kommt 
auch  das  feine  Kör- 
pergefühl Schnei- 
ders zum  Ausdruck, 
das  er  in  den  Ge- 
mälden bewußt  un- 
terdrückt, um  der 
Fläche  zu  geben, 
was  der  Fläche  ist. 
Auf  ihr  gibt  es  kein 
Vorn  und  Hinten, 
nur  Rechts  und 
Links,  Oben  und 
Unten.  Was  Hodler 
im  Aulagemälde  der 
Universität  Jenader 
erstaunten  Mitwelt 
mit  seinen  parallel 
laufenden  Friesen 
in  nicht  einwand- 
freier, dennoch  ge- 
nialer Form  bewei- 
sen wollte,  wird  er- 
füllt. Hodler  schei- 
terte daran,  daß  er 
auf  Li'-ht  und  Schat- 
ten innerhalb  der 
Figuren,  damit  auf 
die  dritte  Dimen- 
sion, nicht  ganz  ver- 
zichtete. —  Sascha 
Schneider  vermei- 
det dieses,  indem 
er  die  Parallelper- 
spektive in  seinen 
Gestalten  mit  heller 
F^ronlal-  und  Paral- 
lelbeleuchtung ver- 
bindet. Da  schwin- 
den die  Gegensätze 
von  Licht  und  Schat- 
ten, da  ist  alles 
Helligkeit.  —  Zu 
den  Plastiken,  deren 
Form  ansprechend, 
gar  leicht  verständ- 
lich    sein     dürfte, 


I'KOKE-SSOR  SASIHA  SCHNKIDER— FLOREN/.     liRO.N/.E:    »JÜNGLIM 


zumal  ein  Marmor 
von  der  hohen 
Schönheit  des  Gür- 
telbinders, möchte 
ich  als  erläuternde 
Worte  die  folgen- 
den des  Künstlers 
selbst  setzen:  „Me- 
tall und  Marmor 
fordern  ihr  Mate- 
rialrecht. Eine  Fi- 
gur in  Kupfer  ist 
Metall,  eine  Gestalt 
in  Marmor  —  Stein. 
Das  heißt  von  vorn- 
herein alleVersuche 
aufgeben,  aus  dem 
Metall  oder  Stein 
eine  „fleischige" 
Wirkung  oder  eine 
ähnliche  Naturnach- 
ahmung „heraus- 
zukriegen". Weder 
die  Augen  noch  die 
Fingernägel,  noch 
die  roten  Lippen 
oder  die  Weichteile 
können  mehr  das 
sein,  was  sie  in 
Natur  sind:  Die 
Augen  sind  weder 
feucht,  transparent 
und  mit  weichen 
Wimpern  umsäumt, 
noch  sind  die  Finger- 
nägel elastisch,  oder 
sind  die  Lippen  rot, 
und  die  Weichteile 
dem  Druck  nach- 
gebend —  sondern 
alles  ist  im  Kunst- 
werk durchweg 
Stein  oder  Metall. 
Am  allermeisten 
wandeln  sich  die 
Haare,  die  nun  eine 
kompakte  starre 
Masse  werden.  Fs 
heißt  vollständig 
und  bewußt  über- 
setzen." —  Ob 
dies  dem  Künstler 
geglückt  ist?  Wer 
möchte  es  vor  dem 
Gürtelbinder,  vor 
den  Bronzen  be- 
zweifeln ? 


243 


Professor  Sascha  Schneider— Florenz. 


Hier  ist  das  Typische  so  dem  lebendigen 
Charakter  verschmolzen,  daß  man  vor  ihnen, 
wie  es  bei  den  Siegerstatuen  von  Olympia  noch 
heute  gelehrte  Archäologen  annehmen ,  an 
Porträts  glauben  könnte. 

Nur  ein  geschärftes  Auge  wird  am  Edelmaß 
aller  Proportionen  das  Ideal  erkennen,  und  die 
mythische  Mannesgestalt  überschreitet  jede 
menschliche    Begrenzung    der    Körperbildung. 

Wer  diese  Gestalten  verstehen  will,  muß  sich 
nicht  nur  in  bestimmter  Richtung  mit  der  Kunst, 
nein  auch  mit  dem  Leben  auseinandersetzen. 
Er  muß  Gesundheit  —  Mannhaftigkeit  —  Schön- 


heit fordern.  Ihn  erfreut  die  schöne  Seele,  die 
sich  den  Körper  schön  gestaltet. 

„Es  ist  eine  Kunst  für  das  Leben  außerhalb 
der  vier  Wände;  der  richtige  Platz  wäre  die 
offene  Sporthalle,  die  Palästra,  wo  sie  als  bild- 
liche Anregung  und  monumentales  Beispiel  die 
übende  Jugend  umgibt. 

Es  ist  ein  Versuch,  die  Kunst  wieder  zu  einem 
unmittelbaren  Ausdruck  unseres  pulsierenden 
Lebens  zu  gestalten,  in  ihr  eine  Gefährtin  zu 
erwecken,  zu  neuzeitlichen  Menschheits-Zielen. 

Es  ist  eine  Ansprache  an  ein  verständiges 
und  aufgeklärtes  Publikum",  dr.  r<jiii.ri  cukuegh. 


PROFESSOR 
SASCHA 
SCHNEIDER- 
FLORENZ. 


BRONZE- 
PLASTIK. 
AUSSTELLUNG 
E.  ARNOLD- 
DRESDEN. 


I'KOK.    hKANZ  BARWli;  ^WIE.N. 


ANBETENDE  ENUEL-j.    HOLZSCHNITZEREI. 


AUSSTELLUNG  FÜR  KIRCHLICHE  KUNST  IM  ÖSTERR.  MUSEUM. 


In  einer  vor  just  25  Jahren  unter  dem  Titel 
„Unsere  Kunslpflege!"  erschienenen  Bro- 
schüre klagt  Prof.  Julius  Deininger:  „Künst- 
lerisches Empfinden,  den  Sinn  für  das  Schöne 
zu  wecken,  sollte  längst  eine  der  ersten  Auf- 
gaben der  Erziehung  sein.  Die  katholische 
Kirche  hatte,  als  sie  auf  dem  Höhepunkt  ihrer 
Macht  stand,  alle  Künste  um  sich  versammelt 
und  fast  alleinherrschend  in  ihre  Dienste  ge- 
nommen. Nicht  nur,  wie  ihre  Gegner  sagen, 
um  die  Sinne  zu  betören,  den  Verstand  zu  be- 
täuben, sondern  gewiß  auch,  um  durch  die 
Macht  des  Schönen  die  Leidenschaften  des 
Menschen  zu  zähmen,  seine  Begierden  zu  ver- 
edeln und  auf  ein  reineres  Ziel  zu  lenken.  Die 
Kirche  erfüllt  längst  diese  hohe  Mission  nicht 
mehr,  ihr  ist  das  Verständnis  für  die  Kunst  und 
für  ihre  sittliche  Bedeutung  mehr  und  mehr  ver- 
loren gegangen".  Es  ist,  seitdem  diese  Klage 
ertönte,  in  mancher  Beziehung  besser  geworden, 
im  besonderen  aber,  was  das  Verhältnis  der 
Kirche  zur  Kunst  betrifft,  leider  nicht.  Dies 
gibt  gleich  der  erste  Satz  des  Vorwortes  zum 
Katalog  der  Ausstellung  für  kirchliche  Kunst 
im  „Osterreichischen  Museum  für  Kunst  und 
Industrie"  zu,  in  dem  es  unter  anderem  heißt, 
daß  „sich  im  Verlaufe  der  letzten  Generationen 
auch  in  der  kirchlichen  Kunst  eine  bedauerliche 


Entfremdung  zwischen  den  Bestellern  und  den 
Ausführenden  geltend  gemacht  hat".  Die  Schuld 
an  der  unleugbaren  Tatsache  der  Entfremdung 
zwischen  Künstler  und  Kunsthandwerker  einer- 
seits und  dem  Klerus  andererseits  wird  von 
dem  anonymen  Verfasser,  für  den  das  „geschäfts- 
führende Komitee  der  Ausstellung"  unterzeich- 
net, unverblümt  dem  Klerus  selbst  beigemessen, 
dem  unter  anderem  „Mangel  an  verständnis- 
voller Beschäftigung  mit  den  Werken  der  Kunst, 
—  Erlahmen  der  inneren  Teilnahme  am  Ent- 
stehen des  Werkes,  —  Vernachlässigung  pflicht- 
gemäßer Obsorge"  und  dergleichem  mehr  zum 
Vorwurf  gemacht  wird.  Soweit  kann  man  sich 
mit  den  Ausführungen,  als  zutreffenden,  gern 
einverstanden  erklären,  der  daran  anschließend 
zum  Ausdruck  gebrachten  Hoffnung,  „die  künst- 
lerischen Kreise,  die  durch  die  Seltenheit  der 
Beschäftigung  mit  kirchlichen  Aufgaben  diesen 
vielfach  nicht  mit  genügendem  Verständnisse 
für  die  besonderen  Forderungen  gegenüber- 
stehen, und  die  Kreise  des  Klerus,  die  von  der 
Möglichkeit  einer  guten  kirchlichen  Kunst  auch 
in  unseren  Tagen  nicht  immer  die  richtige  Vor- 
stellung haben,  auf  diesem  Wege  (d.  h.  durch 
die  Ausstellung)  einander  wieder  näher  zu 
bringen",  wird  man  sich  jedoch  wahrscheinlich 
einigermaßen   skeptisch   gegenüber   verhalten. 


1912,13.  i:i.  +. 


245 


Aussteihmg  für  kirchliche  Kunst  im  Österr.  Museum. 


GESAMTENTW,    U.Mo^Alk:  LLi.U'.  l-uKMNEK. 
FIGÜRLICHE  RELIEFS:   W.  BORMANN -WIEN. 


Weil  sie  auf  einem  Trugschluß  basiert.  Nicht 
der  Mangel  an  Aufträgen  allein,  wie  in  dem 
von  kirchlicher  Seite  inspirierten  Texte  dar- 
getan wird,  kann  das  Fehlen  einer  guten  mo- 
dernen Kunst  kirchlicher  Art  verursacht  haben, 
vielmehr  müssen  neben  diesem  einen  derb- 
materialistischen Grund,  dem  gewichtige  Wir- 
kung allerdings  zukommt,  noch  andere  Gründe 
mehr  geistiger  Natur  mit  Teil  haben  an  der 
Fruchtlosigkeit  auf  dem  Gebiete  neuer  kirch- 
licher Kunst.  Es  hieße  die  Künstler  in  verächt- 
licher Weise  gering  schätzen,  wollte  man  von 
ihnen  behaupten,  daß  sie  in  ilirer  künstlerischen 
Wesensart  von  Bestellungen  abhängig  seien, 
daß  sie,  die  vordem  wegen  mangelnder  Bestel- 
lungen keine  Werke  kirchlicher  Kunst  schufen, 
nach  erfolgter  Bestellung  sogleich  das  Ge- 
wünschte in  voller  Güte  hervorbringen  würden. 
So  materiell-äußerlich  darf  man  sich  denn  doch 
nicht  wahrhaftes  Kunstschaffen  vorstellen,  zumal 
dann  nicht,  wenn  in  ihm  religiöses  Empfinden 
zum  Ausdruck  gelangen  soll.  Der  echte  Künstler 


.'iLl.VkiMbLHt  tLK  DIE  KIRCHE 
ZU  EBELSBERG  in  ÖSTERREICH. 


schafft  ja  auch  sonst  nicht  das,  was  man  von 
ihm  begehrt,  sondern  das,  was  zu  schaffen  er 
berufen  ist,  was  er  schaffen  muß,  aus  innerer 
Notwendigkeit.  Die  Beweise  hiefür  liefert  die 
Kunstgeschichte  zu  hunderten.  Wenn  die  Künst- 
ler unserer  Zeit  nicht  mehr  so  wie  die  Künstler 
früherer  Zeiten  auf  dem  Gebiete  der  kirchlichen 
Kunst  tätig  sind,  geschieht  dies  nicht  einzig  und 
allein  nur  aus  Mangel  an  entsprechenden  Auf- 
trägen, sondern  weil  auch  ihre  innere  Stellung 
zur  Kirche  eine  wesentlich  andere,  als  die  der 
Künstler  früherer  Zeiten  ist.  Denn  es  wäre 
falsch,  zu  glauben,  daß  die  Künstler  der  Gotik, 
der  Renaissance  und  der  Barocke  hauptsächlich 
deshalb  bedeutende  Werke  kirchlichen  Charak- 
ters hervorbrachten ,  weil  sie  mit  den  entsprechen- 
den Aufträgen  betraut  wurden.  Die  Künstler 
der  Gotik  und  der  nachfolgenden  großen  Stil- 
epochen schufen  ihre  Hauptwerke  nicht  so  sehr 
im  Dienste  der  Kirche,  als  vielmehr  für  die 
Kirche  aus  ihrem  persönlich  reichen  reUgiösen 
Empfinden  heraus.     Gottsucher  gibt  es   auch 


246 


ENTW:    ARCHITEKT  A.  O.  HOLUB     WIEN. 

AI.TAR  FÜR  DIE  HL.  GEIST-KIRCHE     WIEN-OTTAKRING. 
AUSFÜHRUNG  :  H.  FAUSTNER,  ORESTE  BASTRERI     WIEN. 


ENTW:  LEOPOLD  tORSTNER— WIEN.    KIRCHENFENSTER  MIT  DARSTELLUNG  DER  SIEBEN  SAKRAMENTE. 
At'SF;  TIROLER  GLASMALEIJEI  TND  MnSAIKANSTALT      INNSliKUCK. 


Ausstelhmcr  für  kirchliche  Ktinst  im  österr.  Museum. 


unter  den  modernen  Künst- 
lern. Auch  Vincent  van  Gogh 
hat  Gott  gesucht,  obgleich  er 
niemals  ein  kirchliches  Bild 
malte,  dafür  aber  oft  wahr- 
haft religiöse.  Und  so  wie 
dieser  einstige  Prediger  des 
Evangeliums  bei  den  Bergar- 
beitern Belgiens,  suchen  viele 
moderne  Maler,  Bildhauer  und 
Architekten  Gott  und  schaffen 
Werke  religiösen  Empfindens, 
wenn  auch  nicht  kirchliche. 
—  Da,  wo  es  sich  nicht  um 
höchsten  Gefühlsausdruck 
handelt,  sondern  wie  in  der 
angewandten  Kunst,  im  Kunst- 
gewerbe, um  Geschmack, 
Stilgefühl,  Zweckmäßigkeit, 
Materialschönheit,  also  um 
mehr  oder  minder  auf  ver- 
standesmäßigem Wege  er- 
reichbare künstlerische  Wer- 
te, können  „Aufträge"  unge- 
meine Bedeutung  gewinnen, 
indem   sie   zur   wertgrädigen 


Steigerung  der  Qualitätsarbeit 
Veranlassung  geben.  Beweise 
dafür  enthält  schon  die  gegen- 
wärtige Ausstellung  für  kirch- 
liche Kunst,  zu  deren  Veran- 
staltung der  Eucharistische 
Kongreß  in  Wien  den  äußeren 
Anlaß  gab.  Vermag  die  Aus- 
stellung auch  nicht ,  wie  es 
im  Katalog  zu  lesen  steht,  in 
zwingender  Weise  zu  überzeu- 
gen, „daß  auch  Künstler  un- 
serer Zeit  wahre  religiöse 
Empfindungen  haben  und  sie 
in  echter  Weise  künstlerisch 
zum  Ausdruck  bringen",  denn 
gemeint  ist  hier  immer  in 
„kirchlich  gültiger"  künstleri- 
scher Form,  so  gelingt  es  ihr 
immerhin,  wirkungsvoll  zu  ver- 
anschaulichen, daß  die  bis- 
lang insbesondere  vom  Klerus 
verpönte  Moderne,  sofern  ihr 
Betätigungsmöglichkeiten  ge- 
boten werden,  wenigstens 
das ,    was   kunstgewerblicher 


ODEN:  MONSTR.VNZ.    ENTW:  ARCH.  KAKI.  HRÄUER.    AUSF :  JULIUS  GRÜiNFELU     WIEN. 
•    unten:  LEUCHTER  IN  BRONZE.    MAX  SAMASSA- LAIBACH. 


250 


KNTHURK:  LEOPOLll  FORSTXER      WIEN. 


CIBORIUM  UND  MESSKELCH.    AUSF :  FRANZ  HALDEN— WIEN. 


ENIW:  .\RCH.  JOSEF  ZOTTI     WIEN.    IHUKIÜEL  U.  NAVIKEI.  IN  SILBER.    AUSF:  JULIUS  ÜRÜNFELD— WIEN. 


Ausstellung  für  kirchliche  Kunst  im  Österr.  Museum. 


Art  in  der  Kirche  ist, 
und  das  meistens  künst- 
lerisch völHg  minderwer- 
tig war,  sofern  es  sich 
nicht  um  vereinzelte 
Stücke  alter  Herkunft 
handelte,  edel  und  schön 
gestalten  kann.  — 
„Heute  wird  der  Bedarf 
an  kirchlichen  Kunst- 
werken und  Geräten, 
sowie  an  kleineren  An- 
dachtsgegenständen bei 
uns  (ich  zitiere  hier 
nochmals  aus  dem  Kala- 
logvorwort)  zum  über- 
wiegenden Teile  durch 
ausländische  Agenten 
besorgt,  die  durch  an- 
scheinend geringe,  im 
Verhältnis  zur  minderen 
Ware  aber  hohe  Preise 
und  durch  Bequemlich- 
keit des  Ankaufes  ihre 
künstlerisch  und  hand- 
werklich meist  äußerst 
minderwertige  Ware  so- 
wohl der  Großstadt,  als 
auch  dem  kleinsten  Ge- 
birgsdorfe  aufzudrängen 
verstehen".  Kann  die- 
sem Übeln  und  kultur- 
widrigen Zustand,  der 
sich,  wie  wir  leider  täg- 
lich erfahren  müssen, 
auch  auf  alle  Gebiete  des 
profanen  Lebens  er- 
streckt, denn  überall 
werden  Surrogate  dar- 
geboten, entgegen  ge- 
wirkt werden,  so  ist 
das  gut  und  aus  Prinzip 
auch  in  diesem  speziel- 
len Fall  gutzuheißen. 
Verwunderlich  ist  nur  in 
Anbetracht  dieser  klar 
ausgesprochenen  richti- 
gen Erkenntnis  und  des 
wiederholt  mitBetonung 
geltend  gemachtenErf  or- 
dernisses  der  zur  Durch- 
führung der  löblichen 
Absicht  unerläßlichen 
Bestellungen,  der  Auf- 
träge an  Künstler,  daß 
die  reichen  Stifte  und 
Klöster        Österreichs , 


AUM>UHK:  EKSIE  WIEXEK  l'KuüUKTi V-GENOSSENSCHAFT. 
IJ.  ABSOLVENTINNEN  DER  K.  K.  KUNSTSTICKEREISCHULE. 


ENTW:  M.  ALBER.    AUSF:  FELLINGER  S;  HASSINGER- WIEN. 
K.\SEL  MIT  GOLDSTICKEREI  AUF  WEISSEM  GRUND. 


trotzdem  gerade  sie 
hier  mit  gutem  Beispiele 
vorangehen  sollten,  mit 
der  einen  Ausnahme 
des  Klosterneuburger 
Stiftes,  keine  derartigen 
Aufträge  erteilten.  Hät- 
ten sich  nicht  einige 
kunstsinnige  und  opfer- 
willige Pfarrergefunden, 
würde  die  Ausstellung 
noch  bescheidener  aus- 
gefallensein, ja,  sie  wäre 
vielleicht  überhaupt 
nicht  zustande  gekom- 
men; nur  durch  die  vom 
Ministerium  für  Kultus 
und  Unterricht,  dem 
Ministerium  für  öffent- 
liche Arbeiten,  dem  k.  k. 
Hoftiteltaxfondsundder 
Gemeinde  Wien  bewil- 
ligten Geldmittel  wurde 
sie  ermöglicht.  Die  — 
gegenüber  früheren  Zei- 
ten —  veränderte  Stel- 
lung der  Künstler  zur 
Kirche,  zeigt  sich  augen- 
fällig auch  in  dieser  Aus- 
stellung: die  großen, 
schöpferischen,  führen- 
den Künstlerösterreichs 
haben  sich  an  der  nur 
von  österreichischen 
Künstlern  beschickten 
Ausstellung  nicht  betei- 
ligt. Das  Komitee,  des- 
sen Verdienste  um  die 
Hebung  der  Qualitäts- 
arbeit uneingeschränkt 
anerkannt  werden  soll, 
machte  deshalb  aus  der 
Not  eine  Tugend  und 
begnügte  sich  mit  einer 
Ausstellung  vonWerken 
für  den  Gebrauch  in  der 
Kirche  und  zur  häus- 
lichen Andacht.  Monu- 
mentale Gemälde  und 
Skulpturen  religiösen 
Charakters,  monumen- 
tale Bauentwürfe  und 
dergleichen  fehlen;  was 
man  zu  sehen  bekommt, 
das  sind,  einige  größere 
Arbeiten  der  Künstler 
Andri  und   Forstner 


252 


.liisstellung  für  kirchliche  A'iiiisl  im  Osten:  ]\hiseum. 


ausgenommen,  kunstgewerbliche  Kleinarbeiten, 
Ritualgeräte,  Meßgewänder. 

Erfreulicherweise  kann  man  sie,  ästhetisch 
wertend,  als  fast  durchwegs  kunsthandwerklich 
wohlgelungene  Leistungen  bezeichnen.  Ange- 
fangen von  den  Meßkelchen,  deren  schönste 
nach  den  Entwürfen  von  Leopold  Forstner  aus- 
geführt wurden,  einem  Künstler,  dem  man  auch 
schöne  Glasmalereien  zu  danken  hat,  bis  zu  der 
originellen  Gestaltung  eines  Altares  für  die  neue 
Kirche  im  Wiener  Bezirk  Oltakring,  nach  dem 
Entwürfe  des  Architekten  A.  0.  Ilolub,  zeigen 
sich  die  durch  die  Wiener  Kunstgewerbeschule 
erzogenen  Künstler  und  Handwerker  erfinde- 


risch und  technisch  tüchtig  in  der  Bewältigung 
der  ihnen  gestellten  —  und  wie  zugegeben 
werden  muß:  ungewohnten  —  Aufgaben. 

Die  von  der  Bacher-Schule  der  Akademie 
beigesteuerten  Allarlafeln,  die  vermutlich  An- 
spruch auf  Wertung  als  dekorativ-monumentale 
Malereien  erheben,  erreichen  die  angestrebte 
Wirkung  nicht,  sind  allzu  nüchtern  konstruiert, 
nicht  empfunden,  daher  slimmungslos.  Wenn 
auch  nicht  volle  monumentale,  so  doch  ihr  nahe 
kommende  großdekorative  Wirkung  erzielt  die 
von  Leopold  Forstner  entworfene  und  in  Mosaik 
ausgeführte  Altarnische  für  die  Pfarrkirche  zu 
Ebelsberg  in  Oberösterreich.  .\  K-r. 


TAUFSTEIN. 

ENTW.  U.  .\USFChK: 

K.  K.  It.\L'-  UM) 

K'SSTHAMIWERKF.R- 

SCHUl-E- BOZEN. 


UECKELFIGUR  tJNI) 
KI-.UEFS:  J.  GADENZ, 
I>IXKr.l.C.n'TER: 
MOSER,  CASOITl 
&  AMTMANN. 


101213   III    6 


253 


LOTTE 
PRITZEL- 

MÜNCHEN. 


NEUE  PUPPEN  VON  LOTTE  PRITZEL-MÜNCHEN. 


Masken  und  Kinder  —  dies  ist  es  eigentlich, 
was  wir  in  unserm  lauten  und  deutlichen 
Leben  vorüberziehen  sehen.  Die  Majorität  der 
robust  Alltäglichen,  deren  geheime  Gedanken 
dem  Geld  gehören,  wenn  auch  ihre  geäußerten 
geistig  ausgeputzt  sein  mögen  —  sie  kümmert 
uns  nicht.  Wir  müssen  von  den  Wenigen,  die 
in  offenbarer  Qual  ihre  Masken  tragen  und 
irgendwie  noch  Kinder  sind,  erfahren,  wie  das 
Lied  unseres  Daseins  klingt.  Beladen  stehen 
sie  vor  dem  Schritt  in  die  Freiheit,  die  ein  un- 
geheurer Abgrund  ist.  Die  Geschöpfe  unserer 
Elternkämpfe  haben  sich  bis  an  den  Rand  ge- 
schleppt —  jetzt  heißt  es  zerschellen  oder  flie- 
gen können.  Wer  wagte  den  Schritt  ?  Die  vielen 
Verdorbenen,  Gestorbenen.  Im  Sturze  haben 
sie  die  erste  Flugkraft  gespürt.  Die  anderen 
aber,  die  Zögernden,  Furchtsamen,  Ahnungs- 
vollen, bleiben  stehen.  Sie  verbergen,  was  in 
ihrer  Seele  schreit,  und  starren  lächelnd  in  den 
Abgrund  hinunter,  der  auch  ein  wunderbarer 


Kinderhimmel  ist.  Sie  fühlen  sich  endlich  sicher 
in  ihren  Masken  und  taumeln  doch  ruhelos 
durch  Enttäuschung  und  Verlangen.  Sie  wissen 
alles  und  möchten  so  töricht  sein.  Sie  haben 
alles  genossen  und  schreien  doch  nach  Gottes 
Brot.  So  haben  sie  in  ihrer  dürstenden  Sehn- 
sucht doch  den  nie  verwindlichen  Unglauben. 
So  sind  sie  eigenen  Willens  und  Marionetten 
der  Entwicklung,  die  sie  so  weit  geführt  hat. 
Menschen  und  Puppen. 

Man  soll  auf  die  Künstler  blicken,  die  es 
irgendwie  vermögen,  in  Ernst  oder  Spott,  das 
Leid  der  Zeitseele  zu  deuten.  Geschöpfe  zu 
schaffen,  die  typisch  zusammenfassen,  was  in 
Myriaden  Individuen  verwirrt.  Unsere  „Kin- 
der", unsere  Masken,  unsere  Puppen.  In  Mün- 
chen offenbart  sich  der  alte  Spieltrieb  immer 
wieder  neu  und  toll.  Die  Faschingsgeister  rau- 
nen und  kichern  auch  noch  durch  die  „normalen" 
Zeiten.  Wie  weit  ist  es  vom  müden  Modeherrn 
zum  gepuderten  Pierrot?    Wie  nahe  haben  es 


254 


4 

•^\i 

j^  ^* 

r' 

.iL- 

BPT 

- 

fm^ 

r 

:*• .  1  •• 

7    \^,     IH. 

^ 

1 

•                    • 

2 
w 


H 
H 
O 

►-1 


Ne^ie  Puppen  von  Lotte  Pritzel- München. 


all  die  jungen  Künsller- 
seelen  zum  Tanze ,  der 
sich  seiner  Lust  nicht 
schämt?  Zwischen  den 
Münchner  Masken  und 
Kindern  schafft  die 
schlesische  Bildhauerin 
Lolte  Pritzel  ihre  merk- 
würdigen Puppen.  Sie 
hat  in  die  Haife  der  Zeit 
ge^griffen.  Jetzt  kann  das 
Gew^tige  nicht  kom- 
men —  ein  zierliches 
Spiel  mit  den  Werten 
besteht.  Wir  würden 
ja  von  unserm  Erbe  er- 
drückt werden,  wenn 
wir  immer  feierlich  und 
alt  bleiben  wollten. 
Wir  müssen  auf  unsere 
Art  jung  sein.  Dann 
wird  das  allzu  Schwere 
leicht.  So  hat  Lotte 
Pritzel  den  neuen  Müh- 
seligen und  Beladenen, 
die  sie  mit  scharfem 
Blick  erkennt, ein  „Spiel- 
zeug" gegeben.  Es  sind 
nicht  die  Puppen,  nach 
denen    Kinder     greifen. 


LOTTE  PKIT/.EL— MtNCHEN.    »VITRINEN-PUPPEN« 


Auf  Kinder  im  Kindes- 
alter mag  Lotte  Pritzel 
in  fremder  Scheu  sehen. 
Sie  sucht  die  Grenze 
des  Bewußtseins.  Die 
Geschlechter,  welche 
sich  bekennen  wollen 
und  zurückschrecken, 
weil  iiir  Erbteil  sich  nicht 
ganz  bekennen  darf.  Um 
diese  Geschöpfe  über  ihr 
Elend  fortzutäuschen , 
läßt  Lolte  Piitzel  sie  mit 
sich  selbst  spielen.  Sie 
halten  menschenähnliche 
Lebensgedanken  in  der 
Hand  und  können  ihnen 
die  Bewegungen  geben, 
die  das  Schicksal  seinen 
Marionetten  gibt.  Blei- 
che Pierrots,  Tänzerin- 
nen, die  zu  tanzen  glau- 
ben, Kavaliere  eines  ver- 
gangenen Adels.  Lotte 
Pritzel  schafft  ihre  Pup- 
pen selbst  in  stillem 
Spiel.  Sie  gibt  ihnen 
alles.  Sie  formt  ihre 
Körper  und  zieht  ihnen 
Kleider   an.    Alles,  was 


257 


LOTTE  PRITZEL— MÜNCHEN. 


»PUPPEN   KUK  DIE  VITRINE« 


LOTTE- 
PRITZEL 

MÜNCHEN. 


»PUPPEN 
KÜR  DIE 
VITRINE. 


Xeue  Puppen  von  Lotte  Pritzel-  München. 


£ 

^^^^i^—-\-^— 

'2u 

sie  haben  müssen,  um 
richtige  Puppen  zu  sein, 
bekommen  sie  von  ihr. 
Kopf  und  Glieder,  die 
unverhüllten  Teile, 
werden  kunstreich  in 
Wachs  modelliert  und 
getönt,  wie  die  kleinen 
Seelen  es  fordern.  Der 
Körpcruntcrdem  Kleid 
besteht  aus  Draiit  und 
Watte.  Ganz  körperlos 
dürfen  die  Puppen  nicht 
sein,  damit  nicht  un- 
künstlerisch ein  inter- 
essanter Kopf  auf  einem 
hübschen  Kleid  sitze, 
Glieder  ohne  lebendi- 
gen Zusammenhang  an 
Spilzcnsäumen  bau- 
meln. Man  muß  eine 
Konsistenz  unter  dem 
Kleide  fühlen,  die  weich 
genug  ist,  um  warmes 
Leben  vorzutäuschen. 
Andererseits  haben 
Kopf       und       Glieder 


LOTTE  l'KrrZF.I.      MÜNCIIF.N.     «PUl'l'K.N    1  LK  IJlE  VITKlNt« 


nicht  die  entschiedene 
Plastik  einerBildiiauer- 
arbeit.  Der  feine  In- 
stinkt der  Künstlerin 
hütet  sich  vor  dem 
„Ernst"  und  will  seine 
Spielfreude  auch  den 
anderen  großen  Kin- 
dern lassen.  Keine 
starren  Bronzestatuet- 
ten —  wächserne  Pup- 
pen mit  beweglichen 
Gliedern  deuten  das 
geheimste  Leben  an. 
Sie  stammen  meist  aus 
Lotte  Pritzels  persön- 
lichstem Phantasie- 
kreis, aber  auch  die 
Zeit  des  großen  Men- 
schenspiels, das  acht- 
zehnte Jahrhundert, 
hat  ihren  Teil  an  ihnen, 
liin  kleiner  Kavalier 
in  schwarzem  Seiden- 
frack, mit  Spitzenbü- 
scheln an  den  Händen 
—  ein   bleicher  Abbe, 


259 


Neiie  Puppen  von  Loffe  Pritzel—Münchau 


aus  dem  ungläubigsten  Barock.  Dann  die 
vertrauten  Karnevalsgestalten  —  zwei  Do- 
minos, die  zu  den  schönsten  Puppen  der 
Künstlerin  gehören.  Der  eine  rot,  der  andere 
grün  gewandet.  Tänzerinnen  wie  aus  ver- 
blichenen Ahnentagen  —  ein  rotbraun  gelocktes 
Mädel  in  weißem  Kleidchen;  seine  kleinen 
Schritte  haben  die  wehe  Anmut,  die  den  wirk- 
lichen Tanz  nicht  wagt.  Dann  reine  Phantasie- 
geschöpfe —  ein  gekrönter  Engel,  der  noch  an 
Vorbilder  der  frühesten  Italiener  gemahnt.  Er 
schwebt,  wenn  man  ihn  lose  emporhält.  Der 
Ausgleich  von  Plastik  und  Körperlosigkeit  gibt 
ihm  etwas  Überirdisches.  So  schwebt  auch  ein 
weißer  Pierrot,  der  vielleicht  nur  träumt.  So 
stehen  sich  der  Märchenprinz  und  die  Märchen- 
braut gegenüber  und  heben  durch  ihren  Kuß 
das  Erdenglück  in  Himmelstraum. 

Wie  zierlich  ist  die  Puppen  werkstatt  von  Lotte 
Pritzel  mit  ihren  schimmernden  Brokatfragmen- 
ten, ihren  Spitzenteilchen  und  Glasperlen.  Weiße 
Watte  wird  zur  Haarfrisur ,   die  kleinen  Arme, 


Hände  und  Füße  bekommen  ihren  individuellen 
Schmuck.  Aber  dieser  niedlichen  Technik  steht 
auch  immer  eine  sehr  starke  und  originelle  Kunst 
gegenüber.  Die  Köpfe  mit  ihren  abgezehrten 
Sehnsuchtszügen,  beschattet,  ins  Rätsel  des 
Inneren  gleichsam  zurückgeschoben,  sie  tragen 
die  Masken  der  blühend  Welkenden,  welche 
die  Kindheit  hinter  sich  wissen  und  das  Leben 
vor  sich.  Sie  haben  das  erste  Glück  durchrast, 
um  zum  zweiten  zu  kommen  —  das  zweite  aber 
findet  sie  nicht  mehr  lebensfähig.  So  spielen 
und  schweben  sie  am  Rande  der  Verzweiflung. 
Ihr  blutroter  Mund  erzählt  von  Schätzen  der 
Liebe  und  läßt  doch  furchtbare  Leere  ahnen. 
Sie  schmiegen  sich  an  und  küssen  sich,  rein  und 
ergreifend,  spöttisch  doch  und  verderbt.  Hält 
man  Lotte  PritzelsPuppeneinzeln  in  der  Hand,  so 
sind  sie  ein  Spielzeug,  mit  dem  man  machen  kann, 
was  man  will.  Läßt  man  sie  frei  aufeinander 
wirken,  so  gewinnen  sie  dämonisches  Eigen- 
leben ,  und  ihre  Bewegungen  geben  mehr  als 
starre  Bildwerke.  georg  hirschkf.ii>. 


I.Ol  TE 

I'RIT/.EI.- 

MÖNCHEN. 


»l'UPPEN 
KÜR  DIE 
VITRINE« 


ARIHIIEKT 
JOS.  RINllS- 
OFI'ENUACH 


,  \NI)HAUS 
.\   MARIIURG 


EIN  LANDHAUS  VON  JOSEF  RINGS-OFFENBACH. 


Die  im  letzten  Jahrzehnt  zu  so 
gelangte  deutsche  Wohnhau 
dem  Architekten  Josef  Ring 
a.  M.,  einen  vortrefflichen 
Vertreter,  Die  beistehen- 
den Abbildungen  zeigen 
das  Projekt  eines  vorneh- 
men Landhauses,  das  durch 
die  Klarheit  und  Einfach- 
heit seines  Stiles  sich  so- 
fort als  ein  charakteristi- 
sches Werk  Rings  vorstellt. 
Das  Haus  steht  auf  einem 
von  der  Straße  stark  abfal- 
lenden Gelände,  so  daß  das 
Lrdgeschoß  der  Straßen- 
front sich  nach  der  Garten-    

seile  als  ein  Obergeschoß 
darbietet.  Darunter  wurde 
Raum  für  einen  entzük- 
kenden  Gartensaal  gewon- 
nen ,  von  dessen  Terrasse 
Stufen  in  den  Garten  hinab- 
führen. Der  Haupteingang 
leitet  von  der  Straße  durch 
den  in  den  Baukomplex 
eingezogenen  und  an  zwei 
Seiten  von  einer  Pergola 
umschlossenen  Hof  und  von 


schöner  Blüte  da  in  die  gemütliche,  eingeschossige  Diele,  in 
skultur  hat  in  die  die  Treppe  aus  dem  Obergeschoß  und  der 
Offenbach  Gartenhalle  mündet.  Die  nach  der  Straße  vor- 
springenden Anbauten  sind 
für  die  Dienerschaft  und  die 
Autogarage  bestimmt.  Das 
dem  einen  an  der  Hofseite 
vorgelegte  Türmchen  birgt 
die  Treppe  zu  den  hier- 
durch ganzvonderWohnung 
abgetrennten  Dienstboten- 
zimmern. Im  Erdgeschoß 
gruppieren  sich  um  die 
Diele  Bibliothek-  und  Ar- 
beits-, Empfangs-  und  Eß- 
zimmer, sowie  die  Küche. 
Im  Obergeschoß  liegen  die 
Schlafräume.  Über  dem  in 
seiner  harmonischen  Ge- 
samtmasse trefflich  wirken- 
den Dach  erhebt  sich  in  der 
Mitte  noch  ein  kleiner  Auf- 
bau mit  umlaufender  Gale- 
rie. Das  in  seiner  edlen 
Einfachheit  überaus  vor- 
nehm wirkende  Haus  ist  so 
recht  dazu  geschaffen  ein 
fein  geselliges  Heim  zu  um- 
schließen.     .MEI.A  ESCIIKKK  H. 


=  1-3 


m^%.<^^A% 


ARCHIIEKT   JOSEF    RINGS- (jH-LXBAi  H. 
LAXDHAUS  IN  MARBURG.   GARTENSEITE. 


Ein  Geschäftshaus  von  Tfermami  Muthesiv 


IHI-.ol'HU.  MUl.l.EK,  WEKKilAI  1  i  N    M    K    h 


ms  iiaim;  \  1- 


Kl. 1  Kill  ill     WdllN/lMMER-MüBEL. 


I_^1N  GESCHÄFTSHAUS  VON  HERMANN 
^  MUTHESIUS.  Es  ist  immer  wohltätig,  einen 
Menschen  mit  seinen  höheren  Aufgaben  wachsen 
zu  sehen.  Dies  Schauspiel  gewährt  uns  Hermann 
Muthesius.  Bisher  kannten  wir  ihn  zumeist  als 
einen  Architekten  des  Einfamilienhauses;  nachdem 
wir  kürzlich  von  ihm  den  Neubau  einer  Fabrik  zu 
sehen  bekamen,  zeigte  er  uns  jetjt  ein  großstäd- 
tisches Geschäftshaus  am  Strom  der  Leipziger- 
straffe  errichtet.  Die  Fabrik,  eine  Seidenweberei, 
breitgelagert,  in  Backsteinen  ausgeführt,  war  in 
einem  gewissen  Grade  den  Maßen  und  Oewichts- 
verteilungen  des  Landhauses  noch  verwandt.  Das 
mctropole,  an  einer  Ecke  stehende  Geschäfts- 
haus verlangte  die  Proportionen  jenes  mehrge- 
schossigen, grof;räumigen,  viel  Fensterfläche  auf- 
weisenden Hochbaues,  dessen  System  seit  Messeis 
Pfeilerarchitüktur  festliegt.  Muthesius  fand  mit  aus- 
gezeichnetem Gefühl  eine  neue,  persönlidi  erlebte 
Variante  der  Tradition.  Der  Bau  in  seiner  Ganz- 
heit und  noch  mehr  die  Details  zeigen  eine  sehr 
sympathische  Kultur  der  Zeichnung.  Die  Profile 
der  von  unten  nach  oben  schlank  strebenden  Pfeiler, 
die  fünfseitigen  (im  Prinzip  achtseitigen)  Kapitäl- 
steine,  die  Gesimsplatten,  die  Kassetten  und  der 
Zahnschnitt  dieses  Gesimses,  alle  diese  Glieder 
wurden  mit  architektonischem  Tastgefühl  abgewogen 


und  modelliert.  Nirgends  blieb  etwas  Grobes, 
Mafiloses;  pflegende  Sorgfalt  gab  dem  Baukörper 
eine  so  feinblütige  Gliederung,  dafi  man  ihn,  unter- 
sti)t)t  durch  leicht  übersehbare  Abmessungen,  bei- 
nahe als  etwas  Zierliches,  Anmutiges,  Frühlingshaftes 
empfindet.  Dieser  Eindruck  wird  noch  gesteigert 
durch  den  sanften  Ton  des  Kalksteins  und  die 
Balance  der  Horizontalen  und  Vertikalen.  Eine 
Harmonie  stillstehender  Beweglichkeit,  die  aufter- 
ordentlich  befriedigt.  Wir  wollen  Muthesius  dank- 
bar sein ;  zeigt  er  uns  dodi ,  wie  ein  verantwor- 
tungsvoller Architekt  das  Erbe  Messeis  mit  frucht- 
barer Selbständigkeit  zu  verwalten  vermag.       m. 


I 


*LSE    BÜRGEREITS     MÄDCHEN  -  KLEIDER. 

/  Bernhard  Kellermann,  einer  der  geistreichsten 
Causeure,  ist  einmal  durch  Japan  spazieren  gegangen. 
Er  sdiwärmt  von  den  Mädchen,  er  heij^t  sie  Feld- 
blumensträuj^e  und  Blütenzweige;  er  meint,  da|3  sie 
alle  Prinzessinnen  seien  und  wie  flatternde  Vögel 
zu  singen  vermögen.  An  solcherlei  muft  man  sich 
erinnern  beim  Anschauen  der  Mädchenkleider  von 
Else  Bürgereit  (S.  268).  Nicht  darum,  weil  eines 
der  leichten  Gewänder  nach  dem  Thema  des  Kimono 
geschnitten  wurde;  vielmehr  darum,  weil  etwas  von 
der  Art  der  Feldblumen  diesen  stillen  und  in  Be- 
scheidenheit liebenswürdigen  Kleidern  gemein  ist.  Br. 


1912,13.  III.  6. 


265 


THEOPHII. 
MÜLLER, 
WERK- 
STÄTTEN 
FÜR 
DEUTSCH. 
HAUSRAT- 
DRESDEN. 


THEOPHII.  MÜIXER,  WERKSTÄTTEN  FÜR  llF.UTSCHEN  HAUSRAT— DRESDEN.     WOHN/IMMKR. 


267 


entw:  else 

bOrgereit- 

düsseldokf. 

MÄDCHEN- 
KLEIDER. 


AUSFUHRUNG : 

VEREINIGTE 

WESTDEUTSCHE 

WERKSTÄTTEN 

DÜSSELDORF. 


Die  Hageiier  Silhcrsclniih 


■de. 


KNTWURK;  J.  1. 


M.  LAUWERIKS-HAGEX.      TEE-SERVICE  IN  SILBER. 


HAGENER  SII.BERSCHMIEDE. 


DIE  HAGENER  SIL- 
BER-SCHMIEDE. 
Die     Silberarbeit     ist 
eins  von  den  Gebieten 
des     Kunsthandwerl<s, 
die    immer   dem   Ein- 
fluf5  der  Maschine  ent- 
zogen und   der  Hand- 
arbeit vorbetialten  blei- 
ben werden,  denn  liier 
kommt  alles  darauf  an, 
dafi  nicht  nur  der  Ent- 
wurf,  die  Gesamtform 
künstlerische      Gestal- 
tung   empfängt,    son- 
dern daß  auch  die  Aus- 
arbeitung im  einzelnen 
durch  Treiben  und  Bie- 
gen,   durch    Hämmern 
und   Ziselieren,    durch 
Einfügung  und  sdiöne 
Fassung  edler   Steine 
dem    Werk   eine   Ver- 
lebendigung und  Ver- 
geistigungverleiht,wie 
es  nur  die  vom  Geiste 
unmittelbar     gelenkte 
Hand    des    Menschen, 
nicht  die  Maschine  ver- 
mag.   Die  gute  Silber- 
arbeit wird   immer  et- 
was  Individuelles   ha- 
ben,  wird   Luxuswerk 
im    guten    Sinne    des 


entwirf:  1.  1 


M.  lai-weriks.     silberne  fri-chtschalen. 


Wortes    sein.     Damit 
hängt  zusammen,  daf; 
bei  den  meisten  Silber- 
arbeiten der  Zweck  des 
Gegenstandes    zurück- 
tritt. Silberschalen,  wie 
die    Abbildungen    zei- 
gen,   enthalten    soviel 
an    eigenem    Formen- 
reichtum, daß  sie,  sich 
selbst  genug,  dem  Be- 
reiche der  reinen  Kunst 
nahe    kommen.      Der 
Sinn  solcher  Werke  ist 
nicht   Zweckgestaltung, 
sondern    Phantasiege- 
staltung. —  So   ist  es 
nicht    zu    verwundern, 
wenn  ein  Künstler,  wie 
Joh.Lud.M.Lauweriks 
sich  diesem  Gebiet  zu- 
wandte.     Wer    seine 
Bauten    in    der    Hage- 
ner  Villenkolonie  kennt, 
der   kennt    auch    seine 
Neigung   für  ein   aus- 
drudisvolles  Spiel  der 
Linien    und    harmoni- 
schen Zusammenklang 
der    Baumassen.      Die 
Formen  seiner  Häuser 
scheinen  nicht  nur  den 
Zwed<    zum    Ausdrud< 
zu    bringen,    sondern 


/'/(•  ffa^^ener  Silberschmiede. 


einen  tieferen  Sinn,  der  dem  Geiste  des  Künstlers 
entstammt.  Solch  eine  „tiefsinnige"  Phantastik 
zeigen  nun  audi  seine  Kntwürfo  für  (icfäfse  und 
Sdimurkstüoke,  die  in  der  Hagcncr  Silbersdimlede 
zur  Ausführung  gebradit  werden.  Wir  sehen  da 
Kannen,  die  an  sonderbare  Tierformen  erinnern, 
von  fremdartiger,  fast  märdienhafter  Ersdieinung, 
andere  Gefäße  von  edler  Feierlidikeit,  Halsketten 


und  Sdimuckstürke  von  reicher  Vornehmheit.  — 
Hier  hat  Lauweriks  nun  das  Glück  gehabt,  daf; 
er  in  seinem  holländischen  Landsmann  F.  Zwollo 
einen  Mitarbeiter  gefunden  hat,  der  allen  Feinhcileii 
dieser  Entwürfe  mit  feinstem  Gefühl  und  Verständnis 
zu  folgen  weifi  und  dessen  Fähigkeit  in  der  Be- 
arbeitung dieses  edlen  Materials  selbst  schon  dem 
Künstlerischen  nahe  kommt.  kuki'  frever. 


ENTWIRt 

r.AtJWERIK.s 
HAC.EN 


nAr.SKr.iri-N 

MIT  l'EKI  K.\. 
WEIHRAUl  H- 
KASS  INSII.llI.R 


Neue  Seraph-Fayencen. 


^TEUE     SERAPIS- 
»^  FAYENCEN.  Der 
große,  und  soviel  man 
beobachten    kann    ein- 
mütige Beifall,    den  die 
Manufaktur  Wahliß  mit 
ihren  entzückenden  Se- 
rapis-Fayencen   errang 
und  die    in   diesen  Er- 
zeugnissen       erreichte 
technische    Vollendung 
im    heiklen    Farbenauf- 
trag und  noch  heikleren 
Glasurbrand  gab  Veran- 
lassung,  den  bisherigen 
in  den   mannigfachsten 
Variationen     erzeugten 
Vasen,  Dosen,  Jardinie- 
ren,  Uhrgehäusen,  Tel- 
lern, Aschenschalen  und 
sonstigen  Gefäßendeko- 
rativ  -  architektonischer 
Zweckformen  auch  eine 
Serie  mehr  oder  minder 


als    selbständige    Zier- 
stücke    gestaltete     Fi- 
guren folgen  zu  lassen. 
ArchitektKarlKlaus, 
von    dem    die    meisten 
Entwürfe  zu  den  an  die- 
ser Stelle  schon  inpräch- 
tigen Beispielen  gezeig- 
ten Serapis-Fayencege- 
fäßen   herrühren,     ver- 
stand es  aufs  neue,  den 
Intensionen     des     Auf- 
traggebers   gerecht    zu 
werden.      Seine     stets 
spielbereite,    ornamen- 
tale Gestaltungsphanta- 
sie   befähigte     ihn    zur 
Hervorbringung  äußerst 
reizvoller,  figuraler  Ge- 
bilde, deren  handwerk- 
liche Modellierung  den 
geschickten  Händen  der 
Bildhauer  Staudigl  und 
Russ  zu  danken  ist.      k. 


HrgFüTi 


ENTW:  ARCHITEKT  KARL  KLAUS, 


MODELLIERT  VON  B.LDH.  RUSS  U.  STAUDIGL.    AUSE:  WIENER  SERAPIS-EAYENCE  WAHLIS 


272 


ARIHITEKT   K.\KI.   KLAUS— WIKN. 


FRUCHTSCHAl.K.    SKRAl'IS-KAVF.XCE. 


K  \KI.  Kl.AL^ 
lillllH.  Rl'SS 
r.  STAUDIGI.. 


WltNER  »tkAI'l>-KAYi;.NCi;   WAÜI.ISS. 


19ia,'l3.  in.  7. 


Bühnenmasken. 


PROFESSOR 
R.  LUKSCH- 
H  AM  BURG. 
MASKEN  7.r 
MARLOWES 
»DOKTOR 
FAUSTUS<. 


MASKE  »MTZIFER« 


MASKE      llEEI.ZEUUli» 


TJÜHNENMASKEN.  An- 
i-^  fang  Oktober  gelangte 
in  Frankfurt  a.  M.  und  in 
Darmstadt   die  „Tragödie 
des  Doktor  Faustus"  von 
Christoplier  Marlowe   zur 
Aufführung.  Die  Regie  lag 
in    Händen   von   Emanuel 
Sfockhausen,   dem    Grün- 
der der  „Lessing-Gesell- 
scliaft"    in    Hamburg,   die 
gesamte     Bühnenausstat- 
tung,  Kostüme    und    alle 
Requisiten  waren  von  der 
„Lessing-Gesellschaft"  zur 
Verfügung    gestellt    wor- 
den.   Die  Ausstattung  — 
nach  Entwürfen  von  Pro- 
fessor   Richard    Luksch  - 


MASKE  (ZU  MARLOWES  »FAUSTUS«)  »DER  HOCHMUT« 


Hamburg  geschaffen  — 
erweckte  besonderes  In- 
teresse, weil  damit  die 
Probleme  der  Stilbühne 
herzhaft  angegriffen  und 
befriedigend  gelöst  er- 
schienen. Prof.  R.  Luksch 
hatte  zudem  für  die  Szene, 
in  der  Luzifer  die  Todsün- 
.Icn  aufmarschieren  läßt, 
sdiarf  charakterisierende 
Masken  modelliert,  köst- 
liche Typen  von  über- 
raschend starker  Bühnen- 
wirkung. Die  Vorführung 
der  Todsünden  ward  zum 
Glanzpunkt  der  szenischen 
Effekte.  —  Die  Hambur- 
ger „Lessing-Gesellschaft" 


«74 


Bühvaiviasken. 


.MA.-.K1--       DU.    M   HLl.MMl-.KKI 


M.\>KI-.       IUI.    l'All.ULll 


.MASKE      DER  ZORN« 

wurde  im  .Jahre  1910  ge- 
gründet, und  sie  hat  es 
sich  zur  Aufgabe  gemacht, 
dramatische  Werke  auf- 
zuführen, die  von  den 
stehenden  Bühnen  nicht 
geboten  werden.  Beson- 
deren Reiz  erhalten  die 
.Aufführungen  durch  die 
von  Künstlerhand  geschaf- 
fenen Ausstatlungen;  wa- 
ren doch  auRer  Professor 
Richard  Luksch  auch  Pro- 
fessor C.  O.  Czeschka,  A. 
Klinger  und  Willy  Tietje 
für  die  „Lessing-üesell- 
schaft"  tätig.  -  Aufge- 
führt wurden  bisher: 
0.  Wilde  „Florentinischf 
Tragödie",  A.  Schnitjlcr 
„Der  Puppenspieler",  .M. 
Maeterlinck  „Das  Wunder 
des    hl.    .Antonius",    Otto 


.\IA^KE   -UIE  H.Ml.sfClir 


»OIK  WOLLIST» 

MASKRN  ZCR  AI'FI-'ÜIIKl'NO  VON  CHRISTOPHKR  UARIX)WKS  »DOKTOR 
FAfSTl-S«.    FNTWl'RP  V.  Al'SF:  PROF    RICHAKIi  l.l'KSrH  —  HAMHl'RO. 


.\I.\--KK      lil-k    Nl-ll) 

Falckenberg  „Deutsches 
Wciliiiachtsspiel",  O.  En- 
kiiig  „Das  Kind",  Chr. 
Marlowe  „Tragödie  des 
Doktor  Faustus",  F.  Leo 
„Die  Insel",  Pergolese 
„l,a  scrva  padrona"  und 
Offeiibach  „Das  Mädchen 
von  Hlizondo".  Demnächst 
folgen:  Carl  Hauptmann 
„Panspicie",  E.  Verhaereii 
„Philipp  II."  -  Aufter  in 
Frankfurt  (Gesellschaft  für 
Ästhetische  Kultur)  und 
in  Darmstadt  (Freie  lite- 
rarische Gesellschaft)  ga- 
stierte die  „Lessing-Ge- 
sellschaff  inDresden(Lite- 
rarische  Gesellschaft)  und 
in  Barmen  (Literarische 
Vereinigung).  Dort  wurde 
Otto  Faickenbergs  Weih- 
nachtsspiel aufgeführt.    M. 


275 


FR.VU  EMMY  ROTH-BERLI.V.     DOSEN.    ALABASTER,  MARMOR  U.  HUCHS.    BESCHLÄGE  MESSING  U.  SILBER. 


1-RAU  J:.ilMV  Kuill.   BRUSCIIEX  U.  R1\(tE,   SILBER  M.  PERLSCHALEX  U.  HALBEUELSl  EINEN". 


.K.U-  KMMV  KOTH-H.K...N.    nOSKX.    WASSK...CHK  MH    K,,H.>....N  U.  M.KM.K  M„    .„  ,.,  K,.,  .  „,  AOKS. 


KRAU  E.  R< 


.TU.  ANHÄNGER.  SILBER  M.  MnNDSTEIN,  PERLSCHALE,  KORALLEN  U.  MINIATUR 


KNTW:  Al.Ii.  SCHLOrSNlES— GIENGEN.       PUPPEN    »KEUERWEHKGRUl'PE«    AUSF:  MARQAkKTE  STEIFE  G  M.  B.  H.-  GIENGEN. 


KLEINE  KUNST-NACHRICHTEN. 

NOVEMBER  1912. 


NEUENBURG.  Am  15.  September  ist  hier  die 
XI.  Nationale  Kunstausstellung  der  Schweiz 
eröffnet  worden,  und  zwar  zum  erstenmal  in  dem 
eigens  dafür  hergestellten,  zerlegbaren  und  trans- 
portablen eidgenössischen  Ausstellungsgebäude. 
Über  850  Kunstwerke  haben  in  den  20  Sälen  ihre 
Aufstellung  gefunden.  Gemälde,  Graphik,  deko- 
rative Künste  und  Bildhauerei  sind  darunter  ver- 
treten. Wie  vor  zwei  Jahren  in  Zürich,  so  dominiert 
auch  diesmal  Hodler,  der  sich  u.  a.  als  eleganter 
Damenporträtist  entpuppt.  Einen  eignen  Saal  hat 
die  leuchtend-frische  und  urwüchsige  Kunst  Buris 
zugewiesen  erhalten,  einen  anderen  derNeuenburger 
Gustave  Jeanneret.  Die  drei  vollendeten  Kartons 
Albert  Weltis  für  den  Berner  Ständeratssaal  ge- 
langen erstmalig  zur  Ausstellung  und  —  enttäuschen. 
Ganz  Hervorragendes  bietet  der  im  Wallis  tätige 
Edouard  Vallet.  Unter  der  Masse  der  übrigen 
ragen  hervor  die  Berner  Cardinaux  und  Bofi,  der 
Genfer  Otto  Vautier,  die  Basler  Cezanne-Jünger 
Burkhard!,  Paul  Altherr  und  Barth,  die  in  München, 
Paris  und  Berlin  sefjhaften  Lehmann,  Thomann, 
Martha  Stettier,  Blanchet  und  Frit)  Burger.    Weni- 


ger günstig  sind  Amiet  und  Giacometti  vertreten, 
recht  unbedeutend  und  schlecht  die  Schweizerische 
Sezession  und  der  Bund  Schweizerischer  Malerinnen 
und  Bildhauerinneu.  In  der  Skulptur  endlich  bieten 
das  Beste  Rodo  von  Niederhäusern,  Vibert,  Angst 
und  das  Münchner  Trio  Heer-Siegwart-Mettler. 

1>K.  S.  M. 

Ä 

NEUE  BERLINER  BAUTEN.  Von  den  vielen 
Bauten,  die  ohne  Unterlafi  in  Berlin  aufgestellt 
werden,  verdienen  nur  wenige  die  Teilnahme  des 
Kunstfreundes.  Solch  Zustand  ist  doppelt  beklagens- 
wert, wenn  man  jener  Zeiten  gedenkt,  deren  Bau- 
kultur wir  heute  gerade  wegen  der  Gleichmäf;igkeit 
ihrer  Leistungen  schät5en :  Augsburg,  Nürnberg, 
Lübeck.  Die  moderne  Wirtschaft  steckt,  auch  was 
die  architektonische  Ausdrucksmöglichkeit  betrifft, 
noch  im  Barbarischen.  So  lohnt  es  sich  selten,  vor 
einem  dieser  endlos  sich  reihenden,  gro)3Städtisdien 
Bauten  stehen  zu  bleiben.  Immerhin,  es  wird  lang- 
sam besser.  Der  Einfluf;  von  Wallot,  Messet,  Hoff- 
mann und  Behrens  macht  sich  bemerkbar.  Dag  es 
sich   dabei    aber   um    Ausnahmen,    um    wohltuende 


Kleine  Kunst-Nach-ichten, 


KNTW:  Al.B.  Sl  1II.UI.-.M1..-- 


11  ii'i  \     II  '  i.KWi.iiKi.Kt  rri      Ai>t:  maklakI-H.  M  i.iM'  (.;.M.i;.ii.    l.ii..\gi,.s. 


Überraschungen  handelt,  das  eben  enthüllt  die  eigeiit- 
lidie  Niederung.  Nodi  immer  herrsdien  der  Maurer- 
meister, das  Baugesdiäft  und  der  Hypothekeiisdiieber. 
Nodi  immer  lastet  auf  dem  Künstler  die  Anmaßung 
der  Baubürokratie  und  der  Verwaltungsjuristerei. 
Diese  Hemmungen  drüAen  das  Niveau  tiefer  als 
es  zu  sein  braudile;  denn  es  mangelt  nidit  an 
jungen  Begabungen.  Nur,  sie  müssen  zumeist 
nodi  abseits  stehen.  Das  war  audi  ihr  Verhängnis 
bei  dem  Bau  des  Boardinghouses;  womit  das 
Sdiicksal  dieser  Gründung  entsdiieden  wurde.  Die 
an  sidi  gesunde  Idee  für  Leute,  die  keine  eigene 
Wohnung  zu  bewirtsdiaften  wünsdien,  aber  audi 
die  Unruhe  des  Holeis  meiden  möditen,  eine  Stätte 
komfortabler  Wohnlidikeit  zu  sdiaffen,  wurde,  edit 
berlinisdi,  ins  Mafilose  verzerrt.  Das  Ergebnis  ist, 
dafi  die  Gäste  all  den  Put)  und  Prunk  amortisieren 
müssen  und  also  bedrohlidie  Rechnungen  zu  zahlen 
haben.  Ein  tosender  .Aufwand  und  dodi  nur  zwei, 
drei  Räume,  die  einige  Beaditung  verdienen.  Eine 
Bar,  ein  Grillroom,  ein  Weinrestaurant  durdi  Fried- 
mann &  Weber  ganz  lustig  und  sehr  farbig  dekoriert. 
Wesentlidi  günstiger  steht  es  um  den  Neubau 
einer  Synagoge.     Wenngleidi  sie  kaum   mehr  als 


wieder  ein  Beispiel  für  das  metaphysisch  begründete 
Unvermögen  ist,  einem  alten  Kult  ein  neues  Haus 
zu  bauen,  wenngleich  sie  einen  aus  Elemente:!  des 
Romanischen,  des  Empire  und  diverser  Orientalia 
gemischten  Eklektizismus  aufweist,  zeigt  sie  doch 
Immerhin  einige  Baugedanken.  Es  war  zwar  ver- 
fehlt, solch  eine  unruhige  Kuppel-  und  Giebel- 
architektur in  die  Wand  einer  sdimalen  Strafte  zu 
stellen,  zumal  an  eine  Stelle,  die  durch  einen  Bahn- 
übergang jäh  durchsrjinitten  wird;  immerhin,  in 
seiner  Ganzheit  zeigt  das  Bauwerk  doch,  daf^  dieser 
junge  Ardiitekt  Hessel  eine  Hoffnung  bedeutet. 

Solche  Hoffnung  erfüllte  der  Ardiitekt  Liepe 
(IJepe  &  Oerres).  Er  baute  ein  Elektrizitätswerk 
und  forderte  damit  die  neue,  von  Behrens  begründete 
Tradition  des  modernen  Fabrikbaues.  Wir  sehen 
eine  in  der  Masse  straff  gegliederte  und  im  Detail 
sorgfältig  durchfühlte  Backsteinarchitektur,  die  audi 
für  den  farbigen  Zusammenklang  mit  dem  Tuffstein 
des  Sockels  und  der  grau-violetten,  die  herrschenden 
Linien  betonenden  Keramik  eine  sinnlidi  wohl- 
gefällige Lösung  fand.  Durch  dieses  Elektrizitäts- 
werk wurde  Berlin  reicher  um  ein  Symbol  der 
technischen  Macht  und  der  Rhythmik  unserer  Zeit.   - 


■=79 


EXT«  .  1      AI  M'  :    KÄTHE  KRUSE— BERLIN.  HANDGEARBEITETE  PUPPEN  AUS  IMPRAGN.  STOFF.       KÄTHE  KRUSE  ORIGINAL» 


ENTW.  U.  AUSF:  KÄTHE  KKUSE-P.ERLIN.        KLEINE  Rrs>EN.  .     KLEIULILEN  U.  HÄUBCHEN  IN  HANDBATIK. 


I»lil3.  I![.  8, 


l'Rt>l  i;>,soK  i;uARALj  bUlll^R      liRLLliLkL,  1.  u. 


HESSISCHES  SPIELZEUG.       WEIHNACHTSBUDEX' 


PROFESSOR  CONRAD  SUTTER  -  BREUBERG  I.  O. 


HESSISCHES  SPIELZEUG.     .  WEIHX.VCHl  SbUDEN  . 


J83 


Ilessisc/ics  S/iiekeug. 


[•ROFESSOR  CONRAD  SUITER     BREl'BF.RG  I.  O. 


HESSISCHES  SPIELZEUG.    »KARTOFFELERNTE 


IIKSSISCHES  SPlELZHUü.    Den  nächstlieffen-  Bestrebung-eii  Professor  C.Sutters.  Fern  von  s^fcwalt- 

1  den  Forderungen  zu  genügen,  ein  Spielzeug  samen   Stilisierungen    und    frei    von    kunstgewerb- 

zu  sdiaffen,  das  den  Wünsdien  der  Kinder  entspricht  liehen  Prätentionen  erfreuen  und  befriedigen  die  Er- 

und    zugleidi    ein    Mittel    zur    Erziehung    des    de-  Zeugnisse  durdi  künstlerisdi  lebendige  Auffassung 

schmad«es  ist,  das  ist  die  Absidit  der  unermüdlichen  und  gediegene,  handwerkliche  Ausfülirung.        ^i. 


PROFF^SSOR  COXR.\I)  SUTTER— ItREUIlERG  I.  o.    HF.SSISCHES  SPIELZEUG.    »ESKlMD-KLMiER- 


283 


ALEXANDER  KOCH 

EIX   GEDENKBLATT  ZU  SEINEM  25JÄH[UGEN  BERUFS-  UND   VERLAGSJUßlLÄUxM 

AM  27.  DEZEMBER  1912. 


Ein  fünfundzwanzigjähriges  Verlagsjubiläum 
gäbe  an  sich  noch  keinen  Grund,  die  Leser 
gerade  dieser  Zeitschrift  von  der  Person  des 
Herausgebers  zu  unterhalten.  Das  Werk  spricht 
für  sich  selbst.  Aber  auch  Dichtungen,  auch 
Kunstwerke  sprechen  für  sich  selbst.  Da  sie 
jedoch  mit  dem  Leben  und  der  Person  des 
Schöpfers  auf  das  innigste  verbunden  sind, 
wecken  sie  auch  Interesse  am  Biographischen. 
Worauf  ich  hinaus  will,  ist  das:  Wenn  je 
zwischen  einer  Leistung  und  ihrem  Urheber 
eine  restlos  innige,  persönliche  Verbindung  be- 
stand, wenn  je  ein  Werk  von  der  temperament- 
voll und  entschlossen  eingesetzten  Persön- 
lichkeit seines  Schöpfers  lebte,  so  ist  dies  der 
Fall  bei  dieser  Zeitschrift,  beim  ganzen  Lebens- 
werke ihres  Herausgebers.  Da  ist  alles  höchst 
persönliches  Dokument,  zugleich  produktive 
Kulturarbeit  und  geschäftliche  Unternehmung; 
Dinge,  die  sich  gemeinhin  gegenseitig  lebhaft 
beeinträchtigen  und  die  zu  verbinden  eben  nur 
einer  in  sich  sehr  sicheren  und  glücklich  orga- 
nisierten Begabung  gelingen  konnte. 

Diese  Begabung  hat  Alexander  Koch  be- 
sessen; und  ihre  Früchte  sind,  weit  über  den 
Kreis  persönlichen  Wirkens  hinaus,  der  kultu- 
rellen Erneuerung  Deutschlands,  wie  sie  sich 
unter  dem  Zeichen  einer  zunächst  nur  kunst- 
gewerblichen Umwälzung  jüngsthin  vollzog,  in 
reichem  Maße  zugute  gekommen. 

Zwei  Gruppen  von  Eigenschaften  sind  es,  die 
sich  in  dieser  Begabung  vereinigen:  auf  der 
einen  Seite  die  Leidenschaft  für  das  Schöne, 
ein  empfindlicher  und  stets  sicher  reagierender 
Geschmack;  auf  der  anderen  Seite  der  prak- 
tische Sinn,  der  dem  Ideal  zur  Verwirklichung 
verhilft,  zur  Durchsetzung  gegenüber  den  oft  so 
widerspenstigen  Mächten  des  realen  Lebens. 

Die  Vereinigung  dieser  Eigenschaften  charak- 
terisiert nicht  nur  Alexander  Kochs  verlegerische 
Tätigkeit.  Sie  ist  auch  bestimmend  für  die  Art, 
wie  er  an  dem  großen  Kampfe  um  das  neue 
Kunstgewerbe  teilgenommen  hat.  Auch  hier 
galt  es  ja,  Ideelles  in  Tat  umzusetzen,  gegen 
Widerstände  von  außen  und  von  innen;  ich 
meine  mit  letzteren  den  etwas  wellfremden 
Geist,  der  der  neuen  Bewegung  im  Anfang  an- 
haftete. Es  muß  meines  Erachtens  Alexander 
Koch  hoch  angerechnet  werden,  daß  er  von 
Anfang  an  auf  die  Gefahren  dieser  Weltfremd- 
heit, dieses  Hochmutes  aufmerksam   gemacht 


und  das  Seinige  dazu  beigetragen  hat,  die 
kunstgewerbliche  Produktion  in  die  gesunden 
Bahnen  zu  leiten,  die  sie  eingeschlagen  hat. 
Durch  Wort  und  Bild,  durch  Vorführung  rich- 
tunggebender Leistungen,  durch  unablässige 
Ermutigung  gesunder  Produktion,  durch  Ver- 
anstaltung von  Ausstellungen,  Konkurrenzen, 
durch  tatkräftige  Förderung  einer  so  wichtigen 
Sache,  wie  es  die  Darmstädter  Künstlerkolonie 
ist,  hat  Alexander  Koch  in  jene  Entwicklung 
deutschen  Geistes  eingegriffen,  die  in  Wahr- 
heit viel  mehr  war  als  eine  Erneuerung  unserer 
kunstgewerblichen  Produktion.  Zahlreichen 
Künstlern  war  er  der  ermunternde,  anspor- 
nende Freund,  der  Wegebahner  und  Herold. 
Immer  in  Fühlung  mit  den  maßgebenden  Ten- 
denzen der  Zeit,  immer  geleitet  von  einem  un- 
trüglich sicheren,  vorbildlichen  Geschmack,  so 
sind  seine  Zeitschriften  Tausenden  die  Führer 
geworden,  die  nie  versagten. 

Aber,  wenn  heute  ein  glänzender  Weg  hinter 
ihm  liegt,  so  ist  es  schließlich  doch  nur  die  im 
letzten  Grunde  selbstlose,  ja  aufopfernde  und 
hingebende  Arbeit  gewesen,  die  diesen  Weg 
gebahnt  hat.  Alexander  Koch  mag  heute  mit 
Fug  von  sich  sagen,  daß  er  jeden  Fußbreit  Weges, 
den  er  gegangen,  erkämpft  und  aus  eigener 
Kraft  erkämpft  hat.  Arbeit,  Liebe  zum  Schönen, 
ein  enger  Kreis  von  teilnehmenden  Freunden, 
ein  jederzeit  gastliches  Haus,  dessen  tätigkeits- 
reiche Stille  nicht  der  Lärm  „gesellschaftlichen" 
Lebens  stören  darf,  Liebe  und  Anerkennung 
für  jede  Art  von  Tüchtigkeit,  Abneigung  gegen 
alles,  was  Phrase  und  Schablone  heißt.  —  Aus 
diesen  Dingen  setzt  sich  das  Bild  seines  Lebens 
und  Wesens  zusammen.  „Factis  —  non  verbis" 
ist  sein  Wahlspruch.  Und  dieses  Wort  ist  hier 
wahrlich  nicht  eine  pompöse  Fanfare,  sondern 
buchstäbliche  Wahrheit:  Taten  —  nicht  Worte! 

WILHELM  MICHEL. 
Am  27.  Dezember  1887  begründete  Alexander  Koch  seinen 
Verlag  mit  der  Herausgabe  der  „Tapeten-Zeitung",  einem  Fach- 
blatte, dessen  Wert  und  Bedeutung  schnell  erkannt  wurde,  und 
das  sich  zum  angesehensten  und  verbreitetsten  Organ  der  Tapeten- 
Industrie  und  des  -Handels  entwickelt  hat.  Bereits  im  Januar 
1890  erfolgte  dann  die  Gründung  der  Zeitschrift  „Innen-Deko- 
ration",  die  alle  auf  den  Ausbau  des  Hauses  und  der  Wohnung 
hinzielenden  künstlerischen  Bestrebungen  zusammenfaßte  und  zum 
anerkannten  Maßstabe  neuzeitlicher  kunslhandwerklicher  Produk- 
tion geworden  ist.  Im  Oktober  1897  erschien  das  erste  Heft  der 
„Deutschen  Kunst  und  Dekoration",  1904  folgte  „Kind 
und  Kunst",  1906  das  Spezialorgan  „  Sticker  ei  -  Zeit  ung  und 
Spitzen-Revue".  Zahlreiche  Buch-  und  Mappenwerke  auf  den 
Gebieten  des  Kunstgewerbes,  des  Wohnungswesens  und  der 
Architektur  ergänzen  und  erweitern  die  in  den  Zeitschriften  nieder- 
gelegten Bestrebungen  zur  Verbreitung  einer  künstlerischen  Kultur. 


HANNS    PELLAR- DARMSTADT,     dekoratives  GE- 
MÄLDE IM  MÜSIKZIMMER  DES  HAUSES  WALDTHAUSEN-ESSEN. 


HANNS  PtLLAK      UAKMSTADT. 


GF.MÄI.UE  IM  MUSIK/I.MMKK   W ALDTHAl'SllN. 


HANNS  PELLAR-DARMSTADT. 

VON  FRITZ  BURGF.R-MÜN'CHEN. 


Die  Zeiten  scheinen  vorbei  zu  sein,  in  denen 
die  von  Frankreich  herübergekommene 
impressionistische  Kunst  die  tonangebende 
[^olle  in  dem  Schaffen  der  Jungen  gespielt  hat. 
Die  Sezessionen  beginnen  bereits  die  konser- 
vative Richtung  der  Malerei  zu  vertreten.  Denn 
die  Entv^icklung  der  modernen  Kunst  ist  in 
ganz  überraschend  neue  Bahnen  eingelenkt, 
die  kainer  der  v^reissagenden  Kunstkritiker 
vorausgesehen  hatte.  Der  Rückschlag  gegen  die 
naturwissenschaftliche  Weltanschauung  macht 
sich  neuerdings  sehr  stark  auch  auf  dem  Ge- 
biete der  Kunst  geltend,  die  teilweise  den 
Sphären  der  Mystik  oder  einer  spiritistischen 
Romantik  zustrebt.  Pellar  gehört  weder  zu 
den  Impressionisten  noch  zu  den  Romantikern 
der  jüngsten  Generationen.  Er  steht  gewisser- 
maßen zwischen  den  beiden  Richtungen.  Mit 
dem  Impressionisten  hat  er  das  scharfe,  rasche 
Erfassen  des  Wesentlichen  der  malerischen  Er- 
scheinung, das  kecke  Draufgängertum,  die  Ge- 
wandtheit im  Improvisieren,  die  Lust  am  far- 
bigen Spiel  des  Lichtes  gemeinsam.  Aber  weder 
seine  Farbe,  noch  sein  Licht  ist  von  dieser 
Welt.  Pellar  gehört  wie  Böcklin  zu  jenen  Na- 
turen, die  neben  einer  eminenten  Beobachtungs- 
gabe über  ein  phänomenales  Gedächtnis,  einen 
reichen,  sinnlichen  Vorstellungsbesitz  verfügen, 
die  ihm  erlauben,  ohne  viel  Mühe  auf  der  Lein- 
wand mit  dem  Pinsel  wie  auf  einem  Instrument 


zu  spielen  und  unabhängig  von  dem  „Quälen- 
den desKubischen",  wie  Hildebrand  sagt,  oder 
der  Pose  des  Modells  die  Natur  dort  zu  er- 
fassen, wo  der  Sonnenschein  des  Mittags  nicht 
hindringt  und  doch  aller  Jubel  des  Lebens  wie 
sein    Geheimnis    lächelnd    grüßt    und    schafft. 
Pellar  ist  kein  Philosoph,  der  mit  der  Miene 
des  Weltweisen  über  den   Sinn   des   Daseins 
meditiert,   kein   Grübler,   der  die  Tiefen   des 
Lebens  zu  ergründen  sich  müht,  und  kein  Pro- 
phet, dessen  hellsehendes  Auge  der  Kunst  neue 
Welten  zeigt.    Dazu  ist  er  viel  zu  sehr  Wiener 
von  echtem  Schrot  und  Korn.   Er  hat  etwas  von 
dem  Leichtsinn  und  der  Lustigkeit  Schwinds, 
etwas    von    seinem    kindlichen    Frohsinn    und 
seinen    träumerischen    Augen,     seinem    Hang 
zum  Fabulieren.    Nur  ist  die  philiströse  Enge 
aus  seinen  Bildern  verbannt,  und  der  elegante 
Weltmann  hat  keinen  Sinn  für  derbe  Räuerlich- 
keit.    Pellars  Kunst  besitzt  nichts  direkt  Vater- 
ländisches.   Was  sie  auszeichnet,  ist  eben  eine 
kosmopolitische  Eleganz;  sie  besitzt  etwas  von 
den  französischen  distanzgebietenden  Manieren 
und  doch  eine  harmlose  deutsche  Kindlichkeit. 
Dabei  ist   Pellar   das   Malen   weniger  Arbeit 
als  Lust.    Er   läßt  sich  von   flutenden  Wellen 
einer    starken    Sinnlichkeit    tragen,    zeigt    uns 
lächelnd  im  Gewände  des  Kulturmenschen  die 
animalische  Wildheit  des  Lebens  und  doch  zu- 
gleich den  Adel  und  den  Zauber  seines  Wesens, 


1913.  IV.  1. 


287 


Hanns  Pellar- Darnisiadt. 


HANNS  PELLAR      DARMSTADT. 


läßt  uns  überall  fühlen,  wie  der  Sonnenschein 
über  geheimnisvolle  Abgründe  des  Lebens 
brütet,  ohne  uns  ihre  Schauerlichkeit  zu  ent- 
hüllen. Der  Teufel  sinnlicher  Lustigkeit  führt 
überall  sein  verführerisches  Tänzchen  auf,  und 
alles  was  Schönheit  und  Leben  heißt,  zwingt  er 
in  seinen  Bann.  Deshalb  lebt  in  Pellars  Kunst 
ein  Stück  Rokoko  wieder  auf,  ohne  daß  man 
sagen  könnte,  Pellar  sei  Epigone.  Er  hat  wie 
alle  die  heiteren,  lebensbejahenden  Künstler- 
naturen es  verstanden,  in  seiner  Kunst  eine 
graziöse  Formel  zu  finden  für  die  Überbrückung 
jenes  uralten  Gegensatzes  von  schauendem 
Genießen  und  träumerischer  Empfindsamkeit. 


288 


GEMÄLDE:    »SINNLICHE  NACHT< 


Sinnlichkeit  und  Seele  werden  bei  ihm  so  leicht 
eins:  Seligkeit!  Beelzebub  und  Engel  reichen 
sich  scherzend  die  Hand ! 

Pellars  Kunst  ist  nicht  aus  dem  Leben  ge- 
wachsen, aber  doch  ganz  vom  Leben  durch- 
drungen. Er  kommt  gewissermaßen  von  der 
Kunst  zur  Natur,  und  in  dem  Urväter-Hausrat 
erscheint  das  fröhliche  Leben  der  Gegenwart. 
Es  gibt  eine  ganze  Reihe  moderner  Künstler 
—  nomina  sunt  odiosa  —  die  ähnliche  Wege 
zu  gehen  versuchen,  aber  dort  verliert  man  sich 
zumeist  ins  Kostüm  und  verfällt  in  Maskerade 
oder  ein  anspruchsvolles  Pathos  des  Effektes. 
Es  läßt  sich  nicht  leugnen,   daß  es  auch  Pellar 


I 


Hanns  Pellar-  Dannstadl. 


HANNS  PELIJVR     DAKMSTADT 


GEMÄLDE:  »WETTE«   (l)F.S:  MODliKNE  GAl.liRIE     ,mCN(  HEN). 


um  den  Effekt  zu  tun  ist.  Denn  er  ist  keiner 
von  denen,  die  nur  der  Kunst  wegen  schaffen. 
Er  genießt  sich  selbst  in  der  Kunst,  und  seine 
Lust  und  Freude  fordert  ihr  Echo  im  Beschauer. 
Aber  er  denkt  nicht  daran,  mit  raffinierten 
Kunststücken  zu  blenden.  Mit  einer  naiven 
Preude  umschmeichelt  er  das  Auge  des  Be- 
schauers. Man  merkt  jedoch  nie  das  Artistische, 
sondern  im  Gegenteil:  seine  Bilder  sind  alle 
von  jener  beglückenden  Mühelosigkeit,  die  nie 
das  Schaffen,  desto  mehr  das  Geschaffene 
zur  Wirkung  kommen  läßt.  Pellar  stammt  eben 
aus  dem  Lande  Mozarts.  Dabei  glaubt  er 
ganz  die  Natur  zu  erfassen.  Mit  Feuereifer 
packt  er  sie  in  seinen  Zeichnungen  an,  um  sich 


dann  in  den  Gemälden  desto  sicherer  in  seine 
eigene  Natur  zu  verlieren.  Man  wird  bei 
seinen  Bildern  nicht  viel  thematische  Variatio- 
nen im  Figürlichen  finden.  Es  ist  immer  der- 
selbe Grundgedanke,  der  aber  in  diesem  Pan- 
vitalismus  unendliche  Variationsmöglichkeiten 
in  sich  zuläßt. 

Pellars  Figuren  sind  nie  Staffage,  sein 
Raum  nie  Bühne  für  die  Gestalten,  sondern 
alle  beide  sind  von  Leben  durchdrungen  und 
formal  und  farbig  nicht  zu  trennen.  Mit  einem 
Minimum  von  Mitteln  baut  er  seine  Räume.  Man 
sieht  nur  die  Figuren,  und  doch  bestaunt  man 
diese  fröhliche  Weite  seines  unsichtbaren  Rau- 
mes. Die  Welt  ist  ihm  nur  ein  Spielplatz  für  seine 


289 


Ila/nis  Pcllar    Dar»islaiit. 


HANNS  PELLAR— DARMSTADT. 

Männlein  und  Weiblein,  und  doch  fühlt  sich  das 
Auge  umfaßt  von  der  großen,  weiten,  herrlichen 
Welt,  Pellar  kennt  nur  den  ewigen  Frühling 
in  ihr,  der  auch  die  Mädchen  im  Reifrock  und 
den  alten  Mummelgreis  in  der  Zopfperrücke 
mit  seinem  Lebens-  und  Liebesdrang  erfüllt  und 
über  die  Verschrobenheit  aller  Zopfigkeit  hinweg 
den  Zopf  selber  ins  Paradies  seines  Daseins 
lockt.  Deshalb  hat  dieserTanz  der  bocksbeinigen 
Waldungeheuer  mit  den  Reifrockmädchen  doch 
auch  eine  reizende  sinnbildliche  Bedeutung, 
die  so  feinsinnig,  künstlerisch  zum  Ausdruck 
kommt.  Überall,  wo  dies  Leben  sich  äußert, 
tritt  mit  ihm  auch  der  unerklärbare  Rest  seines 


TEMPER.VGEM.VLDE :   »SOMMERTAG<; 

Geheimnisses  mit  auf  den  Plan,  die  dionysische 
Freiheit  des  Naturlebens  in  der  apollinischen 
Strenge  und  stolzen  Schönheit  des  Gesetzes. 
Pellar  ist  Stuckschüler  und  ein  oberfläch- 
licher Betrachter  könnte  meinen,  er  imitiere 
seinen  großen  Lehrer.  Daß  er  ihm  viel  verdankt, 
ist  auch  ganz  unleugbar,  und  das  Verdienst 
wäre  ja  nicht  gering,  wenn  es  ihm  gelungen 
sein  würde,  etwas  von  der  Klaue  des  Löwen 
mit  in  seine  Bilder  herüber  zu  nehmen.  Aber 
er  hat  nichts  von  jener  wilden  Urwüchsigkeit 
Stucks  und  dem  stolzen  Pathos  seines  klassi- 
zistischen Wesens.  Stuck  hebäugelt  mit  der 
homerischen  Sonnenwelt,  Pellar  sieht,  dichtet 


290 


HANNS    PELLAR  -  DARMSTADT,     dekoratives 

GEMÄLDE  IM  UUSIKZIMMER  D.  HAUSES  H£RZBERG- ESSEN. 


I/atins  Pellar    Dar  vis  fad  f. 


{tä^tM*."i.tr.-'*irL^'*tttiaJil\%ß^at'M^^  "  -  ^^  -^^ 


HANNS  PELLAR— D/UIMSTADT. 

in  der  Zeit  des  Rokoko  die  Märchen  der  Ge- 
genwart. Der  Traum  wird  ihm  zum  Leben  und 
das  Leben  zum  Traum.  Gewiß  sind  diese  Träume 
Pellars  eindeutig,  und  mancher  liebt  es  nicht, 
an  sie  erinnert  zu  werden.  Aber  bei  so  kind- 
licher Offenherzigkeit  kann  niemand  böse  wer- 
den. Pellar  liebt  die  hellen  Nächte  südlän- 
discher Pracht,  wo  die  Natur  zu  einem  einzigen 
großen  Liebestempel  wird  und  aus  Sternen- 
fernen das  buhlerische  Licht  einen  seidigen 
Teppich  über  Marmorstufen  webt  und  Blumen 
wie  Rubinen  glühen.  Die  Farben  locken,  rufen, 
kreischen,    drohen,    und   über  dem    allen  das 


»MARDSCHANAH«   (DES:  DR.  EBERWEIN— D.UtMSTAÜT) 


blauende  Wunder  himmlischer  Majestät.  Dazu, 
triumphierend  über  alle  Regel  und  Pedanterie, 
die  Laune  des  Lebens,  die  die  beschnittene  Natur 
des  Parkes  in  graziösen  Kurven  sich  formen  läßt. 
In  den  Figuren  personifiziert  sich  nur,  was  im 
Räume  schon  Gestalt  gewann.  Durch  dies  sinn- 
liche Zusammenwirken  beider  wird  Pellars  Kunst 
im  besten  Sinne  desWortes  „dekorativ",  ohne 
daß  sie  eigentlich  (sekundäre)  Dekoration  sein 
will.  Das  Kunstwerk  unterwirft  sich  hier  in  sei- 
nem Organismus  seiner  natürlichen  Grenze,  dem 
Bildrahmen,  ohne  doch  auf  seinen  Eigenwert 
(auch  in  der  technischen  Durchführung)  zu  ver- 


293 


ITafins  Pellar-  Darvistadt. 


HAN'NS  PELLAR- DARMSTADT. 


ziehten.  Auch  formt  Pellar  keine  „Linien"  ; 
die  Silhouetten  seiner  Gestalten  ergeben  sich 
zwanglos  wie  von  ungefähr  durch  den  Kon- 
trast von  dunkel  und  hell,  und  unmerklich 
entstehen  vereinheitlichte  Farbkomplexe,  die 
architektonisch  und  farbig  sich  zum  Bilde  zu- 
sammenschließen. Geradezu  erstaunlich  ist  das 
Geschick  Pellars,  der  Farbe  Licht  abzugewin- 
nen. Freilich  ist  das  nicht  so  zu  verstehen,  als 
ob  er  im  Sinne  des  Impressionisten  Licht  selbst 
malen  wollte.  Das  Licht  ist  ihm  nicht  etwas  selb- 
ständiges im  Bilde,  dem  die  Farbe  dient,  sondern 
die  Farbe  ist  dem  Licht  vermählt,  ein  Individuum 
im  Bilde,  das  sein  Leben,   seine  Sprache  hat, 


»LüGEi    (IM  BESITZ  DES   GROSSHJLRZOGS  VON  HESSEN). 


und  in  recht  musikalischem  Sinne  Motiv  ist,  das 
im  gesetzlichen  Zusammenwirken  mit  seines- 
gleichen die  Einheit  und  die  Schönheit  erzeugt. 
Es  ist  keine  Frage,  daß  die  Kunst  Pellars  des- 
halb etwas  kalligraphisches  hat,  gegenüber 
der  impressionistischen  Kunst,  dafür  weiß  aber 
hier  die  Farbe  sich  ebenso  frei  zu  halten  von 
der  Stofflichkeit  des  Pigments  wie  des 
Gegenstands.  Der  Künstler  ist  Virtuose  auf 
dem  Gebiete  der  Temperamalerei  und  ge- 
hört zu  den  geschicktesten  Vertretern  dieser 
Technik,  die  wir  gegenwärtig  in  Deutschland 
besitzen.  Manche  der  technischen  Gewohn- 
heiten der  alten   Venetianer  findet  man  hier 


294 


I/cDDis  Pcllar  Darnntadt. 


wieder;  doch  arbeitet  Pellar  nicht  so  sehr  mit 
Lasuren  als  mit  einem  rein  auf  einem  persön- 
hchen  Farbengefühl  sich  aufbauenden  Zer- 
legungsprinzip der  Lokalfarben,  die,  nach  trans- 
parenten und  reflektierenden  Deckfarben  ge- 
schieden, übereinander  gelegt  sind.  Diese  Zer- 
legung hat  aber  nicht  den  Zweck,  ein  neu- 
trales Licht  zu  erzeugen,  sondern  die  Farbe 
selbst  soll  einen  individuellen  Licht- 
charakter erhalten  und  dazu  jenes  Meta- 
physische, das  den  Zauber  seiner' Bilder  aus- 
macht und  sie  von  der  banalen  Stofflichkeit 
des  Gegenständlichen  befreit.  Hintergrund  und 
Vordergrund   ist    ihm  wie   bei   einem  orienta- 


lischen Teppich  ein  l'arbcnkontrast,  in  dessen 
Ausgleich  für  ihn  die  Aufgabe  des  Bildes  be- 
steht ;  die  Silhouetten  der  tonangebenden  Farb- 
massen gleichen  sich  an  die  Bildgrenze  an  und 
die  Bildgrenze  ist  wieder  Folge  der  Bildidee.  — 
PellarsKunst  ist  ein  graziöserVersuch,  zwischen 
der  Welt  und  der  Kunst  der  Vergangenheit  und 
einer  modernen  Traumwelt  die  Brücke  zu  schla- 
gen —  Pellar  ist  noch  jung.  Eine  Kunst,  die 
vermittelt,  ist  ihres  Erfolges  sicherer  als  eine 
solche,  die  einsam  auf  neuen  Wegen  wandelt. 
Was  wir  dem  Künstler  daher  wünschen  müssen, 
ist,  daß  er  über  den  Erfolg  nicht  den  Fortschritt 
seiner  Kunst  aus  den  Augen  verliert.       uk.  h. 


, '>;■'•   ."  :'.  '.'"  7."' r  TT' 


H   WNS    PFI   I    \k.      CIMUDI    :  lAN/rmV  >1  I.B  AMMILU.    Mil    r.KVKH.MI..l  y,.    1,1!R    MOI.KKNKN   ..AI  KKII'    II.    ]MA\MIAI 


SEH  — MINCHKN. 


»95 


KUNSTPOLITISCHE  FRAGEN. 


Kunst  und  Künstler  standen  in  früheren 
Jahrhunderten  fast  durchwegs  außerhalb 
der  sozialen  und  volkswirtschaftlichen  Verhält- 
nisse. Sie  waren  Blüte  der  Kultur,  Sie  waren 
auch  früher  abhängig  von  materiellen  Werten ; 
ihre  Blütezeiten  wurden  nur  ermöglicht  durch 
reiche  Gönner.  Diese  Gönner  waren  weltliche 
und  kirchliche  Fürsten  und  allenfalls  reiche  Pa- 
trizier. Wie  die  Kunst  selber  war  das  Mäzena- 
tentum eine  Kulturblüte. 

Heute  sind  die  Künstler  zahlreicher  geworden, 
aus  wenigen  Köpfen  Zehntausende.  Auch  die 
Künstler  sind  ein  sozialer  Stand  geworden. 
Und  die  Kunstwerke  sind  Marktware  geworden. 
Außerdem  ist  die  Kunst  als  ein  volksbildner- 
ischerFaktor  erstanden,  der  in  seiner  ideellen  und 
materiellen  Seite  ökonomisch  zu  verwalten  ist. 

Nach  langfristigem  Notstand  in  Zeiten,  da  für 
die  Kunst  wegen  anderer  Weltsorgen  wenig 
Interesse  vorhanden  war;  in  Zeiten,  da  die 
Verwaltung  der  Länder  und  Städte  von  Fürsten 
und  Oligarchen  überging  an  demokratische  Ver- 
treter, war  die  Kunst  und  waren  die  Künstler 
so  ziemlich  vogelfrei  und  auftragfrei.  Mit  dem 
neuen  Wohlstand  und  mit  der  neuen  Geistes- 
regung auf  allen  Gebieten  wuchs  die  Kunst  in 
ungeheuere  Dimensionen.  Es  fehlte  nicht  mehr 
an  Aufträgen;  aber  hinzu  kam  die  Konkurrenz. 
Der  Künstlerstand  ist  ein  sozial  bedrängter 
Stand,  ein  volkswirtschaftlich  schlechter  Stand 
geworden.  Wir  haben  heute  bereits  ein  reich- 
liches Künstlerproletariat. 

Während  andere  Stände,  Arbeiter,  Lehrer, 
Beamte,  sich  beizeiten  um  Verbesserung  ihrer 
Verhältnisse  kümmerten,  ist  die  Künstlerwelt 
heute  noch  fast  sorglos  ihren  Sorgen  gegenüber. 
Sie  sind  zum  Teil  organisiert,  nicht  nur  aus 
künstlerischen  Rücksichten  nach  Schulen  und 
Richtungen,  sondern  auch  schon  aus  volkswirt- 
schaftlicher Fürsorge,  in  Hinsicht  auf  geschäft- 
lichen Umsatz,  auf  Hilfe  für  Altersschwache, 
Witwen  und  Waisen.  Doch  entsprechen  diese 
Organisationen  weder  der  Bedeutung  derKünst- 
lerwelt,  noch  geben  sie  genügend  Gewähr  gegen 
die  Verelendung  des  Standes. 

Es  gibt  wohl  kaum  einen  zweiten  Beruf,  der 
so  viel  vergebliche  Arbeit  leistet  und  so  große 
vergebliche  Opfer  bringt.  Wenn  zu  einer 
großen  Kunstausstellung  zehntausend  Bilder 
eingesandt  werden,  wandern  mindestens  drei- 
viertel, oft  mehr,  zurück,  und  Leinwand, 
Farben,  Rahmen,  Transportkosten  dieser  Über- 
zähligen sind,  ganz  abgesehen  von  der  Mühe- 


waltung, vergeblicher  Aufwand  gewesen.  Der 
Handwerker  kann  überschüssige  Waren  ab- 
setzen, die  Fabrik,  der  Verlag  kann  Restbe- 
stände verramschen;  die  abgelehnten  Künstler 
drehen  die  Bilder  gegen  die  Wand,  und  nur  ein 
geringerTeil  findet  noch  irgendwie  Verwendung. 

So  kommen  wir  zu  kunstpolitischen  Fragen. 
Haben  dieKunststädte  ihrem  Rufe  entsprechende 
fürsorgliche  Einrichtungen,  die  Ausbildung,  Vor- 
wärtskommen, Absatz  einigermaßen  garantie- 
ren? Sind  Akademien  und  Schulen,  Ausstellun- 
gen und  Kunsthandlungen,  Vereine  und  Organi- 
sationen ausreichend  —  oder  verlangen  die  Ver- 
hältnisse der  Künstlerwelt  weitere  Maßnahmen? 

Die  Organisationen  wollen  sich  vorläufig  nicht 
um  die  Massenproduktion,  um  die  volkswirt- 
schaftlichen Fragen  des  ganzen  Standes  küm- 
mern. Aber  der  Staat  und  die  Städte  müssen 
wieder,  wie  einst  Fürsten  und  Patrizier  Mäzene 
waren  aus  freiwilliger  Leistung,  nun  aus  kul- 
turpolitischem Pflichtbewußtsein  die  Für- 
sorge für  den  Künstlerstand  übernehmen  helfen. 
Die  volksbildnerische  und  kulturelle 
Sendung  der  Kunst  ist  dafür  ausschlaggebend. 
Der  in  den  geschaffenen  Werken  niedergelegte 
Reichtum  menschlicher  Kultur  muß  systematisch 
in  die  tieferen  Schichten  getragen  werden,  da- 
mit er  dort  verarbeitet  werden  kann  und  seiner- 
seits neue  Kulturarbeit  leistet.  Dazu  müssen 
die  Einrichtungen  der  Städte  und  Provinzen 
als  Hilfsmittel  dienen.  Auch  die  Volksbildungs- 
vereine sollten  mit  den  Künstlern  zusammen- 
gehen und  nicht  bloß  Reproduktionen,  sondern 
Originalwerke  in  die  Provinz  tragen.  Und  die 
Künstler  selber  sollten  genossenschaftlich  ver- 
eint ihre  Verkaufsfiüalen  bis  in  die  Provinz 
verschieben.  Doch  wird  die  Arbeit  an  der  Ver- 
besserung der  Lage  der  Künstler  so  lange  ver- 
geblich sein,  als  die  Kunst  selber  nicht  den  ge- 
bührenden Platz  im  gesamten  Kulturzustand 
des  Volkes  besitzt.  Wir  müssen  dem  Künstler 
allenthalben  Einfluß  auf  das  Kulturbild  der 
Städte  einräumen  und  Einfluß  auf  das  Kultur- 
bild des  Staates.  Und  müssen  dem  Künstler 
die  Achtung  gebietende  Stellung  als  Berater 
und  Mitschaffer  geben,  die  er  verdient.  Erst 
wenn  die  Persönlichkeiten  und  ihre  Geschmacks- 
werte, wenn  so  die  Kulturwerte  der  Kunst  zur 
offensichtlichen  Wirkung  kommen  und  einen 
ganz  selbstverständlichen  Einfluß  gewinnen 
werden,  dann  wird  ein  Aufschwung  des  Kunst- 
marktes und  der  gesamten  sozialen  Verhält- 
nisse des  Standes  eintreten.     (;E'irg  mischner. 


296 


PROF.  SASCHA  SCHNEIDER- FLORENZ. 

MARMORPLASTIK:    .JÜNGLING,    SICH    GÜRTEND« 


l-koKKS.Si>K  BF.RNHARII  HOKTl.KR. 


MAJOLIKEN.    GALERIE  ARNOLD— liRKSUEN. 


MAJOLIKA-FIGUREN  VON  BERNHARD  HOETGER. 


Das  Verlangen ,  sich  mit  schönen  Dingen  zu 
umgeben,  die  dazu  beitragen,  das  all- 
gemeine Wohlbefinden  zu  erhöhen,  ist  infolge 
des  bedeutenden  Aufschwungs,  den  das  Kunst- 
gewerbe und  mit  ihm  die  Wohnungskunst  im 
letzten  .iahrzfhnl  genommen  haben,  erheblicii 
gewachsen.  Die  Diele,  die  den  Eintretenden 
empfängt  und  zum  Verweilen  einladet,  die 
inneren  Wohn-  und  Gesellschaftsräume,  die 
Bibliotheks-  und  Arbeitszimmer  bis  zu  den 
Schlafgemächern  bieten  mit  Kaminen  und 
Nischen,  mit  ausladenden  Gesimsen,  eingebau- 
ten Schränken  und  freien  Möbeln  unzählige  Ge- 
legenheiten, Anlässe  und  Notwendigkeiten 
zur  Aufstellung  von  schmückenden  Gegenstän- 
den. Stärker  als  vordem  sind  darum  heute  in 
vielen  Wohnungen  die  ästhetischen  Bedürfnisse 
nach  plastischen  Werken  der  Kleinkunst  gewor- 
den, die  einen  anderen  künstlerischen  Zweck 
zu  erfüllen  haben  als  Plastiken  großen  Stils 
und  wandschmückende  Gemälde,  so  daß  sie 
nicht  wohl  entbehrt  werden  können. 

Außer  Werken  der  Kleinplastik  in  Bronze 
und  Marmor,  die  ihren  besonderen  Platz  im 
I  lause  verlangen,  dienen  die  keramischen  Werke 
mit  ihren  ganz  anders  gearteten  Materialstilen 
den  vielfältigen  Erfordernissen.  Sie  umschlie- 
ßen in  Porzellandarstellungen  als  Menschen- 
und  Tierfiguren  bekanntlich  zugleich  eine  f'ülle 
an  malerischen  Möglichkeiten  und  Ausdrucks- 
forraen,  die  eine  lange  ununterbrochene  Ent- 
wicklung hinter  sich  haben.  Neben  dem  fein- 
erdigen Porzellan,  das  der  Beschaffenheit  seiner 


Masse  nach  zu  zarteren  Gebilden  führt,  ist  in 
neuerer  Zeit  in  der  Majolika  wieder  ein  Material 
belebt  worden,  in  dem  schon  im  15.  und  16. 
Jahrhundert  die  berühmte  Familie  der  Robbia 
einen  volkstümlichen  Kunstzweig  zu  ungeahn- 
ter Höhe  und  zur  anmutigsten  Blüte  gebracht 
halte.  Das  gefügige  Material  lockt  zu  weicherer 
Behandlung  und  mannigfacher  plastischer  Ge- 
staltung, die  eine  Steigerung  und  Vertiefung 
des  künstlerischen  Ausdrucks  nach  persön- 
lichem Sinn  in  gleiclier  Weise  gestattet. 

Diese  Möglichkeiten  hat  Professor  Bernhard 
lloetger- Darmstadt  in  seinen  Majolikafiguren 
ganz  eigenartig  ausgenützt.  Hoetger  gehört  zu 
dem  Kreise  der  jüngeren  Künstler,  die  sich  auf 
der  diesjährigen  Ausstellung  des  Sonderbundes 
in  Köln  zusammenfanden.  Auch  er  erfuhr,  wie 
so  viele  Künstler  der  neuen  Generation,  Maler, 
Bildhauer  und  Kunstgewerbler,  starke  Ein- 
wirkungen und  fruchtbare  Anregungen  aus  ver- 
gangenen Kunstabschnitten. 

In  diesen  Majolika- Arbeiten  berüiiren  sich 
die  Ideen  uralter  und  neuer  Kunst  vom  alt- 
attischen bis  zum  hohen  Stil  der  klassischen 
Antike,  bis  zur  Renaissance  und  weiter  hinauf, 
und  andererseits  gewisser  orientalisch-buddhi- 
stischer Kunstarten.  Sie  alle  haben  unter  Hoet- 
gers  Iland  und  Auffassung  eine  persönliche 
Umformung  und  ein  ganz  eignes,  selbständiges 
Leben  erhalten.  Indem  er  auch  die  richtigen 
stilistischen  Folgerungen  aus  der  Natur  des 
Materials  zog,  schuf  er  Werke  von  teils  ausge- 
sprochen schöner,  teils  charakteristisch  gestei- 


i»i3.  IV.  a. 


«99 


majolika- 
plastiken: 
hoffnum; 

UND  GÜTE« 


AlShUHRUNG:  LAUGEK  KERAMIK,  TÜNWERKE  KANUERN.  VERLAG  GALERIE  ARNOLD  DRESDEN. 


PROFESSOR 
B.  HOETC.ER- 
ÜARMSTAIVl. 


MAJOLIKA- 
PLASTIKEN: 
»LIEBE  UND 
MILDE« 


AUSKCHRL-NG:   LÄUtiKR   KKKAMIK,  TnNUKRKK  K\M>F.KN.     VKKLAO  GAIERIE  ARNOIH      IIRESDEN. 


PROFFS.SOK 

BERNHARli 

HOETGEK 

DARMSTAin 


majolikv- 
pi.astiken: 
i.icht,  schatten 
und  wahrheit. 


PROFESSOR  BERNHARD  HOETGER-DARMSTADT. 


PRUKICSSOR  BERNH.  HOETGER    DAKMSTADT. 
ma;<ii.ikapi.a.stik:    »siF.r,..     auskührung:    tunwi-.kkk 

KANDF.KN.  VKRI.AG  GAI.F.RIE  ARNOLD  (GUTBIER)-DRESUEN. 


PROFESSOR 
B.  HOETf.EK 
DAKMSTADT 


MAJill.lKA- 
i'IASTlK: 
WUT« 


B.  HOEIOtK     L>;VRMS1AL>1.    MAJol.lKAIM.AM  IK :      HABGlKKi..   VERLAG  GALERIE  ARNcil.l)     DRKSDKN. 


Majolika-Fiotiroi  von  l^oiihard  Iloefgej: 


gerter  Gestalt  und  starker  dekorativer  Wir- 
kung. Er  ist  in  seinen  Figuren  stets  auf  die 
unbedingte  Geschlossenheit  der  Formen  be- 
dacht. In  reichen,  streng  geghederten  Massen 
legen  sich  Haarfrisuren  und  Gewandfalten  um 
Köpfe  und  Körper  und  schließen  sie  zu  aus- 
drucksvollen Silhouetten  zusammen.  Eine 
leichte  gelbliche  Färbung  der  Gruppen  auf 
blauen,  mehr  oder  weniger  hervortretenden 
Fußgestellen  erhöht,  unterstützt  durch  den 
vielfältig  reflektierenden  Glanz  der  Glasuren, 
den  malerischen  Eindruck.  Diese  Wirkung  wird 
noch  verstärkt  in  einigen  farbiger  behandelten 
Exemplaren,  in  denen  die  verschieden  blau, 
grün  und  schwarz  abgestimmten  Gewänder  mit 
dem  gelben  Haar  und  dem  lichten  Körperton 
überaus  schöne  dekorative  Wirkungen  erzielen. 
Noch  um  so  weicher  tritt  die  schmiegsame 
Schönheit  der  weiblichen  Körper,  die  sanfte 
Herbheit  der  Jünglingsgestalten,  um  so  strenger 


die  stilistisch  gebändigte  Leidenschaftlichkeit 
der  seltsam  bewegten  Männerfiguren  hervor. 
Über  diesen  äußeren  Erscheinungen  ruht  aber 
fühlbar  der  Hauch  innerer  Beseelung.  Ein  Aus- 
druck von  mannigfacher  Stimmung  erfüllt  die 
Gestalten  von  anmutiger  Sinnigkeit  und  träu- 
merischer Beschaulichkeit,  von  Gemessenheit, 
von  Heiterkeit  und  Versunkenheit  und  inne- 
rem Aufruhr.  Doch  diese  Werte,  die  uns  die 
Gestalten  um  so  fesselnder  machen,  sind  nie 
zu  eigenem  Selbstzweck  hervorgekehrt,  son- 
dern ganz  im  Wesen  dieser  Figuren  begründet. 
So  erfüllen  diese  Majolikafiguren,  die  in  dem 
lieblichen  Mädchenfigürchen  und  in  der  weib- 
lichen Halbfigur  von  klassisch  edler  Gestalt 
vielleicht  den  schönsten  Ausdruck  gefunden 
haben,  die  wichtigen  Forderungen  einer  künst- 
lerischen Plastik,  indem  sie  zugleich  in  hohem 
Maße  ihre  dekorative  Verwendbarkeit  in  Haus 
und  Wohnung  erweisen.   —      rh  h.\rd  stiluir. 


PROFESSOR 
B.  HOETGER- 
DARMSTADT. 


LEON  BAKST-PARIS.  *  TÄNZERIN  • 

KOSTÜMSKIZZE  FÜR  DAS  RUSSISCHE  BALLETT. 


I.EON  BAKST     PARIS. 


FEDERZEICHNUNG. 


BALLETTSKIZZEN  VON  L^ON  BAKST-PARIS. 


VmN    U  11,1,1  \M    KlTllR       MIM   HIN. 


I)  echt  interessant  wäre  eine  Geschichte  der 
V  Theaterdekorationskunst,  von  der  klassi- 
schen Zeit  der  modernen  Literatur  und  Musik  an 
bis  heute.  In  Hintergrund  und  Maschinerie,  so- 
wie in  den  Kostümen  offenbart  sich  doch  der  Ge- 
schmack einer  jeden  Epoche,  das  Genie  gewisser 
Regisseure,  genau  so  wie  im  gesungenen  oder 
gesprochenen  Text,  oder  in  der  Tanzhandlung. 
Und  man  wird  kaum  die  Dekorationskunst  von 
der  Geschichte  des  modernen  Theaters  trennen 
können,  nachdem  man  sich  doch  hüten  würde, 
sie  auch  von  der  oberflächlichsten  Studie  über 
das  antike  Theater,  die  mittelalterlichen  Myste- 
rien oder  das  Shakespearesche  Werk  auszu- 
schließen. Wahr  ist  es,  daß  die  Archäologie 
von  vornherein  alle  Sympathien  für  sich  hat, 
während  das  einfache  Aufzählen  der  Ästhetik- 
und  Geschmackswandlungen  fast  immer  frivol 
erscheinen  wird.  Und  doch!  Denken  wir  nur 
an  jene  großen  Übergänge  in  der  Geschichte 
der  Dekoration:  die  französische  Tragödie  zur 
Zeit  Ludwig  XIV'.,  die  Opern  von  Gluck  und 
Piccini  mit  den  von  der  Saint  Huberty  reformier- 
ten Kostümen,  die  Reform  Tsdmas  wieder  im 


Sinne  Davids,  die  Tätigkeit  Goethes  als  Regis- 
seur in  Weimar,  die  Forderungen  Wagners  in 
Bayreuth,  diejenigen  eines  Maeterlincks  für 
seine  ersten  Stücke,  die  Neuerungen  Mahlers 
und  Rollers  in  Wien,  die  Inszenierungen  Fritz 
Erlers  im  Künstlertheater  zu  München,  jene 
Sterns  und  Max  Reinhardts  für  Ariadne  auf 
Naxos  in  Stuttgart,  und  andererseits  die  Roe- 
richs  und  Bilibines,  Baksts  und  Alexander 
Benoists  für  die  russische  Oper  und  den  russi- 
schen Bühnentanz !  Ist  das  kein  Kapitel  von 
hoher  und  höchster  Ästhetik?  Zu  lange  war 
man  der  Ansicht,  das  Ballett  sei  ein  tadelhaftes 
Divertissement  für  alte  Herren  und  das  Tanz- 
foyer  nichts  anderes  als  ein  privilegierter,  für 
Diplomaten  bestimmter  Harem.  Ich  spreche 
freilich  hier  nur  von  Paris.  Umsonst  bemühte 
sich  dort  der  schöne  dionysische  Schwung  der 
Tanzgruppe  von  Carpeaux  mitten  auf  der  Place 
de  l'Opera  seineerliabene,bereitsNielzsche'sche 
Lehre  zu  erteilen;  er  beleidigte  das  Schamge- 
fühl des  wie  bekannt  tugendreichen  Mr.  Prud- 
homme  und  wurde  von  gutgesinnten  Passanten 
mit  Tintenflaschen  beworfen.    Heutzutage  tritt 


IBIS   IV.  X 


309 


Ballettskizzen  von  Leon  Bakst— Paris. 


LiON  BAKST-  PARIS. 


der  Staat  für  Anstalten  wie  diejenigen  Jaques- 
Dalcrozes  in  Hellerau  und  Berlin  ein.  Die  Ent- 
wicklung des  Tanzes  von  der  Zucchi  oder  Sironi 
an,  bis  zu  Isadora  Duncan  oder  Gertrud  Leisti- 
kow  wird  sich  gerade  so  charakteristisch  aus- 
nehmen, wie  jene  des  Kostüms  und  der  Deko- 
rationen. Die  Tütütänzerin,  gepriesen  von  den 
Romantikern  und  von  Felicien  Champsaur,  der- 
art, daß  er  sich  selbst  und  sein  Buch  „l'amant 
des  danseuses"  betitelte,  und  Degas  vorwarf, 
nur  immer  Häßliche  zu  malen,  wird  in  Bälde  als 
etwas  Vorzeitiges  erscheinen,  wenn  sie  auch 
Stephane  Mallarme  zu  den  aufklärenden  Seiten 
begeisterte,  worin  er  den  Tanz  endlich  wieder 
zur  alten  Ehre  brachte,  die  MögUchkeit  einer 
der  VII.  Symphonie  von  Beethoven  würdigen 
Tanz- und  Mimekunst  mutmaßend.  Wir  werden 
sie  bald  nur  mehr  zu  Fasching,  in  Meßbuden 
oder  im  III.  Akt  der  Verkauften  Braut  zu 
Gesicht  bekommen.  Der  tugendhafte,  nüchterne 
Degas,  die  Pariser  Anekdotenerzähler  in  Bild 
und  Illustration,  jener  mit  seiner  ganzen  Kunst, 
diese  mit  ihrem  billigen  Esprit  und  ihrer  Berufs- 
treue haben  uns  schließlich  doch  bloß  Doku- 
mente überlassen,  wodurch  die  Archäologie 
wiederum  zu  ihren  Rechten  kommen  wird. 

War  nun  in  Deutschland  die  Entwicklung 
dieser  Kunstgattung  eine  logische  und  syste- 
matische, so  hätte  doch  das  gute  Beispiel  auf 
Frankreich  nicht  gewirkt,  wenn  Aufklärung 
und  Lehre  nicht  anderswoher  gekommen  wären. 
Das  russische  Ballett  sollte  günstig  aufgenommen 


DEKORATIVES  PANNEAU. 


werden,  aus  verschiedenen  Gründen,  von  denen 
zwei  allein  mit  der  Ästhetik  etwas  zu  tun  haben. 
Es  hatte  die  Tradition  des  alten,  französischen, 
klassischen  Balletts  beibehalten,  wie  es  sich  an 
den  Höfen  Elisabeth  und  Katharinas  II.  ein- 
gepflanzt und  vervollkommnet  hatte,  des  Klas- 
sischen von  der  Vestris  und  der  Camargo  ge- 
tanzten Balletts.  Andererseits  brachte  es  die 
Kunst  des  orientalischen  Tanzes  mit  der  ent- 
sprechenden Ausstattung  mit  sich.  Kaukasische 
Tänze,  turkestanische  Tänze,  Tatarenrhythmen, 
Lermontowsche  Poesie  einerseits;  dann  sla- 
vische,  auf  die  Bühne  übernommene  und  durch 
den  Prunk  kaiserlicher  Feste  verschönerte  Volks- 
elemente, dies  alles  mußte  das  größte  Gefallen 
hervorrufen  in  einem  Lande,  das  trotz  seiner 
allzu  seßhaften  Gewohnheiten  doch  immer 
mehr  als  irgend  ein  anderes  Vorliebe  für  Exotis- 
men zeigte,  brachte  man  nur  diese  Exotismen 
ihm  nach  Paris.  England  mit  all  seinen  Kolonien 
hat  fast  keinen  exotischen  Maler,  während  das 
häusliche  Frankreich  fast  allein  dasteht  —  die 
Eroberung  Algeriens  hat  dazu  beigetragen  — 
mit  einer  ganzen  Schule  von  Orientalisten,  von 
Delacroix,  Decamp,  Marilhat  und  Fromentin 
an  bis  zu  Besnard,  der  aus  Indien  zurückge- 
kehrt, zu  Gauguin,  der  sein  Werk  in  Tahiti 
vollbracht  und  Octave  Morillot,  der  ihm  dort- 
hin nachfolgte.  Die  Niederlassung  des  russischen 
Balletts  in  Frankreich  wird  übrigens  die  selt- 
samsten Folgen  nach  sich  ziehen,  von  denen 
wir  nur  den  Anfang  gewahr  werden,  seitdem 


310 


Balleüskizzen  von  iJon  Bakst-Paris. 


l-KciN   HAKST-  PARIS. 


die  besten  Dekorateure  sich  nacheinander  in 
Paris  ansässig  machen  oder  regelmäßig  dahin 
zurückhehren,  wie  Bakst  und  Roerich.  Klingt 
denn  die  iMitarbeit  voh  solchen  Künstlern  und 
von  Tänzern  wie  Nijinski,  Ida  Rubinstein  und 
Karsavina  mit  Maurice  Ravel  nicht  paradox 
genug!  Und  ist  der  Heilige  Sebastian 
d'Annunzios  nicht  das  tollste,  verwirrendste 
Theater- Ereignis  gewesen!  Ariadne  auf 
Naxos,  wenn  sie  die  Namen  Molicres,  Rieh. 
Strauß,  von  Hofmannsthals  und  Max  Rein- 
hardts vereinigt,  bedeutet  einen  viel  normaleren 
Kreuzweg  in  der  Theatergeschichte  —  dank 
des  deutschen  Barockstils  —  als  der,  bei  dem 
sich  der  Dichter  der  Nave,  Leon  Bakst  und 
Ida  Rubinstein  die  Hände  reichen,  zu  einer 
quasi-Profanation,  einer  masochistischen  Schän- 
dung des  christlichen  Helden,  der  durch  die 
schönsten  Werke  der  abendländischen  Kunst 
gewandert,  bevor  er  diese  asiatischen  Deko- 
rationen und  Verkleidungen  fand,  die  man  uns 
als  authentische  Umwelt  vorhält. 

Hervorragend  beteiligte  sich  Leon  Bakst  an 
der  plötzlichen,  grundsätzlich  franko-russischen 
Abänderung  der  Theaterdekorationen  und  der 
Kostüme  im  Ballettkorps.  In  Rußland,  wie  er 
selbst  erklärte,  konnte  er  nur  ein  kümmerliches 
Leben  fristen.  Er  fand  nur  da  Verwendung,  wo 
seine  Entwürfe  nicht  zu  gewagt  erschienen.  Erst 
in  Frankreich,  auf  die  volle  Freiheit  des  Erfolges 
gestützt,  die  ihn  an  die  Grenzen  des  Erlaubten 
führte,  durfte  er  den  ganzen  Schwung  seines 


DEKOR.VTIVES  BILL):   »CHLEO« 


eigentümlichen  Genies  entfalten.  Da  fand  er 
auch  einen  unvergleichlichen  Befürworter  und 
Ausleger  in  Josephin  Peladan. 

Seine  Aquarellentwürfe,  in  Hunderten  von 
Blättern  zerstreut,  die  wohl  prunkvolle  Taumel- 
spiele vorbereiten,  kann  man  für  sich  schätzen, 
für  voUendeteKunstwerke  halten,  mit  demselben 
Recht  wie  ein  Gemälde  oder  eine  Radierung. 
Man  braucht  selbstverständlich  nicht  einer  Auf- 
führung der  Cleopatra,  des  Narziß,  des  St. 
Sebastian  beigewohnt  zu  haben,  um  das  Kunst- 
ideal wahrzunehmen,  das  da  im  Begriffe  der  Ver- 
wirklichung steht.  Es  handelt  sich  nicht  nur  um 
Kostüme,  sondern  um  Leben  und  Bewegung: 
die  Bewegung,  die  sich  der  Künstler  als  typisch 
für  die  Person  und  den  Charakter  der  Rolle 
wünscht,  ist  da  ausdrücklich  gezeigt,  ebenso 
wie  auch  die  Art,  in  der  der  Stoff  gefaltet,  ge- 
rafft,  durchbrochen,  genäht  werden  muß.  Es 
steckt  darin  nicht  nur  das  Modell,  wie  sich  der 
Mime  zu  kleiden  hat,  sondern  er  gibt  vielmehr 
einen  Einblick  in  die  Gemütsart  des  Dar- 
gestellten. An  Stelle  der  gekleideten  Puppe 
ist  hier,  mit  Bewegung  und  Gebärde,  die  un- 
trennbare Übereinstimmung  der  Person  mit  der 
Rolle,  ihrer  Individualität  mit  der  Gesamt- 
wirkung getreten.  Denn  außer  den  Kostümen 
gibt  es  auch  die  Gesamtdekoration  und  die 
Massengruppierungen.  Gerade  in  solchen 
Gruppierungen  zeichnet  sich  Bakst  vielleicht 
noch  mehr  aus  als  im  Entwerfen  der  einzelnen 
Gestalten.    Wer  das  Glück  hatte,  sich  jenen 


3" 


'llö 


w^^  - 


LEON  BAKST-PARIS.     -BACCHANTIN« 
KOSTÜM -SMZZE  FÜR   DAS   RUSSISCHE    BALLEIT. 


K^  K  <;  T 


•|  r 


LfeON  BAKST    PARIS.    »SATYR- 

KOSTÜM-SKIZZE  FIR  DAS  RUSS.  Il,\LLEn  . 


LE(3N  BAKST-PARIS.    »XEGER« 

KOStCM-SKIZZE  für  das  RUSS.  BALLETT. 


'^:^<6 


LEON   BAKSi     PAK  IS.   KOSTÜM-SKizzE 
KÜR  DAS  RUSSISCHE  BALLETT  .DIEU  BLEU« 


L   BAKST-PARIS.    »SCHEHEREZADE« 
KOSTÜM-SKIZZE   FÜR  DAS  RUSSISCHE   BALLETT. 


^ 


.ii. 


LtON  BAKST    PARIS.     -BACCHANTIN 
KOSTi•M-^KlZZE    KLR    DAS  BAI  I.EIT      NARCISSE« 


1913.  IV.  4. 


1 


L  BAKST-PARIS.   »JUNGER  BÖOTIER« 

KOSTÜM-SKIZZE    FÜR  DAS    BALLETT    »NARCISSE« 


Balleitskizzcn  von  fxou  Bakst— Paris. 


weniger  frei  bewegt,  wenn  er  eine  relativ 
moderne  Handlung  schildern  will,  so  den 
Carneval  von  Schumann  z.  B.,  wo  wir  mehr 
den  Eindruck  bekommen,  ältere  Modezeitungen 
des  vorigen  Jahrhunderts  zu  durchblättern. 
Der  hellenischen  Antike  steht  freilich  Asien 
viel  näher  als  unsere  moderne  Welt:  an  einem 
Samurai  hätte  nötigenfalls  ein  Zuschauer  der 
der  Bacchanalien  teilhaftigen  Stücke  Aristo- 
phanes  oder  ein  Erzähler  der  milesischen  Mär- 
chen sein  Gefallen  finden  können,  nie  aber  ein 
Stutzer  aus  der  Zeit  des  Directoire,  ein  Dandy 
von  1830  oder  der  „Löwe"  von  1848.  Man 
kann  sich  leicht  javanesische  Tänzerinnen  in 
den  berüchtigten  Häusern  Alexandriens  oder 
Rhodos  vorstellen,  nicht  aber  eine  in  Reifrock 
steckende  Soubrette  oder  ein  Frauenzimmer- 
chen mit  Krinoline.  Das  vollkommenste  was 
die  Welt  seit  der  Athener  Zeil  als  künstlerische 
Übereinstimmung  des  Lebens  und  der  Um- 
gebung im  Lichte  eines  frohen  und  normalen 
Daseins  je  erblickte,  war  vielleicht  Japan.  Das 
abendländische  Mittelalter  gab  ebenfalls  ein 
schönes  Beispiel  der  Einigkeit  in  Gedanken, 
Beweggründen  und  Lebensweise,  der  Freude, 
des  Leides  und  der  Buße,  jedoch  zum  Besten 
eines  ganz  und  gar  religiösen  Ideals.  Wir 
sprechen  hier  vom  Standpunkt  des  rein  Mensch- 


=^^'- 


^., 


liehen,  Physischen  und  Körperlichen  aus.  Spek- 
takelstücke, wie  sie  uns  Bakst  vorführt,  haben 
selbstredend  mit  dem  christlichen  Ideal  und 
der  aus  demselben  entsprungenen  philosophi- 
schen und  ästhetischen  Theorien  nicht  das  ge- 
ringste zu  tun.  Ich  wiederhole  es,  sie  bedeuten 
eine  deutliche  Rückkehr  zum  sinnlichen  Heiden- 
tum. Daher  auch  ihre  gesunde,  ergötzliche 
Kühnheit.  Ängstliche  Bedenken  und  Gewissens- 
zweifel hemmen  sie  nicht.  Ihre  Schönheit  und 
Zweckdienlichkeit  bilden  ihr  Unschuldskleid. 
Sie  zeigen  uns  keine  ätherischen,  sittsamen 
Tänzerinnen  mehr,  keine  im  Mondschein  sich 
schwingende Taglioni-Sylphide,  keine  anständig 
provokante  Spanierin  wie  die  Fanny  Eisler, 
wenn  sie  mit  ihrer  berühmten  „Cachucha"  bei 
unseren  Großmüttern  Anstoß  und  Verwunde- 
rung erregte.  Bakst  stellt  rund  heraus  Bacchan- 
ten mit  allen  Merkmalen  des  tierischen  Zu- 
standes,  wenn  es  sein  soll.  Er  läßt  auf  das 
Podium  nicht  mehr  Scharen  von  „petites  Car- 
dinal", sondern  die  Lebensfülle  der  Natur  stür- 
zen. Wir  sehen  die  Gestalten  seiner  Phantasie 
so  an,  wie  wir  Satyrn  und  Ägipane  in  der 
primitiven  Waldung  anstaunen  würden.  Tot 
war  der  große  Pan  und  ist  einfach  wieder  auf- 
erstanden. Keiner  von  uns  denkt  mehr  daran, 
ihn  als  teuflisch  zu  beschwören.  —  w.  r. 


'^m>w,M>^ 


^ 


i'^'-JL-::^ 


LEON  BAKST— PARIS.    KOSTÜM-SKIZZE  FÜR  DAS  RUSSISCHE  HALLETT. 


ARCH.   ALBERT  GESSNER-CHARLOTTENBURG. 
WOHNHAUS  LANDRAT  RÖTGER-GRUNEAVALD. 


Al.BEKT  GE6SNER  CHARLOI  I  E.NKUKG. 


Wohnhaus  i.amjkat  Ktnoi.K.  oaktknseite. 


ARCHITEKT  ALBERT  GESSNER-CHARLOTTENBURG. 


Wir  leben  im  Wechsel  der  Stilmolive.  Was 
vor  dem  Maschinen-Zeitalter  Jahrhunderte 
währte,  regiert  jetzt  kaum  Jahrzehnte.  Es  ist 
ein  Symptom  der  Zeit  —  dieses  Hasten,  dieses 
Aufnehmen  neuer  Ideen.  Heut  lebt  man  nicht 
mehr  mit  den  Dingen,  ist  sich  ihres  Wertes  für 
die  Verschönerung  seines  Lebens  nicht  so  be- 
wußt wie  in  vergangenen  Zeiten.  Nützlichkeits- 
sinn,  Nüchternheit,  Herzlosigkeit  dominieren 
allerorts  —  Amerikanismus. 

Aber  wir  sind  Deutsche.  Die  Romantik  liegt 
uns  im  Blute.  Und  so  lenkt  man  bereits  wieder 
den  Blick  auf  die  Kunst  der  Vorfahren,  die  rein 
aus  idealer  Freude  am  Dasein  alle  ihre  Lebens- 
geräte zu  schmücken  wußten.  —  Wenn  nur  der 
Kern  des  Biedermeiertums  beherzigt  würde, 
sein  Wesen  —  und  nicht  das  rein  Äußerliche 
daran,  dann  wäre  es  gut.  So  aber  ist  ein  F'ußen 
auf  der  Tradition  nichts  weiter,  wie  eben  Roman- 
tik; derCeist  derCroQeltern  spukt  in  denKöpfen 
der  Enkel  herum,  und  damit  wird  die  moderne 
Biedermeierei  zur  unfruchtbaren  Imitation. 


Auch  die  gute  alte  Volkskunst,  die  natio- 
nale Hausindustrie  beginnt  man  wieder  zu  lie- 
ben. Steckt  zweifellos  auch  in  dieser  Begeiste- 
rung ein  Stück  Romantik,  so  ist  das  Sich-Be- 
wußtwerden  ihres  Wertes  immerhin  sehr  er- 
freulich. Denn  der  Sinn  der  Sache  ist  der:  die 
alte  bäuerliche  Handwerkskunst  entstand  — 
obgleich  stets  Niederschlag  einer  entwickelten 
städtischen  Kunstkultur  —  allemal  aus  einem 
eigenen  lebhaften  Formgefühl  und  eigener  Liebe 
zum  Schmücken.  Der  Effekt  dieser  gesunden 
Kunst  war  stets  eine  fabelhafte,  innere  Einheit, 
war  neues,  eigenes  Leben.  In  dem  Sinne  ist 
sie  stark  und  sollte  sie  uns  fürwahr  ein  Vorbild 
sein  für  unser  kunstgewerbliches  Schaffen. 

Einer  von  den  neueren  norddeutschen  Künst- 
lern, die  die  Bedeutung  dieser  Kunst  für  die 
Moderne  voll  erfassen,  ist  Albert  Geßner. 
Er  ist  durchdrungen  von  der  ethischen  Bedeu- 
tung des  Kunstgewerbes.  Er  will,  daß  es  die 
Menschen  mit  durchgeistigtem  Behagen  erfüllt. 
Geßners   Wohngerät   hat    starke   Berührungs- 


I»l3  iV  5. 


327 


ALBERT  GESSNER-CHARLOTTENBURG. 
SEITENANSICHT  DES  HAUSES  RÖTGER. 
AUSFi^HR:      DAS   WERKHAUS«-  CHARI.OTTENBURG. 


Architekt  Albert  Geßner—  Charlottetihirg. 


M.llERT  GESSM.R     CH.VRI.01TENBUR0. 


punkte  mit  der  guten  alten  Volkskunst.  Diese 
Möbel  gewinnen  erst  im  Rahmen  des  Ganzen 
—  der  Hauses  oder  jedenfalls  der  Wohnung  — 
eigenes  Leben.  Diese  Räume  atmen  eine  Liebe 
zur  Sache  sondergleichen  und  stehen  so  recht 
zur  oberflächlichen  Scheinkultur  unserer  heuti- 
gen Kunstindustrie.  Und  weiter:  diese  Freude 
am  Farbigen,  welche  mannigfache  bunte  Farb- 
stellungen und  satte  Wirkungen  bevorzugt! 
Das  prickelnde  dekorative  Beiwerk,  dieser 
Überschuß  an  Phantasie,  die  dem  Künstler  zur 
Quelle  der  Kunst  wird,  gibt  dann  den  Räumen 
die  besondere  eigene  Note.  Fast  zu  eigen  mit- 
unter —  aber  der  Künstler  steht  noch  unter 
dem  Zeichen  der  Kulturarbeit.  Geßner  schafft 
auch  für  den  einfachen  Mittelstand;  er  bevor- 
zugt dabei  das  gestrichene  Möbel. 

Besonders  hervorgehoben  sei  hier  nur  die 
Diele  in  dem  neuen  Landhaus  Rötger  im 
Grunewald.  Wie  stimmungsvoll  ist  dieserRaum, 
wie  wuchtig  wirkt  derselbe  mit  dem  derbgefüg- 
ten Treppengeländer  und  den  Lambris  der 
Wände!  Fein  steht  die  dunkelgrüne  Farbe  ge- 
gen das  Weiß  des  Putzes.  Eine  kultivierte  bunte 


H.\i:S  KuTGl.K     UKI  .NE\V.\I.I).    HRU  N  NENHOF. 


Farbenfröhlichkeit.  Gerade  diese  Diele  ist  für 
GeßnersArt  charakteristisch.  Ideenassoziation 
läßt  uns  an  nordfriesische  Piesel  und  nieder- 
sächsische Wohnstuben  denken. 

Geßner  wendet  so  ziemlich  jedem  kunstge- 
werblichen Gegenstande  seine  Liebe  und  Sorg- 
falt zu.  Auch  auf  Baugefügeteile  wie  Haus- 
flurlampen, Linoleum,  Treppenläufer ,  FUe- 
sen,  Kacheln,  Öfen  und  Türbeschläge. 

Sehr  unterstützt  wird  der  Künstler  in  der 
Ausführung  seiner  Pläne  durch  die  Organisation 
des  Werkhauses  in  Charloltenburg,  das  sich 
ganz  in  seinen  Dienst  gestellt  hat  und  seine  Mö- 
bel, sowie  alle  jene  oben  erwähnten  Baugefüge- 
teile ausführt  und  auf  den  Markt  bringt.  F.s  ist 
erfreulich,  festzustellen,  daß  dieses  Unterneh- 
men die  Stamm-Ausstellungsräume  in  der  Nie- 
buhrstraße  um  zwei  weitere  Ausstellungen  am 
Stadtpark  in  Schöneberg  und  in  der  Kaiser-Allee 
in  Wilmersdorf  erweitert  hat  —  ein  Beweis  für 
die  Werbekraft  neuzeitlich  schöner  Gerätekunst. 

Von  Geßners  Wohnhäusern  läßt  sich  ähn- 
liches sagen  wie  von  seinen  Möbeln.  Wie  volks- 
tümlich muten  die  bekannten  Charlottenburger 


329 


ARCHITEKT  ALBERT  GESSNER.    TERRASSEN  UND  TEE-PAVILLON.    WOHNHAUS  KÖTGER -GRUNEWALD. 


Architekt  Albert  Geßner-  Ckarlottevbiirg. 


ALIlKKT  iiF>S.SEK     CllAKLOT  1  F.MlUKG. 


Mietshäuser  an  durch  die  wohltuende  farbig- 
lebendiße  Bildrnäßi<skeit  sowie  Großzügigkeit 
in  der  Massenverleilung,  durch  die  wie  selbst- 
verständlich erscheinende  Einheit  von  räum- 
licher Gestaltung  und  charaktervoller  Front! 
Und  nur  soweit  diese  Häuser  der  sprechende 
architektonische  Ausdruck  waren  für  das  über 
Nacht  gekommene  großstädtische  Massenquar- 
tier, wirkten  sie  „modern".  Es  ist  klar:  ohne 
den  Boden  einer  gesunden  Tradition  keine 
Stilenlwicklung. 

Gerade  in  unserer  Zeit,  der  etwas  eigentüm- 
lich Unentschiedenes  und  Dissonanzreiches  an- 
haftet, brauchen  wir  Klassiker  im  Bauwesen, 
die  die  ererbten  Formen  mit  neuem  Geist 
erfüllen.  Männer,  die  den  Zeitwillen  instinktiv 
fühlen.  Architektur  muß  aus  dem  Volksemp- 
finden entspringen,  wenn  sie  Ausdruck  unserer 
kulturellen  Verhältnisse  sein  soll.  Daher  ist  es 
erfreulich,  wenn  auch  das  bauende,  konser- 
vativ gesinnte  l'ublikum  anfängt,  ästhetisches 
Wollen  zu  bekunden  wie  zur  Zeit  der  Vorfahren. 

So  eigentlich  ist  die  Konzeption  des  Wohn- 
hauses Rölger  im   Grunewald  zu  würdigen, 


WOH.NH.W.S  ROTIIKK.    BKU.N.NKNlldK. 


das  in  seiner  einfachen  klaren  Gliederung  von 
natürlicher  Anhöhe  den  Beschauer  grüßt.  Ein 
echter  Herrensitz.  Und  aus  dem  von  Garten- 
anlage (deren  Urheber  Königl.  Gartendirektor 
Willy  Lange)  und  Haus  geschaffenen  rhyth- 
mischen Rahmen  lugt  als  selbständiges  Glied 
das  überaus  liebenswürdig  empfundene  Tee- 
häuschen ein  wenig  dekorativ -keck  in  seiner 
weiß-grün-roten  Buntheit  hervor.  — 

Das  suburbanc  Eigenwohnhaus  dient  im 
Grunde  mehr  der  Repräsentation.  Der  Bau- 
herr, der  im  Grunewald  sich  sein  Heim  schafft, 
wünscht  von  Haus  und  Garten  weniger  den 
Ciiarakter  reiner  Ländlichkeit  als  architekto- 
nische Eleganz.  Daß  Geßner  das  Haus  auf  dem 
Lande  —  fein  differenzierend  —  entsprechend 
freier  behandelt,  zeigt  ein  Landhaus  in  Zehlen- 
dorf. Daß  er  anderseits,  wo  erforderlich,  das 
Haus  dem  Charakter  der  architektonischen  Um- 
gebung anpaßt,  veranschaulicht  der  Umbau 
des  Hauses  Kahle  in  Potsdam,  welches  sich  der 
charakleristisciien  Backsteinarchiteklur  des  hol- 
ländischen Viertels  aus  der  Zeit  Friedrich  Wil- 
helms \.  organisch  einfügt.  curt  p.m.iman.v. 


33« 


ALBERT 

GKSSNEK- 

CHARLOTTEN- 

BURG. 


TEEPAVILLON. 

HAUS  RÖTGER- 

GRUNEWAI.li. 


ZUR  PSYCHOLOGIE  DER  MODE. 


Die  von  der  Leitung  des  HohenzoUern-Kunst- 
gewerbehauses  veranstaltete  „Galerie  der 
Moden",  dieser  geschichtliche  Überblick  über 
die  Entwicklung  der  beweglichsten  und  schein- 
bar oberflächlichsten  unsererKulturäußerungen, 
die  dennoch,  wie  ein  aufmerksamererBlick  lehrt, 
mit  dem  innersten  Wesen  unseres  individuellen 
wie  gesellschaftlichen  Daseins  und  seiner  wirt- 
schaftlichen Organisation  im  engsten  Zusammen- 
hange steht,  sodaß  sie  erst  in  dem  Augenblick, 
in  dem  die  von  heute  durch  jene  von  morgen 
verdrängt  wird,  aufhört  vom  Blut  des  Gesamt- 
organismus gespeist  zu  werden,  regt  zu  einigen 
allgemeinen  Betrachtungen  an.  —  Allzuleicht 
ist  man  geneigt,  über  die  Mode  zu  lächeln  und 


über  die,  so  ihre  Geschmacks-Sym-  und  Anti- 
pathien von  ihr  abhängig  machen,  und  läßt  nur 
bei  Frauen  eine  Ausnahme  gelten.  Mir  scheint 
mit  Unrecht;  denn  die  Stellung  des  Einzelnen 
zu  ihr  läßt  wertvolle  Aufschlüsse  über  dessen 
Wesen  zu.  Die  Entwicklung  der  Mode  ist  gleich 
der  der  gesamten  Kultur  ein  Continuum,  in 
dessen  Weben  wir  alle  mitschwingen,  dem  sich 
niemand  entziehen  kann,  wofern  er  am  geistigen 
Leben  jener  noch  Anteil  hat;  er  sei  denn  ein 
Anachoret,  der  in  der  Einsamkeit,  abgewandt 
von  der  Welt  des  Tages,  ohne  Mitwirkung  an 
ihrem  Sein,  sich  einzig  in  die  Betrachtung  des 
Ewigen  versenke,  um  zwischen  Geburt  und  Tod 
unter  Ausschaltung  des  Diesseits  den  Faden 


332 


ALB.  GESSNER- CHARLOTTENBURG. 
INNEXRAUM   DES  TEE -PAVILLONS. 

AUSHCHR;    sWF.KKH.XUS      CH.ARI.OTTF.NIiURG. 


ALBERT  GESSXER-  CHARLi  fllEXBURG. 
DIELE    IM    HAUSE    LANDRAT   RÖTGER. 

AUSFÜHRUNG  :    »WERKHAUS«  -  CHARLOTTENBURG. 


AI. BERT  GKSSNER-CHARLOITENHURG. 
HERRENZIMMER  IN  POLIERTER  BIRKE. 

U'1;KKHAUS<  -AirsSTELI.G.— HF.RIIN-WILMKRSIJORF. 


1»13.  IV.  6. 


.-.-^ 


IH  _ 

m 

■TTt 

^^^^ 

ff  ^1H 

^■a^ 

m^^ß 

fr- 

1 

ALBERT  GESSNER  -CK,- 


EINGEBAUTE  BÜCHERSCHRÄNKE  IN  DE:- 


ALBERT   GESSNER— CH.\RLOj  iENfcVÄij.    Ei-NGLbA^Ti  iCHR_\NK£    IM  ^CHL.^FZIiIMER  WOHNHAUS  Ri.'TGER. 


Zur  Psvc/iolooie  der  Mode. 


\ii>i;ri  üt>>MiK.  hi:kkf.n/.immek  in  i;i;u-Ai;ii,si  um  w. 


zum  ewijjen  Leben  zu  knüpfen.  Wir  andern 
aber  sind  ihr  verpflichlel.  In  Nichts  mit  der 
Mode  lehen  beweist  daher  ebensogut  Unzu- 
länglichkeiten, wie  bis  in  ihre  letzten  Kleinlich- 
keiten ihr  Sklave  zu  sein.  So  haben  bedeutende 
Menschen  sich  ihr  nicht  entzogen,  sie  bevor- 
zugten Kleider  nach  modischem  Schnitt,  — 
mochten  sie  sie  auch  ihrer  Individualität  je  nach 
Bedürfnis  anpassen  —  während  der  unfrucht- 
bare Stubengelehrte  sich  ihr  verschließt.  Ein 
Mensch,  der  mit  seiner  Zeit  wächst  —  und  dieses 
Wachsen  ist  vor  allem  das  Zeichen  schöpferischer 
Geister  —  kann  in  etwa  die  Fühlung  zur  herr- 
schenden Mode  nicht  aufgeben,  die  wie  alles 
andere  ein  sichtbarer  Ausdruck  dernie  ruhenden 
äußeren  Bewegung  der  Menschheit  ist  und  an 
tiefe  Gesetze  gebunden.  Nicht  mehr  mit  der 
Mode  gehen,  bedeutet  Stillstand,  Stillstand  aber 
den  Abschluß  der  inneren  Entwicklung.  Haß 
gegen  eine  Mode  ist  das  sicherste  Zeichen,  daß 
einer  unter  dem  Bewußtsein  leidet,  nicht  mehr 
mit  zu  können ;  wie  denn  auch  Frauen,  deren 
Entwicklungsfähigkeit  und  Anpassungsbedürf- 
nis ein  leichteres   und  rascheres,   weil  weniger 


.uM.       UKKKIl. 


1,KK1.1N-S1  IloMJilORli 


an  eine  tiefe  und  persönliche  Geistesstruktur 
gebunden,  selten  auf  diesen  toten  Punkt  kom- 
men. Darin  liegt  kein  Tadel  für  die  Frau;  allem 
Geschrei  moderner  Entartung  zum  Trotz  bedarf 
die  Frau  dieses  mehr  unpersönlichen  Zuges  ihrer 
Physis  aufs  dringendste  für  den  einzigen  und 
hohen  Beruf,  dahin  die  Natur  sie  gestellt  hat, 
und  in  dem  sie  das  Mittel  des  Sich-Schmückens 
und  Reizens  nicht  entraten  kann.  So  ist  das 
Weib  auch  in  diesem  Sinne  der  Natur  näher  ge- 
blieben, ja  ein  Stück  Natur  selbst ;  denn  während 
der  Mann  eher  ihren  inneren  treibenden  Kräften 
ähnelt,  gleicht  das  Weib  ihrem  wechselnden 
Selbstvollzug,  der  unter  dem  Wandel  von  Früh- 
ling und  Sommer  ihr  Kleid  mit  Blüten  und 
Früchten  übersäet. 

Was  den  Durchschnittsmenschen  angeht,  so 
ist  es  die  Regel,  daß  er  in  der  Jugend  die  Mode 
mitmacht,  später  verlacht  oder  krampfhaft  an 
jener  festhält,  darin  er  in  jungen  Tagen  glänzte. 

Der  Wechsel  der  Mode  in  seinen  letzten  und 
feinsten  Äußerungen  vollzieht  sich  im  Grunde 
nur  dadurch,  daß  wir  die  Welt  an  jedem  Tage 
mit  anderen  Augen  ansehen,  weil  wir  das  Ge- 


337 


ALBERT  GESSNER    CHARLOTTENBURG. 
UMBAU  DES  HAUSES  KAHLE-POTSDAM. 


Zur  Psychologie  der  Mode. 


ARCH.  Al.BKKT  ÜESSNER.    WOHN-  U.  ESSZIMMEK.    KU  Hl.  IIKI.L  GKKAUC'HEKT.    AUSK:   i WERKHAUS«- CHARLOTTENBURG. 


wohnte  nicht  mehr  sehen,  oder  aber  uns  leid 
jjesehen  haben;  so  ändert  unser  wachsender 
Geist  unaufhaltsam  an  seiner  Umgebung,  daß 
sie  mit  ihm  im  gleichen  Tempo  bleibe.  Und 
dieser  Fortgang  der  Mode,  diese  Auswicklung 
unsrer  Einkleidung  jeder  Art,  ein  allmähliches 
Steigen  und  Sinken,  ein  Vergrößern  und  Ver- 
kleinern der  Form,  ein  Vereinfachen  oder  Be- 
reichern, ist  ein  Werden,  das  engen  Zusammen- 
hang unterhält  mit  den  geistigen  Strömungen 
aller  Gebiete  —  (eine  Persönlichkeit  wie  die 
Napoleons  tritt  auf  und  ohne  es  zu  wollen,  allein 
durch  den  geistigen  Zuschnitt,  den  er  der  Zeit 
und  Weltlage  vorschreibt,  wird  auch  die  Mode 
der  .Äußerlichkeit  in  gänzlich  neue  Bahnen  ge- 
lenkt, dazu  die  Keime  dennoch  schon  im  Boden 
lagen)  —  und  den  wirtschaftlichen  Zuständen 
obendrein,  von  denen  ihre  Herstellung  wieder 
abhängt;  Zustände,  diesie  ihrerseits  dann  gleich- 
falls tyrannisch  beherrschen,  da  sie  an  eherne 
Gesetze  gebunden  sind  und  auf  unrentable  For- 
derungen nicht  eingehen  können,  sodaß  von  den 
Kaprizen  eines  Einzelnen  nur  bis  zu  einem  ge- 
wissen Grade  die  Rede  sein  kann.  Dies  alles 
macht,  daß  wir  in  dem,  was  der  Fabrikant  uns 


bietet,  jedesmal  ein  dem  Einzelnen  noch  un- 
klares, kaum  erst  geahntes  Geschmacksbedürf- 
nis befriedigten  und  leicht  zu  erkennen  glauben, 
daß  das  neue  Produkt,  das  in  der  Tat  logisch 
aus  der  Form  des  früheren  floß,  so  sehr  eine 
industrielle  Spekulation  und  Produktionsbedin- 
gungen bei  der  Erfindung  wie  Herstellung  ihre 
Hand  mit  im  Spiele  gehabt  haben  mögen,  eine 
Notwendigkeit  erfülle.  Es  mag  selbst  ihnen  ein- 
leuchten, die  dem  Zwang  des  Wechsels  der 
Mode  sich  entziehen  zu  können  glauben,  wenn 
sie  in  ihrem  Kleiderschrank  zufällig  auf  den  Hut 
stoßen,  den  sie  vor  zehn  Jahren  trugen.  Be- 
haupten zu  wollen,  man  habe  in  der  Form  des 
1  lulfassons  einen  absoluten  Fortschritt  gemacht, 
wäre  lächerlich  ;  der  in  die  Augen  fallende  Kon- 
trast, der  diese  Vermutung  aufkommen  zu  lassen 
versucht,  entsteht  allein,  weil  von  den  damals 
üblichen  Fassons  zu  den  heutigen  unter  Aus- 
schaltung der  dazwischen  liegenden  Glieder, 
ein  Sprung  vorliegt,  den  die  Mode  von  heute 
auf  morgen  nie  macht.  Dazu  vergleiche  man  das 
langsame  Entstehen  und  ebensolche  Verschwin- 
den der  Krinoline,  deren  letzter  Rest  mit  der 
Tournüre  bis  in  die  achtziger.Jahre  fortlebte,  um 


339 


.Jki^ 


ALBERT  GESSNER-CHARLOTTENBURG. 

DAMENSALON,   GRAU  LACKIERT  U.  GESCHLIFFEN  M. 
VERGOLD.    AUSF:   »WERKHAUS«-CHARL0TTENBURG. 


Zur  Psycfu>lo<rie  der  Mode. 


AlllKRT  GK-.>.\KK.    HF.K  KKN/.IMMFR.   EICHE   DUNKEL  l.EKArcHEK  1 .    »WEKKHAUS    -AL'SSTELLI:M ;      r.EKElN-S(  UmM  |IK 


dann  dem  glatten  Rock  endgiltig  zu  weichen, 
der  seinerseits  begann  Raffinements  zu  entfalten, 
in  deren  Kulmination  wir  vielleicht  heute  stehen. 
Der  Forlschritt  ist  in  der  Mode  nur  ein  relativer, 
und  wir  werden  in  nicht  allzu  ferner  Zeit  auf 
einen  der  früheren  uns  heute  grotesk  schei- 
nenden Punkte  anlangen,  wird  das  Produkt  auch 
nie  in  jeder  Beziehung  das  gleiche  sein  können, 
dagegen  sich  die  sozialen  und  technischen  Er- 
scheinungen nicht  selten  wehren;  so  ist  es  mit 
der  Krinoline  in  einem  Zeitalter  elektrischer 
Verkehrsbedingungen  wohl  für  immer  dahin. 

Für  das  Werden  der  Mode,  für  das  die  Frau 
heute  der  lebhaftere  Anreger  ist  als  der  Mann, 
dessen  unkompliziertere  Kleidung  nach  den 
Tagen  der  französischen  Revolution  weniger 
einschneidenden  Schwankungen  unterworfen  ist, 
gibt  uns  ferner  wertvolle  Aufsclilüsse  das  Wer- 
den des  Frauentypus,  der  nach  mancher  Rich- 
tung ihr  Entstehen  mitbestimmt,  zumal  hinsicht- 
lich ihrer  sinnlichen  Wirkung,  und  der  wie  die 
Mode  einer  fortgesetzten  Wandlung  untersteht. 
Es  ist  ein  Unterschied,  ob  die  große  blonde 
oder  kleine   schwarze  Frau,   die   sentimental- 


elegische  oder  erotisch-frivole  den  Ton  angibt; 
ihr  Einfluß  wird  nicht  zu  verkennen  sein.  Man 
nehme  dazu  eine  Porträtsammlung,  die  die  letz- 
ten hundert  Jahre  umspannt,  oder  vergleiche  die 
Köpfe  auf  den  Modebiältern  der  gleichen  Zeit 
miteinander,  die  Gestalten  wie  ihre  Gesten, 
deren  äußere  Haut  das  jedesmalige  Kleid  nur 
ist.  Man  vergleiche  den  Typus  auf  den  Bildern 
der  Boucher  und  Fragonard  mit  dem  der  Ga- 
varnis  und  Guys  und  später  mit  Rops  und 
Lautrec.  Dann  das  Auftreten  des  englischen  Ty- 
pus: dasKindliche  wurde  durch  ihn  eingeführt.  Mit 
Leichtigkeit  wird  man  erkennen,  wie  sehr  diese 
Typen  die  Moden  ihrer  Zeit  vorschrieben.  Uns 
heute  ist  jener  auf  den  Modeblättern  der  fünf- 
ziger und  sechziger  Jahre  der  sympathischste, 
auf  dem  der  neue  Mensch,  der  nach  der  Revo- 
lution heraufkam,  nicht  als  Modepuppe  wie  häu- 
fig auf  denen  des  18.  Jahrh.,  vor  uns  steht,  viel- 
mehr sich  förmlich  in  seinem  Lebenselement  er- 
geht, so  daß  diese  Blätter  auch  als  Kulturdoku- 
mente die  weitaus  wichtigeren  sind.  Wir  treffen 
auf  ihnen  jenen  Typus  an,  in  dem  sich  die  Sen- 
timentalität der  Frauen  Gavarnis,  die  der  Ro- 


34« 


o 


ALBKRT    GESSNER- CHARLOTTENBURG. 

SCHLAFZIMMER,  KIRSCHBAUM  POLIERT  M.  NUSSBAUM- 
EINLAGEN.    AUSF:  »WERKHAUS    -CHARLOTTENBURG. 


Zjcr  Psychologie  der  Mode. 


\  1.BERT  GESSNER-  CHARLOTTEN  BURG. 


mantik,  langsam  in  jene  großzügige  und  vornehme 
Sinnlichkeit  derer  des  Guys,  die  den  Stil  des 
zweiten  Kaiserreiches  schufen,  fortentwickeln. 
Gewiß  lag  es  von  jeher  im  Wesen  der  Frauen- 
kleidung, vornehmlich  seit  dem  18.  Jahrhundert, 
die  Sinnlichkeit  zu  erregen,  doch  scheint  es, 
daß  man  hierin  nie  so  unverblümt  zu  Wege 
ging,  wie  in  unseren  Tagen:  seit  1870  macht 
sich  ein  immer  unverhüUteresHerausarbeiten  von 
Bein  und  Hüfte  geltend.  In  der  reinen  Krino- 
line  glichen  die  Frauen  noch  zarten  Glocken- 
blumen. Man  stelle  die  Profile  von  1850  und 
1900  nebeneinander:  damals  die  Dame,  bei 
unserem  Künstler  die  Dirne.  Doch  wie  sehr  der 
Geschmack  der  Zeit  und  der  Gesellschaft  her- 
untergekommen ist,  mag  der  Kenner  in  den 
„Giftschränken"  der  Bibliophilen  nachsehen; 
was  der  Staatsanwalt  als  obszöne  Bilder  unter 
den  Paragraphen  1 81  rangiert,  glich  damals  noch 
Kunstwerken,  heute  erregt  es  Übelkeit.  — 
Die  Mode  ist  am  Gesellschaftsorganismus  eine 


AUS  NEBENSTKllt.MJEM  .Sl  11I.,\I' /.IMMER. 


verwandte  Erscheinungsform,  wie  die  Kunst  im 
Leben  einzelner,  schaffender  Individuen.  Beide 
geben  sich,  d.  h.  den  Spiegel  ihrer  Lebens- 
empfindung, und  die  Zeit  findet  und  erkennt 
sich  darin  wieder.  Deshalb  wird  sie  vornehm- 
lich von  solchen  gepflegt  und  angegeben,  deren 
inneres  Leben  sich  in  dieser  Form  erschöpft 
und  manifestiert,  die  sich  damit  begnügen  und 
bemühen,  die  sinnliche  Sphäre  ihres  Daseins 
zum  Kunstwerk  zu  gestalten,  d.  h.  von  Frauen 
und  vom  Dandy,  den  also  im  Geistigen  un- 
schöpferischen Typen.  Da  der  Herstellungs- 
prozeß der  Modeobjekle  aber  nicht  wie  in  der 
Kunst  an  Willen  und  Kräftevermögen  eines 
Einzelnen  gebunden  ist,  vielmehr  der  Hilfe  eines 
höchst  komplizierten  Apparates  bedarf,  so  hilft 
—  es  ist  in  dessen  Frhaltungsprinzip  begrün- 
det —  wie  schon  betont  aus  rein  praktischen 
Gründen  die  Industrie  als  Erfinderin  nach,  um  den 
Wandel  als  Verschleißerreger  zu  beschleunigen : 
auf  diese  Weise  ist  die  Mode  einmal  eins  der 


1(18.  IV.  r 


343 


Zur  Psvchologie  der  Mode. 


ALBERT  GESSNER-  CHARLOTTENBURG.  SCHLAFZIMMER  CKEMEKARB.  LACKIERT.  AUSF:    i\VERKH.\US<  -CH.\RLOTTENBURG. 


dankbarsten  Ausnutzungsobjekle  der  Industrie, 
wie  ihr  Wesen  auf  allen  andern  industriellen 
Gebieten  als  Reizmittel  zu  schnellerem  Ver- 
schleiß künstlich  herangezogen  wird,  um  die 
Produktion  auf  dem  laufenden  zu  halten.  Sinn- 
liche Anregungen  und  Bedürfnisse,  technische 
Notwendigkeiten  und  soziale  Gesetzmäßigkeiten 
aller  Art  lassen  also  ihre  Fäden  als  Kette 
undEinschlag zusammenfließen,  umdasGewand 
dieser  heiteren  und  sorglosen  Fee  zu  spinnen. 


So  ruft  die  Frau,  die  vielgelästerten  Mode- 
launen diktierend,  eine  Wirkung  von  weit- 
tragender sozialer  Bedeutung  hervor  und  offen- 
bart gerade  durch  diesen  anscheinend  unsozialen 
Zug  die  innerste  Natur  ihres  Wesens,  die  sich 
auf  diese  Weise,  allen  Emanzipationstheorien 
zum  Trotz,  als  von  der  Versklavung  durch  die 
Tyrannei  der  Arbeit  auszuschließen  bezeichnet : 
wäre  es  nicht  so,  längst  hätte  die  Frau  all- 
gemein das  schmückende  Kleid,  das  auf  der 


344 


Zur  Psychologie  der  Jl/ode. 


ALIlKRl  i.t>SNER     <  II ARLOTTENBUKi.. 


Linie  der  Sozio-Biologie  der  Menschheit  noch 
auf  der  gleichen  Höhe  steht  wie  jenes,  dessen 
letzten  Reste  für  den  Mann  mit  dem  18.  Jahr- 
hundert für  immer  dahin  sind,  mit  der  freud- 
und  farblosen  Arbeitshose,  vertauschen  müssen. 
Damit  wäre  dann  auch  die  Voraussetzung  für 
die  heute  so  eifrig  propagierte  Beteiligung  am 
Wahlrecht  erfüllt.  Wie  wenig  aber  die  Natur 
sich  nach  dieser  Richtung  vergewaltigen  zu 
lassen  Neigung  zeigt,  ging  zur  Evidenz  daraus 
hervor,   daß  der  Hosenrock  nur   ein   koketter 


\V.\SCHT<  11  LETTE  .\US  NEBE.NSl  EHENUEM  SCHIAl/.lMMEK. 


und  perverser  pariser  Boulevardwitz  blieb.  — 
Die  Entwicklung  der  Kleidung  innerhalb  der 
Gesellschaft  nahm  ihren  Weg  in  dieser  Ebene, 
doch  ward  nur  der  Mann  als  der  schaffende, 
organisierende,  dienende  von  ihr  betroffen, 
während  das  Weib  allein,  —  so  sehr  die  sozia- 
lisierenden Lügengeisfer  unter  ihrem  mißver- 
standenen Begriff  der  Freiheit  ihm  das  Gegen- 
teil immer  wieder  einreden  möchten  —  sich 
in  der  Kleidung  wie  gesellschaftlichen  Stellung 
jener  vollständigen  Unabhängigkeit  und  Freiheit 


345 


Z^ir  Psychologie  der  Mode. 


erfreut,  die  der  Mann  in  den  Tagen  jenes 
Herrentums  kannte,  da  auch  er  das  lange  Kleid 
trug  und  nur  der  Sklave  die  Hose,  wie  es  bis 
auf  unsere  Tage  im  Orient  verblieben  ist.  Bei 
uns  hat  sich  das  lange  Kleid  für  den  Mann 
nur  in  symbolischer  Bedeutung  erhalten,  um  in 
seinem  Träger  die  herrschende  wie  Ehrfurcht 
heischende  Macht  einer  gewaltigen  Institution, 
sei  es  nun  die  des  Gerichts  oder  der  Kirche 
sichtbar  zu  machen ;  daneben  auf  dem  äußersten 
Punkt  der  Parallelentwicklung,  als  denkbarster 
Gegensatz  dieses  Würdenkleides,  sich,  gleich- 
falls als  Symbol,  für  die  Stellung  des  Mannes, 
der  innerhalb  der  Gesellschaft  für  die  vollendete 


soziale  Sicherung  seines  Dienertums  seine  letzte 
Freiheit,  d.  h.  die  einer  persönlichen  Meinung 
hingab,  die  Uniform  herausbildete,  als  Zeichen, 
daß  er  nur  das  Glied  einer  mächtigen,  ihren 
Einfluß  in  die  entlegensten  Gebiete  ergießenden 
Organisation  ist.  —  Zwischen  beiden  steht  das 
Weib,  als  soziales  Signum  nach  wie  vor  im  langen 
Kleide  als  jener  Typen  denkbarster  Gegensatz, 
indem  es  blieb,  was  jene  anfangs  waren,  immer 
sich  selbst  gleich,  im  Kampf  und  Streit  der  Mei- 
nungen die  unwandelbare  Einheit;  je  strenger 
der  Mann  unter  dem  Zwang  der  Zeit  sein  Kleid 
uniformierte,  je  reicher  übergoß  es  seinen 
Schleier  mit  Blüten.  — 


RUDOLF  KLKI.N. 


ALB  G ESSNER 
TOILETTEN- 
TISCH AUS 
VORSTEHEND 
SCHLAFZIMM 


HERTA  KOCH  — DARMSTADT 
ENTWURF  FÜR  EINEN  DRUCKSTOFF 


HERTA  KOCH 
UAKMSTAIil 


DRUCKSTOKl--- 
ENTWURF. 


STOFFE  UND  STICKEREIEN  VON  HERTA  KOCH. 


I^'s  liegt  ein  gewisses  Ungestüm  in  der  Art, 
_^  wie  das  Kunstgewerbe  nach  der  langen 
ornamentalen  Enthaltsamkeit  sich  des  Orna- 
mentes wieder  bemächtigte.  Das  zeigt  sich  be- 
sonders an  den  Dekorations-Stoffen.  Nach  den 
glatten  und  einfarbigen  Stoffen  kommen  nun 
nicht  etwa  mäßig  be- 
lebte in  Aufnahme, 
sondern  Muster  von 
einem  wahren  Über- 
schwang an  Formen 
und  Farben,  Erzeug- 
nisse einer  üppigen 
und  ungehemmten 
Phantasie.  Blumen- 
fülle ist  schwelgerisch 
über  die  Fläche  aus- 
gegossen ;  vor  Blatt- 
und  Blütenwerk,  das 
tropisch  wuchert, 

schwindet  der  Begriff 
des  Untergrundes  völ- 
lig dahin.  Dazu  ein 
wahres  Feuerwerk 
starker  Farben,  bald 
tief  und  glühend  in 
dunklen  Tönen,  bald 
voll  lichter ,  rosiger, 
strahlender  Heiterkeit. 


HERTA  KOCH— DARMSTAIJT.    DRUCKSTOFF-ENTWIRF. 


Es  ist  wie  die  holde,  wirre,  sinnlose  Fruchtbar- 
keit südlicher  Pflanzenwelten.  Im  Innenraume 
arbeiten  diese  verschwenderisch  geschmückten 
Stoffe  sehr  schön  mit  den  immer  noch  schlichten 
und  ihre  großen  glänzenden  Flächen  ruhig  ent- 
faltenden Möbeln  zusammen.  Gardinen,  Vor- 
hänge, Bettverklei- 
dung, Möbelbezüge 
—  in  ihnen  lebt  sich 
jubelnd  der  Schmuck- 
trieb aus.  —  Die  er- 
sten Stoffe  dieser  Art 
kamen  von  England. 
Alsbald  aber  haben 
deutsche  Künstler  und 
Firmen  die  englische 
Anregung  aufgegriffen 
und  ausgebaut.  — 
Herta  Koch,  eine 
der  schönsten  neue- 
ren Begabungen  auf 
diesem  Gebiete,  ist 
an  dieser  Stelle  schon 
mehrfach  mit  „flächen- 
künstlerischen" Ar- 
beiten hervorgetre- 
ten. Und  stets  war  es 
ein  feiner,  gebildeter 
Geist,  der  aus   ihren 


349 


HERTA  KOCH- 
UARM  STADT 


I  )RUCKSTOFI'- 
ENTWÜRFE. 


IIFRTA  KiHl' 
liAKMSl'ADI 


DKUCKSTOKK- 
KNTWÜRIK. 


KNIWUKF:   HERTA  KOCH-DARMSTADT. 


UKI'CKSTOFFE.    AUSF:  RIESLING,  HIEMANX  &  IlIPPMANN. 


HERTA  KUCH.    GÜBELIM  STOFF. 


LINKRUSTA     KKuXE.N.MARKE- 


AUSFÜHR:  RIESLING,  HIEMANN  &  DIPPM.\NN- LEIPZIG.    AUSF:  WESTD.  LINRRUSTAFABRIK  W.  WANRELMUTH-VALLENDAR. 


352 


IIF.RIA  KOCH— DARMSTAUT. 


HERTA  K^hH- 
IJARMSTADT. 


DRUCKSTOFF-ENTWURFE. 
Oll 


liRUCKSIOKK 
K.  VORHÄNCiK. 


Af.SFl'llRI'NC.      Klt>MN<;,    IUI  M  \\N    ,>.    HIITMANN       I.F.IFZIG. 


1913.  IV.  S. 


ENTW  :  HERTA  KOCH— DARMSTADT. 


KISSEN  MIT  FARBIGER  STICKEREI. 


ENTW.  U.  AUSFÜHRUNG:  HERTA  KOCH— ÜARMSTADT.    H.\NDT.\SCHCHEN.    r.\REIGE  STICKEREI  AVY  SCHWARZEM  GRUND. 


So/fe  und  Stickereien  7<0)i  He>ia  Koch 


ENTWURF:  HEKTA  KOCH— DARMSTAUT. 


Schöpfungen  sprach,  eine  außerordentlich  ent- 
wickelte und  doch  beherrschte  Erfindungsgabe 
und  der  sicherste  Geschmack.  Ihre  Lei- 
stungen können  geradezu  als  Demon- 
strationsbeispiele zur  Ästhetik  des 
Fläch  enschmuckesdienen:beimgrößten 
Reichtum  doch  Ruhe  und  Vorne hmlieit 
des  hindrucks,  wenige  Überschneidungen, 
keinerlei  stilwidrige  Tiefenwirkungen,  flacher, 
leppichartiger  Charakter,  vollkommene  Wahrung 
der  Einheit  der  Ebene.  Weiter:  Bei  Stoffen, 
die  voraussichtlich  meist  zu  Vorhängen  etc., 
also  zu  hängenden  Dekorationen  verwendet 
werden,  bewegt  sich  auch  das  Leben  des  Orna- 
mentes deutlich  in  senkrechter  Richtung,  indem 
hochstrebende  Motive  sich  mit  niederhängenden 


KISSEN  MIl    ]•  AKlllGER  STICKEREI. 


lieblich  und  melodisch  begegnen.  Über  Stoffe, 
die  vorzugsweise  zum  Möbelbezugdienen  sollen, 
breiten  sich  die  Ornamente  ruhig  und  pflanzen- 
haft  behaglich  ohne  funktionellen  Nebensinn 
rein  in  der  Fläche  aus.  Bei  ihren  Kissen  ent- 
wickeln sich  die  Ornamente  sinngemäß  und 
einheitlich  oft  aus  vasenartigen  Gebilden;  dazu 
kommen  Dekorationen,  deren  Bewegung  fries- 
artig von  der  einen  Flanke  zur  andern  gehl, 
und  andere,  die  sich  über  einem  diagonalen 
Schema  lebendig  aufbauen.  Einige  der  rein 
flächenhaften  Muster  haben  Linien,  die  sich 
spiralig  ringeln  mit  runden  Endigungen,  was 
dem  Gesamteindruck  eine  volltönende  harmo- 
nische Ruhe  verleiht.  Die  Motive  selbst  knüpfen 
zwar  immer  an  Naturvorbilder  an,  setzen  sie 


355 


S^toße  U7id  Stickereien  von  Ilerla  Koch 


ENTWURF  UND  AUSFUHKUNG :  HERTA  KOCH— DARMSTADT.    KISSEN.    FARBIGE  SEIDENSTICKEREI  AUF  SCHWARZEM  RIPS. 


aber  feinfühlig  und  erfinderisch  in  stilistische 
Gebilde  um.  Das  Leben  der  Erfindung  selbst 
ist  von  echt  kindlicher  oder  weiblicher  Art, 
rein,  sanft,  ausgeglichen  und  ungebunden  phan- 
tastisch. Diese  Ornamente  lesen  sich  ab  wie 
liebliche,  sinnlos  holde  Märchen,  wie  bunte 
Kinderträume,  wie  Mädchengedanken,  die  sich 
kraus  und  spielerisch  ineinanderranken  in  zärt- 


licher Verwirrung.  Die  junge  Künstlerin  ver- 
spricht eine  schöne  und  ergebnisreiche  Ent- 
wicklung. WriHKLM  MICHKL. 

Ä 

Weshalb  ich  zeichnen  lernte?  Aber  weil  .... 
wdhrhtiftig,  ich  weiß  nicht,  was  ich  antworten  soll. 
Wenn  ich  Sie  fragte,  weshalb  Sie  das  Abc  gelernt 
haben,  was  würden  Sie  antworten?  Ihre  Antwort 
könnte  auch  die  meinige  sein.  sii;axtini. 


356 


ENTW.  U.  AUSF. :  HERTA   KOCH  -  DARMSTADT 
KISSENPLATTE.  SEIDENSTICKEREI  AUF  ATLAS 


I  1 


KLEINE  KUNST-NACHRICHTEN. 

DK/.KMBER  191J. 


DIR  KUNST  DES  ALTEN  OSTASIENS.  Die 
Königliche  Akademie  hat  mit  ihrer  Aus- 
stellung von  Werken  der  alten  üstasiatischen  Kunst 
eine  Etappe  und  einen  Maßstab  geleistet.  Die 
historische  Durchforschung  der  Kunstdenkmale  Chi- 
nas, Japans  und  Koreas  ist  während  der  letzten  zehn 
Jahre  zu  der  Notwendigkeit  entscheidender  Um- 
wertungen gelangt.  Der  selbstverständlich  genie- 
fiende  Ästhetizismus  der  Goncourts  wurde  abgelöst 
durch  einen  scheidenden  Kritizismus,  der  die  etwa 
2000  jährige  Entwicklungszeit,  wie  wir  sie  auf  Grund 
des  Fundmaterials  heute  zu  übersehen  vermögen, 
nach  dem  Sdiema  der  europäischen  Kunstgeschidite 
aufzuteilen  versucht.  Das  hat  den  Japanern  vieles 
von  ihrem  Ruhm  gekostet;  das  lief;  China  als 
das  eigentliche  Urland  der  ostasiatisclien  Kunst 
erkennen.  Dabei  ging  es  nun,  wie  zu  begreifen, 
nicht  ganz  ohne  Ungerechtigkeit  ab.  Mit  der  Ein- 
seitigkeit, die  des  Forschers  Stärke  sein  kann, 
wurde  der  Japonismus  als  eine  provinzialc  Dia- 
lektik des  Chinesischen,  als  eine,  oft  dekadente 
Reflexerscheinung  gestraft.  Besonders  schlimm  fiel 
das  Urteil  über  die  einstige  grofie  Liebe  der  eu- 
ropäischen Sammler,  über  die  Farbenholzsdniitte. 
Auch  der  Katalog  der  Akademie-Ausstellung  glaubt 
das  Vorhandensein  von  200  dieser  Moronobus, 
Masanobus,  Harunobus,  Sharakus  und  Utamaros 
als  eine  Konzession  an  das  Zufalisinteresse  der 
Europäer  entschuldigen  zu  müssen.  Der  Augen- 
schein Ich-t,  dafi  Kümmel  (der  Direktor  des  künf- 
tigen ostasiatischen  Museums)  mit  solcher  Vorsicht 
ein  wenig  zu  weit  geht.  Treffen  wir  doch  unter 
den  frühesten  Blättern  Ausdruckskräfte,  die  alle 
.Absichten  des  Futurismus  vorauszunehmen  schei- 
nen; zwingen  uns  doch  die  Ivrischen  Bildungen 
des  Harunobus  und  seiner  Freunde  den  Geist  des 
Rokokos  in  einer  besonders  sublimen  Art  zu  emp- 
finden; wirken  auf  uns  doch  die  Hieroglyphen  der 
Scfiauspielerköpfe  des  Sharakus  mit  fast  freskaler 
Dämonie.  Es  wird  also  nicht  nötig  sein,  wenig- 
stens was  die  Klassik  des  Holzschnittes  betrifft, 
eine  absolute  Revision  unseres  Empfindens  vor- 
zunehmen. Was  freilich  nicht  hindert,  daf;  wir  die 
uns  neugewiesene  Grobheit  der  chinesischen  Bronze- 
gefäf>e,  der  Keramiken  und  vor  allem  der  Rollbilder 
des  alten  Chinas  ehrfürchtig  anerkennen.  Diese 
frühen  bronzenen  Räuchervasen,  die  von  den  Fach- 
leuten bis  in  die  Zeit  vor  Christus  zurückdatiert 
werden,  überwältigen  uns  durch  jene  archaistische 
Monumentalität,  die  uns,  wo  wir  sie  immer  treffen, 
ob  in  Mvkene,  ob  bei  den  Peruanern,  noch  immer 


voll  Grauens  erschien:  weil  wir  nictit  wissen,  wo- 
her diese  Spannungen  organisierter  Kraft  ihren 
Ursprung  leiten.  Wir  stehen  ratlos  vor  der  Par- 
thenogenesis  dieser  chinesischen  Sakralbronzen, 
und  treten  mit  dem  gleidien  Erstaunen  vor  die 
keramischen  Tonvasen,  die  gleichfalls  bis  in  den 
Anfang  unserer  Zeitrechnung  zurückreichen  sollen, 
die  aber  auch,  wenn  sie  wie  einige  andere,  korea- 
nische, dem  17.  Jahrhundert  zugewiesen  werden, 
allein  durch  die  technische  Leistung  unsere  volle 
Bewunderung  erzwingen.  Es  haben  immer  nur 
die  .Asiaten  verstanden,  den  keramischen  Prozessen 
ein  Äufjerstes  abzugewinnen.  Das  kleinste  Tee- 
väschen, das  uns  diese  Ausstellung  zeigt,  nichts 
seiend  als  reine,  von  asketisdieni  Braun  geschmückte 
Form,  macht,  daj^  wir  darüber  alles  vergessen, 
was  das  entsinnlichte  Europa  einst  oder  heute 
sich  lehren  liej^. 

Was  könnte  man  noch  alles  sagen  über  die 
Setzschirme  jener  Zeiten,  da  Europa  den  Barock 
erlebte,  oder  über  die  frühen  Lacke  und  die  Tsubas 
der  Myochin-Familie  und  der  Gotomeister;  wir 
müssen  uns  damit  begnügen:  alle  Kunstfreunde 
nach  Berlin  zu  bitten.  Kommet  und  sehet,  sehet 
die  Musik,  zu  der  Rollbilder,  Seidenbrokate,  Bron- 
zen und  Keramiken  zusammenschwingen,  kki  i  i:k. 
Ä 

BERLIN.  Die  Unterriditsanstalt  des  Kgl.  Kunst- 
gewerbemuseums hat  nach  dreijähriger  Pause 
wieder  den  Versuch  unternommen,  in  einer  Aus- 
stellung von  Aufnahmen,  Entwürfen,  Modellen  und 
ausgeführten  Arbeiten  ihrer  Schüler  der  öffentlich- 
keit ein  Bild  ihrer  Leistungen  vorzuführen.  Nicht 
so  sehr  um  eine  systematische  Darstellung  des 
Bildungsganges,  als  vielmehr  um  Proben  der  auf 
jeder  Stufe  erreichten  Resultate  war  es  ihr  also  zu 
tun.  Das  Ziel  der  Tagesschule  ist  nach  den  aus- 
gestellten Arbeiten  die  sichere  Beherrschung  des 
Handwerkszeugs  und  der  verschiedenen  Techniken. 
Hat  der  Schüler  im  Vorbereitungsunterridit  sein 
Handwerk  gelernt,  ohne  daf;  ihm  eine  bestimmte 
Manier  aufgezwungen  wäre,  gilt  es  in  den  FarJi- 
klassen  zu  entwickeln,  was  an  eigenen  künstle- 
rischen Kräften  in  ihm  schlummert.  Nicht  nach 
irgend  einer  Methode  wird  da  unterrichtet,  jeder 
Schüler  kann  treiben  was  er  will,  nur  darauf  wird 
gehalten,  daj^  es  anständig  in  der  Technik  und  in 
der  Gesinnung  sei.  Überall  drängt  sich  dem  Be- 
schauer die  Betonung  handwerklicher  Geschicklich- 
keit und  das  Eingehen  auf  die  praktischen  Bedürf- 
nisse der  Industrie  auf,  werden  doch  auch  die  Lehr- 


35/ 


FRAUEN. 
BANKETT- 
SZENE. 


m 


»DER  PRINZ« 


iDER  SPIELM.-VNN« 


PROFESSOR  HEINRICH  I.EFLER-WIEN.    KOSTCM-ENTWCkFE  FÜR  DIE  WIENER  .WFFÜHRrXG  DES      MIK.\KEI 


Kleine  Kunst-Nachricliteii. 


Werkstätten  und  tech- 
nischen Sonderkurse 
ständijj  vermehrt.  Niclit 
ein  starres  System  von 
Klassen  soll  die  Unter- 
richtsanstalt sein,  das 
für  sich  um  seiner 
selbst  willen  besteht, 
sondern  ein  lebendig'er 
Organismus,  in  dem 
ein  Glied  ins  andere 
greift,  der  auf  jede 
Anregung  von  aufien 
lebhaft  eingeht.  So 
hofft  die  .-Xnstalt,  dem 
selbständigen  Hand- 
werk und  der  Industrie 
brauchbare  Mitarbeiter 
und  Führer  zu  erzie- 
hen. Und  für  die  Rich- 
tigkeit dieser  leitenden 
(irundsätjC  möge  neben 
Leistungen  besonders 
begabter  Schüler  vor 
allem  die  hohe  Durch- 
schnittsqualität der  aus- 
gestellten Arbeiten 
sprechen.     k.\ut/.sch. 


\^ 


I'ROKESSOR  HF.INKICH  LEFI.ER-WIE.N.    KOSTO.M-E.NTWORFE. 


WIEN.  Die  von 
Max  Rein- 
hardt inszenierten 
Aufführungen  von  VoU- 
moellers  „Mirakel" 
in  der  Wiener  Rotunde 
verwirklichten ,  wenn 
auch  mit  mancher  Un- 
zulänglichkeit, einen 
Traum  derer  um  Rein- 
hardt: das  „Theater  der 
Zehntausend",  und  gab 
dem  vielbewunderten 
Regisseur  die  ersehnte 
Gelegenheit,  durch 
Massenaufzüge,  durch 
Verschwendung  uner- 
hörter Praclit,  durch  er- 
regte Volksmengen, 
durch  die  Buntheit 
seiner  szenischen  Ein- 
fälle zu  wirken.  Der 
riesige  Raum,  die  un- 
geheuren Menschen- 
mengen, die  es  zu  be- 
wältigen galt,  bargen 
aber  die  grof^e  (iefahr, 
daf;  die  Fabel,  der  poe- 


359 


Kleine  Kunst-Nachrichten. 


tisclie    Inhalt    der    Dich- 
tung im  Ijunten,  verwir- 
renden     Nebeneinander 
verloren  gehe.     Es  war 
daher  die  Aufgabe  Pro- 
fessor  Heinrich  Lef- 
lers  ,  der  die  Kostüme 
zu  diesen  Aufführungen 
entworfen  hat,  dem  Auge 
zu     ermöglichen,     was 
der  Verstand  in  der  sinn- 
berückenden Verwirrung 
der  Vorgänge  nicht   all- 
sogleich     zu     tun     ver- 
modite:   den   Gang   der 
Handlung  ohne  Stocken 
zu  erkennen.  Es  galt  also 
für  den  Künstler,  durch 
auffallende    Form     und 
vornehmlich     durch     die 
Farbe  der  Kostüme  bei 
dem  Zuschauer  von  vorn- 
herein erhöhtes  Interesse 
für    die    Hauptdarsteller 
zu  erregen,    sie  aus  der 
Masse    der    Nebenper- 
sonen äufierlich  hervor- 
zuheben.   Das  muß  ge- 
sagt werden,  um  die  Ent- 
würfe   riditig  werten  zu 
können.     Sie   sind  zwar 
nur  für  den  praktischen 
Zweck  gezeichnet,  allein 
sie  zeigen  das  erstaun- 
liche      Erfindungstalent 
ihres  Autors,     pl-i^nek. 
Ä 

ZÜRICH.  Nach  fünf- 
jähriger Pause 
wurde  hier  wieder  eine 
Gartenbau  -  Ausstellung 
veranstaltet.  Neben  den 
üblichen  Pflanzen-  u.  Ge- 
rätesammlungen zeigte 
man  auch  Gärten,  die 
teils  noch  wenig  die 
Umwandlung  erkennen 
liefien,  die  sich  in  der 
Gartengestaltung  wäh- 
rend den  legten  Jahren 
vollzogen  hat.  Waren 
doch  noch  Grotten  neben 
Birkenholzbrücken  und 
den  üblichen  Teppich- 
beeten zu  sehen.  Immer- 
hin war  ein  Fortschritt 
seit  der  letzten  Ausstel- 


360 


'fÄ^ 


^*  T^ 


OTTO  FROEBELS  ERBEN— ZÜRICH.    GARTENANLAGEN. 


lung  unverkennbar,  und 
einige      der      größeren 
Firmen   hatten   Respek- 
tables   geleistet.   —   So 
zeigte  der  Sondergarten 
der    Garten- Architekten 
Otto  Froebels  Erben 
eine  Fülle  der  reizvoll- 
sten   Motive.     Die   rein 
architektonische    Gestal- 
tung   ergab    durch    vor- 
handene   und    neu    ge- 
schaffene    bauliche    und 
vegetative      Abschlüsse 
gute      Raumwirkungen. 
Dem      Licht      entgegen 
standen  vor  Laubengang 
und  Mauer  die  farbigen 
Kinder  Floras,    hier  als 
rosafarbener       Streifen 
groftdoldiger    Geranien 
mit    blauem    Ageratum, 
dort  ein  überreicher  Flor 
der     herrlichsten     aus- 
dauernden      Blütenge- 
wächse,   die    in    feiner 
Abstimmung     oder     in 
schönen     Farbengegen- 
sät)en    angeordnet    wa- 
ren,   wobei    das    Gelb 
der  herbstlichen  Kompo- 
siten  und  das  zart  ab- 
gestufte Blau  der  Astern 
den   Grundton    bildeten. 
An  versdiiedenen  Stellen 
waren   anmutige  Terra- 
kotten    aufgestellt ;     in 
einem  keramischen  Brun- 
nen   an    der    niedrigen 
Mauer    spieen    Masken 
den    silbernen   Wasser- 
strahl in  das  spiegelnde 
Becken,     während     auf 
der     andern     Seite     im 
Badebassin    die    Gold- 
fische sich  tummelten.  — 
Der    ruhige    Garten    ist 
manchem    zum   Erlebnis 
geworden,    und    es    ist 
nun  zu  hoffen,   daß  da- 
durch   wieder    ein    Teil 
jener  konservativen  Gei- 
ster   gewonnen    wurde, 
die  dem  modernen   ar- 
chitektonischen     Garten 
die  intime  Note  abspre- 
chen möchten,    ammann. 


MIT  GBNBUMlüUNG  DBR  PHOTOGR.  GESBLLSCHAFI — BERLIN. 


WILH.    LEIBL  t     BILDNIS  DES  CHEMIKERS  JAIS. 
BESITZ  DER  GALERIE  KARL  HABERSTOCK— BERLIN. 


KAkL  SCHLCH  t 


»WAUXStEi..    GALEKIF.  H  AIIF.KSI  i  )CK. 


WERKE  AUS  DEM  LEIBL-KREIS. 

VON   GKi>K<_;  JACOB  WoI.K      MÜNCHKN. 


„Echte  Kunsl  kann  sich  nur  auf  dem  Boden  des 
Handwerksmäßigen  aufbauen".    Wilhelm  Leibl. 

Der  unbändige,  athletische  .lünglinjj  Wilhelm 
Leibl  ward  in  Köln  zu  einem  Schmied  in 
die  Lehre  jjetan.  Am  Amboß ,  unter  dem 
Sprühen  der  Funken,  beim  Dröhnender  1  lämmer 
(iinfj  ihm  das  Verständnis  auf  für  das  Handwerk 
und  für  Wert  und  Bedeutun)«  des  Handwerk- 
lichen. Der  junge  Leibl  hatte  Respekt  vor  dem 
Meister  und  vor  den  Gesellen,  die  ihr  Hand- 
werk verstunden  und  die  auf  ihre  „Kunst"  stolz 
waren,  wie  es  sich  für  einen  rechten  Hand- 
werker geziemt. 

Als  Leibl  ein  paar  Jahre  später  die  Münch- 
ner Akademie  bezog,  lernte  er  in  der  Piloty- 
schule  einen  anderen  Betrieb  kennen.  Da  fand 
er  nicht  die  handwerksmäßige,  solide,  bildsame 


Werkstättenatmosphäre,  die  er  erwartet  hatte 
und  die  wahrhaftig  auch  der  Kunst  keine  Schande 
macht,  sondern  da  war  genialisches  Wursteln 
daheim.  Da  kam  es  viel  mehr  auf  Ideen,  auf 
Sclilagworte,  auf  kompositionellc  Mätzchen,  auf 
koloristische  Witze,  auf  gemalte  Anekdoten  an 
als  auf  die  Malerei  selber.  Dem  jungen  Wilhelm 
Leibl  ging  das  nicht  ein.  Er  hatte  einen  harten 
Kopf  und  einen  klaren,  nüchternen  Verstand. 
Kr  war  ein  Kölner,  er  war  durchaus  germanisch. 
Der  offizielle  Kunstbetrieb,  damals  in  München, 
aber  erschien  ihm  und  erscheint  uns  heute  von 
romanischer  und  romantischer  Phantasterei,  von 
aufgeblasener  Äußerlichkeit  überwuchert.  Und 
da  mochte  Leibl  nicht  mittun.  Dazu  hatte  er 
in  seiner  Kölner  Schmiedewerkstätte  zu  viel 
Hochachtung    vor     solider    Handwerklichkeit 


1913.  V.  1. 


363 


Werke  aus  dem  Lcibl-Kreis. 


WILHELM 
LEI  HL  t 


BILDNIS  DFs 

MALER.S  B. 

BES:  GALER  II 

HAEERSTOCK 


MIT  GENEHM. 
DER  PHOTOGR. 
GESELLSIHAFT  \ 
IN  BERLIN. 


gewonnen.  Er  wollte  ganz  einfach  malen 
lernen.  Richtig  und  wahrhaftig  malen.  So  wie 
es  der  Jan  van  Eyck,  wie  es  der  jüngere  Hol- 
bein konnte.  So  wie  es  Lionardo  meinte,  als 
er  die  Malerei  mit  einer  Spiegelplatte  verglich. 
Der  Natur  allergetreuestes  Abbild  zu  geben  — 
das  schien  Leibl  die  Aufgabe  der  Malerei.  Er 
scherte  sich  den  Teufel  was  um  Transposition 
und  feinspinnerische  Komposition  und  tieferen 
Sinn.  Abschrift  der  Wirklichkeit  —  das  war 
seine  Devise.  Und  da  ihn  das  an  der  Münchner 
Akademie  keiner  lehren  konnte,  stellte  er  sein 
Sach'  auf  sich  selbst.  Leibl  ist  durchaus  Auto- 
didakt, vergessen  wir  das  nie!  Als  später 
Courbet  in  sein  Leben  trat,  war  er  schon  fertig. 
Was  beide  Meister,  den  jungen  und  den  alten. 


364 


zusammentrieb,  war  ja  gerade  die  Gemeinsam- 
keit oder  wenigstens  die  Ähnlichkeit  des  bereits 
Erreichten:  daß  sie,  ohne  von  einander  gewußt 
zu  haben,  in  dem  für  die  deutsche  Kunst  so  be- 
deutungsvollen Jahr  1869  fast  auf  dem  gleichen 
Punkt  standen,  und  daß  ihre  Kunst  auch  ferner- 
hin zum  gleichen  Ziele  zeigte. 

Leibl,  das  kann  man  füglich  behaupten,  ist 
trotz  Courbet  ganz  aus  sich  selbst  das  geworden, 
was  er  war  und  was  wir  ihm  heute  als  Selbst- 
verständliches vindizieren:  der  größte  deutsche 
Maler  seit  Hans  Holbein.  Maler,  wohlver- 
standen! Denn  jene  Elemente,  die  das  Künst- 
lerische im  philosophischen  Sinn  bilden,  sind 
zweifellos  bei  anderen,  bei  Rethel  oder  Feuer- 
bach, bei  Marees  oder  Böcklin,  deutlicher  und 


THEODOR  ALT.   gemälüe:  »der  hundert- 

lÄHRIGE«     BES:  GALERIE  K.  HABERSTOCK-BEKLIN. 


PROFESSOR  WILHELM  TRÜBNER-KARLSRUHE. 
»KNABE  MIT  DOGGE«   (1877).    BES;  GAL.  H.\BERSTOCK-BERLIN. 


KARL  SCHUCH  t     »STILLEBEN. 

BLUMEN  U   FRÜCHTE.   GAL.  HABERSTOCK. 


Werke  aus  dem  Leibl-Kreis. 


ausgeprägter  zu  beobachten  als  bei  ihm.  In- 
dessen kann  dieses  Fehlen  des  Künstlerisch- 
Genialischen  in  philosophisclier  Reinkultur  un- 
seren Respekt  vor  Leibls  Tat  und  Lebenswerk 
nicht  im  mindesten  beeinträchtigen,  und  seine 
Bedeutung  für  die  deutsche  Kunst  ist  deswegen 
keine  geringere.  Hätte  man,  ohne  Leibls  Da- 
zwischentreten, in  der  genialischen  Art  weiter- 
gewirtschaflet,  ohne  sein  Handwerk  zu  ver- 
stehen, so  wären  Erscheinungen,  wie  sie  uns 
heule  auf  Expressionisten-  und  Futuristen-Aus- 
stellungen begegnen,  will  sagen :  Erscheinungen, 
die  alle  jene,  die  durch  Leibls  Schule  gingen,  mit 
gebührender  Entschiedenheit  ablehnen,  selbst- 
verständlich, natürlich  und  der  allgemeinen 
Kunstentwicklung  gemäß.  Wir  danken  es  Wil- 
helm Leibls  handwerklicher  Tüchtigkeit,  daß 
unserem  in  Kunstdingen  so  verwirrten  und 
schwankenden  Zeitalter  ein  Gradmesser  in  die 
Hand  gegeben  ist,  dessen  Untrüglichkeit  sich 
jeden  Tag  aufs  neue  erproben  läßt  und  bewährt. 
Leibls  außerordentliche  Erscheinung  haben  von 
seinen  Zeitgenossen,  den  zwischen  1840  und 
1 850  geborenenKünsllern,  die  um  dasJahr  1 869 
in  München  ihren  Studien  oblagen,  nur  wenige 
verstanden.  Diese  wenigen  freilich  schlössen 
sich  dafür  umso  enger  an  Leibl,  sie  bilden  seinen 
„Kreis",  seine  Schule,  die  seineTradition  weiter- 
gibt, ohne  daß  sich  Leibl  jemals  bewußt  als 
Lehrer  dieser  Mitstrebenden  und  Kunslgenossen 
aufgeworfen  oder  gefühlt  hätte.  Der  Leibl-Kreis 
im  engeren  Sinne  erstreckt  sich  nur  über  ganz 
wenige  Namen;  Trübner,  Schuch,  Alt,  Hirth, 
Haider,  Sperl  —  dann  ist  es  schon  getan,  und 
auch  die  Zeit,  da  dieser  Kreis  zusammengehörte, 
ist  eine  nach  vlahren  engumgrenzte:  sie  beginnt 
mit  dem  Sommer  1870,  da  sich  die  Häupter 
des  Kreises  in  Bernried  am  Starnberger  See 
zusammenfanden,  und  endet  mit  dem  Jahr  1873, 
da  die  Furcht  vor  der  damals  in  München 
herrschenden  Cholera  die  Künstlerschar  in  alle 
Winde  auseinanderfegte.  Dennoch  wäre  es 
falsch,  sich  bei  dem  Begriff  „Leibl-Kreis"  auf 
die  paar  Namen  und  auf  die  drei  Jahre  zu 
beschränken.  Eine  Durchsicht  der  Leibl-Bio- 
graphie  von  Julius  Meyer,  die  Lektüre  der 
Trübnerschen  und  Hans  Thomaschen  Erinne- 
rungen lehrt  uns,  daß  wir  auch  Viktor  Müller, 
Scholderer,  Albert  Lang,  Louis  Eysen,  Sattler, 
bis  zu  einem  gewissen  Grad  —  namentlich  durch 
seinen  Zusammenhang  mit  Trübner  —  sogar 
Hans  Thoma  diesem  Kreise  zuzählen  dürfen. 
Bayersdorf  er,  der  literarisch -kritische  Schild- 
knappe der  Schar,  hat  als  ihr  Programm  „un- 
verkäufliche Bilder"  bezeichnet,  prägnanter  sagt 
Hans  Thoma: wäre  der  Name  Sezes- 
sion damals  schon  bekannt  gewesen,   so  wäre 


dies  wohl  die  erste  Münchener  Sezession  ge- 
wesen". Die  gegenseitige  Beeinflussung  der 
Angehörigen  dieses  Kreises  ist  kunstwissen- 
schaftlich noch  nicht  untersucht,  obwohl  eine 
solche  Untersuchung  für  jeden  Kunstgelehrten 
eine  lockende  und  dankbare  Arbeit  darbieten 
mußte.  Was  weiterhin  die  zeilliche  Begrenzung 
der  Wirksamkeit  des  „Lcibl-Kreises"  anlangt, 
so  darf  man  auch  in  dieser  Hinsicht  nicht  zu 
engherzig  sein.  Was  jene  entscheidenden  drei 
Jahre  den  begeisterten  Adepten  gaben,  das  ist 
nicht  spurlos  verweht,  sobald  die  physische  Ge- 
meinsamkeit aufgehoben  war.  Ein  starkes  gei- 
stiges Band  hielt  die  Glieder  dieser  Geniegilde 
auch  nach  ihrer  räumlichen  Trennung  zusammen. 
«  «  « 

Wenn  daher  heute  im  Berliner  Kunsthandel 
(im  Besitz  der  Galerie  Haberstock)  Werke  von 
Leibl,  Trübner,  Schuch,  Thoma,  Eysen  und  Alt 
auftauchen  und  als  Entstehungszeit  die  Jahres- 
zahlen 1876,  1877,  1878,  1879,  1885,  ja  selbst 
1888  genannt  werden,  so  kann  gleichwohl  von 
vollwer  tigen  und  vollgültigen  Werken  des,,  Leibl- 
Kreises"  mit  Fug  und  Recht  gesprochen  werden. 
Denn  mit  wenigen  Ausnahmen  tragen  diese 
Bilder  immer  irgendwie  das  Charakteristikum 
Leibischer  Kunstanschauung  und  könnten  da- 
her zurückgehen  auf  das  bedeutungsvolle  Trien- 
nium  1870—1873.  Der  Geist  solider  Hand- 
werklichkeit ist  in  ihnen,  das  malerisch  Tech- 
nische ist  bei  ihnen  durchaus  das  Primäre,  ohne 
freilich  Selbstzweck  zu  werden  und  den  ganzen 
Prozeß  künstlerischer  Durcharbeitung  über- 
flüssig zu  machen;  vielmehr  ist  gerade  diese 
unendliche  technische  Meisterschaft  für  ein  un- 
befangenes, naives  Auge  eine  Selbstverständ- 
lichkeit; ihren  süperben  Reiz  zu  erfassen,  bleibt 
freilich  dem  Kenner  vorbehalten. 

Mehrere  dieser  Bilder  haben  wir  hier  einer 
Betrachtung  zu  unterziehen,  was  uns  an  der 
Hand  der  Reproduktionen  nicht  schwer  fallen 
dürfte.  Daß  die  reproduzierten  Bilder  bei  wei- 
tem nicht  den  gesamten  Haberstockschen  Be- 
sitz an  Gemälden  aus  dieser  speziellen  Provinz 
der  Kunst  darstellen,  sei  beiläufig  angemerkt.  .  . 

Das  Porträt  des  Malers  B.  hat  Leibl  zur 
nämlichen  Zeit  gemalt,  da  er  die  „Dorfpolitiker" 
auf  der  Staffelei  stehen  hatte.  Indessen  ist  von 
der  knorrigen,  eckigen  Art  dieses  Gemäldes 
wenig  auf  das  Porträt  übergegangen.  Das  mag 
nicht  zuletzt  in  der  Erscheinung  des  Porträ- 
tierten seinen  Grund  haben:  er  ist  eine  jener 
korrekten  und  appetitlichen  Männerschön- 
heiten, die  Leibl  im  Grund  seines  Wesens 
fremd  sind.  Leibl  ist  an  das  Porträt  hauptsäch- 
lich herangegegangen ,  weil  er  dringend  Geld 
nötig  hatte.    Man  schrieb  1876,  und  Leibl  war 


369 


Werke  atcs  dem  Leibl-Kreis. 


mittellos.  Trübner 
hatte  den  Auftrag 
gebracht,  als  Hono- 
rar —  verhülle  dein 
Haupt,  o  Muse!  — 
waren  ....  100  M. 
festgesetzt  worden. 
Der  erste  Versuch, 
ein  Kniestück,  fast 
voll  en  face  ange- 
packt, befriedigte 
Leibl  nicht  völlig 
und  erließ  die  Lein- 
wand unvollendet 
stehen;  Schönheiten 
hat  der  Essay  trotz- 
dem, namentlich  in 
der  plastisch  behan- 
delten Augenpartie, 
das  Pathos,  das  in 
der  Haltung  liegt, 
gemahnt  merkwür- 
dig an  Manet.  Zur 
Vollendung  kam  ein 
Bruststück,  das  den 
Kopf  des  Herrn  B.  in 
dreiviertel  -  en  face 
nach  rechts  zeigt. 
Ein  Hauptslück  in 
Leibls  CEUvre  ist  es 

freilich  gerade  nicht,  aber  in  unserer  Zeit,  wo 
nur  ein  Zufall  einen  einwandfreien  Leibl  auf  den 
Markt  bringt,  ist  man  auch  mit  Arbeiten  wie 
dieser  sehr  zufrieden.  Zudem  verspürt  man 
überall  die  Pranke  des  Löwen.  Haar  und 
Bartansatz  lösen  sich  in  pikanter  Weise  von 
dem  zarten  Kolorit  des  Inkarnats,  prachtvoll 


\V.  TKLBMCR.  BILDNIS  D.  KOMP.  GUNGL  U« '**!■  G.VI..  H.\BERSTOCK, 


steht  das  Weiß  des 
Hemdkragens  gegen 
das  Gelb-Rosa  der 
Halspartie ,  unge- 
mein fein  model- 
liert in  Zeichnung 
und  Kolorit  ist  das 
sehr  detailliert  be- 
handelte Ohr.  — 
Unkritischerund  be- 
geisterter tritt  man 
dem  in  Aibling  im 
Jahre  1885,  also 
gleichzeitig  mit  den 
„Wildschützen"  der 
Nationalgalerie,  ent- 
standenen Bildnis 
des  Brauereichemi- 
kers J.  J.  Jais  gegen- 
über. Jais  war  Leibls 
Freund,  und  dem 
Künstler  war  daher 
nicht  nur  seine  Phy- 
siognomie, sondern 
auch  sein  Charakter 
überaus  vertraut. 
Das  Porträt  trägt 
daher  nicht  das 
Stigma  irgendeines 
Auftragsbildnisses, 
sondern  in  jedem  Pinselstrich  bekundet  sich  in- 
nerster Anteil  und  eine  außerordentliche  Freude 
an  der  Arbeit.  Ich  stehe  nicht  an,  das  Bild  den 
besten  Leibl  zu  nennen,  der  sich  gegenwärtig  im 
Kunsthandel  befindet.  Nach  genauer  Prüfung 
der  Qualität  gebe  ich  ihm  selbst  den  Vorzug 
vor    den    gleichzeitigen    „Wildschützen",    die 


WILHELM 
LEIBL  t 

MIT  GENEH- 
MIGUNG DER 
PHOT.  GESELL- 
SCHAFT— BKRLIN. 


LINKK    HAND 
DES    KEMBBANDT- 
DKUTSCHEN. 
GALERIE    HABER- 
STOCK — BERLIN. 


370 


Werke  ajis  de  zu  I^ibl-Kreis. 


ikofessor 
w.trCbner- 

KAKIJjRUHE. 


l.irMKN- 

MILLEBE.N 

ROSEN« 


Überdies  von  Leibl  durch  unglückliches  Be- 
schneiden der  Ränder  um  alles  Format  gebracht 
wurden.  Herrlich  ist  bei  diesem  herben  Männer- 
antlitz das  Inkarnat  gemeistert,  man  glaubt,  das 
feine,  mit  Blutkörperchen  durchsetzte  Geäder 
unter  der  Haut  wahrzunehmen,  und  dabei  ist 
die  Epidermis  doch  von  jener  derben  F"rische, 
die  zum  Typus  dieses  robusten  blauäugigen, 
blondbärligen  deutschen  Mannes  gehört.  Dem 
koloristisch  so  fein  angelegten  Kopf  wird  eine 
lebendige  Folie  gegeben  indem  reich  nuancierten 
Weiß  der  Hemdbrust,  dem  Grau  der  Weste 
und  dem  fein  abschattiertenSchwarz  des  Rockes 
und  Hintergrundes.  Sieht  man  sich  einmal  nur 
ein  Detail  dieses  Porträts  an,  etwa  das  Ohr 
oder  die  Hemdbrust,  so  erkennt  man,  wie  le- 
bendig und  rassig  selbst  eine  solche  Einzelheit 
behandelt  ist,  wie  sie  als  Stück  Malerei  Eigen- 
wert hat,  gerade  wie  ein  Goldbarren,  der,  auch 


in  Partikelchen  zersprengt,  seinen  Wert  nicht 
verliert.  Ich  gehe  daher  mit  Hans  Rosenhagen 
einig,  wenn  er  von  Leibls  Kunst  sagt:  „Ihr 
Außerordentlichstes  spricht  sich  vielleicht  am 
sinnfälligsten  darin  aus,  daß  jede  kleinste  Fläche, 
jeder  Ausschnitt,  jedes  Fragment,  genau  wie 
der  ärmste  Überrest  einer  griechischen  Skulp- 
tur, eine  deutliche  Vorstellung  von  der  uner 
hörten  Höhe  der  gesamten  ursprünglichen  Lei- 
stung gibt." 

Dafür  sind  namentlich  auch  die  beiden 
„Hände  des  Rembrandtdeutschen",  getrennte 
Segmente  des  1877  enstandenen  Temperabild- 
nisses Langbehns, des  sogenannten  „Rembrandt- 
deutschen", Zeugnis.  In  den  neunziger  Jahren 
ließ  Langbehn  auf  Leibls  Wunsch  die  Tren- 
nung vornehmen,  da  diese  Hände  ein  wenig  un- 
glücklich und  unorganisch  im  Bildganzen  saßen, 
und   siehe!,  als  Einzelerscheinungen  sprühten 


371 


Werke  aus  dem  Jxibl-Kreis. 


diese  Bruchstücke  einer  eminenten  Malerei 
ungeahnte  Lebenskräfte  aus.  Sie  sind  uns 
dessen  ein  Beweis,  daß  es  für  Leibl  keine 
geringerwertigen  und  gleichgültig  behandelten 
Details  gab.  Denn  ihm  war  —  ähnlich  wie 
Menzel  —  alles,  was  seine  schaufrohen  Augen 
erspähten,  gleich  wichtig  —  die  Blumen  im 
Kopftuch  einer  Berblinger  Bäuerin,  ein  Mieder- 
haken, eine  Nelke,  eine  Hand,  ein  strenges 
Antlitz.  .  . 

Trübner  war  es  beschieden,  Leibls  Erbe  zu 
übernehmen  und  in  einer  gangbareren  Form 
dem  Kunstmarkt  preiszugeben.  Er  thronte  und 
thront  nicht  in  der  majestätischen  Einsamkeit, 
die  Leibl  angemessen  war,  die  diesen  Großen 
zugleich   zum  Bauer    und    zum   König  werden 


ließ.  Nehmen  wir  bei  Leibl  alles  ohne  Aus- 
wahl, so  scheint  uns  hingegen  bei  Trübner  diese 
oder  jene  Periode  vorzüglicher,  scheint  uns 
seine  Entwicklungslinie  schwankender.  Seine 
Exkursionen  ins  Zentauern-  und  Nymphenreich 
machen  wir  nur  widerwillig  mit,  und  wir  freuen 
uns  auch  nicht  sonderlich  darüber,  daß  er  vor 
einem  Jahrzehnt  anfing,  berittene  Fürsten  zu 
malen.  Den  besten  Trübner  grüßen  wir  in 
Werken  wie  diesen:  der  kleine  Neal  mit  Dogge 
(1878),  Porträt  des  Komponisten  Gungl  (voll 
signiert :  W.  Trübner,  München,  1877)  und  dem 
BiumenstiUeben  der  achziger  Jahre.  In  dem 
Knabenbildnis  zumal  lebt  der  Leibl  der  besten 
Zeit  wieder  auf:  das  starke  Formgefühl,  ge- 
paart mit  einem  unendlich  empfindsamen  Blick 


Wir.H.  LEIBLt    BILDNIS  DES  MALERS  B.  (UNVOLLENDET).      G.\LERIE  HABERSTOCK-  BERLIN. 


3/2 


MIT  GBNHHMIGING  DER  DEUTSCHEN  VERLAGbANSTALT-STCnOART. 


PROFESSOR  HANS  THOMA    KARLSRUHE. 
»GEFILDE  DER  SELIGEN«  (IKTil).    DES:  K.  HAHERSTOCK. 


1913.  V.  2. 


Werke  atts  de))i  LeibI- Kreis 


l'.ESITZER  : 
IIF.RNHARD 
HEVOK- 
BERLIN. 


für  das  koloristische  Ensemble,  die  Plastizität, 
die  sich  na  mentlich  im  Absetzen  der  Farben 
gegeneinander  bekundet,  —  das  alles  ist  beste 
Leiblschule,  und  so  ein  Bild  vermochte  damals 
in  München  außer  Leibl  eben  auch  nur  Trübner 
zu  malen. 

Von  Interesse  ist  es,  das  kleine  Blumenstill- 
lehen  Trübners  gegen  die  Stilleben  seines  ver- 
trauten Freundes  Charles  Schuch  zu  halten. 
Um  wieviel  zeichnerischer  und  kompakter  ist 
Trübner,  um  vi^ieviel  koloristischer  und  sensib- 
ler ist  Schuch!  Und  doch  kommt  Schuch  selbst 
auf  einem  so  kraftgenialischen  Stilleben,  vkfie 
dem  vom  Jahre  1885,  das  in  Paris  zu  einer  Zeit 
entstand,  da  ihn  Sisley  und  Manet  stark  be- 
schäftigten, nicht  auf  die  Abwege,  auf  die  Jung- 
Frankreich  mit  der  Cezanne-Nachfolge  geriet. 
Dabei  werden  die  bisher  nur  in  unwesent- 
lichen Bruchstücken  veröffentlichtenTagebücher 
Schuchs,  die  jetzt  der  Nationalgalerie  in  Berlin 
gehören,  dartun,  daß  auch  Schuch  einmal  so 
ähnUch  „kunstphilosophierte"  wie  Jung-Frank- 


reich!  Indessen  zeigt  sich  eben,  daß  der  Ein- 
fluß Leibls,  der  auch  Schuch  „die  Morgenweihe 
am  Tage  des  Kampfes"  gab,  selbst  diesen  ner- 
vösen Künstler  vor  dem  Zerflattern  in  Form- 
losigkeit und  vor  nutzlosen  Phantastereien  be- 
wahrte. —  Schuch,  den  Landschafter,  hat  erst 
unsere  jüngste  Vergangenheit  entdeckt;  eines 
seiner  schönsten  landschaftlichen  Werke,  einen 
Wildbach,  hat  die  Nationalgalerie  erworben, 
ein  anderes  Werk,  von  tiefem  Slimmungsreiz 
uad  hohem  malerischen  Wert,  den  „Waldsee", 
gibt  unsere  Reproduktion  wieder. 

Alt  und  Eysen  folgen  diesen  Großen  in 
einiger  Distanz:  erwünschte  Schulbeispiele,  um 
zu  demonstrieren,  wie  eine  schöne  Begabung 
in  der  Umgebung  eines  wahrhaft  Großen  sich 
zu  einer  Höhe  entwickelt,  die  ihr  in  weniger 
anspornender  Nachbarschaft  sicher  unerreich- 
bar wäre.  Damit  ist  gegen  die  Qualität  der 
Einzelwerke  gar  nichts,  zur  Kennzeichnung  des 
Persönlichkeitswertes  ihrer  Autoren  allesgesagt. 
—  Thomas  Gemälde  „Gefilde  der  Seligen",  ent- 


374 


Werke  aJif:  dem  Leib!- Kreis. 


standen  1879,  hat  in  diesem  Zusammenhang 
die  Aufgabe  zu  erfüllen,  die  andere  Linie  zu 
zeigen,  die  von  Leibl  ausgeht,  und  an  die  wir 
schon  gelegentlich  der  hrwähnung  von  Trübners 
unglücklicher  Zentauern-  und  Nymphcnlieb- 
haberei  streiften.  Ich  meine  jene  an  Leibl 
geschulte  kernliafte  Handwerkssolidität,  die 
mit  Böcklins  Poesiehaftigkeit  ein  Kompromiß 
schließen  will.  Obwohl  ich,  im  Gegensatz  zur 
herrschenden  Stimmung,  in  das  dreimalige 
Wehe  über  Böcklins  armes  Haupt  nicht  ein- 
stimmen kann,  scheint  es  mir  eine  Forderung 
ästhetischer  Reinlichkeit  zu  sein,  daß  sich  ein 
Künstler  entscheide.  Entweder  er  schlägt  jene 
phantastisch  verschnörkelten  Wege  ein,  auf 
denen  er  oft  genug  Böcklins  Fußtapfen  wahr- 


nehmen wird,  oder  er  entscheidet  sich  für  den 
unerbittlichen,  ein  wenig  nüchternen,  aber  durch 
und  durch  wahrhaftigen  und  in  seiner  Wahr- 
haftigkeit ewige  Dauer  gewährleistenden  Realis- 
mus Leibls.  Thema  will  es  in  vielen  Fällen  mit 
beiden  Richtungen  halten.  Nicht  immer  kommt 
dabei  ein  so  gutes  Bild  wie  die  „Gefilde  der 
Seligen"  zustande,  und  des  einen  gelungenen 
Beispiels  wegen  möchte  ich  einen  Zwitter- 
zustand nicht  loben.  Meine  Verehrung  gilt 
dem  reinen  „Leibltum",  in  dem  ich,  verkörpert 
durch  den  Meister  und  seine  Getreuen,  eine 
kunslgeschichtliche  Epoche  et  kenne,  eine  Re- 
naissance hohen  deutschen  Mal- Handwerker- 
tums,  das  seit  Hans  Holbein  verschüttet  lag. 

Mi'NCHIiN.  DR.  UKOKt;  J.\K(iB  WOLl'. 


WILH.  I.Kim.  I 
ZF.ICHNUNO 
/!■  DEN  WILD- 
SCHÜTZES. 


KKsIlV.   DKK 
;       C.AI.EKli; 

HABEK.STOCK- 
IIERLIN. 


IIKH    t'rlUIOi.H  \  III  1^1   MKS  i.KM-l  I  s,  tl  At-  I  —  H|.  H  I  IN 


3/"  5 


■■■■■■■■■■■■■■■ 

5         lULlUS  HABICHT, 
■       J  der  Architekt  der 

■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■ 

■ 

■ 

^^HHHH^^^^^H^^^^^^^^^^^^^^^HH^^^^I 

^■^^^^^^^^^^■^H 

ist,    ais    es    uurrji-       j 

^^^I^^^^^^^^^^^^^^^H 

^^^^^^^^1 

quillt  durch  manche       ■ 

■       Reichsbank   ist   ge- 

^^^^^^^^^^^IVi^^i^^^l 

^^^H^^^H 

überkommene  Form       ■ 

2       stürben,     erst     38 

^^^^^^^^^Kf      ^^^^1 

^^^^^^^H 

und  dieser  dadurch       J 

■       Jahre  alt.     In  allen 

^^^^^^^^^^^M              ^^1 

^^^^^^^^^1 

erst   ein  neues,   le-       ■ 

■       Teilen  Deutschlands, 

^^^^^^^^^B           "^1 

^^^^^^^^1 

bendiges  Angesicht       ■ 

2       unter  den  verschie- 

^^^^^^^^^^H 

I^^^^^^^^H 

gab.     —     Philipp       \ 

■       denartigsten       Be- 

^^^^^H'^  '"*"  M 

j^^^^^^H 

Nitje     wurde     der       ■ 

■       dingungen     lokaler 

^^^^^^^^^K              jnb 

^^^^^^^H 

Nachfolger  Habichts.       ■ 

P       Situation,  hat  er  in 

^^^^^^^^^^A     -tr 

^^^^^^^^^1 

Das  gibt  Sicherheit       \ 

■       etwa    zehn    Jahren 

^^^^^^^^^^^L  ^'"           .fl 

^^^^^^^^1 

für  eine  erfolgreiche       ■ 

■       fast   hundert  Bank- 

^^^^^^^^^^^^             j^wP^ 

l^^^^^^^^l 

Fortsetzung  von  Ha-       ■ 

2       bauten    geschaffen. 

^^^^^^^^^^^k   ---iJ/fr'   1 

^^^^^^^H 

bichts  Werk.     Nitje       5 

■       Was    in    den  Nach- 

^^^^^^^^^^^^^Hji    '^'^^     ,. 

^^^^^^^^^1 

ist     bekannt    durch       ■ 

■       rufen  immer  wieder 

^^^^^^^^^^^^k\       ^mh 

^^^^^^^^1 

seine  Tätigkeit    als       ■ 

J       klingt,   das  ist  Be- 

^^^^^^^^^^^^ft  \  l^f^^l 

^^^^^^^H 

Magistratsbaurat          \ 

■       wunderung  für  eine 

^^^^^^^^^^^^^^Hl^I^^^I 

^^^^^^^^^1 

der  Stadt  Wilmers-       ■ 

■       vornehme  und  har- 

^^^^^^^^^^^^^H^^^^^l 

^^^^^^^^1 

dorf.    Seine  Bauten       ■ 

■       monisch     ausgegli- 

^^^^^^^^^^^^^^^^^^1 

^^^^^HH 

zeigen  seine  Fähig-       J 

■       chene    Natur.     Von 

^^^^^^^^^^^^^r     ''    ^^^^^^^^^^^^1 

^^^^^^^^1 

keit,   die  gegebene       ■ 

2       hier    aus    ist    aucli 

^^^^^^^^^v       ^^^^^^^^H 

^^^^^^^^^1 

Situation      künstle-       ■ 

■       das      Wesentliche, 

^^^^^^^^^      ^^^^^^^H 

^^^^^^^^1 

risch       auszunü^en       ! 

■       das  Bedeutende  sei- 

^^^^^^^^^W.   '^^^^^^^1 

^^^^^^^^H 

und  ein  liebevolles       ■ 

J       ner   Bauten   zu   se- 

^^^^^^^^^^^~^^^^^^^^l 

^^^^^^^^1 

Bedenken  aller  der       \ 

■       hen :  das  persönliche 

^^^^^^^^^B^^^^^^^H 

^^^^^^^H 

Eigenschaften,    die       ■ 

■       Leben,    welches    in 

^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^1 

^^^^^^^^^1 

ein  Bauwerk  zu  ei-       ■ 

■  ihnen    zur    Erschei- 

■  nung  durchquillt  und 

^Bum^^i^^i 

^^^^H 

ner  wohligen    Um-       \ 

^^^^^^^^^^^^^**"          gl^lliUlIg        UCa       OC-               — 

■       um  so  wesentlicher 

Ijni.s  F.V.sEN.    GALEKIi:  HAHERSTOCK     GEMÄLDE 

»HAUERXMÄDCHEN       wohncrs  machcn.  B.       ■ 

■ 

^^^^^^^^^^B 

^^^^^^^^^^^^^^ 

^^^B''  *" 

L^k '^  ^^^^^^^^^^^1 

^^^B   > 

^H       A 

'fr 

■■■■■■■■■■■■■■■ 

WILHELM  LLIBLt        iilLlJ.M.s   I  KAU  A.  .MAVR"      BE^: 

y 

HtRMI.   UEVDE      i^KKLI.N.                                                               ■ 

GEORG  KOLBE-BERLIN.    »BADENDE« 


GEORG  KOI.IIE. 
»HOCKENDES 
MÄDCHEN  <- 

CII'S. 


BILDHAUER  GEORG  KOLBE-BERLIN. 


Von  DR.  EWALD  BENDER. 


Beginnen  wir  mit  einer  jener  Banalitäten,  die 
uns  das  Leben  verbittern.  Wird  man  jemals 
begreifen,  daß  es  für  den  Künstler  kein  höheres 
Interesse  gibt,  als  „Kunst  zu  machen?"  Gesetzt 
den  Fall,  ein  Mensch  habe  keine  andere  Mög- 
lichkeit, eich  Tiit  der  Welt  in  Beziehung  zu 
ov.  ircii  eine  Leinwand  voll  Arabesken 

oder  durcii  ^.__n  seltsam  geformten  Block,  — 
so  ist  das  ein  Maler  oder  ein  Bildhauer.  Ist  es 
unsere  Absicht,  teilzunehmen  an  seinem  Wesen, 
so  müssen  wir  uns  seiner  ungewohnten  Sprache 
zu  bedienen  suchen.  Wir  alle  sind  Analpha- 
beten gegenüber  jedem  neuen  Werk  und  be- 
dürfen jener  rentablen  Bescheidenheit,  die  uns 
heute  oder  morgen  auf  die  Schulbank  verweist. 
Mag  sein,  daß  unser  Intellekt  nicht  übel  funktio- 
niert, auch  was  wir  so  Empfindung  nennen. 
Aber  unsere  Augen!  Es  gibt  Menschen  unter 
uns,  die  sehen,  und  die  Stärke  des  Eindrucks  will 
ihnen  die  Eingeweide  zerreißen.    Georg  Kolbe 


hat  jenen  forschenden  und  kalten  Blick,  dessen 
Tiefe  man  nicht  abzuschätzen  vermag.  Es  sind 
die  unersättlichen  Augen,  die  um  die  Dinge 
herumsehen.  Fast  sind  ihm  drei  Dimensiencn 
nicht  genug.  Daß  die  Körper  sich  runden  und 
zum  Block  werden,  erschüttert  ihn  an  jedem 
Tag  aufs  neue.  Den  Kubus  beredt  zu  machen 
und  ihn  zu  einer  überall  verständlichen  Sprache 
zu  entwickeln,  war  von  Anfang  an  sein  Ziel.  — 
Es  ist  zunächst  ein  Stück  Entwicklungsge- 
schichte der  modernen  Plastik  zu  erörtern.  Was 
Hildebrand  in  München  tat,  wird  unvergessen 
bleiben.  Fast  will  es  uns  scheinen,  als  sei  die 
persönliche  Erziehung  so  vieler  tüchtiger  Bild- 
hauer sein  geringstes  Werk.  Höher  steht  uns 
seine  eigene  Produktion.  Aber  darüber  hinaus 
beruht  die  einzigartige  historische  Bedeutung 
dieses  Kopfes  auf  der  fruchtbarsten  Theorie, 
die  je  von  einem  Künstler  ausging.  Was  Plastik 
von  Anfang   an   gewesen   sei    und   immer  sein 


370 


Georg  Kolbe 


Berlin. 


GEORG  KuLBE— BtRU.N. 


.WEIBLICHER  TORSO«.    TERR.\KOTT.\. 


müsse,  das  hämmerte  er  in  mühsam  geformten 
Sätzen  dem  Bewußtsein  der  jungen  Künstler- 
generation ein.  Man  begriff.  Mag  sein,  daß 
dem  einen  oder  anderen  Hildebrands  praktische 
Unterweisung  nicht  plausibel  erschien,  so  profi- 
tierten doch  alle  von  den  gesetzlichen  Kon- 
statierungen eines  überaus  bewußten  Arbeiters. 
Das  ist  der  eine  Erzieher  der  jungen  Gene- 
ration. Und  der  andere  schickte  zur  gleichen 
Zeit  Werke  in  die  Welt,  die  Hildebrands  Theorie 


zu  sprengen  schienen.  Rechnen  wir  die  heroischen 
Verirrungen  Rodins  ab,  so  bleibt  ein  höchst 
bewundernswertes  Oeuvre.  Dieses  größte  Bild- 
hauergenie der  neueren  Zeit  ist  seinem  innersten 
Wesen  nach  Rundplastiker,  und  die  Sensibilität 
seiner  Formensprache  wurde  eine  Offenbarung. 
Was  Hildebrand  gelehrt  hatte,  das  brachte  Rodin 
aus  den  Tiefen  eines  schöpferischen  Instinktes 
zur  klarsten  Anschauung.  In  demselben  Ver- 
hältnis, wie  die  künstlerischen  Schwächen  Hilde- 


380 


Georg  Kolhc—Bcrli)', 


brands  das  eigene 
Werk  bedrohten , 
mußte     auch      seine 

Theorie  der  Einseitig- 
keit verfallen.  Und 
wo  KodinsWerk  der 
für  die  Ewigkeit  fun- 
damentierten  Grund- 
idee von  Hildebrands 
Lehre  widerstrebt, 
da  ist  er  ein  irrender 
Plastiker.  Im  Rest 
verstanden  sich  die 
beiden.  Und  auf  sol- 
cher doppelfüßigen 
Grundlage  konnte  in 
unserem  Zeitalter  die 
Plastik  wieder  zu 
einer  allgemeinen 
Sprache  für  empfäng- 
liche Augen  werden. 
—  Es  gibt  keinen 
unter  den  Jüngern, 
der  nicht  wenigstens 
den  einen  Pol  dieser 
Plastikerwell  berührt 
hätte.  Sehr  viele 
empfingen  von  bei- 
den. Als  Kolbe  in 
Rom  anfing,  geschah 
es  unter  der  Leitung 
vonTuaillon,  der  mit 
dem  Marees  -  Hilde- 
brand-Kreis  in  Be- 
ziehung stand.  So 
kamerausgutenHän- 
den  von  Rom  nach 
Paris.  Man  begreift, 
wie  das  eruptive  Le- 
ben derKunstRodins 
ihn  verwirren  u.  end- 
lich beglücken  mußte. 
Es  ist  für  jeden  wirk- 
lichen Bildhauernicht 
schwer,  den  offenba- 
ren Schwächen  Ro- 
dins  sich  zu  entzie- 
hen. Man  grüßte 
Maillol  u.  Minne  wie 

Geistesverwandte  , 
deren  Weg  ein  an- 
derer war.  Und  als 
Kolbe  dann  zu  sagen 
versuchte ,  wie  ihm 
die  Dinge  erschienen, 
da  ist  er  erstaunlich 
frisch  und   selbstän- 


GEORG  KOI.HF.— BERLIN.      SOM.M.INEGER.    BRO.NZE. 


dig.  Es  interessiert 
ihn  zunächst  die  Be- 
wegung. Noch  ver- 
mag er  nicht  einfach 
zu  sein  und  an  einer 
einzigen  Figur  seine 
künstlerischen  Ab- 
sichten zu  entwik- 
keln.  So  ballt  er  mit 
Vorliebe  zwei,  drei 
und  mehr  Körper  im 
Ringen  zusammen, 
scheut  nicht  bizarre 
Bewegungen,  harte 
Umrisse,  eine  zer- 
fetzte Komposition. 
Aber  was  er  dar- 
stellt, ist  gesehen; 
die  Leiber  haben 
ihre  sicheren  Pro- 
portionen. So  nimmt 
man  die  Äußerungen 
eines  originalen  und 
kräftig  sich  regenden 
Instinktes  voll  Ervi^ar- 
tung  hin.  —  Nun 
sollte  man  meinen, 
nach  einiger  Zeit 
wäre  das  reife  und 
in  gewissem  Betracht 
meisterliche  Werk 
gekommen,  das  ei- 
nen Künstler  mit  ei- 
nem Schlage  berühmt 
macht.  Es  ist  bis  heu- 
te noch  nicht  da.  Und 
das  ist  das  Beste, 
was  man  Kolbe  nach- 
sagen kann.  Wer  es 
vermag,  über  die 
lange  Reihe  glück- 
lichster Schöpfungen 
hinweg  sein  eigent- 
liches Werk  in  der 
Zukunft  zu  suchen, 
der  rechnet  mit  sei- 
ner Kraft  und  einem 
langen  Leben.  Es 
liegt  nicht  im  Wesen 
dieses  unablässigen 
Suchers,  sich  auf  ein 
einziges  Werk  zu 
konzentrieren ,  es 
nicht  nur  bildhaue- 
risch zu  gestalten, 
sondern  es  auch  mit 
der  geistigen  Kultur 


381 


GeoviT  Kolbe-Berlin. 


der  Mitlebenden  ir- 
gendwie zu  verknüp- 
fen. Vielleicht,  daß 
alles  in  ihm  auf  den 
großen  Auftrag  war- 
tet. Bis  heute  war 
sein  oberstes  Ziel,  den 
menschlichen  Körper 
reinlichsten  Kunst- 
zwecken zu  unterwer- 
fen. Wie  von  einer 
Tabelle  soll  man  von 
Form  und  Bewegung 
plastische  Inhalte  ab- 
lesen, und  es  könnte 
sein,  daß  der  mit  Aus- 
druck beladene  Rük- 
ken  seines  „weiblichen 
Torsos"  manchem 

mehr    zu    sagen  weiß 
als   alle  Literatur  un- 
sererZeit.  Das  Auf  und 
Ab    der  Flächen    von 
Schenkel,  Bauch,  Brust 
und   Rücken,    langge- 
zogene oder  jäh  über- 
schnittene    Konturen, 
eine      Drehung      des 
Rumpfes   und   die    in 
die   dritte   Dimension 
sich   reckenden   Glie- 
der,     ein      lastender 
Körper      auf     wider- 
streijenden  Schenkeln, 
und    dann    der    Aus- 
gleich     aller      dieser 
Momente     zu     jenem 
überzeugenden  Rhyth- 
mus, der  eine  bedeu- 
tende   Sicherheit    des 
Instinktes  voraussetzt, 
—  das  ist  das  Letzte, 
was    uns    Kolbe    von 
dem  immanenten  und 
gesetzlichenLebender 
Plastik  zu  sagen  hat. 
Gewiß,  es  gehören  Au- 
gen dazu,  die  sehen. 
Die    „Tänzerin",    die 
in    diesem    Jahre    in 
der     Sezession      alle 
Welt  entzückte,    mag 
dem      Künstler      den 
Weg    gezeigt    haben, 
auf  dem  er  zu  leich- 
ter Popularität  gelan- 
gen könnte.  Wir  wol- 


382 


GEORG  KOLBE  -BERLIN.     STEHENDES  MÄDCHEN.    BRONZE 


len   dem   überaus    an- 
mutigen  Werk    nichts 
Übles  nachsagen,  und 
wem   Reife    alles    ist, 
der    mag    mit    Recht 
hier    Kolbes   Meister- 
werk  erblicken.    Wir 
sind  uns  aber  mit  dem 
Künstler    einig,      der 
von     sich    sagt,    daß 
Werke  wie  der  „weib- 
liche Torso",  oder  der 
„Torso  eines  Negers", 
oder    der    „hockende 
Neger"     die     Summe 
seines    jetzigen    Kön- 
nens und  das  Sprung- 
brett   in   die   Zukunft 
bedeuten.     In    diesen 
eminenten  Studien  lie- 
gen  die    Keime   einer 
größeren    Kunst ,    auf 
die  wir  warten  wollen. 
—  Kolbe    sieht    den 
Menschen    heute      in 
seiner  reinen  Vitalität, 
nicht  als  geistiges  We- 
sen ;  wir  wissen,  wie 
nötig  es  war,  aus  der 
ungeistigen  Natur  her- 
aus die  Elemente  einer 
künstlerischen     Spra- 
che    zu     entwickeln. 
Wir  mußten  erst  wie- 
der   einmal    das   Abc 
der   Plastik    erlernen, 
ehe    wir    uns    an   die 
Schwierigkeiten  kom- 
pUzierter      Bildungen 
wagen    durften.     Wir 
waren  Barbaren    und 
entbehrten    der    bild- 
hauerischen      Kultur. 
Rodin  sprach  zu  einer 
Rasse  von  wünschens- 
wertester       formaler 
Anlage,   und  hat  sich 
doch  als  Revolutionär 
gebärden  müssen.    Es 
entspricht  der  Eigen- 
art   unseres    Volkes, 
daß  die  junge  deutsche 
Kultur   auf   dem  Weg 
der  Reformen  erarbei- 
tet wird.    Wo  Hilde- 
brands    Theorie      die 
Bresche       geschlagen 


GEORG  KOLBE    BERLIN.   .ERWACHEN« 


Zitm  Denhnahprobleni. 


hatte,  da  setzten  mit 
einer  bewundernswer- 
ten Konsequenz  und 
Zähigkeit  die  jungen 
Bildhauer  ein.  Und 
Kolbe  ist  einer  der 
Führenden  geworden, 
und  auf  dem  Wege 
eines  unerbitlHchen 
ReaUsmus.  Überzeugt 
davon,  daß  die  Kon- 
ventionen des  Akade- 
mismus negiert  wer- 
den müßten,  wandte 
er  sich  allein  an  die 
Natur  und  an  das  Le- 
ben. Wie  immer,  wenn 
die  Zeit  gekommen  ist, 
fanden  sich  schnell 
die  guten  Genossen, 
und  sie  alle  eint  der 
Wunsch,  nur  aus  dem 
Leben  Anlaß  u.  Inhalt 
derKunst  zu  schöpfen. 
Die  Individualitäten 
haben  sich  bald  ge- 
schieden. Wenn  die 
einen  bei  den  Primiti- 
ven oder  der  klassi- 
schen Antike  eine 
Stütze  suchten,  so 
wandten  sich  andere 
zur  Gotik  oder  dem 
lange  verkannten  Ba- 
rock und  verloren 
doch  nicht  den  Blick 
für  die  Forderungen 
der  lebendigen  Gegen- 
wart. Wir  blicken  voll 
Vertrauen  auf  die 
Schar  der  Tüchtigen, 
wie  Albiker,  Gerstel, 
Engelmann,  Barlach, 
Haller,  Hoetger  und 
Lehmbruck.  Und  mit 
zu  den  Besten  gehört 
Kolbe,  der  sich  in 
35  Lebensjahren  sein 
Recht  vielleicht  am  un- 
abhängigsten erarbei- 
tet hat.  —        DK.  K.  j.. 

Obschon  der  Künstler 
mit  der  Hdiid  arbeitet,  ist 
er  kein  Chirurg.  tlii4it 
in  der  Fingerfertigkeit 
liegt  seine  Größe.  — 

EUGENE  DELACROl.X. 


GEORG  KOLBE  -BERI.I.S.     STEHE.NÜES  M.\ULHI;.\.    IIRUNZE. 


ZUM  DENKMALS- 
PROBLEM. Das 
Denkmals  -  Problem 
wurde  an  dieser  Stelle 
vor  einiger  Zeit  geist- 
voll behandelt,  mit 
der  Schlußempfehlung, 
die  Denkmalsucht  un- 
serer Zeit  wo  möglich 
in  die  Raumkunst  zu 
leiten ,  mit  anderen 
Worten,  dem  Persön- 
lichkeitskultus eine 
Lösung  ins  Sachliche 
zu  verleihen.  Der  Ver- 
fasser wünschte,  daß 
man  den  Heroen  ihrem 
Wirken  entsprechende 
Stätten  weihte.  Ich 
glaube  nicht,  daß  man 
auf  diese  Weise  dem 

Bedürfnisse  der 
Menschheit,  den  um 
sie  Verdienten  ein 
Standbild  zu  setzen, 
abhelfen  kann.  Man 
will  den  Helden,  den 
großen  Gelehrten,  den 
berühmten  Künstler 
in  unsrer  Zeit  mehr 
denn  je  im  Bilde  sehen 
und  hat  dazu  ein  Recht. 
Wenn  diese  Bilder 
nicht  zu  der  Wirkung 
kommen,  die  ein  künst- 
lerisch empfindendes 
Herz  verlangt,  so  liegt 
das  meist  in  der  will- 
kürlichen Art ,  wie 
solche  Personendenk- 
mäler in  das  Stadtbild 
eingegliedert  werden. 
Am  wenigsten  geeignet 
ist  z.  B.  in  Gegensatz 
zu  herrschender  Mei- 
nung, die  Wahl  eines 
großen  freien  Platzes. 
Freie  Plätze  sind  an 
sich  schöne  Valeurs 
im  Stadtbilde,  man 
sollte  sie  daher  nie 
so  verzieren,  daß  der 
Eindruck  des  Freien 
gestört  wird.  Dann 
aber  auch:  in  der 
Mitte  eines  großen 
freien    Platzes     kann 


1913.  V.  3. 


385 


BILDHAUER 


GEORG  KOLBE-BERLIN.  TORSO  EINES  NEGERS.  GIPS. 


Zum  Detikma/sprobleJii. 


■■■■■■■■■■1 

■■■■■■■■■■■■■■■■■■1 

■  ■■■■■  ■■■■ 
■ 
■ 

■       ein  Denkmal  nie- 

■^■■^^■^^^■I^H 

nicht     ermangelt,       ■ 

■       nials  monumental 

^^^^^^^^^^^^^1 

ist  viel  mehr  ge-       ■ 

J       wirken,  und  wäre 

H^P^^^^^^^^^^H 

eignet,  ein  Stand-       J 

■       es  das  wuchtigste 

-'.^^^^^^^^^^^1 

bild        aufzuneh-       ■ 

■       Reiter  -  Denkmal. 

^^^^."Ah^^^^^^^I 

men.    Auf  ihm  ist       ■ 

2          Ilintergrundios 

^^^ 

^^iL^^i^^^^l 

die       Möglichkeit       p 

■       verliert  es  sich  auf 

^^m         m 

^^^^^^ta^^^^^^^H 

einer     monunien-       ■ 

■       dem  weiten  Plan, 

WmM       /dl 

^^^^^^^^■k^^^^H 

talen  Wirkung  ge-       ■ 

*       der  Rahmen  und 

mäkl        jH 

^^^^^^^^^P^^^H 

geben,      dadurch,       ^ 

■       der  Kontrast  feh- 

^^        ^ 

^^^^^^^^^^^H 

daß  keine  Entfer-       ■ 

■       len  ,    die  für  jede 
\        Monumentalität 

■       ^^ 

^^^^^^          --JtaH^''*^^^^^^^^^^^^^^! 

nungeineVerklei-       ■ 
nerung    über    das       ^ 

!       in  der  Plastik  als 

^^^^^^^H  "^ 

^^■fl^l^^^l 

Maß  des  Vorteil-       ■ 

■       Maßstab  geltend, 

^^^^^^^H           '-''^ltaik*MK::a 

M^^l^^^^^^^^^^l 

haften  zuläßt.  Der       ■ 

1       nötig     sind.     Auf 

^^^^^^^^^^^^^^1 

höchste  Abstand,       ■ 

■       groQenPlätzensoU 

^B^^^ 

JH^^^^^^^^^H 

der    möglich    ist,       ■ 

■       man     Denkmäler, 

^^^^^^^^^^^^^H 

läßt     das    Monu-       ■ 

2       wofern    sie   dafür 

^^m  ,■■•'■ 

^^^^^^^^^H 

menl  immer  noch       " 

■       in  Betracht  kcm- 

^^^^^^H 

gewaltig  und    er-       ■ 

■       men,  stets  in  die 

_              —  ,_ 

'"V^***^^^!^^! 

haben  erscheinen.       ■ 

2       Nähe  der  umsäu- 

^^^MBMm..,^ 

~  ^.^«ifll^^^H 

Beispiel;  Colleoni       ^ 

■       menden  Gebäude 

in   Venedig.    Ge-       ■ 

■       aufstellen,  und  zwar 

womöglich  gegenüber  der 

genbeispiel:    die    meisten    Königsmonumente,       ■ 

2       Mündung  des  Haupt 

Zuflusses  zu  den  Plätzen. 

welche  wir  in  Deutschland  haben.    Ferner  ist       ^ 

■       Ein  enger  Platz,  von 

stattlichen  Gebäuden  um- 

auf  einem  kleinen  Platze  dem  Denkmal  der  ein-       ■ 

■       säumt,  ein  Platz,  de 

r  einer  gewissen  Intimität 

zig  vorteilhafte  Hintergrund  gegeben,  den  eine       ■ 

i^iriKÄW>    ^ 

^^^^                       ^^^^^^^^^^^^^^H 

1     .^^^^^^^^^M 

-  "i^ill^^^^^^K^^^^I 

KOLKE.                    S 
HOtKEM-il  1-         ■ 
NEGER.                     ■ 
GIPS.                        n 

■■■■■■■■■■■ 

■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■ 

!■■■■■■■■■■ 

387 


ZiDti  1  )enkviahp7vbleni. 


freie  Naturform  nachahmende  Plastik  haben 
kann:  architektonisch  strenge  Linien:  Kontrast 
freier  Formen  zu  gebundenen,  die  Garantie  für 
ein  künstlerisch  Wirksames. 

Aus  dem  Fehlen  eben  dieses  Kontrastes  ist 
auch  eine  andere  Art,  Denkmäler  aufzustellen, 
die  von  unserer  Zeit  beliebt  wird,  nicht  emp- 
fehlenswert: Die  Aufstellung  in  gärtnerischen 
Anlagen.  Auf  der  Zeichnung  eines  Architekten, 
der  sein  Werk  empfehlend  hervorheben  will, 
ist  die  dunkelschattierte  Baumgruppe  der  denk- 
bar günstigste  Hintergrund,  in  Wirklichkeit  ist 
sie  es  nicht.  Abgesehen  davon,  daß  sie  durch 
die  Jahreszeiten  in  einem  ständigen  Wechsel 
begriffen  ist,  sind  ihre  plastischen  Naturformen 
der  Plastik  ungünstig.  Es  tritt  da  ein  Wettstreit 
zwischen  verwandten  Formenarten  ein,  in  dem 
die  menschlich  begrenzten  den  göttlich  unbe- 
grenzten und  ewig  reichen  der  Natur  unterlie- 
gen.      Dazu    noch; 

farblich  wirken 
Bronze  und  Marmor 
auf  Grün  wenig  er- 
freulich. Ein  wei- 
teres: gärtnerische 
Anlagen  auf  dem 
Untergrunde  von 
Denkmälern,  z.B.  in 
Form  von  Teppich- 
beeten, sind  wenig 
ratsam.  Abgesehen 
davon,  daß  sie  et- 
was putzmacherisch- 
kleinliches  haben, 
stören  sie  durch  die 
Kraft  ihrer  Viel- 
farbigkeit und  len- 
ken das  Auge  ab. 
Will  man  den  Unter- 
grund verzieren,  so 
wähle  man  die  da- 
für gegebenen  Aus- 
drucksmittel: Mo- 
saik, Terrazzo  oder 
Quaderung.  —  Man 
sollte  für  Denkmä- 
ler-Aufstellung vor 
allem  den  sozialen 
Gesichtspunkt  im 
Auge  haben.  Sie 
sind  Ehrungen  der 
Allgemeinheit  für 
Geister,  die  sich  um 
die  Allgemeinheit 
verdient  gemacht 
haben.  Man  stelle 
sie  in  diesem  Sinne 


GEORG  KOLBE— BERLIN.    AQUARELLSTUDIE  »NEGER« 


auf:  nicht  einzeln,  nicht  dorthin,  wo  der  Verkehr 
an  ihnen  vorüberhastet,  wo  die  Pracht  der  Schau- 
fenster die  Augen  magisch  anzieht,  nicht  dort, 
wo  sich  die  Aufmerksamkeit  um  Pfennige  dreht, 
man  gebe  ihnen  einen  Platz,  wo  es  möglich  ist, 
sie  zu  genießen.  Man  schaffe  in  den  Städten 
Ehrenplätze,  wo  man  die  Bilder  aller  derer, 
die  sich  um  Stadt  und  Volk  verdient  gemacht 
haben,  vereint:  Zentralisation  der  Monumente 
in  einem  großen  Rahmen.  Welche  Vorteile 
in  künstlerischer  und  praktischer  Beziehung! 
Die  Antike  hatte  ihre  Fora.  Wir  könnten 
ähnliches  haben.  Arbeiten  wir  darauf  hin,  die 
Hauptwerke  der  Architektur,  die  öffentlichen 
Gebäude  um  einen  Platz  zu  gruppieren  und 
räumen  wir  diesen  Platz  ganz  und  gar  der 
Kunst  und  dem  Andenken.  Vereinen  wir  die 
Statuen  der  Verdienten  zu  einer  Ehrenge- 
meinde auf  diesem  Platze,  es  wäre  das  eine 

würdige  Aufgabe 
für  den  modernen 
Städtebauer.  Die 
Denkmalsucht,  von 
der  Widmer  hier 
neulich  sprach,  wür- 
de zu  einem  frucht- 
baren, der  Schön- 
heit der  Städte,  der 
Geschichte,  dem  Ge- 
meinsinn und  in  vie- 
len Fällen  auch  der 
Kunst  nützlichen 
Charakterzuge  un- 
seres Zeitalters  wer- 
den. Die  albernen 
Denkmals  -Anlagen, 
mit  zehntausend- 
stiligem  Beiwerk, 
würden  fortfallen 
zu  Gunsten  reiner 
Plastik,  die  auf  reine 
Menschendarstel- 
lung gerichtet  sein 
müßte.  Die  Bild- 
hauer müßten  stets 
auf  den  Wettbe- 
werb mit  Besseren 
auf  diesem  konkur- 
renzreichen Platze 
gefaßt  sein  und  an- 
statt einen  architek- 
tonischen Sockel- 
dilettantismus zu 
üben,  sich  plastisch 
so  hoch  einstellen, 
wie  nur  möglich.  — 

K.  GRAF  H.\RDENBERG. 


3S8 


ARCHITEKT  E.  JOS.  MARGOLD     DARMSTADT. 

SPEISEZIMUER.    WOHNUNG  DR.  PERLUANN— REICHEN BERO. 


zu  DEN  ARBEITEN  VON  EMANUEL  JOSEF  MARGOLD. 


VON    ARTUR    ROESSLER     WIEN. 


Der  am  wenigsten  willkürliche  Architekt 
wird  der  jeweils  beste  sein,  insofern  er  den 
profanen  und  geistigen  Bedürfnissen  just  seiner 
Zeit,  just  ihres  Kulturverlangens,  die  gemäße 
Form  verleiht.  In  seinem  Werk  vollzieht  sich 
die  Synthese  des  lebendigen  sozialen  Willens. 
Daher  wirkt  sein  Werk  so  oft  nach  einiger 
Zeit  anonym.  Von  manchem  bewunderten  Bau- 
werk aus  alter  Zeit  wissen  wir  nicht,  ob  sein 
Erbauer  ein  Architekt  oder  ein  Maurermeister, 
d.  h.  ein  Konstrukteur  oder  Handwerker  war. 
Auch  von  manchem  hochwertigen  Möbel  wissen 
wir  nicht,  wer  es  entworfen,  wer  es  ausgeführt 
hat;  ja,  wir  wissen  von  manchen  Stilen  im  Ge- 
werbe nicht,  wie  sie,  durch  wen  sie  entstanden, 
oder  doch  nicht  durch  wen  sie  zu  hoher  Vollen- 
dung gebracht  wurden,  weil  in  Epochen  ent- 
wickelten Stilgefühles  die  Grenze  zwischen  Ar- 
chitekt und  Handwerker  aufgelöst  erscheint. 

Die  durch  die  Maschinentechnik  in  unserem 
Zeitalter  bewirkte  Abwandlung  der  Lebens- 
formen und  verschiedenfältig  entwickelten  Le- 
bensbedürfnisse mußten  gesetzmäßig  Einfluß 
gewinnen  auf  die  Architektur  und  das  Hand- 
werk. Alte  Werte  waren  bedeutungslos  ge- 
worden, neue  mußten  erkämpft  werden.  Man 
war  ungeduldig,  begierig  nach  neuen  Formen, 
und  betätigte  zunächst  das  heftige  Verlangen 
in  hemmungslos  wild  und  beziehungslos  alles 
überwuchernder  ornamentaler  Dekoration.  Die 
dieser  Neubildung  naturgemäß  vorangehende 
Verneinung  war  so  allgemein  und  heftig,  daß  sie 
mit  vielem  leblos  gewordenen  auch  manches 
Wertvolle  rücksichtslos  verwarf.  Eine  Zeitlang 
schien  es,  als  laugte  von  dem  durch  die  Über- 
lieferung auf  uns  gekommenen  auch  nicht  das 
geringste.  Es  war  eine  Epoche  der  Geschmacks- 
revolutionierung,  aber  leider  nicht  auch  eine  des 
Denkens,  die  über  eine  Berufssynthese  zu  einer 
Kultursynthese  geführt  hätte.  Es  kam  zu  einem 
in  derGeschichte  bisher  vereinzelt  dastehenden, 
geradezu  ungeheuerlichen  Einbruch  von  Dilet- 
tantismus in  die  Kunst  und  in  das  Handwerk. 
Allerlei  Schwärmer  tauchten  auf,  predigten  fa- 


natisch konfuse  Lehren  eines  neuen  Heils,  ent- 
warfen immen-emsig  niedliche  Nichtigkeiten  und 
beirrten  den  Architekten,  den  Handwerkerund 
den  Laien.  Mancher  tüchtige  Architekt  und 
Handwerker  wurde, von  der  agitatorischen  Kraft 
künstlicherReizungen  berückt,  in  das  Lager  der 
Schwärmer  und  Weltverbesserer  gelockt  und 
zur  Verachtung  der  fundamentalsten  Gesetze 
seines  Schaffens  angestachelt. 

Auch  Emanuel  J.  Margold  war  einmal  Heer- 
rufer im  Lager  der  Utopisten.  War  einmal! 
Und  nur  kurze  Zeit,  denn  er  erkannte  bald, 
daß  der  Haß  gegen  die  Tradition  nichts  anderes 
ist  als  eine  Ausdrucksform  der  Unfruchtbarkeit, 
wandte  sich  von  der  gesprochenen  und  ge- 
zeichneten Phrase  ab  und  wertschaffenden  Ge- 
danken zu,  d.  h.  er  wurde  sozusagen  revolu- 
tionärer Konservativer.  Dies  darf  nicht  mißver- 
standen, nicht  so  verstanden  werden,  daß  sich 
Margold  formalistisch  befangenen  Handwerks- 
theorien ergeben  hat,  unterderen  Anhauch  jede 
lebendige  Willensregung  erstarrt,  sondern  so, 
daß  er  im  Geiste  der  alten  Handwerkstüchtig- 
keit zu  schaffen  bestrebt  ist,  daß  er  vor  den 
bloß  ästhetischen  Reiz  die  Werkvernunft  setzt, 
vor  die  —  mehr  oder  minder  fragliche  —  Ori- 
ginalität, die  Justamentoriginalität,  die  sachlich 
schöne  Gediegenheit,  und  daß  er  den  Hand- 
werker wieder  an  eine  ihm  spezifische  Werk- 
stattarbeit stellt.  Wo  Margold  sich  zur  Her- 
vorbringung von  Dingen  der  Maschine  bedienen 
muß  und  will  —  die  Maschine  gänzlich  unbe- 
nutzt zu  lassen,  wäre  mehr  als  reaktionärer 
Starrsinn,  wäre  Intelligenzlosigkeit  —  tut  er 
dies  mit  soviel  kluger  (Jberlegung  und  gutem 
Geschmack,  daß  die  ihr  zugemutete  Leistung, 
trotz  fabrikationsmäßiger  Herstellung,  immer 
noch  einen  Abglanz  des  Individuellen  ausstrahlt. 

So  zeichnen  sich  all  seine  Arbeiten  durch 
Sachlichkeit,  Werkvernunft  und  Geschmack 
aus.  Ja,  auch  durch  Geschmack.  Ich  gebrauche 
dieses  mit  Unrecht  verrufene  Wort  absichtlich. 
Denn  sind  es  nicht  mehr  die  Produkte  von  Ge- 
schmack als  von  Kunst,  die  Emanuel  J.  Margold 


39' 


Zti  den  Arbeiten  :'on  Eiiia)iucl  /ose/  Ulargold. 


ARCHITEKT  E.  J.   MARGOLD— DARMSTADT. 


hervorbringt?  Bewußt  gewollte  Dinge  des  Ge- 
schmacks? Man  sehe  seine  Einrichtung  eines 
Schlafzimmers  an,  mit  der  zum  rastenden  Ruhen 
einladenden  Bettnische,  dem  passend  vor  das 
Fenster,  wieder  in  eine  sich  ganz  ungezwungen 
aus  der  Gesamtanlage  des  Raumes  ergebende 
Nische  eingefügten  Toilettentisch;  oder  man 
beachte  die  lichtüberflutete  freundliche  Früh- 
stücksecke mit  den  tischlermäßig,  so  echt 
und  recht  holzgerecht  geschnittenen  Armlehn- 
sesseln, der  Wandbank  und  dem  schlichten 
runden  Tisch.  Ist  das  prätentiöse  „Kunst",  so- 
genannte „Innenarchi- 
tektur", oder  ist  das  ge- 
schmackvolles und  gedie- 
gen gearbeitetes  Hand- 
werk ?  Ich  glaube,  es  ist 
mehr  dieses  als  jenes, 
und  es  ist  gut,  daß  dem 
so  ist.  Guter  Geschmack 
ist  nämlich  etwas  noch 
Selteneres  als  gute  Kunst, 
und  für  das  Leben  des 
Kulturmenschen  fast  noch 
Wichtigeres.  Geschmack 
ist  eine  gnadenvolle  Be- 
gabung wie  das  Talent, 
unerlernbar,  eingeboren, 
und  für  den  Architekten 
bedeutender  als  selbst- 
herrliche Genialität.  Die 
Bedingtheit  der  dem  Ar- 
chitekten gebotenen  Be- 
tätigungs  -  Möglichkeiten 


ARCH.  E.  J.  .NfARGOLD.    GRUNDRISS  I.  STOCK, 


VILL.'V  DR.  M.  B.      WIEN.    RÜCKSEITE. 


bringt  es  mit  sich,  daß  in  ihm  nicht  das  Indivi- 
duum, sondern  die  Konvention  produktiv  wird, 
die  determinierte  Empfindung  vieler  Geschlech- 
ter, Kulturen.  Was  man  daher  vielleicht  an  Mar- 
golds  letzten  Arbeiten  noch  bemängeln  könnte, 
sind  hereditäre  Überbleibsel,  die  der  fortschrei- 
tende Läuterungsprozeß  ausmerzen  wird.  Noch 
liebt  Margold  beispielsweise  das  Ornament  zu 
sehr,  noch  ist  er  nicht  bis  zu  der  Opfer  heischen- 
den Erkenntnis  vor-  u.  durchgedrungen,  daß  die 
Architektur,  mag  es  sich  um  Bauwerke  oder  Klein- 
geräte handeln,  subjektlose  Schmuckformen  nö- 
tig hat,  und  zwar  deshalb, 
weil  durch  sie  das  Ge- 
setzmäßige ihres  Baues, 
ihrer  Konstruktion  am 
eindruckvollsten  augen- 
scheinlichwird; aber  man 
hat  guten  Grund  zu  der 
Hoffnung,  daß  es  ihm 
bald  gelingen  wird,  zu  die- 
ser ungemein  wichtigen 
Erkenntnis  zu  kommen 
und  selbe  praktisch  zu 
betätigen.  Bisher  war 
er  Jüngling  und  Schüler 
und  hat  die  Person  dem 
Berufe  vorangestellt,  nun- 
mehr er  zum  Manne  ge- 
wandelt ist,  darf  man  von 
ihm  erwarten,  daß  er  ganz 
zu  dem  logischen  Organi- 
sator wird ,  der  der  Archi- 
tekt sein  soll.     a.  r.-\vif.n. 


392 


'm  M  Wi 


-^j*»  avj_ÄH^j      *^      k-*^ 


if1-T~ri  TTi-r-m  -iTri 


1 


Tf      "«iiBf  ;ii  j- 


AKCHITEKT  E.  J.  MARGCLH     DAKMSTADr. 


'VII.I.A  DR.  M.  B.     WIEN.    LANGSANSICHT. 


_ro  ■■wiu/ii'\iJwv_>u'w^vjiw'vjk_^ 


13 


I 


t 

♦ 

c 

♦ 

C 
< 

♦ 

c 


ARCHITEKT  E.  J.  MARGOLD  -DA.RMSTADT. 


ERUGESCHOSS-GRUNDRISS  DER  VILI.A  DK.  M.  B.     WIEN. 


-a 


O 

OS 

M 
Q 

H 

« 
O 

la 

Ol 

2 

H 


n 
< 

H 

s 


< 
w 

H 
US 
M 
H 

s 

ü 

X 

< 


. 

. 

^^^ 

p:iinnai 
IppqDnl 

0 

^ 

^^""" 

1  Lu_iil'ii     ■'iJjj-iUlr 

fc    t'  '  I     i     I     I  I  f  T  T'  'I     I     I     IihIi 


t' '  I    i    I    1 1  I   I   I    I    III 

L-L  1  I  J  ^   :=^  et  f-t  i--M 


imm 


S-i 
M 

H 


1913.  V.  4. 


ARCHITEKT  E.  J.   MARGOLD -DARMSTADT. 

)1ALLI:  IJER  WOHNUNG  DR.  PERLM.\NN— REK  HENKF.RG. 
FICHTEN  M.  BUNTSTOFF.    AUSF  :  KIRCHHOF-REICHENBG 


\K.   Hill   KT   E.   ].   MAKGiilli      1  lA  l;M>  TAI  IT. 


IJAMKNZIMMKK    lli:K    \Vi>HM".\(',    llK.    l'lkIMAW. 
MAHAGONI    Mll    DRIHKSIOI-F.     AfSl-;   KARL  KLAL'S  — VVIl-.N  . 


KUNST  UND  KUNSTWISSENSCHAFT. 

\(JN  DR.  EMir.  riTTZ     KoSTOi.  K. 


Das  dunkle,  undurchsichtige,  verworrene 
Chaos  einander  widerstreitender,  viel- 
deulijjer  Kunstbegriffe  hat  sich  wenigstens 
einigermaßen  gelichtet.  Nicht  als  ob  heute  be- 
reits in  klarer  Bewußtheit  das  verschlungene 
Gewebe  des  Kunstgenusses,  des  künstlerischen 
Schaffens  oder  gar  des  individuellen  Kunst- 
werkes in  den  ganzen  Reichtum  der  hlemente 
und  der  zwischen  ihnen  obwaltenden  Bezie- 
hungen zerlegt  werden  könnte;  im  Gegenteil: 
die  ernste  Forschung  und  das  angestrengte 
Mühen  um  diese  Fragen  ließen  uns  erst  die 
ganzen,  gewaltigen  Schwierigkeiten  der  hier 
gestellten  Aufgaben  erkennen  und  damit  den 
geradezu  unendlichen  Abstand,  der  uns  von 
einer  restlosen  und  völlig  erschöpfenden  Lösung 
trennt.  Nichts  wäre  demnach  unvernünftiger 
und  törichter  als  der  eilfertige  Glaube,  die  Ge- 
heimnisse der  Kunst  hätten  sich  uns  entschleiert, 
ihre  Rätsel  wären  beantwortet,  und  es  bedürfte 
nur  der  verständnisvollen  Anwendung  der  ge- 


sicherten Ergebnisse.  Nur  Kurzsichtigkeit  oder 
Frivolität  können  auf  dieser  Bahn  dahinsteuern, 
die  nirgends  anders  einmünden  kann  als  in 
dogmatische  Verknöcherung,  in  philiströsen 
Hochmut.  Ein  abschreckendes  Beispiel  bieten 
uns  heute  die  Kritiker,  die  alle  ihre  Leitbegriffe 
und  ihre  gesamte  Grundauffassung  dem  Im- 
pressionismus entlehnt  haben  und  nun  völlig 
verständnislos  und  verstockt  allen  Versuchen 
gegenüberstehen,  die  die  Überwindung  des  Im- 
pressionismus zum  Ziele  haben.  Also  in  diesem 
Sinne  meine  ich  es  jedenfalls  nicht,  wenn  ich 
von  einer  fortschreitenden  Besserung  aus  der 
heillosen  Verwirrung  der  Kunstbegriffe  spreche, 
mit  deren  unscharfer  Abgrenzung  und  unklarer 
Fassung  man  noch  vor  kurzer  Zeit  alles  bewei- 
sen und  alles  widerlegen  konnte.  Die  Zahl 
derer  ist  ja  leider  nicht  gering,  die  heute  noch 
auf  diesem  Standpunkt  stehen;  aber  die  ernst 
zu  nehmenden  Forscher  und  die  gediegeneren 
Kunstschriftsteller    haben    doch    diese  Niede- 


io: 


ARCHITEKT  E.  J.  MARGOLD-DARMSTADT. 

FENSTERPLATZ   IN   NEBENSTEHENDEM   SPEISEZIMMER. 
EICHE.  BEZÜGE,  WAND  UND  VORHÄNGE  IN  BUNTSTOFF. 


ARCHITEKT  E.  J   MARGOLD    DARMSTADT. 

SPEISEZIMMKK    IN    DER    WOHNUNG    B.    BRUNN        WIEN. 


ARCllIIKKl  I..  J.  .\lAl<.(iOLD  DARMSTADT. 
PARTIE  AUS  DF.M  EIGENEN  ATEUER.  MÖBEL  SCHWARZ. 
AUSF:    HOF  -  MÖBELFABRIK  JOSEF   TRIER— D^VRMSTADT. 


Kunst  und  Kunstivissensclmfl. 


AKCHIJKKT  E.  J.  MARGOLU— »AKMSTADT. 


rungen  verlassen  und  sind  wenigstens  so  weit, 
daß  sie  in  iliren  Auseinandersetzungen  sich 
dadurch  zu  verständigen  vermögen,  daß  sie 
einen  greifbaren  und  allgemein  verständlichen 
Sinn  mit  den  Begriffen  verbinden,  die  sie  in 
ihren  Arbeiten  verwenden  müssen.  Od  er  drücken 
wir  uns  vielleicht  noch  etwas  bescheidener  und 
zurückhaltender  aus;  so  viel  scheint  zweifellos 
erreicht,  daß  wir  uns  alle  —  ungeachtet  der  Par- 
tei- und  Richtungsunterschiede  —  der  schwie- 
rigen und  verantwortungsvollen  Aufgabe  bewußt 
sind,  eine  strengePrägungderwichtigstenKunst- 
begriffe  zu  gewinnen  als  Grundlage,  auf  der 
wir  unsere  Kunstanschauung  und  Kunstwerlung 
entwickeln  dürfen.  Das  Verständnis  dafür  ist 
erwacht,  daß  wir  uns  eine  Sprache  schaffen 
müssen,  die  als  allgemeines  Verständigungs- 
mittel in  den  beteiligten  Kreisen  ihre  segens- 
reiche Wirkung  übt.  Es  soll  dies  keine  Geheim- 


SPEISE/.IMXIER  DER  WOHNUNG  UR.  PERI.MANN. 
SCHWARZ     EICHEN     EINGERIEBEN,    GRAU    LEDER  -  BEZÜGE. 


Sprache  sein,  deren  Bedeutung  sich  nur  dem 
tiefer  Eingeweihten  oder  dem  gewiegten  Kenner 
erschließt,  wohl  aber  dürfen  wir  hier  —  ohne 
anmaßend  zu  sein  —  eine  Forderung  aufstellen, 
die  auf  allen  anderen  Gebieten  einfach  selbst- 
verständlich ist :  gewisse  Grundlagen  zu  schaffen, 
die  als  Voraussetzung  zu  gelten  haben.  Nie- 
mand kann  sich  in  ernsterer  Weise  über  Luft- 
schiffe oder  Automobile  unterhalten  ohne  ein 
gewisses  Mindestmaß  technischer  Kenntnisse 
und  ohne  sich  gewisse  Fachausdrücke  angeeig- 
net zu  haben.  So  müssen  eben  auch  wir  ge- 
wisse Voraussetzungen  machen,  die  aber  nicht 
nur  in  lebendigem  Kunstgefühl  und  einigem 
Kunstwissen  bestehen,  sondern  zu  denen  auch 
Bewußtheit  über  die  vornehmsten  Kunstbegriffe 
gehört.  Denn  einerseits  ist  es  ja  ungemein  lang- 
wierig und  langweilig,  jede  Einzelerörterung 
erst  durch  lange  Betrachtungen  über  die  Be- 


<)02 


^  K  i 
T  <  ~. 
=    5    a: 


^  2  "^  iS  ä  5  =^  ' 

i  :;  N  -•  u  •=;  5  ■ 

■V  ;^  S  S  g  S  g  ! 

«  «  H  3  t  O  X  ; 

«  -A  z  _;  r.  r«  ^  . 

M  a  s  <  a  i  , 


ARCHITKKT 

E.J.  MARGOLn- 

DARMSTAÜT. 


ANKLEIIIE- 

U.  HERREN - 

ZIMMER  DER 

WOHNUN'C. 

B.  BRUNN. 


ARCHITEKT  E.  J.  MARGOLD     DARMSTADT. 
WOHNUNG  DR.  PERLMANN.    SCHLAFZIMMER  DER  DAME. 


1»13.  V.  5. 


AR(  HITEKT  E.  J.  MAR  GOLD  DARMSTADT. 
SEIDEN-VüRHANCJ  MIT  STICKEREI.  WOHNG.  DR.  PERL- 
MANN.   .\USFÜHRUNG:  ATELIER  FRAU  ELLA  MARGOLD. 


ARCH.  F..  .1. 

MARGOLll- 

I  DAKMSl  AUl  . 


Bb 

n  'X-  i     ü« 

^^^K       MjJH 

^^^^^^t^^^^^^^^^^/^^^^              ^^^^1 

^^^^^^^^B 

1 

^^^^^^^B 

i'!'^ 

i 

^^^^1 

l 

1 

i  '     : 

■^ä 

''  ■-  Mm 

1 

^^^^^^K i 

.  i  it\ 

V.  4''  \rwniK__ 

^r-rfWm^- 

^k'lMH 

il'll 

lllll.kiiiiiii  1 1 

i 

'Hf) 

LISTER. 
CI-.TRIKBKN. 
WOHNUNG 
hR.  PERL- 
MANN. 


409 


-*  ■'    '-^ 


ARCHITEKT  E.  J.  MARGOLD-DARMSTADT. 
BÜCHER -SCHRANK  EINES  HERRENZIMMERS.  EICHE 
REICH   GESCHNITZT.     AUSFG :   A.  UNGETHÜM— WIEN. 


EMANUEL  JOSEF  MARGOLD-DARMSTADT 


ARCH.  E.  J.  MARCiOLD-DARMSTADT. 
LEUCHTERKRONE  U.  ELEKTRISCHE  ZUGLAMl'EN. 
AUSFÜHRUNG:    BAKALOWITS   &   SÖHNE      WIEN. 


413 


Kunst  und  Kunstwissenschaft. 


ARCHITEKT  E.  J.  MARGOLD-DARMSTAUT. 

deutung  mancher  Namen  zu  belasten,  und  an- 
dererseits ist  es  ganz  unstatthaft,  wenn  nun 
jeder  auf  eigene  Faust  sich  schnell  eine  Ästhe- 
tik und  allgemeine  Kunstwissenschaft  zurecht- 
zimmert und  nun  frisch  darauflos  arbeitet.  So 
wird  nur  das  Chaos  vergrößert,  Energie  unnütz 
verschleudert  und  keinem  geholfen.  Diesem 
undisziplinierten  Treiben  entgegenzuwirken  ist 
mit  eine  der  Hauptaufgaben  des  kunsterziehe- 
rischen Gedankens,  der  ja  glücklicherweise  bei 


FARBIGE  VERGLASUNG.    At'SF:  G.  HEINERSDORFF     BERLIN. 


uns  schon  festen  Fuß  gefaßt  hat  und  ständig 
an  Ausbreitung  gewinnt.  Er  wäre  ja  vollständig 
aussichtslos  gewesen,  wenn  nicht  vor  ihm  und 
gerade  auch  durch  ihn  klare  Bewußtheit  über 
gewisse  Kunsttatsachen  erreicht  worden  wäre, 
und  damit  —  Hand  in  Hand  gehend  —  eine 
Einigung  über  ihre  sprachliche  Festlegung.  Wenn 
heute  von  Zweckmäßigkeit,  Sachlichkeit,  Mate- 
rialschönheit, Komposition,  Kolorismus,  künst- 
lerischer Handschrift,  Ortsstil,  Zeitstil  usw.  usw. 


414 


Kunst  nud  Ktoishvissenscliaft. 


ARCHITEKT  E.  J.  M AÄGOLD  -  DARMSTAUT. 

gesprochen  wird,  weiß  jeder  annähßrnd  genau, 
was  gemeint  ist.  Und  wer  neue  Ausdrücke 
einführt  —  was  aber  nur  dann  statthaft  ist, 
wenn  der  vorhandene  Wortschatz  versagt  — 
oder  alte  Ausdrücke  umprägen  will  —  wobei 
aber  größte  Vorsicht  nottut,  denn  Verwirrung 
stiftet  man  gar  leicht,  Einbürgerung  sehr  schwer, 
—  der  ist  sich  der  Aufgabe  wohl  bewußt,  daß 
er  den  Sinn  dieser  Ausdrücke  umgrenzen  und 
seine  Spannweiten  aufweisen  muß.   Vor  kurzer 


I-AKBIGK  VERGLASUNG.    AUSl':  G.  HEl.NERSDl  1RH-— llERl.IN. 


Zeit  dünkte  es  noch  vielen  als  das  höchste  Ideal, 
Auseinandersetzungen  mit  Kunstwerken  oder 
dem  Kunstschaffen  einer  Epoche  in  durchaus 
subjektiver,  ja  individuell  betonter  Form  zu 
halten;  es  wurde  nichts  anderes  verlangt,  als 
eine  sprachlich  geschmackvolle  Wiedergabe  der 
Eindrücke,  welche  die  betreffende  Persönlich- 
keit erfahren  hat.  Man  wollte  wissen:  was  hat 
dieser  oder  jener  bedeutende  Schriftsteller  vor 
diesem   oder   jenem   Kunstwerke   empfunden. 


415 


Kiii/s/  nnd  Kujishvisseusc/mff. 


1 


ARCHITEKT 
E.  MARGOLD- 
DARMSTADT 


STI.BERNE 
j     DOSE  GETR. 
i     M.  MALACHIT. 


um  dann  nachfühlend  und  ein- 
fühlend das  gleiche  zu  erleben. 
Die  Individualität  des  „Kriti- 
kers" wird  für  den  Kreis  sei- 
ner Gemeinde  der  richtung- 
gebende Typus.  Ja,  je  eigen- 
artiger sich  diese  Reaktion 
des  Kritikers  auf  Kunstwerke 
äußerte ,  desto  höher  stieg  er 
in  Ansehen  und  Achtung.  Er 
gab  also  eine  Stimmungsskizze, 
und  seine  Stimmung  steckte 
die  anderen  an.  Ganz  fern  liegt 
es  mir,  den  hohen  Wert  der- 
artiger Bekenntnisse  zu  leug- 
nen, soweit  sie  von  bedeuten- 
denPersönlichkeiten  herrühren. 
Aber  der  solide  Weg  zu  Kunst- 
verständnis und  einsichtsvoller 
Kunstwertung  führt  nicht  in  ge- 
rader Linie  durch  die  Impres- 
sionen hochgestimmter  Seelen, 
deren  typische  Anlage  vielleicht 
von  der  des  Lesers  grundver- 
schieden ist  und  für  ihn  daher 
gar  nicht  bindend  sein  kann, 
sondern  durch  den  Versuch,  die 
Gesetzmäßigkeit  zu  erkennen, 
welche  das  Kunstschaffendurch- 
waltet,  über  die  Notwendigkeit 
belehrt  zu  werden,  die  ein  be- 
stimmtes Zeitwollen  beherrscht. 
Wir  wollen  nicht  jubelnde  Be- 
geisterung oder  höhnische  Ab- 
lehnung, sondern  eine  gerechte 
Wertung,  welche  die  Tatsachen 
entwickelt,  auf  die  sie  sich 
stützt,  so  daß  wir  in  der  Lage 
sind,  die  Gründe  nachzuprüfen 
und  zu  kontrollieren.    Erst  da 


416 


E.  MARGOLU.     UilRB.VNU  M.  ANHÄNGER. 
OOLD,  GHTR.  AUF  PERLE.  AUSF:  O.  DIETRICH-WIEN. 


beginnt  die  Möglichkeit  für 
ernste,  sei  es  beistimmende,  sei 
es  widersprechende  Auseinan- 
dersetzungen. Manchen  mag 
dies  als  ein  pedantischer  Rück- 
fall erscheinen,  als  grauerNebel 
trockener  Schulweisheit.  Ich 
erblicke  darin  einen  segensrei- 
chen, nicht  genug  zu  fördern- 
den Forlschritt;  denn  wenn 
wirklich  die  Kunst  den  Rang 
einer  gewaltigen  Kulturmacht 
einnimmt  und  einnehmen  soll, 
und  dieses  stolze  Wort  mehr 
als  eine  hallende, tönendePhrase 
ist,  dann  müssen  wir  uns  doch 
mit  einer  derartigen  Großmacht 
mit  all  der  Gründlichkeit  und 
Vertiefung  beschäftigen,  mit  all 
der  Weitschweifigkeit  und  Um- 
ständlichkeit, die  nun  einmal 
mit  dem  ernsten  Getriebe  der 
Wissenschaft  unauflöslich  ver- 
bundensind;  einerWissenschaft, 
die  nicht  auf  den  leichten,  schil- 
lernden Flügeln  derSpekulation 
denrealenTatsachen  entflattert, 
sondern  gerade  diesen  Tat- 
sachen mit  allem  Eifer  nach- 
geht. Aber  wehe!  wehe!  rufen 
wohl  viele:  überantworten  wir 
hier  nicht  die  Kunst  der  Wis- 
senschaft, liefern  wir  da  nicht 
das  sonnige  Kind  frei  schöpfe- 
rischer Phantasie  der  gedrück- 
ten Stubenluft  der  Gelehrsam- 
keit aus?  Und  ist  es  nicht 
wissenschaftlicher  Dünkel,  zu 
wähnen,  daß  von  hier  aus  erst 
der    wahre    Weg    zur    Kunst 


f*;^>*tW*>*>>»l^>-» 


EMANUEL  JOSEF  MARGOLD-DARMSTADT. 

KOLI.IKR  UM)  BROSCHE.    GOLD  MIT  HALBEDELSTEINEN. 


1Ö13.  V.  e. 


^^^N^S>C:^ 


iimiLmnM.>tJHtt»n 


EM.  JOS.  MARGOLD-DARMSTADT. 

VORSTECKNADELN ,  RINGE  UND  BROSCHEN. 


GOLD  UND  SILBER  MIT   HALBEDEL- 
STEINEN. AUSF:  O.  DIETRICH-WIEN. 


ARCHITEKT  E.  J.   MARGOLD    DAKMSTADT. 
KOLLIERS.  SILBER  VERGOLDET  MIT  HALBEUELSTEINEN. 


ENTWURFE 

ARCHITEKT 

EMANUEI. 

J.  MARGOLD. 

liRUCKSTOFFI. 


ausfuhrung: 
oberhessisch. 

LEINEN- 
INDUSTRIE 
MARX  S;  KLEIN- 
liERGER- 
FRANKFURT 


ARCHITEKT 
KMA.VUF.I.JOS. 

MARdDM). 


\u.skuhruxg: 

'HKR(iK.SMSCHE 
I.ElNKM.NDfsTRIK 
\IARX&  KIKINHKRCKR 

HRA^KKt-RTa,  M. 


W««««««««1?OT«WWK?W««««OTWtVA-AV.' 


»««»0«S"«»»C»»«WC«-K««»«««»^^ 


W«»»».■«««^W«C^>»»«^^W»C«^^ 


M«««»»«««««W»««»»««WW^«»^^K^ 


Kunst  und  Kjmshvissenschaft. 


f    I    f 


Wk         : 


hV  • 


f  I  f 


f 


W^x 


f  i  f 


ARCHITEKl    EM.  JUS.   M,.\KGc  HU      Il.\kMST.\DT. 


sich  erschließe?  Scheint  es  denn  nicht  weit 
naturgemäßer,  wenn  eine  kunstfrohe,  kunst- 
empfängliche Persönlichkeit  uns  ihre  Kunst- 
eindrücke schildert,  und  wir  diesem  Vorbild 
nacheifern,  statt  vielleicht  kapitel-  und  para- 
graphenreiche Bücher  zu  lesen,  um  dann  vor 
lauter  Bäumen  nicht  den  Wald  zu  sehen?  Gilt 
es  nicht  im  Gegenteil,  gegen  Übergriffe  der 
Wissenschaft  das  Eigenrecht  der  Kunst  zu  ver- 
teidigen und  damit  gegen  das  unselige  Dogma 
anzukämpfen,  als  ob  alle  Äußerungen  unseres 
Lebens  wissenschaftlich  geregelt  sein  müßten, 
bis  wir  zu  einer  logischen  Maschine  erstarren 
würden?  Indem  ich  alle  diese  Einwände  hier 
in  schärfster  Form  vorbringe,   deute  ich  wohl 


424 


BEDRTXKTE  TISCHDECKE.    AUSF:  MARX  81  KLEI.NBERGER. 


schon  an,  daß  ich  mich  über  diese  Forderungen 
des  „gesunden,  unverbildeten  Gefühls"  durch- 
aus nicht  achtlos  hinwegsetzen  will ;  denn  wenn 
wir  von  Wissenschaft  sprechen,  die  wahrlich 
dieses  Ehrennamens  würdig  ist:  so  wird  sie 
sicherlich  nicht  die  herrliche  Sprache  des  Ge- 
fühls vernachlässigen.  Wissenschaft  ist  nicht 
Logizismus  und  Intellektualismus,  wie  heute 
leider  noch  vielfach  gemeint  wird.  Aber  viel- 
leicht kommen  wir  am  leichtesten  ans  Ziel, 
wenn  wir  das  allgemein  Zugestandene  und  je- 
dem Zweifel  Entrückte  zuerst  ausschalten  und 
dann  —  zur  Abwehr  von  Mißverständnissen 
—  Grenzen  ziehen;  dann  dürfte  wohl  eine 
Einigung  wenigstens  angebahnt  werden  können. 


Kumt  und  Kuvshvissenschaß. 


^.tni'i^^Mi 


AKCHITEKT  KM.  JOS.  ^LARGOLI)— UAK.MM  Ahl . 


Das  Recht  einer  wissenschaftlichen  Behand- 
lung der  Kunst  kann  gar  nicht  ernstlich  bestrit- 
ten werden;  es  wäre  doch  geradezu  lächerlich, 
ein  so  weites,  reiches  und  bedeutungsvolles 
Tatsachengebiet  dem  Kreise  der  Wissenschaft 
entreißen  zu  wollen.  Wenn  da  im  vorhinein 
der  Ruf  ertönt,  hier  zerbreche  jede  wissen- 
sciiaftliche  Bemühung  an  der  schrankenlosen 
Freiheit  des  schöpferischen  Individuums,  so  ist 
es  zumindest  Sache  der  Wissenschaft,  nachzu- 
prüfen, ob  sie  wirklich  keinen  Kingang  in  diese 
Welt  findet,  oder  ob  auch  hier  Gesetze  herr- 
schen. Und  selbst  wenn  sie  an  das  Reich  der 
Individualität  in  ihren  feinsten,  zartesten  Ver- 


BEURUCKTK  TI.SCHIJI'XKK.     AUSK;  MARX  &  KLEINBERGFR. 


ästelungen  herantritt,  so  können  ihr  da  die 
modernen  Methoden  der  differentiellen  Psycho- 
logie die  Wege  weisen,  nicht  um  die  Individu- 
alität auf  eine  kahle,  kalte  Formel  einzuzwän- 
gen, sondern  im  Gegenteil:  um  sie  zu  ver- 
stehen und  zu  würdigen.  Die  ernst  zu  neh- 
mende Meinungsverschiedenheit,  welche  die 
Gemüter  erhitzt  und  die  Parteien  spaltet,  hebt 
erst  da  an,  wo  es  sich  um  die  F'rage  handelt,  ob 
die  Wissenschaft  dem  praktischen  Kunstbetrieb 
förderlich  sein  kann,  oder  ob  sie  ihn  hemmt 
und  stört.  Eines  darf  man  natürlich  nicht  von 
der  Wissenschaft  verlangen:  nämlich  daß  sie 
unmittelbar  im  Kunstleben  schöpferisch  wird. 


1913.  V.  7. 


4*5 


H;.\l     1-  1  I  A  MARGOT.D  -  »ARMSTAIJT. 


HUTPUTZ.     BLUMEN  AUS  FARBIGEM  FII.Z. 


^-\1Ca 


KKAU  ELLA  MARGuLD     Li AKMs  1  .Uj  1 .     HUTPUTZ.     BLUME.N  ALS  1AKLIGL.M  HLZ. 


IKAU  ELIA 

MARGDI.D- 

DAKMSTAin. 


HÜIPUTZ. 
GESTICKIKS 
SEIDEN- 
KISSEN. 


Knust  lind  Kunstwissenschaft. 


ARCHITEKT  KMAN.  Jus.  MARGoLD      IlARMSTAUT.      KAI- FEE-.SF.K\  IrE.    CijEI),  VIOLETT,  SCHWARZ.    AUSF  :  J.  BOCK- WIE.N. 


Ein  Mensch  vermag  alle  logischen  und  ethischen 
Gesetze  genau  zu  kennen,  ohne  deswegen  doch 
eine  bedeutende  wissenschaftliche  Tat  oder  eine 
heroische  Handlung  vollführen  zu  können.  Und 
deswegen  darf  man  natürlich  auch  von  Ästhetik 
und  allgemeiner  Kunstwissenschaft  nichts  Un- 
mögliches verlangen:  sie  erzeugt  keine  genialen 
Persönlichkeiten.  Aber  mittelbar  vermag  sie 
in  mancher  Richtung  das  Kunstschaffen  zu  be- 
einflussen, und  vielleicht  nicht  in  ungünstigem 
Sinne.  Sie  kann  z.  B.  vor  manchen  Sackgassen 
warnen,  manche  Fehler  vermeiden  lehren ;  und 
damit  spart  sie  dem  Künstler  unnütze  Arbeit, 
manche  Entmutigung  und  Enttäuschung.  Aber 
welcher  Künstler  schafft  denn  nach  ästhetischen 
Regeln?  und  wenn  er  dies  täte,  so  würde  auch 
gleich  der  Fluch  nachfolgen:  der  glatte ,  lang- 
weilige Akademismus.  Denn  die  Ästhetik  kann 
sich  doch  nur  an  der  Kunst  der  Vergangenheit 
oder  der  Gegenwart  emporranken ;  denn  da 
findet  sie  ihre  Tatsachen  vor;  der  wahre  Künst- 
ler aber  blickt  in  die  Zukunft  und  gestaltet, 
prägt  erst  die  Tatsachen ,  welche  dann  die 
Ästhetik  —  und  meist  sehr  spät  —  in  ihr 
System  hineinverarbeitet.  Will  man  sich  eines 
Bildes  bedienen,  so  darf  man  sagen:  der  Künst- 
ler eilt  der  Kunst  der  Gegenwart  voran,  der 
Ästhetiker  hinkt  ihr  nach.  Trotzdem  dieser 
Vergleich    für    den    Wissenschaftler    wahrlich 


428 


keine  Schmeichelei  bedeutet,  muß  ich  doch 
ehrlich  bekennen,  daß  ein  gewisser  wahrer 
Kern  ihm  nicht  abzusprechen  ist.  Sicherlich 
„macht"  die  Ästhetik  keinen  neuen  Stil,  eben- 
sowenig wie  sie  einen  Künstler  „macht".  Aber 
eine  solche  Zumutung  an  sie  zu  stellen,  ist 
falsch.  In  anderer  Hinsicht  kann  sie  gar  wohl 
auch  der  Kunst  der  Zukunft  dienen.  Indem  sie 
sichtend  und  sondernd  ihre  Gesetze  entwickelt, 
gibt  sie  damit  die  großen,  klassischen  Traditio- 
nen der  Kunst,  gleichsam  das  Skelett,  das  Ge- 
rippe der  Kunst,  ohne  das  sie  nicht  gedeihen, 
nicht  blühen,  ja  nicht  leben  kann.  Und  da  kann 
schon  der  Künstler,  der  vielleicht  unter  der  un- 
durchsichtigen Wirrnis  einander  bekämpfender 
Richtungen  leidet,  einen  freieren,  weiteren  Aus- 
blick gewinnen,  sich  über  das  trübe  Dunkel  des 
Tages  erheben  zu  einer  leuchtenderen  Zukunft; 
hier  vermag  er  vielleicht  eine  ähnliche  Be- 
schwingung zu  erfahren,  wie  sie  —  um  einen 
Vergleich  heranzuziehen  —  mancher  Künstler 
schon  von  der  großen  Kunst  der  Vergangenheit 
beseligt  erlebt  hat.  Beispiele,  nicht  Worte!  das 
kann  und  muß  man  mir  entgegenhalten.  Ich 
glaube ,  daß  es  an  Beispielen  wahrlich  nicht 
fehlt;  wenn  man  bedenkt,  wie  viele  und  wie 
große  Künstler  ernst  und  tief  um  klare  Einsicht 
in  die  notwendige  Gesetzlichkeit  ihrer  Kunst 
rangen,  und  mit  welch  primitiver,  roher  und 


ARCHITEKT 
FMASUKI 
Jos.  MARGOl.li- 
DARMSTADl 


KAFFKK- 
NERVICK  Mir 
REICH.  UF.KiiK. 
ROT  U.  GOI.T). 


AUSGEFCHRT  vom  porzellanhaus  JOSEF  BOCK,  HOFLIEFERANT-WIEN. 


429 


-^      *r       ^     '^ 


ARCHITEKT  EM.  JOS.  MARGOI.D— D.\RMSTADT.    SPEISE-SERVICE.    GRÜN,  GOLD,  SCHWARZ.    AUSK:  J.  BOCK -WIEN. 


Kunst  lind  A'unshvissensckaf/. 


r 

L. 

HOFFMANN 

\/iKrora 


6.SZ. 


1911 


VI.EV 


c/:ZEC2Kjec/'ZTI 
norFt-t/xisit^j  -X/IKIOIS 


......M...M.....M...M.M.,.M.,.M.M...a.l.M.M.M.t.tn 


ARCHITEKT  EM.  JOS.  MARGOLD  -  DAKMSTADT. 

ungeschliffener  Ästhetik  sie  sich  be- 
gnügen mußten,  so  darf  man  ohne 
Anmaßung  sagen ,  daß  die  Ästhetik 
der  Gegenwart  weit  Besseres,  Gedie- 
generes und  auch  —  worauf  ja  hier 
der  Schwerpunkt  liegt  —  Lebens- 
näheres zu  bieten  hat.  Und  wenn  wir 
die  stattliche  Reihe  der  Künstler- 
schriften mustern,  die  nur  die  letzten 
Jahre  gezeitigt  haben,  da  müssen  wir 
es  immer  nur  mit  wehmütigem  Be- 
dauern feststellen,  wie  die  ringende 
Unklarheit  unter  dem  Mangel  ästhe- 
tischer Schulung  zu  keiner  Erleuch- 
tung sich  durchkämpft,  wie  ausge- 
zeichnete, vorzügliche  Gedanken  ver- 
worren bleiben,  nicht  ausreifen,  ja 
widerspruchsvoll  auftauchen,  weil  es 
an  den  primitivsten  Grundlagen  und 
an  der  nötigen  Technik  fehlt,  diese 
Gedankenketten  in  gerader  Linie  fort- 
zuspinnen.  Und  würde  es  etwa  besser, 
wenn  der  Künstler  eine  ästhetische 
Ausbildung  durchmachen  würde? 
Darüber  muß  die  Erfahrung  entschei- 
den, und  ich  hoffe:  sie  wird  entschei- 
den. An  allen  Akademien  und  an 
allen  besseren  Kunstschulen  wird  Ana- 


TITEL  EINER  UNGARISCHEN  ZEITSCHRIFT. 

tomie  getrieben,  und  auch  an  kunst- 
geschichtlichen Vorträgen  herrscht 
kein  Mangel.  Keiner  ist  so  ver- 
blendet, zu  wähnen,  daß  Anatomie 
und  Kunstgeschichte  den  Künstler 
machen;  wohl  aber  ist  die  allgemeine 
Ansicht,  daß  diese  beiden  Disziplinen 
nützliche  Hilfswissenschaften  für  den 
Künstler  sind;  und  meiner  Meinung 
nach  wäre  hier  die  Ästhetik  als 
Lehrfach  einzureihen.  Von  einem 
Ästhetikunterricht,  der  möglichst  den 
realen  Tatsachen  des  Kunstlebens  an 
den  Leib  rückt  und  im  Hinblick  auf 
die  besonderenBedürfnisse  desKünst- 
lers eingerichtet  ist,  verspreche  ich 
mir  reiche  und  wertvolle  Erfolge  und 
glaube,  daß  jedenfalls  derartige  Ver- 
suche in  größerem  und  systema- 
tischerem Maße  betrieben  werden 
sollten.  Ich  kann  mich  erinnern,  daß 
Hermann  Obrist  in  seiner  Schule  jede 
Woche  einmal  an  einem  Abend  im 
großen  Kreise  seiner  Schüler  und 
Schülerinnen  allgemeine  ästhetische 
und  künstlerische  Fragen  besprach, 
und  daß  hier  zahllose  Anregungen 
die  Schüler  empfingen.    Auch  ist   es 


4J2 


1013.  V.  S. 


TniiffaNiüaFJsriEiMHnF^MsnmiMiHmMCinaG? 


ARCH.  EMANUEL  JOSEF  MARGOLD. 
ENTWURF  FÜR  EIN  FAMTI.IEN-GRABM.VL.  BE- 
HAUENER  BETON,  SCHWARZE  BLUMENVASEN. 


Ku7ist  und  Kunstwissenscliaft. 


ja  eine  bekannte  Tatsache,  wie  viele  junge 
Künstler  an  Universitäten  und  anderen  Hoch- 
schulen ästhetische  Vorlesungen  hören,  \i^\\ 
sie  an  ihren  eigenen  Bildungsanstalten  dazu 
keine  Gelegenheit  finden.  Und  doch  scheint 
mir  dieser  Weg  verkehrt:  das  pädagogische 
Ziel  einer  Kunstakademie  und  einer  Universität 
ist  völlig  verschieden;  und  ästhetische  Vor- 
lesungen an  der  Universität  haben  einem  ganz 
anderen  Zweck  zu  dienen  und  sind  für  ein 
ganz  anderes  Publikum  berechnet,  als  solche, 
die  sich  an  junge  Künstler  wenden  würden,  um 
ihnen  für  ihre  Ausbildung  nützliche  Kenntnisse 
und  wertvolle  Anregungen  zu  bieten.  Es  ist 
ja  auch  die  „Anatomie",  die  für  angehende 
Mediziner  vorgetragen  wird,  eine  wesentlich 
verschiedene  von  der  für  Kunstakademiker. 
Wenn  ich  also  diese  Erörterungen  zusammen- 
fassen darf,  so  möchte  ich  noch  einmal  dem 
lebhaften  Wunsche  Ausdruck  verleihen,  daß 
man  den  Versuch  wagen  sollte  mit  der  Ein- 
führung von  Ästhetik -Vorlesungen  an 
Kunstakademien!  Schaden  kann  diese 
Reform  sicher  nicht,  und  meiner  Meinung  nach 
vermag  sie  sehr  zu  fördern  und  sehr  zu  nützen. 
Solange  die  Ästhetik  auf  den  erdfremden  Bah- 
nen der  Spekulation  sich  bewegte,  und  solange 
die  empirische  Ästhetik  in  ihren  Anfängei 
steckte,  da  wäre  ein  derartiger  Vorschlag  ver 
früht  gewesen.  Heute  aber  scheint  uns  die 
Ästhetik  so  weit  reif,  um  ihren  Einzug  in  die 
Kunstakademien  halten  zu  können.  Und  so  wie 
der  junge  Künstler  von  ihr  innere  Förderung 
erfahren  kann,  so  wird  sicherlich  der  Ästhe- 
tiker nicht  minder  gefördert  werden  in  dieser 
lebendigen  Wechselwirkung,  in  dem  sich  immer 
innigeren  Anpassen  an  die  wahren  Bedürfnisse 
des  Künstlers,  in  diesem  spannenden  Hinein- 
hören in  die  gärende  Werkstatt  der  Kunst. 

Aber  nicht  in  erster  Linie  für  den  schaffenden 
Künstler  ist  die  Ästhetik  berechnet,  sondern 
vor  allem  für  den  Kunstfreund,  der  sich  mit 
der  naiven  Hingabe  an  das  Kunstwerk  nicht 
begnügt,  sondern  nach  einem  Wissen  strebt 
über  die  Bedingungen  seines  Genusses,  über 
die  Gesetzlichkeit  der  Kunst,  über  die  Art  des 
künstlerischen  Schaffens  und  über  sichere  Wer- 
tungsgesichtspunkte.   Von  diesen  Kenntnissen 


E.  J.M.\RGOLl> 
DARMSTAin. 


erhofft  er  nicht  nur  eine  Bereicherung  und  Ver- 
vollkommnung seiner  Bildung,  sondern  vor 
allem  lockt  ihn  wohl  ein  praktischer  Zweck : 
Vertiefung  des  Kunstgenusses,  richtige  Einstel- 
lung gegenüber  der  Kunst,  gerechte  Würdigung. 
Und  sicherlich  ist  es  ja  das  Ideal  der  Ästhetik, 
diesen  Anforderungen  in  völliger  Weise  gerecht 
zu  werden,  wenn  sie  auch  von  diesem  Endziele 
heute  noch  gar  weit  entfernt  ist ;  aber  deswegen 
darf  doch  kein  Verzagen  Platz  greifen:  manches 
scheint  gewonnen,  das  in  die  gewünschte  Rich- 
tung weist,  das  den  hier  geäußerten  Bedürf- 
nissenRechnung  trägt.  Insbesondere  demKunst- 
kritiker  dürfte  schon  heute  die  Ästhetik  reiches 
und  wertvolles  Material  liefern  können,  das  ihn 
in  den  Stand  setzt,  mit  schärferer  Klarheit  und 
größerer  Sicherheit  den  Dingen  entgegenzutre- 
ten. Und  es  erfüllt  sich  erst  das  Schicksal  der 
Ästhetik,  wenn  sie  aufhört  bloß  Wissenschaft 
zu  sein  und  ins  Leben  eintritt:  Hier  werden 
auch  sicherlich  sofort  ihre  Schwächen  und  Lük- 
ken  offenbar,  aber  indem  sie  sich  dem  Leben 
anpaßt,  können  die  Schwächen  beseitigt,  die 
Lücken  ausgefüllt  werden.  Wir  wollen  nicht 
eine  wissenschaftliche  Kunst  oder  eine  künst- 
lerische Wissenschaft!  Jede  Vermengung  ge- 
reicht nur  beiden  zum  Unheil.  Aber  wir  wollen 
das  Zeitwollen  und  den  Ausdruck,  den  es  in 
der  Kunst  findet,  wissenschaftlich  verstehen, 
um  so  nicht  nach  persönlichem  Belieben  über 
die  Leistungen  der  Kultur  zu  urteilen,  sondern 
gestützt  auf  sichere,  wohl  begründete  Ergeb- 
nisse. Und  nur  so  können  wir  mit  Erfolg  gegen 
das  phrasenhafte,  wortreiche  Gerede  ankämpfen, 
das  gleich  üppigem  Unkraut  alles  Besinnen 
über  Kunstfragen  durchsetzt.  Kunsterziehung 
darf  nicht  nur  in  die  Breite  und  Weite  führen, 
sondern  vor  allem  auch  in  die  Tiefe,  damit  sie 
nicht  schließlich  in  Oberflächlichkeit  und  Tri- 
vialität versandet.  Wenn  heute  eine  Kunst 
aufstrebt,  die  nach  strenger  Gesetzlichkeit,  nach 
der  herben  Notwendigkeit  eines  großen  Stils 
mit  allen  Mitteln  ringt,  so  müssen  Wissenschaft 
und  Kritik  hier  Hand  in  Hand  mitgehen:  nicht 
vorlaut  sich  vordrängend;  durch  verfrühten 
Tadel  oder  voreilige  Begeisterung  störend,  son- 
dern mit  ihren  Mitteln  im  Dienste  der  gleichen 
Aufgabe  kämpfend.  dr.  emil  utitz. 


UNGERRING 
GOLD  M.  PERLEN. 


435 


KUine  Ku7isl-Nachrichten. 


BiCHOFF,  DAVID  &  CO.— PARIS.  HAUSKLEID 

AUS  SEIDENSTOFF  MIT  REICHER  BUNTEN  MUSTERUNG. 


KLEINE  KUNST-NACHRICHTEN  1913. 

JANUAR. 

AUS  DEN  BERLINER  KUNSTSALONS.  Paul 
L  Cassirerwill  während  der  nächsten  Zeit  einifje 
jung-e  Privatsammlungen  zur  Ausstellung  bringen. 
Es  soll  damit  bewiesen  werden,  dafi  in  Deutschland 
die  Amateure  der  modernen  Kunst  mit  Eifer  und 
Geschick  einzukaufen  wissen.  Den  Anfang  macht 
die  Sammlung-  Reber,  der  Besit}  eines  rheinischen 
Industriellen.  Was  da  in  wenigen  Jahren  an  Bildern 
zusammenkam,  überrascht  durch  die  Gleichmäf^ig- 
keit  einer  reifen  Qualität  und  durch  die  gemeinsame 
Lebensart.  Cezanne  ist  der  Maßstab  dieser  Samm- 
lung: die  Vitalität  der  Linie,  eine  nervös  gespannte 
Farbgebung,  eine  Leidenschaft,  die  sich  im  Kampf 
um  die  Form  verblutet.  Keusche  Sensationen  der 
Klassik  empfangen  wir  vor  diesen  Bildern,  die  wie 
Glieder  einer  gro|5en  kosmischen  Familie  ineinander- 
fassen.  Es  ist  ergreifend,  zu  sehen,  wie  sich  Linien 
auftun  von  Cezanne  bis  zu  den  Helden  des  Barock. 
Eine  kleine  Leinwand,  die  dem  Meister  von  Mefikirch 
gehören  soll,  zeigt  deutlich,  wie  der  Gefühlsdrang,  der 
sich  in  dem  französischen  Systematiker  entlad,  schon 
vor  Jahrhunderten  naiv  keimte.  Solche  Zusammen- 
hänge überschauen,  läßt  die  Revolutionäre  der  Ge- 
genwart zu  Erfüllern  werden.  Es  ist  ein  Weg  von 
dem  altholländischen  Kalff  zu  van  Gogh;  das  lägt 
sicli  hier  nachprüfen.  Und  wie  Manet  und  Goya 
untereinander  und  beide  mit  Velasquez  verwandt 
sind,  das  gibt  den  malerischen  Phänomenen  der  ein- 
zelnen Bilder  die  Grobheit  des  Gesetjmäßigen. 
Durch  Manets  „Knabe  mit  Hund"  und  Goyas 
„Spinnerinnen",  durcli  die  Stilleben  und  die  Bild- 
nisse des  Cezanne  empfängt  die  Sammlung  Reber 
den  Charakter  eines  Dokumentes  der  Malgeschichte. 
Die  anmutigen  Vibrationen  des  Monticelli  und  die 
sinnlichen  Spiele  Renoirs,  dieses  Watteaus  der 
Impressionisten,  girren  wie  Ranken  in  der  Monu- 
mentalität solches  Museums.  —  Gurlitt  bringt  die 
erste  der  Jubiläumsgaben  im  25.  Jahre  der  Regie- 
rung Wilhelms  II.  Es  werden  typische  und  be- 
sonders frühe  Werke  jener  Meister  gezeigt,  die 
seit  1888  in  diesem  Salon  zur  Ausstellung  kamen. 
Abermals  sind  es  die  Gemeinsamkeiten,  die  uns 
solch  Nebeneinander  von  Vielen  interessiert  ab- 
wandern lassen.  Von  Corot  ein  Bildchen,  das  noch 
den  schematischen  Baumschlag  zeigt,  und  das  doch 
schon  von  einem  Grün  erfüllt  ist,  in  dem  das  Tem- 
perament aller  Landschaftseroberung  sich  zu  regen 
scheint.  Dann  Courbet,  in  einigen  Stellen  fast  kit- 
schig und  doch  berstend  vom  Drang  zum  Propheten. 
Seine  Kinder  und  Kindeskinder  sind  versammelt, 
Trübner,  der  schon  1876  mit  fabelhafter  Kraft 
Buchenstämme  malte,  Hagemeister,  der  rückwärts 
an  Schuch  und  Leibl  mahnt.  Ganz  zeitlos  scheint 
Liebermann    mit    seinem   Selbstporträt    von    1901; 


436 


Kleine  Kuvst-Naclirkhteu. 


Sicht  man  abervor  seinem  braunen  „Küdienintcrieur", 
das  er  1876  jj^emalt  hat,  dann  sieht  man  deutlich, 
wie  er  von  Munkaczy  kommt  und  wie  Uhde  (v(in 
dem  ein  eiitzürkendes  Kinderbildchen  zu  sehen  ist) 
einst  ganz  nahe  Verwandtschaft  zu  ihm  hatte.  — 
Zu  solcher  Verwandtschaftspsydiologie  verleitet  uns 
auch  die  Kollektion  von  Arthur  Kampf,  die  wir  bei 
Schulte  ansehen  können.  Nach  den  Themen  und 
nach  dem  Vortrag-  werden  wir  an  Menzel  erinnert: 
Eisenwalzwerk,  Hofball,  im  Detail  und  nicht  ohne 
VVit)  gesehen.  Daneben  bleibt  Düsseldorf  mit  seinem 
akademischen  Historienbild  zu  spüren;  Slevogts 
Bravour  macht  sidi  bemerkbar,  und  die  dekorative 
Tendenz  der  Münchner  Scholle  scheint  hier  und  da 
erstrebt.  Man  möchte  doch  lieber,  statt  an  Menzel, 
an  Meyerheim  denken.  Von  diesem  alten  Berliner 
treffen  wir  im  Künstler  haus  manch  nette  Schil- 
derei. Idyllische  Waldszenen ,  Zigeunerromantik 
und  Tierbudenhumor,  so  etwa  in  der  Art  von  Hark- 
länder, diesem  Romansdireiber  einer  weltmännischen 
Oartenlaube.  hklukk. 

Ä 

IEIPZIO.  Die  Ereignisse  im  Leipziger  Kunst- 
^  leben  sind  in  der  Tat  zu  zählen.  Es  ist  ein  wenig 
gar  zu  still  hier.  Von  jenen  künstlerischen  Wagnissen, 
die  für  den  Berliner  Kritiker  tägliche  Nahrung 
sind,  erfährt  man  in  Leipzig  so  gut  wie  nichts. 
Im  vorigen  Jahre  brachte  der  „Verein  Leipziger 
Jahresausstellung"  unter  dem  Vorsi^  Klingers  („die 
Lia")  etwas  Bewegung  in  den  Brei.  Es  scheint, 
als  ob  er  sich  auch  in  diesem  Jahr  zu  regen  ge- 
dächte. —  Man  tröstet  sich  damit,  daft  Leipzig  noch 
heuer  groj^e  Ausstellungen  haben  werde,  z.  B.  die 
Intern.  Baufachausstellung,  und  später(l914)die  Aus- 
stellung für  Buchgewerbe  und  Graphik.  Aber  die 
nütjen  ^en  Leipziger  Künstlern  nur  wenig;  sie 
werden  einmal  da  sein  und  nicht  wiederkommen, 
sie  sind  zu  allgemein,  für  alle  Welt  berechnet,  nicht 
den  besonderen  Bedürfnissen  der  lokalen  Produk- 
tion angemessen.  Und  man  bedürfte  doch  sehr 
der  Anregung.  —  Der  fortschrittliche  und  gediegene 
Kunsthandel  hat  es  hier  nicht  leicht.  So  sind 
aud]  die  guten  Ausstellungen  selten.  Im  Januar 
wird  man  in  der  Kunsthalle  P.  H.  Beyer&Sohn 
das  graphische  Werk  von  Felicien  Rops  in  sehr 
reicher  Auswahl  sehen  können.  —  Sonst  kommt  für 
ständige  .Ausstellungen  nur  noch  der  Kunstverein 
in  Betracht.  -  Er  feierte  im  Oktober  und  Novem- 
ber sein  75jähriges  Jubiläum  mit  einer  vornehmen 
und  gewählten  Ausstellung.  Es  fehlte  kaum  ein 
Name  der  zeitgenössischen  deutschen  Malerei,  aber 
man  sah  auch  kaum  ein  Bild,  das  nicht  schon  an- 
derswo die  Kritik  passiert  hätte.  Das  Ereignis  war, 
dafi  man  aus  dem  Bestand  dieser  Kollektion  glückliche 
Ankäufe  für  das  Museum  machte,  so  ein  „Selbst- 
bildnis" Liebermanns  mit  Strohhut,  aus  1911; 
einen  sehr  sdiönen  frühen  Albert  v.  Keller,  „Bildnis 


BECHOFF,  DAVIIJ  &  CO.  WIN  1  EKKI.E1U,  l'liL/.VERliRAMT. 

.\RMF.I.  BUNT  GFMUSTKRTF.R  SFIDKNSTOFF. 


437 


Kleine  Kunst- Nachrichten. 


der  Frau  von  Le  Suire";  einen  Thoma;  „Die  Stein- 
brecher" von  Sterl;  ein  hübsches  Bildchen  „Land- 
haus" von  Th.  Th.  Heine;  eine  kleinere  Bronze  von 
Tuaillon  u.a.  —  Im  Dezember  beherbergte  der 
Kunstverein  die  dekorativen  Gemälde  und  Plastiken 
von  SaschaSchn  eider,  die  vordem  in  Dresden 
bei  Arnold  gewesen  waren;  ferner  ein  groJ3es  Bild 
„Badezeit",  ein  paar  weibliche  Akte,  Porträts  und 
Stilleben  von  Rysselberghe,  der  in  Zeichnung 
und  Farbe  immer  gefälliger  wird;  dann  neben 
einigen  verunglückten  Arbeiten  auch  ungewöhnlich 
gute  Plastiken  des  Karlsruher  Bildhauers  Georg 
Schreyögg,  so  das  ausgezeichnete  Bronzeporträt 
des  Malers  Altherr,  einige  Bronzeakte  aus  der  Nach- 
folge Rodins,  eine  hübsche  Majolika  „Johannes". 
Endlich  war  da  ein  weiblicher  Halbakt  in  dunkler 
Bronze  von  Hoetger,  von  bedeutenden  Qualitäten. 
—  Interessante  Bekanntschaft  machte  man  mit  dem 
Leipziger  Graphiker  Erich  Grüner,  der  einen 
radierten  Zyklus  „Judas"  mit  den  dazu  gehörigen 
Studien  ausstellte.  dr.  ewald  benuer. 

Ä 

BERLIN.  Kürzlich  fand  in  den  Ausstellungs- 
räumen der  Wochenschrift  „Der  Sturm"  eine 
Kollektivausstellung  von  Gemälden  einer  kleinen 
Malergruppe  statt,  deren  Darbietungen  einen  be- 
sonderen Anspruch  auf  das  Interesse  der  Allge- 
meinheit erheben,  weil  sie  die  Ideen  und  Anre- 
gungen der  Kubisten  und  Futuristen  über  das 
philosophische  Programm  hinaus  in  künstlerischer 
Weise  verarbeitet  und  zu  wertvollen  Resultaten 
geführt  haben.  Die  drei  Künstler  dieser  jungen 
bedeutsamen  Vereinigung  treten  unter  dem  Sammel- 
namen „Die  Pathetiker"  vor  die  Öffentlichkeit.  Wenn 
auch  diese  Bezeichnung  für  den  ersten  Augenblick 
unverständlich  erscheint,  so  wird  man  doch  bald 
erkennen,  dag  in  ihr  die  Betonung  des  Erhabenen 
durch  die  Tiefe  des  Erlebnisses  zu  Worte  kommen 
soll.  Erlebt  und  in  harmonischer  Anpassung  an 
das  Erlebnis  wiedergegeben  sind  vor  allem  die 
auf  biblische  Motive  zurückgehenden  Gemälde 
Jacob  Steinhardts.  „Der  Tanz  um  das  goldene 
Kalb"  und  „Lots  Flucht"  sind  ihm  unter  kompo- 
sitorischer und  koloristischer  Anlehnung  an  Greco 
nicht  minder  gelungen  als  seine  hervorragende 
expressionistische  Wiedergabe  des  „Jeremias".  Hier 
klagt  wahrhaft  einer  aus  tiefster  Verzweiflung  und 
füllt  die  Landschaft  mit  seinen  Klagen,  dag  Felsen 
und  Bäume  erschauern  und  sein  Leid  zu  dem  ihren 
zu  machen  scheinen.  Ludwig  Meidner  kopiert 
zwar  in  seinem  Selbstporträt  noch  allzusehr  das 
bekannte  Selbstporträt  van  Goghs,  gibt  aber  in 
seinen  übrigen  Expressionen  beachtenswerte  Lei- 
stungen künstlerischen  Ringens.  Der  „Weltunter- 
gang" und  die  „Landschaft  mit  verbranntem  Haus" 
sowie  die  grenzenlose  Einsamkeit  im  „Hiob"  kommen 
den    Idealen    des    Expressionismus    am    nächsten. 


Seine  Zeichnungen  und  die  Graphik  Steinhardts 
verfolgen  neben  einigen  Gemälden  Ludwig  Jan- 
thurs  die  gleichen  Wege  nach  der  Vertiefung  des 
Geistigen  im  Kunstwerk.  Hie  und  da  dürfte  man 
noch  etwas  mehr  Selbstzucht  verlangen,  aber  das 
ernste  Streben  dieser  drei  Schlesier  läJ3t  uns  gern 
über  das  noch  Unvollkommene,  das  oft  zu  grotesken 
Übertreibungen  führt,  hinwegsehen  und  gibt  uns 
die  Hoffnung,  dag  aus  der  nüchternen  Theorie  der 
neuesten  expressionistischen  Bestrebungen  eine 
neue  Schönheit  erwächst.  dr.  walter  georgi. 

Ä 

DARMSTADT.  Allgemeine  Deutsche  retro- 
spektive Kunst-Ausstellung  1650—1800 
Darmstadt  1914.  Auf  Veranlassung  des  Grogherzogs 
wird  in  den  Sommermonaten  1914  im  Residenz- 
schlosse eine  groge  retrospektive  deutsche  Kunst- 
ausstellung staltfinden,  die  der  Zeit  nach  dem  Drei- 
gigjährigen  Kriege  bis  zur  Ära  Napoleons  gelten  soll. 
Die  geplante  Darmstädter  retrospektive  Aus- 
stellung, deren  Organisation  Herrn  Prof.  Dr.  Georg 
Biermann-Darmstadt  und  den  Herren  Kommerzien- 
räten  Hermann  und  Theobald  Heinemann  in  München 
übertragen  ist,  wird  zum  erstenmal  aus  der  un- 
geheuren Produktion  dieser  Zeit  all  das  an  einer 
Stelle  vereinigen,  was  einerseits  im  Sinne  der  Mo- 
derne lebensstark  und  interessant  erscheint,  was 
aber  andererseits  nicht  minder  auch  die  Kultur  jener 
Epoche  ihrer  doppelten  Eigenart  nach  vielsagend 
vertieft.  So  wird  die  Ausstellung  nicht  nur  den 
Beweis  zu  erbringen  suchen,  dag  auch  in  jenen 
anderthalb  Jahrhunderten  überall  in  Deutschland 
Künstlerpersönlichkeiten  gewirkt  haben,  die  es  ihrer 
Qualität  nach  verdienen,  der  Kunstgeschichte  zu- 
rückerobert zu  werden,  sondern  sie  wird  hoffentlich 
auch  zeigen  können,  dag  schon  in  jener  Epoche 
zahlreiche  Ansähe  zu  einer  durchaus  modernen 
Kunstauffassung  konstatiert  werden  müssen,  die 
erst  im  19.  Jahrhundert  ihre  Fortentwicklung  ge- 
habt haben.  Ihr  Material  wird  die  Veranstaltung 
ebenso  aus  dem  Besit3  der  deutschen  fürstlichen 
und  privaten  Sammlungen  wie  aus  dem  der  öffent- 
lichen Galerien  schöpfen.  —  So  darf  man  hoffen, 
dag  diesem  für  die  Erkenntnis  unserer  Vergangen- 
heit so  ungemein  wichtigen  Unternehmen,  für  das 
der  Grogherzog  von  Hessen  als  Veranstalter  zeich- 
net, die  Sympathie  der  weitesten  Kreise  und  die 
Mitarbeit  aller  Kunstgelehrten  und  Museumsdirek- 
toren zur  Seite  stehen  werden.  —  Für  den  Som- 
mer 1914  wird  sich  der  hier  angekündigten  grogen 
retrospektiven  deutschen  Kunstausstellung  die  längst 
in  Vorbereitung  befindliche  Ausstellung  der 
Künstlerkolonie  auf  der  Mathildenhöhe  zuge- 
sellen. Mit  diesen  beiden  Veranstaltungen  dürfte 
Darmstadt  im  nächsten  Jahre  unbedingt  der  wich- 
tigste Anziehungspunkt  für  alle  deutschen  und  wohl 
auch  ausländischen  Kunstfreunde  sein.  k. 


«8 


Kleine  Kunst-Nacliricliten. 


DARMSTADT.  Zu  seinem  25 jährigen  Verlags- 
und Berufsjubiläum  wurde  Alexander  Koch 
eine  seltene  Ehrung  zu  teil.  Von  namhaften  Künst- 
lern, Srhriftstellern  und  hochstehenden  Persönlich- 
keiten aus  Deutschland  und  dem  .Auslände  waren 
mehr  als  250  Widmungsblätter  eingesandt  worden, 
die  in  zwei  kostbaren  Pergamentbänden  vereinigt 
dem  .lubilar  überreicht  wurden.  Diese  sinnige  und 
unschär)bar  wertvolle  Sammlung  umfafit  Kunstblätter, 
Zeichnungen,  Radierungen,  .'\quarelle  u.  a.  von  Hans 
Thoma,  Franz  von  Stuck,  Peter  Behrens,  L.  von 
Hofmann,  Ciraf  von  KaKkreuth,  W.  Trübner,  K.  von 
Seidl,  A.  von  Hildebrand,  Hans  von  Volkmann, 
.Adolf  Hengeler,  Eugen  Bracht,  Julius  Diez,  Hugo 
von  Habermann,  Frit-,  Erler,  .Adolf  Münzer,  Walther 
Georgi,  R.  M.  Eidiler,  Ad.  Niemeyer,  Paul  Bürck, 
Hans  Unger,  Beriihard  Hoetger,  Hanns  Pellar,  Carl 
Bant)er,  O.  H.  Engel,  Walther  Püttner,  Otto  Ubbe- 
lohde,  Oskar  Zwintscher,  Josef  Wackerle,  Ehmcke, 
Cissarz,  Ludwig  Hohlwein,  Ernst  Liebermann, 
Schultje  -  Naumburg,  van  de  Velde  u.  v.  a.  sowie 
Widmungen  in  Prosa  und  Versen. 

Einige  der  bemerkenswertesten  Äußerungen 
mögen  hier  wiedergegeben  sein: 

An  diesem,  Ihrem  Ehrentage  darf  die  städ- 
tische Verwaltung  nicht  fehlen.  Sie  übermittelt 
durch  mich  zu  dem  25  jährigen  Berufs-  und  Verlags 
Jubiläum  die  aufrichtigsten  Glückwünsche.  Ihrer 
Energie  und  Initiative  ist  es  gelungen,  die  Zeit- 
schriften „Deutsche  Kunst  und  Dekoration",  „Innen- 
Dckoration",  „Stickerei-Zeitung  und  Spitzen-Revue", 
„Tapeten-Zeitung"  zu  gründen,  auf  ihrer  Höhe  zu 
erhalten  und  zu  führenden  Organen  für  die  Gegen- 
wart emporzuarbeiten.  Der  künstlerische  Inhalt 
der  Hefte  ist  im  Verein  mit  der  Sorgfalt  und  Klar- 
heit des  prächtigen  Bildschmuckes  als  Kulturfaktor 
im  Inland  und  Ausland  anerkannt.  So  darf  ich  mit 
berechtigtem  Stolz  sagen,  daß  Sie  durch  Ihre  Tätig- 
keit auch  den  künstlerischen  Ruf  der  Stadt  Darm- 
stadt in  vorbildlicher  Weise  gefördert  haben.  Möge 
es  Ihnen  vergönnt  sein,  in  Ihrem  künstlerischen 
Berufe  so  wie  seither  weiter  zu  wirken  :  Ihr  Lebens- 
werk auf  seiner  Höhe  zu  erhalten  und  so  national 
zu  arbeiten  zur  Förderung  deutscher  Art,  deutschen 
Kunsthandwerkes  und  deutscher  Wohnkultur.  Auf 
ein  weiteres  Blühen,  Wachsen  und  Gedeihen  der  im 
Inlande  und  Auslande  verehrten  Darmstädter  Kunst- 
zeitschriften !  OBURBÜRGBRMKISTBR  DR.  GLÄSSlNO'OARMSrADT. 
* 

„Wäre  Hofrat  Koch  nur  der  feinsinnige  Ästhet 
oder  nur  die  willensstarke  Persönlichkeit,  sein  Haus 
würde  heute  nicht  den  Weltruf  besitzen,  auf  den 
auch  unsere  Stadt  allen  Grund  hat  stolz  zu  sein.  Aber 
ein  gütiges  Geschick  hat  ihm  beide  Gaben  in  die 
Wiege  gelegt  und  er  hat  verstanden,  sie  weise  zu 
gebrauchen.  Der  Geschmack  hat  der  Tatkraft  die 
künstlerische  Legitimation  gegeben  und  die  Rieh 
tung  gewiesen;  die  Tatkraft  wiederum  hat  die  aus 
dem  Geschmack  geborenen  Gedanken  großzügig 
verwirklicht.  So  beglückwünschen  wir  Hofrat 
Alexander  Koch  als  den  Schöpfer  eines  Kulturwerks, 
der  die  Schönheit  gesucht  und  sie  gefunden   hat." 

BÜRGBRMBISTSR  HÜLLBR-DARMSTAIir. 

« 

Eine  Baukultur  ist  undenkbar  ohne  Überlieferung, 
ohne  künstlerische  Erziehung.  Baukünstler  und  Bau- 
herren bedürfen  ihrer.  Nur  wenn  beide  dem  glei- 
chen Ziel  zustreben,  ist  ein  harmonisches  Werk  zu 


erwarten.  Daß  heute  so  zahlreiche  erfreuliche 
Leistungen  der  Baukunst  anzutreffen  sind,  danken 
wir  nicht  nur  der  reiferen  Einsicht  und  gesteigerten 
Tätigkeit  der  Schaffenden,  sondern  nicht  minder 
der  zielbewußten  allgemeinen  Erziehung  zum  Kunst- 
verständnis. An  der  Spitze  der  dazu  führenden 
Kulturbestrebungen  sehen  wir  Ihren  Verlag.  Am 
25  jährigen  Ehrentage  wird  keiner  Ihrer  Freunde 
fehlen,  Ihnen  die  besten  Glückwünsche  auf  weite- 
res, gleich  erfolgreiches  Wirken  darzubringen,  und 
zu  diesen  Freunden  wollen  Sie  auch  zählen  die 
Fachprofessoren  der  Architektur -Abteilung  an 
der  Großh.  Technischen  Hochschule  zu 
Darmstadt. 


HOFMANN,    \VU:K0P,    WALRK.    PUTZKR. 


Nur  wer  praktisch  selbst  das  Feld  der  moder- 
nen Kultur  bestellt  hat,  vermag  die  ungeheuren 
Schwierigkeiten  abzuschätzen,  die  einer  solchen 
Arbeit,  wie  sie  Herrn  Hofrat  Koch  gedankt  wird, 
entgegenstehen.  Was  er  geleistet  und  durch  seine 
Zeitschriften  für  die  deutsche  Kunst  gewirkt  hat, 
wird  im  Buche  der  Geschichte  unseres  Volkes  ver 
zeichnet  werden.  Daß  es  seine  ureigensten  Ideen 
gewesen  sind,  denen  er  durch  die  Tat  Ausdruck 
verliehen  hat,  daß  dem  opferfreudigen  Mute  auch 
der  Erfolg  beschieden  gewesen  ist,  krönt  seine  Ar- 
beit durch  sich  selbst. 


I'KOI-.  DR.  l..   HIHRMANN-IIARMSTAII 


Wer  die  Tätigkeit  des  Kochschen  Verlages  verfolgt 
hat,  der  kennt  den  Grundzug  seines  Wirkens;  der 

lautet  „Vorwärts".        OKH.  KATI'RÜF.C0RNKL.GURI.1TT-DRHSDBN. 

Wenn  Darmstadt  eine  Kunststadt  von  Rang  und 
Ansehen  geworden,  so  dankt  sie  dies  nicht  allein 
der  auserlesenen  und  temperamentvollen  Künstler- 
schar, die  der  Großherzog  stets  mit  besonderem 
Geschick  herauszugreifen  und,  wenn  auch  vorüber- 
gehend, an  seine  Residenz  zu  fesseln  weiß,  sondern 
gewiß  nicht  in  letzter  Linie  der  unermüdlichen  Arbeit 
des  Verlegers  Alexander  Koch.  Was  wären  die 
Pappenheimer,  wenn  sie  keinen  Schiller  ge- 
funden   hätten!  PR0F.DR.GÜ!,1.H.I'AZAI'RKK-SH'TTGAR(. 

Ein  österreichischer  Volkswirt  entbietet  Herrn 
Hofrat  Koch  zur  heutigen  Feier  herzlichen  Gruß, 
Dank  und  Glückwunsch!  Denn  er  hat  uns  eine 
der  stärksten  Kraftquellen  der  österreichischen 
Volkswirtschaft  —  das  Schaffen  unserer  besten 
heutigen  Künstler  und  Gestalter  —  fassen  helfen. 
Die  Heimat  muß  wieder  einmal  der  Fremde  danken. 

HÜPRAI    r)K.  ADOl  F   VK  I  l  KK  -  W  1  KN  . 

Zu  den  starken  Kräften,  die  mit  einheitlichem 
Willen  das  neue  deutsche  Kunstgewerbe  vorwärts 
und  aufwärts  geführt  haben,  zählt  seine  blühende 
Fachpresse,  die  beste  ihrer  Art  vor  allen  übrigen 
Ländern.  In  ihr  haben  Sie  seit  Beginn  der  Bewe- 
gung in  der  ersten  Reihe  gestanden,  allem  .lungen, 
Frischen,  Tüchtigen  zugänglich,  ein  Förderer  der 
Werdenden,  auf  der  Wacht  dafür,  daß  die  Ziele 
und  Maßstäbe  sich  weiten,  daß  das  große  Werk 
nicht  nur  in  die  Breite,  sondern  auch  in  die  Höhe 
wachse.  Die  Freunde  des  deutschen  Kunstgewerbes 
schulden  Ihnen  dafür  Dank  und  wünschen,  daß  Sie 
noch  lange  mit  gleicher  Energie  auf  dem  wichtigen 
Posten  wirken  mögen,  den  Sie  sich  selbst  geschaf- 
fen haben.  DIRBKTOR  PUrBRJHSSKN.BKKLIN. 
* 

Die  „Deutsche  Kunst  und  Dekoration"  ist  das  wert- 
vollste und  wichtigste  Archiv  der  neuen  deutschen 
Kunst  —  durch  die  Auswahl  und  Schönheit  der 
Abbildungen,    sowie    durch   die  Freiheit  der  Inter- 


439 


KUifie  Kutist-Nachficliten. 


pretation  unschätzbar  für  den  Historiker  und  Kunst- 
freund. Möge  dem  sehr  verdienstvollen  Unternehmen 
des  opferwilUgen  Herausgebers  und  Verlegers  auch 
im  nächsten  Vierteljahrhundert  seiner  Tätigkeit 
aller  Kitsch   und   alles    üble  Gemäcklertum  erspart 

bleiben!  UNIV.-PROF.  DR.  KARL  MAVR-ML  N«  HKN. 

....  Bautest  Brücken  den  Künstlern,  viel  goldene, 
rastlos  ....  Hast  unermeßlich  bereichert  deutschen 
Boden  für  Kunst,  edleren  Sinn  für  das  Heim! 

DR.  E.  W.    BKEDT-Mi  NCHEN. 

....  Reiches  Glück  der  Erdenkinder  liegt  in 
schöner  Häuslichkeit.  Heil  dem  Mittler  und  Erfinder 
einer  neuen  Wohnlichkeit!  g.  müschner-minchün. 

....  Papierne  Bände  hast  Du  so  geschichtet, 
und  doch  hast  Du  ein  Denkmal  draus  errichtet, 
das  weithin  in  die  Welt  die  Strahlen  warf,  das  keine 
Zukunft  übersehen  darf!  Denn  allem,  was  an  Kunst 
um  1900  die  Zeit  gescholten  erst  —  und  dann  be- 
wundert —  auch  umgekehrt,  der  Neuzeit  bestem 
Leben  hast  du  ein  dauerndes  Archiv  gegeben  .... 

IIAL'RAT   HANS  SCHLI  EP.M  ANN-BERLl  N  . 

Wir  dürfen  Ihnen  zu  unserer  Freude  die  Versiche- 
rung geben,  daß  wir  Sie  mit  Stolz  den  Unseren 
nennen,  daß  Ihre  Schöpfungen  uns  mustergültig  und 
des  höchsten  Lobes  würdig  erscheinen.  Ein  gnädiges 
Geschick  ....  schenke  Ihnen  in  steigendem  Maße 
den  wohlverdienten  Erfolg  und  die  Anerkennung 
nicht  nur  einer  erlesenen  Gemeinde,  sondern  auch 
der  weitesten  Kreise  des  deutschen  Volkes. 

DER  VORSTAND  DES  VERBANDES    DER    FACHPRESSE  DEUTSCHLANDS  E.  V. 

Der  Tüchtigkeit  seine  Hochachtung  aussprechen 
zu  dürfen,  erfüllt  einen  immer  mit  Freude. 

PROF.   W.  TRÜBNER-KARLSRrHE. 

Wer  von  den  Schicksalen  der  neuen  deutschen 
Kunst  berichten  will,  der  kann  an  der  Persönlich- 
keit Alexander  Kochs  nicht  stillschweigend  vorüber- 
gehen. Alexander  Koch  gehörte  im  letzten  Jahr- 
zehnt des  19.  Jahrhunderts  nicht  nur  zu  den  Weg- 
bereitern der  Darmstädter  Sieben,  sondern  er  war 
selbst  einer  der  Pioniere  der  neuen  Zeit.  Und  er 
ist  durch  25  Jahre  hindurch  in  der  Vorhut  geblieben, 

THEOD.  VOLMEHR-M.\GDEBt'RO. 

Wer  die  gewaltige  Entwickelung  der  deutschen 
Kunst  und  des  deutschen  Kunstgewerbes  im  letzten 
Vierteliahrhundert  verfolgt,  wird  bewundernd  an- 
erkennen müssen,  wie  das  durch  diesen  Verlag  Ge- 
botene nicht  etwa  den  Entwicklungsgängen  nach- 
hinkt, sondern  im  Gegenteil  vielfach  erste  Keime 
fördernd  aufgreift.  Und  so  sind  die  Werke  dieses 
Verlages  nicht  nur  unentbehrliche  Dokumente  zeit- 
genössischen Kunstschaffens,  sondern  sie  haben 
dieses  selbst  in  hervorragender  Weise  beeinflußt, 
allem  Gesunden  und  Kräftigen  sicheren  Rückhalt 
bietend,  durch  Wärme  der  Begeisterung  Freude 
und  Anhänger   werbend.  dk.  eimil  utitz-rostock. 

Echter  Kunst  der  Wegbereiter,  jungem  Werden 
ein  Geleiter;  wie  Du  wirktest,  wirke  weiter! 

Kl  NO  i.RAF   HARUENBERG-DRESUEN. 

Wohl  dem,  der  eine  wunderreiche  Fracht,  die 
unbestimmt  auf  weitem  Meere  treibt,  eh'  sie  der 
Wind  nach  Nord  und  Süd  zerstäubt,  als  guter  Lotse 
sorgsam  eingebracht!         prof.  fr.schumacher-hamburg. 

Wenn  man  einst  die  Namen  derer  nennen  wird, 
die    an    der  Verwirklichung   der   modernen  Kunst- 


und  Kulturideale  nicht  nur  theoretisch,  sondern 
auch  praktisch  mitgearbeitet  und  dafür  gesorgt 
haben,  daß  die  Ideen  der  Künstler  Wurzel  fassen 
und  Früchte   tragen  konnten,  dann   wird  der  Name 

Alexander  Koch    nicht    fehlen    dürfen 

Die  Wohltat  der  Arbeit  solcher  Männer  kommt  der 
Allgemeinheit  ebenso  wie  jedem  einzelnen  zu  gute. 
Fast  jeder  von  uns  dankt  den  Unternehmungen 
Kochs  irgend  eine  Förderung  seines  Wissens  und 
Strebens.  Und  sie  sich  aus  dem  Kunstleben  unse- 
rer Zeit  wegzudenken,  ist  ganz  unmöglich.  Sie 
sind  ein  fester  Bestandteil  unserer  Kultur,  ein 
Wahrzeichen  unseres  Ringens  nach  Kultur  geworden. 

RICH.  BRAUNGART-.MÜNCHEN. 

„Monsieur    Alexander    Koch,    je   voudrais    que 

vous  soyez  Francjais!"  paul  puiuet-paris. 

*     *     * 
Die  Technische  Hochschule-Darmstadt  überreichte 
Alexander  Koch  eine  künstlerisch  gestaltete  Adresse, 
die  folgenden  Wortlaut  hat: 

Die  25  Jahre,  auf  die  der  Verlag  Alexander 
Koch  zurückblicken  darf,  haben  auf  dem  Gebiete 
der  künstlerischen  Kultur  eine  Bewegung  herauf- 
kommen sehen,  von  der  für  die  Zukunft  Deutsch- 
lands Großes  erwartet  wird.  Dies  wurde  möglich 
durch  vielerlei  wirkende  Kräfte,  nicht  nur  des  Er- 
sinnens  und  Schaffens,  sondern  auch  jenes  Wirkens 
und  Vermitteins,  wie  es  die  Verlagsanstalt  Alexander 
Koch  zu  dem  ihren  gemacht  hat. 

Dank  und  Anerkennung  für  diese  Verdienste 
des  Verlags  um  die  große  und  gemeinsame  Sache 
möchte  in  aufrichtigem  Glückwunsche  für  die  Zu- 
kunft zum  Ausdruck  bringen 

Die  Großh.  Techn.  Hochschule  zu  Darmstadt. 

WTCKOP. 

Zahlreiche  Briefe  und  Telegramme  lauteten  in 
gleichem  anerkennenden  Sinne: 

Zum  Jubiläum  Ihres  um  die  Förderung  von  Kunst 
und  Kunstgewerbe  so  verdienten  Verlages  sendet 
beste  Glückwünsche  und  hofft  auf  weiteres  Blühen 
und   Gedeihen  wirkl.  i.eh.  rat  dünhoff-berlin. 

....  25  Jahre  stehen  Sie  in  dem  künstlerischen 
und  kunstgewerblichen  Leben  von  ganz  Deutschland 
und  haben  seine  Entwickelung  in  Wort  und  Bild 
nicht  zum  wenigsten  gefördert.  Eine  Lebensarbeit 
liegt  hinter  Ihnen,  die  dem  künstlerischen  Ansehen 
des  Reichs  und  noch  mehr  unseres  Hessenlandes 
Geltung  in  der  ganzen  Welt  verschafft  und  in  dieser 
den   Namen    „Alexander    Koch"    bekannt    gemacht 

hat.    .    .    .  DR.  W.\GNER,   kreisrat,  DIEBURG. 

.  .  .  Sie  haben  durch  die  Erzeugnisse  Ihres  Ver- 
lages, die  auf  der  ganzen  Welt  als  führend  und 
vorbildlich  anerkannt  werden,  dem  Fache  der 
Kunstwissenschaft,  das  ich  an  der  Landesuniversität 
zu  vertreten  die  Ehre  habe,  aufs  höchste  genützt. 
Sieht  doch  grade  die  moderne  Kunstwissenschaft 
ein  besonderes  Verdienst  darin,  so  wie  Sie  es  durch 
Ihre  Werke  und  Zeitschriften  getan  haben,  der 
frisch  aufblühenden  modernen  Kunst  die  Wege  zu 
bereiten.  Und  wenn  die  moderne  Kunst  trotz  aller 
Widerstände  zur  Geltung  gekommen  ist,  und  sich 
unsere  künstlerische  Kultur  gehoben  hat,  so  ist 
Ihrer  Tätigkeit  das  in  erster  Linie  mit  zu  verdanken. 

PROF.  CHRISTIAN  RAULH-GIESSEN. 

Se.  Kgl.  Hoheit  Ludwig,  Prinzregent  von 
Bayern,  verlieh  Alexander  Koch  die  goldene  „König 
Ludwigs-Medaille  für  Wissenschaft  und  Kunst". 


WILHELM  LEHMBRUCK- PARIS. 
.WEIBL.  BÜSTEo  IN  STEINMASSE. 


ULRICH  HLBNER     LlUKiK. 


/r.iCHiMNG  :    »HAKENS/.KNE« 


DAS  REICH  DER  ZEICHNUNG. 

ZUR  XXV.  AUSSTELLUNG  DER  BERLINER  SECESSION. 


I 


*s  gal:  noch  keinen  großen  Künstler,  der  nicht 
,  das  für  ihn  Entscheidende  in  der  Zeichnung 
geleistet  hätte.  Durch  die  Zeichnung  enthüllt  sich 
der  Künstler  bis  auf  den  Urgrund  seiner  Seele; 
er  läßt  uns  teilhaben  an  dem  Kampf,  den  er  mit 
der  Natur  täglich  führt,  sie  zu  ergründen  und 
sich  gefügig  zu  machen.  Die  Zeichnung  ist  das 
treueste,  das  unfehlbare  Dokument  von  dem 
Verhältnis  des  Künstlers  zur  Natur:  ob  er  ihr 
dient,  ob  er  mit  ihr  spielt,  ob  er  ihr  zur  Selbst- 
erkenntnis hilft,  ob  er  sie  begeistert,  ihr  höheres 
Sein  zu  enthüllen.  Nach  solcher  vierfachen  Art 
wären  die  Zeichner  einzuteilen  in:  unkritische 
Naturalisten,  Karrikaturisten,  positive  Analy- 
tiker, idealistische  Rhythmiker.  Wobei  selbst- 
verständlich zu  bedenken  bleibt,  daß  die  Kunst 
noch  niemals  Neigung  hatte,  sich  auf  ein  Schema 
zu  dressieren  und  daß  der  Künstler  als  Einzel- 
ner meist  ein  Vielfältiger  ist. 

Gibt  es  überhaupt  Naturalismus  in  der  Kunst? 
Es  kann  ihn  nur  dem  Willen  nach  geben,  nie, 
Vk'as   den   tatsächlichen   Effekt   betrifft.     Heute 


darf  man  sagen,  daß  nur  schvifache  Künstler, 
und  zwar  mehr  gezwungen  als  entschlossen  den 
grobschlächtigen  Naturalismus  wollen. 

Die  Karrikatur  war  das  nächstliegende, 
auch  das  am  bequemsten  zu  handhabende 
Mittel,  das  erwachende  Ich  gegen  die  Natur  zu 
distancieren.  Wobei  der  Begriff  des  Karrikatu- 
ristischen  nicht  etwa  so  spezialistisch  gefaßt 
sein  will,  wie  das  unsere  Witzblätter  tun. 
Karrikatur  war  jede  bewußte,  nach  einem  be- 
stimmten System  vorgenommene  Abwandlung 
der  Natur,  Wobei  der  Ton  auf  System  zu  liegen 
hat.  So  wären  etwa  die  griechischen  Vasen- 
bilder Karrikaturen  zu  nennen.  Auch  alle  tex- 
tilen  Verarbeitungen  naturalistischer  Motive. 
Es  gibt  überhaupt  keine  gewerbliche  Nutzung 
der  Natur,  die  nicht  durch  das  Medium  des 
Karrikaturistischen  geschehen  wäre.  Jedes  Pla- 
kat, jede  zur  Dekoration  bestimmte  Zeichnung, 
jede  mit  Absicht  humoristisch,  grotesk,  angelisch 
oder  satanisch  gefärbte  Schilderei  ist  so  ver- 
standen:   Karrikatur.     Die    Karrikatur   ist  nie 


1918.  VI.  1. 


44J 


Das  Reich  der  Zeichnunn. 


HANS  MEID -BERLIN. 


endgültige  Form,  aber  sie  kann  sehr  reizvoll, 
amüsant  und  geistreich  sein.  Sie  kann  auch 
vom  Pathos  der  Entrüstung  oder  der  Menschen- 
liebe getragen  werden.  Scheurich  und  Christophe 
sind  Karrikaturisten  jener  amoureusen  Klasse; 
Gulbransson  und  Heine  gehören  der  sozial- 
ethischen.  Das  diesen  vier  Künstlern  Gemein- 
same ist  die  Umdeutung  der  Natur  nach  einem 
vorgesehenen  Programm.  Die  karrikaturisti- 
sche  Handschrift  wurde  nicht  aus  der  Natur 
abstrahiert,  sie  ist  ihr  vielmehr  auferlegt  wor- 
den. Die  Natur  wurde  gestreckt,  kostümiert, 
parfümiert,  erregt,  beruhigt,  je  nach  den  Ab- 
sichten des  Arrangeurs.  Das  kann  mit  großem, 
mit  rarem  und  sublimem  Geschmack  geschehen 


RjVdierung:  »Landschaft  mit  reitern« 


sein,  das  kann  Wirkungen  von  ungewöhnlicher 
Eindruckskraft  ergeben.  Das  bleibt  aber  doch, 
und  sei  es  auch  nur  in  einem  Zipfel,  mehr 
etwas  Gewolltes  als  etwas  Gemußtes,  mehr  ein 
Karneval  als  eine  neue  und  höhere  Schöpfung. 
Freilich:  es  schwingen  die  Grenzen  aller  künst- 
lerischen Provinzen.  Es  gibt  Blätter  von  Heine, 
die  trotz  des  witzig  erstrebten  Japanismus 
Dokumente  unversehrten  Menschentumes  sind. 
Und  Daumier  gehört  selbst  als  Karrikaturist 
zu  den  Helden  des  der  Natur  eingeborenen  und 
nach  Erlösung  schreienden  Rhythmus. 

Es  kamen  Menschen,  die  der  Natur  skeptisch 
in  das  Antlitz  sahen;  sie  entdeckten,  daß  das 
Zeichnen  die  Kraft  der  Analyse  habe  und  aus 


444 


Das  Rcicli  der  Zeichmtuor. 


allem  Gegebenen  das  Entscheidende  von  dem 
Zufälligen  zu  trennen  vermöge.  Die  Zeichnung 
wurde  zum  Werturteil,  zur  Kunst  des  Fort- 
lassens.  Es  handele  sich  nun  nicht  mehr  darum, 
die  Natur  möglichst  korrekt  und  addiert  wieder- 
zugeben, vielmehr  darum,  sie  durch  Reduzie- 
rung auf  ein  Minimum  zur  Wirkung  eines  Maxi- 
mum zu  bringen.  Um  zu  erleben,  wie  solch 
positive  Analytik  gemeint  ist,  muß  man  an 
Liebermann  geraten.  Es  genügt,  eine  seiner 
Radierungen  vom  Polo  anzusehen:  diese  Pferde 
sind  nur  noch  Kurven,  nur  noch  Schriftzüge, 
und  sind  doch  so  lebendig,  wie  nur  je  ein 
springendes  Vollblut  es  war.  Zeichnen  ist  die 
Kunst  der  positiven  Analyse.  Herzlos  muß  der 
Zeichner  sein  und  doch  ergriffen  von  großem 
Gefühl,  ein  kalter  Rechner  und  doch  ein  er- 
regter Phantast.  In  Liebermanns  Gefolgschaft 
mühen  sich  nicht  wenige,  Zeichner  dieser  Art 
zu  werden.  Einigen  gelang  es.  Bei  anderen  hat 
man  das  Gefühl,  daß  sie,  wie  Scheffler  klug  sagt : 
„Lieber  viel  ausführlicher  sein  möchten,  als  sie 
es  sind."    Sie  möchten  gerne  schildern,  genau 


AnUAKKl.L:  »Ulli  VERTEIDIGUNG^ 


bis  in  die  Einzelheiten,  möchten  Naturalisten 
sein;  zwingen  sich  aber  zur  kritisch  gesehenen 
und  kurzgeschriebenen  Impression,  weil  sie 
wissen,  daß  die  Tugenden  des  Extraktes  und 
der  Formel  den  modernen  Künstler  bedeuten. 
In  der  Kunst  aber  sind  die  Wissenden  stets  die 
Geringeren ;  im  höheren  Sinne  produktiv  ist  nur, 
wer  unter  einem  vorbestimmten  Muß  sein  Werk 
verrichtet.  Es  ist  nun  deutlich,  daß  jede  der 
Natur  abstrahierte  Hieroglyphe  zugleich  eine 
Entklärung  des  Ideals  ist.  Nicht  so,  als  ob  ein 
besonders  schönes  Bild  destilliert  werden  sollte, 
wohl  aber  so,  daß  nach  Möglichkeit  das  Thema 
der  Natur  an  den  Tag  kommt.  Solch  Thema 
wird  in  der  Zeichnung  linear  zum  Vortrag  ge- 
bracht und  als  Rhythmus  empfunden.  Lieber- 
manns Polospieler  sind  solch  eine  äußerste  An- 
spannung und  Freilegung  der  im  Naturkomplex 
verborgenen  Rhythmik.  Was  will  es  nun  be- 
deuten, wenn  Künstler,  die  sich  gegen  Lieber- 
mann und  seine  Art  mehr  oder  weniger  ab- 
wehrend verhalten,  dies  damit  begründen:  daß 
es  ihnen  unmöglich  sei,  die  Natur  zu  kopieren. 


445 


ADOLF  SCHINNERER-'DEISENHOFEN. 


LITHOGRAPHIE ;   »SCHLITTSCHUHLÄUFER« 


F 


•\i^r  H 


ERNST  BISCHOPF-CULM-BERLIN.    ZEICHNUNG:   .KÄHNE.    AUSSTELLUNG  DER  BERLINER  SECESSION. 


-\       S^r47 


,A^',-'    :7-- — ö 


iVl'i! ; 'C.'"^ 


Ä-  >«•    -- 


-^=- 


w.    i<|n 


KARL  WALSER -BERUN. 


ZEICHNUNG:  »ST.  PETERSINSEL« 


RI!I>OLF  r.ROSSMANN     BERLIN.     AflOARELL:  »TIERGARTEN«    AUSSTELLUNG  IHK    I  I  K  I  I  m;r  SECF.SSION. 


Das  Reich  der  Zeichnwig. 


MAX  PECHSTEIN— BERLIN. 


daß  sie  vielmehr  den  ewigen  Urkräften  der 
vergänglichen  Wirklichkeit  nachspüren  und  die 
Musik  des  Rhythmus  von  den  Schlacken  des 
letzten  Details  befreien  müßten.  Es  ist  nicht 
immer  Unverstand  noch  Anmaßung,  was  Künst- 
ler so  sprechen  und  ihre  tiefste  Leidenschaft 
bekennen  heißt.  Wie  entwirrt  sich  solche  Un- 
klarheit. Da  wir  längst  erkannten,  daß  in  der 
Kunst  alle  Grenzen  fließen  und  schließlich  (wie 
übrigens  auch  in  der  Sittlichkeit)  alle  Gesetze 
Reflexe  von  Gefühlen  sind,  so  läßt  sich  schema- 
tisch keine  Grenze  ziehen  zwischen  denen,  die 
den  Rhythmus  der  Hieroglyphe  als  den  Sinn 


r.\uierung:  »am  meer« 


der  Kunst  proklamieren  und  doch  von  den  an- 
deren alsNaturalisten  getadelt  werden,  und  eben 
jenen  anderen,  die  nach  dem  absoluten  Klang 
der  Klänge  jagen  und  als  Wilde  verschrien  sind. 
Impressionismus  und  Expressionismus  durch- 
dringen sich  so  vielverzweigt,  daß  man  kaum 
begreift,  wie  der  Streit  dieser  beiden  Begriffe 
faktisch  zu  einem  Kampf  zweier  Weltanschau- 
ungen wurde.  Nun  ist  es  aber  so,  daß  Lieber- 
mann und  Pechstein,  ganz  unbekümmert  um  die 
Qualität,  als  zwei  Pole  gegeneinander  stehen. 
Die  Psychologie  des  Expressionismus,  des 
Dranges    auszudrücken,  was  das  Ich  auf  der 


448 


Das  Reich  der  Zeicinmng. 


Natur  an  Melodien  spielen  möchte,  ist  nicht 
frei  von  Merkwürdigkeiten.  Beinahe  paradox 
möchte  es  einem  scheinen,  daß  zum  Exempel 
auch  Pechstein  nicht  von  der  Natui-  getrennt 
sein  kann,  ja  daß  er  geradezu  mit  dramatischer 
Glut  das  irdische  Leben  bejagt  und  nie  genug 
versichern  kann:  er  sähe  es  so.  Woran  man 
übrigens  greifbar  erkennt,  was  diese  idealisti- 
schen Rhythmiker  von  den  Karrikaturisten 
trennt.  Die  Karrikaturisten  reckten  die  Natur 
bewußt  nach  einem  vorgenommenen  Schema; 
der  idealistische  Rhythmiker  will  sich  von  der 
Natur  beschenken  lassen,  er  steht  vor  ihr  keusch 
und  unbefangen,  aber  er  wird  nicht  eher  rasten, 
bis  ihm  das  Letzte  und  Äußerste  gegeben  ist. 


Das  Verhältnis  des  Rhythmikers  zur  Natur  ist 
seltsam  wie  das  eines  Kämpfers  zu  seinen  Fein- 
den: er  vernichtet  sie  und  kann  doch  nur  und 
will  doch  nur  an  ihnen  gemessen  sein. 

An  diesen  Expressionisten  läßt  sich  aber  noch 
etwas  anderes  seltsam  erfinden:  sie  wollen  die 
reine  Form  und  mühen  sich  doch  um  Aufgaben, 
die  literarisch  umschrieben  werden  können. 
Zuweilen  wird  einem  beinahe  die  Täuschung, 
als  ob  Böcklin  noch  irgendwie  lebendig  ist,  ja 
neu  und  gewandelt  erwachen  soll.  Man  besinne 
sich  auf  die  Radierungen  des  Hans  Meid,  auf 
diese  technisch  raffinierten  Blätter,  in  deren 
besten  das  Bukett  des  Guys  duftet;  sie  sind  so 
erhitzt  durch   theatralisches   Gelüst,   daß  man 


FRANZ 
CHRISTOPHE- 
BERLIN. 


kirn  \  'M 


^jA-^UVkX 


.¥ 


(^^^c^Ji'e  :£:^^ru'{x-u^£—^ 


ZEICHNUNG. 
REPR.-RBCHT   1 
VERLAG 
ULLSTEIN- 
BERLIN. 


PROFESSOR  MAX  LIEBERMANN-BERLiN. 

RADIERUNG:   »POLOSPIEL«     VERLAG  PAUL  CASSIRKR. 


PAIX 

SCHEURICH- 

BERI.IN. 


•  DER 

r  ii:besbote« 

/IICHNUNG. 


1..  BARLACH. 

I I.LUST:  »HER 

TOTE  TAG« 


i.ithüc;k.\ 

I'HIE.  IM 
VERLAG 
PAULO\SSIKKK  ; 


AUS  DER  XXV.  AUSSTELLUNG  DER  BERLLNER  SECESSIÜN. 


1*13.  VL  3 


Das  Reich  der  Zeicliinuig 


LOVIS 

CORINTH- 

BERLIN. 


DIE  REKON- 
VALESZENTIN« 
ZEICHNUNG. 


iE.  '-/  C'-      t 


kaum  verwundert  wäre,  Tritonen  und  Centauren 
auftauchen  zu  sehen.  Und  ebenso  Beckmann. 
Er  radiert  wohl  Straßenszenen  nach  dem  Vor- 
bilde des  Manet;  immer  wieder  aber  drängt  es 
ihn  zu  Kompositionen,  die  akademischen  Ur- 
sprunges das  literarische  Pathos  des  Dostojewski 
suchen.  Und  ebenso  Rößler;  er  zwingt  uns, 
vor  seinen  wehenden  und  dampfenden  Land- 
schaften an  Dehmel  zu  denken.  Auch  Pascin, 
wenn  er  Szenen  aus  den  lustigen  Häusern 
von  Budapest  in  die  nervöse  Grazie  einer 
Miniatur  faßt ,  oder  Barlach ,  wenn  er  die 
Schatten  des  toten  Tages  auf  geängstete  Men- 
schen fallen  läßt  und  die  Schreie  flüchtender 
Menschenseelen  aus  der  Fläche  quellen  macht  — 
stets  ist  es  ein  literarisches  Thema,  das  dem 
rhythmischen  der  Natur  als  Kontrapunkt  ge- 
setzt scheint.    Man  mag  es  merkwürdig  finden. 


daß  so  die  Künstler,  die  ihr  Programm  nach 
dem  Absoluten  und  nach  der  reinen  Form 
heißen,  gewollt  oder  nicht  gewollt,  jedenfalls 
aber  getrieben  vom  Geiste  der  eingeborenen 
Bestimmung:  Allgemein-Menschliches  zur  Er- 
scheinung bringen.  Wiederum  ohne  die  Qualität 
zu  messen,  man  besinnt  sich  vor  Barlach  auf 
die  Sklaven  und  Sybillen  des  Michelangelo  und 
vor    Pechstein    auf    die    Meeresseligkeit    des 

Botticelli.  KOBERT  KKEIEK. 

Ä 

Die  Technik  ist  im  Kunstwerk  nur  Mittel  zum 
Zweck,  nie  Selbstzweck.  Sie  ist  das  Handwerk  in 
der  Kunst,  und  das  soll  der  Künstler  lernen,  gerade 
um  nicht  Handwerker  zu  sein.  Eine  folgsame  Hand 
soll  man  sich  erwerben,  das  kann  nur  durch  viele 
Übimg    geschehen 

Nur  der  ernste  Mensch  kann  wahrhaft  heiter  sein. 
Der  höcJiste  Stil  kommt  der  Natur  am  nächsten.    Marees. 


454 


M.  BECKMANN- 
bERUN. 


-^."ilJt^^SS-    .^■V 


LITHOGRAPHIE: 
«SW'     »TAUENTZIEN- 
STR/VSSE« 


'"'■^'".l/' 


R.  GROSSMANN 

-BERLIN.         J 


RADIERUNG: 

•  SENUS« 


HANS  MEID- 

BERLIN. 

5'^ 

1 

'^M^w^^*^^^*^ 

-'■^mm 

lÄ 

m^Sl 

W: 

wm 

m 

^fk/.'^^^l^^ 

^Wf 

% 

SELBSTBILDNIS 
ZEICHNUNG. 


KARL  F. 

ZÄHRINGER- 

B.\DEN.B. 

HOLZSCHNITT 

»WALDBACH« 


WILHELM  LEHMBRUCK-PARIS. 
.WEIBLICHER  TORSO«  BRONZE. 


ALFRED  LÖRCHER-STUTTGART. 


»SITZENDE  WEIBLICHE  KIÜUR«    GIPS. 


ZWISCHEN  GOTIK  UND  ROKOKO. 


NTichts  zeigt  so  gut,  wie  die  neue  deutsche, 
N  aus  Frankreich  kommende  Plastik,  daß 
das  Formgefühl  unserer  Tage  um  Gotik  und 
Rokoko  seine  Bahnen  zieht.  Die  Eisenkon- 
struktion ist  Gotik;  das  Ornament  der  Wiener 
ist  Rokoko.  Gotik  und  Rokoko  haben  das  ge- 
meinsam, daß  sie  durch  konstruktive  Logik  die 
Materie  vernichten;  der  Spitzbogen  überwindet 
die  Mauer,  das  Rahmen-  und  Rankenwerk  wan- 
delt die  Wand  in  eine  Illusion.  Der  zur  Höhe 
stoßende  Gewölbepfeiler  ist  ein  Äußerstes  an 
Tragfähigkeit  bei  letzter  Minderung  des  Volu- 
mens. Die  bewegten  Beine  eines  F"auteuils 
ironisieren  mit  kokettem  Mut  die  Grenzen  der 
Standfestigkeit.  Und  nun  denke  man  an  die 
Turbinenhalle  des  Peter  Behrens  oder  an  Möbel 
von  Pankok :  die  Vitalität  von  Gotik  und  Rokoko 
ist  offenbar.  Aber  auch  die  Geistigkeit  dieser 
beiden  germanischen  Träume.    Die  Gotik  hebt 


sich  zur  Mystik  der  Seele.  Auch  in  derPathelik 
des  Behrens  schwingt  die  Sehnsucht  zum  Trans- 
cendentalen;  auch  Pankok,  Endell  und  van  de 
Velde  wollen  den  erfühlten  Rhythmus.  Wir 
stehen  zwischen  Gotik  und  Rokoko.  Das  deu- 
tet uns  Rodin  mit  verwirrender  Gewißheit. 
Was  sind  die  „Bürger  von  Calais"  anderes,  als 
wieder  visionär  gewordene  Figuren  der  Heiligen 
von  den  Kathedralen.  Was  ist  das  „kauernde 
Weib"  anderes,  als  eine  erschütternde  Neuge- 
burt der  wasserspeienden  Dämonen.  Was  aber 
wäre  die  neue  deutsche,  aus  Frankreich  ge- 
kommene Plastik  ohne  Rodin,  Maillol  und  Minne. 
Wer  an  das  Erwachen  der  Gotik  im  Schatten- 
gewirk der  eisernen  Rippen  nicht  glauben  will, 
muß,  wenn  er  ein  Fühlender  ist,  durch  die  junge 
Schar  der  llaller,  Lehmbruck,  Engelmann, 
Albiker  und  Gerstel  überzeugt  werden.  Wer 
konnte  Lehmbrucks  „Kniende"  ansehen,  ohne 


459 


Zwischen  Gotik  und  Rokoko. 


RICHARD  ENGELMANN- BERLIN. 

an  die  groteske,  fast  hysterische  Entrenkung 
jener  Figuren  zu  denken,  die  das  Architekto- 
nische in  plastische  Nervosität  auflösen,  wie 
das  in  Chartres,  in  Reims,  an  St.  Gudule  und 
Notre  Dame  zu  erleben  ist.  Wer  fühlt  vor 
Halicrs  Even  nicht  die  gebundene  Erregung,  die 
jene  Auferstehenden  und  Verdammten  oder  die 
knospend  quellenden  Leiber  der  „Kirche"  und 
„Synagoge"  aus  dem  Steinernen  in  das  Fleisch 
drängte.  Es  lastet  über  allen  diesen  Neuen  und 
Suchenden  etwas  von  der  rührenden  Scheu 
junger  Tiere;  sie  wagen  es  noch  nicht,  sich  laut 
zu  regen,  als  fürchteten  sie,  durch  ein  Zuviel, 
vielleicht  gar  schon  durch  ein  Anheben  ihr 
Gleichgewicht  zu  stören.  Ein  Gleichgewicht, 
das  aus  der  Harmonie  eines  innerlichen  Tönens 
zu  keimen  scheint.  Alle  diese  Neuen  und  Su- 
chenden horchen  in  sich  hinein;  die  bildhaue- 
rische Belebtheit  der  Epidermis  ihrer  Werke 
ist  wie  ein  Reflex  eingeschlossener,  nach  außen 
wellender  Musik.  Diese  flächige  Ziselierung 
der  Haut  gibt  den  Figuren  einen  in  Süße  dis- 
kreten Schauer.    Es  ist  wie  ein  Spiel  des  Roko- 


»DIE  TRAUERNDE«    KALKSTEIN. 


kos  über  den  Tiefen  versonnener  Empfindung. 
—  Die  gotische  Plastik  war  in  die  Architektur 
gebunden;  das  Rokoko  hatte  (ausgenommen 
die  Vibrationen  des  Porzellans)  überhaupt  keine 
Bildhauerei  des  Runden,  weil  es  bereits  in 
seinem  konstruktiven  Gerüst  und  in  seinem 
Raumgefühl  Plastik  war.  Die  Rundplastik  ge- 
hört den  kühlen  Zeiten  der  Klassik.  Das  goti- 
sche Figurengewimmel  entkeimt  dem  Stein,  hebt 
sich  nur  zur  Hälfte  daraus  hervor  und  bleibt, 
auch  wenn  es  faktisch  freisteht,  dem  Baukörper 
verschwistert.  Es  scheint  das  Dogma  von  der 
Notwendigkeit  der  absoluten  Rundung  für  die 
ganze  Periode  der  gotischen  Plastik  nicht  da- 
gewesen zu  sein.  Es  scheint  sich  auch  bei  der 
neuen  deutschen  Plastik  keine  Geltung  ver- 
schafft zu  haben.  Die  meisten  dieser  Figuren 
wollen  weniger  gedreht  und  umschrilten,  als 
im  rahmenden  Zusammenhang,  wie  ein  Orna- 
ment höchsten  Grades,  frontal  betrachtet  wer- 
den. Und  doch  wiederum  sind  sie  alle  ein 
Element  des  Tanzes  innerhalb  der  Stabilität 
des  tatsächlichen  oder  des  hinzuzudenkenden 


460 


lillDHAUIK   II.  HA1.I.F.K      l'AKls 


I'LAMIKEN    IN   KUN.sTMF.lN. 


Zwischen  Gotik  und  Rokoko. 


Bauwerkes.  Die  moderne  Plastik  verlangt  nicht 
minder  heftig  als  die  moderne  Malerei  nach 
dem  innigsten  Zusammenhang  mit  dem  Räum- 
lichen. Das  bedeutet  zugleich  eine  Beschrän- 
kung, wie  eine  Erlösung.  Eine  Beschränkung 
der  letzten  Reste  akademischer  Virtuosität  und 
abstrakter  Formbestimmung;  eine  Erlösung  zur 
Sinnlichkeit,  die  nun  nicht  mehr  fürchten  muß, 
im  Augenblick  zu  zerflattern,  eine  Erlösung 
von  der  erzwungenen  Gefühlskalte,  da  jedem 
Überschwang  die  sicheren  Grenzen  des  Archi- 
tektonischen gesetzt  sind.    Zwischen  Gotik  und 


Rokoko  kreist  die  neue  deutsche,  aus  Frank- 
reich gekommene  Plastik.  kobekt  breuek. 

Alles  Iteiie  in  der  Kunst  wird  als  ein  Ärgernis 
geboren;  als  ein  Ärgernis,  das  den  einslctitigen 
Kunstfreund  meist  zu  einer  Art  von  Gewissenser- 
forscliung  anregt,  während  es  den  Philister  nur  zu 
einer  Äuüerung  des  Hochmutes  reizt.  Denn  es  ist 
ein  Kennzeichen  des  Philisters,  sagte  Hans  Thema 
einmal,  daß  er  nidit  versteht,  wie  es  Dinge  geben 
kann,  die  er  nicht  versteht. 

Glücklich  das  Land  und  das  Volk,  das  immer 
noch  Künstler  gebiert,  die  vielen  ein  Ärgernis  werden, 
als  Herolde  neuer  Gesetze HügelsLinge. 


ADOLF 
AMBERG- 
BERLIN. 


.N.\JADE« 
BRONZE. 


SÄMTL.  PLASTIKEN  AUS  DER  XXV.  AUSSTELLUNG  DER  BERLINER  SECEäSION. 


PROFESSOR  EMANUEL  von  SEIDL    MÜNCHEN. 

»TEEHAUS«    FRAU  GEHEIMRAT  J.  V.  SIEGLE-AMMERLAND. 


PROFESSOR  E.M.\.NUF.L  VON  SEIDL- MUNXHEN. 


TEEHAUS  FRAU  J.  V.  SIEGLE— AMMERLAND. 


ALTE  STÄDTE  UND  MODERNE  ARCHITEKTEN. 


VON    I  KAN/   SKRVAES. 


ES  ist  jetzt  ein  sehr  kritisches  Stadium  für 
unsere  alten  Städte.  Denn  die  moderne 
Architektur  schreitet  rastlos  vorwärts,  kann  und 
will  sich  in  ihrem  Gang  nicht  hemmen  lassen, 
und  es  entsteht  nun  die  Frage:  wie  wird  sich 
ein  Ausgleich  vollziehen  zwischen  diesen  beiden 
einander  so  entgegengesetzten  Faktoren? 

Eine  allgemeine  Antwort  hierauf  läßt  sich 
überhaupt  nicht  geben.  Wenn  irgendwo,  so 
kann  gerade  hier  nur  von  Fall  zu  Fall  entschieden 
werden.  Was  in  einer  Großstadt  möglich  ist, 
wird  in  einer  kleineren  Stadt  vielleicht  höchst 
unstatthaft  sein.  Was  im  Norden  sich  zwanglos 
eingliedert,  wirkt  in  südlicher  Gegend  möglicher- 
weise „wie  ein  Faustschlag".  Was  vom  Barock 
geduldig  ertragen  wird,  wird  vom  Empire  oder 
von  der  Gotik  jedenfalls  heftig  abgelehnt  werden. 


Und  wo  ein  Meister  eine  kühne  neue  Kombi- 
nation gewagt  hat,  da  kann  es  äußerst  gefährlich 
werden,  wenn  ein  Stümper  sich  herausnimmt, 
in  seine  Fußstapfen  zu  treten.  Also  Dornen, 
wohin  wir  greifen.  Schematisch  ist  diese  Frage 
ganz  und  gar  nicht  zu  erledigen. 

Aber  es  werden  Anforderungen  laut.  Und 
heftige  Warnungssignale  ertönen.  Da  diese  füg- 
lich den  alten  Baudenkmälern,  deren  Physio- 
gnomie ja  im  wesentlichen  unveränderlich  ist, 
nicht  gelten  können,  so  richten  sie  sich  natur- 
gemäß an  die  Adresse  derer,  die  da  in  unserer 
eigenen  Zeit  an  geschichtlich  vornehmen  Stätten 
mit  neuen  Bauten  sich  hervorwagen.  Da  ist 
denn  zunächst  ein  besonders  böser  Haken: 
es  kann  im  Zentrum  dichtbesiedelter  Großstädte 
kaum  je  neu  gebaut  werden,  ohne  daß  vorher 


4O9 


A/k  Sfödk  iifid  moderne  Architekten. 


PROFESSOR  EMANTEL  VÜN  SEIUL— MÜNCHEN. 


niedergerissen  wird.  Das  Niedergerissene  oder 
Niederzureißende  hat  aber  immer  wenigstens 
das  Eine  für  sich,  daß  es  ein  Altgewohntes, 
im  Stadtbilde  Feststehendes,  daher  gewisser- 
maßen Unkritisierbares,  jedenfalls  längst  nicht 
mehr  Kritisiertes  ist.  Jedermann  weiß,  was  er 
daran  hat.  Und  wenn  er  auch  im  täglichen 
Vorüberschreiten  nicht  jedesmal  einen  Liebes- 
blick dafür  übrig  haben  mag,  so  fühlt  er  sich 
doch  gewissermaßen  herausgefordert,  jedenfalls 
beunruhigt,  wenn  er  hört,  daß  die  gewohnten 
Linien  aus  dem  Stadtbilde  schwinden,  die  ver- 
traute Stätte,  deren  Schwelle  und  Treppen  viel- 
leicht von  Vielen  betreten  wurden,  in  Schutt 
sinken  soll.  Und  mit  bangen  Lippen  fragt  er 
sich:  was  soll  dafür  an  dessen  Stelle  treten? 
Diese  Frage  ist  gewiß  nicht  unberechtigt.  Es 
sind  in  der  Hinsicht  im  großen  wie  im  kleinen 
oft  abscheuliche  Geschmackssünden  begangen 
worden,  und  es  ist  gut,  daß  allmählich  die  Ge- 
sinnung wach  wird,  dergleichen  zu  verhindern. 
Mit  systematischem  Eifer  bemüht  sich  dahin, 
wohl  in  jedem  Lande  und  jeder  Provinz,  eine 


AUS  UKM  TI':EHArs  J,  V,  Ml  GLE      AMMLRLAKÜ. 


behördlich  geschützte  Kommission  zur  Erhaltung 
alter  Baudenkmäler,  die  nützliches  leistet,  mag 
sie  sich  auch  oft  mit  platonischen  Protesten 
begnügen  müssen.  Denn  wo  das  Finanzinteresse 
erst  reger  angefacht  oder  gar  der  Spekulations- 
teufel erwacht  ist,  da  pflegen  im  bildungsstolzen 
Deutschland  Bedenken  künstlerischer  Art  oft 
mit  überlegener  Miene  als  müßige  Spinnwebe- 
fängereien  abgefertigt  zu  werden. 

Indes  man  soll  sich  zehnmal  besinnen,  ob 
man  das  Recht  hat,  ein  altes,  charaktervolles 
Gebäude,  mag  es  auch  keinen  beträchtlichen 
Kunst-  oder  Erinnerungswert  darstellen,  der 
Vernichtung  anheimzugeben.  Erst  wenn  alle 
einschlägigen  Faktoren  dafür  sprechen  —  wo- 
bei Verkehrs-,  Hygiene-  und  Komfort-Rück- 
sichten besonders  ins  Gewicht  fallen  —  soll 
man  den  Stab  brechen,  dann  allerdings  auch 
der  eigenen  Zeit  ihr  Recht  vorurteilslos  zuteil 
werden  lassen.  Damit  kommen  wir  ins  Zentrum 
unserer  Frage.  Denn  was  das  Recht  unserer 
Zeit  gegenüber  dem  durch  die  Summe  der  Ver- 
gangenheitbestimmten, überall  sichtbaren  archi- 


4;o 


M 

S 
CJ 

2 

0 

S 
I 

hJ 
Q 

W 
(fl 

z 

o 

!> 

w 

z 

< 

3 
w 

o 

t/) 

15 

o 

c< 


Alfe  Städte  und  moderne  Architekteyi. 


PROFESSOR  EMAXLEI.  VON  SEIUL— MÜNCHEN. 


tektonischen  Lokalstil  einer  Stadt  bedeutet, 
darüber  gehen  die  Meinungen  weit  auseinander. 
Die  am  häufigsten  vertretene  Auffassung  geht 
dahin,  daß  die  Kunst  des  modernen  Architekten 
sich  dem  geschichthch  ausgeprägten  Bau- 
charakter der  jeweihgen  Stadt  oder  einer  be- 
stimmten Stadtgegend  anzupassen  und  einzu- 
ordnen habe;  daß  also  beispielsweise  ein  neues 
Postgebäude  in  einer  mit  vielen  Renaissance- 
bauten gesegneten  Stadt  im  Stil  der  deutschen 
Renaissance  zu  errichten  sei;  oder  daß  ein  in 
der  Nähe  eines  gotischen  Domes  zu  erbauendes 
großes  Bankgeschäft  die  moralische  Verpflich- 
tung habe,  sich,  unbeschadet  eines  etwaigen 
konfessionellen  Gegensatzes,  tunlichst  frommer 
gotischer  Bauformen  zu  bedienen.  So  wünschte 
man  beispielsweise  in  Wien,  daß  das  gegenüber 
der  spätbarocken  Karlskirche  geplante  städ- 
tische Museum  nach  einer  stilistischen  Harmonie 
mit  dieser  Kirche  zu  streben  habe,  gleichviel 
ob  der  moderne  Sinn  dieses  Gebäudes  sich  mit 
barocken  Formen  innerlich  verträgt  oder  nicht. 
Und  was  dergleichen  Beispiele  mehr  sind.  Die 
Beispiele  verraten  bereits  das  sich  ergebende 
peinliche  Dilemma.  Moderne  Bauten,  zumal 
öffentlichen  Charakters,  sind  ja  keine  bloßen 


TEEHAUS  J.  V.  SIEGLE     .\MMERI.AN1J. 


Schöpfungen  der  Laune,  bei  denen  der  Architekt 
seine  Einbildungskraft  beliebig  spazieren  führen 
kann,  sondern  sie  verfolgen  im  eminentesten 
Sinne  praktische,  zielvoll  umrissene  Zwecke, 
als  deren  architektonischer  Ausdruck  sie  da- 
stehen sollen.  Es  handelt  sich  da  um  die  denk- 
bar vernünftigste  Raumausnützung,  um  die 
Nutzbarmachung  aller  durch  die  neuere  Zeit 
geschaffenen  Erleichterungen  und  Bequemlich- 
keiten, um  die  beste  und  gesündeste  Licht- 
und  Luftzufuhr,  und  um  noch  viele  andere 
solche  Dinge.  Am  Grundriß  hängt  das  ganze 
Gelingen  eines  solchen  Gebäudes.  Und  der 
Grundriß,  wenn  er  völlig  organisch  durchdacht 
und  zweckvoll  erschaffen  ist,  schafft  sich  seiner- 
seits die  äußere  Physiognomie,  gleichwie  der 
innere  Bau  und  Charakter  eines  Menschen  sich 
in  der  Formung  seiner  Gliedmaßen  und  im 
Schnitt  seines  Gesichtes  ausprägen.  Je  besser, 
gründlicher  und  ehrlicher  hier  alles  gemacht  ist, 
je  imponierender  der  künstlerische  Wille  ist,  der 
hier  durchgreift,  umsomehr  ist  alle  bloße  Zu- 
fälligkeit ausgeschlossen,  um  so  zwingender 
finden  sich  Inneres  und  Äußeres  eines  Gebäudes 
zu  einer  unveränderlichen  stilvollen  Einheit  zu- 
sammen.   Die   Straßenfront   und   der  gesamte 


473 


Alie  Städte  imd  moderne  Architekten. 


PROFESSOR 
EMjVNUEL 
VON  SEI  DL 


HAUS  ALFI- 
IN  STOLBER(; 
RHEINLANli. 


Aufriß  eines  Gebäudes  sind  also,  wo  es  sich 
um  ernsthafte  künstlerische  Arbeit  handelt, 
nicht  willkürlich  bestimmbar,  sondern  der  not- 
wendige Ausfluß  und  Ausdruck  des  inneren 
Lebens  und  Zweckgefühls  eines  Gebäudes.  Alle 
fruchtbare  Arbeit  unseres  Zeitalters  in  architek- 
tonischen Dingen  ist  darauf  gerichtet  gewesen, 
diesen  unlöslichen  Zusammenhang  zwischen 
Innerem  und  Äußerem  künstlerisch  herauszu- 
holen und  zu  betonen. 

So  haben  unsere  modernen  Architekten  ge- 
arbeitet, und  dies  ist  ihrStolz.  Sie  haben  nichts 
um  irgendwelcher  Windbeutelei  willen,  sondern 
alles  der  Sache  zuliebe  getan.  Natürlich  rede 
ich  hier  nur  von  den  Besten,  weil  man  in  der 
Kunst  nur  von  diesen  reden  darf.  Und  nun 
frage  ich:  was  sollen  diese  ganz  aus  sich  selbst 
und  aus  ihrer  Zeit  hervorgewachsenen,  schaffen- 


den Männer  tun,  wenn  man  an  sie  das  Ansinnen 
stellt,  sie  sollen  alles,  was  sie  mit  dem  Blut 
ihres  Geistes  geschaffen  haben,  all  ihr  Gutes, 
Eigenes,  Neues  und  Notwendiges  beiseite  setzen, 
sich  irgendwelchen  Vergangenheiten,  die  mit 
dem  Lebensgefühl  unserer  Zeit  nichts  zu  schaffen 
haben,  unterordnen  und  im  „Stil"  irgendwelcher 
für  uns  erledigten  Bauperiode  bauen?  Diese 
Männer  können  hierzu  bloß  lächeln  und  den 
ehrenvollen  Auftrag  dankend  zurückgeben ;  viel- 
leicht mit  dem  höflichen  Hinweis  darauf,  daß 
genügend  tüchtige  Handwerker  vorhanden  sind, 
die  einen  auf  einen  bestimmten  historischen 
Stil  laufenden  Auftrag  promptest  zu  erledigen 
„in  der  Lage  sind". 

Die  Sache  steht  also  so,  daß,  je  origineller 
und  selbständiger  ein  Baukünstler  ist,  er  um- 
soweniger  als  ausführender  Architekt  in  einer 


474 


Alk  Städte  und  moderne  Archiiektai. 


PROFESSOR  EMANUEL  VON  SEIUL     MÜNCHEN. 


alten  Stadt  zu  verwenden  ist,  wofern  diese  auf 
die  getreue  Erhaltung  ihres  historischen  Stil- 
charakters, auch  bei  neuen  Repräsentations- 
bauten, entscheidenden  Wert  legt.  Ist  aber  hier- 
mit die  ganze  Bewegung,  die  auf  stilgerechte 
architektonische  Wiedergabengerichtet  ist,  nicht 
im  prinzipiellen  Sinne  erledigt?  Denn  was  ist 
das  für  eine  Kunst,  bei  der  die  Künstler  nicht 
mehr  mittun  können  und  die  Handwerker  vor- 
schieben müssen?  Es  erhellt  ganz  von  selber, 
daß  hier  Wertvolles  überhaupt  nicht  geschaffen 
werden  kann,  sondern  daß,  was  hier  entsteht, 
für  den  Schein  und  für  den  Moment  und  für 
die  Beruhigung  kurzsichtiger  und  schwungloser 
Pedanten  hingestellt  wurde.  Es  ist  nun  einmal 
ein  unumstößliches  Gesetz  aller  Kunst,  daß  sie 
stets  nur  in  lebendiger  Fühlung  mit  den  impul- 
siven Kräften  ihrer  ganzen  Zeit  entstehen  kann. 
Und  darin  macht  die  Architektur  nicht  nur 
keine  Ausnahme,  sondern  sie  ist  wohl  dessen 
schlagendster  Beweis.  Überall  ist  sie  der 
zwingendste  Ausdruck  der  praktischen  Lebens- 
tendenzen einer  Zeit. 

So  sollen  also  unsere  alten  Städte,  bei  dem 
großen  Prozeß  ihrer  Umwandlung  in  moderne 
Stadtwesen,  der  gewichtigen  Beihilfe  schöpfe- 
rischer Baukünstler  gänzlich  entraten?  Aber 
ganz  und  gar  nicht!  Sie  sollen  ihnen  bloß  nicht 
falsche  Aufgaben  stellen,  sollen  vor  allem  von 


HAUS  ALFF  IN  STOLBERG.    »DIE  AUFFAHRT« 


ihnen  nicht  die  Opferung  ihrer  künstlerischen 
Eigenpersönlichkeit  verlangen.  Männer  wie 
Messel  und  Ludwig  Hoffmann  in  Berlin  haben 
ja  grade  dadurch  ihre  besten  Erfolge  zu  erzie- 
len verstanden,  daß  sie,  ohne  von  ihrer  Selb- 
ständigkeit etwas  zu  opfern,  das  Neue  mit  dem 
Alten  in  einen  bestimmten  Einklang  brachten. 
Freilich  hatten  sie  den  Vorteil,  daß  sie  an 
biedermeierliche  und  Empire-Formen  anknüpfen 
konnten,  die  unserem  modernen  architek- 
tonischen Empfinden  am  verwandtesten  sind. 
Indes  sie  haben  diese  Formen  nicht  übernommen, 
sondern  weitergebildet  und  haben  jedenfalls 
ihr  Hauptziel,  etwas  ganz  aus  dem  Charakter 
unserer  eigenen  Zeit  Entstandenes  hinzustellen, 
nie  aus  den  Augen  verloren.  Weit  schwieriger 
liegen  die  Verhältnisse  in  Wien,  wo  vielfach  das 
Barock  maßgebend  ist,  das  für  die  Verkörperung 
moderner  Baubedürfnisse  so  gut  wie  gar  keine 
Vorbildlichkeit  darbietet;  das  sich  auch  in  sich 
selbervöUigausgelebthatund  keinerlei  neue  Ent- 
wicklungsmöglichkeiten enthält.  Eine  stilistische 
Anknüpfung  kann  nur  zu  architektonischen 
Phrasen  führen,  zu  einem  Widerspruch  zwischen 
dem  lebendigen  Zweck  des  Gebäudes  und  seinem 
Formausdruck.  Etwas  Organisches  jedenfalls 
ist  hier  nicht  möglich.  Besonders  gewitzigte 
Architekten  haben  freilich  versucht,  bei  sonst 
durchweg   modern    gehaltenen    Gebäuden   im 


477 


Alk  Städte  und  moderne  Architekten. 


Dekor  Barockmotive  nur  ganz  leise  anklingen 
zu  lassen,  um  hierdurch  gleichsam  den  Zu- 
sammenhang mit  dem  Alten  zu  wahren  und  den 
Kontrast  gegen  unsere  eigene,  ganz  anders 
fühlende  Zeit  minder  rauh  empfinden  zu  lassen. 
Aber  wozu  derlei  subtil  abgewogene  Künste- 
leien, die  doch  nur  einem  pfiffigen  Gehirn, 
nicht  phantasievoller  künstlerischer  Beseeltheit 
entstammen  können?  So  möge  man  doch  lieber 


ehrlich  eingestehen:  Mit  dem  Barock  und  dem 
Rokoko  können  wir  nicht  paktieren,  wir  müssen 
etwas  von  Grund  aus  anderes  machen.  Aber, 
wird  man  einwerfen,  der  Charakter  der  alten 
Stadt,  die  geheiligte  Tradition!  —  Über  Bord 
werfen,  meine  Freunde,  wenn  derlei  zu  nichts 
anderem  dienen  kann,  als  die  lebendige  Kunst 
einer  neuen  Zeit  in  ihrer  natürlichen  Bewegungs- 
freiheit zu  hemmen,  und  zu  drosseln !    Es  ist 


PROFESSOR  EMANUEL  VON  SEIDL— MÜNCHEN.       HAUS  AXFF  IN  STOLBERG.    »TERRASSEN-FASSADE« 


47« 


Alte  Städte  und  moderne  Architekten. 


PROhESSOK  EMANUEL  VON  SEIDL— MUiNXHEN. 


zehnmal  besser,  neben  eine  alte  Barockkirche 
ein  neues  Gebäude  in  organisch  aus  unserer 
Zeit  erwachsenen  Formen  zu  setzen,  als  eines 
in  einem  falschen  und  erlogenen  Barock.  Das 
Falsche  neben  dem  Echten  wird,  auch  bei 
korrektesterStilnachäffung  und  unpersönlichster 
Unterwürfigkeit,  stets  einen  unreinen  Klang 
abgeben,  wie  allemal,  wo  das  Schwächliche 
neben  das  Starke  sich  stellt.  Nein,  neben  das 
Starke  gehört  stets  nur  auch  wieder  ein  Starkes, 
neben  das  Eigene  ein  Eigenes,  gleichviel  welchen 
Stiles.  Die  beiden  Gebäude  werden  sich,  wenn 
sie  nur  beide  von  ganzen  Künstlern  herrühren, 
aller  äußeren  Stilverschiedenheit  zum  Trotz, 
schon  ganz  gut  vertragen  und  je  länger  sie 
nebeneinanderstehen,  desto  besser.  Denn  das 
ist  das  Eigentümliche  bei  guter  Kunst,  daß  sie 
sich  gegenseitig  immer  miteinander  verträgt,  sie 
stamme  auch  aus  einander  fremdesten  Welt- 
teilen und  Zeiten.  Eines  lebt  sich  auf  das 
Andere  gleichsam  ein,  und  wenn  erst  einmal 
beides  „historisch"  geworden  ist,  dann  wird 
der  Kontrast,  der  heule  vielleicht  noch  stark 
in  die  Augen  springt,  allmählich  immer  gelinder 
und  schließlich  bloß  zu  einer  milden  Pikanterie 
geworden   sein.     Bejammern   wir   heute    etwa 


HAU.S  ALFF  IN  S'IOLBEKG. 


alte  Kirchen,  die  romanisch  begonnen,  gotisch 
fortgesetzt,  mit  einem  Renaissanceportal  ge- 
schmückt und  mit  einem  Barockdach  gekrönt 
wurden?  Wir  lieben  sie  um  so  mehr,  weil  jedes 
Zeitalter  in  naiver,  gesunder  Eigensucht  seine 
Signatur  daran  gelassen  hat.  Damit  soll  nun 
keineswegs  gesagt  sein,  daß  es  für  einen 
modernen  Architekten  eine  Großtat  sei,  durch 
recht  krasse  neue  Formen  ein  benachbartes 
altes  Bauwerk  gleichsam  zu  verhöhnen.  Im 
Gegenteil,  wir  werden  den  Takt  und  die  feine 
Gesinnung  zu  schätzen  wissen,  die  alles  prot- 
zige und  sich  brüstende  Hervorkehren  des 
Kontrastes  vermeidet,  die  vielmehr  schlicht 
und  wahrhaftig,  aber  um  so  überzeugender 
dasjenige  hinbaut,  was  der  Sache  nach  hin- 
gebaut werden  muß.  Nicht  dadurch  ist  man 
modern,  daß  man  provokant  ist,  sondern 
lediglich  dadurch,  daß  man  den  Zeitbedürfnissen 
genügt.  Aber  auch  das  Schlichteste  und  Natür- 
lichste, so  lange  es  ungewohnt  ist,  vermag  die 
Zeitgenossen  zu  ärgern.  Ein  modernes  Geschäfts- 
haus etwa,  das  mit  hochgestreckten  Mauer- 
pfeilern und  vielen  hohen  Fenstern  der  bequemen 
Raumeinteilung  und  günstigen  Lichtzufuhr  dient, 
kann,  ohne  daß  es  irgend  etwas  Ungehöriges  ent- 


479 


Alte  Städte  und  moderne  Architekten. 


hielte,  bloß  darum  ganze  Batterien  von  Flüchen 
gegen  sich  entfesseln,  weil  seine  nackte  Schlicht- 
heit gegen  den  veralteten  Schwulst  einiger 
Nachbarhäuser  deutlich  absticht,  oder  vielleicht 
gar  ein  nahes  Barockmonument,  mit  verwegen 
über  Wolken  turnenden  Englein  und  Heiligen, 
durch  seine  bloße  Existenz  zu  verleugnen  scheint. 
In  solchem  Falle  muß  man  die  Entrüstungs- 
wogen eben  ruhig  dahinbrausen  lassen.  Ist  das 
neue  Kaufhaus  wirklich  gut,  so  wird  es  mit 
Sicherheit  seine  mittelmäßigen  Nachbarn  über- 
leben und  nach  hundert  Jahren  mit  dem  jetzt 
scheinbar  so  feindlichen  Barockdenkmal  engste 
Freundschaft  schließen.  Ist  es  schlecht,  so 
wird  es  wieder  verschwinden.  Denn  die  Zeit 
wird  kommen,  die  gegen  diesen  „alten  Kasten" 
so  respektlos  sein  wird,  ihn  niederzureißen. 

Dies  sind  nun  scheinbar  sehr  radikale  An- 
sichten, die  hier  vorgetragen  werden.  Und  doch 
bezwecken  sie  nichts  anderes,  als  der  Kunst 
unserer  Zeit  die  Lebensluft  zu  lassen,  deren  sie 
zu  ihrer  Entfaltung  dringend  bedarf.  Sie  bauen 
sich  auf  dem  Glauben  auf,  daß  das  Echte  und 
Notwendige    in    der   Kunst  allemal   auch   das 


Dauernde  und  darum  das  Harmonische  ist,  nicht 
bloß  in  sich  selber,  sondern  auch  in  seinem 
Verhältnis  zu  anderem.  Eine  alte  Großstadt, 
wie  etwa  das  so  sehr  an  Traditionen  hängende 
Wien,  kann  ja  die  Umwandlung  in  eine  moderne 
„City"  garnicht  von  sich  abwehren,  weil  ihre 
ganze  Existenz  und  Entwickelungsmöglichkeit 
davon  abhängt,  daß  sie  mit  der  Zeit  Schritt 
hält.  Soll  sie  sich  etwa  selbst  für  ein  Museum 
erklären,  das  anzutasten  Frevel  sei?  Damit 
hätte  sie  sich  selber  lebendig  begraben.  Eine 
kleine,  in  den  Winkel  gestellte  Stadt,  wie  etwa 
das  liebliche  Rothenburg  ob  der  Tauber,  kann 
man  mit  künstlichen  Mitteln  in  seinem  alten 
Geschichts-  und  Stilcharakter  konservieren. 
Hier  kommt  es  gar  nicht  darauf  an,  daß  moderner 
Pulsschlag  sich  zur  Geltung  bringe,  im  Gegen- 
teil, hier  wird  ein  jeder  gern  von  vergangener 
Romantik  träumen.  Aber  wo  dieses  Träumen 
verwehrt  ist,  wo  täglich  Weltgeschichte  gemacht 
wird,  wo  die  Maschinen  dröhnen  und  die  Auto- 
mobile rasen,  da  will  unsere  Zeit  auch  in  der 
Baukunst  sich  ausgedrückt  sehen,  da  will  sie 
wahrhaft  lebendig  sein.  —  i-.  s. 


PROFESSOR  EMANUEL  VON  SEIDL  -MÜNCHEN.    HAUS  ALFF  IN  STOLBERG. 


WERKSTÄTTEN  BERNARD  STADLER-PADERBORN. 

ENTW:  M.  HEIDRICH.  »DAMENZIMMER«  VERKAUFSSTELLE  A.  POUCH. 


WERKSTÄTTEN  U.  STADLER  ,  PADERBORN. 


»DAMENZIMMER«  AUG.  POLICH -LEIPZIG. 


DIE  SEELE  DES  HOLZES. 

ZUNEI'EX  ARBEITEN  DER  PADERBORXER  WERKSTÄTTEN. 


Möbel  werden  aus  Holz  gemacht.  Man  kann 
darum  für  sie  kaum  ein  größeres  Lob  fin- 
den, als  dieses:  sie  erlösen  die  Seele  des  ge- 
wachsenen und  nun  scheinbar  toten  und  zer- 
schnittenen Stammes;  sie  erlösen  durch  die 
Offenbarung  der  Konstruktion  die  Energien  des 
Wurzeins  und  des  sturmfesten  Emporstrebens, 
die  das  Wesen  des  Baumes  umschlossen.  Sie 
erlösen  durch  die  Offenbarungen  der  flächigen 
Furniere  das  Spiel  der  Sonnengluten,  die  in 
den  Wachstumsringen  sich  speicherten.  Möbel, 
die  zu  solch  metaphysischer  Betrachtung  an- 
regen, müssen  wahrhaft  aus  dem  Holz  heraus 
gedacht  und  empfunden  sein;  sie  müssen  eine 
organisierte  Weiterbildung  und  Veredelung  ihres 
Rohstoffes  darstellen.  Sie  m.üssen  damit  also  eine 
jener  drei  Tugenden  erfüllen,  die  seit  Anfang 
des  modernen  Kunstgewerbes  als  absolut  ge- 
fordert und  geehrt  werden.  Eine  Trinität,  so 
innig,  daß  die  beiden  anderen  —  die  Solidität 
des  Technischen  und  die  Zweckmäßigkeit  des 


Ganzen  —  notwendig  geleistet  werden,  sowie 
der  Seele  des  Materials  Gerechtigkeit  geschieht. 
Und  die  wird  ihr  wirklich  durch  die  Art  des 
Ma.\  Heidrich  und  der  Stadlerschen  Werk- 
stätten. —  Das  macht  das  Anschauen  dieser 
Möbel  so  angenehm  :  man  spürt  zwingend  die 
Hingabe  des  sachlich  strebenden  und  mit  ernster 
Scheu  seine  Aufgabe  lösenden  Tischlers.  Man 
sieht ,  wie  aus  solcher  untadeligen  Werkge- 
sinnung eine  charaktervolle  und  männlich 
tapfere  Schönheit  reift.  Fest  und  Sicherheit 
verheißend  stehen  diese  Kästen;  man  glaubt 
sie  lebend  und  das  umfangend,  was  ihnen  über- 
geben wurde.  Helläugig  in  fröhlicher  Feierlich- 
keit strahlen  die  großen ,  flammig  leuchtenden 
Wandungen,  von  dem  Rahmenwerk  klug  und 
stark  gehalten.  Das  ist  besonders  interessant 
zu  sehen:  dieses  Ineinandergreifen  der  Teile, 
dieses  Fürsichbestimmtsein  von  Pfosten,  Sockel 
und  Gesims,  von  Tragendem  und  Lastendem, 
von  Rahmen  und  Füllung.    Und  dann  die  Sorg- 


4«3 


WERKSTÄTTEN  B.STADLER-PADERBORN.    ENTW  :  M.HEIDEaCH. 
»DAMENZIMMER«  AUS  DER  VERKAUFSSTELLE  AUGUST  POLICH. 


tJ 

1 J            1 

A 

iT^C^^flS^^^  1 

"'*7W^^ 

üü  im 

"^•s^^ 

^  .^lilp 

^^pKJ     1 

IP 

^"^^^ 

WERKSTÄTTEN  BERNARD  STADLER  -  PADERBORN.    ENTW:  MAX  HEIDRICH.    VERKAUFSSTELLE  A  i  i.i  M    imi  h  ii      LEIPZIG. 


Die  Seele  des  Holzes. 


WERKSTÄTTEN  BERNARD  STADLER. 

falt,  mit  der  das  Holz  geschnitten  wurde. 
Nur  keine  Willkür,  keine  witzige  Artistik, 
keinen  trumpfenden  Überfluß!  So  wenig  wie 
möglich  von  der  gewachsenen  Pracht  zerstören; 
soviel  wie  möglich  das  von  der  Natur  Emp- 
fangene bewahren  und  ausdrucksvoll  durch  Maß 
und  Gegensatz  steigern!  Das  adelige  Blond 
der  Birke  ,   das  strahlende  Weiß  des  Ahorns, 


486 


AUS  NEBENSTEHENDEM  SPEISEZIMMER. 

das  festliche  Brünett  des  Nußbaums,  diese 
Lichtschätze  sollen  ihre  sinnlichen  Wirkungen 
in  den  Raum  entquellen  lassen  und  den  Nerven 
der  Einwohnenden  Wohltat  erweisen. 

Es  läßt  sich  mit  den  Möbeln  des  Heidrich 
gut  und  herzUch  zusammenwohnen.  Sie  laden 
ein  und  halten  fest.  Es  spinnt  um  sie  eine 
warme  Traulichkeit.     Sie  werden   einem   von 


Die  Seele  des  Holzes. 


heut  auf  morgen  zu  Freunden.  Sie  geizen  nicht 
nach  Problemen;  sie  wollen  dienen.  Ihre  Welt- 
anschauung ist  die  des  bürgerlichen  Heimes. 
Man  kann  zwischen  diesen  Möbeln  wohnend 
ungestört,  vielleicht  sogar  angeregt,  Carlyle 
und  Fichte  lesen,  vor  allem  aber  Dickens.  Sie 
möchten  ihre  Besitzer  zufrieden  machen  und 
möchten  als  Symbole  solcher  behaglichen,  gut 


bürgerlich  temperierten  Stimmung  betrachtet 
sein.  Sie  werden  in  Paderborn  ersonnen  und 
hergestellt;  etwas  von  der  weisen  Stille  dieser 
Residenz  ist  in  ihnen.  Sie  sind  Heimatkunst 
im  besten  Sinne ;  sie  tragen  die  herzliche  Frische 
der  Landschaft  bis  in  die  Unrast  der  Großstadt. 
Sie  wecken  die  Vorstellung  von  breitgelagerten, 
weichgewellten  Grünhügeln.    Sie  wirken   eine 


WERK.STATTEN  B.  ST.VDLER     PAllERBORN.    ENTW:  M.  HEIDRICH.        »SPEISEZIMMER «    VERK.\UFSSTELI-E  AUGUST  POUCH. 


1913.  VI.  ■'). 


489 


Die  Seele  des  Holzes. 


Entspannung  und  eine  freimütige  Hingabe  an 
erzogenes  Wohlsein.  Sie  sind  nicht  geeignet, 
den  Dandy  zu  amüsieren;  sie  gehören  einem 
gepflegten  Niveau  deutscher  Kultur.  Man  be- 
schaue solch  einen  Glasschrank ,  einen  der 
vortrefflichen  Schreibtische,  der  Stühle,  Lehn- 
stühle und  das  übrige  Polsterwerk ,  die  Näh- 
tische und  Bücherregale;  alles  ist  ehrlich  und 
offen,  was  das  Material  angeht,  klar  und  ent- 


schieden im  Technischen,  würdig  und  liebens- 
würdig im  Ausdruck.  Jedes  einzelne  Stück 
wahrt  sein  umgrenztes  Wesen,  ohne  indes  im 
Zusammenklang  mit  seinen  Genossen  zu  stören. 
Die  Komposition  der  Räume  zeigt  erprobten 
Instinkt  für  den  Komfort  arbeitsamer  Menschen, 
sowohl  was  die  Gruppen  als  auch  was  die  Farbe 
betrifft.  Es  entspricht  vollkommen  Heidrichs 
eindeutiger  Natur ,  daß  er  zumeist  die  Farbe 


WERKST.VTTEN  B.  STADLER.       ENTW:  M.  HEIÜRICH.       »FRISIER-  U.  A.NKLEIÜE-bPIEGEL«    VERKAUFSSTELLE  AUG.  POLICH. 


490 


^<i<m£>7 


WERKSTÄTTEN  BERNARl)  STADLER      PADERBORN.     KNTW:  MAX   HEIDRICH.     AUS  EINEM  ANKI.EIDE/.IMMER.    AUG.  POI.ICH. 


Die  Seele  des  Holzes. 


ein  Schatzkästlein  und  eine 
Herberge  für  stille  Menschen 
aufstellte.  Man  denkt  da- 
neben an  jene  Kajütenmöbel, 
wie  sie  in  den  Kapitänshäu- 
sern der  Wasserkante  von 
Großvaters  Zeiten  her  zu  fin- 
den sind.  Da  hätten  wir  also 
eine  historische  Abkunft;  und 
das  ist  gut.  Es  gibt  keine  ge- 
sunde Gegenwart,  die  nicht 
Tradition  aufzuweisen  hätte. 
Jene  Jugendtage,  da  man 
im  Überschwang  des  Enthu- 
siasmus glaubte,  alles  Moder- 
ne müsse  durch  eine  Art  von 
Urzeugung  entstehen  und 
dürfe  keinerlei  Vorläufer  ha- 
ben, sind  längst  vergessen; 
sie  waren  vielleicht  notwen- 
dig als  Anstoß,  um  aus  der 
trägen  Gewöhnung  des  Ko- 
pierens heraus  zu  kommen; 
sie  konnten  unmöglich  das 
Ziel  sein.  Es  gab  noch  nie 
einen  Stil,  der  nicht  irgend- 


FENbltKMSCHK  IN'   NEB.  MUSlKbAAL 

der  Furniere  herrschen  läßt, 
das  Blond  ,  das  Weiß,  das 
Brünett.  Die  Seele  des  Hol- 
zes ist  die  Lebensachse  die- 
ser Räume.  —  Haben  die 
Möbel  des  Heidrich  nun 
einen  bestimmten  Stil?  Sind 
sie  historisch  oder  modern? 
Darauf  ist  ebenso  leicht 
wie  schwer  zu  antworten. 
Sie  wecken  mancherlei  An- 
klänge. Man  spürt  das  deut- 
sche Empire  des  Nordens ; 
man  möchte  glauben,  hier 
und  da  eines  dieser  Stücke 
schon  einmal  gesehen  zu 
haben,  in  einem  der  kleinen 
Landschlösser,  wie  sie  um 
1800  und  später  von  Lü- 
beck bis  Kopenhagen,  im 
Mecklenburgischen,  aber 
auch  in  der  Mark  gebaut 
wurden.  Man  denkt  an  das 
Kurhaus  von  Heiligendamm 
oder  an  Pulbus,  an  das 
Schlößchen  Charlottenhof, 
das  Schinkel  bei  Potsdam  als 


WERKSTÄTTEN  BERNAKI)  STADLER.        ECKbCHRANR  IN  NEUEN.ST.  MUSIKZIM.MER. 


492 


Die  Seele  des  Holzes. 


wie  einem  vorangegangenen  die  prädestinierte 
Weiterentwicklung,  sozusagen  die  Erfüllung,  ge- 
wesen wäre.  Wenn  wir  heute  von  uns  wieder 
sagen  können,  daß  wir  einen  neuen  deutschen 
Stil  haben,  daß  wir  zum  mindesten  dabei  sind, 
ihn  zu  entklären,  so  ist  dies  nur  möglich  gewor- 
den dadurch,  daß  wir  an  die  Vergangenheit  An- 
schluß fanden.  Freilich,  mit  solchem  Anschluß 
allein  ist  es  nicht  getan ;  die  Entscheidung  hängt 
schließlich  doch  an  dem  Eigenen  und  Schöpfe- 
rischen, das  eine  Zeit  aus  sich  heraus  zu  geben 
hat.  Es  gilt  auf  ererbtem  Boden  zu  bauen;  aber, 
was  da  gebaut  wird,  muß  dem  lebendigen  Leben 
gehören.    Ein  Stil  ist  stets  konzentrierter  Aus- 


druck seinerzeit.  Und  darum,  weil  noch  niemals 
eine  Zeit  schon  einmal  dagewesen  ist,  ist  jeder 
Stil  neu.  Das  dürfen  wir  bei  aller  Strenge  und 
Bescheidenheit  auch  für  die  Architektur  und 
die  Gewerbekunst  unserer  Tage  in  Anspruch 
nehmen;  diese  Eisenkonstruktionen,  diese  Land- 
häuser, diese  großstädtischen  Magazine,  diese 
Möbel,  waren  so,  wie  wir  sie  jetzt  schaffen,  noch 
niemals  da.  Sie  sind  neu  als  diktierte  Konzen- 
trationen erworbener  Elemente.  So  betrachtet, 
heißen  wir  die  Möbel  des  Heidrich;  modern. 
Sie  sind  keine  Wildlinge,  sie  suchen  nicht  zu 
verblüffen;  sie  zeigen  verwandelt  und  mit  ela- 
stischer Energie  umgeformt,  was  wir  nach  den 


B.STADLER     I'ADKRHORN.    FNTXV:  .M.  HKIDRICH.    »BÜCHERSCHRANK«  AUG.  POLICH— LEIPZIG. 


497 


Die  Seele  des  Holzes. 


Gesetzen  einer  logischen  Gcschichtsdialektik 
aus  der  Vergangenheit  nehmen  mußten.  Sie 
zeigen  zugleich,  daß  sie  für  Menschen  bestimmt 
sind,  die  das  Weltgetriebe  des  20.  Jahrhunderts 
zu  übersehen  und  zu  tragen  wissen.  Sie  sind 
gewiß  nicht  die  einzige  Form  eines  modernen 
Möbels;  van  de  Velde  hat  die  gleiche  Aufgabe 
unendlich  anders  gelöst.  Er  dachte  dabei  an 
eine  völlig  andere  Spielart  unseres  Geschlechtes, 
als  es  die  ist,  für  die  Heidrich  sich  berufen  weiß. 
Auch  die  moderne  Menschheit  ist  vielfältig,  wie 
noch  immer  jede  frühere  es  war.  So  wäre  es 
falsch  von  irgend  jemand,  und  sei  es  der  Größte, 
das  alleinige,  das  spezifische  moderne  Möbel  zu 
verlangen.  Es  kann  sich  stets  nur  um  Variationen 
des  Typus  handeln.  Und  solch  eine  Variation 
hat  uns  Heidrich  geschaffen. 

Heidrich  hätte  seine  Absichten  nicht  so  schön 
erfüllen  können,  wenn  ihm  nicht  die  Paderborner 
Werkstätten  stets  fördernd,  aufnahmefähig, 
opferwillig  und  aus  sich  selbst  heraus  den  Sinn 
der  Zeit  begreifend  zur  Seite  gestanden  hätten. 
Heidrich  fand  in  Bernard  Stadler  einen  Geistes- 
verwandten. Sie  wollen  beide,  der  neuen  Zeit 
gehorsam,  eine  rhythmisch  belebte  Qualitäts- 
arbeit leisten.  Die  Werkstätten  haben  als 
Handwerk  angefangen  und  sind  zum  Großbe- 


trieb geworden.  Das  ist  die  Entwicklung,  die 
durchgemacht  werden  muß,  wenn  man  nicht 
unproduktiver  Romantik  verfallen  möchte.  Der 
Haß,  den  Morris  gegen  die  Maschine  hegte,  ist 
überflüssig  geworden,  nachdem  man  erkannte, 
daß  das  mechanische  Werkzeug  berufen  ist, 
die  Form  der  Zeit  milfinden  zu  helfen.  Die 
Maschine  ist  gut,  wenn  nur  der  Wille,  der  sie 
leitet,  gut  und  richtig  ist.  Das  Eigentliche,  was 
Morris  meinte,  kann  auch  durch  die  Fabrik 
hervorgebracht  werden.  Wenn  man  nur  der 
Maschine  nicht  zumutet,  was  ihr  nicht  gebührt, 
und  wenn  man  sie  nicht  einfältig  als  Ver- 
billigungsmittel  mißbraucht.  Darum  darf  auch 
ein  Betrieb,  der  selbstverständlich  und  not- 
wendig mit  Maschinen  arbeitet,  sich  getrost 
weiterhin  als  Werkstätte  bezeichnen.  Es  soll 
damit  gesagt  sein,  daß  die  Gesinnung  des  alten, 
ehrlichen,  unverwüstlichen  Handwerks  die  mo- 
derne Betriebsform  regiert,  und  überdies:  daß 
alles  Zurichten,  Anlegen  und  Fertigmachen  von 
geschulten,  achtsamen  und  werkstolzen  Händen 
geschieht.  Es  kann  auch  im  Schrei  der  Dampf- 
sägen die  Seele  des  Holzes  ihr  Lebenbehalten  und 
entfalten,  wenn  nur  eine  verantwortungsvolle 
Menschlichkeit  und  eine  schöpferische  Phantasie 
den  Mechanismus  überwinden,    kobekt  hkeuik. 


WERKSTÄTTEN  B.  .STADLER— PADERBORN.    ENTW:  M.  HEIDRICH.     »HERRENZIMMER«    VKRK.\UKSSTELLE  AUGUST  POLICH. 


498 


WERKSTÄTTEN  BERNARD  STADLER     PADERBORN. 

ENTW;  MAX  HEIDRICH.    DIELE  IM  HAUSE  WINDMÜLLER- LIPPSTADT. 


1918.  VI.  6. 


WERKSTÄTTEN  BERNARU  STADLER. 


»SfEISEZIMMER«    ENTW:  M.  HEIURICH. 


WERKSTATT 

I!.  STAIJLEK 

PADERBORN. 

ENTWURf 

M.HEIDKICH 


WERKSTATT, 
B.  STAlllKK 
l'ADF.KBOKN 
M. HEINRICH 


-«•V 


WERKSTÄTTEN  BERNARD  STADLER     PADERBORN.    »BÜFETT«    ENTWURF ;  MAX  HEU  iklCH. 


5°4 


WKKKMAITE.N  BERNARD  STADLER-  PADERBORN.     EM  W:   M.  HEIDRKH.      »SCHLAEZIMMER  V.  I  iK  I  1  J  EII.K.IK  M  IIRA.NK« 

AUS  DER  VERKAUFSSTELIE  AUCUST  POLICH     LEIPZIG. 


WERKSTÄTTEN  BERNARD  STADLER— PADERBORN.    ENTW;  M.  HEIDRICH.  FREMDENZIMMER,  WEISS  LACKIERT. 
AUSGESTELLT  IN  DER  VERKAUFSSTELLE  AUGUST  POLICH  IN  LEIPZIG. 


ERNST  KINUERSPACHLK-  MLNCHEN. 


FElSiSTERGKUrPE  MIT  GLASMALEREIEN. 


GLASMALEREIEN  VON  ERNST  RINDERSPACHER. 


Die  Glasmalerei  bewegt  sich  unter  den  jungen 
gewerblichen  Künsten  vielleicht  noch  am 
unsichersten:  die  alte  Technik  ist  zumeist  auf- 
gegeben worden,  die  neuen  Ansätze  haben  sich 
noch  nicht  zu  einer  Einheit  zusammenge- 
schlossen, und  dabei  ist  unsere  Profanarchitek- 
tur mit  ihrem  Verlangen  nach  Licht  einer  aus- 
giebigen Pflege,  einer  Entwicklung  der  Glas- 
malerei nicht  besonders  günstig.  So  freut  man 
sich,  wenn  man  auf  einen  Künstler  aufmerksam 
machen  kann,  der  sichere  Beherrschung  der 
Technik  mit  feinfühligem  stilistischen  Bestreben 
vereinigt  und  seine  Produktion  den  architekto- 
nischen Forderungen  unserer  Zeit  anpaßt. 

Ernst  Rinderspacher,  ein  junger  Schweizer 
(aus  Basel  gebürtig),  hat  sich  sein  Können 
zuerst  in  der  Praxis  erworben,  ehe  er  zu  seiner 
letzten  künstlerischen  Ausbildung  die  Münchner 
Akademie  aufsuchte.  Er  hat  aber  von  keiner 
Lehrerpersönlichkeit  einen  bleibend  richtung- 
gebenden Eindruck  empfangen,  sondern  hat 
bald  das  Gefühl  gehabt,  daß  er  sich  alles  allein 
erwerben  müßte.  Dabei  hat  er  vielleicht  das 
Beste  aus  dem  Studium  griechischer  Vasen- 
bilder zu  gewinnen  gewußt.  Dies  wird  vielleicht 
manchen  überraschen,  ist  doch  bei  dieser  ganz 
andersartigen  Technik  alles  auf  die  Feinheit 
der  linearen  Führung  gestellt.  Schließlich  hat 
Rinderspacher  von  den  klassischen  Vorbildern 
nicht  mehr  für  sich  genommen,  als  eine  sichere 


Feinheit  in  der  Stilisierung  des  Strichs  und  eine 
Disziplinierung  in  der  dekorativen  planen  Kom- 
position. Im  übrigen  sorgten  schon  die  zeitig 
erworbene  Technik  und  ein  guter  Teil  schweize- 
rische Phantasie  dafür,  daß  aus  dem  Auf- 
genommenen sofort  etwas  ganz  Eigenes  wurde: 
daß  von  irgend  welcher  klassizistischer  An- 
lehnung keine  Rede  sein  kann,  zeigt  ja  ein  Blick 
auf  die  Reproduktionen.  Dieses  Eigene  ist  zum 
guten  Teil  durch  die  persönliche  Handhabung 
der  Technik  bedingt.  Die  Bilder  sind  zumeist 
aus  einem  Stück  Überfangglas  ausgeätzt,  dessen 
stehengebliebene  Stellen  die  Farbe  der  beherr- 
schenden Flächen  angeben,  und  nun  werden 
zunächst  die  kräftigen  Konturen  in  Schwarzloth 
aufgetragen.  In  der  Führung  dieser  Schwarz- 
zeichnung hat  Rinderspacher  sein  Bestes  ent- 
wickelt, sie  gab  ihm  die  Möglichkeit,  an  die 
klassischen  Vorbilder  anzuknüpfen  und  dabei 
doch  etwas  ganz  Eigenes,  Materialgerechtes 
auszubilden.  Wie  die  Bilder  im  Innenraum 
wirken,  vermag  man  aus  der  Reproduktion  am 
Kopf  dieser  Seite  zu  erkennen.  Man  sieht,  wie 
die  Bilder  in  der  Fensterfläche  stehen,  ohne 
daß  sie  lichtraubend  wirken.  Wir  fügen  hinzu, 
daß  Rinderspacher  seinem  Material  volle,  tiefe 
Töne  abzugewinnen  weiß,  so  daß  die  Bilder  in 
dem  hellen  Glas  nicht  wie  ein  gefärbtes  Helle 
wirken,  sondern  wie  eine  geschlossene  farbige 
Einheit.  —  kuno  mittenzwey. 


sor 


ERNST  RINDERSPACHER     MÜNCHEN. 


KLEINES  GLASGEilALDE:   -»EIN  MÄRCHEN« 


F.KNST   klM'l  K>PA111I-K      MINCHF.X. 


(;ias.mal]:kki;     leda« 


ERNST  RINDERSPACHER— MÜNCHEN.  KLEINE  liLASMAI.EKKlEN.    »REIIERIN« 


1913.  VI. 


SCHNITZSCHULE-OBERAMMERGAU.   »christus- 

KIND   MIT  WELTKUGEL«  ENTW:  FACHLEHRER  WITTMANN. 


FACHSCHULE 

F.  POKZELI.AN- 

INllUSTRlE 

IN  SEMI. 


l'OKZEl.l.AN. 
C.ABEI.WEIHE« 
FNTW:   PROFESS. 
FKFIZ  KLEE. 


DIE  KÖNIGL.  BAYRISCHEN  FACHSCHULEN. 


VON   DK.  E.  W.  BRF.IJT      MINCHEN. 


Noch  nie  sind  in  einer  in  Deutschland  er- 
scheinenden Kunstzeitschrift  so  viele  und 
so  treffliche  Werke  aus  den  kunstgewerblichen 
Fachschulen,  die  der  Oberaufsicht  des  Kgl.  bay- 
rischen Kultusministeriums  unterstellt  sind,  in 
einem  Hefte  veröffentlicht  worden,  wie  in  dem 
vorliegenden.  Unsere  Publikation  stellt  also 
einen  großen  Erfolg  fest,  den  in  jahrelanger 
Arbeit  glänzend  verdient  zu  haben  sich  die  be- 
rufenen Vertreter  des  Staates  mit  den  Leitern 
und  Schülern  der  Anstalten  frohbewußt  rühmen 
dürfen.  Denn  das  bisher  Erreichte,  wenn  wir 
es  auch  nur  nach  den  hier  abgebildeten  Arbeiten 
beurteilen  wollten,  ist  umso  erfreulicher,  als  die 
Fachschulen  —  mit  Ausnahme  der  Kgl.  Kunst- 
gewerbeschulen —  nicht  darauf  ausgehen,  freie 
Künstler  heranzubilden,  sondern  nur  die  Töpfer, 
Glaser,  Schlosser,  Schnitzer,  Schreiner,  Korb- 
flechter usw.  für  ihren  Beruf  so  begaben  wollen, 
daß  sie  auch  ernsten  künstlerischen  Anforde- 
rungen an  jedes  Werk  ihrer  Hände  gerecht 
werden  können. 

Darauf  kommt  es  an;  danach  sind  die  Er- 
gebnisse der  Fachschulen  zu  werten,  nicht  aber 
etwa  wie  Objekte  akademischer  oder  freier 
Kunstausstellungen,  in  denen  wir  neue  Offen- 
barungen eines  eigenartigen  künstlerischen 
Schöpfergeistes  bewundernd  oder  überrascht 
begrüßen.     Die    erzieherische  Tendenz   dieser 


Schulen  geht  ganz  und  gar  nicht  aus  auf  die 
Züchtung  genialischer  Künstler.  Diese  Schulen 
wollen  und  sollen  das  Gewerbe  heben,  ihr  Er- 
folg wird  also  weniger  nach  der  individuellen 
Einzelleistung,  als  nach  dem  Gesamtresultat  der 
einzelnen  Schulen  zu  bemessen  sein.  Deshalb 
verzichte  ich  auf  eingehende  Besprechung  der 
einzelnen  Gegenstände.  Nötig  aber  ist  auf  die 
Bedeutung  des  Gesamterfolges  hinzuweisen,  der 
vom  Kunsthistoriker  als  ein  staatspädagogischer 
und  staatswirtschaftlicher  von  großer  Trag- 
weite zu  charakterisieren  ist.  Denn  je  tüchtiger 
die  gewerblichen  Fachschulen  eines  Landes,  um- 
so rascher  setzt  sich  ihr  Erfolg  in  wirtschaft- 
liche Vorteile  um.  —  Freilich,  das  was  in  den 
Fachschulen  den  jungen  Gcwerblern  mitzugeben 
gesucht  wird,  ist  doch  gerade  das,  was  auch  die 
genialsten  Neuerer  zu  epochemachenden  Taten 
begabt  hat:  Das  Verständnis  für  das  zu  verar- 
beitende Material,  das  Verlangen,  aus  dem  ge- 
gebenen Material  mit  den  geeignetsten  hand- 
werklichen Mitteln  das  formal  Bestmögliche  zu 
schaffen.  —  Wer  zunächst  nur  daraufhin  unsere 
Abbildungen  überschaut,  wird  unumwunden 
zugeben,  daß  in  diesen  Schulen  mit  höchst 
entwickeltem  gewerblichen  Verständnis  ge- 
schaffen wird,  daß  die  Schüler  zu  einem  formalen 
Geschmack  erzogen  werden,  der  in  gleicher 
Weise   Auge    und    Herz    des    handwerklichen 


5" 


Die  Köni'gl.  Bayrisihoi  Facitschulen. 


KERAMISCHE  FACHSCHULE  IN  LANDSHUT.        WANDTELLER.    TEILS  N.\CH  ENTWÜRFEN  VON  PROF.  JUL.  DIEZ— MÜNCHEN. 


Meisters  wie  des  Künstlers  befriedigen  muß. 
Wo  immer  solche  Resultate  erzielt  werden, 
kann  nicht  anders  als  von  einer  im  vollen  Sinne 
des  Wortes  geistreichen  Führung  des  Fachschul- 
wesens gesprochen  werden. 

Denn  was  wir  hier  sehen,  sind  doch  Werke 
mehr  der  Jugend  als  von  Männern,  von  Leuten, 
die  näher  Arbeitern  stehen  als  jenen  Künstlern, 
von  denen  sonst  Kunstzeitschriften  Werke  zu 
veröffentlichen  pflegen.  Danach  die  Arbeiten 
bemessen,  müssen  sie  geradezu  überraschen, 
uns  beglücken,  denn  solche  kunstgewerblichen 
Leistungen  wurden  früher  nur  in  den  besten 
Zeiten  großer  einheitlicher  praktischer  Schulung 
von  gleich  jungen  Leuten  von  15,  16,  18  Jahren 
geschaffen.  Und  wenn  auch  die  Entwürfe  der 
hier  gezeigten  Arbeiten  in  der  Regel  von  gereif- 
ten Künstlern,  von  den  Vorständen  und  Lehrern 
der  betr.  Schulen  herrühren,  so  ändert  das  nichts 
an  den  Triumphen,  an  denen  wir  den  ausfüh- 
renden Schülern  vollen  Anteil  lassen  wollen. 
Auch  das  war  so  in  jeder  besten  Vorzeit  früher 
technischer  gewerblicher  Ausbildung  der  Jugend 
im  Dienste  der  Kunst.  Auch  damals,  zumal  im 
Rokoko,  rührten  die  ersten  Entwürfe  von 
Meistern  her.  Aber  wir  bewundern  noch  immer 
die  Fähigkeiten  der  damals  jungen  Handwerker, 
solche  Entwurf  e  selbständig  in  die  richtige  Form- 


sprache des  richtigen  Materials  restlos  zu  über- 
setzen. —  So  müssen  wir  also  vor  diesen  Fach- 
schularbeiten einen  Aufstieg  gewerblicher  Bil- 
dung feststellen,  der  kunsthistorisch  ein  Ereignis 
bedeutet.  Mit  dem  letzten  Rokoko  ging  diese 
Schulung,  die  so  Großartiges  zu  schaffen  ermög- 
lichte, allmählich  verloren.  Und  wenn  auch 
schon  die  Einsicht  des  Verlustes  gut  100  Jahre 
alt  sein  mag,  mit  dem  Elan,  der  erst  den  Erfolg 
gewährleistet,  ist  doch  erst  seit  wenigen  Jahren 
für  Bayerns  Fachschulen  gewirkt  worden.  — 
Dem  wirtschaftlichen  Aufschwung,  der  moder- 
nen Bewegung  ist  der  Erfolg  nicht  allein  zu 
danken.  —  Erst  starke  kunstorganisatorische 
Einsicht  und  Sicherheit,  kluge  Rücksicht  auf 
Bestehendes  konnte  den  Geist  dieser  Schulen 
mit  dem  formalen  Geschmack  befruchten.  — 
Von  welchen  Gesichtspunkten  immer  wir  auf 
das  Vergangene,  auf  Vergessenes  und  Erstrebtes 
zurückschauen  mögen:  wir  haben  hier  endlich 
wieder  eine  Höhe  erreicht.  —  Die  kluge  Aus- 
nützung aller  gegebenen  landeigenen,  wirt- 
schaftlichen, merkantilen,  gewerblichen,  künst- 
lerischen, erzieherischen,  traditionellen  und 
modernen  Faktoren  hat  einen  Punkt  erreicht, 
um  den  nunmehr  konzentrisch  weiter  zu  schaffen 
und  zu  wirken  sein  wird.  Die  Richtung  ist 
ebenso  fest  wie  richtig.    Manche  dieser  Schulen 


5'2 


Die  Kö>iigl.  Bayrischen  Fachschulen, 


FACHSCHULE  FÜR  PORZELLAN-INDUSTRIE  LN  SELB  (BAYERN).    VÖGEL.  NACH  ENTWÜRFEN  VON  PROF.  FRIT/  KLEE. 


sind  schon  in  anderer  Verfassung  recht  alt  und 
können  doch  erst  jetzt  deutlichen  ideellen  und 
praktischen  Erfolges  sich  rühmen.  Andere  sind 
als  Schöpfungen  des  modernen  Programmes 
unserer  Fachschulen  oder  auf  Grund  der  Reor- 
ganisation, die  einer  Neu- 
gründung gleich  kommt, 
vorbildlich  auf  den  Plan 
getreten.  —  Dieses  Zusam- 
mentreffen des  gegenwär- 
tigen Erfolges  fast  aller 
Fachschulen  ist  eben  Be- 
v/eis  umsichtiger  Grün- 
dung und  Führung.  Nichts 
Gutes,  lebensfähiges  Altes 
wurde  umgestoßen.  Über- 
all wurde  angeknüpft  an 
traditionelle  Gewerbe,  die 
durchBodenbeschaffenheit 
oder  merkantile  oder  wirt- 
schaftliche Faktoren  ein- 
zelner Landesdistrikte  der 
Erhaltung,  Pflege  oder 
Neubelebung  bedürftig 
waren.  Mit  den  verschie- 
denartigsten Mitteln,  mit 
jeweils  geeigneten  Persön- 
lichkeiten wurde  die  groß- 
artige Organisation  einge- 
leitet   und    verfolgt.      Im 


FACHSCHULE  FÜR  PORZELLAN-INDUSTRIE  IN  SELB 


Jahre  1902  ließ  Kultusminister  von  Landmann 
eine  Denkschrift  über  das  technische  Unter- 
richtswesen in  Bayern  ausarbeiten,  die  gleich- 
zeitig die  großen  Richtlinien  für  die  inzwischen 
so  glänzend  erblühten  Fachschulen  aufstellte.  — 
Diese  Denkschrift  gibt  uns 
Aufschlüsse,  wie  gewissen- 
haft bewahrend  und  ver- 
bessernd die  Reorganisa- 
tion eingeleitet  wurde.  Ge- 
hört auch  manches  in  die- 
ser Denkschrift  schon  der 
Geschichte  an,  so  erhöht  sie 
uns  den  Genuß  an  den  nun 
aus  den  Schulen  hervor- 
gegangenen vorbildlichen 
Werken.  Denn  sind  diese 
auch  ohne  weiteres  jedem 
Auge  und  Sinn  begabten 
Freund  von  Gewerbe  und 
Kunst  gefällig,  so  erhöhen 
sie  doch  auch  den  Genuß 
am  Werke  als  Resultanten 
guter  staatswirtsdiaftlicher 
Ma.ximen,  über  deren  im- 
mer neue  lebensfähige  Be- 
währung schwieriger  zu 
wachen  ist ,  als  voreilige 
Kritik  gelegentlicher  Miß- 
erfolge zugeben  mag. 


5'3 


Die  Köm'gL  Bayrischen  Faclf^clnilev, 


FACHSCHULE  FÜR  PORZELLAN-INDUSTRIE  IN  SELB.    PORZELLAN-GRUPPE.    NACH  ENTWURF  V.  PROF.  FRITZ  KLEE. 


Von  den  hier  mit  Abbildungen  vertretenen 
Schulen  haben  die  Fachschulen  für  Holz- 
schnitzerei in  Oberammergau  und  Berchtes- 
gaden  die  älte- 
ste Geschichte. 
Das  ist  bezeich- 
nend!. Bayerns 
natürliche  Pro- 
duktion, fürdie 
enge  Verknüp- 
fung der  Schu- 
len mit  den  ört- 
lichen Verhält- 
nissen ,  Sitten 
und  Bedürfnis- 
sen. 1834  grün- 
dete die  Ge- 
meinde eine 
Zeichenschule 
zur  Förderung 
der  Holzschnit- 
zerei. Das  Mo- 
dellieren wur- 
de  erst    1868, 


POkZtLL.\N-lM)USTRIE-FACHSCHULE  SELB.    »WIESEL«    ENTW:  F.KLEE. 


der  praktische  Unterricht  im  Holzschnitzen  erst 
1877  aufgenommen.  Der  Anstaltsbedarf  wird 
aber  jetzt   zum   größten  Teile   aus  Kreisfonds 

gedeckt.  Ge- 
treu dem  inter- 
nationalen 
Ruhme  des  Or- 
tes als  Stätte 
volkstümlicher, 

kirchlicher 
Kunst  wird  dem 
Verlangennach 
geeigneten  Er- 
innerungen mit 
kleinen  Schnit- 
zereien aus  dem 
kirchlichen  Bil- 
derkreise vor- 
trefflich begeg- 
net. Der  kleine 
Christus  mit 
der  Weltkugel 
(Abb.  S.  510), 
Entwurf      von 


5'4 


Die  Köniol.  Bayrischen  Pachsc/iutoi. 


tAtllM  hlllE  1  l  R  PORZELLAX-INDUSTKIK  IX  SEl.H. 

Fachlehrer  Wittmann,  stellt  in  der  Auffassung 
gesunde  Volksart,  in  der  Durchbildung  tech- 
nische Vollkommenheit,  in  der  Verbindung  von 
Figur  und  Sockel  jenes  künstlerische  Gefühl 
für  kompositorische  Geschlossenheit  dar,    das 


NACH  ENTWÜRFEN  VON  l'KuH.   IKHZ   KI.F.i;. 

immer  als  letztes  Ziel  formaler  gewerblicher 
Bildung  bestehen  bleibt.  Glücklicherweise 
wird  jedoch  das  Darstellungsgebiet  der  Fach- 
schulen in  keiner  Weise  beengt.  Was  immer 
des  Schülers  Lust  an  der  Natur  aufgreift,  muß 


KACUsCHLLt  FLR  PORZELLAN-INDUSTRIE  IN  SELB.    NACH  ENTW.  VON  PROF.  FKJIZ  KLEE. 


5'S 


Die  Kon  igt.  Bayri^c/ien  Fachschulen. 


FACHSCHULE  KUR  PORZELLAN-IXDUSTRIE  IN  SELB. 


auch  gutes  Natursludium  zeigen,  muß  material- 
gerecht gebildet,  muß  Vorbild  für  alle  Hände 
sein,  die  in  gleichem  Material  arbeiten.  (Das 
gilt  von  dem  holzgeschnitzten  Pudel  und  von 
der  Knäuelbüchse  mit  Katze,  Abb.  S.  523,  die 
nach  einem  Entwurf  der  Kgl.  Kunstgewerbe- 
schule Nürnberg  in  der  Holzschnitzschule 
Bischofsheim  vorder  Rhön  gearbeitet  wurde.) — 
Während  die  Distrikts-Zeichen-  und  Schnitz- 
schule in  Berchtesgaden  1858  lose  organisiert 
wurde  —  die  Staatsregierung  war  schon  20 
Jahre  früher  den  dortigen  Holzschnitzern  förder- 
lich zur  Seite  ge- 
treten —  ist  die 
Holzschnitzschule 
in  Bischofsheim 
schon     1853     in 

Poppenhausen 
begründet  wor- 
den. Diese  Schule 
ist  kleiner  und 
auch  anders  or- 
ganisiert als  die 
in  Berchtesgaden , 
weil  beide  auf  die 
örtlich  ganz  ande- 
ren Berufs-, bezw. 
Verkaufsgelegen- 
heiten der  Orte 
Rücksicht  neh- 
men. Und  wie  die 
Berchtesgadener 
schon  in  den  sieb- 


IwVri'EE-SERVICE  MIT  FARUIGEM  DEKOR. 


FACHSCHULE  FÜR  PORZELLAN-INDUSTRIE  IN  SELB, 


ziger  Jahren  des  letzten  Jahrhunderts  vorbild- 
lich wurde  für  die  daraufhin  begründeten  Schu- 
len in  Hallein  und  Hallstadt,  so  scheint  die 
Bischofsheimer  Schule  jetzt  einem  entscheiden- 
den Aufschwung  entgegenzugehen. 

Für  das  Spessartgebiet  wirkt  die  Holzschnitz- 
schule auf  dem  Gute  Neuhammer  bei  Winters- 
bach, ursprünglich  (1880)  in  Lohr  errichtet. 
Schreinerei  und  Drechslerei  wurden  in  Neu- 
hammer in  einem  Sägewerk  betrieben.  Die 
Knaben  genossen  täglich  einige  Stunden  Fach- 
unterricht im  Zeichnen,  Modellieren  und  Holz- 
schnitzen. —  Un- 
sere Abb.  S.  524 
zeigt  einen  Klei- 
derschrank, der 
von  dem  Rektor 
des      Pfälzischen 

Gewerbe -Mu- 
seums,  Eduard 
B  rill,  entworfen 
und  in  den  mit  der 
Kreisbauschule 
zu  Kaiserslautern 
verbundenen 
kunstgewerbli- 
chen Fachschulen 
hergestellt  wurde. 
Der       vornehme 
künstlerische  Ent- 
wurf hat  die  denk- 
bar beste  Ausfüh- 
rung     gefunden. 


516 


KACHSCHULE  FÜR  PORZELLAN-INDUSTRIE  IN  SELB.    »VASEN  UND  DOSEN«    ENTWl  RFE  I'ROK.   KRITZ  KI.KE. 


1913.  VI.  8. 


Die  Königl.  Bayrischen  Fachschuleti. 


Ein  Vorbild  für  den  wei- 
ten Umkreis  und  all  sei- 
ne jungen  Kunsthand- 
werker. In  den  kunstge- 
werblichen Fachschulen 

—  mit  Abteilungen  für 
Schreiner,  Schlosser, 
Steinbildhauer,  Holz- 
bildhauer, Ziseleure  — 
wird  fast  während  des 
ganzen  Jahres  prakti- 
scher Unterricht  betrie- 
ben. —  In  unserer  Pu- 
blikation nehmen  die 
Arbeiten  der  Fach- 
schule für  Porzellan- 
industrie in  Selb  großen 
Raum  ein.  Sehr  mit 
Recht,  obwohl  diese 
Fachschule  in  der  ge- 
nannten Denkschrift 
von  1902  noch  nicht  er- 
wähnt werden  konnte. 
Damals  beschäftigte  sich 
die  Regierung  erst  mit 
dem  Gedanken  ihrer 
Gründung.  Diese  war 
ebenso  notwendig  wie 
glücklich.  Sind  doch  in 
jener  Gegend  Oberfran- 
kens viele  Tausendc 
von  Arbeitern  in  der 
Porzellanindustrie  tätig, 
und  verlangt  doch  ge- 
rade solche  Industrie 
nach  künstlerischer  An- 
regung. Wie  vortrefflich 
ist  nun  schon  das,  was 
aus  dieser  Fachschule 
jetzt  hervorgeht.  Nalur- 
studium  u.  Farbensinn, 
Sinn  für  Material  und 
Form  haben  in  kurzer 
Zeit,  dank  tüchtigster 
Leitung  Professor  Fritz 

Klee's,  eine  solche  Förderung  erfahren,  daß 
der  Erfolg  in  einer  bereits  so  merkantil  fühl- 
baren Weise  hervortritt,  wie  nicht  zu  erwarten 
gewesen.  Freilich  sind  auch  hier  Entwürfe  von 
Künstlern  —  von  Professor  Klee  —  zu  nennen, 

—  aber  die  technische  Schulung  hat  doch  erst 
solche  Ausführung  ermöglicht.  Vieles,  was  in 
Selb  geschaffen  wird,  hat  bei  Kennern  Staunen 
erregt.  Die  Tierfiguren  Klee's  in  feiner  Unter- 
glasur werden  gesucht,  die  Scharf feuermale- 
reien  können  mit  alten,  berühmten  Fabriker- 
zeugnissen konkurrieren.      So    wird    hier    die 


5.8 


SCHNITZSCHULE  IN  OBEKAIIMEKGAU.     iCHRISTUSKINI 


künstlerische  Hebung 
des  Gewerbes  vielleicht 
am  augenscheinlichsten 
verfolgbar  —  ganz  ge- 
wiß nachzahlen  der  Ver- 
kaufsstatistik. Und  wer 
sich  in  die  Geschichte 
der  alten  großen  fürst- 
lichen bezw.  staatlichen 
Porzellanfabriken  ver- 
tieft, liest  deren  wirt- 
schaftlichen Statistiken 
immer  denselben  Erfah- 
rungssatz ab  ;  Nur  im- 
mer dann  und  nur  so- 
lange die  Tendenz  sol- 
che Anstalten  beseelte, 
künstlerisch  vorbild- 
lich für  des  ganzen  Lan- 
des Industrie  zu  sein, 
prosperierten  sie.  Ein 
Erfahrungssatz,  den  zu 
ihrer  Maxime  gemacht 
zu  haben  die  staatliche 
Organisation  unserer 
Fachschulen  auszeich- 
net. —  Kann  nicht  im- 
mer und  überall  so  rasch 
das  Resultat  solcher 
Grundsätze  zu  Tage 
treten,  wie  in  der  Fach- 
schule in  Selb,  so  müs- 
sen doch  Zweifler  an 
solchen  Grundsätzen 
um  so  nachdrücklicher 
darauf  aufmerksam  ge- 
macht werden.  —  So 
erübrigt  es  sich,  von  den 
Arbeiten  und  Erfolgen 
der  Handwerker- 
fachschule in  Augs- 
burg, von  der  gleich- 
falls sehr  erfolgreichen 
F achschule fürKorb- 
flechterei  in  Lich- 
te nf  eis,  wo  die  klassische  Korbflechterei 
Japans  Vorbilder  gab,  und  änderen  Schulen  für 
andere  Gewerbe  zu  reden.  Nur  von  Zwiesel 
und  Landshut  mag  noch  kurz  die  Rede  sein. 
Die  Geschichte  der  Fachschule  für 
Keramik  in  Landshut  bestätigt  überraschend, 
wie  Werkstättenbetrieb,  der  nur  als  Erwerbs- 
quelle betrachtet  wird,  solchen  Anstalten  unbe- 
dingt zur  Gefahr  wird.  In  den  70  er,  ja  noch 
in  den  80  er  Jahren  erfüllte  nach  dem  über- 
einstimmenden Urteile  der  Sachverständigen 
die  Schule  ihren  Zweck  nicht,  „da  sie  durch  zu 


Die  König/.  Bayrischen  Fachschulen. 


nachdrückliche  Beto- 
nung desWerkstätte- 
betriebes  in  erster 
Linie  Erwerbsquelle 
wurde  und  der  Ver- 
edelunj^s  -  Unterricht 
ganz  in  den  Hinter- 
grund trat."  Was 
Landshut  nun  leistet, 
nun  bedeutet,  zeigen 
schon  die  Abbildun- 
gen der  Schmucktel- 
ler, von  denen  einige 
nach  Entwurf  keines 
geringeren  als  Julius 
1)  i  e  z  ausgeführt  wur- 
den. Derhier  abgebil- 
deteOfen  aberwurde 
nach  einem  Entwurf 
der  Kunstgewer- 
be s  c  h  u  1  e  Mün- 
chen ausgeführt. 
Hier  kann  freilich  die 
schwarze  Abbildung 
nicht  die  farbkünst- 
lerischen Reize  wie- 
dergeben, die  ich  vor 
dem  Original  emp- 
fand. Auch  hier  ge- 
hen unter  Wilhelm 
Rudolfs  Leitung 
künstlerische  Erwä- 
gungen u.  chemisch- 
technische Versuche 
u.  Neuerungen  Hand 
in  Hard.  —  Gleich- 
falls zu  einer  führen- 
den Musterschule  — 
ganz  gewiß  auch  für 
manche  außerdeut- 
sche  Staaten  —  hat 
sich  die  junge  Fach- 
schule für  Glas- 
industrie und 
Holzschnitzerei 
in  Zwiesel  in  Nie- 
derbayern entwik- 
kelt.  Die  Gläser  kön- 
nen im  internationa- 
len Wettbewerb  sich  sehen  lassen ,  und  die 
verständnisvoll  den  Glasprodukten  dienenden 
Schnitzereien  heben  wechselseitig  das  Ansehen. 
Hier  wäre  gar  viel  zu  sagen,  wenn  es  nicht 
in  Each-  und  Liebhaberkreisen  schon  bekannt 
wäre,  wie  verständnisvoll  die  Ornamentik,  wie 
entzückend  zierlich  und  fein  die  Ätzung  der 
Gläser,    wie   Kunst    und    Handwerk    vorbild- 


KERAMISCHE  FACHSCHULE  IN 
ENTWIRF   DF.R  K.  KÜNSTGEW 


lieh  verbunden.  Der 
Leiter  dieser  Schule 
ist  Bruno  Mauder. 
Der  aus  der  Kunst- 
gewcrbeschule  Mün- 
chen hervorgegange- 
ne Bildhauer  Meier 
ist  jetzt  in  Zwiesel 
Lehrer  für  Schnitzen. 
—  Am  festesten  wä- 
ren diese  hier  nie- 
dergelegten Meinun- 
gen über  den  glän- 
zenden Erfolg  und 
Aufschwung  von  Bay- 
erns Fachschulen  zu 
begründen  mit  einer 
Geschichte  des  gan- 
zen Fachschulwesens 
von  Schinkel  und 
Beuth  und  Semper 
an  bis  heute,  und  von 
diesen  weit  zurück 
zu  den  erfolgreich- 
sten aller:  den  Schu- 
len und  Werkstätten 
eines  Foucquet  und 
Colbert  und  Le  Brun 
zur  Zeit  Ludwigs  XIV. 
von  Frankreich:  den 
„Manufactures  Ro- 
yales des  Gobelins" 
u.a.!  Wer  noch  zwei- 
felt an  der  eminen- 
ten Notwendigkeit 
der  finanziellen  und 
ideellen  Unterstüt- 
zung von  gewerbli- 
chen Fachschulen,  die 
ebenso  künstle- 
risch wie  Wirt- 
schaft 1  i  c  h  u  m  s  i  cli- 
tig  geleitet  wer- 
den wie  gegen- 
wärtig die  unse- 
ren, dem  kann  nichts 
Besseres  geraten  wer- 
den, als  die  Geschich- 
te jener  erwähnten 
Unternehmungen  zu  studieren.  Denn  das  Resul- 
tat solcher  Studien  würde  unanfechtbar  dieses 
bleiben:  Der  wirtschaftliche  Erfolg,  der  ideelle 
und  materielle  Gewinn,  der  dem  Staat  aus  den 
Fachschulen  entsteht,  war  noch  je  und  ist  immer 
um  so  höher,  je  mehrdasAugenmerk  ihrer  einheit- 
lichen Leitung  auf  Veredelung  der  Arbeit  durch 
künstlerische  Gesichtspunkte  gerichtet  ist.    i.. 


LANDSHUT.  »KACHELOFEN« 
F.RBE-.SCHULE   IN  MÜNCHKN. 


5>9 


ENTWURFE:  BRUNO  MAUDER— ZWIESEL. 


GLA.SPOKALE  MIT  SCHLIFF  U.  GRAVIERUNG. 


KACHSCHULE  F. 

GL.\S-INDUSTRIE 

IN  ZWIESEL. 


2         GESCHLIFFENE 

UND  GRAVIERTE 
GLASSCHALE. 


,t«i;vi^>.:r^-,r.r:.,..rr^.«M^»..««i-^  . 


KNl  WiRFE;  BRUNO  MAIDER. 


.LASruKAl.l.  Mll    Stlll.IH-    U.  <;KA\  lERUNG. 


FACHSCHULE  F. 

GLAS-INUUSTRIE 

I.N  ZWIESEL. 


GESCHLIFFENE 
UNI)  GRAVIERTE 
GI..\Sl>OSE. 


Klei7ie  Kunst-Nachrichten. 


KUNST-NACHRICHTEN 

FEBRUAR  lülö. 

BERLIN.  Im  Februar  veran- 
staltete „Der  Sturm"  eine 
interessante  Ausstellung  male- 
rischer Experimente  von  Robert 
Delaunay  aus  Paris.  Der  In- 
halt dieser  Ausstellung  ist  ein 
Schulbeispiel  für  die  Resultate 
einer  auf  mathematisch-abstrak- 
ten Regeln  ruhenden  Malerei. 
Während  eine  ältere  Arbeit  De- 
launays  ein  mit  normalen  künst- 
lerischen Mitteln  haushaltendes 
Können  verrät,  wertvoll  sowohl 
in  der  Beobachtung  als  in  der 
Wiedergabe,  beginnt  er  bereits 
in  der  Arbeit  „Les  Tours"  die 
Neuschöpfung  der  von  ihm  emp- 
fundenen Dinge.  Der  Gegen- 
stand tritt  hinter  der  Idee  zurück, 
.'^uch  „La  fenetre  sur  la  ville" 
wird  schon  überwiegend  vom 
Standpunkt  der  Raumdynamik 
aus  behandelt,  die  durch  die  in 
geometrisch  abgegrenztePlächen 
verteilten  Farben  sowie  durch 
sinngemäß    eingefügte    Linien 


FACHSCHULE 
FÜR  GLAS- 
INDUSTRIF. 

IN  ZWIE.SEL. 


GRAVIEKTE 
KARAFFEN. 


KARAFFEN.  ENTW  IRFE  VON  BR.  MAUDER. 


und  Kurven  zum  Ausdruck  ge- 
bracht werden  soll.  Hier  ist  be- 
reits der  Boden  des  Unmittel- 
bar-Verständlichen verlassen  und 
das  Ausdrucksmittel  der  Kunst 
zur  Geheimschrift  geworden, 
deren  Kenntnis  nur  wenigen 
zuteil  wird.  Eigentümlich  aber 
bleibt  dennoch  die  Tatsache,  dafj 
das  in  der  Tradition  mehr  oder 
minder  wurzelnde  Stilgefühl  des 
Beschauers  den  Arbeiten  De- 
launays  eine  gewisse  Harmonie 
nicht  abstreiten  kann,  die  wohl 
in  der  mathematisch  berechneten 
Geset5mäf5igkeit  sowie  in  der 
geschickten  Verwendung  von 
Komplementärfarben  ihren  Ur- 
sprung hat.  Der  Eigenart  halber 
mag  noch  erwähnt  werden,  daß 
Delaunay  bei  dem  Zerlegen  des 
Einzelnen  sich  in  seinen  neue- 
sten Arbeiten  nicht  mitdemRaum 
und  der  Fläche  begnügt,  daß 
er  auch  an  eine  Auflösung  der 
Farben  ähnlich  den  Problemen 
der  Neoimpressionisten  denkt. 
Aber   er   bleibt   auch   hier  dem 


522 


Kleine  Kunst- N ach  nchteti. 


Prinzip  treu;  er  re- 
duziert seine  Farb- 
teilchen auf  richtig'- 
g-ehende  kleine  Qua- 
drate. Hiermit  scheint 
die  Entwicklung  des 
Kubismus  auf  der 
letjten  erreichbaren 
Stufe  in  der  ma- 
thematischen Neu- 
schöpfung angelangt 
zu  sein.  —  Es  ist  ein 
weiter  Sprung  von 
der  malerischen  Ma- 
thematik desFranzo- 
sen zu  dem  jungen 
Wiener  Maler  Vic- 
tor Hammer,  der 
im  Kunstsalon  Frit5 
Gurlitt  eine  statt- 
liche Anzahl  fesseln- 
der Porträts  aus- 
stellt. Zur  Beurtei- 
lung eines  Porträts 
bedarf  man  im  all- 
gemeinen derKennt- 
nis  der  Persönlich- 
keit, die  die  Arbeit 
des  Künstlers  in- 
spirierte. Bei  Ham- 


holzschnitz-schui.e  ix  bischofsheim  vor  der  rhön. 
»knäuei.bOchse»  entw:  kunstgewerbe-schui.e  in  Nürnberg. 


mer  aber  interessiert 
weniger  die  Frage 
nadiderÄhnlidikcit, 
als  eine  liebens- 
würdige, an  das  vor. 
märzliche  Wien  ge- 
mahnende Charak- 
terisierungs  -Bega- 
bung. Man  wird 
hier  an  die  Schule 
eines  Waldmüller 
und  Danhauser  er- 
innert und  fühlt  in 
jedem  feinen  Pinsel- 
strich jene  altwiener 
Tradition,  Zartheit 
des  Empfindens, 
Liebe  für  das  un- 
wesentlidiste  Ding 
im  Kaum,  Ritterlich- 
keit und  .Aufrichtig- 
keit. Darüberhinaus 
legt  Hammer  noch 
besonderenWert  auf 
die  Betonung  des 
Seelischen,  aus  dem 
das  Formale  als 
natürlidier  Kmpfin- 
dungswert    wächst. 

DR.  WALTER  GEORG  1. 


SCHNITZSCHULE  IN  0BERAMMERU.-\U.    «I'UUEl.      HOLZSCHNITZEREI. 


5*3 


Kleine  Kunst-Nachrichten. 


MANNHEIM.  Als  13.  Ausstellung  des  Freien 
Bundes  ist  in  der  Kunsthalle  eine  umfang- 
reiche Darbietung  „Moderner  Theaterkunst" 
veranstaltet  worden.  Die  früheren  Ausstellungen, 
die  dem  Theater  gewidmet  waren,  -  in  Wien  1892 
und  Berlin  IQll  —  legten  das  Schwergewidit  auf 
die  Theater-  und  Bühnengeschichte;  die  Mann- 
heimer-Ausstellung unterstreicht  die  Theaterkunst 
und  gibt  Wühl  zum  ersten  Male  einen  Überblick 
über  die  Leistungen,   die  die  moderne  Kunst  dem 


Theater  und  der  Bühne  geboten  hat.  Eine  Abtei- 
lung ist  der  Theaterarchitektur  gewidmet; 
die  Entwürfe  für  das  Berliner  Opernhaus  sind  in 
ihren  bedeutsamsten  Beispielen  vertreten.  Dieser 
Abteilung  ist  eine  Schau  angewandter  Theaterkunst 
angegliedert:  Plakate  von  J.  Klinger,  Bernhard, 
Orlik,  Starke,  Theaterzettelentwürfe  von  Orlik, 
R.  Koch,  Leni  und  anderen.  Den  Hauptraum  füllen 
die  Bühnenbilderund  Figurinen.  Mit  Aus- 
nahme  von    Stanislawskys  Schöpfungen   wird    hier 


KREIS- 
BAUSCHULE 
zu  KAISERS- 
r.AUTERN 


jSCHRANK« 
ENTWURF 
REKTOR  El). 
BRII  I  . 


fc..  ■•  ktt  i  -*•;'  [ 


-  -UMTM.    -I   f,       T 


»ZtERKoRBCHIiN«    t.NTWl  Kl-E  IM)  Al>tLHRUNG;    l-Al-H^CHULE  FÜR  KORBFLECHTEREI  IN  LICHTENFELb. 


1913.  VI.  9. 


K/eijie  Kiaixt-N^achrichten. 


wohl  alles  geboten, was 
die  Gestaltung  des  mo- 
dernen Bühnenbildes 
zu  charakterisieren  ge- 
eignet ist.  Adolphe 
Appia  und  Gordon 
Craig  treten  als  die 
feinfühligen  Inaugura- 
toren  moderner  Büh- 
nenkunst wirksam  in 
Erscheinung;  Appias 
lichtdurchflutete  Ent- 
würfe zu  Wagners 
Opern  und  Craigs 
phantasievolle,  archi- 
tektonisch bedeutsa- 
me Radierungen.  Ihr 
Einflufi  lä|3t  sich  in  der 
Entwicklung  klar  ver- 
folgen. Von  Ernst 
Stern— Berlin  werden 
charakteristische  Ar- 
beiten gezeigt,  Büh- 
nenbilder und  Figuri- 
nen zu  Shakespeares 
„Viel  Lärm  um  Nichts", 
„Heinrich  IV.",  zu  Voll- 
möllers „Mirakel", 
Moliferes  „Georges 
Dandin",  Straugens 
„Ariadne  auf  Naxos". 
Was  bei  seinen  Ent- 
würfen so  überzeugend 
und  bedeutend  wirkt, 
ist  die  Einheitlichkeit 
der  Empfindung,  die 
Menschen  und  Dinge, 
Landschaft     und     .Ar- 


FACHSCHULE  IN  ZWIESEL.   »SPIEGELR.\HMEN« 


chitektur  durchströmt. 
Dies  gilt  auch  von 
den  Arbeiten  Otto- 
mar Starkes,  dessen 
großes  Bühnentalent 
auf  dieser  Ausstellung 
stark  hervortritt,  so- 
wohl in  den  Bühnen- 
bildern zu  Glucks  „Or- 
pheus und  Eurydike", 
Shakespeares  „Julius 
Caesar",  als  auch  in 
den  charaktervollen  Fi- 
gurinen zu  Eulenbergs 
„Alles  um  Geld".  Karl 
Walsers  Rokoko- und 
Biedermeiergrazie  duf- 
tet aus  den  köstlichen 
Blättern  zu  Offenbach 
und  Nestroy.  VonOr- 
lik  imponieren  be- 
sonders die  sorgsam 
und  höchst  charakte- 
ristisch durchgeführten 
Studien  zu  Schillers 
„Räubern"  und  Shake- 
speares „Wintermär- 
chen". Wunderwa  Id 
hat  in  seinen  Entwürfen 
ein  reiches  Repertoire 
bearbeitet,  das  von 
Goethe  bis  Strindberg 
reicht  und  manches 
prägnante  Bild  ge- 
staltet. Von  jüngeren 
Kräften  in  Berlin  tre- 
ten besonders  Rochus 
Gl  lese     und     Knut 


^^^^mmmmmm 

tttal- 

JHfl^^^^^^^^^^l 

^^E^ 

^^^^^^^^^^H 

^Bf 

^^ 

^^^ 

^^H 

V  ■:  a'  'S  >    'A    Ki  - 

1 

r   .   1  (  ,  j       1 

P 

^ 

FACHSCHULE  FÜR -HOLZSCHNITZEREI  IN  ZWIESEL.   »HOLZKASSETTE«    ENTW:   FACHLEHRER  MEIER. 


KF.ICHGE- 
^CHMIEDETE 
JITTKR. 
IIANDWICRKER- 

i'ACllSCHUI.E 
N  AUGSBURG. 


HANDWEKKER- 
KACHSCHUI.E 
IN  AUGSBURG. 


i^*^*'^^;--'-!::,-!-««»^»  tej 


:i^ 


,;  .:,•■;;<-.  :  ,;; 


BLUSE  liN  FILET-ARBEIT  MIT  ANGESETZTEM  SCHOSS. 


Kleine  Kuiist-Nachrichten. 


Ström  hervor  in  Entwürfen  zum  Macbeth  und  zu  den 
kleinen  Dramen  von  Hofmannsthal.  Von  Max  Lieber- 
mann sieht  man  die  Sl<izzen  fürdie  Lauchstädter  Auf- 
führung- von  „Gabriel  Schillings  Flucht",  von  Max 
Slevogt  die  Bilder  zu  Hauptmaims  „Florian  Geyer"; 
ihre  impressionistisch  meisterlichen  Skizzen  stehen 
der  strengen  Bühnenkunst  am  fernsten.  F.  Schu- 
machers Dresdner  Hamlet  folgt  sehr  strengen  Stil- 
tendenzen. Roller,  Moser,  Lefler,  Wimmer  und 
Graf  zeigen  die  Wiener  Schule  am  Werke.  Für 
Hagemann  in  Hamburg  arbeitete  R.  Voltmer 
Dekorationen  zu  Turandot,  für  Martersteig  in  Köln 
H.  Wildermann  Wagnersche  Opern.  In  Freiburg 
(bei  Legband)  sind  O.  Reigbert,  Ed.  Peter  und 
L.  Sievert  tätig,  in  Düsseldorf  arbeitet  besonders 
intensiv  E.  Sturm.  Pankok  hat  für  das  Stutt- 
garter Hoftheater  Figaros  Hochzeit  inszeniert,  Qöt5 
für    die  Vereinigten  Theater   in   München   Schillers 


„Kabale  und  Liebe".  H.  Steiner- Prags  Tätig- 
keit wird  an  zahlreichen  Entwürfen  deutlich.  In 
der  Abteilung  der  Figurinen  fallen  neben  den 
exotisch-starken  Arbeiten  Leon  Baksts  beson- 
ders die  linear -puristisch,  fast  präraffaelitisch- 
sensitiven  Studien  von  A.  Rothen  stein  und 
N.  Wilkinson  auf,  die  beide  für  Oranville  Barker 
in  London  tätig  sind.  Aufjer  den  Entwürfen  werden 
eine  Reihe  von  Bühnenmodellen  gezeigt,  von 
E.  Stern  die  Drehbühnenmodelle  zu  „Heinrich  IV.", 
die  Modelle  zur  „Ariadne  auf  Naxos",  von  E.  Oppler- 
Legband  und  E.  Sievert  verschiedene  Modelle. 
Eine  Abteilung  veranschaulicht  das  Marionetten- 
theater an  der  Hand  von  Figuren  und  Skizzen 
Ivo  Puhonnys;  daneben  ein  original-bäurischer 
Kasperl  eines  Kehler  Puppenspielers.  —  Vom 
alten  Mannheimer  Theater  werden  Figurinen, 
Risse  und  Bühnendekorationen  gezeigt.       w.  f.  st. 


WALTER  ROSSNER 

U.FRL.  E.  RüSSNEK- 

BERLIN.     GESTIl  K- 

TES  PANNEAU. 


RINUERSP ACHER-MÜNCHEN.  FENSTERSCHMUCK. 


Inhalts-Verzeichnis. 

BAND  XXXI 

Oktober  1912— März  1913. 


TEXT-BEITR  AGE : 

Jubiläums-Ausstellung  Eugen  Bracht.  Von 
Prof.   Dr.   Georg  Biermann  .     . 

Die  Große  Berliner  Kunst-Ausstellimg.  Von 
Rudolf  Klein— Berlin 

Quellen  des  Bebagens.  Vom  Sammeln.  Von 
Kuno  Graf  Hardenberg— Dresden    . 

Ramön  und  Valentin  de  Zubiaurre — Madrid. 
Von  Wilhelm  Michel 

Wem  gehört  die  Stadt.  Von  Richard 
Schaukai — Wien 

Adelbert  Niemeyers  Haus  Krawehl.  Von 
Dr.  E.   W.   Bredt^München      .     .     . 

Die  Ausstellung  im  Österreichischen  Museum 
für  Kunst  und  Industrie  19 12.  Von 
Franz  Planer  — Wien 

Die  neuen  Stuttgarter  Hofbühnen  .... 

Münchner  Jahres-Ausstellung  im  Glaspalast. 
Von  Dr.  Kuno  Mittenzwey-München 

Die  Erziehung  für  das  Kunsthandwerk.  Von 
Prof.  Dr.  A.    Pabst— Leipzig     .     . 

Der  Künstler  und  seine  Welt.  Curt  Herr- 
mann— Berlin  als  Maler  und  Sammler. 
Von  Robert  Breuer — Berlin    .     . 

Der  Impressionismus  und  die  Kultur  der  Ge- 
genwart.     Von    Dr.    Walter    Georg 

Neue  Arbeiten  von  Charles  Tooby.  Von  Fritz 
von  Ostini — München      .... 

Englische  Landhäuser.  Von  H .  L  a  n  g-D  a  n  o  1 

Vom  Schmuck.    Von  Wilhelm  Michel 

Raumkunst  auf  der  Wiener  Frühjah  rsaus- 
Stellung  des  Österr.  Museums  f.  Kunst  u, 
Industrie.     Von  Fr.  Planer — Wien 

Das  Problem  des  Denkmals.  Von  Prof.  Karl 
Widmer — Karlsruhe 

Das  Pathos  der  Gärten.    Von  P.  Westheim 

Der   Edelschmied.      Von    Robert    Breuer 

Spiele  der  Nadel.  Zu  den  Arbeiten  von  Frau 
Else  Wislicenus.    Von  Robert  Breuer 

Maler  Hans  Brühlmannj  —  Stuttgart.  Von 
Dr.  W.  F.  Storck — Maimheim 

Sascha  Schneider — Florenz.  Von  Dr.  Rob  ert 
Corwegh — Leipzig 


Seite 
3  —  10 

13— io 

14—28 

3'— 33 

34—39 

44—82 

89—93 
108 — 109 

115— 121 

126—128 


■31 

141 


138 


153—162 
163 

166 — 172 


175-185 

186 — 191 

195 — 200 
202 

203—205 

215  —  218 

225  —  244 


Ausstellung  fürKirchl.  Kunst  i.  österr.  Museum 
Neue  Puppen  von  Lotte  Pritzel.    Von  Georg 

Hirschfeld— München 

Ein  Landhaus   von  Josef  Rings— Offenbach. 

Von  Mela  Escherich 

Ein  Geschäftshaus  von  Hermann  Muthesius 
Else  Bürgereits  Mädchenkleider  .... 
Die  Hagener  Silberechmiede.    Von  Dr.  Kurt 

Freyer — Halle 

Neue  Serapis-Fayencen 

Bühnenmasken 

Alexander  Koch.    Ein  Gedenkblatt  zu  seinem 

25  jährigen  Berufs-  und  Verlagsjubiläum 

am    27.  Dez.   191 2.    Von  W.  Michel 
Hanns   Pellar — Darmstadt.     Von  Dr.  Fritz 

Burger — München 

Kunstpolitische  Fragen,  Von  G.  M.uschner 
Majolika-Figuren  von  Bernhard  Hoetger.    Von 

Richard  Stiller — Dresden  .... 
Ballett-Skizzen  von  Lion  Bakst — Paris.  Von 

William   Ritter — München 
Architekt    Albert    Gessner  —  Charlottenburg. 

Von  Dr.  Curt  Pallmann — Berlin  .      . 
Zur  Psychologie   der  Mode.     Von   Rudolf 

Klein — Berlin 

Stoffe  imd  Stickereien  von  Herta  Koch.    Von 

Wilhelm  Michel 

Die  Kunst  des  alten  Ostasiens.    Von  Robert 

Breuer — Berlin 

Werke  aus  dem  Leibl-Kreis.  Von  Dr.  Georg 

Jac.  Wolf — München 

Julius  Habicht 

Bildhauer   Georg    Kolbe — Berlin.     Von   Dr. 

Ewald  Bender — Leipzig       .... 
Zum  Denkmals-Problem.     Von   Kuno  Graf 

Hardenberg — Dresden 

Zu  den  Arbeiten  von  Emanuel  Josef  Margold. 

Von  Arthur  Roeßler— Wien       .     . 
Kunst  und  Kunstwissenschaft.  Von  Dr.  Emil 

Utitz— Roitock 

Das    Reich    der    Zeichnung.    Von    Robert 

Breuer — Berlin 


Seite 
245  —  253 

254—260 

*63 
265 
265 

270 — 271 

272 

274—275 


287—295 
296 

299—306 

309—324 

327— 33> 

332—346 

349-356 

357 

363—375 
376 

379—385 
385-388 
391—392 
397—435 
443—454 


Zwischen  Gotik  und  Rokoko.    Von  Robert  Seite 

Breuer — Berlin 459 — 462 

Ludwig  Kainer — München.    Von  Hermann 

Esswein — München 46J — 465 

Berliner  Opernhaus.  Von  R.  Breuer — Berlin  464 — 466 
Alte  Städte  und  moderne  Architekten.    Von 

Dr.  Franz  Servaes  —  Wien   .     .     .  469 — 480 

Die  Seele  des  Holzes.  Von  Robert  Breuer  483 — 498 
Zu  den  Glasmalereien  von  Ernst  Rinderspacher. 

Von  Dr.  Kuno  Mittenzwey-München  507 
Die    Kötugl.    BajTischen  Fachschulen.     Von 

Dr.  E.  W.  Bredt -München  .      .     .     .  511— 519 

ABBILDUNGEN 

(SACHLICH  ZUSAMMENGESTELLT): 

Altäre  S.  246 — 247,  249;  Ankleidezimmer  S.  79,  404, 
490 — 49:;  Architektur  S.  42 — 47,  86,  108  — 109,  163 — 
166,  263  —  264,  326—329,  338,  392—395.  434.  468— 
480;  Aussteliungsgebäudeund-Räume  S.  92,  95,  174 — 198; 
Badezimmer  S.  83;  Beleuchtungskörper  S.  69,  409,  413; 
Bibliotheken  S.  56 — 57,  167;  Blumen-Behälter,  -Vasen, 
-Kübel  S.  94,  100 — 101,  .198,  200,  517;  Bucheinbände  und 
Buchschmuck  S.  206,  432 — 433;  Büfetts  und  Anrichten 
S.  149,  183,  502  —  503;  Damenzimmer  S.  59,  78, 
186 — 187,340,397,  405,  482 — 484;  Edelmetallarbeiten 
S.  96 — 98,  201 — 202,  212,  250 — 251,  270—271,  276  — 
277,  416 — 419;  Empfangsräume  S.  174,  177;  Erker- 
und  Fensteranlagen  S.  70,  147;  Fremdenzimmers.  506; 
Garderoben  S.  48  —49;  Garten- Anlagen  und  -Architektur 
S.  261,  330 — 332,  360,  468 — 469;  Garten-  und  Tee- 
häuschen, Lauben  S.  195  — 198,  332 — 333,  468 — 473; 
Gartenmöbel  S.  199;  Gartensaal  S.  180,  192;  Garten- 
schmuck S.  194,  261,  330  —  331;  Gemälde  S.  2 — 40, 
66,  114— 143,  152— 161,  214—237,  286—295,  3>o— 
311,  320 — 321  362 — 376,  445,  447;  Gläser  und  Po- 
kale S.  101,212,  251,  520 — 521;  Glasmalereien,  Kunst- 
verglasungen,  Mosaiken  S.  248,  414 — 415,  507 — 509, 
532;  Glaswaren  S.  loi,  520 — 522;  Graphik  S.  444,  446, 
448 — 449,  452 — 456;  Hallen  und  Dielen  S.  50 — 54, 
169 — 170,  172,  190 — 191,  396,  500;  Herren-  und  Ar- 
beitszimmer S.  56 — 57,  60 — 61,  167,  335,  337,  341, 
403 — 404,  495 — 498;  Holzschnitte  S.  456;  Holzschnit- 
zereien S.  245,  510,  518,  523 — 524,526;  Kaffeewärmers. 
106 — 107,  206;  Kamine  und  Öfen  S.  50,  61  167  — 172, 
187,  191,  193,  519;  Kasetten  und  Dosen  S.  97  —  98, 
104—105,  203,  276—277,  4:6,  517,  521,  523,  526; 
Keramik  S.  193,  512,  516 — 517,519;  Keramik,  figürliche 
S.  89 — 95,  272 — 273,  298 — 305,  511 — 515;  Kinder- 
ziinmerS.80 — 8l;Kircliliche Kunst S.  245^253,  271,  510, 
518;  Kissen  und  Decken  S.  106  —  107,  207,  354  — 
357,  424 — 425,427;  Kleider,  Kostüme  und  Gamierungen 
S.  102  — 103,  HO  —  III,  426 — 437,  436 — 437,  528 — 
529;  Körbchen  S.  104,  525;  Küchen  und  Wirtschafts- 
räume S.  84 — 85;  Landhäuser  und  Villen  .S.  42 — 86, 
163  — 172,  263 — 264,  326 — 334,  ,474 — 480;  Lederwaren 
S.    99;  Lithographien  S.  446,  453,  455;   Malerei,  deko- 


rative S.  66,  69,  92,  95  179,  216 — 217,  287,  289,  310 — 
311,  507  —  509;  Masken  S.  274 — 275;  Metallarbeiten  S. 
69,  200,253,527;  Musikzimmer  S.  62 — 68,  492 — 495; 
Papierwaren  S.  104  — 105;  Plastik  S.  88 — 95,  194,  224, 
236,  238—245,  249,  253,  272—273,  298—306,  378— 
388,  442,  458  —  462,  510,  51,1 — 515,  518,  523;  Por. 
zeUan-Service,  -Vasen,  -Dosen  S.  100 — 101,  428 — 431, 
516 — 517;  Puppen  (für  die  Vitrine)  S.  112,  254 — 260, 
Puppen  (Spielzeug)  S.  278 — 283;  Radierungen  S.  444, 
448 — 449,  450,  452,  455;  Rohrmöbel  S.  208 — 209; 
Schlafzimmer  S.  266,  336,  342 — 346,  405,  503 — 505; 
Schmucksachen  S.  201 — 202,  271,  276 — 277,  416 — 419, 
435;  Schmiedeeisen  S.  527;  Schränke  S.  148,  407, 
410,  504 — 505,  524;  Schreibzeuge  S.  98,  100;  Service 
S.  97,  100,  270,  428 — 431,  516;  Sitzmöbel  S.  185, 
189;  Speisezimmer  S.  70 — 74,  145—149,  182  — 185, 
188  —  189,  339,  390,  398—399.  402.  486  —  489, 
501 — 503;  Spielsaal  S.  411;  Spielsachen  278  —  283; 
Stickereien  S.  106  — 107,  181,  203 — 207,  252,  269, 
354 — 357,  408,  427,  530;  Stoffe,  gewebte  und  bedruckte 
S.  102,  348  —  353,  420  —  425;  Tafelgeräte  und  Tafel- 
schmuck S.  96 — 98,  100 — loi,  270,  272  —  273,428 — 431, 
516,  520 — 522;  Täschchen  S.  99,  204 — 205;  Teezimmer 
S.  196  —  197,  333,  470  —  471;  Theater-Dekorationen, 
-Szenerien  S.  320,  321,  464  —  465;  Theater  -  Figurinen 
und  -Kostüme  S.  308,  312—319,  322—324,  358—359; 
Tischlampen  (elektr.)  S.  208 — 209,  210;  Treppenhäuser 
S-  55,  76;  Veranden,  Wintergärten  S.  75,  501;  Vestibüle, 
Fluren  S.  48 — 49,  55,  76 — 77,  407;  Wohnzimmer  und 
Wohndielen  S.  144,  169 — 172,  190 — 191,  265,  267, 
334.  336.  339.  485.  495;  Zeichnungen  S.  15,  27,  114, 
308—309,  312—319,  322—324,  358—359.  375.  443. 
446—447,  450,  453—454,  456,  463—466. 

KLEINE  KUNST- NACHRICHTEN: 

Seite 

Berlin   ....              S.    357.    436.    438.  464.    522 

Crefeld                           212 

Darmstadt                             438.    439 

Leipzig      ...           437 

Mannheim 109.    524 

München 210 

Neuenburg 278 

Wien 359 

Wiesbaden 209 

Zürich        360 

Die  neuen  Stuttgarter  Hofbühnen  ....  108 

Knabenhandarbeit 207 

Modeblätter ^    .     .     .  211 

Gartenkunst 212 

Neue  Berliner  Bauten 278 

Hessisches  Spielzeug 283 

Die  Kunst  des  alten  Ostasiens 357 

Aus  den  Berliner  Kunstsalons 436 


Namen-Verzeichnis. 


X 


Seite 

Alber,  M 252 

Alt,  Theodor 365 

Ammann,  Gustav — Zürich 360 

Bakst,  Leon — Paris 308 — 324 

Barlach,  E. — Güstrow        ; 453 

Barwig,  Prof.   Franz — Wien 245 

Bau-  u.  Kunslhandwerkerschule- Bozen      .      .  253 

Btehoff,  David  &  Co.— Paris 436—437 

Beckmann,  M. — Berlin 455 

Bender,  Dr.  Ewald — Leipzig      .    379 — 385.  437—438 

Bergmann,  Prof.  Julius — Karlsruhe       ...  127 

Bierraann,  Prof.  Dr.  Georg — Darmstadt  .     .  3 — 10 

Bischoff-Culm,  Ernst — Berlin 446 

Bock,  J. — Wien 100.   101.  428—431 

Bohnenberger,  Theodor^München       .      .     .  21.     125 

Bolek,  Arch.  Hans — Wien 96.    98 

Bonnard,  Pierre — Paris 132 

Bracht,  Prof.  Eugen — Dresden 3 — 10 

Bräuer,  Arch.  Carl — Wien 250 

Bredt,  Dr.  E.   W.— München 44—82 

Breuer.Rob.    Berlin  131— 138.  202—205.436—437.  357 

443—454-  459—462.  465—466.  483—498 

Brick,  Yvonne — Wien 103 

Brühlmannf,  Maler  Hans— Stuttgart    .     .     .  214  —  222 

Burger,  Dr.  Fritz  —  München 287 — 295 

Bürgereit,  Else^Düsseldorf         268 

Christophe,  Franz — Berlin 450 

Corinth.  Lovis — Berlin 454 

Corwegh,  Dr.  Robert — Leipzig       ....  225  —  244 

Croß,  H.  E. — Le  Lavandon 131 

Daumier,  Honori     ....           ....  445 

Denis,  Maurice — Paris 130 

Deutsche  Werkstätten — München  50.   51.  68 — 79 

Egger-Lienz,  Albin — Weimar 121 

Engel,  Prof.  Otto  H.— Berlin 20.    27 

Engelmann,  Rieh. — Berlin 460 

Erler,  Prof.  Fritz — München 2 

Escherich,  Mela — Wiesbaden 263 

Esswein,   Hermann — München 463  —  465 

Eysen,   Louis 37^ 

Fachschule  für  Glasindustrie  in  Zwiesel    .  520 — 522 

Fachschule  für  Holzschnitzerei  in  Zwiesel  .      .  526 

Fachschule   für  Korbflechterei   in  Lichtenfels  525 

Fachschule  für  Porzellan-Industrie — Selb  511.  5 13 — 5 1 7 

Fischer,  Otto— Dresden 449 

Fochler,  Fr. — Wien 100 

Forstner,  Leopold — Wien      ....     246.  248.    251 

Frank,  Dr.  Joseph — Wien 190.     191 

Frenze!,  Prof.  Oscar — Berlin 17 

Freyer,  Dr.  Kurt— Halle 270—271 


Froebels  Erben,  Otto— Zürich     . 

Gauguin,  Paul 

Georgi,  Dr.  Walter — Berlin  .      .     141  —  i 
Gcßner,  Arch.  Albert — Charlottenburg 

Gogh,  Vincent  van 

Göhler,  Prof.  Hermann — Karlsnihe 
Grässel,  Prof.  Franz — Eramering 
Greve-Lindau,  Georg — Weimar 
Großmann,  Rudolf — Berlin    . 
Halden,  Franz — Wien 

HaUer,  H.— Paris 

Halsey,  Arch.  Ricardo — London 
Hambüchen,  W. — Düsseldorf 
Handwerker-Fachschule  in  Augsburg 
Hardenberg,  Graf  Kuno — Dresden     2 
Häusler,  Arch.  Ph. — Wien    . 

Heigl,  Guido — Wien 

Heinemann,   Willi — Berlin     . 
Heinersdorff,  Gottfried — Berlin 
Hellwag,  Prof.  Rudolf — Karlsruhe 
Herrmann,  Kurt — Berlin        .      .     137 
Hirschfeld,  Georg — München 
Hoetger,  Prof.  Bernhard — Darmstadt 
Hoffmann,  Prof.  Joseph — Wien      100 
Hofmann,  Ludwig  von — Weimar    . 
HoUib,  Arch.  Adolf  O.— Wien      188 
Holzschnitzschule  in  Biscbofsheim  v.  d 

Horder,  Morley 

Hübner,  Ulrich — Lübeck 
Johnova,   Helene — Wien        .     . 
Kainer,  Ludwig — München   .     . 
Kampf,  Prof.  Arthur — Charlottenburg 

Karger,  R. — Wien 

Kauljsch,  Dr.  Paul — Berlin       .     . 
Keramische  Fachschule  in  I^andshut 
Keram.  Werkgenossenschaft — Wien 
Klaus,  Arch.   Karl — Wien     .      . 
Klein,  Rudolf— Berlin      .     .      . 
Knirr,  Heinrich — München 
Koch,  Herta — Darmstadt       .     . 
Koenig,  M.  Albert — München    . 
Kolbe,  Bildhauer  Georg — Berlin 
Kreisbauschule  zu  Kaiserslautern 
Krikawa,  Bildhauer  Karl — Wien 
Krüger,  G. — Berlin      .... 
Kruse,  Käthe — Berlin 
Lang-Danoli,  Hugo — Darmstadt 
Larsson,  Karl— Sundbom 
Lauweriks,  J.  L.  M. — Hagen 
Lefler,  Prof.  Heinrich — Wien    . 


50 


.•?8 


189 
Rhön 


Seite 

360 

■34 

438 

326—346 

'35-    139 
'3 

127 

"5 

44"-    455 

251 

461 

167 

30 

527 

385-388 

99 

104 

208 — 209 

414—415 

123 

141-143 

254 — 260 

298 — 306 

182-185 

1 1 7 

247 

523 

■63,    171 

443 

90 

463  —  466 

•5 

97 

357—359 

5'2-    5>9 

89.  90.  93 

272—273 

332—346 

18 

348—357 

118 

378-388 

524 

"94 

210 — 21 1 

280—281 

163 

30 

270 — 271 

358—359 


Seite 

Lehmbruck,  Wilhelm — Paris 442.    458 

Lehr-  u.  Versuchsanstalt  f.  Korbflechterei-Wien  1 04 

Leibl,  Wilhehn        362.     364'.     370.     372.  374 — 376 

Lichtblau,  Arch.  Ernst — Wien.      ,  96—97.  195 — 198 

Liebermann,  Prof.  E. — München     ....  128.    452 

Littmann,  Prof.  Max — München     ....  108 — 109 

Lobmeyr,  J.  &  L. — Wien loi 

Löffler,  Prof.  Berthold — Wien  ....     92.     94 — 95 

Löffler,  Melitta — Wien 106 — 107 

Lörcher,  Alfred — Stuttgart 459 

Lucas,  Arch.  Geof frey 172 

Luksch,  Prof.  Rieh. — Hamburg 274 — 275 

Maennchen,  Prof.  Albert — Berlin    ....  12 

Margold,  Arch.  E.  J. — Darmstadt  ....  390 — 435 

Margold,  Ella — Darmstadt      ....    408.  426 — 427 

Marx  &  Kleinberger — Frankfurt  a.  M.      .     .  420 — 425 

Mauder,  Bruno — Zwiesel 520 — 522 

Mayer,  Emma — Hambiug 207 

Meid,  Hans — Berlin 444.    456 

Melchers,  Gari — Weimar 19 

Michel,   WUhelm    31 — 33.    166 — 172.   284.  349 — 356 

Mittenzwey,  Dr.  Kuno — München        .     .     .  115 — 121 

Muhrmann,  Ludwig — Dresden 25 

Müller,  Theophil — Dresden 265 — 267 

Müller-Wischin,  Anton — München.     ...  116 

Muschner,  Georg — München 296 

Neuwirth,  Rosa — Wien 89 

Niemeyer,  Prof.  A. — München 42 — 86 

Oerley,  Arch.  Robert — Wien 180 

Ostini,  Fritz  von — München 153 — 162 

Pabst,  Prof.  Dr.  A.— Leipzig 126 — 128 

Pallmann,  Dr.  Curt — Berlin 327 — 331 

Pellar,  Hanns — Darmstadt 286 — ig^ 

Pechstein,  Max — Berlin •          448 

Pfuhle,  Prof.  F.  H.— Danzig 24 

Philippi,  Peter — Rothenburg 125 

Planer,  Franz — Wien      89 — 93.     175  — 185.  359 — 360 

Plontke,  Paul — Dresden 28 — 29 

Poiret,  Paul — Paris IIO — iii 

Powolny,  Prof.  Michael — Wien      ....  92.    94 

Pritzel,  Lotte— München 112.  254 — 260 

Prutscher,  Prof.  O.— Wien 186—187 

Rappaport,  Gusti — Wien 269 

Riegel,  Prof.  Ernst — Darmstadt            ...  212 
Rinderspacher,  Ernst — München      .     .     507 — 509.    532 

Rings,  Arch.  Josef — Offenbach       ....  263^264 

Ritter,  William — München 309 — 324 

Roeßler,  Arthur — Wien 391 — 392 

Rößner,  Walter  u.  Frl.  E. — Berlin     ...  529 

Roth,  Emmy — Berlin 276 — 277 

Rysselberghe,  Theo  van — Paris       ....  132 

Saltzmann,  Prof.  Carl — Neubabelsberg     .     .  119 

Samassa,  Max — Laibach 250 

Schaukai,  Dr.  Rieh. — Wien 34 — 39 

Scheurich,  Paul — Berlin 453 

SchUdknecht,  Prof.  Georg — München  ...  120 


Seite 

Schinnerer,  Adolf — Deisenhofen       ....  446 

Schlopsni«,  Albert— Giengen 278 — 279 

Schnackenberg,  Walter — München  ....  114 

Schneider,  Prof.   Sascha— Florenz    ....  224 — 244 

Schnitzschule — Oberammergau               .     510.  518.    523 

Schuch,  Karl 363.    367 

Schuster- Woldan,  G. — München      ....  122 

Schwetz-Lehmann,  Ida — Wien 93 

Seidl,  Prof.  Emanuel  von — München  .    261.  4^8—480 

Servaes,  Dr. — Wien 469 — 480 

Sitte,  Olga — Wien '        91 

Smith,  M.  Maberley— London        ....  196 

Sommerhuber,  Rudolf — Steyr 193 

Soulek,  J.— Wien 182—185 

Stadler,  Bemard,  Werkstätten — Paderborn    .  482 — 506 

Steiff,  Marg.  G.  m.  b.  H. — Giengen     .     .     .  278 — 279 

Stern,  Max — Düsseldorf 126 

Stiller,  Richard— Dresden 299 — 306 

Storck,  Dr.  W.  F.^Mannheim  .    109 — 112.  215 — 218 

Stmad,  Prof.  Dr.   Oskar — Wien     ....  192 

Sutter,  Prof.  Conrad — Breuberg  i.  O.       .     .  282 — 283 

Thiele,  Otto— Berlin 16 

Thiele,  Ivan — Paris 23 

Thoma,  Prof.  Hans — Karlsruhe      ....  373 

Toepper,  Hans — München 26 

Tooby,  Charles — München 152  — 161 

Tonwerke  Kandem 299 — 305 

Trübner,  Prof.  Wilhelm — Karlsruhe   .    366.  370.    371, 

Ungerer,  Alfons — Berlin 201 — 202 

Unsworth,  Arch.   W.  F 164 — 165 

Utitz,  Dr.  Emil— Rostock    . 397—435 

Valtat— Paris 133 

Velde,  Prof.  Henry  van  de — ^Weimar      .     .  144 — 149 

Vereinigte   Westd.   Werkstätten — Düsseldorf  268 

Voysey,  Arch.  C.  F.  A. — London       .     .     .  166.    170 

Vuillard,  E.— Paris 136 

Walser,  Karl — Berlin  ........  447 

Werkhaus — Charlottenburg 333 — 346 

Westheim,  Paul — Berlin 195 — 200 

Widmer,  Prof.  Karl^Karlsruhe    .     .     .     .  186  — 191 
Wiener  Kunstkeramische  Werkstätten     .     .  100 
Wiener   Produktivgenossenschaft   der   Absol- 
ventinnen der  Kunststickereischule— Wien  252 
Wiener  Serapis-Fayence — Wien      ....  272 — 273 

Wiener  Werkstätte — Wien 102.    200 

Wimmer,  Arch.  E.  J. — Wien    .     .     .    102.  181.    200 

Wislicenus,  Else — Breslau     .    ^ 203 — 206 

Witzmann,  Prof.  Carl— Wien    .     .      .      98.  174 — 178 

Wolf,  Dr.  Georg  Jacob— München      .     .     .  363 — 375 

Wyand,  A.  G 163.     171 

Zähringer,  Karl  F. — Baden  B 456 

Zita,  Bildhauer  Heinrich — Wien  ....  249 
Zotti,  Arch.  Josef — Wien  ....  198 — 199.  251 
Zubiaurre,  Ramön  de  .     .     .     32.   35.   37 — 38.   39 — 40 

Zubiaurre,   Valentin    de 31.    33.    34.    40 

Zutt,  Rieh.  Adolf— Mariabrunn      ....  88 


K 


N        Deutsche  Kunst  und  Dekoration 

3 

DA 

3d.31 


PLEASE  DO  NOT  REMOVE 
CARDS  OR  SLIPS  FROM  THIS  POCKET 

UNIVERSITY  OF  TORONTO  LIBRARY