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Full text of "Deutsches Archiv für klinische Medizin"

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'^.1 


DEUTSCHES  ARCHIV 

FÜR 

KLINISCHE  MEDIZIN. 

HEBAUSOEGEBEN 

VON 

Dr.  E.  aufrecht  in  Magdeburg,  Prof.  V.BAÜER  in  München,  Prof.  BAEÜMLER  in  Freiburg, 
Prof.  BOLLINGER  in  München,  Prof.  BOSTRÖM  in  Giessen,  Prof.  CURSCHMANK  in 
Leipzig,  Prof.  EBSTEIN  in  Göttinqbn,  Prof.  EIGHHORST  in  Zürich,  Prof.  ERB  in  Heidel- 
berg, Prof.  Dr.  FIEDLER  in  Dresden,  Prof.  FÜRBRINGER  in  Berlin,  Prof.  D.  GER- 
HARDT IN  Erlangen,  Prof.  HELLER  in  Kiel,  Prof.  HIS  in  Basel,  Prof.  F.  A.  HOFFMANN 
Leipzig,  Prof.  t.  JAKSGH  in  Prag,  Prof.  v.  JÜRGENSEN  in  Tübingen,  Prof.  t.  E£TLT  in 
IN  Budapest,  Pbof.  KRAUS  in  Berlin,  Prof.  KRBHL  in  Tübingen,  Prof.  LENHARTZ  in 
Hamburg,  Prof.  ▼.  LEÜBE  in  Würzburg,  Prof.  LIGHTHEIM  in  Königsberg,  Prof. 
LITTEN  IN  Berlin,  Prof.  MANNKOFFF  in  Marburg,  Prof.  MARTIOS  in  Rostock,  Prof. 
MATTHES  in  Jena  ,  Prof.  y.  MERING  in  Halle  ,  Dr.  G.  MERKEL  in  Nürnberg  ,  Prof. 
MORITZ  IN  Greifbwald,  Prof.  MOSLER  in  Greifswald,  Prof.  F.  MÜLLER  in  München.  Prof. 
NAUNTN  in  Strassburg,  Prof.  ▼.  NOORDEN  in  Frankfurt  a.  M.,  Prof.  NOTHNAGEL  in  Wien, 
Prof.  FENZOLDT  in  Erlangen,  Prof.  PRIBRAM  in  Prag,  Prof.  PURJESZ  in  Klausenburg, 
Prof.  QUINCKE  in  Kiel,  Prof.  RIEGEL  in  Giessen,  Prof.  ROMBERG  in  Marburg,  Prof. 
I  ROSENSTEIN  in  Leiden,  Prof.  RUMPF  in  Bonn,  Prof.  SAHLI  in  Bern,  Prof.  SCHREIBER  in 

i  Königsberg,  Prof.  F.  SCHULTZE  in  Bonn,  Prof.  SENATOR  in  Berun,  Prof.  STINTZING  in 

,  Jena,  Prof.  y.  STRÜMPELL  in  Breslau,  Prof.  THOMA  in  Magdeburg,  Prof.  THOMAS 

IN  Freiburg,  Prof.  UNYERRICHT  in  Magdeburg,  Prof.  YIERORDT  in  Heidelberg,  Dr. 
H.  WEBER  IN  London,  Prof.  TH.  WEBER  in  Uäux  und  Prof.  WEIL  in  Wiesbaden 

REDIGIERT 

l  VON 

Dr.  L.  KBEHL^  Dr.  F.  MOBITZ, 

Prof.  der  medizinischen  Kunik  Prof.  der  medizinischen  Klinik 

IN  TÜBINGEN  IM   GREIFSWALD 

UND 

Dr.  f.  Müller, 

Prof.  der  medizinischen  Klinik  in  München. 


achtzigster  band. 

MIT  40  ABBILDUNGEN  IM  TEXT  UND  4  TAFELN. 


11»  1 1 1 


LEIPZIG, 

VERLAG    VON    F.  C.  W.  VOGEL. 

1904. 


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LOQO^ 


AUGitO  1904 

i:.  H.  Bi 


Inhalt  des  achtzigsten  Bandes. 

Erstes  und  Zweites  (Doppel-)  Heft 

ausgegeben  am  14.  April  1904.  seite 

I.  Die  Hornberger  Trichinosisepidemie  .uiid  die  für  Trichinosis  patho- 

fDomonische  Eosinophilie.    Von  Dr.  Karl  Schleip.     Der  mediz. 
akultät   der  Uniyersität  Freiburg  i.  Br.   als  Habilitatiousschrift 

vorgelegt    (Mit  Tafel  I.) 1 

IL  Aus  dem  pathologischeu  Institut  in  Leipzig.     (Prof.  Marchand.) 
Zur  pathologischen  Anatomie  der  Eapselbazillen-Pneumonie  (nebst 
Anhang  über  Kapselbazillen-Meningitis).  Von  Dr.  Ichijiro  K  o  k  a  w  a 
.aus  Japan.    (Mit  Tafel  IL) 39 

III.  Über  multiple   Arterienthrombose.     Von  Prof.   Dr.  med.  Hermann 

Eichhor st  in  Zürich.    (Mit  Tafel  IIL)       75 

IV.  Über   die   diflfereutielle   Diagnose   der   gichtischen  Tophi  der  Ohr- 

muschel. Von  Wilhelm  E  b  s  t  e i  n  in  Göttingen.  (Mit  2  Abbildungen.)      91 
V.  Aus  der  medizinischen  Klinik  zu  Tübingen.    Die  Zuckerbildung  aus 

Glyzerin.      Von  Prof   Dr.  H.  Lüthje,   I.  Assistenten  der  Klinik.      98 
VI.  Aus  der  I.  deutschen  medizinischen  Klinik  in  Prag.    (Vorstand  Hofr. 
Prof.  Pf  ihr  am).     Über  Hypoleukocytose  beim   Abdominaltyphus 
und  anderen  Erkrankungen.   Von  Ludwig  Käst  und  Carl  Gütig. 

(Mit  2  Kurven.) 105 

VII.  Aus  dem  Laboratorium  der  medizinischen  Klinik  zu  Bonn  (Dir.  Geh.- 
Rat  Prof.  F.  Schnitze).  Experimentelle  Untersuchung  über  den 
Einfluü  des  Alkohols  auf  den  Hirn-Rückenmarksdruck.  Von  Pri- 
vatdozent Dr.  Rudolf  Finkeinburg,  Assistenzarzt  der  medizini- 
schen Klinik.    (Mit  2  Kurven.) 130 

VIII.  Aus  der  Nervenpoliklinik  von  Professor  Oppen  heim  zu  Berlin.  Zur 
Differentialdiagnose  der.  extra-  und  intrainecjullären  Rückenmarks- 
tumoren. Von  Dr.  von  Malaise,  Assistenzarzt  der  Poliklinik.  143 
IX.  Aus  der  medizinischen  Klinik  zu  'Jvöni^berg  i.  Pr.  (Direktor:  Geh.- 
Rat  Prof.  Dr.  Licht  heim.)  Über  die  Veränderungen  der  Milz 
bei  perniziöser  Anämie  und  einigen  anderen  Krankheiten.     Von 

Dr.  0.  Kurpjuweit,  Assistenzarzt    .-"  . 168 

X.  Aus  der  medizinischen  Klinik  in  Tübingen.     Über  die  Spezifizität 
des  Fibrinfermentes  und  seiner  Vorstufen.    Von  Dr.  Muraschew 

aus  Moskau 187 

XL  Besprechungen. 

Friedrich   Müller,    Allgemeine    Pathologie    der    Ernährung. 

(F.  Kraus,  Berlm.) 199 


Drittes  und  Viertes  (Doppel-)  Heft 

ausgegeben  am  27.  Mai  1904. 

XIT.  Aus  der  dermatolofi:ische.n  Klinik  und  dem  physiologisch-chemischen 
Institute  zu  Breslau.  Über  den  Hauttalg  beim  Gesunden  und  bei 
einigen  Hauterkrankungen.   Von  Dr.  P.  Linser  in  Breslau.     .    .    201 

Xin.  Aus  dem  Heiliggeisthospital  zu  Frankfurt  a.  M. :  medizin.  Abteilung 
(Chefarzt  Prof.  Dr.  Treupel).  Über  Urine  und  ürinsedimente  bei 
normalen  Personen,  bei  rheumatischen  Erkrankungen  und  nach  der 


—       IV      

Seite 
Einwirkung^  von  Salizylpräparaten.   Von  Dr.  Carl  Klieneberger 
und  Dr.  Richard  Oxenius 225 

XIV.  Aus  der  medizinischen  Klinik  zu  Tübingen.  Über  die  Hauttem- 
peratur des  gesunden  Menschen.  Von  Dr.  J.  Oehler,  approbiertem 
Arzte  in  Stuttgart.    (Mit  Tafel  IV.) 245 

XV.  Aus  der  medizinischen  £Iinik  in  Kiel.     Die  Typhusbewegung  auf  ' 
der  medizinischen  Klinik  in  Kiel  von  1885 — 1902  nebst  Bemerkungen 
über   die    Abkühlung    durch    Wasserkissen.      Von    Dr.   Wilhelm 
Pfeiffer,   ehemaligem  Assistenten  der  Klinik.     (Mit  2  Kurven.)    26^ 

XVI.  Aus  der  Universitätskinderklinik  Heidelberg.  (Direktor:  Prof.  0. 
Vierordt)  Über  Pseudoaszites  als  FoJgezustand  chronischer 
Enteritis.  Von  L.  Tob  1er,  1.  Assistenten  der  Klinik.  (Mit  9  Ab- 
bildungen.)       288 

XVII.  Aus  der  medizinischen  Poliklinik  zu  Jena.  (Direktor:  Prof.  Dr. 
Matthes.)  Über  die  Viskosität  des  menschlichen  Blutes  bei 
Schwitzprozeduren.  Von  Privatdozent  Dr.  Felix  Lommel,  I.  Assi- 
stent   ,. 308 

XVm.  Aus  der  medizinischen  Klinik  zu  Tübingen.  Über  die  Adipositas 
dolorosa.  Von  Dr.  Schwenkeubecher,  Privatdozent  u. Assistenz- 
arzt der  Klinik 317 

XIX.  Aus  der  medizinischen  Klinik  in  Tübingen.  Einige  Beobachtungen 
über  natürliche   und   künstlich   erzeugte  Leukot oxine.     Von  Dr. 

Henry  Asbury  Christian  aus  Boston 333 

XX.  Aus  der  mediziu.  Klinik  in  Tübingen.  Über  die  gerinnungshemmende 
W^irkung  de.«»  Kobragiftes.  Von  Dr.  P.  Morawitz,  Assistenzarzt 
der  Klinik 340 

XXI.  ürotropin  bei  Scharlach  zur  Verhütung  von  Nephritis.     Von  Dr. 

Buttersack,  Heilbronn 356 

XXII.  Aus  dem  städt.  Luisenhospital  zu  Dortmund  (Abteilun£::  Sanitätsrat 

Dr.  Ger  st  ein).  Ein  seltener  Fall  von  PfortaderSirombose  mit 
hämorrhagischer  Infarzierung  und  Nekrotisierung  der  Leber  (zu- 
gleich ein  Beitrag  zu  den  Veränderungen  der  Leber  nach  Pfort- 
aderthrombose).  Von  Dr.  F.  Steinhaus,  Stadtarzt- Assistent. 
(Mit  6  Abbildungen.) .    364 

XXIII.  Aus  der  medizinischen  Klinik  Tübingen.     Prof.  Dr.  K  re  h  1.     Über 

Herkunft  und  Wirkungsweise  der  Hämaglutinine.  Von  Dr.  Kon- 
rad Sick,  Assistenzarzt  der  Klinik 389 

XXIV.  Besprechungen. 

1.  S.  B a r u c h  (New York), Hydrotherapie.  (Schwenkenbecher- 
Tübingen.) 404 

2.  Franz  Penzol dt ,  Leh rbuch  der  klinischen  Arzneibehandlung. 
(Th.  Jürgens en-Tübingen.) 404 

3.  Heinz.  Handbuch  der  experimentellen  Pathologie  und  Pharm v 
kologie.    (Dr.  Morawitz-Tübingen.) 405 

4.  F.  Riegel,  Die  Erkrankungen  des  Magens.    (Lüthje.)      .    .    405 

5.  James  Mackenzie,  Die  Lehre  vom  Puls.    (Lüthje.)       .    .    406 

6.  K.  F.  Wen  ekel  b  ach.  Die  Arythmie  als  Ausdruck  bestimmter 
Funktionsstörungen  des  Herzens.    (Lüthje.) .    406 

7.  H.  Oppenheim,  Die  syphilitischen  Erkrankungen  des  Gehirns. 
(Lüthje.)       406 

8.  OtfriedFoerster,  Die  Mitbewegungen  bei  Gesunden,  Nerven- 

und  Geisteskranken.    (Krehl.) 407 

Berichtigungen. 

1.  Zum    „Einfluß  der  Rhodanverbindungen  auf  den  Stoffwechsel". 

Von  Dr.  Arthur  Mayer  (Freibiirg  i.  B.) 407 

2.  Kur pju weit,  Über  Veränderungen  der  Milz  bei  perniziöser 
Anämie.    LXXX.  Bd 408 


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Fünftes  und  Sechstes  (Doppel-)  Heft 

ausgegeben  am  30.  Juni  1904. 

Seite 

XXV.  Über  Bestimmung  der  Bilanz  von  Säaren  und  Basen  in  tierischen 

Flüssigkeiten.    Von  F.  Moritz 409 

XXVI.  Über  die  Wirkung  der  photodynamischen  (fluorescierenden)  Stoffe 

auf  Protozoen  u.  Enzyme.  Von  H.  v.Tappeineru.A.Jodlbauer.    427 
XXVII.  Über  die  Wirkung  photodynamischer  (nuorescierender)  Substanzen 
auf  Pararoäcien  und  Enzyme  bei  Röntgen-  und  Radiumbestrah- 
lung.   Von  A.  Jodlbauer 488 

XXVin.  Aus  der  medizinischen  Klinik  in  Greifswald.  Direktor :  Prof.  Dr. 
Moritz.  Untersuchungen  über  das  „Binden  der  Glieder^^  (ausge- 
dehnte Bier'sche  Stauung)  und  die  sog.  „Autotransfusion"  (ausge- 
dehnte Esmarch'sche  Blutleere)  mit  besonderer  Berücksichtigung 
des  Blutdrucks  in  den  freien  Gefäßprovinzen.  Von  Dr.  med. 
W.  Plaskuda,  Volontärassistent  der  Klinik.  (Mit  15  Kurven.)  492 
XXIX.  Aus  der  medizinischen  Klinik  in  Greifswald.  (Direkt. :  Prof.  Moritz.) 
Über  Theocin Vergiftung.   Von  Eduard  Allard,  Assistenzarzt  der 

Klinik 510 

XXX.  Aus  der  Königl.  med.  Univ.-Klinik  in  Greifswald.  (Direktor ;  Prof. 
Dr.  Moritz.)  Über  Fußlähmung,  speziell  Peroneuslähmung,  bei 
Rübenarbeitern.   Von  Dr.  med.  Werner  Schultz,  Assistenzarzt 

der  Klinik 520 

XXXI.  (Aus  dem  pathologisch-anatomischen  Institut  des  Stadtkranken- 
hauses zu  Dresden -Friedrichstadt.  Obermedizinalrat  Prof.  Dr. 
Schmorl.)  Überblick  über  die  Lehre  von  den  Ösophagusdiver- 
tikeln mit  besonderer  Berücksichtigung  der  klinischen  Bedeutung 
der  Traktionsdivertikel.  Von  Dr.  med.  Georg  Riebold,  Hilfs- 
arzt am  Stadtkrankenhaus  Johaunstadt,  ehemal.  ext.  Hilfsarzt 

am  pathol.  Institut 527 

XXXII.  Aus  der  medizinischen  Universitätsklinik  zu  Leipzig.    Über  Bron- 
chitis fibrinosa.  Von  Dr.  Gustav  Liebermeister,  Assistenzarzt 

der  Klinik 551 

XXXTIT.  Die  Typhuserkrankungen  unter  den  deutschen  Truppen  in  Tientsin 
im  Herbst  und  W^inter  19CX)/1901.    Von  Stabsarzt  Dr.  Otto  W^ en- 
de], früher  beim  Feldlazareth  Nr.  2  Ostasiat.  Epeditionskorps.     .    567 
XXXIV.  Fäulnisbakterien   als   Erreger   chronischer  Verdauungsstörungen. 

Von  Dr.  Schütz,  Wiesbaden 580 

XXXV.  Cheyne-Stokes'sches  Atmen  beim  Coma  diabeticum  und  Kußmaul's 

großes  Atmen  bei  der  Urämie.  Von  Wilhelm  Ebstein  (Göttingen).    589 
XXXVI.  Bemerkungen  zu  der  Arbeit  der  Herren  v.  K6tly  u.  v.  Torday, 
„Über  die  Verwertung  des  myoskopischen  Verfahrens  bei  der 
Beurteilung  der  Resorption   chronischer  Brustfellexsudate  etc." 
in  Nr.  5  u.  6  des  79.  Bandes  des  Arch.  f.  kl.  Med.  Von  Dr.  med. 

D.  Rothschild,  Bad  Soden  am  Taunus 602 

XXX Vil.  Erwiederung  zu  den  obigen  Bemerkungen  Herrn  Rothschild's 
Von   Dr.  L.   v.  Ketly,   Universitätsadjunkt   der  IL  internen 

Klinik  in  Budapest 607 

XXXVJJI.  Besprechungen. 

L   Schwalbe,  Julius  Prof.  Dr.  (Berlin),  Grundriß  der  praktischen 

Medizin  etc.    (W.  Ebstein,  Göttingen 609 

2.   J.  Arneth,   Die  neutrophilen  weißen  Blutkörperchen  bei  In- 
fektionskrankheiten.   (Sick,  Tübingen.) 609 

Berichtigungen 610 


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I. 

Die  Hornberger  Trichinosisepidemie  und  die  für  Trichinosis 

pathognomonische  Eosinophilie. 

Von 

Dr.  Karl  Scbleip. 

Der  mediz.  Fakultät  der  Universität  Freibori;  i.  Br.  als  Habilitationsschrift  vorgelegt. 

(Mit  Tafel  I.) 

Die  Hoffnungen,  welche  man  auf  die  praktische  Verwertung 
der  Blutuntersnchungen  zu  diagnostischen  und  prognostischen 
Zwecken  gesetzt  hat,  sind,  nachdem  eine  Reihe  von  Forschern 
sich  eingehend  mit  der  Morphologie  des  Blutes  beschäftigt  haben, 
nicht  getäuscht  worden.  In  den  letzten  Jahren  hat  sich  auf  Grund 
der  Arbeiten  Ehrliches  über  die  Trennung  der  einzelnen  Leuko- 
zytenarten das  Bestreben  geltend  gemacht,  die  Schwankungen  in 
den  Mengenverhältnissen  der  Leukozyten  für  bestimmte  Erkran- 
kungen als  gesetzmäßige  nachzuweisen,  um  damit  ein  für  die  be- 
ti-effende  Krankheit  charakteristisches  oder  spezifisches  Symptom 
zu  schaflFen,  dessen  diagnostische  Bedeutung  von  verschieden  großem 
Werte  sein  kann. 

Die  bisherigen  zahlreichen  Arbeiten  haben  wohl  den  Beweis 
gebracht,  daß  diese  von  einem  geübten  Arzt  mit  wenig  Aufwand 
an  Tecknik  und  Zeit  ausgeführten  Untersuchungen  uns  in  vielen 
Fällen  wertvolle  Anhaltspunkte  zur  Stellung  einer  Diagnose  liefern 
können,  die  Fälle  aber,  bei  welchen  wir  allein  aus  der  Mengen- 
bestimmung der  roten  und  weißen  Blutkörper  mit  anschließender 
Betrachtung  eines  panoptisch  gefärbten  Blutpräparates  ein  sicheres 
Urteil  über  die  Art  der  Erkrankung  uns  bilden  können,  sind  selten. 

Das  Arbeiten  auf  dem  Gebiete  der  Hämatologie  kann  nicht 
von  vornherein  mit  Erfolg  belohnt  sein  und  jeder,  der  daran  geht, 
durch  eigene  Arbeit  notwendige  allgemeine  Erfahrungen  zu  sammeln, 
die  nicht  in  einem  einzelnen  schönen  Falle  zu  gewinnen  sind,  wird 

Deutsches  Archiv  f.  klin.  Medizin.    LXXX.  Bd.  1 


2  I-     SCHLBIP 

finden,  daß  in  nicht  seltenen  Fällen  die  Untersuchungen  nur  ein 
negatives  Resultat  haben,  daß  es  vieler  Stunden  Arbeit  kostet,  bis 
sie  zweckmäßig  angewandt  bei  mancher  Erkrankung  ein  wertvolles 
Hilfsmittel  zur  Stellung  der  Diagnose  werden. 

Auf  dem  Gebiete  der  akuten  Infektionskrankheiten 
ist  die  Bedeutung  der  „polynukleären  Leukozytose"  zur 
Erkennung  einer  zentralen  Pneumonie  ebenso  bekannt  ge- 
worden, wie  die  diagnostisch  wertvolle  „Leukopenie"  beim 
Typhusabdominaiis;  das  einzigartige  Verhalten  der  Leukozyten- 
arten bei  letzterer  Erkrankung  ist  durch  die  schöne  Arbeit  von 
Nägeli  klargelegt  worden,  nachdem  Thayer  &cfaon  einige  Jahre 
früher  an  reichstem  Material  das  Verhalten  des  Blutes  beim 
Typhus  eingehend  beschrieben  hatte.  Wenig  bekannt  wurde  die 
interessante  Mitteilung  T.  R.  Brown 's,  der  1896  als  erster  bei 
Trichinosis  eine  hochgradige  Eosinophilie  beobachtete 
und  in  exakter  Bearbeitung  jenes  Falles  diese  Blutverän- 
derung als  spezifisch  für  die  Trichinosis  erkannte  und 
bewies. 

In  jener  Zeit  wurden  am  Johns  Hopkins-Hospital  in  Baltimore, 
wie  auch  an  anderen  Krankenhäusern,  bei  jedem  neu  eintretenden 
Patienten  systematisch  Blutuntersuchungen  angestellt  und  auf  Gru&d 
der  Resultate  Brown's  in  den  nächsten  Jahren  bei  verschiedenen 
Patienten,  bei  welchen  der  Gedanke  an  Trichinosis  zuerst  fern  lag, 
hochgradige  Eosinophilie  gefunden  und  durch  nachfolgende  Muskel- 
exzision  bewiesen,  daß  es  sich  in  allen  Fällen  wirklich  um  Tri- 
chinosis  handelte.  Diese  Arbeiten  von  Blum  er  und  Neu  mann, 
Cabot,  Mc.  Crae,  W.  W.  Kerr  und  anderen  führten  zu  der 
Überzeugung,  daß  die  Eosinophilie  ein  für  die  Trichinosis  charak- 
teristisches Symptom  von  diagnostisch  großer  Bedeutung  sei.  Gwyn 
veröflFentlichte  1899  in  einer  deutschen  Zeitschrift  seine  einzige 
Beobachtung  und  drückte  dabei  die  Erwartung  aus,  daß  in  Deutsch- 
land die  amerikanischen  Beobachtungen  endlich  Bestätigung  find^ 
möchten. 

Glücklicherweise  sind  Massenerkrankungen  an  Trichinosis  bei 
uns  in  Deutschland  eine  große  Seltenheit  geworden  und  so  dauerte 
es  einige  Jahre,  bis  der  Wunsch  dieses  amerikanischen  Forschers 
in  Erfüllung  gehen  konnte.  Bevor  mir  diese  Beobachtungen  be- 
kannt geworden  waren,  konnte  ich  auf  der  medizinischen  Klinik  in 
Freiburg  einen  Fall  von  Trichinosis  untersuchen,  bei  welchem 
auch  erst  durch  systematische  Blutuntersuchungen  die  richtige 
Diagnose  gestellt  wurde,  auf  Grund  der  Befunde  Th.  R.  Brown' s. 


Die  Homberget  TritUuoÜBepidemie  etc.  g 

J,  ]>.,  35  JAhre  »It,  HMrMk«tUkut>oh«r,  ei^Mnkte  »m  4.  Auguat 
IdOS  BBtor  Fieber  nod  «llgeiieiDeBi  Übetfaofipdea ;  am  aoder«n  T»ge 
trat  LidSdem  eiD,  das  am  7.,  dem  Tag  der  XafaAfain«  des  F.  ina 
Krank enbans ,  noch  in  mäßigem  Grade  bestoad.  Wegen  der  mäßig 
schwerea  Allgemeinerache inni) gen  mit  sehr  i}nb«Btimmten  Einzelsym- 
ptomen wurde  zuerst  an  Typhus  gedacht,  Eumal  die  Milz  eich  langsam 
TergrÖfiart«.  Am  15.  Augnat  bekam  iofa  GaleganlMit,  eine  Blutunter- 
ooebrag  rorfluaehm«»,  die  da«  überrasohende  Beeultat  ergab,  da£,  im 
Oegeaaata  aar  Ijeakopeai«  büm  Ty{»l)ui,  eine  betraehtliche  Lenko- 
Bytoae  vorlag,  Temraaokt  dureb  eine  hoehgradige  Vermehrrnng 
der  eosisophilan  Zelleu. 

IHe  Blntiteteide  waren,  wie  folgt: 


1,                      '■"■•»r.3?S-S=*"""'ife  s 

D«,.    z».    |,H.«?^'->-s-|, 

.  5,     i      1    Eogjiio-     \s  1  ^  g  i-. 

%l  f-g.g     Phue    ha.^^g 

S  i                               |S-g, 

1                 e.  )                               |j^  =x 

KSg-.j     1    ■■"iinaini^  ;^     ^ 

15.  vin.iUi'  a.  m'37,6  acc/^.öäaooou 

160IK1'J2  4 

0,4     112,2  44,5    T  VM  U,3     1300 

löhp.m, 

iS.               9ta  a.iD. 

'ff.T 

20800  38,3 

0,7     |ll,y|4il,-JI0-J:«l  U,l  ,   lötJO 

36,7 

18400  40,8,  o,a   iii,ij4:,i»  ss!Hi,„  ;  i^jii 

18- 

37,0 

ne00  41.Ö'    0.6     Il0.(ll47.7    «400  0.3      900 

21. 

36)4 

4856000  21I)U0|^.0'    i;9    |12;^  !47.l'L0130  |  „  )     „ 

a 

14900132,0 

2.2    |U,ä|5g.tf'  T4»|U,4      800 

Der  Hatm  Uagi«  in  der  zweiten  Erankheitswoehe  Aber  «ibestimmt« 
Hw^alat^aeraeD,  geringe  £opfaebmeraen  und  schlechten  Schlaf ;  das  mUige 
Fieber  saigte  bis  znm  18.  August  eineo  unregelmäßigen  Verlauf.  Sdion 
am  SO.  Auguat  war  der  Fatieat  ohne  Beschwerden  uad  wurde  am  33. 
auf  Wnaseh  enÜasaan.  Er  llcB  sieb  am  Tsige  der  Eotlaaaung  ein  Uoskal- 
atüekebea  «m  dem  liskeo  Deltoides  exaidieren.  In  dem  genügend  großen 
Präparat  fasden  äob  aber  keine  Triebioeu.  Yielleicbt  war  es  noob  an 
frfth  sa  einem  erfolgreiche  Ergebnis  der  MnskduBteriuohuag ;  die  Dia- 
gnose konnte  daher  nicht  mit  voller  Sidterheit  auf  Trichinosis  gest^t 
wwden. 

Leider  war  es  mir  nicht  möglich,  den  Patienten  zu  weiteren 
BlatuntcrsQcIiungen  zu  benutzen,  da  ei'  unserer  Beobaehttmg  ent- 
z<^;eQ  wnrde.  Eine  genügende  Untersuchung  dieses  mteressunten 
Fidles  hitte  wahrscheinlich  schon  damals  zu  weiteren  Ergebnissen 
gefährt. 

Eine  solche  vereinzelte  Beobachtung  konnte  die  diagnostische 
BedeDtnng  dieeer  s^tenen  Blutveränderung  niolit  genügend  stKtzMi 
und  80  benätzte  ich  die  1  Jahr  später  auftretende  Hornberger 
Epidemie  als  eine  selten  günstige  Gelegenheit,  die  mir  inzwischen 
durch  die  amerikanische  Literatur  bekannt  gewordene  Eoaino- 
plülie  auf  einer  breiteren  Basis  zu  nntersucben. 


4  I.    SCHLEIP 

Bevor  ich  auf  die,  an  einer  großen  Zahl  Erkrankter  ausgeführten 
Untersuchungen  eingehe,  halte  ich  es  für  nötig,  die  angewandte 
Technik  und  Methode  zu  schildern. 

Untersuchungstechnik. 

Das  Blut  entnahm  ich  ausnahmslos  dem  Ohrläppchen  durch  einen 
raschen  Schnitt  mit  dem  Skalpell  nach  vorheriger  Reinigung  mit  Äther. 
Diä  Fingerkuppe  ist  sensibler;  fortgesetzte  Einstiche  machen  sie  schmerz- 
haft und  beeinträchtigen  den  Gebrauch  des  Fingers.  Darum  '  erscheint 
mir  das  Ohrläppchen  geeigneter;  der  Einschnitt  wird  kaum  gespürt. 
Das  Blut  muß  von  selbst,  ohne  Druck  auf  das  umgebende  Gewebe  in 
langsamen  Tropfen  fließen;  der  erste  Tropfen  wird  nicht  benützt,  der 
folgende  mit  der  Unterseite  eines  Deckgläschens,  nahe  dessen  B^nd  ab- 
gehoben. Die  Kante  des  Deckgläschens  darf  keine  Rauhigkeiten  auf- 
weisen. Mit  der  linken  Hand  faßt  man  den  bereitliegenden,  absolut 
reinen  Objektträger  und  stellt  das  etwas  schräg  gehaltene  Deckgläschen 
mit  der  Kante  auf  die  Oberfläche  des  Objektträgers,  bis  der  Blutstropfen 
auch  an  diesem  haftet.  £r  läuft  von  selbst  oder  durch  eine  kurze  ent- 
sprechende Bewegung  mit  dem  Deckgläschen  entlang  dessen  Kante. 
Dann  erst  schiebt  man  das  immer  schräg  gehaltene  Deckgläschen  rasch 
und  gleichmäßig  auf  der  Objektträgeroberfläche  gegen  die  linke  Hand 
hin  und  zieht  so  den  Blutstropfen  hinter  sich  her.  Eine  Läsion  des 
Blutes  wird  dabei  vermieden ;  das  Blut  entfaltet  sich  gleichmäßig,  trocknet 
in  einer  Minute;  die  Blutkörperchen  liegen  am  Anfang  des  Präparats 
dicht,  in  der  Mitte  und  am  Ende  fast  in  gleich  großen  Abständen  von- 
einander ausgebreitet,  in  einer  Ausdehnung,  die  zur  Untersuchung  mehr 
wie  genügt.  Beim  Abheben  des  Blutstropfens  darf  dieser  nicht  breit- 
gedrückt, die  Haut  nicht  berührt  werden;  zwischen  Hervorquellen  des 
Blutstropfens  und  Antrocknen  des  Präparats  muß  die  Zeit  so  kurz  wie 
möglich  sein.  Je  kleiner  der  Blutstropfen,  desto  schöner  wird  das  Prä- 
parat. Zeigt  die  Kjinte  des  Deckgläschens  Rauhigkeiten,  so  endet  das 
Blutpräparat  in  Zacken;  die  größeren  Formen  der  Leukozyten  werden 
mitgerissen  und  liegen  in  Haufen  am  Ende  des  Präparats,  dadurch  wird 
eine  unregelmäßige  Verteilung  der  Leukozyten  bewirkt ;  derartige  Präpa- 
rate dürfen  nicht  zur  Verwertung  gelangen. 

Diese  Methode  ist  einfach  und  handlich ;  eine  nachherige  Einbettung 
des  Präparats  in  Kanadabalsam  nicht  nötig. 

Der  folgende  Blutstropfen  wird  in  den  Mischer  für  Leukozyten  auf- 
gesaugt bis  zur  Marke  1,0,  mit  ^g  7o  Essigsäurelösung  bis  zur  Marke 
10,0  verdünnt,  die  Mischung  sofort  ein  paar  Minuten  geschüttelt  und 
dann  zur  Zählung  verwandt.  Einen  absolut  trockenen  Mischer  erzielt 
man  durch  Aufsaugen  von  Wasser,  Alkohol  absolut,  und  Äther;  man 
verkürzt  die  Dauer  der  Reinigung  auf  ein  Drittel  der  Zeit,  wenn  man 
den  Ansatzschlauch  beim  Reinigen  auf  die  verkehrte  Seite  setzt;  das 
Aufsaugen  und  Abfließen  des  Wassers  usw.  geht  dann  viel  rascher. 
Der  Schlauch  wird  beim  Abfließen  der  Reinigungsflüssigkeit  jedesmal 
entfernt.  Ein  Luftgebläse  zum  endgültigen  Austrocknen  des  Mischers 
erzielt   man    rasch    und    einfach   durch   folgendes:  Den   ^ther   läßt   man 


Die  Hornberger  Trichinosisepidemie  etc.  5 

spontan  znerst  an  dem  kapillaren,  dann  am  anderen  Ende  des  Mischers 
auslaofen,  setzt  den  Schlanob  in  richtiger  Weise  an  und  a&Jigt  die  Luft 
dorch  den  Mischer. 

Das  Reinigen  der  Pipette  erfordert  auf  diese  Weise  nicht  mehr  wie 
1  Minute  Zeit;  wo  yiele  Zählungen  erforderlich  sind,  ein  nicht  zu  unter- 
schätzender Vorteil. 

Die  Genauigkeit  der  Zählresultate  hängt  nicht  nur  von  der  Ver- 
meidung aller  Fehlerquellen  ab,  sondern  auch  von  der  Wahl  der  Zähl- 
kammer. Für  unsere  Zwecke  kommt  ein  Apparat  in  Betracht,  der  es 
ermöglicht,  einen  großen  Bruchteil  der  im  Kubikmillimeter  enthaltenen 
Leukozyten  zu  bestimmen.  Ich  habe  zu  allen  Untersuchungen  die 
Z  a  p  p  e  r  t '  sehe  Kammer  benutzt,  welche  gestattet,  eine  5 — 9  mal  größere 
Menge  von  Leukozyten  zu  zählen,  als  mit  dem  T ho ma-Zeiß' sehen 
Apparat  möglich  ist. 

Wenn  möglich,  sollen  alle  Blutuntersuchungen  zu  einer  Tageszeit 
gemacht  werden,  bei  der  die  Einflüsse  ausgeschaltet  sind, 
die  auf  die  Menge  der  Leukozyten  eine  Wirkung  ausüben. 
Hier  sind  zu  nennen:  Bäder,  Medikamente,  Nahrungsaufnahme.  Es 
empfiehlt  sich  daher,  die  Bestimmungen  in  den  Morgenstunden  zu 
machen.  Lnmer  läßt  sich  dies  nicht  durchfuhren;  man  kann  die  Zeit 
der  Blutentnahme  nicht  beliebig  wählen,  wenn  es  darauf  ankommt,  in 
einem  bestimmten  Stadium  einer  Erkrankung  die  Zusammensetzung  des 
Blutes  zu  ermitteln,  wie  bei  Malaria,  Sepsis,  Asthma  bronchiale.  Es 
wird  in  diesen  Fällen  nicht  leicht  sein,  die  oben  erwähnten  Einflüsse 
richtig  zu  beurteilen ;  kann  man  doch  nicht  bei  jedem  Menschen  eine 
gleiche  Beaktion  erwarten.  Auch  bei  den  vorliegenden  Untersuchungen 
w^ar  ich  genötigt,  zu  jeder  Tageszeit  Blut  zu  entnehmen. 

Li  meinen  Untersuchungen  sind  die  Frozentverhältnisse  der  Leuko- 
zyten eingeführt,  obwohl  die  absoluten  Werte  in  manchen  Fällen  eine 
genauere  Vorstellung  davon  geben,  ob  die  eine  oder  andere  Zellform 
eine  Vermehrung  beziehungsweise  Verminderung  erfahren  hat.  Es  kann, 
wie  Ehrlich  betont,  die  Abnahme  des  Frozentgehaltes  der  Lympho- 
zyten bedingt  sein  durch  zwei  verschiedene  Ursachen;  1.  durch  eine 
verminderte  Produktion  dieser  Zellen,  2.  durch  einen  erhöhten  Import 
von  Neutrophilen,  der  naturgemäß  die  Zahl  der  Lymphozyten  herab- 
drückt. In  den  mir  bekannten  Lehrbüchern  der  Hämatologie  werden 
die  normalen  Zahlenverhältnisse  der  Leukocyten  in  Prozenten  angegeben 
und  nicht  in  absoluten  Werten.  Die  Beibehaltung  dieser  Art  der  An- 
gabe auch  für  manche  pathologischen  Verhältnisse  hat  den  Vorteil,  daß 
mit  einem  bekannten  Maßstab  gemessen  werden  kann. 

Die  Zahl  der  eosinophilen  Zellen  ist  auch  in  absoluten  Werten 
BsagegeheUf  ans  welchen  diejenigen  der  anderen  Zellformen  leicht  beur- 
teilt werden  können. 

Als  Färbungsflüssigkeit  habe  ich  die  von  Leishmann  angegebene 
Mischung  von  Methylenblau  und  Eosin,  eine  Modifikation  der  Roma- 
nowsky' sehen  Methode,  angewandt.  Leishmann's  Methode  gibt 
eine  panoptische  Färbung,  ist  so  leicht  anzuwenden,  bedarf  so  kurzer 
Zeit  und  wenig  Sorgfalt  bei  der  Anwendung,  daß  sie  verdient,  allen 
anderen  Methoden  vorgezogen  zu  werden. 


6  I.     BCHLlIF 


D«  sie  Boeh  bei  kemer  mir  bekaimten  bäoMitolegisohea  Arbeit  in 
Dentsehland  Anwendung  fand,  nag  sie  in  Kurse  mitgeteilt  werden. 

Auf  das  lufttrocken  gewordene  Präparat  werden  10  Tropfoi  Färb- 
Iteung  fallen  gelassen  und  snter  Hin-  und  Herwiegen  des  Präparates 
T«rteilt;  naoh  ^/^  Minute  fägt  man  die  doppelte  Heoge  Aqu.  dest.  binEtt, 
mischt  sorgfältig  durch  leichtes  Bewegen  des  Objektträgers  FsrMüMig* 
keii  und  Wasser.  Di^se  Misobung  bleibt  5  Mittutea  auf  dem  Präparat 
steben  und  wird  dann  mit  Aqu.  deet*  abgeepült. 

Es  ist  keinerlei  Filderang  notwendig,  als  diejenige,  die  während  der 
Fib'baiig  selbst  sostande  kommt.  TJbeif&rbung  bewirkt  oft  einen  ssn  roten 
oder  grünlicben  Ton  des  Erythrossyten.  In  dieeem  Falle  läßt  man  einige 
Tropfen  Aqu.  dest.  1  Minute  auf  dem  Präparat  stehen,  bis  das  Wasser 
eine  leioht  grttne  Farbe  angenommen  bai.  Darauf  spült  man  ab,  trocknet 
ohne  zu  erhitzen.  Durch  diesen  einfachen  Handgriff  werden  die  eren- 
ttteUen  Niederschläge  entfernt,  die  roten  Blutkörperchen  durchscheinender, 
die  Färbung  verstärkt. 

Die  ganze  Prozedur,  von  dem  Ausstreichen  des  Blutstropfens  an  bis 
zur  Betrachtung  des  fertigen  Präparates  dauert  nur  7 — 8  Minuten;  zur 
Färbung  bedarf  man  nur  einer  Parblösung  und  Aqu.  dest.  Mit  ge- 
wöhnlichem Wasser  lassen  sich  nach  meiner  Erfahrung  die  gleichen  Re- 
sultate erzielen. 

Der  Effekt  der  Färbung  ist  folgender: 

Die  Erythrozyten  sind  blaBrot,  halb  durchscheinend. 

Die  „neutrophilen  Leukozyten**  zeigen  farbloses  oder  hell- 
rosa  gefärbtes  Protoplasma,  in  welchem  feine  neutrophil- eosinophile  Gra- 
nula scharf  erkennbar  sind ;  der  Kern  ist  tief  rubinrot,  gegen  das  Proto« 
plasma  gut  abgegrenzt. 

Die  Lymphozyten  haben  einen  dunkelrot  bis  blau  gefärbten 
Kern,  ihr  Protoplasma  ist  nilblau,  bei  den  kleinen  Lymphozyten  oft  blau ; 
viele  Formen  sind  durchsetzt  mit  feinen  oder  gröberen  Körnchen  in  ver- 
schiedener Zahl,  von  azidophiler  Eigenschaft.  Diese  bei  Gesunden  und 
Kranken  vorkommenden  Körnchen  haben  einen  anderen  Charakter  wie 
die  neutrophilen  und  eosinophilen  Granulationen.  1  Jahr  später  sind  sie 
auch  von  Michaelis  und  Wolff  bei  Anwendung  ihres  „Azurblau^ 
gefunden  worden. 

Mononukleäre  haben  einen  etwas  helleren  Kern. 

Die  TJbergangsformen  weisen  auch  jene  in  den  Lymphozyten 
vorhandenen  Körnchen  auf,  deren  Färbung  etwas  dunkler  ist. 

Die  eosinophilen  Zellen  haben  ^inen  rubinroten  Kern;  die 
Granula  sind  leuchtend  blaßrot. 

Die  basophilen  Zellen  zeigen  ein  farbloses  Protoplasma,  über- 
spannt von  einem  regellosen  Netz  feiner  roten  Fäden,  in  deren  Elrsu- 
zungspunkte  dunkelrot-braunrote  Granula  von  verschiedener  Größe  liegen ; 
sie  verdecken  manchmal  den  tiefrot  geerbten  Kern,  der  gewöhnlich  sehr 
unscharf  begrenzt,  eine  dreigelappte  Form  besitzt. 

Die  Blutplättchen  färben  sich  außerordentlich  distinkt,  ibr 
^Kem**  ist  dunkelrot  mit  zackigem  Blande,  umgeben  von  einem  blaß«- 
roten  oder  blaßblauen  Hof  verschiedener  Größe. 


Die  Hornberger  Tricfainosisepidemie  etc.  7 

Die  i%rbiuig  eignet  aich  aoBgaseichnet  snr  Darstelluiig  der  Ofaromatiii- 
svbstanz  der  Malaria|>l<uni  odiep,     Sie  ist  wirklieh  panoptisch. 

Die  Hornberger  Epidemie. 

In  der  Zeit  vom  19.-— 26.  August  1903  erkrankten  inHomberg, 
Rei^.-Bez.  Cassel,  und  Umgebung,  insbesondere  in  dem  benachbarten 
Dorf  Holzhaus en  ungafähr  130  Personen  an  Erscheinungen,  die 
auerst  von  Dr.  Reinhard,  der  infolge  seiner  Eigenschaft  als 
Kassenarzt  der  Eisengießerei  Holzhausen  eine  größere  Zahl  von 
Erkrankungen  auf  einmal  beobachten  konnte,  auf  Trichinosis  zurück- 
geführt wurden.  Nachdem  auch  in  der  Stadt  eine  Massenerkrankung 
eintrat,  welche  nur  Personen  betraf,  welche  Fleisch  von  zwei  be^ 
stimmten  Metzgern  bezogen  hatten,  nahm  die  Überzeugung  über^ 
band,  daß  hier  eine  epidemische  Erkrankung  vorliege,  welche  auf 
einen  Ausgangspunkt  zuräckzuführen  sei. 

Ende  August  wurden  2  Patienten  nach  der  Marburger  Uni- 
versit&tspoliklinik  geschickt  und  nach  4  tägiger  Beobachtung  äußerte 
sich  Prof.  Romberg,  wie  mir  bekannt  wurde,  dahin,  daß  unzweifel- 
baft  Trichinosis  vorläge.  Trichinen  wurden  jedoch  in  den  Darm- 
entleerungen nicht  gefanden  und  Muskelexzisionen  konnten  nicht 
gemacht  werden,  da  die  Patienten  sich  entschieden  weigerten.  Ein 
sicherer  Beweis  für  die  Diagnose  „Trichinosis"  wurde  daher  nicht 
gebracht. 

Dieser  Umstand  hatte  auch  die  Folge,  daß  die  Hornberger  in 
zwei  feindliche  Lager  gespalten  blieben ;  auf  der  einen  Seite  standen 
die  in  Verdacht  gekommenen  Metzger  und  ihr  großer  Anhang,  auf 
der  anderen  die  an  ihrer  Gesundheit  geschädigten  Patienten.  Durch 
den  stärker  werdenden  Zweifel  über  die  Art  der  Erkrankung  unter- 
stützt, verbreiteten  die  Metzger  mit  Erfolg  die  Ansicht,  es  handle 
sich  gar  nicht  um  Trichinose,  sondern  um  Schweinerotlauf.  Zeit* 
weise  sprach  man  von  Schweinepest  und  sogar  von  Malaria.  Auch 
das  Eingreifen  der  Behörden  am  25.  August  führte  zu  keiner 
Klärung  dieser  Verhältnisse ;  der  Nachweis,  daß  Trichinosis  vorlag, 
wurde  unmöglich,  denn  auffallenderweise  waren  an  dem  Tage,  an 
welchem  der  Bürgermeister  das  noch  übrige  Fleisch  konfiszieren 
wollte,  beide  Metzgerläden  wie  ausgefegt,  es  war  buchstäblich  kein 
Wurstzipfel  mehr  aufzutreiben. 

Durch  ein  Zeitungstelegramm  erfuhr  ich  zufällig  in  Freiburg  i.  Br. 
am  9.  September  von  dieser  Epidemie  und  fuhr  am  gleichen  Tage 
Haeh  Homberg.  Dort  waren  noch  ungeföhr  100  Personen  krank, 
26—  30  bettlägerig,  die  anderen  in  der  Rekonvaleszenz,  teils  schon 


8  I.   Schleif 

wieder  arbeitend,  aber  noch  mit  leichten  Krankheitserscheinungen. 
Die  von  mir  angestellten  Untersuchungen  ergaben,  daß  alle  Er- 
krankungen zurückzuführen  waren  auf  den  Genuß  von  Schweine- 
fleisch, rohem  Hack  oder  Kochwürsten,  welche  von  zwei  Metzgern  in 
Homberg  zwischen  19.  und  26.  August  bezogen  worden  waren.  In  dem 
Fabrikdorf  Holzhausen  infizierten  sich  fast  alle  Kranken  am  19.  oder 
am  22.,  da  den  Arbeitern  von  einem  Zwischenhändler  jeden  Mitt- 
woch oder  Samstag  rohes  Hack  geliefert  wird,  welches  von  den 
beiden  Metzgern,  die  gemeinsam  schlachten,  stammt.  Alle  Er- 
krankungen, die  in  der  weiteren  Umgebung  Hombergs  sporadisch 
auftraten,  konnten  dadurch  erklärt  werden,  daß  die  Betreflfenden  in 
jenen  Tagen  in  der  Wirtschaft  der  Metzger  rohes  Hack  verzehrt 
oder  mit  nach  Hause  genommen  hatten;  in  letzterem  Falle  erkrankten 
regelmäßig  auch  die  Familienmitglieder. 

Die  beiden  Metzger  schlachteten  gemeinschaftlich  am  17.  und 
19.  nachmittags  je  ein  Schwein.  Da  Leute  erkrankt  sind,  welche 
nur  einmalig  rohes  Hack  gegessen  haben,  welches  am  19.  morgens 
zum  Verkauf  gelangte,  so  war  das  am  17.  August  geschlachtete 
Schwein  mit  großer  \\  ahrscheinlichkeit  die  Ursache  der  Erkrankung. 

Es  soll,  wie  viele  Kranke  angaben,  im  rohen  Hack  zweierlei 
Fleisch  leicht  zu  erkennen  gewesen  sein;  das  eine  rot,  das  andere 
blaß.  Es  läßt  dies  den  Schluß  zu,  daß  das  Fleisch  von  zwei 
Schweinen  gemischt  worden  ist.  Diejenigen,  die  leicht  erkrankt 
sind,  haben  eine  Mischung  genossen,  die  mehr  gutes  als  trichinöses 
Fleisch  enthielt,  die  Schwerkranken  haben  Hack  gegessen,  welches 
großenteils  aus  trichinösem  Fleisch  bestand.  Diese  Annahme  er- 
klärt auch,  warum  Leute  schwer  erkrankt  sind,  die  nur  eine  Messer- 
spitze voll  Hack  gegessen  haben. 

Der  Nachweis,  daß  es  sich  bei  dieser  Epidemie  um  Trichinosis 
handelte,  wurde  dadurch  gebracht,  daß  ich  bei  3  Patienten 
Muskelstückchen  aus  dem  ßiceps  exzidierte  und  in  allen  3  Fällen 
Trichinen  fand.  Ich  habe  absichtlich  jedermann  diese  Muskel- 
trichinen sehen  lassen.  Durch  diese  Feststellung  verlor  die  Partei, 
welche  die  Epidemie  auf  Botlauf  zurückführte,  allen  Boden;  ein 
paar  Wochen  später  trat  jedoch  das  interessante  Gerücht  auf,  ich 
hätte  die  Trichinenpräparate  mitgebracht. 

Unter  dieser  Epidemie  hatten  besonders  die  zahlreich  erkrankten 
Arbeiter  der  Eisengießerei  in  Holzhausen  zu  leiden,  obgleich  der 
in  Betracht  kommende  Arzt,  Dr.  R  e  i  n  h  a  r  d ,  aufopfernd  tätig  war 
und  insbesondere  nicht  versäumte,  die  ihm  vorgesetzte  Behörde 
rechtzeitig  in  Kenntnis  zu   setzen;   allein  es  scheint,  daß  die  An- 


Die  Hornberger  Trichinosisepidemie  etc.  9 

sichten  über  die  Natui'  der  Erkrankung  zu  lange  auseinander- 
gingen, wodurch  in  verschiedener  Hinsicht  kostbare  Zeit  verloren 
wurde.  Die  mangelnde  Pflege  hatte  zur  Folge,  daß  viele  fiebernde 
Patienten  außer  Bett  blieben,  in  noch  elendem  Zustande  ihre  schwere 
Arbeit  in  der  Eisengießerei  wieder  aufnahmen.  Ich  sah  selbst,  wie 
Arbeiter  nur  mühsam  herumschwankten  und  sich  aus  Schwäche  nach 
einigen  Stunden  wieder  ins  Bett  legen  mußten.  Die  erlittene  finan- 
zielle Schädigung  trieb  sie,  trotz  ärztlichen  Abratens  wieder  in  die 
Hütte,  zumal  ihnen  täglich  klarer  wurde,  daß  sie  für  den  erlittenen 
Verlust  niemand  haftbar  machen  konnten.  An  städtisches  und  groß- 
städtisches Krankenmaterial  gewöhnt,  fiel  mir  das  Verhalten  der 
von  der  Welt  etwas  abgeschlossenen  Fabrikbevölkerung  dadurch 
nicht  wenig  auf,  daß  keinerlei  Neigung  bestand,  den  erlittenen 
Schaden  in  übertriebener  Weise  darzustellen  oder  mit  allen  Mitteln 
Schadenersatz  zu  erlangen.  Bei  den  oft  wiederholten  Blutunter- 
suchungen habe  ich  keine  verständnisvolleren  Patienten  gefunden, 
wie  diese  Arbeiter,  im  Gegensatz  zu  einem  großen  Teil  der  Hom- 
berger,  bei  denen  oft  alle  Mühe,  einen  Blutstropfen  zu  erlangen, 
vergeblich  war  und  ich  einige  Male  gerade  noch  rechtzeitig  den 
Rückzug  antreten  mußte,  um  eine  unangenehme  Lage  zu  vermeiden. 

Die  Untersuchungen  wurden  mir  durch  großes  Entgegenkommen 
von  Dr.  Haas  und  Dr.  Reinhard  in  Homberg  sehr  erleichtert, 
insbesondere  erwies  mir  der  letztere  ein  stets  gleichbleibendes 
Interesse  und  manche  wertvolle  Hilfe,  wofür  ich  seiner  mit  auf- 
richtigem Danke  gedenke. 

Der  Verlauf  der  Epidemie  zeigte,  daß  es  sich  im  allgemeinen 
um  eine  leichte  Infektion  handelte,  die  Zahl  der  schweren  Er- 
krankungen betrug  nur  ca.  30,  auch  ist  ein  Todesfall  nicht  vor- 
gekommen. Die  Sterblichkeit  betrug  bei  früheren  Epidemien  bis 
zu  30%. 

Als  leichte  Erkrankungen  sind  jene  Fälle  aufzufassen, 
bei  welchen  die  Patienten  nicht  oder  nur  wenige  Tage  ßettlägerig 
wurden;  bei  den  mittelschweren  Fällen  herrschte  unregel- 
mäßiges Fieber,  oft  mit  Schüttelfrost  verbunden  längere  Zeit,  als 
schwere  Formen  kommen  alle  jene  Erkrankungen  in  Betracht,  bei 
welchen  mit  langdauernden  ausgeprägten  Krankheitserscheinungen 
Sclilaflosigkeit  und  große  Unruhe  verbunden  waren,  so  daß  die 
Patienten  oft  den  Eindruck  machten,  als  überwältige  sie  eine 
schwere  Infektion.  Bei  manchen  von  diesen  Fällen  konnte  in  der 
3.  und  4.  Woche  die  Prognose  nicht  als  günstig  bezeichnet  werden. 

Die  Inkubationszeit  war  durchweg  eine  kurze;  unter  60  Pa- 


10  I.  ScHunp 

tienten  erkrankten  15  am  Tage  nach  der  Infektion,  alle  anderen  bis 
auf  4  zwischen  dem  ä.  und  6.  Tag ;  die  späteste  Erkrankung  wurde 
am  11.  Tag  beobachtet.  Die  klinischen  &ankheit8qrmptome  zeigten 
bei  dieser  Epidemie  kein  von  den  bisherigen  Beobachtungen  ab- 
weichendes Verbalten.  Einige  Male  traten  sofort  nach  Oennß  des 
Fleisches  intensive  Verdaunngsstörongen  ein;  das  nach  Friedr eicb 
auf  Intoxikation  beruhende,  früher  so  rätselhafte  Lidödem  wurde 
in  den  meisten  Fällen  beobachtet;  seine  Stärke  war  unabhängig 
von  der  Schwere  der  Erkrankung;  in  einem  schwer  verlaufenden 
Falle  trat  es  nicht  ein,  in  einem  ähnlichen  war  nur  leichtes  Knöchel- 
ödem vorhanden.  Dadurch,  daß  ich  die  Epidemie  erst  vom  Anfang 
der  3.  Woche  an  beobachten  konnte,  entging  mir  die  Möglich- 
keit, über  die  Krankheitss]rmptome  einen  vollen  Überblick  zu  er- 
langen. 

Im  folgenden  möchte  ich  auf  das  Verhalten  der  Milz  auf- 
merksam machen,  über  die  in  den  Lehrbüchern  berichtet  wird,  daß 
sie  nicht  oder  nur  selten  vergrößert  gefunden  werde.  Von  46  wieder- 
holt daraufhin  untersuchten  Patienten  zeigten  38  eine  deutliche 
Milzvergrößerung;  Maße  von  12:9,  lOV«:?^«,  14:8  cm  waren 
nicht  selten ;  am  Ende  der  Rekonvaleszenz  war  die  Milzschwellung 
zur  Norm  zurückgegangen.  Alle  Maße  wurden  in  aufrechter 
Haltung  genommen,  bei  vielen  Patienten  in  der  Diagonallage  kon- 
trolliert. 

Ich  betone  diese  Ergebnisse  ausdrücklich,  weil  das  Fehlen 
eines  Milztumors  bei  Trichinosis  dififerentialdiagnostisch  gegen 
Typhus  sehr  verwertet  wird.  Zwei  Fälle,  die  in  früheren  Jahren 
auf  der  Freiburger  medizinischen  Klinik  behandelt  wurden,  zeigten, 
wie  die  letzte  Erkrankung  ebenfalls,  eine  deutliche  Milzvergrößerung. 
Infolge  dieser,  bei  der  Homberger  Epidemie  in  beweisenden  Zahlen 
erhobenen  Befunde  schwindet  die  differentialdiagnostische  Bedeutung 
der  Milzschwellnng,  wenn  sie  auch  selten  die  Vergrößerung  wie 
beim  Typhus  erreicht  und  die  Aufdeckung  eines  neuen,  sicheren 
Krankheitssymptomes  gewinnt  dadurch  noch  an  Wert 

Das  Blut. 

Die  hämatologischen  Untersuchungen  erstreckten  sich  ins- 
besondere auf  die  Bestimmung  des  Mengenverhältnisses  der  ein- 
zelnen Leukozytenarten  während  des  Krankheitsverlaufes.  Die 
Zählung  der  Erythrozyten  und  die  Feststellung  des  Hb.-Gehaltes 
wurden  nur  in  einigen  Fällen  vorgenommen,  nachdem  die  anfäng- 
lich systematischen  Untersuchungen  in   dieser  Sichtung  ergeben 


Die  Hornberger  Tnehinosisepidemie  etc  H 

hatten,   daß  eine  erhebliche  Veränderung  dieser  Blutbestandteüe 
nicht  vorhanden  war. 

Die  Bestimmung  der  Blutplättchen  geschah  nach  Schätzung  iu 
den  Trockenpr&paraten,  wobei  n  normale  Werte  und  ++++  die 
stärkste  Verm^rung  bezeichnen  soll. 

Die  Blntbefunde  sind  auf  den  umstehenden  Seiten  mitge- 
tettt. 

Die  Beobachtungen  über  das  Verhalten  der  einzelnen  Blut- 
bestandteile führen  zu  folgenden  Ergebnissen: 

Erythrozyten.  Zählungen  wurden  vorgenommen,  bei  5  schweren, 
2  mittelschweren  und  3  leichten  Erkrankungen  und  ergaben,  daß  in 
den  leichteren  Fällen  die  Anzahl  der  Erythrozyten  im  £ubikmilli- 
meter  nicht  oder  nur  wenig  vom  Normalen  abweicht;  auch  bei 
schweren  Erkrankungen  ist  nur  eine  mäßige  Verminderung  vor- 
handen. Im  Veiigleich  zu  anderen  langdauemden  fieberhaften  Er- 
krankungen, bei  welchen  nicht  ein  direktes  Blutgift  vorhanden  ist, 
scheinen  demnach  die  Stoffwechselprodukte  der  Trichine  keine  Zer- 
störung der  Erythrozyten  zu  bewirken. 

Stransky  zählte  nach  5 wöchentlicher  Krankheitsdauer  3440000, 
6  Wochen  später  bei  der  Entlassung  der  Patientin  4200000  E. 
Brown 's  Beftande  waren  im  I.  Fall  4232000—4900000,  im  IL 
5000000  und  im  III.  4300000—4700000,  wie  aus  den  Mitteilungen 
von  T  h  a  y  e  r  hervorgeht.  C  a  b  o  t  beobachtete  bei  seinen  4  Fällen 
von  Trichinosis  4712000,  4900000,  5120000  und  5728000;  er  macht 
keine  Angaben  über  die  Schwere  der  Erkrankungen,  doch  waren  in 
allen  Fällen  erhebliche  Leukozytose  und  ausgesprochene  Eosinophilie 
vorhanden.  Es  waren  also  auch  in  diesen,  z.  T.  schwer  verlaufenden 
Fällen  die  Erscheinungen  der  sekundären  Anämie  nicht  erheblich 
ausgebildet. 

Entsprechend  diesen  Befunden  waren  auch  Größen-  und 
Gestaltsveränderungen  der  Erythrozyten  sehr  selten; 
im  Deckglassplitterpräparat  habe  ich  nur  iu  einem  einzigen  Falle 
spärliche  Poikilozytose  nachweisen  können.  Dieses  Verhalten  der 
Erythrozyten  soll  besonders  betont  werden,  weil  im  Beginn  der 
Rekonvaleszenz  und  während  dieser  die  Blutplättchen  eine  gewaltige 
Vermehrung  erfahren. 

nutpUttcheik  Sie  verhalten  sich  auf  der  Höhe  der  Er- 
krankung normal,  nur  bei  wenigen  Patienten  wurden  sie  vermehrt 
gefunden,  insbesondere  bei  einem  jungen  Manne,  der  durch  Kalomel- 
gebrauch  eine  starke  Stomatitis  sich  zugezogen  hatte.    Mit  dem 


12 


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Die  Hornberger  Trichinosisepidemie  etc.  17 

Nachlassen  der  akuten  Erscheinungen  nehmen  die 
Blutplättchen  beträchtlich  zu  und  sind  während  und  nach 
der  Eekonvaleszenz  oft  so  ungeheuer  vermehrt,  daß  das  Blut  von 
ihnen  geradezu  überschwemmt  erscheint.  Die  Vermehrung  erreicht 
vielfach  höhere  Grade,  als  ich  sie  in  vielen  Fällen  von  Karzinom, 
Eiterungen  und  (-hlorose  gesehen  habe.  Die  Stärke  der  Vermeh- 
rung ist  nicht  abhängig  von  bestimmten  klinischen  Symptomen ;  sie 
findet  sich  dann,  wenn  die  pathologischen  Veränderungen  des  Blutes, 
Leukozytose  und  Eosinophilie,  anfangen  zu  verschwinden.  Die 
Blutplättchen  liegen  nicht  in  Haufen,  sondern  fast  gleichmäßig 
über  das  Präparat  verstreut,  einzeln  oder  in  Gruppen  von  3 — 10. 
Sie  färben  sich  distinkt,  aber  ein  irgendwie  besonderes  Aussehen 
bieten  sie  nicht.  In  einem  Präparat  liegt  neben  anderen  ein  ziem- 
lich großes,  wohlcharakterisiertes  Blutplättchen,  welches  4  unzweifel- 
hafte eosinophile  Granula  enthält.  Trotz  darauf  gerichteter  be- 
sonderer Beobachtung  blieb  dieser  Befund  ein  Unikum. 

Diese  auffallende  und  regelmäßig  vorhandene  Vermehrung 
scheint  geeignet,  der  Frage  nach  der  Herkunft  dieser  Blutbestand- 
teile neues  Material  zu  liefern.  Bei  dem  Fehlen  aller  Degenerations- 
erscheinungen der  Erythrozyten  fällt  es  schwer,  die  so  massenhaft 
auftretenden  Blutplättchen  als  Produkte  der  Erythrozyten  zu  er- 
klären, vielmehr  erscheint  es  logisch,  die  Vermehrung  in  einen 
Zusammenhang  zu  bringen  mit  der  gleichzeitigen  Abnahme  der 
Leukozytose  und  der  eosinophilen  Zellen.  Man  wird  daher  in  diesem 
Falle  daran  denken  müssen,  ob  nicht  die  Blutplättchen  Zerfalls- 
produkte w^eißer  Blutkörperchen  sind.  Da  nur  eine  Abnahme  der 
Eosinophilen  stattfindet,  so  wären  die  in  größter  Menge  auf- 
tretenden Gebilde  als  Reste  der  in  großer  Zahl  zugrunde  gehenden 
Eosinophilen  aufzufassen.  Aus  dem  Fehlen  aller  Degenerations- 
formen dieser  Zellen  im  peripheren  Blut  muß  man  annehmen,  daß 
der  Zerfall  nicht  in  der  Blutbahn,  sondern  irgendwo  anders  vor 
sich  geht. 

Es  ist  mir  wohl  bewußt,  daß  diese  Auffassung  im  Widerspruch 
steht  mit  den  Ansichten  von  Löwit,  Arnold  und  Ziegler  über 
die  Genese  der  Blutplättchen,  ganz  abgesehen  von  der  Bedeutung, 
die  Hayem  diesen  Gebilden  zuschreibt.  Auf  Grund  der  vor- 
liegenden Befunde  widerspricht  es  jedoch  der  klinischen  Auffassung, 
diese  Blutplättchen  als  Produkte  der  roten  Blutkörperchen  aufzu- 
fassen, die  gar  keine  Degenerationserscheinungen  zeigen. 

Hämoglobin.  Die  gering  ausgeprägten  Symptome  der  sekun- 
dären Anämie  finden  auch  ihren  Ausdruck  durch  die  nur  w^enig 

nftutsr.hftn  Archiv  f.  klin.  Medizin.    LXXX.  Bd.  2 


18  I.  Schleif 

herabgesetzten  Hb.- Weite.  Bei  der  Beurteilung  des  Verhaltens  der 
Erythrozyten  und  des  Hämoglobins  darf  man  nicht  vergessen,  daß 
schwere  Erkrankungen  nicht  häufig  waren.  Bei  einer  Zusammen- 
stellung aller  schweren  Fälle  werden  auch  die  Symptome  der  Anämie 
regelmäßiger  vorhanden  sein. 

Leukozytose.  Stransky  berichtete  aus  der  v.  Jaksch- 
sehen  Klinik  in  Prag  über  einen  Fall  von  Trichinosis,  bei  dem 
während  der  Erkrankung  16400,  nach  Ablauf  aller  Erscheinungen 
6000  L.  gezählt  wurden.  Auch  die  amerikanischen  Autoren  haben 
regelmäßig  Leukozytose  gefunden,  z.  T.  recht  hohe  Werte,  zwischen 
20-35000. 

Unter  16  leichten  Fällen  der  Hornberger  Epidemie  zeigen 
9  Zahlen  über  10000,  unter  29  mittelschweren  Fällen  25  über 
10000  und  unter  11  schweren  Erkrankungen  sind  9,  bei  denen 
zwischen  10—20000  Leukozyten  vorhanden  sind.  Schwere  Krank- 
heitsfalle sind  demnach  in  einem  großen  Prozentsatz  von  einer 
stärkeren  Leukozytose  begleitet,  als  leichtere  Erkrankungen. 

Die  Leukozytose  ist  aber  nicht  ein  charakteristisches  Merkmal 
für  die  Trichinose;  bei  einer  ganzen  Reihe  von  Erkrankungen  stieg 
die  Gesamtzahl  der  Leukozyten  nicht  über  10000,  bei  4  Fällen 
blieb  sie  sogar  unter  6500,  trotzdem  bei  allen  Kranken  die  klini- 
schen Erscheinungen  wohl  ausgeprägt,  z.  T.  erhebliche  Myositis 
und  dauernd  Durchfälle  vorhanden  waren,  von  denen  man  nach 
den  bisherigen  Erfahrungen  Leukozytose  erwarten  sollte;  es  kann 
daher  die  weniger  ausgeprägte  Leukozytose  oder  das  Fehlen  der- 
selben nicht  von  bestimmten  Erscheinungen  abhängig  gemacht 
werden. 

Es  ist  demnach  unmöglich,  den  Grad  der  Leukozytose  als  einen 
sicheren  Indikator  für  die  Schwere  der  Erkrankung  zu  betrachten, 
wenn  schon  nicht  übersehen  werden  darf,  daß  im  allgemeinen 
schwerere  Fälle  eine  stärkere  Leukozytose  haben,  als  leichte  Er- 
krankungen.  Die  diagnostische  Bedeutung  der  Leukozytose  ist 
daher  für  die  Erkennung  der  Trichinose  nicht  groß,  doch  kann  sie 
gegenüber  der  Erkrankung  von  großem  Werte  sein,  die  mit  der 
Trichinose  am  leichtesten  verwechselt  werden  kann,  bei  welcher 
aber  regelmäßig  eine  Leukopenie  besteht,  dem  Abdominaltyphus. 

Eine  wiederholt  ausgeführte  Leukozytenzählung  wird  hier  in 
vielen  Fällen  dilFerentialdiagnostisch  recht  wertvoll  sein,  aber  ein 
absolut  zuverlässiges  Hilfsmittel  ist  sie  nach  dem  Vorhergesagten 
nicht. 


Die  Hornberger  Trichinosisepidemie  etc.  IQ 

Ein  sicheres  diagnostisches  Moment  ist  aber  in  der 
Vermehrnng  der  eosinophilen  Zellen  gegeben,  auf  deren 
Verhalten  ich  jetzt  zu  sprechen  komme. 

Eosinophile  ZelleB.  Unter  62  erkrankten  Personen,  Männern. 
Frauen  und  Kindern,  weist  das  Blut  eine  beträchtliche  Eosinophilie 
auf,  die  bei  verschiedenen  Kranken  verschieden  stark  ausgeprägt 
ist.  Das  Blut  von  zwei  weiteren  Kranken  zeigt  die  bei  den  übrigen 
vorhandenen  Veränderungen  nicht.  Der  eine  Patient  ist  ein  Potator 
dessen  Angaben  unglaubwürdig  erscheinen,  im  anderen  Falle  handelt 
es  sich  um  eine  Hysterica,  die  wohl  erkrankt  war,  aber  nach 
meiner  Überzeugung  nicht  an  Trichinosis.  Daß  diese  zwei  Per- 
sonen, in  deren  Blut  die  charakteristischen  Veränderungen  fehlten, 
auch  an  Trichinosis  erkrankt  sein  wollen,  ist  meines  Erachtens 
zurückzuführen  auf  die  erfahrungsgemäjß  bei  Epidemien  zutage 
tretende  Erscheinung,  daß  zuweilen  Personen,  welche  nicht  an  der 
epidemischen  Krankheit  leiden,  auch  die  f&r  die  herrschende  Epi- 
demie charakteristischen  Erscheinungen  an  sich  verspüren  wollen. 

Bei  den  leichteren  Erkrankungen  erreichen  die  Eosinophilen 
im  allgemeinen  keine  so  hohen  Werte  wie  bei  den  schweren  Fällen, 
doch  ist  es  nicht  möglich,  hier  eine  scharfe  Grenze  zu  ziehen.  Ver- 
einzelte leichte  Erkrankungen  zeigen  eine  starke  Ek)sinophilie,  wäh- 
rend umgekehrt  ein  schwer  verlaufender  Fall  bei  einer  Gesamt- 
leukozytenzahl von  5800  nur  3,2-5,9%  E.  (abs.  280—560)  auf- 
wies (Fall  56).  Diese  Beobachtung  steht  zwar  vereinzelt  da,  aber 
unter  den  mittelschweren  Fällen  sind  ebenfalls  einige,  bei  denen 
das  klinische  Krankheitsbild  ganz  andere  Werte  erwarten  läßt. 

Das  Vorhandensein  oder  das  Fehlen  von  bestimmten  Krank- 
heitssymptomen ist  von  keinem  Einfluß  auf  die  Größe  der  Eosino- 
philie. Berücksichtigt  man  aber,  daß  bei  16  leichten  Erkrankungen 
nur  5  Werte  über  20  "/„  aufweisen,  während  es  unter  44  schwereren 
Fällen  deren  30  sind,  so  ist  es  unverkennbar,  daß  schwerere  Er- 
krankungen durch  eine  stärkere  Eosinophilie  ausgezeichnet  sind. 

Die  Schwere  der  Erkrankung  ist  wohl  sicher  abhängig  von 
dem  Grade  der  Infektion  und  ich  neigte  nach  den  Befunden  aus 
den  Muskelstücken  dahin,  den  Grad  der  Eosinophilie  in  ein  gewisses 
Abhängigkeitsverhältnis  zu  bringen  mit  der  Anzahl  der  im  Muskel 
vorhandenen  Trichinen.  Der  Patient  mit  den  sehr  reichlichen  Tri- 
chinen im  Biceps  hatte  5030  E.,  die  beiden  anderen  mit  den  spär- 
lich vertretenen  Parasiten  nur  3150  bzw.  1600. 

Eine  solche  Theorie  ist  aber  hinfallig,  denn  es  ist  bekannt, 
daß  die  Trichinen  nicht  gleichmäßig  in  den  Muskeln  verteilt  sind. 


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20  I-    SCHLEIP 

sondern  oft  in  Nestern  sitzen,  so  daß  man  in  einem  Stück  sehr 
viele,  in  einem  anderen  wenig  haben  kann.  Gegen  diese  Theorie 
spricht  ferner  der  Umstand,  daß  alle  3  Fälle  gleich  schwer  ver- 
liefen. Wir  können  demnach  uns  noch  kein  sicheres  Urteil  darüber 
bilden,  wodurch  der  Grad  der  Eosinophilie  bedingt  wird,  da  die 
Zahl  der  im  Körper  vorhandenen  Parasiten  beim  Lebenden  nicht 
gut  bestimmt  werden  kann. 

Es  war  mir  leider  nicht  vergönnt,  die  Epidemie  auch  im  An- 
fangsstadium zu  beobachten:  es  wäre  von  außerordentlicher  Be- 
deutung, wenn  der  vollgültige  Nachweis  gebracht  werden  könnte, 
daß  die  Vermehrung  der  Eosinophilen  schon  in  den  ersten  Krank- 
heitstagen vorhanden  ist. 

Die  frühesten  Beobachtungen  bei  dieser  Epidemie  fallen  auf 
den  14.  und  15.  Krankheitstag,  an  welchen  schon  eine  Eosinophilie 
zwischen  40 — 50  ^/o  besteht;  der  Freiburger  Fall*  hatte  am  10.  Krank- 
heitstag 44,5%  E.  (abs.  7120);  das  ist  die  früheste  Beobachtung, 
die  bisher  über  das  Auftreten  dieser  Blutveränderung  gemacht 
werden  konnte;  die  in  Amerika  beschriebenen  Fälle  kamen  erst 
nach  dem  14.  Tag  in  Behandlung. 

Ist  am  10.  Tag  schon  eine  Eosinophilie  von  44,5  %  vorhanden, 
am  gleichen  Tag  abends  49,2%  (abs.  10230),  so  können  wir  an- 
nehmen, daß  auch  schon  einige  Tage  früher  die  Vermehrung  be- 
gonnen hat.  Überlegen  wir  ferner,  daß  die  Krankheitserscheinungen 
nach  der  1.  A^'oche  sich  nicht  mehr  erheblich  ändern,  so  liegt  kein 
Grund  vor,  die  Eosinophilie  von  dem  Auftreten  eines  einzelnen 
klinischen  Symptoms  abhängig  zu  machen,  zumal  wenn  wii'  in 
Betracht  ziehen,  daß  auch  bei  Helminthen,  die  den  Darmkanal  nicht 
verlassen,  nicht  in  den  Körper  eindringen,  wie  Taenia,  Anchylo- 
stomum,  diese  Blutveränderung  eintritt,  die  demnach  nur  durch 
einen  von  dem  Parasiten  ausgehenden  Reiz  entstanden  sein  kann. 
Wir  müssen  daher  annehmen,  daß  schon  mit  dem  Freiwerden  der 
Parasiten  aus  den  Kapseln  oder  dem  Heranreifen  derselben  im 
Darm  auch  bei  der  Trichinosis  gewisse  Wirkungen  auf  die  Eosino- 
philen ausgeübt  werden,  die  eine  Vermehrung  derselben  verursachen, 
bevor  die  Embryonen  in  den  Körper  eindringen. 

Gelingt  es  hiermit  auch  nicht,  den  sicheren  Nachweis  zu  liefern, 
daß  die  Eosinophilie  auch  ein  Frühsymptom  ist,  so  werden  wohl 
weitere,  frühzeitig  angestellte  Untersuchungen  beweisen,  daß  die 
vorhergehende  Überlegung  nicht  unrichtig  ist. 

Wie  wenig  die  Eosinophilie  abhängig  ist  von  den  klinischen 
Erscheinungen,  speziell  von  der  Myositis,  geht  aus  dem  Um- 


Die  Hornberger  Trichinosisepidemie  etc.  21 

Stande  hervor,  daß  viele  Kekonvaleszenten  noch  eine  beträchtliche 
Vermehrung  dieser  Zellen  haben;  darunter  sind  Personen,  die  sich 
selbst  für  völlig  gesund  halten  und  schwere  Arbeit  leisten; 
bei  ihnen  konnte  ich  keine  Residuen  ihres  überstandenen  Leidens 
feststellen.  Es  sind  dies  15  Personen,  bei  welchen  Werte  zwischen 
6,2 — 45,2  %  vorkommen.  Natürlich  besteht  bei  allen  Patienten,  so- 
lange die  Krankheitserscheinungen  ausgeprägt  sind,  Eosinophilie 
verschiedenen  Grades,  wie  es  nicht  anders  zu  erwarten  ist,  denn 
die  Krankheitssymptome  und  die  Eosinophilie  haben  zu  allerletzt 
dieselbe  Ursache. 

Wir  müssen  daher  schließen,  daß,  solange  noch  Parasiten  im 
Darm  sich  befinden  oder  die  in  den  Muskeln  befindlichen  Trichinen 
sich  noch  nicht  abgekapselt  haben,  so  daß  ihre  StoflFwechselprodukte 
in  den  Kreislauf  gelangen,  die  Ursache  nicht  beseitigt  ist,  die  zur 
anhaltenden  Vermehrung  der  eosinophilen  Zellen  Anlaß  gibt. 

Neutrophile  Zellen.  Diese  Zellart  zeigt  bei  ausgesprochener 
Leukozytose  in  vielen  Fällen  nur  eine  geringe  Zunahme  ihrer  nor- 
malen absoluten  Werte,  in  anderen  sinken  diese  um  so  tiefer  unter 
die  Norm,  je  größer  die  Vermehrung  der  Eosinophilen  ist,  so  daß 
ein  gegensätzliches  Verhalten  der  beiden  Zellarten  deutlich  zum 
Ausdruck  kommt.  Es  entspricht  diese  Beobachtung  dem  Verhalten, 
das  Eosinophile  und  Neutrophile  auch  bei  anderen  Erkrankungen 
zeigen;  in  Krankheiten,  bei  welchen  eine  neutrophile  Leukozytose 
vorhanden  ist  (Pneumonie,  Angina,  eitrige  Exsudate,  Abszesse  usw.) 
verschwinden  die  Eosinophilen  oder  sind  vermindert. 

Der  Prozentgehalt  des  Blutes  an  dieser  Zellart  ist  in  allen 
Fällen  mehr  oder  minder  stark  herabgesetzt;  Werte  zwischen 
30 — 60  ^/o  sind  die  häufigsten,  doch  finden  sich  auch  Werte  von 
nur  13,1  (abs.  1060);  dabei  muß  schon  hier  bemerkt  werden,  daß 
oft  eine  gleichzeitige  Vermehrung  der  Lymphozyten  die  prozen- 
tuellen Werte  der  Neutrophilen  noch  stärker  herabdrückt.  So  enorm 
geringe  Zahlen  der  Neutrophilen,  die  doch  eine  für  den  Menschen 
spezifische  Zellart  darstellen,  wie  man  sie  in  den  Angaben  von 
W.  W.  Kerr  vorfindet,  der  bei  einem  Falle  unter  anderem  3,1  und 
0,75  *^/o  N.  aufzeichnet,  erscheinen  mir  auffallend,  um  so  mehr,  da 
der  betrefl^ende  Autor  keine  gleichzeitigen  Leukozytenzählungen 
vorgenommen  hat.  Die  Angaben  der  anderen  amerikanischen 
Autoren  bewegen  sich  in  den  auch  von  mir  gefundenen  Grenzen. 
Mit  dem  Nachlaß  des  Eeizes,  der  zur  Vermehrung  der  Eosinophilen 
führt  und  eine  negative  Wirkung  auf  die  Neutrophilen  auszuüben 
scheint,  nehmen  diese  Zellen  wieder  zu;  auch  die  Übergangsformen 


32  I*  SoHuup 

treten  in  sehr  vielen  Fällen  zahlreicher  auf,  bis  zu  20,5  %  (abs.  160QX 
während  sie  anfangs  durchweg  spärlich  vertreten  sind,  so  daß  auch 
hierdurch  eine  neu  einsetzende  Tätigkeit  der  hämatopoätischen  Or- 
gane zum  Ausdruck  kommt,  die  bestrebt  ist,  den  Mangel  des  Blutes 
an  neutrophilen  Zellen  auszugleichen. 

Lymphozyten,  Mit  dem  Eintritt  der  Eekonvaleszenz  ver- 
mehren sich  auch  die  Lymphozyten.  42  Fälle  weisen  WeKe 
zwischen  30 — 60%  auf  und  die  absoluten  Zahlen  zeigen,  daß 
diese  Vermehrung  keine  scheinbare  ist,  sondern  daß  eine  rich- 
tige Lymphozytose  vorliegt. 

Aus  den  Berichten  von  Cohnheim  über  17  während  der 
He^erslebener  Epidemie  ausgeführten  Sektionen  geht  hervor,  daß  die 
solitären  Drüsen  und  die  Peyer'schen  Plaques  geschwollen,  sowie 
die  Mesenterialdrüsen  vergrößert  waren.  Diese  Befunde  sowie  die 
in  vielen  Fällen  vorhandene  Milzschwellung  dürfte  das  Entstehen 
der  Lymphozytose  erklären,  die  in  gleich  starkem  Maße  auch  beim 
Abdominaltyphus  vorkommt*,  bei  welchem  eine  Vermehrung  oder 
Vergrößerung  des  lymphadenoiden  Apparates  in  derselben  Weise 
stattfindet. 

Oft  besteht  die  Lymphozytose  noch,  wenn  die  eosinophilen 
Zellen  fast  normale  Werte  wieder  erreicht  haben,  so  daß  bei  der 
gleichzeitigen  Vermehrung  der  Ubergangsformen  und  der  Blut- 
plättchen das  Blut  noch  eine  charakteristische  Beschaffenheit  be- 
hält, aus  welcher  mit  großer  Wahrscheinlichkeit  auf  die  Art  der 
vorhergegangenen  Erkrankung  ein  Schluß  gezogen  werden  kann.  — 

Es  bleibt  noch  übrig,  auf  das  morphologische  und  färbe- 
rische Verhalten  der  weißen  Blutkörperchen  einzugehen.  Die  im 
peripheren  Blut  vorhandenen  Eosinophilen  zeigen  an  Größe, 
Beschaffenheit  ihres  Kerns  und  Aussehen  ihrer  Granula  keinerlei 
abnormes  Verhalten.  Manchmal  liegen  die  Granula  sehr  dicht  in 
der  Zelte,  in  fast  allen  Präparaten  haben  sie  aber  die  charakteris- 
tische Lagerung,  so  daß  zwischen  einzelnen  Gruppen  kleinere  oder 
größere  Lücken  entstehen  oder  auch  vorwiegend  eine  Hälfte  der 
Zelle  von  den  Granula  eingenommen  ist,  während  der  Kern  in  d^ 
anderen  Hälfte  der  Zelle  etwas  exzentrisch  liegt.  In  keinem  ein- 
zigen Falle  sind  die  Granula  spärlich  vorhanden.  Ihr  färberisches 
Verhalten  zeigt  rein  azidophile  Eigenschaften. 

In  den  Neutrophilen  sind  ebenso  keine  Granula  enthalt^ 
die  in  irgend  einer  Beziehung  an  die  eosinophilen  erinnern.  Neu- 
trophile  und  Eosinophile  zeigen  keinerlei  Annäherungen  oder  Über- 
gänge im  peripheren  Blut    Es  muß  dies  besonders  betont  werd^ 


Die  Hornberger  Trichinoaisepidemie  etc.  23 

da  von  anderer  Seite  gerade  im  peripheren  Blut  sehr  reichlich 
Obergangsformen  gefanden  warden,  so  berichtet  Thomas  Mc. 
Crae,  daß  er  am  16.  Krankheitstag  hei  einem  Manne  unter  219 
gezählten  Eosinophilen  (sie!)  nur  eine  einzige  typische  Eosinophile 
gefunden  habe;  alle  anderen  218  zeigten  Übergänge  von  den  Neu- 
trophilen.  Im  weiteren  Verlauf  der  Erkrankung  machten  diese 
atypischen  Formen  den  normalen  eosinophilen  Zellen  Platz. 

Das  ist  ein  ganz  auffallender  Befund.  Auch  Atkinson  beob- 
achtete Granula  in  den  Eosinophilen,  die  wie  neutrophile  waren, 
aber  glänzender  und  leuchtender  und  hält  diese  für  Übergänge. 

Brown,  der  die  besten  Untersuchungen  geliefert  hat,  sah  im 
Blut  keine  Übergänge. 

Ich  habe  viele  Fälle  aus  denselben  Krankheitstagen  unter- 
sucht und  kann  keinen  Beitrag  zu  der  Beobachtung  Mc.  Crae's 
und  Atkinson's  bringen.  Die  einzige  Zellart,  die  Übergänge  zu 
den  eosinophilen  zeigt,  sind  die  basophilen  Zellen,  so  auffallend 
dies  auf  den  ersten  Blick  erscheint.  Ihre  Granula  sind  verschieden 
groß  und  zahlreich,  wie  man  es  auch  sonst  sieht,  aber  oft  liegen 
zwischen  den  dunkelrot  gefärbten  Granula  einige,  die  leuchtend 
azidophil  erscheinen;  manchmal  sind  sie  so  zahlreich,  daß  man  im 
Zweifel  ist,  ob  eine  eosinophile  oder  basophile  Zelle  vorliegt.  Nach 
Pappenheim  und  Hirschfeld  gehen  die  Basophilen  aus  den 
Eosinophilen  hervor.  Aus  diesen  nur  spärlichen  und  bei  wenigen 
Fällen  erhobenen  Befunden  auf  ein  ausschließliches  Entstehen  der 
so  reichlich  vorhandenen  Eosinophilen  aus  den  nicht  vermehrten 
Basophilen  zu  schließen,  geht  aber  nicht  an. 

In  den  Lymphozyten  sind  die  azidophilen  „Granula"  im 
allgemeinen  reichlicher,  wie  bei  allen  anderen  von  mir  beobachteten 
Erkrankungen;  oft  sind  sie  staubförmig,  oft  liegen  zwischen  den 
staubförmigen  Körnchen  einige  grobe  Körner,  leuchtend  rot,  die 
^ber  eckig  sind  und  keine  gi*oße  Ähnlichkeit  mit  den  eosinophilen 
Granula  besitzen.  Der  Reichtum  der  großen  und  besonders  der 
kleinen  Lymphozyten  an  azidophilen  Körnern  ist  aber  auffallend. 

Diagnostische  Bedeutung  der  Eosinophilie. 

Alle  Autoren,  die  bei  Trichinosis  Eosinophilie  nachgewiesen 
haben,  heben  die  Bedeutung  dieser  so  auffallenden  Blut  Veränderung 
als  ein  Hilfsmittel  zur  Stellung  der  Diagnose  hervor.  Howard 
fand  in  einem  Falle  keine  Vermehrung;  er  machte  keine  Leuko- 
^ytenzählnngen,  sondern  prüfte  nur  die  gefärbten  Trockenpräparate. 
Da  Costa  beobachtete  in  einem  weiteren  Falle  bei  22000  L.  nur 


24  I.    SCHLEIP 

0,5^0  E.  Auch  unter  den  Hornberger  Erkrankungen  finden  sich  3, 
deren  klinisches  Krankheitsbild  für  Trichinosis  sehr  charakteristisch 
ist,  bei  denen  aber  eine  deutliche  Vermehrung  der  Eosinophilen 
fehlt.  Der  eine  Patient  war  schwerkrank  und  für  die  Wahr- 
scheinlichkeit, daß  er  an  Trichinosis  litt,  spricht  der  Umstand,  daß 
seine  ganze  Familie  nach  Genuß  des  verdächtigen  Fleisches  auch 
erkrankt  ist. 

Stellt  man  alle  bisher  beobachteten  Fälle  zusammen,  so  be- 
tragen die  Erkrankungen,  bei  welchen  die  charakteristische  Blut- 
veränderung fehlt,  doch  nur  einen  verschwindenden  Bruchteil  jener 
Summe.  Die  Bedeutung  der  Eosinophilie  verliert  daher  nicht  an 
Wert,  besonders  wenn  wir  berücksichtigen,  daß  die  Erkrankung, 
welche  am  leichtesten  bei  vereinzelt  zur  Beobachtung  kommenden 
Fällen  von  Trichinosis  zur  Verwechslung  Anlaß  geben  kann,  der 
Abdominaltyphus,  sich  durch  völliges  Fehlen  der  eosino- 
philen Zellen  auszeichnet. 

Eine  Aufzählung  aller  jener  Erkrankungen,  bei  welchen  eine 
verschieden  starke  Eosinophilie  eintritt,  ist  in  den  letzten  Jahren 
mehrmals  unternommen  worden.  Ich  verweise  auf  die  Arbeiten 
von  Zappert,  Wolff,  S.  Bettmann  und  St.  Klein,  sowie  auf 
die  hämatologischen  Lehrbücher.  Krankheiten,  die  mit  einer  so 
starken  Eosinophilie  einhergehen,  wie  sie  bei  Trichinosis  beobachtet 
wird,  sind  selten. 

Bei  Pemphigus  fand  Zappert  als  höchste  Werte  29,2  und 
33%,  Lazarus  bei  Urticaria  60"/,,.  Brown  bei  chronischer 
Dermatitis  herpetiformus  44,3  ^o-  I"^  Oktober  1902  beobachtete 
ich  bei  einem  19jährigen  Mädchen,  das  im  Anschluß  an  Röteln 
eine  universelle  akute  Dermatitis  bekam,  eine  allmäliche  Steigerung 
der  Eosinophilen  von  1,3%  (abs.  60)  auf  41,4«  „  (abs.  5090)  inner- 
halb 18  Tagen.  Bekannt  sind  die  Befunde  Bück  1er 's,  der  unter 
Leichtenstern  arbeitete.  Er  fand,  daß  alle  Helminthenarten, 
auch  die  harmlosesten,  eine  Eosinophilie  verschiedenen  Grades  be- 
wirken können.  Cabot  fand  bei  19  Anchylostomumerkrankungen 
eine  Eosinophilie  von  durchschnittlich  10,3  «o- 

Die  Tatsache,  daß  auch  bei  anderen  Erkrankungen  Eosino- 
philie in  starkem  Maße  vorkommen  kann,  schwächt  die  Bedeutung 
der  Blutveränderung  bei  der  Trichinosis  nicht  ab,  haben  doch  alle 
jene  Erkrankungen  in  ihrem  klinischen  Verlauf  keine  Ähnlichkeit 
mit  der  Trichinosis.  Diejenigen  Erkrankungen,  welche  die  Diagnose- 
stellung eines  isoliert  zur  Beobachtung  kommenden  Falles  schAvierig 
gestalten  können,  sind  der  Abdominaltyphus  und  die  Polymyositis. 


Die  Hornberger  Tricbinosisepidemie  etc.  25 

Die  Leukopenie  und  das  Fehlen  der  Eosinophilen  auf  der  einen 
Seite,  die  Leukozj'tose  und  die  fast  immer  vorhandene  Eosinophilie 
auf  der  anderen  Seite  schaflFen  so  klare  Merkmale,  die  für  klinisch 
unklare  Fälle  bei  der  Stellung  der  Diagnose  geradezu  allein  ent- 
scheidend sein  können. 

über  die  Blutzusammensetzung  bei  der  so  seltenen  Polymyositis 
habe  ich  keine  Beobachtung  machen  können. 

Bei  epidemisch  auftretenden  Erkrankungen  wird  man  zur  Klar- 
stellung der  Krankheitsursache  des  Nachweises  der  Eosinophilie  nicht 
notwendig  bedürfen,  wenn  die  Möglichkeit  noch  vorhanden  ist,  das 
trichinöse  Fleisch  selbst  nachträglich  zu  untersuchen.  Dies  wird 
nicht  immer  der  Fall  sein  und  auch  bei  dieser  Epidemie  konnte 
mau  kein  Stückchen  des  verdächtigen  Fleisches  erlangen.  Wie 
sehr  dadurch  die  Unsicherheit  über  die  Natur  der  Erkrankung 
aufrecht  erhalten  wurde,  beweist  der  Umstand,  daß  die  Überzeu- 
gung, so  handle  sich  bei  dieser,  in  allen  Verhältnissen  sonst  so 
klaren  Epidemie  um  Trichinose,  auch  bei  den  beteiligten  Ärzten 
lange  Zeit  nicht  ungeteilt  war.  Wieviel  leichter  können  vereinzelte 
Erkrankungen  oder  verstreut  liegende  Fälle  die  Ansichten  der 
Arzte  über  die  Natur  der  Erkrankung  täuschen.  Sowohl  der  Frei- 
burger Fall,  wie  einzelne  der  in  Amerika  zur  Beobachtung  ge- 
kommenen Erkrankungen  wurden  zuerst  für  Typhus  gehalten,  weil 
eben  das  Krankheitsbild  sehr  ähnlich  war  und  bei  den  herrschen- 
den hygienischen  Verhältnissen  der  Gedanke  an  Trichinosis  außer- 
ordentlich fern  liegen  mußte.  Erst  die  Blutuntersuchungen  lieferten 
in  allen  Fällen  das  überraschende  Resultat  der  Eosinophilie  und 
führten  zur  schließlichen  Erkennung  der  Erkrankung. 

Wie  w^eit  aber  der  Irrtum  in  der  Diagnose  gehen  kann,  selbst 
wenn  der  Gedanke  an  Trichinosis  zu  allererst  kommen  sollte,  be- 
weisen folgende  interessante  Tatsachen,  die  mir  die  Aufdeckung 
einer  zweiten  Epidemie  ermöglichten. 

Ende  August,  während  alle  Gemüter  über  die  in  Homber^ 
hen-schende  Epidemie  am  stärksten  erregt  waren,  kam  der  Kreis- 
arzt auf  seiner  regelmäßigen  Inspektionsreise  nach  dem  Dorfe 
Wallenstein.  Das  liegt,  ungefähr  15  km  von  Homberg  entfernt, 
in  einem  Tal,  dessen  Bewohner  auf  den  Verkehr  mit  Homberg  an- 
gewiesen sind.  In  den  näher  gelegenen  Dörfern  waren  verschie- 
dene Erkrankungen  vorgekommen,  die  Bewohner  hatten  z.  T.  auch 
Fleisch  von  den  beiden  Metzgern  bezogen.  Ein  Landwirt  aus 
diesem  Dorf  klagte  dem  anwesenden  Kreisarzt  über  Beschwerden, 
die  alle   charakteristisch   waren   für  Trichinose;    der   Mann   war 


26  I-    SCHLBIP 

schwerkrank,  konnte  sich  nur  mühsam  über  die  Straße  schleppt; 
er  wollte  aber  schon  am  4.  August  und  nur  an  diesem  Tage  in 
Hombei*g,  in  der  Wirtschaft  des  einen  Metzgers  rohes  Hack  ge- 
gessen haben.  Weil  die  Epidemie  erst  seit  dem  20.  August  spielte, 
wurde  der  Mann  als  nicht  verdächtig  zurückgewiesen  und  bekam 
ein  Mittel  gegen  Kreuzschmerzen. 

Zwei  Wochen  später  kam  auch  der  Amtsrichter  durch  das 
Dorf  und  sagte  dem  Manne,  der  ihm  auch  dieselben  Klagen  vor- 
brachte, er  solle  sich  einmal  von  mir  untersuchen  lassen.  Der 
Landwirt  kam  am  19.  September  nach  Homberg;  sein  Blut  zeigte 
noch  eine  hochgradige  Eosinophilie.  Auf  Veranlassung  des  Amts- 
gerichts machte  ich  eine  Muskelezzision,  bekam  aber  bei  der  großen 
Ängstlichkeit  des  sehr  schwachen  Mannes  nur  ein  kleines  Stückchen 
aus  dem  Kande  des  Biceps,  in  welchem  keine  Trichinen  waren, 
deren  Nachweis  gerade  in  diesem  Falle  sehr  erwünscht  gewesen 
wäre.  Am  8.  Oktober  ging  ich  nach  Wallenstein,  um  das  Blut 
dieses  Mannes  wieder  zu  untersuchen  und  hörte  im  Dorfe,  daß  ein 
anderer  Bauer  ans  derselben  Ortschaft  ein  paar  Tage  früher  ebenso 
erkrankt  sei  wie  der  Landwirt.  Der  Mann  wurde  beigeholt  und 
ich  hörte  von  ihm  ein  Krankheitsbild,  wie  es  nicht  schöner  für 
Trichinosis  gedacht  werden  kann.  Wie  er  am  schwersten  krank  war, 
Ende  August,  wurde  ein  Arzt  aus  einem  entfernteren  Dorfe  geholt. 
Der  soll  gesagt  haben  „Sie  haben  einen  schweren  Herzfehler".  Der 
Patient  hatte  damals  über  40^  Fieber,  starke  Dyspnoe  und  Herz- 
klopfen. Der  Arzt  kam  nicht  wieder.  Dieser  Mann  fährt  täglich 
die  Milch  aus  jenem  Tal  nach  Homberg,  nimmt  auf  dem  Rückweg 
jeden  Samstag  rohes  Hack  von  einem  der  beiden  Metzger  mit  nach 
Hause  und  verzehrt  dabei  etwas  von  diesem  Hack  in  der  Wirt- 
schaft des  Metzgers,  so  auch  am  1.  August.  Einige  Tage  darauf 
wurde  er  krank.  Sein  Blut  zeigte  noch  am  19.  September  eine 
starke  Eosinophilie. 

Durch  Nachfragen  habe  ich  in  kurzer  Zeit  noch  3  Leute  ge- 
funden, die  in  jener  Zeit  unter  trichinosisartigen  Erscheinungen 
erkrankt  sind,  darunter  den  einen  Metzger  selbst ;  einen  jener  Fälle 
konnte  ich  noch  untersuchen;  die  Blutbefunde  sind  folgende :  (siehe 
Tab.  S.  27). 

Diese  Beobachtungen  beweisen  zunächst,  daß  schon  anfangs 
August  oder  Ende  Juli  eine  Infektion  stattgefunden  hat;  warum 
nicht  schon  damals  eine  Epidemie  auftrat,  darüber  lassen  sich  ver- 
schiedene Erklärungen  aufstellen.  Die  3  untersuchten  Männer 
geben  an,   das  Hack  sei  „grünlich"   gewesen,  so  daß  sie  es  nicht 


Die  Hornberger  Trichinonsepidemie  etc. 


27 


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ö8  142  v.  4.Vm.  10.  Vni.  19.  IX.  10  h  ft-m.  41. 

8.  X.      4Vjh      60. 

4.     „    1     „       6h  p.m.  !66. 

10.     H  «  12  h       63. 


15600 

10000 

14600 

6800 


32,0  5180 
27,8  2780 
87,7  5280 


0,2 

1,0 

0,2 

5,4  |1,88  1280  0.8 


Ö48 
503 
663 
373 


aufessen  konnteD.  Der  Metzger  wird  daher  jenes  verdorbene, 
schlecht  aussehende  Fleisch  sowenig  wie  möglich  roh  verkauft 
haben;  er  hat  vielleicht  Würste  daraus  gemacht  und  nach  dem 
Kochen  waren  die  Trichinen  vernichtet.  Diese  Erkrankungen  be- 
weisen aber  auch,  daß  die  Trichinosis  in  vielen  Fällen  gar  nicht 
erkannt  wird  oder  erkannt  werden  kann,  wenn  sie  isoliert  in  einer 
Gegend  zur  Beobachtung  kommt,  wo  diese  Erkrankung  selten  ist. 
Vielleicht  ist  aber  die  Trichinosis  nur  so  selten,  weil  sie  bisher 
schwierig  zu  erkennen  war;  dafür  sprechen  die  in  den  letzten 
Jahren  in  Amerika  von  Zeit  zu  Zeit  wiederkehrenden  Veröifent- 
Uchungen  über  isolierte  Erkrankungen,  dafür  spricht  auch  jener 
Freiburger  Fall. 

Der  praktische  Wert  dieser  Blutveränderungen  liegt  darin, 
daß  durch  ihren  Nachweis  ein  leicht  zu  beobachtendes 
Symptom  gefunden  ist,  welches  mit  fast  absoluter  Sicher- 
heit die  Stellung  einer  sicheren  Diagnose  ermöglicht,  auch  zu 
einer  Zeit,  wo  die  Trichinen  auf  ihrer  W^anderung  noch  nicht  in 
die  Muskeln  gelangt  sind,  wo  also  überhaupt  die,  bisher  allein 
entscheidende  Muskelexzision  noch  kein  positives  Resultat  haben 
kann.  Wie  selten  es  gelingt,  die  Darmtrichinen  in  den  Fäces  nach- 
zuweisen, ist  bekannt. 

Der  Nachweis,  daß  Eosinophilie  schon  in  den  ersten  Tagen 
vorhanden  ist,  muß,  wie  erwähnt,  noch  geliefert  werden.  Die  immer 
hanfiger  in  Anwendung  kommende  Blutuntersuchung  bei  fieber- 
haften Erkrankungen  wird  dazu  mehr  Gelegenheit  geben,  als 
früher  vorhanden  war.  Ermöglicht  daher  der  Nachweis  der  Eosino- 
philie eine  sichere  Frühdiagnose,  so  können  wir  auch  frühzeitiger 
diejenigen  Maßregeln  treffen,  welche  ein  W^eiterumsichgreifen  der 
Epidemie  verhindern  sollen. 


28  I-     SCHLEIP 

Veränderungen   an  den   Muskeln 

wurden  seit  den  grundlegenden  Arbeiten  von  Zenker.  Virchow, 
Leuckhardt,  Cohnheim  und  Fiedler  mehrfach  beschrieben; 
neuere  Arbeiten  von  Lewin,  Nonne  und  Höpfner,  Graham 
sind  auf  das  Stadium  der  Einwandening  der  Trichinen  mit  seinen 
Reaktionserscheinungen  ausführlich  eingegangen  und  haben  schon 
bekanntem  einige  neue  Tatsachen  hinzugefügt,  die  sich  auf  die 
Art  der  Muskeldegeneration  beziehen.  Insbesondere  hat  Ehrhardt 
an  einem  reichen  Material  von  infizierten  Kaninchen  alle  Stadien 
der  trichinösen  Entzündung  in  eingehender  Weise  beschrieben  und 
auch  über  Muskelveränderung  bei  akuter  menschlicher  Trichinose 
in  zwei  Fällen  Untersuchungen  angestellt. 

Der  Zweck  meiner  Untersuchungen  war  jedoch  nicht  der,  die 
neueren  Ergebnisse  dieser  immerhin  selten  zu  Gesicht  kommenden 
akuten  Veränderungen  durch  weiteres  Material  zu  stützen,  sondern 
mir  lag  daran,  eine  äußerst  interessante  und  bisher  einzige  Be- 
obachtung, die  Th.  R.  Brown  in  seiner  Arbeit  veröffentlicht  hat, 
auf  ihre  Richtigkeit  zu  prüfen. 

Außer  den  schon  bekannten  Veränderungen  fand  Brown  im 
ganzen  Muskel  zerstreut,  am  meisten  an  jenen  Stellen,  die  zerfallene 
Muskelpartien  enthielten,  polymorphkernige  Zellen,  von  denen  viele 
Eosinoi)hile  waren.  In  einigen  zeigten  die  Granula  rein  azidophile 
Tinktion,  in  anderen  wohl  charakterisierten  Zellen  waren  Über- 
gänge von  neutrophilen  zu  azidophilen  Granula.  Brown  hält  diese 
Zellen  für  Phagozyten,  weil  sie  besonders  reichlich  in  den  mehr 
degenerierten  Partien  vorhanden  waren,  und  manchmal  sah  er  sie 
in  kleinen  Lücken  und  Buchten  des  degenerierten  Muskels  liegen, 
wie  wenn  sie  sich  da  hineingefressen  hätten.  Von  der  falschen  Auf- 
fassung, die  Reste  der  Muskelfibrillen,  welche  bei  der  kömigen 
Degeneration  entstehen,  für  die  späteren  eosinophilen  Granula  zu 
erklären,  schützte  ihn  das  verschieden  färberische  Verhalten.  In 
einem  zweiten  Muskelstück,  welches  demselben  Manne  14  Tage 
später  entnommen  wurde,  war  die  Zahl  der  Eosinophilen  größer 
als  das  erstemal,  während  die  Neutrophilen  abgenommen  hatten. 
Im  peripheren  Blut  waren  gleichzeitig  die  beiden  Zellarten  in 
einem  annähernd  gleichen  Zahlenverhältnis  zueinander  vertreten. 

Die  Anwesenheit  von  vielen  Neutrophilen  im  ersten  Muskel- 
stück, dazwischen  manche  typisclie  Eosinophile  und  vereinzelte 
Übergangsformen,  sowie  die  viel  größere  Anzahl  von  E.  2  Wochen 
später,  führen  Brown  zu  dem  Schlüsse,  daß  diese  Zellen  an  Ort 


Die  Hornberger  Trichinosisepidemie  etc.  29 

und  Stelle  des  degenerierenden  Muskels  gebildet  werden,  wobei  er 
annimmt,  daß  die  degenerierte  Substanz  bei  der  Aufnahme  durch 
die  Neutrophilen  eine  Umwandlung  erlährt  oder  vielleicht  in  ge- 
löster Form  aufgenommen  wird.  Die  eosinophilen  Granula  hält  er 
nicht  für  Stücke  des  degenerierten  Muskels,  sondern  für  Produkte 
der  Zelle  selbst. 

Diese  Theorie  erscheint  nicht  unlogisch  und  ich  bin  an  die 
Untersuchung  meiner  Präparate  gegangen,  in  der  sicheren  Er- 
wartung, Ergebnisse  zu  bekommen,  welche  Brown's  Angaben  be- 
stätigen könnten. 

Es  war  mein  Bestreben,  Muskelexzisionen  aus  verschiedenen 
Krankheitsstadien  zu  machen;  die  Patienten  lagen  aber  in  keinem 
Krankenhause,  sondern  befanden  sich  in  ihren  Wohnungen,  mit 
häuslichen  Arbeiten  beschäftigt,  oder  waren  wieder  ihrem  Berufe 
nachgegangen,  um  keine  weiteren  Verluste  zu  erleiden.  Unter 
diesen  Umständen  wurde  es  schwer.  Bereitwillige  zu  finden;  nach- 
dem das  erste  Interesse  an  der  neuen  Sache  vorüber  war,  konnte 
ich  keinen  Patienten  mehr  dazu  bewegen,  den  an  sich  ungefähr- 
lichen Eingriff  zu  erdulden,  zumal  er  unvermeidlich  melirere  Tage 
Arbeitsunfähigkeit  zur  Folge  hatte.  So  konnte  ich  für  meine  Zwecke 
nur  bei  3  Patienten  Muskelexzisionen  vornehmen,  wovon  das  eine 
Stück  für  frische  Präparate  Verwendung  fand.  Die  beiden  anderen 
Stücke  stammen  von  den  Patienten  Nr.  47  und  55  und  wurden  am 
29,  bzw.  27.  Krankheitstag  exzidiert. 

Nr.  55  war  sehr  reichlich  von  Trichinen  durchsetzt;  in  dem 
kaum  1  ccm  großen  Stück  waren  nach  Schätzung  5 — 600  Trichinen 
vorhanden.  Nr.  47  enthielt  Weniger  Trichinen,  wenigstens  gerade 
das  exzidierte  Stück.  Der  Muskel  war  im  lebenden  Zustande 
glasig,  auffallend  rot  und  bei  Untersuchung  des  frischen  Präparates 
dicht  und  zäh. 

Beide  Präparate  wurden  in  Formol  gehärtet,  mit  Celloidin  im- 
prägniert und  mit  verschiedenen  Farblösungen  behandelt.  Färbte 
man  nach  kurzer  Vorfärbung  in  Häraatoxylin  16—^^0  Stunden  in 
Eosinglyzerin,  so  entstanden  die  brauchbarsten  Bilder. 

Die  Muskelsubstanz  zeigt  eine  verschieden  starke  Affinität 
zum  Eosin:  einzelne  Muskelfasern  sind  normal  gefärbt,  viele  blaß- 
grau  oder  grauviolett,  so  daß  schon  bei  der  makroskopischen  Be- 
sichtigung des  Schnittes  das  fleckige  Aussehen  auffällt.  Sehr  blaß 
geiärbte  Fasern  erscheinen  durciischeinend.  Oft  findet  man  zwischen 
zwei  sehr  blassen  Fasern  eine  normal  gefärbte,  oder  in  einem  Brei 
zugrunde  gegangener  Muskelsubstanz  liegen  längere  und  kürzere 


30  I-    SCHLBIP 

Faserstücke,  die  Eosin  gut  angenommen  haben  und  an  ihrer  Quer- 
Btreifang  die  kaum  veränderte  Beschaffenheit  erkennen  lassen. 

Die  entzündlichen  Veränderungen. sind  sowohl  pai'enchymatöser 
wie  interstitieller  Art  und  erscheinen  unabhängig  von  dem  Sitze 
der  Trichinen;  abgesehen  von  der  kömigen  Degeneration,  die  für 
die  trichinenhaltigen  Fasern  charakteristisch  ist,  finden  sich  ent- 
zündliche und  regenerative  Prozesse  über  den  ganzen  Muskel  aus- 
gebreitet. Die  auffallendste  Veränderung  wird  jedoch  durch  die 
interstitielle  Entzündung  bewirkt,  die  bei  der  Trichinosis  in 
viel  stärkerem  Maße  hervortritt,  als  bei  Myositis  anderer  Ätiologie. 

Eine  eingehende  Schilderung  aller  mikroskopisch  sichtbaren 
Veränderungen  liegt  außerhalb  des  Zweckes  dieser  Arbeit  und 
würde  auch  nicht  Neues  zutage  bringen,  da  diese  Verhältnisse 
gerade  in  letzter  Zeit  ausführlich  beschrieben  worden  sind.  Ich 
erwähne  daher  die  Veränderungen  nur  soweit,  als  sie  im  Znsammen- 
hang mit  den  eosinophilen  Zellen  stehen  und  auf  Vorhandensein 
und  Fehlen  derselben  einen  Einfluß  haben. 

Betrachtet  man  auf  einem  Längsschnitt  durch  die  Muskulatur 
den  Sitz  einer  Trichine  (s.  Fig.  1),  so  sieht  man  in  dem  homogenen 
Inhalt  der  im  Entstehen  begriffenen  Kapsel  eine  Lücke,  von  deren 
gewöhnlich  runden  Begrenzung  einzelne  Septen  mehr  oder  weniger 
iveit  in  das  Lumen  vorspringen.  Diese  gefächerte  Linie  entspricht 
der  Umgrenzung  der  Trichinenwindungen,  die  durch  die  Schnitt- 
fläche getroffen  sind.  Der  Leib  der  Trichine  ist  gewöhnlich  aus- 
gefallen, selten  ist  ein  Stück  von  ihm  noch  vorhanden.  In  der 
blau  violett  gefärbten  Masse  des  übrigen  Kapselinhalts  fallen  die 
großen  bläschenförmigen  Fibroblasten  auf,  besonders  zahlreich  an 
den  Polen,  wo  sie  vor  den  Bewegungen  der  Trichine  geschützter 
sind.  An  einzelnen  Stellen  kann  man  deutlich  den  Einbruch  von 
Bindegewebe  in  die  Kapsel  verfolgen. 

Die  Kapsel  ist  umgeben  von  einem  Wall  kleinzelliger  Infiltration, 
die  wesentlich  aus  Lymphozyten  gebildet  ist,  doch  finden  sich  auch 
Bindegewebszellen,  weniger  pol3"morphkernige  Leukozyten.  Die  An- 
häufung dieser  Zellen  ist  an  den  Kapselpolen  am  stärksten  aus- 
gebildet. All  diesen  Infiltrationsherd  schließt  sich  die  kömig  de- 
generierte  Faser  an,  die,  bei  Olimmersion  betrachtet,  aus  einem 
Brei  von  in  Auflösung  begriffenen,  fast  homogenisierten  Muskel- 
fibrillen  besteht.  In  ihm  liegen  noch  kleine  Stücke  mehr  oder 
minder  veränderter  Muskelsubstanz,  die  durch  viele  Vakuolen  von- 
einander getrennt  sind.  Der  Wall  kleinzelliger  Infiltration  um  die 
Kapsel  der  Trichine  endet  an  diesem  Detritus  in  ziemlich  scharfer 


Die  Hornberger  TriehiBosisepidemie  etc.  31 

Grenze;  die  zelligen  Elemente  sind  spärlich  und  gleichmäßig  über 
diese  Masse  verteilt;  zwischen  wenigen  Fibroblasten  sieht  man 
einige  Lymphozyten  und  sehr  viele  polymorphkernige  Leukozyten, 
von  denen  über  die  Hälfte  wohlcharakterisierte  Eosinophile  sind. 

Sie  liegen  unregelmäßig  verteilt,  manchmal  4  nebeneinander, 
oft  neben  den  vielen  Lücken,  manchmal  auch  in  oder  auf  diesen. 
Doch  kann  ich  keinerlei  Beziehung  erkennen  zwischen  den  Eosino- 
philen und  diesen  Lücken,  so  daß  die  Angabe  von  Brown,  die 
Zellen  hätten  sich  gleichsam  hineingefressen,  keine  Bestätigung 
findet  In  dem  Wall  von  Zellen,  der  die  Trichine  umgibt,  ist  nie- 
mals eine  Eosinophile  vorhanden  und  auch  an  dem  Rande  desselben 
finden  sie  sich  selten  und  nur  vereinzelt.  Auch  weiter  entfernt 
von  dem  Sitze  der  Trichinen  sind  die  Eosinophilen  vorhanden, 
überall,  wo  die  interstitielle  Entzündung  in  ihrer  verschiedenen 
Stärke  ausgeprägt  ist.  Im  Perimysium  internum  sind  vielfach  Zell- 
haufen, die,  je  nachdem  sie  zur  Schnittfläche  liegen,  eine  andere 
Gestalt  haben.  Oft  sind  sie  schlauchförmig,  erstrecken  sich  in  be- 
trächtlicher Längenausdehnung  zwischen  den  Muskelfasern;  ist  die 
Myositis  ausgeprägter,  so  nimmt  die  Zellanhäufung  eine  elliptische 
Oestalt  an,  die  Degeneration  der  benachbarten  Muskelfasern  ist 
dann  eine  stärkere. 

Die  Zahl  dieser  verschieden  gestalteten  Herde,  von  denen  die 
schlauchförmigen  überwiegen,  ist  eine  größere  als  die  Zahl  der  vor- 
handenen Trichinen,  so  daß  die  Annahme  berechtigt  erscheint,  daß 
diese  interstitiellen  Zellansammlungen  die  Wege  darstellen,  auf 
welchen  die  Embryonen  durch  den  Muskel  gewandert  sind,  bevor 
sie  sich  endgültig  in  einer  Faser  festgesetzt  haben.  Verfolgen  wir 
diese  Deutung,  so  haben  auf  diesen  Wegen  die  Trichinen  oder  deren 
StoflFwechselprodukte  einen  lebhaften  Reiz  ausgeübt,  der  sich  in 
der  stärkeren  Zellinfiltration  ausdrückt.  An  dieser  strangförmigen 
interstitiellen  Entzündung  beteiligen  sich  spärlich  Fibroblasten  und 
Lymphozyten,  auch  polymorphkernige  Leukozyten,  dagegen  regel- 
mäßig eine  große  Zahl  Eosinophile.  Oft  betragen  sie  die  Hälfte 
aller  Zellen,  manchmal  sieht  man  fast  ausschließlich  eosinophile 
Zellen,  so  daß  eine  reine  eosinophile  Entzündung  vorliegt.  Sie 
drängen  sich  in  die  benachbarten  Interstitien,  oft  in  Gruppen  von 
3 — 6,  manchmal  liegen  sie  vereinzelt  in  der  Keihe  der  Muskelkerne 
und  erinnern  durch  ihre  in  diesem  Falle  vorhandene  langgestreckte 
Gestalt  an  Bindegewebszellen.  Es  liegt  aber  kein  Grund  vor, 
wegen  dieser  Gestaltsveränderung  an  ihrer  leukozytären  Natur  zu 
zweifeln;   da,  wo  Raumbeengung   vorhanden   ist,   passen   sie  sich 


32  I'  Schleif 

eben  an.  Sind  die  Interstitien  weiter,  so  haben  sie  ihre  normale 
Gestalt.  Ist  bei  einem  interstitiellen  Herd  die  angrenzende  Muskel- 
faser in  Auflösung  begriffen,  so  sieht  man  Bilder,  ähnlich  den 
Howship'schen  Lakunen  der  Knochen;  gewöhnliche  und  eosinophile 
Leukozyten  brechen  in  die  Muskelsubstanz  ein,  indem  sie  das 
Sarkolemm  durchdringen;  diese  Stellen  sieht  man  aber  selten.  Hier, 
am  Eande  des  in  Auflösung  begriffenen  Muskels  liegen  die  Eosino- 
philen spärlich  und  vereinzelt  (s.  Fig.  2). 

Da,  wo  im  Bindegewebe  größere  Kapillaren  liegen,  die  stärker 
gefüllt  erscheinen,  sieht  man  diese  von  einem  schwachen  Wall  von 
Leukozyten  umgeben,  sowohl  mono-  wie  polynukleäre ;  darunter 
sind  spärlich  Eosinophile;  auch  in  der  Nachbarschaft  der  Gefäße 
liegen  sie  nur  vereinzelt,  wie  überall  im  Muskel,  wo  die  Wirkung 
der  Trichine  oder  ihrer  Stoffwechselprodukte  sich  nicht  in  besonderer 
Weise  geltend  machen  kann. 

Die  eosinophilen  Zellen  sind  überall  von  gleicher  Größe,  ent- 
sprechend der  im  hängenden  Tropfen  untersuchten  Formen  'des 
peripheren  Blutes.  Die  Kerne  färben  sich  tiefblau,  sind  charak- 
teristisch zwei  oder  dreilappig  und  liegen  gewöhnlich  etwas  exzen- 
trisch. Die  Granula  sind  leuchtend  rot,  von  fast  gleicher  Größe 
und  liegen  im  Protoplasma  oft  in  einzelnen  Haufen,  so  daß  kleine 
Lücken  entstehen  oder,  was  seltener  vorkommt,  nur  '/4  des  Proto- 
plasmas von  ihnen  eingenommen  wird.  Hier  und  da  sieht  man 
auch  eine  sehr  kleine  eosinophile  Zelle,  mononukleär,  umgeben  von 
wenigen  Granula,  oder  eine  Zelle  ist  von  normaler  Größe,  auch 
mononukleär,  enthält  aber  reichlich  Granula.  Dann  liegen  gar 
nicht  so  selten  Haufen  verschieden  zahlreicher  eosinophiler  Granula, 
anscheinend  völlig  isoliert,  ohne  Zusammenhang  mit  einer  Zelle. 
Man  muß  diese  Bildungen,  auch  die  mononukleären  Zellen  so  auf- 
fassen, daß  eosinophile  Zellen  in  verschiedener  Höhe  von  der 
Schnittfläche  getroffen  sind  und  Hälften  von  ihnen  in  zwei  Schnitten 
liegen.  Ist  nur  ein  kleines  Stück  abgeschnitten,  so  sind  in  diesem 
nur  Granula  vorhanden,  in  einem  größeren  findet  sich  auch  ein 
verschieden  großer  Teil  des  Kerns.  Auf  diese  Weise  erklärt-  es 
sich,  daß  auch  einkernige  Eosinophile  vorhanden  sind,  oft  von 
normaler  Größe.  Im  peripheren  Blut  waren  nur  polymorphkernige 
Eosinophile. 

Nirgend  sind  Zellen,  bei  denen  man  im  Zweifel  über  ihre  Art 
sein  kann,  insbesondere  Übergänge  waren  nicht  vorhanden.  Auch 
an  den  Stellen  der  lakunären  Resorption  der  Muskelsubstanz,  wo 
die  Einwanderung  der  Leukozyten  am  deutlichsten  zu  sehen  ist 


Die  Hornberger  Trichinosisepidemie  etc.  33 

und  der  Prozeß  jedenfalls  am  jüngsten,  liegen  nur  charakteristisclie 
Eosinophile  neben  gewöhnlichen  Eiterzellen.  Selbst  wenn  die  An- 
nahme richtig  ist,  daß  die  eosinophilen  Granula  sich  hier,  an  der 
Stelle  des  Muskelzerfalls  bilden,  so  erscheint  es  auffallend,  daß 
keinerlei  Erscheinungen  den  im  Entstehen  begriffenen  Prozeß  an- 
zeigen. 

Verfolgen  wir  die  von  Brown  aufgestellte  Theorie,  so  müssen 
Eosinophile  jedesmal  entstehen;  wenn  Muskelsubstanz  zerfällt;  es 
muß  also  bei  jeder  Form  von  Myositis  eine  eosinophile  Entzündung 
eintreten,  denn  es  erscheint  sehr  unwahrscheinlich,  daß  in  dem 
einen  Falle  die  Endprodukte  des  Muskelzerfalls  eosinophile  Granula 
sind,  während  alle  anderen  Formen  der  Myositis  nicht  zur  Bildung 
dieser  Granula  reichen. 

Eine  Untersuchung  von  Myositis  bei  anderen  Erkrankungen 
wird  daher  entscheiden  können,  ob  diese  Frage  in  einem  für  die 
Brown'  sehe  Theorie  günstigem  Sinne  gelöst  werden  kann.  Brown 
hat  in  dieser  Richtung  keine  Untersuchungen  angestellt.  Ich  fand 
Gelegenheit,  zwei  Fälle  von  Myositis  typhosa  und  einen  Fall  von 
Myositis  in  der  Nachbarschaft  von  Gangrän  zu  untersuchen.  Die 
Muskelstücke  stammen  aus  dem  Quadriceps,  wurden  z.  T.  in  Formol, 
z.  T.  in  Zenker' scher  Lösung  gehärtet.  Bei  Anwendung  ver- 
schiedener Färbemethoden  gelang  es  nicht,  eosinophile  Zellen  an 
irgend  einer  Stelle  des  Präparats  zu  finden,  ein  Resultat,  das  nicht 
überraschend  wirkt,  wenn  man  sich  erinnert,  daß  die  Eosinophilen 
beim  Typhus  stark  vermindert  sind  oder  überhaupt  fehlen. 

Eine  Erklärung  dieses  so  eigenartigen  Verhaltens  der  Eosino- 
philen im  Muskel  fällt  nicht  schwer,  wenn  wir*  berücksichtigen, 
daß  bei  der  Anwesenheit  aller  Helminthen  im  menschlichen  Körper 
eine  Vermehrung  dieser  Zellen  stattfindet,  wie  schon  früher  er- 
wähnt worden  ist.  Auch  dann  ist  die  Blutveränderung  vorhanden, 
wenn  diese  Parasiten  keine  Muskelerscheinungen  machen  oder  wenn 
sie  nur  im  Darmkanal  leben  und  nicht  in  den  Körper  eindringen. 
Daraus  folgt,  daß  Eosinophilie  vorhanden  ist,  nicht  wenn  Myo- 
sitis besteht,  sondern  wenn  Helminthen  im  Organismus  vor- 
handen sind. 

Die  Myositis  ist  nur  ein  Symptom  einer  mit  Eosinophilie  ver- 
bundenen Erkrankung  und  nicht  die  Ursache  der  Blutveränderung. 
Die  Brown 'sehe  Theorie  erscheint  demnach  unhaltbar. 

Die  Anwesenheit  einer  so  großen  Zahl  dieser  seltenen  Zellart 
im  Muskel  läßt  sich  dadurch  erklären,  daß  der  chemotaktische 
Reiz   hier  ein  viel  stärkerer  sein  muß,  als  irgendwo  anders  im 

Deutsches  Archiv  f.  klin.  Medizin.    LXXX.  Bd.  3 


34  I-  &w<«ip 

IPrpfir,  weil  die  Stoffwechselprodukte  der  Tricbioea  ini  Mu^^ 
konzentrierter  vorhanden  sind  als  im  periplmren  Blut  Damit  steht 
im  Einklang,  daß  an  jenen  Stellen  der  interstitiellau  MyositiSt 
welche  wir  als  die  Wafi^e  der  Parasiten  auffassen,  die  Zellen  zahl- 
reicher sind,  als  an  anderen  Orten.  Es  erscheint  aber  auf  den 
ei^sten  Blick  auffallend,  daß  unmittelbar  am  Sitze  des  Parasiten 
oder  in  seiner  nächsten  Umgebung  sieh  keine  Eosinophilen  finden. 
Allein  wir  können  annehmen,  daß  bis  zu  einem  gewissen  Zeitpunkt 
der  von  den  Parasiten  ausgehende  Beiz  ein  so  starker  ist^  daß  er 
ein  Näherrucken  der  Zellen  verhindert  Untersuchungen  aus  ver- 
schiedenen Stadien  der  Trichinaieinwanderung  werden  über  das 
Verhalten  der  Zellen  in  der  nächsten  Umgebung  der  Trichinen 
weitere  Klärung  schaffen  können,  als  bei  dem  vorliegenden  Material 
der  Fall  sein  kann.  Die  spärliche  Anwesenheit  von  Zellen  auch 
da,  wo  die  Trichinen  nicht  gewandert  sind,  an  Stellen,  wo  die 
interstitielle  Entzündung  nur  gering  ist,  wird  dadurch  bedingt, 
daß  die  Eosinophilen  an  der  lokalen  Entzündung  in  einer  Zahl 
sich  beteiligen,  die  ihrem  Prozentgehalt  unter  den  Leukozyten  des 
peripheren  Blutes  entspricht. 

Brown  nimmt  an,  daß  die  Eosinophilen  im  Muskel  entstehen ; 
die  eosinophile  Leukozytose  muß  nach  seiner  Theorie  daher  eine 
sekundäre  Erscheinung  der  Trichinose  sein,  deren  Grad  abhängig 
ist  von  der  Größe  des  Muskelzerfalls  und  der  Bildung  der  Granula. 
Sie  ist  demnach  nur  der  Ausdruck  eines  anhaltenden  Muskel- 
zerfalls, deren  Endprodukte  in  Form  der  Granula  im  peripheren 
Blute  zirkulieren. 

Es  erscheint  doch  wahrscheinlicher,  daß  die  stärkere  Ansamm- 
lung der  Zellen  im  Muskel  durch  eine  Auswanderung  aus  der  Blut- 
bahn  erfolgt,  weil  der  chemotaktische  Reiz  sie  nach  diesen  Stellen 
besonders  stark  anlockt.  Daß  eine  Auswanderung  möglieh  ist,  be- 
weisen Untersuchungen  über  den  Inhalt  von  Kantharidenblasen, 
die  ich  bei  8  Personen,  die  an  Trichinosis  litten,  erzeugt  habe. 
Die  E.  betrugen  zwischen  7  und  40  ®/o  aller  im  Exsudat  vorhandenen 
Zellen;  in  einem  Falle  tmt  mit  der  Steigerung  der  Eosinophilie 
des  peripheren  Blutes  auch  eine  Zunahme  dieser  Zellen  in  der 
Eantharidenblase  ein.  Kontrollversuche  bei  5  gesunden  Personen 
ergaben,  daß  die  E.  spärlich,  bis  zu  3%  vertreten  waren.  Im 
hängenden  Tropfen  sind  die  Protoplasmafortsätze  dieser  Zellen  gut 
zu  beobachten.  Oft  wird  der  ganze  Zellleib  vom  Kern  eingenommen 
und  alle  Granula  liegen  in  den  Pseudopodien,  oder  einzelne  Granula 


Die  Hornberger  Triehmosisepideniie  etc.  35 

m  aafierhalb  der  Zelle,  an  einem  kurzen,  feinen  Plasmafaden 
flottierend. 

Diese  Befunde  scheinen  auf  den  ersten  Blick  im  Widerspruch 
zu  stehen  mit  dem  bekannten  Neu ßer 'sehen  Experiment  und  den 
Beobachtungen  von  Lerrede-Perin,  aus  welchen  sich  ergibt, 
daß  eosinophile  und  neutrophile  Zellen  von  verschieden  chemotak- 
tischer Eeizbarkeit  sind ;  demgemäß  können  die  K  nur  an  die  Orte 
wandern,  welche  einen  für  sie  spezifischen  Keizstoff  besitzen.  Meine 
Befunde  beweisen  in  erster  Linie,  daß  diese  Zellen  einer  Emigration 
fSing  sind;  sie  wandern  auch  in  die  Eantharidenblase  ein,  weil 
eine  bestimmte  Menge  des  spezifischen  Agens  aus  dem  zirkulieren- 
den Blute  natürlich  auch  mit  in  die  Blase  übergetreten  ist.  An 
der  Hautentzündung  beteiligen  sich  die  Zellen  annähernd  ent- 
sprechend ihrem  Prozentsatz  im  peripheren  Blute. 

über  die  Bedeutung  und  Herkunft  der  eosinophilen  Zellen 
wurden  mannigfache  Ansichten  aufgestellt;  eine  kritische  Beleuch- 
tung dieser  Theorien  findet  sich  in  der  Arbeit  von  A.  Wolf  f. 
Aus  den  Ergebnissen,  zu  denen  dieser  Autor  kommt,  ersieht  man, 
daß  Ort  und  Art  ihrer  Entstehung  sowie  ihre  physiologische  Auf- 
gabe ein  noch  ungelöstes  Problem  ist.  Über  den  Ort  ihres  Ent- 
stehens herrschen  zwei  Ansichten;  die  eine  läßt  sich  zusammen- 
fassen in  den  Begriff  „lokale  Entstehung",  Ehrlich  und  seine 
Schüler  sehen  immer  noch  im  Knochenmark  die  alleinige  Stätte 
ihrer  Bildung. 

Diese,  auch  bei  der  Trichinose  sich  aufdrängende  Frage  nach 
der  Herkunft  dieser  Zellen  läßt  sich  auf  Grund  des  vorliegenden 
Materials  und  der  an  ihm  ausgeführten  Untersuchungen  nicht 
beantworten.  Man  wird  durch  weitere  Untersuchungen  beim  Tier- 
experiment ihrer  Lösung  näher  kommen  können,  denn  es  ist  wohl 
sicher,  daß  der  Beginn  dieser  so  starken  Vermehrung  der  normaler- 
weise spärlich  vertretenen  Zellart  sich  am  Orte  ihres  Entstehens 
wird  erkennen  lassen. 

Es  erscheint  mir  aber  von  Wert,  nachgewiesen  zu  haben,  daß 
die  Eosinophilen  nicht  lokal  entstehen  bei  einer  Er- 
krankung, deren  Erreger  in  ihrer  Wirkung  auf  das 
sie  umgebende  Gewebe  genau  beobachtet  werden 
können.  Die  Tatsache,  daß  alle  Helminthen,  auch  dann,  wenn 
sie  mcht  in  den  Körper  eindringen,  Eosinophilie  verursachen, 
spricht  yidtmehr  daffir,  daß  ihre  Stoffwechselprodukte  auf  die  nor- 
malen Bildungsstätten   der  Eosinophilen  einen  verschieden 

3* 


36  I-    SCHLKIP 

großen  Reiz  ausüben,  der  zu  einer  Vermehrung  dieser  Zellen  und 
zu  ihrer  Überw'anderung  in  das  Blut  führt. 

Zusammenfassung. 

Die  klinischen  Krankheitserscheinungen  bei  der  Trichinosis 
reichen  nicht  aus,  eine  sichere  Diagnose  dieser  Erkrankung  zu 
stellen.  In  Einzelfallen  wird  die  Diagnose  ungleich  schwieriger^ 
als  bei  Epidemien. 

Zahlreiche,  nicht  erkannte  sporadische  Erkrankungen  beweisen, 
daß  die  Trichinosis  sehr  (wahrscheinlich  deshalb  so  selten  diagnosti- 
ziert wird,  weil  sie  bei  Einzelerkrankungen  nicht  erkannt  wird  oder 
nicht  erkannt  werden  kann. 

Durch  die  in  */&  etiler  Fälle  vorhandene  Milzschwellung  bei 
der  Trichinosis  schwindet  ein  wertvolles,  diflferentialdiagnostisches 
Symptom  gegenüber  dem  Abdominaltyphus;  die  Auffindung  eines 
neuen,  sicheren  Krankheitssymptoms  gewinnt  dadurch  noch  an  Wert. 

Die  Blutuntersuchung  ist  neben  dem  ungleich  umständ- 
licheren Verfahren  der  Muskelexzision  die  wertvollsteMethode 
zur  sicheren  Diagnose  der  Trichinosis;  sie  ermöglicht  mit  großer 
Wahrscheinlichkeit  eine  Diagnose  schon  dann,  wenn  die  Trichinen 
noch  nicht  in  den  Muskel  eingewandert  sind. 

Die  eosinophilen  Zellen  zeigen  eine  fast  regel- 
mäßige hochgradige  Vermehrung.  Andere,  mit  Eosinophilie 
verbundene  Erkrankungen  sind  selten,  ihr  Krankheitsbild  sehr  ver- 
schieden von  dem  der  Trichinosis.  Diese  Blutveränderung  ist  daher 
für  die  Trichinosis  pathognomonisch. 

Für  die  einzelnen  Stadien  der  Erkrankung  sind  die  Schwan- 
kungen in  den  Mengenverhältnissen  der  Leukozytenarten  charak- 
teristisch und  bedingt:  1.  durch  die  Wirkung  der,  A^on  den  Trichinen 
ausgehenden  Stoffwechselprodukte  auf  die  Bildungsstätten  der  Leuko- 
zyten, 2.  durch  eine  in  der  Rekonvaleszenz  auftretende  Veränderung 
des  lymphatischen  Apparates  und  wahrscheinlich  durch  einen  Zerfall 
von  eosinophilen  Leukozyten. 

Während  der  Erkrankung  tritt  in  vielen  Fällen  Leukozytose, 
in  fast  allen  hochgradige  Eosinophilie  ein,  während  die  neutrophilen 
Zellen  eine  prozentuelle  und  absolute  Verminderung  erfahren. 

In  der  Rekonvaleszenz  findet  eine  starke  Vermehrung  der 
Lymphozyten  statt  und  eine  Überschwemmung  des  Blutes  durch 
Blutplättchen.  Gleichzeitig  zeigen  mit  der  Abnahme  der  im 
Blute  kreisenden  chemotaktischen  Stoffe  die  neutrophilen  Zellen  das 


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Deutsches  ArrM"  f  klinische  ilediciii  Bd.OXX. 


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Die  Hornberger  Trichinosisepidemie  etc.  37 

Bestreben,  ihre  normalen  Werte  wieder  zu  erreichen,  während  die 
Eosinophilen  allmählich  verschwinden. 

Im  peripheren  Blute  haben  die  Eosinophilen  normales  Aus- 
sehen ;  aus  dem  seltenen  Vorkommen  von  Ubergangsformen  zwischen 
ihnen  und  den  basophilen  Zellen  ist  auf  die  Entstehung  ersterer 
Zellart  kein  sicherer  Schluß  zu  ziehen. 

Die  interstitielle  Myositis  ist  bei  der  Trichinosis  stark  aus- 
geprägt und  tritt  herdweise  auf;  sie  ist  bedingt  durch  eine  erhöhte 
Zuwanderung  eosinophiler  Leukozyten  nach  diesen  Herden,  welche 
wahrscheinlich  die  Wege  der  wandernden  Parasiten  darstellen.  Die 
stärkere  Ansammlung  von  Eosinophilen  im  Muskel  kommt  dadurch 
zustande,  daß  der  spezifische  Reiz  hier  ein  größerer  ist,  als  an 
anderen  Orten. 

Das  Fehlen  von  unreifen  Eosinophilen  im  Muskel  bei  der 
trichinösen  und  das  völlige  Fehlen  der  Eosinophilen  bei  anderen 
Formen  von  Myositis  sprechen  gegen  die  Ansicht,  daß  die  eosino- 
philen Granula  aus  zerfallender  Muskelsubstanz  entstehen. 

Das  regelmäßige  Vorkommen  von  eosinophilen  Zellen  bei  allen 
Erkrankungen,  die  durch  Helminthen  bedingt  sind,  auch  bei  solchen, 
die  nicht  in  den  Körper  einwandern  und  keine  Myositis  machen, 
führt  vielmehr  zu  der  Überzeugung,  daß  die  Eosinophilie  nicht  eine 
Folge  der  Myositis,  sondern  der  Helminthiasis  ist,  zustande  ge- 
kommen durch  chemotaktische  Wirkung. 

Mit  aufrichtigem  Danke  gedenke  ich  meines  früheren  Chefs, 
Herrn  Geheimrat  Bäumler,  der  mir  die  x\nregung  gab,  auf  dem 
Gebiete  der  Hämatologie  zu  arbeiten  und  dessen  großem  Interesse 
an  meiner  Arbeit  ich  vieles  verdanke,  sowie  des  Herni  Geheimrat 
Ziegler,  der  mich  mit  seinem  Eat  unterstützte. 

Erklärung  der  Abbildnngeu  auf  Tafel  I. 

Figur  1.  Längsschnitt  durch  ein  Muskelstück  mit  2  Trichinen 
(Hämatoxylin-Eosin.  Zeiß :  Objekt.  A.  Ok.  6).  In  dem  homogenen  Inhalt  der  im 
Entstehen  berufenen  Kapsel  stellt  die  fächerförmig  begrenzte  Lücke  den  Sitz 
der  Trichine  dar,  deren  Leib  ausgefallen  ist.  Im  übrigen  Kapselinhalt  die  großen, 
bläschenfc^rmigen  Fibroblasten.  Die  Kapsel  ist  umgeben  von  einem  Wall  klein- 
zelliger Infiltration,  wesentlich  aus  Lymphozyten  bestehend.  In  der  Nachbar- 
scbait  in  verschieden  starkem  Grade  der  Auflösung  begriifene  Muskelfasern,  die 
sich  mehr  oder  minder  stark  mit  Eosin  gefärbt  haben.  ^  In  einem  Brei  zugrunde 
gegangener  Muskelsubstanz  sind  eosinophile  Leukozyten  gerade  noch  erkennbar. 

Fip^ur  2.  Längsschnitt  durch  eine  herdförmige  interstitielle 
Myositis  (Zeiß:  Vü  Ölimmersion,  Ok.  6).  Die  Muskelfasern  sind  durch  eine 
zellige  Infiltration  auseinander^edrängt,  die  großenteils  aus  polynukleären  eosino- 
philen Leukozyten  besteht;  zwischen  diesen  spärlich  neutrophile  Leukozyten  und 
einige  Erythrozyten.    Hier   und  da   anscheinend  mononukleäre  Eosinophile  und 


38  I-  ScHLBip,  Die  ÜMohearg^  Triririanriiepidemie  etc. 

frei  liegende  eoeincmhile  GranalaliuiJElBn,  bedingt  durch  die  Tenchiedene  Lage 
der  betreffenden  Zellen  znr  Schnittfläche.  Linls  Einbruch  yon  eosinophilen  nnd 
nentrophüen  Leukozyten  in  eine  deraierierende  MnskeliMer.  Vereinseite  in 
Wnchening  begriffme  spiralige  Muskäkenie. 


Literatur. 


(Es  sind  hier  nnr  Autoren  erwähnt,  welche  in  den  bekannten  Lehrbflchem  keine 

oder  seltene  Erwähnung  finden.) 

1.  Atkinson,  Philadelphia  Medical  Journal  1899  p.  1243. 

2.  Blumer  and  Neu  mann,  American  Jonm.  Med.  Seiences.  1900  (zitiert  nach 
Cabot). 

3.  Brown,  Thomas  R.,  Stndies  of  Triehinosis.    Journal  of  ezperimental  me- 
dizin  1898  Vol.  JII  p.  315. 

4.  Derselbe,  Soc.  for  Original  Research  1899  (zitiert  nach  Cabot). 

5.  Da  Costa,  Clinical  Haematolo^y  1901. 

6.  Mc.  Crae,  Thomas,  A  Case  ot  Typhoid  Fever,  with  Trichinosis  and  Eosino- 
philia.   The  American  Journal  of  the  Medical  Sciences.   July  1902. 

7.  Gwyn,  Norman  B.,  Ein. fünfter  Fall  von  Trichinosis  mit  Vermehrung  der 
eos.  Zellen.   Zentralbl.  f.  Bakt  1899  p.  746. 

8.  Howard,  Philadelphia  Medical  Journal.  1899  p.  1243. 

9.  Kerr,  W.  W.,  Philadelphia  Med.  Jonmal.   Aug.  1900. 

10.  Leishmann,  W.  B.,  A  simple  aod  rapid  method  of  produdng  Romaaow^y 
staining  in  malaria  and  other  blood  films.  The  British  Medical  Journal  1901. 
21.  Sept. 

11.  Stransky,  F.  y.,  Ein  Fall  von  Trichinosis.  Prager  medizin.  Woehenaehr. 
1897  p.  597. 

12.  Thayer,  W.  S.,  On  the  increase  of  the  eos.  cells  in  the  circnlating  blood 
in  trichinosis.    The  Lancet  1897,  Sept.  25,  p.  787. 

13.  Cabot,  A  gnide  of  clinical  examination  of  the  blood.  III.  Auflage  1898. 
Longmans  Green  n.  Comp. 


u. 

Ans  dem  pathalogischen  Institut  ixi  Lefipzig. 

(Prof.  Marchand.) 

Zur  pathol(^8cheii  Anatomie  der  Kapselbazülen^Pnemnonie 
(nebst  Anhang  Aber  Eapselbazillen-Meningitis). 

Ton 

9r.  lelil^r«  fiekaira  aus  Japan. 

(Itot  Tafel  n.) 

Während  im  allgemeinen  die  Bedeutung  der  Friedländer'schen 
Kapselbazillen  fiir  die  Ätiologie  eines  gewissen  Teils  der  Fälle  von 
genuiner  („kroupöser*^)  Pneumonie  heute  anerkannt  ist,  pflegt  man 
sowohl  in  der  klinischen  als  in  der  pathologisch-anatomischen  Sehil^ 
derung  dieser  Krankheit  keine  Unterscheidung  der  durch  verschie- 
dene Mikroorganismen  charakterisierten  Pneumonieformen  zu  machen. 
Man  begnügt  sich  meisrt  mit  der  seit  altersher  gebräuchlichen  Be- 
schreibung der  kroupSsen  Pneumonie  mit  ihren  verschiedenen  Stadien, 
ohne  zu  bedenken,  daß  doch  diese  Besehreibung  keineswegs  auf 
alle  Fälle  in  gleichem  Maße  paßt.  Aufrecht,  einer  der  neuesten 
Autoren  über  die  Lungenentzilfndüngen,  leugnet  die  Bedeutung 
der  Friedländer'schen  Kapselbazillen  ganz.  Soviel  uns  bekannt  ist, 
liegt  in  der  Literatur  noch  keine  spezielle  pathologisch-anatomische 
Arbeit  über  die  Pneumonie  dui'ch  Friedländer'sche  Kapselbazillen 
vor.  Herr  Gehein^rat  Matchand  hatte  daher  die  Güte,  mich  zur 
pathotogiscb-anatomiseheB  Untersuchung  dieser  Pneumonien  anzu- 
regen, wofür  ich  ihm  hier  meinen  tiefgefühlten  Dank  ausspreche! 

Klebs(.l)  faad  1875  im  Bronehialii^alt  tob  Pneuraomkern  Bak- 
terien („Moftediuen")^  denen  er  ätiologisohe  Bedeutung  snschrieb.  Wich^ 
tiger  warea  die  AngAben  tcm  Eb e rth  (3)  über  charakteriotisohe  Bskterie»- 
formen  im  kranken  Lnngengewebe  nnd  in  ttenin^ischen  £iter  bei  Pne»- 
monie  und  die  Befände  von  Koch  (3)  im  entzündeten  Lungengewebe. 
Trieälitni^r  (4)^  hthch  dtrrch  seine  Entdeckung  von  sog.  „Kapsel- 
kö'bke*^  (iCa^ftelfc'St^illeh)  ktt  pneuaiöAischen  Gewebe  er*t  Bahn  zu 


40  II.    EOSAWA 

eiogehenden  Tlntersuchungen  der  Fnenmonieerreger.  Leyden(5)  und 
Günther  (6)  wiesen  bereits  1882  Pneomoniekokken  in  den  pneu- 
monischen Langen  von  Lebenden  mittels  Entnahme  dnrch  Fanktion  nach. 
A.  Fränkel(7)  hat  das  Verdienst,  die  Diplokokken  als  haupt- 
sächliche Erreger  der  kroupösen  Pneumonie  nachgewiesen, 
und  ihre  Verschiedenheit  von  den  Mikroorganismen 
Friedl anderes  dargetan  zu  haben,  denen  er  eine  ätiologische 
Bedeutung  absprach.  Talamon  gab  vor  A.  Frankel  1883  die  lanzett» 
fÖrmigen  Kokken  als  Pneumonieerreger  an,  die  sich  gegen  Tiere  anders 
verhielten,  als  die  Friedländer'sohen  Kapselbazillen  und  von  A.  Frank  el 
mit  seinen  Diplokokken  identifiziert  wurden.  Die  Beziehungen  der  von 
Friedländer  und  Fränkel  angegebenen  Erreger  zur  Pneumonie 
wurden  aber  erst  durch  die  gründliche  Arbeit  von  AVeichselbaum  (8) 
klar.  Er  konstatierte  bei  seinen  129  Fällen  verschiedener  Arten  Pneu- 
monien 94mal  Fränkel'sche  Pneumoniekokken  „Diplococcusi^ 
pneumoniae",  9 mal  Friedländer'sche  Kapselbazillen  „Ba- 
cillus pneumoniae^S  21  mal  Streptokokken  „Streptococcus  pneumoniae*', 
4  mal  Staphylokokken,  „Staphylococcus  pneumoniae ^^  sowohl  mikroskopisch 
im  Gewebe  als  auch  auf  dem  Wege  der  Kultur.  Seit  Weichselbaum's 
VeröffentlichuDg  lauten  die  meisten  Arbeiten  über  Pneumonieerreger  zu- 
gunsten der  Fränkel- Weichselbaum'schen  Diplokokken.  So  fand  Wolf  (9) 
unter  seinen  70  Fällen  66  mal  Diplokokken.  Aufrecht  (10)  und 
Baumgarten  (11)  nehmen  deshalb  diese  als  ausschließliche  Erreger 
der  kroupösen  Pneumonie  an,  während  Kibbert  (12),  Kaufmann  (13), 
Ziegler  (14)  und  andere  Pathologen  den  Friedländer' sehen  Kapsel- 
bazillen in  der  Minderzahl  der  kroupösen  Pneumonie  eine  ätiologische 
Bedeutung  beimessen. 

Bezüglich  der  Friedländer'schen  Kapselbazillen 
finden  sich  in  der  Literatur  bereits  viele  Angaben,  nach 
denen  sie  bei  vereinzelten  Fällen  von  lobären  Pneu- 
monien als  alleinige  Erreger  konstatiert  wurden.  So  fand 
diese  Bazillen  Dreschfeld  (15)  bei  einer  Wanderpneumonie  eines 
Kindes,  Chrostowki  (16)  und  Jakowski  (16)  in  2  Fällen,  Gal- 
vagni(17)  in  einem  Falle  von  Pneumonie,  Oomba(18)  in  einem  Fall 
von  Septikämie  nach  Pneumonie,  Netter  (19)  bei  12  Bronchopneumonien 
gegenüber  121  lobären  Pneumonien  und  48  Bronchopneumonien  (er  be- 
hauptet dabei,  daß  die  Kapselbazillen  nicht  nur  Bronchopneumonie, 
sondern  auch  lobäre  Pneumonie  hervorbringen  können),  Siredey(20) 
bei  letalem  Empyem  nach  gangräneszierender  Pneumonie,  W.  H.  Smith  (21) 
bei  einem  Falle  von  Pneumonie  und  Septikämie ,  Curry  (22)  bei 
12  Fällen  von  Pneumonie  und  Banti  (23)  einmal  unter  55  Fällen  von 
Pneumonie.  Da  die  Arbeiten  der  genannten  Autoren  meist  auf  die 
ätiologische  Seite  gerichtet  waren,  so  wurde  das  pathologisch- anatomische 
Verhalten  der  erkrankten  Lungenteile  nicht  genauer  beschrieben,  so  daß 
man  nicht  ersehen  kann,  wie  fern  sich  das  letztere  von  der  sogenannten 
genuinen  Pneumonie  (Diplokokkenpneumonie)  unterscheidet. 

Professor  Marchand  (24)  berichtete  im  Jahre  1893  über  eine 
durch  das  Vorhandensein  außerordentlich  reichlicher  Kapselbazillen 


Zur  pathologischen  Anatomie  der  Eapselbazillen-Pneumonie  etc.  41 

ausgezeichnete  Pneumonie.  Infolge  der  ungewöhnlich  starken  Ent- 
wicklung der  gallertigen  Masse  in  der  Kultur  und  einiger  anderen 
Eigentümlichkeiten  glaubte  Professor  Marchand,  diese  Bazillen 
für  eine  von  den  Friedländer'schen  verschiedene  Form  halten  zu 
sollen,  doch  scheint  es  sich  tatsächlich  nur  um  eine  Varietät  zu 
handeln,  da  auch  bei  unzweifelhaften  Friedländer'schen  Bazillen 
unterschiede  im  Verhalten  der  Kulturen  nicht  selten  vorkommen. 
Demnach  kann  das  Ergebnis  der  histologischen  Untersuchung  dieses 
Falls  durch  Professor  Marchand  hier  ebenfalls  verwertet  werden, 
welches  ich  hier  folgen  lasse. 

„Die  pneamoniscbe  Infiltration  nahm  den  oberen  Lappen  der  rechten 
Lunge  einer  74  jährigen  Frau  ein,  und  zeichnete  sich  durch  sehr  auf- 
fallend gelblich  weiße,  stellenweise  rein  weiße  Farbe  der  Schnittflächen 
bei  großer  Weichheit  und  schleimiger  Beschaffenheit  des  Exsudates  aus. 
Bei  mikroskopischer  Untersuchung  fanden  sich  darin  Bazillen  von  sehr 
verschiedener  Länge,  teils  kurze  kokkenäbnliche  Formen,  teils  lange  ge- 
schlängelte Fäden,  welche  sämtlich  durch  sehr  breite  Kapseln  ausgezeichnet 
waren,  während  der  eigentliche  sich  leicht  färbende  Bakterienkörper  im 
Linem  der  Fäden  geringe  Dicke  und  unregelmäßige  Gliederung  zeigte. 
Die  Bakterien  fanden  sich  häufig  im  Innern  der  stark  vergrößerten,  mit 
Vakuolen  versehenen  Exsudatzellen,  aber  auch  zwischen  denselben  stellen- 
weise dicht  aneinander  gedrängt.  Andere  Bakterienformen  wurden  nicht 
gefunden.  Infektionsversuche  gelangen  leicht  bei  Mäusen,  Meerschweinchen 
und  Katzen,  weniger  leicht  bei  Hunden.  Sie  äußerten  sich:  1.  in  lokalen 
entzündlichen  Veränderungen,  sodann  im  Entzündungsprozeß  in  entlegenen 
Organen  und  in  allgemeiner  Infektion. 

Die  lokalen  Veränderungen  waren  entweder  dick  gallertartige,  in 
der  Mitte  mehr  eiterige  Infiltration  oder  sich  durch  schleimig  faden- 
ziehendes, blaßgraues,  an  Eiterzellen  armes  Exsudat  auszeichnend,  aber 
immer  massenhafte  Kapselbazillen  enthaltend.  Nach  Injektion  einer  ge- 
ringen Menge  Bouillonkultur  in  die  Trachea  bei  Meerschweinchen  bilden 
sich  in  den  Lungen  gelbe,  aus  infiltriertem  und  nekrotischem  Lungen- 
parenchym bestehende  Herde  und  reichliches  pleuritisches  Exsudat  von 
schleimig- fadenziehender  blaßgrauer  Beschaffenheit.  Die  Wirkung  der 
Bazillen  auf  entfernte  Organe  bestand  in  Meningitis,  Panophthalmitis  etc. 
Die  allgemeine  Infektion  trat  bei  Mäusen  stets  in  kurzer  Zeit  ein,  zahl- 
reiche Bazillen  waren  dann  im  Blute,  besonders  in  der  Milz  nachweisbar. 

Von  besonderem  Interesse  ist  das  Verhalten  der  zelligen  Elemente 
des  abgestrichenen  Saftes  der  hepatisierten  Lungenteile.  Zum  größten 
Teil  bestehen  dieselben  aus  deutlich  erkennbaren  ein-  und  mehrkemigen 
Leukozyten,  welche  meistens  eine  stark  körnige  Beschaffenheit  haben. 
Dazwischen  finden  sich  in  großer  Zahl  ungewöhnlich  große  Zellen  von 
stark  gequollenem  Aussehen,  Abkömmlinge  von  Epithelzellen.  Sie  sind 
sämtlich  durch  das  Vorhandensein  heller  rundlicher  Vakuolen  ausgezeichnet, 
durch  welche  das  feinkörnige  Protoplasma  auseinandergedrängt  ist  und 
netzförmig  erscheint.     Die  Vakuolen  sind  verschieden  groß  und  gestaltet, 


42  n.    KOKAWA 

kreisförmig  oder  iXagli^hfniidy  oder  Muih  dureb  gegemreitige  Andiiaad^f* 
lagerung  unregelmäfiig  geformt»     Die   größeren   Vakuolen   sind   bald  so 

froß,  bald  erheblich  größer  wie  ein  normales  farbloses  Blutkörperohon. 
^ie  Kerne  dieser  großen  Zellen  sind,  soweit  sie  zwischen  dichtgedrängten 
Vakuolen  erkennbar  sind,  einfach  und  läoglichrund,  zuweileji  ganz  an  die 
Seite  gedrängt  nnd  abgeplattet,  h&nfig  ist  der  Kern  ganafi  ondentlich. 
Zuweilen  wird  enne  kleinere  rundliehe  Zelle  ganz  durch  eine  gf^^ße 
kugelige  Vakuole  eingenommen ^  neben  weleher  nur  noeh  ein  halbnond- 
förmiger  Protoplasmarest  mit  dem  Kern  übrig  geblieben  ist. 

Am  schönsten  kann  man  diese  verschiedenen  Zellformen  verao- 
schaulichen,  indem  man  sie  in  etwas  reichlicher  Flüssigkeit  unter  dem 
Deckglas  rollen  läßt.  Schwache  Jodlösüng  läßt  das  netzförmige  t^roto- 
plasma  zwischen  den  Vakuolen  durch  gelbliche  Färbung  sehr  deutlich 
hervortreten.  Das  homogene  Protoplasma  kleiner  vi^uolenfreier  j^ellen 
färbt  sich  dabei  rötlich  (Glykogen).  Noch  schöner  stellen  sich  die  Zellen 
bei  Zusatz  einer  schwachen  wässerigen  Kethylenblaulösung  am  Bande 
des  Deckgläschens  dar,  das  netzförmige  Protoplasma  nimmt  eine  blaß» 
blaue,  die  Kerne  eine  dunkelblaue  Färbung  an  (Fig.   1 — 3). 

Die  Vakuolen  in  den  Zellen  stehen  in  naher  Beziehnng  zu  den 
Bazillen,  denn  der  größte  Teil  der  Vakuolen  schließt  kürzere  oder 
längere  Stäbchen  ein,  welche  bei  der  Methylenblaubehandlung  zum  Teil 
eine  blaßblaue  Färbung  annehmen,  zum  Teil  farl^s  bleiben. 

Meist  liegt  nur  ein  Stäbchen  in  der  Mitte  einer  Vakuole,  deren 
Größe  und  Gestalt  sich  nach  der  Länge  des  Stäbchens  richtet;  in  den 
größeren  Vakuolen  liegen  indes  auch  mehrere  kürzere  Stäbchen  hinter- 
und  nebeneinander,  oder  eine  größere  Anzahl  kürzerer  und  längerer  ge- 
krümmter Bazillen;  in  vielen  Vakuolen  sind  andererseits  keine  Stäbohen 
sichtbar;  es  scheint,  daß  dieselben  ausgetreten  sind,  dafür  sprieht,  daß 
man  zuweilen  ein  Stäbchen  nach  außen  hervorragen  sieht. 

Gute  Bakterienfarbungen  waren  in  Schnitten  schwerer  zu  ^ifhdlieth 
als  an  Deckglaspräparaten :  Karbol fuchsin  mit  naehträglichem  Auswaschen 
in  Alkohol  lieferte  stellenweise  gute  Bilder;  doch  wurden  die  Bazillen 
leicht  durch  den  Alkohol  entfärbt,  uod  dann  durch  Kwne  verdeekt 
(besser  gelingt  die  Färbung  an  nicht  eingebetteten  Schnitten).  Ahnlidh 
verhält  es  sich  bei  der  Färbung  mit  dem  eiufach  wässerigen  oder  Jjöffler- 
schen  Methylenblau.  Doppelfärbungen  mit  Karbolfuchsin  und  Methylen- 
blau in  verschiedenen  Modifikationen  sind  auch  teilweise  erfolgreich.  Mit 
der  Gram'schen  Methode  gelang  es  dicht,  die  Bakterien  au  färben;  da- 
gegen leistete  die  Weigert' sehe  Fibrinfarbungsmethode  gute  Dienste.  Die 
Bakterien  werden  vielfach  nicht  gleichmäßig  gefärbt,  indem  stellenweise 
nur  der  zentrale  Faden  dunkel  erscheint,  die  Kapsel  hell  und  verwaschen, 
während  an  anderen  Stellen  die  Bazillen  mit  dunkel  tingierten  Kapseln 
viel  dicker  aussehen.  Oft  ist  nur  die  äußere  Schicht  der  Kapsel  ge- 
färbt, das  Innere  hell.  An  Schnitten  der  in  Flemmiug'scher  Lösung 
ohne  Bücksicht  auf  Bakterienfarbung  gehärteten  Stücke  färbt  sich  nur 
die  äußere  Schicht  der  Kapseln,  so  daß  die  Bszillen  an  diesen  Schnitten 
wie  dicke  hohle  Schläuche  aussehen.^ 

Mir  wurden   7   Fälle   von   Pneumonie   mit  Friedländer'scbem 


Zur  pathologischen  Anatoaü«  dei  Eapselbazillen-Pneumonie  etc.         43 

Eapfldbazülen  zur  Yerffigimg  gestellt  Die  Lungenstficke  waren 
mit  Orth'scber  Flüssigkeit  oder  mit  Formol  oder  mit  Sublimat,  oder 
mit  Alkohol  vorbehandelt  tind  dann  in  Alkohol  aufbewahrt. 

Bei  der  Untersuchung  derselben  habe  ich  hauptsächlich  Celloi- 
din,  zum  Teil  auch  Paraffin  zur  Einbettung  benützt.  Zur  Färbung 
der  Schnitte  kamen  Eosinhämatoxinlösung,  Tan  Gieson'ache  Methode 
alkalische  Metbjlenblaulösnng  nird  Facbsinlösang  fUr  Bakterien- 
färbnng,  ftr  Fibrinfärbung  die  Weigert'sche  Methode  in  Anwendung. 

Bei  der  Untersuchung  verschiedener  Krankheitsstadien  zog  ich 
ongeiUir  entsprechende  Stadien  von  der  genuinen  kroupösen  Pneu- 
monie zum  Vergleich.  Bezüglich  der  letzteren  bekam  ich  14  Fälle, 
worunter  4  Fälle  im  Stadium  der  grauen,  3  Fälle  im  Stadium  der 
grauroten,  3  Fälle  in  Stadium  der  graugelben,  2  Fälle  im  Stadium 
der  roten  und  2  Fälle  im  Beginn  der  Resolution  waren.  Sie  wurden 
teils  mit  Orth'scher  Flüssigkeit,  teils  mit  Format  gehärtet.  Die 
Färbung  geschah  ganz  nach  den  oben  erwähnten  Methoden.  Es 
sei  mir  hier  gestattet,  die  einzelnen  Fälle  von  Pneumonie  zu  be- 
schreiben, bei  welcher  die  ausschließliche  Anwesenheit  von  Bazillen 
im  Lungengewebe  sowohl  durch  Äbstrichpräparate  als  durch  den 
Weg  der  Kultur  im  pathologischen  Institute  bereits  festgestellt 
war.  Nur  die  Präparate  des  ersten  Falles  stammen  von  einem  im 
pathologischen  Institut  zu  Marburg  sezierten  Fall. 

¥aU  I  (Mann  yon  38  Jahren,  f  7.  Dezember  1898). 
Krankheit sdaaer:  6  Tage;  Ikterus  seit  dem  5.  Krankheitstage. 
Sektionsbefund  der  Langen  (7.  Dezember  1898:^)) 

Linke  Lunge :  Oberlappen  kolossal  umfangreich  und  schwer ;  das  ganze 
Parench^  hepatisiert ;  an  der  Oberfläche  Terbreitete  fibrinöse  Eanhigkeiten ; 
die  Schnittfläche  zum  Teil  gelblichroty  zum  Teil  dnnkelrot  und  deutlich 
kornig.  Lingala  schlaff  und  luftleer,  im  Innern  eine  feste  Partie  aus 
einer  großen  Anzahl  infiltrierter  Lobuli  enthaltend.  TJnterlappen  viel 
weniger  umfangreich,  enthält  im  Innern  vereinzelte,  ziemlich  derbe  dunkel- 
rote Infiltrate,  das  übrige  Parenchym  vollständig  komprimiert  und  luft- 
leer ;  die  Schnittfläche  der  infiltrierte«  Herde  dunkelrot  und  deutlich  körnig. 

Hechte  Lunge  (in  jedem  Lappen)  einige  zirkumskripte,  ziemlich  ver- 
breitete derbe  lobuläre  Infiltrate  von  dunkelroter  Beschaffenheit  enthaltend ; 
die  Schnittfläche  der  Infiltrate  deutlich  körnig;  das  übrige  Parenchym 
noch  lufthaltig,  aber  stark  ödematös. 

Die  Schnittfläche  beider  Lungen  sehr  schlüpfrig,  läßt  schleimige 
fadenziehende  Flüssigkeit  abstreichen.  Im  Abstrich  finden  sich  (ebenso 
in   den  Schnitten)  ganz  kolossale  Mengen  von  ziemlich  plumpeu  Bazillen 


1)  Für  die  Absehrift  des  Protokolls  bin  ich  Herrn  Dr.  Matsuska  zu  Dank 
veipfliebtet. 


44  II-    KOKAWA 

mit   sehr   deutlichen  Kapseln.     Die  Bazillen  sind  vielfach  zn  Fäden  mit 
einer  gemeinsamen  Gallerthülle  angewachsen. 

Bei  diesem  Falle  handelt  es  sich  um  eine  fast  gänzliche  pneumonische 
Infiltration  des  linken  Oherlappens  mit  zahlreichen  lobulären  Infiltrations- 
herden der  übrigen  Lungenteile,  meist  im  Stadium  der  roten  Hepatisation. 

Befunde  der  histologischen  Untersuchung  der  er- 
krankten Lungenteile: 

Die  Alveolen  ad  maximum  erweitert,  mit  einem  ans  Fibrin,  Leuko- 
zyten, desquamiertem  Alveolarepithel  und  roten  Blutkörperchen  bestehenden 
Exsudate  ausgefüllt.  Die  Verteilung  der  genannten  Formelemente  des 
Exsudates  ist  aber  nicht  so  regelmäßig,  wie  bei  der  kroupösen  (Diplo- 
kokken-) Pneumonie  von  gleichem  Stadium,  in  vielen  Alveolen  Leukozyten 
und  Epithelzellen,  in  anderen  Fibrin,  wieder  in  anderen  rote  Blut- 
körperchen vorwiegend,  so  daß  das  Bild  schon  bei  der  schwachen  Ver- 
größerung ganz  anders  aussieht,  als  bei  der  Diplokokkenpneumonie,  bei 
welcher  häufig  zelliges  Exsudat  in  Bronchiolen  und  Infundibula  und  in 
den  denselben  angrenzenden  Alveolen,  fibrinöses  Exsudat  aber  in  weit 
von  ihnen  entfernten  Alveolen,  wie  Bezzola(25)  und  Ribbert  ge- 
funden haben,  in  regelmäßiger  Anordnung  zu  treffen  sind. 

Bei  starker  Vergrößerung  ist  folgendes  zu  konstatieren : 

Die  Leukozyten  sind  meist  mehrkernig.  Viele  von  ihnen  sind  stark 
gequollen  und  eine  oder  mehrere  Vakuolen  enthaltend.  Das  Zellproto- 
plasma ist  dabei  entweder  durch  das  An  ein  and  erliegen  der  Vakuolen  in 
ein  Netzwerk  aufgelöst,  oder  bei  denjenigen  Leukozyten,  die  nur  eine 
(dann  meist  große)  Vakuole  enthalten,  kreisförmig  oder  halbmondförmig 
an  die  Peripherie  gedrängt.  Die  Kerne  sind  in  der  Mitte  der  Zellen 
oder  in  die  Peripherie  geschoben.  Es  gibt  auch  Leukozyten,  welche 
getrübt  und  mehrfach,  wie  die  normalen,  angeschwollen  sind  und  viele 
Kerne  (5  oder  6)  enthalten.  Fibrin  zeigt  sich  bald  mehr  in  dichteren 
Netzen,  bald  spärlicher  und  mehr  in  der  Peripherie  als  im  Zentrum  der 
Alveole.  Oft  bildet  das  Fibrin  den  ganzen  Abguß  der  Alveolen  oder  es 
liegt  in  unregelmäßig  begrenzter  Form  in  der  Mitte  der  Alveolen  oder 
an  deren  Wand.  Im  ganzen  ist  das  Fibrin  bedeutend  geringer,  als  bei 
der  Diplokokkenpneumonie.  Über  das  Auftreten  von  Fibrin  ist  aber  fol- 
gende Gesetzmäßigkeit  vorhanden.  In  den  Alveolen  nämlich,  welche  in 
unmittelbarer  Nähe  von  dem  die  Bronchien  und  Blutgeiäße  umgebenden 
oder  dem  die  Lobuli  abgrenzenden  Bindegewebe  liegen,  sind  stark  ent- 
wickelte Fibrinpfröpfe  zu  erwarten,  und  je  weiter  die  Alveolen  von  solchen 
bindegewebereichen  Stellen  entfernt  liegen,  um  so  zarter  und  weniger 
kommen  Fibrinmassen  zum  Vorschein.  Bei  der  Diplokokkenpneumonie 
findet  man  oft  in  den  Alveolen  die  Zellen  mehr  im  Zentrum,  wo  zartes 
grobmaschiges  Frbrinnetz  vorherrscht,  als  in  der  Peripherie,  wo  dichtes 
feinmaschiges  Fibringeflecht  vorhanden  ist.  Diese  wechselweise  Beziehung 
zwischen  Zellen  und  Fibrin  ist  bei  unserem  Falle  nicht  deutlich  aus- 
geprägt. Ich  möchte  dies  den  räumlichen  Verhältnissen  zuschreiben,  weil 
bei  unserem  Falle  wegen  der  schwachen  Entwicklung  des  Fibrins  Zellen 
überall  Platz  genug  haben.  Auch  dasjenige  Verhalten  bei  der  Diplo- 
kokkenpneumonie, daß  die  Alveolen  mit  viel  Leukozyten  in  der  Kegel 
wenig  Fibrin  enthalten  und  umgekehrt,    ist  nur  in  vereinzelten  Alveolen 


Zur  pathologischen  Anatomie  der  Kapselbazillen-Pneumonie  et<;.  45 

bei  unserem  Falle  zu  sehen.  Viele  Alveolen  sind  bei  dem  letzten  ebenso 
reich  an  Zellen,  wie  an  Fibrin,  als  die  anderen.  Es  gibt  außerdem 
auch  solche,  die  überhaupt  wenig  geformtes,  dafür  aber  mehr  flüssiges 
Exsudat  (Schleim)  enthalten. 

Die  roten  Blutkörperchen  sind  in  den  meisten  Alveolen  mit  anderen 
geformten  Bestandteilen  gemischt  mehr  oder  minder  zu  finden,  bald  in 
der  Form  erhalten  oder  zerfallen.  In  einigen  Alveolen  sind  sie  so  zahl- 
#>eich  vertreten,  daß  das  Exsudat  vorwiegend  aus  ihnen  besteht.  Für 
solche  Stellen  ist  die  Bezeichnung  „Hamorrhagie^,  die  yirchow(2()) 
bei  der  kronpösen  Pneumonie  bei  roter  Hepatisation  anwandte,  ganz 
treffend.  Diese  Hämorrhagie  ist  aber  in  unserem  Falle  nur  in  vereinzelten 
Alveolen  zu  finden,  nicht  so  verbreitet  im  ganzen  erkrankten  loFewebe, 
wie  bei  der  Diplokokkenpneumonle.  Die  Schnitte  sehen  daher  in  unserem 
Falle  mit  Eosin-Hämatozylin  gefärbt  mehr  bläulich  aus  durch  die  Kern* 
farbung  der  vorwiegenden  Zellen,  während  die  Schnitte  bei  der  Diplo- 
kokkenpneumonie, der  das  ganze  Lungenparenchym  durchflutenden  roten 
Blutkörperchen  wegen,  mit  demselben  Farbstoff  behandelt,  mehr  rot  er- 
scheinen. 

Die  Poren  in  den  Alveolarsepta,  welche  zuerst  von  Cohn(27)  bei 
der  chronischen  Pneumonie,  von  H  a  u  s  e  r  (28)  und  K  i  b  b  e  r  t  bei  der 
kroupösen  Pneumonie  und  von  v.  Hansemann  (29)  durch  künstliche 
Injektion  in  der  normalen  Lunge  konstatiert  wurden,  sind  in  diesem  Falle 
auch  sehr  deutlich  sichtbar.  Nicht  nur  gehen  feine  Fibrinstränge  durch 
dieselben  von  einer  Alveole  zur  anderen,  sondern  es  passieren  bei  ge- 
nauer Betrachtung  durch  dieselben  auch  zelliges  Exsudat  und  Bakterien- 
massen hindurch.  Mit  der  Erweiterung  der  Alveolen  scheinen  auch  die 
Poren  dilatiert  zu  sein;  denn  die  durch  dieselben  hinziehenden  Fibrin- 
strange sind  nicht  immer  fein,  sondern  sogar  oft  sehr  dick. 

Was  die  Veränderung  des  Alveolarepithels  anlangt,  so  sind  viele 
Epithelzellen  getrübt,  geschwollen,  von  der  Alveolarwand  in  den  Alveolar- 
raum  abgestoßen  und  im  Exsudat  eingeschlossen  oder  oft  zwischen  dem 
Exsudat  und  der  Alveolarwand  liegend.  Nicht  selten  zeigen  sie  Teilungs- 
formen;  die  länglichen  Kerne  sind  oft  in  der  Mitte  eingeschnürt  oder 
vollständig  in  zwei  geteilt.  Außer  den  oben  erwähnten  Epithelzellen 
gibt  es  solche,  die  durch  enorme  Größe  und  blasses  Aussehen  sich  aus- 
zeichnen. Bei  genauer  Betrachtung  haben  sie  meist  mehrere  Vakuolen, 
durch  deren  An-  und  Übereinanderliegen  das  Protoplasma,  wie  bei  den 
gequollenen  Leukozyten,  zu  einem  Netzwerk  aufgelöst  ist.  Die  Größe 
der  Vakuolen  ist  sehr  wechselnd,  oft  liegt  eine  große  Vakuole  in  der 
Mitte  einer  Zelle,  wobei  das  Protoplasma  mit  dem  Kern  kreisförmig  oder 
halbmondförmig  in  die  Peripherie  gedrängt  ist.  Nach  eingehender  Unter- 
suchung konnte  ich  die  Befunde,  welche  Marchand  in  einem  Fall 
früher  bereits  erhoben  hat,  konstatieren.  Die  Zellkerne  sind  meist  rund 
oder  länglichrund,  selten  halbmondförmig.  Relativ  wenig  veränderte 
hyaline  Platten,  aufgekrempelt  oder  zerrissen,  kommen  sehr  selten  zwischen 
Alveolarwand  und  der  Exsudatmasse  vor,  so  daß  man  die  Ansicht  von 
Feuer  Stack  (80)  über  Veränderung  des  Lungenepithels  bei  der  krou- 
pösen Pneumonie  nicht  teilen  kann.  Er  behauptet  nämlich,  daß  die 
kernhaltigen   dunklen   kleinen  Zellen .  des  Lungenepithels  gegen  die  Ent- 


46  II.    KOKAWA 

Zündung  sich  aktiy  ▼«rfa alten,  mit  Trübung  and  8ohwelhing  antworten, 
die  hyalinen  hellen  kernlosen  nnd  kernhaltigen  platten  Zellen  aber  sich 
mehr  passiy  verhalten,  weniger  verändert  werden.  Ich  konnte  aber  kon- 
statieren, sowohl  bei  unserem  Falle,  als  aaoh  bei  der  Diplokokken- 
pneumonie, daß  beide  anatomisch  ungleich  aussehende  Zellen  bei  dem 
Krankheitsprozesse  sich  analog  verhalten;  denn  unter  den  geschwollenen 
trüben  Epithelzellen  sind  solche  zu  fioden,  die  spindelförmig  oder  breit 
unregelm&ßig- eckig  an  diesem  oder  jenem  Ende,  wie  Oanglienzellen  spitasi 
auslaufen,  welches  Bild  man  auf  veränderte  hyaline  Platten  deuten  kann. 
Haus  er  ist  der  Meinung,  daß  bei  kroupöser  Pneumonie  ein  Teil  des 
Fibrins,  namentlich  zartes  Fibrin,  im  Beginn  der  Erkrankung  durch  die 
fibrinöse  Umwandlung  von  hyalinen  Platten  entstehe.  Ich  habe  solch 
zartes  Fibrin  bei  der  Diplokokkenpneumonie  als  auch  in  unserem  Falle 
durch  starke  Vergrößerung  verfolgt  und  in  den  Maschenräumen  ge- 
schwollene Epithelzellen  und  Leukozyten  gefunden.  Auch  die  als  einzelne 
Streifen  an  der  Alveolarwand  vorkommenden  Fibrinfäden  habe  ich  genau 
betrachtet,  auf  mich  machen  sie  indessen  nicht  den  Eindruck,  als  ob  sie 
Lamellen  darstellen,  wie  Haus  er  angibt.  Mir  scheint  die  Annahme  der 
meisten  Autoren  am  einwandfreisten,  daß  alles  Fibrin  bei  der  Diplo- 
kokkenpneumonie (sowie  bei  unserem  Falle  nach  meiner  Ansicht)  von 
der  Gerinnung  des  Blutplasmas  durch  Ferment  herrühre,  worauf  ich 
später  nochmals  zurückkommen  werde. 

Das  Blutgefäßsystem;  Die  kleinen  Blutgefäße  sowie  Kapillaren 
stark  mit  Blut  gefüllt. 

Das  Lymphsystem:  Die  Lympbspalten  im  lockeren  Bindegewebe 
um  Blutgefäße  und  Bronchien  und  in  den  interlobulären  Septa  sowie  die 
perivaskulären  Lymphräume  sind  stark  erweitert,  einkernige  Leukozyten, 
zarte  Fibrinfäden  und  mehr  oder  weniger  Blutkörperchen  enthaltend. 

Bakterien:  Nur  die  Friedländer'sohen  Kapselbazillen  sind  als 
alleinige  Erreger  zu  finden.  Sie  lassen  sich  leicht  durch  alkalisches 
Methylenblau  färben,  ebenso  durch  Anilingentianaviolett  bei  der  Fibrin- 
farbung,  wenn  man  zur  Differenzierung  Anilinöl  und  Xylol  zu  gleichen 
Teilen  nimmt.  Nach  Gram  färben  sich  die  Bazillen  nicht.  Dieselben 
sind  im  Eaum  der  Alveolen  sehr  reichlich,  besonders  in  der  Nähe  der 
Scheidewand,  in  und  zwischen  Zellen  liegend  und  oft  in  Beinkultur  einen 
Teil  des  Alveolarraums  in  Anspruch  nehmend.  Sie  kommen  ebensoviel 
im  fibrinösen,  als  auch  im  zelligen  Exsudate  vor.  Sonst  sind  sie  im 
Bronchien  und  Blutgefäße  umgebenden  Bindegewebe,  in  interlobulären 
Septa,  in  verbreiterten  Stellen  der  Alveolarsepta,  innerhalb  vereinzelter 
Blutgefäße,  bald  vereinzelt,  bald  in  Gruppen,  frei  oder  in  Leukozyten 
eingeschlossen  zu  finden.  Bei  der  starken  Vergrößerung  sind  die  Kapseln 
der  Bazillen  als  homogener  Hof  leicht  sichtbar.  Viele  Epithelzellen  und 
Leukozyten  sind,  wie  schon  gesagt,  durch  aufgenommene  Bazillen  stark 
gequollen.  Sehr  interessant  ist  die  Beziehung  der  Bazillen  zu  den  Vakuolen. 
Fast  r^felmäßig  kann  man  im  Innern  der  Vakuolen  Bazillen  sehen, 
wek)h  letztere  bald  gerade,  bald  gekrümmt,  meist  einzeln  oder  oft  zu 
zwei  «der  drei  in  Ketten  angeordnet  in  einer  Vakuole  vorkommen.  Die 
Länge  der  Bazillen  ist  sehr  variabel,  bald  ebenso  lang,  bald  mehrfach 
größer,  als  die  rot-en  Blutkörperchen.     Oft  erscheinen  die  Vakuolen  bloß 


Zur  pathologischen  Anatonie  der  Kapselbazülen-Pneumome  etc.         47 

ab  btfl«  BJMUM  in  dm  Zelion,  «Im«  aiohtbaro  Bazillan,  Die  geqnelleoen 
Zellen  kommen  besonders  zahlreich  an  den  Alveolarsepta  vor,  wo  die 
Bazillen  massenhaft  vorhanden  sind.  Bei  der  Diplokokkenpneumonie 
kemmon  aneb  ab  und  aa  geqnollene  vakuolisierte  Zellen  vor.  Ihre  Zahl 
ist  aber  an  späriiefa,  als  daß  man  ihnen  eine  Bedentnng  beimessen  könnte. 
Die  QvaUnng  ist  dabei  viel  geringgradiger,  als  in  unserem  Fall. 

Bronchien:  Das  Epithel  derselben  ist  abgestoßen,  in  ihrem  Immen 
befinden  sich  geschwollene  Epithelzellen  der  Lunge,  Leukozyten  und  Fibrin. 

Pleura  pulmonalis:  zeigt  an  vielen  Stellen  dünne  membranöse 
oder  zottige,  mit  Leukozyten  gemischte  fibrinöse  Auflagerungen,  an 
anderen  äielloi  keine  Veränderung. 

Fall  n  (Frau  von  67  Jahren,  f  29.  April  1900). 
Krankheitsdauer:  9  Tage. 

Klinische  Diagnose:  Kroupöse  Pneumonie  des  rechten  Ober- 
lappens, Arteriosklerose,  Lisuffizienz  des  Herzens  (Koronarsklerose  ?) 

Anatomische  Diagnose:  Pneumonie  des  Oberlappenä  der 
rechten  Lunge  (gelbe  Hepatisation),  apoplektische  Narbe  des  Schläfen- 
lappens des  rechten  Gehirns,  Arteriosklerose  der  Kranzarterien  des 
Herzens. 

Sektionsbefunde  der  Lungen  (30.  April  1900): 
Linke  Lunge  wenig  emphysematös,  blutreich  und  etwas  ödematös. 
Kechte  Lunge :  Oberlappen  außerordentlich  groß  und  von  leberartiger 
Konsistenz,  die  Schnittfläche  graugelb,  an  manchen  Stellen  reingelb  oder 
weiß.  An  einer  Stelle  einige  geringgradige  Erweichung  und  Bildung  einer 
haselnußgroßen  Höhle.  Auf  Druck  entleeren  sich  aus  den  Alveolen  ver- 
hältnismäßig große  weiche  schmutzige  Pfropfe. 

Histologische  Untersuchung  des  erkrankten  Lungen- 
gewebes: 

Die  Alveolen  stark  dilatiert.  Das  Exsudat  besteht  aus  Fibrin, 
Leukoz3^n  und  Alveolarepithel.  Fibrin  ist  spärlicher,  als  bei  der  Diplo- 
kokkenpneumonie im  entsprechenden  Stadium,  aber  in  allen  Alveolen 
siehtbar.  Derselbe  kommt  wieder  bei  diesem  Fall,  wie  bei  Fall  I,  in 
der  Nähe  des  Bronchien  und  Blutgefäße  umgebenden  Bindegewebes  und 
des  unter  der  Pleura  und  in  der  interlobulären  Septa  vorhandenen  relativ 
Michlich  vor.  In  vielen  Alveolen  ItilJt  es  nur  einen  Teil  des  Lumens  — 
etwa  die  Eeke  oder  eine  kurze  Strecke  desselben  an  den  Alveolarsepta 
—  aus.  In  anderen  Alveolen  füllt  es  jedoch  den  ganzen  Baum  des 
Lumens  aus,  in  welchem  Falle  es  in  der  Peripherie  dicht  und  massiv, 
im  Zentrum  dagegen  zart  und  weniger  entwickelt  ist,  wie  Bibbert  und 
Bezzola  bei  der  kroupösMi  Pneumonie  bemerkt  haben.  Das  Hinduroh» 
ziehen  der  mehr  oder  weniger  feinmi  Fibrinstränge  durch  die  Poren  der 
Alveolarwand  ist  in  diesem  Falle  auoh  deutlieh  ausgeprägt. 

Die  Mehraabl  der  Alveolen  enthält  neben  der  geringen  Menge  Fibrins 
deaqnamierie  EpitkelaeU«!  und  sehr  viel  mehrkemige  Leukozyten.  Beide, 
sowohl  Epithelsellen  als  auch  Leukosyten,  sind  wie  bei  Fall  I  an« 
gesebwoUen  und  gequollen,  mehr  oder  minder  vakuolenhaltig  und  z.  T. 
TeilungaCprmen  zeigend.     In  fihrinreiohen  Alveolen  kommen   die  Zellen 


48  n.    KOKAWA 

aber  sehr  spärlich  vor,  dann  aber  in  der  Mitte  der  Alveolen  mehr,  als 
in  der  Peripherie. 

Bronchien:  wie  Fall  I. 

Blutgefäßsystem:  Das  Gewebe  ist  im  allgemeinen  anämisch« 
Die  Kapillaren  sind  beinahe  leer.  In  kleinen  Blutgefäße  stellenweise 
Fibrinmasse.  Im  Bindegewebe  um  Brochien  und  Blutgeföße,  unter  der 
Pleura  und  in  den  interlobulären  Septa  finden  sich  stellenweise  mono- 
nukleäre  Leukozyteninfiltration  und  Fibrinfaden. 

Bazillen:  Auch  in  diesem  Falle  sind  Friedländer'sche  Kapsel- 
bazillen als  alleinige  Mikroorganismen  reichlich  zu  finden.  Die  Verteilung 
derselben  im  Gewebe  ist  genau  dieselbe,  wie  bei  Fall  I.  Sie  finden  sich 
hauptsächlich  in  den  Alveolen  und  zwar  in  und  zwischen  den  Zellen, 
sehr  spärlich,  vereinzelt  oder  gruppenweise,  in  den  Lymphspalten  im 
Bindegewebe  um  Bronchien  und  Blutgefäße. 

Pleura  pulmonalis:  Fibrinöse  Auflagerung  mit  mehr  oder 
weniger  zahlreichen  Leukozyten  durchsetzt,  bald  kontinuierlich  als  dünne 
Membran,  bald  in  zottiger  Form  sich  zeigend. 

Fall  m  (Frau  von  34  Jahren,     f  20.  März  1901). 
Elrankheitsdauer  unklar. 

Klinische  Diagnose:  Parametritis,  Thrombosis  venae  cavae, 
Sepsis,  Dekubitus. 

Anatomische  Diagnose:  Thrombophlebitis  subacuta  paerpera- 
lis  venarnm  parametrii  utriusque,  venae  iliacae  utriusque  et  venae  cavae 
inf.,  Embolia  ramorum  arteriae  pulmonalis  utriusque  et  abscessus  meta- 
statici,  Pneumonia  crouposa  lobi  inf.  dext.  (Friedländer^sche  Kapsel- 
bazillen), Tuberculosis  circumscripta  obsoleta  apicis  pnlmonis  utriusque, 
Decubitus  gravis,  Hydrops  universalis. 

Sektionsbefunde  der  Lungen  (21.  III.   1901). 

Linke  Lunge  von  gewöhnlicher  Größe.  In  der  sonst  weichen  Lunge 
fühlt  man  zahlreiche  derbe  Knoten  von  sehr  verschiedener  Größe.  Im 
linken  Oberlappen  finden  sich  vereinzelte  kleine  etwa  linsengroße  käsige 
Herde.  Bechte  Lunge  im  Volumen  etwas  vermehrt.  Ober-  und  Mittel- 
lappen sind  bis  auf  einige  größere  durchfüblbare  derbe  Knoten  weich. 
Unterlappen  ist  in  seiner  ganzen  Ausdehnung  sehr  derb,  im  Volumen 
vermehrt.  Die  Schnittfläche  zeigt  im  oberen  Teile  eine  graugelbe,  im 
unteren  Teile  dunkelrote  Färbung,  das  Gewebe  ist  stark  verdichtet,  voll- 
kommen luftleer,  die  Schnittfläche  sehr  schlüpfrig  und  etwas  unregel- 
mäßig körnig. 

Histologische  Untersuchung  der  erkrankten  Lunge 
(die  rot  hepatisierte  untere  Partie  des  rechten  ünterlappens  untersacht): 

Die  Alveolen  sind  kolossal  erweitert.  Das  Exsudat  besteht  außer 
den  geformten  Elementen  zum  Teil  aus  Schleim.  Fibrin  ist  in  diesem 
Falle  sehr  spärlich,  weit  weniger  als  in  Fall  I  und  II  ausgebildet.  Die 
Verteilung  derselben  in  der  Nähe  der  an  Bindegewebe  reichen  Stellen 
und  das  Durchpassieren  der  Fibrinfaden  durch  die  Poren  der  Alveolar- 
septa  usw.  sind  ganz  gleich,  wie  bei  anderen  Fällen.  Die  Veränderung 
des  Alveolarepithels  und  das  Verhalten  der  Leukozyten  sind  ebenso,  wie 


Zar  pathologischen  Anatomier  der  Kapselbazillen-Pneumouie  etc.  49 


bei  den  aadereB  Fälfeik^  Die  geqnoUeaen  kolossal  großen  Zellem  mit 
■»1«  odar  weniger  Yaksoten  nad  aoek  reichlieh  zu  sehen.  Große  ZeUen 
mifc  akgeschnürtea  Kernen  oder  mit  mekreren  Kernen  sind  auch  t<»- 
kenden  teile  yon  Spidielz^en,  teils  voni  Leukozyten  Btammend  (wakr- 
eckeinlich  Teilnogsformen).  Die  zelligen  Elemente,  besonders  die  Levko*- 
aytea  sind  aber  überhaapt  bei  Fall  III  weh  spärlicher,  als  bei  den  voran- 
gekeaden  FftUenw  In  den  BÄiunen  der  Alwolen  befinden  sieh  mehr  oder 
weniger  mit  SokSeim  soegefttUte  Lfieken  zwischen  Zellen  und  Fibrin. 
Die  roien  Bintflcöcpeschen  liegen  in  vielen  Alyeolea  in  einer  Stelle  des 
Aleeokirraumee  gpnippiert,  aber  niemalB  so  zaklreiefa^  daß  sie  einen  ganzen 
Alveoiamnm  für  sich  in  Ansinraek  nekmen.  Von  einer  ansgedehnten 
Bümorrkogie  also,  wie  bei  der  roten  Hepatisation  der  Diplokokkenpnea>- 
monie  ist  keine  Bede. 

Das  Blutgefäß  System:  Kleine  BlntgefÜße  sowohl  als  auch  <fie 
KapiUaaren  strotftend  mit  Blut  geföllt.  In  vereinzelten  BintgeÜßen  ist 
die  'Wandstellnng  der  Leukozyten  mit  oder  ohne  Fibrin  sichibar. 

Die  Bronchien:  Ihre  Epithelzelien  abgestoßen,  in  ihrem  Lamen 
Zellen  und  Fibrin  enthaltend  f.  die  Wandung  der  großen  Bronchien  zeigt 
leichte  Leukozyteninfiltration. 

Bakterien.:  In  diesem  Falle  sind  die  Ks^peelbaaillen  reichlicher 
als  bei  den  vorhergehenden  2  Fällen  zu  treffen;  sie  lassen  sich  außer 
mit  Anilinfarben  anck  dnrch  Hämatozylin  gut  förben.  Die  Verteilung 
derselben  im  Gewebe  ist  genau  so,  wie  bei  Fall  I  und  II.  Die  sdilei- 
mig«  Mnese  zwischen-  den  Lücken  des  zelligen  und  fibrinösen  Exsudates 
stellt  oft  eine  Beinknltor  von  Bazillen  dar.  Der  Schleim  ist  wakrsokein- 
licb  das  Produkt  der  letzteren. 

Pleura  pulmo'nalis:  hat  auch  in  diesem  Falle  zelfign-fibrinöse 
Anfjagernngea. 

Fall  TV  und  T. 

Da  bei  Fall  IV  und  V  die  Gewebsveränderungen  der  erkrankten 
Langenteile  sehr  ähnlich  sind,  beschreibe  ich,  um  nicht  dasselbe  zu 
wiederholen,,  beide  Fälle  hier  zusammen. 

Bei  Fall  IV  handelt  es  sich  um  das  Stadium  der  grauroten,  bei 
Fall  V  um  das  Stadium  der  grauen  Blepatisation.  Daher  ist  beim 
ersteren  das  Gewebe  reicher  an  Blut,  als  beim  letzteren  Falle.  Der 
letztere  ist  aber  dadurch  interessant,  daß  neben  der  Pneumonie  Lepto- 
meningitis  durch  dieselben  Krankheitserreger  konstatiert  wurde. 

Falk  IV  (Kann  von  77  Jahren,  f  lä.  Oktober  1901). 

Krankheitedauen:  unklar. 

Klinische  Diagnose:  Pneumonia  crouposa  lobi  sup.  et  med. 
pniaiL  dezt.,  Sndocarditis  ulcerosa  valv.  aort.  et  mitral.,  Nephritis  inter- 
stitialis  ohronieak 

Anatomische  Diagnose:  KronpÖse  Pneumonie  des  Ober-  und 
Mittellappens  der  rechten  Lunge  (durch  Kapselbaeillen) ,  Endocarditis 
«icerosa  der  Aorta-  und  Mitralklappen,  Dilatation  und  Hypertrophie  des 
reekten  Ventrikels,  Polypen  des  Rektums  und  Cökums,  Sjchrumpfniere. 

Sektionsbefund  der  Lungen  (14.  Oktober  1901): 

Linke    Lnoge   enthält   im  Oberlappen   einige    narbige   Einziehungen 

Deutsches  Archiv  f.  klin.  Medizin.    LXXX.  Bd.  4 


50  II-    KOKAWA 

und  schwielige,  z.  T.  verkalkte  uod  anthrakotische  erbsengroße  Knoten, 
die  etwas  kleiner  auch  im  übrigen  Parenehym  vereinzelt  sich  finden. 
Nirgends  frische  tuberkulöse  Herde  erkennbar.  Parenehym  überall  sehr 
schlaff,  ödematös,  mäßig  bluthaltig.  Bronchialschleimhaut  etwas  geschwollen 
und  gerötet. 

Kechte  Lunge  sehr  umfangreich  und  schwer.  Konsistenz  des  Ober- 
lappens in  der  Spitze  und  der  vorderen  Partie  von  leberartiger  Beschaffen- 
heit. Die  untere  und  hintere  Partie  von  etwas  weicherer  Konsistenz. 
Die  obere  Hälfte  des  Oberlappens  von  graurötlicher  Farbe,  auf  dem 
Durchschnitt  leicht  granuliert.  Durch  das  Messer  lassen  sich  schmierige, 
z.  T.  Bchleimig-eitrige  zähe  Massen  abstreichen.  Die  vordere  Partie  der 
unteren  Hälfte  des  Oberlappens  zeigt  eine  grauweiße  Farbe,  prominiert 
sehr  stark  über  die  iiiiijii  liinilii  pl'llLiiiifllLi  hi  und  entleert  auf  Druck 
zähe  schleimig-eitrige  MMt(^^\  ^JaSnemflfi^^  sehr  derber  Konsistenz. 
Parenehym  auf  dem  Doiichschnitt  ähnlich  ft^^Lder  oberen  Partie  des 
Oberlappens,  nur  etw^^Iasser^und  ^hr  dwnch  granuliert.  In  den 
Bronchien,  deren  Schleim hamn^B^^olWv4in er  Jäßig  gerötet  ist,  findet 
sich  reichlich  zähe  schkjAige,  z.  T.  blutig  gefjf^^Ae  Flüssigkeit. 

Fall  V  (Mann  von  gtKI^fi  .f^^^^Aligust  1900. 

Krankheitsdauer :  unklar. 

Klinische  Diagnose:  Pleuritis  et  Pericarditis  purulenta,  Pneu- 
monia  crouposa. 

Anatomische  Diagnose:  Eitrige  rechtsseitige  Pleuritis,  eitrige 
Perikarditis,  Pneumonie  des  Ober-  und  Mittel! appens  der  rechten  Lunge 
(durch  Kapselbazillen),  fibrinös-eitrige  Leptomeniugitis. 

Sektionsbefund  der  Lungen  (30.  August  1900). 

Rechte  Lunge :  Ober-  und  Mittellappen  von  grauer  Farbe  und  fester 
Konsistenz.  Auf  dem  Durchschnitt  läßt  sich  ein  bräunlicher,  auffallend  schlei- 
miger Saft  abstreichen.  Im  unteren  Lappen  keine  Verdichtungsherde, 
doch  außerordentlicher  Blutreichtum.    In  den  Bronchien  gelblicher  Schleim. 

Linke  Lunge :  Im  Volumen  nicht  vergrößert,  stark  pigmentiert.  Auf 
dem  Durchschnitt  läßt  sich  sehr  viel  reinblutige  Flüssigkeit  abstreichen. 
In  allen  Bronchien  ist  zäher  gelber  Schleim.  Neben  dem  Blutreichtum 
ist  das  Gewebe  an  sich  ziemlich  trocken. 

Histologische  Untersuchung  der  erkrankten  Lungen- 
teile. 

Die  Alveolen  sind  stark  erweitert.  Das  Exsudat  besteht  in  den 
meisten  Alveolen  aus  Zellen,  mehrkernigen  Leukozyten  und  desquamierten 
Epithelzellen.  Fibrin  ist  auch  in  diesen  beiden  Fällen  sehr  spärlich,  nur 
in  der  Umgebung  des  Bronchien  und  Blutgefäße  umgebenden  Binde- 
gewebes und  in  der  Nähe  der  Interlobularsepta  (manchmal  den  ganzen 
Kaum  der  Alveolen  ausfüllend)  zu  finden.  Das  Hindurchziehen  der  feinen 
P^ibrinfäden  durch  die  Poren  der  Alveolarwände  ist  auch  sichtbar.  Die 
Leukozyten,  die  sehr  reichlich  in  diesen  beiden  Fällen  vorkommen  und 
den  Hauptbestandteil  des  Exsudates  bilden,  sind,  wie  die  Epithelzellen, 
stark  angeschwollen,  gequollen  und  enthalten  Vakuolen.  Die  Quellung 
beider  Arten  Zellen  ist  aber  nicht  überall  gleichmäßig,  sie  hängt  von 
der  Menore    der  Bazillen    ab.     Je    reicher    die  Alveolen   an  Bazillen,    um 


Zur  pathologischen  Anatomie  der  Kapselhazillen-Pneumonie  etc.  51 

so  größer  ist  die  Quellang  der  Zellen,  wobei  sie  —  sowohl  Epithelzellen 
als  auch  Leukozyten  mit  nindliehen  oder  länglichrunden  Vakuolen  —  so- 
zusagen ein  an  Bienenzellen  erinnerndes  Bild  darbieten.  Häufig  trifft 
man  solche  Zellen  in  den  Alveolen  an  den  Interlobuiärsepta  und  anderen 
an  Bindegewebe  reichen  Stellen.  Die  Zahl  der  Epithel zellen  tritt  im 
Vergleich  zu  der  der  Leukozyten  bedeutend  zurück.  Die  roten  Blut- 
körperchen finden  sich  hier  und  dort  zerstreut  zwischen  Leukozyten  und 
Epithel  Zellen. 

Blutgefäße:  In  kleinen  Blutgefäßen  sind  zarte  Fibrinfäden  und 
Wandstellung  der  Leukozyten. 

Die  Alveolarsepta  sind  nur  an  ganz  vereinzelten  Stellen  verbreitert 
und  enthalten  dort  Bazillenhaufen.  Im  Bindegewebe  um  Blutgefäße  und 
Bronchien  und  in  den  Interlobuiärsepta  sind  stellenweise  Bazillenhaufeu, 
meist  nicht  weit  von  Alveole  entfernt  zu. treffen. 

Bronchien:  Sie  sind  meist  ihres  Epithels  beraubt,  bei  großen 
Bronchien  ist  die  Wandung,  stellenweise  mit  Rundzellen  infiltriert.  Im 
Lumen  finden  sich  abgestoßenes'  Zylinderepithel,  Lungenepithel  und 
Leukozyten.  1 

Bakterien:  Kapselbazillen  kommen  in  einer  Gruppe  der  Alveolen 
reichlicher,  in  anderen  Gruppen  relativ  spärlich  vor.  Sonst  verhalten 
sie  sich  im  Gewebe,  wie  bei  anderen  Fällen. 

Pleura  pulmonalis  zeigt  dieselben  Veränderungen  ,  wie  bei 
anderen  Fällen. 

Fall  VI.    (Mann  von  59  Jahren,  f  5.  August  1901.) 

Krankheitsdauer  5  Tage. 

Klinische  Diagnose:  Delirium^  Pneumonie  crouposa  lobi  sup. 
sinistr. 

Anatomische  Diagnose:  Pneumonie  des  Oberlappens  der 
rechten  und  linken  Lunge  und  Lungenödem. 

Sektionsbefunde  der  Lungen  (19  Stunden  nach  dem  Tode) : 

Linke  Lunge  sehr  umfangreich,  besonders  der  Oberlappen.  Dieser 
im  hinteren  und  unteren  Abschnitt  gleichmäßig  fest  und  schwer,  während 
der  vordere  Rand  weich  und  anscheinend  lufthaltig  ist.  Ebenso  der 
ganze  Unterlappen  weich.  Auf  dem  Durchschnitt  ein  großer  Teil  des 
Oberlappens  gleichmäßig  infiltriert.  Die  Schnittfläche  zum  großen  Teil 
von  körniger  Beschaffenheit.  Das  Infiltrat  teils  von  grauroter,  teils  mehr 
von  graugelblicher  Farbe  und  weicher,  schmieriger  Beschaffenheit.  Das 
Lungenparenchym  sehr  dunkel  pigmentiert,  so  daß  auf  der  Schnitt- 
fläche ein  gleichmäßiger  Wechsel  zwischen  schwarzen  und  grauen  Flecken 
sich  findet. 

Hechte  Lunge  ebenfalls  umfangreich ,  aber  etwas  weniger  als  die 
linke.  Auch  hier  ist  der  hintere  untere  Abschnitt  des  Oberlappens  von 
gleichmäßig  fester  Konsistenz,  während  der  größte  Teil  der  Lunge  weich 
und  lufthaltig  ist.  Auf  dem  Durchschnitt  ist  der  infiltrierte  Abschnitt 
ebenso  beschaffen  wie  der  linke,  aber  erheblich  kleiner,  im  ganzen  etwa 
apfelgroß.  Parenchym  der  übrigen  Lunge  ziemlich  ödematös  und  schwach 
schwarz  pigmentiert.  Bronchien  ziemlich  gerötet  mit  schleimig-eitrigem 
Sekret. 

4* 


53  II.    KOXAWA 

Histologische  TJntersucbuug  der  graurot  bep^tiaiert-ea Partie : 

Die  Alveolen  sind  wie  in  den  anderen  beecbriebenea  Fällen  stark 
dilatiert.  Bei  scbwaober  Yergr^iierang  aeigt  das  erkrankte  Gewebe  ein 
alendiob  buntes  BikL  Das  Exsudat  besteht  in  den  einen  Alveolen  ans 
Scbleinunaasef  in  anderen  aus  ZeUen.  und  wieder  in  anderen  aus  Scblein 
und  Zellen.  In  einzelnen  Alveolen  ist  Hämorrhagie  zu  sehen,  die  aber 
nnr  in  einem  Teile  des*  Alveolarraumes  erscheint  und  niemale  so  groß 
ist,  daß  sie  den  ganzen  Alveolarraum  für  sich  in  Anspruch  nimmt. 
iPibrin  ist  nur  in  der  Minderzahl  von  AlTeoIen  zu  finden,  so  dafi  man 
es  leicht  übersehen  kann.  Die  schleimigen  Massen  bestehen  bei  mittel- 
g^ßer  VergröBerung  aus  mehr  oder  minder  dioht  gedrängten,  mit  hellem 
deutliohemL  Hof  versehenen  Bazillenhaufen,  oh  wie  in  der  Reinkultur. 
Die  Zellen  sind  in  der  Minderzahl  mehrkernige  Leukozyten,  zum  größten 
Teil  desquamierte  Epithelzellen  mit  oder  ohne  Kohlenpigment. 

Beide  Arten  von  Zellen  sind,  wie  in  anderen  Fällen,  vergrößert,  ge- 
quollen und  enthalten  Bazillen  und  Vakuolen.  Die  kohlenpigmenthaltigen 
ZeMen,  die  in  diesem  Falle  reichlich  vorhanden  sind,  zeigen  je  nach  dem 
Reichtum  an  Pigment  verschiedenes  Verhalten.  Solche,  bei  denen  der 
Zellleib  vollständig  mit  Kohlenpigment  gefüllt  und  kein  Rest  von  .Proto- 
plasma und  Kern  mehr  sichtbar  ist,  sind  gar  nicht  verändert.  Sie  sind 
groß.  Ihre  Schwellung  ist  aber  wahrscheinlich  nicht  die  Folge  des 
Krankheitsprozesses,  da  solche  Zellen  bei  gesunden  Lungen  schon  vor- 
handen sind.  Sie  zeigen  also  keine  Reaktion  gegen  die  Entzündung, 
fallen  mit  pigmentfreien  Zellen  der  Desquamation  anheim,  zu  der  sie 
ohnehin  große  Neigung  besitzen,  und  zerfallen  zum  Teil.  Diejenigen, 
welche  wenig  Kohlenpigment  enthalten  und  deren  Protoplasma  noch  ge- 
nügend vorhanden  ist,  zeigen  dieselben  Veränderungen,  wie  die  pigment- 
freien Epithelzellen.  Mehrkernige,  große  Zellen,  welche  nach  Auf  recht 
durch  Verschmelzung  der  Epithelzellen  entstehen,  kommen  ab  und  zu 
vor.  Diejenigen,  die  blasse  helle  große  Kerne  enthalten,  stammen  von 
Epithel  Zellen,  solche,  die  von  Leukozyten  stammen,  zeichnen  sich  durch 
kleinere  unregelmäßig  gestaltete  stark  tingierte  Kerne  ans.  Beide  sind 
auch  in  diesem  Falle  wahrscheinlich  das  Produkt  der  Teilung,  nicht  die 
Folge  der  Verschmelzung  mehrerer  Zellen ;  denn  es  gibt  Zellen,  die 
kleiner  sind  als  die  oben  erwähnten,  aber  größer,  als  andere  geschwollene 
Zellen  und  durch  den  Gehalt  an  länglich  eingeschnürte  sanduhrfÖrmige 
Kerne  unleugbar  die  begonnene  Teilung  zeigen.  Sie  stellen  also  Über- 
gangsformen zwischen  einfach  geschwollenen  und  mehrkernigen  großen 
Zellen  dar. 

Die  Verteilung  von  Fibrin,  welches  besonders  in  diesem  Falle  ge- 
ring ausgebildet  ist,  ist  genau  dieselbe,  wie  bei  anderen  Fällen.  Das 
Hindurchziehen  der  Fibrinfaden  durch  die  Poren  der  Alveolarwand  ist 
auch  deutlich  zu  sehen,  ebenso  ihre  Abhängigkeit  vom  Bindegewebe. 

Was  die  Verbreitung  der  Bazillen  anlangt,  so  liegen 
sie  wie  bei  anderen  Fällen  der  Bazillenpneumonie,  intra-  und  extra- 
zellulär und  nehmen  manchmal  einen  Teil  oder  den  ganzen  Raum 
des  Alveolarlumens  in  Anspruch.  Bei  dem  letzteren  Falle  sind  sie  so 
reichlich,    wie  in   einer  Reinkultur.      Die  Alveolensepta   sind   in   verein- 


Zar  pathologischen  Anatomie  der  Kapselbazillen-Pneumonie  etc.  53 

•  ■  - 

zelten  Stellen  rerbreitert  und  mit  BaziHenhanfen  gefüllt.  Im  Binde- 
gewebe am  Blätgef&Be  und  Bronchien,  anter  der  Pleura  und  in  der 
InterlobularEepta  sind  ebenfalls  Haufen  von  Bazillen  zu  treffen.  Die 
Bronchien  zeigen  hier  und  da  in  ihrer  Wandnng  Rundzelleninfil- 
b«tion,  sind  von  Epithel  entblößt  und  enthalten  in  ihrem  Lumen  Zellen 
verechiedener  Art,  Bakterien  und  spärliche  Menge  von  Fibrin. 

Biutgefäfie:  8tnd  ziemlich  stark  mit  Blut  gefüllt,  zeigen  stellen- 
veite  RandstelluDg  der  Leukozyten  und  geringen  Gehalt  an  Fibrin- 
gerinnseloL 

Pleura  pulmonalis  verhalt  sich  wie  bei  anderen  Fällen. 

Fall  VU.     (Mann  von  44  Jahren,  f  30.  Mai  1902.) 

Krankheitsdauer  unklar. 

Anatomische  Diagnose:  Pneumonie  des  Unterlappens  der 
rechten  Lunge,  Odem  der  linken  Lunge,  Arteriosklerose,  Fettleber, 
Taenia  saginata.  . 

Sektionsbefund  der  Lunge  (19  Stunden  nach  dem  Tode): 

Rechte  Lunge  koloesal  schwer  und  groß.  Der  Oberlappen  lufthaltig 
und  weich,  die  Bläschen  an  dem  Bande  stark  ausgedehnt;  der  Mittel- 
lappen nur  an  den  Rändern  lufthaltig,  sonst  ganz  atelektatiscb.  Der 
IJnterlappen  ist  ad  maximum  ausgedehnt,  zeigt  stumpfe  Ränder  und  ist 
an  seinem  oberen  Rand  mit  dem  Mittellappen,  an  seiner  unteren  Fläche 
mit  der  Pleura  diaphragmatica  fast  verwachsen.  Der  übrige  Teil  der 
Oberfläche,  welcher  fk'ei  von  Adhäsion  war,  weist  feine  Auflagerungen 
auf.  An  der  konvexen  Fläche  des  ünterlappens  findet  sich  ein  nicht 
scharf  abgegrenztes,  handtellergroßes  Gebiet,  wo  die  Läppchenzeichnung 
undeutlich  ist.  Die  Pleura  pulmonalis  ist  in  diesem  Bezirk  glatt  und 
gespannt,  die  Konsistenz  fast  fluktuierend.  Der  übrige  Teil  des  Ünter- 
lappens ist  gleichmäßig  infiltriert.  Die  großen  Bronchien  enthalten 
8chmutzig*rÖtlichen  Schleim.  Die  Schnittfläche  ist  mit  schleimiger,  durch- 
scheinender, schmutzig-rötlicher  Masse  bedeckt,  nach  Abstreichen  der- 
selben, graurötlich,  glatt  homogen,  fast  nigends  grannliert.  Die  Alveolen 
sind  schwer  abzugrensen.  Größere  Gebiete,  welche  mehrere  Läppchen 
umfassen,  zeigen  eine  so  gleichmäßige  glatt  schleimige  Schnittfläche,  daß 
sie  sehr  an  das  Aussehen  einer  myxomatösen  Geschwulst  erinnern.  Auch 
in  demjenigen  Teil  des  Unterlappens,  wo  die  Lobuli  noch  erkennbar  be- 
grenzt sind,  ist  die  Füllung  der  Alveolen  sehr  stark;  doch  treten  nirgends 
feste  Pfropfe  hervor.  Die  Grenzen  der  Alveolen  sind  hierdurch  ver- 
waschen und  undeutlich. 

Linke  Lunge  ist  im  Vergleich  zur  rechten  sehr  klein.  Der  IJnter- 
lappen auch  weich,  lufthaltig,  blutreich,  stark  ödematös;  Oberlappen 
auch  weich,  blutreich  und  mehr  lufthaltig,  als  der  IJnterlappen. 

Histologische  Untersuchungen  des  erkrankten 
Lungenteils: 

Die  stark  dilatierten  Alveolen  enthalten  das  aus  Zellen  und  Schleim 
bestehende  Exsudat.  Fibrin  ist  sehr  spärlich,  noch  spärlicher  als  im 
Fall  VI.  Die  bei  schwacher  Vergrößerung  durch  Hämatoxylin  blau  ge- 
färbte homogen  aussehende  Schleimmasse  besteht  bei  großer  Vergrößerung 
ans   dicht   neben-    und   übereinander   liegenden   Bazillen   mit   prägnanten 


54  ^^'    KOKAWA 

Schleimkapseln,  die  bald  schmal,  bald  sehr  breit  sind.  Die  Schleimmasse 
ist  also  lediglich  das  Produkt  der  Bazillen.  Viele  Alveolen  sind  nur 
mit  solcher  Schleimmasse  resp.  mit  -Bazillen  ausgefüllt.  Die  Zellen  sind 
meist  desquamierte  Epithelzellen  mit  wenig  mehrkernigen  Leukozyten 
gemischt.  Sie  sind  auch,  wie  in  den  anderen  Fällen,  gequollen,  mehr 
oder  weniger  Bazillen  und  Vakuolen  enthaltend.  Ihre  Quellung  ist  aber 
nicht  so  stark,  wie  bei  anderen  Fällen,  und  die  Anzahl  der  Zellen  weit 
spärlicher,  so  daß  sie  niemals  einen  ganzen  Baam  der  Alveolen  fär  sich 
in  Anspruch  nehmen,  sondern  nur  einen  Teil  desselben  füllen.  Der  übrige 
Baum  der  Alveolen  ist  mit  Bazillen  ausgefüllt.  Die  roten  Blutkörper- 
chen kommen  in  vielen  Alveolarräumen  nur  stellenweise,  in  einigen  Al- 
veolen aber  ziemlich  reichlich  vor,  so  daß  man  es  als  Hämorrhagie  be- 
zeichnen kann.  Was  die  Verteilung  des  Fibrins  anlangt,  so  ist  das  Hin- 
durchtreten  desselben  durch  die  Poren  der  Alveolarwand,  die  Beziehung^ 
derselben  zum  Bindegewebe  usw.  auch  in  diesem  Fall  zu  konstatieren. 
Nicht  allein  die  Fibrinfaden,  sondern  auch  die  Schleimmasse  resp.  die 
Bazillen  gehen  sehr  oft  durch  die  Poren  der  Alveolenwand  hindurch. 
Die  Alveolarwand  selbst  ist  nur  in  vereinzelten  Stellen  verbreitert  und 
mit  Bazillen  durchsetzt,  sonst  ganz  intakt. 

Hinsichtlich  der  Bazillen  ist  noch  zu  erwähnen,  daß  sie  außer  in 
der  Schleimmasse  auch  reichlich  in  und  zwischen  den  Zellen  sich  finden. 
Bei  dem  bedeutenden  Zurücktreten  der  zelligen  Elemente  kann  man 
sich  bei  diesem  Fall  vorstellen,  daß  das  ganze  erkrankte  Lungenparen- 
chym mit  Bazillen  und  deren  Produkt  Schleim  überschwemmt  ist.  Im 
Bindegewebe  um  Blutgefäße,  Bronchien,  in  den  Interlobularsepta  und 
unter  der  Pleura  pulmonalis  sind  auch  Bazillen  vereinzelt  oder  in  Gruppen 
vorhanden. 

Die  Blutgefäße  (inkl.  Kapillaren  in  der  Alveolarwand)  sind 
stark  mit  Blut  gefüllt. 

Pleura  pulmonalis  zeigt  dünne  oder  zottige  fibrinöszellige  Auf- 
lagerungen. 

Bronchien:  Orößere  zeigen  in  ihrer  Wandung  leichte  Leukozyten- 
infiltration und  enthalten  in  ihrem  Lumen  Schleim,  Lungenepithelzellen^ 
Leukozyten  und  abgestoßenes  Zylinderepithel. 

Ehe  ich  zu  den  Schlußfolgerungen,  welche  sich  aus  meinen 
Untersuchungen  ergeben,  übergehe,  möchte  ich  noch  eine  kurze 
Übersicht  über  die  Haupteigenschaften  der  beschrie- 
benen Fälle  folgen  lassen. 

1.  Alter  und  Beruf  der  untersuchten  Individuen: 

Fall  I  38 jähriger  Mann;  Fall  II  67jährige  Arbeiterin; 
Fall  III  34jährige  Händlerin;  Fall  IV  77jähriger  Tischler; 
Fall  V  58 jähriger  Maurer;  Fall  VI  59 jähriger  Former; 
Fall  VII  44 jähriger  Arbeiter. 
Der  Beruf  des  Fall  I  ist  unklar. 

2.  Die  Krankheitsdauer  ist  nach  den  von  Herrn  Prof. 
Curschmann    freundlichst    zur   Verfügung  gestellten  Kranken- 


Zur  pathologischen  Anatomie  der  Eapselbazülen-Pneumonie  etc.  55 

geschichte  bei  Fall  II  auf  9,  bei  Fall  VI  auf  5  und  bei  dem  im 
pathologischen  Institut  zu  Marburg  sezierten  Fall  I  auf  6  Tage 
anzugeben.  FaU  VII  starb  während  des  Transports  zum  Kranken- 
haus, Fall  in  litt  vor  der  Pneumonie  seit  Monaten  bereits  an  einer 
puerperalen  AflFektion  und  Fall  IV  und  V  wurden  im  benommenen 
resp.  moribunden  Zustande  in  der  medizinischen  Klinik  aufgenommen, 
so  daß  bei  diesen  Fällen  anamnestisch  eine  Bestimmung  der  Krank- 
heitsdauer unmöglich  war. 

3.  Was  den  Sitz  und  die  Ausbreitung  der  Pneu- 
monie anbetriflft,  so  fand  sich  in: 

Fall  I  pneumonische  Infiltration  des  linken  Oberlappens  und 
viele  lobularpneumonische  Herde  im  linken  ünterlappen 
und  der  ganzen  rechten  Lunge; 

Fall  n     pneumonische  Infiltration  des  rechten  Oberlappens; 

Fall  III    pneumonische  Infiltration  des  rechten  Unterlappens; 

Fall  IV  pneumonische  Infiltration  des  rechten  Ober-  und  Mittel- 
lappens ; 

Fall  V  pneumonische  Infiltration  des  rechten  Ober-  und  Mittel- 
lappens; 

Fall  VI  pneumonische  Infiltration  des  rechten  und  linken  Ober- 
lappens ; 

Fall  VII  pneumonische  Infiltration  des  rechten  Unterlappens. 

Die  rechte  Lunge  ist  also  auch  bei  Bazillenpneumonie,  wie  bei 
Diplokokkenpneumonie  mehr  bevorzugt,  als  die  linke.  Auffallend 
ist  es,  daß  der  Oberlappen  in  den  meisten  Fällen  affiziert  ist 
Sodann  kommt  der  Mittellappen,  während  der  Unterlappen  am 
wenigsten  befallen  war.  Die  Erkrankungen  mehrerer  Lappen  neben- 
einander war  auch  relativ  häufig. 

4.  Bezüglich  der  Pleura  pulmonalis  konnte  ich  in  allen 
Fällen  eine  Beteiligung  in  dem  Krankheitsprozeß  konstatieren.  Sie 
zeigte  mehr  oder  weniger  reichliche  fibrinöse  Auflagerungen.  Fall  V 
war  sogar  mit  rechtsseitiger  eitriger  Pleuritis  kompliziert.  Das 
Verhalten  der  Pleura  ist  also  bei  der  Bazillenpneumonie  ähnlich 
wie  bei  der  Diplokokkenpneumonie.  Die  Neigung  der  Pleura  zur 
fibrinösen  Exsudation  scheint  indessen  bei  der  ersten  nicht  so  stark 
wie  bei  der  letzten  zu  sein. 

5.  Die  bei  Diplokokkenpneumonie  in  den  Bronchien  so  häufig 
vorkommenden  Fibringerinnsel,  die  schon  makroskopisch  leicht  als 
dendritenfSrmige  Zylinder   zu   erkennen   sind,   wurden   in  keinem 


56  n.    KOKAWX 

Falls  gefiinden.    Ich  konnte  nur  miicroskopisch  im  BiH^nohia&inBien 
Bpärliche  Fibrinmassen  konstatieren. 

6.  Als  Komplikationen  anler  Bronchitis  und  Pleu- 
ritis wurden  bei  Fall  V  Perikarditis  und  Meningitis  und 
bei  Fall  I  Ikterus  gefunden;  dieselben  Komplikationen,  die  bei 
Diplokokkenpneumonie  auch  ab  und  zu  vorkommen. 

Epikrise. 

Die  ersten  5  Fälle,  Fall  I  und  III  ungefähr  im  Stadium  der 
roten,  Fall  IV  im  Stadium  der  grauroten,  Fall  II  und  V  im  Stadium 
der  graugelben  oder  grauen  Hepatisation,  stimmen  darin  überein, 
dafi  sie  fibrinös-zelliges  Exsudat  mit  mehr  oder  minder  zähem 
Schleim  führen.  Je  jünger  das  Krankheitsstadium  ist,  um  so  reich- 
licher ist  die  Schleimmasse  und  um  so  spärlicher  sind  die  Leukozji^n. 
Daher  triflPt  man  im  Fall  III  und  I  relativ  viel  Schleim  und  wenig 
Leukozyten  und  im  Fall  II,  IV  und  V  umgekehrt  viel  Leukozyten 
und  wenig  Schleim.  Mit  der  entzündlichen  Hyperämie  verhält  es 
sich  genau  so,  wie  bei  der  Diplokokkenpneumonie.  Im  Beginne  des 
Krankheitsprozesses  bis  zur  roten  Hepatisation  (Fall  III  und  I)  ist 
das  Lungengefäßsystem  hyperämisch.  Im  fortgeschrittenen  Stadium 
(von  der  grauroten  Hepatisation  ab)  nimmt  der  Blutreichtum  immer 
mehr  ab  (Fall  IV,  V  und  II).  Von  dem  letzteren  hängt  auch  die  Menge 
der  roten  Blutkörperchen  in  den  Alveolarräumen  ab,  was  aber  bei  der 
Bazillenpneumonie  weniger  deutlich  zu  sehen  ist,  als  bei  der  Diplo- 
kokkenpneumonie. Fibrin  ist  bei  allen  Fällen,  besonders  bei  Fall  IV 
und  V,  sehr  spärlich  entwickelt.  Doch  bewahren  sie  alle 
in  pathologisch-anatomischer  Hinsicht  mehr  oder 
weniger  deutlich  den  Charakter  der  fibrinösen  Pneu- 
monie, indem  sie  außer  dem  schon  erwähnten  Fibrin 
und  dem  Verhalten  der  Blutgefäße  die  mehr  oder 
minder  deutliche  Körnung  in  ihrer  Schnittfläche 
zeigen  und  meistens  den  ganzen  oder  mehrere  Lungen- 
lappen affi zieren.  Andererseits  weichen  sie  aber  in  vielen 
Beziehungen  von  der  wohlbekannten  Diplokokkenpneumonie  ab. 
Makroskopisch  zeichnen  sich  unsere  Fälle  vor  allem  vor  der 
Diplokokkenpneumonie  durch  die  viscide  BeschaflFenheit  des  Ex- 
sudates aus,  so  daß  Weichselbaum  durch  diese  BeschaflFen- 
heit des  Lungensaftes  allein  auf  die  Anwesenheit  des  Kapselbazillus 
schließen  konnte.  Sodann  zeigen  die  Sektionsbefunde  unserer 
Fälle    Merkmale,    die    bei    der    Diplokokkenpneumonie   ebenfalls 


Znr  pathologischen  Anatomie  der  Eapselbazillen-Pnenmonie  etc.         57 

Torkomm^  so  z.  B.  zahlreiche  lobuläre  Herde  neben  den  lobänen 
bei  Fall  I,  Erwetcfanngsherde  bei  Fall  H  and  unregelmäfiige  oder 
nndentliclie  Körnung  der  Schnittfläche  Betrachtet  man  weiter  das 
mikroskopische  Büd  des  infiltrierten  Gewebes,  so  werden  die 
Unterschiede   zwischen  beiden  Pneumoniearten  auffallender: 

1.  Bote  Blutkörperchen  sind  in  erster  Linie  im  Stadium 
der  roten  Hepatisation  (Fall  I  und  III)  im  Exsudate  weit  weniger 
anzutreffen,  als  im  gleichen  Stadium  der  Diplokokkenpneumonie. 
Bei  Fall  I  ist  zwar  die  sogenannte  Hämorrhagie  deutlicher  aus- 
geprägt als  bei  Fall  IIL  Immerhin  sind  aber  desquamierte  Epithel- 
sell«!  im  Verhältnis  zu  roten  Blutkörperchen  relativ  reichlich  zu 
inden,  so  daß  bei  Hämatoxylineosinfärbung  die  Schnitte,  wie  bei 
Fall  I  schon  gesagt,  wegen  der  Kemfärbung  blau  erscheinen,  wäh* 
rend  sie  bei  der  Diplokokkeapneumonie  rötlich  aussehen.  Ich  habe 
bei  der  letzteren  neben  Fibrin  und  abgestoßenem  Lungenepithel 
ungeheure  Mengen  roter  Blutkörperchen  gefunden,  die  oft  so  zahl- 
reich waren,  daß  dadurdi  andere  geformte  Elemente  beinahe  ver- 
deckt wurden.  Aufrecht  betont  auch  in  seinem  Werke  „Die 
Lnngenentzändungen^  ein  ähnliches  Verhalten  der  roten  Blut- 
k^erchen,  die  bei  der  roten  Hepatisation  der  Diplokokkenpneu- 
monie  extravasieren.  Die  Leukozyten  treten  aber  bekanntlich  erst 
hauptsächlich  im  folgenden  Stadium,  im  Stadium  der  grauen 
Hepatisation  auf,  welches  Vertialten  ich  auch  bei  unserer  Bazillen- 
pnenmonie  bestätigen  konnte. 

2.  Nicht  minder  auffallend,  wie  das  Verhalten  der 
roten  Blutkörperchen,  ist  die  spärliche  Entwicklung 
des  Fibrins.  Durch  Weigert's  Methode  konnte  ich  feststellen, 
daß  die  Mehrzahl  der  Alveolen  der  Bazillenpneumonie  rein  zelUges 
Exsudat,  nur  die  Minderzahl  der  Alveolen  fibrinöses  oder  zellig- 
fibrinöses  Exsudat  führt,  während  bei  der  Diplokokkenpneumonie 
gerade  das  Gegenteil  der  Fall  ist.  Die  von  B  e  z  z  o  1  a  und  R  i  b  b  e  r t 
bei  der  Diplokokkenpneumonie  gefundene  Gesetzmäßigkeit  in  der 
Anordnung  des  zelligen  und  fibrinösen  Exsudates  —  d.  i.  das  Auf- 
treten des  zelligen  in  Bronchiolen  und  Infundibula  und  den  diesen 
angrenzenden  Alveolen,  und  das  Auftreten  des  fibrinösen  in  den 
von  Bronchiolen  etc.  weiter  entfernten  Alveolen  —  konnte  ich  bei 
unseren  5  Bazillenpneumonien  nicht  finden.  Dagegen  fand  ich  bei 
jedem  Falle,  daß  Fibrin  in  den  Alveolen,  welche  in  der  Nähe  des 
Bronchien  und  Blutgefäße  umgebenden  Bindegewebes  sowie  in  der 
Nähe  von  Pleura  und  Interlobularsepta  sich  finden,  mehr  oder  weniger 
deutlich  entwickelt  ist,  wasBezzola  undEibbert  bei  der  Diplo- 


58  n.    EOKAWA 

kokkenpneumonie  auch  feststellten.  Bezüglich  des  Entstehens  des 
Fibrins  bei  der  kroupösen  Pneumonie  herrschen  noch  Meinungs- 
verschiedenheiten. Die  Ansichten  von  Beyer  und  Veraguth: 
„Fibrin  entstehe  durch  Umwandlung  des  Alveolarepithels'*,  scheinen 
jetzt  nur  noch  geschichtliche  Bedeutung  zu  haben.  Hauser  will 
noch  die  Entwicklung  des  Fibrins  im  ersten  Stadium  (im  Stadium 
der  blutigen  Anschoppung  mit  dem  Übergang  zur  grauen  Hepati- 
sation) der  Nekrose  und  der  nachfolgenden  fibrinösen  Entartung  der 
hyalinen  Platten  zuschreiben.  Die  Alveolarwände  seien  in  diesem 
Stadium  mit  einer  fibrinösen  Membran  bedeckt.  Letztere  sei  beim 
gehärteten  Präparate  von  der  Alveolar  wand  mehr  oder  weniger 
abgehoben,  vielfach  gefaltet,  netzförmig  angeordnet,  den  Eindruck 
eines  Häutchens  machend.  Darin  sehe  man  femer  nicht  selten  die 
rudimentären  Kerne,  von  welchen  in  der  Form  feiner  Sternfiguren 
Fibrinfäden  oder  Reihen  von  Fibrinkörnchen  ausstrahlen.  Im  übrigen 
Raum  der  Alveolen  sei  in  diesem  Stadium  Serum  oder  Zellen.  Diese 
Befunde  sollen  nach  Haus  er  Beweise  der  fibrinösen  Entartung  des 
Alveolarepithels  sein.  Mit  Recht  widerlegt  Aufrecht  Hause r's 
Ansicht,  indem  er  auf  Ribbert's  Befunde  von  Fibringerinnsel 
innerhalb  der  Gefäße  bei  der  kroupösen  Pneumonie  hinweist  Ich 
habe  auch  bei  der  Untersuchung  der  Diplokokkenpneumonie 
ziemlich  häufig  die  Fibringerinnsel  in  Blutgefäßen  gefunden  und 
Ribbert's  Befunde  in  vollem  Maße  bestätigen  können.  Es  scheint 
mir  indessen  wahrscheinlich,  daß  die  Fibringerinnsel  in  Blutgefäßen 
postmortale  Produkte  sind.  Ich  habe  bei  den  ersten  Stadien 
unserer  Bazillenpneumonie  nach  Weigert  Fibrin  in  Blutgefäßen 
(auch  in  Kapillaren),  in  Bronchien,  im  Bronchien  und  Blutgefäße 
umgebenden  Bindegewebe  und  im  subpleuralen  und  interlobulären 
Bindegewebe  gefunden,  während  in  vielen  Alveolen  selbst  noch  kein 
Fibrin  anzutreflFen  war.  Diese  Befunde  scheinen  mir  auch  zu  be- 
weisen, daß  die  Ansicht  von  Hauser  über  die  Entstehung  des 
Fibrins  infolge  der  fibrinösen  Entartung  der  hyalinen  Platten 
nicht  ausschließlich  richtig  ist. 

3.  Was  denBefund  bezüglich  des  Hindurchtretens 
von  Fibrinfäden  durch  die  Alveolarwand  betrifft,  so 
kann  ich  die  Angaben  von  Kohn,  Hauser,  Ribbert,  Bezzola 
und  Aufrecht  vollkommen  bestätigen.  Über  die  Deutung  des- 
selben sind  die  Meinungen  der  Autoren  aber  noch  geteilt.  Während 
Kohn,  Hauser,  Ribbert  und  Bezzola  den  Grund  hierfür  in 
dem  Vorhandensein  von  natürlichen  Poren  in  der  Alveolarwand 
sehen,  sucht  Aufrecht  diese  Erscheinung  durch  das  räumliche 


Zur  pathologischen  Anatomie  der  Kapselbazillen-Pneamonie  etc.         59 

Verhältnis  bei  Gerinnung  des  Fibrins  zu  erklären.  Er  sagt:  „Fibrin, 
welches  aus  dem  Blut  herausgelangt,  müsse  vor  allem  in  der  Nach- 
barschaft der  Kapillaren  vorhanden  sein.  Da  die  Kapillaren  die 
Alveolarwand  durchsetzen,  müsse  das  Fibrin  überall  in  der  Nachbar- 
schaft der  Kapillaren  sich  finden,  also  ebensogut  in  der  Wand  der 
Alveole,  wie  im  Lumen  derselben,  ja  in  der  ersteren  am  reich- 
lichsten, weil  es  im  Gewebe  der  Alveolarwand  mehr  Widerstand 
gegen  seine  Ausbreitung  findet,  wie  im  Alveolarraum.  Darum  sei 
es  dort  am  stärksten  zu  sehen." 

Ich  habe  die  Alveolarwand  bei  der  Bazillen-,  sowie  bei  der 
Diplokokkenpneumonie  genau  besichtigt  und  neben  dem  Hindurch- 
ziehen der  Fibrinfäden  oft  Kontinuitätstrennungen  (schmale  Spalten) 
in  der  Alveolarwand  gefunden,  durch  welche  nicht  nur  Fibrinfäden, 
sondern  auch  Bakterienhaufen  und  Zellen  von  einer  Alveole  zur 
anderen  hindurchziehen.  Dieser  Befund  spricht  entschieden  für  die 
f^xist^nz  von  Poren  in  Alveolarwänden  und  gegen  die  Ansicht 
Aufrecht's.  Da  die  erkrankten  Lungen  bei  Bazillenpneumonie 
zum  Teil  durch  das  Alter  emphysematös  waren,  und  die  Alveolen  noch 
dazu  durch  das  Exsudat  erweitert  wurden,  konnte  ich  oft  stark 
erweiterte  Poren  wahrnehmen. 

4.  Ganz  charakteristisch  für  die  Bazillenpneu- 
monie ist  das  Aussehen  vieler  gequollenen  Epithel- 
zellen. Die  Epithelzellen  erreichen  besonders  durch  den  Gehalt 
mehrerer  Vakuolen  zwischen  dem  Netzwerk  des  Protoplasmas  enorme 
Größe,  ein  Verhalten,  welches  bei  den  Diplokokken-  und  sonstigen 
Pneumonien,  soweit  mir  bekannt,  bis  jetzt  noch  nicht  beobachtet 
worden  ist.  Viele  Autoren  messen  dem  Lungenepithel  die  aktive 
Beteiligung  an  der  Entzündung  bei.  Ich  möchte  auf  einzelne  An- 
sichten, wie  die  von  Wagner,  Beyer  (31),  Veraguth(32)  etc., 
genau  einzugehen  verzichten,  sondern  mich  nur  auf  die  wichtigsten 
beschränken. 

Nach  Aufrecht  erfahren  die  LuDgenepithelzellen  schon  im  Be- 
ginne der  Krankheit  (im  Stadium  der  Anschoppung)  eine  deutliche  Ver- 
änderung: Sie  schwellen  an,  trühen  sich  und  fallen  zum  großen  Teil  der 
Desquamation  anheim.  Sie  sollen  aber  in  weiteren  Stadien  (bei  der  roten 
und  grauen  Hepatisation)  keine  weitere  Veränderung  erfahren. 

Ich  konnte  bei  der  Diplokokken-  als  auch  bei  der  Bazillenpneumonie 
in  jedem  Stadium  stark  geschwollene  desquamierte  Zellen  finden.  Die 
Trübung  der  Zellen  ist  bei  der  ersteren  sehr  deutlich,  während  sie  bei 
der  Bazillenpnoumonie  durch  Vakuolenbildung  nicht  prägnant  waren. 
Doch   waren    bei   der   letzteren    auch  viele  Epithelzellen  ohne  Vakuolen, 


60  II-    KOKAWA 

aber  mit  etark  tiogiertem  getrübtem  Protoplasma  vorhanden.  (Die  Spi- 
theliellen  besitzen  meist  hellere  größere  Kerne  als  Leukozyten,  lassen 
sieb  also  leicht  y<mi  letzteren  unterscheiden.) 

Feuerstack  vertritt  die  Ansicht,  daß  bei  der  kronpösen  Pneu- 
monie 2  verschiedene  Arten  der  Epithelzellen  sich  gegen  den  Krank- 
heitsprozeß verschieden  verhalten.  Die  kernhaltigen  granulierten  kleineren 
Zellen  reagieren  nach  Feuerstack  aktiv  auf  die  entzündliche  Hyperämie 
mit  Schwellung,  Trübung  und  Teilung.  Die  größeren  hyalinen  platten 
Zeilen  sollen  dagegen  sich  passiv  verhalten,  sie  werden  von  ihrer  Unter- 
lage teils  abgewiesen  oder  teils  an  der  Alveolarwand  erhalten.  Er  gibt 
ferner  an,  daß  solche  platte  Zellen  —  hyaline  Platten  —  sowohl  im 
Ausstrichpräparate  als  im  Schnittpräparate  des  erkrankten  Lungenteils 
vorhanden  seien. 

Ich  habe  bei  meiner  Untersuchung  sowohl  bei  der  Diplokokken-  als 
auch  bei  der  Bazillenpneumonie  auf  das  Verhalten  der  hyalinen  Platten 
geachtet,  konnte  aber  hyaline  Platten  in  relativ  unveränderter  Form,  wie 
Feuerstack  angibt,  nur  in  vereinzelten  Stellen  —  meist  zwischen  Al- 
veolarwand und  Exsudat  —  finden.  Ihre  Menge  ist  aber  zu  unbedeutend,, 
als  daß  man  daraus  einen  Schluß  ziehen  dürfte. 

Zu  erwähnen  ist  noch  das  Verhalten  der  Leukozyten 
bei  der  Bazillenpneumonie,  indem  viele  von  ihnen  wie 
Epithelzellen  durch  Aufnahme  der  Bazillen  schwellen. 
Durch  Vakuolen,  hervorgebracht  durch  die  schleimige  Kapsel  der  Bazillen, 
sehen  die  Leukozyten-  und  Epithelzellen  ähnlich  wie  Bienenzellen  aus. 
Die  Kerne  sind  dabei  oft  an  die  Peripherie  gedrängt,   wie  in  Fettzellen. 

Aus  diesen  Daten  erhellt  nun,  daß  die  Bazillen- 
pneumonie sich  von  der  Diplokokkenpneumonie  wesent- 
lich unterscheidet.  Ihr  Bild  ähnelt  demjenigen  der  sog. 
asthenischen  Pneumonie,  welche  sich  nach  Leichtenstern  (33) 
durch  langsame  Infiltration,  schlaffe  Hepatisation,  raschen  Übergang 
in  graue  Hepatisation,  zum  Teil  auch  größere  Neigung  zur  eitrigen 
Infiltration,  zu  Abszeßbildung  und  Gangrän  auszeichnet.  Histo- 
logisch stimmen  beide  darin  überein,  daß  beide,  sowohl  die  Bazillen- 
pneumonie als  auch  die  asthenische  Pneumonie  wenig  Fibrin  in 
ihrem  Exsudate  haben.  Hinsichtlich  der  Veränderung  der 
zelligen  Elemente  besteht  aber  zwischen  ihnen  ein 
großer  Unterschied. 

Leichtenstern  berichtet  uns  ferner  in  seinen  Mitteilungen 
„über  „infektiöse"  Lungenentzündung  und  den  heutigen  Stand  der 
Psittakosisfrage"  iiber  einen  Fall  von  Pneumonie,  die  im  Januar 
1899  in  Köln  als  Hausepidemie  eine  Familie  heimsuchte  und  in 
einigen  Punkten  ähnliche  Gewebsveränderungen  wie  die  Bazillen- 
pneumonie zeigte.  Die  Schnittfläche  der  erkrankten  Lungenteile 
war  bei  seinem  Fall  glatt,  im  Exsudate  wiegen  die  Zellen  vor; 


Zur  pathologischen  Anatomie  der  Eapselbazillen-Fnenmonie  etc.         gl 

das  Fibrin  tritt  in  vielen  Alveolen  sparweise,  nur  in  vereinzelten 
Alveolargruppen  dentlich  auf.  Die  AIveolai*septa  sind  oft  strecken* 
weise  verbreitert  nnd  mit  Kundzellen  infiltriert.  Leichtenstern 
bezeichnet  den  Fall  als  zeitige  oder  zelUg-fibrinöse  Pneumonie. 
Die  Verändernngen  des  Lungenepithels  nnd  der  Leukozyten  sind 
aber  nicht  näher  beschrieben.  Die  Erreger  waren  nach  Leichten- 
stern Streptokokken. 

Aufrecht  unterscheidet  viele  Formen  von  Pneumonien,  welche 
von  anderen  Autoren  auch  als  billiöse,  typhöse,  asthenische,  ende- 
mische etc.  bezeichnet  werden  oder  von  Tier  auf  Menschen  äber^ 
tragbar  sind^  von  der  genuinen  kroupösen  Pneumonie  und  bezeichnet 
jene  im  Gegensatz  zur  letzteren  „vorläufig^'  zusammenfassend  als 
„atypische"^  weil  eine  ätiologische  Abgrenzung  der  einzelnen 
Formen  wegen  der  Unbekanntheit  oder  Unsicherheit  der  Krank- 
heitserreger zurzeit  unmöglich  sei.  In  bezug  auf  die  Ätiologie 
s<dcher  atypischen  Pneumonien  bemerkt  Aufrecht,  daß  Finkler(ä4) 
unter  vielen  Fällen  von  seiner  zelligen  Pneumonie  außer  verschie- 
denen Mikroorganii^nen  den  Bacillus  pneumoniae  in  einem  Fall 
konstatiert  habe.  Speziell  über  das  pathologisch-anatomische  Ver- 
balten der  Pneumonie  durch  diesen  Bacillus  pneumoniae  sagt  er 
aber  kein  Wort.  Er  definiert  pathologisch-anatomisch 
seine  atypische  Pneumonie  wie  folgt:  „Der  wesent- 
liche Unterschied  zwischen  dieser  Art  lobärer  Er- 
krankung und  der  lobären  Erkrankung  bei  der  krou- 
pösen Pneumonie  besteht  aber  in  dem  Fehlen  von 
Fibrin  im  Kaume  der  Alveolen  während  des  ganzen 
Verlaufes  der  Krankheit."  Der  Anfang  des  Krankheits- 
prozesses  sei  dabei  in  beiden  Fällen  übereinstimmend,  ebenso  die 
Veränderung  der  Alveolarepithelien.  Die  Verbreitung  und  Ver- 
dickung der  Alveolarwände  erfolge  bei  der  atypischen  rascher  und 
häufiger,  al&  bei  der  kroupösen.  Die  Hämorrhagie  in  Alveolen  finde 
sich  bei  der  atypischen  auch  in  vielen  Stellen,  aber  unregelmäßig 
daneben  seien  andere  Alveolen  mit  Leukozyten  und  großem  Alveolar- 
epithel gefillt.  Dieses  ungleichmäßige  Verhalten  erkläre  auch  die 
Ungleichmäßigkeit  des  Aussehens  auf  dem  Durchschnitt,  dürfe  das 
wesenüiehe  Kriterium  der  atypischen  Pneumonie  sein,  und  mache  es 
möglich,  vorläufig  eine  Reihe  von  Erkrankungen  zusammenzufassen, 
welche  zweifellos  in  Zukunft  nach  Krankheitserregern  auseinander 
zu  halten  sein  werden. 

Wenn  man  die  pathologisch  -  anatomischen  Befunde  unserer 
Bazülenpneumonie  mit  der  Beschreibung  der  atypischen  Pneumonie 


62  11.    KOKAWA 

von  Aufrecht  vergleicht,  so  kann  man  trotz  der  Übereinstimmung- 
in einigen  Punkten  deutliche  Differenzen  finden.  So  betont  er  das 
Fehlen  des  Fibrins  im  Räume  der  Alveolen,  als  das  Hauptkriterium 
der  atypischen,  während  bei  unserer  Bazillenpneumonie  das  Fibrin 
mehr  oder  weniger  in  vielen  Alveolen,  in  einigen  Alveolen  sogar 
reichlich  vorhanden  ist.  Ferner  sind  die  Alveolarsepta  bei  der 
letzteren  nur  an  vereinzelten  Stellen  verbreitet  und  bazillenhaltig, 
während  bei  der  atypischen  Pneumonie  die  Verbreitung  und  Ver- 
dickung der  Alveolarsepta  durch  Leukozyteninfiltration  relativ 
häufig  ist.  Demnach  gehört  nach  meiner  Ansicht  unsere  Bazillen- 
pneumonie gar  nicht  zur  atypischen  im  Sinne  Aufrecht's.  Viel- 
mehr zwingen  mich  die  oben  hervorgehobenen  Unterschiede  zu  der 
Annahme,  daß  die  Bazillenpneumonie  pathologisch  -  anatomisch  als 
eine ' besondere  Form  der  kroupösen  betrachtet  werden  muß. 

Bei  Fall  VI  und  VII  ist  das  Bild  des  erkrankten  Gewebes 
auffallend  von  demjenigen  der  Diplokokkenpneumonie  verschieden, 
während  bei  Fall  I — V  viel  größere  Ähnlichkeit  mit  derselben  zu 
konstatieren  ist.  Der  Fall  VII  verrät  schon  makroskopisch  durch 
seine  homogene  nirgends  gekörnte  Schnittfläche  etwas  Ungewöhn- 
liches. Der  Fall  VI  zeigt  in  seiner  Schnittfläche  zwar  deutliche 
Körnung,  histologisch  aber  ein  ganz  anderes  Bild,  als  dasjenige  der 
Diplokokkenpneiimonie.  Mikroskopisch  zeichnen  sich  beide,  besonders 
Fall  VII,  durch  den  eine  Reinkultur  der  Bazillen  darstellenden 
schleimigen  Inhalt  in  den  Alveolen  aus.  Das  rührt  wahrscheinlich 
davon  her,  daß  bei  der  Bazillenpneumonie  im  Beginne  der  Er- 
krankung die  Bazillen  und  der  von  ihnen  produzierte  Schleim  die 
Alveolarräume  ausfüllen  und  andere  Elemente,  Fibrin  und  Leuko- 
zyten, sich  erst  nachträglich  hinzugesellen.  Der  Fall  VII  stellt 
also  das  Bild  eines  beginnenden  Stadiums  und  Fall  VI  dasjenige 
eines  etwas  weiter  fortgeschrittenen  Stadiums  dar.  In  den  Fällen 
I — V  haben  wir  auch  gesehen,  daß  der  schleimige  Inhalt  mit  dem 
Fortschritt  der  Erkrankung  abnimmt,  die  Leukozyten  aber  zu- 
nehmen. 

W.  H.  Smith  teilt  über  einen  durch  Kapselbazillen  hervor- 
gebrachten Fall  von  akuter  Lungenentzündung  und  Septikämie 
folgendes  mit:  In  den  hepatisierten  Lungenteilen  waren  die  Alve- 
olen ausgedehnt  und  hauptsächlich  von  Kapselbazillen  gefüllt.  In 
einigen  Alveolen  scheinen  sie  in  Reinkultur  vorhanden  zu  sein.  Er 
fand  sie  ferner  innerhalb  der  Leukozyten  und  großen  Epithelzellen. 
Die  aus  Herz,  Leber,  Niere,  Milz  und  Lunge  angelegten  Kulturen 
ergaben  alle  ein  positives  Resultat.  Die  Veränderung  der  erkrankten 


Zar  pathologischen  Anatomie  der  Eapselbaziilen-Pneumonie  etc.  68 

Lange  stimmt  nach  seiner  Beschreibung  ganz  vollkommen  mit 
unserem  Fall  VI  und  VII  überein.  Daß  die  Virulenz  der  Bazillen 
bei  seinem  Fall  sehr  groß  war,  ist  daraus  zu  schließen,  daß  neben 
der  Lungenerkrankung  nachträglich  Septikämie  sich  einstellte. 

Es  ist  bis  jetzt  ziemlich  häufig  darüber  diskutiert 
worden,  ob  die  Krankheitserreger  bei  Lungenent- 
zündungen vom  Blut  aus  oder  von  den  Bronchien  in 
das  Gewebe  gelangen.  Bei  der  Bazillenpneumonie,  sowohl  bei 
Fall  VI  und  VII,  als  bei  den  anderen  5  Fällen,  finden  sich  die 
Bazillen  vorwiegend  in  den  Alveolarlumen  und  Infundibulis,  sehr 
spärlich  aber  im  Bindegewebe  um  Blutgefäße  und  Bronchien  herum, 
in  den  interlobulären  Septa  und  Alveolarscheidewänden  und  — 
allerdings  sehr  selten  —  im  Blutgefäß  selbst;  alle  diese  Be- 
funde zwingen  mich  zur  Annahme,  daß  es  sich  um 
ärogene  Infektion  handelt  —  dafür  sprechen  auch  die 
Tierversuche  — ,  obwohl  ich  die  Möglichkeit  einer  hämatogenen 
Infektion  nicht  ausschließen  kann.  Es  liegen  auch  Angaben  vor, 
daß  die  Friedländer'schen  Kapselbazillen  im  Sekrete  der  Nasen- 
höhle von  gesunden  und  katarrhalisch  erkrankten  Leuten  vorkommen 
(Phost  (38)  etc.).  Zieht  man  dabei  noch  in  Erwägung,  daß  diese 
Bazillen  in  dem  Nasensekret  bei  Ozäna  (Thost,  Berliner  (39) 
und  andere)  im  Eiter  bei  Otitis  media  (Weich  sei  bäum  (40)  vor- 
kommen können,  so  liegt  allerdings  der  Gedanke  nahe,  daß  diese 
Bazillen  auch  dann  und  wann  aus  der  Nasenhöhle  einmal  in  die 
Lungen  hineingeraten  und  dort  die  Lungenentzündung  hervor- 
bringen können. 

Zusammenfassung  der  Befunde  bei  der  Bazillen- 
pneumonie. 

Zum  Schlüsse  fasse  ich  die  Ergebnisse  meiner  pathologisch- 
anatomischen Untersuchungen  über  die  Bazillenpneumonie  in  fol- 
genden Sätzen  zusammen: 

1.  Die  erkrankten  Lungenteile  erfahren  gewöhnlich  sehr  be- 
deutende Umfangzunahme.  Die  Erkrankung  kann  einen  ganzen 
Lappen  der  Lunge  oder  herdweise  eine  Partie  eines  Lungenlappens 
betreften. 

2.  Die  Schnittfläche  der  erkrankten  Lungenteile  ist  meisten- 
falls  mehr  oder  weniger  deutlich  körnig,  selten  ganz  glatt.  Sie 
zeichnet  sich  durch  außerordentliche  Schlüpfrigkeit  und  reichlichen 
Gehalt  an  Schleim  im  Exsudat  aus,  und  zwar  um  so  auffallender, 
je  junger  das  Krankheitsstadium  ist.    Es  muß  allerdings  bemerkt 


64  ^    KOKAWA 

werden^  dafi  die  schleimige  BeschAffenbeit  der  Sehnittfläche  niclxt 
anssebließlicU  der  BaaüleapneuiMirie  zukommt ,  sondern  aHch  m 
spdterea  Stadien  der  Diplokokkenpnevmonie  nicht  selten  beobaehtet 
wird. 

3.  Der  KrankheitsprozeS  äotert  sieh  histologisch  einerseits  in 
der  Veränderung  des  Lungenepithels,  in  Anschwellung,  Wneherimg^, 
Desquamation,  teilweise  Nekrose  und  Zerfall  der  Epithelzellen,  an- 
dererseits im  Austritt  von  i'oteti  Blotkörperehen  sowie  Blntflüsaig- 
keit  und  Leukozyten. 

4.  Die  Reihenfolge  der  histologischen  Gewebsveränderungen 
seheint  bei  der  BaziUenpnenmonie  mehr  oder  weniger  ähnlich  zu  seis, 
wie  bei  der  Diplokokkenpnenmonie.  Im  Stadium  der  roten  Hepati- 
sation kouHnt  bei  der  ersteren  auch  mehr  oder  weniger  Hämorriiagie 
vor,  aber  nicht  so  reichlich,  wie  bei  der  letzteren,  so  dafi  man  also 
bei  BaziUenpnenmonie  außer  starker  Füllung  der  Blutgefäße  die 
Hämorrhagie  nicht  als  Charakteristikum  für  die  rote  Hepatisation 
ansehen  kann.  Das  Fibrin,  welches  bei  der  Diplokokkenpnen- 
monie in  dem  Stadium  der  grauen  Hepatisation  am  meisten  ausge^ 
bildet  ist,  kommt  bei  der  Bazillenpnenmoaie  auch  zur  Ausbil- 
dung, aber  sehr  viel  spärlicher.  Die  ausgewanderten  Leukozyten 
sind  bei  der  Bazillenpneumonie  im  ganzen  sehr  viel  größer  durch 
das  Auftreten  der  bazillenhaltigen  Vakuolen,  als  bei  der  Diplo- 
kokkenpneumonie und  machen  mit  den  Epithelzellen  in  fortgeschrit- 
tenen Stadien  den  Hauptbestandteil  des  EIxsudates  aus. 

5.  Sehr  charakteristisch  für  die  BaziUenpnenmonie  ist  das  Ver- 
halten der  Bazillen  im  erkrankten  Gewebe.  Im  Krankheitsbeginn 
machen  sie  mit  dem  Schleim  und  Epithelzellen  den  Hauptinhalt 
der  Alveolarräume  aus.  Der  größte  Teil  der  Epithelzellen  (im 
fortgeschrittenen  Stadium  auch  viele  der  Leukozyten),  erleiden 
dabei  charakteristische  Veränderungen,  namentlich  sehr  starke  Auf- 
quellung und  Vakuolenbildung  durch  Aufnahme  der  Bazülen.  Daß 
diese  Vakuolen  von  den  schleimigen  HüUen  der  BazUlen  stammen, 
ist  daraus  zu  ersehen,  daß  fast  in  jeder  Vakuole  eine  oder  mehrere 
Bazillen  vorhanden  sind. 

6.  Die  Beteiligung  der  Broncliien  und  Pleura  an  dem  Krankherts- 
prozeß  ist  bei  der  Bazillenpneumonie  genau  dieselbe,  wie  bei  der 
Diplokokkenpneumonie.  Die  ersteren  zeigen  das  BUd  eines  Katarrhs, 
die  letztere  (Pleura  pulmonalis)  zellig-fibrinöse  Auflagerungen. 
Fibrinöse  Gerinnsel  in  den  Bronchien  scheinen  nicht  vorzukommen* 

7.  Aus  der  vorangehenden  Schilderung  glaube  ich  mich  dafür 
entscheiden  zu  dürfen,  daß  die  Bazillenpneumonie  in  pathologisch- 


Zur  pathologischen  Anatomie  der  Eapselbazillen-Pnenmonie  etc.         65 

anatomiscber  Hinsicht  eine  besondere  Form  der  Pneamonie  darstellt, 
die  sich  von  der  Diplokokkenpneumonie  durch  eine  Reihe  charak- 
teristischer Merkmale  unterscheidet,  so  dafi  wohl  anzunehmen  ist, 
daß  auch  in  dem  klinischen  Verhalten  gewisse  Verschiedenheiten 
sich  nachweisen  lassen  werden. 

Anhang  zum  Fall  V 

Wie  schon  bei  Fall  V  erwähnt,  wurde  bei  demselben  außer 
Pneumonie  eitrig-flbrinöse  Leptomeningitis  durch  Friedländer'sche 
Eapselbazillen  konstatiert.  Vielleicht  könnte  es  von  Interesse  sein, 
wenn  ich  hier  noch  einige  Worte  über  die  Veränderungen  der 
Meningen  berichte,  da  die  Kapselbazillen  als  seltene  Erreger  ver- 
schiedener bösartiger,  oft  zu  Allgemeininfektion  führender  Krank- 
heiten, wie  Pleuritis,  Pericarditis,  Endocarditis,  Otitis  media,  Ab- 
szesse, Phlegmone,  Osteomyelitis  etc.  beschuldigt  werden. 

Es  ist  eine  allbekannte  Tatsache,  daß  Meningitiden  in  der 
Minderzahl  der  Fälle  von  kroupöser  Pneumonie  als  eine  Komplikation 
auftreten.  Daß  dasselbe  bei  einigen  Fällen  von  Bazillenpneumonie 
auch  der  Fall  war,  darüber  liegen  in  der  Literatur  sichere  An- 
gaben vor.  Außerdem  sind  einige  Fälle  von  Meningitis  durch 
Kapselbazillen  auch  im  Anschluß  an  andere  Erkrankungen  be- 
schrieben. 

Die  erste  sichere  Angabe,  daß  verschiedene  Krankheitsprozesse 
außer  Pneumonie  und  Pleuritis  durch  Bazillenpneumonie  hervor- 
gebracht werden  können,  rühjt  von  Weichselbaum  (40)  her. 
Er  stellte  1888  bei  einer  57 jährigen  Frau,  bei  welcher  im  An- 
schluß an  ßhinitis  und  Otitis  media  purulenta  sich  eine  eitrige 
Periostitis  des  Processus  mastoideus,  sodann  eine  Phlegmone  des 
M.  sternocleidomastoideus  und  allgemeine  Infektion  entwickelten, 
in  verschiedenen  erkrankten  Organen  Kapselbazillen  als  ausschließ- 
liche Erreger  fest.  Die  parenchymatösen  Organe  zeigten  dabei 
deutliche  Veränderungen,  wie  akute  parenchymatöse  Nephritis, 
fettige  Degeneration  des  Herzens,  trübe  Schwellung  der  Leber, 
akuten  Milztumor  etc.  Die  inneren  Hirnhäute  waren  nach 
Weichselbaum's  Angabe  nur  milchig  getrübt,  die  Seiten- 
ventiikel  erweitert.  Babes  (41)  fand  bei  einer  tuberkulösen 
Meningitis  neben  Tuberkelbazillen  Kapselbazillen.  Mills  (42)  kon- 
statierte 1892  bei  einer  wahrscheinlich  im  Anschluß  an  Influenza 
aufgetretenen  Meningitis  Kapselbazillen  als  alleinige  Mikroorganismen. 
Pesina  und  Honl  (43)  fanden  1894  dieselben  Mikroorganismen 
neben  Bacillus  pyocyaneus  bei  einer  nach  Otitis  media  purulenta 

DeutschM    ArehiT  f.  klin.  Medizin.    LXXX.  Bd.  ^ 


66  n.    KOKAWA 

und  Karies  und  Periostitis  des  Processus  mastoideus  hinzugekommenen 
Meningitis.  Dmochowski  (44)  stellte  Kapselbazillen  1894  als 
ausschließliche  Erreger  bei  einem  Pneumoniker  fest,  welcher  nach 
verschiedenen  Eiterungsprozessen  der  Gesichtsknochen  und  Phleg- 
mone des  Gesichts  und  Halses  durch  eitrige  Meningitis  und  Gehirn- 
abszeß zugrunde  ging,  sowohl  im  Himabszefl  als  auch  in  anderen 
Eiterherden.  Honl  (43)  fand  zum  zweiten  Male  Kapselbazillen 
bei  einem  durch  eitrige  Entzündungen  der  Meningen,  der  Lungen 
und  Nieren  zugrunde  gegangenen  Falle  als  alleinige  Mikro- 
organismen. Chiari  (45)  stellte  1895  bei  einem  nach  eitriger 
Nephritis  aufgetretenen  pyohämischen  Falle  Kapselbazillen  fest  als 
ausschließliche  Erreger  der  Meningitis  und  verschiedener  Ent- 
zündungen anderer  Organe. 

Councilman,  Mallory  und  Wright  (46)  fanden  1898 
dieselben  Mikroorganismen  bei  einem  Fall  von  Cerebrospinalmenin- 
gitis  neben  Diplococcus  intracellularis  ;Jassniger  (48)  aber  dieselben 
Bazillen  1902  in  einem  Fall  derselben  Krankheit  ausschließlich. 

Milan  Sachs  (47)  konstatierte  endlich  1902  in  einem  Fall, 
bei  welchem  von  einem  Prostataabszeß  ausgehend  eine  Allgemein- 
infektion stattfand,  Kapselbazillen  sowohl  im  Blute,  als  auch  in 
meningitischen  Herden  des  Hirns  und  Rückenmarks,  in  Prostata, 
Nieren,  Herzklappen  etc. 

Ich  lasse  hier  zuerst  den  Sektionsbefund  des  Falls  V  folgen,  und 
dann  die  histologischen  Veränderungen  der  Meningen.  Von  dem 
Krankheitsverlauf  ist  leider  nichts  zu  ermitteln  gewesen,  da  der 
Kranke  zur  medizinischen  Klinik  von  Professor  Curschmann 
moribund  eingeliefert  wurde. 

Ernst  Mehnert,  ein  58 jähriger  Maurer. 

Anatomische  Diagnose:  Pleuritis  purulenta  d extra,  Pneumonia 
crouposa  lobi  sup.  et  med.  dext.,  Pericarditis  purulenta,  Leptomeningitis 
fibrino-purulenta  difPusa. 

Sektionsbefund  (30.  August  1900): 

Große,  kräftig  gebaute  männliche  Leiche;  Totenstarre  und  Toten- 
flecke an  Kücken  und  Extremitäten  sehr  ausgeprägt;  Fettgewebe  und 
Muskulatur  gut  entwickelt;  Körperlänge  1,75  m. 

Schädeldach  groß,  dick  und  symmetrisch;  Scbädelkapsel  nicht  fest 
adhärent.  Die  Sinus  mit  Kruor  und  Speckgerinnsel  gefüllt.  Die  weichen 
Häute  besonders  der  Konvexität  befinden  sich  überall  im  Zustande  des 
sulzig-eitrigen  Ödems;  an  den  hintersten  Partien  der  Hemisphäre  und 
auf  dem  Kleinhirn  mehr  reineitrige  Auflagerungen,  die  an  der  Basis  viel 
spärlicher  und  mißfarben  dunkel  grünlich- gelb  werden.  Die  Substanz 
der  Hemisphäre  sehr  weich,  durchtränkt,  ziemlich  stark  abgeplattet. 
Durchschnitte  derselben   zeigen  bis    auf  eine  etwas  grünliche  Verfärbung 


Zar  pathologischen  Anatomie  der  EapselbazUlen-Fneumonie  etc.  67 

der  grauen  Substanz  der  Zentralganglien,  keine  Yeränderang.  Die  Seiten- 
ventrikel  und  der  vierte  Ventrikel  sind  entschieden  erweitert  und  mit 
rötlicher  trüber  Flüssigkeit  gefüllt. 

Zwerchfellstand  beiderseits  an  der  Y.  Bippe.  Die  rechte  Pleura- 
höhle enthält  ca.  100  ccm,  die  linke  ca.  30  ccm  fast  rein  eitriger  Flüssig- 
keit; rechterseits  leichte  Yerklebungen  beider  Pleurablätter.  Der  Herz- 
beutel liegt  über  handtellerbreit  frei,  seitlich  ist  er  mit  der  Pleura  fest 
verklebt.  In  der  Höhle  des  Herzbeutels  ca.  50  ccm  einer  rein  eitrigen 
nicht  stinkenden  Flüssigkeit ;  auf  dem  visceralen  und  parietalen,  besonders 
aber  an  der  Umschlagstelle  beider  Blätter  an  den  großen  Gefäßen  zarte 
eitrig -fibrinöse  Auflagerungen.  Buchte  Herzhälflbe :  Muskulatur  und  Wan- 
dung nicht  verdickt,  in  der  Höhle  viel  Kruorgerinnsel,  Klappen  intakt. 
Linke  Herzhälfte :  Muskulatur  dunkel,  blutreich  und  nicht  hypertrophisch, 
im  Yorhof  und  Yentrikel  Speckhaut  gerinnsei  und  Kruor;  Aortenklappen 
ein  bißchen  verdickt ;  Mitralklappen  und  Koronararterien  zart.  (Lungen  an 
andeter  Stelle  schon  erwähnt.) 

Bauchorgane  ohne  besondere  Yeränderungen. 

Oroße  Oefaße,  besonders  die  Aorta  in  großer  Ausdehnung  sklerosieit. 

Mikroskopischer  Befund  der  Meningen  (Tafel  11  Fig.  5). 
Vier  in  Alkohol  gehärtete  Stücke  aus  verschiedenen  Stellen  der  Groß- 
hirnrinde mit  den  weichen  Häuten  habe  ich  nach  denselben  Methoden 
untersucht,  die  ich  bei  der  Pneumonie  angewandt  habe. 

Die  zarte  bindegewebige  Schicht  der  Arachnoidea  ist  gelockert  und 
verbreitert.  Das  Zwischengewebe  von  Pia  und  Arachnoidea  ist  in  allen 
Präparaten  zu  einem  ungleich  großmaschigen,  kaum  deutlich  sichtbaren 
Netzwerk  verbreitet.  Die  Maschen  desselben  sind  mit  dem  hauptsäch- 
lich aus  Fibrin  und  Leukozyten  bestehenden  Exsudate  ausgefüllt.  Das 
letztere  ist  oft  locker  auf  den  Windungen,  aber  dichter  in  den  Furchen 
der  Himsubstanz  ausgebildet.  Die  Yerteüung  des  Fibrins  und  der 
Leukozyten  im  Exsudate  ist  ungleichmäßig.  An  einer  Stelle  ist  viel 
Fibrin  mit  relativ  wenig  Leukozyten;  an  einer  anderen  Stelle  ist  eine 
enorme  Menge  von  Leukozyten  mit  einem  zarten,  spur  weise  entwickelten 
Fibrinnetz  vorhanden,  während  wieder  an  anderen  Stellen  Fibrin  und 
Leukozyten  beide  sehr  spärlich  anzutreffen  sind.  In  der  Hegel  ist  das 
Fibrin  in  der  Umgebung  der  Blutgefäße  und  an  der  Intima  der  Pia 
gut  entwickelt  und  stellt  oft  ein  dichtes,  feinmaschiges  Netzwerk  ohne 
zellige  Beimischung  dar.  Die  Leukozyten  sind  teils  ein-,  teils  mehr- 
kemig,  oft  angeschwollen,  vakuolisiert  und  bazillenhaltig.  Die  Yakuolen 
in  den  Zellen  sind  aber  nicht  so  deutlich  wie  im  pneumonischen  Lungen- 
gewebe sichtbar,  ihre  Zahl  in  den  Zellen  ist  auch  nicht  groß,  sie  schwankt 
meist  zwischen  1 — 3  und  ist  sehr  selten  noch  höher.  Die  Kerne  sind 
oft  mit  dem  B«8t  von  Protoplasma  an  die  Peripherie  gedrängt.  Bote 
Blutzellen  kommen  auch  dann  und  wann  im  Exsudat  vor,  ihre  Zahl  ist 
aber  sehr  spärlich,  so  daß  sie  keinen  wesentlichen  Bestandteil  des 
Exsudats  bilden.  Es  gibt  auch  stellenweise  Zellen,  welche  sich  durch 
große  blasse  Kerne  und  starke  Yergrößernng  von  Leukozyten  unter- 
scheiden; sie  sind  wahrscheinlich  Abkömmlinge  von  Endothelzellen.  Die 
Blutgefäße  sind  erweitert  und  mit  Blut  stark  gefüllt.     In  den  Yenen  und 


68  IL    KOKAWA 

in  einem  Teil  der  Arterien  aind  grobe ,  wie  nadeiförmige  Kry Bialle  aoB- 
sehende  Fibrinfäden  zwischen  Blntzellen  sichtbar,  in  einigen  Gefäßen 
findet  sich  eine  Wandstellung  der  weißen  Blutkörperchen.  Von  Bakterien 
Bind  nur  ELapselbazillen  zu  treffen.  Sie  sind  aber  nicht  so  zahlreich, 
wie  im  poenmonischen  Gewebe,  liegen  innerhalb  der  Leukozyten  und 
zwischen  denselben  und  den  Fibrinfaden.  In  dem  gelockerten  Arachnoideal- 
gewebe  und  in  der  Nähe  der  Intima  und  Pia  sind  Bazillen  relativ 
reichlich,  oft  in  zahlreichen  Gruppen  zu  finden.  Sie  lassen  sich  durch 
Farbstoffe  gut  färben,  auch  sehr  gut  durch  Gentianaviolett  bei  Fibrin- 
färbuDg.  Durch  die  letztere  Färbung  sind  besonders  in  Blutgefößen, 
sowohl  in  Venen  als  in  Arterien,  befindliche  Bazillen  neben  Fibrin  leicht 
sichtbar.  Die  Kapseln  der  Bazillen  erscheinen  meist  als  ungefärbter  heller 
Hof  mehr  oder  weniger  deutlich. 

Was  die  Hirnsubstanz  selbst  anbetrifft,  so  zeigen  sich  in  der  ober- 
flächlichen Schicht,  in  der  äußersten  feinfaaerigen  Schicht  und  in  der 
zellarmen  Schicht  einige  Veränderungen.  Das  Gliagewebe  ist  daselbst 
gelockert ;  die  Maschen  der  Gliafasern  verbreitert.  Das  Protoplasma  der 
Ganglienzellen  ist  schwer  färbbar  und  nicht  scharf  abgegrenzt.  Die 
Kerne  derselben  aber  sind  gut  erhalten  und  gut  färbbar.  Die  Gliazellen 
scheinen  meist  nicht  verändert  zu  sein.  Die  Kapillaren  sind  stark  mit 
Blut  gefüllt.  In  und  um  kleine,  von  der  Pia  in  die  Hirnsubstanz  ein- 
tretende Blutgefäße  sind  stellenweise  Bazillen  vorhanden ;  sonst  si^d  die 
Bazillen  ab  und  zu  in  der  äußersten  feinfaserigen  Schicht  zu  treffen 
(wahrscheinlich  postmortal  dorthin  gelangt).  Keine  Leukozyten  Infiltration 
um  die  Gefäße  oder  in  der  Hirnsubstanz.  Die  Veränderungen  der  ober- 
flächlichen Schicht  der  Hirnrinde  sind  also  lediglich  als  Folgezustande 
des  entzündlichen  Odems  aufzufassen.  Der  epizerebrale  Raum  ist  überall 
erweitert  und  enthält  Eiweißgermnsel,  vereinzelte  Leukozyten  und  Bazillen. 
Das  erkrankte  Piagewebe  ist  also  mit  der  Himoberfläche  durch  die  von 
der  Pia  in  die  Hirnsubstanz  eintretenden  Blutgefäße  verbunden  (wahr- 
scheinlich ein  postmortales  Produkt). 

In  unserem  Falle  wurden  der  rechte  obere  und  mittlere  Lungenlappen 
und  die  weichen  Hirnhäute  ohne  Zweifel  durch  Friedländer'sche  Kapsel- 
bazillen affiziert,  wie  letztere  histologisch  und  bakteriologisch  nachgewiesen 
wurden.  Eitrige  Pleuritis  und  Perikarditis  wurden  zwar  weder  histo- 
logisch noch  bakteriologisch  untersucht.  Nichtsdestoweniger  glaube  ich 
aber  dieselben  der  Wirkung  der  Kapselbazillen  zuschreiben  zu  dürfen, 
da  eitrige  Pleuritis  erfahrungsgemäß  oft  an  eine  kroupöse  Pneumonie, 
eitrige  Perikarditis  ebenfalls  sich  an  Pleuritis  und  Pneumonie  anschließt. 
Welche  Krankheit,  ob  Pneumonie  oder  Leptomeningitis,  bei  unserem  Falle 
die  primäre  sei,  ist  klinisch  bei  dem  unbekannten  Krankheitsverlauf  nicht 
zu  entscheiden.  In  pathologisch- anatomischer  Hinsicht  stellt  die  krou- 
pöse Pneumonie  ein  ziemlich  fortgeschrittenes  Stadium  (graue  Hepatisation) 
dar.  Und  Kapselbazillen  schmarotzen  bekanntlich  oft  im  Atemwege  ge- 
sunder Menschen,  wie  in  der  Nasenhöhle,  Kehlkopf  und  Trachea.  Es  iat 
also  wohl  sicher  anzunehmen,  daß  die  Lunge  in  unserem  Falle  zuerst  von 
Bazillen  affiziert,  sodann  Pleura  und  Herzbeutel  per  continuitatem  und 
conguitatem   infiziert    und     schließlich   Leptomeningitis    durch    dieselben 


Zar  pathologischen  Anatomie  der  Eapselbaziilen-Pnenmonie  etc.  69 

MikroorganiBmen  herbeigeführt  wurde.  Daß  die  Leptomeningitis  durch 
eine  Infektion  mittels  der  Biutzirkulation  zustande  kam ,  bedarf  keiner 
Worte. 

Nachtrag. 

Nach  Vollendung  meiner  Arbeit  bekam  ich  Gelegenheit,  zwei 
neue  Fälle  von  Bazillenpneumonie  zu  untersuchen,  worüber  ich  hier 
kurz  berichten  möchte. 

Fall  VIII  (47  jährige  Maurerswitwe,  f  1.  August  1903). 

Kzankheitsdauer  unklar,  da  die  Betreffende  moribund  in  ganz  be- 
Dommenem  Zustande  in  die  Klinik  von  Professor  Curschmann  auf- 
genommen wurde. 

Klinische  Diagnose:  Pneumonia  crouposa  lobi  sup.  pulmonis  sin. 

Anatomische  Diagnose:  Pneumonia  crouposa  lobi 
sup.  pulmonis  sin.  (Bacillus  pneumoniae  Friedländer.) 
Pleuritis  fibrinoserosa  sin.  Emphysema  pulmonum.  Pe- 
ricarditis  chronica  fibrosa  et  recens  fibrinoserosa.  Ar- 
terioBclerosis.     Atrophia   renum  granularis. 

Sektionsbefund   der   Lungen  (20  Stunden  nach  dem  Tode): 

Buchte  Lunge  in  ihren  oberen  und  unteren  Partien  mit  der  Pleura 
parietalis  verwachsen,  in  den  unteren  und  Bandpartien  gebläht.  Das 
Parenchym  Ödematös. 

Linke  Lunge  am  TJnterlappen  mit  der  Pleura  diaphragro.  leicht  ver- 
wachsen. Der  ganze  Oberlappen  außerordentlich  umfangreich,  derb  in- 
filtriert; die  ganze  Schnittfläche  glatt,  homogen  und  von  eigentümlich 
graugrünlicher  schleimiger  Beschaffenheit;  nach  Abstreichen  derselben 
kommt  aber  eine  graurote,  deutlich  kömige  Schnittfläche  zum  Vorschein. 
In  frischen  und  gefärbten  Abstrichpräparaten  waren  reichliche  Kapsel- 
bazillen  nachweisbar.  In  den  nach  der  Sektion  sofort  angelegten  Agar- 
fltrich-  und  Gelatineplattenkulturen  entwickelten  sich  nur  Bazillen,  welche 
bei  weiterer  Züchtung  bei  Oelatinestich-  deutlich  Nagelkultur,  bei  Agar- 
strichkulturen  starke  Schleimbildnng  zeigten.  Die  Bazillen  ließen  sich  nach 
Gram  nicht  färben  und  verhielten  sich  gegen  Mäuse  und  Meerschweinchen 
stark  pathogen.     Näheres  hierüber  werde  ich  gelegentlich  mitteilen. 

Die  histologischen  Untersuchungen  des  infiltrierten 
Lungenteils  ergaben  dieselben  Resultate,  die  ich  in  anderen  Fällen, 
besonders  in  Fall  lY  und  Y,  konstatiert  habe.  Die  meisten  Epitbelzellen 
und  viele  mehrkemige  Leukozyten  waren  kolossal  gequollen  und  durch  den 
Einschluß  mehr  oder  weniger  reichlicher  Kapselbazillen  deutlich  vakuolisiert. 
Yiele  Epithelzellen  waren  nekrotisiert,  ließen  zum  Teil  trotz  erhaltener 
Formen  keine  deutliche  Kcmfarbung  zu,  und  waren  teilweise  zerfallen.  Trotz 
der  deutlichen  Körnung  der  Schnittfläche  des  hepatisierten  Lungenteils 
ließ  sich  nach  Weigert  nur  in  relativ  spärlicher  Menge  Fibrin  darstellen, 
dessen  Yerteilung  sich  genau,  wie  in  anderen  Fällen  verhielt.  Im  Exsudate, 
das  außer  Fibrin  aus  Epithelzellen,  Leukozyten  und  zum  Teil  aus  der 
schleimigen  Masse  bestand,  waren  die  roten  Blutkörperchen  vereinzelt  zu 
finden.  Blutgefäße  wenig  blothaltig.  Bronchien,  Lymphgefäße,  Bazillen 
und  Alveolanepta  verhielten  sich  wie  in  anderen  Fällen. 


70  n.    EOKAWA 

Fall  IX  (51jährige  Fabrikarbeiterin,  f  10.  September  1903). 
Krankheitsdauer:  4  Tage. 

Klinische  Diagnose:  Pneumonia  crouposa  lobi  med.  et  inf . 
pulm.  dext.     Dilatatio  ventriculi  utriusque  cordis.     Delirium. 

Anatomische  Diagnose:  Pneumonia  crouposa  lobi 
inf.  et  med.  pulm.  dextr.  (Bacillus  pneumoniae  Fried- 
länder). Pleuritis  exsudativa  dextra,  Bronchitis.  Em- 
physema  pulmonum  sin.  Dilatatio  et  hypertrophia  ven- 
triculi  dextri   cordis.     Hepar   adiposum. 

Sektionsbefund  der  Lungen  (22  Stunden  nach  dem  Tode): 
Die  rechte  Pleurahöhle  zirka  600  ccm  sehr  trüber  gelblicher  Flüssig- 
keit enthaltend,  die  linke  frei  von  der  Flüssigkeit.  Linke  Lunge  ziem- 
lich voluminös,  auf  dem  Durchschnitt  ziemlich  blutreich,  überall  luft- 
haltig. Der  Oberlappen  etwas  emphysematisch.  Die  Bronchien  gerötet, 
schleimiges  Sekret  enthaltend.  Li  der  Nähe  der  Spitze  ein  zirka  erbsen- 
großer schwarz  pigmentierter  Herd  (schiefrige  Liduration).  Die  rechte 
Lunge  sehr  umfangreich,  namentlich  in  dem  Mittel-  und  Unterlappen. 
Der  Oberlappen  stark  komprimiert,  schlaff,  fast  nicht  lufthaltig.  Der 
Mittel-  und  Unterlappen  in  mäßigem  Grade  hepatisiert,  vollkommen  luft- 
leer. Die  Schnittfläche  ziemlich  glatt,  im  Mittellappen  braunrot,  im 
Unterlappen  mehr  gelblichgrau  gefärbt,  in  toto  mit  einem  gelblichroten 
schmutzigen  fadenziehenden  Sekret  bedeckt,  und  nach  Abstreichen  des 
letzteren  kaum  Körnung  zeigend.  In  frischen  Abstrichpräparaten  aus 
dem  Lungensaft  und  pleuritischen  Exsudate  ließen  sich  zahlreiche  kurze 
und  lange  Kapselbazillen  erkennen. 

Histologische   Untersuchung: 

Das  pneumonische  Exsudat  verhielt  sich  im  großen  und  ganzen  wie 
im  Fall  VIII.  Die  Bazillen  waren  nicht  nach  Gram'scher  Methode,  wohl 
aber  durch  Methylenblau,  Fuchsin  usw.  färbbar.  Die  Kapseln  als  un- 
gefärbter oder  blaugefarbter  Hof  leicht  erkennbar.  Das  Fibrin  ist  in 
diesem  Fall  äußerst  zart  und  spärlich.  Pleura  pulm.  von  relativ  dickem 
fibrinösem  Belag  mit  Leukozyten  und  Bazillen  bedeckt ;  die  Epithelzelien 
der  Deckhaut  zu  einer  kubischen  Form  gewuchert.  Subpleurales  Bindege- 
webe auch  mit  Fibrin  durchsetzt;  Blutgefäße  daselbst  stark  erweitert. 
Über  Bronchien  und  Alveolarsepta  gilt  dasselbe,  was  in  vorstehenden 
Fällen  beschrieben  wurde. 

Leider  hatte  ich  in  diesem  Fall  nicht  Gelegenheit,  aus  dem  pneu- 
monischen und  pleuritischen  Exsudate  Kulturen  anzulegen.  Nichtsdesto- 
weniger glaube  ich  aber,  auch  in  diesem  Fall  Friedländer' sehe  Kapsel- 
bazillen als  alleinige  Krankheitserreger  betrachten  zu  dürfen,  aus  der 
Nichtfärbbarkeit  nach  Gram  und  der  Form  der  Bazillen,  vor  allem  aber  aus 
der  Übereinstimmung  in  dem  histologischen  Verhalten  des  infiltrierten 
Gewebes  mit  den  anderen  Fällen. 

In  der  letzten  Zeit  machten  bekanntlich  zwei  maßgebende  Au- 
toren über  die  kroupöse  Pneumonie  Veröffentlichungen,  namentlich 
V.  Leyden  in  der  deutschen  Klinik  am  Eingang  des  zwanzigsten 
Jahrhundert  (II.  Bd.  S.  244)  und  A.  Fränkel  in  seiner  speziellen 


Zur  pathologiflchen  Anatomie  der  Kapselbazillen-Pnenmonie  etc.  71 

Pathologie  und  Therapie  der  Lungenkrankheiten  (die  genuine 
fibrinöse  Pneumonie  S.  241).  v.  Leyden  mißt  dem  Diplokokkus 
(Fränkel-Weichselbaum)  allein  ätiologische  Bedeutung  für 
die  kroupöse  Pneumonie  bei,  geht  aber  auf  die  Eigenschaften  des 
Friedländer'scben  Bazillus  nicht  näher  ein.  A.  Franke  1  hebt  den 
Diplokokkus  von  dem  klinischen,  sowie  von  dem  bakteriologisch- 
anatomischen Standpunkt  betrachtend  als  den  alleinigen  Erreger 
der  krouposen  Pneumonie  hervor.  Ganz  skeptisch  stellt  sich 
Fränkel  gegen  die  primäre  lobäre  Pneumonie  durch  den 
Friedländer'scben  Bazillus.  Selbst  eine  wohl  bekannte  Beobachtung 
W  e i  c  h  s  e  1  b  a  u  m's  bei  einem  Pneumoniefalle,  in  welchem  Pneumonie- 
bazillen  bereits  am  zweiten  Erankheitstage  als  alleinige  Mikro- 
organismen durch  Züchtung  nachgewiesen  wurden,  läßt  Fränkel 
als  beweiskräftig  nicht  ganz  gelten.  Er  scheint  das  Vorhandensein 
der  Bazillen  in  solchen  Fällen,  wie  in  wenigen  von  ihm  selbst  be- 
obachteten Fällen,  einer  sekundären  Ansiedelung  in  bereits  erkranktem 
Gewebe  zuzuschreiben.  Freilich  darf  man  nicht  vergessen,  daß 
die  Diplokokken  ihrer  leichten  Vergänglichkeit  wegen  in  dem 
pneumonischen  Gewebe  in  späteren  Krankheitsstadien  oft  von  an- 
deren als  Mischinfektion  konkomitierenden  oder  sekundär  ange- 
siedelten Bakterien  leicht  überwuchert  werden.  Wir  gestehen  auch 
offen,  daß  in  einigen  von  unseren  Fällen  vor  der  Untersuchung  bereits 
über  eine  Woche  die  Pneumonie  bestanden  hatte  (Fall  I  und  II)  und  bei 
Fall  III,  IV,  V,  VII  und  VIII  die  Krankheitsdauer  sogar  unklar  war. 
Der  Fall  VI  kam  jedoch  am  sechsten,  Fall  IX  am  fünften  Krankheits- 
tege  zur  Sektion,  worauf  ungesäumt  Bakterienuntersuchungen  ge- 
macht wurden.  Wir  ziehen  aber  den  Schluß,  daß  die  Bazillen  allein 
primäre  lobäre  Lungenentzündungen  verursacht  haben,  nicht  nur 
durch  das  ausschließliche  Vorhandensein  der  Bazillen,  sondern  auch 
durch  die  in  allen  Fällen  nachweisbaren  charakteristischen 
pathologisch-anatomischen  Veränderungen,  die  sich  in  vielen  Punkten 
von  denjenigen  der  Diplokokkenpneumonie  unterscheiden.  Es  gelang 
uns  ferner,  mit  aus  dem  Fall  VIII  gewonnenen  Kulturen  bei  3  Meer- 
schweinchen durch  Injektion  in  die  Trachea  und  Lunge  Pneumonien 
zu  erzeugen. 

In  Hinsicht  des  anatomischen  Verhaltens  bezweifelt  Fränkel 
auch   die   Angaben   von    Netter^)   und   Eppinger^),    daß    die 


1)  Netter,  In  C.  Fltigge's  „Die  Mikroorganismen"  3.  Aufl.  II.  Bd.  S.  344. 
Ton  Kruse  zitiert. 

2)  Eppinger,  In  Lubarsch-Ostertag's  Ergebnissen  der  allgem.  Pathologie 
und  patb.  Anatomie  1898,  Jahrg.  III  2.  Teil  S.  53. 


72  n.    EOKAWA 

BazillenpneumoDie  sich  durch  eine  besondere  viscide  Beschaffen- 
heit des  Exsudates  auszeichne.  Auf  einem  Fall  von  Lobär- 
pneumonie basierend,  bei  welchem  F  r  ä  n  k  e  1  am  achten  Krankheits- 
heitstage  eine  Abart  der  Friedländer'schen  Bazillen  allein  nach- 
wies und  die  deutlich  kömige  Schnittfläche  der  derb  infiltrierten 
Lunge,  wie  bei  der  gewöhnlichen  Diplokokkenpneumonie  fand,  er- 
klärt Fränkel  Netter's  und  Eppinger's  Angaben  als  kaum 
allgemeingültig.  Doch  stimmt  das  makroskopische  Verhalten  unserer 
Fälle  mit  den  Angaben  der  letztgenannten  Autoren  im  großen  und 
ganzen  überein.  Es  wäre  aber  nach  unserer  Ansicht  nicht  ganz 
richtig,  wenn  man  bei  der  Bazillenpneumonie  das  Hauptgewicht 
nur  auf  die  schleimige  Beschaffenheit  des  Exsudates  legte.  Wie 
wir  bereits  erwähnt  haben,  treffen  wir  auch  bei  der  Diplokokken- 
pneumonie in  späteren  Stadien  oft  ziemlich  viscides  Exsudat.  Macht 
man  die  histologische  Untersuchung,  so  werden  die  Unterschiede 
zwischen  Bazillen-  und  Diplokokkenpneumonie  viel  sicherer  und  auf- 
fallender sein,  als  bei  einer  bloßen  makroskopischen  Besichtigung. 


Literatur. 


1.  Klebs,  Beitrfiffe  zur  Kenntnis  der  pathogenen  Schizomyzeten.  IV.  Ab- 
handlung p.  107,  V.  Abhandlung  p.  207,  VI.  Abhandlung  p.  409  Archiv  für 
experimentelle  Pathologie  und  rharmakologie  Bd.  IV. 

2.  Eberth,  Zur  Kenntnis  der  mykotischen  Prozesse.  Deutsches  Archiv  für 
klin.  Med.  Bd.  28  p.  1. 

3.  Koch,  Zur  Untersuchung  von  pathogeneu  Mikroorganismen.  Mitteilungen  aus 
dem  kaiserl.  Gesnndheitsamte  1881  Bd.  I  p.  1. 

4.  Friedländer,  a)  Die  Mikrokokken  der  Pneumonie.  Fortschritte  d.  Medizin 
1883  Bd.  I  Nr.  22  p.  715.  —  b)  Weitere  Bemerkungen  über  Pneumonie- 
Mikrokokken.  Fortschritte  d.  Medizin  1884  p.  333.^ —  c)  Untersuchungen  über 
Lungenentzündung  Berlin  1873. 

5.  L  e  y  d  e  n ,  Über  infektiöse  Pneumonie.  Verhandlungen  des  Vereins  für  innere 
Med.  1882  und  Zeitschrift  für  klinische  Medizin  Bd.  VI  p.  267. 

6.  Günther,  Verhandlungen  des  Vereins  f.  inn.  Med.  1882. 

7.  A.  Fränkel,  a)  Über  die  genuine  Pneumonie.  Verhandlungen  d.  III.  Kon- 
gresses für  innere  Medizin  1884  p.  17.  —  b)  Weitere  Beiträge  zur  Lehre  von 
den  Mikrokokken  der  genuinen  fibrinösen  Pneumonie.  Zeitschrift  für  klin. 
Med.  1886  Bd.  XI  p.437.*- 

8.  Weichselbaum,  Über  die  Ätiologie  der  akuten  Lungen-  und  Rippenfell- 
entzündungen. Medizinisches  Jahrbuch  der  k.  k.  Gesellschaft  Wien  188& 
D.  483. 

9.  Wolf,  W.,  Der  Nachweis  der  Pneumoniebakterien  im  Sputum.  Wiener  med. 
Blätter  1887  Nr.  10—14. 

10.  Aufrecht,  Die  Lungenentzündungen.  Spezielle  Pathologie  und  Therapie 
von  Nothnagel  Bd.  XIV  l.  Hälfte. 

11.  Baumgarten,  a)  Lehrbuch  der  pathologischen  Mykologie  Bd.  I  p.  238.  — 
b)  Jahresbericht   über  die  Fortschritte  in  der  Lehre  von  den  pathogenen 

j   Mikroorganismen  Bd.  I— XVI. 

12.  Kibbert,  a)  Einige  histologische  Befunde  bei  kroupöser  Pneumonie.  Be- 
richt über  die  Verhandlungen  der  Naturforscher-Versammlung  zu  Nürnberg  1893. 
—  b)  Befunde  an  den  Blutgefäßen  bei  kroupöser  Pneumonie  (in  eben  demselben 


Zur  patholog^hen  Anatomie  der  Eapselbazillen-Pneumonie  etc.  73 

Bericht).  —  c)  Zusätze  znr  Arbeit  Bezzola's.  Virchow's  Archiv  1894  Bd.  134 
p.  102.  —  d)  Zur  Anatomie  der  Lungenentzündung.  Fortschritte  der  Me- 
dizin 18d4  Bd.  XII  p.  371.  —  e]  Lehrbuch  der  pathologischen  Histologie  1901. 

13.  Kaufmann,  Lehrbuch  der  speziellen  pathologischen  Anatomie  1908. 

14.  Ziegler,  Lehrbuch  der  speziellen  pathologischen  Anatomie  1903. 

15.  Dreschfeld,  Über  Wanaerpneumonie  und  ihre  Beziehung  zur  epidemischen 
Pneumonie.    Fortschritte  der  Medizin  1885  Nr.  12. 

16.  Chrostowki  und  Jakowski,  Die  epidemische  kroupöse  Pneumonie  und 
die  Resultate  der  bakteriologischen  Untersuchungen  bei  einer  Epidemie  in 
Warschau.  Gazeta  Lekarska  1888.  B>eferat  in  Baumgarten's  Jahresbericht 
Bd.  V  1889  p.  90. 

17.  Galvagni,  Sulla  pneumonite  crux>08a  a  focolai  disseminati.  Bivista  clinica 
Archivio  italiano  di  clinica  medica  1890.  Keferat  in  Baumgarten's  Jahres- 
bericht 1890  Bd.  VI  p  82. 

18.  Comba^,  Un  caso  di  setticemia  da  bacillo  del  Friedländer  in  un  neonate 
aasociato  a  sclerema.  Sperimentale  Nr.  2.  Referat  in  Baumgarten's  Jahres- 
bericht 1896  Bd.  Xn  p.  10^. 

19.  Netter,  Etüde  bactenologique  de  la  bronchopneumonie  chez  l'adulte  et  l'enfant. 
Archive»  de  m6d.  exp^r.  et  d'anat.  path.  1892.  Referat  in  Baumgarten's 
Jahresbericht  1892  p.  54. 

20.  Siredey,  Pleur^sie  purulente  dne  au  bacille  de  Friedländer.  Society  mM. 
des  Hupitaux.  S^ance  du  If.  F6vrier.  Ref.  in  Baumgarten's  Jahresbericht 
1897   Bd.  Xm  p.  108.  ' 

21.  Smith,  W.  H.,  A  case  of  lobular  pneumonia  due  to  the  Bacillus  mucosus, 
or  the  Badllns  of  Friedländer.  Journal  of  the  Boston  Soc.  of  med.  Sciences 
vol.  2  p.  174. 

22.  Curry,  Bacillus  caps.  (bacil.  pn.  of  Friedländer)  with  especial  reference  to 
its  Connection  with  acute  lobar  Pneumonia.  Journal  of  experimcntal  med. 
vol.  3  p.  179. 

23.  Banti,  Süll'  Etiologia  della  pneumonite  acuta.  Ref.  im  Zentralblatt  für 
allgemeine  Pathologie  und  pathol.  Anatomie  Bd.  II  p.  lOB. 

24.  Marchand,  Über  einen  noch  nicht  näher  bekannten  Kapselbazillus,  welcher 
in  großer  Menge  in  dem  Exsudate  einer  pneumonischen  Lunge  gefunden 
wurde.  Sitzungsberichte  der  Gesellschaft  zur  Beförderung  der  gesamten 
Naturwissenschaften  zu  Marburg  1893,  8.  Juni. 

2p.  Bezzola,  Beiträge  zur  Histologie  der  fibrinösen  Pneumonie.  Yirchow's 
Archiv  1894  Bd.  136. 

26.-  Virchow,  Über  parenchymatöse  Entzündung.    Sein  Archiv  Bd.  IV  p.  262. 

27.  Cohn,  Zur  Histologie  der  indurierenden  fibrinösen  Pneumoole.  Münchner 
med.  Woch.  Nr.  3  1893. 

28.  Häuser,  a)  Über  die  Entstehung  des  fibrinösen  Exsudates  bei  der  kroupöseu 
Pneumonie.  Beiträge  von  Ziegler  Bd.  XV  S.  527  1894,  —  b)  Bemerkung  zu 
Aufrecht's  Untersuchungen  über  die  kroupöse  Pneumonie,  ibid.  Bd.  XXII  1897 
S.  60o. 

29.  Hansemann,  Untersuchungen  über  die  Entstehung  des  Lungeneinphysems. 
Berliner  med.  Gesellschaft,  Sitzung  vom  26.  April  1899.  Referat  im  Zentral- 
blatt f.  allgem.  Pathologie  u.  pathol.  Anatomie  Bd.  XI  19(X)  S.  971. 

30.  Feuerstack,  Über  das  Verhalten  des  Epithels  der  Lnngenalveolen  beider 
fibrinösen  Pneumonie.   Dissertation  Göttingen  1882. 

31.  Bayer,  Ottmar,  Das  Epithel  der  Lnngenalveolen  und  seine  Bedeutung  in 
der  kroupöseu  Pneumonie.  Wagner's  Archiv  der  Heilkunde  1867  Bd.  8  S.  546. 

32.  Veraguth,  Über  Veränderungen  des  Lungenepithels  bei  künstlich  hervor- 
gebrachten pneumonischen  Prozessen.    Virchow's  Archiv  1880  Bd.  82  p.  338. 

33.  Leichtenstern,  a)  Über  asthenische  Pneumonie.  Volkmann's  Sammlung 
klin.  Vorträge.  Innere  Medizin  Nr.  28  p.  1870.  —  b)  Über  infektiöse 
Lungenentzündung  und  den  heutigen  Stand  der  Psittakosis-Frage.  Bonn  1899. 

34.  Finkler,  Die  akuten  Lungenentzündungen  als  Infektionskrankheiten. 
Wiesbaden  1891. 

35.  V.  Mering,  Lehrbuch  der  inneren  Medizin  (kroupöse  Pneumonie  von  Müller 
beschrieben)  1901. 


74      n.  KoKAWA,  Zur  pathol.  Anatomie  der  Eapselbazillen-Fneumouie  etc. 

36.  T.  Jürgen 8 eu,  Kroiipöse  Fneamonie,  in  y.  Ziemssen^s  Handbuch  der  spe- 
ziellen Pathologie  und  Therapie  Bd.  V. 

37.  Ivan  Honl,  Spaltpilze  bei  rneumonie.  Ergebnisse  der  allgemeinen  Ätio- 
logie der  Menschen  und  Tierkrankheiten  von  0.  Lubarsch  und  E.  Ostertag 
1896  Bd  I  Abt.  1  p.  653. 

38.  Thost,  Fneumoniekokken  in  der  Nase.  Deutsche  med.  Wochenschrift  1886 
Nr.  10. 

39.  Berliner,  Max,  Über  Ozaena  n.  ihre  Behandlung  und  Frophilaxe.  Deutsche 
medizinische  Wochenschr.  1887  Nr.  51. 

40.  Weichselbaum,  Über  eine  von  Otitis  media  suppurativa  ausgehende  und 
durch  den  Bazillus  pneumoniae  (Friedländer's)  bedingte  Allgemeininfektion. 
Monatsschrift  für  Ohrenheilkunde  1883  Nr.  8  und  9. 

41.  Babes,  ,Congr6s  de  la  tuberculose  1888,  dtiert  in  Ergebnissen  der  allge- 
meinen Ätiologie  der  Menschen  und  Tierkrankheiten  von  0.  Lubarsch  und 
B.  Ost^rteg.     Jahrg.  1  Abt.  3  S.  551. 

42.  Mills,  Meningite  k  pnenmocoque  s.  Journal  de  m^decine  de  Bruxelles  1892 
Nr.  29.  Referat  im  ^entralblatt  für  Bakteriologie  und  Farasitenknnde  1892 
Bd.  Xn  S.  440. 

43.  Honl,  Durch  den  Friedländer'schen..Fneumobazillus  hervorgerufene  Menin- 

fitiden.   Ergebnisse  der  allgemeinen  Ätiologie  der  Menschen-  und  Tierkrank- 
eiten  Bd.  I  Abt.  3  1896  p.  552. 

44.  Dmochowski,  Beitrag  zur  Lehre  über  die  pathogenen  Eigenschaften  des 
Friedländer'schen  Fneumokokkus.  Zentralblatt  für  Bakteriologie  und  Fara- 
sitenkunde.  1894  Bd.  XV  Nr.  16. 

45.  Ohiari,  Über  einen  als  Erreger  einer  Pyohämie  beim  Menschen  gefundenen 
Kapselbazillus.    Prager  med.  Wochenschrift  1895  Nr.  24—25. 

46.  Councilman,  W.  T.,  Mallory,  F.  B.,  Wright,  J.  H.,  Epidemie  cere- 
brospinal  meningitis.   American.  Joum.  of  the  Med.  Sc.  N.  Ser.  vol.  115,  1898 

S.  252.  Referat  im  Zentralblatt  für  Bakt.  u.  Farasitenk.  Bd.  XXVI  p.  97. 
[ilan  Sachs,  Zur  Kenntnis  der  durch  den  Fneumoniebazillus  (Friedländer) 
verursachten  Erkrankungen.  Zeitschrift  für  Heilkunde  Bd.  XXIII  1902 
X.  Heft. 
48.  Jassniger,  Diplobacillus  pneumoniae  Friedländer  als  Erreger  einer  Me- 
ningitis cerebrospinalis  Orvosi  hetilap,  1901  Nr.  16.  Referat  im  Zentralbl.  f. 
Bakteriologie  und  Farasitenkunde  Bd.  XXXI  Referate  S.  398. 


Erklärnng  der  Abbildangen  aaf  Tafel  II. 

Fig.  1 — 3  Zeichnungen  von  Frof.  Marc  band  a.  d.  J.  1892  (s.  Seite  42). 

Fig.  1.  Zwei  Exsudatzellen,  die  eine  mit  großer  Vakuole  mit  zahlreichen 
Bazillen.    Zeiß  Via  Ok.  2. 

Fig.  2.  Zwei  Exsudatzellen  mit  zahlreichen  Vakuolen  mit  kurzen  Bazillen, 
frisch,  schwach  mit  Jod  gefärbt;  dazwischen  einige  zu  Fäden  ausgewachsene 
Bazillen.    Zeiß,  Apochromat  2  mm.   Ok.  8. 

Fig.  3.  &ine  Anzahl  Zellen  des  frischen  Abstriches  in  Kochsalzlösung,  mit 
schwacher  wässeriger  Methylenblaulösung,  a)  Wenig  veränderte  Leukozyten. 
b)  Große  einkernige  Zellen  (Epithelzellen)  mit  zahlreicben  Vakuolen  und  Bazillen. 
Zeiß,  Apochromat  2  mm.    Ok.  4. 

Fig.  4.  Teil  eines  Schnittes  von  Fall  VII  mit  bazillenreichem  Exsudat.  Zeiß 
DD.   Ok.  2. 

Fig.  5.  Ein  Teil  des  Exsudates  der  Meningen  von  Fall  V  mit  spärlichen 
Fibrinnetzen  und  zahlreichen  Bazillen,  a)  Hirnsubstanz,  b)  Exsudat,  c)  Epi- 
zerebraler Raum,    d)  Gefäße.    Zeiß  DD.  Ok.  2. 


Dcatsrhps  Arrtih'f  WinisrhcMpdiriii  Bil.LXXX . 
Fig.l.  >  g  2 


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III. 

über  miütiple  Arterienthrombose. 

Von 

Professor  Dr.  med.  Hermann  Eichhorst 

in  Zürich. 
(Mit  Tafel  III.) 

Vor  kurzem  wurde  eine  41jährige  Bauersfrau  aus  der  Umgebung 
von  Zürich  auf  die  medizinische  Klinik  aufgenommen,  welche  fast 

3  Wochen  zuvor  plötzlich  an  Brand  des  linken  und  bald  darauf 
auch  des  rechten  Beines  erkrankt  war.  Besonders  verändert  er- 
schien das  linke  Bein.  In  den  Femoralarterien  fühlte  man  weder 
rechts  noch  links  einen  Puls.  Da  die  Kranke  außerdem  Zeichen 
einer  Mitralstenose  darbot,  so  nahm  man  als  Ursache  für  die  Bein- 
veränderungen eine  Embolie  an,  von  der  man  es  unentschieden 
lassen  mußte,  ob  sie  im  untersten  Bauchteil  der  Aorta  oder  in 
beiden  Femoralarterien  säße,  oder  ob  sie  vielleicht  zuerst  nur  die 
linke  Femoralarterie  befallen  gehabt  hätte,  um  dann  als  fortgesetzte 
Thrombose  unter  Vermittlung  der  Bauchaorta  auch  noch  die  rechte 
Femoralarterie  in  Mitleidenschaft  zu  ziehen.    Die  Kranke  lag  knapp 

4  Tage  auf  der  Klinik,  hatte  in  Ruhelage  nur  wenig  Schmerzen 
und  febrizitierte  nur  an  2  Tagen  bis  37,8  ^  C.  Am  Morgen  des  2.  Juli 
schrie  die  Kranke  plötzlich  um  6  Uhr  über  Schmerzen  im  Bauche 
auf;  es  traten  einige  krampfhafte  Beugungen  beider  Oberschenkel 
auf;  der  Kopf  sank  nach  hinten  hinüber;  es  stellte  sich  Bewußt- 
losigkeit ein  und  nach  einer  halben  Stunde  war  die  Kranke  ver- 
storben. 

Bei  der  Sektion  fand  man  die  Mitralklappe  an  ihrem  freien 
Bande  stark  verdickt  und  spaltförniig  verwachsen;  ihre  Sehnen- 
fäden stark  verkürzt  und  verdickt.  Im  linken  Herzohr  zwei  rund- 
liche Thromben  mit  glatter  Oberfläche.  In  der  Aorta  abdominalis 
reichliche  Thrombenmasseu,  die  12  cm  über  der  Teilungsstelle  be- 
ginnen und  sich  tief  in  die  linke,  weniger  tief  in  die  rechte  Femoral- 


76  IIL  Eichhorst 

arterie  fortsetzen.  Außerdem  aber  auch  Verstopfungen  durch 
Thromben  in  der  Arteria  messaraica  superior,  Arteria  renalis 
sinistra,  Arteria  lienalis,  Arteria  pulmonalis  d extra,  Arteria  thy- 
reoidea  inferior  sinistra  und  Carotis  sinistra.  Der  Tod  war  offen- 
bar sehr  schnell  dem  thrombotischen  Verschluß  der  Mesenterial- 
arterie  gefolgt.  Die  Sektion  wurde  von  meinem  Kollegen,  Herrn 
Professor  Ernst,  bereits  in  der  vierten  Stunde  nach  dem  Ableben 
ausgeführt,  aber  dennoch  hatten  sich  bereits  am  Darm  emphysema- 
töse  Veränderungen  auszubilden  begonnen.  Mit  Ausnahme  der 
Verstopfung  der  Femoralarterie  hatten  sich  alle  übrigen  Arterien- 
thrombosen  ohne  erkennbare  Störungen  vollzogen. 

Bei  der  Seltenheit  derartiger  Vorkommnisse  bedarf  es  wohl 
kaum  einer  besonderen  Entschuldigung,  wenn  ich  zunächst  einen 
etwas  ausführlicheren  Auszug  aus  der  Krankengeschichte  folgea  lasse. 

Beobachtung  1. 

Anamnese:  Frau  Saline  W.  aus  V.  bei  Zürich,  Bauerafran,  41  Jahre- 
alt,  verlor  ihren  Vater  an  der  Auszefarong  and  ihre  Mutter  an  Alters- 
schwäche. Eine  Schwester  starb  an  Influenza,  ein  Brader  am  Schlage  f 
drei  andere  Qeschwister  gingen  in  frühester  Jugend  an  Krankheiten  zu- 
grunde, über  die  Patientin  keine  Angaben  zu  machen  imstande  ist;  drei 
weitere  Geschwister  leben  und  sind  gesund. 

Patientin  hat  als  Kind  an  Masern  gelitten  und  war  dann  bis  zum 
36.  Lebensjahr  immer  gesund.  Ohne  nachweisbare  Ursache  erkrankte  sie 
dann  an  einem  Anfall  von  Herzklopfen,  der  eine  Viertelstunde 
anhielt  und  mit  dem  Gefühl  von  Enge  in  der  Brust,  mit  Angst  und  Be- 
klemmung und  mit  Ohrensausen  verbunden  war.  Sie  fühlte  sich  nun 
wieder  B  Stunden  lang  leidlich  wohl,  nur  beim  Treppensteigen  machte 
sich  noch  öfters  Herzklopfen  bemerkbar.  Im  Herbst  1893  stellte  sich 
dann  aber  wieder  ein  Herzklopfenanfall  von  längerer  Daner  ein  und  seit- 
dem machten  sich  recht  häufig  derartige  Anfälle  bemerkbar.  Namentlich 
hatte  die  Kranke  oft  und  anhaltend  im  Winter  1900  an  Herzklopfen  zu 
leiden,  so  daß  sie  zum  ersten  Male  einen  Arzt  deswegen  zu  Hate  zog,  der 
ihr  bald  Linderung  und  dann  auch  vollkommene  Heilung  verschaffte. 

Im  Dezember  1902  traten  wiederum  Herzklopfehanfalle  auf.  Die 
Anfalle  dauerten  häufig  länger  als  eine  halbe  Stunde  und  kehrten  täglich 
wieder.  Nach  einigen  Wochen  freilich  hörten  die  Beschwerden  von  selbst 
wieder  auf. 

Mitte  April  1903  wurde  die  Kranke  von  Schmerzen  zuerst  im  linken 
und  dann  im  rechten  Bein  betroffen.  Die  Schmerzen  saßen  in  der  Tiefe 
und  ließen  sich  nicht  genau  lokalisieren.  Anfangs  Mai  waren  die  Bein- 
schmerzen wieder  verschwunden. 

Am  10.  Juni  1903  trat  plötzlich,  „schußartig*'  von  neuem  ein  sehr 
heftiger  Schmerz  im  linken  Bein  ein  und  gleichzeitig  war  die  Kranke 
nicht  imstande  das  Bein  zu  bewegen,  so  daß  sie  das  Bett  aufsuchen 
mußte.     Die  Schmerzen   steigerten    sich   am    nächsten  Tage  beträchtlich; 


Ober  xnnltiple  Arterienthrombose.  77 

aach  war  es  der  Kranken  nicht  möglich,  das  linke  Bein  zu  beugen  oder 
Bewegungen  mit  den  Zehen  oder  dem  linken  Fuß  aossuf (ihren.  Fuß  und 
linker  Unterschenkel  sahen  weiß  aus»  fühlten  sich  eiekalt  an  und  hatten 
jegliches  Gefühl  verloren.  Ein  hinzugezogener  Arzt  verordnete  Ein- 
reibungen mit  einer  Salbe,  aber  es  trat  keine  Besserung  im  linken  Bein 
ein.  Am  20.  Juni  bemerkte  die  Kranke  eine  bläulich-schwärzliche  Ver- 
farbong  am  linken  Fuß  und  am  20.  Juni  traten  auch  am  linken  Unter- 
schenkel Schwellung  und  Kötung  der  Haut  ein.  Gleichzeitig  stellten  sich 
Schmerzen  im  rechten  Bein  ein  und  auch  hier  fühlten  sich  Fuß  und 
Unterschenkel  kalt  an  und  sahen  schneeweiß  aus.  Die  Schmerzen  haben 
flieh  Ton  Tag  zu  Tag  gesteigert.  Patientin,  die  verheiratet  und  Mutter 
Ton  4  Kindern  ist,  ließ  sich  am  29.  Juni  in  das  Kantonspital  auf  die 
medizinische  Klinik  aufnehmen. 

Status  praesens  30.  Juni  1903: 

Mittelgroße  Frau.  Knochenbau  zart.  Muskulatur  etwas  welk.  Nur 
geringes  Fettpolster. 

Wangen  lebhaft  gerötet  und  eingefallen.  Patientin  macht  einen  auf- 
geregten Eindruck. 

Rumpf  baut  fühlt  sich  nicht  fieberhaft  an ;  in  der  Achselhöhle  beträgt 
die  Temperatur  37,0  ^  C.  Radialpuls  regelmäßig,  klein,  leicht  unter- 
drackbar  und  beschleunigt;  128  Pulsschläge  in  1  Minute.  Atmung  fast 
rein  kostal  und  vermehrt;  in  der  Minute  28  Atmungszttge.  Keine  sub* 
jektive  oder  objektive  Atmungsnot. 

Sensorium  frei.  Patientin  klagt  über  anhaltende  Schmerzen  in  beiden 
Beinen,  namentlich  linkerseits,  die  sich  zeitweise  in  fast  unerträglicher 
Weise  steigern.  Sie  nimmt  beständig  Rückenlage  ein  und  vermeidet 
Seitenlage,  weil  sich  in  dieser  die  Schmerzen  in  den  Beinen  steigerten. 
Thorax  lang  und  schmal,  nirgends  druckempfindlich.  Die  Unter- 
snchung  der  Lungen  ergibt  nichts  Auffalliges. 

Spitzenstoß  im  fünften  linken  Interkostalraum  etwa  1  cm  außer- 
halb der  linken  Mammillarlinie  sieht-  und  fühlbar;  er  ist  leicht  hebend. 
Kurz  vor  dem  Spitzenstoß  fühlt  man  bald  deutlich,  bald  mehr  ver- 
sdiwommen  flüchtiges  Katzenschnurren. 

Die  große  Herzdämpfung  beginnt  am  unteren  Rande  der  dritten 
linken  Rippe  und  endet  unten  am  oberen  Rande  der  sechsten  linken 
Bippe.  Nach  rechts  erreicht  die  Herzdämpfung  knapp  den  rechten 
Sternalrand,  während  sie  links  außen  am  Orte  des  Spitzenstoßes  endet. 
Bei  der  Auskultation  des  Herzens  vernimmt  man  an  der  Herzspitze 
neben  den  beiden  Herztönen  ein  präsystolisches  Geräusch, 
welches  bald  deutlich,  bald  weniger  deutlich  zu  hören  ist.  Der  diasto- 
lische Pulmonalton  ist  verstärkt.  Die  Töne  über  den  übrigen  Herz- 
kli^pen  rein  und  unverändert. 

über  dem  Manubrium  sterni  keine  Dämpfung.  Keine  ungewöhn- 
liche Füllung  der  Halsvenen.  Keine  Lymphdrüsenschwellung  am  Halse. 
An  den  Bancheingeweiden  keine  Veränderung.  Bauch  von 
mittlerer  Wölbung  und  nirgends  druckempfindlich.  Leber  beginnt  am 
oberen  Rande  der  siebenten  Rippe  und  schließt  unten  mit  dem  Brust- 
korbrande ab;  sie  ist  respiratorisch  um  einen  Interkostalraum  verschieb- 
lieh.    Milz  nicht  palpabel ;  auch  perkutorisch  nicht  vergrößert.     Magen 


78  in.    ElCHHOBST 

erreicht   mit  seiner  großen  Kurvatur  knapp  den  Nabel.     Nieren-  und 
Blasengegend  auf  Druck  schmerzfrei  und  ohne  Auffälligkeit. 

Zunge  feucht  und  weißlich  belegt.  Lippen  etwas  trocken.  Kein 
Appetit.     Durst  nicht  vermehrt.     Kein  Husten  und  Auswurf. 

Patientin  hat  in  den  letzten  12  Stunden  600  ccm  Harnes  entleert. 
Der  Harn  ist  stark  saturiert,  klar  und  eiweißfrei  und  besitzt  ein  spezi- 
fisches Gewicht  von  1020. 

Ein  fester  Stuhl  von  natürlichem  Aussehen. 

Kein  Erbrechen.     Kein  Husten.     Kein  Auswurf. 

Beide  Beine  in  gestrekter  und  aneinander  gezogener  Haltung. 
Die  Zehen  am  linken  Fuß  grünlich- schwärzlich  verfärbt,  an  einzelnen 
Stellen  aber  hell  zinnoberrot.  Eine  ähnliche  mehr  grünliche  Verfärbung 
auf  dem  Fußrücken  und  den  beiden  unteren  Dritteln  des  linken  Unter- 
schenkels. Außerdem  findet  sich  auf  dem  Fußrücken  und  auf  der 
Grenze  vom  unteren  zum  mittleren  Drittel  des  Unterschenkels  je  eine 
länglich-runde  Hautstelle,  die  einen  Längsdurchmesser  von  annähernd 
15  und  einen  Querdurchmesser  von  ungefähr  12  cm  besitzt  und  lebhaft 
rot  gefärbt,  leicht  nässend  und  von  Epidermis  zum  Teil  entblößt  ist. 
An  den  Rändern  dieser  beiden  Hautstellen  erscheint  die  Epidermis 
gefaltet,  ähnlich  wie  über  einer  geplatzten  Epidermisblase.  Im  oberen 
Drittel  des  linken  Unterschenkels  und  auf  dem  linken  Oberschenkel  sieht 
die  Haut  fast  weiß  aus,  nur  die  Haut  über  der  Kniescheibe  zeigt  sich 
zyanotisch  marmoriert. 

Beim  Betasten  fühlt  sich  die  Haut  über  Zehen,  Fuß  und  beiden 
unteren  Dritteln  des  linken  Unterschenkels  eisigkalt  an,  erst  in  dem 
oberen  Unterschenkeldrittel  ist  sie  etwas  wärmer.  Die  Wärme  der  Haut 
nimmt  gegen  den  Oberschenkel  mehr  und  mehr  zu  und  erscheint  auf  dem 
letzteren  selbst  unverändert. 

Die  Kranke  fühlt  über  dem  linken  Fuß  und  den  unteren  Zwei- 
dritteln des  linken  Unterschenkels  weder  Berührung  mit  dem  Finger 
noch  tiefste  Nadelstiche.  Im  oberen  Drittel  kommt  mehr  und  mehr  zu- 
nehmende Empfindung  und  über  dem  Oberschenkel  erweist  sich  die  Haut- 
empfindung kaum  wesentlich  herabgesetzt.  Druck  auf  Wadenmuskulatur 
und  Nervenstämme  nicht  empfindlich. 

Die  Kranke  kann  keine  Bewegungen  in  den  Zehen,  im  linken 
Faße,  Knie  und  Hüftgelenk  ausführen,  nur  eine  ganz  schwache  Ein-  und 
AuswärtsroUung  des  ganzen  linken  Beines  ist  ihr  mit  großer  Kraft- 
anstrengung möglich. 

Patellarreflex  nur  andeutungsweise  vorhanden.  Fußsohlen- 
reflex läßt  sich  nicht  hervorrufen. 

Das  rechte  Bein,  namentlich  Unterschenkel,  Fuß  und  Zehen 
sehen  anämisch  aus  und  auf  dem  Fußrücken  macht  sich  ein  leicht  grün- 
lich-schwarzer Farbenton  bemerkbar,  ebenso  an  den  Zehen.  Füße  und 
Unterschenkel  fühlen  sich  leichenkalt  an,  erst  gegen  die  Kniescheibe  hin 
stellt  sich  Hautwärme  ein  und  am  rechten  Oberschenkel  erscheint  die 
Hautwärme  unverändert.  Die  Kranke  vermag  die  große  rechte  Zehe, 
wenn  auch  mit  großer  Anstrengung  und  langsam,  dorsal-  und  volarwärts 
zu  bewegen,  hingegen  sind  Bewegungen  in  den  anderen  Zehen  nur  an- 
deutungsweise   vorhanden.     Beugung    im    rechten  Knie-   und  Hüftgelenk, 


über  mnltiple  Arterienthrombose.  79 

sowie  Drehbewegungen   des    ganzen  Beines  sind  zwar  möglich,    aber  nur 
unter  sichtlich  großer  Anstrengung  und  in  beschränkter  Weise. 

Patientin  ist  auf  Zehen  und  Fü£en  bis  zu  den  Malleolen  hin  fast 
anSsthetisch,  dann  nimmt  die  Hautempfindung  mehr  und  mehr  zu  und 
erscheint  über  dem  rechten  Oberschenkel  ganz  unverändert. 

Patellarsehnenreflex  vorhanden ,  aber  träge.  Fußsohlenreflex  läßt 
sich  nicht  hervorrufen. 

Druck  auf  Muskulatur  und  Nervenstämme  überall  unempfindlich. 

In  beiden  Femoralarteri^n  kein  Puls.  Die  linke  Femoralarterie 
fühlt  sich  derb  und  fest  an. 

Ordo: 

1.    Tinctur.  Yalerianae  aether. 
Tinct.  Strophanti  aa  10,0. 
MDS.     3  mal  täglich  20  Tropfen. 

2.  Einhüllung  beider  Beine  in  Wundwatte,  die  in  Sublimatlösung 
getaucht  und  dann  fast  ausgedrückt  ist. 

Krankheitsverlauf. 

Am  1.  Juli  1903  trat  eine  Veränderung  im  Zustande  der  Kranken 
nicht  ein,  nur  kam  es  am  Nachmittag  zu  geringem  Erbrechen.  Kein 
Fieber,  aber  andauernd  beschleunigter  Puls  und  vermehrte  Atmung.  Ein 
dünner  Stuhl.  Harn  600  ccm,  rotgelb,  klar,  eiweißfrei;  spezifisches  Ge- 
wicht =1012. 

In  der  Nacht  vom  1.  zum  2.  Juli'  hatte  die  Kranke  gut  geschlafen. 
Morgens  um  6  Uhr  schreit  sie  plötzlich  über  Schmerzen  im  Bauch  auf; 
man  sieht  mehrfach  unwillkürliche  Zuckungen  und  Beugungen  der  Ober- 
schenkel gegen  den  Bauch  zu;  die  Kranke  sieht  blaß  und  entstellt  aus, 
verliert  nach  wenigen  Minuten  das  Bewußtsein  und  stirbt  nach  Ablauf 
einer  halben  Stunde. 

Über  Temperatur,  Puls,  Atmung,  Harn  und  Stuhl  berichtet  nach- 
folgende Tabelle: 


29. 

Juni 

1903. 

37,6 

144 

36 

37,4 

156 

28 

600  ccm   Harnes, 

rot,  spez.  Gew 

1020.      Kein    Ei- 
weiß. 

30. 

Juni 

1903. 

37,2 

128 

28 

37,0 
37,5 

132 

140 

28 
32 

600  ccm  Harnes, 
rotgelb,  spezifisch. 

Gew. -^  1012. 

Kein  Eiweiß. 

1  fester 
Stuhl 

1. 

Juli 

1903. 

36,4 
36,8 

120 
125 

28 
32 

36,9 

136 

36 

900  ccm  Harnes, 

rot,  spez.  Gew.    - 

1015.     Kein  Ei- 

weiß. 

1   dünner 
Stuhl 

2. 

Juli 

1903. 

36,3 

152 

28 

80  ni.  Eichhobst 

Die  Sektion  wurde  3  Standen  nach  eingetretenem  Tode  dureh 
Herrn  Professor  Dr.  Ernst  ausgeführt  und  ergab  folgendes: 

Sehr  stark  aufgetriebenes  Abdomen.  Viele  Striae  auf  den  Bauch- 
decken.    Keine  Ödeme. 

Linker  Fuß  und  unteres  Dritteil  des  linken  Unterschenkels  grünlieh 
und  schwärzlich  verfärbt.  Die  Haut  glatt  und  verstrichen.  Die  Epi- 
dermis stellenweise  in  Blasen  und  Fetzen  abgehoben.  Zehennägel  biäa- 
lieh  durchscheinend. 

Dünndarmschlingen  stark  mit  Qas  aufgetrieben  und  blutig  verfärbt. 
Das  Mesenterium  von  gleicher  Farbe.  Die  Darmwand  ist  bereits  im 
Bereiche  des  Jejunum  mit  Qasblasen  durchsetzt.  Auch  längs  der  Blut- 
und  Chylusgefäße  zeigen  sich  zahlreiche  Gasblasen. 

Zwerchfellstand  links  an  der  siebenten  Rippe,  rechts  im  vierten 
Interkostal  räum.  Lungenränder  frei  beweglich.  In  der  Pleurahöhle 
keine  Flüssigkeit  und  keine  Adhäsionen.    Lungen  nur  schwach  retrahiert. 

Der  Herzbeutel  enthält  einige  wenige  Kubikzentimeter  grün- 
gelber, klarer  Flüssigkeit.     Peri-  und  Epikard  spiegelnd  und  unverändert. 

Herz  stark  verbreitert,  namentlich  in  seiner  rechten  Hälfte.  Rechter 
Yorhof  stark  erweitert.  Spitze  vorwiegend  vom  linken  Ventrikel  gebildet. 
Viel  flüssiges  Blut  im  rechten  Herz,  aber  daneben  auch  klumpige  Kraor- 
massen  und  Speckhautgerinnsel.  Foramen  ovale  geschlossen.  Klappen 
des  rechten  Herzens  zart.  Ziemlich  stark  ausgeprägte  Musculi  pectinati. 
Muskulatur  des  rechten  Herzens  hier  und  da  mit  Fett  durchwachsen^  so 
daß  das  Fett  stellenweise  fast  bis  zum  Endokard  vordringt. 

Linker  Yorhof  enthält  Speckhautgerinnsel.  Der  Durchgang  durch 
das  Ostium  atrio-ventriculare  sinistrum  sehr  eng;  eine  Andeutung  von 
Spaltenform  vorhanden.  Der  Zeigefinger  dringt  nur  mit  der  Kuppe  in 
das  Mitralostium  ein.  Sehnenfäden  der  Mitralis  stark  verdickt,  zu  seh- 
nigen Säulen  verwachsen  und  verschmolzen,  dabei  sehr  verkürzt.  Der 
freie  Klappenrand  stark  verdickt,  von  narbig-schwieliger  Beschaffenheit, 
zum  Teil  miteinander  verwachsen.  Durch  Neubildungs-  und  Schrumpfongs- 
prozesse  haben  sich  an  ihm  nischen formige  Yertiefungen  gebildet,  an 
denen   kleine   warzenartige  Yerdickangen   von  weicher  Konsistenz  sitzen. 

Im  linken  Herzohr,  dessen  Wand  2  mm  dick  ist,  sitzt  ein 
Gerinnsel.  Es  ist  knapp  1  cm  lang  und  0,5  cm  breit,  von  länglich- 
ovaler Gestalt  und  teils  blutiger,  teils  gelblich-grauer  Farbe.  Es  ist 
zwischen  den  Trabekeln  fixiert  und  wölbt  sich  in  den  Yorkammerraum  mit 
einer  leicht  abgeplatteten  Oberfläche  hinein.  Seine  Oberfläche  ist  überall 
glatt  und  glänzend. 

Der  linke  Yentrikel  hypertrophisch  und  deutlich^  wenn  auch 
in  geringerem  Grade  dilatiert.  Wanddicke  an  der  Spitze  9  und  oben 
13  mm.     Papillarrauskeln  verdickt. 

Noduli  Arantii  der  Aortenklappen  verdickt,  an  einer  Klappe  auch 
die  SchließuDgälinien.     Keine  Betraktion  der  Aortenklappen. 

Herzfleisch  des  linken  Yentrikels  von  gutem  Aussehen;  keine  herd- 
förmigen Yeränderungen  in  ihm.     Kranzarterien  sklerotisch  verändert. 

Linke  Lunge  flaumig  anzufühlen  und  anthrako tisch  gefleckt.  Sie 
zeigt  3  typische  Lappen.  Überall  Luflgehalt.  Bronchien  weit ;  Bronchial- 
schleimhaut blaß. 


über  mnltipie  Arterienthrombose.  gl 

Rechte  Lunge  such  dreilappig,  aher  der  Hittellappen  klein.  Am 
unteren  scharfen  Rande  der  Lunge  ein  keilförmiger  Infarkt,  dessen  Höhe 
4  und  dessen  Basis  3  cm  erreicht.  Der  Infarkt  von  dunkelbraunroter 
'Farbe  und  derher  Beschaffenheit.  In  der  aufÜhrenden  Arterie  ein  ad- 
härentes  braunrotes  Oerinnsel.  Im  übrigen  hietet  die  Lunge  die  gleiche 
Beschaffenheit  wie  die  linke  Lunge  dar. 

Die  Arteria  mesenteria  superior  wird  in  situ  prftpariert 
und  zeigt  sich  mit  grauroten,  etwas  derhen,  nicht  adhärenten  Oerinnsel« 
massen  prall  gefüllt.  Üherall  schon  starkes  Fänlnisemphysem  des  Darmes 
und  Geföhl  von  Knistern.  Eingeweide  noch  warm.  Diffuse  Rotiftrhnng 
des  Darmes,  die  nach  ohen  zunimmt,  während  sie  sich  gegen  das  Jeju- 
num  und  die  Ileokökalklappe  hin  mehr  und  mehr  verliert.  Zwischen 
Leher  und  Colon  ascendmis  eine  Eiterflocke. 

Milzvenen  mit  flüssigem  Blut  gefüllt.  In  der  Milzarterie  frische, 
dunkelrote,  ohtnrierende  Thromben.  Milz  groß,  hart,  mit  deutlichen 
Trabekeln,  ohne  scharf  abgrenzbare  Infarkte,  aber  stellenweise  diffuse  in- 
farziert.    Milzmaße  11,5 — 7 — 7  cm. 

Die  Arteria  renalis  sinistra  enthält  einen  obturierenden 
dunkelroten  Thrombus.  Linke  Niere  groß.  Nierenkapsel  löst  sich  leicht. 
Die  Niere  enthält  eine  Anzahl  alter,  käsig-gelber  Infarkte  und  daneben 
auch  frische  In&rktherde,  welche  auf  der  Nierenoberfläche  ziemlich  scharf 
abgesetzt  sind  und  auf  dem  Nierendurchschnitt  eine  fleckige  mattgraue 
Farbe  zeigen,  die  wahrscheinlich  auf  Koagulationsnekrose  zu  beziehen  ist; 
also  frische  Infarzierung  ohne  Hämorrhagien. 

Rechte  Niere  kleiner  als  die  linke  und  viel  reicher  an  alten  Infarkten 
mit  zackig- buchtigen  Rändern.  Daneben  kleinere  frische  Niereninfarkte. 
Nierenrinde  durch  Infarktbildungen  streckenweise  in  ihrer  ganzen  Dicke 
destruiert. 

Arteria  hepatica  frei  von  Thromben,  ebenso  Pfortader  und 
untere  Hohl  vene  in  ihrem  Stammteil.  Dagegen  sitzt  an  der  Teilungs- 
stelle der  unteren  Hohlvene  ein  mächtiges,  derbes,  adhärentes  Gerinnsel. 

Die  Leber  zeigt  eine  leichte,  flache  Schnürfurche.  Leberoberfläche 
glatt  und  glänzend.  Auf  dem  Leberdurch schnitt  die  azinöse  Zeichnung 
deutlich.     Im  Bereich  der  Schnürfurche  leichte  Atrophie. 

Gallenblase  klein.  Sie  enthält  dickflüssige,  zähe,  dankelgrüne 
Oalle  und  ist  frei  von  Konkrementen. 

Duodenum  stark  mit  dünnen,  gallig-gelben  Massen  erfüllt.  Schleim- 
haut unverändert 

Magen  wenig  gefüllt.  Schleimhaut  blaßgrau  und  in  Längsfalten 
zusammengezogen,  in  der  Pars  pylorica  warzig-hypertrophisch. 

Das  Pankreas  fühlt  sich  härtlich  an,  ist  grobkörnig  und  sonst 
unverändert. 

Im  Dünn-  und  Dickdarm  mäßige  Mengen  hellgelben  Milchkotes. 
Schleimhaut  gequollen,  im  Dünndarm  hämorrhagisch  infarziert  und  mit 
Luftblasen  durchsetzt. 

Harnblase  stark  mit  klarem  rotgelben  Harn  gefüllt  und  ohne  Yer- 
äaderungen. 

Uterus     leicht    vergrößert    und    ziemlich     hart.      Die     Ovarien 
enthalten  mehrere  bis  erbsengroße  Zysten  und  Corpora  fibrosa. 
Deutsches  Archiv  f.  klin.  Medizin.    LXXX.  Bd.  6 


32  ^U.  Eichhorst 

Im  Mastdarm  dicker  Schleim.  In  der  Aorta  abdominalis 
beginnt  7  cm  über  der  Teilungsstelle  der  Bauchaorta  ein  mächtiges  Ge- 
rinnsel, welches  die  Aorta  prall  ausfüllt.  Es  ist  von  granroter  Farbe, 
fast  dickbreiiger  Konsistenz  und  hängt  mit  der  Innenwand  der  Aorta 
fest  zusammen.  Von  der  Aorta  aus  setzt  es  sich  in  die  beiden  Iliacae 
communes  und  dann  in  beide  Femoralarterien  fort,  überall  von  gleicher 
Beschaffenheit  und  den  Arterienraum  vollkommen  ausfüllend.  Während 
in  der  rechten  Femoralarterie  der  Thrombus  nur  zwei  Finger  breit  unter- 
halb des  Ligamentum  Pourpartii  hinabreicht,  setzt  er  sich  in  der  linken 
Femoralarterie  bis  zum  Adduktorenschlitz  fort. 

In  der  Schilddrüse  zahlreiche  Kalloid knoten,  zum  Teil  blutig  infar- 
ziert. Arteria  thyreoidea  sinistr.  mit  Thromben  ausgefüllt.  In  der 
linken  Karotis  an  der  Teiiungsstellung  ein  großes,  adhärentes,  graurotes 
Gerinnsel,  welches  den  Gefaßraum  ausfüllt  und  sich  in  die  Carotis  externa 
und  Carotis  interna  fortsetzt. 

Schädel  stark  asymmetrisch,  dolichocephal.  Ziemlich  tiefe  Gefäß- 
forchen.    Arteria  fossae  Sylvü  frei  von  Gerinnselmassen. 

Gehirn  von  guter  Konsistenz,  mäßigem  Blutgehalt  und  frei  von 
Herdveränderungen. 

Anatomische   Diagnose. 

Endocarditis  mitralis  mit  Retraktionen  und  Stenosenbildung  und 
frischen  Rezidiven.  Thrombus  im  linken  Herzohr.  Multiple  Embolien 
und  Thrombosen  in  folgenden  Arterien:  lienalis,  renalis  sinistra,  mesen- 
teriaca  superior,  aörta  abdominalis,  iliaca  communis  beiderseits,  beide 
Femorales,  Carotis  communis  sinistra  bis  über  die  Teilungsstelle  in  die 
linke  Carotis  externa  und  Carotis  interna,  in  der  linken  Thyreoidea 
superior,  in  der  rechten  Pulmonararterie,  Thrombose  in  der  unteren 
Hohlvene ;  keilförmige  alte  und  frische  Infarkte  in  beiden  Nieren,  in  der 
Milz  und  im  rechten  ünterlappen  der  Lunge;  Infarkt  in  dem  größten 
Teil  des  Dünndarmes;  linke  Lunge  dreilappig;  Kolloidstroma;  Hyper- 
trophie des  linken  Ventrikels  bei  geringer  Dilatation;  bedeutende  Dila- 
tation und  Fettdurch wachsung  des  rechten  Ventrikels. 

Die  Sektion  förderte  eine  Reihe  von  Überraschungen  zutage. 
Von  einem  Verschluss  so  zahlreicher  Gefäße  durch  Thromben  hatte 
man  während  des  Lebens  keine  Ahnung  gehabt.  Die  größere  Zahl 
dieser  Gefäßverschlüsse  hatte  keine  Störungen  nach  sich  gezogen 
und  konnte  daher  nicht  einmal  im  Leben  vermutet  werden.  Der 
vollkommene  Verschluß  der  linken  Nierenarterie  beispielsweise  hatte 
nicht  die  allermindesten  Veränderungen  des  Harnes  nach  sich  ge- 
zogen und  sowohl  Eiweiß-  als  auch  Blutausscheidungen  durch  den 
Harn  blieben  bis  zum  Tode  aus. 

Der  Tod  war  meines  Erachtens  durch  den  plötzlichen  Verschluß 
der  oberen  Mesenterialarterie  hervorgerufen  worden  und  trat  fast 
shockartig  ein.    Trotzdem  von  den  ersten  Erscheinungen  des  Mesen- 


über  mnltiple  Arterien thrombose.  «  g3 

terialarterienverschlusses  bis  zum  Eintritt  des  Todes  nur  eine  halbe 
Stunde  verging,  und  obschon  die  Sektion  bereits  in  der  vierten 
Stunde  nach  dem  Tode  ausgeführt  wurde,  hatte  diese  kurze  Spanne 
Zeit  dennoch  genügt,  eine  ausgedehnte  und  hochgradige  blutige 
Infarzierung  der  Wand  des  größten  Teiles  des  Dünndarmes  hervor- 
zurufen nebst  beginnender  Peritonitis,  und  obwohl  am  Todestage 
€ine  kühle  Lufttemperatur  von  nur  15®  C.  herrschte,  hatte  sich 
bereits  Fäulnisemphysem  der  Darmwand  ausgebildet. 

Was  mich  bei  dem  Sektionsbefunde  ganz  besonders  interessierte, 
war  die  Frage,  als  was  waren  die  vielfachen  arteriellen  Gefäß- 
verschlüsse aufzufassen?  Handelte  es  sich  da  um  Thromben  oder 
um  Emboli?  also  um  an  Ort  und  Stelle  entstandene  Trombosen 
oder  um  mit  dem  Blutstrom  eingeschleppte  P'ibrinmassen  ?  Daß 
die  in  der  Lungenarterie  und  unteren  Hohlvene  befindlichen  Ge- 
rinnungen Thrombosen  sein  mußten,  das  freilich  konnte  wohl  keinem 
ernstlichen  Zweifel  unterliegen. 

Würde  man  an  dem  noch  immer  oft  zu  hörenden  Grundsatz 
festhalten,  daß  ein  plötzliches  Auftreten  von  Zeichen  eines  Gefäß- 
verschlusses für  dessen  embolischen  Ursprung  spricht,  dann  freilich 
mußte  man  auch  bei  unserer  Kranken  an  arterielle  Emboli  denken, 
denn  soweit  sich  überhaupt  die  Gefäßverschlüsse  im  Leben  be- 
merkbar gemacht  hatten,  waren  sie  urplötzlich  eingetreten.  Der 
Verschluß  der  Femoral arterien  hatte  einen  plötzlichen  Anfang  ge- 
nommen, und  das  gleiche  gilt  für  die  Mesenterialarterie. 

Allein  ich  habe  vor  nicht  langer  Zeit  Gelegenheit  gehabt,  in 
diesem  Archiv  darauf  hinzuweisen,  daß  sich  auch  arterielle  autoch- 
tbone  Thrombosen  genau  so  wie  Embolien  urplötzlich  durch  Er- 
scheinungen des  Gefäßverschlusses  und  deren  Folgen  bemerkbar 
machen  können.^)  Es  handelte  sich  dort  um  den  plötzlichen  Ver- 
schluß einer  Arteria  poplitea  bei  einem  an  Scharlach  erkrankten 
Mädchen,  hervorgerufen  durch  einen  arteriellen  autochthonen 
Thrombus  und  dieser  wieder  die  Folge  einer  Endarteriitis  prolife- 
rans, von  der  ich  vermutete,  sie  sei  infektiösen  Ursprunges. 

Von  vornherein  mußte  die  Annahme  von  vielfachen  Embolien 
bei  unserer  Kranken  in  hohem  Grade  zum  mindesten  auffällig,  ich 
möchte  aber  lieber  sagen  unwahrscheinlich  sein.  Zwar  fand  sich 
im  Herzohr  des  linken  Vorhofes  ein  rundlicher  Thrombus,  von 
welchen  Embolien   hätten  ausgehen  können,   aber  derselbe  hatte 


1)  H.  Eichhorst,  Über  Brand  an  Armen  und  Beinen  nach  Scharlach  nnd 
anderen  Infektionskrankheiten.    Deutsches  Arch.  f.  klin.  Medizin   Bd.  70  1902. 

6* 


84  in.  Eichhobst 

eine  vollkommen  glatte  Oberfläche,  so  daß  eine  AbbrOcklnngsstelle 
an  ihm  nicht  zu  erkennen  war,  nnd  außerdem  machte  er,  was  ans 
dem  Sektionsbericht  vielleicht  nicht  deutlich  genug  hervorgeht, 
einen  weit  jüngeren  Eindruck  als  die  arteriellen  Thromben  mit 
Ausnahme  desjenigen  in  der  oberen  Mesenterialarterie. 

Eine  zweite  Quelle  fui-  arterielle  Embolien  h&tte  die  veränderte 
Mitralklappe  abgeben  können,  allein  die  massenhaften  und  umfang- 
reichen thrombotischen  Arterienverstopfungen  standen  denn  doch 
zu  den  mit  unbewaffnetem  Auge  gerade  wahrnehmbaren  Wärzchen 
am  freien  Elappenrande  in  einem  sehr  bedenklichen  Mißverhältnis, 
•und  man  hätte  kaum  anders  als  zu  der  Annahme  seine  Zuflucht 
nehmen  müssen,  daß  jeder  Arterienverschluß  nur  embolischen  Ur- 
sprunges sein  kann,  der  sich  neben  einer  frischen  oder  rekurrieren- 
den Endokarditis,  wie  bei  unserem  Kranken,  entwickelt  Davon 
kann  doch  aber  nie  und  nimmer  die  Bede  sein.  Wenn  für  die 
nebenher  bestehenden  Thrombosen  in  der  unteren  Hohlvene  und 
in  der  Pulmonalarterie  andere  als  embolische  Ursachen  in  Frage 
kommen,  warum  sollten  nicht  auch  gleiche  Bedingungen  für  die 
Aorta  und  ihre  Verzweigungen  Geltung  haben? 

Wodurch  waren  nun  aber  diese  Bedingungen  gegeben?  Lag 
hier  etwa  eine  Beobachtung  vor,  die  einer  alten,  aber  in  der  Neu- 
zeit fast  vergessenen  Annahme  zur  Stütze  hätte  gereichen  können, 
nach  der  es  zur  Thrombenbildung  in  Blutgefäßen  kommt,  wenn  das 
Blut  zu  überreich  an  Fibrin  ist  oder  eine  krankhafte  Neigung  zu 
Gerinnungen  besitzt,  Dinge,  welche  ältere  Ärzte  als  Hyperinose  im 
ersteren  und  Inopekie  (Vogel)  im  letzteren  Falle  bezeichnet  haben  ? 
Ich  weiß  nicht,  ob  ich  nicht  diesem  Gedankengang  näher  getreten 
wäre,  wenn  ich  mich  auf  die  Untersuchung  der  Leichenorgane  mit 
unbewaffnetem  Auge  verlassen  hätte.  Glücklicherweise  geschah 
dies  aber  nicht.  Seit  langer  Zeit  bin  ich  gewohnt,  behufs  Lösung 
gewisser  wissenschaftlicher  Fragen,  auf  deren  Besprechung  ich  bei 
anderer  Gelegenheit  einzugehen  gedenke,  alle  Beobachtungen  von 
Gefäßverschluß  möglichst  genau  mikroskopisch  zu  untersuchen. 
Diesem  Umstände  habe  ich  es  zu  verdanken,  daß  ich  bei  meiner 
Kranken  auf  ganz  unvermutete  Veränderungen  stieß.  Ich  begnüge 
mich  damit,  diese  au  der  Femoralarterie  zu  schildern. 

Das  Gefäßrohr  war  möglichst  hoch  am  Oberschenkel  uneröflFnet 
herausgeschnitten  und  24  Stunden  lang  in  Formol  aufbewahrt 
worden.  Dann  wurden  von  ihm  mit  einem  Minotfschen  Mikrotom 
Gefrierschnitte  hergestellt  und  diese  mit  Boraxkarmin,  Löffler'schem 
Methylenblau,  Vesuvin,   Alaunkarmin  und  zur  Färbung  der  elasti- 


über  multiple  Arterieutbrombose.  85 

sehen  Fasern  und  Kerne  zuerst  mit  Boraxkannin  und  dann  mit 
Weigert's  Fuchsinlösung  gefärbt. 

Dem  unbewaffneten  Auge  hatte  das  Gefäßrohr,  abgesehen  von 
dem  verschließenden  Thrombus,  keine  Veränderungen  dargeboten, 
um  so  stärker  zeigten  sich  solche  bei  mikroskopischer  Unter- 
suchung. 

Im  Gebiete  des  Thrombus  ließ  vor  allem  die  Adventitia  eine 
sehr  reichliche  Durchsetzung  mit  Rundzellen  erkennen.  Diese 
waren  namentlich  in  den  inneren  dichten  Schichten  der  äußeren 
Gefäßhaut  angehäuft  und  bildeten  hier  einen  zusammenhängenden 
und  rings  um  den  Gefäßquerschnitt  ohne  Unterbrechung  laufenden 
Ring,  dessen  Breite  zwischen  20—160  /i  wechselte.  Schon  bei 
schwacher  Vergrößerung  hob  sich  diese  Veränderung  scharf  ab 
(vgl.  Abbildung  1).  Die  einzelnen  Rundzellen  waren  fast  durch- 
gängig mehrkemig  und  lagen  so  dicht  nebeneinander,  daß  sie  an 
das  Aussehen  und  die  Beschaffenheit  eines  Granulationsgewebes 
erinnerten  und  von  einem  Gewebe  zwischen  sich  fast  nichts  wahr- 
nehmen ließen. 

Aber  auch  die  äußeren  lockeren  und  gewellten  Schichten  der 
Adventitia  hatten  nicht  ihre  gesunde  Beschaffenheit  bewahrt.  Das 
maschige  Bindegewebe  erschien  ungewöhnlich  locker  und  gequollen 
und  dabei  außerordentlich  reich  an  Zellen,  die  vielfach  reihenartig 
dicht  nebeneinander  lagen  (vgl.  Fig.  2). 

Bei  Benutzung  einer  schwachen  mikroskopischen  Vergrößerung 
schien  die  Grenze  zwischen  dem  vorhin  beschriebenen  Ring  von 
Rundzellen  und  der  Tunica  muscularis  des  Gefäßrohres  fast  überall 
scharf  ausgesprochen  zu  sein,  immerhin  ließ  sich  bei  genauerem 
Zusehen  erkennen,  daß  die  Muskelschicht  doch  nicht  unverändert 
geblieben  war.  Selbstverständlich  ließen  sich  diese  Dinge  viel 
genauer  bei  Benutzung  stärkerer  Vergrößerungen  verfolgen. 

Da  sah  man  dann,  daß  Fortsetzungen  von  Rundzellenmassen 
aus  den  inneren  Schichten  der  Adventitia  gewissermaßen  keilförmig 
in  die  Tunica  muscularis  hineingedrungen  waren,  die  sie  stellen- 
weise in  einzelnen  übereinandergeschichtete  Lagen  zerspalten  hatten 
(vgl.  Abbildung  2).  Hier  und  da  waren  sogar  einzelne  länglich 
und  keilartig  gestaltete  Rundzellenherde  bis  dicht  unter  die  Intima 
der  Gefäßwand  vorgedrungen  und  bis  zur  unmittelbaren  Berührung 
der  Membrana  elastica  gelangt.  An  dieser  selbst  aber,  sowie  an 
dem  Endothel  des  Gefäßrohres  vennochte  ich  außer  einer  stellen- 
weisen leichten  Quellung  keine  Veränderungen  wahrzunehmen. 

Bakterien  ließen  sich  weder  auf  Vesuvinpräparaten,  noch 


86  ni.  Eichhobst 

auf  Schnitten  nachweisen,  welche  mit  Löflfler'schem  Methylenblau 
gefärbt  waren. 

Der  dem  Gefäßrohr  anhaftende  Thrombus  bestand  teils  aus 
Inseln  roter,  teils  aus  unregelmäßig  verteilten  farblosen  Blutkörper- 
ehen, enthielt  hier  vollkommen  homogene,  dort  kömige  Massen  und 
erwies  sich  gleichfalls  frei  von  Bakterien. 

Es  konnte  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  hier  im  Gebiete 
des  thrombotischen  Arterienverschlusses  eine  schwere  entzündliche 
Erkrankung  des  Gefäßrohres  vorlag,  die  hauptsächlich  die  inneren 
Lagen  der  Adventitia  eingenommen  hatte  und  sich  von  hier  in  die 
Muskularis  bis  zur  Gefäßintima  vorgeschoben  hatte. 

Was  hatte  diese  Entzündung  hervorgerufen?  Offenbar  lagen 
dafür  drei  Möglichkeiten  vor.  Entweder  handelte  es  sich  um  eine 
aus  der  Umgebung  der  Arterie  auf  ihre  Wand  fortgepflanzte  Ent- 
zündung oder  der  Gefäßwand  waren  durch  den  Thrombus  Ent- 
zündungserreger zugetragen  worden,  oder  es  hatte  sich  eine  selb- 
ständige entzündliche  Erkrankung  der  Gefäßwand  entwickelt.  Eine 
von  der  Umgebung  der  Arterie  fortgeleitete  Entzündung  muß  als 
in  hohem  Maße  unwahrscheinlich  bezeichnet  werden.  Schon  klinisch 
schloßen  die  Folgen  des  Gefaßverschlusses  mit  der  Kniescheibe  von 
den  Zehen  an  gerechnet  ab  und  auch  bei  der  Sektion  ließen  sich 
am  Oberschenkel  nicht  die  allermindesten  entzündlichen  Verände- 
rungen in  der  Nähe  der  Femoralarterie  oder  sonst  irgendwo  wahr- 
nehmen. Auch  halte  ich  es  nicht  für  sehr  wahrscheinlich,  daß  Ent- 
zündungserreger auf  die  Arterienwand  von  dem  Gefäßthrombus  oder 
vor  seiner  Bildung  von  dem  Blute  aus  in  die  Arterienwand  hin- 
eingelangt waren.  Es  scheint  mir  dagegen  der  Umstand  zu  sprechen, 
daß  die  Gefäßintima  anatomisch  fast  unversehrt  erschien.  Man 
sollte  doch,  meine  ich,  erwarten,  daß  unter  solchen  Verhältnissen 
zuerst  und  am  lebhaftesten  diejenige  Arterienhaut  erkrankt,  die 
dem  schädlichen  Medium  unmittelbar  anzuliegen  kommt,  um  so 
mehr,  als  es  bekannt  ist,  daß  die  Gefäßintima  zu  entzündlichen 
Veränderungen  in  ausgesprochener  Weise  geneigt  ist.  Somit  bliebe 
also  nur  der  Schluß  übrig,  daß  die  nachgewiesene  Entzündung  der 
Adventitia  und  von  hier  aus  der  Muskularis  durch  eine  unmittel- 
bare Infektion  der  Gefaßwand  zustande  kam,  die  wohl  durch  nichts 
anderes  als  durch  die  Vasa  vasorum  vermittelt  wurde.  Ob  dabei 
eine  reine  Toxinwirkung  vorlag  oder  ob  ursprünglich  Bakterien  in 
den  Vasa  vasorum  vorhanden  waren,  die  dann  im  Verlaufe  der 
Krankheit  zugrunde  gingen,  darüber  läßt  sich  wohl  nichts  sicheres 
mehr  feststellen. 


über  multiple  Arterienthrombose.  87 

Ich  denke  mir  also  den  Hergang  in  folgender  Weise:  unsere 
Kranke  litt  schon  seit  langer  Zeit  an  einer  fibrösen  Endokarditis 
der  Mitralis,  die  zu  einer  Verengerung  des  Mitralostiums  geführt 
hatte.  Vor  einigen  Wochen  trat  dann  ohne  nachweisbare  Ursache 
ein  Bückfall  der  Endokarditis  in  der  anatomischen  Form  einer 
frischen  verrukösen  Entzündung  der  Mitralklappe  auf,  nach  unseren 
heutigen  Anschauungen  als  Folge  einer  bakteriellen  Infektion  des 
Endokards.  Von  hier  aus  gelangten  nun  Bakterien  oder  deren 
Toxine  mit  dem  Blutstrom  in  die  Vasa  vasorum  der  Arterien  und 
Venen  und  erzeugten  an  einzelnen  Gefäßen  eine  stellenweise  von 
der  Adventitia  bis  zur  Gefäßintima  sich  erstreckende  Entzündung, 
am  stärksten  in  der  Adventitia,  demnächst  in  der  Muskularis.  Daß 
unter  solchen  Umständen  auch  die  Intima  in  ihrer  Tätigkeit  leidet, 
kann  kaum  befremden  und  daher  kein  Wunder,  daß  sich  im  Be- 
reiche der  entzündeten  Stellen  der  Gefäßwand  Thromben  abschieden 
und  das  GefÄßrohr  verschlossen.  Weshalb  aber  gerade  nur  einzelne 
Blutgefäße  erkrankten  und  diese  wieder  nur  an  umschriebenen 
Stellen,  das  freilich  entzieht  sich  der  Kenntnis,  und  ich  w^age  nicht 
einmal  Vermutungen  darüber  aufzustellen. 

Im  Verein  mit  der  früher  von  mir  in  diesem  Archiv  beschrie- 
benen Thrombose  der  Femoralarterie  nach  Scharlach  ergibt  sich 
der  Schluß,  daß  im  Gefolge  von  Infektionskrankheiten  Entzündungen 
der  Intima  oder  auch  solche  der  Adventitia  und  Media  an  Arterien 
auftreten  und  zu  autochthoner  Arterien thrombose  führen  können. 
Diese  Arterienthrombose  bringt  genau  so  unvermutet  und  plötzlich 
Störungen  des  arteriellen  Kreislaufes  und  deren  Folgen  zustande 
wie  arterielle  Embolien.  Unter  Umständen  tritt  diese  Arterien- 
entzündung  und  Thrombose  in  vielen  arteriellen  und  venösen  Ge- 
fößen  auf. 

Beobachtungen  ähnlich  der  im  Vorhergehenden  eingehender 
beschriebenen  habe  ich  mehrfach  gemacht.  So  behandelte  ich  im 
Jahre  1898  ein  15  jähriges  Dienstmädchen,  w^elches  mit  septischen 
Erscheinungen  ohne  erkennbaren  Grund  erkrankt  war.  Die  junge 
Kranke  sah  erdfahl  aus,  fieberte  meist  im  hektischen  Typus  bis 
40,1  ^  C  und  bot  außer  einem  blasenden  systolischen  Geräusch  über 
allen  Herzklappen  und  einer  fühlbaren  vergrößerten  Milz  keine 
Veränderungen  dar.  Aus  dem  Blute  ließen  sich  in  Züchtungs- 
versuchen keine  Bakterien  gewännen.  Im  weiteren  Verlaufe  der 
Krankheit  entwickelten  sich  in  der  Netzhaut  Blutungen  und  weiße 
Flecken.  Längere  Zeit  fortgesetzte  subkutane  Einspritzungen  von 
Antistreptokokkenserum  ließen  den  Zustand  unverändert.     Unter 


88  in.  Eichhobst 

zunehmendem  Kräfteverfall  trat  nach  12  Wochen  der  Tod  ein. 
Etwa  4  Wochen  vor  dem  Tode  stellten  sich  heftige  Bauchschmerzen 
ein,  und  man  bekam  rechts  am  Halse  einen  5  cm  langen  härtlichen 
Strang  zu  f&hlen.  8  Tage  später  entwickelte  sich  ein  sehr  aus- 
gedehntes Netz  stark  geschlängelter  und  erweiterter  Hautvenen 
auf  Brust  und  Bauch.  Wiederum  8  Tage  später  kommt  es  zur 
Entwicklung  eines  reichlich  verzweigten  Netzes  erweiterter  Haut- 
gefäße über  beiden  Armen  und  nach  4  Tagen  läßt  sich  die  rechte 
äußere  Jugularvene  als  ein  harter  Strang  durch  die  Haut  fühlen. 
Der  Hämoglobingehalt  des  Blutes  sinkt  bis  auf  25  %.  Im  Hain  leichte 
Eiweißmengen  und  einzelne  körnige  Zylinder. 

Was  ergibt  nun  die  Sektion?  Mitralklappe  an  ihrem  freien 
Rande  leicht  verdickt,  aber  sonst  vollkommen  glatt.  Übrige  Herz- 
klappen zart  und  unverändert.  Keine  Thromben  im  Herzen.  In 
der  Vena  jugularis  dextra  externa  ausgedehnte  Thrombose  bis 
gegen  den  Unterkieferwinkel  hin.  Der  Thrombus  setzt  sich  noch 
in  die  Vena  anonyma  dextra  und  in  den  obersten  Teil  der  oberen 
Hohlvene  fort.  Vollkommener  Verschluß  der  linken  Vena  jugularis 
interna  und  der  Vena  axillaris  durch  adhärente,  teilweise  puriform 
erweichte  Thromben.  Ausgedehnte  Thromben  in  den  Hauptästen 
der  Lungenarterie  für  den  Ober-  und  Unterlappen  der  rechte» 
Lunge.  In  dem  Hauptstamm  der  Milzvenen  ein  vollkommen  da» 
Gefäß  verschließender  Thrombus,  der  sich  auch  in  die  nächsten 
Verzweigungen  fortsetzt.  Die  Milz  groß,  von  sehr  weicher  Be- 
schaffenheit, aber  sonst  unverändert.  Thromben  in  beiden  Nieren- 
arterien; auch  in  den  Nierenvenen  adhärente,  derbe,  graurote  Ge- 
rinnsel. Dabei  die  Nieren  selbst  ohne  sichtbare  Veränderungen. 
Zahlreiche  Thrombosen  in  den  Mesenterial venen ,  namentlich  in 
denjenigen,  welche  zum  Wurmfortsatz  hinziehen.  Der  ganze  Stamm 
der  Pfortader  mit  adhärenten  Thromben  ausgefüllt,  die  eine  hell- 
graue Farbe  darbieten,  zum  Teil  brüchige,  teilweise  aber  breiartige 
Beschaffenheit  besitzen  und  sich  auch  noch  bis  in  die  Verästlungen 
dritten  Grades  fortsetzen.  In  der  Vena  cava  inferior  in  der  Höhe 
der  Einmündungssteilen  der  Lebervenen  ein  derber,  gelb  weißer 
Thrombus,  welcher  das  Lumen  des  Gefäßes  ganz  ausfüllt  und  an 
den  Einmündungssteilen  der  Lebervenen  glatt  endet.  Ein  zweiter 
Thrombus  findet  sich  in  der  unteren  Hohlvene  in  der  Höhe  der 
Einmündungssteile  der  Nierenvenen.  Der  Thrombus  ist  von  weiß- 
grauer Farbe  und  befindet  sich  in  Organisation.  Er  hat  das  Ge- 
fäßrohr zwar  nicht  vollkommen  verechlossen ,  aber  so  bedeutend 
verengt,  daß  sich  kaum  ein  mittelstarker  Katheter  hindurchfuhren 


über  multiple  Arterienthrombose.  g9 

läfit.  In  beiden  Venae  iliacae  adhärente  Thromben,  welche  in 
die  Venae  femorales  hinabreichen  und  oberhalb  des  Pouparti'schen 
Bandes  endigen.  Ein  wenig  unterhalb  des  Pouparti'schen  Bandes 
beginnt  dann  aber  von  neuem  eine  Thrombose  in  beiden  Femoral- 
venen,  die  sich  bis  über  die  obere  Hälfte  der  Oberschenkel  fort- 
setzt. Der  früher  erwähnte  Thrombus  der  linken  Nierenarterie 
setzt  sich  in  die  Bauchaorta  fort,  erreicht  hier  die  Dicke  eines 
mittleren  Katheters  und  dringt  linkerseits  ohne  Unterbrechung  in 
die  linke  Arteria  iliaca  und  in  die  linke  Hypogastrica  ein. 

Zwischen  der  ersten  und  zweiten  Beobachtung  besteht  eine 
nnyerkennbare  Ähnlichkeit.  Beide  Male  bekommt  man  es  mit  viel- 
fachen Thromben  in  den  verschiedensten  Venen  und  Arterien  zu 
tun,  bei  der  ersten  Kranken  mit  Bevorzugung  der  Arterien,  bei 
der  zweiten  mit  einer  solchen  der  Venen.  Bei  beiden  Kranken 
findet  sich  am  Herzen  keine  Veränderung,  welche  darauf  hindeutete, 
daß  es  sich  wenigstens  in  den  Arterien  um  Embolien  gehandelt 
haben  könnte.  In  beiden  Beobachtungen  bestanden  Zeichen  all- 
gemeiner Sepsis,  und  beide  Male  sprach  alles  dafür,  daß  man  es 
mit  einer  lokalen  infektiösen,  aber  multiplen  Erkrankung  der  Ar- 
terien und  Venenwände  zu  tun  gehabt  habe,  an  die  sich  eine 
multiple  Gefäß thrombose  anschloß.  Leider  bin  ich  nicht  imstande 
in  der  zweiten  Beobachtung  mit  gleicher  Sicherheit  den  Nachweis 
einer  Erkrankung  der  Gefäßwände  an  den  thrombosierten  Stellen 
zu  führen,  wie  in  der  ersten,  weil  ich  damals  noch  nicht  thrombo- 
sierte  Gefäße  mit  der  Sorgfalt  zu  untersuchen  pflegte,  wie  dies 
später  geschah. 

Jedenfalls  geht  aus  beiden  Beobachtungen  meines  Erachtens 
hervor,  daß  allgemeine  Infektionen  zu  lokalen  Schädigungen  der 
Gefaßwand  führen,  die  wieder  ihrerseits  Thromben  in  den  Arterien 
und  Venen  bedingen.  Die  Zahl  der  erkrankten  Gefäße  kann  eine 
sehr  bedeutende  sein,  so  daß  man  sich  fast  wundern  muß,  daß  trotz- 
dem das  Leben  verhältnismäßig  lange  Zeit  fortbestehen  kann.  Die 
von  den  thrombosierten  Gefäßen  mit  Blut  versorgten  Eingeweide 
leiden  unter  Umständen  überraschend  wenig.  Störungen  eines 
solchen  Gefäßverschlusses  treten  mitunter  genau  so  plötzlich  wie 
ein  embolischer  Gefäßverschluß  ein  und  klinisch  ist  eine  Unter- 
scheidung kaum  möglich.  Bei  jedem  thrombotischen  Gefäßverschluß 
ist  eine  genaue  mikroskopische  Untersuchung  der  Gefäßwand  not- 
wendig, denn  nur  diese  entscheidet,  ob  autochthone  Thrombose  oder 
Embolie  und  bei  Thrombose,  ob  eine  Thrombose  allein  infolge 
von  Endarteriitis  oder  von  Entzündung  der  Adventitia  und  Media. 


90  ni.  E1CHHOK8T,  Über  multiple  Arterienthrombose. 

Bisher  hat  man  in  den  Arterien  das  Vorkommen  von  Embolien 
als  das  Vorwiegende  hingestellt,  doch  dürfte  in  Zukunft  eine  ge- 
naue Untersuchung  der  Verhältnisse  in  dem  oben  angedeuteten 
Sinne  darin  einen  großen  Wandel  der  Anschauungen  schaffen  und 
sich  mancher  Gefäßverschluß  als  autochthone  Thrombose  heraus 
stellen,  den  man  bisher  als  eine  Embolie  gewohnheitsgemäß  anzu- 
sehen  geneigt  war. 


Erklärung  der  Abbildnngen  anf  Tafel  III* 

Abbildung  1.  Querschnitt  der  Femoralarterie.  Boraxkarminfärbung 
Zeiß'  Apochromat  Brennweite  16.  Kompensationsokular  4.  Vergrößerung  62  fach. 
1.  Adventitia.     2.  Rundzellenherde.     3.  Muskularis.    4.  Intima.    ö.  Gefäßthrombus. 

Abbildung  2.  Querschnitt  der  Femoralarterie.  Das  gleiche  Präparat 
wie  in  Abbildung  1.  Zeiß'  Apochromat  Brennweite  4.  Kompensationsokular  4. 
Vergrößerung  2ö0fach.  1.  Adventitia.  2.  Eundzellenherde.  3.  Muskularis. 
4.  Tunica  elastica.    5.  Intima. 


Deutsches  ArchivfmiiüdteUedicin  Bd.  IXZX. 


VerUjTOEF.CW.Vogd  üil'Ayi'3 


Ijlli  AiislJdiuEi[ikhiTitl.LnFii; 


IV. 

über  die  differentielle  Diagnose  der  giclitischen  Tophi 

der  Ohrmuschel. 

Von 

Wilhelm  Ebstein  in  Göttingen. 

(Mit  2  Abbildungen.) 

Über  die  differentielle  Diagnose  der  gichtischen  Tophi  der 
Ohrmuscheln  ist  mir  wenig  bekannt  geworden.  Sir  DyceDuck- 
worth  (Die  Gicht.  Deutsch  von  Dippe,  Leipzig  1894)  erwähnt 
die  Möglichkeit  der  Verwechslung  der  Tophi  der  Ohrmuscheln  mit 
Milien  und  kleinen  Talgcysten  (1.  c.  Seite  63).  Man  darf  es  als 
ein  erfreuliches  Zeichen  betrachten,  wenn  ein  klinischer  Befund  so 
sicher  ist,  daß  er  als  eindeutig  angesehen  werden  darf.  Man  kann 
sogar  im  allgemeinen  sagen,  daß  man  in  der  Eegel  die  Diagnose 
eines  Tophus  arthriticus  an  der  Ohrmuschel  zu  den  Momentdiagnosen 
i-echnet,  man  stellt  dieselbe  gemeinhin,  ohne  erst  die  Mithilfe  des 
Mikroskops  in  Anspruch  zu  nehmen.  Man  verzichtet  sogar  meisten- 
teils darauf,  einen  solchen  Tophus  anzustechen,  um  sich  davon  zu 
überzeugen,  ob  der  Inhalt  der  kleinen  Geschwulst  auch  den  typi- 
schen Uratbrei  enthält.  Man  wird  sich  nun  fragen  dürfen,  unter 
welchen  Umständen  man  sich  zu  der  Diagnose  eines  solchen  gich- 
tischen Tophus  der  Ohrmuschel  für  berechtigt  halten  darf.  Um 
darüber  ins  klare  zu  kommen,  muß  man  sich  die  Beschreibungen 
ansehen,  welche  die  einzelnen  Autoren  von  diesen  Bildungen  ge- 
geben haben.  Bereits  D.  Ideler  hat  in  dem  4.  Stück  des  6.  Bandes 
von  Hufeland's  Neuem  Journal  der  praktischen  Arzneikunde, 
Seite  96  (Berlin  1801)  auf  das  Vorkommen  solcher  Bildungen  hin- 
gewiesen, indem  er  sagt:  „Ich  habe  auch  gesehen,  daß  sie  (die 
Gichtknoten)  die  Hautdrüsen  an  der  Nase,  den  Ohrläppchen,  selbst 
die  Augenliderdrüsen  nicht  verschonten.  Ideler  stellt  sich  vor, 
daß  diese  Knoten  aus  der  mit  der  Phosphorsäure  gebundenen  Kalk- 
erde  beständen.      Fauconneau-Dufresne    hat  in   seiner   im 


92  IV.  Ebstein 

Jahre  1824  erschienenen  Inauguraldissertation  (zitiert  nach  Cru- 
veilhier's  Atlas  d'anatomie  pathologique  4.  livraison  pg.  4)  fol- 
genden Befund  am  linken  Ohre  notiert:  „A  l'oreüle  gauche  entre 
le  derme  et  le  cartilage,  petits  grumeaux,  apparents  k  travers  la 
peau".  Scudamore  ist  in  seinem  Briefe  an  Chambers  (London 
1839  pg.  33)  der  Natur  dieser  Ohrtophi  schon  weit  näher  gekommen, 
indem  er  (zitiert  nach  C  h  a  r  c  o  t ,  Oeuvres  completes  VII,  Paris  1890 
pg.  514)  sagt,  daß  er  tophusartige  Konkretionen,  welche  sonst 
nirgends  anders  existierten ,  an  den  Ohrläppchen  in .  der  Form 
kleiner  Punkte  gesehen  habe. 

R.  B.  Todd  hat  auch  in  seinen  Clinical  Lectures  on  certain 
diseases  of  the  urinary  organs  etc.  (London  1857  S.  420)  kleine 
aus  harnsaurem  Natron  bestehende  Ablagerungen  „growing  beneath 
the  skin  of  the  ear"  beschrieben.  Indes  sind  die  Angaben  über 
die  Tophi  an  den  Ohrmuscheln,  welche  A.  B.  Garrod  in  seinem 
Werke:  „The  Natnre  and  treatment-of  gout"  (2.  edit.,  London  1863) 
macht,  der  Frage  wesentlich  näher  getreten,  indem  er.  (1.  c.  pg.  63) 
eine  genauere  Beschreibung  derselben  gibt;  er  schickt  voraus,  daß- 
er  in  den  letzten  Jahren  viele  solcher  „spots",  indes  nur  selten 
bei  Frauen  beobachtet  habe.  Garrod  berichtet  ferner,  daß  diese 
..Spots"  bisweilen  einzeln,  bisweilen  zahlreich  vorkommen,  sie  sind 
oft  kleiner  als  ein  Stecknadelknopf,  bisweilen  aber  sind  sie  so 
groß  oder  noch  etwas  größer  als  eine  kleine  Erbse  (splitpea).  Sie 
haben  das  Aussehen  von  Perlen  und  liegen  im  allgemeinen  an  der 
Grenze  des  Helix.  Bisweilen  sind  sie  hart  und  kiesig,  aber 
häufiger  weich  und  wenn  man  sie  punktiert,  so  liefern  sie  eine 
milchige  Flüssigkeit.  Eine  weitere  Untersuchung  ergibt,  daß  sie,^ 
wenn  sie  hart  werden,  sich  fest  an  den  Ohrknorpel  anlegen.  Maa 
sieht  in  ihrer  Nachbarschaft  oft  erweiterte  Blutgefäße,  welche  sich» 
über  dieselbe  manchmal  weiter  hinauserstrecken.  Garrod  hat 
einen  solchen  Tophus  abgebildet,  welcher  nicht  nur  der  einzige  an- 
der betreiFenden  Ohrmuschel  war,  sondern  es  ließen  sich  bei  diesem 
Individuum  an  der  Körperoberfläche  weitere  uratische  Tophi  über- 
haupt nicht  auffinden.  —  Im  allgemeinen  erscheint  damit  die  Ge- 
schichte der  gichtischen  Tophi  an  den  Ohrmuscheln  erschöpft,, 
wenigstens  sind  mir  wesentlich  neue  Gesichtspunkte  in  dieser  Be- 
ziehung nicht  bekannt  geworden.  Man  sieht  sie  ebenso  wie  die 
anderwärts  lokalisierten  Tophi  arthritici  als  ein  Privilegium  der 
Gichtkranken  an.  Nachdem  sie  manchen  Beobachtern  noch  weit 
häufiger  als  Garrod  selbst  begegnet  zu  sein  scheinen.  —  Duck- 
worth  (1.  c.)  fand  sie  bei  einem  Drittel  aller  Gichtkranken  (49  mal 


J 


über  die  differentielle  Diagnose  der  gichüschen  Tophi  der  Ohrmuschel.     93 

unter  150  Fällen)  haben  sie  anf  diese  Weise  und  weil  sie  besonders 
manchmal  vor  dem  Auftreten  typischer  Gichtanfälle  beobachtet 
worden  sind,  eine  nicht  zu  unterschätzende  diagnostische  Bedeutung 
gewonnen. 

Ich  habe  nun  Gelegenheit  gehabt  im  Laufe  des  letzten  Jahres 
Veränderungen  der  Ohrmuscheln  zu  sehen,  welche  in  ihrem  äußeren 
Aussehen  zunächst  eine  gewisse  Ähnlichkeit  mit  gichtischen  Tophis 
der  Ohrmuscheln  zu  haben  schienen.  Man  dürfte  um  so  eher  in 
Versuchung  kommen,  diese  Prozesse  an  den  Ohrmuscheln  für 
Symptome  wahi-er  Gicht  zu  halten,  wofern  sich  erweisen  läßt,  daß 
die  betreffenden  Individuen  wirklich  an  Arthritis  uratica  leiden. 
Bei  genauerer  Untersuchung  gewahrte  man  indes,  daß  sich  diese 
Ohryeränderungen  durch  folgende  Eigenschaften  von  den  gewöhn- 
lichen uratischen  Tophis  der  Ohrmuscheln  unterschieden.  Erstens 
saßen  sie  weder  in  der  Cutis  noch  im  Unterhautbindegewebe, 
sondern  in  dem  Knorpelgewebe  selbst  und  zweitens  konnte  man 
aus  ihnen  kein  hamsäurehaltiges  Material  entfernen.  Ich  lasse 
nun  die  drei  Beobachtungen,  welche  diese  Befunde  etwas  genauer 
erläutern  sollen,  folgen: 

1.  Beobachtung.  Karl  D.,  57  Jahre  alt,  war  Yom  10.  Dezember 
1903  bis  14.  Januar  1904  in  der  medizinischen  Klinik  in  Götttngen.  Er 
ist  ein  Säufer  und  gibt  zu  täglich  ca.  ein  halbes  Liter  Branntwein  zu 
trinken.  Geschlechtliche  Ansteckung  wird  in  Abrede  gestellt.  Er  will 
früher  stets  gesund  gewesen  sein,  insbesondere  scheint  er  niemals  einen 
akuten  Gelenkrheumatismus  gehabt  zu  haben.  Das  gegenwärtige 
Leiden  des  Patienten  besteht  in  Schmerzen  in  den  Gelenken.  Das  Leiden 
hat  sich  allmählich  entwickelt  und  ist  allmählich  schlimmer  geworden. 
Bei  der  Aufnahme  in  die  Klinik  fand  sich  ein  ErguB  nicht  nur  in  dem 
linken  Kniegelenk  selbst  sondern  vornehmlich  in  dem  präpatellaren 
Scbleimbeutel.  Der  Umfang  des  linken  Kniegelenkes  betrug  37,5  cm 
gegen  34,5  cm  des  rechten  Kniegelenkes.  Am  19.  Dezember  wurde  der 
genannte  Schleimbeutel  punktiert,  wobei  ca.  10  ccm  einer  klebrigen, 
weifilichen,  leicht  trüben  Flüssigkeit  entleert  wurden.  Harnsäure  wurde 
in  derselben  nicht  konstatiert.  Am  31.  Dezember  1903  und  am 
6.  Januar  1904  wurde  die  Punktion  wiederholt,  durch  welche  beide  Male 
ca.  12  ccm  einer  geradeso  aussehenden  und  gleichfalls  keine  Harnsäure 
enthaltenden  Flüssigkeit  erhalten  wurde.  —  Nur  an  der  rechten  Ohr- 
mnfichel,  deren  Bild  nach  einer  photographischen  Aufnahme  in  ver- 
größertem Maßstabe  auf  der  Fig.  1  wiedergegeben  worden  ist,  gewahrt 
man  an  dem  Anthelix  einige  von  ihrer  Umgebung  sich  deutlich  ab- 
hebende Erhabenheiten,  welche  durch  ihre  weißliche  Farbe  sich  aus- 
zeichnen und  halbkugelig  ein  wenig  über  die  Oberfläche  prominieren. 
Man  sieht  deren  viele,  die  zu  je  zweien  angeordnet  übereinander  stehend 
leicht  zu  erkennen  sind.  Die  beiden  höher  gelegenen,  etwas  mehr  von- 
einander getrennten,  sind  die  größeren.    Sie  fühlen  sich  hart  an  und  sind 


94  IV.   Ebstein 

darch  «ine  schmale  etwas  erhabene  Leiste  von  gleichfalls  weißlicher  Farbe 
miteinander  verbunden.  Die  obere  von  diesen  beiden  Prominenzen  hat 
einen  Darchmesser  von  ungefähr  4  mm.  Die  beiden  nnteren,  gleichfalls 
halbkugelig  über  die  Ober&ficlie  faervorgewölbten  Erhabenheiten  haben  die 
Größe  von  etwa  einem  kleinen  Schrotkorn.  Sie  sind  gleichfalls  hart.  In 
ihrer  Umgebung  erscheint  der  Knorpel  etwas  rauh.      Die  Cutis  und  das 

Fig.  1. 


subkutane  Gewebe  sind  an  der  Knotenbildnng  unbeteiligt.  Bei  der  In- 
zision  dieser  Knötchen  wird  keiue  Flüssigkeit  entleert.  £s  ergibt  sich, 
daß  diese  Knötchen  aus  solidem  Gewebe  bestehen.  Die  Ohrmuschel  er* 
scheint  im  allgemeinen,  ebenso  wie  besonders  auch  an  der  Stelle,  wo 
sich  diese  Knötchen  befinden,  undurchlässig  für  Böntgenstrahlen.  —  Im 
übrigeu  lassen  sich  alte  phthieische  Prozesse  in  den  obersten  Partien  der 
Lungen  des  Patienten  konstatieren. 

2.  BeobachtQDg.  Der  Gerichtsassessor  X.  aus  X.,  33  Jahre  alt, 
stellte  sich  mir  am  2.  November  1893  zum  erstenmal  vor.  Er  litt  an 
hartnäckiger,  mit  gelegentlich  starken  Durchfällen  abwechselnder  Stuhl- 
verstopfung.  Nachdem  die  letztere  als  die  Ursache  der  ersteren  von 
mir  erkannt  worden  war,    behandelte   ich    den  Patienten  in  der  hiesigen 


über  die  differeDtielle  Diagnose  der  gichtiBchen  Tophi  der  Ohrmuschel.     95 

IMvatklinik  mit  großen  OlUysmen  nach  den  von  mir  angegebenen  Grund- 
Batzen.*)  Der  Erfolg  wAr  ein  recht  guter,  jedoch  wurde  die  Behandlung 
nicht  bis  zu  Ende  durchgeführt,  weil  Patient  durch  Amtsgescbäfte 
udaBt,  vorzeitig  die  Anstalt  verlieB  nnd  aus  demselben  Grunde  die  Be- 
handlnng  unter  der  Leitung  seines  Hausarztes  nicht,  wie  er  vorhatte, 
eigenen  Hanse  ordnungsmäßig  fortsetzte.  Ich  habe  den  Patienten  wieder- 
holt nach  längeren  oder  kürzeren  Zwischenräumen  hier  wiedergesehi 
Im  Uai  1897  waren  mir  bereits  Veränderungen  beider  Ohrmusohe 
aufgefallen,  welche  in  gewisser  Beziehung  an  die  durch  gichtische  Tophi 
bedingten  erinnerten.  Indes  konnte  ich  typische  Gichtherde  nicht 
kennen.       Die  kurze    Zeit    hinderte    mich    damals    der    Sache    nSber  zu 


Fig.  2. 


treten.  "Ea  war  mir  dies  erst  nach  Jshren  möglich,  als  mich  der  Patient, 
der  inzwischen  als  Landrichter  an  ein  von  Göttingen  entfernteres  Ge- 
richt gekommen  war,  am  13.  August  IS03  wieder  konsultierte.  Die 
VerändemDgen  der  Ohren  traten  noch  deutlicher  hervor.  Ich  habe  die 
rechte  Ohrmuschel  —  die  linke  verhielt  sich  vollkommen  gleich  —  photo- 
graphieren  lassen,  wodurch  eine  weitläufige  Beschreibung  erspart  wird 
(Fig.  2).  Es  sei  hier  nur  bemerkt,  daS  sich  an  beiden  Ohrmuscheln, 
deren  Haut  ziemlich  gleichmäßig  etwas  zyanotii^ch  gerötet  war,  sowohl 
am  Helix  und  Anthelix  ah  auch  am  Tragus  und  Antitragus  eine  Heihe 
von  mit  blasser  Haut  bedeckten,  teils  stecknadelkopfgroßen,  teils  auch 
größeren  rundlichen  Prominenzen  fanden,  welche  eine  oberflächliche  Ähn- 
lichkeit   mit  gichtischen  Knoten    hatten,   wofür   eie  der  Patient,    welcher 


I)  Ebstein,  Die  chronische  Stuhl  Verstopfung.   Stuttgart  1903. 


9Ö  IV.  EttSTEor 

sich  für  die  Gioht  leibhaft  intereaeierte,  Belbst  hielt.  Es  bewog  ihn  da- 
zu das  Leiden  seiner  mich  gleichzeitig  konsnltierenden  Mutter,  welche 
an  einer  chronisch  rheumatischen  (giehtischen)  Entzündung  einiger  Ge- 
lenke (Finger  und  rechtes  £nie)  leidet.  Beim  Anstechen  eines  dieser 
kleinen  Knoten,  welcher  mir  besonders  typisch  erschien,  entleerte  sieh 
lediglich  ein  Tröpfchen  einer  leicht  blutig  tingierten  z&hen  Flüssigkeit, 
in  welcher  weder  XJratnadeln  noch  sonst  morphotische  Elemente,  ab- 
gesehen von  einigen  roten  Blutkörperchen,  sich  fluiden.  Bei  der  Durch- 
leuchtung mit  Böntgenstrahlen  ergab  sich,  daß  die  Ohrmuscheln  dieselben 
passieren  ließen.  Die  Ohrmuscheln  waren  übrigens  in  toto  ziemlich  dürr 
und  spröde,  kaum  biegsam,  die  Haut  schien  etwas  weniger  verschieblich, 
fester  auf  der  Unterlage  fixiert  als  gewöhnlich. 

3.  Beobachtmig.  Dieselbe  betrifft  einen  an  typischer  uratischer 
Gicht  leidenden  Arzt  Herrn  Dr.  med.  X.  aus  L.,  welcher  mich  am 
16.  Januar  1904  wegen  seines  Leidens  hier  um  Bat  fragte.  Der  Patient, 
jetzt  40  Jahre  alt,  berichtet,  daß  er  im  Alter  von  24  Jahren  (1888)  den 
ersten  Gichtanfall  überstand,  welchem  im  Laufe  der  Jahre  viele  andere 
gefolgt  sind.  Ich  gedenke  in  weitere  Einzelheiten  der  Geschichte  dieses 
Falles  hier  nicht  einzutreten,  wenngleich  sie  manches  Interessante  bietet. 
Es  sei  nur  bemerkt,  daß  bei  dem  Kranken  gichtische  Tophi  überall  nicht 
verbanden  sind.  Bei  der  Untersuchung  der  rechten  Ohrmuschel  fiel  mir 
auf  —  der  Patient  hatte  darauf  nicht  geachtet  — ,  daß  sich  in  derselben 
einige  etwa  erbsengroße,  von  geröteter  Haut  überzogene,  für  Böntgen- 
strahlen  nicht  durchgängige  Prominenzen  von  knorpeliger  Konsistenz 
in  dem  Knorpel  selbst  fanden,  während  in  der  Tiefe  der  knorpellosen 
Hautfalte,  welche  das  Ohrläppchen  bildet,  ein  etwa  hirsekomgroßes  Knöt- 
chen von  härtlicher  Konsistenz,  von  der  Umgebung  sich  scharf  absetzend, 
gefühlt  wurde.  Jedenfalls  handelte  es  sich  bei  den  ersteren  nicht  um 
die  gewöhnlichen  in  der  Cutis  oder  in  den  subkutanen  Gewebe  gelegenen 
Tophi  der  Ohrmuschel. 

Diese  Beobachtungen,  wenngleich  spärlich  an  Zahl,  ergeben 
immerhin  einige  Gesichtspunkte,  welche  mir  Beachtung  zu  verdienen 
scheinen.  Ich  fasse  dieselben  folgendermaßen  zusammen:  Es  kommen 
bei  Rheumatikern,  erblich  gichtisch  Belasteten  und  bei  Individuen, 
welche  an  typischer  uratischer  Gicht  leiden  gelegentlich  Knötchen- 
bildungen  an  den  Ohrmuscheln  vor,  welche  den  sonst  an  denselben 
bei  der  Gicht  häufig  vorkommenden  gichtischen  Veränderungen 
nicht  entsprechen ;  denn  dieselben  sind  nicht  \^ie  die  gewöhnlichen 
t}T)ischen  Tophi  der  Ohrmuscheln  in  der  Haut  selbst  oder  in  dem 
l'nterhautbindegewebe  lokalisiert,  sondern  liegen  im  Ohrknorpel 
selbst.  Diese  Knötchen  enthalten  auch  kein  urathaltiges  Material. 
Sie  scheinen  überhaupt  im  wesentlichen  von  fester  Beschaffenheit 
zu  sein  und  von  der  Konsistenz  des  Ohrknorpels  nicht  abzuweichen. 
In  der  zweiten  Beobachtung  freilich  ließ  sich  ein  Tröpfchen  einer 
leicht  blutig  tingierten  zähen  Flüssigkeit  entleeren  durch  den  An- 


über  die  diflfereiitielle  Diagnose  der  gichtischen  Tophi  der  Ohrmuschel.     97 

stich  eines  Knötchen,  indes  kollabierte  das  Knötchen  danach  nicht. 
Jedoch  darf  man  hier  immerhin  an  die  Anwesenheit  einer  kleinen 
C'vste  denken.  In  der  aus  dem  erwähnten  Knötchen  entleerten 
Flüssigkeit  fanden  sich  keine  Uratnadeln  und,  abgesehen  von  einer 
Reihe  roter  Blutkörperchen,  überhaupt  keine  morphotischen  Ele- 
mente. 

Ich  habe  nicht  nötig,  an  dieser  Stelle  die  ganze  Geschichte 
der  Cysten  in  den  Ohrmuscheln  aufzurollen.  Ich  verweise  auf  die 
einschlägigen  otiatrischen  Arbeiten  von  Arthur  Hartmann  im 
XV.  und  XVIII.  Bande  der  Zeitschrift  für  Ohrenheilkunde  (Wies- 
baden 1886  und  1888,  Seite  156  bzw.  42),  sowie  auf  die  Arbeit  von 
W.  von  Noorden  im  LXIL  Bande  der  Deutschen  Zeitschrift  für 
Chirurgie.  Was  nun  die  Beschaffenheit  solcher  im  Knorpel  selbst 
nachzuweisender  Knötchenbildungen  anlangt,  so  erwähnt  Roki- 
tansky (Lehrbuch  der  pathologischen  Anatomie,  2.  Band,  3.  Auf- 
lage, Wien  1856,  Seite  191),  das  zuweilen  zu  beobachtende  Vor- 
kommen von  Wucherungen  der  Knorpelsubstanz  und  zwar  in  der 
Form  knorriger  und  warzenartiger  Exkreszenzen  zumal  an  den 
Oelenkknorpeln,  den  Luftröliren-  und  Bronchialringen,  wie  Roki- 
tansky meint,  angeregt  durch  Hyperämie  und  Entzündungen  be- 
nachbarter Gewebe.  Solcher  Veränderungen  der  Ohrknorpel  wird 
bei  dieser  Gelegenheit  nicht  gedacht.  Indes  liegt  es  nahe,  die  von 
mir  hier  mitgeteilten  Befunde  in  Parallele  mit  den  Rokitansky- 
schen  zu  stellen,  welche  übrigens  auch  von  Virchow  (Die  krank- 
haften Geschwülste,  t  Band,  Berlin  1863,  Seite  438  u.  folg.)  ausführ- 
licher besprochen  worden  sind.  Ob  und  bzw.  in  welchem  Verhältnis 
diese  Knorpelveränderungen  zu  rheumatischen  oder  gichtischen 
Prozessen  stehen,  darüber  läßt  sich  füglich  jetzt  kein  Urteil  ab- 
geben und  es  wird  aus  ihrer  Anwesenheit  jedenfalls  eine  Diagnose, 
daß  in  diesem  Falle  eine  uratische  Gicht  vorliege,  nicht  gemacht 
werden  dürfen.  Daß  der  Sitz  dieser  kleinen  Knötchen  im  Knorpel 
selbst  sei,  zu  ermitteln,  wird  auf  keine  Schwierigkeiten  stoßen, 
wenn,  wie  es  z.  B.  an  der  dem  Kopf  zugewandten  Fläche  der  Ohr- 
muschel der  Fall  ist,  deren  Unterhautbindegewebe  so  locker  der 
Unterlage  aufliegt,  daß  die  Haut  sich  nicht  nur  verschieben,  sondern 
auch  in  kleinen  Falten  leicht  aufheben  läßt.  Keinesfalls  sollte 
man  die  Diagnose  der  gichtischen  Natur  Von  kleinen  Ge- 
schrwülstchen  an  der  Ohrmuschel  als  gesichert  ansehen,  solange 
nicht  der  Nachweis  geliefert  ist,  daß  sie  einen  uratischen  In- 
halt haben. 

DentscheB  Arohiv  f.  kUD.  Medizin.    LXXX.  Bd.  7 


V. 
Aus  der  medizinischen  Klinik  zu  Tübingen. 

Die  Znckerbildüng  aus  Glyzerin. 

Von 

Prof.  Dr.  H.  Lflthje^ 

I.  Assistenten  der  Klinik. 

Im  vorigen  Bande  dieses  Archivs  sind  erneute  Beweise  für  die 
Zuckerbildung  aus  Eiweiß,  die  Pflüger  bestritten  hatte, 
mitgeteilt  worden. 

Zur  Frage  der  Zuckerbildung  aus  Fett  resp.  Glyzerin 
innerhalb  des  tierischen  Organismus  nimmt  Pflüger  in  seiner 
großen  Arbeit  über  das  Glykogen  ebenfalls  Stellung;  er  bestreitet 
eine  solche  Art  der  Zuckerentstehung  oder  hält  sie  wenigstens  für 
sehr  unwahrscheinlich.  In  der  Bekämpfung  der  Cremer'schen 
Behauptung,  daß  aus  Glyzerin  Zucker  gebildet  werden  könne, 
meint  Pflüger,  daß  „das  Glyzerin  durch  Unterstützung  der 
diuretischen  Wirkung  des  Phlorizins  die  Zuckerausscheidung  ver- 
mehren hilft". 

Schon  vor  dem  Erscheinen  der  Pflüger'schen  Abhandlung 
hatte  ich  versucht  ^),  den  Einwand,  daß  die  Glykosurie  nach  Glyzerin- 
darreichung lediglich  die  Folge  einer  diuretischen  Wirkung  des 
Glyzerins  sei,  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  zu  entkräften :  es  war 
nämlich  bei  demselben  Hunde,  der  nach  Verabreichung  von  Glyzeriu 
eine  prompte  Steigerung  der  Zuckerausscheidung  zeigte,  eine  diu- 
retisch  wirkende  subkutane  Einspritzung  von  2proz.  NaCl-Lösung 
hinsichtlich  der  Zuckerausscheidung  ohne  Erfolg  geblieben. 

Die  Stellung  der  Kliniker  zu  der  Frage  der  Zuckerbildung  aus 
Fett  war  bis  vor  kurzem  so,  daß  man  —  abgesehen  von  einzelnen 
Autoren  —  eine  Zuckerbildung  aus  Fett  leugnete.     Man  war  zu 


1)  Lüthje,    Zur   Frage   der   Zuckerbildang   im    tierischen   Organismus. 
Münchener  med.  Wochenschr.  1902  Nr.  39. 


Die  Zuckerbildong  ans  Glyzerin.  99 

dieser  Anschauung  gekommen,  weil  die  überwiegende  Anzahl  der 
Vei'suche  mit  Verabreichung  von  Neutralfetten  einen  erkennbaren 
Einfluß  auf  die  Größe  der  Zuckerausscheidung  nicht  gehabt  hatte, 
während  doch  die  Verabreichung  verschieden  großer  Eiweißmengen 
einen  entscheidenden  und  proportionalen  Einfluß  auf  die  Größe  der 
Zackerausscheidung  zeigte. 

Nachdem  dann  Crem  er  bei  phlorizinvergifteten  Tieren  nach 
Zafahr  von  Glyzerin  eine  prompte  Vermehrung  der  Zuckeraus- 
scheidung gefunden  hatte,  erfuhr  die  klinische  Auffassung  all- 
mählich eine  Wandlung.  Ein  Kätsel  aber  besteht  immer  noch:  es 
ist  nicht  ohne  weiteres  einzusehen,  warum  nach  Verabreichung  von 
Neutralfetten,  in  denen  doch  die  eine  Komponente  des  Fetts,  das 
Glyzerin,  vorhanden  ist,  jede  Vermehrung  der  Zuckerausscheidung 
ausbleibt  Das  ist  um  so  weniger  zu  verstehen,  als  wir  doch  jetzt 
eine  Spaltung  der  Neutralfette  im  Darm  in  Glyzerin  und  fette 
Säuren  mit  Sicherheit  annehmen  müssen. 

Trotzdem  haben  wir  meines  Erachtens  noch  keinen  Anlaß 
allein  auf  Grund  der  Pf  lüger 'sehen  Angaben  sofort  die  Mög- 
lichkeit einer  Zuckerbildung  aus  Fett  als  abgetan  anzusehen.*) 
Denn  die  Einwände  Pflüger's  gegen  die  von  Crem  er  entdeckte 
Zackerbildung  aus  Glyzerin  vermag  ich  auf  Grund  der  jetzt  mit- 
zuteilenden Versuche  nicht  als  stichhaltig  anzuerkennen. 

Versuch  I.  Männlicher  Hund.  Anfangsgewicht  13,5  Kilo. 
Am  5.  August  1902  Exstirpation  des  Pankreas.  Der  Hund  be- 
kommt dauernd  keine  Nahrung.  Die  Ausscheidungsverhältnisse 
zeigt  Tab.  I. 

Der  Hund  bekommt  also  am  19.  Hungertage  50  ccm  Glyzerin 
per  OS  und  ebenso  wieder  am  23.  Hungertage  (ich  sehe  dabei  ab  von 
dem  22.  Tage,  an  welchem  100  ccm  Öl  per  os  gegeben  wurden); 
beide  Male  erfolgte  eine  prompte  Steigerung  der  Zuckerausscheidung, 
während  die  N- Ausscheidung  unverändert  bleibt.  Die  am  25.;26. 
durch  Kochsalzinfusion  erzeugte  Diurese  bleibt  ohne  Einfluß  auf 
die  Zuckerausscheidung. 

Versuch  IL  Männlicher  Hund.  Gewicht  13  Kilo.  Am  20.  August 
1902  morgens  wird  das  Pankreas  exstirpiert.  Bekommt  keine  Nah- 
rung, nur  Wasser  nach  Belieben.    S.  Tab.  IL 


1)  Rumpf,  Pflüger's  Archiv  Bd.  97,  1903  S.  98. 

7» 


100 


V.  Lüthje 


Tabelle  I. 


Datum 


!  •   bo 


H2  0     i  S  g  D  in  D  in     N 


a  a 


August  1902    gesoffen  fS  g    ^U      g      in  g  3  2 


Im 


s 


Bemerkungen 


5.;6. 
6./7. 

7,/8. 

8./9. 

9./10. 
lO./ll. 
11./12. 
12./13. 
13./14. 
14,15. 
15./16. 
16.17. 
17./18. 
18./19. 
19./20. 
20./21. 
21./22. 
22./23. 
2a.;24. 
24./25. 
25./26. 
26./27. 
27./28. 
28./29. 


250 
300 
400 
500 
210 
200 
300 
150 
210 
280 
310 
290 
220 
140 
180 
120 
150 


j(.Q^l,74  17,40  9,576|  0 

^^  1,01  110,10  7,78  ;  0 
H40 

fÜOO  0'^^  ^'^ 
j^0,24  2,40 

^^0,25  2,50 


KJOO 
IfiO 
,„,,^0,18  1,80 

ioöö«'0^o.'o 

200 


;i0(X) 


0  0 


M  0  0 

500 

^  0   0 
500 

•''"  0.0 


500 
230 

500 
170 

5ÜU 
200 

500 
140 

500 
135 


0,09  1  0,45 

I 

0,06  0,30 


0,24  1,20 


0,25 


1,25 


6,10 
5,26 
3,86 
3,70 
3,75 
3,58 
3,86 


4,17 


3,16 
3,47 
3,84 
3,47 
3,28 
2,69 


240 
1000 


11,28 


2,51 


^-0,18  0,90  2,77 

280  +  3^.  1  41 
50  myi.  800  ' 

100  öl  ^^^ 


5,35  2,97 
3,30 


100 

50  ccm 
Glyzerin 

200 


810 

1000 
^55 

500 


0,08  0,64 
1,14  11,40 


2,59 


2,18 


0,78  3,90  2,55 


0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 


13540  0 
13380  0 


Starke  Reduktion. 


12850  0 

I 

12720  0 

1 

12600'  0      Etwas  Kot  gelassen. 

i 

12170  0     Spur  Aceton. 

12010  0  ' 

I 

11950  0  . 

11620  0  Kot  gelassen. 

11440  0   : 


Keine  dentl.  Drehung, 
jedoch  Spur  Gährung. 

do. 
Kot  gelassen. 

Geringe  Reduktion. 


11230  0 

I 

11020  0 

10910  0 

10760  0 

j 

10650  0 

10480  0 

10310  0 

10190  0    I 

I        I 

9720  0   ! 

9670  0   i 

i 

10950  0    ! 

10220  0 

9270  0 

9190  0 


das  Glyzerin  ein- 
gegossen. 


700  ccm  2%  NaCl- 
Lösung  subkutan. 

Öl  per  03. 

Glyzerin  einge- 
gossen. 


Die  ZuckerbildoDg  aus  Glyzerin. 


101 


In  der  zweiten  Hälfte  des  Glyzerintages  starb  der  Hund  plötzlich. 
Daraas  erklärt  sich  die  plötzliche  Verminderung  der  N- Ausscheidung: 
es  handelt  sich  eben  nur  um  eine  Teilportion  des  Tages.  Um  so 
beweisender  ist  die  überaus  starke  Steigerung  der  Zuckerausscheidung. 

Tabelle  H. 


Datum 

N 

D 

August 

1§02 

■ 

• 

D:N 

Bemerkung 

in  g 

m  g 

21/22. 

'  12,66  1  35,40 

2,8 

22./28. 

13,33 

36,20 

2,7 

23.,'24. 

12,94 

36,70 

2,8 

24./'25. 

12,99 

37,72 

2,8 

25./26. 

6,99 

45,72 

6,6 

An  diesem  Tage  50ccm  Glyzerin  per  os. 

Versuch  III.  Mittelgroßer,  gutgenährter  Dachshund.  Total- 
exstirpation  des  Pankreas  am  15.  April  1903.  Ich  teile  die  voll- 
ständige Tabelle  des  Versuchs,  der  5  Wochen  umfaßte,  aus  Gründen 
der  Raumersparnis  hier  nicht  mit  In  den  ersten  28  Tagen  hungerte 
der  Hund  vollständig  mit  Ausnahme  des .  17.  und  18.  Tages,  an 
denen  er  75  resp.  15  g  Nutrose  bekam.  Obwohl  der  Hund  bereits 
zuckerfrei  geworden  war,  trat  an  diesen  beiden  Nutrosetagen  sofort 
wieder  Zucker  auf,  und  zwar  8,5  resp.  7,0  g.  (Ich  habe  diesen 
Versuch  in  der  Arbeit  im  vorigen  Band  nicht  mehr  mitgeteilt,  weil 
es  mir  unnötig  erschien.)  Am  29.  Hungertage  bekam  der  Hund 
40  g  Olivenöl  intraperitoneal,  ohne  darauf  Zucker  auszuscheiden. 
Dagegen  erfolgte  auf  die  Verabreichung  von  20  ccm 
Glyzerin  per  os  am  31.  Hungertage  eine  Zuckeraus- 
scheidung von  6,2  g,  am  33.  Hungertage  auf  die  Verab- 
reichung von  40  ccm  Glyzerin  eine  Zuckerausscheidung 
von  14,0  g.  Am  35.  Karenztage  war  der  Harn  sofort  wieder 
zuckerfrei. 

Versuch  IV.  Großer,  magerer  Schäferhund.  Anfangsgewicht 
15,200  g;  hungert  seit  Donnerstag  den  28.  Januar  1904,  wird  am 
30.  Januar  operiert  (Totalexstirpation).^)  Der  Hund  bekommt  zu- 
nächst nichts  zu  fressen.  Der  Urin  wurde  nicht  katheterisiert,  da 
die  Hündin  bei  Druck  auf  die  Blase  stets  dieselbe  entleerte,  so  daß 
annähernd  genaue  Tagesquanten  erhalten  wurden.  ^ 

Die  Ausscheidungsverhältnisse  zeigt  Tabelle  III. 


1)  Durch  Herrn  Prof.  Küttner. 


102 


V.  Lüthje 


Tabelle   IIL 


Datum 
Febr.  1904 


Nahrung 


&    I 


o 

CO 


0) 


:c8 


0)  Md 


SR  ^^ 

'        0 


fr- 


ßemerknngen 


bis  1.  II. 
abends 

bis.  3.  II. 
n.  ÖV,  Uhr 

bis  5.  II. 
m.  11  ühr 

bis  6.  IL 
n.  4  Uhr 

bis  7.  IL 
n.  5  Uhr 

bis  8.  IL 
n.  5S  Uhr 

bis  9.  IL 
n.  5  Uhr 

bis  10.  IL 
n.  5  Uhr 

bis  11.  IL 

n.  4\'8  Uhr 

bis  12.  IL 

n.  4V2  Uhr 

bis  13.  IL 

n.  VU  Uhr 

bis  14.  IL 

n.  4V2  Uhr 

bis  15.  IL 

n.  4»/,  Uhr 

bis  16.  IL 

n.  4V2  Uhr 

bis  17.  IL 

n.  4V2  Uhr 

bis  18.  IL 
n.  4V«  Uiir 

bis  19.  IL 
n.  4V2  Uhr 

bis  2[).  IL 
n.  4V2  Uhr 

bis  21.  IL 

n.  4V2  Uhr 

bis  22.  n. 

n.  4\',  Uhr 

bis  23.  U. 

n.  472  Uhr 

bis  24.  n. 
n.  4V2  Uhr 


I 


0 
0 

0 

0 

100  g  Nutrose 
-[-Wasser 

150  g  Nutrose 
+  Wasser 

500  ccm  Serum 

500  ccm  Serum 

600  ccm  Serum 
-|-  60  ccm  Glyzerin 

500  ccm  Serum     i 
-|-  80  ccm  Glyzerin 

500  ccm  Serum 
-|-100  ccm  Glyzerin 

600  ccm  Serum 
-|-100  ccm  Glyzerin 

8^0  ccm  Serum 
-|- 1 70  ccm  Glyzerin 

1000  ccm  Serum 
-|- 250  ccm  Glyzerin 

1000  ccm  Serum 
-)- 300  ccm  Glyzerin 

1200  ccm  Serum 
-1-360  ccm  Glyzerin 

1000  ccm  Serum 
-{-320  ccm  Glyzerin 

1200  ccm  Serum 
-)-270ccm  Glyzerin 

1200  ccm  Serum 
-f- 240  ccm  Glyzerin 

900  ccm  Serum 
4-  lOOccm  Glyzerin 

I    1200  ccm  Serum 
|-|-240ccm  Glyzerin 

I    1200  ccm  Serum 
,  -|-  240  ccm  Glyzerin 


680 

1000 

460 

lOQO 

520 

1000 

420 

600 

1190 

2000 

1460 


2100 

150 

590 

m 

700" 

1350 

150Ö 

1650 

2000 

2150 

2300 

2400 

2500 

3750 

380(j 

5180 

520Ö  ^^*'^ 

5890 ' 

5900  ^*^'^ 


16,00 
5,00 
1,50 
0 
24,00 
35,70 
3,50 
0 

6,00 
39,00 
41,40 
57,50 
89,30 


20,16     0       0 


9,74 
7,39 


0       0 


0       0 


3,14  0  0 

I 

14,56'  0  '    0 

18,11  0  0 

I  I 

4,40  0  0 

5,10  0  0 

5,30'  0  0 

i  ' 

6,60;  0  0 


6,00 


0    ,    0 


6,73'  0  0 

11,28-  0  I   0 

i 

7,85  0  0 

10,56  0  0 


6900  158,70  12,35     0 


6050 


4920, 
5000  ^^^'^ 


4000 


5800 

4760 

4800 


104,40  10,09     0 


115,20  ,  9,41  ;   0 


0 


9,88     0       0 


14,500 


13,000 


12,500 


630O  126,00    9,89  0  0    12,300 

10,90  0  ,   0 

t  ' 

70,00  10,32  0  0 


0 
0 


12,200 


Anfangsgew.  15,2  kg 


Aceton  0 


Aceton  0 


Aceton  0 
Serum  lU 

Serum  HI 
Serum  lU 

Serum  III 

Serum  IV 
Kein  Aceton 

Serum  IV 
Serum  VI 

Serum  VI 

Serum  VI 
Kein  Aceton 

Serum  VI 
Kein  Aceton 


Kein  Aceton 


Kein  Aceton 


Die  Znckerbildung  aus  Glyzerin.  103 

Zu  der  Tabelle  ist  folgendes  zu  bemerken.  Die  Zuckeraus- 
scheidung ist  während  der  ersten  Karenztage  nicht  sehr  erheblich 
und  wird  bereits  am  7.  Hungertage  =  0.^)  An  den  beiden  fol- 
genden Tagen  erfolgte  auf  Zufuhr  von  Nutrose  eine  prompte,  sehr 
erhebliche  Zuckerausscheidung.  Am  9.  und  10.  werden  je  500  ccm 
körperchenfreies  Kinderserum  gegeben,  die  sehr  gierig  getrunken 
werden. 

Vom  11.  Februar  ab  werden  mit  dem  Rinderserum  täglich 
größere  Mengen  von  Glyzerin  gegeben  (bis  zu  360  g  pro  die!). 
Das  Glyzerin  wurde  mit  dem  Serum  gemischt  sehr  gern  genommen, 
niemals  zeigten  sich  irgendwelche  schädliche  Neben- 
wirkungen. Die  Absicht  war,  diese  Glyzerinflitterungen  so  lange 
fortzusetzen,  bis  eine  Zuckerausscheidung  erzielt  war,  die  unmöglich 
durch  Ausschwemmung  erklärt  werden  konnte.  Die  Diurese  stieg 
unter  der  Wirkung  des  Glyzerins  außerordentlich.  (Die  täglichen 
Urinmengen  betrugen  zeitweise  bis  zur  Hälfte  des  Körperge- 
wichtes.) -) 

Die  täglichen  Zuckerausscheidungen  sind,  wie  die  Tabelle  zeigt, 
sehr  erhebliche;  sie  schwanken  in  ihrer  Größe  ganz  deutlich  mit 
der  Größe  der  verabreichten  Glyzerinmenge. 

Insgesamt  wurden  bis  zum  24.  Februar  1904  1408,4  g 
Zucker  ausgeschieden. 

Der  Hund  wog  im  Anfang  rund  15  Kilo,  dem  würden  bei  der 
Annahme  eines  präexistierenden  Glykogengehaltes  von  11  g  pro 
Kilo  Tier  entsprechen  165  gr  Glykogen  =  183  g  Zucker 
(rund),  bei  Annahme  des  maximalsten  Glykogengehaltes  von  40  g 
pro  Kilo  Tier  600  g  Glykogen  =  664  g  Zucker  (nind). 

Im  ersten  Fall  würden  ungedeckt  bleiben 
1408—183  =  1225  g  Zucker,  im  zweiten  Fall  1408-664  = 
744  g  Zucker. 

Als  Zuckerbildner  kommen  in  Betracht  das  verfütterte  Eiweiß 
und  das  Glyzerin.  (Die  geringen  Mengen  des  im  Serum  enthaltenen 
Zuckers  spielen  keine  Rolle.)  Der  Hund  hat  während  der  ganzen 
Versuchszeit  209,8  g  Stickstoff  ausgeschieden.     Nehme  ich  an,  daß 


1)  Bei  der  Sektion  des  Hundes  konnte  keine  Spur  eines  Pankreasrestes 
makroskopisch  entdeckt  werden.  Erheblichere  Verwachsungen  waren  nicht  ein- 
getreten, so  daß  die  Verhältnisse  sehr  übersichtlich  lagen.  Die  mikroskopische 
Untersuchung  steht  noch  aus. 

2)  Inwieweit  sich  diese  Verabreichung  größerer  Glyzerin  mengen  zu  diure- 
tischen  Zwecken  bei  bestimmten  Krankheitszuständen  verwenden  läßt,  ist  zur- 
zeit Gegenstand  der  Prüfung  auf  unserer  Klinik. 


104  V.  Lüthje,  Die  Zuckerbüdnng  aus  Glyzerin. 

bei  der  Zersetzung  des  entsprechenden  Eiweißes  auf  1  g  N  3  g  Zucker 
kommen  würden,  so  wären  durch  den  Eiweißumsatz  gedeckt :  rund 
630  g  Zucker.  Es  würden  dann  immer  noch  ungedeckt  bleiben 
und  könnten  nur  aus  dem  Glyzerin  entstanden  sein 
595  g  Zucker  (bei  Annahme  eines  Glykogengehaltes  von  11g 
pro  Kilo  Tier)  oder  114  g  Zucker  (bei  Annahme  eines  prä- 
existierenden Glykogengehaltes  von  40  g  pro  Kilo  Tier). 

Also  selbst  bei  den  ungünstigsten  Annahmen  bleibt  ein  Zucker- 
rest, der  nur  aus  Glyzerin  gebildet  sein  kann.  Daß  diese  un- 
günstigen Voraussetzungen  bei  diesem  Hunde  zutreffen,  ist  ganz 
unwahrscheinlich,  denn 

1.  war  der  Hund  zu  Anfang  des  Versuches  schlecht  genährt; 
er  wird  also  voraussichtlich  nicht  sehr  viel  Glykogen  vorrätig  ge- 
habt haben. 

2.  W  ird  ja  ein  Teil  des  Zuckers  selbst  beim  pankreaslosen 
Hund  immer  noch  zersetzt,  in  Wirklichkeit  wird  also  die  Zucker- 
bildung noch  größer  gewesen  sein.  So  sehen  wir  jedenfalls,  daß 
an  dem  Tage  vor  der  Glyzerindarreichung  nach  Verfütterung  von 
500  ccm  Serum  überhaupt  kein  Zucker  ausgeschieden  wird.  Wir 
dürften  also  vielleicht  den  zur  Ausscheidung  gelangten  Zucker  ganz 
aus  dem  verfütterten  Glyzerin  herleiten. . 

Ich  glaube,  daß  man  auf  Grund  dieser  Versuche  an  einer 
Zuckerbildung  aus  Glyzerin  nicht  mehr  zweifeln  darf. 

Die  N-Bestimmungen  des  verfütterten  Serums  füge  ich  bei: 

Serum  III  =  1,109  %  N 

Serum  IV  =  1,148  ^/o  N 

Serum  VI  =  1,105%  N. 

Der  Hund,  der  zu  dem  letzten  Versuche  diente,  lebte  noch 
eine  Eeihe  von  Tagen  weiter.  Es  traten  aber  vom  25.  Februar  ab 
andere  Versuchsbedingungen  ein. 


VL 

Aus  der  I.  deutschen  medizinischen  Klinik  in  Prag 
(Vorstand  Hofr.  Prof.  Pfibrani). 

Über  Hypoleukozytose  beim  Abdominaltyphus  und 

anderen  Erkrankungen. 

Von 

Lndwig  Käst  und  Carl  Gütig. 

(Mit  2  Kurven.) 

Das  Interesse  der  hämatologischen  Arbeiten  aus  den  letzten 
Jahren,  die  sich  mit  qualitativen  und  quantitativen  Veränderungen 
der  geformten  Blutbestandteile  befaßten,  war  hauptsächlich  der 
Vermehrung  der  Leukozyten  im  kreisenden  Blute,  der  Hyper- 
leakozytose,  gewidmet.  Die  Frage  der  Hyperleukozytose,  die  noch 
lange  nicht  nach  allen  Eichtungen  beantwortet  ist,  hat  eine  un- 
absehbare Literatur  gezeitigt  entsprechend  der  hohen  Bedeutung, 
die  ihr  zweifellos  zukommt  in  dem  Prozesse,  durch  welchen  sich 
der  menschliche  Organismus  gegen  geformte  und  ungeformte  Gifte 
zu  schützen  sucht  In  diesem  Prozesse  spielt  aber  auch  die  Hypo- 
leukozytose ihre  Rolle;  in  der  Literatur  dagegen  ei-scheint  sie  nur 
nebenbei  in  Betracht  gezogen,  wie  wir  glauben  mit  Unrecht  Wenn 
auch  die  Hypoleukozytose  keineswegs  so  bedeutungsvoll  erscheint, 
als  die  ungleich  häufigere  Vermehrung  der  Leukozyten,  so  gebührt 
ihr  doch  mehr  Interesse  vom  praktischen  und  theoretischen  Stand- 
punkt. Es  soll  an  anderem  Orte  der  Versuch  unternommen  werden, 
die  Gesichtspunkte  für  den  Zusammenhang  der  Leukopenie  mit 
Immunisierungsvorgängen  auseinanderzusetzen,  die  sich  auf  Grund 
experimenteller  und  pathologisch-anatomischer  Ergebnisse  gewinnen 
lassen.  Im  folgenden  seien  vorerst  die  Erfahrungen  mitgeteilt,  die 
wir  am  Krankenbette  in  bezug  auf  leukopeuische  Zustände  ge- 
sammelt haben,  dabei  behalten  wir  die  praktische  Seite  im  Auge 
und  berücksichtigen  besonders  die  Frage  nacli  der  diagnostischen 
Verwertbarkeit  der  Leukopenie  beim  Abdominaltyphus.  Erstens 
ans  dem  Grunde,  weil  uns  ein  außerordentlich  reiches  und  mannig- 
faltiges Material  von  Abdominaltyphen  zur  Verfügung  stand  und 


106  VI.  Käst  u.  Gütig 

zweitens,  weil  der  Typhus  wohl  die  häufigste  Erkrankung  ist,  die 
mit  Hypoleukozytose  einhergeht,  und  deren  Diagnose  am  erfolg- 
reichsten sich  dieses  Symptomes  bedienen  kann. 

Die  meisten  fieberhaften  Infektionskrankheiten  gehen  mit  Ver- 
mehrung der  Leukozyten  einher.  Nur  wenige  lassen  eine  solche 
vermissen  und  unter  diesen  am  häufigsten  der  Abdominaltyphus. 
Es  hat  gute  Weile  gebraucht,  ehe  sich  diese  Erfahrung  durch- 
ringen konnte,  ihr  stand  die  Behauptung  Virchow's  im  Wege, 
daß  bei  allen  Krankheiten,  die  mit  Reizung  drüsiger  Elemente  ein- 
hergehen, demnach  auch  beim  Typhus  die  Leukozyten  vermehrt 
seien.  Viel  wird  auch  auf  Rechnung  des  Mißverständnisses  mancher 
Autoren  zu  setzen  sein,  daß  die  Vermehrung  der  Leukozyten  parallel 
den  Schwankungen  der  Temperatur  verlaufe. 

Halla  war  der  erste,  welcher  die  Angaben  Virchow's  in 
Zweifel  zog.  Ihm  schlössen  sich  Tumas,  Hayem,  von  Lim- 
beck  und  viele  andere  mit  bestätigenden  Beobachtungen  an.  ^) 
Allerdings  diflerieren  die  Angaben  der  einzelnen  Autoren  nach  zwei 
Richtungen,  das  sind  die  Verläßlichkeit  des  Symptoms  und  die  Alte- 
ration desselben  bei  Hinzutreten  einer  nichttyphösen  Komplikation. 

Unsere  Untersuchungen  hatten  folgenden  Weg  genommen.  Vor- 
erst hatten  wir  einige  Fälle  von  sicherem  Typhus  systematisch  und 
durch  längere  Zeit  hindurch  häraatologisch  untersucht,  wir  fanden 
nicht  nur  eine  deutliche  Verminderung  der  Leukozyten,  sondern 
auch  die  relative  Verschiebung  der  Leukozytenarten,  wie  sie  in  aus- 
gezeichneter Weise  von  Türk  und  von  Nägeli  beschrieben  worden 
sind,  zwar  nicht  in  allen  Fällen  ausgeprägt,  aber  doch  in  den 
Grundzügen  meist  deutlich  erkennbar.  Wir  suchten  dann  an  mög- 
lichst großem  Materiale  die  diagnostische  Verwertbarkeit  der  Leuko- 
zytenzählung zu  prüfen  und  behielten  drei  Fragen  besonders  im 
Auge,  die  Frühdiagnose,  den  Einfluß  nichttyphöser 
Komplikationen  auf  das  Blutbild  und  die  Differential- 
diagnose. Im  Sinne  der  ersteren  trachteten  wir  unsere  Fälle 
möglichst  frühzeitig  zu  untersuchen.  Es  wurde  gewöhnlich  am 
Tage  der  Aufnahme  oder  an  dem  nächstfolgenden  das  Blut  zum 
ersten  Male  entnommen.-) 

Bei   dem   Umstand,   daß   die   Kranken,   aus   denen    sich   das 

1)  Genaue  diesbezügliche  Literatnrangaben  finden  sich  in  diesem  Archiv 
Bd.  67  Heft  3  u.  4. 

2)  Die  Technik  unserer  Blutuntersuchungen  ist  die  ttbliche,  konform  den 
Ausführungen  T  ü  r  k  s  (Wiener  klin.  Wochenschr.  1902,  28  u.  29).  Selbstver- 
ständlich achteten  wir  darauf,  daß  unsere  Untersuchsresultate  nicht  durch  medi- 
kamentöse oder  anderweitige  therapeutische  Eingriffe  getrübt  wurden. 


über  Hypoleukozytoge  etc.  107 

Spitalsmaterial  zusammensetzt,  doch  wohl  in  der  Begel  erst  dann 
ärztliche  Hilfe  in  Anspruch  nehmen,  wenn  sie  derselben  dringend 
bedürfen,  ist  es  begreiflich,  daß  im  Spital  selten  Gelegenheit  ge- 
boten ist,  in  den  allerersten  Tagen  der  Typhuserkrankung  eine 
Blutuntersuchung  vorzunehmen.  Viel  größer  sind  die  Chancen  hie- 
fur  in  der  Privatpraxis;  es  wäre  sehr  erwünscht,  wenn  von  dieser 
Seite  Erfahrungen  nach  der  Richtung  gesammelt  würden. 

Wir  entDahmen  Blut,  zumal  gegen  Eade  unserer  Untersuchungsreihe 
allen  Fällen,  die  einigermaßen  bei  der  ersten  allgemeinen  Untersuchung 
typhuBverdächtig  erschienen.  Für  unseren  speziellen  Zweck  kam  uns  der 
Umstand  sehr  zu  statten,  daß  in  den  Monaten  November  Dezember  1902 
ein  außergewöhnlich  starkes  Aufflackern  der  in  Frag  permanenten 
Endemie  auftrat  und  an  manchen  Tagen  bis  10  Typhusfälle  zur  Auf- 
nahme gelangten.  Unter  solchen  Umständen  richtet  sich  begreiflicher- 
weise der  Typhusverdacht  auf  mehr  Aufnahmefalle  als  unter  anderen 
Verhältnissen,  eine  Bedingung  mehr^  sich  über  den  dififerentialdiagnosti- 
8chen  Wert  einer  Untersucbungsmethode  orientieren  zu  können. 

Das  Alter  der  Patienten,  die  von  uns  untersucht  wurden, 
schwankte  zwischen  12  und  80  Jahren,  die  überwiegende  Mehr- 
zahl befand  sich  zwischen  dem  19.  und  24.  Lebensjahr. 

ünt^r  148  typhussuspekten  Fällen  erwiesen  sich  durch  den 
weiteren  Verlauf  und  positive  Agglutinationsbefande  103  als  sichere 
Typhen,  in  weiteren  43  lagen,  wie  dies  aus  den  klinischen  Erschei- 
nungen und  fehlender  Agglutination  mit  Bestimmtheit  hervorging, 
andersartige  Erkrankungen  vor;  in  den  übrig  bleibenden  2  Fällen 
waren  durch  längere  Zeit  große  diagnostische  Schwierigkeiten  vor- 
handen. Aus  diesem  Grunde  sind  sie  weiter  unten  des  genaueren 
geschildert.  Mit  Nachdruck  heben  wir  hervor,  daß  als  sichere 
Typhen  an  unserer  Klinik  seit  längerer  Zeit  und  so  auch  in  unseren 
Fällen  nur  diejenigen  Krankheitsfälle  betrachtet  wurden,  deren 
Blutserum  nicht  allein  Bakterien  der  Typhusgattung ^)  agglutiniert, 
sondern  auch  den  von  Z  u  p  n  i  k  und  P  o  s  n  e  r  ermittelten  Typhus- 
charakter im  Agglutinationsbefunde  aufweisen;  auf  die  Einzel- 
heiten dieser  Agglutinationsbefunde  können  wir  an  dieser  Stelle 
nicht  näher  eingehen  und  verweisen  aus  diesem  Grunde  auf  die 
diesbezügliche  Publikation  beider  genannten  Autoren.  Von  den 
103  Typhen  verliefen  21  letal*).  89  genasen,  darunter  53  nach 
leichtem,  31  nach  mehr  weniger  schwerem  Verlauf. 

1)  cf.  Zupnik,  Prager  med.  Wochenschrift  19(>4  Nr.  13. 

2)  Die  hohe  Ziffer  für  die  Mortalität  erklärt  sich  aus  dem  Umstände,  daß 
im  Beginne  unserer  Untersuchungsreihe  nur  schwere  FäUe  hämatologisch  unter- 
sucht wurden. 


108  VI.  Kast  u.  Gcno 

Die  früheste  Untersuchung  konnten  wir  am  4.  Tage  nach  dem 
ersten  Auftreten  der  subjektiven  Symptome  vornehmen  an  2  Fällen^ 
am  5.  Tage  an  einem  Fall,  zwischen  6. — 10.  Tage  an  39  FäJlen,  10. — 20. 
Tage  an  26  Fällen,  20. — 30.  Tage  an  14  Fällen,  bei  den  übrigen  war 
keine  verläßliche  Angabe  über  Dauer  der  Erkrankung  zu  gewinnen. 

Nachdem  wir  einige  Erfahrung  gesammelt  hatten,  schien  es 
uns  zweckmäßig,  gewisse  Zahlengrenzen  anzunehmen,  innerhalb 
w^elcher  die  Befunde  für  oder  gegen  Typhus  zu  deuten  wären.  Am 
besten  hat  sich  uns  folgende  bewährt.  Wir  nannten  Leukozyten- 
zahlen unter  7000  . . .  hämatologisch  positiv  („häm.  -|-")  im  Sinne 
der  Diagnose  Typhus  abdominalis.  Leukozytenzahlen  7000—9000 
hämatologisch  zweifelhaft  („häm.  ?"),  über  9000  hämatologisch 
negativ  („häm.  — ").  Hierbei  sei  gleich  ausdrücklich  bemerkt,  daß 
diese  Zahlen  nur  bei  mit  Fieber  einhergehenden  Affek- 
tionen zur  Anwendung  gelangen  können  und  daß  fieberlose  Er- 
krankungen nicht  in  diese  Einteilung  einbezogen  werden  dürfen. 

Nach  dieser  Einteilung  gruppiert  sich  unser  Material  in  folgen- 
der Weise:  Unter  den  53  leicht  verlaufenen  Fällen  waren 

„häm.+"  47 
„häm.  ?"  4 
„häm.  — "      2 

Unter  den  31  schweren  Fällen  waren 

„häm.H-"    30 


» 


häm.    ?"      1 
,häm.  — "      0 


Unter  den  21  letal  verlaufenen  Fällen  w^aren 

„hära.-f"  20 
„häm.  ?"  1 
„häm.  — "      0 

Das  bezieht  sich  bei  sämtlichen  Fällen  auf  die  erste  Unter- 
suchung des  Blutes,  die  für  die  Frühdiagnose  wichtigste.  (So  bot 
z.  B.  der  tödlich  verlaufene  Fall,  der  bei  der  ersten  Untersuchung 
„häm.  ?"  war,  bei  den  folgenden  Untersuchungen  Werte  bis  zu  1700 
hinunter.)  Es  waren  demnach  unter  103  Fällen  bei  der 
ersten  uns  möglich  gewesenen  Untersuchung  97  Fälle 
„häm.  -f ",  das  sind  92,4 <>/o;  6  Fälle  waren  „häm.  ?",  2  waren 
„häm.  — ".  Bemerkt  sei,  daß  hier  keine  Rücksicht 
darauf  genommen  ist,  ob  die  Fälle  kompliziert  w^aren 
oder  nicht. 

Wir   sprechen  vorläufig  nur  von  den   absoluten  Leukozyten- 


über  Hypoleukozytose  etc.  109 

zahlen;  daß  eine  eingehendere  Würdigung  der  Details  der  Lenko- 
zytengruppiemng  einen  viel  wertvolleren  Beitrag  zur  Diagnose 
bieten  kann,  darüber  weiter  unten,  ebenso  über  den  Grund,  daß 
wir  7000  als  die  obere  Grenze  des  „häm.  -{-"-B^fiindes  gewählt  haben. 

Der  zweite  Punkt,  dem  unser  besonderes  Interesse  galt,  war 
der  Einfluß  nicht  typhöser  Komplikationen  auf  das  Blutbild.  Die 
in  der  Literatur  niedergelegten  Beobachtungen  lassen  keine  ein- 
heitliche Auffassung  zu.  Die  Angaben  sind  zu  differierend.  Hayem 
behauptet  bei  komplizierten  Typhen,  —  er  berichtet  über  Pneumonie, 
Enteritis,  Angina,  Bronchitis  —  sehr  häufig  deutliche  Hyperleuko- 
zytosen  gesehen  zu  haben.  Tumas,  Bieganski,  Sadler  fanden 
mitunter  ansehnliche  Hyperleukozytosen  durch  Komplikationen  be- 
dingt. Klein  ist  der  Ansicht,  daß  jede  Komplikation  des  Ab- 
dominaltyphus mit  Vermehrung  der  neutrophilen  Leukozyten  ein- 
hergeht. Dies  entspricht  sicherlich  nicht  den  Tatsachen.  G  r  a  w  i  t  z 
betont  das  Auftreten  von  Hyperleukozytosen  bei  pneumonischen 
Infiltrationen,  während  Limb  eck  gerade  bei  dieser  Art  von 
Komplikation  eine  Vermehrung  der  Leukozyten  oft  vermißt.  Kühn 
und  Suckstorff  schlössen  sich  mit  ähnlichen  Befunden  an. 
Widern ann  gewann  den  Eindruck,  daß  die  Neigung  zur  Leuko- 
penie auch  in  manchen  mit  nicht  typhösen  Erkrankungen  kompli- 
zierten Fällen  fortbestehe;  dagegen  stieß  er  auf  eine  beträchtliche 
Hypoleukozytose  (verbunden  mit  Lymphozytensturz)  bei  einer  nach 
der  Entfieberung  dazugetretenen  peripheren  Neuritis.  Kölner  be- 
richtet über  komplizierte  Fälle,  die  teils  mit,  teils  ohne  Vermehrung 
der  Leukozyten  einhergingen.  Halla  hat  eine  größere  Zahl  ver- 
schiedener Komplikationen  ohne  Vermehrung  der  Leukozyten  ver- 
folgen, können. 

Rieder  beobachtete  weitere  Verminderung  nach  Dazutreten 
einer  Komplikation.  Cabot  fand  erhebliche  Anstiege  nach  Kompli- 
kationen mit  Perforationsperitonitis,  Phlebitis,  Otitis  media,  Glutäal- 
abszeß.  N  ä  g  e  1  i  führt  eine  Reihe  von  Fällen  an,  wo  zugleich  mit 
der  Komplikation  eine  Vermehrung  der  Leukozyten  eingetreten 
war,  darunter  Parotitis,  hämorrhagische  Nephritis  und  Gonorrhoe, 
Cystitis,  Otitis,  stärkerem  Durchfall,  andererseits  blieb  dieselbe  aus 
bei  Bronchitis,  leichter  Bronchopneumonie,  Mammaabszeß,  Venen- 
thrombose, Osteomyelitis.  Becker  sah  die  Leukopenie  Ijestehen 
bleiben  trotz  Hinzutreten  einer  tödlichen  Nephritis. 

Aporti  undRadaeli  fanden  mitunter  Vermehrung  bei  Kom- 
plikation, mitunter  auch  nicht.  Ourschmann  ist  der  xlnsicht, 
daß  Komplikationen,  die  an  sich  Hyperleukozytose  bedingen,  eine 


110  VI.  Käst  u.  Gütig 

Vermehrung  der  Weißen  bis  zur  normalen  Zahl  oder  über  dieselbe 
hinaus  auch  beim  Typhus  zur  Folge  haben.  Aus  Neußer's 
Klinik  berichtet  Blum  über  einen  Fall  mit  lobulärer  Pneumonie, 
der  letal  verlief  und  12  300  Weiße  hatte.  Houston  sah  bei  einem 
sehr  eingehend  geschilderten  Fall  trotz  Phlebitis  und  eines  Abszesses 
die  Leukozytenzahl  nicht  über  4900  steigen. 

Es  ist  schwer,  diese  und  andere  in  der  Literatur  angeführten 
Beobachtungen  kritisch  zu  sichten.  Die  Angaben  mancher  Autoren 
sind  zu  allgemein  gehalten,  es  wurde  auch  nicht  immer  berück- 
sichtigt, ob  die  nötigen  Garantien  für  das  tatsächliche  Bestehen 
eines  Abdominaltyphus  gegeben  waren,  abgesehen  davon,  daß 
manche  Befunde  älteren  Datums  mit  Untersuchungsmethoden  er- 
hoben wurden,  die  einer  strengen  Kritik  heute  nicht  mehr  stand- 
halten. Auch  die  uns  wichtig  erscheinende  Angabe,  in  welchem 
Stadium  des  Typhus  die  Komplikation  dazugetreten  war,  fehlt  vielfach. 

Da  von  kompetenten  Autoren  sowohl  über  Vermehrung  der 
Leukozyten  als  auch  über  das  Fehlen  einer  solchen  berichtet  wird, 
muß  angenommen  werden,  daß  das  Verhalten  des  Blutbildes  beim 
komplizierten  Typhus  ein  wechselndes  sein  könnte.  Inwieweit  die 
diagnostische  Brauchbarkeit  der  Leukozytenzahlen  dadurch  beein- 
trächtigt wird,  muß  weiteren  Beobachtungen  vorbehalten  bleiben. 
Im  folgenden  ein  Beitrag  hierzu. 

Unter  unseren  Fällen  waren  40  kompliziert. 

Dabei  verstehen  wir  unter  nichttyphösen  Komplikationen  einerseits 
physiologische  Zustände :  Gravidität  und  Status  post  partum,  andererseits 
exsudative  und  Eiterungsprozesse,  bei  denen  mit  aller  Wahrscheinlichkeit 
andere  Mikroorganismen  im  Spiele  sind  als  der  Eberth-Gaff ky 'sehe 
Bazillus.  Wenigstens  wurden  bei  allen  unserer  Fälle,  bei 
denen  eine  bakteriologische  Untersuchung  des  Eiters 
möglich  war,  von  Herrn  Assistenten  Dr.  Zupnik  stets 
nur    Staphylococcus   pyog.    aur.    gefunden. 

Unter  unseren  40  Fällen  waren  25  bereits  zur  Zeit,  als  die 
erste  Blutuntersuchung  möglich  war,  kompliziert,  davon  verliefen 
6  letal.    Von  den  25  Fällen  waren 

20  „häm.  +" 

3  „häm.  ?" 

2  „häm.  — ", 
d.  h.  in  80  7o  derjenigen  Fälle,  die  von  allem  Anfang  an  eine  nicht- 
typhöse   Komplikation    aufwiesen ,    blieben   die    Leukozytenzahlen 
unter  7000.     In  folgender  Tabelle  sind  die   erwähnten  Fälle  mit 
ihren  Details  zusammengestellt. 

Die  in  den  Tabellen  mit  einem  Kreuze  bezeichneten  Fälle  gelangten 


über  Hypoleakozf  tos 


111 


mr  Sektion.  Bei  diesen  Fällen,  wo  wir  dank  der  Liebenswürdigkeit  des 
Herrn  Hofrat  Prof.  Dr.  Cbiari  Einsicht  ins  SektionspiotokoU  nehmen 
koiu]t«n  haben  wir  an  Stalle  der  klinischen  Diagnose  stets  die  patho- 
logisch-anatomische  angeführt. 


Tabe 


Mannt 

Weib 
Weib 
Weib 


ötiÜ012ÜU, 


itadio  necroa.  (Tui  .. 
lienia  acutas.  Degeoeratio  paren- 
chymatosa),  Pneumonialob.rtextr, 

Decnbitns  mnltiplex. 
T.  a.  in  stadio  nlcer.  Bronchitis 
sup^nrativa.  Pneuinoaia  lob.  inf. 
utnusque.  Endometritis  ichorosa. 
Salpingitis  sapp.  bil.    Decubitus    - 
T.  a.  in  stadio  uicerationis.  Peri- 
tonitis ichorosa  diffusa  e  perfo- 
ratione  ulc.    Pnenm.  lob.  inf.  bil. 
T.  a.  in  stadio.  necr.  (Tumor  1. 
ac.  Deeen.  parench.)   Pnenmonia 
lobnl.  lobi  inf.  sin. 
Cblorosig,  Bronchitis  diffusa. 

Anaemta  sec.  gravis. 

IcteniB  gravis,  Acne  vulg. 

Vaginilis,  Oophoritis,  Urethritis. 

BroncliitiE  diffusa. 
Urethritis  acuta.  Malaria  peracta. 
Status  post  partum  ante  hebd  IV. 

Status  post  partum  ante  hebd  IV. 
T.  ft.  in  stadio  inliltr.  (Tnraor 
lienis  acutus,  Degeneratio  paren- 

cliymatosa)  Marciditas  ntep. 
Status  post  partum  ante  hebd  IV. 
Status  pust  partum  ante  hel>d  IV. 

T.  a.  in  studio  necr.  (Tumor 


112 


VI.  Käst  n.  Gdtio 


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Dauer 

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Art  der  Komplikation 


26  jähr.  Weib         9  Tage 


26 


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n 


3200 1300,  spärlich'  0 


4300  800 


28 
20 
19 


n 


n 


n 


[11 

I  9 

15 


n 


1950J  400 
4500  2000 
17C0  600 


0 
0 
0 


0 
0 
0 


Graviditas  mensis  VI.  Angina, 
Urethritis,  Ulcera  molia,  Bron- 
chitis diffusa. 

T.  a.  in  stadio  necr.  (Tumor  1. 

ac.  Degener.  parenchymatosa) 
Enterorrhagiae  subsequente 
I  anaemia  uuivers.  eximia.  Morb. 
Brigthi  acutus.  Endocard.  chron. 
I        Herpes  labial,  et  genital. 

i  Periostitis  ( Abscessus). 

Periostitis  (Abscessus). 

T.  a.  in  stadio  ulcer.  (Tumor 

lienis  ac.  Degener.  parench.) 

Ulcera  lab.  mm. 


» 


ham.  V 


38jähr.  Weib  16.  8900  1800  0  Graviditas  mens.  IX 
26 jähr.  Weib  18.  8200  800  spärlich  Graviditas  mens.  VI 
ISjähr.  Mann    10.    8800    2800        0        Pneumonie 

„häm.  —" 

Die  beiden  hierher  gehörigen  Fälle  wollen  wir  näher  ausführen. 

Fall  I.  A.  K.,  34 jähriger  Mann,  erkrankte  eine  Woche  vor 
Spitalseintritt  mit  Kopfschmerzen,  Hitzegefühl,  Schüttelfrost,  zahlreichen 
Diarrhöen.  Die  Fieberbewegungen  während  des  Spitalsaufenthaltes  sind 
aus  Kurve   1   ersichtlich. 

Über  den  Lungen  diffuse  ausgedehnte  Rasselgeräusche,  am  Abdomen 
ein  roseola-verdächtiges  Exanthem.  Milz  perkussorisch  vergrößert.  !Diazzo 
I.  und  n.  positiv,  E  =  0,  Z  =  0.  Die  wiederholt  vorgenommene  hama- 
tologische  Untersuchung  ergab  stets  Hyperleukozy tosen  von  10  000  bis 
12  000  Leukozyten,  hei  denen  die  Vermehrung  auf  die  neutrophilen  poly- 
morphkernigen zurückzuführen  war.  Eosinophile  äußerst  spärlich.  Lympho- 
zyten, Erythozyten  normal.     Jodreaktion*)  negativ. 

Die  von  Dr.  Zupnik  vorgenommene  bakteriologische  TJntersachung 
wies  folgendes  Kesul tat  auf :  Das  Blutserum  agglutiniert  in  der 
Verdünnung  1:40  weder  Typhus  noch  die  beiden  Paratyp  hu s- 
arten.  Weder  im  Blute  noch  im  Stuhl  und  Harn  konnten 
trotz  der  genauesten  wiederholten  Untersuchungen 
Typhusbazillen   nachgewiesen    werden.      Aus    diesem  Grunde 

1)  Wir  haben  an  einem  großen  Teile  unserer  Fälle  auch  die  Jodreaktion 
der  Leukozyten  geprüft,  ohne  aber  bestimmte  Anhaltspunkte  für  die  Verwertung 
dieser  Reaktion  gewonnen  zu  haben. 


Übel  Ujpoleukozjtoae  e 


wurde  trotz  der  groBen  Ähntichkett  im  klinüchen  Bilde  mit  AbdomiiiBl- 
tTphiiB  diese  Erkrankimg  auBgeschlaiBeD. 


Fall  n.  A-  8.,  28jährigea  Weib.  Seit  14  Tagea  leidet  Patientin 
an  !Kopf-,  Brustschmerzen  und  starkem  fieber.  Die  Temperaturbewe- 
gnngen    während   des  Spital  auf eiith  altes  aus  Kurve  2  ersichüich. 


S^l 


Longe  frei,  Uilz  perkiusorisofa  vergrößert  nachweiabar,  keine  Bo- 
seola.    Eiweiß  schwache  Trübung,  Zucker  0. 

TToter  dem  rechten  BJppenbogen  eine  der  vergrößerten  Gallenblase 
entsprechende  Anschwellung  tastbar.  Die  einzigen  subjektiven  Be- 
schwerden der  Patientin  beziehen  sich  derzeit  auf  Schmerzen  in  der 
G^end  dieser  Anschwellung.  12000^15000  Leukozyten,  Vermehrung 
der  Nentrophllen.  Das  Blutserum  agglutiniert  in  der  Verdünnung  1  :  40 
TyphusbazÜlen.  Auf  Grund  genauerer  Agglutinationsbefnnde  wurde  die 
Diagnose  „abortiver  Typhus"  gestellt.  Wir  stellen  uns  diesen  Fall  so 
Tor,  daß  unmittelbar  nach  Ablauf  eines  Typhus  eine  mit  Fieber  einher- 
gehende Komplikation  (Cholecystitis)  ein  Fortdauern  der  typhosen  Er- 
krankung vortäuschte.  Zugunsten  dieser  Annahme  spricht  die  fast 
kritische  Entfieberung  und  die  hohe  Leukozytenzabl. 

Dentecbu  Archiv  t.  kUn.  Uedizin.    LXXX.  Bd  8 


114 


VI.   Käst  u.  Gctio 


In  den  folgenden  Fällen  war  es  uns  möglich  in  der  Zeit  vor 
und  nach  dazu  getretenen  Komplikationen  das  Bliit  zu  unter- 
suchen. 


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Lenkozytenzahl 


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Lymphozyten 


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Jodreaktion 


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Tag  des  Hinzn- 
tretens  derselben 


Absolute 
Leukozytenzahl 


davon 
Lymphozyten 


Azidophile 


Jodreaktion 


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CD 

CD 


Ober  Eypolenkozjtose  etc.  J15 

Einige  Fälle  wnrden  sclieinbar  zweifelhaft,  blieben  aber  tat- 
sächlich positiv,  da  das  Ansteigen  der  absoluten  Lenkozytenzahl 
auf  die  Lymphozyten  znrückzufiihren  wai-. 


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Azido- 

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10  Tage  43001900'  änßerst  ■ 
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ilocalisatioiie)i 
(Tumor,  lienis! 
ae,  et  intaio- 
tag  aDAem    ! 
lienis.    Bron-, 
cbitiscatarrhJ        , 

0 

lob.  bil.  Pna-         1 

1 

tulae  cutis 

tmnci. 
Parotitis 

Parotitis 


I 


Diese  Fälle  sollen  nur  als  Paradigmata  fUr  viele  andere  dienen, 
die  Tvir  in  späteren  Stadien  des  Typhus  untersnchten  und  bei  denen 
wir  ähnliche  Verhältnisse  vorfanden. 

Durch  Znoahme  der  multinukleären  Neutrophilen  wurden  negativ : 


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26jälir.  Manu 

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39001800  0 

Abszeß  in  der  Baoch- 

wand 
Großer  periiiretbraler 

45    100003900 

.28    „ 

8    „ 

290o!l400  0 

41  1 14000^1900 

30    - 

10    „    :2700  900l(l 

Parotitis 

4«   I2OO0I2OOO  0 

0 

27    „     Weib 

10    „    14300  6«)| 

0  Scbwere  Darmblutung 

1»     9000.1300' 

16    ,,    3000  800 

23  1  900o!a200. 

80     r 

1        '        1 

Iff  2900^2000; 

1 

Dainblntongen 

1 

Das  Resultat  unserer  Beobachtungen  bei  komplizierten  Typhen 
läfit  sieh  in  folgendem  zusammenfassen:  Trotz  Vorhandensein  be- 
ziehungsweise Dazutreten   von  schwerer  Bronchitis,    lobärer   und 


116  VI.   Käst  n.  Gütig 

lobulärer  Pneumonie,  mehr  weniger  schweren  Dekubituseiterungen^ 
schwerem  Ikterus,  ulceröser  Kolpitis,  Oophoritis,  Urethritis  gonor- 
rhoica, Angina  follicularis,  Periostitis,  multiplen  Abszessen,  Cystitis, 
Strumitis,  Status  graviditatis,  Status  post  partum  fanden  wir  Leuko* 
zytenzahlen  unter  7000.  Dagegen  sahen  wir  Hyperleukozytose 
nach  Hinzutreten  eines  Abszesses  in  den  Bauchdecken,  eines  großen 
periurethralen  Abszesses  und  einer  Parotitis  und  das  in  der  Zeit 
zwischen  41. — 46.  Krankheitstage  der  einzelnen  Fälle, 
wo  die  Patienten  schon  ganz  oder  nahezu  völlig  ent- 
fiebert waren.  In  3  Fällen  von  Darmblutungen  sahen  wir 
Vermehrung  der  Leukozyten,  einmal  bis  auf  29000.  Schließlich 
fanden  wir  bei  komplizierten  Typhen  ebenso  wie  bei  unkomplizierten 
das  Ansteigen  der  absoluten  Leukozyten  zahlen  gegen  Ende  des 
Typhus  bedingt  durch  starke  Vermehrung  der  Lymphozyten  be- 
ziehungsweise bedingt  durch  diese  und  gesteigert  durch  eine  Ver- 
mehrung der  Neutrophilen,  letztere  als  Folge  einer  Komplikation. 
Wir  haben  den  Eindruck  gewonnen,  daß  Komplikationen  beim 
Abdorainaltyphus  in  der  Regel  eine  Vermehrung  der  Neutro- 
philen zur  Folge  haben,  daß  aber  dieselbe  fiir  gewöhnlich  eine 
unverhältnismäßig  geringe  bleibt.  Ins  praktische  übersetzt:  Die 
Verwertung  der  Leukozytenzählung  für  dieDiagnose 
wurde  durch  nichttyphöse  Komplikationen  in  der 
weitaus  größeren  Mehrzahl  unserer  Fälle,  nament- 
lich wenn  in  den  ersten  Stadien  der  Erkrankung  die 
Blutuntersuchung  möglich  war,  nicht  alteriert.  Wir 
zögern  diesen  Satz  zu  verallgemeinern,  weil  gegenteilige  Be- 
obachtungen von  verläßlichen  Seiten  vorliegen  und  auch  wir  in 
wenigen  Fällen  die  Leukopenie  vermißten,  doch  scheint  es,  als 
wären  die  Fälle  die  seltenen,  in  denen  eine  Komplikation  die 
Leukozyten  so  hoch  hinauf  treibt,  daß  von  einer  Hyperleukoz5lx)se 
gesprochen  werden  kann.  Auf  den  schon  von  v.  Limbeck  betonten 
Umstand,  daß  leichter  gegen  Ende  des  Typhus  Vermehrung  der 
Weißen  hervorgerufen  würde,  wollen  wir  hier  besonders  hinweisen. 
Das  ist  von  großem  theoretischen  Interesse,  weniger  aber  von 
praktischem,  weil  um  diese  Zeit  in  der  Regel  die  Diagnose  Typhus 
schon  gestellt  oder  abgelehnt  sein  wird. 

Eine  gesonderte  Stellung  muß  den  Fällen  mit  Darmblutungen 
zugesprochen  werden;  posthämorrhagische  Hyperleukozytosen  sind 
in  Bezug  auf  die  provozierenden  Faktoren  anders  aufzufassen  als 
die  den  entzündlichen,  exsudativen  Prozessen  folgenden  „banalen 
Hyperleukozytosen",    das  gilt  im  allgemeinen   und   auch   für   die 


über  Hypoleukozytose  etc.  117 

Blatnngen  beim  Abdominaltyphos.  Nach  Dannblutungen  werden 
in  der  fiegel  —  mitunter  sehr  hohe  —  Hyperleukozytosen  be- 
obachtet, wir  halten  deshalb  eine  Leukozytenzählung 
für  die  Diagnose  des  Typhus  unbrauchbar,  wenn 
kurz  vorher  eine  stärkere  Blutung  vorausgegangen 
war. 

Wir  wollen  hier  noch  auf  die  niedrigen  Zahlen  hinweisen  bei 
Fällen,  die  letal  verliefen,  wobei  ein-  und  mehrkernige  an  der 
Verminderung  partizipierten.  Prognostisch  läßt  sich  dieses  Symptom 
nur  sehr  vorsichtig  verwerten,  da  auch  bei  tiefen  Leukozytenzahlen 
Fälle  zur  Genesung  kamen,  allerdings  gewöhnlich  nach  schwerem 
Verlauf;  dagegen  hat  es  den  Anschein,  als  ob  höhere  Werte  der 
Weißen,  durch  längere  Zeit  konstant  beobachtet,  eine 
günstige  Prognose  zuließen.  Lymphozytensturz  glauben 
wir  als  ein  ominöses  Symptom  ansprechen  zu  dürfen, 
auch  den  Umstand,  daß  Komplikationen,  die  gegen 
Ende  des  Typhus  dazutreten,  die  Leukopenie  noch 
tiefer  herabdrücken. 

Eine  prämortale  Hyperleukozytose  wie  sie  von  P6e  und 
Litten  angegeben  ist,  konnten  wir  nicht  konstatieren.  Wir  haben 
daraufhin  10  Fälle  untersucht  (2,  5,  6,  8,  9  Stunden  ante  mortem). 
Nur  einmal  fand  sich  eine  leichte  Erhebung  der  Leukozyten,  sonst 
blieben  sie  auf  dem  leukopenischen  Niveau  oder  sanken  noch 
tiefer. 

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Wir  haben  bisher  zu  zeigen  versucht,  daß  geringe  absolute 
Leukozytenwerte  wesentlich  zum  Krankheitsbild  des  komplizierten 
wie  unkomplizierten  Abdominaltyphus  gehören,  wir  haben  ferner 
eine  Einteilung  in  positiv,  fraglich,  und  negativ  zu  deutende 
Leukozytenwerte  vorgeschlagen.  Dabei  hatten  wir  die  für  die 
Frühdiagnose  wichtige  erste  Blutuntersuchung  im  Auge,  sie  ge- 
währt uns  einen  wertvollen  Beitrag  zur  Orientierung.  Leukozyten- 
zahlen über  9000  sprechen  umsomehr  gegen  die  Diagnose  Typhus, 
je  höher  sie  sind,  je  weniger  Anhaltspunkte  gegeben  sind  für  das 
gleichzeitige  Bestehen  eines  Typhus  und  einer  nichttyphösen 
Komplikation  und  in  je  früherem  Stadium  der  Befund  erhoben  wird. 
Leukozyten  über  12000  zu  Beginn  der  in  Frage  ste- 
henden Erkrankung  lassen  u.  E.  den  Abdominaltyphus 
mit  größter  Wahrscheinlichkeit  ausschließen.  Leukozyten- 
werte unter  7000  sprechen  für  Typhus  und  dies  umsomehr,  je  tiefer 
sie  sind.    Am  wertvollsten  sind  natürlich  Leukopenien  unter  5000 


118  VI.   Käst  u.  Gütiq 

solche  kommen  recht  Tiäufig  vor,  doch  glauben  wir  die  obere 
Grenze  höher  ansetzen  zu  können  und  zwar  aus  dem  Grunde,  weil 
die  meisten  fieberhaften  Erkrankungen,  die  eventuell  dem  Typhus 
gegenüber  in  Frage  kommen  mit  mehr  weniger  ausgesprochener 
Hyperleukozytose  verlaufen.  Nun  sind  die  absoluten  Zahlen  nur 
der  Rahmen  des  Blutbildes,  dessen  Einzelheiten  die  Verwertung 
des  Befundes  nach  der  einen  oder  anderen  Richtung  alterieren 
können.  Naegeli  und  TtLrk  haben  sehr  eingehend  die  Details 
der  Blutbilder  in  den  einzelnen  Stadien  des  Typhus  und  für 
die  einzelnen  Leukozytenarten  geschildert.  Die  fortschreitende 
Tendenz  der  Neutrophilen  zur  Abnahme,  das  Verschwinden 
der  Azidophilen,  die  leichte  Abnahme  der  Lymphozyten,  dann  der 
im  HL  Stadium  beginnende  Anstieg  der  Lymphozyten,  und  das 
weitere  Sinken  der  Neutrophilen  bis  zur  Kreuzung  der  Kurven, 
das  Wiedererscheinen  der  Azidophilen  und  stetige  Steigen  der 
Lymphozj'ten ,  und  schließlich  die  Vermehrung  der  x4.zidophilen 
und  Lymphozyten  über  die  normale  Zahl,  der  Wiederanstieg  der 
Neutrophilen  —  wenn  diese  Phasen  der  Blutveränderung  auch  nicht 
immer  exakt  in  Erscheinung  treten,  die  Tendenzen  fehlen  fast  nie. 
Diese  Sammlung  von  Einzelsymptomen  ermöglicht  es,  besonders 
wenn  einige  fortlaufende  Untersuchungen  vorliegen,  auch  dort  noch 
höchst  wertvolle  Beiträge  für  die  Diagnose  zu  gewinnen,  wo  die 
absolute  Zahl  der  Leukozyten  im  Zweifel  läßt.  Wir  versagen  es 
uns  auf  die  Einzelheiten  einzugehen,  wir  bestätigen  im  allgemeinen 
die  Beobachtungen  Naegeli's  und  verweisen  auf  dessen  Aus- 
führungen. Nur  einige  Punkte  wollen  wir  herausgreifen,  weil  sie 
für  unsere  Angaben  von  Belang  sind. 

Die  Behauptung  Naegeli's,  daß  im  allerersten  Beginn  des 
Typhus  wahrscheinlich  mäßige  Hyperleukozytose  bestehe,  halten 
wir  für  noch  nicht  genügend  erwiesen.  Wir  sahen  am  4.  und 
5.  Krankheitstag  ausgesprochene  Hypoleukozytose.. 

übrigens  ist  das  von  wenig  Belang,  denn  ehe  die  Störungen 
im  allgemeinen  Befinden  einige  Intensität  erlangen,  sind  für  ge- 
wöhnlich auch  einige  Tage  bereits  vergangen. 

Die  im  späteren  Verlauf  des  Typhus  auftretende  Vermehrung 
der  Lymphozyten  bedingt  eine  absolute  Leukozytenzahl,  die  nach 
unserer  Einteilung  nicht  mehr  als  „häm.  -+-"  zu  bezeichnen  wäre. 
Es  ist  demnach  dieser  Umstand  in  Rücksicht  zu  ziehen,  wenn  die 
erste  Blutuntersuchung  nach  dem  IL  Stadium  des  Abdominaltyphus 
vorgenommen  wird.    (Siehe  Tabelle  I.) 

Nichttyphöse  Komplikationen  bewirken  in  der  Regel  eine  Ver- 


über  Hypoleukozytose  etc.  119 

mehrnng  der  neutrophilen  Leukozyten,  nach  unseren  Erfahrungen 
zu  schließen,  bleibt  diese  Vermehrung  eine  geringgradige  und  ver- 
wischt für  gewöhnlich  die  Leukopenie  nicht.  In  den  Fällen  von 
kompliziertem  Typhus,  wo  die  Leukozytenzahlen  „häm.  ?"  oder 
%.häm.  — "  sind,  kann  die  detaillierte  Untersuchung  dahin  auf^ 
klären,  daß  eine  mäßige  Leukopenie  besteht,  zu  der  eine  gering- 
gradige Vermehrung  der  Neutrophilen  hinzugetreten  ist  und  um- 
gekehrt, wenn  bei  einem  komplizierten  typhusverdächtigen  Fall 
Werte  über  7000  gefunden  werden,  so  kann  das  noch  immer  für 
Typhus  sprechen,  wenn  z.  B.  eine  starke  Lymphozytenvermehrung 
bereits  vorhanden  ist,  der  noch  eine  mäßige  Vermehrung  der 
Neutrophilen  superponiert  erscheint.  Andererseits  kann  die  ein- 
gehendere Blutuntersuchung,  wie  wir  später  zeigen,  auch  bei  tiefen 
Zahlen  Anhaltspunkte  gegen  Typhus  ergeben,  z.  B.  bei  Sepsis,  bei 
Malaria,  Recurrens.  Kurz,  eine  rationelle  hämatologische  Unter- 
suchung, die  nur  bei  voller  Würdigung  aller  übrigen  Unter- 
suchungsresultate verwertet  werden  soll,  bietet  Gesichts- 
punkt«, wie  sie  die  einfache  Bestimmung  der  absoluten  Leukozyten- 
zahl selbstverständlich  nicht  bieten  kann.  Allerdings  gewinnt  die 
Blutnntersuchung  in  ihrer  Verwertbarkeit,  wenn  sie  von  größerer 
hämatologischer  Erfahrung  gestutzt  wird;  diese  vorausgesetzt,  be- 
haupten wir,  daß  die  hämatologische  Untersuchung  die  seltenen 
Ausnahmefälle  abgerechnet,  immer  einen  Anhaltspunkt  für  oder 
gegen  Typhus  ergibt,  für  die  Frühdiagnose  zumindest  so  verläßlich 
wie  jedes  andere  Typhussymptom.  Mehr  als  ein  Symptom  kann 
der  Blutbefund  auch  nicht  sein.  Wir  müssen  es  aber  als  ungerecht 
bezeichnen,  wenn  diesem  Symptom  gar  keine  oder  nur  nebenbei 
eine  Würdigung  zugesprochen  wird,  aus  dem  Grunde,  weil  der 
Blutbefnnd  unter  gewissen  —  unseres  Erachten  s  seltenen  Um- 
ständen —  für  die  Diagnose  nicht  verwertbar  wird.  Mit  dieser 
Argumentation  könnte  man  jedes  beliebige  Symptom  abtun.  Als  ein 
Symptom  darf  der  Blutbefnnd  auch  nicht  aus  dem  Zusammenhang 
mit  dem  klinischen  Symptomenkomplex  gerissen  werden,  ein  Stand- 
punkt, den  schon  N  a  e  g  e  1  i  präzisiert  hat.  Wir  gehen  noch  weiter 
und  behaupten,  daß  eine  Krankengeschichte  über 
einen  zwei  feihaften  Typhus  fall  nicht  als  klinisch  voll- 
ständig gelten  kann,  wenn  sie  nicht  auch  die  Angabe 
über  den  Blutbefund  enthält.  Wir  sehen  uns  zu  dieser  Be- 
hauptung unter  anderem  auch  dadurch  veranlaßt,  daß  in  letzter  Zeit 
von  englischen  und  anderen  Autoren  sehr  breitspurige  Auseinander- 
setzungen geliefert  wurden   über   die   Schwierigkeit  der  Typhus- 


120  VI.  Kast  u.  Gütig 

diagnose  in  manchen  Fällen,  ohne  den  Blutbefand  anch  nur  zn  erwähnen. 
Welchen  Wert  dieses  Symptom  unter  den  übrigen  Typhussymptomen 
besitzt;  haben  wir  aus  äußeren  Gründen  an  unserem  Material  nicht 
näher  verfolgt.  Kühn  und  Suckstorff  haben  an  einem  größeren 
Material  die  verschiedenen  diagnostischen  Hilfsmittel  für  den  Ab- 
dominaltyphus geprüft  und  stellen  folgende  Reihenfolge  auf: 

Widal  95  % 

Hypoleukozy  tose      90  ®/o 
Milztumor  86,6  ^o 

Diazo  75—85  X 

Roseola  69  % 

und  in  bezug  auf  die  Brauchbarkeit  der  einzelnen  für  die  Früh- 
diagnose: 

Hypoleukozytose 
Widal 
Roseola,  Diazo-,  Milztumor. 
Die  letzten  drei  sollen  ziemlich  gleichwertig  sein. 

Kühn  fand  in  927o  Hypoleukozytose  und  sieht  inihrein 
Symptom,  das  alle  übrigen  Typhussymptome  inklusive  Widal  weit 
in  den  Schatten  stellt,  namentlich  für  die  Frühdiagnose.  Es  sei  hier 
nur  bemerkt,  daß  unter  unseren  103  Fällen  von  sicherem  Abdominal- 
typhus 14  mal  die  Gruber- WidaFsche  Reaktion  noch  negativ  war,  in 
einer  Zeit,  wo  das  Blut  bereits  in  morphologischer  Hinsicht  seine 
charakteristischen  Veränderungen  angenommen  hatte,  in  9  von  diesen 
Fällen  war  außerdem  weder  Milztumor,  noch  Roseola  vorhanden  und 
nur  der  Blutbefund  wies  auf  den  Charakter  der  Erkrankung  hin. 

Um  jedem  Mißverständnis  vorzubeugen,  betonen  wir,  daß  wir 
bei  einem  Vergleich  von  Leukozyten  und  Agglutinationsbefunden  nur 
die  Frühdiagnose  im  Auge  haben,  denn  die  Agglutinations- 
befunde sind,  wie  dies  aus  den  Arbeiten  dieser  Klinik  hervorgeht, 
als  Untersuchungsmittel  von  zweifellos  höherer  Dignität  zu  be- 
trachten. 

Es  erübrigt,  noch  jene  nicht  in  den  Rahmen  des  Typhus  fallen- 
den Zustände  zu  erwähnen,  bei  denen  wir  Hypoleukozytosen  kon- 
statieren konnten,  beziehungsweise  solche  in  der  Literatur  an- 
gegeben sind.  In  Betracht  kommen:  Inanitionszustände ,  Masern, 
Morbus  Banti,  Anämie,  Malaria,  Tuberkulose,  Meningitis  tuber- 
culosa,  akute  Miliartuberkulose,  Sepsis,  schwere  Pneumonie. 

Inanitionszustände  scheinen  eine  geringe  Verminderung 
der  Leukozyten   zu   verursachen.     Luciani  und  v.  Limbeck, 


über  Hypoleakozytose  etc.  121 

Tausk,  Okintschitz  berichten  über  tiefe  Zahlen  nach  mehr- 
tägigem Hungern.  Wir  haben  darüber  keine  eigene  Erfahrung, 
doch  gewannen  wir  den  Eindruck,  daß  schlecht  genährte  Personen 
häufig  tiefhormale  Leukozytenzahlen  aufweisen.  Es  ist  begreiflich, 
daß  das  Blut  als  ein  Gewebe,  welches  in  einem  konstanten  Ver- 
hältnis zum  Körpergewicht  steht,  an  regressiven  Veränderungen 
der  übrigen  Organe  partizipiert  Die  körperliche  Konstitution  darf 
daher  bei  Beurteilung  des  Blutbefundes  nicht  ganz  außer  acht  ge- 
lassen werden.  Nebenbei  sei  hier  erwähnt,  daß  die  ursprüngliche 
Annahme  v.  L  i  m  b  e  c  k '  s ,  die  Typhusleukopenie  sei  eine  Folge  der 
Inanition,  der  die  Kranken  unterliegen,  sich  als  unhaltbar  er- 
wiesen hat. 

Masern  verlaufen  nach  ziemlich  übereinstimmenden  Angaben 
von  V.  Limbeck  und  Pick,  Rieder,  Felsenthal,  Türk  u.  a. 
mit  normalen  oder  leicht  subnormalen  (Rieder,  Türk)  Leuko- 
zytenzahlen. 

In  2  Fällen  von  Banti'scher  Krankheit  hat  der  eine  von 
uns  (Käst)  tiefe  Hypoleukozytosen  konstatiert  und  in  der  Mit- 
teilung darüber  auf  die  Befunde  Senators  und  auf  die  Bedeutung 
derselben  für  die  Diagnose  primärer  Splenomegalien  hingewiesen. 

Bei  schweren  sekundären,  namentlich  aber  bei  den  sogenannten 
essentiellen  (megaloblastischen)  Anämien  konnten  wir  in  einer 
größeren  Zahl  von  Fällen  erheblich  tiefnormale  Leukozytenwerte 
nachweisen,  besonders  in  einem  Falle  mit  intravital  diagnostizier- 
bar gewesener  Aplasie  des  Knochenmarks.  Es  stimmen  diese  Be- 
funde mit  denen  der  meisten  Autoren  überein. 

In  Bezug  auf  Malaria  konnten  wir  bei  mehreren  Tertiana- 
formen während  des  Anfalls  normale  und  verminderte  Zahlen 
finden.  Nach  dem  Anfall  begegneten  wir  öfter  leichten  H3i)er- 
leukozytosen. 

Bei  Lungentuberkulose  sahen  wir  in  der  Regel  normale, 
bei  vorgeschrittenen  Phthisen  mehr  weniger  deutliche  Hyperleuko- 
zytosen.  Über  geringgradige  Abnahmen  unter  die  Norm  finden 
sich  nur  vereinzelte  Angaben  vor.  Halla,  Reinert,  Rieder, 
V.  Limbeck,  Stein  und  Erbmann,  Grawitz  u.  a.  führen 
normale  oder  leicht  vermehrte  Zahlen  an. 

Meningitis  tuberculosa  soll  nach  Türk  mit  Vermehrung, 
nach  V.  Limbeck  ohne  eine  solche  verlaufen,  wir  haben  4  Fälle 
sorgfaltig  daraufhin  untersucht  und  fanden  Hyperleukozytosen. 

1.  Fall.  31  jähriger  Mann,  am  8.  Krankheitstag  Temp.  38,3—38,6, 
13000    Weiße   (1300   Lymphozyten),    am    11.    Tag   Temp.    37,8—38,3, 


122  VI.  Käst  n.  Gütig 

12  800  Weiße  (2100  Lymphozyfcen).  Tod  am  13.  Tage.  Path.-anat. 
Diagnose  (auszugsweise) :  Tuberculosis  chronica  pulmonum.  Ulcera  tuberc. 
tracheae  et  laryngis.     Meningitis   basilaris  tubercul. 

2.  Fall.  33 jähriger  Mann,  am  13.  Krankheitstag  Temp.  37,8—38,5, 
10  400  Weiße  (1800  Lymphozyten).  Tod  am  14.  Tage.  Path.-anat. 
Diagnose:  Tuberculosis  chronica  lobi  super,  pulmonis  utriusque  et  coeci. 
Meningitis  basil.  tuberc.  Morbus  Brighti  chron.  Amyloidosis  praec. 
hepatis,  decubitus  snperfic.  regionis  sacral. 

3.  Fall.  38 jähriges  Weib,  am  8.  Tage.  Temp.  36,5 — 37,9, 
18100  Weiße  (2000  Lymphozyten).  Tod  am  21.  Tage.  Path.-anat. 
Diagnose:  Tuberculosis  obsoleta  apicum  pulm.  Ulcus  tuberc.  laryngis. 
Morb.  Brigthi  chron.  Cystitis  necrotisans,  Ostitis  tuberc.  multipl.  regionis 
Sternalis.     Meningitis    basilaris  tuberc. 

4.  Fall.  23 jähiger  Manu,  ca.  12  Wochen  krank,  13  500  Weiße 
einen  Tag  ante  mortem.  Path.  -  anat.  Diagnose :  Tuberc.  chron.  apic. 
pulm.  c.  phtisi.  Ulcera  tuberc.  laryng.  trach.  et  intest.  Tuberc. 
miliaris  universalis.     Meningitis  basilaris  tuberc. 

In  8  Fällen  konnten  wir  Miliartuberkulosen  auf  die  Leuko- 
zytenzahlen untersuchen.  Zweimal  stießen  wir  auf  Leukopenien, 
in  den  übrigen  Fällen  waren  hochnormale  und  vermehrte  Leuko- 
zytenzahlen. Aus  der  folgenden  Tabelle  sind  die  Details  der  Fälle 
ersichtlich. 

Ried  er  fand  bei  2  Fällen  von  Miliartuberkulose  normale 
Zahlen,  v.  Limbeck  hebt  den  umstand,  daß  nach  seinen  Erfah- 
rungen bei  Miliartuberkulose  normale  Zahlen  vorkommen,  als  diffe- 
rentialdiagnostisches Moment  gegenüber  der  fieberhaften  Bronchitis 
einerseits  und  Abdominaltyphus  andererseits  hervor.  Kühn  sah 
bei  einer  Miliartuberkulose  2800  Leukozyten.  Nach  Türk  kommen 
Hjrperleukozyten  vor.  Es  scheint,  daß  bei  Miliartuberkulosen  nor- 
male und  vermehrte  Leukozytenzahlen  häufiger  wären,  als  Leuko- 
penien. 

Bei  foudroyant  verlaufenden  Infektionen,  wie  Pneumonien 
oder  Sepsis,  kommen  ausgesprochene  Leukopenien  vor,  dieselben 
treten  entweder  zu  Beginn  der  Erkrankung  auf  und  bleiben  bis 
zu  dem  in  der  Regel  letalen  P^nde  oder  sie  wechseln  mit  Hyper- 
leukozytosen  ab.  Halla,  Bieganski,  v.  Jaksch,  Carini  u.  a. 
haben  das  Fehlen  der  bei  kroupöser  Pneumonie  gewöhnlich  vor- 
handenen hohen  Hyperleukozytose  in  einigen  Fällen  beobachtet;  es 
wurde  diesem  Sjmptom  eine  ungünstige  prognostische  Bedeutung 
zugesprochen.  Wir  haben  keine  eigene  Erfahrung  in  dieser  Rich- 
tung, da  wir  Pneumonien  stets  mit  Hyperleukozytose  verlaufen 
sahen,    während    auf  unserer  Klinik   Herrmann    vor   mehreren 


über  Hypoleokozytose  etc. 


123 


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124  VI.  Käst  u.  Gütig 

Jahren  wiederholt  subnormale  Zahlen  beobachten  konnte.  Bei  Sepsis 
begegneten  wir  in  der  Regel  mehr  weniger  hohen  Hyperleukozy- 
tosen,  doch  sahen  wir  aach  sprunghaftes  Emporsteigen 
und  Sinken  der  absoluten  Leukozytenzahl  ähnlich  der 
Temperaturkurve,  aber  nicht  parallel  mit  ihr.  Als  Beispiel  seien 
3  Fälle  angeführt. 

1.  Fall.  20 jähriges  TVeib,  erkrankte  vor  5  Tagen.  Am  6.  Krank- 
heitstag 16800  Weiße  (2000  Lymphozyten)  3,6  Mill.  fiote.  Temp.  40,7. 
Milz  vergrößert,  heftige  Diarrhoen  erbsenbreiartiger  Form.  Am  7.  Krank- 
heitstage 4000  Weiße  (1600  Lymphozyten).  3,4  Mill.  Bote.  Temp.  40,6. 
Roseolaartiges  Exanthem!  Am  13.  Krankheitstage  8500  Weiße  (1500 
Lymphozyten).  3,1  Mill.  Bote.  Temp.  39,8.  Am  14.  Krankheitstage  (-]-) 
12  500  Weiße  (1700  Lymphozyten)  3,2  Mill.  Rote.  Temp.  38,7.  Path. 
anat.  Diagnose:  Endometritis  ischor.  post  abortum.  Salpingitis  bil.  supp. 
Parametritis  ischorosa  purulenta  progrediens.  Peritonitis  ischorosa  purul. 
Abscessus  metast.  pulmonum.  Pyohaemia. 

2.  Fall.  19 jähriger  Mann,  erkrankte  vor  5  Tagen,  Patient  schwer 
benommen  am  5.  Krankheitstage  4000  Weiße  (1900  Lymphozyten).  Temp. 
40,1.  20  Stunden  später  20000  (2000  Lymphozyten)  bei  40,3.  Diagnose: 
Sinnsthrombose  ausgehend  von  einer  Otitis  med.  suppur. 

3.  Fall.  20 jähriges  Weib,  seit  ca.  3  Wochen  krank,  3500  Weiße 
(900  Lymphozyten).  Temp.  40,0.  Am  nächsten  Tag  11500  (2200 
Lymphozyten),  38,1.  —  Am  folgenden  Tag  bei  41  <>  Temp.  20000  Weiße 
(1600  Lymphozyten).  Path. -anat.  Diagnose:  Arthritis  seroso-purulenta 
multiplex.  Endocarditis  recens.  ad  valv.  mitr.  Tumor  lienis  acutus. 
Degener.  parench.     Tuberc.  chron.  pulm.     Lymphadenitis  colli  tbc. 

m. 

Diese  vorübergehenden  oder  bleibenden  Leukopenien  nach  In- 
fektion mit  hochvirulenten  Mikroorganismen  besitzen  ein  hohes 
Interesse  für  das  Verständnis  der  Leukozytose  überhaupt.  Wesent- 
lich gefordert  wurde  das  letztere  durch  die  Versuche  von  Tschisto- 
vich  einerseits  und  andererseits  von  Goldscheider  und  Jakob. 
Die  experimentelle  Einverleibung  verschieden  virulenter  Mikro- 
organismen bzw.  verschiedener  chemotaktisch  aktiver  Stoffe,  die 
die  genannten  Autoren  studierten,  ergaben  namentlich  zwei  Tat- 
sachen. Erstens,  daß  der  Hyperleukozytose  gewöhnlich  ein  leuko- 
penisches  Stadium  vorhergehe  und  zweitens,  daß  die  positiv  chemo- 
taktischen Stoffe  beim  Überschreiten  einer  gewissen  Konzentration 
nach  ihrer  Einverleibung  nicht  mehr  leukozyten anziehend,  sondern 
abstoßend  wirken.  Daraus  ergeben  sich  für  das  Verständnis  der 
Hypoleukozytosen  folgende  Gesichtspunkte.  Wenn  wir  aus  der 
Fingerbeere  oder  aus  dem  Ohrläppchen  einen  Tropfen  Blutes  zur 
l^ntersuchung   entnehmen   und  die   Zahl   der  Leukozyten   in   der 


über  Hypoleukozytose  etc.  125 

fianmeinheit  bestimmeD,  so  haben  wir  damit  eine  Yorstellung  ge- 
wonnen von  dem  Gehalt  des  peripheren  Blutes  an  weißen  Blut- 
körperchen. 

Finden  wir  nun  eine  der  Norm  gegenüber  verminderte  Zahl 
von  Leukozyten,  so  kann  das  seinen  Grund  haben  in  einer  un- 
gleichmäßigen Verteilung  der  Weißen  in  dem  Sinne,  daß  in  den 
zentralen  Organen  eine  gesteigerte  Anhäufung  auf  Kosten  der  peri- 
pheren Gebiete  stattgefunden  hat,  eine  Erscheinung,  die  von  G  o  1  d  - 
scheider  und  Jakob  experimentell  nachgewiesen  wurde;  oder 
darin,  daß  das  zirkulierende  Blut  sowohl  zentral,  als  auch 
peripher  an  Leukozyten  ärmer  geworden  ist,  während  das  häma- 
topoetische  System  vollkommen  funktionsfähig  bleibt  und  früher 
oder  später  den  Verlust  im  strömenden  Blute  deckt  oder  schließ- 
lich darin,  daß  neben  einer  zentralen  und  peripheren  Verminderung 
im  strömenden  Blute  auch  eine  Alteration  des  hämatopoetischen 
Systems  besteht. 

Die  erste  Art  der  Leukopenie  ist  eine  scheinbare,  hervor- 
gerufen durch  vasomotorische  Einflüsse  oder  durch  die  Wirkung 
negativer  Chemotaxis,  sei  es,  daß  dieselbe  dem  betreffenden  Agens 
überhaupt  zukommt  oder  vermöge  dessen  zu  starker  Konzentration 
(Tschistovich)  oder  vermöge  der  Eigenschaft  der  meisten  (ver- 
mutlich aller)  positiv  chemotaktischen  Agentien  nach  P]inverieibung 
vorerst  eine  vorübergehende  negative  Chemotaxis  zu  entfalten. 

Die  zweite  Art  von  Leukopenie  möchten  wir  eine  „wirkliche" 
nennen,  sie  kann  bedingt  sein  durch  eine  Blutung  oder  durch  Zer- 
fall von  Leukozyten  im  strömenden  Blute.  Für  gewöhnlich  wird 
in  diesen  Fällen  aus  den  hämatopoetischen  Organen  als  Reserve- 
depots rasch  Ersatz  geleistet,  resp.  eine  vermehrte  Zahl  weißer 
Blutkörperchen  ins  strömende  Blut  geworfen  (posthämorrhagische 
Hyperleukozytose). 

Die  dritte  Art  wäre  als  absolute  Hypoleukozytose  zu  be- 
zeichnen, sie  kommt  bei  jenen  Zuständen  vor,  bei  welchen  für  den 
in  normalem  oder  erhöhtem  Maße  stattfindenden  Leukozytenverbrauch 
kein  genügender  Ersatz  geleistet  wird.  Zur  letzten  Art  wollen  wir 
unter  anderen  den  Abdominaltyphus  zählen,  femer  bestimmte  Formen 
schwerer  Anämien  und   „leukopenische  Splenomegalien".^) 

Diese  hier  nur  in  den  Umrissen^)  gegebene  Einteilung  der  Hypo- 
leukozytosen  erscheint  uns  wichtig  für  das  Verständnis  derselben, 

1)  8.  East,  1.  c. 

2)  Eine  genauere  Schilderung  der  hier  in  Betracht  kommenden  Verhältnisse 
nnd  ihrer  Beziehungen  zu  Immunisierungs Vorgängen  wird  an  anderem  Orte  erfolgen. 


126  .    VI.  Käst  u.  Gütig 

denn  die  Leukopenie  z.  B.  bei  Sepsis  öder  foudroyanten  Pneumonien 
ist  nicht  identisch  mit  der  Leukopenie  beim  Abdominal typhus.  Im 
ersten  Falle  ist  es  eine  scheinbare,  im  letzteren  eine  absolute  und 
die  Zusammensetzung  des  Knochenmarks  verratende  Leukopenie. 
Daß  die  Verminderung  der  Weißen  im  Verlaufe  des  Typhus  ihren 
Grund  in  den  Proliferationsverhfiltnissen  der  Enochenmarkszellen 
findet,  ist  höchst  wahrscheinlich.  Es  sprechen  dafür  die  Befunde 
N  a  e  g  e  1  i '  s  und  die  von  einem  von  uns  (Käst)  an  zahlreichen  Typhus- 
leichen vorgenommenen  Untersuchungen  der  hämatopöetischeu  Organe 
(über  dieselben  soll  ausführlich  berichtet  werden).  Und  zwar  betrifft 
die  Verminderung  der  Weißen  vornehmlich  die  neutrophil  granu- 
lierten Zellen.  Daraus  erklärt  sich  auch  das  Ausbleiben  oder 
geringe  Maß  der  Hyperleukozytose  bei  (nichttyphösen)  Komplika- 
tionen und  der  Reaktionen,  wie  sie  im  Sinne  einer  Hyperleuko- 
zytose auftreten,  bei  gesunden  Menschen  nach  subkutaner  Injektion 
von  Terpentin  (Bauer)  und  Hetol  (Kühn). 

Allerdings  haben  wir  kein  Mittel  in  der  Hand,  durch  die 
Untersuchung  des  peripheren  Blutes  beim  Abdominaltyphus  einen 
strikten  Anhaltspunkt  für  die  zelluläre  Zusammensetzung  des 
Knochenmarks  zu  gewinnen,  vielleicht  finden  sich  im  Laufe  weiterer 
Untersuchungen  Kennzeichen  im  Blutbild,  die  uns  den  erwünschten 
Anhaltspunkt  bieten,  vorderhand  müssen  es  die  Einzelheiten  des 
Blutbildes  in  einer  bestimmten  Gruppierung  sein,  die  es  uns  er- 
möglichen, einen  Rückschluß  auf  das  Knochenmark,  d.  h.  auf  seine 
durch  die  Einwirkung  des  Typhusbazillus  bewirkte  Veränderung  zu 
ziehen.  Dem  praktischen  Bedürfnis  kommt  noch  der  Umstand  zu 
Hilfe,  daß  nur  sehr  wenige  Krankheitszustände  mit  einer  absoluten 
Leukopenie  verlaufen  und  nur  wenige  mit  einer  Leukopenie  über- 
haupt, dagegen  die  meisten  fieberhaften  Erkrankungen,  darunter 
diejenigen,  die  zur  Verwechslung  mit  T^-phus  abdominalis  fuhren 
können,  in  der  Regel  mit  Hyperleukozytosen  einhergehen.  Der  Blut- 
befund gibt  uns  demnach  einerseits  ein  Mittel  in  die  Hand,  den 
Typhus  auszuschließen,  andererseits  den  Typhus  anderen  mit  Leuko- 
penien einhergehenden  Zuständen  gegenüber  abzugrenzen. 

Als  ein  sehr  verläßliches  Symptom  gegen  die  An- 
nahme eines  Typhus  fanden  wir  hohe  Leukozytenwerte. 
Zahlen  über  12000  zu  Beginn  der  Erkrankung  (ohne 
vorhergegangene  Blutung!)  lassen  u.  E.  Typhus  mit 
größter  Wahrscheinlichkeit  ausschließen.  Zahlen  über 
9000  sprechen  mit  großer  Wahrscheinlichkeit  gegen  Typhus.  Als 
Beispiel   für  die  Fälle,   wo   die  klinische   Untersuchung   sehr  zur 


über  Hypoleukozytose  etc.  127 

Diagnose  Abdominaltyphus  verleitete  und  nur  der  Blutbrfund  dagegen 
sprach,  fühlten  wir  folgende  Fälle  an: 

1.  Fall.  35j&hriger  Diener  am  pathologisch- amttomiscfaen  Institut, 
der  Tielfach  mit  T^phiisleichen  in  Berührang  kommt,  erkrankt  mit  Fieber 
und  Kopfschmerzen.  8  Tage  nadi  Beginn  seiner  Erkrankung  sucht  er 
ärztliche  Hilfe.  Der  objektive  Befund  ergibt :  diffuse  Bronchitis,  Milztumor, 
Diarrhöen,  Temp.  38,5,  Widal  positiv.  Die  Agglutinationsdiagnose 
lautete :  Typhus  peractus  seu  incipiens  (Dr.  Z  u  p  n  i  k).  Die  bämatologische 
Untersuchung  ergibt  13800  Leukozyten  (2900  Lymphozyten)  azidophile 
Zellen  spärlich  vorhanden.  Trotz  des  typhösen  Symptomenkomplexes  und 
des  positiven  Widal  konnten  wir  uns  gegen  Typhus  auf  Ornnd  des  Blut- 
befundes aussprechen.  Drei  Tage  darauf  kritische  Entfieberung.  Nach- 
träglich wurde  eruiert,  daß  der  Patient  vor  25  Jahren  Typhus  überstanden 
hatte. 

2.  Fall.  19jährige  Patientin,  zur  Zeit  ausgebreiteter  Typhusepi- 
demi eingebracht,  Temp.  40,5.  Milz  vergrößert,  Status  typhosus,  sonst  ob- 
jektiv nichts  nachweisbar.  Oruher-Widal'sche  Keaktion  negativ.  Da  die  Er- 
krankung erst  6  Tage  dauert,  kann  dem  negativen  Widal  keine  ausschlag- 
gebende Bedeutung  zukommen.  Blutbefund  21  000  Leukozyten  entscheidet 
gegen  Typhus.     Der  weitere  Verlauf  erweist  eine  zentrale  Pneumonie. 

In  anderen  Fällen  konnten  wir  bei  nicht  genügend  ausge- 
sprochenen Krankheitsbildern  den  Typhus  schon  bei  der  ersten 
Blutuntersuchung  ausschließen  und  sahen  unsere  Exklusion  in  vielen 
Fällen  bestätigt  durch  nachträglich  patent  gewordene  Appendici- 
tiden,  Influenzabronchitiden,  Magendarmkatarrhen  etc.  Gegenüber 
Appendicitiden,  Rotz,  Pest,  Anthrax  internus,  Milzabszeß,  ulzeröser 
Endokarditis,  eitriger  Meningitis,  kryptogenetischen  Eiterungen  wird 
fast  immer  die  Hyperleukozytose  den  Ausschlag  geben  können. 

Bezüglich  der  Differentialdiagnose  gegenüber  jenen  Erkrankungen, 
die  ohne  Vermehrung  der  Weißen  verlaufen,  wollen  wir  von  folgender 
Fragestellung  ausgehen :  Bei  welchen  Zuständen  kommen  Leukozyten- 
werte  unter  7000  vor  und  welche  von  diesen  können  erfahrungsgemäß 
zu  differentialdiagnostischen  Schwierigkeiten  Anlaß  geben.  Über  die 
Zustände,  die  mit  tiefen  Leukozytenwerten  einhergehen,  ist  oben 
bereits  gesprochen,  unter  diesen  sind  nur  einige,  die  hier  in  Betracht 
kommen,  denn  Masern,  Morbus  Banti,  floride  Lungentuberkulose 
werden  in  der  Regel  ohne  Blutuntersuchung  diagnostiziert  werden 
gegenüber  einem  Typhus. 

Für  Malaria  kommen  in  Betracht  der  Nachweis  von  Plasmodien, 
die  sehr  häufig  auftretende  basophile  Punktierung  der  Erythrozyten, 
die  pathologischen  Formveränderungen  der  Roten,  die  Erythroblasten, 
das  normale  oder  vermehrte  Auftreten  von  Azidophilen,  die  Melanin- 
einschlüsse der  Leukozyten.    Auch  das  Ansteigen  der  Lymphozyten 


128  VI.   Käst  u.  Gütig 

mit  gleichzeitiger  Vennehrung  der  großen  Uninokleären  (auf  etwa 
12  7o)  spricht  nach  Kogers  gegen  Typhus,  ebenso  das  Auftreten 
von  Myelozyten.  Daß  diese  Anhaltspunkte  auch  bei  den  schweren 
Formen  von  Malaria,  die  unter  dem  Bilde  eines  Typhus  verlaufen^ 
entscheidend  verwendet  werden  könüen,  hat  B  i  1 1  e  t  an  einer  großen 
Zahl  von  derartigen  Fällen  konstatieren  können,  die  er  unter  der 
Bezeichnung  „paludisme  k  form  typhoide"   beschrieben  hat. 

In  der  Differentialdiagnose  zwischen  Typhus  und  tuberkulöser 
Meningitis  kommt  u.  E.  die  bei  dieser  in  der  Regel  auftretende 
hochnormale  oder  vermehrte  Leukozytenzahl  in  Betracht ;  es  scheint, 
daß  das  auch  bei  Miliartuberkulose  namentlich  in  den  ersten 
Stadien  der  Erkrankung  der  Fall  ist. 

Wenn  Sepsis  und  schwere  Pneumonien  dem  Typhus 
gegenüber  in  Frage  kommen,  so  sprechen  g  e  g  e  n  T  y  p  h  u  s ,  wie 
bereits  erwähnt,  zunächst  die  wechselnden  hohenund 
tiefen  Leukozytenwerte,  dann  aber  die  dauernde  qualitativ 
andersartige  Beschaffenheit  des  Blutes,  als  das  Vorhandensein  von 
Azidophilen,  das  Auftreten  von  Jugendformen  der  Granulozyten^ 
Myelozyten  oder  Multinukleären  mit  Granulis  von  deutlicher  baso- 
philer Quote  (Ehrlich,  Schur  und  Hirschfeld)  und  die  Jod- 
reaktion der  Granulozyten.  Es  sind  das  Zeichen,  die  beweisen,  daß 
es  sich  um  keine  „absolute  Leukopenie"  handelt. 

Bei  anämischen  Patienten  ist  Vorsicht  geboten  in  der  Ver- 
wertung tiefer  Zahlen,  da  sie  sowohl  der  Anämie,  als  auch  einem 
zu  bestehender  Anämie  dazugetretenen  Abdominaltyphus  zukommen 
können. 

In  bezug  auf  Paratyphus  hatte  Gütig  Gelegenheit,  auf  Grund 
mehrerer  genau  beobachteter  Fälle  den  Beweis  zu  erbringen,  daß 
diese  Erkrankung  im  wesentlichen  eine  gleiche  Blutveränderung 
zeigt,  wie  der  Abdominaltyphus. 

Unserem  hochgeehrten  Chef,  Herrn  Hofrat  Prof.  Dr.  A.  Pf  ibram, 
gestatten  wir  uns  fiir  die  vielfache  Förderung  unserer  Arbeiten  und 
die  freundliche  Überlassung  des  Materials  unseren  ergebensten  Dank 
auszusprechen. 


Literatnrangaben. 

Aporti  und  Kadaeli,  Sul  modo  di  comportarsi  dei  globuli  bianchi  neUa  febre 

tifoide.    Arch.  ital.  di  clin.  Medic.   XXXIII  3. 
Bieganski,  c.  n.  Kölner. 


über  Hypolenkozytose  etc.  129 

Billet,„Da  palndisme  4  forme  typhoide,  Rerne  de  mMecine  1902. 

Sin m,  Über  lenkopenische  Blutbeschaffenheit  bei  InfektioiiBkrankheiten.  Wiener 

klin.  Wochenscnr.  1899. 
Ca  bot,  A  gnide  of  elinical  eyamination  of  the  blood  in.  Aufl.  1898. 
Chetagnrow,  Ref.  in  Virch.  Arch.  GXXYI. 
Onrscnmanni  NothnagePs  spez.  Path.  nnd  Therap.  IH.  Bd.  I.  Teil :  Der  Unter- 

leibfltyphns. 
Felsenthal,  Hämatol.  Mitteilnngen.   Archiv  f.  Kinderheilk.  1892  XY. 
Orawitz,  Klinische  Pathologie  des  Blntes  IL  Anfl.  1902. 
Gütig,   Über  das  Verhalten  der  Leukozyten   beim  Paratyphus.    Prager  med. 

Wochenschr.  XXVm  Nr.  20  1903. 
Ha  IIa,  über  den  Hftmoglobin^ehalt  des  Blntes  u.  d.  quant.  Yerh.  der  roten  und 

weifien  Blutkörperchen  bei  akuten  fieberhaften  Krankheiten.    Zeitschr.  für 

Heükunde  1883. 
Hayem,  Du  sang  et  de  see  alt^rations  anatomiques.    Paris  1889. 
Houston,  The  british  medical  Journal  1901. 
Käst,  Über  Blutbefunde  bei  Morbus  Banti.  Prager  med.  Wochenschrift  XXYIII 

Nr.  20. 
Klein,  Über  die  diagn.  Verwendung  der  Leukozytose.    Yolkmann's  Sammlung 

N.  F.  87. 
Kühn  u.  Suckstorff,  Beitrag  zur  Statistik,  Path.  u.  Therap.  des  Abdominal- 

typh.    Dieses  Arch.  Bd.  71. 
Kölner,  Beitrag  zur  Kenntnis  der  Blntveränderungen  bei  Typh.  abdom.    Dieses 

Archiv  Bd.  &b. 
T.  Limbeck,  Grundriss  einer  klinischen  Pathologie  des  Blutes.  Jena  1896. 
Litten,  Beitrag  zur  Pathol.  des  Blutes.   Berl.  Uun.  Wochenschr.  1888. 
Luciani,  cit.  n.  v.  Limbeck 

?7aegeli,  Die  Leukozyten  beim  Typhus  abdom.    Dieses  Archiv  Bd.  67. 
P6e,  Untersuchungen  über  Leukozytose.   Dissert.  Berlin  1890. 
Rieder,   Beitrag  zur  Kenn  tu.  der  Leukozytose  und  verwandter  Zustände  de» 

Blutes.  Leipzig  1892. 
Sadler,  dt.  n.  Kolner. 
Stein  u.  Erbmann,   Zur  Frage  der  Leukozytose  bei  tuberkulösen  Prozessen. 

Dieses  „Archiv  Bd.  66. 
Tumas,  Über  die  Schwankungen  der  Blutk.  u.  d.  Hämoglobingehaltes.    Dieses 

Arch.  Bd.  41. 
Türk,   Klin.  Untersuchungen  über  d.  Yerh.  d.  Blutes  bei  akuten  Infektionskr. 

Wien  u.  Leipzig  1896. 
Tschistovitch,  cit.  n.  v.  Limbeck. 
Widenmann,  Die  hämatolog.  Diagnose  des  Unterleibstypbus  Deutsche  militär- 

ärztUche  Zeitschr.  1901. 
Zupnik  und   Posner,   Typhus  und  Paratyphus.    Prager  med.  Wochenschrift 

1903  Nr.  18. 


Deutsches  Archiv  f.  kUn.  Medizin.    LXXX.  Bd. 


VII. 

Aus  dem  Laboratorium  der  medizinischen  Klinik  zu  Bonn 
(Dir.  Geh.-Rat  Prof.  F.  Schnitze). 

Experimentelle  Untersuchung  über  den  Einfluß  des 
Alkohols  auf  den  Hirn-Bückenmarksdruck. 

Von 

Privatdozent  Dr.  Badolf  Finkelnburg, 

Assistenzarzt  der  medizinischen  Klinik. 
(Mit  2  Kurven.) 

Experimentelle  Untersuchungen  über  den  Einfluß  bestimmter 
chemischer  und  toxisch  wirkender  Substanzen  auf  die  Sekretions- 
verhältnisse des  Liquor  cerebrospinalis  im  Sinne  einer  Vermehrung 
oder  Verminderung  der  Sekretion  liegen  bisher  nur  ganz  vereinzelt 
vor.  Sehen  v^rir  von  dem  Nebennierenextrakt  ab,  das  als  blutdruck- 
steigerndes Mittel  bei  Versuchen  über  die  Beziehungen  zwischen 
Blutdruckhöhe  und  Subarachnoidealdruck  angewandt  wurde,  so  findet 
sich  nur  die  Angabe  von  Jaksch(l),  daß  er  durch  Quecksilber, 
Jodsalze,  salicylsaure  und  essigsaure  Salze  einen  Einfluß  auf  den 
Hirndruck  nicht  erzielen  konnte;  ferner  gibt  Cappelletti(2)  an, 
daß  bei  Hunden  Äther  und  Pilokarpin  den  Ausfluß  von  Cerebro- 
spinalflüssigkeit  beschleunigten,  Atropin  und  Hyoscyamin  verlang- 
samten, während  Amylnitrit  keinen  merkbaren  Einfluß  ausübte. 

Wenn  auch  die  lymphatische  Natur  der  Cerebrospinalflüssigkeit 
noch  keineswegs  sicher  erwiesen  ist,  und  wenn  wir  auch  über  alle 
Quellen  derselben  noch  keine  sichere  Kenntnis  besitzen,  so  schien 
doch  die  Frage  der  Prüfung  wert,  ob  nicht  bestimmte  Substanzen 
auf  die  Absonderung  des  Liquor  in  ähnlicher  Weise  eine  Wirkung 
auszuüben  vermögen,  wie  die  sogenannten  Lymphagoga  nach  den 
Untersuchungen  von  Heiden hain  (11)  auf  den  Körperlymphstrom. 

Aus  einer  gi'ößeren  in  dieser  Richtung  unternommenen  Ver- 
suchsreihe teile  ich  im  nachfolgenden  das  Resultat  von  Unter- 
suchungen mit,  in  denen  die  Wirkung  des  Alkohols  auf  den  Sub- 
arachnoidealdruck bei  Hunden  geprüft  wurde. 


Einfluß  des  Alkohols  auf  den  Hirn-Rückenmarksdruck.  131 

Die  Frage  nach  der  Wirkungsweise  stärkerer  Alkoholgaben 
auf  die  Sekretion  des  Liquor  bot  auch  in  klinischer  Hinsicht  ein 
gewisses  Interesse,  da  von  Quincke  (3),  D  a  n  a  (4)  u.  a.  die  akute 
und  chronische  Alkoholvergiftung  unter  den  ursächlichen  Momenten 
der  einfachen  serösen  Meningitis  angeführt  wird. 

Die  experimentelle  Prüfung  der  Sekretionsverhältnisse  des 
Liquor  ist  auf  zweifache  Weise  möglich:  einmal  durch  Bestimmung 
der  Ausflußgeschwindigkeit,  zweitens  durch  Feststellung  des  Sub- 
arachnoidealdrucks  vor  und  nach  Darreichung  eines  Mittels. 

Falkenheim  und  Naunyn(5)  haben  gefunden,  daß  unter 
normalen  Verhältnissen  bei  Hunden  die  Ausflußgeschwindigkeit  des 
Liquor  nach  einer  gewissen  Zeit  (V* — %  Stunden)  eine  konstante 
wird,  daß  aber  bei  den  verechiedenen  Tieren  die  absolute  Größe 
der  konstanten  Sekretion  gewaltig  verschieden  ist.  Sie  betrug  das 
eine  Mal  1  ccm  in  6  Minuten,  bei  einem  anderen  Tier  1  ccm  in 
40  Minuten. 

Die  genannten  Autoren  gingen  bei  ihren  Sekretionsversuchen 
in  der  Weise  vor,  daß  sie  bei  kuraresierten  Hunden  nach  Eröfl'nung 
der  Rückenmarkshöhle  an  der  Cauda  equina  einen  Nelatonkatheter 
in  den  angeschlitzten  Duralsack  einführten;  selbst  bei  diesen  be- 
quemen Versuchsbedingungen  traten  jedoch  häufig  Störungen  des 
Ausflusses  ein,  so  daß  die  Mehrzahl  der  Sekretionsversuche  ganz 
resultatlos  war. 

Auch  mit  der  einfachen  Lumbalpunktion  nach  Quincke  lassen 
sich  brauchbare  Sekretionsresultate  nicht  erzielen.  Da  nach  dem 
ersten  Einstich  sich  die  Flüssigkeit  sehr  schnell  aus  der  Kanüle 
entleert,  kommt  es  sehr  häufig  zur  Verlegung  und  Verstopfung 
der  Nadel  dadurch,  daß  mit  dem  Nachlaß  des  Druckes  die  Eücken- 
markshäute  sich  enger  an  die  Wurzeln  anlegen.  Die  Sekretion 
sistierte  entweder  ganz  oder  mußte  durch  Hin-  und  Herschieben 
der  Nadel  wieder  in  Gang  gebracht  werden,  wodurch  eine  regel- 
mäßige einwandsfreie  Messung  der  Ausflußgeschwindigkeit  un- 
möglich wurde. 

Ich  habe  daher  von  dieser  Methode  abgesehen  und  versucht, 
den  Einfluß  des  Alkohols  auf  die  Liquorsekretion  aus  den  Druck- 
änderungen des  Subarachnoidealdrucks  zu  bestimmen. 

Die  Menge  des  Liquor  cerebrospinalis  und  damit  auch  im 
wesentlichen  die  Druckhöhe  wird  bestimmt  durch  das  Verhältnis 
zwischen  Seki-etion  und  Absorption  der  Flüssigkeit.  Jede  stärkere 
Sekretion  fuhrt  vorübergehend  zu  einer  Druckvermehrung,  da  die 
Abflußwege  nicht  derartig  sind,  daß  momentan  beliebige  Mengen 


132  y^^-    FniKBLNBüBG 

Ton  Liqaor  abströmeo  konnten.  £rst  mit  dem  wachsenden  Snb- 
arachnoidealdrack  steigt  anch  allnifthlich  dk  Besorption,  so  daß  eine 
yorfibergehende  vermehrte  Absondernng  sich  wieder 
ausgleichen  kann.  Dnrch  eine  länger  anhaltende  Steigerung  der 
Sekretion  wird  es  aber  zu  einer  Dmckst«igemng  in  der  Schädd- 
Riickgratshöhle  kommen,  da  nach  den  experimentellen  Untersachnngen 
von  Falkenheim  und  Nannyn  (5)  die  Resorptionsgröße  der  Liqaor- 
flüssigkeit  erst  bei  einem  Subarachnoidealdruck  von  über  400—500  mm 
H9O  (29 — 36  Hg)  so  gewaltig  zunimmt,  daß  sie  auch  den  durch  eine 
stark  gesteigerte  Sekretion  gestellten  Ansprüchen  genügt 

L  Yersuchsanordnung. 

Die   Versuche    wurden  an   Hunden  in   der  Morphium-Äther- 
narkose vorgenommen.    Bei  leicht  erhöhter  Kopflage  wurde  unter- 
halb des  V.  oder  VI.  Lendenwirbelbogens  die  Lumbalpunktion  ge- 
macht und  die  Kanüle  mit  einem  in  Millimeter  graduierten  Steigrohr 
von  4  mm  lichtem  Durchmesser  durch  einen  ganz  kurzen  Oummi- 
schlauch  verbunden;  100  mm  des  Steigrohrs  fassen  einschließlich 
dem  Verbindungsstück  1,2  ccm  Flüssigkeit.    Durch  Verlust  dieser 
zur  Füllung  des  Steigrohrs  dienenden  Liquormenge  entsteht  somit 
eine  nicht  unerhebliche  Fehlerquelle  für  die  Bestimmung  des  ab- 
soluten Drucks  in  der  Schädel -Rückgratshöhle.    Da  es  sich  aber 
in   diesen  Versuchen  nicht  sowohl  um  Feststellung  der  absoluten 
Druckhöhen  wie  um  den  Nachweis  von  Druckftnderungen  in- 
folge veränderter  Sekretionsverhältnisse  des  Liquor  handelt,  so  werden 
dadurch  die  Versuchsresultate  nicht  beeinträchtigt.    Nachdem  die 
Flüssigkeit  in  dem  Steigrohr  zur  Ruhe  gekommen,  wurden  zunächst 
V« — 1  Stunde  lang  die  Druckhöhe  und  eventuelle  Schwankungen 
derselben  beobachtet  und  von  3  zu  5  Minuten  aufnotiert,  um  fest- 
zustellen, ob  nicht  nachträglich  noch  ein  erheblicherer  spon- 
taner Druckanstieg  zustande  kommt.    Erst  dann,  wenn  die 
Druckhöhe,  von  geringen  Schwankungen  von  5 — 10  mm  abgesehen, 
längere  Zeit  die  gleiche  geblieben  war  bei  deutlich  sichtbaren  re- 
spiratorischen Schwankungen,  erhielten  die  Tiere  mittels  der  Schlund- 
sonde den  Alkohol  eingeführt.    Zur  Anwendung  kam  Äthylalkohol 
in  20—30%  Verdünnung,  eine  Mischung  von  Äthyl-  undAmyl- 
alkohol  im  Verhältnis  von  16:1  in  gleicher  Stärke;  femer  ge- 
wöhnlicher, annähernd  40%  Alkohol  enthaltender  Korn brannt- 
wein  sowie  Portwein.    Die  pro  Kilo  Tier  gereichte  absolute 
Alkoholmenge  schwankte  zwischen  2,3—6,8  ccm. 

In   der  Regel   verfielen   die  Tiere  in  einen   tiefen,  mehrere 


Einflnfi  des  Alkohols  auf  den  Bim^Bttckenmarksdruck.  133 

Standen  anhaltenden  Alkoholschlaf.  Sie  lagen  absolut  rahig,  so  daß 
durch  Unruhe,  Bewegungen  usw.  hervorgerufene  Druckschwankungen 
iaat  ganz  wegfielen.  Bis  zum  Munterwerden  der  Tiere  wurde  alle 
5  Minuten  Druckhöhe,  Puls  und  Atmung  kontrolliert  und  aufnotiert. 

In  Kontrollversuchen  wurde  den  gleichen  Tieren  die 
gleiche  Menge  yon  Flüssigkeit  (Wasser,  Kochsalzlösung,  Essigwasser) 
zogefohrt,  wie  sie  zur  Verdünnung  des  Alkohols  nötig  war  und  bis 
za  2  Stunden  der  Liquordruck  beobachtet  Ferner  wurde  bei  dem* 
selben  Tier  die  Wirkung  verschiedener  Alkoholarten  geprüft.  Als 
einwandsfrei  gelten  nur  solche  Versuche,  in  denen  während  der 
ganzen  Dauer  derselben  deutliche  respiratorische  Schwankungen  des 
Subarachnoidealdnicks  vorhanden  waren  als  sicheres  Zeichen  guter 
Kommunikation  zwischen  Steigrohr  und  Subarachnoidealraum. 

Alle  Versuche  wurden  12— 16  Stunden  nach  der  letzten  Nahrungs- 
and Flüssigkeitsaufnahme  vorgenommen. 

IL  Versuchsergebnisse. 

1.  Der  wenige  Minuten  nach  der  Punktion  gemessene  An- 
fangsdruck betrug  bei  den  in  Narkose  ruhig  daliegenden  Hunden 
bei  leicht  erhöhter  Kopflage  in  der  Regel  100  -  120  mm  Wasser, 
im  Maximum  135  mm,  im  Minimum  70  mm.  Bei  demselben  Tier 
fanden  sich  bei  verschiedenen  Versuchen  Differenzen  von  10 — 15  mm. 
Diese  Zahlen  stimmen  im  allgemeinen  überein  mit  der  Angabe  von 
Falkenheim  und  Naunyn(5),  daß  die  Normalhöhe  des  Sub- 
^i|  arachnoidealdrucks  beim  kräftigen  Hund  gegen  100—150  mm  HgO 
jj?f  beträgt;  freilich  fanden  sie  bei  normalem  Blutdruck  auch  Druck- 
^^       höhen  von  30  und  38  mm. 

rß\  2.    Bei  einer  Beobachtungszeit   bis   zu   1   Stunde   zeigte   die 

gvj  Flüssigkeitssäule  im  Steigrohr,  abgesehen  von  den  respiratorischen 
JE .  und  pulsatorischen  Schwankungen,  nur  geringe  periodisch  auftretende 
jj»  Schwankungen  von  5—10  mm  über  den  Anfangsdruck.  Bisweilen 
|j^  beobachtet  man  auch  ein  geringes  Sinken  unter  den  Anfangsdruck 
j^  (Versuche  29,  33,  34).  Durch  Unruhe  des  Tieres  bedingte  stärkere 
^j  Steigungen  der  Flüssigkeitssäule  glichen  sich  stets  schnell  wieder  aus. 
jj(-  3.  Nach  Einfahrung  des  Alkohols  mittels   der  Schlundsonde, 

jy'  1  was  ohne  Hebung  des  Kopfes  vorgenommen  wurde,  hielt  sich  der 
.V  Liquordruck  ohne  Ausnahme  zunächst  (11 — 30  Minuten  lang)  auf 
iBi  der  gleichen  Höhe  wie  vorher.  Nach  durchschnittlich  15 
0liri<.  ^is  20  Minuten  begann  die  Flüssigkeit  in  dem  Steigrohr  das 
eine  Mal  langsamer,  das  andere  Mal  schneller  in  meist  gl  eich - 
.^.     mäßigem  Tempo  zu  steigen. 

I 


t . 
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it-: 


134  VII-    FiNKELNBURO 

Es  betrug  in  den  Versuchen  22,  30,  34  und  24  der  Anstieg 
annähernd  7«  ^^  H^O  ^^  der  Minute,  in  den  Versuchen  21,  32 
1  mm  H2O  in  jeder  Minute.  Bisweilen  beobachtete  mau  ein  vorüber- 
gehendes Sistieren  und  selbst  vorübergehende  kleine  Drucksenkungen 
während  des  sonst  gleichmäßigen  Anstiegs,  so  in  Versuch  25. 

4.  Die  Dauer  des  Anstiegs  war  bei  den  einzelnen  Tieren 
eine  verschieden  lange,  auch  bei  demselben  Tier  verschieden,  je 
nach  der  Art  des  gereichten  Alkohols.  Wie  aus  der  Tabelle  und 
den  Kurven  ersichtlich  ist,  schwankte  die  Zeitdauer  des  Druck- 
anstiegs zwischen  1  und  3^2  Stunden. 

Nachdem  der  Druck  eine  gewisse  Höhe  erreicht,  hielt  er  sich 
in  der  Regel  V2 — 1  Stunde  auf  dieser  Höhe  unter  ganz  geringen 
Schwankungen  und  begann  dann  in  langsamem  Tempo  wieder  zu 
fallen. 

In  Versuchen,  die  lange  genug  ausgedehnt  werden  konnten, 
zog  sich  der  allmähliche  Druckabstieg  bis  zur  Höhe  des  Anfangs- 
druckes oder  noch  unter  denselben  über  1 — 1%  Stunden  hin.  Die 
Kurven  auf  den  beiliegenden  Tafeln  geben  von  dem  Verlauf  einzelner 
Versuche  ein  gutes  Bild. 

In  der  Mehrzahl  der  Fälle  mußte  wegen  Unruhe  der  Tiere  der 
Versuch  abgebrochen  werden,  bevor  der  Druck  sich  dem  Anfaugs- 
druck  wieder  genähert  hatte. 

5.  Die  absolute  Größe  der  Drucksteigerung  war  beträcht- 
lich verschieden  bei  den  einzelnen  Tieren  und  auch  bei  demselben 
Tier  je  nach  der  Art  des  gereichten  Alkohols.  Sie  betrug  im 
Maximum  90  mm,  im  Minimum  20  mm  Wasser.  Im  Ver- 
hältnis zur  Höhe  des  Anfangsdrucks  haben  wir  Drucksteigerungen 
zwischen  16%  und  72% 

Vergleicht  man  die  Mengen  des  p  r  0  K  i  1 0  Hund  verabreichten 
Alkohols  mit  den  absoluten  Drucksteigerungen,  so  findet  sich  kein 
konstantes  Verhältnis  zwischen  beiden: 


Es  wurde  erreicht  bei  2,3  ccm 

Alkohol 

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Kilo  35  mm 

Druckanstieg, 

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Es  müssen  hier  individuelle  Verhältnisse  von  Einfluß  sein,  da 
ja  nach  den  Untersuchungen  von  Falkenheim  und  Naunyn(5) 


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Einfluß  des  Alkohols  auf  den  Him-Hückenmarksdnick.  135 

bei  den  einzelnen  Tieren  schon  physiologischerweise  gewaltige  Unter- 
schiede in  der  Sekretionsgröße  zu  bestehen  scheinen. 

Erhebliche  Unterschiede  in  der  eiTcichten  Druckvermehrung 
fanden  sich  weiterhin  bei  demselben  Tier  je  nach  der  Art  des 
Alkohols. 

Derselbe  Hund  hatte  bei 
8,3  ccm  Portwein      =1,4  ccm  Alkohol  pro  Kilo  85  mm  Druckanstieg 
Äthyl- Amylalkohol    =3,3    „         „         „      „    69    „ 
10  ccm  Kornschnaps  =  4,0    „         „         „      „    20    „ 

Danach  wurde  dem  Portwein  eine  ganz  erheblich  größere 
drucksteigernde  Wirkung  zukommen.  Doch  sind  hier  noch  weitere 
Kontrolluntersuchungen  dringend  nötig. 

6.  In  Kontrollversuchen,  die  zum  Teil  an  denselben  Hunden 
vorgenommen  wurden,  trat  bei  Zufuhr  von  gleichen  Flüssigkeits- 
mengen (Wasser,  Kochsalzlösung,  Essigwasserj,  wie  sie  zur  Ver- 
dünnung des  Alkohols  erforderlich  gewesen  waren,  ein  Druckanstieg 
auch  nach  längerer,  1^2  stündiger,  Beobachtungszeit  nicht  ein.  Auch 
erwiesen  sich  bei  den  in  Morphium-Äthemarkose  befindlichen  Tieren 
spätere  Injektionen  von  Morphium  oder  kurze  Einatmungen  von 
Äther  als  ohne  wesentlichen  Einfluß  auf  den  vorhandenen  Liquor- 
dmck. 

7.  Die  Puls-  und  Respirationsfrequenz  verhielt  sich  während 
des  Alkoholschlafs  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  ziemlich  gleich.  Die 
Pulszahl  schwankte  meist  zwischen  100  und  130  Schlägen,  die 
Respiration  zwischen  26  und  20  Atemzügen  in  der  Minute.  Nur 
in  Versuch  21  mit  der  erheblichen  Dosis  von  6,8  ccm  pro  Kilo  Tier 
sank  die  Zahl  der  Pulse  auf  60—70,  die  der  Atmung  auf  17 — 18. 

Kurz  zusammengefaßt  ist  das  Ergebnis  der  Versuche  folgendes: 
Bei  Einführung  von  Alkohol  in  den  nüchternen  Magen  narkoti- 
sierter Hunde  steigt  der  Druck  in  dem  mit  der  Schädel-Rückgrats- 
höble  in  Verbindung  stehenden  Steigrohr  regelmäßig  ganz  beträcht- 
lich, hält  sich  längere  Zeit  auf  einer  bestimmten  Höhe  und  sinkt 
dann  wieder  langsam  unter  Umständen  bis  unter  den  Anfangsdruck. 

Ich  habe  wegen  der  Raumersparnis  von  einer  genauen  Wieder- 
gabe der  Versuchsprotokolle  abgesehen,  und  nur  eine  Anzahl  der 
wichtigeren  Versuche  tabellarisch  zusammengestellt,  sowie  versucht, 
durch  einige  Kurven  den  zeitlichen  Ablauf  des  Druckanstiegs  und 
Druckabfalls  anschaulicher  zu  machen. 


136 


VJJ.  FnKxumnta 


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Versuch  Nr. : 

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8  Monate 
17  Pfd. 

Derselbe 
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r.  22  n.  34 

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Einflnß  des  Alkohols  auf  den  Him-Bückenmarksdmck.  137 

UL  Besprechung  der  Versachsergebnisse. 

Wenn  wir  den  Versuch  machen,  die  beobachtete  Dracksteige- 
rang  zu  erkUren,  so  fragt  es  sich  znnftchst,  ob  wir  berechtigt  sind, 
dieselbe  auf  die  Alkoholwirknng  zarückzuführen.  Die  ganze 
Yerlanfsweise  der  Versuche  spricht  Ar  diese  Annahme.  Wir  sahen, 
wie  regelmäßig  kurze  Zeit  nach  der  Einverleibung  des  Alkohols 
der  langsame  Druckanstieg  einsetzte.  Dabei  blieb  es  sich  gleich, 
ob  wir  längere  oder  kfirzere  Zeit  nach  der  Lumbalpunktion  ge- 
wartet, bevor  wir  den  Alkohol  zuführten.  In  Eontrollversuchen 
mit  einer  gleich  grofien  Flüssigkeitszufuhr  trat  dagegen  niemals 
(dne  wesentliche  Drucksteigerung  ein,  ebensowenig  wenn  wir  ohne 
jede  Zufuhr  den  Liquordmck  längere  Zeit  hindurch  beobachteten.  Es 
ist  somit  aasgeschlossen,  daß  es  sich  bei  unseren  Drucksteigerungen 
am  nachträgliche  spontane  Druckschwank ungen  oder  allein 
am  eine  Folgeerscheinung  der  Flfissigkeitszufuhr 
handelt. 

Da  wir  femer  den  Alkohol  in  starker  Verdünnung  reichten, 
so  daß  die  Magenschleimhaut  nicht  erheblicher  gereizt  wurde,  so 
dfirfte  auch  die  hypothetische  Annahme  eines  reflektorischen 
Einflusses  auf  die  Liquorsekretion  auszuschalten  sein. 

Eine  weitere  Frage  ist  es,  wie  sich  das  Zustandekommen  der 
Dmcksteigerung  durch  den  Alkohol  erklären  läßt.  Handelt  es  sich 
nar  um  eine  vorübergehende  Verdrängung  des  Liquor  in  das 
Steigrohr,  etwa  durch  eine  hyperämische  Volumszunahme  des  Ge- 
hirns, oder  beruht  der  Druckanstieg  auf  einer  Vermehrung  des 
Liquor  cerebrospinalis  infolge  gesteigerter  Sekretion? 

Es  ist  experimentell  nachgewiesen  (Mos so  (6),  Knoll  (7), 
I  Falkenheim  und  Naunyn  (5)),  daß  durch  Erweiterung  der 
1  Him-Rückenmarksgef&ße  der  Liquor  unter  höherem  Druck  und 
j  andererseits  durch  Kontraktion  der  Gefäße  unter  geringeren  Druck 
j  gesetzt  wird.  Falkenheim  und  Naunyn  erzielten  bei  Hunden 
j  durch  Erhöhung  des  arteriellen  Blutdnicks  durch  Kompression  der 
i  Aorta  thoracica,  durch  Aussetzen  der  Respiration  (Dyspnoe)  und 
I  durch  Strychninvergiftung  sowie  durch  allgemeine  Venenstauung 
vorübergehende  Steigerungen  des  Subarachnoidealdrucks  bis  zu 
100  mm  Wasser.  Diese  Druckerhöhungen  waren  aber  niemals 
dauernd  infolge  der  sich  bald  geltend  machenden  Resorption  des 
Liquor  cerebrospinalis.  So  begann  z.  B.,  wenn  durch  Kompression 
der  Aorta  eine  bedeutende  Steigerung  des  Subarachnoidealdrucks 
bewirkt  war,  letzterer  nach  1  bis  2  Minuten  zu  sinken,  auch 
wenn  der  Blutdruck  auf  gleicher  Höhe  verblieb. 


138  VII.    FlNKELNBUKG 

Es  fuhrt  demnach  eine  Erweiterung  der  Blutgefäße  überhaupt 
nur  insoweit  zu  einer  Erhöhung  des  Drucks,  als  nicht  momentan 
durch  Abfluß  Raum  geschafft  wird.  Würden  in  jedem  Augenblick 
beliebig  große  Liquormengen  resorbiert  werden  können,  so  würden 
Drucksteigerungen  in  der  Hirn-Rückenmarkshöhle  überhaupt  nicht 
zustande  kommen.  Normalerweise  ist  aber  nach  den  experimen- 
tellen Untersuchungen  die  Resorption  lebhaft  genug,  um  vorüber- 
gehendeErhöhungen  des  Subarachnoidealdrucks  wie  bei  einer 
Hyperämie  bald  auszugleichen. 

Wenn  es  sich  in  unseren  Versuchen  nur  um  eine  Verdrängung 
des  Liquors  infolge  der  blutdrucksteigernden  Wirkung  des  Alkohols 
(B  i  n  z  (8 ))  gehandelt  hätte,  so  wäre  ein  baldiger  Ausgleich  durch 
Resorption  mit  nachfolgender  Drucksenkung  eingetreten.  Von  einer 
vorübergehenden  Verdrängung  kann  somit  bei  der  stundenlangen 
Dauer  der  Drucksteigerung  nicht  die  Rede  sein ;  alles  drängt  uns 
zu  der  Annahme,  daß  der  Alkohol  eine  vermehrte  Liquor- 
absonderung  verursacht,  die  längere  Zeit  andauert  und  dadurch 
zu  einer  Steigerung  des  Subarachnoidealdrucks  führt. 

Die  Resorption  des  Alkohol  aus  dem  Magen  geschieht  nach 
den  Untersuchungen  von  Dogiel  (9)  äußerst  schnell.  Bereits 
l'/2  Minuten  nach  der  Einführung  konnte  er  im  arteriellen  und 
venösen  Blut  sowie  in  der  Lymphe  des  Ductus  thoracicus  nach- 
gewiesen werden.  Über  die  Dauer  des  Verbleibes  im  Blut  liegen 
Untersuchungen  von  Gr6hant  (10)  vor.  Bei  Darreichung  von 
5  ccm  pro  Kilo  fand  sich  nach  V«  Stunde  0,4  7o>  ^^^^  1  Stunde  0,5  %> 
nach  2V.>  Stunden  0,6  und  nach  5  Stunden  noch  0,51%  Alkohol 
im  Blut.  Nach  23  Stunden  ist  er  nach  Beobachtung  von  Grehant 
aus  dem  Blut  verschwunden.  Von  besonderem  Interesse  im  Hin- 
blick auf  den  Beginn  des  Druckanstiegs  in  unseren  Versuchen  ist 
die  Angabe  von  Gr6hant(10),  daß  nach  Darreichung  von  1  ccm 
pro  Kilo  das  Maximum  von  Alkoliol  im  Blut  (0,09  %)  ziemlich  rasch, 
nämlich  nach  15  Minuten  erreicht  wird. 

Der  Beginn  der  Drucksteigerung  setzte  nach  unseren  Beobach- 
tungen regelmäßig  zwischen  12—30  Minuten  nach  der  Alkohol- 
zufuhr ein  und  wir  können  uns  vorstellen,  daß  der  sekretions- 
steigernde  Einfluß  erst  einsetzt,  wenn  die  im  Blut  kreisende  Alkohol- 
menge eine  gewisse  Höhe  erreicht  hat.  Ob  es  sich  bei  der  Alkohol- 
wdrkung  nur  um  eine  Beschleunigung  der  normalen  Liquorsekretion 
handelt  nach  Art  der  lymphtreibenden  Stoffe  oder  ob  die  vermehrte 
Sekretion  etwa  die  Folge  eines  toxischenReizes  auf  die  sezer- 
nierenden  Teile,  also  vor  allem  die  Plexus  choreoidei  bildet,  läßt 


Einfluß  des  Alkohols  auf  den  Hirn-Rückenmarksdrnck.  139 


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sich  nur  durch  genauere  Analysen  der  Liquorflüssigkeit  speziell 
auch  hinsichtlich  ihres  Alkoholgehaltes  feststellen. 

Bei  aller  Vorsicht,  die  bei  Übertragung .  yoji  Tierversuchs- 
resnltaten  auf  die  menschlichen  Verhältnisse  am -Platze  ist,  scheint 
mir  doch  der  Versuch  nicht  unberechtigt,  die  beim  Hund  experi- 
mentell nachgewiesene  dnicksteigemde  Wirkung  des  Alkohols  für 
die  menschliche  Pathologie  zu  verwerten.  Die  als  Nachwehen 
stärkerien  Alkoholgenusses  sich  regelmäßig  einstellenden  nervösen 
Beschwerden :  der  Kopf- Nackenschmerz,  die  Hyperästhesie  der  Kopf- 
haut, das  Schwindelgefühl,  die  leichte  Benommenheit  bieten  bis- 
weilen ganz  das  klinische  Bild  eines  vermehrten  Hirndrucks,  eines 
akuten  Hydrocephalus.  Es  liegt  nun  der  Gedanke  nahe,  daß 
neben  der  toxischen  Wirkung  des  Alkohols  auf  die  Nervensubstanz 
auch  ein  gesteigerter  Druck  der  Cei-ebrospinalflussigkeit  eine  Rolle 
mitspielt  bei  der  Entstehung  dieser  cerebralen  Erscheinungen.  Wir 
sahen  in  den  meisten  unserer  Versuche,  daß  der  Liquordruck  noch 
erheblich  gegen  den  Anfangsdruck  gesteigert  war,  wenn  die 
Tiere  aus  ihrem  Alkoholrausch  erwachten  und  anfingen  munterer 
zu  werden. 

Wir  dürfen  somit  annehmen,  daß  der  im  Blut  kreisende  Alkohol 
wenigstens  beim  Tier  noch  eine  sekretionssteigernde  Wirkung 
ausübt  zu  einer  Zeit,  wo  die  lähmende  Einwirkung  des  Alkohols 
auf  die  Ganglienzellen  der  Gehirnrinde  bereits  im  Abklingen  be- 
griflfen  ist  und  wo  klinisch  die  Erscheinungen  des  gesteigerten  Hirn- 
dmcks  im  Vordergrund  des  Krankheitbildes  stehen. 


Literatur. 

1.  V.  Jaksch,  Klinische  Diag:no8tik  innerer  Krankheiten,   5.  Aufl.  S.  567. 

2.  Cappelletti,  Zit.  nach  Blumenthal,  Über  Zerebrospinalflüssigkeit.    Ergeb- 
nisse der  Phj[8iologie.    1.  Jahrgang  1902  S.  290. 

3.  Quincke.    Über  Meningitis  serosa,  S.  67ö.    Volkmann's  Samml.  klin.  Vortr. 
Nr.  67  1893. 

4.  Dana,   Acute  serons  Meningitis.      Medical  Record   1878  und  The  common 
forms  of  mcningitis  etc.    Journal  oi  Nervous  and  Mental  disease  1899,  Dezemb. 

d.   Falkenheim  u.  Naunyn,  Über  Hirndruck.    Arch.  f.  exper.  Pathol.  Bd.  22 
S.  273,  S..294,  S.267. 

6.  M  0880,  über  den  Kreislauf  des  Blutes  im  meuschlichen  Gehirn.   Leipzig  1881. 

7.  Knoll,  Sitzungsber.  d.  k.  Akad.  d.  Wissenschaften  in  Wien  Bd.  93  1886. 

8.  Binz,    Über  den  Alkohol  als  Arzneimittel.    Sep.-Abdr.  aus  der  Berl.  klin. 
Woch.  Nr.  3  u.  4  1903  S.  11. 

9.  Dogell,  Pflüger's  Arch.   Bd.  8  S.  604. 

10.  Grehant,  Recherches  sur  l'alcoolisme  aign;  dosage  de  Talcool  dans  lesang 
et  dans  les  tissus.    Comptes  rend.  de  l'acadera.  1899  Bd.  129  S.  746. 

11.  Heidenhaiu,  Versuche  und  Fragen  zur  Lehre  von  der  Lymphbildung.   Arch. 
f.  Psychologie  1891  Bd.  49. 


I  Hund  pro  Kilo  2,9  c«m  Alkohol  ftbaol.  48,77,  SUigenng. 
n  Hnnd  pro  Kilo  10  ocm  Eombranittweiii  16,6°/*  Steigenug. 
lU  Hund  pro  Kilo  2,3  ccm  Alkohol  &bsol     50,0%  Steigemng. 


EtatfliS  des  Alkehidils  m(  den  Hhu-Bnckenmu'kHlnick.  14| 

Derselbe  Hund  ( pn>  KUo  3."  <»n»  Ithyl-  n.  Amylalkohol  lifi'U  Steigerung. 

Versacb  22, 34,| pro  Silo  8,3  ccni  Portwein  *6,9»/„  Steigenmg:. 

^-  [ pro  Kilo  10,0  ccm  Eoinbratmtwein  ICjC/o  Steigerung. 


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142   VII.  FiNKLENBUBO,  ElnfluG  des  Alkohols  auf  den  Rückenmarksdruck. 


Erklärung  der  Kurven. 

In  den  Tafeln  sind  die  Alkoholdrucksteigerungen  so  eingezeichnet,  daß 
man  die  in  mm  erfolgten  Druckzu-  nnd  -Abnahmen  in  den  einzelnen  Minuten  und 
Stunden  der  Versuche  verfolgen  kann.  Die  Druckknrven  befi^nen  mit  dem  An- 
fangsdnick,  d.  h.  demjenigen  Druck,  der  wenige  Minuten  nach  dem  Buhigw erden 
der  Flü^sigkeitssäule  nach  erfolgter  Lumbalpunktion  an  dem  Steigrohr  abgelesen 
Wurde.  A4is  der  links  befindlichen  Zahlenskala  kann  man  die  jeweilige  Druck- 
hohe  in  mm  Wasser  ersehen.  Durch  X  ist  der  Zeitpunkt  der  Alkoholzqfuhr  markiert. 

1         Tafel  I  enthält  3  Kurven  von  Versuchen  (Nr.  32,  25  und  33),  in  denen  die 
pruckseukung  am  SchluO  deutlich  erkennbar  w^ar. 

Tafel  II  enthält  3  Kurven,  die  von  demselben  Hund  stammet,  dem  in  den 
3  verschiedenen  Versuchen  Alkohol  in  verschiedener  Form  —  reiner  Äthyl-  und 
Amylalkohol,  Portwein,  Kornbranntw^ein  —  zugeführt  wurde.  Wegen  Unruhe  des 
iDieres  mußten  hier  die  Versuche  zu  einer  Zeit  abgebrochen  werden,  wo  der 
Druckabfall  erst  begonnen  hatte  (Versuch  Nr.  22,  25,  34). 


VIII. 
Aus  der  Nervenpoliklinik  von  Professor  Oppenheim  zu  Berlin. 

Zur  Differentialdiagnose  der  extra-  und  intrameduUaren 

Ettckenmarkstumoren. 

Von 

Dr.  von  Malais^, 

Assistenzarzt  der  Poliklinik. 

Welch  fördernden  Einfluß  ein  therapeutischer  Erfolg  auf  einem 
his  dahin  für  therapeutisch  gänzlich  aussichtslos  geltenden  Gebiet 
auf  die  Vertiefung  und  Erweiterung  der  Kenntnisse  von  einer  Krank- 
heit auszuüben  vermag,  das  geht  aus  der  Geschichte  der  Eücken- 
markstumoren  in  eklatanter  Weise  hervor.  Das  klinische  Interesse 
für  dieses  Leiden  war  kein  sehr  großes,  die  Literatur  demgemäß 
nur  eine  spärliche,  die  Diagnose  in  vivo  selten,  bis  der  englische 
Chirurg  den,  theoretisch  allerdings  schon  früher  erwogenen  und  als 
durchfuhrbar  bezeichneten,  Schritt  wagt,  den  Tumor  im  Rücken- 
markskanal aufsucht  und  —  mit  glänzendem  —  Erfolge  entfernt. 

Von  diesem  Zeitpunkt  (1887)  an  schwillt  die  Literatur  über 
dieses  Leiden  mächtig  .an  und  im  Jahre  1898  erscheint  das  Werk 
Bruns',  in  welchem  das  Resultat  dieser  Erfahrungen  und  zahl- 
reicher eigener  Beobachtungen  bereits  in  umfassender  und  ein- 
gehender Weise  niedergelegt  ist,  bald  gefolgt  von  einem  zweiten, 
der  speziell  die  Wirbeltumoren  berücksichtigenden  Jlonographie 
Schlesinger's. 

Heute  ist  die  Diagnostik  der  Rückenmarksgeschwülste  erheblich 
ausgebaut  und  verfeinert.  Bei  der  Vielgestaltigkeit  des  Leidens 
aber,  bedingt  einerseits  durch  die  verschiedene  Natur  der  Tumoren, 
andererseits  durch  die  Verschiedenheit  des  Ausgangspunktes  — 
Wirbelsäule,  spinale  Wurzeln,  Häute,  Mark  — ,  ist  es  nicht  zu  ver- 
wundern, daß  manches  noch  einer  Klärung  bedarf  und  dies  nicht 
nur  in  wissenschaftlichem,  sondern  vornehmlich  auch  in  praktischem 
Interesse.    Zu  diesen  Punkten  ist  auch  die  Frage  zu  zählen,  ob 


144  Vm.  Malais« 

sich  die  Geschwulst  im  Marke  selbst  oder  außerhalb  desselben 
etabliert  hat,  eine  Frage,  deren  namentlich  frühzeitige  Entscheidung 
an  die  Diagnostik  besonders  hohe  Anforderungen  stellen  kann. 

Die  Kompliziertheit  des  Krankheitsbildes,  welches  durch  eine 
Geschwulst  im  oder  am  Mark  verursacht  wird,  schließt  es  im  vor- 
hinein aus,  daß  ein  einzelnes  Symptom  für  die  Art  oder  die  Lokali- 
sation des  Tumors  den  strikten  Nachweis  liefert  So  weist  z.  B. 
eine  Schmerzhaftigkeit  der  Wirbelsäule  nicht  mit  Bestimmtheit  auf 
diese  als  den  Sitz  der  Erkrankung  hin,  ebensowenig  wie  initiale 
Wurzelschmerzen  für  extramedullären  Sitz  garantieren.  Vielmehr 
kann  erst  eine  Summe  von  Symptomen  und  namentlich  die  Kon- 
stellation derselben  die  Entscheidung  ermöglichen.  Nichtsdesto- 
weniger verdient  auch  das  anscheinend  nebensächlichste  Symptom 
gewürdigt  zn  werden,  besonders  zur  Ermöglichung  einer  früh- 
zeitigen Diagnose,  d.  h.  zu  einer  Zeit,  in  welcher  bei  operablen 
Fällen  die  Chancen  für  eine  restitutio  ad  integrum  noch  möglichst 
große  sind,  in  welcher  aber  andererseits  das  Leiden  noch  wenig 
Erscheinungen  macht. 

Es  sei  zunächst  der  äußeren  Umstände  gedacht,  die  eine  rich- 
tige Diagnose  resp.  Differentialdiagnose  veraögem  und  sogar  un- 
möglich machen  können.  Zn  diesen  ist  vor  allem  eine  unvoll- 
ständige Anamnese  zu  rechnen,  falls  der  Kranke  nicht  von  Anfang 
an  unter  Beobachtung  stand.  Indolenz  und  geringe  Intelligenz  des 
Kranken  tragen  hierzu  noch  wesentlich  bei.  Des  weiteren  kann 
Benommenheit,  die  eventuell  durch  einen  gleichzeitig  bestehenden 
Tumor  cerebri  oder  Meningitis  basilaris  —  falls  Solitärtuberkel  des 
Rückenmarks  oder  tuberkulöse  Granulationen  etc.  an  demselben 
vorliegen  —  bedingt  sein  kann,  einer  richtigen  Einschätzung  der 
durch  den  Tumor  des  Rückenmarks  verursachten  Erscheinungen 
erhebliche  Schwierigkeiten  bereiten.  Endlich  ist  es  die  Hysterie,  die 
lange  Zeit  auch  die  durch  den  Rückenmarkstumor  bedingten  Sym- 
ptome auf  ihr  Konto  zu  nehmen  gezwungen  sein  kann,  wie  u.  a. 
ein  von  Schnitze  mitgeteilter  Fall  in  besonders  anschaulicher 
Weise  dartut. 

Für  den  Sitz  der  Geschwulst  resp.  seinen  Ausgangspunkt  kann 
u.  a.  seine  Art  Anhaltspunkte  geben,  insofern  diese  aus  weiteren, 
an  der  Körperperipherie  oder  an  der  Untersuchung  zugänglichen 
inneren  Organen  (Metastasen)  erschlossen  werden  kann.  Zunächst 
das  Karzinbra.  von  welchem  feststeht,  daß  es  am  Rückenmark  nur 
sekundär  zur  Beobachtung  kommt.  Des  weiteren  wird  sein  Vor- 
kommen im  Marke  selbst  jetzt  allgemein  in  Abrede  gestellt,  da 


Zar  DifferentialdiagnoBtik  d.  extra-  n.  intramedullären  HUckenmarkstamoren.  14  5 

die  spärlichen  Beobachtungen  dieses  Vorkommens  (Scanzoni, 
Chiari,  Kalisko)  sich  als  nicht  ein  wandsfrei  erwiesen  haben 
{Schlesinger (100)).  Der  Schluß  von  einem  Carcinoma  uteri, 
recti  etc.  auf  extramedullärem  Sitz  des  am  Rückenmark  vermuteten 
Karzinoms  ist  also  ein  vollauf  berechtigter.  Daß  dieser  Umstand 
fiir  die  Differentialdiagnose  wertvoll  sein  kann,  beweisen  jene  Fälle 
von  Wirbelsäulenkrebs,  bei  denen  trotz  ausgedehnter  krebsiger  In- 
filtration der  Wirbelsäule  keine  Anzeichen  für  das  Ergriffensein 
derselben  bestehen,  während  die  Symptome  von  selten  des  Marks, 
eine  in  akuter  oder  subakuter  Weise  einsetzende  Paraplegie  für 
einen  Sitz  im  Marke  selbst  zu  sprechen  scheinen.  Nonne  (8)  hat 
in  einer  vor  kurzem  erschienenen  Arbeit  eine  Anzahl  solcher  Fälle 
publiziert.  Klinisch:  Lähmung  der  unteren  Extremitäten,  dagegen 
keinerlei  Wirbelsäulensymptome.  Erst  die  Obduktion  deckte  weit- 
gehende Destruktionen  an  der  Columna  vertebralis  auf.  Auch  für 
Sarkom  kann  dies  zutreffen.  Für  diese  Geschwulstart  liegen  die 
Verhältnisse  allerdings  insofern  anders,  als  sein  intramedulläres 
Vorkommen,  wenn  auch  ungewöhnlich,  doch  durch  eine  Anzahl  von 
Beobachtungen  erwiesen  ist.  Immerhin  ist  aber  das  intramedulläre 
Vorkommen  des  Sarkoms  ein  verschwindend  geringes  gegenüber 
dem  extramedullären,  —  gilt  doch  das  Sarkom  als  die  häufigste 
Geschwulstform  der  Häute,  —  so  daß  die  Wahrscheinlichkeit,  falls 
Sarkom  anzunehmen  ist,  mehr  für  extrameduUäi^en  Sitz  spricht. 

Es  kann  davon  Abstand  genommen  werden,  die  einzelnen 
Tumoren,  deren  peripheres  Vorkommen  einen  ähnlichen  Schluß  ge- 
stattet, hier  aufzuführen.  Es  erübrigt  aber,  die  Syphilis  und  Tuber- 
kulose zu  erwähnen.  Wird  aus  anderen  syphilitischen  oder  tuber- 
kulösen Erscheinungen,  eventuell  einer  schweren  tuberkulösen  Be- 
lastung, veimutet,  daß  der  Rückenmarkstumor  gleicher  Natur  sei, 
so  ist  die  Entscheidung,  ob  der  Sitz  intra-  oder  extramedullär  ist, 
dadurch  nicht  wesentlich  gefördert.  Sie  wird  namentlich  dadurch 
erschwert,  daß  auch  bei  intraraedullärem  Sitz  der  infektiösen  Granu- 
lome die  Häute  fast  immer  in  Mitleidenschaft  gezogen  sind.  Ein 
Anhaltspunkt  in  dieser  Richtung  könnte  u.  U.  besonders  wertvoll 
sein,  da  es,  wie  Henneberg (11)  an  der  Hand  eines  Falles  be- 
merkt, Fälle  von  Rückenmarkstuberkulose  gibt,  die  einem  chirurgi- 
schen Eingiiff  zugänglich  sind.  In  diesem  Fall  lagen  tuberkulöse 
Granulationen  vor,  die  von  den  Häuten  ausgehend  das  Mark  kom- 
primiert, den  Knochen  aber  intakt  gelassen  hatten.  Ob  freilich  bei 
dem  rapiden  Verlauf,  der  meist  vorhandenen  tuberkulösen  All- 
gemeininfektion und  der  toxischen  Wirkung  der  Geschwulst  auf 

Deutsches  Aitshiv  f.  klin.  Medizin.    LXXX.  Bd.  10 


146  vm.  iialai6£ 

das  Mark  ein  chirurgischer  Eingriff  viel  Erfolg  hätte,  ist  recht 
zweifelhaft.  Der  Sektionsbericht  bestätigt  dies :  Totale  Erweichung 
des  Rückenmarks  an  der  Kompressionsstelle;  und  dies  nach  nur 
3  wöchentlicher  Erankheitsdauer. 

Eher  ist  der  Nachweis  von  Echinokokken  oder  Cysticerken  resp. 
Bestandteilen  derselben  in  peripher  sitzenden  Zysten,  Pleuraexsudaten 
u.  dgl.  dazu  angetan,  einen  Hinweis  zu  geben,  wo  der  Sitz  dieses 
unter  dem  Bilde  eines  Tumors  auftretenden  tierischen  Parasiten 
im  Medullarohre  ist,  da  das  Vorkommen  im  Marke  selbst  zu  den 
größten  Seltenheiten  gehört. 

Unter  Umständen  können  auch  andere  Befunde,  als  peripher 
sitzende  Geschwülste  für  die  DifFerentialdiagnose  zwischen  inlra- 
extrameduUärem  Sitz  von  Bedeutung  sein,  wenn  Tumoren  in  Be- 
tracht kommen,  die  ausschließlich  oder  doch  sehr  überwiegend  im 
Marke  selbst  oder  außerhalb  desselben  aufzutreten  pflegen.  Hier 
wäre,  bei  okultem,  d.  h.  nicht  palpablem  Magenkarzinom,  eine  für 
das  Bestehen  eines  solchen  sprechendes  Verhalten  des  Magensaftes 
zu  nennen,  u.  a.  Wertvoller  ist  eine  andere  Reaktion,  auf  die 
Senator  seinerzeit  hinwies,  und  die  im  Nachweis  von  Albumosen 
im  Harn  besteht.  Werden  Albumosen  in  gewissen  Mengen  ge- 
funden, so  sind  damit  etwaige  Zweifel  über  den  Ausgangspunkt 
des  vermuteten  Tumor  meduUae  spinalis  behoben,  da  dies  zu  dem 
Schlüsse  berechtigt,  daß  Myelom  vorliegt.  Das  Krankheitsbild  beim 
Myelom  kann  nun  durch  dessen  Fähigkeit,  auch  an  der  Außen- 
seite der  Dura  kleine  Knötchen  zu  bilden,  durch  seine  Tendenz 
zur  Auftreibung  der  Knochen,  ja  zur  Bildung  von  Knochensubstanz 
ein  so  kompliziertes  und  mannigfach  modifiziertes  werden,  daß, 
namentlich  bei  fehlenden  Knochensymptomen,  ein  Anhaltspunkt  in 
dieser  Richtung  sehr  erwünscht  sein  kann.  Häufig  mrd  die  Dia- 
gnose noch  durch  weitere  Myelome  an  anderen  Knochen  unterstützt. 

Erwähnt  muß  noch  die  Cystodiagnose  werden,  über  welche 
zwar  noch  wenig  Greifbares  bekannt  wurde,  —  soweit  sie  za 
unserem  Thema  Bezug  hat  — ,  von  der  aber  doch  noch  einiges  er- 
wartet werden  darf.  Rindfleisch (5)  hat  vor  einiger  Zeit  im 
Anschluß  an  die  Demonstration  einiger  Fälle  von  Rückemnarks- 
sarkomatose  die  Mitteilung  gemacht,  daß  er  ein  für  Sarkom  charakte- 
ristisches Verhalten  des  Liquor  cerebrospinalis  gefunden  habe.  Ge- 
nauerer Bericht  über  diesen  Befund  steht  noch  aus. 

Die  Radiographie  kann  namentlich  bei  Wirbeltumoren  wert- 
volle  Aufschlüsse   geben.    Doch   läßt   dieses  Verfahren   auch   bei, 
diesen  Fällen,  wenn  es  sich,  was  Fuernrohr(3)  neuerdings  her- 


Zur  Differentialdiagnostik  d.  extra-  n.  intrameduUären  Rückenmarkstumoren.    147 

Yorhebt,  um  gatgenährte  Personen  handelt,  ebenfalls  bisweilen  im 
Stich.  Bei  meningealen  Tumoren  sind  die  Ergebnisse  der  Röntgen- 
Photographie  noch  sehr  unzuverlässige. 

Wenn  nun  auch  Anhaltspunkte  für  die  Art  des  vorliegenden 
Tumors  für  die  Entscheidung  des  Sitzes  von  Wert  sein  können, 
so  darf  man  andererseits  nicht  außer  acht  lassen,  daß  trotz  eines 
an  anderer  Stelle  nachgewiesenen  Karzinoms,  Sarkoms  etc.  oder 
trotz  ausgedehnter  tuberkulöser  Erkrankung  noch  nicht  die  Garantie 
gegeben  ist,  daß  der  vorliegende  Kückenmarkstumor  gleicher  Natur 
ist  Einige  in  dieser  Hinsicht  lehrreiche  Fälle  verdanken  wir  einer 
Mitteilung  N  0  n  n  e's.  Die  Autopsie  eines  dieser  Fälle  ergab  neben 
aszendierendem  Sarkom  des  Rückenmarks  eine  Carcinoma  recti  mit 
Metastasen  in  der  Leber.  Bei  einem  Falle  Touche's  ergab  die 
Sektion  Psammom,  nebenbei  Uteruskrebs.  Ein  Unikum  in  dieser 
Richtung  teilt  Schlesinger  (98)  mit:  Die  Obduktion  deckte  neben 
Sarkom  der  Dura  mater  spinalis  nicht  nur  tuberkulöse  Karies  der 
Wirbelsäule  auf,  sondern  auch  noch  einen  verkalkten  Cysticerkus 
in  der  linken  Parietalwindung.  Einen  Beleg  dafür,  wie  wenig  zu- 
verlässig der  Schluß  ist,  falls  Tuberkulose  in  Betracht  kommt, 
bilden  weitere  FäUe  Nonne's.^)  In  einem  derselben  hatte  der 
Autor  von  tuberkulösen  Erscheinungen  auf  Karies  der  schmerzenden 
und  druckempfindlichen  Wirbelsäule  geschlossen.  Es  handelte  sich 
um  Sarkom.  Im  zweiten  Fall  war  in  Ermangelung  tuberkulöser 
Erscheinungen  und  tuberkulöser  Belastung  Tumor  angenommen 
worden,  während  die  Operation  Karies  der  Wirbelsäule  aufdeckte. 

Hier  sei  noch  einiger  Komplikationen  Erwähnung  getan,  deren 
Auftreten  bis  zu  einem  gewissen  Grade  auch  aufschließend  wirken 
kann  bezüglich  der  Frage  nach  dem  Sitze  der  Geschwulst.  In 
einer  Anzahl  von  Fällen  wurde  ein  Zusammentreffen  von  Gliosis 
spinalis  mit  Hydrocephalus  internus  nachgewiesen.  H  e  u  b  n  e  r  (36) 
hat  den  Zusammenhang  so  zu  erklären  versucht,  daß  eine  Meningitis 
spinalis,  angeregt  von  der  Gliose,  vielleicht  aber  auch  unabhängig 
von  ihr,  sich  auf  die  Auskleidung  der  Ventrikel  fortpflanzt  und  so 
den  Hydrocephalus  verursacht.  Ähnliche  Fälle  haben  Oppen- 
heim*) und  Schnitze')  mitgeteilt.  Auch  Hof  mann  erwähnt 
ähnliches  und  führt  einen  einschlägigen  Fall  Dejerin's  an.  Man 
muß   sich   allerdings   dabei   der  Tatsache   erinnern,   daß   bei   der 


1)  Neuro!.  Zentralbl.  Nr.  1,  1903. 

2)  Archiv  für  Psychiatrie  Bd.  XXV. 

3)  Archiv  fttr  Psychiatrie  Bd.  VIII. 

10* 


148  VIII.  Mauülsä 

primären  multiplen  Sarkomatose  des  Zentralnervensystems,  wenn 
das  Gehirn  mitergriffen  ist,  auch  Hydrocephalus  zur  Beobachtung 
gelangt-  Diese  Fälle  sind  aber  durch  ausgedehntes  Ergriffensein 
der  Rückenmarkshäute  usw.  wohl  charakterisiert  und  mit  einer 
auch  undeutlich  ausgeprägten  Gliosos  resp.  intramedullären  Ge- 
schwülsten im  allgemeinen  nicht  zu  verwechseln.  Liegt  neben 
Spina  bifida  ein  Rückenmarkstumor  vor,  so  kann  mit  großer  Wahr- 
scheinlichkeit Lipom  angenommen  werden,  wodurch  Zweifel  über 
den  Sitz,  ob  intra-  oder  extramedullär,  gleichfalls  gehoben  wären. 
Es  ließe  sich  noch  mancherlei  hier  anfügen,  doch  soll  es  vermieden 
werden,  allzu  seltene  und  zu  komplizierte  Erscheinungen  weit  her- 
zuholen, da  ein  praktischer  Wert  für  die  Entscheidung  über  den 
Sitz  des  Tumors  daraus  doch  schwerlich  resultieren  könnte.  Des- 
gleichen kann  über  allzu  indifferente  —  d.  h.  für  vorliegendes 
Thema  —  Momente,  wie  Alter,  Geschlecht  usw.,  weggegangen  und 
die  Besprechung  der  Symptomatologie  der  Rückenmarkstumoren, 
deren  differentialdiagnostische  Verwertbarkeit,  angereiht  werden. 

Ein  Symptom,  welches  ausschließlich  den  extra-  oder  den  intra- 
medullären Rückenmarkstumoren  zukommt,  so  daß  es  als  Stigma 
für  den  Sitz  der  Geschwulst  gelten  könnte,  gibt  es  nicht.  Die 
einzelnen  Symptome  sind  vielmehr  bei  beiden  Lokalisationen  im 
wesentlichen  die  gleichen  und  erst  aus  ihrer  Aufeinanderfolge, 
ihrer  Dauer,  der  Zeit  ihres  Auftretens  usw.  ergeben  sich  wertvolle 
Abweichungen  je  nach  dem  Sitze. 

Das  erste  Symptom,  mit  welchem  sich  das  Leiden  einzuleiten 
pflegt,  ist  bei  extramedullärem  Sitz  der  Geschwulst  zumeist,  bei 
intramedullärem  zuweilen,  der  Schmerz.  Und  zwar  sei  hier  zunächst 
von  jenen  Schmerzen  die  Rede,  die  durch  Schädigung  der  hinteren 
Wurzeln  zustande  kommen  und  demgemäß  eine  radikuläre,  dem  Ver- 
breitungsgebiet einer  oder  mehrerer  übereinander  liegender  Wurzeln 
entsprechende  Anordnung  haben.  Bei  den  Tumoren  der  Häute 
erklärt  sich  das  häufige  Einsetzen  des  Leidens  mit  sensiblen  Wurzel- 
erscheinungen, bekanntlich  durch  die  Vorliebe  dieser  für  die  hinteren 
seitlichen  Partien  des  Marks,  also  für  das  dem  Eintritt  der  sen- 
siblen Wurzeln  entsprechende  Gebiet.  Doch  ist  das  initiale  Auf- 
treten sensibler  Wurzelsymptome  nicht  an  diese  Lokalisation  ge- 
bunden, sondern  es  können  auch  bei  der  selteneren  Lokalisation 
des  Tumors  gegenüber  den  vorderen  Partien  des  Marks  Kompression, 
Knickung  usw.  der  hinteren  Wurzeln  zustande  kommen.  Beim 
Marktumor  ist  der  Beginn  mit  dem  genannten  Symptom  an  die 
Voraussetzung   geknüpft,   daß   sich  die  Geschwulst   an  der  Peri- 


Znr  Differentialdiagnostik  d.  extra-  u.  intrameduUären  Rückenmarkstumoren.  149 

pherie  des  Marks  nahe  dem  Eintritt  der  sensiblen  Wurzeln  ent- 
wickelt. 

Inwiefern  kann  nun  dieser  Schmerz,  der  wegen  seiner  Ver- 
breitongsart,  seiner  außerordentlichen  Intensität,  der  öfters  be- 
obachteten Remissionen,  typisch  genannt  werden  muß,  für  die 
Entscheidung  zwischen  intra-  und  extramedullären  Sitz  verwertet 
werden  ? 

Zunächst  ergibt  sich,  wie  schon  angedeutet,  ein  wesentlicher 
Unterschied  in  der  Häufigkeit  dieses  Symptoms  je  nach  der  Lokali- 
sation der  Geschwulst  insofern,  als  der  Beginn  mit  sensiblen 
Wurzelsymptomen  bei  den  extramedullären  Tumoren  die  Regel 
ist,  während  er  bei  den  intramedullären  nur  in  der  Minderzahl 
zutrifft.  In  der  gesamten  mir  zur  Verfügung  stehenden  Literatur 
konnte  ich  nur  ca.  5  ^|^,  extramedulläre  Tumoren  finden,  bei  welchen 
ein  neuralgisches  Vorstadium  fehlte.  Nach  Abschluß  vorliegender 
Arbeit  wurden  in  allerletzter  Zeit  von  Schnitze  (2)  und  von 
Oppenheim  (1)  einige  Fälle  mit  fehlenden  initialen  Wurzel- 
schmerzen veröffentlicht,  und  es  dürfte  sich  lohnen,  der  Frage 
näher  zu  treten,  unter  welchen  Umständen  man  ein  neuralgisches 
Stadium  vermissen  wird. 

In  einem  Falle,  den  Boettger  und  Krause  (39)  mitteilten, 
mußte  die  abnorme  Lagerung  der  Geschwulst  für  dieses  Abweichen 
von  der  Norm  verantwortlich  gemacht  werden.  Der  rundliche 
Tumor  war  so  gelagert,  daß  er  weder  mit  vorderen  noch  mit  hin- 
teren Wurzeln  in  Berührung  kam.  Die  Hauptbedingung  für  diese 
Eventualität  ist  jedenfalls  eine  sehr  geringe  Wachstumstendenz  der 
Geschwulst  in  longitudinaler  Richtung. 

Im  Fall  Quensel  (67)  lagen  die  Verhältnisse  weniger  einfach, 
zumal  es  sich  um  einen  extraduralen  Tumor,  Sarkom,  handelte.  Die 
den  extraduralen  Tumoren  eigene  Tendenz  zum  Längenwachstum 
traf  hier  allerdings  nicht  zu,  indem  sich  der  Tumor  nur  auf  etwa 
2  Segmente  erstreckte.  Dagegen  ist  aus  dem  Sektionsbericht 
folgendes  zu  entnehmen:  „Entsprechend  dem  7.  und  8.  Dorsal wirbel- 
körper  fand  sich  eine  rauhe,  blutreiche,  wenig  feste  Geschwulst 
von  Taubeneigröße,  welche  der  Dura  hinten  und  seitlich  auf- 
saß, die  7.  und  8.  Wurzel  umfaßte  und  mit  letzterer  beiderseits  ins 
Foramen  intervertebrale  hineinzog." 

Diesem  Befunde  nach  wäre  eine  Schädigung  der  Wurzeln,  und 
damit  sensible  Reizerscheinungen,  in  zweifacher  Weise  zu  erwarten 
gewesen,  nämlich  einmal  durch  die  Umwucherung  der  Wurzeln  mit 
Geschwulstmassen,   ferner  ganz  besonders  durch  die   Kompression 


150  Vin.   Malaisä 

auf  dem  Wege  durch  die  Zwischenwirbellöcher.  Nun  ist  es  aber 
eine  bekannte  Tatsache,  auf  die  zuerst  Couplard-Pasteur, 
dann  A.  Westphal  und  Nonne  aufmerksam  gemacht  haben,  daß 
eine  große  Widerstandsfähigkeit  der  spinalen  Wurzeln  gegenüber 
der  Umklammerung  von  Geschwulstmassen  besteht.  Auch  Oppen- 
heim hat  an  der  Hand  eines  Falles  von  Wirbelzertrümmerung 
schon  auf  diese  Erscheinung  hingewiesen  und  Nonne  hat  sie  in 
einer  Arbeit,  die  1902  erschien,  von  neuem  zu  betonen  Gelegenheit 
gehabt.  Ganz  besonders  scheint  uns  dieses  hohe  Resistenzvermögen 
dem  Sarkom  gegenüber  zu  bestehen.  Damit  erklärt  sich  aber  noch 
nicht  das  Ausbleiben  von  Wurzelsymptomen  beim  Durchtritt  der 
Tumormassen  durch  die  Zwischenwirbellöcher,  da  hierbei  die  Kom- 
pression infolge  der  Unnachgiebigkeit  der  knöchenien  Unterlage 
eine  viel  intensivere  sein  mußte.  Es  finden  sich  allerdings  die  von 
Tumormassen  passierten  Intervertebralkanäle  oft  ausgehöhlt  und 
erweitert;  ob  aber  die  Schonung  der  spinalen  Wurzeln  von  seiten 
der  Geschwulstmassen  eine  so  weitgehende  ist,  daß  eher  der  Knochen 
usuriert,  als  eine  Wurzel  geschädigt  wird,  ist  zum  mindesten  zweifel- 
haft. Vielleicht  spielt  in  dem  konkreten  Fall  der  Blutreichtum 
und  die  dadurch  bedingte  geringe  Konsistenz  der  Geschwulst  eine 
Rolle. 

Bei  einem  anderen  Falle  (Si bei  ins  (76)),  der  ebenfalls  ohne 
sensible  Wurzelerscheinungen,  sondern  gleich  mit  Steifigkeit  und 
Schwäche  in  einer  oberen  Extremität  einsetzte,  war,  wie  aus  dem 
Obduktionsbericht  ersichtlich  ist,  „ein  vom  Periost  der  1.  Rippe 
ausgehendes  Sarkom  in  den  Wirbelkörper  eingedrungen,  hatte  das 
1.  Dorsalwurzelpaar  umwuchert  und  das  Rückenmark  in  dieser  Höhe 
komprimiert'*.  Also  auch  hier  lag  wieder  Sarkom  vor.  Lediglich 
als  weiterer  Belag  für  die  Widerstandsfähigkeit  der  Wurzeln  sei 
hier  noch  ein  von  S aller  (34)  mitgeteilter  Fall  angeführt.  In 
diesem  hatten  „einzelne  vordere  und  hintere  Wurzeln  den  Tumor 
passiert,  ohne  eine  Spur  von  Druckwirkung  zu  zeigen". 

Von  ganz  besonderem  Interesse  ist  ein  ebenfalls  gleich  mit 
MarksjTnptoraen  einsetzender  Fall,  den  Oppenheim  und  Cassirer 
beobachteten,  und  zwar  durch  eine  Reihe  auffallender  Momente: 
1.  lagen  2  Tumoren  vor,  2.  war  der  eine  größere  und  tiefer  ge- 
legene Tumor  vorne  seitlich,  der  kleinere  2  cm  höher  gelagerte 
hinten  am  Mark  gelagert;  3.  war  eine  hintere  Wurzel  durch  die 
Geschwulst  hindurch  zu  verfolgen,  während  die  nächsttiefere  letz- 
terer in  ganzer  Ausdehnung  anlag. 

Weiter  unten  soll  näher  auf  diesen  Fall  eingegangen  werden. 


Zur  Dififerentialdiagiiostik  d.  extra-  n.  intramedullären  Eückenmarkstamoreii.  151 

Vorher  sei  noch  das  Wichtigste  aus  der  schon  erwähnten  Schultze- 
schen  Beobachtung  angeführt. 

Es  handelte  sich  um  einen  ca,  haselnußgroßen  Tumor,  der  hinten 
seitlich  das  Mark  komprimierte.  Soviel  aus  dem  Berichte  einsieht- 
lieh,  war  primär  eine  hintere  Wurzel  nicht  in  Mitleidenschaft 
gezogen.  Ausgehend  von  diesem  Falle  hat  Schnitze  nun  für  das 
Fehlen  der  Wurzelschmerzen  die  Hypothese  aufgestellt,  daß  die 
Schmerzen  deshalb  nicht  zustande  kamen,  weil  eine  Kompression 
der  schmerzleitenden  Bahnen  die  zentripetale  Weiterleitung  des 
Schmerzreizes  unterbrach.  Vorausgesetzt  muß  hierbei  werden,  daß 
sich  der  Tumor  hauptsächlich  in  transversaler  Richtung  ausdehnt 
und  daß  bis  zur  völligen  Kompression^),  die  nächst  untere  Wurzel 
nicht  geschädigt  wird.  Dehnt  sich  der  Tumor  auf  die  nächsthöhere 
Wurzel  aus,  so  ist  die  Kompression  für  die  Entstehung  von  radiku- 
lären  Schmerzen  natürlich  belanglos.  Für  die  Oppenheim'sche 
Beobachtung  ist  die  Schnitze 'sehe  Hypothese  noch  besser  an- 
wendbar. Der  höher  gelagerte  Tumor  hat  seinen  Sitz  hinten  am 
Mark  und  verhindert  durch  die  Kompression  der  Hinterstränge,  daß 
die  durch  den  2.  Tumor  ausgelösten  sensiblen  Reize  zum  Gehirn 
gelangen.  Denn  daß  auch  bei  Sitz  an  den  vorderen  Teilen  des 
Kückenmarksquerschnitts  Wurzelschmerzen,  sogar  als  erstes  Zeichen, 
auftreten  können,  ist  bekannt.  Bei  der  Größe  des  zweiten  Tumors 
ist  eine  Schädigung  der  sensiblen  Wurzeln  durch  Knickung,  An- 
pressung  an  den  Wirbel  usw.  fast  unausbleiblich.  Daß  die  den 
oberen  Tumor  passierende  hintere  Wurzel  keinen  Schmerz  auslöste, 
dafür  findet  sich  zwar  keine  befriedigende  Erklärung,  doch  kann 
es  nach  den  oben  erwähnten,  die  Widerstandsfähigkeit  der  spinalen 
Wurzeln  betreffenden  Erfahrungen  weiter  nicht  wundernehmen. 

Neben  dem  letzterwähnten  Umstand  war  für  die  Fälle  mit 
fehlendem  neuralgischen  Vorstadium  in  einem  Falle  der  Umstand 
zutreffend,  daß  der  Tumor  keine  Wurzel  schädigte,  während  für 
zwei  andere  die  Erscheinung  durch  die  neue  Theorie  Schnitze's 
eine  plausible  Erklärung  findet. 

Der  geringe  Prozentsatz  der  Fälle  extramedullärer  Geschwülste, 
die  ohne  Wurzelschmerzen  gleich  mit  Marksymptomen  beginnen, 
stempelt  das  neuralgische  Vorstadium  insofern  zu  einem  sehr 
schätzenswerten  differentialdiagnostischen  Moment,  als  ein  neural- 
gisches Vorstadium  —  isolierte  Wurzelschmerzen  —  beim  Mark- 


1)  Daß  die  Kompression  gleich   eine   so  vollkommene  sein  soll,  daß  nicht 
einige  Fasern  leitnngsfähig  bleiben,  ist  allerdings  etwas  zweifelhaft. 


152  Vm.     MALAISfi 

tumor  recht  selten  sind.  Erhöht  wird  sein  Wert  aber  duich  eine, 
für  das  neuralgische  Vorstadium  der  außerhalb  des  Marks  etablierten 
Geschwülste,  charakteristische  Erscheinung,  nämlich  die  meist  lange 
Dauer  des  isolierten  Bestehens.  Diese  beträgt  meist  mehrere  Monate, 
ist  aber  in  den  einzelnen  Fällen  selbstredend  erheblichen  Schwan- 
kungen unterworfen.  Während  die  Dauer  sich  bei  vereinzelten 
Fällen  nur  über  4—6—8  Wochen  erstreckte,  sind  Fälle  mit  jahre- 
langer Dauer  des  neuralgischen  Stadiums  (als  einziges  Krankheits- 
zeichen) keine  große  Seltenheit.  So  berichtet  Schnitze  über  einen 
Fall,  in  welchem  es  8  Jahre  anhielt,  einen  anderen  mit  2  Va  jähriger 
Dauer,  Oppenheim  einen  Fall  mit  ebenso  langer  Dauer.  In  einem 
Falle  Quant's  bestand  ebenfalls  jahrelang  isoliert  ein  neuralgisches 
Vorstadium,  in  einem  Falle  Sachs'  hielt  dasselbe  auch  18  Monate 
an  und  beherrschte  während  dieser  Zeit  als  einziges  Symptom  das 
Krankheitsbild. 

Demgegenüber  ist,  m.  W.,  in  der  Literatur  kein  Fall  bekannt, 
in  welchem  eine  unkomplizierte  Markgeschwulst  als  erstes  Symptom 
über  einen  monatelangen  Zeitraum  radikuläre  Wurzelschmerzen  ver- 
ursacht hat. 

Ist  dagegen  ein  intramedullärer  Tumor  durch  eine  ausgedehnte 
Leptomeningitis  kompliziert,  so  kann  dies  durch  die  ausgedehnten 
Wurzelsymptome  eine  Diagnose  des  intramedullären  Sitzes  der  Ge- 
schwulst unmöglich  machen. 

Schnitze  (2)  teilt  einen  Fall  von  Gliom  mit,  in  dem  die 
Verhältnisse  so  lagen.  Die  Diagnose  in  vivo  konnte  nicht  ge- 
stellt werden.  Auch  Hahn  (28)  berichtet  über  einen  ähnlich  ge- 
lagerten Fall. 

Was  das  diesbezügliche  Verhalten  der  Wirbeltumoren  angeht, 
so  kann  bei  ihnen,  falls  die  Destruktion  des  Knochens  anfangs 
latent  bleibt,  ebenfalls  das  Leiden  mit  Wurzelschmerz  einsetzen. 
Derselbe  ist  dann  meist  sehr  stark  prononziert  und  kann,  was  das 
Wichtigste  ist,  wie  beim  Tumor  der  Häute,  auch  über  längere  Zeit 
isoliert  bestehen. 

Faßt  man  das  Vorstehende  zusammen,  so  gelangt  man  zu  dem 
Schlüsse,  daß  das  monate-  oder  jahrelange  isolierte  Bestehen  von 
Wurzelschmerzen  ein  nahezu  ausschließlich  den  Tumoren  mit  extra- 
medullärem Sitze  zukommendes  Verhalten  ist.  Das  Fehlen  eines 
neuralgischen  Vorstadiums  macht  einen  intramedullären  Sitz  wahr- 
scheinlich, spricht  aber  nicht  absolut  gegen  einen  Tumor  der  Häute 
(oder  der  Wirbelsäule). 

Diese   radikulären   Schmerzen   können   nach   einiger   Zeit   im 


Zur  Differentialdiagnose  der  extra-  u.  intxamednllären  Eückenmarkstamoreo.    153 

weiteren  Verlaufe  des  Leidens  sistieren,  was  mit  der  völligen  Zer- 
störung der  befallenen  Wurzel  eintreten  wird  (Schnitze),  insofern 
natürlich  —  was  bei  starkem  Längenwachstum  zu  befurchten  ist  — 
die  Geschwulst  keine  weiteren  sensiblen  Wurzeln  in  Angriff  nimmt 
Treten,  falls  letzteres  nicht  zutrifft,  Schmerzen  auf,  so  verdanken 
diese  ihre  Entstehung  meist  der  Reizung  intraspinaler  Fasern. 
Demgemäß  entbehren  sie  der  radikulären  Anordnung  und  treten 
peripherwärts  auf.  Diese  Schmerzen  fehlen,  die  Gliose  ausgenommen, 
fast  niemals  im  Verlaufe  intramedullärer  Geschwülste.  Vielmehr 
treten  sie  hierbei  häufig  in  großer  Intensität  auf  und  erstrecken 
sich  oft  über  den  ganzen  Körper,  so  daß  jede  Bewegung,  in  manchen 
Fällen  selbst  die  leiseste  Berührung,  Schmerz  auslösen  kann.  Indes 
ist  diese  Erscheinung  später  auftretender  Schmerzen  auch  bei  extra- 
medullären Geschwülsten  keine  Rarität.  Immerhin  scheint  es  aber, 
daß  sie  nicht  mit  der  Regelmäßigkeit  beobachtet  werden,  ^^e  beim 
Marktumor,  daß  sie  selten  sehr  hohe  Grade  erreichen,  endlich,  daß 
sie  mehr  passagerer  Natur  sind.  Man  kann  also  dahin  resümieren, 
daß  ein  völlig  schmerzloser  Verlauf,  falls  Gliose  auszuschließen,  im 
allgemeinen  gegen  Marktumor  spricht.  ^) 

Bleibt  ein  nicht  zu  rasch  wachsender  Tumor  auf  die  Vorder- 
hörner  beschränkt  und  erfolgen  keine,  auch  sensible  Partien  in 
Mitleidenschaft  ziehende  Blutungen  etc.,  so  muß  man  allerdings 
auch  einen  schmerzlosen  Verlauf  u.  a.  gewärtigen.  Die  bei  ge- 
nannter Lokalisation  zutage  tretenden  Symptome  sind  aber  so 
prägnante,  daß,  wenn  man  sich  über  das  Vorhandensein  eines 
Tumors  einmal  im  klaren  ist,  die  Frage,  ob  intia-  oder  extra- 
medullär, keine  Schwierigkeiten  mehr  bereitet. 

Beiläufig  mag  noch  bemerkt  werden,  daß  auch  die  Gliose  mit 
hochgradigen,  anhaltenden  und  sehr  ausgedehnten  Schmerzen  einher- 
gehen kann.  So  erwähnt  u.  a.  Kuntz  einen  Fall,  in  welchem 
3  Jahre  lang  Schmerzen  in  einer  oberen  Extremität  bestanden 
hatten,  die  sich  später  auch  auf  die  andere  erstreckten. 


1)  DaO  diese,  durch  Heizung  intraspiualer  Bahnen  verursachten  Schmerzen, 
—  gleiche  Lokalisation  des  Tumors  vt)rau8ge8etzt  —  in  einem  Falle  fehlen,  im 
anderen  vorhanden  sind,  ist  eine  üherraschende  Tatsache,  die  m.  E.  in  erster  Linie 
davon  abzuhängen  scheint,  ob  die  Geschwulst  sehr  rasch  wächst  (in  transversaler 
Eichtung),  oder  sich  nur  langsam  vergrößert,  mit  anderen  Worten,  ob  die  Kom- 
pression eine  mehr  brüske  oder  allmähliche  schonendere  ist.  Für  diese  Art 
Schmerzen  kann  die  neue  Schultze'sche  Theorie  kaum  herangezogen  werden, 
denn  bis  es  zu  einer  vollständigen  Leitungsunterbrechung  der  schmerzleitenden 
Bahnen  kommt,  ist  ja  reichlich  Zeit  und  auch  Anlaß  zur  Entstehung  von 
Schmerzen  gegeben. 


154  VIII.   Malaisä 

Auch  die  Wirbelsäule  ist  bei  den  Tumoren  des  Rückenmarkes 
oft  der  Sitz  erheblicher  Schmerzen.  Obwohl  der  Grad  derselben 
nicht  immer  im  Einklang  steht  mit  der  Beteiligung  der  Wirbel- 
säule an  dem  Prozesse,  so  erfihrt  die  Differentialdiagnose  doch 
häufig  eine  Förderung  durch  das  Symptom.  Mit  den  Wirbelsäulen- 
schmerzen seien  auch  gleich  die  objektiven  Veränderungen  an  der 
Columna  vertebralis  besprochen,  die  im  Verlaufe  der  Rückenmarks- 
geschwülste zur  Beobachtung  gelangen. 

Bei  den  Schmerzen  muß  zunächst  zwischen  einer  diffusen, 
größere  Abschnitte  der  Wirbelsäule  betreffenden  und  einer  zirkum- 
skripten, auf  einen  oder  zwei  benachbarte  Quer-  resp.  Darmfort- 
sätze beschränkten  Schmerzhaftigkeit  unterschieden  werden.  Ein 
weiterer  Unterschied  besteht  insofern,  als  spontane  Schmerzhaftig- 
keit bestehen  kann,  oder  der  Schmerz  erst  durch  Bewegungen, 
Erschütterungen,  Druck  auf  die  Wirbel  oder  plötzliche  Belastung  usw. 
verursacht  wird. 

Es  ist  das  Nächstliegende,  die  stärksten  subjektiven  und  ob- 
jektiven Symptome  von  jenen  Tumoren  zu  erwarten,  die  ihren 
Ausgangspunkt  von  den  Wirbelknochen  nehmen.  In  der  Tat  geht 
auch  die  Mehrzahl  der  Wirbeltumoren  mit  Schmerzen  an  der 
Wirbelsäule,  weniger  oft  spontan  als  auf  direktem  Druck  oder  bei 
Bewegungen,  einher.  Indes  findet  ein  Abweichen  von  dieser  Norm 
nach  zweierlei  Richtung  statt:  einmal  kommt  es  nicht  zu  selten 
zur  Beobachtung,  daß  die  Wirbelsäule,  d.  h.  einzelne  Wirbel,  schon 
einer  ausgedehnten  Destruktion  verfallen  ist,  ohne  daß  bis  zum 
Ende  Schmerzen  auf  diesen  Prozeß  hingewiesen  hätten.  Böttiger, 
Nonne,  Thomas  u.  a.  haben  solche  Fälle  mitgeteilt.  Vermißt 
man  bei  einem  Tumor,  bei  dem  Destruktion  und  damit  Schmerz- 
haftigkeit der  Wirbelsäule  seiner  Art  nach  erwartet  werden  muß, 
diese  Symptome,  so  kann  dies  eine  Diagnose  zum  mindesten  ins 
Wanken  bringen.  Diesen  Fällen,  bei  welchen  die  Wirbelsäule  trotz 
ausgedehnter  Erkrankung  äußerlich  intakt  erscheint,  stehen  andere 
gegenüber,  bei  welchen  oft  recht  beträchtliche  Wirbelsäulensymptome 
bestehen,  obwohl  der  Tumor  mit  dem  Knochen  gar  nicht  in  direktem 
Kontakte  steht,  geschweige  denn  ihn  usuriert. 

Hochgradige  Schmerzen  an  der  Wirbelsäule  kommen  bei  un- 
komplizierten Marktumoren  nicht  zur  Beobachtung,  Steifigkeit  da- 
gegen und  Schmerzhaftigkeit  bei  Bewegungen  der  —  namentlich 
difformen  —  Wirbelsäule  ist  auch  bei  intramedullärem  Tumor  nicht 
auszuschließen.  In  unkomplizierten  Fällen,  sage  ich,  denn  ist  die 
Meninx  mitergriffen,  so  können  natürlich  sehr  heftige  Wirbelsäulen- 


Zar  DifferentialdiagTiose  der  extra-  n.  intramednllären  Rückenmarkstumoren.    155 

Symptome  bestehen,  wie  z.  B.  in  einem  Falle  Schnitze' s.  Aber 
es  ist  da  nicht  mehr  von  einem  intramedullären  Tumor  sensn  stric- 
tiori  die  Bede^  da  ja  nicht  dieser,  sondern  die  „extramedulläre 
Komplikation"  die  Erscheinung  hervorruft,  und  daß  Tumoren  der 
Häute,  namentlich  extradurale,  heftigen  Wirbelsäulenschmerz,  der 
im  letzteren  Fall  auch  umschrieben  auftritt,  erzeugen  können,  ist 
bekannt.  Das  Resum^  ist  also  folgendes:  Eine  umschriebene 
Schmerzhaftigkeit  der  Wirbelsäule  findet  sich  in  erster  Linie  bei 
Tumoren,  die  von  letzterer  ihren  Ausgang  nehmen  (können  hierbei 
aber  auch  fehlen);  dann  aber  auch  bei  Geschwülsten  der  Häute, 
insbesondere  extraduralen.  Bei  intramedullärem  Sitz  der  Geschwulst 
kommt  sie  indessen  in  ausgesprochener  Weise  nicht  zur  Beobachtung. 
Bis  hierher  ist  also  der  differentialdiagnostische  Wert  des  Symptoms 
nicht  anzuzweifeln.  Dagegen  kann  der  diffusen  Schmerzhaftigkeit 
der  Wirbelsäule  keine  differentialdiagnostische  Bedeutung  beigelegt 
werden,  insbesondere  wenn  Difformitäten  an  der  Columna  verte- 
bralis  vorliegen.  Letztere  haben  die  verschiedenartigsten  Ent- 
stehungsursachen. Besteht  eine  spitzwinklige  Kyphose,  so  ist  die 
Situation  damit  im  allgemeinen  völlig  geklärt:  Es  liegt  entweder 
tuberkulöse  Karies  oder  Karzinom  der  Wirbelsäule  vor,  also  jeden- 
falls ein  Prozeß  am  Knochen.  Schlesinger,  der  in  Wirbel- 
tamoren  wohl  die  größte  Erfahrung  hat,  hat  allerdings  einen  Fall 
von  spitzwinkliger  Kyphose  bei  einem  unkomplizierten  meningealen 
Tumor  gesehen,  der  auf  den  Knochen  nicht  übergegriffen  hatte. 
Der  Fall  ist  aber  jedenfalls  ein  Unikum,  mit  dem  nicht  gerechnet 
zu  werden  braucht.  Runde  Kyphosen,  Kyphoskoliosen  etc.  kommen 
bei  extra-  und  intramedullärem  Sitze  vor,  bei  der  Gliose,  wie  be- 
kannt, oft  in  sehr  hohem  Grade.  Des  weiteren  vermögen  Tumoren 
der  Häute  Wirbelsäulenverkrümmungen,  namentlich  seitliche,  zu 
provozieren.  Oppenheim  (21)  beobachtete  in  zwei  später  operativ 
behandelten  Fällen  extramedullärer  Tumoren  sich  eine  Skoliose 
entwickeln,  und  zwar  nach  der  Seite  der  Geschwulst.  In  diesen 
Fällen  ist  die  Entstehung  der  Verkrümmung  jedenfalls  auf  das 
Bestreben  der  Kranken  zurückzuführen,  die  Wirbelsäule  zu  ent- 
spannen, d.  h.  ihr  die  Stellung  zu  geben,  in  welcher  die  Schmerzen 
am  geringsten  sind.  Nach  Entfernung  der  Geschwulst  kann  sich 
die  Skoliose,  wie  Oppenheim  konstatierte,  wenigstens  zum  Teil 
wieder  ausgleichen. 

Bei  Beurteilung  namentlich  geringerer  Grade  von  Wirbel- 
säulenverkrümmung hinsichtlich  ihrer  Verwertbarkeit  bei  schwan- 
kender  Diagnose  des   Sitzes   der  Geschwulst    ist   also  jedenfalls 


156  Vni.     MALAISß 

einige  Reserve  zu  empfehlen.  Spitzwinklige  Kyphosen  sprechen 
absolut  für  einen  Knochenprozeß  —  daran  vermag  auch  die  oben 
angeführte  vereinzelte  Beobachtung  nichts  zu  ändern.  Lassen  sich 
Dislokationen  von  Wirbelbestandteilen  nachweisen  (Dorn-  resp. 
Querfortsätze  oder  Teile  eines  Wirbelbogens) ,  so  sind  Zweifel 
über  die  Lokalisation  der  Geschwulst  damit  natürlich  gehoben. 

Bevor  zur  Besprechung  des  Krankheitsverlaufes  übergegangen 
wird,  möge  noch  eine  Erörterung  der  Frage  gestattet  sein,  wie  sich 
die  sensiblen  und  motorischen  Bahnen  verhalten,  je  nachdem  sie 
einer  Kompression  durch  den  Tumor  ausgesetzt  sind,  oder  direkt 
durch  einen  solchen  irritiert  werden. 

Zunächst  ist  zu  konstatieren,  daß  die  Anordnung  der  durch 
eine  Geschwulst  verursachten  sensiblen  Ausfallserscheinungen,  inso- 
fern es  sich  um  Mark  Symptome  handelt,  eine  segmentäre  ist. 
Selbst  die  Gliose,  welche  infolge  einer  gewissen  Regelmäßigkeit  in 
der  Lokalisation  des  Krankheitsprozesses  hinsichtlich  der  Sensi- 
bilitätsstöiTingen  charakteristisch  genannt  werden  kann,  macht, 
wie  Schlesinger  (102)  hervorhebt,  nur  in  den  seltensten  Fällen 
eine  Ausnahme.  Als  derartige  Abnormitäten  führt  genannter 
Autor  eine  gliederweise,  oder,  was  nur  in  ganz  vereinzelten  Fällen 
beobachtet  wurde,  eine  spiralförmige  Anordnung  der  sensiblen 
Ausfallserscheinungen  an.  Dieses  Symptom  muß  nun  allerdings  als 
Monopol  der  Gliose  anerkannt  werden,  ohne  daß  es  aber  bei  seiner 
ungeheuren  Seltenheit  differentialdiagnostisches  Interesse  bean- 
spruchen könnte. 

Die  Begrenzung  der  sensiblen  Symptome  bietet  keinerlei  mar- 
kante Abweichungen,  je  nach  dem  Sitz  des  Tumors.  Die  anästhe- 
tische Zone  kann  sowohl  beim  Marktumor  wie  beim  extramedullären 
von  einer  schmalen  hyperästhetischen  Zone  überdacht  sein,  die  hier 
wie  dort  aber  häufig  auch  vermißt  wird. 

Ein  Symptomenkomplex,  welcher  mehr  Berücksichtigung  bei 
der  Entscheidung  des  Sitzes  der  Geschwulst  verdient,  ist  die 
dissoziierte  Empfindungslähmung,  eine  Erscheinung,  welche  bei  je- 
weiliger Berücksichtigung  der  zeitlichen  Umstände  ihres  Auftretens 
und  ihrer  Nebenerscheinungen  die  Situation  oft  mit  einem  Schlage 
klärt.  Sie  stellt  eines  der  Kardinalsymptome  der  Gliose  dar,  wird 
aber  auch  nicht  zu  selten  bei  meningealen  und  Wirbeltumoren  ^)  be- 
obachtet. Wie  das  Zustandekommen  der  dissoziierten  Empfindungs- 
lähmung bei  Kompression  von  außen  her  zu  erklären  ist,  ist  eine 


1)  Böttiger,  Thomas  u.  a. 


Zar  Differentialdiagnose  der  extra-  n.  iutramednilären  Rückenmarkstumoren.    157 

nicht  immer  leicht  zu  beantwortende  Frage.  Nimmt  man  an,  daß 
die  Temperatur-  und  Schmerzgefühl  leitenden  Bahnen  im  Seiten- 
strang nach  dem  Zentrum  aufsteigen  und  erkennt  die  Hinterstränge 
als  Bahn  für  das  Muskelgefuhl  an,  so  ist  die  Möglichkeit  einer 
isolierten  Schädigung  der  erstgenannten  Empiindungsqualitäten 
zuzugeben,  wenn  das  Mark  von  hinten  und  seitlich  komprimiert 
wird.  Ist  aus  einer  Beschränkung  der  dissoziierten  Empfindungs- 
lähmung auf  einen,  der  Segmenthöhe  der  Kompression  entsprechenden, 
Körperbezirk,  auf  eine  Schädigung  des  Hinterhorns  zu  schließen,  so 
kommt  einem  bei  der  Erklärung  dieser  Erscheinung  vielleicht  die 
Erfahrung  zu  Hilfe,  daß  bei  Kompression  von  außen  her  zuerst 
nnd  am  meisten  die  zentral  gelegenen  (und  gegenüber  liegenden) 
Teile  des  Marks  zu  leiden  pflegen.  Indes  kann  man  sich  nicht  des 
Zweifels  erwehren,  ob  hierfür  lediglich  mechanische  und  nicht  viel- 
mehr weit  kompliziertere  Momente  —  auf  dem  Gebiete  der  Blut- 
versorgung u.  s.  f.  —  in  erster  Linie  in  Betracht  kommen. 

Einen  gewissen  Anhaltspunkt  gibt  auch  die  Lokalisation  der 
dissoziierten  Empfindungslähmung  r  handelt  es  sich  um  Gliose,  so 
wird  die  dissoziierte  Anästhesie  —  als  Ausdruck  der  Hinterhorn- 
erkrankung  —  meist  eine  homolaterale  sein  und  in  der  Regel 
den  Arm  betreifen.  Ist  sie  dagegen  das  Kesultat  einer  Kompression, 
so  ist  sie  gewöhnlich  durch  Läsion  der  Seitenstränge  bedingt  und 
tritt  demgemäß  am  gekreuzten  Beine  auf. 

Jedenfalls  ist  ein  Überwiegen  im  Vorkommen  der  dissoziierten 
Empfindungslähmung  bei  Sitz  der  Geschwulst  im  Marke  zu  kon- 
statieren. Freilich  kann  sie  hierbei  auch  fehlen.  Einen  in  mannig- 
facher Hinsicht  ^)  interessanten  Fall  teilten  zwei  französische  Au- 
toren^) mit,  bei  welchen  die  partielle  Empfindungslähmung  in  un- 
gewohnter, wenn  man  so  sagen  darf,  „umgekehrter"*  Weise  zum 
Ausdruck  kam.  Der  betreffende  Patient  zeigte  nämlich  in  den 
oberen  Extremitäten  taktile  Anästhesie  bei  erhaltenem  Schmerz- 
und  Temperaturgefühl.  Es  lagen  3,  in  den  weißen  Strängen  ge- 
legene, Gliome  vor. 

Was  die  motorischen  Bahnen  betrifft,  so  erübrigt  noch  eine 
kurze  Besprechung  der  motorischen  Wurzelsymptome.  Der  Um- 
stand, daß  erfahrungsgemäß  erst  der  Ausfall  von  zwei  oder  drei 
übereinander  gelegenen  Wurzeln  deutliche  Erscheinungen  hervor- 
zurufen vermag,  bedingt  es,  daß  motorische  Wurzelsymptome,  zumal 


1)  Auch  in  Hinsicht  anf  die  Mann'sche  Theorie  von  der  Leitung  des  Tast- 
sinnes. 

2)  Patoir  et  Raviart. 


158  VIII.     MlLAIBfi 

Lähmungen,  eher  bei  extramedullären,  speziell  extraduralen  Tu- 
moren vorkommen,  als  bei  Markgeschwölsten.  Namentlich  die 
extraduralen  Geschwülste  sind  es,  die  bei  ihrer  Neigung  zu  be- 
trächtlicher Längenausdehnung  ausgedehnte  Wurzelzerstörungen 
verursachen.  Beherrschen  motorische  Wurzelsymptome  längere 
Zeit  das  Krankheitsbild  und  werden  in  relativ  kurzer  Zeit  eine 
immer  größere  Zahl  von  vorderen  Wurzeln  in  den  Prozeß  mit  ein- 
bezogen, so  ist  dies  gegen  intramedullären  Sitz^)  wohl  verwert- 
bar. Sensible  Erscheinungen  können  dabei  fehlen.  Häufiger,  weil 
schon  durch  geringere  A^nzahl  lädierter  Wurzeln  hervorzurufen,  als 
Lähmungserscheinungen,  sind  Reizerscheinungen  in  den  vorderen 
Wurzeln.  Ihr  Vorkommen  ist  bei  extramedullären  Tumoren  häu- 
figer zu  beobachten,  als  wenn  der  Tumor  im  Mark  sich  etabliert 
hat,  und  es  sprechen  Muskelkrämpfe  und  dergleichen  mehi*  für 
erstere  Lokalisation.  *)  Aber  auch  bei  Markgeschwülsten  kommen 
motorische  Reizerscheinungen  oft  in  recht  ausgesprochener  Weise 
zur  Beobachtung,  was  um  so  leichter  erklärlich,  als  sie  auch  durch 
Reizung  intraspinaler  Bahnen  auslösbar  zu  sein  scheinen.  Roux 
und  Paviot  (89)  teilen  u.  a.  einen  Fall  von  Gliom  mit,  bei  welchem 
schon  leiseste  Berührung  heftige  Muskelkontrakturen  verursachten, 
ohne  daß  in  der  Mitteilung  eine  Notiz  über  ein  eventuelles  Er- 
grififensein  der  Häute  enthalten  wäre. 

Ahnliches  gilt,  was  Schnitze  ebenfalls  hervorhebt,  von  den 
j  Spasmen,   die   bei    extramedullären  Geschwülsten    sehr  häufig  zu 

finden  sind.     Da  jedoch  für  dieses  Symptom  ein  anatomisch  und 

physiologisch   einigermaßen  abgrenzbares  Gebiet  im   Rückenmark 

verantwortlich  gemacht  werden  kann  —  die  Pyramiden  — ,  so  ist 

I  die    Möglichkeit,    daß   eine    Markgeschwulst    bei    entsprechender 

Lokalisation  auf  dem  Querschnitt,  das  gleiche,  ja  in  sehr  hohem 

Grade  bewirken  kann,  zugegeben.  Diese  theoretischen  Erwägungen 

finden  ihre  praktische  Bestätigung  durch  zwei  Fälle,  die  wir  der 

Mitteilung  Kien  bock' s    (85)    verdanken.      Es   handelt   sich  in 

beiden  um  Gliose:  der  erste  begann  vier  Jahre  vor  dem  Exitus 

'  mit  spastischen  Erscheinungen  in  den    oberen  Extremitäten  und 

i  spastischem  Gang,  der  andere  zeigte  ebenfalls  initial  und  jahrelang 

I  anhaltend  das  letztgenannte  Symptom. 

A\'aren  Wurzelsymptome,  sensible  oder  motorische,  vorhanden 


1)  Die  Komplikation  einer  Leptomeningitis  wieder  anageschlossen. 

2)  Die  Seltenheit  dieses  Symptoms  stellt  freilich  seinen  differentialdiagnosti« 
sehen  Wert  sehr  in  Frage. 


Zur  Differentialdia^ose  der  extra-  n.  intramedullären  Rückenmarkstumoren.    159 

SO  reiht  sich  im  weiteren  Verlauf  des  Leidens  bei  beiden  Lokali- 
s&tionen  ein  weiterer  Komplex  von  Erscheinungen  an,  die  ihre 
Ursache  in  einer  Schädigung  des  Markes  haben.  Aber  es  tritt 
auch  hierbei  eine  gewisse  Verschiedenheit  hervor,  je  nach  dem 
Sitze  der  Geschwulst,  die  zwar  nicht  immer  vorhanden  oder  nur 
verschwommen  angedeutet  sind,  und  auch  wieder  nicht  ausschließ- 
lich dieser  oder  jener  Lokalisation  zukommen.  Zunächst  fällt  es 
auf,  daß  bei  Tumoren  außerhalb  des  Marks,  vornehmlich  den 
meningealen  Tumoren,  wie  schon  die  Wurzelsymptome,  so  auch  die 
ersten  Marksymptome  unilateral  auftreten.  Auch  Wirbel- 
tamoren  können  dieses  Verhalten  einhalten,  doch  ist  es  hier  nicht 
die  Kegel.  Beim  Marktumor  aber  kann  ein,  namentlich  länger 
prosistierendes,  unilaterales  Auftreten  der  Marksymptome  als  Selten- 
heit bezeichnet  werden.  Es  ist  dies  auch  nicht  zu  verwundern, 
denn  ein  intramedullärer  Tumor  wird  bei  seinem  Wachstum  über 
kurz  oder  lang  die  Medianlinie  überschreiten,  ganz  abgesehen  da- 
von, daß  sehr  häufig  durch  Blutungen,  oder  aber  nur  durch  die 
entzündlichen  Prozesse  im  Mark,  welche  seine  Entwicklung  be- 
gleiten, Bezirke  der  anderen  Rückenmarkshälfte  in  Mitleidenschaft 
gezogen  werden.  Ganz  anders  liegen  die  Verhältnisse  beim  Tumor 
der  Häute.  Seine  Vorliebe,  sich  an  den  seitlichen  Rückenmarks- 
partien, speziell  hinten  seitlich  zu  etablieren,  erklärt  auch  das 
meist  einseitige  Auftreten  der  Wurzel  und  der  Marksymptome  bis 
zur  völligen  Querschnittsunterbrechung. 

Aus  dieser  Gepflogenheit  der  extramedullären  Geschwülste 
folgt  noch  eine  weitere  Tatsache,  nämlich  das  weit  überwiegende 
Vorkommen  der  Brown-S6quard'schen  Halbseitenläsion  bei  genannter 
Lokalisation  der  Geschwulst.  Fälle,  in  welchen  die  Halbseiten- 
läsion durch  einen  Marktumor  hervorgerufen  war,  sind  nicht  viele 
bekannt^  außerdem  aber  sind  sie  noch  dadurch  charakterisiert,  daß 
sie  meist  von  sehr  geringer  Dauer  waren. 

Solche  Fälle  wurden  von  Henneberg  (56)  und  L.  R.  Mül- 
ler (82)  mitgeteilt.  Im  letzteren  Falle  lag  ein  Solitärtuberkel  vor, 
der  laut  Obduktionsbericht  das  oberste  Brustmark  in  der  Höhe  des 
IL  Dorsalsegments  in  der  rechten  Hälfte  eingenommen  hatte.  In 
der  linken  Hälfte  bestanden  außer  leichter  Stauung  keine  Ver- 
änderungen. Im  Falle  Henne b er g  war  es  ein  Gliasarkom,  das 
durch  sein  Beschränktbleiben  auf  eine  Rückenmarkshälfte  zur 
Halbseitenläsion  geführt  hat. 

Die  Krankheitsdauer  des  ersten  Falles  betrug  5  Wochen, 
während  der  zweite  Fall  innerhalb  6  Wochen  zum  Exitus  kam. 


160  VIII.   Malaisä 

Das  einseitige  Auftreten  der  Symptome,  namentlich  wenn  nach 
unilateralen  Wurzelsymptomen  die  Marksymptome  in  gleicher 
Weise  auftreten,  ebenso  die  Brown-Sequard'sche  Halbseitenläsion, 
wenn  sie  sich  noch  dazu  über  längere  Zeit  erhält,  sind  Symptome, 
deren  Auftreten  sehr  entschieden  für  extramedullären  Sitz  der 
Geschwulst  sprechen. 

Die  einzelnen  Stadien,  die  beim  extramedullären  Tumor  im 
Krankheitsverlaufe  unterscheidbar  sind,  wurden  bereits  erwähnt. 
Was  die  zeitliche  Aufeinanderfolge  derselben  anlangt,  so  läßt  sich 
auch  in  dieser  Hinsicht  ein  gewisser,  häufig  wiederkehrender  Typ 
erkennen.  Nach  meist  langem,  isolierten  Bestehen  des  (uailateralen) 
Wurzelstadiums  folgt  das  der  (ebenfalls  meist  einseitigen)  Mark- 
kompression, welches  seinerseits,  wie  Oppenheim  hervorhebt, 
meist  rasch  in  das  Stadium  der  völligen  Querschnittsunterbrechung 
übergeht.  Diese  einzelnen  Phasen  des  Leidens  sind  in  der  aller- 
größten Mehrzahl  der  Fälle  lückenlos  aneinander  gereiht,  der  Ver- 
lauf ist  ein  stetig  progredienter,  nicht  sprunghafter ,  sondern  es 
ist  in  jedem  Fortschritt  des  Krankheitsprozesses  lediglich  die  not- 
wendige Konsequenz  der  allmählichen  Größenzunahme  der  Ge- 
schwulst zu  sehen. ^)  Daraus  resultiert,  daß  einzelne  Symptome 
resp.  Symptomenkomplexe  zeitlich  an  gewisse  Stadien  der  Krank- 
heit gebunden  sein  müssen. 

Beim  Marktumor  ist  dies  nun  nicht  der  Fall,  der  Verlauf  ist 
ein  regelloserer,  gerade  durch  das  Auftreten  unvorhergesehener  und 
überraschender  Zwischenfälle  charakterisierter.  Natürlich  ist  dies 
nicht  in  allen  Fällen  intramedullärer  Geschwülste  zu  erwarten,  wie 
sich  überhaupt  kein  Krankheitsbild  weniger  eignet,  in  eine  starre 
Form  gepreßt  zu  werden,  als  das  so  komplizierte  der  Rückenmarks- 
geschwülste. Wie  schon  aus  der  Möglichkeit  eines  neuralgischen 
Vorstadiuras  hervorgeht,  ist  auch  beim  Marktumor  eine  Unter- 
scheidung einzelner  Stadien  zuweilen  durchführbar.  Aber  im 
weiteren  Verlauf  kommt  die  Neigung  zu  sprunghafter  Entwicklung 
doch  wieder  zum  Durchbruch.  Sowohl  hierfür  als  auch  zur  Er- 
klärung des  Umstandes,  daß  bei  intramedullärem  Sitz  jedes 
Symptom  initial  aufzutreten  vermag,  muß  man  sich  die  Tatsache 
vergegenwärtigen,  daß  bei  dieser  Lokalisation  eben  von  Anfang  an 
das  Mark  der  geschädigte  Teil  ist  und  daß  diese  Schädigung  uber- 


1)  Ausnahmen  sind  die  bei  malignen  Tnmoren  nnd  infektiösen  Grannlomen 
znweilen  proakut  auftretenden  totalen  Querschnittsunterbrechnngen,  die  ihre  Er- 
klärung z.  T.  in  einer  Toxikämie,  z.  T.  in  ohne  ersichtliche  Ursache  auftretenden 
ausgedehnten  Querschnittserweichungen  finden. 


Zur  Differentialdiagnose  d.  extra-  n.  intramednllären  BUckeBmarkstnmoren.    161 

dies  eine  radikalere  sein  muß,  als  wie  bei  selbst  vorgeschrittener 
Kompression  von  außen  her.  Infolgedessen  kann  ein  Marktumor 
auch  schon  nach  kurzem  Bestehen  eine  sehr  extensive  Wirkung 
entfalten,  was  keineswegs  mit  einer  kürzeren  Erankheitsdauer  zu- 
sammenhängt. Nach  den  Berechnungen  Schlesinger's  beträgt 
diese  nämlich  für  die  intramedullären  Geschwülste  im  Mittel  17 
Monate,  für  extra-  und  intradurale  dagegen  13,  resp.  26  Monate. 

Die  Ursache  der  bei  intramedullärem  Sitz  häufig  beobachteten 
Zwischenfalle  ist  bekannt ;  sie  liegt  in  den  mit  dem  Wachstum  der 
Geschwulst  verbundenen  entzündlichen  Prozessen  und  Blutungen, 
—  Erscheinungen,  die  bei  Kompression  von  außen  ungleich  seltener 
sind.  Am  evidentesten  kommen  diese  sekundären  Prozesse  natür- 
lich zum  Ausdruck,  wenn  sie,  was  gerade  bei  Marktumoren  recht 
hänfig,  die  Hals-  resp.  Lendenanschwellung  betreffen. 

Bei  dieser  Lokalisation  kommt  auch  ohne  Blutungen  usw.  der 
Unterschied  zwischen  extra-  und  intramedullärem  Sitz  besonders 
zur  Geltung.  Sind  z.  B.  die  Vorderhörner  exklusiv  betroffen,  — 
die  graue  Substanz  ist  ja  ein  Prädilaktionsort  für  die  Entstehung 
von  Tumoren  —  so  ist  das  Krankheitsbild  ausschließlich  durch  eine 
von  Anfang  an  rapid  fortschreitende  degenerative  Atrophie  be- 
herrscht, wie  es  in  diesem  Grade  durch  extramedulläre  Tumoren 
nicht  verursacht  werden  kann.*) 

Hier  sei  noch  auf  einzelne  Symptome  hingewiesen,  die  aus- 
nahmsweise auch  bei  extramedullärem  Sitz  frühzeitig  auftreten 
können.  Hierzu  ist  die  Ataxie  zu  rechnen.  Indes  ist  das  Symptom 
äußerst  selten  und  lediglich  in  dem  Sinne  hier  angeführt,  daß  die 
gelegentliche  intiale  Beobachtung  kein  Grund  ist,  die  Diagnose  des 
extramedullären  Sitzes  ins  Wanken  zu  bringen.  Wie  Oppen- 
heim (1)  weiterhin  in  seiner  Abhandlung  über  „den  abdominalen 
Symptomenkomplex"  an  der  Hand  einschlägiger  Fälle  nachweist, 
kann  unter  Umständen  auch  eine  degenerative  Bauchmuskel- 
lähmung das  erste  Krankheitszeichen  extramedullärer  Geschwülste 
abgeben,  und  zwar  ohne  daß  etwa  ein  langgestreckter  extraduraler 
Tumor  eine  große  Zahl  vorderer  Wurzeln  zerstört.  Die  Erscheinung 
kann  durch  einen  Tumor  des  unteren  Dorsalmarks  hervorgerufen, 
erklärt   aber  nur   dadurch  werden,   daß  die  Bauchmuskeln,  auch 


1)  Durch  Zerstö^ang  mehrerer  vorderer  Wurzeln,  durch  eine  flächenhaft 
ausgedehnte  extradurale  Geschwulst  kann  event.  auch  ein  ähnlicher  Symptomen- 
komplex  provoziert  werden.  Wie  aber  B  r  u  n  s  schon  in  seinem  mehrfach  zitierten 
Werke  hervorhebt,  sind  hierbei  Störungen  der  elektrischen  Erregbarkeit  und 
solche  trophischer  Natur  lange  Zeit  zu  vermissen. 

Deotsches  Arohiv  f.  kUn.  MediKin.    LXXX.  Bd.  11 


162  ^ni.  Malais« 

wenn  nicht  alle  an  ihrer  Innervation  beteiligten  unteren  Dorsal- 
worzeln  zerstört  resp.  leitungsunfähig  sind,  nicht  in  einzelnen 
Muskelsegmenten  sondern  in  toto  gelähmt  sind. 

Noch  eines  weiteren  Umstandes  sei  Erwähnung  getan,  der  auch 
manchmal  dazu  beitragen  kann,  einen  Marktumor  von  einer  6^ 
schwulst  der  Häute  oder  der  Wirbel  zu  unterscheiden.  Es  sind 
dies  Besserungen  des  Leidens,  Stillstände,  Remissionen,  Schwan- 
kungen u.  s.  f.  Wie  im  voraus  bemerkt  sei,  sind  dies  Erschei- 
nungen, wie  sie  die  Markgeschwülste  nicht  allzu  selten  aufweisen. 
Remissionen  beobachtet  man  weiterhin  im  neuralgischen  Stadium 
der  extramedullären  Tumoren,  ja  sie  sind  für  diese  Erankheits- 
etappe  bis  zu  einem  gewissen  Grade  sogar  charakteristisch.  Ist 
die  betroffene  sensible  Wurzel  zerstört^  so  kann  es  eine  Zeitlang 
dauern,  bis  deutliche  Marksymptome  auftreten,  —  eine  Zeit^  die 
als  Stillstand  des  Leidens  imponieren  kann,  von  einem  Kundigen 
aber  nicht  so  au^efaßt  werden  wird. 

Was  das  diesbezügliche  Verhalten  des  Marktumors  anlangt,  so 
sei  dies  durch  die  Krankengeschichte  eines  Patienten  von  Sänger  (96) 
—  es  handelte  sich  um  Gliom  —  illustriert.  Die  Kranke  zeigte  im 
Anschluß  an  ein  Wochenbett  Schwäche  im  linken  Bein,  Schmerzen 
vom  Rücken  nach  den  Knien  ausstrahlend.  Im  weiteren  Verlauf: 
Gehen  und  Stehen  erheblich  erschwert,  zeitweilig  Blasen-Mastdarm- 
störungen, aufgehobene  Sehnenreflexe  an  den  unteren  Extremitäten, 
Sensibilitätsstörungen  etc.  Nach  Verordnung  von  Ruhe  und  Sitz- 
bädern war  Patient  nicht  nur  von  den  Schmerzen  befreit,  sondern 
auch  das  Gehen  war  erheblich  gebessert  und  Blase  und  Mastdarm 
funktionierten  wieder  normal. 

Für  diesen  Fall  und  ähnliche  dürfte  die  Resorption  einer 
Blutung,  die  entweder  ins  Mark  oder  in  die  Geschwulst  erfolgte, 
die  Ursache  der  Erscheinung  abgeben.  Ein  derartiges  „regressives" 
Verhalten  wird  man  bei  Geschwülsten  der  Häute  und  Wii-bel  nicht 
zu  erwarten  haben.  Henschen  (33)  berichtet  allerdings  über 
einen  Fall,  der  eine  Ausnahme  von  dieser  Regel  zu  machen 
scheint 

Bei  seinem  Kranken  hatten  sich  im  Verlauf  einiger  Jahre  alle 
Symptome  einer  fortschreitenden  Markkompression  eingestellt, 
Anästhesie  am  linken  Arm,  später  Parese  der  linken  Seite,  endlich 
Blasen-Mastdarmstörungen  und  okulopupilläre  Symptome.  Nun  be- 
gannen aber  die  Symptome  in  umgekehrter  Reihenfolge  wieder 
zu  schwinden  bis  zur  völligen  Wiederherstellung  des  Patienten. 
Spondylitis  und  Syphilis  waren  mit  Bestimmtheit  auszuschließen, 


Znr  BifFerentialdiagnose  d.  extra-  a.  intramednllären  Rückenmarkstumoren.     163 

dagegen  fanden  sich  an  verschiedenen  Stellen  der  Eorperperipherie 
multiple  Psendoneorome. 

Der  ganze  Verlauf  zwang  also  zu  der  Annahme,  daß  der 
zweifellos  yorliegende  Rückenmarktnmor  infolge  Kompression  oder 
Anämie  einer  repressiven  Metamorphose  verfallen  war,  was  dadurch 
noch  an  Wahrscheinlichkeit  gewann,  daß  das  Gewebe  der  peripheren 
Geschwülste,  mit  denen  der  Rückenmarktumor  seiner  Natur  nach 
identisch  angenommen  werden  kann,  sich  ebenfalls  als  sehr  hinfällig 
erwiea 

Dieses  Ereignis  ist  jedenfalls  als  Kuriosum  zu  bezeichnen,  und 
man  wird  bei  der  Differentialdiagnose  gut  tun,  im  allgemeinen 
nicht  mit  der  Möglichkeit  eines  so  ausgesprochenen  regressiven 
Verhaltens  der  extramedullären  Tumoren  zu  rechnen. 

Dagegen  findet  man  auch  bei  dieser  Lokalisation  Schwankungen 
in  der  In-  und  Extensität  einzelner  Symptome,  speziell  der  sensiblen 
Ausfallserscheinungen.  Diese,  übrigens  seltene,  Escheinung  war 
n.  a.  auch  in  einem  von  Eskridge  mitgeteilten  Falle  zu  be- 
obachten. Das  Krankenjournal  weist  folgende  Notiz  auf:  „Nach 
oben  bis  zum  8.  Interkostalraum  ist  das  Tastgefühl  aufgehoben, 
aber  fortwährend  wechselnd,  in  einer  eben  noch  anästhe- 
tischen Zone  wird  wieder  gefühlt."  Der  Autor  führt  dieses  Symptom 
auf  Schwankungen  in  der  Kompression  durch  umschriebenes  sub- 
dnrales  Ödem  zurück.  Man  wird  also,  abgesehen  vom  neuralgischen 
Studium,  Remissionen,  Besserungen  usw.  im  Verlauf  der  extra- 
medullären Tumoren  nicht  zu  erwarten  haben;  werden  Schwan- 
kungen beobachtet,  so  betreffen  sie  nicht  das  ganze  Krankheits- 
bild, sondern  einzelne  Symptome,  anscheinend  mit  Vorliebe  solche 
auf  sensiblem  Gebiete. 

Noch  einmal  sei  endlich  auf  die  hervorragende  Bedeutung  hin- 
gewiesen, die  einer  jedesmaligen  Berücksichtigung  der  zeitlichen 
Verhältnisse  des  Auftretens  der  einzelnen  Symptome  und  der  be- 
gleitenden Umstände  für  die  Entscheidung  der  Frage  nach  dem 
Sitze  resp.  Ausgangspunkte  des  Tumors  beigelegt  werden  muß. 
Meist  kommt  ihr  mehr  Wert  zu,  als  dem  einzelnen  Symptom  an 
sich.  So  kann,  um  nur  einige  Beispiele  anzuführen,  eine  dissozi- 
ierte Empfindungslähmung  bei  jedem  Sitz  der  Geschwulst  auf- 
treten. Ist  es  aber  das  erste  Symptom,  so  hat  es  eine  ausschlag- 
gebende  Bedeutung  für  die  Differentialdiagnose.  Ahnlich  ist  es 
mit  Knochensymptomen  an  der  Wirbelsäule:  Wie  in  dem  betr. 
Abschnitt  dargelegt,  sind  auch  diese  kein  ausschließlich  den  Wirbel- 
tumoren zukommendes  Symptom.   Leitet  sich  aber  das  Krankheits- 

11* 


164  VIII.  Malaisä 

bild  damit  ein^  so  ist  die  Wahrscheinlichkeit  zum  mindesten 
groß,  daß  der  Prozeß  vom  Wirbelknochen  seinen  Ausgang  genommen 
hat  usw. 

Wie  aus  dem  Vorstehenden  hervorgehen  dürfte,  ergeben  sich 
im  Verlaufe  in  der  Symptomatologie  der  Rückenmarkstumoren  je 
nach  dem  Sitze  doch  mancherlei  markante  Abweichungen.  Wenn 
trotzdem  durch  besondere  Komplikationen  wie  die  diffuse  Sarko- 
matose  der  Häute,  multipel  auftretende  Geschwülste,  oder  extra- 
medulläre Tumoren,  die  ins  Mark  hinein  wuchern,  der  Differential- 
diagnose noch  unüberwindliche  Schwierigkeiten  bereitet  werden,  so 
sind  dies  glücklicherweise  jene  Fälle,  bei  denen  infolge  ihrer 
therapeutischen  Aussichtslosigkeit  an  einer  Frühdiagnose  weniger 
gelegen  ist. 

Zum  Schlüsse  sei  es  mir  gestattet,  meinem  sehr  verehrten 
Chef,  Herrn  Professor  Oppenheim,  für  die  Anregung  zu  dieser 
Arbeit  und  das  ihr  jederzeit  entgegengebrachte  gütige  Interesse 
meinen  verbindlichsten  Dank  zu  sagen. 


Literatur.^) 

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tralbl. 1903  Nr.  19. 


1)  Einzelne  Fälle,  die  mir  weder  im  Original  noch  in  einem  die  wünschens- 
werten Details  enthaltenden  Referate  zugänglich  waren,  sind  nicht  angeführt. 
Bas  Verzeichnis  reicht  bis  zum  Jahre  1898  zurück,  da  die  Literatur  bis  zu  diesem 
Zeitpunkt  schon  bei  Schlesinger  und  Bruns  zusammengestellt  ist. 


J 


Zar  Differentialdiagnose  d.  extra-  q.  intramednllären  Hückenmarkstnmoren.     165 

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31.  Raymond-Cestan,  Quelques  remarques  sur  la   paraplegie  spasmodique 


par  tumeur.    Revue  neurol.  1902  p.  1077. 
Buc 


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56.  Henneberg,  Über  einen  Fall  Ton  Halbseitenläsion  des  Rückenmarks. 
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58.  Sachs,  B.,  Two  cases  of  tnmor  pressing  npon  the  cauda  äquina  etc.  Ref. 
im  Jahresber.  1900. 

59.  Jenks,  Th.,  Two  cases  of  tumor  of  the  spinal  cord.  Ref.  im  Jahresber. 
1900. 

60.  Touche,  2  cas  de  compression  mednllaire  par  tnmeur  etc.  Ref.  im  Jahres- 
ber. 1900. 

61.  Schnitze,  F.,  Umschriebene  Geschwulst  der  Dura  mater  spinalis  mit 
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62.  B rasch,  Über  einen  schweren  spinalen  Symptomenkomplex  durch  ein 
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schr. Nr.  52,  53  1900. 

63.  Nonne,  Über  einer  Fall  tou  intramed.  ascend.  Sarkom,  sowie  3  Fille  von 
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66.  Van  Gebuchten,  Un  cas  de  paraplegie  aTec  autopsie.  Ref.  im  Jahres- 
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68.  Benedict,  H.,  Fall  Ton  Karzinommetastaeen  des  letzten  rechten  Lenden- 
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69.  Senator,  Asthenische  Lähmung,  Albnmosurie  und  multiple  Myelome.  Berl. 
klin.  Wochenschr.  Nr.  8  1899. 

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des  Gehirn-  und  Rückenmarks.  Monatsschr.  f.  Psychiatr.  u.  Neurol.  Bd.  6. 
1899 

71.  Wilms,  M.,  Echinokokkus  der  Wirbelsäule.    Beitr.  z.  klin.  Med.  Bd.  2L 

72.  Bullard,  M.  M.,  Glioma  of  the  spinal  cord. 

73.  Putnam- Warren,  A  contrlbution  to  the  clinical  history  of  tumor  in- 
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74.  Böttiger,  Ein  Fall  Ton  Karzinommetastasen  im  Wirbelkanal.  Neurol. 
Zentralbl.  ..1899  Nr.  5. 

75.  Nonne,  Über  Karzinom  der  Wirbelsäule.    Ibidem  Nr.  24  1899. 

76.  Sibelius,  Bitrag  tili  de  ryggmärgen  interessande  tumomas.  Ref.  im 
Jahresber.  1899. 

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Sitznngsber.  neurol.  Zentralbl.  1898. 


Zur  Differentialdiagiiose  der  extra-  u.  intramedullären  Rückenmarkstamoren.   167 

80.  Tissier,  Oompression  lente  de  la  moelle.    Jahresber.  1898. 

81.  Eskridge  and  Roger,  Intradoraler  spinaler  Tnmor  etc.    Ibidem. 

82.  M aller,  L.  R.,  Über  einen  Fall  von  Tuberkulose  des  oberen  Lendenmarks 
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84.  fidsall,  Bissociation  of  sensasion  of  the  Syringom jelia  type  etc.    Jonm. 
of  Nervons  and  Ment.  disease  IV  1898  Vol.  XXV. 

85.  Kienböck,   4   atypische  Fälle   von   Syringomyelie.     Wiener   med.   Klub 
26.  Jannar  1898. 

86.  Dejerine,  Oompression  de  la  mo@Ue  cervicale  etc.    Progrös  medical  1898. 
Ref.  Zentralbl.  1898. 

87.  Halm,  F.,  Form  und  Ausbreitung^  der  sensiblen  Störungen  bei  Syringo- 
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Sß.  Wittern,  Zur  Kasuistik  der  luetischen  Rückenmarkserkrankungen.  Münch. 

med.  Wochensehr.  1898  Nr.  20. 
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W.   Müller,  L.  R.,  Ein  weiterer  Fall  Ton  Solitärtaberkulose  des  Rückenmarks. 

D.  Zeitscbr.  f.  Nervenheilk.  Bd.  XU. 
91.   Fränkel.  Zur  Lehre  von  den  Geschwülsten  der  Rückenmarkshäute.    D. 

med.  Wochensehr.  1898  Nr.  28—30. 
S2,  Pribytkoff,  Tumor  an  der  Grenze  des  Hals-  und  Brustteils.    Ref.  Neurol. 

Zentralbl.  1898. 

93.  Orlowsky,  Sarkomatose  des  Rückenmarks  und  Syringomyelie.   Ref.  Neurol. 
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94.  Wersiloff,  2  F&lle  von  Rückenmarkskompression.    Ibidem  1898. 

B6.   Holz,  Fall  von  Rückenmarkstuberkulose  beim  Kinde.    Neurol.  Zentralbl. 
1898. 

96.  Sänger,  Intramed.  Rttckenmarkstumor.    Sitzungsber.  des  ärztl.  Vereins  zu 
Hamburg  vom  21.  Juni  1898.    Ref.  Zentralbl.  1898  Nr.  16  p.  763. 

97.  Bruns,  Die  Geschwülste  des  Nervensystems. 

96.   Schlesinger,  Beiträge  zur  Klinik  der  Rückenmark-  und  Wirbeltumoren. 
99.   Schmaus  und  Sacki,  Handbuch  der  pathologischen  Anatomie  des  Nerven- 
svstems. 

100.  Handbuch  der  pathologischen  Anatomie  des  Nervensystems,  Flatau  Jacob - 
söhn,  Minden. 

101.  Oppenheim.  Lehrbuch  der  Nervenkrankheiten. 

102.  Gowers.  Lenrbuch  der  Nervenkrankheiten,  in  der  deutschen  Übersetzung 
von  Gruoe. 

103.  Schlesinger,  H.,  Die  Syringomyelie. 


IX, 

Aus  der  medizinischen  Klinik  zu  Königsberg  i.  Pr. 
(Direktor:  Geh.-Eat  Prof.  Dr.  Lichtheim.) 

Über  die  Veränderungen  der  Milz  bei  perniziöser  Anämie 

nnd  einigen  anderen  Krankheiten. 

Von 

Dr.  0,  Kurpjuweit, 

Assistenzarzt. 

über  das  Verhalten  der  Milz  und  der  Lymphdrüsen  bei  perni- 
ziöser Anämie  finden  wir  nur  spärliche  Angaben  in  der  Literatur, 
die  namentlich  auch  wenig  auf  das  histologische  Verhalten  ein- 
gehen. 

A.  Lazarus^)  schreibt  darüber,  die  Milz  kann  normal  groß 
oder  verkleinert  gefunden  werden.  Eine  Milzvergrößerung  mit 
schwerer  Anämie  ist  immer  einer  anderen  Krankheit  zuzurechnen. 
Die  der  klinischen  Untersuchung  zugänglichen  Lymphdrüsen  findet 
man  nicht  mehr  vergrößert,  als  auch  sonst  bei  vielen  Kranken. 
Die  Milz  zeigt  eine  starke  Siderosis,  bei  der  mikroskopischen  Unter- 
suchung einer  vergrößerten  Milz  findet  man  eine  einfache  Hyper- 
plasie. 

Nach  Grawitz*)  zeigt  die  Milz  kein  einheitliches  und  charak- 
teristisches Verhalten,  denn  in  einzelnen  Fällen  ist  sie  deutlich 
vergrößert  und  zeigt  eine  Hyperplasie  aller  ihrer  Elemente,  in 
anderen  Fällen  dagegen  ist  sie  eher  verkleinert  und  atrophisch. 

Bei  Hay  em  *)  finden  wir  ähnliche  Angaben.  Über  die  Lymph- 
drüsen fügt  er  noch  hinzu,  daß  diese  gewöhnlich  normal  sind,  in- 
dessen können  sie  im  Mesenterium  mitunter  geschwollen  sein. 
(Eichhorst). 

In   der  neuesten  Literatur  sind  nur  dürftige  Angaben  vor- 


1)  Ehrlich-Lazarus,  Die  Anämie.    Nothnagel  Bd.Vni  II  S.  133f. 

2)  Grawitz,  Klinische  Pathologie  des  Blutes.   S.  221  1902. 

3)  Hayem,  Du  sang.  S.  802. 


über  die  YerändeTongeiL  der  Milz  bei  perniziöser  Anämie  etc.  169 

banden.  H.  Hirschfeld*)  hat- spärliche,  neutrophile  Myelozyten 
in  der  Milz  bei  perniziöser  Anämie  gesehen,  A.  Wolff  hat  außer- 
dem kernhaltige  rote  Blutkörperchen  in  ihr  beobachtet.  Nun  wurden 
an  unserer  Klinik  bei  peniiziöser  Anämie  in  der  Milz  eosinophile 
Myelozyten  gefunden  (Dr.  Eindfleisch).  Dieses  veranlaßte  uns 
auch  bei  weiteren  Fällen,  eine  Untersuchung  der  Milz  auf  Aus- 
strichen vorzunehmen.  Es  sind  insgesamt  3  Fälle  beobachtet  und 
untersucht.  Die  Krankengeschichten  und  Sektionsprotokolle  will 
ich,  da  sie  zum  Verständnis  der  anatomischen  Veränderungen  not- 
wendig sind,  in  aller  Kürze  anführen. 

1.  Fall:  51  jähriger  Arbeiter.  Aufgenommen  14.  Oktober  1902, 
gestorben  27.  Febmar  1903,  Beginn  der  Erkrankung  4  Monate  vor  der 
Aufnahme  mit  Appetitraangel ;  ab  und  zu  Erbrechen,  Diarrhöen,  seit 
2  Monaten  Luftmangel,  Anschwellung  der  Beine,  Abmagerung  und  Schwäche. 

Bei  der  Aufnahm  e:  Mäßige  Magerkeit.  Starke  Blässe.  Geringes 
Fieber.  Geringer  Hydrops  der  Beine.  Laute  systolische  Herzgeräusche 
und  Nonnensausen.  Geringe  Leberschwellung.  Milz  nicht  nachweisbar 
vergrößert,  keine  nennenswerten  Lymphdrüsenschwellungen.  Im  Harn 
viel  TTrobilin,  mäßig  Tiel  Indikan.  Stuhl  normal.  Magen :  nüchtern  leer, 
große  Kurvatur  reicht  bis  zum  Nabel.  Frobefrühstück :  mikroskopisch 
ohne  besondere  Bestandteile.  Keine  freie  Salzsäure,  Mett'scher  Ver- 
dauungsversuch  wegen  zu  geringer  Menge  des  Filtrats  nicht  ausführbar. 

Blut:    Hb    28 o/o    (Fleischl).      N   =    1320000.      W    =    4600. 

5=2^-     P  =  52,8  o/o.     L  =  40,0%.    Mo  =  4,3  V    E  =  l,7  0/^. 

Ha  =  0/6%     Neutrophile  Myelozyten  0,9%.«) 

Anisozytose  und  Poikilozytose,  ziemlich  erbebliche  Polychrom atophilie, 
viele  punktierte  Erythrozyten,    keine  Erythroblasten. 

Kleine  Augenbintergrundsblutungen. 

In  der  Klinik:  Dauernd  mäßiges  Fieber.  Trotz  Arsen  progrediente 
Verschlechterung  der  Blutbescbafienheit,  Auftreten  von  Normoblasten  und 
Megaloblasten ;  große  Augenhintergrundsblutungen.  Keine  sicheren  spinalen 
Symptome.  In  letzter  Zeit  Delirien,  Verwirrtheit  mit  Euphorie  und 
Qrößenideen. 

Blut,    2    Tage    vor    dem    Tode:    Hb    12—13%.      N  =  560  000. 

W  =  6700.      5  =  ^.    P  =  40,4  %.    L  =  48,6  «/,  (gr.  L  =  3,6  o/j. 

Mo  =  2,6%  E  =  1,2  0/^.  Neutrophile  Myelozyten  3,6%.  Keine 
Mastzellen,  keine  eosinophilen  Myelozyten.  Auf  einem  Deckglas  (dicker 
Aiustrich    mit    Bücksicht    auf    die    Blutverdünnung)     19    Normoblasten, 


1)  Berliner  klin.  Wochenschr.  1902  S.  701. 

2)  Berliner  klin.  Wochenschr.  1902  S.  840. 

3)  N  =  Rote  Blutkörperchen.  W  =  Weiße  Blutkörperchen.  P  =  Poly- 
nnkleäre  Leukozyten.  L  =  Lymphozyten.  Mo  =  Mononukleäre  und  Übergangs- 
cellen.    £  =  Eosinophile  Leukozyten.    Ma  =  Mastzellen. 


170  IX.  KuBPJtrwEiT 

16  Megaloblasten.  Starke  Foikilozytoee ;  viele  ICegalozyieo  und  Kormo- 
syten  mit  starker  Polychromatophilie.  Mikrozyten  und  kleinste  unregel- 
mäßige Blutkörperchenfragmente  in  großer  Zahl,  viele  punktierte  (basophil 
gekörnte)  Erythrozyten.  Ein  Megaloblast  mit  vollendeter  Mitose  und 
Andeutung  von  Zellteilung. 

Tod  unter  dem  Bilde  der  Erschöpfung. 

Ausdrücklich  hervorheben  möchte  ich  noch,  daß  bei  im  g^anaam 
6  Untersuchungen  keine  eosinophilen  Myelozyten  gefunden  worden,  trotss- 
dem  namentlich  in  letzter  Zeit  400 — 600  Leukozyten  gezählt  und  tariert 
wurden. 

Sektion  (Prof.  Askanazy):  Protokoll  im  Auszuge.  Gehirn  und 
Kückenmark  und  ihre  Häute  blaß.  Herz  vergrößert,  eine  kleine  epi- 
kardiale Ecchymose.  Muskulatur  hellbraun,  kleine  trübe  Flecke,  mikro- 
skopisch keine  deutliche  Verfettung.  Lungen  blaß  anämisch,  von  blaß- 
gelbem Ödem  durchtränkt.  „Milz  etwas  vergrößert,  14^/,,  9,4  cm.  Kapsel 
gespannt,  mit  fibrösen  Körnchen  und  Zöttchen.  Palpa  dunkelkirschrot, 
feucht,  leicht  hervorquellend,  schöne  Follikel  Zeichnung.  **  Nieren:  blaß, 
nicht  trübe,  starke  Schwefelammoniumreaktion.  Magen,  Darm  ohne  Be- 
sonderheiten. Die  Leber  zeigt  an  der  Oberfläche  in  der  Serosa,  be- 
sonders des  rechten  Lappens,  spärlicher  an  der  XJnterfläche  des  linken 
Lappens  gelbliche  und  weißliche  Knötchen,  welche,  wie  der  Durchschnitt 
zeigt,  Verdickungen  in  der  Serosa  sind.  Auf  dem  Querschnitt  Gewebe 
rostbraun.  Sehr  starke  Schwefelammoniumreaktion.  „Im  Mesenterium 
Drüsen  etwas  geschwollen,  fest,  blaß,  bis  bohnengroß."  An  der  Aorta 
abdominalis  kleine  Verfettungsflecke.  nDas  Femurmark  in  der  oberen 
Hälfte  ziegelrot,  pulpös.  In  der  Lamina  des  Ringknorpels  rotes  Ejiochen- 
mark."     Zahlreiche  kleine  Blutungen  der  Betina,  links  reichlicher  als  rechts. 

Die  genauere  mikroskopische  Untersuchung  von  Ausstrichen 
ergab  folgendes:  Zur  Färbung  wurde  Jenner,  Triazid  und  Hämatozylin- 
Eosin  benutzt. 

Die  Hauptmasse  der  Milz  bilden  die  roten  Blutkörperchen  und  die 
großen  und  kleinen  Lymphozyten.  Die  roten  Blutkörperchen  zeigen  eine 
auffallende  Poikilozytose.  Die  Lymphozyten  erscheinen  etwas  größer  xmd 
geblähter  als  im  normalen  Blut. 

Die  granulierten  Zellen  treten  an  Zahl  zurück.  Man  findet  unter 
ihnen  spärliche  neutrophile  und  eosinophile  polynukle&re  Leukozyten, 
ferner,  und  das  ist  das  wichtigste,  typhische  neutrophile  und 
eosinophile  Myelozyten  in  geringer  Zahl.  Von  basophil  ge- 
körnten Zellen  wurde  nur  eine  einzige  mit  großem  kompaktem  Kern 
beobachtet.  Normoblasten  und  Megaloblasten  fanden  sich  in  spärlicher 
Menge. 

Die  Lymphdrüsen  zeigten  auf  Ausstrichen  sehr  reichliche,  große 
und  kleine  Lymphozyten,  spärliche  mononukleäre  Zellen,  ziemlich  reichlich 
polynukleäre,  neutrophile  Leukozyten,  eine  Anzahl  basophil  gekörnter 
Zellen  (Mastzellen)  mit  rundem  Kern,  spärliche  Normoblasten  und  neutro- 
phile Myelozyten.     Die  roten  Blutkörperchen  waren  von  ungleicher  Größe. 

Das  Knochenmark  setzte  sich  aus  reichlichen  neutrophilen  und 
eosinophilen  Myelozyten  und  polynukleären  Zellen,  zahlreichen  großen 
und  kleinen  Lymphozyten,  roten  Blutkörperchen,  mononukleären  Zellen  und 


über  die  Yerändenmgen  der  Milc  bei  perniziöser  Anämie  etc.         171 

Normoblasten  mit  Kemzerfall  zasammMi.     Spärlich  vorhanden  waren  nnr 
Megaloblasten  und  Mastzellen  mit  mndem  Kern. 

Schnitte  yon  der  Milz  konnten,  da  kein  Material  znr  Verfügrnng 
Btandy  nicht  angefertigt  werden. 

H.  Fall.  50 jähriger  Besitzer.  Aufgenommen  25.  April  1903,  ge- 
storben 5.  Mai  1903.  Seit  einem  Jahr  zunehmende  Schwäche,  Blässe 
und  Abmagerung.  Seit  3  Monaten  oft  Kopfschmerzen  und  leichtes 
Schwindelgefuhl,  seit  2  Wochen  schnürendes  Gefühl  in  der  unteren  Brust- 
region, mit  Atembeschwerden  beim  Gehen. 

Bei  der  Aufnahme:  Hochgradige,  wachsartige  Blässe.  Ziemlich 
guter  Ernährungszustand.  Subfebrile  Temperaturen  (37,7).  Geringes  Ödem 
der  Unterschenkel.  Herz  etwas  dilatiert,  lautes  systolisches  Geräuseh  an 
allen  Ostien.  Milz  und  Leber  nicht  palpabel.  Keine  nennenswerten 
Drüsenschwellungen.     Im  Harn  etwas  XJrobilin. 

Blut:  Hb  24%.  N  =  856  000.  W  =  3400.  P  =  46,8.  Kl.  L 
=  45,6,  gr.  L  =  1,6,  Mo  =  0,3,  E  =  1,6,  Ma  =  2,8,  neutrophile 
Myelozyten  =  1,3  •/q. 

Auf  200  W  1  Normoblast  und  1  Megaloblast. 

Mäßige  Aniso-  und  Poikilozytose  der  roten  Blutkörperchen,  femer 
in  ihnen  spärliche  basophile  Granula. 

Magen:  keine  freie  Salzsäure,  keine  Milchsäure.  Gesamtacidität  4. 
Mett' scher  Verdauungsversuch  negativ.  Mikroskopisch:  reichliche  Hefe- 
zellenhaufen, die  ein  bräunliches  Pigment  einschließen. 

Im  Stuhl  zahlreiche  Askariseier,  spärliche  Trichocephaluseier. 

Augenhintergrund:  beiderseits  starke  Blutungen.  Nervensystem 
obne  Befund. 

In  der  Klinik:  Subfebrile  Temperaturen.  Rascher  Verfall.  Mehr- 
malige Ohnmachtsanfälle.     Exitus  letalis. 

Blutbeftmd   am   Tage   vor   dem   Tode:    Hb   15%-     N  =  397  000. 

W  =  1000.     J  =  ^.     P  =  52,   kl.  L  =  46,6,    gr.  L  =  0,7, 

Mo  =  0,37^. 

Unter  300  weißen  Zellen  keine  Mastzelle,  keine  eosinophile  Zelle, 
dagegen  ein  Normoblast  und  ein  Megaloblast.  Verschiedene  freie  (?)  Normo- 
blastenkeme.  Geringe  Polychromatophilie.  Ziemlich  starke  Aniso-  und 
Poikilozytose.     Keine  basophilen  Granula  in  den  Erythrozyten. 

Sektion  (Prof.  Askanazy):  Protokoll  im  Auszuge.  Gehirn  und 
lEtückenmark  sehr  blaß,  sonst  ohne  Besonderheiten.  Herz:  unter  dem 
ISpikard  und  Endokard  einige  kleine  Blutungen.  Herzmuskel  blaßbraun. 
IMe  Lungen  enthalten  ein  hämorrhagisches  Ödem. 

„Im  Mesenterium  zahlreiche,  linsengroße  Lymphdrüsen,  welche  eine 
mehr  weiße,  manchmal  auch  eine  rosarote  Farbe  zeigen.  Die  Milz  ist 
an  der  Facies  diaphragmatica  mit  dem  Zwerchfell  verwachsen,  fest,  12, 
7,  3*/2  cm  messend,  auf  dem  Schnitt  von  hellroter  Farbe.  Die  Trabeculae 
außerordentlich  reichlich  und  kräftig  entwickelt." 

Die  Nieren  blaß,  auf  Schwefelammoniumzusatz  sich  diffas  schwarz 
färbend. 

Im  Magen  ein  Askaris.     Das  die  Gallenblase  umgebende  Gewebe  ist 


X12  IX.    KüBPJüWBIT 

stark  ödematös.  Die  Leber  ist  an  der  Oberfläche  von  dunkelroter  Farbe, 
auf  dem  Schnitt  von  ausgesprochener  brauner  Farbe  ohne  besonders  her- 
Yortretende  Läppchenzeiohnung.  Auf  Zusatz  Ton  Schwefelammonium 
dunkelschwarze  Färbung.  Pankreas  auf  Zusatz  von  Schwefelammonium 
eine  leicht  schwarzgrüne  Verfärbung.  Die  Schilddrüse  zeigt  im  rechten 
Lappen  mehrere  kleine  Zysten.  „Das  Stemum  zeigt  auf  der  Sägefläche 
eine  blasse  Farbe.*' 

Anatomische-Diagnose:  Anaemia  gravis  sämtlicher  Organe. 
Hämorrhagien  unter  dem  Epikard  und  Endokard.  Siderosis  der  Leber, 
Niere  und  des  Pankreas.     Beiderseitiger  Pleuraerguß. 

Die  genauere  mikroskopische  Untersuchung  ergab  folgendes. 
Milz:  die  Hauptmasse  der  Zellen  macheu  wie  gewöhnlich  die  roten  Blut- 
körperchen aus,  die  eine  geringe  Poikolozytose  zeigen.  Die  großen  und 
kleinen  Lymphozyten  erscheinen  gebläht,  der  Kern  ist  namentlich  bei 
letzteren  nicht  pyknotisch.  Typische  mononukleäre  Zellen  sind  nur  ver- 
einzelt zu  Enden.  Neutrophil  gekörnte  Zellen  sind  ziemlich  zahlreich. 
Die  Zellen  sind  oft  sehr  groß,  der  Kern  ist  dementsprechend  auch  groß, 
gewöhnlich  rund  geformt,  ab  und  zu  zeigt  er  auch  eine  kleine  Ein- 
buchtung (neutrophile  Myelozyten). .  Die  übrigen  Kerne  sind  teils  py- 
knotisch polynukleär,  teils  gebläht,  im  Linern  sieht  man  dann  waben-  , 
artige  Hohlräume.  Eosinophile  Zellen  sind  auffallend  viele  zu  finden, 
oft  drei  in  einem  Gesichtsfeld  (Leitz  Im.  ^/^g  Oc.  2).  Die  Zellen  selbst 
sind  nicht  verändert.  Ihre  Kerne  aber  sind  sehr  verschieden,  man  findet 
kompakte,  runde  Kerne  ähnlich  den  Kernen  der  kleinen  Lymphozyten 
in  der  Intensität  der  Färbung  und  in  der  Größe,  ferner  typische  poly- 
nukleäre  Kerne,  drittens  große  runde  Kerne  (eosinophile  Myelozyten). 
Normoblasten  wurden  nur  in  spärlicher  Zahl  beobachtet,  dagegen  sah 
man  sehr  viele  pyknotische,  runde  Kerne  ohne  Protoplasma,  die  an 
Normo blastenkerne  erinnerten.  Dann  fielen  noch  einige  basophil  gekörnte 
polynukleäre  Zellen  (Mastzellen)  auf.  Mit  Triazid  wurde  der  gleiche  Be- 
fund, abgesehen  von  den  basophil  gekörnten  Zellen,  erhoben.  Mit  Häma- 
toxylin-Eosin  traten  die  Normoblasten  deutlicher  hervor.  Die  Kerne 
zeigten  hin  und  wieder  eine  Lappung  oder  kleine  Abschnürungen  und 
Fortsätze. 

TJm  nun  etwas  Genaueres  über  die  Verteilung  der  granulierten  Zellen 
in  der  Milz  zu  erfahren,  versuchte  ich  die  Schnittfärbung  mit  Triazid 
nach  Ribbert.^)  Hervorheben  möchte  ich,  daß  mir  die  Färbung  der 
neutropbilen  und  eosinophilen  Granula  nur  gelang,  wenn  ich  das  Material 
nicht  lange  in  Formalin  konservierte,  in  ca.  4  "Wochen  alten  Gewebs- 
stücken,  ebenso  an  eingebetteten  Objekten  konnte  ich  sie  nicht  darstellen, 
ich  machte  in  der  Regel  Gefrierschnitte  von  ganz  kleinen  Gewebsstückchen, 
färbte  mit  der  unverdünnten  Lösung  1 — 2  Minuten,  differenzierte  in 
destilliertem  Wasser  mit  1  Tropfen  Essigsäure,  bis  ein  braun-grünlich- 
roter Farbenton  des  Gewebsstücks  übrig  blieb.  Die  neutropbilen  Granula 
kamen  immer  nicht  recht  heraus,  man  sah  nur  eine  bräunliche,  stäubchen- 
fÖrmige  Granulierung  in  den  Zellen,  die  eosinophilen  Granula  traten  sehr 


1)  Beiträge  zur  Entzündung.   Virchow's  Archiv  Bd.  150  S.  401. 


über  die  Verändenmgen  der  Milz  bei  perniziöser  Anämie  etc.         173 

deutlich   hervor.     Die  Präparate   ließen  sich   nach    dem  Entwässern  und 
Anfhellen  in  Bergamottöl  in  Zedemöl  gnt  aufheben. 

Die  Milz  zeigte  auch  mikrochemisch  eine  starke  Sehwefeleisenreaktion. 
Bei  schwacher  Vergrößerung  sah  man  im  Triazidpräparat  grünliche  Inseln 
im  Gewebe  ohne  starke  Begrenzung,  die  hauptsächlich  um  Gefaßquer- 
schnitte  und  Bindegewebszüge  herumlagen.  Dazwischen  liegt  die  bräunlich- 
rötliche  Pulpa.  Die  grünlichen  Inseln  werden  von  teils  kleineren,  teils 
größeren  Lymphozyten  gebildet,  sehr  selten  findet  mau  zwischen  ihnen 
rote  Blutkörperchen  und  granulierte  Zellen.  Die  Pulpa  besteht  haupt- 
sächlich aus  Lymphozyten  und  roten  Blutkörperchen,  zwischen  ihnen 
sieht  man  ganz  deutlich  grob  granulierte  Zellen  mit  rötlichbraunen 
Granula.  Die  Kerne  sind  teils  bläschenförmig  rund,  teils  pyknotisch 
rund,  wie  ein  Kern  in  einem  kleinen  Lymphozyten,  seltener  ist  der  Kern 
polynakleär  gestaltet.  Diese  grob  granulierten  Zellen  sind  so  zahlreich, 
daß  man  in  einem  Gesichtsfeld  oft  4 — 5  Zellen  sieht  (Leitz  Im.  ^'j^ 
Oc.  2).  Viel  seltener  findet  man  Zellen  mit  deutlich  hervortretenden 
staubchenförmigen,  braunen  Granula,  deren  Kerne  sich  ebenso  verhalten 
wie  die  Kerne  der  grobgranulierten  Zellen.  Normoblasten  konnte  ich 
im  Schnitt  nicht  erkennen. 

Die  Leber  zeigte  auch  mikrochemisch  eine  starke  Schwefeleisen- 
reaktion, die  einzelnen  Leberzeilen  wurden  fast  ganz  schwarz.  Einige 
herdförmige  Bezirke  färbten  sich  mit  Hämalaun  schlechter,  Fett  war  in 
ihnen  nicht  nachweisbar.  Auf  Ausstrichen  sah  man  viel  körniges,  gelbes 
Pigment,  das  teils  innerhalb  von  Leberzellen,  teils  eztrazellulär  lag.  Die 
roten  Blutkörperchen  zeigten  eine  mäßige  Poikilozytose.  Die  poly- 
nukleäreuy  neutrophilen  Leukozyten  waren  in  mäßig  reichlicher  Zahl  vor- 
handen, ihre  Kerne  wiesen  eine  geringe  Blähung  auf.  Neutrophile 
Myelozyten  wurden  nur  zwei  gefunden,  ferner  ein  Normoblast,  zwei  poly- 
mikleäre,  eosinophile  Leukozyten,  mäßig  zahlreiche  Lymphozyten.  Eosino- 
phile Myelozyten  wurden  nicht  beobachtet. 

Die  Nieren  wiesen  keine  mikrochemische  Scbwefeleisenreaktion  auf. 
Ihr  Parenchym  war  etwas  trübe.  Auf  Ausstrichen  wurden  keine  Be- 
sonderheiten konstatiert. 

Die  Lymphdrüsen  ausstriche  bestanden  größtenteils  aus  großen  und 
kleinen  Lymphozyten,  dann  aus  roten  Blutkörperchen  mit  deutlicher 
Poikilozytose.  Die  granulierten  Zellen  waren  spärlicher,  unter  ihnen 
polynukleäre  neutrophile  Zellen  mit  großem,  gelapptem  und  geblähtem 
Kern,  sehr  spärliche  neutrophile  Myelozyten,  ferner  vereinzelte  eosino- 
phile Zellen  mit  polynukleärem  Kern,  einmal  mit  rundem  Kern.  Normo- 
blasten konnten  nicht  gefunden  werden. 

Das  Knochenmark  setzte  sich  aus  folgenden  Zellen  zusammen.  Sehr 
viele  granulierte  Zellen,  polynukleäre  Formen  und  Myelozyten  mit  neutro- 
philen Granulationen,  die  eosinophil  granulierten  hatten  häufig  ziemlich 
pyknotische  und  kleine  nicht  bläschenförmige  Kerne,  neben  polynukleären 
und  bläschenförmigen  Kernformen.  Die  großen  und  kleinen  Lympho- 
zyten sind  zahlreich,  die  typischen  mononukleären  Zellen  viel  spärlicher* 
Normoblasten  wurden  sehr  viele  gefunden,  ihre  Kerne  sind  teilweise  ge- 
lappt. Die  Megaloblasten  treten  an  Zahl  bedeutend  zurück.  Femer  findet 
man  vereinzelte  basophil  gekörnte  Zellen  mit  kompaktem  Kern,  spärliche 


174  I^'  KxntpjirwxiT 

Biesensellen  mit  ein  bis  zwei  Kernen  and  Einscldüasen  von  roten  Blut- 
körperchen. Mit  Hämfttoxylin-Eosin  wurde  eine  Kemteilnng  in  einem 
Nbrmoblasten  beobaditet.  Auch  trat  hier  wiederum  die  Pyknose  und 
Kleinheit  der  Kerne  in  einem  Teil  der  eosinophilen  Zellen  deutlich  hervor. 
Die  Kemfärbung  entsprach  dem  Preußischblau  und  hielt  die  Mitte  zwischen 
dem  Schwarzblau  der  Normoblastenkerne  und  dem  Blaßblau  der  Lympho« 
zytenkeme.  Mit  Triazid  wurden  die  Befunde  der  Jennerfarbung  und 
Hämatoxylin-Eosinfärbung  bestätigt. 

III.  Fall.  37 jähriger  Matrose.  Aufgenommen  27.  Juli  1903,  ge- 
storben 16.  August  1903.  Vor  10  Jahren  zum  erstenmal  Abgang  von 
Bandwurmgliedern ;  zuletzt  vor  5  Jahren  bemerkt.  Seit  ca.  10  Jahren  in 
Intervallen  von  einigen  Wochen  kolikartige  Schmerzen  in  der  Magengegend, 
selten  mit  geringem  Erbrechen.  Seit  6  Monaten  zunehmende  Blässe, 
Schwäche  und  Abgeschlagenheit,  häufig  geringes  Nasenbluten.  Seit 
3  Monaten  bettlägerig,  leichte  Diarrhöen. 

Bei  der  Aufnahme:  Hochgradige  wachsartige  Blässe,  keine  Haut- 
blutungen. Mäßiger  Ernährungszustand.  Temp.  37,6.  Herzdämpfung 
nicht  vergrößert,  kurzes  systolisches  Geräusch  an  der  Spitze  und  über 
dem  Sternum,  lautes  Jugularvenengeräusch.     Zahlreiche  Betinalblutungen. 

Blut;     Hb    13%.      N  =  530000.      W  =   1700.      ^  =    . ^- . 

P  =  28,2%.     L  =  65,9%.     Mo  =  5%.     E  =  0,9%. 

Auf  220  Weiße  ein  kernhaltiges  rotes  Blutkörperchen,  Megaloblasten 
und  Normoblasten  zu  gleichen  Teilen.  Starke  Aniso-  und  Poikilozytose, 
mäßig  reichliche  Polychromatopbilie  und  basophile  Körnelung. 

Magen:  im  nüchternen  Zustand  ca.  20  ccm  galliger  Flüssigkeit,  mikro- 
skopisch ohne  Besonderheiten.  Probefrühstück :  Acidität  5,  keine  freie  Salz- 
säure, Milchsäurereaktion  positiv.  Yerdauungsversuch  mit  Salzsäure  negativ. 
Von  Seiten  des  Nervenzustandes  keine  Störungen.  Im  Stuhl  keine  Band- 
wurmeier,   einmal    Trichomonaden  gefunden.     Harn  ohne  Besonderheiten. 

In  der  Klinik:  fortschreitender  Verfall,  Benommenheit,  Ver- 
schlechterung des  Blutbefundes. 

Vor    dem    Tode:     Hb   =    10%.     N  =  352000.      W  =  2800. 

Y=126-    ^  =  52,7%.    L  =  46,l%.    E  =  0,4  7o.    Mo  =  0,4%. 

Myelozyten  (neutrophile)  =  0,4%. 

Auf  100  Weiße  5  kernhaltige  rote  Blutkörperchen  (Normoblasten 
und  Megaloblasten). 

Kleine  Hautblutungen  am  linken  Unterschenkel,  geringes  Odem. 

Tod  in  der  3.  Woche. 

Sektion:  Dr.  Lebram  (Protokoll  im  Auszuge).  Im  Bereich  des 
oberen  Dorsalmarks  am  rechten  Vorderhorn  eine  kleine  Blutung.  Kücken- 
mark  und  G-ehim  ohne  weitere  wichtige  Veränderungen. 

Herz  etwas  vergrößert,  Muskel  blaß  und  schlaff,  getigert.  Hepati- 
sation des  linken  Unterlappens  der  Lunge.  Im  Mesenterium  linsengroße, 
bräunlichrote  Ljrmphdrüsen,  am  Cöcum  haselnußgroße  Drüsen.  „Etwa  4  cm 
vom  inneren  Pol  der  Milz  entfernt  eine  baselnußgroße  Nebenmilz.  Eine 
zweite    Nebenmilz   von   etwa   gleicher   Größe   im  Bereich   des  Hilos    der 


über  die  Yeränderangen  der  Milz  bei  perniziöser  Anämie  etc.  175 

Mils.  MaBe  der  Milz  16,  8,  3^/^  cm,  liemlich  weich,  von  dunkelroter 
Farbe  mit  deutlicher  Follikel-  und  Trabekelzeichnnng. " 

Nieren  blaß,  starke  Schwefelammoninrnreaktion.  Leber  lehmig-braan- 
gelb,  mit  guter  azinöser  Zeichnung,  sehr  intensive  Schwefelammonium- 
reaktion. „Auf  Druck  entleert  sich  aus  der  Rippe  ein  schmutzig-rötlicher 
zäher  Tropfen  von  Marksaft.  Das  Stemum  zeigt  auf  dem  Durchschnitt 
ein  rotes,  gleichmäßiges  Aussehen,  die  Wirbel  ebenfalls.  Das  Femur 
zeigt  aaf  dem  Durchschnitt  rotes  Knochenmark.^  Pankreas  fest.  Auf 
Schwefelammonium  starke  Schwarzfärbung. 

Anatomische  Diagnose:  Anämie  sämtlicher  Organe.  Blutungen 
im  Augenhintergrund.  Subdurale  Blutungen,  desgleichen  Blutungen  der 
weichen  Hirnhäute.  Subpleurale  Blutungen.  Eine  minimale  Blutung  im 
Bfickenmark.  Siderose  der  Leber,  der  Nieren  und  des  Pankreas.  Rote 
Metaplasie  des  Knochenmarks  der  Extremitätenknochen.  Pneumonie  im 
linken  IJnterlappen,  im  Zustande  der  Hepatisation. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  ergab  folgendes:  Milz: 
sehr  viele  große  Lymphozyten,  weniger  kleine,  sehr  viele  rote  Blut- 
körperchen von  verschiedener  Größe  (Mikrozyten  und  Makrozyten),  jedoch 
keine  auffallende  Poikilozytose.  Viele  kernhaltige  rote  Blutkörperchen. 
Megaloblasten  waren  nur  sehr  spärlich  sichtbar.  Gekörnte  Zellen  sind 
nicht  sehr  zahlreich,  unter  ihnen  auffallend  viele  eosinophile  Zellen,  deren 
Kerne  meistens  polynukleär,  ab  und  zu  nur  leicht  eingekerbt,  sehr  selten 
ganz  rund  (Myelozyten)  ist.  Unter  den  neutrophil  gekörnten  Zellen  be- 
finden sich  zahlreiche  mit  rundem  Kern  (Myelozyten),  ein  großer  Teil 
bat  jedoch  auch  polynukleäre  Kerne.  .Basophil  gekörnte  Zellen  wurden 
nicht  gesehen,  typische  mononukleäre  Zellen  waren  wenige  zu  finden. 
Mit  Hämatoxylin-Eosin  wurden  wieder  die  Normoblasten  sehr  deutlich, 
ihre  Kerne  waren  gelappt  und  zeigten  Fortsätze,  die  Mannigfaltigkeit  in 
der  Form  der  roten  Blutkörperchen  trat  auch  deutlich  hervor.  Mit 
Triazid  konnten  die  Befunde  nur  bestätigt  werden. 

Das  Knochenmark  wies  außer  den  gewöhnlichen  Bestandteilen  nicht 
reichlich  Megaloblasten  auf,  deren  Kerne  teilweise  im  Zerfall  begriffen 
waren.  Die  zahllosen  Normoblasten  sind  namentlich  mit  Triazid  sehr 
deutlich  zu  sehen. 

Leber,  Niere,  Lymphdrüsen  wiesen  auf  Ausstrichen  keine  Besonder- 
heiten dar.  In  der  Milz  war  auf  dem  Schnitt  nichts  Besonderes  zu 
sehen,  sie  gab  eine  starke  Schwefeleisenreaktion  ebenso  wie  die  Leber 
und  Niere.  Die  Triazidfarbung  von  Milzschnitten  gelang  nicht,  da  das 
Material  zu  lange  in  Formol  gelegen  hatte.  Die  Niere  zeigte  eine  Trübung 
des  Parenchyms  und  beginnende  interstitielle  Entzünduogsprozesse. 

Klinisch  bieten  die  Fälle  keine  besonderen  Neuheiten.  Alle 
klagten  vor  der  Aufnahme  über  zunehmende  Schwäche,  Blässe  und 
Atemnot,  zwei  hatten  auch  Magen-  und  Darmsymptome,  Appetit- 
mangel, kolikartige  Magenschmerzen,  Erbrechen,  Diarrhöen.  Einer 
gibt  an,  daß  er  bis  vor  5  Jahren  den  Abgang  von  Bandwurm- 
gliedern in  teils  längeren,  teils  kürzeren  Ketten  bemerkt  hat.  Aus 
diesem  Umstand  und   weil   er  früher   rohe  Fische   gegessen  hat, 


176  IX.    KURPJÜWEIT 

möchte  ich  den  Schluß  ziehen,  daß  er  einen  Botriocephalus  latus 
gehabt  hat,  zumal  auch  dieser  Bandwurm  bei  uns  am  häufigsten 
ist.  Indessen  möchte  ich  es  bezweifeln,  daß  er  die  Anämie  aus- 
gelöst hat,  da  mehrere  Jahre  seit  dem  Abgang  der  letzten  Glieder 
verstrichen  waren,  Botriocephaluseier  wurden  in  den  Stühlen  nicht 
gefunden. 

Bei  der  Aufnahme  zeigen  alle  Patienten  eine  hochgradige 
Anämie,  subfebrile  Temperaturen,  am  Herzen  laute  systolische 
Geräusche,  Nonnensausen.  Vergrößerungen  der  Milz  und  der  Lymph- 
drüsen wurden  nicht  beobachtet.  Augenhintergrundsblutungen  fand 
man  teils  gleich  bei  der  Aufnahme,  teils  späterhin.  In  Überein- 
stimmung mit  Schaumann  und  Martins^)  wurden  bei  der 
Magenuntersuchung  erhebliche  Störungen  beobachtet.  Es  fehlte 
überall  freie  Salzsäure,  die  Gesamtazidität  betrug  4—5,  in  einem 
Falle  war  eine  deutliche  Milchsäurereaktion  vorhanden.  Die  Pepsin- 
verdauung war,  soweit  es  festgestellt  werden  konnte,  gleich  Null. 
Mikroskopisch  bot  der  Mageninhalt  keine  Besonderheiten  dar.  Im 
Stuhl  wurden  bei  II  reichlich  Askariseier  und  spärlich  Tricho- 
cephaluseier,  bei  III.  Trichomonaben  gefunden.  Störungen  des 
Nervensystems  waren  nicht  vorhanden. 

Der  Blutbefund  entsprach  vollkommen  dem  der  perniziösen 
Anämie.  Der  Hämoglobingehalt  schwankte  zwischen  13  (III)  und 
28  %  (I)  bei  der  Aufnahme  und  10  (III)  und  13  7«  (I)  kurz  ante 
exitum.  Die  Zahl  der  roten  Blutkörperchen  war  erheblich  ver- 
mindert, sie  betrug  bei  der  Aufnahme  530000(111)  bis  1320000  (I) 
und  nahm  ab  auf  352000  (III)  und  560000(1).  Der  Hämoglobin- 
gehalt war  im  Vergleich  zu  der  Zahl  der  roten  Blutkörperchen 
bei  II  besonders  hoch,  während  der  Hämoglobinwert  24  resp.  15  7o 
betrug,  war  die  Zahl  der  roten  Blutkörperchen  856  000  resp.  397  000, 
diesem  Hämoglobinwert  hätten  aber  1200000  resp.  750000  rote 
Blutkörperchen  entsprochen. 

Die  roten  Blutkörperchen  zeigten  die  übliche  Poikilo-  und 
Anisozytose,  ferner  eine  erhebliche  Polychromatophilie.  Bei  allen 
werden  Normoblasten  und  Megaloblasten  gefunden,  ihre  Zahl  wai* 
sehr  erheblich  bei  I,  wo  in  einem  Deckglasausstrich  19  Normo- 
blasten und  16  Megaloblasten  gefunden  wurden.  Lazarus*)  be- 
zeichnet das  gleichzeitige  Auftreten  dieser  Elemente  als  eine  große 
Seltenheit.    In  einem  Megaloblasten  wurde  eine  Kernteilung  be- 


1)  Zit.  nach  Lazaras,  Die  Anämie  S.  132,  Nothnagel  Bd.  YIIL 

2)  1.  c,  S.  113. 


über  die  Veränderungen  der  Milz  bei  perniziöser  Anämie  etc.         177 

obachtet.  Die  Erythrozyten  zeigten  sehr  häufig  die  basophile  Köme- 
lang  (punktierte  Erythrozyten). 

Über  die  Leukozyten  läßt  sich  in  Übereinstimmung  mit  La- 
zarus folgendes  sagen.  Ihre  Zahl  war  erheblich  vermindert,  der 
geringste  Wert  betrug  1000  (11),  das  Verhältnis  der  weißen  zu  den 
roten  Blutkörperchen  =  1 :  397.  Die  Lymphozyten  waren  immer 
relativ  vermehrt  bei  III  bis  auf  65,9  7^,  die  polynukleären,  neutro- 
philen  Leukozyten  dementsprechend  vennindert  auf  28,2  \.  In 
diesem  Falle  stieg  kurz  ante  exitum  die  Zahl  der  Leukozyten  von 
1700  auf  2800,  dabei  änderten  sich  auch  die  Prozentverhältnisse, 
die  Ljrmphozyten  sanken  auf  46,1  %,  die  polynukleären,  neutrophilen 
Leukozyten  stiegen  auf  52,7  ^/o-  Ob  diese  Blutveränderung  in  Zu- 
sammenhang mit  der  gegen  exitum  aufgetretenen  Pneumonie  steht, 
läßt  sich  nicht  entscheiden,  die  Möglichkeit  muß  jedenfalls  zu- 
gegeben werden. 

Als  pathologische,  weiße  Blutelemente  zeigten  sich  in  allen 
Fällen  neutrophile  Myelozyten.  Namentlich  für  Fall  II  möchte  ich 
nochmals  ausdrücklich  hervorheben,  daß  intra  vitam  keine  eosino- 
philen Myelozyten,  femer  kurz  ante  exitum  überhaupt  keine  eosino- 
philen Zellen  beobachtet  wurden,  das  erstere  gilt  auch  für  Fall  I 
und  III 

Die  Kranken  kamen,  entsprechend  der  raschen  Verschlechte- 
rung ihres  Blutbefundes,  bald  exitum. 

Die  Autopsie  ergab  ebenso  wie  die  klinische  Untersuchung 
keine  besonderen  Neuigkeiten.  Man  fand  eine  hochgradige  Blässe 
der  Organe,  Siderosis  der  Leber,  Niere,  Milz,  des  Pankreas;  kleine 
Hämorrhagien  unter  dem  Epi-  und  Endokard,  Trübung  und  teil- 
weise Verfettung  des  Myokards,  eine  kleine  Blutung  im  Rücken- 
mark. Die  Lymphdrüsen  des  Mesenteriums  erwiesen  sich  als  etwas 
geschwollen.  Unser  Hauptinteresse  nimmt  die  Milz  in  Anspruch. 
Sie  wies  makroskopisch  keine  Besonderheiten  auf.  Die  Maße,  die 
nach  Kaufmann^)  12,  8,  4  cm  betragen,  waren  nicht  sonderlich 
verändert.  Auf  dem  Schnitt  war  sie  von  dunkelroter  oder  hell- 
roter Farbe,  die  Follikel  und  Trabekel  traten  deutlich  hervor. 

Mikroskopisch  finden  wir  ein  in  den  grundlegenden  Arbeiten 
von  Ehrlich  und  Lazarus  nicht  beschriebenes  Verhalten.  Die 
Milz  wies  nicht  allein  die  im  Blut  vorhandenen  Elemente  auf, 
sondern  auch  Zellen,  die  allein  dem  Knochenmark  zukommen.  AVir 
konstatierten  in  allen  3  Fällen  neben  polynukleären,  eosinophilen 


1)  Lehrbuch  der  speziellen,  pathologischen  Anatomie.    S.  88  1896. 
Deatschea  Archiv  f.  küD.  Medizin.    LXXX.  Bd.  12 


178  IX.  KrBPjcwEiT 

Zellen  typische  mononukleäre,  eosinophile  Leukozyten  (Myelozyten), 
ferner  neben  polynukleären,  neutrophilen  auch  typische  mononukleäre, 
neutrophile  Leukozyten  (Myelozyten).  In  den  eosinophilen  Zellen 
fanden  sich  auch  Kerne,  die  durch  ihre  Kompaktheit  und  intensive 
Färbung  an  Kerne  von  Lymphozyten  erinnerten  und  sowohl  im 
Ausstrich  als  auch  im  Schnitt  dadurch  direkt  in  die  Aujafen  fielen. 
Bei  II  waren  sie  auch  im  Knochenmark  vorhanden.  Ob  diesen  Zellen 
eine  besondere  Bedeutung  zukommt,  oder  ob  es  sich  nur  um  Kunst- 
produkte  handelt,  das  kann  nicht  mit  Sicherheit  entschieden  werden. 
Jedenfalls  sind  diese  Kernformen  in  den  eosinophilen  Zellen  nur 
noch  einmal  in  einer  Typhusmilz  beobachtet  worden. 

Kernhaltige  rote  Blutkörperchen,  Normoblasten  und  Megalo- 
blasten  wurden  teils  mehr,  teils  weniger  zahlreich  überall  gesehen. 
Auffallend  war  noch  die  Poikilozytose  der  roten  Blutkörperchen. 

In  den  Lymphdrüsen  des  Mesenteriums  wurden  auch  Mark- 
elemente in  2  Fällen  konstatiert. 

Das  Knochenmark  wies  neben  den  gewöhnlichen  Elementen 
spärliche  Megaloblasten  auf. 

Welche  Bedeutung  ist  nun  diesen  Befunden  beizumessen? 

Über  das  Vorkommen  kernhaltiger  roter  Blutkörperchen  in  der 
Milz  schreibt  Ehrlich*):  „In  der  menschlichen  Milz  sind  aber 
weder  in  der  Norm,  noch  bei  Fällen  schwerer  Anämie,  sondern  aus- 
schließlich bei  leukämischen  Erkrankungen  kernhaltige  rote  Blut- 
körperchen zu  finden.**  Sie  hat  demnach  keine  Beziehungen  zur 
Neubildung  der  roten  Blutkörperchen.  Betreffs  der  weißen  Blut- 
körperchen kommt  er  zum  Schluß  „daß  die  Bedeutung  der  Milz 
für  die  Produktion  der  weißen  Blutkörperchen  keineswegs  erheblich 
sein  kann,  und  daß,  wenn  wirklich  Zellen  von  ihr  produziert  werden, 
dies  körnchenfreie  sein  müssen". 

Die  Angaben  der  normalen  Histologie  lauten  folgendermaßen. 
Ebner^j  schreibt  darüber:  In  den  Maschen  des  Pulparetikulums 
findet  man  1.  einkernige,  kleine  Ljmphzellen  (Lymphozyten),  diese 
bilden  auch  die  Hauptmasse  des  adenoiden  Gewebes;  ferner  2.  ein- 
kernige, polymorphkernige  und  multinukleäre  Leukozyten,  3.  kern- 
haltige rote  Blutzellen,  4.  ausgebildete,  rote  Blutzellen,  5,  große 
Zellen  mit  roten  Blutzellen  oder  gelbbraunen  bis  dunkelbraunen 
Pigmentschollen  oder  Kömern  im  Innern  (Phagozyten),  6.  freie 
Pignientschollen  und  Körner,  7.  Eiesenzellen  mit  sprossenden  Kernen, 
8.  blutplättchenähnliche  Gebilde. 

1)  1.  c.  s.  66. 

2)  Kölliker's  Handbnch  der  Gewebelehre  III  S.  257f. 


über  die  Veränderungen  der  Mik  bei  perniziöser  Anämie  etc.  179 

Zahlreich  sind  die  eigentlichen  großen  Leukozyten,  welche  im 
Bereich  der  adenoiden  Substanz  nur  in  den  Keimzentren  häufig 
sind.  Sie  sind  teils  uninukleär,  teils  multinukleär  oder  polymorph- 
kernig und  neben  meist  fein  granulierten  Formen  finden  sich  auch 
eosinophile  Zellen.  Diese  sah  er  in  der  Milz  eines  Hingerichteten 
in  der  Umgebung  der  arteriellen  Arterienscheiden,  seltener  in  ihnen 
selbst.  Riesenzellen  und  kernhaltige,  rote  Blutkörperchen  finden 
sich  in  der  Milz  des  Erwachsenen  in  der  Regel  nicht,  dagegen  Zellen, 
die  seiner  Meinung  nach  weder  zu  den  Leukozyten  noch  zu  den 
Erythrozyten  gehören,  Zellen  von  10 — 15  /u  Durchmesser  mit  fein- 
kömigem  Protoplasma,  das  sich  mit  Eosin  stärker  als  gewöhnlich 
färbt,  mit  rundlichem,  seltener  schwach  eingeschnürtem  Kern  von 
4—5  fi  Durchmesser.  Aus  dieser  Beschreibung  scheint  hervor- 
zugehen, daß  er  myelozytenähnliche  Gebilde,  wahrscheinlich  mit 
neutrophiler  Granulation  in  der  Milz  gesehen  hat  Kernhaltige 
rote  Blutkörperchen  kommen  seiner  Meinung  nach  nur  in  der  Milz 
bei  jungen  Tieren  vor. 

Um  mir  ein  eigenes  Urteil  über  dieses  Gebiet  zn  erwerben, 
habe  ich  systematisch  bei  einer  Reihe  von  Leichen  die  Milz  auf 
Ausstrichen  (Färbung  mit  Jenner,  Triazid,  Hämatoxylin-Eosin),  bei 
einem  Teil  auch  auf  Schnitten  (Färbung  mit  Triazid)  untersucht. 
Darüber  möchte  ich  nur  ganz  kurz  berichten. 

1.^)    Diphtheria  faucium^  Meoingitis  purulenda,  Empyema  pleurae  ein. 

Jhlilz  10,  5,  1^/^  cm.  Pulpa  von  gewöhnlicher  Konsistenz,  deutliche 
Follikelzeichnang.  Ausstrich :  neben  den  gewöhnlichen  Elementen  spär- 
liche nentrophile  Myelozyten,  mehrere  Normoblasten.  Rote  Blutkörperchen 
poikilozytotisch. 

2.  Typhus  abdominalis. 

Milz  12,  6,  2  cm.  Konsistenz  weich,  doch  prominieren  viele  derbere 
dunkelrote  Herde.  Pulpa  bräunlich-rot.  Ausstrich  :  spärliche  neutrophile, 
einzelne  eosinophile  Myelozyten,  deren  Kerne  teils  gebläht,  teils  pyknotisch 
Gymphozytenkemähnlich)  sind.  Spärliche  Normohlasten,  fragliche  Megalo- 
hlasteu.  Viele  Biesenzellen  mit  gelblichem,  körnigem  Pigment  und  B,esten 
von  roten  Blutkörperchen. 

3.  InsufBcientia  aortae. 

Milz  ziemlich  derb,  von  blauroter  Farbe,  teilweise  an  der  Oberfläche 
von  weiBen  Flecken  und  Streifen  durchsetzt,  auf  dem  Schnitt  von  dunkel- 
roter Farbe  mit  deutlicher  Follikel-  und  Trabekelzeichnung.  Maße  fehlen. 
Ausstrich:  spärliche  Normoblasten,  wenig  zahlreich  neutrophile  Myelo- 
zyten, einige  Mastzellen  mit  rundem  Kern. 

1)  Nur  bei  1  und  18  handelte  es  sich  um  jugendliche  Individuen,  alle  übrigen 
standen  im  mittleren  oder  höheren  Lebensalter. 

12* 


180  IX-    KUBPJÜWKIT 

4.  Aneurysma  aortae. 

Milz  sehr  fest,  15,  9,  4  cm,  bläulich-rötlich,  Schnitt  dunkelrot,  Follikel 
zum  Teil  deutlich  sichtbar.  Ausstrich:  sehr  spärliche  neutrophile  und 
eosinophile  Myelozyten.     Vereinzelte  Normoblasten. 

5.  Nephritis  chronica. 

Milz  klein,  an  der  Kapsel  weiße  und  braune  Flecke.  Pulpa  derb, 
mäßig  rot.  Ausstrich:  sehr  spärliche  neutrophile  Myelozyten,  vereinzelte 
Normoblasten. 

6.  Tumor  cerebri. 

Milz  von  entsprechender  Größe.  Kapsel  etwas  gespannt,  mit  kleinen 
fibrösen  Warzen.  Pulpa  schlaff  braunrot,  mit  deutlicher  Follikelzeichnung. 
Ausstrich :  spärliche  neutrophile  Myelozyten.  Vereinzelte  Mastzellen  mit 
rundem  Kern.     Keine  Normoblasten. 

7.  Nephritis  chronica,   Hypertrophia  et  Dilatatio  cordis,  Erysipelas. 
Milz    vergrößert,    derb,    von    kirschroter    Farbe,    an    der    Oberfläche 

mehrere  Narben.  In  der  Wurzel  der  Milzvene  ein  obturierender  Thrombus. 
Maße  fehlen.  Ausstrich:  mäßig  reichlich  neutrophile  Myelozyten,  ver- 
einzelte Mastzellen  mit  rundem  Kern.  Zwei  eosinophyle  Myelozyten. 
Keine  Normoblasten. 

8.  Nephritis  chronica. 

Stcurke  allgemeine  Zyanose  und  Ödeme. 

Blut  einen  Tag  ante  exitum :  Hb  84  % .    N  ==  4  400  000.    W  =  20  300 . 

^  =  -^.     Unter  300  weißen  Zellen:  P  =  89,0  o/^.     Gr.  L  =  3,9%. 

Kl.  L  =  2,5  %.  Mo  =  3,7  %.  Ma  =  0,7  %.  Polychromatophilie 
der  roten  Blutkörperchen.  Zahlreiche  Blutplättchen.  2  Normoblasten. 
Milz  12,  6,  4  cm,  von  etwas  vermehrter  Konsistenz.  Schnittfläche 
dunkelrot.  Trabekelzeichnung  deutlich.  Ausstrich:  mäßig  reichlich  neu- 
trophile Myelozyten,  Mastzellen  mit  rundem  Kern  spärlich.  Viele  Normo- 
blasten, deren  Kerne  Abschnürungen  zeigen,  die  oft  an  amitotische 
Teilungsfiguren  erinnern.  An  einigen  Stellen  sind  die  Nörmoblastenkeme 
sehr  groß  und  ähnlich  Megaloblastenkemen.  Polymorphie  und  Poikilo- 
zytose der  roten  Blutkörperchen. 

9.  Endocarditis  ulcerosa,  Nephritis  hämorrhagica. 

Milz  sehr  stark  vergrößert,  20,  14,  4  cm.  Oberfläche  teils  bläulich, 
teils  rot,  zwei  große,  6  cm  im  Durchmesser  betragende  fluktuierende 
Partien.  Neben  diesen  noch  mehrere  kleinere,  sich  weich  anfassende 
Partien  mit  gelblicher  Oberfläche  und  bräunlich-roten  zackigen,  derben 
wallartigen  Kändern.  Ausstrich:  viele  neutrophile  Zellen,  oft  gleichsam 
in  kleinere  Zellen  zerfallen,  die  Kerne  in  ihnen  teilweise  pyknotisch 
polynukleär  oder  rund,  spärliche  neutrophile  Myelozyten,  einzelne  eosino- 
phile Zellen,  hier  und  da  mit  rundem  Kern  (Myelozyten).  Keine  Nonno- 
blasten.     Poikilozytose  der  roten  Blutkörperchen. 

10.  Cirrhosis  hepatis. 

Blut :  5  Tage  ante  exitum :  Hb  50  %.     N  =  1  339  000.     W  =  8000. 

^=-g^-.      P   =   70  «/o.      Kl.   L   =    22,50/0.      Gr.  L   =   2,0%. 


über  die  Verändemngen  der  Milz  bei  perniziöser  Anämie  etc.  181 

Mo  =  5  ^Iq.     E  =  0,5  *^/q.     Keine  Myelozyten,  keine  kernhaltigen  roten 
Blutkörperchen. 

Milz  vergrößert,  17,  11,  4^/^  cm.  Konsistenz  weich.  Auf  dem 
Schnitt  Pulpa  braunrot,  weich.  Trabekel  undeutlich.  Ausstrich :  seltene 
neutrophile,  einzelne  eosinophile  Myelozyten.  In  mehreren  kleinen  eosino- 
philen Zellen  (Größe  eines  kleinen  Lymphozyten),  polyknotische,  runde 
Kerne.     Einzelne  Normoblasten,  zwei  Mastzellen  mit  rundem  Kern. 

11.  Amyotrophische  Lateralsklerose. 

Milz  11,  7,  2,4  cm.  Konsistenz  schlaff.  Pulpa  rot.  Trabekel  und 
Follikel  dicht  gestellt,  rötlich.  Ausstrich:  mäßig  reichlich  neutrophile 
Myelozyten.  Eosinophile  und  basophil  gekörnte  Zellen  fehlen,  ebenso 
Normoblasten. 

12.  Aneurysma  aortae  abdominalis. 

Milz  derb,  nicht  vergrößert,  zeigt  tiefe,  narbige  Einziehungen.  Pulpa 
fest,  dankelrot,  mit  deutlichen  Follikeln.  Ausstrich:  vereinzelte  neutro- 
phile Myelozyten.     Eine  Mastzelle  mit  rundem  Kern. 

13.  Nephritis  chronica. 

Milz  derb  vergrößert,  14,  10,  4  cm.  Pulpa  weich,  vorquellend, 
deutliche  Follikelzeichnung.  Ausstrich:  spärliche,  sehr  große  neutrophile 
Myelozyten,  einzelne  eosinophile  Myelozyten.  Spärliche  Normoblasten. 
Seltene  Mastzellen  mit  rundem  Kern.  Auffallende  Poikilozytose  der  roten 
Blutkörperchen. 

14.  Cirrhosis  hepatis,  Nephritis  chronica. 

Milz  mäßig  fest,  von  blasser  Farbe,  10,  G^^»  ^  ^™-  -^^^  ^^^ 
Schnitt  dunkelrot,  deutliche  Follikel-  und  Trabekelzeichnung.  Ausstrich : 
^ärliche  neutrophile  Myelozyten,  relativ  zahlreiche  eosinophile  Zellen, 
darunter  auch  Myelozyten,  keine  Normoblasten. 

15.  Stenosis   mitralis. 

Milz  sehr  derb,  Trabekel  deutlich  sichtbar,  12^ j^^  8^/^,  4  cm.  Aus- 
strich :  spärliche  neutrophile  Myelozyten,  der  Kern  ist  teils  groß,  rund, 
teils  pyknotisch,  rund.     Keine  Normoblasten. 

16.  Tuberculosis  miliaris  acuta,  Meningitis  tuberculosa. 

Milz  16,  9,  5  cm.  Auf  der  Oberfläche  Knötchen.  Konsistenz 
ziemlich  weich.  Auf  dem  Durchschnitt  zahlreiche,  weiße  Knötchen.  Pulpa 
feucht,  hell  und  dunkelrot  gefleckt,  vorquellend.  Ausstrich:  ziemlich 
viele  riesenzellenähnliche  Gebilde.  Spärliche  neutrophile  Myelozyten,  ganz 
vereinzelte  Mastzellen  mit  rundem  Kern.     Keine  Normoblasten. 

17.  Endocarditis  ulcerosa. 

Milz  stark  vergrößert,  20,  lO^j^j  4  cm.  Kapsel  matt,  mit  fibrinösen 
Beschlägen.  Konsistenz  wenig  fest..  Blaurote,  prominente  Herde  scheinen 
durch.  Auf  dem  Querschnitt  erscheint  die  Pulpa  graurot,  feucht,  vor- 
quellend. Die  harten  Herde  sind  kleine,  frische  Infarkte  mit  kleinen 
puriformen  Flecken  in  der  Umgebung.  Die  zu  den  Infarkten  führenden 
Arterien  sind  durch  Thrombusmassen  verstopft.  Ausstrich:  außerordent- 
liche Poikilozytose  (Zertrümmerung)  der  roten  Blutkörperchen.  Nur 
neutrophil  gekörnte  Zellen,  sehr  selten  erscheint  der  Kern  fast  rund 
(Myelozyten).     Keine  Normoblasten.     Viele  Kiesenzellen. 


182  IX.    KUBPJOWBIT 

18.  Perityphlitis,  Peritonitis. 

Blut  1  Tag  ante  exitum :  W  =  56  000.  P  =  87  ^j^.  Gr.  L  =  4  %. 
Mo  =  6%.     Neutrophile  Myelozyten  3%. 

Tiber  das  makroskopische  Verhalten  der  Milz  sind  keine  Angaben 
vorhanden.  Ausstrich :  zahlreiche  neutrophile  Myelozyten,  spärliche  eosino* 
philo  Myelozyten  und  Normoblasten. 

19.  Typhus  abdominalis. 

Blut  10  Tage  ante  exitum:  Hb  47  %.     N  =  3  617  000.     W  =  5600. 

^  =  6l6-     ^  =  '^^'/o-    Gr.L  =  60/^.    K1.L=130/,.   Mo  =  3o/^. 

Unter  200  weißen  Zellen  keine  eosinophilen  und  Mastzellen.  1  Normo- 
blast. 

Milz  ziemlich  weich,  15,  O^/g.  3^/^  cm.  Pulpa  sehr  quellend.  Aus- 
strich: starke  Poikilozytose  der  roten  Blutkörperchen.  Spärliche  neutro- 
phile Myelozyten,  vereinzelte  Normoblasten.  Eosinophile  Zellen  fehlen. 
Eine  Mastzelle  mit  rundem  Kern. 

20.  Pneumonia  crouposa. 

Blut,  kurz  ante  exitum:  Hb  75%.     N  =  3  250000.     W  =  4500. 

^=W     P  =  830/,.     Gr.L  =  70/^.     K1.L  =  6%.    Mo=l%. 
E  =  3o/^. 

Die  Kerne  der  polynukleären  Zellen  sind  gebläht  und  nehmen  fast 
die  ganze  Zelle  ein. 

Milz  etwas  vergrößert,  Pulpa  quellend.  Ausstrich :  spärliche,  neutro- 
phile Myelozyten,  spärliche  Normoblasten.  Ganz  vereinzelte  eosinophile, 
polynukleäre  Zellen. 

Die  Untersuchung  der  Milz  bei  einer  Keihe  von  Fällen  auf  Schnitten 
ergab  keine  für  uns  in  Betracht  kommende  Veränderungen. 

Fassen  wir  diese  Befunde  zusammen,  so  kommen  wir  zu  fol- 
gendem Resultat: 

Die  Milz  zeigt  makroskopisch  in  der  Mehrzahl  deutliche  Ver- 
änderungen. Bei  den  untersuchten  Fällen  von  Erkrankung  der 
Kreislaufsorgane  und  der  Nieren  ist  sie  entweder  verkleinert  oder 
normal  groß,  ihre  Konsistenz  ist  sehr  derb,  bei  septischen  Er- 
krankungen ist  sie  sehr  vergrößert  und  weich.  Als  nonnal  möchte 
ich  in  ihrem  makroskopischen  Verhalten  nur  die  Milz  bei  dem 
Tumor  cerebri  und  bei  der  amyotrophischen  Lateralsklerose  be- 
zeichnen. 

Mikroskopisch  sind  neben  den  gewöhnlichen  Elementen  neutro- 
phile, Leukozyten  mit  rundem  Kern  (Myelozyten)  gefunden  worden, 
außerdem  zeigen  die  Kerne  der  neutrophilen,  polynukleären  Leuko- 
zyten neben  der  typischen  Form  auch  geblähte  Formen.  Selbst  in  der 
Milz  beim  Tumor  cerebri  und  bei  der  amyotrophischen  Lateralsklerose, 
die  weder  unter  dem   Einfluß  von  entzündlichen  oder  Stauungs- 


über  die  yerändening«n  der  Milz  l)ei  perniziöser  Anämie  etc.         ]g3 

Prozessen  gestanden  haben,  werden  neutrophile,  Leukozyten  mitrundem 
Kern  (Myelozyten)  in  spärlicher  Zahl  beobachtet.  Die  eosinophilen 
Zellen  und  darunter  auch  die  einkernigen  (Myelozyten)  sind  viel 
seltener,  letztere  werden  ganz  vereinzelt  bei  Typhus  (Fall  2), 
Aneurysma  aortae  abdominalis  (12),  Nephritis  chronica  (7  und  13, 
7  war  kombiniert  mit  Erysipel),  Endocarditis  und  Nephritis  hämor- 
rhag^ica  (9),  Cirrhosis  hepatis  (14)  und  Perityphlitis  (18)  gefunden. 
Normoblasten  dagegen  waren  weit  häufiger  vorhanden,  so  bei  1,  2, 
3,  4,  5,  8,  10,  13,  18,  19,  20;  relativ  zahlreich  waren  sie  jedoch 
nur  bei  einer  Nephritis  chronica,  hier  waren  sie  aber  auch  kurz 
ante  exitum  im  Blut  konstatiert  worden.  Sehr  auffallend  war  bei 
zwei  chronischen  Nephritiden  die  enorme  Poikilozytose  resp.  Zer- 
trümmerung der  roten  Blutkörperchen,  Veränderungen,  die  schon 
lange  aus  der  Arbeit  Ponfick's:^)  Über  Hämoglobinämie  und  ihre 
Folgen  („spodogener  Milztumor")  bekannt  sind.  In  gleichem  Maße 
sah  man  sie  nur  noch  bei  schweren  septischen  Erkrankungen.  Bei 
letzteren  wurde  in  einem  Falle  (9)  auch  eine  Veränderung  der  ver- 
mehrten neutrophilen  polynukleären  Leukozyten  beobachtet,  ähnlich 
der  von  Ehrlich^)  im  Inhalt  von  Vesikatorblasen  etc.  beschrie- 
benen. Die  neutrophilen  Leukozyten  waren  etwa  halb  so  groß  wie 
normal,  der  Kern  polynukleär  oder  rund  pyknotisch  intensiv  ge- 
färbt^ für  letztere  Zellen  hat  Ehrlich*)  den  Namen  „Pseudo- 
lymphozyten"  eingeführt.  Ob  es  sich  in  unserm  Falle  um 
Schrumpfungs-  oder  Zerfallsprozesse  handelte,  konnte  nicht  mit 
Sicherheit  entschieden  werden,  letzteres  ist  jedoch  das  Vl^ahrschein- 
lichere,  da  die  betreifende  Milz  große  Erweichungsherde  zeigte. 

Außer  den  erwähnten  Enochenmarkelemeuten  wurden  noch 
häufig  Mastzellen  nüt  rundem  Kern  gefunden. 

Vergleichen  wir  nun  unsere  Befunde  mit  denen  von  Ebner, 
80  kann  ich  ihm  nur  beistimmen,  daß  man  in  jeder  Milz  fein- 
granulierte Zellen  mit  rundlichem  Kern  findet,  ferner  daß  in  der  nor- 
malen Milz  keine  Normoblasten  vorkommen,  denn  in  der  Milz  vom 
Tumor  cerebri  und  von  der  amyotrophischen  Lateralsklerose  werden 
neutrophile  Leukozyten  mit  rundem  Kern  (Myelozyten),  dagegen  keine 
Normoblasten  gefunden.  Eosinophile,  Leukozyten  mit  rundem  Kern 
(Myelozyten)  und  Normoblasten  treten  nur  in  Milzen  auf,  die  durch 
Stauung,  entzündliche  Prozesse  und  schwere   Anämien  verändert 


1)  Berl.  klin.  Wochenschr.  1883  S.  306  u,  389. 

2)  Znr  Kenntnis  des  akuten  Milztumors.    Charite-Annalen  1884  S.  107. 

3)  Die  Anämie.    Nothnagel,  Bd.  8  S.  52. 


184  IX.    KUBPJUWEIT 

sind.    Aus  dem  makroskopischen  Verhalten  kann  man  nie  einen 
Schluß  auf  das  Vorhandensein  dieser  Knochenmarkelemente  ziehen. 

Meine  Beobachtungen  stehen  nun  in  Gegensatz  zu  denen  von 
H.  Hirsch  fei  d,*)  der  in  der  Milz  bei  Herzkrankheiten,  Aorten- 
aneurysmen, Apoplexien  neben  den  gewöhnlichen  Element en^ 
Lymphozyten  und  mononukleäre  Zellen,  nur  spärliche  neutrophile 
und  eosinophile  polymorphkernige  Zellen,  dagegen  nie  Normoblasten 
und  Myelozyten  fand.  Daß  er  spärliche  Myelozyten  nicht  gesehen 
hat,  lag  vielleicht  an  der  Insuffizienz  der  Kernförbung  mit  Triazid, 
daß  er  Normoblasten  z.  B.  auch  bei  perniziöser  Anämie  nicht  ge- 
sehen hat,  bestätigt  nur,  daß  die  Veränderungen  eines  Organs 
nicht  gleichmäßig  nach  einem  Schema  erfolgen,  sondern  abhängen 
von  der  Schwere  der  Erkrankung,  z.  B.  der  Stauungserscheinungen, 
von  dem  Grad  der  Anämie  und  vielen  anderen  Momenten,  die  wir 
nicht  kennen. 

Bei  Infektionskrankheiten  und  Bleianämie  sind  Knochenmark- 
elemente in  der  Milz  von  Engel,  Dominici,  Weil,  H.  Hirsch- 
feld, *^)  A.  Wolff, *)  bei  metastatischer  Knochenkarzinose  von 
Frese*)  und  von  mir*)  gesehen  worden. 

Kernhaltige  rote  Blutkörperchen  haben  schon  viel  früher 
Bizzozero,  Foä,  Salvioli,  Pellacani)  in  der  Milz  junger 
Tiere,  in  der  Milz  von  Tieren  nach  schweren  Blutverlusten,  dann 
auch  beim  erwachsenen  Menschen  in  einigen  Fällen  gefunden. 
Fast  alle  haben,  im  Gegensatz  zu  E.  Neumann  und  seinem 
Schüler  Freyer,^  welche  kernhaltige,  rote  Blutkörperchen  als 
Einschw^emmung  vom  Knochenmark  in  die  Milz  auffassen  und  ihr 
daher  eine  wesentliche  Bedeutung  für  die  Neubildung  roter  Blut- 
körperchen absprechen,  den  Schluß  gezogen,  daß  die  Milz  in  den 
erwähnten  Fällen  eine  wichtige  Eolle  bei  der  Blutbildung  spiele. 

Wenn  nun  aber  die  Milz  in  so  zahlreichen  Fällen 
eosinophile  Leukozyten  mit  rundem  Kern  (Myelozyten), 
ferner  Normoblasten  enthält,  liegt  meiner  Meinung 
nach  vielleicht  auch  der  Schluß  nahe  daß  sie  diese 
no  r  mal  er  w^  eise  enthalte,  allerdings  in  spärlicher  Zahl 
und  daß  erst  infolge  entzündlicher  oder  toxischer  Ein- 


1)  Berl.  klin.  Wochenschr.  1902  S.  701. 

2)  1.  c. 

3)  Berl.  klin.  Wochenschr.  1902  S.  840. 

4)  D.  Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  68  S.  387. 

5)  D.  Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  87  S.  553. 

6)  Zit.  nach  Ebner,  1.  c.  S.  274 f. 


über  die  Veränderungen  der  Milz  bei  perniziöser  Anämie  etc.         185 

fliisse,  ferner  auch  infolge  von  StauuDgsprozessen  und 
schweren  Anämien  eine  Proliferation  der  vorhan- 
denen Elemente  und  vielleicht  auch  eine  Einwande- 
rung neuer  Elemente  auftritt.  Dabei  möchte  ich  an- 
nehmen, daß  die  neatrophilen,  einkernigen  Leuko- 
zyten (Myelozyten)  schon  normal  in  jeder  Milz  vor- 
kommen und  daß  vielleicht  die  eosinophilen,  einker- 
nigen Zellen  (Myelozyten)  and  die  Normoblasten  ein- 
wandern. 

Nach  Ehrlich  sind  aber  die  einkernigen  neutrophil  und 
eosinophil  gekörnten  Zellen  (Myelozyten)  und  die  kernhaltigen  roten 
Blutkörperchen  Knochenmarkelemente.  Aus  ihrem  Auftreten  in 
der  Milz  kann  man  den  Schluß  ziehen,  daß  die  Milz  Knochenmark- 
(hämatopoetische)  Funktionen  übernommen  hat,  vorausgesetzt,  daß 
man  diese  Knochenmarkzellen  oder  auch  nur  eine  Art  von  ihnen 
im  Blut  nicht  findet. 

Bei  den  perniziösen  Anämien  sind  im  Blut  neutrophile  Myelo- 
zyten, Normoblasten  und  Megaloblasten  vorhanden,  in  der  Milz 
werden  sie  auch  gefunden,  außerdem  aber  noch  relativ  zahlreiche 
eosinophile  Myelozyten.  Dieses  Moment  scheint  mir  zu  beweisen, 
daß  auch  hier  die  Milz  eine  hämatopoetische  Funktion  über- 
nommen hat. 

Was  nun  die  übrigen  Untersuchungen  betrifft,  so  sind  neutro- 
phile, eosinophile  Myelozyten  und  Normoblasten  gemeinsam  nur  in 
wenigen  Milzen  gefunden  worden,  Normoblasten  und  neutrophile 
Myelozyten  zusammen  dagegen  weit  häufiger.  Nur  in  fünf  Fällen 
ist  aber  eine  Blutuntersuchung  kurz  ante  exitum  zum  Vergleich 
mit  der  späteren  Milzuntersuchung  gemacht  worden,  diese  ergab 
bei  Cirrhosis  hepatis  (10)  im  Blut  keine  Knochenmarkelemente,  in 
der  Milz  spärliche  neutrophile  und  eosinophile  Myelozyten,  einzelne 
Normoblasten ;  bei  Nephritis  chronica  (8)  im  Blut  zwei  Normoblasten, 
in  der  Milz  mäßig  reichliche  neutrophile  Myelozyten  und  viele 
Normoblasten;  bei  Perityphlitis  (18)  im  Blut  3%  neutrophile 
Myelozyten,  in  der  Milz  zahlreiche  neutrophile  und  spärliche 
eosinophile  Myelozyten,  spärliche  Normoblasten;  bei  Typhus  abdo- 
minalis (19)  im  Blut  neben  200  weißen  Blutkörperchen  ein  Normo- 
blast,  in  der  Milz  spärliche  neutrophile  Myelozyten  und  vereinzelte 
Normoblasten;  bei  Pneumonie  (20)  im  Blut  keine  Knochenmark- 
elemente, in  der  Milz  spärliche  neutrophile  Myelozyten  und  Normo- 
blasten. 

Aus  diesen  Fällen  können  wir  wohl  mit  Sicherheit  den  Schluß 


186      IX.  KuBPJUwKiT,   Über  die  Verftnd.  der  Milz  bei  pernUiöser  Anämie  etc. 

ziehen,  daß  die  Milz  hier  eine  myeloide  Umwandlung  erfahren  und 
damit  wahrscheinlich  auch  eine  hämatopoetische  Funktion  über- 
nommen hat. 

Denselben  Schluß  können  wir  wohl  auch  in  den  übrigen  Fällen, 
bei  denen  eine  Blutuntersuchung  intra  vitam  nicht  gemacht  worden 
ist,  ziehen. 

Da  nun  aber  auch  in  der  normalen  Milz  Enochenmarkelemente 
vorkommen,  muß  an  die  Möglichkeit  gedacht  werden ,  daß  sie  sich 
auch  an  der  Blutbildung  beteiligt.  Indessen  ist  das  untersuchte, 
sicher  normale  Milzmaterial,  d.  h.  welches  nicht  beeinflußt  war 
durch  Entzündung,  Stauung,  Anämie  etc.,  zu  gering,  um  solche 
weitgehenden  Schlüsse  mit  Sicherheit  daraus  zu  ziehen. 

Meinem  hochverehrten  Chef  Herrn  Professor  Lichtheim 
sage  ich  hiermit  meinen  besten  Dank  für  die  Anregung  zu  dieser 
Arbeit  und  für  die  freundliche  Unterstützung. 


I 


X. 

Aus  der  medizinischen  Klinik  in  Tübingen. 

über  die  Speziflzität  des  Fibrinfermentes  nnd  seiner 

Vorstufen. 

Von 

Dr.  Muraschew 

auB  Moskau. 

Die  theoretische  Auffassung  des  Vorganges  der  Blutgerinnung 
ist  durch  die  Untersuchungen  der  letzten  Zeit  ganz  wesentlich 
gefördert  worden.  Die  Arbeiten  von  Hewlett  (1),  Fuld(2)  und 
Morawitz(3)  über  die  Entstehung  des  Fibrinfermentes  bedeuten 
insofern  einen  Fortschritt  in  der  Erkenntnis  dieses  verwickelten 
Problems,  als  sie  geeignet  scheinen  einen  großen  Teil  der  Wider- 
sprüche zu  erklären,  die  bisher  das  Studium  der  Gerinnungsliteratur 
erschwerten. 

AlexanderSchmidt(4)  lehrte,  daß  im  zirkulierenden  Plasma 
eine  Vorstufe  des  Fibrinfermentes,  ein  Prothrombin,  gelöst  vorhanden 
sei,  das  durch  zymoplastische  Substanzen  aktiviert  und  in  wirk- 
sames Fibrinferment  übergeführt  wird.  Die  zymoplastischen  Sub- 
stanzen sollten  durch  den  extravaskulär  erfolgenden  Zerfall  der 
Leukozyten  frei  werden. 

Demgegenüber  behaupteten Pekelharing(5)  und  A r t h u s  (6), 
daß  eine  Vorstufe  des  Fibrinfermentes,  ein  Prothi-ombin  durch  die 
Einwirkung  von  Kalksalzen  in  Thrombin  übergehen  könne,  was 
den  Befunden  von  Hammarsten(7)  entsprach.  Das  Prothrombin 
sollte  nicht  schon  im  zirkulierenden  Plasma  gelöst  sich  finden, 
sondern  von  geformten  Elementen  abstammen. 

Morawitz(3)  konnte  nun  zeigen,  daß  diese  beiden  einander 
scheinbar  widersprechenden  Anschauungen  nicht  unvereinbar  sind. 
Er  bewies,  daß  das  Fibrinferment  durch  die  Einwirkung  der  Thrombo- 
kinase, die  vielleicht  zum  Teil  den  Schmidt'schen  zymoplastischen 
Substanzen  entspricht,  auf  eine  Vorstufe  des  Fibrinfermentes,  das 
Thrombogen,  entsteht.    Dieser  Vorgang  der  Aktivierung  findet  nur 


188  X.   MüßASCHEW 

bei  Anwesenheit  löslicher  Kalksalze  statt.  Der  BegriflF  des  Pro- 
thrombins im  Sinne  Pekelharing's  umfaßt  daher  das  Thrombogen 
und  die  Thrombokinase,  die  wegen  Mangel  bei  Kalksalzen  nicht 
miteinander  reagieren. 

Während  das  Thrombogen  sich  nur  im  Blute  findet,  kann 
Thrombokinase  aus  allen  Geweben  dargestellt  w^erden.  Die  bei  der 
normalen  Blutgerinnung  wirksame  Kinase  entstammt  vornehmlich 
den  Plättchen  oder  Leukozyten.  Im  Gegensatz  zu  Alexander 
Schmidt  glaubt  Morawitz(3),  daß  auch  das  Thrombogen,  das 
dem  Schmidt 'sehen  Prothrombin  entspricht,  sich  nicht  schon 
gelöst  im  zirkulierenden  Plasma  vorfindet.  Er  ist  geneigt,  in  den 
Blutplättchen  die  Hauptquelle  des  Thrombogens  zu  sehen. 

Das  zirkulierende  Blut  bleibt  demnach  flüssig,  weil  es  vor 
allem  keine  Thrombokinase,  wahrscheinlich  auch  kein  Thrombogen 
enthält.  Es  ist  anzunehmen,  daß  sich  geringe  Mengen  von  Fibrin- 
ferment schon  im  zirkulierenden  Blute  durch  Austritt  dieser  Sub- 
stanzen aus  den  geformten  Elementen  bilden,  wie  Schmidt  (4) 
und  seine  Schüler  wahrscheinlich  gemacht  haben.  Jedoch  können 
diese  geringen  Fermentmen'gen  nicht  wirken,  da  sie  durch  ein 
Antithrombin  unwirksam  gemacht  werden,  das  sich  vermutlich 
schon  im  zirkulierenden  Blute  findet.  Dieses  Antithrombin  ist  bis- 
her nur  im  Oxalat-  und  Fluoridplasma  nachgewiesen  worden.  Es 
ist  daher  von  Interesse,  daß  es  mir  gelungen  ist,  die  Anwesenheit 
desselben  auch  im  Gansplasma  sehr  wahrscheinlich  zu  machen,  das 
nach  Delezenne's  (8)  Vorschriften  ohne  jeden  Salzzusatz  ge- 
wonnen wurde.  Diese  Tatsache  ist  deswegen  wichtig,  weil  hierbei 
alle  Einwände  wegfallen,  die  gegen  die  von  Morawitz  (3)  ge- 
wonnenen Resultate  an  Oxalatplasma  etc.  erhoben  werden  könnten. 

Das  nach  Delezenne's  (8)  Vorschriften  gewonnene  reine 
Gansplasma  gerinnt  sehr  leicht  auf  Zusatz  von  etwas  Gewebssaft, 
obwohl  der  Gewebssaft  kein  Ferment,  sondern  nur  Kinase  enthält 
Daraus  schlössen  Morawitz  (3)  und  Fuld  (2),  daß  im  Gansplasma 
einer  der  beiden  Faktoren,  die  das  Fibrinferment  bilden,  nämlich 
das  Thrombogen,  schon  vorhanden  sei.  Auffallend  langsam  gerinnt 
dagegen  Gansplasma  auf  Zusatz  von  Gansserum,  das  durch  Schlagen 
des  nach  Delezenne  gewonnenen  Gansblutes  erhalten  \\Tirde, 
also  nicht  mit  Gewebssaft  in  Berührung  gekommen  war,  mithin 
nur  wenig  Thrombokinase  enthalten  konnte.  Diese  durch  Gans- 
serum im  Gansplasma  erzeugten  Gerinnungen  schritten  so  langsam 
fort  und  blieben  so  lange  stationär,  daß  man  an  die  von  Arthus(9) 
und   Morawitz  (3)   beschriebene  Gerinnung  des   Fluoridplasmas 


über  die  Spezifizität  des  Fibrinfermentes  und  seiner  Vorstufen.         189 


auf  geringen  Serumzusatz  unwillkürlich  erinnert  wurde.  Es  lag 
daher  nahe,  zu  untersuchen,  ob  auch  hier  wie  im  Flüoridplasma 
ein  Antikörper  eine  wesentliche  Rolle  spielt.  In  der  Tat  stellte 
sich  heraus,  daß  Gansserum  eine  Fibrinogen lösung  viel  schneller 
zum  Gerinnen  bringt  als  das  gleiche  Volumen  Gansplasma. 

Versuch. 


Fibrinogen- 
lösung 


GftnsDlaqma     Gansserum  akti- 
ijanspiasma      ^.^^^  ^^^  ^^^^^ 


Geronnen  nach 


D  Qcm 


5  ccm 


10  Tropfen 
10  Tropfen 


1  Stunde  30  Minuten, 
nach  10  St.  part.  Gerinnung, 
nach  24  St.  total  geronnen. 


Da  mehrere  Versuche  dieselben  Resultate  gaben,  war  es  sehr 
wahrscheinlich,  daß  Gansplasma  einen  gerinnungshemmenden  Körper 
enthält.  Diese  Ansicht  konnte  noch  weiter  dadnrch  gestützt  werden, 
daß  sich  zeigen  ließ,  daß  durch  Erhitzen  inaktiviertes  Gansplasma 
die  Gerinnung  einer  Fibrinogenlösung  durch  Gansserum  verhindert. 

Versuch. 


Fibrinogen- 
lösung 

Gansplasma 

ViSt.  auf  58« 

erhitzt 

Gansserum  akti- 
viert mit  CaClj 

Geronnen  nach 

5  ccm 
5  ccm 

2  ccm 

10  Tropfen 
10  Tropfen 

1  Stunde  30  Minuten 
üngeronnen  nach  24  Stunden. 

Es  scheint  also,  daß  der  Antikörper  des  Gansplasmas  relativ 
hitzebeständig  ist  und  durch  die  beim  Erwärmen  eintretende 
Koagulation  des  Fibrinogens  in  seiner  Wirkung  nicht  nachweislich 
beeinträchtigt  wird. 

Die  Tätigkeit  dieses  Antikörpers  macht  sich  am  deutlichsten 
bei  Zusatz  von  Gansserum  geltend,  doch  scheint  es,  daß  eine  weniger 
ausgesprochene  Hemmung  auch  bei  Zusatz  von  Serum  verschiedener 
anderer  Tiere  zu  beobachten  ist.  Es  würde  das  auf  eine  Spezifität 
der  Thrombine  in  der  Wirbeltien'eihe  hinweisen.  Allerdings  sind  die 
Resultate  hier  nur  mit  Vorsicht  zu  verwerten,  da,  wie  wir  weiter 
unten  Gelegenheit  haben  werden  zu  zeigen,  eine  derartige  Spezi- 
fiiziät  sich  sonst  nicht  nachweisen  läßt. 

Wir  haben  diese  Versuche  über  das  Antithrombin  des  Gans- 
plasmas hier  ausführlicher  wiedergegeben,  weil  durch  die  Ent- 
deckung eines  derartigen  Körpers,  wie  es  scheint,  die  Ursachen 
des  flüssigen  Zustandes  des  Blutes  innerhalb  der  Gefäße,  der  seit 
Brücke  bisher  immer  auf  einen  von  der  lebenden  Gefäßwand  aus- 


190  X-    MüKABCHEW 

gehenden  unbekannten  Einfluß  zurückgeführt  wurde,  unserem  Ver- 
ständnis näher  gerückt  wird. 

Da  durch  die  Untersuchungen  von  Morawitz  (3),  deren  Resul- 
tate den  gleichzeitig  und  unabhängig  davon  gewonnenen  Befunden 
von  Fuld  (2)  entsprechen,  ein  Zusammenwirken  mehrerer  Sub- 
stanzen bei  der  Entstehung  des  Fibrinfermentes  als  sichergestellt 
angesehen  werden  kann,  war  es  notwendig  zu  untersuchen,  ob 
man  imstande  ist  sich  eine  nähere  Vorstellung  über  den  zugrunde 
liegenden  chemischen  Vorgang  zu  bilden,  besonders  im  Hinblick 
darauf,  daß  die  Theorie  Ehrlich 's  über  die  komplexe  Natur  der 
Hämolysine  von  Delezenne  scheinbar  mit  Erfolg  bereits  auf  ein 
Ferment,  das  Trypsin,  übertragen  worden  ist. 

Einer  der  Wege,  die  zum  Ziele  führen  konnten,  war  eine  Unter- 
suchung der  Spezifizität  des  Fibrinfermentes  und  seiner  Vorstufen 
in  der  Reihe  der  Wirbeltiere.  Auf  Anregung  von  Herrn  Professor 
Krehl  unternahm  ich  es  daher,  zu  untersuchen,  ob  einerseits  das 
Fibrinferment  als  Ganzes,  andererseits  aber  die  Thrombokinase  oder 
das  Thrombogen  einiger  Repräsentanten  der  verschiedenen  Klassen 
der  Wirbeltiere  in  gleicher  oder  verschiedener  Weise  auf  dieselbe 
Fibrinogenlösung  einwirkten. 

Herr  Dr.  Morawitz  hat  mich  sowohl  bei  der  Ausfuhr ung 
der  Versuche,  als  auch  bei  Abfassung  der  Arbeit  mit  Rat  und  Tat 
auf  das  Wirksamste  unterstützt. 

Was  zunächst  die  Spezifizität  des  Thrombins  anlangt,  so  sind 
die  Ansichten  darüber  in  der  Literatur  etwas  geteilt. 

Während  Duclaux  (10)  annimmt,  daß  die  Thrombine  der 
verschiedenen  Wirbeltiere  identisch  seien,  liegen  Angaben  von 
Borde t  und  Gengou  (11)  sowie  Fuld  (12)  vor,  die  auf  eine 
relative  Spezifizität  der  Thrombine  in  der  Wirbeltierreihe  hinweisen. 
Bordet  und  G e n g o u  glaubten  eine  Spezifizität  durch  einen  immuni- 
satorisch erzeugten  Antikörper  nachweisen  zu  können,  während 
Fuld  angibt,  daß  Gewebssaft  vom  Vogel,  den  er  damals  noch  als 
Ferment  ansah,  oxalatiertes  Pferdeplasma  nicht  zum  Gerinnen  bringt, 
während  umgekehrt  Pferdeserum  Vogelplasma  ebenfalls  nicht  koagu- 
liert. Seitdem  wir  wissen,  daß  die  Gewebssäfte  allein  die  Thrombo- 
kinase,  die  nur  bei  Anwesenheit  von  Kalk  wirkt,  nicht  aber  fertiges 
Thrombin  enthalten,  und  im  Vogelplasma  ein  relativ  stark  wirken- 
der Antikörper  vorhanden  ist,  kann  die  Beweiskraft  der  Versuche 
Fuld 's  nicht  mehr  als  ausreichend  angesehen  werden.  Der  Anti- 
körper von  Bordet  und  Gengou  ist  aber  vielleicht  kein  Anti- 
thromkin,  sodern  eine  Antikinase. 


■■__  

Über  die  Spezifizität  des  Fibrinfermentes  und  seiner  Vorstufen.        191 

Eine  sichere  Entscheidung  dieser  Frage  erschien  um  so  mehr 
wünschenswert^  als  Ijoeb(13)  neuerdings  gestützt  auf  Versuche, 
die  er  mit  Gansplasma  als  Indikator  anstellte,  wiederum  die  An- 
sicht vertreten  hat^  daß  spezifische  Unterschiede  der  Thrombine 
nur  zwischen  Wirbeltieren  und  Wirbellosen  bestehen,  daß  dagegen 
die  Thrombine  aller  Wirbeltiere  vorerst  als  identisch  angesehen 
werden  können,  da  sie  sämtlich  Gansplasma  koagulieren. 

Als  Indikator  des  Fibrin fermentes  benutzten  wir  in  unseren 
Versuchen  Fibrinogenlösungen  aus  Rinderplasma,  die  in  bekannter 
Weise  nach  Hammarsten's(7)  Angaben  hergestellt  wurden.  Die 
Gewinnung  einer  reinen  Fibrinogenlösung  aus  Rinderplasma  bietet 
^nige  Schwierigkeiten,  die  sich  bei  Verarbeitung  von  Pferdeplasma 
nicht  in  dem  Maße  finden.  Vor  allem  gelingt  die  Ausfällung  des 
Fibrinogens  durch  Kochsalz  erst  bei  Zusatz  von  etwas  Säure  und 
ist  auch  dann  häufig  unvollständig.  In  einigen  Fällen  gelang  es 
überhaupt  nicht,  eine  flockige  Ausscheidung  zu  erreichen;  das 
Fibrinogen  schied  sich,  besonders  bei  der  zweiten  Umfällung,  kolloidal 
resp.  als  ganz  feiner,  homogen  aussehender  Niederschlag  aus,  der 
nar  durch  Zentrifugieren  abgetrennt  werden  konnte.  Es  gelang  in 
solchen  Fällen  nie  profermentfreie  Fibrinogenlösungen  zu  gewinnen. 

Weiterhin  kam  als  Indikator  noch  Gansplasma  zur  Verwendung. 
Es  wäre  sehr  wünschenswert  gewesen,  auch  noch  ein  Plasma  eines 
Kaltblüters  zu  prüfen;  leider  gelang  das  nicht,  da  die  zur  Ver- 
fügung stehenden  Tiere,  Frösche  und  Fische,  zu  wenig  Blut  lieferten. 
Sonst  ständen  diesen  Versuchen  insofern  keine  Schwierigkeiten  im 
Wege,  als  das  Blut  der  Kaltblüter  nach  Delezenne's(8)  Angaben 
sich  ebenso  verhält,  wie  das  der  Vögel,  d.  h.  bei  Vermeidung  der 
Berfihrung  mit  den  Geweben  nicht  spontan  gerinnt.  Als  Ferment- 
losungen kamen  die  Sera  von  Repräsentanten  verschiedener  Klassen 
der  Wirbeltiere  in  Betracht  und  zwar:  Rind,  Hund,  Kaninchen,  Ratte, 
Gans,  Frosch,  Fisch.  Es  wurde  darauf  geachtet,  daß  das  Blut  mög- 
lichst ohne  Berührung  mit  den  Geweben  entnommen  wurde,  um  einen 
Überschuß  von  Thrombokinase  in  den  Sera  zu  vermeiden.  Jedoch  ließ 
sidi  das  bei  Fröschen  und  Fischen  nicht  vollkommen  durchführen. 

Das  Resultat  sehr  zahlreicher  Versuche  bestand  im  wesent- 
lidmi  darin,  daß  gezeigt  werden  konnte,  daß  die  Sera  sämt- 
licher untersuchter  Tiere  sowohl  Fibrinogenlösung 
als  auch  Gansplasma  zum  Gerinnen  bringen. 

Es  würde  das  also  im  Sinne  der  Angaben  von  Loeb(13) 
spreciien  und  eine  Spezifizität  der  Thrombine  nicht  sehr  wahr- 
scheinlich erscheinen  lassen. 


192  X-  MüRAKCHEW 

Wir  haben  auch  versucht  durch  Anstellen  quantitativer  Ge- 
rinnungsversuche zu  ermitteln,  ob  vielleicht  eine  relative  Spezifizi- 
tät  sich  nachweisen  läßt,  was  a  priori  nicht  unwahrscheinlich 
war,  da  ja  z.  B.  die  Bakterienagglutinine  nicht  absolut,  sondern 
nur  relativ  spezifisch  sind  und  die  Agglutination  in  vielen  Fällen 
sich  auch,  wenn  auch  in  schwächerem  Maße,  gegenüber  verwandten 
Bakterien  geltend  macht. 

Unsere  in  dieser  Richtung  angestellten  Versuche  haben  jedoch 
deswegen  zu  keinem  befriedigenden  Resultat  gefuhrt,  weil  uns  zu 
vergleichenden  Versuchen  keine  geeigneten  Indikatoren  zur  Ver- 
fügung standen.  Nur  die  Fibrinogenlösung,  nicht  aber  das  Gans- 
plasma konnte  als  indifferenter  Indikator  angesehen  werden,  da 
letzteres  einen  Antikörper,  ferner  auch  Thrombogen  enthält  und 
man  nicht  übersehen  kann,  was  für  Reaktionen  sich  nach  Zusatz 
von  Serum  in  dem  Gansplasma  abspielen. 

Auch  die  scheinbar  relativ  spezifische  Wirkung  des  im  Gans- 
plasma nachgewiesenen  Antikörpers,  die  wir  oben  erwähnten,  darf 
nur  mit  Vorsicht  für  eine  Spezifizität  der  Thrombine  ins  Feld  ge- 
führt werden.  Denn  man  kann  bisher  nicht  mit  Sicherheit  sagen, 
ob  nur  das  mit  dem  Serum  zugeführte  Thrombin  sich  an  der  Ge- 
rinnung des  Gansplasmas  beteiligt  oder  ob  dabei  noch  andere  Pro- 
zesse mitspielen,  z.  B.  eine  Aktivierung  des  im  Gansplasma  vor- 
handenen Thrombogen  durch  die  im  Serum  sich  vorfindende 
Kinase  oder  eine  Änderung  des  Thrombingehaltes  des  Serums  durch 
eine  Verschiebung  des  zwischen  Thrombogen  und  Kinase  bestehen- 
den Gleichgewichtszustandes. 

Wir  wollen  daher  unsere  Ansicht  über  die  Spezifizität  der 
Thrombine  in  der  Wirbeltierreihe  dahin  präzisieren:  Eine  aus- 
gesprochene Spezifizität  besteht  sicherlich  nicht,  ob 
eine  relative  Spezifizität  vorliegt  läßt  sich  nicht  ganz 
sicher  entscheiden.  Jedenfalls  findet  sich  bisher  kein  zwingen- 
der Grund,  etwas  derartiges  anzunehmen  Gegen  die  Spezifizität 
spricht  z.  B.  auch  der  Umstand,  daß  das  Antithrombin  des  Blut- 
egels, soweit  uns  bekannt  ist,  in  gleicher  Weise  gegen  die  Throm- 
bine sämtlicher  w^armblütiger  Tiere  wirkt. 

Nebenbei  sei  bemerkt,  daß  unsere  Versuche  erkennen  ließen, 
daß  der  Thrombingehalt  der  Sera  von  Tieren  derselben  Spezies  ganz 
enorme  Schwankungen  auch  unter  sonst  ganz  gleichen  Bedingungen 
zeigen  kann.  So  fand  sich,  daß  gleiche  Mengen  Hundeserum,  das 
von  verschiedenen  Tieren  stammte,  einen  ganz  verschiedenen  Throm- 
bingehalt  aufwies.     Dieselbe   Fibrinogenlösung  wurde  durch  die 


über  die  Spezifizität  des  Fibrinfennentes  nnd  seiner  Vorstufen.        193 

gleiche  Menge  Seram  des  ersten  Tieres  schon  in  einer,  des  zweiten 
erst  in  aber  7  Standen  zam  Gerinnen  gebracht.  Äuffallenderweise 
war  aach  die  Leber  des  zweiten  Handes  scheinbar  sehr  arm  an 
Kinase,  woraas  vielleicht  geschlossen  werden  darf,  daß  diese  schon 
von  Alexander  Schmidt  beobachteten  Schwankungen  des  Thronibin- 
gehaltes  des  Serums  in  gewissen  Fällen  auf  Mangel  an  Kinase 
zurückgeführt  werden  können.  Natürlich  kämen  noch  andere  Mo- 
mente in  Frage,  besonders  Verschiedenheiten  in  der  Bildung  der 
inaktiven,  stabilen  Modifikation  des  Thrombins,  des  /^-Profermentes 
(cf.  Morawitz  und  Fuld). 

Schon  in  den  Arbeiten  von  Hewlett  (1)  and  Morawitz  (3) 
finden  sich  Angaben  darüber,  daß  jedenfalls  der  Thrombokinase 
eine  größere  Spezifizität  zukommt  als  dem  Thrombin.  Detailliertere 
Angaben  über  die  Spezifizität  der  Kinase  macht  L  o  e  b  (13),  der 
jedoch  die  Natnr  des  wirksamen  Prinzips  der  Gewebssäfte  der 
Thrombokinase  insofern  nicht  richtig  beurteilt  hat,  als  er  in  dem- 
selben einen  Körper  sieht,  der  ganz  analog  wie  das  Fibrinferment 
wirkt,  was  den  früheren  Anschauungen  entspricht.  L  o  e  b  bezeichnet 
die  wirksamen  Substanzen  der  Gewebe  als  Koaguline  und 
schreibt  ihnen  im  Gegensatz,  zum  Fibrinferment  eine  Spezifizität 
in  der  Wirbeltierreihe  zu.  Da  wir  wissen,  daß  die  Koaguline 
Loebs  unserer  Thrombokinase  entsprechen,  also  einen  integrie* 
renden  Faktor  bei  der  Entstehung  des  Fibrinferments  bilden,  war 
es  von  Interesse  zu  untersuchen,  ob  die  Thrombokinase  im  Gegen- 
satz zum  fertigen  Thrombin  spezifische  Eigenschaften  erkennen 
läßt  Nach  Loeb's  Versuchen  scheint  es  sich  dabei  im  wesent- 
lichen um  eine  relative  Spezifizität  zu  handeln,  da  zwar  die  Ge- 
websextrakte derselben  Tiere  die  Gerinnung  des  aus  der  Karotis 
aasfiießenden  Blutes  am  stärksten  beschleunigen,  aber  auch  die 
Extrakte  anderer  Tiere,  wenn  auch  in  geringerem  Maße,  wirksam 
sich  erwiesen.  Nur  die  Gerinnung  des  Froschblutes  schien  durch 
Zusatz  von  Gewebssaft  höherer  Tiere  etwas  verlangsamt  zu  werden, 
was  vielleicht  auf  eine  absolute  Spezifizität  schließen  ließe. 

Die  Methodik  von  Loeb  —  Beobachtung  der  Gerinnungszeit 
des  ausfließenden  Blutes  mit  und  ohne  Zusatz  von  Gewebssaft  — 
erschien  uns  nicht  sehr  geeignet  die  vorliegende  Frage  sicher  zu 
entscheiden.  Wir  machten  uns  vielmehr  die  von  Morawitz  er- 
mittelte Tatsache  zunutze,  daß  nämlich  im  Serum  sich  neben 
fertigem  Thrombin  und  /J-Proferment  noch  eine  gewisse  Menge 
Thrombogen  findet,  die  der  Aktivierung  durch  Kinase  bei  der  nor- 
malen Gerinnung  entgangen  war.    Dieses  Thrombogen  des  Serums 

Deatsches  Archiv  für  klin.  Medizin.    LXXX.  Bd.  13 


194 


X.  MüRASCHEW 


kann  später  durch  Zusatz  von  Gewebssaft  aktiviert  und  die  große, 
neu  entstandene  Fermentmenge  durch  Einwirkung  des  Gemisches 
auf  eine  Fibrinogenlösung  erkannt  werden,  z.  B. 

Versuch. 


Fibrinogen- 
lösung 

Rindersernm 

Gewebssaft 

Geronnen 

5  ccm 
5  ccm 

lü  Tropfen 
10  Tropfen 

5  Tropfen 

nach  10  Minnten. 
nach  1  Stnnde  25  Minuten. 

Daher  war  die  Anordnung  unserer  Versuche  derart  gewählt 
daß  wir  Serum  verschiedener  Tiere  (Thrombogen)  mit  dem  Gewebs- 
saft, meistens  Lebersaft,  anderer  Gattungen  (Thrombokinase)  kom- 
binierten, und  die  durch  die  Kinase  bewirkte  Aktivierung  des 
Thrombogens  (also  Neubildung  von  Ferment)  durch  Zusatz  von  Fi- 
brinogenlösung als  Fermentindikator  prüften.  Beim  Gansplasma 
konnte  man  sich  darauf  beschränken  einfach  Gewebssaft  zuzu- 
setzen, da  Gansplasma  sowohl  Thrombogen  als  Fibrinogen  enthält. 

Sehr  zahlreiche,  in  dieser  Richtung  angestellte  Versuche  hatten 
kurz  gesagt  das  Resultat,  daß  im  Gegensatz  zum  Fibrin- 
ferment die  Thrombokinase  (oder  das  Thrombogen)  in 
der  Wirbeltierreihe,  wie  zu  erwarten  war,  in  der 
Tat  eine  deutlich  ausgeprägte  Spezifizität  erkennen 
läßt.  In  gewissen  Fällen  handelt  es  sich  dabei  um  eine  relative, 
in  anderen  aber  zweifellos  um  eine  absolute  Spezifizität. 

a)  Kreuzungsversuche  mit  den  Kinasen  undThrom- 
bogenen  verschiedener  Säugetiere. 

Loeb  meinte  innerhalb  der  Reihe  der  Säugetiere  wenigstens 
eine  relative  Spezifizität  nachweisen  zu  können,  indem  z.  B.  Extrakt 
aus  Kanin chenleber  die  Gerinnung  von  Kaninchenblut  stärker  be- 
schleunigte, als  die  Gewebsextrakte  anderer  Säugetiere.  Wir  haben 
ein  derartiges  Verhalten  jedenfalls  nicht  in  allen  Fällen  beobachten 
können.    Zum  Beleg  mag  ein  Versuch  mitgeteilt  werden. 

Versuch. 


Fibrinogen 


Rinderserum 


Leberextrakt 
5  Tropfen 


Chlorkalzium 


Geronnen  nach 


o  ccm 


10  Tropfen 


>? 


?? 


Kind 

Ratte 

Kaninchen 

Hund 


2  Tropfen 


1  Stunde  25  Minuten 
10  Minuten 
10 
11 
26 


über  die  Spezi&sität  des  Fibrinfermentes  nnd  seiner  Vorstufen.         195 


Man  ersieht  also  daraas,  daß  die  Kinasen  von  Eatte  und 
Eaninchen  das  Thrombogen  des  Riiiderserum  ebensogut  aktivieren, 
wie  die  Kinase  vom  Rind.  Nur  die  Hundekinase  schien  schwächer 
zu  wirken ;  da  sich  die  schwächere  Wirkung  in  3  angestellten 
Versuchen  gleichmäßig  vorfand,  ist  es  wohl  möglich,  daß  man  es 
mit  einer  Andeutung  einer  relativen  Speziflzität  zu  tun  hat.  Da- 
gegen ließ  sich  Hundeserum  durch  Rindleber  sehr  gut  aktivieren. 
Jedenfalls  wird  man  soviel  sagen,  daß  irgendeine  deutlichere 
Speziflzität  der  Kinasen  innerhalb  der  Klasse  der  Säugetiere  nicht 
vorliegt. 

b)  Kreuzungsversuche  mit  denKinasen  derSäuge- 
tiere  und  den  Thrombogenen  niederer  Tiere. 

Die  Gewebssäfte  sämtlicher  Säugetiere,  soweit  sie  bisher  ge- 
prüft werden  konnten,  sind  imstande  Gansplasma  zum  Gerinnen 
zu  bringen  und  Gansserum  gegenüber  einer  Fibrinogenlösung  zu 
aktivieren,  d.  h.  also  das  Thrombogen  der  Gans  in  Thrombin  über- 
zuführen. Doch  machen  sich  hierbei  schon  Differenzen  bemerkbar, 
indem,  wie  Hewlett  (1)  und  Morawitz  (2)  bereits  hervorhoben, 
die  Kinase  vom  Rinde  auffallend   schwach  auf  Gansplasma  wirkt. 

Versuch. 


Gansplasma 


Leberextrakt  5  Tropfen 


Geronnen 


2  ccm 
2 
2 
2 


11 

17 


Gans 

Hnnd 

Kind 

Kaninchen 


2  Minnten 
3 
13 
3 


11 

V 

11 


Ebenso  vermag  die  Kinase  vom  Rinde  nur  langsam  Gansserum 
gegenüber  einer  Fibrinogenlösung  zu  aktivieren. 

Über  den  Einfluß  der  Säugetierkinasen  auf  das  Serum  von 
Fischen  und  Fröschen  kann  ich  leider  keinen  befriedigenden  Auf- 
schluß geben.  Zwar  konnte  niemals  eine  Aktivierung  beobachtet 
werden,  jedoch  erwiesen  sich  auch  die  Kinasen  von  Fisch  und 
Frosch  dem  eigenen  Serum  gegenüber  unwirksam,  ja  sie  hemmten 
sogar,  ebenso  wie  die  Gewebssäfte  der  anderen  Tiere,  die  Gerinnung 
einer  Fibrinogenlösung  durch  diese  Sera.  Es  liegt  das  offenbar 
daran,  daß  bei  der  Entnahme  des  Blutes  eine  sehr  innige  Berührung 
desselben  mit  den  Geweben  nicht  vermieden  werden  konnte  und 
wahrscheinlich  eben  schon  alles  Thrombogen  durch  Kinase  in  dem 
Serum  aktiviert  war.    Daher  können  diese  Versuche  nicht  als  be- 

13* 


igg  X.    MüBASCHBW 

weiskräftig  angesehen  werden;  jedoch  scheint  ans  Loeb's  An- 
gaben, der  mit  Ochsenfröschen  arbeitete ,  hervorzugehen,  dafi  die 
Kinasen  der  Sängetiere  in  der  Tat  nicht  im  stände  sind,  das 
Thrombogen  von  Fröschen  zu  aktivieren. 

c)  Kreuznngsversuche  mitKinasen  niederer  Tiere 
und  den  Throrabogenen  der  Säugetiere. 

Es  wurde  hier  die  Einwirkung  von  Extrakten  aus  Gansleber, 
Fisch-  und  Froschmuskeln  sowie  aus  Kaviar  und  Froschleber  auf 
die  Sera  verschiedener  Säugetiere  geprüft. 

In  allen  Fällen  konnte  gezeigt  werden,  daß  das  Thrombogen 
der  Säugetiere  sich  nicht  durch  Zusatz  von  Gewebssaft  niederer 
Tiere  aktivieren  läßt.  Auch  Gansleber  erwies  sich  wirkungslos, 
was  um  so  bemerkenswerter  ist,  als  umgekehrt  die  Kinasen  der 
Säugetiere  das  Thrombogen  der  Gans  aktivieren. 

Bei  den  Versuchen  durch  Zusatz  von  Gewebssaft  niederer 
Tiere  zum  Serum  von  Säugetieren  Gerinnung  einer  Fibrinogen- 
lösung  zu  erziehlen,  zeigte  es  sich,  daß  der  Zusatz  von  Gewebssaft 
in  vielen  Fällen  sogar  die  Gerinnung  verhinderte,  die  sonst  durch 
die  Anwesenheit  des  Serum  eingetreten  wäre.  Ähnliches  ließ  sich 
auch  bei  Zusatz  von  Gewebssaft  zum  Frosch-  und  Fischserum  in 
vielen  Fällen  beobachten.  Man  könnte  geneigt  sein,  diese  Ver- 
hinderung der  Gerinnung  auf  die  Anwesenheit  von  Antithrombin 
in  den  Gewebssäften  zurückzuführen.  Jedoch  glauben  wir,  daß 
eine  derartige  Annahme  nicht  zutreffend  ist,  da  sich  bei  diesen 
Versuchen  stets  nach  ein  bis  mehreren  Stunden  ein  Niederschlag 
in  der  vorher  klaren  Lösung  vorfand,  der  wahrscheinlich  durch 
Einwirkung  des  Gewebssaftes  auf  das  Fibrinogen  resp.  durch 
Fällung  desselben  entstanden  war.  Auch  die  Gewebssäfte  allein, 
ohne  Zusatz  von  Serum  zeigen  diese  Wirkung.  Jedenfalls  ist  die- 
selbe nicht  als  Präzipitinwirkung  aufzufassen,  da  sie  nur  sehr 
langsam  eintritt.  Es  ist  möglich,  daß  dabei  bakterielle  Vorgänge 
eine  Bolle  spielen,  da  die  Gewebssäfte  sehr  schnell  faulen.  Wir 
glauben  daher,  daß  diese  schdnbar  gerinnungshemmende  Wirkung, 
die  bisweilen  bei  Zusatz  von  Gewebssaft  niederer  zum  Serum 
höherer  Tiere  und  umgekehrt  (z.  B.  bei  Fisch  und  Froschserum) 
beobachtet  wird,  nicht  auf  der  Einwirkung  von  Antithix)mbinen, 
sondern  auf  einer  Veränderung  des  Fibrinogens  beruht,  die  sich 
geltend  macht,  bevor  das  nicht  aktivierte,  also  nur  sehr  langsam 
wirkende  Serum  Gerinnung  herbeizuführen  imstande  ist. 

Auffallend  war,  daß  Zusatz  von  Gansleber  zu  einer  Mischung 
von  Rinderserum  und  Einderleber  stets  zu  einer  merklichen  Ver- 


über  die  Spezifizität  des  Fibrinfermentes  und  seiner  Vorstufen.         197 

zögerung  der  Gerinnung  führte.  Vielleicht  wird  ein  Teil  des  Throm- 
bogens  durch  einen  Bestandteil  der  Gansleber,  möglicherweise  die 
Kinase,  in  einer  unwirksamen  Bindung  festgehalten.  Doch  kann 
das  natürlich  nicht  mehr  wie  eine  Vermutung  sein. 

d)  kreuzungsversuche  mit  Kinasen  von  Kalt- 
blütern und  dem  Thrombogen  der  Gans. 

Es  konnte  hier  nur  die  Einwirkung  der  Gewebssäfte  von  Fisch 
imd  Frosch  auf  Gansplasma  und  Gansserum  studiert  werden.  Stets 
erfolgte  Gerinnung  des  Gansplasma,  die  Kinasen  der  Kaltblüter 
konnten  also  Thrombogen  vom  Vogel  aktivieren.  Jedoch  verliefen 
die  erzielten  Gerinnungen  langsamer,  als  die  mit  Gewebssäften 
von  Säugetieren,  durchschnittlich  etwa  in  10—15  Minuten.  Ob  es 
sich  hier  um  eine  relative  Spezifizität  handelte  oder  die  Gewebs- 
säfte der  Kaltblüter  an  sich  ärmer  an  Thrombokinase  waren,  konnte 
mangels  geeigneter  Indikatoren  nicht  entschieden  werden. 

Die  vorliegenden  Untersuchungen  können  natürlich  keinen  An- 
spruch auf  Vollständigkeit  erheben,  da  die  Anzahl  der  untersuchten 
Tierarten  aus  äußeren  Gründen  zu  gering  war.  Immerhin  ist  es 
gelungen,  soviel  festzustellen,  daß  bestimmte  Anhaltspunkte  für 
eine  Spezifizität  der  Thrombine  innerhalb  der  Wirbeltierordnung 
nicht  beigebracht  werden  können,  was  mit  den  Anschauungen  von 
Duclaux  (10)  und  Loeb  (13)  übereinstimmt.  Dagegen  ist  ge- 
zeigt worden,  daß  die  Kinasen  und  Thrombogene,  jedenfalls  der 
eine  dieser  Faktoren,  eine  zum  Teil  sehr  deutlich  ausgesprochene 
spezifische  Wirkung  erkennen  läßt. 

Betrachtet  man  unsere  Befunde  vom  Standpunkte  der  von 
Ehrlich  für  die  Wirkung  der  komplexen  Hämolysine  aufgestellten 
Theorie  und  nimmt  man  z.  B.  an.  daß  die  Thrombokinase  dem 
Ambozeptor  entspricht,  so  wird  man  sich  folgende  Voi-stellung  bilden 
können:  Da  die  Thrombine  nicht  spezifisch  sind,  kann  die  be- 
obachtete Spezifizität  nicht  bedingt  sein  durch  die  Rezeptoren  des 
Fibrinogens  oder  die  zytophile  Gruppe  des  Ambozeptor  (der  Thrombo- 
kinase), sondern  durch  die  Komplementophile  desselben  resp.  das 
Komplement  (Thrombogen).  Da  fernerhin  die  Kinasen  der  Säuger 
auch  Vogelthrombogen  aktivieren  können,  nicht  aber  die  Kinasen 
der  Vögel  Säugetierthrombogen,  so  müßte  man  der  Säugetierkinase 
mindestens  zwei  komplementophile  Gruppen  zuschreiben.  Weiterhin 
konnten  wir  zeigen,  daß  die  Kinasen  der  Kaltblüter  zwar  Vogel- 
thrombogen, nicht  aber  das  der  Säugetiere  aktivieren;  daher  müssen 
wir  demselben  ebenfalls  mehrere  komplementophile  Gruppen  zu- 
weisen, wenn  wir  annehmen,  daß  Vogelthrombogen  von  dem  niederer 


198      ^-  MuRASCHBw,    Üb.  d.  Spezifizität  d.  Fibrinferments  n.  seiner  Vorstufen. 

Tiere  verschieden  ist,  wofür  allerdings  ein  strikter  Beweis  noch 
nicht  geliefert  werden  konnte.  Demnach  würden  also  die  Kinasen 
von  Säugetier  und  Kaltblüter  mindestens  eine  gemeinsame  komple- 
mentophile  Gruppe,  nämlich  die  für  Vogelthrombogen  besitzen,  über 
die  Vogelkinase  läßt  sich  nur  sagen,  daß  sie  jedenfalls  keine  komple- 
mentophile  Gruppe  für  das  Säugetierthrombogen  besitzt. 

Etwas  anders  würde  sich  das  Verhältnis  gestalten,  wenn  man 
das  Thrombogen  als  Ambozeptor,  die  Kinase  als  Komplement  an- 
sehen würde.  Dann  würden  dem  Säugetier-  und  Vogelambozeptor 
eine  gemeinsame  komplementophile  Gruppe  zukommen,  eine  andere 
Gruppe  dem  Vogel-  und  dem  Kaltblüterambozeptor.  In  diesem  Falle 
hätten  also  Säugetier-  und  Kaltblüterambozeptor  keine  gemein- 
same komplementophile  Gruppen. 

Jedenfalls  zeigen  diese  Ausführungen,  daß  eine  Deutung  der 
von  uns  beobachteten  Erscheinungen  an  der  Hand  der  Ehrlich- 
schen  Anschauung  über  die  Natur  der  Hämolysine  sehr  wohl  mög- 
lich ist.  Da  jedoch  sonst  keine  Tatsachen  vorzuliegen  scheinen, 
die  eine  derartige  Auffassung  stützen  könnten,  möchten  wir  uns 
vorerst  an  diese  zwar  präzise  und  klare,  aber  auch  für  diesen  Fall 
zu  spezielle  Auffassung  nicht  binden.  Mit  der  Annahme  einer 
aktivierenden  Wirkung  durch  eine  Kinase  ist  zwar  weniger  gesagt, 
aber  auch  nicht  so  viel  präjudiziert. 


Literatur. 


1.  Hewlett,  Arch.  f.  exper.  u.  Pathol.  Pharm.    XLIX  S.  319. 

2.  Fuld,  Zentralblatt  f.  Physiolog.  19.  Dezember  1903  Heft  19. 

3.  Morawitz,  Deutsch.  Archiv  f.  klin.  Medizin  Bd.  LXXIX  S.  1.    Hofmeister's 
Beiträge  IV  S.  381. 

4.  Alexander  Schmidt,  Zur  Blutlehre.    Leipzig  1892. 

5.  Pekelharing,  Die  Bedeutung  der  Kalksalze  für  die  Blutgerinnung.    Fest- 
schrift f.  Virchow  1891  I. 

6.  Arthus,  La  Coagulation  du  Sang.    Scientia  Nr.  ö. 

7.  Hammarsten,  Zeitschrift  f.  physiologische  Chemie  1896/97  S.  333  Bd.  22. 

8.  Delezenne,   Arch.  de  Physiol.  9  (2)  333  1897.    C.  R.  de  la  Soc.  Biol.  1896 
S.  1281,  1897  S.  462. 

9.  Arthus,  Journal  de  Physiol.  et  Pathol.  gen.  1901  887. 

10.  Duclaux,  Mikrobiologie  t.  II  1899  chap.  17  u.  39. 

11.  Bordet  und  Gengou,  Annales  de  l'inst.  Pasteur.  Bd.  15  S.  129  1901. 

12.  Fuld,  Hofmeister 's  Beiträge  Bd.  2  1902. 

13.  Loeb,  The  Montreal  Medical  Journal,  July  1903.     The  Medical  News,  New 
York  1.  August  1903. 


XL 

Besprechungen. 

Friedrich  Müller,  Allgemeine  Pathologie  der  Ernäh- 
rung. Handbuch  der  Ernährungstherapie  und  Diätetik  von 
E.  V.  Leyden.     Zweite  umgearbeitete  Auflage. 

Die  in  neuer  Auflage  vorliegende  Arbeit,  welche  schon  in  ihrer  ur- 
sprünglichen Gestalt  zu  einem  wirklich  hochgeschätzten  Leitfaden  in  den 
einschlägigen  Fragen  für  den  Kenner  sowohl,  wie  für  die  Jünger  unserer 
Wissenschaft  geworden  war,  erweist  sich,  entsprechend  der  regen  Pro- 
duktion auf  dem  Gebiete  der  Stoffwechselpathologie,  als  eine  erheblich 
erweiterte,  und,  soweit  es  eine  kritisch  sorgfältig  gesichtete  Auswahl 
neuen  Stoffes  gebot,  auch  geänderte. 

Eine  praktische  Umgestaltung  betrifft  zunächst  die  schärfere  Trennung 
des  physiologischen  Teiles  von  der  Erörterung  pathologischer  Yerbält- 
nisse. 

Im  ersteren  erhalten  wir  in  prägnanter  Darstellung  einen  umfassen- 
den Überblick  über  den  gegenwärtigen  Stand  der  Physiologie  der  Er- 
nährung. Es  ist  mir  leider  nicht  möglich,  hier  auf  alle  einzelnen  Kapitel 
der  glänzend  geschriebenen  Abhandlung  einzugehen.  Unter  den  vor- 
wiegend neu  bearbeiteten  interessiert  vor  allem  bei  der  Schilderung  des 
Schicksals  der  eingeführten  organischen  Nahrungsmittel  die  Darstellung 
der  die  Eiweißsynthese  betreffenden  Fragen,  resp.  im  Anschluß  hieran 
die  Behandlung  der  autolytischen  Vorgänge,  deren  Bedeutung  für  die 
Pathologie  ja  gerade  F.  Müller  selbst  eindringlich  hervorgehoben  hat. 
Hinsichtlich  des  Fettabbaues  im  Organismus  teilt  der  Verfasser  die  Auf- 
fassung, daß  bei  Mangel  an  Kohlehydraten  in  der  Nahrung  die  Fett- 
zersetzung über  die  Acetonkörper  geht.  Gegen  die  Annahme,  daß  die 
Spaltung  der  Kohlehydrate  über  die  Glukuronsäure  erfolge,  wie  neuer- 
dings öfter  behauptet  worden  ist,  werden  ernste  Bedenken  vorgebracht. 
Bei  der  Schilderung  des  Gesamtstoffwechsels  befaßt  sich  Müller  auch 
eingehend  mit  der  Eiweißmast,  es  werden  hier  zahlenmäßige  Berech- 
nungen für  die  Möglichkeit  der  Zunahme  von  zirkulierendem  Eiweiß  bei- 
gebracht. 

Im  zweiten,  pathologischen  Teil  hat  mich  am  meisten  die  erweiterte 


200  ^-  Besprechnngen. 

Bearbeittiog  der  diabetischen  und  gichtischen  Stoffwechselstörung  ge- 
fesselt. Daran  anschließen  möchte  ich  die  eingehende  Schilderung  der 
Alkaptonurie  und  Gystinurie,  worüber  ja  gerade  die  letzten  Jahre  klarere 
Vorstellungen  gebracht  haben. 

Das  Studium  auch  dieser  neuen  Auflage  bringt  nicht  bloß,  wie  ich 
mit  besonderem  Vergnügen  feststelle,  dem  mit  dem  Gegenstand  Vertrauten 
Anregung  und  Genuß,  sondern  wird  nach  wie  vor  bei  der  klaren,  stets 
den  Kern  der  Frage  treffenden  Darstellung  ein  verläßlicher  Wegweiser 
für  Alle  bleiben,  denen  es  ernst  ist,  sich  in  den  vielfach  komplizierten 
Gegenstand  einzuarbeiten.  p.  Kraus  (Berlin). 


Xll. 

Aus  der  dermatologischen  Klinik  und  dem  physiologisch-chemischen 

Institute  zu  Breslau. 

Über  den  Hanttalg  beim  Gesnnden  nnd  bei  einigen 

Hanterl^ranknngen. 

Von 

Dr.  P.  Linser 

in  Breslau. 

Ein  gewisser  Gehalt  in  ätherlösHchen,  fettartigen  Substanzen 
gehört  zu  den  wesentlichen  Bestandteilen  jeder  normalen  Epidermis. 
Überall,  wohin  wir  sehen  in  der  Natur,  in  Tier-  und  Pflanzenreich 
treffen  wir  dieselben  auf  der  Oberfläche  der  Organismen:  Bei  den 
Säugetieren  sind  es  meist  drüsige  Gebilde,  die  mit  einer  gewissen 
Regelmäßigkeit  über  den  ganzen  Körper  verteilt  der  Haut  den 
nötigen  Fettgehalt  verleihen.  Die  Vögel  haben  dazu  die  Bürzel- 
drüsen,  von  denen  aus  sie  sich  ihre  Oberfläche  einfetten.  Bei  beiden 
darf  man  vielleicht  außerdem  annehmen,  daß  ihren  epidermoidalen 
Gebilden  auch  so  ein  gewisser  Gehalt  an  ätherlöslichen  Bestand- 
teilen innewohnt,  ohne  Vermittlung  besonderer  Drüsenzellen,  wenn 
man  nicht  dem  Stratum  Malpighi  überhaupt  die  Sekretion  solcher 
Stoffe  zuerkennen  will.  Bei  den  niederen  Tieren  und  im  Pflanzen- 
reich dagegen  sind  es  festere,  mehr  wachsartige  ätherlösliche  Stofi*e, 
welche  die  Oberfläche  bedeckten  und  der  Epidermis  ihre  Glätte, 
Weichheit  und  ihre  relative  Undurchlässigkeit  verleihen,  deren  die 
Haut  zu  ihrem  Schutze  bedarf  Wo  die  Substanzen  aber  krank- 
hafterweise nicht  genügen  oder  fehlen,  da  sehen  wir  an  der  Haut 
Rauhigkeit,  Brüchigkeit,  Aufquellung  im  Wasser  etc.,  kurz  Läsionen 
aller  Art  auftreten,  die  es  den  äußeren  Schädlichkeiten  ermöglichen, 
sich  in  der  Haut  anzusiedeln  und  in  das  Innere  der  Organismen 
55U  gelangen,  zu  Organen,  denen  ganz  andere  Aufgaben  in  dem 
Haushalte  des  Organismus  obliegen,  als  die  Abwehr  äußerer  Feinde 
nnd  denen  gegenüber  die  letzteren  viel  leichter  obsiegen  können. 

Deutsches  Archiv  f.  klin.  Medizin.    LXXX.  B.l.  14 


202  XII.   LiNSEB 

Chemisch  bestehen  diese  Substanzen,  welche  dem  Schatze 
der  Oberfläche  bei  Tieren  und  Pflanzen  dienen,  aus  Estern  höherer 
Fettsäuren  und  höherer  Alkohole,  nicht  aus  eigentlichen  Fetten, 
wie  man  meist  für  die  Tiere  wenigstens  annimmt;  denn  unter 
Fetten  verstehen  wir  chemisch  nur  die  neutralen  Glyzerinester 
höherer  Fettsäuren.  Die  ätherlöslichen  Substanzen  der  Epidermis 
bestehen  dagegen  nur  zum  kleinsten  Teil  aus  Triglyzeriden.  Die 
Hauptmenge  ihrer  Fettsäuren  scheint  aber  an  hochmolekulare  Alko- 
hole gebunden  zu  sein:  Dies  ist  nachgewiesen  für  die  Blätter  der 
Pflanzen,  welche  hauptsächlich  die  Ester  des  Ceryl-  und  Myricyl- 
alkohols  (Stürke^))  enthalten  und  für  die  Bürzeldrüsen  der  Vögel, 
in  denen  die  Ester  des  Octadecylalkohols  (Eöhmann^)  vor- 
herrschen. 

In  den  epidermoidalen  Gebilden  der  Säugetiere  und  des 
Menschen  spielen  nach  Liebreich*)  die  Ester  des  Chole- 
sterins die  Hauptrolle.  Liebreich  hat  seine  Untersuchungen 
auf  eine  große  Reihe  epidermoidaler  Gebilde  bei  Menschen  und 
Tieren  ausgedehnt  und  überall  diese  Ester  gefunden.  Seine  An- 
schauungen sind  wohl  auch  die  herrschenden  in  der  Dermatologie 
geworden. 

Nun  sind  aber  die  Liebreich 'sehen  Anschauungen  nicht 
etwa  auf  genaue  chemische  Analysen  begründet,  sondern  sie  stützen 
sich  im  wesentlichen  nur  auf  die  Cholestolreaktion.  Lieb- 
reich's  Ausgangspunkt  bildete  das  von  ihm  in  die  Therapie  ein- 
geführte Lanolin.  Dieses  gibt  die  Cholestolreaktion.  Aber  es 
besteht  nicht,  wie  Liebreich  annahm,  einfach  aus  Cholesterin- 
fetten.  Cholesterin  ist  nur  in  geringer  Menge  im  Lanolin  ent- 
halten. Diese  Reaktion  versuchte  Liebreich  nun  an  einer  großen 
Reihe  von  tierischen  Hautsekreten  bzw.  Extrakten  von  epidermoi- 
dalen Gebilden,  überall  mit  positivem  Erfolge.  Also,  schloß  er,  ent- 
halten diese  alle  Cholesterinfette. 

Dagegen  hat  nun  Santi*)  angekämpft,  indem  er  für  die  Ex- 
trakte von  Fußsohleuhaut  (die  also  kein  Talgdrüsensekret  ent- 
hielten) nachzuweisen  suchte,  daß  die  Cholestolreaktion  hier  wohl 
auf  Cholesterin,  aber  nicht  auf  Cholesterinfette  hinweise.  In  den 
ätherlöslichen  Substanzen  der  normalen  Epidermis  sei  also  Chole- 


1)  Liebig'a  Anna).  223,  285. 

2)  Hofmeister'8  Beitr.  Bd.  5  1904. 

8)  Vgl.  u.  a.  Verh.  d.   deutsch,  dermat.   Ges.     Bd.  4   1894  nnd  Berl.  klin. 
Wochenschr.  1885. 

4)  Moiiatsh.  f.  prakt.  Demi.  Bd.  9  1889. 


über  den  Haattalg  beim  Gesunden  und  bei  einigen  Hauterkranknngen.    g03 

Sterin,  aber  nicht  dessen  Ester  vorhanden.  Liebreich 
wies  demgegenüber  mit  Recht  anf  die  Unsicherheit  der  Reaktion 
in  Estergemischen  hin,  auf  deren  Ausfall  außerdem,  wie  Hürthle^) 
zeigte,  noch  der  Wassergehalt  der  Substanz  von  größtem  Einfluß  ist. 
So  sehen  wir,  daß  unsere  Kenntnisse  tiber  die  chemische  Zu- 
sammensetzung der  Hautsekrete  besonders  auch  bei  Menschen 
noch  der  Aufklärung  bedürfen.  Ich  habe  mir  es  deshalb  zur  Auf- 
gabe gemacht,  hier  einiges  zur  Klärung  der  Frage  beizutragen  und 
erfreute  mich  dabei  der  regen  Unterstützung  meines  verehrten 
Chefs,  Herrn  Geheimrat  Neißer,  dem  ich  auch  an  dieser  Stelle 
verbindlichst  danke. 

Die  Untersuchungen  sind  in  dem  Breslauer  physiologisch-chemi- 
schen Institut  unter  Leitung  des  Herrn  Prof.  Röhmann  erfolgt, 
dem  ich  dafür  zu  großem  Danke  verpflichtet  bin.  Obgleich  die- 
selben noch  bei  weitem  nicht  zum  Abschlüsse  gekommen  sind, 
scheinen  uns  die  vorliegenden  Resultate  doch  zu  einer  gewissen 
Charakterisierung  der  betreflenden  Substanzen  und  zu  ihrer  Ver- 
gleichnng  untereinander  zu  genügen. 

Unsere  Untersuchungen  beziehen  sich  auf  folgende  Punkte: 

1.  auf  die  Herkunft    und    die   Menge    des   Hauttalges   bei 
Menschen, 

2.  auf  die  Zusammensetzung  desselben, 

3.  auf  die   Unterschiede    zwischen   den   ätherlöslichen   Sub- 
stanzen der  verschiedenen  Talgdrüsensekrete  bei  Menschen, 

4.  auf  die  chemischen  Veränderungen,  welche  die  ätherlös- 
lichen Substanzen  bei  einigen  Hauterkrankungen  erleiden. 

Die  in  den  folgenden  Untersuchungen  zur  Anwendung  ge- 
brachten chemischen  Methoden  brauchen  hier  wohl  nicht  näher 
beschrieben  zu  werden.  Genauere  Angaben  darüber  finden  sich  u.  a. 
in  dem  Bendikt-Ulz  er 'sehen  Lehrbuch  über  „die  Analyse  der 
Fette  und  Wachsarten".  Die  Bestimmungen  der  bei  der  Verseifung 
der  Atherextrakte  neben  den  Seifen  entstehenden  oder  schon  vorher 
neben  den  Estern  vorhandenen  ätherlöslichen  Substanzen  (in  folgen- 
dem  kurz  als  „nicht  verseif  barer  Anteil"  des  Atherextraktes  be- 
zeichnet) wurden  nach  dem  Röhmann'schen  Verfahren  mittels 
Ausschütteln  in  Petroläther  2)  durchgeführt. 


1)  Zeitschr.  f.  physiol.  Chemie  Bd.  21  1895. 

2)  HofmeiBter*8  Beitr.  Bd.  5   1904. 


14» 


204  XIT.    LiNSBR 

I.  Die  ätherloslicheii  Substanzen  der  normalen  Haut. 

a)  Der  Hauttalg. 

Unter  dem  Hauttalg  verstehen  wir  die  ätherlöslichen  Substanzen, 
die  von  der  Körperoberfläche,  aus  Haaren,  sowie  aus  dem  Schweiß 
beim  Menschen  zu  gewinnen  sind.  Er  enthält  also  sowohl  das 
Sekret  der  Talgdrüsen  als  die  ätherlöslichen  Bestand- 
teile der  mitextrahierten  epithelialen  Gebilde  (Haare, 
Schuppen  etc.). 

Schon  über  die  Herkunft  desselben  sind  erhebliche  Meinungs- 
verschiedenheiten vorhanden.  Während  man  annehmen  sollte,  daß 
von  den  Sekreten  der  Haut  die  Produktion  des  Hauttalges  in 
der  Hauptsache  wenigstens  den  Talgdrüsen  obliegt,  die  Sekretion 
des  Schweißes  dagegen,  unter  dem  man,  gestützt  auf  die  che- 
mische Untersuchung,  gemeiniglich  eine  wässerige  Lösung  fast  nur 
von  Salzen  versteht,  den  Schweißdrüsen  vorbehalten  bliebe, 
hat  Unna*)  vornehmlich  die  Sekretion  des  Hauttalges  den  Schweiß- 
drüsen übertragen.  Er  stützt  sich  dabei,  wie  schon  vor  ihm  Krause, 
Köllicker  und  Meißner,  teils  auf  mikroskopische  Befundein 
Schweißdrüsen,  teils  auf  gewisse  Fettreaktionen  an  dem  Schweiß 
von  Körperstellen,  die  keine  Talgdrüsen,  nur  Schweißdrüsen  ent- 
halten. Er  spricht  deswegen  von  einem  Fett  schweiß,  wobei 
es  zweifelhaft  erscheint,  ob  eine  Mitbeteiligung  der  Talgdrüsen  an 
der  Sekretion  des  Hauttalges  von  ihm  überhaupt  noch  anerkannt 
wird. 

Demgegenüber  glaube  ich  dieBelanglosigkeit  der  Schweiß- 
drüsen für  die  Sekretion  des  Hauttalges  dadurch  nachweisen  zu 
können,  daß,  wie  ich  feststellen  konnte,  sich  aus  dem  Schweiß 
nur  eine  äußerst  geringe  Menge  ät^herextrahierbare 
Substanzen  gewinnen  lassen.  Aus  15  1  Schweiß,  die  in  der 
Hautklinik  zu  Breslau  von  einer  Eeihe  von  Kranken  mittels  Heiß- 
luftbäder im  Gummisack  aufgefangen  wurde,  ließ  sich  nur  1,8  g 
ätherextrahierbarer  Substanzen,  also  nur  etwa  0,01  **/o  gewinnen. 
Eine  zweite  Probe  mit  ca.  10  1  und  eine  dritte  mit  5  1  erbrachten 
ebenfalls  nur  je  0,5  bzw.  0,15  Atherextrakt.  Selbstverständlich 
waren  dabei  sämtliche,  auch  die  flüchtigen  Fettsäuren  mitgewonnen 
worden  (durch  Zusatz  von  Natr.  carbon.  beim  Eindampfen).  Die 
höheren  Zahlen  ätherextrahierbarer  Substanzen,  die  Kamm  er  er*) 


1)  Deutsche  Mediziiialzeitnug  1898. 

2)  Zeitschr.  f.  Biol.  Bd.  41  1902. 


fber  den  Hauttalg  beim  Gesunden  und  bei  einigen  Hauterkranknngen.  205 

bei  seinen  Untersuchungen  bekam,  (0,06—0,17  7„)  sind  deshalb  nicht 
beweisend,  weil  sein  Untersuchungsmaterial  schon  erheblich  ein- 
gedickten Schweiß  darstellt. 

Bei  solch  geringen  Mengen  wird  man  kaum  annehmen  können, 
daß  durch  die  Schweißdrüsen  eine  irgendwie  in  Betracht  kommende 
Ausscheidung  von  ätherlöslichen  Substanzen  erfolge,  während  man 
die  so  gewonnenen  Extrakte  ohne  Zwang  als  eine  Verunreinigung 
des  Schweißes  beim  Herabfließen  über  den  Körper  ansehen  kann. 
Die  mikroskopischen  Befunde  von  osmierbaren  Substanzen  in  den 
Schweißdrüsen  besitzen  demgegenüber  natürlich  keine  Beweiskraft, 
nm  so  weniger,  als  eine  Schwärzung  mit  Osmium  nicht  ohne  weiteres 
auf  Fette  zu  beziehen  ist. 

Die  Vorstellung,  daß  es  hauptsächlich  der  Schweiß  sei,  mit 
dem  die  Ausscheidung  des  Hauttalges  erfolge,  beruht  vielleicht  mit 
auf  der  Beobachtung,  daß  die  Haut  des  schwitzenden  Menschen 
fettreicher  erscheint.  Dies  läßt  sich  jedoch  viel  einfacher  so  er- 
klären: Die  Haut  ist  bei  stärkerer  Schweißsekretion  infolge  des 
größeren  Blutzustromes  höher  temperiert.  Die  von  uns  untersuchten 
Extrakte  schmelzen  aber,  wie  wir  sehen  werden,  meist  bei  einer 
die  Blutwärme  annähernd  erreichenden  Temperatur  34 — 37  ®.  Dazu 
kommt  die  erhebliche  Wasseraufnahmefähigkeit  der  Substanzen. 
Daß  so  die  anscheinende  Vermehrung  des  Hauttalges  bei  der 
Schweißsekretion  leicht  durch  das  Flüssig  werden  und  die  Volumen- 
zunahme  des  Hauttalges  infolge  W'asseraufnahme  vorgetäuscht  wird, 
ist  ohne  weiteres  verständlich.  Es  kann  deshalb  keinem  Zweifel 
unterliegen,  daß  der  Hauttalg  nicht  durch  die  Schweiß- 
drüsen, sondern  durch  die  Talgdrüsen  sezerniert  wird.  Dafür 
spricht  auch,  daß  chemisch  die  ätherextrahierbaren  Substanzen  des 
Schweißes  mit  denen  der  Talgdrüsen  übereinstimmten. 

Über  die  Größe  der  Absonderung  des  Hauttalges 
durch  die  menschliche  Haut  bestehen  Untersuchungen  von  Leu- 
buscher'),  demzufolge  ein  normal  großer  Mensch  o^i.  100  g  in 
8  Tagen  sezernieren  soll.  Beim  Kind  bis  zur  Pubertät  ist  die 
Sekretion  gering,  ebenso  fällt  sie  im  Alter  erheblich.  Was  den 
Vergleich  der  einzelnen  Körperregionen  hinsichtlich  der  Menge  des 
abgesonderten  Hauttalges  anlangt,  so  steht  hier  in  erster  Linie  das 
Gesicht  (Nase  und  Stirn);  dann  folgt  Rücken,  Brust,  Bauch  und 
die  Extremitäten.   Zu  ähnlichen  Resultaten  kam  Arnozan.^)    Auch 


1)  Verhandl.  d.  Kongr.  f.  inn.  Med.  1899. 

2)  Annal.  de  Derm.  1892. 


206  Xri.  Leiser 

er  betont  den  stark  vermehrenden  Einfloß  der  Pubertät  »nf  die 
Sekretion  des  Hanttalges. 

Ich  selbst  habe  über  die  Stärke  der  Sekretion  des 
Hauttalges  nur  einige  wenige  Untersuchungen  angestellt:  an 
2  Jungen  von  13—14  Jahren,  sowie  an  3  erwachsenen  Männern. 
Da  mir  die  Gefahr  der  Beimengung  fremden  Fettes  an  den  nicht 
bedeckten  Körperteilen  zu  groß  erschien,  so  habe  ich  an  sämtlichen 
5  Kranken  nur  die  Vorder  und  Hinterfläche  des  Rumpfes  vom 
Schlüsselbein  und  von  der  Schultergräte  bis  zum  Kreuzbein  und 
Nabel  in  Untersuchung  genommen.  Die  Haut  wurde  mittels  eines 
in  Petroläther  getauchten  entfetteten  Gazebausches  täglich  abge- 
rieben, nötigenfalls,  soweit  sie  nicht  ganz  trocken  war,  vorher  mit 
einem  in  Alkohol  getränkten  Gazebausch  geti-ocknet.  Ich  konnte 
so  in  einem  Zeitraum  von  3  Wochen  (im  Sommer)  bei  den  beiden 
Jungen  nur  0,7  bzw.  0,8  g  Ätherextrakt  gewinnen.  Von  den  3  Er- 
wachsenen ergaben  sich  folgende  Zahlen :  Ein  blonderer  mittelgroßer, 
magerer  Mensch,  bei  dem  die  entfettete  Körperfläche  etwa  0,8  qm 
betrug,  lieferte  in  3  Wochen  1,5  g.  Die  beiden  anderen,  brünetten, 
großen,  wohlgenährten  Leute  hatten  bei  ca.  1  qm  entfetteter 
Körperfläche  2,4  bzw.  2,7  g  Ätherextrakt.  Es  ist  dies  also  be- 
deutend weniger  als  Leu  bu seh  er  für  die  Hauttalgsekretion  der 
menschlichen  Haut  abgegeben  hat  und  stimmt  wohl  auch  mehr  mit 
den  Vorstellungen  überein,  die  man  sich  im  allgemeinen  über  die 
normale  Menge  derselben  zu  machen  geneigt  ist. 

Die  chemische  Untersuchung  des  so  gewonnenen  Haut- 
talges wurde  in  der  Weise  fortgesetzt,  daß  die  Gazestücke  im 
Soxhletapparat  mit  Alkohol  und  dann  4—6  Stunden  mit  Chloroform 
extrahiert  wurden.  Beide  Extrakte  wurden  auf  dem  Wasserbade 
getrocknet  und  dann  mit  warmen  Äther  aufgenommen.  Nur  der 
Atherextrakt  wurde  in  der  Regel  genauerer  chemischer  Unter- 
suchungen unterworfen. 

Der  bis  zur  Gewichtskonstanz  im  Leuchtgasstrom  auf  dem 
Wasserbade  getrocknete  Atherextrakt  war  von  goldgelber  oder  brauner 
Farbe,  ohne  besonderen  Geruch.  Schmelzpunkt  33— 36®.  Die  Säurezahl 
schwankte  zwischen  3,4  und  7,3;  die  Verseif ungszahl  betrug  117,3 
bis  130,6.  Die  Jodzahl  vom  Gesamtätherextrakt  war  54—67,  die 
Jodzahl  der  Fettsäuren  36—44.  Nach  der  Verseif ung  wurde  eine 
Menge  von  ätherlöslichen  Substanzen  erhalten,  die  etwa  40 — 45% 
des  Gesamtätherextraktes  betrug.  Dieselben  bestanden  zum  großen 
Teil  aus  einem  weiter  unten  noch  näher  zu   charakterisierenden 

mm 

kristallinischen    Körper  (,, Acetonkörper") ,  der    in  Alkohol,  Äther, 


Über  den  Hauttalg  beim  Gesunden  und  bei  einigen  Hauterkrankungen*  207 

Chloroform  leicht  löslich  war,  nicht  aber  in  Essigäther  und  be- 
sonders Aceton,  mit  einem  Schmelzpunkt  von  64 — 65 ^  Cholesterin 
ließ  sich  nur  in  Menge  von  ca.  0,1  g,  d.  h.  etwa  1%  isolieren, 
daneben  fand  sich  noch  ein  öliger  Rückstand. 

Die  Atherextrakte  von  etwa  20  1  Schweiß  ergaben  eine 
S&m-ezahl  von  6,3;  Verseif ungszahl  130;  Jodzahl  des  Gesamtäther- 
extraktes 57.  Der  unverseifbare  Anteil  enthielt  auch  hier  nur 
wenig  Cholesterin.  Eine  Bestimmung  der  flüchtigen  Fettsäuren 
(Reichert- Meißl'sche  Zahl)  ergab  1,7. 

Ein  weiteres  Material  zur  Untersuchung  des  Hauttalgs  lieferten 
uns  Menschenhaare.  Dieselben  verdanke  ich  der  freundlichen 
Unterstützung  eines  Kollegen,  der  sie  in  einem  ländlichen  Bezirke 
durch  einen  besonders  instruierten  Dorfbarbier  hatte  sammeln 
lassen.  Soweit  man  es  so  sagen  konnte,  waren  die  Haare  nur  von 
„garantiert  ungesalbten  Köpfen"  gewonnen  worden.  Der  Äther- 
extrakt von  ca.  '/a  kg  betrug  13,5  g.  Schmelzpunkt  32—34^; 
Säurezahl  7,9;  Verseifungszahl  139,4,  Die  nicht  verseif  baren  Sub- 
stanzen machten  ca.  45%  des  Gesamtätherextraktes  aus.  Jodzahl 
des  Gesamtätherextraktes  56,4,  der  Fettsäuren  44,3.  Die  nicht 
verseifbaren  Substanzen  enthielten  auch  hier  eine  geringe  Menge 
Cholesterin.  Außerdem  war  dabei  wieder  eine  größere  Menge  des 
bei  64—65®  schmelzenden  Acetonkörpers.  Der  Rest  war  wieder 
eine  ölige,  auch  in  der  Kälte  nicht  erstarrende  Masse. 

b)  Cerumen. 

Das  Ohrenschmalz  wird  von  einer  Anzahl  Knäueldrüsen  se- 
zemiert,  die  sich  im  äußeren  Gehörgang,  meist  an  Haare  angelegt, 
finden. 

Über  das  Cerumen  findet  sich  bei  Berzelius^)  eine  Notiz, 
derzufolge  es  sich  aus  Albuminaten  und  doppelt  soviel  Fetten  zu- 
sammensetzt. 

Petrequin*)  konnte  darin  Öl-  und  Stearinsäure,  Kaliseifen 
und  Cholesterin  nachweisen.  Angeblich  sollen  beim  Menschen  und 
Rind  Kaliseifen,  beim  Hunde  Kalkseifen  und  beim  Pferde  Magnesium- 
seifen vorherrschen. 

Ich  selbst  habe  von  ca.  50  Kranken  das  Ohrenschmalz  während 
eines  Zeitraums  von  4  Wochen  2  mal  wöchentlich  mit  einem  LöflFel 
abgenommen.    Die  so  erhaltene  Menge  enthielt  etwa  4  g  Ather- 


1)  Tierchemie  IX  p.  536. 

2)  Compt.  rend.  1869. 


208  XII.    LlNSEB 

extrakt.  Der  nach  der  Extraktion  hinterbliebene  Trockenriickstand 
betrug  ca.  2  g.  Die  Menge  des  vom  Einzelindividuum  jeweils  ab- 
gesonderten Cerumen  ist  sehr  verschieden,  sowohl  beim  Vergleich 
der  beiden  Seiten  an  demselben,  als  bei  verschiedenen  Individuen. 
Auch  hinsichtlich  der  Beschaffenheit  des  Sekretes  bestehen  erheb- 
liche Unterschiede,  indem  es  bei  der  Mehrzahl  eine  zähflüssige 
Konsistenz  und  meist  goldgelbe  Farbe  hat,  während  bei  anderen 
das  Ohrenschmalz  nur  in  Form  fettdurchtränkter,  fester,  mehr  oder 
weniger  pigmentierter  Epithelraassen  zu  gewinnen  ist. 

Der  Extrakt  war  von  braungelber  Farbe,  Schmelzpunkt  36 — 38  ® ; 
Säurezahl  1,2,  Vei-seifungszahl  128.  Die  Jodzahl  des  Gesamtäther- 
extraktes betrug  50.3.  Die  Menge  der  Fettsäuren  war  etwa  dop- 
pelt so  groß,  wie  die  der  nicht  verseifbaren  Substanzen.  Jodzahl 
der  Fettsäuren  38.  Unter  dem  nicht  verseifbaren  Anteil  bildete 
die  Hauptmasse  eine  anscheinend  mit  dem  Acetonkörper  identische 
Substanz.  Cholesterin  war  nur  in  geringer  Menge  vorhanden.  Auf- 
fallend war  die  große  Menge  der  im  ursprünglichen  Alkoholextrakt 
zurückgebliebenen  Seifen.  Durch  Zusatz  von  Salzsäure  konnte 
hieraus  noch  ca.  0,5  g  Fettsäuren  erhalten  werden.  Mit  einem 
Schmelzpunkt  von  40—41®  und  einer  Jodzahl  von  31. 

c)  Smegma. 

Das  Smegma  geht  aus  den  Tyson'schen  Drüsen  der  Glans  und 
des  Präputiums  hervor.  Es  sind  dies  eigentliche  Talgdrüsen,  die 
aber  dadurch  eine  besondere  Stellung  einnehmen,  daß  sie  nicht  an 
Haaren  angelegt  sind. 

Vom  Smegma  hat  Lehmann^)  eine  Analyse  mitgeteilt.  Er 
fand  Ätherextrakt  52,8^0,  Alkoholextrakt  7,4  7«.  Wasserextrakt 
6,1 7o,  Salze  9,7  %,  Albuminate  5,6  %,  unlöslicher  Rückstand  18,4%. 
Angeblich  soll  auch  eine  Ammoniakseife  darin  vorkommen. 

Ich  selbst  habe  von  einem  einzelnen  Manne  das  Smegma  im 
Verlaufe  von  ca.  8  Monaten  in  regelmäßigen  Pausen  abgenommeD. 
Es  wurde  nach  Möglichkeit  verhindert,  daß  sonst  wesentliche  Mengen 
verloren  gingen.  Die  so  erhaltene  Menge  dürfte  daher  etwa  der 
normalen  Produktion  eines  Erwachsenen  entsprechen.  Der  Ather- 
extrakt  war  0,6  g,  bei  einem  Trockenrückstand  von  0,2  g.  Der 
Schmelzpunkt  des  gelblich  weißen  Extraktes  lag  bei  37  ^  Ein  ge- 
ringer Geruch  von  niederen  Fettsäuren  war  nicht  zu  verkennen. 
Säurezahl  18,4;  Verseifungszahl  142;  Jodzahl  der  Fettsäuren  41,2. 
Der  nicht  verseifbare  Anteil  enthielt  nur  ganz  wenig  Cholesterin. 

1)  Ber.  d.  fgl.  sächs.  Akad.  der  Wiss.  1869  II. 


über  den  Hanttalg  beim  Gesunden  und  bei  einigen  Hauterkrankungen.  209 

Ich  möchte  hier  der  Vollständigkeit  halber  noch  aus  der  Lite- 
ratur mitteilen,  was  über  die  chemische  Zusammensetzung  zweier 
anderer  chemischer  Sekrete  der  menschlichen  Haut,  der  Meibom- 
schen  Drüsen  und  der  Vernix  Caseosa,  bekannt  ist,  da  mir 
hierüber  eigene  Untersuchungen  nicht  zu  Gebote  stehen. 

d)  Das  Sekret  der  Talgdrüsen  des  Lides. 

(Meibom'sche  Drüsen.) 

Pes^)  hat  darüber  mikrochemische  Untersuchungen  angestellt 
mit  dem  Resultat,  daß  sich  stets  Cholesterin  nachweisen  ließ. 
Die  Osmiumfärbung  ergab  kein  tiefes  Schwarz,  sondern  mehr  einen 
graugrünlichen  Ton.  Pes  kommt  zu  dem  Schlüsse,  daß  in  den 
Meibom'schen  Drüsen  neben  Cholesterin  verseifte  Fettsäuren  vor- 
handen seien;  die  Verseifung  rühre  von  der  alkalischen  Tränen- 
flössigkeit  her. 

Die  ganzen  Untersuchungen  beruhen  auf  Farbenreaktionen  an 
mikroskopischen  Präparaten  und  sind  deswegen,  wie  auch  vor  allem 
nach  ihren  Resultaten  sehr  anfechtbar.  Wenn  das  Sekret  der 
Meibom'schen  Drüsen  infolge  einer  angeblichen  Verseifung  wasser- 
löslich wäre,  so  müßte  ja  mindestens  die  eine  Eigenschaft  des- 
selben, das  Überlaufen  der  normalen  Tränenmenge  über  die  Lid- 
ränder zu  verhindern,  wegfallen. 

e)  Vernix  Caseosa. 

Die  Vernix  Caseosa  besteht  jedenfalls  nicht  bloß  aus  abge- 
stoßenem Epithel,  sondern  auch  aus  dem  Sekret  von  Talgdrüsen. 

über  dieselben  liegen  mehrere  Untersuchungen  vor.  Außer 
den  beiden  älteren  von  Lehmann  und  Bück  haben  wir  die  von 
Kuppel ^),  der  durchschnittlich  35 7o  Wasser  und  15%  Äther- 
extrakt  aus  seinem  Materiale  erhielt.  Der  Atherextrakt  hat  einen 
Schmelzpunkt  von  29 — 30®.  Der  nicht  verseif  bare  Anteil  bestand 
hauptsächlich  aus  Cholesterin  und  einer  kleineren  Menge  Iso- 
cholesterin,  die  er  durch  Schmelzpunkt  und  Kristallform  trennen 
konnte.  Die  Fettsäuren  enthielten  hauptsächlich  Ölsäure  und  Palmitin. 

Ich  reihe  hier  die  chemischen  Untersuchungen  der  Inhalte  einiger 
pathologischer  Gebilde,  deren  Ätherextrakte  mit  den  normalen  Se- 
kreten aber  übereinstimmt. 


1)  Zit  n.  Maly's  Jahresber.  1897. 

2)  Zeitschr.  f.  physiol.  Chem.  Bd.  21  1895. 


210  XII.    LiNSEB 

t 

f)  Inhalt  von  Talgdrüsenzysten. 

Unter  Talgdrüsenzysten  verstehen  wir  die  intrakutan,  zum 
Teil  auch  subkutan  liegenden,  meist  einkammerigen  Talgdrüsen- 
erweiterungen, deren  Inhalt  von  dickbreiigem  Sebum  mit  Epithelien 
gebildet  wird.  Wir  bringen  hier  also  auch  einen  Teil  der  sonst 
als  Atherome  bezeichneten  Zysten  unter,  soweit  diese  eben  nur  aus 
erweiterten  Talgdrüsen  hervorgegangen  sind.  Auch  hier  haben  wir 
also  wohl  in  der  Hauptsache  das  Sekret  der  Talgdrüsen,  dabei 
aber  noch  einen  erheblichen  Teil  abgestoßener  Epithelien. 

Talgdrüsenzysten  finden  sich  bei  älteren,  fettreichen  Leuten 
relativ  häufig  und  zum  Teil  in  ziemlicher  Größe.  Bei  einem  älteren, 
an  Furunkulose  leidenden  Manne  konnte  ich  aus  3,  zum  Teil  sub- 
kutan  liegenden  Zysten  des  Rückens  auf  einmal  fast  3  g  Ather- 
extrakt  gewinnen.  Derselbe  war  von  hellgelber  Farbe,  Schmelz- 
punkt 33—34^,  ein  charakteristischer  Geruch  felilte.  Mikroskopisch: 
Epithelien,  Fettkörnchen,  Cholesterinkristalle ;  keine  Mikroorga- 
nismen, sowohl  mikroskopisch  wie  kulturell.  Dagegen  hatte  der 
Inhalt  einiger  anderen  Talgdrüsenzysten,  die  wir  sonst  fanden, 
einen  ausgesprochen  ranzigen  Geruch  von  Buttersäure.  Mikro- 
skopisch waren  in  diesem  Sekret  zahlreiche  kurze  Stäbchen  (Flaschen- 
bazillen?) sowie  Kokken.  Letztere  erwiesen  sich  kulturell  als 
weiße  Staphylokokken.    Die  Stäbchen  wuchsen  nicht. 

Die  Bestimmungen  der  flüchtigen  Fettsäuren  ergab  eine  Säure- 
zahl von  10,7. 

Ätherextrakt:  Schmelzpunkt  35— 36 ^  Säurezahl  3,8— 18,0;  Ver- 
seifungszahl  126 — 142;  Jodzahl  des  Gesamtätherextraktes  59,4;  der 
Fettsäuren  42,1.  In  dem  unverseifbaren  Anteil  war  wieder  eine 
Spur  von  Cholesterin  vorhanden. 

g)  Inhalt  von  Dermoiden. 

Die  Wand  dieser  Zysten  besitzt  eine  völlig  normale  Epidermis 
mit  allen  Anhangsgebilden,  Haaren,  Talg-  und  Schweißdrüsen.  Der 
Inhalt  besteht  also  sowohl  aus  diesen  Drüsensekreten,  als  aus  ab- 
gestoßenen Epithelien,  Haaren  etc.  Er  ist  demnach  mit  dem  Haut- 
talg auf  eine  Stufe  zu  stellen. 

Als  Material  dienten  uns  eine  Anzahl  frischer  Ovarialdermoide 
(Embryonen),  die  mir  in  freundlicher  Weise  aus  den  Frauenkliniken 
zu  Breslau,  Gießen,  Greifswald,  Leipzig,  München  und  dem  all- 
gemeinen Krankenhaus  Hamburg  -  Eppendorf  überwiesen  w^urden. 
Von  diesen  Zysten  wurde  nur  der  Inhalt  zur  Extraktion  verwandt. 


über  den  Hanttalg  beim  Gesunden  und  bei  einigen  Hauterkrankungen.  211 

Na<5h  der  wie  schon  geschildert  mit  Alkohol  und  Chloroform  vor- 
genommenen Extraktion  wurden  die  Massen  meist  noch  einmal  ge- 
trocknet und  fein  gepulvert  einer  zweiten  Extraktion  mit  Chloro- 
form  unterworfen.  Die  Atherauszüge  der  Chloroform-  und  Alkohol- 
eitrakte  ergaben  im  ganzen  nahe  an  200  g. 

über  die  Dermoide  liegen  aus  neuerer  Zeit  mehrere  genaue 
Untersuchungen  vor.  Sotnitschewsky\)  konnte  nach  der  Ver- 
seifung aus  dem  nicht  verseifbaren  Anteil  seines  Extraktes  einen 
kristallinischen,  in  Äther  und  Alkohol  leicht  löslichen  Körper  vom 
Schmelzpunkt  63  ^  isolieren,  der  bei  der  Elementaranalyse  aus  80  ^/o  C 
und  13,5 ^/o  H  bestand.  Er  war  geneigt,  diesen  Körper  als  Cetyl- 
alkohol  anzusprechen.  Lieblein ^),  der  in  seiner  Zyste  88% 
Wasser  fand,  erhielt  aus  dem  Ätherextrakt  reichlich  Cholesterin, 
kein  Isocholesterin.  Außerdem  aber  einen  bei  53—55  **/'o  schmelzen- 
den kristallisierten  Körper,  der  sonst  nicht  weiter  charakterisiert 
ist.  von  Zeyneck^)  endlich  lieferte  uns  eine  genaue  Analyse 
des  Atherextraktes,  der  aus  einer  großen  Anzahl  von  Dermoiden 
verschiedener  Herkunft  gewonnen  ward.  Er  arbeitete  mit  dem 
bisher  größten  Materiale.  Der  Schmelzpunkt  seines  Extraktes  war 
34-39 ^ ;  Erstarrungspunkt  20—25 ^  Reichert-MeißT sehe  Zahl 
(flüchtige  Fettsäuren)  2,9;  Verseifungszahl  durchschnittlich  158; 
Jodzahl  des  Gesamtätherextraktes  71,2 — 74.9.  Der  nicht  verseif- 
bare  Anteil,  der  nur  ab  und  zu  (3 mal  unter  50—60  Fällen)  Cho- 
lesterin in  geringer  Menge  nachweisen  ließ,  bestand  zum  Teil 
aus  einem  in  der  Kälte  ausfallenden,  kristallinischen  Körper  vom 
Schmelzpunkt  69—71  ^  und  einer  Elementarzusammensetzung  von 
79,9  »/o  C  uhd  13,7%  H.  Wegen  der  Ähnlichkeit  in  der  Elementar- 
analyse mit  dem  Cetylalkohol  spricht  auch  von  Zeyneck  diesen 
Körper  mit  Wahrscheinlichkeit  als  Cetylalkohol  an.  Nach  Trennung 
dieses  Körpers  hinterblieb  ein  öliger  Bestandteil  mit  der  Elementar- 
analyse 83,4  %  C  und  12,5  %  H.  Die  Trennung  dieses  Teiles  war 
nur  durch  fraktionierte  Destillation  im  Vakuum  möglich,  wobei 
zwischen  220—225  *  eine  größere  Menge  überging  mit  hohem 
Bromadditionsvermögen,  Jodzahl  90,4.  Elementarzusammensetzung : 
79,49%  C  und  12,36  »/o  H.  Benzoylierung  war  nicht  möglich. 
Außerdem  gingen  noch  zwischen  258  und  265^  eine  reichliche 
Menge  Öl  mit  der  Jodzahl  151,1  und  der  Elementarzusammen- 
setzung 83,01%  C,  11,38%  H  über. 

1)  Zeitschr.  f.  pbysiol.  Chem.  Bd.  4  1880. 

2)  Ebenda  Bd.  21  1896. 

3)  Ebenda  Bd.  23  1897. 


212  XII.    LiNSEB 

Die  Analyse  der  Fettsäuren  ergab  nur  wenig  niedere 
(Butter-,  Ameisen-,  Arachninsäure). .  Den  Hauptbestandteil  bildeten 
Palmitin,  dann  Stearin  und  Myristinsäure.  Glyzeiin  war  nur  in 
geringen  Mengen  vorhanden. 

Bei  unseren  Untersuchungen  wurde  natürlich  auf  die  der  Der- 
moide der  größte  Nachdruck  gelegt,  da  hier  das  größte  Material 
vorhanden  war,  und  ihr  Extrakt  wohl  den  reinsten  Hauttalg 
abgab,  während  man  ja  bei  den  meisten  anderen  Extrakten  eine 
Verunreinigung  durch  fremde  Fette  nicht  absolut  aussehließen 
konnte.  Der  Extrakt  übertraf  die  extrahierte,  aus  Epithelprodukten 
hauptsächlich  zusammengesetzte  Trockensubstanz  meist  um  das 
2— 4  fache  an  Gewicht.  Er  hatte  gold-  bis  braungelbe  Farbe,  meist 
etwas  aromatischen  Geruch.  Schmelzpunkt  30—36".  Die  Ver- 
seifungszahl  (von  4  verschiedenen  Portionen)  schwankte  zwischen 
112  und  149;  Säurezahl  zwischen  2,6  und  6,3;  Jodzahl  des  Ge- 
samtätherextraktes  62,7  -  74,2.  Menge  des  verseif  baren  Anteiles 
30-40%. 

Aus  dem  nicht  verseifbaren  Auteil  schied  sich  stets  in  der 
Kälte  ein  kristallinischer  Körper  ab,  der  leicht  löslich  in  kaltem 
Alkohol,  Peiroläther,  Benzol,  Toluol,  Amylalkohol  etc.,  schwer  löslich 
aber  war  in  kaltem  Essigäther  und  besonders  Aceton,  während  er 
sich  darin  in  der  Wärme  leicht  löste.  Durch  mehrfaches  Um- 
kristallisieren gelang  es,  einen  weißen,  homogenen,  in  Nadeln 
kristallisierten  Körper  von  dem  konstanten  Schmelzpunkt  64 — 65^ 
rein  zu  gewinnen.  Derselbe  gab  keine  Cholestolreaktion, 
ließ  sich   nicht  acetylieren  und   besaß  eine  Jodzahl  von  26,5. 

Aus  den  beim  Umkristallisieren  erhaltenen  Mutterlaugen 
wurde  eine  Substanz  in  geringerer  Menge  erhalten,  die  sich  mikro- 
skopisch, durch  Reaktion  und  nach  dem  Schmelzpunkt  142 — 144** 
als  Cholesterin  erwies. 

Die  Menge  des  „Acetonkörpers"  betrug  ca.  Vs  ^^^  nicht  ver- 
seifbaren Substanzen.  Die  Elementaranalyse  ergab  79,32—79,5  7o  C 
und  13,69—14,08  «/o  H.  Also  im  Durchschnitt  79,4  %  C,  13,9  %  H. 
Derselbe  ist  nicht  acetylierbar  und  daher  nicht  als  ein  Alkohol 
anzusehen.  Die  Annahme  von  v.  Zeypeck  und  Sotnitschewsky , 
daß  in  Dermoiden  Cetylalkohol  enthalten  sei,  ist  somit  nicht 
haltbar.  Offenbar  hatte  v.  Zeyneck  und  Sotnitschewsk v 
denselben  Körper  in  Händen  wie  ich ;  das  beweisen  die  Elementar- 
analysen, sowie  die  Angaben  v.  Zeyneck,  daß  sich  der  Körper 
nicht  benzoylieren  läßt.  Der  von  Sotnitschewsky  angegebene 
Schmelzpunkt  stimmt    annähernd  mit    dem  von    mir   gefundenen 


über  den  Hauttalg  beim  Gesunden  und  bei  einigen  Hau terk rank nngen.   213 

Überein ;  der  höhere  von  v.  Zeyneck  erklärt  sich  mit  großer  Wahr- 
scheinlichkeit aus  einer  Beimengung  von  Cholesterin. 

Nach  der  Isolierung  des  „Acetonkörpers"  hinterblieb  ein  auch 
in  der  Kältemischung  nicht  erstarrendes  Ol  mit  hohem  Bromadditions- 
vermögen und  einer  Jodzahl  von  106,5;  Elementaranalyse:  12,31 7o  H 
80,56%  C.  Dasselbe  begann  bei  dem  Versuche  der  fraktionierten 
Destillation  unter  einem  Drucke  von  40—60  mm  Hg  bei  172^  zu 
sieden.  Dabei  ging  etwas,  wenig  gefärbtes  Ol  über.  Das  Thermo- 
meter stieg  allmählich  bis  270®;  eine  Fraktionierung  war  nicht 
möglich.  Die  Acetylierung  gelang  auch  bei  dieser  Substanz 
nicht. 

Die  Gesamtfettsäuren,  soweit  sie  nach  Spaltung  der 
Seifen  mit  Petroläther  ausgeschüttelt  wurden,  hatten  einen  Schmelz- 
punkt von  39— 42<>;  Säurezahl  194-199,  Jodzahl  35— 39.  Die  ge- 
naue Analyse  der  Fettsäuren  braucht  hier  wohl  nicht  mitgeteilt  zu 
werden,  mit  Rücksicht  auf  die  eingehenden  Untersuchungen  von 
V.  Zeyneck,  denen  ich  nur  noch  hinzusetzen  möchte,  daß  meine 
Extrakte  nie  die  Ölsäure  vermissen  ließen. 

Hier  sei  nur  noch  kurz  erwähnt,  daß  an  den  Extrakten  der 
Dermoide  mehrfach  ihre  Wasseraufnahmefähigkeit  geprüft 
^vurde.  Dieselbe  war  meist  um  100%  vom  ursprünglichen  Ex- 
trakte. 

h)  Inhalt  von  Atheromen. 

Als  Atherome  möchten  wir  hier  nur  die  offenbar  aus  ver- 
sprengten epithelialen  Keimen  hervorgegangenen  Tumoren  ange- 
sehen wissen.  Dieselben  verdanke  ich  der  Freundlichkeit  der 
Herren  Prof.  Hofmeister  in  Stuttgart  und  Prof.  Kausch  in 
Breslau.  Die  sämtlichen  Tumoren  waren  am  Kopfe  exzidiert;  sie 
bestanden  im  Gegensatz  zu  den  Talgdrüsenzysten  nahezu  aus- 
schließlich aus  verhornten  Massen,  ohne  den  bei  den  Talgdrüsen- 
zysten vorherrschenden  öligen  Charakter. 

Der  Ätherextrakt  von  2,5  g  (schon  extrahierter)  Trockensubstanz 
betrug  1,5  g.  Er  war  von  hellgelber  Farbe,  ohne  bestimmten  Ge- 
ruch, Schmelzpunkt  42—44^.  Säurezahl  3,5;  Verseifungszahl  73,7; 
Jodzahl  des  Gesamtätherextraktes  66,2,  der  Fettsäuren  36,7.  Die 
Menge  der  unverseifbaren  Substanzen  war  ca.  55  ^'/o  des  Ather- 
extraktes.  Von  0,6  g  desselben  ließ  sich  über  die  Hälfte  als 
Cholesterin  durch  Schmelzpunkt  142—144^,  sowie  mikroskopisch 
charakterisieren.  Eine  zweite  Portion  ergab  aus  5  g  Trockensub- 
stanz 2,6  g  Ätherextrakt  mit  einer  Säurezahl  von  5,2 ;   Verseifungs- 


214  ^n.  L1K8KR 

zahl  85,9;  Jodzahl  60,4  (Gesamtätherextrakt).  Der  reichliche 
Cholesteringehalt,  der  auch  von  früheren  Untersuchern  fest- 
gestellt ward,  ließ  sich  also  auch  hier  nachweisen.  Eine  Unter- 
suchung der  Wasseraufnahmefähigkeit  ergab  bei  diesem 
cholesterinreichen  Extrakt  ähnliche  Resultate  wie  bei  Dermoiden. 
Die  Atherome  sind  früher  schon  zu  chemischen  UntersnchungeD 
herangezogen  worden  und  ihre  Resultate  sind  es,  die  an  Stelle  der 
fehlenden  Untersuchungen  des  normalen  Hauttalges  bisher  in  den 
Lehrbüchern  der  Dermatologie  aufgeführt  wurden.  Die  älteste 
Untersuchung  stammt  von  Ness  van  Esenbeck  (1827)^),  ist  in 
Gran  berechnet  und  möge  des  historischen  Interesses  wegen  (auf 
Prozente  umgerechnet)  hier  Platz  finden.  Esenbeck  fand  in 
seinen  Atheromen: 

Talg  24,2  % 

Osmazom  und  Spuren  von  Ol                  12,6  „ 

Eiweiß  und  Käsestoflf  24,2  „ 

Wasserextrakte  11,6  „ 

Kohlensaure  Kalkerde  2,1  ,, 

Phosphorsaure  Kalkerde  20,0  „ 

Kohlensaure  Talgerde  11,6  ,, 

Essigsaures  und  salzsaures  Natrium  in  Spuren. 

Eine  Analyse  eines  0,3464  g  schweren  Atheromes  von  Schmidt-) 
ergab : 

Wasser  31,7   % 

Niedere  Fettsäuren  1,21  „ 

Höhere  Fettsäuren  und  Cholesterin  4,12  „ 

Epithel  und  Albuminate  61,75  „ 

Salze  1,18  „ 


Wenn  wir  hier  einen  kurzen  Rückblick  auf  unsere  Resultate 
werfen,  so  sehen  wir  überall  eine  gewisse  Gleichförmigkeit  und 
Übereinstimmung  herrschen  zwischen  den  Sekreten  mit  einer  Aus- 
nahme, den  Atheromen.  Bei  diesen  finden  wir  eine  auffallend 
niedere  Verseifungszahl,  dementsprechend  eine  überwiegende  Menge 
nicht  verseilbarer  Substanzen  im  Atherextrakt  und  zwar  haupt- 
sächlich Cholesterin,  von  dem  die  anderen  Extrakte  nur  wenig 
enthalten.    Woran  liegt  diese  Verschiedenheit? 

In  den  Atheromen  ist  es  wesentlich  das  verhornte  Epi- 

1)  VrI.  Vogel.  Deut.  Aich.  f.  klin.  Med.  Bd.  5  1868 

2)  Ebendaselbst. 


über  den  Hanttalg  beim  Gesmiden  und  bei  einigen  Hauterkrankuugen.  215 

thel,  aus  dem  der  Extrakt  stammt.  Talgdrüsensekrete 
konnten  wir,  wenigstens  in  unserem  Materiale,  nicht  vermuten. 
Demgegenüber  besitzen  nun  alle  die  anderen  Extrakte  vom  Haut- 
talg, Dermoidinhalt  etc.  einen  mehr  oder  weniger  hohen  Anteil 
von  Talgdrüsensekret  neben  den  aus  Horngebilden  (Epithelschuppen, 
Haaren  etc.)  gewonnenen  Substanzen.  Dies  bringt  natürlich  auf 
den  Gedanken,  nach  Materialien  zu  suchen,  die  möglichst  rein  das 
eine  oder  das  andere  Sekret  enthalten.  Da  aber  reines  Talgdrüsen- 
sekret kaum  in  genügender  Menge  zu  erlangen  ist,  so  suchten  wir 
diesem  Mangel  mit  einem  Materiale  abzuhelfen,  das  wohl  nur  aus 
Homsubstanzen  ohne  beigemengtes  Talgdrtisensekret  besteht:  ßinder- 
hom  und  Pferdehuf.  Die  hieraus  gewonnenen  ätherlöslichen  Sub- 
stanzen können  nur  die  Produkte  der  verhornten  Zellen  sein,  aus 
denen  sie  extrahiert  wurden. 

i)  Homsubstanzen. 

Die  Materialien  wurden  teils  in  feinem  geraspelten  Zustande 
(Homspäne)  vom  Drechsler  bezogen,  teils  von  uns  selbst  (Hufspäne) 
direkt  aus  frischem  Pferdehuf  mit  der  Easpel  hergestellt. 

Ein  halbes  Kilo  Hornspäne  lieferte  ca.  3  g  Atherextrakt. 
Dasselbe  war  stark  gefärbt,  von  fadem  Geruch  und  schmolz  bei 
42—44  ®.  Säurezahl  5,5 ;  Verseifungszahl  89,8 ;  Jodzahl  des  Gesamt- 
ätherextraktes 56,6,  der  Fettsäuren  45,9.  Der  Ätherextrakt  bestand 
zu  etwa  50  ®/o  aus  unverseifbaren  Substanzen,  deren  Hauptbestand- 
teil das  Cholesterin  bildete. 

Von  etwa  400  gPferdehufspänen  erhielten  wir  2  g  Äther- 
extrakt mit  sehr  dunkler  Farbe.  Schmelzpunkt  40 — 41;  Säure- 
zahl 8,4;  Verseifungszahl  96,2;  Jodzahl  der  Fettsäuren  43,0.  Auch 
hier  ließ  sich  aus  dem  unverseifbaren  Anteile  eine  ziemliche  Menge 
Cholesterin  extrahieren.    (S.  Tab.  1  S.  216.) 

Eine  Zusammenstellung  unserer  Zahlen,  wie  wir  sie  in  der 
Tabelle  vor  uns  haben,  der  ich  zum  Vergleich  noch  die  Zahlen  des 
Lanolins  (nach  dem  Benedikt-IJlzer'schen  Lehrbuclie)  anschließe, 
zeigt  uns  sofort  eine  erhebliche  Differenz  zwischen  den  Unter- 
suchungsresultaten  der  reinen  Homsubstanzen  und  denen,  die 
mehr  oder  weniger  Talgdrüsensekret  enthalten.  Hier  haben 
wir  im  nicht  verseifbaren  Anteil  wenig  Cholesterin,  dagegen 
reichlich  andere  hochmolekulare  C-  und  H-reiche 
Substanzen,  die  wir  namentlich  in  den  Extrakten  von  Der- 
moiden als  „Acetonkörper"  und  in  Form  des  „öligen  Rückstandes" 
genauer    charakterisieren    konnten.     In    den   Atheromen    aber. 


216 


XII.    LiNSEB 


Tabelle  1. 


Jodzahl       Nicht  verseifbaren  Anteil 

I 

;.Si  VatK     %  des    !  _L.S  .  fl? 


Substanz 


. ,  Verseif ffs-  .      ^  i 
Sanrezahl      ^,/    |J|lFett. 

I  '  S,:5  «  'säuren 


C3 


..  u  des 

Atherex- 

traktes 


a> 


Hauttalg 
Cerumen 
Smegma 
Talgdrüsen- 
zysten 
Dermoide 
Atherome 
Hornspäne 
Hufspäne 
Lanolin 


12  33—360 
4   36—38 
0,6  36—37 


3,4—7,9    117—140 

1,2      .       128 

18,4  142 


5   33—36      3,8—18,0  126-142 


200  30-36 

5   42—44 

3   42—43 

i  2   40—41 

I  —  36-42 


54—67 
50 

59 


2,6—6,3  1 112—149  63—74 
3,5-5,2      73-86    60—66 

5,5  90  57 

8,4      i       96 


0,5-4,3 


98—127 


10-36 


36—44 


31—38  35-40 
41 


40-45  %!     +       ++ 


42 


33 


9 


35—39:  30—40 

37     1     55 

46     I     50 

43  50 

'     55 


+     +++ 


-|-  wenig,   +-[-  viel,  +++  sehr  viel. 


sowie  in  den  Hörn-  und  Hufspänen  finden  wir  viel  Chol- 
esterin in  dem  relativ  großen  unverseif baren  Anteil.  Daraus  kann 
man  wohl  den  Schluß  ziehen,  daß  die  ätherlöslichen  Sub- 
stanzen des  Hauttalges  in  seiner  Gesamtheit  sich  aus  2  Kom- 
ponenten zusammensetzen,  aus  dem  Sekrete  der  Talgdrüsen, 
das  wenig  Cholesterin,  aber  dafür  andere,  ähnlich  zusammen- 
gesetzte Körper  enthält  und  den  cholesterinreichen  äther- 
löslichen Bestandteilen  der  Hornsubstanzen. 

Mit  diesem  Resultat  stimmen  die  Liebreich' sehen  An- 
schauungen im  wesentlichen  überein.  Liebreich  hat  ja  auch 
seine  Extrakte  in  der  Hauptsache  aus  den  keratinösen  Substanzen 
gewonnen,  während  er  das  Sekret  der  Talgdrüsen  nicht  weiter  in 
Betracht  zog.  Und  doch  ist  dies  der  quantitativ  weit  überwiegende 
Teil  des  Hauttalges,  mit  dem  man  jedenfalls  am  meisten  zu  rechnen 
hat.  Der  Hauttalg  in  seiner  Gesamtheit  ist  aber  nicht  als 
Cholesterin  fett  zu  betrachten,  sondern  besteht  wahrscheinlich 
nur  zum  kleinsten  Teil  aus  solchem.  Einen  großen  Anteil  an  seiner 
Bildung  haben  die  anderen  Körper  („Acetonkörper",  „öliger  Rück- 
stand'*). Diese  Körper  ließen  sich  sicher  in  dem  Sekret  der  Körper- 
oberfläche, im  p]xtrakt  von  Dermoiden,  im  Cerumen  nachweisen; 
wahrscheinlich  sind  sie  aber  auch  im  Smegma  vorhanden.  Die 
verschiedenen  Talgdrüsensekrete  sind  untereinander  wenig  ver- 
schieden. Alle  zeichnen  sich  durch  niederen  Schmelzpunkt 
aus.  sowie  duixh  niedere  Säurezahlen,  d.  h.  alle  in  ihnen 
enthaltenen  Fettsäuren  sind  esterartig  gebunden.  Die  Verseifungs- 
zahlen,  die  ausnahmslos  unter  den  von  Glyzeriden  der 


über  den  Hauttalg  beim  Gesnndea  und  bei  einigen  Hauterkrankungen.  217 

Fettsäuren  bedinirt^B  Zalilen  stehen,  lassen  den  Schluß  m,  dafi 
aaeh  derHauttalg,  wenn  überhaupt  (Glj'zerin)  Fette  darin 
siad,  neben  diesen  noch  die  Ester  hochmolekularer  Alko- 
hole,  z.B.  Cholesterin,  und  anderer  unversejfbarer Substanzen 
enthält 

Die  Jodzahlen  ^dlich  zeigen  bei  den  Fettsäuren  den 
Gehalt  an  Ölsäuren  a^.  Im  Gesamtätjiei'extrakt  kominen  dazu 
noch  als  jodaddierende  Substanzen  die  oben  erwähnten  Körper 
(^Acetonkörper",  Cholesterin,  „öliger  Efickstand"),  bei  denen  wir 
ja  ein  mebr  oder  weniger  hohes  Jodabsorptionsvermögen  finden. 
Der  Einfluß  dieser  Substanzen  zeigt  sich  deutlich  bei  dem  Ver- 
gleich der  Jodzahlen  von  den  Fettsäuren  und  dem  Gesamtäther- 
eitrakt.  Wäibi*end  bei  den  gewWinlichen  (Glyzerin)  Fetten  die  Jod- 
zahl  der  Fettsävren  stets  größer  ist,  als  die  der  entsprechenden 
Fette,  sehen  wir,  daß  hier  besonders  in  Atheromen  und  Dermoiden 
die  Jodzahl  des  Gesamtätherextraktes  höber  ist,  als  die  von  den 
^tsfHrechenden  Fettsäuren. 

II.  Die  StJierUtellcliieiii  Snbstonzm  bei  HtuiterfcraiilcangeH. 

Hatte  schon  die  Untersuchung  der  normalen  Sekrete  sehr  mit 
der  Schwierigkeit  der  Materialgewinnung  zu  kämpfen,  so  war  dies 
natürlich  in  einem  noch  höheren  Grade  der  Fall  bei  den  Haut- 
erkrankungen. Leider  sind  ja  die  Erkrankungen,  bei  denen  wir 
eine  abnorme  S^retion  von  Hauttalg  annehmen  können,  durch  sehr 
chroftiscben  Verlauf  ausgezeichnet  und  da  ist  man  nie  ganz  sicher, 
ob  das  eventuell  zu  extrahierende  Sekret  von  den  Kranken  selbst 
produsieit  oder  fremden,  therapeutischen  Ursprunges  ist. 

Ich  habe  mich  in  folgendem  bemüht,  nur  von  ganz  einwands- 
freien,  sicher  nur  mit  autochtonem  Hautfett  iisprä^nierten  Kranken 
den  Ätherextrakt  zu  untersuchen.  Ich  glaube  aber  so  wenigstens 
für  die  £einheit  der  Extrakte  einigermaßen  einstehen  zu  könneii. 

a)  Ichthyosis. 

Das  Material  stammt  von  einem  an  Ichthyosis  hystrix  leidenden 
Geschwisterpaar,  das  vorher  nicht  behandelt  war.  Die  Schuppen 
siAd  meehajBÜißch  entfernt  worden.  Die  Itenge  des  Ätberextraktes 
betrug  1,4  g  bei  5  g  Trockenrückstand.  Der  Schmelzpunkt  des 
g<ddgelben,  geiiiobloaen  Extraktes  war  43--44^;  Bäurezahl  ö^; 
yersej&figwaJU  94;  Jod;5ahl  62,2  (Gesamtätherextrakt)  und  41,4 
(Fettsäuraa).  Der  nkkt  verseif  bare  Anteil  bestand  zum  größliea 
Teil  aas  Oholeeterifi,  außerdesi  war  eine  auffallend  gro£e  Menge 

DeatscheB  Archiv  für  klin.  Medizin.    LXXX.  Bd.  15 


218  Xn.    LiNSBB 

von  Substanzen  vorhanden,  die  nur  in  Chloroform,  nicht  aber  in 
Äther  löslich  waren.  Dieselben  hatten  eine  ausgesprochen  harzige 
Beschaffenheit  Ob  wir  es  hier  mit  einem  neuen,  abnormen  Se- 
kretionsprodukte zu  tun  haben  oder  nur  mit  einer  abnormen  Um- 
wandlung des  normalen  Sekretes,  ist  nicht  zu  sagen.  Wohl  aber 
kann  man  annehmen,  daß  die  Trockenheit  und  damit  auch  die 
rauhe,  zerrissene  Form  der  Hautoberfläche  damit  zusammenhängt. 

b)  Psoriasis. 

Hierfür  standen  mir  die  Schuppen  von  4  Kranken  zur  Ver- 
fügung, die  nach  Anamnese  sowie  auch  nach  der  objektiven  Unter- 
suchung sich  jedenfalls  lange  Zeit  nicht  mit  fremdem  Fette  etc. 
behandelt  hatten.  Trotzdem  ich  wohl  mehrere  hundert  Psoriatiker 
in  der  Klinik  hatte  untersuchen  können,  waren  mir  doch  nur  eben 
von  diesen  4  Kranken  die  Schuppen  einwandsfrei  genug  erschienen, 
um  sie  zur  Untersuchung  verwenden  zu  können. 

Die  Menge  des  Ätherextraktes  betrug  1,3  g  bei  einem  Trocken- 
rlickstand  von  ca.  27«  g.  Der  Schmelzpunkt  des  ganz  leicht  gelb- 
lichen Extraktes  lag  zwischen  40  und  41^.  Säurezahl  4,7,  Ver- 
seifungszahl  81,  Jodzahl  des  Gesamtätherextraktes  59,2.  Die  nicht 
verseif  baren  Substanzen  enthielten  hauptsächlich  auch  hier  Chol- 
esterin. 

c)  Comedonen. 

Das  Material  entstammt  zahlreichen,  teils  wegen  anderer  Af- 
fektionen, teils  wegen  Akne  in  unsere  Behandlung  gekommeneu 
Kranken.  Wir  haben  die  Comedonen  mit  Vorliebe  von  der  Schulter 
und  Nackengegend  genommen,  weil  dort  eine  Verunreinigung  mit 
fremdem  Fett  weniger  zu  befurchten  war  als  im  Gesicht.  Die 
Menge  des  Ätherextraktes  betrug  bei  etwas  über  1  g.  Trocken- 
substanz 0,9  g.  Schmelzpunkt  des  ziemlich  pigmentreichen  Ex- 
traktes 39®;  Verseifungszahl  109;  Säurezahl  19,3;  Jodzahl  der 
Fettsäuren  53,9.  Der  nicht  verseifbare  Anteil  bestand  zu  einem 
erheblichen  Teil  aus  Cholesterin. 

d)  Seborrhoea  sicca. 

Zu  diesen  Untersuchungen  bekam  ich  das  Material  von  einem 
typischen  Falle  des  sog.  seborrhoischen  Ekzems  (Unna).  Dasselbe 
betraf  eine  stark  verwahrloste  Polin,  die  trotz  etwa  3  monatlichen 
Bestehens  der  Erkrankung  bisher  noch  nicht  behandelt  war.  Be- 
fallen war  Schulter,  Kopf  und  Nackengegend.  Die  ziemlich  ver- 
filzten Haare  wurden  im  Bereiche  der  Erkrankung  mit  dem  Kamme 


über  den  Hanttalg  beim  Gesunden  und  bei  einigen  Hauterkrankungen.  219 


von  den  anhaftenden  Schuppen  und  Borken  befreit.  In  den  haar- 
losen Partien  kamen  die  schon  erwähnten  Gazebäuschchen  mit 
Petroläther  zur  Anwendung.  So  konnte  eine  relativ  große  Menge 
kleiner  Schüppchen  und  Borken  gesammelt  werden. 

Der  Ätberextrakt  dieser  im  entfetteten  Zustand  ca.  2  g  schweren 
Massen  wog  Iß  g.  Schmelzpunkt  des  hellgelben,  deutlich  nach 
niederen  Fettsäuren  riechenden  Extraktes  36 — 38*^;  Säurezahl  51,9; 
Verseifnngszahl  154;  Jodzahl  der  Fettsäuren  57,4.  Auch  hier  ließ 
sich  wieder  Cholesterin  in  mäßiger  Menge  nachweisen. 

e)  Seborrhoea  oleosa. 

Bei  dieser  Erkrankung,  die  ja  ihren  Sitz  hauptsächlich  im  Ge- 
sicht hat,  war  die  Gefahr,  fremdes  Fett  mitzubekommen,  eine  be- 
sonders große.  Als  unbedeckter  Körperteil  ist  das  Gesicht  ja  bei 
der  Nahrungsaufnahme,  wie  sonst  bei  häufigen  Berührungen  mit 
der  Hand  natürlich  gern  eine  Niederlage  für  allerhand  fremde  Zu- 
taten. Ich  habe  deshalb  das  Material  hierzu  ausschließlich  von 
einem  Kollegen  gewonnen,  der  natürlich  möglichst  auf  die  Reinheit 
des  Sekretes  achtete.  Die  Erkrankung  war  nur  gering  entwickelt, 
also  das  richtige  Bild  einer  schweren  Seborrhoea  oleosa  kann  der 
Fall  uns  nicht  bieten.  Das  Gesicht  wurde  täglich  morgens  mit 
einem  in  Petroläther  getauchten  Gazebäuschchen  abgerieben.  Das 
so  in  einem  Zeiträume  von  4  Wochen  gesammelte  Material  war 
natürUch  stark  mit  Schmutz  verunreinigt. 

Der  Ätherextrakt  wog  ca.  2  g  mit  einem  Schmelzpunkt  von 
32  ^  Er  war  von  bräunlicher  Farbe,  deutlichem  Buttersäuregeruch 
nnd  hatte  bei  einer  Säurezahl  von  77,6  eine  Verseifnngszahl  von  183 
Die  Jodzahl  der  Fettsäuren  betrug  67,3.  Die  nur  etwa  0,2  g 
schweren  unverseifbaren  Substanzen  enthielten  nur  Spuren  von 
Cholesterin.    Sie  waren  auch  in  der  Kälte  flüssig. 

Tabelle  2. 


Sabstanz 


£ 


Säure- 
zahl 


Ver- 

seifgs- 

zahl 


Jodzahl 


Gesamt- 

Äther- 

extrakte 


Fett- 
säuren 


Nicht  verseifbaren  Anteil 


..%  des 

Atherex- 

traktes 


Chol- 
esterin 


Ichthyosis 

Pioriasis 

Comedonen 

Seborrh.  sicca 

Seborrh. 

oleosa 


1,4     440 
1,3  40—41 

i  i      39 
1,2  36—38 
2        32 


5,3 

19,3 
61,9 
77,6 


94 

81 
109 
164 
183 


62 

59 


41 

54 
57 

67 


60 
50 
40—50 

2Ü 


■Hh4 


+ 

Spur 


+  wenig,   -H-  viel,   +++  sehr  viel. 


15' 


•220  ^^*    LiKBSft 

Demnach  ^hen  diese  pathologischen  Sekrete-in  er- 
heblichem Gegensatz  zu  dem  normalen  Hauttalg.  Auch 
untereinander  zeigen  sie  erhebliche  Verschiedenheiten  in  ihrer 
chemischen  ZasammensetzuBg. 

Aus  Ichthyosis  und  Psoriasis,  sowie  auch  aus  den 
Oomedonen  haben  wir  einwi  cholest^rinreichen  Extrakt  er- 
halten. Das  Sekret  der  Talgdrüsen  ist  hier  also  gegenüber  dem 
der  Homsubstanzen  sehr  zurückgetreten.  Die  letzteren  erscheineii 
ja  auch  bei  Ichthyosis  und  Psoriasis  sehr  vermehrt.  DaJB  es  ancb 
bei  den  Comedonen  die  cholesterinreichen  Substanzen  des  Horn- 
gewebes  sind,  die  sich  besonders  bemerkbar  machen,  ist  auffallig, 
weil  diese  doch  in  der  Hauptsache  aus  dem  Sdkret  der  Talgdrüsen 
sich  aufbauen  sollten. 

Bei  Seborrhoea  sicca  und  namentlich  S.  oleosa  sind  die 
SÄurezahlen  stark  in  die  Höhe  gegangen,  daraus  geht 
hervor,  daß  weniger  Fetts&uren  gebunden  (oder  mehr  solche  vom 
normalen  Sekret  abgespalten)  sind.  Gleichzeitig  ist  auch  die  Menge 
des  nicht  verseifbaren  Anteils  geringer  geworden. 

Wenn  wir  bei  der  Erhöhung  der  SÄurezahlen  wohl  in  erster 
Linie  an  die  Wirksamkeit  bakterieller  Zersetrongen  denken 
müssen,  so  weisen  doch  andererseits  die  Verseifungszahlen  auch 
auf  qualitative  Änderungen  in  der  Sekretion  hin.  Es  sind  hier 
mehr  verseifbare  Substanzen  (Fettsäuren)  vorhanden-  das  zeigt 
auch  die  geringe  Menge  des  unverseifbaren  Anteils,  wie  wir  dies  be* 
sonders  bei  der  Seborrhoea  oleosa  fanden.  Den  Zuwachs  der  verseif- 
baren  Substanz  bestreitet  aber  offenbar  in  erster  Linie  die  Ölsäure. 
Das  ersieht  man  aus  den  höheren  Ziffern  der  Jodzahlen  in  4en 
Fettsäuren  bei  Seborrhoe.  Also  ist  es  die  Ölsäure  resp.  ihre 
Glyzerinester,  von  denen  die  Sekrete  der  Seboniioe  mehr  ent- 
halten, die  bei  dieser  Erkrankung  mehr  sezemiert  werden.  AH 
das  weist  auf  eine  primäre  Erkrankung  der  Talgdrüsen 
hin,  unter  der  wir  uns  wohl  am  ehesten  eine  mangelnde  Tätigkeit 
vorstellen  können,  infolge  deren  das  ihnen  hauptsächlich  zugeführte 
Material  (Ölsäure)  nicht  genügend  verarbeitet  wird. 

Inwiefern  weichen  nun  diese  ehemischen  Resultate  von  unser 
bisherigen  Auffassung  dieser  Hautkrankheiten  ab? 

Bezüglich  der  Ichthyosis  bestätigt  das  chemische  Eesultat 
lur  unsere  bisherige  Anschauung:  Die  dabei  gewonnenen  äther- 
nöslichen  Substanzen  stimmen  ziemlich  überein  mit  denen  des  bäT' 
malen,  verhornten  Epithels,  abgesehen  von  dem  „harzigen"  Anteil, 
der  sonst,  besonders  in  der  normalen  Hornschichte  jedenfalls  nicht 


über  den  Hauttalg  beim  Gesunden  und  bei  einigen  Hauterkranknngen.  22] 

in  der  Meoge  vorhanden  ist  Za  einer  Untersachnng  über  die  Be- 
ziekimgen  dieses  Bestandteiles  zu  den  normalen  ätherlöslichen  Sub- 
stanzen des  verhornten  Epithels  reichte  leider  die  Menge  des  Ge- 
wosoenen  nidit.  Damit  fällt  auch  die  Möglichkeit,  festzustellen, 
ob  dieser  harzige  Anteil  in  irgend  welchen  ätiologischen  Beziehungen 
zar  Ichthyosis  steht  Aach  bei  der  Psoriasis  treten  die  äther- 
ISshchen  Substanzen  des  Homgewebes  in  den  Vordergrund.  Daß 
dies  in  so  ausgesprochener  Weise  auf  Kosten  der  Talgdrüsen- 
prodnkte  geschieht,  erscheint  auffallend;  denn  es  ist  bisher  wenigstens 
Bichts  dartber  bekannt,  daß  wir  es  bei  der  Psoriasis  auch  mit  einer 
mangelhaften,  ungenügenden  Sekretion  der  Talgdrüsen  zu  tun  haben. 
Zu  einem  ähnlichen  Resultat  führt  uns  auch  die  Analyse  des  Ex- 
traktes aus  den  Comedonen.  Dies  ist  besonders  bemerkenswert, 
weil  man  in  den  Comedonen  eigentlich  viel  eher  die  spezifischen 
Substanzen  des  Talgdrttsensekretes  erwarten  sollte.  Man  hatte 
zwar  schon  bisher  auf  Grund  der  histologischen  Befunde  den  Ein- 
druck, daß  die  Hornsubstanzen  bei  den  Comedonen  eine  gewisse 
Rolle  spielen.  Allerdings  dachte  man  hierbei  meist  an  eine  mecha- 
nische Behinderung  des  Sekretausflusses  aus  den  Talgdrüsen  in- 
folge der  Verstopfung  der  Ausführungsgänge  mit  Hommassen.  Nun 
nähert  sich  aber  auch  chemisch  der  Extrakt  der  Comedonen  viel 
eher  dem  der  Hornsubstanzen,  als  dem  des  normalen  Talgdrüsen- 
sekretes. Daraus  kann  man  wohl  nur  den  Schluß  ziehen,  daß  auch 
bei  den  Comedonen  die  sekretorische  Tätigkeit  der  Talgdrüsen  un- 
genügend ist  oder  daß  wenigstens  ihr  Sekret  sehr  erheblich  von 
dem  normalen  abweicht  Der  höhere  Schmelzpunkt  des  cholesterin- 
reichen  Sekretes  erklärt  einigennaßen  vielleicht  die  Stagnation. 

Anders  liegt  es  bei  der  Seborrhoe.  Auch  bei  der  Seborrhoea 
sicca  finden  wir  noch  entsprechend  der  erheblichen  Beichlichkeit 
der  Schuppenbildung  Cholesterin  in  mäßiger  Menge  im  Extrakt 
Dazu  kommt  nun  aber  ein  stärkerer  Anteil  von  eigentlichen 
(Glyzerin)  Fetten,  sowie  eine  erhebliche  Menge  freier 
Fettsäuren.  Noch  viel  stärker  tritt  dies  hervor  bei  der  Sebor- 
rhoea oleosa,  die  neben  einem  reichlichen  Gehalt  an  Triglyzeriden 
einen  großen  Teil  freier  Fettsäuren  enthält.  Die  Abweichung  von 
dem  normalen  Hauttalg  nimmt  hier  also  eine  ganz  andere  Bichtung 
als  bei  der  Ichthyosis  etc.  Die  ätherlöslichen  Substanzen  bekommen 
einen  großen  Prozentsatz  von  Triglyzeriden,  besonders  von  Ol^in. 
Diese  bilden  aber  die  Hauptmenge  des  Körperfettes,  also  des 
Materiales,  aus  dem  sich  vermutlich  die  spezifischen  Hautsekrete 
aufbauen  und  so  liegt  hier  wohl  die  Erkrankung  darin,  daß  die 


222  XII.    LiNSEK 

(Drüsen-)  Epithelzellen  das  ihnen  gebotene  Material  nicht  in  ihr 
spezifisches  Sekret  umwandeln,  mehr  oder  weniger  unverarbeitet 
wieder  ausscheiden. 

Mit  dem  Gehalt  an  Triglyzeriden  verringert  sich  aber  auch 
die  Resistenz  des  Hauttalges  gegen  das  Wachstum  von  Mikro- 
organismen. Daß  sie  in  dem  an  Triglyzeriden  reicheren  Sekrete 
der  Seborrhöe  viel  besser  gedeihen  als  in  dem  nonnalen  Hauttalg, 
zeigt  uns  die  Höhe  der  Säurezahlen. 

Unsere  Untersuchungen  fuhren  uns  also  nicht  zur  Annahme 
einer  bakteriellen  Ätiologie  der  Seborrhoen,  sondern 
zu  der  einer  primären  Sekretionsanomalie  der  Talg- 
drüsen. Der  bakterielle  Einfluß  kommt  erst  sekundär  in  einer 
Zersetzung  des  Sekretes  zum  Ausdruck. 

Und  nun  noch  einen  kurzen  Rückblick  auf  unsere  Unter- 
suchungen bezüglich  des  normalen  Hauttalges!  Wir  haben 
gesehen,  daß  derselbe  ein  neutrales,  nicht  den  Fetten,  sondern 
den  Wachsarten  nahestehendes  Produkt  ist,  das  sich  aus  2  Kom- 
ponenten, aus  den  ätherlöslichen  Substanzen  des  Horn- 
gewebes  und  dem  Sekret  der  Talgdrüsen  zusammensetzt. 
Das  letztere  wird  offenbar  in  reichlicherer  Menge  ausgeschieden 
und  überzieht  die  Haut  in  einer  mehr  oder  weniger  dicken  Schicht, 
während  wir  die  ätherlöslichen  Stoffe  des  Horngewebes  als  in  oder 
zwischen  den  Hornzellen  liegende  Substanzen  ansehen  müssen,  die 
nur  in  solcher  Menge  produziert  werden,  daß  sie  dessen  Lucken 
füllen.  Die  ätherlöslichen  Bestandteile  des  Horngewebes  sind  jeden- 
falls nicht  aus  besonderen  Drüsen  hervorgegangen,  sondern  aus  den 
gewöhnlichen  Epithelzellen  des  Stratum  Malpighi.  Das  Platten- 
epithel der  Hautoberfläche  in  ihrer  Gesamtheit,  also 
Stratum  Malpighi  wie  Talgdrüsen  hat  demgemäß  die  Fähigkeit, 
ätherlösliche  Stoffe  zu  bilden.  Diese  haben  aber  keine 
gleichartige  chemische  Zusammensetzung;  Das  Sekret  der  Talg- 
drüsen differiert  wesentlich  von  den  ätherlöslichen  Substanzen, 
welche  die  Horngebilde  durchtränken.  Diese  Verschiedenheit 
beruht  vor  allem  auf  der  verschiedenen  Zusammensetzung  des 
nicht  verseifbaren  Anteils.  Bei  den  Hornsubstanzen  ist 
es  wesentlich  das  Cholesterin  und  seine  Ester,  während  in  dem 
Talgdrüsensekret  nur  wenig  Cholesterin,  dafür  aber 
andere,  C-  und  H-reiche  Verbindungen  vorhanden  sind.  Diese  letz- 
teren sind  dem  Cholesterin  vielleicht  verwandt,  vielleicht  nur  Vor- 
stufen desselben,   die  hier  in  den  Talgdi'üsen  sofort  nach  außen 


über  den  Hanttalg  beim  Gesunden  und  bei  einigen  Hauterkrankungen.  223 

sezerniert  werden,  dort  aber  auf  dem  längeren  Wege  durch  die 
Schichten  des  Plattenepithels  mit  ihren  tiefgreifenden  Wandlungen 
vom  Stratum  germinat.  zum  Stratum  com.,  vielleicht  auch  unter 
Mitwirkung  der  Luft  nach  und  nach  in  Cholesterin  übergehen. 

Außer  dieser  Verschiedenheit  des  nicht  verseifbaren  Anteils 
besteht  keine  wesentliche  Differenz  zwischen  den  beiden  Gruppen. 
Beide  setzen  sich  nach  ihrem  Schmelzpunkt  und  den  Jodzahlen 
in  ziemlich  gleicher  Weise  aus  Gemischen  höherer  Fettsäuren  zu- 
sammen. ' 

Auch  in  ihrem  biologischen  Verhalten  besteht  eine  große 
Übereinstimmung.  Hier  ist  es  vor  allem  die  große  Wasser- 
aufnahmefähigkeit der  Extrakte,  von  der  wir  oben  ja  gesehen  I 
haben,  daß  sie  ähnlich  wie  das  Lanolin  etwa  die  gleiche  Gewichts-  ; 
menge  aufzunehmen  imstande  sind.  Dies  verhindert  die  völlige 
Austrocknung  der  Haut  und  ermöglicht  doch  stets  eine  gewisse 
Wasserabgabe,  ohne  die  Hilfe  der  Schweißsekretion.  Wir  haben  i 
dafür  erst  in  letzter  Zeit  auch  den  objektiven  Beweis  bekommen  | 
durch  die  Untersuchungen  Schwenkenbecher's*),  der  nach- 
wies, daß  stets  eine  gewisse  Menge  Wasser  ohne  die  Schweiß- 
sekretion die  Haut  verläßt.  Vermöge  dieser  Eigenschaft  kann  die 
Haut  auch  von  außen  im  Bade  z.  B.  ein  gewisses  Quantum  Wasser 
aufiiehmen,  soviel  zu  ihrer  Auflockerung  und  Reinigung  von  Vorteil 
ist;  aber  über  eine  gewisse  Grenze  hinaus  kann  kein  Wasser  in 
sie  eindringen.  Diese  Wasseraufnahmefähigkeit  des  Hauttalges 
wirkt  wie  eine  Art  Wasserreservoir,  das  den  Zustrom  von 
Gewebsflüssigkeit  aus  der  Papillarschicht  wie  den  Abgang  von 
Wasser  durch  Verdampfung  an  der  Oberfläche  ausgleicht  und  die 
Epidermis  dabei  stets  bei  einem  gewissen  Feuchtigkeitsgrad  erhält. 
Dieselbe  Eigenschaft  ermöglicht  aber  auch  wahrscheinlich  die  os- 
motischen Vorgänge,  auf  denen  die  Resorption  gewisser  Lösungen 
durch  die  Haut  beruht,  eben  infolge  ihrer  Aufnahmefähigkeit  für 
Stoffe,  die  in  Wasser  wie  in  Fetten  löslich  sind  (F  i  1  e  h  n  e  -)). 

Eine  weitere  biologisch  wichtige  Eigenschaft  des  Hauttalges 
ist  femer  seine  relative  ünangreifbarkeit  durch  Mikroorganismen. 
Dieselben  finden  in  ihm  keinen  Nährboden,  werden  von  ihm  viel- 
leicht auch  mechanisch  am  Eindringen  in  die  Haut  behindert. 
Worauf  diese  ünzersetzlichkeit  durch  Mikroorganismen  begründet 
ist,  die  so  sehr  im  Gegensatz  steht  zu  dem  Verhalten  der  Glyzerin- 
fette, ist  nicht  ersichtlich. 

1)  Arch.  f.  klin.  Med.   Bd.  79  1904. 

2)  Berlin,  klin.  Wochensclir.  1898. 


224  XXII.  LiKSER,  Lber  den  Hauttalg  beim  Gesunden  etc. 

Ztraa  Schloß  noch  ein  Wort  zur  Frage,  ob  sich  aus  iraseren 
Untersuchungen  neue  Gesichtspunkte  für  die  dermatologische 
Therapie  gewinnen  lassen.  Ich  glaube  nicht.  Natürlich  kann 
bei  den  Fällen,  wo  wir  nach  unseren  Untersuchungen  eine  Sekretions- 
anomalie der  Talgdrüsen  etc.  annehmen  können,  etwa  durch  äußere 
Anwendung  normalen  Hanttalges  nichts  gebessert  werden;  denn 
den  Fehler  in  der  Sekretion  treffen  wir  damit  ja  nicht  und  in  die 
Tiefe  des  Epithels  dringen  wir  auch  nicht  mit  unseren  Salben  etc., 
wo  dasselbe  schon  mit  dem  abnormen  Hauttalg  durchtränkt  ist. 
„Von  innen  heraus"  aber  die  Hauttalgsekretion  zu  beeinflussen, 
das  halte  ich  vorerst,  namentlich  solange  wir  noch  nicht  genauer 
darüber  aufgeklärt  sind,  aus  welchem  Materiale  er  sich  aufbaut, 
für  aussichtslos.  Leider  besitzen  wir  auch  kein  Mittel,  auf  die 
Produktion  des  Hauttalges  fördernd  oder  hemmend  einzuwirken. 
Wir  wissen  nur,  daß  dieselbe  an  gewissen  Stellen  (Gesicht)  und 
bei  Pigmentierten  stärker  ist;  vor  allem  scheint  dies  auch  bei 
Negern  der  Fall  zu  sein,  die  ja  besonders  mit  dem  „Fettschweiß** 
behaftet  sein  sollen.  In  der  stärkeren  Fettnahrung  derselben  eine 
Erklärung  dafür  zu  suchen,  geht  wohl  nicht  an ;  denn  sonst  müßten 
wir  auch  bei  Weißen  die  Hauttalgsekretion  mit  entsprechender 
Nahrung  beeinflussen  können.  Wärme  und  Belichtung  können  hier 
auch  nicht  von  ausschlaggebender  Bedeutung  sein. 

Ich  glaube,  die  Erklärung  liegt  viel  eher  in  der  nahen  Ver- 
wandtschaft unserer  ätherl^slichen  Substanzen  mit  dem  Hautpigment 
im  Tier-  und  Pflanzenreich.  Beide,  Hauttalg  und  Hautpigment, 
sind  Produkte  derselben  Epithelzellen  und  sie  hängen  auch  chemisch 
eng  zusammen,  denn  man  kann  sie  in  den  Extrakten  nicht  von- 
einander trennen.  Dazu  kommt  als  Drittes  noch  die  spezifischen 
Riechstoffe  in  Tier-  und  Pflanzenreich,  die  ebenso  eng  mit  den  son- 
stigen ätherlöslichen  Substanzen  zusammenhängen  und  auch  haupt- 
sächlich von  Talgdrüsen  sezerniert  werden  (z.  B.  Moschus).  Alle 
drei  aber,  die  Riechstoffe,  der  Hauttalg  und  die  Hautpigmente 
stehen  zum  Teil  wenigstens  in  Abhängigkeit  von  der  sexuellen 
Sphäre.  Dies  ist  ja  am  ausgesprochensten  im  Pflanzenreich;  im 
Tierreich  sehen  wir  teils  mehr  die  Hautpigmente,  teils  mehr  Hant- 
talg  mit  den  Riechstoften  hervortreten.  Beim  Menschen  aber  ist 
jedenfalls  festzustellen,  daß  bei  Pigmentierten  die  Hauttalgsekretion 
viel  stärker  und  daß  auch  die  P  u  b  e  r  t  ä  t  von  größtem  Einfluß  auf 
dieselbe  ist. 


XIII. 

Aus  dem  Heiliggeisthospital  zu  Frankfurt  a.  M.:  medizin.  Abteilung 

(Chefarzt  Prof.  Dr.  Treupel). 

Über  ürine  nnd  Urinsedimente  bei  normalen  Personen, 
bei  rheumatischen  Erkrankungen  nnd  naeh  der  Einwir- 
kung Yon  Salizylpräparaten. 

Von 

Dr.  Carl  Klieneberger  und  Dr.  Richard  Oxenius. 

H.  L  ü  t  h  j  e  ^)  hat  durch  seine  Untersuchungen  über  die  Wirkung 
der  Salizylpräparate  auf  die  Hamwege  die  Aufmerksamkeit  weiter 
Kreise  wachgerufen.  Er  stellte  fest,  daß  „nach  Gebrauch  des 
Salizyls  in  den  für  den  Menschen  üblichen  Dosen  regelmäßig  eine 
nicht  unerhebliche  Reizung  der  gesamten  Harnwege,  speziell  aber 
auch  der  Nieren"  eintrete. 

Bislang  waren  konstante  Nebenwirkungen  der  Salizylpräparate 
anf  die  Nieren  und  Harnwege,  so  daß  „vor  dem  chronischen  Ge- 
brauch derselben  ernst  gewarnt"  werden  mußte,  nicht  bekannt. 
Diese  Mittel  wurden  in  großen  Dosen  lange  Zeit  als  Spezifika  bei 
rheumatischen  Erkrankungen  gegeben.  Man  suchte  die  bekannten 
akuten  Intoxikationen,  wie  Erbrechen,  Ohrensausen,  Delirien  usw., 
durch  die  Art  der  Dosierung  und  die  Auswahl  der  Präparate  zu 
vermeiden.  Im  übrigen  aber  glaubte  man,  daß  die  Salizylsäure  und 
ihre  Derivate  relativ  harmlose  Arzneisubstanzen  seien.-  Wie  schon 
Lüthje  in  seinen  Literaturangaben  berichtet,  sind  recht  wenige 
Veröffentlichungen  über  Reizwirkungen  des  Salizyls  auf  die  Nieren 
(Albuminurie,  Zylindrurie)  erfolgt.  Wir  verweisen  auf  die  dies- 
bezüglichen Angaben  in  der  Lüthje' sehen  Arbeit.*) 

1)  H.  Lüthje,  Über  die  Wirkung  von  Salasiylpräparaten  auf  die  Harn- 
wege nebßt  einigen  Bemerkungen  über  die  Genese  der  Zylinder  und  Zylindroide. 
Deutsches  Arch.  f.  kliu.  Med.  £d.  74. 

2)  Anm.  bei  der  Korrektur :  Unterdessen  hat  Th.  Brugsch  eine  Arbeit  über 
„Saüsjrltherapie  und  Nieren**  i.  d.  Ther.  d.  Gegenw.  1904,  2  veröffentlicht.  Derselbe 


226  XIII.    KUEiaCBBROBB  Q.    OxEHICS 

In  unserem  Hospital  kommen  alljährlich  über  120  Fälle  febriler 
Gelenkrheumatismen  zur  Behandlung.  Die  Therapie  bestand  in  der 
Verabreichung  von  Salizylpräparaten  durch  längere  Zeit.  Auch 
uns  war  es  entgangen,  daß  nach  Salizylgebrauch  „eine  Nephritis 
und  ein  desquamativer  Katarrh  der  Hamwege"  entstehe.  Herr 
Professor  Treupel  hat  uns  veranlaßt,  diese  Feststellung  H.  L  ü  t  h j  e's 
einer  genauen  Nachprüfung  zu  unterziehen.  Wir  sagen  Herrn  Pro- 
fessor Treupel  auch  an  dieser  Stelle  für  die  Anregung  und  für 
die  Überlassung  des  Materials  unseren  Dank. 

Unsere  Untersuchungen  ließen  es  bald  als  notwendig  erscheinen, 
zunächst  das  Verhalten  des  normalen  Urins  und  der  normalen  ürin- 
sedimente  zu  prüfen.  Erst  nach  Feststellung  von  Nonnen  konnten 
wir  dazu  übergehen,  pathologische  Harne  zu  untersuchen  und  die 
eventuelle  Einwirkung  von  Arzneisubstanzen  zu  studieren. 

Theoretisch  sollte  man  im  normalen  Urin  sämtliche  Zellbestand- 
teile der  Nieren  und  Hamwege  erwarten,  soweit  dieselben  nicht 
der  Resorption  in  loco  anheimfallen.  Proliferation  und  Abstoßung 
von  Zellen  sind  ja  vitale  Vorgänge.  Ferner  müssen  sich  dem  Urin 
auf  seinem  Wege  von  den  Nieren  abwärts  sämtliche  Sekrete  und 
Exkrete  der  Anhangsdrüsen  gelegentlich  beimischen.  Eine  Ein- 
schränkung erfahrt  diese  Erwägung  zunächst  dadurch,  daß  die  Pro- 
liferations- und  Abstoßungsvorgänge  in  den  verschiedenen  Organen 
verschieden  sind.  Sodann  findet  eine  Zerstörung,  Aufsaugung  usw. 
von  morphotischen  Bestandteilen  des  Urins  um  so  leichter  statt, 
je  weiter  der  Ort  der  Provenienz  und  der  Urethralmündung  von- 
einander entfernt  sind.  Nun  geht  ja  die  klinische  Auffassung  der 
Krankheitsvorgänge  dahin,  daß  fließende  Übergänge  von  der  Norm 
zum  Pathologischen  hinleiten.  (Wir  wollen  an  dieser  Stelle  schon 
auf  den  Wechsel  der  Anschauungen  in  der  Frage  der  Eiweiß- 
ausscheidung im  Urin  hinweisen.)  Sind  diese  Überlegungen  richtig, 
dann  müssen  im  normalen  Urin  bereits  Nierenepithelien  und  viel- 
leicht auch  Zj'linder  nachweisbar  sein.  Um  so  schwieriger  wird  es 
dann  sein,  zu  entscheiden,  von  wo  an  die  Krankheit  der  betreffenden 
Organe  gerechnet  werden  muß. 

Praktisch  ergeben  sich  große  Schwierigkeiten  in  der  sicheren 
Prüfung  der  rein  theoretisch  aufgeworfenen  Fragen: 

Zunächst  ist  es  kaum  möglich,  nur  das  Verhalten  der  Nieren 
und  Harnwege   zu   prüfen.    Dem  Urin  mischen  sich,  wie  bereits 

hält  die  Nierenschädigung  für  eine  bedingte,  die  durch  bestimmte  Darreichmigs- 
verfahren  vermieden  werden  könne.  Mit  Rücksicht  auf  den  Abschluß  unserer  metho- 
dischen Unterduchungeu  erschien  eine  Nachprüfung  Torläufig  nicht  angezeigt. 


über  TJrine  und  Urinsedimente  bei  normalen  Personen  etc.  227 

angedeutet,  Sekrete  und  Bestandteile  der  Anhangsorgane  bei.  Es 
kommen  hier  bei  beidenGeschlechtern  die  Schleimdrüsen  der 
Hamwege,  beim  Manne  die  Sekrete  der  Geschlechtsorgane  in  Be- 
tracht. Beim  Weibe  wäre  es  durch  Eatheterismus  leicht  möglich, 
die  Vagina  und  den  übrigen  Genitaltraktus  auszuschalten.  Diese 
Forderung  ist  in  praxi  undurchführbar.  Des  weiteren  ist  zu  be- 
rücksichtigen, daß  auf  das  Urogenitalsystem  relativ  früh  Schädigungen 
einwirken,  welche  geeignet  sind,  das  ganze  System  zeitlebens  zu 
affizieren.  Es  ist  eine  gut  fundamentierte  Tatsache,  daß  eine 
einzige  Gonorrhöe  für  immer  eine  katarrhalische  Beizung  mindestens 
der  Urethra  zurückläßt.  Nach  jeder  Geburt  bleiben  dauernde  Ver- 
änderungen im  Endometrium  zurück.  Die  Folgerung,  daß  jede 
toxische  Infektion  nicht  ohne  bleibende,  wenn  auch  nicht  nachweis- 
bare Veränderungen  an  dem  spezifischen  Ausscheidungsorgane,  an 
der  Niere,  vorübergeht,  ist  naheliegend.  V^ill  man  nach  allen  diesen 
Einschränkungen  ein  Urinsediment  untei^uchen,  so  sollte  das  Sedi-' 
ment  des  gesamten  Tagesharnes,  welcher  bei  der  Körpertemperatui\ 
bei  der  Beaktion  der  Entleerung  und  vor  Bakterienzersetzung  ge- 
schätzt zu  halten  wäre,  untersucht  werden.  Wenn  dann  die  Sedi- 
mentbestimmung einheitlich  werden  soll,  sind  gleiche  Mischungs- 
verhältnisse der  verschiedenen  Sedimentbestandteile  zu  verlangen. 
Nun  ist  es  ja  leicht  nachweisbai\  daß,  selbst  wenn  weder  das  Aus- 
fallen von  Hamsalzen  noch  auftretende  Bakteriengärung  das  Re- 
sultat beeinträchtigen,  durch  die  Zentrifuge  rascher  ein  Sediment 
erzielt  wird,  als  beim  Stehenlassen  im  Spitzglase.  Femer  bat  die 
diesbezügliche  Untersuchung  ergeben,  daß  automatische  Zentrifugen 
von  größerer  Tonnenzahl  noch  dann  charakteristische  Sedimente 
ergeben,  wenn  die  Handzentrifuge  und  gar  das  Sedimentieren  im 
Spitzglase  versagen.  Daraus  folgt  allgemein:  je  höher  die  Touren- 
zahl und  je  länger  die  Dauer  des  Zentrifugierens,  um  so  massiger 
unter  gleichen  Voraussetzungen  das  Sediment.  Die  Masse  des 
Sedimentes  bedingt  neue  Untersuchungsfehler.  Da  im  Urinsediment 
die  verschiedenen  Bestandteile  in  verschiedener  Menge  auftreten, 
so  können  charakteristische,  spezifische  Bestandteile,  z.  B.  Zylinder, 
Erythrozyten,  Nierenbestandteile  durch  massige  Plattenepithelien, 
Leukozyten,  Bakterien,  Schleim  usw.  verdeckt  werden. 

Nach  diesen  kritisch-theoretischen  Besprechungen  wenden  wir 
uns  zu  unserer  Methodik  und  unserer  Nomenklatur.  Wir  gehen  im 
allgemeinen  von  dem  Frühurin  aus.  Derselbe  wird  in  sterilisierten, 
eventuell  angewärmten  Gefäßen  aufgefangen  und  bleibt  höchstens 
2—3  Stunden  stehen.    Die  Nubekula  wird  mit  sterilisierten  Pipetten 


228  XIU.  Klteneberoer  n.  Oxeotu» 

tind  Ballonsauger  —  vgl.  die  ähnliche  Methodik  Lüthje'»  —  in 
den  üblichen,  eventuell  in  bttrettenartigen  Zentrifugengläsern  ^),  die 
nach  jedem  Gebrauch  gereinigt  und  sterilisiert  werden,  zentrifngiert 
Wir  benutzen  eine  elektrische  Kreiselzentrifuge  mit  2000 — 3000  Um- 
drehungen in  der  Minute  und  lassen  10 — 20  Minuten  zentrif agieren. 
Wir  untersuchen  2 — 3  Präparate  zunächst  bei  schwacher  Ver- 
größerung. Jeder  hyaline  Zylinder  und  jedes  Zylindroid,  jeder  Zell- 
zylinder und  jeder  mittelgroße  granulierte  Zylinder  ist  bei  schwacher 
Vergrößerung  (Zeiß,  Objektiv  AA,  Okular  II)  als  solcher  zu  er- 
kennen. Differentiell  entscheidet  dann  eventuell  die  starke  Ver- 
größerung (Objektiv  DD).  Die  Durchmusterung  der  Präparate  er- 
folgt durch  parallele  und  senkrechte  Verschiebung,  sodaß  konti- 
nuierlich Rechtecke  von  geringer  Höhe  bzw.  Breite  und  von  der 
Länge  des  Deckglases  durchsucht  werden.  Die  Technik  und  Beur- 
teilung ist  Sache  der  Erfahrung.  Die  Ergebnisse  sind  erst  dann 
Verwertbar,  wenn  eine  Konstanz  der  üntersuchungsergebnisse  bei 
einem  und  mehreren  Untersuchem  resultiert,  wenn  also  2  ünter- 
sucher  z.  B.  in  einem  bestimmten  Sediment  dieselben  Mengen- 
verhältnisse der  Sedimentbestandteile  und  die  gleiche  Anzahl  von 
Zylindern  finden. 

Bei  unseren  Untersuchungen  haben  wir  auf  die  genauere  Dar- 
stellung von  Körnchen,  Fettröpfchen  und  Salzen  —  dieselben  finden 
sich  übrigens  bei  unserer  Art  der  Untersuchung  seltener  —  im  all- 
gemeinen verzichtet.  Nierenepithelien  und  Erythrozyten  wurden 
nur  dann  notiert,  wenn  die  Erkennung  eine  völlig  einwandsfreie 
war.  Bei  der  Feststellung  von  Erythrozyten  wurden  eventuelle 
Traumen,  Menstruation  usw.  berücksichtigt.  In  allen  Fällen,  wo 
die  Beurteilung  der  Epithelien  nach  ihrem  Herkommen  zweifelhaft 
sein  konnte,  wurden  die  betreffenden  Zellen  als  „Epithelien"  be- 
zeichnet. 

Über  die  Deutung  der  Zylinder  und  Zylindroide  bezüglich  ihrer 
Entstehung  und  ihres  Verhaltens  zueinander  besteht  keine  Überein- 
stimmung unter  den  Autoren.  Wir  haben  als  hyaline  Zylinder 
nur  modellierte  Gebilde  mit  parallelen  Konturen  be- 
zeichnet. Dieselben  sind  schmal  oder  breit,  scharf  oder  schwach 
konturiert,  an  den  Ecken  abgerundet,  abgeschrägt  oder  scharf 
abgesetzt.  Gelegentlich  kommen  hyaline  Zylinder  mit  lang  aus- 
laufendem Ende  aus  den  Henle'schen  Schleifen  zur  Beobachtung. 
Zu  den  hyalinen  Zylindern  haben  wir  alle  derartigen  Gtebilde  ge- 

1)  C.  Klieneberger,  Eine  modifizierte  Bürette  als  Centrifagenröhrchen. 
Mttnch.  Med.  Woch.  Nr.  42  1903. 


über  Urine  \ad  ÜiissediiaQnie  bei  Bormakoi  Personen  etc.  229 

redinet,  einerlei,  ob  Granula,  Zellen,  Tröpfchen  usw.  aufgelagert 
sind.  Alle  anderen  hyalinen  Gebilde  mit  korkzieherartigen,  spira- 
ligen, gewundenen  Enden  oder  Gebilde  hyaliner  Beschaffenheit  von 
nicht  paralleler  Kontur  bezeichnen  wir  als  Zylindroide.  Über  Zell- 
zylinder können  kaum  Mißverständisse  entstehen.  Als  granulierte 
Zylinder  überhaupt  werden  nur  total  granuli^te  zylindrische,  meist 
parallel  konturierte  Gebilde  bezeichnet.  Die  kleinen  granulierten 
Zylinder,  welche  mit  stark  gi-amilierten  großen  Epithelien  ver- 
wechselt werden  könnten,  haben  T^dr  dementsprechend  rubriziert. 
Zweifelhafte,  größte  granuUei-te  Zylinder  (Inkrustierungen  usw.) 
haben  wir  entweder  überhaupt  nicht  oder  mit  dem  entsprechenden 
Votnerk  erwähnt. 

Zur  besseren  Verständigung  über  die  numerischen  Verhältnisse 
der  einzebnen  Sedimentbestandteile  empfiehlt  sich  die  Auszählung. 
Neuerdings  wenden  w^ir  dieselbe  zur  Bestimmung  von  Zylindern  an. 
Für  die  Zellbestandteile  haben  wir  die  Bezeichnung:  zahlreich 
(mindestens  12  Zellen  bei  starker  Vergrößerung),  spärlich  (minde- 
stens Zellen  in  jedem  Gesichtsfelde),  vereinzelt  (Zellen  fast  in  jedem 
Gesichtsfelde)  gewählt.  Da  man  mit  diesen  Bezeichnungen  nicht 
angkommt,  mußten  verkleinernde  und  vergrößernde  Flickworte  wie : 
sehr  viel,  wenig,  mäßig  usw.  zu  Hilfe  genommen  werden. 

Zur  Feststellung  des  Eiweißgehaltes  kamen  klinische  Eiweiß- 
proben u.  zw.  Essigsäure-Kochprobe,  Essigsäure-Ferrocyankaliprobe, 
Salpetersäure-Kochprobe  und  ev.  Esbach'scbe  Probe  nebeneinander 
und  xnAer  den  nötigen  Kautelen  zur  Verwendung.  Es  erschien 
zweckmäßig,  die  Opaleszenz  bei  auffallendem  Licht  und  dunklem 
Hintergründe  mitzuberücksichtigen,  ev.  den  Urin  im  hell  durch- 
fallenden Licht  auf  seine  Durchsichtigkeit  zu  prüfen.  Bei  jeder 
Probe  diente  der  klar  filtrierte  Harn  als  Vergleich. 
Bei  dieser  Versuchsanordnung  bekommt  man  positive  Eiweißreak- 
ti(»en,  die  im  allgemeinen  nicht  beachtet  zu  werden  pflegen.  Da 
68  öfters  vorkam,  daß  die  Untersuch ungen  an  den  verschiedenen 
T^en  verschieden  ausfielen ,  mußte  dem  über  wiegenden  Fazit 
Eechnung  getragen  werden.  Die  Ausnahmen  wurden  trotzdem 
notiert  Es  werde  zudem  dem  Verhalten  der  Urinreaktion  be- 
ßottdere  Beachtung  zuteil  (vgl.  Tabellen). 

Wir  berücksichtigen  in  der  vorliegenden  Arbeit  —  zugrunde 
gelegt,  aber  nur  zur  Hälfte  verwertet  sind  über  3000  Einzeluaiter- 
suchungen  —  das  Verhalten  des  Urinsediments  und  des  Urins  bei 
lormalen  Personen  —  «oweit  man  im  Kranfcenhause  davon  sprechen 
kann  —  und  bei  rheumatischen  Erkrankungen  spez.  bei  Polyarthritis 


XIII.   Klibnbberqbb  q.  Oxbnios 


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rheumatica;  wir  werden  dabei  auf  das  Verhalten  des  Urins  vor, 
während  und  nach  der  Salizyldarreichung  eingehen.  Wir  behalten 
uns  vor,  Untersuchungen  pathologischer  Harne,  die  seit  längerer 
Zeit  bereits  im  Gange  sind,  zu  gegebener  Zeit  zu  publizieren. 

Die  Untersuchungen  erstrecken  sich  auf  fieberlose  Personen,  meist 
jüngeren  Alters,  im  ganzen  93  Fälle  (26  Männer  und  67  Weiber),  die 
sich  in  der  Bekonvaleszene  yon  leichten,  a febrilen  Krankheiten  be- 
finden oder  überhaupt  nicht  krank  gewesen  sind.  Jeder  einzelne  Fall 
wurde  au  4  verschiedenen  Tagen  untersucht  und  das  Gesamtergebnis  zu- 
sammengezogen, so  daß  z.  B.  ein  einziger  allerdings  charakterifitUcher 
hyaliner  Zylinder,  der  bei  4  CJnterBafibungen  gefunden  wurde^  die  be- 
treffezule  Person  als  poailiv  in  Heebnuug  steht.  Es  aind  deefaalb  diece 
Untersuchungen  nicht  ohne  weiteres  mit  den  nachfolgenden  Tabeilw,  die 
auf  einer  einzigen  üntersucbuBg  s.  T.  noch  unter  anderen  Voraus- 
setzungen der  Methodik  beruhen,  in  Parallele  zu  stellen. 

Fassen  wir  die  Resultate  kurz  zusammen,  ao  fanden  wir: 


Bestandteile 


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ganzen 


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:  84,61 
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■■  3,84 
:  30,76 


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28  X 
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48X 
13  X 
3X 
15  X 


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—  41,79 

35  X 

-  74,77 

83X 

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70  X 

=  19,40 

4  X 

—  4,47 

4  X 

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23  X 

58,06 
37,e3 
89,24 
75^ 
4,30 
4^ 
24,73 


Außerdem  wurden  in  allen  Urinen  Platteuepitbelieu  bei  der 
Frau  meist  zahlreich,  b^  den  Männern  spärlich  oder  vereinzelt 
gefunden.  Ebenso  wurden  in  allen  Urinen  spärliche  oder  ver- 
einzelte Schallen  und  andere  Epitbelien  gefund««.  Lenfcorften 
fanden  sich  regelmässig:  beim  Manne  spärlich  oder  vereinzelt,  bei 
der  Frau  meist  mäßig  zahbeich.  Schleim,  Schleimzylinder  und 
Zylindroide  kamen  bei  beiden  Geschlechtem  etwa  gleich  viel  ud 
regelmäßig  vor. 

Bei  dieser  Übersicht  fällt  auf,  daß  ein  ganz  charakteriatischer 
Unterschied  in  dem  gewonnenen  Ergebnis  zwischen  Männern  und 
Weibern  besteht.  Derselbe  ist  übrigens  ohne  weiteres  zu  erklären. 
Bei  Frauen  ist  das  Sediment  durch  die  reichliche  Beimengung  von 
dem  Genitalkanal  sehr  viel  massiger.  Oft  ist  das  ganze  PräpaiAt 
so  mit  Vaginalepithelien,  Leukozyten  und  Schleim  Mgefnllt,  daß 
leicht  andere,  spärlich  auftretende  Sedimentbestandt^e,  besonders 
Zylinder  übersehen  werden  müssen.    Beim  Manne  dagegen  ist  das 


über  üiine  und  ürimedimeiite  bei  normalen  Personen  etc.  233 

Sediment  fast  nie  so  reichlich,  daß  die  Untersuchungsresultate  durch 
derartige  Fehler  verändert  werden  können.  Die  gleiche  Erwägung 
gilt  des  weiteren  für  die  Erythrozyten.  Wenn  es  auch  vermieden 
wurde,  kurz  vor  oder  nach  den  Menses  da«  Sediment  zu  unter- 
suchen, so  kommen  doch  so  lange  vor  und  nach  der  Menstruation 
vereinzelte  Erythrozyten  vor,  daß  man  diesem  Befund  beim  Weibe 
leine  besondere  Bedeutung  beimessen  kann.  Beim  Manne  spielen 
andererseits  wieder  Traumen  leichtester  Art  eine  Rolle;  genügt 
doch  schon  eine  einzige  Ejakulation,  zumal  wenn  sie  noch  die  Folge 
Ton  masturbatorischen  Manipulationen  ist,  um  vereinzelte  Erythro- 
zyten tagelang  zum  Vorschein  zu  bringen. 

Da  man  die  untersuchten  Personen  unter  der  berücksichtigenden 
Auswahl,  die  wir  getroffen  haben,  als  normal  bezeichnen  muß,  ist 
es  damit  erwiesen,  daß  sich  sämtliche  Bestandteile  der  Nieren  und 
Hamwege,  auch  Zylinder,  dem  Urin  beimischen.  Unter  Mitberück- 
sichtigung der  Opaleszenzreaktion  ist  im  Urin  bei  normalen  Per- 
sonen mit  den  gewöhnlichen  klinischen  Methoden  in  58  ®/i,  der  Fälle 
Albumen  nachweisbar. 

Es  ist  anzunehmen,  daß  durch  Zerfall  des  Zellmaterials  —  ab- 
gesehen vom  Blut  und  Lympheiweiß  —  lösliches  Eiweiß  in  den  Urin 
flbergeht,  das  mit  den  angewandten  Methoden  nicht  nachweisbar  ist. 

Somit  wäre  Eiweiß  im  normalen  Urin  stets  genügend  vor- 
handen, um  daraus  das  Entstehen  der  spärlichen  Zylinder  zu  er- 
klären. Ein  Blick  auf  die  Übersichtstabelle  allein  schon  zeigt,  wie 
relativ  wenig  Nierenepithelien  im  Vergleich  zu  Nierenzylindern 
sich  feststellen  lassen.  Berücksichtigt  man  ferner,  daß  man  häufig 
aus  dem  Zellzylinder  den  gekörnten  Z3'linder  entstehen  sieht,  daß 
mau  die  hyaline  Degeneration  von  Plattenepithelien  und  anderen 
Epithelien,  das  Zusammensintern  der  Schollen  unter  dem  Mikroskop 
verfolgen  kann,  so  wäre  es  ebenso  wahrscheinlich,  daß  alle  Zylinder 
ausNierenepithelien,  diehyalinen Zylinder  am  meisten  zentralwärts  ent- 
stehen. Diese  letzte  Theorie  erklärt  zugleich  am  besten  die  Modellie- 
rung der  hyalinen  Zylinder.  Immerhin  aber,  da,  wie  erwiesen,  sowohl 
genügend  Eiweiß,  wie  auch  Epithelien  vorhandensind,  läßt  sich  auch 
durch  unsere  Untersuchungen  kein  vollkräftiger  Beweis  für  die  Entsteh- 
ung der  Zylinder  nach  der  einen  oder  anderen  Richtung  hin  erbringen. 

II.  Urinuntersaehungen  von  Personen  mit  rheumatischen 

Erkrankungen. 

Die  folgenden  Tabellen  enthalten  die  Untersuchungen  über 
ürine    von    afebrilen    und*  febrilen   rheumatischen  Erkrankungen, 

Deatocbes  Archiv  f.  klin.  Medizin.   LXXX.  Bd.  16 


234 


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über  Urine  und  Urinsedimente  bei  normalen  Personen  etc. 


235 


welche  zunächst  einmal  vor  der  Salizylbehandlang  untersacht 
wurden.  Die  eisten  febrilen  Fälle  wurden  noch  nicht  so  methodisch 
während  der  Salizylmedikation  weiter  untersucht;  wir  haben  dies 
entsprechend  berücksichtigt.  Bei  allen  wurde  auf  das  Vorhanden- 
sein der  Salizylreaktion  bei.  der  Aufnahme  ins  Krankenhaus  besonders 
geachtet  Es  wurden  überhaupt  —  mit  Ausnahme  von  3  Fällen,  die 
einige  Tage  vorbehandelt  waren  —  sonst  nur  solche  Fälle  berück- 
sichtigt, bei  denen  früher  keine  Salizyltherapie  statt- 
gefunden hatte.  2  Fälle,  welche  von  Anfang  an  durch  ihren 
hohen  Eiweißgehalt  auffielen,  erwiesen  sich  im  weiteren  Verlauf 
als  relativ  gutartige  chronische  Nephrititen.  Der  eine  davon  war 
bereits  vor  V«  J^br  wegen  chronischer  Nephritis  in  Hospitalbehand- 
lung  gewesen.  Diese  beiden  Fälle  wurden  daher  in  der  Zusammen- 
fassung nicht  mitberücksichtigt  und  nur  zum  Schluß  aufgeführt. 

Die  Sedimentuntersuchungen  vor  der  Behandlung  beziehen 
sich  auf  den  Aufnahmeurin.  Selten  konnten  2  Untersuchungen 
gemacht  werden,  ehe  Arzneimittel  gereicht  wurden.  Die  Resultate 
sind  daher  nicht  von  einheitlichen  Gesichtspunkten  zu  betrachten 
und  nicht  so  subtil  wie  die  mit  unserer  präzisen  Methodik  ange- 
stellten fortlaufenden  Untersuchungen  (vgl.  oben).  Wir  vermeiden 
es  daher  Parallelen  zu  ziehen. 

Es  erschien  zweckmäßig  die  afebrilen  von  den  febrilen  Erkrankungen 
zu  trennen  (s.  Tab.  II). 

Fassen  wir  die  Resultate  kurz  zusammen,  so  fanden  wir: 

1.    13  afebrile  Fälle   (9  Männer,  4  Weiber). 


Bestandteile 


9  Männer 

10 


4  Weiber 


13  Zusammen 


im 
ganzen 


im 
ganzen 


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im 
ganzen 


/o 


Albnmen 
Erythrozyten 
Zylinder  überhaupt 
Hyaline  Zylinder 
Granul.  Zylinder 
Nierenzeil-  bezw.  Leuko- 
zytenzylinder 
Nierenepithelien 


5X 

—  55,55 

4X 

10 

9X 

2X 

-  22.22 

2X 

—  20 

4X 

8X 

—  88.88 

1  X 

=  40 

9X 

8X 

=  88,88 

1  X 

—  40 

9X 

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—  11,11 

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1  X 

— 11,11 

1  X 

—  40 

2X 

3X 

—  33,33 

1  X 

—  40 

4X 

=  69,69 
=  30,76 
=  69,69 
=  69,69 
=  15,39- 

=  15,39 
=  30:76 


Wie  zu  erwarten,  läßt  sich  ein  unterschied  in  dem  Resultat 
der  Untersuchungen  bei  febrilen  und  afebrilen  Fällen  nachweisen. 

Dieser  Unterschied  fällt  beim  Vergleiche  der  Übersichtstabellen 
weniger  auf,  einmal,  weil  in  der  Tabelle  1  die  überwiegende  Mehr- 
zahl der  untersuchten  Personen  Männer  sind,  bei  denen  ja  einzelne 

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236 


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Zylinder,  Epithölien,  Erythrozyten  weniger  leicht  übersehen  werden. 
Sodann  —  und  das  gilt  mehr  weniger  für  alle  Ubersichtstabellen  — 
wird  in  diesen  Übersichten  nur  den  qualitativen  Verhältnissen 
Eechnung  getragnen,  die  absoluten  Mengen  der  einzelnen  charak- 
teristischen Sedimentsbestandteile  werden  nicht  darin  registriert 

2.    öl  febrile  Fälle  (26  Männer,  2d  Weiber). 


Bestandteile 


26  Männer 

IQ 


im 
ganzen 


25  Weiber 


im 
ganzen 


51  Znsammen 


im 
ganzen 


Albamen 

Erythrozyten 

Zylinder  überhaupt 

Hyaline  Zylinder 

Granulierte  Zylinder 

Nierenzell-  bzw.  Lenko- 

zytenzylinder 

Wachsartige  Zylinder 

Nierenepithelien 


24  X 

—  92,30 

24X 

—  96,00 

16  X 

=  61,63 

14  X 

=  66,00 

23  X 

—  88,46 

11  X 

=  44,00 

23  X 

—  88,46 

11  X 

—  44,00 

12  X 

—  46,16 

6X 

—  24,00 

7X 

=  26,92 

IX 

=-   4,00 

IX 

—  3,84 

OX 

=  0,00 

13X 

—  6,00 

6X 

—  20,00 

48X 
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34  X 
34  X 
18  X 

8X 

1  X 
18  X 


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»4,11 
68,82 
66,66 
66,66 
35,29 

15,68 

1,96 

35^ 


Im  allgemeinen  gleichen  unsere  Befunde  bei  afe- 
brilenFällen  rheumatischer  Erkrankungen  den  (Jrin- 
befunden  bei  „normalen  Personen".  Dagegen  fanden 
wir  in  den  febrilen  ürinen  durchweg  mehr  EiweiB 
und  quantitativ  vermehrte  Formbestandteile,  ins- 
besondere Zylinder  —  darunter  wieder  besonders  granulierte 
Formen  —  Epithelien,  Erythrozyten. 

Dieses  Ergebnis  war  für  uns  die  Veranlassung,  febrile  Er- 
krankungen und  das  Verhalten  des  Urins  bei  denselben  methodisch 
zu  bearbeiten.  Wir  beabsichtigen,  sobald  unsere  noch  fortlaufenden 
Untersuchungen  abgeschlossen  sind,  darüber  zu  berichten. 

Allen  diesen  64  Fällen  wurden  nun  kürzere  oder  längere  Zeit, 
teilweise  monatelang,  Natrium  salicyl.,  ganz  ausnahmsweise  Aspirin 
gereicht.  Die  Einzeldosis  betrug  stets  nur  Ve — 1  &•  Di^  Tages- 
dosis 3-7  g,  die  Zwischenräume  zwischen  den  einzelnen  Dosen 
1 — 3  Stunden.  Die  Urine  dieser  Personen  wurden  methodisch  an- 
fangs in  kürzeren,  später  in  längeren  Zwischenräumen  untersucht 
und  die  Resultate  aufgezeichnet.  Da  es  zu  weitläufig  wäre,  alle 
unsere  Einzeluntersuchungen  zu  veröffentlichen,  greifen  wir  nur 
3  Beispiele  als  typisch  heraus  und  erwähnen,  daß  mit  individuellen 
Schwankungen  auch  bei  den  übrigen  Erkrankungen  ähnliche  Resul- 
tate erzielt  wurden. 


über  Urine  und  Uriniedimente  bei  nonnalen  Personen  et«.  237 


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242  Xin.  Elteneberoeb  n.  Oxeniüs 

Wir  konnten  demnach  ebenso  wie  Lüthje  feststellen,  daß  zweifel- 
los selbst  nach  geringen  Salizjldosen  mit  individuellen  Schwankungen 
dem  Urinbefunde  nach  eine  ,,Salizylnephritis"  entsteht. 
Andere  klinische  Erech einungen  von  Nephritis  nach  Salizylgebrauch 
traten  niemals  auf.  Das  Sediment  des  Salizylharnes  ist  bereits  nach 
1 — 2  Tagen  ein  außerordentlich  reichhaltiges.  Epithelien  der  gesamten 
Harnwege  und  Nieren,  Leukozyten,  Erythrozyten,  Zylinder  der  ver- 
schiedensten Art  traten  in  einer  großen  Anzahl  auf,  es  stellt  sich  öfters 
beträchtliche  Albuminurie  ein,  so  daß  man  dem  Urinbefunde  nach  ent- 
schieden von  einer  Nephritis  und  von  einem  desquamativen  Katarrh 
der  gesamten  Harnwege  sprechen  muß.  Das  Sediment  des  Salizylharns 
eignet  sich  übrigens  ganz  vorzüglich  für  Zell-  und  Zylinderstudien. 

Aber  diese  Salizylnephritis  bildet  sich,  wie  aus  unseren 
Beispielen  hervorgeht,  zurück  trotz  Fortsetzung  der  Sali- 
zylbehandlung.  Die  ursprünglich  vorhandene  oder  im  Verlauf 
akquirierte  Albuminurie  verschwindet  trotz  fortdauernden  Gebrauchs 
großer,  mittlerer  und  kleiner  Salizyldosen.  Schon  Lüthje  ist  das 
Mißverhältnis  zwischen  dem  Urinsediment  und  der  Eiweißreaktion 
des  Salizylharns  aufgefallen.  In  fast  allen  unseren  Fällen  trat  in 
den  ersten  Tagen,  manchmal  länger  eine  eventuell  die  Aufnahme- 
reaktion überwiegende  Eiweißreaktion  auf.  Dieselbe  verschwand 
stets  bei  genügend  langer  Beobachtung,  unbeschadet  der  weiteren 
Verabfolgung  des  Mittels.  Es  haben  einzelne  Kranke  monatelang 
hunderte  Gramm  Salizyl  genommen  (vgl.  Paradigma  3).  Auch  die 
Zellbestandteile  verschwinden  allmählich,  zusammen  mit  den  granu- 
lierten und  Zellzylindern,  zuletzt  freilich  verschwinden  die  hyalinen 
Zylinder.  Nach  längerer  Zeit  also  ist  das  Sediment  des  Salizylharns 
selbst  von  dem  des  Anfnahmeharns  fiebernder  Fälle  verschieden ;  es 
ist  ein  erheblich  spärlicheres,  als  das  der  fieberhaften  Polyarthritis  vor 
der  Behandlung.  Mit  anderen  A\'orten,  es  haben  sich  die  Verhältnisse 
hergestellt,  wie  sie  den  von  uns  aufgestellten  Normen  entsprechen. 

Eine  besondere  Beachtung  verdient  noch  Paradigma  2.  Lüthje 
hat  bei  seinen  Untersuchungen  in  keinem  Falle  Wachszylinder  nach- 
weisen können.  Das  entspricht  auch  den  bisher  bekannten  Er- 
fahrungen, daß  wachsartige  Zylinder  nur  in  Fällen  chronischer 
Nephritis  aufzutreten  pflegen.  Aber  in  dieser  Allgemeinheit  können 
wir  nach  obigem  Befund  und  nach  unseren  laufenden  Untersuchungen 
doch  nicht  das  Auftreten  der  Wach szvlin der  einschränken. 

Patientin,  ein  Mädchen  von  18  Jahren,  das  mit  mäßigem 
Fieber  und  Gelenkschwellungen  in  das  Hospital  kam,  deren  Urin 
bei   der  Aufnahme   genau  untersucht  wurde,   zeigt  nach  Salizyl- 


über  Urine  nnd  Urinsedimente  b«i  normalen  Personen  etc. 


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244     XTII.  Kluensbisoer  u.  Oxbkics,  Über  ürine  und  Urinsedimente  etc. 

gebrauch  eine  ganze  Reibe  von  Tagen  typiscbe  Wachszylinder  in 
größerer  Menge.  Trotz  188  g  Xatr.  salicyl.  in  49  Tagen  ver- 
schwanden sowohl  die  Wachs-  wie  die  übrigen  Zylinder  wieder 
vollständig,  die  Albuminurie  ging  zurück^  und  Patientin  konnte 
nach  2  Monaten  geheilt  entlassen  werden.  Es  ist  dies  allerdings 
der  einzige  Fall  unter  64  Fällen. 

Wir  stellen  zum  Schluß  den  letzten  Befund  bei  Abschluß  der 
Salizylbehandlung  der  obigen  66  Fälle  nochmals  zusammen  (s.  Ta- 
belle III  S.  243).*) 

Das  Salizyl  erzeugt  also  nach  unseren  Erfahrungen  d  e  m  U  r  i  n  - 
befunde  nach  eine  Nephritis,  die  bei  Fortwirken  des 
schädigenden  Agens  ausheilt.  Es  tritt  keine  Gewöhnung 
an  das  Salizyl  ein;  denn  nach  einigen  Tagen  des  Aussetzens,  wie 
wir  bei  mehreren  Fällen  feststellen  konnten,  reagieren  Nieren  und 
Harnwege  genau  in  derselben  Weise  auf  das  Salizyl,  wie  ein  bis- 
lang von  dem  Mittel  noch  nie  affizierter  Organismus. 

Somit  gehen  unsere  Anschauungen  zurzeit  dahin,  daß  bei  den 
fieberhaften  rheumatischen  Erkrankungen  in  der 
Mehrzahl  der  Fälle  eine  toxische  bzw.  febril  toxische 
„Nephritis"  besteht.  Diese  Nephritis  heilt  unter 
Salizylgebrauch  aus.  Andererseits  bedingt  das  Sali- 
zyl an  sich  eine  charakteristische,  unter  fortdauern- 
dem Salizylgebrauch  ausheilende  „Nephritis". 

In  jedem  normalen  Urin  finden  sich  sämtliche 
Elemente  der  Nieren  und  Harnwege,  es  bestehen 
fließende  Übergänge  zwischen  den  Abstoßungsvor- 
gängen der  gesunden  Niere  und  der  durch  entzünd- 
liche Prozesse  veränderten  Niere. 

So  harmlos  also  jedes  Epithelium,  jeder  Erythrozyt,  jeder 
Zylinder  an  sich  sein  kann,  so  ist  er  doch  stets  ein  Bote  für 
eventuell  krankhafte  Vorgänge  in  den  Harnwegen  und  Nieren  oder 
eine  Botschaft  von  den  Einwirkungen,  denen  die  Niere  ausgesetzt  ist 

1)  Anm.  bei  der  Korrektur:  Entsprechend  einer  Anfrage  möchten  wir 
darauf  hinweisen,  daß  wir  2  Fälle  von  chronischer  Nephritis  und  Polyarthritis 
rheumat.  acuta  (der  eine  Patient  war  bereits  früher  wegen  seiner  Nephritis  Pa- 
tient der  medizin.  Abteilung)  mit  mittleren  Salizyldosen  behandelt  haben.  Die 
bei  der  Aufnahme  relativ  schweren  Erscheinungen  (1 — 2  ^/^o  Albumen,  viel  Sangais] 
bildeten  sich  unter  der  Salizyltherapie  rasch  zurück;  die  SchluÜurinunter- 
snchung  bei  der  Entlassung  entsprach  trotz  der  Salizyldarreichung  dem  nach 
unsern  methodischen  Untersuchungen  zu  erwartenden  £ndergel>Bi8  und  deckte 
sich  in  dem  erwähnten  einen  Falle  mit  dem  Urinbefunde  der  früheren  Entlassung 
nach  monatelanger  Behandlung  im  Erankenhause  (wobei  natürlich  keine  Salizyl- 
Präparate  gegeben  waren).  


XIV. 
Aus  der  medizinischen  Klinik  zu  Tübingen. 

Über  die  Hanttemperatur  des  gesnnden  MenscheD. 

Von 

J.  Dehler, 

Approbiertem  Arzte  in  Stottert. 
(Mit  Tafel  IV.) 

Die  ersten  maßgebenden  Untersuchungen  über  die  Haut- 
temperatur des  gesunden  Menschen  stammen  von  Kunkel.*)  Seine 
Versuche,  Vielehe  mit  der  genauen  thermoelektrischen  Methode  an- 
gestellt wurden,  ei-gaben,  was  die  absolute  Höhe  der  Haut- 
temperatur betrifft,  sehr  zuverlässige  Resultate ;  die  Zahlen  waren 
allerdings  nur  an  einer  einzigen  Versuchsperson  gewonnen  worden. 

Seit  längerer  Zeit  hat  man  der  Beobachtung  der  Hauttemperatur 
von  Gesunden  und  Kranken  lebhaftes  Interesse  entgegengebracht, 
weil  eine  zuverlässige  Kenntnis  der  Hauttemperatur  manchen  wert- 
vollen Schluß  auf  das  Verhalten  der  Wärmeregulation  gestattet, 
im  besonderen  gewisse  Anhaltspunkte  für  die  Größe  der  Wärme- 
abgabe durch  Leitung  und  Strahlung  gibt.*)^) 

Das  Bestreben,  die  Bestimmung  der  Hauttemperatur  auch  zur 
Diagnostik  der  inneren  Krankheiten  zu  verwenden,  führte  zur 
„Thermopalpation"^),  als  neuer  physikalischer  üntersuchungs- 
methode,  die  sich  indessen  nicht  bewährte. 

Trotz  einer  großen  Literatur  über  die  Hauttemperatur*)  fehlen 


1)  Kunkel,   Über  die  Temperatur  der  meiiächl.  Haut.     Zeitschr.  f.  Bio- 
logie 1889. 

2)  Rubner,  Thermische  Studien  über  die  Bekleidung  des  Menschen.  Archiv 
f.  Hygiene  1895. 

3)  Benczur  n.  Jonas,  Über  Thermopaipation.     Archiv  f.  klin.    Medizin 
Bd.  46  S.  19,  Bd.  48  S.  d78. 

4)  Die  Literatur  über  normale  Hauttemperatur,  die  hier  allein  in 
Betracht  kommt,  hat  in  Boye's   „Beitrag  zur  Lehre   von  der  normalen  Haut- 


246  XIV.  Oehleb 

jedoch  bis  heute  noch  ausgedehntere  Untersuchungen  an  einer 
größeren  Anzahl  von  gesunden  Versuchspersonen,  bei  denen  die 
Temperatur  der  ganzen  Körperoberfläche  Berücksichtigung  gefanden 
hätte.  Um  solche  Durchschnittswerte  zu  gewinnen,  ist  es  not- 
wendig, möglichst  viele,  gleichmäßig  über  die  Haut  verteilte  Stellen 
zu  messen,  in  derselben  Weise,  in  der  Grnnenwald')  seine 
Temperaturbestimmungen  an  der  Haut  von  fiebernden  Kranken 
voniahm.  Solche  Messungen  an  Gesunden  führte  ich  nach  Auf- 
forderung des  Hen'u  Prof.  K  r  e  h  1  aus. 

Um  eine  große  Anzahl  von  Menschen  in  beschränkter  Zeit 
an  möglichst  vielen  Hautstellen  messen  zu  können,  mußte  ein  Ver- 
fahren gewählt  werden,  welches  relativ  schnell  brauchbare  Resul- 
tate liefern  konnte,  selbst  wenn  dieselben  nicht  den  höchsten  An- 
forderungen an  Genauigkeit  entsprachen.  Dies  schien  am  leichtesten 
mit  einem  Quecksilberkontaktthermometer  erreichbar.  Wenn  also 
trotz  der  Einwendungen,  die  von  verschiedenen  Autoren  gegen  die 
Benutzung  von  Quecksilberthermometern  zur  Bestimmung  der  Haut- 
temperatur geltend  gemacht  worden  sind,  von  uns  diese  Methode 
gewählt  wurde,  so  ist  das  dem  Umstände  zuzuschreiben,  daß  keine 
Aussicht  vorhanden  war,  mit  einem  thermoelektrischen  Apparat  in 
absehbarer  Zeit  eine  größere  Anzahl  „vollständiger"  Messungen  der 
menschlichen  Körperoberfläche  zu  gewinnen.  (Gewöhnlich  maßen 
wir  die  Temperatur  an  17  verschiedenen  Hautstellen.)  Auch  das 
täglich  von  neuem  notwendige  Kalibrieren  und  das  lang  dauernde 
Anwärmen  hätte  zu  viel  Zeit  in  Anspruch  genommen.  Ferner  würde 
die  Unmöglichkeit,  den  Apparat  in  der  Klinik  herum  zu  transpor- 
tieren, für  unsere  Untersuchungen  störend  gewesen  sein. 

Schließlich  kommt  hinzu,  daß  eine  absolut  genaue  Messung  für 
unsere  Beobachtungen  wohl  wünschenswert,  aber  nicht  unbedingt 
notwendig  erscheint.  Nach  dem  Plan  der  Arbeit  kam  es  ja  weniger 
darauf  an,  die  absolute  Höhe  der  Hauttemperatur  im  strengsten 
Sinne,  als  vielmehr  das  Verhältnis  der  einzelnen  Hauttemperaturen 
zueinander  zu  bestimmen,  und  für  diese  mehr  relative  Art  der 
Temperaturbestimmung  ist,  wenn  man  sich  folgender  Messungs- 
methode bedient ,  das  Quecksilberthermometer  entschieden  aus- 
reichend. 


teraperatur  der  Menschen"    (Inang.-Dissert.  Leipzig:  1901)  eine  ausführliche  Be- 
arbeitung gfefunden ;  ich  darf  mich  daher  hier  auf  das  Notwendigste  beschränken. 

1)   ürtinenwald,   Th.,     Über  Hauttemperatur    bei    fiebernden    Kranken. 
Archiv  f.  klin.  Mediz.    Bd.  LXXVIII  S.  33:^. 


Über  die  Hanttemperatur  des  gesunden  Menschen.  247 

Methode. 

Zur  Verwendung  kamen  Kontaktthermometer  von  der  Firma  A.  Haak 
in  Jena  mit  horizontalem,  schneckenförmig  aufgerolltem  Quecksilbergefäß^ 
die  zur  Abhaltung  von  Luftzug  mit  einer  kleinen  Glasglocke  umgeben  sind. 
Die  Skala  war  in  2  Zehntelgrade  eingeteilt,  ließ  mithin  noch  1  Zehntel- 
grad durch  Abschätzung  sicher  bestimmen.  Dieses  Instrument  er- 
wärmten wir,  um  eine  Abkühlung  der  zu  untersuchenden  Hautstellen 
beim  Aufsetzen  zu  vermeiden,  vorher  auf  der  eigenen  Handfläche  an 
and  zwar,  bis  ein  um  wenige  Grade  niedrigerer  Temperaturpunkt  als 
der  zu  erwartende  (meist  ca.  30  ^)  angegeben  wurde.  Sodann  setzten  wir 
es  auf  die  zu  untersuchende  Hautstelle  auf  und  führten  es  hier,  ohne  die 
Zirknlationsverhältnisse  der  Haut  zu  verändern,  unter  langsamem^ 
leichtem  Gleiten,  ungefähr  in  der  Ausdehnung  eines  kleinen  Hand- 
tellers, 80  lange  umher  bis  der  Quecksilberfaden,  der  im  Anfang  ge- 
wöhnlich sehr  rasch  anstieg  und  sich  von  da  ab  nur  noch  um  2 — 3  Zehntel- 
grade erhob,  einen  fixen  Funkt  erreicht  hatte. 

Die  Messung  einer  Hautstelle  nahm  auf  diese  Weise  nur  ca.  1  Min. 
in  Anspruch,  konnte  deshalb  in  beliebiger  Häufigkeit  vorgenommen 
werden.  Wurde  das  Thermometer  zur  Kontrolle  einmal  länger  aufgesetzt, 
80  kamen  höchstens  Schwankungen  des  Quecksilberfadens  bis  zu  3  Zehntel- 
graden zur  Beobachtung.  Mit  dieser  kleineu  Fehlerquelle  wäre  also  bei 
Betrachtung  der  Resultate  zu  rechnen.  Da  aber  darauf  geachtet  wurde 
(ey.  durch  vorheriges  Sinkenlassen  des  Thermometers  bei  Übergang  von 
einer  meist  höher  temperierten  Stelle  auf  eine  niedrigere),  daß  das  Thermo- 
meter immer  mit  einem  ein  bis  mehrere  Grade  niedrigeren  Stand,  als  er 
der  betreffenden  Stelle  entsprach,  angelegt  wurde,  dürften  alle  dadurch 
gewonnenen  Resultate  nur  im  gleicheu  Sinne  beeinflußt  sein,  indem  die 
Hauttemperaturen  um  1 — 3  Zehntelgrade  zu  niedrig  angenommen  wurden, 
was  fßr  die  vorliegenden  Untersuchungen  nicht  viel  zu  bedeuten  haben 
dürfte. 

Diese  abgekürzte  Messungsmethode  mußte  so  gehandbabt 
werden,  weil  das  Abwarten  der  definitiven  Einstellung  zu  viel  Zeit  in 
Anspruch  genommen  und  das  längere  Aufliegen  des  Thermometers  ver- 
änderte Außenbedingungen  für  die  betreffende  Hautstelle  geschaffen  hätte. 
So  wurde  das  Thermometer  immer  in  dem  empirisch  gefundenen  Moment 
der  relativen  fixen  Einstellung  abgenommen,  die  im  allgemeinen  auffallend 
deutlich  markiert  war,  kurze  Zeit  nach  dem  anfänglichen  raschen  Steigen. 

Die  Einwände,  die  gegen  Anwendung  der  thermometrischen  Methode 
zur  Hautwärmemessung  schon  erhoben  worden  sind,  laufen  im  wesentlichen 
darauf  hinaus,  daß  zur  Erwärmung  des  Queckeilberbehälters  ein  zu  großes 
Wärmequantum  von  Seiten  der  Hautoberfläche  nötig  sei,  daß  notwendig 
eine  Abkühlung  dieser  die  Folge  sein  müsse,  und  daß  die  lange  Anlege- 
zeit,  deren  das  Thermometer  zur  fixen  Einstellung  bedürfe,  die  Wärme- 
abgabe der  Haut  verändere.  Beides  sucht  die  abgekürzte  Methode  mit 
gleitendem  Thermometer  zu  vermeiden:  das  nötige  Wärmequantum 
verteilt  sich  auf  eine  Hautfläche  von  der  Größe  eines  Handtellers ;  durch 
das  Gleiten  verschwindet  auch  die  Beeinträchtigung  der  Wärmeabgabe 
für    die    einzelne    Hautstelle.      Das    Gleitenlassen    hat    zudem    noch    den 


248  XIV.  Obhleb 

Vorteil,  daß  das  Thermometer  rascher  erwärmt  wird,  begüostigt  also  auch 
dadurch  die  abgekürzte  Messungsmethode. 

Bei  Anwendung  dieser  und  Kenntnis  der  Fehlerquellen,  die  sich  bei 
einiger  Übung  vermeiden  lassen,  erscheint  das  Quecksilberkontaktthermo- 
meter als  ein  in  praxi  leicht  verwendbares  und  auch  genügend  genaues 
Instrument. 

Diese  Messung  der  Hauttemperatur,  meist  an  17  verschiedeneD, 
zum  Teil  symmetrischen  Hautstellen  eines  Menschen  vorgenommen,  nahm 
etwa  15  —  20  Minuten  in  Anspruch,  und  könnte  daher,  besonders  bei 
fortlaufenden  Messungen,  genügend  oft  wiederholt  werden,  ohne  wesent- 
liche Inanspruchnahme  der  betreffenden  Versuchsperson,  und  ohne  daß 
sich  während  diezer  kurzen  Zeit  die  Versuchsbedingungen  für  dieie 
wesentlich  geändert  hätten. 

Eine  etwaige  stärkere  Abkühlung  während  des  Messens  war  da- 
durch ausgeschlossen,  daß  die  Hautstellen,  soweit  sie  nicht  wie  Gesicht 
und  Hände  jederzeit  der  Außentemperatur  schutzlos  preisgegeben  sind, 
entweder  nur  für  ganz  kurze  Zeit,  eben  die  Zeit  der  Messung  der  be- 
treffenden Hautstelle  entblößt  oder  unter  der  Bettdecke  gemessen  wurden, 
so  daß  nur  der  Skalenteil  des  Thermometers,  seitlich  von  der  Bett- 
decke umfaßt,  sichtbar  und  der  Außentemperatur  zugänglich  war,  während 
die   fuhr  ende  Hand  unter  der  Bettdecke  das  Quecksilbergetäß  gleiten  ließ. 

Die  gewöhnlich  gemessenen  Hautstellen  waren:  die  Stime  in  der 
Mitte  über  der  Glabella,  die  Wange  direkt  unterhalb  des  Jochbeins,  die 
Mitte  des  Brustbeins,  die  Bauchhaut  in  der  Mitte  direkt  über  dem  Nabel, 
der  Oberarm  auf  der  Höhe  des  Bizepswulstes,  der  Vorderarm  in  der 
Mitte  der  Beugeseite,  ferner  die  Mitte  des  Handrückens,  die  Mitte  der 
Streckseite  des  Oberschenkels,  der  Unterschenkel  in  der  Hälfte  seiner 
Länge  am  Wadenbein  und  der  Fußrücken  auf  der  Höhe  der  Fußwölbung; 
Wange  und  Extremitäten  wurden  immer  doppelseitig  gemessen. 

Die  Körpertemperatur  wurde  während  des  Versuchs,  oder  kurz  vor 
oder  nachher  mit  Maximalthermometern  meist  in  der  Achselhöhle,  bei 
einer  Versuchsreihe  auch  im  Kektum  bestimmt.  Die  Zimmertemperator 
(oft  als  Außentemperatur  im  Gegensatz  zur  Innen -Körpertemperatur  be- 
zeichnet) wurde  immer  direkt  vor  oder  während  der  Hauttemperatur- 
bestimmung mit  einem  genau  geeichten  Schleuderthermometer  gemessen, 
das  sich  bequem  nach  Viertelgrade  ablesen  ließ.  —  Als  Versuchspersonen 
dienten  Patienten  der  Klinik,  von  deren  Krankheiten  man  keinen  ver- 
ändernden Einfluß  auf  die  Hauttemperatur  erwarten  konnte. 

Die  Hesultate  sind  der  leichteren  Übersicht  wegen  in  Tabellen  und 
Kurven  angeordnet;  nur  ein  Teil  der  einzelnen  Resultate  konnte  hier 
wiedergegeben  werden  ;  meist  mußte  ich  mich,  um  nicht  zu  ausführlich 
zu  werden,  auf  die  Angabe  von  Durchschnittswerten  beschränken. 

Unsere  Versuche  stellten  wir  folgendermaßen  an:  Um  even- 
tuell vorhandene,  individuelle  Verschiedenheiten  kennen  zu  lernen, 
machten  wir  einesteils  an  möglichst  verschiedenen  Personen  ein- 
malige Messungen;  andernteils  wiederholten  wir  an  denselben 
Menschen  zu  verschiedenen  Zeiten  unsere  Messungen  in  der  Absicht, 


über  die  Hanttemperatnr  des  gesunden  Menschen.  249 

SO  eine  etwaige  Konstanz  der  Hauttemperatur  bei  gleichen  Bedin- 
gungen nachweisen  zu  können  und  um  den  Einfluß  der  in  Betracht 
kommenden,  die  Hauttemperatur  ändernden  Faktoren  zu  eruieren. 
Zu  diesen  rechnet  man  die  Temperatur  und  den  Feuchtigkeits- 
gehalt der  Luft,  die  Tageszeit,  Ruhe  und  Bewegung,  Bedeckung 
resp.  Bekleidung,  die  Nahrungsaufnahme. 

Die  Kunkel'sche  Folgerung  am  Ende  seiner  Arbeit  „Die 
Temperatur  unserer  Haut  ist  eine  nahezu  konstante", 
von  ihm  an  einer  Versuchsperson  erprobt,  sollte  zunächst  an  einer 
größeren  Anzahl  Menschen  geprüft  werden.  Zu  diesem  Zweck 
wurde  zuerst  eine  Versuchsanordnung  gewählt,  die  für  möglichste 
UnVeränderlichkeit  der  Außenbedingungen  die  Garantie  bot:  nämlich 
absoluter  Hungerzustand,  ^)  absolute  Bettruhe  in  gleichmäßig  tempe- 
riertem Zimmer  (durchschnittlich  22  ^  C).  Diese  Versuche  dauerten 
3  Tage.  Da  wir  zum  Vergleich  die  Tageskurve  beim  hungernden 
und  bei  reichlicher  Nahrung  an  demselben  Menschen  studieren 
wollten,  gaben  wir  unseren  Versuchspersonen  während  des  ersten 
Tages  volle  Kost  Erst  dann  begann  die  40  Stunden  dauernde 
Hunger  Periode.  Die  ganze  Versuchszeit  über  wurde,  mit  Ausnahme 
einer  16  stündigen  Ruhepause  zu  Beginn  des  Hungerzustands, 
etwa  4  stündlich,  im  ganzen  14  mal  gemessen,  immer  an  den  oben 
erwähnten  17  Hautstellen,  mit  Berücksichtigung  der  Eektumtem- 
peratur. 

1.  Die  Hauttemperatur  beim  Nüchternen  und  der 
Einfluß    der   Nalfrungszufuhr;    die   Tageskurve    der 

Hauttemperatur  (s.  Tafel  I--III). 

Die  Kurven tafel  I  a  enthält  4  Einzelkurven,  welche  die  Durch- 
schnittswerte der  Hauttemperaturen  an  Kopf,  Rumpf,  Oberarm  und 
Oberschenkel,  Vorderarm  und  Unterschenkel  angeben.  Bei  näherer 
Betrachtung  sehen  wir  auf  ihr  ein  Bündel  Kurvenlinien,  welche 
bald  parallel  zu  einander  laufend,  bald  sich  schneidend,  im  allge- 
meinen zwischen  33,5  und  35,5^  C  liegen.  Erhebung  und  Abfall 
wechseln  miteinander  ab,  vielleicht  in  einiger  Abhängigkeit  von 
dem,  weiin  auch  geringen  Wechsel  der  Zimmertemperatur.  In  inni- 
gerer Beziehung  scheint  die  Hauttemperatur  zu  den  Schwankungen 
der  Körpertemperatur   zu  stehen.     In   ganz  ähnlicher  Weise  wie 

1)  Einige  Kandidaten  der  Medizin  erboten  sich  zu  den  Versnoben,  die  in 
der  Klinik  selbstverständlich  unter  sicherer  Kontrolle  ausgeführt  wurden,  zwei 
davon,  Ba  und  St.  wurden  zu  gleicher  Zeit  untersucht;  sie  standen  unter  voll- 
ständig gleichen  Versuchsbedingungen. 

Deutsches  Archiv  f.  klin.  Medizin.    Bd.  LXXX.  17 


250  XIV.    OSHLS» 

diese  ändert  sie  sich  im  Verlaufe  eines  Tages;  nur  sind  die 
Schwankungen  der  Hauttemperatur  meist  etwas  gr&ßer.  Im  Stadium 
der  Nahrnngsentziehung,  in  welchem  die  Tagesschwankungen  der 
Rektumtemperatur  weniger  ausgeprägt  sind,  zeigt  die  Hauttempe« 
ratur  denselben  periodischen  Wechsel  wie  am  Tage  der  Nahrungs- 
zufuhr,  an  den  Extremitäten  sind  diese  Schwankungen  während 
der  Hungerzeit  sogar  erheblicher  als  vorher.  Dabei  ist  auch  die 
ganze  Hauttemperatur  etwas  gesunken,  das  Verhältnis  der  ein- 
zelnen Kurven  zueinander  jedoch  ist  ein  ähnliches:  Gesieht-  und 
Bumpftemperatur  streiten  sich  um  die  höchste  Stelle,  bei  Nahrangs- 
zufohr  und  -Entziehung;  die  Extremitätentemperatnren  sind  nie- 
driger und  verlaufen  innig  miteinander,  aber  gesondert  von  6e* 
sieht-  und  Rumpftemperator. 

Was  läßt  sich  nun  aus  dem  Verlauf  der  Kurven  schließen? 
Zunächst  welchen  Einfluß  hat  die  Nahrnngsentziehung  auf  die 
Hauttemperatur?  Sie  sinkt  durchschnittlich  wenige  Zehntelgrade, 
sie  weist  etwas  größere  Schwankungen  auf,  aber  nur  an  den  Ober- 
fläehenpartien  peripherer  Körperteile,  wie  Arm  und  Bein,  nicht  an 
Kopf  nnd  Rumpf.  Mit  der  Dauer  der  Nahrnngsentziehung  fällt 
die  Hauttemperatur  immer  mehr,  weil  einmal  die  Wärmeabgabe 
durch  Leitung  nnd  Strahlung  proportional  der  verminderten 
Wärmebildung  sinkt,  und  außerdem  wohl  auch  der  Einfluß  der 
Außentemperatur  beim  Hungernden  mehr  zur  Geltung  kommt  ^) 

Dann  die  Frage :  Gibt  es  eine  Tageskurve  der  Hauttemperatur 
und  wie  verhält  sich  diese  bei  Nahrungsentziehung?  Die  Kurve  I 
läßt  eine  Tageskurve  erkennen:  welche  einen  ähnlichen  Verlauf 
wie  die  Rektumtemperatur  hat.  Sie  ist  nachts  am  tiefsten  und  hat 
anscheinend  zwei  Höhepunkte,  Mittags  und  gegen  Abend.  Bei 
Nahrungsentziehung  scheint  sich  dieser  Typus  etwas  zu  verwischen. 
Ganz  bestimmte  Angaben  darüber  lassen  sich  jedoch  nach  meinen 
Versuchen  nicht  machen. 

Nun  noch  die  Frage  nach  der  Konstanz  der  Hauttemperatur? 
Die  zugehörigen  Kurven  Ib  und  c,  welche  die  Übersicht  über  die 
Einzelresultate  geben,  zeigen,  daß  auch  diese  nur  in  geringen 
Grenzen  schwanken,  daß  die  ganze  Oberflächentemperatur,  wenn 
sich  auch  eine  gewisse  Abstufung  in  der  Temperatur  der  einzelnen 
Hautstellen  der  Extremitäten  gegenüber  denen  des  Rumpfes,  also 
vom  Zentrum  nach  der  Peripherie  hin  bemerkbar  macht,  im  all- 


1)  Anders  verhält  es  sich   bei  Kurventafel  III;   siehe  deren  Besprechung 
S.  252. 


über  die  Hanttempcrfttni  des  gesunden  Menschen.  2Ö1 

gemeinen  etwa  2^  umfaßt  (33,5—35,5).  Diese  Grenze  wird  nach 
oben  nur  von  der  Wangentemperatur  öberschritten,  die  mit  der 
BaQcbtemperalur  hier  die  höchst  temperierten  Körperstellen  bil- 
des.  Dann  folgen  Stirn  und  Brust  in  parallelem  Yerlanfe;  noch 
etwa«  tiefer  li^  die  Temperatur  der  Extremitäten.  Zwischen 
des  4  yerschiedenen  Hantstellen  der  Gliedmaßen  bestehen  keine 
erheblicheren  Diflferenzen.  Die  Temperatur  des  peripheren  Teils 
ist  nur  wenig  niedriger  als  die  des  zentralen.  Nur  im  Stadium  der 
NahrungsentziehuDg  wird  die  Grenze  nach  unten  (33,5)  von  ihnen 
iberschritten« 

Betrachten  wir  unter  diesen  Oesichtspankten  aach  die  anderen 
Kurven,  so  muß  auf  der  Kurve  II,  die  unter  ganz  gleichen  Ver- 
sachsbedingungen  gewonnen  wurde,  auffallen^  daß  die  ganze  Haut« 
temperatur  etwas  höher  gestellt  ist,  daß  die  Schwankungen  etwas 
größer  sind,  und  daß  die  oben  genannten  Verhältnisse  der  Einzel- 
kurven zueinander  sich  geändert  haben.  In  Kurve  I  zeigte  sich 
eine  völlige  Trennung  der  Extremitätentemperaturen  einerseits  von 
den  Rumpf-  und  Kopftemperataren  andererseits.  Die  Temperatur 
der  peripheren  und  mehr  zentralen  Oberflächenpartien  berührten 
sich  also  kaum  in  ihrem  Verlaufe.  In  Kurve  11  hat  sich  dagegen 
das  Verhältnis  in  der  Weise  geändert,  daß  die  Temperatur  des 
Rumpfs  allein  in  etwa  ^4  ^  Abstand  von  derjenigen  der  übrigen 
Hautstellen,  deren  Kurven  vielfach  verschlungen  sind,  die  höchste 
Stelle  bewahrt.  Die  Einzelkurven  IIb  und  c  zeigen  an  den  Ex- 
tremitäten ähnliche  Verhältnisse  wie  vorhin:  Bauch  und  Wange 
haben  eine  sehr  hohe,  die  letztere  eine  sehr  schwankende  Haut- 
temperatur, an  Brust  und  Stime  zeigt  sich  deutliche  Abstufung. 
Die  gesamte  Hauttemperatur,  namentlich  die  von  Kopf  und  Eurapf^ 
geht  mit  der  Rektumtemperatur  im  Stadium  der  Nahrungszufuhr 
parallel.  Die  Nahrungsentziehung  übt  auf  die  Hauttemperatur  und 
ihren  Verlauf  keinen  wesentlichen  Einfluß  aus. 

Die  Hauttemperaturen  der  Kurve  II  liegen  etwa  zwischen  33,5 
und  36,0  **;  die  Verhältnisse  sind  ähnlich  denen  in  der  vorigen  Kurve, 
daneben  bestehen  einige  Unterschiede  besonders  im  Verhalten  der 
Eiuzelkurven,  die  vielleicht  durch  individuelle  Verschiedenheit  in 
der  Hantbeschaffenheit  und  ihrer  Blutversorgnng  erklärt  werden 
können.  Eine  plötzliche  Abkühlung  des  Zimmers  auf  18"  führt  einen 
steilen,  in  den  Einzelkurven  fast  ganz  parallelen  Abstieg  der  Haut- 
temperatur unter  deutlichem  Frostgefühl  herbei;  bei  der  nächst- 
folgenden Messung  in  dem  wieder  erwärmten  Zimmer  kehrt  auch 
die  frühere  Hauttemperatur  zurück. 

17* 


252  XIV.  Oehlbb 

Wieder  etwas  andere  Verhältnisse  zeigt  die  Kurve  IQ:  die 
Hauttemperaturen  sind  bei  fast  der  gleichen  Zimmertemperatur  an- 
fangs etwas  niedriger  als  in  Kurve  I  und  II,  sie  steigen  aber  dann 
auffallenderweise  mit  der  Dauer  der  Nahrungsentziehung.  Die  an* 
fänglich  deutliche  Abstufung  der  Durchschnittstemperaturen  in  der 
Reihenfolge :  Rumpf,  Kopf,  obere  und  untere  Extremitätenabschnitte 
verliert  sich,  die  Einzeltemperaturen  nähern  sich  einander. 

Wir  haben  also  eine  gewisse  Konstanz  im  Verhältnis  der 
Einzelkurven  zueinander  und  dadurch  auch  der  Einzeltemperaturen, 
eine  gewisse  Konstanz  auch  in  der  absoluten  Höhe  der  Haut- 
temperatur, bei  derselben  und  bei  verschiedenen  Personen  unter 
gleichen  Versuchsbedingungen,  da  sich  die  Hauttemperaturen  fast 
während  der  ganzen  Dauer  des  Versuchs  innerhalb  derselben  Grade 
(33,5—35,5)  bewegen. 

2.  DerEinfluß  der  Außenbedingungen,  namentlich  der 
Lufttemperatur,  auf  die  Hauttemperatur  (s.  Tab.  I). 

Tabelle  I  gibt  eine  Anzahl  von  Hauttemperaturmessungen  an  ver- 
schiedenen normalen  Personen,  die  z.  T.  nur  einmal,  z.  T.  auch  öfter 
an  verschiedenen  Tagen  und  bei  verschiedener  Außentemperatur 
vorgenommen  worden  sind.  Diese  Versuchsreihe  sollte,  nachdem 
eine  gewisse  Konstanz  der  Hauttemperatur  bei  Gleichbleiben  der 
Außenbedingungen  festgestellt  war,  zeigen,  wie  sich  -die  Haut- 
temperatur beim  einzelnen  und  bei  verschiedenen  Leuten  im 
Krankensaale  zu  verschiedener  Zeit  verhalte,  wo  eine  so  sichere 
Kontrolle  über  Gleichbleiben  der  Temperatur,  des  Feuchtigkeits- 
gehaltes der  umgebenden  Luft,  der  Bewegung  und  Bedeckung  der 
Versuchsperson  nicht  ausführbar  war. 

Obgleich  die  Zimmertemperatur  hier  etwas  mehr  schwankt  als 
dort,  zeigen  die  Einzelwerte  doch  nicht  viel  variablere  Verhältnisse, 
wenigstens  nicht  bei  Messungen  an  demselben  Individuum.  Faßt 
man  diese  Messungen  in  Kurven  zusammen,  ^)  so  zeigt  sich  das  aufs 
deutlichste:  der  Gang  der  Einzelkurven  ist  vielfach  ein  paralleler, 
mithin  ist  das  Verhältnis  der  Temperaturen  an  den  einzelnen  Haut- 
stellen ein  relativ  konstantes;  aber  die  Distanzen  der  Einzelkurven 
sind  größere,  sie  bewegen  sich  innerhalb  3  bis  4  **,  die  der  ersten 
Versuchsreihe  innerhalb  2  bis  3  ®  C.  Die  Schwankungen  der  Gesamt- 
heit der  Einzelkurven  sind  ansehnlichere.    Am  auffallendsten  aber 


1)  Ihr  Abdruck  mußte  Ranmmangels  halber  hier  unterbleiben. 


über  die  Hauttemperatur  des  gesnnden  Menschen. 


253 


ist  der  große  Wechsel  und  der  meist  sehr  ausgesprochene  Tiefstand 
der  Hauttemperatur  an  den  unteren  Extremitäten,  speziell  am  Fuß^ 
rücken  und  am  Unterschenkel. 

Tabelle  L 
Normale  Hauttemperaturtabelle 

(nach  der  Außentemperatur   geordnet). 


Name 


fc^  oS   I  ^  es 
«  P 


p< ;  ^  S« 

^    4) 


E 

CQ 


I 
*»         Ji    ! 

OB       ,         O 

^   '     ^   ! 
pq       pq 


g 

O 


I 

<^  SS 
O    OS 


.0       .'S 

I  DO 


ä  S  I  !3  'S 

CQ 


OQ 


10.7.  19  37,5  35,3 
37,3  34,7 
36,1    35,0 


Vo. 
11. 7.  .  19,5 


11.7,  ,  20 

Ma.  I 
31.  7.  :  21 


36,7 


34,7 


Ke. 
17,^.    22,5    36,6  '  35,7 

Ha. 
10.^7.  .  22,5    36,5    35,8 


Ha.   ' 
17.7.  ,22,5 


35,6 


3bfl 
34,9 

ssp 

33,0 
35,2 
34,Ö 
34,1 
34,7 
35,1 
35,2 
35^ 
35,1 
35^ 
35,2 
34,5 


34,8 


3p,4 


34.5  1  34,0 

I 

34.6  36,0, 

34,1 :  34.2 


35^ 
35,0 
34,2 
34,2 
34,4 
33,7 
34,0 


36,2 


36,5 


35,6   36,8  I 


36,9 

ll  7.  ,  23     I  37,0  ,  35,4   7-^ 

Ke.    '  134,7 

10./7.  ,  23     I  36,5  ,  35,0  g^'^ 

,  vorher  schwüle  Luft, 

Ke.   I 
15./7.    23 


35,5 


35,8 


Ha. 
15,7.    23     |36,8 

Ma.  II ' 
1B./8.  .  23 

Ga.  i  j 

18./7.    24       37,0 

Ha. 


36,8  I  3o,o  I  3.-Q 


34,7,36,0,^/7, 

I 

35,0 ;  35,4 

i         I         . 

jetzt  durch 
35,7 !  36,4 


33,6 

34^8 

35,2 

34,0 

33,6 

34,1 

34,6 

35,8 

35,0 

33,9 

33,9 

Ausbrach 

35,3  I  35,4 


34,9 
34,2 
32,7 
32,8 
34^ 
33,9 
33^ 
33,0 
35,3 
35;4 
33^8 
33,8 
34,6 
34,8 
35,4 
34,7 
34,5 
34.3 


I  • 


34,5 
34,5 
33,0 
32,5 
33^ 
33,7 
33,3 
32,5 
35,0 
35,0 
33,7 
34,0 
34,1 
35,'3 
85,6 
35,0 
'34^3 
134,1 


34,7 
34,0 
32,5 
33,1 
33,9 
33,6 
33^ 
33,8 
35,1 
35,0 
34,6 
34,6 
|34,5 
34,8 
34^ 
34,6 
33,6 
34,5 


33^ 

33,7 

32,7 

33,0 

33,6 

32,4 

32,8 

33,0 

33^ 

35,5 

32,9 

33,1 

34,1 

134,0 

134,7 

34,3 

'33,2 

!  32,8 


33,0 

32,3 

31,1 

|32,5 

|29,3 

,  29,6 

I32.O 

I  31,6 

3Jh3 

j33,8 

3L9 

32,3 

33,6 

Üß 

34,3 

34,1 

31,3 ; 

32:9  , 


34,6 
33,5 
33,9 
33,7 
35,1 
34,7 
134,9 

35,0 

I 

34,1 


^'^  35;i 
'3^,6 

^^^  I  35:5 
36,1 
36.0 


35,4 


36.2 


35,3 


36,1   36,7 
j35,9   36,3 


35,3 


18,7.    24,5    37,4    35,3  ,'- 1  35,1 '  35,7 


34,8 
34^ 
35,0 
35,2 
35,4 
35,9 
35,5 
35^ 
35,4 


35,3 
34,8 
34,8 
34,6 
34,Ö 
34,8 
35;2 
35/4 
35,3 


eines 
35,3 
35,1 

'  34,6 

|34,7 
.35,0 
1  34,(i 
,  33^ 
33,Ü 
'34^ 
,34,3 


Gewitters  abgekühlt 


34,6 

,34,0 

34,2 

34,4 

34,0 

!  34,7 

i  34,5 

34,9 

I  35,0 

'34.5 


34,3 
34.Ö 
33,2 
33;8 
34,6 
34;9 
34^ 
34,7 
34,2 
34,1 


a3,4 
34,3 
33,7 
33,9 
33^ 
34,8 
34,8 
34,4 
34.7 
34,9 


I  35,2 

35,0 

I 

,35,1 

35,3 

1 

'  35. 1 


1)  Die  zum  Vergleich  der  Einzelreaultate  berechneten  Diirchschnittstempera- 
turen  stellen  das  Mittel  dar  aus  4  Durchschnittszahlen,  der  der  Kopftempera- 
turen, denen  des  Rumpfes,  der  oberen  und  unteren  Extremitäten.  Diese  Art 
der  Berechnung  erschien  am  zweckmäßigsten,  um  nicht  den  12  Messungen  an 
den  Extremitäten  das  Übergewicht  über  die  5  Messungen  an  Kopf  und  Kumpf 
zu  geben,  sondern  ihre  Maße  in  der  Bewertung  bei  der  Durchschuittstemperatur 
mindestens  gleichzustellen. 


254  XIV.    OiHLKB 

Es  zeigt  sich  also,  daß  bei  Zanahme  der  Veränderliefakeit  der 
äußeren  Bedingungen  auch  die  Hauttemperatur  größere  Seh  wankangeB 
aufweist,  und  daß  mit  dem  Sinken  der  Lufttemperatur  diese  noch 
mehr  zunehmen.  Besonders  stark  ist  dies  Verhalten  an  den  peri- 
pheren Körperteilen  ausgeprägt. 

Ein  Überblick  über  das  Verhalten  der  Hauttemperatur  an  den 
einzelnen  Eörperstellen,  speziell  ihre  Veränderlichkeit,  läßt  sich 
dadurch  gewinnen,  daß  innerhalb  der  Tabelle  I  für  jede  einzelne 
Eautstelle  die  höchste  und  niedrigste  Temperaturangabe  gesacht  und 
zwischen  diesen  die  Differenz  gebildet  wird.  Die  kleinste  Differenz 
findet  sich  an  der  Stirn  mit  1,1  ®  bei  einem  Unterschied  der  Außen- 
temperaturen von  fast  6®.  Diese  r^ativ  größte  Konstanz  der  Haut- 
temperatur an  der  Stirn  ist  typisch,  auffallend  zugleich,  weil  die  immer 
unbedeckte  Stimhaut  allen  Temperaturveränderungen  schutzlos  preis- 
gegeben ist,  im  Gegensatz  zu  den  bedeckt  getragenen  Körperstellen. 
Nicht  die  wechselnde  Blutversorgung  der  Haut,  wie  sie  beim  einzelnen 
durch  die  Wärmeregulation,  bei  verschiedenen  Personen  aber  auch 
durch  lokale  Hautverschiedenheit  (z.  B.  Fettpolster)  hervorgerufen 
werden  kann,  sondern  das  dahinterliegende  Gehirn  scheint  hier 
als  Wärmequelle  der  Haut  zu  dienen  und  deren  Temperatur  da- 
durch auf  einem  wenig  variablen  TVärmeniveau  zu  erhalten. 

Die  Haut  der  ^Vange  dagegen  weist  eine  relativ  große  Diffe- 
renz von  3,1  ®  auf:  Fettpolster  und  Blutversorgung  sind  gerade  an 
dieser  Stelle  außerordentlich  verschieden.  An  zweiter  Stelle  kommt 
die  Haut  über  dem  Sternum  mit  2,1  ^,  wieder  eine  Hautstelle  ohne 
viel  Fettpolster,  direkt  auf  dem  Knochen,  hinter  ihr  reichlich  mit 
Blut  versorgte  innere  Organe.  An  dritter  Stelle  reiht  sich  nicht 
die  Nabelgegend  an,  deren  relativ  großer  Temperaturwechsel  (2,8  ®) 
wohl  im  wesentlichen  von  einer  sehr  veränderlichen,  fiinktioneD 
beeinflußten  Blutversorgung  der  Unterleibsorgane  abhängig  ist, 
sondern  der  Oberarm  mit  2,3",  dann  der  Vorderarm  mit  2,7  •  und 
der  Handrücken  mit  3,1  ^,  Vorher  kommen  noch  der  Oberschenkel 
mit  maximaler  Differenz  von  2,6  ®,  der  Unterschenkel  mit  3,1  ®,  zum 
Schluß  der  Fußrücken  mit  5,6®.  Man  sieht,  die  Differenz  nimmt 
peripherwärts  zu, ')  wohl  infolge  des  Einflusses  der  Außentemperatur, 
der  mit  den  ungünstiger  werdenden  Zirkulationsverhältnissen  nach 
der  Peripherie  hin  sich  mehr  und  mehr  geltend  macht.  Anderer- 
seits kommt  bei  den  periphersten  Körperteilen,  wie  Hand-  und 
Fußrücken,    die  kräftige  Muskelunterlage,    wie  sie  Oberarm  und 


1)  Bei  verschiedenen  Menschen  in  sehr  verschiedenem  Grade. 


über  die  Hauttemperatar  dei  (fesnnden  Menschen. 


255 


Oberschenkel  bieten,  als  erwärmendes  Moment  nicht  in  Betracht: 
Die  Temperatur  dieser  direkt  fiber  den  Knochen  liegenden  Hant- 
stellen  ist  fast  ganz  allein  von  der  Blutflille  der  Hautgefäße  ab- 
hängig. 

Der  Einfluß  der  Bekleidung  bzw.  Bedeckung  auf 
die  Hauttemperatur  macht  sich  innerhalb  der  engen  Grenzen  der 
Außentemperatur  (19  bis  24 V«  ^)  kaum  geltend:  von  den  unbedeckten 
Hantstellen  zeigt  die  Wangenhaut  die  größten  Temperaturunter- 
schiede. Stirn-  und  Handrückentemperatur  sind  anderweitig  be- 
einflußt, die  letztere  je  nach  der  beruflichen  Tätigkeit  oft  ver- 
schieden. 

Der  Einfluß  der  Außentemperatur  wurde  auf  zweierlei 
Art  bestimmt:  einmal  durch  tabellarische,  nach  der  Außentemperatur 
geordnete  Znsammenstellung  der  vorhandenen  Hauttemperatur- 
messungen, und  zweitens  durch  Erwärmen  ^)  bestimmter  Versuchs- 
personen innerhalb  unschädlicher  und  nicht  zu  unangenehm  empfun- 
dener Temperaturgrenzen.  Die  Zusammenstellung  in  Tabelle  II 
enthält  die  Mittelwerte  von  44  Messungen,  welche  immer  an  fünf 
Hautstellen:  Stirne,  Brust,  Bauch,  Oberarm  und  Oberschenkel  aus- 
geführt wurden. 

Diese  für  jeden  einzelnen  Grad  berechneten  Durchschnitts- 
temperaturen der  fünf  Hautstellen  geben  ein  anschauliches  Bild 
der  Beziehung  zwischen  Haut-  und  Außentemperatur. 


Ta 

belle 

II. 

Außen- 
temp. 
in  ^ 

Achseih.- 
temp. 

Stirne 

Brust 

Bauch 

Ober- 
arm 

Ober- 
schenkel 

Zahl  der 

Mes- 
sungen 

Durch- 
schnitt 

17-18 

36,7 

34,5 

34,1 

34,7 

33,6 

a3,7 

6 

34,1 

18-19 

36,8 

34,5 

34,4 

34,8 

HHß 

33,4 

10 

34,1 

19-20 

36,8 

34,5 

34,3 

34,9 

33,5 

33,1 

10 

84,1 

20-21 

36,7 

3i,9 

34,3 

85,3 

33,5 

33,4 

5 

:4.2 

21-22 

36,8 

35,0 

35,1 

34,6 

34,5 

34,1 

9 

34,6 

22-23 

36,8 

:^5,3 

35,3 

35,5 

34,8 

34,5 

16 

35,1 

23-24 

37,0 

35.3 

35,6 

36,1 

35,1 

34,7 

7 

85,8 

24-26 

37,2 

35,3 

35,0 

36,0 

35,6 

34,8 

2 

35,4 

25-26 

keine  Hl 

lessung 

28-^27 

37,0 

35,9 

36,9 

36,4 

3ö,4 

34,7 

O 

35,6 

1)  Die  Abktthlungsversuche  fttlirten  zu  keinem  einheitlichen  Ergebnis ;  sie 
tollen  deshalb  hier  nicht  weiter  erörtert  werden. 


256  XIV.  Obhlbb 

Ein  Blick  auf  die  Tabelle  II  zeigt,  daß  die  Hauttemperatar 
mit  der  Außentemperatur  steigt,  allerdings  nicht  gleichmäßig.  Bei 
17—20  <^  mißt  die  Haut  durchschnittlich  34,1  ^  —  die  gewöhnliche 
durchschnittliche  Hauttemperatur  beim  gesunden  Menschen  — .  Dann 
folgt  bei  27  ®  C.  ein  allmähliches  Ansteigen  bis  35,6,  anfangs  etwas 
rascher,  später  langsamer,  wohl  schon  durch  stärker  werdende 
Schweißsekretion  aufgehalten.  Bei  10®  Außentemperaturdifferenz 
finden  wir  also  35,6  —  34,1  =  1,5®  Hauttemperaturdifferenz.  Von 
einem  konstanten  Verhältnis  zwischen  Haut-  und  Außentemperatur 
läßt  sich  demnach  nicht  sprechen;  eine  geringe  Abhängigkeit  der 
ersteren  von  der  letzteren  schon  innerhalb  dieser  Temperatur- 
grenzen ist  nicht  zu  verkennen.  Die  Temperatur  aller  Hautstellen 
steigt  mit  wachsender  Außentemperatur  ziemlich  gleichmäßig  an. 
Die  Achselhöhlentemperatur  steigt  langsam  mit,  nicht  kontinuierlich, 
aber  doch  derart,  daß  im  Mittel  37®  einer  Hauttemperatur  von 
35,1®  entspricht,  wie  sie  bei  23 — 24®  Außentemperatur  durch- 
schnittlich gemessen  wurde.  Niedrigere  Hauttemperaturgrade  sind 
mit  niedrigerer  Achselhöhlentemperatur  verknüpft, .  höhere  nur  mit 
37,0  und  mehr.  Die  Einzelresultate  weichen  z.  T.  etwas  davon  ah. 
Daß  ein  gewisser  Zusammenhang  zwischen  Hauttemperatur  und 
Achselhöhlentemperatur  besteht,  ist  erwiesen. 

Der  andere  Versuch,  den  Einfluß  der  Außentemperatur  auf  die 
Hauttemperatur  zu  studieren,  bestand  darin,  daß  die  Versuchs- 
personen in  ein  Zimmer  von  25®  C  und  mittlerem  Feuchtigkeits- 
gehalt der  Luft  gebracht  wurden,  dessen  Temperatur  (mittels  eines 
regulierbaren  Gasofens)  langsam  auf  35  ®  gebracht  wurde.  Innerhalb 
dieser  Grade  mußte  zugleich  auf  die  Schweißsekretion  Rücksicht 
genommen  werden,  deren  nachweisbarer  Beginn  vielleicht  durch 
bestimmte  Haut-  und  Zimmertemperatur  grade  fixiert  werden  konnte. 
Der  erste  Schweiß  zeigte  sich  gewöhnlich  in  der  Sternalgrube  (be- 
sonders bei  behaarter  Brust)  und  in  beiden  Achselhöhlen,  erst 
später  auf  der  übrigen  Brust,  der  Stime,  der  Hohlhand,  dem 
Bauch  usw.  Die  Durchschnittstemperaturen  der  Haut  bei  Beginn 
der  sichtbaren  Schweißbildung  lagen  zwischen  34,6  und  36,6®  bei 
Zimmertemperatur  von  30—34  ®.  Irgendwelche  Regelmäßigkeit  ließ 
sich  aber  nicht  nachweisen,  schon  deshalb  nicht,  weil  der  Moment 
des  Schweißausbruches  nicht  sicher  fixiert  werden  kann.  Die  ver- 
schiedensten äußeren  Umstände,  noch  mehr  aber  individuelle  Diffe- 
renzen, welche  die  Wärmeregulation  beeinflussen,  wie  Ernährungs- 
zustand, P^ettreichtum  etc.,  tragen  wohl  dazu  bei,  daß  der  Tempe- 
raturpunkt   des    Schweißausbruches    fast    in  jedem    Fall    wieder 


über  die  Hauttemperatur  des  gesunden  Menschen. 


257 


anders  gefanden  wird.  Lokale  Verschiedenheiten  der  Haut  lassen 
einen  gleichzeitigen,  über  den  ganzen  Körper  verbreiteten  Schweiß- 
ausbrnch  nicht  zustande  kommen,  wenn  nicht  sehr  rasch  erwärmt 
wird:  Es  schwitzt  daher  eine  Stelle,  z.  B.  die  Stemalgrube,  wäh- 
rend sich  der  übrige  Körper  noch  ganz  trocken  anfühlt.  Wenn 
die  Haut  deutlich  schwitzen  soll,  so  scheint  eine  Außentemperatur 
von  mindestens  30**  notwendig  zu  sein.  Von  diesem  Temperatur- 
grad an  steigt  die  Hauttemperatur  kaum  mehr,  sondern  hält  sich 
annähernd  auf  demselben  Niveau  unter  Zunahme  der  Schweiß- 
sekretion, wie  das  eine  fortlaufende  Messung  (Tab.  III),  bei  einer 
von  25  bis  34  ®  allmählich  ansteigenden  Zimmertemperatur  veranschau- 
lichen kann.  Der  Verlauf  der  einzelnen  Hauttemperaturen  ist  dabei 
ein  fast  paralleler,  die  Verhältnisse  der  Einzeltemperaturen  sind 
demnach  konstante.^) 


Tabelle  TTI. 

1 

SS       »ja 

Sa*      S 

ai.s  -3 

Sternum 

Pector. 
maior 

Baucb 

g  Oberarm 

5^  Vorder- 
of     arm 

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1« 

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ca 
Ph 

Durch- 
schnitts-    j 
temperatur  i 

n.xn. 

1         ! 
25     3b,b  34,0  34.2  33.5  ,  34,3    33,8 

1 

• 

11   h8.in.37,2 

34,3    33,5  34,3 

— 

34,4 

11'.    . 

n 

26     3ß,0  35,1  '34,6  134,2  35,0  '  33,9    34,9  ,  33,5 

34,2    - 

34,8 

11".    „ 

n 

27     ,36,1  35,3  35,0 134,3   35,1    34,6    35,4    34,3 

33,6'  — 

35,0 

12  ,    „ 

n 

28     36,5  |35,6  35,3  ,34,6   35,3    35,2    35,2    34,5  |33,6  ,  — 

35,3 

1 

Mittagessen:  1  Stunde  Pause. 

1   „p.m.  37,3 

29     36,1  34,8  34,5  34,9   35,0    34,2 

34,0    33,6  |34,6  ;  — 

34,S 

12*                1 

''     n     n          n 

30     36,4  35,4  35,2  35.2  '  34,9    34,5 

35,3    34,6 '34.8  1           35,3 

31     36,4  35,8 135,9  35,8   35,7    35,3 

35,4  '34,9  34;0             35,5 

1 

Haut  etwas  klebri«:.    Beg^inn  der  Schweißbildnng. 

2»o          1 

n     n          n 

32     35,9 

35,7  35.3  35,4   35,h 

35.8    35,9    35,2  34,4  '  —  '  35,5 

2» 

33     36,5 

35,7  35,7  ,35,4   35,9 

35,9    35,8    35,0  34,5  ;  —  i  35,7 

n     n          n 

34     36,4  i35,8  35,8  35,5   36,0 

36,0    36,0    35,2  34,2 

-  1  35,7 

bleibt 

1 

3'%   , 

n 

1 

34     36,3 

1 

35,6  35.8  35,3   36,2 

t 

1 

36,1 

'36,2 

35,0 

34,0 

1 

35,6 

1 

Durch  diese  Versuche  ist  im  ganzen  eine  entschiedene  Ab- 
hängigkeit der  Hauttemperatur  von  der  Außentemperatur  nach- 
zuweisen, sie  steigt  und  fällt  mit  ihr.    Wenn  man  also  von  einer 


1)  Interessant  an  dieser  Tabelle  ist  außerdem,  daü,  während  über  die  Zeit 
<ies  Mittagessens,  wo  sich  die  Versuchsperson  in  einem  etwas  kühleren  Zimmer 
befand,  die  ganze  Hauttemperatur  gefallen  war,  allein  die  Temperatur  der  Bauch- 
haut angestiegen  war,  wohl  die  Folge  der  durch  die  Verdauung  bedingten 
Hyperämie  der  Bauchorgane. 


258  XIV.  Oehlkb 

Eonstanz  der  Hauttemperatur  sprechen  will,  so  liegt  dieselbe 
weniger  in  der  absoluten  Höhe,  als  im  Verhältnis  derselben  znr 
Außentemperatur.  Bei  den  Temperaturgraden,  bei  welchen  der 
Körper  sichtbar  zu  schwitzen  beginnt,  steigt  die  Hauttemperatar 
weniger  steil  an  als  bei  mittlerer  Zimmert emperatui*;  schliefilich 
bleibt  sie  fast  konstant,  je  nachdem  Gelegenheit  zur  Verdunstung 
des  Schweißes  vorhanden  ist. 

Es  ist  interessant,  hier  darauf  hinzuweisen,  in  welch  innigem 
Zusammenhange  dies  Verhalten  der  Hauttemperatur  mit  den  Ver* 
ander ungen  der  Wasserdampfabgabe  der  Haut  steht  Aas  den 
Untersuchungen  von  Schierbeck,  v.Willebrand,  Schwenken- 
becher^)  ist  zu  entnehmen,  daß  bei  mittlerer  Temperatur  die 
Wasserabgabe  fast  parallel  der  Umgebungstemperatur  ansteigt.  Es 
übernimmt  also  die  zunehmende  Wasserbildung  einen  von  Grad  zu 
Grad  wachsenden  Anteil  an  der  Wärmeabgabe  des  Organismus. 
Infolgedessen  wird  auch  der  Zuwachs  der  Hauttemperatur  mit 
jedem  höheren  Grade  der  Lufttemperatur  etwas  kleiner,  bis  mit 
dem  Eintritt  der  Insuffizienz  der  Wärmeabgabe  durch  Leitung  und 
Strahlung  ein  plötzlicher  Anstieg  der  Schweißsekretion  eintritt,  der 
sog.  „Schweißausbruch". 

In  den  Wärmegraden  dagegen,  wo  der  nackte  Körper  zu  frösteln 
beginnt,  fällt  die  Hauttemperatur  schneller  und  nicht  mehr  so 
gleichmäßig  an  den  verschiedenen  Körperstellen.  Die  oben  ange- 
gebenen Verhältnisse  werden  unregelmäßiger. 

Ein  weiterer  kleiner  Versuch  an  3  Personen,  bestimmt,  den 
Einfluß  der  Körperruhe  und  Bewegung  auf  die  Haut- 
temperatur zu  untersuchen,  muß  hier  noch  Erwähnung  finden.  Der 
Einfluß,  den  einstündige  Bettruhe  auf  die  Hauttemperatur  von  Leuten 
ausübt,  die  den  Tag  über  außer  Bett  waren,  läßt  sich  nach  Tab.  IV. 
auf  welcher  die  Messungen  vor  und  nach  der  Ruhe  aufgezeichnet 
sind,  dahin  definieren,  daß  eine  allgemeine  Steigerung  der  Haut- 
temperatur stattfindet,  durchschnittlich  um  4  bis  5  Zehntelgrade,  und 
zwar  betrifft  diese  Zunahme  die  ganze  Hautoberfläche;  zentrale  wie 
periphere  Partien  der  Körperoberfläche,  bald  diese,  bald  jene  mehr. 
Es  ist  wohl  wahrscheinlich,  daß  sich  die  Versuchspersonen  bei 
Bettruhe  in  größerer  ümgebungswärme  befunden  haben  als  in  ihrer 
Kleidung.  Die  Prüfung  weiterer  Einflüsse  auf  die  Hauttemperatur 
wurde  nicht  unternommen,  einesteils  weil  sie,   wie  die  Kleidung, 


1)  Das  Nähere  siehe  bei  Schwenke nbecher,   Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  79 

S.  29, 


über  die  HaattempenUar  des  gesunden  Menschen. 


259 


die  verschiedenen  Hautapplikationen  etc.,  schon  Gegenstand  größerer 
üntersachongen  in  hygienischen  und  physiologischen  Laboratorien 
gewesen  waren  (Rnbner'),  Keller^  etc.),  andererseits  durch  zu 
ausgedehnte  Versnchsanordnung  den  Rahmen  dieser  Arbeit  über- 
schritten hätten. 

Tabelle  IV. 


Zeit  der 
Messung 


•3^ 


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CQ 


I 


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pp 


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I 

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5  h  p. 

(Bach  1  Stde. 
Bettrulie; 

Fr 

4»»li  p. 

5«*h  p. 

(Bach  1  St4e. 

Bettruhe). 

Ba. 

4««h  p. 

b^  h  p. 

(DMb  1  Stde. 

Bettruhe) 


23 


22V, 


22 


22 


22 
22 


37,2 


37,0 


36,6 


35,4 
3Ö.3 


35,2 
35,3 

34,9 
35,8 


35,3 

35,3 
35,5 

35,5' 

35,6 

35,9 
35,7^ 

36,1 
35,9 


35,8 
34,7 

35,1 
35,6 

35,1 
^6^135,1 


35,2 
36,2 

36,4 


35,7 
36,1 

34,8 
35,4 

33,0 


35,0 


35,6 

35,8 
35^5 

35,7 
34,7 


35,4 

35,6 
35,9 

35,8 
34,9 


links  Verband 
35,2  !  35,4 


¥1 
34,7 
34,4 

34,7 


34,7 

34,7 
34^ 

34,8 


35,2 

35,2 
35,7 

35,8 
35,3 


35,2 


36,0 

34,7  35,1 
35,9  36,1 


34,5 
35,7 

34,9 


34,7 

34,3 
34,8 

35,2 


36,0 

34J  _ 

33.8  34,3 

34.9  35,4 

34,7  35,4 


35,6 
34,6 


33,9  33,7 

34,2  i33,9 
34,4  34,6 


34,5  34,3 


34,9 


34,9 
35,8 


35,8 

33,6 

34,5 
35,5 

35,7 
33,2 


34,0 
34^ 

34,9 


35.4 
85,6 

84,9 
35,4 

34,4 
35,1 


Während  die  bisherige  Beschreibung  der  experimentell  ge- 
fundenen Werte  für  die  Hauttemperatur  mehr  dem  Verhältnis 
der  Einzeltemperaturen  an  verschiedenen  Hautstellen  zueinander 
mit  Berücksichtigung  der  Außentemperatur  gegolten  hat,  muß 
jetzt  noch 

3.  die  absolute  Höhe  der  Hauttemperatur 

zur  Sprache  kommen.  In  der  Tabelle  V*)  sehen  wir  mit  abneh- 
mender Lufttemperatur  einen  ganz  allmählichen  Abfall  der  Haut- 
temperätur,  sowohl  ihrer  einzelnen  Teile,  als  auch  der  Gesamtdurch- 
schnitte; es  besteht  also  nur  eine  relative  Konstanz  der  Haut- 

1)  Rnbner,  1.  c. 

2)  Keller,  C,  Untersuchung  Über  die  Beeinflussung  der  Hauttemperatur 
durch  äußere  Hautreize.    Inaug.-Diss.   Würzburg  1887/88. 

3)  TabeUe  V  gibt  Durchschnittszahlen.  Sie  sind  aus  den  bisher  besprochenen 
Messungen  berechnet  und  in  einzelne  Kategorien  nach  der  Höhe  der  Außentempe- 
ratur eingeteilt.  Die  Durchschnittswerte  für  jede  einzelne  Hautstelle,  sowie  die 
in  Betracht  kommende  maximale  und  minimale  Temperatur  und  deren  Differenz 
haben  wir  aufgezeichnet,  um  zugleich  die  Variabilität  der  einzelnen  Hauttempe- 
raturen  in  Beziehung  zu  ihrer  jeweiligen  Höhe  zu  demonstrieren. 


260 


XIV.  Oehlsb 


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über  die  Hanttemperatur  des  gesunden  Menschen. 


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262      XIV.  0 


Ober  di»  Hsoitempenkur  det  goraiiöem  ItenBchen. 


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>CTarm  u.  Q 

temperatar.    Sinkt  die  Außen temperatnr  immer  tiefer  heraHn?^ 
werden   die  Differenzen  der  Hanttemperatnr  von  Grad   zu 
immer  großer.    Am  stärksten  tritt  dies  herTor  an  der  Obe 
der  peripheren  Körperteile.     Es  werden  also  unsere  frühere 
gaben  bestätigt. 

Die  absolute  Höhe  unserer  Zahlen,  wie  sie  die  Tabelle 
entspricht  den  KunkeTschen  [Resultaten,    welche  sämtlicl 
20^  gewonnen  y   zwischen  32,5  und  34,4^  C  liegen.     Die  m 
unserer  Temperaturwerte  sind  höher  infolge  des  Einflusses 
höheren  Außentemperatur. 

Die  KunkePsche  Eonstanz,  sein  „Temperaturoptimum", 
individuell  etwas  verschieden  zu  sein,  aber  nur  innerhalb  e 
Zehntelgrade  zu  schwanken.  Abgesehen  von  einigen  örtlic 
dingten  Verschiedenheiten  der  Hauttemperatur,  die  aus  anato 
physiologischen  Gründen  leicht  erklärt  werden  können,  ist  si 
der  Außentemperatur  abhängig  und  liegt  dementsprechend  bei  um 
Messungen,  die  meist  bei  20  bis  25  ^  vorgenommen  wui*den,  zwi 
34  und  35,5  ^. 

Herr  Privatdozent  Dr.  Seh wenkenbecher  hat  mic 
Ausführung  der  Arbeit  freundlichst  unterstützt. 


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^::^r 


Erklärung  zu  Kurve  I— III  auf  Tafel  IT. 

Die  der  Arbeit  beigefügte  Tafel  enthält  9  Einzelkurven,  Ton  denei 
nntereinanderstehende  eiu  Ganzes  bilden  durch  in  ein  und  denselben  Vi 
gewonnen  sind. 

Die  Kurven 

la,  IIa,  III a  geben  ein  Übersichtsbild  der  ganzen  Hanttemperatur. 

Ib,  IIb,  III b  enthalten  die  Angaben  der  Hanttemperatnr  an  verschi« 
Stellen  des  Rumpfes,  während 

Ic,  II  c,  III  c  die  Hauttemperatur  an  den  Extremitäten  wiedergeben. 

Die  Kurven  I  b — III  c  sind  also  nur  eine  detaillierte  Ausführung  der  Kt 
la-IIIa. 


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XV. 

Aus  der  medizinischen  Klinik  in  Kiel. 

Die  Typhosbewegong  aaf  der  medizinischen  Klinilc  in 
Kiel  Yon  1885—1902  nebst  Bemerkungen  Aber  die  Ab- 

kflhlnng  dnreh  Wasserkissen. 

Tob 

Dr.  Wilhelm  Pfeiffer, 

ekemaligvm  Assistesten  der  Klinik. 
(Mit  2  KnrreB.) 

Die  vorliegende  Arbeit  schließt  sich  eng  an  eine  1886  er- 
schienene Arbeit  Goth's(l)  an,  welche  die  Typhusbewegung  auf 
der  medizinischen  Klinik  in  Kiel  für  die  Jahre  1871 — 1885  zum 
Gegenstand  hat. 

In  der  Zeit  vom  1.  Oktober  1885  bis  1.  April  1902  wurden 
513  unzweifelhafte  Typhusfälle  beobachtet,  wozu  sich  noch  18  Fälle 
gesellen,  bei  denen  die  Diagnose  Typhus  fraglich  blieb,  bei  denen 
wahrscheinlich  Phthisis  incipiens  oder  fieberhafte  Darmkatarrhe 
anderer  Entstehung  vorlagen  oder  bei  denen  die  Ursache  des  Fiebers 
überhaupt  nicht  aufzufinden  war.  Hier  sollen  nur  die  513  unzweifel- 
haften Fälle  Berücksichtigung  finden.  Drei  von  ihnen  wurden 
wegen  eines  Rezidivs  aufgenommen  und  können  wegen  der  sehr 
lückenhaften  Anamnese  und  der  ungenauen  Angabe  über  die  erste 
Erkrankung  nicht  vollständig  mit  verwertet  werden. 

Zu-  und  Abgang. 

Von  den  513  Fällen,  343  männlichen  und  170  weiblichen 
Geschlechts,  blieben  507  bis  zur  Heilung  bzw.  zum  Tode  in  klini- 
scher Behandlung,  6  wurden  gebessert  bzw.  ungeheilt  entlassen. 

Der  Zugang  in  den  einzelnen  Jahren  und  Monaten  ist 
wohl  am  besten  aus  folgenden  Tabellen  und  Kurven  ersichtlich, 
wobei  keine  Trennung  von  männlichen  und  weiblichen  Kranken  ge- 
macht wurde,  da  die  Kurven  für  beide  sich  annähernd  decken. 


XV.  Pfbiffbb 


Tabelle  I. 

Jftbriicher  Zugang 


1886 

*.  I.  X 

,886 

1887 

1868  1689|  1890 

1891 

1892 

1893 

!   1   1   !   1 

1894  I89ä  1896  1897  1898  1899 

1   1       1 

19001901 

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34  '  87  i  49 

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1          1 

23 

37 

1 

Knrre  1. 

J>D.  Febr.   Häiz  April    Mai   JunE  Juli  Aug.  Sept.  Ukt.    Nor. 


in  %  der  Qeaamterkrankungen. 

Die  Kurve,  welche  die  Belastung  der  einzelnen  Monate  zeigt 
hat  fast  dasselbe  ergeben,  was  in  Bochendahrs(2)  Generalbericht 
für  Schleswig-Holstein  für  das  Jahr  1882  über  deu  Typhus  in  der 
Provinz  gesagt  ist,  „daß  im  August,  seltener  bereits  im  Juli  eine 
Epidemie  anhebt,  welche  anfangs  zunehmend  im  Dezember  meist 
schon  absinkt,  oft  aber  noch  mit  hohen  Ziffern  bis  in  den  Januar 
des  folgenden  Jahres  fortdauert,  um  sodann  im  Frühjahr  zu  er- 
löschen". Auch  hier  weist  die  zweite  Hälfte  des  Jahres  69  "o 
aller  Erkrankungen  auf  Allein  die  5  Monate  Juli  bis  November 
haben  60  7„. 

Das  Alter  der  Patienten  ist  aus  Kurve  2  ersichtlich. 

Am  stärksten  belastet  ist  die  zweite  Hälfte  des  zweiten  und 
die  erste  des  dritten  Dezenniums.  15 — 35  Jahre  waren  81,5 "„ 
aller  Erkrankten.  Bei  2  Fällen  konnte  das  Alter  nicht  festgestellt 
werden. 

Was  die  Beschäftigung  der  Kranken  angeht,  so  war  die 
überwiegende  Mehrzahl  der  männlichen  Arbeiter  und  Handwerker,  der 
weiblichen  Dienstboten.  Die  weitaus  meisten  Patienten  stammten 


Die  Tjphnfibewegniig  auf  der  meditinischen  Klinik  in  Xiel  etc.        g65 

aus  Kiel  (ca.  70  \},  doch  kam  aadi  ein  nicht  nnbedeuteBder  Bruch- 
teil aoB  d«L  Bsalie^end^  Ortschaften  and  näher  gelegenen  StMten. 
Direkt  von  Bord  der  Schiffe  kamen  26  Männer  (8  %  der  Männer). 

Kwrre  2. 


1  Hill  tu  Ulm 

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°/g  der  J2)«samtsrknukuiigea. 


Bei  482  Exanken  liefi  sich  der  Krankbeitsta-g  beim  Ein- 
tritt ins  Krankenhaoe  genauer  bestimmen.    Es  traten  ein  in  der 

1.  £rankheit3wocbe  206, 

2.  „  208, 

3.  „  48, 

4.  „  16, 

5.  u.  6.        „  je    1. 

Ein  späterer  Eintritt  zuuBgnnBtra  eines  der  beiden  Geschlechter, 
wie  er  in  vielen  anderen  Statistiken  erwähnt  wird,  konnte  nicht 
gefnndea  werden. 

Die  dnrchschnittlidie  Anfentbaltsdauer  der  475  als  geheilt 
entlassenen  Fille  betrug  41  Tage  und  zwar  wurden 
bis  zu  10  Tagen  behandelt    3, 
»     r    20       „  „         37, 


30       , 

121 

40       , 

.       104 

50       , 

93 

»     »    60       ,.  „         57, 

langer  als  60       „  „         60, 

die  kflrzeste  Behandlungsdauer  betrug  8,  die  längste  236  Tage. 
Die  lange  Aufenthaltsdauer  bei  vielen  Kranken  wird  dadurch  er- 
Uärt,  daß  es  aa  der  hiesigen  Klinik  Ublidi  ist,  die  ßekoQvaleszenz 
Mcb  Infektionskrankheiten  oft  ganz  gegen  den  Willen  der  Kranken 
mt^licbst  lange  zu  überwachen. 

DeuUebu  Aichiv  f.  klln.  Medizin.    LXXX.  Bd.  18 


266  XV.  Pfkiffbb 

Von  den  482  Kranken,  bei  denen  sich  der  Erankheitstag  beim 
Eintritt  genauer  bestimmen  ließ,  warden  entlassen  in  der 

2.  Erankheitswoche  6  (5), 

3.  „  .  16  (6), 

4.  ,  42  (8), 

5.  .  73  (1), 

6.  „  86  (1), 

7.  „  65  (1), 

I  .                        8.               „  51,         • 

;  9-               «  54(1), 

l  10.              „  29, 

'  später  60  (1). 

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Die  in  Klammern  beigefügten  Zahlen  zeigen  an,  wie  viele  von 
den  Fällen  mit  Tod  abgingen.  Auch  hier  halten  sich  die  Prozent- 
zahlen zwischen  männlichen  und  weiblichen  Kranken  so  ziemlich 
das  Gleichgewicht.  Es  wurden  entlassen  als  geheilt  475  Kranke 
=  92,5  %,  gebessert  4  =  0,8  ®/o  (3  davon  vor  vollendeter  Heilung 
aber  fieberfrei,  1  mit  Nephritis),  ungeheilt  3  =  0,6  7o  (1  entfernte 
sich  heimlich  noch  fieberhaft,  1  hatte  Cystitis  und  Pyelitis  gonor- 
rhoica und  1  wurde  mit  Senkungsabszeß  zur  chirurgischen  Klinik 
verlegt).  Gestorben  sind  32  =  6,2%.  Von  den  32  Todesfällen 
betrafen  24  Männer  (6,9  %  der  Männer)  und  8  Weiber  (4,7  %  der 
Weiber).  Die  durchschnittliche  Aufenthaltsdauer  betrug  15,7  Tage 
und  zwar  die  kürzeste  3,  die  längste  90.  Es  wurden  behandelt 
bis  zu  10  Tagen  14,  20  Tagen  14,  30  Tagen  2,  60  Tagen  1,  länger 
als  60  Tage  1.  Der  Krankheitstag  ließ  sich  bei  25  genau  fest- 
stellen, danach  erfolgte  die  Aufnahme  in  der  1.  Woche  bei  9, 
2.  bei  13,  3.  bei  2,  5.  bei  1.  Das  Alter  ließ  sich  bei  30  Kranken 
feststellen,  es  standen  danach 

in  %  der  betr. 
Altersklasse 

im  Alter  von    1 —  5    1  10 


n  n  7? 

«  n 

V  n  n 

m  y  y 

11  ??  ?? 

??  »  » 

%•  ^«  *• 


16-20  5  3 

21—25  7  4,8 

26—30  4  5,2 

31—35  4  11,4 

36—40  2  12,5 

41—45  3  18,7 

46-50  3  42,8 

72  1  100 


Die  Typhusbewegnng  auf  der  medizinischen  Klinik  in  Kiel  etc.        267 

Der  Tod  erfolgte  in  der  2.  Woche  bei  5,  3.  bei  7,  4.  bei  8, 
5.  bei  1,  6.  bei  1,  später  bei  3. 

Die  Todesursache  war  Schwere  der  Infektion  in  12  Fällen 
=  37^7o  *^r  Todesfälle  überhaupt.  Der  Tod  wurde  in  4  der 
12  Fälle  begünstigt  durch  schwere  Blutungen  aus  der  Nase  (1)  bzw. 
Pneumonie  (2)  bzw.  Diphtherie  (1).  Perforationsperitonitis  war  in 
7  Fällen  Todesursache  =  21,9  %,  Darmblutung  in  3  =  9,4  7o,  Pneu- 
monie in  2  =  6,2  7u,  fenier  Erysipelas  faciei,  Diphtherie,  septische 
Erkrankung,  multiple  Eiterungen,  Meningitis,  Peritonitis,  Delirium 
tremens  und  Herzschwäche  (Potatorium)  in  je  1  Fall. 

Anamnestisches. 

Sichere  Angaben  über  frühere  Erkrankungen  an  Typhus 
wurden  11  mal  (2,1  ®/o)  gemacht  und  zwar  von  9  Männern  (2,6% 
der  Männer)  und  2  Weibern  (1,1%  der  Weiber).  Es  wurden  hier 
alle  unbestimmten  Angaben,  wie  Nervenfieber,  gastrisches  Fieber 
außer  acht  gelassen.  Notizen  über  die  früheren  Erkrankungen  waren 
in  keinem  Falle  zu  erhalten.  Die  Zeit  zwischen  der  ersten  und 
zweiten  Erkrankung  betrug  % — 15  Jahre.  Angaben  über  Dauer 
nnd  Schwere  der  ersten  Erki^ankung  finden  sich  nur  3 mal;  2 mal 
verlief  die  zweite  Erkrankung  gerade  so  schwer  wie  die  erste, 
Imal  verlief  die  erste  schwer,  die  zweite  leicht.  Nur  einer  der 
11  Patienten  starb  in  einem  Rezidiv  seiner  zweiten  Erkrankung. 
Die  zweite  Erkrankung  verlief  leicht  in  6,  mittelschwer  in  1,  sehr 
schwer  in  4  Fällen. 

Hausinfektionen  kamen  nur  3mal  (0,58%)  vor  und  be- 
trafen 2  mal  Kranke,  die  wegen  anderweitiger  Leiden  die  Klinik 
aufgesucht  hatten,  und  Imal  eine  Wärterin.  Einer  dieser  Kranken 
war  ein  Potator  mit  Demenz,  bei  dem  durch  sein  ganzes  Verhalten 
auf  der  Abteilung  eine  Infektion  nicht  zn  verhindern  war. 

Angaben,  mit  Typhuskranken  in  Berührung  gekommen 
zu  sein  oder  mit  Typhuskranken  in  demselbenHause  zusammen 
gewohnt  zu  haben,  fanden  sich  in  73  Fällen  =  14,2%. 

Arbeiten  mit  Typhuskulturen  riefen  3 mal  Typhus  hervor, 
betrafen  stets  Mediziner,  von  denen  2  starben. 

Eine  Milchinfektion  konnte  im  Jahre  1892  beobachtet 
werden.  Der  Ausgangsfall  betraf  den  Knecht  eines  Milchhändlers, 
der  zuerst  zu  Hause  gepflegt  wurde.  Die  Pflegerin  erkrankte  im 
August  gleichfalls  an  Typhus.  Bald  darauf  folgten  ihre  beiden 
Schwestern  und  im  August  und  September  kamen  dann  noch  8  Fälle 
zur  Beobachtung,   die   alle   ihre  Milch   von  dem  oben   erwähnten 

18* 


268  ^^«  Pfbiffbs 

Milchhändler  bezogen.  Insgesamt  wurden  damals  in  Kiel  96  Typhus- 
fälle  beobachtet,  die  sich  alle  auf  die  gleiche  Infektionsquelle  za- 
rückfähren  ließen.  Die  Epidemie,  die  im  wesentlichen  auf  einige 
Strafien  beschränkt  war,  in  denen  die  meisten  Familien  ihre  Hilch 
von  demselben  Lieferanten  bezogen,  spielte  sich  in  7  Wochen  ab- 
Der  Höhepunkt  mit  62  Erkrankungen  in  8  Tagen  fiel  in  die  Zeit 
vom  28.  August  bis  3.  September.  Im  ganzen  kamen  damals  162 
Erkrankungen  vor,  von  denen  96  (12  dieser  Patienten  waren  in 
der  Klinik)  mit  großer  Wahrscheinlichkeit  auf  den  Genuß  mit 
infizierter  Milch  zurückgeführt  werden  konnten.  Da  die  Nach- 
forschungen erst  nachträglich  angestellt  sind,  mag  die  Zahl  der 
Fälle  viel  größer  gewesen  sein.  Im  Brunnen  des  Milchlieferanten, 
in  dessen  Familie  mehrere  Erkrankungen  an  Typhus  vorgekommen 
waren,  wurden  mit  Sicherheit  Typhusbazillen  durch  Beinkultur 
nachgewiesen.  ^) 

Die  Inkubationsdauer  betrug  bei  den  durch  Infektion  im 
Laboratorium  beobachteten  Fällen  im  Durchschnitt  12  Tage. 

Allgemeiner  Erankheitsverlauf. 

Ein  plötzlicher  Erankheitsanfang  ward  von  331  Pa- 
tienten =  65  %  angegeben,  während  die  übrigen  180  =  35  ^U  ^»^ 
mehr  allmählichen  Beginn  der  Krankheit  angaben.  Bei  2  war 
der  Krankheitsbeginn  nicht  angegeben. 

Allgemeine  Klagen  wie  schweres  Krankheitsgefühl,  Ab- 
geschlagenheit, Gliederschmerzen,  Appetitlosigkeit,  Frost  und  Hitze 
finden  sich  bei  443  Fällen  =  86V  Schüttelfrost  ist  47 mal 
verzeichnet  (9,2 7o)»  Erbrechen  zu  Beginn  der  Krankheit  71  mal 
(13,8 •/o),  diffuse  Kopfschmerzen,  seltener  nur  auf  Stirn  oder 
Hinterkopf  lokalisiert,  wurden  von  350  Kranken  (68,2  %)  angegeben, 
Nackenschmerzen  von  38.(7,4%),  Nackensteifheit  von  2 
(0,4*^/0).  Sie  war  bei  einem  dieser  Fälle  so  ausgesprochen,  daß 
zuerst  an  eine  Meningitis  gedacht  wurde.  Kreuz-,  Eucken- 
und  Brustschmerzen  ohne  Lokalbefand  wurden  von  28,  26  und 
22  Kranken  geklagt. 

Die  Fieberdauer  ließ  sich  in  479  Fällen  feststellen.  Sie 
betrug 

1  Woche   bei    9  Kranken  =   1,9  ^o. 

2  Wochen   „80         „        =  16,7  „ 


1)  Diese  Angaben  verdanke  ich  der  Güte  des  Herrn  MediEinalrat  Dr.  Bocken- 
dahl  in  Kiel. 


Die  Typhusbewegtmg  anf  der  medizinischen  Klinik  in  Kiel  etc.        269 

3  Wochen  bei  137  Kranken  =  28,6  \ 

4  „  „  119  „  =  24,8  „ 
o  „  »?  «4  „  ==  15,4  „ 
o  „  „  36  „  =  7,5  „ 
7  21  =44 

mehr  als  7        „        „      3         „        =   0,6  „ 

Die  kürzeste  beobachtete  Dauer  war  4,  die  längste  93  Tage. 
Nur  in  einem  Falle  fand  sich  ein  kritischer  Temperaturabfall. 

Um  ein  Urteil  von  der  Schwere  der  Fälle  zu  bekommen, 
sind  im  folgenden  die  durchschnittlichen  Temperaturhöhen  auf  der 
Höhe  der  Krankheit  —  die  abendlichen  Exazerbationen  während 
der  Eontinua  gemessen  —  zusammengestellt.  Bei  442  Fällen  war 
dies  möglich. 

Über  41**   betrug  das  Fieber  bei  keinem, 
.      40,6^     „        „  „        „16=   3,8%, 

„      40^        „        „  „        „109  =  25,8,, 

unter  40  ^        „        „  „        „  297  =  70,4  „ 

In  den  ersten  Tagen  der  Krankheit  hatten  96  Patienten  noch 
gearbeitet.  Man  konnte  in  diesen  Fällen  häufig,  doch  durchaus 
nicht  immer,  einen  schwereren  Verlauf  feststellen.  Besonders  schwere, 
lang  fieberhafte  Fälle  befanden  sich  unter  den  von  Bord  der 
Schiffe  gebrachten  Kranken.  Typhus  ambulatorius  wurde 
3  mal  konstatiert. 

Roseola. 

Sie  war  vorhanden  bei  366  Fällen  (71  %),  fraglich  bei  18  (3,5  %) 
und  fehlte  bei  129  (25%).  Unter  den  366  Fällen,  die  sichere 
Roseola  aufwiesen,  befanden  sich  351,  wo  sich  der  Krankheits- 
anfang  genau  feststellen  ließ  und  zwar  bestand  bei  74  die  Roseola 
schon  bei  der  Aufnahme,  bei  102  gesellten  sich  zu  den  schon  bei 
der  Aufnahme  vorhandenen  Roseolen  im  Krankenhaus  neue  hinzu 
und  bei  175  wurde  das  Aufschießen  der  Roseolen  nur  hier  be- 
obachtet. Nur  diese  letzteren  lassen  eine  genauere  Besprechung 
zu.    Es  traten  die  ersten  Roseolen  auf 

in  der  1.  Woche   32  mal  =  18,3  %, 
2.       „      123  „    =  70,3  „ 
16  „    =   9,1  „ 

0  „    =    1,7  „ 

1  ,.    =   0,5  „ 


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3. 

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4. 

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5. 

M 

270  XV.  Pfeiffeb 

Bei  der  Mehrzahl  dieser  Fälle  (135)  trat  die  Roseola  nur  im 
Verlaufe  einer  Woche  auf,  bei  26  erstreckte  sie  sich  auf  2  Wochen, 
bei  9  auf  3,  bei  5  auf  4  und  mehr  Wochen.  Einmal  wurde  am 
34.  Tag  unter  erneuter  Milzschwellung  eine  reichliche  Roseola  be- 
obachtet, ohne  daß  es  zu  einem  Rezidiv  oder  Nachschub  gekommen 
wäre.    Die  Roseolen  traten  nur  15  mal  in  der  fieberfreien  Zeit  auf. 

Milztumor. 

Über  das  zweite  Kardinalsymptom,  den  Milztumor,  finde  ich 
Angaben  in  512  Fällen.  Eine  Vergrößerung  der  Milz  war  in 
495  Fällen  (96,6%)  nachweisbar  und  zwar  war  dieselbe  in  250 
dieser  Fälle  (50%)  palpabel.  Es  fehlte  der  Milztumor  während 
des  ganzen  Verlaufes  bei  13  Fällen  (2,5%).  In  4  Fällen  ließ  sich 
wegen  dauerndem  starken  Meteorismus  über  die  Größe  der  Milz 
nichts  aussagen. 

Stuhl. 

Was  die  Beschaffenheit  der  Entleerungen  während  der  Fieber- 
dauer angeht,  so  ist  nach  den  Notizen  von  502  Krankengeschichten 
folgendes  zu  sagen:  es  bestand  Durchfall  bei  218  Kranken  =  43,4%, 
Verstopfung  bei  79  =  15,7  %,  keine  Abweichung  vom  normalen  Ver- 
halten bei  14  =  2,8  % ;  es  bestand  teils  Durchfall,  teils  Verstopfung 
bei  150  =  29,9  % ;  bei  den  noch  übrig  bleibenden  41  Kranken  Mraren 
nur  geringe  von  der  Norm  abweichende  Störungen  der  Stuhl- 
entleerung nachweisbar.  In  der  Rekonvaleszenz  bestand  sehr  häufig 
Verstopfung. 

Agglutinationsprobe. 

Die  Widal'sche  Reaktion  wurde  in  31  Fällen  angestellt.  Sie 
war  in  25  derselben  positiv  (80%).  Der  früheste  Termin,  an  dem 
die  Probe  positiv  ausfiel,  war  der  6.  Tag.  Bei  5  dieser  25  Fälle 
ergab  die  erste  Agglutinationsprobe  ein  negatives  Resultat  und 
erst  bei  einer  einige  Zeit  später  voigenommenen  Probe  fiel  die- 
selbe positiv  aus.  Ersteres  war  meist  in  der  2. — 3.  Woche,  letz- 
teres in  der  3.-4.  Woche  der  Fall.  Dauernd  negativ  war  die 
Agglutinationsprobe  in  6  Fällen  (20%).  Das  Serum  wurde  meist 
aus  Blut  aus  der  Fingerkuppe  oder  dem  Ohr  gewonnen,  Imal  aus 
einem  periostitischen  Herd.  In  1  Falle  agglutinierte  Lumbalflüssig- 
keit  nicht,  während  Blutserum  agglutinierte.  Eine  Ausnahme- 
stellung nimmt  ein  schon  von  mir  veröfl'entlichter  Fall  ein,  bei  dem 
eine  Pleuritis  typhosa  (3)  gefunden  wurde  und  in  welchem  die 
Exsudatflüssigkeit  1  mal  agglutinierte,  während  die  bei  einer  zweiten 


Die  Typhnsbewegung  auf  der  medizinischen  Klinik  in  Kiel  etc.        271 

und  dritten  Punktion  gewonnene  Flüssigkeit  und  eben^  Fingerblut 
nicht  agglutinierten. 


Erscheinungeii  und  Komplikationen  Yon  selten  der  einzelnen 

Organsysteme. 

1.  Verdauungsorgane. 

Darmblutungen  wurden  in  40  Fällen  (7,7%)  beobachtet 
und  zwar  bei  29  Männern  (8,5%)  und  11  Weibern  (6,5%).  Bei  2 
der  Fälle  trat  die  Blutung  nur  im  Rezidiv  auf.  Das  Alter  der 
Patienten,  die  Häufigkeit  der  Blutungen  in  den  einzelnen  Alters- 
klassen und  der  Eintritt  der  Blutung  ist  aus  folgenden  Zusammen- 
stellungen ersichtlich: 


Alter 

m. 

w. 

Sa. 

in  %  der  betr.  Altersklasse 

1    10 

1 

2 

3 

10 

11—20 

5 

4 

9 

5     . 

21—30 

15 

1 

1« 

7 

31-40 

3 

4 

7 

13 

41    50 

4 

4 

18 

71-80 

1 

— 

1 

100 

Die  Blutung  trat  ein  in  der  2.  Woche  12  mal =31  <^/o,  3. 14  =  37, 
4.  9  =  24,  5.  2  =  5,  6.  1  =  2,6  %.  In  den  Jahren  1896  und 
1898  wurden  keine  Darmblutungen  beobachtet,  während  sie  in  den 
anderen  Jahren  zwischen  1,1  %  (1889)  bis  22,2  %  (1897)  schwankten. 

Die  Blutstühle  erfolgten  bei  der  Hälfte  der  Fälle  nur  Imal, 
bei  dem  Rest  2 — 11  mal,  die  Menge  der  Blutstühle  betrug  Spuren 
bis  mehrere  Liter  und  hielt  sich  meist  um  400—600  ccm.  In 
1  Falle  erfolgten  die  Blutstühle  einen  Tag  nach  der  Entfieberung, 
sonst  stets  in  der  Fieberperiode.  Bei  '^U  der  Fälle  bestand  Durch- 
fall bei  dem  Rest  Verstopfung.  20  der  Fälle  waren  schwere,  11 
roittelschwere,  7  leichte  und  2  ambulatorische  Typhen.  Ein  milderer 
Verlauf  des  Typhus  und  Aufhören  des  Fiebers  nach  der  Blutung 
ließ  sich  bei  5  Krauken  feststellen.  Gleichzeitiges  Nasenbluten 
fand  sich  bei  1  Patienten,  einen  Tag  vorher  Hämoptoe  bei  einem 
Phthisiker  und  Hämaturie  bei  einem  dritten  Patienten.  Peritoneal- 
symptome  boten  zwei.  Das  Sensorium  wurde  bei  5  freier,  bei 
ebensovielen  trat  ein  Temperaturabfall  ein,  der  in  einem  Falle  bis 
35,4*  betrug.  An  dem  der  Blutung  vorhergehenden  Tage  oder  am 
Tage  derselben  hatten  Abführmittel  (Rizinusöl  oder  Kalomel)  er- 
halten 5.    Von  den  40  mit  Darmblutungen  komplizierten  Fällen 


272 


XV.  Ppäottbb 


worden  26  (65%)  geheilt,  während  14  (35  ^o)  »tarben,  davon  4 
lediglich  an  der  Schwere  der  Blutung. 

Peritonitis  trat  bei  13  (2,5 "/o)  Kranken  auf  und  zwar  eine 
Peritonitis  circnmscripta  4 mal  (0,78 %  der  Oesaint- 
erkrankungen),  sie  betraf  2  Männer  irad  2  Weiber.  Der  Beginn 
der  peritonealen  Symptome  fällt  bei  3  Fällen  in  den  Beginn  der 
dritten  Woche;  bei  1  Fall  in  die  neunte.  1  der  Fälle  litt  gleich- 
zeitig an  Darmblutung.    Alle  4  heilten. 

Peritonitis  diffusa  kam  Imal  vor.  Sie  war  hervorgerufen 
durch  Dehnnngsgeschwfire  info}ge  starken  Meteorisraos  am  17.  Tag 
bei  einem  28jährigen  Arzt  und  endigte  tödlich. 

Perfora  tionsperi  ton  iti  8  kam  8mal  zur  Beobachtung  (1,5%) 
und  betraf  5  Männer  (1,4  %)  und  3  Weiber  (1,7  7o)-  I^i**'  Zusammen- 
stellung erläutert  das  Nähere. 


Alter               m. 

w. 

Sa.            in  %  der  betr.  Altersklassen 

11    20 
21-30 
31    40 
41    50 

2 

1 
1 
1 

1 
2 

3 
3 

1 
1 

1,6 
1,3 

1,9 

4,3 

Der  Eintritt  der  Perforation  ließ  sich  in  7  Fällen  feststellen. 
Sie  erfolgte  in  der  zweiten  Woche  2  mal  ==  28,5  7o»  dritten  2  =  28,5  %, 
vierten  2  =  28,5%  und  sechsten  1  =  14,3%.  In  1  Falle, 
in  dem  die  Perforation  eines  persistierenden  Kolongeschwiires  am 
94.  Krankheitstage  erfolgte,  ließ  sich  der  Eintritt  der  Perforation 
nicht  feststellen.  In  6  Fällen  waren  gleichzeitig  oder  kurz  vorher 
Darmblutungen  aufgetreten.  In  keinem  der  Fälle  war  vorher  ein 
Abführmittel  gereicht  worden.  Alle  8  Fälle  endigten  tödlich  und 
zwar  war  bei  7  die  Perforationsperitonitis  die  alleinige  Todes- 
ursache. 3  überlebten  die  Perforation  1  Tag.  Der  Sitz  der  Darm- 
geschwüre, auch  ohne  daß  sie  zur  Perforation  geführt  hatten,  ließ 
sich  aus  den  Sektionsprotokollen  von  27  der  31  Todesfälle  ent- 
nehmen. Danach  betrafen  sie  den  Dünndarm  in  12,  den  Dünn- 
und  Dickdarm  in  15  Fällen. 

Meteorismus  war  in  1  Falle  vom  7.  Tage  an  so  stark,  daß 
Dehnungsgeschwüre  entstanden,  die  zu  Peritonitis  führten. 

Auf  lleocökalgurren  wurde  172mal  geachtet,  es  war  118mal 
vorhanden  und  fehlte  54  mal. 

Angina  zeigte  sich  17 mal  (3,3%)  und  war  in  der  Mehrzahl 
der  Fälle  eine  katarrhalische  (11),  in  dem  Rest  eine  lakunäre  (6). 


Die  Typfaasbewegnng  anf  der  roedizmischen  Klinik  in  Kiel  etc.       27S 

Stomatitis  war  in  5,  Geschwüre  an  Gaumenbögen,  Zunge 
oder  Lippen  waren  in  4  Fällen  vorhanden. 

Pharyngitis  wird  bei  12  Kranken  erwähnt.  Von  den  der 
Mond-  und  Rachenh5h1e  benachbarten  Organen  erkrankte  das 
Mittelohr  in  14  Fällen,  darunter  6 mal  doppelseitig.  Spontan- 
perforation  trat  in  13  Fällen  ein,  nur  in  1  war  die  Paraeentese 
notwendig.  Eine  Otitis  externa  wurde  4 mal  beobachtet.  Eine 
Parotitis  entwickelte  sich  in  3  Fällen  in  der  3.  bzw.  5.  Woche, 
sie  war  stets  einseitig,  trat  nur  einmal  während  der  Fieberperiode 
anf  nnd  mußte  in  diesem  Falle  von  außen  inzidiert  werden. 

2.  Respirationsorgane. 

Coryza  im  Beginn  der  Krankheit  ist  nur  2 mal  vermerkt. 

Bronchitis  wurde  in  79  Fällen  (15,4%)  nachgewiesen,  bei 
41  derselben  handelte  es  sich  um  eine  trockene. 

Kroupöse,  hypostatische  Pneumonien  und  Broncho- 
pneumonien wurden  in  62  Fällen  (12%)  beobachtet  und  zwar 
handelte  es  sich  10 mal  (1,9 ^o)  ^^  kroupöse  Pneumonien,  die  in 
der  1.  bis  5.  Woche,  vorwiegend  in  der  2.  (5)  auftraten  und  von 
denen  2  Fälle  starben.^)  Die  Pneumonie  betraf  6 mal  den  rechten 
Unterlappen,  2  mal  den  rechten  Oberlappen,  je  Imal  den  linken 
Ober-  bzw.  Unterlappen.  Der  Verlauf  der  Krankheit  war  durch 
diese  Komplikation  stets  sehr  verzögert,  indem  die  durchschnitt- 
liche Aufenthaltsdauer  66  Tage  betrug.  Hypostasen  kamen  in 
32  (6,2%)  Fällen  in  der  Zeit  der  1.— 6.  Woche,  die  meisten  (11) 
in  der  2.  zur  Beobachtung.  3  der  Fälle  starben.*)  Auch  hier 
betrug  die  durchschnittliche  Aufenthaltsdauer  66  Tage.  Broncho- 
pneumonien  wurden  in  20  Fällen  (3,9%)  beobachtet;  einer  dieser 
Fälle  war  eine  Aspirationspneumonie.  Die  Zeit  betraf  die  1.  bis 
6.  Woche,  wieder  mit  Bevorzugung  der  2.  (7).  Bei  der  über- 
wiegenden Mehrzahl  der  Kranken  bestand  ein  Katarrh  der  Respi- 
rationswege. 7  der  Fälle  starben.  ^)  Die  durchschnittliche  Aufent- 
haltsdauer betrug  57  Tage. 

Pleuritis  kam  6 mal  (1,2%)  vor.  Sie  trat  je  Imal  in  der 
1.,  2.,  3.  und  4.  Woche  auf,  2  mal  in  der  7.  Sie  war  eine  sicca  in  1, 
exsudativa  in  5  Fällen.  Zur  Punktion  brauchte  nur  Imal  ge- 
schritten zu  werden.  1  mal  trat  die  Pleuritis  nach  einer  Pneumonie 
auf,  1  mal  entwickelte  sich  ein  Empyem,  das  der  Patient  aushustete 


1)  Ohne  daß  bei  allen  diese  Komplikation  die  alleinige  Todesursache  ge- 
wesen wäre. 


274  XV.  Pfkipper 

und  Imal  schien  es  sich  um  eine  Pleuritis  typhosa  (3)  zu  handeln. 
Es  wurden  bei  letzterem  Falle  am  12.,  18.  und  46.  Tage  Pleura- 
punktionen  vorgenommen  mit  fraglichen  Typhusbazillen  in  dem 
bei  der  ersten  Punktion  entleerten  Exsudat.  Alle  Fälle  wurden 
geheilt,  doch  war  der  Krankheits verlauf  ein  außerordentlich  protra- 
hierter.   Die  durchschnittliche  Aufenthaltsdauer  betrug  86  Tage. 

Laryngitis  entwickelte  sich  in  8  Fällen  (1,5%)  in  der  1., 
2.  und  4.  Woche  (in  der  2.  allein  4  mal).  Meist  handelte  es  sich 
um  Rötung  und  Schwellung  der  Stimmbänder,  in  2  Fällen  ließen 
sich  Geschwüre  an  den  Aryknorpeln  und  der  Epiglottis  feststellen. 
1  Fall  ging  an  Erysipelas  faciei  zugrunde.  Die  Aufenthaltsdauer 
betrug  50  Tage  im  Durchschnitt. 

Epistaxis  kam  25  mal  zur  Beobachtung  (4,9%),  am  häufigsten 
in  den  ersten  3  Wochen.  Bei  6  dieser  Patienten  zeigte  sich  auch 
Neigung  zu  anderweitigen  Blutungen,  so  litten  z.  B.  4  an  Darm- 
blutungen. In  nur  1  Falle  begünstigte  der  sehr  starke  Blutverlust 
durch  die  Nase  den  tödlichen  Ausgang. 

3.  Nervensystem. 

Bei  252  Fällen  finde  ich  Bemerkungen  über  das  Sensorium. 
Bei  143  fand  sich  eine  Störung  des  Sensoriums  von  einer  geringen 
Benommenheit  bis  zu  einem  schweren  Status  typhosus.  Letzterer 
wurde  ausgeprägt  nur  7 mal  gefunden.  Schwere  Delirien  kamen 
12  mal  zur  Beobachtung.  Das  Sensorium  wird  bei  109  Fällen  als 
frei  angegeben.  Die  Störungen  des  Sensoriums  hielten  gleichen 
Schritt  mit  der  Höhe  des  Fiebers.  Eine  melancholische  Ver- 
stimmung entwickelte  sich  nur  Imal  (0,19%)  bei  einer  24 jäh- 
rigen Gravida  am  26.  Krankheitstage  und  verschwand  nach  4  Wochen 
völlig.  Bei  einem  anderen  Patienten,  der  wegen  psychischer  Stö- 
rungen aufgenommen  wurde  (Potatorium  mit  Demenz)  und  der  auf 
der  Station  sich  mit  Typhus  infizierte,  traten  die  Störungen  mit 
Beginn  der  Krankheit  ganz  auffallend  in  den  Hintergrund. 

Meningitische  Symptome  boten  3  Kranke  (0,58 7o)-  ^^  dem 
einen  der  Fälle  war  die  eitrige  Meningitis  nachgewiesenermaßen 
durch  Typhusbazillen  veranlaßt  (4),  in  dem  anderen  war  der  Hiru- 
befund  ein  durchaus  negativer  und  in  dem  dritten  endlich,  bei 
welchem  man  zu  Lebzeiten  Miliartuberkulose  vermutet  hatte,  fand 
man  keine  anatomischen  Veränderungen.  Von  sonstigen  Erkran- 
kungen des  Nervensystems  sind  eine  am  25.  Krankheitstag  auf- 
getretene Fa  c  i  a  1  i  s  p  a  r  e  s  e  mit  Druckempfindlichkeit  des  Facialis- 
stammes  zu  erwähnen,  ferner  6  Fälle  von  Hyperästhesie,  die 


Die  Typhnsbewegong  auf  der  medizinischen  Klinik  in  Kiel  etc.       275 

meist  in  der  Rekonvaleszenz  auftrat  und  1  mal  den  ganzen  Körper, 
3  mal  die  ganze  untere  Extremität  und  2  mal  nur  die  Fußsohlen 
betraf. 

4.  Zirkulationsorgane. 

Venenthrombose   fand   sich   11  mal  (2,1  ^/o)  und   betraf 

5  Männer  (1,4  %)  und  6  Weiber  (3,5  %).  Am  häufigsten  war  die 
Vena  femoralis  betroffen  (6),  dann  die  Vena  saphena  magna  (3)  und 
schließlich  die  Vena  poplitea  (2).  In  7  Fällen  war  nur  die  linke 
Extremität  erkrankt,  in  2  Fällen  nur  die  rechte,  in  2  beide.  Das 
Älter,  in  dem  Thrombose  auftrat,  schwankte  zwischen  17  und 
43  Jahren.  Das  bevorzugte  Alter  war  das  2.  und  3.  Dezennium. 
Das  Auftreten  erfolgte  nur  Imal  schon  in  der  3.  Woche,  meist  in 
der  4.  und  5.,  Imal  gar  erst  in  der  9.    Alle  Fälle  wurden  geheilt. 

5.  Haut. 

Furunkel  entwickelten  sich  in  21  Fällen  (4,l**/o).  Zuweilen 
waren  sie  außerordentlich  zahlreich,  meist  an  den  dem  Druck  aus- 
gesetzten Stellen.  Die  Zeit  ihres  Auftretens  fällt  vorzüglich  in 
die  4.— 6.  Woche,  fast  zur  Hälfte  der  Fälle  in  das  fieberhafte  Stadium 
der  Krankheit,  fast  zur  Hälfte  in  die  Eekonvaleszenz  und  dann 
geringe  Fiebersteigerungen  hervorrufend. 

Abszesse  bildeten  sich  in  11  Fällen  (2,1%)  an  den  ver- 
schiedensten Körperstellen,  meist  in  der  4.  Woche  und  bei  9  der 
Fälle  noch  während  der  Fieberperiode. 

Decubitus  kam  13 mal  vor  (2,5%),  9 mal  betraf  er  die  Kreuz- 
beingegend.   Er  entwickelte  sich  meist  in  der  3.  und  4.  Woche. 

Herpes  facialis  würde  in  20  Fällen  (3,9%)  beobachtet, 
darunter  15 mal  ein  Herpes  labialis.  Imal  folgte  4  Tage  nach 
Auftreten  des  Herpes   eine  Pneumonie.     Der  Herpes  erschien  je 

6  mal  in  der  1.  bzw.  2.  Woche  (von  15  Fällen,  wo  sich  die  Zeit 
des  Auftretens  feststellen  ließ). 

Miliaria  rubra  und  crystallina  fand  sich  13 mal  (2,5 %) 
besonders  vermerkt. 

Urticaria  2 mal.  Bei  dem  einen  der  Fälle  begann  der  Typhus 
mit  einer  solchen,  bei  dem  anderen  trat  sie  erst  in  der  Rekonvaleszenz 
unter  Fiebersteigerung  auf.  J]ine  stärkere  Hautschuppung  haupt- 
sächlich am  Rumpf,  seltener  an  den  Extremitäten  finde  ich  8  mal 
vei-zeichnet.  Sie  trat  meist  in  der  Rekonvaleszenz  und  von  der 
4.  Woche  ab  auf;  bei  allen  Fällen  war  eine  mehr  oder  weniger 


276  XV.    PlfEIFFBB 

reichliche  Roseola  vorhergegangen.    Daß  eine  Miliaria  crystallina 
vorhergegangen  wäre,  war  nicht  bemerkt. 

Kleinste  Häroorrhagien  am  Rumpf  und  den  Extremitäten 
traten  3mal  aaf;  ein  papnlöses  Exanthem  neben  der  Roseola 
Imal.  Stärkerer  Haaraas  fall,  der  Imal  zu  völliger  Alopecie 
führte,  die  in  3  Monaten  völlig  heilte,  wurde  bei  3  Frauen  beob- 
achtet in  der  6.,  14.,  bzw.  18.  Woche. 

6.  Bewegungsapparat 

Periostitis  wurde  15 mal  (2,9%)  beobachtet.  Sie  trat  nur 
in  4  Fällen  während  der  Fieberperiode  auf  und  wurde  demgemäÄ 
nnr  je  Imal  in  der  2.,  3.  und  5,  2 mal  in  der  4.,  je  Imal  in  der 
6.  und  8.,  je  2  mal  in  der  7.,  9.,  10.  und  11.  Woche  beobachtet. 
Sie  rief,  wenn  sie  in  der  Rekonvaleszenz  auftrat,  häufiger  geringe 
Fiebersteigerungen  hervor.  Alle  Fälle  gingen  in  Heilung  über. 
Am  häufigsten  betroffen  waren  die  Tibia  und  der  Kopf  (je  4),  dann 
folgten  der  Fuß  (3),  die  Wirbelsäule  (2),  der  Humerus  und  die 
Rippen  (je  1).  Inzisionen  waren  4 mal  nötig,  Imal  eine  gleich- 
zeitige Rippenresektion.  Eiter  fand  sich  in  3  Fällen.  Die  Kulturen 
ergaben  in  2  derselben  nur  Typhusbazillen,  in  1  nur  Staphylo- 
kokken. In  den  beiden  anderen  Fällen  wurde  kein  Eiter  gefunden, 
dagegen  ließen  sich  in  der  Odemflüssigkeit  Typhusbazillen  nach- 
weisen, in  dem  einen  außerdem  noch  eine  zweite  Art  Stäbchen. 
Bei  einem  Falle  wurde  mit  einer  Spritze  bis  auf  den  periostitischen 
Herd  eingegangen  und  in  der  sanguinolenten  Odemflüssigkeit,  die 
agglutinierte,  auch  Typhusbazillen  gefunden  (5,  6,  7). 

7.  Harn-  und  Geschlechtsorgane. 

Nephritis  kam  9 mal  zur  Beobachtung  (1,7%)  7  Männer 
und  2  Weiber.  2  der  Fälle  zeigten  stark  hämorrhagischen  Urin. 
In  den  5  Fällen,  wo  mit  Sicherheit  das  erste  Auftreten  von  Eiweiß 
im  Urin  festgestellt  werden  konnte,  entwickelte  sich  die  Nephritis 
stets  während  der  fieberhaften  Periode  und  zwar  je  2  mal  in  der  1., 
je  Imal  in  der  2.,  3.  und  4.  Woche.  Von  den  9  Fällen  starben  4, 
also  44**/o  aller  an  Nephritis  erkrankten.  Fast  alle  Fälle,  die  mit 
Nephritis  kompliziert  waren,  waren  schwere  Typhen  bis  auf  einen, 
der  nur  13  Tage  fieberte  und  bei  dem  das  Eiweiß  bald  wieder 
verschwand.  Von  den  5  Kranken,  die  mit  dem  Leben  davon  kamen, 
wnrden  4  völlig  geheilt,  1,  bei  dem  sich  Aszites  und  Ödeme  ent- 
wickelt hatten,  in  der  23.  Woche  gebessert  entlassen.  Bemerkungen 
über  Untersuchung  des  Urins  auf  Eiweiß  fanden  sich  bei  460  Kranken 


Die  Typhnsbewegong  auf  der  medusinischen  Klinik  in  Kiel  etc.        277 

aod  ergaben,  daß  sich  bei  207  (45 ^Z^)  eine  febrile  Albuminurie 
feststellen  ließ,  während  der  Urin  bei  253  Kranken  dauernd  eiweiß- 
frei war.  Die 'Ehrlich'sche  Diazoreaktion  wurde  28mal 
angestellt  und  fiel  bei  22  Kranken  positiv  aus. 

Katheterismus  häufiger  bei  Frauen  als  bei  Männern  wurde 
9  mal  nötig.  3  mal  trat  die  Harnverhaltung  im  Anschluß  an  eine 
Darmblutung  auf.  Mit  einer  Pyelitis  begann  bei  1  Kranken 
der  Typhus.  Cystitis  entwickelte  sich  5 mal  (0,9%),  stets  bei 
Männern  und  stets  in  der  Rekonvaleszenz.  Sie  heilte  meist  schnell 
und  rief  nur  zuweilen  geringe  Temperatursteigerungen  hervor.  In 
3  oder  4  Fällen  wurde  auf  hiesiger  Klinik  die  auffällige  Beob- 
achtung gemacht,  daß  eine  vor  dem  Typhus  erworbene  Gonorrhoe 
während  desselben  vollständig  verschwand  und  erst  mit  dem  Ein- 
tritt der  Eekonvaleszenz  wieder  zum  Vorschein  kam. 

Hämaturie  wurde  bei  1  Kranken  1  Tag  vor  Eintritt  einer 
Darmblutung  beobachtet.  - 

Orchitis  mit  gleichzeitiger  Schwellung  des  Nebenhodens  und 
Samenstrangs  wurde  bei  1  Kranken  in  der  8.  Woche,  Prostatitis 
bei  einem  anderen  in  der  6.  Woche  beobachtet 

Als  Gravidae  waren  4  Frauen  eingetreten;  sie  befanden 
sich  im  4.  bis  7.  Schwangerschaftsmonat  und  bei  keiner  wurde  die 
Gravidität  unterbrochen.  Abort  wurde  nicht  beobachtet  Die  An- 
gaben über  Unregelmäßigkeiten  der  Menstruation  sind  zu  spärlich, 
um  hier  verwertet  werden  zu  können. 

8.  Sonstige  Komplikationen. 

Anämie:  7  (meist  Weiber). 

Potatorium:  6  (wovon  die  Hälfte  starben). 

Askariden:  5  (2 mal  ausgehustet,  Imal  bei  Darmperforation 
frei  in  der  Bauchhöhle). 

Lungenspitzenkatarrh:  4  (während  des  Typhus  ent- 
wickelt). 

Irregularität  am  Herzen:  4. 

Gonorrhöe:  4. 

Hämorrhoiden:  3  (2 mal  Vereiterung,  Imal  Blutung). 

Diphtherie:  3  (2 mal  Auftreten  während  des  Fiebers  und 
tödlich  endigend,  Imal  während  der  Rekonvaleszenz  und  Heilung). 

Erysipel:  3  (2 mal  während  des  Fiebers  vom  Ohr  bzw.  Ab- 
szeß am  Ellbogen  ausgehend,  1  davon  gestorben,  Imal  während 
der  Rekonvaleszenz  von  der  Nase  ausgehend,  auf  Dura  und  Gehirn 
übergreifend  und  den  Tod  herbeiführend). 


278 


XV.  Pfeiffer 


Phthisis  pulmonum:  3  (schon  bei  der  Aufnahme  vorhanden ; 
kein  schnelleres  Fortschreiten  während  des  Typhus  bemerkbar). 

Ikterus:  2  (beide  Male  in  der  zweiten  tVoche.  In  dem 
1  Fall  kam  es  zu  einer  vollkommenen  Gallenstauung.  Der  Ikterus 
hielt  4  Wochen  an.    Im  zweiten  Fall  fehlen  genauere  Angaben). 

Colitis  ulcerosa,  Rhachitis,  Conjunctivitis,  Kera- 
titis, Herzfehler  (normaler  Verlauf  des  Typhus),  Ulcus  ven- 
triculi  rotundum,  Ulcus  ventriculi  mit  Übergang  in 
Karzinom,  Lupus  faciei,  septische  Erkrankung,  Ky- 
phose mit  Senkungsabszeß,  Skorbut  (die  vor  dem  Typhus 
vorhanden  gewesene  skorbutische  Diathese  trat  in  der  Rekon- 
valeszenz wieder  hervor):  je  1. 

9.  Rezidive. 

Sichere  Rezidive  wurden  in  34  Fällen  (6,6  \)  beobachtet  und 
betrafen  21  Männer  (6,1%  d.  M.)  und  13  Weiber  (7,6 "/o  d.  A\.). 
Die  Mehrzahl  der  Erkrankten  stand  im  16.  bis  25.  Lebensjahre. 
Das  Alter  und  die  Häufigkeit  des  Rezidivs  bei  den  einzelnen 
Altersklassen  ist  aus  folgender  Zusammenstellung  zu  ersehen: 


Alter 

Erkrankangen 

davon  Re- 

»% 

an  Typhus 

zidive 

1    5 

10 

1 

10 

6—10 

20 

3 

15 

11    15 

20 

3 

15 

16—20 

159 

9 

5,7 

21    25 

147 

9 

6,1 

26    30 

77 

5 

6,5 

31    35 

35 

36-40 

16 

1 

6,2 

41-45 

16 

2 

12,5 

46—50 

7 

1 

14,2 

Die  fieberhafte  Zwischenzeit  zwischen  erster  Erkrankung  und 
Rezidiv  betrug  da,  wo  sie  sich  feststellen  ließ,  2  —  18  Tage  oder 
7,7  Tage  im  Durchschnitt.  Der  Beginn  des  Rezidivs  lag  meist  in 
der  3.-7.  Woche,  in  1  Fall  aber  erst  in  der  11.  Nur  in  1  Falle 
fand  sich  ein  steiler  Temperaturanstieg.    Die  Fieberdauer  betrug 

1  Woche  bei  4  Kranken  (12,1%),  2  Wochen  bei  18  (54,5 '».o), 
3  Wochen  bei  8  (24,2%),  4  Wochen  bei  2  (6%),  5  Wochen  bei  1 
(3®;o).  Die  kürzeste  beobachtete  Fieberdauer  war  5,  die  längste 
32  Tage.  Die  Fieberdauer  war  im  Rezidiv  kürzer  als  bei  der 
ei-sten    Erkrankung    bei    26,    länger    bei    2    und    ebensolang   bei 

2  Fällen.    Das  Rezidiv  folgte  sowohl  schweren  als  auch  leichten 


Die  Typhnsbewegung  auf  der  medizinischen  Klinik  in  Kiel  etc.        279 

Typhen.  Dasselbe  verlief  leichter  als  die  erste  Erkrankung  in  14, 
schwerer  in  4  und  ebensoleicht  bzw.  schwer  in  13  Fällen.  Roseola 
war  bei  beiden  Erkrankungen  vorhanden  in  14  Fällen,  sie  fehlte 
in  10,  sie  war  bei  der  ersten  Erkrankung  vorhanden  und  fehlte 
bei  dem  Rezidiv  in  7  und  war  beim  Rezidiv  vorhanden  und  fehlte 
bei  der  ersten  Erkrankung  in  1  Fall.  Die  Entleerungen  hatten 
dieselbe  Beschaffenheit  wie  bei  der  ersten  Erkrankung  in  16  Fällen, 
in  15  bestand  bei  der  ersten  Erkrankung  Durchfall  bei  der  zweiten 
Verstopfung  oder  umgekehrt.  In  16  Fällen  schwoll  die  Milz  von 
neuem  an,  in  4  war  sie  während  der  fieberfreien  Zeit  überhaupt 
nicht  abgeschwollen.  Als  Ursache  für  das  Rezidiv  war  in  10  Fällen 
(29,4  7o)  ein  Diätfehler,  in  den  anderen  ein  ersichtlicher  Grund  nicht 
nachweisbar.  Von  den  34  Kranken  starb  nur  1,  bei  14  stellten 
sich  Komplikationen  ein. 

10.  Nachschübe. 

Es  wurden  7  Nachschübe  (1,4  ^J  festgestellt  bei  1  Mann  (0,3  7o) 
und  6  Weibern  (3,5  ®/o).  Der  Nachschub  dauerte  nur  in  3  Fällen 
länger  als  die  Haupterkrankung  sonst  stets  kürzer.  Die  Haupt- 
erkrankung und  der  Nachschub  verliefen  meist  gleich  schwer.  In 
l  Falle  begann  der  Nachschub  mit  steilem  Temperaturanstieg. 
Bei  der  Haupterkrankung  war  in  6  Fällen  Roseola  vorhanden,  bei 
dem  Nachschub  nur  2  mal.  Eine  erneute  Milzschwellung  ließ  sich 
in  3  Fällen  feststellen,  auch  trat  in  den  meisten  erneut  Durchfall 
ein.  5  der  Fälle  boten  Komplikationen,  alle  7  heilten.  Eine  Ur- 
sache für  den  Nachschub  war  in  keinem  Falle  auffindbar. 

11.  Rekonvaleszenz. 

Außer  den  oben  schon  erwähnten  durch  Komplikationen  oder 
Nachkrankheiten  bedingten  Störungen  in  der  Rekonvaleszenz  fand 
sich  bei  53  Kranken  Fieber,  ohne  daß  ein  Organbefund  für  das- 
selbe erhoben  werden  konnte.  Bei  weiteren  23  Kranken  mußte 
bestehende  Obstipation,  das  erste  konsistentere  Essen,  das  erste 
Anfstehen,  eine  Aufregung  oder  dgl.  für  die  Temperaturerhöhung 
verantwortlich  gemacht  werden.  Sub normale  Temperaturen 
Würden  in  der  ersten  Rekonvaleszenz  häufig  beobachtet  und  be- 
wegten sich  bei  139  Kranken  unter  37",  bei  12  unter  36^  (Rektal- 
messung). 

12.  Therapie. 

In  der  medikamentösen  Therapie  nimmt  das  Kalomel  die 
erste  Stelle  ein.    Es  wurde  in  448  (87 "/,,)  Fällen  angewandt,  meist 


280  XV.  Pfeiffer 

in  der  Dosis  von  0,3  g  ein  bis  mehrere  Male,  bei  Kindern  ent- 
sprechend weniger.  Es  wurde  sowohl  im  Beginn  der  Erkrankung 
respektive  direkt  bei  der  Aufnahme  als  auch  im  Verlaufe  der 
Krankheit  bei  drohendem  Rezidive  gereicht*) 

Chinin  wurde  in  162,  also  fast  bei  V«  aller  Fälle  gegeben. 
Die  Dosis  schwankte  zwischen  0,3  und  2  g.  Es  wurde  ein  bis 
mehrere  Male  meist  in  der  Deferveszenz  gegeben  und  schien  die 
Entfieberung  stets  zu  beschleunigen. 

Salizylprä parate  und  zwar  vorzugsweise  das  Natrium 
salicylicum  wurden  in  47  von  den  128  Fällen  der  Jahre  1886 — 89 
zur  Verhütung  von  Rezidiven  angewandt.  Die  Dauer  dei*  Dar- 
reichung schwankte  zwischen  6  und  28  Tagen  und  betrug  die 
Tagesmeuge  1 '/,  bis  4  g.  Von  26  einwandfreien  Fällen  erkrankten 
dennoch  3  an  einem  Rezidiv  =^  11  %,  während  die  Prozentzabl  der 
Rezidive  überhaupt  nur  6,6%  betrug. 

Gelatine  wurde  in  den  .lahren  1899—1901  bei  7  an  Darm- 
blutungen erkrankten  Patienten  von  im  ganzen  10  Fällen  dieser 
Jahre  versucht.  Die  Patienten  erhielten  200  g  2  ^'„  (Telatinelösung 
subkutan.  In  5  Fällen  trat  eine  weitere  Darmblutung  nicht  mehr 
auf,  während  solche  in  2  Fällen  erneut  erfolgten  (8). 

Hydrotherapeutisch  wurden  390  (76 \)  Kranke  behandelt 
und  zwar  78  nur  mit  kalten  Bädern  unter  20  ^  72  nur  mit  kalten 
Wasserkissen  von  10 — 18®,  33  nur  mit  kalten  Umschlägen  von 
16—18**;  52  wurden  mit  kalten  Bädern  und  Wasserkissen  be- 
handelt, 13  mit  diesen  und  kalten  Umschlägen,  14  mit  diesen 
und  kalten  Bädern,  20  mit  kalten  Bädern,  Wasserfassen  und 
kalten  Umschlägen.  27  erhielten  Dauerbäder  von  35  -  36  ®,  81 
wärmere  Bäder  von  20-  30  ^ 

Goth's  Statistik  (1.  c.)  und  die  meine  umfassen  fast  den 
gleichen  Zeitraum  und  ihnen  ist  fast  die  gleiche  Erankenzahl  zu 
Grunde  gelegt,  sie  eignen  sich  daher  ganz  besonders  zum  Ver- 
gleiche. Am  Schlüsse  der  nun  folgenden  Vergleichung  habe  ich 
eine  Tabelle  angefügt,  die  außer  3  älteren  recht  vollständigen 
schon  bei  Goth  veröffentlichten  Zahlen  die  Ergebnisse  zweier 
neueren  Statistiken  nämlich  der  von  Schultz (9)  und  der  von 
Berg (10)  enthält.    Die  Arbeiten  von  Schultz  und  Berg  sind 


1)  Quincke  hat  den  Eindruck,  als  ob  seit  dieser  ziemlich  regelmäßigen 
initialen  Kalomeldarreichung  die  Häufigkeit  und  Intenidtftt  der  DorehfiÜle 
während  des  Verlaufs  im  Vergleich  zu  früher  sich  wesentlich  rermindert  hftbe. 


Die  Tjphusbeweguiig  auf  der  medizimschen  Klinik  in  Kiel  etc.       281 

besonders  deshalb  wertvoll,  weil  ihnen  ein  enormes  Material  aus 
Hamburg  und  Leipzig  zugrunde  gelegt  ist.  Verfügt  doch  Berg 
über  1626  und  Schultz  gar  über  3686  Fälle.  In  die  Tabelle 
sind  ebenfalls  Goth's  und  meine  Zahlen  eingereiht.  Zahlen,  die 
den  Statistiken  von  Schultz  und  Berg  entnommen  sind  und 
keinen  Platz  in  der  Tabelle  gefunden  haben,  finden  sich  in  der 
folgenden  Vergleichung  in  Klammem  beigefügt. 

Die  Zahl  der  Typhusfälle  in  Kiel  hat  namentlich  seit 
dem  Jahre  1893  erheblich  abgenommen,  um  nur  in  den  Jahren  1900 
und  1901  wieder  etwas  zuzunehmen.  Die  Abnahme  der  Zahl  der 
Typhusfälle  mit  dem  Jahre  1893  ergibt  sich  auch  ganz  deutlich 
aus  den  für  die  Stadt  Kiel  und  die  Provinz  zusammengestellten 
Zahlen.  Während  in  den  Jahren  1885—1892  im  Durchschnitt 
170  (Kiel)  und  2640  (Provinz)  Fälle  gemeldet  wurden,  kamen  in 
den  Jahren  1893—1902  nur  40  bzw.  1020  zur  Meldung,  i)  Um 
einen  Einblick  zu  bekommen,  wie  viele  Typhusfälle  in  der  Stadt 
Kiel  und  in  der  Provinz  überhaupt  zur  Beobachtung  kamen  und 
wie  viele  der  Kranken  Aufnahme  in  die  Klinik  fanden,  mögen 
folgende  Zahlen  dienen.  In  den  Jahren  1885 — 1902  gelangten  aus 
der  Stadt  Kiel  1783  Fälle  mit  133  (=  7,5  ^'o)  TodesfäUen  zur  amt- 
lichen Meldung.  Von  den  in  Kiel  und  den  umliegenden  Ortschaften 
am  Typhus  Erkrankten  kamen  im  Durchschnitt  31  "/o  ^^-ch  der 
Klinik.  Die  Zahlen  für  die  aus  der  Provinz  gemeldeten  Fälle  be- 
tragen 30889  und  3175  (=  10,3  7o)-  Von  den  12  751  Erkrankungen 
aus  der  Provinz  in  den  Jahren  1892 — 1902  entfallen  46  ^o  auf  die 
Städte  und  54%  auf  das  flache  Land.  Auch  diesmal  weist  die 
zweite  Hälfte  des  Jahres  fast  ^j^  aller  Erkrankungsfälle  auf.  Die 
Mortalität  beträgt  in  beiden  Fällen  fast  6%,  bei  Goth  ist  die 
Sterblichkeit  der  Weiber,  hier  die  der  Männer  etwas  größer.  Sie 
ist  unter  10  Jahren  mäßig  hoch,  sinkt  dann  ab,  steigt  vom  15.  Jahre 
an  wieder  langsam  an,  um  besonders  um  das  50.  Jahr  rapide  an- 
zusteigen. Bei  Goth  zeigt  die  Kurve  große  Schwankungen,  er- 
reicht jenseits  des  60.  Jahres  allerdings  auch  hohe  A\'erte.  (Berg: 
Die  Mortalität  zeigt  abgesehen  von  der  der  Kinder,  welche  auch 
koch  ist,  im  höheren  Alter  eine  Zunahme.)  Die  Todesfälle  an 
Perforationsperitonitis,  Darmblutungen  und  Pneumonien  waren  ge- 
linger,  diejenigen  jedoch,  in  denen  man  nur  die  Schwere  der  In- 
fektion für  den  angünstigen  Ausgang  verantwortlich  machen  konnte, 
wesentlich  erhöht:  37,5%  gegen  2,9%  bei  Goth. 

1)  Diese  wie    die   folgenden  Zahlen   verdanke  ich    ebenfalls  der  Güte  de» 
Herrn  Medizinalrat  Dr.  Bochendahl  in  Kiel. 

Deutsche«  Archiv  für  klin.  Medizin.    LXXX.  Bd.  19 


282 


XV.    PFftiyFBB 


SSI 


Perforations- 
Peritonitis 


Darmblatong    Schwere  der  Inf. 


P]ie«moiiie 


Goth 
Pfeiffer 
Berg 
Schultz 


25,7 
21,9 
16,5 

14,1 


11,4 
9,4 
8 
6,6 


2,9 
SV,6 
37 
51,4 


6,2 
10 
15,5 


Ganz  wesentlich  herabgegan^n  ist  di6  Zahl  der  Haus^ 
Infektionen,  die  von  5,57o  »uf  0,68%  gesunken  ist  (B.  1,5^ 
Seh.  0,67  %). 

Schüttelfrost  trat  in  9,2%  der  Fälle  anf,  während  er  bei 
Öoth  nur  in  3,6%  vermerkt  wird. 

Die  Pieberdaüer  währte  im  Durchschnitt  im  ganzen  kürzer 
als  sie  bei  Goth  angegeben  ist,  auch  die  Höhe  des  Fiebers  war 
geringer.  Fälle  mit  einer  Kontinua  über  41^  kamen  überhaupt 
nicht  ZOT  Beobachtung,  während  solche  mit  einer  Kontinua  unter 
40'*  70,4%  betrügen  gegen  24%  bei  Goth. 

Die  Prozentzahlen  der  sicher  vorhandenen  Roseola  decken 
sich  fast,  während  die  der  sicher  fehlenden  hier  mehr  wie  doppelt 
so  groß  sind  als  bei  Goth  (sicher  vorhanden  6.  74,8,  Pf.  71,  B.  80,4^ 
Sek  71,4%;  sicher  fehlend  G.  10,9,  Pf.  25,  B.  14,  Seh.  14,5%). 

Die  Milz  wird  hier  bei  50  %  der  Fälle  als  palpabel  angegeben 
gegen  14,4%  bei  Goth.  Die  übrigen  Zahlen  die  Milz  betreffend 
decken  sich  fast;  ebenso  verhält  es  sich  mit  den  Angaben  be- 
treffend Stuhlentleerungen  (Milztumor  vorhanden  G.  93,3, 
FL  96,6,  Seh.  83,  fehlend  G.  1,6,  Pf.  2,5,  Seh.  13,9%). 

Darmblutungen  sind  etwas  häufiger  als  in  den  früheren 
Jahren,  doch  starben  nur  10%  gegen  17,1%  bei  Goth  (B.  3&2y 
Seh.  20,9%.    Häufigkeit  der  Darmblutungen). 

Peritonitis  ist  fast  ebensohäufig  wie  früher,  doch  fiberlebten 
Kranke  eine  Perforation  nie  länger  als  1  Tag  gegen  IV«— 6  Tage 
bei  Goth. 

Angina  im  Beginn  oder  während  des  Krankheitsverlaufe» 
war  sehr  viel  seltener  als  früher,  3,3  %  gegen  8,6  %. 

Bronchitis  fand  sich  früher  in  64,9%,  jetzt  nur  in  15,4%. 
(B.  bei  %  aller  Fälle,  Seh.  der  nur  schwere  Fälle  notierte  bei  3«o)- 
Obwohl  die  Pneumonien  in  den  letzten  Jahren  etwas  häufiger 
waren,  boten  sie  dennoch  eine  günstigere  Prognose. 

Epistaxis  ist  häufiger  als  in  früheren  Jahren  aufgetreten. 
4,9  gegen  3,5 « o  (B.  3,1,  Seh.  1,8  %). 

Venenthrombose   gleich  häufig,  betrifft  stets  nur  Venen 


Die  Tjphusbewegang  auf  der  medifhiischexi  Klinik  in  Kiel  etc.       28$ 

der  unteren  Extremit&t,  doch  ist  sie  häufiger  links  wie  rechts^ 
während  sie  bei  Goth  beiderseits  gleich  häufig  auftrat. 

Herpes,  früher  nur  in  1,8  %  der  Fälle  vorlmnden,  tritt  jetzt 
in  3,9%  auf  (B.  0,7,  Seh.  0,8%). 

Daß  Periostitis  früher  nur  in  0,2%  der  Fälle  festgestellt 
wurde,  während  sie  «ich  jetzt  in  2,9%  verzeichnet  findet,  liegt 
wohl  daran,  daß  man  erst  seit  den  Veröffentlichungen  aus  der 
hiesigen  Klinik  mehr  auf  sie  achtet  (B.  0,2,  Seh.  0,2  "/„). 

Nephritis  wurde  in  den  letzten  Jahren  häufiger  beobachtet 
als  bei  Goth  und  bot  auch  eine  ungünstigere  Prognose.  (G.  0,8, 
Pf.  1,7,  B.  2,8,  Seh.  0,9%.  Mortalität:  G.  20,  Pf  44,  B.  44,4,  Seh. 
50%). 

Cystitis  wurde  bei  Goth  in  0,5%  der  Fälle  gegen  0,9% 
in  den  letzten  Jahren  beobachtet  (B.  0,8  ^o). 

Febrile  Albuminurie  in  45%  der  Fälle  gegen  46,9% 
bei  Goth,  wurde  dagegen  bei  Schultz  nur  in  10,7%  der  Fälle 
angegeben. 

Bei  den  durch  Phthise  komplizierten  Fällen  wurde  in  keinem 
Falle  ein  so  schnelles  Fortschreiten  der  Phthise  gefunden,  wie 
Goth  es  angibt. 

Sowohl  Rezidive  wie  Nachschübe  sind  in  den  letzten 
Jahren  seltener  als  in  den  früheren.  In  manchen  Jahren  tritt 
weder  Rezidiv  noch  Nachschub  auf,  in  anderen  bis  zu  25  ^/q  der 
jährlichen  Erkrankungen.  Auch  hier  findet  sich  die  von  Goth 
sowohl  als  auch  von  Berg  und  Schultz  konstatierte  Bevorzugung 
des  weiblichen  Geschlechts  für  Rezidiv  und  Nachschub.  Eine  Ab- 
nahme der  Rezidive  mit  der  längeren  Dauer  der  ersten  Erkrankung, 
wie  sie  Goth  gefunden  hatte,  konnte  nicht  festgestellt  werden  (s. 
Tab.  S.  284> 

Als  die  kalten  Wasserkissen  als  Abkühlungsmittel  von 
Quincke  (11)  empfohlen  wurden,  verfügte  er  nur  über  24  damit 
behandelte  Fälle  von  Abdominal typhus.  Unter  meinen  513  Typhus- 
kranken wurden  157  damit  behandelt  und  davon  72  nur  mit  kalten 
Wasserkissen.  Letztere  kommen  für  die  anzustellende  Vergleichung 
mit  anderen  liyJ riatischen  Prozeduren  ja  kaum  in  Betracht,  wäh- 
reud  alle  die  Fälle  sich  in  erster  Linie  dazu  eignen,  bei  denen  im 
Verlaufe  der  Erkrankung  bei  ein  und  demselben  Kranken  sowohl 
von  diesen  wie  von  jenen  Gebrauch  gemacht  wurde.  In  dieser 
Hinsicht  sind,  wie  gesagt,  85  Fälle  zu  verwerten,  von  denen  ich 
31  zur  genaueren  Vergleichung  herangezogen  habe.    Daß  die  Aus- 

19* 


284 


XV.  Pfbiffeb 


Y^eitil  eine  so  yerhältnismäßig  kleine  ist,  kann  nicht  auffallen,  da 
ja  von  vornherein  alle  Momente  ausgeschlossen  werden  müssen, 
die  auch  ohne  die  abkühlende  Prozedur  eine  Temperaturemiedrigung 
bewirkt  hätten.  Es  sind  bei  den  hier  bearbeiteten  Fällen  also  nur 
diejenigen  hydrotherapeutischen  Prozeduren  mit  verwertet  worden, 
die  zur  Zeit  des  Fastigiums  der  Krankheit  zur  Anwendung  ge- 
langt sind. 

Tabelle  IL 


43 

U    0 

0   0 

1      »1  >^ 

76-81 


OS 
(3 

«^ 

O)    0 

O  "^ 

0 
S3 


Kiel  nach    :  Hamburg  n.  |    ^^ 


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0 

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■    O 

S 

w 

n«        oc. 

OS      no 

nc 

a> 


78-8371—8585-02 


0 
85---8880— 93 


MortÄlität 

Mehrmal.  Erkrankg.  an  Typhus 

Rezidiv 

Nachschub 

Dekubitus 

Thrombose 

Darmblutung 

Peritonitis 

Hypo8t€isen 

Lob.  Pneumonie 

Spitalaufenthalt  in  Tagen    .    . 


10,5 

2 

14 


2,2 


3,9 
1,3 

4,8 

3,1 
1,3 
5,7 

48 


9,8 

6 

1,8 

2 

12,5 

8,7 

— 

4,9 

1,7 

2,6 

3 

2,4 

4,7 

59 

0,6 

2 

1,1 

4,3 

4,6 

1,2 

38 

38 

6,2        9,4 


2,1 
6,6 

1,4 
2,6 

2,1 
7,7 
2,6 
6,2 
1,9 
41 


\ 


IM 

2,5 
1,3 

1.9 

49 


8,6  m 

6,4  w. 

2,8 

14,2 

1,8 
1,9 
1,9 
4,2 

^ 

2,8 

2 


} 


12,7 

0,05 
12 
3,3 

0,6 
5,5 
2,2 

8,9 


Ich  möchte  einige  kurze  Bemerkungen  über  das  Wasserkissen  selbst 
vorausBcbicken.  Es  werden  an  der  Klinik  2  Größen  der  Wasserkissen 
angewandt,  das  eine  für  Erwachsene  ist  1  Meter  lang  und  ^/^  Meter  breit 
und  hat  eine  Kapazität  von  50  Litern,  das  andere  für  Elinder  bestimmte, 
ist  ^/^  Meter  lang,  ^^^  Meter  breit  und  bat  eine  Kapazität  von  33  Litern. 
Nachdem  das  Kissen  in  leerem  Zustande  zwischen  Matratze  und  Unter* 
läge  unter  die  Kranken  geschoben  ist,  wird  es  aus  einem  etwa  1,3  Meter 
über  dem  Fußboden  stehenden  wassergefüllten  Eimer  durch  Seber- 
wirkung  gefüllt.  Die  Temperatur  des  eingefüllten  Wassers  schwankt 
zwischen  10  und  18^  G.  Die  Temperatur  des  aus  dem  Elissen  entleerten 
Wassers  schwankt  zwischen  16  und  33^*  G.  Beim  Wasserkissen  wurde 
wie  bei  anderen  hydriatischen  Prozeduren  gewöhnlich  39,5  ^  im  fiektum 
als   Indikationstemperatur  für  die  Anwendung  angenommen. 

Um  eine  Übersicht  über  die  Wirkungsgröße  des  einen  oder 
anderen  hydrotherapeutischen  Eingriffes  zu  haben,  gilt  es  zunächst, 
einmal  die  Anzahl  der  Temperaturgrade,  um  welche  die  Körper- 
temperatur gesunken  ist,  dann  aber  auch  die  Zeitdauer  der  Wirkung 
zu  bestimmen.     Wenn  auch  nach  Liebermeister  (12)  die   Be- 


Die  Typhnsbewegnng  auf  der  medizinischen  Klinik  in  Kiel  etc.        285 

Stimmung  der  Zahl  der  Temperaturgrade  keine  ganz  genaue  ist^ 
da  bei  demselben  Individuum  die  Körpertemperatur  zu  verschie- 
denen Zeiten  nach  der  gleichen  Wärmeentziehung  ein  verschiedenes 
Verhalten  zeigt,  lUnd  danach  der  Effekt  ein  abnorm  großer,  gleich 
Null  oder  selbst  ein  negativer  ist,  so  habe  ich  doch  keinen  anderen 
Weg  gefunden,  da  der  von  Liebermeister  dazu  vorgeschlagene : 
Berücksichtigung  derjenigen  Quantität  Wärme,  welche  durch  die 
einzelnen  Prozeduren  dem  Körper  entzogen  wird,  nicht  zu  benutzen 
ist.  Auch  glaube  ich,  da  die  einzelnen  hydriatischen  Prozeduren 
sich  häufig  ziemlich  gleichmäßig  auf  24  Stunden  verteilt  haben  und 
ich  Mittelzahlen  bestimmt  habe,  diesen  Fehler  ziemlich  ausgeglichen 
zn  haben. 

Vergleiche  ich  nun  von  diesem  Gesichtspunkte  aus  die  für 
Wasserkissen,  kalte  Bäder  und  kalte  Umschläge  gefundenen  Zahlen, 
so  finde  ich,  daß  die  temperaturerniedrigende  Wirkung  bei  den 
Wasserkissen  am  größten  ist  mit  1,9®  im  Durchschnitt.  Die  ge- 
ringste Temperaturerniedrigung  betrug  0,8  ^  die  größte  3,8  **,  es 
folgen  dann  die  kalten  Bäder  mit  den  Zahlen  1,3 «  (0,4  ®  bzw.  2,5 «), 
schließlich  die  kalten  Umschläge  mit  0,8  ^  (0,4 «  bzw.  1,2 «). 

Der  Temperaturabfall  erfolgte  bei  den  Wasserkissen  stets  viel 
langsamer  und  die  Temperaturkurve  hob  sich  auch  erst  wieder 
ganz  allmählich,  im  Gegensatz  zu  den  kalten  Bädern,  bei  denen 
tue  Temperaturemiedrigung  meist  eine  ganz  plötzliche  war,  um 
dann  wieder  in  kürzester  Zeit  in  die  Höhe  zu  schnellen.  Die  Mitte 
zwischen  beiden  halten  die  kalten  Umschläge. 

Die  temperaturerniedrigende  Wirkung  der  Wasserkissen  über- 
wog nun  durchaus  nicht  in  allen  Fällen,  sie  zeigte  sich  wohl  bei 
*/4  aller  Fälle,  bei  dem  Best  überwog  jedoch  die  Wirkung  der 
Bäder,  nur  in  einem  Falle  die  der  kalten  Umschläge.  Die  ver- 
schiedenen Individuen  reagieren  eben  verschieden  auf  die  einzelnen 
Wärmeentziehungen  und  Eegeln  gibt  es  nicht.  Ich  habe  oft  genug 
beobachten  können,  daß  manche  Kranke  nur  auf  eine  der  drei 
hydriatischen  Prozeduren  reagierten  und  daß  die  anderen  ganz 
oder  fast  ganz  wirkungslos  blieben.  Es  kommt  in  jedem  Falle  auf 
ein  Probieren  und  Individualisieren  heraus.  Was  nun  die  Zeit- 
dauer, während  welcher  die  Temperaturerniedrigung  nach  Anwen- 
dung des  Wasserkissens  bestehen  bleibt,  betrifft,  so  finde  ich  aus- 
nahmslos die  Wirkung  viel  andauernder  als  bei  Bädern  oder  Um- 
schlägen. Die  Zeit  schwankt  —  in  Stunden  angegeben  —  zwischen 
4'/3  und  17  und  beträgt  im  Durchschnitt  8,9  Stunden.  Sie  über- 
traf die  bei  Bädern  und  kalten  Umschlägen  gefundenen  Zahlen 


286  XV.  Pfeiffer 

meist  um  ein  Beträchtliches.  Sie  betrug  bei  Bädern  2,2,  bei  kalten 
Umschlägen  2,1  Stunden  im  Durchschnitt.  Nach  den  oben  ge* 
machten  Befanden  wäre  also  ein  Wasserkissen  nur  ^^4mal  so  oft 
anzuwenden  als  Bäder.  So  kommt  es,  daß  die  Bäder  2 — 8  mal  täg- 
lich angewandt  werden  mußten  und  die  Patienten  bis  zu  47  Bäder 
.während  des  Typhus  erhielten,  während  die  Wasserkissen  meist 
1—2,  seltener  3  mal  täglich  neu  gefüllt  werden  mußteu  und  die 
Zahl  der  Füllungen  des  Wasserkissens  höchst  selten  über  10  —  die 
höchste  Zahl  ist  17  —  während  des  ganzen  Krankheit^verlaufes 
hinausging. 

Es  ergeben  sich  die  Vorzüge  des  Wasserkissens  von  selbst  in 
den  Fällen,  wo  nicht  genügend  Personal  zur  Hand  ist,  aber  auch 
überall  da  wird  man  sie  trotz  der  Bademöglichkeit  anwenden,  wo 
von  den  Patienten  das  häufige  Baden  unangenehm  empfunden  wird, 
sei  es,  daß  sie  über  Schwäche  oder  starken  Frost,  der  auch  im  Bette 
nicht  weichen  will,  klagen,  sei  es,  daß  man  ihnen  die  Nachtruhe 
durch  allzu  häufiges  Baden  nicht  stören  will  In  die  Augen 
springend  ist  der  Vorzug  der  Wasserkissen  namentlich  vor  Bädern, 
aber  auch  vor  den  häufig  gewechselten  kalten  Umschlägen  überall 
da,  wo  es  gilt,  die  Patienten  vor  jeder  stärkeren  Muskelanstrengung 
oder  Bewegung  oder  dergleichen  zu  schützen  und  wo  man  dennoch 
temperaturerniedrigend  wirken  will,  also  namentlich  bei  Darm- 
blutungen, Peritonitis,  gi'oßer  Herzschwäche,  Thrombose  und  der- 
gleichen. Daß  man  bei  Lagerung  auf  Wasserkissen  drohendem 
Dekubitus  vorbeugen  kann,  ist  ja  selbstverständlich. 

Meist  wird  auch  von  den  Kranken  das  Wasserkissen  angenehmer 
empfunden  als  Bäder  und  Umschläge.  Führt  die  anfangs  einsetzende 
intensive  Wärmeentziehung  zu  starkem  Frieren,  so  kann  man  durch 
ein  unter  den  Patienten  gelegtes  Wollstück  diesem  entgegenwirken. 

Trotz  aller  dieser  Vorzüge  kann  und  soll  aber  die  Wasser- 
kissenbehandlung die  anderen  hydriatischen  Prozeduren  nicht  etwa 
ersetzen. 

Der  primäre  Kältereiz  auf  die  Haut  mit  seinen  mannigfachen 
Wirkungen  ist  bei  Wasserkissen  räumlich  und  zeitlich  viel  be- 
schränkter als  bei  Bädern  und  Umschlägen.  Das  kalte  Bad  bleibt 
für  alle  die  Fälle  übrig,  wo  es  gilt,  auf  die  etwas  somnolenten 
Kranken  einen  energischen  Reiz  auszuüben,  wo  es  gilt,  die  Be- 
nommenheit zu  beseitigen,  durch  energische  Anregung  der  Respi- 
ration die  Kranken  zu  tiefen  Atemzügen  zu  veranlassen  und  so 
Komplikationen  vorzubeugen  oder  schon  bestehende  (wie  z.  B.  ge- 
ringe Hypostasen)  zu  beseitigen. 


Die  Typhusbewegnog  auf  der  mediziuischen  Klinik  in  Kiel  etc.        287 

Literatur. 

1.  Goth,  Die  Typhnsbeweg^nng:  auf  der  medizinischen  Klinik  in  Kiel  in  den 
letzten  15  Jahren.  Dissertation  Leipzig  1886  und  Deutsch.  Arch.  für  klin. 
Medizin  39.  Bd.  S.  140. 

2.  Bockendahl,  Generalbericht  für  Schleswig-Holstein  für  das  Jahr  1882, 
1888  S.  58  und  59. 

3.  Pfeiffer,  Pleuritis  im  Verlaufe  von  Typhus  abdominalis.  Deutsch.  Archiv 
ftbr  klin.  Medizin  74.  Bd.  S.  244. 

4.  Stühlen,  Über  typhöse  Meningitis.   Berl.  klin.  Wochenschr.  1894  Nr.  15. 

ö.  Ebermaier,  Über  Knochenerkrankusgen  bei  Tvphus.  Deutsch.  Archiv  für 
klin.  Medizin  44.  Bd.  1889  S.  140. 

6.  Quincke,  Über  Spondylitis  typhosa.  Mitteilung  aus  den  Grenzgebieten  der 
Medizin  und  OMrargie  IV.  Bd.  1898. 

7.  Klein,  Ostitis  typhosa.    Dissertation  Kiel  18%. 

8.  Grunow,  Anwendung  subkutaner  Gelatiueinjektion  zur  Blutstillung.  Berl. 
klin.  Wochenschr.  1901  Nr.  32, 

9.  Schultz,  Beitrag  zur  Statistik  des  Typhus  abdominalis.  Jahrbücher  der 
hamburgischen  Staatskrankenanstalten.    I.  Jahrgang  1889. 

10.  Berg,  Ein  Beitrag  zur  Tvphusstatistik.   Deutsches  Archiv  für  klin.  Medizin 
54  Bd.  1895  S.  161. 

11.  Quincke,    Ll>er    Abkühlung   mittels    Wasserkissen.       Deutsche  medizin. 
Wochenschr.  Nr.  18  1884. 

12.  Liebermeister,  Handbuch  der  Pathologie  und  Therapie  des  Fiebers.  1875. 


XVI. 

Aus  der  Universitäts-Kinderklinik  Heidelberg. 
(Direktor:  Prof.  0.  Vierordt) 

Über  Psendoaszites  als  Folgeznstand  chronischer  Enteritis. 

Von 

L.  Tobler, 

1.  Assistenten  der  Klinik. 
(Mit  9  Abbildungen.) 

Auf  die  Anwesenheit  freier  Flüssigkeit  im  Peritonealsack  pflegt 
man  zu  schließen,  wenn  sich  bei  der  Untersuchung  des  Abdomens 
neben  dem  Symptom  der  Undulation  eine  Dämpfung  der  tiefst  ge- 
lagerten Teile  findet,  die  bei  Lagewechsel  des  Patienten  derart 
verschieblich  ist,  daß  sich  ein  Dämpfungsbezirk  nach  jeweiliger 
Hochlagerung  aufhellt. 

Manches  andere  kann  das  klinische  Bild  des  Aszites  vervoll- 
ständigen. Bei  höheren  Graden  von  Flüssigkeitsansammlung  ist 
der  Leib  vergrößert.  Die  Zunahme  prägt  sich  bei  horizontaler 
Rückenlage  am  meisten  in  den  Flanken  aus.  Durch  die  auf  den 
abhängigen  Partien  lastende  Flüssigkeitsmenge  scheint  das  Ab- 
domen in  die  Breite  gedrückt  und  neigt  dazu,  nach  der  einen  oder 
anderen  Seite  überzufallen.  Die  Be^vegung  des  flüssigen  Inhaltes 
kann  als  Schwappen  sichtbar  werden.  Die  Haut  ist  straff,  prall^ 
glänzend;  Venenzüge  zeichnen  sich  auf  ihr  ab;  es  können  sich 
selbst  Striae  ausbilden.  Der  Nabel  ist  verstrichen  oder  als  nach- 
giebigster Teil  bläschenförmig  vorgetrieben. 

Durch  all  das  kann  sich  der  Aszites  von  anders  bedingten 
Auftreibungen  des  Abdomens  unterscheiden.  Immerhin  bleiben  die 
Kardinalsymptome:  die  bei  Lagewechsel  verschiebliche  Dämpfung 
und  die  Undulation.^)    Durch   sie  scheint  das  klinische  Bild  des 


1)  Es  empfiehlt   sich,     wie    auch    Sahli    hervorhebt,     scharf    zu   unter- 
scheiden zwischen  den  Begriffen  Undulation  und  Fluktuation.   Fluktuation 


über  Pseudoaszites  als  Folgezustand  chronischer  Enteritis.  289 

Aszites  ungemein  cbarakteristisch  und  seine  Diagnose  gilt  im  all- 
gemeinen mit  Recht  als  einfach. 

Allein  vielfache  Erfahrungen,  insbesondere  von  chirurgischer 
and  anatomischer  Seite  haben  längst  zur  Vorsicht  gemahnt.  Man 
macht  immer  wieder  die  Erfahrung,  daß  auch  die  ausgesprochensten 
Aszitessymptome  vor  diagnostischen  Irrtümern  nicht  schützen. 

Denn  wenn  einerseits,  wie  Friedrich  Müller^)  gezeigt 
hat,  schon  ganz  erhebliche  Flüssigkeitsmengen  sich  dem  klinischen 
Nachweis  überhaupt  entziehen  können,  so  können  andererseits 
aszitische  Symptome  auf  andersartiger  Grundlage  nachgeahmt 
werden.  Um  so  mehr  als  auch  echte,  peritoneale  Flüssigkeitsergüsse 
durch  asymmetrische  Dämpfungsform  oder  eingeschränkte  Beweg- 
lichkeit vom  typischen  Schema  abweichen  können;  dergleichen 
kommt  nicht  nur  bei  Adhäsionen  einzelner  Darmschlingen,  sondern 
auch  ohne  solche  bei  starker  Gasfällung  und  gespannten  Bauch- 
decken öfter  vor. 

Schon  einfach  fettreiche  oder  ödematöse  Bauchdecken  können 
durch  ihr  Erzittern  beim  Beklopfen  dem  Ungeübten  Undulation 
vortäuschen.  Vermehrte  Schwierigkeit  machen  bisweilen  präperi- 
toneale Abszesse  oder  Lipome.  Dämpfungen  von  verschiedener 
Ausdehnung  und  mehr  oder  weniger  starker  Beweglichkeit  können 
durch  Tumoren  der  Darmwand  oder  solche,  die  aus  der  Tiefe 
kommend  den  Darm  zur  Seite  schieben,  bedingt  sein.  Oder  sie 
haben  im  Vorhandensein  einer  großen  Menge  leerer,  kontrahierter  *^) 
oder  gefüllter  Darmschlingen  ihren  Grund. 

Erhebliche  diflferentialdiagnostische  Schwierigkeiten  machen 
große,  zystische  Tumoren  der  Abdominalorgane,  wie  sie  am 
häufigsten  von  den  weiblichen  Genitalien,  aber  auch  (wie  in  einem 
Fall  unserer  Beobachtung)  vom  Mesenterium  ausgehen.    Die  feinere 


im  engeren  Sinne  bedeutet  die  Fortleitung  langsamer  Druckbewegungen,  wie  sie 
Flüssigkeitsansammlungen  in  allseitig  abgeschlossenen  Hohlräumen  mit  elasti- 
scher Wandung  abgeben.  Eine  ähnliche  Empfindung  gibt  auch  die  normale 
Luftfüllung  der  Därme.  Unter  der  für  Aszites  charakteristischen  Undulation  ver- 
stehen wir  dagegen  die  Fortleitung  kurzer  Stoßbewegungen,  die  die  aufgelegte 
Haud  als  Wellenanschlag  empfindet.  Undulation  kommt  nur  dann  zustande,  wenn 
die  bewegte  Substanz  eine  gewisse  Masse  und  Trägheit  besitzt.  Sie  ist  am 
deutlichsten  bei  großen  Flüssigkeitsmengen  in  nicht  zu  straif  gespannter  Um- 
wandung  und  besonders  da,  wo  neben  der  Flüssigkeit  Gas  im  Räume  vorhanden 
ist.  Diese  drei  Umstände  machen  das  Symptom  in  so  hohem  Maße  für  Aszites 
pathognomonisch . 

1)  F.  Müller,  Berl.  klin.  Wochenschr.  1895  Nr.  13  S.  278. 

2)  1.  c. 


290  XYL  ToBUB 

Differentialdiafl^nostik  dieser  Znst&nde  soll  hier  nicht  beräcksichtigft 
werden.  Die  kranialwärts  konvexe,  ongewöbnlich  scharf  begrenste 
D&mpfuDgsfigur,  Reste  von  Tympanie  in  den  Seiten,  schlechter 
Lagewechsel  geben  neben  der  Lokaluntersnchnng  der  Oenltal- 
organe  manchen  Anhaltspunkt. 

Schwieriger  als  in  allen  eben  erwähnten  Fftllen  kann  die 
Differentialdiagnose  gegen  Aszites  werden  bei  Zuständen,  über  die 
wir  in  der  uns  bekannt  gewordenen  Literatur  Angaben  fast  voll- 
ständig vermissen.  Und  trotzdem  sind  nach  unserer  Erfahrung 
diese  Fälle  nicht  allzu  selten;  wir  hatten  in  den  letzten  Jahren 
nicht  weniger  als  5  mal  bei  Kindern  Gelegenheit,  die  von  interner 
Seite  auf  peritonitisches  Exsudat  gestellte,  vom  Chirurgen  bestätigte 
Diagnose  bei  der  operativen  Eröfifhung  der  Bauchhöhle  als  irrig 
zu  erkennen.  Die  Erscheinungen  waren  durch  flüssigen 
Darminhalt  bedingt. 

Die  Lehrbücher  der  Diagnostik  erörtern  die  differentialdia- 
gnostischen Schwierigkeiten  dieser  Zustände  nicht,  ja,  erwähnen 
kaum  ihr  Vorkommen.  Nur  Sahli*)  spricht  ganz  kurz  von  um- 
schriebenen Dämpfungen  durch  Ausfüllung  von  Darmteilen 
mit  flüssigen  oder  festen  Massen. 

Friedrich  Müller*)  fand  bei  Perkussion  gesunder  Menschen 
häufig  Dämpfungen  im  unteren  Teil  des  Abdomens.  Sie  waren 
am  häufigsten  in  der  Regio  iliaca  und  hypogastrica.  Ihre  Be- 
grenzung war  meist  nach  oben  konvex.  Sie  erreichten  öfter  Nabel- 
höhe, ließen  aber  rechts  die  Regio  lumbalis  in  der  Regel  frei.  Die 
Dämpfung  war  meist  relativ  mit  tympanitischem  Beiklang.  Sie 
verschwand  nicht  (wie  mäßiger  Aszites)  bei  tiefem  Eindringen  des 
Fingers  und  zeigte  unvollkommenen  Lagewechsel.  Gegen  Flüssig- 
keit in  der  Bauchhöhle  sprach  ihr  rasches  Verschwinden,  oft  im 
Laufe  eines  Tages.  Gegen  die  Annahme  voller  Darmschlingen 
macht  Müller  geltend,  daß  Dünndarmschlingen  kaum  je  aus- 
schließlich mit  fest  flüssigem  Inhalt  gefüllt  sind.  Das  Abdomen 
war  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  flach,  gasleer.  Müller  erklärt 
seine  Befunde  durch  die  Annahme  leerer,  kontrahierter  Daim- 
schlingen.    Kr  empfiehlt  öfter  wiederholte  Untersuchnng. 

Auch  den  Autoren,  die  sich  mit  der  Diagnose  der  tuberkulösen 
Peritonitis  beschäfti<rt  haben,  scheint  dem  unseren  ähnliches  Ma- 

1^  Sfthli,  Lehrbiuli  der  kliii.  rntersuchungsmethoden  III.  Aufl.  190^ 
S.  2Ü7. 

2.  1.  c. 


über  Pseudoaszites  als  Falgezii^ftand  chronischer  Enteritis.  291 

terial  nicht  vorgel^eii  zu  haben.  Nur  NothuageP)  erw&hnt, 
daß  peritonitische  Exsudate  vorgetäuscht  werden  können,  wenn 
sich  mit  flüssigem  Inhalt  gefüllte,  leicht  *  bewegliche  Dünndarm- 
schlingen beiderseits  in  die  Flankengegend  gesenkt  haben.  Docb 
glaubt  Nothnagel  diagnostischen  Irrtümern  leicht  entgehen  zu 
können,  weil  mit  Flüssigkeit  gefüllte  Darmschliugen  eine  spezifische, 
„schwappende"  Empfindung  geben.  —  Wir  haben  einerseits  bei  zu- 
rückgehendem Aszites  ausgesprochenes  Schwappen  öfter  konstatiert. 
Andererseits  fanden  wir  typischen,  kurzen  Wellenschlag  bei  fehlenr 
dem  Aszites. 

Unter  diesen  Umständen  folgte  ich  mit  Interesse  der  Anregung 
meines  verehrten  Chefs,  dem  ich  an  dieser  Stelle  meinen  Dank 
aussprechen  möchte,  das  einschlägige  Material  einer  genaueren 
Beobachtung  und  Sichtung  zu  unterziehen.  Ich  fand  dabei  eine 
so  weitgehende  Übereinstimmung  der  untersuchten  Fälle  bezüglich 
Ätiologie,  Befund  und  Differentialdiagnose,  daß  ich  glaube,  das 
Erankbeitsbild  oder  den  Symptomenkomplex  des 
•  Pseudoaszites  bei  gewissen  Formen  chronischer  En- 
teritis einigermaßen  abgrenzen  und  beleuchten  zu  können.  Es 
handelt  sich  um  Zustände,  die  in  sehr  verschiedenem  Grade  aus- 
geprägt sein  können.  Am  einen  Ende  der  Reihe  stehen  Fälle,  bei 
denen  diagnostische  Reserve  auch  weiterhin  am  Platze  sein  dürfte; 
am  anderen  solche,  die  nur  entfernt  und  vorübergehend  an  Peri- 
tonealergüsse  anklingen.  Gerade  die  letzteren  sind  zur  Aufklärung 
der  ersteren  geeignet. 

Um  uns  bei  den  folgenden  Erörterungen  auf  hinreichendes 
Material  beziehen  zu  können  lassen  wir  zunächst  eine  Anzahl  typi- 
scher Krankengeschichten  folgen: 

1.  Katharina  H.,  Landwirtakind,  Daaaberg,  7  Jahre  alt,  Ein- 
trittstag:  8.  Mai  1902. 

Anamnese:  Keine  hereditäre  Belastung;  3  Geschwister  sind  an 
Lmigenentsündang  gestorben.     1  Schwester  von  11  Jahren  gesund. 

Patient  ist  1  Jahr  lang  an  der  Brust  ernährt;  rasche  Entwiok- 
luig)  Laufen  mit  ^j^  Jahren. 

Herbst  1901:  Scharlach;  seither  Durchfälle,  „dünn  wie 
"Wasser",  übelriechend;  Kollern  und  Plätschern  im  Leib,  öfter  auch 
Leibschmerzen. 

Seit  längerer   Zeit   Husten,   Auswurf,    schlechter  Appetit.      Patient 


1)  Nothnagel,  Handbuch  der  spez.  Patholog.  u.  Therap.  Bd.  17.   Tuber- 
kulöse Peritonitis. 


292  XVI.    TOBLSB 

hinkt  seit  dem    2.  Jahr  auf  dem  liDken  Fuß;  derselbe  war  immer  ange* 
Bchwollen  und  schmerzhaft. 

Status  praesens:  Gut  entwickelt,  leidlicher  £mährang8zustand. 
Etwas  müder  Gesichtsaasdruck.  SkrophulÖser  Habitus,  dicke  Oberlippe, 
breiter  Nasenrücken.  Haut  und  angrenzende  Schleimhäute  ohne  Be- 
sonderheit.    Zunge  feucht,  rein. 

Nasenatmung  etwas  behindert.  Adenoide  Vegetationen  im  Rachen 
und  Nasopharynx. 

Zahlreiche  Lymphdrüsen  vergrößert  fühlbar. 

Die  Knöchelgegend  links  außen  verdickt;  weiche,  nicht  schmerz- 
hafte Geschwulst.     Bewegung  wenig  behindert;  geringes  Hinken. 

Puls  96,  mittelvoll,  regelmäßig. 

Atmung  frei. 

Temperatur:  nicht  erhöht. 

Herz:  normale  Grenzen,  reine  Töne. 

Lungen:  in  normalen  Grenzen  verschieblich.  Ein  grober,  scbDur- 
render  Rhonchus  überall  hörbar.     Kein  Hustenreiz. 

Abdomen:  mäßig  stark  vorgewölbt,  gleichmäßige  Konfiguration : 
ziemlich  weich.  Keine  sichtbaren  Venenztige.  Größter  Umfang  (unter- 
halb des  Nabels)  59  cm.  Falpation  nicht  schmerzhaft,  keine  Geräusche. 
Vom  Nabel  nach  abwärts  an  Intensität  zunehmende  Dämp-« 
fung.  Grenze  nach  oben  nahezu  geradlinig,  links  etwas 
höher  reichend  als  rechts.  Bei  Lagewechsel  ist  die 
Dämpfung  verschieblich.  Doch  ist  die  Aufhellung  links  unvoll- 
kommen. Im  Stehen  steigt  die  Dämpfungsgrenze  an.  Aus- 
gesprochenes TJndulationsgefühl,  besonders  stark  nach  dem 
Aufrichten. 

Leber  und  Milz  nicht  vergrößert.     Kein  Fluor. 

Per  rectum  fühlt  man  den  Douglas  vorgewölbt;  keine  Tumoren, 
keine  Stränge. 

Stuhl:  geformt. 

Urin:  vermehrtes  Indikan. 

Im  weiteren  Verlauf  der  Beobachtung  blieb  der  physikalische  Be- 
fund am  Abdomen  durchaus  unverändert.  TJndulation  war  bald  mehr, 
bald  weniger  ausgesprochen,  fehlte  niemals  ganz.  Die  Beweglichkeit  der 
Dämpfungszone  war  zeitweise  stärker. 

Der  Stuhl  war  meist  angehalten,  geformt,  lehmfarben ;  5  Tage  lang 
wurden  Abführmittel  gereicht;  es  erfolgten  flockige  dünne  Entleerungen; 
der  objektive  Befund  am  Abdomen  blieb  unbeeinflußt.  Dadurch  ge- 
wann die  Diagnose  einer  tuberkulösen  exsudativ-adhäsiven  Peritonitis  an 
"Wahrscheinlichkeit.  Da  die  bisher  befolgte  Therapie  (Diät,  Einreibungen 
mit  Schmierseife  und  TJnguent.  ein.)  ohne  jeden  Einfluß  blieb,  wurde  am 

3.  Juni  zur  Laparotomie  geschritten  (Hofrat  Lossen).  Das 
Peritoneum  wurde  in  der  Linea  alba  in  einer  Ausdehnung  von  5  cm 
geöffnet.  Es  fand  sich  keine  Spur  von  Erguß.  Das  Bauch- 
fell sowie  die  Därme  waren  völlig  normal,  glatt,  dünn. 

Die  Wundheiiung  war  komplikationslos.  Es  trat  etwas  Meteorismo» 
auf.     Der  Bauchumfang  stieg  auf  63  cm. 


über  Pseudoaszites  als  Folgezustand  chronischer  Enteritis.  293 

Am  25.  Jani  wurde  Patient  entlassen.  Gewichtszunahme  in  der 
letzten  Woche  1150  g. 

Später  sahen  wir  das  Kind  noch  zu  wiederholten  Malen;  zuletzt  im 
Februar  1904:  es  sah  gesund  und  blühend  aus,  war  bei  gutem  Er- 
nährungszustand und  frei  von  Beschwerden.  Das  Abdomen  noch  immer 
stark  gewölbt;  die  unteren  Abschnitte  am  stärksten  ausgedehnt  und  etwas 
resistent.  Deutliche  Undulation.  Umfang:  56  cm.  Im  Liegen  absolute 
Pämpfung,  begrenzt  durch  eine  von  der  rechten  Spina  ant.  sup.  über  den 
Nabel  nach  dem  linken  Rippenbogen  ansteigende  Linie.  Im  Stehen  stellt 
sich  ein  annähernd  horizontales  lüiveau  her. 

Stuhl  im  allgemeinen  fest,  ab  und  zu  starke  Durchfalle. 

2.  Fritz  D.,  Kaufmannskind,  Dürkheim.  5^/^  Jft^fe  alt.  Ein« 
tritt 8 tag:   14.  November  1898. 

Anamnese:  Aus  gesunder  Familie.  Normale  Geburt  und  Ent- 
wicklung.   Früher  gesund. 

Seit  dem  2.  Lebensjahr  beständig  rezidivierende 
Durchfälle,  die  ohne  dauernden  Erfolg  diätetisch  und  medikamentös 
(Tannalbin)  behandelt  wurden.  Seit  P/^  Jahren  bemerken  die  Eltern 
abnorme  Zunahme  des  Leibes.  Nach  reichlicher,  dünner  Ent- 
leerung ging  öfter  die  Auftreibung  etwas  zurück.  Letzte  Durchfall- 
periode im  August  1898. 

Status  praesens:  in  der  Entwicklung  stark  zurückgebliebener 
Junge;  welkes  gelbliches  Aussehen;  müder  Gesichtsausdruck;  schlaffe 
Muskulatur,  geringer  Fanniculus  adiposus.  Kein  Fieber,  Puls  gegen  120. 
Haut  trocken;  Knochen  zeigen  rhachitische  Veränderungen:  einzelne 
Lymphdrüsen  geschwollen.     Zunge  feucht,  rein. 

Zartes,  akzidentelles  Herzgeräusch.  Lungengrenzen:  vorn  V.  Kippe, 
hinten  X.  Brustwirbel 

Abdomen:  abnorm  ausgedehnt,  im  Stehen  überhän- 
gend, weich,  schmerzlos.  Nabelumfang  59  cm.  Keine  abnormen 
Besistenzen.  Deutliche  Undulation  und  Fluktuation.  Im 
unteren  Teil  des  Abdomens  absolut  gedämpfter  Schall; 
Grenze  desselben  im  Liegen  horizontal,  d.  h.  nach  oben 
konkav.  Beim  Aufrichten  steigt  sie  an  bis  2  Finger  breit 
oberhalb  Nabelhöhe.  Bei  rechter  Seitenlage  Aufhellung 
links;  rechts  langsame  und  unvollkommene  Yerschieb- 
lichkeit. 

Urin:  ohne  pathologischen  Befund.  Stuhl:  dickbreiig;  in  den 
nächsten  Tagen  zahlreiche,  dünne  Stühle;  im  übrigen  der  Befund  ganz 
unverändert. 

Am  25.  November  Laparotomie  (Geh.  -  Rat  C  z  e  r  n  y).  6  cm 
langer  Schnitt  unterhalb  des  Nabels  bis  nahe  an  die  Symphyse.  Es 
finden  sich  nur  Spuren  von  serösem  Exsudat.  Nichts  auf 
Tuberkulose  Verdächtiges.  Die  ödematös  geschwollen  aussehenden  Därme 
werden  abgesucht,  eine  verdächtige  Stelle  zur  mikroskopischen  Unter- 
suchung exidiert.  Der  etwas  adhärente  Blinddarm  wird  gelöst,  der  Pro- 
cessus vermiformis  exstirpiert.     Naht.    Reaktionslose  Heilung. 

In    den    folgenden    Wochen   mehrmals    starke    Durchfälle.      Geringe 


3Ö4  XVI.    TOBLBR 

Oefwiohtssiiiiahnie.     Objektiver  Befand  anvArÜndert.     Am  12.  Deeember 
entlassen. 

Januiar  1904  berichtet  der  Yater»  i%ä  der  Knabe  seit  der  £at- 
lififiuftg  vollBt&ndig  gebeilt  »ei  und  «ich  sehr  gut  entwickelt  habe. 

3.  Elise  F.,  Heiserskind,  Walldorf,  9  Jahre  alt.  Eintrittstag 
13.  November  1900. 

Anamnese:  Familie  des  Yatere  mit  Toberknlose  belastet.  Ftt 
hat  6  gesunde  Geschvrister. 

Geburt  normal.  \/^  Jahr  an  der  Brust  ernXhrK  Im  1.  Jahr  kränk« 
lieb.    Laufen  mit  1^/^  Jahren. 

1894  Masern.  Seit  1895  langsam  zunehmender  Leibes- 
umfang, schlechter  Appetit,  DurohfftUo.  Doch  besuchte  Fat. 
die  Schule  bis  Mitte  Oktober.  Seither  etwas  Husten,  allgemeine  Mattig* 
keit.     Stuhl  in  letzter  Zeit  geordnet. 

Status  praesens:  Leidlich  entwickelt ,  geringes  Fettpolster, 
dftrflige  iMuskulatur. 

Temperatur  B6^  (Hatttabaaeß). 

Puls:   138,  eiemlich  klein,  weich. 

Haut:  blaß,  trocken,  welk.  Lymphdrüsen:  am  Hals  und  in  der 
Axilla  palpabel.     Schleimhäute  blaß. 

Geringer  Hochstand  des  Zwerchfells;  abklingende,  sfih- 
feuchte,  grobe  Bronchitis.     Hers:  ohne  Besonderheit. 

Abdomen:  Symmetrische  Anftreibung  der  untere]^ 
Partie.  Nabelumfang  61  cm.  Peristaltische  Bewegungen  auf  Be- 
klopfen. Wenig  Termehrte  Resistenz,  keine  Drttsentumoren  fühlbar; 
schmerzlos. 

Dämpfungbis  in  Nabelhöhe,  die  sich  bei  Lagewechsel 
in  den  Seiten  aufhellt.  Beim  Stehen  der  Leib  voller,  die 
Dämpfungsgrenze  ansteigend,  horizontal«  Deutliche 
XJndulation. 

Stuhl  und  Urin  ohne  Besonderheit. 

Im  Verlauf  von  5  Wochen  änderte  sich  der  Abdominal befund  kaum, 
auch  nicht  auf  Darreichung  von  Abführmitteln,  Die  Dämpfungstone 
meist  unvollkommen  verschieblich.  Stuhl  meist  reichlich ,  lehmfarbes 
oder  salbenartig. 

Am  18.  Dezember  Laparotomie  (Hofrat  Lossen).  Eröffnung 
in  der  Linea  alba  im  Bereich  der  Dämpfung.  Es  entleeren  sich 
nur  einige  Tropfen  Flüssigkeit.  Peritoneum  unverändert, 
keine  Adhäsionen.  —  Naht. 

In  den  folgenden  Tagen  bei  sehr  knapper  Kost  und  leidlichen  Ent> 
leerungen,  der  Leib  entschieden  dünner.  Doch  besteht  Dämpfung  der 
abhängigen  Teile  fort.  —  1   kg  Gewichtsverlust. 

Am   16.  Januar  entlassen.    Weitere  Nachrichten  fehlen. 

4.  Anna  W.,  Schmied.skinJ,  Kirchheim,  8  Jahre  alt,  Eintritts* 
tag   18.  August  1897. 

Anamnese:  Tuberkulose  in  der  Familie  der  Mutter.  Pat.  war 
früher  immer  gesund  aber  von  jeher  zart  und  mager. 


über  Psendoaszites  als  Folgesustand  chronischer  Enteritis.  295 

Angeblich  mit  10  Tagen  Appetitbläigkeit;  Dickerwerdea  des  Leibes. 
Kaebts  äohweiße»    Kaia  Fieber^  kein  LeibBcbmerz.     Starke  Abmagerong. 

Siatni  pracsene:  Ordentliob  entwickelt;  dttrftiger  Emährangs* 
snttand. 

Temperatur:  Remittiarendes  Fieber  bi» an 89,7 <>.  Puls:  120--ld0. 

Hant  bräunlich)  in  Falten  abhebbar.  Muskulatar  dürftig,  multiple 
Lymphdrüsenschwellungen. 

Schleimhäute  blaß;  Zunge  belegt;  Rhagaden  an  der  Nase. 

Knochan  nicht  rhachitisch.    ^ktatische  Venen  an  Brust  und  Bauch. 

Sichtbare  Herzpulsationen  im  II. — IV.  Interkostalraum.  Grenzen: 
reohtar  Stemalrand,  II.  Interkostalraum,  Mamillarlinie.  1.  Ton  an  der 
Spitze  dumpf,  2.  Fulmonalton  akzentuiert.  Geringer  Hochstand  des 
Zwerchfelles.    Langen  ohne  Beeonderheit 

Abdomen:  gleichmäßig  aufgetrieben.  Nabelumfang  66  cna 
Kein  PalpationseohmerZy  keine  Knoten  oder  Stränge  fühlbar.  Ver*> 
mehrte  Resistenz;  mäßig  deutliche  TJndulation.  B  Finger 
breite  nach  oben  halbkreisförmig  begrenzte  Dämpfung^ 
die  in  Seitenlage  vollständig  verschieblich  ist,  imStehea 
bis  Nabelhöhe  anwächst. 

Leber  und  Milz  nicht  fühlbar.     Stuhl  und  Urin  ohne  Besonderheit 

Am  22.  August   in   der  linken  Pleurahöhle  kleines,   klares  Exsudat. 

24.  August.  Laparotomie  (Hofrat  Lossen).  6  cm  langer 
Schnitt  in  der  Linea  alba  dicht  unterhalb  des  Nabels.  Im  Peritonea  1- 
raum  nirgends  flüssiges  Exsudat.  Das  Peritoneum  stellen» 
weise  verdickt;  keine  Knötchen.  Därme  zum  Teil  durch  fibröse  Stränge 
verwachsen.     Einige  davon  werden  stumpf  gelöst. 

8  Tage  nach  der  Operation  fand  sich  im  Liegen  keine  Dämpfung. 
Erat  nach  und  nach  trat  dieselbe  wieder  auf.  Am  11.  Oktober  wurde 
Patient  gebeilt  entlassen. 

Im  Januar  1904  schreibt  der  Vater,  daß  es  dem  Kinde  seit 
jener  Zeit  voliständlg  gut  gehe. 

5.  Anna  K.,  Schlosserskind,  Heidelberg,  4  Jahre  alt.  Eintritts- 
tag: 14.  April  1903. 

Anamnese:  Von  mütterlicher  Seite  schwer  mit  Tuberkulose  be- 
lastet; 2  gesunde  Geschwister. 

Normale  Geburt,  5  Monate  an  der  Brust  ernährt;  etwas  verzögerte 
Entwicklung.  1901  Keuchhusten,  1902  Masern.  Seither  kränk- 
lieh; öfter  Erbrechen  und  Durchfall;  Abmagerung,  Müdig- 
keit, Husten. 

Status  praesens:  Sehr  klein,  körperlich  unentwickelt.  Leid- 
licher Emährungsaustand  bei  Zeichen  mäßiger  Abmagerung.  Körper- 
gewicht 9100  g.  Remittierendes  Fieber  mit  abendlichen  Spitzen 
bis  39  0 ;  Puls  80,  kräftig,  regelmäßig. 

Haut  trocken ,  schlaff.  Etwas  anämisch.  Conjunctivitis 
phlyctaenulosa.  Zunge  rein.  Rhachitische  Knochenverän- 
derungen. 

Geringer  Hochstand  des  Zwerchfells.  Zähfeuchte  Bronchitis  mit 
vorwiegender  Lokalisation  im  rechten  Oberlappen. 


296  XVI.    TOBLBB 

Abdomen  stark  aufgetrieben,  beim  Liegen  seitlich, 
beim  Stehen  vorn  überragend;  weich,  schmerzlos,  un- 
deutliches Undulationsgefühl,  Schwappen.  Horizontale, 
(nach  oben  konkav  begrenzte)  Dämpfung  der  abhängigen 
Teile  bis  3  cm  unterhalb  Nabelhöhe;  die  Dämpfung  ist 
bei  Lagewechsel  ziemlich  gut  verschieblich,  steigt  im 
Stehen  zu  Nabelhöhe  an. 

Stuhl  geformt;  Urin  ohne  besonderen  Befund. 

Bis  zum  8.  Mai  wurde  Patient  in  der  Klinik  beobachtet.  Der  Ab- 
dominalbefund wechselte  stark.  Unter  diätetischer  Behandlung  wurde 
der  Leib  kleiner,  die  Dämpfung  ging  zurück,  stieg  aber  oft  unvermutet 
wieder  zur  alten  Höhe  an. 

Wiederaufnahme  am  21.  Oktober.  Patient  litt  seit  3  Wochen 
an  Durchfall,  hatte  6 — 8  dünne,  stark  schleimige  Stühle  pro  Tag, 
mehrmals  Blutbeimengungen.     Leibschmerzen,  Stuhldrang. 

Status  praesens:  Fieberlos,  leichte  Bronchitis.  Der  Abdo- 
minalbefund  genau  wie  vor  5  Monaten.  Etwas  unregelmäßig 
begrenzte,  ziemlich  verschiebliche  Dämpfung  der  ünterbauchgegend  bis 
in  Nabelhöhe.  Dieselbe  bleibt  trotz  Abführmitteln  in  etwas  veränderter 
Form  und  G^röße  in  den  nächsten  Wochen  bestehen ;  ihr  Verhalten  wird 
genauer  auf  Seite  300  dargestellt.  Im  Stehen  wird  ündulation  vor- 
getäuscht.    Stühle  dünn,  schleimig,  keine  Tuberkelbazillen. 

Es  stellten  sich  im  weiteren  Verlauf  schwerere  Erscheinungen  von 
Seiten  der  Lungen  und  Fieber  ein,  so  daß  eine  Lungentuberkulose  an- 
genommen wurde. 

29.  Oktober  trat  Ikterus  auf,  der  nach  8  Tagen  verschwand. 

27.  November  beginnen  de  meningi tische  Zeichen,  die  bald 
in  den  Vordergrund  treten. 

Am   18.  Dezember  Exitus.    (Das  Sektionsergebuis  auf  Seite  305.) 

6.  Maria  E..,  Arbeiterskind,  Wieblingen,  4  Jahre  alt.  Ein- 
trittstag: 20.  Oktober  1903. 

Anamnese:  Vater  lungenkrank,  Mutter  und  deren  Familie 
gesund. 

Patient  ist  einziges  Kind,  wurde  ^/^  Jahr  von  der  Mutter  gestillt, 
soll  sich  sehr  gut  und  rasch  entwickelt  haben.  Seit  Beginn  des 
2.  Lebensjahres  erhielt  Patient  gemischte  Kost  ohne  Auswahl  und  soll 
auffallend  viel  gegessen  haben.  Bisher  keine  ernstliche  Erkrankung. 
Seit  längerer  Zeit  fällt  Dickwerden  des  Bauches  auf. 
Vor  6  Wochen  Gelbsucht.  Seither  ist  der  Leib  neuerdings  stark  ge- 
wachsen Und  hart  geworden.  Patient  soll  mehrmals  vorübergehend  an 
Durchfall  gelitten  haben.  Öfter  Leibschmerzen;  Appetitlosigkeit 
Vom  Arzt  eingewiesen  mit  der  Diagnose:  tuberkulöse  Peri- 
tonitis. 

Status  praesens:  Kleines,  mäßig  genährtes  Kind;  etwas  anä- 
misch, fieberfrei.  Puls  130,  klein.  Zunge  dünn  belegt.  Keine  Rha- 
chitis. 

Hochstand  des  Zwerchfells,  geringe  zäbfeuchte  Bron- 
chitis. 


über  Pseudoaazites  als  Folgezustand  chronischer  Enteritis.  297 

Abdomen:  stark,  gewölbt,  symmetrisch  aufgetrieben. 
Undeutliche  Yenenzeichnnngen  iu  den  unteren  Teilen 
der  Bauchhaut.  Bauchdecken  gespannt,  gleichmäßig 
vermehrte  Resistent,  keine  Tumoren  fühlbar.  Aus- 
gesprochene ündulation.  Im  Liegen  beginnt  finger- 
breit unter  dem  Nabel  absolute  Dämpfung  ra^it  quer 
•gegen  die  Darmbeiuschaufel  verlaufender  Grenze.  Bei 
Lagewechsol  in  den  Seiten  langsame  Aufbellung.  Im 
8 tehei^  steigt  die  Dämpfung  uip  B  cm  an.  Oberhalb  laute 
Tympanie,  die  die  Leber  größtenteils  überlagert. 

Im  Urin  starker  Indikangehalt. 

Stuhl  dickbreiig,  grau,  glänzend.  Mikroskopisch  mit  Fettröpfchen 
übersät,  die  beim  Erwärmen  deutlicher  und  größer  werden. 

Am  nächsten  Tag  war  der  Abominalbefund  vollkommen  verändert: 
der  ganze  Leib  weich,  eindrückbar,  keine  Ündulation,  überall  tympaniti- 
scher  Schall.  Im  weiteren  Verlaufe  der  Beobachtung  trat  die  Dämpfung 
in  verschiedener  Gestalt  und  Größe  immer  wieder  auf;  sie  war  durch- 
weg abends  deutlicher  als  in  der  Frühe.  Die  Stühle  erhielten  unter 
fettarmer  Diät  normales  Aussehen ;  es  bestand  meist  Neigung  zu  Obstipation. 

Entlassung  am  8.  November  1903. 

7.  Felix  L. ,  Handwerkerskind,  Friedrichsfeld,  2^/^  Jahre  alt. 
Eintrittstag:  20.  Oktober  1903. 

Anamnese:  Aus  tuberkulöser  Familie.     6  gesunde  Geschwister. 

Patient  ist  7.  Kind;  war  bei  der  Geburt  groß  und  kräftig.  Erhielt 
eiüige  Monate  lang  die  Mutterbrnst,  dann  Kuhmilch,  mit  1  Jahr  ge- 
mischte Kost  am  Tisch. 

Litt   von    jeher   an   Erbrechen    und  Durchfall.     Seit  Herbst 

.1902   leidendes^   schlechtes   Aussehen,    Abmagerung.     Seit  8  Wochen 

wieder   schwerer   Darmkatarrh,    der   mit  Medizin    und  Knfek^'a 

Hehl    behandelt    wurde.     Schon   lange    ist   der  Leib   dick.     Laufen  und 

Sprechen   hat  Patient   wieder   verlernt.     Stuhl  immer  dünn,   sehr  häufig. 

Status  praesens:  Schlecht  entwickeltes,  kachektisch  und  anä- 
misch aussehendes  Kind;  malt,  teilnahmlos.  Fieberfrei.  Puls  92,  klein, 
fihachitischer  Knochenbau,  geringe  Drüsenschwellungen.  Zunge  dünn  belegt. 

Herz  und   Lunge  normal. 

Abdomen:  Vergrößert,  seitlich  vorgewölbt,  Diastase 
der  Kekti;  Darmkonturen  sichtbar;  weich,  keine  Tumoren, 
keine  Ündulation.  In  der  unteren  Hälfte  des  Bauches  eine 
Dämpfungszone,  die  von  einer  Spina  iliaca  zur  anderen 
über  den  Nabel  zieht.  In  den  Seiten  tympanitischer  Beiklang; 
beträchtliche  Verschieblicbkeit  bei  Lagewechsel ;  im  Stehen  nicht  wesent- 
lich ansteigend.     Mil2  und  Leber  nicht  vergrößert. 

Die  Dämpfung  verhielt  sich  in  den  folgenden  Tagen  wechselnd. 

Die  Stuhlentleerungen  waren  vermehrt,  meist  etwas  dünn,  sehr 
massig,  anfangs  glänzend,  fettig,  später  mehrmals  schleimig. 

Am  9.  November  Entlassung;  die  Dämpfung  war  in  den  letzten 
Tagen  verschwunden,  der  Stuhl  geformt. 

Deutsches  Archiv  f.  klin.  Medizin.    LXXX.  Bd.  20 


298  X^-  ToBLsi 

AUea  beschriebenen  Fällen  gemeiasam  ist  ein  AbdomiiialbefaDd, 
der  an  Aszites,  insbesondere  an  die  mehr  oder  weniger  frei  beweg- 
lichen, flüssigen  Exsudate  bei  tuberkulöser  Peritonitis  erinnert,  dem 
aber,  wie  durch  Operation  und  Autopsie  erwiesen  ist^  ein  ganz 
anderes  anatomisches  Substrat  zugrunde  liegt.  Aber  nicht  bloß  in 
Abdominalbefand  herrscht  bei-  den  mitgeteilten  Fällen  Übereiostim- 
mung:  sie  bieten  auch  weiterhin  im  klinischen  Bild  und  —  wie 
später  gezeigt  werden  soll  — r  in  Ätiologie  und  Pathogenese  weit- 
gehende Analogien  und  scheiden  durch  solche  aus  den  bekannten 
Zuständen  aus.  Wir  sind  geneigt,  ihnen  den  W^rt  eines  eigenen 
Krankheitsbildes  beizulegen.  Wie  sich  dasselbe  klinisch  and  speziell 
diagnostisch  umgrenzt,  soll  zunächst  gezeigt  werden. 

Befallen  waren  vorwiegend  ältere  Kinder,  jedenfalls  Kinder 
jenseits  des  Säuglingsalters.  Der  jüngste  unserer  Kranken  war 
2^2  J&hre  alt,  der  älteste  9  Jahre.  Das  Durchschnittsalter  ist 
ca.  6  Jahre.    Mädchen  überwiegen  in  unserem  Material  stark. 

Die  Anamnese,  unvollkommen  und  unzuverlässig  wie  sie  bei 
Kindern  durchweg  ist,  bietet  stets  dasselbe,  in  den  einigermaßen 
sicheren  Angaben  übereinstimmende  Bild:  im  Anschluß  an  kon- 
tinuierliche, intermittierende  und  rezidivierende  Durchfälle  von 
jnpnate-  und  jahrelanger  Dauer  beginnt  eine  allmähliche  Volum- 
zunabme  des  Abdomens,  die  schließlich  beunruhigt  und  die  bis 
dahin  vernachlässigten  Kranken  zum  Arzt  fuhrt  Mitunter  erhält 
man  Angaben,  die  auf  Überfutterung  als  erste  Schädlichkeit  hin- 
weisen. Meistens  waren  die  Durchfeile  gar  nicht  oder  höchst  un- 
zweckmäßig mit  Stopfmitteln  und  Mehlen  behandelt  worden. 

Das  Allgemeinbefinden  der  erkrankten  Kinder  hat  durchweg 
sqhwer  gelitten;  die  meisten  von  ihnen  sind  schwächliche,  elende 
Wesen  von  mattem,  abgezehrten  Aussehen  in  dürftigem  Ernährungs- 
zustand, häufig  extrem  abgemagert.  Manche  von  ihnen  sind  außer- 
dem durch  Ehachitis  im  Wachstum  zurückgeblieben  und  deformiert 
oder  tragen  Zeichen  anderer  komplizierender  Krankheiten.  Pakete 
geschwollener  Lymphdrüsen,  tuberkulöse  KnochenafFektionen,  der 
Tuberkulose  verdächtige  Befunde  auf  den  Lungen  weisen  oft  direkt 
auf  eine  analoge  Natur  der  Abdominalerkrankung  hin.  Fieber  be- 
steht in  der  Eegel  nicht,  ausgesprochene  subjektive  Beschwerden 
pflegen  zu  fehlen  oder  es  wird  ab  und  zu  über  Leibschmerzen 
geklagt. 

Mit  dem  abgemagerten,  welken  Aussehen  des  übrigen  Körpei"S 
kontrastiert  um  so  mehr  das  aufgetriebene,  gespannte,  unförmliche 
Abdomen.    Über  ihm  ist  die  Haut  öfter  gespannt,  glänzend  oder 


über  Pseüdoaszites  all  Tdigeznsttaid  chronischer  Enteritis.  299 

schilfernd,  der  Nabel  verstrichen.  Veneaztige  zeichnen  sich  auf 
der  blassen  Haiit  ab.  Beim  Stehen  hängt  der  Bauch  nicht  selten 
Tom&ber  und  bildet  hier  and  da  die  bekannte  qnere  Hautfalte 
fiber  der  SymphjTBe.  Bei  der  Bet4istaug  ist  das  Abdomen  balloh* 
artig  gespannt  und  elastisch,  das  Besistenzgefühl  faäafig  in  den 
unteren  Teilen  V(^inehrt,  besonders  in  anfreehter  Stelinng.  In 
anderen  Fällen  aber,  ja  sogar  bei  demselben  Patienten  zn  anderer 
Zeit,  ist  der  Abdomin albef und  ein  anderer:  der  Bauch  ist  nur 
mäßig  aufgetrieben,  die  Decken  sind  schlaff  und  lassen  Dann- 
kontaren  sich  abzei(Anen.  Bei  Bewegungen  fUlt  der  Leib  mit 
schwappender  Bewegung  zur  Seite.  In  diesem  Zustand  ist  das 
Abdomen  ffir  die  Palpation  weich-elastisch,  in  den  untren  Partien 
bänfig  von  einer  ganz  eigentümlichen  teigig*weichen  Resistenz. 
Bisweilen  kann  Plätschern  wahrgenommen  werden. 

ündulation  kann  in  beiden  FäJlen  T(»^anden  sein«  Wir  fanden 
dieses  Symptom  bei  insAer  wiederholter  Untersuchuag  unserer 
Kranken  in  allen  Graden  der  Ausprägung.  Den  deutlichsten, 
kärzesten  Wellenanschlag  erhält  man  bei  symmetrischen  Dämp- 
fnngen  von  beträchtlicher  Gröfie  bei  gleichzeitig  erheblicher  Span- 
nung der  Bauchdecken.  Letzteres  ist  wobl  der  Grund,  weshalb 
das  Symptom  auch  bei  im  Liegen  schon  großen  Dämpfungen  beim 
Aufrichten  deutlicber  wird.  Die  Ündulation  kann  in  diesen  Fällen 
so  absolut  charakteristisch  ausgesprochen  sein,  daß  sie  sich  in 
keiner  Weise  von  der  bei  wahrem  Aszites  vorkommenden  unter- 
scheidet. Es  ist  ja  auch  gar  nicht  einzusehen,  weshalb  eine  mehr 
oder  weniger  homogene,  reichliche  Flüssigkeitsmenge,  die  nur  durch 
nachgiebige,  membranöse  Septen  sozusagen  getrennt  ist,  eine  er- 
zeugte Wellenbewegung  nicht  fortleiten  sollte.  Die  Ündulation 
kann  aber  auch  vollständig  fehlen.  Zwischen  diesen  Extremen 
liegen  zahlreiche  Zwischenstufen:  sie  kann  schwach,  träge,  nur 
eben  angedeutet  oder  merkbar  vorgetäuscht  sein.  Das  fortgeleitete 
Erzittern  der  schlaffen  Bauchdecken  und  das  eigentliche  Schwappen 
lassen  sich  von  der  wahren  ündulation  bei  einiger  Übung  mit 
großer  Sicherheit  unterscheiden.  Die  Fortleitung  einer  gesetzten 
Flussigkeitswelle  ist  viel  rascher,  ihr  Anschlag  viel  kürzer  und 
klopfender  als  das  Andrängen  der  schwerer  beweglichen  Gewebs- 
massen  und  ihres  vielleicht  nicht  homogen  flüssigen  Inhaltes.  Die 
wahre  Flüssigkeitswelle  wird  mit  der  Handfläche  am  deutlichsten 
wahrgenommen.  Die  Fortleitung  von  Bewegungen  der  Bauchdecken 
dagegen  empfindet  die  dem  Ausgangspunkt  der  Bewegung  benach^ 

20* 


300 


XVI.    TÖBLKB 


barte  Kante  der  Hand  am  deutlichsten.  Man  tut  gut,  dem  Symptom 
der  Undolation  nicht  zu  unbeschränkten  Wert  beizumessen. 

Wertvolleren  Aufschluß  geben  die  Schall  Verhältnisse :  sie  haltea 
sich  bei  unseren  Fällen  von  Pseudoaszites  durchaus  an  kein  Schema, 
sondern  wechseln  nicht  nur  von  Fall  zu  Fall,  sondern  bei  ein  and 
demselben  Patienten  von  Tag  zu  Tag  und  erhalten  eben  durch 
diese  Unbeständigkeit  differentialdiagnostische  Bedeutung.  Man 
findet  zunächst  Dämpfungen,  die  denen  bei  freiem  Aszites  in  jeder 
Hinsicht  entsprechen :  eine  Region  absolut  oder  stark  gedämpften 
Schalles  beginnt  in  verschiedener  Höhe,  häufig  oberhalb  des  Nabels 
und  nimmt  den  ganzen  unteren  Abschnitt  des  Bauches  ein.  Die 
obere  Begrenzungslinie  steigt  in  den  Seiten  an  und  entspricht  einem 
horizontiJen  Flüssigkeitsspiegel.  Die  Dämpfung  ist  bei  Lagewechsel 
verschieblich,  ganz  besonders  pflegt  sie  beim  Aufrichten  des  Patienten 
vorne  anzusteigen;  sie  senkt  sich  nach  den  tiefsten  Teilen  mit  der 
Tendenz,  ein  horizontales  Niveau  zu  bilden. 

In  anderen  Fällen  ist  die  Begrenzung  unregelmäßiger.  Man 
findet  sie  häufig  nach  oben  konvex  oder  auf  der  einen  Seite  an- 
steigend, auf  der  anderen  absinkend ;  oder  man  ^hält  in  den  Seiten 
tympanitischen  Beiklang.  Auch  die  Beweglichkeit  der  Dämpfungszone 
kann  verlangsamt  oder  eingeschränkt  sein  oder  auch  gänzlich  fehlen. 

Wir  geben  im  folgenden  die  schematischen  Zeichnungen  der  Dämp- 
fungsfiguren zu  verschiedenen  Zeiten  bei  demselben  Patienten  wieder: 

Schematische  Zeichnnngen  der  Dämpfnngszonen  zu  verschiedenen  Zeiten 
beim  Patienten  Anna  R.  (Nr.  5). 

(Perkussion  im  Liep^en  mit  leicht  erhöhtem  Oberkörper.  Grenzen  absoluter 
Dämpfung  bei  oberflächlicher  Perkussion.) 

Punktierte  Linien  bezeichnen  das  Verhalten  der  Dämpfungsgrenze  in  auf- 
rechter Stellung. 

Fig.  1.  Fig.  2.  Fig.  3. 


29.  Sept.  abends.  In  beiden  30.  Sept.  abends.  In  rechter  1.  Okt.  abends.   Bei  linker 

Seiten     leicht     tympaniti-  Seitenlage    fast   unverän-  Seitenlage  rechts  Aufhel- 

scher  Beiklang.  Bei  rechter  dert.                                       Inng. 
Seitenl.  links   Aufhellung. 


tJher  Psendoaszitefi  als  Folgezüstand  chronsicher  Enteritis. 


301 


Fig.  5. 


Fig.  6. 


5.  Okt.  abends.  Beider-  7.  Okt.  morgens.  Voraus-  7.  Okt.  abends.  Keine  Ver- 
seitige  Dämpfangen  etwas  gegangen  mehrere  reich-  schieblichkeit  nachweisbar, 
terschieblich.  Sehe  dtinne  Entleerungen 

und     1   Hungertag.      Im 

Stehen   geringer  Anstieg. 


Fig.  7. 


Fig.  8. 


Fig.  9. 


M 


/" 


IJL 


^-  Okt.  abends.     Seitliche   15.  Okt.  abends.    Undula- 

Bämpfangen     nicht     yer-  tion  u.  Plätschern.  Beider- 

schieblich.  seits    die    Dämpfungszone 

beim  Umlagern  aufgehellt. 


24.  Okt.  abends. 


Aus  dem  oben  Dargestellten  geht  hervor,  daß  die  Erkennung 
unserer  Formen  von  Pseudoaszites  vorwiegend  au  dem  Punkte 
schwierig  wird,  wo  es  sich  darum  handelt,  sie  von  chronisch-peri- 
tonitischen  Exsudaten,  insbesondere  von  der  Tuberkulose  des  Bauch- 
fells abzuscheiden.  Auf  diese  differential-diagnostische  Frage  soll 
deshalb  noch  kurz  eingetreten  werden. 

Wenn  schon  die  ganz  allmähliche  Entwicklung  der  auffallend- 
sten objektiven  Veränderungen  in  beiden  Fällen  fast  absolut  iden- 
tisch sein  kann,  so  können  doch  gewisse  anamnestische  Daten  mit 
Erfolg  zur  Diagnose  herbeigezogen  werden:  Fieber  —  und  seien 


302  XVI.    TOBLt& 

es  auch  nur  vereinzelte  abendliche  Temperatarsteigernngen  — 
stärkei^,  anhaltende  Schmerzen,  ununterbrochene  langsame  Ver- 
schlimmerung des  Zustandes  deuten  eher  auf  Peritonitis  Md. 
Wechsel  der  Erscheinungen,  vorübergeh^der  Nachlaß  und  schab- 
weise Verschlimmerung  sind  bei  Pseudoaszites  häufigei*.  Vor  allem 
aber  hat  man  sidh  nach  weiter  zurückliegenden  Dorchfallsperioden 
zu  erkundigen.  Solche  pflegen  der  Ausbildung  des  Pseudoaszites 
voranzugehen  und  neue  Exazerbationen  einzuleiten.  Auch  die  Art 
der  Durchfälle  ist  in  ausgeprägten  Fällen  verschieden :  bei  Peritonitis 
tuberculosa  wenige,  einfach  dünne  Entleerungen,  bei  chronischer  En- 
teritis mit  darauf  folgendem  Pseudoaszites  zahlreiche,  oft  auffallend 
reichliche  Stühle  mit  schwereren  katarrhalischen  Erscheinungen. 

Bei  der  Beurteilung  des  objektiven  Befundes  genügt  die  Kennt- 
nis der  beschriebenen  Zustände  um  voreilige  Diagnosen  zu  ver- 
meiden. Insbesondere  lege  man  dem  Symptom  der  Undulation 
nicht  zu  viel  Gewicht  bei.  Das  für  zystische  Tumoren  von  Eich- 
horst ^)  geltend  gemachte  Verhalten  des  Wellenschlags  scheint  im 
selben  Sinn  für  unsere  Zustände  verwertbar:  im  Gegensatz  zum 
wahren  Aszites  fehlt  das  Symptom  oberhalb  der  Dämpfungsgrenze. 
Jede  Asymmetrie  dieser  letzteren,  jede  Einschränkung  der  Yer- 
schieblichkeit  macht  weiterhin  ein  freies  Exsudat  unwahrscheinlich, 
wenn  schon  auch  ganz  lokalisierte  Adhäsionen  einzelner  Schlingen 
sie  verursachen  können.  Die  Beweglichkeit  der  Dämpfung  kasn 
bei  tuberkulöser  Peritonitis  beeinträchtigt  sein  und  ist  es  sehr 
häufig  bei  unseren  Fällen  von  Pseudoaszites.  Man  tut  gut,  auch 
in  starker  Beckenhochlagerung  zu  untersuchen.  Die  Dämpfung 
über  der  Symphyse  pflegt  dabei,  wenn  sie  auf  Darmfüllung 
beruht,  nicht  zu  verschwinden,  wohl  weil  die  gefüllten  Schlingen 
nicht  wie  ein  freier  Erguß  zwischen  den  Spalten  der  gasge- 
füllten Därme  versickern  können.  Die  Abgrenzung  gegen  ab- 
gesackte Exsudate  ergibt  sich  nur  aus  dem  auffallenden  Wechsel 
im  Laufe  der  Beobachtung.  Ein  Exsudat  (auch  ein  freies),  kann 
wohl  innerhalb  von  Tagen  etwas  größer  oder  kleiner  erscheinen, 
besonders  wenn  sich  seiner  Kontur  gefüllte  Darmschlingen  anlegen. 
Für  den  Pseudoaszites  ist  der  Wechsel  der  Erscheinungen  patho- 
gnomonisch.  Man  wird  denselben  durch  vnederholte  Darreichung 
von  Abführmitteln  bei  gleichzeitiger,  knapper  Nahrungszufuhr  her- 
beizuführen trachten.  Regelmäßige  Aufzeichnung  der  Grenzen  ist 
ein  Hilfsmittel  von  nicht  zu  unterschätzender  Bedeutung. 


1)  H.  Eich  hörst,  Lehrbuch  der  Diagnostik. 


über  Pseudoaszites  als  FolgejEustahd  chronischer  Enteritis.  308' 

Die  Untersuchnng^  per  rectnm  wird  Positives  wobl  nur  da 
leisten,  wo  man  dui-ch  palpable  Tnmoren  oder  Stränge  einen  An- 
halt ffir  Tuberkulose  gewinnt  Im  übrigen  findet  inan  eben  im 
einen  wie  im  anderen  Fall  den  Douglas  elastisch  vorgewölbt 

Das  Verhalten  der  Entleerungen  bietet  ebenfalls  keine  wesent- 
lieben  Anhaltspunkt«.  Da  wie  dort  kann  Indikan  im  Urin  ver- 
mehrt sein.  Diarrhöen  brauchen,  insbesondere  beim  Pseudoaszites, 
nicht  vorhanden  zu  sein.  Nach  vorausgegangenen  Durchfällen  kann 
ein  Stadium  eintreten,  wo  eher  Neigung  zu  Obstipation  besteht 
Auffallend  häufig  fanden  wir  bei  unseren  Patienten  graue,  acho* 
lische,  fettglänzende,  salbige  Stühle;  ein  weiterer  Beweis,  wie 
wenig  Bedeutung  diesem  von  Berggrün  und  Katz^)  beschrie* 
benen  Symptom  für  die  Diagnose  der  Peritonitis  taberculosa  zu* 
kommt 


Palpatorische  und  perkussorische  Erscheinungen,  die  denen 
bei  Aszites  gleichen,  sind  das  auffälligste  und  regelmäßigste  Sym* 
ptom  bei  den  beschriebenen  Erankheitszuständen.  Die  Frage,  wo- 
durch dieselben  bedingt  sind>  ist  an  Hand  unseres  Materials  leicht 
zu  beantworten.  Operations-  und  Obduktionsbefunde 
haben  festgestellt,  daß  freie  Flüssigkeit  im  Bauch- 
raum e  fehlte.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  fand  sich  das  Peri- 
toneum überhaupt  intakt  Feste  oder  zystische  Tumoren  wurden 
nicht  gefunden.  Da  in  allen  Fällen  das  Abdomen  an  Umfang  ver- 
größert war,  können  leere  Darmschlingen  im  Sinne  MüUer's  die 
Dämpfungen  nicht  bedingt  haben,  ganz  abgesehen  davon,  daß  regel- 
mäßige Nahrungsaufnahme  stattfand.  Füllung  des  Darmes  mit  festen 
Massen  pflegt  unregelmäßige,  zirkumskripte  Dämpfungen  zu  machen 
und  bietet  bei  der  Palpation  tumorartige  Resistenzen.  Bei  be- 
stehenden Durchfällen  ist  aber  an  diese  Ätiologie  überhaupt  nicht 
zu  denken.  Schließlich  weist  die  so  häufig  bestehende  Undulatiou 
direkt  und  sicher  auf  Flüssigkeit  hin.  Kein  Zweifel  also:  Dämp- 
fung und  zugehörige  Symptome  waren  in  unseren 
Fällen  durch  flüssigen  Darminhalt  bedingt 

Damit  entstehen  neue  Fragen.  Welche  Darmteile  enthielten 
abnorme  Inhaltsmengen?  Die  Dämpfung  fand  sich  durchweg  über 
der  Symphyse  nachweisbar  und  hier  meist  am  intensivsten.    Hier 


1)  Berggrün  n.  Katz,  Wiener  klin.  AVochenschrift  1891  Nr.  IV. 


304  XVI.    TOBLU 

können  wir  uns  nur  Dünndarmschlingen,  vorzüglich  Ileumteile  ge- 
lagert denken.  An  den  seitlichen  Dämpfungen  kann  wohl  Dick- 
darminhalt mitgewirkt  haben;  ja  unter  abnormen  Mensenterial- 
verhältnissen  —  von  denen  noch  die  Rede  sein  soll  —  kann  auch 
ein  gesenktes  und  gefülltes  Colon  transversum  sich  zu  der  in  der 
Unterbauchgegend  entstandenen  Dämpfung  addieren.  Flüssiger 
Eoloninhalt  muß  bei  den  zahlreichen  Fällen  mit  Diarrhöen  sowie- 
so angenommen  werden 

Da  aber  das  normale  Abdomen  auch  bei  reichlicher  Nahrungs- 
aufnahme vorwiegend  tympanitischen  Schall  gibt,  entsteht  weiter 
die  Frage,  ob  unter  abnormen  Verhältnissen  größiBre  Darmabschnitte 
ganz  von^äegend  oder  ausschließlich  mit  flüssigem  Inhalt  ^ftUt 
sein  können.  Daß  dies  möglich  ist,  ist  uns  von  der  Cholera  asiatica 
her  geläufig.  Dort  verbindet  sich  eine  massenhafte  Sekretion  in 
den  Darm  mit  fast  ausschließlicher  Aufnahme  von  Flüssigkeit  per 
OS.  Der  größte  Teil  dieses  Materials  enthält  zersetzbare,  gasbil- 
dende StoflFe  in  nicht  nennenswerten  Mengen.  Mit  einer  derart 
verminderten  Gasbildung  dürfen  wir  bei  Fällen  von  chronischer 
Enteritis  nicht  rechnen.  Wir  können  bloß  aus  der  Beschafifenheit 
der  Fäces  vermuten,  daß  ein  Teil  der  Ingesta  (z.  B.  Fett)  unvoll- 
kommen —  nicht  bis  zur  Bildung  gasförmiger  Spaltungsprodukte 
—  verdaut  wird.  Wir  können  auch  die  Sekretion  in  den  Darm 
als  vermehrt,  die  Resorption  von  Wasser  vielleicht  als  vermindert 
voraussetzen.  Daß  im  größeren  Teil  des  Dünndarmes  Gase  über- 
haupt fehlen,  ist  jedoch  ganz  unwahrscheinlich.  Auch  die  hypo- 
thetische Annahme,  daß  die  Gase  den  geschädigten  Darm  rascher 
passieren  als  der  übrige  Inhalt,  führt  uns  kaum  weiter. 

Die  Erklärung  liegt  wohl  weniger  in  dem  Mengenverhältnis 
der  beiden  Bestandteile  als  in  ihrer  räumlichen  Verteilung.  Damit 
steht  die  Beobachtung  im  besten  Einklang,  daß  in  den  mitgeteilten 
Fällen  oberhalb  der  Dämpfungsgrenze  nicht  nur  hohe  und  laute 
Tympanie  bestand,  sondern  das  Abdomen  häufig  durch  den  Gas- 
druck prall  gespannt  erschien. 

Wir  möchten  glauben,  daß  sich  in  unseren  Fällen  die  jeweilen 
mit  flüssigem  Inhalt  gefüllten  Abschnitte  der  Darmschlingen,  ja 
ganze  solche  Schlingen  nach  den  tiefst  gelegenen  Teilen  der  Bauch- 
höhle senkten.  Vielleicht  ist  die  im  Gefolge  chronischer  Darm- 
katarrhe leicht  auftretende  motorische  Schwäche  des  Darmes,  wie 
sie  gerade  bei  Kindern  so  häufig  beobachtet  wird,  an  dem  Liegen- 
bleiben größerer  Inhaltsmengen  in  abhängigen  Schlingen  beteiligt 
und  die  Fortbewegung  des  Darminhaltes  überhaupt  erschwert  und 


über  Pseadoaszites  als  Folgezdstand  chronischer  Enteritis.  306 

YerlaDgsamL  Adhäsionen  der  Peritonealblätter^  peritonitische  Stränge 
können  bekanntlich  im  selben  Sinne  wirksam  sein  iind  waren  es  viel- 
leicht in  unserem  Falle  Nr.  4. 

Man  könnte  somit  zu  der  Ansicht  neigen,  daß  es  sich  um  eine 
Stanang  des  Darminhaltes  handelte  und  Stuhlentleerung  —  wie 
beim  Überlaufen  eines  gefüllten  Gteftßes  —  nur  in  dem  Maße  er- 
folgte, als  von  oben  neuer  Inhalt  nachrückt 

Wir  haben  versucht,  dieser  Frage  experimentell  beizukommen ; 
die  Resultate  sind  zweifelhaft  geblieben;  wir  sind  nicht  geneigt, 
Schlüsse  daraus  zu  ziehen,  um  so  mehr,  als  über  die  physiologische 
Daner  der  Darmpassage  beim  Menschen  wenig  bekannt  ist. 

Den  Kranken  wurde  zu  bestimraier  Zeit  ein  Quantum  pulyerisierter 
Kohle  per  os  zugeführt  und  die  Zeit  bis  zu  deren  Erscheinen  im  Stuhl 
heobachtet.  Das  Resultat  war :  die  Kohle  erschien  jeweilen  schon  im 
1.  oder  2.  Stuhl  nach  der  Verabreichung  und  zwar  nach  einer  Frist 
Ton  12 — 19  Stunden.  Im  Gegensatz  zu  unseren  Erfahrungen  bei  zahl- 
reichen Stoffwechselversuchen  bei  anderen  Patienten  fiel  auf,  daß  die 
Kohle  über  mehrere  folgende  Stühle  verzettelt  erschien. 

Wesentlich  für  das  Zustandekommen  der  ungewöhnlich  aus- 
geprägten Sedimentierung  der  Darmschlingen  scheint  uns  vor  allem 
ein  weiterer  Umstand  zu  sein.  Lange  bevor  wir  Gelegenheit  hatten, 
uns  durch  den  Augenschein  davon  zu  überzeugen,  hatten  wir  ver- 
mutet daß  die  seltsame  Erscheinung  ihr  anatomisches  Substrat  in 
emer  abnormen  Mesenterialanheftung  haben  könnte. 

Darauf  wiesen  schon  die  Analogien  hin,  die  unsere  Zustände 
mit  dem  Bild  der  Enteroptose  verbinden:  zu  Zeiten  verminderter 
Fällung  und  Spannung  des  Abdomens  sahen  wir  mitunter  den 
tjrpischen  Hängebauch,  die  schlaffen  Bauchdecken,  Atrophie  der 
Bauchmuskeln  und  Diastase  der  Recti  gleichzeitig  mit  der  weichen, 
meteoristischen  Auftreibung  der  Därme.  Dabei  fiel  ein  Herabsinken 
der  großen  Unterleibsdrüsen  nicht  auf. 

Von  der  Schnittwunde  einer  Probelaparotomie  aus  ließ  sich 
über  das  Verhalten  des  Mesenteriums  kein  Urteil  gewinnen.  Erst 
bei  der  Autopsie  des  Falles  Nr.  5  (das  Kind  starb  an  tuberkulöser 
Meningitis)  sahen  wir  unsere  Vermutungen  in  unerwartetem  Maße 
bestätigt.  Leider  ließ  sich  über  die  Füllungsverhältnisse  der  Darm- 
teile kein  Urteil  gewinnen ;  Patient  hatte  seit  1  Woche  kaum  mehr 
Nahrung  zu  sich  genommen  und  beständig  erbrochen.  Die  Dämpfung 
im  Abdomen  war  vollständig  verschwunden. 

Der  Autopsiebefund  war  kurz  folgender: 

TaberkolÖBe  Meningitis,    Tuberkelknötchen   verschiedener  Größe   auf 


306  XVL  ToBUDi 

den  Pleural ;  •oflgadehot«  tubericalose  Zentorimg  beider  Lungen.   Uiliire 
Tuberkel  ia  Niere  und  lülz« 

Im  Peritonealsack  keine  Flüssigkeit.  Keine  Verwach- 
sungen der  Därme  untereinander  oder  mit  dem  Peritoneum  parietale. 
Keine  Tuberkelknötcben  im  Peritoneum,  keine  im  großen  Netz.  An 
einigen  Stellen  siebt  man  quergestellte  (tuberkulöse)  Geschwüre  darefa 
die  Darmwand  sohimmern.  In  der  Lagerung  der  Dirme  znn&ehst  nichts 
Auffallendes:  .Tejunum  mabr  nach  links  oben,  Ileum  nach  rechts  unten 
gelagert.  Beim  Vorziehen  der  Därme  fällt  sofort  deren 
abnorm  langes  Mesenterium  auf.  Bündel  von  Ileum* 
schlingen  lassen  sieb  herausheben  und  ohne  jeden  Zag 
bis  in  die  Mitte  der  Oberschenkel  legen.  Noch  unverkenn- 
barer wird  die  Abnormität  der  Mesenterialanheftung  je- 
doch durch  das  Verhalten  des  Dickdarmes:  das  Cöcum 
läEt  sieb  ohne  weiteres  in  die  linke  Fossa  iliaca  legen« 
Es  besitzt  ein  Mesenterium  yon  17  cm  Länge  am  freien 
Bande  gemessen.  Die  Flexur  ist  durch  ein  10  cm  langet 
Mesenterium  ebenfalls  ganz  abnorm  beweglich.  Die  Länge 
des  Dünndarm mesenteriums  von  der  Flexura  duodeno-jejuoalis  aus  radiär 
nach  dem  Darm  hin  gemessen  beträgt  an  beliebig  gewählten  Schlingen 
12,  16,  17,  18,  20,  22  cm.  Das  alles  bei  einem  Kind  von  der  Größe 
eines  2 — 3jährigen. 

Daß  SO  lose  befestigte  Därme  in  vollem  Zustand  nach  unten 
sinken,  erscheint  durchaus  verständlich. 


Auf  den  gewonnenen  klinischen  und  anatomischen  Grundlagen 
läßt  sich  die  Pathogenese  dieser  Formen  von  Pseudoaszites  mit 
großer  Wahrscheinlichkeit  aufbauen.  Man  wird  sich  davor  zu  hüteu 
haben,  primäre  und  sekundäre  Zustände  zu  vermengen.  Wir  halten 
folgenden  Gang  für  den  einleuchtendsten : 

Bei  Kindern  jenseits  des  Säuglingsalters  kommt 
es  durch  chronische,  rezidivierende  Enteritiden  zu 
der  wohlbekannten  Auftreibung  des  Leibes,  die  ihre 
klassische  Form  im  rh  achitisch  en  Trommelbauch 
findet.  Auch  bei  mehreren  unserer  Patienten  mag  Rhachitis  den 
Zustand  mit  beeinflußt  haben.  Wir  haben  Ursache,  die  Überfötte- 
rung  in  einer  Anzahl  von  Fällen  als  primäre  Schädigung  zu  be- 
trachten. In  anderen  Fällen  ist  wohl  die  beliebte  Methode,  jeden 
Durchfall  von  Anbeginn  an  durch  Stopfmittel  und  große  Massen 
von  Mehl  zu  stillen,  der  Ausgangspunkt  weiterer  Schädlichkeiten 
gewesen.  Nimmt  hernach  die  Auftreibung  des  Bauches 
ab,  so  werden  die  Bauchdecken  schlaff  und  es  kann 
zur    Ausbildung    eines    eigentlichen    Hängebauches 


über  Psendoaazites  als  Folgezustand  chronischer  Enteritis.  307 

kommen.  Die  ihrer  physiologischen  Stütze  beraubten 
Därme  sinken  der  Schwere  folgend  abwärts  und 
ziehen  dabei  ihr  Mesenterium  aus.  Es  ist  wohl  kein 
bloßer  Zufall,  daß  alle  unsere  Patienten  beim  Auftreten  der  Krank- 
heit schon  laufen  konnten.  Durch  die  aufrechte  Stellung  muß  das 
Znstandekommen  einer  Senkung  und  die  Entstehung  des  Hänge- 
bauches wesentlich  gefördert  werden.  Überlastung  des  geschädigten 
Darmes  mit  unzweckmäßiger  und  vor  allem  zu  massiger  Kost  muß 
den  Circulus  vitiosus  schließen.  In  den  gesenkten,  atonischen 
Darmschlingen  bleibt  flüssiger  Darminhalt  in  abnormer  Masse 
liegen.  So  kommt  es  zu  den  beschriebenen  Zuständen 
schwerer,  rezidivierender  Verdauungsstörungen,  die 
den  eigentümlichen  physikalischen  Befund  des  Pseudo- 
aszites  geben  können  und  die  gleichzeitig  das  All- 
gemeinbefinden so  schwer  schädigen,  daß  auch  hier- 
durch der  Verdacht  auf  Tuberkulose  des  Perito- 
neums nahegelegt  wird. 


XVII. 

Aus  der  medizinischen  Poliklinik  zu  Jena. 
(Direktor:  Prof.  Dr.  Matthes.) 

über  die  Viskosität  des  menschlichen  Blntes  bei  Schwitz- 

prozednren. 

Von 

Privatdozent  Dr.  Felix  Lommel, 

I.  Assistent. 

Die  Einwirkung  wärmestauender  Verfahren,  z.  B.  des  Heiß- 
luftbades, des  HeiBwasserbades  auf  die  Blutbeschaffenheit  und  die 
Mechanik  des  Kreislaufs  ist  trotz  zahlreicher  Untersuchungen  ^)  in 
vielen  Punkten  noch  durchaus  nicht  geklärt.  Von  einzelnen  Fak- 
toren, deren  Verhalten  bei  den  genannten  Prozeduren  geprüft 
wurden,  seien  besonders  genannt  der  Blutdruck,  ferner  das  spezifi- 
sche Gewicht  des  Blutes  und  die  Verteilung  der  körperlichen  Ele- 
mente im  Blut. 

Während  die  Angaben  in  der  Literatur  über  Beeinflussung  des 
Blutdruckes  durch  Kälteeinwirkung  übereinstimmen,  widersprechen 
sich  die  Angaben  zuverlässiger  Autoren  über  den  Einfluß  wärme- 
stauender Verfahren  auf  das  auffälligste.  Um  nur  einige  davon 
zu  nennen,  so  sah  Kluge  unter  Quincke's  Leitung  in  und  nach 
Dampf-  und  Heißluftbädern  ein  Absinken  und  zwar  bereits  vor 
oder  gleichzeitig  mit  dem  Schweißausbruch;  Grefberg  und  andere 
fanden,  daß  der  Herabsetzung  des  Druckes  eine  Steigerung  voraus- 
ging; endlich  fanden  Kumigama  in  der  Münchener  und  0.  Müller 
in  der  Leipziger  Klinik  daß,  wenigstens  bei  gesundem  Herzen, 
stets  anhaltende  Blutdrucksteigerun  gen  die  Folge  von  Schwitz- 
prozeduren waren.  Nicht  minder  widersprechen  sich  die  nach 
solchen    Eingriffen    erhobenen   Befunde    über    die   Blutzusammen- 


1)  Vollständige    Literaturangaben   s.   bei   Matthes,   klin.   Hydrotherapie, 
II.  Aufl.  S.  38  ff. 


über  die  Viskosität  des  menschlichen  Blntes  bei  Schwitcprozeduren.    309 

Setzung,  wie  sie  durch  ZäUang  der  Formelemente,  durch  Bestim- 
mung des  Hämoglobingehaltes  und  des  spezifischen  Gewichtes  er- 
hoben wurden.  Die  einen  Autoren  fanden  Herabsetzungen,  die 
anderen  Erhöhungen  dieser  Werte.  Von  zahlreichen  Untersu- 
chungen  sei  wiederum  nur  die  letzte  angeführt:  Krebs  und 
Mayer  fanden  nach  Schwitzen  in  Heißluftbädern  in  der  Mehrzahl 
der  Fälle  eine  mäßige  Leukozytose,  eine  Zunahme  des  Hämoglobin- 
gehältes  und  des  spezifischen  Gewichts,  in  einer  Minderzahl  aber 
das  Gegenteil  Wärmestauung  durch  heiße  Wasserbäder  hatte 
dagegen  meist  eine  negative  Schwankung  der  erwähnten  Faktoren 
zur  Folge. 

Auch  die  zur  Erklärung  der  Blutveränderungen  aufgestellten 
Theorien  stehen  sich  noch  unausgeglichen  gegenüber.  Die  eine 
(Grawitz)  nimmt  bekanntlich  Eonzentratioüsschwankungen  durch 
Aufnahme  oder  Auspressen  von  Gewebsflüssigkeit  bzw.  Blutplasma 
an,  die  andere  (Löwy,  Breitenstein  u.  a.)  sieht  in  einer  ge- 
änderten Verteilung  zwischen  Plasma  und  Formbestandteilen  den 
Grund  für  die  beobachteten  Erscheinungen. 

Definitive  Ergebnisse  konnten  also  die  erwähnten  tlnter- 
sachungsmethoden  nicht  herbeiführen.  Es  erschien  wünschenswert, 
eine  neuere  Methode  in  den  Dienst  der  Frage  nach  der  Beein- 
flussung des  Blutes  und  der  Kreislaufsmechanik  durch  Wärme- 
prozeduren zu  stellen,  nämlich  die  Bestimmung  der  Blut  Viskosität, 
die  durch  Hirsch  und  Beck*)  unter  die  klinisch  brauchbaren 
Methoden  eingereiht  wurde. 

Herr  Prof.  Matthes  veranlaßte  daher  Herrn  Dr.  Kündig 
zu  einschlägigen  Untersuchungen,  d^ren  Ergebnisse  Herr  Kündig 
in  einer  Dissertation  ^)  mitteilte.  Da  diese  Versuche  aus  äußeren 
Gründen  nicht  zahlreich  genug  sein  konnten;  habe  ich  sie  weiter- 
geführt und  berichte  hier  über  18  Viskositätsbestimmungen,  die 
teils  von  Herrn  Kündig  unter  meiner  Mitwirkung,  teils  von  mir 
ausgeführt  wurden. 

Es  wurden  mit  der  Methode  von  Hirsch  und  Beck  bereits 
größere  Reihen  von  Untersuchungen  am  menschlichen  Blut  ausgeführt, 
wohei    als    Mittelwert    der    Reibungskonstanten    5,1    bei    38^    gefunden 


1)  Hirsch  und  Beck,  Eine  Methode  zur  Bestimmimg  des  inneren  Rei- 
bnngswiderstandes  des  lebenden  Blntes  beim  Menschen,  Münch.  med.  Wochenschr. 
1900  Nr.  49,  Studien  zur  Lehre  von  der  Viskosität  (inneren  B«ibung)  des  lebenden 
menschlichen  Blutes.    Deutsches  Arch.  f.  klin.  Medizin.   Bd.  69,  1901. 

2)  Kündig,  Über  die  Viskosität  des  menschlichen  Blutes  nach  Schwitz- 
prozeduren.   Inaug.-Diss.  Jena  1903. 


310  XVn.    LOMKEL 

worde,  wenn  der  Reibungskoeffizient  dee  Wassen  bei  38  ^  gleidi  1  g»- 
«etzt  wird.  Hinticbtlieii  des  Prinsips  und  der  Te<^ik  des  Hixsck- 
Beck' sehen  Verfahrens  sei  auf  die  zitierten  ausführlichen  Publikatioocsi 
der  genannten  Autoren  verwiesen.  Im  einzelnen  war  die  Yersucbs- 
.anordnung  folgende:  die  untersuchten  Personen,  gesunde  junge  HSimer 
befanden  sich  unter  gleichen  Bedingungen.  Das  Bitit  wurde  deich  Ein- 
stich in  die  schwach  gestauten  oberfliohlichen  Vesien  der  JSüenbeqge 
entnommen^  ohne  ▼orhergeheiid9n  Hantschnitt,  im  Gegensatz  zu  Hirsch 
und  Beck.  Da  nach  Untersuchungen  von  Burton-Opitz  ^)  der 
Beibungskoeffizient  des  Blutes  (ebenso  wie  bei  anderen  I^lüssigkeiten)  sich 
mit  der  Temperatur  verändert  und  zwar  abnimmt  bei  steigender  Tempe- 
ratur, 80  mußte  der  Einfloß  der  bei  wärmestauenden  Prozeduren  stets 
vorhandenen  Überwärmung  aus  den  Versuch sbedingungen  aosgeeehaltet 
w<6rden ;  dies  geschah,  indem  der  Thennestat  des  Apparates  während  der 
ersten  und  der  zweiten  Messung  der  Viskosität  auf  die  Körpertempe- 
ratur vor  dem  Bade  eingestellt  wurde.  Verschiedene  Resultate  beider 
Bestimmungen  mußten  daher  direkt  und  ausschließlich  auf  tatsächliche 
Blutverändemngen  bezogen  werden. 

Bei  einer  kleineren  Anzahl  der  Versudie  wurde  außer  der  Viskoii- 
tat  nur  die  Körpertemperatur  beobachtet,  bei  den  übrigen  wnrde  vor  «od 
nach  dem  Bad  auch  der  Blutdruck  bestimmt  ^  und  die  roten  und  weißen 
Blutkörperchen  gezählt. 

Ich  lasse  zunächst  die  V^^suchsbericbte  folgen. 

I.  Glühlichtbäder: 

1.  cand.  ehem.  Schw. 

Lichtbad,  30  Min.,  höchste  Temp.  69*. 


Vor  dem  Bade: 

Nach    dem  Bade: 

Körpertemperatur 

37,2 

38,1 

Tb  ermostatentemperatar 

37,2 

37,2 

Man  om  eterdmck 

455   mm  Benzol 

455  nun  Benzol 

Durohflußzeit  für  Blat 

56,6  "  (Kapill.  2) 

67,4  "  (Kapül.  4) 

Durchfiußzeit  für  Anilin 

37,5  " 

45,9  " 

Viskosität 

5,660 

5,506 

z 
Zur  Berechnung  der  Viskosität  dient  dabei  die  Formel  ij       rj^       t 

wobei  Tj  den  Koeffizienten  der  inneren  Reibung  des  Blutes,  ij^  den  der 
Eichfiüssigkeit  (Anilin)  z  und  z^  die  Ausfiaßzeiten  gleicher  Volumina 
bezeichnen.  —  Bei  den  folgenden  Versuchen  ist  die  jedesmalige  Angabe 
der  Thermostatentemperatur,  die  btete  nach  dem  oben  erwähnten  Grund- 
satz geregelt  wurde,  und  des  Manometerdruckes  weggelassen. 


1)  Burton-Opitz,  Vergleich  der  Viskosität  des  normalen  Blutes  mit  der 
des  Oxalatbhites,  des  defibrinierten  Blutes  und  des  Blutserums  bei  verschiedener 
Temperatur.    Pflüger's  Arch.  Bd.  82  1900. 

2)  Mit  dem  Apparat  nach  Eiva-Eocciund  dem  von  t.  Eeckliughausen 
angegebenen  breiten  Schlauch ;  stets  im  Sitzen. 


über  die  Viikodtät  des  iiMBieUichea  Blutes  bei  Schwitsprozeduren.     311 


2.  cand.  med.  K. 

• 

Lichtbad,  25  MiB.,  höehsU 

\  Temp.  54  ^ 

1 

Vor  dem  Bade 

Nach  dem  Bade 

Korpertemperatur 

37,0 

37,1 

Yidcotität 

5,488 

6,817 

3.  cänd.  jur.  K. 

1 

Lichtbad,  25  Min.,  höchste 

>  Temp.  69  ^ 

• 

Vor  dem  Bade 

Nach  dem  Bade 

Körpertemperatur 

37,4 

38.4 

Viskosität 

o„7aa    * 

5,776 

4.  cand.  phil.  E. 

/ 

Lichtbad  40  Min.,  höchste 

Temp.  68  ^ 

• 

Vor  dem  Bade 

Nach  dem  Bade 

Körpertemperatur 

37,3 

38,8 

Viskosität 

4,740 

4^982 

5.  Dr.  6ohm. 

Lichtbad,  30  Min.,  höchste  Temp.  75  <'. 

Vor  dem  Bade 

Nach  dem  Bade 

Körpertemperatur 

36,9 

38,4 

Blutdruck 

130  mm 

140  mm 

!EU>te  Blutkörper 

5853000 

€410000 

Weiße 

7031 

? 

Viskositäi 

4,21 

5,27 

6.  cand.  med.  0. 

• 

Lichtbad,  30  Mm.,  höchste 

)  Temp.  75<>. 

■ 

Vor  dem  Bade 

Nach  dem  Bade 

Körpertemperatur 

37,7 

38,7 

Blutdruck 

140  mm 

115  mm 

Bote  Blutkörper 

4765000 

3890000 

Weiße       „ 

nicht  gezählt 

nicht  gezählt 

Viskosität 

4,08 

5,17 

7.  cand.  med.  Kl. 

Lichtbad,  30  Min.,  höchste 

>  Temp.  71  ». 

Vor  dem  Bade 

Nach  dem  Bade 

Körpertemperatur 

36,6 

38,6 

Blutdruck 

145  mm 

128  mm 

Bote  Blutkörper 

5068000 

5638000 

Weiße        „ 

4818 

9262 

Viskosität 

4,93 

5,40 

8.  cand.  med.  B. 

Lichtbad,  30  Min.,  höchste 

)  Temp.  750. 

Vor  dem  Bade 

Nach  dem  Bade 

Körpertemperatur 

36,6 

38,1 

Blatdmck 

130  mm 

113  mm 

Bote  Blutkörper 

5155000 

5822000 

Weiße       „ 

6630 

5360 

Viskosität 

3,61 

4,59 

312 


Xyil.    LoXMBIi 


9.  cand.  med.  W. 

Lichtbad,  35  Min.,  höchste  Temp.  70<'. 


Körpertemperatur 
Blutdruck 
Bote  Blutkörper 
Weiße       „ 
Viskosität 

Vor  dem  Bade 
36,7» 
150  mm 
5012000 
11150 
4,08 

Nach  dem  Bade 
38,1« 
133  mm 

5475000                 j 
9630                       1 
4,86 

10.  cand.  med.  8t. 

Lichtbad,  30  Min.,  höchste  Temp.  75". 

1 
1 

Körpertemperatur 
Blutdruck 
Rote  Blutkörper 
Weiße       „ 
Viskosität 

Vor  dem  Bade 
36,9  0 
135  mm 
5221000 
8870 
4,12 

Nach  dem  Bade 
39,1» 
100  mm 
5423000 
7860 
3,81. 

Bei  den  folgenden  Versuchen  wurden  h 

eiße  Wasserbäder 

verwendet. 

• 

11.    Dr.  med.  H. 
Bad  von  40»,  25  Min. 

T  körpertemperatar 
Viskosität 

1 

Vor  dem  Bade 
37,1  0 
5,635 

Nach  dem  Bade 
39,2« 
5,621 

12.    Dr.  D. 

Bad  Yon  41  <",   18  Min. 

Körpertemperatur 
Viskosität 

Vor  dem  Bade 
37,3« 
5,429 

Nach  dem  Bade 
38,4« 
4,894 

13.  cand.  med.  8. 
Bad  von  41,  28  Min. 

Körpertemperatur 
Blutdruck 
Rote  Blntkörper 
Weiße 
Viskosität 

Vor  dem  Bade 
37,3« 
138  mm 
5130000 
8120 
3,60 

Nach  dem  Bade 
38,7« 
118  mm 
5654000 
7820 
3,80 

14.    Dr.  V.  G. 

Bad  von  40  ^  20  Min. 

Körpertemperatur 

Blutdruck 

Kote  Blutkörper 

Weiße 

Viskosität 

Vor  dem  Bade 
36.9  0 
125  mm 
5778000 
10820 
4  24 

Nach  dem  Bade 
37,9« 
125  mm 
5860000 
11640 
4.33  . 

über  die  Viskosität  des  menschlichen  Blutes  bei  Schwitzprozednren.     313 

15.  cand.  med.  L. 
Bad  von  40  o,  25  Min. 


Vor  dem  Bade 

Nach  dem  Bade 

Körpertemperatur 
Blutdruck 
Bote  Bluikörper 
Weiße        „ 
Viskosität 

36,7  0 
130  mm 
5815000 
8210 
5,23 

38,9  0 

125mm 

6508000 

7590 

4,94 

16.    cand.  med.  K. 

Bad  von  40",  30  Min. 

Vor  dem  Bade 

Nach  dem  Bade 

Körpertemperatur 
Blutdruck 
Bote  Blutkörper 
Weiße        „ 
Viskosität 

37,0  0 
140  mm 
4631000 
8620 
3,79 

38,8  0 

130  mm 
4962000 
9560 
3,96 

17.    cand.  med.  Sg. 

Bad  von  40  o,  30  Min. 

Vor  dem  Bade 

Nach  dem  Bade 

Körpertemperatur 
Blutdruck 
Rote  Blutkörper 
Weiße        „ 
Viskosität 

37,50 
128  mm 
5850000 
7000 
4,40 

39,2  0 
140  mm 
5420000 
7340 

4,78 

18.    cand.  med.  H. 

Bad  von  40  o,  25  Min. 

Vor  dem  Bade 

Nach  dem  Bade 

Körpertemperatur 
Blutdruck 
Bote  Blutkörper 
Weiße 
Viskosität  ' 

37,2  <> 
135  mm 
5540000 
5100 
5,08 

39,30 
123  mm 
4666000 
6220 
4,28. 

Die  beobachteten  Veränderungen  des  Blutes,  der  Anschaulich- 
keit wegen  in  Prozenten  ausgerechnet,  sind  in  folgender  Tabelle 
nochmals  übersichtlich  zusammengestellt  (1—10  Gltihlichtbäder, 
11-18  heiße  Wasserbäder). 

Für  die  Frage,  welche  Faktoi'en  für  die  beobachteten  Viskosi- 
tätsänderungen in  Betracht  kommen,  seien  zunächst  die  hierüber 
vorliegenden  experimentellen  Erfahrungen  kurz  erwähnt,  die  zum 
Teil  den  Arbeiten  von  Hirsch  und  Beck  entnommen,  teils  dort 
tbersichtlich  zusammengestellt  sind. 


DeatachoB  Archiv  f.  klin.  Medizin.    LXXX.  Bd. 


21 


314 


XVII.    LOKHEL 


Prozentuale  Änderung 

der  Zahl  der 

Kr. 

ProKentuale  Änderung^ 

Nr. 

der  Zahl  der 

der  Viskosität 

roten  Blutkörper 

der  ViskosifÄt 

roten  Blutkörper 

1 

-    2,7 

9 

• 

10 

-   7,Ö 

+   3,8 

2 

+   7,8 

9 

• 

11 

—   0.3 

9 

3 

0.8 

• 

12 

!               9,8 

0 

4 

- 

h   o,l 

9 

13 

+   5,7 

+  10,2 

5 

- 

-  25,2 

+  11,0 

14 

-h   2,1 

+  »,1 

6 

— 

-  2(i;7 

- 1«,3  ro 

15 

5,6 

—   5,2 

7 

-   9,5 

+  10,4 

If) 

+   4.5- 

+  7.1 

8 

- 

-27,1 

+  12,9 

17 

+    8,7 

-   7,5 

9 

H 

-19,1 

+   8,4 

18 

13,7 

— 15,7 

Beim  lebenden  Blut  entspricht  zwar  „einem  geringeren  Bpezifischen 
Gewicht  auch  stets  eine  geringe  innere  Keibung^,  jedoch  nur  inner- 
halb weiter  Grenzen;  innerhalb  „engerer  Grenzen  dürfen  wir  nicht  er- 
warten, daß  spezifisches  Gewicht  und  Viskosität  sich  stets  in  gleichem 
Sinne  ändern".  Die  Zusammensetzung  des  Blutes  aus  Flüssigkeit  und 
korpuskularen  Elementen  ist  ebenfalls  bedeutungsvoll;  Versuche  von 
Burton-Opitz  haben  ergeben,  daß  das  Serum  und  das  Gesamtblut 
sich  hinsichtlich  der  Viskosität  entgegengesretzt  verhalten  gegenüber 
Temperaturänderungen,  ein  Gegensatz,  der  eine  sich  gegenseitig  teilweise 
kompensierende  Veränderung  der  Blutkörperchen  einerseits,  der  Blut- 
flüssigkeit 'andererseits  anzunehmen  nötigt.  Verschiedene  Wechsel- 
beziehungen zwischen  Blutkörperchen  und  Plasma  können  dabei  im  Spiele 
sein,  morphologische  und  physikalisch  -  chemische  (osmotische!)  Verände- 
rungen können  ebenso  wie  Änderungen  der  Blutkörperchenzalil  die  Vis- 
kosität des  Blutes  beeinflussen.  Wenn  nachgewiesen  ist,  daß  wasser- 
armes eingedicktes  Blut  eine  größere  Viskosität  zeigt  wie  wasserreiches, 
so  sind  doch,  wie  Hirsch  und  Beck  betonen,  ,, Fälle  denkbar,  wo  die 
Zahl  der  roten  Blutkörperchen  im  cmm  die  normale  nicht  überschreitet 
und  trotzdem  die  Viskosität  eine  gesteigerte  ist.  Die  Ursache  hierfür 
müßte  dann  zunächst  im  Plasma  oder  in  einer  Gestaltveränderung  der 
korpuskularen  Elemente  gesucht  werden.  Um  diese  Dinge  eingehender 
zu  studieren,  sind  vor  allem  Reihenuntersuchungen  notig,  bei  denen  zu- 
gleich ein  genaues  Zählen  der  korpuskularen  Elemente  stattfindet.^ 

In  meinen  Versuchen,  bei  denen  solche  Zählungen  stattgefunden 
haben,  ist  auch  die  Wirkungsweise  der  Eingriffe  bis  zu  einem  ge- 
wissen Grad  durchsichtig  genug,  um  wenigstens  mit  großer  Wahr- 
scheinlichkeit die  erhebliche  Wasserabgabe  infolge  des  Schwitzens 
als  Ursache  der  Viskositätszunahme  anzusehen  in  den  bedeutend 
überwiegenden  Fällen,  in  denen  sie  gefunden  wurde.  Die  Ein- 
dickung  des  Blutes  durch  Wasserverlust  drückt  sich  bei  der  Mehr- 
zahl der  Versuche  auch  in  der  relativen  Zunahme  der  roten  Blut- 
körper aus.    Die  Verminderung  der  letzteren  in  Versuch  6  möchte 


über  di«  Viakosität  des  menschlichen  Blntes  bei  Schwitzprozedüren.      Sl5 

Ich  dftbei  nicht  sehr  betonen,  da  in  diesem  Versuch  die  Bestimmung 
der  Blutkörper  wegen  nicht  ganz  hinreichender  Assistenz  vielleicht 
Weniger  genau  gelang,  während  die  übrigen  Zählungen  äaf  die 
Genauigkeit,  die  von  der  Methode  erwartet  werden  kann,  Anspruch 
haben  durften.  Die  nur  einmal  (Versuch  10)  bei  10  öliihlichtbädern 
beobachtete  stärkere  Viskositätsabnahme  dürfte  (ebenso  wie  die 
geringfügigen  Ausschläge  der  Versuche  1  und  3)  am  besten  durch 
rasche  Kompensation  des  Wasserverlustes  mittels  Aufnahme  von 
Gewebsflüssigkeit  in  die  Blutbahnen  zu  erklären  sein.  Dieser 
normale  Modus  der  Ausgleichung  nnch  blut-  bzw.  blutwasser- 
entziehenden  Prozeduren  geht  ja  sehr  prompt  vor  sich,  wie  neuer- 
dings Heß\)  in  schönen  Experimenten  gezeigt  hat,  und  mag  da, 
wo  die  Schweißbildnng  keine  sehr  große  ist,  leicht  zu  einer  Über- 
kompensation führen.  Die  gleichzeitige  geringe  Vermehrung  der 
rot^n  Blutzellen  in  diesem  Versuch  erweckt  freilich  Zweifel  an  der 
ausschließlichen  Geltung  dieser  Erklärung  und  weii^t  darauf  'hin, 
daß  noch  manche  andersartige  Einflüsse  mit  im  Spiele  sein  können. 
die  bei  einfacheren  Lösungen  gut  erforscht,  beim  Blut  aber  der 
Untersuchung  nicht  zugänglich  sind,  ^j 

Bei  den  heißen  Wasserbädern  sind  die  Veränderungen 
der  Viskosität  in  verschiedenem  Sinn  erfolgt  und  erreichen  an 
Größe  bei  weitem  nicht  die  bei  Glühlichtbädern  wahrgenommenen, 
wohl  infolge  einer  geringeren  Wasserabgabe  in  diesen  Bädern. 
Die  Schwankungen  der  Viskosität  und  der  Blutkörperchenzahl  ver- 
laufen gleichsinnig  mit  Ausnahme  des  Versuches  17. 

Bei  der  geringeren  Stärke  des  Eingritfes  hinsichtlich  der 
Schweißproduktion  ist  es  verständlich,  daß  hier  in  höherem  Maße 
als  bei  den  Glühlichtbädern  die  auch  dort  bemerkbare  wechselnde 
individuelle  Regulation  zur  Geltung  kommt. 

Die  hier  mitgeteilten  Veränderungen  der  Blutkonzentration  und 
die  Verschiedenheit  der  Wirkung  von  Glühlicht-  und  Heißwasser- 
bädern entsprechen   übrigens   völlig  den  A-on  Krebs  und  Mayer 


1)  Heß,  Über  die  Beeinflussung  des  Flüssigkeitsaustauschea  zwischen  Blut 
und  Geweben  durch  Schwankungen  des  Blutdruckes.  Deutsches  Arch.  f.  klin. 
Medizin  79  1904. 

2)  Es  sei  nur  erwähnt,  daü  in  Lösungen  die  innere  Reibung  der  Elektro- 
lyte  sich  ergibt  aus  der  inneren  Reibung  der  Ionen  und  des  nicht  dissoziierten 
Bestandteils,  daß  sie  in  Beziehung  steht  zu  der  Wanderungsgeschwindigkeit  der 
Ionen  und  zu  deren  Atomgewicht.  Zusatz  eines  Nichtleiters  vergröIJert  die  Vis- 
kosität des  VTassers,  auch  wenn  er  an  und  für  sich  eine  geringere  Viskosität 
besitze  als  dieses. 

21* 


316     XVII.  LoiocsL,  Üb.  d.  Viskosität  d.  menschl.  Blutes  b.  Schwitzprozeduren. 

angestellten  UntersDchungen  aber  das  spezifische  Gewicht  and  das 
sonstige  Verhalten  des  Blutes  bei  diesen  Prozeduren. 

Der  Blutdruck  war  bei  meinen  Versuchen^  im  Gegensatz 
zu  freilich  genaueren  Versuchen  anderer  Autoren,  nach  dem  Bade 
fast  ausnahmslos  vermindert,  obwohl  es  sich  nur  um  gesunde  Per- 
sonen handelte.  Allerdings  wurde  die  Messung  außerhalb  des  Bades 
vorgenommen,  nachdem  infolge  der  Blutentnahme  seit  Beendigung 
desselben  etwa  3 — 5  Minuten  verstrichen  waren. 

Es  entsteht  noch  die  Frage,  welchen  Einfluß  die  beobachteten 
Viskositätsschwankungen  auf  den  Kreislauf  ausüben  können.  Bei 
gleichbleibender  Strombahn  müßte  natürlich  eine  Viskositätsabnahme 
des  Blutes  eine  Abnahme  der  Ereislaufwiderstände  und  damit 
günstigere  Arbeitsbedingungen  des  Herzens  herbeiführen;  umge- 
kehrt müßten  so  gewaltige  Zunahmen  der  inneren  Beibung,  wie 
hier  beobachtet  eine  starke  Erschwerung  der  Herzarbeit  zur  Folge 
haben.  Denn  die  Viskositätsabnahme,  die  die  Temperaturerhöhung 
des  Organismus  um  1 — 2^  mit  sich  bringt,  ist  viel  zu  gering,  um 
hier  eine  einigermaßen  kompensierende  Wirkung  auszuüben  (siehe 
Burton-Opitz,  1.  c).  Eine  solche  scheint  aber  zustande  zu 
kommen  durch  veränderte  Gefäßinnervation,  deren  Ausdruck  wohl 
die  Verminderung  des  allgemeinen  Blutdrucks  ist  und  die  sich 
wohl  vorwiegend  durch  eine  Erweiterung  der  Hautgefaße  vollzieht 
Außerdem  kommen  noch  Schwankungen  der  Gesamtblutmenge  in 
Betracht,  die  sich  genauerer  Beurteilung  entziehen;  so  daß  also 
über  den  Einfluß  der  Viskositätsänderungen  auf  die  Herzarbeit 
keine  Schlüsse  gezogen  werden  dürfen. 


XVIII. 
Ans  der  medizinischen  Klinik  zu  Tübingen. 

Ober  die  Adipositas  dolorosa. 

Von 

Dr.  Schwenkenbeclier, 

Privatdozent  und  Assistenzarzt  der  Klinik. 

Die  merkwürdige  Symptomenverbindung  von  Fettsucht  und 
Schmerzhaftigkeit  des  allgemeinen  Fettpolsters,  welche  durch 
Der  cum  mit  dem  Namen  der  Adiposis  dolorosa  belegt  wurde, 
hat  erst  in  letzter  Zeit  in  Deutschland  mehr  Berücksichtigung 
gefunden,  obwohl  bereits  eine  größere  ausländische  Literatur  über 
den  Gegenstand  vorliegt.  Nur  auf  vier  Arbeiten  möchte  ich  hier 
näher  hinweisen,  weil  diese  einen  vollständigen  Überblick  über  das 
vorliegende  Thema  gestatten.  ^) 

Da  das  Bild  der  genannten  Krankheit  noch  wenig  bekannt 
ist  und  wir  in  der  Lage  waren,  in  verschiedener  Richtung  ein- 
gehendere Untersuchungen  an  unseren  Kranken  vorzunehmen,  so 
dürfte  sich  die  folgende  Mitteilung  unserer  Beobachtungen,  trotz 
der  ausführlichen  Arbeit  Strübing's  über  diesen  Gegenstand 
rechtfertigen. 

Die  Adipositas  dolorosa  ergreift  auffallend  viel  häufiger  Frauen 
als  Männer,  sie  scheint  das  höhere  Lebensalter  zu  bevorzugen,  doch 
gibt  es  auch  eine  ganze  Reihe  von  Fällen,  welche  jugendliche  In- 
dividuen betreffen.  Die  Krankheit  entwickelt  sich  meist  langsam, 
bisweilen  im  Verlauf  von  einigen  Jahren. 

In  den  ausgesprochenen  Fällen  zeigen  die  Patienten  das  Bild 
einer  hochgradigen,  allgemeinen  Fettsucht:   der  Hals  ist  dick  und 

1)  Strübing:,  Über  Adiposis  dolorosa.   Arch.  f.  Dermatol.  und  Syphil.  1902. 
Thimm,   Adipositas  dolorosa  u.  schmerzende  symmetr.  Lipome.    Monatsh. 
f.  prakt.  Dermatol.  Bd.  36  Nr.  6. 

Weiß,   Über  Adiposis  dolorosa,     Wiener  klin.  Wochenachr.   1903  Nr.  17. 
Seil  er  in,  L'adipose  douloiuense.    Th^se  de  Paris  1903. 


318  XVIII.    SCHWENKENBECHER 

schwammig,  die  Brüste  sind  unförmlich  groß,  die  Bauchdeckeu 
hängen  herab,  die  Schultern  und  die  Hütten  sind  breit  und  massig. 
Das  (xesicht,  die  Hände  und  Füße  bleiben  mehr  oder  weniger  von 
dem  starken  Fettansatz  verschont,  l'berall  da,  wo  Kleidungsstücke 
einen  stärkeren  Druck  auf  den  Körper  ausüben,  zeigen  sich  deut- 
liche, tiefe  Schnürfurchen:  so  z.  B.  in  der  Taillengegend,  wo  der 
Rockbund  den  Leib  umschnürt,  unter  den  Knieen,  wo  die  Strumpf- 
bänder sitzen,  oder  bei  eng  anliegenden  Stiefeln  an  dem  unteren 
Drittel  des  Unterschenkels.  An  diesen  Druckstellen  hat  sich  das 
subkutane  Fettpolster  nicht  so  vermehrt,  wie  am  übrigen  Körper. 
Die  Zunahme  des  Unterhautfettes  und  namentlich  auch  seine  Kon- 
sistenz ist  an  den  verschiedenen  Partien  des  Körpei-s  nicht  die 
gleiche.  So  findet  man  meist,  daß  an  den  Streckllächen  der  Ober- 
arme das  subkutane  Gewebe  eine  festere  Beschaffenheit  angenommen 
hat,  besonders  konstaut  aber  zeigen  sich  feste  Fettmanschetten  an 
den  Unterschenkeln.  Ahnliche  Fettwülste  sind  oft  an  den  Bauch- 
decken, am  Gesäß,  an  den  Oberschenkeln  vorhanden;  auch  die 
Brüste  ändern  häufig  ihre  Konsistenz,  so  daß  sie  sich  prall  wie 
die  Mammae  von  stillenden  Frauen  anfühlen. 

Je  nach  dem  Grade  der  Spannung  hat  man  bei  Betastung  der 
einzelnen  Fettwülste  eine  verschiedene  Empfindung.  Bei  sehr  er- 
heblicher  Fettentwicklung  entsteht  ein  Gefühl,  als  ob  man  festen 
Speck  oder  auch  zähen  Teig  unter  den  Fingerspitzen  habe;  bei 
geringerer  Feftanhäufuug  im  Unterhautzellgewebe  hat  man  eine 
ähnliche  Empfindung  wie  beim  Befühlen  einer  Varicocele  (White). 
Nicht  nur  das  Unterhaut<rewebe  nimmt  durch  die  Fettanhäufuag 
an  Stärke  zu,  sondern  auch  die  Haut  selbst  fühlt  sich  meist  dicker 
als  in  der  Norm,  „infiltriert**,  an.  Ihre  Verschieblichkeit  auf  dem 
darunter  liegenden  (lewebe  bleibt  erhalten,  doch  ist  sie  durch  die 
stärkere  Dehnung  der  Haut  etwas  beeinträchrigt. 

Der  Fingerdruck  hinterläßt  an  der  Haut  über  den  Fettwülsten 
keine  Delle.  An  den  unteren  Extremitäten  stellen  sich  bisw^eilen 
neben  der  Fettanliäufung  echte  Ödeme  ein,  welche  mit  den  durch 
die  Erkrankung  veränderten  Zirkulationsverhältnissen  im  Zusammen- 
hang stehen  dürften. 

Dafür  daß  bei  der  Adipositas  dolorosa  eine  Alteration  des 
Kreislaufes  bestellt,  spricht  auch  die  eigentümlich  blaue  Färbung, 
welche  die  Haut  im  Bei'eich  der  Fettwülste  in  vielen  Fällen  auf- 
weist. Diese  blaue  Hautfarbe  zeigt  sich  bisweilen  ganz  diflfus,  am 
deutlichsten  ist  sie  wohl  stets  an  den  Streckseiten  der  Extremitäten, 
häufig  auch  am  Gesäß.   Das  Gesicht  und  die  sichtbaren  Schleimhäute 


über  diß  Adipoeitas  dolorosa.  319 

sind  ebenfalls  oft  ausgesprochen  zyanoti^h.  Charcot  hat  bei 
Hysterischen  diesen  Befund  einige  Male  beschrieben,  sein  Oedeme 
bleu  ist  wohl  in  den  meisten  Fällen  mit  der  Adipositas  dolorosa 
identisch. 

Femer  muß  noch  erwähnt  werden,  daß  die  Stärke  der  Fett- 
massen  einem  gewissen  \\'ech8el  unterworfen  ist;  von  Zeit  zu  Zeit 
and  die  Wülste  etwas  weicher,  die  Spannung  und  die  Beschwerden 
nehmen  ab.  Auch  die  blaue  Farbe  der  Haut  verschwindet  dann 
oft  Es  muß  also  sowohl  fiir  die  Härte  der  Fettwülste  als  auch 
für  die  bläuliche  Hautfärbung,  zum  großen  Teil  der  Blutgehalt  ver- 
antwortlich gemacht  werden. 

Zu  den  erwähnten  Veränderungen  treten  als  zweites  Haupt- 
symptom die  Schmerzen,  welche  die  Kranken  sowohl  spontan,  als 
auch  bei  Druck  in  ihren  Fettwülsten  verspüren.  Diese  Druck- 
empfindlichkeit kann  so  intensiv  werden,  daß  die  Kranken  z.  B.  bei 
dem  Versuch,  die  Haut  in  einer  Falte  aufzuheben,  laut  schreien. 
Die  Schmerzhaftigkeit  geht  zumeist  mit  dem  Grade  der  Spannung 
von  Haut  und  Zellgewebe  parallel,  scheint  aber  auch  individuell, 
je  nach  der  Empfindlichkeit  der  einzelnen  Menschen,  etwas  ver- 
schieden zu  sein  (St rü hing).  Jedenfalls  dürfte  dem  ßlutgehalt 
der  Fettwülste  auch  hierbei  eine  bedeutsame  Rolle  zukommen. 

Die  Schmerzen  treten  nicht  selten  schon  dann  ein,  wenn  die 
,,Fettinfiltration"  noch  keine  besonders  starke  ist;  sie  werden  bis- 
weilen von  den  Patienten  in  Gelenke  lokalisiert,  weil  sie  bei  deren 
Bewegung  heftiger  werden,  so  daß  Verwechslung  mit  rheumatischen 
und  neuralgischen  Prozessen  sehr  häufig  sind. 

Den  genannten  beiden  Kardinalsymptomen:  der  Fettsucht  und 
der  Schmerzhaftigkeit  der  Kutis  und  der  Subkutis  sind  von  franzö- 
sischen Autoren  noch  zwei  weitere  Symptomengruppen  angereiht 
worden,  nämlich  die  allgemeine  Körper-  und  Muskelschwäche  und 
ferner  psychische  Anomalien. 

In  der  Tat  ist  in  allen  schwereren  Fällen  der  Krankheit  die 
körperliche  Leistungsfähigkeit  erbeblich  herabt»esetzt,  was  nicht 
bloß  darauf  zurückgeführt  werden  kann,  daß  die  Schmerzen  alle 
stärkeren  Bewegungen  unm(')glich  machen.  Vielmelir  findet  sich 
häufig  eine  beträchtliche  Atrophie  der  Extrenütätenniuskulatur, 
die  wohl  nicht  nur  als  Folge  der  Inaktivität,  sondern  auch  des 
Druckes  durch  die  Fettmassen  und  ZirkulationsveränderuuKen  zu 
erklären  ist.  Eine  echte  degenerative  Atrophie  liegt  jedenfalls  nicht 
vor.  Unter  dem  Sammelbegriif  der  „troubles  psychiques'*  haben 
die  französischen  Ai^te   ganz  verschiedenartige   und  für  das  Bild 


320  Xym.    SCHWENKBNBECHXB 

der  Adipositas  dolorosa  recht  ungleichwertige  Symptome  von  Seiten 
des  Nervensystems  vereinigt.  So  finden  wir  neben  leichten  ner- 
vösen Beschwerden  das  Vorkommen  von  schweren  Gehimverände- 
rungen  und  Geisteskrankheiten  erwähnt.  Wenn  auch  unstreitig 
eine  Beihe  von  neurasthenischen  und  auch  hysterischen  Beschwerden 
von  dem  Bilde  der  Krankheit  nicht  zu  trennen  sind  —  nannte  doch 
Charcot  dieselbe  ein  hysterisches  Ödem  — ,  so  gehören  ernstere 
Psychosen  in  der  Eegel  nicht  zu  ihm,  Wohl  aber  sind  Ab- 
geschlagensein, Kopfschmerzen,  Schlaflosigkeit,  Appetitlosigkeit^ 
Übelsein,  Erbrechen  und  Obstipation,  Tremor  und  eine  gewisse 
Tachykardie  mehr  oder  weniger  konstant. 

Ferner  finden  wir  nicht  selten  bei  der  Adipositas  dolorosa 
Blutungen.  Bisweilen  sind  nur  die  Menstrualblutungen  profus^ 
oder  heftiges  Nasenbluten  zeigt  sich  wiederholt,  auch  Magen-  und 
Hautblutungen  sind  öfter  angegeben  worden.  Über  anderweitige 
Veränderungen  der  Blutzirkulation,  wie  die  Zyanose  des  Gesichtes 
und  die  bläuliche  Hautfarbe  ist  schon  berichtet  worden.  Die 
Schweißsekretion  ist  zumeist  deutlich  vermindert,  was  —  ähnlich 
wie  bei  starken  Ödemen  —  wohl  auf  der  direkten  Kompression 
der  Drüsen  und  deren  Ausfuhrungsgänge  durch  die  Fettanhäufung 
in  der  Subkutis  und  der  Haut  beruht. 

Andere  Erscheinungen  wie  das  Vorhandensein  einer  Struma, 
die  Veränderung  in  der  Qualität  der  Reflexe,  Sensibilitätsstörungen* 
degenerative  Muskelatrophien  gehören  nicht  zum  Krankheitsbilde» 
sondern  sind  Symptome  einer  komplizierenden  Erkrankung  an- 
derer Art. 

Der  Verlauf  der  Adipositas  dolorosa  ist  ein  sehr  chronischer^ 
nicht  selten  treten  längerdaueriide  Perioden  ein,  in  denen  die 
Kranken  fast  völlig  beschwerdefrei  sind,  bis  dann  wieder  ver- 
mehrte Schmerzen  und  neue  Bildung  von  harten  Fettraassen  für 
Wochen  die  Arbeitsfähigkeit  aufheben,  ja  zur  Bettruhe  zwingen. 
In  den  leichteren  Fällen  pflegen  die  Fettansammlungen  in  der 
Subkutis  weniger  fest  zu  sein,  auch  die  Schmerzen  sind  ge- 
ringer. Bei  solchen  Patienten,  die  dann  mit  der  Klage  von 
Schmerzen  in  einer  Schulter  oder  in  einem  Bein  oder  auch  wegen 
Magen-  und  Unterleibsschmerzen  zum  Arzte  kommen,  wird  die 
Krankheit  dann  häufig  mit  anderen  Zuständen  verwechselt. 

Betrefi^s  der  Diagnosestellung  möchten  wir  ebenso,  wie  dies 
Strübing  getan,  nur  solche  Fälle  von  „schmerzender  Fettanhäu- 
fung" unter  dem  Namen  „Adipositas  dolorosa"  vereinigen,  welche  mit 
einer  allgemeinen  Fettleibigkeit  verbunden  sind,  und  bei  denen  die 


über  die  Adipositas  dolorosa.  321 

„Fettinfiltrationen"  nicht  den  Typus  von  Lipomen  annehmen^ 
Letztere  gehören  vorderhand  noch  in  das  Gebiet  der  „schmerzen- 
den Lipome",  mögen  sie  symmetrisch  oder  nicht  symmetrisch  an- 
geordnet sein.  Diese  scharfe  Abgrenzung  ist,  solange  nicht  eine 
Ätiologische  Verwandtschaft  zwischen  beiden  Prozessen  sicher  er- 
kannt ist,  im  Interesse  einer  zuverlässigen  Diagnose  durchaus  not-- 
wendig.  Außerdem  scheinen  Übergangsformen  zwischen  schmer- 
zenden Lipomen  und  der  Adipositas  dolorosa  recht  selten  zu  sein, 
wenigstens  konnten  weder  Strübing  noch  wir  in  je  fünf  beob- 
achteten Fällen  solche  konstatieren.  Deshalb  ist  auch  die  von 
Ronx  und  Vi  taut  gegebene  Einteilung  der  Adipose  douloureuse 
in  eine  Forme  nodulaire,  Forme  diffuse  localis6e  und  eine  Forme 
diffuse  gen6ralis6e  im  allgemeinen  nicht  zutreffend. 

Es  soll  damit  nicht  in  Abrede  gestellt  werden,  daß  die  be- 
sprochene Krankheit  mit  den  schmerzenden  Lipomen  nicht  mannig- 
fache Berührungspunkte  hat  und  gewisse  Ähnlichkeit  im  Verlauf 
darbietet.  Doch  besteht  ja  dasselbe  Verhältnis  zwischen  der  ein- 
fachen universellen  Obesitas  und  den  Fettgeschwülsten,  die  doch 
beide  wohl  charakterisierte  und  im  ganzen  deutlich  voneinander 
abgrenzbare  Prozesse  darstellen. 

Bei  Erörterung  der  Differentialdiagnose  ist  zu  bemerken,  daß 
bei  der  relativ  wenig  verbreiteten  Kenntnis  der  Krankheit,  meist 
eine  Fettsucht  diagnostiziert  wird,  welche  durch  neuralgische, 
rheumatische  Erscheinungen  oder  durch  neurasthenische  und  hyste- 
rische Zustände  kompliziert  wird.  Sehr  häufig  werden  bei  dem 
„blühenden"  Aussehen  und  dem  guten  Ernährungszustand  der 
Kj'anken  die  Beschwerden  für  unbedeutend  und  die  Klagen  für 
sehr  übertrieben  angesehen,  was  zu  einer  zweckmäßigen  Behand- 
lung nicht  beiträgt.  Wenn  man  sich  daran  hält,  daß  in  fast  allen 
Fällen  der  Adipositas  dolorosa,  auch  dann,  wenn  die  Kranken  z.  B. 
nur  über  Schmerzen  in  den  Bauchdecken  klagen,  eine  druckempfind- 
liche „Infiltration"  von  Manschettenform  an  den  Unterschenkeln 
und  ein  gleicher  Wulst  meist  in  der  Gegend  der  Mm.  deltoidei 
nachgewiesen  werden  kann,  so  wird  man  in  der  Erkennung  der 
Krankheit  sich  selten  irren.  Vom  Myxödem,  Ödemen  oder  phleg- 
monösen Prozessen  ist  eine  Abgrenzung  in  der  Regel  leicht  sofern 
man  eingehender  die  Patienten  untersucht.  Bisweilen  scheint  bei 
Alkoholikern  eine  ähnliche  lokalisierte  Druckempfindlichkeit  des 
Unterhautgewebes  zu  bestehen,  ohne  daß  es  zur  Ausbildung  der 
festen  Fettwülste  kommt.  In  solchen  Fällen  handelt  es  sich  viel- 
leicht  um  eine  periphere  Neuritis  der  feineren  Nervenenden  ohne 


322  XVIII.    SCHWENKENBECHEB 

stärkere  Beteiligung  der  Haoptstämme.  Für  diese  Annahme  dürfte 
das  Vorhandensein  von  Sensibilitätsstörungen  sprechen,  da  diese 
bei  der  gewöhnlichen  Adipositas  dolorosa  fehlen. 

Die  Therapie  richtet  sich  in  erster  Linie  gegen  die  Schmerzen 
der  Kranken.  Da  im  ausgesprochenen  Krankheitszustand  auch  der 
geringste  Druck  durch  die  Kleider  als  unerträglich  empfunden 
wird,  so  ist  in  solchem  Falle  zunächst  Bettruhe  erforderlich.  Auf 
Empfehlung  Strübing's  haben  wir  meist  auch  bei  stärkeren  Be- 
schwerden sofort  mit  Bädern,  Massage  und  Bewegungen  begonnen 
und  diese  Behandlung  möglichst  lange  fortgesetzt.  In  einzelnen 
Fällen  wandten  wir  gleichzeitig  eine  Entfettungskur  an.  Diese 
therapeutischen  Maßnahmen  haben  uns  nie  im  Stich  gelassen. 
Auch  wir  müssen  bestätigen,  daß  nur  langdauemde  Behandlung 
einen  nennenswerten  Erfolg  erzielt,  und  auch  nach  einer  über  viele 
Wochen  ausgedehnten  Behandlung  kehren  häufig  nach  einigen 
Monaten  alle  Krankheitssymptome  wieder. 

Demzufolge  muß  die  Prognose  für  eine  dauernde  Heilung  als 
wenig  günstig  bezeichnet  werden.  Der  Tod  erfolgt  meist  an 
anderen  Krankheiten  oder  an  einer  mit  der  Fettsucht  im  Zusammen- 
hang stehenden  Herzinsuffizienz,  nachdem  das  Leiden  mit  großen 
Eemissionen  Jahre  und  Jahrzehnte  gedauert  hat. 

Über  das  Wesen  und  die  Ätiologie  der  Adipositas  dolorosa  ein 
endgültiges  l^rteil  abzugeben,  ist  vorderhand  nicht  möglich.  Beim 
Versuch  zur  Lösung  dieser  Frage  müssen  zunächst  die  vorliegenden 
pathologisch  -  anatomischen  Untersuchungen  herangezogen  werden: 
Einmal  sind  zu  erwähnen  histologische  Untersuchungen,  welche  zu 
Lebzeiten  der  Patienten  an  exzidierten  Hautstücken  vorgenommen 
wurden.  Dercum  entnahm  bei  einer  Kranken  zu  drei  verschie- 
denenen  Zeiten  mittels  eines  Troikarts  Partikel  des  Unterhautzell- 
gewebes. Er  glaubte  feststellen  zu  können,  daß  das  subkutane  Ge- 
webe im  Verlaufe  der  Krankheit  allmählich  folgende  Veränderungen 
erführe : 

i^ei  der  ersten  Untersuchung  fand  er  nur  Bindegewebe  von 
embryonalem  Typus:  ,,große  spindelförmige  Zellen  mit  großen 
Kernen,  keine  Fettzellen".  Eine  zweite  Punktion  ergab  ..wenig 
reichliclies  Binde«iewebe,  welches  Fettzellen  einschloß,  von  denen 
einige  eine  noch  nicht  vollständige  Fettmetamorphose  erfahren 
hatten**.  Bei  der  dritten  Untersuchung  wurde  „netzförmiges  Binde- 
gewehe  mit  Gefäßen  und  Nervenelementen  gefunden,  welches  in 
seinen  Lücken  Fettzellen  enthielt". 


t'ber  die  Adiposität  dolorosa.  323 

Auf  Grund  dieser  Untersuchungen  und  einiger  anderer  An- 
gaben nimmt  Seilerin  folgende  Entwicklung  der  Fettwulste  an; 

1.  Odem  und  embryonales  Bindegewebe. 

2.  Fettige  Metamorphose  der  Zellen. 

3.  Sklerose  durch  Zunahme  des  Bindegewebes. 

Dieser  von  Der  cum  angegebene  Befund  konnte  von  anderen 
Untersuchern  nicht  bestätigt  werden,  auch  dürfte  seine  Methode 
nicht  ausreichen,  derartige  weittragende  Schlüsse  zu  rechtfertigen. 
Andere  Autoren,  z.  B.  Strübing,  konnten  in  ihren  Präparaten 
keinen  vom  normalen  Bau  des  Fettgew^ebes  abweichenden  Befund 
erheben;  nur  erschienen  die  einzelnen  Fettzellen  recht  groß  (ähn- 
lich wie  bei  Lipomen).  Auch  wir  können  nur  die  zuletzt  erwähnte 
Angabe  bestätigen.  An  Hautstücken,  welche  unseren  beiden  Patien- 
tinnen (Krankengeschichten  siehe  am  Schluß)  mit  deren  Erlaubnis 
aus  dem  Unterschenkel  exzidiert  wurden,  zeigte  sich  sehr  reichlich 
entwickeltes  subkutanes  Fettgewebe  von  ganz  normalem  Aussehen 
—  makroskopisch  und  mikroskopisch.  Auch  die  Kutis  selbst  war 
fettreicher  als  in  der  Norm,  indem  das  Bindegew^ebe,  welches  die 
Hautgefäße  umgibt,  stark  mit  Fettzelleu  erfüllt  war.  Daher  lagen 
fast  alle  Schweiß-  und  Talgdrüsen,  auch  die  Haarbälge  mitten  in 
Fettgewebe  eingebettet.  Der  Übergang  zwischen  Lederhaut  und  sub- 
kutanem Gewebe  ließ  sich  deshalb  weniger  deutlich  abgrenzen  wie 
bei  der  normalen   Haut. 

Diese  abnorme  Vermehrung  des  Fettgewebes  in  der  Kutis 
scheint  für  das  Krankheitsbild  der  Adipositas  dolorosa  nicht  ohne 
Bedeutung  zu  sein.  Vielmehr  ist  anzunehmen,  daß  diese  „Fett- 
infiltration" der  Haut  im  Verein  mit  der  bereits  erwähnten  Blut- 
und  Lymphstauung  die  Gewebespannung  beträchtlich  erhi'jht  und 
so  durch  Dehnung  und  Pressung  der  feineren  Nervenenden  die 
Schmerzhaftigkeit  der  Haut  veranlaßt. 

Der  Reichtum  der  Haut  an  Gefäßen,  Nerven-  und  Muskel- 
gewebe und  elastischen  Fasern  wurde  nicht  verringert  gefunden, 
soweit  es  überhaupt  möglicli  ist,  durch  einfachen  Vergleich  mit 
normaler  Haut  einen  derartigen  Schluß  zu  ziehen.  Irgendwelche 
entzündliche  Veränderungen  konnten  wir  nirgends  konstatieren. 

In  der  Literatur  linden  sich  Angaben  über  den  Befund  bei 
5  Sektionen.  4  Fälle  wurden  von  Der  cum  veröffentlicht.  Bei 
seinen  beiden  ersten  Autopsien  fand  sich  eine  Hypertrophie  der 
Schilddrüse  mit  Verkalkunfr.  Eine  mikroskopische  Untersuchung 
der  verschiedenen  Organe  wurde  nicht  vorgenommen.  Im  3.  Fall 
^Tirde  eine  partielle  unregelmäßige  Atrophie  der  Schilddrüse  kon- 


324  XVIII.    SCHWEM&BNBECHEB 

statiert,  mit  Hypertrophie  derselben  an  anderen  Stellen,  ferner  eine 
interstitielle  Entzündung  der  subkutanen  Nerven,  endlich  eine  De- 
generation der  Goirschen  Stränge,  (In  diesem  Falle  scheint  neben 
der  Adipositas  dolorosa  eine,  wenn  auch  nicht  typische,  Tabes  dor- 
salis  vorgelegen  zu  haben.) 

Bei  der  4.  Sektion,  über  welche  Der  cum  in  Gemeinschaft  mit 
MacCarthy  berichtet,  konnten  keine  deutlichen  Schilddrüsen- 
Veränderungen  gefunden  werden,  namentlich  auch  mikroskopisch 
nicht.  Dagegen  fanden  sich  ein  Adenokarzinom  der  Hypophysis, 
Anomalien  an  den  Hirnhäuten,  Vermehrung  der  Zahl  der  Hirn- 
furchen und  Zusammenfließen  derselben,  interstitielle  Neuritis  in 
den  Nervenfasern  des  oberflächlichen  Unterhautfettes,  neugebildete 
Lymphdrüsen  im  subkutanen  Zellgewebe.  Die  Milz  wies  eine  starke 
Erweiterung  der  Bluträume  auf  und  eine  geringe  Vermehrung  des 
interstitiellen  Gewebes,  außerdem  bestand  eine  Hodenatrophie,  akute 
parenchymatöse  Nephritis  und  ein  Hauterysipel 

Der  5.  Fall  der  Kranklieit,  bei  welchem  die  Autopsie  stattfand, 
wurde  von  Burr  beschrieben.  Auch  er  beobachtete  eine  Ver- 
änderung der  Schilddrüsensubstanz,  ähnlich  dem  von  Der  cum  er- 
hobenen Befunde.  Ferner  fanden  sich  interstitielle  Entzündung  der 
subkutanen  Nerven  und  eine  Hypertrophie  der  Hypophyse  mit  Gliom- 
bildung.    Die  Ovarien  waren  klein  und  atrophisch. 

Von  diesen  beschriebenen  Veränderungen  sind  nur  wenige  wieder- 
holt beobachtet ;  nur  wenige  haben  eine  gewisse  Bedeutung  für  das 
Symptomenbild  der  Adipositas  dolorosa. 

Die  Schilddrüsenveränderungen  sind  einmal  außerordentlicli 
wenig  charakteristisch;  es  handelt  sich  um  partielle  Atrophie 
und  Zystenbildung,  sowie  um  gleichzeitige  Vermehrung  anderer 
Drüsenpartien,  wie  wir  es  bei  jeder  Struma  beobachten  können. 
Ferner  existiert  eine  ganze  Beihe  von  Krankenbeobachtungen,  in 
denen  irgendwelche  nennenswerte  Schilddrüsenveränderungen,  wie 
z.B.  eine  Struma,  fehlten:  Strübing  erwähnt  bei  keinem  einzigen 
seiner  Kranken  das  Vorhandensein  einer  Struma;  der  positive  Be- 
fund in  unseren  Fällen  hat  deshalb  keine  große  Bedeutung,  weU 
hierzulande  der  Kropf  sehr  verbreitet  ist.  Der  Fall  von  Roux, 
bei  dem  neben  der  Bildung  von  schmerzhaften  Fettgeschwülsten 
ein  ausgesprochener  Morbus  Basedowii  bestand,  gehört  nicht  zu  der 
Adipositas  dolorosa,  sondern  zu  den  schmerzenden  Lipomen.  Immer- 
hin ist  bei  der  Ähnlichkeit  beider  Prozesse  dies  Zusammentreffen 
von  großem  Interesse,  um  so  mehr,  als  auch  zwei  unserer  Kranken 


über  die  Adipositas  dolorosa.  325 

leichten  Tremor  und  zeitweilige  Tachykardie  zeigten.  Auch  ein  Fall, 
den  L.  v.  Schrötter^)  beobachtete,  scheint  hierher  zu  gehören. 

Die  zweite  Frage,  welche  f&r  die  Pathogenese  der  Adipositas 
dolorosa  in  Betracht  kommt,  sind  organische  Veränderungen  der  ner- 
vösen Apparate,  des  Gehirns,  des  Kückenmarkes,  der  peripheren 
Nerven. 

Bei  2  Sektionen  wurde  eine  Erkrankung  der  Hypophyse  ge- 
funden, bei  dem  einen  von  De  reu  m  beschriebenen  Fall  eine  De- 
generation der  Goll'schen  Stränge. 

Alle  diese  schweren  Läsionen  stehen  keineswegs  in  unmittel- 
barem Zusammenhang  mit  der  Adipositas  dolorosa,  da  in  der  Mehr- 
zahl der  Fälle  nicht  der  geringste  Anlaß  vorliegt,  eine  ernstere 
Läsion  des  Nervensystems  anzunehmen. 

Es  ist  noch  erforderlich,  auf  den  dreimal  erhobenen  Befund 
einer  Entzündung  der  feinen  Subkutannerven  einzugehen.  Von 
vornherein  ist,  wie  bereits  erwähnt,  nach  dem  ganzen  klinischen 
Bilde  die  Annahme  einer  Neuritis  nicht  wahrscheinlich,  da  wir  mit 
gleichzeitiger  Abnahme  des  Fettpolsters  und  der  Blutstauung  in  der 
Haut  auch  die  Schmerzhaftigkeit  abnehmen  sehen,  und  Sensibilitäts- 
störungen zum  Bilde  der  Adipositas  dolorosa  nicht  gehören.  Auch 
wir  haben  diese  Frage  noch  einmal  eingehend  untersucht :  Li  zahl- 
reichen Schnitten,  die  nach  der  Weigert'schen  Markscheidenmethode 
behandelt  waren,  konnten  wir  weder  in  der  Haut  selbst  noch  im 
Unterhautzellgewebe,  weder  in  den  Nerven  noch  im  Perineurium  und 
dem  umgebenden  Bindegewebe,  noch  an  irgendeiner  anderen  Stelle 
des  Präparates  eine  Rundzellenanhäufung  konstatieren.  *2) 

Die  von  Dercum  und  Burr  beschriebenen  Kranken,  in  denen 
post  mortem  die  interstitielle  Neuritis  nachgewiesen  werden  konnte, 
scheinen  viele  Jahre  an  der  Adiposis  dolorosa  gelitten  haben.  Es  ist 
deshalb  nicht  ausgeschlossen,  daß  sich  allmählich  infolge  des  lang  an- 
haltenden Druckes  entzündliche  Vorgänge  an  den  Nerven  einstellen. 

Einige  Autoren,  wie  Potain,  Strübing,  haben  darauf  hin- 
gewiesen, daß  der  Gelenkrheumatismus  eine  häufige  anamnestische 
Angabe  der  Patienten  bildet.  Da  im  Beginn  des  Leidens,  das  an- 
scheinend sich  ja  sehr  langsam  entwickeln  kann,  die  Beschwerden 
von  den  Kranken  häufig  in  die  Gelenke  verlegt  werden  und  auch 
von  Ärzten   bei   der   relativen  Seltenheit   der  Erkrankung   meist 

1)  V.  Schrötter,  Zum  Symptomenkomplex  des  Morbus  Basedowii.  Zeitschr. 
f.  klin.  Med.  48  1903  S.  1. 

2)  Bei  der  Untersuchung  der  Hautschnitte  hat  mich  mein  Kollege  Dr.  S ick 
flebr  wesentlich  unterstützt. 


326  XVIII.  Schwenken bbchjSr 

rheumatische  Beschwerden  diagnostiziert  werden,  so  ist  diese  An- 
trabe jedenfalls  nicht  von  größerer  Bedeutung. 

Noch  in  einer  anderen  Richtung  suchten  wir  das  Wesen  der 
Adipositas  dolorosa  an  unseren  Patientinnen  zu  studieren:  Wenn 
überhaupt  bestimmte  Fälle  von  universeller  Fettleibigkeit  als  kon* 
stitutionell  bedingte  angesehen  werden  können,  so  gehört  sicherlich 
die  Mehrzahl  der  Fälle  von  schmerzender  Fettsucht  zu  ihnen.  Denn 
bei  ihr  ist  die  Fettanhäufung  kaum  die  alleinige  Folge  der  Über- 
ernährung, vielmehr  erscheint  sie  als  ein  Symptom  einer  zurzeit 
noch  unbekannten  Krankheit. 

Da  wir  bei  unseren  Kranken  neben  der  Massagebehandlung 
den  Fettbestand  des  Körpers  auch  mit  Hilfe  einer  Unterernährung 
zu  mindern  suchten,  so  reichten  wir  von  Anfang  an  beiden  Mäd- 
chen eine  Kost  von  etwa  1200  Kalorien  pro  Tag.  Die  eine  Kranke 
(Sophie  W.)  erhielt  hiermit  bei  (54  kg  Anfangsgewicht  19  Kalo- 
rien pro  Tag  und  Kilo;  die  andere  (Marie  S.)  bei  55  kg  22  Ka* 
lorien.  Bei  dieser  geringen  Zufulir  und  mittlerer  Körperbewegung 
konnte  nun  während  4  \\^ochen  keine  konstante  Gewichtsabnahme 
erzielt  werden.  Vielmehr  schwankte  das  Körpergewicht  ziemlich 
unregelmäßig  hin  und  her.  Deshalb  isolierten  wir  die  Mädchen 
und  hielten  sie  vierzehn  Tage  lang  bei  Bettruhe  unter  ständiger 
Aufsicht  einer  Schwester,  die  Tag  und  Nacht  bei  ihnen  und  ledig- 
lich zu  ihrer  Pflege  bestimmt  war.  Während  dieser  Zeit  bekamen 
beide  Mädchen  eine  Kost  von  höchstens  1000  Kalorien  M,  und  zwar 
erhielt  Sophie  W.  (()3  Kilo)  1()  Kalorien  pro  Tag  und  Kilo,  Marie 
S.  (55  Kilo)  18  Kalorien.  In  der  14tägigen  Untersuchungsperiode 
nahmen  nun  beide  Patientinnen  ab,  und  zwar: 

Sophie  W\  03,0-f)l,l  kg --1,9  kg   • 
Marie- S.     55,0—52,9    „  ~  2,1    „ 

Diese  Gewichtsabnahme  muß  als  sehr  gering  bezeichnet  werden. 
Der  Energiebedarf  beträgt  somit  bei  Sophie  W.  etwa  18  Kalorien 
pro  Tag  und  Kilo,  bei  Marie  S.  etwa  20.  Diese  Zahlen  sind  sehr 
niedrig,  aber  nicht  so  auffallend  klein,  wenn  man  bedenkt,  daß 
beide  Patientinnen  neben  einem  unmäßig  entwickelten  Fettpolster 
eine  äußerst  spärliche  Muskulatur  besaßen,  und  daß  die  täglich 
geleistete  Arbeit  sehr  gering  war. 

Die  Lösung  der  Frage,  ob  dieser  Form  der  Fettsucht  eine 
verminderte  Oxydationsfähigkeit   der  Körperzellen  zugrunde  liegt 


1)  Die  Kost  bestand  aus:    '/.>  1  Kaffee,    '^  1  Milch,  60g  Weißbrot,   120g: 
Braten,  2  Eiern. 


über  die  Adipositas  dolorosa.  32? 

hing  davon  ab,  ob  wir  imstande  waren,  bei  beiden  Mädchen  eine 
annähernd  genaue  Kenntnis  ihrer  Wärmeproduktion  zu  gewinnen. 
Da  wir  alle  komplizierteren  Methoden  der  Stoff-  und  Kraftwechsel- 
untersuchung  vorderhand  nicht  ausführen  konnten,  so  mußten  wir 
uns  damit  begnügen,  eine  sorgfältige  Bestimmung  der  durcli  Haut 
und  Lunge  ausgeschiedenen  M'asserraenge  auszuführen.')  Gibt 
doch  auch  diese,  ebenso  wie  die  vom  Körper  gebildete  Kohlensäure, 
bei  gleichmäßigen  äußeren  Bedingungen  einen  gewissen  Anhalts- 
punkt für  die  Größe  der  Wärmeabgabe  bzw.  Wärmebildung. 

1.  Sophie  W.,   18  Jahre  alt,  64,2  kg,  154,5  cm,  Bauchumfang  91  cm 
KÖi'peroberfläche  Dach  Bouchard   17  000  qcm.     Hemd,  Düchtero. 

m      1  ^-   1    -i.  Bemerkung 

Feuchtigkeit  ® 

54 

51 

56 

59 

57 

61  hatte  Leibschmerzeu. 

Mittel:  21  g  pro  Stunde,   B  g  pro  Stunde  und   10  Kilo 

i  2  g     „  ,,  „       1  qm    Oberfläche. 

Hautwaaser  pro  24  Stunden  504  g. 

Lungen  Wasser  t^jj^^  Relat. 

pro  Stunde  '  Feuchti.orkeit 

12  25,7  51 

17  25J  51 

Mittel:    15  g  pro  Stunde,   2,3  g  pro  Stunde  und   10  Kilo 

9  tr        ^  ,^  1    qra. 

Langenwaeser  pro  24  Stunden  360  g. 
Haut- -}- Lungen  Wasser  pro  Stunde  36  g,  pro  24  Stunden  864  g. 

2.  Marie  8.,  20  Jahre  alt,  57,8  kg,    152,5  cm,   Bauchumfang  S7  cra^ 
Körperoberfläche  nach  Bouchard  16  000  qm.     Hemd,  nüchtern. 


Hautwasser 

Tpvnn 

pro  Stunde 

xcllip 

19 

27,3 

18 

27,4 

20 

27,5 

21 

27,5 

22 

27,5 

27 

27,1 

Hautwasser 

Temp. 

Relat. 

pro  Stunde 

Feuchtigkeit 

7 

25,1 

59 

7 

26,2 

54 

15 

26,8 

56 

22 

27,6 

54 

22 

27,7 

52 

Mittel:   15  g  pro  Stunde,  2,6  g  pro  Stunde  und   10  Kilo 

^  g     j^       ?»       ,?    1    q»^- 

Hautwasser  pro  24  Stunden  3 60  g. 


1)  Eine  Beschreibung;  der   Methode   findet   sich    in   diesem   Archive   Bd.  79 
S.  56  und  S.  359. 


328  XVni.    SCHWENKSNB£CHEB 


Langenwasser 

Temp. 

Relat. 

pro  Stunde 

Feuchtigkeit 

10 

24.5 

56 

13 

22,6 

58 

14 

23.1 

55 

Mittel:   12  g  pro  Stunde,  2  g  pro  Stunde  und  10  Kilo 

8  g     „  „  „      l  qm 

288  g  pro  24  Stunden. 
Haut-  -f  Lungen  wasser  pro  Stunde  27  g,  pro  24  Stunden  648  g. 

Aus  diesen  Versuchen  ist  zu  entnehmen,  daß  die  von  unseren 
Patientinnen  abgegebenen  Wassermengen  an  der  unteren  Grenze 
des  Normalen  liegen.  Einige  Untersuchungen  gleicher  Art,  welche 
im  vergangenen  Jahre  an  denselben  Kranken  vorgenommen  wurden*), 
hatten  eine  deutlichere  Herabsetzung  der  Hautwasserbildung  er- 
geben. Diese  Differenz  steht  wohl  damit  im  Zusammenhang,  daß 
im  Vorjahre  bei  beiden  Mädchen  eine  erheblich  größere  Fettent- 
wicklung in  der  Haut  und  im  Unterhautzellgewebe  bestand  als 
während  ihres  letzten  Aufenthaltes  in  der  Klinik  im  Frühjahr  1904 

Unsere  Versuche  haben  also  ein  ähnliches  Resultat  ergeben 
wie  die  von  v.  Noorden,  Magnus- Levy  u.  a.  an  Fettleibigen 
angestellten  Untersuchungen  des  Lungengaswechsels.  Was  wir 
hier  für  die  Wasserdampfausscheidung  fanden,  konnten  die  genannten 
Autoren  für  die  Kohlensäureproduktion  bzw.  Sauerstoffaufnahme 
feststellen :  die  betreffende  Gasmenge  war  zwar  gering,  mußte  je- 
doch als  noch  normal  gelten.  Durch  diese  Experimente  konnte 
somit  die  Existenz  einer  „konstitutionellen  Fettsucht"  nicht  be- 
wiesen werden.  Auch  fernerhin  ist  nicht  zu  erwarten,  daß  diese 
Frage  mit  Hilfe  des  Versuches  ihre  endgültige  Lösung  findet,  so- 
lange man  außerstande  ist,  den  Energiebedarf  von  Menschen  sehr 
verschiedener  Konstitution  auf  ein  und  dieselbe  Einheit  zu  be- 
rechnen. Denn  weder  das  Gewicht,  noch  die  Länge,  noch  die 
Oberfläche  des  menschlichen  Körpers  gibt  einen  unter  allen  Um- 
ständen richtigen  Vergleichs  wert  für  die  Wärmebildung  verschie- 
dener Individuen. 

Krankengeschichten. 

1.  Sophie  W.,  17  jähriges  Dienstmädchen  von  hier.  Die  Eltern 
der  Kranken  sind  gesund,  ebenso  9  Geschwister.  In  der  Kindheit  hatte 
sie  Masern  und  Diphtherie.  Im  12.  Lebensjahr  1898  hat  sie  Magen- 
schmerzen und  Blutbrechen    gehabt.      Ihr  Arzt    sagte  ihr,    sie   habe  ein 


l)  Siehe  dieses  Archiv  Bd.  79  S.  49. 


über  die  Adipositas  dolorosa.  329 

llageDgesehwür.  Im  Jahre  1900  hatte  8ie  einen  Ausschlag  an  den 
Armen  und  am  Leibe.  1901  eine  Halsentzündung,  welche  mehrere 
'Wochen  dauerte,  im  Anschluß  daran  eine  doppelseitige  eitrige  Ohren- 
entzündung. Im  Sommer  1901  bekam  „sie  schmerzhaft  geschwollene 
Fußsohlen'',  auf  Massage  gingen  die  Schwellungen  zurück. 

Anfang  März  1902  bekam  sie  Schmerzen  in  beiden  Beinen,  nament- 
lich in  der  Gegend  des  linken  Kniegelenkes.  Gleichzeitig  fühlte  sie  sich 
sehr  matt  und  hatte  häufig  das  Oefühl  von  Übelsein. 

Vom  29.  März  1902  suchte  sie  deshalb  die  hiesige  mediziniache 
Klinik  auf.  Die  Untersuchung  der  Kranken  ergab  nichts  Abnormes,  auch 
erwies  sich  im  speziellen  der  Magen  in  chemischer  und  motorischer 
Funktion  normal.  Die  Kranke  wog  bei  ihrer  Aufnahme  55  Elilo,  bei 
ihrer  Entlassung  am  3.  Mai  1902  58,2  kg.  Die  Magenbeschwerden 
waren  geringer  geworden;  im  linken  Bein  bestanden  noch  bei  stärkerer 
Anstrengung  geringe  Schmerzen.  Das  Mädchen  hatte  im  ganzen  mehr 
den  Eindruck  einer  arbeitsunlustigen,  energielosen  Person  als  den  einer 
Kranken  gemacht. 

Nach  ihrer  Entlassung  im  Mai  1902  wurden  die  Schmerzen  in  den 
Beinen  wieder  stärker,  es  kamen  noch  dazu  Schmerzen  in  den  Schultern 
und  der  Oberbauchgegend ;  sie  hatte  fast  immer  heftigen  Heißhunger  und 
wurde  am  ganzen  Körper  sehr  dick.  Im  September  1902  will  sie  inner- 
halb dreier  Wochen  noch  dicker  geworden  sein,  so  daß  ihr  die  Kleider 
ziemlich  plötzlich  zu  enge  wurden,  jetzt  habe  sie  am  ganzen  Körper, 
überall,  wo  man  hinfasse,  Schmerzen;  häufigen  Brechreiz,  viel  Kopf- 
schmerzen.   Die  Periode  sei  unregelmäßig,  mache  aber  keine  Beschwerden. 

Am  31.  Oktober  1902  wiederum  Aufnahme. 

Das  17  jährige  Mädchen  ist  153,5  cm  groß,  besitzt  einen  kräftigen 
Knochenbau,  geringe  Muskulatur  und  ein  entstellend  reichliches  Fett- 
polster. Der  Brustumfang  beträgt  bei  Exspiration  96,  der  Bauchumfang 
90  cm.  Das  Gesicht  hat  eine  bläulich  -  rote,  im  ganzen  aber  gesunde 
Farbe,  die  Lippen  sind  blaß  -  zyanotisch.  Die  Arme  und  Beine  haben 
auch  eine  bläuliche  Farbe.  Die  stärkste  Fettentwicklung  befindet  sich  an 
den  Brüsten  und  den  Bauchdecken,  an  den  Streckseiten  der  Oberarme, 
an  den  Schultern,  namentlich  auch  an  den  Unterschenkeln  festes,  sich 
wie  Speck  anfühlendes  Fettpolster.  An  den  Unterschenkeln  bildet  die 
Fettschicht  die  Form  einer  Manschette.  Haut  hier  dicker  als  normal. 
Gesicht,  Hände  und  Füße  sind  frei.  Versucht  man  die  „infiltrierte"  Haut 
mit  den  Fingern  aufzuheben,  so  wird  heftiger  Schmerz  geäußert.  An 
den  Stellen,  wo  die  Bookbänder  und  Strumpfbänder  gesessen  haben,  fehlt 
die  Infiltration,  so  daß  an  diesen  Stellen  eine  tiefe  Furche  sich  befindet. 

An  den  Brust-  und  Unterleibsorganen  findet  sich  nichts  Abnormes. 
Die  Sinnesorgane,  Sensibilität,  Motilität,  Beflexe  sind  yöllig  normal. 

Mäßig  große  parenchymatöse  Struma,'  Herzaktion  völlig  regelmäßig, 
kein  Tremor  manuum,  keine  sonstigen  Basedow-Symptome. 

Die  Therapie  bestand  in  Einschränkung  der  Ernährung,  Massage 
ond  Gymnartik,  Bädern. 

Allmählich  wurden  während  der  Monate  November  und  Dezember 
die  Fettinfiltrationen,   namentlich    an   den  Extremitäten  geringer,    so  daß 

Deatsches  Archiv  f.  klin.  Medizin.   LXXX.  Bd  22 


330  XVin.    ScHWUOOnrBKHBJl 

die  Kranke  am  3.  Janoar  1903  viader  ak  leidHeh  acbeitsfidug-  auf  ilirai 
'ViTanBoh  enÜaBsen  werden  konnte; 

Bei  der  Entlaasnng  betrag  das  Körpergewicht  der  Patientin  64,3  Kik^ 
trotadem  sie  nach  unserer  Berechnung  höehstena  1500  Kalorien  pro  Tag 
in  ihrer  Kost  erhielt. 

2.  Zur  selben  Zeit,  12.  November  1902,  bekamen  wir  eine  zweite 
Kranke  in  Beobachtung.  ICarie  8.,  19  Jahre  alt,  Baaerstochter.  Der 
Vater  ist  magenleidend,  die  Mutter  an  Wassersucht  gestorben,  8  Ge- 
schwister sind  gesund.  Niemand  unter  den  Angehörigen  hat  ein  ähn- 
liches Leiden,  oder  einen  Kropf.  Als  Kind  hatte  sie  Masern,  sonst  wsr 
sie  gesund.  Die  Begel  trat  im  16.  Lebensjahr  ein,  später  blieb  sie  eiK 
ganzee  Jahr  aus.  Jetzt  ist  sie  wieder  regelmäßig  alle  4  Wochen,  doch 
mit  Kreuzschmerzen  verbunden.  Seit  etwa  dreiviertel  Jahren  (Winter  1901) 
hat  die  Kranke  viel  unter  Müdigkeit,  Schmerzen  in  der  linken  Bauch* 
Seite  zu  leiden  gehabt.  Sie  ist  im  aUgemeinen  leisitnngBUiiföhiger  ge- 
worden, z.  B.  hat  sie  nicht  mehr  so  gut  schwerere  Lasten  heben  können. 
Seit  dem  März  1902  ist  der  Hals  dicker  geworden.  Im  Mai  schwöllen 
Häade  und  F&ße  an,  gleichzeitig  hat  sie  häafig  nach  dem  Essen  brechen 
mttssea;  einmal  sei  etwas  hellroles  BLnt  im  Erbrochenen  gewesen. 

Schmerzen  und  Hitzegeffihl  bestehen  im  Kopf,  den  Schultern,  Knieen^ 
Füßen,  vermehrt  wieder  im  Baueh,  auch  wurde  sie  hn  ganzes  viel  dicker. 
Im  September  1902  war  sie  deshalb  schon  vorübergehend  in  Kranken* 
hansbehandlong.  In  der  Zeit,  wo  sie  besonders  di«k  wurde,  will  sie 
nur  sehr  wenig  Appetit  gehabt  haben,  so^  daß  sie  fast  nichts  habe  essen 
können. 

Ihre  Beschwerden  bestehen  zurzeit  in  Atemnot  bei  stärkeren  Be- 
wegungen, Herzklopfen  und  den  schon  genannten  brennenden  Schmerzen 
in  den  verschiedenen  Körperteilen;  häufig  Übelkeit  und  flrbrechen.  Alz 
sie  deshalb  am  12.  November  1902  die  Klinik  aufsuchte,  wurde  folgender 
Befund  whoben:  Patientin  ist  153  cm  groß,  besitzt  mittelkräftigeni 
^jiochenbau,  Muskulatur  spärlich,  Fettpolster  sehr  reichlich,  Gre wicht 
60,5  kg,  Brustumfang  93 ,  Bauchumfang  89  cm.  Das  Gesicht  sieht  ge- 
dunsen ans,  Wangen,  und  Lippen  sind  zyanotisch,  ebenso  die  Untor- 
sohenkel.  Brüste,  Bauch,  Gesäß  zeigen  Striae,  sind  außerordentlich  fett^ 
doch  weich.  An  den  Streckseiten  der  Oberarme  von  der  Schulter  bis  zu 
ihrer  Mitte  je-  ein  dicker,  harter,  sehr  druckempfindüoher  Fettwulst;  an 
den  Unterschenkeln  über  den  Knöcheln  zwei  Manschetten,  von  hartsm 
Fett,  die  am  festesten  und  schmerzhaftesten  in*  der  Gagend  der  Fibalfr 
BiQd..  Hand-  und  Fußrücken  sind  beiderseits  schwammig.  Keine  widc- 
liphen  Ödeme. 

Am  Hals  befindet  sich  eine  starke  Strumai  Die  Vergrößerong  be- 
trifft hauptsächlich  den  mittleren  und  linken  Lappen,  die  Struma  reidit 
bis  unter  das  Sternum  hinunter.  Im  Mittellappen  eine  harte  Zyste.  Die- 
Atmung  ist  oberflächlich,  32  mal  in  der  Minute,  erschwert..  Stärkere 
Llyapnoe  bei  geringem  Druck  auf  die  Struma. 

Die  Herzgrenzen  sind  normal,  der  erste  Herzton  ist  unrein,  dio 
Aktion  nicht  ganz  regelmäßig  und  gleichmäßig.  Die  Pulszahl  beträgt  11^ 
in  der  Minute.     Zeitweilig  an  den  Händen  fsinschlägiger  Tremor. 


über  die  A^posits^  äoldroiSt, 

im  üfirigeri  ^fgäi)  die  ITüfcrfffticBüng  iidrmftlen  Befdrid;  SeusibiUtät 
img  mmtih  m^  Th^iäpie  hefÜttEid  in  iSaMnäj^  des  ^khteh  K5rpetir 
ittn.  m  BmÜm. 

Afii  96.  Jkm&ir  190B  sncMe  ritin  die  erste  Ktsinibe'  8(]/|)hie  \f; 
v^de^ttm  di<^  Klinik  atit: 

8  TAge  lang  war  es  ihr  rh  Hiinse  gut  ^gaitgen,  darin  bekani  si^ 
i^M^  Hit^gefäbl  tri  der  Haut,  Sehrtierz^n  in  den  Beinen,  Backen^ 
Bauch,  Brust,  Oberarme,  Kopfschmerzen,  Schwindel,  Übelkeit. 

Iiri  tiefund  niclits  wesentliches  verändert.  In  der  Begid  epigastrica 
an  den  Unterschenkeln  und  iri  der  Schultergegend  Wieder  stärke  Fett- 
iofiltration.  Sie  wog  66  Kilo.  Beide  Kranke  bekamen  gleichzeitig  die- 
selbe Kost,  welche  etwa  1200  Kalorien  enthielt. 

Da  die  beiden  Mädchen  trotz  dieser  geringen  Nahrungszufuhr  und 
täglichem  Massieren,  Baden,  Tarnen  und  Arbeiten  relativ  wenig  von 
ihrem  Fettpolster  einbüßten,  wurden  sie  14  Tage  lang  zu  Bett  gelegt,, 
in  einem  Zimmer  isoliert;  im  selben  Zimmer  war  Tag  und  Nacht  eine 
zuverlässige  Schwester,  welche  lediglich  zur  Überwachung  und  Pfleflfe 
dieser  Ej*anken  bestimmt  war  und  die  gereichten  Speisen  abwog.  Die 
beiden  Mädchen  wurden  täglich  morgens  nüchtern  gewogen.  Sie  er- 
hielten pro  Tag  1000  Kalorien. 

Marie  S.  wog  am  4.  Febr.  1903  55,0  kg  und  am  19.  Febr.  52,9  kg 
=   ~  2,1  kg. 

Sophie  W.  „     „  „  63,0  „      „      „  „         61,1  ,, 

=  -  1,9  kg. 

Infolge  dieser  Entfettungskur  wurden  bei  beiden  Patientinnen  die 
Schmerzen  geringer,  so  daß  sie  nach  weiterer  14tägiger  Behandlung  mit 
Massage  und  Gymnastik  entlassen  werden  konnten. 

Anfang  März  1904  gelangten  beide  Mädchen  auf  unseren  Wunsch 
wieder  zur  Aufnahme  in  die  Klinik.  Beiden  war  es  mehrere  Monate 
nach  ihrer  Entlassung  im  Februar  1903  zu  Hause  gut  gegangen;  sie 
hatten  arbeiten  können,  ohne  größere  Beschwerden  zu  empfinden. 

Sophie  W.  hatte  sogar  einen  Dienst  angetreten.  Nach  einem  weiteren 
Vierteljahr  hatte  sie  aber  wieder  das  Krankenhaus  aufsuchen  müssen,  da 
sie  heftige  Schmerzen  in  den  Bauchdecken  bekommen  hatte. 

Bei  ihrer  TJntersachung  (März  1904)  zeigten  sich  Fettwülste  an  den 
Oberarmen,  mäßige  Manschetten  an  den  Unterschenkeln,  dicker  WuUt 
in  der  Regio  epigastrica.  Öfters  Tachykardie.  Psoriasis  am  behaarten 
Kopf  und  einzelne  Fleckchen  auf  der  Brust.  Innere  Organe  ohne  Be- 
sonderheit.    Körpergewicht  =  62  kg.     Fat.  ist  arbeitsfähig. 

Marie  S.  bekam  3  Monate  nach  ihrer  Entlassung  aus  der  Klinik 
wieder  heftige  Leibschmerzen  und  Erbrechen;  auch  sei  sie  in  jener  Zeit 
wieder  viel  dicker  geworden.  Kopfschmerzen,  Herzklopfen,  Appetit- 
losigkeit, Stuhlverstopfung  traten  dazu.  Ihr  Kropf  wurde  so  groß, 
daß  er  ihr  zweitweilig  starke  Atemnot  verursachte.  Seit  November  1903 
hat  sie  zweimal  einen  Krampfanfall  gehabt,  sie  will  mehrere  Standen 
bewußtlos  gewesen  sein.  Zuckungen  in  Armen  und  Beinen  dabei.  Kein 
Zungenbiß,  keine  Verletzung. 

22* 


332  XVin.  ScHWEKKBHBEGHEB,  Über  die  Adipositas  dolorosa. 

Befand  (März  1904):  Große  parencbymatöBe  Struma.  Tachykardie, 
leichter  Tremor.  Dyspnoe  infolge  des  Dmckes  durch  die  Struma,  die 
zum  Teil  unter  das  Stemum  reicht.  Die  Patientin  ist  fett,  aber  eigent- 
liche, schmerzhafte  „Fettinfiltrationen^  bestehen  nicht.  Die  Anfalle  er- 
weisen sich  als  hysterische.  Sonstige  Störungen  von  selten  des  Nerven- 
systems fehlen.  Augenhintergrund,  Beflexe,  Sensibilität  normal.  Patientin 
ist  äußerst  willensschwach;  Stimmung  dauernd  trübe.  Innere  Organe 
der  Brust  und  des  Bauches  sonst  ohne  Besonderheit.  Körpergewicht  = 
58  kg. 

Patientin  wird  am  6.  April  1904  zur  partiellen  Exstirpation  des 
Kropfes  der  chirurgischen  Klinik  überwiesen. 


XIX. 
Ans  der  medizinischen  Klinik  in  Tübingen. 

Einige  Beobachtungen  nber  nattlrliche  nnd  kflnstlicli  er- 
zengte Lenkotoxine. 

Von 

Dr.  Henry  Asbury  Ghristiaii 

aus  Boston. 

Die  Rolle,  welche  die  geformten  Elemente  des  Blutes  bei  der 
Gerinnung  spielen,  ist  vielfach  untersucht  worden.  Einige  Be- 
ziehungen der  Leukozjrten  und  der  Blutplättchen  zu  dem  genannten 
Vorgang  wurden  jüngst  in  der  medizinischen  Klinik  in  Tubingen 
studiert  Da  es  nun  wünschenswert  erschien,  die  Leukozyten  ev. 
im  zirkulierenden  Blute  schädigen  zu  können,  ohne  die  anderen 
Formbestandteile  zu  beeinträchtigen,  so  folgte  ich  einer  Aufforde- 
rung des  Herrn  Prof.  Krehl,  die  Verwendung  der  Lenkotoxine  für 
diesen  Zweck  zu  prüfen.  Vorher  war  aber  die  Wirkungsart  der 
Lenkotoxine  unter  bestimmten  Umständen  zu  beobachten. 

Im  Vergleich  zu  den  Hämolysinen  wurden  die  Lenkotoxine  nur 
wenig  studiert.  Über  das  Vorkommen  natürlicher  Lenkotoxine 
konnte  ich  ^ogar  nur  eine  einzige  Angabe  finden:  Noguchi  be- 
obachtete*) eine  Schädigung  der  Leukozyten  von  Krebsen  durch 
das  Serum  mehrerer  Poikilothermen. 

Mehr  bekannt  ist  über  künstlich  erzeugte  Lenkotoxine. 
Metschniko ff  lehrte*)  uns  das  Serum  eines  Tieres  leukolytisch 
machen  für  die  Zellen  einer  anderen  Spezies  durch  Vorbehandlung 
mit  dessen  Milz  oder  Lymphdrüsen.  Die  Beaktion  war  spezifisch 
in,  dem  Sinne,  daß  lediglich  die  Leukozyten  derjenigen  Tierart, 
deren  Organe  zur  Vorbehandlung  benutzt  waren,  beeinflußt  wurden. 
Auf  Metschnikoff's  Mitteilung  folgten  dann  die  Beobachtungen 
von    Besredka,    Delezenne,    Punk,    Gladin,    Ricketts, 

1)  Noguchi,   Univ.  of  Pennsylvania,  Med.  Bull.  XV  1902  S.  295. 
2)Met8chnikoff,  Annales  de  Tlnstitut  Pasteur  T.  13.  1899  S.  760. 


334  XIX.  Christian 

Bierry  und  Flexner,  fiber  die  alle  Sachs  in  seinem  zusammen- 
fassenden Referat  ^Die  Zytotoxine  des  Blutserums^  berichtet  hat.^) 
Neißer  und  Wechsberg  benutzten*)  die  Beeinträchtigung  der 
Reduktionskraft  gegenüber  Farbstoffen  als  Maßstab  fär  den  Grad 
der  Schädigung,  welche  ein  Serum  bei  Leukozyten  erzeugt.  Jüngst 
hat  dann  noch  Bunting')  die  Beobachtungen  Flexner's  fort- 
gesetzt und  die  Einwirkung  von  Lympho-  und  Myelotoxinen  auf 
die  im  Kreislauf  befindlichen  Leukozyten  der  Gans  studiert. 

Bei  allen  Bßpbf^chtungeß  üf^ef  Häini)lyse  gibt  fiie  Auflösung 
des  Farb^tofs  ipi  Seru^  ein  ßmefip^liclie^  m^d  leioh(  napl^w^ 
bares  Zeichen  für  die  Schädigung  der  Erythrozyten.  Die  Ein- 
wirkung von  Serum  auf  die  Leukozyten  zu  beurteilen  ist  viel 
schwieriger.  In  der  Regel  hat  pnan  nach  degenerativen  Verände- 
rungen ihrer  Gestalt  gesucht. 

Wir  sind  zu  der  ursprünglich  yon  van  derVelde,  sowie  von 
Neisser  und  Wechsberg  benutzten^)  Methode  die  amöboiden 
Bewegungen  der  Leukozj^en  zu  untersuchen  zurückgekehrt,  weil 
wir  glaubten  damit  eine  empfindlichere  Reaktion  zu  gewinnen.  Auf 
dem  geheizten  Objekttisch  sind  die  polynukleären  Zellen  beweglich, 
wobi  auch  die  mononukleären.  Wir  haben  bei  unseren  Beobachtungen 
zwischen  beiden  Zellformen  nicht  unterschieden«  der  Ausdruck 
„Leukozyt^  bezieht  sich  also  bei  uns  auf  beide. 

Wir  benutzten  den  yon  der  Firma  0.  Eeiß  her^stellten  heizbaren 
Ql^ekttifich.  Mischungen  von  frischem  Blut  und  Serum  wurden  ia  dünner 
Schiebt  unter  ßchf^t«  vor  Yerdunstung  mit  d^r  .3  mm  Apocbromäi- 
immersion  und  ^i^pmpenaationspkulii^  4  bsobuch^t.  Die  Her^^llf^ig  dar 
Serumyerdünnung  erfolgte  annäherz^d  gena^i  duf cl^  QpnuUsung  e^i^er  Plaün- 
Öse  von  bestimmter  Qröße.  Bei  einiger  Übui)g  vergeht  nuf  sehr  kurze 
Eeit  zwischen  der  Gewinnung  des  zu  untersuchenden  Blutes  und  der 
Herstellung  des  Bräpasats  auf  dem  geheizten  Objekitisoh.  Für  jeden 
YersHcl)  wm:4ep  Kontrollppäpi^ni^te  jfm  ^Qverdünntfim  Blpt  des  gleichen 
Tieres  hergestellt ;  ferner  auch  Präparate  mit  dem  gleiphe^  V^düni)uiig9- 
grad,  aber  n^it  indifferenten^  Serum.  Stets  wurden  dip  !^^ontrqlIpriiparate 
unter  genau  den  gleicbep  Bedingungen  wie  die  ßigentlichen  ^räparat^ 
angefertigt,  und  nie  wurde  ein  Urteil  abgegeben,  wenn  nicht  diese  KontroU- 
pcäparate  eine  lebhafte  Bewegung  der  Leukozyten  leigten. 

Wie  wir  glauben,  gibt  dies  Verfahren  ejne  recht  empfindliche 
Reaktion  aqf  etwaige  toxische  Eigenschaften  eines  Serumt^  ?^§it- 


1^  Sachs,  Biocfieniisches  Zei^tr^blatt  1  1903.  S.  5?8,  6^3,  6^,  693. 

2)  Neißer  und  Wechsberg,  Müncheuer  med.  Wochenschr.  1900  S.  1261. 

3)  Bvnting,  Univ.  of  Pennsylvania  Me4.  BuU.  XYI  19Q3  S.  m 

4)  Neisser  und  Wechsberg,  Zeitschr.  f.  Hygiene  36  S.  i\27. 


Einige  Beobachtimgen  über  natürli<Ae  fmd  kttustlich  erzeng^te  Lenkotozine.  S85 

"Über  LeukozjrteR  ond  mgt  "bereits  geringe  örade  der  Scb&dignng 
derselben  an. 

Bekanntlich  sind  natfirliche  Hämolysine  recht  häufig.  Wir 
legten  nns  nnn  zuerst  die  Frage  vor,  ob  dieselben  irgendwelche 
Beziehung  zu  nattrüch  vorkommenden  Leukotoxinen  haben,  um 
dies  zu  erfahren,  brachten  wir  auf  dem  geheizten  Objekttisch  eine 
Eeihe  von  Blutarten  mit  Serumproben  zusammen,  welche  fSr  das 
betreffende  Blut  hämolytisch  wirken. 


Beiapieh 


KanincheDblut     1'  Öse 

HoDdeaemm      '5'  Ösen]   1  St.  10' 

l  1  St.  30* 
r  5' 

Xanincbenblat     1   Oae 

Hondeaeram      10  Ösen 


/  2!  B**     Leukozyten  bewegl.    Erythrozyten  gelöst 
j   20'  25" 


10' 
40' 
1  St.  30' 


Kontrolle: 

Eaninchenblut    1  Öse 
Kaninchenseram  5  öaen 


r  10'  15" 

1  St.  15' 
1  St.  30' 


ff 

.91 
tf 

fi 

if 
if 


I» 

t9 
9f 


«      i 


Ehrytbrozyt. 


99 
ff 


Das  Ergebnis  aller  unserer  Beobachtungen  ist  in  Tabelle  ^ 
zusammengefaßt.  . 

Tabelle  2. 


* 

Senim 

Blut 

Leukotoxie 

1         .  > 

Serum 

Blut 

Leukotoxie 

£ani]ichen 

Ratte- 

0 

Gans 

Mensch 

0 

m 

Menach 

0 

Frosch 

Kaninchen 

0 

R 

Meerschwein- 

0 

n 

Ratte 

.      0 

chen 

H 

Mensch 

0 

Ratte 

Kaninchen 

0 

*t 

Meerschwein- 

0 

Hund    ' 

Kaninohen, 

0 

## 

chen 

- 

n 

Ratte 

0 

« 

Salamander*) 

0 

T) 

Mensch 

0 

Salamander 

Kaninchen 

0 

Hndn 

Kaninchen 

0 

1»  . 

Ratte 

0 

■» 

Ratte  > 

0 

j» 

Mensch 

0 

Menich 

0 

it 

Meerschwein- 

0      • 

n 

Hnnd 

•;+ .    . 

chen 

Ganp 

Kaninchen 

0 

n 

Frosch*) 

0 

n 

Ratte 

0 

• 

Unter  den  von  uns  .  untersuchten .  Sera  losen  einzelne  die 
Erythrozyten  der  Blutarfen,  mit  welchen  sie  zusammengebracht 
worden,  auf,  andere  nicht.     Das  einzige   Beispiel  für  ein  natür- 


*)  Beohachtnngen  hei  Zimmertemperatur. 


336  XIX.  Chbistiav 

liches  Leukotoxin  fanden  wir  im  Huhnseram  gegenüber  den  weißen 
Blntzellen  des  Hnndes.  Wir  haben  dies  natürlich  genan  ver- 
folgt nnd  haben  z.  B.  wiederholt  Hnhnsernm  mit  anderen  Arten 
von  Lenko^ten  zusammengebracht:  nie  fanden  wir,  daß  andei-e 
Blntzellen  als  die  des  Hundes  geschädigt  wurden. 

Daraus  geht  die  relativ  große  Seltenheit  der  natürlichen  Leukor 
toxine  hervor:  zwischen  Hämolysinen  und  Lenkotoxinen  scheint 
keine  direkte  Beziehung  zu  bestehen.^) 

Zum  Studium  der  künstlich  erzeugten  Leukotoxine  behandelten 
wir  Kaninchen  intraperitoneal  mit  einer  Emulsion  von  Rattenmilz 
in  0,9  proz.  Kochsalzlösung.  Jedes  Kaninchen  eit*hielt  V«  Milz.  Da- 
durch wurde  das  Kaninchenserum  für  die  Leukozyten  der  Ratte 
toxisch,  wie  folgendes  Beispiel  zeigt: 

Tabelle  3. 

Rattenblut  1  Ose  / 

Kaninchensenm  A  4  ÖsenV  *'  ^^'  ^'^'^7*^''  unbeweglich 

** 

Rattenblnt  1  Ose    /  5'  Leakovyten  beweglich 

Normales  Kaninohensemm    4  ÖsenX  1  St.  30'  „ 

Während  zweier  Monate  erhielten  Kaninchen  je  8  solcher  In- 
jektionen in  unregelmäßigen  Zeiträumen.  Ihr  Serum  hob  dann  in 
der  Verdünnung  1:1  die  Beweglichkeit  der  Rattenleukozyten  sofort 
auf.  In  diesen  und  selbst  in  stärkeren  Lösungen  zeigten  die  ge- 
lähmten weißen  Blutzellen  selbst  nach  20  stündigem  Aufenthalt 
keine  Spur  einer  Auflösung;  sie  erschienen  höchstens  ein  wenig 
gequollen  und  etwas  weniger  granuliert  als  im  Anfang. 

Diese  leukotoxischen  Kaninchensera  waren  gleichzeitig,  wie 
eingehende  quantitative  Versuche  erwiesen,  in  hohem  Grade  hämo- 
lysierend  geworden. 

Das  gleiche  Ergebnis  bezüglich  der  Leukozyten  und  Erythro- 
zyten erzielten  wir  mit  dem  Serum  von  Ratten,  welche  mit  Kaniuchen- 
milz  behandelt  wurden. 

Da  die  Milz  doch  wahrscheinlich  in  irgendwelcher  Beziehung 
zum  Blutleben  steht,  könnte  man  vermuten,  daß  die  durch  Milz- 
iqjektion  erzeugten  Veränderungen  in  diesem  Sinne  spezifisch  sind^ 
daß  dieselben  lediglich  nach  Injektion  von  hämatopoetischen  Organen 
entstehen.  Wir  haben  deswegen  Kaninchen  auch  mit  Injektionen 
von  Lebersubstanz  behandelt,  indem  wir  ihnen  etwa  die  gleiche 


1)  Vgl.  die  Angabeii  von  Neisser  und  Wechsberg,   I.  c.  über  Lenko- 
zidin  und  Hämolysin  der  Staphylokokken. 


£inige  Beobachtangen  über  natttriiche  und  künstlich  erzengte  Lenkotoxine.    337 

Menge  davon  gaben,,  wie  bei  den  vorhergenannten  Einspritzungen 
Milz  verabreicht  worden  war.  Das  so  gewonnene  Sei*am  zeigte 
die  gleichen  leukotoxischen  und  hämolytischen  Eigenschaften.  Irgend- 
welche sichtbare  quantitative  Unterschiede  zwischen  diesen  beiden 
Arten  von  Sera  haben  wir  nicht  auffinden  können.  Auch  das  durch 
Einspritzung  von  Nierenemulsion  gewonnene  Serum  wirkte  genau 
in  der  gleichen  Weise  und  Sttrke. 

Um  dem  Einwand  zu  begegnen,  daß  das  mit  den  Organen  ein- 
gespritzte Blut  die  Entstehung  der  Leukotoxine  zur  Folge  habe, 
haben  wir  noch  die  Nieren  entbluteter  Ratten  von  der  Arterie  aus 
mit  0,9proz»  Kochsalzlösung  so  lange  durchgespült,  bis  das  ganze 
Organ  blaßgrau  aussah,  so  daß  es  sicher  kein  Blut  mehr  enthielt 
Wir  wählten  zu  diesem  Versuche  Nieren,  weil  bei  diesen  das  Frei- 
sein von  Blut  am  leichtesten  zu  erreichen  ist.  Mit  einer  halben 
solchen  Niere  in  Emulsion  wurden  dann  Kaninchen  behandelt  und 
zwar  erhielt  jedes  Tier  4  solche  Injektionen  innerhalb  von  6  Wochen. 
4  Tage  nach  der  letzten  Injektion  wurden  die  Tiere  getötet  und 
entblutet.  Das  Serum  derselben  war  dann  ebenfalls  leukotoxisch 
wie  das  der  oben  erwähnten  Tiere.  Ebenso  wirkte  es  hämolytisch. 

Nach  Abschluß  dieser  Beobachtungen  veröffentlichte  P  e  a  r  c  e  *) 
eine  Arbeit  über  Nephrotoxine.  Er  stellte  nephrotoxisches  Serum 
her  genau  in  der  gleichen  Weise  wie  wir.  Dieses  Serum  war 
gleichzeitig  hämolytisch  und  Pearce  beschreibt  dies  als  einen 
Beweis  dafür,  daß  ein  in  dieser  Weise  entblutetes  und  gewaschenes 
.Organ  die  Produktion  von  zytotoxischem  Serum  hervorruft.  Ahn- 
liche Ergebnisse  erzielte  er  durch  Einspritzung  von  gewaschener 
Leber. 

Diese  Beobachtungen  stimmen  gut  ttberein  mit  denjenigen  von 
Moxter*)  und  v.  .Dungern*):  die  Injektion  von  blutfreien  Zellen 
(Spermatozoen,  Flimmerepithelien)  führte  zur  Entstehung  eines 
Serums,  welches  toxisch  für  die  genannten  Zellen  und  zugleich 
hämolytisch  war. 

Kaninchen,  welche  mit  gewaschenen  roten  Blutkörperchen 
oder  mit  zellfreiem  Blutserum  der  Ratte  in  genau  der  gleichen 
Weise  wie  oben  erwähnt  behandelt  waren,  bekamen  kein  leuko- 
toxisches  Serum. 


1)  Pearce,  üniversity  of  Pennsylvania  Med.  Bull.  XVI  1903  S.  217. 

2)  Moxter,  Deutsche  med.  Wochenscbr.  1900  S.  61. 

3)  V.  Düngern,  Mtinchener  med.  Wochenscbr.  1899  S.  1228. 


338  ^KI^'    CHBISTIAfr 

Beispiel: 


lUitejiblot  1  Öse 


1(V        .Lidvkoeytcp  beweglich 
18' 


KftDiacb9a8erom  O    5  0«en  i  t  oi  " 

1  öt  „ 

1  St.  20'  „ 

KaoinchMi  C  ist  mit  sellfreiem  BlntMiniii  der  Bette  beheodelt 

5^  Leukozyten  beweglich 

20' 


Betteoblat  I  Öse 

Knoincbenserum  J)    5  Ösen 


1  St.  15' 


Kaninehen  D  ist  mit  gewaschenen  roten  Blatk9rperchen  der  Batte 
behandelt. 

Es  ist  also  erwiesen,  daff  lenkotoxisches  Serum  durch  die  Id- 
jektlon  von  Milz,  Leber  oder  Niere  erzeugt  werden  kann.  Keines- 
falls hängt  dies  zusammen  mit  der  Einspritzung  von  Blut  oder 
Blutkörperchen,  sondem  die  Zellen  der  Organe  selbst  sind  das 
Maßgebende  für  die  Bildung  der  Leukotoxine.  Mit  anderen  Worten: 
leukotoxisches  Serum  ist  nicht  in  dem  Sinne  spezifisch,  daß  es  nnr 
mit  Hilfe  der  Zellen  des  Blutes  oder  der  blutbildenden  Organe  erzeugt 
werden  kann.  Sondern  es  vermag  auch  zu  entstehen  durch  die 
Einwirkung  von  Zellen  gänzlich  anderer  Art  und  Funktion,  sowie 
völlig  anderen  Ursprungs.  Eine  Spezifität  würde  nur  in  dem  Ehr- 
lich'sehen  Sinne  gemeinsamer  Atomgruppen  vorstellbar  sein. 

Bezüglich  des  Verhaltens  gegen  Leukozyten  anderer  Herkunft 
als  von  der  Spezies,  mit  deren  Organen  die  Behandlung  vorgenommen 
worden  war,  ist  es  bei  den  Leukotoxinen  gerade  wie  bei  den  Hämo- 
lysinen: sie  wirken,  nur  gegen  die  weißen  Blutzellen  der  ganz  be- 
stimmten zur  Vorbehandlung  benutzten  Tierart. 

Das  steht  in  voUkonimener  Übereinstimmung  mit  den  Erfah- 
rungen von  Metschnikoff^)  und  Besredka*).  Indessen  einzelne 
Ausnahmen  fanden  diese  Forscher  ebenso  wie  wir.  Z.  B.  sahen  wir 
das  Serum  eines  für  Rinderblut  leukotoxisch  gemachten  Meerschwein- 
chens auch  giftig  gegen  die  weißen  Blutzellen  des  Kaninchens  wirken. 
Pieser  Punkt  ist  völlig  analog  den  Beziehungen  der  Hämolyse. 
Auch  an  den  Leukotoxinen  also  erweisen  sich  wieder  die  von  Ehr- 
lieh  und  Morgenrotb  betonten  Beziehungen  als  richtig.  Zellen, 
die  sich  morphologisch  und  funktionell  so  außerordentlich  nahe 
stehen  wie  die  Leukozyten  verschiedener  Säugetierspezies,  sind  in 
dieser  chemischen  Beziehung,  eben  gewissen  Toxinen  gegenüber, 


1)  Metschnikoff,  Annales  Paateur  13  1899  S.  760. 

2)  Besredka,  Annales  Pasteur  14  1900  S.  390. 


Eini^  Beobacbtongen  über  natürlicbe  und  künstlicb  erzengte  Lenkotoxine.  339 

viel  weiter  voneinander  entfernt  als  von  Zellen  der  Epithelgrappe, 
welche  funktionell  nnd  genetisch  nicht  das  geringste  mit  ihnen 
zu  tnn  haben,  die  aber  von  einer  bestimmten  Tierart  stammen. 

Die  Vorstellungen  der  Ehrlich'schen  Theorie  wüi'den,  wie 
bekannt,  gerade  auch  diese  Erscheinungen  erklären. 

Die  Lenkotoxine  werden  ebenso  wie  die  Hämolysine  durch 
halbstündige  Erwärmung  auf  55  ^  verstört  Ebenso  leiden  sie,  wenn 
sie  längere  Zeit  aufbewahrt  werden,  man  mn£  also  mit  frischem 
Serum  arbeitei^  Dfß  Möglichkeit  eifies  weiteren  Irrtums  liegt 
darin,  daß  Bakterien,  welche  in  einem  aufbewahrten  Serum  wachsen, 
LeukotoKine  eraseHgefi.  Die  bakteriell,  speziell  die  durch  den  Staphy- 
lococcus  aureus  erzeugten  Lenkotoxine  sind  von  Van  de  Velde^), 
BaiP)  und  anderen  studiert  wordep,  Sie  werden  auch  durch  die 
Mikroorganismen  der  gewöhnlic)ieu  Fäulnis  erzeugt  und  sind  natflr- 
lich  sehr  leicht  imstande  Versuche  wie  die  meinigen  zu  stören. 

Natürliehe  und  erworbiene  Hämolysine  kommen  also  vor  ohne 
4afi  das  betreffende  Serum  zugleich  leukotoxisch  ist.  Dagegen 
kpnnten  wir  nie  ein  leukotoxisches  Serum  beobachten,  welches  nicht 
nugleieh  hämolytisch  gewesen  wäre.  Das  ist  sehr  hinderlich  f&r 
die  Ausführung  des  anfangs  angeführten  Gedankens:  jedes  leukor 
toxische  Serum,  welches  wir  flir  das  Studium  der  Gerinnung  ver^ 
wenden  wollten,  wflrde  gleichzeitig  Hämolyse  hervorrufen. 


X)  Yan  4e  Vel4e,  L^i  cellale  10  S.  403. 
2)  Bail,  Archiv  f.  Hygiene  30,  1897  ß.  248. 


XX. 

Aus  der  medizin.  Klinik  in  Ttibingen. 

Über  die  gerinnnngshemmende  Wirknng  des  Eobragifte& 

Von 

Dr.  F.  MorawitZy 

Ässistensarzt  der  Klinik. 

In  einer  früheren  Mitteilang  (1)  haben  wir  zu  zeigen  yersncht, 
daß  die  Entstehung  des  Fibrinfermentes  ein  komplizierterer  Vor^ 
gang  ist,  als  man  früher  anzunehmen  geneigt  war.  Es  hatte  sich 
herausgestellt,  daß  das  Fibrinferment  nicht,  wie  man  bisher  meint^ 
aus  einem  einheitlichen  Proferment  unter  Einwirkung  von  Kalksalzen 
entsteht  söndei-n  daß  zwei  verschiedene  und  voneinander  wohl  zn 
trennende  Substanzen  dem  Begriff  des  Profermentes  im  Sinne  von 
Arthus(2)  und  Pekelharing(3)  entsprechen;  diese  Substanzen 
können  nur  unt^r  Einwirkung  von  Kalziumionen  miteinander  rea- 
gieren und  das  aktive  Thrombin  bilden.  Für  die  unwirksamen 
Vorstufen  des  Fibrinfermentes  haben  wir  vorläufig  die  Bezeichnung 
Thrombogen  und  Thrombokinase  vorgeschlagen,  indem  wir  an- 
nehmen, daß  das  erstere  wenigstens  zum  Teil  dem  Proferment, 
letzteres  wahrscheinlich  teilweise  den  zymoplastischen  Substanzen 
Alexander  Schmidt's(4)  entspricht. 

Seitdem  eine  Trennung  der  beiden  Vorstufen  des  Fibrinfer- 
mentes mit  Sicherheit  durchgeführt  worden  ist,  kann  man  mit 
mehr  Aussicht  auf  Erfolg  als  bisher  daran  gehen  den  Mechanis- 
mus zu  untersuchen,  welcher  die  Wirkung  verschiedener  gerin- 
nungshemmender Agentien  bedingt. 

Bereits  bei  Gelegenheit  der  Besprechung  der  Antifibrinfermente, 
die  im  Blutegelextrakt  und  in  dem  durch  Peptoninjektionen  er- 
haltenen ungerinnbaren  Blute  sich  finden,  wurde  ausführlicher  er- 
örtert, daß  man  es  in  diesen  Fällen  mit  Körpern  zu  tun  hat,  die 
ihre  Wirkung  gegen  das  fertige  Fibrinferment  und  vielleicht  das 
Thrombogen,  nicht  aber  gegen  die  Thrombokinase  richten  (5).  Auf 


über  die  gerinnnngBbemmende  Wirkung  des  Kobragiftes.  341- 

aüderiBm  Wege  sind  Fnld  und  Spiro  (6)  ebenfalls  zu  der  An- 
schauung gelangt,  daß  ein  Neutralisationsverhältnis  zwischen  diesen 
Antikörpern  und  dem  Zytozym  (=  Thrombokinase)  nicht  besteht. 

Nun  kennt  man  jedoch  noch  eine  große  Reihe  anderer  Sub* 
stanzen,  die  ebenfalls  die  Gerinnung  des  Blutes  in  spezifischer 
Weise  hemmen  oder  verhindern;  es  war  zu  erwarten,  daß  der 
Mechanismus  der  Hemmung  nicht  in  allen  Fällen  der  gleiche  sein 
würde.  Ein  Anfang:  in  der  Untersuchung  verschiedener  Plas- 
mata  nach  dieser  Richtung  ist  kfirzlich  auf  unserer  Klinik  von 
Boggs  (7)  gemacht  worden.  Er  stellte  nämlich  fest,  daß  das 
durch  Injektion  von  Gewebssaft,  also  Kinase,  erhaltene  unge- 
rinnbare Blut  sicher  kein  Antithrombin,  vielleicht  aber  eine 
Antikinase  enthält,  oder  daß  die  Reaktion  zwischen  dem  Throm- 
hogen  und  der  Kinase  behindert  ist.  Häufig  beobachtet  man  nach 
Injektion  von  Gewebssaft,  besonders  wenn  größere  Mengen  in  An- 
wendung kommen,  intravaskuläre  Thrombosen,  während  das  übrige 
Blut  ungerinnbar  ist,  wie  man  das  bereits  durch  die  Versuche  von 
Wooldridge(8),  Wright(9)  und  Groth(lO)  wußte. 

Im  Anschluß  an  diese  Beobachtungen  erschien  es  wünschenswert 
die  Ursachen  der  gerinnungshemmenden  Wirkung  des  Schlangen- 
giftes auf  das  Blut  zu  untersuchen,  da  in  der  Literatur  einige 
Beobachtungen  vorlagen,  die  auf  ziemlich  weitgehende  Analogien 
zwischen  der  Wirkung  der  Gewebssäfte  und  der  Schlangengifte  auf 
die  Blutgerinnung  hinwiesen. 

Daß  das  Blut  von  Tieren,  die  durch  Schlangenbiß  zugrunde  ge- 
gangen waren,  zuweilen  ungerinnbar  ist,  scheint  eine  sehr  alte 
Erfahrung  zu  sein,  auf  die  bereits  Fontana (11)  hinweist.  Da- 
gegen sind  systematische  Untersuchungen  über  die  Ursachen  dieses 
Phänomens  erst  in  recht  geringer  Zahl  angestellt  worden.  Brai- 
nard(12)  und  Weir-Mitchell(13)  bestätigten  die  Beobachtung 
von  Fontana(ll)  und  machten  darauf  aufmerksam,  daß  eine  Ge- 
rinnungshemmung nach  Injektion  von  Schlangengift  nur  dann  zu 
beobachten  ist,  wenn  das  Gift  Gelegenheit  hat  sich  ausgiebig  mit 
dem  Blute  zu  mischen,  während  sich  bei  Tieren,  die  unmittelbar 
nach  der  Injektion  gestorben  sind,  intravaskuläre  Thrombosen 
finden.  Halford(14)  fand  nach  Injektion  des  Giftes  mehrerer 
australischer  Schlangen  Gerinnungshemmung. 

Ausführlicher  haben  sich  mit  dem  Problem  Heidenschild  (15), 
Martin (16),  und  Stephens  und  Myers(17)  beschäftigt. 

Heidenschild  (15j,  der  unter  Alexander  Schmidt 
arbeitete,  glaubte  die  Ungerinnbarkeit  des  Blutes  nach  Injektion 


942  ^^^  Mcmiirv»» 

iet  Gifte  Yon  Naja  und  Crertaltts  gemalt  der'  Theorie  8(chmidt's 
dadurch  erklftren  zu  kiyimen,  daß  Rtfter  EiowirkuBg  dei»  Giftes  iää 
Protoplasma  der  Lenkozytes  seine  Spaltbarkeit  verliert^  wfthrend 
das  Blutplasma  selbst  noch  (fkhig  ist  ans  normalefn  Protoplasma 
Fibrmferment  abzuspalten,  da  Zusatz  normaler  Leukozyten  datf 
durch  Schlangengiftinjektionen  uvgerinnbar  gewordene  Blutplasma 
schnell  koaguliert  Diese  Aiföfuhrungen  scheint  Alexander 
Schmidt  späterhin,  nachdem  er  seine  Theorie  der  BIutgerinnuD^ 
weiter  ausgebaut  hatte,  nicht  inehr  für  ausreichend  gehalten  tU 
haben,  da  er  am  Schluß  seiner  letzten  zusammenfassenden  Dar- 
stellung des  GerinnungsTorganges  die  Vermutung  ausspricht^  däft 
das  Schlangengift  nach  Art  des  von  ihm  gefundenen  gerinnungs^- 
hemmenden  Zytoglobin  wirken  möchte.  Schmidt  war  jedocM 
nicht  mehr  in  der  Lage  hierüber  weitere  Untersuchungen  anz«- 
stellen. 

Die  ausführlichste  Studie  (iber  den  Einfluß  von  Schlang^fngift 
auf  die  Blutgerinnung  stammt  yon  Martin  (16).  Er  untersuchte 
das  Gift  der  australischen  Gattung  Pseudechis  porphyracens  und 
fand  dabei  eine  sehr  merkwürdige  und  bis  in  die  Einzelheiten 
gehende  Analogie  mit  der  Wirkung  der  Gewebssäfte  (Wool- 
dridge's  Gewebsfibrinogen).  Die  Wirkungen,  die  Martin  durch 
Injektion  dieses  Giftes  erzielte,  ähneln  durchaus  denen,  die  Wool* 
dridge,  Boggs  etc.  nach  Injektion  von  Thrombokinase  in  die 
Blutbahn  beobachtet  hatten.  Es  fand  sich  also  zunächst  eine  posi- 
tive Phase  der  Gerinnung,  die  häu^g  zu  ausgedehnten  Thrombosen 
führte,  dann  folgte  eine  negative,  in  der  das  Blut  ungerinnbar  war^ 
jedoch  auf  Zusatz  von  Fibrinferment,  Gewebssaft,  Verdünnen  mit 
Wasser,  Durchleiten  von  CO^  und  zuweilen  auf  Zusatz  von  Chlor- 
kalzium noch  gerann.  In  vitro  hatte  das  Gift  einen  etwas  ver- 
zögernden Einfluß  auf  die  Gerinnung  und  es  bildeten  sich  nur 
lockere  Gerinnsel,  während  Weir-Mitchell  und  Eeichert(18) 
durch  Auffangen  von  Blut  in  einer  starken  Lösung  von  Klapper* 
Schlangengift  die  Gerinnung  vollständig  aufheben  konnten.  Mar- 
tin glaubt  nicht,  daß  das  Gift  durch  einen  G^ehalt  an  Gewebs- 
fibrinogen oder  Nukleoalbumin  (=  Thrombokinase)  diese  Wirkungen 
hervorruft,  sondern  spricht  die  Vermutung  aus,  daß  vielleicht  durch 
die  Hämolyse,  welche  unter  der  Einwirkung  des  Giftes  stattfindet, 
Nukleoalbumin  aus  den  Blutzellen  in  Freiheit  gesetzt  wird.  Daher 
also  die  große  Ähnlichkeit  mit  den  Erscheinungen  nach  Injektia» 
von  Gewebssaft. 

Endlich  haben  Stephens  und  Myers(17)  auch  der  extra- 


über  die  gerinnimgsliemmeBdd  Wirkiiiig  des  Eobragiftes.  343 

väsknlSren  Wirkung  des  Eobragiftes-  auf  die  Blatgeriimung  ihrer 
Avftaierkaaakeit  zugewandt  Sie  fanden^  daA  Eobragift  in  vitro 
die  G^innHug  de»  Bltttes  verhindern  und  da&  diese  Hemnrairg 
dwch  vorherige  Misehnng  des  Giftes  mit  Calmette'sehem  Gift- 
imBumsenm  aufgehoben  werden  kann. 

Da  die  neizere  Anscbaanng  über  die  Entstehung  des  Fibrin* 
fermentes  dureh  das  Zusammenwirken  mehrerer  Faktoren  eine 
weitergehende  Aufklärung  der  gerinnungshemmenden  Wirkung  des 
Schlangengiftes  in  Aussieht  stellte^  unternahm  ich  es  zu  unter* 
siiehen,  wie  man  sich  den  Mechanismus  der  Wirkung  des  Schlangen«* 
giftes  vorzQStellen  hat^  reiq>.  ob  das  Schlangengift  auf  das  Fibri* 
nogen,  das  Fibrinferment  oder  nur  auf  die  eine  oder  andere  Vor* 
stufe  desselben  wirkt,  femer  ob  di&  gerinnungshemmende  Wirkung 
des  Schlangengiftes  eine  direkte  ist,  oder  ob  sie  eine  vitale  Eeak- 
tieii  des  Organismus  erfordei^t. 

Durch  das  freundliche  Entgegenkommen  von  Herrn  Geheimrat 
Ehrlich  und  Herrn  Professor  Calmette  war  ich  in  der  Lage 
ober  eine  größere  Menge  Kobragift  zu  disponieren.  Beiden  Herren 
sei  an  dieser  Stelle  bestens  gedankt. 

Lb  folgenden  sollen  unsere  Erfahrungen  über  die  gerinnungs- 
hemmende Wirkung  des  Kobragiftes  kurz  dargelegt  werden.  Man 
wird  sich  dabei  erinnern  müssen,  daß  die  Wirkung  der  Gifte  ver- 
schiedener Schlangen  auf  die  Blatgerinnung  nicht  gleich  intensiv^ 
vielleicht  auch  in  ihrem  Prinzip  verschieden  ist,  wodurch  sich  viel-- 
leicht  manche  Widersprüche  erklären. 

A.  Einfluß  von  Kobragift  auf  die  Gerinnbarkeit  des 
Blutes  bei  intravenöser  Injektion. 

Es  wurden  im  ganzen  8  Versuche,  6  an  Kaninchen  und  2  an 
Hunden,  angestellt,  die  im  wesentlichen  die  gleichen  Resultate 
gaben. 

.  Zur  Verwendung   kam   eine   1  %   Lösung  von  Kobragift  iu 
physiologischer  Kochsalzlösung. 

Die  Kaninchen  erhielten  pro  Kilo  0,01,  die  Hunde  0,0075  g 
Öift 

Die  Tiere  starben  entweder  unmittelbar  oder  wenige  Minuten 
nach  der  Injektion  des  Giftes  an  Atemlähmung. 

Das  aus  der  Karotis  entleerte  oder  aus  der  Vena  cava  nach, 
dem  Tode  mittels  Aspiration  gewonnene  Blut  war  in  allen  Fällen 
ungeiinnbar,  falls  man  so  lange  gewartet  hatte,  daß  eine  gleich- 
njäßigje  Verteilung  des  Giftes  im  Kreislauf  angenommen  werden 


344  XX.  MoBAwrrz 

konnte.  Unmittelbar  nach  der  Injektion  war  das  aus  der  Karotis 
eines  Hundes  entleerte  Blut  noch  gerinnbar,  zeigte  aber  keine  be- 
schleunigte Gerinnung,  also  keine  positive  Phase,  wie  man  sie 
nach  Injektion  von  Gewebssaft  sehen  kann,  was  mit  den  Angaben 
von  Heidenschild(15)  übereinstimmt,  der  eine  positive  Phase 
nur  in  wenigen  Fällen  nachweisen  konnte.  Thrombosen,  wie 
Martin (16)  sie  nach  Injektion  des  Giftes  von  Pseudechis  häufig 
sah,  wurden  nie  gefunden.  Auch  Ragotzi(19)  konnte  nach  In- 
jektion von  Kobragift  nur  kleinste  Thrombosen  in  den  Lungen- 
gefäßen mit  Hilfe  der  Fil ebne' sehen  Selbstfärbemethode  nach- 
weisen, während  Vollmer (20)  die  Thrombosen  vermißte. 

Das  entleerte  Blut  zeigte  bei  Hund  und  Kaninchen  insofern 
eine  wesentliche  Differenz,  als  im  Hundeblut  sich  schon  im  Kreis- 
laufe eine  außerordentlich  intensive  Hämoljnse  geltend  machte. 
Demgemäß  war  das  zentrifugierte  Hundepiasma  tief  dunkelrot  ge- 
färbt, während  beim  Kaninchen  die  Hämolyse  nur  geringfügig 
war.  In  einigen  Fällen  war  das  Plasma  kaum  spurenweise  rot 
gefärbt.  Diese  Beobachtung,  die  mit  den  Versuchen  von 
K  y  e  s  (21)  über  die  Hämolyse  durch  Kobragift  gut  übereinstimmt, 
zeigt  jedenfalls,  daß  die  Hämolyse  nicht  etwa  die  Ursache  der 
Ungerinnbarkeit  ist  und  maa  also  nicht  annehmen  kann,  daß  durch 
Zerstörung  geformter  Elemente  gerinnungshemmende  Substanzen 
in  das  Plasma  übergetreten  seien.  Er  würde  das  auch  nicht  mit 
der  Erfahrung  übereinstimmen,  daß  Gifte,  die  geformte  Elemente 
zerstören,  zu  ein^  Verkürzung,  nicht  aber  zu  einer  Verlängerung 
der  Gerinnungszeit  führen. 

Auffallend  war,  daß  das  aus  der  Vena  cava  in  die  Bauchhöhle 
entleerte  Blut  im  Gegensatz  zu  dem  direkt  aus  den  Gefäßen  ent- 
nommenen schnell,  aber  locker  gerann.  Wir  hatten  Gelegenheit 
etwas  Ähnliches  schon  früher  zu  beobachten.  Das  in  die  Bauch- 
höhle entleerte  Blut  gerinnt  stets  ganz  außerordentlich  schnell,  wie 
man  es  sonst  nur  beim  Vogel  oder  bei  Zusatz  von  Gewebssaft,  also 
von  Thrombokinase,  beobachtet.  Trotzdem  enthält  die  Bauchhöhle 
keine  nachweisbare  Menge  von  Thrombokinase;  denn  Gansplasma, 
das  vorsichtig  in  die  Bauchhöhle  eines  eben  gestorbenen  Hundes 
gebracht  wird,  bleibt  längere  Zeit  flüssig,  obwohl  es  durch  Ge- 
webssaft vom  Hunde  sehr  schnell  zur  Gerinnung  gebracht  wird. 
Man  wird  daher  annehmen  müssen,  daß  von  den  Endothelien  der 
Bauchhöhle  oder  der  Gewebsflüssigkeit  ein  uns  noch  unbekannter 
spezifischer  Einfluß  ausgeht,  der  entweder  die  Abgabe  des  Fibrin- 
fermentes und   seiner  Vorstufen   resp.   die  Entstehung  desselben 


über  die  gerinnnngfsliflmiiieiide  Wirkung  des  Kobragiftes.  346 

eder  seine  Wirkiing  auf  das  Fibrinogen  begünstigt.  Man  hat  An- 
ludtBininkte  dafnr,  daß  das  Zusammenwirken  des  Thrombogens,  der 
Tbrombokinase  und  der  Kalksalze  eines  mechanischen  oder  chemi-* 
sehen  Anstoßes  bedarf.  So  haben  Bordet  und  Gengou(22)  ge- 
gesteigt^  daß  YoUkommen  zellenfreies  Plasma,  das  durch  Zentri- 
Aigieren  in  paraffinierten  Röhren  gewonnen  wurde,  beim  Ausgießen 
in  ein  Beagensglas  in  Berähmng  mit  den  Glaswänden  sehr  schnell 
gerinnt,  während  es  im  paraffinierten  Gefäß  lange  Zeit  flüssig 
bleiben  kann.  Femer  haben  wir  nachweisen  können,  daß  die 
Hauptursache  der  Ungerinnbarkeit  des  Peptonplasmas  darauf  be^ 
ruht,  daß  das  Zusammenwirken  der  Fermentbildner,  die  im  Pepton* 
piasma  sich  vorfinden,  aus  noch  unbekannten  Gründen  behindert 
ist  Nun  konnten  wir  aber  2  mal  sehen,  daß  bei  einer  schwachen 
Peptonyergiftung  das  in  die  Bauchhöhle  entleerte  Blut  schnefl 
koagulierte,  während  das  aus  dem  Gefäß  entnommene  Blut  über 
24  Stunden  flüssig  blieb.  Daher  ist  es  wahrscheinlich,  daß  die  Wir** 
kung  der  Endothelien  der  Bauch-  und  Brusthöhle  resp.  der  Ge-- 
websflüssigkeit  sich  in  dem  Sinne  geltend  macht,  daß  es  die  Ent- 
stehung des  Fibrinfermentes  aus  seinen  Vorstufen  begünstigt. 

Daß  die  Peritonealhöhle  nicht  etwa  Kinase  enthält,  kann  man 
schon  daraus  ersehen,  daß  Aszitesflüssigkeiten,  die  nach  der  Punk^ 
tion  mehrere  Tage  vollkommen  flüssig  blieben,  auf  Zusatz  von  Ki- 
nase, wie  wir  gesehen  haben,  sehr  häufig  in  kurzer  Zeit  (etwa 
V)  Stunde)  gerinnen.  Sie  enthalten  also  Thrombogen,  wenn  auch 
nicht  in  sehr  bedeutender  Menge,  und  Fibrinogen  sowie  Kalksalze. 
Zur  spontanen  Gerinnung  fehlt  also  nur  die  Kinase.  Dagegen  ist 
es  auffallend  und  mit  unserer  bisherigen  Kenntnis  von  der  Wir- 
kung der  Endothelien  nicht  recht  in  Einklang  zu  bringen,  daß  zu- 
weilen entzündliche  pleuritische  Exsudate,  die  außerhalb  des  Körpers 
ziemlich  schnell  Gerinnsel  bilden,  also  sowohl  Trombogen  als  Ki- 
nase enthalten,  innerhalb  der  Pleurahöhle  flüssig  bleiben. 

Übrigens  gibt  es  auch  Ergüsse,  die  trotz  Anwesenheit  von 
Fibrinogen  nicht  schon  auf  Zusatz  von  Kinase,  sondern  erst  unter 
Einwirkung  von  Fibrinferment  gerinnen.  Es  fehlt  ihnen  also  auch 
das  Thrombogen  und  gerade  darin  liegt  u.  E.  ein  wichtiger  Hin- 
weis darauf^  daß  auch  das  Thrombogen  nicht  schon  im  zirkulie- 
renden Plasma  gelöst  sich  findet 

Die  Untersuchung  des  durch  Injektion  von  Schlangengift  ge^ 
wonnenen  ungerinnbaren  Plasmas  führte  nicht  zu  ganz  eindeutigen 
Resultaten,  obwohl  im  wesentlichen  die  Beobachtungen  von  Mar- 
tin (16)  und  Heidenschild (15)  bestätigt  werden  konnten. 

Deatsches  Archiv  f.  klin.  Medizin.    LXXX.  Bd.  28 


346  XX.    MORAWITZ 

Bas  Eobragiftblnt  gerann  in  manchen  Fällen  spontan.  Doch 
^aren  die  Gerinnungen  meistens  nur  partiell  und  sehr  locker. 
Einige  Male  konnte  man  eine  beginnende  Gerinnung  an  der  Ob^r- 
€äche  der  Flüssigkeit  beobachten,  während  die  tieferen  Schichten 
dttssig  blieben.  Auch  das  abgeschleuderte  Plasma  gerann  bis- 
weilen noch  nach  ein  oder  mehreren  Tagen. 

Das  Kobragiftplasroa  zeigt  in  mancher  Beziehung  Analogieen 
mit  dem  Peptonplasma. 

Es  gerinnt  wie  dieses  regelmäßig  auf  Znsatz  von  Gewebssaft 
also  Kinase,  jedoch  nicht  immer  gleich  schnell  und  im  ganzen 
nicht  so  prompt  wie  Peptonplasma.  Auf  Zusatz  geringer  Mengen 
von  Gewebssaft  erfolgen  zuweilen  sogar  nur  sehr  träge  fortschrei- 
tende, oft  sogar  partielle  Gerinnungen.  Durch  reichlichen  Zusatz 
ließ  sich  aber  in  allen  Fällen  ziemlich  schnelle  Gerinnung  erzielen. 
Durch  diesen  Versuch  wird  jedenfalls  dargetan,  daß  das  Kobragift- 
plasma Thrombogen  und  Fibrinogen  enthält,  die  Gerinnungshem- 
mung also  nicht  durch  Mangel  dieser  beiden  Faktoren  bedingt  ist 

Ferner  gerinnt  das  Kobragiftplasma  konstant  auf  Zusatz  von 
Serum,  also  Fibrinferment.  Hier  waren  die  Resultate  insofern  nicht 
ganz  eindeutig,  als  man  zuweilen  eine  deutliche  Verzögerang  der 
Gerinnung  gegenüber  der  einer  Fibrinogenlösung  bei  Anstellung 
quantitativer  Gerinnungsversuche  konstatieren  konnte.  Jedoch  war 
sie  keineswegs  immer  deutlich  nachzuweisen,  jedenfalls  würde  das 
Antithrombin,  dem  man  diese  Hemmung  zuschreiben  müßte,  nicht 
im  entferntesten  hinreichen  um  die  langsame  Wirkung  geringer 
Mengen  zugesetzten  Gewebssaftes  zu  erklären.  In  dieser  Hin- 
sicht entspricht  also  das'  Kobragiftplasma  nicht  dem  Peptonplasma, 
das  ein  sehr  wirksames  Antithrombin  enthält,  während  die  zu- 
weilen beobachtete  gerinnungsverzögernde  Wirkung  im  Kobragift- 
plasma vielleicht  auf  das  normalerweise  im  zirkulierenden  Blute 
beobachtete  Antithrombin  bezogen  werden  könnte. 

In  anderer  Hinsicht  näherte  sich  das  Giftplasma  wieder  dem 
Peptonplasma:  in  einigen  Fällen  gerann  es  nämlich  bei  Neutra- 
lisation mit  verdünnter  Essigsäure  und  beim  Verdünnen  mit  destil- 
liertem Wasser.  Jedoch  trat  diese  Erscheinung,  die  schon  von 
Martin  beobachtet  worden  ist,  ebenfalls  nicht  in  jedem  Falle  auf. 
Auch  erfolgten  die  Gerinnungen  langsamer  als  im  Peptonplasma 
und  die  auf  diese  Weise  zum  Gerinnen  gebrachten  Plasmata  koa- 
gulierten auch  langsam  spontan,  während  in  einigen  Fällen  (Hunde- 
plasma) eine  Gerionung  weder  nach  Wasserzusatz  noch  nach  Neu- 
tralisation mit  Essigsäure  zu  beobachten  war. 


über  die  gerinoungshemmende  Wirkung  des  Kobragiftes.  347 

Durch  Zusatz  Von  Ohlorkalziuin  konnte  keine  Gerinnung  mk* 
gelöst  werden. 

Faßt  man'  ^ie  hier  mitgeteilten  Resultate  der  Untersuchung 
4es  Giftplasmäs  kurz  zusammen,  so  ergibt  sich,  daß  man  auf  diesem 
Wege  zu  einer  vollständig  klaren  Vorstellung  über  die  Wirkung 
des  Kobragiftes  nicht  kommen  kann.  Denn  einerseits  besitzt  dieses 
Plasma  gewisse  Ähnlichkeiten  mit  dem  Peptonplasma,  andererseits 
wieder  unterscheidet  es  sich  von  demselben  durch  die  Abwesenheit 
eines  Antithrombin  in  größeren  Mengen  und  durch  die  nicht  ganz 
konstanten  Resultate,  die  man  mit  einigen  von  den  Mitteln  erhält,  die 
Peptonplasma  stets  in  kürziBSter  Zeit  koagulieren.  Voni  Gansplasma 
wiederum  unterscheidet  es  sich  dadurch,  daß  es  unter  Umständen 
aas  sich  heraus  zum  Gerinnen  gebracht  werden  kann  ohne  Zu- 
satz von  Kinase  oder  Ferment,  femer  durch  die  langsamere  resp. 
schwächere  Wirkung  der  Gewebssäfte. 

Am  meisten  Ähnlichkeit  schien  es  noch  mit  dem  Plasma  zu 
haben,  das  Boggs  durch  Injektion  von  Gewebssaft,  also  Kinase 
erhalten  und  als  „Kinaseplasma'^  bezeichnet  hatte.  Auch  dieseis 
Plasma  gerann  auf  Zusatz  geringer  Mengen  Serum  leicht,  während 
es  durch  Gewebssaft  viel  schwerer  koaguliert  wurde,  also  gerade 
umgekehrt  wie  Peptonplasma. 

Daher  lag  die  Möglichkeit  vor,  daß  die  Ungerinnbarkeit  des 
Plasmas  auch  bei  Injektion  von  Kobragift  von  einer  vitalen  Re- 
aktion des  Organismus  abhängig  wäre,  wie  es  ja  auch  Martin  für 
die  Wirkung  des  Giftes  von  Pseudechis  vermutet.  Daß  Kobragift 
auch  in  vitro  die  Gerinnung  verhindern  kann,  war  durch  die  Unter- 
suchungen von  Stephens  und  My er s  (17)  erwiesen.  Es  fragte 
sich  also  nur  darum,  ob  außerdem  noch  eine  vitale  Reaktion  des 
Organismus  bei  Injektion  des  Giftes  mitspielt  und  durch  was  für 
einen  Mechanismus  sich  die  gerinnungshemmende  Wirkung  und  die 
Eigentümlichkeiten  des  Giftplasmas  erklären  lassen. 

Darüber  konnten  künstliche  Gerinnungsversuche  Aufschluß 
geben. 

B.  Die  Wirkung  des  Kobragiftes  auf  die  Gerinnung 

des  Blutes  in  vitro. 

Nach  den  Angaben  der  Literatur,  besonders  den  Untersuchungen 
von  Stephens  und  Myers  (17)  war  anzunehmen,  daß  das  Kobra- 
gift auch  in  vitro  die  Gerinnung  mehr  oder  weniger  verzögert  oder 
vollständig  hemmt. 

Das  ist  in .  der  Tat  der  Fall.    Das  Kobragift  verhindert  die 

23* 


8i8  U. 

Gerim^inii;  des  anMfeSendea  Blntes  aowokl  beim  HMde  als  beim 
Kaninchen. 

Ifithia  enthiH  also  das  Kobragift  sdbsi  ein  geriimangs- 
hemmendes  PrinxiiK  Zum  ZostandekomsH^ii  der  Ongeiiiuibarkeit  des 
Bfait^  bei  £in  Ahrnag  des  Giftes  in  die  Zirkulation  ist  eine  vitale  Be> 
aktion  des  Organismnl  Qberfaanpt  nidit  erforderUdt  Man  kann  die» 
Bekasptnng  dorcb  mehrere  ErvSgvngtn  stfttsen.  Dean  erstens  ist 
fie  Konzentration  des  Giftes,  die  hinreicht,  nm  das  Blnt  in  vivo 
nnd  vitro  am  Gerinneü  zu  veririndem,  annftberd  dieselbe,  wie  fyl* 
gende  Bechnang  zeigt :  je  10  ocm  Kaninebenblnt  wurden  in  1,  Q^ 
0,25  com  nnd  2  Tropfen  einer  Iproi.  Ltenng  von  Kobragift  aaf« 
geüsngen.  Sämtliche  Proben  blieben  fliBsig,  aar  bei  der  lotsten 
zeigte  sich  in  einem  Falle  eine  kleine  Gerinnnng.  Der  Prozent? 
gehalt  an  Kobragift  beträgt  demnach  in  diesen  Proben  0,001, 0,0005» 
0,00025  nnd  0,0001  ®/o.  Injizieren  wir  aber  einem  Kaninchen  ytm 
etwa  2000  g  0,02  g  Gift,  so  wird,  wenn  man  die  Blntmenge  des 
Kaninchens  anf  200  ccm  schätat,  die  Konsentration  des  Giftes  in 
dem  Blut  etwa  ebenfalls  0,0001  %  3ift  betragen,  also  eine  Mengen 
die  auch  in  vitro  hinreicht,  um  die  Gerinnung  2m  veriiindem. 

Weiterhin  können  wir  unsere  Ansicht,  daß  keine  vitalen  Be« 
aktionen  die  Ungerinnbarkeit  des  Blutes  nach  GiftiQJektionen  be* 
dingen,  dnrch  folgende  Beobachtung  weiter  begrfindea:  das  in  Gift- 
lösung aufgefangene  Blut  verhält  sich  allen  Beagentien  gegenüber 
ähnlich,  wie  das  durch  intravitale  Iiyektion  gewonnene,  d.  h.  es  gOr 
rinnt  auf  Zusatz  von  6e webssaf t  und  Fibrinfennent,  bei  geringen  Giflr» 
kimzentrationen  auch  auf  Verdünnung  mit  Wasser  etc.  Jedoch  läßt 
sich  bei  Vergleich  der  Plasmata  mit  einem  verschiedenen  Gehalt  an 
Kobragift  schon  ohne  weiteres  feststellen,  daß  die  dnrch  Kinase 
bewirkten  Gerinnungen  in  den  Proben  mit  stärkerer  Giftkonsea« 
tration  nur  sehr  langsam  verlaufen  und  zuweilen  partiell  sind.  Es 
deutet  das  darauf  hin,  die  Ursache  der  Gerinnungshemomng  in 
einer  Wirkung  des  Schlangengiftes  zu  suchen,  die  sich  vornehmlich 
gegen  die  Kinase  richtet.  Künstliche  Gerinnungsversuche  gaben 
über  die  Wirkung  des  Schlangengiftes  weiteren  und,  wie  mir  scheint^ 
hinreichenden  Aufschluß. 

Zunächst  konnte  man  sich  bei  Hinzufügen  von  Kobragift  zu 
fermenthaltigem  Serum  und  Vergleich  der  ferroentativen  Wirkung 
dieses  und  eines  Normalsenims  gegenüber  einer  Fibrinogenlösang 
leicht  davon  überzeugen,  daß  das  Gift  in  den  Konzentrationen,  in 
welchen  es  die  Gerinnung  vollkommen  hindert,  keinen  wesentiichem 
£inflttß  auf  die  Wirkung  des  fertigen  Fermentes  bat,  was  übrigens 


über  die  gerinniingskettiMttdi  Wirlcniig  des  Eobragiftes. 


999 


l&ns  den  Verefadieti  iDit  flem  dnit^h  I*j«l^tkm  gewoBttensn  Plasii« 
und  SeiHm  bereits  gescblossen  werden  konnte»  Also  wirkt. däi 
^hlangengift  dtireb  Behindemng '  der  fintstehungv  nioht  aber'  dei- 
'Wirknngr  des  Fermentes.  '     • 

Die  nächste  Frage  war  nnn,  ob  die  Wirknng.  ie(o  ianfzafassen 
ist  daA  ScblAngengift  etwa  die  Sekretion  der  Kinase  seitens  der 
geformten  Elemente  aufhebt  oder  Ob  es  die  Reaktion*  zwischen 
Kinase  nnd  Thrombogen  hindert 

£s  lie£  sieh  zeigen^  daß  letzteres  der  Fall  ist  Das  SchlangQo- 
gift  vermag,  wenn  es  in  genfigender  Konzentration  mit  ^ase  ge- 
mischt wird,  den  aktivierenden  Einfluß  derselben  auf  das  Thrombogen 
später  zugesetzten  Serums  zu  paralysieren.  Auch  durch  Zusatz 
reiehlicher  Mengen  von  Chlorkalzium  läßt  sich  diese  Wirkung  nicht 
ausschalten,  was  dafür  spricht,  daß  eine  Bindung  der  Kalksalze 
durch  das  Schlangengift  keine  Rolle  spielt  Läßt  man  dagegen 
das  Schlangengift  auf  eine  Mischung  von  Serum  und  Kinase  ein- 
.wirken,  wo  also  eine  Aktivierung  des  Thrombogens  bereits .  statt- 
j^efunden  hat,  so  hat  der  Zusatz  des  Schlangengiftes  keine  oder  nur 
«ine  sehr  geringe  Wirkung,  was  mit  der  Tatsache  übereinstiipmt, 
daß  Schlangengift  die  Wirkung  des  fertigen,  im  Serum  enthaltenen 
Thrombins  nicht  wesentlich  behindert 

Zu  diesen  Versuchen  wurde  eine  durch  Eindampfen  von  Thymus- 
eztrakt  im  Vakuum  in  Farm  eines  Pulvers  gewonnene  Kinase  ver- 
wendet, die  nach  2  Monaten  scheinbar  nichts  von  ihrer  Wirksamkeit 
eingebaßt  hatte. 

Versuch. 

Fibrinogenlösung  aus  Rinderplasma.  Temperatur  85®.  Iproz. 
•Giftlösung. 


Kinase 

Gift 

Seram 

Fibrinogen 

Geronnen 

5  Tropfen 

_ 

10  Tropfen 

5  com 

7  Minuten 

5  Tropfen 

2  Tropfen 

n 

71 

2  Stunden 

— 

ff 

n 

ca.  2  Standen 

o  Tropfen  + 

2  Tropfen 

19 

20  Minuten 

10  Tropfen 

Semm 

Nachdem  durch  diese  Vensuche  festgestellt  worden  war,  daß 
das  Schlangengift  gegen  die  Kinase  wirkt  resp.  die  Aktivierung 
des  Thrombogens  durch  die  Kinase  verhindert,  lag  es  nahe,  zu 
untersuchen,  ob  die  Wirkung  durch  einen  im  Schlangengift  ent- 
haltenen Antikörper,  also  eine  Antikinase,  bedingt  sein  könne,  odier 


350 


3X'  MoiULWira!. 


I  "'f'. 


ob  sich  keine  quantitatiten  Beziebungen  zwiselieii  der  Menge  des 
fichlangengiftea  nnd  der  zogeseteten  Kinase  ermitteln  lassen.  Solche 
Beziehungen  lassen  sich  jln  der  Tat;  finden,  W9ß  man  schon  nach 
dem  Ausfall  der  Versuche  mit  dem  ung^rinnbaren  Schlangengift* 
plasma  und  tler  Kinase  vorausaetzen  konnte.  Mw  kaiin  also  durch 
reichliche  Mengen  Kinase,  die  hemmende  iWirkuug  des  Schlangen)- 
giftes  mehr  öder  weniger  überwinden. .' 

f  - 

V-ersuch. 


Kinftse 


M*«ft*< 


Fibrino^;^ 


Geronnen 


.5  Tropfen 
10  Tropfen 
15  Tropfen 
20  Tropfen 
5  Tropfen 


2  Tropfen 


10  Tropfen 


5  ccm 


n 
I» 


n 
I» 
f» 

TT 


n 
» 


ca.  2  Stunden 

*/4  Stunde 
20  Minnten 
8  Minnten 


Diese  Versuche  zeigen,  daß  man  allerdings  durch  Zusatz  reich- 
licher Mengen  von  Gewebssaft  die  hemmende  Wirkung  des  Schlangen- 
giftes bis  zu  einem  gewissen  Grade  aufheben  kann,  daß  aber  trotz- 
dem einfache  quantitative  Beziehungen  zwischen  der  Kinase  und 
dem  Schlangengift  sich  vorerst  noch  nicht  mit  absoluter  Sicherheit 
feststellen  lassen.  Denn  sonst  müßte,  da  15  Tropfen  Kinase  durch 
Schlangengift  noch  nicht  völlig  neutralisiert  sind,  die  aktivierende 
Wirkung .  von  20  Tropfen  -|-  2  Tropfen  Gift  mindestens  ebenso  stark 
sein,  als  die  von  5  Tropfen  Kinase  ohne  Gift.  Wenn  also  ein  quan- 
titativ wirkender  Antikörper  gegen  die  Thrombokinase  im  Schlangen- 
gift sich  vorfindet,  was  ja  natürlich  sehr  wohl  möglich,  sogar  sehr 
wahrscheinlich  ist,  so  spielen,  wie  es  scheint^  wohl  noch  andere 
Momente  mit,  die  die  Einwirkung  der  Kinase  auf  das  Thrombogen 
hemmen  und  die  sich  bisher  nicht  völlig  übersehen  lassen. 

Interessant  ist,  daß  das  Calmette'sche  Immunsemm  auch 
die  Wirkung  des  Schlangengiftes  auf  die  Kinase  mehr  oder  weniger 
aufhebt,  wenn  man  das  neutralisierte  Gift  der  Kinase  zusetzt  und 
dann  Serum  hinzufügt.  Ebenso  verhindert  eine  Mischung  von 
Schlangenimmunserum  und  Gift  nicht  die  Gerinnung  des  Blutes,  das 
darin  aufgefangen  wird,  was  den  Erfahrungen  von  Stephens 
und  Myers(17)  entspricht.  Normales  Serum  und  auch  Diptherie- 
heilserum  hat  diese  Wirkung  nicht. 

Dagegen  erwies  sich  das  Calmette'sche  Serum  unwirksam, 
wenn  es  erst  nach  Mischen  der  Kinase  mit  dem  Gift  zugesetzt 
wurde.    Offenbar  war  die  Kinase  durch  das  Gift  bereits  verändert 


über  die  gerinnangshemmende' Wirkung  des  Eobragiftes.  35X 

worden,  resp.  die  Wirkung  des  Giftes  auf  die  Kinase  war  durch 
Zusatz  von  Antitoxin  nicht  mehr  rückgängig  zu  machen. 

Übrigens  konnte  man  auch  bei  Zusatz  einer  Mischung  von 
Gift  und  antitoxischem  Serum  zur  Kinase  niemals  so  schnelle  Akti« 
yiernng  des  Normalserums  beobachten  wie  ohne  Zusatz.  Das  anti-r 
toxische  Serum  beeinflußt  die  Fermentwirkung  nicht  und  scheint 
nur  die  Aktivierung  des  Thrombogens  durch  die  Kinase  etwas  zu 
hemmen. 

Die  Hemmung  der  Aktivierung  des  Thrombogens  durch  Kinase 
tritt  auch  ein,  wenn  man  das  Gift  dem  Serum  zusetzt  und  dann 
Kinase  hinzufügt  Die  Reaktion  zwischen  Gift  und  Kinase  muß 
also  entweder  schneller  ablaufen,  als  die  zwischen  Kinase  und 
Thrombogen,  oder  aber  das  Gift  hindert  in  noch  unbekannter  Weise, 
ohne  gegen  die  Kinase  im  Sinne  eines  Antikörpers  zu  wirken,  die 
Aktivierung  des  Thrombogens.  Denn  zwischen  Thrombogen  uad 
Gift  lassen  sich  keine  quantitativen  Beziehungen  nachweisen,  wie 
zwischen  Gift  und  Kinase.  Im  Gegensatz  zum  Blutegelplasma  kann 
man  also  das  Giftplasma  stets  durch  reichliche  Zufuhr  von  Kinase  zum 
Gerinnen  bringen  was  durch  die  verschiedenen  Angriflfspunkte  d^r 
Antikörper  erklärt  wird.  ' 

C.  Zusammenfassung. 

Die  vorstehenden  Ausführungen  haben  gezeigt,  daß  in  dem 
Kohragift  eine  wirksame  Substanz  vorhanden  ist,  die  man  vielleicht 
als  Antikinase  bezeichnen  kann.  Dieser  Körper  hat  keine  Wirkung 
auf  das  fertige  Fibrinferment,  er  hemmt  aber  die  Entstehung  des- 
selben dadurch,  daß  er  in  vivo  wie  in  vitro  die  Wirkung  der  Ki- 
nase neutralisiert  Durch  reichlichen  Zusatz  von  Thrombokinase 
kann  diese  Hemmung  überwunden  werden,  woraus  mit  einer  ge- 
wissen Reserve  auf  quantitative  Beziehungen  zwischen  der  Kinase 
und  dem  wirksamen  Körper  des  Schlangengiftes  geschlossen  werden 
kann.  Eine  vitale  Reaktion  des  Organismus  ist  zum  Zustande- 
kommen der  Ungerinnbarkeit  des  Blutes  bei  Injektion  von 
Schlangengift  in  den  Kreislauf  nicht  erforderlich.  Im  Gegensatz 
zum  Pepton  wirkt  also  das  Schlangengift  direkt.  Daher  erscheint 
es  nicht  ganz  verständlich,  wenn  einige  Autoren  wie  Heiden- 
schild(15),  wenn  auch  nur  in  vereinzelten  Fällen,  eine  positive 
und  dann  erst  eine  negative  Phase  d§r  Gerinnung  beobachtet  haben 
wollen.  Jedenfalls  ist  es  nicht  angängig  die  erstere  wie  bei  Injek- 
tion von  Gewebssaft  als  direkte,  die  letztere  als  indirekte  Wirkung  — 
durch  Reaktion  des  lebenden  Organismus  ausgelöst  —  anzusehen. 


362 


XZ.  M6M«m 


i 

Art  der  geriniiiiiigi- 
heiDDeiideii  Körper 

Art  der  T^knng 

1 
NwitraliwrtaoBS*            Chsnnsd» 

yeikiltniB        |     Bigendiaften 

.1.  Antikörper  des 
Blntegelextrak- 
tes  s=  HinidiB. 

■ 

.  Antithxombin. 

Nentralisiert  qvan- 

tiUtiv  Rbrm- 

ferment,  wirkt 

nicht  fegen  die 

Kinase. 

Ist  hitsebestSa- 

dig,  durch  Alkohol 

ftUhar,  wasseriOi- 

lieh,  dialysiert  nickk 

2.  Antikörper  des 

PeptonpUsmas 

;    (Back  demfielben 

Prinzip  BoUen 

auch  wirken: 

.   Xrebsmuskeliaft, 

Aalseram). 

Antithrombin. 

Neutralisiert  wahr- 
scheinlich quanti- 

taÜT  Fibrinferment, 
wirkt  nicht  gtgea^ 
die  Kinase. 

In  Lösung  nicht 

hitzebestftndi^, 

wohl  aber  im 

trockenen  Zustande. 

Dial jsiert  nidit 

3.   Antik<b^r  des 
,  normalen  (airkulie- 
renden)  Blutes. 

Antithrombin. 

Neutnlinert  ge- 
ringe Mengen 
Fibrinferment. 

1  Nicht  kitsebestin- 
dig,  dialysiert  nidit» 
ziemlict  labil,  ftlh 
wahrseheinlieli  mit 
den  Globulinen  aniL 

4.   Antikörper,  der 

durch  Antolyse 

entsteht  (Conrad!). 

Antithrombin  (wahr- 
scheinlich). 

Unbekannt 

Hitzebestandig, 

durch  Alkohol  flül- 

bar,  dialysiert 

ö.  Salzsanres 
.    Histon  ans  der 
Thymusdrüse 
(Lilienfeld). 

? 

Soll  durch  Nuklein 

neutralisiert 

werden. 

• 

B.  Antikörper  von 
Bordetn.  Gengou. 

Warscheinlich 
Antikinase. 

Neutralisiert  wahr- 
scheinlich qnanti- 
taÜT  Thrombo- 
kinase. 

Nicht  hitzebestin- 

dig,  nickt  dialjjsier- 

bar. 

7.   Cytoglobin 
von  AI.  Schmidt 

Antikinase. 

!  Neutralisiert  wahr- 
scheinl.  quantitativ 
Tkrombokinase,  da- 
gegen nicht  Fibxin- 

ferment 

Nicht  hiuebestfin- 
dig,  dialysiert 
durch  AJkohol 

koaguliert,  wasser- 
löslich.' 

8.  Antikörper  des 
Kobragiftee. 

Antikinase. 

Neutralisiert  Kinase, 
dagegen  nicht  Fi- 

briäerment.     Wird 
durch  Schlangen- 
immunsemm  neu- 
tralisiert. 

Unbekannt 

9.  Antikörper,  er- 
zengt durch  Tn- 
_  jektion  von  Kinase 
(Gewebssaft)  Boggs. 

Wahrscheinlich 
Antikinase. 

Neutral.   Kinase, 
nicht  Fibrinferraent 

Unbekannt. 

über  die  gerinnungsheaioittide  Wirkang  des  Eobragiftes. 


369 


Spesifizität 


Wirkmi^  in  yitro 
nnd  in  yiro. 

Imnramtftt 


Dm  aaiiiferiimWe 
Platma  gerinnt 


Das  nngerianbare 
Plasma  enth&lt: 

1.  Thrombofi^n, 

2.  ThromboEinase. 


Wirkt  sckeinbar  nn- Wirkt  in  yitTo  nnd 


roezifi^h  gegen  die 
librinÜBmiente  alter 
Tiere. 


in  viTQ  gleich. 

In  yivo  Inmvnnitit 

beobachtet 


Anf  Znsatz  von  Fibrin- 
ferment stets,  znweilen 
anf  Znsatz  Ton  Kinase 
(schwaehes  Eztraktplas- 
ma).     Bei   Abkühfnng 

kein  Nnkleoprotddnieder- 

scmag. 


Thrombogen  -^ 
Thrombokinase? 


Genauere  Angaben    Entsteht  dnrch  eine 
fehlen,  jeden&lls     ritale  Reaktion  des 
keise*  ansgetprodiene  Organismns  (Leber) 


Spezmzität. 


nach  Injektion  von 
Pepton.  Immunität 
8^  ansgesprochen. 


Unbekannt. 


Anf  Znsatz  von  Fibrin- 
ferment in  genügender 
Menge,  sehr  schnell  anf 
Znsatz  von  Gewebssaft, 
destill.  Wasser,  Nentra- 
lisation,  Ca-Znsats.    Bei 
Abkühlnng  Nukleoproteid- 
niederschlag. 


Thromborai  -f* 
Thiombokinase  -f- 


Findet  -sich  wahr- 
scheinlich im  zir* 
kulirenden  Plasma, 
in  titro  geprüft 


Im  Oxalat-Flnorid-  nnd 
Qansplasma  nachge- 
wiesen. 


Unbekannt. 


In  vitro  gerinnungs- 
hemmend, efzenfft 
in  Tivo  eine  positive 
Phase  der  Gerin- 
nnng. 


'  Unbekannt 


Wirkt  in  vitro  nnd 
,  vivo  gerinnungs- 
hemmend. 


Anf  Znsatz  von  Nuklein, 

nicht  anf  Znsatz  von 

Thrombin.    Nicht  mit 

Wasser,  Essigsäure,  COi, 

CaCl,.  Beim  Abkühlen  Nu- 

kleoproteidniederschlag. 


Ai»ges]ffochene  Spe- 
ziüzität 


In  vitro  geprüft. 

Immnnisatorisch 

dnrch  Injektion 

eines  fremden  Se- 

mois  erzengt. 


Im  Gansplasma  bewirkt 

ein  anf  68  <*  erhitztes 

Normalsemm  Gerinnung, 

ein  Immunserum  nicht 


Unbekannt 


In  vitro  stark  wirk- 
sam, in  vivo  geringe 
VerziSgening  der 
Gerinnung. 


Gerinnt  anf  Zusatz  von 

Fibrinferment   und  zymo- 

plastischen  Substanzen. 


Nicht  Iraner  unter 

sucht,  jedenfalls  nicht 

ausgesprochen. 


Wirkt  in  vitro  nnd 
vivo  gleich. 


Gerinnt  auf  Zusatz  von 
Fibrinferment,   Kinase, 
znweilen  mit  destill. 
Wasser,  CaClg,  Essig- 
säure. 


Thrombogen  + 
Thrombokinase 
wahrscheinlich. 


Unbekannt,  die 

Kinasen  sind  relativ 

sp^nfiflch.   (Loeby 

Äuraschew.) 


Durch  Injektimi    |  Gerinnt  anf  Zusatz  von 
von  Gewebssaft  er-  Ferment  schnell,  schlechter 


zeufi^t,  entsteht 
durch  eine  vitale 
Reaktion  des  Or- 
ganismus. 


auf  Zusatz  von  Kinase. 

Gerinnt  zusammen  mit 

Peptonplasma. 


Tb  rombogen  + 
Thrombokinase? 


354  XX.  Mo&AwiTz '     ".   ■ 

Was  die  Befunde  von  Martin (16)" anlangt,  der  zuerst  sehr 
ausgesprochene  positive  Phasen  mit  umfangreichen  Thrombosen, 
dann  erst  eine  negative  Phase  gesehen  hat,  so  mag  daran  erinnert 
werden,  daß  M.  mit  dem  Oift-  des  Pseudechis,  wir  mit  dem  der 
Kobra  gearbeitet  haben.  Es  ist  sehr  wahrscheinlich,  daß  die  ein- 
zelnen Giftarten  sich  ganz  verschieden  verhalten.  Generelle  Schloß 
folgerungen  sind  also  nicht  möglich.  Vielleicht  fehlt  diese  ^Anti- 
kinase^  dem  Gifte  des  Pseudechis  vollständig,  was  ja  nicht  auf- 
fallend wäre,  wenn  man  daran  denkt,  daß  auch  die  übrigen,  bis- 
her bekannten  giftigen  Prinzipien,  das  Neurotoxin,  Hämolysin, 
Hämorrhagin  etc.  sich  bei  verschiedenen  Spezies  in  ganz  wecbseh- 
der  Menge  finden  und  der  eine  oder  andere  der  Körper  ganz  zu- 
rücktreten kann.  Ob  das  gerinnungshemmende  Prinzip  des  Kobra- 
giftes mit  irgend  einem  der  bisher  daraus  isolierten  Toxine  identisch 
ist,  oder  einen  eigenen  Körper  darstellt,  wäre  noch  zu  entscheiden. 
Jedenfalls  ist  letzteres  wahrscheinlicher. 

Die  Vermutung,  daß  das  Schlangengift  nach  Art  de«  Zyto- 
globins  die  Gerinnung  verhindert,  wie  Alexander  Schmidt 
meinte,  ist  durch  die  vorstehenden  Untersuchungen  wenigstens  für 
das  Kobragift  vollauf  bestätigt  worden.  Denn  auch  das  Zyto- 
globin  wirkt  nach  Schmidt  gegen  die  zymoplastischen  Substanzen 
(Thrombokinase),  nicht  aber  oder  nur  in  sehr  geringem  Grade 
gegen  das  fertige  Fibrinferment.  Das  Zytoglöbin  ist  also  eben- 
falls eine  Antikinase. 

Durch  die  Tiennung  des  alten  Profermentbegriffes  in  das 
Thrombogen  und  die  Thrombokinase  ist  der  Mechanismus  der  ge- 
rinnungshemmenden Wirkung  des  Blutegelextraktes,  des  Peptons 
und  des  Kobragiftes  aufgeklärt  worden,  soweit  es  bisher  möglich 
war.  Wir  behalten  uns  vor  auch  die  anderen  gerinnungshemmen- 
den Agentien,  wie  Aalserum,  Krebssaft  etc.  nach  dieser  Richtung 
hin  zu  untersuchen.  Die  Tabelle  auf  Seite  352  und  353  soll  die 
Art  der  gerinnungshemmenden  Wirkung  verschiedener  Körper  teils 
nach  eigenen  Untersuchungen,  teils  nach  den  Angaben  der  Lite* 
ratur  wiedergeben. 


Literatur. 


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Leipzig,  Vogel. 


über  die  gerinnTUigshemmende  Wirkung  des  Eobragiftes. 


355 


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of  Physiol.  Bd.  23. 

18.  Weir- Mitchell  n.  Reichest,    Smithsonian  Reports  of  knowledge  647,. 
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19.  Bagotzi,  Virchow's  Arch.   Bd.  122  p. 201  1890 

20.  Vollmer,  Arch.  f.  einer.  Pathol.  u.  Pharmakol.   Bd.  31  p.  1. 

21.  Kyes,  Berliner  kün.  WoÄbenlschr.  1902  p.  886.    — 

22.  Bordet  u,  Gengou,  Annales  de  Tlnsti t  Pasteur.   Tome.  12.  D6cembre  1903. 


( 


'     r 


VrotropiB  bei  Scharlach  bdt  Yerh&tiuig  Ton  Nephritis. 

Dr.  Battersack^ 

Hdilbroim. 

Die  Scharlachnephritis  tritt  in  ca.  10—20%  der  Scharladi- 
erkrankungen  als  gefürchtete  Komplikation  auf.  Gegen  20  7o  ^^ 
Scharlachnepbritiden  enden  letal,  ein  nicht  nnerheblicher  Teil  fahrt 
zu  chronischen  Nierenleiden.  Die  Scharlachnephritis  tritt  in  zwei 
Formen  auf:  a)  als  akute  Nephritis  im  Fieberstadium,  als  deren 
leichteste  Form  die  früher  sogenannte  febrile  Albuminurie  (1)  an- 
zusehen ist,  b)  als  Spätwirkung  der  Infektion,  meist  zwischen  dem 
12.— 19.  Krankheitstage. 

Bei  wenigen  Krankheiten  pflegt  dem  Arzte  die  bisherige 
Ohnmacht  pharmakologisch-therapeutischen  Könnens  so  zum  Be- 
wußtsein zn  kommen,  wie  bei  der  Nephritis  überhaupt-,  speziell  bei 
der  Scharlachnephritis.  Eine  Mitteilung  von  Widowitz  (2)  aus 
dem  Jahre  1903  veranlaßte  mich,  bei  Gelegenheit  der  hiesigen 
Scharlachepidemie  1903/1904  die  prophylaktische  Darreichung  von 
Urotropin  systematisch  zu  versuchen  und  die  Fälle  besonders  genau 
zu  kontrollieren.  —  Widowitz  gibt  an,  daß  er  in  den  Jahren  1900 
bis  1903  in  102  Fällen  von  Scharlach  beim  Beginn  der  Erkran- 
kung, sowie  in  der  3.  Woche  je  3  Tage  Urotropin  in  Dosen 
von  3  X  täglich  je  0,05—0,5  nach  dem  jeweiligen  Alter  der  Er- 
krankten verabreicht,  und  seit  Einführung  dieser  Behandlung  nicht 
ein  einziges  Mal  Nephritis  beobachtet,  sogar  in  2  nicht  vorbehan- 
delten Fällen  frisch  einsetzender  Nierenreizung  (Albuminurie  und 
Hämoglobinurie)  günstigen  Einfluß  von  dieser  Behandlung  gesehen 
habe.  —  W  a  t  e  f  f  (3)  fordert  ebenfalls  zur  Nachprüfung  auf. 

Das  Urotropin^),  von  Nicolai  er  (4)  1894  in  die    Therapie 


Anmerkung:  Urotropin  (Schering)  Synonyma:    Hexamethylentetramin, 
Eormin  (Merck),  Aminoform.   Die  zitronensanren  Verbindungen  des  Mittels:  Neu- 


üiotaropin  bei  Schariach  snr  TeAfttäng  Yon  Nephritis.  357 


eia^eftUirty  kat  sMtber  die  lun&iigrfiickBte  Verwendung  gefimdeiL. 
Seine  Desinfektionskraft  haben  wir  in  der  Praxis  bei  der  Cystiti^ 
PjrBliiiS)  Bakterinrie  alltäglich  zn  beobachten  Gelegenheit.  Im  Labo- 
ratoriim  sehen  wir  dieselbe  in  der  angleich  langsameren  Zersetzung 
deg  Urotropinhams.  Bei  instmmentellen  Eingriffen  in  die  Urogenitale 
^vt^e,  mir  Prophylaxe  der  Typhnsyerschleppnng  und  der  Typhus^ 
eystitis  ist  diese  Desinfektionskraft  empfohlen  und  mit  Erfolg  yersncht 
worden.  Fragen  wir  uns  zunächst:  Ist  das  Urotropin  ein  uui- 
schädliches  Mittel?  In  der  Literatur,  wie  bei  eigener  reich^^ 
lieber  Erfahrung  habe  ich  niemals  üble  Nebenwirkungen  beobachteik 
können,  wenn  die  üblichen  Dosen  (Erwachsene  2— Smal  täglich 
jo  0,5)  verabreicht  wurden.  Bei  (ironischen  Krankheiten,  bei  jahre- 
laager  Verabreichung  hat  es  niemals  einen  Schaden  gestiftet  und 
eme  Dame  im  Alter  von  75  Jahren,  die  ich  nun  sdt  Anfang  190O 
tu  chron.  Pyelitis  calcnlosa  mit  Urotropin  behandle,  hat  in  dieser 
Zeit  700  g  verbraucht:  Patientin  ist  bei  der  Darreichung  des 
Mittds  wohlauf,  sobald  längere  Zeit  ausgesetzt  wird,  tritt  eine 
Zersetzung  des  Urins  mit  ihren  Konsequenzen  ein.  Schon  Nico*^ 
laier  bat  betont,  daß  das  Bestehen  von  Nierenaffektion  keine  Kontra* 
indikation  ftr  die  Anwendung  des  Urotropins  sei  (p.  33).  —  So- 
erscheint  es  berechtigt,  das  Urotropin  auch  bei  einer  anderen  Gruppe 
von  Krankheiten  zu  versuchen,  die  wir  als  Infektionskrankheiten  zu 
bezeichnen  gewohnt  sind,  um  die  infektiöse  nephritische  Komplika- 
tion dieser  Krankheiten  zu  bekämpfen,  resp.  zu  verhindern. 

Ist  es  an  sich  schon  schwierig,  die  Wirkung  eines  Arznei* 
mittels  auf  den  Verlauf  einer  bestehenden  Krankheit  einwandsfrei 
m  beweisen,  um  wie  viel  mehr  ist  dies  der  Fall  bei  prophylak- 
tischer Therapie.  Jeweiliger  Charakter  der  Epidemie,  Kranken- 
piege,  soziale  Verhältnisse,  Diätetik,  anderweitige  Komplikationen 
werden  immer  Imponderabilien  bleiben  —  und  erst  große  Zahlen, 
aus  vielerlei  Orten,  Zeiten  und  Epidemien  können  die  Frage  der 
Wirksamkeit  endgültig  entscheiden.  Berechtigt  ist  der  Ver- 
sach aber  dann,  wenn  die  Unschädlichkeit  des  Mittels 
außer  Frage  gestellt  ist:  in  diesem  Sinne  sollen  auch  meine 
AusfahruDgen  einen  kleinen  Beitrag  liefern. 

Die  HeÜbronner  Scharlachepidemie  begann  August  1903  und 
dauerte  bis  April  1904:  gestorben  sind  in  9  Monaten  bei  einer 
Bevölkerung  von  ca.  40000  Seelen  42  Scharlachkranke.    Über  die 

Urotropin  (Schering)  und  Hehnitol  (Bayer)  besitzen  40,7^0  «nd  42,5^0  üro- 
tropingehalt  Billige  Darreichungsform  für  sämtliche  Präparate  sind  die  Ori- 
^alUbletten  k  0,5. 


368  '  XXI.    BüTTEBSACK    "        .'     '      * 

Zahl  der  Erkrankungeix  ist  bei  dem  leidigen  Fehlen  einer  Anzeigt 
pflicht  in  Württemberg  nichts  Genaueres  bekannt.  Schätzangs- 
•weise  wird  man  bei  durchschnittlich  10%  Mortalität  400—500  Er- 
krankungen annehmen  dürfen.  Dör  Charakter  der  Epidemie  war 
kein  leichter.  Schwerere  Nephritisfälle  wurden  vielfach  beobachtet, 
ebenso  wie  die  übrigen  bekannten  Komplikationen.  Meine  Er* 
fahrungen  beziehen  sich  auf  10  Fälle,  die  unter  Uro-» 
tropinbehandlung  ohne  Nephritis  yerlaufeiisiad:  ich 
greife  unter  diesen  3  Fälle  heraus,  wo  durch  vorausgegangene  Krank- 
heiten, und  durch  Komplikation  die  Bedingungen  für  eiüe  Nephritis 
gegeben  schienen  (siehe  Kurven). 

Kleinere  Hamtrübungen  bei  den  üblichen  Eiweißproben  (Koch- 
probe, Ferrocyankaliprobe)  pflegen  wir  noch  nicht  als  Nephritis  bei 
Scharlach  zu  bezeichnen,  obwohl  wir  wissen,  daß  die  weitere  Ent- 
wicklung schwerer  Nephritis  aus  solchen  unbedeutenden  Anfängen 
keineswegs  selten  ist.  Auch  im  folgenden  bezeichne  ich  solche 
vorübergehende  oder  kurz  anhaltende  Albuminurien  nur  als  Nieren- 
reizung. Mikroskopisch  findet  man  freilich  im  geschlenderten  Urin 
auch  hier  in  kleinster  Menge  hyaline  und  granulierte  Cylinder, 
Leukocyten,  Epithel  der  Hamwege,  in  einzelnen  Fällen  auch  ein- 
zelne Erythrocyten.  Treten  diese  Formbestandteile  in  größerer 
Menge  auf,  so  ist  auch  die  Albuminurie  eine  stärkere  —  und  wir 
haben  schwerere  Zerstörungen  der  Nierensubstanz  —  die  eigent- 
liche Nephritis  scarlatinosa  —  anzunehmen.  Von  diesen  Formen 
habe  ich  keine  beobachten  können  unter  der  Urotropinbehandlung. 

I.  Fall.  Gertrud  Kr.,  8  Jahre  alt.  Mai  1903  bis  September 
1903  nach  einer  Diphtherie  mit -Senimeinspritzung  leichte  Nephri- 
tis bis  zu  0,25  ^/q  Albumin.  Das  Mädchen  war  8  Wocben  geheilt,  d.  h. 
frei  von  Albuminurie,  als  die  Scharlachinfektion  (25.  Nov.  1903)  ein- 
setzte. Leichterer  Fall.  .  Unter  Verabreichung  von  1,0  Helmitol  pro 
die  14  Tage  lang  blieb  der  TJrin  vollständig  eiweißfrei.  Am  15.  Tage 
Reduzierung  des  Mittels  auf  0,5.  Nach  einigen  Tagen  leichte  albaminose 
Trübung  des  Harns  ohne  Niederschlag.  Unter  Steigerung  des  Urotropins 
verschwindet  der  Albumingehalt  komplett  im  Laufe  von  Wochen.  Voll- 
ständige Genesung. 

II.  Fall.  Eise  B.,  4  Jahre  alt.  4.  Dezember  1903:  Diphtherie, 
Seruminjektion,  glatter  Verlauf,  keine  Nierenreizung  (1,0  Helmitol  pro  die). 

1.  Januar   1904.    Scharlach  —  schweres  Pieberstadium  (s.  Kurve  1). 
Vom  li — 10.  Krankheitstag  1,0  Helmitol  pra  die. 

Vom  11. — 16.  Tage  wurde  mit  Rücksicht  auf  das  Wohlbefinden 
mit  der  Helmitoldosis  ausgesetzt  und  täglich  0,1  Urotropin  (zu  geringe 
Dosis !)    gereicht.     Am    17.  Krankheitstage:    Nephritische  Eeizong. 


Urotropin  bei  Scharlach  zur  Yeritütmig  von  NephritiB.  359 

Iieicht«ste  Haruträbnng  durch  ^-Itmmin.  Uikroiikopiaob :  sehr  spärliche  byalia« 
und  epitheliale  Cyliuder,  reichliche  Nierenepithelien,  eiazelne  Lenkocyten, 
keine  Eiythrocyten.     Verschwinden    der   Nierenreizung  tinter  Steigernng 


860  X^^  BunnsACK 

der  TJrotropinclotiB  äaf  3X0,1  pro  die  im  Laufe  von  1  Woche.     Kern* 
pleite  Heiiiiog. 

ni.  Fall.  Hedwig  Y.,  IO7,  Jahre  alt.  Anfangs  leichter  Schar- 
lach .  Am  17.  Krankheitatage:  Rheumatismus  et  Bndocarditis scar« 
latinosa  mit  schweren  Anf&llen  von  Atemnot,  Hersschmerz,  LeibachmerMn^ 
hlntig^n  Stuhlgängen.  —  Am  Harzen :  Yerhreitenmg  der  Dlmpfung,  syito- 
lischea  Gerfinsch.  Veratftrkang  des  II.  Pnlmoualtona.    Pulse  von  140^ — 160. 

Verordnung:  1.— 10.  Tag  Kelmitol  1,0  pro  die.  11. — 19.  Tsg 
TTrotropin  0,5  pro  die.  20. — 21.  Tag  aoagiesetst  mit  ürotropin  das  ans 
22.  Tage  wieder  gegeben  wird. 

Urin  frei  auch  in  den  alarmierenden  Tagen !  Da  die  Schmenen  Opiqm 
(in  einer  Nacht  10  Tropfen  ohne  Erfolg)  und  die  Gliederschmersen  Aspina 
verlangen,  wird  mit  Ürotropin  ausgesetat.  —  Nach  2  Tagen  leichte  Niersa« 
reizung.  —  (Albumindse  Trübung,  hyaline  und  epitheliale  Oylinder  in 
sehr  geringer  Menge,  Leukocyten,  Erythrocyten,  Epithelien).  —  Vom 
19. — 28.  Tage  Aspirin  2  bis  3  X  täglich  0,3  (vgl.  Brugsoh,  Salixjl- 
therapie  und  Nieren.    Therapie  der  Gegenwart  1 904  Nr.  2). 

unter  Wiederaufnahme  der  ürotropinbehandlung:  Langsames  &• 
rückgehen  der  Nierenreisung.  Nach  nochmaligem  Aussetien  Wieder- 
beginn der  Nierenreisung  (25.-28.  März).  Nochmalige  Wiederaufnahm» 
des  ürotropin.  —  QeneBung-(s.  Kuve  2). 

Wir  haben  also  hier  3  SeharlachfäUe,  wo  unter  Verabreichung^ 
von  Helmitol  und  Ürotropin  15  und  16  und  19  Tage  lad? 
keinerlei  Nierenreizung  aufgetreten  ist.  Mit  Beduzieruiig^ 
(I  u.  II)  und  Aussetzen  des  Mittels  (Fall  III)  tritt  eine  minimide 
Nierenreizung  ein,  bei  allen  3  Kindern  ohne  äußere  Einfl&sse^ 
(sie  waren  bettlägerig)  ohne  Diätverändemng,  wie  ich  annehme,  als 
Spätinfektion.  Sämtliche  3  Fälle  heilten  unter  Steigerung  der 
Dosis  rasch  vollständig  aus.  Bei  Fall  I  war  eine  4  monatlicli^ 
Albuminurie  post  diphtheriam  vorausgegangen.  Bei  Fall  III  blieben 
die  Nieren  trotz  einer  sehr  schweren  Komplikation  von  lOtägiger 
Dauer  im  Allgemeinen  funktionstüchtig.  Die  Form  der  Nieren* 
reizung  war  bei  allen  3  Fällen  dieselbe:  Plötzlicher  Eiweißgehalt^ 
der  aber  nur  Hamtrübang  ohne  meßbares  Sediment  im  Esbafsh 
hervorrief.  Mikroskopisch  im  geschleuderten  hellen  gelben  ürih: 
Wenige  hyaline  und  epitheliale  Cylinder,  Epithelien  der  oberen 
Harnwege,  Leukocyten,  einmal  auch  Erythrocyten  (Fall  HI).  Das 
spez.  Gewicht  war  nie  mehr  als  1015—17,  keinerlei  Ödeme,  keine 
Harnbeschwerden.     Normale  Hammengen. 

Anfügen  will  ich  noch,  daß  mit  dem  Auftreten  von  Eiweiße 
stets  strengste  Nierendiät  (14)  in  der  üblichen  Form  angeordnet 
und  durchgeführt  wurde. 

■ 

Wir  wissen  nun  zwar,  daß  bei  Scharlach  „während  der  ganzen 


XJrotropin  bei  Scharlach  zur  Verhütung  von  Nephritis.  361 

3.  Woche  man  nicht  selten  kleinere  oder  größere  Mengen  von  Ei- 
weiß findet"  (He noch  7),  die  sehr  rasch  spontan  wieder  ver- 
schwinden können:  immerhin  erscheint  aber  die  Unschädlich- 
keit der  ürotropindarreichung  anch  für  den  Skeptiker  hier  he^ 
wiesen.  Das  Zusammentrefi'en  von  Aussetzen  des  Urotropins  und  Ein* 
treten  resp.  Wiedereintreten  der  Albuminurie  könnte  sogar  im  Sinne 
einer  direkten  Wirksamkeit  verwertet  werden. 

Über  die  Art  der  Verabreichung  noch  einige  Worte: 

Das  leicht  lösliche  Urotropin  kann  in  jeder  nicht  zu  warmen 
Flüssigkeit  genommen  werden :  ich  ließ  es  meist  in  einer  Abkochung 
von  Semen  rosae  mit  Milch  lauwarm  in  3  Abteilungen,  oder  in 
Zuckerwasser  geben,  das  limonadenartig  schmeckende  Helmitol  wird 
besonders  während  der  Fieberperiode  gerne  genommen. 

In  einer  Hinsicht  harmoniere  ich  nach  meinen  Beobachtungen 
nicht  vollständig  mit  Widowitz:  Ich  habe  den  Eindruck,  daß^ 
eine  nur  mehrtägige  Darreichung  nicht  immer  genügen  dürfte,  und 
rate  zu  länger  dauernder.  Dies  erscheint  mir  auch  theoretisch 
leicht  erklärlich.  Die  Elimination  des  wirksamen  Stoffes  aus  dem 
Körper  ist  eine  sehr  rasche  bei  der  ürotropindarreichung,  die 
Wirkungsdauer  also  keine  anhaltende,  -sondern  eine  temporäre 
(J.  F.  Müller  (6),  Brück  (13)).  Es  sind  also  Einzeldosen  ca.  3 mal 
täglich  auf  längere  Zeit  zu  empfehlen. 

Soweit  die  Beobachtungen!  Gehen  wir  nun  über  zu  einem 
Erklärungsversuch  der  Urotropinwirkung. 

Ist  in  praxi  wie  im  Versuch  die  bakterientötende  und  hemmende 
Wirkung  des  Urotropins  sichergestellt,  so  gehen  die  Anschauungen 
über  die  Art  der  chemischen  Veränderungen,  welche  das  Urotropin 
beim  Passieren  derHamwege  erleidet,  etwas  auseinander.  Nicolaier, 
Suter,  Brück  u.  a.  glauben  gezeigt  zu  haben,  daß  ein  Teil  des 
Urotropins  in  Formaldehyd  abgespalten  wird.  Im  Blut  selbst  kann 
bei  interner  Verabreichung  Formaldehyd  nicht  gefunden  werden, 
ebensowenig  läßt  sich  eine  antiseptische  Wirkung  des  betreffen- 
den Blutserums  feststellen  (Brück).  Dagegen  gelingt  es  meist 
(nicht  immer)  im  Harn  Formaldehyd  chemisch  nachzuweisen.  Aber 
auch  die  Forscher,  denen  der  Formaldehyd  nach  weis  nicht  gelungen 
ist,  kommen  zu  dem  Resultate,  „daß  irgend  ein  baktericider  Körper 
in  der  Niere  frei  werde,  oder  eine  neue  Verbindung  gebildet  werde". 
Wir  wissen  sicher,  daß  eine  Temperatur  von  37  ®  C  und  mehr,  daß 
saure  Lösung  die  Abspaltung  von  Formaldehyd  aus  Urotropin 
begünstigt:  wir  können  die baktericide  Wirkung  im  Nierenbecken 
konstatieren.      So   sind  wir  wohl  auch  berechtigt,    als    Ort    der 

Deutsches  Archiv  f.  kUn.  Medizin.    LXXX.  Bd.  24 


368  ^^-    BüTTBBSACK 

Spaltung  die  Niere  selbst,  die  Glomenili,  die  Harnkanälehen  an- 
zusehen.  Die  pathologische  Anatomie  lehrt  ans,  daß  die  Nephritis 
scarlatinosa  „geradezu  als  Prototyp  der  infektiösen  Nephritis  über- 
haupt" (Heubner),  „als  infektiöse  Glomerulonephritis''  zu  be- 
trachten ist.  Halten  wir  nun  fest,  daß  die  Urotroinnwirkang  in 
den  Nieren  selbst  im  Momente  der  Hambereitnung  durch  partieDe 
Abspaltung  eines  baktericiden  Körpers  (wahrscheinlich  Formaldehyd) 
einsetzt  und  zwar  gerade  an  den  Stellen,  wo  der  infektiöse  Scharlach- 
prozeß seinen  Anfang  zu  nehmen  pflegt,  nämlich  in  den  Glomemlis- 
und  Harnkanälehen,  so  kommen  wir  auch  auf  theoretischem  Wege 
zu  einer  sehr  plausiblen  Erklärung  der  Urotropin Wirkung :  daß  das 
Spaltungsprodukt  des  ürotropins  (Formaldehyd)  gewissermaßen  in 
statunascendimit  dem  Krankheitserreger  oder  ICrankheitsstoff  (Bak- 
terien) (Toxinen)  zusammentriift  und  ihn  unschädlich  macht  Daß  wir 
ausgedehnte  Zerstörungen  in  den  Nieren,  wie  sie  durch  ToUendete  Ent- 
zündungsherde geschaffen  werden,  mit  Urotropin  nicht  werden  heilen 
können,  ist  a  priori  klar.  Die  Kunst  wird  bleiben,  durch  individuali- 
sierende Dosierung  des  Mittels  prophylaktisch  der  Nephritis  yorza- 
beugen  und  die  ersten  Reizerscheinungen  durch  dreiste  Dosen  zu  fiber- 
winden. Inwieweit  dies  auch  bei  anderen  Infektionskrankheiten 
möglich  ist,  kann  erst  die  Zukunft  lehren.  Erinnert  sei  an  die 
Versuche  von  Behring  (11),  der  einerseits  die  Grenze  der  Un- 
schädlichkeit des  Formaldehyds  fdr  den  Tierkörper  bestimmt  hat, 
andererseits  dessen  enorme  Desinfektionskraft  und  sein  günstiges 
Verhalten  zu  gewissen  Antikörpern  betont. 

Ich  fasse  zum  Schlüsse  meine  Ausführungen  zusammen: 

Die  Darreichung  von  Urotropinpräparaten  bei  Scharlach  zur 
Verhütung  resp.  Bekämpfung  der  Nephritis  in  geeigneter  Dosis  und 
Dauer  (0,05  bis  0,5  3  mal  täglich,  die  zitronensauren  Verbindungen 
in  doppelter  Dosis)  ist  unbedenklich  in  jedem  Stadium,  selbst  bei 
frischen  Nierenreizungen.  Wenn  das  Urotropin  nicht  während  der 
ganzen  Krankheitsperiode  gegeben  werden  will,  so  muß  es  unter 
peinlichster  Harnkontrolle  sofort  mit  dem  spurweisen  Erscheinen 
von  Eiweiß  verabreicht  werden.  Auf  den  sonstigen  Verlauf  des  Schar- 
lachs hat  dieses  renal  wirkende  Mittel  keinen  Einfluß. 


Literatur. 


1.  Lüthje,  H.,  Zur  Frage  der  sog.  febrilen  Albuminurie.    Therapie  der  Gegen- 
wart 1903  p.  491. 

2.  W  i  d  0  w  i  t  z ,  J.,  Urotropin  als  Prophylacticum  gegen  Scharlachnephritis  1903. 
Wiener  klinische  Wochenschr.  Nr.  40. 


ürotropin  bei  Scharlach  zur  Verhütung  von  Nephritis.  363 

3.  Wateff,  Beferat  Deutsche  mediz.  Wochenschr.  1903  Nr.  35  p.  629. 

4  ürotropin;  zusammenfassende  Literatnran^aben  in  der  Jannaransgabe  1904 

der  medizinischen  Spezialpräparate   der  rirma:    Chem.  Fabrik  auf  Aktien 

Yormals  E.  Schering  p.  73 — 7o. 
b.  Lubowsky,  W.,    Allg.   med.  Zeitung  1902  Nr.  39  Sammelreferat:    „Über 

ürotropin  und  dessen  tnerap.  Bedeutung.  ** 

6.  Schütze,  A.,  Über  die  praktische  Verwertung  des  Helmitols  1904.    Wiener 
med.  Presse  Nr.  2. 

—  i.  F.  Minier,   Klinisches  u.  Bakteriologisches   über  Helmithol.     Deutsche 
Arztezeitnng  Heft  8  1903. 

7.  E.  Henoch,  Vorlesungen  über  Kinderkrankheiten. 

8.  0.  Heu bn er.  Die  deutsche  Klinik.   Bd.  VII.   Scarlatina,  p.  261/340  1902. 

9.  Heubnet,  Münch.  mediz.  Wochenschlr.  1903  Nr.  4. 

10.  Senator,  Erkrankungen  der  Nieren. 

11.  y.  Behring,  Therapie  der  Gegenwart  1904  Nr.  1. 

12.  N  i  c  0 1  a  i  e  r ,  Zeifschr.  f.  klinische  Medizih  Bd.  88. 

13.  ICrich  Brück,   Experimentelle  Untersuchungen  über  die  Wirküiig  des  Üro- 
tropins  und  .de«  Neu-Urotronins.    Inaugurilldlsä^ttfttibli  Breslau  1^^:. 

14.  L.  Weil,  Über  Diät  bei  Nierenkrankheiten.     WUrttemb.  mediz.  Sorresp.- 
blatt  1904  Kr.  1  nnd  Sehatof,  Erkrankungeü  der  Nieren. 


24* 


XXII. 

Aus  dem  städt.  Luisenhospital  zu  Dortmund 
(Abteilung:  Sanitätsrat  Dr.  Ger  st  ein). 

Ein  seltener  fall  von  Pfortaderthrombose  mit  hämor- 
rhagischer Infarzierung  nnd  Nekrotisiemng  der  Leber 
(zugleich  ein  Beitrag  zn  den  Veränderungen  der  Leber 

nach  Pfortaderthrombose). 

Von 

Dr.  F.  Steinhaus, 

Stadtarzt- Assistent. 
(Mit  6  Abbildungen.) 

Nach  den  zahlreichen  in  der  Literatur  niedergelegten  klini- 
schen Beobachtungen  und  pathologisch-anatomischen  Untersuchungs- 
resultaten erscheint  heute  wohl  der  akute  thrombotische  Verschluß 
des  Pfortaderstammes  als  ein  umschriebenes  und  bekanntes  Krank- 
heitsbild, so  daß  es  sich  mit  Fug  nach  der  Meinung  Saxer's  er- 
übrigt, neue  Fälle  den  bisher  beschriebenen  noch  anzureihen.  Die 
akute  Thrombose  des  Pfortaderstammes  dokumentiert  sich  klinisch 
in  sehr  heftigen  Leibschmerzen  und  in  schweren,  kopiösen  Stauungs- 
blutungen aus  den  Organen,  die  für  das  Wurzelgebiet  des  Gefäßes 
in  Betracht  kommen.  War  der  akute  Verschluß  der  Pfortader  ein 
totaler,  so  tritt  sehr  bald  infolge  Verblutung  der  Tod  ein,  war  er 
dagegen  ein  partieller,  so  kann  sich  das  Bild  der  Pfortaderstauung 
entwickeln  mit  der  Trias  ihrer  Symptome:  Aszites,  Milztumor,  perio- 
dische Blutungen,  und  zwar  infolge  Kanalisierung  ^)  des  Thrombus 
oder  infolge  allmählicher  Entwicklung  eines  Kollateralkreislaufes^ 
Momente,  die  durch  die  Behinderung  der  Zirkulation  im  Pfortader- 
kreislaufe  zu  einer  Stauung  des  Blutes  mit  ihren  Folgeerscheinungen 
führen. 


1)  Als  Beispiel  für  dieselbe   der  Fall  von  Kö brich  (4)  (s.  Literaturver- 
zeichnis). 


Ein  seltener  Fall  von  Pfortaderthrombose  etc.  365 

Beide  Formen  des  akuten  thrombotischen  Verschlusses  der 
Pfortader  sind  in  letzter  Zeit  durch  die  vorliegenden  genaueren 
Untersuchungen  der  klinischen  Diagnose  entschieden  häufiger  zu- 
gänglich geworden. 

Gemäß  den  Untersuchungen  von  Borrmann(l)  handelt  es  sich 
ätiologisch  in  diesen  Fällen  fast  stets  um  eine  Erkrankung  der 
Wand  der  Pfortader,  die  sich  allerdings  mit  anderen  Krankheits- 
zuständen  in  der  Leber  resp.  in  der  Umgebung  des  Stammes  der 
Pfortader  kombinieren  kann,  mithin  entweder  primär  oder  sekundär 
auftritt. 

Die  wichtigste  Rolle  bei  den  besonderen  für  diese  Gefäß- 
erkrankung in  Betracht  kommenden  Momenten  spielt  wohl  die 
Syphilis  und  zwar  sowohl  die  interstitielle,  wie  auch  die  gummöse 
Form  derselben  in  der  Leber  neben  der  Phlebitis  syphilitica,  die 
als  selbständige  Erkrankung  sich  finden  und  die  Pfortaderthrombose 
sekundär  im  Gefolge  haben  oder  sich  mit  einer  der  anderen  Formen 
von  Lebersyphilis  kombinieren  kann.  Dahin  gehören  die  Fälle  von 
Jastrowitz,  Bülau,  Löwenfeld,  Diego  Cocco,  Botkin 
und  die  beiden  Fälle  Borrmann's. 

Dann  kommen  chronische  peritonitische  Prozesse  tuberkulöser 
oder  anderweitiger  Natur  in  Betracht,  die  durch  die  Entwicklung 
narbig  sich  retrahierender  Bindegewebsztige  das  Lumen  der  Pfort- 
ader verlegen  (Fälle  von  Achard,  Frerichs  (2)). 

Fernerhin  gesellt  sich  dazu  eine  Kompression  der  Pfortader 
durch  Tutnoren,  Drüsen  und  Gallensteine  (Fälle  von  Gen  drin, 
Bouillard,  Axel  Key). 

Bei  dem  Reste  der  von  Borrraann  verwerteten  Fälle  fand- 
sich  mit  Ausnahme  von  zweien  (Oppolzer,  Pippow)  eine  aus- 
gesprochene atheromatöse  Erkrankung  der  Wand  der  Pfortader  mit 
Intimawucherung  und  zum  Teil  hochgradiger  Verkalkung  ohne 
nachweisbare  Ätiologie  für  diese  Gefäßerkrankung  als  primärer 
Krankheitsprozeß  (Fälle  von  Gintrac,  ßalfour  and  Steward, 
Raikem,  Morchad,  Osler,  Leyden,  Alexander). 

Unabhängig  von  Lebererkrankungen  und  sonstigen  Verände- 
rungen in  der  Umgebung  der  Pfortader  kann  diese  primäre  sklero- 
tische und  atheromatöse  Erkrankung  der  V.  portae  zu  einer  Throm- 
bose führen.  Borrmann  erblickt  die  Ätiologie  dieser  Gefäß- 
erkrankung in  höherem  Alter,  erhöhtem  Blutdruck  in  den  Gefäßen, 
in  Intoxikationen  (Alkohol)  und  Infektionen  (Lues). 

Diese   eben   skizzierte   Anschauung  Borrmann's   bestätigte 


366  TV^-  Steüvtavs 

B  u  d  a  y  (2),  der  über  2  Fftlle  von  Pfprt^dertjirombose  berichtete,  die 
dwch  primäre  Sklerose  der  V^ijeiiwaTid  hervorgerufen  waren. 

Sai(er(3)  dan^egeu  bestreitet  die  Dichtigkeit  der  Anschaumir 
Borrmann's  an  Hand  einer  eigenen  Beobachtung  -^  eiue  einzi^^ 
dastehende  totale  Tb^ouibose  4ei§  gesamten  Pfortadergebietes^  die 
er  ätiologisch  allerdings  nicht  zu  erklären  vermochte  — ,  da  die 
Ätiologie  der  Pfortaderthrombose  pur  |n  yerbältnismftßig  wenigep 
Fällen  Yollkommen  klar  und  keiner  der  Fälle  Borrmann's  ge- 
eignet sei,  dessen  Anschauung  wahrscbeinliQb  zu  ntachen,  daß  4i^ 
Sklerose  der  Pfortader  primär  die  Ursache  der  Thrombose  dieses 

Gefftßes  aev 

Epi  scheint  dauftch  a|9Q  noch  ein  Zwiespalt  darüber  zu  berrscbeiv 
ob  Aie  primäre  Sklerose  re^p,  Atberon^atose  der  Pfortader»  weuQ 
sie  aU^in  aU  krankhafter  Prozeß  vorhanden  ist,  eine  Thrombose 
der  Gefäße  ipi  Gefolge  bf^ben  ^anq^  Andererseits  ist  aber  wolil 
vollkommene  Einigkeit  darin  erzielt,  daß  die  unkomplizierte  akute 
Tl^*on^hose  des  Pfortaderstammes  keinerlei  bedeutungsvolle 
Veränderungen  in  derLeb^r  setzt,  weil  die  noch  erhaltene 
Zufuhr  arteriellen  Blutes  durch  die  Art.  hepatioa  für  dio  Ernähi*uiig 
des  Organs  voUkomnien  ausreicht, 

Borrmann  äußert  sich  dabist  daß  dann,  wenn  die  Pfortaderr 
tbrombose  L^berveränderungen  macht,  diese  difnse  sein  müssen^ 
daß  die  Verlegung  kleinerer  Äste  ohne  Nachteil  für  das  Parenchym 
bleibt  und  ^ie  ev,  gesetzte  Störung  durch  Kollateralbahnen  aus- 
geglichen wird.  In  Saxer's  Fall  von  konipletter  Thrombose  des 
gesamten  Pfortadergebietes  war  die  Leber  ohne  irgendwie  nennens- 
werte pathologische  Veränderungen.  Da  die  Leber  hier  keine  in 
Betracht  kommende  Menge  von  Pfortaderblut  erhalten  hat,  so  bleibt 
nur  die  Abnahme,  daß  die  Leber  für  ihre  Ernährung  wie  für  ihre 
Funktion  ausschließlich  von  der  Arterie  aus  mit  Blut  gespeist 
wurde.  „Eine  bestimnate  charakteristische  Veränderung  der  Leber^ 
welche  durch  den  Verschluß  des  Pfortaderstammes  allein  bedingt 
ist,  ist  uns  demnach  nicht  bekannt".  Diesem  Falle  Sa^er's  ähnelt 
der  von  Berendes  (5)  bearbeitete  vollkommen.  Buday  fand  bei 
dena  einen  seiner  Fälle  keine  Veränderungen  an  der  Leber  außer 
hochgi'adiger  brauner  Atrophie.  Bei  dem  zweiten  Falle  war  die 
Jfapsel  verdickt,  die  Oberfläche  durch  Einziehungen  höckrig  ge- 
staltet. Die  naikroskopische  Untersuchung  ergab  eine  entzündliche 
Wucherung  des  Bindegewebes  in  den  oberflächlichen  Teilen  des 
Parenchyms,.  die  man  wohl  in  Ablehnung  an  die  Anschauung  von 


Ein  seltener  Fall  Ton  Pfortaderthrombose  etc.  367 

Borrmann  als  einen  selbständiges,  von  der  Pfortaderthrombose 
unabhängigen  Prozeß  auffassen  kann. 

Anders  dagegen  wie  bei  der  bisher  besprochenen  Form  von 
unkomplizierter  akuter  Thrombose  des  Pfortaderstammes  verhält 
sich  die  Leber  in  deiyenigen  Fällen,  bei  denen,  ohne  daß  eine  Er- 
krankung der  Wand  der  Pfoi*tader  vorliegt,  durch  embolische  Ver-» 
schleppung  thrombotischen  Materials  aus  den  Wurzeln  der  Pfort- 
ader oder  durch  lokale  Thrombose  in  der  Leber  bei  den  verschieden- 
artigsten Erankheitsbildem  eine  Verlegung  des  Lumens  von  Pfort- 
aderästen in  der  Leber  zustande  kommt  mit  einem  charakteristischen 
Folgeznstand  f&r  die  Leber,  den  man  nach  dem  Vorgehen  Zahn's 
als  „atrophischen  roten  Infarkt^  bezeichnet. 

Nach  den  bisher  über  diesen  Gegenstand  vorliegenden  ana~ 
tomischen  Untersuchungen  scheint  es  fiir  das  Zustandekommen 
dieser  Leberverändemng  ein  unumgängliches  Postulat  zu  sein,  daß 
eine  Abschwächung  der  arteriellen  Blutzufuhr  zur 
Leber  mit  einer  Zirkulationsstörung  im  venösen 
Körperkreislaufe  kombiniert  in  Wirkung  tritt. 

Die  Leber  wies  in  den  beschriebenen  Fällen  mit  nur  geringen 
Abweichungen  die  gleichen  Veränderungen  auf.  Man  findet  in  dem 
Organe  hell-  bis  dunkelbraunrote  Herde  von  wechselnder  Größe 
zerstreut  vor.  Diese  Herde  haben  eine  bisweilen  rechteckige,  zu- 
meist aber  keilförmige  Gestalt.  Ihre  Begi*enzung  gegen  das  um- 
gebende Gewebe  Ist  eine  ganz  scharfe.  Da  ihre  Oberfläche  aber 
eingesunken  ist,  so  unterscheiden  sie  sich  in  diesem  Punkte  sehr 
wesentlich  von  den  hämorrhagischen  Infarkten  der  Lunge,  mit 
denen  sie  sonst  sehr  große  Ähnlichkeit  haben.  Mikroskopisch  sind 
im  Bereiche  dieser  Herde  die  Kapillaren  namentlich  im  Zentrum 
der  Azini  außerordentlich  dilatiert  und  prall  mit  roten  Blutkörper- 
chen gefüllt.  Blutaustritte  ins  Gewebe  sind  entweder  gar  nicht 
oder  nur  in  ganz  unbedeutendem  Umfange  vorhanden.  Die  Leber- 
zellen im  Zentrum  der  Azini  sind  hochgradig  atrophisch  und  in 
ihrem  Verbände  gelockert,  während  sie  in  der  Peripherie  meistens 
gnt  erhalten  und  in  Reihen  angeordnet  sind.  Die  zu  den  so  be- 
schaffenen Herden  führenden  Pfortaderäste  sind  stets  thrombosiert. 

Es  handelt  sich  demnach  um  multiple  cyanoüsche  Herde,  um- 
schriebene Stauungsherde,  die  durch  embolische  Verstopfung  der 
zuführenden  Pfortaderäste  mit  nachfolgender  Thrombosierung  nach 
primärer  Thrombose  in  dem  Wurzelgebiete  der  Pfortader-  oder 
durch  autochthon  in  der  Leber  entstandene  Thrombose  verursacht 
werden. 


368  XXn,  Steikhaüs 

Die  Zahl  der  Fälle  von  „atrophischer  roter  Infarktbildang"  in 
der  Leber  nach  Pfortaderverschluß,  die  nun  in  der  Literatur  be- 
schrieben sind,  ist  nicht  sehr  groß.  Es  gehört  zu  diesem  Krank- 
heitsbilde der  Fall  von  Cohnheim  und  Litten  (6),  die  eine  Pfort- 
aderthrombose bei  einem  Diabetiker  beobachteten  mit  Muskatnaß- 
leber als  Folge  der  Verlegung  der  Pfortaderäste  ohne  pathologische 
Veränderungen  an  den  Leberzellen. 

In  die  gleiche  Kategorie  von  Leberveränderungen  nach  Pfort- 
aderthrombose gehören  wohl  diejenigen,  die  Wagner  (7)  beobachtete 
bei  einem  Falle,  der  mit  Aszites  kompliziert  war.  Er  bietet  nur 
gegenüber  allen  den  anderen  die  Besonderheit,  daß  eine  primäre 
Erkrankung  der  Wand  der  Pfortader,  eine  Pylephle- 
bitis,  vorlag.  Nach  der  Beschreibung  waren  aber  die  inter- 
lobulären Pfortaderästchen,  wie  Wagner  ausdrücklich 
hervorhebt,  vollkommen  frei  von  Veränderungen  ge- 
blieben; ihre  Wand  war  ohne  Besonderheiten,  ihr  Lumen  leer. 
Aus  den  späteren  Betrachtungen  wird  hervorgehen,  daß  dies  von 
größter  Bedeutung  hinsichtlich  der  Folgen  der  Pfortaderthrombose 
für  die  Leber  war. 

Drei  weitere  Fälle  „von  atrophischem  roten  Infarkt"  beschreibt 
dann  Köhler  (8).  In  dem  einen  seiner  Fälle  handelte  es  sich  um 
eine  Pfortaderthrombose  nach  Rektumexstirpation.  Auch  bei  dem 
zweiten  lag  ein  primärer  maligner  Tumor  der  Abdominalhöhle  vor, 
während  bei  dem  dritten  die  Pfortaderthrombose  in  Abhängigkeit 
von  einem  primären  Milzabszeß  mit  Thrombose  der  V.  lienalis  ge- 
setzt werden  mußte.  •' 

Köhler  vergleicht  die  Bedingungen  für  die  Entstehung  der 
„atrophischen  roten  Infarkte"  der  Leber  mit  denen  bei  der  Bildung 
der  hämorrhagischen  Infarkte  in  der  Lunge.  In  beiden  Organen 
geht  der  Verschluß  des  funktionellen  Gefäßes  spurlos  vorüber  bei 
sonst  normalen  Zirkulationsverhältnissen.  Gesellt  sich  aber  eine 
Stauung  im  venösen  Kreislaufe  hinzu,  bei  der  allerdings 
auch  der  Blutdruck  in  der  Arterie  herabgesetzt  sein 
muß,  dann  führt  diese  Stauung  zu  einer  Gewebsveränderung  in 
beiden  Organen,  die  mit  einer  rückläufigen  Blutströmung  in  den 
abführenden  Venen  beginnt  Der  Ausgang  dieser  ist  bei  asep- 
tischem Verlaufe  des  Prozesses  der  gleiche  in  Lunge  und  Leber; 
es  kommt  zu  einer  Wucherung  des  Bindegewebes,  das  später  einen 
narbigen  Charakter  annehmen  kann. 

In  einem  auf  der  Näturforseherversammlung  zu  Braunschweig 
(1897)  gehaltenen  Vortrage  erwähnte  Zahn  (9)  Beobachtungen  an 


Ein  seltener  Fftll  von  Pfortaderthrombose  etc.  369 

menschlichen  Lebern  nach  blander  Embolie  der  Pfortader.  Die 
Beschreibung  der  in  solchen  Lebern  nachweisbaren  herdförmigen 
Yeränderungen  deckt  sich  völlig  mit  der  von  Wagner  und  Köhler 
gelieferten.  Zahn  hatte  in  Anlehnung  an  die  VeriSüche  von  Cohn- 
heim  und  Litten,  die  nacK » kfünstlicher  Pfortaderthrombose  keine 
Yeränderungen  in  der  Lebör^- fanden,  dann  Versuche  an  Hunden 
angestellt  undinäch  fruhestens'S' Tagen  die  gleichen  herdförmigen 
Veränderungen  bei  den  Tieren  in  der  Leber  nachweisen  können; 
Diese  expei*ifflenyil-  erzeugten  wie  auch  beim  Menschen  beobach- 
teten fteSförmig^n  Herde  sind  aber  keine  eigentlichen  In- 
farkt*f]*  da-tein^  Gewebsnekrose  eingetreten  ist,  sondern  es  sind 
nach  ZiÄft^n*s' Ansicht  nur  einfache  atrophische  Herde  mit  Kapillar- 
erweiterunjg;  er  führte  darum  für  siegle  Bezeichnung  „atrophi- 
sche rote  Infarkte"  ein. 

Eine  gi'ößere  Reihe  von  Pfortaderthrombosen  mit  diesen  infarkt- 
ähnlichen Herden  beobachtete  -weiterhin  Chiari(lO)  und  gelangt 
auf  (irund  der  anatomischen  Untersuchung  dieser  Fälle  zu  fast 
den  gleiöüen  ßedultaten  wie  Köhler,  Er  trennt  seine  Fälle  (17  im 
ganzen)  nach,  dem  Gesicht^spunkte,  ob  die  Thrombose  der  Pfortader- 
äste in  der  Xeber  durch  Ebbolie  nach  voraufgegangener  Throm- 
bose der  Pfortaderwurieln  hervorgerufen^  war  oder  ob  sie  lokal 
in  den  Leberverzweigungen  der  Pfortader  ihren  Ursprung  hfatte/ 
In  der  ersten  Gruppe,  die  15  Fälle,  demnach  die  bei  weitem  größere 
Zahl,  umfaßt,  scheidet  er  solche  Fälle  (7),  bei  denen  die  Thrombose 
in  den  Pfortaderwurzeln  spontan  und  primär  ohne  operativen  Ein- 
griff am  Organismus  eingetreten  war,  von  anderen  (8),  bei  denen 
die  Thrombose  der  Wurzeln  auf  den  Einfluß  schwerer  Operationen 
mit  größerer  oder  geringerer  Sicherheit  zurückgeführt  werden 
konnte.  Die  Ätiologie  für  die  in  autopsia  nachweisbare  Thrombose 
der  Pfortaderwurzeln  war  eine  sehr  variierende.  Bei  den  2  Fällen 
von  lokal  in  den  Leberästen  entstandener  Thrombose  mußte  für 
diese  das  metastatische  Wachstum  von  Karzinommassen  in  den 
Gefäßen  verantwortlich  gemacht  werden. 

Chiari  betrachtet  diese  infarktähnlichen  Herde  ihrer  Genese 
nach  „als  den  mechanischen  Effekt  der  Verstopfung  von  größeren 
Ästen  der  Vena  portae"  und  befindet  sich  hier  in  Übereinstimmung 
mit  Orth  (4),  der  in  ihnen  eine  herd weise  zirkumskripte  Stauungs- 
atrophie erblickt. 

Gleichwie  Köhler  hält  auch  Chiari  es  für  eine  wesentliche 
und  unerläßliche  Vorbedingung  für  das  Zustandekommen  dieser 
Herde,  daß  auch  im  großen  Kreislaufe  erhebliche  Zirku- 


370  XXIL  Steivhaüb 

latiönsstörungen  gleichzeitig  zur  Geltung  koramen^ 
herbeigeführt  durch  eine  Beeinträchtigung  der  ar- 
teriellen Blntzufuhr  oder  durch  eine  Stauung  im 
venösen  Kreislaufe.  Für  seine  Fälle  macht  er  die  Annahme, 
d^ß  eine  Abschwächung  der  arteriellen  Blutzufuhr  sich  mit  der 
Pfortaderthrombose  kombiniert  hat,  da  es  sich  teils  um  marantische 
Kranke  handelte,  teils  um  Individuen,  die  unter  dem  Einflüsse  einer 
schweren  Infektionskrankheit  standen. 

Hinsichtlich  des  Ausgangs  der  erwähnten  Herde  neigt  Chiari 
der  Meinung  za,  daß  sich  nach  längerem  Bestände  der  Stauungs- 
berde  eine  Stauungsinduration,  also  Bindegewebswucherung  ent- 
wickeln könne,  wobei  es  nicht  auszuschließen  sei,  daß  bei  Besserung 
der  arteriellen  Blutversorgung  und  Behebung  der  venösen  Stauung 
eine  restitutio  ad  integrum  eintreten  könne. 

Als  ein  wesentlicher  Befund  bei  den  bisher  beschriebenen 
Fällen  muß  nun  die  Tatsache  hingestellt  werden,  daß  die  inter- 
lobulären  kleinsten  Aste  der  V.  portarum  nicht  verlegt  waren,  da 
natürlich  ihr  thrombotischer  Verschluß  durch  Beeinträchtigung  der 
inneren  Pfortaderwurzeln  Untergang  der  Leberzellen  durch  Ne- 
krose im  Gefolge  haben  muß  (cf.  den  Fall  Wagner's). 

Damit  ist  mir  der  Übergang  gegeben  zu  einer  weiteren  Form 
von  Leberveränderungen  nach  Pfortaderthrombose,  die  größtes  In- 
teresse beansprucht,  und  zwar  zu  der  anämisch-nekro tischen 
Infarzierung,  die  sich  mit  echten  Hämorrhagien  in  das 
Lebergewebe  vergesellschaften  kann. 

Als  Beispiel  für  diese  Veränderungen  in  der  Leber  führt  zu- 
nächst Chiari  in  der  erwähnten  Arbeit  zwei  Beobachtungen  an. 
fis  handelte  sich  bei  beiden  um  embolische  Thrombosierung 
der  kleinsten,  interlobulären  Aste  der  V.  portarum  nach 
primärer  Thrombose  der  Vv.  meseraicae  bei  Lungen-  und  Darm- 
tuberkulose und  der  Vv.  gastricae  nach  einer  Besectio  pylori.  In 
dem  ersten  Falle  fanden  sich  bis  erbsengroße,  gelbe,  in  dem  zweiten 
Falle  bis  welschnußgroße,  verschieden  gestaltete,  scharf  begrenzte, 
weißliche,  mit  leukozytärer  Infiltrationszone  umgebene  Herde,  die 
mikroskopisch  sich  als  Nekrosen  des  Lebergewebes  erwiesen. 

Weiterhin  müssen  hier  die  Leberveränderungen  Berücksichti- 
gung finden,  wie  sie  bei  puerperaler  Eklampsie  zur  Beobachtung 
kommen  und  von  Schmorl,  Prutz,  Chiari,  Pels-Leusden 
u»  a.,  letzthin  in  sehr  ausfuhrlicher  Weise  von  Selma  Figowski  (12), 
die  sich  besonders  mit  der  Histogenese  derselben  beschäftigt,  be- 
schrieben worden  sind,   kleinere  und  größere  Blutungen  in  das 


Ein  seltener  Fa]l  von  Pfortfuierthrombose  etc.  37t 

liCbergewebe  mit  Ablagerung  von  Fibrin,  event  anämische  Nekrose 
kleinerer  oder  größerer  Gewebsbezirke  i\ach  Thrombose  der 
kleineren  und  kleinsten  Pfortader- und  Arterienäst^. 

Die  peueren  Untersuchungen  (Schmorl,  Figowski)  legen 
es  nahe,  ^n  eine  primäre  embolische  Thrombosierung  der  kleinsten 
Arterienästchen-  uqd  Kapillaren,  vielleicht  durch  Deziduazellen,. 
analog  der  embolischen  Verschleppung  dieser  Zellen  in  die  Lunge 
etc.,  zu  denken,  da  die  Thrombosierung  nicht  gleichmäßig  durch 
die  ganze  Leber  geht.  Figowski  nimmt  nun  an,  daß  diese 
primäre  Verstopfung  der  kleinsten  Arterienästchen  und  auch  der 
Kapillaren  iq  der  Peripherie  der  Leberläppchen  Hämorrhagien  er- 
zengt, daß  sie  weiterhin  die  Ernährung  der  Pfortaderäste  beein- 
trächtigt, so  daß  diese  erkranken.  Ihre  Erkrankung  kommt  darin 
zum  Ausdruck,  daß  die  Wand  hyalin  wird,  daß  die  Kerne  ihre 
Färbbarkeit  verlieren,  daß  das  Endothel  von  seinem  Mutterboden 
abgehoben  wird.  Die  Folge  dieser  Veränderungen  sind  natürlich 
Gerinnungsprozesse  im  Pfortadergebiet, 

Diese  Thrombosen  führen,  wenn  sie  in  den  interazinösen  Ästchen 
zur  Ausbildung  kommen,  infolge  völliger  Abschneidung  jeder  Blut- 
zufuhr zu  anämischen  Nekrosen.  Die  gleichen  Veränderungen 
finden  sich,  allerdings  in  weniger  hohem  Grade,  in  der  Arterien- 
wand. 

Diese  Erkrankung  der  Gefäße  ist  aber  rein  sekun- 
därer Natur,  als  eine  Folge  der  Thrombosen  zu  be* 
trachten,  da  in  den  gesund  gebliebenen  Partien 
Pfortad^r  wi^  Leberarterie  vollkommen  normales 
Aussehen  bieten.  „Eine  präformierte  Erkrankung  der 
Gefäßwände  müssen  wii*  hier  vollständig  ausschließen,  da  wir  j^ 
verfolgen  konnten,  wie  sich  die  Alteration  der  Geßlßwände  unter 
dem  Einflüsse  des  krankhaften  Prozesses  allmählich  ausgebildet 
hatte." 

Ungefllbr  d^r  gleichen  Anschauung  leiht  Kattone  (13)  Aus- 
druck an  der  Hand  der  Beschreibung  zweier  Fälle  von  hämon'hagi- 
§cher  Infarzierung  der  Leber  mit  Nekrose  des  Gewebes.  Das  pri- 
märe Leiden,  welches  in  dem  ersten  Falle  vorlag,  war  eine  Mitral- 
stenose; der  Exitus  erfolgte  an  puerperaler  Septikämie.  Der 
PfortJitderast,  der  zu  dem  hämorrhagischen  Infarkte  führte,  war 
throiubosiert.  Rat  tone  nimmt  einen  embolischen  Verschluß  der 
Art.  hepaticf^  oder  eine  Arteriitis  infektiöser  Natur  an,  um  die  Be- 
dingungen f^r  die:  Entstehung  des  hämorrhagischen  Infarkts  der 
Jjeber  anf  Grund   seiner  Experimente  erfüllt  zu  sehen,  di^  ihm 


372  XXII.  Steinhaus 

den  Beweis  lieferten,  daß  man  derartige  Herde  erzeugen  kann 
nach  Unterbindung  der  Art.  hepatica  und  Thrombosierung  der 
Pfortader. 

In  einem  zweiten  Falle  gelang  Bat  tone  der  interessante  Nach- 
weis einer  gleichzeitigen  Erkrankung  der  Art.  hepatica  und  der 
V.  portarum.  Die  Art  hepatica  zeigte  eine  Intimawucherung  bis 
zum  bindegewebigen  Verschluß  des  Gefäßes;  die  V.  portarum  war 
thrombosiert.  Die  Folgen  für  die  Leber  traten  in  zwei  hämorrhagisch- 
nekrotischen  Herden  zutage. 

Rattone  verwendet  nun  beide  Fälle  für  seine  Anschauung, 
daß  nur  bei  einem  gleichzeitigen  Verschlusse  der  Art.  hepatica 
und  der  V.  portarum  in  dem  betreffenden  Gewebsbezirke  hämor- 
rhagische Infarkte  auftreten,  die  lokale  Nekrosen  bedingen.  Ua 
diese  Bedingung  so  selten  eintritt,  so  erklärt  sich  auch  die  Spär- 
lichkeit entsprechender  anatomischer  Befunde  beim  Menschen. 

Zu  der  gleichen  Auffassung  führte  0  s  1  e  r  (14)  eine  ähnliche 
Beobachtung  bei  Leberzirrhose.  In  der  Leber  fanden  sich  rot- 
braune bis  blaßbraune  Herde.  Mikroskopisch  handelte  es  sich  um 
Hämorrhagien  mit  Nekrose  der  Leberzellen.  Die  betreffenden  Aste 
der  V.  portarum  waren  thrombosiert.  Hinsichtlich  der  Art  hepa- 
tica neigt  Osler  der  Meinung  zu,  daß  durch  den  zirrhotischen 
Prozeß  ihre  Aste  zur  Obliteration  gekommen  waren. 

Während  also  nach  den  Untersuchungen  Von  Ofth,  Zahn, 
Köhler  und  C  h  i  a  r  i  bei  dem  sog.  atrophischen  roten  Infarkte  der 
Leber  eine  Störung  im  venösen  Kreislaufe  des  Körpers 
sich  einstellen  muß  mit  Beeinträchtigung  der  arteriellen 
Blutzufuhr  zurLeber,  die  ei-st  die  Bildung  der  Stauungshepde 
nach  Pfortaderthrombose  ermöglichen,  gehört  zum  Zustandekonini«» 
eines  hämorrhagisch-anämischen  Infarktes  in  der  Leber  unbeditigt 
eine  direkte  Verlegung  des  Kreislaufes  in  der  Art. 
hepatica  hinzu. 

Diese  Verlegung  kann  nun  herbeigeführt  sein  durch  eine  Er- 
krankung der  Wand  der  Arterie  oder  sie  kann  auch  dann  zustande 
kommen,  wenn  nur  die  kleinsten  interlobulären  Aste  der  Pfortader 
verlegt  sind.  Nach  den  Untersuchungen  von  Cohnheim  und 
Litten  bleibt  nämlich  bei  Verlegung  der  kleinsten  interlobulären 
Pfortaderästchen  die  Ernährung  des  Lebergewebes  aus,  weil  die 
arterielle  Blutzufuhr  durch  den  Verschluß  der  „inneren  Pfortader- 
wurzeln" abgeschnitten  ist  Es  kommt  daher  der  thrombotische 
Verschluß  der  interlobulären  Ästchen  einer  direkten  Verlegung  des 
arteriellen  Blutkreislaufes  gleich.    Mithin  sind  auch  seine  Folge- 


Ein  seltener  Fall  Ton  Pf(^t9|derthrombo8e  etc.  373 

erscheinungen  an ,  der  Leber  ähi^c^fe  denen  bei  thrombotischem  Ver- 
schluß der  Art.  het)atica,  nämlicfar  Nekrose  und  ev.  Hämorrha^e. 
Diese  Anschanutig* teilen  auch  O't^Yi  und  Chiari. 

Die  Throffiboseti  der  kleinsten  interlobulären  Verzweigungen 
der  V.  portaruni  bei  puerperaler  Üklampsie  sind  nun  unabhängig 
von  einer  primären  erheblichereuj »d.  h.  anatomisch  sich  dokumen- 
tierenden Erkrankung  der  Pfortadeit  Osler  und  Rat  tone  er- 
wähnen bei  ihren  Fällen  von  einer  'öolchen  Erkrankung,  soweit 
nach  den  Reiferaten  zu  urteilen  ist,  nichts;  bei  Chiari's  Fällen, 
die  auf  embolischer  Thrombosierung  beruhten,  war  sie  natürlich 
nicht  vorhanden.  j      . 

Um  so  größeres  Interesse  mußte  daher  bei  der  sehr  gmngen 
Zahl  der  hier  in  Betracht  kommenden  Publikationen  ein  Fall  er- 
wecken, der  im  August  1903  auf  der  äußeren  Station  des  städt. 
Luisenhospitals  in  Dortmund  zur  Beobachtung  kam  und  nach 
mehr  als  einer  Richtung  hin  höchst  bemerkenswert  war  bei  dem 
seltenen  Befunde,  der  sich  erheben  ließ.  Herr  Sanitätsrat  Dr.  Ger- 
stein, dem  ich  zu  großem  Danke  dafür  verpflichtet  bin,  überließ 
mir  gütigst  die  Bearbeitung  des  Falles. 

Der  zw^eite  Teil  dieser  Ausführungen  umfaßt  demgemäß  eine 
detaillierte  Schilderung  meiner  Beobachtung. 

Die  Krankengeschichte  des  Falles  ist  folgende: 

Am  19.  August  1903  wurde  der  chirurgischen  Station  der  28  Jahre 
alte  Fuhrmann  A.  W.  überliefert  mit  der  anamnestischen  Angabe,  daß 
der  Patient  am  gleichen  Tage  morgens  V^^  Uhr  einen  Hufschlag  von 
seinem  Pferde  gegen  die  rechte  Bauchseite  erhalten  habe.  Patient  klagt 
bei  der  Untersuchung  über  eine  starke  Schmerzhaftigkeit  des  gesamten 
Abdomens.  Puls  klein.  Therapie :  Kampfermorphiuminjektion.  Patient 
macht  den  Eindruck,  als  ob  er  unter  der  Wirkung  eines  Shocks  stände. 
Abends  Puls  von  besserer  Beschaffenheit.  Spontane  Harnentleerung, 
Im  Harn  kein  Blut,  kein  Eiweiß,  kein  Zucker. 

20.  August.     Harn  muß  durch  Katheter  entleert  werden. 

21.  August.  Harn  wird  spontan  gelassen;  er  enthält  eine  Spur 
Albumen. 

27.  August.  An  der  rechten  Bauchseite  ist  eine  Dämpfung  nach« 
weiflbar  und  starke  Schmerzhaftigkeit  vorhanden.  Seit  2  Tagen  zuneh- 
mender Ikterus  der  Konjunktiven  und  der  Haut.  Häufiges  Erbrechen. 
Puls  kaum  zu  fühlen.  Morphium,  Kampfer.  10  "^  Uhr  abends  Exitus 
letalis. 

Die  Anamnese  und  der  zwei  Tage  ante  mortem  aufgetretene  Ikterus 
wiesen  bei  dem  Mangel  von  Zeichen  einer  inneren  Blutung  auf  eine 
Affektion  der  Leber  hin.  Die  klinische  Diagnose  blieb  völlig  in  sus- 
penso. 

Weitere    anamnestische   Erhebungen,    die    ich    nun  anstellte,    führten 


374  XXII.  Steinhaus 

JEU  keinem  irgendwie  verwertbaren  Ergebniese.  Nach  den  Angaben  der 
Mütter  ist  der -Patient  stets  gesund  gewesen.  AVegen  einer  Narbe  aa 
■einem  Finger  war  er  vom  Militärdienste  be&eit  gewesen.  Seinem  Arbeit 
geber  War  er  durch  eine  starke  Blässe  des  Gesichts  stets  aofgefalleo;  er 
hatte  aber  nach  Ausweis  der  Bücher  sich  innerhalb  der  letzten  5  Jahre 
•niemals  krank  gemeldet. 

Sektionsprotokoll.  Die  Leiche  ist  die  eines  kräftig  gebauten 
Mannes.  Der  Ernährungssustand  ist  ein  mittlerer.  Die  Haut  hat  ein 
gelblich  bis  gelbliohgrünes  Koloriti 

Die  Sektion  der  Schädel^  und  Brusthöhle  deckt  keine  patho- 
logischen Abweichungen  auf.  Alle  Organe  zeigen  gewöhnliches  Yor- 
tialten ;  nur  im  Hilus  der  rechten  Lunge  liegt  eine  verkalkte  und  Zt  T. 
noch  käsige  Lymphdrüse. 

Nach  Eröffnung  der  Bauchhöhle  liegt  das  große  Netz  in  ziem- 
licher Ausdehnung  vor«  In  ihm'  sieht  man  eine  Anzahl  kleiner  Bla* 
tüngen  von  flächenhafter  Ausbreitung  und  länglicher  Gestaltung.  In  der 
Bauchhöhle  keine  freie  Flüssigkeit,  kein  Blut.  Nach  dem  Zurfiok- 
echlagen  des  großen  Netzes  tritt  das  Konvolnt  der  Dünndarmschlingen 
hervor.     Die  Serosa  ist  glatt,  glänzend,  feucht. 

Die  Milz  ist  von  gewöhnlicher  Größe;  die  !Rapsel  ist  nicht  ver- 
•dickt.  Pulpa  etwas  weich,  braunrot.  Trabekel  deutlich;  Follikel  mobt 
sichtbar. 

Linke  Nebenniere  ohne  Veränderungen.  Desgleichen  zeigt  die 
linke  Niere  keine  makroskopisch  nachweisbaren  Abweichungen. 

Die  rechte  Nebenniere  ist  größer  als  die  linke.  Auf  dem 
Durchschnitt  ist  sie  von  einem  gi*oßen,  in  der  Peripherie  braunroten, 
scbarfrandigen ,  aber  unregelmäßig  begrenzten  Herd  durchsetzt,  der 
namentlich  die  Marksubstanz  einnimmt,  aber  auch  Ausläufer  in  die  Binde 
schickt.  Im  Zentrum  ist  der  Herd  deutlich  gelb  gefärbt.  Die  zugehö- 
rige rechte  Y.  suprarenalis  ist  thrombosiert  durch  einen  teils  gelbgraa 
bis  rötlichen,  teils  grauen,  also  gemischten  Thrombus. 

Die  rechte  Niere  verhält  sich  wie  die  linke. 

Die  Leber  ist  groß,  namentlich  der  rechte  Lappen  unverhältnis- 
mäßig voluminöser  als  der  linke.  Die  Oberfläche  ist  glatt^  glänzend, 
feucht.  Ausgesprochene  narbige  Einziehungen  oder  Yerdickungen  der 
Kapsel  sind  nicht  vorhanden.  Ebensowenig  sind  Yerletzungen  nach- 
weisbar. 

Auf  dem  Darchschnitt  bietet  sich  nun  ein  eigenartiges  und  kompli- 
ziertes Bild  dar,  das  sich  durch  einen  seltnen  Farbenreichtum  auszeichnet. 
Der  größere  Teil  des  rechten  Lappens  ist  von  einem  intensiv  gelb  ge- 
färbten Herde  eingenommen,,  der  nicht  bis  an  die  Kapsel  reicht,  etwa 
^/g  cm  von  derselben  entfernt  bleibt,  der  sich  gegen  das  umgebende  Ge- 
webe scharf  begrenzt  mit  einzelnen  tiefen,  buchtigen  Einschnitten  absetzt. 
Daneben  finden  sich  in  dem  Lappen  zerstreut  noch  sehr  zahlreiche, 
kleine,  gelbe  Herdchen,  auf  der  Schnittfläche  zwisohen  Stecknadelkopf- 
und  Erbsengröße  schwankend,  vor.  Zwischen  diesen  kleinen  Herdoben 
liegen  Dun  zerstreut  tiefrote  Herde  von  ganz  unregelmäßiger  Gestaltung, 
bald  mehr  rund,  bald  mehr  länglich,  bald  mit  mehr  stumpfen,  bald  mit 
mehr    spitzen,    vielgestaltigen    Ausläufern    versehen.     Die   Herde  stellen 


Sin  seltener  Fall  vm  Pfort&denhromboM  etc.  375 

offnibar  HibnoiTliagien  dar.  Bei  genanerem  Zaeehea  erkennt  man,  daß 
m  rieh  snmeiBt  am  Ffortsderiate  groppieren,  zuweilen  allerdings  auf  der 
sngelegten  ScbnittflSche  keine  direkte  Beziehung  sa  diesen  GefÜSen  er- 
kränen  laasen.  Die  grOfieren  FförtaderSete  nicht  nnr,  sondern  aach  die 
kleineren  and  kleinsten,  soweit  man  sie  mit  bloßem  Ange  verfolgen  kann, 
lind  nnn  vollstilnclig  thrombosiert,  and  zwar  die  grSSeren  mit  zumeist 
roten,  getehicht«ten  ThrombnsmasBen,  die  mittleren  und  kleinen  mit 
mehr  graugelbHchen  oder  granrStlicben  Thromben.  Die  Äste  der  Art. 
imd  Vena  bepslica  sind  frei  nnd  zeigen  ein  deutliches  Lumen ;  die  Ar- 
tcrienqnerschnitte  erscheinen  aber  etwas  starrwondig,  ihr  Lnmen  klafft. 
Anch  die  kleineren  Pfortaderttste  scheinen  in  ihrer  Wand  verdickt  zu 
sein,  da  ihre  Querschnitte  als  breiter,  grauer  Saum  sich  am  das  throm- 
botische  Material  ziehen.  In  dem  nicht  iafarzierten  Gewebe  sieht  man 
Stellen,  die  grQuKchgelb  (gallig?)  geßrht  sind.  Dazn  kommt  dann  noch 
das  Kolorit  des  scheinbar  gesunden  Gewebes,  in  dem  die  Azini  in  der 
Peripherie    eine  graugethe,    im  Zentnim  eine  rötlicbbraune  Farbe  haben. 

Fig.  1. 


A-  Cngelthrombos  an  der  Abzweiganeia teile  des  rechten  und  linkt 
astes  der  Leber. 


Es  wurde  nun  die  Pfortader  vom  Hilus  der  Leber  aus  verfolgt. 
Der  Stamm  erwies  sich  frei  von  Thrombose.  Dagegen  zeigte 
£e  Wand  fleckige,  streifige,  weißliche  Yerfärbung  und  Yerdickang  der 
Intima  des  GefSßes.  An  der  Teilungsstelle  des  Stammes  in  den  rechten 
<md  linken  Ast  stieß  man  auf  einen  der  Wand  adharenten,  deutlich  ge- 
schichteten, in  seinen  Schichten  abwechselnd  grau  und  rot  gefärbten, 
kngelig  in  das  Lumen  teils  des  Stammes,  teils  des  rechten  Astes  der 
Aortader  hineinragenden  Thrombus,  der  den  Querschnitt  des  rechten 
Astes  nicht  ganz  verlegte  (s.  Fig.  1).  Ln  Anschluß  an  diesen  Throm- 
bos  setzte  eich  eine  frische  Thrombose  in  die  größeren  Pfortaderäste  fort 

In    dem    linken  Lappen    finden    sich    nur   kleine    Nekroseherde    ab> 


376  XXII.    STSUfBAUS 

wechselnd  mit  kleiDeren  Blotangen,  in  ihrer  Gestaltung  Tollkommen 
identisch  mit  denen,  die  im  rechten  Lappen  gefunden  wnrden.  Erst  die 
kleineren  und  kleinsten  noch  ehen  sichtbaren  Pfortaderäste  waren  hier 
thrombosiert,  mit  grau-  oder . gelbrötlichen  Gerinnungsmassen  erfüllt;  die 
größeren  Aste  waren  frei. 

Das  Pankreas  ist  in  reichlich  entwickeltes  Fettgewebe  eingehüllt 
In  dem  Fettgewebe  liegen  zerstreut  kleine,  zackig  begrenzte,-  weiße  Herd- 
chen, die  etwas  trübe  und  verwaschen  aufsehen.  Sie  durchsetzen  du 
peripankreatische  Fettgewebe  in  großer  Zahl  und  finden  sich  auch  auf  einem 
Querschnitt  durch  das  Pankreas  innerhalb  des  Organs  im  interstitiellen 
Gewebe.  Die  Läppchenzeichnung  i^t  gut  erhalten,  das  interstitielle  Ge- 
webe scheint  nicht  vermehrt  zu  sein. 

Die  übrigen  Organe  der  Abdominalhöhle,  in  Sonderheit 
der  Darm,  weisen  keine  Abweichung  von  der  Norm  auf.  Die  liesen* 
terialgefäße  sind  makroskopisch  ohne  Veränderungen. 

Die  Sektion  hatte  also  interessante  Veränderungen  an  verschiedenen 
Organen  nachweisen  lassen:  eine  traumatische  Fettgewebe- 
nekrose  des  Pankreas,  eine  hämorrhagisch-anämische 
Infarzierung  der  rechten  Nebenniere  mit  Thrombose  der 
entsprechenden  V.  sup  rarenalis,  und  vor  allem  eine 
gleichartige  Infarzierung  der  Leber  mit  Thrombose  der 
Pfortaden  Nach  de^m  makroskopischen  Verhalten  ließ 
sich  ferner  schon  bei  der  Sektion  die  Vermutung  auf- 
stellen, daß  die  Pfortader  und  vielleicht  auch  die  Art 
hepatica  von  einem  Erkrankungsprozesse   befallen  seien. 

Weitere  Aufschlüsse  über  das  Krankbeitsbi^  mußten  demnach  von 
dem  Ausfalle  der  mikroskopischen  Untersuchung  erwartet 
werden. 

Von  verschiedenen  Stellen  der  Leber  wurden  Präparate  angefertigt 
und  in  der  üblichen  Weise  nach  Fixierung  in  Z  e  n  k  e  r '  scher  Flüssigkeit 
nach  van  Gieson  gefärbt. 

In  den  Schnitten,  aus  dem  makroskopisch  gesunden  Gewebe  dicht 
unterhalb  der  Glisson 'sehen  Kapsel  war  diese  nicht  verdickt;  sie 
enthält  aber  in  verschieden  großen  Abständen  Herdchen  kleinzelliger 
Infiltration.  Das  die  Gefäße  führende  perilobuläre-  Gewebe  ist  nur  mäßig 
verbreitert,  zellig  infiltriert.  An  zwei  Stellen  finden  sich  kjeinei  zirkuni' 
skripte  Blutungen  in  das  Gewebe. 

Bei  starker  Vergrößerung  erweisen  sich  die  Zellen  des  Randgebietes 
gut  erhalten,  mit  intensiv  .gefärbten,  reichlich  Chromatin  enthaltenden 
Kernen.  Sichere  Wucherungserscheinungen  ließen  sich  an  den  Zellen 
nicht  nachweisen;  es  fiel  nur  auf,  daß  in  einzelnen  Zellbalken  4  —  6  Kerne 
dicht  gedrängt  nebeneinander  lagen,  die  sich  tiefer  blau  geiärbt  hatten 
als  die  übrigen  und  auch  kleiner  waren.  Es  bleibe  aber  dahingefitellt, 
ob  diese  Billder  aus  einer  Vermehrung  der  Kerne  gedeutet  werden 
können. 

In  einem  Bezirke,  der  sich  gelbgrün  gefärbt  hat,  sind  die  Leber- 
zellen erfüllt  mit  feinsten  grünlichen  Gallepigmentkörnchen.  Die  Kerne 
sind  sehr  blaß  tingiert,  oft  sieht  man  nur  einen  blaugefärbten  King, 
der  den  Rest  des  des  Chromatins  beraubten  Kernes  darstellt. 


Ein  wlteDer  Fi^  ▼«&  FforUdcrÜirombose  etc. 


877 


Die  beiden  «rwSlinteii  Blotnogen  lind  aa  klein,  dkB  ein«  jede  von 
ilmen  bei  340fuhsr  VergrSflerDng  (ZeiB  Obj.  E,  OK.  3)  gerade  ein 
Gesichtsfeld  aoBfailt.  Dieses  wird  nar  von  dichtgedrängten  roten  BInt- 
kSrpercben  eingenommen,  von  Iiebersellen  iet  in  dem  Bereiche  der  Blu- 
toDgen  nicht«  an  eefaen.  In  dem  Migrensenden  Lebergewebe  rind  die 
K«pillaren  itcrk  erweitert  und  mit  roten  BlntkSrperoban  «ngefllllt. 

Anf  du  To'hKltMi  der  OefÜSe  rei  weiter  unten  eingeguigan. 

Fig.  2. 


Bttt  TOB  Lebergewebe  mit  verbreiterlem,  lellreichen  und  infiltriertem  peripor- 
talen Gewebe:  a.  Leberzellbalken ;  b.  in  Zellbalken  eindringendes  periportales 
Gewebe;  c.  kleinzellige  herdweise  Infiltration;  d.  zellreiches  Bindegewebe;  e.  Ast 
der  Art.  hepatica;  t.  obtnrierter  Pfortadeiaat;  g.  Gallengäuge. 

Eine  weitere  Schnittreihe  fertigte  ich  an  aus  dem  bämorrhagisch- 
anämiachen  Bezirke.  Zahlreiche  Präparate  setzen  sich,  schon  mit  bloSem 
Ange  erkenntlich,  ans  zwei  gesonderten  Abschnitten  zusammen.  Der 
eine  Teil  wird  eingenommen  von  einem  gelb  gefärbten  Gewebe  ohne  jede 
Zeichnung.  Du  Lebergewebe  iet  hier  vollkommen  nekrotiaiert.  Die  in 
ihren  UmrisBen  erhalten  gebliebenen  I^ellbalken  sind  ohne  Kerne.  Das 
Gewebe  sieht  ganz  feinkörnig  am ;  die  azinöse  Zeichnung  ist  in  ihm  völlig 
Tarloren  gegangen.  Daran  g;renzt  ein  Bezirk,  in  dem  nnr  schmale  8aame 
Bskrotiachen  Glewebes  sichtbar  wird,  die  zwischen  sich  teils  größere,  teils 
kleinere  Hohlränme  (Kapillaren?)  fassen,  so  daß  der  Bezirk  netzartig  ans- 
■ieht     In    den    erwähnten    Bohlräamen   sieht  nun  vereinzelte  rote  Blu^ 


Dentacbea  Archiv  f.  ii 


Ü5 


378  SXn.  STKnraiDB 

kfirperch«D,  in  anderen  teilt  körnig,  teila  krieUllinisch  anage&llenes,  gelU 
braanes  Pigment  (OsUe?).  Die  in  dem  Besirke  gelegenen  Pfortaderqner- 
and  •längtBchDitte  sind  thromboüert. 

Hit  einer  blan  tingierten  Bandzoae,  die  ans  dichtgedrängten  mono- 
nnkleären  LymphoBTten,  Ton  denen  viele  bereits  körnig  serfallen  Bind, 
sich  EDsammenaetzt,  grenit  sich  der  beschriebene  Bezirk  gegen  einen 
aoleben  mit  gelbgrüner  Färbnog  ab.  Das  Lebergewebe  ist  ebenfalls 
nekrotisiert.  Die  stark  erweiterten  Kapillaren  zwischen  den  völlig  ketn- 
und  stmkturlflsen  Zellbalken  sind  mit  dichtgedrängten  roten  Blntkörper- 
cben  erfüllt,  die  stelteDweise  in  Herden  angehäuft  liegen,  demnach  als 
Blntnngen  in  das  Oewebe  imponieren.  Lebergewebe  ist  im  Bereiche 
dieser  Blattingen  nicht  mehr  zu  erkennen,  dagegen  lagern  in  diesen 
Herden  zahlreiche  groBe  Bindegewebssetlen  mit  gnt  tingierten  Eemen, 
die  da,  wo  sie  dichter  liegen,  parallel  zn  feinen,  eben  sichtbaren,  na^ 
Tftu  Qieson  rot  gefärbten  BiDdegewebsfibrillen  verlaufen,  die  wobt  als 
Anadruck  dafOr  xa  gelten  hftben,  daS  ein  Ersatz  durch  Bind^webe 
eintreten  wird. 

Fig.  3. 


a.  Oewncherte  Gallengttnge;    b.  zellig  infittriertea  nsd  gewuehertes  interstitielle 
Oewebe;  c.  Ast  der  Art.  hepatica. 

Das  periportale  Gewebe  ist  stark  vermehrt,  in  ganz  breiten  Zügen 
angeordnet,  die  eine  intensive  kleinzellige  Infiltration  aufweisen  (Fig.  S), 
ähnlich  der,  die  man  bei  Zirrhose  zn  beobachten  pflegt.  Die  Infiltration 
ist  bedingt  darcb  großzellige,  mononukleäre  Lymphosjten  nnd  polf- 
nukleäre  Leukozyten.  Außerdem  finden  sich  in  dem  Bindegewebe  zahl- 
reiche großkemige   Fibroblasten. 

Des  weiteren  ließ  sich  eine  erbebliche  Wucherung  von  Oallengingen 
im  periportalen  Gewebe  feststellen  (s.  Fig.  3).  In  einem  Bindegewebs* 
luge  ließen  sich  bis  zu  60  Querschnitte  zählen.  Die  gewucfaerten  Gallen- 
gänge haben  ein  teils  einschichtiges,  teils  mehrschichtiges  Epithel.  Die 
Wucherung   dokumentiert   sich  noch    dadurch,    daß    an  einzelnen  Gängen 


Ein  seltener  Fall  Ton  Pfortaderthrombose  etc.  37^ 

Mitosen  in  yersohiedenen  Stadien,  Monastern  und  Blastem,  nachgewiesen 
werben  konnten.  Außerdem  sieht  man  Zellen  mit  zwei  Kernen.  Di» 
Pfbrtaderäste  sind  auch  in  diesem .  Bezirke  thrombosiert ,  sowohl  die 
größeren  wie  auch  die  kleineren  vollkommen  organisiert. 

Die  Präparate  enthalten  an  ihrem  Rande  den  Querschnitt  eine» 
größeren  Pfortaderastes.  Um  das  Oefaß  herum  ist  ein  Streifen  von 
Lebergewebe  stehen  geblieben.  Die  Blutkapillaren  sind  in  diesem  Ge- 
biete stark  erweitert,  aber  leer.  Die  Leberzellbalken  sind  teils  von  ge- 
wöhnlicher Breite,  teils  aber  deutlich  verschmälert.  Ihr  Protoplasma 
ist  erfällt  mit  kleinsten  Gallepigmentkömchen.  Die  Kerne  sind  z.  T. 
gat  erhalten  mit  deutlichem  Chromatingerüst,  z.  T.  aber  in  ihrer  Struktur 
verändert,  zackig  gestaltet,  wenig  tingiert,  auch  kömig  zerfallen.  Von 
dem  verbreiterten  und  entzündlich  infiltrierten  interstitiellen  Gewebe  aus 
ziehen  feine  Bindegewebsfasern,  denen  große  Fibroblasten  anlagern^ 
zwischen  die  Zellbalken  hinein. 

Schnitte  aus  den  übrigen  Partien  der  Leber  zeigen  im  wesentlichen 
die  gleichen  Veränderungen.  In  einigen  tritt  die  Verbreiterung  und 
Wucherung  des  interstitiellen  Gewebes  mit  seiner  entzündlichen  Infiltration 
noch  mehr  hervor.  Diese  Wucherung  erreicht  dann  eine  solche  Aus- 
dehnung, daß  gleich  wie  bei  der  Zirrhose  kleinere  und  größere  Inseln 
von  Lebergewebe  ganz  unregelmäßig  abgegrenzt  werden,  in  die  dann  das 
Bindegewebe  noch  mit  feinen  Ausläufern  eindringt. 

Die  Blutungen,  die  man  in  diesen  Präparaten  ändet,  weichen  von 
den  früher  beschriebenen  dadurch  ab,  daß  Fibrin  innerhalb  ihres  Be- 
reiches zur  Ausscheidung  gelangt  ist;  sie  erreichen  gewöhnlich  eine 
solche  Ausdehnung,  daß  ihre  Beziehung  zu  bestimmten  Abschnitten  des 
AzinuB,  wie  sie  bei  der  kapillären  Hyperämie,  die  zu  dem  atrophischen 
roten  Infarkt  führt,  hervortritt  und  auch  bei  den  Blutungen,  die  bei 
puerperaler  Eklampsie  sich  zeigen,  in  sehr  exakter  Weise  von  Selma 
Figowski  beschrieben  wird,  nicht  mehr  feststellen  läßt. 

Zum  Schlüsse  der  Darstellung  des  mikroskopischen  Befundes  an  der 
Leber  möchte  ich  im  Zusammenhang  die  Veränderungen  an  den  Gefäßen 
einer  Betrachtung  unterwerfen. 

Die  Pfortader  zeigt  an  ihrem  Stamm  mikroskopisch  eine  erhebliche 
Verdickung  der  Intima,  die  nicht  gleichmäßig  den  ganzen  Gefaßquer- 
schnitt befallen  hat,  sondern  entsprechend  dem  makroskopischen  Befunde 
fleckig  auftritt.  Die  Veränderungen  sind  unzweifelhaft  chronischer  Art, 
da  es  sich  um  Wucherung  von  Intimagewebe  handelt,  das  nicht  mehr 
entzündlich  infiltriert,  aber  noch  sehr  zellreich  ist.  Die  so  gewucherte 
Intima  springt  in  das  Lumen  hinein  wulstig  vor  und  zeigt  an  verschie- 
denen Stellen  eine  gewellte  Begrenzung. 

Die  größeren  Pfortaderäste  sind  erfüllt  von  Thrombusmassen,  die 
teils  nur  aus  Fibrin,  roten  und  weißen  Blutkörperchen  aufgebaut  sind, 
teils  aber  schon  im  Beginne  der  Organisation  stehen.  Die  mittleren 
Aste  verhalten  sich  verschieden ;  manche  sind  mit  den  gleichen  frischeren 
Thromben  ausgefüllt,  manche  aber  sind  vollkommen  in  ihrem  Lumen  mit 
Bindegewebe  ausgefüllt  (s.  Fig.  4  u.  5).  Die  Bindegewebsfibrillen  sind 
gegen  die  Wandung  hin  breit,  gegen  die  Mitte  des  Gefäßes  hin  laufen 
sie  in  ganz  feinen  Fäserchen    aus.     In  dem  Netzwerk  der  Fasern  lagern 

25* 


380  XXn.  Stuhudb 

ishlniahe  groBe  monönnkteKre  LjnnphoETt«!!  mit  Kemeo,  die  ein  deut- 
liches KemgerÜBt  »nfweisen,  kleine  mononnkleiTe  LymphoiyteD  mit  diffoi 
gefärbten  Kernen  in  geringer  Zahl  und  großkernige,  je  nftch  dtit  Schnitt- 
richtoDg  längsgeitaltete  „oder  mnde  Fibrobluten.  Die  kleineren  and 
kleinsten  interlobnlären  Aatchen  sind  in  der  beschriebenen  Weise  doioh- 
Teg  Töllig  obtnriert. 

Fig.  4. 


YQIlig  obtarierter  PfortaderaBt  (schwache  TergrCßenrng).     a.  Eleiniellige  Infil- 
tration der  AdTentitia;   b.  rote  Blntköipercben ;    c.  Räte  von  Fibrin;   i.  teil- 
reiches  Bindegewebe,  du  Lnmen  obtnrierend. 


Völlig  obtorierter  Ptortaderaat  (starke  Vergrtüernng).     a.  Adventitia,  durehBetit 

Ton  mononnkleftren  Lj'inpbozjten ;    b.  inngee,  sehr  letlreicbes  Bindegewebe,  du 

Lumen  des  OefjUleB  duKhaetiend. 


Die  Lebervenen  äste  sind  ohne  jede  Veränderung.  Dagegen  ließen 
■ich  an  der  Art.  bepatica  Abweichungen  feststellen  (h.  Fig.  6).  Die 
Mascularia  des  Stsmmes  zeigt  eine  ziemlich  beträchtliche  TerdickuDg; 
die  HuBkelfaaern  sehen  gequollen  aua.  An  einigen  Stellen  der  Zirknm- 
ferenz  dee  Querschnittes  findet  sich  eine  häufe benfdrmige  Ansammlttng 
von  Lymphozyten.  Intima  und  Adventitia  sind  intakt.  Die  mittlem 
und  kleineren  a.ste  sind  von  einer  eigentUmlichen  Yerfindernug  befaUen, 
die  sich  anf  die  Media  beschränkt.  Diese  ist  erheblich  verbreitert.  B« 
staj'ker    Vergroflemng    (s.  Fig.  6}    sieht    sie    ganz    homogen   ans.      Ten 


Ein  seltener  Fall  von  Pfortaderthrombose  etc.  381 

Muskel-  und  BindegewebifaserB  üt  niohta  mehr  la  sehen.  In  dem  homo- 
genen Gewebe  liegen  vereiDKelte  ovalgestaltete,  btiüoheniSrmige  Kerne, 
dia  gaiut  bl&B  tingiert  sind  nnd  kein  KemgerUat  mehr  haben.  Nor 
einige  wenige  Kerne  aeigen  ein  gnt  ausgebildetes  Chromatingerüat.  Fär- 
bnngen  auf  Hyalin  und  Amyloid  gaben  keine  der  bekannten  Reaktionen, 
10  daß  mir  die  Deutung  der  sehr  ins  Ange  springenden  Veränderung 
rein  anatomisch  nicht  möglich  wurde.  Das  Lnmen  der  so  verinderten 
GeGLfie  ist  sehr  verengt, 

Fig.  6. 

-   r  ^ 


ist   der  Art.   hepatica  (starke  Ver^llemag).      a.  Adventitia;    b.  hyalin  nnd 

homi^fen  aussehende  Media  mit  wem^n,  lam  Teil  stark  abgeblaBten  Kernen  d ; 

c.  abgestoBene  Intimazellen ;  e.  Intima, 

Ich  glaube  annehmen  zu  dürfen,  daS  diese  'Wandverinderung  eine 
Folge  der  erheblichen  ZirkulBtionsetörungen  in  der  Art.  hepaüca  ist,  in- 
*  sofern  als  die  Muskelsellen  dem  sehr  gesteigerten  Blutdrücke  gegenüber 
(s.  u.)  inanffinient  geworden  sind  und  schließlich  degenerierten,  und  sehe 
mich  so  veranlaßt,  zur  Erktfimng  der  in  der  Leber  gefundenen  Yer* 
inderongen  nach  dem  Vorgänge  von  Bat  tone  eine  Beeinträchtigung 
sowohl  des  Ffortaderkreialaufs  wie  der  arteriellen  Blutzufuhr  als  Ur- 
sache für  die  Erkrankung  der  Leber  hinzustellen,  wenngleich  auch  die 
völlige  Obturation  der  interlobulären  PfortaderSste  zu  einer  Erklärung 
der  Leberherde  ausreichen  würde. 

Der  mikroskopische  Befund  an  dem  Pankreas  läßt  sioh  mit 
wenigen  Worten  znr  Darstellung  bringen.  Das  Fettgeirebe  innerhalb 
der  Pankreaasabetanz  wie  auch  im  peripankreati sehen  Gewebe  ist  typisch 
nekrotisiert.  An  der  Peripherie  jeder  Nekrose  findet  sich  eine  Blutung 
in  das  Qewebe,  die  auch  noch  in  das  interstitielle  Oewebe  übergreift. 
Dsran  schließt  sich  eine  Zone  leukozytärer  Infiltration  aus  polymorph- 
kernigen Leukosyten  gebildet.     An  einigen  Stellen  des  Organs  ist  aooh 


882  XXn.  STEnrBAUs 

das  sp^zifisehe  Oewebe  von  einer  Nekrose  befallen;  die  Struktur  der 
Azini  ist  verloren  gegangen;  das  Int^rstitium  ,zeig^  an  diesen  Stellen 
herdförmige  kleinzellige  Infiltration.  Zahlreiche  Aste  der  V.  pancreatica 
fiind  durch  Thrombusmassen  yerlegt.  Die  Thromben  setzen  sich  ans 
roten  Blutkörperchen  zusammen,  die  die  Maschen  eines  dichtverfilzten 
Fibrinnetzes  ausfüllen.  Oft  sieht  man  beginnende  Organisation,  indem 
spindelförmige  Zellen  gegen  den  Thrombus  hin  vordringen.  An  den 
Arterien  ist  die  Media  ziemlich  verdickt  und  sehr  zellreich,  die  Intima 
kleidet  die  Innenwand  des  Gefa^s  in  Form  eines  breiten  homogenen 
Saumes  aus. 

Die  rechte  Nebenniere  bietet  folgendes  mikroskopische  Bild. 
Die  Kapsel  ist  stark  zellig  infiltriert,  indem  um  die  Gefäße  herum 
Lymphozyten  häufchenformig  angeordnet  liegen.  In  der  Binde  sind  die 
Drüsenzellen  völlig  zugrunde  gegangen.  Die  ZMrischenräume  zwischen 
den  Trabekeln  sind  ausgefüllt  nut  roten  Blutkörperchen.  An  verschie- 
denen Stellen  sind  größere  Hämorrhagien  zustande  gekommen,  in  deren 
Bereiche  nur  rote  Blutkörperchen  zu  erkennen  sind.  Die  Bindegewebs- 
balken  selbst  sind  dicht  erfüllt  mit  Leukozyten,  die  reihenförmig  im  Ge- 
webe lagern.  Die  Marksubstanz  ist  vollkommen  nekrotisiert ;  sie  stellt 
eine  ganz  strukturlose  Masse  dar.  Die  Aste  der  Y.  suprarenalis  sind 
thrombosiert,  ihr  Lumen  ist  durch  Fibrin  und  rote  Blutkörperchen  aus- 
gefüllt. Die  Organisation  ist  in  diesen  Gefäßen  schon  weiter  vor- 
geschritten als  im  Pankreas,  insofern  als  deutliche,  aber  feine  Binde- 
gewebsfasern, denen  spindelförmige  Zellen  angelagert  sind,  das  Lumen 
der  Gefäße  durchziehen. 

Die  Blutungen  im  großen  Netz  sind  subperitoneal  fiächenhaft 
ausgebreitet  und  setzen  sich  aus  Fibrin  und  roten  Blutkörperchen  zu- 
sammen, die  die  Maschen  des  Fibrinnetzes  ausfüllen. 

Leider  ist  es  versäumt  worden,  Stücke  aus  dem  Verlaufe  der 
größeren  Pfortaderwurzeln  zu  entnehmen,  so  daß  ich  über  das  mikro- 
skopische Verhalten  dieser  Gefäße,  die  nach  dem  Ausfall  der  Unter- 
suchung des  Pfortaderstammes,  der  Leberverzweigungen  und  der  Neben- 
nierenvenen  vermutlich  pathologische  Veränderungen  aufgewiesen  haben 
würden,  nichts  auszusagen  vermag. 

Der  Ikterus,  der  in  den  letzten  Tagen  des  Lebens  zur  ESntwicklnng 
kam,  erklärt  sich  wohl  ungezwungen  aus  den  erheblichen  Zirkulations- 
störungen in  der  Leber  und  der  dadurch  bewirkten  schweren  Schädigung 
der  Funktion  der  Leberzellen  sowie  aus  der  Behinderung  des  Abflusses 
der  produzierten  Galle. 

Es  fragt  sich  nun,  welches  Urteil  man  sich  über  die  Patho- 
genese des  vorliegenden  komplizierten  Krankheitsbildes  kon- 
struieren kann. 

Zunächst  könnte  der  ganze  Prozeß  lediglich  auf  die  Wirkung 
des  Traumas  zurückgeführt  werden.  Die  mikroskopische  Unter- 
suchung hat  indes  ergeben,  daß  eine  ältere,  vielleicht  selbständige 
Erkrankung  der  Pfortader,  eine  Endophlebitis  vorliegt,  deren  Ätio- 
logie völlig  unaufgeklärt  bleiben  muß.  Diese  Pylephlebitis  ist  nicht 


Ein  seltener  Fall  von  Pfortaderthrombose  etc.  383 

^ffas,  sondern  mehr  fleckig  aufgetreten,  ähnlich  wie  dies  Wagner 
bei  seinem  Falle  beschrieben  hat  Vielleicht  sind  dann  lokale 
Thrombosen,  namentlich  der  interlobulären,  aber  auch  etwas  größerer 
Äste  eingetreten,  die  im  Laufe  der  Zeit  zu  einer  vollkommenen 
bindegewebigen  Obturation  dieser  Gefäße  geführt  haben.  Im  An- 
schlüsse daran  sind  größere  und  kleinere  Nekrosen  des  Leber- 
gewebes zustande  gekommen,  weil  die  „inneren  Pfortader  wurzeln" 
Terlegt  wurden  und  damit  die  arterielle  Blutzufuhr  abgeschnitten 
war.    Die  Folge  der  letzteren  Störung  waren  dann  Hämorrhagien. 

Man  müßte  dazu  die  Annahme  machen,  daß  die  Wände  der 
Art.  hepatica  unter  der  Steigerung  des  arteriellen  Blutdrucks  in- 
folge der  Verlegung  der  kleinsten  interlobulären  Pfortaderästchen 
zunächst  eine  Veränderung  erlitten  und  damit  för  den  Durchtritt 
von  Blut  allmählich  vorbereitet  wurden  oder  daß  die  kleineren 
Ästchen  und  Kapillaren  rissen.  Als  ein  reparatorischer  Vorgang 
hat  sich  dann  die  erhebliche  Vermehrung  des  interstitiellen  Gewebes 
mit  einer  beim  Menschen  sehr  ungewöhnlichen  Wucherung  von 
Oallengängen,  wie  man  sie  nicht  einmal  bei  subakuter  gelber 
Atrophie  zu  sehen  bekommt,  eingestellt. 

Die  Veränderungen  an  den  Ästen  der  Art.  hepatica  möchte  ich 
^amit  erklären,  daß  infolge  der  sicherlich  vorhandenen  Druck- 
steigerung in  dem  Gefäße  sich  eine  Hypertrophie  der  Muskularis 
ausgebildet  hat,  daß  an  den  kleineren  Ästen  aber  bald  ein  Unter- 
gang der  Gewebselemente  eingetreten  ist,  der  in  der  hyalinen, 
homogenen  und  strukturlosen  Beschaffenheit  der  Media  seinen  Aus- 
druck findet. 

Bis  dahin  haben  wir  es  nach  dem  Bilde,  da^  ich  mir  von  der 
Pathogenese  des  Falles  entworfen  habe,  wohl  mit  einem  selbständigen 
Erkrankungsprozesse  zu  tun.  Jetzt  setzte  das  Trauma  ein,  das 
eine  Nekrose  des  peripankreatischen  und  pankreatischen  Fett- 
gewebes mit  Thrombose  der  V.  paucreatica  hervorrief  und  wohl 
auch  eine  Thrombose  der  rechten  V.  suprarenalis  mit  Blutung 
und  Nekrose  der  rechten  Nebenniere  erzeugte.  Vielleicht  ist  von 
einer  dieser  Thrombosen  aus  ein  Embolus  in  den  Stamm  der  Pfort- 
ader gefahren,  wo  er  sich  an  der  Abzweigungsstelle  des  rechten 
und  linken  Astes  festsetzte,  vielleicht  auch  ist  an  dieser  Stelle  in- 
folge der  Erkrankung  der  Intima  eine  autochthone,  lokale  Throm- 
bose mit  appositionellem  Wachstum,  das  aus  dem  Bau  des  Eugel- 
thrombus  geschlossen  werden  kann,  eingetreten,  sicher  scheint  mir 
zu  sein,  daß  von  diesem  Thrombus  aus  sich  eine  frische  Thrombose 
in  den  größeren  und  mittleren  Ästen  der  Pfortader  entwickelte, 


384  XXn.  Stkivhaub 

die  zahlreiche  frische  Blatungen  in  das  Lebergewebe  im  Gefolge 
hatte. 

Ich  glaube,  daß  man  genötigt  ist,  diese  zeitliche  Trennung  fSr 
die  Erklärung  der  pathologischen  Veränderungen  yorzunehmeo,  da 
die  enorme  Wucherung  der  Gallengäuge  und  des  interstitiellen 
Gewebes  bis  zum  Bilde  einer  Zirrhose  sowie  die  vollkommene  Ob- 
literation  der  kleineren  und  interlobulären  Pfortaderäste  wohl  nicht 
mit  dem  Alter  der  frischeren  Thrombosen  das  nach  dem  mikro* 
skopischen  Verhalten  der  größeren  Pfortaderäste  und  nach  der 
Anamnese  auf  9  Tage  zu  bemessen  ist,  in  Einklang  gebracht 
werden  kann. 

Erfahrungen  über  die  zeitliche  Dauer  bis  zur  EntwickluDg  so 
hochgradiger  interstitieller  Entzündung  und  Gallengangswucherang 
fehlen  mir.  Herr  Prof.  Ribbert  (Göttingen)  teilte  mir  in  einer 
Zuschrift  mit,  daß  er  an  Hand  angestellter  Tierexperimente  der- 
artige Veränderungen  in  der  Leber  schon  nach  9  Tagen  gesehen 
habe.  Trifft  dies  zu,  dann  müßte  man  den  von  mir  beschriebenen 
Veränderungen  eine  etwas  andere  Deutung  in  bezug  auf  ihre  Genese 
zukommen  lassen,  die  von  der  vorigen  dahin  abwiche,  daß  die  ge- 
samten Thrombosen,  sowohl  die  bereits  vollkommen  organieierten 
wie  auch  die  frischeren  im  wesentlichen  aus  Fibrin  aufgebauten, 
auf  das  Trauma  bei  einer  bestehenden  chronischen  Endophlebitis 
der  Pfortader  zurückzufuhren  wären. 

Lassen  sich  aber  damit  die  beobachteten  Veränderungen  an 
den  Ästen  der  Art.  hepatica  in  Übereinstimmung  bringen?  Gerade 
mit  Rücksicht  auf  diese  Veränderung  des  arteriellen  Gefäßes  und 
das  so  gänzlich  verschiedene  Verhalten  der  einzelnen  Thrombosen 
innerhalb  der  Pfortaderäste  möchte  ich  mich  mehr  für  die  zuerst 
gegebene  Darstellung  der  Genese  des  ganzen  Erankheitsprozesses 
entscheiden. 

Der  Tod  des  Patienten  ist  durch  die  direkte  Wirkung  des 
Traumas  nach  nur  9tägigem  Krankenlager  eingetreten.  Das  gibt 
mir  Veranlassung,  der  Bedeutung  des  Traumas  in  diesem  Falle 
einige  Worte  zu  widmen. 

Was  nun  zunächst  die  Veränderungen  am  Pankreas  anlangt 
so  steht  heute  wohl  unumstößlich  fest,  daß  ein  Trauma  imstande 
ist,  eine  Fettgewebsnekrose  im  Pankreas  zu  erzeugen,  sei  es  mit 
Verletzung  des  Organs,  sei  es  ohne  sichtbare  Verletzung.  Unsere 
Kenntnisse  über  die  traumatische  Entstehung  der  Pankreasnekrose 
sind  gerade  in  der  jüngsten  Zeit  durch  einige  Arbeiten  bereichert 
worden. 


£iii  seltener  Fall  von  Pfortaderthrombose  etc.  3g5 

So  berichtete  Simmonds  (15)  1898, 1900  und  1901  aber  4  Fälle 
von  reiner  traumatischer  Fettgewebsnekrose  des  Pankreas. 

M.  B.  Schmidt  (16)  beobachtete  und  beschrieb  weiterhin  einen 
Fall  nach  Kontusion  des  Abdomens  durch  die  Puffer  von  Eisenbahn* 
wagen  mit  zahlreichen  Rissen  im  Pankreas. 

Die  letzte  Arbeit  stammt  aus  der  Feder  von  Roosen- 
R a n g e  (17),  der  die  Fälle  von  Simmonds  ausführlicher  be- 
schreibt  und  die  ganze  Literatur  über  diesen  Gegenstand  berührt^ 
so  daß  die  Fälle  von  Körte,  Wagner,  Seiberg,  v.  Hanse- 
mann, Fester  und  Fitz,  Rolleston,  Warren  und  Glaeser 
Erwähnung  finden.  Der  Fall  Seiberg* s  ist  insofern  mit  dem 
von  mir  beobachteten  identisch,  als  das  Trauma  durch  einen  Pferde- 
hufschlag  bedingt  war. 

Nach  diesen  klinischen  Beobachtungen  und  den  experimentellen 
Erfahrungen  von  Katz  und  Winkler,  Hildebrand,  Williams, 
Körte,  wird  man  zu  der  Annahme  hingedrängt,  daß  die  primäre 
Bedeutung  in  dem  ganzen  Krankheitsprozesse  den  Gewebsalterationen 
des  Pankreas  zukommt,  die  entweder  auf  Erkrankungen  des  Pankreas 
oder  auf  Verletzungen  des  Organs  beruhen,  die  dann  aber  erst 
sekundär  die  Nekrotisierung  des  Gewebes  im  Gefolge  haben.  Dieser 
Ansicht,  der  namentlich  Simmonds  Ausdruck  gegeben  hat,  möchte 
ich  mich  auch  f&r  meinen  Fall  anschließen  und  demzufolge  die  An- 
nahme machen,  daß  zunächst  das  Trauma  eine  Zerstörung  von 
Pankreasgewebe  bewirkt  hat,  daß  sekundär  erst  die  Fettgewebs- 
nekrose aufgetreten  ist,  nachdem  eine  Störung  im  Abfluß  des 
Sekretes  zur  Geltung  gekommen  ist.  Diese  Verletzungen  können 
zwar  in  meinem  Falle  nur  supponiert  werden  und  können  auch 
nur  in  mikroskopischen  Gewebsläsionen  bestanden  haben,  da  sich 
der  Nachweis  gröberer  Verletzungen  nicht  erbringen  ließ.  Immer- 
hin wäre  es  denkbar,  die  erwähnten  Nekrosen  des  Drüsengewebes 
als  den  Effekt  des  Traumas  zu  betrachten. 

Des  weiteren  kann  ich  mich  nur  der  Ansicht  von  Simmonds 
anschließen,  daß  der  Nachweis  einer  traumatischen  Genese  der 
Fettgewebsnekrose  des  Pankreas  von  größter  praktischer  Bedeutung 
ist  hinsichtlich  des  Entschädigungsanspruches  der  Hinterbliebenen 
derartig  Verletzter.  Bei  meinem  Falle  war  das  Trauma  als  ein 
Betriebsunfall  zu  betrachten,  da  der  Patient  in  Ausübung  seines 
Dienstes  von  seinem  Pferde  einen  Hufschlag  erhalten  hatte.  Das 
Gutachten  müßte  sich  demnach  im  Anschluß  an  den  in  autopsia 
erhobenen  Befund  für  einen  direkten  Zusammenhang  zwischen  Trauma 


386  XXII.  Steüthaüs 

lind  Tod  aussprechen,  so  daß  die  Berufs^enossensctaaft  regreßpflichtig 
gemacht  werden  könnte. 

Wie  steht  es  nun  um  die  Bedeutung  des  Traumas  in  der  Ätio- 
logie der  Pfortäderthrombose ?  Die  Auslese-  an  Fällen  von  Pfort- 
aderthrombose, die  auf  ein  Trauma  mit  ursächlicher  Bedeutung  fQr 
den  Erankheitsprozeß  zurückgeführt  werden  können,  ist  in  der  Lite- 
ratur eine  äußerst  spärliche.  Mit  der  in  Rede  stehenden  Frage 
beschäftigt  sich  zunächst  die  Dissertation  von  Wilke  (18):  „Pfort- 
aderthrombose und  Trauma".  In  seinem  Falle  hatte  der  Patient 
nach  einem  höheren  Sprunge  Erscheinungen  von  Magen-  und  Darm- 
blutung geboten  und  war  auch  unter  den  gleichen  klinischen  Sym- 
ptomen etwa  ^4  Jahre  später  zugrunde  gegangen.  Bei  der  Autopsie 
war  die  Leber  ohne  besondere  Veränderungen.  Die  Wand  der 
Pfortader,  die  thrombosiert  war,  zeigte  in  der  Media  Spalte  und 
Bisse  Yon  bald  geringerer,  bald  größerer  Ausdehnung.  Außerdem 
war  die  Media  zellig  infiltriert.  Wilke  erklärt  diese  Einrisse 
durch  den  Zug  des  gefüllten  Magens  ev.  auch  des  Querkolons  an 
der  Pfortader  bei  dem  eifolgten  Sprunge  und  glaubt  damit  den 
traumatischen  Ursprung  der  Thrombose  bewiesen  zu  haben.  Er 
zitiert  dann  noch  die  in  der  Literatur  niedergelegten  Fälle  von 
Lambron  (beschrieben  von  Frerichs)  und  von  v.  Jan,  bei 
denen  Fremdkörper  die  V.  meseraica  durchbohrt,  die  Wand  in  Ent- 
zündungszustand versetzt  und  damit  die  Thrombose  verursacht 
hatten,  und  rechnet  auch  den  von  Frerichs  mitgeteilten  Fall 
von  Pfortaderthrombose  nach  mehrfachen  Kontusionen  des  Abdomens 
zu  den  Thrombosen  traumatischen  Ursprungs. 

Zu  der  gleichen  Frage  hat  dann  Ponfick(19)  1902  auf  der 
Naturforscherversammlung  zu  Karlsbad  Stellung  genommen  und 
den  Befund  an  2  Fällen  mitgefeilt,  bei  denen  sich  im  Anschluß  an 
ein  Trauma  eine  Pfortaderthrombose  entwickelt  hatte. 

Diesen  6  Fällen  gesellt  sich  nun  der  von  mir  beschriebene 
Fall  hinzu,  da  nach  meinen  Darlegungen  aus  dem  Sektionsbefande, 
aus  der  Anamnese  und  der  mikroskopischen  Untersuchung  die 
Schlußfolgerung  gezogen  werden  muß,  daß  auf  die  Einwirkung  des 
Hufschlages  mit  Sicherheit  die  frischen,  höchstens  9  Tage  alten 
Thrombosen  in  der  V.  suprarenalis  dextra,  in  der  V.  pancreatica 
und  in  den  größeren  Leberverzweigungen  zurückzufuhren  sind  Im 
Gegensatze  zu  Ponfick  mußte  ich  allerdings  die  Annahme  von 
dem  vorherigen  Bestehen  einer  vielleicht  selbständigen  Erkrankung 
der  Pfortaderwand  machen,  um  zu  einer  befriedigenden  Erklärung 


Ein  seltener  Fall  von  Pfortaderthrombose  etc.  387 

der  Veränderungen  an   den  Gefäßen   und  an   der  Leber  zu  ge- 
langen. 

Es  steht  somit  beute  außer  allem  Zweifel,  daß  auch  in  der 
Ätiologie  der  Pfortaderthrombose,  um  mit  P  o  n  f  i  c  k  zu  sprechen, 
das  „Trauma  eine  größere  Bolle  zu  spielen  scheint,  als  man  bisher 
angenommen  hat^,  und  sicherlich  würden  weit  mehr  Fälle  zur 
Beobachtung  gelangen,  wenn  regelmäßig  Obduktionen  gemacht 
würden,  deren  Bedeutung  auch  im  ökonomischen  Interesse  der 
größeren  Verletzungen  zum  Opfer  gefallenen  Patienten  auf  das 
klarste  der  beschriebene  Fall  beweist,  der  ohne  die  Sektion  voll- 
kommen in  Dunkel  gehüllt  geblieben  wäre. 

Wenn  ich  nunmehr  zu  der  Hauptfrage  zurückkehre,  deren  Be- 
antwortung den  wesentlichen  Gegenstand  vorliegender  Arbeit  bildet, 
der  Frage  nach  den  Leberveränderungen  im  Gefolge  von  Pfortader- 
thrombose, so  läßt  sich  das  Besultat  der  Erörterung  in  folgende 
Sätze  kleiden,  die  den  derzeitigen  Stand  der  Wissenschaft  präzi- 
sieren : 

L  Eine  große  Zahl  von  Pfortaderthrombosen  erzeugt  keine  Ver- 
änderungen in  der  Leber,  weil  die  Zirkulation  des  Blutes  un- 
gestört vor  sich  gehen  kann,  so  daß  das  Lebergewebe  in  seiner 
Funktion  keinerlei  Beeinträchtigungen  erleidet. 

a)  Diese  Thrombosen  können  abhängig  sein  von  einer  Er- 
krankung der  Pfortaderwand  im  Sinne  der  Anschauung 
von  Borrmann. 

b)  Sie  können  aber  auch  eintreten,  ohne  daß  eine  anatomisch 
nachweisbare  Erkrankung  der  Pfortader  vorliegt. 

n.  Bildet  sich  nach  einer  aütochthonen  oder  embolischen  Thrombo- 
sierung der  Pfortader  eine  Zirkulationsstörung  im   venösen 
Körperkreislaufe,  speziell  im  venösen  Kreislaufe   der  Leber 
aus  unter  gleichzeitiger  Abschwächung  der  arteriellen  Blut- 
zufuhr, so  kommen  die  sog.  „atrophischen  roten  Infarkte^'  (Zahn) 
zustande, 
in.  Erstreckt  sich  die  Thrombose  bis  in  die  interlobulären  Äste 
der  Pfortader,  so  kommt  es  zu  Nekrose  und  Hämon^hagie  in 
der  Leber  infolge  totaler  Verlegung  der  arteriellen  Blutzufuhr. 
Dabei  können  die  Äste  der  Art.  hepatica  unverändert  sein 
oder  aber  bedeutsame  pathologische  Abweichungen  aufweisen. 
Das  Ergebnis  vorliegender  Arbeit  läßt  sich  dahin  zusammen- 
fassen: 

L  Der  Fall  ist  als  eine  gemischt  autochthone  und  trau- 
matische Pfortaderthrombose  mit  konsekutiven 


388         XXn.  STBDmAus,  Ein  seltener  Fall  yon  Pfortaderthrombose  etc. 

Yeränderangen  in  der  Leber  aofznfasseiiy  die  sich  in 
Form  von  selten  so  ausgedehnten  Nekrosen  und  echten 
hämorrhagischen  Infarkten  darstellen. 

II.  Diese  Leber  Veränderungen  sind  als  dieFolge  der  totalen 
bindegewebigen  Obturation  der  interlobnlären 
Pfortaderäste  zu  betrachten. 
IIL  Die  Pfortader  ist  von  einer  wahrscheinlich  primären, 
fleckweise  auftretenden  Endophlebitis  befallen. 
Diese  hat  vor  der  Einwirkung  des  Traumas  bereits  weit- 
gehende Veränderungen  an  den  kleineren  und  kleinsten  Pfort- 
aderästen hervorgerufen  und  Nekrosen  im  Lebergewebe  da- 
durch bewirkt,  da  ausgedehnte  zirrhotiscbe  Prozesse 
und  eine  über  das  gewöhnlich  beobachtete  Maß  hinausgehende 
Wucherung  von  Gallengängen  auf  ein  höheres  Alter 
des  ganzen  Prozesses  hinzuweisen  scheinen. 
IV.  Das  Trauma  (Hufschlag  gegen  das  Epigastrium  und  die 
Regio  hypochondriaca  dextra)  hat  eine  akuteFettgewebs- 
nekrose  im  Pankreas,  eine  frische  Thrombose  der 
r.  y.  suprarenalis  mit  Hämorrhagie  und  Nekrose 
der  Nebenniere  sowie  eine  frische  Thrombose  der 
größeren  Pfortaderäste  erzeugt 

V.  Der  Fall  liefert  einen  neuen  Beweis  von  der  ätiologischen 
Bedeutung  des  Traumas  für  die  akute  Fettgewebs- 
nekrose  des  Pankreas  sowohl  wie  auch  für  die 
Thrombose  der  Pfortader. 


Literatur. 

1.  Borrmann,  Dieses  Archiv  Bd.  59. 

2.  Buday,  Zentralblatt  für  pathol.  Anatomie  XIV.  Bd.  Nr.  5  1903. 

3.  Saxer,  Zentralblatt  für  pathol.  Anatomie  XIII.  Bd.  Nr.  16  1902. 

4.  Kö brich,  Inaug.-Dissert.  Kiel  1903. 

5.  Berendes,  Inang.-Dissert.  Kiel  1903. 

6.  Cohnheim  und  Litten,  Virchow's  Arch.    Bd.  67. 

7.  Wagner,  Dieses  Archiv  Bd.  34. 

8.  Köhler,  Arbeiten  aus  dem  patholog.  Institut  Göttingen  1893. ., 

9.  Zahn,  Verhandl.  der  Gesellschaft  deutscher  Naturforscher  und  Ärzte,  Bnon- 
schweig  1897. 

10.  Chiari,  Zeitschrift  für  Heilkunde  Bd.  XIX. 

11.  Orth,  Lehrbuch  der  allgem.  Pathologie  und  pathol.  Anatomie,  Berlin  190L 

12.  Selma  Figowski,  Inaug.-Dissert.   Zürich  19Ü0. 

13.  Rat  tone,  ref.  Köhler  (s.  oben). 

14.  Osler,  ref.  Chiari  (s.  oben). 

15.  Simmonds,  Münch.  med.  Wochenschrift  1898,  1900,  1901. 

16.  M.  B.  Schmidt,  Münch.  med.  Wochenschrift  1900. 

17.  Roosen-Runge,  Zeitschrift  für  klin.  Medizin  Bd.  45. 

18.  Wilke,  Inaug.-Dissert.  Kiel  1903. 

19.  Po  n  f  i  ck ,  Verhandl.  der  Gesellschaft  deutscher  Naturforscher  und  Ärzte,  Karls- 
bad 1902. 


xxin. 

Ans  der  medizinischen  E[Iinik  Tübingen. 
Prof.  Dr.  KrehL 

Über  Herkunft  nnd  Wirkungsweise  der  Hftmagglntinine. 

Von 

Dr.  Eonrad  Sick, 

Assistenzarzt  der  Klinik. 

Das  Stndiom  der  natfirlichen  Schatzstoffe,  die  jedem  Organis- 
mus nach  seiner  Arteigentümlichkeit  zukommen,  ist  hinter  den 
Forschnngen  über  künstliche  Immunität  wesentlich  zurückgeblieben. 
Jedenfalls  sind  nnsere  Kenntnisse  anf  diesem  Gebiete  nicht  derart, 
daß  sie  die  Tatsachen  der  natürlichen  Resistenz  gegen  krank- 
machende Einflüsse  bei  den  verschiedenen  Tierspezies  unserem  Ver- 
ständnis vollständig  erschließen.  Trifft  man  ja  doch  nicht  selten 
ein  umgekehrtes  Verhältnis  zwischen  bakteriolytischer  Kraft  eines 
Blutserums  und  der  Empfänglichkeit  des  untersuchten  Tieres  füi* 
die  betreffende  Bakterienart.  Nur  wenig  ist  bekannt  über  Än- 
derungen in  der  Konstitution  und  in  der  Wirkungsweise  der  na- 
türlichen Schutzstoffe  bei  pathologischen  Zuständen,  in  denen  Pro- 
duktion von  Bakterien-Antikörpern,  also  infektiöse  Prozesse,  aus- 
geschlossen werden  können. 

In  den  Rahmen  einer  Reihe  von  Untersuchungen  über  physio- 
logische Eigenschaften  und  pathologische  Veränderungen  des  Blutes 
und  seiner  Bestandteile,  die  in  unserer  Klinik  in  Angriff  genommen 
wurden,  fügten  sich  Versuche  ein,  die  über  die  Entstehung  und 
die  Eigenschaften  jener  natürlichen  Schutzstoffe  Aufschluß  geben 
sollten.  Während  die  normalen  Hämolysine  in  neuerer  Zeit  sehr 
viel  häufiger  Gegenstand  von  Untersuchungen  geworden  sind,  haben 
die  Hämagglutinine  nicht  so  eingehende  Beachtung  gefunden,  und 
sie  besitzen  doch  nach  Ansicht  der  Mehrzahl  der  Autoren  gegen- 
über den  Hämolysinen  eine  weitgehende  Selbständigkeit  oder  sind 
sogar   völlig   von   ihnen    abzutrennen.      Im   Verlauf   der   Unter- 


390  xxm.  SiGK 

suchuDgen  wurden  allerdings  die  viel  kräftiger  wirkenden  immuni- 
satorisch erzeugten  Agglutinine  zu  Hilfe  genommen. 

Um  eine  sichere  Grundlage  der  Methodik  zu  bekommen,  mußten 
wir  einerseits  die  Werte  der  natürlichen  agglutinieren- 
den Substanzen  in  den  Eörperflussigkeiten  bestimmen,  andere^ 
seits  die  verschiedenen  morphologischen  Bestandteile  des 
Blutes  auf  ihre  Agglutinierbarkeit  prüfen. 

Zar  Methode  nur  soviel:  Von  den  za  agglntiDierenden  Erythro- 
zyten, die  2  mal  gewaschen  waren,  wnrden  5  %  AnfBchwemmuDgen  ia 
0,9  ^Iq  NaCl- Lösung  hergestellt.  Beobachtet  wnfde  die  Agglutination  im 
hängenden  Tropfen,  nachdem  1  Normalöse  der  Blutaufschwemmong  mit 
Serum  oder  Serumverdünnung  gut  gemischt  war. 

Die  Sera  der  Warmblüter  besitzen  im  allgemeinen  einen  ge- 
ringen Agglutinationstitre  gegenüber  den  Blutkörperchen  anderer 
Spezies.  Schwankungen  dieser  Agglutinationswerte,  nicht  nur  inner- 
halb einer  Tierart,  sondern  auch  bei  einem  und  demselben  In- 
dividuum zu  yerschiedenen  Zeiten  erschweren  bei  solchen  Ver- 
suchen das  quantitative  Arbeiten  beträchtlich.  Man  ist  gezwungen, 
möglichst  lange  ein  einziges  Serum  zu  gleichartigen  Versuchen  zu 
benützen,  das  sich  bei  Zusatz  von  0,5  7o  Karbolsäure  genügend 
lange  hält,  ohne  daß  die  Wirksamkeit  wesentlich  abnimmt. 

Bei  vergleichenden  Versuchen  über  die  Wirkung  eines  Serums 
auf  verschiedene  Blutkörperchenarten  kann  man  sich  bald  davon 
überzeugen,  daß  nähere  Beziehungen  zwischen  den  nor- 
malen Hämolysinen  und  Hämagglutininen  nicht  ange- 
nommen werden  können.    Es  löst  z.  B. 

Kaninchen, 

Pferd, 

Hammel, 

Eind, 

Mensch, 

Schwein, 

Gans.^) 

Hingegen  bringt  das  Serum  desselben  Hundes,  das  Rindererythro^ 
zyten  prompt  hämolysiert,  diese  Erythrozyten  nicht  zur  Agglu- 
tination oder  braucht  dies  nicht  jedenfalls  zu  tun.  Oder  umge- 
kehrt: Menschliches  Blutserum,  das  Blutkörperchen  vom  Hunde 
stark  agglutiniert,  braucht  diese  nicht  aufzulösen.    Der  Auflösung 


Hundeserum  die  Körperchen  von 


1)  Vgl.  auch  Gürber,  Zur  Kenntnis  der  Chemie  und  Physiologie  des  Blut- 
serums.   Festschrift  für  Fick  1899. 


über  Herkunft  und  Wirkungsweise  der  Hämagglutinine.  39t 

Yon  Erythrozyten  durch  immnnisatorisch  erzengte  Hämolysine 
scheint  aber  konstant  Agglutination  vorauszugehen,  eine  Beobachr 
tuDg,  die  von  Baumgarten^)  veranlaßte,  die  Identität  beider 
Körper  anzunehmen.  Demgegenüber  ist  es  in  jüngster  Zeit 
Sachs ^)  gelungen,  mit  Hilfe  von  Kälteeinwirkung  Agglutinine  und 
Ambozeptoren  yoUständig  zu  trennen.  Damit  ist  natürlich  di^ 
Möglichkeit  eines  näheren  Zusammenhanges  dieser  beiden  Körper 
noch  nicht  ausgeschlossen.  Möglicherweise  besitzen  beide  gemein^ 
schaftliche  Gruppen,  oder  das  Agglutinin  selbst  bzw.  seine  Vor* 
stufe  ist  in  dem  Aufbau  des  Ambozeptorkomplexes  beteiligt. 

Die  Hämolyse  durch  Galle,  welche  ja  auf  zahlreiche 
Bakterienarten  agglutinierend  wirkt,  sahen  wir  nie  kombiniert  mit 
Agglutination  auftreten.  Allerdings  ist  die  Einwirkung  der  Galle 
auf  die  roten  Blutscheiben  vermöge  ihrer  chemischen  Konstitution 
wesentlich  verschieden  von  dem  Vorgang  der  Lösung  jener  durcb 
Blutserum. 

Während  bei  den  Immunsera  Agglutination  in  einer  Verdünn 
nnng  1 :  1000  bis  1 :  2000  keine  Seltenheit  ist,  bekommt  man  bei 
den  wirksameren  der  normalen  Sera  Reaktion  noch  in  einer  Ver* 
dunnung  1 :  20 ;  ausnahmsweise  1 :  80  bis  1 :  160.  Geringe  Diffe- 
renzen in  ihrer  agglutinierenden,  sowie  besonders  in  der  hämoly- 
tischen Wirkung  zeigen  venöse  und  arterielle  Sera  desselben  Tieres. 
Gewöhnlich  besitzt  das  Serum  des  venösen  Blutes  stärkere  Wir- 
kung. J.  Hamburger')  hat  die  analoge  Beobachtung  hinsichtlich 
des  Verhaltens  des  venösen  und  des  arteriellen  Blutes  bei  der  Bakte- 
rizidie  dadurch  erklärt,  daß  das  venöse  Serum  durch  seinen  größeren 
Gehalt  an  „diffusiblem"  Alkali  (Alkali  in  lockerer  Salzbindung  im 
Gegensatz  zu  den  Alkalialbuminaten)  an  bakterizider  Kraft  gewinne. 
Ganz  konstant  waren  jedoch  diese  Differenzen  nicht,  vielleicht  daß 
chemische  Veränderungen  des  Blutes  je  nach  der  Sauerstoffaufhahme 
durch  die  Lungen  und  dem  jeweiligen  Zustand  der  Verdauung  die 
auseinandergehenden  Resultate  erklären  könnten. 

Eingehende  Untersuchung  des  Blutplasmas  auf  seine  agglu* 
tinierenden  Eigenschaften  sollte  die  Frage,  ob  die  Agglutinine  Pro*^ 
dukte  der  Zellveränderung  bei  der  Gerinnung  darstellen  oder  im 
zirkulierenden  Plasma  gelöst  sind,  ihrer  Entscheidung  näher  bringen. 
Schwierig  ist  es,   ein  Plasma  herzustellen,   das  dem  intravasalen 

1)  BerUner  klin.  Wochenschr.  1901,  Festschrift  für  Jaff e  1901,  Verhandle 
4er  deutschen  pathoL.  Gesellschaft  1902. 

2)  Münch.  med.  Wochenschr.  IJKU  Nr.  7. 

3)  Virch.  Arch.  Bd.  156. 


392  XXm.  SicK 

möglichst  gleicbkommt.^)  Als  HaSstab  fBr  diese  Eigenschaft  kaim 
man  wohl  mit  Recht  chemische  Kriterien  zn  Hilfe  nehmen,  nilmlich 
das  Fehlen  des  Thrombins  nnd  seiner  Vorstafen.  Ein  Plasma, 
welches  frei  ist  von  Oerinnnngsferment  oder  dessen  Vorstufen,  wird 
dem  zirknlierenden  Plasma  am  nächsten  kommen.  Die  gewöhn- 
lichen Methoden,  Blutplasma  zn  gewinnen,  erweisen  sich  als  un- 
genügend f&r  unsere  Zwecke,  insofern  man  dabei  unverändertes 
Blutplasma  nicht  erhält.  Wird  Blut  direkt  aus  der  Arterie  in 
Oxalat-,  Fluorit-  und  Metaphosphatsalzen  von  bestimmten  Konzen- 
trationen oder  im  Extrakt  von  Blutegelköpfen  aufgefangen,  so  wird 
es  ungerinnbar  durch  Ausfällung  der  zur  Fermentbildnng  not- 
wendigen Kalksalze  bzw.  infolge  AntikOrperwirkung.  Daß  der 
Salzzusatz  für  das  Zustandekommen  der  Agglutination  belanglos 
ist,  war  leicht  festzustellen.  Andererseits  jedoch  entsprach  das 
mit  diesen  Methoden  gewonnene  Plasma  den  obengenannten  An- 
forderungen nicht  vollständig.  Erst  die  Anwendung  von  paraf- 
iinierten  Kanülen  nnd  Zentrifugenröhren  nach  Gengou,  in  die 
das  Blut  ohne  jeden  Zusatz  aus  dem  Gefäß  einströmte,  ermög- 
licht die  Gewinnung  von  chemisch  ganz  unverändertem  Plasma 
Dr.  Morawitz  stellte  mir  von  ihm  auf  Fermentfreiheit  geprüftes 
Plasma  zur  Verfugung.  Die  Agglutinationskraft  dieses 
Plasmas  verhielt  sich  quantitativ  ebenso  wie  das 
Serum  desselben  Tieres. 

Durch  Hewlett-)  ist  dieselbe  Übereinstimmung  in  der  Wir- 
kungsweise von  Plasma  und  Serum,  was  die  Bakterizidie  und  Hämo- 
lyse  anlangt,  nachgewiesen  worden  in  Übereinstimmung  mit  den  An- 
gaben von  G  r  u  b  e  r  *),  während  Gengou*)  dem  Plasma  eine  wesent- 
lich geringere  bakterizide  Wirkung  zuschreiben  zu  müssen  glaubte 
als  dem  Serum.  Auf  indirektem  Wege  glaubt  Ascoli*)  die  hämo- 
lytische Wirkung  des  Blutplasmas  nachgewiesen  zu  haben. 

Damit  war  die  Entstehung  der  Agglutinine  durch  Verände- 
Hingen  der  zelligen  Elemente  des  Blutes  nach  dem  Austritt  ans 
dem  Gefäße  sehr  unwahrscheinlich  geworden.  Im  nämlichen  Sinne 
war  die  Beobachtung  zu  verwerten,  daß  Verreibungen  von  Leuko- 


1)  Vgl.  hierüber  die  eingehenden  Untersuchungen  Ton  Morawit«,  Arch. 
fdr  kliu.  Med.  79.  Bd.  und  Löwit  und  Schwarz,  Zeitschr.  f.  HeUkunde  1903 
Bd.  24  Heft  Vm. 

2)  Arch.  f.  experim.  Pathol.  u.  Pharmakol.  Bd.  49  S.  307. 

3)  Mttnchn.  med.  Wochenschrift  1901  Nr.  46—49. 

4)  Annal.  de  Tinst.  Pasteur  1901. 

5)  Deutsche  med.  Wochenschr.  1902  Nr.  41. 


über  Herkunft  und  Wirkungsweise  der  Hämagglutinine.  393 

zyten,  Blutplättchen,  Stromata  der  Erythrozyten  mit  0,9  ^/o  Koch- 
salzlösung keine  agglutinierende  Wirkung  hatten. 

Eine  Beteiligung  der  Gefäßwandzellen  an  der  Produktion  der 
Agglutinine  ist  ebenso  schwierig  auszuschließen,  als  der  Nachweis 
einer  solchen  Beteiligung  derselben  unsicher  bleiben  müßte.  Jeden- 
falls ist  nach  all  dem,  was  wir  von  der  physiologischen  Bedeutung 
dieses  Gewebes  wissen,  eine  solche  Rolle  nicht  wahrscheinlich. 

Wir  haben  dann  noch  untersucht,  ob  die  Agglutination  der  roten 
Blntscheiben  anders  verläuft,  wenn  das  Hämoglobin  aus  ihm  ent- 
fernt ist.  Das  ist  nicht  der  Fall:  die  Stromata  der  Erythrozyten 
wurden  agglutiniert  wie  vor  der  Auslaugung. 

DerNachweis  der  Agglutination  im  zirkulierenden 
Plasma  selbst,  in  der  Gefäßbahn,  stößt  auf  erhebliche  Schwierig- 
keiten. Führt  man  inaktives  Serum,  das  die  Zellen  der  anderen 
Tierart  in  vitro  agglutiniert,  in  die  venöse  Blutbahn  dieses  Tieres  in 
genügender  Menge  ein,  so  müßten  die  ziemlich  fest  zusammenhängen- 
den Zellhaufen  im  Kapillarkreislauf  hängen  bleiben  und  sich  so 
der  Beobachtung  im  arteriellen  Blut  entziehen.  Versuche  mit  Durch- 
blutung von  Warmblütern  (Hunden)  mit  defibriniertem  steril  aufge- 
fangenem Blut  derselben  Tierart  (Isoagglutination)  und  sodann  auch 
mit  defibriniertem  Schweineblut,  das  vom  Hundeplasma  agglutiniert 
wird,  ergaben  kein  sicheres  Resultat  insofern,  als  Häufchenbildung 
zwar  beobachtet  wurde,  aber  nicht  in  der  Menge  und  Ausdeh- 
nung, daß  Agglutination  in  größerem  Maßstab  angenommen  werden 
konnte. 

Um  etwaige  Agglutination  innerhalb  der  Blutbahn  in  Gestalt 
von  Zirkulationsstörungen,  Embolien  von  Blutkörperchenhaufen  im 
Kapillargebiet  direkt  beobachten  zu  können,  haben  war  kurari- 
sierten  Fröschen  bestimmte  Mengen  inaktiven  Serums  vom  Hund 
in  die  Blutbahn  eingeführt. 

Die  Versuchsanordnung  war  folgende : 

Injektion  von  1  ccm  Hundeserura,  das  Froschblutkörperchen  bis  zu 
einer  Verdünnung  1  :  20  agglutinierte,  in  die  Brustvene  oder,  was  sich 
als  sicherer  und  einfacher  erwies,  in  die  Herzkammer  von  der  Herz- 
spitze aus.  Letztere  wurde  dann  in  toto  mit  einer  feinen  Klemme  ab- 
geklemmt, ohne  daß  eine  wesentliche  Schädigung  der  Herztätigkeit  be- 
merkbar war. 

Weiterhin  wurde  künstlich  hydrämisch  gemachten  Fröschen  (Ent- 
ziehung von  Blut  unter  gleichzeitiger  Einführung  von  0,6  %  Koch- 
salzlösung). Hundeserum  eingespritzt,  um  bei  der  nunmehr  geringeren 
Konzentration  der  roten  Zellen  im  Blut  Haufenbildung  leichter  beobachten 
zu  können.  Als  Kontrolltiere  dienten  Frösche,  denen  1  ccm  0,6  %  Koch- 
Deutsches  Archiv  f.  klin.  Medizin.    LXXX.  Bd.  26 


394  XXIU.  SicK 

Salzlösung  in  die  Blutbahn  gespritzt  worden  war.      Endlicb  wnrde  Tieren 
schon    vorher  in  vitro  agglutiniertes  Blut  in  die  Gkfaßbahnen  eingefOhii 

Bei  den  Fröschen,  die  nur  inaktives  Hundeserum  injiziert  be- 
kommen hatten,  äußerte  sich  die  Beimischung  des  fremden  Serums 
in  einer  rasch  eintretenden  Zirkulationsstörung,  hauptsächlich  Stase 
in  den  größeren  Venen,  die  nach  10 — 15  Minuten  wieder  normaler 
Zirkulation  Platz  machte.  Eigentliche  Haufenbildung  konnte  man 
nicht  erkennen.  Die  Zirkulationsstörung  fehlte  oder  war  viel  ge- 
ringer und  von  kürzerer  Dauer  bei  der  Injektion  von  0,6  %  Kochsalz- 
lösung. 

Ganz  anders  war  das  Bild  bei  den  hydrämisch  gemachten  Tieren. 
Nachdem  die  Hydrämie  soweit  fortgeschritten  war,  daß  die  Erythro- 
zyten in  den  größeren  Gefäßen  nur  noch  im  Wandstrom  fort- 
getrieben wurden,  führte  die  Injektion  von  1  ccm  Hnndeserum  zu 
exquisiten  Agglutinationserscheinungen :  Im  Eapillargebiet  der 
Schwimmhaut  und  in  den  präkapillaren  Gefäßen  traten  Haufen 
von  Froschblutkörperchen  auf,  die  an  den  Verzweigungen  sitzen 
blieben,  dann  ruckweise  wieder  ein  Stück  weiter  fortgeschwemmt 
wurden;  es  war  das  Bild  der  Arterienembolie.  Ähnliche  Folgen 
hatte  die  Injektion  des  schon  agglutinierten  Blutes  in  die  GefaS- 
bahn.  War  damit  ein  Beweis  für  die  Möglichkeit  einer  intravasalen 
Agglutination  erbracht,  so  bedurfte  es  noch  einer  Variation  des 
Versuches,  um  den  Nachweis  der  Präexistenz  der  im  Plasma  ge- 
lösten Agglutinine  zu  erbringen.  Da  Kaninchenblutkörperchen  von 
Froschserum  in  vitro  agglutiniert  werden,  w^urde  Fröschen  von 
Serum  befreite  Kaninchenerythrozyt^n  in  die  Gefäßbahn  nach  der 
oben  beschriebenen  Methode  eingeführt  und  der  Effekt  an  den 
Mesenterialgefäßen  beobachtet.  Auch  auf  diesem  Wege  gelangt 
man  zu  positivem  Resultat:  Kurz  nach  der  Injektion  treten  in  den 
größeren  Blutgefäßen  Haufen  von  kernlosen  Erj'throzyten  auf,  die 
stoßweise  von  dem  Blutstrom  weitergeschleudert  werden.  Es  ist 
daher  das  Vorhandensein  der  agglutinierenden  Substanz  im  Plasma 
höchst  wahrscheinlich,  viel  wahrscheinlicher  jedenfalls,  als  daß  sie 
durch  den  Reiz  der  fremden  Eindringlinge  erst  erzeugt  werden 
sollte.  Abgewiesen  ist  damit  auch  die  Anschauung,  daß  die  Agglu- 
tinine durch  x4.bsterben  gewisser  Zellarten,  der  weißen  Blutzellen 
(Metschnikoff,  1.  c),  entstehen  könnten.  Landois^)  hat  solche 
Embolien   post  mortem   bei   ähnlich  vorbehandelten  Tieren  schon 

1)  Die  Traiisf iisiou  des  Blutes  1875.    S.  160  und  279  ff. 


über  Herkunft  und  Wirkungsweise  der  Hämagglutinine.  395 

gesehen,  während  des  Lebens  hat  er  sie  in  der  Gefäßbahn  nicht 
nachzuweisen  vermocht. 

Eine  Einwirkung  der  natürlichen  Agglutinine  auf  andere  Blut- 
bestandteile  als  Erythrozyten,  nämlich  Leukozyten  und  Blutplättchen, 
konnten  wir  nicht  nachweisen. 

Die  Bildungsstätte  der  verschiedenen  Antikörper  ist  schon 
mehrfach  Gegenstand  von  Untersuchungen  gewesen.  In  erster 
Linie  haben  sich  die  Autoren  mit  der  Herkunft  der  künstlich  er- 
zengten antitoxischen  und  bakteriziden  Stoffe  beschäftigt.  Haupt- 
sächlich kommen  für  uns  in  Betracht  die  Arbeiten  von  Pfeiffer 
und  Marx^),  Wassermann*),  Metschnikoff*),  Klein*) 
Deutsch*);  letzterer  untersuchte  speziell  die  Agglutinine  der 
Bakterien.  Neben  den  zelligen  Bestandteilen  des  Blutes  sind 
a  priori  die  hämatopoetischen  und  lymphoiden  Organe  als  wahr- 
scheinliche Pi'oduzenten  jener  Antikörper  anzusprechen.  In  der 
Tat  konnten  Pfeiffer  und  Marx,  Wassermann,  Metschni- 
koff,  Klein  im  Verlauf  der  Immunisierung  die  Bildung  der 
Schutzstoffe  in  den  hämatopoetischen  Organen  begründen,  während 
es  Deutsch  nicht  gelang,  in  den  Organen  größere  Mengen  von 
Bakterienagglutininen  nachzuweisen. 

Anders  die  natürlichen  Antikörper:  Sie  sind  jederzeit,  abge- 
sehen von  den  erwähnten  individuellen  Schwankungen,  im  Blute 
zu  finden,  bei  jüngeren  Tieren  deutlich  schwächer  als  bei  aus- 
gewachsenen, sie  bilden  sich  nicht  in  einer  kurzen  Frist  als  Re- 
aktion gegen  die  EinführuDg  fremder  Zellen.  So  konnte  es  nicht 
befremden,  daß  die  Preßsäfte  (gewonnen  mittels  einer  Buchner'schen 
Presse  bei  300  Atmosphären  Druck),  sowie  Extrakte  zerriebener, 
möglichst  vollständig  von  Blut  befreiter  Organe  ganz  wirkungslos 
blieben.  Untersucht  wurden  mit  dieser  Methode  Milz,  Lymph- 
drüsen, Leber,  Lunge,  Nieren,  Muskel,  Gehirn,  Knochenmark  und  zwar 
von  Tieren  (Katze  und  Hund),  deren  kräftige  Agglutinations- 
wirkiing  gegenüber  Kaninchenblutkörperchen  vorher  titriert  worden 
war.  Das  Fehlen  der  normalen  Agglutinine  in  den  Körperzellen 
spricht  übrigens  noch  keineswegs  dagegen,  daß  solche  dort  ge- 
bildet werden  können.    Es  wäre  immer  noch  die  Annahme  mög- 


1)  Zeitschr.  f.  Hygiene  Bd.  27  1898. 

2)  Berlin,  klin.  Wochenschrift  1898.  —  Deutsche  med.  Wochenschrift  1899, 
—  Volkmann's  Vorträge  Nr.  331  1902. 

3)  Immunität  bei  Infektionskrankheiten  1902. 

4)  Wien.  klin.  Wochenschr.  1901. 

5)  Zentralbl.  f.  Bakteriologie   Bd.  28  1900. 

26* 


396  XXIII.  SicK 

lieh,  daß  die  neugebildeten  Antikörper  außerordentlich  rasch  in 
das  zirkulierende  Blut  abgegeben  werden. 

Die  geringe  Agglutinationskraft  der  normalen  Sera  konnte  es 
jedoch  mit  sich  bringen,  daß  ihr  Nachweis  in  Organen  mißlang, 
deren  Zellen  in  Wirklichkeit  doch  eine  genetische  Bedeutung  für 
die  Agglutinine  haben.  Deshalb  dehnten  wir  diese  Untersuchungen 
auch  auf  die  immunisatorisch  erzeugten  Agglutinine  aus.  Die  Vor- 
behandlung von  Kaninchen  geschah  in  der  Weise,  daß  gleiche 
Mengen  von  Hundeplasma,  Hundeserum  und  serumfreien  Hundeblut- 
körperchen den  Tieren  intraperitoneal  beigebracht  wurden.  Die 
höchsten  Agglutinationswerte  lieferten,  wie  zu  erwarten,  die  mit 
Erythrozyten  immunisierten  Tiere.  Das  Immunserum  dieser  Kanin- 
chen agglutinierte  Hundeköi-perchen  bis  zu  einer  Verdünnung  1 :  1200. 

Nach  Feststellung  des  Agglutinationstitre  wurden  die  blutfrei 
gemachten  Organe  auf  ihren  Gehalt  an  Agglutininen  untersucht, 
soweit  diese  in  die  Preßsäfte  und  in  die  Extrakte  zerriebener 
Organe  übergegangen  waren.  Dabei  erwies  sich,  daß  alle  oben 
genannten  untersuchten  Organe  deutlich  agglutinie- 
rendeSubstanzenenthielten  und  zwar  in  einer  Konzentration, 
die  nicht  durch  die  minimalen  zurückgebliebenen  Blutreste  erklärt 
werden  konnte.  Die  hämatopoetischen  Organe  unterschieden  sich 
nie  von  den  anderen  durch  höhere  Agglutinations werte.  Auch  wenn 
in  Anlehnung  an  die  Versuche  von  Pfeiffer  und  Marx  über  die 
Bildungsstätte  der  Bakteriolysine  die  in  Betracht  kommenden  Organe 
in  der  Periode  des  Steigens  der  Agglutinationswerte  geprüft  wurden, 
reichten  die  gefundenen  W^erte  an  die  des  Serums  lange  nicht  hin. 

Zur  Veranschaulichung  dieser  Tatsache  möge  eine  Vei*suchs- 
reihe  dienen: 

Es  wurden  bei  Kaninchen  mittleren  Körpergewichts  (1800 — 2200  g) 
intraperitoneal  Injektionen  von  je  20  ccm  defibrinierten  Hundeblutes  vor- 
genommen, die  Tiere  in  bestimmten  Zeitabständen  entblutet^  die  Gefäße 
mit  5  1  0,9  ^!q  Kochsalzlösung  durchgespült  und  der  Agglutinationswert 
des  Blutserums  sowie  der  Organextrakte  gegenüber  gewaschenen  in  isoto- 
nischer  Kochsalzlösung  aufgeschwemmten  (5 — 10%)  Hundeblutkörperchen 
bestimmt.  Die  Organextrakte  wurden  durch  Zerreiben  der  zerkleinerten 
Organe  mit  Kieseiguhr  gewonnen,  zu  der  zerriebenen  Masse  wurde  die- 
selbe (lewichts menge  0,9  ^^  ^,  Kochsalzlösung  zugesetzt  und  die  ungelösten 
Bestandteile    nach    12  stündigem  Verweilen  im  Eisschrank  abzentrifugiert. 

Die  Agtriutinationswerte  des  Milzextraktes  in  nachfolgender 
Tabelle  sind  wohl  zum  größten  Teil  durch  Reste  von  Blutplasma 
verursacht,  da  die  Milz  infolge  ihrer  komplizierten  Zirkulations- 
verhältnisse trotz  sorgfältigster  Durchspülung  nie  auch  nur  an- 


über  Herkunft  und  Wirkungsweise  der  Hämagglutinine. 


397 


nähernd  vollständig  von  Blut  befreit  werden  kann.  Für  uns  wichtig 
ist  ja  nur  die  Tatsache,  daß  die  Organextrakte  in  jeder  Phase  der 
Immunisierung  an  Wirksamkeit  hinter  dem  Blutserum  zurückbleiben. 
Es  ist  dies  eine  Erscheinung,  die  analog  ist  dem  Verhalten  der 
lymphatischen  Organe  bei  der  Produktion  der  Bakterienagglutinine : 
Gengou^)  und  Deutsch  (1.  c.)  fanden  im  Verlauf  der  Immuni- 
sierung von  Tieren  mit  Milzbrandbazillen  bzw.  mit  Bact.  typhi  nie  in 
jenen  stärkere  Agglutinationswerte  als  im  Blutserum,  van  Emden*) 
und  Metschnikoff  (1.  c.)  haben  sich  allerdings  im  entgegen- 
gesetzten Sinne  ausgesprochen. 


Bezeichnung 
des  Tieres 


Entblutet 
nach 


Agglutination 


Serum 


MUz- 
extrakt 


Leber- 
extrakt 


Bemerkungen 


Kaninchen  V   1  2  X  24  Stunden 


Kaninchen  I     !  3  X  24         „ 
Kaninchen  IV  (3X24)+12„ 

Kaninchen  H   ,  4  X  24  „ 

Kaninchen  IH  |  5  X  24         „ 


I 


0 

0 

0 

0 
1:1 

0 
0 

0 
0 

1:64 
1:80 

1:16 
1:20 

0 
0 

Injiziertes   Handeblut 

noch  nicht  vollständig 

resorbiert. 

\  Lymphdrüsen  und 
>  Nierenextrakt  eben- 
I  falls  Agglutination  0. 


um  für  die  Untersuchungstechnik  der  Agglutinationskraft  der 
Körperzellen  bei  hoch  immunisierten  Tieren  ein  Beispiel  zu  geben, 
will  ich  das  Versuchsprotokoll  eines  (von  4)  mit  Hundeerythrozyten 
vorbehandelten  Kaninchens  kurz  anführen: 

Graues  männliches  KauiDchen  (2300  g)  erhält  innerhalb  3  Wochen 
52  ccm  gewaschene  Hundeblutkörperchen  intraperitoneal  injiziert.  28.  Januar 
1904  Entblutung;  Durchspülung  mit  4^2  1  0,9%  Kochsalzlösung.  Das 
Serum  agglutiniert  Hundekörperchen  1  :  640,  0,2  %  Natriumoxalatplasma 
1  :  640. 


Organe ') 

Agglutinationswerte 

Preßsaft  300  Atmosph. 

Organextrakt 
1:3  0,9%  Kochsalzlösung 

Leber 

Niere 

Milz  -4-  Lymphdrüsen 

Muskel 

Lunge 

Gehini 

Knochenmark 

1:20 
1:20 

1:10 
1:15 
1:20 
1:20 
1:20 
1:10 
1:10 

1)  Annal.  de  l'inst.  Pasteur  1899. 

2)  Zeitschr.  f.  Hyg.  u.  Inf.-Krankheiten  Bd.  30  1899. 

3)  Nur  die  größeren  Organe  könnten  zur  Gewinnung  von  Preßsäften  ver- 
wendet werden,  bei  den  kleineren  mußten  die  Extrakte  genügen. 


398  XXIII.  SicK 

Das  Seram  eines  mit  derselben  Menge  Handeseram  vorbehan- 
delten,  fast  gleich  großen  Kaninchens  hatte  einen  um  die  Hälfte 
geringeren  Agglutinationswert.  Die  Galle  des  erstgenannten  Tieres 
löste  Hundekörperchen  bis  zu  einer  Verdünnung  1 :  320.  Bis  zur 
Verdünnung  1 :  80  geschah  dies  momentan,  stets  ohne  eine  Spar 
von  vorausgegangener  Agglutination.  Wichtig  im  Blick  auf  die 
Spezifität  der  Antikörperbildung  ist  die  öfters  gemachte  Erfahrung, 
daß  bei  diesen  und  ähnlichen  Versuchen  das  hochwertige  Kaninchen- 
immunserum auch  auf  Erythrozyten  anderer  Spezies  einwirken  kann; 
so  fanden  sich  bei  mit  Hundeblut  vorbehandelten  Kaninehen  im  Blut- 
serum nicht  unbeträchtliche  Agglutinationswerte  gegen  Menschen- 
erythrozyt€n  (bis  1 :  20),  ähnlich  wirkte  das  Serum  von  mit  Menschen- 
blut präparierten  Tieren  auf  die  Erythrozyten  anderer  Tiere. 

Die  immunisatorisch  erzeugten  Agglutinine  waren 
demnach  in  ungefähr  gleichen  Mengen  an  jedes  Protoplasma 
des  immunisierten  Organismus  gebunden,  während  im 
Blutplasma  ein  Multiplum  von  ihnen  kreiste. 

Nach  der  Ehrlich'schen  Terminologie  besitzen  also  die  Körper- 
zellen eine  für  die  zur  Immunisierung  verwendeten  Blutzellen 
passende  ßezeptorengruppe,  die  Hauptmenge  solcher  Rezeptoren  ist 
jedoch  in  das  Blutplasma  abgestoßen. 

Ein  weiteres  Eigebnis  hatte  die  Verwendung  solch  hochwertiger 
Immunsera  insofern,  als  es  mit  ihnen  gelang,  Blutplättchen 
und  Leukozytenaufschwemmungen  in  einwandsfreier 
Weise  zu  agglutinieren.  Von  Agglutination  der  Blutplättchen 
zu  sprechen,  scheint  bei  der  Klebrigkeit  dieser,  meist  schon  vorher 
in  Haufen  zusammenliegender  Gebilde  gewagt  zu  sein.  Wenn  man 
aber  eine  Aufschwemmung  von  Plättchen  in  0,9  ^/q  Kochsalzlösung 
oder  einem  indifferenten  Serum,  in  dem  sie  eine  zusammenhängende 
Wolke  zu  bilden  scheinen,  vergleicht  mit  dem  Bild  agglutinierter 
Plättchen,  so  kann  man  sich  des  Eindrucks  eines  spezifischen  Vor- 
ganges nicht  entziehen.  Das  rasche,  oft  blitzartige  Eintreten  des 
Phänomens,  seine  Ähnlichkeit  mit  dem  Vorgang  der  Erythroz>i;en- 
agfrlutination  wird  gleichfalls  diese  Anschauung  stützen. 

Die  Agglutination  der  weißen  Blutkörperchen  ist  sehr  wenig 
intensiv  und  verläuft  langsam,  aber  bei  kräftig  wirkenden  Sera 
ganz  deutlich.  Die  geringe  Reaktion  dieser  Zellen  auf  agglutinie- 
rende Stoffe  ist  nicht  ohne  weiteres  verständlich.  Die  größere  Vis- 
kosität im  Vergleich  zu  den  Erythrozyten  kann  zur  Erklärung 
nicht  genügen,  da  ja  dieses  Moment  bei  den  Plättchen  erst  recht 
zur  Geltung  kommen   müßte,   während   diese    doch  viel  prompter 


Ober  Herkunft  und  Wirkungsweise  der  Hämagglntinine.  399 

reagiei*en.  Möglicherweise  könnte  ein  Antikörper  ihnen  eigentüm- 
lich sein  und  die  Wirkung  der  Agglutinine  beeinträchtigen.  Doch 
waren  Leukozytenextrakte  nach  Zusatz  zu  agglutinierendem  Serum 
nicht  imstande,  die  Agglutination  merklich  hintanzuhalten.  Be- 
kannt ist  Agglutination  von  Leukozyten  durch  leukotoxische  Sera 
(Metschnikoff,  1.  c).  Die  Sachlage  ist  aber  dabei  insofern  anders, 
als  zur  Immunisierung  der  Versuchstiere  Leukozytensaft  verwendet 
wurde  und  demnach  ein  auf  weiße  Blutkörperchen  spezifisch  wir- 
kendes Serum  zu  erwarten  w^ar. 

Die  Blutplättchen  sind  vermöge  ihres  dem  Plasma  fast  gleich- 
kommenden spezifischen  Gewichtes  leicht  rein  zu  erhalten:  Wenn 
Dach  kurzem  Zentrifugieren  Erythrozyten  und  Leukozyten  abge- 
schleudert sind,  ist  noch  ein  Teil  der  Plättchen  im  Plasma  suspen- 
diert Diese  können  durch  Abgießen  des  Plasmas  und  längeres 
Zentrifugieren  der  abgegossenen  Flüssigkeit  als  dünner  Nieder- 
schlag rein  gewonnen  werden.  Wesentlich  schwieriger  ist  die 
Gewinnung  reiner  Leukozyten.  Aus  dem  Blut  erhält  man  sie  nur 
ganz  spärlich  (durch  Abschleudern  von  Serum)  oder  in  größerer 
Menge  aus  dem  Plasma,  aber  untrennbar  mit  Plättchen  vermischt. 
Nur  aus  den  nach  Buchner' s  Vorschrift^)  erzeugten  Aleuronat- 
empyemen  gelang  es,  die  Leukozyten  relativ  rein  und  unverändert 
zu  bekommen;  wenigstens  waren  sie  auf  dem  geheizten  Objekttisch 
noch  lange  beweglich,  x^llerdings  sind  sie  den  Leukozyten  des 
Plasmas  vielleicht  nicht  völlig  gleichwertig.  Diese  Bewegung 
wurde  durch  die  Agglutination  rasch  beseitigt. 

Zur  Gewinnung  leukozytenreicher  Pleuraexsudate  wurden  bei  mittel- 
großen Hunden  lojektionen  von  5 — 10  ccm  einer  sterilen  5^^^  Auf- 
scbwemmuDg  von  Aleuronatmehl  mit  0,9  ^:q  KochsalzlösuDg  in  jede 
Brusthöhle  ausgeführt.  Nach  2  X  24  Stunden  wurde  das  Tier  getötet. 
Die  Exsudate  bestanden  in  einer  milchig  getrübten,  eine  Spur  rötlich 
gefärbten  Flüssigkeit,  die  wenig  oder  keine  Neigung  zur  spontanen  Ge- 
rinnung zeigten,  je  nachdem  wenig  oder  gar  kein  Fibrinogen  in  ihnen 
nachzuweisen  war.  Von  den  Zellbestandteilen  überwogen  neben  einer 
nicht  unbeträchtlichen  Anzahl  von  roten  Blutkörperchen  bei  weitem  die 
Leukozyten  und  zwar  waren  die  Lymphozyten  (große  und  kleine  Formen) 
und  die  fragmentiertkernigen  Zellen  6o  ziemlich  in  gleicher  Anzahl  ver- 
treten. Eosinophile  Zellen  waren  selten,  ziemlich  häufig  dagegen  große 
mononukleäre  oft  in  gequollenem  Zustand.  Blutplättchen  fehlten,  Endo- 
thelien  zeigten  sich  nur  in  ganz  geringer  Anzahl.  Beim  Hinzufügen  des 
agglutinierenden  Serums  zu  der  Aufschwemmung  der  abzentrifugierten 
Leukozyten  sah  man  gewöhnlich  die  spärlich  vorhandenen  Erythrozyten 
rasch   zusammensintern,    während    die   Leukozyten    erst    in   einiger    Zeit 


1)  Münch.  med.  Wochenschr.  1894  Xr.  25. 


400  XXIII.  SicK 

träge  folgten.     Die  LympHozyten    erhielten    sich   am   längsten   unagglati- 
niert  in  der  Flüssigkeit. 

Es  wurde  oben  erwähnt,  daß  die  Spezifität  der  immunisatorisch 
erzeugten  Agglutinine,  wie  schon  früher  bekannt,  keine  absolute 
zu  sein  braucht.  Die  im  normalen  Serum  vorhandenen  Agglutinine 
haben  sicher  die  Fähigkeit,  mit  verschiedenen  Blutkörperchenarten 
in  Eeaktion  zu  treten,  ohne  daß  das  Agglutinieren  einer  Blut- 
körperchenart die  Wirksamkeit  des  betreffenden  Serums  einer 
anderen  gegenüber  merklich  beeinträchtigen  könnte  (Malkoff^j, 
Landsteiner  und  Sturli^)).  Die  Erlich'sche  Schule  spricht 
daher  von  einer  Vielheit  der  Agglutinine  in  den  normalen  Sera. 
Dem  entspricht  auch,  wie  man  sich  leicht  überzeugen  kann,  die 
Tatsache,  daß  Blutkörperchen  das  Agglutinin  eines  Serums  noch 
zu  sättigen  imstande  sind,  nachdem  sie  sich  bereits  mit  dem  Agglu- 
tinin eines  anderen  Serums  beladen  haben.  Es  können  demnach 
gewissermaßen  dieselben  Blutkörperchen  mehrmals  durch  verschie- 
dene Sera  agglutiniert  werden  (Landsteiner  und  Sturli,  1. c\ 
was  durch  Verwendung  von  Agglutininen,  deren  agglutinophore 
Gruppe  durch  Einwirkung  von  Säuren  oder  Basen  unwirksam  ge- 
worden war,  ohne  Schädigung  der  Bindungsfähigkeit = Agglutinoiden 
(Eisenberg  und  Volk'),  Wassermann*))  in  eleganter  Weise 
gezeigt  werden  kann. 

Es  ist  bisher  der  überzeugende  Nachweis  noch  nicht  gelungen, 
daß  die  Agglutinine  als  komplexe  Körper  betrachtet  werden  müßten. 
Eine  diesbezügliche  Mitteilung  von  B  a  i  1  *)  betreffend  den  zusammen- 
gesetzten Bau  der  Typhusagglutinine,  die  er  durch  Erhitzung  auf  75  ^ 
in  einen  spezifischen  hitzebeständigen  Anteil  (Agglutinophor)  und  einen 
nicht  hitzebeständigen,  nicht  spezifischen  Faktor  (Hemiagglutinin) 
trennen  zu  können  glaubte,  erscheint  uns  nicht  beweiskräftig  zu  sein,  da 
die  Komplettierung  seines  Agglutinophors  nicht  einwandsfrei  gelang. 
Die  Erscheinungen  lassen  sich  durch  Agglutinoidbildung  genügend 
erklären.  Der  Beweis  des  zusammengesetzten  Baues  der  Agglu- 
tinine und  der  agglutinablen  Substanz,  wie  er  von  Joos*)  ange- 
nommen w^orden  ist,  erscheint  insofern  nicht  zmngend,  als  die 
Resultate  der  Vei-suche  dieses  Autors  durch  verschiedenes  Absorp- 


1)  Deutsche  med.  Wochenschrift  1900. 

2)  Wiener  klin.  Wochenschrift  1902  Nr.  2. 

3)  Wien.  klin.  Wochenschrift  1901. 

4)  Volkmann'sche  Vorträge  331, 
ö)  Arch.  f.  Hygiene  Bd.  42  1902. 

6j  Zentralbl.  f.  Bakteriol.  u.  Parasitenk.  Bd.  33  S.  762  1903. 


über  Herkunft  und  Wirkungsweise  der  Hämagglutinine.  401 

tionsvermö^en  der  reagierenden  Körper  bei  wechselnden  Tempera- 
turen erklärt  werden  können.  Auch  unsere  Versuclie,  Agglutinine, 
die  noch  bindungsfähig  waren,  aber  keine  haufenbildende  Kraft 
mehr  besaßen,  zu  komplettieren,  schlugen  fehl.  Es  dürfte  somit 
voreret  die  Anschauung  Ehrliches  von  einem  nicht  trennbaren  Ag- 
glutinin  unverändeit  zu  Recht  bestehen. 

Im  Verlauf  dieser  Untersuchungen  hatte  ich  Gelegenheit,  das 
Blut  verschiedener  Kranker  auf  seine  agglutinierenden  Eigenschaften 
zu  untersuchen.  Es  ist  bekannt,  daß  Veränderungen  der  hämo- 
lytischen und  agglutinierenden  Körper  bei  verschiedenen  Krankheits- 
zaständen,  besonders  bei  Infektionskrankheiten  auftreten.  Ähnliches 
gilt  von  schweren  Schädigungen  des  Stoffwechsels,  so  von  der  Urämie. 
Bei  letzterer  Affektion  sind  bestimmte  Änderungen  der  hämolyti- 
schen Wirkung  des  Blutserums  mehrfach  beschrieben  worden,  ohne 
daß  bis  jetzt  eine  einheitliche  Richtung  in  diesen  Veränderungen 
erkannt  werden  konnte.  Bei  den  Infektionskrankheiten  sind  die 
Iso-  und  Autoagglutinine  von  einer  Reihe  von  Autoren,  zuerst  von 
Maragliano')  beschrieben  worden.  Derartige  Körper  kommen 
übrigens,  wie  man  nicht  vergessen  darf,  bei  Gesunden  ebenfalls  vor, 
wenn  auch  anerkanntermaßen  weniger  häufig,  als  bei  schweren  Allge- 
meinerkraukungen.  Iso-  und  Autoagglutinine  konnten  wir  mehrfach 
beim  Typhus,  sodann  bei  Sepsis  und  akuter  Miliartuberkulose  nach- 
weisen ;  bei  letzterem  Fall  war  bemerkenswert,  daß  die  Autoagglu- 
tinine zu  einer  Zeit  auftraten,  als  das  Blut  der  Kranken,  in  sterilem 
Reagensglas  aufgefangen,  ganz  ungeronnen  blieb. 

Nicht  beachtet  scheint  es  aber  bisher  zu  sein,  daß  die  agglu- 
tinierbare  Substanz,  d.h.  also  die  Reaktionsfähigkeit 
der  roten  Blutkörperchen  Veränderungen  erleiden 
kann.  Bei  einem  Fall  von  Urämie  ließ  sich  dies  leicht  bestimmen : 
Das  von  einem  neurasthenischen  Patienten  gewonnene  Serum  (von 
demselben  Aderlaß!)  agglutinierte  Erythrozyten,  die  während  des 
urämischen  Anfalls  gewonnen  worden  waren,  während  in  der  anfalls- 
freien Zeit  dieses  nämliche  Serum  die  Blutkörperchen  gar  nicht 
oder  nur  ganz  wenig  beeinflußte.  Bestätigt  sich  diese  am  näm- 
lichen Individuum  zweimal  gemachte  Beobachtung,  so  wird  man 
bei  derartigen  Untersuchungen  mit  der  agglutinablen  Substanz  als 
neuem  variablen  Faktor  rechnen  müssen. 

Die  Frage  nach  dem  Wesen  der  Agglutination,  nach 


1)  Berl.  klin.  Wochenschr.  1892  Nr.  31  S.  765. 


402  XXIII.  SicK 

ihrem  Mechanismus,  ist  vorerst  nur  zum  Teil  gelöst.  Die  sog.  Geld- 
roUenbildung  der  Erythrozyten,  die  eine  gewisse  Ähnlichkeit  mit 
der  Agglutination  voi-tänscht,  kommt,  wie  man  sich  leicht  überzeugen 
kann,  nur  durch  Zusatz  von  Serum  derselben  Spezies  zu  den  gewasche- 
nen und  in  0,9 "o  Kochsalzlösung  aufgeschwemmten  Erythrozyten 
zustande  und  wird  als  ein  rein  physikalischer  Vorgang  angesehen. 
Anders  bei  der  Agglutination.  Die  Grub e r 'sehe ^)  Anschauung 
(Klebrigwerden  der  Bakterien  bzw.  Blutzellen)  erklärt  wohl  kaum 
das  ganze  Phänomen.  Wenn  Pal  tauf*)  die  Agglutination  als 
Teilerscheinung  einer  Präzipitinreaktion  auffassen  will,  so  läßt  sich 
dagegen  einwenden,  daß  Agglutination  in  Lösungen  eintritt,  die 
sicher  keine  Präzipitinreaktion  geben. 

Am  meisten  befriedigt  immer  noch  die  Erklärung  Bordet's*), 
der  2  Phasen  des  Agglutinationsprozesses  unterscheidet:  die  erete 
spezifische,  bestehend  in  der  Bindung  des  Agglutinins  an  die  agglu- 
tinierbare  Substanz  und  die  zweite,  ein  physikalischer  Prozeß,  der 
auch  künstlich  nachgeahmt  werden  kann,  die  eigentliche  Häufchen- 
bildung. Daß  hier  ein  phj^sikalischer  Vorgang  mit  in  Betracht 
kommt,  leuchtet  sehr  ein,  wenn  man  oft  genug  beobachten  kann, 
wie  bei  leiser  Erschütterung  die  Häufchenbildung  blitzartig  auftritt, 
wie  das  Anschießen  von  Kristallen  aus  der  Mutterlauge.  Bordet 
konnte  durch  Zusatz  von  Salzen  zu  einer  Aufschwemmung  fein 
verteilten  Tones  in  destilliertem  Wasser  eine  Art  Agglutination 
auslösen.  In  neuester  Zeit  haben  Neißer  und  Friedemann*) 
Untersuchungen  über  die  Ausflockung  von  unorganisierten  Suspen- 
sionen durch  Salze  bzw.  Kolloide  veröffentlicht,  welche  die  physi- 
kalischen Vorgänge  bei  der  Agglutination  verständlicher  zu  machen 
sehr  geeignet  sind. 

Den  gesamten  Prozeß  stellt  Bordet  in  eine  Linie  mit  Ge- 
rinnungsvorgängen und  gewiß  mit  Recht.  Bei  der  Beobachtung 
der  Agglutination  im  hängenden  Tropfen  konnten  wir  oftmals 
2  Typen  desselben  unterscheiden:  Bei  stärkerer  Konzentration 
des  agglutinierenden  Serums  die  Häufchenbildung,  wie  wir  sie 
für  gewöhnlich  sehen,  bei  schwächerer  Konzentration  eine  Art 
von  Agglutination,  die  sehr  an  Gerinnungsprozesse  erinnerte. 
In  der  gleichmäßigen  Schicht  von  Blutkörperchen  bildeten  sich 
plötzlich   Lücken,    zwischen    denen   scheinbar   zusammenhängende 


1)  3Iünch.  med.  Wocheiischr.  1896. 

2)  Wiener  klin.  Wochenschr.  1901. 

3)  Le  Meoanisme  de  l'agglutination.    Annal.  de  Tlnst.  Past.  1897. 

4)  Manch,  med.  Wochenschr.  1904  Xr.  11, 


über  Herkunft  und  Wirkungsweiße  der  Hämagglutinine.  403 

Züge  von  jenen  Blutkörperchen  stehen  geblieben  waren,  so 
daß  das  Ganze  den  Anblick  eines  Netzwerkes  bot.  Das  Auf- 
fallendste war  aber:  wenn  man  die  Flüssigkeit,  in  der  die  Blut- 
körperchen suspendiert  waren,  in  Bewegung  setzte,  so  bewegte  sich 
das  Netz  als  ganzes,  wie  wenn  eine  Kontinuität  bestünde.  Die 
Färbung  eines  solchen  —  wenn  man  so  sagen  will  —  Netzes  ge- 
lang mir  nicht,  dagegen  hat  Löwit^)  bei  Bakterienagglutination 
eine  homogene  Zwischensubstanz  färberisch  darstellen  können.  Ihr 
kausaler  Zusammenhang  mit  dem  Agglutinationsphänomen  wird 
jedoch  noch  nicht  als  erwiesen  angesehen  werden  können. 

über  die  chemische  Natur  der  Agglutinine  stehen  sich 
verschiedene  Anschauungen  gegenüber.  Ob  die  von  Pick*)  durch 
Aussalzung  zusammen  mit  dem  Euglobulin  gefällten  Bakterienkoagu- 
line  mit  den  eigentlichen  Agglutininen  engere  Beziehungen  haben, 
steht  dahin,  da  mit  ihnen  durch  Tierversuch  keine  spezifischen  Anti- 
körper erzeugt  werden  konnten.  Die  Untersuchungen  von  Fuhr- 
mann*) über  Präzipitine  und  Lysine  beweisen  unseres  Erachtens 
nur,  daß  die  genannten  Körper  mit  den  Euglobulinen  und  Pseudo- 
globulinen ausfallen,  über  ihre  chemische  Konstitution  lassen  sie 
kein  Urteil  zu.  Eine  der  jüngsten  Arbeiten  auf  diesem  Gebiet 
von  Qu  in  an  ^)  bezweifelt  einen  näheren  Zusammenhang  der  den 
Agglutininen  nahe  stehenden  Hämolysine  mit  den  verschiedenen 
EiweüSkörpern  des  Blutserums.  Der  Autor  betrachtet  die  Hämo- 
lysine als  kolloidale,  chemisch  nicht  näher  charakterisierbare  Körper 
von  enzymähnlicher  Wirkung. 


1)  Zentralbl.  f,  Bakteriol.  Bd.  34  Heft  2  ii.  3  1903. 

2)  Hofmeisters  Beiträge  Bd.  I  1902. 

3)  Hofmeister's  Beiträge  Bd.  III.  1903. 

4)  Hofmeisters  Beiträge  Bd.  V  Heft  3  1904. 


XXV. 

Besprechungen. 

1. 

S.  Baruch  (New  York),  Hydrotherapie.  Ihre  physiologiscbe  Be- 
gründung und  praktische  Anwendung.  Autorisierte  deutsche  Aus- 
gabe   von  W.  Lewin  (Berlin).     Berlin  1904.     A.  Hirschwald. 

B.  hat  seine  über  Jahrzehnte  reichende  Erfahrung  auf  dem  Gebiete 
der  Hydrotherapie  in  einem  Lehrbuch  zusammengefaßt,  welches  namentr 
lieh  den  in  der  allgemeinen  Praxis  stehenden  Ärzten  gewidmet  ist. 

Die  physiologische  Einleitung  des  Buches  ist  ausführlich  und  ein- 
gehend behandelt;  wegen  der  Wiedergabe  zu  vieler  Einzelheiten  verliert 
sie  bisweilen  an  Klarheit  und  Einfachheit.  Der  zweite  Teil,  welcher  die 
praktische  Seite  der  Hydrotherapie  in  allen  Details  und  an  der  Hand 
zahlreicher  guter  Abbildungen  gibt,  bringt  alles  Wichtige  und  Notwen- 
dige in  leicht  faßlicher  Darstellung.  Am  Schluß  seines  Werkes  weist 
der  Autor  darauf  hin,  wie  dringend  wünschenswert  der  Unterricht  in  der 
Hydrotherapie  auf  unseren  Universitäten  sei,  damit  diese  wertvolle  Heil- 
methode nicht  in  den  Händen  von  unberufenen  Laien  verbleibe,  durch 
welche  sie  häufig  mißbraucht  wird. 

Die  von  W.  L  e  w  i  n  in  fließender  Diktion  durchgeführte  Übersetzung 

macht  das  Werk  zu  einem  guten  deutschen  Lehr  buche. 

Schwenkenbe  eher -Tübingen. 


2. 


Franz  Penzoldt,  Lehrbuch  der  klinischen  Arzneibehand- 
lung. Sechste  Auflage.  Jena,  Gustav  Fischer.  1904. 
„Dieses  Lehrbuch  der  Arzneibehandlung  legt,  unter  der  not- 
wendigen Berücksichtigung  der  Wirkungsweise  der  Arzneimittel,  das 
Hauptgewicht  auf  die  therapeutische  Verwendbarkeit,  wie  sie 
uns  die  Beobachtung  am  Krankenbett  lehrt.  Es  ist  mein  Bestreben  ge- 
wesen, durch  kritische  Verwertung  eigener  und  fremder  praktischer  Er- 
fahrungen eine  Sichtung  der  Arzueimittel  nach  ihrer  tatsächlichen  thera- 
peutischen  Zuverlässigkeit  vorzunehmen.*'  So  stellte  sich  der  Verfasser 
die  Aufgabe  und  er  hat  sie  in  ganz  vorzüglicher  Weise  gelöst.  Bas 
lehren  schon  die  rasch  sich  wiederholenden  Auflagen;  solche  sind  not- 
wendig, wenn  das  Buch  auf  der  Höhe  bleiben  soll.  Welche  mühsame 
Arbeit  es  kostete,  die  Spreu  —  dafür  sorgte  die  Industrie  —  von  den 
wenigen  Weizenkörnem  zu  sondern,  kann  jeder  ermessen,  der  einen  auch 
nur  flüchtigen  Blick  auf  die  Heklameseiten  unserer  Fachzeitschriften 
wirft.  Penzoldt  verdient  warmen  Dank  dafür,  daß  er  sich  dieser 
Arbeit  unterzogen  hat  —  aber  auch  Hocküles  scheute  nicht  vor  ähn- 
lichem zurück.  Ich,  dem  dies  Buch  ein  ständiger  Begleiter  ist,  möchte 
es  jedem  Arzt  dringend  empfehlen.  Th.  Jürgens en-Tubingen. 


XXV.  ßesprechuugen.  405 

3. 

Heinz,  Handbuch  der  experimentellen  Pathologie  und 
Pharmakologie.  £rster  Band.  Erste  Hälfte.  Verlag  von 
Gustav  Fischer.     Jena  1904. 

Das  in  seinem  ersten  Bande  vorliegende  Werk  gibt  Zeugnis  ab  für 
die  erfolgreichen  Bestrebungen  der  letzten  Dezennien  pharmakologische 
und  toxikologische  Beobachtungen  auf  ihre  pathologisch-anatomischen  und 
physiologischen  Grundlagen  zurückzuführen. 

Da  der  Verfasser  sowohl  mit  den  pharmakologischen,  als  mit  den 
pathologischen  Untersuchungsmethoden  aus  eigener  Erfahrung  vertraut 
ist,  scheint  es  besonders  geeignet  die  schwierige  Aufgabe  zu  lösen,  dem 
Praktiker  und  dem  experimentellen  Forscher  die  Haupttatsachen  der 
experimentellen  Pathologie  und  Pharmakologie  zugänglich  zu  machen. 
Wir  glauben,  daß  ihm  diese  Aufgabe  gelungen  ist. 

Besonders  hervorzuheben  ist  in  dem  vorliegenden  Bande  das  Ka- 
pitel „Physikalische  Chemie  der  Zelle^,  worin  eine  klare  und  leicht  faß- 
liche Darstellung  der  Grundtatsachen  der  physikalischen  Chemie  gegeben 
wird,  die  auf  unsere  Anschauung  von  der  Kesorption  etc.  so  ungemein 
befruchtend  gewirkt  hat.  Ferner  mag  auf  das  Kapitel  „Blut"  hin- 
gewiesen werden,  in  dem  der  Verfasser  über  zahlreiche  eigene  Beobach- 
tungen berichten  kann. 

Die  notwendige  Trennung  der  einzelnen  Kapitel  in  einen  allgemeinen 
und  speziellen  Teil  hat  einige  Wiederholungen  nicht  vermeiden  lassen. 
Vielleicht  würde  es  sich  auch  empfehlen  einige  von  den  sehr  umfang- 
reichen Tabellen,  soweit  sie  leicht  zugänglichen  Originalarbeiten  ent- 
nommen sind,  in  einer  folgenden  Auflage  fortzulassen. 

Jedem  Kapitel  sind  Angaben  über  die  Methodik  sowie  ein  Literatur- 
verzeichnis beigefügt,  das  eine  leichte  Orientierung  ermöglicht. 

Die  Ausstattung  des  Werkes  durch  die  Verlagsbuchhandlung,  be- 
sonders die  Wiedergabe  der  Abbildungen,  die  nach  eigenen  Zeichnungen 
des  Verfassers  hergestelt  sind,  ist  rückhaltlos  anzuerkennen. 

Dr.  Morawitz  (Tübingen). 

4. 

F.  Biegel,    Die  Erkrankungen  des  Magens.     I.  Teil.     2.  ver- 
mehrte    und    neubearbeitete    Auflage.       Erschienen    bei    Alfred 
Holder,  Wien  1903.     Preis  M.  9,60. 
Seit    dem   Erscheinen    der    1.    Auflage    dieser    bedeutsamen    Mono- 
graphie   sind    kaum    sechs  Jahre   verflossen,    eine  für  ein  so  umfassendes 
und  speziell  gehaltenes  Werk  sehr  kurze  Zeit.     Es  finden  sich  in  dieser 
neuen  Auflage  eine  Reihe  von  Ergänzungen,  die  den  neueren  Forschungs- 
ergebnissen Rechnung  tragen  (Magenphotographie,  Röntgendurchleuchtung 
des   Magens,    proteosynthetisches  Ferment,    fettsp altende s  Ferment  u.  a.). 
Der  Umfang    des  I.  Teiles    ist    aber  dadurch    kaum    gewachsen,    weil  an 
anderen  Stellen  einige  Kürzungen  vorgenommen  sind.       Auf    den  wissen- 
schaftlichen und    praktischen  Wert  dieses  Buches  ist  in  den  verschieden- 
sten  Kritiken    in    so    anerkennender  Weise  hingewiesen,    daß  man   kaum 
etwas  Besseres  hinzufügen  kann.  Liithie. 


406  XXV.  Besprechungen. 

5. 

James  Mackenzie,  Die  Lehre  vom  Puls.  Aus  dem  Englisch«!! 
übersetzt  von  A.  Deutsch.     Verlag  von  J.  Alt,  Frankfurt  a.  M. 

Wir  haben  in  Deutschland  eine  Beihe  von  ausgezeichneten  Mono- 
graphien über  den  Puls;  sie  sind  aber  fast  alle  aus  physiologischen  In- 
stituten hervorgegangen.  Das  vorliegende  Buch  dagegen  umfaßt  die 
Beobachtungen  einer  mehrere  Dezennien  umfassenden  praktisch  •  änt- 
lichen  Tätigkeit,  die  auf  der  Basis  der  gründlichsten  physiologischen  Vor- 
bildung entstanden  sind.  Man  kann  ohne  Rückhalt  mit  dem  Übersetzer 
sagen,  daß  wir  dem  Verfasser  zum  aufrichtigsten  Dank  verpflichtet  sind 
für  die  Freude,  die  das  Studium  dieses  Buches  dem  Lesenden  gewahrt. 
Für  den  Kliniker  ist  das  Werk  außerordentlich  anregend  und  belehrend; 
zugleich  gibt  es  jedem,  der  literarisch  tätig  ist,  ein  prächtiges  Beispiel 
vornehmer  wissenschaftlicher  Denkart  und  Schreibweise.  Im  I.  Teil 
werden  der  Arterienpols  und  die  sichtbaren  Herzbewegungen  behandelt, 
im  II.  Teil  der  Venen-  und  Leberpuls,  im  III.  der  Venen-  und  Lebe^ 
puls  bei  unregelmäßiger  Herztätigkeit.  Genauer  auf  den  Inhalt  einzn- 
gehen,  ist  hier  unmöglich.  Es  muß  das  Buch  jedem,  der  dem  behandelten 
Gegenstande  Interesse  entgegenbringt,  auf  das  Wärmste  empfohlen  werden. 

Die  Übersetzung  ist  sehr  gut  und  mit  großer  Liebe  ausgeführt :  der 
Druck  und  die  Ausstattung  des  Buches  sind  so  gut,  wie  man  es  sonst 
nur  bei  englischen  medizinischen  Büchern  gewohnt  ist.  Lüthje. 

6. 

K.  F.  Wenckebach,  Die  Arythmie  als  Ausdruck  be- 
stimmter Funktionssjbörungendes  Herzens.  Leipzig, 
Verlag  von  W.  Engelmann. 
Dem  „Begründer  der  neuen  Herzlehre",  T.  W.  Engelmann  ist 
dies  Buch  vom  Verfasser  gewidmet.  „Die  verschiedenen  Formen  der 
Herzarythmie  werden  nach  ihrer  Genese  in  physiologisch  zusammen- 
gehörige Typen  eingeteilt  und  die  seit  langem  in  der  Klinik  aufgestellten 
Formen  mit  den  physiologischen  Typen  verglichen."  Die  Analyse 
gründet  sich  dabei  auf  die  moderne,  namentlich  von  Engelmann  aus- 
gearbeitete Theorie  der  myogcnen  Herzlehre.  Ein  Teil  dieser  Anschau- 
ungen sind  bereits  bekannt  geworden  durch  die  W ecke bac haschen 
Veröffentlichungen  in  der  Zeitschrift  für  klinische  Medizin,  sowie  aus 
den  Arbeiten  anderer  Autoren  (z.  B.  Muskens  in  Geneeskundige  Bladen, 
Vierde  Beeks,  No.  IV.  1897).  Das  Buch  gliedert  sich  in  drei  Ab- 
schnitte: I.  Die  Lehre  von  der  myogenen  Herztätigkeit;  11.  Physio- 
logische Typen  von  Herzarythmie;  HE.  Klinische  Typen  von  Herz- 
arythmie. Das  vorzügliche  Werk  wird  sicher  die  bisher  übliche  Art. 
der  klinischen  Beurteilung  der  Pulsanomalien  wesentlich  ändern.  Des- 
gleichen wird  auch  die  Beurteilung  der  pharmakodynamischen  Wirkung 
verschiedener  Drogen  eine  wesentlich  andere  werden.  Lüthje. 


7. 

H.  Oppenheim,  Die  syphilitischen  Erkankungen  des  Ge- 
hirns. IL  durchgesehene  Auflage.  Wien  1903.  Verlag  Al- 
fred Holder. 


XXV.  Besprechnngeo.    Berichtigungen.  407 

Die  neue  Auflage  enthält  gegenüber  der  vor  sechs  Jahren  erschie- 
nenen ersten  Auflage  keine  wesentlichen  Änderungen.  Den  günstigen 
Kritiken,  die  die  umfassende  Monographie  bisher  erfahren  hat,  ist  etwas 
Neues  kaum  hinzuzufügen.  Lüthje. 

8. 

Otfried  Foerster,  Die  Mitbewegungen  bei  Gesunden, 
Nerven-  und  Gr  eiste  skr  anken.  Jena.  G.  Fischer.  1903. 
Verfasser,  dem  wir  schon  sehr  interessante  Beobachtungen  über 
Physiologie  und  Pathologie  der  Koordination  verdanken,  gibt  hier  eine 
klinische  Beschreibung  der  bei  Gesunden  und  Kranken  auftretenden 
Mitbewegungen  sowie  eine  Darlegung,  wie  man  sich  die  Entstehung 
dieser  Mitbewegungen,  welche  teils  zweckmäßig  teils  unzweckmäßig  sind, 
denken  kann.  Krehl. 


Berichtigungen. 

Zum  „Einfluß  der  BhodaDverbindaugen  auf  den 

Stoffwechsel". 

Von 
Dr.  Arthnr  Mayer  (Freiburg  i.  B.). 

1. 

In  meiner  Arbeit  „Tiber  den  Einfluß  der  Rhodanverbin düngen  auf 
den  Stoffwechsel"  (dieses  Archiv  Nr.  79  Heft  3/4)  sind  leider  sinn- 
entstellende Druckfehler  in  der  Korrektur  übersehen  worden. 

Auf  8.  197  muß  es  heißen: 

8  Atome  J  entsprechen  1  Mol.  Rhodanid  und  1  cm      -  Jodlösung 

=  0,0012156  g  K8CN. 

Ferner    muß    es    ebenda   heißen: 

„Dann  setzt  man  Bicarbonat  hinzu,  und  läßt  eine  bestimmte  Menge 
einer  ^/^^  Normal  Jodlösung  hinzuflößen,  die  sich  mit  Rhodansilber  im 
Sinne   obiger   Gleichung    umsetzt.^ 

Dafür  sollte  Abschnitt  b  u.  4  auf  8.   197  weggelassen  werden. 

Zur  Herstellung    der    Stärkelösung   empfiehlt    es   sich   rein   lösliche 

Ozonstärke  zu  verwenden.     S.   198:    Der    Zusatz  von  Jodkali  ist   nötig, 

um  das  Chlorsilber  in  Jodsilber  überzuführen. 

CNS  CNS         J 

8.   199.     Muß   es   statt   CNS  =  67,    6  J,    —:— =  J,      '       =--, 

6  uü  lü 

==  lOOO  ccm  Jodlösung.      8.  202,    Zeile    17    nicht    vom   Rhodanalkali, 

sondern   als   Rhodanalkali,    und    8.    203,  Zeile    1     statt   Eiweißbildung 

Rhodanbildung  und  Zeile  9  unterschwefligsaurem  Natron  heißen. 

Der  scheinbare  Gegensatz,   daß  bei  der  zweiten  Berechnung  (S.  199) 

ein  Molekül   Rhodanid  =  6  J  und  nicht   wie  bei   der  ersten  Gleichung 

(S.  197)  r=  8  J    entspricht,    ist  daraus    zu  erklären,    daß   bei    der   An- 


408  Berichtigungen. 

Säuerung  der  Titrationsprobe    mit   HCl  zwei   Atome    des   ursprünglichen 
gebundenen  J  wieder  in  Freiheit  gesetzt  werden: 

JCN  +  HJ  :=  HCN  + J^. 


Zu  der  angegebenen  jodometriscben  Methode  des  Rhodannachweises 
sei  noch  hinzugefügt,  daß  der  Silberniederschlag  bei  physiologischen 
Harnen  frei  von  Harnsäure  ist,  also  eine  Fehlerquelle,  welche  auf  die 
Absorption  des  Jods  durch  Harnsäure  entstehen  könnte,  nicht  vorhanden 
ist.  Auch  in  hamsäurereichen  Hamen  liegen  die  Verhältnisse  ebenso. 
Allerdings  hatte  ich  keine  Gelegenheit,  Harn  von  Patienten,  die  an  harn- 
saurer  Diathese  litten,  zu  untersuchen.  Sobald  ein  geeigneter  Fall  znr 
Verfügung  steht,  soll  das  jedoch  im  Laboratorium  der  medizinischen 
Klinik  nachgeholt  werden.  Die  Lösuugs Verhältnisse  der  Harnsäure 
scheinen  in  diesem  Falle  besonderen  Bedingungen  zu  unterliegen,  und 
es  ist  vielleicht  nicht  ausgeschlossen,  daß  in  einem  derartigen  Harn 
mechanisch  kleine  Mengen  Harnsäure  vom  Silbemitrat  mitgerissen  werden. 

Nach  den  Untersuchungen  von  M  a  r  u  n  g  ^)  scheinen  außer  der  Harn- 
säure und  dem  Hhodan  auch  noch  andere  i'odabsorbierende  Substanzen  im 
Harn  vorhanden  zu  sein.  Es  spricht  aber  nichts  dafür,  daß  diese  Be- 
standteile in  salpetersaurer  Lösung  vom  Silbemitrat  mitgefallt  oder 
mechanisch  niedergerissen  werden. 

Aber  selbst  wenn  in  besonderen  Fällen  Harnsäure  oder  andere  jod- 
absorbierende Körper  im  Niederschlag  vorhanden  sein  sollten,  würde  das 
kaum  allzusehr  in  Betracht  kommen.  Denn  ich  habe  mich  überzeugt, 
daß  in  dem  vom  Silbemiederschlag  filtrierten  Harn  eine  zugesetzte  den 
natürlichen  Verhältnissen  entsprechende  E,hodanmenge  wieder  nach- 
gewiesen   werden   kann,    und   zwar   nur  mit  einem  Fehler  von  höchstens 

11/    0/ 

^    /2      0' 

Aus  der  Analyse  pathologischer  Harne  geht  auch  hervor,  daß  das 
Rhodan  bei  Krankheitsbildern  vermehrt  ist,  bei  denen  die  Hamsäure- 
ausscheidung  normal  oder  gar  verringert  ist.  Würde  man  mit  der  von 
mir  angewandten  Methode  nennenswerte  Mengen  von  Harnsäure  mit- 
bestimmen,  so  würde  diese  Divergenz  nicht  zustande  kommen  können. 


2. 

Kurpjuweit,  IJber  Veränderungen  der  Milz  bei  perni- 
ziöser Anämie.     LXXX.  Bd. 

Auf  S.  184  soll  es  heißen:  Wenn  nun  aber  die  Milz  in  so  zahl- 
reichen Fällen  neutrophile  und  eosinophile  Leukozyten  mit  rundem  Kern 
(Myelozyten),  ferner  Normoblasten  enthält,  liegt,  meiner  Meinung  nach, 
vielleicht  auch  der  Schluß  nahe,  daß  sie  diese  normalerweise  enthalte, 
allerdings  in  spärlicher  Zahl  und  daß  erst  infolge  entzündlicher  oder 
toxischer  Einflüsse,  ferner  auch  infolge  von  Stauungsprozessen  und 
schweren  Anämien  eine  Proliferation  der  vorhandenen  Elemente  und 
vielleicht  auch  eine  Einwanderung  neuer  Elemente  auftritt. 

1)  Marung,  Über  das  Verhalten  des  Jod  zum  Hani.  Inaug.-Diss.  Ko- 
stock  1900. 


XXV. 

über  Bestimmnng  der  Bilanz  Yon  Säuren  nnd  Basen  in 

tierischen  Flfissigkeiten. 

Von 

F.  Moritz. 

I.  Mitteilung. 

Über  Aciditätsbestimmung  in  Fl&ssigkeiten,  welche 
neben   Phosphorsäare  Salze  alkalischer  Erden  ent* 

halten. 

Das  Problem  einer  einwandsfreien  Acidimetrie  von  Flüssig* 
keiten  der  benannten  Art^  zu  denen  bekanntlich  alle  tierischen 
Flüssigkeiten,  besonders  auch  der  Magensaft  and  der  Harn 
gehören,  kann  bisher  noch  nicht  als  gelöst  gelten.  Es  sind  hier 
zwei  Schwierigkeiten  zu  überwinden,  deren  eine  in  einem  beson- 
deren Verhalten  der  Phosphorsäare  als  solcher  bei  der  Acidimetrie 
gelegen  ist,  während  die  andere  aaf  der  Gegenwart  von  Salzen 
alkalischer  Erden  bei  gleichzeitiger  Anwesenheit  von  Phosphor- 
säare beruht. 

Die  dreibasische  Phosphorsäare  zeigt  in  ihi-en  verschiedenen 
S&ttigungsstofen  bekanntlich  ein  verschiedenes  Verhalten  gegen 
die  bei  der  Acidimetrie  üblichen  Indikatoren.  So  reagiert  primäres 
Phosphat ')  gegen  Lackmas  saaer,  sekundäres  und  tertiäres  Phosphat 
aber  alkalisch.  Ein  neutral  gegen  Lackmus  reagierendes  Phosphat 
gibt  es  nicht.  Bei  einem  gewissen  Mischungsverhältnis  von  pri- 
märem und  sekundärem  Phosphat  entsteht  gegenüber  Lackmus  eine 


1)  Für  die  drei  Sättigungsstufen  der  Phosphorsäure  NaHjPO*,  Na^HPO*^ 
Na9P04  sind  verschiedene  Ausdrücke  gebräuchlich :  Mouophospfaat,  Diphosphat,  Tri- 
phosphat,  oder  zweifach  saures,  einfach  saures,  neutrales  Phosphat,  oder  ein  drittel^ 
zweidrittel,  ganz  gesättigtes  Phosphat,  oder  einbasisches,  zweibasisches,  drei- 
basisches  Phosphat,  oder  primäres,  sekundäres,  tertiäres  Phosphat.  Ich  wähle  im 
folgenden  immer  die  letzteren  Ausdrücke. 

Dentaches  Archiv  für  klin.  Medizin.    LXXX.  Bd.  27 


410  XXV.  Mobitz 

sog.  amphotere  Reaktion,  d.  h.  rotes  Lackmaspapier  wird  eben  bläulich, 
blaues  eben  rötlich  gefärbt.  Nach  Lieblein*)  tritt  die  amphotere 
Reaktion  ein,  wenn  65  ^,'q  des  primären  Salzes  in  das  sekundäre  über- 
geführt sind.  Bis  zu  diesem  in  chemischem  Sinne  willkürlichen 
Punkte  könnte  man  Phosphorsäure  mit  Lackmus  wohl  titrieren, 
nicht  aber  bis  zu  einer  bestimmten  chemisch  scharf  charakteri- 
sierten Sättigungsstufe.  Lackmus  ist  als  Indikator  für  Titration 
von  Phosphorsäure  daher  schon  lange  als  unbrauchbar  erkannt 

Besser  als  Lackmus  lassen  sich  einige  andere  Farbstoffe 
verwenden,  und  unter  ihnen  wohl  am  besten  Phenolphthalein. 
Dieser  durch  Alkalien  sich  rot  färbende,  in  neutralen  und  sauren 
Lösungen  aber  farblose  Körper  zeichnet  sich  durch  eine  ganz  be- 
sondere Empfindlichkeit  gegen  Säuren  aus,  während  er  gegen  Basen 
weniger  empfindlich  ist.  In  einer  Lösung  von  primärem  Phosphat 
ist  Phenolphthalein  farblos,  in  einer  Lösung  von  sekundärem  Phos- 
phat rosa  gefärbt.  Ist  aber  neben  dem  sekundären  Phosphat  nur 
wenig  primäres  vorhanden,  so  überwiegt  dessen  Einfluß  und  die 
Lösung  ist  farblos.  Titriert  man  also  Lösungen  eines  primären 
Alkaliphosphates,  z.  B.  KH2PO4  (das  im  Handel  rein  zu  haben  ist), 
unter  Zusatz  von  Phenolphthalein  mit  Natronlauge,  so  ergibt  sich, 
daß  man  fast  die  ganze  zur  Überführung  des  primären  in  sekun- 
däres Phosphat  nötige  Alkalimenge  zusetzen  muß  bis  der  Um- 
schlag aus  farblos,  in  rosa  erfolgt.  Immerhin  erreicht  man  aber 
hier  nur  Annäherungs-  und  keine  genauen  Werte. 

Der  Umschlag  erfolgt,  wenn  ca.  92  \  des  primären  Salzes  in 
sekundäres  umgewandelt,  also  noch  ca.  8  %  primäres  Phosphat  vor- 
handen sind. 

1.  5,97  ccm  —    primärer    Phosphatlösung  ^    gebrauchen    5,57    -- 

NaOH,  i,  e.  92,6  ^/^  des  theoretisch  zu  erwartenden  sekandären  Phos- 
phats sind  bis  zum  Umschlag  gebildet. 

3n  n 

2.  4,95  ccm    —  primäres  Phosphat  gebrauchen  4,60  —   NaOH  = 

93  \  sekundäres  Phosphat. 

3.  10,0  ccm  -  primäres  Phosphat  gebrauchen  9,1  —  NaOH  == 
91  ^i'q  sekundäres  Phosphat. 

1)  Lieb l ei u,  Über  die  Bestimmung  der  Acidität  im  Harn.  Zeitschr.  f. 
physiol.  Chem.  Bd.  20  S.  179. 

2)  Die  Abmessungen  der  Flüssigkeiten  geschahen  in  Normalbüretten  mit 
Erdmanu\schem  Schwimmer,  so  daß  Hundertel  Kubikcentimeter  noch  abschätzbar 
waren. 


tber  Bestimmung  der  Bilanz  Ton  Sänren  n.  Basen  in  tierischen  Flüssigkeiten.    '411 

«  •  •         •        •  •      ,     • 

4.    5,0  ccm  -  -  primäres  Phosphat  gebrauchen  4,6     -NaOH==92®/Q 

aekandares  Phosphat. 

Diese  Ungenauigkeit,  welche  der  Phosphorsäuretitrierung  auch 
bei  Yerwendang  von  Phenolphthalein  als  Indikator  anhaftet,  ist  ge- 
eignet, den  Wert  der  Acidimetrie  von  Phosphorsäure  enthaltenden 
Flüssigkeiten  wesentlich  zu  beeinträchtigen. 

Es  liefe  sich  in  reinen  Phosphorsäurelösungen  allerdings  dier 
Fehler  rechnerisch  korrigieren,  indem  man  zu  der  verbrauchten 
Alkalimenge  noch  8%  zuschlüge.  Dies  wird  aber  selbstver- 
ständlich unmöglich,  sowie  neben  der  Phosphorsäure  noch  mit  der 
Gegenwart  anderer  Säuren  gerechnet  werden  muß,  da  alsdann  der 
auf  die  Phosphorsäure  entfallende  Anteil  des  Alkaliverbrauches 
zunächst  unbekannt  ist.  Um  auch  hier  zum  Ziele  zu  kommen, 
müßte  noch  eine  eigene  Phosphorsäurebestimmung  in  der  Flüssig- 
keit vorgenommen  werden.  Wenn  man  neben  der  gesamten  Phenol- 
phthaleinacidität  noch  die  Menge  der  Phosphorsäure  kennt,  so  kann 
man  die  obige  Korrektur  anbringen.  Man  muß  nur  dabei  die 
chemisch  allerdings  begründete  Voraussetzung  machen,  daß  bei 
einer  Gesamtacidität  der  Flüssigkeit,  die  größer  ist  als  die  Menge 
eines  Äquivalentes  der  vorhandenen  Phosphorsäure,  letztere  nur 
in  Form  primären  Phosphates  und  nicht  etwa  zum  Teil  als  sekun- 
däres Salz  vorhanden  sein  könne  und  daß  zweitens  bei  einer  Ge- 
samtacidität der  Flüssigkeit,  die  kleiner  ist,  als  ein  Äquivalent 
der  vorhandenen  Phosphorsäure,  irgendeine  freie  Säure  nicht  zu- 
gegen sondern  die  Gesamtacidität  nur  durch  primäres  Phosphat 
bedingt  sei.^)  Denn  andernfalls  würde  man  hier  wie  dort  an- 
nehmen müssen,  daß  sekundäres  Phosphat,  ein  gewissermaßen  alka- 
lisches Salz,  neben  freier  Säure  vorhanden  sei. 

Es  gelingt  aber,  wie  ich  gefunden  habe,  auf  sehr  ein- 
fache Weise  einen  Fehler  überhaupt  zu  vermeiden  und  die  Titra- 
tion der  Phosphorsäure  als  sekundäres  Salz  vollständig  zu  machen. 
Es  ist  nur  nötig,  zu  der  zu  titrierenden  Lösung  ein  gleiches 
Volum  konzentrierter  (möglichst  mit  kohlensäurefreiem  —  aus- 
gekochtem oder  von  Natronlauge  abdestilliertem  —  Wasser  bereiteter) 
.Kochsalzlösung  zu  versetzen.  Bei  solchem  Vorgehen  erfolgt  der  Um- 
-  schlag  des  Phenolphthaleins  nicht  schon,  wenn  noch  8%  der  Phos- 
phorsäure als   primäres  Salz  vorhanden   sind,  sondern  erst,  nach- 


1)  S.  Lieblein,  a.  a.  0.  S.  75. 

21* 


412  XXV.  MoBiTx 

dem  die  ganze  Phosphorsänre  in  das  sekundäre  Salz  verwandelt 
ist  nnd  eben  tertiäres  Salz  sich  zu  bilden  beginnt^) 

Wir  haben  also  in  dem  Znsatz  konzentrierter  EochsalzlQsangp 
ein  Mittel,  um  mit  Phenolphthalein  als  Indikator  die  Phosphor- 
säure genau  zu  zwei  Dritteln  abzusättigen.') 

5.  5,0  ccm  —  KH^PO^  gebraucht  mit  KoobsaUilösting  5,0  —  NaOH, 

ohne  Kochsalilösong   4,6  —  NaOH. 

Bn  s 

6.  4,95  com  ^r  NaH^PO^    gebraucht  mit  KochBalslöeang  4,95  y^ 

NaOH,  ohne  NaCi  4,60. 

7.  5,97  ccm  ^  NaH^PO^  mit  NaCl  =  5,93   °-  NaOH,  ohne  NaO 

5,53  y^  NaOH. 

8.  8,25  com  ^  NaH^PO^  mit  NaCl  =  8,35  ~  NaOH,  ohne  NaQ 
7,7  A  KaOH. 

9.  17,3  ccm  j^  NaHjjPO^  mit  NaCl=  17,4  -"^  NaOH. 

10.  18,7  ccm  ^  NaHjPO^  mit  NaCl  =  18,4  ^  NaOH,  ohne  NaQ 
=  17,1  NaOH. 

11.  18,95  ccm  Ig  NaHgPO^  mit  NaCl  =  18,98  ^  NaOH. 

Die  angeführten  Beispiele  zeigen,  daß  das  Verfahren  genau 
ist.  Die  Fehler,  wo  solche  Oberhaupt  auftreten,  sind  unbedeutend 
und  liegen  in  der  Fehlerbreite  der  Titriermethodik  als  solcher. 

Man  kann  nun  aber  unter  bestimmten  Voraussetzungen  in  der 
Titrierung  der  Phosphorsäure  noch  weiter  kommen.  Man  kann 
die  eben  geschilderte  Methode  mit  einer  zweiten  kombinieren,  um. 
die  Phosphorsäure  als  solche  neben  anderen  anorganischen  Säuren 
direkt  acidimetrisch  zu  bestimmen.  Man  benutzt  zu  diesem  Zwecke 
einen  Indikator,  der  weniger  säure*  als  alkaliempfindlich  ist  nnd 


1)  Diese  Verhältnisse  sind  wie  alle  übrigen  nnten  noch  zn  besprechendeD^ 
bei  Konzentrationen  erprobt,  die  sich  von  den  in  tierischen  Flfissigkeiten,  insbeson- 
dere im  Harn  nnd  Magensaft  tatsächlich  vorkommenden  nicht  m  weit  entfernen. 

2)  Diese  Wirkung  der  konzentrierten  Kochsalzlösung  anf  Phosphorsänre  nnd 
ebenso  die  gleich  noch  smr  Sprache  kommende  anf  Ammoniaksalze  nnd  auf  Ksr> 
bonate,  scheint  anf  Verändernngen  zn  bemhen,  die  die  Salzlösung  in  dem  Dissozit-^ 
tionsznstand  der  in  Betracht  kommenden  Körper  verursacht 


über  Bestimmimg  der  Büans  Ton  S&aren  u.  Baten  in  tieriscben  Flüssigkeiten.    413 

umschlägt,  sowie  alle  vorhandene  Phosphorsäure  zu  primärem  Salz 
umgewandelt  und  etwa  vorhandene  sonstige  starke  anorganische 
Säuren,  z.  B.  Salzsäure  oder  Schwefelsäure,  zu  Neutralsalz  geworden 
sind.  Der  fftr  unsere  Zwecke  hierfür  geeignetste  Farbstoflf  ist 
Methylorange,  welches  mit  freien  anorganischen  Säuren  rot  gefärbt 
ist  und  mit  kurzer  Durchwanderung  einer  Orangefärbung  absolut 
scharf  in  reines  Gelb  umschlägt,  sowie  die  Phosphorsäure  ganz  zu 
primärem  Phosphat  geworden  ist  und  Salzsäure  oder  Schwefel- 
saare völlig  abgesättigt  sind.  In  einem  Gemisch  von  Salzsäure  oder 
Schwefelsäure  und  Phosphorsäure  titriert  man  mit  Methylorange 
also  die  Salzsäure  oder  Schwefelsäure  als  NaCl  resp.  Na2S04,  die 
Pbosphorsäure  aber  als  NaH^PO^.  Fühii;  man  nun  von  diesem 
Paukte  aus  die  Titrierung  mit  Phenolphthalein  in  der  oben  be- 
schriebenen Art  weiter,  so  braucht  man  nun  ein  Plus  von  Alkali, 
am  die  Phosphorsäure  von  der  Methylorangegrenze  zwischen 
primärem  und  sekundärem  Phosphat  bis  zur  Phenolphthalein- 
grenze  zwischen  sekundärem  und  tertiärem  Phosphat  zu  bringen. 
Dieser  Mehrverbrauch  an  Alkali  zwischen  der  Methylorange-  und 

der  Phenolphthaleintitration  stellt  daher,  falls  er  in  ccm  :r^ 
Lösung  ausgedrückt  wird,  ohne  weiteres  ein  Ma£  für  die  vorhan- 
dene Phosphorsäure  dar.    Je  1,0  ccm  jtt  NaOH  entspricht  dabei 

3n 
1,0  ccm  :rjr  PfO«,  da  nur  ein  Drittel  der  gesamten  Valenzen  der 

Phosphorsäure  von  dem  Alkali  in  Anspruch  genommen  werden. 

12.  Mischung   von    3,0  com    —   HCl    und    2,0   ccm    —   KH^PO^ 

n 
Methylorange     ^  NaOH  =  3,0  ccm 

Phenolphthal.  ~  NaOH  =  4,98  ccm 

Besultat:  3,0  ccm    —  anorgan.  Säure^  1,98  ccm   —  P^O^. 

13.  Mischung  von  6,0  ccm  —  HCl  und  3,5  ccm  '      KH^PO^ 

Methylorange   --  NaOH  =  6,02  ccm 

Phenolphthal.   ^-  NaOH  =  9,50  ccm 

3n 
Resultat:  6,02  ccm  freie  anorgan.  Säure,  3,48  ccm   —  P9O5. 


414  XXV.  Moritz 

14.  MUcliuiig  von  4,0  com  — -  HCl  und  1,6  ccm  -^7:  KBLPO, 

10  10 

Methylorange  —  NaOH  =  4,03  ccm 

n 
Phenolphthal.  —  NaOH  =  5,50  ccm 

Besnltat:  4,03  ccm  —  freie  anorgan.  S&ure,  1,47  ccm  —  P^O^. 

fi  3n 

15.  Mischung  von  3,1  ccm  —  HCl  und  2,15  ccm  —  KHjPO^ 

n 
Methyloraoge      -  NaOH  =  3,11  ccm 

Phenolphthal.  -^  NaOH  =  5,28  ccm 

Resultat:  3,11  ccm  —  freie  anorgan.  Säure,  2,17  —-  Pf05. 

Noch  beweisender  als  die  angeführten  Beispiele  sind  für  die 
Exaktheit  des  Verfahrens  solche  Versuche,  in  denen  freie  Phosphor- 
säure zunächst  mit  Methylorange  als  Indikator  austitriert  und  dann 
mit  Phenolphthalein  unter  Zusatz  von  Kochsalzlösung  weitertitriert 
wird.  Wenn  mit  dem  ersten  Verfahren  genau  eine  und  mit  dem 
zweiten  zwei  Valenzen  der  Phosphorsäure  anstitriert  werden,  so 
muß  der  Alkaliverbrauch  bei  der  Phenolphthaleintitrierung  gerade 
doppelt  so  groß  als  der  bei  der  Methylorangetitrierung  sein.  Bei 
solchen  Versuchen  ist  man  ganz  unabhängig  von  Fehlem,  die  bei 
der  Herstellung  der  Phosphatlösungen  sowie  der  Titrierlauge  ge- 
macht sein  können. 

Es  wird  eine  verdünnte  wässerige  Phosphorsäure  unbekannter  Kon- 
zentration benutit,  von  der  eine  nach  Gutdünken  abgegossene  Menge  zum 
Versuch  verwendet  wird. 


16.  Methylorange -^  NaOH  =  8,25 

Phenolphthal.  ^  NaOH  =16,60 

(soll  =  16,50). 

17.  Methylorange    °-    NaOH  =17,3 

Phenolphthal.    ^-  NaOH  =  34,7 

(soll  =  34,6). 


über  Bestimmting  der  Bilanz  von  Säuren  u.  Basen  in  tierischen  Flüssigkeiten.    415 

18.  Methylorange  ~  NaOH=18,7 

Phenolphthal.  ^  NaOH  =  37,l 

(soll  =  37,4). 

19.  Methylorange   ^    NaOH=:5,97 

Phenolphthal.  -^  NaOH=  11,90 

(8011=11,94). 

20.  Methylorange  -^  NaOH=  18,95 

Phenolphthal.  -^  NaOH  =  37,88 


(soll  =  37,90). 


21.   Methylorange 


10    NaOH  =  9,2 


Phenolphthal.  ^  NaOH  =  18,4 

(soll  =18,4). 

Die  angeführten  Beispiele  zeigen,  daß  der  Versuch  der  obeA 
gemachten  Voraossetzung  entspricht. 

Es  wurde  übrigens  auch  das  Resultat  der  acidimetrischen 
Phosphorsäurebestimmung  mit  dem  Resultat  der  Urantitrierung  in 
einer  Reihe  von  Fällen  verglichen. 

3n 

22.  10,0  ccm  -|-^  EHgPO^   gebrauchen  in  einem  Versuche  genau 

10,0   -— -  NaOH  bei  Phenolphthaleintitration. 
10 

Dieselbe   Phosphatlösung    erfordert   für    10   com    14,15    ccm    Uran« 

lösong   vom  Titer  1  ccm  =  0,005  P^O^.     Theoretisch  enthalten  10  ccm 

3n 

—  KHjPO^    0,071  g   PjO^;    die  Urantitrierung   ergab    14,15X0,005 

=  0,07075  g  P2O5.    Die  Phosphatlösung  war  also  genau  hergestellt  und 

bedurfte    eines   genau  gleichen  Volumens  —j-   Alkalilösung    zur  PhenoL* 

phthaleinneutralisation . 

23.  10  ccm  Harn  werden  mit  geringem  Überschuß  von  Soda  ver« 
ascht.  Die  Asche  wird  mit  kleinem  Überschuß  von  Salzsäure  zur  Lösung 
gebracht,  vorhandene  Kohlensäure  weggekocht.  Kombinierte  Titration 
der  Aschelösnng.     Alkaliüberschuß  der  Phenolphthaleintitrierung  über  die 

Methylorangetitrierung=  2,1  ccm  --- NaOH  =  0,0149  g  PgOg.    In  einer 

gleichen  Portion  von  Aschelösung  ergibt  Urantitrierung  0,015  g  P^Og. 


416  XXV.  MosiTs 

24.  AschelöBUDg  von  10  ccm  eines  anderen  Harnes.  Alkaliuberschoß 
<der  Phenolphthalein-  über  die  Methy]orangetitrierung  =  3,28  -— -  NaOH 
=  0,0233  g  PgOj.  TJrantitriemng  in  gleicher  Aschelösung  =^  0,0235  g PjOr. 

Allerdings  sind  eine  Eeibe  von  Bedingungen  nötig,  um  mit 
der  beschriebenen  kombinierten  Titration  gute  Resultate  der  Phos- 
phorsäurebestimmung zu  erzielen.^) 

1.  Die  Flüssigkeil  muß  farblos  sein,  andernfalls  wird  der  Methyl- 
orangeumschlag aus  Orange  in  Reingelb  undeutlich.  Auch  dann 
empfiehlt  es  sich  noch,  ein  dem  Titriergefäß  gleiches  Gefäß  (am 
besten  kleine  Erlenmayer-Kolben)  mit  gleicher  Menge  Wasser  und 
Methylorange  als  Eolorimeter  zu  benutzen,  auf  dessen  Farbe  die 
zu  titrierende  Flüssigkeit  zu  bringen  ist.  Die  kombinierte  Titrie- 
rung der  Phosphorsäure  läßt  sich  also  nicht  im  Magensaft  oder 
Harn,  sondern  nur  in  farblosen  Aschelösungen  tierischer  Flüssig- 
keiten vornehmen. 

2.  Die  kombinierte  Phosphorsäuretitrierung  setzt  das  Fehlen 
Yon  organischen  Säuren  sowie  von  Kohlensäure  und  von  Cyan- 
wasserstoff in  der  Lösung  voraus.  Bei  solchen  schwächeren  Säuren 
erfolgt  der  Methylorangenmschlag  lange  schon  ehe  eine  völlige 
chemische  Absättigung  der  Säuren  erfolgt  ist,  wie  denn  z.  B.  Cyan- 
kali,  Natriumbikarbonat  und  essigsaures  Natron  auch  auf  Lackmns- 
farbstoff  alkalisch  reagieren.  Da  Phenolphthalein  nun  die  Titration 
dieser  schwachen  Säuren  erheblich  weiter  fuhrt  als  Methylorange, 
so  entsteht  bei  ihrer  Anwesenheit  ebenso  wie  bei  der  Phosphor- 
säure eine  Differenz  im  Alkaliverbrauch  zwischen  beiden  Titrie- 
rungen. Dies  muß  aber  verhütet  werden,  da  ja  die  Titrations- 
differenz nur  auf  Phosphorsäure  bezogen  werden  soll.  Es  sind  also 
organische  Säuren  durch  Veraschen  zu  zerstören,  CO^  und  HCN, 
die  beide  sich  beim  Veraschen  tierischer  Flüssigkeiten  bilden  können, 
sind  durch  Auskochen  der  mit  HCl  oder  H^SO«  angesäuerten  Asche- 
lösung zu  entfernen. 

3.  Die  kombiniert  zu  titrierende  Flüssigkeit  darf  keine  Kalk- 
oder Barytsalze  enthalten. 

Damit  kommen  wir  zu  der  oben  schon  namhaft  gemachten 
zweiten  Schwierigkeit,  die  sich  der  Phosphorsäuretitrierung  in  tieri- 
schen Flüssigkeiten  überhaupt  entgegeiistellt. 

Bei  Gegenwart  von  Kalk-  oder  Barytsalzen  wird  bei  der  Phenol- 


1)  Die  hier  beschriebene  kombinierte  Titriemng  der  Phosphorsfinre  wurde 
ausgearbeitet,  weil  sie  bei  der  in  einer  folgenden  Mitteilung  darznsteUenden 
Aschenanalyse  von  Magensaft  oder  Harn  mit  YorteU  Verwendung  finden  kann. 


über  Bestimmung  der  Bil&nz  von  Stlnreii  n.  Basen  in  tierischen  Flüssigkeiten.    417 

phthaleintitrierang  der  Pbospborsaure  mehr  Alkali,  als  zur  Bildung 
des  sekundären  Phosphates  nötig  wäre,  verbraucht.  Praktisch 
kommen  f&r  tierische  Flüssigkeiten  nur  die  Kalksalze  in  Betracht. 

Die  Beaktion  wUte  verlaufen: 

NaHaPO^  +  NaOH  =  Na^HPO^  +  2  H^O. 

Bei  Gegenwart  von  Kalksalz  verläuft  sie  aber  zum  Teil  folgender- 
maßen: 

NaH^PO^  +  CaCla  +  2  NaOH  =  NaCaPO^  +  2  NaCl  +  2  H^O. 

Es  bildet  sich  also  unter  Verbrauch  von  zwei  statt  einem 
Uolektil  Natronlauge  tertiäres  kalkhaltiges  Salz,  das  unlöslich  aus- 
fällt. Da  diese  Bildung  tertiärer  Phosphate  in  ihrer  Menge  im 
ganzen  zwar  von  der  Menge  des  vorhandenen  Kalksalzes  abhängig 
ist,  keineswegs  aber  hier  einfache  gesetzmäßige  Beziehungen  be- 
stehen, so  macht  die  Gegenwart  von  Kalksalzen  die  Phosphorsäure- 
ütrierung  gänzlich  unzuverlässig.  Die  Flüssigkeit  wird  durch 
Kalksalze  scheinbar  saurer.  Es  ist  dies  aber  nur  der  Fall,  sofern 
die  Titrierung  auf  sekundäres  Phosphat  abzielt,  also  Phenolphthalein 
als  Indikator  fungiert.  Wird  die  Pbospborsaure  nur  als  primäres 
Salz  mit  Methylorange  als  Indikator  austitriert,  so  findet  keine 
Störung  durch  Kalk-  (oder  Baryt-)salz  statt.  Solange  nur  primäres 
Phosphat  in  der  Lösung  ist,  ist  eben  keine  Möglichkeit  zur  Bildung 
müöslicher  sekundärer  oder  tertiärer  Kalkphosphate  gegeben,  welche 
einen  Mehrverbrauch  von  Alkali  bedingen  würden. 

Die  f&r  die  Phenolphthaleintitrierung  der  Phosphorsäure  aus 
der  Gegenwart  von  Kalksalzen  resultierende  Behinderung  hat  dazu 
geführt,  daß  man  das  Bemühen  um  eine  Bestimmung  der  Äcidität 
des  Harnes  mit  Farbstoffen  überhaupt  für  ein  vergebliches  hielt.  ^) 
Dem  ist  aber  nicht  so.  Es  gibt  vielmehr  auch  hier  wieder  ein 
sehr  einfaches  Mittel,  um  die  Kalksalze  zu  entfernen,  ohne  die 
Gesamtacidität  der  Flüssigkeit  zu  ändern.  Man  braucht  nur  der 
Flüssigkeit  etwas  Natriumoxalatlösung  zuzusetzen.  Dieses  gegen 
Phenolphthalein  neutral  reagierende  Salz  fällt  den  Kalk  als  Oxalat 
aus  der  Lösung  aus  und  läßt  an  Stelle  der  Kalksalze  entsprechende 
Natriumsalze  in  der  Lösung  zurück,  die  unschädlich  sind. 

Na^CgO^  +  CaCl^  =  CaC^O,  +  2  NaCl. 

Folgende  Beispiele  bringen  die  Belege  für  die  geschilderten 
Verhältnisse. 


1)  S.  z.  B.  Lieb]  ein,  a.  a.  0.  S.  8ö. 


418  XXV.  Mobitz 

P  h  en  ol  ph  tha  1  ein  titrie  rang. 

25.  1,0  I?  KH,PO,  =  1,0^  NaOH 

1,0^  KH^PO^  +  etwas  CaClj  =1,4  NaOH,    i.  e.   Mehr- 

verbrauch  ron  40  %  Alkali. 

1,0  —  KH2P0^  +  etwas  CaCl,  +  Na-Oxalat  titriert  Y^NaOfl 
=  1,0,  i.  e.  richtiger  Wert. 

26.  2,0  ^  HCl  +  2,0  ^  KH,PO,  =  4,0  ^  N.OH 

2,0  ~  HCl  +  2,0  ^  KH,PO,   +  etwu   CaCl,  =  4,45  ^ 

NaOH,  i.  e.  Mehrverbrauch  von  1 1  ^/^  Alkali. 

2,0  -°-  HCl  +  2,0  j|-  XH,  PO^  +  etwas  CaCl,  +  Na-Oxalat: 

^  NaOH  =  3,95,  i.  e.  richtiger  Wert  (soll  4,0). 

.27.  2,55  com  ^  HCl  +  3,0  com  ^  KH^PO^  +  3,0  ccm  ^  CaCl, 

Alkaliwert  theoretisch  :^  5,55  -      NaOH 

Alkali  wert  unter  Zusatz  von   NaCl  und  Na-Oxalat   titriert  =: 

5,51  -—-  NaOH,  i.  e.  richtig. 

28.  3,0  ^  HCl  +  2,0  ^  KH,PO,  +  3,0  ~  CaCl, 

Akaliwert  theoretisch  =  5,0  — -  Na 

Alkaliwert  unter  Zusatz  von  NaCl  und  Oxalat  titriert  =  4,98. 

29.  3,0  ^  HCl  +  1,0  -°-  Müchsäare  +  1,2  -^  KH,PO^+2,0^ 

NH^Cl  +  0,8  ^  CaCl, 

Alkali  wert  theoretisch  =  5,2  -.    NaOH 

Alkaliwert  mit  NaCl  und  Oxalat  titriert  =  6,1  ^  NaOH. 

Ebenso  wie  Kalk  und  Baryt  bildet  bekanntlich  anch  Magnesia 
unlösliche  Phosphate  und  es  muß  a  priori  möglich  erscheinen,  daß 
ebenso  wie  Salze  der  beiden  ersteren,  auch  Magnesiasalze  die 
Phosphorsäure  titrierung  hinderten.  Tatsächlich  ist  dies  jedoch  nicht 
der  Fall.  Magnesiasalze  haben  keinen  störenden  Einfluß  auf  die 
Phenolphthaleintitration. 


über  BestimmaDg  der  Bilanz  von  Säuren  n.  Basen  in  tierischen  Flüssigkeiten.     419 

30.  10,53  -^  KHjPO^  -f-  ^2  Tropfen  starker  Magnesiumsulfatlösung 
Alkali  wert  theoretisch  =  10,53  -— r-  NaOH 

Alkali  wert  unter  Znsatz  von  NaCl  titriert  =10,5  -^Fr  NaOH. 

Zosatz  noch  weiterer  reichlicher  Menge  von  Magnesiumsulfaltlösung 
bewirkt  kein  Zurückgehen  des  Farbenumsohlages.  Dagegen  entfärbt 
etwas  CaCl^  sofort. 

3n 

31.  10,5  —  KH2P0^+  etwas  CaCl^  + 12  Tropf,  starker  MgSO^-Lös. 

Alkaliwert  theoretisch  3=   10,5^  NaOH 

Alkali  wert    unter    Zusatz    von    NaOl    und    Oxalat    titriert   = 

10,5  T7^  NaOH,  i.  e.  richtiffer  Wert. 


3n 


32.   5,35  ^KHgPO^  +  etwas  CaCI 


10 


2 


Alkaliwert  theoretisch  =  5,35  —  NaOH 

Titriert  ohne  Oxalat  =  6,5  —  NaOH  also  Mehrverbrauch  von 

28%  Alkali. 

3n 
5,35         KHjPO^  -f-  1,0  ccm  starke  MgSO^-Lösung 

Titriert  unt.  Zusatz  von  NaCl  =  5,4  —  NaOH,  i.  e.  richtiger  Wert. 

Kalksalz  stört  also  sehr^  Magnesiasalz  stört  nicht. 

5,35  -^  KHgPO^  +  etwas  CaCl,  +   1,0  ccm    MgSO^- Lösung 

mit  Zusatz  von  NaCl  und  Oxalat  titriert  =  5,4— NaOH,  i.  e. 
richtiger  Wert. 

Es  Wäre  nnn  noch  denkbar,  daß  Magnesiasalze  bei  Gegenwart 
von  Ammoniaksalzen  die  Phosphorsäaretitrierung  störten,  indem 
etwa  phosphorsimre  Ammoniakmagnesia  ausfiele.  Daß  dem  aber 
nicht  so  ist,  lehrt  folgender  Versuch. 

33.    4,9  i^  KHjPO^  +  5,8  ^  NH^Cl  +  10  Tropfen  starke  Magne- 
BiumsulfaÜösung  titriert  =  4,9  —  NaOH,  i,  e.  richtiger  Wert. 

Nach  den  angeführten  Versuchen  kann  kein  Zweifel  bestehen^ 
daß  auch  für  den  Harn  das  geschilderte  Vorgehen  zu  bra^chbaren 
acidimetrischen  Resultaten  führen  muß.    Es  läßt  sich  denn  auch 


420  XXV.  MoRiTs 

leicht  dei*  Nachweis  führen,  daß  anter  den  beschriebenen  Bedingungen 
ein  Zusatz  von  Kalk-  oder  Magnesiasalz  zu  Harn  das  Titrieiresultat 
nicht  ändert,  sowie  daß  zugesetztes  primäres  Phosphat  quantitativ 
aufgefunden  wird. 

34.  10  ccm  Harn  gebraueben  bei  Phenolpfathaleintttrierung  unter 
Zusatz  von  NaCl  und  Oxalat  1,55  -^  NaOH. 

10  ccm  des  gleichen  Harns  mit  CaCl^  und  MgSO^  versetzt  ge- 
braueben unter  Zusatz  von  NaCl  und  Oxalat  1,50  — --  NaOH.  Es  werden 

3"n  n 

dann  4,9  ccm  -r-^  KH^FO^  zugesetzt.   Nun  sind  noch  weitere  4,9  ccm 


10  — *--*— o  ' 10 

NaOH  nötig,  um  wieder  zu  neutralisieren. 

Es  ist  indessen  noch  zu  überlegen,  ob  nicht,  wenn  auch  Kalk- 
und  Magnesiasalze  unschädlich  sind,  andere  im  Harn  vorkommende 
Körper  die  Phenol  phthaleintitrierung  zu  beeinträchtigen  vermögen. 

Harnstoff  stört  nicht,  er  verhält  sich  trotz  seiner  beiden  Amido- 
gruppen  überhaupt  nicht  wie  ein  Alkali  gegen  Phenolphthalein. 

35.  10,0  -^  KH^PO^  titriert  =  10,0  -^  NaOH.  10,0  -^ 
KHjPO^  +  10,0  com  4  %  Harnstofflösung  titriert  =  9,98  -^  NaOH. 

Dagegen  ist  es  bekannt,  daß  Ammoniaksalze,  mit  denen  man 
ja  im  Harn  immer  zu  rechnen  hat,  die  Phenolphthaleintitrierung 
beeinflussen  können.  Es  ist  bei  Gegenwart  von  Ammoniaksalzen 
mehr  fixes  Alkali  nötig,  um  mit  Phenolphthalein  den  Farbenum- 
schlag zu  erzielen,  als  ohne  solche. 

Bei  größeren  Mengen  von  Ammoniaksalzen  ist  dieser  Ein- 
fluß quantitativ  nicht  zu  vernachlässigen,  wie  folgende  Versuche 
zeigen. 

36.  5    ccm   NH^Ci-Lösung  (5  o/J  =  ca.    60  com   ^  NH^Q  ge- 


10 


brauchen  0,75  -r-r-  NaOH  bis  zum  Farbumschlag. 


n 


37.  15  ccm  — -  HCl  -\-  13  ccm  -—  NH3  bedürfen  theoretisch  noch 
2,0  — -  NaOH  bis  zur  Neutralisation.  Tatsächlich  gebraucht  2,3  ccm 
^NaOH. 


über  Bestimmaiig  der  Bilanz  yon  Säuren  n.  Basen  in  tierischen  Flüssigkeiten.     421 

88.  6,0  ^  HCl  titriert  =  6,0  ^  NaOH.  Als  zu  der  titrierten 
liSsong  nun  6  Tropfen  einer  Ammoniumoxalatldsnng  zugesetzt  werden, 
geht  der  Farbumschlag  znr&ck  und  es  sind  noch  0,97  -r-r-  NaOH  nötig, 
nm  wieder  zu  neutralisieren.  Nun  2  Tropfen  8afmiakl5sung,  worauf  noch 
weiter  0^4  -rrr-  NaOH  nötig  sind,  um  Neutralität. herzustellen. 

Dabei  ist  es  ein  weiterer  Nachteil,  daß  bei  Gegenwart  von 
Anunoniaksalz  der  Umschlag  des  Phenolphthalein  in  ein  wesentlich 
matteres  Sosa  erfolgt,  als  es  ohne  das  der  Fall  ist. 

Es  gibt  nun  aber  zwei  Wege,  nm  die  störende  Einwirkung^ 
von  Ajnmoniaksalzen,  wenigstens  solcher  Mengen  derselben,  wie 
sie  im  Harn  vorkommen  können,  fast  völlig  zn  eliminieren. 

Man  kann  erstens  den  Einfluß  der  Ammoniaksalze  dnrch  starke 
Abkühlung  der  Flüssigkeit  sehr  einschränken,  wie  man  ihn  anderer- 
seits dnrch  Erwärmung  noch  erheblich  steigern  kann.  Dazu  wird 
in  al^ekflhlter  Flüssigkeit  auch  der  Farbumschlag  viel  stärker. 

39.  3,0  -^-  NCi  +  3,0  j^  NH^Cl  in  20  H^O  gelöst. 

Titriert  =  3,08   — -  NaOH  (eben  eine  Spur  Rosaförbung).    Dieselbe 

Mischung  unter  0®  in  Kältemischung   abgekühlt  bei  Zusatz  von  3,0  -r^ 
NaOH  schon  deutlicher  Farbumschlag. 

Ebenso  aber  kann  man  den  Einfluß  der  Ammoniaksalze  anf 
Phenolphthalein  auch  dnrch  Zusatz  von  konzentrierter  Kochsalz- 
lösung zu  der  zu  titrierenden  Flüssigkeit  vermindern.  Die  kon- 
zentrierte Kochsalzlösung  wirkt  also  nicht  nur  auf  die  Phosphor- 
säuretitrierung,  sondern  auch  auf  die  Störung  durch  NH^-Salze 
korrigierend  ein.  Besonders  stark  wirkt  aber  eine  Kombination 
beider  Manipulationen,  Abkühlung  und  Zusatz  von  Kochsalzlösung 
zugleich,  ein.  Dnrch  diese  Kombination  kann  es  zu  einer  Über- 
kompensation des  Ammoniakeinflusses  kommen,  so  daß  etwas  zu 
kleine  Alkaliwerte  bei  der  Titrierung  verbraucht  werden. 

40.  Eine  Mischung  von  15,0-^  NCI  und  13,0  -^  NH,,  theore- 
tisch mit  2,0  — -  NaOH  neutral,  gebraucht  tatsächlich  zur  Neutralisation 
2,3  -~  NaOH. 


Jl22  '  XXV.  Moritz 

Zusatz  r  YQu    30    ccm   konzentrierter    Kochsalzlösung    bewirkt ,    daß 

2,1  -—-  NaOH  zur  Nentralisation   ausreichen.     Zusatz  von  30  ccm  kon- 
•        •  j  ü 

zentrierter  Kochsalzlösung  und  gleichzeitige  Abkühlung  unter  0  ®  bewirken, 
daß  nur  1,9  -    -    NaOH  zur  Neutralisation  nötig  sind. 

Die  Kombination:  Znsatz  von  Kochsalzlösung  und  Abküblung 
deprimiert  bei  Phenolphthaleintitrierung  übrigens  auch  ohne  die 
Oegenwail  von  Ammoniaksalzen  etwas  das  Alkalibedurfnis  von 
anorganischen  Säuren  (weniger  oder  nicht  von  organischen  Säuren), 
während  von  Kochsalzlösung  allein  ein  solcher  Einfluß  nicht  nach- 
weisbar ist. 

Aus  den  angeführten  und  mannigfachen  anderen  hier  nicht 
mitgeteilten  Versuchen  ergibt  sich,  daß  ein  Kochsalzzusatz,  der 
schon  wegen  der  Phosphorsäuretitrierung  nötig  ist,  bei  der  Be- 
-stimmung  der  Harnacidität  ausreichend  ist,  um  auch  einen  etwaigen 
-störenden  Einfluß  von  Ammoniaksalzen  auszugleichen.  Es  genügt 
hier  der  Kochsalzzusatz  um  so  mehr,  als  der  Einfluß  von  Ammoniak- 
salzen organischer  Säuren  auf  die  Phenolphthaleintitrierung 
wesentlich  geringer  ist,  als  der  von  anorganischen  Säuren,  oder 
ganz  fehlt.  Im  Harn  aber  liat  man  es  in  erster  Linie  mit  organi- 
schen Ammoniaksalzen  zu  tun. 

41.    15,75^-   MUchsäure  4-13,05    -^  N Hg,  theoretisch  mit  2,70 
Na  neutral.     Tatsächlich    auch    gebraucht  2,7  -— -  NaOH. 


42.    15,75  -— -  Milchsäure -[- ISjO  NH^,  theoretisch  neutral  mit 

•5,75   -^  NaOH,   titriert   unter  Kochsalzzusatz  =  2,80  ^  NaOH. 

Einer  Bemerkung  bedarf  noch  das  Verhalten  des  Phenolphtha- 
leins zur  Kohlensäure. 

Im  Harn  pflegt  eine  sehr  geringe  Menge  Kohlensäure  physi- 
kalisch gebunden  zu  sein.  Dagegen  können  unter  Umständen,  z.  B. 
nach  Einnahme  von  kohlensauren  Salzen,  recht  erhebliche  Mengen 
von  Kohlensäure  als  saures  Karbonat  im  Harn  auftreten.    Versetzt 

man  eine  verdünnnte  z.  B.  ^^  Lösung  von  doppeltkohlensaurem  Na- 
tron mit  Phenolphthalein,  so  zeigt  sich  geringe  Rosafärbung.  Die- 
selbe verschwindet  aber,  sowie  man  konzentrierte  Kochsalzlösung 
zusetzt.    In  Gegenwart  von  Kochsalz  reagiert  also  eine  verdünnte 


über  Bestimmnng  der  Bilanz  von  Säuren  u.  Basen  in  tierischen  Flüssigkeiten.    423 

Lösung   von  NaHCOg    auf  Phenolphthalein    neutral.     Fügt   man 

1—2  Tropfen  ^75  NaOH  hinzu,  so  erfolgt  alsbald  der  Umschlag  zur 

alkalischen  Reaktion.  Primäres  Karbonat  verhält  sich  ih  dieser 
Hinsicht  also  wie  sekundäres  Phosphat.  Kohlensäure  wird  bei 
Anwesenheit  von  Kochsalz  bis  an  die  Grenze  zwischen  primärem 
und  sekundärem,  Phosphorsäure  bis  an  die  Grenze  zwischen  sekun- 
därem und  tertiärem  Salz  austitriert. 

43.  10  ccm    einer  1  proz.  Lösung   von  NaHCOj  (=  etwas   stärker 
als  -Tjr)  gibt  mit  Phenolphthalein  Rosafarbung.    Zusatz  von  10  ccm  konz. 

NaCl-Lösung  entfärbt.  Es  braucht  dann  einige  Tropfen  -jp-  NaOH,  um 
wieder  Rosafarbung  zu  bewirken. 

44.  10,1  ccm  Yq  NagCOg  +  10  ccm  NaCl-Lösung  mit  Phenol- 
phthalein   stark   rot.     Es  sind  5,2  ccm      —  HCl  nötig,  um  zu  entfärben. 

Die  Entfärbung  tritt  also  fast  genau  nach  völliger  Umwandlung  der 
Na^COg    in    NaHCOg    ein.      Theoretisch    waren    hierfür    nötig    gewesen 

5,05   ^  HCl. 

Die  Empfindlichkeit  des  Phenolphthalein  für  CO^  macht  übrigens, 
wenn  man  ganz  genau  arbeiten  will,  gewisse  Vorsichtsmaßregeln 
nötig.  Besonders  muß  man  sich  bewußt  sein,  daß  man  mit  größeren 
Mengen  von  Wasser,  sofern  dieses  nicht  ausgekocht  oder  noch 
besser  von  Lauge  abdestilliert  und  unter  Verschluß  gehalten  war, 
JKohlensäuremengen  in  die  Analyse  hineinbringen  kann,  die  immer- 
hin einige  Zehntel  ccm  ^ä  Lauge  beanspruchen  können. 

Es  sollen  noch  einige  von  vielen  Versuchen  angeführt  werden, 
die  die  Brauchbarkeit  unseres  Titrierverfahrens  für  komplizierter 
zusammengesetzte  Flüssigkeiten  erweisen. 

45.    Mischung   von   3,92  -— -   KHjP04    und    7,03  -—   Essigsäure, 

die  außerdem  noch  1,0  -— -  Bhodanammon,  0,4  g  HarnstofiP,  0,1  g  Trauben- 
«ucker,  0,2  g  NaCl,  0,05  g  K^SO^,  0,02  g  CaClg  enthält.  Der  theore- 
tische Säure  wert  dieser  Mischung  =  10,95  — -  NaOH  (aus  primärem 
Phosphat  und  Essigsäure  sich  zusammensetzend).  Tatsächlich  titriert 
=  10,90  ^  NaOH. 


424  XXV.  Mojorz 


46.    MiBchnng  von  2,8  -^^  milchsaareB  Natrooi  0,17  -^p^Na^HPO^, 


—  milchsaareB  Natron.  0,17 

0,85  NaHjPO^,  außerdem  je  0,1  g  Traubenzucker,  NaCl  und  K,SO^ 

enthaltend.      Theoretischer    Säurewert  =  0,85  — -    NaOH   (das  primfire 

Phosphat),   titriert  =  0,88  -^  NaOH. 

47.  Mischung  von  1,0  -^  NaHCOj,  1,6  -^  Na^HPO^,  1,1  -^ 
Natriumoxalat,  0,3  g  Harnstoff,  je  0,2  g  NaCl,  K^SO^,  Traubenzucker. 
Theoretisch   neutral.     Bei   Titration   mit  0,1  ---  NaOH  schon  alkalisch. 

^  HCl,  1,0  -^  Milchsäure,  3,0  ^ 

5,0  -^NH^CI,  3,0-^CaClj.  Theoretischer  Säurewert = 6,0  ^- NaOH 

Titriert  =  5,94  ~  NaOH. 

usw. 


48.  Mischung  von  2,0  -^  HCl,  1 ,0  ^^  Milchsäure,  3,0  ^^  KH^PO^, 


Für  den  Magensaft  nnd  Harn  gestaltet  sich  das  Vorgehen  im 
einzelnen  folgendermaßen:  Man  titriert  zweckmäßig  in  kleinen 
ca.  150  ccm  fassenden  Erlenmayer-Kölbchen.    Verwendet  werden  je 

10  ccm  Flüssigkeit,  zu  denen  ca.  4  ccm  etwa  -^  Natriamoxalat- 

lösnng  und  15  ccm  konzentrierter  Kochsalzlösung  gesetzt  werden. 
(Titriert  man  größere  Flüssigkeitsmengen,  so  muß  auch  mehr 
Kochsalzlösung  zugesetzt  werden.  Es  genügt  ein  der  zu  titrie- 
renden Flüssigkeit  gleiches  Volum.)  Nach  dem  Zusatz  des  Oxalats 
wartet  man  zunächst  einige  Zeit,  bis  die  Kalkfallung  erfolgt  ist 
Sie  geht  sehr  rasch,  fast  augenblicklich  vor  sich.  Erst  nach  voll- 
endeter Kalkf&llung  setzt  man  die  Kochsalzlösung  zu.  Man  richtet 
zwei  derartige  Proben  in  zwei  gleichen  Kölbchen  her  und  benutzt 
die  eine  zum  Farbenvergleich.  Der  Umschlag  wird  auf  diese  Weise 
auch  bei  dunklen  Hamen  und  Magensäften  deutlich. 

Ein  besonderes  Verfahren  ist  beim  Harne  noch  für  den  Fall 

nötig,  daß  ein  Phosphatniederschlag  besteht    Diesen  mit   ^  Säure 

aufzulösen  und  den  Säurezusatz  vom  Titrierresultat  in  Abzug  zu 
bringen,  ist  nur  dann  zulässig,  wenn  der  Harn  kein  Karbonat  ent- 
hält. Andernfalls  würde  CO^  beim  Ansäuern  aus  dem  Harn  ab- 
dunsten und  die  Harnacidität  zu  gering  ausfallen. 


über  BestimmiUDg  der  BUhdz  von  Säpren  u.  Basen  in  tierischen  Flüssigkeiten.    426 

Hat  man  mit  Karbonat  im  Harn  zu  rechnen,  so  muß  der  Nieder- 
schlag von  einer  bestimmten  Menge  des  gut  umgerfihii:en  Harnes 

anf  dem  Filter  gesammelt,  ausgewaschen,  in  :r^-8äure  gelöst  und 

titriert  werden.  Daß  dabei  exakte  Besultate  erhalten  werden, 
zeigt  folgender  Versuch: 

3  n 
49.    3,55  ccm    —   NsjPO^  werden  mit  Überschuß  von  CaCl,  geMt, 

BO  daß  in  dem  Niederschlag  alle  Phosphorsäure  als  tertiäres  Phosphat 
•enthalten  sein  muß. 

Der  abfiltrierte  und  ausgewaschene  Niederschlag  wird  in  ein  Kölbchen 

gespült  und  mit  Methylorange  als  Indikator  mit  — r-  HCl  titriert.  Es 
sind  7,1  —  —  HCl  nötig,  bis  Methylorange  in  Kot  umschlägt.  Der  Nieder- 
schlag enthielt  also  7,1  — -  für  Methylorange  nachweisbares  Alkali.  Nun 
Zusatz  von  Oxalat  und  Kochsalz  zu  der  mit  Methylorange  titrierten 
Flüssigkeit  und  Titrieren  derselben  mit  —    NaOH   mit   Phenolphthalein 

als  Indikator.  Es  sind  nötig  3,53  -  -  NaOH  bis  zum  Umschlag.  Mithin 
waren  3,53  — -   primäres   Phosphat   in   der   Lösung.      Der   Niederschlag 

setzte  sich  also  zusammen  aus  10,63  -j^  Alkali  (7,1  -j^-    Alkali    durch 

Methylorangetitrierung  nachgewiesen  und  3,53  im  primären  Phosphat)  und 

3n 
ans    3,53  — -  Phosphorsäure,  i.  e.  der  Phosphatniederschlag  bestand  aus 

Töllig  gesättigtem,  d.  i.  tertiärem  Phosphat. 

Ein  Drittel  der  in  diesem  Niederschlage  enthaltenen  Alkalimenge, 
diejenige  Alkalimenge  nämlich,  die  über  die  sekundäre  Sättigungs- 
stafe  des  Phosphats  hinaus  vorhanden  war,  hätte  von  dem  Aciditäts- 
wert  der  zugehörigen  Hammenge  in  Abzug  gebracht  werden  müssen. 

Die  bisher  zu  genauer  Bestimmung  der  Harnacidität  wohl  am 
meisten  in  Geltung  gewesene  Methode  ist  die  von  Lieblein.  ^) 
Dieser  Autor  faßt  ausschließlich  die  Menge  des  primären  Phosphates 
als  den  zutreffenden  Ausdruck  der  Harnacidität  auf.  Ich  teile  die  An- 
sicht Liebleins,  daß  man  für  die  Harnacidität  in  erster  Linie  das  pri* 
märe  Phosphat  verantwortlich  machen  darf,  aber  selbstverständlich 
nur  insoweit  als  die  Menge  des  primären  Phosphates  hierzu  ausreicht. 
Mit  einer  Methode  die  sich  auf  die  Bestimmung  des  primären  Phos- 

1)  Lieblein,  a.  a.  0. 
Dentsehes  Arohir  f.  klio.  Medizin.  LXXX  Bd.  28 


426   XXV.  Moritz,  Üb.  Bestimmiuig  d.  Bil.  v.  Sänren  ü.  Basen  in  tierisch.  Flüssigk. 

phates  beschränkt,  kann  man  natürlich  auf  Fälle,  wo  aber  das  primäre 
Phosphat  hinaus  noch  sauere  Verbindungen  im  Harn  vorhanden  sind, 
nicht  aufmerksam  werden.   Solche  Fälle  kommen  aber  tatsächlich  vor. 

50.  Gesamter  Tagesham   eines  Diabetikers    mit  Acidosis.     Acidität 

n 
in  10  ccm  Harn  =  2,6    ---  NaOH,    Acidität   des   in  10  ccm  Harn  vor- 

handenen  primären  Phosphats  =1,7   — r-  NaOH.    Es  sind  demnach  über 

das   primäre  Phosphat   hinaus   noch   saure  Verbindungen  im  Alkaliwerte 

von  0,9  ccm  -:r^  NaOH  in  10  ccm  Harn  enthalten. 

10  I 

51.  Stark  saurer  Morgenharn  eines  Gesunden.     Acidität  in   10  ccm  | 
=  5,6  ccm  — —  NaOH.     Alkali  wert  des  vorhandenen  primären  Phosphats 

=  4,8,  mithin  0,8  ccm  ---  saure  Verbindungen  über  das  primäre  Phos- 
phat hinaus. 

Die  Methode  von  Lieb  lein  hat  daher  keine  allgemeine  Ver- 
wendbarkeit. 

Eine  Reihe  anderer  Methoden,  so  die  von  Freund  und 
Töpfer^)  und  die  vonNaegeli')  sind  teils  prinzipiell  unrichtig, 
teils  wegen  der  Undeutlichkeit  des  Farbenumschlags  der  ange- 
wendeten Indikatoren  im  Harn  unbrauchbar.  Vorschläge  für  die 
Entfernung  des  Kalkes  durch  Oxalsäure  bei  Bestimmung  der  Harn- 
acidität,  sind  schon  von  Lepinois*)  gemacht  worden.  Doch  ist 
seine  Methode  unnötig  umständlich  und  entbehrt  der  Korrektur 
der  Phosphorsäuretitrierung. 

Die  vielfachen  Versuche,  welche  gemacht  wurden,  die  Phosphate 
durch  Auslällung  aus  dem  mit  bestimmter  Menge  von  Alkali 
alkalisch  gemachten  Harn  mittels  BaCl^  zu  entfernen  und  dann 
die  Harnacidität  durch  Zurücktitrieren  mit  Säure  zu  bestimmen,*) 
führen  zu  unsicheren  Resultaten*),  da  die  Zusammensetzung  der  aus- 
fallenden Barj'umphosphatverbindungen  eine  wechselnde  ist  und 
daher  auch  wechselnde  Alkalimengen  beansprucht. 

1)  Zeitschr.  f.  phya.  Chem.  Bd.  19  S.  84. 

2)  Zeitschr.  f.  physiol.  Chem.  Bd.  30  S.  313. 

3)  Compt.  rend.  soc.  biolog.  Bd.  50  S.  251—253,  cit.  nach  Maly's  Jahresbericht 
für  Tier-Chemie  Bd.  28  S.  278. 

4)  M a  1  y's  Methode,  s.  Nenbauer-Happert,  Analyse  des  Harns,  9.  Aufl. 
S.  452.  E.  V  o  i  t ,  Die  Aciditätsbestimmung  in  tierischen  Flüssigkeiten.  Sitzungs- 
berichte der  Gesellsch.  f.  Morphol.  u.  Physiol.  in  München  Bd.  5  1898  S.  1  M.  A. 

5)  S.  d.  Ausführungen  von  Lieblein,  a.  a.  0.  mit  dessen  Beobachtungen 
sich  die  meinen  decken. 


XXVI. 

Über  die  Wirkung  der  photodynamischen  (fluorescierenden) 

Stoffe  anf  Protozoen  nnd  Enzyme. 

Von 

H.  T.  Tappeiner  and  A.  Jodlbauer. 

Bei  einer  auf  Veranlassung  des  einen  von  uns  (T.)  unter- 
nommenen Untersuchung  über  die  Giftigkeit  des  salzsauren  Acridins 
CjgHgN  für  Infusorien  (Paramäcien)  erhielt  Herr  0.  Raab  als  er 
zur  Auffindung  der  unteren  Grenze  der  Giftigkeit  schritt  und  eine 
Lösung  von  1 :  20  000  untersuchte ,  ganz  verschieden  ausfallende 
Resultate.  Bald  waren  die  Paramäcien  in  einer  Stunde  tot  und 
zerfallen,  bald  lebten  sie  über  einen  halben  Tag.  Die  zu  jener 
Zeit  (Winter  1897/98)  sehr  ungleichen  Licht  Verhältnisse  (Wechsel 
von  sehr  trüben  und  hellen  Tagen)  legten  schließlich  den  Gedanken 
nahe,  es  möchte  ein  Einfluß  des  Lichtes  bei  diesen  sonst  ganz  un- 
erklärlichen Versuchsergebnissen  im  Spiele  sein.  In  der  Tat  brachte 
ein  entsprechend  eingerichteter  Versuch  sofort  unzweifelhafte  Ge- 
wißheit: „Paramäcien  mit  Acridinlösung  1:20000  versetzt  starben 
im  Sonnenlicht  in  6  Minuten,  im  zerstreuten  Tageslicht  in  60  Mi- 
nuten, ganz  im  Dunkeln  gehalten,  waren  sie  nach  60000  Minuten 
noch  am  Leben." 

Da  verschiedene  Kontrollversuche,  insbesondere  Ausschaltung 
der  Wärmewirkung  der  strahlenden  Energie  durch  Vorlage  von 
gesättigter  Kupfersulfatlösung,  an  diesem  Ergebnisse  nichts  wesent- 
liches änderten,  so  hatte  man  in  ihm  eine  „Lichtwirkung"  vor  sich, 
wie  sie  in  dieser  Weise  in  der  Biologie  noch  nicht  beobachtet 
worden  war. 

Diese  neue  Lichtwirkung  soll  in  der  Folge,  um  sie  mit  einem 
Namen  zu  fixieren,  als  photodynamische  Wirkung  bezeichnet  werden. 

Acridin  ist  durch  eine  hervorragende  optische  Eigenschaft  aus- 
gezeichnet, die  der  Fluorescenz,  d.  i.  die  Fähigkeit  einen  Teil  der 
absorbierten  Strahlen  als  Licht  anderer  Brechbarkeit  wieder  aus- 

28* 


428  XXVI.  Tappeikeb  n.  Jodlbaübb 

zugeben.  Dies  gab  Anlaß  noch  einige  andere  fluorescierende  Körper: 
Phosphin,  Eosin,  Chinolinrot,  Harmalin  und  Chinin  zu  untersuchen, 
mit  dem  Ergebnisse,  daß  auch  sie  diese  „Lichtwirkung"  zeigten, 
wogegen  Kontrollversuche  mit  mehreren  nichtfluorescierenden  Stoffen 
negatives  Kesultat  ergaben. 

Nachdem  die  Untersuchung  mit  Lichtfiltem  und  die  Unter- 
suchung in  prismatisch  zerlegtem  Lichte  ergeben  hatte,  daß  die 
photodynamische  Wirkung  nur  bei  Zutritt  von  Strahlen  bestimmter 
Wellenlänge  auftritt,  wurde  es  schließlich  als  sehr  w^ahrscheinlich 
bezeichnet,  daß  die  Erscheinung  mit  der  Erregung  von  Fluorescenz 
im  Zusammenhange  stehe.  ^) 

Im  Winter  1900  verfolgte  Richard  Jacobson  auf  Veran- 
lassung des  einen  von  uns  (T)  die  Frage,  ob  die  bei  Paramäcien 
nachgewiesene  Wirkung  fluorescierender  Stoffe  auch  bei  Zellen 
höherer  Tiere  vorhanden  sei,  und  fand  dies  für  das  Flimmerepithel 
des  Frosches  bestätigt.^) 

1903  folgte  die  Entdeckung,  daß  auch  Enzyme  und  Toxine 
durch  fluorescierende  Substanzen  in  ganz  analoger  Weise  beeinflußt 
werden  *) ;  gleichzeitig  ergaben  therapeutische  Versuche  sehr  auf- 
fallende und  viel  versprechende  Wirkungen  bei  carcinomatösen, 
tuberkulösen  und  luetischen  Affektionen.^)  Alle  diese  Beobachtungen 
forderten  dazu  auf,  die  photodynamische  Wirkung  auf  dieser  er- 
weiterten Grundlage  einer  umfassenden  Untersuchung  zu  unter- 
ziehen. Die  folgenden  Abschnitte  enthalten  den  ersten  Teil  der 
dabei  gewonnenen  Ergebnisse. 

I.  Abschnitt.    Wirkung  auf  Protozoen. 
A.   Ter  suche  an  Faramaecium  caudatum. 

Die  Versuche  dieses  Abschnittes  wurden  hauptsächlich  mit 
Faramaecium  caudatum  ausgeführt.  Es  ist  dies  eine  große,  noch 
mit  freiem  Auge  eben  sichtbare  Infusorienart  (Ciliatae),  welche 
vermöge  ihres  Wimperkleides  und  der  langen  Schwanzcilien  sich 
äußerst  rasch  bewegt.     Sie   läßt  sich  in  Fflanzenaufgüssen  oder 


1)  H.  V.  T a p p  e i n e T ,  Münchener  med.  Wochenschr.    Nr.  1  1900;  0.  Baab, 
Zeitschr.  f.  Biologie  Bd.  39  u.  44. 

2)  Zeitschr.  f.  Biologie  Bd.  41  S.  444. 

3)  H.  y.  Tapp  ein  er,  Über  die  Wirknng  flnorescierender  Snbstansen  auf 
Fermente  und  Toxine.    Ber.  d.  D.  ehem.  Gesellsch.  Bd.  XXXVI  (1903)  S.  3035. 

4)  H.  y.  Tappeiner   u.   A.  Jesionek,   Münch.  med.  Wochenschr.  1903 
Nr.  47. 


über  die  Wirkung  der  photodynamischeu  (fluoresciereDden)  Stoffe  etc.      429 

dergleichen  leicht  in  größter  Zahl  und  angenäherter  Reinkultur 
züchten. 

Die  Untersuchungen  geschahen  größtenteils  im  hängenden 
Tropfen  in  feuchter  Kammer  von  bekannter  einfacher  Kon- 
struktion. Auf  einem  Objektträger  ist  ein  Glasring  von  ca.  10mm 
Höhe  und  20  mm  Durchmesser  aufgekittet,  auf  dessen  oberen  ab- 
geschliffenen und  eingefetteten  Rande  ein  Deckglas  aufgelegt  wurde, 
auf  dessen  Unterseite  sich  eine  Mischung  von  zwei  gleich  großen 
Tropfen  Paramäcienkultur  und  Versuchslösung  befand.  In  be- 
sonderen Fällen,  zumal  in  solchen,  wo  die  angewandten  Strahlen 
direkt,  ohne  zwischenliegende  Glasschicht,  zutreten  sollten,  wurde 
die  Untersuchung  in  Uhrschälchen  vorgenommen.  2  ccm  Ver- 
suchslösung wurden  dann  mit  2 — 3  Tropfen  der  Kultur  versetzt. 
Es  wurden  nur  an  Paramäcien  reiche  Kulturen  verwendet,  so  daß 
in  einem  Tropfen  mindestens  ein  gutes  Dutzend,  im  Uhrglase  ent- 
sprechend mehr  enthalten  waren.  Die  Beobachtung  der  Tierchen 
geschah  unter  dem  Mikroskope  bei  schwacher  Vergrößerung.  Nor- 
mal sieht  man  die  Paramäcien  fast  ununterbrochen  geradlinig  hin- 
nnd  herschießen.  Wenn  die  Versuchslösung  zu  wirken  anfangt^ 
werden  diese  Bewegungen  langsam  und  hören  schließlich  auf.  Die 
Tiere  machen  dann  noch  eine  Zeitlang  Bewegungen  in  loco  (rollende 
Bewegung),  werden  dann  flaschenförmig  aufgetrieben,  wobei  auch 
die  Flimmerbewegung  zum  Stillstande  kommt,  körnige  Massen  be- 
ginnen aus  ihrem  Leibe  auszutreten  und  schließlich  zerfallen  sie 
gänzlich. 

Als  Zeit  des  Todeseintrittes  wurde  der  Beginn  des  Zerfalles 
notiert.  Bei  Lebzeiten  oder  während  des  Absterbens  eingetretene 
Färbungen  der  Paramäcien  durch  die  Versuchssubstanz  wurden 
notiert.*)  Die  hauptsächlich  verwendete  Lichtquelle  war  zer- 
streutes Tageslicht  und  zwar,  da  die  Mehrzahl  der  Versuche 
in  die  Herbst-  und  Wintermonate  fiel,  solches  von  sehr  mäßiger 
Intensität.  Ein  Schutz  gegen  die  Wärmewirkung  der 
strahlenden    Energie,    gegen    welche   die   Paramäcien   sehr 

1)  Färbungen  intra  vitam  wurden  nur  bei  dem  kleineren  Teile  der 
photodynamisch  wirksamen  Stoffe  beobachtet,  auch  wenn  sie  intensive  Farbstoffe 
waren.  In  den  anderen  Fällen  scheint  entweder  das  Eindringen  äußerst  ge- 
ringer, dem  Auge  nicht  mehr  wahrnehmbarer  Mengen  zur  Wirkung  schon  aus- 
zureichen, oder  die  photodynamische  Wirkung  findet  nur  au  der  Oberfläche  der 
Zelle  statt.  Eine  mikroskopische  Untersuchnng  auf  eventuelle  Verschiedenheiten 
bezüglich  der  histologischen  Veränderungen,  welche  die  Paramäcien  durch  die 
photodynamischen  Substanzen  im  Dunkeln  und  im  Hellen  erfahren,  dürfte  sich 
in  diesen  und  anderen  Fragen  als  lohnend  erweisen. 


430  XXVI.  Tappeznbb  a.  Jodlbaukr 

empfindlich  sind,  ist  dann  unnötig.  An  hellen  Tagen  des  Frühjahrs 
und  Sommers  ist  ein  solcher  hingegen  absolut  erforderlich.  Bei 
Versuchssubstanzen,  welche  ihre  Absorption  im  brechbarerem  Teile 
des  sichtbaren  Spektrums  oder  im  Ultravioletten  besitzen,  wurde 
eine  4,5  cm  dicke  Schicht  von  konzentrierter  Kupfersulfatlösung 
vorgelegt,  welche  bekanntlich  die  infraroten  Strahlen  völlig  und 
die  sichtbaren  Strahlen  bis  etwas  über  D  V2E  absorbiert.  Bei 
Substanzen,  welche  weniger  brechbare  Strahlen  absorbieren,  ist 
eine  angesäuerte  7proz.  Lösung  von  schwefelsaurem  Eisenoxydul 
in  5,4  cm  dicker  Schichte  am  Platze,  welche  nur  die  infraroten 
Strahlen,  diese  aber  bis  auf  1,2  7o  der  gesamten  Strahlung  absor- 
biert.^) 

Die  Versuche  wurden  in  den  Vormittagsstunden  angesetzt. 
War  der  Tod  der  Paramäcien  nicht  bis  zum  Abend,  also  nach  ca. 
9  Stunden  Belichtung  eingetreten,  so  wurde  am  nächsten  Tage 
weiter  exponiert  und  als  Stunde  des  eingetretenen  Todes  dann  die 
ganze  Zeit  von  Beginn  des  Versuches,  die  Nachtstunden  also  ein- 
gerechnet, bezeichnet.  Die  so  erhaltenen  Todeszeiten  haben  natur- 
lich nur  relativen  Wert.  Einmal  war  das  zerstreute  Tageslicht 
je  nach  der  Witterung  ein  wechselndes.  Photometrische  Messung 
hätte  keinen  Wert  gehabt,  da  das  Licht  ja  oft  am  selben  Tage 
ein  fortwährend  wechselndes  war.  Außerdem  ist  hervorzuheben, 
daß  die  Paramäcien,  wenn  sie  lange  Zeit  kultiviert  werden,  sich 
weniger  resistenzfähig  zeigen.  Sehr  lange  fortgetriebene  Inzucht 
ist  nicht  zulässig;  die  Kulturen  wurden  daher  von  Zeit  zu  Zeit 
mit  frischem  Materiale  aus  dem  zoologischen  Institute  erneuert. 
Für  den  vorliegenden  Zweck  —  eine  Übersicht  über  die  photo- 
dynamischen Substanzen  und  eine  Schätzung  der  Intensität  ihrer 
Wirkung  zu  erlangen  —  war  das  Verfahren  völlig  genügend,  um 
so  mehr  als  da,  wo  es  auf  den  Vergleich  in  einer  Gruppe  von 
Substanzen  ankam,  die  Versuche  am  selben  Tage  und  an  derselben 
Generation  von  Paramäcien  angestellt  wurden. 

Dem  Tageslichte  von  mäßiger  Helligkeit  ungefähr  gleich  ist 
das  Licht  einer  Oberlicht -Reflektorlampe  System  Hrabowski  von 
Siemens  &  Halske  in  Abstand  von  Vj^  Meter,  falls  die  stärkere 
Wärme  Wirkung  durch  Vorlage  von  Kupfersulfatlösung  ausgeglichen 
wird. 

Sonnenlicht  und  elektrisches  Kohlenbogenlicht 
einer  offenen  Lampe  von    25  Ampere  und  60  Volt  wurden   nur 


1)  R.  Zsigmondy,  Wied.  Ann.  49,  533. 


über  die  WirkiiDg  der  photodynamiscfaen  (flnorescier enden)  Stoffe  etc.     431 

ausnahmsweise  bei  besonderen  namhaft  gemachten  Anlässen  ver- 
wendet. Schutz  gegen  die  Wärmewirkung  der  strahlenden  Energie 
durch  Kupfersulfatvorlage  ist  hier  unerläßlich,  ganz  besonders  beim 
Kohlenbogenlicht  Wird  dieser  angewendet,  so  vertragen  Para- 
mäcien  das  elektrische  Licht  mehrere  Stunden  ohne  wesentliche 
Schädigung.  Bei  Versuchen  mit  gewissen  photodynamischen  Sub- 
stanzen (Eosin)  steht  das  Bogenlicht  dem  Sonnenlicht  nach,  weil 
es  eben  im  Verhältnis  zu  den  hier  hauptsächlich  in  Betracht 
kommenden  grünen  Strahlen  zu  viel  infrarote,  rote  und  ultraviolette 
Strahlen  aussendet.  In  noch  stärkerem  Grade  als  für  Paramäcien 
tritt  diese  Inferiorität  des  Kohlenlichtes  bei  Enzj^men  (Invertin) 
hervor. 

Die  Untersuchung  erstreckt  sich  auf  nahezu  sämtliche 
wichtigeren  flüorescierenden  Stoffe,  soweit  deren  Lös- 
lichkeit und  sonstigen  Eigenschaften  es  zuließen.  Die  basischen 
Stoffe  wurden  als  Chloride,  die  sauren  als  Natronsalze  untersucht.*) 

Die  Ergebnisse  sind  in  den  folgenden  Belegen  niedergelegt. 
Sie  sind  mit  durchlaufenden  Nummern  versehen,  um  spätere  Hin- 
weise zu  erleichtern.  In  Einteilung  nach  chemischen  Gruppen,  Kon- 
stitutionsformeln und  Angaben  über  die  fluorophore  Atomgruppe, 
sind  wir  im  ersten  Teile  Eich.  Meyer ^)  gefolgt,  dem  auch 
Th.  Hewitt*)  sich  angeschlossen  hat.  Die  Untersuchungen  er- 
gaben folgendes: 

Sehr  starke  photodynamische  Wirkung  (noch  in 
millonenfacher  Verdünnung),  zeigten :  die  Gruppe  des  Acridins,  des 
Phenoxazins  und  Thiazins,  sowie  das  Phenylchinaldin. 

Starke,  zum  Teil  sehr  starke  Wirkung:  die  Gruppe 
des  Fluorescei'ns  und  Xanthons,  worüber  näheres  in  Abschnitt  HI 
enthalten  ist,  die  Gruppe  des  Anthracens,  das  Harmalin. 

Mäßig  starke  Wirkung:  die  Derivate  des  Phenazins, 
{Phenazin  selbst  sehr  stark),  die  Chinolinfarbstoffe,  das  Hydrastinin. 

Schwache  Wirkung:  die  Naphtalinderivate  und  Chininsalze. 


1]  £ine  große  Anzahl  dieser  Stoffe  verdanken  wir  den  frenndlicfaen  Za- 
sendnngen  der  Herren  Prof.  Bernthsen,  0.  Fischer,  Kehrmann,  Bich. 
Meyer  nnd  G.  Schultz,  sowie  der  Badischen  Anilin-  und  Sodafabrik,  der 
Farbwerke  vorm.  Fr.  Bayer  u.  Co.,  vorm.  Meister  Lucius  u.  Brüning,  Böhringer 
n.   Söhne,  L.  Casella  n.  Co.  und  L.  Durand,  Huguenin  u.  Co. 

2)  Über  die  Beziehung  zwischen  Konstitution  und  Fluorescenz  einiger  Sub- 
stanzen.   Zeitschr.  f.  physik.  Chem.  24,  S.  468. 

3)  Über  einige  Beziehungen  zwischen  Fluorescenz  und  chem.  Konstitution, 
Zeitschr.  für  physik.  Chemie  34,  S.  1. 


432 


XXVI.  Tapfsixbr  n.  Jodlbauer 


Keine  deutliche,  resp.  äußerst  schwache  \¥irkang 
im  zerstreuten  Tageslichte  hatten:  Flnorindindisnlfosäure  und 
Aesculin. 

Auch  das  Verhalten  aller  dieser  Substanzen  im 
Dunkeln,  d.  h.  ihre  Giftigkeit,  in  Beziehung  zur  che- 
mischen Konstitution  zeigt  manches  Interessante,  worauf  in 
den  Belegen  hingewiesen  ist. 

I.  Substanzen  mit  selektiver  Absorption  im  sichtbaren  Teile 

des  Spektrums  (Farbstoffe). 

Gruppe  des  Fluorescelns. 

CeH* .  CO 

I     (/ 
C/ 


0 
Fluorescein. 

Die    flaorophore   Atomgruppe    ist    der   zwischen    den   zwei   Benzol* 
kernen  gelagerte  Pyronring. 

Sämtliche  Stoffe  warden  als  Natronsalze  untersucht. 

1.    Fluoresce'in. 

Farbe  der  Lösung:    gelbgrün;    Fluorescenz:  grün,  sehr  stark.     Ab- 
sorption: In  Lösung  1  :  100000  von  Mittelgrün  (13,7)^)  —  ins  VioletL 

Versuch  1.     Heller  Wintertag. 


Konzentration 

Hell 

Dunkel 

1:250 

tot  nach  40  Min. 

lebend  nach  24  St. 

1:500 

„         n    2V.    St. 

n 

1 : 1000 

w          «          ß     n 

n 

1 : 4000 

lebend  „      24    „ 

n 

Versuch 

2.     Mittelheller  Frühlingstag 

^,  Eisenoxydulvorlage. 

Konzentration 

Hell 

Dunkel 

1 :  250 

tot  nach  20  Min. 

tot  nach  30  Min. 

1:500 

n        „        1   St. 

» 

1:700 

rt          n           '-      n 

.   lebend  nach  24  St. 

1 : 1000 

n           »           2      „ 

»1 

1 : 2000 

n          n          ^      n 

w 

1 : 4000 

Q 

1i 

1 : 8000 

lebend    „      24     „ 

n 

1)  Ablesungen  an  der  Skala  eines  Krüß'scfaen  Apparates^  wobei  0  =  10,0, 
E  =  12,85,  b  =  13,35,  F  =  15,48  ist. 


über  die  Wirkung  der  photodynamischen  (flaorescierenden)  Stoffe  etc.     433 


2.   Dichlor fluoresce 'in. 
Im  Phtalsäurerest  substituiert. 

Farbe  der  Lösung:  bräunlich  grün.  Fluorescenz:  grün  mit  etwas 
gelb,  sehr  stark.  Absorption  in  Lösung  1 :  100  000 :  Von  der  Linie  b 
(13,2)  —  ins  Violett. 

Mittelheller  Frühlingstag;  Eisenoxydnlvorlage. 


Konzentration 

Hell 

Dunkel 

1:500 

tot  nach  20  Min. 

tot  nach  30  Min. 

:700 
:1000 

„     »    IV»  st- 

n          n         2    St. 

lebend      „     24    „ 

:2000 
:5000 
:  20  000 
:  30  000 
:  35  000 

n          n        *  19      n 
r>          n           ^         n 

7i          n            '         n 

lebend     „      24       „ 

n              V            Tt 
n              n            n 
n             n            n 
n               n             n 
n               n             n 

:  40000 

»         „      24      „ 

n               n             n 

3.   Dibromfluorescein. 
In  den  Besorcinresten  substituiert. 

Farbe  der  Lösung:  rötlich- gelbgrün.  Fluorescenz:  grün  mit  etwas 
gelb,  stark.  Absorption  in  Lösung  1  :  100000:  Von  E  —  Anfang 
violett. 

Mittelheller  Frühlingstag;   Eisenoxydulvorlage. 


Konzentration 

Hell 

Dunkel 

:600 

tot  nach  ^/^  St. 

tot  nach  ^/^  St. 

700 

»        »          » 

i>       »      12     „ 

:1000 

»        »          » 

lebend    „      24    „ 

:  20  000 

»       7»       3  St. 

n            »            » 

:  30  000 

4 

»            n            » 

:  40  000 

7 

n            ry             n 

:  50000 

»       »     10   „ 

n            n            rt 

:  60  000 

lebend     „     24    „ 

71            ft            n 

4.   Dijodfluorescein. 
In  den  Besorcinresten  substituiert 

Farbe  der  Lösung :  gelbbräunlich.    Fluorescenz :  moosgrün.    Absorp* 
tion  in  Lösung  1  :  100000:  von  Anfang  grün  (12,7)  —  Ende  grün. 


Konzentration 

Hell 

Dunkel 

« 

:1500 
: 2000 . 
:  50  000 
:  100000 
:  160000 

tot  nach  wenigen  Min. 
tot  nach     5  St. 

»       »     24    „ 
lebend     „      24    „ 

tot  nach  24  St. 
lebend     „      24    „ 

n            n       48     „ 
n            n       48     „ 
.           n       48     „ 

434 


XXVI.  Tappunbb  a.  Jodlbaitbb 


5.   Tetrachlorfluorescein. 
Im  Phtalsäurereat  eubstitniert. 

Farbe  der  Lösung:  grün  mit  etwas  braun.  Fluorescenz:  grün, 
kräftig.  Absorption  in  Lösung  1:  100000  :^on  An&ng  grün  (12,7)  bis 
ins  Violett. 


1.  Veraach.     Trüber 

Tag. 

Konzentration 

HeU 

Dunkel 

1  :500 

tot  nach 

V«  St. 

tot  nach  1  St. 

1  :800 
1  :  1000 

1V2  „ 

4        „ 

die   Hälfte   tot  nach  24  St., 
alles  tot  nach  48  St. 

1  : 2000 

n          n 

6        „ 

alles  lebend  nach  48  SL 

1  : 3000 
1  : 4000 
1  :  6000 

24 
die  Hälfte  lebend  nacb  24  St. ' 

n              n               n              ?? 
n              r               n              n 
n             «              1»             w 

2.  Versu 

Loh. 

Mittelhell 

er  Frühlingstag.     Eisenoxydulvorlage. 

Konzentration 

Hell 

Dunkel 

1:500 

tot  nach 

20  Min. 

tot  nach  30  Min. 

:700 
:  1000 

V,  St. 

1V2  „ 

»/*    n        r,       24   St. 
lebend  nach  24.  St. 

:2000 
:5000 
:  20  000 
;  30  000 
:  35  000 

n        r 
w         n 

lebend     „ 

1V2  „ 

24        „ 

n            n             y* 
n            n             v 
n           n             n 
n            n             n 
?>            »             » 

6.    Tetrabromfluorescein  (Eosin). 
In  den  Resorcinresten  substituiert. 

Farbe  der  Lösung:  rotgelb.     Fluorescenz:  grün,  mäßig  stark.    Ab- 
sorption in  Lösung  1  :  100000:  von  Anfising  grün  (12,5)  bis  ins  Violett 


1.  Versuch. 

Trüber 

Tag. 

Konzentration 

Hell 

Dunkel 

1:500 

tot 

nach 

V4  St. 

ebenso 

1  : 1000 

»? 

n 

1     « 

noch  lebend,  aber  größtenteils 
nur  mehr  rollend  nach  24  St 

1  : 2000 

»5 

y? 

1     „ 

lebend  nach  24  St. 

1  : 6000 
1  :  20  000 
1  :  40  000 

n 

IV4     r, 

3  „ 

4  „ 

r>              n            n 

»              r            y? 
n              n            n 

über  die  Wirkung  der  photodynamischen  (flnorescierenden)  Stoffe  etc.     435 


2.  Versuch.     Mittelheller  Frühlingstag.     Eisenoxydulvorlage. 

Konzentration 

HeU 

Dunkel 

500 

tot  nach 

1/ 

/4 

St. 

ebenso 

:700 

n        r> 

V. 

n 

.    tot  nach  10  St. 

:1000 

w        >' 

1 

n 

lebend      „     24    „ 

:  20  000 

:  30  000 

-  50  000 

60000 

lebend    ^, 

2 
3 

7 
24 

n       48     „ 

»               w             » 
n              r)            fi 
ft               n             r> 

7.    Tetrajodfluoresce i'n  (Erythrosin). 
In  den  Resorciuresten  substituiert. 

Farbe  der  Lösung:  rosarot.  Absorption  in  Lösung  1  :  100 000: 
Yon  12,2 — 14,2.  Fluorescenz:  moosgrün,  nur  mit  Linse  im  Sonnenlichte 
sehr  deutlich. 

Konzentration  ! 


1 
1 
1 
1 
1 
1 
1 
1 


2000 

2200 

4000 

6000 

60000 

80  000 

160000 

320000 


Hell 
tot  in  wenigen  Min. 


n 


n 


n 


tot  nach 


n 

lebend 


n 
n 


24 

48 


St. 


Dunkel 

tot  nach  6  St. 
lebend  nach  24  St. 
die  Hälfte  tot  nach  48  St. 
alles  lebend 


» 
n 

n 


n 
n 

n 


n 

n 
n 


8.   Dichlortetrabromfluoresce'in. 
Chlor  im  Phtalsänrerest,  Brom  in  den  Besorcinresten  substituiert. 

Farbe  der  Lösung:  gelbrot.     Fluorescenz:  gelbgrün.    Absorption  in 
Losung  1  :  100000:  von  Mitte  gelb  (11,8)  bis  Mitte  grün  (13,7). 

Trüber  Tag. 


Konzentration 

Hell 

Dunkel 

1 :  2000 

tot  sofort  nach  dem  Ansetzen 

tot  nach  20  Min. 

4000 

»          n            n          r               r 

lebend 

nach  48  St. 

:  100000 

tot  nach     2  St. 

V 

r             n 

^ 

:  200  000 

n         n           *^     V 

•n 

n             rt 

:  300  000 

n         n           "      » 

r 

n             n 

:  400  000 

7 

,, 

V             n 

:  600  000 

lebend     „      24    ,, 

n 

V              w 

9.    Dichlortetrajodfluorescein. 
Chlor  im  Phtalsänrerest,  Jod  in  den  Besorcinresten  substituiert. 

Farbe  der  Lösung:  dunkelrot.  Fluorescenz:  moosgrün  mit  Linse  in 
iSonnenlicht.  Absorption  in  Lösung  1:100000:  von  Mitte  gelb  (11,3) 
bis  Anfang  grün  (13,0). 


436 


XXVI.    TaPPEINBB  Q.  JoDIiBAUSR 


Trüber  Tag. 

Konzentration 

HeU 

Dunkel 

1:12  000 

tot  alsbald  nach  d.  Ansetzen 

alles  tot  nach  24  St. 

1  :  20  000 

n           n              r        n             n 

die  Hälfte  tot  nach  24  Si 

1 :  30  000 

n           n              n        n            n 

alles  lebend  nach  24  St. 

1  :  200  000 

tot  nach     V^  8t. 

n           V             n           n 

1  :  400  000 
1  :  800  000 
1 :  1  600  000 
1 :  2  000  000 

«         n        ^  U      rt 

2 

die  Hälfte  tot  nach  7  St. 

»            n             w            j? 
»1            «             w            r 
n            n             rj            n 
n            n             Tf            n 

1  :  3  000  000 

alles  lebend  nach  24  St. 

r*            n             r)            n 

10.   Tetrachlortetrajodfluorescein. 
Chlor  im  Phtalsänrerest,  Jod  in  den  Besorcinresten  sabstitniert 

Farbe  der  Lösung:  bläulichrot.  Fluorescenz:  mit  Linse  in  Sonnen- 
licht goldgrün.  Absorption  in  Lösung  1:100000:  von  Mitte  gelb  (11,3) 
bis  Anfang  grün  (12,8). 

Trüber  Tag. 


Konzentration 


1 
1 
1 
1 
1 
1 
1 
1 
1 
1 
1 
1 
1 
1 


20000 
30000 
40000 
60000 
200  000 
400  000 
800  000 

1  600  000 

2  000  000 

3  200  000 

4  000  000 
6  000  000 
8  000  000 
10000000 


Hell 
tot  sofort  nach  dem  Ansetzen 


n 
n 
n 


n 

7? 


n 


tot  nach 


n 
n 


n 

n 

rt 
?• 

•77 

lebend 


n 

7? 
77 
77 
77 
77 
77 
7? 


V,  St. 


77 
77 

77 


1 

2 
3 

4 

4Va 
5 

15 

24 


77 
7? 
7? 
77 

n 

77 
77 

77 

n 


Dunkel 

tot  nach  ^/^  St. 

7>       7?      16    „ 
die  Hälfte  tot  nach  24  St. 

alles  lebend  nach  48  St. 


77 
77 

77 
77 
77 
77 
77 
»7 
?• 
7? 


77 
77 
77 
7? 
77 
77 
77 
7* 
77 
77 


7? 

77 
7? 
71 
77 
7? 
77 
7? 
77 
77 


77 
77 
77 
77 
77 
77 
77 
77 


Die  Fluoresceinsubstitutionsprodukte  besitzen  alle  starke  Photo- 
d  y  n  a  m  i  e  I  eine  Zusammenstellung  der  Intensität  derselben  ist  im  3.  Ab- 
schnitt enthalten.  Bei  den  rot  gefärbten  StofiPen  sieht  man,  daß  der 
FarbstofiP  etwas  in  die  lebenden  Paramäcien  eindringt,  indem  sich  die- 
selben  rosa  färben.  Ln  Momente  des  Absterbens  nimmt  das  Eindringen 
des  Farbstoffes  sehr  rasch  zu. 


11.   Tetrabrom fluoresceinäthylester. 

Farbe  der  Losung:  gelbrötlich.   Absorption  in  Lösung  von  1 :  100000: 
12,6 — 14,5.     Fluorescenz:  grün. 


über  die  Wirkimfif  der  photodynamischen  (flnoreflcierenden)  Stoffe  etc.     437 


Konzentration 

Trüber 
Hell 

Ta^. 

Dunkel 

:  26  000 
:  100000 
;  200  000 
;  400  000 
:  600  000 

tot  nach  20  Min. 

.       .      2V,  St. 
„       „      5      St. 

tot  nach  40  Min. 
die  Hälfte  tot  nach  24  St. 
alles  lebend  nach  24  u.  48  St. 

w           »            r?                n 
n           7?            n               n 

12.  Dichlortetrabromfluoresceinäthylester. 

Farbe   der  Lösung :    rosa.     Absorption   in  Lösung  von  1 :  100  000 : 
Yon  12,8 — 14,8.     Fluorescenz:  goldgelb. 

Trüber  Tag. 
Hell 
tot  nach     4  Min. 


Konzentration 


1 
1 
1 
1 
1 
1 


26  000 
100000 
200  000 
400  000 
1  000  000 
1  500  000 


n 
n 


10 

4V, 


St, 


Dunkel 

tot  nach  10  Min. 
45 


n        „       2  St. 
alles  lebend  nach  48  St. 


n 

n 


Die  Fluoresceinester  haben  starke  Lichtwirkung. 

13.    Tetraäthyl-Bhodamin. 

Die  beiden  Hydroxyle  der  Eesorcinreste  sind  durch  die  Gruppe  N(C2H5)g 
ersetzt;  basischer  Farbstoff,  als  Chlorid  untersucht. 

Farbe  der  Lösung:  rotgelb.  Absorption  in  Verdünnung  von  1 :  50000 : 
im  Anfang  von  grün  (12,1  bis  14,2).     Fluorescenz:  gelb. 


Konzentration 


1 
1 
1 
1 


2000 
4000 
5000 
10  000 


Hell 
tot  nach     8  Min. 

«     »     V«  st- 
n     „IV«  st- 

lebend  nach  24  St. 


Dunkel 

tot  in  10  Min. 

„     „      3  St. 

lebend  nach  24  St. 


>5 


n 


rt 


Konzentration 

1 : 2000 
1 : 5000 
1:10000 
1 :  20  000 


14.    Tetraäthyl-Rhodaminäthylester. 
Basischer  Farbstoff,  als  Chlorid  untersucht. 

Heller  Tag. 
Hell  Dunkel 

tot  sofort 
tot  nach  10  Min. 


1 
1 
1 
1 
1 


30000 

60000 

70000 

100000 

160000 


» 


n 


25 


n 


tot  nach  2  Std. 
lebend  nach    6  St. 
24    « 


w 


>? 


ebenso 

tot  nach  1 

St. 

W            »           ■*' 

„       „      2 

„      «      4 
lebend  nach  ! 

V,  St. 

n 

24  St. 

n 

n 

n 

n 

« 

» 

n 

>j 

n 

Die  Khodamine  haben    mäßige  photodynamische  Wirkung. 


438 


XXVI.  Tappbineb  n.  Jodlbaübb 


Gruppe  des  Anthracen. 

CH 


CH 
Anthracen. 

Die  fluorophore  Funktion  wird  dem  zwiflchen  den  zwei  Benzolkernen 
gelagerten  Ringe  zugeschrieben. 

Die  zur  Untersuchung  gelangten  Anthracenderivate  sind  zwar  seihst 
keine  Farbstoffe,  sondern  nur  Stammsubstanzen  von  solchen,  sollen  aber 
wegen  der  nahen  chemischen  Beziehung  zur  Fluoresce'ingruppe  hier  an- 
gereiht werden. 

15.    Anthracen-a-monosulf osaures   Kali.^) 
Schön  kristallisiertes,    in  Wasser  sehr  schwer  lösliches  Salz.     Flno- 
rescenz  lebhaft  blauviolett. 

Trüber  Tag. 


Konzentration 

1:10  000 
1:20  000 
1 :  40  000 


Hell 
tot  nach  5  St. 


Dunkel 
lebend  nach  48  St 


1 
1 
1 
1 


16.    a- Anthracendisulfosaures  Natron. 
Gelbliche  Lösung;  fluores eiert  schwach  blauviolett. 

Trüber  Tag. 
Hell 
tot  nach  2  St. 

m  ..Um 


Konzentration 


2000 
4000 
8000 
16  000 


n 


1 :  32  000 


die  Hälfte 

alle    yt 
alle  lebend 


7 

6 

48 

48 


n 


Dunkel 
lebend  nach  48  St. 


17.    /?- Anthracendisulfosaures  Natron. 
Gelbliche  Lösung;  fluoresciert  stärker  als  vorige. 

Heller  Tag. 


Konzentration 

Hell 

Dunkel 

1 : 2000 
1 : 8000 
1:16  000 

die  Hälfte  tot  nach  4  St. 

alle  „  „  7  „ 
die  Hälfte     „        ^     7    , 

alle  „  „  48  „ 
alle  lebend  „  48    „ 

lebend  nach  48  St. 

ff 
ff 

1)  Robert  £.  Schmidt,  Ber.  d.  D.  ehem.  Gesellsch.  37  S.  66. 


über  die  Wirkung  der  photodynamischeu  (flnorescierenden)  Stoffe  etc.     439 


Entsprechend  der  stärkeren  Fluorescenzhelligkeit  ist  die  Lichtwirkong 
schwacher. 

18.    Dichloranthracendisalf osaures  Natron. 
Die  gelbliche  Lösung  flaoresciert  bei  Verdiinnung  lebhaft  violett. 

Heller  Tag. 


Konzentration 

Hell 

Dankel 

:75 

sofort  tot 

alle  lebend  nach  48  St. 

:200 

tot  nach  10  Min. 

j? 

:1000 

.          .        15       n 

n 

:5000 

n          «       25       „ 

» 

20000 

n          n        45       „ 

ff 

40000 

»       »       1  St. 

n 

:  100000 

1 1/ 

« 

200  000 

n          «        12       n 

ff 

400000 

n          »        16       » 

ff 

1  000  000 

.        .      26     „ 

ff 

:  2  000  000 

die  Hälfte  tot  nach  26  St. 

ff 

Die    photo dynamische    Wirkung    dieser    Substanz 
sehr  große. 

Grnppe  des  Acridins. 

CH 


ist 


eine 


Acridin  ist  ein  Anthracen,  in  dessen  mittlerem  Kohlenstoffringe  eine 
CH-Gruppe  durch  ein  Stickstoffatom  ersetzt  ist.  Dieser  mittlere  Bing 
ist  ohne  Zweifel  auch  der  Fluorophor. 

19.    Salzsaures  Acridin. 

Die  gelbe  Lösung  fluoresciert  blau. 

Acridin  und  sein  Derivat  Metbylphosphin  wurden  bereits  von  0.  Baab 
untersucht.  Es  folgen  hier  noch  einige  Werte  zum  Vergleiche ''der  am 
selben  Tage  angestellten  Versuche  mit  den  folgenden  beiden  Derivaten; 
sie  sind  unter  Eisenoxydulvorlage  angestellt. 

Heller  Tag. 


Konzentration 
1:2000000 

i 

1:5000000  I 
1:10000000; 


Hell 
tot  nach  3  St. 


ff 
ff 


4 
9 


ff 

ff 


Dunkel 

lebend  nach  48  St.,  noch  in 
Konzentration  von  1:30000 


440 


XXYI.    TaPPEINSB  tt.  JODLBAUEB 


20.    Salzsaures    Chrysanilin. 

Aus  dem  Phosphin  des  Handels  3  mal  umkristallisiert. 
Die  gelben  Lösungen  fluorescieren  grün. 


Konzentration 
1  :  2  000  000 

1 :  5  000  000 
1:10000  000 
1 :  20  000  000 


Hell 
tot  nach  5  St. 


V4« 

alle  lebend 
die  Hälfte  tot 


n 
n 


9 

9 

9 

36 


Dunkel 

lebend  nach  48  St.,  noch  in 
Konzentration  t.  1:750000 


21.    Salzsaures  Benzoflavin. 

Dem  vorigen  isomer. 

Die  gelbe  Lösung  fluoresciert  grün,  stärker  als  vorige. 


Konzentration 
1 : 1  000  000 

1:2500  000 
1  : 5  000  000 
1:10  000  000 


Hell 

tot  nach 

1 

St. 

9 

»  . 

n 

4 

7i 

n 

n 

9 

n 

» 

>' 

%/ 

» 

Dunkel 

lebend  nach  48  St.,  noch  in 
Konzentration  v.   1:150000 


Die  Licht  Wirkung  aller  Acridinderivate  ist  eine  außerordent- 
lich hohe. 

Grnppe  des  Phenazins  (Azine). 


N 
Phenazin. 

Von  dieser  Base  leiten  sich  mehrere  wichtige    schon  fluoreseierende 
FarbstoffTamilien  ab. 

22.    Phenazinchlorid. 
Das    in  Wasser   mit  schwach   grünlichgelber  Farbe   sohwer  lösUche 
Salz  zeigt  mit  Linse  in  Sonnelicht  sehr  schwache  grünblaue  Muorescens. 


Konzentration 

Hell 

Dunkel 

1:100000 

tot  nach 

% 

St. 

Die  Hallte  tot  nach  %  St.; 

alle  nach  24  St. 

1 :  200  000 

« 

n 

1 

ff 

Die  Hälfte  tot  nach  24  St. ; 
ebenso  nach  48  St. 

1 :  400  000 

w 

Yl 

2 

ff 

Alle  lebend  nach  48  St 

1 :  800  000 

ff 

r 

5 

ff 

ff 

1 : 1  600  000 

ff 

n 

7 

ff 

ff 

1:2400000 

ff 

n 

8 

ff 

ff 

über  die  Wirkung  der  photodynamischen  (fiapresCi^renden)  Stoffe  etc.    441 


23.    Diamidophenazin Chlorid. 

Die    mäßig  geibrote  Lösang  fluoresciert   mit   Linse    im    Sonnenlicht 
sehr  deuiGch  feurig  rot.     Absorption:  ßcbmaler  Streifen  im  Bot. 
Sehr  heller  Tag.     Eisenoxydnlvorlage. 

Dunkel 

bereits  in  Kodz*  van:  i 
1 :  2000  lebend  nach  24  St. 


Konzentration 

Hell 

1:40000 

tot  nach  ^/^  St.  .   . 

1:120000 

»        «    '  •■■       »•    ■ 

1 :  200  000 

n           «2         f, 

1:400000 

-            »        3         n 

24.     Dimethyldiamidotoluphenazinchlorid     (Toluylenrot^ 

Neutralrot). 

Die  sehr  lichtempfindliche  karmoisinrote  Lösung  zeigt  mit  Linse,  im 
Sonnenlicht  schwach  orangegelbe  Fluorescenz.  Absorption  in  Lösung  von 
1:20  000:  von  Ende  gelb  (12,5)  bis  ins  Ultraviolette. 


Konzentration 

Hell 

Dunkel 

:  20  000 

tot  nach  wenigen  Min. 

tot  nach  1  St, 

:  40  000 

n 

1»          1»       "      n 

:  90  000 

n 

lebend  nach  24  St 

:  200  000 

tot  nach  Vft  St. 

n                ■    " 

:  400  000 

n          n          ^     n 

n 

:  800  000 

n          n          3     „ 

n 

:  1  200  000 

»          n       36     „ 

1  600  000 

lebend  nach  36    ^ 

25.    Phenosafraninchlorid. 

Die  rote  Lösung  zeigt  mit  Linse  im  Sonnenlicht  deutlich  grünlich- 
goldgelbe  Fiuorescenz.  Absorption  in  Lösung  von  1  :  100  000:  von  Ende 
gelb  (12)  bis  zum  Violetten. 


Konzentration 

1 : 5000 
1:10000 
1:15000 
1 :  200  000 
1 :  400  000 
1 :  800  000 
1 :  1  000  000 


Kell 


tot  nach  3  St. 
9 
lebend  n.  9  St. ;  tot  n.  36  St. 
lebend  nach  36  St. 


Dunkel 
tot  nach  3  St. 


lebend 


n 


9 

24 


26.    Tolusafranin   (Safranin  T    des    Handels)    (Merck). 

Die  rote  Lösung  des  Chlorids  zeigt  mit  Linse  im  Sonnenlicht  gelbrote 
Fiuorescenz.  Absorption:  schwacher  Doppelstreif  bei  12,8  und  14,5 
(Form  an  ek). 

DeiiUches  Archiv  f .  klin.  Medizin.    LXXX.  Bd.  29 


4tt 


XXVI.  TAPPBOriB  '«.  JoiHAt.Tns 


Konzentration 

Hell 

Dunkel 

10000 

tot  naeh  ^  St. 

40000 

— 

lebend  nach  48  St 

:  200  000 

tot  nach  3  St. 

n 

:  400  000 

n         »       ö     n 

» 

:  800  000 

lebend  n.  9  6t ;  tot  n.  36  St. 

91 

:  1000  000 

lebend  nach  36  St. 

n 

27.    Rosindulinchlorid. 

Die  rote  Lösnng  zeigt  direkt  wahrnehmbare  gelbe  Fluoresoenz.  Ab- 
sorption in  Lösung  von  1  :  25  000 :  von  Anfang  grün  (12,0)  bis  ins 
Violette. 

Dünkel 
ebenso 

n 

trage  sich  bewegend  n.  3  St. 
tot  nach  5  St 

lebend  nach  24  St 


Konzentration 

Hell 

1:40000 
1 :  1^0000 
1:»0000 
1 :  400  000 

tot  nach  5  Hin. 

1 :  800  000 
1:1600000 

1:2400000 

die  Hälfte  tot  n.  7  St.; 

alle  nach  18  St 
die  Hälfte  tot  n.  8  St. ; 

Die  träge  sich  bewegenden  Tiere  sind  deutlich  rosa  gefärbt 

28.    Phenylrosindalintrisulfosamres   Natron  (Asokarmin). 

Die  rosa  Lösung  zeigt  mit  Linse  itt  Sonnenlicht  sehr  schwachen, 
grünlichgelben  Kegel.  Absorption  in  Lösung  von  1 :  25  000 :  von  An- 
fang grün  (12,0)  bis  ins  Violette. 


Konzentration 

Hell 

Dunkel 

1 : 2000 
1 :  20  000 
1 :  40  000 

1 

tot  nach  5  St 
lebend  nach  48  St. 

lebend  nach  24  St 

Färbung  der  Tiere  nicht  deutlich  zu  bemerken. 

29.    Hägdalarot   (L.  Durand,   Huguenin  &  Co.). 

Die  roten  Lösungen  des  in  Wasser  schwer  lösliphen  Chlorids  haben 
gelbrote  Fluorescenz.  Absorption  in  Lösung  von  1  :  25  000 :  yoa  £  an 
bis  Ende  von  Grün  (16,0). 


Konzentration 


Hell 


1 :  50  000 
1:100000 
1 :  150  000 
1:200000 

Die  lebenden  Tiere  sind  rosa  gefärbt. 


tot  nach  ^/^  St. 
■   IV 
*/  8 

lebend     «      48 


Dunkel 

tot  nach  4  St. 

Vft  tot  nach  24  St; 

lebend  nach  24  St. 

ebenso 


über  die  Wirkung  der  pfaotodynamiflchen  (flnorescierenden)  Stoffe  etc.     445 


30.    Salzsanre«  Naphtylrot. 

(Magdalagrappa) 

Die  rosa  gefärbte  Lösung  zeigt  direkt  gelbe  Flnoreftoens.     Absorption 
in  Losung  von  1  :  25  000:  im  Grün  (12,8—15,8). 


Konzentration 

1:40000 
1:100000 
1 :  200  000 


Hell 
tot  nach  ^/^  St. 

2 


91 


n 


1:400000 
1 :  800  000 

Die  lebenden  Tiere  sind  rosa  gefärbt. 


n  ft  ^ 

lebend  nach  48 


Dunkel 
tot  nach  ^/,  St. 

die  Hälfte  tot  nach  9  St., 

alle  nach  48  St. 

lebend  nach  48  St. 


31.    Aposafranin. 

Die    rote    Lösung    des    Chlorida    zeigt    mit    Linse    im    Sonnenlicht 
schwache,    aber    deutliche   rosarote  Flnorescenz.     Absorption   in  Lösung 


1:10000:  von 

i  D 

—  ins  Violette. 

Konzentration 

Hell 

Dunkel 

1:20000 

tot  nach  2  St. 

ebenso 

l:d0000 

»         rt       ^     n 

'/^  toi  imeh  9  St. 

1:60000 

w  § 

n         u     Iß     w 

1 :  80  000 

/ 4    »           fi        ^     n 

ebenso     •    24    „ 

alle  lebend     „    24    „ 

1:100000 

alle  lebend    „    48    „ 

n 

32.    Fluorindindisulfosaures   Natron. 

Die  neutrale  violette  Lösung  hat  sehr  starke  braunrote  Flnorescenz. 
Absorption  in  Lösung  von  1:25000:  4  Streifen,  1.  Von  Anfang  Rot 
—  Mitte  Hot  (8,5),  2.  von  D  bis  Mitte  von  Gelb  (11,1),  3.  im  Anfang 
von  Grün  (12,1 — 13,2),  4.  sehr  schwach  im  Ende  von  Grün  (14,6  bis 
15,8). 


Konzentration 
1:200 


Hell  Dunkel 

alle  lebend  nach  48  St.  ebenso 

Die  Tiere  zeigen  keine  Färbung. 

Von  den  sonst  durchgehends  starke  Lichtwirkung  be- 
aitsenden  Phenazinen  macht  dieser  letzte  eine  auffallende  Aus- 
nahme, indem  er  wenigstens  im  zerstreuten  Tageslichte  keiae  deutliche 
Photodynamie  aufweist. 

Gmppe  des  Pbenoxazins  (Oxazine). 

NH 


0 
Phenoxazin. 


29* 


444 


XXVI.    TaI*P£IM£J^  Q,   JODLBAUKft 


Die  Stammsabstan^  selbst  wurde,  weil  iii  Wasser  za  schwer  löslich^ 
nicht  untersucht,  hingegen  mehrere  als  Farbstoffe  sehr  bekannte  saare 
und  basische  Derivate. 

33.    Nilblau  A. 

Die  blaue  Lösung  des  Chlorids  zeigt  mit  Linse  im  Sonnenlicht 
einen  schwachen  rubinroten  Kegel.  Absorption:  Hauptstreif  8,2,  Neben- 
streif  9,9  [Formtoek]. 

« 

Eisenoxydnlvorlage,  sehr  heller  Tag. 


Konzentration 

Hell 

- 

Dunkel 

1 :  200  000 
1 :  600  000 
1  :  2  000  000 
1 :  4  000  000 
1 :  8  000  000 

tot  nach 

n           n 

'/,  St. 

1      n 

2    „ 

3     n 

4    „ 

tot  nach  1  St. 
1)       »     3    „ 
»        „    24    , 
lebend     „    24    „ 

n 

34.    Resorufin. 

Dasselbe  löst  sich  in  Alkali  mit  rosaroter  Farbe  und  direkt  wahr- 
nehmbarer starker  feurigroter  Fluorescenz.  Absorption  in  Lösung  von 
1  :  100000  von  D— b,  Hauptstreifen  bei  D. 


Konzentration 

Hell 

Dunkel 

1 :  2000 

_ 

lebend  nach  24  8t. 

1 :  200  000 

tot  nach  4  St. 

V 

1 :  800  000  • 

»          n        5     n 

» 

1 : 1  000  000 

die  übrigen  lebend  n.  24  St. 

n 

1 :  1  400  000 

ebenso 

n 

1 : 1  800  000 

alle  lebend  nach  48  St. 

♦» 

Färbung  der  Tiere  nicht  wahrzunehmen. 

35.    Fluorescierendes  Blau. 
Ammoniaksalz  des  Tetrabromresornfins. 

Braunrote  Paste,  welche  in  Wasser  mit  rotvioletter  Farbe  und 
grüner  Fluorescenz  löslich  ist.  Absorption:  2  Streifen,  1.  im  Ende  von 
Rot  bei  9,2—9,9,  2.  nach  D  von   10,2—10,7. 

Dunkel 

tot  nach  4  St. 
alle  lobend  nach  48  St. 


Konzentration 

Kell 

1:200 

• 

1 : 2000 

tot  nach  1  St. 

1 :  20  000 

w          n        ^      » 

1:30000 

V          r        "      »» 

1 :  40  000 

'In 

alle     „    36    „ 

n 


Die  Phenoxazine  haben  s t a r k e ,  teilweise  sehr  starke  Licht- 
wirkung. 


über  die  Wirkung  der  photodyBamischeB  (flaorescierenden)  Stoffe  etc.     445 

Gruppe  des  ThiodiphenylaiDins  (Thiazine). 

NH 


'    .    T 


Thiodiphenyhimin. 


36.    Methylenblau, 

Dieses  in  Wasser  mit  blaner  Farbe  lödiche  Chlorid  zeigt  mit  Linse 
im  Sonnenlicht  rote  Fluorescenz.  Absorption  in  Lösung  J  :  20  000 : 
das  ganze  Bot  und  den  Anfang  toü  Gelb  —  11,0  auslöschend.  In 
it&rkerer  Verdünnung  2  Streifen:   1.  bei  7,5,  2.  .bei  9,3. 

Eisenoxydulyorlage,  sehr  heller  Tag. 


Konzentration 

Hell 

Dunkel 

:  60  000 
:  180  000 
:  350  000 
:  800  000 
:  1  600  000 

tot  nach     1  St. 

n.         j»          2     „ 

n    ■     r,    n      n 

37.    Thionol. 

tot  nach  l^g 

«       .        15 

,       «       24 

lebend     „        24 

* 

n 

n 

Die  violette  Lösung  in  Alkalien  zeigt  mit  Linse  in  Sonnenlicht 
feurig  braunrote  Fluorescenz.  Absorption  in  Verdünnung  1:100000: 
Hanptstreifen  bei  D  (9,2 — 10,2)  und  schwächerer  Streifen  von  10,7 
bis  11,9. 

Eisenoxydulyorlage,  sehr  heiler  Tag. 

Hell  Dunkel 


Konzentration 


1 
1 
1 
1 
1 


200  000 
600000 
1  200000 

3  000  000 

4  000  000 


tot  nach  V«  St. 


V 


2V 


tot  nach  24  St. 
lebend  nach  24  St. 


38.    Dehydrothiotoluidiüsulfosaures  Natron. 

•  ■  •  ■  ■ 

Ist  Stammsubstanz  der  Farbstoffe  Thioflavin  (grüne  Fluorescenz)  und 
Primulin  (blaue  Fluorescenz);.  ihre  gelbliche  Lösung  fluoresciert  schön 
blau.  Dehydrothiotoluidin  erzeugt  nach  Mitteilung  des  Herrn  Prof. 
G.  S  c  h  ü  1 1  z  bei  Vieleii  Personen  .  (Laboranten)  Hautausschläge. 


446 


XXYL  Tappidob  il  Jodlbaüsb 


Konzentration 

l  :  20  000 
1:40000 
1:100000 
1:150000 
1 :  200  000 


MittelheUer  Tag. 

Hen  Dunkel 

tot  nach  l^g  St.  j     alles  lebend  nach  24  St. 


n 


V 

n 


2V, 
4 

7 


fi 

n 


die  Hälfte  tot  nach  9  St. 


n 
n 

I» 


IXe  Derivate  des  Thiodiphenylamina  haben  größtenteils  starke 
Lichtwirknng. 

ChiBoIlnfarbfltdire  (KtsdeDBierte  Chinoline). 

39.    ChiBoliiirot. 

Chemisch  reines  Pri&parat.  Die  rote  Lösung  zeigt  starke  feurigroto 
iluorescenz  und  ist  lichtempfindlich.  Absorption:  Hauptstreif  12 J, 
Nebenstreif  15^0  [Form&nek]. 


Konzentration 

HeU 

Dunkel 

1:200000 

tot  nach  4  St. 

sehr  lebhaft  ntfoh  4  St., 

1:300000 

»      »    s   „ 

[II.  tot     ,    22    , 

It       n        »     4o     „ 

alle  lebend     ,|    24    ^ 

1 :  400  000 

.        V.0 

«       .   24    „  . 

,»» 

40.    Ghinolinblau  (Cyanin).     AbscNrption  bei  8,55  [Formänek]. 
1.  Präparat  von  TrookapplatUnfabrik  vorm.  O.  Perutz. 

Trüber  Tag. 


Konzentration 

1:24000 
1 :  60  000 
1:100000 

1:150000 
1:200000 


HeU; 

SQ&Mrt  tot 

tot  nach  10  Hin. 
blaugeförbti  aber  noch  leb- 
haft n.  V,  St.,  tot  n.  1  Si. 
tot  nach  2  7,  St. 
alle  lebend  nach  24  St. 


Dunkel 
ebenso 


Konzentration 


2.  Präparat  von  E.  Merck  (eis  purissimum  bezeichnet). 

Di^el 


1 
1 
l 
1 
1 
1 


100000 
150  000 
200000 
250000 
300000 
400000 


1:500000 


HeU 
tot  nach  V«  St. 


n 
w 
n 
n 


2 
4 


die  Hälfte  tot  nach  30  St., 

alle  nach  36  8t. 

lebend  nach  48  St. 


tot  nach  V,  St. 


n 
ff 


2 
6 
5 


die  Hälfte  tot  nach  24  St., 

.  aUe.  Bach  42  St.  . 

lebend  nach  48  St. 


über  die  Wirknng  4»  j^hotodyMunuch«!!  (flnoreacierenden)  Stoffe  etc.    447 


Dieser  K&rper  aeigt  in  einer!  Terdünntan  gerade  Booh  blau  erschei» 
nenden  Löanng  im  Bogenlicht  oder  Sonnenlicht  ontArsnoht  eine  aohwache, 
kupferrote  Flnorescensi  die  nur  zam  Teile  auf  diffuser  Beflexion  an 
feinsten  nngdöst  gebliebenen  Teilchen  beruht.  Außerdem  zeigt  er  im 
Eisenfnnkenlicht  eine  Fluorescens  ifn  breohbaxtai  Teile  von  440 — 350  fift 
(nach  H.  Lehmann).  Die  Lösungen  sind  sehr  liehtempfihdlioh  und 
zwar  bleichen  sie  um  so  rascher  ab,  je  yerdünnter  sie  sind,  gleichzeitig 
geht  die  Fluorescenz  zurück.  Durch  dieses  optische  Verhalten  sind  die 
PacamicienTersuche  erklärbar.  Die  LSeongen  mitÜerar  Yerdürmung  haben 
eine  merkbare,  wenn  auch  nicht  große  photodynamische  Wirkung,  weil 
sie  flnoresoieren  und  infolge  der  laagBamereD  Zersetzung  diese  Eigen- 
Schaft  bis  zum  Tode  der  Param&oien  bewahren»  Die  sehr  yerdftnnten 
Losungen,  die  sich  rascher  zersetzen,  zeigen  keine  photodynamische  Wir- 
kung, weil  ihre  Fluorescenz  zu  früh  erlischt. 


n.  Substanzen  mit  Absorption  im  violett  resp.  ultraviolett. 

Ni^hthalingroppe. 

Sämtliche  Körper  wurden  als  Natronsalze  untersucht. 

41.    a-Naphtoltrisulfosäure.  I.  3.  6.  8. 
Fluorescenz:  schwach  grünlichgelb. 

Mäßig  heller  Sommertag  (Eisenoxydulvorlage). 


Konzentration 
1:100 

1 :  400 
1 :  1000 


Hell 

flsst  sofort  tot;  Zerfall  nach 
5  Min. 

tot  nach  4  St. 

7 


Dunkel 
ebenso;  ZerfioU  n.  20  Min. 

lebend  nach  ä8  St. 


Zusatz   von    0,9  7o   Natriumkarbonat    erhöht   die   FLuoresoenz;    die 
Photodynamie  hingegen  nicht  merklich. 


42.    /}-Naphtoltrisulfos8ure.    2.  3.  6.  8. 

Fluorescenz:  grünlichgelb. 

Mäßig  heller  Sommertag  (Eisenoxydul vorläge). 


Konzentration 

1:100 
1:200 
1:500 


HeU 

tot  nach  6  St. 
7 

lebend  „   36    ^ 


Dunkel 

ebenso 
lebend  nach  36  St. 


Nach  Zusatz  von  0,2%  Soda,  welcher  die  Fluorescenz  erhöht: 


1:200 
1:500 


alles  tot  nach  6  St. 


n    24     „ 


die  Hälfte  tot  nach  6  St. 
alle  lebend  nach  24  St. 


448 


XXVI.    TaPFBIWCB  B.  JOMiBAITBB 


'48«  .2.  5.  ABiidonaph.tol'*7-iiiouosalfo8ftare. 
Flaor^oetiz:  violett. 


KonzeiitFatioa 

1 :  200 
1:400 
1 : 1000 


Hell        . 

■ 

tot  nach  4  St. 


Dunkel 


n 
■«/  • 

alle  „ 


7    ' 
«24    ^ 


/; 


In  den  abgestorbetien  Param&cien  sind  dib  Kerne  intensir  gefl^rbt: 

44.    a-Naphtylamind'iaulfos&ure.    S. 
FlnoreBcenz:  gesättigt  (frün. 

Wolkenloser  Sommertag  (Eisenoxydnlvorlage). 


Konsentration 

1:200 
1:400 
1 : 1000 
1 : 2000 


Hell 
tot  nach  4  St. 

lebend  \   48    „ 


Dankel 
lebend  nach  48  St. 


45.    /f-Naphtilamindisnlfösänre  0» 
Finorescenz :  schön  blau. 


Konzentration  Hell  Dunkel 

1  :  200  tot  nach    5  Hin.  ebenso 

1:500  „       „     10     „ 

l :  1000  die  Hälfte  tot  nach  94  St.        alle  lebend  nach  24  St. 

• 

Die    bedeutend    größere    Giftigkeit    der    /f-Säure    ist    be- 
merkenswert. 

46.    Naphtionsänre. 
Fluorescenz:  scliön  blau. 

Heller  Tag. 


Konzentration 

Hell 

Dunkel 

:200 

tot  nach  3  St. 

alles  lebend  nach  48  St. 

:400 
800 
ilOOO 
.1500 
:2000 

• 

V         ff        ^     n 
7 

Q 

n 

p 

• 

* 

47.   Naphtsultan  2.  4.  disulfosäure. 

Fluorescen 

Lz:  grün. 

Heller  Tag. 

Konzentration 

Hell                      'n     -■      *      Dunkel 

1  :  100 

tot  nach  12  St.       '      '         lebend  nach  48  St; 

1 

:1000 

»         n       36     n 

it 

Ober  die  Wirkung  der  p&otodynamiBchen  (fluorescierenden)  Stoffe  etc.    449 


Die  photo dynamische  Wirkuir.g  dör  Naplitalinderivate  ist 
schwach,  einige. lasB^ii,  wenigstens  im  zerstreoiben Tageslicht  Tpn  n^ig'er 
Helligkeit  gar  keine  Wirkung  erkennen*   '  *      :  * 


48.    Tetraamidoatilbencfalortir/ 


Konzentration 


1 
1 
1 
1 
1 
1 


5000 
10000 
20000 
40  000 
80000 
1 20  000 


Hell 

'  .       sofort  tot 

tot  nach  1  St. 
4 

»        w       "     n 
die  Hälfte  tot  nach  9  St. 

alle  lebend  nach  24  St» 


Dunkel 
ebenso 

r 

'  r 

r    r) 

'.   r 


Die  Substanz,  die  ich  Herrn  Dr.  Espales  verdanke,'  fluoresciert 
lebhaft  violettblau  und  ist  erheblich  giftig.  Es  ist  daher  wobl  anzunehmen, 
daß  sie^  in  die  Paramäcien  eindringt.  Dennoch  zeigt  sie  keine  Photo- 
dynamie.  Die  Ursache  ist  zum  guten  Teile  die  Zersetzung  der  Lösung 
im  Lichte  zu  braunen,  viel  weniger  -  giftigen  ^;id  nicht  mehr  fluprescieren- 
den  Stoffen.  Dieselbe  vollzieht  sich  um  so  rascher,  je  verdjönnter  di« 
Lösung.  Eine  5  Tage  dem  Tageslichte  exponiert  gewesene  Xiösung  1 ;  30  QOO 
zeigte  sich  bereits  nicht  mehr  giftig.  Infolge  dieser  raschen  Zersetzoirg 
^esp.  Entgiftung  der  Lösungen  mittlerer  und  scfawsKsher'  Konzentration 
im  Liebte  kann  die  allenfaller  vorhandene  photodynamische^irkung  völlig 
kompensiert  worden  sein;  ^ 

•  -  "  • 

49.    2^-Phenylchinaldin-Ghlorid. 
Schön  blau  flnorescierender  Körper. 


Konzentration 

Hell 

Dunkel 

:  10000 

tot  nach  1  St. 

ebenso 

:  30000 

lebend  nach  48  St. 

:  100  000 

tot  nach  4  St. 

• 

.  500  000 

Yl             »                     >1 

»         1 

1000000 

9 

— 

.  2  500  000 

die  Hälfte  tot  nach  9  St. 

:  6  000  000 

V^  tot  nach  9'  St.   ' 

. 

Die  Substanz  hat  sehr  starke  Lichtwirkung.  Sie  wurde  von 
0.  Kaab  (a.  a.  0.)  nicht  erkannt,  weil  er  nur  stark  konzentrierte,  noch 
zu  giftige  Lösungen  untersuchte. 


Konzentration 

1 :  60  000 
1  :  80  000 

1 :  100  OOÖ 


50.    ChininBulfat.  /  .     . 

Hell  I  Dunkel 

tot  nach   1  St.  ebenso 

„       „      3    „  18  Tiere  tot  nach  3  St.^ 

2  lebend,    aber   nur  me^r 
rollend 
18  Tiere  tot,  3  lebend  nach        alle  lebend  nach  8  St. 
8  St. 


450 


XXyi.  Tappbdieb  vl  Jodlbaubb 


1:80000 
1:100000 


Chimnsolfftfc  -(-  0,5  Pros.  NatriaBichlorid. 

alles  tot  nach  8  St:  '/^  tot  nach  3  St. 

4  tot,    6  lebend  nach  8  8t  |       alle  labend  nach  8  St. 


51a.    Gbininbisnlfat. 


51b.    Chininbi8ulfat  +  0,5% 
Natriumacetat. 


Beide  Varanehe  im  Hellen,   znm  Vergleich  der  Wirkongsändening 

dnrch  den  SalzSeasats. 


1 : 60000 
1:80000 
1 : 100000 


tot  nacb  IV«  8t. 

^/j  tot  und  bereits  stark 
serfallen  nach  8  8t. 


8 


/j  tot  nach  1%  St. 

%      n  »       3  „ 

'/^  tot  aber  bedeutend  weniger  ser- 
fallen nach '8  8t. 


Die  photodynamisehe  Wiirknng  der  Ohininsalse  ist 
sehr  seh  wach;'  dnrehZnsatB  tob  Kochsalz  oder  essigsanrem 
Natron,  wodorch  die  Flnorescens  znrüdkgeht,  wird  sie  noch  weiter 
Termindert 

^  Bei  den  CbininbisnlfatTersitehen  *in  Yerdünnong  yon  1 :  100  000  ohne 
Aeetaiznsats  Varen  die  nach  8  Stunden  noch  Übrigen  lebenden  Paramicien 
iünrericennbar  wehiger  gesehidigt,  als  in  den  Proben  mit  Acetat,  dafür 
ab^  'waren  in  diesen  die  toten  weniger  aerfaüen.  Dies  erklärt  sich  wohl 
darauf,  dafi  die  toten,  stark  -  zerfallenen  Individuen  das  Chinin  ganz  ab- 
sorbt^ri  hatteh,  so  daß  die  noch  lebenden  geschützt  blieben.  Baf&r 
spricht  auch  die  Beobachtung,  daß  die  Chinin  Wirkung  bei  dem  Rest  der 
lebenden  auch  in  den  nächsten  12  Stunden  keine  Fortschritte  mehr  machte. 


53.    Hydrastininchlorid. 
Fluoreaoenz :  blau. 


Konzentration 

Hell 

1:8000 

f 

j 

1:16  000 

1  :  200  000 

tot  nach  6  St. 

1  :  400  000 

die  Hälfte  tot  nach  5  St. 

1  :  600  000 

%  tot  nach  24  St., 

1  :  800  000 

alle  tot  nach  36  St. 

laoooeoo 

alle  lebend  nach  48  St. 

Dunkel 


tot  nach  24  8t. 
lebend  nach  24  St. 


IHe  Substanz  hat  starke  Licht  wir  kuugp. 


I 

n 


53.   Harmalinchlorid. 

Fluorescenz:   indigoblau.     Die  Zahlen   sind   der   U.  Mitteilung    von 
0.  Kaab  entnommen. 

Dunkel 

ebenso 

tot  nach  48  3iiii. 

tot  nach  mehr^^n  Stunden 

Die  photodynamische  Wirkung  ist  gut  ausgebildet. 


Konzentration 

Hell 

1:20000. 
1:40000 
1  :  60  000 

tot  nach  20  Min. 

n         .          1    St. 

über  die  Wirkung  der  photodynamischen  (flnoresciereuden)  Stoffe  etc.    451 

.54.   Aesculin. 
Fluorescenz:  bläalich.    Wolkenloser  Sommertag.    fiisenoxydulvorlage» 


Konzentration 

Hell 

Dunkel 

1:500 
1  :  750 
1 :1000 

yif^  +  nach  48  St. 

^/o  -f  nach  48    „ 

lebend  nach  48  St. 

lebend  nach  48  St. 

r 

n 
n 

Die  Substanz  zeigt  eine  Spur  von  Lichtwirkung. 

B.  Yersueke  an  anderen  Protoxoen. 

Dieselben  hatten  den  Zweck  sich  darnber  zu  orientieren ,  ob 
aach  anderen  Klassen  zugehörige  Protozoen  auf  photodynamische 
Substanzen  reagieren,  wie  das  zu  der  Klasse  der  Ciliaten  gehörende 
Paramaecium  caudatnm.  Versuchsobjekte  waren  die  Rhizopode 
Amoeba  proteus  und  eine  im  Mangfallquellwasser  von  Professor 
Emmerich  aufgefundene  ztichtbare  Flagellate,  welche  von  Dof- 
1  e  i  n  als  Bodo  saltans  oder  dieser,  sehr  nahe  stehende  Form  be- 
stimmt wurde.  -Die  Untersuchung  geschah  in  analoger  Weise  wie 
bei  Paramaecium  caudatum  und  ergab,  daß  auch  diese  Tiere  in 
analoger  Weise  durch  die  photodynamischen  Sub- 
Stanzen  in  ihren  Bewegungen  sistiert,  getötet  und 
zum  Zerfall  gebracht  werden,  weit  ftüher  im  Hellen 
als  im  Dunkeln. 

Bei  Amoeba  proteus  sieht  man  alsbald,  wie  die  Pseudo- 
podien Stück  für  Stück  langsam  eingezogen  und  neue  Fortsätze 
nicht  mehr  ausgesandt  werden.  Im  nunmehr  kugeligen  Gebilde 
ist  zunächst  noch  Kömchenströmung  wahrzunehmen,  später  hört 
auch  diese  auf  Die  schon  vorher  bemerkbare  Tingierung  durch 
den  einwirkenden  Farbstoff  wird  nun  sehr  deutlich  und  schließlich 
sieht  man  das  Tier  zu  Detritus  zerfallen.  Wenn  4ie  photo- 
dynamische Substanz  in  sehr  großer  Verdünnung  zugebracht  war, 
sind  die  Tierchen  am  Schlüsse  iter  ersten -Exposition  "woM  «i  fert- 
satzlosen  Kugeln  zusammengezogen  (in  einzelnen  Fällen  vielleicht 
auch  encystiert),  am  nächsten  Morgen  aber  findet  man  sie  wieder 
Pseudopodien  ausstreckend  und  bewirkt  dann  erst  die  zweite  Ex- 
position ihren  Tod  und  Zerfall. 

Bei  Bodo  saltans  bemerkt  inan  wie  die  eigentümlichen 
sprungweisen  Bewegungen  sich  alsbald  massigen,  dann  vollkommen 
aufhören  und  das  kleine  Gebilde  schließlich  durch  Auflösung  völlig 
aus  dem  Gesichtsfelde  verschwindet. 


452 


XXVI.    TaPPBINER   11.   JODLBAÜBR 


«                                          1 

•  1 

A 

moebft  Proteus. 

Heller  Tag. 

•                        , 

Snbstan2 

Koiizen- 
1   trati^u 

Hell 

Dankel 

• 

- 

Eosin 

1:2000      bew 

esn 

anfifslos  n.  2  St.,  zer- 

tot  nach  22  St. 

1 


•    I         fallend  n.  4'/,  Sl  ,     .     . 

„  1 :  20,000  beweguiigpBlos  n.  3  St.,  zer- '     "   lebend  nach  48  St 

I  fallend  n.  24  St. 

Tolasafranin  1 :  50,000  bewegnngslos  n.  1  St.,  zer-  znr  Kngel  zusammengezogen. 

.  fal^d  n.  24  St  jedoch  noch  Kdrnchenstromnng 

und  einzelne  Pseudopodien 
*  1  .  zeigend. nach  24  St. 

^  ,1:80,000      bewegungslos  n.  VL  St^     lebh.  Pseudopodienbewegung 

{       zerfallend  1i.  24  Std.  '  na;ch  24  St. 

„  l:200,000lbewegnng8los  n.  2  St,  zer-.  dö. 

.     .     .    fallend  u.  24  St. 
Ohinolinrot    1:20,000  bewegungslos  n.  2  St.,  anch'Psendojybdienbewegnn^    nach 

>nach48St.war.keiuePs(eudo-!      12  St,  tot  nach  24  St 
.podien  mehr  zu  beobachten. 
:  40,000  bewegungslos  n.  3  St.,  auch  lebh.  Pseudopodienbewegung 
nach  48  St  war.  keine  Pseudo-i  nach  24  Std. 

!podien  mehr  zn  beobachten 
:  5000      bewegungslos  n.  1  St,  auch  gute  Pseudopodienbewegung 
nach  48  St.  war.  keine  Pseudo-  nach  1 2  St ;  kugelig  mit  ein- 
i podien  mehr  zu.  beobachten  zelnen  Fortsätzen  nach  24  St 
:  10,000  noch  Pseudopodien  n.  24  St'  lebh.  Pseudopodienbewegung 
.     ;  1  nach  24  St. 

Chininsulfat  1 :  1000     .    10  StOck  kup^eli^,  ohne  alle  mit  Pseudopodien- 

Fortsätze,  zirei  mit  Pseudo-       bewegung  nach  24  St 
podienbewegung  nach  24  St. 


1 


Dicbloran-    1 

thracendisul- 

fosaures 

Natron      '  1 


-    - 

« 

Bodo  saltans. 

J    .    . 

Trüber  Tag. 

• 

.     .Bosin ' 

,1:1000 

tot  nach  V«  St. 

T> 

1:5000 

n         n         ^     n 

»1 

•1 :  10.000 

n         r         ^     » 

n 

1 :  20,000 

«         n  .      *•     r 

♦I 

1:40,000 

7 

Pheno- 

1 :  50,000 

tot  nach   1  St 

saf  ranin ' 

« 

n 

1 :  200,000 

4 

n 

ll:4a),0ii0 

4 

« 

11:600,000 

n         n         ^     r»      .    . 

Dichloran- 

1:400'J 

tot  nach   1  St. 

tbracendisul 

•  *                        -       • 

- 

fosaures 

1                                                                   0 

"  ' 

.     Xatrpn 

'l:40,0a) 

7                       t 

•    X         r    •     *     » 

n 

1  :  1<X),000 

ri          r         3     „ 

r> 

1 1 :  200,000 

n          n  .       "     n      . 

alle  lebend  nach  24  St. 


Tiele- lebend  nach  6  St 

-einzeln  nach  24  St. 
.  alle  lebend  nach  24  St. 


alle  lebhaft  "nach  24  Si, 


r 

r 


über  die  Wirkimg  der  photodynamischen  (fliiorescierenden)  Stoffe  etc.    453 

.  II.  AbsGhiiitt.    Wirkung  auf  Enzyme,  insbesondere  auf  fnvertin. 

Die  in  neuerer  Zeit  wieder  in  den  Vordergrund  tretende  Aufr 
fassungy  daß  die  Lebenserscheinungen  in  der  Zelle  wenigstens  zum 
Teil  eine  Funktion  enzymartig  wirkender  StoflFe  sind,  gaben  die 
Veranlassung,  das  Verhalten  der  „lichtwirkenden  Stoffe"  zu  En- 
zymen in  den  Kreis  der  Untersuchung  zu  ziehen.  Es  ergab 
sich  in  der  Tat,  daß  viele  photoolynamische^  Stoffe  auf  Diastase, 
Invertin,  Papayin  und  Trypsin  eine  ähnliche  Wirkung  ausüben, 
wie  auf  Infusorien.')  Wir  haben  in  der  Folge  zunächst  das  Invertin 
einer  umfassenden  Untersuchung  unterzogen  und  alle  bei  Para- 
mäcien  untersuchten  Stoffe  auch  an  ihm  geprüft.  Ausschlaggebend 
für  diese  Wahl  war  in  erster  Linie  die  bequeme  Bestimmungs- 
methode. Das  Invertin  hat  bekanntlich  die  Eigenschaft  den  die 
Polarisationsebene  rechtsdrehenden  Rohrzucker  in  die  rechtsdrehende 
d-Glukose  und  die  linksdrehende  d-Fruktose  zu  spalten.  Da  nun 
die  Fruktose  stärker  nach  links  dreht,  als  die  Glykose  nach  rechts, 
so  geht  die  Rechtsdrehung  mit  fortschreitender  Spaltung  des  Rohr' 
Zuckers  fortwährend  zurück  und  schlägt  schließlich  auf  die  linke 
Seite  über.  Eine  Rohrzuckerlösung  von  5'7o  in  einem  Dezimeter- 
rohr z.  B.  gibt  eine  Drehung  von  -\-  3*^  18';  nach  vollständiger 
Invertierung,  welche  indes  auch  bei  sehr  lange  fortgesetzten  Ver- 
suchen bekanntlich  nie  ganz  erreicht  wird,  eine  solche  von  —  0^  52  *. 
Der  Verlauf  des  Fermentationsprozesses  kann  daher  sehr  bequem 
und  scharf  durch  das  Saccharimeter  nach  Aufkochung  und  Ent- 
färbung der  Lösung  durch  eben  ausreichenden  Zusatz  von  Tier- 
kohle verfolgt  werden.-)  Das  Invertin  war  von  E.  Merck  be- 
zogen, seine  Lösung  oder  genau  bezeichnet,  seine  durch  anhaltendes 
Schütteln  erhaltene  feine  Aufschwemmung  von  0,05 — 0,1  auf  100 


1)  Vorläufige  MitteiluDgen  über  die  B  erstgeuannten  £iiZ3'me  sind  ent- 
halten in  den  Dissertationen  von  Stark,  Tillmetz  und  Rehm,  München  1903. 

2]  Hierzu  diente  ein  Halbschattenapparat  nach  Laurent  von  Schmidt  und 
Haensch.  Der  Unirechnnng  der  abgelesenen  Drehung  in  g  resp.  ^/q  des  ge- 
bildeten Invertzuckers  wurden  die  Bestimmungen  von  Lippmann  zugrunde 
gelegt.  Hiernach  ist  «d  des  Invertzuckers  bei  20°  =  —  21,4  oder  1  g  Invert- 
zucker in  100  com  Wasser  gelöst,  gibt  in  einem  Dezimeterrohr  eine  Drehung 
von  —  0,214.  Da  femer  «  d  der  Saccharose  =  +  66,6  oder  1  g  Saccharose  iu 
100  ccm  Wasser  gelöst  in  einem  Dezimeterrohr  eine  Drehung  von  +  0,665  gibt^ 
80  wird  durch  die  Entstehung  . von  lg  Invertzucker  aus  lg  Saccharose  die 
Drehung  um  0,879  verschoben.  Die  Differenz  zwischen  der  Drehung  vor  dem 
Invertierungsprozesse  und  der  bei  den  einzelnen  Versuchen  abgelesenen  Drehung 
durch  0,879  dividiert,  muß  also  den  Invertzuckergehalt  geben. 


454  'XXVI.  Tappeihbb  n.  Jodlbauer 

Wasser  wurde  jedesmal  frisch  bereitet.  Sie  hält  sich  bei  Zimmer- 
temperatnr  3—4  Tage  ohne  wesentliche  Abnahme  der  Wirksam- 
keit; meist  wurde  zur  Konservierung  Toluol  zugesetzt 

Die  Versuche  kamen  nach  zwei  Anordnungen  zur  Ausführung. 
Sei  Anordnung  I  wurde  0,05  Invertin  in  lOccm  Wasser  aufge- 
schwemmt, zun&chst  mit  90  com  5^/o  RohrzuckerlOsung  vermischt 
und  in  dünner  Schichte  in  zwei  Reihen  von  Flaschen  oder  Erlen- 
meyer'schen  Kolben  gleicher  Form  und  Größe  verteilt,  von  denen 
die  einen  durchsichtig,  die  anderen  undurchsichtig  resp.  entsprechend 
verdeckt  waren.  Je  ein  Paar  dieser  GIftser  bekam  einen  Zusatz 
der  zu  prüfenden  Substanz.  Im  durchsichtigen  Glas  war  deren 
eventuelle  photodynamische  Wirkung,  im  undurchsichtigen  die 
eventuelle  chemische  Einwirkung  (hemmende  oder  befördernde)  auf 
die  Invertierung  festzustellen.  Zur  Eruierung  des  Lichteinüusses 
allein  war  ein  Paar  solcher  Gläser  ohne  Zusatz  mit  Sacdiarose- 
Invertinlösung  gefüllt.  Sämtliche  Paare  von  Gläsern  wurden  ah 
«iner  hellen  Stelle  des  Laboratoriums  unter  sonst  gleichen  Be- 
dingungen (insbesonders  Temperatur)  dem  ringsum  einwirkenden, 
zerstreuten  Tageslichte  ausgesetzt.')  Nach  6  oder  8  Stunden  er- 
folgte die  erste  Entnahme  von  Proben  zur  Bestimmung  der  In- 
vertierungsgröße.  Nach  der  folgenden  Nacht  und  einer  weiteren 
Exposition  im  ganzen  also  nach  22  Stunden,  die  zweite  Entnahme. 
Bei  der  zweiten  Anordnung  wurde  zunächst  die  Invertinlösung  von 
0,1  ^/o  ohne  Zuckerzusatz  in  die  zwei  Reihen  von  durchsichtigen 
und  undurchsichtigen  Gläsern  verteilt  und  zu  jedem  Paare  ein 
Zusatz  der  zu  prüfenden  Substanz  gemacht  und  beide  Reihen  dann 
dem  zerstreuten  Tageslichte  exponiert.  Von  Zeit  zu  Zeit  wurden 
Proben  entnommen,  mit  10  %  Rohrzuckerlösung  vermischt  15  Stun- 
den im  Dunkeln  stehen  gelassen  und  die  Invertierungsgröfte  polari- 
metrisch  bestimmt.    Die  Proben  aus   den  durchsichtigen  Gläsern 


1)  S.  Schmidt-Nielsen  (Hofmdster's  Beitrfige  zvn  ehem.  Phjfdol.  und 
Pathol.  5,  S.  357)  findet  diese  Versachsanordnnng  mit  dem  Fehler  behaftet,  daß 
die  Gefäße  nicht  mit  planparallelen  Wänden  verschieden  nnd  ans  Glas  bestanden 
liätten,  infolgedessen  ihnen  für  lichtbiologische  Fragen  nur  geringe  Bedentiuig 
beigemessen  werden  könne.  Diese  Vorwürfe  sind  ind«8  völlig  nnbegründet.  Da 
•die  Versuche  in  zerstreutem  Tageslichte  gemacht  worden,  ist  sowohl  die  Fona 
der  Gefäße,  vorausgesetzt,  daß  sie  in  den  zusammenhängenden  Versuchen  die 
gleiche  ist,  von  keiner  wesentlichen  Bedeutung,  als  auch  die  Verwendung  von 
Glas  zulässig,  da  jener  Teil  der  minderbrechbaren  ultravioletten  Strahlen,  der 
von  der  Atmosphäre  nicht  absorbiert  wird,  bekanntlich  auch  dftnnwandiges  Glas 
2U  durchdringen  vermag. 


über  die  Wirkung  der  i^otodynamiflchen  (fliiM^acierenden)  Stoffe  etc.     455 

ergaben  den  Einfloß  der  in  PrflAing  stehenden  Substanz  im  Hellen 
die  Proben  ans  den  dnnkeln  Gläsern  den  Einfluß  im  Dunkeln.  Ein 
weiteres  Paar  von  Gläsern  nur  mit  Invertinlösung  gef&Ut  und 
sonst  analog  behandelt,  diente  zur  Feststellung  des  Lichteinflusses 
allein. 

Die  nach  beiden  Methoden  erhaltenen  Resultate  sind  in  den 
folgenden  Tabellen  niedergelegt.    Dieselben  zeigen  folgendes: 

1.  Auf  Invertin  photodynamisch  wirksam  erwiesen 
sich  folgende  Gruppen  von  Substanzen:  Die  Fluore- 
seeine  (mit  Ausnahme  des  Fluoresceins  selbst  und  der  gechlorten 
Verbindungen)  die  Gruppe  des  Anthracens,  die  Gruppe 
des  Thiazins  und  die  Chinolinfarbstoffe.  Unwirksam 
hingegen  sind  die  Derivate  des  Phenazins  (mit  Ausnahme  des 
Phenazins  selbst  und  des  Phenosafranins) ,  der  Phenoiazine,  die 
Naphtalingruppe,  die  Alkaloide  Phenylchinaldin,  Chinin,  Harmaün 
und  Hydrastinin  und  das  Glykosid  Aesculin.  Diese  im  Vergleiche 
zur  Wirkung  bei  Paramäcien  große  Einschränkung  beim  Invertin 
ist  sehr  auffallend  und  sicherlich  bei  einer  später  auszubildenden 
Erklärung  der  photodynamischen  Wirkung  von  großer  Bedeutung. 
Vorerst  kann  darauf  nicht  eingegangen  werden,  da  die  in  Arbeit 
befindliche  Untersuchung  anderer  Enzyme,  speziell  des  Trypsins 
abgewartet  werden  muß.  Es  sei  daher  nur  vorläufig  bemerkt,  daß 
bei  diesem  Enzyme  eine  Einschränkung  wenigstens  in  diesem  Um- 
fange nicht  vorhanden  zu  sein  scheint. 

2.  Der  Einfluß  der  genannten  photodynamischen  Substanzen 
auf  Invertin  nach  Anordnung  I  untersucht,  ist  regelmäßig  geringer, 
als  nach  Anordnung  n.  Es  greifen  somit  die  photodyna- 
mischen Substanzen  das  in  Wasser  aufgeschwemmte 
„ruhende^  Enzym  viel  stärker  an  resp.  schädigen  das- 
selbe bis  zur  fast  vollständigen  Aufhebung  seiner 
Wirkung  viel  leichter  als  das  mit  Zuckerlösung  ver- 
setzte tätige.  Dasselbe  gilt  für  den  Einfluß  des 
Lichtes  allein.  Derselbe  war  nicht  bemerkbar  beim  tätigen 
Enzjrme  in  Übereinstimmung  mit  den  Untersuchungen  von  0.  Emm er- 
lin g^);  deutlich  merkbar  jedoch  beim  untätigen  Enzym,  in  dem 
die  Wirkung  des  Invertins  aus  dem  durchsichtigen  Glase  in  ex- 
tremen Fällen  bis  zu  25'  bei  der  Invertierung  zurückbleiben  kann. 
Infolgedessen  ist  die  Bestimmung  des  Vorhandenseins  photodyna- 
mischer Wirkung  bei  Anordnung  II  nicht  so  scharf  wie  nach  An- 


1)  Ber.  der  Deutsch,  ehem.  Gesellsch.  1901,   3811. 


456 


XXVL   Tappeiker  n.  Jodlbaüeb 


Ordnung  I,  denn  erst  Drehungsanterscfaiede  von  mehr  als  SO' 
zwischen  den  Portionen  ans  hellem  und  dunklem  Glase  sind  be- 
weisend. 

3.  Zur  Entfaltung  der  photodynamischen  Wirkung 
genügen  sehr  kleine  Mengen.  Bei  dem  besonders  daraufhin 
untersuchten  Eosin  und  Erythrosin  ist  sie  noch  in  millionenfacher 
Verdünnung  zu  erkennen  (s.  Tabelle  III). 

4.  Die  Verminderung  resp,  die  nahezu  völlige  Auf- 
hebung der  Wirksamkeit,  welche  das  Invertin  durch 
die  photodynamischen  Substanzen  erfährt,  ist  eine 
anhaltende.  Invertin,  das  durch  Eosin  +  12stöndiger  Licht- 
exposition so  weit  geschädigt  war,  daß  beim  folgenden  Invertieruugs- 
versuch  nur  mehr  11 7o  Invertzucker  gebildet  wurden,  erlangte 
auch  nach  ötägigem  Stehen  im  Dunkeln  seine  Wirksamkeit  nicht 
wieder,  während  Invertin  ohne  Zusatz  gleich  lang  exponiert  und 
Invertin  +  Eosin  von  Anfang  an  im  Dunkeln  gehalten  dieselbe 
nahezu  unverändert  behalten  hatten  (§.  Tabelle  IV). 

5.  Der  Einfluß  der  untersuchten  fluorescierenden 
Substanzen  auf  das  Invertin  im  Dunkeln  ist  verschieden. 
Ohne  wesentlichen  Einfluß  ist  z.  B.  die  Fluoresce'ingruppe,  hemmend 
wirken  z.  B.  salzsaures  Dimethylphosphin,  Phenosafranin ,  Apo- 
gafranin,  Safranin  T,  befördernd  z.  B.  salzsaures  Acridin,  Dichlor- 
anthracendisulfosäure. 


Tabelle  I. 

Substanzen  mit  selektiver  Absorption  im  sichtbaren 

Teile  des  Spektrums  (Farbstoffe). 

Anordnung  I. 

Gruppe  des  Flaoresce'in.    Natrousalze.    (Trüber  Wintertag.) 


Ohne  Zusatz 
Fluorescein  0,05% 
Dich  lorfluorescein 
Tetrachlorfluorescein 
Dibromfluorescein 


Dauer  der 

Expo- 
sition in 
Stunden 
inkl.  der 

Nachtzeit 


Drehung 
hell      dunkel 


Gebildeter 
Inrertzucker 
in  g  (in  %) 

heU   'dunkel 


Be- 
merkungen 


8 
22 

8 
22 

8 
22 

8 
22 

8 
22 


+  P10' 
—  (y^  10* 
1+  l^O' 
I—  0«  8' 
+ 1°  05' 
j+ü« 
4-  1^  22' 


+  P  10' 

—  0«  10' 
+  1«4' 

—  00  09' 
+  POÖ' 

—  0« 
10  25' 


--00  5'  ;+00  8' 
-- 10  20' 1+10  05' 
—  00  06';— 00  12' 


2,1(50) 
3,6(86) 

2,3(55) 

3,6(86) 

2,2(52) 

3,4(81) 

1,9(45) 

3,3(79) 

1,9(45 

3,5(83) 


'2,1(50} 
3,6(86) 
2,2(53) 
3,6(86) 
2,2(52) 
3,4(81) 
1,8(43) 
3,3(79) 
2,2(52) 
3,7(88) 


ÜW  die  Wiiknng:  der  pbotadynimiMihen  (lhiorefci«renden)  Stoffe  etc.     457 


DiiDer  der 

Expo- 
■iboB  in 
SuiDdeD 
inkl.  der 

Nachtzeit 

n«i.™„.          Gebildeter 

MI      donkel    ">  8:  <«>  "o) 
hell   dunkel 

Bemerkang:en 

Tetrabromflnoiescein 

Dijodflnoresceln 

Tetiajodflnoresceln 

Diehlortetrabromflnoresc. 
DichlortetrajodilnorMcefn 

8 
22 

8 
22 

8 
22 

8 
22 

8 
22 

8 
22 

4-l*80'Ul''0'    1 

-0»06'  — 0"20' i                   1 

■f  l»25'4-l*[to  l                 -,■> 
-0»03'  — O«!»               sgi, 
-l'iO'+l'OS                 1  oO' 

.o«oa'  — o»aoi        jssi 

■  V22-+l»l(y\              1  oft 

-o»oö'  — ons              ee 

-O»01'U0''2O  1             891 
■flMS'+l-O       u4       3  50 
■f  cor  — 0*19'3,-liÖli3.HiJl 

Hdler  6oHB»(ag. 


Ohne  Znsat2 

Eoein 

Eiythronii 


B  ■+l''18'-t-I''19',2    (44)'a    (44)1 

22  —  0»44'  —  0»  44''4,3(9G)  4,^(96) 

6  i+  l'>fil':+  1'20''1,7(3Ö  ,1,9  42), 

22  !-j-0»28'  — 0"40'.2.9(&l)'4.1(9iy 

6  :+  2»  16'  +  1"  19' ,0,9 120;;  1,9  (42)1 

22  ,-i-l»20',-0»44'!l,9(42)|4,2(94)! 

Grappe  des  AnthracenB. 


Ohne  Zosats 

»ares  Satron  0,05  ■»/, 
I.  Versnch 

8 
22 

8 
22 

+  1<'25 
—  0»05 

+  i«a5' 

-0«05' 

+  I"  15' 
-0«25' 

1,6(38)' 

8,5(83)1 

1,8(43)2,0(48) 
3.51831,3.9193), 

+  l''28'.4-l<'08'1.7(41i|2,l(5ü) 
—  OOOS'I— 00  20',3,6(86),3,8l9Il 


Gruppe  des  Acridina. 

Dlme  ZoaaU 

Acridin  0,05  •/„ 

Sduanres  Dimethjlphos- 
phin  0,05 

ä 
22 

6 
22 

6 
22 

4-l«3Ö'i+l"3ü' 
-0<'30'|-0»32', 
+  l»01'|+l°15'l 
-  0"  30' -  0"  30'' 

4-l"30'M-l»31'| 

öebUdeter  Tovert- 
zncker  ist  nicht  be- 
rechnet, weil  kein 
Unterschied  «wiscli. 
Hell  0.  Dunkel. 

Ohne  Znutz 

Phenada  in  CIH  ?elOBtdnnn 
neutralisiert  0,001"/. 

Diamidopbenazincblorid 
0,001  \ 

Pbenosatranincblorid 
0,01"/, 


Areliiv  f.  klin.  Hedizi 


1+  l'S.V 

■2»11'- 

-2«  12' 

-  0"  27'  - 

-eil' 

-2»0'    - 

rl'öö' 

-cir- 

r0"12' 

-2'B5'- 

■  2"Ö0' 

h2''5ü'^H 

r2«50' 

LXXX.  B 

XXYI.  Tappbikbb  n.  Jodlsaubb 


PbettosafraniDcblorid 

0,001  •/, 
SatTMiinT  0,001% 

BMindnlinchlorid  0.001"/,, 

Salzs.  Naphtjlrot  0,001»/» 

AposafranincUorid  0,001 


Stunden 
inkl.  der 
NachtEeit 


Drehnni^ 
hell      dnnkel 


Gebildeter 
lüTertzncker 
in  e  (in  '/») 

beU    danbel 


2*5'   -j- 

O'ao'iX 

2<»I2'I 

2«10', 

+  0»26'' 

Vbb- 

0«I8' 
2<'10'. 
0«27' 
--li>40';4- 
O'Ol' 


0«21'i 
2«  13' 
0»22' 
S'lO'l 
0»24' 
1»65'; 
0»18'| 
2''W 
0»28'| 
l°3ö' 
0»0*'| 


Gruppe  der  Thiaiine. 


nppe  der  ChinolinfarbBtoffe. 


Ohne  Zusatz 

6 

+  0<'32 

-|-0''36'2si 

7  j,7(65) 

22 

—  0*29 

■>  -1,0(95 

Mit  0,0075  •/„  Chinolinrot 

e 

4-1"  12 

+ 10  06' 2.1  J 

s  l:2(ö2 

1  H,5(83' 

Ohne  Znaati 

8 

+  l'lffi 

,-'  J,3(55' 

22 

—  0»20 

-  0»  21'  3.S  ■ 

1  ::.8(9i: 

Mit  0,002»/,  Cyanin 

8 

-|-1''20 

-t-i^ao-i;! 

.-.  1,9(46 

H:i.6(&H) 

Anordnnng  IL 
I  FUoreacein  (Na 


Fluoresceln  0,05  »o 
Dichlorfluorescein  0,05  ",'o 


Dibromfluorescein  0,Ü5*/o 

Te  t  rabromflii  oresce'i  D 

0,05  »/o 
Dijodfluoresceiu  0,0ö"o 


3      H 

-0»65'  + 

6        - 

-0*67'- 

33 

-  1''26'- 

6       1- 

-0»67'- 

33       1- 

-1140',- 

3        - 

-I^'IO'H 

6       - 

-1''22'!- 

33       ■- 

-rsö''- 

3    :- 

- 1»  lO'  - 

6 

33 

-IMO',- 

3       ,- 

-1"5Ö',- 

6        - 

-  2"  lO'i- 

3        - 

-  2»  m-- 

6 

r3'>02',- 

3 

-  '2°  35'  - 

«       H 

-  2'  50'  4 

■  1 


0»45 

O^Si  2 

1»27 

0»52 

l'ä 

0»5« 

1"15 

10  27 

CöO 

l'lö 

1  3o 

0  oC 

0"4o 

CöO- 

0»51 

0»4o 

0*47 


D  e  AbnabiDC  to 
\\    knnenadidinu 

In  gen  EipositiOB 

Uärt  a   h  iuer 

in  allen  folgen 

%  erauchM  »u 

Zei^etmng  des 

1  nnentes  beim 

1  ngeren    leben. 


0  \[b  «  fiOji 
OS  17|2  9  62\ 
0    ill|2y|b2) 


Ober  die  WirkmiK  der  photodynanuBchen  (ftnoresderendea)  Stoffe  etc.     459 


Daaer  dei 

Expo- 
sition in 


TeH^'odflnoresceiQ  0,00% 

Dtchlortetrabromflnores- 

cein  0,05»/, 
Dicbl  ortetra  jodflnorescela 

0,06  •/„ 
Tetnchlortetrajodflnores- 

Mln  0,0ö«', 


0«45'|0^  (6)  12,9162) 
0»  53- ,0,1  (2)  2,8(60) 
0«58'0,3(ti)  ,2,7(57) 
0»67'0,3  (6)  2,7(57) 
■l'O'  U,l  (2)!2,6(6ö) 
■00  60'0,1  12)  13,8(60) 
O^öö-Ua  (6) '2,7(57) 
■1''0'  |0,1  (2)  [2,6(56> 


Grnpp 

des  Anthracen. 

intlmcen    a  ■  moDOBolfo- 
uum  EftU  0,01  % 

Mores  N»tron  0,05% 

ö  H 
57        - 

9  - 
57        - 

6?      1: 

■Ö*3Ö';--(y20'3,2(Ö)^i:M(7ai 
-2M5'-i-2<'0'  il,2(a;  1„->(H2)' 
-l'O-   +0"S5'2,6(5.->-t.3,l(Öi) 
-2» 56'-  -2»05'O,4(B)|l,4(:Wi 
-l»32',--0»15'2,0(43i|3,6[7ö)| 
•  3' 10';4-1»48' 0,15(3  |l,7(36)| 

Gruppe  des 

Acrid 

ns. 

Ohne  Zusatz 

3ä 

-hl-Sö' 

+  r?^- 

Saiiianrea  Äcridin  0,05  % 

33 

-  O'Oä' 

—  0«04' 

DisBoziert  in  der 

taut  daher  etwas 
aoB,  beftirdert  den 
InTertiernnzsproieß 

33 

+  2<»50' 

+  2''50' 

Uenmt  sebr  stark 

0,05% 

bell  nnd  dnnkeU 

le). 


Pbenaiin  in  wenige  t'lE , 
gelöst,  elwaa  sauer  rea- 
gierend 0,06% 

Axocarmin  0,05% 


Salis.  Diamidophenaziu 

0,06% 
Ohne  Znsatz 


Tolnilenrot  0,01 


0,01  % 
0,01  % 


Obne  Znsatz 
Pbenosaphranin  0,01  "L 

0,005% 


+  0"30'|-|- 


O'IO'.— 0''32'!3,677) 
£«  45' +  0«  34- 0,6(13) 


l'iO'H 

hl"11 

20  10'.- 

■'?f>V?. 

1"  15'i- 

■  l"l|- 

■  IMS 

1M5''. 

-l^'O' 

l«2ä-:- 

-i«av 

0°ö3'- 

.i)»4ö 

l»5ö''- 

-PftÖ 

1«35"- 

-10  25 

1(6813,3(70) 

l,5(32i  Saixsanrea  Pbenazin 
4,4^94)  befordert  im  Dun- 
"  '  ""    kein  den  Tnvertie- 

mugsprozeß. 


3;i( 


H-aoC  '+2''0'  1,5 132)  1.5(32) 
4-3<'10-  +  3°16'0,2(4)  10,1(2) 
-fa^O-  1+200'   0,3(6)    1,5(32) 


Hemmt  scbon  in 
0,01%  sebr  stark 
ancb  im  Dnnkelu 
den  Invertiemngs- 


XXVL  Tafphku  n.  JoDiAAtm 


Dftoer  der 
Expo- 
ntioft  in 
Snuden 
iokl.  der 

Kachtzeit 


Ohne  Znmtc 
Apoaatratun  0,006% 
Bouüdnlin  0,006"/. 
Naphtjlrot  0,005% 
Ohne  Zosatc 
Phenylfinormdin  mit 
gelOat 


kdl       dmkel    *"  K   ""  *'• 


-1»46' 

i-2«20' 
-l'ÖO' 
-PK' 


4-1»  42' 

2»  18' 

+  ]»46' 
+  1«&5' 


1«&0' 

-i-i»i5' 

+  1*35' 

1"30- 

4-1»  36' 


+  1»56' 

-i-I'Oß' 
+  1«37' 
+  1«  12' 
+  1M2' 


lohne  TidnolniMli. 


Verliert  Mine 
nnoreseeau  bd  Ib- 
Tertiozngmbe.  bt- 
fSrdert  (wohl  in- 
folge der  SSnren). 

Olnie  TdIooI. 


Grnppe 

des  Phe 

DOXkl 

in. 

Ohne  ZuaalE 

33 

■f  l»26' 

hl'O- 

Ohne  Toiuol. 

33 
33 

-0»20'- 

-0*20' 
-1*0' 

0,026  ■/. 

Nilblw  0,01% 

33 

■floiS' 

I-10  46' 

Ohne  ZuMtB 

9 

-0°30' 

-0<»21'3,-J;(58)'3..1r7(iV 

67 

-2"  15' 

-2»0'  2::  11))  ■>(;.. 10; 

Methylenblau  0,05% 

9 

-2"0ä'- 

-1«  56' 1,1  . Willi  ;l4i    M.  vertniudcrt  in 

67 

-2*'55'- 

-2<i56'C.-l  ^ij    (Uli))   l0,Oä%  den  I]lTe^ 

Ohne  Zumts 

33 

- 1»55'.- 

-l»55''lt;  :U.  l,6(;Mltierunifspnw«Uwd» 

Ifcöiylenblm  0,08% 

33 

-2o45'|- 

-a-O'    Ot:  l3,l,5(;-)2;    ira  Dunkeln.    In 

0,01»/: 

67 

-3n8'- 

-PlO-j    iiK)    2,4(51)1     O.Oö".  Löamur 

0,001% 

67 

-  3«  18'  - 

-loU'i   ,,(!,    2,4iön    dringt  en  wem« 

Ohne  Znsatz 

9 

-0»30'- 

-0"2r.3,L'i-.8,S,3(7i)l     Licht  ein.     Ver- 

67 

+  2«15'- 

-2<'0'    2.;;   m   ifi^bö)  dünntpre  Lr.>uni:fn 

zeigen  die  photodr- 
namische  Wirktag. 

ThlonolO.OOÖ'omitNaOH 

9 

-O»12'-0«32'|4,0(8ö)4,4(94) 

Der  Verench  Btt*> 

gelöst;    dann    nentrati- 

67 

+  2«35'  +  l»32''0,8(n)|a,O{43 

fiert 

verUef  in  dendtoi 

1 

Weise. 

Chin 

olinfar 

bstoffe. 

Ohne  Zusatz 

13 

■f  l'Sö'H 

hl^ÖÖ' 1,6(34) 

1,6(34) 

Hemmt  anchOnntel 

33 

-  2"  40'  0.3(6) 

3,7(15* 

Stark  den  Inver- 

Ohne  Zusatz 

33 

-0«53'- 

-00  45' 2,8(00) 

2,9(62) 

tiernnge)irozelL    Ei 

Chinolinrot  0,005% 

-2'10'i- 

-l''.30'iM28) 

2.1(46; 

wird  dadurch  m 

Chinolinrot  0,0025% 

33 

-1«55'- 

■  1°  W  1,6(31] 

2,4(ftll 

loher  Eonzentratian 

Ohne  Znsatz 

33 

- 1"  25',- 

die  Lichtwirknn« 

i-'TWun  0,0075% 
Ohne  Zusatz 

33 

-2<'32'- 

.20  30-1 

9 

■1"0'  ;- 

rl^a'  1 

33 

■  O'ib' 

C janin  OflOb\ 

9 

-2«30'- 

■  l->bT 

33 

■l-2«10'j^ 

über  die  Wirkung  4ur  flM>tod7B«aiaebe&  (fluoreackrenden)  Stoffe  etc.     461 


Tabelle  IL 

Sabstanzen  mit  Absorption  im  Violett 

resp.  Ultraviolett. 

Anordnoiig  L 


Dauer  der 

Expo- 
sition in 
Stunden 
inkl.  der 

Nachtzeit 


Drehung 


hetl 


dunkel 


Bemerkungen 


Ohne  ZmatB 

/^-Naphtoldisulfosäure  0,06% 

Amidonaphtolmonosulfos&ure 

0,05% 
Natrinmnaphtionat  0,05% 

yaphtsultan  0,05% 

Ohne  Zusatz 

Chininnm  sulforicum  0,05% 

Salzsaures  Harmalin  0,05% 

Ohne  Zusatz 

Aesculin  0,05% 


8 
22 

8 
22 

8 
22 

8 
22 

8 
22 

8 
22 

8 
22 

8 
22 

6 
22 

6 
22 


1+ 
+  10  30'!+ 

4-10  28'  + 
—  0«  12'  — 
+  P30'-|- 
-0®05'  — 
+  V 10'  + 
-00  08'  — 


-f-2^0*  • 
-|-0«12'-- 
4- 2«38'-- 
+2O20'-- 
4-l»30'-- 
-00  30'  — 
+  1^0'  ;+ 
-  00  30'  — 


10  35' 
0"05' 
l^W 
00  06' 
10  28' 
00  12' 
10  30' 
00  06' 
10  10* 
00  08' 
20  13' 
10  12' 
2*0* 
00  15' 
20  35' 
20  18' 
10  30' 
00  32' 
0^59' 
00  32' 


Bel5rdert  den  Prozefi 
im  Hellen  o.  Dunkeln. 


Befördert  den  In- 
vertierungsprozeß im 
Hellen  und  Dunkeln. 


Anordnung  II. 


Ohne  Zusatz 

^-Naphtoltrisulfosaures 

Natron  0,05  o/o 
Ohne  Zusatz 
Amidonaphtohnonosulfosäure 

0,050,0 
/^-Naphtylamindisulfosäure 

Natriumnaphtionat.  Ofiö% 
Naphtsultan  0,05  oL 
/-Phenylchinaklin  \^0b\ 

Salzsaures  Harmalin  0,05  o/^ 

Ohne  Zusatz 

Chininnm  sulfurie.  0,05  o/^ 

„         hisulfuric 
Salzsaures  Hydrastinin  0,05  o/^ 


9 
57 

9 
57 
33 
33 

33 

33 
57 
33 

33 
33 
33 
33 


00  30" 
20  15' 
00  34' 
20  01' 
10  31' 
00  50' 


00  21' 
2«0' 
00  33' 
20  03' 
10  12' 
PO' 


+  00 10',+  00 10' 


+  10  31'!+ 
+  10  30'+ 

—  00  12'  — 

—  00  24'i— 
+  20  55'  + 


—  Pöö' 

—  00  25'; 
--00  25' 
--10  40' 


10  17' 
10  20' 
00  22' 
00  32' 
20  48' 

10  55' 
00  25' 
00  25' 
10  40' 


Fördert  den  In- 

vertierungsprozeO  im 

Hell  und  Dunkel. 

Diflsoziert  in  der  Fer- 
mentl.  u.  föllt  z.  T.  i^us. 

Hemmt  auch  im 
Dunkeln  sehr  den  In- 

yertierungsprozefi. 

Fördert  im  Hellen  und 

Dunkeln  den 

Inrertierungsprozeß. 


462 


XXVI.  Tappbinbb  n.  Joolbauer 


Tabelle  HL 

Wirkung  aaf  das  Invertin  mit  Abnahme  des 
Zusatzes  der  photodynamischen  Sabstanz. 

Tetrabromflaorescein. 
(Nach  Anordnung  I.) 


Dauer  der 

Expo- 
sition in 
j     Stunden 
I     inkl.  der 
Nachtzeit 


Drehung 


heU 


dunkel 


Ohne  Zusatz 


I 


Mit 


100  000 
200000 
400000 
600000 
700000 
800000 
900000 
1000000 


22 

n 
n 
» 
» 
r 
n 
n 
n 


0»22' 

--0«22' 

O^SO* 

—  0»26' 

ܻ12' 

—  0*28' 

0^00* 

—  0»28' 

0»02' 

0*28' 

0*03' 

—  ©•28' 

0«>02' 

—  Q922' 

0»08' 

—  0»22' 

O^IO* 

—  0*23' 

Tetrajodfluoresceln. 
(Nach  Anordnung  II.) 


Ohne  Zusatz 
Mit  1:100000 
1:500000 
1:1000000 


57 

» 

I» 


+  PoO' 
--3*30' 
--2«  50' 

--2«or 


+  1*29' 

+  vor 
+  m2* 

+  1«02' 


Tabelle  IV. 
Versuche  bezüglich  des  Anhaltens  der  Wirkung. 

12  St.  belichtete  und  nicht  belichtete  Eosin-InTertinlösung  wurden  ins  Dunkle 
(Eisschrank)  gebracht  und  5  Tage  hindurch  die  invertierende  Kraft  der  Lösungen 

bestimmt.    (Nach  Anordnung  U.) 


Drehung 


Oleich  nach    | 
der  Belichtung 


Nach  Stehen  im  Dunkeln  nach  Tag 

L  ~  I       2       i       3 


Ohne  Znsatz 
0,0250/0  Eosin  hell 
„  dunkel 


-f-0"20' 
+  205O' 
+  0«06' 


+  0*22'. 
+  2»5l'i 
+  0«06', 


U«16'|  +  0«25'  -fO«32' 
2«  50*  4- 2*56'  4- 2*51' 
0»  10*  4-  0®  lÖ'  +  0®  14' 


(ff» 
2«  55* 
(fU* 


III.  Abschnitt.    Analyse  der  Erscheinung. 

Die  hierüber  angfestellten  Untersuchnngfen  haben  vorläufig  zu 
folgenden  Sätzen  geführt. 

1. 
Wirknng    beruht    auf    Absorption    bestimmter 
Strahlen,  denn  sie  bleibt  aus,  wenn  die  Strahlen,  welche  die 
photodynamische  Substanz   absorbiert,   vorher  abfiltriert   werden, 


über  die  Wirkung  der  photodyn&mischen  (flnorescierenden)  Stoffe  etc.     463 


kommt  hingegen  in  nahezu  verminderter  Stärke,  wenn  diese  Strahlen 
zugelassen,  alle  anderen  abgebalten  werden. 

Zorn  ersten  Teile  dieses  Satzes  fahren  Versuche  mit 
Strahlenfiltern  bestehend  aus  einer  Lösung  der  ver- 
wendeten photodynamischen  Substanz.  Bereits  von 
0.  Kaab')  wurde  gezeigt,  dafi  die  Licht  Wirkung  einer  Acridin- 
lösung  1:20000  auf  Paramäcien  durch  Vorlage  einer  Acridin- 
I5sung  in  4,5  cm  dicker  Schicht  und  in  der  Konzentration  von 
1 :  öOO  nicht  mehr  zu  stände  kommt  Dasselbe  gilt  fdr  Eosin  mit 
Vorlage  von  Eosinlösung  von  0,05  %.  Die  hierzu  nötige  Schichten- 
dicke der  Vorlage  bei  verschiedenen  Lichtquellen  veranschaulicht 
folgender  Versuch,  wobei  je  drei  Tropfen  Paramäcienkultur  ge- 
mischt mit  2  ccm  einer  Eosinlösung  1 :  1200  in  Uhrgläsern  zur 
Verwendung  kamen. 


Dicke  der  yorfire- 


Art  der  Lichtquelle 


legten  0,05  •/o  Eosin-' Offenes  Bogenlicht 
lösung  in  mm       •     von  25  Ampere, 
*  I  60  Volt 


Zerstreutes  Tages- 
licht 


Sonne  (Winter) 


6 
12 


18 


Paramäcien 
tot  nach  2  Standen 


n 
n 


rt 
n 


4V. 
9 


n 
n 


alle  Paramäcien 
normal  lebendig 


tot  nach  27,  Std. 

Sterbend  nach  9  Std. 

(nur  m^r  rollende 

Bewegungen) 

etoiBO 


tot  nach  2  Stunden 


n 


3 

7 


n 
n 


Bewegungen  der 
Paramäcien  träge. 


Paramäcien  in  Eosinlösung  1  :  1200,  nur  durch  Vorlage  einer  5  cm 
dicken  Schicht  konz.  Kupfersulfatlösung  geschützt  gegen  die  strahlende 
Wärme,  werden  durch  Zutritt  dieser  3  Lichtarten  in  1 — 1^/^  Stunden 
getöteti  "wogegen  Paramäcienkultur  ohne  Eosinzusatz,  bei  Anwendung 
der  Kupfervorlage  durch  solche  Beleuchtungen  yon .  9  Stunden  Dauer 
nicht  merkbar  af&ziert  werden. 

Der  Versuch  zeigt,  daß  bereits  die  Dicke  von  18mm  einer 
0,05%  Eosinlösung  genügt,  um  die  Paramäcien  von  der 
photodynamischen  Wirkung  einer  Eosinlösung  von  1 :  1200  bei  Zu- 
tritt von  elektrischen  Kohlenbogenlicht  von  25  Ampfere  oder  zer- 
streutem Tageslicht  von  9  Stunden  Dauer  vollständig  zu  schützen. 
Nur  bei  Anwendung  von  Sonnenlicht  ist  der  Schutz  noch  kein 
vollständiger.  Analog  ist  die  Wirkung  bei  Enzymen.  Die  photo- 
dynamische Wirkung  einer  Lösung  von  0,05  7o  Eosin  oder  Magdalarot 

1)  Münchener  med.  Wochenschr.  1900,  S.  1  und  Zeitschr.  f.  Biol.  Bd.  39, 
S.  537. 


464  XXVI.  TAPPBrNBB  n.  Jo]>lbaüsb 

des  Handels  (Grübler),  eiB  Gemenge  von  Dijodflnoresceiii  und 
Tetrabromdichlorfluorescein,  auf  Diastase  und  Invertin  wird  dnreb 
Vorlage  einer  0,05  proe.  Lösung  von  Eosin  resp.  „Magdalarot"  in 
b — 10  cm  Dicke  yoUstandig  aufgehoben. 

Den  zweiten  Teil  obigen  Satzes  beweisen  Versuche  mit 
Strahlenfiltern,  die  nur  jene  Strahlen  durchlassen, 
welche  die  verwendete  photodynaraisehe  Substanz 
absorbiert.  Bereits  von  0.  Raab  wurde  geftmden,  dafi  die 
Wirkung'  einer  Acridinlösnng  nicht  wesentlich  vermindert  wird, 
wenn  das  zutretende  Licht  eine  Lösung  von  schweSrisanrem  Chmin 
passiert  hatte,  die  ultravioletten  Strahlen  also  auBgescI^iItet  und 
die  äußeren  violetten  abgeschwächt  worden  waren. 

In  welcher  Weise  die  photodynamische  Wirkung  von  Eosin 
und  Chinolinrot,  deren  verdünnte  Lösungen  im  wesentlichen  nm* 
grüne  Strahlen  zwischen  Wellenlänge  540  und  486  absorbieren, 
durch  Licht,  das  Strahlenfilter  verschieetener  Art  passiert  beein- 
flußt wird,  zeigt  die  Tabelle  auf  f(dgender  Seite. 

1/16  Pftrsmäeten  bCTsnden  ncn  im  nängcndeii  Tr Optra  oder  rat  Uiir* 
gkM,  der  Eintritt  d«8  Todes  iit  in  Standen  angegeben. 

Von  Strahlenfiltern  wurde  verwendet:  Wasser  in  3  cm  Scbichten- 
dioke,  das  einen  Teil  der  infraroten  Strahlen  absorbiert,  konzentrierte 
KnpfersulfatlösuDg  in  9  cm  Dicke,  welche  die  infraroten,  roten,  orange- 
roten und  gelben  Strahlen  (bis  ungefähr  zur  Wellenlänge  550  fjifi)  ab- 
sorbiert; konzentrierte  PSkrinsäurelösung  ron  1  em  Dicke,  wMche  von 
Blau  (477  fifi)  an  bis  in  das  äußerste  TTItraviolett  absorbiert^};  eine 
Mischung  von  1  Teil  einer  gesättigten  Lösung  von  Kupfersulfat  -f~  Pikrin- 
säure mit  2  Teilen  konzentrierter  KnpfersulfatlösBng  in  3  cm  Dicke, 
welche  nur  grüne  Strahlen  (vollkommen  von  560 — 490  fifi)  durchlaßt.  Kon- 
troli versuche  ergaben,  daß  Paramäcien  im  Dunkeln  in  Ghinolinrotlösnng 
I  :  100  000  5  Stunden,  in  Eosinlösung  1200  24  Stunden  am  Leben  blieben. 

Die  Tabelle  zeigte  daß  der  Tod  der  Paramärien  bei  jenen 
Vorlagen  am  frühesten  eintritt,  welche  nur  einen  Teil  der  schäd- 
lichen „Wärmestrahlen''  abzuhalten  vermögen  (Wasser  und  Pikrin- 
sänre).  Bei  den  anderen  Vorlagen  erfolgt  er  später  und  zwar 
macht  es  keinen  oder  keinen  wesentlichen  Unterschied,  ob  dieselben 
nur  grüne  Strahlen  oder  auch  andere  sichtbare  resp.  nltraviolette 
Strahlen  hindurch  lassen. 

Daß  für  die  Wirksamkeit  einer  Eosinlösung  die  grünen  Strahlen 
das  maßgebendste  sind,  wurde  überdies  von  0.  Raab  auch  durch 
die  Untersnchung  in  prismatisch  zerlegtem  Lichte  erwiesen«*) 


1)  V.  Hü  bei,  Die  Dreifarbenphotographie.  Halle  19(^  S.1S9. 

2)  a.  a.  0,,  S.  538. 


über  die  Wirkung  der  photodyBamigchen  (flnofescierenden)  Stoffe  etc.     465 


Art  des  Strahlenfilters,  Tod  der  Paramäcien 

\  und  der 

in  Stunden 

Art  der  Lichtquelle 

Konz, 

Kupfer- 

Snbstans 

Ohne 
Sdürn 

Wasser 
3  cm 

Kupfer- 
sulfat 
Sem 

Pikrin- 
säure 
1  cm 

suiiai-f- 
Pikrin- 

sänre 

3  cm 

Zerstreutes  Tageslicht. 

Chinoünrot 
1:100000 

ist.   iv^st. 

1 

2    St. 

2    St. 

2V«St. 

» 

Eosin 
1:1200 

ist    1    „ 

IVt  n 

VI,. 

IV., 

Sonnenlicht  (Winter). 

Chinolinrot 
1:100000 

-^ 

1        n 

2      „ 

1    „ 

2   „ 

n 

Eosin 

— 

1        - 

1      „ 

1    „ 

1         r 

1:1200 

1 

1 

» 

Eosin 

-  ;iV«. 

2      „ 

IV«  „ 

2V.  „ 

1:6000 

n 

Eosin 

-      2      „ 

2V2  „ 

2    „ 

av«. 

1:10000 

*■ 

2. 

Die  Erscbeinang  ist  indes  kein  einfacher  Absorption s - 
yorgang.  Zahlreiche  Farbstoffe,  welche  sich  durch  Absorption 
in  verschiedenen  Teilen  des  Spektrums  auszeichnen,  haben  keine 
photodynamische  Wirkung  weder  auf  Paramäcien  noch  auf  Enzyme, 
wie  die  folgenden  Versuche  dartun. 

A.  Yersuche  an  Paramäcien. 

Das  Eindringen  der  Substanz  konnte  meist  durch  die  Giftigkeit  oder 
znm  Teil  auch  direkt  durch  die  Färbung  konstatiert  werden. 

55.   Nitrosofarbstoff:  Naphtolgrttn  B. 

Absorptian:  Im  Bot  und  Anfang  Gelb  ( — 10,4)  und  toh  b,  bis  ins 
IJltraTiolett. 


Konzentration 
1:200 


Hell 
lebend  naob  24  St. 


Dunkel 
ebenso 


Paramäcienfarbung  nicht  bemerkbar. 


56.   Nltrofarbstoff:  Pikrinsäure. 

Absorption:  Blau  bis  ins  ultraviolett. 

Hell  ! 


Konzentration 

1 : 2000 

5000 

;  10000 

;  20  000 

:  40  000 

sofort  tot 
tot  nach  5  St. 

n  n     10     „ 

n  >»    24     „ . 

alles  lebend  nach  24  St. 


Dunkel 
ebenso 


tot  nach  12  St. 
ebenso 


466 


XXVL  TAPPmiBB  n.  Jodisauxb 


Asofarbstoffe. 

57.    Yictoriariolett  4  BS. 

Absorption  in  Konzentration  1 :  30  000  Ende  ron  Bot  bis  Anfanjr 
von  Grün  (9,2 — 12,5).  In  Konzentration  ron  1:200  sind  Paramacien 
nach   48  St.    in  Hell  nnd  Dunkel  normal,  nicht  gefärbt. 


58.    Azob  ordeanx  [By]. 
Absorption  in  Lösung  1  :  5000  von  D-F. 


Konzentration 

1:500 
1:600 
1 :  800 
1 : 1000 


Hell 
tot  nach  5  St. 


lebend 


24 
24 


n 
rt 


Dunkel 
ebenso 

tot  nach  48  St 
ebenso 


59.    Azofuchsin  S.  [By]  Absorption  in  Lösung  ron  1 :  1000  von  D-&. 

Konzentration 

1 :  500 
1:600 
1 : 1000 


Hell 

tot  nach  5  St. 
8 


lebend 


n 


24 


n 
n 


Dunkel 
ebenso 


1» 


60.    Benzopurpurin  4  B  (By]. 
In  Konzentration  1  :  20  000  schwache  Absorption  im  Ende  von  Grün» 


Konzentration 

1  : 4000 
1:10000 
1 :  20  000 


Hell 
tot  nach  3  St. 


Dunkel 
ebenso 


rollend  nach  1  St.,  tot  nach .  rollend  nach  2  St.,  tot  nach 


18  St. 
lebend  nach  48  St. 


17  St. 
ebenso 


Die  Paramacien  zeigen  sich  bei  allen  Verdünnungen  gefärbt. 

61.    Azoblau   [B y]. 

Absorption:  geringe  zwischen  8,5 — 9,  intensivere  zwischen  10  bis 
13,3. 

In  Konzentration  von  1 :  2000  nach  24  Stunden  in  Hell  und  Dankel 
lebend,  nicht  ge&bt.  Der  Farbstoff  scheint  nach  dem  Zusätze  der  Para- 
macien teilweise  auszufallen. 


62.    Diamingrün  O. 
Absorption  im  Koten  bei  8. 


Konzentration 

1 : 2000 
1 : 3000 


Hell 

tot  nach  4  Min. 
lebend  nach  24  St. 


Dunkel 
ebenso 


über  die  Wirkung  der  photodynamischen  (flaorescierenden)  Stoffe  etc.     467 


63.   Diphenylmethanfarbstoff:  Aaramin. 

Hellgelbe  LösuDg.     Absorption:  Im  Blauen. 

Trüber  Tag. 


Konzentration 

1  :  100  000 
1  :  800  000 
1  : 1  200  000 
1  :  2  000  000 


Hell 

sofort  tot 

tot  nach   1 

St. 

n         .     10 

n 

.          n     24 

r> 

Dunkel 
ebenso 


Triphenylmethanfarbstoffe. 


64.  Methylyiolett,  Gemenge  von  Penta-  und  Hexamethyl 

pararosanilin. 

Absorption  von  Mitte  Rot  bis  Anfang  Gelb. 


Konzentration 

1:160000 
1 :  320  000 
1 :  500  000 
1 :  700  000 
1:1200000 


Hell 

tot  nach  Vj^ 
4 

48 


St. 


n 
n 
n 
1» 


n 


1/ 


\ 


Dunkel 

tot  nach  2  St 
4 
8 
24 


» 


alles  lebend  «    48 


n 
n 


65.  Krystallviolett,  salzsaures  Hexamethylpararosanilin. 

Konzentration 

1 :  500  000 
1 :  700  000 
1:1000000 
1 : 1  500  000 


Hell 
tot  nach     8  St. 

« 8V3 


V. 


2    ri 


1» 


9 
9 


Dunkel 

^/,  tot  nach  24  St. 
alles  lebend  nach  24  St. 


»7 


Beide  Körper  scheinen  nach  diesen  Versuchen  eine  schwache,  aber 
unverkennbare  „Lichtwirkung*'  zu  besitzen,  obgleich  sie  nicht  fluores- 
cieren.  An  diesen  Ergebnissen  änderte  sich  auch  nichts,  als  reinstes 
salzsaures  Hexamethylpararosanilin  (von  0.  Fischer,  Erlangen  freundlichst 
überlassen)  zur  Verwendung  kam.  Die  „Lichtwirkung**  ist  indes  nur 
eine  scheinbare.  Die  Körper  besitzen  starke  Absorption  im  gelben  bis 
orangeroten  Teil  des  Spektrums  und  außerdem  noch  ausgedehnte  Ab- 
sorption im  infraroten.^)  Es  war  daher  möglich,  daß  es  sich  nur  um 
eine  Umsetzung  der  absorbierten  strahlenden  Energie  in  Wärme  gehan- 
delt habe.  Wenn  diese  Vermutung  richtig  war,  mußte  der  Unterschied 
in  der  Wirkung  zwischen  Hell  und  Dunkel  aufhören  oder  wenigstens 
sehr  abgeschwächt  werden,  wenn  der  Versuch  unter  Vorlage  einer  5,4  cm 
dicken  Schicht  von  7proz.  saurer  Lösung  von  schwefelsaurem  Eisen« 
oxydul  erfolgte,  welche  die  sichtbaren  Strahlen  ungeschwächt  durchläßt, 
die  infraroten  aber  bis  auf  1,2  ^/^  dergesamten  Strahlung  absorbiert.^) 

1)  Nach  Hans  Lehmann,  Die  ultraroten  Spektren  der  Alkalien.   Freiburg 


1900. 


2)  R.  Zsigmondy,  Wied.  Ann.  40,  533. 


468 


XXYL  TATtmanK  u.  Jomaa.dsb 


65 

a.    K 

ry« 

tsU 

vic 

)te 

tt 

läaenoxydoWtNriage. 

Hell 

Dunkel 

tot  nach 

4  8t. 

tot  nach 

4  St 

« 

»   4'/, 

II 

1 

ji 

n     4 

1' 

v, » 

n    S 

^^4 

n 

V, 

» 

r> 

3  » 

alles  „ 

11 

5 

n 

alles 

n 

n 

4    , 

2/ 
/5    rf 

n 

4 

n 

v» 

n 

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4    « 

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7 

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2 

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n 

n 

7    , 

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8 

V 

•'* 

II 

n 

8    , 

4/ 

w 

13 

91 

V, 

w 

n 

12    , 

V,  . 

fi 

8 

11 

'/. 

n 

» 

8    , 

%  » 

n 

24, 

M 

*U 

n 

« 

24    , 

alle  lebend  „ 

48 

» 

ebenso 

Konzentration 

1  :  600  000 
1  :  700  000 
1 :  800  000 

1 :  900  000 

1 : 1  000  000 

1 : 1  200  000 

1 : 1  400  000 

Die  Unterschiede  im  Dunkeln  in  diesem  Versuche  und  den  beiden 
früheren,  erklären  sich  daraus,  daß  dieser  Versuch  in  einer  spateres 
Zeit  mit  einer  anderen  Generation  von  Paramäcieo,  die  gegen  die  (rift- 
Wirkung  des  Krystallvioletts  als  solche  empfindlicher  war,  angestellt 
wurde.  Das  Hauptresultat  des  Versuches,  daß  die  Wirkung  zwischen 
Hell  und  Dunkel  durch  die  Eisenvorlage  so  gut  wie  aufgehoben  ist, 
wird  dadurch  nicht  beeinflußt.  Wie  bedeutend  die  Umsetzung  ron  strah- 
lender Energie  in  Wärmeenergie  durch  eine  Krystallviolettlösung  ist, 
zeigt  nebenbei  auch  folgender  einfacher  Versuch.  Eine  der  Sonne  (März) 
ausgesetzte  Lösung  von  1  :  1000  erwärmte  sich  in  4  Stunden  Ton  18" 
auf  37^,  eine  Lösung  von  1  :  10000  an  einem  anderen  Tage  in  3  Stan- 
den von  19  ^  auf  37  *^,  während  Wasser  unter  gleichen  umständen  das 
erstemal  nar  die  Temperatur  ron  33,3  ^,  das  zweitemal  eine  solche  von 
33,2  ^  erreichte.  Daß  die  scheinbare  Lichtwirkung  des  Methyl-  und  Krystall- 
violetts  in  der  Tat  nur  in  diesen  besonderen  Verhältnissen  liegt,  er- 
gaben auch  die  Versuche  mit  anderen  Körpern  dieser  Gruppe,  in  denen 
allen  kein  Unterschied  zwischen  Hell  und  Dunkel  auftrat. 

66.    Salzsaures   Pararosanilin   (Parafuchsin). 

Absorption  in  Konzentration  1  :  50  000  im  Ghrim  (Ton  10,5  —  blau). 
In  Konzentration  1  :  200  000  von  11,2—13,3. 

Heller  Tag. 

Dunkel 

ebenso 

V 

w 
1» 

67.    Salzsaures  Bosanilin   (Fuchsin). 

Absorption  in  Konzentration  1:200000  von  11,2 — 13,3. 

Trüber  Tag. 


Konzentration 

Hell 

1 :  40  000 
1  :  80  000 
1:160  000 
1  :  320  000 

tot  nach  2  St. 

JI        »      ^    « 
alle  lebend     „      9    „ 

Konzentration  \  Hell 

1 :  1000  |tot  sofort   nach  d.  Ansetzen 

1:16  000 


Dunkel 
desgl. 


über  die  Wirkung  der  i^iotodynaiiiiBchen  (flnoresderenden)  Stoffe  etc.    46  9 


HeU 

DfDikel 

tot  nach  2  8t. 

tot  nach  3  9fc. 

lebend     „   48    „ 

V                    4 

/2      »          n       ^     r» 

desgl. 

« 

n 

Kcrtizflotratioii 

1 :  20  000 
1 :  40  000 
1 :  50  000 
1 :  60  000 

68.    !PararoBol8äare  (Aorin)  in  neutraler  Lösung. 

Absorption   in   Konzentration    1  :  100000:   Ende  Gelb   und  Anfang 
Grün,    11,7—13,5. 

Trüber  Tag. 

Hell  Dunkel 

tot  nach  ^/^  St.  ebenso 

n  n  ■*•     w 

n  »  *      Jl 

alle  lebend     «        9    « 


Konzentration 


1 
1 
1 
1 
1 


20000 
40000 
80  000 
160000 
320  000 


^/^  tot  nach  9  St. 
ebenso 


69.    Eosolsäure  in  neutraler  Lösung. 
Absorption  in  Konsentration  1  :  100000  wie  Aurin. 

Heller  Tag. 
HeU 
tot  nach  '/^  St. 
»11        1     »I 

/4    n  "  «'     •• 


Konzentration 

1 :  40  000 
1 :  80  000 
1:160000 
1 :  320  000 


Dunkel 
ebenso 


» 


alle  lebend 


^2  tot  nach  9  St 
ebenso 


Konzentration 

HeU 

1 : 2C00 

sofort  tot 

1 :  200  000 

tot  nach  3  St. 

1:400000 

n         n        ^     V 

1:800000 

V« 

If        fi       ^     n 

alle 

»      ,    24    , 

1:1600000 

rt 

1 :  2  500  000 

alle  lebend  nach  24 

70.    Malachitgrün. 
Absorption:  von  8,2 — 10,7  mit  größter  Litensität  bei  9. 

Dunkel 
ebenso 

» 
1» 

•    n 

Die    bedeutend    größere   Giftigkeit    des  Malachitgrüns,    es   war   die 
Zinkverbindung,    gegenüber  seinen  ehem.  Verwandten  ist  bemerkenswert» 

71.    IndigodiBnlfosanres  Natron  (Indi^okarmin). 

Absorption  in  Konzentration  1  :  100000  von  8,4 — 10. 

Eisenoxydul  vor  läge. 

Dunkel 

ebenso 
tot  nach  24  St. 

ebenso 
tot  nach  18  St. 


Konzentration 

Hell 

1:500 
1:1000 
1:5000 
1:20000 

tot  nach  ^/^  St. 

n          r        1^     » 

.        .      24    „ 

470 


XXYL  Tappeikbb  u.  Jodlbaubb 


Die  Yenuche  fielen  auch  bei  Wiederholung  sehr  ungleich  aus,  bald 
waren  die  hellen  bald  die  dunkeln  voraus. 


72.   Hämatozylln,  Farbstoff  des  Blanholzes. 


Konzentration 

1 : 2000 
1:10000 
1 :  20  000 


Heller  Tag. 
Hell 
tot  nach  */^  St. 


n 


4 
9 


Dunkel 
ebenso 


n 
n 


Die  Lösung  wird  auf  Paramäcienzusatz  rot 

Invertierungsversuche. 

Anordnung  I. 
Azofarbstoffe  und  Triphenylmethanfarbstoffe. 


Dauer  der             _    , 
Exposition             Drehung 

in  Stunden 

1 
1 

inklusive     •     ,   „      '    ,     ,   , 

der  Nachtzeit!     ^^^         dunkel 

1 

Ohne  Zusatz 

6 

1 
4-  00  30'  :  +  00  33' 

22 

00  29'  ,       00  30'  ! 

Azofuchsin  0,05  ^/^ 

6           +  0«  32' 

-1-00  34' 

22          ;  —  0»  36' 

—  00  38' 

Salzsaures  Rosanilin  0,05% 

6            +  2«  08' 

-  20  13' 

22 

+  10  43' 

-10  40' 

Ohne  Zusatz 

6           +10  0'    iH 

-00  57' 

22                a>30' 

00  29' 

Azobordeaux  0,05% 

6 

+  10  02' 

-t-  10  03' 

22           —  0«  30' 

—   00    29'     ; 

Ilristallviolett  0,05  »/o 

8 

h  20  28' 

f-  20  28' 

a 

22 

-2*25' 

- 

h  20  25' 

0,002% 

8 

-10  25'  H 

-  10  25' 

22                00  05' 

—  00  06'  , 

Anordnung  II. 

1                                                                    1 

Ohne  Zusatz 

as        4- 10  31' 

+ 10  12' 

Naphtolgrtiu  B  0,025  % 

33                 00  05' 

1 

00  04' 

Befördert  den  Proaeß 
auch  im  Hellen. 

Tiktoriaviolett  0,01  % 

33            H 

h  10  30' 

_ 

h  10  11' 

Azobordeaux  0,05% 

33 

-10  0' 

-00  38' 

Azofuchsin  0,0o% 

33            H 

h  10  09' 

-  0«  39' 

0,01  % 

33 

-10  09' 

-00  51' 

Benzopurpurin  0,05  \ 

33 

-  10  52' 

-  10  47' 

Azoblau  0,05% 

33 

-10  20' 

-  10  42' 

„       0,01 0/0 

33          1  - 

-00  58'    H 

-10  0' 

Diamingrün  0,01% 

1          33 

-PO' 

-  10  Ol' 

Auramiu  0,05% 

33 

- 10  49' 

-10  28' 

.Säurefnchsin  0,05% 

33 

-  00  45' 

-00  30' 

Ohne  Toluolzusatt 

Malachitgrün  0,02% 

33 

-  10  32' 

-  10  Ol' 

Ohne  Zusatz 

33          1- 

-  00  53' 

-  00  45' 

Ohne  Toluolzusatz- 

Kristall  violett  0,01% 

33 

-  10  15' 

-  10  25' 

n 

Ohne  Zusatz 

57 

-  10  58' 

-  10  42' 

Indigotine  0,05% 

57            ^ 

-  10  20'  i  -1 

-10  21' 

Befördert  im  HeUen 

u.  Dunkelnd.  Prozeß. 

über  die  Wirkung  der  photodynamiBchen  (flaorescierenden)  Stoffe  etc.    471 

3. 

Die  Erscheinmig  wurde  bisher  ausnahmslos  nur  an  Sub- 
stanzen beobachtet,  welche  anch  die  Eigenschaft  zu 
flnorescieren  besitzen.  Da  die  Untersuchung  sich  über  eine 
sehr  große  Anzahl  von  iluorescierenden  (63)  und  nicht  fluorescieren- 
den  Substanzen  (32)  erstreckt,  ist  die  Wahrscheinlichkeit,  daß  die 
photodynamische  Wirkung  mit  Fluorescenz  im  Zusammenhange 
steht,  eine  große.  Immerhin  muß  aber  hervorgehoben  werden,  daß 
so  lange  dieser  Satz  rein  auf  Erfahrung  beruht,  und  seine  Be- 
gründung durch  die  theoretische  Analyse  der  Erscheinung  nicht 
gefunden  hat,  die  Möglichkeit  besteht,  daß  noch  photodynamische 
Substanzen  gefunden  werden,  welche  nicht  gleichzeitig  die  Eigen- 
schaft zu  flnorescieren  besitzen.  Wenn  nun  die  Erscheinung  wirk- 
lich mit  Fluorescenz  im  Zusammenhange  steht,  so  ist  die  erste 
Frage,  istdas  ausgesandte  Fluorescenzlicht  das  Wirk- 
same? 

Zur  Beantwortung  dieser  Frage  unternommene  spezielle  Ver- 
suche haben  ergeben,  daß  dies  nicht  der  Fall  ist.  Setzt  man  Glas- 
rohrchen  mit  Paramäcienkultur  oder  einer  Enzymlösung  gefftllt  in 
ein  enges  Gefäß,  in  welchem  sich  eine  fluorescierende  Flüssigkeit 
befindet,  dem  Lichte  aus,  so  daß  das  Röhrchen  von  allen  Seiten 
von  Fluorescenzlicht  bestrahlt  wird,  so  bemerkt  man  an  den  Para- 
mäcien  oder  dem  Enzyme  keine  Veränderung,  selbst  bei  stunden- 
oder  tagelanger  Exposition.  Man  kann  diesen  Versuchen  einwenden, 
daß  vielleicht  im  Fluorescenzlichte  etwas  enthalten  ist,  das  Glas 
nicht  zu  passieren  vermag  und  daß  gerade  dies  das  für  Paramäcien 
und  Enzyme  schädliche  darstellt.  Um  auch  diesem  Einwände  zu 
begegnen,  wurde  folgende  allerdings  nur  für  Paramäcien  ausführ- 
bare Versuchsanordnung  getroffen.  Man  füllt  die  auf  dem  Objekt- 
träger aufgekittete  feuchte  Kammer  mit  einer  fluorescierenden 
Flüssigkeit  bis  zum  Rande.  Auf  den  gebildeten  konkaven  Meniskus 
kann  man  nun  das  Deckglas,  an  dessen  unteren  Seite  ein  Tropfen 
Paramäcienkultur  hängt,  so  aufsetzen,  daß  ein  Zwischenraum  mit 
freiem  Auge  nicht  mehr  wahrzunehmen  ist,  die  Luftschichte,  welche 
die  konkave  Oberfläche  der  fluorescierenden  Flüssigkeit  von  der 
konvexen  des  Tropfens  trennt,  also  nur  minimal  ist.  Man  kann 
nun  dieses  Präparat  intensivem  zerstreuten  Tages-  oder  Sonnenlicht 
von  oben  und  durch  Spiegelvorrichtung  von  unten  stundenlang  aus- 
setzen, ohne  die  geringste  Veränderung  an  den  Paramäcien  mit 
dem  Mikroskope  wahrnehmen  zu  können.    Die  Versuche  wurden 


472 


XXVL  Tapfbuiai  «.  Jomaiübl 


mehlfach  mit  Eosin,  Erythrosin,  Ghinolinrot ,  Dichloranthracen- 
disulfosaurem  Natron  and  anderen  flaorescierenden  Substanzen 
aosgef&hrt. 

4. 

Fär  die  Tateache,  daß  nieht  das  ansgesaffidte  Flnoreseefuliebt, 
sondern  die  vom  fluoreszierenden  Sto£f  absorbierte  strahlende 
Energie  das  maßgebende  ist,  spricht  femer  folgende  wichtige  fie* 
obachtung:  In  einer  Gruppe  chemisch  verwandter  fluores- 
cierender  Stoffe  ist  in  der  fiegel  die  photodyna- 
mische Wirkung  um  so  größer,  je  geringer  die  Fluo- 
rescenzheiligkeit,  vorausgesetzt  daß  diese  Größe  nicht  unter 
ein  gewisses  Minimum  sinkt,  weldies  praktisdi  in  der  Begel  etm 
dahin  bezeichnet  werden  kann,  daß  die  Substanz  mit  kleiner  linse 
in  Sonnenlicht  nntersacht,  keinen  deutlich  (farbig)  diferenzierten 
Lichtkegel  mehr  gibt.  Am  schönsten  zeigt  sich  dies  in  d^ 
Fluoresceinreihe.  Die  Fluorescenzhelligkeit  nimmt  ab,  die 
photodjnamische  Wirkung  für  Paramäden  und  Invertin  zu  in 
folgender  Reihenfolge: 


Giftigkeit  fQr       Schädigung  des 

Fluorescenz- 

Paramttcien  im  zer-1  Invertin  in  Pros. 

Substanz 

strenten  Ta^^es-  i   (Versuche  nach 

heUigkeit 

licht,  jene  im 
Dunkeln  —  1  ge- 

II. Anordnung, 
bei  3  St. 

setzt 

Expositionszeit) 

Fluorescem 

sehr  Btark 

11 

0 

TetrachlorflQorescelfn 

stark 

35 

10 

Tetrabrorafluorescem 

mäßig 

60 

57 

TetrajodflnoresceYn 

sehr  schwach 

80 

g9 

DkhlortetrabromflaoreBoein 

nur  mit  Linse 

im  Sonnenlicht 

bemerkbar 

loO 

89 

DicblortetrajodflnoresceTn 

n 

100 

96 

Tetrachlortetrajodfluores- 

n 

170 

89 

ceYn 

Sobald  aber  die  Fluorescenz  völlig  erloschen  ist  (genaner  he* 
zeichnet,  unter  das  oben  bezeichnete  Minimum  gesunken  ist),  hört 
auch  die  Photodynamie  auf,  so  im  Tetranitrofluorescein,  im  Hydro* 
chinonphtalein,  das  sich  vom  Fluorescein  nur  durch  die  Stellung  der 
Hydroxylgruppen  unterscheidet  und  im  Phenolphtalein,  in  welchem 
der  Pyronring  (die  fluorophore  Gruppe)  gesprengt  ist,  zugleich  ein 
neuer  Beleg  dafür,  daß  die  Erscheinung  wirklich  mit  Fluorescenz 
zusammenhängt. 


über  die  Wirkung  der  photod}iiamischen  (fluorescierenden)  Stoffe  etc.    473 


0 
FlnoresceYn.  Hydrochinonphtalein.  Phenolphtalein. 

Analoge  Verhältnisse  ergab  die  Xanthongruppe,  deren 
Glieder  je  nach  der  Stellung  der  Hydroxyle  sich  optisch  sehr  ver- 
schieden verhalten.  In  der  folgenden  Zusammenstellung  *),  die  sich 
nur  auf  Paramäcien  bezieht,  da  die  Wirkung  auf  Enzyme  nicht 
untersucht  wurde,  erkennt  man,  daß  die  photodynamische  Wirkung 
zunimmt,  mit  Abnahme  der  Fluorescenz  und  aufhört,  mit  dem 
völligen  Erlöschen  derselben.  Interessant  ist  auch  die  je  nach  der 
Stellung  der  Hydroxyle  sehr  verschiedene  Giftigkeit  der  Dioxy- 
xanthone,  wenn  man  z.  B.  die  Konzentrationen  vergleicht,  welche 
im  Dunkeln  nach  24  Stunden  zum  Tode  fuhren. 


CO 


CO 


OH 


0  0  0 

1  -  Oxyxanthon.  2  -  Oxyxan  thon.  1 ,3  -  Dioxyxan  thon. 

Alkalische  Lösung  gelblich,    Alkalische  Lösung  gelb,  sehr    Alkalische  Lösung  gelblich, 
keine    Fluorescenz,     keine    schwach  ^rüne  Fluorescenz,    ohne  Fluorescenz  und   ohne 
Photodynamie.  sehr  deutliche  Photodynamie.    Photodynamie.    Letale  Kon- 

zentration 1:20,000. 


CO        OH 


CO 


OH 


0  0  0 

1,6  -  Dioxyxanthon.  1,7  -  Dioxyxanthon.  3,6  -  Dioxyxanthon. 

Alkalilösung  gelblich,  violette    Alkalilösuug  grünlich   gelb,    Alkalilösung   schwach   gelb, 

Fluorescenz,  schwache  Photo-    ohne  Fluorescenz  und  ohne    starke   violette  Fluorescenz. 

dynamie.       Letale    Konzen-    Photodynamie.    Letale  Kon-    Sehr  deutliche  Photodynamie, 

tration:  1:80000.  zentration:  1:150000.  indes  schwächer  als  2-Oxy- 

xanthon.       Letale    Konzen- 
tration :  1 :  2000. 


1)  Nach  R.  Meyer,  Z.  f.  physik.  Ch.  24,  493,  über  einige  Beziehung  zwischen  Fluores- 
cenz und  ehem.  Konstitution  geordnet.    Sie  ist  nicht  vollständig,  da  der  Autor,  dessen  Güte 
wir  diese  Präparate  verdanken,  uns  nicht  mehr  alle  Glieder  zur  Verfügung  stellen  konnte. 
Deatflcbes  Archiv  f.  klin.  Medizin.  LXXX.  Bd.  31 


474 


XXVI.  Tappbinsb  n.  Jodlbausb 


KonzentratioQ 


1 
1 
1 
1 
1 


200 

400 

800 

1200 

1500 


Paramäcien. 

73.    Tetranitrofluorescein. 
Trüber  Tag. 

Hell 

t 

tot  nach  20  Min. 

w        V        ß  St, 

alles  lebend  nach  48  8t. 


Dunkel 
ebenso 

die  Hälfte  tot  nach  48  St. 
ebenso 


Konzentration 

1  :  60  000 
1:80000 
1  :  100000 


74.    Hydroohinonphtaleln. 
Heller  Tag. 

Hell 


tot  nach  25  Min. 

»       „      3  /^  St. 

lebend  nach  8  St. 


Dunkel 
ebenso 


75.   Phenolphtale'in. 
In  der  doppelten  Menge  Natriumkarbonat  gelöst. 


Konzentration 


1 

1 
1 
1 


30  000 
50  000 
80000 
100000 


Hell 

tot  nach  45  Min. 
1  St. 

8»/„  8t. 


?' 


n 
n 


Trüber  Tag. 
Dunkel 

ebenso 


n 

n 


Die  bedeutend  größere  Giftigkeit  des  Hydroehinon- 
phtale'ins  und  noch  mehr  des  Phenolphtalelns  gegenüber 
dem  Tetranitrofluorescein  und  den  meisten  anderen 
Fluoresce'inen  ist  bemerkenswert. 

76.    1 -Oxyxanthon. 

Vom  sehr  schwerlöslichen  Natronsalz  konnte  nur  eine  Lösung  von 
1  :  200  000  hergestellt  werden,  bie  zeigte  sich  ungiftig  im  Hellen  und 
Dunkeln. 


Konzentration 

1:2000 

•20000 

:  40  000 

:  60  000 

:  80  000 

:  100000 

1:150  000 


77.    2-Oxyxanihon. 
HeU 


tot  nach  V.  8t, 

;  4 
T«  W  ■*" 

3 

4 
7 


rt 


n 


n 


V 

n 


die  Hälfte   tot   nach    7  St., 

%  nach  24  St. 

alle  lebend  nach  24  St. 


Dunkel 


ebenso 

tot  nach  2  St 

alle  lebend  nach  84  SL 


über  die  Wirknog  der  photodyaamiscben  (fluoreecierenden)  Stoffe  etc.     475 


KonzentratioQ 


1 
1 
1 
1 


2000 
6000 
10000 
20000 


1:40000 


KoBzeutratioD 


1 
1 
1 
1 
1 


5K)00 

20000 

40000 

80000 

150000 


Konzentration 


1 
1 
1 
1 
1 
l 
1 


500 

1000 

2000 

3000 

5000 

7000 

9000 


Konzestratioii 


1 
1 
l 
1 
1 
1 


2000 

20  000 

80000 

100000 

150000 

200000 


78.    1,3-Diozyxanthon. 

Hell 

tot  nach  Vo  S^* 
15 
18 
24 


n 


n 

n 


Dunkel 
ebenso 


lebend  nach  24  St. 


79.    1^6-Dioxyxanthon. 
Hell  I 


♦7 


Dunkel 


tot  nach     ^/^  St. 


n 


1^/ 

^   /2 


16 
16 


n 


ebenso 
tot  nach  4  St. 

die  Hälfte   tot  nach  16  St. 
tot  nach  24  St. 


die  Hälfte  tot  nach  24  St.  i     alle  lebend  nach  24  St. 


80.    3,6 -Dioxyxanthon. 

Hell  I 

tot  nach     2  St. 
5 
6 
9 

17 

lebend  nach  24  St. 


n 


n 
n 
n 


n 
» 
n 


Dankel 

tot  nach     5  St. 
9 

lebend  nach  24  St. 

n 


81.    1,7-Dioxyxanthon. 

HeU 
tot  nach  ^/^   St. 


n 
n 


n 


/4 
1/ 

4 
15 
32 


n 


Dunkel 

ebenso 
tot  nach  ^'^  St. 
5 


n 


ebenso 


j> 


lebend  nach  24  St. 


J7 


Invertin. 


Dauer  der 

ExpO"    I 

sitioQ  in 

Stunden 

InkL  der  ' 

Nachtzeit  i 


Drehung 


heU 


dunkel 


Bemerkung 


Ohne  Zusatz 
Tetranitrofluoresceio  Na  0,05  <>/o 

Ohne  Znsatz 
Tetranitrofluorescein  Na  0,05 '/o 


8 
22 

8 
22 
33 
83 


+  V 10''+  1«  10' 


—  o«>icy 

+  V 15 
--0<»02 


—  0^  10' 

+ 1*  15' 

—  0<>0:^ 


I 

;) 


Nach  Anordnung  I. 


--  l«32'|-f  P32'  \Nach  Anordnung  H. 
--  lö50'l+  l«40'l/0hne  Toluolaisatz. 

31* 


476  XXVI.  Tappeineb  u.  Jodlbaueb 

o. 

Bei  ein  und  derselben  Substanz  nimmt  die  photo- 
dynamische Wirkung  zu  resp.  ab,  im  selben  Sinne  wie 
die  Fluorescenz,  wenigstens  nach  den  bisherigen  Erfahrungen; 
so  nimmt  die  Fluorescenz  der  /J-Naphtoltrisulfosäure  auf 
Zusatz  von  etwas  Soda  erheblich  zu,  ebenso  die  photodjua- 
mische  Wirkung  (Beleg  Nr.  42).  Umgekehrt  wirkt  Kochsalz 
oder  Natriumacetat  bei  Chininsulfat  und  Bisulfat.^) 
Die  Flnrescenz  geht  hierdurch  bekanntlich  sehr  stark  zurück  und 
auch  die  photodynamische  Wirkung  nimmt  ab.  Die  Unterschiede 
sind  allerdings  nicht  sehr  bedeutend,  weil  die  Lichtwirkung  der 
Chininsalze  überhaupt  eine  schwache  ist.  Beleg  Nr.  50.  Weitere 
Untersuchungen  in  dieser  Richtung  sind  in  Aussicht  genommen. 

6. 

Chemische  Zersetzung  der  photodynamischenSub- 
stanz.    Erhöhung  ihrer  Giftigkeit.     Sensibilisierung. 

Nach  dem  Vorausgegangenen  muß  die  photodynamische  Wirkung 
mit  einer  eigenartigen  Umsetzung  eines  Teiles  der  absorbierten 
strahlenden  Energie,  die  nicht  wieder  als  Fluorescenzlicht  znm 
Vorschein  kommt,  im  Zusammenhange  stehen. 

Eine  nähere  Erklärung  der  Erscheinung  aber  ist  vorerst  nicht 
zu  geben,  um  so  mehr,  als  auch  die  physikalische  Seite  der  Fluores- 
cenzerscheinung  theoretisch  noch  ganz  unvollkommen  analysiert  ist^ 
Man  kann  derzeit  nur  einige  Richtungen  bezeichnen,  nach  denen 
sie  nicht  gemacht  werden  darf. 

1.  Das  nächst  liegendste  ist  die  Annahme,  daß  ein  Teil  dieser 
Energie  zu  einer  chemischen  Zersetzung  der  photodynamischen 
Substanz  geführt  habe  und  auf  diese  die  im  Lichte  erhöhte,  resp. 
überhaupt  erst  auftretende  Wirkung  auf  Zellen,  Enzyme  und  Toxine 
zurückzuführen  sei.  Nun  sind  in  der  Tat  nicht  wenige  der  ver- 
wendeten Farbstoffe  lichtunächt,  d.  h.  sie  bleichen  ab,  offenbar  in- 
folge chemischer  Umwandlung.  Diese  Lichtempfindlichkeit  ist  indes 
doch  bei  den  meisten  nicht  so  groß,  daß  sie  bei  der  verwendeten 
schwachen  Lichtquelle  (zerstreutes  Tageslicht)  während  der  Dauer 
der  Versuche  in  Betracht  käme.  Andererseits  zeigen  auch  viele 
Körper  Photodynamie,  welche  keine  Farbstoffe  sind  und  von  denen 
eine  Zersetzung  im  Lichte  nicht  bekannt  ist.  überhaupt  wäre  es 
doch   sehr   merkwürdig,    daß    bei   allen   diesen   photodynamischen 


1)  £.  Buckingham,  Zeitschr.  f.  physikal.  Chem.  14,  129. 


über  die  Wirkung  der  photodynamischen  (fluorescierenden)  Stoflfe  etc.     477 

Substanzen  der  verschiedensten  chemischen  Konstitution  so  leicht 
chemische  Umwandlung  durch  Lichtwirkung  einträte  und  daß  dann 
gerade  immer  Zellen,  Enzyme  und  Toxine  schädigende  Zersetzungs- 
produkte auftreten  sollten.  Der  z.  T.  schon  in  der  ersten  Mit- 
teilung (1900)  angeführte  stringente  Beweis,  daß  derartige  chemische 
Vorgänge  bei  der  photodynamischen  Wirkung  nicht  im  Spiele  sind, 
ist  der  folgende:  Lösungen  vom  Fluorescein,  Eosin,  Erythrosin, 
Acridin,  Phosphin,  Chinolinrot,  Dichloranthracendisulfosäure  etc. 
längere  Zeit  dem  Lichte  ausgesetzt  und  einige  Zeit  nachher  erst 
im  Dunkeln  mit  Paramäcien  oder  Enzymen  zusammengebracht,  ver- 
halten sich  nicht  anders  als  im  Dunkeln  bereitete. 

Wenn  daraus  der  Schluß  gezogen  wird,  daß  die  photodyna- 
raische  Wirkung  nicht  auf  einer  chemischen  Zersetzung  der  photo- 
dynamischen Substanz  durch  das  Licht  beruhen  könne,  so  ist  da- 
durch natürlich  nicht  ausgeschlossen,  daß  Veränderungen  ganz 
anderer  Art,  die  im  Dunkeln  alsbald  wieder  rückgängig  werden, 
bzw.  verschwinden,  vielleicht  eine  Rolle  spielen. 

Eine  Erklärung  der  photodynamischen  Wirkung  von  fluorescierenden 
Körpern  durch  ihre  chemische  Umwandlung  in  giftige  Substanzen,  glaubte 
Ledoux-Lebard')  aus  den  Ergebnissen  zweier  hübsch  erdachten  Ver- 
suchsreihen, die  er  mit  Eosin  an  Paramäcien  anstellte,  entnehmen  zu 
dürfen.  In  der  ersten  setzte  er  im  Dunkelzimmer  Paramäcien  einerseits 
einer  vorher  längere  Zeit  hindurch  belichteten,  andererseits  einer  nicht 
belichteten  Eosini ösung  zu  und  beobachtete,  daß  in  der  vorher  belich- 
teten Eosinlösung  die  Tiere  früher  zugrunde  gingen,  als  in  der  nicht 
belichteten. 

Als  wir  die  Ledoux- Lebard 'sehen  Versuche  in  sehr  großem 
Umfange  nachmachten,  indem  wir  im  Dunkeln  frisch  bereitete  Lösungen 
zur  Hälfte  dem  Lichte  (Sonne)  aussetzten,  zur  anderen  Hälfte  im  Dunkeln 
beließen  und  dann  nach  Verlauf  einiger  Stunden  im  Dankelzimmer  beiden 
Lösungen,  nachdem  sie  auf  gleiche  Temperatur  gebracht  waren,  Para- 
mäcien zusetzten,  sahen  wir,  daß  den  Untersuchungen  von  Ledoux- 
Lebard,  was  die  Fluoresce'ingruppe  anlangt,  eine  gewisse  Dichtigkeit 
nicht  abzusprechen  ist.  Allerdings  sind  die  Unterschiede  viel  weniger 
scharf,  als  sieLedoux-Lebard  angibt,  und  sehr  oft  mit  Zahlen  kaum 
ansdrückbar.  Am  deutlichsten  erscheinen  sie  gleich  beim  Zusatz  der 
Paramäcien,  indem  die  Tiere  in  den  vorher  belichteten  Lösungen  nach 
kurzer  Zeit  Boll Bewegungen  zeigen,  die  aber  später  wiederum  ver- 
schwinden, so  daß  dann  kein  wahrnehmbarer  Unterschied  zwischen  den 
beiden  Präparaten  besteht.  Diese  anfangliche  Schädigung  der  Tiere 
bringt  es  aber  mit  sich,  daß  schließlich  der  Tod  der  Tiere  in  der  vorher 
belichteten  Lösung   früher  eintritt,  als  der  in  der  nicht  belichteten.     So 


1)  Annal.  de  l'Institnt  Pasteur  1902  Bd.  16  p.  387,  Action  de  la  lumiöre  snr 
la  toxicit^  de  Teosine. 


478  XXVI.  Tappeinxr  v.  Joi>lbauxb 

Bind  in  UbnchlUcheD,  di«  mit  je  2  ccm  £osmlösiuig  Ton  der  KoDBen- 
tration  1  :  500,  die  teils  vorher  belichtet  war  (a-Schiüchen),  teils  nicht 
belichtet  war  (b-Schälchen),  und  0.2  ccm  Faramäcienkultar  beschickt 
waren,  die  Tiere  in  a  nach  24  Stunden  alle  tot,  die  Tiere  in  b  nur  zur 
Hälfte.  Die  Erscheinung  fehlt  dagegen  gänzlich  bei  Chinolinrot,  Dichlo- 
raathracendisulfbsäure,  Ohininam  sulfuricum  und  Phenosafraninchlorid. 

Wird  die  belichtete  Eosinlösung  einige  Stunden  im  Dunkeln  stehen 
gelassen  und  erst  dann  der  Znsatz  von  Paramäcien  gemacht,  so  tritt  sie 
ebenfaUa  nicht  mehr  auf.  Ebenso  verschwindet  sie  bei  der  Abdampfong 
der  belichteten  Lösung  und  Wiederauflösung  mit  Wasser,  wie  Ledoux- 
Lebard  gezeigt  hat. 

Es  sei  bei  Anstellung  derartiger  Paramäcien  versuche  nochmals  be- 
sonders darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  die  belichteten  Lösungen  vor 
dem  Zusätze  der  Tiere  genau  auf  die  gleiche  Temperatur  der  nicht  be- 
lichteten zu  bringen  sind,  zumal  da  bei  der  Belichtung  Eosinlösungen 
sich  höher  temperieren  als  Wasser:  Eosinlösung  1  :  1000  zeigte  im 
Sonnenlichte  (Januarsonne)  nach  3  Stunden  eine  Temperatur  von  26,4^0. 
die  entsprechend  gestellte  Wassermenge  eine  solche  von  24,2^  C. 

Wird  diese  Maßnahme  nicht  eingehalten,  so  ist  die  intensivere 
Wirkung  der  belichteten  Lösung  z.  T.  auf  die  höhere  Temperatur  zoräck- 
zuführen  und  dieser  Umstand  könnte  die  Ursache  sein  für  die  größere 
Differenz  in  der  Wirkung  belichteter  und  nicht  belichteter  Lösungen  bei 
Ledoux-Lebard. 

In  der  zweiten  Versuchsreihe  setzte  Ledoux-Lebard  im  Dunkel- 
zimmer vorher  belichteten  Lösungen  derselben  Konzentration  eine  ver- 
schieden großd  Anzahl  von  Paramäcien  zu  und  beobachtete,  daß  die 
Paramäcien  in  den  Schälchen,  in  denen  viele  dieser  Tierchen  enthalten 
waren,  länger  am  Leben  blieben,  als  in  denen,  die  wenig  enthielten. 

Auch  diese  Angabe  konnten  wir  im  wesentlichen  bestätigen: 

8  Uhrschälchen  werden  mit  je  2  ccm  einer  Eosinlösung  1 :  500  be- 
schickt. Dann  je  zweien  0,1  ccm  Paramäcienkultur  -f"  ^>^  ^^^™  Brunnen- 
wasser (Gläschen  1  a  und  1  b),  je  zweien  0,3  ccm  Paramäcienkaltur 
-|- 0,7  ccm  Brunnenwasser  (Gläschen  2  a  und  2  b),  je  zweien  0,5  ccm 
Paramäcienkultur  -["  ^f^  ^^™  Brannenwasser  (Gläschen  3  a  und  3  b), 
endlich  je  zweien  0,8  ccm  Paramäcienkultur  -\-  0,2  ccm  Brunnenwasser 
(Gläschen  4  a  und  4  b)  zugegeben.  Die  a-Gläschen  werden  in  zerstreutes 
Tageslicht,  die  b-Gläschen  ins  Dunkle  gestellt. 


Schälchen  '  a 


1 
2 
3 


nach  Vj^  St. 
1^ 


Vjo  +  nacli  24  St. 

^/      4-  24 


/20 


V. 


t% 


24   „ 
24    , 


Ledoux-Lebard  schloß  daraus,  daß  sich  im  ersteren  Fall  das 
gebildete  Gift  auf  viele  Tiere  verteilt  und  dadurch  auf  das  Einsei* 
iudividuum  nicht  die  tödliche  Giftmenge  getroffen  habe,  während  im 
letzteren  Falle  das  nur  auf  wenig  Individuen  verteilte  Gift  för  den  Tod 


über  die  Wirkung  der  photodynamischea  (fluorescierenden)  Stoffe  etc.    479 

der  Tiere  avareichte.  Gregen  diese  Annahme  von  Ledoax*Lebard 
€prioht  schon  der  Umstand,  daß  das  gleiche  auch  im  Hellen  auftritt , 
daB  also  auch  im  Hellen  in  den  Lösungen,  die  viele  Paramäcien  ent- 
halten, die  Tiere  langer  leben  als  in  denen,  die  wenige  enthalten.  Dies 
lieBe  sich  aber  nicht  erklären  mit  den  Anschauungen  Ledoux-Lebard's, 
woDach  eich  immer  neue  Oiftmengen  in  den  Lösungen  wahrend  der  Be- 
iicbtung  bilden  nach  dem  AafEehren  des  Giftes  durch  die  Tiere.  Der 
obige  Versuch  findet  seine  Erklärung  vielmehr  darin,  daß  die  Tiere  nicht 
alle  zu  gleicher  Zeit  sterben,  sondern  daß  die  schwächeren  Tiere  rascher 
zugrunde  gehen.  Nun  nehmen  die  lebenden  Tiere  nur  sehr  wenig  Eosin 
in  ihr  Inneres  auf;  im  Momente  des  Absterbens  aber  färben  sie  sich 
sehr  intensiv,  wodurch  die  Konaentration  der  Lösung  natürlich  etwas 
abnimmt.  Diese  Konzentrationsabminderung  aber  ist  genügend,  die 
widerstandsfähigereQ  Tiere  länger  am  Leben  zu  erhalten  als  in  der  an- 
fänglich konzentrierten  Lösung.  Diese  Anhäufung  des  Farbstoffes  in  den 
Paramäcien  beim  Absterben  ist  mikroskopisch  leicht  zu  sehen. 

Endlich  spricht  gegen  die  Auffassung  von  Ledoux-Lebard  der 
negative  Ausfall  dee  von  uns  unternommenen  Versuches,  eine  belichtete 
Eosinlösung  im  Dunkeln  durch  Paramäcienzusatz  zu  entgiften:  S  Uhr- 
schälchen,  von  denen  jedes  mit  2  ccm  einer  Eosinlösung  1  :  1000  be- 
schickt wurde  und  außerdem  das  eine  mit  0^2  ccm  Paramäcienkultur, 
das  andere  mit  0,2  ccm  Brunnenwasser,  standen  so  lange  dem  Lichte 
ausgesetzt,  bis  die  Paramäcien  in  dem  einen  Schälchen  tot  waren.  Dann 
wurden  beide  Lösungen  ins  Dunkle  gebiacht,  centrifugiert  und  von  jeder 
Lösung  1  ocm  abgehoben  und  mit  0,1  ccm  Paramäcienkultur  versetzt. 
Nach  der  Auffassung  Ledoux-Lebard's  müßte  in  der  Lösung,  die 
anfänglich  schon  die  Paramäcien  enthielt,  weniger  Qift  vorhanden  sein, 
da  die  Paramäcien  das  Qift  aufgezehrt  hätten.  Der  Versuch  fiel  aber 
so  aus,  daß  die  Tiere  im  Dunkeln  in  den  beiden  Lösungen  zu  gleicher 
Zeit  augrunde  gingen. 

Alles  zusammen  ist  die  Ledoux-Lebard'sche  Ansicht  vom 
Entstehen  eines  Oiftes  durch  chemische  Umwandlung  des  fluorescierenden 
Stoffes  nicht  haltbar. 

Dessen  ungeachtet  aber  ist  es  möglich,  daß  in  seinen  Versuchen 
die  ersten  Ansätze  zu  einer  Erklärung  der  photodyna- 
mischen  Wirkung  auf  ohemi  sehen  Wege  enthalten  sind, 
bei  welcher  der  Sauerstoff  eine  wichtige  Rolle  zu  spielen 
scheint.  Er  sagt  hierüber  „Le  contact  de  la  Solution  avec  Tair  pur 
une  large  surface  favorise  Tapparition  du  pouvoir  toxique.  Celuici  est 
faible  lorsque  la  Solution  est  contenue  dans  un  tube  ferm^,  effil6  et 
rempli  de  liquide  jusque  dans  Peffilure.  Le  vide  incomplet  obtenu  ä 
Taide  de  la  trompe  diminue  dgalement  la  production  de  substance  toxique, 
sous  Tinfluence  de  la  lumidre." 

Ledoux« Lebard  scheint  dabei  nur  an  die  Bildung  eines  toxischen 
Ümwandlungsproduktes  der  photodynamischen  Substanz  durch  Oxydation 
zu  denken.  Da  diese  nun  nach  unseren  Erfahrungen  wenig  wahrschein- 
lich ist,  muß  an  eine  Beteiligung  des  Sauerstoffes  in  ganz  anderer  Weise 
gedacht  werden,  deren  experimentelle  Prüfung  den  Inhalt  einer  folgenden 
Mitteilung  bilden  soll. 


480  XXVI.  Tappeinbr  u.  Jodlbauer 

2.  Solange  die  photodjmainische  Erscheinnng  nur  für  Para- 
maecien  und  nur  für  wenige  fluorescierende  Substanzen  bekannt 
war,  konnte  man  weiter  an  die  Möglichkeit  denken,  daß  ein  Teil 
der  absorbierten  Energie  zur  Erhöhung  der  Giftigkeit  der  photo- 
dynamischen Substanz  als  solcher  verwendet  werde.  Nachdem  aber 
erkannt  wurde,  daß  diese  Erscheinung  auch  auf  Enzyme  und  Toxine 
in  offenbar  ursächlich  ganz  analoger  Weise  sich  erstreckt,  ist  dieser 
Erklärungsmöglichkeit  keine  Bedeutung  mehr  beizulegen,  denn  der 
Versuch  einer  Erklärung  muß  umfassender  Natur  sein,  d.  1l  auch 
auf  diese  letzteren  Wirkungen  sich  ei*strecken,  und  auf  diese  ist 
die  Annahme  einer  Erhöhung  der  Giftigkeit  im  toxikologischen 
Sinne  doch  wohl  nicht  anwendbar.  Überdies  haben  sich  im  Fort- 
gang der  Untersuchungen  mehrere  Tatsachen  ergeben,  welche  mit 
Entschiedenheit  dafür  sprechen,  daß  diese  Erklärung  auch  nur  auf 
Paramäcien  resp.  Zellen  angewendet  nicht  zulässig  ist.  Dieselben 
sind  folgende: 

a)  Das  lebhaft  fluorescierende  Aesculin  ist  selbst  in  Konzentrationen 
von  1  :  500  für  Paramäcien  im  Dunkeln  yöllig  ungriftig  und  zeigte  in 
0.  Kaab's  Versuchen  auch  im  durch  Kupfersulfat  gesiebten  Sonnen- 
lichte keine  photodynamische  Wirkung.  Daraus  wurde  der  Schluß  ge« 
zogen,  daß  ein  fluorescierender  Körper  nur  dann  eine  Lichtwirkung  be- 
sitze, wenn  er  auch  im  Dunkeln  giftig  sei. 

•  Bei  Wiederholung  dieser  Versuche  durch  uns  ergab  sich,  daß  die 
Beobachtungen  0.  Baab's  nicht  absolut  zutre£fend  sind,  indem  der 
Körper  eine  Spur  von  photodynamischer  Wirkung  erkennen  läßt,  immer- 
oin  eine  auffallend  geringe  (Beleg  Nr.  54).  Ganz  analog  verhält  sich 
das  sehr  schön  fluorescierende  Natronsalz  der  Fluorin dindisulfo« 
säure.  Es  ist  selbst  in  Konzentration  von  0,5  ^q  auf  Paramäcien  im 
Dunkeln  ohne  Wirkung  und  zeigt  auch  keine  deutlich  bemerkbare  im 
Lichte,  wenigstens  nicht  im  zerstreuten  Tageslichte  (Beleg  Nr.  32).  Die 
Lösung  ist  nun  durch  intensive  blaue  Farbe  ausgezeichnet.  Trotzdem 
ist  in  den  Paramäcien,  wenn  sie  aus  der  Lösung  durch  Abcentrifugieren 
isoliert  und  mehrmals  mit  physiologischer  Kochsalzlösung  gewaschen 
wurden,  so  daß  die  sie  umgebende  Flüssigkeit  farblos  ist,  keine  Spar 
von  Blaufärbung  zu  erkennen.  Der  Farbstoff  dringt  also  nicht  in  die 
Paramäcien  ein,  so  daß  vielleicht  allein  schon  durch  diesen  Umstand  die 
Unwirksamkeit  des  Körpers  bedingt  sein  kann.  Möglicherweise  verhält 
es  sich  so  auch  beim  Aesculin,  über  dessen  osmotisches  Verhalten  zu 
Zellen  sich  wegen  der  Farbloeigkeit  seiner  Lösung  direkt  nichts  aussagen 
läßt.  Wahrscheinlicher  aber  ist  es,  daß  die  Unwirksamkeit  der  Fluor- 
indindisulfosäure  und  des  Aesculins  einen  allgemeineren  Omnd  hat.  Denn 
diese  Körper  wirken,  nach  den  bisher  angestellten  Untersuchungen,  auch 
nicht  auf  Enzyme  und  Toxine.  Hier  kann  das  Nichteindringen  wohl 
kaum  eine  Kolle  spielen.     Der  Grund  dürfte  daher  optischer  Natur  sein. 


über  die  Wirknng  der  photodynamischen  (flnoresciereuden)  Stoffe  etc.     481 


Vielleicht   gibt   eine  Untersuchung   über   das  Verhältnis   von  Absorption 
zum  Fluorescenz vermögen  Aufschluß. 

b)  Man  könnte  erwarten,  daß,  wenn  das  fluoresclerende  Aesculin 
deshalb  nicht  wirkt,  weil  es  auch  im  Dunkeln  so  gut  wie  ungiftig  ist, 
daß  es  dann  doch  wenigstens  imstande  sei,  die  Wirkung  einer  nicht 
photodynamischen,  d.  h.  im  Dankein  und  Hellen  gleich  giftigen  Substanz 
bei  Zutritt  des  Lichtes  zu  erhöhen.  Der  mit  Morphin  und  Strychnin 
unter  Zusatz  von  Aesculin  an  Paramäcien  unternommene  Versuch  hat 
diese  Erwartang  nicht  bestätigt.  Die  Kesultate  waren  im  Hellen  und 
Dunkeln  vollkommen  gleich. 

Morphinchlorid  -|-  0,2  ®/^  Aesculin. 


Konzentration 
des  Morphins 

Hell 

Dunkel 

1:100 

die  Hälfte   tot  nach  2  St., 
alle  nach  24  St. 

ebenso 

1:200 

die  Hälfte  tot  nach  24  St. 

» 

1:300 

alle  lebend  nach  24  St. 

» 

1:400 

» 

n 

1:500 

» 

n 

Konzentration 
des  Strycfanins 

Sti7chninnitrat  +  0,2  X 
Hell 

Aesculin. 

Dunkel 

1  :  4000 

alles  tot  nach  1^^  St. 

ebenso 

.     1 : 6000 

die   Hälfte   tot   nach  5  St., 

alle  tot  nach  5Vo  St. 

alle  nach  12  St. 

1  : 8000 

alles  noch  lebend,  aufgequollen 

u.  nur  mehr  rollend  n.  12  St., 

vollkommen  tot  n.  24  St. 

ebenso 

1:10000 

alle  tot  nach  24  St. 

n 

1  :  20  000 

1 

» 

c)  Wenn  die  photodynamische  Wirkung  in  einer  Steigerung  der 
Giftigkeit  bestände,  möchte  man  femer  wohl  auch  erwarten,  daß  diese 
Steigerung  bei  allen  Substanzen  eine  annähernd  gleichmäßige  sei.  In 
Wirklichkeit  finden  sich  aber  die  größten  Verschiedenheiten.  Bald  ist 
die  Wirksamkeit  im  Hellen  gegenüber  dem  Dunkeln  um  das  Doppelte, 
bald  um  das  100-,  ja  1000  fache  gesteigert. 

d)  In  dem  schön  violettblau  fluorescierenden  Natronsalz  der  Dichlor- 
anthracendisulfosäure  wurde  eine  Substanz  gefunden,  welche  für 
Paramäcien  im  Dunkeln  ganz  ungiftig  ist,  im  Lichte  aber  sehr  stark  photo- 
dynamisch wirkt.  Im  Dunkeln  nämlich  leben  Paramäcien  unverändert 
48  Stunden  lang  in  Konzentrationen  von  1  :  75,  also  in  Lösungen  von 
1,33  ®/y.  Der  Körper  wirkt  also  nicht  einmal  so  stark,  wie  eine  an- 
organische Salzlösung.  Paramäcien  ertragen  von  Kochsalz  eine  Lösung 
von  0,30  7o  ini  Dunkeln  und  von  0,29  %  im  Hellen,  d.  h.  sie  leben  in 
dieser  Lösung  über  24  Stunden.  Für  Natriumkarbonat,  wasserfrei  be- 
rechnet, sind  die  entsprechenden  Zahlen  0,15  ^'^  und  0,14  7^.    Die  Zahlen 


482  XXVI.  Tapfbikba  u.  Jodlbaues 

sind  im  Hellen  etwas  kleiaer  als  im  Dankeln,  trotsdem  sie  im  en(tereii 
Falle  unter  Eisenoxydul vorläge  gewonnen  wurden,  so  daß  es  den  Anscfaein 
gewinnt,  als  ob  hier  eine  Andeutung  von  Photodynamie  vorläge.  Der 
Unterschied  erklärt  rieh  aber  in  genügender  Weise  dadurch,  daß  in  diesen 
eben  noch  für  gewisse  Zeit  ertragbaren  Salzwirkungen  sich  im  Hellen 
eine  weitere  Schädlichkeit,  nämlich  der  Einfluß  der  „strahlenden  Wänie" 
hin£ugesellt,  welche  nur  bezüglich  des  infraroten  Teiles  durch  die  ge- 
wählte Vorlage  ausgeschaltet  wurde.  Trotzdem  nun  also  das  dicfaior- 
anthracendisulfosaure  Natron  nicht  einmal  die  gewöhnliche  Salzwirkang 
zeigt,  wirkt  es  im  Hellen  noch  in  ungemein  großer  Verdünnung.  Eine 
solche  von  1  :  1000000  z.  B.  tötet  noch  nach  24  Stunden  (Beleg  Nr.  18), 
womit  dargetan  ist,  daß  ein  Körper  im  Dunkeln  nicht  giftig  zu  sein 
braucht,  um  im  Hellen  starke  photodynamische  Wirkung  zu  besitzen. 

3.  Beruht  die  photodynamisclie  Wirkung  auf  Sen- 
sibilisierung? Die  gewöhnlichen  photographischen  Bromsilber- 
gelatineplatten sind  bekanntlich  nur  für  die  starker  brechbaren 
Strahlen  des  Spektrums  (Blau,  Violett,  und  ultraviolett)  empfindlich. 
Erst  bei  sehr  langer  Belichtung  kommen  auch  die  links  von  der 
Frauenhofer'schen  Linie  F  befindlichen  gelbgrünen,  gelben  und 
roten  Strahlen  zur  Wirkung.  Nach  den  mit  Prismenspektogi-aph 
angestellten  Messungen  von  Hans  Lehmann  wird  bei  SKirstreutem 
Tageslicht  die  volle  Wirkung  bei  Expositionsdauer  von  10  Sekunden 
erreicht  von  ultraviolett  bis  F;  bei  Exposition  von  10  Minuten 
reichte  die  Schwärzung  bis  zur  Linie  D;  bei  20  Minuten  bis 
zur  Linie  C.  H.  W.  VogeP)  machte  nun  1873  die  Entdeckung, 
daß  bei  Gegenwart  gewisser  Farbstoffe  Bromsilber  auch  für  die 
weniger  brechbaren  Strahlen  empfindlich  ist  und  zwar  für  das- 
jenige Licht,  welches  der  zugefugte  Farbstoff  absorbiert  Er 
bezeichnete  diese  auch  heute  noch  nicht  völlig  aufgeklärte  Er- 
scheinung als  Sensibilisierung  und  nannte  die  hierfür  tauglichen 
Stoffe  Sensibilisatoren,  Seitdem  spielen  dieselben  in  der  Photo- 
graphie (Herstellung  von  orthochromatischen  und  pancfaromatischen 
Platten)  eine  wichtige  Rolle. 

Auf  die  Möglichkeit  eines  Zusammenhanges  zwischen  dieser 
optischen  Sensibilisierung  und  der  photodynamischen  Wirkung 
wurde  bereits  in  der  ersten  Mitteilung  (Münchener  med.  Wochen- 
schrift 1900  Nr.  1)  in  bestimmter  Weise  hingewiesen.  Nach  Be- 
sprechung der  biologischen  Bedeutung  der  neuen  Lichtwirknng 
wird  mit  folgendem  Satze  geschlossen:  „Umgekehrt  können  sich 
vielleicht  durch  Einverleibung  resp.  Auftragung  von  gewissen 
fluorescierenden  Stoften  bei  Einwirkung  des  Lichtes  auch  thera- 


1)  Photographische  Mitteilungen  9,  S.  236. 


über  die  Wirkung  der  pbotodjaamischen  (fluorescierenden)  Stoffe  etc.    483 

peutisch  verwendbare  Wirkaog^n  einstellen,  so  daß  dann  solche 
Stoffe  z.  B.  in  der  Dermatologie  eine  ähnliche  Wirkung  finden 
worden,  wie  es  in  der  Photographie  empirisch  schon  seit  ca. 
10  Jahi-en  mit  dem  Eosin  und  anderen  fluorescierenden  Farbstoffen 
als  „Sensibilisatoren"  der  Fall  ist.**^) 

Die  Frage,  ob  die  photodynamische  Wirkung  der  fluoreszieren- 
den Substanzen  und  die  Sensibilisierung  identische  Vorgänge  sind, 
kann  an  den  älteren  Sensibilisatoren  nicht  entschieden  werden, 
weil  diese  eben  sämtlich  fluorescieren.  Verschiedene  neuere,  dar- 
unter die  derzeit  besten,  besitzen  glücklicherweise  diese  Eigen- 
schaft nicht  oder  genauer  gesagt,  die  Fluorescenz  ist,  wenn  vor- 
handen, so  minimal,  daß  sie  sich  mit  Linse  im  Sonnenlicht  nicht 
erkennen  läßt. 

Die  mit  diesen  Sensibilisatoren  an  Paramäcien  und  Enzymen 
(Invertin)  vorgenommene  Untersuchung  mußte  daher  die  Frage  zur 
Entscheidung  bringen. 

Versuche  an  Paramäcien. 

Methylviolett,    Fuchsin. 

Sie  haben  keine  erkennbare  photodynamische  Wirkung,  Beleg  Nr.  64 
bia  67. 

82.    Alizarinbiau  S. 
Dioxyanthrachinonchinolin-Natriambisulfit. 

Die  braunen  Lösungen  werden  nach  dem  Zusatz  der  Paramäcien 
infolge  der  alkalischen  Reaktionen  derselben  blau. 

Trüber  Tag. 


Konzentration 

Hell 

Dunkel 

1:10000 

tot  nach  10  Min. 

ebenso 

1 :  20  000 

die  Hälfte  tot  nach  8  St. 

r 

1:30000 

's      fi          r        "      n 

w 

1)  Die  wörtliche  Citiemng  dieses  Satzes  ist  notwendig,  weil  von  G.  Dreyer 
1903  in  der  Dermatologischen  Zeitschrift  Bd.  10,  S.  578  eine  Mitteilung  erschien 
unter  dem  Titel :  Lichtbehandlung  nach  Sensibilisierung,  in  welcher  den  zeitlich 
mehrere  Jahre  vorausgegangenen  Arbeiten  des  Münchener  pharmakologischen 
Institutes  über  dieses  Gebiet  keine  Erwähnung  getan  wird,  so  daß  es  dadurch 
den  Anschein  gewinnt,  als  ob  die  Mitteilung  G.  Dreyer's  neu  and  originen 
wäre.  Da  dieser  Versuch,  die  Entdeckung  anderer  sich  selbst  zuzuweisen,  von 
A .  N e i ß e r  und  L.  Halberstädter  (Breslau),  Deutsche  med.  Wochenschr.  1904 
Nr.  8,  Münchener  med.  Wochenschr.  Nr.  14,  eine  Unterstützung  erfahr,  mußte 
zur  Wahrung  der  Priorität  dagegen  eingeschritten  werden  und  wurde  in  den- 
selben Wochenschriften  S.  579  i-esp.  714  auseinandergesetzt,  daß  die  Arbeit 
G.  Dreyer's  weder  bezüglich  der  aufgefundenen  Tatsachen  noch  bezüglich 
der  Erklärung  Neues  von  gmndlegender  Bedeutung  enthalte. 


484 


XXVI.  Tappeiner  q.  Jodlbaüeb 


83 — 85.  Diazosch warZy  Glycinrot,  Nigrosin. 

Trüber  Tag. 

In  LöBUDgen  1  :  1000  waren  die  Paramäcien  im  Hellen  und  Drin- 
keln  lebend  nach  24  St.,  ein  Eindringen  des  Farbstoffes  war  nicht  zu 
konstatieren. 

86.    Äthylrot  (Miethe). 
1.  Versuch.     Trüber  Tag. 


Konzentration 

Hell 

Dunkel 

1 : 6000 

sofort  tot 

ebenso 

1 :  30  000 

tot  nach  5  Min. 

n 

1 :  60  000 

rot  gefärbt, 

,  rollend 

n. 

1  St. 

n 

tot  nach  2  St. 

1:100000 

n 

„     3 

n 

r 

1:180000 

alle  lebend  nach 

24 

St. 

n 

2. 

Versuch. 

Heller 

Tag. 

Konzentration 

Hell 

Dunkel 

1:100  000 

tot  nach     1 

St. 

tot  nach  1*/^ 

St 

1:150000 

n 

.  IV, 

» 

ft 

„.    2 

V 

1 :  200  000 

« 

n     l'a 

» 

r 

«      IV, 

n 

1 :  250  000 

r 

«    4 

w 

8 
4 

Y) 

n        4 

n 

1  :  300  000 

4 

5     ^ 

-    5 

n 

% 

V 

n        5 

fr 

alle  „ 

n     6 

n 

fast  alle 

n       6 

w 

1 :  350  000 

/»   » 

,    5 

n 

\ 

n 

«      6 

» 

alle  „ 

.    6 

V 

alle 

n 

„      7 

y. 

1 :  400  000 

lebend 

„    24 

» 

die  Hälfte 

tot  nach 

24  St 

tot 

„    36 

» 

alle 

»        » 

32   , 

1 :  600  000 

« 

1/ 

8 

aUe 

1»               V 

n           1» 

24   , 
32   , 

1  :  800  000 

alle  lebend  nach 

48 

St. 

alle  lebend     „ 

48   „ 

In  vert  in  versuche. 

Anordnung  I. 


I  Dauer  der  i 
Exposition       Hell 
lin  Stunden 


Dunkel 


Bemerkungen 


Ohne  Znsatz 
Diazoschwarz  0,01% 
Nicrosin  0,01  % 
Äthylrot  0,02% 
Ohne  Zusatz 
Krystallviolett  0,05% 

0,002% 


8 
22 

8 
22 

8 
22 

8 
22 

6 
22 

8 
22 

8 
22 


:+ 1«  25' 

'—  0«  08' 
!+ 10  25' 

—  O^O' 
!+  P  12' 

—  0°  08' 
'+  20  10' 
+  00  50' 
1+00  30' 

—  00  29' 
+  20  28' 
+  20  25' 
+ 10  25' 

—  00  05' 


+  10  25' 

—  00  08' 
+  10  20'! 
!—  00  02' 
+ 10  10' 

—  00  08' 

--20  10' Hemmt  im  Hellen  wie  im 
--00  50'.  Dunkeln. 

00  33'| 

00  30'! 

20  28'  Hemmt  in  dieser  Konzen- 

—  -  20  25'     tration  im  Hellen  und 


+ 10  25' 

—  00  06'; 


Dunkeln. 


über  die  Wirkung  der  photodynamischsn  (fluorescierenden)  Stoffe  etc.     485 


Anordnung  II. 


I  Dauer  der  ,  | 

I  Exposition  i   Hell      Dunkel 

I  in  Stunden!  ' 


Bemerkungen 


Ohne  Zusatz 
Alizarinblau  S  bisulfit. 

0,00ö% 
Diazoschwarz  0,005% 


Glycinrot  0.005% 
Nigrosin  0,005% 
Ohne  Zusatz 
Äthylrot  0,005% 

Ohne  Zusatz 

Äthylrot  0,0050,0 


33 
33 

33 


33 
33 
57 
57 

9 
33 

9 
33 


+  0«  53'  +  0»  45' 
—  a>  lOV— 00  12' 


Ohne  Toluol. 


+  00  10' 
--00  10' 
--10  15' 
--l'»40' 


n 


+  0»  45'  +  00  25' lohne  Toluol.   Zur  Klärung 
I  bei  der  Polarisation  ziem- 

lich yiel  Kohle  nOtig. 
+  00  10' 

00 
+  10  10', 

+  1"  20' 'Hemmt  im  Hellen  wie  im 
I  Dunkeln. 

+ 10  0'   + 10  02'  Ohne  Toluol. 

+  00  45' +0^45', 
4- 1^30'!+ 00  58' 
+  P  42'+ 10  23' 


Das  Ergebnis  dieser  Versuche  ist  folgendes:  Auf  Paramäcien 
hatten  Methylviolett,  Fuchsin,  Alizarinblau,  Diazoschwarz,  Glycin- 
rot,  Nigrosin  und  Athylrot  gar  keine  photodynamische  Wirkung. 
Das  gleiche  ist  für  das  Invertin  der  Fall.  Da  die  untersuchten 
Substanzen  zu  den  derzeit  besten  Sensibilisatoren  gehören,  müßte 
auch  ihre  photodynamische  Wirkung  eine  hervorragend  starke  sein. 
Da  dies  nun  ganz  und  gar  nicht  der  Fall  ist,  läßt  die  aufgeworfene 
Frage  nach  dem  derzeitigen  Stande  der  Untersuchungen  nur  eine 
Beantwortung  zu :  Sensibilisierung  und  photodynamische 
Wirkung  sind  keine  identischen  Vorgänge.  Die 
Eigenschaft  der  Sensibilisierung  und  photodyna- 
mischen Wirkung  vereint,  besitzen  nur  jene  Stoffe, 
welche  nicht  bloß  absorbieren,  sondern  auch  fluores- 
cieren. 

Der  Beweis,  daß  die  photodynamische  Wirkung  mit  optischer 
Sensibilisierung  nichts  zu  tun  hat,  kann  auch  in  umgekehrter 
Weise  erbracht  werden,  durch  den  Nachweis,  daß  eine  her- 
vorragend starke  photodynamisch  wirksame  Sub- 
stanz keine  sensibilisierende  Wirkung  hat.  Eine  solche 
ist  das  Natronsalz  der  Dichloranthracendisulfosäure.  Ihre  Prüfung 
als  Sensibilisator  wurde  auf  Veranlassung  des  einen  von  uns  (T.) 
von  Dr.  Hans  Lehmann  vorgenommen. 

Hochempfindliche  Bromsilbergelatineplatten  wurden  in  üblicher 
Weise  mit  dem  Salze  in  Konzentration  von  0,008%  und  0,016% 
gebadet.    Die  Lösungen  des  Salzes  zeigen  in  diesen  Konzentrationen 


486  XXVI.     TaPPEIN£B  «.   Joi>LBAUXB 

starke  Absorption  von  255— 275 /ti//.  Bei  Exposition  im  Eisenfunken- 
licbt  resp.  Kohlenbogenlicht  in  der  Dauer  von  1  resp.  3,  6,  24, 
60  Sekunden,  zeigte  sich  nun  an  dieser  Stelle  keine  Spur  von 
stärkerer  Schwärzung,  ein  Beweis,  dafi  die  Substanz  nicht  sen- 
sibilisiert. 

Gegen  den  Gebrauch  der  Bezeichnung  Sensibilisierung^  welche 
manchen  zur  Annahme  verleitet  hat,  als  ob  damit  etwas  erklärt 
sei,  spricht  auch  noch  ein  allgemeiner  Grund.  Die  Physiker  be- 
zeichnen nach  dem  Vorgange  von  H.  W.  Vogel  mit  Sensibilisierung 
die  gesteigerte  Empfindlichkeit  der  photographiscben  Platte. 
Im  Falle  der  Verwendung  des  Eosins  z.  B.  die  Steigerung  der 
Wirksamkeit  der  grünen  Strahlen  derart,  daß  sie  sich  nun  jener 
der  brechbaren  nähert.  Wenn  nun,  um  mit  diesem  Beispiele  fort- 
zufahren, die  biologische  Wirkung  des  Eosins  im  Lichte  auch  niur 
in  einer  Steigerung  der  Wirksamkeit  der  grünen  Strahlen  be- 
stünde, müßten  diese  auch  für  sich  allein  Paramäcien  und  Fermente 
bei  langer  und  intensiver  Einwirkung  zu  vernichten  imstande  sein. 
Das  ist  aber  keineswegs  der  Fall.  Paramäcienkultnren  durch 
Glaswolle  filtriert,  also  klar,  in  0,8  cm  dicker  Schichte  zeigten  sich 
unter  Kupfersulfat  -  Pikrinsäurefiltern  von  früher  erwähnter  An- 
ordnung oder  einem  Doppelfilter  aus  1  cm  dicker  einprozentiger 
Chininbisulfatlösung  und  3  cm  konz.  Eupfersulfatlösung,  welche  die 
grünen  resp.  gelbgrfinen  bis  violetten  Strahlen  durchlassen,  14  Tage 
lang  bei  offenem  Fenster  täglich  5  Stunden  der  intensiven  Mittags- 
sonne ausgesetzt,  nicht  merkbar  geschädigt.  Dasselbe  ist  bei 
Invertinlösungen  für  die  Dauer  von  5  Tagen  der  Fall,  solange 
dieselben  sich  eben  auch  im  Dunkeln  ohne  stärkere  Abnahme 
ihrer  Wirksamkeit  konservieren  lassen.  Ein  Zusatz  von  Eosin 
1:10000  resp.  1:100000  aber  genügt,  um  sämtliche  Tiere 
in  15  resp.  30  Minuten  zu  töten.  Ähnliches  leistet  eine  Eosin- 
lösung  1 :  2000  bei  Invertin.  Bei  dieser  Sachlage  kann  von  einer 
bloßen  Steigerung  der  Lichtwirkung,  also  von  einer  Sensibilisiening 
in  der  von  den  Physikern  gebrauchten  Bedeutung  des  Wortes  nicht 
mehr  die  Rede  sein.  Es  ist  off'enbar  eine  ganz  neue  Wir- 
kung, welche  beim  Znsatz  des  Eosins  bzw.  anderer  analoger 
Stofife  zur  Geltung  kommt.  Ist  die  photodynamische  Substanz  un- 
giftig,  so  tritt  eine  Schädigung  der  Organismen  und  Gewebszellen 
erst  im  Lichte  auf;  ist  sie  giftig,  so  addiert  sich  die  photodyna- 
mische  Wirkung  zur  Giftwirkung.  Der  Vorschlag  des  einen  von 
uns  (T.),  diese  Stoffe  mit  einem  Namen  zu  bezeichnen :  photodynami- 
sche d.  h.  im  Lichte  resp.  bei  Bestrahlung  wirkend,  ist  daher  dnreh- 


über  die  Wirkung  der  photodynamischen  (fluorescierenden)  Stoife  etc.     487 

aus  gerechtfertigt.  Er  präjudiziert  nichts  und  kann  fallen  gelassen 
werden,  wenn  der  weitere  Verlauf  der  Untersuchung  die  unzweifel- 
hafte Berechtigung  gibt,  von  Fluorescenzwirkung  resp.  Fluorescenz- 
therapie  zu  sprechen. 

Sehließlich  sei  noch,  um  auch  diese  Seite  der  „Radiologie"  zu 
berühren,  an  die  ziemlich  vergessene  Untersuchung  von  Bence 
Jones  „on  the  existence  in  the  textures  of  animals  of  a  fluorescent 
substance  closely  resembling  quinine"  erinnert,  ^)  wonach  es  nicht 
unmöglich  erscheint,  daß  ein  Teil  der  Wirkung  des  Sonnen- 
und  Bogenlichtes  eine  photodynamische  ist. 


1)  Medical  Times  and  Gazette  1866. 


XXVIL 

Über  die  Wirkung  photodynamischer  (flnorescierender) 
Substanzen  anf  Paramäcien  nnd  Enzyme  bei  Röntgen-  und 

Badinmbestrahlnng. 

Von 

A.  Jodlbaner. 

Diese  Arbeit  wurde  auf  Veranlassung  Prof.  v.  Tapp  einer 's 
in  der  Absicht  unternommen,  zu  erfahren,  ob  photodynamische 
Substanzen  bei  Zutritt  von  Radium-  und  Röntgenstrahlen  auf 
Paramäcienkulturen  und  Enzymlösungen  eine  ähnliche  Wirkung 
ausüben  wie  bei  Bestrahlung  mit  gewöhnlichem  Tageslicht. 

1.   y ersuche  mit  BontgenstraUen. 

Dieselben  wurden  in  einem  Kabinett  für  medizinische  Röntgen- 
photographie  mit  Verwendung  mehrerer  großen  Röhren  angestellt 
Die  Entfernung  der  Objekte  von  der  Röhre  betrug  10  cm.  Das 
Versuchsobjekt,  das  stets  in  einer  nach  oben  offenen  Glasschale 
aufgestellt  war,  befand  sich  zur  Abhaltung  der  gewöhnlichen  Licht- 
strahlen unter  einer  Kapsel  photogi-aphischen. Papiers,  während  das 
Kontrollpräparat  unter  einer  Bleikapsel  war.  Je  30  Sekunden  lang 
wurde  bestrahlt,  dann  eine  Pause  gemacht  von  2\^  Minuten,  und 
so  fort  bis  zu  8  Stunden.  Während  der  Pausen  wurden  die  Papier- 
und  Bleikapsel  zur  Vermeidung  von  schädlichen  Temperatursteige- 
rungen abgehoben.    Das  Zimmer  war  dabei  vollkommen  dunkel 

Paramäcien. 

Zuerst  wurde  der  Einfluß  der  Röntgenstrahlen  als  solcher  auf  Para- 
mäcien festgestellt: 

Eine  Paramäcienkultur  in  Uhrscbälchen  zeigte  nach  8  stündiger  Be- 
strahlung keine  Veränderung.  Die  Tierchen  bewegten  sich  lebhaft,  ganz 
so  wie*  im  Kontrollschälchen.  Auch  nach  3  Wocben  war  in  beiden 
Scbälcben  kein  Unterschied  wahrzunehmen. 

In   ganz   analoger    Weise    verhielten   sich    die   mit  fiOsin   versetiten 


über  die  Wirkung'  photodynamificher  (fluorescierender)  Substanzen  etc.    489 

Paramäclenkttltareii.  Die  nach  8  stündiger  Bestrahlung  im  Dunkeln  auf- 
bewahrten Paramäcien  mit  Eosin  1 :  1200  gingen  am  4.  Tage  gleichzeitig 
mit  der  nicht  bestrahlten  und  ebenfalls  im  Dunkeln  aufbewahrten  Kultur 
an  der  Giftwirkang  des  Eosins  zugrunde.  In  den  ührgläsem  mit  Eosin- 
zQsatz  1 :  5000  waren  die  hestrahlte  und  die  Kontrollkultur  noch  nach 
10  Tagen  am  Lehen. 

Invertin. 

10  ccm  einer  Invertinaufsohwemmung  von  1,2  ^j^  wurden  nach 
8  ständiger  Bestrahlung  mit  Wasser  auf  100  ccm  ergänzt  und  mit  eben- 
soTiel  IO^Iq  Bohrzuckerlösung  versetzt.  12  Stunden  bei  Zimmertempe- 
ratur stehen  gelassen.  Die  anfängliche  Drehung  von  -j-  3^  18'  war  nach 
Ablauf  dieser  Zeit  auf  -|-  0  ^  58 '  zurückgegangen,  ehensoviel  wie  im 
Kontrollversuche,  dessen  Drehung  nach  derselben  Zeit  -{-  0  ^  59 '  betmg. 
Die  Wirksamkeit  des  Invertins  war  also  durch  die  Röntgenbestrahlung 
nicht  verändert  worden.  Die  gleiche  Invertinaufsohwemmung  gerade  so 
lange  bestrahlt  und  eine  ebensolche  nicht  bestrahlt,  ergaben  nach  Zucker-r 
zasatz  und  12  stündiger  Invertierung  auch  keine  Drehungsdifferenz. 

Ebenso  war  die  Invertierung  einer  4,5  \  Rohrzuckerlösung,  ver- 
setzt mit  0,06  Invertin,  bei  Gegenwart  von  0,05  Eosin  durch  6  stündige 
Bestrahlung  nicht  gehemmt  worden.  Die  Drehung  betrug  nach  diesen 
6  Stunden  -\-  2  weiteren  Stunden  Stehens  im  Dunkeln  -|-  0,08 '.  Die- 
jenige der  im  Dunkeln  unter  Bleikapsel  gerade  solange  gehaltenen  Kon- 
trollprobe ebensoviel. 

2.  Yersuehe  mit  Badlnm. 

Hierzu  diente  ein  Präparat  von  Radiumbromid  von  Prof. 
Giesel  in  Braunschweig  im  Gewichte  von  ca.  0,05,  das  uns  von 
Herrn  Prof.  Walk  hoff  freundlichst  zur  Verfügung  gestellt  wurde 
und  mit  welchem  Walkhoff  bekanntlich  als  erster  die  Wirkungen 
auf  tierisches  Gewebe  entdeckte.  Alle  Versuche  geschahen  im 
Dankelzimmer. 

Paramäcien. 

1.  Versuche  im  offenen  Ührschälchen  gefüllt  mit  2  ccm  einer  Eo- 
sinlösung  1  :  1000  -[-  3  Tropfen  Paramäcienkultur.  Die  Hadiumkapsel 
befand  sich  3  cm  über  dem  Flüssigkeitsspiegel.  Die  Bestrahlung  dauerte 
ununterbrochen  24  Stunden.  Unmittelbar  hernach  war  keine  Einwirkung 
zu  erkennen  und  bei  weiterer  Aufbewahrung  des  vor  Verdunstung  ge- 
schützten Präparates  im  Dunkeln  trat  das  Absterben  der  Paramäcien 
erst  nach  3  Tagen  ein,  und  zwar  als  Giftwirkung  der  Eosinlösung,  da 
die  Tiere  im  uuhestrahlten  andauernd  im  Dunkeln  gehaltenen  Kontroll- 
nbrgläechen,  zur  selben  Zeit  starben. 

2.  In  zwei  analog  hebandelten  XThi^läschen,  mit  Eosinlösung  I  :.5000 
-f-  i^  Tropfen  Paramäcienkultur  beschickt,  von  denen  eines  24  Stunden  lang 
bestrahlt  und  beide  dann  im  Dunkeln  unter  geeigneten  Kulturbedingungen 
fortgehalten  wurden,  waren  nach  20  Tagen  lebende  Paramäcien  enthalten,  im 
bestrahlten   nicht   weniger  als  im  Kontrollglase.     In  einem  Ührschälchen 

Deotsches  Archiv  f.  klin.  Mediain.    LXXX.  Bd.  32 


490  XXyn.    JODLBAUIEB 

ohne   EosinzusatKy    ebensolange    bestrahlt,    fanden    sich    nach   SO   Tagen 
natürlich  auch  reichlich  lebende  Paramacien. 

3.  Paramacien  im  hängenden  Tropfen  in  fenchter  Kammer  in  Eosin- 
lösung  1  :  1000  wurden  48  Stunden  lang  bestrahlt.  Die  Kapsel  lag  un- 
mittelbar auf  dem  Deckglas^.  Die  Tierchen  waren  nach  dieser  Zeit  von 
unveränderter  Lebhaftigkeit  ihrer  Bewegungen  und  gingen  erst  nach 
5  Tagen  zugrunde,  zur  selben  Zeit,  wie  die  nicht  bestrahlten  im  Kon- 
trollversuch. 

Invertin. 

1.  Eine  Invertinlösung  von  0,12^/^  und  eine  ebensolche  mit  Zusatz 
von  0,05  ^Iq  Eosin  wurde  36  Stunden  lang  in  offenen  Schalen  bestrahlt, 
sodann  mit  gleichen  Teilen  einer  Rohrzuckerlösung  von  10^/^  yersetst; 
nach  15  Stunden  laogem  Stehen  bei  Zimmertemperatur  wurde  der  Prozeß 
abgebrochen  und  die  Drehung  bestimmt.  Sie  betrug  in  der  bestrahlten 
Lösung  ohne  Eosinzusatz  -j*  ^  ^  ^"^S  ^  ^^^  bestrahlten  Lösung  mit  Eo- 
sin Zusatz  -j-  0  ^  56 ',  in  einer  nicht  bestrahlten,  im  Übrigen  analog  be- 
handelten Kontroilösung  ohne  Eosin  -\-  V*  20',  mit  Eosin  -f  O^'  52'. 
Eine  Wirkung  auf  das  Invertin  durch  das  Eadium  ist  somit  nicht  zu 
erkennen.  Das  Zurückbleiben  der  bestrahlten  Probe  ohne  Eosinzusatz 
erklärt  sich  aus  der  Förderung,  welche  das  Eosin  im  Dunkeln  auf  den 
Intervierungsprozeß  ausübte. 

2.  Eioe  Lösung  von  4,6  %  Bohrzucker  mit  0,06  %  Invertin  und 
0,05  Eosin  wurde  9  Stunden  lang  bestrahlt  und  sodann  analysiert.  Das 
gleiche  geschah  mit  eiuer  im  Dunkeln  gehaltenen  nicht  bestrahlten  eben- 
solchen Lösung  und  einer  ebenso  behandelten  RohrzuckerinvertinlösuDg 
ohne  Eosmzusatz.  Die  Drehungen  waren  -f-0®  29',  -f  0"  27',  -j-O®  56'. 
Also  wiederum  kein  Einfluß  der  Bestrahlung. 

Diastase. 

Eine  Diastaselösung  von  0,1  ^/^  und  eine  ebensolche  mit  Zusatz  von 
0,05%  Eosin  wurden  12  Stunden  lang  bestrahlt,  sodann  je  10  Teile 
derselben  mit  90  Teilen  Stärkelösuhg  von  1  %  versetzt.  Das  gleiche 
geschah  mit  einer  unbestrahlt  gebliebenen  Diastaseeosinlösung  analogen 
Prozentgehaltes.  In  allen  dreien  wurde  sodann  der  Fortschritt  der 
Stärkeumwandlung  mittels  Jodjod kaliumtüpfelprobe  verfolgt:  Die  Zeiten, 
in  denen  das  Erythro dextrin  auftrat  und  das  Amylodextrin  verschwand, 
waren  in  allen  drei  Proben  die  gleichen.  Letzteres  war  nach  5  Stunden 
eingetreten. 

Das  Ergebnis  der  Versuche  ist,  daß  weder  Röntgen-  noch 
Radiumstrahlen  einen  Einfluß  auf  Paramacien  und  Enzyme  er- 
kennen ließen.  Die  Paramacien  hatten  unmittelbar  nach  der  Be- 
strahlung die  Lebhaftigkeit  ihrer  Bewegungen  bewahrt  und  ver- 
hielten sich  während  der  nächsten  Wochen  ebenso  wie  die  Kontroll-, 
tiere.  Die  Wirksamkeit  des  Invertins  und  der  Diastase  hatte 
ebenfalls    keine   Einbuße    erlitten.')     Ob   eine    solche   etwa  erst 

1)  Für  Trypsin  ist  dies  bereits  von  J.  Dauysz  (Compt.  rend.  137,  1296) 


über  die  Wirkung  photodynamischer  (flnorescier ender)  Substanzen  etc.     491 

längere  Zeit  nach  der  Bestrahlung  sich  einstellt,  wurde  wegen  der 
leichten  Zersetzlichkeit  dieser  Enzyme  nicht  verfolgt.  Es  ist  dies 
nicht  sehr  wahrscheinlich,  da  es  sich  hier  ja  nicht  um  Einwirkung 
auf  Zellen,  sondern  auf  „gelöste"  Versuchsobjekte  handelt. 

Ob  bei  den  Bestrahlungen  eine  fluorescierende  Substanz  (Eosin) 
zugegen  war  oder  nicht,  machte  keinen  Unterschied.  Derartige 
Substanzen  in  Lösung  werden  eben  von  diesen  Strahlenarten  nicht 
erregt,  wie  man  sich  leicht  überzeugen  konnte  und  auch  den 
Physikern  schon  bekannt  ist.  Ob  bei  sehr  langer  Behandlung  mit 
Röntgen-  oder  Eadiumstrahlen  resp.  Verwendung  eines  neueren 
Radiumspräparates  ohne  Glimmerbedeckung  nicht  doch  ein  EflFekt 
zu  erlangen  wäre,  bleibt  dahingestellt.  Die  Versuche  i§ind  lediglich 
als  orientierende  zu  betrachten.  Nachdem  sich  ergeben  hatte,  daß 
eine  Wirkung,  welche  jen^r  der  photodynamischen  Substanzen  im 
Lichte  entspräche,  bei  ungefähr  gleichlanger  Einwirkungsdauer 
nicht  zu  erkennen  ist,  wurden  sie  abgebrochen,  da  der  Zweck 
ihrer  Vornahme  erreicht  war. 


nach  14  stündiger  Radiumbestrahlung  gefunden  worden.  Der  Autor  fand  sogar 
etwas  Zunahme  der  Wirksamkeit.  Weitere  Literaturangaben  würden  den  kleinen 
Bahmen  dieser  Arbeit  überschreiten. 


32* 


xxvin. 

Aus  der  medizinischen  Klinik  in  Greifswald. 
Direktor:  Prof.  Dr.  Moritz. 

Untersuchungen  über  das  „Binden  der  Glieder"  (ansge- 

dehnte  Bier'sche  Stauung)  und  die  sog.  vAutotransfnsion'' 

(ausgedehnte  Esmarch'sche  Blutleere)  mit  besonderer  Be- 

rAcksichtigung  des  Blutdrucks  in  den  freien  Geftß- 

proYinzen. 

Von 

Dr.  med.  W.  Plaskada, 

YolonUirassistent  der  Klinik. 
(Mit  15  Karyen.) 

Ein  bereits  dem  Hippokrates  bekanntes,  von  den  alten  Ärzten 
viel  angewandtes  Blutstillungsmittel  ist  das  Binden  oder  die  Ligatur 
der  Glieder.  Die  Technik  besteht  darin,  daß  man  an  den  Ober* 
schenkein  und  Oberarmen  möglichst  hoch  oder  in  der  Mitte  der 
Glieder  elastische  Gummibinden  oder  Tücher  so  fest  umlegt.  da& 
der  venöse  Eückfluß  des  Blutes  gehemmt  wird,  ohne  daß  der  arte- 
rielle Zufluß  im  wesentlichen  leidet.  Man  läßt  gewöhnlich  die 
Binden  Va— 1  Stunde  liegen  und  bindet  entweder  alle  vier  Extre- 
mitäten oder  abwechselnd  die  Arme  oder  Beine  ab.  Die  Lösung 
der  Binden  geschieht  allmählich.  Es  wird  auf  diese  Weise  in  den 
Gliedern  eine  venöse  Stauung  ganz  wie  die  Bier'sche  Stauung 
hervorgebracht,  deren  Technik  genau  dieselbe  ist.  Man  kann  ver- 
muten, —  dies  hat  bereits  Virchow  getan  ^)  —  daß  hierbei  der 
Blutdruck  sinkt.  Denn  wenn  in  den  Gliedern  sich  das  Blut  an- 
staut, so  erhält  zunächst  das  rechte  Herz  und  damit  der  Lungen- 
kreislauf und  weiterhin  der  große  Kreislauf  weniger  Blut  als  vor- 
her. Ceteris  paribus  muß  aber,  eine  verminderte  Füllung  des  Ge- 
fäßsystems mit  einer  Verminderung  des  Blutdrucks  einhergehen. 

1)  S.  Virchow's  Haudbach  der  spez.  Patbol.  n.  Therapie.  Erlangen  1854 
Bd.  I  p.  164. 


Untersuchungen  ttber  das  „Binden  der  Glieder*'  etc.  493 

Dies  ist  eine  Wirkung,  die  bei  Langenblntungen,  gegen  di^ 
das  Binden  hauptsächlich  angewandt  wurde,  erwünscht  sein  muß, 
da  hierbei  gtlnstigere  Bedingungen  für  eine  Thrombusbildung  ent- 
stehen. 

Die  heutigen  Ärzte  wenden  das  Verfahren  nur  wenig  an. 
Einzelne  Kliniker  jedoch  wie  v.  Dusch  undLiebermeister  be- 
richten über  günstige  Erfolge  bei  schwerer  Hämoptoe.  Auch  Ger- 
hardt wandte  das  Binden  vielfach  an. 

Das  umgekehrte  Verfahren  ist  die  Esmarch'sche  künstliche 
Blutleere.  Dabei  wird  aus  den  Extremitäten  herausgedrängtes 
Blut  dem  Kreislauf  des  Rumpfes  zugeführt  Das  Mittel  spielt 
heute  unter  dem  Namen  der  Autotransfusion  in  der  Geburtshilfe 
zur  Hebung  der  Circulation  nach  schweren  Blutungen  eine  ge- 
wisse EoUe.  Eingeführt  ist  es  in  die  Therapie  durch  den  Geburts- 
helfer P.  Müller.')  Die  neueren  Autoren  wie  Ahlfeld,  Runge, 
Olshausen,  Veit  erwähnen  es  in  ihren  Lehrbüchern,  mahnen 
jedoch  zur  Vorsicht,  da  Gangrän  der  Glieder,  sowie  Lungenembolien 
mehrfach  danach  beobachtet  wurden. 

Der  Rumpfkreislauf  erhält  mehr  Blut,  wenn  man  an  den  Ex- 
tremitäten eine  künstliche  Blutleere  bewirkt.  Dies  müßte  also 
wieder  ceteris  paribus  eine  Erhöhung  des  Blutdrucks  zur  Folge 
haben  analog  der  bei  ausgedehnter  Stauung  angenommenen  Er- 
niedrigung desselben. 

Auf  Anregung  des  Herrn  Prof.  Dr.  Moritz  habe  ich  über 
das  Binden  der  Glieder  (ausgedehnte  Bier'sche  Stauung)  sowie 
über  die  sog.  Autotransfusion  (ausgedehnte  Esmarch'sche  Blut- 
leere) experimentelle  Untersuchungen  angestellt,  die  folgende  Fragen 
beantworten  sollten. 

1.  Wie  groß  sind  die  Blutmengen,  die  man  durch  beide  Ver- 
fahren dem  Kreislauf  entziehen  oder  zuführen  kann? 

2.  V7ie  verhält  sich  dabei  der  Blutdruck  in  den  freien  Gefäß- 
provinzen ? 

Bevor  ich  auf  die  Versuche  eingehe,  halte  ich  es  nicht  für  uninter- 
essant die  geschichtliche  Seite  beider  Verfahren  etwas  zu  beleuchten,  da 
sich  hieraus  manche  Gesichtspunkte  ergeben. 

Die  alten  Arzte  von  Hippokrates  ab  wandten  das  Binden  der  Glieder 
Tielfach  an  bei  verschiedenen  Blutungen ,  -  besonders  bei  Lungen-  und 
Nasenbluten.  Weiter  ausgebildet  wurde  das  Verfahren  durch  Chry- 
sippns  und  Erasistratus  ^  Galenus   wandte    ebenfalls   das   Mittel 


1)  S.  Wiener  med.  Presse  1874  Nr.  8. 

2)  Zeitgenossen  des  Aristoteles. 


494  XXVIII.    PLA8KÜDA 

viel  an.     Er   und  seine  Nachfolger   rechneten  es  wie  das  Schröpfen  nDd 
den  Aderlaß  unter  die  sog.  Revulsivmittel.^) 

Das   Binden    findet    sich   in   der   Folgezeit  bei   allen    medizinischen 
Klassikern  erwähnt   und  wurde   zu   allen  Zeiten   mehr   oder  weniger  als 
Blutstillungsmittel  angewandt,  bis  es  im  19.  Jahrhundert  allmählich  außer 
Gebrauch  kam.     Anfang  der  80er  Jahre  wurde  das  Verfahren  von  Seiz^) 
experimentell   geprüft   und   dann   wieder   empfohlen,    ohne    aber   in  der 
Praxis  Eingang    zu  finden.     In   seiner  Dissertation  findet  sich  auch  eine 
kurze   geschichtliche  Darstellung  über   die  Ligatur,   auf   die    ich  hiermit 
hinweisen   möchte.     Berichtigen  möchte   ich  jedoch  die  Behauptung  von 
Seil,    daß  im  17.  und   18.  Jahrhundert   die  Methode  nicht  mehr  geübt 
worden   sei.     Das   ist   nicht   der  Fall.     Sehr  klare  Vorschriften  hierüber 
finden  sich  z.  B.  bei  Boerhave.     Er  schreibt  dem  Binden  der  Glieder 
bei  Blutungen   verschiedener  Art   großen  Nutzen   zu.     Er  gibt  die  Vor- 
schrift,   die  Binden  abwechselnd  an  den  Schenkeln  und  Oberarmen  anzu- 
legen  und   nach  ca.  ^',  Stunde   allmählich    zu  lösen,   um    ein  Absterben 
der  betreffenden  Teile  zu  verhindern.     Er  hält')  da9  Verfahren  für  sehr 
empfehlenswert,  das  sich  leicht  und  bequem  ausführen  lasse.    Mau  müsse 
aber  ja   den   richtigen  Grad   der  Zusammenschnürung   abpassen   und  die 
Binden    dürften   nur   so    fest   liegen,    daß    sie    die   oberflächlichen  Venea 
komprimierten.     Denn   wJBnn   die  Binden   zu   fest   lägen,   so   träte  leicht 
das  Gegenteil   ein,   indem   die  Arterien  gedrückt  und  verhindert  würden, 
sich   SU   entleeren,    wodurch    die   Blutung   stärker   würde.     Den    Nutzen 
sieht   er  hauptsächlich   in  der  Verminderung  der  Schnelligkeit  des  Blut- 
stroms.     Die   an   den   abgebundenen  Gliedmaßen   entstehenden    Verände- 
rungen bestehen  in  Erweiterung  und  Anschwellung  der  Venen.     Schließ- 
lich   wird   das   ganze    Glied  dicker   infolge    der   angestauten    Flüssigkeit. 

Et  erhoben  sich  indessen  auch  Stimmen,  die  das  Verfahren  weniger 
billigten.  Oullen^)  z.  B.  halt  den  Gebrauch  desselben  für  unsicher 
und  mahnt  ebenso  wie  Boerhave  zur  Vorsicht.  Nach  ihm  wird  das 
Mittel  von  den  Ärzten  des  18.  Jahrhunderts  nicht  mehr  so  häufig  an- 
gewandt. Er  meint,  wenn  es  auch  gelänge  den  richtigen  Grad  der  Zu- 
sammenschnürung hervorzubringen,  so  sei  die  Wirkung  doch  nnr  Iran. 
Außerdem  könne   die  Blutung  vermehrt  werden,   wenn  die  Ligaturen  zu 


1)  Über  die  Theorie  der  Derivation  und  Revulsion  s.  Plascuda, 
alte  Behandlungsmethoden  in  moderner  Beleuchtung.   Diss.  Grei&wald  190B. 

2)  S.  Seiz,  Zur  Therapie  der  Lungenblutung.  Diss.  Heidelberg  1888. 

3)  S.  vanSwieten,  Commentaria  in  Boerhaves  aphorismos  de  oognoscendis 
et  cnrandis  morbis.    Lejden  1741 — ^72  Bd.  II  p.  307  ff. 

Quantum  autem  usum  habeat  lenis  venarum  in  artubns  compressio.  ad 
minuendam  velocitatem  sanguinis  per  vasa  moti,  docent  haemorrbagiae,  qme 
pulcherrime  talibns  ligaturis  compesci  solent ;  dum  sie  retinetur  in  artubus  mm^naa 
satis  sansruinis  moles^  atque  ita  minor  pressio  sit  in  soluta  vasa,  quae  tone  9«^at 
contrahi;  et  po$tea,  sensim  solutis  bis  ligaturis,  non  tarn  facile  per  contrftcca 
iam  hiantium  vasorum  orificia  sanguis  exit  ....  Imo  et  totun  membmi.  si 
diutius  duret  haec  compressio  mole  angebitnr  ob  accumulata  hie  liquida. 

4)  S.  Cullen,  Anfangsgründe  der  prakt  Arzneykunst.  Ldpsig  1789  B4  II 
p.  ÄK)  §  8l>3. 


üntennchnngen  über  das  „Binden  der  Glieder "^  etc.  495 

fest  seien  nnd  die  Arterien  komprimierten.  Rnst^)  ist  zwar  der  An- 
sicht, daß  das  Binden  hilfreich  sein  könne,  fordert  aher  ebenfalls  zur 
Vorsicht  auf.  Die  Technik  des  Bindens  scheint  fast  durchweg  so  gehand- 
habt worden  zu  sein,  daß  entweder  abwechselnd  die  Mitte  der  Oberarme 
oder  der  Oberschenkel  oder  alle  4  Extremitäten  zugleich  zusammen- 
geschnürt wurden.  Manche  Arzte  banden  freilich  auch  die  Glieder  an 
mehreren  Stellen  ab.  Als  eine  Verkehrung  der  Methode  ^  muß  die 
Vorschrift  des  alten  Chirurgen  Fabricius  Hildanus. angesehen  werden, 
der  die  Finger  band,  oder  von  B  o  u  d  e  1  e  t ,  der  die  Testikel  abzubinden 
empfahl. 

Im  19.  Jahrhundert  wird  das  Binden  nur  mehr  wenig  gebraucht, 
findet  jedoch  fast  in  den  meisten  Sammelwerken  der  Pathologie  und 
Therapie  seine  Erwähnung. 

C anstatt^)  ist  ein  Anhänger  desselben.  Bei  ihm  findet  sich  die 
Bemerkung,  daß  dadurch  der  Blutzufluß  zu  den  inneren  Organen  so  ge- 
hemmt werden  könnte,  daß  bald  Ohnmacht  auftrete  und  die  Blutung 
stände.  Vir c ho w^)  erwähnt  ebenfalls  das  Binden.  Er  ist  der  Meinung, 
daß  man  dadurch  imstande  sei  den  Blutdruck  zu  erniedrigen,  indem  die 
£ltttmasse  verkleinert  würde.  IJm  auch  einige  neuere  Autoren  anzuführen 
so  ist  nach  der  Ansicht  von  Cornet^)  und  Liebermeister^)  die 
Ligatur  dadurch  wirksam,  daß  die  Lungen  blutarmer  werden.  Das  Re- 
sultat soll  identisch  sein,  mit  dem  Aderlaß,  der  auch  früher  häufig 
gegen  Lungenblutungen  gebraucht  wurde.  Liebermeister  erklärt 
wiederholt  günstige  Erfolge  von  der  Stauung  gesehen  zu  haben.  Auch 
Eichhorst'')  kennt  den  Oebrauoh  des  Bindens.  Er  meint  analog  den 
genannten  Autoren,  daß  der  venöse  Zufluß  des  Blutes  zum  Herzen  ge- 
hindert werde  und  demzufolge  der  Druck  zumal  im  Puimonalarterien- 
system  sinke,  wodurch  günstigere  Bedingungen  für  eine  Thrombusbildung 
an  der  Stelle  der  Blutung  zustande  kämen.  Im  allgemeinen  aber  wird 
das  Binden    der  Olieder   von  den  heutigen  ^rzten  nur  selten  angewandt. 

Eine  viel  kürzere  Oeschichte  als  die  Aufstauung  des  Blutes  in  den 
Extremitäten,  hat  die  Verdrängung  desselben,  die  künstliche  Blutleere. 
P.  Müller^)  war  der  erste,  der  die  Esmarch'sche  Blutleere  zur  Be- 
lebung der  Anämie  des  Gehirns  bei  schweren  Blutungen  während  der 
Geburt  anzuwenden  empfahl.  Er  sagt:  „Sollte  man  nicht  imstande  sein 
bei  einer  akut  Anämischen,  wenn  in  allen  vier  Extremitäten  die  Blut- 
leere   künstlich  hergestellt  wird,   dem  Herzen  eine  solche  Quantität  Blut 


1)  S.  Bust,  Handb.  d.  prakt.  Chirurgie.  Berlin  1830—36  Bd.  VIII  p.  28ff. 

2)  Cit.  nach  S  e  i  z ,  1.  c.  p.  19. 

3)  Siehe  spezielle  Pathologie  u.  Therapie  von  Canstatt  1843  Bd.  I.  p.  136. 

4)  Siehe  Virchow's  Handbuch  1.  c.  Bd.  I  p.  154. 

5)  Siehe  Nothnagel,  Spezielle  Pathol.  u.  Therapie  Bd.  XIV,  Tuberkulose 
von  Cor n et  p.  564. 

6)  Siehe  Ebstein  u.  Schwalbe,  Handbuch  der  prakt.  Medizin,  Lungen- 
tuberkulose V.  Liebermeister  p.  390. 

7)  Siehe  Eichhorst,  Handbuch  der  spez.  Pathol.  u.  Therapie  1895  Bd.  I 
p.  430. 

8)  Siehe  Wiener  mediz.  Presse  1874  Nr.  8. 


496  XXVin.  Plaskitda 

zuzuführen y  daß  der  beginnenden  Lähmung  Einhalt  getan  werden  könnte ?** 
Nußbaum^)  tritt  sehr  fiir  das  Yer£üiren  ein.  Er  gibt  außerdem  die 
Vorschrift,  auch  das  im  Abdomen  befindliche  Blut  durch  Massage  heraus- 
zudrängen und  dann  den  Bauch  mit  einem  Steine  oder  schweren  Buche 
zu  belasten.  Er  nennt  diese  kombinierte  Methode  Autotransfusion  und 
gibt  an  in  einer  Beihe  schwerer  Blutungen  dadurch  den  Scheintod  rasch 
beseitigt  und  das  Bewußtsein  wieder  wachgerufen  zu  haben.  Er  will 
davon  größere  Erfolge  gesehen  haben  wie  nach  der  Transfusion.  In 
der  Geburtshilfe  wird  die  Eamarch'sche  Blutleere  häufig  angewandt.  Um 
einige  neuere  Autoren  anzuführen,  so  räamt  Ahlfeld^)  dem  Yerfieihren 
unter  den  die  akute  Anämie  bekämpfenden  Mitteln  einen  Platz  ein. 
B.  u  n  g  e  ^)  und  Olshausen-Yeit^)  erwähnen  die  Autotransfusion 
ebenfalls.  Beide  Autoren  äußern  jedoch  schwerwiegende  Bedenken.  Ein- 
mal sei  bei  zu  fester  Einwicklung  das  Verfahren  schmerzhaft  Außerdem 
könnte,  wenn  die  Binden  zu  lange  lägen,  sich  Gangfrän  einstellen.  Femer 
könnten  sich  Thrombosen  bilden  und  eventuell  zu  Lungenembolie  Ver- 
anlassung geben.  Todesfalle  durch  Lungenembolie  sind  nach  Hnnge 
danach  schon  beobachtet.  Ein  weiteres  Bedenken  ist  von  Bradley^) 
ausgesprochen  worden.  Er  ist  der  Ansicht,  die  Überfüllung  des  Ereis- 
laufes  bei  bereits  geschwächten  Patienten,  die  außerdem  ein  geschwächtes 
Herz  hätten,  könne  schädlich  sein. 

Zur  Bestimmung  der  Blntmengen,  die  in  den  Extremitäten 
durch  Abbinden  zurückgehalten  oder  aus  ihnen  durch  Einwicklung 
entfernt  werden  können,  führte  ich  Versuche  aus,  die  auf  dem 
Prinzip  der  Wasserverdrängung  beruhen.  Dies  ist,  wie  ich  nach- 
träglich sehe,  bereits  von  Gröbenschütz*)  bei  einem  einzelnen 
Versuche  durchgeführt  worden.  Er  hat  den  Oberarm  eines  kräf- 
tigen jungen  Mannes  bis  3  cm  unterhalb  der  Condylen  mit  einer 
elastischen  Binde  eingewickelt  und  dann  in  ein  bis  zum  Rande 
gefülltes  Wassergefäß  stecken  lassen.  Er  berechnet  die  Differenz 
des  übergelaufenen  Wassers,  nachdem  er  zuerst  den  Arm  unein- 
gewickelt  hatte  hineinstecken  lassen,  auf  120  ccm. 

Die  Versuchsanordnung  bei  meinen  Versuchen  war  folgende. 
Ich  bediente  mich  eines  80  cm  hohen  Blechkastens,  der  durch 
eiserne  Bänder  verstärkt  war,  so  daß  er  sich  unter  dem  Wasser- 
druck nicht  ausbuchtete.  Derselbe  hatte  in  seinem  unteren  Teile 
einen  Querschnitt  annähernd  von  der  Form  eines  länglichen  Recht- 


1)  Siehe  Therapeut.  Monatshefte  1887. 

2)  Siehe  Ahlfeld,  Lehrb.  d.  Geburtshilfe  1898  p.  453. 

3)  Siehe  Runge,  Lehrbuch  der  Geburtshilfe,  Berlin  1901  p.  496. 

4)  Siehe  Olshausen-Veit,  Lehrb.  der  Geburtshilfe  12.  A.  p.  776. 

5)  Siehe  British  Medical  Journal  1874  Mai  p.  577. 

6)  Siehe  Gröbeuschütz,    Über   Esmarch's   künstliche  Blutleere.     Dis3. 
Berlin  1874  Nr.  12. 


Untersachnngeu  über  das  „Binden  der  Glieder"  etc.  497 

eckes,  so  daß  der  Fuß  gut  in  denselben  hineinpaßte.  Oben  besaß 
der  Kasten  einen  runden  Aufsatz,  der  sich  der  Form  des  Ober- 
schenkels anpaßte  und  im  Umfang  nur  wenig  größer  als  ein  solcher 
war.  Auf  diese  Weise  wurde  erreicht,  daß  schon  relativ  kleine 
Volumverdrängungen  in  dem  Kasten  große  Niveaudifferenzen  der 
Flüssigkeit  am  oberen  Teile  verursachten.  Die  Extremitäten,  deren 
Volumszu-  oder  -abnähme  gemessen  werden  sollte,  wurden  vor  An- 
legung der  Binden  bis  zu  einer  bestimmten,  an  der  Extremität  an- 
gebrachten Marke  in  den  mit  Wasser  von  32—34®  C  gefüllten 
Kasten  hineingesteckt.  Es  wurde  dabei  ein  gewisses  Quantum 
Wasser  aus  dem  Kasten  verdrängt.  Nun  wurde  der  Kasten  mit 
der  restierenden  Wassermenge  gewogen.  Alsdann  wurde  je  nach- 
dem die  Stauungsbinde  an  der  Extremität  angelegt  und  bis  zur 
Erzielung  einer  genügenden  Stauung  liegen  gelassen,  oder  es  wurde 
die  Extremität  mit  einer  langen  Gummibinde  von  der  Peripherie 
nach  dem  Centrum  hin  eingeschnürt  Hierauf  wurde  die  Extremität 
wiederum  bis  zu  derselben  Stelle  in  den  Kasten  hineingesteckt. 
War  nun  durch  Stauung  die  Extremität  voluminöser  geworden,  so 
floß  abermals  Wasser  aus  dem  Kasten  heraus.  Hatte  sie  durch 
künstliche  Blutleere  an  Volumen  eingebüßt,  so  mußte  Wasser  zu- 
gefullt  werden,  bis  der  Wasserspiegel  wieder  mit  dem  oberen  Rande 
des  Kastens  abschnitt.  Die  Füllungsdifferenz  des  Kastens  wurde 
durch  abermalige  Wägung  bestimmt.  Selbstverständlich  mußte 
in  dem  Falle  der  künstlichen  Blutleere  das  Volumen  der  zum 
Einwickeln  benutzten  Binde  eigens  bestimmt  und  in  Rechnung 
gebracht  werden.  Die  Versuche  wurden  sehr  vorsichtig  angestellt, 
um  Fehler  möglichst  zu  vermeiden.  Es  wurde  darauf  gesehen, 
daß  die  Versuchspersonen  ihre  Glieder  im  Wasser  absolut  ruhig 
hielten.  Andernfalls  wird  leicht  zu  viel  Wasser  aus  dem  Gefäß 
herausgeschwemmt.  Auch  wurden  die  Glieder  gehörig  abtropfen 
gelassen.  Die  nicht  vermeidbaren  Fehler  schätze  ich  pro  Versuch 
auf  ca.  +20—30  ccm.  Sie  kommen  für  das  Gesamtresultat  nicht 
in  Betracht. 

Es  wurden  folgende  Versuche  angestellt. 

A.  Stauung  der  Glieder. 

a)  Versuche  am  Bein. 

Versuoh  I.     Mrdd,  22  Jahre,  mittelgroß,  muskulös.     Stauung  unter 
dem  Troohanter  ^/^  Stunde  lang.     Volumszunahme  230  ccm. 

Versuch  11.    Mann,  30  Jahre,  165  cm  groß,  mittelmäßige  Muskulatur. 
Stauung   unter   dem  Trochanter   25  Minaten   lang.     Dabei  Zunahme    des 


498  XXVm.    PLA8KÜDA 

Ümfangs  am  Unt'TBchenkel  um  1,5,  am  Oberschenkel  um  1  cm.     Volams* 
zanahme  260  ccm. 

Versuch  UI.  Mann,  180  cm  groB,  muskulös,  40  Jahre  alt.  Stauung^ 
unter  dem  Trochanter  30  Minuten  lang.  Das  Bein  sehr  kräftig  gestaut, 
blaurot,  vorspringende  Venen  am  Fußrücken.  Umfang  am  Unterschenkel 
um  3  cm  vergrößert.     Volnmszunahme  425  ccm. 

b)   Versuche  am  Arm. 

Versuch  IV.  Mann,  17  Jahre,  Stauung  oberhalb  der  Mitte  de» 
Oberarms  30  Minuten  lang.  Umfangszunahme  am  Oberarm  2  cm,  am 
Unterarm  1   cm,  Volaroszunahme   177  cm. 

Versuch  V.  Mann  (derselbe  wie  in  Versuch  II).  Stauung  oberhalb 
der  Mitte  des  Oberarms  25  Minuten  lang.  Umfangszanahme  am  Oberarm 
2  cm,  am  Unterarm  1,5  cm,  Volumszunahme  240  ccm. 

Versuch  VI.  Mann,  170  cm  groß,  muskulös,  Stauung  am  Oberarm 
15  Minuten  lang.  Umfangszunahme  Oberarm  1  cm,  Unterarin  1,5  cm, 
Volumszunahme  160  ccm. 

B.   Künstliche  Blutleere. 

a)  Versuche  am  Bein. 

Versuch  VII.    Mann,  28  Jahre.    Volumsabnahme  des  Beines  482  ccm. 
Versuch  VIII.    Mann  (derselbe  wie  in  Versuch  VI).    Volumsabnahme 
des  Beines  345  ccm. 

b)  Versuche  am  Arm. 

Versuch  IX.  Mann  (derselbe  wie  in  Versuch  II  und  V),  Volums- 
abnähme  des  Arms  240  ccm. 

Versuch  X.  Manu  (derselbe  wie  iu  Versuch  VII).  Volumsabnahme 
des  Arms   192  ccm. 

Die  mitgeteilten  Versuche  zeigen,  daß  es  immerhin  ziemlich 
bedeutende  Flüssigkeitsmengen  sind,  die  sich  auf  die  angegebene 
Weise  in  den  Extremitäten  aufstauen  oder  aus  ihnen  verdrängen 
lassen.  Bei  einem  kräftigen  Manne  dürften  dieselben  bei  Heran- 
ziehung aller  4  Extremitäten  ^/^ — *  4  I  betragen.  In  der  Haupt- 
sache wird  es  sich  dabei  um  Blut  handeln,  wenn  natürlich  auch 
eine  gewisse  Beteiligung  von  Lymphflüssigkeit  anzunehmen  ist 
Wie  groß  letztere  sei,  entzieht  sich  der  Feststellung. 

War  somit  ein  nicht  unbedeutender  Einfluß  sowohl  der  Stauung 
als  der  künstlichen  Blutleere  der  Extremitäten  auf  die  Blutvertei- 
lung im  Körper  zahlenmäßig  festgestellt,  so  war  nunmehr  zu  unter- 
suchen, ob  und  welche  Einwirkung  diese  veränderte  Blutverteilung 
auf  den  Blutdruck  in  den  freien  üefäßprovinzen  habe. 

In  dieser  Richtung  liegen  noch  kaum  Angaben  in  der  Literatur 


Untersnchnng^en  über  das  „Binden  der  Glieder"  etc.  499 

yor.  Seiz^)  suchte  den  Einfluß  des  Bindens  der  Glieder  auf 
den  Blutdruck  durch  Kontrolle  der  Herztöne  zu  ermitteln.  Er  nahm 
an,  daß  Aufstauen  des  Blutes  in  den  Extremitäten  zunächst  zu 
verminderter  Füllung  des  Lungenkreislaufes  und  damit  zu  Ab- 
Schwächung  des  2.  Pulmonaltones  führen  würde.  Eine  solche  Ab- 
schwächung  glaubte  er  nun  tatsächlich  in  seinen  Versuchen  zu 
finden.  Er  schloß  hieraus  auf  eine  Erniedrigung  des  Druckes  auch 
im  großen  Kreislauf,  zumal  er  bei  seinen  Pulskurven  während  der 
Stauung  auch  die  Eückstoßelevation  stärker  werden  sah. 

Bier*)  maß  bei  einem  mittelkräftigen  Manne,  dem  er  an 
beiden  Oberschenkeln  eine  ziemlich  erhebliche  Stauung  anlegte^ 
yor  und  nach  dieser  den  Blutdruck  am  Arme  mit  dem  Riva-Rocci- 
schen  Apparat.  Der  Druck  war  beide  Male  gleich.  In  Selbst- 
versuchen mit  Stauung  an  beiden  Oberschenkeln  fand  B  i  e  r  ^)  Ver- 
tiefung der  Atmung,  Beschleunigung  des  Pulses,  ferner  Gefühl  des 
Blutmangels  im  Kopfe,  Unvermögen  zu  denken,  Blutdruck bestim- 
mungen  wurden  nicht  gemacht.  Buttermann ^)  wies  nach,  daß 
nach  Aderlaß  stets  eine  Blutdrucksenkung  und  zwar  proportional 
der  Größe  desselben  auftritt.  Nach  Blutentziehungen  von  durch- 
schnittlich 200  ccm  Blut  sank  der  Druck  um  ca.  18  mm  Queck- 
silber und  blieb  manchmal  noch  längere  Zeit  danach  niedrig. 

Ich  habe  zunächst  die  Angabe  von  Seiz  nachgeprüft,  wobei 
die  Auskultation  der  Herztöne  auch  von  Herrn  Prof.  Moritz  aus- 
geführt wurde.  Wir  haben  ein  deutliches  Resultat  im  Sinne  von 
Seiz  nicht  erhalten,  vielmehr  den  Eindruck  bekommen,  daß  hin- 
sichtlich kleiner  Unterschiede  die  Schätzung  der  Intensität  der 
Herztöne  mit  bloßem  Ohre  eine  sehr  unsichere  Sache  sei. 

Versuch  XI.  L.,  Mann,  27  Jahre,  Herz  und  Lungen  ohne  abnormen 
Befand.  Yor  dem  Yersach  die  zweiten  Töne  an  der  Basis  beiderseits 
etwa  gleich  stark.  Starke  Stauung  an  allen  4  Extremitäten.  Auskultation 
3  Minuten,  13  Minuten  und  23  Minuten  nach  Anlegen  der  Binden.  Kein 
Unterschied  in  der  Stärke  der  zweiten  Töne.  Nach  Abnahme  der  Binden 
derselbe  Befund.  Puls  während  der  Stauung  auf  100  gestiegen,  fallt 
nach  derselben  wieder  auf  71   ab. 

Versuch  XII.  Seh.,  Mann,  30  Jahre,  Herz  und  Lungen  gesund. 
Die  zweiten  Töne  an  der  Herzbasis  ziemlich  laut,  gleich  stark.  Ziemlich 
kräftige  Stauung   an   allen  4  Extremitäten.     2,  9,   12,   19  Minuten   nach 


1)  Dissert.  1.  c. 

2)  Mitteilungen  aus  dem  Grenzgeb.  der  inn.  Med.  u.  Chirurg.  1900  Bd.  VII 
p.  343. 

3)  Hyperämie  als  Heilmittel,  Leipzig  1903  S.  66. 

4)  Deutsch.  Arch.  f.  klin.  Med.   Bd.  1902. 


500  XXVni.  Plaskuda 

Anlegen  der  Binden  keine   Änderung  im  Ausknltationsbefond.    Wibrend 
der  Staunng  Ansteigen  des  Pulses  bis  104. 

Versuch  XIII.  G.,  27  Jahre,  Ekzem,  sonst  gesund.  Zweite  Töne 
an  der  Herzbasis  annähernd  gleich  stark.  Kr&ftige  Stauung  an  4  Ex- 
tremitäten. Unmittelbar  danach  kein  Unten cbied  in  der  Stärke  der  Töne. 
6  Minuten  und  ebenso  24  Minuten  nach  der  Stauuug  zweiter  Fulmonalton 
vieUeicht  etwas  schwächer  geworden  als  der  zweite  Aortenton.  Während 
der  Stauung  Ansteigen  des  Pulses  von  60  auf  92. 

Ein  objektiver  Maßstab  zur  Beurteilung  der  Wirkung  des 
Bindens  der  Glieder  oder  der  kflnstlichen  Blutleere  auf  den  Blut- 
druck kann  nur  durch  direkte  Druckmessungen  gewonnen  werden. 
Es  wurde  zu  diesen  der  Apparat  von  Riva-Rocci  verwendet, 
und  zwar,  da  es  nur  auf  Vergleichswerte  ankam,  mit  der  ursprüng- 
lichen schmäleren,  nicht  mit  der  breiten  von  Recklinghansen 
angegebenen  Manschette.  Mit  letzterer  bekommt  man  bekanntlich 
etwas  niedrigere  absolute  Druckwert«,  die  dem  wahren  Innendrucke 
der  Arterie  sehr  angenähert  sind.  Bei  dem  großen  Einflüsse,  den 
psychische  Erregungen  auf  Steigerung  des  Blutdruckes  haben, 
mußte  mit  großer  Vorsicht  vorgegangen  werden.  Es  wurden,  mit 
wenigen  besonders  verzeichneten  Ausnahmen,  nur  möglichst  ruhige, 
besonnene  Leute  mit  geringfügigen  AflFektionen  ausgewählt.  Die- 
selben wurden  an  die  Manipulationen  mit  dem  Blutdruckapparat 
meist  erst  Tage  oder  Stunden  vorher  zu  gewöhnen  gesucht.  Die 
Versuche  wurden  in  ruhigem  Räume  möglichst  allein  vorgenommen. 
Die  Stauung  war  durchweg  eine  mittelstarke  bis  starke.  An  den 
Beinen  ist  es  nicht  ganz  leicht,  den  richtigen  Grad  der  Stauung 
zu  erzielen,  da  die  Kontrolle  des  Pulses  hier  schwierig  ist  Die 
Binden  müssen  ziemlich  fest  angelegt  werden.  An  den  Armen  ist 
die  Stauung  leichter  vorzunehmen.  Der  Radialpuls  muß  immer 
deutlich  zu  fühlen  bleiben.  Über  den  Grad  der  Stauung  kann  man 
durch  Umfangsmessungen  der  Extremitäten  ein  Urteil  gewinnen. 
Umfangszunahmen  um  1 — 2  cm  sind  bei  guter  Stauung  an  Armen 
wie  Beinen  das  gewöhnliche.  Einmal  wurde  am  Unterschenkel 
3  cm  Zunahme  festgestellt.  Die  verwendeten  Gummibinden  waren 
ca.  6  cm  breit  und  wurden  möglichst  hoch  am  Oberarm  resp.  Ober- 
schenkel angelegt.  Wichtig  für  ein  reines  Resultat  ist,  daß  die 
Binden  keine  wesentlichen  unangenehmen  Empfindungen  verur- 
sachen. Anderenfalls  können  hierdurch  Druck steigeiningen  hervor- 
gerufen werden. 

In  den  meisten  Versuchen  wurde  die  Stauung  an  beiden  Beinen 
und  einem  Arm  angelegt.  Ein  Arm  mußte  zur  Druckmessung  frei 
bleiben. 


Untenachnngeii  ütwr  das  „Binden  der  Glieder"  etc.  50t 

Anf  den  Kurven  der  folgenden  Yersache  bedeoteu  die  Äbscissea- 
zahlen  die  Versnchszeit  in  Minoten,  die  Zahlen  der  Ordinate  fSr 
die  Druckkurve  Millimeter  Quecksilber,  für  die  Kurve  des  Pulses 
die  Frequenz  in  einer  Minute. 

Yerauch  XIV.     Binden  der  Fufigelenke  ohne  Stnuung. 
Kurve  1. 


-  Blatdrack  in  mm  Hg 

■  Pülafrequenz  in  der  Min, 
.  Binden  beider  FuUgelenke 
.  Binden  eines  Armes. 


1^ 

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^jj 

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II 

IB 

11 

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SS 

1« 

■ 

iB 

YerBachsperson  Ton  Versuch  XVII.  Feste  UmHchuünuig  bloß  der 
Fnfigelenke,  dann  aoch  des  rechten  Oberarms,  am  festzustellen,  ob  das 
Binden  sJs  lolobes,  unabhängig  von  der  Stauung,  einen  £tnfiuß  habe. 
Weder  Blutdruck  noch  Puls  werden  beeinflußt. 

Versuch  XV.     Stauung  an  einem  Arm. 
Kurve  2. 


0    10    «)    so   40 
Knabe,    15  Jahre,  RekonyaleaceDt  Ton  Ischias.     Stauung  am  linken 
Oberarm.     Kein  deutlicher  Einflaß  auf  den  Blutdruck. 
Yersucb  XVL     Stauung  an  beiden  Beinen. 
Kurve  3. 


Blntdrnck  in  mm  Hg 

Pulsfrequenz  in  der  M 

a.  Anlegenj^^^B^jj^^j, 

b.  Lasen    ) 


XXVIII.  Plabkdda 


Knabe,  14  Jahre,  Nasenleideo,  sonst  geBond,  SUranug  nicht  sehr  kräftig, 
^eiu  Bicherer  EinfluB  auf  den  Blatdmck,  Steigerung  der  FnUfrequeoz. 
Yerench  XVII.     Stitoang  an  beiden  Beinen. 
Earve  4. 


Blntdruck  in  mm  Hg 

PnlafreqDeDS  in  der  Min. 
«,    Anlegen^  j^^  ^.^^J 
b.   LQsen    /  -  . 


Mann,  20  Jahre,  pieuritiache  Schwarte,  sonst  gesand,  kräftige  Stauung 
an  beiden  Oberschenkeln.  Blutdruck  kaum  beeinflußt,  Pulsfrequenz  inJUiig 
gesteigert. 

Versuch  XVI]I.     Stauung   &a  beiden  Armen  und  Beinen. 


Pulafrequeoz  in  der  Min. 


Ifaun,  17  Jahre,  RekouvaleGoent  Ton  akuter  BroncUlis,  tonst  genind. 
KrSftige  Stauung  an  allen  4  Extremitäten.  Der  Versuch  zeigt,  daB  im 
Verlauf  der  Stauung  die  Pulsfrequenz  erheblich  ansteigt  und  nach  iwta 
Aufhebung  alsbald  wieder  absinkt. 

Versuch  XIX.  Stauung  an  beiden  Beinen  und  einem  Arm. 
Kurve  6. 


—  Blutdruck  in  mm  Hg 
..  PnIsfreqneDS  in  d«! 

Hin. 
B.  Anlegen  der  Binden 

b.  SUrkeres  Anziehen 
der  Binden. 

c.  Usen  der  Bindeu 
X.  Eine  Binde  drückt. 

wird  gelockert 


UntennchangeD  Qber  da»  „BindeD  der  Glieder"  etc.. 


603 


HanD,  abgelaufener  G ei enkrheomati Brnos.  Anfangs  keio  EinänB  des 
Bindeus  aaf  Blutdmok  und  FalHfrequenS.  £r»t  nach  Veratärken  der 
Stanang  tritt  ein  aolcfaer  heivor.  Eine  vorttbergeliende  Steigerung  des 
Blutdruckes  bei  x  ist  wahrscheiDlioh  auf  scfamerzbaften  Druck  einer  Binde 
zn  beziehen. 

Yeraach  XX.     Stauung  au  beiden  Beinen  und  einem  Arm. 
Kurve  7. 


.  Blutdruck  ii 
-  Pulsfrequenz 


Jahre,  postdiphtherische  Lähmung.  Nach  kurzer  ani^ng- 
licher  Steigerung  sinkt  der  Blutdruck  väbrend-  der  Stauung  ab,  die 
Pulsfrequenz  steigt. 

Versach  XXI.    Staunng  an  beiden  Beinen  und  einem  Arm. 


.  Blutdruck  iu  mm  Hg 
Pulsfrequenz  in  der  Hin. 


XXTUL  PI.A8XV&A 


Mann,    20  Jafara,    Ekzem,    sonat   geBond.      TJotcir    dem   EinflaB  der 
StAaimg  Absinken  des  Blutdracka,  Steigerung  der  Palsfrequeni. 


Veraach   XXH.     Staun 
m.     CoUapB. 

Kurve  9. 


lg    an    beiden   Beinen    und 


BiDtdmck  in  mm  Hg 

..:  Palgfregaenz  in  der  Hin. 

b':  tär]  ■^  """"• 


Kräftiger  Vann,  38  Jahre,  Lumbago,  earttt  gesund.  Während  der 
Stauung  Sinken  des  Drucken,  Steigerung  der  Fulsfreqnenz.  Ca.  30  Hinnten 
nach  Beginn  der  Stauung  Zeichen  eines  Collapeea,  Übelkeit,  Brecb- 
ueigung,  starker  SchweiBausbmch,  Blässe  des  Qesichtes,  Pols  klein  und 
weich.  FlötzlJcbes  stärkeres  Absinken  des  Blatdruckes.  Nach  Lösen  der 
Binden  rasche  Etholnng. 

Versuch  XXIIL  Stauung  an  beiden  Beinen  und  einem 
Arm.     Collapa  (s.  Kurve   10). 

Mann,  26  Jahre,  kräftig,  völlig  gesund.  Der  Blutdruck  wnrde  vor 
Beginn  der  Stauung  1  Stunde  lang  gemessen.  Anfangs  170,  fiel  er  hä 
ruhigem  Liegen  des  Mannes  bis  auf  158.  Nach  Beginn  der  Stauung 
während  25  Minuten  geringes  Absinken  des  Druckes  unt«r  inSßiger 
Steigerung  der  Palafrequeoz.  Dann  plötzliches  AbstQrsen  des  Blatr 
druckes  um  über  50  mm  Hg  und  Emporschnellen  der  Fulsfrequenz  um 
über  40  Schläge.  Dabei  Übelkeit,  Schwiadelgemhl,  aufTallende  Blässe  des 
Gesichts,  Schweißausbrach.  Noch  während  des  Collapses  sinkt  der  Puls 
wieder  stark  ab.  Nach  Lösen  der  Binden  rasches  Wiederansteigen  des 
Druckes  auf  höhere  als  die  Anfangswerte. 


UnterauchnDgeo  Qber  das  „Binden  der  Glieder"  etc. 


Blutdruck  io  mm  Hg; 
PnlstreqnenK  in  der  Min, 


Verfluch  XXIV. 
beiden  Beinen 


nächst   an  eine 


Arm,  dann 


90 


— r  Blutdruck  in  mm  Hg 

a.  Anlegen  der  Binde  am  Arm 

b.  Anlegen  der  Binden  au  den 
Beinen. 


Hann,  24  Jahre,  sehr  nervös,  leicbt  erregbar.  Der  vor  der  Stanung, 
offenbar  infolge  Erregung,  bocb  ansteigende  Druck  sinkt  während  der 
Stkoang  etwas,  aber  nicht  bis  zur  Norm  ab. 


Versuch  XXV.  Stauung  an  beiden  Beinen  und  einem 
Arm  bei  einem  Kranken  mit  Hämoptoe  (s.  Kurve  13). 

Apotheker,  27  Jabre,  Hämoptoe  an  mehreren  Tagen  hintereinander. 
Die  Stauung  hat  keine  deutliche  Minderung  des  Druckes  zur  Folge,  Auch 
kliniacb  kein  Erfolg.  Patient  ist  sehr  ner»8a.  Hierauf  sind  die  starken 
Druckschwankungen  wohl  zu  beziehen. 

DantMlies  Arcbiv  f.  klin.  Ucdizin.    LXXX.  Bd.  33 


'  Xxvnt.   Plaskcda  ■ 


•  Blutdruck  io  nun  Hg 
Pn1*freqneDs  in  der  Min. 


Die  vorstehend  beschriebenen  Versuche  lehren  uns,  daß  es 
tatsächlich  durch  eine  genügend  kräftige  und  ausgedehnte  Stanan^ 
gelingt,  den  Blutdruck  um  etwa  20  mm,  d.  i.  um  ca.  14  %  herab- 
snseteen.  Die  Stauung  muß  hiercu  aber  an  drei  Gliedern,  besser 
wobl  noch  an  vieren,  angelegt  werden.  Abbinden  nur  einer  oder 
zweier  Extremitäten  hat  eine  ungenügeode  Wirkung.  Daß  der 
blutdruckmindemde  Einfluß  rein  mechanisch,  darcfa  geringere  Füllung; 
der  ft-eien  Gefäßprovinzen,  zu  erklären  ist,  ist  nicht  v&llig  sieber. 
Es  ließe  sich  auch  vorstellen,  daS  von  deo  unter  erMhtem  Drucke 
stehenden  Gefößen  der  gestauten  ExtremiULt^  aas  eine  reflek- 
torische depressorische  Wirkung  auf  die  freien  GefllSproviuzen  aus- 
geübt würde.  Vielleicht  kombinieren  sich  beide  Faktoren.  Durchaas 
den  Eindruck  einer  Nervenwirkung  machte  das  zweimal  beobachtete 
plötzliche  rapide  Absinken  des  Blutdrucks,  das  mit  den  Erschei- 
nungen des  OoUapses  einherging  (Vers.  XXII  und  XXIII).  Diese 
Dicht  sicher  vermeidbare  Komplikation  des  Abbindens  der  Glieder, 
die  ein  recht  bedrohliches  Ausseben  annehmen  kann,  sfitigt  dazu, 
die  Stauung  fortwährend  zn  fiberwachen.  Ein  weiteres  Moment. 
das  eine  sichere  Dosierung  des  Verfahrens  erschwert,  ist  eine  ab- 
norme psychische  Erregbarkeit  des  Kranken  (Versuch  XXIV  und 
XXV).  Sie  kann  die  drackmindemdeWiitung  der  Stauung  paraly- 
sieren oder  JE  ihr  Gegenteil  verkehren.  Auch  schmerzhafte  Empfin- 
dungen durch  die  Binden  können  Drucksteigerungen  herbeifahren. 
Im  ganzen  möchten  wir  ans  nach  unseren  Versuchen  aber  doch 
dahin    äußern,   daß   die  vorsichtige  Anwendung  des  Bindens  der 


Untersuchungen  tber  das  „Bmden  der  Glieder''  etc. 


507 


Glieder  in  Fällen  von  Blutungen  einer  rationellen  Basis  nicht 
entbehrt. 

Eine  regelmäßige  Begleiterscheinung  einer  wirksamen  Stauung 
ist  eine  Beschleunigung  des  Pulses  um  20—25  Schläge.  Man  wird 
dieselbe  geradezu  als  Maßstab  für  eine  genügende  Wirkung  der 
Stauung  benutzen  können. 

Es  erübrigt  nun  noch^  über  die  Versuche  zu  berichten,  in 
denen  wir  den  Einfluß  künstlicher  Blutleere  der  Extremitäten  auf 
den  Blutdruck  untersuchten. 

• 

Versuch  XXVI.     Künstliche  Blutleere  beider  Beine. 

Kurve  13. 


Blutdruck  in  mm  Hg 


a.  Einwicklung  des  Unken  Beines 


b. 


rechten 


n 


0      10     80     30 


Knab«,  16  Jahre»  gesund.     Der  Druck  steigt  während  der  Blutleere 
in  mäßigem  Grade  an. 


Versuch  XXVII.     Künstliche  Blutleere  in  heiden  Beinen 
ond  einem  Arm. 

Kurve  14. 


Blutdruck  in  mm  Hg 


-  Pulsfrequenz  in  der  Min. 

Zwischen  a.  und  b.  Einwickeln  der 
Extremitäten.  Bei  c.  Beginn  schmerz- 
hafter Empfindungen  durch  die  Bindai. 
Bei  der  Abnahme  der  Binden. 


oioioaoM&oeoTo 


Knahe,  15  Jahre,  gesund.  Der  Blutdruck  steigt,  während  die 
Binden  liegen,  nicht  unerheblich  an.  Es  fällt  die  Hauptsteigerung  aller- 
^gs  mit  schmerzhaften  Empfindungen  durch  die  Binden  zusammen.    Nach 

33* 


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508  xxvm.  Pi^KUD* 

Losen    der  Binden  tritt  eine  reaktive  Hyperlmie  der  Extremititen  nntir 
«nfänglicher  weiterer  Drackiteigernng  ein. 

Yereach  XXYUI.     Künstliche  Blutleere  in  beiden  Beinen 
und  einem  Arm. 


-^  BlutdrDck  in  mm  Ug 
.    PnLsfreqneDZ  in  der  Hin. 
&.   Be^nn  der  Einwicklnii); 

b.  Beginn  von  Par&sthesien 

c.  Läsen  der  Binden. 


Uann,  20  Jahre,  plearitisobe  Schwarte,  sonst  gesund.  Die  Ein- 
Wicklung  der  ExtreinitSten  ohne  Einfluß  auf  den  Blutdruck  bis  aur  die 
letiiten  Üinuten,  wo  Paräathesien  auftreten.  Hier  geringe  Drucksteigerang. 
Nach  Lösen  der  Binden  reaktive  Hyperämie  mit  weiterer  Steigerung  d« 
Druckes. 

Aus  diesen  Versuchen  geht  hervor,  daß  bei  ausgedehnter  künst- 
licher Blutleere  der  ExtreniitÄten  eine  Drucksteigernng  in  den 
freien  Gefäßprovinzen  anftreten  kann,  deren  mechanische  Entstehuojf 
dnrcli  Blutverdrängung  allerdings  nicht  sicher  ist.  Wahrscheinlich 
beteiligen  sieh  an  der  Druckerhdhung  reflektorische  nervöse  Ein- 
Aüsse,  die  auf  Seizung  ensibler  Nerven  durch  den  Bindendruck  and 
die  Blutleere  zurQckzuführen  sind. 

Immerhin  kanu  die  Tatsache  der  Druckerhöhung,  gleichgültig: 
wie  sie  entbtehl.  für  die  therapeutische  Berechtigung  der  „Auto- 
transfusion"  bei  Blutverlusten  herangezogen  werden.  Aber  auch 
wenn  eine  solche  Druckerhöhung  sich  nicht  fände,  wurde  doch  nach 
Blutverlusten  von  der  von  uns  zahlenmäßig  festgestellten  starken  Ver- 
drängung von  Blut  aus  den  Extremitäten  in  die  Gefäßgebiete  des 
Rumpfes  und  Kopfes  theoretisch  ein  Nutzen  ei-wartet  werden  können. 
Die  von  mehreren  Seiten  gegen  die  Autotransfusion  erhobenen  Be- 
denken wurden  oben  erwähnt.  Sie  scheinen  uns  nicht  einwandsfreL 
Doch  liegt  ihre  Diskussion  im  einzelnen  nicht  im  Plane  dieser 
Mitteilung. 


üntersuchangen  über  das  „Binden  der  Glieder*'  etc.  509 

Zum  Schlüsse  fasse  ich  die  gewonnenen  Resultate  nochmals 
kurz  zusammen. 

1.  Durch  Abbindnng  oder  Einwicklung  der  Extremitäten  mittels 
Gummibinden  lassen  sich  dem  Kreislauf  des  Rumpfes  und  Kopfes 
ziemlich  erhebliche  Blutmengen  entziehen  resp.  zufuhren.  Sie  be- 
tragen bei  Einbeziehung  aller  Extremitäten  '^U—^U  1- 

2.  Starke  Stauung  an  3  Extremitäten  (mehr  wohl  noch  an  4) 
setzt  den  Blutdruck  um  ca.  20  mm  Hg  (=  ca.  14  ^o)  herab.  Bei 
„nervösen"  Personen  ist  diese  Wirkung  unsicher.  Gelegentlich 
kommt  es  aber  auch  unter  plötzlichem,  noch  weit  stärkerem  Druck- 
abfall zu  coUapsartigen  Zuständen.  Dieselben  gehen  auf  Lösen 
der  Binden  allerdings  rasch  vorüber. 

3.  Bei  künstlicher  Blutleere  mehrerer  Extremitäten  kommt  es 
zu  Blutdrucksteigerungen,  die  indessen  mehr  auf  nervösen  als 
mechanischen  Einflüssen  zu  beruhen  scheinen. 


xxrx. 

Aus  der  medizinischen  Klinik  in  Greifswald. 
(Direktor:  Prof.  Moritz.) 

Über  TheocinTergiftang. 

Von 

Eduard  AlUrd, 

Assiatenzarzt  der  Klinik. 

Nachdem  D  r  e  s  e  r  auf  der  Naturforscherversammlung  in  Karls- 
bad seine  Untersuchungen  über  die  Theocindiurese  mitgeteilt  hatte, 
fand  das  Mittel  rasch  Eingang  in  die  Therapie.  Die  Veröffent- 
lichungen von  Minkowski  (1),  Meinertz(2),  Schlesinger  {3\ 
Heß(4),Döring(5),  Kramer(e),  Stein(7),  Streit(8),  Stroß  (9), 
Eattner(lO)  die  und  letzten  von  Sigel  (11),  sowie  von  Alk  an  und 
Arnheim(]2)  rühmen  sämtlich  das  Theocin  als  ein  Mittel,  das 
auch  in  Fällen,  in  denen  auf  andere  Weise  Diurese  nicht  mehr  oder 
nur  ungenügend  zu  erzielen  war,  in  der  Regel  noch  eine  über  Er-' 
warten  gute  Wirkung  ausübte.  Diese  zahlreichen  Berichte  geben 
zugleich  ein  Bild  von  der  wachsenden  Verbreitung  des  neuen  Mittels. 
An  unangenehmen  Nebenwirkungen  sahen  alle  Autoren  Übelkeit 
und  Erbrechen.  Störungen  von  Seiten  des  Nerven- 
systems beobachteten  Schlesinger  und  Stroß  in  je  zwei 
Fällen,  auf  die  wir  noch  zurückkommen  müssen. 

Auch  auf  unserer  Klinik  ist  das  Theocin  in  den  letzten  Monaten 
mehrfach  angewandt  worden  und  zwar  mit  demselben  günstigen 
Effekt  auf  die  Diurese,  wie  er  in  den  genannten  Veröffentlichungen 
hervorgehoben  wurde.  Der  Zweck  dieser  Mitteilung  ist  es  daher 
nicht,  die  unbestrittene  Wirksamkeit  des  Theocins  wiederum  zu 
konstatieren.  Wohl  aber  glauben  wir  über  zwei  jüngst  beobachtete 
Fälle  berichten  zu  müssen,  die  das  Theocin  als  ein  gelegentlich 
recht  gefährliches  Mittel  erscheinen  lassen. 

I.  Fall.  Kutscher  M.,  52  Jahre.  Seit  1892  Beschwerden  seitens 
des  Herzens,    etwas  Atemnot  und  Herzklopfen,   die  sich  mit  den  Jahren 


über  Theoeinvergriftimg.  51 1 

st^igert^p.  Mai  1901  zum  ersten  Uale  Odem  der  Beine  und  Aecites; 
jBr  wu]*de  vom  26.  Juni  bis  30.  Juli  und  28.  September  bis  10.  De- 
zember 1901  in  der  hiesigen  Klinik  behf^ndelt  und  gebessert  entlassen. 
Am  14.  Dezeml;^er  1903  erneute^  Aufnahme :•  Hochgradige  Dyspnoe; 
starke  CyanQse,  Großer  Ascites,  Odem  der  Beine,  des  Scrotums  und 
der  Lendengegend.;  Herzdämpfung  von  der  rechten  FarastemalUnie ;  bia 
ein  Querfinger  außerhalb  der  linken  Mamillarlinie.  Spitzenstoß  V«  Inter» 
costalraum  von  Mamillarlinie  bis  vordere  Axillarlinie  fühlbar.  An  Spitae 
und  Mitralis  sausendes  systolisches  Geräusch»  über  Aorta  und  Pulmonalis 
erste  Töne  nicht  h5rbar,  zweite  Töne  aooentuiert.  Bronohit,  oatarrh« 
Duroblalle.     Im  Urin  Eiweiß  und  spärliche  granulierte  Cylinder« 

Unter  Behandlung  mit  Kampfer,  später  Digitalis  wechselte  in  den 
nächsten  Tagen  der  Zustand  des  Fat.  zwischen  Zeiten  erträglicheren  Be« 
findens  und  Stunden,  in  denen  er  bei  elendestem  Puls  stark  dyspnoisoh, 
sehr  unruhig  und  zeitweise  benommen  war.  Am  16.  Dezember  wurde 
der  Ascites  punktiert.  In  den  folgenden  Tagen  floß  aus  der  offen  ge« 
lassenen  Punktionsöffnung  noch  reichlich  Ascitesfiüssigkeit  nach.  Am 
19.  Dezember  bekam  Pat.,  von  dort  ausgehend,  ein  leichtes  Erysipel, 
da«  bis  zum  23.  Dezember  zur  Heilung  kam.  Bei  Behandlung  mit  Digi- 
talis, Coffein,  zuweilen  Kampfer  leidliches  Allgemeinbefinden,  geringer 
Rückgang  der  Ödeme;  die  Diärese  stieg  auf  900  —  900  ccm  täglich. 
Puls  wurde  regelmäßiger  und  gleichmäßiger.  Am  14.  Dezember  hatte 
Pat.  0,3  g  Theocin  bekommen ;  es  wurde  ihm  danach  übel;  deshalb 
wurde  das  Mittel  ausgesetzt.  Am  29.  Dezember  abermals  0,3  g  Theocin; 
wiederum  Übelkeit,  weswegen  der  Pat.  eine  weitere  Dosis  nicht  er* 
hielt,  Urinmenge  am  29.  Dezember  1000  ccm.  Am  30.  bekam  Pat, 
der  sich  vorher  in  dem  erträglichen  Zustande  der  letzten  Tage  befunden 
hatte,  nachmittags  plötzlich  epilepti forme  Krämpfe.  Dabei 
waren  die  Bulbi  nach  links  gewendet,  vor  dem  Munde  stand 
Schaum;  Pat.  bewußtlos.  Die  epileptiformen  Krämpfe  dauerten 
etwa  5  Minuten;  10  Minuten  später  Exitus.  Die  Sektion  ergab:  Skle« 
rose  der  Coronararterien,  die  zum  teilweisen  Verschluß  derselben  geführt 
hatte.  Fibröse  Entartung  der  Herzmuskulatur.  Sehr  starke  Dilatation 
des  linken  Ventrikels.  Stauungslungen  mit  hämorrhagischen  Infarkten« 
Beiderseitige  Pleuraverwachsungen.  Stauungsleber,  -milz  und  -nieren. 
Blutungen  in  der  Magenschleimhaut.  Die  Gehimsektion 
unterblieb. 

II.  Fall.  Arbeiter  W.,  59  Jahre.  Seit  3  Jahren  Klagen  über 
Luftmangel  und  Herzklopfen.  War  deshalb  wiederholt  in  der  hiesigen 
Klinik.  Vorletzte  Aufnahme  am  1.  September  1903  mit  ausgesprochenen 
Erscheinungen  der  Herzinsufficienz.  Am  24.  September  wesentlich  ge- 
bessert entlassen.  Am  29.  Dezember  1903  erneute  Aufnahme«  Starke 
Dy^nöe.  Ödeme  der  unteren  Extremitäten,  Ascites.  Puls  kaum  fühl- 
bar, unregelmäßig.  Im  Urin  Eiweiß  und  reichliche  hyaline,  spärliche 
granulierte  Cylinder.  Urinmenge  soll  in  den  letzten  Tagen  sehr  gering 
gewesen  sein.  Bekommt  sofort  Injektion  von  Kampfer,  ferner  Digitalis 
und  3  X  ^7^  S  Theocin.  Die  Urinmenge  bis  30.  morgens  900  com. 
Allgemeinbefinden   besser.     Am  30.  Dezember  3  X  ^»^  9  Theocin.     Im 


512  XXIX.  Allabd 

Laufe  dieses.  Tages  war  die  ürinmenge  sehr  reichlich,  die  nm  folgenden 
Morgen  gemessene  Menge  betrug  2o00  ccro.  Die  Öderoe  der  Beine 
verschwanden  zusehends,  so  daß  abends  nur  noch  mafiige  Schwellung  der 
Knöchelgegend  bestand;  dabei  die  Herzaktion  kräftiger,  das  Allgemein- 
befinden gut.  In  der  Nacht  zum  31.  Dezember  bekam  Fat.  plötzlich 
epilepti forme  Krämpfe,  zunächst  der  linken  K^rperhälfte,  später 
auch  der  rechten.  Die  Bulbi  waren  bald  nach  links  bald  nach 
rechts  gewendet.  Die  Pupillen  mittel  weit,  ohne  Reaktion.  Schaum 
vor  dem  Munde.  Cheyne-Stokes'sches  Atmen.  Puls  nicht  fühlbar.  Fat. 
bewußtlos.  Nach  2  Stunden  Nachlassen  der  Krämpfe.  Pat.  blieb 
bewußtlos,  Atmung  und  Puls  wie  vorher.  Nach  Aderlaß  und  subcutaner 
Infusion  physiologischer  Kochsalzlösung  vorübergehende  Besserung  des 
Pulses,  geringere  Cyanose.  Am  31.  Dezember  vormittags  11  Vs  ^^ 
lixitus. 

Sektionsbefund :  Hypertrophie  und  Erweiterung  des  rechten  und 
hauptsächlich  des  linken  Ventrikels.  Lungenemphysem.  Atelektase  des 
rechten  und  linken  Unterlappens.  Infarkt  in  der  rechten  Lunge.  Flfisaig- 
keitsänsammlung  in  der  Brust-  und  Bauchhöhle  und  im  Herzbeutel. 
Ödem  der  unteren  Extremitäten.  Herdweise  Entzündung  des  Nieren- 
parenchyms. Fettinfiltration  der  Leber  und  interstitielle  Entzündung. 
Schleimhautgeschwüre  mit  Blutungen  in  der  Magen- 
schleimhaut.    Htmödem. 

Der  unter  deu  geschilderten  Krampferscheinungen  bald  nach- 
einander erfolgte  Tod  dieser  beiden  Patienten  war  um  so  auffal- 
lender, als  sowohl  das  erträglichere  Allgemeinbefinden  derselben^ 
wie  die  Zeichen  objektiver  Besserung  einen  solchen  Ausgang  zur 
Zeit  nicht  vermuten  ließen.  Daß  beide  Patienten  anf  die  Dauer 
nicht  zu  retten  waren,  darüber  dürfte  ein  Zweifel  nicht  bestehen. 
Besonders  bei  dem  ersten  war  auf  alle  Falle  ein  baldiges  Ende 
vorauszusehen.  Wenn  wir  also  in  diesem  Falle  kein  großes  Ge- 
wicht darauf  legen  wollen,  daß  die  Situation  bis  kurz  vor  dem 
Tode  im  ganzen  sich  gebessert  hatte,  so  scheint  uns  aber  doch  das 
Auftreten  der  Krämpfe  sehr  auffällig,  da  für  dieselben  im  son- 
stigen Krankheitsbilde  eine  genügende  Erklärung  fehlte. 

In  dem  zweiten  Fall  dagegen  war  die  subjektive  und  objektive 
Besserung  unter  der  angewandten  Therapie  geradezu  auffallend 
gewesen.  Am  Abend  vor  dem  Exitus  war  bei  reichlicher  Diurese 
die  Herzaktion  kräftiger,  das  Allgemeinbefinden  gut,  die  Dyspnoe 
vei-schwunden,  ebenso  die  Ödeme  der  Beine  bis  auf  eine  geringe 
Schwellung  der  Knöchelgegend  zurückgegangen.  Danach  war  an 
einen  nahen  Tod  des  Patienten  nicht  zu  denken.  Und  auch  hier 
dann  wieder  die  auffälligen  Erscheinungen  epileptiformer  Elrämpfe 
und  Bewußtlosigkeit,  die  zum  Tode  überleiteten.  Die  ja  zunächst 
liegende    Annahme    eines   urämischen   Anfalles  wurde   durch    die 


über  Theocin Vergiftung.  513 

Sektion  nicht  gestützt.  Wir  hatten  eine  vorgeschrittene  Nephritis 
mit  weitgehender  Zerstörung  funktionellen  Gewebes  erwartet  und 
waren  eretaunt,  nur  bei  mikroskopischer  Untersuchung  eine  herd- 
weise parenchymatöse  und  mäßig  interstitielle  Entzündung  zu 
finden.  Makroskopisch  waren  an  den  Nieren  die  geringen  Ver- 
änderungen kaum  zu  erkennen.  Nun  hat  Bartels*)  zwar  urämi- 
sche Erscheinungen  auftreten  sehen,  wenn  künstlich,  mittels 
Schwitz-  oder  Abfuhrkuren  eine  plötzliche  Resorption  hydropi- 
scher  Ergüsse  herbeigeführt  wurde.  Er  teilt  einen  solchen  Fall 
mit^  bei  dem  noch  während  des  Schwitzens  nach  einem  heißen 
Bade  die  urämischen  Krämpfe  ausbrachen.  Der  Kranke  überstand 
dieselben,  war  am  folgenden  Tage  abgeschwollen  und  hatte  eine 
reichliche  Diurese. 

Auch  in  unserem  Falle  war  die  starke  Abschwellung  der 
Beine  während  des  30.  Dezember  sehr  auffallend.  Aber  sie  ging 
alsbald  Hand  in  Hand  mit  einer  ganz  außergewöhnlichen  Harn- 
absonderung,  die  doch  entgiftend  wirken  mußte,  während  in  der 
Beobachtung  von  Bartels  die  Krämpfe  sich  einstellten,  ehe  es 
noch  zu  einer  Steigerung  der  Diurese  gekommen  war.  In  unserem 
ersten  Falle  vollends  war  von  einer  raschen  Resorption  hydropischer 
Ergüsse  überhaupt  nicht  die  Rede.  Angesichts  dieser  Sachlage  und 
unter  Berücksichtigung  aller  begleitenden  Umstände  mußten  wir  zu 
dem  Schlüsse  kommen,  daß  das  Theocin  die  Krämpfe  verursacht  habe. 
Noch  zu  Lebzeiten  des  zweiten  Patienten  war  uns  diese  Vermutung  im 
Hinblick  auf  die  von  Schlesinger^)  veröffentlichten  Fälle  gekommen. 

Ein  Kranker  Schlesinger's  mit  universellem  Hydrops  (Vitium 
cordis  ohne  Erkrankung  der  Nieren)  bekam  am  2.  Tage  der  Darreichung 
von  Theocin  (5  X  ^>^  g  P''o  die)  allgemeine  Konvulsionen  vom  Charakter 
der  epileptischen  mit  Bewußtseinsverlust  von  mehreren  Minuten  Dauer. 
Am  nächsten  Tage  (bei  Fortgebrauch  des  Theocins)  Wiederholung  des 
gleichen  Anfalls.  Nach  Aussetzen  des  Theocins  bis  zu  dem  mehrere 
Wochen  später  erfolgenden  Exitus  kein  neuer  Anfall.  Fast  zur  selben 
Zeit  beobachtete  Schlesinger  bei  einer  Kranken  mit  Vitium  cordis 
ohne  Erkrankung  der  Nieren  nach  Gebrauch  von  5  X  ^»^  g  Theocin 
einen  ganz  analogen  Anfall;  auch  hier  kein  neuer  Anfall  nachdem  das 
Mittel  ausgesetzt  war.  Diurese  in  beiden  Fällen  an  den  Tagen  mit  Kon- 
vulsionen eine  ziemlich  hohe  (über  3  resp.  2  1).  Zwei  ähnliche  Fälle 
sind  auch  von  Stroß^)  beschrieben.  Ein  Kranker  mit  Coronarsklerose 
und  stenokardischen  Anfällen    wurde   am   vierten    Tage    der  Theocindar* 


1)  Ziemßen's  Handbuch  9.  Bd  I.Teil  S.  122 f. 

2)  Therap.  d.  Gegenwart  1903.   März. 

3)  Wien.  klin.  Rundschau  1903,    Ref.  Therap.  Mon.  1903.  Juli. 


514  XXIXv  AhUAMD 

rtichung-  Yon  epUeptiformea  Ko^yal8ionell  befalleo.  Bei  dem  xweiten 
Kranken  mit  Coronarsklerose  und  Aorteninsnf&cienx  kam  es  am  sechsteu 
Tage  nach  dem  Theocingebranch  und  nachdem  das  Mittel  schon  zwei 
Tage  ansgesetst  war,  unter  Cheyne-Stockes'schem  Atmen  zu  epilepti- 
formen  Kr&mp/en.  Der  Verf.  läfit  ea  zweifelhaft,  ob  das  Theocin  die 
Ursache  derselben  gewesen  i^eu 

Während  nun  in  den  Fällen  von  Schlesing^er  und  Stroft 
die  Vergrftnngen  günstig  abliefen,  endeten  unsere  beiden  Fälle 
tödlich,  obwohl  die  gegebenen  Dosen  keineswegs  hohe,  sondern 
durchaus  die  üblichen  waren.  Im  ersten  Falle  wurden  nur  0,6  g 
und  zwar  je  0,8  g  in  Abstand  von  14  Tagen,  im  zweiten  1,5  g  in 
2  Tagen  gegeben. 

Die  Sektion  ergab  keinen  Beftind,  den  man  speziell  für  das 
Auftreten  der  Krämpfe  hätte  verantwortlich  machen  können. 

In  unserem  zweiten  Falle,  der  die  Krampferscheinungen  am 
ausgesprochensten  gezeigt  hatte  —  im  ersten  Falle  unterblieb 
leider  die  Gehimsektion  —  fand  sich  nur  das  bekanntlich  un- 
charakteristische Hirnödem. 

Dagegen  lieferte  die  Obduktion  in  unseren  beiden  Fällen  einen 
bemerkenswerten  Befund  an  der  Magenschleimhaut,  der  eine  Er- 
klärung für  die  appetitstörende  und  brechenerregende  Wirkung  des 
Theocins  liefern  zu  können  scheint,  von  der  die  Autoren  fast 
übereinstimmend  berichten.  In  unserem  Fall  M.  fanden  sich  in 
der  Magenschleimhaut  zahlreiche  punktförmige  Blutungen.  Im 
Falle  W.  wies  die  Magenschleimhaut  überall  hämorrhagische  Flecken 
auf.  Über  die  ganze  Schleimhaut  verteilt  fanden  sich  außerdem 
kleine  oberflächliche  Geschwürchen  vor,  die  etwa  Linsengröße  und 
eine  unregelmäßige  Form  hatten  und  von  einem  meist  hochroten 
Inflltrationshof  umgeben  waren.  Im  Darm  fanden  sich  dagegen 
keine  Geschwüre,  was,  nebenbei  gesagt,  gegen  eine  urämische  Pro- 
venienz der  Magenerosionen  anzuführen  ist,  falls  man  an  eine  solche 
denken  wollte. 

Da  eine  sonstige  Erklärung  für  diese  Veränderungen  in  der 
Magenschleimhaut  fehlte,  so  mußte  sich  die  P>age  nach  einem  Zu- 
sammenbang derselben  mit  d^m  verabreichten  Theocin  aufdrängen. 
Wir  schritten  daher  zu  einer  experimentellen  Untersuchung  übw 
derartige  Nebenwirkungen  des  Mittels,  zunächst  an  Hunden,  später 
an  Kaninchen  und  Katzen.  Über  deren  Ergebnisse  soll  in  folgendem 
kurz  berichtet  werden.  - 

Versuch  I.  Hund.  19,8  kg  Gewicht,  Bekommt  Theocin,  teilweise 
in  Wasser  gelöst,  per  Sohlundsonde  in  den  Magen. 


über  Theocinv^giftung.  515 

7.  Februar  1904.  Dosis  von  2  g  auf  einmal.  Bald  nach  Eingabe 
Brechreiz;  wird  durch  Hochhalten  des  Kopfes  zunächst  am  Erbrechen 
gehindert.     Nach  wenigen  Stunden  Erbrechen.     Frißt  am  Abend  wieder, 

9.  Februar  1904.  5  g.  Wiederholtes  Erbrechen;  Yerweigert  die 
Nahrang;  macht  einen  matten  kranken  Eindruck. 

11.  Februar  1904.  5  g  um  8  TJhr  morgens.  Erbricht  wiederholt; 
frißt  nicht ;  ist  teilnahmslos.  Wird  nachmittags  tot  im  Stall  gefanden.- 
Der  nach  rechts  gedrehte  Kopf,  nach  links  gedrehte  Körper,  die  starr 
ausgestreckten  Beine,  der  Opisthotonus  lassen  vorausgegangene  Krämpfe 
als  wahrscheinlich  annehmen. 

Die  gegebene  Dosis  betrug  10  g  in  5  Tagen,  im  ganzen  ca.  0,5  g 
pro  kg  Korpergewicht. 

Sektionsergebnis:  Starke  Hyperämie  der  inneren  Organe.  Tnibe 
Schwellung  der  Herzmuskulatur.  Subendokardiale  Blutungen.  Zahl- 
reiche Blutungen  und  hämorrhagische  Erosionen  der 
Magenschleimhaut« 

Versuch  11.     Hund.     19,2  kg  Gewicht.    Theocin  per  Schlundsonde, 

15.  Februar  1904.     1,5  g.     Brechreiz. 

16.  Februar  1904.  2  g.  Öfteres  Erbrechen  schleimiger  Massen. 
Frißt  nicht  mehr. 

17.  Februar  1904.  2  g.  Erbrechen.  Fängt  nach  einiger  Zeit  an, 
beim  Grehen  zu  taumeln.  Nach  3  Stunden  Lanfkrämpfe,  im  Anschluß 
dai'an  tonische  Krämpfe  der  Beine,  Opisthotonus,  konjugierte  Deviation 
der  Augen  nach  links;  Schaum  vor  dem  Maul.  Nach  15  Minuten 
Exitus. 

.  Die  gegebene  Dosis  betrug  5,5  g  in  3  Tagen,  also  ca.  0,29  g  pro  kg 
Körpergewicht. 

Sektionsergebnis :  Hochgradige  Hyperämie  der  inneren  Organe.  Sub<« 
endokardiale  Blutungen.  Trübe  Schwellung  der  Herzmuskulatur.  Zahl« 
reiche  Blutungen  und  hämorrhagische  Erosionen  der 
Magenschleimhaut.  Auffallende  Trockenheit  der  Skelettmuskulatur. 
Gehirn  ohne  Befund. 

Versuch  III.    Hund.    18,5  kg  Gewicht.    Theocin  per  Schlundsonde. 
21.  Februar  1904.     2  g  Theocin.     Erbrechen. 

23.  Februar  1904.     1   g  Theocin.     Keine  Symptome. 

24.  Februar  1903.  2  g.  Anscheinend  heftige  Bauchsehmerzen.' 
Der  Hund  wird  sich  oft  klagend  flach  mit  dem  Bauch  auf  den  Boden 
und  bleibt  dann  mit  weit  ausgestreckten  Beinen  lange  liegen.    Erbrechen. 

25. — 29.  Februar.  Täglich  1  g.  Jedesmal  Erbrechen.  Schmerz* 
anfalle,  wie  am  24.  Februar. 

1.  März.  2  g.  Dieselben  Symptome;  dazu  heftiges  Zittern,  Schreck-' 
haftigkeit. 

2.  März.  2  g.  Anfänglich  wie  vorher.  Dann  taumelnder  Gang. 
Starkes  Zittern.  Fällt  oft  zu  Boden.  Schließlich  Krampfanfalle,  Streck- 
krämpfe in  den  Beinen,  Opisthotonus,  Schaum  vor  dem  Maul.    Exitus. 

Die  Dosis  war  hier  14  g  in  11  Tagen,  also  ca.  0,76  g  pro  kg 
Körpergewicht.  Leider  konnte  bei  diesem  Tier  das  frühzeitige  Erbrechen 
nicht  verhindert  werden. 


516  XXIX.    AiXARD 

Sektionsergebnis:  Starke  Hyperämie  der  inneren  Organe.  Fleckige 
Degeneration  der  HerzmnBkolatar.  Subendokardiale  Blatnngen.  Trübe 
Scbwelinng  der  Nierenrinde.-  Im  Magen  mäßig  zahlreiche  Scbleim- 
hautblntangen;  nur  eine  Erosion. 

Die  auffallend  starke  Hyperämie  der  inneren  Oi^ane,  sowie 
die  Veränderangen  der  Herzmusknlator  in  allen  Fällen  nnd  das 
Aussehen  der  Kierenrinde  bei  dem  letzten  Hunde  veranlaßt«  mich, 
bei  den  folgenden  Versuchen,  die  an  Kaninchen  angestellt  wurden, 
diesen  Organen  mehr  Aufmerksamkeit  zuzuwenden. 

Versnch  lY.  Kaninchen.  .  2030  g  Gewicht.  Bekommt  Theocin 
per  Sonde  in  den  Magen. 

6.-^8.  März.     0,5  g  täglich.     Keine  besonderen  Symptome. 
'  9.  März.     Morgens  tot  im  Käfig  gefunden. 
Theocindosis  1,5  g  in  3  Tagen,  also  ca.  0,75  g  pro  kg  Körpergewicht. 

Sektionsergehnis :  Starke  Hyperämie  der  Organe.  "Sabendokardiale 
Blutungen.  Im  Magen  keine  Blutungen.  Die  mikroskopische  Unter- 
suchung ergibt  trübe  Schwellung  und  Zerfall  der  Herzmuskelfasern. 
Starke  Degeneration  des  Nierenparenchyms,  besonders  der  Epithelien  der 
gewundenen  Harnkanälchen,  geringere  der  geraden. 

Versuch  Y.    Kaninchen.    2350  g  Gewicht.    Theocin  subcutan. 

6.  März  0,1  g.  7.  und  8.  März,  10.  und  11.  März,  15.,  18.,  19., 
20.,  22.  und  23.  März  je  0,2  g.  Das  Tier  zeigt  bis  zum  23.  keine 
besonderen  Symptome,  frißt  auch  wie  gewöhnlich. 

Am  23.  März  zeigt  es  4  Stunden  nach  der  Injektion  eine  erhöhte 
Beflexerregbarkeit.  Es  sitzt  unbeweglich  da,  erschrickt  jedoch  beim  ge- 
ringsten Geräusch,  bekommt  beim  Betasten  Zuckungen  in  den  Beinen. 
Schließlich  Streckkrämpfe  in  den  Beinen  mit  Opisthotonus.  Liegt  beim 
Nachlassen  derselben  unbeweglich  auf  dem  Boden.  Auf  den  Bücken 
gelegt,  versucht  es,  sich  umzuwälzen.  Dabei  erneuter  Krampfanfall. 
Nach  3  Minuten  Exitus.  Die  Dosis  betrug  2,1  g  in  17  Tagen,  also 
pro  kg  Körpergewicht  ca.  0,89  g. 

Sektionsergebnis:  Die  gleiche  Hyperämie  der  inneren  Organe.  Sub- 
endokardiale Blutungen.  Blutungen  und  Erosionen  der  Magen- 
schleimhaut. Trübe  Schwellung  der  Herzmuskulatur.  In  den  Nieren 
fand  aich  mikroskopisch  bei  hochgradiger  Hyperämie  der  Nierenrinde, 
besonders  der  Glomeruli,  starke  kömige  Trübung  und  Zerfall  der  Epi- 
thelien der  gewundenen,  weniger  der  geraden  Hamkanälchen.  Außer- 
dem  trübe  Schwellung  der  Magenschleimhaut. 

Versuch  IV.  Kaninchen.  1700  g  Gewicht.  Bekommt  Diuretin 
in  den  Magen^  um  die  Wirkung  dieses  Mittels  mit  der  des  Theocins  zn 
vergleichen. 

3.  und  .4.  März,  6.-^8.  März,  10.,  11.  uiid  13.  Mära  zu  0.5  g 
Diuretin  =  ca.  2,0  g  pro  kg  Körpergewicht. 

Das  Tier   wurde    am  Tage   nach  der  letzten  Dosis  tot  aufgefunden. 


über  Theocin Vergiftung.  517 

£s  hatte  während  der  Behandlung  keine  auffallenden  Symptome  gezeigt^ 
abgesehen  von.  einer  ganz  extremen  Abmagerung.  Es  wog  tot  nur  noch 
1100  g.  Bei  der  Sektion  wurde  makroskopisch  nichts  Abnormes  ge- 
funden. 

Versuch  VII.    Katze.     1000  g  Gewicht.    Theocin  in  den  Magen. 

18.  März  0,1  g,  19.  und  20.  März  0,2  g.     22.  März  0,3  g. 

Das  Tier  zeigt  am  Abend  des  22.  nur  auffallendes  Zittern  in  dem 
ausgestreckten  Schwanz.  Sonst  keine  Symptome.  Wird  am  23.  März 
morgens  tot  aufgefunden.  Der  Kopf  ist  zur  Seite  gedreht;  das  Maul 
mit  Schaum  bedeckt. 

Die  Dosis  betrug  0,8  g  in  5  Tagen  =  0,8  pro  kg.  Körpergewicht.    ' 

Sektion :  Hyperämie  der  inneren  Organe.  Mäßige  trübe  Schwellung 
der  Herzmuskelfasern.  Mäßige  trübe  Schwellung  der  Harnkanälchen- 
epithelien.  Trübe  Schwellung  der  Magenschleimhaut;  in  dieser  eine 
Blutung.     An  einzelnen  Stellen  starker  Zerfall  der  Leberzellen. 

Versuch  VIII.     Katze.     1500  g.    Bekommt  Theocin  subcutan. 

Am  19.  und  20.  März  je  0,1  g,  am  22.  und  23.  März  je  0,2  g, 
am  25.  März  0,3  g.  Bis  dahin  sind  Krankheitserscheinungen  bei  dem 
Tier  nicht  beobachtet  worden.  Eine  halbe  Stunde  nach  der  letzten 
Dosis  Erbrechen.  Dann  Zittern  und  beschleunigte  Atmung.  Nach 
2  Stunden  erhöhte  Beflexerregbarkeit,  zuckt  zusammen  beim  Betasteni 
bei  Geräuschen.  Nach  2^/^  Stunden  erster  Krampfanfall  Yom  Charakter 
der  vorher  beschriebenen.  Nach  kurzer  Pause  zweiter  Anfall.  Im  dritten 
Anfall,  der  20  Minuten  dauerte,  Exitus. 

Die  Dosis  war  in  diesem  Falle  0,9  in  7  Tagen,  also  0,6  g  pro  kg 
Körpergewicht. 

Sektion :  Wiederum  Hyperämie  der  inneren  Organe.  Blutungen  im 
Magen  und  Endokard  fanden  sich  nicht.  Trübe  Schwellung  der  Herz- 
muskulatur, ebensolche  der  Magenschleimhaut.  In  den  Nieren  keine 
deutlichen  Veränderungen.     In  der  lieber  geringer  Icterus. 

Es  sind  also  alle  Tiere  und,  soweit  beobachtet,  mit  den  gleichen 
Erscheinungen,  nämlich  unter  Krämpfen,  durch  die  Verabreichung 
von  Theocin  zugrunde  gegangen. 

Bis  zum  Eintritt  des  Todes  betrug  die  den  Tieren  im  ganzen 
verabreichte  Theocinmenge  pro  kg  des  Körpergewichts  bei  den 
Hunden  0,76  g,  0,29  g,  0,50  g,  bei  den  Kaninchen  0,89  g,  0,75  g, 
bei  deü  Katzen  0,80  g,  0,6  g.  Von  Diuretin  wurde  einem  Kanin- 
chen 2,0  g  pro  kg  Körpergewicht  gegeben,  bis  es  zugrunde  ging. 
Über  die  wirklich  zur  Resorption  gekommenen  Theocinmengen 
können  obige  Zahlen  allerdings  bei  den  Hunden  nichts  Genaues 
besagen,  da  diese  regelmäßig  erbrachen.  Die  Hunde  bekamen  das 
Theocin  per  Schlundsonde  in  den  Magen,  so  daß  dem  Erbrechen 
eine  direkte  Reizung  der  Magenschleimhaut  zugrunde  liegen  kann. 


^18  XXIX.  Allahd 

Indessen  zeigt  Versuch  VIII  an  der  Katze,  daß  es  auch  bei 
subcutaner  Applikation  von  Theocin  gelegentlich  zu  Erbrechen 
kommt. 

Sehr  bemerkenswert  ist  die  starke  Schädigung  der  Magen- 
schleimhaut bei  der  Mehrzahl  der  Tiere,  die  ein  vollkommenes 
Analogon  zu  unseren  Befunden  beim  Menschen  bildet.  Alle  drei 
Hunde,  ein  Kaninchen  und  eine  Katze  zeigten  Blutungen,  zum  Teil 
mit  Erosionen  in  der  Magenschleimhaut.  Versuch  V  am  Kaninchen 
ergibt,  daß  diese  Schleimhautschädigung  kein«  direkte  zu  sein 
braucht,  sondern  auch  vom  Blute  aus  nach  subcutaner  Applikation 
des  Theocins  auftreten  kann. 

Bemerkenswert  sind  femer  die  Veränderungen,  die  das  Theocin 
in  Form  trüber  Schwellung  an  den  verschiedensten  Organen  hervor- 
rufen kann.  In  keinem  Falle  fehlte  eine  derartige  Schädigung  an 
der  Herzmuskulatur,  nur  in  einem  Fall  (Versuch  IV)  an  der  Magen- 
schleimhaut. Zu  den  Schleimhautblutungen  im  Magen  stehen  in 
Parallele  subendokardiale  Blutungen  am  Hei*zen,  die  sich  bei  allen 
Hunden  und  Kaninchen  fanden.  Bd  den  meisten  Tieren,  besonders 
den  Hunden  und  Kaninchen  fand  sich  auch  trübe  Schwellung  und 
zum  Teil  starker  Zerfall  der  Epithelien  der  Harnkanälchen.  Die 
geringsten  Veränderungen  wiesen  von  den  untei-suchten  Tierarten 
die  Katzen  auf.  Nur  diese  aber  sind  von  Dreser  zu  der  Prüfung 
des  Theocins  verwendet  worden. 

Wie  wenig  quantitative  toxikologische  Prüfungen  von  Arznei- 
mitteln an  Tieren  eine  durchgehende  Übertragung  auf  den  Menschen 
gestatten,  geht  aus  unseren  Beobachtungen  aufe  deutlichste  hervor. 
Die  letale  Theocindosis  betrug  pro  kg  Körpergewicht  —  in  ver* 
teilten  Gaben  —  bei  den  Tieren  fast  durchgehends  über  0,5  g,  was 
beim  Menschen  einer  Gesamtdosis  von  mindestens  25  g  entsprechen 
würde  (Annahme  von  nur  50  kg  Körpergewicht).  Dagegen  sahen 
wir  beim  Menschen,  im  ersten  Falle  bei  einer  Gesamtdosis  von 
0,6  g,  d.  i.  von  höchstens  0,012  g  und  im  zweiten  Falle  von  1,5  g. 
d.  i.  0,03  g  pro  kg  Körpergewicht,  die  allarmierenden  toxischen 
Symptome  auftreten.  Denn  daß  die  am  Menschen  von  uns  beob- 
achteten oben  geschilderten  Erscheinungen  auf  Theocinwirkung  zu 
beziehen  seien,  darüber  kann  unseres  Eracht^ens  bei  dem  weit- 
gehenden Parallelismus  charakteristischer  Erscheinungen  amMenschen 
und  am  Tier  —  hier  wie  dort  Krampferscheinungen,  hier  wie  dort 
Blutungen  und  Erosionen  der  Magenschleimhaut  —  ein  Zweifel 
nicht  bestehen.  Es  muß  daher  auch  mindestens  als  wahrscheinlich 
erscheinen,  daß  die  parenchjmatösen  Veränderungen,  die  das  Theo- 


über  Theocin  Vergiftung.  619 

ein  bei  den  Tieren  an  den  verschiedenen  Organen  hervorruft  sich 
ebenfalls  beim  Menschen  einstellen  können. 

Es  liegt  aber  in  der  Natur  der  Fälle,  bei  denen  das  Theocin 
verordnet  zu  werden  pflegt,  daß  solche  Veränderungen,  vor  allem 
an  Herz  und  Nieren,  in  der  Regel  auf  das  Grundleiden  werden  be- 
zogen werden,  wegen  dessen  das  Mittel  eben  zur  Anwendung  kam. 

Wir  haben  nach  den  gemachten  Erfahrungen  die  weitere 
therapeutische  Anwendung  des  Theocins  nicht  mehr  für  zulässig 
erachtet. 

Literatur. 

1.  Minkowski,  Theirap.  d.  Gegenwart,  Not.  1902.  2.  Meinertz,  Therap. 
Mon..  Febr.  1903.  3.  Schlesinger,  Therap.  d.  Gegenw.,  März  1903.  4.  Heli, 
Therap.  Mon.,  1903.  5.  Döring,  Münch.  m.  Woch.  1903  Nr.  9.  6.  Kramer, 
Münch.  med.  Woch.  1903  Nr.  13.  7.  Stein,  Prag.  med.  Woch.  1903  Nr.  16, 
8.  Streit,  Heilkunde,  April  1903.  9.  Stroß,  Wien.  klin.  Rundschau  1903  Nr.  20. 
10.  Kattner,  Dissert.  Wtirzburg  1908.  11.  Sieel,  Berl.  klin.  Woch.  1904. 
12.  Alk  an  u.  Arn  heim,  Therap.  Mon.,  Jan.  1904. 


XXX. 

Aus  der  Königl.  med.  Univ.-Klinik  iii  Greifswald. 
(Direktor:  Prof.  Dr.  Moritz.) 

Über  Faßlähmong,  speziell  Peronensiahmang, 

bei  Bübenarbeitern. 

Von 

Dr.  med.  Werner  Schultz, 

Assistenzarzt  der  Klinik. 

Im  Sommer  1902  und  1903  kamen  in  unserer  Klinik  drei  Fälle 
von  Lähmung  resp.  Parese  im  Gebiet  der  Nn.  peroneus  und  tibialis 
zur  Beobachtung,  welche  ßiibenarbeiter  betrafen.  Die  Kranken- 
geschichten sind  kurz  folgende: 

I.  Wilhelm  J.,  Schoitter  (i.  E.  Peldarbeiter),  17  Jahre  alt.  Auf- 
genommen am  12.  Juli  1902. 

Patient  gibt  an,  seit  4  Wochen  auf  dem  JRübenfelde  in  knieender 
Stellung  zu  arbeiten.  Sehr  bald  stellten  sich  Beschwerden  in  den  Beinen 
ein.  Beim  Erheben  aus  der  knieenden  Stellung  fühlte  er  zunächst  im 
linken  Bein  „Eingeechlafensein"  und  Sensationen,  als  ob  sich  Würmer 
darin  bewegten  und  Nadeln  prickelten.  Die  Bewegungen  der  Zehen  und 
des  Fußgelenkes  waren  gehemmt.  Hierauf  traten  dieselben  Beschwerden 
auch  im  rechten  Bein  auf  so  daß  die  Arbeit  auf  eine  Woche  ausgesetzt 
werden  mußte.  Da  die  krankhaften  Symptome  etwas  zurückgingen, 
Wiederaufnahme  der  Arbeit.  Unter  zunehmender  Oehstörung  hat  er 
sich  dann  noch  14  Tage  hingeschleppt,  um  seit  2  Tagen  Yöllig  arbeits- 
unfähig zu  sein. 

Status  praesens:  Mittlerer  Kräfte-  und  Ernährnngszastand. 
Von  leichter  HJitralinsufficienz  abgesehen  an  den  inneren  Organen  nichts 
pathologisches.  Dagegen  ist  der  Gang  „hahnentrittartig**.  Die  moto- 
rische Störung  ist  am  ausgesprochensten  links,  doch  ist  auch  die  rechte 
Seite  beteiligt.  In  der  Ruhelage  hängt  die  Fußspitze  nach  abwärts  und 
kann  nur  wenig  dorsalwärts,  aber  auch,  wenn  passiv  gehoben,  nur 
schwach  plantarwärts  bewegt  werden.  Objektive  sensible  Störungen  sind 
au  den  Beinen  nicht  nachzuweisen.  Die  Patellarreflexe  sind  beiderseits 
vorhanden. 

Diagnose:  Doppelseitige  Parese  im  Tibialis-  und  Peroneusgebiet, 
besonders  in  letzterem,  vorwiegend  links. 


über  Fnßlähmniigj  speziell  Peroneaslähmnng,  bei  KUbenarbeiteni.     521 

Patient  wnrde  nach  2^/^  Wochen  gebessert  entlassen.  Die  Beweg- 
lichkeit der  Füße  hatte  sich  wieder  eingestellti  wenn  aach  die  Kraft 
noch  gering  war. 

II.  Stanislawa  M.,  Schnitterin,  15  Jahre  alt.  Aufgenomnien  am 
17.  Juli  1902. 

Die  Erkrankung  hat  sich  vor  14  Tagen  beim  „E^üben verziehen*' 
eingestellt.  Schon  am  2.  Tage  der  für  die  Patientin  ungewohnten  Be- 
schäftigung bemerkte  sie  den  Beginn  einer  Gehstörung. 

Status  praesens:  Stanislawa  AI.  ist  ein  schwächliches  Mädchen 
von  zierlichem  Körperbau.  Die  Untersuchung  der  inneren  Organe  er- 
gibt keine  wesentlichen  pathologischen  Veränderungen.  Der  Gang  ist 
auffallend:  die  Oberschenkel  werden  abnorm  hoch  gehoben,  während  die 
Fußspitzen  nach  unten  hängen  und  die  Zehen  sowie  der  äußere  Fußrand 
fast  am  Boden  schleifen.  Bei  Eückenlage  hängen  die  Füße  nach  ab- 
wärts. Die  Dorsalflexion  der  Füße  ist  beiderseits  unmöglich,  die  Plan- 
tarflezion  rechts  unmöglich,  links  schwach  ausführbar.  Dagegen  sind  die 
Zehen  dorsal-  wie  plantarwärts  beweglich,  jedoch  rechts  schwächer  als 
links.  Objektive  Sensibilitätsstörungen  bestehen  nicht.  Bei  faradischer 
Reizung  der  Nn.  peronei  beiderseits  am  Fibulaköpfchen  hebt  sich  der 
äußere  Fußrand.  Die  Beweglichkeit  der  Beine  im  Knie  ist  beiderseits 
gut.  Die  Patellarreflexe  sind  beiderseits  vorhanden,  jedoch  ist  der 
rechte  schwächer  als  der  linke. 

Diagnose:  Doppelseitige  Tibialis-  und  Peroneuslähmung,  rechts 
starker  als  links. 

m.  Begine  B.,  Arbeiterfrau,  32  Jahre  alt.  Aufgenommen  am 
12.  Juli  1903. 

Den  Beginn  der  Erkrankung  datiert  die  Patientin  4  Wochen  zurück, 
nachdem  sie  2 — 3  Tage  auf  dem  Bübenfelde  in  knieender  Stellung  ge- 
arbeitet hatte.  Zunächst  bemerkte  sie  eine  „Steifigkeit'*  in  den  Beinen, 
das  Aufstehen  wurde  ihr  schwer,  sie  mußte  sich  helfen  lassen.  Gleich- 
zeitig stellte  sich  das  Gefühl  von  Ameisenlaufen  in  den  Füßen  ein,  wäh- 
rend die  Empfindung  für  Berührung  schlecht  wurde.  Beim  Gehen  über 
unebenen  Boden  neigte  der  rechte  Fuß  zum  Umkippen.  Alle  diese  Be- 
schwerden bestanden  doppelseitig,  nur  wurde  die  linke  Seite  etwas 
später  und  weniger  intensiv  alteriert.  Die  Patientin  arbeitete  noch  3  bis 
4  Tage  weiter,  dann  wurde  die  Fortsetzung  der  Arbeit  unmöglich  und 
ärztliche  Hilfe  mußte  in  Anspruch  genommen  werden. 

Für  Potatorium,  Lues  und  Tuberkulose  bestehen  bei  der  B.  anam- 
nestisch,  sowie  nach  der  objektiven  Untersuchung  keine  Anhaltspunkte. 

Status  praesens:  Patientin  ist  von  mittelgroßer  Statur,  kräf- 
tigem Knochenbau,  gut  entwickeltem  Fettpolster  und  kräftiger  Musku- 
latur. Gesicht  und  Hände  sind  wettergebräunt.  Die  Untersuchung  der 
inneren  Organe  ergibt  im  wesentlichen  normale  Verhältnisse.  Am  Herzen 
bestehen  die  Zeichen  einer  leichten  Mitralinsufficienz.  Eine  Atrophie 
der  Unterschenkel  besteht  beiderseits  nicht.  Am  Gange  fallt  das  mangel- 
hafte Heben  der  Fußspitzen  auf.  Bei  Horizontallage  der  Patientin  be- 
finden sich  beide  Füße  in  Equinovarusstellung.  Die  Dorsalflexion  ge- 
schieht beiderseits  mit  verminderter  Kraft,  die  Plantarflexion  geht  besser 

Deutsches  Archiv  f.  klin.  Medizin.    LXXX.  Bd.  34 


522  XXX.   Schultz 

von   Btatteiii    jedoch   macht  es   der  Patientin  Schwierigkeit   sich  längere 
Zeit    auf   den  Zehenspitzen   sa    halten.     Auf   den  Faßrücken   besteht  in 
dem  Bezirke  des  N.  peroneus  saperf.  Hypästhesie. 
Faradische   Erregbarkeit  des 
N.  peron.  rechts  bei  5'/^  cm  (normal  bei  ca.   11,5  cm) 

links  bei  7  cm  Rollenabstand. 
N.  tib.  rechts  bei  6  cm  (normal  bei  ca.   11  cm), 

links  bei  7  cm  Bollenabstand. 
Galvanische  Erregbarkeit  des 
M.  tib.  ant.  rechts  AnSZ     KSZ,  träge  Znckung, 
MinimalzuckuDgen  bei  4  resp.  5  MA, 
links  AnSZ  ;  KSZ,  träge  Zuckung, 
Minimalzuckungen  bei  5  resp.  6  MA. 
M.  extens.  digg.  rechts  AnSZ  =  KSZ,  träge  Zuckung, 
Minimalzuckung  bei  4  MA, 
links  AnSZ  /  KSZ,  träge  Zuckung, 
MinimalzuckuDgen  bei  4,5  resp.  6  MA, 
träge  Zuckung. 
M.  gastrocnem.  medial,  rechts  KSZ  /  AnSZ, '  spurweise  träge, 
Minimalzuckung  KSZ  bei  3,5  MA, 
links  KSZ  ,  AnSZ,  spurweise  träge, 
Minimaizuckung  KSZ  bei  3  MA. 

Diagnose:  Doppelseitige  Lähmung  im  Gebiet  des  N.  peroneus  und 
tibialis. 

Im  Verlaufe  der  Beobachtung  verschwanden  die  Sensibilitätsstörungen 
in  S^A^  Wochen.  Zur  Zeit  der  Entlassung,  nach  S'/j  Wochen,  war  die 
Gehfäbigkeit,  insbesondere  die  Dorsalreflexion  der  Füße  gebessert,  jedoch 
noch  keineswegs  normal,  so  daß  ein  weiterer  über  Wochen  hinaus  sich 
ziehender  Krankheits verlauf  wahrscheinlich  war. 

Die  mitgeteilten  Fälle  bieten  an  sich  keinerlei  besonderes  In- 
teresse dar.  Es  sind  Lähmungen  im  Gebiete  der  ünterschenkel- 
nerven  von  der  bekannten  Symptomatologie.  Wenn  wir  trotzdem 
die  Aufmerksamkeit  auf  sie  lenken  möchten,  so  geschieht  es,  weil 
sie  ausgesprochene  Berufskrankheiten  darstellen,  welche  für  alle 
die  Bezirke,  in  denen  Rübenbau  getrieben  wird,  ein  nicht  uner- 
hebliches praktisches  Interesse  beanspruchen. 

Die  Arbeit  des  „Rüben Verziehens"  besteht  darin,  daß  die  Leute 
auf  den  Knieen  hockend  über  die  Erde  hinrutschen  und  rechts  und 
links  die  schwächeren  und  zu  dicht  stehenden  Pflanzen  heraus- 
reißen um  den  stärkeren  Luft  zu  machen.  Die  Arbeitszeit  ist  ge- 
legentlich eine  sehr  lange.  So  gab  die  Kranke  Fall  III  an,  vor- 
mittags von  5 — 12  und  nachmittags  von  1 — 8  Uhr  gearbeitet  zu 
haben.  Es  erscheint  verständlich,  daß  bei  dem  stundenlangen 
Knieen  und  Hinrutschen  über  den  Boden  Schädigungen  der  Unter- 
schenkelnerven werden  eintreten  können,  hauptsächlich  wohl,   in- 


über  FüßlähmüDg,  speziell  Peroneuslähmung,  bei  Rübenarbeitem.      523 

dem  eine  Knickung  und  Kompression  der  Nn.  tibiales  und  peronei 
in  oder  oberhalb  der  Kniekehle  resp.  eine  Störung  der  Cirkulation 
in  denselben  erfolgt. 

Solche  Schädigungen  können  sich,  wie  wir  es  ja  auch  sonst 
bei  mechanischen  Insulten  an  Nerven  beobachten,  bei  Nichtbeach- 
tung der  ersten  Wamungssignale  —  Parästhesien  und  vorüber- 
gehende Paresen  —  bis  zu  vollkommener  Leitungsunterbrechung 
und  damit  zu  motorischen  und  eventuell  sensiblen  Lähmungen 
steigern.  Zu  der  mechanischen  Schädigung  wird  sich  gelegentlich 
auch  noch  eine  respiratorische  gesellen  können,  da  die  Erde  in 
der  Frühe  oft  feucht  und  kalt  ist,  während  die  Arbeitenden  er- 
hitzt sind  und  zu  schwitzen  pflegen.  Besonders  für  solche  Fälle 
würde  der  letztere  in  der  Ätiologie  der  Neuritiden  ja  Bürgerrecht 
genießende  Faktor  in  Betracht  zu  ziehen  sein,  in  denen  neuritische 
Erscheinungen  über  das  Gebiet  der  Unterschenkelnerven  hinaus 
sich  finden. 

Für  die  vorzugsweise  Schädigung  die  gerade  der  N.  peroneus  bei 
der  Rübenarbeiterlähmung  erfährt,  lassen  sich  übrigens  neben  den 
soeben  angeführten  auch  noch  andere  Erklärungen  heranziehen. 
Rein  quantitativ  wäre  es  möglich,  daß  der  im  Vergleich  mit  dem 
N.  tibialis  faserärmere  Nerv  schon  eine  gleich  intensive  Schädi- 
gung stärker  würde  hervortreten  lassen. 

Dazu  kommt  aber  noch,  daß  der  N.  peroneus,  wie  D.  Ger- 
hardt (1)  experimentell  gezeigt  hat,  ein  spezifisch  leicht  verletz- 
licher Nerv  zu  sein  scheint.  Gerhardt  legte  „nur  langsam 
schädigend  einwirkende  in  Terpentin  getauchte  Wollfäden"  an  den 
bloßgelegten  N.  ischiadicus  des  Versuchstieres  an.  Dabei  „trat 
die  Entartungsreaktion  zum  Teil  allein,  zum  Teil  viel  früher  im 
Peroneusgebiet  ein  und  befiel  hier  wiederum  am  stärksten  die 
Mm.  peronei".  Mit  diesem  Ergebnis  stimmt  auch  die  klinische  Er- 
fahrung von  der  besonderen  Häufigkeit  der  Peroneuslähmung  bei 
Polyneuritiden,  z.  B.  bei  Alkoholneuritis,  überein. 

Peroneuslähmungen  bei  Arbeitern,  die  in  knieender  Stellung 
arbeiteten,  sind  wiederholt  beschrieben  worden,  so  bei  KartoflFel- 
arbeitern  von  Zenker  (2)  und  Roth  (3)  einem  Pflasterer  von 
0 1 1  (4)  einem  Tischler  von  R  e  m  a  k  (5),  der  auch  Steinsetzer  .an- 
führt, einem  Asphaltarbeiter  und  einem  Leitungsröhrenanleger  von 
Bernhardt  (6),  einem  Dienstmädchen  von  Krön  (7)  und  einer 
Torfsetzerin  von  Frankenstein  (8). 

Auch  über  analoge  Fälle  bei  Rüben arbeitern  finde  ich  schon 
Publikationen,  und  zwar  eine  von  Hoff  mann  (9)  und  eine  von 

34* 


524  XXX.  Schultz 

Seif f er  (10),  von  denen  der  erstere  drei  Fälle  aus  Baden,  der 
letztere  sechs  Fälle  aus  der  Provinz  Sachsen  mitteilt.  Ihnen 
schließen  sich  nun  die  von  uns  namhaft  gemachten  Fälle  ans 
Pommern  an.  Es  mußte  von  vornherein  wahrscheinlich  erscheinen, 
daß  eine  Atfektion  die  so  evident  durch  eine  Berufsschädlichkeit 
verursacht  ist,  der  zur  Zeit  des  „Rübenverziehens"  Tausende  von 
Arbeitern  unterliegen,  nicht  selten  sein  kann. 

So  erzählte  denn  auch  die  Patientin  Fall  III,  daß  gleichzeitige 
mit  ihr  noch  zwei  andere  Arbeiterinnen  im  Alter  von  15  nnd 
17  Jahren  Gehstörungen  bekommen  hätten,  zunächst  jedoch  die 
Arbeit  fortsetzen  konnten.  Daß  an  den  Kliniken  solche  Fälle 
trotzdem  nur  relativ  selten  beobachtet  zu  werden  scheinen,  wird 
an  der  gewöhnlich  verhältnismäßigen  Gutartigkeit  der  Lähniung^ 
liegen,  derzufolge  die  Fälle  nicht  an  Kliniken  zur  Aufnahme  kommen. 
Daß  sie  aber  in  der  Praxis  recht  häufig  sein  müssen,  geht  aus  einer 
wertvollen  Mitteilung  hervor,  die  wir  von  einem  beschäftigten  Arzte 
der  Umgegend,  Herrn  Sanitätsrat  Schlentzka  in  Anklam  erhalten 
haben.  Für  die  freundliche  Auskunft  und  die  Erlaubnis,  sie  an 
dieser  Stelle  zu  benutzen,  danken  wir  dem  Herrn  Kollegen  auf  das 
verbindlichste. 

Dr.  Schlentzka  schreibt:  „Die  nervösen  Störungen  (gemeint 
sind  Beinlähmungen  der  oben  genannten  Art)  habe  ich  seit  etwa 
8 — 10  Jahren,  jedes  Jahr  Anfang  Juni,  also  zu  der  Zeit  beobachtet, 
in  welcher  die  Zuckerrüben  verzogen  werden.  Ich  habe  alljährlich 
5—6  Fälle,  in  diesem  Jahre  (1903)  aber  12  Fälle  behandelt.  Die 
Kranken  waren  stets  Schnittermädchen ')  im  Alter  von  16—29 
Jahren,  in  diesem  Jahre  auch  ein  Schnitterbursche  von  17  Jahren. 
Die  S3'niptome  waren  bei  allen  Patienten  die  gleichen.  Sie  be- 
standen in  Parästhesien  des  Unterschenkels  und  Fußes,  meist  Un- 
empfindlichkeit  der  vorderen  Fläche  des  Unterschenkels  und  des 
Fußrückens  und  Schmerzgefühl  in  der  Wade.  Die  am  meisten  in 
die  Augen  springende  Erscheinung  aber  war  stets  die  Lähmung 
der  für  die  Dorsalflexion  des  Fußes  bestimmten  Muskeln.  Die 
Kranken  schleiften  beim  Gehen,  da  ihnen  der  Fuß  schlaff  im  Fuß- 
gelenk nach  unten  hing,  mit  der  Fußspitze  schurrend  über  den 
Fußboden  oder  aber,  wenn  sie  die  Beine  hochhoben,  klappten  sie, 
als  wenn  sie  Pantofl*eln  anhätten,  mit  der  Fußsohle  laut  auf  den 


1)  Die  meist  polnischen  Arbeiter,   welche  zu  den  Feld-  und  Erutearbeiten 
alljährlich  für  einige  Monate  herangezogen  werden,  bezeichnet  man  hierzulande 


kurzweg  als  „Schnitter''. 


über  Fußlähmung,  speziell  Peroneuslähmung,  bei  Rübenarbeitem.       525 

Boden.  Diese  Erscheinungen  kommen  einseitig,  ebensowohl  aber 
auch  doppelseitig  vor.** 

Herr  Dr.  Schien tzka  erwähnt  ferner,  daß  die  Lähmung  sich 
in  seinen  Fällen  unter  Elektrisieren  und  dem  Gebrauche  von  lokalen 
Fichtennadelbädern  in  der  Regel  in  8—14  Tagen  zurückgebildet 
hätten,  daß  einmal  aber  auch  bei  einer  jungen  Schnitterin,  bei  der 
die  Lähmung  bereits  8  Wochen  bestand,  sich  eine  Besserung  wäh- 
rend seiner  Beobachtung  nicht  erzielen  ließ.  Ebenso  berichtet 
Sei  ff  er  (1.  c.)  über  solche  mittelschwere  und  schwere  Fälle  und 
auch  in  unserem  3.  Falle  war  die  Besserung  in  einer  Zeit  von 
ö'/a  Wochen  noch  keineswegs  eine  völlige. 

Zum  Rübenverziehen  werden,  wie  uns  ebenfalls  Herr  Dr. 
Schlentzka  mitteilt,  auf  den  größeren  pommerschen  Gütern  fast 
ausschließlich  russische  oder  polnische  „Schnitterinnen"  verwendet, 
während  die  männlichen  Arbeiter  andere  Beschäftigungen  erhalten. 
Daher  das  Überwiegen  des  weiblichen  Geschlechts  bei  der  Er- 
krankung. Diese  Arbeiterinnen  haben  auf  den  ausgedehnten  Rüben- 
feldern (100 — 200  Morgen  bei  größeren  Gütern)  längere  Zeit.  Tag 
für  Tag  in  der  oben  angegebenen  Stellung  zu  arbeiten,  während 
in  der  Stadt  den  „Ackerbürgern*'  für  die  weniger  ausgedehnten 
Ländereien  Schulkinder  zur  Verfügung  gestellt  werden.  Auch 
Sei  ff  er  erwähnt,  daß  in  der  Provinz  Sachsen  die  Schulkinder  zu 
emev  gewissen  Zeit  des  Sommers  „ Rüben verziehferien"  bekämen. 
Fassen  wir  alles  zusammen,  die  Ausdehnung  des  Rübenbaues  in 
Deutschland,  die  gleichlautenden  Veröffentlichungen  von  Hoff- 
mann,  Seiffer  und  uns,  sowie  die  Aufschlüsse,  die  wir  über  die 
Häufigkeit  der  Rübenarbeiterlähmung  in  der  Praxis  allein  schon 
von  einem  Arzte  erhalten  konnten,  so  glauben  wir  nicht  fehl 
zu  gehen,  w-enn  wir  diese  Beschäftigungslähmung  als  eine  der 
häufigsten  überhaupt  bezeichnen,  wenn  es  nicht  geradezu  die 
häufigste  ist. 

Prophylaktisch  ließe  sich  wahrscheinlich  manches  erreichen, 
wenn  die  Arbeiter  angewiesen  würden,  die  ersten  Symptome,  näm- 
lich stärkere  und  dauerndere  Parästhesien  alsbald  anzugeben,  da- 
mit sie  für  einige  Zeit  geschont  oder  zu  anderer  Arbeit  verwendet 
würden.  Ist  es  erst  zu  der  Lähmung  gekommen,  so  ist  die  Arbeits- 
kraft gewöhnlich  für  Wochen  und  länger  brachgelegt. 


Literaturverzeichnis. 

1.  Gerhardt,  Neurolog.  Centralbl.  1895 Nr.  13.    Sitzuugsber.  der  XX.  Wauder- 
versamml.  der  südwestdeutschen  Neurologen  und  Irrenärzte. 


526   XXX.  Schultz,  Üb.  Faßlähmnng,  spez.  Peroneuslähmung',  bei  RübenArbeitern. 

2.  Zenker,  Mitteilungen  ttber  eine  bisher  nicht  beschriebene  Beschäftignngs- 
neurose.    Berliner  klin.  Woschenschr.  1883  Nr.  41. 

3.  Roth,  Berliner  klin.  Wochenschr.  1883  S.  715. 

4.  Ott,  Philadelph.  med.  times  188ö  Nr.  447  (cit  nach  Seiffer). 

5.  Eemak,  Sitzungsbericht  der  Gesellschaft  für  Psrchiatrie  und  Nervenkrank- 
heiten zu  Berlin.  Nenrolofi^  Centralblatt  1888  Nr.  2.  —  Derselbe 
Nothnagel,  Spec.  Pathol.  und  Therapie  3  1900. 

6.  Bernhardt,  wie  5  erstes  Oitat.  XI,  —  Derselbe,  Die  Erkrankungen 
peripherer  Nerven  II.  Aufl.   Wien  19u2. 

7.  Krön,  Sitzungsbericht  des  Vereins  fttr  innere  Medizin  zu  Berlin.  Berl.  klin. 
Wochenschr.  1897  Nr.  26. 

8.  Frankenstein,  Über  Arbeitsparesen  an  den  unteren  Extremitäten.  Inang.- 
Diss.   Berlin  1897. 

9.  Hoff  mann,  Kasuistische  Mitteilungen  aus  der  Heidelberger  medizin.  Klinik 
Deutsche  Zeitschr.  für  Nervenheilkunde  Bd.  9  Heft  3  u.  4. 

10.   Seiffer,  Beitrag  zur  Ätiologie  der  Peroneuslähmung.    Berl.  klin.  Wochen- 
schr. 1897  Nr.  51. 


XXXI. 

(Aus  dem  pathologisch-anatomischen  Institut  des  Stadtkranken- 
hauses zu  Dresden-Friedrichstadt.    Obermedizinalrat  Prof. 

Dr.  Schmorl.) 

Überblick  über  die  Lehre  von  den  Ösophagusdivertikeln 
mit  besonderer  Berücksichtigung  der  klinischen  Bedeutung 

der  Traktionsdivertikel. 

Von 

Dr.  med.  Georg  Riebold, 

Hilfsarzt  am  Stadtkrankenhaus  Johannstadt,  ehemal.  ext.  Hilfsarzt  am  pathologischen  Institut. 

Die  Ösophagusdivertikel  sind  neuerdings  sowohl  im 
Hinblick  auf  ihre  pathologisch-anatomische,  wie  ihre  klinische  Be- 
deutung, eingehenden  Forschungen*)  unterzogen  worden,  durch 
welche  erwiesen  wurde,  daß  die  vielfach  angefochtene,  alte  Zenk er- 
sehe Divertikellehre  in  ihren  Grundzügen  noch  bis  auf  den  heutigen 
Tag  zu  Recht  besteht,  wenn  sie  auch  in  manchen  Punkten  be- 
richtigt und  vervollständigt  werden  mußte. 

Es  erscheint  als  eine  dankbare  Aufgabe,  die  Ergebnisse  aller 
jener  Untersuchungen  kurz  zusammenzufassen,  und  damit  einen 
Überblick  über  den  jetzigen  Stand  der  Divertikellehre  zu  geben. 

Zenker^)  kannte  nur  Pulsions-  und  Traktionsdiver- 

1)  Brosch,  Zur  Lehre  von  den  Ösophagusdivertikeln.  Deutsches  Archiv 
f.  klin.  Med.  1900,  Bd.  67.  —  Hausmann,  Zur  Anatomie  und  Pathogenese  der 
Div.  der  vord.  Ösophagus  wand.  Virch.  Archiv  1902,  Bd.  168.  —  Fischer, 
über  Sondierun^sverletzungen  und  Div.  d.  Ösophagus.  Deutsch.  Archiv  f.  klin. 
Med.  1903,  Bd.  78.  —  Kraus,  Die  Erkrankungen  der  Mundhöhle  und  der 
Speiseröhre.  Nothnagel's  spez.  Pathol.  u.  Ther.  1902,  Bd.  XVI,  1.  Teil,  H.  Abt. 
Riebold,  Ein  Beitrag  zur  Lehre  von  den  Ösophagusdivertikeln.  Virch.  Arch. 
1903,  Bd.  173.  —  Rosenthal,  Die  Pulsionsdivertikel  des  Schlundes,  Mono- 
graphie, Leipzig  1902.  —  Starck,  Die  Divertikel  der  Speiseröhe,  Monographie, 
Leipzig  1900. 

2)  Zenker  und  v.  Ziemssen,  Krankheiten  der  Speiseröhre.  Ziemssen^s 
Handbuch  der  spez.  Pathol.  u.  Ther.    Bd.  VII,  1.  Hälfte. 


528  XXXI.  BiBBOLD 

tikel.  Jetzt  muß  man  als  eine  weitere  selbständige  Gruppe  die 
Traktionspulsionsdivertikel  festhalten,  bei  deren  Ent- 
stehung die  beiden  ganz  verschiedenen  ätiologischen  Momente  — 
Traktion  und  Pulsion  —  vereint  wirksam  sind,  die  sonst  bei  der 
Entstehung  der  Divertikel  nur  allein  in  Betracht  kommen. 

Unter  Pulsionsdivertikeln  versteht  man  umschriebeDe 
halbkuglige  oder  sackförmige  Ausbuchtungen  der  Speiseröhrenwand, 
die  durch  einen  Druck  von  innen  entstehen. 

Nach  der  Zenker 'sehen  Lehre  sitzen  sie  ausschließlich  im 
untersten  Teil  des  Pharjiix,  an  der  Stelle,  wo  er  in  den  Oesophagus 
übergeht,  und  zwar  regelmäßig  in  der  hinteren  Wand.  In  den 
letzten  Jahren  hat  man  hingegen  gefunden,  daß  typische  Pulsions- 
divertikel  auch  an  anderen  Stellen  vorkommen.  Man  unterscheidet 
demnach  jetzt  zweckmäßigerweise  neben  den  Zenker' sehen, 
pharyngo-ösophagealen  Pulsionsdivertikeln,  die  wegen 
des  konstanten  Sitzes  an  der  Grenze  von  Schlund  und  Speiseröhre 
von  Rosenthal  kurz  und  treffend  als  Grenzdivertikel  be- 
zeichnet werden,  höher  gelegene  —  pharyngeale  und  tiefer  ge- 
legene —  ösophageale  Pulsionsdivertikel. 

Die  pharyngealen  Pulsionsdivertikel  sind  enorm 
selten;  in  der  Literatur  finden  sich  nur  vier  sichere  Fälle  (Klose 
und  Paul,  Wheeler,  Heusinger,  Bartelt  cf  Rosenthal 
1.  c).  Sie  werden  auf  Entwicklungsstörungen  im  Bereich  der 
Kiemenfurchen  zurückgeführt,  die  darin  gegeben  sind,  daß  die 
inneren  Schlundfurcheu  zum  Teil  offen  bleiben,  und  nachträglich 
durch  Innendruck  vergrößert  werden.  Sie  sind  demnach  in  Ana- 
logie zu  setzen  mit  den  branchiogenen  Cystentumoren  und  den 
Halsfistelu.  Wir  werden  sie  nur  an  den  Stellen  erwarten  dürfen, 
wo  innere  Fistelöffnungen  vorkommen,  nämlich  im  Gegensatz  zu 
den  Grenzdivertikeln  nur  in  der  seitlichen  Pharynx  wand,  und 
nie  unterhalb  des  recessus  piriformis,  der  nach  His  den  bleibenden 
Rest  der  untersten  Schlundfurche  darstellt. 

Die  seitlichen  Pharynxdivertikel  machen  nicht  die  schweren 
Erscheinungen,  wie  die  Grenzdivertikel.  Stärkere  Schluckbeschwer- 
den sind  nicht  beobachtet  worden.  Man  hat  Anschwellungen  am 
Hals,  Stimmbandlähmung  durch  Druck  des  Divertikels  auf  den 
Nervus  laryngeus  superior,  die  durch  Entspannung  des  Divertikel- 
sacks  gehoben  war,  starke  Atemnot  bei  bestimmten  Körperlagen, 
Foetor  ex  ore  und  ähnliche  Symptome  beschrieben. 

Die  Diagnose  ist  leicht  zu  stellen,  da  die  Mündung  des  Sacks 
zu  sehen  oder  zu  fühlen  ist.    Die  Therapie  würde  sich  auf  regel- 


Überblick  über  die  Lehre  von  den  Ösophagusdivertikeln  etc.  529 

mäßige  Entleerung  des  Divertikelsacks  und  Ausspülung  mit  ad- 
stringierenden  Mitteln  beschränken,  um  die  Beschwerden,  die  von 
der  Zersetzung  des  Divertikelin halts  herrühren,  zu  mildern.  In 
einem  Falle  wurde  durch  operative  Behandlung  eine  völlige  Heilung 
erzielt    Die  Prognose  scheint  ziemlich  günstig  zu  sein. 

Weit  wichtiger  und  häufiger  sind  die  pharyngo-ösopha- 
gealen  oder  Zenker'schen  oder  Grenzdivertikel,  von  denen 
mehr  denn  100  Fälle  beschrieben  worden  sind.  Sie  kommen  nur 
bei  älteren  Leuten  vor,  kaum  je  vor  dem  30.  Lebensjahre.  Unter 
79  Fällen,  in  denen  das  Geschlecht  angegeben  ist,  befinden  sich 
60  Männer  und  nur  19  Frauen,  es  überwiegt  also  das  männliche 
Geschlecht  bedeutend  (Starck  1.  c).  Die  Grenzdivertikel  sitzen, 
wie  gesagt,  stets  in  der  Hinterwand  der  Speiseröhre,  etwa  dem 
unteren  Teil  der  Ringknorpelplatte  gegenüber;  sie  erreichen  eine 
beträchtliche  Größe,  die  Größe  einer  Mannesfaust  oder  eines  Kinds- 
kopfes. 

Durch  die  neuesten  Untersuchungen  ist  die  Zenker 'sehe 
Lehre,  nach  der  die  Divertikel  ein  erworbenes  Leiden  dar- 
stellen und  auf  rein  mechanischem  Wege  entstehen,  bestätigt  worden. 

Ein  Pulsionsdivertikel  kann  sich  nur  dann  ausbilden,  wenn 

1.  eine  umschriebene  Stelle  der  Schlundwand  von  Natur 
schwach,  oder  durch  andere  Momente  geschwächt  ist, 
und  wenn 

2.  ein  Innendruck  vorhanden  ist,  der  jene  schwache  Stelle 
vorbuchtet. 

Eine  von  Natur  schwache  Stelle  findet  sich  in  der  hinteren 
Schlundwand  im  Bereich  der  unteren  Querfasern  des  Musculus 
constrictor  pharyngis  inf.,  hier  fehlt  die  äußere  Längsmuskelschicht 
oft  völlig  und  hier  sitzen  regelmäßig  die  Grenzdivertikel.  Diese 
physiologische,  angeborene  Schwäche  der  hinteren  Schlundwand, 
die  für  die  Entstehung  der  Pulsionsdivertikel  wahrscheinlich  das 
Hanptmoment  abgibt,  ist  bei  den  verschiedenen  Individuen  sehr 
wechselnd.  Ist  sie  sehr  hochgradig,  so  begreift  man,  daß  die  Oso- 
phaguswaud  gerade  hier,  wo  sie  der  stützenden  Längsmuskulatur 
entbehrt,  einem  Innendruck  nachgeben  wird.  So  finden  sich  auch 
schon  normalerweise  bei  gesunden  Individuen  beutehörmige  Aus- 
buchtungen der  hinteren  Eachenwand,  die  vielleicht  als  Vorstufen 
der  Divertikelbildung  anzusehen  sind  (Rosenthal  1.  c). 

Die  Schwächung  der  hinteren  Pharynxwand  kann  auch  durch 
ein  Trauma  erworben  sein.  Zenker  schrieb  diesem  Umstand  die 
Hauptrolle  zu;  er  glaubte,  daß  durch  Einklemmung  von  Fremd- 


530  XXXI.    RiBBOLD 

körpern  im  Schlund  die  Muskulatur  auseinandergedrängt  würde, 
oder  daß  dabei  einzelne  Muskelfasern  zerrissen,  oder  daß  durch 
eine  Verbrennung  oder  Verätzung  die  Muskulatur  geschädigt,  und 
dadurch  in  ihrer  Widerstandsfähigkeit  herabgesetzt  werden  könnte, 
oder  daß  durch  ein  Trauma  von  außen  kleine  Risse  in  der  Musku- 
laris entstünden.  Wenn  man  bedenkt,  daß  die  hintere  Rachenwand 
traumatischen  Insulten  ganz  besonders  ausgesetzt  ist,  einmal  weil 
sie  von  Natur  schwach  ist  und  dann,  weil  bei  einer  Stauung  oder 
einer  Einklemmung  von  Fremdkörpern  ein  Ausweichen  nach  Yom 
unmöglich  ist,  weil  die  vordere  Wand  an  die  Ringknorpelplatte  ge- 
heftet und  durch  dieselbe  gestützt  ist,  so  darf  man  dem  Trauma 
eine  gewisse  Bedeutung  nicht  absprechen,  wenn  es  auch  sicherlich 
nicht  die  wesentliche  Rolle  spielt,  die  ihm  Zenker  zuschrieb.  Nur 
14  mal  wird  in  der  Anamnese  der  Divertikelkranken  ein  Trauma 
angegeben,  das  wahrscheinlich  in  ursächlichem  Zusammenhang  mit 
der  Entwicklung  der  Divertikel  stand. 

Endlich  kann  die  hintere  Rachenwand  vielleicht  auch  noch  in- 
folge von  nervösen  Störungen  nachgiebig  werden.  Man  hat  Grenz- 
divertikel  nach  akuten  Infektionskrankheiten,  namentlich  nach 
Typhus,  beobachtet  und  hierbei  an  lokale  Paresen  der  Schlundmus- 
kulatur gedacht  Auf  ähnliche  Weise  wurde  die  Entstehung  eines 
Grenzdivertikels  gedeutet,  bei  dem  man  als  Ursache  der  lokalen  Parese 
einen  poliomyelitischen  Herd  im  obersten  Halsmark  fand  (Kraus,  I.e.) 

Für  den  Fall,  daß  eine  lokale  Schwäche  der  hinteren  Schlund- 
wand vorhanden  ist,  wird  wahrscheinlich  schon  ein  physiologische 
Grenzen  nicht  überschreitender  Innendruck  genügen,  jene  schwache 
Stelle  im  Laufe  der  Zeit  divertikelartig  vorzubuchten. 

Tatsächlich  findet  man  in  vielen  Fällen  kein  Moment,  das  eine 
Erhöhung  des  Innen  drucks  hätte  verständlich  machen  können. 

Als  pulsierende  Kraft  kommt  neben  dem  Schlingakt  wahrschein- 
lich auch  der  hohe  Druck  der  Exspirationsluft  beim  Niesen ,  Husten« 
Blasen  von  Blasinstrumenten,  artikuliertem  Sprechen  in  Frage. 
Soweit  der  Beruf  angegeben  ist,  fanden  sich  (nach  Rosenthal) 
Divertikel  6 mal  bei  Geistlichen,  4 mal  bei  Offizieren,  3 mal  bei 
Beamten,  je  2  mal  bei  Oboebläsern,  Lehrern  und  Kaufleuten,  Imal 
bei  einem  Arzt  —  also  auffallend  oft  bei  Leuten,  deren  Beruf  ein 
häufiges,  lautes  Sprechen  erfordert. 

Wichtiger  als  der  Exspirationsdruck  ist  aber  jedenfalls  der 
Druck,  der  beim  Schlingakt  ausgeübt  wird,  weil  hierbei  wieder 
speziell  die  hintere  Rachenwand  betroffen  wird,  gegen  welche  die 
vom  Zungengrund  mit  ziemlicher  Kraft  herabgepreßten  Bissen  zu- 


Überblick  über  die  Lehre  von  den  Ösophagusdivertikeln  etc.  531 

nächst  anprallen.  Besonders  groß  wird  dieser  Druck  beim  raschen, 
hastigen  Schlingen  sein,  und  dann,  wenn  die  Bissen  durch  Größe 
und  Konsistenz  zum  Schlingen  ungeeignet  sind. 

Organische  und  funktionelle  Schlinghindernisse  können  die 
Divertikelbildung  begünstigen,  weil  sie  zu  einer  Stauung  von  Speise- 
teilen fuhren  können,  und  damit  sowohl  eine  Disposition  für  Ver- 
letzungen schaffen,  als  auch  ganz  besonders  eine  vorübergehende 
Druckerhöhung  bedingen.  Immerhin  ist  aber  auch  hierbei  erstes 
Erfordernis  umschriebene  Schwäche  der  Muskulatur,  denn  sonst 
kommt  es  nicht  zu  einer  lokalen  Vorbuchtung.  sondern  zu  einer 
gleichmäßigen  Dilatation  oberhalb  der  schwer  passierbaren  Stelle. 

Ein  Schlinghindernis,  das  bis  zu  einem  gewissen  Grade  als 
physiologisch  anzusehen  ist,  und  das  nur  in  seiner  Größe  sehr 
variieren  kann,  ist  darin  gegeben,  daß  sich  am  Übergang  des 
Pharynx  zum  Ösophagus  eine  enge  Stelle  findet.  Der  Durchmesser 
der  Speiseröhre  beträgt  hier,  ebenso  wie  in  Bifurkationshöhe  und 
am  unteren  Ende  nur  12 — 14  mm,  während  er  in  den  Zwischen- 
strecken 22  mm  erreicht.  Jene  physiologisch  enge  Stelle  am  Beginn 
des  Ösophagus  ist  außerdem  noch  dadurch  ausgezeichnet,  daß  sie 
die  geringste  Ausdehnungsfähigkeit  besitzt,  wodurch  die  Passage 
größerer  Bissen  noch  ganz  besonders  erschwert  werden  kann. 

Als  weitere,  die  Divertikelbildung  begünstigende  Schling- 
hindemisse  werden  folgende  angeführt:  Ätzstrikturen,  Reflexkrampf 
der  Osophagusmuskulatur,  ausgesprochene  ßingfaltenbildung  der 
Speiseröhrenschleimhaut;  ferner  Kompression  des  Ösophagus  von 
außen  durch  Strumen,  durch  Drüsenschwellungen  am  Hals,  durch 
überaus  enge  und  hohe  Halsbinden  und  Kragen,  durch  Verknöche- 
rung der  Kehlkopfknorpel.  Namentlich  auf  das  letztere  Moment 
ist  großes  Gewicht  gelegt  worden ;  man  hat  dadurch  die  Häufigkeit 
der  Divertikel  bei  Männern  erklären  wollen,  weil  bei  ihnen  die 
Verknöcherung  der  Kehlkopfknorpel  viel  früher  eintritt,  als  bei 
Frauen. 

Die  Entstehung  der  Grenzdivertikel  hat  man  sich,  um  noch 
einmal  kurz  zusammenzufassen,  folgendermaßen  vorzustellen: 

Die  von  Natur  schwache  oder  durch  traumatische  oder  nervöse 
Einflüsse  geschwächte  hintere  Pharynxwand  wird  durch  den  Innen- 
druck beim  Schlingakt,  der  durch  Schlinghindernisse  noch  vermehrt 
werden  kann,  oder  auch  durch  den  Exspirationsdruck  zunächst  in 
geringem  Grade  ausgebuchtet.  Entweder  werden  nun  hierbei  die 
Muskelbündel  des  Muse,  constrict.  phar.  inf.  auseinandergedrängt, 
und  die  Bedingung  für  die  Entstehung  eines  Schleimhautbruchs 


532  XXXI.    RiBBOLD 

ist  geschaffen,  oder  das  vorprebuclitete  hintere  Pharynxende  bildet 
sich  im  ganzen  zu  einer  Tasche  um,  ehe  die  auseinandergedrängten 
Muskelfaserbündel  die  Schleimhaut  zwischen  sich  durchtreten  lassen. 
Im  ersteren  Falle  entsteht  eine  reine  Schleirahauthemie,  im  letz- 
teren ein  Diverti)vel  mit  Muskelfasern  in  der  Wand.  Die  weitere 
Vergrößerung  des  Divertikelsacks  geschieht  nicht  nur  durch  Pulsion. 
sondern  auch  dadurch,  daß  das  Gewicht  hineingeratener  Speisen 
einen  Zug  auf  die  umgebende  Wand  ausübt.  So  stellen  die  Grenz- 
divertikel  erworbene,  allmählich  sich  ausbildende  Anomalien  dar, 
die  sich  auf  Grund  einer  angeborenen  Disposition  entwickeln  können. 
Es  ist  verständlich,  daß  jene  disponierende  physiologische  Schwäche 
der  hinteren  Pharynxwand  familiär  besonders  hochgradig  ent- 
wickelt sein  kann,  und  so  darf  es  nicht  wundernehmen,  daß  zwei- 
mal Grenzdivertikel  bei  Mutter  und  Sohn  beobachtet  wurden 
(Rosenthal,  1.  c.i. 

Alle  jene  Theorien,  die  kongenital  angelegte  Gruben  zur  Er- 
klärung der  Grenzdivertikel  annehmen,  werden  einmal  durch  das 
ausschließliche  Vorkommen  der  Grenzdivertikel  bei  älteren  Leuten 
widerlegt,  und  dann  durch  die  Überlegung,  daß  an  der  Hint^rwand 
des  PhaiTux,  dort,  wo  die  Grenzdivertikel  sitzen,  die  Entstehung 
kongenitaler  Gruben  entwicklungsgeschichtlich  undenkbar  ist.  Denn 
die  inneren  Kiemenfurchen,  die  man  herangezogen  bat,  münden  in 
der  seitlichen  Pharynxwand  und  höher  als  die  Divertikel.  Die 
Abschnürungen  im  Gebiet  des  embryonalen  Verdauungsrohrs,  durch 
die  jene  hypothetischen  Gruben  auf  irgend  eine  Weise  entstehen 
sollten,  betreffen  ausschließlich  dessen  Vorderwand.  Die  Rachen- 
taschen  verschiedener  Säugetiere  endlich,  denen  die  atavistische 
Theorie  Alb  recht 's  die  Grenzdivertikel  an  die  Seite  stellen 
wollte,  liegen  viel  höher  als  diese. 

Die  anatomischen  Verhältnisse  der  Pnlsionsdivertikel 
sind  einfache.  Der  Divertikelsack  besteht  meist  nur  aus  der 
zwischen  den  Muskelfasern  hindurchgetretenen  Schleimhaut,  die 
reich  an  elastischen  Fasern  ist,  und  der  fascienartig  verdickten 
äußeren  BindegewTbsschicht.  Ein  vollständiger  Muskelüberzug 
fehlt  stets,  während  an  einem  Teil  des  Divertikelsacks  sich  gelegent- 
lich Muskelfasern  finden.  Die  Schleimhaut  ist  oft  verdünnt,  weist 
entzündliche  Prozesse,  flache  Geschwüre,  Narben  auf,  oder  sie  ist 
hypertrophisch.  Infolge  der  dauernden  chemischen  und  mechani- 
schen Reize  kann  es  zu  chronischen  Entzündungsvorgängen  kommen, 
die  zu  einer  starken,  warzenartigen  Entwicklung  der  Papillen  und 
zur  Wucherung  der  obersten  Epithelschichten  führen.   Interessanter- 


Überblick  über  die  Lehre  von  den  Ösophagusdivertikeln  etc.  533 

weise  sind  2  Fälle  beobachtet  —  der  eine  davon  im  hiesigen  patho- 
logischen Institute  — ,  bei  denen  sich  ein  primäres  Carcinom  im 
Divertikelsack  entwickelt  hatte  (Pitt  1896,  Hüttner  1900,  cf. 
Kosenthai,  1.  c). 

Der  Verlauf  der  Krankheit  ist  ein  außerordentlich  lang- 
wieriger und  erstreckt  sich  meist  auf  Jahrzehnte.  Die  ersten 
Symptome,  die  die  Grenzdivertikel  machen,  bestehen  in  ßeiz- 
erscheinungen ,  Trockenheit  und  Kratzen  im  Hals,  Reizhusten, 
Räuspern,  Würgen,  bisweilen  Erbrechen,  Salivation,  Schleimspucken. 
Sodann  kommt  es  zu  ganz  leichten  dysphagischen  Störungen  und 
weiterhin  zu  wirklichen  Stenosenerscheinungen,  die  anfangs  nur  ein 
Druckgefühl  im  Hals  beim  Schlucken  von  festen  Bissen  verursachen, 
bis  dann  gelegentlich  einmal  ein  Bissen  wirklich  stecken  bleibt, 
der  unter  Würgen  wieder  nach  oben  oder  durch  energische  Schluck- 
bewegungen nach  unten  gedrängt  wird.  Das  Steckenbleiben  wieder- 
holt sich  erst  in  großen  Zwischenräumen,  später  häufiger.  Immer 
stellen  sich  vorübergehend  Besserungen  ein.  Oft  bestehen  die 
Schluckbeschwerden  nur  bei  den  ersten  Bissen,  oft  nur,  nachdem 
die  ersten  Bissen  glatt  geschluckt  worden  sind.  Am  Ende  tritt 
eine  undurchdringliche  Stenose  auf,  die  die  Ernährung  vom  Munde 
aus  unmöglich  macht.  Die  Stenosenerscheinungen  erklären  sich 
durch  Zug  und  Druck  des  Divertikelsacks.  Durch  den  Zug  wird 
die  direkte  Fortsetzung  der  Pharynxachse  in  die  Osophagusachse 
unterbrochen,  so  daß  die  Speisen  anstatt  in  den  Ösophagus,  in  das 
Divertikel  geraten.  Durch  den  Zug  wird  weiterhin  die  Otfnung 
des  Ösophagus  in  die  Länge  gezogen,  angespannt  und  schlitzartig 
verschlossen.  Durch  Druck  kann  der  gefüllte  Divertikelsack  von 
außen  den  Ösophagus  vollständig  komprimieren.  Ein  wichtiges 
Symptom  der  Grenzdivertikel  ist  die  Regurgitation,  die  Entleerung 
der  in  das  Divertikel  gelangten  Massen,  die  oft  willkürlich,  oft 
ganz  plötzlich,  unerwartet,  oft  während  des  Essens,  oft  später  er- 
folgt. Die  regurgitierten  Massen  sind  unverdaut,  reichlich  mit 
Schleim  durchsetzt,  sie  riechen  übel,  faulig,  enthalten  niemals  Salz- 
säure, aber  öfters  Milchsäure  und  verzuckerte  Stärke. 

Bei  erheblicher  Größe  des  Divertikelsacks  tritt  derselbe  aus 
seiner  eingezwängten  Lage  zwischen  Ösophagus  und  Wirbelsäule 
heraus,  um  in  den  seitlichen  Halspartien  als  Halsgeschwulst  sichtbar 
zu  werden,  die  je  nach  dem  Füllungszustand  des  Divertikels  wächst 
oder  abnimmt. 

Sehr  charakteristisch  sind  die  beim  Essen  und  in  der  Ruhe 


534  XXXI.    RiEBOLD 

auftretenden  Hals^eräasche,  die  bei  gleichzeitiger  Anwesenheit  von 
Speisestoffen  und  von  Luft  im  Divertikel  entstehen. 

Manchmal  besteben  heftige  Schmerzen,  oft  fehlen  sie  gänzlich. 
Eines  der  lästigsten  Symptome  ist  der  Foetor  ex  ore,  der  von  den 
fauligen  Zersetzungen  der  stagnierenden  Speisereste  herrührt. 

Weitere  Symptome  erklären  sich  durch  Druckwirkungen  des 
Divertikels  auf  benachbarte  Organe;  so  kam  es  zu  Respirations- 
störungen, Herzklopfen,  Kongestionen  nach  dem  Kopfe,  diffusen 
Brustschmerzen,  Neuralgien,  Heiserkeit  kommen. 

Zur  Sicherstellung  der  Diagnose  bedient  man  sich  nament- 
lich der  Sondenuntersuchung.  Charakteristisch  ist  ein  Wechsel  in 
der  Sondierbarkeit,  indem  man  mit  dicken  Sonden  bald  bis  in  den 
Magen  gelangt,  bald  auf  der  Divertikelschwelle  hängen  bleibt  oder 
ins  Divertikel  gerät. 

Unter  Umständen  kann  man  neben  der  Sonde  im  Divertikel 
noch  eine  zweite  in  den  Ösophagus  einfuhren.  Oft  ist  die  Sondie- 
rung sehr  schwer  und  gelingt  nur  bei  bestimmten  Haltungen  der 
Kranken  oder  nur  mit  der  am  unteren  Ende  gekrümmten  Leube- 
schen  Divertikelsonde.  Immer  ist  Vorsicht  am  Platze;  es  sind 
zwei  Fälle  bekannt  geworden,  in  denen  nach  einer  Perforation  beim 
Sondieren  eine  Mediastinalphlegmone  entstand,  während  ein  Spontan- 
durchbruch eines  Grenzdivertikels  bisher  niemals  beobachtet  wurde. 
Laryngoskopie  und  Ösophagoskopie  hatten  bisher  wesentliche  dia- 
gnostische Erfolge  nicht  aufzuweisen,  wohl  aber  hat  man  mit  Hilfe 
der  Röntgendurchleuchtung  die  Diagnose  stützen  können,  nachdem 
man  den  Divertikelsack  mit  einer  Aufschwemmung  von  salpeter- 
saurem Wismut  gefüllt  hatte. 

Die  Therapie  des  internen  Arztes  ist  ziemlich  machtlos  und 
genügt  im  allgemeinen  nur  der  Indicatio  symptoniatica.  Durch  Son- 
dieren sucht  man  Stenosen  zu  beseitigen,  den  Weg,  den  die  Speisen 
nehmen  sollen,  offen  zu  halten  und  Nahrung  einzuführen. 

Weiterhin  sorgt  man  für  regelmäßige  Entleerung  des  Diver- 
tikelsacks  und  Ausspülung  mit  desinfizierenden  Flüssigkeiten. 

In  beginnenden  Fällen  hat  man  mit  Erfolg  versucht,  durch 
den  elektrischen  Strom  die  Pharynxmuskulatur  zu  kräftigen,  um 
dadurch  der  hinteren  Schlundwand  eine  festere  Stütze  zu  geben, 
oder  mit  der  Sonde  die  Divertikelschwelle  nach  unten  abzudrängen, 
um  dadurch  die  Entstehung  der  Sackform  des  Divertikels  hint- 
anzuhalten. 

Eine  wirkliche  Heilung  der  Grenzdivertikel  ist  nur  auf  opera- 
tivem Wege  möglich,  und  zwar  durch  Exstirpation  des  Divertikel- 


Überblick  über  die  Lehre  von  den  Ösophagusdivertikeln  etc.  535 

sacks.  Dieselbe  wurde  1884  von  Niehaus  zum  ersten  Male  ge- 
macht. Neuerdings  ist  die  Operationstechnik  sehr  vervollkommnet 
worden.  Unter  15  bisher  operierten  Fällen  trat  11  mal  Heilung 
ein.  Vielfach  wird  empfohlen,  vor  der  Divertikeloperation  eine 
Gastrostomie  zu  machen,  die  auch  schon  früher  gelegentlich  als 
Palliativoperation  ausgeführt  wurde.  In  einem  derartigen  Falle 
ging  sogar  bei  2  jähriger  Ernährung  durch  die  Magenfistel  das 
Divertikel  zurück,  wodurch  bewiesen  wird,  daß  das  Wachstum  der 
Divertikel  im  wesentlichen  durch  die  Pulsion  beim  Schlingakt  be- 
einflußt wird. 

Die  Prognose,  die  bisher  eine  absolut  ungünstige  war  inso- 
fern, als  die  Zenker 'sehen  Divertikel  ein  progressives  Leiden  mit 
schließlichem  tödlichen  Ausgang  darstellen,  ist  durch  die  Möglich- 
keit einer  operativen  Behandlung  wesentlich  gebessert  worden. 
Früher  erlag  ^^4  aller  Divertikelkranken  dem  Hungertod,  andere 
gingen  an  Aspirationspneumonien  oder  Lungengangrän  zugrunde^ 
heute  vermag  man  u.  U.  durch  eine  zwar  nicht  ungefährliche  Ope- 
ration eine  völlige  Heilung  zu  erzielen. 

Die  ösophagealen  Pulsionsdivertikel  sind  seit  etwa 
20  Jahren  näher  bekannt,  haben  aber  erst  in  der  allerletzten  Zeit 
die  gebührende  Beachtung  gefunden.  Sie  gleichen  in  ihrer  Form 
den  Zenker'schen  Divertikeln  und  sind  bis  zu  Mannsfaust  g  r  ö  ß  e 
beschrieben  worden;  sie  scheinen  sich  aber  im  allgemeinen  nicht 
so  rasch  zu  vergrößern  wie  jene.  Die  meisten  der  bis  jetzt  be- 
kannten Fälle  hatten  nur  Kirsch-  oder  Pflaumengröße.  Es  handelt 
sich  zumeist  um  reine  Schleimhauthemien,  die  nur  aus  der  zwischen 
der  zurückweichenden  Muskulatur  hindurchgetretenen  Schleimhaut 
und  einem  Bindegewebsüberzug  bestehen.  Die  Schleimhaut  kann 
dieselben  Veränderungen  aufweisen  wie  in  den  Grenzdivertikeln. 
Auch  hier  wurde  einmal  Carcinomentwicklung  beobachtet  (Edgreen, 
cf.  Starck,  1.  c). 

Die  Divertikel  sitzen  in  der  überwiegenden  Mehrzahl  der 
Fälle  in  der  vorderen  Speiseröhrenwand,  und  zwar  zumeist  über 
den  beiden  schon  oben  erwähnten  physiologischen  Engen,  deren 
eine  sich  in  Bifurkationshöhe  oder  in  der  Gegend  der  Bronchus- 
kreuzung  mit  der  Speiseröhre,  deren  andere  sich  am  unteren  Speise- 
röhrenende, an  der  Durchtrittsstelle  durch  das  Zwerchfell,  findet. 
Man  hat  hiemach  sogar  epibronchiale  (Brosch,  1.  c.)  und 
epiphrenale  (Rosenthal,  I.e.)  Pulsionsdivertikel  unterschieden. 
Sie  kommen  aber  auch  an  allen  anderen  Stellen,  auch  in  der  Seiten- 
wand der  Speiseröhre  vor.    Über  die  Häufigkeit  derselben  läßt 


536  XXXI.    RlXBOLD 

sich  zurzeit  etwas  Bestimmtes  noch  nicht  sagen;  wahrscheinlich 
sind  sie  lange  nicht  so  selten,  wie  nach  der  Spärlichkeit  der  bis- 
herigen Veröffentlichungen  anzunehmen  ist.  Nach  den  Sektions- 
befunden im  hiesigen  pathologischen  Institute  sind  sie  noch  häufiger, 
als  die  Grenzdivertikel.  Alter  und  Geschlecht  scheinen  bei 
der  Entstehung  der  ösophagealen  Pulsionsdivertikel  keine  Rolle  zu 
spielen.  Ihre  Ätiologie  ist  noch  nicht  sichergestellt :  wahrschein- 
lich handelt  es  sich  gar  nicht  um  eine  einheitliche  Erkrankung. 
Sie  kommen  sicherlich  auf  ähnliche  Weise  wie  die  Zenker'schen 
Divertikel  zustande.  Wie  bei  jenen,  müßte  man  auch  hier  als 
erstes  Moment  eine  Schwächung  der  Osophagusmuskulatur  an  um- 
schriebener Stelle  verlangen. 

Unter  gewissen  Umständen  kann  ein  Traktionsdivertikel  eine 
derartige,  umschriebene,  widerstandslose  Stelle  der  Speiseröhren  wand 
bilden.  Da  nun  die  Traktionsdivertikel  sehr  oft  in  der  Vorderwand 
der  Speiseröhre  sitzen,  wo  auch  die  Pulsionsdivertikel  bei  weitem 
am  häufigsten  beobachtet  worden  sind,  hat  man  vermutet,  daß  alle 
Pulsionsdivertikel  aus  Traktionsdivertikeln  entstünden.  Dies  ist 
sicherlich  nicht  richtig;  vielmehr  muß  man  nach  anderen  Gründen 
suchen,  die  gerade  in  der  vorderen  Speiseröhren  wand  das  Vor- 
kommen muskelschwacher  Stellen  verständlich  machen  können.  Die 
Entwicklungsgeschichte  bietet  uns  hier  einen  Fingerzeig. 

Die  Differenzierung  des  Respirations-  vom  Digestionstraktus 
geht  in  der  Weise  vor  sich,  daß  sich  von  den  Seitenwänden  des 
embryonalen  Darmrohres  aus  zwei  Längsleisten  entgegen  wachsen, 
die  sich  in  der  Medianlinie  vereinigen  (His).  In  sehr  seltenen 
Fällen  kommt  diese  Vereinigung  nicht  vollständig  zustande;  es 
bleibt  eine  Osophago-Trachealfistel. 

Es  ist  nun  nicht  unwahrscheinlich,  daß  häufiger,  als  dieser 
vollständige  Defekt,  eine  mangelhafte  Ausbildung  der  Speiserohren- 
wand vorkommt,  wobei  die  Muskulatur  an  umschriebener  Stelle  nnr 
unvollkommen  oder  gar  nicht  angelegt  wird.  Tatsächlich  sind 
muskelschwache  Stellen  in  der  vorderen  Wand  der  Speiseröhre 
gelegentlich  beobachtet  worden  (Brosch,  1.  c),  die  sich  am  zwang- 
losesten durch  jene  kongenitale  Entwicklungsstörung  deuten  lassen. 
Leider  fehlen  über  diesen  Punkt  noch  genauere  Untersuchungen, 
so  daß  vorläufig  die  recht  einleuchtende  Theorie,  nach  der  die 
Pulsionsdivertikel  der  vorderen  Speiseröhrenwand  in  erster  Linie 
auf  eine  kongenital  bedingte  Schwäche  der  Muskulatur  zurück- 
geführt werden,  nur  mangelhaft  gestützt  ist  Zur  Erklärung  jener 
Divertikel  aber,  die  nicht  in  der  vorderen  Speiseröhren  wand  sitzen. 


Lberblick  über  die  Lehre  von  den  Ösophagusdivertikeln  etc.  537 

muß  man  eine  erworbene  Schwäche  der  Muskulatur  annehmen. 
Diese  kann  durch  ein  Trauma  an  jeder  beliebigen  Stelle  der  Speise- 
röhre, am  ehesten  oberhalb  der  physiologischen  Engen,  zustande 
kommen ;  auch  eine  allseitige  Dilatation  kann  durch  Lückenbildung 
in  den  Muskelhäuten  umschriebene,  muskelschwache  Stellen  zur 
Folge  haben. 

Als  pulsierende  Kraft,  durch  die  jene  angeborenen  oder  er- 
worbenen muskelschwachen  Stellen  vorgebuchtet  werden,  kann  bei 
den  ösophagealen  Pulsionsdivertikeln  nur  der  Schlingakt  in  Betracht 
kommen,  der  begreiflicherweise  im  Verlauf  der  Speiseröhre  nicht 
so  wirksam  sein  kann  wie  am  oberen  Teil,  wo  die  Bissen  direkt 
gegen  die  hintere  Wand  angedrängt  werden.  Hierin  ist  wahr- 
scheinlich der  Grund  dafür  zu  suchen,  daß  die  ösophagealen  Pul- 
sionsdivertikel  nicht  so  sehr  zur  Vergrößerung:  neigen. 

Häufig  finden  sich  Momente,  die  das  Abwärtsgleiten  der  Bissen 
erschweren,  und  die  dadurch  au  einer  bestimmten  Stelle  zu  einer 
Erhöhung  des  Innendrucks  führen  können.  Die  Divertikel  sitzen, 
wie  gesagt,  auffallend  oft  oberhalb  physiologischer  Stenosen,  ent- 
weder in  der  Gegend  der  Bronchuskreuzung  mit  der  Speiseröhre, 
wo  vielleicht  auch  noch  der  Druck  des  linken  Bronchus  auf  die 
vordere  Speiseröhrenwand  als  ein  die  Passage  erschwerendes  Moment 
mit  in  Frage  kommt,  oder  am  unteren  Osophagusende.  In  ähnlicher 
Weise  können  erworbene  Striktureo,  ein  Cardiaspasmus  oder  eine 
Kompression  des  Ösophagus  von  außen,  z.  B.  durch  anthrakotische 
Drüsenpakete  oder  durch  Mediastinaltumoren,  ein  Schlinghindernis 
abgeben.  Alle  diese  Schlinghindernisse  führen  aber  für  gewöhnlich 
nur  zur  gleichmäßigen  Dilatation  der  Speiseröhre;  zur  Divertikel- 
bildung  ist  als  erste  und  wesentlichste  Bedingung  die  umschriebene 
Schwäche  der  Muskulatur  erforderlich. 

Die  klinischen  Erscheinungen,  die  die  ösophagealen  Pul- 
sionsdivertikel  machen,  ähneln  denen  der  Grenzdivertikel.  Im  Beginn 
kommt  es  zu  einem  ganz  unbestimmten,  nicht  streng  lokalisierten 
Druckgefühl  in  der  Brust.  Die  ersten  Schluckbeschwerden  äußern 
sich  darin,  daß  die  Speisen  langsamer  rutschen  als  früher,  daß  sie  oft 
erst  durch  mehrmaliges  Schlucken  oder  durch  Nachtrinken  von  Wasser 
weiterbefordert  werden.  Später  kommt  es  ebenfalls  zu  undurchgän- 
gigen Stenosen.  Die  Schmerzen,  die  im  unteren  Brustabschnitt  oder 
zwischen  den  Schulterblättern  empfunden  werden,  treten  auch  schon 
im  Beginn  der  Krankheit  viel  mehr  in  den  Vordergi-und,  als  bei 
den  Zenker'schen  Divertikeln.  Durch  Druck  des  gefüllten  Diver- 
tikelsacks   auf  die   Nachbarorgane    entsteht   Atemnot   Hustenreiz 

Deatsches  Archiv  f.  klin.  Medizin.    LXXX.  Bd.  35 


538  XXXI.    BiXBOLD 

und  Herzklopfen.  Die  Entleerung  des  Divertikels  macht  öfter  eher 
den  Eindruck  eines  wirklichen  Erbrechens.  Manchmal  erfolgt  anch 
einige  Zeit  nach  dem  Essen  eine  vom  Patienten  empfundene  all- 
mähliche Entleerung  des  Divertikels  nach  dem  Magen.  Bei  Sonden- 
Untersuchung  ist  ebenfalls  der  Wechsel  in  der  Sondierbarkeit  charak- 
teristisch. Mit  Hilfe  der  Divertikelsonde  und  komplizierterer  Metho- 
den, die  sich  namentlich  auf  die  Untersuchung  mit  2  Sonden  gründen, 
ist  es  bereits  geglückt,  am  Lebenden  die  sehr  schwierige  Diagnose 
bis  in  alle  Einzelheiten  hinsichtlich  des  Sitzes,  der  Größe,  des  Volum- 
gehalts des  Divertikels  zu  stellen  (Eelling  u.  a.,  cf.  Starck,  1.  c). 
Es  ist  jedenfalls  geraten,  daß  man  bei  unbestimmten  mediastinalen 
Erscheinungen  und  bei  einem  tiefsitzenden  Schlinghindernis  die 
Möglichkeit  eines  ösophagealen  Pulsionsdiverükels  mit  in  Frage 
zieht. 

Prognostisch  scheinen  die  Verhältnisse  günstiger  zu  liegen,  als 
bei  den  Zenker'schen  Divertikeln,  schon  deshalb,  weil  die  öso- 
phagealen Divertikel  nicht  so  sehr  zur  Vergrößerung  neigen. 

Therapeutisch  kommt  für  den  internen  Arzt  wiederum  neben 
einer  systematischen  Sondenbehandlung  regelmäßige  Entleerung  und 
Ausspülung  des  Divertikels  in  Betracht. 

Die  Traktionsdivertikel  sind  umschriebene,  meist  trichter- 
förmige  Ausziehungen  der  Osophaguswand,  die  dui*ch  einen  Zug 
von  außen  entstehen.  Sie  sind  sehr  häufig;  im  hiesigen  pathologi- 
schen Institute  werden  bei  den  Sektionen  von  Erwachsenen  in  etwa 
3,5^0  d^i*  Fälle  Traktionsdivertikel  gefiinden.  Meist  findet  sich  in 
einer  Speiseröhre  nur  ein  Divertikel,  oft  aber  auch  mehrere;  es 
sind  deren  bis  zu  9  beobachtet  worden. 

Durch  die  an  Serienschnitten  vorgenommene  mikroskopische 
Untersuchung  von  etwa  40  Traktionsdivertikeln  (Hausmann,  Lc, 
Kiebold,  1.  c.)  wurde  die  Eichtigkeit  der  Zenker'schen  Lehre 
vollauf  bestätigt  gefunden.  Nach  Zenker  entstehen  die  Traktions- 
divertikel dadurch,  daß  chronisch-indurative,  mediastinale  Ent- 
zündungsvorgänge, die  meist  von  den  Bronchialdrüsen  ausgehen, 
nach  dem  Ösophagus  fortgeleitet  werden.  Dabei  kommt  es  zu  einer 
Verlötung  der  Drüse  mit  der  Speiseröhre,  und  bei  einem  Fort- 
schreiten  der  Entzündun^svorgänge  auf  die  Osophaguswand  gehen 
im  Bereich  der  Entzündungsherde  die  spezifischen  Muskelelemente 
in  mehr  oder  weniger  hohem  Grade  zugrunde  und  werden  durch 
Bindegewebe  ersetzt.  Im  Laufe  der  Zeit  stellen  sich  Schrumpfungs- 
vorgäntje  ein,  wodurch  die  durch  das  eingewucherte  Bindegewebe 
fixierte  Osophaguswand  angezogen  wird.    Je  nach  der  Intensität 


Überblick  über  die  Lehre  yon  den  Ösopbagnsdivertikeln  etc.  539 

und  dem  Alter  der  Entzündusgsvorgänge  ist  die  nach  außen  ge- 
zerrte Muskulatur  entweder  noch  auf  dem  Divertikelgrund  teil- 
weise erhalten  oder  sie  ist  auf  eine  Strecke  bin  vöUig  zerstört  und 
völlig  unterbrochen. 

Das  Übergreifen  der  Entzündungsvorgänge  von  den  Bronchial- 
drüsen auf  die  Ösophaguswand  hat  man  sich  in  der  Weise  vorzu- 
stellen, daß  Entzundungserreger,  die  jederzeit  aus  den  benachbarten 
Teilen  in  die  Drüsen  eingeschwemmt  werden  können,  auf  dem 
Wege  der  Lymphbahnen  weiterhin  verschleppt  werden.  Da  aber 
der  Hauptlymphstrom  im  Mediastinum  normalerweise  nach  den 
Bronchialdrüsen  hin  gerichtet  ist,  so  wäre  den  Entzündungserregern 
keine  Möglichkeit  gegeben,  entgegen  der  Stromesrichtung  von  den 
Bronchialdrüsen  aus  in  die  benachbarten  Teile  zu  gelangen,  wenn 
nicht  der  Lymphstrom  dahin  abgelenkt  würde.  Diese  Ablenkung 
kann  nur  dann  erfolgen,  wenn  die  Hauptabfluß wege  der  Drüsen 
oder  ihre  eigenen  Lymphbahnen  vollständig  verlegt  werden.  Eine 
derartige  ausgedehnte  Verlegung  von  Lymphbahnen  kommt  be- 
greiilicherweise  am  ehesten  bei  chronischen,  indurativen  Schrump- 
fungsvorgängen im  gesamten  Mediastinum  zustande,  wie  sie  nament- 
lich bei  der  Anthrakose  und  Chalikose  beobachtet  werden,  viel 
seltener  durch  einfach  entzündliche  Schwellung  einzelner  Bronchial- 
drüsen.  Deshalb  findet  man  Traktionsdivertikel  weitaus  am  häu- 
figsten bei  den  chronischen  Drüsenerkrankungen  des  späteren  Alters. 
Es  bleibt  noch  zu  beweisen,  daß  die  geforderte  Umkehr  des  Lymph- 
stroms wirklich  vorkommt.  Der  Beweis  wird  durch  die  Beobach- 
tung erbracht,  daß  bei  jeder  stärkeren  Anthrakose  der  Kohlenstaub, 
der  aus  den  Lungen  abgeführt  und  zunächst  in  den  Bronchial- 
drüsen abgelagert  wird,  dann,  wenn  dieselben  unwegsam  geworden 
sind,  entgegen  der  ursprünglichen  Stromesrichtung  nach  allen  Teilen 
gebracht  werden  kann,  deren  Lymphgebiet  mit  den  Bronchialdrusen 
in  direktem  oder  anastomatischen  Zusammenhang  steht. 

So  findet  man  sehr  häufig  Kohlenstaubablagerungen  in  der 
Wand  der  Trachea,  der  Bronchien,  der  Pulmonalgefäße,  der  Speise- 
röhre, in  den  Lymphdrüsen  des  vorderen  und  hinteren  Mediastinums, 
in  den  Lymphdrüsen  der  Bauchhöhle,  selbst  in  der  Wand  des  Magens. 

Im  hiesigen  Institut  wurden  2  Fälle  beobachtet,  in  denen  der 
Kohlenstaub  sogar  die  vordere  Brustwand  durchsetzt  und  sich  in 
der  Haut  neben  dem  Stemum,  äußerlich  sichtbar,  abgelagert  hatte.^) 


1)  Riebold,  Zur  Kenntnis  der  Anthrakose  der  bronch.  Lymphdrüsen  und 

der  Haut.    Dissert.  Leipzig  1903. 

35* 


540  XXXI.    RiEBOLD 

Meistens  wird  angenommen,  daß  der  Kohlenstaub  als  solcher  an 
den  Orten  der  Ablagerung  entzündliche  Veränderungen  hervorriefe. 
Dies  ist  sicherlich  nicht  ganz  richtig;  vielmehr  stellen  die  ver- 
schiedenen Staubarten,  namentlich  der  Kohlenstaub,  einen  ziemlich 
indiiFerenten  Fremdkörper  dar  und  rufen  in  ihrer  Umgebung  bis- 
weilen gar  keine  oder  doch  nur  ganz  unerhebliche  Texturverände- 
rungen hervor.  Erst  dann  kommt  es  zu  entzündlichen  Verände- 
rungen, wenn,  wie  schon  hervorgehoben,  wirkliche  Entzündungs- 
erreger verschleppt  werden,  seien  es  Bakterien  oder  die  von 
denselben  produzierten  giftigen  Substanzen  oder  chemische  Unrein- 
lichkeiten,  die  dem  Staub  anhaften  können,  z.  B.  Teersubstanzen 
am  Kohlenstaub.  Zweifellos  schafft  aber  die  Staubablagerung  eine 
Disposition  zur  Entstehung  von  Entztindungsvorgängen,  so  daß  man 
immerhin  für  die  meisten  Fälle  —  nach  unseren  Erfahrungen  in  etwa 
60  %  —  als  erste  Ursache  der  Divertikelbildung  die  Anthrakose  resp. 
('halikose  und  Siderose  der  Bronchialdrüsen  anerkennen  muß. 

Als  Entzündungserreger  kommen  ziemlich  häufig  Tuberkel- 
bazillen in  Frage;  man  findet  dann,  und  zwar  in  20-— 25%  der 
Fälle,  als  Ursache  der  entzündlichen  Schrumpf ungs Vorgänge  im 
Mediastinum  eine  chronische  Tuberkulose  kombiniert  mit  Anthra- 
kose. Recht  häufig  läßt  sich  in  der  Umgebung  der  Divertikel 
eine  frische  Tuberkulose  nachweisen,  die  als  eine  sekundäre  Ver- 
änderung aufzufassen  ist  und  die  mit  der  Entwicklung  des  Diver- 
tikels nichts  zu  tun  hat. 

Eine  einfache,  chronische  Tuberkulose  wurde  nur  in  10  ^^^  der 
Fälle  als  Ureache  der  Divertikelbildung  gefunden. 

Sehr  selten  greifen  aus  den  erörterten  Gründen  die  akuteren 
Erweichungs-  und  Eiterungsvorgänge  der  Bronchialdrüsen  auf  die 
Speiseröhren  wand  über,  und  führen  damit  zur  Entstehung  von 
Divertikeln.  Der  Verlauf  ist  dann  entweder  der,  daß  sie  nach 
Zerstörung  der  Muskulatur  vor  der  epidermisartigen  Schleimhaut 
Halt  machen,  die  bei  der  nachfolgenden  Resorption  und  Schrumpfung 
divertikelartig  mit  angezogen  wird,  oder  der,  daß  sie  ins  Ösophagus- 
lumen  durchbrechen,  wobei  nach  Entleerung  des  erweichten  Inhalts 
durch  Schrumpfung  der  Absceßwand  Heilung  unter  Divertikel- 
bildung erfolgen  kann.  Wir  selbst  beobachteten  nur  einen  der- 
artigen Fall,  in  dem  die  Divertikelspitze  bis  in  die  narbige  Drüse 
hineinragte.  Freilich  blieb  hier  die  Möglichkeit,  daß  die  Perforation 
der  erweichten,  anthrakotischen  Drüse,  die  nach  dem  anatomischen 
Bilde  stattgefunden  haben  mußte,  in  ein  schon  bestehendes  Diver- 
tikel  erfolgt  war,   und    nicht  primär  die   Divertikelbildung  ver- 


Überblick  über  die  Lehre  von  den  Ösophagnsdivertikeln  etc.  541 

ursacht  hatte.  Wahrscheinlich  gehören  hierher  die  seltenen  Fälle, 
in  denen  bei  Kindern  ein  Traktionsdivertikel  gefunden  wurde. 
Dann  sind  es  meist  die  tuberkulösen  Drüseneiterungen,  die  aus- 
nahmsweise einmal  auf  die  Speiseröhrenwand  übergreifen. 

Ferner  können  in  etwa  5— 10  %  der  Fälle  Traktionsdivertikel 
noch  dadurch  entstehen,  daß  Entzündungsprozesse  von  anderen,  dem 
Ösophagus  benachbarten  Organen  auf  ihn  übergreifen.  So  ist  ein 
Fall  bekannt  (Chiari,  cf  Starck  1.  c),  in  dem  eine  Schilddrüsen- 
entzündung  eine  Divertikelbildung  im  Gefolge  hatte.  In  zwei  bis- 
her einzig  dastehenden  Fällen  wurde  nachgewiesen,  daß  sich  eine 
chronische  Pleuritis  auf  dem  Wege  des  Musculus  pleurooesophageus 
nach  der  Speiseröhre  fortgepflanzt,  und  zur  Divertikelbildung  ge- 
führt hatte  (Biebold  I.e.).  In  ähnlicher  Weise  können  auch  rein 
mediastinale  Schrumpfungsprozesse,  z.  B.  im  Anschluß  an  Wirbel- 
caries  in  Frage  kommen. 

Endlich  können  Divertikel,  in  deren  Umgebung  keine  schrumpfen- 
den Drüsen  nachweisbar  sind,  in  sehr  seltenen  Fällen  noch  durch 
Schrumpfungsvorgänge  in  der  Osophaguswand  selbst  zustande 
kommen. 

So  fanden  wir  einmal,  daß  umschriebene  tuberkulöse  muskuläre 
Entzündungsherde  und  Abscesse  vernarbt  waren,  daß  die  Mus- 
kulatur im  Bereich  der  Narbe  eingesunken  war,  und  die  Schleim- 
haut divertikel artig  mit  angezogen  worden  war.  In  ähnlicher 
Weise  können  von  kleinen  Schleimhautverletzungen  ausgehende, 
lokale  Entzündungsprozesse  der  Speiseröhre,  die  sich  in  die  Tiefe 
fortpflanzen,  und  u.  U.  sogar  eine  Verbindung  mit  benachbarten 
Teilen  (Trachea)  herbeiführen,  bei  Rückgang  der  Entzündung  durch 
Schrumpfung  des  Narbengewebes  ein  Divertikel  bedingen  (Fischer 
I  c),  oder  es  kann  ein  Divertikel  dadurch  entstehen,  daß  muskuläre 
Abscesse  sich  nach  dem  Ösophagus  entleeren,  die  Wand  der  Absceß- 
höhle  schrumpft  und  das  Epithel  sich  vom  Rande  her  regneriert.') 

Ribbert^)  erkennt  die  Zenker'sche  Lehre  nicht  an,  sondern 
"will  die  Traktionsdivertikel  in  ihrer  weitaus  größten  Zahl  aus 
Entwicklungsstörungen  ableiten,  die  darin  bestehen  sollen,  daß  bei 
der  Differenzierung  des  Respirations-  vom  Digestionstraktus  die 
Speiseröhrenwand  an  umschriebener  Stelle  nur  bindegewebig  an- 

1)  Wenn  hingegen  in  einem  solchen  Falle  die  Absceßhöhle  in  daaernder 
Eommnnikation  mit  der  Speiseröhre  bleibt,  und  eine  Epithelauskleidung  fehlt, 
hat  man  es  mit  einem  sogenannten  Pseudodivertikel  zu  tun. 

2)  Ribbert,  Zur  Kenntnis  der  Traktionsdivertikel  des  Ösophagus.  Virch. 
Arch.   Bd.  167  19D2. 


542  XXXI.  RuBOLD 

gelegt  wird,  und  daß  von  dieser  bindegewebigen  Partie  aus  ein 
Bindegewebszog  nach  der  Trachea  verläuft,  sich  an  ihr  festsetzt 
nnd  die  Ösophaguswand  an  umschriebener  Stelle  auszieht.  Wenn 
auch  diese  Theorie  aus  gleich  zu  erörternden  Gründen  im  vollen 
Umfange  unhaltbar  ist,  so  muß  doch  zugegeben  werden,  daß  sie  in 
ganz  außerordentlich  seltenen  Fällen  zur  Erklärung  von  Diver- 
tikeln, für  die  sich  die  Zenker'sche  Lehre  nicht  verwerten  läßt 
herangezogen  werden  muß.  Man  vermißt  in  diesen  Fällen  jegliche 
Entzündungserscheinungen,  und  findet  entweder  Reste  eines  Korn- 
munikationskanals  zwischen  Trachea  und  Ösophagus,  oder,  wie  in 
einem  hier  beobachteten  Falle,  trichterförmige  Offnungen  von  Trachea 
und  Ösophagus  her,  welche  durch  lockeres  Bindegewebe  verbunden 
sind.  Die  Analogie  dieser  Bildungen  mit  den  ebenfalls  sehr  seltenen 
Ösophago-Trachealfisteln  ist  nicht  von  der  Hand  zu  weisen. 

Eine  ganze  Reihe  von  Beobachtungen  lassen  sich  in  keiner 
Weise  mit  der  Ribbert'schen  Theorie  vereinigen,  während  sie  die 
Richtigkeit  der  Zenker'schen  Lehre"  geradezu  beweisen. 

Zunächst  sei  erwähnt,  daß  bisher  noch  niemals  ein  Traktions- 
divertikel  bei  einem  Neugeborenen  gefunden  wurde,  was  man  doch 
bei  einer  kongenitalen  Anlage  der  so  häufigen  Bildung  erwarten 
müßte,  und  daß  überhaupt  Traktionsdivertikel  bei  jugendlichen 
Individuen  zu  den  größten  Seltenheiten  gehören. 

Im  hiesigen  pathologischen  Institute  wurde  in  den  letzten 
Jahren  bei  über  400  Sektionen  von  Neugeborenen  und  Kindern 
unter  15  Jahren  nicht  ein  einziges  Mal  ein  Divertikel  nachgewiesen. 

Die  Divertikel  sind  in  ausgesprochener  Weise  eine  Krankheit 
des  höheren  Alters. 

29  Fälle  von  Traktionsdivertikeln ,  die  aus  dem  letzten  Jahre 
stammen,  verteilen  sich  nach  dem  Lebensalter  folgendermaßen: 

das  3.  Jahrzehnt  betraf      1  Fall, 


«     4. 

n 

betrafen  3  Fälle, 

„     5. 

» 

7* 

7      „ 

„     6. 

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n 

6      „ 

„     7. 

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n 

7      „ 

„     8. 

w 

n 

4      „ 

und  das  9. 

t« 

betraf 

1  Fall. 

Da  die  Divertikel  in  vielen  Fällen  durch  berufliche  Schädigung 
zustande  kommen,  insofern  als  ganz  besonders  oft  Kohlenarbeiter, 
Steinmetzen  und  Schlosser  davon  befallen  werden,  ist  es  verständ- 
lich, daß  bei  Männern  häufiger  Divertikel  zur  Beobachtung  kommen* 


Überblick  über  die  Lehre  von  den  OBophagnsdivertikeln  etc.  543 

als  bei  Frauen.  So  wurden  unter  jenen  29  Fällen  17  mal  Divertikel 
bei  Männern  und  nur  12  mal  bei  Frauen  gefunden.  Ein  ganz  ähnliches 
Verhältnis  findet  sich  auch  in  anderen  Statistiken  (Starck  1.  c). 

Hinsichtlich  des  Vorkommens  der  Traktionsdivertikel  ist  weiter- 
hin zu  erwähnen,  daß  es  sehr  wahrscheinlich,  aber  noch  nicht  er- 
wiesen ist,  daß  sie  in  tabrikreichen  Städten  und  an  Orten,  wo 
Kohlenbergbau  getrieben  wird,  häufiger  sind,  als  in  staub-  und 
rußfreien  Gegenden.  Die  große  Häufigkeit  derselben  in  Dresden 
erklärt  sich  wahrscheinlich  durch  die  benachbarten,  ausgedehnten 
Kohlenbergwerke  und  Sandsteinbrüche. 

Die  anatomischen  Verhältnisse,  die  die  Traktions- 
divertikel darbieten,  machen  es  durchaus  wahrscheinlich,  daß  sie 
im  Sinne  der  Zenker'schen  Lehre  entstehen,  und  ein  ganz  all- 
mählich sich  entwickelndes,  erworbenes  Leiden  darstellen.  Meist 
findet  man  eine  schwielig  indurierte,  anthrakotische  Lymphdrüse, 
an  die  der  Divertikelgrund  herangezogen  ist;  die  Muskulatur  ist 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  stets  von  dem  entzündlichen  Prozeß 
mitbefallen.  Entweder  ist  sie  am  Divertikelgrund  —  wenn  auch 
stark  reduziert  —  noch  erhalten,  oder  sie  ist,  und  dies  ist  der 
häufigere  Befand,  völlig  unterbrochen.  Stets  biegen  die  Muskel- 
strnmpfe  dann  nach  außen  ab  und  enden  aufgefasert,  zugespitzt, 
atrophisch  im  schrumpfenden  Gewebe.  Die  Schleimhaut  ist  ent- 
weder glatt  oder  strahlenartig  gefaltet  und  gewulstet,  oft  schwärz- 
lich pigmentiert,  oft  narbig,  oder  frisch  ulzeriert,  oder  unterminiert. 

Die  Traktionsdivertikel  sitzen  begreiflicherweise  meist  dort, 
wo  die  Bronchialdrüsen  dem  Ösophagus  anliegen,  nämlich  in  der 
vorderen  oder  seitlichen  Wand  der  Speiseröhre,  in  Höhe  der  Bifur- 
kation.  Sie  kommen  aber  auch  an  allen  anderen  Stellen  vor,  und 
zwar  auch  in  der  hinteren  Ösophagus  wand,  während  Divertikel, 
die  im  Ribbert'schen  Sinne  auf  eine  mangelhafte  Vereinigung  der 
bei  der  Differenzierung  der  Luftwege  sich  entgegen  wachsenden 
Leisten  zurückgeführt  werden  sollen,  naturgemäß  ausschließlich 
in  der  vorderen  Osophaguswand  liegen  müßten. 

Für  die  Richtigkeit  der  Zenker'schen  Lehre  spricht  endlich 
noch  der  Umstand,  daß  man  an  allen  Teilen  des  Mediastinums, 
denen  Lymphdrüsen  anliegen,  in  Trachea,  Bronchien,  Pulmonal- 
gefäßen,  Pleura  und  Pericard  Traktionsdivertikel  gefunden  hat, 
die  denen  der  Speiseröhre  vollkommen  gleichen.  Kürzlich  wurde 
hier  sogar  im  Magen  ein  typisches  Traktionsdivertikel  gefunden, 
dessen  Grund  auf  einer  schwielig  indurierten,  anthrakotischen 
Lymphdrüse  filiert  war. 


544  XXXI.  RiEBOLo 

Die  Traktionsdivertikel  werden  in  ihrer  klinischen  Be- 
deutung vielfach  unterschätzt.  Gerade  in  der  letzten  Zeit  wurden 
im  hiesigen  pathologischen  Institute  auffallend  oft  Traktionsdiver- 
tikel als  die  Ursache  schwerer,  intra  vitam  meist  völlig  unklarer 
Erkrankungen  gefunden,  so  daß  es  gerechtfertigt  erscheint,  an  der 
Hand  des  hiesigen  Materials  und  früherer  Beobachtungen  auf  die 
Folgeerscheinungen  der  Traktionsdivertikel  näher  einzugehen. 

Die  Hauptgefahr  der  Traktionsdivertikel  liegt  darin,  daß  Ent- 
zünduDgs  Vorgänge,  die  sich,  wie  die  narbigen  und  anderweitigen 
Veränderungen  der  Schleimhaut  im  Divertikel  beweisen,  sehr  häufig 
auf  dem  Divertikelgrund  abspielen  und  die  durch  daselbst  stagnie- 
rende und  sich  zersetzende  Speisereste  hervorgerufen  und  unter- 
halten werden,  sich  weiter  in  die  Tiefe  fortpflanzen.*) 

Die  Folgen  davon  sind  phlegmonöse  Entzündungen  der  Öso- 
phaguswaud,  eitrige  Phlegmonen  des  Mediastinums  und  u.  U.  eitrige 
Entzündungen  benachbarter  Teile,  deren  Lymphgebiet  mit  dem 
des  Mediastinums  in  innigen  Zusammenhang  steht,  besonders  der 
Pleura  und  des  Pericards,  ferner  Thrombophlebitis  usw. 

In  anderen  Fällen  handelt  es  sich  nicht  um  ein  allmähliches, 
langsames  Fortschreiten  der  Eiterungs Vorgänge ,  sondern  um  oft 
multiple  Perforationen. 

Die  mediastinale  Eiterung  bricht  in  die  Pleura  oder  ins 
Pericard  durch;  die  Phlegmone  der  Speiseröhrenwand  perforiert 
wieder  rückwärts  in  den  Ösophagus,  so  daß  die  Schleimhaut  in  der 
Umgebung  des  Divertikels  siebartig  durchlöchert  erscheint.  Die 
ulcerativen  Vorgänge  am  Divertikelgrund  führen  zu  einem  voll- 
ständigen Durchbruch  nach  dem  Mediastinum  mit  folgender  jauchig- 
gangränöser Mediastinitis. 

1)  Die  lalle,  in  deuen  die  Eiterungsvorgänge  vom  Divertikelgrund  aus  ohne 
eigentliche  Perforation  auf  die  Umgebung  fortschreiten,  lassen  sich  kaum  anders 
erklären.  Für  die  Richtigkeit  dieser  schon  von  Zenker  vertretenen  Anschauung 
sprechen  Befunde  von  Speiseresten  auf  dem  Grund  ulcerierter  Divertikel.  (Roki- 
tansky fand  in  einem  Jaucheherd,  der  mit  einem  perforierten  Divertikel  kom- 
munizierte, ein  Euochenstückchen,  Kitter  ein  Samenkorn,  Marx  (Münch.  med. 
Woch.  1904,  Nr.  19)  ebenfalls  Knochenstückchen.  In  einem  weiteren,  bisher  in  der 
Literatur  nicht  beachteten  Fall  fand  Wille  in  einem  trichterförmigen  Divertikel 
ein  Knorpelstück  mit  anhaftenden,  fetzigen  Massen  (Ärztl.  Bericht  über  die  Irren- 
abteiluug  des  Bürgerspitals  in  Basel  1882).  Daß  derartige  Befunde  nur  sehr  selten 
erhoben  worden,  erklärt  sich  sehr  einfach  dadurch,  daß  zu  einem  Zeitpunkt,  wo 
die  Sektion  gemacht  wird,  die  Zerstörungsvorgänge  in  der  Umgebung  des  Diver- 
tikels meist  schon  so  hochgradige  sind,  daß  etwaige  Speisereste  in  der  großen 
Eiter-  und  Jauchehöhle  längst  zugrunde  gegangen  sind,  wenn  es  sich  nicht  zu- 
fällig um  widerstandsfähigere  Teile,  wie  Knochen  usw.  handelte. 


Überblick  über  die  Lehre  von  den  Ösophagusdivertikeln  etc.  545 

einer  mit  jauchigen  Massen  erfüllten  Zerfallshöhle,  einer  verjauchten 
Lymphdrüse. 

War  die  Drüse  am  Divertikelgrund  mit  anderen  Drüsen  ver- 
wachsen, so  kann  es  nach  der  Perforation  zur  Vereiterung  und 
Verjauchung  ganzer  Drüsenpakete  kommen.  Die  Drüsen  am  Diver- 
tikelgrund ,  die  zumeist  auch  noch  mit  anderen  Organen  im  Mediasti- 
num verlötet  sind,  perforieren  nach  der  Erweichung  häufig  noch  nach 
anderen  Teilen,  und  schaffen  dadurch  abnorme  Kommunikationen. 

Am  häufigsten  ist  die  gleichzeitige  Perforation  einer  erweichten 
Drüse  in  ein  Ösophagusdivertikel  und  in  die  Trachea  resp.  einen 
Bronchus,  wobei  häufiger  der  linke  befallen  wird.  Sie  verläuft 
nicht  unter  allen  umständen  ungünstig.  Wir  fanden  dreimal  der- 
artige Kommunikationen  der  Speiseröhre  mit  den  Lufwegen,  die 
keinerlei  nachteilige  Folgen  nach  sich  gezogen  hatten.  In  diesen 
Fällen  waren  die  Ösophagusdivertikel  sehr  steil  nach  oben  gerichtet, 
so  daß  sich  auf  dem  Grund  nicht  so  leicht  Fäulnis-  undZersetzungs- 
vorgänge  etablieren  konnten,  wie  in  den  nach  untengerichteten 
Divertikeln,  in  denen  Speisereste  viel  eher  stagnieren  können. 

Viel  häufiger,  und  zwar  liegen  aus  den  letzten  Jahren  zwölf 
derartige  Beobachtungen  aus  dem  hiesigen  Institute  vor,  kommt 
es  aber  durch  Aspiration  von  infektiösem  Material  aus  dem  Ösophagus 
zu  einer  schweren  Bronchitis  oder  zu  Aspirationspneumonien,  die  in 
Abscedierung  übergehen  oder  zur  Lungengangrän  führen  können. 

Fünfmal  fanden  wir  eine  durch  erweichte  Drüsen  vermittelte 
Kommunikation  zwischen  Ösophagusdivertikel  und  Pulmonalgefäßen. 
Der  Exitus  war  in  diesen  Fällen  unter  dem  Bilde  einer  ganz  pro- 
fusen Hämoptyse  erfolgt. 

Wenn  die  Drüse  am  Divertikelgrund  durch  pleuritische  Schwielen 
an  die  Lunge  gelötet  ist,  kann  es  bei  Erweichungsvorgängen  zur 
Perforation  ins  Lungengewebe  kommen.  So  sind  in  der  Literatur 
Fälle  niedergelegt,  in  denen  die  Kommunikation  eines  Ösophagus- 
divertikels mit  bronchiektatischen  und  phthisischen  Kavernen  be- 
schrieben wird. 

In  einem  bisher  einzig  dastehenden  Falle,  der  erst  kürzlich 
zur  Sektion  kam  und  einen  44jährigen  Steinmetz  betraf,  war  die 
erweichte  Drrse  am  Divertikelgrund  mit  dem  parietalen  Blatt  der 
linken  Pleura  erwachsen  und  sowohl  in  den  Ösophagus,  wie  in  die 
Pleurahöhle  durchgebrochen.     Man  gelangte  vom  Divertikelgrund 

Im  letzteren  Falle  gelangt  man  vom  Divertikelgrund  aus 
entweder  direkt  ins  Mediastinum,  oder  häufiger  durch  Veimittlung 


546  XXXI.  BoBOLD 

mit  der  Sonde  durch  eine  Zerfallshöhle  direkt  in  die  linke  Pleura^ 
die  mit  einem  eitrig-jauchigen  Exsudat  erfüllt  war.  Die  betreffende 
Drüse  war  außerdem  noch  nach  einem  Lungengefäß  perforiert;  die 
Perforationsöffnung  war  aber  so  klein,  daß  eine  tödliche  Blutung 
nicht  stattgefunden  hatte.  Endlich  fand  sich  noch  eine  ausgedehnte 
mediastinale  Phlegmone  und  als  eigentliche  Todesursache  eine  serös- 
eitrige Perikarditis. 

In  einem  ähnlich  komplizierten  Falle  mit  ebenfalls  dreifacher 
Perforation  war  eine  erweichte  Drüse  nach  einem  Ösophagusdiver- 
tikel, nach  der  Trachea  und  einer  Lungenvene  durchgebrochen. 

In  allen  diesen  Fällen  von  Drfisenperforation  kann  man,  wie 
noch  besonders  hervorgehoben  sei,  nicht  entscheiden,  ob  die  Per- 
foration wirklich  durch  Zersetzungsvorgänge  im  Divertikel  und  nach- 
trägliclie  Abscedierung  der  Umgebung  und  der  Drüse  herbeigeführt 
wurde,  oder  ob  nicht  die  betreffende  Lymphdrüse  primär  vereiterte 
und  nach  der  Speiseröhre  durchbrach.  Beide  Fälle  kommen  sicher  vor. 

Die  Traktionsdivertikel  verlaufen  für  gewöhnlich  völlig 
symptomlos.  Ganz  besonders  sei  noch  betont,  daß,  abgesehen  von 
einem  einzigen  Falle  (Tiedemann,  cf.  Kraus,  1.  c),  niemals 
Schluckbeschwerden  beobachtet  worden  sind. 

p]rst  dann,  wenn  sich  ulcerative  Vorgänge  oder  sonstige  sekun- 
däre Veränderungen  in  ihnen  abspielen,  treten  sie  klinisch  hervor. 

('ber  die  Erscheinungen,  unter  denen  die  Perforation  eines 
Traktionsdivertikels  verläuft,  ist  bisher  noch  gar  nichts  bekannt; 
die  Diagnose  ist,  soweit  mir  bekannt,  noch  nicht  gestellt  worden. 

Um  so  wünschenswerter  erscheint  es  bei  der  geschilderten 
relativen  Häufigkeit  *)  der  Krankheit,  auch  das  klinische  Bild  mög- 
lichst abzugrenzen,  wenn  es  sich  dabei  auch  begreiflicherweise  nur 
um  einen  ersten  Versuch  handeln  kann. 

Nach  den  wenigen  Fällen*),  die  in  den  hiesigen  Kranken- 
häusern längere  Zeit  klinisch  beobachtet  worden  sind,  kündigt  sich 
der  Beginn  der  Krankheit  bei  vorher  ganz  gesunden  Personen  regel- 
mäßig durch  ein  leichtes,  ganz  unbestimmtes  Unwohlsein  und  leichte 
Temperaturstei^erungen  an,  wahrscheinlich  als  Ausdruck  der  be- 
ginnenden ulcerativeu  Prozesse  im  Divertikel  und  in  seiner  Una- 
ofebung.  Nach  wenigen  Tagen  tritt  höheres  Fieber  auf,  das  einen 
ganz    verschiedenen   Typus   annehmen   kann,    wie   überhaupt   der 


l^i  Die  Krankengeschichten  wurden  mir   von   den   betr.  Herren  in 
wUrdiiTster  Weise  ülierlassen. 

2-  reiforation  eines  Traktionsdivertikels  warde  hier  in  etwa  '  ,  der  Fill« 

beobachtet.     \^Nach  Starck  nur  in  10%.) 


Überblick  über  die  Lehre  von  den  Ösophagusdivertikeln  etc.  547 

weitere  Krankheitsverlauf  ein  verschiedener  ist,  je  nach  der  Art 
und  Weise,  in  der  sich  die  Entzündungsvorgftnge  fortpflanzen. 

In  'dem  häufigsten  Falle  einer  Perforation  nach  der  Trachea 
oder  einem  Bronchus,  geht  die  Temperatur  schnell  in  die  Höhe,  es 
tritt  ein  starker  Husten  mit  nicht  charakteristischem  Auswurf  auf 
und  gewöhnlich  stellen  sich  sehr  bald  heftige  Brustschmerzen  ein^ 
die  namentlich  beim  Husten  unerträglich  werden.  Bei  der  Unter- 
suchung der  Lungen  findet  man  dann  diffuse  bronchitische  Geräusche 
oder  die  Erscheinungen  eines  pleuro-pneumonischen  Herdes,  nämlich 
an  einer  kleinen  umschriebenen  Stelle  oder  auch  in  einem  größeren 
Bezirk,  der  Schallverkürzung  geben  kann,  feuchte  Rasselgeräusche^ 
pleuritisches  Reiben  und  hauchendes  oder  bronchiales  Atmen.  Alle 
Erscheinungen  können  nach  einigen  Tagen  zurückgehen,  bis  sie 
wieder  in  derselben  Weise  mit  einem  neuen  Anstieg  der  Temperatur 
auftreten.  Jetzt  findet  man  an  einer  ganz  anderen  Stelle  eine 
Aspii'ationspneumonie.  Dieser  Verlauf  in  Etappen  scheint  charak- 
teristisch zu  sein  und  ei'klärt  sich  daraus,  daß  die  Perforations- 
öflfhung  nach  der  Trachea  zu  Beginn  meist  winzig  klein  ist  und 
sich  vorübergehend  verschließen  kann.  Erst  wenn  sie  größer  ge- 
worden ist,  kommt  es  zur  Aspiration  größerer  Massen  und  damit 
zu  noch  stürmischeren  Erscheinungen ;  das  Fieber  bleibt  kontinuier- 
lich hoch  und  nimmt  u.  ü.  einen  remittierenden  Charakter  an,  die 
Kranken  verfallen,  werden  stark  dyspnoisch,  der  Husten  verstärkt 
sich  immer  mehr,  es  treten  multiple  größere  pneumonische  Herde 
auf,  die  schließlich  in  Abscedierung  oder  Gangrän  übergehen  und 
dann  das  entsprechende  charakteristische  Sputum  liefern. 

Wenn  in  wechselnder  Weise  beide  Lungen  befallen  werden, 
muß  man  annehmen,  daß  die  Perforation  nach  der  Trachea,  wenn 
immer  nur  dieselbe  Lunge  erkrankt,  ist  es  wahrscheinlich,  daß  die 
Perforation  nach  dem  entsprechenden  Bronchus  erfolgt  ist. 

Neben  allen  den  geschilderten  Erscheinungen,  oder  unabhängig 
von  ihnen,  kann  sich  dann  weiteriiin  «ine  serös-eitrige  oder  jauchige 
Pleuritis  oder  Perikarditis  entwickeln.  Die  fortschreitende  mediasti- 
nale  Eiterung  kann  einen  dumpfen  Schmerz  in  der  Brust  verur- 
sachen. Ein  Durchbruch  nach  einem  Gefäß  führt  meist  unter  einer 
Hämoptyse  rasch  zum  Exitus. 

Es  ist  selbstverständlich,  daß  alle  die  geschilderten  Erschei- 
nungen in  ganz  wechselnder  Weise  auftreten  und  alle  möglichen 
anderen  Krankheiten  vortäuschen  können. 

In  einem  im  Friedrichstädter  Krankenhaus  beobachteten  Falle 
trat  der  ganze  Symptomenkomplex  am  3.  Tag  nach  einem  4  Tage 


548  XXXI.    KlEBOLD 

anhaltenden  starken  Erbrechen  bei  Koprostase  ein.  Es  ist  sehr 
einleuchtend,  daß  sich  gerade  beim  Erbrechen  Speisereste  in  dem 
nach  oben  gerichteten  Divertikel  fangen  konnten. 

Die  Krankheit  erstreckt  sich  meist  nur  auf  wenige  Wochen, 
kann  aber  u.  U.  auch  einen  mehr  chronischen  Verlauf  annehmen. 

Bei  allen  unklaren  Fällen,  die  Erscheinungen  der  oben  er- 
wähnten Art  darbieten,  sollte  man  wenigstens  die  Möglichkeit  eines 
perforierten  Traktionsdivertikels  mit  ins  Auge  fassen,  zumal  die 
Therapie  nicht  aussichtslos  ist.  Alter  und  Beruf  der  Kranken 
können  u.  U.  die  Diagnose  stützen. 

In  einem  Falle  ^),  der  im  Stadtkrankenhaus  Johannstadt  be- 
handelt wurde,  glaubten  wir  die  Diagnose  mit  großer  Wahrschein- 
lichkeit stellen  zu  können. 

Es  handelte  sich  um  einen  44  jährigen  Barbier,  der  genau  in 
der  oben  angegebenen  Weise  erkrankte  und  bei  dem  wiederholt 
neue  Aspirationspneumonien  in  beiden  Lungen  auftraten,  regelmäßig 
mit  einem  neuen  Anstieg  der  Temperatur.  Er  bot  ein  Symptom 
dar,  welches  wir  für  unsere  Diagnose  verwerten  zu  dürfen  glaubten, 
nämlich  eine  ganz  umschriebene,  sehr  starke  Klopfempfindlichkeit 
des  Sternums,  in  der  Gegend  der  Bifurkation,  wo  die  Perforation  zu 
suchen  war.  Wir  führten  dieselbe  auf  eine  umschriebene  Mediasti- 
nitis in  der  Umgebung  der  Perforationsstelle  zurück.  In  weiter  fort- 
geschrittenen Fällen  könnte  man  an  der  erwähnten  Stelle  viel- 
leicht auch  eine  Schallverkürzung  nachweisen,  um  die  Diagnose 
zu  stützen,  könnte  man  versuchen,  eine  Farblösung  schlucken  zu 
lassen,  um  die  Farbe  unter  Umständen  im  Sputum  aufzufinden. 

Die  Perforation  eines  Traktionsdivertikels  gibt,  wie  schon 
oben  hervorgehoben  wurde,  keineswegs  eine  unbedingt  ungünstige 
Prognose. 

Man  kann  sich  bei  den  Sektionen  gelegentlich  davon  über- 
zeugen, daß  kleine  Perforationsöffnungen  glatt  abheilen  können. 

Um  die  Abheilung  zu  beschleunigen  und  zu  befordern,  müßte 
man  die  Speiseröhre  ruhig  stellen  und  ein  weiteres  Hineingeraten 
von  Speiseteilchen  ins  Divertikel  verhüten. 

Beiden  Forderungen  genügt  eine  therapeutische  Maß- 
nahme, die  Herr  Obermedizinalrat  Dr.  Schmaltz  in  dem  oben 
erwähnten  Falle  anwenden  ließ,  nämlich  eine  durch  mehrere  Wochen 
fortgesetzte,  systematische  Sondenernährung. 


1)  Herrn   Obermediziiialrat   Dr.  Schmaltz    sei   fllr   die  Überlassung  des 
Falles  zur  Veröffentlichung  auch  noch  an  dieser  Stelle  vielmals  gedankt. 


Überblick  über  die  Lehre  yon  den  Ösophagnsdivertikeln  etc.  549 

In  unserem  Falle,  in  dem  die  geschilderten  schweren  Er- 
scheinungen 5  Wochen  lang  bestanden  hatten,  fiel  am  3.  Tage  der 
Sondenernährung  das  Fieber  zur  Norm  ab  und  nach  weiteren 
8  Tagen  waren  alle  krankhaften  Erscheinungen,  einschließlich  der 
Klopfempfindlichkeit  des  Sternums,  fast  völlig  zurückgegangen.  Der 
Kranke  wurde  geheilt  entlassen.  Abgesehen  von  der  Sonden- 
emährung  wurde  für  möglichste  Reinhaltung  der  Luft-  und  Speise- 
wege gesorgt,  indem  Patient  angewiesen  wurde,  Terpentinölinhala- 
tionen vorzunehmen  und  wiederholt  den  Mund  zu  spülen. 

Gegenüber  der  Perforationsgefahr  der  Divertikel  treten  die 
anderen  Veränderungen,  die  sich  in  ihnen  abspielen  können,  mehr 
in  den  Hintergrund. 

Es  ist  durch  mehrere  Sektionsbefunde  sicher  erwiesen,  daß 
sich  in  den  Traktionsdivertikeln  ein  Carcinom  entwickeln  kann. 
Sowohl  die  dauernden  mechanischen  und  chemischen  Reize  kann 
man  als  ein  die  Carcinombildung  begünstigendes  Moment  anführen, 
wie  die  häufigen  Narbenbildungen  in  den  Divertikeln,  wenn  man 
an  die  Carcinome  denkt,  die  aus  alten  Ulcusnarben  entstehen.  Wie 
viele  von  den  Osophaguskrebsen  auf  ein  Traktionsdivertikel  zurück- 
zuführen sind,  läßt  sich  natürlich  nicht  sagen,  da  sie  fast  stets  in 
einem  fortgeschrittenen  Stadium  zur  Sektion  kommen.  Immerhin  ist 
es  auffallend,  daß  sie  so  häufig  im  mittleren  Drittel  der  Speiseröhre 
ihren  Sitz  haben,  wo  auch  die  Traktionsdivertikel  zumeist  ange- 
troffen werden. 

Drittens  können  die  Traktionsdivertikel  noch  dadurch  ver- 
hängnisvoll werden,  daß  sie  in  Pulsionsdivertikel  übergehen. 
Man  hat  es  dann  mit  den  schon  mehrfach  erwähnten  Traktions- 
Pulsionsdivertikeln  zu  tun.  Ihre  Form  ist  eine  ungemein 
verschiedene.  Es  kommen  alle  Übergänge  vor  von  den  Fällen,  in 
denen  nur  ein  Teil  der  Wand  des  ursprünglichen  Traktionsdiver- 
tikels  vorgebuchtet  ist,  bis  zu  den  Fällen,  in  denen  das  Traktions- 
divertikel in  toto  in  ein  Pulsionsdivertikel  umgewandelt  wurde. 
Dafür,  daß  ursprünglich  eine  Traktion  im  Spiele  war,  sprechen 
immer  Residuen  von  Entzündungsprozessen  in  der  Umgebung,  nament- 
lich der  Befund  von  Kohle  in  der  Divertikelwand,  Fixationen  an 
benachbarten  Organen  und  der  Nachweis  anderer  echter  Traktions- 
divertikel in  derselben  Speiseröhre,  endlich  u.  U.  auch  die  Form 
des  Divertikels.  Wenn  z.  B.  die  Ausbuchtung  des  Divertikels  nach 
oben  zu  stärker  ist,  als  nach  unten  zu,  so  läßt  sich  dieser  Befund 
mit  einer  reinen  Pulsionswirkung  nicht  ohne  weiteres  in  Zusammen- 
hang bringen. 


550    XXXI.  RixBOLD,  Überblick  ttber  die  Lehre  von  den  ÖsophagraBdivertikeln  etc. 

Der  Sitz  der  Traktionspulsiousdivertikel  fällt  mit  dem  der 
Traktionsdivertikel  zusammen,  ebenso  die  Ätiologie  und  Patho- 
genese. Letztere  ist  aber  mit  der  Ausbildung  des  Traktions- 
divertikels  noch  nicht  abgeschlossen;  dasselbe  w^ird  vielmehr  durch 
Innendruck  nachträglich  noch  vergrößert. 

Es  scheint  im  allgemeinen  ein  seltenes  Ereignis  zu  sein, 
daß  die  Traktionsdivertikel  durch  Pulsion  vergrößert  werden,  wahr- 
scheinlich deshalb,  weil  sie  so  oft  durch  benachbartes,  schwieliges 
Gewebe  gestützt  werden.  Nur  jene  Traktionsdivertikel,  in  deren 
Umgebung  sich  eine  stärkere  Narbenentwicklung  nicht  findet  und 
bei  denen  die  Muskulatur  stark  ausgezogen  und  dadurch  beträcht- 
lich verdünnt  wird,  schaffen  umschriebene,  muskelschwache  Stellen 
der  Speiseröhrenwand  und  bieten  damit,  wie  oben  näher  ausgeführt 
wurde,  dem  Innendrnck  beim  Schlingakt  einen  Angriffspunkt  dar. 

Die  klinische  Bedeutung  der  Traktions-Pulsionsdivertikel  deckt 
sich  mit  der  der  ösophagealen  Pulsionsdivertikel. 

Zum  Schluß  ist  es  mir  ein  Bedürfnis,  meinem  hochverehrten 
früheren  Chef,  Herrn  Obermedizinalrat  Professor  Dr.  Schmorl. 
dem  ich  die  Anregung  zu  dieser  Arbeit  verdanke,  für  die  Über- 
lassung des  Materials  und  für  die  freundliche  Unterstützung  bei 
der  Bearbeitung  desselben,  meinen  verbindlichsten  Dank  ausza- 
sprechen. 

Nachtrag  bei  der  Korrektur: 

Kürzlich  demonstrierte  Dr.  Geipel  in  der  Gesellschaft  f ür  Xatur-  und  Hril- 
knnde  zu  Dresden  einen  bisher  einzisr  dastehenden  Fall  (Beferat  erscheint  deat- 
näohst  in  der  Münch.  Med.  Woch.V  der  beweist,  dafi  die  perforierten  TrmktiiMiL«- 
divertikel  des  Ösophagus  nicht  nur  lokale,  auf  ihre  Umgebung  beschrinkte.  t-.  r- 
uebiulieh  auf  dem  Lvmphweg  sich  ausbreitende  Krankheitsprozesse  xnr  FrUr-^ 
haben,  sondern  u  U.  auch  zu  einer  Allgemeininfektion  des  Organismus  anf  buu- 
togeuera  Wege  führen,  und  ausgesprochen  septische  Krankheiten  bedingen  k^^tata- 

Es  handelte  sich  um  einen  54  jahrieen  Zimmermann,  der  seit  etwa  14  Tir*a. 
tiher  unbestimmte  Krankheitserscheinungen  geklagt  hatte  i'FrGstebu  Sckwitno. 
Appetitlosigkeit  .  bei  der  Einlieferung  ins  Johannstädter  Krankenhaas  aber  Wtk-* 
das  typischf  Bild  der  Cerebrospinalmeningitis  darbot  und  nnter  ZimahKe  dur 
meniniritisihen  Er<oheinnngfn  schon  am  3.  Tag  nach  der  Einliefening  mm  Eiins 
kam.  Bei  der  Sektion  fand  sich  eine  eitrige  Cerebrospinalmeningitis.  teiȣ  il- 
ilrren  walii>«  luinli«her  Ausgangspunkt  eine  aus  einem  erweiterten  Br«:ii»*aiyLl- 
drü*5enpaket  lier>\'ri:rHcr,\nirene  AbsceLhöhle.  in  die  man  Ton  einem  pert-Tt-fraa. 
Traktionsdivertikel  des  Ösophagus  aus  erlangte.  Ein  großer  septischer  Milinai.'r 
wies  auf  die  Aili:en*.tininfekti«-n  des  Kvrptrs  hin. 


xxxn. 

Aus  der  medizinischen  Universitätsklinik  zu  Leipzig. 

Über  Bronchitis  fibrinosa. 

Von 

Dr.  Gustav  Liebermeister, 

Assistenzarzt  der  Klinik. 

Die  fibrinöse  Bronchitis  ist  eine  recht  seltene  Krank- 
heit. In  der  Sammlung  der  hiesigen  medizinischen  Klinik  befinden 
sich  die  ausgehusteten  Bronchialgerinnsel  von  12  Fällen  von  Bron- 
chitis fibrinosa.  Ich  habe  diese  Präparate  im  Anschluß  an  einen 
auf  meiner  Station  beobachteten  Fall  untersucht. 

Es  sei  ein  Auszug  aus  der  Krankengeschichte  des  jüngst  in 
der  Klinik  beobachteten  Falles  vorangestellt. 

1.  Fall.  Ludwig  Sch.y  verheirateter  Arbeiter,  45  Jahre  alt,  in  die 
medizinische  Klinik  aufgenommen  am  27.  April  1903. 

Aus  der  Vorgeschichte  des  Patienten  ist  folgendes  bekannt: 
In  der  Familie  sind  Lungenleiden  nicht  vorgekommen.  Patient  selbst 
war  bisher  immer  gesund.  Die  jetzige  Krankheit  begann  Ende  Dezember 
1902.  Im  Januar  1903  erkrankte  Patient  akut  unter  Temperaturanstieg 
bis  40  ^ ;  dabei  begann  er  typische  Bronchialgerinnsel  auszuhusten.  Nach 
4  Wochen  halten  die  bedrohlichen  Erscheinungen  abgenommen,  jedoch 
bekam  Patient  immer  noch  von  Zeit  zu  Zeit  Anfalle  von  starkem  Husten, 
worauf  im  Auswurf  die  weißlichen  Gerinnsel  sich  fiinden.  Atemnot  war 
bei  den  Anfallen  nicht  vorhanden,  auch  wurden  die  Gerinnsel  ohne 
Schmerzen  und  ohne  größere  Anstrengung  ausgehustet.  In  der  letzten 
Zeit  vor  der  Aufnahme  will  Seh.  stark  an  Gewicht  abgenommen  haben. 
Seit  7  Jahren  arbeitet  er  in  einer  Buchdruckerei  als  Sortierer  von 
Lettern.  Es  soll  in  dem  Arbeitsraume  für  gute  Lüftung  und  Ventilation 
gesorgt  sein. 

Befund  bei  der  Aufnahme:  Kleiner  schmächtiger  Mann  von 
blasser  Gesichtsfarbe,  in  etwas  reduziertem  Ernährungszustand.  Körper- 
temperatur nicht  erhöht.  Körpergewicht  52,5  kg.  Die  Nase  zeigt  nor- 
malen Befund.  Pharynxschleimhaut  ganz  leicht  gerötet,  Zunge  etwas 
belegt.  Die  Haut  des  Rückens  und  der  Brust  ist  überempfindlich  und 
sehr  reizbar,  so  daß  auf  leichtes  Bestreichen  mit  dem  Stiel  des  Perkussions- 
hammers  starke  lokale  Hyperämie  entsteht. 


552  XXXII.    LlBBBBMSlSTER 

Thorax  mäßig  gut  gewölbt,  wird  bei  der  Atmung  beiderseits 
Bym metrisch,  aber  nur  oberflächlich  bewegt.  Untere  Lungengrenzen 
stehen  beiderseits  tief,  sind  in-  und  exspiratorisch  nur  wenig  verschieb- 
li  cb.  Nirgends  über  den  Lungen  Schallabschwächung.  Überall  rein  vesiku- 
läres  Atmungsgeräusch  ohne  Nebengeräusche.  Herzbefund  normal.  An 
allen  übrigen  Organen  nichts  Abnormes. 

Das  Sputum  wird  nach  zahlreichen  Hustenstößen  ohne  Atem- 
not und  ohne  Anstrengung  herausgefordert.  Die  Menge  ist  gering. 
Das  Sputum  reagiert  neutral,  ist  schleimig,  mit  vielen  Luftblasen  unter- 
mengt, nirgends  blutig  gefärbt.  Beim  Ausbreiten  in  Wasser  finden  sich 
2  ca.  5  cm  lange  Gerinnsel  mit  dichotomischer  Teilung,  Ausgüsse 
der  kleineren  und  kleinsten  Bronchien  darstellend. 

Verordnung:  Natr.  jodat.  3 mal  täglich  1  g. 

Über  den  Verlauf  der  Krankheit  seien  die  folgenden  Angaben 
aus  der  KraDkengeschichte   angeführt : 

5.  Mai  1903.  Zustand  unverändert.  Täglich  werden  2  bis  3  Ge- 
rinnsel von  5 — 8  cm  Länge  ausgehustet. 

10.  Mai  1903.  Im  Traube'schen  Raum  und  links  hinten  unten  ge- 
ringes Exsudat;  in  der  Höhe  der  linken  3.  Rippe  fühl-  und  hörbares 
pleuritisches  Reiben.  Patient  fühlt  das  Reiben  selbst,  ohne  dabei 
Schmerzen  zu  empfinden. 

lö.  Mai  1903.  Exsudat  im  Traube'schen  Raum  verschwunden, 
links  hinten  unten  noch  3  Querfinger  hoch  nachweisbar.  Oberhalb  des 
Exsudates  hört  man  noch  weiches  Reiben.  Rechts  hinten  unten  Knister- 
rasseln und  weiches  Reiben,  keine  Dämpfung.  Seit  4  Tagen  werden 
keine  Gerinnsel  ausgehustet,  dagegen  mäßige  Mengen  zähen  schleimig- 
eitrigen  Auswurfs.  Patient  zeigt  sich  psychisch  leicht  erregbar,  bekommt 
aus  Anlaß  der  klinischen  Vorstellung  eine  Pulsfrequenz  von  130  ohne 
wesentliche  Temperatursteigerung.  Am  Herzen  ist  nichts  Abnormes  nach- 
weisbar. 

4.  Juni  1903.  In  den  letzten  Tagen  traten  wieder  Gerinnsel  auf, 
die  zum  Teil  mit  einer  ganz  dünnen,  sanguinolenten  Schleimschicht  be- 
setzt sind.     Das  Exsudat  und  das  Reibegeräusch  sind  verschwunden. 

10.  Juli  1903.  Im  Traube*schen  Raum  ist  wieder  ein  Exsudat 
nachweisbar. 

10.  August  1903.  Links  hinten  unten  noch  Dämpfung  mit  ab- 
geschwächtem Atmungsgeräusch.  Oberhalb  deutliches  Reiben.  Patient 
verläßt  auf  eigenen  dringenden  Wunsch  das  Krankenhaus.  Während  des 
ganzen  Krankenbau  saufenthalt  es  hatte  Patient  meist  normale  Tempe- 
raturen; hier  und  da  traten  geringe  abendliche  Steigerungen  auf,  ein- 
mal bis  auf  37,9^  (Achselhöhle).  Die  Pulsfrequenz  war  eine  sehr 
schwankende,  zwischen  64  und  130  Schläge  in  der  Minute.  Auch  die 
Atmungsfrequenz  war,  besonders  im  Anfang  des  Krankenhausauf- 
enthaltes, eine  sehr  wechselnde,  im  Minimum  16,  im  Maximum  36  Atem- 
züge.    Das  Körpergewicht  bei  der  Entlassung  betrug  56,8  kg. 

Am  25.  Oktober  1903  kam  Patient  zu  einer  Nachuntersuchung 
in  die  Klinik.  Er  hatte  5  Wochen  gearbeitet,  fühlte  sich  sehr  wohl, 
sah  auch  sehr  gut  aus.  Gerinnsel  hat  er  in  der  letzten  Zeit  nicht  wieder 
ausgehustet.     Der  Lungenbefund  war  folgender:    Rechts    hinten,    abwärts 


über  Bronchitis  übniioea.  5S3t) 

vom  Angulats  scapulae  weiches  samtartiges  Keiben,  desgleichen  links  vorn 
im  5.  Interkostalraum.  Die  linke  hintere  untere  Lungengrenze  steht 
2  Querfinger  höher  als  die  rechte,  ist  nicht  verschieblich.  Im  Tr^ube- 
schen  Baum  kein  Exsudat.  Links  vorn  vereinzelte  trockene  feinblasige 
Basselgetäusche.  Beide  Lungenspitzen  sind  frei.  Symptome  von  Herz-* 
hypertrophie  und  von  Arteriosklerose  fehlen. 

Bei    weiteren    Nachuntersuchungen   —  die   letzte   fand   im   Februar 
1904  statt  - —  zeigte  sich  ein  ganz  allmähliches  Zurückgehen  der  lokalen 
Erscheinungen.    Das  subjektive  Befinden  des  Patienten  ist  ein  sehr  gutes.- 
Gerinnsel    hustet   er   selten   aus,    etwa   alle  3  Wochen  eins;    sie  werden 
ohne  jede  Anstrengung  herausgefordert. 

Alle  ausgehusteten  Gerinnsel  lassen  aus  ihrer  Form  und  aus  der 
Art  ihrer  Verzweigung  erkennen,  daß  sie  aus  einem  und  demselben^ 
Bronchus  stammen.  Sie  sind  5  — 8  cm  lang,  bis  zu  5  mm  dick,  die 
feiosteB  Verzweigungen  sind  mit  bloßem  Auge  eben  noch  zu  erkennen. 
Die  Gerinnsel  stellen  Ausgüsse  der  mittleren,  kleineren  und  kleinsten 
Bronchien  dar,  sind  dicho tomisch  verzweigt  Sie  sind  wenig  kompakt, 
von  glasig  durchsichtigem  Aussehen,  von  grauweißer  Farbe,  und  mit 
perlschnurartig  aneinandergereihten  Luftblasen  von  Stecknadelspitze-  bis- 
Stecknadelkopfgröße  durchsetzt.  In  Wasser  ausgebreitet  schwimmen  die 
Gerinnsel  infolge  ihres  Luftgehaltes. 

Bei  mikroskopischer  Betrachtung  der  frischen  Ge- 
rinnsel erkennt  man,  daß  sie  aus  parallel  zu  Bändern  angeordneten^ 
stiork  lichtbrechenden  Fibrillen  bestehen,  an  denen  Leukocyten  in  mäßiger 
Zähl  häägen;  Bronchialepithelien  sind  in  dem  Auswurf  nur  in  mäßiger 
Menge  vorhanden.  An  den  letzten  feinsten  Enden  der  Gerinnsel  sind 
die  Fibrillen  vielfach  wirbelartig  umeinander  herumgeschlungren ;  teilweise 
laufen  aie  in  Cursehmann'sche  Spiralen  aus.  Diese  sind  mäßig 
häufig,  immer  nur  am  Ende  der  feinsten  Gerinnsel  zu  finden.  Oharcot- 
Leyden'sche  Kristalle  waren  nie  zu  finden,  ebenso  nie  eosino- 
phile Zellen. 

Bei  der  bakteriologischen  Untersuchung  des  Sputums 
fehlten  Taberkelbazillen  stets.  In  den  Gerinnseln  finden  sich  Kokken 
in  kleinen  länglichen  Haufen.  Die  Gerinnsel  wurden  in  10  mal  gewech- 
selter steriler  Flüssigkeit  ausgewaschen  und  dann  auf  Agarplatten  ver- 
arbeitet: es  ist  Staphylococcns  pyogenes  albus  in  Beinkultur 
gewachsen. 

Das  makroskopische  Verhalten  der  Gerinnsel,  ihr  glasig-durch- 
scheinendes Aussehen,  ihr  wenig  kompaktes  Gefüge,  ihre  große 
Elastizität,  hatten  den  Gedanken  nahe  gelegt,  daß  es  sich  vielleicht 
um  reine  Mucinge rinnsei  handle,  wie  solche  in  neuerer  Zeit 
öfter  beschrieben  worden  sind.  Ich  habe  daher  Herrn  Professor 
Siegfried  gebeten,  die  Gerinnsel  chemisch  auf  ihren  etwaigen 
Gehalt  an  Fibrin  zu  prüfen.  Es  ist  ihm  gelungen,  Flocken  von 
Fibrin  darin  nachzuweisen.  Herr  Prof.  Siegfried  war  so 
liebenswürdig,  mir  über  die  von  ihm  vorgenommene  Untersuchung 
die  folgenden  Angaben  zu  machen: 

Deatsctaes  Archiv  f.  klin.  Medizin.    LXXX.  fid.  36 


554  XXXII.    LiBBKBMEISTSB 

,,Die  mit  Wasser  gewaschenen  Flocken  lösten  sich  nicht  in 
0,1  proz.  Natronlauge  binnen  6  Stunden ,  sondern  quollen  in  dieser 
nur  auf.  Sie  quollen  typisch  in  0,2  proz.  Salssäure ,  ohne  sich  in 
24  Stunden  zu  lösen.  Als  zu  den  so  bei  38®  gequollenen  Flocken 
eine  geringe  Menge  einer  wirksamen  Pepsinlösung  gegeben  wurde, 
lösten  sie  sich  in  wenigen  Minuten  auf. 

Nach  diesem  Verhalten  sind  die  mit  verdünnter  Natronlauge 
behandelten  Flocken  als  aus  Fibrin  bestehend  anzusehen." 

Zum  Zweck  der  mikroskopischen  Untersuchung  gefärbter  Prä- 
parate wurden  Stücke  der  Gerinnsel  nach  Formalinfixierung,  AV'ässerung 
und  Härtung  in  aufisteigendem  Alkohol  in  Paraffin  eingebettet  und  dar- 
aus Schnitte  von  5  f,i  Dicke  hergestellt.  Es  wurde  gefärbt  mit  Häma- 
toxylineosin,  mit  Mucikarmin  nach  P.  Mayer  (Grübler),  mit 
Thionin,  ferner  nach  der  Weigert'schen  und  nach  der  Kecke  1- 
schen  Fibrinfärbemethode.  Die  Färbung  mit  Thionin  gelang  am  besten 
nach  der  von  P.  Mayer  und  Zimmermann  angegebenen  Modifikation 
der  Hoyer' sehen  Färbemethode:  es  wurden  die  auf  den  Objektträger 
aufgeklebten  Schnitte  ohne  Entfernung  des  Paraffin  in  dünner  Thionin- 
lösung  ca.  5  Minuten  gefärbt,  abgetrocknet,  in  Xylol  vom  Paraffin  be- 
freit und  in  Canadabalsam  eingebettet.  Die  auf  diese  Art  ge&rbten 
Schnitte  haben  bis  3  Monate  nach  der  Färbung  die  Farbe  und  auch  die 
Metachromasie  fast  ausnahmslos  sehr  schön  festgehalten,  sind  aber  im 
Laufe  von  weiteren  2  Monaten  erheblich  abgeblaßt.  Die  Metachromasie 
war  am  besten  zu  sehen  bei  künstlichem  Licht,  das  nicht  zu  wenig  rote 
Strahlen  enthielt.  Fast  ebensogut  ist  sie  hervorgetreten  in  Mikrophoto- 
grammen,  weil  die  metachromatisch  rot  gefärbten  Partien  als  dunkel,  die 
blau  gefärbten  als  hell  aaf  die  photographische  Platte  wirken. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  zeigte  ein  Gerüst  von  ziemlich 
homogenen,  leicht  gewellten  Balken,  teils  von  geringer,  teils  von  größerer 
Dicke:  überall  zwischen  den  sich  durchkreuzenden  Lamellen  finden  sich 
größere  und  kleinere  Hohlräume,  so  daß  man  eio,  teilweise  sehr  weit- 
maschiges Netz  vor  sich  hat.  In  diesem  Balkennetz  sieht  man  verstreute 
einzelne  Zellen  mit  annähernd  rundem  Kern,  an  einzelnen  Stellen  sind 
diese  in  etwas  größerer  Zahl  vorhanden.  Eosinophile  Zellen  finden  sich 
nicht.  Bei  der  Weigert' sehen  Fibrinfarbemethode  ist  das  Balkennets 
ziemlich  gleichmäßig  violett,  nach  der  Ko ekel 'sehen  braungrau  bis 
blauschwarz  gefärbt.  Nirgends  heben  sich  nach  diesen  beiden  Methoden 
einzelne  Fasern  besonders  stark  hervor.  Bei  den  mit  Mucikarmin 
gefärbten  Präparaten  hat  sich  alles  leuchtend  rosarot  gefärbt,  die  fibril- 
läre  Struktur  der  Balken  tritt  dabei  deutlich  hervor.  Sehr  übersieht- 
liehe  Bilder  geben  die  mit  Thionin  gefärbten  Schnitte.  Sie  zeigen 
ein  von  verschieden  dicken  Balken  gebildetes  Netz.  Die  Balken  sind  im 
allgemeinen  blau  gefärbt,  zeigen  aber  überall  kleinere  und  größere,  sich 
sehr  distinkt  abhebende  rote  Einschlüsse,  teils  in  Form  von  kleineren 
oder  größeren  Platten,  teils  als  sehr  feine  Fasern.  Auch  die  rot  ge- 
färbten Platten  lassen  sich  bei  stärkerer  Vergrößerung  in  sehr  feine 
Fibrillen,    die  sich  durchkreuzen,    auflösen.     Die  metachromatischen  Par* 


über  Bronchitis  fibrinosa.  555 

tien  finden  sich  durch  das  ganze  Präparat  verstreut,  sowohl  peripher  als 
auch  zentral  gelagert.     Die  Zellkerne  hahen  sich  hlauviolett  gefärbt. 

Wir  haben  es  also  hier  zu  tun  mit  einem  Fall  von  idiopathischer 
chronischer  fibrinöser  Bronchitis.  Für  die  Ätiologie  dieses  Falles 
kommen  als  disponierende  Momente  in  Betracht  die  Beschäftigung 
des  Patienten  mit  Blei  in  wahrscheinlich  ziemlich  staubiger  Luft 
und  die  schwächliche  Konstitution  des  Kranken.  Ob  dem  aus  den 
Gerinnseln  in  Eeinkultur  gezüchteten  Staphylococcus  pyogenes  albus 
in  ätiologischer  Beziehung  sehr  großer  Wert  beizulegen  ist,  wie  dies 
z.  B.  Sokolo  wski(43)  tut,  halte  ich  bei  der  übiquität  dieses  Coccus 
für  recht  fraglich.  Eine  tuberkulöse  Affektion  ist  so  gut  wie  aus- 
geschlossen. 

Bemerkenswert  ist  bei  diesem  Fall,  daß,  entgegen  der  Eegel, 
die  Gerinnsel  ohne  besondere  Anstrengung  und  ohne  Atemnot 
expektoriert  wurden,  wie'dies  für  einzelne  Fälle  schon  E  i  e  g  e  1  (36), 
Kußmaul (28)  u.  a. ^)  erwähnt  haben. 

Die  Gegenwart  Curschmann'scher  Spiralen,  die  bei 
Bronchitis  fibrinosa  bis  jetzt  nur  von  wenig  Autoren*)  gesehen 
worden  sind,  ist  uns  ein  Zeichen  dafür,  daß  der  mit  Schleim-  und 
Fibrinausscheidung  verbundene  Prozeß  sich  bis  in  die  Bronchiolen 
erstreckt  hat  (vgl.  Curschmann  1.  c). 

Zur  Bildung  des  so  häufig  die  Bronchitis  fibrinosa  kompli- 
zierenden Asthma  (vgl.  Possei t)  ist  es  in  diesem  Fall  nicht  ge- 
kommen. 

Die  von  einer  größeren  Anzahl  von  Forschern'*)  bei  Bronchitis 
fibrinosa  beobachteten  Charcot-Ley deutschen  Kristalle 
fehlten  in  diesem  Falle  stets,  ebenso  die  eosinophilen  Zellen.*) 

Es  war  nun  von  Interesse,  zu  sehen,  wie  sich  andere  Fälle 
von  Bronchitis  fibrinosa  verhielten,  und  so  habe  ich  im  Anschluß 
an  den  oben  beschriebenen  Fall  die  zahlreichen  Gerinnsel,  welche 
in  der  Sammlung  der  Leipziger  medizinischen  Klinik  vorhanden 


1)  Adsersen  (1),  Chvostek  (6),  Eisenlohr  (11),  Hoffmann  (23), 
Zenker  (47),  Reiuke  (35),  Sklarek  (42),  s.  Literaturverzeichnis. 

2)  Escherich  (12),  Model  (30),  Ortuer  (31),  Riegel  (36),  Soko- 
lo wski  (43),   Vierordt(46). 

3)  Charcot  (5),  Curschmann  (7),  Escherich  (12),  Fräntzel  (13), 
Friedreich  (14),  Fritzsche  (15),  P.  Koch  (26),  R.  Koch  (27),  Model  (30), 
Pichini  (32),  Pramberger  (34),  Riegel  (36),  Schittenhelm  (37),  Soko- 
lowski(43),  Strauß  (45),  Vierordt  (46),  Zenker (47). 

4)  Vgl.Fritz8che(15),  Ortner  (31),  Ad.Schmidt  38),  Sokolowski(43). 

36* 


556  xxxn.  L1XBSBMBI8TBB 

sind,  genauer  untersuch  t.^)  Gegenstand  der  Untersucliun^  urareiv 
den  oben  beschriebenen  Fall  mit  eingerechnet^  zwölf  FftUe  von  Bron- 
chitis fibrinosa  und  ein  in  der  Agone  von  einem  schwer 
Herzleidenden  ausgehusteter  Abguß  der  großen  Bronchien. 
Zum  Vergleich  wurden  noch  untersucht  vier  Präparate  von  diph- 
therischen Bronchialausgüssen  und  zwei  Fälle  von  Ente- 
ritis pseudomembranacea.  Eine  chemische  Unter- 
suchung war  bei  den  zum  Teil  aus  älterer  Zeit  stammenden 
Alkoholpräparaten  nicht  möglich,  und  so  war  ich  auf  das  Ergebnis 
der  Färbemethoden  allein  angewiesen.  Die  Krankengeschichten 
teile  ich,  soweit  sie  mir  zugänglich  waren,  in  kurzem  Auszug  mit. 
Die  Technik  bei  Anfertigung  der  Schnitte  und  bei  der  Färbung 
war  die  gleiche  wie  bei  dem  ersten  Fall. 

2.  Fall.  Karl  Cl.,  65  Jahre  alt,  in  die  medizioische  Klinik  auf- 
genommen am  17.  Febmar  1902. 

Aus  der  Anamnese  sei  angeführt,  daß  ein  Sohn  des  Patienten 
lungenleidend  ist.  Die  übrige  Familie  ist  gesund.  Die  jetzige  Erkran- 
kung besteht  seit  ungefähr  18  Jahren:  Kunatmigkeit,  Husten  und  eigen- 
tümlicher weißer^  faden  artiger  Aaswurf.  Cl.  bekommt  hier  und  da  An- 
falle von  stärkerer  Atemnot,  so  daß  er  im  Bett  aufrecht  sitzen  muß. 
Kach  dem  Aushusten  größerer  Partien  fühlt  er  sich  erleichtert.  Fieber, 
Nachtschweiße,  Gewichtsabnahme,  Bluthusten  sind  nicht  vorhanden  ge- 
wesen. Patient  war  bis  vor  3  Jahren  Tuchmacher  und  ist  dabei  der 
Einatmung  von  viel  Staub  ausgesetzt  gewesen.  Jetzt  arbeitet  er  als 
Bauarbeiter  im  Freien. 

Befund  bei  der  Aufnahme:  Kleiner,  leidlich  genährter  Patient 
von  gesundem  Aussehen. 

Thorax  breit,  tief,  mit  stark  vorspringendem  Angulua  Ludovici, 
stumpfem  epigastrischem  Winkel.  Atmung  ausgiebig  und  gleichmäßig. 
Lungenspitzen  beiderseits  gleich  hoch,  untere  Lnngenränder  auf  beiden 
Seiten  gleich  hoch  stehend,  mäßig  verschieblich,  tjberall  sonorer  Schall. 
Atmungsgeräusch  vesikulär,  zum  Teil  mit  verlängertem  Exspirium  und 
diffus  verbreiteten  trockenen  Rasselgeräuschen. 

Am  Herzen  normale  Verhältnisse.  Puls  von  guter  Spannung  and 
Füllung.  Arterienrohr  rigide.  Abdomen,  abgesehen  von  rechtsseitigem 
Leistenbruch,  ohne  Besonderheiten. 

Der  Auswurf  ist  schleimig-eiterig  mit  zum  Teil  bis  zu  BEandteller 
großen  Fibrinausgüssen  des  Bronohialbaumes.  Keine  eosinophilen 
Zellen,  keine  Spiralen. 

Patient  wurde  am  27.  März  1903  bei  gutem  subjektivem  Befinden 
entlassen,  nachdem  er  in  der  letzten  Zeit  nur  noch  sehr  wenige  Gk« 
rinnsei  ausgehustet  hatte.     Die  Temperatur  war  im  allgemeinen  nicht 


1)  Meinem  hochverehrten  Chef,  Herrn  Geheimerat  Onrschmann,  spreche 
ich  für  die  Cberlassung  des  Materials  und  fftr  das  wohlwollende  Interesse,  das  er 
meiner  Arbeit  entgegengebracht  hat,  meinen  verbindlichsten  Dank  aus. 


über  Bronchitis  fibrinosä.  5Ö7 

-erhöht.  An  einselDen  Tagen  kamen  Steigerangen  bis  37,5  ^  yor,  ]>ie 
Atmungsfreqnenz  war  im  Durcbaohnitb  SQ,  der  Fnls  swisöben  60 
und  100  schwankend. 

Die  in  der  Sammlung  aufbewahrten  Gerinnsel  sind  je  oa.  5  cm 
lang,  bis  ^u  2— -3  nun  dick,  von  grünlichwei£er  Farbe;  sie  aind  sub- 
aianzarm,  im  Innern  größtenteils  hohi»  etwas  plattgedrückt. 

Die  gefärbten  Schnitte  zeigen  ein  dem  ersten  Falle  sehr 
ähnliches  Bild.  Man  sieht  längliche  gewellte  Bänder,  welche  Hohlräume 
umschließen.  Der  Zellgehalt  ist  ein  sehr  geringer.  Bei  der  Weigert- 
aehen  Fibrin farbemethode  hat  sich  das  ganze  Präparat  gleichmäßig  ge- 
färbt ;  nach  der  K  o  o  k  e  1 '  sehen  Methode  erhält  man  graublaue,  nicht 
sehr  distinkt  gefärbte  wellige  Bänder.  Mit  Mucikarmin  hat  sich  das 
l^anze  Präparat  schwach  rosa  gefärbt;  einzelne  Faserzüge  hebea  sich, 
.leuchtend  rosarot  gefärbt,  hervor.  Bei  Thioninfärbung  erhält  man 
blau  gefärbte  wellige  Züge  von  feinfaseriger  Struktur;  mäßig  zahlreiche 
Fasern  haben  sich  sehr  distinkt  metachromatisch  violettrot  gefärbt. 

Fall  8.  Ein  an  schwerer  ulceroser  Lungenphthise  leidender 
'Patient  hustet  P/2  Jahre  vor  dem  Tode  einige  Bronchialgerinnsel  aus. 
Bei  der  Sektion  findet  sich  neben  Lungen-,  Kehlkopf-  und  Darmtuber- 
kulose noch  Amyloid  der  Idilz  und  der  Nieren,  jedoch  nichts,  was  auf 
Bronchitis  fibrinosä  deutet. 

Die  in  Alkohol  aufbewahrten  Gerinnsel  sind  7  cm  lang,  bis  4  mm 
dick,  von  grünlich  grauer  Farbe,  größtenteils  hohl.  Sie  endigen  in 
feinsten,  eben  noch  sichtbaren  Fäserchen. 

Die  gefärbten  Schnitte  zeigen  ein  aartaa,  sehr  aellarmes 
Balkengerüst  mit  wenig  Lücken.  Bei  Thioninfärbung  ist  das 
Balkengerüst  blau  und  enthält  mäßig  zahlreiohe  metachromatische  Fasern; 
mit  Mucikarmin  hat   sich    das   ganze  Präparat  schwach  rosa  gefärbt. 

Fall  4.  Die  Gerinnsel  stammen  .  von  einem  Fall  aus  der  Privat- 
praxis des  Herrn  Geheimrat  Ourschmann  vom  Anfang  des  Jahres 
1903.  Der  Patient  hat  im  Anschluß  an  Influenza  große  Mengen  von 
Gerinnseln  ausgehustet. 

Die  Gerinnsel  sind  kompakter  tind  derber  als  die  vorhergehenden, 
ihre  Oberfläche  ist  rauh.  Die  Gerinnsel  hatten  in  frischem  Zustand 
•  nicht  die  Durchsichtigkeit  und  Helligkeit,  auch  nicht  den  Luftgehalt  der 
von  dem  ersten  Fall  stammenden  Ausgüsse.  Ihre  Farbe  war  gelblioh- 
weiß.  Ihre  Form  läßt  sehr  deutlich  erkennen,  daß  sie  alle  dem  gleichen 
Bronchus  entstammen.  Ihre  Länge  beträgt  bis  zu  10  cm,  ihre  größte 
Dicke  5  mm ;  die  kleinsten  Endverzweigungen  sind  eben  noch  mit  bloßem 
Auge  zu  erkennen. 

An  den  gefärbten  Schnitten  sieht  man  eine  ziemlich  homo- 
gene, leicht  wellig  gestreifte  Grundsubstanz  mit  mäßig  zahlreiohen  ein- 
gelagerten Zellen;  eosinophile  Zellen  fehlen.  Die  Substanabrücken  sind 
breit,  die  Lücken  klein.  Bei  Weigert' scher  Fibrinfilrbung  finden 
sich  an  einer  Stelle  am  Rande  des  Präparates  zahlreiohe  in  Haufen  an- 
-  geordnete  Kokken.  Bei  Anwendung  der  Immersion  läßt  sich  die  homo- 
gene Substanz  in  ein  Netz  von  feinsten  Fibrillen  auflösen.  Bei  Thio- 
ninfärbung  ist   die   größere   Masse   der  Grundsubstanz   blau   gefärbt; 


558  XXXII.    Ll£BERMEI8TJra 

an  mehreren  Stellen  jedoch  durchziehen  feinste,  metachromatisch  yioleti- 
rot  gefärbte,  distinkte  Fasern  das  Bild.  Mit  Mucikarmin  hat  sich 
das  ganze  Präparat  sehr  blaß  rosa  gefärbt,  mehrere  Faserzüge  zeigen 
stärkere  Färbung. 

Fall  5.  Sammlung8praparat,„ Bronchitis  fibrinosa*'  bezeichnet. 
Über  den  Krankheitsverlauf  ist  nichts  zu  eruieren  gewesen. 

Die  Präparate  stellen  makroskopisch  ziemlich  derbe,  bräunlich- 
rosa  gefärbte  Gerinnsel  von  bis  zu  10  cm  Länge  dar.  Zum  Teil  sind 
die  Gerinnsel  etwas  platt  gedrückt. 

Die  gefärbten  Schnitte  lassen  teils  mäßig  breite  Bänder,  teils 
feine,  verflochtene  Netze  mit  großen  Zwischenräumen  erkennen.  Der 
Zellgehalt  ist  gering.  Eosinophile  Zellen  sind  nicht  vorhanden. 
Bei  Weigert' scher  Fibrinfarbung  sieht  man  in  den  feinen  Bändern 
massenhaft  in  Haufen  angeordnete  Kokken  und  Stäbchen.  Bei  starker 
Vergrößerung  zeigt  sich,  daß  die  breiten  Bänder  sich  aus  feinen  Fi- 
brillen zusammensetzen.  Bei  Th ion in färbung  ist  alles  blau,  nirgends 
Metachromasie.  Die  Zellkerne  erscheinen  hellviolett.  Auch  bei  dieser 
Färbung  sind  Massen  von  Kokken  zu  finden.  Die  K  o  c  k  e  T  sehe  Fibrin- 
färbung und  die  Mucikarmin  färbung  geben  dieselben  Resultate  wie 
bei  den  früheren  Präparaten. 

Fall  6.  Sammlungspräparat,  makroskopisch  bis  zu  6  cm 
lange,  teilweise  etwas  plattgedrückte  Gerinnsel  von  grauweißlicher  Farbe. 
Die  Dicke  schwankt  zwischen  4  mm  und  eben  noch  erkennbaren  feinsten 
Fäden. 

Im  allgemeinen  ist  der  mikroskopische  Befund  der  gleiche  wie 
bei  Fall  5,  nur  ist  der  Zellgehalt  ein  etwas  größerer,  und  bei  Thionin- 
färbung  finden  sich  geringe  rosa  violette  Einsprengungen  in  das  blau 
gefärbte  Balkennetz.     Bakterien  lassen  sich  nicht  nachweisen. 

Fall  7.  Sammlungspräparat:  Gelbrosa  gefärbte,  bis  5  cm 
lange,  mäßig  konsistente,  bis  zu  4  mm  dicke  Gerinnsel  mit  feinsten  Ver- 
ästelungen. 

Bei  mikroskopischer  Betrachtung  ist  zu  erkennen,  daß  die 
Schnitte  nach  allen  Methoden  sich  recht  schlecht  gefärbt  haben,  wohl 
infolge  zu  großen  Alters.  Das  Bild  gleicht  dem  der  beiden  vorher- 
gehenden Präparate.  Bakterien  sind  nicht  nachweisbar.  Bei  Thionin- 
färbung  fehlt  die  Metachromasie. 

Fall  8.  Sammlungspräparat,  grauweiße,  bis  zu  4  cm  lange 
Gerinnsel  von  geringerer  Konsistenz  als  die  vorhergehenden. 

Die  Schnitte  färben  sich  schlecht.  Zellkerne  fehlen.  Bei  Th  io- 
nin färbung  ist  keine  Metacbromasie  vorhanden. 

Fall  9.  Sammlungspräparat,  10  om  langes  Bronchialgerinnsel, 
dessen  größte  Dicke  8  mm  beträgt.  Es  stellt  Ausgüsse  eines  großen 
und  vieler  mittlerer  Bronchien  dar.  Das  Gerinnsel  ist  etwas  plattgedrückt, 
ziemlich  kompakt,  von  grauer  Farbe. 

Die  mäßig  gut  gefärbten  Präparate  verhalten  sich  wie  bei  den  vor- 
hergehenden Fällen.  Bei  Thioninfärbung  fehlt  die  Metachromasie. 
Bakterien  Bind  nicht  nachzuweisen. 


über  Bronchitis  fibrinosa.  559 

Fall  10.  Sammlungspräparat,  5  cm  langes,  ziemlich  kom- 
paktes weißes,  verästeltes  Gerinnsel  mit  kreisrundem  Querschnitfc. 

Mikroskopisch  erkennt  man  ein  mäßig  zell reiches  feines  Fasernetz 
mit  kleinen  Lücken.  An  einzelnen  Stellen  finden  sich  stärkere  Zell- 
anbäofongen.  Bei  Thioninfärbung  ist  keine  Metachromasie  vor- 
handen. 

Fall  11.  Sammlungspräparat,  anscheinend  ziemlich  alt: 
Hanhes,  ziemlich  kompaktes  ca.  5  cm  langes,  plattgedrücktes  Gerinnsel, 
dessen  größte  Dicke  5  mm  beträgt.  Die  feinsten  Ausläufer  sind  eben 
noch  mit  unbewafifhetem  Auge  zu  erkennen. 

Die  geförbten  Präparate  sind  den  vorigen  sehr  ähnlich.  Der  Zell- 
gehalt ist  ein  geringerer.  Die  Thioninfärbung  ergibt  keine  Meta- 
chrom asie. 

Fall  12.  Sammlungspräparat.  Es  ist  ein  dem  vorigen  ähn- 
liches ca.  8  cm  langes,  etwas  weniger  kompaktes  Gerinnsel. 

Die  gefärbten  Schnitte  stellen  ein  ziemlich  weitmaschiges,  wenig 
zellhaltiges  Netz  mit  großen  Lücken  dar.  Mucikarmin  ergibt  gute 
Rosafarbung.  Bei  Thioninfärbung  erhält  man  blaue  Bänder  mit 
vielen  metachromatisch  rotgefärbten  Streifen. 

Fall  18.  Es  handelt  sich  um  2  große  Bronchialgerinusel, 
welche  kurz  vor  dem  Tode  von  einem  an  Goronarsklerose  leidenden 
Patienten  ausgehustet  wurden.  Herr  Geheimrat  Gurschmann  war  so 
gütig,  mir  die  folgenden  Angaben  über  diesen  in  der  Privatpraxis  beob- 
achteten Fall  zu  überlassen:  Herr  K.,  Mann  von  ca.  60  Jahren,  leidet 
seit  seiner  Jugend  an  einer  Coxitis  mit  leicht  eiternder  Fistel.  Von  je 
her  war  Patient  körperlich  zart  und  schwächlich;  dabei  war  er  von 
hervorragender  geistiger  Leistungsfähigkeit,  so  daß  er  lange  Jahre  ein 
großes  Amt  führen  konnte.  Ein  Jahr  vor  dem  Tode  tritt  im  Anschluß 
an  allerschwerste  fortgesetzte  psychische  Alterationen  der  erste  Anfall 
von  Angina  pectoris  auf.  In  den  letzten  3  Monaten  des  Lebens  kamen 
schwere  und  leichte  Anfälle  abwechselnd  vor.  Sie  gingen  einher  mit 
den  charakteristischen  in  den  linken  Arm  ausstrahlenden  Schmerzen  in 
der  Herzgegend,  starkem  Gppressionsgefühl,  ganz  kleinem,  aussetzendem 
Puls.  In  den  letzten  Wochen  traten  Ödeme  der  Beine  ein.  Über  den 
Lungen  fand  sich  mäßige  Bronchitis,  im  Sputum  bei  einmaliger  Unter- 
suchung keine  Herzfehlerzellen.  Am  Herzen  ließ  sich  geringe  Dila- 
tation des  linken  Ventrikels  nachweisen,  während  der  rechte  Ventrikel 
anscheinend  nicht  vergrößert  und  erweitert  war.  Die  Herztöne  waren 
leise,  rein.  An  den  Nieren  waren  keine  Veränderungen  nachzuweisen, 
im  Urin  kein  Eiweiß. 

Am  Tage  vor  dem  Tode  und  am  Todestag  erfolgte  nach  heftigen 
Dyspnoeanfällen  die  Expektoration  von  je  einem  Gerinnsel. 

Die  beiden  Gerinnsel  sind  je  1 5  cm  lang,  bis  zu  1  ^/^  cm  dick, 
die  feinsten  Verzweigungen  haben  die  Dicke  mittlerer  Bronchien.  Ihre 
Form  läßt  erkennen,  daß  sie  aus  einem  uud  demselben  Bronchus  stammen. 

An  den  gefärbten  Schnitten  erkennt  man  ein  Netz  von  Bändern 
mit   größeren   und   kleineren  Lücken.     Der  Zellgehalt   ist   ein   geringer. 


560  XXXIL  LiXBuaiiTBB 


-StelleBweise  sind  die  Gerinnsel  kompakter  nnd  weisen  nur  kleine  Lücken 
auf.     Bei    den    nach   der   KockeTBchen   Methode    gefiSrbten   Scbmtte& 
:zeigt    sich    ein   feines,    violettgrauBchwan   gefärbtes   Fsserwerk,    welches 
eine    homogene,    schwach    graubraune    Gnmdsabstani    anschließt.      Bei 
-Thioninf&rbnng    findet    sich    eine    ganze    Menge    Ton    Fasern    und 
Faser  Systemen,    die    roetachromatisch  rot  und  rotvioUet  gefärbt,   ans  dem 
.übrigen    blau    gefärbten    Balkennetz    hervorleuchten.     Alle    metachroma- 
tischen Partien   zeigen    feinen   fibrillären   Bau.     Mit  Mucikarmia  hat 
sich   das   ganze  Präparat   schwach   rosa  gefärbt.     ISine  bedeutende  Zahl 
von  Fasern  —  entsprechend   den  mit  TlMonin  metachromatisch  gefärbten 
-: —  sind    leuchtend   rosa   und  heben  sich  aus  dem  matter  gefärbten  Be&t 
'stark  heraus. 

Es  zeigt  sich  somit  daß  diese  Gerinnsel,  ebenso  wie  die  in  der 
Literatar  beschriebenen,  bei  Zirkulationsstörungen*)  und 
die  nach  Thoracocentese^)  ausgehusteten  Bronchialausgüsse 
sich  nicht  wesentlich  von  den  bei  echter  Bronchitis  fibrinosa  aus- 
gehusteten Gerinnseln  unterscheiden. 

Zum  Vergleich  mit  diesen  Fällen  von  fibrinöser  Bnmchitis  habe  ich 
4  Präparate  von  absteigender  Diphtherie  nach  den  gleichen  Me- 
thoden untersucht.  Es  handelte  sich  teils  um  bandwurmähnliche  platte 
unverzweigte,  teils  um  membranöse,  verzweigte  Gerinnsel  Ton  gelbweißer 
^arbe  und  derber,  fast  lederartiger  Konsistenz.  Vor  allem  anderen  fiel 
an  den  gefärbten  Präparaten  im  Gegensatz  zu  den  oben  beschrie- 
benen Gerinnseln  der  viel  größere  Gehalt  an  Zellen  auf.  Diese  sind 
in  ein  feinfaseriges  Netz  eingebettet,  das  nach  der  Ko ekel 'sehen  Me- 
thode sich  viel  distinkter  dunkelschwarzblau  als  die  Gerinnsel  von  Bron- 
chitis fibrinosa,  mit  Thionin  dunkelblau,  nach  der  Weigert 'sehen 
Fibrinfärbemethode  violettblau  färbt.  An  einzelnen  Stellen  der  Präparate 
ist  der  Zellgehalt  etwas  geringer,  so  daß  hier  ein  der  Bronchitis  fibrinosa 
etwas  ähnlicheres  Bild  entsteht.  Bei  Thioninfärbung  vermissen  wir 
die  Metacbromasie.  Nur  an  einem  Präparat  fanden  sich  ganz  vereinxelt 
rotviolette  Fasern.  Mucikannin  gibt  bei  langer  Einwirkung  ganz  schwache 
diffuse  Färbung. 

Endlich  hatte  ich  Gelegenheit,  die  mit  den  Fäces  entleerten  Mem- 
branen von  zwei  an  Enteritis  pseudomembranacea  leidenden 
Kranken  zu  untersuchen.  Das  eine  stammt  aus  der  Sammlung  der 
medizinischen  Klinik.  Es  stellt  makroskopisch  einen  wurmartigen, 
teilweise  verzweigten  Fetzen  dar. 

Mikroskopisch  läßt  es  keine  Zellen  erkennen,  sondern  eine 
ziemlich  homogene  Grundsubstanz,  die  in  sehr  verschwommenen  Netzen 
und  Bändern  gruppiert  erscheint,  so  daß  das  mikroskopische  Bild  am 
ehesten  an  feine  Wolkengebilde    erinnert.     Es  finden  sich  in  den  Präpa- 


l)Vgl.Bernoulli(2),Degen(8),Eichhor8t(10),Grandy(17),Habel(18) 
Hints(21),  Ortner  (31),  Schittenhelm  (37),  Stark  (43). 

2)  Hampeln  (19)  Magenau  (29),  Ortner  fdl),  Scriba(41). 


über  Bronchitis  fibrinosa.  561 

•mtexk  TTnmengen  von  Bakterien,  gro£e  Hauflbn  von  kleinen,  etwad  plampen 
Stäbchen  (Bacterium'  coli?). 

Das  andere  Präparat  stammt  von  einem  Mann,  der  an  einem 
.awischen  Blase  und  Darm  gelegenen  Absceß  litt  pnd  wurmartige  Ge- 
rinnsel im  Stuhl  entleerte.  Die  Untersuchung  der  frischen  Gerinnsel  er- 
gab, daß  es  sich  vielfach  um  einen  kompakteren  Kern  mit  einem  sub- 
'stanzarmen  schleimigen  Mantel  handelte.  In  den  späteren  Zeiten  des  in 
Heilmig  durch  Perforation  des  Absceeses  in  den  Darm  ausgehenden 
Falles  fand  ich  viele  rein  schleimige,  snlzige  Gerinnsel  im  Stuhl.  Das 
mikroskopische  Bild  der  Gerinnsel  war  das  gleiche  wie  im  vorhergehen- 
den Fall. 

Es  bat  sich  demnach  aus  der  Untersuchung  dieses  größeren 
Materials  folgendes  ergeben: 

Die  von  einem  schwer  Herzkranken  (Fall  13)  in  der  Agone 
ausgehusteten  Gerinnsel  unterscheiden  sich  nur  dui'ch  ihre  enorme 
Dicke  von  den  bei  echter  Bronchitis  fibrinosa  ausgehusteten 
Ausg^nssen.  Im  histologischen  Bau  und  im  chemischen  Verhalten 
besteht  bei  Anwendung  obiger  Methoden  vollkommene  Über- 
einstimmung. Wir  werden  diesen  Fall  im  folgenden  bei  der 
echten  Bronchitis  fibrinosa  mitzählen. 

Streng  zu  trennen  ist  die  idiopathische  Bronchitis 
fibrinosa  von  der  absteigenden  Diphtherie  und  von  den 
Fällen,  in  denen  unter  Freibleiben  des  Larynx  bei  Anwesenheit 
des  Löfflerschen  Bazillus  sich  Tracheal-  und  Bronchialgerinnsel 
hilden.  Diese  Ti*ennung  ist  nicht  bloß  bezüglich  der  Ätiologie 
der  Fälle  notwendig,  sondern  auch  bezüglich  der  Morphologie 
der  dabei  produzierten  Gerinnsel.  Bei  der  echten  Bronchitis 
fibrinosa  haben  wir  Gerinnsel  von  wabigem  Bau,  die  das 
BronchiaUumen  mehr  oder  weniger  vollständig  ausfüllen  und  meist 
einen  mäßigen  Luftgehalt  aufweisen.  Mikroskopisch  finden  wir  ein 
stark  mit  Hohlräumen  durchsetztes  Balkengerüst  mit 
sehr  geringem  Zellgehalt.  Das  Balkengerüst  besteht  in  der 
Mehrzahl  der  Fälle  aus  einem  Gemenge  von  Fibrin  und  Schleim, 
vielleicht  in  einer  Reihe  von  Fällen  auch  aus  reinem  Fibrin  (s.  u.). 

Bei  der  absteigenden  Diphtherie  werden  dem  diphthe- 
rischen Tonsillen-  und  Larynxbelag  analoge  Gebilde  in  die  Bronchien 
ausgeschieden:  dasBesultat  sind  derbe  handschuhfingerähnliche  oder, 
bei  tieferem  Sitz,  baumförmig  verästelte  zylindrische  Membranen, 
die  sich  von  der  Schleimhaut  nur  mit  vielfachen  Epithel  verlosten 
abheben  lassen.  Sie  bestehen  aus  einem  dichten,  kompakten, 
feinfaserigen  Fibrinnetz,  in  das  Unmengen  von  Zellen 
eingeschlossen  sind. 


562  XXXn.    LlEBERMElSTEB 

Wir  kommen  nun  zur  Beantwortung  der  Frage,  ob  die  Ge- 
rinnsel, die  sich  bei  der  Bronchitis  fibrinosa  bilden,  aus 
Fibrin  oder  aus  Schleim  bestehen. 

Ein  großer  Teil  der  in  den  letzten  12  Jahren  über  Bronchitis 
fibrinosa  veröffentlichten  Arbeiten  beschäftigt  sich  mit  der  Frage, 
ob  die  produzierten  Gerinnsel  wirklich  aus  Fibrin  und  nicht  vielmehr 
aus  Schleim  bestehen.  Nachdem  vor  über  100  Jahren  Maclanrin') 
die  Gerinnsel  für  eingedickten  Schleim  erklärt,  und  nachdem 
L.  Championnifere(4)  1876  die  gleiche  Ansicht  ausgesprochen 
hat,  ist  1892  von  Neelsen-Beschorner  (3)  für  einen  Fall  der 
Beweis  erbracht  worden,  daß  die  Gerinnsel  aus  Mucin  bestehen. 
Beschorner  zog  daraus,  daß  die  Essigsäure  keine  auihellende 
Wirkung  hatte,  und  aus  dem  negativen  Ausfall  der  Weigert- 
schen  Fibrinfarbung  den  Schluß,  daß  Fibrin  in  dem  Gerinnsel  so 
gut  wie  ganz  fehle. 

Daß  die  Weigert 'sehe  Methode  hier  und  da,  ohne  daß  man 
eine  Ursache  dafür  findet,  versagen  kann,  ist  bekannt.  Nach  den 
Erfahrungen  von  Schmorl,  A.  Schmidt  (38)  u.  a.  färbt  sich  nach 
der  Methode  neben  dem  Fibrin  auch  Schleim.  Nach  dem  Ev- 
gebnis  meiner  Untersuchungen  möchte  ich  mich  dahin  aussprechen, 
daß  das  Fibrin  um  so  leichter  bei  der  Differenzierung  ent- 
färbt wird,  je  mehr  es  eng  mit  Schleim  gemengt  ist.  Daher 
kommen  die  verschiedenen  Ergebnisse  bei  der  We  ig  er  t- Methode: 
bei  kurzer  Difi^erenzierung  erhalten  wir  positive  Färbung,  bei 
längerer  DilSferenzierung  negative.  Eine  derartige  Auffassung  stimmt 
sehr  gut  mit  der  Beobachtung  von  Pos  seit  (33),  „daß  mitunter 
am  gleichen  Präparat  mit  Weigert'scher  Färbung  Fibrinreaktion 
deutlich  auftritt,  andererseits  jedoch  stellenweise  morphologisch 
ganz  gleich  aussehende  Stellen  diese  vermissen  lassen"  (1.  c.  S.  5 
des  Sep.-Abdr.). 

Der  Umstand,  daß  die  Essigsäure  nicht  aufhellend  gewirkt 
hat,  schließt  die  Anwesenheit  von  Fibrin  neben  Schleim  ebenfalls  nicht 
aus.  Man  denke  sich  ein  inniges  Gemisch  von  Fibrin  und 
Schleim  mit  Essigsäure  versetzt,  so  wird  in  demselben  Maße,  in 
dem  Fibrin  gelöst  wird,  Mucin  ausgefällt  werden  und  wir  erhalten 
unter  Umständen  gar  keine  sichtbare  Reaktion. 

Beschorner  wollte  den  bei  seinem  Fall  erhobenen  Befund 
verallgemeinern.  Er  hat  Anhänger  und  Gegner  gefunden.  Für 
seine  Anschauung  sprechen  sich  mehr  oder  weniger  bedingt  aus 
Klein  (25),  Sokolowski(43)  (Fall  3),  Grandy(17),  Habel(18), 

1}  Cit  bei  Dixon(9). 


über  Bronchitis  fibrinosa.  563 

Hochhaus  (22),  Schwarzkopf  (40).  Die  Ansicht,  daß  die  Ge- 
rinnsel aus  Fibrin  bestehen,  vertreten  Herzog  (20),  Jakob- 
sehn (24),  Hin ts  (21),  R.  Schmidt  (39),  Strauß  (45),  Schitten- 
heim  (37).  Die  Resultate  wurden  teils  auf  Grund  chemischer  Unter- 
suchung gewonnen,  teils  mit  Färbemethoden,  besonders  mit  der 
Weigert'schen  Fibrinfarbung.  Vielfach  wurde  ein  negativer 
Ausfall  dieser  letzteren  Färbung  als  beweisend  dafür  angesehen^ 
daß  Fibrin  in  den  Gerinnseln  fehle.  Auf  der  anderen  Seite  zog 
man  aus  dem  positiven  Ausfall  der  Weigei-t-Färbung  den  Schluß^ 
daß  die  Gerinnsel  aus  Fibrin  und  nicht  aus  Schleim  bestehen.  Ganz 
allmählich  vollzieht  sich  in  der  Literatur  der  letzten  Jahre  ein 
Umschwung:  die  Fragestellung  verschiebt  sich  und  es  heißt  nicht 
mehr  „Fibrin  oder  Schleim  ?•*,  sondern  „wieviel  Fibrin  und  wieviel 
Schleim?".  So  kommt  Fr.  A.  Hoff  mann  (23),  ohne  die  Anwesen- 
heit von  Schleim  in  den  Gerinnseln  in  Abrede  zu  stellen,  zu  dem 
Schluß:  „Der  charakteristische  Bestandteil  in  allen  ist  doch  das 
Fibrin-*  (1.  c.  S.  138).  Pos  seit  (33)  hat  bei  seinem  Fall  die  An- 
wesenheit von  Schleim  und  Fibrin  nachgewiesen  (1.  c.  S.  17  des 
Sep.-Abdr.). 

Was  hat  sich  nun  aus  unseren  Untersuchungen  für  diese  Frage 
ergeben  ? 

Bei  Fall  1  wurde  auf  chemischem  Wege  (s.  o.)  Fibrin 
sicher  nachgewiesen.  Zur  Entscheidung,  ob  im  Innern  der  Gerinnsel 
sich  auch  Mucin  finde,  eignet  sich  die  chemische  Analyse  nichts 
weil  es  wohl  kaum  gelingt,  die  Gerinnsel  von  dem  äußerlich  an- 
haftenden, aus  den  oberen  Luftwegen  und  dem  Rachen  stammenden 
Schleim  zu  befreien,  ohne  daß  auch  der  etwa  im  Innern  der  Ge- 
rinnsel befindliche  Schleim  mitentfernt  wird.  Zur  Entscheidung 
dieser  Frage  müssen  wir  die  farbanalytischen  Methoden 
an  den  mikroskopischen  Schnitten  zu  Hilfe  nehmen.  Die  Thionin- 
färbung  hat  vorwiegende  Blaufärbung  ergeben  mit  zahlreichen, 
sehr  distinkt  rot  gefärbten,  größeren  und  kleineren  Einsprengungen. 
Mit  der  Mucikarminfärbung  war  in  allen  Teilen  der  Gerinnsel 
Schleim  nachweisbar.  Das  Verhalten  der  Schnitte  läßt  vermuten, 
daß  es  sich  bei  den  Gerinnseln  dieses  Falles  um  eine  enge  Ver- 
mischung von  Fibrin  mit  Schleim  handelt.  Auf  diese  Weise  erklärt 
sich  auch  gut  das  eigentümliche  makroskopische  Verhalten  der 
Gerinnsel 

Von  unseren  —  im  ganzen  13  —  Fällen  ließ  sich  Fibrin  in 
allen  Fällen  farbanalytisch  nachweisen. 

Mit  der  Thioninmethode  wurden  für  Schleim  positive 


564  XXXm.    LiKBXRMEISTXB 

Bilder  erzielt  in  7  von  13  Fällen  (FaU  1,  2,  3,  4,  6,  12,  13).  In 
diesen  Präparaten  hoben  sich  von  der  blangefirbten  Hauptmasse 
der  Schnitte  die  metachromatisch  violettrotgefiLrbten  SchleimfiLden 
sehr  deutlich  ab.  Ob  die  Gerinnsel  der  6  anderen  Fälle  (&,  7.  8 
9,  10,  11),  bei  denen  die  Thioninreaktion  negativ  war,  gar  kein« 
Schleim  enthalten,  oder  ob  dieser  vorhanden  ist^  sich  aber  ans 
irgend  einem  Grunde  —  zu  geringe  Menge,  zu  großes  Alter  der 
Präparate,  zu  enge  Vermischung  von  Schleim  mit  Fibrin  u.  a.  —  nicht 
metachromatisch  gefärbt  hat,  das  wage  ich  nicht  zu  entscheiden. 

Die  Mucikarminfärbung  ergab  ähnliche  Resultate  wie  die 
Thioninfärbung.  Schwache,  oft  nur  eben  erkennbare  ßosafärbung 
war  nach  langer  Färbung  in  allen  Präpainiten  vorhanden«  gute 
Färbung,  zum  Teil  auf  einzelne  Faserzüge  und  -Systeme  beschränkt, 
erhielt  ich  in  5  Fällen,  die  alle  auch  die  Thioninreaktion  gegeben 
hatten  (Fall  1,  2,  4,  12,  13).  Im  allgemeinen  scheinen  hauptsäch- 
lich die  weniger  kompakten  Gerinnsel  deutlich  nachweisbaren  Schleim 
zu  enthalten. 

Curschmann'sche  Spiralen  konnte  ich  nur  bei  Fall  1  nach- 
weisen, in  allen  übrigen  Fällen  fehlten  sie. 

Charcot-Leyden'sche  Kristalle  und  die  von  Fr.  Müller (16) 
bei  Asthma  im  Sputum  nachgewiesenen  eosinophilen  Zellen  fehlten 
in  allen  Fällen. 

Zur  Frage  der  Ätiologie  können  die  hier  beschriebenen 
Fälle  wenig  beitragen,  da  zu  einer  Reihe  von  Fällen  mir  die 
Krankengeschichten  nicht  zugänglich  waren.  Die  Bakterienbefnnde, 
die  in  einigen  Fällen  erhoben  wurden,  sind,  wie  zu  erwarten  war, 
nicht  eindeutig:  Kokken  in  Haufen  bei  Fall  1  (Staphylococcns 
pyogenes  albus),  Fall  4  und  5.  Bei  Fall  5  finden  sich  neben 
Kokken  noch  feine  Stäbchen.  Bei  den  übrigen  Fällen  ist  es  nicht 
gelungen,  Mikroorganismen  nachzuweisen. 

Bei  Fall  3  kam  die  Bronchitis  fibrinosa  vorübergehend  zu  einer 
chronisch-ulcerösen  Lungenphthise  hinzu,  in  Fall  4  schloß  sie 
sich  an  Influenza  an.  Bei  Fall  1  und  2  hat  die  lange  dauernde 
Einatmung  von  Staub  wohl  für  die  Entstehung  der  Krank- 
heit begünstigend  gewirkt.  Bei  Fall  13  ist  die  Koronarsklerose 
als  disponierendes  Moment  zu  erwähnen. 

Für  eine  Kombination  von  Asthma  bronchiale  und  Bronchitis 
fibrinosa,  wie  sie  in  einer  Reihe  von  Fällen  beobachtet  worden 
ist  (vgl.  Possei t  1.  c),  haben  wir  bei  allen  unseren  Fällen  weder 
im  klinischen  Verlauf,  so  weit  er  bekannt  ist,  noch  im  Sputum- 
befond  Anhaltspunkte  gefunden. 


über  Bronchitis  fibrinosa.  565 

In  allen  unseren  Präparaten  hat  sich  der  Zellgehalt  der 
Gerinnsel  als  ein  geringer  oder  sehr  mäßiger  erwiesen.  Sehr  ge- 
ring war  er  im  Himptstamm  der  Gerinnsel.  In  den  feinsten  Yer* 
zweigungen  war  er  etwas  reichlicher.  In  der  Hauptsache  waren 
es  einkernige  Zellen  mit  annähernd  rundem  Kern.  An  den  älteren 
Präparaten  waren  vielfach  bloß  die  Zellkerne  zu  sehen. 

Die  Ergebnisse  seien  in  iliren  wichtigsten  Punkten  nochmals 
kurz  zusammengefaßt: 

1.  Die  Gerinnsel  bei  Bronchitis  fibrinosa  verhalten  sich  makro- 
skopisch und  besonders  histologisch  ganz  verschieden  von  den  bei 
absteigender  Diphtherie  gebildeten  Membranen  (s.  o.)  Die  bei 
schwerer  Koronarsklerose  kurz  vor  dem  Tode  ausgehusteten  Bron- 
chialabgüsse sind  weder  makroskopisch  noch  mikroskopisch  von  den 
bei  fibrinöser  Bronchitis  gebildeten  Gerinnseln  zu  unterscheiden. 

2.  Curschmann'sche  Spiralen  sind  bei  Bronchitis  fibrinosa 
eine  Seltenheit.  Ich  habe  sie  unter  13  Fällen  bei  einem  Fall  ge- 
funden, dessen  Gerinnsel  aus  Schleim  und  Fibrin  bestanden. 
Ch ar CO t-Ley deutsche  Kristalle  und  eosinophile  Zellen  konnte 
ich  in  keinem  Falle  in  den  Gerinnseln  nachweisen. 

3.  Zur  Entscheidung  der  Frage  nach  der  chemischen  Natur 
der  Gerinnsel  ist  die  sicherste  üntersuchungsmethode  die  chemische 
Analyse  der  frischen  Gerinnsel.  Wo  die  chemische  Untersuchung 
nicht  möglich  ist,  erzielt  man  durch  die  verschiedenen  Färbe- 
methoden noch  brauchbare  Resultate,  zum  Nachweis  von  Schleim 
in  erster  Linie  durch  die  Thioninmethode,  dann  durch  die  Muci- 
karminfärbung.  Zum  Nachweis  des  Fibrin  ist  am  ehesten  brauch- 
bar die  KockeVsche  Methode.  Die  Weigert'sche  Fibrinfärbung  ist 
bei  Anwesenheit  von  Schleim  neben  Fibrin  nur  mit  Vorsicht  zu 
verwerten.  Bei  beiden  Methoden  scheint  sich  das  Fibrin,  wenn 
es  mit  Mucin  gemengt  ist,  bei  der  Differenzierung  leichter  zu  ent- 
färben als  das  reine  Fibrin. 

4.  Als  wesentlicher  Bestandteil  der  bei  Bronchitis  fibrinosa 
gebildeten  Gerinnsel  hat  sich  in  allen  Fällen  Fibrin  nachweisen 
lassen.  In  7  von  13  Fällen  ist  auch  der  Nachweis  von  Schleim 
gelungen.  Ob  in  den  übrigen  6  Fällen  auch  Schleim  vorhanden 
war,  läßt  sich  mit  den  bis  heute  bekannten  Methoden  nicht  sicher 
entscheiden,  

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XXXIII. 

Die  Typlmserkrankiingen  unter  den  deutschen  Truppen 
in  Tientsin  im  Herbst  und  Winter  19001901. 

Von 

Stabsarzt  Dr,  Otto  Wendel, 

früher  beim  Feldlazareth  Nr.  5  Ostasiat.  Expeditionskorps. 

Vereinzelte  Erkrankungen  an  Typhus  kamen  in  Tientsin  bald 
nach  der  Landung  unserer  Truppen  schon  in  der  1.  Hälfte  des 
September  vor.  Dieselben  wurden  im  damaligen  Etappenlazarett 
behandelt  Genaue  Daten  über  Beginn  und  Zahl  dieser  Erkran- 
kungen liegen  mir  nicht  vor.  Bei  der  Übernahme  des  Etappen- 
lazaretts durch  das  Feldlazarett  I  am  15.  September  1900  betrug 
der  Bestand  5  Typhuskranke.  Im  ganzen  wurden  bis  15.  April 
1901  behandelt:  244  Typhuskranke.  Die  Zugänge  verteilen  sich 
auf  die  einzelnen  Monate  folgendermaßen:  Bestand  um  2.  Hälfte 
des  September  13,  Oktober  76,  November  53,  Dezember  58,  Januar 
18,  Februar  13,  März  10,  1.  Hälfte  Aprü  3.  Nach  MitteUungen 
hiesiger  europäischer  Ärzte  ist  in  Tientsin  der  Herbst  die  Zeit 
des  Typhus. 

Die  große  Zahl  der  Typhuserkrankungen  in  Tientsin  erklärt 
sich  dadurch,  daß  die  Truppenteile  auf  ihrem  Durchmarsche  in 
Tientsin  fast  durchweg  eine  Zeitlang  untergebracht  waren  bzw. 
biwakierten  und  bei  ihrem  Weitermarsch  ihre  Kranken  dort  zu- 
zurückließen. Fernerw  urden  wenigstens  anfangs  von  einigen 
Etappen  die  Kranken  nach  Tientsin  abgeführt. 

Auffallend  ist,  daß  von  Offizieren,  Sanitätsoffizieren  und  oberen 
Beamten  nur  je  einer  erkrankte. 

Vom  unteren  Sanitätspersonal  erkrankten  13.  12  derselben 
waren  mit  der  Pflege  von  Typhuskranken  im  Lazarett  beschäftigt 
und  erkrankten  im  Lazarett.  Der  13.  erkrankte  im  Anschluß  an 
eine  Blinddarmentzündung.  Über  Zeit  und  Ort  der  Infektion  im 
letzten  Fall  ist  nichts  Genaues  bekannt. 


568  XXXm.  Wendel 

Vom  2.  November  ab  wurden  sämtliche  Typhuskranke  in 
Tientsin  in  das  Garnisonlazarett  II  als  besonderes  Typhuslazarett 
aufgenommen.  Es  wurden  2  Typhusstationen  mit  1  Beobachtungs- 
zimmer eingerichtet.  Die  beiden  Hauptlazarette  Tientsins  waren 
in  den  2  Gebäuden  der  chinesischen  Universität  eingerichtet:  es 
sind  2  im  Süden  der  europäischen  Konzessionen  Tientsins  gelegene, 
2  stöckige,  aus  Ziegelsteinen  gebaute  Häuser,  mit  hohen  hellen 
Zimmern  vei'schiedener  Größe.  Beide  Gebäude  sind  von  einer 
Mauer  umgeben,  so  daß  ein  großer  Hof  entsteht,  in  welchem  im 
Laufe  des  Wintere  eine  Anzahl  Döcker'scher  Baracken  auf- 
geschlagen wurden.  Zwecks  Verwendung  als  Lazarett  waren  in 
den  beiden  Gebäuden  allerdings  Umbauten  notwendig. 

Der  Typhus  ist  in  China  eine  endemische  Krankheit.  Gegen 
die  Ausrottung  desselben  geschieht  von  chinesischer  Seite  natürlich 
nichts,  weil  das  Verständnis  dafür  vollständig  fehlt.  Der  Chinese 
düngt  sehr  fleißig  seine  Felder  und  benutzt  dazu  die  Fäces  von 
Gesunden  und  Kranken  ohne  Unterschied.  Dadurch  findet  eine 
beständige  Infizierung  des  Bodens,  der  Gewächse  und  der  zahl- 
reichen Wasserkanäle  statt,  welche  letztere  alle  untereinander  und 
mit  dem  Peiho  kommunizieren.  Das  Land  in  und  am  Tientsin 
herum  ist  Schwemmland  des  Peiho,  der  Boden  besteht  aus  Lehm, 
Brunnen  sind  nur  in  ganz  beschränkter  Zahl  vorhanden,  gröfiten- 
teils  liefern  sie  nur  wenig  und  stark  salzhaltiges  Wass^,  so  dafi 
es  nicht  zu  gebrauchen  ist.  Verschiedene  Bohr-  und  Grabversache 
ergaben  kein  besseres  Resultat  Quellen  gibt  es  nur  in  den  w^t 
entfernten  Bergen.  In  den  europäischen  Konzessionen  besteht  eine 
Wasserleitung  mit  Sandfiltern,  welche  das  Wasser  aas  dem  Peiho 
entnimmt.  Im  allgemeinen  gebraucht  man  dieses  Wasser.  Da  aber 
viele  Truppenquartiere  weit  von  der  Wasserleitung  entfernt  in  der 
C'hinesenstadt  selbst  waren,  so  mußte  das  Wasser  in  Fässern  anf 
große  Entfernungen  gefahren  werden.  Zudem  konnte  nach  den 
Erfahrungen  der  hier  wohnenden  Europäer  dasselbe  nur  abgekocht 
gebraucht  werden.  Man  war  vielfach  auch  auf  das  Wasser  in  dea 
Wasserkanälen  und  -tümpeln  angewiesen,  dasselbe  wurde  mit 
Alaun  geklärt  und  dann  gekocht.  Die  Vorschriften  über  Abkochen 
des  Wassers  wurden  bei  den  Truppenteilen  streng  durchgefohrtw 
Nur  ausnahmsweise  gaben  einige  Kranke  zu,  unabg^kochtes  Wasser, 
Wasser  mit  Eisstückchen  getrunken  oder  ihre  Eftgeschin*e  mit  on- 
abgekochtem  Wasser  gespült  zu  haben.  Natürlich  läßt  sich  bei 
diesen  eigenartigen  Boden-  und  Wasserverhältnissen  und  bei  der 
starken  Infizierung  des  Bodens  eine  Ansteckung  nicht  vermeiden. 


Die  Typhnserkrankungen  nnter  den  deutschen  Truppen  in  Tientsin  etc.    569 

Besonders  groß  waren  die  Gefahren  auf  Dschunkentransporten  und 
Expeditionen.  Letztere  brachten  häufig  eine  Zunahme  der  Neu- 
erkrankungen. 

Von  sämtlichen  Typhuskranken  litt  früher  noch  keiner  an 
Typhus.  Einige  hatten  kurz  vorher  andere  Erkrankungen,  so  ist 
besonders  ein  Fall  erwähnenswert. 

Dieser  war  am  25.  Oktober  wegen  Verstauchung  des  linken  Fuß- 
gelenkes in  das  Lazarett  aufgenommen  worden,  am  2.  Dezember  er- 
krankte er  unter  hohem  Fieber  im  Lazarett  mit  Schwellung  und 
Schmerzen  mehrerer  Oelenke,  2  Wochen  nach  Beginn  des  Fiebers  trat 
Milzschwellung  auf,  dabei  immer  noch  Schwellung  der  Gelenke,  ferner 
Bronchitis  mit  bronchopneumonischen  Herden.  Verdacht  auf  Typhus. 
Widal  positiv,  4  Wochen  nach  Beginn  der  fieberhaften  Erkrankung  Exi- 
tus. Sektion  ergab  frische  Typhusgescbwüre.  Es  bestanden  also  hier 
Typhus  und  Gelenkrheumatismus,  wenn  nicht  von  Anfang  an,  so  doch 
späterhin  nebeneinander.  Wann  der  Typhus  einsetzte,  läßt  sich  aus  der 
Temperaturkurve  nicht  sicher  feststellen.  Zur  Zeit  als  die  Milzschwel- 
lung festgestellt  wurde,  etwa  12 — 14  Tage  nach  Beginn  des  Gelenkrheu- 
matismup,  zeigt  die  Kurve  ein  staffeiförmiges  Ansteigen. 

Ein  2.  Kranker  hatte  ebenfalls  Gelenkrheumatismus  und  er- 
krankte, nachdem  er  einige  Tage  fieberfrei  war,  im  Lazarett  an 
Typhus  5  Wochen  nach  seiner  Aufnahme.  Ein  Kranker  litt  vor- 
her an  Ikterus  (Fieber  begann  10  Tage  nach  Lazarettaufnahme), 
einer  an  Malaria. 

Ungefähr  8  Kranke  litten  vorher  an  sicher  nachgewiesener 
Ruhr,  während  eine  große  Anzahl  vor  der  Aufnahme  ins  Lazarett 
Durchfall  und  Blut  im  Stuhl  gehabt  haben  will.  Bei  2  weiteren 
Kranken  waren  die  Ruhrsymptome  noch  nicht  zurückgegangen, 
als  das  typhöse  Fieber  begann.  Der  eine  derselben  wurde  am 
10.  Oktober  in  das  Lazarett  aufgenommen  mit  Ruhr,  am  24.  Ok- 
tober begann  Fieber,  bei  dem  anderen  Aufnahme  am  12.  Oktober, 
Fieber  begann  am  15.  Oktober. 

Zum  Schluß  sind  noch  2  Fälle  zu  erwähnen,  welche  bei  der 
Lazarettaufnahme  Ruhr  und  Typhus  gleichzeitig  hatten.  Die 
Krankengeschichte  derselben  ist  kurz  folgende: 

1.  Albert  W.,  seit  7.  Oktober  Durchfall  mit  Blut,  30—40  Ent- 
leerungen. Lazarettaufnahme  10.  Oktober,  Temperatur  38,7  ^,  die  näch- 
sten Tage  ansteigend,  14.  Oktober  Benommenheit,  Miizgegend  druck- 
empfindlich, 16.  Oktober  Stuhl  noch  dünn,  ohne  Blut,  Milz  fühlbar. 
18.  Oktober  Roseolen.  21.  Oktober  wieder  frischrotes  Blut  im  Stuhl. 
In  der  Folgezeit  keine  Ruhrstühle  mehr.  Infolge  Lungenkomplikation 
langdauernder  Fieberlauf.  Am  3.  Dezember  Recidiv.  Eitrige  Bronchitia 
und    Bronchopneumonie.       16.    Dezember    Exitus.      Sektion    ergab:    Im 

Deutsches  Archiv  f.  klin.  Medizin.    LXXX.  Bd.  37 


570  XXXUL  WxvDBL 

unteren  Dickdarm  flaehe  Rnbrgeschwüre  mit  gereinigtem  Gnmde,  da- 
neben  Narben  mit  schi^riger  Yerfarbang,  im  Dünndarm  oberhalb  der 
Klappe  Schwellung  der  Peyer'schen  Plaques  mit  gereinigten  Geschwüren. 

2.  Curt  0.,  Kanonier,  seit  23.  November  im  Lazarett  wegen  Go- 
norrhöe, erkrankt  28.  Dezember  mit  Fieber  und  blutigen,  etwa  20  Stühlen. 
1.  Januar  Blut  geschwunden,  trat  in  der  Folgezeit  nicht  m«hr  auf. 
Temperatur  ansteigend.  6.  Januar  40,0^.  IB.  Januar  rrrhtfmritigrs 
pleuritisches  Exsudat,  22.  Januar  Boseolen.  Milz  bisher  wegen  Meteo- 
rismus nicht  zu  fühlen.  Temperatur  fortgesetzt  gesteigert.  28.  Januar 
Exitus.  Sektion  ergab:  abgeheilte  Kuhr  und  zahlreiche  typhose  Ge- 
schwüre. 

Bei  einem  3.  Patienten  wurden  bei  der  Sektion  im  untersten  Tale 
des  Dickdarmes  Euhrgeschwüre ,  oberhalb  der  Bauhinrschen  Klappe 
Typhusgeschwüre  gefunden. 

Komplikation  betreffs  Influenza  siehe  weiter  unten. 

Über  die  Dauer  der  Inkubation  ist  im  allgemeinen  nichts 
Sicheres  bekannt,  da  eine  bestimmte  Infektion  fast  nie  angegeben 
werden  konnte.  Über  den  Verlauf  der  Erkrankungen  selbst  will 
ich  nur  einige  Besonderheiten  mitteilen. 

Der  Temperaturverlauf  zeigte  im  Vergleich  mit  den  Beobach- 
tungen in  Deutschland  keine  wesentlichen  Unterschiede.  Erwähnen 
will  ich  nur,  daß  in  manchen  Fällen  der  Fieberrerlauf  während 
der  ganzen  Zeit  stark  remittierend  oder  sogar  intermittierend  war 
mit  täglichen  Temperaturdiflferenzen  bis  zu  3,3  und  3,5  ®.  Einzelne 
schwere  Fälle  zeigten  auffallend  lange  Dauer  der  Ck>ntinua.  Die 
Ursache  davon  war  vielfach  die  Erkrankung  selbst  und  nicht 
Komplikationen;  man  sah  nämlich  bei  mehreren  Sektionen  solcher 
Fälle  neben  alten  Typhusgeschwüreu  ganz  frische  Geschwüre  oder 
frische  Schwellung  der  Peyer'schen  Plaques.  Einige  dieser  Fälle, 
welche  zum  Exitus  kamen,  sind  wegen  der  Symptome,  welche  sie 
mehrere  Tage  vor  dem  Tode  oder  auch  während  der  ganzen  Krank- 
heit zeigten,  besonders  bemerkenswert.  Sie  boten  das  Bfld  schwerer 
Intoxikation:  Temperatur  fortgesetzt  hoch,  Puls  beschleunigt,  130 
bis  150  oder  mehr,  flatternd,  Zahl  der  Atemzuge  60  und  darüber, 
Gesicht  und  Hände  cyanotisch,  Extremitäten,  Nase  kalt,  Zunge 
trocken,  starker  Fötor  exore,  große  Unruhe,  Delirien,  Spasmen 
oder  Muskelzuckungen  etc.  Man  hatte  den  Eindruck  einer 
schweren  Sepsis.  Verschiedene  Fälle  mit  diesem  Symptomen- 
komplex verliefen  sehr  rasch  und  führten  in  wenigen  Tagen  unter 
schwerem  Herzkollaps,  gegen  den  alle  Mittel  erfolglos  waren,  zam 
Exitus.    Darunter  waren  besonders  Potatoren. 

Nach  der  Entfieberung  war  die  Temperatur  in  der  £egel  sub- 
normal und  betrug  36,0^  und  wenige  Zehntel  darüber  (immer  in 


Die  Typhaserkranknngen  unter  den  deutschen  Trappen  in  Tientsin  etc.   571 

der  Achselhöhle  gemessen).  Erreichte  die  Temperatur  mehrmals 
37,0^  oder  überstieg  sie  diese  aach  nur  um  einige  Zehntelgrade, 
fio  konnte  dies  stets  als  Zeichen  gelten,  daß  irgend  etwas  nicht  in 
Ordnung  sei.  Denn  nicht  selten  stieg  im  Laufe  der  Tage  die 
Temperatur  höher,  einige  Male  kam  es  zu  ausgesprochenem  Eecidiv. 
Als  Grand  dieser  geringen  Steigerung  der  Temperatur  in  der 
Bekonvalescenz  mußte  man  meistens  gleichzeitig  bestehende  Ob- 
stipation annehmen.  Wurde  diese  gehoben,  so  ging  die  Tempera- 
tur wieder  unter  37,0^  herunter. 

Mehrmals  haben  wir  auch  beobachtet,  daß  mitten  in  stets 
fießerfrei  verlaufener  Bekonvalescenz  die  Temperatur  ohne  weitere 
Symptome  plötzlich  in  die  Höhe  ging  (40,3®,  39,6*  usw.),  um  am 
anderen  Tage  wieder  zur  Norm  herunterzugehen.  Über  den  Puls 
möchte  ich  nur  erwähnen,  daß  er  häufig  langsamer  war,  als  der 
Höbe  des  Fiebers  entsprach.  Dikrotie  desselben  war  fast  die 
Begel. 

Roseolen  beobachteten  wir  fast  immer.  In  einigen  Fällen 
traten  sie  auch  an  Armen  und  Oberschenkeln  auf.  Nach  Abblassen 
der  Roseolen  traten  am  Bauche  3  mal  dichtgedrängte,  stecknadel- 
)i:opfgroße  mit  wasserklarer  Flüssigkeit  gefüllte  Bläschen  auf,  welche 
nach  einigen  Tagen  eintrockneten  und  kleienförmig  abschilferten 
(Miliaria). 

Über  Milzschwellung  will  ich  nur  ei-wähnen,  daß  wir  sie  öfters, 
noch  längere  Zeit  nach  der  Entfieberung  (bis  zu  31  Tagen  nach 
derselben)  beobachteten.  Es  war  dies  besonders  bei  ausgesproche- 
nen Potatoren  der  Fall.  Bei  diesen  war  die  Milzschwellung  häufig 
auffallend  groß  und  erreichte  nicht  selten  beinahe  den  Nabel.  Es 
ist  dies  vielleicht  kein  zufälliges  Zusammentreffen. 

Schwellung  der  Leber  war  nicht  selten,  Ikterus  haben  wir 
nie  beobachtet. 

An  sonstigen  Störungen  von  selten  des  Verdauungsapparates 
will  ich  nur  erwähnen  Ulcerationen  im  Munde  in  2  Fällen,  femer 
Entzündung  der  Parotis  mit  Übergang  in  Eiterung  in  1  Fall. 
Letzterer  starb  an  Amyloid  infolge  lange  dauernder  Eitei*u^. 

Charakteristische  Typhusstühle  sahen  wir  selten,  der  Stuhl 
hfttte  meistens  ein  braunes  bis  schwarzbraunes  Aussehen. 

Perforation  des  Darmes  ist  nie  eingetreten,  jedoch  war  einige 
Male  das  Abdomen  spontan  und  bei  Berührung  so  schmerzhaft, 
4aß  naan  an  peritonitische  Reizung  infolge  drohender  Perforation 
denken  mußte.  Zu  Darmblutung  kam  es  4  mal.  Ein  Kranker 
atarb  mi  Verblutung.    Ein   Kranker  hatte  im  Anschluß  an  ein 

37* 


572  XXXni.  Wkmdbl 

2.  Recidiv  11  Tage  lang  frischrotes  Blut  und  Schleim  im  Stuhl, 
so  daß  der  Gedanke  an  Ruhr  sehr  nahe  lag.  An  ausgesprochener 
Ruhr  in  der  Rekonvalescenz  erkrankten  2  Patienten,  der  eine  der«* 
selben  litt  vor  seiner  Erkrankung  an  Typhus  wochenlang  an  Ruhr. 
Einige  Male  kam  es  vor,  daß  bei  Rekonvalescenten  mit  Verstop- 
fung geringe  frischrote  Blntspuren  oberflächlich  den  Fäces  an^ 
hafteten;  Hämorrhoiden  bestanden  dabei  nicht  Einen  leichten 
Anfall  von  Appendicitis  mit  Temperatursteigerung  beobachteten 
wir  einmal  in  der  Rekonvalescenz. 

Erkrankungen  der  Lungen  bestehend  in  einfachem  Katarrh 
bis  zu  ausgesprochener  lobulärer  und  kroupöser  Pneumonie  waren 
häufig  Ursache  verzögerter  Entfieberung. 

Bestehende  Heiserkeit  fand  in  4  Fällen  ihre  Erklärung  in 
Ulcerationen  im  Larynx.  Bei  einem  Kranken,  welcher  sehr  lange 
heiser  war  und  bei  welchem  anfangs  nur  leichter  Larynxkatarrh 
nachzuweisen  war,  entstand  eine  vollständige  Lähmung  der  linken 
Kehlkopfhälfte. 

Akute  Lungentuberkulose  war  bei  einem  Kranken  die  Todes- 
ursache. 

Dieser  wurde  am  10.  Krankheitstage  in  das  Lazarett  aufgenommen 
mit  der  Diagnose  Typhus.  Die  Krankheitserscheinungen  waren  anfangs 
nicht  sehr  schwer  und  die  Temperaturkurve  zeigte  vom  14.  Krankheits- 
tage an  ein  langsames,  allerdings  etwas  unregelmäßiges  staffeiförmiges 
Absteigen.  Am  22.  Tage  morgens  36,5  ^.  Von  da  an  ging  die  Tempe- 
ratur wieder  in  die  Höhe  und  verlief  die  nächsten  Wochen  meistens 
stark  remittierend,  einige  Male  auch  intermittierend  mit  hohen  abend» 
liehen  Steigerungen ;  keine  Erscheinungen  von  seiteu  des  Darmes,  sub- 
jektiv anfangs  keine  Beschwerden,  spater  starker  Keizhusten.  XJber  den 
Lungen  Rasselgeräusche  und  Knistern,  keine  Dämpfung.  Untersuchung  des 
schleimig  eitrigen  Sputums  auf  Tuberkelbazillen  negativ.  Am  55.  Krank- 
heitstage Exitus.  Sektion  ergab :  abgeheilte  Typhusgeschwüre  mit  starker 
PigmentieruDg,  beiderseits  akute  tuberkulöse  Feribronchitis. 

Bei  2  weiteren  Patienten,  welche  in  der  Kekonvalescenz  durch  lang- 
same Erholung  auffielen,  fand  sich  Infiltration  und  Tieferstehen  je  einer 
Lungenspitze.  Bei  einem  derselben  dürfte  es  sich  wohl  um  eine  ältere 
Erkrankung  handeln,  bei  dem  anderen  traten  in  der  Rekonvalescenz  unter 
Temperatnrsteigerung  akute  Erscheinungen  auf:  Exsudat,  Geräusche  über 
der  Spitze  derselben  Seite,  Auswurf.  Tuberkelbazillen  wurden  nicht  ge- 
funden. Diese  Symptome  gingen  wieder  zurück.  Jedoch  blieb  Schall- 
abschwächung über  der  erkrankten  Spitze  in  beiden  Fällen  bestehen. 

Von  Seiten  des  Zirkulationsapparates  sind  während  des  Fieber- 
stadiums  Störungen  selten  vorgekommen.  Vergrößerung  des  Herzens^ 
besonders  nach  rechts,  Arythmie  des  Pulses  zeigte  ein  Kranker 
schon  am  6.  Krankheitstage  und  zwar  bestanden  die  £i*seheinangen 


Die  Typhaserkranknngen  unter  den  deutschen  Trappen  in  Tientsin  etc.     573 

ohne  subjektive  Beschwerden  während  des  ganzen  Fieberverlaufes. 
Man  war  geneigt,  das  ganze  für  eine  ältere  Erkrankung  zu  halten, 
jedoch  ergab  die  Anamnese  keinen  Anhaltspunkt  dafür,  femer 
verschwand  in  der  Rekonvalescenz  die  Arythmie  des  Pulses  voll- 
ständig und  die  Vergrößerung  des  Herzens  war  einige  Wochen 
nach  der  Entlassung,  während  welcher  Zeit  Patient  unter  stän- 
diger ärztlicher  Eontrolle  war,  ebenfalls  fast  gänzlich  zurück- 
gegangen. 

Um  so  häufiger  waren  die  Erkrankungen  des  Zirkulations- 
apparates in  der  Rekonvalescenz  und  gerade  durch  diese  waren 
weitaus  die  meisten  Störungen  der  Rekonvalescenz  bedingt.  Die 
Kranken  klagten  vielfach  bald,  nachdem  sie  aufstehen  durften, 
über  Atembeschwerden,  Herzklopfen,  Schmerzen  in  den  Beinen; 
es  bestanden  Ödeme  um  die  Knöchel,  am  Fußrücken  und  Unter- 
schenkel. Der  Puls  war  dabei  beschleunigt  und  zwar  teilweise 
schon  in  der  Ruhe,  zuweilen  unregelmäßig.  Am  Herzen  konnte  ich 
bei  diesen  Kranken  nichts  Besonderes  nachweisen,  glaube  aber 
doch,  daß  die  Erscheinungen  auf  einer  Erkrankung  des  Herz- 
fleisches beruhen,  wie  sie  bei  den  Typhussektionen  häufiger  Be- 
fund war.  Albuminurie  bestand  dabei  nicht.  Auf  Bettruhe 
schwanden  die  Symptome  wieder. 

Im  Genesungsheim  Tientsin  allerdings  wurde  unter  den  138 
Tjrphusrekonvalescenten,  welche  nicht  bloß  von  Tientsin,  sondern 
^ch  von  den  übrigen  Garnisonorten,  insbesondere  Peking  über- 
wiesen wurden,  in  der  Spätrekonvalescenz  und  häufig  im  Anschluß 
an  leichte  Übungen,  die  zwecks  langsamer  Wiederherstellung  bzw. 
Prüfung  der  Dienstfähigkeit  vorgenommen  wurden,  mehrmals  Herz- 
erweiterungen beobachtet  und  zwar  im  ganzen  etwa  13  mal.  Nur 
bei  einem  trat  vollständige  Wiederherstellung  ein. 

Venenthrombose  beobachteten  wir  6  mal,  3  mal  der  Vena  curalis, 
2  mal  der  Vena  saphena.    Alle  3  waren  Rekonvalescenten. 

Bei  schweren  Typhusf&llen  traten  in  der  Rekonvalescenz  mehr- 
mals skorbutähnliche  Erkrankungen  auf.  Es  dürfte  dies  wohl  bei 
ca.  20  Patienten  der  Fall  gewesen  sein.  Zahlreiche  Purpur afiecken 
besonders  an  unteren  Extremitäten,  Hämorrhagien  unter  die  Haut 
und  in  die  Muskulatur  der  Unterschenkel,  zeitweise  auch  Ober- 
schenkel, so  daß  dieselben  sich  bretthart  anfühlten  und  spontan, 
sowie  bei  Berührung  heftig  schmerzten,  Schwellung  des  Zahn- 
fleisches und  Blutungen  in  dasselbe,  zuweilen  Schwellung  und 
Schmerzhaftigkeit  der  Fußgelenke.  Diese  Blutungen  traten  nicht 
selten  bei  demselben  Kranken  mehrmals  auf  und  zwar  meistens  im 


574  XXXni.  Wbhdbl 

Anschluß  an  den  jedesmalig^en  ersten  Yersnch  aufzustehen. 
Fälle  zeigten  dabei  Steigerang  der  Temperatur.  Diese  skorbut* 
ähnlichen  Erscheinungen  zogen  sich  in  einzelnen  Fällen  wochenlang 
hin.  Sie  traten  jedoch  nicht  bloß  im  Anschluß  an  Typhus,  sondern 
auch  bei  anderen  Erkrankungen,  bei  denen  flüssige  Diät  gegeben 
wurde,  auf. 

Da  in  China  der  Gebrauch  der  Milch  im  allgemeinen  unbekannt 
ist,  so  waren  wir  in  der  Fieberperiode,  in  der  wir  nur  flössige 
Nahrung  gaben,  in  der  Hauptsache  auf  kondensierte  Milch  ange- 
wiesen. Möglicherweise  sind  diese  Erkranktingen  auf  die  durch 
die  Kondensierung  bedingte  Verminderung  des  Nährwertes  der 
Milch  zunickzufuhren. 

Daß  die  Ernährung  im  allgemeinen  eine  gute  war,  sieht  man 
daran,  daß  einige  Typhusrekonvalescenten  innerhalb  von  3  Wochen 
eine  Gewichtszunahme  bis  zu  25  englische  Pfund  zeigten. 

Störungen  von  selten  des  Nervensystems,  die  wir  in  geringem 
Grade  häufig  beobachteten,  traten  in  einem  Fall  so  in  den  Vorder« 
grund,  daß  sie  das  ganze  Krankheitsbild  beherrschten.  Erst  die 
Sektion  ergab  Diagnose:  Typhus  mit  Hyperämie  des  Gehirns.  Es 
bestanden  starke  Delirien,  große  Unruhe,  Spasmen  in  allen  Ektremi« 
täten,  Parese  der  rechten  Gesichtshälfte,  Hyperalgesie,  Schiefhidten 
des  Kopfes,  starke  Schmerzhaftigkeit  der  Halswirbelsäule,  träge 
Reaktion  der  Pupillen,  Incontinentia  urinae  et  alvi. 

Atrophie  der  Muskulatur  des  linken  Beines  zeigte  ein  Kranker, 
jedoch  ohne  jegliche  Bewegungsstörung.  Die  eigentliche  Ursache 
ist  unbekannt. 

Unter  den  Erkrankungen  des  Gehörapparates  will  ich  nur  ^* 
wähnen:  eitriger  Mittelohrkatarrh  in  6  Fällen  und  dauernde  Schwer- 
hörigkeit mit  aufgehobener  Knochenleitung  in  1  Fall  (ohne  nach* 
weisbare  Erkrankung  des  Trommelfells). 

Bei  einem  Kranken  trat  an  der  vorderen  Tibiafläche  cirknm* 
Skripte  Periostitis  12  Tage  nach  Entfieberung  ein.  Heilung  ohne 
Abscedierung. 

Albuminurie  haben  wir  für  einige  Tage  nur  2  mal  beobachtet. 
Vorübergehend  hatten  einige  wenige  bettlägerige  Kranke  Blasen«* 
beschwerden,  bestehend  in  Urinretention  oder  in  Harndrang.  Der 
Urin  war  dabei  klar,  reagierte  sauer  und  zeigte  auch  sonst  nichts 
Besonderes. 

Ein  Kranker,  welcher  in  Peking  in  Behandlang  war  nnd  als  B«- 
koBTalescent  in  das  Genesangsheim  hier  gebracht  wurde,  erkrankte  hief, 
nachdem  er  etwas  mehr  als  2  Monate  fieberfrei  war,  mit  akuter  Sehwdk 


Die  Typhaserkranknngen  uuter  den  deutsehen  Truppen  in  Tientsin  etc.    575 

Inng  des  linken  Hodens  bei  geringer  Steigerang  der  Temperatur.  Die 
Sehwellnng  ging  in  Eiterang  über,  es  stieß  sich  nach  Incision  viel  nekro- 
tisches Gewebe  ab;  jetzt  fühlt  man  in  linker  Hodensackhäifte  einen 
haselnnßgroßen  mit  dem  Samenstrang  in  Zusammenhang  stehenden 
weichen  Körper,  welcher  der  Best  des  Hodens  sein  kann.  Im  Eiter 
wurden  Typhusbazillen  gefunden,  welche  durch  Blutserum  eines  Typhus- 
kranken  agglutiniert  warden. 

Differentialdiagnostisch  machten  verschiedene  Fälle  große 
Schwierigkeiten,  weil  gleichzeitig  neben  der  Typhusepidemie  ver- 
schiedene Influenzafälle  und  zahlreiche  Ruhrerkrankungen  vor- 
kamen. Daß  dabei  auch  Irrtümer  in  der  Diagnose  vorkamen,  ist 
erklärlich.  Zwischen  Typhus  und  Influenza  konnten  Zweifel  im 
allgemeinen  nur  einige  Tage  lang  bestehen;  Temperaturverlauf 
und  bestimmtere  Symptome  entschieden  bald  die  Diagnose.  Einige 
Male  kann  es  sich  auch  um  eine  Mischinfektion  gehandelt  haben, 
da  ausgesprochenen  Influenzasymptomen  mit  zahlreichen  Influenza- 
bazillen im  Sputum  sichere  Zeichen  von  Typhus  folgten. 

Anders,  weitaus  schwieriger  und  zugleich  bezüglich  der  Be- 
handlung wichtiger,  lag  die  Sache  bei  Typhus  und  Ruhr  mit  Kom- 
plikationen. Ich  habe  auf  Typhusstation  11  2  Fälle  von  Ruhr 
beobachtet,  von  denen  der  eine  mit  Leberabsceß,  der  andere  mit 
Müznekrose  und  Pleuritis  kompliziert  war.  Bei  beiden  war  intra 
vitam  die  Diagnose  Typhus  gestellt  w^orden  und  erst  die  Sektion 
ergab  die  richtige  Diagnose.    Ich  will  die  Fälle  in  Kürze  mitteilen. 

1.  Patient  am  14.  November  1900  in  das  Lazarett  aufgenommen 
will  schon  längere  Zeit  an  Durchfall  leiden,  14  Tage  vor  seiner  Lazarett- 
aufnahme will  er  Blat  im  Stuhl  gehabt  haben.  Er  kam  in  das  Lazarett 
mit  hohem  Fieber,  die  Milzdämpfung  war  vergrößert,  auf  Calomel  er- 
folgte 3  mal  dünner  Stuhl.  2  Tage  nach  der  Aufnahme  deutliche  Ro- 
seolen. Milz  fühlbar.  Über  den  Lungen  starker  Katarrh.  Diagnose 
Typhus.  Über  der  rechten  Lunge  entwickelte  sich  hinten  unten  eine 
schmale  Dämpfung  mit  einzelnen  pleuritischen  Geräuschen,  Leberdämp- 
fung nach  unten  kaum  vergrößert.  Der  Stuhl  enthielt  mit  Ausnahme 
des  22.  November,  an  welchem  Tage  etwas  Blut  darin  war,  nichts  Be- 
sonderes. Am  26.  November  trat  mehrmals  starke  Blutung  aus  dem 
Darm  ein,  so  daß  Patient  schwer  kollabierte.  Patient  erholte  sich  wieder. 
Die  Stühle  waren  in  nächsten  Tagen  sehr  häufig  dünn,  enthielten  zu- 
weilen Schleim,  aber  kein  Blut.  Die  Temperatur  fortgesetzt  hoch.  Am 
30.  November  Exitus.  Widafsche  Reaktion  war  nicht  gemacht  worden, 
weil  die  Diagnose  Typhus  sicher  schien  Schmale  Dämpfung  über  den 
Lungen,  pleuritische  Reibegeräusche,  Schwellung  der  Leber  beobachteten 
wir  öfters  bei  Typhus.  Sektion  ergab  Ruhr  und  2  große  Abscesse  der 
Leber,  von  denen  der  eine  das  Zwerchfell  und  die  Lunge  etwas  in  die 
Höhe  drängte  und  eine  lokale  Pleuritis  hervorrief,  femer  ein  Milzinfarkt^ 
welcher  vielleicht  die  Ursache  der  Milzschwellung  war. 


576  XXXin.  Wendel 

2.  Patient  erkrankte  am  29.  September  mit  Fieber.  Bei  der  Laza- 
rettanfnahme  am  2.  Oktober  bestanden  über  den  Lungen  katarrhalische 
Erscheinungen  bei  hohem  Fieber.  Am  3.  Oktober  waren  am  Abdomen 
Roseolen  zu  sehen,  Leib  aufgetrieben,  Stuhl  dünn.  Diagnose:  Typhus. 
Die  Roseolen  wurden  sehr  zabbreich,  am  14.  Oktober  war  die  Müe 
deutlich  zu  fühlen.  Allmählich  entwickelte  sich  auf  der  linken  Thorax- 
Seite  ein  Exsudat,  Temperatur  fortgesetzt  hoch  mit  häufigen  Korgen- 
remissionen. Anfangs  November  ging  die  Temperatur  herunter,  der  Er- 
guß schwand  fast  vollständig.  Mitte  November  setzte  plötzlich  wieder 
hohes  Fieber  ein,  Patient  klagte  über  Schmerzen  im  Abdomen,  dasselbe 
war  auf  Druck  sehr  schmerzhaft  und  zeigte  ziemlich  starken  Ergu£. 
Leberdämpfung  sehr  schmal.  Der  Q-edanke  an  die  Perforation  eines 
Typhusgeschwürs  lag  sehr  nahe.  Diese  Erscheinungen  gingen  wieder 
zurück.  Ende  November  plötzlicher  Erguß  über  den  ganzen  linken 
Pleuraraum.  Probepunktion  ergibt  Empyem.  Sofortige  Kippenresektion. 
Da  der  Verdacht  vorlag,  daß  etwa  ein  subph renischer  Absceß  durch- 
gebrochen sei,  wird  bei  der  Operation  das  Zwerchfell  soweit  wie  mög- 
lich abgetastet,  aber  keine  Kommunikation  nach  unten  gefunden.  Gleich- 
zeitig treten  Zweifel  auf,  ob  überhaupt  Typhus  vorliege,  Widal'sche 
Reaktion  fiel  negativ  aus.  Es  wurde  nun  die  Diagnose  Typhus  fallen 
gelassen,  aber  eine  bestimmte  Diagnose  zu  stellen  war  nicht  möglich. 
Der  Stuhl  war  während  der  ganzen  Erkrankung  teils  dünn,  teils  geformt, 
letzteres  häufiger.  Am  3.  Dezember  enthielt  er  geringe  Beimengung 
frischroten  Blutes  und  etwas  Schleim,  am  4.  Dezember  noch  etwas 
Schleim,  sonst  aber  nie  etwas  Besonderes.  Am  6.  Dezember  erfolgte 
Exitus.  Die  Sektion  ergab  Ruhr,  Nekrose  der  Milz  (sie  bildete  einen 
großen  jauchigen  Eiterherd)  und  fortgeleitete  Pleuritis. 

In  diagnostisch  zweifelhaften  Fällen  haben  wir  die  Widarsche 
Untersuchung  gemacht.  Nach  Lage  der  hiesigen  Verhältnisse  war 
es  nicht  möglich,  sie  prinzipiell  durchzuführen.  Bei  den  Kranken, 
welche  zum  Exitus  kamen,  wurde  der  positive  bzw.  negative  Aus- 
fall der  Reaktion  stets  durch  die  Sektion  bestätigt.  Bei  einigen 
leichteren  Fällen  mit  atypischem  Fieberverlauf,  bei  denen  auf  Grund 
der  übrigen  Symptome  die  Diagnose  Typhus  gestellt  wurde,  war 
die  Reaktion  negativ.  Bei  vielen  Fällen  trat  die  Reaktion  erst 
sehr  spät  ein.  Einmal  war  sie  am  9.  Krankheitstage  bei  schon 
absteigender  Temperaturkurve  negativ,  und  erst  am  19.  Tage,  an 
welchem  ein  Recidiv  einsetzte,  positiv.  Ahnlich  bei  2  anderen 
Fällen,  wo  sie  erst  am  24.  bzw.  36.  Krankheitstage  positiv  war. 
Bei  beiden  war  schon  Entfieberung  eingetreten,  es  betrugen  aller- 
dings die  Abendt^mperaturen  tagelang  noch  etwas  über  37,0  ^  Bei 
2  Kranken  mit  Recidiv  war  nach  der  ersten  Erkrankung  Widal 
negativ  und  erst  am  15.  Tage  des  Recidivs  bzw.  5  Tage  nach  ab- 
gelaufenem Recidiv  positiv.  Daß  tatsächlich  auch  die  erste  Er- 
krankung schon  Typhus  war,   wurde  in  einem  der  beiden   Fälle 


Die  Typhuserkrankimjfen  unter  den  deutschen  Truppen  in  Tientsin  etc.    577 

durch  die  Sektion  bestätigt.  Durch  dieses  Späteintreten  der  Reak- 
tion verliert  dieselbe  bedeutend  an  praktischem  Werte.  Im  all- 
gemeinen war  sie  aber  für  uns  doch  in  verschiedenen  zweifelhaften 
Fällen  ein  wichtiges  diagnostisches  Hilfsmittel  insofern,  als  nach 
unseren  Erfahrungen  hier  der  positive  Ausfall  die  Diagnose  sicher- 
stellte. 

Leider  war  bei  der  Eigenart  der  Verhältnisse,  unter  denen  wir 
arbeiteten,  und  bei  der  großen  Zahl  der  Kranken  keine  Zeit  zu 
ausgedehnteren  wissenschaftlichen  Untersuchungen. 

Nachschübe  und  Kecidive  haben  wir  im  ganzen  36,  also  14,34  %, 
beobachtet  Die  Zeit  ihres  Auftretens  war  sehr  verschieden,  8  mal 
direkt  im  Anschluß  an  die  erste  Erkrankung  (also  eigentlicher 
Nachschub),  4  mal  nach  4  Tagen,  7  Becidive  nach  6—10,  10  nach 
11—15,  2  nach  20—30  Tagen,  1  nach  2,  2  nach  2Vs  Monaten  (beim 
letzten  unbekannt).  Für  die  Beurteilung  dieser  Spätrecidive  und 
für  ihre  Auffassung  als  Recidiv  und  nicht  als  Neuerkrankung,  ist 
der  schon  erwähnte  Fall  mit  der  Hodenvereiterung  sehr  wichtig, 
weil  er  zeigt,  daß  2  Monate  nach  Entfieberung  noch  Typhusbazillen 
im  Körper  sein  können.  Ein  2.  Recidiv  trat  einmal  auf  und  zwar 
6  Tage  nach  Entfieberung  vom  1.  Recidiv.  Ein  Kranker  hatte 
3  Recidive  (diese  sind  unter  der  obigen  Zahl  schon  mitgerechnet). 
Eine  bestimmte  Ursache  des  Recidivs  kann  in  keinem  Falle  an- 
gegeben werden.  Einzelne  Kranke  hatten  bei  Eintritt  desselben 
noch  dieselbe  Diät  wie  während  des  Fieberstadiums.  Jedoch  zeigte 
in  den  meisten  Fällen  der  Krankheitsverlauf  vor  Eintreten  des 
Recidivs  Besonderheiten,  welche  man  meiner  Meinung  nach  als 
Warnungszeichen  beachten  muß.  So  war  mehrmals  kurz  vor  voll- 
ständiger Entfieberung  die  Temperaturkurve  plötzlich  noch  in  die 
Höhe  gestiegen,  einmal  sogar  auf  40,1  ®,  ferner  war  öfters  nach 
vollständiger  Entfieberung  die  Temperatur  nicht  dauernd  subnormal 
geblieben,  sondern  stieg  um  wenige  Zehntelgrade  über  37,0®,  auch 
konnte  man  einige  Male  nach  Entfieberung  noch  Milzschwellung 
und  Roseolen  nachweisen.  Auch  Verstopfung  ist  eines  dieser 
Symptome.  Das  Recidiv  setzte  3  mal  mit  Schüttelfrost  ein,  meistens 
bestand  atypisches  Fieber,  nur  selten  war  Temperatur  typisch  an- 
steigend, ebenso  selten  ausgesprochene  Continua.  Das  Recidiv 
dauerte  6 — 25  Tage,  Roseolen  und  Milzschwellung  waren  bei  mehr 
als  der  Hälfte  der  Rückfälle  nachzuweisen.  Die  meisten  Recidive 
verliefen  sehr  günstig.  Die  Kranken  hatten  vielfach  das  beste 
subjektive  Wohlbefinden  und  keinerlei  Krankheitsgefühl,  selbst 
nicht  bei  höchsten  Temperaturen.   Von  selten  des  Darmes  bestanden 


578  XXXm.  Wkfdel 

häufig  ^ar  keine  Erscheinangen,  zttweilen  Verstopfung.  2  mal  war 
das  Recidiv  mit  Pneumonie,  Imal  mit  Darmblutung  kompliziert 
Gestorben  sind  an  Hecidiv  4  Kranke.  Eines  derselben  ist  besonders 
erwähnenswert:  Patient  wurde  am  16.  Dezember  in  das  Lazarett 
aufgenommen,  am  17.  Dezember  (7.  Erankheitstag)  plötzlich  Exitvs. 
Sektion  ergab  neben  frischen  Geschwüren  abgeheilte,  vernarbte 
Typhusgeschwüre.  Während  seiner  ersten  Erkrankung  war  Patient 
nicht  in  ärztlicher  Behandlung,  er  hatte  dielbe  ambulant  durch- 
gemacht.   Über  die  Zeit  ist  nichts  bekannt. 

Gestorben  sind  im  ganzen  36,  also  14%.  Der  Tod  erfolgte 
(es  sind  nur  die  Fälle  gerechnet,  bei  denen  sich  die  Krankheits- 
tage bestimmen  ließen)  in  der  1.  Woche  nie,  in  der  2.  und  3.  je 
10 mal,  in  der  4.  5 mal,  in  der  5.  2 mal,  in  der  8.  Imal,  in  der  19. 
Imal,  4 mal  im  Recidiv.  Die  Typhuserkrankung  an  sich  war  Todes- 
ursache in  ungefähr  %  der  Fälle,  1  Kranker  starb  an  akuter 
Lungentuberkulose,  1  an  Amyloid  nach  chronischer  Eiterung  der 
Parotis,  1  an  Verblutung,  3  an  Kachexie  (2  davon  in  Verbindung^ 
mit  eitriger  Bronchitis  und  Bi*onchopneuraonie,  der  3.  mit  skorbut- 
ähnlichen Erscheinungen),  1  an  pleuritischem  Exsudat,  3  an  kroa- 
pöser  Pneumonie.  Bi-ouchopneumonische  Herde  fanden  sich  fast 
durchweg  bei  den  Sektionen,  dieselben  beeinflußten  nicht  selten  in 
ungünstiger  Weise  den  Verlauf  Am  Herzfleisch  bestanden  häufig 
degenerative  Prozesse. 

Am  Darm  konnte  man  die  Typhui^eschwüre  in  den  verschie- 
densten Stadien  beobachten ;  man  sah  zuweilen  an  derselben  Leiche 
bei  Fällen  mit  stark  protrahiertem  Verlauf  oder  bei  Recidiven 
neben  schon  vernarbten,  frische  Geschwüre.  Die  (beschwüre  hörten 
nach  unten  meistens  ganz  scharf  mit  der  Bauhini'schen  Klappe  auf, 
ausnahmsweise  waren  sie  auch  auf  den  oberen  Teil  des  Dickdarms 
übergegangen.  Einigemal  sah  man  sie  auch  in  Processus  vermi- 
formis. In  einigen  Fällen  mit  kurzem,  aber  schwerem  Verlauf  war 
die  Erkrankung  des  Darmes  eine  sehr  beschränkte  und  erstreckte 
sich  nur  auf  die  nächste  Umgebung  der  Bauhini'schen  Elappe. 
Auffallend  ist,  daß  in  einem  Falle,  welcher  schon  seit  1^2  Monaten 
fieberfrei  war,  im  Dünndarm  sich  noch  nicht  geheilte  Geschwüre 
befanden;  bei  einem  anderen  Kranken,  welcher  am  22.  Krankheits* 
tage  starb,  wurde  nur  Schwellung  der  Peyer'schen  Plaques,  aber 
keine  Geschwüre  gefunden.  Über  das  gleichzeige  Bestehen  von 
Ruhr-  und  Typhusgeschwtiren  habe  ich  oben  schon  berichtet. 

Dreimal  bestanden  Infarkte  der  Milz  und  einmal  der  Lunge. 
Bei  einem  der  Milzinfarkte  hatte  sich  ein  etwa  walnußgroßer  para- 


Die  Typhuserkrankangeu  unter  den  deutschen  Truppen  in  Tientsin  etc.   579 

lienaler  Absceß  gebildet  und  im  Anschluß  daran  Eiterung  zwischen 
die  Muskulatur  der  Bauchdecken.  Der  Absceß  war  bei  der  Probe- 
punktion nicht  gefunden  worden.  Die  Erkrankung  des  Larynx  habe 
ich  schon  oben  erwähnt. 

Die  verhältnismäßig  hohe  Mortalität  möchte  ich  darauf  zurück- 
führen, daß  wir,  wie  es  in  jedem  Kriege  der  Fall  sein  wird  und 
bei  den  eigenartigen  chinesischen  Verhältnissen  nicht  anders  mög- 
lich war,  viele  Kranke  erst  nach  längerem  Kranksein  bzw.  nach 
längerem  Transport  auf  Landwegen  in  Lazarettbehandlung  bekamen. 
Wir  haben  stets  beobachtet,  daß  die  Erkrankungen  um  so  leichter 
verliefen,  je  früher  sie  in  Behandlung  kamen. 

Die  Behandlung  war  die  in  Deutschland  allgemein  übliche. 
Neben  Excitantien,  die  wir  frühe  anwandten,  gaben  wir  Vollbäder 
von  30—32^  C,  wenn  die  Temperatur  39,0  und  darüber  betrug. 

Bei  einigen  Fällen  mit  schweren  toxischen  Symptomen  wurden 
tagelang  Kochsalzinfusionen  bis  zu  1 1  täglich  gemacht.  Es  gelang 
allerdings  nicht,  einen  dieser  Patienten  am  Leben  zu  erhalten, 
jedoch  schwanden  bei  solchen  Kranken  im  Anschluß  an  diese  In- 
fusionen die  schweren  Erscheinungen:  Cyanose  ging  zurück.  Puls 
und  Atmung  wurden  ruhiger,  die  Extremitäten  wurden  wieder 
warm. 

Wie  schon  erwähnt,  gaben  wir  während  des  Fieberstadiums 
nur  flüssige  Nahrung,  feste,  bestehend  in  Reis,  erst  dann,  wenn  die 
Kranken  14  Tage  lang  fieberfrei  waren. 

Wie  viele  der  Kranken  wirklich  dienstfähig  geworden  bzw. 
geblieben  sind,  ist  mir  nicht  bekannt,  da  nach  der  Entlassung  aus 
dem  Lazarett  zur  Truppe  noch  mehrere  wegen  Störungen  von  selten 
des  Herzens,  Darmes  etc.  dienstunbrauchbar  wurden. 


XXXIV. 

Fänlnisbakterien  als  Erreger  chronischer  Yerdannngs« 

stdrimgen. 

Von 

Dr.  Schütz, 

Wiesbaden. 

Die  Frage,  welche  Bedeutung  den  Bakterien  für  die  Er- 
regung und  Unterhaltung  chronischer  Verdauungs- 
störungen zukommt,  ist  bisher  meines  Wissens  fast  unbeachtet 
geblieben. 

In  seiner  Monographie  über  die  Mikroorganismen  der  Fäces 
bringt  Straßburger (1)  nicht  eine  einzige  positive  Mitteilung 
in  dieser  Hinsicht.  Die  wenigen  von  ihm  zusammengestellten 
Literaturangaben  gelten  vielmehr  nur  akuten  Darmst^rungen 
und  auch  bei  diesen  scheint  der  ursächliche  Zusammenhang,  w^elcher 
zwischen  den  aufgefundenen  Bakterien  und  den  jeweiligen  Krank- 
heitserscheinungen bestehen  soll,  durchaus  nicht  immer  zweifelsfrei. 

Die  Hauptschwierigkeit,  auf  die  wir  bei  solchen  Untersuch- 
ungen stoßen,  betrifft  eben  die  Frage:  ob  eine  Bakterienart,  die 
normalerweise  im  Darm  nicht  heimisch  ist,  in  einem  gegebenen 
Krankheitsfalle  aber  massenhaft  auftritt  —  ob  sie  für  diesen  Fall 
den  Krankheitserreger  darstellt,  oder  ob  ihr  Wachstum  ein  se- 
kundäres ist. 

Relativ  einfach  liegen  die  Verhältnisse  bei  akuten  bakteri- 
ellen Darmstörungen,  z.  B.  bei  einer  fauligen  Diarrhöe,  an  der  ein 
sonst  Darmgesunder  erkrankt.  Hier  erscheint  die  Auffassung  der 
Darmaffektion  als  einer  bakteriellen  von  vornherein  gegeben. 

Und  doch  ist  schon  bei  akuten  Fällen  ein  Irrtum  möglich, 
wie  eine  Beobachtung  beweist,  die  ich  bei  meinen  Versuchen  über 
gastrointestinale  Desinfektion  (2)  gemacht  habe:  die  Met- 
schnikoffvibrionen,  die  ich  Hunden  eingab,  machten  eine  der  Cholera- 
infektion ähnliche  schwere  Entzündung  der  Dünndarmschleimhaut, 


Fäulnisbakterien  als  Erreger  chronischer  VerdaiiTiiigsstöningen.       581 

gingen  aber  selbst  im  Dünndarm  zugrunde.  Die  dem  Eingriff 
folgenden  Stühle  enthielten  also  nicht  den  Krankheitserreger,  da- 
gegen in  großen  Mengen  gleichgültige  Saprophyten,  verschiedene 
Proteusarten,  Heubazillen  u.  a.  mehr,  die  im  normalen  Hundekot 
fehlen,  in  dem  durch  Metschnikoff  veränderten  Darminhalt  indes 
vorübergehend  günstige  Wachstumsbedingungen  gefunden  hatten. 

Noch  schwieriger  gestaltet  sich  die  Frage  nach  Ursache  und 
Folge  bei  chronischen  Verdauungsstörungen. 

Der  von  mir  mitgeteilte  Fall  von  Hefenwucherung  bei  einer 
Kranken  mit  chronisch  dyspeptischen  Diarrhöen  (3)  zeigt,  daß  auch 
das  massenhafteste  Auftreten  einer  wilden  Bakterienart  nicht  ohne 
weiteres  dazu  berechtigt,  diese  für  eine  Darmstörung  verantwort- 
lich zu  machen. 

Vielmehr  kann  ein  krankhaft  veränderter  Darminhalt  als  ab- 
norm zusammengesetzter  Nährboden  „wilde"  Keime  zur  Entwick- 
lung bringen,  während  die  obligaten  Darmbakterien  eine  Hemmung 
ihres  Wachstums  erfahren  können  und  zurücktreten.  Diese  Mög- 
lichkeit betonen  auch  Straßburger  und  Tissier(4). 

Um  also  zu  dem  Schlüsse  eines  kausalen  Zusammenhangs 
zwischen  Bakterien  und  Verdauungsstörung  zu  gelangen,  dazu  be- 
darf es  einer  genauen  Analyse  des  ganzen  Falles. 

Ich  möchte  mir  nun  gestatten,  in  Kürze  über  einen  Fall  zu 
berichten,  bei  dem  ich  glaube  nachweisen  zu  können,  daß  bak- 
terielle Verhältnisse  einen  wesentlichen  ursäch- 
lichen Anteil  an  einer  eigenartigen  chronischen 
Verdauungs-  und  Ernährungsstörung  haben. 

Es  handelt  sich  um  ein  13 jähriges  Mädchen,  das  ich  im 
Kerbst  vorigen  Jahres  einige  Zeit  in  Behandlung  hatte.  Schon  im 
1.  Halbjahr  nach  der  Q-eburt  waren  Unregelmäßigkeiten  der  Verdauung 
bemerkt  worden,  abwechselnd  Neigung  zu  Obstipation  und  zu  Diarrhöen. 
Während  der  ersten  Lebensjahre  traten  häufige  kurze  Perioden  von 
Diarrhöen  auf,  die  meist  nur  ein  bis  mehrere  Tage  anhielten.  Die 
Stühle,  bis  6  und  7  an  Zahl,  waren  breiig,  auch  wässerig  und  enthielten 
häufig  Schleim.  In  den  diarrhöefreien  Zeiten,  die  bis  zu  einem  Viertel- 
jahr dauerten,  und  während  welcher  gelegentlich  Neigung  zu  Obstipation 
bestand,  fiel  stets  die  große  Kotmenge  auf,  häufig  erfolgten  täglich 
2 — 3  reichliche  gebundene  Stühle.  In  den  letzten  Jahren  wurden  die 
Diarrhöen  etwas  seltener,  es  kamen  Pausen  bis  zu  '/^  Jahr  vor,  immer 
aber  waren  die  Entleerungen  auffallend  kopiös.  Der  Kot  soll 
oft  graue  Farbe  gehabt  und  manchmal  so  leicht,  scheinbar  lufthaltig  ge- 
wesen sein,  daß  die  Kotzylinder  auf  dem  Wasser  schwammen.  Der  Leib' 
war  schon  vom  1.  Lebensjahr  ab  aufgetrieben,  es  traten  oft  reichliche 
Blähungen  und  Kolikschmerzen  auf.    Magenbeschwerden  bestanden  nicht, 


582  XXXIV.  Schütz 

d«r  Appetit  war  gut.     Das  Kind  erkrankt«  im  1.  Jahr  an  Ehaehiiis  and 
lernte  erst  im  3.  laufen. 

In  seiner  körperlichen  Entwicklang  war  dasselbe  so  zurückgeblieben, 
daß  es  mit  seinen  12  Jahren  den  Eindruck  eines  kümmerlich  entwickelten 
5 — 6jährigen  Kindes  machte,  das  Körpergewicht  betrug  48  Pfund. 
Geistig  war  die  Kleine  ganz  normal,  sogar  auffallend  klug,  dabei  nervös 
und  körperlich  wenig  leistungsfähig.  Außer  einer  leichten  Vergrößenuig 
von  Leber  und  Milz  war  nur  der  geringe  Hämoglobingehalt  von  30  bis 
35  ^'/q  bemerkenswert. 

Während  der  ersten  15  Tage  meiner  Beobachtung  erfolgte  sa 
13  Tagen  je  ein  gebundener  Stuhl,  meist  so  kopiös,  daß  man  die 
Menge  auch  für  einen  Erwachsenen  als  sehr  reiehlichi  öfter  als  auffailjg 
reichlich  bezeichnet  hätte.  Die  Stühle  machten  dabei  den  Eindmck 
großer  Trockenheit  und  hatten  z.  T.  einen  eigentümlich  trockenen  wie 
seidenartigen  Glanz,  wie  ich  ihn  sonst  noch  nie  beobachtet  habe.  Die 
Farbe  war  meist  braun,  manchmal  grau,  die  Reaktion  alkalisch;  Schleim 
enthielten  die  Stühle,  die  ich  in  toto  durchsiebte^),  an  6  von  diesen 
13  Tagen  überhaupt  nicht,  an  7  Tagen  nur  in  Gestalt  vereinaelter  kleiner 
Flöckchen,  die  indes  ungemein  reich  an  Darmepithelien  waren. 

Die  Menge  der  Stühle  fiel  mir  um  so  mehr  auf,  als  das  Kind 
während  der  ganzen  Zeit  kein  Gemüse,  überhaupt  keine  schlacken* 
reiche  Kost  erhielt.  Ich  erwartete  daher,  reichliche  Nahrungsbestandteüe 
zu  finden  und  war  überrascht,  als  ich  bei  fast  täglicher  mikroskopischer 
Untersuchung  so  gut  wie  niemals  irgendwelche  Reste  fand, 
weder  Kohlehydrate,  noch  Fett,  noch  Muskelfaserui  nicht  die  kleinsten 
Muskelschollen,  die  man  doch  sonst  —  abgesehen  vielleicht  von  HCl- 
Hypersekretion  des  Magens  —  niemals  vermißt.  Vielmehr  zeigte  das 
Mikroskop  nur  Detritus  und  Bakterien,  ungeheure  Bakterienmengen,  so 
da^  viele  Stellen  der  Präparate  wie  Bakterienkolonien  aussahen.  Die 
Stühle  bestanden,  dem  mikroskopischen  Bild  nach»  abgesehen  von  dem 
feinen  Detritus  und  zum  allergrößten  Teil  lediglich  ans  Bakterien,  und 
dieser  gleichmäßigen,  ganz  scblackenfreien  Zusammensetzung  entsprach 
ihre  völlig  homogene  Konsistenz.  Am  4.  und  6.  Tsge  waren  die  jeweils 
einmaligen,  besonders  reichlichen  Stühle  acholisch  und  breiig,  am  7.  Tage 
enthielt  der  Stuhl  kleine  wie  Schleimflödcchen  aussehende,  dagegen  ziem- 
lich konsistente  Fetzen,  die  man  mit  der  Pinzette  leicht  isolieren  konnte, 
und  die  nach  der  mikroskopischen  Untersuchung  und  Färbung  mit  Jodr 
jodkaliumlösung  ausschließlich  aus  Butyricusbakterien  bestanden. 
An  den  beiden  folgenden  Tagen  wurden  täglich  3  '—4  dfinne  Stühle  ent- 
leert, es  bestand  starke  Flatulenz,  und  am  2.  dieser  beid^  Tagje  wnrde 
reichlich  fein-  bis  mittelflockiger,  an  Darmepithelien  sehr  reiobsr  Schleim 
ausgeschieden.  Nahrungsbestandteile  enthielten  iMieh  difsse  SiüUa 
nicht.  Es  handelte  sich  also  um  eine  akute  Diarrhöe  mit  sekundärer 
Reizung  der  Darmschleimhant,  möglicherweise  veranlaßt  dwnsh  eine  Ent- 
wicklung von  Butyricus,  den  ich  suvor  bei  dieser  Krank«a  i^Lemals  ge* 
funden  hatte.     Am  Tage  darauf  erfolgte  schon  wiedv  «nr  eiin  HMi  mit 


1)  Nicht  in  dem  Boas'schen  Apparat,  der  feinen  Schleim  auch  hei  schwachem 
Wasserstrom  durchläßt. 


Fäulnisbakterien  als  Erreger  chromseher  Verdauungsstörungen.       5g3 

Aur  Tereinzelten  kleinen  Schleimflöckcbeni  die  Beizung  —  Diarrhöe  und 
Darmkatarrh  —  war  wieder  ausgeglichen. 

Fünf  Tage  später,  während  welcher  die  Verdauung  sich  wieder 
«benso  verhalten  hatte,  wie  vor  diesem  Zwischenfall,  gab  ich  dem  Elinde 
rohen  Schinken  zu  essen,  um  so  einen  Einblick  in  die  Mageu- 
▼  erdauung  zu  gewinnen.  Denn  auf  die  Anwendung  des  Uagen- 
schlauchs  mußte  ich  dem  schwächlichen  und  reizbaren  Kinde  gegenüber 
yerzichten.  Bekanntlich  beweist  der  Befund  rohen  Bindegewebes,  das 
nach  Genuß  von  Schinken  im  Stuhle  oft  ungemein  massig  auftritt,  eine 
Störung  der  Magenverdauung,  da  rohes  Bindegewebe  normalerweise  zwar 
im  Magen,  aber  nicht  im  Darm  verdaut  wird. 

Am  anderen  Morgen  setzte  eine  schwere  Verdauungsstö- 
rung ein,  es  erfolgten  z.  T.  gebundene  oder  breiige  —  und  zwar  teil- 
weise acholische  - —  z.  T.  wässerige  Stühle,  täglich  nur  2  mal,  jedoch 
äußerst  reichlich  —  von  dem  kleinen  Kinde  oft  mehr,  wie  ein  halbes 
Nachtgeschirr.  —  Gleich  in  den  ersten  Stühlen  fielen  sehr  zahlreiche 
faden-  und  gerinnsel artige  Gebilde  auf,  von  weißlich-gelblicher 
Farbe,  die  ich  mit  bloßem  Auge  für  Fleisch-  oder  Bindegewebsreste 
hielt.  Zu  meiner  großen  TJberraschnng  erwiesen  sich  dieselben  unter 
dem  Mikroskop  als  lediglich  aus  ganz  ungeheuren  Bakterien- 
mengen bestehend.  Einige  der  Partikel  hatten  ein  schleimiges  Substrat, 
die  meisten  ließen  sich  auf  dem  Deckglas  genau  so  verreiben,  wie  eine 
Bakterienkolonie.  Und  zwar  fanden  sich  auffällig  lange  Stückchen,  z.  T. 
ma  Fäden  ausgewachsen,  daneben  Trommelschlägelformen,  Kokken  in 
Haufen  und  kurzen  Ketten,  kurze  und  dicke,  plumpe  Stäbchen,  koli- 
artige  Stäbchen,  Sproßpilze  mit  Sporen,  keine  Hefe,  Butyricns  nur  ein- 
mal, am  18.  Tage  der  akuten  Darmstömng.  Die  Hauptmasse  bildeten 
die  auffallig  langen  Stäbchen  und  die  kurzen  plumpen.  Erstere,  ebenso 
die  Trommel  Schlägel,  wuchsen  nicht  auf  den  üblichen  Nährböden,  letztere 
enrieeen  sich  als  z.  T.  verflüssigende,  z.  T.  nicht  verflüssi- 
gende, fluorescierende  Fäulnisbakterien,  ferner  wuchsen 
Proteus,  Strepto-,  Staphylokokken  u.  a.  mehr. 

Das  mikroskopische  Bild  der  Bakterienpartikel  war  höchst  eigen- 
artig: die  enormen  Bakterienrasen  sahen  aus,  wie  das  Klatschpräparat 
einer  riesenhaften  Oberflächenkultur. 

Alle  untersuchten  Partikel  enthielten  —  und  zwar  noch  am  11.  Tage 
der  akuten  Verdauungsstörung  —  zahlreiche  gut  erhaltene  rote  Blut- 
körperchen, makroskopisch  war  Blut  nicht  zu  sehen. 

Schleim  enthielten  die  Entleerungen  auch  während  dieser  Periode 
entweder  gar  keinen,  oder  nur  in  Spuren,  oder  in  etwas  größerer, 
immerhin  aber  als  sehr  gering  zu  bezeichnender  Menge.  Derselbe  war 
iteßerst  reich  an  Epithelien,  die  in  manchen  Flöckchen  so  dicht  wie 
Eiterzellen  lagen,  so  daß  die  Flocken  ganz  weiß  und  undurchaichtig  aus- 
sahen. 

Am  2.  Tage  nach  der  Schinkenprobe  wurden  reichlich  Muskel- 
fasern ausgeschieden,  nur  mikroskopisch  erkennbar,  worauf  die  Fleisch - 
nahrung  ausgesetzt  wurde.  Erst  am  4.  Tage  begann  eine  sehr 
Fieichliche  Ausscheidung  von  Fett,  merkwürdig  reichlich^  naoh- 
dem  ich   die  Fettzufohr   möglichst  beschränkt  hatte,   und  zwar  in  Fonn 


584  XXXIV.  Schutz 

massenhafter   schöner   Nadeln  und    zahlreicher   makroskopisch    sichtbarer 
kleiner  Stippchen. 

Diese  Fettaasscheidung  fand  sich  noch  am  18.  Tage  der  akuten 
Yerdauungsstörung,  an  dem  uns  die  kleine  Patientin  verließ.  Dagegen 
enthielten  die  Stühle  niemals  irgendwelche  Kohlehydratreste. 

Die  Reaktion  der  Stühle  war  alkalisch  bis  neutral,  der  Geruch 
äußerst  faulig,  manchmal  geradezu  aashaft. 

Die  Diarrhöen  dauerten  nur  5  Tage,  die  Behandlung  war  wesentlich 
diätetisch,  bestand  in  einer  Beschränkung  der  Nahrung,  um  das  Bakterien- 
wachstum herabzusetzen. 

Das  Allgemeinbefinden  hatte  sich  sofort  am  1.  Tage  nach  der 
Schinkengabe  verschlechtert,  es  trat  allgemeines  Unbehagen  ein,  Appetit- 
losigkeit, Mattigkeit,  der  Leib  wurde  aufgebläht,  es  gingen  sehr  reich- 
liche ungemein  stinkende  Blähungen  ab. 

Als  das  Kind  uns  am  18.  Tage  nach  Eintritt  der  akuten  Störang^ 
verließ,  hatte  es  eich  völlig  erholt  und  die  Stühle  hatten  ihre  anfangliche 
Beschafifenheit  wieder  angenommen  bis  auf  die  auch  jetzt  noch  beob- 
achtete Ausscheidung  von  Fett  und  von  Bakterienhäutchen. 

Versuchen  wir  jetzt  eine  Epikrise  dieses  Falles,  so  ist  das 
wesentliche  der  akuten  Verdauungsstörung  in  der  abundant^n 
Entwicklung  wilder  Fäulnisbakterien  zu  suchen.  Die 
Beurteilung  des  kausalen  Zusammenhanges  wird  durch  die  ununter- 
brochene Beobachtung  vor  dem  Diarrhöeanfall  und  während  des- 
selben gesichert.  In  den  2  Wochen  vor  demselben  war  stets  eine 
höchst  auffällige  Vermehrung  des  Bakteriengehaltes  der  Fäces  zu 
konstatieren.  Dieser  erfuhr  plötzlich  eine  weitere  hochgradige 
Steigerung,  so  daß  ganze  Bakterienkolonien  in  Form  kleiner  Fetzen 
und  Häute  ausgeschieden  wurden,  es  gelang,  gerade  die  Bakterien, 
welche  die  Hauptmasse  in  den  Stühlen  ausmachten,  z.  T.  zu  züchten 
und  als  Fäulnisbakterien  zu  identificieren,  —  und  zugleich  mit  der 
Steigerung  der  Darmfäulnis  setzten  exquisit  faulige  Diarrhöen  ein. 

Die  Sekretion  und  Resorption  im  Dünndarm  war  zu- 
nächst ungestört,  erst  am  2.  Tage  wurden  Muskelfasern,  erst  vom 
4.  ab  Fett  ausgeschieden. 

Der  Schleimabgang  war  ein  minimaler,  so  daß  die  Diarrhöe 
keineswegs  als  katarrhalisch  aufgefaßt  werden  kann. 

Die  Darmstörung  war  also  zunächst  eine  rein  bakterielle^ 
die  Diarrhöen  eine  Folge  des  Reizes,  den  die  abnormen  Fäulnis- 
produkte auf  die  Darmperistaltik  ausübten.  Dazu  kam  sekundär 
eine  Störung  der  Dünndarmverdauung  und  zwar  nur 
zweier  Komponenten  derselben,  der  Fleisch-  und  Fettverdauung, 
während  die  Kohlehydratverdauung  die  ganze  Zeit  intakt  ge- 
blieben sein  muß,  denn  sonst  wäre,  zumal  es  sich  ja  vorwiegend 


Fäalnisbakterien  als  Erreger  chronischer  Yerdaaungsstörnngen.        585 

um  Eiweißfaulms  handelte,  ebenso  gut  Stärke,  als  Fett  und  Muskel- 
fasern ausgeschieden  worden.  Daß  dies  nicht  der  Fall  war,  be- 
weist zugleich,  daß  die  Ausscheidung  der  Nahrungsbestandteile 
nicht  einfach  der  Effekt  der  gesteigerten  Dünndarmperistaltik 
war,  sondern  daß  wir  es  mit  einer  ganz  spezifischen  Alte- 
ration der  Sekretion  und  Resorption  im  Dünndarm  zu 
tun  haben. 

Beachtenswert  erscheint  angesichts  einer  solch  stürmischen 
Verdauungsstörung  der  geringe  Schleimgehalt  der  Fäces. 
Derselbe  bestätigt  meine  sonstigen  Beobachtungen,  daß  nämlich 
die  Schleimhaut  verschiedener  Därme  auf  Reize  seitens  eines  pa- 
thologischen Darminhalts  ungemein  verschieden  reagiert.  In  dem 
einen  Falle  folgt  auf  eine  einmalige  Gabe  eines  sog.  milden  Laxans 
ein  akuter  Katarrh,  andererseits  habe  ich  gesehen,  daß  bei  schweren 
dyspeptischen  Diarrhöen,  die  20  Jahre  bestanden,  die  Schleimpro- 
duktion innerhalb  8  Tagen  aufhörte,  nachdem  die  Diarrhöen  be- 
seitigt waren,  ja  bei  einem  Patienten,  der  seit  15  Jahren  an 
Diarrhöen  litt,  fand  ich  während  3  Wochen  auch  in  den  diarrhoi- 
schen Stühlen  nicht  ein  einziges  Mal  Schleim. 

In  einem  gewissen  Gegensatz  zu  dem  geringen  Schleimgehalt 
steht  der  Befund  zahlreicher  roter  Blutkörperchen,  die  durch 
beinahe  2  Wochen  nachzuweisen  waren. 

Um  nun  eine  befriedigende  Antwort  zu  finden  auf  die  Frage, 
was  die  plötzliche  Steigerung  der  Darmfäulnis  in  unserem  Falle 
veranlaßt  hat,  möchte  ich  an  die  Angaben  verschiedener  Autoren 
erinnern.  Escherich  (6),  Tissier(7j,  Rodella  (8),  Stras- 
burger(l)  kamen  zu  dem  Ergebnis,  —  erstere  für  den  Säugling, 
Strasburger  auch  für  den  Erwachsenen  —  daß  die  Darmflora 
in  empfindlichster  Weise  von  den  chemischen  Verschiedenheiten 
des  Nährsubstrates,  des  Darminhaltes,  abhängig  sei,  daß  ihre  Zu- 
sammensetzung auf  das  feinste  auf  jeden  Wechsel  ihrer  Lebens- 
bedingungen reagiere. 

A.  Schmidt  (8)  betont  in  erster  Linie  die  Bedeutung,  die 
unverdautes  rohes  Bindegewebe  als  Schlupfwinkel  und 
Brutstätte  der  Fäulnisbakterien  während  seiner  Passage  durch  den 
Darmkanal  gewinnt.  Ich  bin  nach  meinen  Beobachtungen  zur 
gleichen  Ansicht  gekommen,  und  glaube,  daß  auch  in  dem  vor- 
liegenden Falle  die  akute  Steigerung  der  Darmfäulnis  durch  das 
unverdaute  Bindegewebe  des  rohen  Schinkens  verursacht  wurde. 
Man  braucht  nur  öfter  Stuhluntei-suchungen  auszuführen  und  man 
ist  immer  wieder  erstaunt,  welche  Unmassen  von  Bindegewebe, 

Deutsches  Archiv  f.  klin.  Medizin.    LXXX.  Bd.  38 


586  XXXIY.  ScBüTi 

samt  eingeschlossenem  Fett  nebst  Maskalatar,  nach  Oenuft  rohen 
Schinkens  in  den  Stühlen  auftreten. 

Wenn  so  die  Auffassung  der  akuten  Verdauungsstörung  ge- 
sichert erscheint,  —  wie  ist  der  merkwürdige  Fall  über- 
haupt zu  beurteilen?  Bieten  die  von  mii*  gemachten  Beob- 
achtungen eine  Erklärung  für  die  chronische  Yerdauungs-  und 
Ernährungsstörung,  an  der  das  Mädchen  zeitlebens  gelitten  bat 
und  noch  leidet? 

In  dieser  Beziehung  verweise  ich  noclunals  auf  den  enormen 
Bakteriengehalt  der  kopiösen  gebundenen  Stühle,  wie  er  wäh- 
rend der  ersten  14  Tage  beobachtet  wurde. 

Die  Bakterien  müssen  die  Hauptmasse  der  Trockensubstanz 
gebildet  haben.  Ich  erinnere  daran,  daß  Strasburger (9)  den 
Bakteriengehalt  des  normalen  Kots  bei  leicht  resorbierbarer  Kost 
auf  Vs  d^r  Trockensubstanz  berechnet. 

Femer  ist  zu  beachten,  daß  die  abnorme  und  abnorm  ge- 
steigerte Darmföulnis  —  die  Ausscheidung  der  Bakterienfetzen  — 
sowie  die  schwere  Störung  der  Dünndarmverdauung  nach  beinahe 
3  Wochen,  als  das  Kind  meine  Anstalt  verließ,  noch  bestand,  nach- 
dem die  Diarrhöen  längst  aufgehört  und  die  Stühle  ihre  frühere 
Beschaffenheit  im  übrigen  wieder  angenommen  hatten.  Von  einer 
akuten  bakteriellen  Störung  war  damals  keine  Rede  mehr,  viel- 
mehr finden  wir  in  diesem  Stadium  den  Übergang  von 
der  Exacerbation  zum  chronischen  Zustand,  wie  wir 
ihn  während  der  14  Tage  vor  der  akuten  Störung  kennen  gelernt 
haben. 

Die  Frage,  wie  lange  schon  diese  Steigerung  der  Darmfäulnis 
bestanden  haben  mag,  ist  natürlich  nicht  zu  beantworten,  znmid 
eine  genaue  Stuhluntersuchung  früher  nie  statt^eiiinden  hat.  Tat- 
sache ist  jedoch,  daß  die  Verdauungsstörung  des  Kindes  von  jeher 
den  gleichen  Charakter  batta  Das  wesentliche  an  derselben  waren 
die  massigen  gebundenen  Stühle;  periodisch  traten  ebenso 
reichliche  Diarrhöen  ein,  jedoch  waren  diese  von  vornherein  relativ 
selten,  hatten  Pausen  bis  zu  ^'4,  in  der  letzten  Zeit  bis  zu  ^/,  Jalu% 
und  sie  erfolgten  jedesmal  in  kurzen  Perioden  von  ein  bis  höchstens 
mehreren  Tagen,  so  daß  man  also  unmöglich  die  schwere 
chronische  Ernährungsstörung  des  Kindes  durch 
chronische  Diarrhöen  erklären  kann.  Besonders  wichtig 
erscheint  eine  spontane  Angabe  der  Mutter  des  Kindes.  Als  ich 
sie  am  1.  Tage  der  diarrhöischen  Stühle  bei  der  Abendvisite  sah^ 
empfing  sie  mich  mit  der  Frage,  ob  ich  schon  die  vielen  Wurm- 


F&iünisbakterien  als  Erreger  chronifcher  Verdauangsstöningen.        587 

eben  gesehen  hätte,  die  im  Stnhl  heramschwämmen ;  solche 
beobachte  sie  schon  alle  die  Jahre.  Wir  stellten  fest,  daß 
die  Frau  die  Bakterienpartikelchen  meinte. 

Ärztlicherseits  war  bisher  immer  eine  ungenügende  Verdauung 
angenommen,  die  große  Quantität  der  Stühle  durch  den  Abgang 
überreichlicher  Nahrungsreste  erklärt  worden.  Diese  Annahme  ist 
unrichtig,  denn  Nahrungsbestandteile  wurden  während  der  14  Tage 
vor  der  akuten  Störung  in  den  kopiösen  gebundenen  Stühlen  über* 
haupt  nicht  ausgeschieden.  Dieser  Umstand  ist  jedenfalls  der 
Tätigkeit  der  Bakterien  zuzuschreiben,  da  ja  andernfalls  eine  be- 
sonders gute  Verdauung  vorausgesetzt  werden  müßte. 

Damit  kommen  wir  zu  der  Frage,  ob  und  inwieweit  die 
beobachtete  Änderung  und  enorme  Steigerung  des 
Bakterienwachstums  auch  für  die  chronische  Er- 
nährungsstörung des  Kindes  verantwortlich  zu 
machen  ist. 

Abgesehen  von  den  obligaten  Darmbakterien  handelt  es 
sich,  wie  wir  sahen,  um  eine  ganze  Anzahl  wilder  Keime.  Von 
einigen  der  auch  hier  beobachteten,  wie  Strepto-,  Staphylo- 
kokken, Proteus,  wurde  verschiedentlich  angegeben,  daß  sie 
vom  Darm  aus  pathogene  Eigenschaften  gezeigt  hätten;  und  in 
unserem  Falle  beweisen  die  zahlreichen  kapillären  Blutungen,  daß 
d«n  Bakterien  ein  Eindringen  in  das  Innere  des  Körpers  mög- 
lich war. 

Wie  weit  solche  Verhältnisse  das  Allgemeinbefinden  und  den 
Kräftezustand  des  Kindes  beeinflußt  haben,  entzieht  sich  der  Beur- 
teilung; dagegen  muß  die  gewaltige  Steigerung  des  Bakterien- 
wachstums, wie  ich  sie  durch  5  Wochen  beobachtet  habe,  und  wie 
sie  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  seit  Jahren  besteht,  die  Ent- 
wicklung des  Kindes  erheblich  beeinträchtigt  haben,  einmal  infolge 
des  Verlustes  an  Eiweiß,  das  zum  Körperaufbau  solcher 
Bakterienmassen  erforderlich  ist,  dann  infolge  der  Umsetzungs- 
prozesse, insbesondere  Gärung  und  Fäulnis,  die  dem  Nähr- 
boden ja  weit  mehr  Material  entziehen,  als  der  Aufbau  der  Bak- 
terienleiber selbst.  Dazu  kommt  der  schädigende  Einfluß  auf  die 
Dünndarm funktion,  der  nach  der  akuten  Steigerung  der 
Darmfäulnis  beiläufig  3  Wochen  zu  beobachten  war  und  der  eine 
mangelhafte  Ausnutzung  der  Stofl'e  bedingte,  welche  die  Bakterien 
nicht  selbst  verbrauchten.  (Auch  Strasburger  weist  auf  diese 
Momente  hin  bei  der  Besprechung  der  Frage,  auf  welche  Weise 
obligate  und  wilde  Darmbakterien  den  Körper  schädigen  können.) 

38* 


588    XXXIY.  Schutz,  Fäulnisbakterien  als  Erreger  chronischer  VerdaaangsstSr. 

Und  schließlich  sind  angesichts  des  Hämoglobingehaltes  von  30  bis 
35  7o  die  zahlreichen  Blutaustritte  zu  erwähnen,  die  11  Tage  zn 
beobachten  waren. 

Wie  ist  aber  ein  solch  enormem  Bakterienwachstum  im  Darme 
auf  die  Dauer  möglich?  Der  gesunde  Darm  regelt  seine  bak- 
teriellen Verhältnisse  durch  Verdauung  und  Besorption,  durch  die 
er  den  Bakterien  den  Nährboden  beschränkt,  und  durch  die  nor- 
male Peristaltik,  die  einem  Überhandnehmen  derselben  gleichfalls 
vorbeugt  Außerdem  besitzt  der  Dünndarm  baktericide  Ein- 
richtungen von  großer  Wirkung,  wie  meine  Metschnikoffversuche 
ergeben  haben.  Der  vorliegende  Fall  zeigt,  welche  Bedeutung  das 
Versagen  dieser  Vorrichtungen  für  den  Darm  haben  kann, 
der  ohne  sie  einem  schrankenlosen  Bakterienwachstum  geradezu 
hilflos  preisgegeben  ist. 

Die  Prognose  dieses  Falles  ist  natürlich  sehr  zweifelhaft, 
wenn  auch  die  Diarrhöen  in  den  letzten  Jahren  viel  seltener  ge- 
worden sind. 

Das  Hauptmittel,  das  wir  gegen  die  Vermehrung  der  Bakterien 
haben,  eine  schlackenarme  und  leicht  resorbierbare  Kost,  ist  dem 
Kinde  gegenüber  zeitlebens  mehr  oder  weniger  in  Anwendung  ge- 
kommen. Und  einem  derartigen  Bakterienwachstum  mit  antisep- 
tischen Mitteln  Abbruch  zu  tun,  wird  uns  natürlich  nicht  beifallen. 

Wichtig  ist  jedenfalls,  den  Charakter  etwaiger  Steige- 
rungen des  Prozesses  festzustellen  —  ob  es  sich  um  Gärungs- 
oder Fäulnisvorgänge  handelt  — :  wir  würden  in  ersterem  Falle 
eiweiß-,  im  letzteren  mehlreiche  Kost  geben. 


Literaturangaben. 

1.  Schmidt  u.  Strasburger,  Die  Fäces  des  Menschen.  4.  Abschnitt: 
Die  Mikroorganismen  der  Fäces.  —  2.  Archiv  f.  Verdanungskrankh.  1901.  — 
3.  Volkmann,  Klinische  Vorträffe  1901  Nr.  318.  —  4.  Cit  nach  Strasburger. 
5.,  6.,  7.  desgl.  —  8.  A.  Schmidt,  Funktionsprüfung  der  Fäces. 


XXXV. 

Cheyne-Stokes'sches  Atmen  beim  Coma  diabeticnm  und 
Knßmanl's  großes  Atmen  bei  der  Urämie. 

Von 

Wilhelm  Ebstein  (Göttingen). 

In  seiner  klassischen,  in  dem  14.  Bande  dieses  Archivs  — 1874  — 
Seite  Iff.  abgedruckten  Arbeit :  Zur  Lehre  von  demDiabetes 
mellitus.  Über  ein|  eigentümliche  Todesart  der  Dia- 
betischen usw.  schildert  Kußmaul  eine  eigentümliche,  einem 
comatösen  Zustande  vorausgehende  and  ihn  dann  begleitende 
Dyspnoe,  bei  welcher  die  Atmung  in  ihren  beiden  Bewegungs- 
phasen größer  (tiefer)  und  gleichzeitig  häufiger  wird.  Bei  dieser 
großen  Atmung  beobachtete  Kußmaul  eine  große  Eegelmäßigkeit, 
sie  setzte  nicht  aus  und  machte  keine  großen  Frequenzschwankungen. 
Bei  tieferer  Betäubung  trennte  eine  längere  Pause  das  Exspirium 
von  dem  Inspirium.  Betreflfs  der  Ursache  dieser  großen  Atmung 
kommt  Kußmaul  zu  folgenden  allgemeinen  Schlußfolgerungen. 
Er  betont  zunächst,  daß  diese  Dyspnoe  die  Folge  einer  direkten 
centralen  Erregung  und  nicht  das  Produkt  einer  reflektorischen 
Erregung  der  Atmungscentren  von  den  Vagis  oder  den  Laryngeis 
sei.  Sie  läßt  sich  nach  Kuß  maul  weder  aus  einer  Sauerstoff- 
verarmung der  Atmungscentra  und  auch  nicht  aus  einer  über- 
mäßigen Anhäufung  von  Kohlensäure  im  Blute  herleiten,  sondern 
diese  Dyspnoe  muß  in  einer  Intoxikation  anderer  Art  ihren  Grund 
haben,  die  mit  chemischen  Störungen  des  organischen  Haushaltes 
beim  Diabetes  in  Verbindung  steht.  Über  die  Natur  dieses  toxi- 
schen Agens  vermag  Kuß  maul  „nichts  Sicheres  zu  sagen''.  Diese 
Beobachtungen  KußmauTs  haben  insofern  weiterhin  dadurch  eine 
Erweiterung  erfahren,  als  wir  heut  wissen,  daß  diese  Dyspnoe  nicht 
stets  dem  Eintritt  des  Coma  diabeticum  vorausgeht,  sondern  daß 
sie  oft  genug  erst  während  des  comatösen  Zustandes  auftritt   Diese 


590  XXXV.   Ebstein 

Yeränderang  der  Atmnng  ist  in  prognostischer  Beziehung  nicht 
ohne  Interesse,  wie  eine  Beobachtung  lehrt,  welche  ich  in  meiner  Be- 
arbeitung des  Diabetes  mellitus  in  meinem  und  Schwalbe's 
Handbuch  der  praktischen  Medizin  III,  2,  Stuttgart  1901,  S.  694, 
mitgeteilt  habe.  Meine  Vorhersage,  daß  die  verhältnismäßig  sich 
noch  vollkommen  wohl  befindende  Patientin,  welche  ihre  häuslichen 
Geschäfte  gut  besorgen  konnte,  vielleicht  schon  binnen  der  nächsten 
48  Stunden  zugrunde  gehen  würde,  ist  leider  bei  ihr  buchstäblich 
in  Erfüllung  gegangen.  In  solchen  Fällen  gibt  das  Auftreten  der 
tiefen  Atmungen  den  ersten  und  einzigen  Fingerzeig  für  die 
drohende  Gefahr.  K.  Grube  (Arch.  f.  exper.  Pathologie  und  Phar- 
makologie XLIV,  8.  350)  hat,  im  Gegensatz  zu  Kußmaul,  wie 
manche  andere  Beobachter,  den  Beginn  der  typischen  Atmungen 
schon  einige  Zeit  vor  dem  Einsetzen  des  Comas  nur  für  ein  bisweilen 
auftretendes  Vorkommnis  erklärt.  Grube  erzählt,  daß  eine  Dame, 
welche  aufgeregt  in  seiner  Nachmittagssprechstunde  mit  typischer 
Atmung  erschien,  am  nächsten  Morgen  zwischen  5  und  6  Uhr 
comatös  wurde.  Es  war  von  vornherein  anzunehmen,  daß  die  Ver- 
änderung des  Atmuugstypus,  wie  sie  von  Euflmaul  bei  Diabe- 
tischen zuerst  geschildert  worden  ist,  kein  der  Zuckerkrankheit 
allein  zukommendes  Symptom  sei  und  L.  Herzog  hat  in 
seiner  lesenswerten  Arbeit  (Diagnostische  Schwierigkeiten  zwischen 
dem  Coma  der  Zuckerkranken  und  anderen  comaartigen  Zuständen. 
Berliner  Klinik  Heft  132,  Berlin  1899),  die  comaartigen  Zustände 
mit  (charakteristischer)  Dyspnoe  (1.  c.  S.  24)  auf  Grund  der  ein- 
schlägigen Literatur  abgehandelt.  Soweit  ich  es  übersehe,  hat  man 
als  die  für  das  Coma  dyspnoeicum  diabeticum  typischeAtmungs- 
form,  welche  übrigens  auch  bei  einer  ganzen  Reihe  anderer  Krank- 
heitszustände  vorkommt,  diejenige  angesehen,  welche  von  Kuß* 
maul  treffend  als  eine  in  ihren  beiden  Bewegungsphasen  größere 
(tiefere)  und  gleichzeitig  häufigere  charakterisiert  worden  ist.  Daß 
diese  Atmungsform  bei  dem  terminalen  Coma  der  Zuckerkranken 
die  häufigste  ist,  mag  zugegeben  werden,  daß  sie  aber  die  einzige 
ist,  steht  mit  meinen  klinischen  Erfahrungen  im  Widerspruch,  wie 
aus  folgender  Kasuistik  sich  ergeben  dürfte. 

I.  Der  45^.^  jährige  OberleatnaDt  und  Gatsbesitzer  D.  aus  M.  kon* 
sultierte  mich  am  28.  November  1902  wegen  LungensohwindBUcht  and 
Zuckerkrankheit.  Derselbe,  seit  12  Jahren  Landwirt  und  vorher  un- 
gefähr 14  Jahre  aktiver  Soldat,  gibt  an,  weder  hereditär  belastet  nooh 
auch  jemals  sexuell  infiziert  oder  dem  Alkoholgenuß  ergeben  gewesen  zu 
sein.  Bis  zu  seinem  38.  Jahre  will  der  Patient  bis  auf  gelegentliche 
geringfügige  Bronchitiden   stets   gesund   gewesen   zu  sein.     Seine   gegen* 


Cheyne-Stokes'sches  Atmen  beim  Coma  diabeticam  etc.  591 

wfirtige  Erkrankung  bringt  er  mit  einer  am  25.  Augast  1895  nach  dem 
Genuß  von  sauer  eingekochtem  Aal  akut  einsetzenden  Erkrankung, 
welche  als  „Fisobyergütung"  bezeichnet  wurde,  in  Zusammenhang.  loh 
sah  den  Patienten  am  25.  September  desselben  Jahres  auf  den  Wunsch 
seines  BAUsarztes  und  mit  demselben  in  seiner  Heimat  in  Westfalen.  Ich 
habe  damals  einen  ,, Unterleibstyphus^  diagnostiziert.  Als  der  Patient 
nach  dessen  glücklichem  Ablauf  und  anscheinend  völlig  genesen  zum 
xweiten  Male  das  Bett  verließ,  erkrankte  er  aufs  neue  akut  und  zwar 
sehr  schwer  an  einer  mit  heftigen  Magen-  und  Darmerscheiaungen  ver- 
gesellschafteten Lungenentzündung.  Den  Darmausleerungen  soll  viel 
Schleim  heigemischt  gewesen  und  es  sollen  im  Verlauf  der  Krankheit 
reichliche  Hautblutungen  aufgetreten  sein.  Der  Patient  genas  zwar  auch 
Yon  dieser  Krankheit,  jedoch  erreichte  er  sein  früheres  Körpergewicht 
von  175  Pfund  nie  mehr  wieder.  Über  140  Pfund  ist  er  danach  nicht 
mehr  gekommen.  Als  der  Kranke  sich  mir  im  November  1902  hier 
vorstellte,  ersah  ich  aus  dem  Begleitschreiben  seines  jetzigen  Hausarztes, 
daß  er  im  Januar  1901 ,  in  welchem  er  den  Patienten  in  Behandlung 
bekam,  einen  beiderseitigen  Lungenspitzenkatarrh  und  Diabetes  mellitus 
(6  ^/^  Zucker)  festgestellt  habe.  Ein  mehrwöchiger  Aufenthalt  in  Nizza 
im  Winter  1902  (Januar  bis  März)  brachte  keinen  Nutzen»  im  Gegenteil 
hat  sich  der  Zustand  des  Patienten  je  länger  je  mehr  verschlechtert. 
Obgleich  sich  der  Zuckergehalt  des  Harns  bei  der  Einhaltong  einer 
entsprechenden  Diät  auf  0,5  ^/q  ermäßigte,  wurde  .das'  Allgemeinbefinden 
immer  schlimmer. 

Li  diesem  Zustande  sah  ich  den  Patienten  am  28.  November  1902, 
welcher  von  da  ab  bis  zu  seinem  am  10.  April  1903  erfolgenden  Tode 
von  mir  in  meiner  Privatklinik  behandelt  wurde.  Der  blasse,  magere, 
aehr  lang  aufgeschossene  Patient  bot  schon  in  seinem  äußeren  Habitus 
das  Bild  eines  vorgeschrittenen  Phthisikers.  Die  Untersuchung  ergab 
ausgesprochene  Lifiltrationserscheinungen  und  wahrscheinlich  mit  Höhlen- 
bildung in  der  linken  oberen  Lungenpartie,  auch  die  rechte  Lunge  war 
im  oberen  Teile  krank,  indes  weniger  hochgradig.  Der  Husten  war  und 
blieb  stets  mäßig,  auch  der  Auswurf  war  geringfügig,  geballt,  schleimig- 
eitrig. Bereits  bei  der  ersten  Untersuchung  desselben  am  28.  November 
1902  wurden  in  demselben  reichliche  Tuberkelbazillen  gefunden.  Am 
20.  und  21.  Dezember  trat  eine  geringfügige  Hämoptoe  auf.  Mehrfach 
machten  sich  bei  dem  Kranken  pleuritische  Symptome  (Schmerzen  und 
Beiben  in  der  linken  Brusthälfte)  bemerkbar.  Der  Appetit  war  sehr 
launisch,  indes  wenn  er  auch  nicht  gut  war,  wurde  doch  im  allgemeinen 
aus  „Pflichtbewußtsein^  befriedigend  gegessen.  Das  Körpergewicht, 
welches  bei  der  Aufnahme  121,8  Pfund  betragen  hatte,  sank  zunächst 
etwas  und  blieb  bis  zum  17.  Januar  1903  auf  120 — 120,8  Pfand  stehend, 
dann  aber  hob  es  sich,  ohne  daß  wassersüchtige  Anschwellungen  auf- 
traten, allmählich  bis  Anfang  März  bis  auf  128,4  Pfund,  wobei  der 
Patient  sich  im  allgemeinen  wohl  fühlte.  Nachher  sank  dessen  Gewicht 
wieder  ein  wenig,  betrug  aber  Ende  März,  wo  die  letzte  Körperwägung 
vorgenommen  wurde,  immerhin  noch   126,4  Pfund. 

Der  Stuhlgang  war  immer  angehalten,  wurde  aber  durch  große  01- 
kljsmen  (300  gr)  in  Ordnung  gehalten. 


592  XXXV.   Ebsteiv 

Es  handelte  sich  bei  unserem  Patienten  nm  einen  Diabetes 
deeipiens,  d.  h.  Polyurie  fehlte  während  der  ganzen  Zeit  der  Be- 
obachtong.  Im  allgemeinen  worden  in  24  Stunden  1500  ccm  Harn  ent- 
leert. Selten  erreichte  das  tägliche  Hamqnantnm  2  Liter  oder  ein  wenig 
darüber.  Die  tägliche  Zuokermenge  schwankte  zwischen  17  bis  147  g. 
Vom  £nde  Februar  bis  zum  Tode  des  Patienten  überstieg  die  tägliche 
Zuckermenge  gewöhnlich  100  g.  Im  Monat  Dezember  war  die  tägliche 
Zuckerausscheidung  am  kleinsten.  Entsprechend  der  täglichen  Ham- 
und  der  in  ihm  ausgeschiedenen  Zuckermenge  schwankte  natürlich  das 
spezifische  Gewicht  des  TJrins  zwischen  1020 — 1040.  Aceton  oder 
Acetessigsäure  oder  beide  —  weit  häufiger  wurde  die  letztere  Termißt 
—  waren  mit  Ausnahme  der  Zeit  vom  32.  Dezember  bis  zum  4.  Februar 
1903,  in  welcher  sie  gänzlich  fehlten,  täglich  in  höherem  oder  geringerem 
Grade  mittels  der  bekannten  Beaktionen  nachweisbar.  Ein  Einfluß  der 
ausgeschiedenen  Zuckermenge  auf  die  Stärke  dieser  Reaktionen  war  nicht 
erweislich.  Eiweiß  war  in  Spuren  als  leichte  Opalescenz  oder  als  leichte 
Trübung  bei  der  Anwendung  der  Ferrocyankalinmessigsäureprobe  in  dem 
Harn  nachweislich  und  zwar  ging  die  Menge  der  Zuckerausscheidnng 
mit  der  Stärke  der  Albuminurie  nicht  Hand  in  Hand.  Hamcylinder 
wurde  niemals  gefunden.  Jedoch  muß  bemerkt  werden,  daß  in  den 
letzten  24  Stunden  des  Lebens,  in  denen  alle  Ausleerungen  unvrillkürlich 
waren,  auch  der  Harn  nicht  aufgefangen  und  demgemäß  auch  nicht  unter- 
sucht werden  koünte. 

Gelegentlich  waren  starke  nächtliche  Schweiße  vorhanden,  welche 
den  Kranken  sehr  belästigten.  Der  Temperaturverlauf  war  atypisch  mit 
größeren  (bis  3,5^  betragenden)  und  kleineren,  manchmal  nur  0,1  be- 
tragenden Tagesschwankungen.  Die  maximale  Temperatur  betrug  38,9, 
die  minimale  35,4.  In  der  Hegel  erreichte  die  Abendtemperatur  38,0 
nicht,  während  die  Morgentemperatur  zwischen  35,0  bis  36,0  schwankte. 
Nur  in  den  letzten  anderthalb  Wochen  bewegte  sich  die  Temperatur  mit 
geringen  Tagesschwankungen  um  38,0  herum.  Die  Pulsfrequenz  schwankte 
in  der  Regel  der  Temperatur  entsprechend.  Sie  betrug  im  allgemeinen 
gegen  100  Schläge  in  der  Minute.  Die  Zahl  der  Atmungen  war  in  der 
Kühe  normal,  auch  deren  Typus  war,  abgesehen  von  den  bald  zu  er- 
wähnenden terminalen  Veränderungen  ein  normaler.  Patient  war  stets 
außer  Bett.  Sein  subjektives  Befinden  besserte  sich  während  des  Aufent- 
haltes in  der  Privatklinik  langsam  und  stetig.  Von  Mitte  März  1903 
machte  der  Kranke  bereits  ernstlich  Pläne  nach  Hause  zu  reisen,  und 
sich  persönlich  auf  seinem  Gute  umzusehen  und  die  Aussaat  selber  zu 
leiten.  Dann  wollte  er  nach  Italien  zu  seiner  volligen  Erholung  reisen. 
Als  sein  Bruder  unserem  Patienten  gelegentlich  seines  Besuches  am 
29.  März  den  Vorschlag  machte,  daß  er  ihm  einiges  von  seinem  Wirt- 
schaft sbetrieb  abzunehmen  bereit  sei,  erregte  ihn  das  so  sehr,  daß  der 
Bruder  bald  davon  abstand.  Vom  4.  April  an  wurde  ein  vollständiger 
Wechsel  in  dem  Wesen  des  Kranken  wahrgenommen.  Der  bisher  so 
liebenswürdige  Patient  wurde  nörgelig,  krittlig,  besorgte  aber  alle  Vor- 
bereitungen zu  seiner  auf  den  8.  April  festgesetzten  Abreise  persönlich 
und  ordnete  alles  an,  was  für  seine  Ankunft  in  seinem  Hanse  und  in 
seiner  Wirtschaft   geschehen  solle.     Am  7.  April   war   der  Kranke  zeit- 


Cheyne-Stokes^sches  Atmen  beim  Coma  diabeticnm  etc.  593 

weise  verwirrt,  daldete  aber  nicht,  daß  der  von  ihm  seither  sehr  bevor- 
zugte Krankenwärter  seinen  Koffer  packte,  er  wollte  alles  selbst  besorgen. 
Am  8.  April  machte  sich  bei  ihm  eine  große  Schlafneigong  bemerkbar, 
der  Kranke  war  im  übrigen  gänzlich  verwirrt,  indes  blieb  sein  Sinn  un* 
entwegt  auf  die  Abreise  gerichtet.  Beim  Frühstück  schlief  er  ein,  trotz- 
dem befahl  er  dem  Krankenwärter,  ihm  beim  Ankleiden  zu  helfen  und 
blieb,  nachdem  dies  geschehen,  inmitten  seines  Oepackes,  immer  wieder 
einschlummernd,  mit  der  Uhr  in  der  Hand  sitzen,  bis  ich  ihm  bei  der 
Morgenvisite  erklärte,  daß  er  in  diesem  Zustande  die  Heimreise  nicht 
antreten  könne.  Er  fügte  sich  ohne  weiteres  und  verschob  seine  Abreise 
auf  den  näohsten  Tag.  Er  blieb  aber  in  einem  lebhaften  Erregungs- 
zustande. In  diesem  Zustande  wurde  er  Nachmittag  4^/^  Uhr,  im  Schlaf- 
rock auf  dem  Sofa  bei  einem  Glase  Biere  sitzend,  gefunden.  Er  hatte 
es  sich  ohne  Erlaubnis  des  Arztes  und  der  Krankenschwestern  holen 
lassen  und  soll  davon  im  Laufe  des  Tages  anderthalb  Flaschen  verzehrt 
haben.  Als  ihm  vom  Arzte  vorgestellt  wurde,  daß  er  doch  am  besten 
im  Bett  aufgehoben  sei,  ließ  sich  der  Kranke  bereitwillig  von  ihm  zum 
Bette  führen,  entkleidete  sich  selbst  und  legte  sich  nieder.  Kaum  lag 
er,  so  fielen  ihm  die  Augen  zu  und  es  trat  ein  ganz  ausgesprochenes 
Gheyne-Stokes'sches  Atmen  ein.  Ab  und  zu  schlug  er  die  Augen 
noch  auf.  Um  7^3  Uhr  abends  war  der  Patient  durch  kräftiges  An- 
rufen nicht  mehr  zum  Erwachen  zu  bringen.  Die  Pupillen  reagierten. 
Der  Kranke  hatte  Kot  und  Urin  unter  sich  gelassen.  Das  Gheyne- 
Stokes'sche  Atmen  hielt  bis  zum  nächsten  Tage  (10.  Apri])  früh  4  Uhr 
an.  Die  Atmungspausen  waren  verschieden  lang,  daß  man  während 
derselben  bequem  bis  20  zählen  konnte.  Es  stellte  sich  dann  ein  müh- 
sames mit  Trachealrasseln  verbundenes  Atmen  ein,  wie  es  beim  Lungen- 
ödem beobachtet  wird,  an  welchem  am  10.  April  früh  10  Uhr  der  Tod 
erfolgte. 

Die  Leichenöffnung  durfte  nicht  gemacht  werden. 

Es  handelte  sich  bei  diesem  Kranken  um  einen  Fall  von 
Diabetes  mellitus,  welcher  mit  Lungenschwindsucht  kompliziert  war. 
Der  Patient  ist,  wie  so  häufig,  am  Coma  diabeticnm  zugrunde  ge- 
gangen, welches  auf  einen  vorausgehenden  und  mehrere  Tage  an- 
haltenden Erregungszustand  folgte.  Vor  der  vollen  Entwicklung 
der  Bewußtlosigkeit  setzte  Cheyne-Stokes'sches  Atmen  ein, 
welches  nahezu  12  Stunden  dauerte  und  sodann  gleichzeitig  mit 
dem  Eintritt  von  Lungenödem,  welches  nach  6  Stunden  zum  Tode 
führte,  durch  ein  mühsames,  mit  Trachealrasseln  verbundenes  Atmen 
ersetzt  wurde.  Daß  das  Cheyne-Stokes'sche  Atmen  ebenso  wie 
das  Coma  bei  unserem  Patienten  nicht  durch  die  Schwindsucht, 
sondern  durch  den  Diabetes  vermittelt  worden  ist,  braucht  wohl 
nicht  weitläufiger  begründet  zu  werden.  Das  Cheyne-Stokes'sche 
Atmen  war  bei  unserem  Patienten  ein  vollkommen  reines  und  nicht 
durch  den  von  Kußmaul  geschilderten  Atmungstypus  kompliziert. 


594  XXXV.  Ebstbik 

In  diesem  Falle  war  die  Diagnose  des  Cheyne-Stokes'scben  AtDde&s 
eine  sehr  einfache,  wie  in  allen  Fällen,  bei  denen  das  AtmMi  sich 
geräuschvoll  vollzieht.  Verlaufen  die  Atembewegangen  gei-äuschlos, 
dann  wird  man  von  dem  vorhandenen  Atmungstypna,  bzw\  daß 
Cheyne-Stokes'sches  Atmen  besteht,  sich  nur  dann  überzeugen 
können,  wenn  man  durch  die  direkte  Besichtigung  des  entblößten 
Brustkastens  die  Art  der  Atmung  direkt  in  Augenschein  nehmen 
kann.  Dies  war  in  der  nächsten  sowie  in  einigen  danach  folgenden 
Beobachtungen  der  Fall,  Bei  ihnen  war  reines  Cheyne-Stokes'sches 
Atmen  teils  nur  vorübergehend  vorhanden,  teils  wechselte  dasselbe 
mit  dem  großen  Atmen  KußmauTs  oder  mit  unregelmäßigem 
Atmen. 

IL  K.  R.  ein  42 jähriger  Steinhauer  aus  Heinade,  aufgenommen  am 
30.  April  1904  befindet  sich  in  schlechtem  Ernährungszustand.  JSr  hat 
eine  Körpergröße  von  1,73  cm  und  wiegt  HO  Pfd.  Außerordentlich 
schwerer  Diabetes,  die  tägliche  Zuckerausscheidung  betragt  500 — 600  g, 
sehr  starke  Acetonurie  und  Diaceturie.  Die  tägliche  N*Ausscheidang 
im  Harne  betrug  ca.  30  g,  die  NH^ -Ausscheidung  über  3  g.  Das  Sen- 
sorium  war  voiübergebend  am  1.  Mai  ganz  leicht  benommen,  die  PupiUen 
reagierten  immer  prompt  auf  Lichteinfall.  Bei  der  klinischen  Vorstellung 
am  2.  Mai  beobachtete  man  an  dem  entblößten  Thorax  des  Patienten 
den  Cheyne-Stokes'schen  Atemtypus.  Obwohl  die  Atmung  sehr  tief  war, 
waren  die  Exkursionen  des  Thorax  nicht  sehr  bedeutend.  Die  Atmungs- 
pausen waren  kurz.  In  den  nächsten  Tagen  verlor  sich  der  Cheyne- 
Stokes'sche  Typus  wieder,  doch  war  die  Atmung  noch  sehr  ungleich  tief. 

III.  W.  .  .  .,  32jähriger  Ziegelarbeiter  aus  R.  in  die  medi'z.  Klinik 
aufgenommen  am  10.  Januar  1903,  dort  gestorben  am  22.  Januar  1903. 
Der  Zuckergehalt  schwankte  zwischen  161  —  439  g  pro  die.  Der  Zucker- 
gehalt nahm  vom  12.  Januar  bis  zum  Tode  ziemlich  konstant  an  Menge 
ab.  Am  22.  Januar  früh  S^/^  ^hr  wurde  der  Patient  ziemlich  plötzlich 
bewußtlos,  nachdem  er  sich  am  Abend  vorher  schon  nicht  wohl  gefdhlt 
hatte.  Die  Atmung  war  um  11  Uhr  vormittags  tief  und  geräuschvoll 
und  zeigte  gelegentlich  einen  wenn  auch  nicht  immer  reinen  Cheyne- 
Stokes'scben  Atmungstypus.  Später  verschwand  dieses  Phänomen,  kehrte 
bis  zu  dem  am  Nachmittag  desselben  Tages  im  Coma  erfolgenden  Tode  in 
der  gleichen  Weise  ab  und  zu  wieder.  Der  Patellarreflex  war  erloschen, 
der  Pupillarreflex  blieb  bis  einige  Stunden  vor  dem  Tode  erhalten. 

Anatomische  Diagnose  (Obduzent:  G-eheirorat  O r t h). 

Hochgradige  Atrophie  des  Pankreas.  (Gewicht  35g, 
Dimensionen  20  :  2,4  :  1,6  cm,  mikroskopisch:  einfache  Atrophie,  Langer- 
hansische  Inseln  gut  ausgebildet,  aber  geringer  an  Zahl.) 

Hochgradige  Hyperämie  des  Gehirns  und  der  Häute. 
Verfettung  der  Nieren  rinde.  Hämorrhagische  Erosionen 
und  ausgedehnte  Schleimhautblutungen  am  Magenfundas. 
Akute  Erweichung  des  Magens  und  mäßige  NiederschlSge 


Chejne-Stokes'sches  Atmen  beim  Coma  diabeticum  etc.  595 

▼  on  2Tatr.  biGarbonionm  in  demselbeii.  —  Allgemeine 
Atrophie,  insbesondere  braune  Atrophie  der. Leber.  Atrophie  der 
Nebennieren.  Kleinheit  des  Gangl.  coeliacum.  Aceton- 
gernch  nach  Eröffnung  der  Leiche. 

IV.  Karl  P.,  40  jähriger  Schuhmacher  aus  P.  wurde  wegen  Dia- 
betes mellitus  in  die  Göttinger  medizinische  Klinik  am  16.  Februar 
1904  aufgenommen  und  starb  daselbst  am  6.  März  1904.  Die  Körper- 
länge betrag  1,65  cm,  das  Körpergewicht  111  '/g  Pfund.  Die  ersten  Krank- 
heitserscheinungen waren  etwa  ^/^  Jahr  bevor  der  Tod  im  diabetischen 
Coma  erfolgte  bemerkt  worden.  In  den  letzten  drei  Lebenstagen  war 
bei  benommenem  Sensorium  die  Atmung  auffallend  tief  und  laut  hörbar. 
Ihre  Zahl  betrug  nur  etwa  1 2  in  der  Minute.  Damit  wechselten  Perioden 
zunächst  oberflächlicher  dann  immer  mehr  sich  vertiefender  Atemzüge 
nach  Art  des  Cheyne-Stokes'schen  Atraungstypus  ziemlich  regelmäßig 
ab.  Die  Pupillen  waren  sehr  weit,  fast  reaktionslos,  die  Patellarreflexe 
fehlten.     Der  Puls  war  fadenförmig  126  in  der  Minute. 

Die  von  Herrn  Kollegen  Bibbert  ausgeführte  Sektion  ergab  als 
einzigen  krankhaften  Befund  eine  Atrophie  der  Bauchspeichel- 
drüse. Im  Sektionsprotokoll  ist  betreffs  der  BeschaffeDheit  des  Pan- 
kreas folgendes  angegeben.  Das  Pankreas  ist  lang  und  sehr  dünn.  Es 
mißt  in  der  Länge  22  cm,  ist  2,5  cm  breit  und  hat  eine  Dicke  von  0,75  cm. 
Auf  der  Schnittfläche  sieht  man  keinerlei  makroskopische  Veränderungen. 
Die  sehr  sorgsam  ausgeführte  mikroskopische  Untersuchung  ließ  gleich- 
falls keine  anderweitigen  krankhaften  Veränderungen  außer  der  bereits 
mit  bloßem  Auge  sichtbaren  Atrophie  erkennen.  Es  handelte  sich  also 
in  dem  vorliegenden  wie  in  dem  vorhergehenden  Falle  um  eine  lediglich 
kachektische  Atrophie  der  Bauchspeicheldrüse.  Von  degenerativen  oder 
entzündlichen  Prozessen,  wie  wir  den  letzteren  z.  B.  bei  der  genuinen 
Granularatrophie  begegnen,  war  hier  keine  Spur  vorhanden. 

V.  M.,  ein  22  jähriger  Fabrikarbeiter  aus  Lengfeld  wurde  wegen 
Zuckerkrankheit  und  beginnender  Lungenschwindsucht  am  2.  Januar  1903 
in  die  Oöttinger  medizinische  Klinik  aufgenommen  wurde,  aus  der  am 
17.  Februar  1903  wieder  erst  geheilt  entlassen  wurde.  Der  Zucker- 
gehalt des  Harns  schwankte  zwischen  192  bis  638  g  pro  die.  Der  Harn 
enthielt  Aceton  und  Acetessigsäure ;  Albuminurie  fehlte.  Der  Diabetes 
war  ein  schwerer.  Der  Kranke  hatte  Neigung  zu  comatösen  Zuständen. 
Am  12.  Februar  gegen  Abend  warde  der  Patient  leicht  somnolent,  nach- 
dem er  sich  schon  während  des  Tages  nicht  wohl  gefühlt  hatte.  Die 
Atmung  zeigte  nicht  immer  den  gleichen  Typus,  manchmal  waren  die 
einzelnen  Atemzüge,  deren  man  16  in  der  Minute  zählte,  vertieft,  manch- 
mal aeigte  die  Atmung  den  Cheyne*8tokes'schen  Typus.  Die  Zucker- 
menge am  12.  Februar  betrug  638  g,  am  folgenden  Tage,  an  welchem 
der  Kranke  wieder  bei  freierem  Sensorium  war,  betrug  dieselbe  nur  278  g. 
Als  der  Kranke  aus  der  Klinik  auf  sein  Verlangen  entlassen  wurde,  war 
sein  Sensorium   vollkommen  frei  und  seine  Atmung  durchaus  regelmäßig. 

Ganz  denselben  Atmungstypus,  wie  wir  ihn  beim  diabetischen 
Coma  vorstehend  geschildert  haben,  habe  ich  gelegentlich  auch  bei 


596  XXXV.  Ebstein 

der  Urämie  beobachtet.    Es  seien  ein  paar  Beispiele  hier  an- 
geführt : 

VI.  B.  E.  aus  B.y  eia  21  jähriger  Schneider,  wnrde  am  2.  November 
1903  in  die  mediziniBche  Klinik  in  Göttingen  aufgenommen.  Die  Diagnose 
wurde  auf  chronische  yorzugsweise  interstitielle  Nephritis  gestellt.  Bereita 
am  4.  November  verfiel  der  Patient  gegen  5  Uhr  nachmittags  in  Coma. 
Während  dieses  urämischen  Gomas  schwankte  bei  einer  Pulsfrequenz  von 
ca.  116  in  der  Minute  die  Zahl  der  Atemzüge  in  der  gleichen  Zeit- 
einheit zwischen  36  ^48.  Die  Atemzüge  waren  tief,  geräuBchvoll,  gleich- 
mäßig, kein  Cheyne-Stokes'scher  Typus.  Dieser  Zustand  dauerte  bis 
gegen  den  Morgen  des  folgenden  Tages  (5.  November),  an  welchem  der 
Tod  erfolgte.  Die  klinische  Diagnose  lautete  abgesehen  von  der  auf 
chrom.  vornehmlich  interstitielle  Nephritis :  Urämie.  Pneumonische  Herde 
und  Hypertroph,  ventric.  sin. 

Die  von  Herrn  Kollegen  Ribbert  ausgeführte  Leichenöffnung  er- 
gab folgende  Sektionsdiagnose :  Hochgradige  Schrumpfniere  beiderseits, 
Hypertrophie  des  linken  Ventrikels,  Pneumonie  beider  ünterlappen,  ge- 
schwollene Leisten-  und  Lymphdrüsen. 

VII.  A.  O.  aus  Eschwege,  ein  18 jähriger  Barbier,  wurde  am 
12.  März  1904  in  die  Oöttinger  medizinische  Klinik  aufgenommen,  in 
welcher  er  bereits  am  18.  desselben  Monats  verstorben  ist.  Die  Diagnose 
wurde  auf  Granularatrophie  der  Nieren  gestellt.  Seit  4  Jahren  bestand 
bereits  Nephritis.  In  der  Klinik  wurden  7  ^/^q  Eiweiß  im  Harn  kon- 
statiert, der  Urin  zeigte  ein  reichliches  Sediment  mit  dem  entsprechenden 
mikroskopischen  Befunde.  Die  vorhandenen  Ödeme  fingen  unter  gleich- 
zeitigem Ansteigen  der  Urinmenge  an  zu  schwinden.  Gleichzeitig  setzte 
großes,  tiefes,  laut  hörbares  Atmen  ein,  keine  Atmungspausen,  keine 
periodenweisen  Vertiefungen  wie  bei  dem  Cbeyne-Stokes'schen  Atmen. 
Dabei  leichte  Cyanose  und  verschleiertes  Sensorium,  Kopfschmerz.  Zwei 
Tage  später  akute  Urämie,  welche  in  24  Stunden  letal  verlief. 

Die  von  Herrn  Kollegen  Ribbert  ausgeführte  Leichenöffnung  er- 
gab folgende  Sektionsdiagnose :  Hochgradige  Granularatrophie  der  Nieren, 
Hypertrophie  des  Ventrikels,  Dilatation  des  rechten  Ventrikeb.  Hoch- 
gradiges Lungenödem. 

Wenn  demnach  Kußmanl  angibt,  daß  —  neben  einigen 
anderen,  hier  nicht  weiter  auszuführenden  geringfügigeren  diffe- 
rentialdiagnostischen Momenten  —  das  wichtigste  Unterscheidungs- 
merkmal zwischen  Coma  uraemicum  und  diabeticum  darin  liegt, 
daß  sich  das  letztere  durch  eine  Dyspnoe  bei  freien  Luftwegen 
einleitet,  welche  durch  große  in-  und  exspiratorische  Atembewegnngen 
ausgezeichnet  ist,  so  sehen  wir  aus  den  hier  mitgeteilten  Beobach- 
tungen, daß  diese  Regel  nach  meinen  eigenen  Erfahrungen  nicht 
gerade  selten  durchbrochen  wird. 

Wir  haben  aus  den  hier  mitgeteilten  Beobachtungen  (I — ^V) 
soviel  ersehen,  daß  beim  diabetischen  Coma  sowohl  die  tiefen  Kuß- 


Cheyne-Stokes'sches  Atmen  beim  Coma  diabeticum  etc.  597 

maurschen  Atmungen,  als  auch  der  Cheyne-Stokes'sche 
Atmangstypus  vorkommen  und  daß  beide  bei  demselben  Kranken 
miteinander  abwechselnd  auftreten  können,  und  in  Beobachtung  VI 
und  VII  haben  wir  Belege  dafür  beigebracht,  daß  beim  urämischen 
Coma  nicht  nur  das  Cheyne-Stokes'sche  Atmen  vorkommt,  sondern 
daß  manchmal  die  großen  KußmauT  sehen  Atmungen,  ohne  daß 
eine  Andeutung  von  Cheyne-Stokes'schem  Atmen  vorhanden  ist, 
allein  bestehen  können.  In  Fällen  von  Cheyne-Stokes'schem  Atmen, 
ebenso  wie  bei  den  Atmungen  Kußmaul's  braucht  der  betr.  Atmungs- 
typus nicht  bis  zum  Tode  anzuhalten.  Dies  gilt,  wie  die  Beobach- 
tung I  lehi't,  von  dem  Cheyne-Stokes'schen  Atmen  beim  Coma  dia- 
beticum, aber  auch  von  dem  beim  Coma  uraemicum  auftretenden. 
Herr  Kollege  E.  in  G.  berichtet  mir  über  einen  Patienten,  Herrn  H., 
44  Jahre  alt,  welchen  wir  am  8.  April  1904  gemeinsam  untersucht 
hatten,  und  bei  welchem  eine  chronische  Nephritis  und  eine  Beti- 
nitis  albuminurica  festgestellt  worden  war,  folgendes :  „Der  Kranke 
ist  am  22.  April  1904  urämisch  gestorben.  Es  bestand  bei  dem 
Patienten  in  der  letzten  Zeit  Cheyne-Stokes'sches  Atmen.  Das  Coma 
war  in  den  letzten  Lebenstagen  ein  sehr  tiefes.  Ungefähr  18  Stunden 
vor  dem  Tode  trat  Fieber  auf,  wahrscheinlich  bedingt  durch  eine 
links  hinten  unten  lokalisierte  Lungenaffektion.  Während  dieses 
fieberhaften  Stadiums  war  die  Atmung  sehr  beschleunigt  und  ober- 
flächlich". In  Fällen  aber,  in  welchen  das  Cheyne-Stokes'sche 
Atmen  überwunden  wird  und  die  Kranken  wieder  in  ein  mehr 
oder  weniger  leidliches  Wohlbefinden  gelangen,  kann  das  Aufhören 
des  Cheyne-Stokes'schen  Atmens  sich  anscheinend  auch  in  ver- 
schiedener Weise  vollziehen.  Ich  gedenke  hier  eines  in  meiner 
Klinik  beobachteten  Falles,  welchen  Fr.  Mann  in  seiner  Inaugural- 
dissertation (Über  einen  Fall  von  Cheyne-Stokes'schem  Atmen  mit 
günstigem  Ausgange.  Göttingen  1893)  beschrieben  hat.  Der  beti*. 
Kranke,  K.  S.  aus  F.,  ein  42  jähriger  Töpfer,  wegen  chronischer 
Nephritis  in  die  Göttinger  medizinische  Klinik  aufgenommen,  zeigte 
daselbst  in  der  Zeit  vom  12.— 15.  November  1891  die  Symptome 
eines  sehr  ausgesprochenen  Cheyne-Stokes'schen  Atmens.  Hierzu 
mag  noch  folgendes  bemerkt  werden:  Die  Pupillen  des  sehr  un- 
ruhigen Kranken  waren  mittelweit,  die  linke  reagierte  nicht  auf 
Lichteinfall.  Sie  zeigte  eine  Andeutung  von  Iriskolobom  ^nach 
unten;  es  fehlten  nämlich  daselbst  die  vorderen  Schichten,  das 
Pigmeutblatt  war  ziemlich  blotliegend.  W^ährend  der  Atempausen 
waren  die  Arterien  der  Netzhaut  fadendünn,  nur  in  der  Papille  zu 
sehen.     Bei   dem   Wiedereintreten   der   Atmung   füllten   sie   sich. 


598  XXXV.  Ebstiix 

Nachdem  am  15.  November  das  Cheyne-Stokes'scbe  Atmen  auf* 
gehört  hatte,  wurde  der  Atmungstypos  nicht  sofort  normal,  sondern 
es  bestand  unregelmäßiges  Atmen,  die  einzelnen  Atemzüge,  deren 
Zahl  im  Mittel  24  betrug,  waren  durch  unregelmS^ige,  rerschieden 
lange  Pausen  voneinander  getrennt.  Erst  am  23.  November  1891 
war  die  Unregelmäßigkeit  der  Atmung  beseitigt  und  die  Atmung 
war  wieder  regelmäßig  geworden. 

Aus  diesen  Tatsachen  läßt  sich  zwanglos  ableiten,  daß  zwischen 
dem  Cheyne-Stokes'schen  Atmen,  dem  KußmauFschen  großen  Atmen 
und  dem  unregelmäßigen  Atmen,  wie  wir  sie  bei  den  unter  ver- 
schiedenen Umständen  vorkommenden  comatosen  Zuständen,  so  z.  B. 
bei  dem  urämischen  sowie  dem  diabetischen  Coma  teils  als  Vor- 
läufer, teils  als  Begleiterscheinungen  derselben  auftreten  sehen, 
gewisse  Bindeglieder  existieren  m&ssen.  Beständen  sie  nicht,  würden 
wir  nicht  imstande  sein,  uns  das  Nebeneinandervorkommen  dieser 
Atmuugstypen  und  daß  der  eine  in  den  anderen  übergehen  kann, 
zu  erklären.  Die  experimentelle  Pathologie  im  allgemeinen  und 
speziell  die  experimentelle  Toxikologie  und  Pharmakologie,  sowie 
nicht  weniger  die  Physiologie  haben  es  sich  angelegen  sein  lassen, 
Erklärungen  über  das  Zustandekommen  dieser  modifizierten  Atem- 
bewegungen zu  geben.  Mein  pharmakologischer  Kollege,  Herr 
Jakobj,  hat  mit  liebenswürdiger  Bereitwilligkeit  mir  eine  aus- 
führliche Darstellung  über  die  Arzneikörper  und  Gifte  geliefert, 
aus  welcher  sich  ergibt,  daß  das  Oheyne-Stokes'sche  Atmungs- 
phänomen gelegentlich  im  Verlauf  von  Vergiftungen  mit  den  ver- 
schiedensten Giften  beobachtet  wird.  Es  würde  zu  weit  führen, 
an  dieser  Stelle  diese  spezielle  Seite  der  Frage  ausführlicher  auf- 
zurollen. Hoffentlich  veröffentlicht  Herr  Kollege  Jakobj  seine 
einschlägigen  Studien.  Ich  begnüge  mich,  im  Literaturverzeichnis 
die  von  Herrn  Kollegen  Jakobj  mitgeteilten  Literaturangaben 
anzuführen.  Betrachten  wir  die  Sache  von  einem  allgemeineren 
Gesichtspunkte,  so  dürfen  wir  das  Gheyne-Stokes'sche  Atmen  dem 
periodischen  Atmen  Mosso's  zuzählen.  A.  Mosso^)  hat  diese 
Atroungsform  genau  studiert  und  hat  ihr  seine  besondere  Aufmerk- 
samkeit zugewendet.  Er  unterscheidet  zwei  Formen  derselben 
nämlich  erstens  das  remittierende  Atmen,  bei  welchem  auch 
während  der  Pause  noch  eine  Andeutung  von  schwachen  Atem- 

1)  A.  Mosso,  La  respirazione  periodica  e  la  respirazione  snperflua  o  di 
lusso.  Atti  deir  Anad.  d.  Cincei  S.  4 ;  Memorie,  classe  di  scienze  fis.  matemat. 
Vol.  I  1885,  sowie  du  Bois  -  Reymond's  Archiv  1878  S.  451  (Cheyne-Stokes^sches 
Atmeu  bei  normalem  Schlaf). 


Cheyne-Stokes'sches  Atmen  beim  Coma  diabeticum  etc.  509 

bewe^nngen  vorhanden  ist  und  zweitens  das  intermittierende  Atmen, 
bei  welchem  die  Panse  der  Atmnng  eine  vollkommene  ist.  Daß 
diese  beiden  Formen  ineinander  tibergehen  können,  ergibt  sich,  wie 
schon  bemerkt  wurde,  aus  den  vorher  angeführten  kasuistischen 
Mitteilungen.  Mosso  betrachtet  auch  unter  physiologischen  Ver- 
hältnissen das  intermittierende  Atmen  als  eine  gar  nicht  sehr 
seltene  Erscheinung;  es  tritt  besonders  während  des  Schlafes  bei 
Kindern  und  bei  älteren  Leuten  auf.  Mosso  sieht  überhaupt  die 
periodische  Atmung  als  eine  physiologische  Erscheinung  an.  Er 
beobachtete,  daß  bei  vollständiger  Euhe  und  besonders  bei  tiefem 
Schlafe  nicht  nur  beim  Menschen,  sondern  auch  bei  Tieren  die 
Atembewegungen  keineswegs  immer  gleich-  und  regelmäßig  sind. 
Periodisch  treten  Gruppen  von  Inspirationen  auf,  welche  allmählich 
ihren  Umfang  und  ihre  Tiefe  vermehren  und  vermindem.  Um  die 
Natur  und  die  Ursachen  dieser  periodischen  Atmung  zu  ermitteln, 
stellte  Mosso  Tierversuche  an  Hunden,  Kaninchen  und  Tauben  an 
und  dabei  stellte  sich  heraus,  daß  nicht  alle  Individuen  in  gleicher 
Weise  eine  Disposition  für  diese  periodischen  Atmungen  haben. 
Dasselbe  gilt  auch  vom  Menschen.  Hunde  zeigten  bei  den  Mosso- 
sehen  Versuchen  nicht  selten  die  intermittierende  Atmung,  wenn 
ihnen  intraperitoneal  oder  besser  intravenös  Chloralhydrat  injiziert 
wurde.  Ferner  fand  Mosso,  daß  Inhalationen  von  Sauerstoff  eben- 
sowenig wie  die  künstliche  Atmung  die  Perioden  und  die  Inter- 
mittenzen  der  Atmung  zu  beeinflussen  vermögen.  Der  Blutkreislauf 
hat  einen  großen  Einfluß  auf  das  Zustandekommen  der  periodischen 
Atmung.  Was  das  Auftreten  derselben  unter  pathologischen  Ver- 
bältnissen  betrifft,  so  ist  Mosso  überzeugt,  und  man  darf  ihm 
nach  meinen  eigenen  Erfahrungen  darin  beistimmen,  daß  man  bei 
gehöriger  Achtsamkeit  bei  sehr  vielen  Krankheiten  die  periodische 
Atmung  wahrnehmen  wird.  Die  periodische  Atmung  wird  schwer- 
lich von  einem  Arzte  übersehen  werden,  wenn  sie  geräuschvoll  sich 
vollzieht.  Sie  wird  aber  nach  meinen  Erfahrungen  auch  von  gut 
geübten  Beobachtern  leicht  übersehen,  wenn  sie  geräuschlos  sich 
vollzieht.  Es  empflehlt  sich  bei  allen  benommenen  und  comatösen 
Kranken,  sich  an  deren  entblößtem  Thorax  den  Atmungstypus  an- 
zusehen. Mosso  erklärt  sich  das  Zustandekommen  der  periodischen 
Atmung  in  der  Weise,  daß  die  Centren  eine  Neigung  zur  Ruhe 
haben. 

Luciani  betont  in  seinem  Lehrbuch  der  Physiologie  gleich- 
falls, daß  die  periodische  Atmung  keine  lediglich  pathologische 
Erscheinung  sei,  sondern  daß  sie  auch  unter  physiologischen  Um- 


600  XXXV.   Ebsteik 

ständen  auftreten  könne.  Lnciani  widmet  dem  Gegenstände  eine 
ausführliche  Besprechung  und  kommt  zu  dem  Schlüsse,  daß  die 
periodische  Atmung  einen  direkten  Ausdruck  der  inneren  auto- 
matischen und  reflektorischen  Erregbarkeit  der  Atmungscentren 
bildet;  bei  der  Atempause  sei  eine  Herabsetzung  der  Erregbarkeit 
vorhanden,  welche  sich  bei  den  wiederkehrenden  Atembewegungen 
wieder  steigert.  Diese  Erregbarkeitsschwankungen  können  durch 
verschiedene  Momente  veranlaßt  werden,  gewöhnlich  ti*eten  sie  auf, 
wenn  die  Atmungscentren  im  Begriff  sind,  langsam  zu  sterben. 
Während  das  Cheyne-Stokes'sche  Atmen  die  Physiologen  lebhaft 
interessiert  hat,  ist  das  von  Kuß  maul  beschriebene  große  Atmen 
—  soweit  ich  die  Sache  übersehe  —  von  dieser  Seite  nicht  be- 
sonders beachtet  worden,  wohl  aber  wurde  beobachtet,  daß  unter 
verschiedenen  Bedingungen  auf  experimentellem  Wege  eine  Ver- 
langsamung bzw.  eine  Vertiefung  der  Atembewegungen  stattfindet, 
so  z.  B.  nach  der  Durchschneidung  der  beiden  Nn.  vagi,  bei  der 
Narkose,  nach  der  Abtragung  der  höher  gelegenen  Nervencentren. 
Es  darf  nun  aber  mit  vollem  Becht  behauptet  werden,  daß  in  allen 
diesen  Fällen  eine  Herabsetzung  der  reflektorischen  wie  der  auto- 
matischen Tätigkeit  vorhanden  ist,  so  daß  sowohl  die  Cheyne- 
Stokes'sche  Atmung  als  auch  die  KußmauFsche  große  Atmung  zum 
mindesten  unter  sehr  verwandten  Zuständen  des  Nervensystems 
Zustandekommen  können.  Warum  nun  in  dem  einen  Falle  häufiger 
der  eine,  in  dem  anderen  Falle  häufiger  der  andere  Atmungstypus 
vorkommt,  so  z.  B.  bei  dem  Goma  diabeticum  der  Eußmaursche,  bei 
dem  Coma  uraemicum  der  Cheyne-Stokes'sche  Typus,  warum  sich 
gelegentlich  beide  Atmungstypen  miteinander  kombinieren  oder 
alternieren,  das  sind  Fragen,  deren  definitive  Beantwortung  zurzeit 
nicht  wohl  möglich  ist.  Indes  lehrt  das  direkte  Altemieren  beider, 
daß  ihre  Entstehungsbedingungen  eine  große  Verwandtschaft  zeigen 
müssen.  Das  Vorkommen  von  veränderten  Atmungstypen  unter 
physiologischen  Verhältnissen  belehrt  uns,  daß  auch  bei  ihnen  zumal 
unter  den  bereits  erwähnten  Bedingungen  die  Erregbarkeit  der 
Atmungscentren  Schwankungen  unterliegt,  welche  unter  pathologi- 
schen Verhältnissen  eine  wesentliche  Steigerung  erfahren,  wodurch 
erfahrungsgemäß  für  das  betr.  Individuum  große  Gefahren  erwachsen. 


Abgesehen  von  der  im  Text  erwähnten  Literatur  seien  fol- 
gende einschlägige  Arbeiten  angeführt: 

Blasinsn.  Schweitzer,  Elektrotropismns  n.  verwandte  Erscheinungen.  Pfiäger's 
Arch.  Bd.  53,  1893.   (Bei  galvanischer  Durchströmong  bei  Fischen.) 


Cheyne-Stokes'scheB  Atmen  beim  Coma  diabeticum  etc.  601 

Bordoni,  Sol  tipo  respiratorio  di  Cheyne-Stokes.   Siena  1886. 

Braun,  Zeitschrift  f.  med.  Beamte  19C2  Nr.  18  (Chejne-Stokes'sches  Atmen  bei 

Seh  wef elkohlenstoff V  ergif  tnn  g) . 
C  ohn ,  Über  die  Bedeutung  des  negativen  Thoraxdrucke«.   Pflüger'a  Archiv  Bd.  37 

1885  p.  218.  (Nach  Scnließnng  eines  künstl.  Pneumothorax.) 
Falk,    Einfluß  des  Alters  auf  die  Wirkunc:  des  Strychnins.     Pflüger's  Archiv 

Bd.  34  1884  p  552.   Vergleich  mit  Strjchninatmung. 
Filehne,   Arch.  f.  exp.  Pathol.  u.  Pharmakol.  Bd.  X  p.  442 ff.  Bd.  XI  p.  45 ff. 

Berl.  klin.  Wochenschr.  189ö.   (Chejne-ätokes'sches  Atmen  bei  Morphin.) 
Filehne  u.  Eiouka,    Über  die  Blutgase  normaler  und   morphinisierter  usw. 

Pflü^er's  Arch.  Bd.  62  1896  p.  238.  (Cheyne-Stokes'sches  Atmen  bei  Morphium- 

Vergiftung.) 
Heidenhai,  Arch.  f.  ges.  Physiologie  1876  Bd.  IV  p.  554.   (Cheyne-Stokes'sches 

Atmen  bei  Chloralhydrat.) 
Jacoby,  Cheyne-Stokes'sches  Atmen  infolge  Ver^fiftnng  mit  dem   Toxin  des 

Fliegenschwammes  (in  dessen  wissensch.  Aufzeichnungen). 
£rehl,  Pathologische  Physiologie  p.  212.   (Bei  Blausäureversiftung.) 
Kunkel,  Lehrbneh  d.  Toxikologie  1899 — 1901.    (Cheyne-Stokes'sches  Atmen  bei 

Atropin  p.  709.  bei  Cocain  u.  Blausäure  p.  504,  Chlorsaures  Kali  p.  301.) 
Lew  in,  Nebenwirkungen  usw.  1893.      (Cheyne-Stokes'sches  Atmen  bei   Cocain 

S.  263,   Salicylsäure  8.  ö02,   Chloralhydrat  S.  167,    Antipyrin   und   Exalgin 

S.  548.) 
Marchand , .  Arch.  f.  exp.  Pathol.  u.  Pharmak.  XXIII  p.  295.  (Cheyne-Stokes^sches 

Atmen  bei  chlorsaurem  Kali .) 
Murri,  Suir  origine  pathologica  de  respiratoria.    Eivista  clinica  1885.         , 
Bumpf ,   Unters.  Über  d.  V^rmeregulation.    Pflüger's  Arch.  Bd.  33,  1884.    (Be- 

zu^  auf  Filehne's  Theorie). 
Sherrington,Noteon  Cheyne-Stokes  breathing in the  frag.  Journal of  Physiology . 

Vol.  XII  1891. 
Smisnow,  Centralbl.  f.  d.  med.  Wissensch.  1884  Nr.  37  p.  641.  (Cheyne-Stokes- 

sches  Atmen  bei  Schwefel  Wasserstoff  Vergiftung.) 
Szymonowicz,  Die  Funktion  der  Nebenniere.     Pflttger's  Arch.  Bd.  64  1896 

(Cheyne-Stokes'sches  Atmen  nach  Nebennierenextraktinjektion.) 
Trzebicky,  Wiener  med.  Wochenschr.  1891  Nr.  38.   (Cheyne-Stokes'sches  Atmen 

bei  Cocainvergiftung.) 
Unverricht,   Wiener  med.  W^ochenschr.  1892.   (Cheyne-Stokes'sches  Atmen  bei 

Morphium  u.  Hyoscyamin.) 
Weckerling,  Deutsches  Arch.  f.  klin.  Med.  1877  p.  319.    (Cheyne-Stokes'schea 

Atmen  bei  Salicylsäurevergiftung.) 
W einrieb,  Berl.  klin.  Wochenschr.  1896  Nr.  12.    (Cheyne-Stokes'sches  Atmen 

bei  Cocain.) 


Dentschea  Archiv  f.  klin.  Medizin.    LXXX.  Bd.  39 


XXXVI. 

Bemerkungen  zu  der  Arbeit  der  Herren  y.  K^tly  und  y.  Torday, 

^Über  die  Verwertung  des  kryoskopischen  Verfahrens  bei  der 

Beurteilung  der  Resorption  chronischer  Brnstfellexsudat«  ete«"^ 

in  Nr.  5  und  6  des  79.  Bandes  des  Arch.  f.  kl.  Med. 

Von 

Dr.  med.  D.  Rothschild, 

Bad  Soden  am  Taunus. 


Bei  Durchsicht  der  Budapester  Arbeit  über  die  Exsudatresorption 
fiel  mir  eine  ungewöhnliche  Übereinstimmung  der  wichtigsten  ^Schluß- 
folgerungen^ mit  meinen  eigenen  im  Aprilheft  1903  der  Therapie  der 
Gegenwart  publiziertet!  Untersuchungen  über  den  gleichen  Gegenstand 
auf.  Zu  meinem  Erstaunen  fand  ich  jedoch  nicht  nur  die  gleichen  Ke- 
Hultate,  sondern  auch  den  Urtext  meiner  zitierten  Arbeit  absatzweise, 
wortgetreu  in  der  Budapester  Arbeit  wieder,  dergestalt,  daß  gar  kein 
Zweifel  darüber  besteben  kann,  daß  meine  eigenen  Ausführungen  mit 
ganz  nebensächlichen,  scheinbaren  Abweichungen  Grundlage  und  Inhalt 
der  BudapeHter  Abhandlung  bilden.  Höchstens  im  Satzbau  haben  sich 
die  ungarischen  Autoren  die  Mühe  genommen,  etwas  von  dem  Sodener 
Muster  abzuweichen.  Wie  unwesentlich  diese  Abweichungen  sind,  mag 
aus  einer  Gegenüberstellung  einiger  Teile  des  Originals  und  der  Pester 
Kopie  hervorgehen: 


Urtext 
Therapie  der  Gegenwart  1903. 

....  Es  kommt  häufig  vor,  daß 
lang  bestandene,  auch  große  Pleura- 
ergüsse nach  einer  vielleicht  zu 
diagnostischen  Zwecken  gemachten 
Probepunktion  rasch  und  vollstän- 
dig verschwinden.  Ich  rechne  zu 
den  einer  exakten  Erklärung  noch 
harrenden  Punkten  zweitens  die 
immer  wieder  beobachtete  Erschei- 
nung, daß  pleuritische  Exsudate 
nach  vollständiger  oder  nach  mög- 
lichst vollständiger  Entleerung  durch 


Budapester  „Arbeit'' 
5.  u.  6.  Heft  79.  Bd.  Arch.  f.  kl.  Med. 

....  Wir  sehen,  daß  einzelne  Ex- 
sudate nach  der  aus  diagnostischem 
Zwecke  vorgenommenen  Probepunk- 
tion resorbiert  werden. 


Andere  vermehren  sich  dagegen 
von  neuem  trotz  der  wiederholt 
vorgenommenen     Punktion ,      ohne 


Bemerkunfi^n  zu  der  Arbeit  der  Herren  t.  K6tly  und  v.  Torday  etc.    603 


Punktion  oder  Thoracocentese  sich  in 
ganz  kurzer  Zeit,  oft  schon  nach 
wenigen  Stunden  wieder  ansammeln, 
ohne  daß  Fieber  oder  sonstige  Er- 
scheinungen auf  ein  Fortbestehen 
des  ursprünglich  vorhandenen  Ent- 
zündungsprozesses hindeuten. 

Drittens  möchte  ich  darauf  hin« 
weisen,  daß  abgekapselte  Exsudate, 
......  oft  monatelang  unverän- 
dert umhergetragen  werden,  ohne 
die  geringste  Tendenz  zur  Auf- 
saugung, bis  sie  schließlich  ganz 
bestimmten,  und  in  ihrer  Bedeutung 
Hm  Schlüsse  dieser  Arbeit  zu  wür- 
digenden therapeutischen  Eingriffen 
weichen,  viertens  erinnere  ich  an 
Vorgänge,  wie  sie  von  Litten 
beobachtet  sind,  .  .  .  ,  daß  nämlich 
zwischen  Exsudathöhe  und  Fieber- 
höhe absolut  kein  kongruentes  Ver- 
halten besteht,  vielmehr  sehr  häufig 
trotz  fallenden  Fiebers  ....  die 
Exsudate  unbekümmert  ansteigen 
oder  umgekehrt  trotz  bestehenden 
Fiebers  sich  resorbieren. 


daß  wir  den  Grnnd  dafür  angeben 
könnten. 


Abgekapselte  Exsudate  können 
monatelang  bestehen,  ohne  die  ge- 
ringste Neigung  zur  Resorption,  bis 
sie  aus  irgendeinem  Grunde  resor- 
biert werden. 


I 


Auffallend  und  unaufgeklärt  ist 
auch  die  Tatsache,  daß  zwischen 
dem  Fortschreiten  des  Exsudats 
und  dem  Fieber  kein  kongruentes 
Verhältnis  besteht;  das  Exsudat 
kann  ohne  Fieber  wachsen  und  kann 
trotz  des  Fiebers  resorbiert  werden. 


Nachdem  die  Herren  die  vier  Punkte .  welche  mir  unaufgeklärt 
schienen  und  mich  zur  Anstellung  meiner  Untersuchungen  s.  Zt.  ver- 
anlaßt hatten,  abgeschrieben  haben,  suchen  sie  nun  durch  etwas  Durch- 
einanderwerfen der  einzelnen  Sätze  und  Schlußfolgerungen  über  die 
Resorptionsvorgänge  bei  Pleuraexsudaten  den  Eindruck  selbständiger 
Arbeit  zu  erwecken,  dem  Leser  beider  Arbeiten  wird  die  absolute  Iden- 
tität jedoch  ohne  weiteres  einleuchten.  Jeder  citierte  Versuch  ist  glatt 
übernommen,  irgendein  selbständig  angestellter  fehlt  vollkommen.  Von 
Naivität  zeugt  es  jedoch,  wenn  die  Herren  mir  in  der  Erklärung,  warum 
nach  Herstellung  osmotischen  Gleichgewichts  zwischen  Exsudat  und  Blut, 
demnach  ein  Flüssigkeitsstrom  vom  Exsudat  nach  dem  Blute  unterhalten 
wird,  in  folgender  Weise  beipflichten: 


Urtext: 

Wenn  auch  nicht  bestritten  werden 
kann ,  daß  bei  einer  Entzündung 
der  Pleura  Wandungen  die  Lymph- 
gefäße und  Stomata  zum  größten 
Teile  verödet  oder  doch  wenigstens 
durch  Fibrinauflagerung  und  an- 
dere Entzündungsprodukte  verstopft, 
mit  einem  Wort  für  den  Durch- 
gang   und     die    Wegschaffung    von 


I 


Pester  ..Arbeit". 

....  Da  nun  bei  der  Entzün- 
dung des  Brustfelles  die  bei  der 
Resorption  eine  wichtige  Rolle  spie- 
lenden Lymphwege  und  Stomata 
teilweise  zugrunde  gehen,  teilweise 
durch  Endzündungsprodukte  ver- 
stopft werden  und  so  ihrer  physio- 
logischen Bestimmung  nicht  ent- 
sprechen  können,    so  kann  die  zu* 

39* 


604 


XXXYL    JLOTHlOHlIiD 


FlÜBBigkeit  unbranebbar  gamaebt 
sind,  so  köDote  man  immer  noch 
gegen  die  ÄDDabme,  daß  in  soleben 
Fällen  osmotiscbe  Vorgänge  in  aller- 
erster Linie  der  Wegscbafiiing  der 
Exsudate  dienen ,  einwenden,  daß 
nacb  Herstellung  des  osmotiscben 
Gleicbgewicbts  zwischen  Exsudat 
und  Blut  eigentlich  kein  osmotisches 
GefElle  mehr  existiert,  das  als  Trieb- 
feder für  die  Wanderung  des  Ex- 
sudats aus  dem  Pleuraräume  in  die 
Capillaren  angesprochen  werden 
könnte. 

IJm  zu  einer  richtigen  Erklärung 
dieser  Vorgänge  zu  gelangen,  muß 
ich  auf  die  Arbeit  von  Roth  und 
Strauß  ans  der  8 e n a t o raschen 
Klinik  aufmerksam  machen.  Roth 
hat  gezeigt,  daß  die  lebende  Ca- 
pillarwand  für  EiweißstofPe  schwerer 
durchgängig  ist,  als  für  Salae  und 
daß  die  Ausgleichungsprozesse  durch 
eine  Membran  in  dem  Falle,  wenn 
ein  Unterschied  der  gesamten  mole- 
kularen KoDcentration  der  beiden 
Flüssigkeitsschichten  besteht,  immer 
nur  von  der  minder  koncentrierten 
zur  hoher  koncentrierten  verlaufen, 
unabhängig  von  der  partiären  Zu- 
sammensetzung der  Flüssigkeiten. 
In  dem  Falle  jedoch ,  wenn  die 
molekulare  Gesamtkonoentration  auf 
beiden  Seiten  gleich  ist,  richtet  sich 
die  FlüssigkeitsbeweguDg  nach  der 
Seite,  wo  ein  Überschuß  an  solchen 
Molekülen  vorhanden  ist,  für  welche 
sich  die  Gapillarwand  im  Vergleich 
zu  andern  schwerer  permeabel  zeigt. 
Als  solches  Molekül  ist  im  Organis- 
mus im  wesentlichen  das  Eiweiß  zu 
nennen.  Senator  hat  in  seiner 
Abhandlung  über  die  Transudation 
und  Exsudation  darauf  hingewiesen, 
daß  die  Exsudate  trotz  ihres  von 
^/^  p.  M.  und  noch  weniger  bis  zu 
20  p.  M.  und  darüber  schwanken- 
den Eiweißgehaltes  ....  stets  einen 
geringeren    Eiweißgehalt    aufweisen 


weilen  vorkommende  Resorption  ovr 
ans  der  Osmose  erklärt  werden. 
Gkgen  die  Bedeutung  der  Osmose 
könnte  man  einwenden,  daß,  nach- 
dem das  osmotische  Gleicbge wicht 
zwiBoben  dem  Blnte  und  der  Flüssig- 
keit zustande  gekommen  ist,  es  kein 
solches  bewegendes  Agens  mehr  gibt, 
welches  die  Ursache  der  Auswan- 
derung der  Exsudation  der  Capil- 
laren bilden  könnte. 


Warum  die  Flüssigkeit  in  solchen 
Fällen  trotsdem  in  die  Capillaren 
überfließt,  das  erläuterten  Roth 
und  Strauß  auf  richtige  Weise, 
indem  sie  erwiesen  haben,  daß  die 
lebende  capilläre  Scheidewand  für 
Eiweißsnbstanzen  schwerer  durch- 
gängig ist  als  für  Sidze,  und  daß 
die  Flüssigkeiten,  wenn  in  ihrer 
molekularen  Koncentration  ein  Un- 
terschied besteht,  sich  durch  die 
Membran  in  der  Weise  ausgleichen, 
daß  die  Strömung  von  der  Flüssig- 
keit geringerer  Koncentration  zu 
der  höherer  Koncentration  vor  sich 
geht,  ohne  Rücksicht  auf  die  par- 
tielle Zusammensetzung  der  Flüssig- 
keiten. Wenn  aber  die  molekulare 
Konzentration  beider  Lösungen  eine 
gleiche  ist,  da  wird  die  Strömung 
der  Flüssigkeit  in  der  Richtung  er- 
folgen, wo  diejenigen  Muleculae  im 
Überfluß  sind,  für  welche  die  capil- 
läre Wand  im  Vergleiche  zu  der 
andern  schwerer  durchgängig  ist. 

Solche  Moleculae  besitzt  das  Ei- 
weiß des  Blutes,  für  weldie  die  ca- 
pilläre Wand  weniger  durchgängig 
ist,  als  für  das  Eiweiß  des  Exsu- 
dats. Der  Eiweißgehalt  des  Exsu- 
dats ist  geringer  als  der  des  Blut- 
serums. Senator  hat  erwiesen,  daß 
die  Exsudate  trotz  ihres  hohen  Ei- 
weißgehaltes weniger  Eiweiß  ent- 
halten,   als  das   Blutserum,    dessen 


Bemerkungen  zu  der  Arbeit  der  Harren  v.  Ketly  nnd  y.  Torday  etc.    605 


wXb  das  Blutserum,  dessen  Eiweiß«- 
fehalt  nach  Hammarstea  8,5  % 
beträgt.  Der  Eiweißgehalt  ist  ja, 
wie  D  res e r  gezeigt  hat,  von  außer- 
ordentlich  geringfügigem  Einfliuae 
auf  die  molekulare  Koncentratton 
des  Blutes,  denn  nach  Ausfüllung 
der  gesamten  Eiwelßvievge  steigt 
der  GefrierpuAkt  des  Blutes  nur  um 
0,01^  C.  Trotzdem  werden  wir  mit 
Böth  annehmen,  daß  nach  Her- 
stellung des  osmotischen  Gleich» 
gewichte  durch  osmotischen  Wasser- 
ansgleioh  der  höhere  Eiweißgehalt 
des  Blutes  genügt,  um  einen  dauern- 
den Wasserstrom  aus  einem  Exsu- 
dat nach  den  Blutcapillaren  zu 
unterhalten  und  dadurch  zu  einer 
Besorption  des  Exsudats  zu  führen. 
Man  könnte  schließlich  noch  ein- 
wenden, daß  vielleicht  die  in  den 
Exsudaten  vorhandenen  Eiweißmole- 
küle geringere  Größe  hätten  als  die 
im  Blute  vorhandenen  und  dadurch 
diesen  ein  erheblicherer  Einfluß  auf 
den  Gefrierpunkt  zukomme  als  jenen. 
Demgegenüber  muß  darauf  hinge- 
wiesen werden,  daß,  wie  Senator 
schon  mit  größtem  Nachdruck  be- 
tont hat,  die  Eiweißkörper  der  Ex- 
sudate dieselben  sind,  wie  die  des 
Blutplasmas  und  daß  Blum  mit 
Hilfe  seiner  Bestimmung  der  Jod- 
zahl der  Eiweißkörper  ebenfalls  zu 
dem  Schlüsse  gekommen  ist,  daß 
die  in  den  Exsudaten  befindliehen 
Eiweißmoleküle  sich  nicht  von  den 
im  Blutserum  vorhandenen  unter- 
scheiden. 


Ich  kann  hiernach  wohl  füglich  auf  weitere  Proben  von  der  großen 
Ähnlichkeit  der  ungarischen  Arbeit  mit  der  meinigen  verzichten,  muß 
nur  meinem  Befremden  darüber  Ausdruck  geben,  daß  die  Herren  die 
meiner  Arbeit  entnommenen  Schlußfolgerungen  als  ihre  eigenen  bezeichnen. 
Abgesehen  von  den  Versuchen  über  analoge  Untersuchungen  mit  Peri- 
tonealexsudaten ,  bei  welchen  überdies  nichts  herausgekommen  ist,  sind 
sämtliche  Behauptungen  in  allen  ihren  Teilen  meiner  Arbeit  entnommen. 

Der  irreführende  Versuch  es  so  hinzustellen,  als  ob  ich  die  Er- 
kenntnis   der    Bedeutung    des    kryoskopischen    Verhaltens    der    Fleura- 


Siweißg^alt  nach  Hammarsten 
6,5  ^Iq  beträgt  Obzwar  durch  D  r  e- 
ser  erwiesen  wurde,  daß  der  Ei- 
weißgehalt des  Blutes  auf  dessen 
molekulare  Koneentration  nur  ge- 
ringen Einfluß  hat,  denn  nach  Ent* 
fernung  säwtliohen  Eiweißes  steigt 
der  Gefrierpunkt  um  0,01  ®  O , 
müssen  wir  mit  Böth  doch  an- 
nehmen, daß,  nachdem  dun^  Flüssig- 
keitsausgleichung  osmotisches  Gleich- 
gewicht entstand,  der  größere  Ei- 
weißgehalt des  Blutes  den  Grund 
dazu  bietet,  daß  die  Strömung  von 
der  Flüssigkeit  zu  den  Capillaren 
vor  sich  gehe  und  auf  diese  Weise 
die  Besorption  des  Exsudats  zu- 
stande komme.  Angeführt  könnte 
werden ,  daß  die  Eiweißmoleküle 
der  Exsudate  nicht  die  glei<^e 
Größe  haben,  wie  diejenigen  des 
Blutes  und  deswegen  die  ersteren 
nicht  denselben  Einfluß  auf  den 
Gefrierpunkt  ausüben,  als  die  Blut- 
moleküle. Das  Gegenteil  dieser  Auf- 
fassung würde  die  Ansicht  Sena- 
tor's  lehren,  welcher  betont,  daß 
das  Eiweiß  des  Exsudats  und  das 
des  Blutserums  dasselbe  ist,  zu 
welchem  Kesukat  auch  Blum  mit 
Hilfe  der  Jodbestimmung  gekom- 
men ist. 


i 


606  XXXVr.  Rothschild,  Bemerkungen  etc. 

exsudate  nur  zu  dem  Zwecke  der  Erklärung  gewisser  diätetischer  oder 
balneologischer  therapeutischer  Einwirkungen  auf  die  Resorption  gemacht 
hätte,  ist  hinfällig. 

Ich  habe  bereits  klar  gezeigt,  daß  Ezsndate,  die  eine  geringere 
molekulare  Koncentration  besitzen,  als  das  Blut,  ohne  weiteres  resorbiert 
werden;  ich  habe  weiterhin  darauf  hingewiesen,  daß  nur  bei  normaler 
Nierentätigkeit  dieser  Schluß  gesogen  werden  darf.  Ich  habe  ferner  be- 
tont, daß  wir  da,  wo  die  Probepunktion  ein  molekular  höher  koncen- 
triertes  Exsudat  als  das  Blut  ergibt,  unbedingt  punktieren  müssen,  da 
eine  Spontanresorption  nur  dann  zu  erwarten  ist,  wenn  keine  Ver- 
wachsungen  der  Verdünnung  des  Exsudats  auf  die  molekulare  Blut- 
koncentration hinderlich  sind.  Und  ich  habe  schließlich  nur  für  die 
Fälle,  die  zeitweilige  Erhöhung  des  osmotischen  Blutdrucks  auf  den 
Druck  der  Exsudate  als  resorptionsbeförderndes  Mittel  empfohlen ,  in 
welchen  die  Funktion  nicht  gelingt. 

Ich  habe  übrigens  seit  Veröffentlichung  meiner  Arbeit  die  Unter- 
suchungen fortgesetzt  und  werde  die  Ergebnisse  in  Kürze  veröffentlichen. 

Die  Arbeit  der  Herren  v.  K6tly  und  v.  Torday  ist  somit  ein 
Referat  meiner  im  April  1903  in  der  Therapie  der  Q-egenwart  veröffent- 
lichten Arbeit. 


XXXVII. 
Erwideraiig  zu  den  obigen  Bemerkungen  Herrn  Bothsehild's. 

Von 

Dr.  L.  V.  K6tly, 
Universitätsadjunkt  der  II.  internen  Klinik  in  Budapest. 

Auf  Herrn  Rothschild 's  BemerküDgen  wollen  wir  nur  in  Kürze 
folgendes  erwidern: 

Die  im  ersten  Abschnitte  seiner  Bemerkungen  von  seiner  und  unserer 
Arbeit  zum  Vergleiche  gegenübergestellten  Sätze  enthalten  durchwegs 
pathologische  Erfahrungstatsachen,  welche  wir  nicht  nur  in  Herrn  Koth- 
8  c  h  i  l  d  ^s  Arbeit;  sondern  in  jedem  Lehrbuche  finden,  und  welche  so  ein- 
fach sind,  daß  es  schwer  wäre  sie  mit  anderen  Worten  als  die  oben  ge- 
schriebenen auszudrücken.  Nachdem  wir  daher  annehmen  müssen,  daß 
diese  Sätze  nicht  Herrn  Rothschild 's  Eigentum  sind,  liegt  kein  Grund 
vor  wegen  dieser  Übereinstimmung  beider  Arbeiten  von  Plagium  zu 
sprechen. 

Daß  wir  nicht  von  selbständiger  Idee  ausgingen ,  sondern  Herrn 
Rothschild 's  Arbeit  benutzten,  ist  doch  in  unserer  Arbeit  ausdrück- 
lich und  unzweideutig  ausgesprochen.  Daß  aber  unsere  Versuche  aus 
seiner  Arbeit  glatt  übernommen  seien,  können  wir  nicht  zugeben.  Aus 
unserer  Klinik  mit  dem  Namen  ihres  Direktors  Hofrat  Dr.  Karl  v.  Ketly 
erschienen  jährlich  mehrere  Arbeiten  in  den  vornehmsten  deutschen  Blättern 
und  sie  werden  gerne  citiert;  ich  will  hier  nur  die  von  uns  beiden  in 
diesem  Archiv  1903,  77.  Bd.  erschienene  Arbeit:  „Inwiefern  ist  die 
Cytodiagnostik  bei  der  Beurteilung  der  Brust-  und  Bauchhöhlenflüssig- 
keiten zu  verwerten?^  erwähnen.  Übrigens  kann  sich  Herr  Rothschild 
die  Mühe  nehmen  und  sich  persönlich  die  Krankengeschichten,  welche 
im  ungarischen  Original artikel  ^)  in  voller  Zahl  veröffentlicht  sind ,  auf 
der  Klinik  vorlegen  lassen.  In  der  deutschen  Übersetzung  vor  der  Ab- 
handlung, wurden  die  Krankengeschichten  auf  Verlangen  der  Redaktion 
verkürzt,  und  die  deutsch  veröffentlichten  Krankengeschichten  wurden 
vom  Herrn  Redakteur  ausgewählt. 

Daß  wir  in  der  Einleitung  unserer  Arbeit,  welche  er  seiner  Ab- 
handlung gegenüberstellt  und  welche  die  Literatur  des  Themas  behandelt, 
unter  den  vielen  Namen  den  seinigen  ausgelassen  haben,  geschah  sicher 
nicht   mit  Willen.     Der   Ideengang  dieses   Teiles    unserer  Einleitung   ist 


1)  Orvosi  Hetilap  1903. 


60g     XXXVII.  KAtlTj  Erwid.  zu  den  olrigai  Bemerkaagea  Herrn  Botschild's. 

wohl  eines  Teiles  Rothschild 's  Arbeit  sehr  ähnlich,  was  aber  sehr 
natürlich  scheint,  wenn  wir  in  unserer  Arbeit  weiter  lesend  folgendes 
treffen  ,,aiifgemnntert  dnrch  die  erfolgreichen  Untersuchungen  Roth- 
schild 's,  forschten  wir  danach  .  .  .  ** 

Wir  wollten  daher  Herrn  Rothschild 's  ünterBUchnngen  mä 
unserem  Materiale  nachprüfen,  zu  welchem  Zwecke  wir  15  Fälle  in  diesem 
Sinne  untersuchten;  die  Selbständigkeit  unserer  Versuche  zu  bezweifeln  hat 
Herr  Rothschild  kein  Recht,  und  wenn  er  es  auch  weiterhin  tut,  so 
kann  dies  nur  als  UiBverständnis  aufgefaßt  werden.  Herr  Rothschild 
sagt  weiter  n  .  .  .  die  Herren,  die  die  meiner  Arbeit  entnommenen  Schluß- 
fblgerangen  als  ihre  eigenen  bezeichnen  .  .  .  ^  Diese  seine  Bemerkung 
entspricht  nicht  den  Tatsachen,  denn  wir  haben  ja,  wie  schon  gezeigt, 
seine  Untersuchungen  nachgeprüft  und  haben  mit  unseren  Untersuchungen 
dasselbe  Resultat  erreicht  wie  er,  wir  mußten  daher,  was  übrigens  für 
ihn  nur  schm«iehelhaft  sein  kann,  seine  Schlußfolgerungen  bestärken. 
Außerdem  haben  wir  aber  auch  Neues  gebracht  von  den  Bauchflüssig- 
keiten,  mit  welchen  er,  wie  er  es  eingesteht,  sich  nidit  befiißte.  Seine 
Bemerkung,  daß  wir  mit  diesen  Versuchen  kein  poekives  Resultat  er- 
reichten, ist  nicht  richtig,  weil  doch  in  der  Wissenai^aft  auch  ein  negatives 
Resultat  ein  Resultat  iat^  da  diese  Verhältnisse  bisher  noch  niemand 
studiert  hat.  Wenn  Herr  Rothschild  sich  die  Hübe  genommen  hätte, 
unsere  Arbeit  etwas  aufmerksamer  durchzulesen,  so  hätte  er  sehen 
müssen,  daß  bei  den  tuberkulösen  Bauchexsudaten  ja  doch  etwas  Positivea 
auch  herauBgekommen  ist.  Herr  Rothschild  hat,  wie  es  seheint,  seine 
Arbeit  mit  therapeutischem  Zwecke  gemacht^  wae  aucb  der  Titel  zeigt: 
ffZxa  Nachbehandlung  pleuritiscber  Exsudate.^  Es  scheint  Herrn  Rothr- 
schild  wehe  zu  tun,  daß  wir  diesen  seinen  Schlußfolgerungen  nicht  bet- 
stimmen, sondern  zur  therapeutischen  Verfabrung  dieses  Leidens  nur 
die  einfache  Punktion  anraten. 

Ich  war  zwar  bemüht,  hiermit  die  ziemlich  breitgefaßten  Angrtffi» 
Herrn  Rothschild 's  in  Kürze  zu  beantworten,  ich  hoffe  dennoch,  daE 
dies  keinen  Grund  geben  wird,  daß  er  diese  Erwiderung  als  einfachea 
Referat  seiner  „Bemerkungen^^  erklären  wird,  wie  er  es  unserer  Arbeit 
in  den  letzten  Satz  seines  Angriffes  zumutet.  Diese  Behauptung 
klingt  um  so  eigentümlicher,  da  doch  unsere  Arbeit  umfangreicher  ist 
als  seine,  und  sein  Name  doch  in  unserer  Einleitung  erwähnt  und  in 
dem  Literaturverzeichnisse  unter  Nr.  8  eingereiht  ist;  was  wir  nicbt  ga- 
tan  hätten,  wenn  wir  seine  Ideen  als  die  unserigen  kundgeben  wollten« 

Herrn  Rothschild  erklären  wir  nochmals  feierlich,  daß  wir  znm. 
Ausgangspunkt  unserer  Arbeit  seine  Abhandlung  benützten. 


Mit  dieser  Diskussion  ist  die  Angelegenheit  für  die  Redaktion  dea 

Archivs  erledigt. 


xxxviri. 

Besprechungen. 

1. 

Schwalbe,  Julius,  Prof.  Dr.  (Berlin),  Grundriß  der  praktischen 
Medizin  mit  Einschluß  der  Gynäkologie  (bearbeitet 
von  Dr.  A.  Czempin)  und  der  Haut-  und  Geschlechts- 
krankheiten (bearbeitet  von  Dr.  M.  Joseph).  Dritte  ver- 
mehrte Auflage.  Stuttgart,  Verlag  von  Ferdinand  Enke.  1904. 
Das  Bach  ist  für  Studierende  und  Arzte  bearbeitet  und  mit  65  in 
den  Text  gedruckten  Abbildungen  versehen ,  welche  da  trefflich  ein- 
springen, wo  es  sich  darum  handelt,  Dinge,  welche  sich  schlecht  be- 
Echreiben  lassen,  mühelos  dem  Verständnis  rasch  zu  erschließen.  Wenn 
ein  solches  Buch  wie  das  Schwalb  e'sche  zum  dritten  Male  aufgelegt  wird, 
so  hat  es  seine  Feuerprobe  bestanden  und  verdient  einige  Worte  in 
diesem  den  Interessen  der  medizinischen  Wissenschaft  und  der  Praxis 
gewidmeten  Archive.  Das  Schwalb  ersehe  Buch  bt  frei  von  aller  Phrase, 
es  ist  überaus  inhaltreich  und  der  Stoff  ist  geschickt  und  übersichtlich 
angeordnet.  Das  Buch  bewährt  sich  als  Nachschlagebuch  für  den  an- 
gehenden Arzt  beim  klinischen  Unterricht  und  beim  Selbststudium.  Für 
den  Arzt  aber  ist  das  Buch  ein  zuverlässiger  bündiger  Führer.  Es  ist 
von  einem  Manne  geschrieben  und  wiederholt  gründlich  durchgearbeitet, 
welcher  aus  eigener  Erfahrung  und  durch  fleissiges  Studium  weiß,  was 
seinen  Fachgenossen  not  tut.  Deshalb  ist  einer  verständigen  Bearbeitung 
der  Therapie  auch  ein  breiter  Kaum  gewidmet.  Die  Beigabe  der  wich- 
tigen Kapitel  über  die  Haut-  und  Geschlechts-  sowie  über  die  Frauen- 
krankheiten von  fachmännischer  Seite  wird  jeder  mit  Freude  begrüßen. 
Daß  ein  bei  Herrn  Enke  erschienenes  Buch  an  Zweckmäßigkeit  und  Ge- 
diegenheit der  Ausstattung  nichts  zu  wünschen  läßt,  wird  keinen  über- 
raschen, welcher  den  guten  Geschmack  und  den  praktischen  Sinn  dieses 
Verlegers  kennt.  W.  Ebstein  (Göttingen). 


2. 

J.  Arneth,  Die  neutrophilen  weißen  Blutkörperchen  bei  Infektions- 
krankheiten. G.  Fischer,  Jena  1904. 
Verfasser  hat  es  unternommen,  das  morphologische  Verhalten  der 
verschiedenen  Leukocytengattungen  bei  den  Infektionskrankheiten  im  ein- 
zelnen zu  verfolgen.  Er  teilt  seine  Resultate  an  den  neutrophilen  (poly- 
morphkernigen)   Leukocyten  mit.      Die  Methodik,    die    ihm  eine  Analyse 


610  XXXVIII.  BesprechuDgen.    Berichtigungen. 

der  neutrophilen  Zellen  gestattet,  beruht  neben  der  Bestimmung  ihrer 
Größen verhältniüse  (Messung  an  Ausstrichtrockenpräparaten)  hauptsächlich 
auf  Differenzierung  derselben  nach  der  Konfiguration  ihrer  Kerne.  Auf 
diesem  Wege  kommt  A.  zu  einer  Einteilung  in  5  Klassen  von  der  ein- 
fachsten (ursprünglichsten)  Kernform  bis  zur  fortgeschrittenen  Fragmen- 
tation. 

Gegenüber  einem  so  gewonnenem  beim  Gesunden  konstanten  „nen- 
trophilem  Blutbild^  findet  A.  bei  den  meisten  Infektionskrankheiten  eine 
Verschiebung  dieses  Blutbildes  in  dem  Sinne,  daß  die  einfacheren,  jugend- 
lichen Kemformen  vorwiegen,  während  die  btark  fragpnentierten  fast  ver- 
schwinden. Diese  Änderung  hat  nichts  mit  der  Schwere  der  Infektions- 
krankheit zu  tun  und  ist  ganz  unabhängig  von  der  absoluten  Leukocyten- 
menge  des  Blutes.  Bei  Hyper-,  Normo-,  Hy pol eukocy tose  sind  demnach  je 
3  Unterabteilungen  zu  unterscheiden  gemäß  Erhaltung  oder  Störung  des 
aeutrophilen  Blutbildes,  l8ohyper(leuko)cyto8e,  AniBohyper(leako)ey1ose  etc. 
Die  Anschauungen  von  positiver  und  negativer  Chemotaxis  sieht  A.  als 
unvereinbar  mit  seinen  Befunden  au.  Die  vermehrte  Vernichtung  der 
ädteren  Leukocytenformen  wird  im  Sinne.  Metschnikoffs  als  Abwehr- 
maßregel des  Organismus  gegenüber  der  Infektion  gedeutet;  aus  ihren 
Zerfallsprodukten  bilden  sich  die  Schutzstaffe.  gick  (Tübingen). 


Berichtigungen. 

Zar  Arbeit  von  Klieneberger  u.  Oxenius,  Über  Urine  und  Uriasedimente 
bei  normalen  Personen,  bei  rheumatischen  Erkrankungen  und  nach  der  Einwir- 
kung von  SaUcylpräparaten  im  8(K  Band  3»/4.  Hefl« 


Es  muli  heißen: 

S.  232:  grannl.  Zylinder  .  .  . 

Zusammen 

im  ganzen   % 

19  X      20,43 

S.  235:                   4  Weiber 

im 

0/« 

ganzen 

/o 

4X 

=  100 

2X    =  öO 

IX 

—   25 

IX 

=    25 

1  X   i       25 

1  X 

=    25 

1  X 

=    25 

] 

Dr.  Klieneberger. 

In  demselben  Heft  Seite  404   Zeile  3  von  unten  in  der  Besprechung  Nr.  2 
ist  zu  lesen  statt  „Hocktiles"  —  „Herkules". 


Lippert  d  Co.  (G.  Pätz'sche  Buchdr.),  Naumburg  a.  S. 


I  4 


B  9- 190^^ 
[JAN  2  6  1906 


^fß^J^6