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'^.1
DEUTSCHES ARCHIV
FÜR
KLINISCHE MEDIZIN.
HEBAUSOEGEBEN
VON
Dr. E. aufrecht in Magdeburg, Prof. V.BAÜER in München, Prof. BAEÜMLER in Freiburg,
Prof. BOLLINGER in München, Prof. BOSTRÖM in Giessen, Prof. CURSCHMANK in
Leipzig, Prof. EBSTEIN in Göttinqbn, Prof. EIGHHORST in Zürich, Prof. ERB in Heidel-
berg, Prof. Dr. FIEDLER in Dresden, Prof. FÜRBRINGER in Berlin, Prof. D. GER-
HARDT IN Erlangen, Prof. HELLER in Kiel, Prof. HIS in Basel, Prof. F. A. HOFFMANN
Leipzig, Prof. t. JAKSGH in Prag, Prof. v. JÜRGENSEN in Tübingen, Prof. t. E£TLT in
IN Budapest, Pbof. KRAUS in Berlin, Prof. KRBHL in Tübingen, Prof. LENHARTZ in
Hamburg, Prof. ▼. LEÜBE in Würzburg, Prof. LIGHTHEIM in Königsberg, Prof.
LITTEN IN Berlin, Prof. MANNKOFFF in Marburg, Prof. MARTIOS in Rostock, Prof.
MATTHES in Jena , Prof. y. MERING in Halle , Dr. G. MERKEL in Nürnberg , Prof.
MORITZ IN Greifbwald, Prof. MOSLER in Greifswald, Prof. F. MÜLLER in München. Prof.
NAUNTN in Strassburg, Prof. ▼. NOORDEN in Frankfurt a. M., Prof. NOTHNAGEL in Wien,
Prof. FENZOLDT in Erlangen, Prof. PRIBRAM in Prag, Prof. PURJESZ in Klausenburg,
Prof. QUINCKE in Kiel, Prof. RIEGEL in Giessen, Prof. ROMBERG in Marburg, Prof.
I ROSENSTEIN in Leiden, Prof. RUMPF in Bonn, Prof. SAHLI in Bern, Prof. SCHREIBER in
i Königsberg, Prof. F. SCHULTZE in Bonn, Prof. SENATOR in Berun, Prof. STINTZING in
, Jena, Prof. y. STRÜMPELL in Breslau, Prof. THOMA in Magdeburg, Prof. THOMAS
IN Freiburg, Prof. UNYERRICHT in Magdeburg, Prof. YIERORDT in Heidelberg, Dr.
H. WEBER IN London, Prof. TH. WEBER in Uäux und Prof. WEIL in Wiesbaden
REDIGIERT
l VON
Dr. L. KBEHL^ Dr. F. MOBITZ,
Prof. der medizinischen Kunik Prof. der medizinischen Klinik
IN TÜBINGEN IM GREIFSWALD
UND
Dr. f. Müller,
Prof. der medizinischen Klinik in München.
achtzigster band.
MIT 40 ABBILDUNGEN IM TEXT UND 4 TAFELN.
11» 1 1 1
LEIPZIG,
VERLAG VON F. C. W. VOGEL.
1904.
?»
LOQO^
AUGitO 1904
i:. H. Bi
Inhalt des achtzigsten Bandes.
Erstes und Zweites (Doppel-) Heft
ausgegeben am 14. April 1904. seite
I. Die Hornberger Trichinosisepidemie .uiid die für Trichinosis patho-
fDomonische Eosinophilie. Von Dr. Karl Schleip. Der mediz.
akultät der Uniyersität Freiburg i. Br. als Habilitatiousschrift
vorgelegt (Mit Tafel I.) 1
IL Aus dem pathologischeu Institut in Leipzig. (Prof. Marchand.)
Zur pathologischen Anatomie der Eapselbazillen-Pneumonie (nebst
Anhang über Kapselbazillen-Meningitis). Von Dr. Ichijiro K o k a w a
.aus Japan. (Mit Tafel IL) 39
III. Über multiple Arterienthrombose. Von Prof. Dr. med. Hermann
Eichhor st in Zürich. (Mit Tafel IIL) 75
IV. Über die diflfereutielle Diagnose der gichtischen Tophi der Ohr-
muschel. Von Wilhelm E b s t e i n in Göttingen. (Mit 2 Abbildungen.) 91
V. Aus der medizinischen Klinik zu Tübingen. Die Zuckerbildung aus
Glyzerin. Von Prof Dr. H. Lüthje, I. Assistenten der Klinik. 98
VI. Aus der I. deutschen medizinischen Klinik in Prag. (Vorstand Hofr.
Prof. Pf ihr am). Über Hypoleukocytose beim Abdominaltyphus
und anderen Erkrankungen. Von Ludwig Käst und Carl Gütig.
(Mit 2 Kurven.) 105
VII. Aus dem Laboratorium der medizinischen Klinik zu Bonn (Dir. Geh.-
Rat Prof. F. Schnitze). Experimentelle Untersuchung über den
Einfluü des Alkohols auf den Hirn-Rückenmarksdruck. Von Pri-
vatdozent Dr. Rudolf Finkeinburg, Assistenzarzt der medizini-
schen Klinik. (Mit 2 Kurven.) 130
VIII. Aus der Nervenpoliklinik von Professor Oppen heim zu Berlin. Zur
Differentialdiagnose der. extra- und intrainecjullären Rückenmarks-
tumoren. Von Dr. von Malaise, Assistenzarzt der Poliklinik. 143
IX. Aus der medizinischen Klinik zu 'Jvöni^berg i. Pr. (Direktor: Geh.-
Rat Prof. Dr. Licht heim.) Über die Veränderungen der Milz
bei perniziöser Anämie und einigen anderen Krankheiten. Von
Dr. 0. Kurpjuweit, Assistenzarzt .-" . 168
X. Aus der medizinischen Klinik in Tübingen. Über die Spezifizität
des Fibrinfermentes und seiner Vorstufen. Von Dr. Muraschew
aus Moskau 187
XL Besprechungen.
Friedrich Müller, Allgemeine Pathologie der Ernährung.
(F. Kraus, Berlm.) 199
Drittes und Viertes (Doppel-) Heft
ausgegeben am 27. Mai 1904.
XIT. Aus der dermatolofi:ische.n Klinik und dem physiologisch-chemischen
Institute zu Breslau. Über den Hauttalg beim Gesunden und bei
einigen Hauterkrankungen. Von Dr. P. Linser in Breslau. . . 201
Xin. Aus dem Heiliggeisthospital zu Frankfurt a. M. : medizin. Abteilung
(Chefarzt Prof. Dr. Treupel). Über Urine und ürinsedimente bei
normalen Personen, bei rheumatischen Erkrankungen und nach der
— IV
Seite
Einwirkung^ von Salizylpräparaten. Von Dr. Carl Klieneberger
und Dr. Richard Oxenius 225
XIV. Aus der medizinischen Klinik zu Tübingen. Über die Hauttem-
peratur des gesunden Menschen. Von Dr. J. Oehler, approbiertem
Arzte in Stuttgart. (Mit Tafel IV.) 245
XV. Aus der medizinischen £Iinik in Kiel. Die Typhusbewegung auf '
der medizinischen Klinik in Kiel von 1885 — 1902 nebst Bemerkungen
über die Abkühlung durch Wasserkissen. Von Dr. Wilhelm
Pfeiffer, ehemaligem Assistenten der Klinik. (Mit 2 Kurven.) 26^
XVI. Aus der Universitätskinderklinik Heidelberg. (Direktor: Prof. 0.
Vierordt) Über Pseudoaszites als FoJgezustand chronischer
Enteritis. Von L. Tob 1er, 1. Assistenten der Klinik. (Mit 9 Ab-
bildungen.) 288
XVII. Aus der medizinischen Poliklinik zu Jena. (Direktor: Prof. Dr.
Matthes.) Über die Viskosität des menschlichen Blutes bei
Schwitzprozeduren. Von Privatdozent Dr. Felix Lommel, I. Assi-
stent ,. 308
XVm. Aus der medizinischen Klinik zu Tübingen. Über die Adipositas
dolorosa. Von Dr. Schwenkeubecher, Privatdozent u. Assistenz-
arzt der Klinik 317
XIX. Aus der medizinischen Klinik in Tübingen. Einige Beobachtungen
über natürliche und künstlich erzeugte Leukot oxine. Von Dr.
Henry Asbury Christian aus Boston 333
XX. Aus der mediziu. Klinik in Tübingen. Über die gerinnungshemmende
W^irkung de.«» Kobragiftes. Von Dr. P. Morawitz, Assistenzarzt
der Klinik 340
XXI. ürotropin bei Scharlach zur Verhütung von Nephritis. Von Dr.
Buttersack, Heilbronn 356
XXII. Aus dem städt. Luisenhospital zu Dortmund (Abteilun£:: Sanitätsrat
Dr. Ger st ein). Ein seltener Fall von PfortaderSirombose mit
hämorrhagischer Infarzierung und Nekrotisierung der Leber (zu-
gleich ein Beitrag zu den Veränderungen der Leber nach Pfort-
aderthrombose). Von Dr. F. Steinhaus, Stadtarzt- Assistent.
(Mit 6 Abbildungen.) . 364
XXIII. Aus der medizinischen Klinik Tübingen. Prof. Dr. K re h 1. Über
Herkunft und Wirkungsweise der Hämaglutinine. Von Dr. Kon-
rad Sick, Assistenzarzt der Klinik 389
XXIV. Besprechungen.
1. S. B a r u c h (New York), Hydrotherapie. (Schwenkenbecher-
Tübingen.) 404
2. Franz Penzol dt , Leh rbuch der klinischen Arzneibehandlung.
(Th. Jürgens en-Tübingen.) 404
3. Heinz. Handbuch der experimentellen Pathologie und Pharm v
kologie. (Dr. Morawitz-Tübingen.) 405
4. F. Riegel, Die Erkrankungen des Magens. (Lüthje.) . . 405
5. James Mackenzie, Die Lehre vom Puls. (Lüthje.) . . 406
6. K. F. Wen ekel b ach. Die Arythmie als Ausdruck bestimmter
Funktionsstörungen des Herzens. (Lüthje.) . 406
7. H. Oppenheim, Die syphilitischen Erkrankungen des Gehirns.
(Lüthje.) 406
8. OtfriedFoerster, Die Mitbewegungen bei Gesunden, Nerven-
und Geisteskranken. (Krehl.) 407
Berichtigungen.
1. Zum „Einfluß der Rhodanverbindungen auf den Stoffwechsel".
Von Dr. Arthur Mayer (Freibiirg i. B.) 407
2. Kur pju weit, Über Veränderungen der Milz bei perniziöser
Anämie. LXXX. Bd 408
r
Fünftes und Sechstes (Doppel-) Heft
ausgegeben am 30. Juni 1904.
Seite
XXV. Über Bestimmung der Bilanz von Säaren und Basen in tierischen
Flüssigkeiten. Von F. Moritz 409
XXVI. Über die Wirkung der photodynamischen (fluorescierenden) Stoffe
auf Protozoen u. Enzyme. Von H. v.Tappeineru.A.Jodlbauer. 427
XXVII. Über die Wirkung photodynamischer (nuorescierender) Substanzen
auf Pararoäcien und Enzyme bei Röntgen- und Radiumbestrah-
lung. Von A. Jodlbauer 488
XXVin. Aus der medizinischen Klinik in Greifswald. Direktor : Prof. Dr.
Moritz. Untersuchungen über das „Binden der Glieder^^ (ausge-
dehnte Bier'sche Stauung) und die sog. „Autotransfusion" (ausge-
dehnte Esmarch'sche Blutleere) mit besonderer Berücksichtigung
des Blutdrucks in den freien Gefäßprovinzen. Von Dr. med.
W. Plaskuda, Volontärassistent der Klinik. (Mit 15 Kurven.) 492
XXIX. Aus der medizinischen Klinik in Greifswald. (Direkt. : Prof. Moritz.)
Über Theocin Vergiftung. Von Eduard Allard, Assistenzarzt der
Klinik 510
XXX. Aus der Königl. med. Univ.-Klinik in Greifswald. (Direktor ; Prof.
Dr. Moritz.) Über Fußlähmung, speziell Peroneuslähmung, bei
Rübenarbeitern. Von Dr. med. Werner Schultz, Assistenzarzt
der Klinik 520
XXXI. (Aus dem pathologisch-anatomischen Institut des Stadtkranken-
hauses zu Dresden -Friedrichstadt. Obermedizinalrat Prof. Dr.
Schmorl.) Überblick über die Lehre von den Ösophagusdiver-
tikeln mit besonderer Berücksichtigung der klinischen Bedeutung
der Traktionsdivertikel. Von Dr. med. Georg Riebold, Hilfs-
arzt am Stadtkrankenhaus Johaunstadt, ehemal. ext. Hilfsarzt
am pathol. Institut 527
XXXII. Aus der medizinischen Universitätsklinik zu Leipzig. Über Bron-
chitis fibrinosa. Von Dr. Gustav Liebermeister, Assistenzarzt
der Klinik 551
XXXTIT. Die Typhuserkrankungen unter den deutschen Truppen in Tientsin
im Herbst und W^inter 19CX)/1901. Von Stabsarzt Dr. Otto W^ en-
de], früher beim Feldlazareth Nr. 2 Ostasiat. Epeditionskorps. . 567
XXXIV. Fäulnisbakterien als Erreger chronischer Verdauungsstörungen.
Von Dr. Schütz, Wiesbaden 580
XXXV. Cheyne-Stokes'sches Atmen beim Coma diabeticum und Kußmaul's
großes Atmen bei der Urämie. Von Wilhelm Ebstein (Göttingen). 589
XXXVI. Bemerkungen zu der Arbeit der Herren v. K6tly u. v. Torday,
„Über die Verwertung des myoskopischen Verfahrens bei der
Beurteilung der Resorption chronischer Brustfellexsudate etc."
in Nr. 5 u. 6 des 79. Bandes des Arch. f. kl. Med. Von Dr. med.
D. Rothschild, Bad Soden am Taunus 602
XXX Vil. Erwiederung zu den obigen Bemerkungen Herrn Rothschild's
Von Dr. L. v. Ketly, Universitätsadjunkt der IL internen
Klinik in Budapest 607
XXXVJJI. Besprechungen.
L Schwalbe, Julius Prof. Dr. (Berlin), Grundriß der praktischen
Medizin etc. (W. Ebstein, Göttingen 609
2. J. Arneth, Die neutrophilen weißen Blutkörperchen bei In-
fektionskrankheiten. (Sick, Tübingen.) 609
Berichtigungen 610
#
s
I.
Die Hornberger Trichinosisepidemie und die für Trichinosis
pathognomonische Eosinophilie.
Von
Dr. Karl Scbleip.
Der mediz. Fakultät der Universität Freibori; i. Br. als Habilitationsschrift vorgelegt.
(Mit Tafel I.)
Die Hoffnungen, welche man auf die praktische Verwertung
der Blutuntersnchungen zu diagnostischen und prognostischen
Zwecken gesetzt hat, sind, nachdem eine Reihe von Forschern
sich eingehend mit der Morphologie des Blutes beschäftigt haben,
nicht getäuscht worden. In den letzten Jahren hat sich auf Grund
der Arbeiten Ehrliches über die Trennung der einzelnen Leuko-
zytenarten das Bestreben geltend gemacht, die Schwankungen in
den Mengenverhältnissen der Leukozyten für bestimmte Erkran-
kungen als gesetzmäßige nachzuweisen, um damit ein für die be-
ti-effende Krankheit charakteristisches oder spezifisches Symptom
zu schaflFen, dessen diagnostische Bedeutung von verschieden großem
Werte sein kann.
Die bisherigen zahlreichen Arbeiten haben wohl den Beweis
gebracht, daß diese von einem geübten Arzt mit wenig Aufwand
an Tecknik und Zeit ausgeführten Untersuchungen uns in vielen
Fällen wertvolle Anhaltspunkte zur Stellung einer Diagnose liefern
können, die Fälle aber, bei welchen wir allein aus der Mengen-
bestimmung der roten und weißen Blutkörper mit anschließender
Betrachtung eines panoptisch gefärbten Blutpräparates ein sicheres
Urteil über die Art der Erkrankung uns bilden können, sind selten.
Das Arbeiten auf dem Gebiete der Hämatologie kann nicht
von vornherein mit Erfolg belohnt sein und jeder, der daran geht,
durch eigene Arbeit notwendige allgemeine Erfahrungen zu sammeln,
die nicht in einem einzelnen schönen Falle zu gewinnen sind, wird
Deutsches Archiv f. klin. Medizin. LXXX. Bd. 1
2 I- SCHLBIP
finden, daß in nicht seltenen Fällen die Untersuchungen nur ein
negatives Resultat haben, daß es vieler Stunden Arbeit kostet, bis
sie zweckmäßig angewandt bei mancher Erkrankung ein wertvolles
Hilfsmittel zur Stellung der Diagnose werden.
Auf dem Gebiete der akuten Infektionskrankheiten
ist die Bedeutung der „polynukleären Leukozytose" zur
Erkennung einer zentralen Pneumonie ebenso bekannt ge-
worden, wie die diagnostisch wertvolle „Leukopenie" beim
Typhusabdominaiis; das einzigartige Verhalten der Leukozyten-
arten bei letzterer Erkrankung ist durch die schöne Arbeit von
Nägeli klargelegt worden, nachdem Thayer &cfaon einige Jahre
früher an reichstem Material das Verhalten des Blutes beim
Typhus eingehend beschrieben hatte. Wenig bekannt wurde die
interessante Mitteilung T. R. Brown 's, der 1896 als erster bei
Trichinosis eine hochgradige Eosinophilie beobachtete
und in exakter Bearbeitung jenes Falles diese Blutverän-
derung als spezifisch für die Trichinosis erkannte und
bewies.
In jener Zeit wurden am Johns Hopkins-Hospital in Baltimore,
wie auch an anderen Krankenhäusern, bei jedem neu eintretenden
Patienten systematisch Blutuntersuchungen angestellt und auf Gru&d
der Resultate Brown's in den nächsten Jahren bei verschiedenen
Patienten, bei welchen der Gedanke an Trichinosis zuerst fern lag,
hochgradige Eosinophilie gefunden und durch nachfolgende Muskel-
exzision bewiesen, daß es sich in allen Fällen wirklich um Tri-
chinosis handelte. Diese Arbeiten von Blum er und Neu mann,
Cabot, Mc. Crae, W. W. Kerr und anderen führten zu der
Überzeugung, daß die Eosinophilie ein für die Trichinosis charak-
teristisches Symptom von diagnostisch großer Bedeutung sei. Gwyn
veröflFentlichte 1899 in einer deutschen Zeitschrift seine einzige
Beobachtung und drückte dabei die Erwartung aus, daß in Deutsch-
land die amerikanischen Beobachtungen endlich Bestätigung find^
möchten.
Glücklicherweise sind Massenerkrankungen an Trichinosis bei
uns in Deutschland eine große Seltenheit geworden und so dauerte
es einige Jahre, bis der Wunsch dieses amerikanischen Forschers
in Erfüllung gehen konnte. Bevor mir diese Beobachtungen be-
kannt geworden waren, konnte ich auf der medizinischen Klinik in
Freiburg einen Fall von Trichinosis untersuchen, bei welchem
auch erst durch systematische Blutuntersuchungen die richtige
Diagnose gestellt wurde, auf Grund der Befunde Th. R. Brown' s.
Die Homberget TritUuoÜBepidemie etc. g
J, ]>., 35 JAhre »It, HMrMk«tUkut>oh«r, ei^Mnkte »m 4. Auguat
IdOS BBtor Fieber nod «llgeiieiDeBi Übetfaofipdea ; am aoder«n T»ge
trat LidSdem eiD, das am 7., dem Tag der XafaAfain« des F. ina
Krank enbans , noch in mäßigem Grade bestoad. Wegen der mäßig
schwerea Allgemeinerache inni) gen mit sehr i}nb«Btimmten Einzelsym-
ptomen wurde zuerst an Typhus gedacht, Eumal die Milz eich langsam
TergrÖfiart«. Am 15. Augnat bekam iofa GaleganlMit, eine Blutunter-
ooebrag rorfluaehm«», die da« überrasohende Beeultat ergab, da£, im
Oegeaaata aar Ijeakopeai« büm Ty{»l)ui, eine betraehtliche Lenko-
Bytoae vorlag, Temraaokt dureb eine hoehgradige Vermehrrnng
der eosisophilan Zelleu.
IHe Blntiteteide waren, wie folgt:
1, '■"■•»r.3?S-S=*"""'ife s
D«,. z». |,H.«?^'->-s-|,
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Der Hatm Uagi« in der zweiten Erankheitswoehe Aber «ibestimmt«
Hw^alat^aeraeD, geringe £opfaebmeraen und schlechten Schlaf ; das mUige
Fieber saigte bis znm 18. August eineo unregelmäßigen Verlauf. Sdion
am SO. Auguat war der Fatieat ohne Beschwerden uad wurde am 33.
auf Wnaseh enÜasaan. Er llcB sieb am Tsige der Eotlaaaung ein Uoskal-
atüekebea «m dem liskeo Deltoides exaidieren. In dem genügend großen
Präparat fasden äob aber keine Triebioeu. Yielleicbt war es noob an
frfth sa einem erfolgreiche Ergebnis der MnskduBteriuohuag ; die Dia-
gnose konnte daher nicht mit voller Sidterheit auf Trichinosis gest^t
wwden.
Leider war es mir nicht möglich, den Patienten zu weiteren
BlatuntcrsQcIiungen zu benutzen, da ei' unserer Beobaehttmg ent-
z<^;eQ wnrde. Eine genügende Untersuchung dieses mteressunten
Fidles hitte wahrscheinlich schon damals zu weiteren Ergebnissen
gefährt.
Eine solche vereinzelte Beobachtung konnte die diagnostische
BedeDtnng dieeer s^tenen Blutveränderung niolit genügend stKtzMi
und 80 benätzte ich die 1 Jahr später auftretende Hornberger
Epidemie als eine selten günstige Gelegenheit, die mir inzwischen
durch die amerikanische Literatur bekannt gewordene Eoaino-
plülie auf einer breiteren Basis zu nntersucben.
4 I. SCHLEIP
Bevor ich auf die, an einer großen Zahl Erkrankter ausgeführten
Untersuchungen eingehe, halte ich es für nötig, die angewandte
Technik und Methode zu schildern.
Untersuchungstechnik.
Das Blut entnahm ich ausnahmslos dem Ohrläppchen durch einen
raschen Schnitt mit dem Skalpell nach vorheriger Reinigung mit Äther.
Diä Fingerkuppe ist sensibler; fortgesetzte Einstiche machen sie schmerz-
haft und beeinträchtigen den Gebrauch des Fingers. Darum ' erscheint
mir das Ohrläppchen geeigneter; der Einschnitt wird kaum gespürt.
Das Blut muß von selbst, ohne Druck auf das umgebende Gewebe in
langsamen Tropfen fließen; der erste Tropfen wird nicht benützt, der
folgende mit der Unterseite eines Deckgläschens, nahe dessen B^nd ab-
gehoben. Die Kante des Deckgläschens darf keine Rauhigkeiten auf-
weisen. Mit der linken Hand faßt man den bereitliegenden, absolut
reinen Objektträger und stellt das etwas schräg gehaltene Deckgläschen
mit der Kante auf die Oberfläche des Objektträgers, bis der Blutstropfen
auch an diesem haftet. £r läuft von selbst oder durch eine kurze ent-
sprechende Bewegung mit dem Deckgläschen entlang dessen Kante.
Dann erst schiebt man das immer schräg gehaltene Deckgläschen rasch
und gleichmäßig auf der Objektträgeroberfläche gegen die linke Hand
hin und zieht so den Blutstropfen hinter sich her. Eine Läsion des
Blutes wird dabei vermieden ; das Blut entfaltet sich gleichmäßig, trocknet
in einer Minute; die Blutkörperchen liegen am Anfang des Präparats
dicht, in der Mitte und am Ende fast in gleich großen Abständen von-
einander ausgebreitet, in einer Ausdehnung, die zur Untersuchung mehr
wie genügt. Beim Abheben des Blutstropfens darf dieser nicht breit-
gedrückt, die Haut nicht berührt werden; zwischen Hervorquellen des
Blutstropfens und Antrocknen des Präparats muß die Zeit so kurz wie
möglich sein. Je kleiner der Blutstropfen, desto schöner wird das Prä-
parat. Zeigt die Kjinte des Deckgläschens Rauhigkeiten, so endet das
Blutpräparat in Zacken; die größeren Formen der Leukozyten werden
mitgerissen und liegen in Haufen am Ende des Präparats, dadurch wird
eine unregelmäßige Verteilung der Leukozyten bewirkt ; derartige Präpa-
rate dürfen nicht zur Verwertung gelangen.
Diese Methode ist einfach und handlich ; eine nachherige Einbettung
des Präparats in Kanadabalsam nicht nötig.
Der folgende Blutstropfen wird in den Mischer für Leukozyten auf-
gesaugt bis zur Marke 1,0, mit ^g 7o Essigsäurelösung bis zur Marke
10,0 verdünnt, die Mischung sofort ein paar Minuten geschüttelt und
dann zur Zählung verwandt. Einen absolut trockenen Mischer erzielt
man durch Aufsaugen von Wasser, Alkohol absolut, und Äther; man
verkürzt die Dauer der Reinigung auf ein Drittel der Zeit, wenn man
den Ansatzschlauch beim Reinigen auf die verkehrte Seite setzt; das
Aufsaugen und Abfließen des Wassers usw. geht dann viel rascher.
Der Schlauch wird beim Abfließen der Reinigungsflüssigkeit jedesmal
entfernt. Ein Luftgebläse zum endgültigen Austrocknen des Mischers
erzielt man rasch und einfach durch folgendes: Den ^ther läßt man
Die Hornberger Trichinosisepidemie etc. 5
spontan znerst an dem kapillaren, dann am anderen Ende des Mischers
auslaofen, setzt den Schlanob in richtiger Weise an und a&Jigt die Luft
dorch den Mischer.
Das Reinigen der Pipette erfordert auf diese Weise nicht mehr wie
1 Minute Zeit; wo yiele Zählungen erforderlich sind, ein nicht zu unter-
schätzender Vorteil.
Die Genauigkeit der Zählresultate hängt nicht nur von der Ver-
meidung aller Fehlerquellen ab, sondern auch von der Wahl der Zähl-
kammer. Für unsere Zwecke kommt ein Apparat in Betracht, der es
ermöglicht, einen großen Bruchteil der im Kubikmillimeter enthaltenen
Leukozyten zu bestimmen. Ich habe zu allen Untersuchungen die
Z a p p e r t ' sehe Kammer benutzt, welche gestattet, eine 5 — 9 mal größere
Menge von Leukozyten zu zählen, als mit dem T ho ma-Zeiß' sehen
Apparat möglich ist.
Wenn möglich, sollen alle Blutuntersuchungen zu einer Tageszeit
gemacht werden, bei der die Einflüsse ausgeschaltet sind,
die auf die Menge der Leukozyten eine Wirkung ausüben.
Hier sind zu nennen: Bäder, Medikamente, Nahrungsaufnahme. Es
empfiehlt sich daher, die Bestimmungen in den Morgenstunden zu
machen. Lnmer läßt sich dies nicht durchfuhren; man kann die Zeit
der Blutentnahme nicht beliebig wählen, wenn es darauf ankommt, in
einem bestimmten Stadium einer Erkrankung die Zusammensetzung des
Blutes zu ermitteln, wie bei Malaria, Sepsis, Asthma bronchiale. Es
wird in diesen Fällen nicht leicht sein, die oben erwähnten Einflüsse
richtig zu beurteilen ; kann man doch nicht bei jedem Menschen eine
gleiche Beaktion erwarten. Auch bei den vorliegenden Untersuchungen
w^ar ich genötigt, zu jeder Tageszeit Blut zu entnehmen.
Li meinen Untersuchungen sind die Frozentverhältnisse der Leuko-
zyten eingeführt, obwohl die absoluten Werte in manchen Fällen eine
genauere Vorstellung davon geben, ob die eine oder andere Zellform
eine Vermehrung beziehungsweise Verminderung erfahren hat. Es kann,
wie Ehrlich betont, die Abnahme des Frozentgehaltes der Lympho-
zyten bedingt sein durch zwei verschiedene Ursachen; 1. durch eine
verminderte Produktion dieser Zellen, 2. durch einen erhöhten Import
von Neutrophilen, der naturgemäß die Zahl der Lymphozyten herab-
drückt. In den mir bekannten Lehrbüchern der Hämatologie werden
die normalen Zahlenverhältnisse der Leukocyten in Prozenten angegeben
und nicht in absoluten Werten. Die Beibehaltung dieser Art der An-
gabe auch für manche pathologischen Verhältnisse hat den Vorteil, daß
mit einem bekannten Maßstab gemessen werden kann.
Die Zahl der eosinophilen Zellen ist auch in absoluten Werten
BsagegeheUf ans welchen diejenigen der anderen Zellformen leicht beur-
teilt werden können.
Als Färbungsflüssigkeit habe ich die von Leishmann angegebene
Mischung von Methylenblau und Eosin, eine Modifikation der Roma-
nowsky' sehen Methode, angewandt. Leishmann's Methode gibt
eine panoptische Färbung, ist so leicht anzuwenden, bedarf so kurzer
Zeit und wenig Sorgfalt bei der Anwendung, daß sie verdient, allen
anderen Methoden vorgezogen zu werden.
6 I. BCHLlIF
D« sie Boeh bei kemer mir bekaimten bäoMitolegisohea Arbeit in
Dentsehland Anwendung fand, nag sie in Kurse mitgeteilt werden.
Auf das lufttrocken gewordene Präparat werden 10 Tropfoi Färb-
Iteung fallen gelassen und snter Hin- und Herwiegen des Präparates
T«rteilt; naoh ^/^ Minute fägt man die doppelte Heoge Aqu. dest. binEtt,
mischt sorgfältig durch leichtes Bewegen des Objektträgers FsrMüMig*
keii und Wasser. Di^se Misobung bleibt 5 Mittutea auf dem Präparat
steben und wird dann mit Aqu. deet* abgeepült.
Es ist keinerlei Filderang notwendig, als diejenige, die während der
Fib'baiig selbst sostande kommt. TJbeif&rbung bewirkt oft einen ssn roten
oder grünlicben Ton des Erythrossyten. In dieeem Falle läßt man einige
Tropfen Aqu. dest. 1 Minute auf dem Präparat stehen, bis das Wasser
eine leioht grttne Farbe angenommen bai. Darauf spült man ab, trocknet
ohne zu erhitzen. Durch diesen einfachen Handgriff werden die eren-
ttteUen Niederschläge entfernt, die roten Blutkörperchen durchscheinender,
die Färbung verstärkt.
Die ganze Prozedur, von dem Ausstreichen des Blutstropfens an bis
zur Betrachtung des fertigen Präparates dauert nur 7 — 8 Minuten; zur
Färbung bedarf man nur einer Parblösung und Aqu. dest. Mit ge-
wöhnlichem Wasser lassen sich nach meiner Erfahrung die gleichen Re-
sultate erzielen.
Der Effekt der Färbung ist folgender:
Die Erythrozyten sind blaBrot, halb durchscheinend.
Die „neutrophilen Leukozyten** zeigen farbloses oder hell-
rosa gefärbtes Protoplasma, in welchem feine neutrophil- eosinophile Gra-
nula scharf erkennbar sind ; der Kern ist tief rubinrot, gegen das Proto«
plasma gut abgegrenzt.
Die Lymphozyten haben einen dunkelrot bis blau gefärbten
Kern, ihr Protoplasma ist nilblau, bei den kleinen Lymphozyten oft blau ;
viele Formen sind durchsetzt mit feinen oder gröberen Körnchen in ver-
schiedener Zahl, von azidophiler Eigenschaft. Diese bei Gesunden und
Kranken vorkommenden Körnchen haben einen anderen Charakter wie
die neutrophilen und eosinophilen Granulationen. 1 Jahr später sind sie
auch von Michaelis und Wolff bei Anwendung ihres „Azurblau^
gefunden worden.
Mononukleäre haben einen etwas helleren Kern.
Die TJbergangsformen weisen auch jene in den Lymphozyten
vorhandenen Körnchen auf, deren Färbung etwas dunkler ist.
Die eosinophilen Zellen haben ^inen rubinroten Kern; die
Granula sind leuchtend blaßrot.
Die basophilen Zellen zeigen ein farbloses Protoplasma, über-
spannt von einem regellosen Netz feiner roten Fäden, in deren Elrsu-
zungspunkte dunkelrot-braunrote Granula von verschiedener Größe liegen ;
sie verdecken manchmal den tiefrot geerbten Kern, der gewöhnlich sehr
unscharf begrenzt, eine dreigelappte Form besitzt.
Die Blutplättchen färben sich außerordentlich distinkt, ibr
^Kem** ist dunkelrot mit zackigem Blande, umgeben von einem blaß«-
roten oder blaßblauen Hof verschiedener Größe.
Die Hornberger Tricfainosisepidemie etc. 7
Die i%rbiuig eignet aich aoBgaseichnet snr Darstelluiig der Ofaromatiii-
svbstanz der Malaria|>l<uni odiep, Sie ist wirklieh panoptisch.
Die Hornberger Epidemie.
In der Zeit vom 19.-— 26. August 1903 erkrankten inHomberg,
Rei^.-Bez. Cassel, und Umgebung, insbesondere in dem benachbarten
Dorf Holzhaus en ungafähr 130 Personen an Erscheinungen, die
auerst von Dr. Reinhard, der infolge seiner Eigenschaft als
Kassenarzt der Eisengießerei Holzhausen eine größere Zahl von
Erkrankungen auf einmal beobachten konnte, auf Trichinosis zurück-
geführt wurden. Nachdem auch in der Stadt eine Massenerkrankung
eintrat, welche nur Personen betraf, welche Fleisch von zwei be^
stimmten Metzgern bezogen hatten, nahm die Überzeugung über^
band, daß hier eine epidemische Erkrankung vorliege, welche auf
einen Ausgangspunkt zuräckzuführen sei.
Ende August wurden 2 Patienten nach der Marburger Uni-
versit&tspoliklinik geschickt und nach 4 tägiger Beobachtung äußerte
sich Prof. Romberg, wie mir bekannt wurde, dahin, daß unzweifel-
baft Trichinosis vorläge. Trichinen wurden jedoch in den Darm-
entleerungen nicht gefanden und Muskelexzisionen konnten nicht
gemacht werden, da die Patienten sich entschieden weigerten. Ein
sicherer Beweis für die Diagnose „Trichinosis" wurde daher nicht
gebracht.
Dieser Umstand hatte auch die Folge, daß die Hornberger in
zwei feindliche Lager gespalten blieben ; auf der einen Seite standen
die in Verdacht gekommenen Metzger und ihr großer Anhang, auf
der anderen die an ihrer Gesundheit geschädigten Patienten. Durch
den stärker werdenden Zweifel über die Art der Erkrankung unter-
stützt, verbreiteten die Metzger mit Erfolg die Ansicht, es handle
sich gar nicht um Trichinose, sondern um Schweinerotlauf. Zeit*
weise sprach man von Schweinepest und sogar von Malaria. Auch
das Eingreifen der Behörden am 25. August führte zu keiner
Klärung dieser Verhältnisse ; der Nachweis, daß Trichinosis vorlag,
wurde unmöglich, denn auffallenderweise waren an dem Tage, an
welchem der Bürgermeister das noch übrige Fleisch konfiszieren
wollte, beide Metzgerläden wie ausgefegt, es war buchstäblich kein
Wurstzipfel mehr aufzutreiben.
Durch ein Zeitungstelegramm erfuhr ich zufällig in Freiburg i. Br.
am 9. September von dieser Epidemie und fuhr am gleichen Tage
Haeh Homberg. Dort waren noch ungeföhr 100 Personen krank,
26— 30 bettlägerig, die anderen in der Rekonvaleszenz, teils schon
8 I. Schleif
wieder arbeitend, aber noch mit leichten Krankheitserscheinungen.
Die von mir angestellten Untersuchungen ergaben, daß alle Er-
krankungen zurückzuführen waren auf den Genuß von Schweine-
fleisch, rohem Hack oder Kochwürsten, welche von zwei Metzgern in
Homberg zwischen 19. und 26. August bezogen worden waren. In dem
Fabrikdorf Holzhausen infizierten sich fast alle Kranken am 19. oder
am 22., da den Arbeitern von einem Zwischenhändler jeden Mitt-
woch oder Samstag rohes Hack geliefert wird, welches von den
beiden Metzgern, die gemeinsam schlachten, stammt. Alle Er-
krankungen, die in der weiteren Umgebung Hombergs sporadisch
auftraten, konnten dadurch erklärt werden, daß die Betreflfenden in
jenen Tagen in der Wirtschaft der Metzger rohes Hack verzehrt
oder mit nach Hause genommen hatten; in letzterem Falle erkrankten
regelmäßig auch die Familienmitglieder.
Die beiden Metzger schlachteten gemeinschaftlich am 17. und
19. nachmittags je ein Schwein. Da Leute erkrankt sind, welche
nur einmalig rohes Hack gegessen haben, welches am 19. morgens
zum Verkauf gelangte, so war das am 17. August geschlachtete
Schwein mit großer \\ ahrscheinlichkeit die Ursache der Erkrankung.
Es soll, wie viele Kranke angaben, im rohen Hack zweierlei
Fleisch leicht zu erkennen gewesen sein; das eine rot, das andere
blaß. Es läßt dies den Schluß zu, daß das Fleisch von zwei
Schweinen gemischt worden ist. Diejenigen, die leicht erkrankt
sind, haben eine Mischung genossen, die mehr gutes als trichinöses
Fleisch enthielt, die Schwerkranken haben Hack gegessen, welches
großenteils aus trichinösem Fleisch bestand. Diese Annahme er-
klärt auch, warum Leute schwer erkrankt sind, die nur eine Messer-
spitze voll Hack gegessen haben.
Der Nachweis, daß es sich bei dieser Epidemie um Trichinosis
handelte, wurde dadurch gebracht, daß ich bei 3 Patienten
Muskelstückchen aus dem ßiceps exzidierte und in allen 3 Fällen
Trichinen fand. Ich habe absichtlich jedermann diese Muskel-
trichinen sehen lassen. Durch diese Feststellung verlor die Partei,
welche die Epidemie auf Botlauf zurückführte, allen Boden; ein
paar Wochen später trat jedoch das interessante Gerücht auf, ich
hätte die Trichinenpräparate mitgebracht.
Unter dieser Epidemie hatten besonders die zahlreich erkrankten
Arbeiter der Eisengießerei in Holzhausen zu leiden, obgleich der
in Betracht kommende Arzt, Dr. R e i n h a r d , aufopfernd tätig war
und insbesondere nicht versäumte, die ihm vorgesetzte Behörde
rechtzeitig in Kenntnis zu setzen; allein es scheint, daß die An-
Die Hornberger Trichinosisepidemie etc. 9
sichten über die Natui' der Erkrankung zu lange auseinander-
gingen, wodurch in verschiedener Hinsicht kostbare Zeit verloren
wurde. Die mangelnde Pflege hatte zur Folge, daß viele fiebernde
Patienten außer Bett blieben, in noch elendem Zustande ihre schwere
Arbeit in der Eisengießerei wieder aufnahmen. Ich sah selbst, wie
Arbeiter nur mühsam herumschwankten und sich aus Schwäche nach
einigen Stunden wieder ins Bett legen mußten. Die erlittene finan-
zielle Schädigung trieb sie, trotz ärztlichen Abratens wieder in die
Hütte, zumal ihnen täglich klarer wurde, daß sie für den erlittenen
Verlust niemand haftbar machen konnten. An städtisches und groß-
städtisches Krankenmaterial gewöhnt, fiel mir das Verhalten der
von der Welt etwas abgeschlossenen Fabrikbevölkerung dadurch
nicht wenig auf, daß keinerlei Neigung bestand, den erlittenen
Schaden in übertriebener Weise darzustellen oder mit allen Mitteln
Schadenersatz zu erlangen. Bei den oft wiederholten Blutunter-
suchungen habe ich keine verständnisvolleren Patienten gefunden,
wie diese Arbeiter, im Gegensatz zu einem großen Teil der Hom-
berger, bei denen oft alle Mühe, einen Blutstropfen zu erlangen,
vergeblich war und ich einige Male gerade noch rechtzeitig den
Rückzug antreten mußte, um eine unangenehme Lage zu vermeiden.
Die Untersuchungen wurden mir durch großes Entgegenkommen
von Dr. Haas und Dr. Reinhard in Homberg sehr erleichtert,
insbesondere erwies mir der letztere ein stets gleichbleibendes
Interesse und manche wertvolle Hilfe, wofür ich seiner mit auf-
richtigem Danke gedenke.
Der Verlauf der Epidemie zeigte, daß es sich im allgemeinen
um eine leichte Infektion handelte, die Zahl der schweren Er-
krankungen betrug nur ca. 30, auch ist ein Todesfall nicht vor-
gekommen. Die Sterblichkeit betrug bei früheren Epidemien bis
zu 30%.
Als leichte Erkrankungen sind jene Fälle aufzufassen,
bei welchen die Patienten nicht oder nur wenige Tage ßettlägerig
wurden; bei den mittelschweren Fällen herrschte unregel-
mäßiges Fieber, oft mit Schüttelfrost verbunden längere Zeit, als
schwere Formen kommen alle jene Erkrankungen in Betracht, bei
welchen mit langdauernden ausgeprägten Krankheitserscheinungen
Sclilaflosigkeit und große Unruhe verbunden waren, so daß die
Patienten oft den Eindruck machten, als überwältige sie eine
schwere Infektion. Bei manchen von diesen Fällen konnte in der
3. und 4. Woche die Prognose nicht als günstig bezeichnet werden.
Die Inkubationszeit war durchweg eine kurze; unter 60 Pa-
10 I. ScHunp
tienten erkrankten 15 am Tage nach der Infektion, alle anderen bis
auf 4 zwischen dem ä. und 6. Tag ; die späteste Erkrankung wurde
am 11. Tag beobachtet. Die klinischen &ankheit8qrmptome zeigten
bei dieser Epidemie kein von den bisherigen Beobachtungen ab-
weichendes Verbalten. Einige Male traten sofort nach Oennß des
Fleisches intensive Verdaunngsstörongen ein; das nach Friedr eicb
auf Intoxikation beruhende, früher so rätselhafte Lidödem wurde
in den meisten Fällen beobachtet; seine Stärke war unabhängig
von der Schwere der Erkrankung; in einem schwer verlaufenden
Falle trat es nicht ein, in einem ähnlichen war nur leichtes Knöchel-
ödem vorhanden. Dadurch, daß ich die Epidemie erst vom Anfang
der 3. Woche an beobachten konnte, entging mir die Möglich-
keit, über die Krankheitss]rmptome einen vollen Überblick zu er-
langen.
Im folgenden möchte ich auf das Verhalten der Milz auf-
merksam machen, über die in den Lehrbüchern berichtet wird, daß
sie nicht oder nur selten vergrößert gefunden werde. Von 46 wieder-
holt daraufhin untersuchten Patienten zeigten 38 eine deutliche
Milzvergrößerung; Maße von 12:9, lOV«:?^«, 14:8 cm waren
nicht selten ; am Ende der Rekonvaleszenz war die Milzschwellung
zur Norm zurückgegangen. Alle Maße wurden in aufrechter
Haltung genommen, bei vielen Patienten in der Diagonallage kon-
trolliert.
Ich betone diese Ergebnisse ausdrücklich, weil das Fehlen
eines Milztumors bei Trichinosis dififerentialdiagnostisch gegen
Typhus sehr verwertet wird. Zwei Fälle, die in früheren Jahren
auf der Freiburger medizinischen Klinik behandelt wurden, zeigten,
wie die letzte Erkrankung ebenfalls, eine deutliche Milzvergrößerung.
Infolge dieser, bei der Homberger Epidemie in beweisenden Zahlen
erhobenen Befunde schwindet die differentialdiagnostische Bedeutung
der Milzschwellnng, wenn sie auch selten die Vergrößerung wie
beim Typhus erreicht und die Aufdeckung eines neuen, sicheren
Krankheitssymptomes gewinnt dadurch noch an Wert
Das Blut.
Die hämatologischen Untersuchungen erstreckten sich ins-
besondere auf die Bestimmung des Mengenverhältnisses der ein-
zelnen Leukozytenarten während des Krankheitsverlaufes. Die
Zählung der Erythrozyten und die Feststellung des Hb.-Gehaltes
wurden nur in einigen Fällen vorgenommen, nachdem die anfäng-
lich systematischen Untersuchungen in dieser Sichtung ergeben
Die Hornberger Tnehinosisepidemie etc H
hatten, daß eine erhebliche Veränderung dieser Blutbestandteüe
nicht vorhanden war.
Die Bestimmung der Blutplättchen geschah nach Schätzung iu
den Trockenpr¶ten, wobei n normale Werte und ++++ die
stärkste Verm^rung bezeichnen soll.
Die Blntbefunde sind auf den umstehenden Seiten mitge-
tettt.
Die Beobachtungen über das Verhalten der einzelnen Blut-
bestandteile führen zu folgenden Ergebnissen:
Erythrozyten. Zählungen wurden vorgenommen, bei 5 schweren,
2 mittelschweren und 3 leichten Erkrankungen und ergaben, daß in
den leichteren Fällen die Anzahl der Erythrozyten im £ubikmilli-
meter nicht oder nur wenig vom Normalen abweicht; auch bei
schweren Erkrankungen ist nur eine mäßige Verminderung vor-
handen. Im Veiigleich zu anderen langdauemden fieberhaften Er-
krankungen, bei welchen nicht ein direktes Blutgift vorhanden ist,
scheinen demnach die Stoffwechselprodukte der Trichine keine Zer-
störung der Erythrozyten zu bewirken.
Stransky zählte nach 5 wöchentlicher Krankheitsdauer 3440000,
6 Wochen später bei der Entlassung der Patientin 4200000 E.
Brown 's Beftande waren im I. Fall 4232000—4900000, im IL
5000000 und im III. 4300000—4700000, wie aus den Mitteilungen
von T h a y e r hervorgeht. C a b o t beobachtete bei seinen 4 Fällen
von Trichinosis 4712000, 4900000, 5120000 und 5728000; er macht
keine Angaben über die Schwere der Erkrankungen, doch waren in
allen Fällen erhebliche Leukozytose und ausgesprochene Eosinophilie
vorhanden. Es waren also auch in diesen, z. T. schwer verlaufenden
Fällen die Erscheinungen der sekundären Anämie nicht erheblich
ausgebildet.
Entsprechend diesen Befunden waren auch Größen- und
Gestaltsveränderungen der Erythrozyten sehr selten;
im Deckglassplitterpräparat habe ich nur iu einem einzigen Falle
spärliche Poikilozytose nachweisen können. Dieses Verhalten der
Erythrozyten soll besonders betont werden, weil im Beginn der
Rekonvaleszenz und während dieser die Blutplättchen eine gewaltige
Vermehrung erfahren.
nutpUttcheik Sie verhalten sich auf der Höhe der Er-
krankung normal, nur bei wenigen Patienten wurden sie vermehrt
gefunden, insbesondere bei einem jungen Manne, der durch Kalomel-
gebrauch eine starke Stomatitis sich zugezogen hatte. Mit dem
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Die Hornberger Trichinosisepidemie etc. 17
Nachlassen der akuten Erscheinungen nehmen die
Blutplättchen beträchtlich zu und sind während und nach
der Eekonvaleszenz oft so ungeheuer vermehrt, daß das Blut von
ihnen geradezu überschwemmt erscheint. Die Vermehrung erreicht
vielfach höhere Grade, als ich sie in vielen Fällen von Karzinom,
Eiterungen und (-hlorose gesehen habe. Die Stärke der Vermeh-
rung ist nicht abhängig von bestimmten klinischen Symptomen ; sie
findet sich dann, wenn die pathologischen Veränderungen des Blutes,
Leukozytose und Eosinophilie, anfangen zu verschwinden. Die
Blutplättchen liegen nicht in Haufen, sondern fast gleichmäßig
über das Präparat verstreut, einzeln oder in Gruppen von 3 — 10.
Sie färben sich distinkt, aber ein irgendwie besonderes Aussehen
bieten sie nicht. In einem Präparat liegt neben anderen ein ziem-
lich großes, wohlcharakterisiertes Blutplättchen, welches 4 unzweifel-
hafte eosinophile Granula enthält. Trotz darauf gerichteter be-
sonderer Beobachtung blieb dieser Befund ein Unikum.
Diese auffallende und regelmäßig vorhandene Vermehrung
scheint geeignet, der Frage nach der Herkunft dieser Blutbestand-
teile neues Material zu liefern. Bei dem Fehlen aller Degenerations-
erscheinungen der Erythrozyten fällt es schwer, die so massenhaft
auftretenden Blutplättchen als Produkte der Erythrozyten zu er-
klären, vielmehr erscheint es logisch, die Vermehrung in einen
Zusammenhang zu bringen mit der gleichzeitigen Abnahme der
Leukozytose und der eosinophilen Zellen. Man wird daher in diesem
Falle daran denken müssen, ob nicht die Blutplättchen Zerfalls-
produkte w^eißer Blutkörperchen sind. Da nur eine Abnahme der
Eosinophilen stattfindet, so wären die in größter Menge auf-
tretenden Gebilde als Reste der in großer Zahl zugrunde gehenden
Eosinophilen aufzufassen. Aus dem Fehlen aller Degenerations-
formen dieser Zellen im peripheren Blut muß man annehmen, daß
der Zerfall nicht in der Blutbahn, sondern irgendwo anders vor
sich geht.
Es ist mir wohl bewußt, daß diese Auffassung im Widerspruch
steht mit den Ansichten von Löwit, Arnold und Ziegler über
die Genese der Blutplättchen, ganz abgesehen von der Bedeutung,
die Hayem diesen Gebilden zuschreibt. Auf Grund der vor-
liegenden Befunde widerspricht es jedoch der klinischen Auffassung,
diese Blutplättchen als Produkte der roten Blutkörperchen aufzu-
fassen, die gar keine Degenerationserscheinungen zeigen.
Hämoglobin. Die gering ausgeprägten Symptome der sekun-
dären Anämie finden auch ihren Ausdruck durch die nur w^enig
nftutsr.hftn Archiv f. klin. Medizin. LXXX. Bd. 2
18 I. Schleif
herabgesetzten Hb.- Weite. Bei der Beurteilung des Verhaltens der
Erythrozyten und des Hämoglobins darf man nicht vergessen, daß
schwere Erkrankungen nicht häufig waren. Bei einer Zusammen-
stellung aller schweren Fälle werden auch die Symptome der Anämie
regelmäßiger vorhanden sein.
Leukozytose. Stransky berichtete aus der v. Jaksch-
sehen Klinik in Prag über einen Fall von Trichinosis, bei dem
während der Erkrankung 16400, nach Ablauf aller Erscheinungen
6000 L. gezählt wurden. Auch die amerikanischen Autoren haben
regelmäßig Leukozytose gefunden, z. T. recht hohe Werte, zwischen
20-35000.
Unter 16 leichten Fällen der Hornberger Epidemie zeigen
9 Zahlen über 10000, unter 29 mittelschweren Fällen 25 über
10000 und unter 11 schweren Erkrankungen sind 9, bei denen
zwischen 10—20000 Leukozyten vorhanden sind. Schwere Krank-
heitsfalle sind demnach in einem großen Prozentsatz von einer
stärkeren Leukozytose begleitet, als leichtere Erkrankungen.
Die Leukozytose ist aber nicht ein charakteristisches Merkmal
für die Trichinose; bei einer ganzen Reihe von Erkrankungen stieg
die Gesamtzahl der Leukozyten nicht über 10000, bei 4 Fällen
blieb sie sogar unter 6500, trotzdem bei allen Kranken die klini-
schen Erscheinungen wohl ausgeprägt, z. T. erhebliche Myositis
und dauernd Durchfälle vorhanden waren, von denen man nach
den bisherigen Erfahrungen Leukozytose erwarten sollte; es kann
daher die weniger ausgeprägte Leukozytose oder das Fehlen der-
selben nicht von bestimmten Erscheinungen abhängig gemacht
werden.
Es ist demnach unmöglich, den Grad der Leukozytose als einen
sicheren Indikator für die Schwere der Erkrankung zu betrachten,
wenn schon nicht übersehen werden darf, daß im allgemeinen
schwerere Fälle eine stärkere Leukozytose haben, als leichte Er-
krankungen. Die diagnostische Bedeutung der Leukozytose ist
daher für die Erkennung der Trichinose nicht groß, doch kann sie
gegenüber der Erkrankung von großem Werte sein, die mit der
Trichinose am leichtesten verwechselt werden kann, bei welcher
aber regelmäßig eine Leukopenie besteht, dem Abdominaltyphus.
Eine wiederholt ausgeführte Leukozytenzählung wird hier in
vielen Fällen dilFerentialdiagnostisch recht wertvoll sein, aber ein
absolut zuverlässiges Hilfsmittel ist sie nach dem Vorhergesagten
nicht.
Die Hornberger Trichinosisepidemie etc. IQ
Ein sicheres diagnostisches Moment ist aber in der
Vermehrnng der eosinophilen Zellen gegeben, auf deren
Verhalten ich jetzt zu sprechen komme.
Eosinophile ZelleB. Unter 62 erkrankten Personen, Männern.
Frauen und Kindern, weist das Blut eine beträchtliche Eosinophilie
auf, die bei verschiedenen Kranken verschieden stark ausgeprägt
ist. Das Blut von zwei weiteren Kranken zeigt die bei den übrigen
vorhandenen Veränderungen nicht. Der eine Patient ist ein Potator
dessen Angaben unglaubwürdig erscheinen, im anderen Falle handelt
es sich um eine Hysterica, die wohl erkrankt war, aber nach
meiner Überzeugung nicht an Trichinosis. Daß diese zwei Per-
sonen, in deren Blut die charakteristischen Veränderungen fehlten,
auch an Trichinosis erkrankt sein wollen, ist meines Erachtens
zurückzuführen auf die erfahrungsgemäjß bei Epidemien zutage
tretende Erscheinung, daß zuweilen Personen, welche nicht an der
epidemischen Krankheit leiden, auch die f&r die herrschende Epi-
demie charakteristischen Erscheinungen an sich verspüren wollen.
Bei den leichteren Erkrankungen erreichen die Eosinophilen
im allgemeinen keine so hohen Werte wie bei den schweren Fällen,
doch ist es nicht möglich, hier eine scharfe Grenze zu ziehen. Ver-
einzelte leichte Erkrankungen zeigen eine starke Ek)sinophilie, wäh-
rend umgekehrt ein schwer verlaufender Fall bei einer Gesamt-
leukozytenzahl von 5800 nur 3,2-5,9% E. (abs. 280—560) auf-
wies (Fall 56). Diese Beobachtung steht zwar vereinzelt da, aber
unter den mittelschweren Fällen sind ebenfalls einige, bei denen
das klinische Krankheitsbild ganz andere Werte erwarten läßt.
Das Vorhandensein oder das Fehlen von bestimmten Krank-
heitssymptomen ist von keinem Einfluß auf die Größe der Eosino-
philie. Berücksichtigt man aber, daß bei 16 leichten Erkrankungen
nur 5 Werte über 20 "/„ aufweisen, während es unter 44 schwereren
Fällen deren 30 sind, so ist es unverkennbar, daß schwerere Er-
krankungen durch eine stärkere Eosinophilie ausgezeichnet sind.
Die Schwere der Erkrankung ist wohl sicher abhängig von
dem Grade der Infektion und ich neigte nach den Befunden aus
den Muskelstücken dahin, den Grad der Eosinophilie in ein gewisses
Abhängigkeitsverhältnis zu bringen mit der Anzahl der im Muskel
vorhandenen Trichinen. Der Patient mit den sehr reichlichen Tri-
chinen im Biceps hatte 5030 E., die beiden anderen mit den spär-
lich vertretenen Parasiten nur 3150 bzw. 1600.
Eine solche Theorie ist aber hinfallig, denn es ist bekannt,
daß die Trichinen nicht gleichmäßig in den Muskeln verteilt sind.
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20 I- SCHLEIP
sondern oft in Nestern sitzen, so daß man in einem Stück sehr
viele, in einem anderen wenig haben kann. Gegen diese Theorie
spricht ferner der Umstand, daß alle 3 Fälle gleich schwer ver-
liefen. Wir können demnach uns noch kein sicheres Urteil darüber
bilden, wodurch der Grad der Eosinophilie bedingt wird, da die
Zahl der im Körper vorhandenen Parasiten beim Lebenden nicht
gut bestimmt werden kann.
Es war mir leider nicht vergönnt, die Epidemie auch im An-
fangsstadium zu beobachten: es wäre von außerordentlicher Be-
deutung, wenn der vollgültige Nachweis gebracht werden könnte,
daß die Vermehrung der Eosinophilen schon in den ersten Krank-
heitstagen vorhanden ist.
Die frühesten Beobachtungen bei dieser Epidemie fallen auf
den 14. und 15. Krankheitstag, an welchen schon eine Eosinophilie
zwischen 40 — 50 ^/o besteht; der Freiburger Fall* hatte am 10. Krank-
heitstag 44,5% E. (abs. 7120); das ist die früheste Beobachtung,
die bisher über das Auftreten dieser Blutveränderung gemacht
werden konnte; die in Amerika beschriebenen Fälle kamen erst
nach dem 14. Tag in Behandlung.
Ist am 10. Tag schon eine Eosinophilie von 44,5 % vorhanden,
am gleichen Tag abends 49,2% (abs. 10230), so können wir an-
nehmen, daß auch schon einige Tage früher die Vermehrung be-
gonnen hat. Überlegen wir ferner, daß die Krankheitserscheinungen
nach der 1. A^'oche sich nicht mehr erheblich ändern, so liegt kein
Grund vor, die Eosinophilie von dem Auftreten eines einzelnen
klinischen Symptoms abhängig zu machen, zumal wenn wii' in
Betracht ziehen, daß auch bei Helminthen, die den Darmkanal nicht
verlassen, nicht in den Körper eindringen, wie Taenia, Anchylo-
stomum, diese Blutveränderung eintritt, die demnach nur durch
einen von dem Parasiten ausgehenden Reiz entstanden sein kann.
Wir müssen daher annehmen, daß schon mit dem Freiwerden der
Parasiten aus den Kapseln oder dem Heranreifen derselben im
Darm auch bei der Trichinosis gewisse Wirkungen auf die Eosino-
philen ausgeübt werden, die eine Vermehrung derselben verursachen,
bevor die Embryonen in den Körper eindringen.
Gelingt es hiermit auch nicht, den sicheren Nachweis zu liefern,
daß die Eosinophilie auch ein Frühsymptom ist, so werden wohl
weitere, frühzeitig angestellte Untersuchungen beweisen, daß die
vorhergehende Überlegung nicht unrichtig ist.
Wie wenig die Eosinophilie abhängig ist von den klinischen
Erscheinungen, speziell von der Myositis, geht aus dem Um-
Die Hornberger Trichinosisepidemie etc. 21
Stande hervor, daß viele Kekonvaleszenten noch eine beträchtliche
Vermehrung dieser Zellen haben; darunter sind Personen, die sich
selbst für völlig gesund halten und schwere Arbeit leisten;
bei ihnen konnte ich keine Residuen ihres überstandenen Leidens
feststellen. Es sind dies 15 Personen, bei welchen Werte zwischen
6,2 — 45,2 % vorkommen. Natürlich besteht bei allen Patienten, so-
lange die Krankheitserscheinungen ausgeprägt sind, Eosinophilie
verschiedenen Grades, wie es nicht anders zu erwarten ist, denn
die Krankheitssymptome und die Eosinophilie haben zu allerletzt
dieselbe Ursache.
Wir müssen daher schließen, daß, solange noch Parasiten im
Darm sich befinden oder die in den Muskeln befindlichen Trichinen
sich noch nicht abgekapselt haben, so daß ihre StoflFwechselprodukte
in den Kreislauf gelangen, die Ursache nicht beseitigt ist, die zur
anhaltenden Vermehrung der eosinophilen Zellen Anlaß gibt.
Neutrophile Zellen. Diese Zellart zeigt bei ausgesprochener
Leukozytose in vielen Fällen nur eine geringe Zunahme ihrer nor-
malen absoluten Werte, in anderen sinken diese um so tiefer unter
die Norm, je größer die Vermehrung der Eosinophilen ist, so daß
ein gegensätzliches Verhalten der beiden Zellarten deutlich zum
Ausdruck kommt. Es entspricht diese Beobachtung dem Verhalten,
das Eosinophile und Neutrophile auch bei anderen Erkrankungen
zeigen; in Krankheiten, bei welchen eine neutrophile Leukozytose
vorhanden ist (Pneumonie, Angina, eitrige Exsudate, Abszesse usw.)
verschwinden die Eosinophilen oder sind vermindert.
Der Prozentgehalt des Blutes an dieser Zellart ist in allen
Fällen mehr oder minder stark herabgesetzt; Werte zwischen
30 — 60 ^/o sind die häufigsten, doch finden sich auch Werte von
nur 13,1 (abs. 1060); dabei muß schon hier bemerkt werden, daß
oft eine gleichzeitige Vermehrung der Lymphozyten die prozen-
tuellen Werte der Neutrophilen noch stärker herabdrückt. So enorm
geringe Zahlen der Neutrophilen, die doch eine für den Menschen
spezifische Zellart darstellen, wie man sie in den Angaben von
W. W. Kerr vorfindet, der bei einem Falle unter anderem 3,1 und
0,75 *^/o N. aufzeichnet, erscheinen mir auffallend, um so mehr, da
der betrefl^ende Autor keine gleichzeitigen Leukozytenzählungen
vorgenommen hat. Die Angaben der anderen amerikanischen
Autoren bewegen sich in den auch von mir gefundenen Grenzen.
Mit dem Nachlaß des Eeizes, der zur Vermehrung der Eosinophilen
führt und eine negative Wirkung auf die Neutrophilen auszuüben
scheint, nehmen diese Zellen wieder zu; auch die Übergangsformen
32 I* SoHuup
treten in sehr vielen Fällen zahlreicher auf, bis zu 20,5 % (abs. 160QX
während sie anfangs durchweg spärlich vertreten sind, so daß auch
hierdurch eine neu einsetzende Tätigkeit der hämatopoätischen Or-
gane zum Ausdruck kommt, die bestrebt ist, den Mangel des Blutes
an neutrophilen Zellen auszugleichen.
Lymphozyten, Mit dem Eintritt der Eekonvaleszenz ver-
mehren sich auch die Lymphozyten. 42 Fälle weisen WeKe
zwischen 30 — 60% auf und die absoluten Zahlen zeigen, daß
diese Vermehrung keine scheinbare ist, sondern daß eine rich-
tige Lymphozytose vorliegt.
Aus den Berichten von Cohnheim über 17 während der
He^erslebener Epidemie ausgeführten Sektionen geht hervor, daß die
solitären Drüsen und die Peyer'schen Plaques geschwollen, sowie
die Mesenterialdrüsen vergrößert waren. Diese Befunde sowie die
in vielen Fällen vorhandene Milzschwellung dürfte das Entstehen
der Lymphozytose erklären, die in gleich starkem Maße auch beim
Abdominaltyphus vorkommt*, bei welchem eine Vermehrung oder
Vergrößerung des lymphadenoiden Apparates in derselben Weise
stattfindet.
Oft besteht die Lymphozytose noch, wenn die eosinophilen
Zellen fast normale Werte wieder erreicht haben, so daß bei der
gleichzeitigen Vermehrung der Ubergangsformen und der Blut-
plättchen das Blut noch eine charakteristische Beschaffenheit be-
hält, aus welcher mit großer Wahrscheinlichkeit auf die Art der
vorhergegangenen Erkrankung ein Schluß gezogen werden kann. —
Es bleibt noch übrig, auf das morphologische und färbe-
rische Verhalten der weißen Blutkörperchen einzugehen. Die im
peripheren Blut vorhandenen Eosinophilen zeigen an Größe,
Beschaffenheit ihres Kerns und Aussehen ihrer Granula keinerlei
abnormes Verhalten. Manchmal liegen die Granula sehr dicht in
der Zelte, in fast allen Präparaten haben sie aber die charakteris-
tische Lagerung, so daß zwischen einzelnen Gruppen kleinere oder
größere Lücken entstehen oder auch vorwiegend eine Hälfte der
Zelle von den Granula eingenommen ist, während der Kern in d^
anderen Hälfte der Zelle etwas exzentrisch liegt. In keinem ein-
zigen Falle sind die Granula spärlich vorhanden. Ihr färberisches
Verhalten zeigt rein azidophile Eigenschaften.
In den Neutrophilen sind ebenso keine Granula enthalt^
die in irgend einer Beziehung an die eosinophilen erinnern. Neu-
trophile und Eosinophile zeigen keinerlei Annäherungen oder Über-
gänge im peripheren Blut Es muß dies besonders betont werd^
Die Hornberger Trichinoaisepidemie etc. 23
da von anderer Seite gerade im peripheren Blut sehr reichlich
Obergangsformen gefanden warden, so berichtet Thomas Mc.
Crae, daß er am 16. Krankheitstag hei einem Manne unter 219
gezählten Eosinophilen (sie!) nur eine einzige typische Eosinophile
gefunden habe; alle anderen 218 zeigten Übergänge von den Neu-
trophilen. Im weiteren Verlauf der Erkrankung machten diese
atypischen Formen den normalen eosinophilen Zellen Platz.
Das ist ein ganz auffallender Befund. Auch Atkinson beob-
achtete Granula in den Eosinophilen, die wie neutrophile waren,
aber glänzender und leuchtender und hält diese für Übergänge.
Brown, der die besten Untersuchungen geliefert hat, sah im
Blut keine Übergänge.
Ich habe viele Fälle aus denselben Krankheitstagen unter-
sucht und kann keinen Beitrag zu der Beobachtung Mc. Crae's
und Atkinson's bringen. Die einzige Zellart, die Übergänge zu
den eosinophilen zeigt, sind die basophilen Zellen, so auffallend
dies auf den ersten Blick erscheint. Ihre Granula sind verschieden
groß und zahlreich, wie man es auch sonst sieht, aber oft liegen
zwischen den dunkelrot gefärbten Granula einige, die leuchtend
azidophil erscheinen; manchmal sind sie so zahlreich, daß man im
Zweifel ist, ob eine eosinophile oder basophile Zelle vorliegt. Nach
Pappenheim und Hirschfeld gehen die Basophilen aus den
Eosinophilen hervor. Aus diesen nur spärlichen und bei wenigen
Fällen erhobenen Befunden auf ein ausschließliches Entstehen der
so reichlich vorhandenen Eosinophilen aus den nicht vermehrten
Basophilen zu schließen, geht aber nicht an.
In den Lymphozyten sind die azidophilen „Granula" im
allgemeinen reichlicher, wie bei allen anderen von mir beobachteten
Erkrankungen; oft sind sie staubförmig, oft liegen zwischen den
staubförmigen Körnchen einige grobe Körner, leuchtend rot, die
^ber eckig sind und keine gi*oße Ähnlichkeit mit den eosinophilen
Granula besitzen. Der Reichtum der großen und besonders der
kleinen Lymphozyten an azidophilen Körnern ist aber auffallend.
Diagnostische Bedeutung der Eosinophilie.
Alle Autoren, die bei Trichinosis Eosinophilie nachgewiesen
haben, heben die Bedeutung dieser so auffallenden Blut Veränderung
als ein Hilfsmittel zur Stellung der Diagnose hervor. Howard
fand in einem Falle keine Vermehrung; er machte keine Leuko-
^ytenzählnngen, sondern prüfte nur die gefärbten Trockenpräparate.
Da Costa beobachtete in einem weiteren Falle bei 22000 L. nur
24 I. SCHLEIP
0,5^0 E. Auch unter den Hornberger Erkrankungen finden sich 3,
deren klinisches Krankheitsbild für Trichinosis sehr charakteristisch
ist, bei denen aber eine deutliche Vermehrung der Eosinophilen
fehlt. Der eine Patient war schwerkrank und für die Wahr-
scheinlichkeit, daß er an Trichinosis litt, spricht der Umstand, daß
seine ganze Familie nach Genuß des verdächtigen Fleisches auch
erkrankt ist.
Stellt man alle bisher beobachteten Fälle zusammen, so be-
tragen die Erkrankungen, bei welchen die charakteristische Blut-
veränderung fehlt, doch nur einen verschwindenden Bruchteil jener
Summe. Die Bedeutung der Eosinophilie verliert daher nicht an
Wert, besonders wenn wir berücksichtigen, daß die Erkrankung,
welche am leichtesten bei vereinzelt zur Beobachtung kommenden
Fällen von Trichinosis zur Verwechslung Anlaß geben kann, der
Abdominaltyphus, sich durch völliges Fehlen der eosino-
philen Zellen auszeichnet.
Eine Aufzählung aller jener Erkrankungen, bei welchen eine
verschieden starke Eosinophilie eintritt, ist in den letzten Jahren
mehrmals unternommen worden. Ich verweise auf die Arbeiten
von Zappert, Wolff, S. Bettmann und St. Klein, sowie auf
die hämatologischen Lehrbücher. Krankheiten, die mit einer so
starken Eosinophilie einhergehen, wie sie bei Trichinosis beobachtet
wird, sind selten.
Bei Pemphigus fand Zappert als höchste Werte 29,2 und
33%, Lazarus bei Urticaria 60"/,,. Brown bei chronischer
Dermatitis herpetiformus 44,3 ^o- I"^ Oktober 1902 beobachtete
ich bei einem 19jährigen Mädchen, das im Anschluß an Röteln
eine universelle akute Dermatitis bekam, eine allmäliche Steigerung
der Eosinophilen von 1,3% (abs. 60) auf 41,4« „ (abs. 5090) inner-
halb 18 Tagen. Bekannt sind die Befunde Bück 1er 's, der unter
Leichtenstern arbeitete. Er fand, daß alle Helminthenarten,
auch die harmlosesten, eine Eosinophilie verschiedenen Grades be-
wirken können. Cabot fand bei 19 Anchylostomumerkrankungen
eine Eosinophilie von durchschnittlich 10,3 «o-
Die Tatsache, daß auch bei anderen Erkrankungen Eosino-
philie in starkem Maße vorkommen kann, schwächt die Bedeutung
der Blutveränderung bei der Trichinosis nicht ab, haben doch alle
jene Erkrankungen in ihrem klinischen Verlauf keine Ähnlichkeit
mit der Trichinosis. Diejenigen Erkrankungen, welche die Diagnose-
stellung eines isoliert zur Beobachtung kommenden Falles schAvierig
gestalten können, sind der Abdominaltyphus und die Polymyositis.
Die Hornberger Tricbinosisepidemie etc. 25
Die Leukopenie und das Fehlen der Eosinophilen auf der einen
Seite, die Leukozj'tose und die fast immer vorhandene Eosinophilie
auf der anderen Seite schaflFen so klare Merkmale, die für klinisch
unklare Fälle bei der Stellung der Diagnose geradezu allein ent-
scheidend sein können.
über die Blutzusammensetzung bei der so seltenen Polymyositis
habe ich keine Beobachtung machen können.
Bei epidemisch auftretenden Erkrankungen wird man zur Klar-
stellung der Krankheitsursache des Nachweises der Eosinophilie nicht
notwendig bedürfen, wenn die Möglichkeit noch vorhanden ist, das
trichinöse Fleisch selbst nachträglich zu untersuchen. Dies wird
nicht immer der Fall sein und auch bei dieser Epidemie konnte
mau kein Stückchen des verdächtigen Fleisches erlangen. Wie
sehr dadurch die Unsicherheit über die Natur der Erkrankung
aufrecht erhalten wurde, beweist der Umstand, daß die Überzeu-
gung, so handle sich bei dieser, in allen Verhältnissen sonst so
klaren Epidemie um Trichinose, auch bei den beteiligten Ärzten
lange Zeit nicht ungeteilt war. Wieviel leichter können vereinzelte
Erkrankungen oder verstreut liegende Fälle die Ansichten der
Arzte über die Natur der Erkrankung täuschen. Sowohl der Frei-
burger Fall, wie einzelne der in Amerika zur Beobachtung ge-
kommenen Erkrankungen wurden zuerst für Typhus gehalten, weil
eben das Krankheitsbild sehr ähnlich war und bei den herrschen-
den hygienischen Verhältnissen der Gedanke an Trichinosis außer-
ordentlich fern liegen mußte. Erst die Blutuntersuchungen lieferten
in allen Fällen das überraschende Resultat der Eosinophilie und
führten zur schließlichen Erkennung der Erkrankung.
Wie w^eit aber der Irrtum in der Diagnose gehen kann, selbst
wenn der Gedanke an Trichinosis zu allererst kommen sollte, be-
weisen folgende interessante Tatsachen, die mir die Aufdeckung
einer zweiten Epidemie ermöglichten.
Ende August, während alle Gemüter über die in Homber^
hen-schende Epidemie am stärksten erregt waren, kam der Kreis-
arzt auf seiner regelmäßigen Inspektionsreise nach dem Dorfe
Wallenstein. Das liegt, ungefähr 15 km von Homberg entfernt,
in einem Tal, dessen Bewohner auf den Verkehr mit Homberg an-
gewiesen sind. In den näher gelegenen Dörfern waren verschie-
dene Erkrankungen vorgekommen, die Bewohner hatten z. T. auch
Fleisch von den beiden Metzgern bezogen. Ein Landwirt aus
diesem Dorf klagte dem anwesenden Kreisarzt über Beschwerden,
die alle charakteristisch waren für Trichinose; der Mann war
26 I- SCHLBIP
schwerkrank, konnte sich nur mühsam über die Straße schleppt;
er wollte aber schon am 4. August und nur an diesem Tage in
Hombei*g, in der Wirtschaft des einen Metzgers rohes Hack ge-
gessen haben. Weil die Epidemie erst seit dem 20. August spielte,
wurde der Mann als nicht verdächtig zurückgewiesen und bekam
ein Mittel gegen Kreuzschmerzen.
Zwei Wochen später kam auch der Amtsrichter durch das
Dorf und sagte dem Manne, der ihm auch dieselben Klagen vor-
brachte, er solle sich einmal von mir untersuchen lassen. Der
Landwirt kam am 19. September nach Homberg; sein Blut zeigte
noch eine hochgradige Eosinophilie. Auf Veranlassung des Amts-
gerichts machte ich eine Muskelezzision, bekam aber bei der großen
Ängstlichkeit des sehr schwachen Mannes nur ein kleines Stückchen
aus dem Kande des Biceps, in welchem keine Trichinen waren,
deren Nachweis gerade in diesem Falle sehr erwünscht gewesen
wäre. Am 8. Oktober ging ich nach Wallenstein, um das Blut
dieses Mannes wieder zu untersuchen und hörte im Dorfe, daß ein
anderer Bauer ans derselben Ortschaft ein paar Tage früher ebenso
erkrankt sei wie der Landwirt. Der Mann wurde beigeholt und
ich hörte von ihm ein Krankheitsbild, wie es nicht schöner für
Trichinosis gedacht werden kann. Wie er am schwersten krank war,
Ende August, wurde ein Arzt aus einem entfernteren Dorfe geholt.
Der soll gesagt haben „Sie haben einen schweren Herzfehler". Der
Patient hatte damals über 40^ Fieber, starke Dyspnoe und Herz-
klopfen. Der Arzt kam nicht wieder. Dieser Mann fährt täglich
die Milch aus jenem Tal nach Homberg, nimmt auf dem Rückweg
jeden Samstag rohes Hack von einem der beiden Metzger mit nach
Hause und verzehrt dabei etwas von diesem Hack in der Wirt-
schaft des Metzgers, so auch am 1. August. Einige Tage darauf
wurde er krank. Sein Blut zeigte noch am 19. September eine
starke Eosinophilie.
Durch Nachfragen habe ich in kurzer Zeit noch 3 Leute ge-
funden, die in jener Zeit unter trichinosisartigen Erscheinungen
erkrankt sind, darunter den einen Metzger selbst ; einen jener Fälle
konnte ich noch untersuchen; die Blutbefunde sind folgende : (siehe
Tab. S. 27).
Diese Beobachtungen beweisen zunächst, daß schon anfangs
August oder Ende Juli eine Infektion stattgefunden hat; warum
nicht schon damals eine Epidemie auftrat, darüber lassen sich ver-
schiedene Erklärungen aufstellen. Die 3 untersuchten Männer
geben an, das Hack sei „grünlich" gewesen, so daß sie es nicht
Die Hornberger Trichinonsepidemie etc.
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503
663
373
aufessen konnteD. Der Metzger wird daher jenes verdorbene,
schlecht aussehende Fleisch sowenig wie möglich roh verkauft
haben; er hat vielleicht Würste daraus gemacht und nach dem
Kochen waren die Trichinen vernichtet. Diese Erkrankungen be-
weisen aber auch, daß die Trichinosis in vielen Fällen gar nicht
erkannt wird oder erkannt werden kann, wenn sie isoliert in einer
Gegend zur Beobachtung kommt, wo diese Erkrankung selten ist.
Vielleicht ist aber die Trichinosis nur so selten, weil sie bisher
schwierig zu erkennen war; dafür sprechen die in den letzten
Jahren in Amerika von Zeit zu Zeit wiederkehrenden Veröifent-
Uchungen über isolierte Erkrankungen, dafür spricht auch jener
Freiburger Fall.
Der praktische Wert dieser Blutveränderungen liegt darin,
daß durch ihren Nachweis ein leicht zu beobachtendes
Symptom gefunden ist, welches mit fast absoluter Sicher-
heit die Stellung einer sicheren Diagnose ermöglicht, auch zu
einer Zeit, wo die Trichinen auf ihrer W^anderung noch nicht in
die Muskeln gelangt sind, wo also überhaupt die, bisher allein
entscheidende Muskelexzision noch kein positives Resultat haben
kann. Wie selten es gelingt, die Darmtrichinen in den Fäces nach-
zuweisen, ist bekannt.
Der Nachweis, daß Eosinophilie schon in den ersten Tagen
vorhanden ist, muß, wie erwähnt, noch geliefert werden. Die immer
hanfiger in Anwendung kommende Blutuntersuchung bei fieber-
haften Erkrankungen wird dazu mehr Gelegenheit geben, als
früher vorhanden war. Ermöglicht daher der Nachweis der Eosino-
philie eine sichere Frühdiagnose, so können wir auch frühzeitiger
diejenigen Maßregeln treffen, welche ein W^eiterumsichgreifen der
Epidemie verhindern sollen.
28 I- SCHLEIP
Veränderungen an den Muskeln
wurden seit den grundlegenden Arbeiten von Zenker. Virchow,
Leuckhardt, Cohnheim und Fiedler mehrfach beschrieben;
neuere Arbeiten von Lewin, Nonne und Höpfner, Graham
sind auf das Stadium der Einwandening der Trichinen mit seinen
Reaktionserscheinungen ausführlich eingegangen und haben schon
bekanntem einige neue Tatsachen hinzugefügt, die sich auf die
Art der Muskeldegeneration beziehen. Insbesondere hat Ehrhardt
an einem reichen Material von infizierten Kaninchen alle Stadien
der trichinösen Entzündung in eingehender Weise beschrieben und
auch über Muskelveränderung bei akuter menschlicher Trichinose
in zwei Fällen Untersuchungen angestellt.
Der Zweck meiner Untersuchungen war jedoch nicht der, die
neueren Ergebnisse dieser immerhin selten zu Gesicht kommenden
akuten Veränderungen durch weiteres Material zu stützen, sondern
mir lag daran, eine äußerst interessante und bisher einzige Be-
obachtung, die Th. R. Brown in seiner Arbeit veröffentlicht hat,
auf ihre Richtigkeit zu prüfen.
Außer den schon bekannten Veränderungen fand Brown im
ganzen Muskel zerstreut, am meisten an jenen Stellen, die zerfallene
Muskelpartien enthielten, polymorphkernige Zellen, von denen viele
Eosinoi)hile waren. In einigen zeigten die Granula rein azidophile
Tinktion, in anderen wohl charakterisierten Zellen waren Über-
gänge von neutrophilen zu azidophilen Granula. Brown hält diese
Zellen für Phagozyten, weil sie besonders reichlich in den mehr
degenerierten Partien vorhanden waren, und manchmal sah er sie
in kleinen Lücken und Buchten des degenerierten Muskels liegen,
wie wenn sie sich da hineingefressen hätten. Von der falschen Auf-
fassung, die Reste der Muskelfibrillen, welche bei der kömigen
Degeneration entstehen, für die späteren eosinophilen Granula zu
erklären, schützte ihn das verschieden färberische Verhalten. In
einem zweiten Muskelstück, welches demselben Manne 14 Tage
später entnommen wurde, war die Zahl der Eosinophilen größer
als das erstemal, während die Neutrophilen abgenommen hatten.
Im peripheren Blut waren gleichzeitig die beiden Zellarten in
einem annähernd gleichen Zahlenverhältnis zueinander vertreten.
Die Anwesenheit von vielen Neutrophilen im ersten Muskel-
stück, dazwischen manche typisclie Eosinophile und vereinzelte
Übergangsformen, sowie die viel größere Anzahl von E. 2 Wochen
später, führen Brown zu dem Schlüsse, daß diese Zellen an Ort
Die Hornberger Trichinosisepidemie etc. 29
und Stelle des degenerierenden Muskels gebildet werden, wobei er
annimmt, daß die degenerierte Substanz bei der Aufnahme durch
die Neutrophilen eine Umwandlung erlährt oder vielleicht in ge-
löster Form aufgenommen wird. Die eosinophilen Granula hält er
nicht für Stücke des degenerierten Muskels, sondern für Produkte
der Zelle selbst.
Diese Theorie erscheint nicht unlogisch und ich bin an die
Untersuchung meiner Präparate gegangen, in der sicheren Er-
wartung, Ergebnisse zu bekommen, welche Brown's Angaben be-
stätigen könnten.
Es war mein Bestreben, Muskelexzisionen aus verschiedenen
Krankheitsstadien zu machen; die Patienten lagen aber in keinem
Krankenhause, sondern befanden sich in ihren Wohnungen, mit
häuslichen Arbeiten beschäftigt, oder waren wieder ihrem Berufe
nachgegangen, um keine weiteren Verluste zu erleiden. Unter
diesen Umständen wurde es schwer. Bereitwillige zu finden; nach-
dem das erste Interesse an der neuen Sache vorüber war, konnte
ich keinen Patienten mehr dazu bewegen, den an sich ungefähr-
lichen Eingriff zu erdulden, zumal er unvermeidlich melirere Tage
Arbeitsunfähigkeit zur Folge hatte. So konnte ich für meine Zwecke
nur bei 3 Patienten Muskelexzisionen vornehmen, wovon das eine
Stück für frische Präparate Verwendung fand. Die beiden anderen
Stücke stammen von den Patienten Nr. 47 und 55 und wurden am
29, bzw. 27. Krankheitstag exzidiert.
Nr. 55 war sehr reichlich von Trichinen durchsetzt; in dem
kaum 1 ccm großen Stück waren nach Schätzung 5 — 600 Trichinen
vorhanden. Nr. 47 enthielt Weniger Trichinen, wenigstens gerade
das exzidierte Stück. Der Muskel war im lebenden Zustande
glasig, auffallend rot und bei Untersuchung des frischen Präparates
dicht und zäh.
Beide Präparate wurden in Formol gehärtet, mit Celloidin im-
prägniert und mit verschiedenen Farblösungen behandelt. Färbte
man nach kurzer Vorfärbung in Häraatoxylin 16—^^0 Stunden in
Eosinglyzerin, so entstanden die brauchbarsten Bilder.
Die Muskelsubstanz zeigt eine verschieden starke Affinität
zum Eosin: einzelne Muskelfasern sind normal gefärbt, viele blaß-
grau oder grauviolett, so daß schon bei der makroskopischen Be-
sichtigung des Schnittes das fleckige Aussehen auffällt. Sehr blaß
geiärbte Fasern erscheinen durciischeinend. Oft findet man zwischen
zwei sehr blassen Fasern eine normal gefärbte, oder in einem Brei
zugrunde gegangener Muskelsubstanz liegen längere und kürzere
30 I- SCHLBIP
Faserstücke, die Eosin gut angenommen haben und an ihrer Quer-
Btreifang die kaum veränderte Beschaffenheit erkennen lassen.
Die entzündlichen Veränderungen. sind sowohl pai'enchymatöser
wie interstitieller Art und erscheinen unabhängig von dem Sitze
der Trichinen; abgesehen von der kömigen Degeneration, die für
die trichinenhaltigen Fasern charakteristisch ist, finden sich ent-
zündliche und regenerative Prozesse über den ganzen Muskel aus-
gebreitet. Die auffallendste Veränderung wird jedoch durch die
interstitielle Entzündung bewirkt, die bei der Trichinosis in
viel stärkerem Maße hervortritt, als bei Myositis anderer Ätiologie.
Eine eingehende Schilderung aller mikroskopisch sichtbaren
Veränderungen liegt außerhalb des Zweckes dieser Arbeit und
würde auch nicht Neues zutage bringen, da diese Verhältnisse
gerade in letzter Zeit ausführlich beschrieben worden sind. Ich
erwähne daher die Veränderungen nur soweit, als sie im Znsammen-
hang mit den eosinophilen Zellen stehen und auf Vorhandensein
und Fehlen derselben einen Einfluß haben.
Betrachtet man auf einem Längsschnitt durch die Muskulatur
den Sitz einer Trichine (s. Fig. 1), so sieht man in dem homogenen
Inhalt der im Entstehen begriffenen Kapsel eine Lücke, von deren
gewöhnlich runden Begrenzung einzelne Septen mehr oder weniger
iveit in das Lumen vorspringen. Diese gefächerte Linie entspricht
der Umgrenzung der Trichinenwindungen, die durch die Schnitt-
fläche getroffen sind. Der Leib der Trichine ist gewöhnlich aus-
gefallen, selten ist ein Stück von ihm noch vorhanden. In der
blau violett gefärbten Masse des übrigen Kapselinhalts fallen die
großen bläschenförmigen Fibroblasten auf, besonders zahlreich an
den Polen, wo sie vor den Bewegungen der Trichine geschützter
sind. An einzelnen Stellen kann man deutlich den Einbruch von
Bindegewebe in die Kapsel verfolgen.
Die Kapsel ist umgeben von einem Wall kleinzelliger Infiltration,
die wesentlich aus Lymphozyten gebildet ist, doch finden sich auch
Bindegewebszellen, weniger pol3"morphkernige Leukozyten. Die An-
häufung dieser Zellen ist an den Kapselpolen am stärksten aus-
gebildet. All diesen Infiltrationsherd schließt sich die kömig de-
generierte Faser an, die, bei Olimmersion betrachtet, aus einem
Brei von in Auflösung begriffenen, fast homogenisierten Muskel-
fibrillen besteht. In ihm liegen noch kleine Stücke mehr oder
minder veränderter Muskelsubstanz, die durch viele Vakuolen von-
einander getrennt sind. Der Wall kleinzelliger Infiltration um die
Kapsel der Trichine endet an diesem Detritus in ziemlich scharfer
Die Hornberger TriehiBosisepidemie etc. 31
Grenze; die zelligen Elemente sind spärlich und gleichmäßig über
diese Masse verteilt; zwischen wenigen Fibroblasten sieht man
einige Lymphozyten und sehr viele polymorphkernige Leukozyten,
von denen über die Hälfte wohlcharakterisierte Eosinophile sind.
Sie liegen unregelmäßig verteilt, manchmal 4 nebeneinander,
oft neben den vielen Lücken, manchmal auch in oder auf diesen.
Doch kann ich keinerlei Beziehung erkennen zwischen den Eosino-
philen und diesen Lücken, so daß die Angabe von Brown, die
Zellen hätten sich gleichsam hineingefressen, keine Bestätigung
findet In dem Wall von Zellen, der die Trichine umgibt, ist nie-
mals eine Eosinophile vorhanden und auch an dem Rande desselben
finden sie sich selten und nur vereinzelt. Auch weiter entfernt
von dem Sitze der Trichinen sind die Eosinophilen vorhanden,
überall, wo die interstitielle Entzündung in ihrer verschiedenen
Stärke ausgeprägt ist. Im Perimysium internum sind vielfach Zell-
haufen, die, je nachdem sie zur Schnittfläche liegen, eine andere
Gestalt haben. Oft sind sie schlauchförmig, erstrecken sich in be-
trächtlicher Längenausdehnung zwischen den Muskelfasern; ist die
Myositis ausgeprägter, so nimmt die Zellanhäufung eine elliptische
Oestalt an, die Degeneration der benachbarten Muskelfasern ist
dann eine stärkere.
Die Zahl dieser verschieden gestalteten Herde, von denen die
schlauchförmigen überwiegen, ist eine größere als die Zahl der vor-
handenen Trichinen, so daß die Annahme berechtigt erscheint, daß
diese interstitiellen Zellansammlungen die Wege darstellen, auf
welchen die Embryonen durch den Muskel gewandert sind, bevor
sie sich endgültig in einer Faser festgesetzt haben. Verfolgen wir
diese Deutung, so haben auf diesen Wegen die Trichinen oder deren
StoflFwechselprodukte einen lebhaften Reiz ausgeübt, der sich in
der stärkeren Zellinfiltration ausdrückt. An dieser strangförmigen
interstitiellen Entzündung beteiligen sich spärlich Fibroblasten und
Lymphozyten, auch polymorphkernige Leukozyten, dagegen regel-
mäßig eine große Zahl Eosinophile. Oft betragen sie die Hälfte
aller Zellen, manchmal sieht man fast ausschließlich eosinophile
Zellen, so daß eine reine eosinophile Entzündung vorliegt. Sie
drängen sich in die benachbarten Interstitien, oft in Gruppen von
3 — 6, manchmal liegen sie vereinzelt in der Keihe der Muskelkerne
und erinnern durch ihre in diesem Falle vorhandene langgestreckte
Gestalt an Bindegewebszellen. Es liegt aber kein Grund vor,
wegen dieser Gestaltsveränderung an ihrer leukozytären Natur zu
zweifeln; da, wo Raumbeengung vorhanden ist, passen sie sich
32 I' Schleif
eben an. Sind die Interstitien weiter, so haben sie ihre normale
Gestalt. Ist bei einem interstitiellen Herd die angrenzende Muskel-
faser in Auflösung begriffen, so sieht man Bilder, ähnlich den
Howship'schen Lakunen der Knochen; gewöhnliche und eosinophile
Leukozyten brechen in die Muskelsubstanz ein, indem sie das
Sarkolemm durchdringen; diese Stellen sieht man aber selten. Hier,
am Eande des in Auflösung begriffenen Muskels liegen die Eosino-
philen spärlich und vereinzelt (s. Fig. 2).
Da, wo im Bindegewebe größere Kapillaren liegen, die stärker
gefüllt erscheinen, sieht man diese von einem schwachen Wall von
Leukozyten umgeben, sowohl mono- wie polynukleäre ; darunter
sind spärlich Eosinophile; auch in der Nachbarschaft der Gefäße
liegen sie nur vereinzelt, wie überall im Muskel, wo die Wirkung
der Trichine oder ihrer Stoffwechselprodukte sich nicht in besonderer
Weise geltend machen kann.
Die eosinophilen Zellen sind überall von gleicher Größe, ent-
sprechend der im hängenden Tropfen untersuchten Formen 'des
peripheren Blutes. Die Kerne färben sich tiefblau, sind charak-
teristisch zwei oder dreilappig und liegen gewöhnlich etwas exzen-
trisch. Die Granula sind leuchtend rot, von fast gleicher Größe
und liegen im Protoplasma oft in einzelnen Haufen, so daß kleine
Lücken entstehen oder, was seltener vorkommt, nur '/4 des Proto-
plasmas von ihnen eingenommen wird. Hier und da sieht man
auch eine sehr kleine eosinophile Zelle, mononukleär, umgeben von
wenigen Granula, oder eine Zelle ist von normaler Größe, auch
mononukleär, enthält aber reichlich Granula. Dann liegen gar
nicht so selten Haufen verschieden zahlreicher eosinophiler Granula,
anscheinend völlig isoliert, ohne Zusammenhang mit einer Zelle.
Man muß diese Bildungen, auch die mononukleären Zellen so auf-
fassen, daß eosinophile Zellen in verschiedener Höhe von der
Schnittfläche getroffen sind und Hälften von ihnen in zwei Schnitten
liegen. Ist nur ein kleines Stück abgeschnitten, so sind in diesem
nur Granula vorhanden, in einem größeren findet sich auch ein
verschieden großer Teil des Kerns. Auf diese Weise erklärt- es
sich, daß auch einkernige Eosinophile vorhanden sind, oft von
normaler Größe. Im peripheren Blut waren nur polymorphkernige
Eosinophile.
Nirgend sind Zellen, bei denen man im Zweifel über ihre Art
sein kann, insbesondere Übergänge waren nicht vorhanden. Auch
an den Stellen der lakunären Resorption der Muskelsubstanz, wo
die Einwanderung der Leukozyten am deutlichsten zu sehen ist
Die Hornberger Trichinosisepidemie etc. 33
und der Prozeß jedenfalls am jüngsten, liegen nur charakteristisclie
Eosinophile neben gewöhnlichen Eiterzellen. Selbst wenn die An-
nahme richtig ist, daß die eosinophilen Granula sich hier, an der
Stelle des Muskelzerfalls bilden, so erscheint es auffallend, daß
keinerlei Erscheinungen den im Entstehen begriffenen Prozeß an-
zeigen.
Verfolgen wir die von Brown aufgestellte Theorie, so müssen
Eosinophile jedesmal entstehen; wenn Muskelsubstanz zerfällt; es
muß also bei jeder Form von Myositis eine eosinophile Entzündung
eintreten, denn es erscheint sehr unwahrscheinlich, daß in dem
einen Falle die Endprodukte des Muskelzerfalls eosinophile Granula
sind, während alle anderen Formen der Myositis nicht zur Bildung
dieser Granula reichen.
Eine Untersuchung von Myositis bei anderen Erkrankungen
wird daher entscheiden können, ob diese Frage in einem für die
Brown' sehe Theorie günstigem Sinne gelöst werden kann. Brown
hat in dieser Richtung keine Untersuchungen angestellt. Ich fand
Gelegenheit, zwei Fälle von Myositis typhosa und einen Fall von
Myositis in der Nachbarschaft von Gangrän zu untersuchen. Die
Muskelstücke stammen aus dem Quadriceps, wurden z. T. in Formol,
z. T. in Zenker' scher Lösung gehärtet. Bei Anwendung ver-
schiedener Färbemethoden gelang es nicht, eosinophile Zellen an
irgend einer Stelle des Präparats zu finden, ein Resultat, das nicht
überraschend wirkt, wenn man sich erinnert, daß die Eosinophilen
beim Typhus stark vermindert sind oder überhaupt fehlen.
Eine Erklärung dieses so eigenartigen Verhaltens der Eosino-
philen im Muskel fällt nicht schwer, wenn wir* berücksichtigen,
daß bei der Anwesenheit aller Helminthen im menschlichen Körper
eine Vermehrung dieser Zellen stattfindet, wie schon früher er-
wähnt worden ist. Auch dann ist die Blutveränderung vorhanden,
wenn diese Parasiten keine Muskelerscheinungen machen oder wenn
sie nur im Darmkanal leben und nicht in den Körper eindringen.
Daraus folgt, daß Eosinophilie vorhanden ist, nicht wenn Myo-
sitis besteht, sondern wenn Helminthen im Organismus vor-
handen sind.
Die Myositis ist nur ein Symptom einer mit Eosinophilie ver-
bundenen Erkrankung und nicht die Ursache der Blutveränderung.
Die Brown 'sehe Theorie erscheint demnach unhaltbar.
Die Anwesenheit einer so großen Zahl dieser seltenen Zellart
im Muskel läßt sich dadurch erklären, daß der chemotaktische
Reiz hier ein viel stärkerer sein muß, als irgendwo anders im
Deutsches Archiv f. klin. Medizin. LXXX. Bd. 3
34 I- &w<«ip
IPrpfir, weil die Stoffwechselprodukte der Tricbioea ini Mu^^
konzentrierter vorhanden sind als im periplmren Blut Damit steht
im Einklang, daß an jenen Stellen der interstitiellau MyositiSt
welche wir als die Wafi^e der Parasiten auffassen, die Zellen zahl-
reicher sind, als an anderen Orten. Es erscheint aber auf den
ei^sten Blick auffallend, daß unmittelbar am Sitze des Parasiten
oder in seiner nächsten Umgebung sieh keine Eosinophilen finden.
Allein wir können annehmen, daß bis zu einem gewissen Zeitpunkt
der von den Parasiten ausgehende Beiz ein so starker ist^ daß er
ein Näherrucken der Zellen verhindert Untersuchungen aus ver-
schiedenen Stadien der Trichinaieinwanderung werden über das
Verhalten der Zellen in der nächsten Umgebung der Trichinen
weitere Klärung schaffen können, als bei dem vorliegenden Material
der Fall sein kann. Die spärliche Anwesenheit von Zellen auch
da, wo die Trichinen nicht gewandert sind, an Stellen, wo die
interstitielle Entzündung nur gering ist, wird dadurch bedingt,
daß die Eosinophilen an der lokalen Entzündung in einer Zahl
sich beteiligen, die ihrem Prozentgehalt unter den Leukozyten des
peripheren Blutes entspricht.
Brown nimmt an, daß die Eosinophilen im Muskel entstehen ;
die eosinophile Leukozytose muß nach seiner Theorie daher eine
sekundäre Erscheinung der Trichinose sein, deren Grad abhängig
ist von der Größe des Muskelzerfalls und der Bildung der Granula.
Sie ist demnach nur der Ausdruck eines anhaltenden Muskel-
zerfalls, deren Endprodukte in Form der Granula im peripheren
Blute zirkulieren.
Es erscheint doch wahrscheinlicher, daß die stärkere Ansamm-
lung der Zellen im Muskel durch eine Auswanderung aus der Blut-
bahn erfolgt, weil der chemotaktische Reiz sie nach diesen Stellen
besonders stark anlockt. Daß eine Auswanderung möglieh ist, be-
weisen Untersuchungen über den Inhalt von Kantharidenblasen,
die ich bei 8 Personen, die an Trichinosis litten, erzeugt habe.
Die E. betrugen zwischen 7 und 40 ®/o aller im Exsudat vorhandenen
Zellen; in einem Falle tmt mit der Steigerung der Eosinophilie
des peripheren Blutes auch eine Zunahme dieser Zellen in der
Eantharidenblase ein. Kontrollversuche bei 5 gesunden Personen
ergaben, daß die E. spärlich, bis zu 3% vertreten waren. Im
hängenden Tropfen sind die Protoplasmafortsätze dieser Zellen gut
zu beobachten. Oft wird der ganze Zellleib vom Kern eingenommen
und alle Granula liegen in den Pseudopodien, oder einzelne Granula
Die Hornberger Triehmosisepideniie etc. 35
m aafierhalb der Zelle, an einem kurzen, feinen Plasmafaden
flottierend.
Diese Befunde scheinen auf den ersten Blick im Widerspruch
zu stehen mit dem bekannten Neu ßer 'sehen Experiment und den
Beobachtungen von Lerrede-Perin, aus welchen sich ergibt,
daß eosinophile und neutrophile Zellen von verschieden chemotak-
tischer Eeizbarkeit sind ; demgemäß können die K nur an die Orte
wandern, welche einen für sie spezifischen Keizstoff besitzen. Meine
Befunde beweisen in erster Linie, daß diese Zellen einer Emigration
fSing sind; sie wandern auch in die Eantharidenblase ein, weil
eine bestimmte Menge des spezifischen Agens aus dem zirkulieren-
den Blute natürlich auch mit in die Blase übergetreten ist. An
der Hautentzündung beteiligen sich die Zellen annähernd ent-
sprechend ihrem Prozentsatz im peripheren Blute.
über die Bedeutung und Herkunft der eosinophilen Zellen
wurden mannigfache Ansichten aufgestellt; eine kritische Beleuch-
tung dieser Theorien findet sich in der Arbeit von A. Wolf f.
Aus den Ergebnissen, zu denen dieser Autor kommt, ersieht man,
daß Ort und Art ihrer Entstehung sowie ihre physiologische Auf-
gabe ein noch ungelöstes Problem ist. Über den Ort ihres Ent-
stehens herrschen zwei Ansichten; die eine läßt sich zusammen-
fassen in den Begriff „lokale Entstehung", Ehrlich und seine
Schüler sehen immer noch im Knochenmark die alleinige Stätte
ihrer Bildung.
Diese, auch bei der Trichinose sich aufdrängende Frage nach
der Herkunft dieser Zellen läßt sich auf Grund des vorliegenden
Materials und der an ihm ausgeführten Untersuchungen nicht
beantworten. Man wird durch weitere Untersuchungen beim Tier-
experiment ihrer Lösung näher kommen können, denn es ist wohl
sicher, daß der Beginn dieser so starken Vermehrung der normaler-
weise spärlich vertretenen Zellart sich am Orte ihres Entstehens
wird erkennen lassen.
Es erscheint mir aber von Wert, nachgewiesen zu haben, daß
die Eosinophilen nicht lokal entstehen bei einer Er-
krankung, deren Erreger in ihrer Wirkung auf das
sie umgebende Gewebe genau beobachtet werden
können. Die Tatsache, daß alle Helminthen, auch dann, wenn
sie mcht in den Körper eindringen, Eosinophilie verursachen,
spricht yidtmehr daffir, daß ihre Stoffwechselprodukte auf die nor-
malen Bildungsstätten der Eosinophilen einen verschieden
3*
36 I- SCHLKIP
großen Reiz ausüben, der zu einer Vermehrung dieser Zellen und
zu ihrer Überw'anderung in das Blut führt.
Zusammenfassung.
Die klinischen Krankheitserscheinungen bei der Trichinosis
reichen nicht aus, eine sichere Diagnose dieser Erkrankung zu
stellen. In Einzelfallen wird die Diagnose ungleich schwieriger^
als bei Epidemien.
Zahlreiche, nicht erkannte sporadische Erkrankungen beweisen,
daß die Trichinosis sehr (wahrscheinlich deshalb so selten diagnosti-
ziert wird, weil sie bei Einzelerkrankungen nicht erkannt wird oder
nicht erkannt werden kann.
Durch die in */& etiler Fälle vorhandene Milzschwellung bei
der Trichinosis schwindet ein wertvolles, diflferentialdiagnostisches
Symptom gegenüber dem Abdominaltyphus; die Auffindung eines
neuen, sicheren Krankheitssymptoms gewinnt dadurch noch an Wert.
Die Blutuntersuchung ist neben dem ungleich umständ-
licheren Verfahren der Muskelexzision die wertvollsteMethode
zur sicheren Diagnose der Trichinosis; sie ermöglicht mit großer
Wahrscheinlichkeit eine Diagnose schon dann, wenn die Trichinen
noch nicht in den Muskel eingewandert sind.
Die eosinophilen Zellen zeigen eine fast regel-
mäßige hochgradige Vermehrung. Andere, mit Eosinophilie
verbundene Erkrankungen sind selten, ihr Krankheitsbild sehr ver-
schieden von dem der Trichinosis. Diese Blutveränderung ist daher
für die Trichinosis pathognomonisch.
Für die einzelnen Stadien der Erkrankung sind die Schwan-
kungen in den Mengenverhältnissen der Leukozytenarten charak-
teristisch und bedingt: 1. durch die Wirkung der, A^on den Trichinen
ausgehenden Stoffwechselprodukte auf die Bildungsstätten der Leuko-
zyten, 2. durch eine in der Rekonvaleszenz auftretende Veränderung
des lymphatischen Apparates und wahrscheinlich durch einen Zerfall
von eosinophilen Leukozyten.
Während der Erkrankung tritt in vielen Fällen Leukozytose,
in fast allen hochgradige Eosinophilie ein, während die neutrophilen
Zellen eine prozentuelle und absolute Verminderung erfahren.
In der Rekonvaleszenz findet eine starke Vermehrung der
Lymphozyten statt und eine Überschwemmung des Blutes durch
Blutplättchen. Gleichzeitig zeigen mit der Abnahme der im
Blute kreisenden chemotaktischen Stoffe die neutrophilen Zellen das
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Deutsches ArrM" f klinische ilediciii Bd.OXX.
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Die Hornberger Trichinosisepidemie etc. 37
Bestreben, ihre normalen Werte wieder zu erreichen, während die
Eosinophilen allmählich verschwinden.
Im peripheren Blute haben die Eosinophilen normales Aus-
sehen ; aus dem seltenen Vorkommen von Ubergangsformen zwischen
ihnen und den basophilen Zellen ist auf die Entstehung ersterer
Zellart kein sicherer Schluß zu ziehen.
Die interstitielle Myositis ist bei der Trichinosis stark aus-
geprägt und tritt herdweise auf; sie ist bedingt durch eine erhöhte
Zuwanderung eosinophiler Leukozyten nach diesen Herden, welche
wahrscheinlich die Wege der wandernden Parasiten darstellen. Die
stärkere Ansammlung von Eosinophilen im Muskel kommt dadurch
zustande, daß der spezifische Reiz hier ein größerer ist, als an
anderen Orten.
Das Fehlen von unreifen Eosinophilen im Muskel bei der
trichinösen und das völlige Fehlen der Eosinophilen bei anderen
Formen von Myositis sprechen gegen die Ansicht, daß die eosino-
philen Granula aus zerfallender Muskelsubstanz entstehen.
Das regelmäßige Vorkommen von eosinophilen Zellen bei allen
Erkrankungen, die durch Helminthen bedingt sind, auch bei solchen,
die nicht in den Körper einwandern und keine Myositis machen,
führt vielmehr zu der Überzeugung, daß die Eosinophilie nicht eine
Folge der Myositis, sondern der Helminthiasis ist, zustande ge-
kommen durch chemotaktische Wirkung.
Mit aufrichtigem Danke gedenke ich meines früheren Chefs,
Herrn Geheimrat Bäumler, der mir die x\nregung gab, auf dem
Gebiete der Hämatologie zu arbeiten und dessen großem Interesse
an meiner Arbeit ich vieles verdanke, sowie des Herni Geheimrat
Ziegler, der mich mit seinem Eat unterstützte.
Erklärung der Abbildnngeu auf Tafel I.
Figur 1. Längsschnitt durch ein Muskelstück mit 2 Trichinen
(Hämatoxylin-Eosin. Zeiß : Objekt. A. Ok. 6). In dem homogenen Inhalt der im
Entstehen berufenen Kapsel stellt die fächerförmig begrenzte Lücke den Sitz
der Trichine dar, deren Leib ausgefallen ist. Im übrigen Kapselinhalt die großen,
bläschenfc^rmigen Fibroblasten. Die Kapsel ist umgeben von einem Wall klein-
zelliger Infiltration, wesentlich aus Lymphozyten bestehend. In der Nachbar-
scbait in verschieden starkem Grade der Auflösung begriifene Muskelfasern, die
sich mehr oder minder stark mit Eosin gefärbt haben. ^ In einem Brei zugrunde
gegangener Muskelsubstanz sind eosinophile Leukozyten gerade noch erkennbar.
Fip^ur 2. Längsschnitt durch eine herdförmige interstitielle
Myositis (Zeiß: Vü Ölimmersion, Ok. 6). Die Muskelfasern sind durch eine
zellige Infiltration auseinander^edrängt, die großenteils aus polynukleären eosino-
philen Leukozyten besteht; zwischen diesen spärlich neutrophile Leukozyten und
einige Erythrozyten. Hier und da anscheinend mononukleäre Eosinophile und
38 I- ScHLBip, Die ÜMohearg^ Triririanriiepidemie etc.
frei liegende eoeincmhile GranalaliuiJElBn, bedingt durch die Tenchiedene Lage
der betreffenden Zellen znr Schnittfläche. Linls Einbruch yon eosinophilen nnd
nentrophüen Leukozyten in eine deraierierende MnskeliMer. Vereinseite in
Wnchening begriffme spiralige Muskäkenie.
Literatur.
(Es sind hier nnr Autoren erwähnt, welche in den bekannten Lehrbflchem keine
oder seltene Erwähnung finden.)
1. Atkinson, Philadelphia Medical Journal 1899 p. 1243.
2. Blumer and Neu mann, American Jonm. Med. Seiences. 1900 (zitiert nach
Cabot).
3. Brown, Thomas R., Stndies of Triehinosis. Journal of ezperimental me-
dizin 1898 Vol. JII p. 315.
4. Derselbe, Soc. for Original Research 1899 (zitiert nach Cabot).
5. Da Costa, Clinical Haematolo^y 1901.
6. Mc. Crae, Thomas, A Case ot Typhoid Fever, with Trichinosis and Eosino-
philia. The American Journal of the Medical Sciences. July 1902.
7. Gwyn, Norman B., Ein. fünfter Fall von Trichinosis mit Vermehrung der
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8. Howard, Philadelphia Medical Journal. 1899 p. 1243.
9. Kerr, W. W., Philadelphia Med. Jonmal. Aug. 1900.
10. Leishmann, W. B., A simple aod rapid method of produdng Romaaow^y
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21. Sept.
11. Stransky, F. y., Ein Fall von Trichinosis. Prager medizin. Woehenaehr.
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12. Thayer, W. S., On the increase of the eos. cells in the circnlating blood
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13. Cabot, A gnide of clinical examination of the blood. III. Auflage 1898.
Longmans Green n. Comp.
u.
Ans dem pathalogischen Institut ixi Lefipzig.
(Prof. Marchand.)
Zur pathol(^8cheii Anatomie der Kapselbazülen^Pnemnonie
(nebst Anhang Aber Eapselbazillen-Meningitis).
Ton
9r. lelil^r« fiekaira aus Japan.
(Itot Tafel n.)
Während im allgemeinen die Bedeutung der Friedländer'schen
Kapselbazillen fiir die Ätiologie eines gewissen Teils der Fälle von
genuiner („kroupöser*^) Pneumonie heute anerkannt ist, pflegt man
sowohl in der klinischen als in der pathologisch-anatomischen Sehil^
derung dieser Krankheit keine Unterscheidung der durch verschie-
dene Mikroorganismen charakterisierten Pneumonieformen zu machen.
Man begnügt sich meisrt mit der seit altersher gebräuchlichen Be-
schreibung der kroupSsen Pneumonie mit ihren verschiedenen Stadien,
ohne zu bedenken, daß doch diese Besehreibung keineswegs auf
alle Fälle in gleichem Maße paßt. Aufrecht, einer der neuesten
Autoren über die Lungenentzilfndüngen, leugnet die Bedeutung
der Friedländer'schen Kapselbazillen ganz. Soviel uns bekannt ist,
liegt in der Literatur noch keine spezielle pathologisch-anatomische
Arbeit über die Pneumonie dui'ch Friedländer'sche Kapselbazillen
vor. Herr Gehein^rat Matchand hatte daher die Güte, mich zur
pathotogiscb-anatomiseheB Untersuchung dieser Pneumonien anzu-
regen, wofür ich ihm hier meinen tiefgefühlten Dank ausspreche!
Klebs(.l) faad 1875 im Bronehialii^alt tob Pneuraomkern Bak-
terien („Moftediuen")^ denen er ätiologisohe Bedeutung snschrieb. Wich^
tiger warea die AngAben tcm Eb e rth (3) über charakteriotisohe Bskterie»-
formen im kranken Lnngengewebe nnd in ttenin^ischen £iter bei Pne»-
monie und die Befände von Koch (3) im entzündeten Lungengewebe.
Trieälitni^r (4)^ hthch dtrrch seine Entdeckung von sog. „Kapsel-
kö'bke*^ (iCa^ftelfc'St^illeh) ktt pneuaiöAischen Gewebe er*t Bahn zu
40 II. EOSAWA
eiogehenden Tlntersuchungen der Fnenmonieerreger. Leyden(5) und
Günther (6) wiesen bereits 1882 Pneomoniekokken in den pneu-
monischen Langen von Lebenden mittels Entnahme dnrch Fanktion nach.
A. Fränkel(7) hat das Verdienst, die Diplokokken als haupt-
sächliche Erreger der kroupösen Pneumonie nachgewiesen,
und ihre Verschiedenheit von den Mikroorganismen
Friedl anderes dargetan zu haben, denen er eine ätiologische
Bedeutung absprach. Talamon gab vor A. Frankel 1883 die lanzett»
fÖrmigen Kokken als Pneumonieerreger an, die sich gegen Tiere anders
verhielten, als die Friedländer'sohen Kapselbazillen und von A. Frank el
mit seinen Diplokokken identifiziert wurden. Die Beziehungen der von
Friedländer und Fränkel angegebenen Erreger zur Pneumonie
wurden aber erst durch die gründliche Arbeit von AVeichselbaum (8)
klar. Er konstatierte bei seinen 129 Fällen verschiedener Arten Pneu-
monien 94mal Fränkel'sche Pneumoniekokken „Diplococcusi^
pneumoniae", 9 mal Friedländer'sche Kapselbazillen „Ba-
cillus pneumoniae^S 21 mal Streptokokken „Streptococcus pneumoniae*',
4 mal Staphylokokken, „Staphylococcus pneumoniae ^^ sowohl mikroskopisch
im Gewebe als auch auf dem Wege der Kultur. Seit Weichselbaum's
VeröffentlichuDg lauten die meisten Arbeiten über Pneumonieerreger zu-
gunsten der Fränkel- Weichselbaum'schen Diplokokken. So fand Wolf (9)
unter seinen 70 Fällen 66 mal Diplokokken. Aufrecht (10) und
Baumgarten (11) nehmen deshalb diese als ausschließliche Erreger
der kroupösen Pneumonie an, während Kibbert (12), Kaufmann (13),
Ziegler (14) und andere Pathologen den Friedländer' sehen Kapsel-
bazillen in der Minderzahl der kroupösen Pneumonie eine ätiologische
Bedeutung beimessen.
Bezüglich der Friedländer'schen Kapselbazillen
finden sich in der Literatur bereits viele Angaben, nach
denen sie bei vereinzelten Fällen von lobären Pneu-
monien als alleinige Erreger konstatiert wurden. So fand
diese Bazillen Dreschfeld (15) bei einer Wanderpneumonie eines
Kindes, Chrostowki (16) und Jakowski (16) in 2 Fällen, Gal-
vagni(17) in einem Falle von Pneumonie, Oomba(18) in einem Fall
von Septikämie nach Pneumonie, Netter (19) bei 12 Bronchopneumonien
gegenüber 121 lobären Pneumonien und 48 Bronchopneumonien (er be-
hauptet dabei, daß die Kapselbazillen nicht nur Bronchopneumonie,
sondern auch lobäre Pneumonie hervorbringen können), Siredey(20)
bei letalem Empyem nach gangräneszierender Pneumonie, W. H. Smith (21)
bei einem Falle von Pneumonie und Septikämie , Curry (22) bei
12 Fällen von Pneumonie und Banti (23) einmal unter 55 Fällen von
Pneumonie. Da die Arbeiten der genannten Autoren meist auf die
ätiologische Seite gerichtet waren, so wurde das pathologisch- anatomische
Verhalten der erkrankten Lungenteile nicht genauer beschrieben, so daß
man nicht ersehen kann, wie fern sich das letztere von der sogenannten
genuinen Pneumonie (Diplokokkenpneumonie) unterscheidet.
Professor Marchand (24) berichtete im Jahre 1893 über eine
durch das Vorhandensein außerordentlich reichlicher Kapselbazillen
Zur pathologischen Anatomie der Eapselbazillen-Pneumonie etc. 41
ausgezeichnete Pneumonie. Infolge der ungewöhnlich starken Ent-
wicklung der gallertigen Masse in der Kultur und einiger anderen
Eigentümlichkeiten glaubte Professor Marchand, diese Bazillen
für eine von den Friedländer'schen verschiedene Form halten zu
sollen, doch scheint es sich tatsächlich nur um eine Varietät zu
handeln, da auch bei unzweifelhaften Friedländer'schen Bazillen
unterschiede im Verhalten der Kulturen nicht selten vorkommen.
Demnach kann das Ergebnis der histologischen Untersuchung dieses
Falls durch Professor Marchand hier ebenfalls verwertet werden,
welches ich hier folgen lasse.
„Die pneamoniscbe Infiltration nahm den oberen Lappen der rechten
Lunge einer 74 jährigen Frau ein, und zeichnete sich durch sehr auf-
fallend gelblich weiße, stellenweise rein weiße Farbe der Schnittflächen
bei großer Weichheit und schleimiger Beschaffenheit des Exsudates aus.
Bei mikroskopischer Untersuchung fanden sich darin Bazillen von sehr
verschiedener Länge, teils kurze kokkenäbnliche Formen, teils lange ge-
schlängelte Fäden, welche sämtlich durch sehr breite Kapseln ausgezeichnet
waren, während der eigentliche sich leicht färbende Bakterienkörper im
Linem der Fäden geringe Dicke und unregelmäßige Gliederung zeigte.
Die Bakterien fanden sich häufig im Innern der stark vergrößerten, mit
Vakuolen versehenen Exsudatzellen, aber auch zwischen denselben stellen-
weise dicht aneinander gedrängt. Andere Bakterienformen wurden nicht
gefunden. Infektionsversuche gelangen leicht bei Mäusen, Meerschweinchen
und Katzen, weniger leicht bei Hunden. Sie äußerten sich: 1. in lokalen
entzündlichen Veränderungen, sodann im Entzündungsprozeß in entlegenen
Organen und in allgemeiner Infektion.
Die lokalen Veränderungen waren entweder dick gallertartige, in
der Mitte mehr eiterige Infiltration oder sich durch schleimig faden-
ziehendes, blaßgraues, an Eiterzellen armes Exsudat auszeichnend, aber
immer massenhafte Kapselbazillen enthaltend. Nach Injektion einer ge-
ringen Menge Bouillonkultur in die Trachea bei Meerschweinchen bilden
sich in den Lungen gelbe, aus infiltriertem und nekrotischem Lungen-
parenchym bestehende Herde und reichliches pleuritisches Exsudat von
schleimig- fadenziehender blaßgrauer Beschaffenheit. Die Wirkung der
Bazillen auf entfernte Organe bestand in Meningitis, Panophthalmitis etc.
Die allgemeine Infektion trat bei Mäusen stets in kurzer Zeit ein, zahl-
reiche Bazillen waren dann im Blute, besonders in der Milz nachweisbar.
Von besonderem Interesse ist das Verhalten der zelligen Elemente
des abgestrichenen Saftes der hepatisierten Lungenteile. Zum größten
Teil bestehen dieselben aus deutlich erkennbaren ein- und mehrkemigen
Leukozyten, welche meistens eine stark körnige Beschaffenheit haben.
Dazwischen finden sich in großer Zahl ungewöhnlich große Zellen von
stark gequollenem Aussehen, Abkömmlinge von Epithelzellen. Sie sind
sämtlich durch das Vorhandensein heller rundlicher Vakuolen ausgezeichnet,
durch welche das feinkörnige Protoplasma auseinandergedrängt ist und
netzförmig erscheint. Die Vakuolen sind verschieden groß und gestaltet,
42 n. KOKAWA
kreisförmig oder iXagli^hfniidy oder Muih dureb gegemreitige Andiiaad^f*
lagerung unregelmäfiig geformt» Die größeren Vakuolen sind bald so
froß, bald erheblich größer wie ein normales farbloses Blutkörperohon.
^ie Kerne dieser großen Zellen sind, soweit sie zwischen dichtgedrängten
Vakuolen erkennbar sind, einfach und läoglichrund, zuweileji ganz an die
Seite gedrängt nnd abgeplattet, h&nfig ist der Kern ganafi ondentlich.
Zuweilen wird enne kleinere rundliehe Zelle ganz durch eine gf^^ße
kugelige Vakuole eingenommen ^ neben weleher nur noeh ein halbnond-
förmiger Protoplasmarest mit dem Kern übrig geblieben ist.
Am schönsten kann man diese verschiedenen Zellformen verao-
schaulichen, indem man sie in etwas reichlicher Flüssigkeit unter dem
Deckglas rollen läßt. Schwache Jodlösüng läßt das netzförmige t^roto-
plasma zwischen den Vakuolen durch gelbliche Färbung sehr deutlich
hervortreten. Das homogene Protoplasma kleiner vi^uolenfreier j^ellen
färbt sich dabei rötlich (Glykogen). Noch schöner stellen sich die Zellen
bei Zusatz einer schwachen wässerigen Kethylenblaulösung am Bande
des Deckgläschens dar, das netzförmige Protoplasma nimmt eine blaß»
blaue, die Kerne eine dunkelblaue Färbung an (Fig. 1 — 3).
Die Vakuolen in den Zellen stehen in naher Beziehnng zu den
Bazillen, denn der größte Teil der Vakuolen schließt kürzere oder
längere Stäbchen ein, welche bei der Methylenblaubehandlung zum Teil
eine blaßblaue Färbung annehmen, zum Teil farl^s bleiben.
Meist liegt nur ein Stäbchen in der Mitte einer Vakuole, deren
Größe und Gestalt sich nach der Länge des Stäbchens richtet; in den
größeren Vakuolen liegen indes auch mehrere kürzere Stäbchen hinter-
und nebeneinander, oder eine größere Anzahl kürzerer und längerer ge-
krümmter Bazillen; in vielen Vakuolen sind andererseits keine Stäbohen
sichtbar; es scheint, daß dieselben ausgetreten sind, dafür sprieht, daß
man zuweilen ein Stäbchen nach außen hervorragen sieht.
Gute Bakterienfarbungen waren in Schnitten schwerer zu ^ifhdlieth
als an Deckglaspräparaten : Karbol fuchsin mit naehträglichem Auswaschen
in Alkohol lieferte stellenweise gute Bilder; doch wurden die Bazillen
leicht durch den Alkohol entfärbt, uod dann durch Kwne verdeekt
(besser gelingt die Färbung an nicht eingebetteten Schnitten). Ahnlidh
verhält es sich bei der Färbung mit dem eiufach wässerigen oder Jjöffler-
schen Methylenblau. Doppelfärbungen mit Karbolfuchsin und Methylen-
blau in verschiedenen Modifikationen sind auch teilweise erfolgreich. Mit
der Gram'schen Methode gelang es dicht, die Bakterien au färben; da-
gegen leistete die Weigert' sehe Fibrinfarbungsmethode gute Dienste. Die
Bakterien werden vielfach nicht gleichmäßig gefärbt, indem stellenweise
nur der zentrale Faden dunkel erscheint, die Kapsel hell und verwaschen,
während an anderen Stellen die Bazillen mit dunkel tingierten Kapseln
viel dicker aussehen. Oft ist nur die äußere Schicht der Kapsel ge-
färbt, das Innere hell. An Schnitten der in Flemmiug'scher Lösung
ohne Bücksicht auf Bakterienfarbung gehärteten Stücke färbt sich nur
die äußere Schicht der Kapseln, so daß die Bszillen an diesen Schnitten
wie dicke hohle Schläuche aussehen.^
Mir wurden 7 Fälle von Pneumonie mit Friedländer'scbem
Zur pathologischen Anatoaü« dei Eapselbazillen-Pneumonie etc. 43
Eapfldbazülen zur Yerffigimg gestellt Die Lungenstficke waren
mit Orth'scber Flüssigkeit oder mit Formol oder mit Sublimat, oder
mit Alkohol vorbehandelt tind dann in Alkohol aufbewahrt.
Bei der Untersuchung derselben habe ich hauptsächlich Celloi-
din, zum Teil auch Paraffin zur Einbettung benützt. Zur Färbung
der Schnitte kamen Eosinhämatoxinlösung, Tan Gieson'ache Methode
alkalische Metbjlenblaulösnng nird Facbsinlösang fUr Bakterien-
färbnng, ftr Fibrinfärbung die Weigert'sche Methode in Anwendung.
Bei der Untersuchung verschiedener Krankheitsstadien zog ich
ongeiUir entsprechende Stadien von der genuinen kroupösen Pneu-
monie zum Vergleich. Bezüglich der letzteren bekam ich 14 Fälle,
worunter 4 Fälle im Stadium der grauen, 3 Fälle im Stadium der
grauroten, 3 Fälle in Stadium der graugelben, 2 Fälle im Stadium
der roten und 2 Fälle im Beginn der Resolution waren. Sie wurden
teils mit Orth'scher Flüssigkeit, teils mit Format gehärtet. Die
Färbung geschah ganz nach den oben erwähnten Methoden. Es
sei mir hier gestattet, die einzelnen Fälle von Pneumonie zu be-
schreiben, bei welcher die ausschließliche Anwesenheit von Bazillen
im Lungengewebe sowohl durch Äbstrichpräparate als durch den
Weg der Kultur im pathologischen Institute bereits festgestellt
war. Nur die Präparate des ersten Falles stammen von einem im
pathologischen Institut zu Marburg sezierten Fall.
¥aU I (Mann yon 38 Jahren, f 7. Dezember 1898).
Krankheit sdaaer: 6 Tage; Ikterus seit dem 5. Krankheitstage.
Sektionsbefund der Langen (7. Dezember 1898:^))
Linke Lunge : Oberlappen kolossal umfangreich und schwer ; das ganze
Parench^ hepatisiert ; an der Oberfläche Terbreitete fibrinöse Eanhigkeiten ;
die Schnittfläche zum Teil gelblichroty zum Teil dnnkelrot und deutlich
kornig. Lingala schlaff und luftleer, im Innern eine feste Partie aus
einer großen Anzahl infiltrierter Lobuli enthaltend. TJnterlappen viel
weniger umfangreich, enthält im Innern vereinzelte, ziemlich derbe dunkel-
rote Infiltrate, das übrige Parenchym vollständig komprimiert und luft-
leer ; die Schnittfläche der infiltrierte« Herde dunkelrot und deutlich körnig.
Hechte Lunge (in jedem Lappen) einige zirkumskripte, ziemlich ver-
breitete derbe lobuläre Infiltrate von dunkelroter Beschaffenheit enthaltend ;
die Schnittfläche der Infiltrate deutlich körnig; das übrige Parenchym
noch lufthaltig, aber stark ödematös.
Die Schnittfläche beider Lungen sehr schlüpfrig, läßt schleimige
fadenziehende Flüssigkeit abstreichen. Im Abstrich finden sich (ebenso
in den Schnitten) ganz kolossale Mengen von ziemlich plumpeu Bazillen
1) Für die Absehrift des Protokolls bin ich Herrn Dr. Matsuska zu Dank
veipfliebtet.
44 II- KOKAWA
mit sehr deutlichen Kapseln. Die Bazillen sind vielfach zn Fäden mit
einer gemeinsamen Gallerthülle angewachsen.
Bei diesem Falle handelt es sich um eine fast gänzliche pneumonische
Infiltration des linken Oherlappens mit zahlreichen lobulären Infiltrations-
herden der übrigen Lungenteile, meist im Stadium der roten Hepatisation.
Befunde der histologischen Untersuchung der er-
krankten Lungenteile:
Die Alveolen ad maximum erweitert, mit einem ans Fibrin, Leuko-
zyten, desquamiertem Alveolarepithel und roten Blutkörperchen bestehenden
Exsudate ausgefüllt. Die Verteilung der genannten Formelemente des
Exsudates ist aber nicht so regelmäßig, wie bei der kroupösen (Diplo-
kokken-) Pneumonie von gleichem Stadium, in vielen Alveolen Leukozyten
und Epithelzellen, in anderen Fibrin, wieder in anderen rote Blut-
körperchen vorwiegend, so daß das Bild schon bei der schwachen Ver-
größerung ganz anders aussieht, als bei der Diplokokkenpneumonie, bei
welcher häufig zelliges Exsudat in Bronchiolen und Infundibula und in
den denselben angrenzenden Alveolen, fibrinöses Exsudat aber in weit
von ihnen entfernten Alveolen, wie Bezzola(25) und Ribbert ge-
funden haben, in regelmäßiger Anordnung zu treffen sind.
Bei starker Vergrößerung ist folgendes zu konstatieren :
Die Leukozyten sind meist mehrkernig. Viele von ihnen sind stark
gequollen und eine oder mehrere Vakuolen enthaltend. Das Zellproto-
plasma ist dabei entweder durch das An ein and erliegen der Vakuolen in
ein Netzwerk aufgelöst, oder bei denjenigen Leukozyten, die nur eine
(dann meist große) Vakuole enthalten, kreisförmig oder halbmondförmig
an die Peripherie gedrängt. Die Kerne sind in der Mitte der Zellen
oder in die Peripherie geschoben. Es gibt auch Leukozyten, welche
getrübt und mehrfach, wie die normalen, angeschwollen sind und viele
Kerne (5 oder 6) enthalten. Fibrin zeigt sich bald mehr in dichteren
Netzen, bald spärlicher und mehr in der Peripherie als im Zentrum der
Alveole. Oft bildet das Fibrin den ganzen Abguß der Alveolen oder es
liegt in unregelmäßig begrenzter Form in der Mitte der Alveolen oder
an deren Wand. Im ganzen ist das Fibrin bedeutend geringer, als bei
der Diplokokkenpneumonie. Über das Auftreten von Fibrin ist aber fol-
gende Gesetzmäßigkeit vorhanden. In den Alveolen nämlich, welche in
unmittelbarer Nähe von dem die Bronchien und Blutgeiäße umgebenden
oder dem die Lobuli abgrenzenden Bindegewebe liegen, sind stark ent-
wickelte Fibrinpfröpfe zu erwarten, und je weiter die Alveolen von solchen
bindegewebereichen Stellen entfernt liegen, um so zarter und weniger
kommen Fibrinmassen zum Vorschein. Bei der Diplokokkenpneumonie
findet man oft in den Alveolen die Zellen mehr im Zentrum, wo zartes
grobmaschiges Frbrinnetz vorherrscht, als in der Peripherie, wo dichtes
feinmaschiges Fibringeflecht vorhanden ist. Diese wechselweise Beziehung
zwischen Zellen und Fibrin ist bei unserem Falle nicht deutlich aus-
geprägt. Ich möchte dies den räumlichen Verhältnissen zuschreiben, weil
bei unserem Falle wegen der schwachen Entwicklung des Fibrins Zellen
überall Platz genug haben. Auch dasjenige Verhalten bei der Diplo-
kokkenpneumonie, daß die Alveolen mit viel Leukozyten in der Kegel
wenig Fibrin enthalten und umgekehrt, ist nur in vereinzelten Alveolen
Zur pathologischen Anatomie der Kapselbazillen-Pneumonie et<;. 45
bei unserem Falle zu sehen. Viele Alveolen sind bei dem letzten ebenso
reich an Zellen, wie an Fibrin, als die anderen. Es gibt außerdem
auch solche, die überhaupt wenig geformtes, dafür aber mehr flüssiges
Exsudat (Schleim) enthalten.
Die roten Blutkörperchen sind in den meisten Alveolen mit anderen
geformten Bestandteilen gemischt mehr oder minder zu finden, bald in
der Form erhalten oder zerfallen. In einigen Alveolen sind sie so zahl-
#>eich vertreten, daß das Exsudat vorwiegend aus ihnen besteht. Für
solche Stellen ist die Bezeichnung „Hamorrhagie^, die yirchow(2())
bei der kronpösen Pneumonie bei roter Hepatisation anwandte, ganz
treffend. Diese Hämorrhagie ist aber in unserem Falle nur in vereinzelten
Alveolen zu finden, nicht so verbreitet im ganzen erkrankten loFewebe,
wie bei der Diplokokkenpneumonle. Die Schnitte sehen daher in unserem
Falle mit Eosin-Hämatozylin gefärbt mehr bläulich aus durch die Kern*
farbung der vorwiegenden Zellen, während die Schnitte bei der Diplo-
kokkenpneumonie, der das ganze Lungenparenchym durchflutenden roten
Blutkörperchen wegen, mit demselben Farbstoff behandelt, mehr rot er-
scheinen.
Die Poren in den Alveolarsepta, welche zuerst von Cohn(27) bei
der chronischen Pneumonie, von H a u s e r (28) und K i b b e r t bei der
kroupösen Pneumonie und von v. Hansemann (29) durch künstliche
Injektion in der normalen Lunge konstatiert wurden, sind in diesem Falle
auch sehr deutlich sichtbar. Nicht nur gehen feine Fibrinstränge durch
dieselben von einer Alveole zur anderen, sondern es passieren bei ge-
nauer Betrachtung durch dieselben auch zelliges Exsudat und Bakterien-
massen hindurch. Mit der Erweiterung der Alveolen scheinen auch die
Poren dilatiert zu sein; denn die durch dieselben hinziehenden Fibrin-
strange sind nicht immer fein, sondern sogar oft sehr dick.
Was die Veränderung des Alveolarepithels anlangt, so sind viele
Epithelzellen getrübt, geschwollen, von der Alveolarwand in den Alveolar-
raum abgestoßen und im Exsudat eingeschlossen oder oft zwischen dem
Exsudat und der Alveolarwand liegend. Nicht selten zeigen sie Teilungs-
formen; die länglichen Kerne sind oft in der Mitte eingeschnürt oder
vollständig in zwei geteilt. Außer den oben erwähnten Epithelzellen
gibt es solche, die durch enorme Größe und blasses Aussehen sich aus-
zeichnen. Bei genauer Betrachtung haben sie meist mehrere Vakuolen,
durch deren An- und Übereinanderliegen das Protoplasma, wie bei den
gequollenen Leukozyten, zu einem Netzwerk aufgelöst ist. Die Größe
der Vakuolen ist sehr wechselnd, oft liegt eine große Vakuole in der
Mitte einer Zelle, wobei das Protoplasma mit dem Kern kreisförmig oder
halbmondförmig in die Peripherie gedrängt ist. Nach eingehender Unter-
suchung konnte ich die Befunde, welche Marchand in einem Fall
früher bereits erhoben hat, konstatieren. Die Zellkerne sind meist rund
oder länglichrund, selten halbmondförmig. Relativ wenig veränderte
hyaline Platten, aufgekrempelt oder zerrissen, kommen sehr selten zwischen
Alveolarwand und der Exsudatmasse vor, so daß man die Ansicht von
Feuer Stack (80) über Veränderung des Lungenepithels bei der krou-
pösen Pneumonie nicht teilen kann. Er behauptet nämlich, daß die
kernhaltigen dunklen kleinen Zellen . des Lungenepithels gegen die Ent-
46 II. KOKAWA
Zündung sich aktiy ▼«rfa alten, mit Trübung and 8ohwelhing antworten,
die hyalinen hellen kernlosen nnd kernhaltigen platten Zellen aber sich
mehr passiy verhalten, weniger verändert werden. Ich konnte aber kon-
statieren, sowohl bei unserem Falle, als aaoh bei der Diplokokken-
pneumonie, daß beide anatomisch ungleich aussehende Zellen bei dem
Krankheitsprozesse sich analog verhalten; denn unter den geschwollenen
trüben Epithelzellen sind solche zu fioden, die spindelförmig oder breit
unregelm&ßig- eckig an diesem oder jenem Ende, wie Oanglienzellen spitasi
auslaufen, welches Bild man auf veränderte hyaline Platten deuten kann.
Haus er ist der Meinung, daß bei kroupöser Pneumonie ein Teil des
Fibrins, namentlich zartes Fibrin, im Beginn der Erkrankung durch die
fibrinöse Umwandlung von hyalinen Platten entstehe. Ich habe solch
zartes Fibrin bei der Diplokokkenpneumonie als auch in unserem Falle
durch starke Vergrößerung verfolgt und in den Maschenräumen ge-
schwollene Epithelzellen und Leukozyten gefunden. Auch die als einzelne
Streifen an der Alveolarwand vorkommenden Fibrinfäden habe ich genau
betrachtet, auf mich machen sie indessen nicht den Eindruck, als ob sie
Lamellen darstellen, wie Haus er angibt. Mir scheint die Annahme der
meisten Autoren am einwandfreisten, daß alles Fibrin bei der Diplo-
kokkenpneumonie (sowie bei unserem Falle nach meiner Ansicht) von
der Gerinnung des Blutplasmas durch Ferment herrühre, worauf ich
später nochmals zurückkommen werde.
Das Blutgefäßsystem; Die kleinen Blutgefäße sowie Kapillaren
stark mit Blut gefüllt.
Das Lymphsystem: Die Lympbspalten im lockeren Bindegewebe
um Blutgefäße und Bronchien und in den interlobulären Septa sowie die
perivaskulären Lymphräume sind stark erweitert, einkernige Leukozyten,
zarte Fibrinfäden und mehr oder weniger Blutkörperchen enthaltend.
Bakterien: Nur die Friedländer'sohen Kapselbazillen sind als
alleinige Erreger zu finden. Sie lassen sich leicht durch alkalisches
Methylenblau färben, ebenso durch Anilingentianaviolett bei der Fibrin-
farbung, wenn man zur Differenzierung Anilinöl und Xylol zu gleichen
Teilen nimmt. Nach Gram färben sich die Bazillen nicht. Dieselben
sind im Eaum der Alveolen sehr reichlich, besonders in der Nähe der
Scheidewand, in und zwischen Zellen liegend und oft in Beinkultur einen
Teil des Alveolarraums in Anspruch nehmend. Sie kommen ebensoviel
im fibrinösen, als auch im zelligen Exsudate vor. Sonst sind sie im
Bronchien und Blutgefäße umgebenden Bindegewebe, in interlobulären
Septa, in verbreiterten Stellen der Alveolarsepta, innerhalb vereinzelter
Blutgefäße, bald vereinzelt, bald in Gruppen, frei oder in Leukozyten
eingeschlossen zu finden. Bei der starken Vergrößerung sind die Kapseln
der Bazillen als homogener Hof leicht sichtbar. Viele Epithelzellen und
Leukozyten sind, wie schon gesagt, durch aufgenommene Bazillen stark
gequollen. Sehr interessant ist die Beziehung der Bazillen zu den Vakuolen.
Fast r^felmäßig kann man im Innern der Vakuolen Bazillen sehen,
wek)h letztere bald gerade, bald gekrümmt, meist einzeln oder oft zu
zwei «der drei in Ketten angeordnet in einer Vakuole vorkommen. Die
Länge der Bazillen ist sehr variabel, bald ebenso lang, bald mehrfach
größer, als die rot-en Blutkörperchen. Oft erscheinen die Vakuolen bloß
Zur pathologischen Anatonie der Kapselbazülen-Pneumome etc. 47
ab btfl« BJMUM in dm Zelion, «Im« aiohtbaro Bazillan, Die geqnelleoen
Zellen kommen besonders zahlreich an den Alveolarsepta vor, wo die
Bazillen massenhaft vorhanden sind. Bei der Diplokokkenpneumonie
kemmon aneb ab und aa geqnollene vakuolisierte Zellen vor. Ihre Zahl
ist aber an späriiefa, als daß man ihnen eine Bedentnng beimessen könnte.
Die QvaUnng ist dabei viel geringgradiger, als in unserem Fall.
Bronchien: Das Epithel derselben ist abgestoßen, in ihrem Immen
befinden sich geschwollene Epithelzellen der Lunge, Leukozyten und Fibrin.
Pleura pulmonalis: zeigt an vielen Stellen dünne membranöse
oder zottige, mit Leukozyten gemischte fibrinöse Auflagerungen, an
anderen äielloi keine Veränderung.
Fall n (Frau von 67 Jahren, f 29. April 1900).
Krankheitsdauer: 9 Tage.
Klinische Diagnose: Kroupöse Pneumonie des rechten Ober-
lappens, Arteriosklerose, Lisuffizienz des Herzens (Koronarsklerose ?)
Anatomische Diagnose: Pneumonie des Oberlappenä der
rechten Lunge (gelbe Hepatisation), apoplektische Narbe des Schläfen-
lappens des rechten Gehirns, Arteriosklerose der Kranzarterien des
Herzens.
Sektionsbefunde der Lungen (30. April 1900):
Linke Lunge wenig emphysematös, blutreich und etwas ödematös.
Kechte Lunge : Oberlappen außerordentlich groß und von leberartiger
Konsistenz, die Schnittfläche graugelb, an manchen Stellen reingelb oder
weiß. An einer Stelle einige geringgradige Erweichung und Bildung einer
haselnußgroßen Höhle. Auf Druck entleeren sich aus den Alveolen ver-
hältnismäßig große weiche schmutzige Pfropfe.
Histologische Untersuchung des erkrankten Lungen-
gewebes:
Die Alveolen stark dilatiert. Das Exsudat besteht aus Fibrin,
Leukoz3^n und Alveolarepithel. Fibrin ist spärlicher, als bei der Diplo-
kokkenpneumonie im entsprechenden Stadium, aber in allen Alveolen
siehtbar. Derselbe kommt wieder bei diesem Fall, wie bei Fall I, in
der Nähe des Bronchien und Blutgefäße umgebenden Bindegewebes und
des unter der Pleura und in der interlobulären Septa vorhandenen relativ
Michlich vor. In vielen Alveolen ItilJt es nur einen Teil des Lumens —
etwa die Eeke oder eine kurze Strecke desselben an den Alveolarsepta
— aus. In anderen Alveolen füllt es jedoch den ganzen Baum des
Lumens aus, in welchem Falle es in der Peripherie dicht und massiv,
im Zentrum dagegen zart und weniger entwickelt ist, wie Bibbert und
Bezzola bei der kroupösMi Pneumonie bemerkt haben. Das Hinduroh»
ziehen der mehr oder weniger feinmi Fibrinstränge durch die Poren der
Alveolarwand ist in diesem Falle auoh deutlieh ausgeprägt.
Die Mehraabl der Alveolen enthält neben der geringen Menge Fibrins
deaqnamierie EpitkelaeU«! und sehr viel mehrkemige Leukozyten. Beide,
sowohl Epithelsellen als auch Leukosyten, sind wie bei Fall I an«
gesebwoUen und gequollen, mehr oder minder vakuolenhaltig und z. T.
TeilungaCprmen zeigend. In fihrinreiohen Alveolen kommen die Zellen
48 n. KOKAWA
aber sehr spärlich vor, dann aber in der Mitte der Alveolen mehr, als
in der Peripherie.
Bronchien: wie Fall I.
Blutgefäßsystem: Das Gewebe ist im allgemeinen anämisch«
Die Kapillaren sind beinahe leer. In kleinen Blutgefäße stellenweise
Fibrinmasse. Im Bindegewebe um Brochien und Blutgeföße, unter der
Pleura und in den interlobulären Septa finden sich stellenweise mono-
nukleäre Leukozyteninfiltration und Fibrinfaden.
Bazillen: Auch in diesem Falle sind Friedländer'sche Kapsel-
bazillen als alleinige Mikroorganismen reichlich zu finden. Die Verteilung
derselben im Gewebe ist genau dieselbe, wie bei Fall I. Sie finden sich
hauptsächlich in den Alveolen und zwar in und zwischen den Zellen,
sehr spärlich, vereinzelt oder gruppenweise, in den Lymphspalten im
Bindegewebe um Bronchien und Blutgefäße.
Pleura pulmonalis: Fibrinöse Auflagerung mit mehr oder
weniger zahlreichen Leukozyten durchsetzt, bald kontinuierlich als dünne
Membran, bald in zottiger Form sich zeigend.
Fall m (Frau von 34 Jahren, f 20. März 1901).
Elrankheitsdauer unklar.
Klinische Diagnose: Parametritis, Thrombosis venae cavae,
Sepsis, Dekubitus.
Anatomische Diagnose: Thrombophlebitis subacuta paerpera-
lis venarnm parametrii utriusque, venae iliacae utriusque et venae cavae
inf., Embolia ramorum arteriae pulmonalis utriusque et abscessus meta-
statici, Pneumonia crouposa lobi inf. dext. (Friedländer^sche Kapsel-
bazillen), Tuberculosis circumscripta obsoleta apicis pnlmonis utriusque,
Decubitus gravis, Hydrops universalis.
Sektionsbefunde der Lungen (21. III. 1901).
Linke Lunge von gewöhnlicher Größe. In der sonst weichen Lunge
fühlt man zahlreiche derbe Knoten von sehr verschiedener Größe. Im
linken Oberlappen finden sich vereinzelte kleine etwa linsengroße käsige
Herde. Bechte Lunge im Volumen etwas vermehrt. Ober- und Mittel-
lappen sind bis auf einige größere durchfüblbare derbe Knoten weich.
Unterlappen ist in seiner ganzen Ausdehnung sehr derb, im Volumen
vermehrt. Die Schnittfläche zeigt im oberen Teile eine graugelbe, im
unteren Teile dunkelrote Färbung, das Gewebe ist stark verdichtet, voll-
kommen luftleer, die Schnittfläche sehr schlüpfrig und etwas unregel-
mäßig körnig.
Histologische Untersuchung der erkrankten Lunge
(die rot hepatisierte untere Partie des rechten ünterlappens untersacht):
Die Alveolen sind kolossal erweitert. Das Exsudat besteht außer
den geformten Elementen zum Teil aus Schleim. Fibrin ist in diesem
Falle sehr spärlich, weit weniger als in Fall I und II ausgebildet. Die
Verteilung derselben in der Nähe der an Bindegewebe reichen Stellen
und das Durchpassieren der Fibrinfaden durch die Poren der Alveolar-
septa usw. sind ganz gleich, wie bei anderen Fällen. Die Veränderung
des Alveolarepithels und das Verhalten der Leukozyten sind ebenso, wie
Zar pathologischen Anatomier der Kapselbazillen-Pneumouie etc. 49
bei den aadereB Fälfeik^ Die geqnoUeaen kolossal großen Zellem mit
■»1« odar weniger Yaksoten nad aoek reichlieh zu sehen. Große ZeUen
mifc akgeschnürtea Kernen oder mit mekreren Kernen sind auch t<»-
kenden teile yon Spidielz^en, teils voni Leukozyten Btammend (wakr-
eckeinlich Teilnogsformen). Die zelligen Elemente, besonders die Levko*-
aytea sind aber überhaapt bei Fall III weh spärlicher, als bei den voran-
gekeaden FftUenw In den BÄiunen der Alwolen befinden sieh mehr oder
weniger mit SokSeim soegefttUte Lfieken zwischen Zellen und Fibrin.
Die roien Bintflcöcpeschen liegen in vielen Alyeolea in einer Stelle des
Aleeokirraumee gpnippiert, aber niemalB so zaklreiefa^ daß sie einen ganzen
Alveoiamnm für sich in Ansinraek nekmen. Von einer ansgedehnten
Bümorrkogie also, wie bei der roten Hepatisation der Diplokokkenpnea>-
monie ist keine Bede.
Das Blutgefäß System: Kleine BlntgefÜße sowohl als auch <fie
KapiUaaren strotftend mit Blut geföllt. In vereinzelten BintgeÜßen ist
die 'Wandstellnng der Leukozyten mit oder ohne Fibrin sichibar.
Die Bronchien: Ihre Epithelzelien abgestoßen, in ihrem Lamen
Zellen und Fibrin enthaltend f. die Wandung der großen Bronchien zeigt
leichte Leukozyteninfiltration.
Bakterien.: In diesem Falle sind die Ks^peelbaaillen reichlicher
als bei den vorhergehenden 2 Fällen zu treffen; sie lassen sich außer
mit Anilinfarben anck dnrch Hämatozylin gut förben. Die Verteilung
derselben im Gewebe ist genau so, wie bei Fall I und II. Die sdilei-
mig« Mnese zwischen- den Lücken des zelligen und fibrinösen Exsudates
stellt oft eine Beinknltor von Bazillen dar. Der Schleim ist wakrsokein-
licb das Produkt der letzteren.
Pleura pulmo'nalis: hat auch in diesem Falle zelfign-fibrinöse
Anfjagernngea.
Fall TV und T.
Da bei Fall IV und V die Gewebsveränderungen der erkrankten
Langenteile sehr ähnlich sind, beschreibe ich, um nicht dasselbe zu
wiederholen,, beide Fälle hier zusammen.
Bei Fall IV handelt es sich um das Stadium der grauroten, bei
Fall V um das Stadium der grauen Blepatisation. Daher ist beim
ersteren das Gewebe reicher an Blut, als beim letzteren Falle. Der
letztere ist aber dadurch interessant, daß neben der Pneumonie Lepto-
meningitis durch dieselben Krankheitserreger konstatiert wurde.
Falk IV (Kann von 77 Jahren, f lä. Oktober 1901).
Krankheitedauen: unklar.
Klinische Diagnose: Pneumonia crouposa lobi sup. et med.
pniaiL dezt., Sndocarditis ulcerosa valv. aort. et mitral., Nephritis inter-
stitialis ohronieak
Anatomische Diagnose: KronpÖse Pneumonie des Ober- und
Mittellappens der rechten Lunge (durch Kapselbaeillen) , Endocarditis
«icerosa der Aorta- und Mitralklappen, Dilatation und Hypertrophie des
reekten Ventrikels, Polypen des Rektums und Cökums, Sjchrumpfniere.
Sektionsbefund der Lungen (14. Oktober 1901):
Linke Lnoge enthält im Oberlappen einige narbige Einziehungen
Deutsches Archiv f. klin. Medizin. LXXX. Bd. 4
50 II- KOKAWA
und schwielige, z. T. verkalkte uod anthrakotische erbsengroße Knoten,
die etwas kleiner auch im übrigen Parenehym vereinzelt sich finden.
Nirgends frische tuberkulöse Herde erkennbar. Parenehym überall sehr
schlaff, ödematös, mäßig bluthaltig. Bronchialschleimhaut etwas geschwollen
und gerötet.
Kechte Lunge sehr umfangreich und schwer. Konsistenz des Ober-
lappens in der Spitze und der vorderen Partie von leberartiger Beschaffen-
heit. Die untere und hintere Partie von etwas weicherer Konsistenz.
Die obere Hälfte des Oberlappens von graurötlicher Farbe, auf dem
Durchschnitt leicht granuliert. Durch das Messer lassen sich schmierige,
z. T. Bchleimig-eitrige zähe Massen abstreichen. Die vordere Partie der
unteren Hälfte des Oberlappens zeigt eine grauweiße Farbe, prominiert
sehr stark über die iiiiijii liinilii pl'llLiiiifllLi hi und entleert auf Druck
zähe schleimig-eitrige MMt(^^\ ^JaSnemflfi^^ sehr derber Konsistenz.
Parenehym auf dem Doiichschnitt ähnlich ft^^Lder oberen Partie des
Oberlappens, nur etw^^Iasser^und ^hr dwnch granuliert. In den
Bronchien, deren Schleim hamn^B^^olWv4in er Jäßig gerötet ist, findet
sich reichlich zähe schkjAige, z. T. blutig gefjf^^Ae Flüssigkeit.
Fall V (Mann von gtKI^fi .f^^^^Aligust 1900.
Krankheitsdauer : unklar.
Klinische Diagnose: Pleuritis et Pericarditis purulenta, Pneu-
monia crouposa.
Anatomische Diagnose: Eitrige rechtsseitige Pleuritis, eitrige
Perikarditis, Pneumonie des Ober- und Mittel! appens der rechten Lunge
(durch Kapselbazillen), fibrinös-eitrige Leptomeniugitis.
Sektionsbefund der Lungen (30. August 1900).
Rechte Lunge : Ober- und Mittellappen von grauer Farbe und fester
Konsistenz. Auf dem Durchschnitt läßt sich ein bräunlicher, auffallend schlei-
miger Saft abstreichen. Im unteren Lappen keine Verdichtungsherde,
doch außerordentlicher Blutreichtum. In den Bronchien gelblicher Schleim.
Linke Lunge : Im Volumen nicht vergrößert, stark pigmentiert. Auf
dem Durchschnitt läßt sich sehr viel reinblutige Flüssigkeit abstreichen.
In allen Bronchien ist zäher gelber Schleim. Neben dem Blutreichtum
ist das Gewebe an sich ziemlich trocken.
Histologische Untersuchung der erkrankten Lungen-
teile.
Die Alveolen sind stark erweitert. Das Exsudat besteht in den
meisten Alveolen aus Zellen, mehrkernigen Leukozyten und desquamierten
Epithelzellen. Fibrin ist auch in diesen beiden Fällen sehr spärlich, nur
in der Umgebung des Bronchien und Blutgefäße umgebenden Binde-
gewebes und in der Nähe der Interlobularsepta (manchmal den ganzen
Kaum der Alveolen ausfüllend) zu finden. Das Hindurchziehen der feinen
P^ibrinfäden durch die Poren der Alveolarwände ist auch sichtbar. Die
Leukozyten, die sehr reichlich in diesen beiden Fällen vorkommen und
den Hauptbestandteil des Exsudates bilden, sind, wie die Epithelzellen,
stark angeschwollen, gequollen und enthalten Vakuolen. Die Quellung
beider Arten Zellen ist aber nicht überall gleichmäßig, sie hängt von
der Menore der Bazillen ab. Je reicher die Alveolen an Bazillen, um
Zur pathologischen Anatomie der Kapselhazillen-Pneumonie etc. 51
so größer ist die Quellang der Zellen, wobei sie — sowohl Epithelzellen
als auch Leukozyten mit nindliehen oder länglichrunden Vakuolen — so-
zusagen ein an Bienenzellen erinnerndes Bild darbieten. Häufig trifft
man solche Zellen in den Alveolen an den Interlobuiärsepta und anderen
an Bindegewebe reichen Stellen. Die Zahl der Epithel zellen tritt im
Vergleich zu der der Leukozyten bedeutend zurück. Die roten Blut-
körperchen finden sich hier und dort zerstreut zwischen Leukozyten und
Epithel Zellen.
Blutgefäße: In kleinen Blutgefäßen sind zarte Fibrinfäden und
Wandstellung der Leukozyten.
Die Alveolarsepta sind nur an ganz vereinzelten Stellen verbreitert
und enthalten dort Bazillenhaufen. Im Bindegewebe um Blutgefäße und
Bronchien und in den Interlobuiärsepta sind stellenweise Bazillenhaufeu,
meist nicht weit von Alveole entfernt zu. treffen.
Bronchien: Sie sind meist ihres Epithels beraubt, bei großen
Bronchien ist die Wandung, stellenweise mit Rundzellen infiltriert. Im
Lumen finden sich abgestoßenes' Zylinderepithel, Lungenepithel und
Leukozyten. 1
Bakterien: Kapselbazillen kommen in einer Gruppe der Alveolen
reichlicher, in anderen Gruppen relativ spärlich vor. Sonst verhalten
sie sich im Gewebe, wie bei anderen Fällen.
Pleura pulmonalis zeigt dieselben Veränderungen , wie bei
anderen Fällen.
Fall VI. (Mann von 59 Jahren, f 5. August 1901.)
Krankheitsdauer 5 Tage.
Klinische Diagnose: Delirium^ Pneumonie crouposa lobi sup.
sinistr.
Anatomische Diagnose: Pneumonie des Oberlappens der
rechten und linken Lunge und Lungenödem.
Sektionsbefunde der Lungen (19 Stunden nach dem Tode) :
Linke Lunge sehr umfangreich, besonders der Oberlappen. Dieser
im hinteren und unteren Abschnitt gleichmäßig fest und schwer, während
der vordere Rand weich und anscheinend lufthaltig ist. Ebenso der
ganze Unterlappen weich. Auf dem Durchschnitt ein großer Teil des
Oberlappens gleichmäßig infiltriert. Die Schnittfläche zum großen Teil
von körniger Beschaffenheit. Das Infiltrat teils von grauroter, teils mehr
von graugelblicher Farbe und weicher, schmieriger Beschaffenheit. Das
Lungenparenchym sehr dunkel pigmentiert, so daß auf der Schnitt-
fläche ein gleichmäßiger Wechsel zwischen schwarzen und grauen Flecken
sich findet.
Hechte Lunge ebenfalls umfangreich , aber etwas weniger als die
linke. Auch hier ist der hintere untere Abschnitt des Oberlappens von
gleichmäßig fester Konsistenz, während der größte Teil der Lunge weich
und lufthaltig ist. Auf dem Durchschnitt ist der infiltrierte Abschnitt
ebenso beschaffen wie der linke, aber erheblich kleiner, im ganzen etwa
apfelgroß. Parenchym der übrigen Lunge ziemlich ödematös und schwach
schwarz pigmentiert. Bronchien ziemlich gerötet mit schleimig-eitrigem
Sekret.
4*
53 II. KOXAWA
Histologische TJntersucbuug der graurot bep^tiaiert-ea Partie :
Die Alveolen sind wie in den anderen beecbriebenea Fällen stark
dilatiert. Bei scbwaober Yergr^iierang aeigt das erkrankte Gewebe ein
alendiob buntes BikL Das Exsudat besteht in den einen Alveolen ans
Scbleinunaasef in anderen aus ZeUen. und wieder in anderen aus Scblein
und Zellen. In einzelnen Alveolen ist Hämorrhagie zu sehen, die aber
nnr in einem Teile des* Alveolarraumes erscheint und niemale so groß
ist, daß sie den ganzen Alveolarraum für sich in Anspruch nimmt.
iPibrin ist nur in der Minderzahl von AlTeoIen zu finden, so dafi man
es leicht übersehen kann. Die schleimigen Massen bestehen bei mittel-
g^ßer VergröBerung aus mehr oder minder dioht gedrängten, mit hellem
deutliohemL Hof versehenen Bazillenhaufen, oh wie in der Reinkultur.
Die Zellen sind in der Minderzahl mehrkernige Leukozyten, zum größten
Teil desquamierte Epithelzellen mit oder ohne Kohlenpigment.
Beide Arten von Zellen sind, wie in anderen Fällen, vergrößert, ge-
quollen und enthalten Bazillen und Vakuolen. Die kohlenpigmenthaltigen
ZeMen, die in diesem Falle reichlich vorhanden sind, zeigen je nach dem
Reichtum an Pigment verschiedenes Verhalten. Solche, bei denen der
Zellleib vollständig mit Kohlenpigment gefüllt und kein Rest von .Proto-
plasma und Kern mehr sichtbar ist, sind gar nicht verändert. Sie sind
groß. Ihre Schwellung ist aber wahrscheinlich nicht die Folge des
Krankheitsprozesses, da solche Zellen bei gesunden Lungen schon vor-
handen sind. Sie zeigen also keine Reaktion gegen die Entzündung,
fallen mit pigmentfreien Zellen der Desquamation anheim, zu der sie
ohnehin große Neigung besitzen, und zerfallen zum Teil. Diejenigen,
welche wenig Kohlenpigment enthalten und deren Protoplasma noch ge-
nügend vorhanden ist, zeigen dieselben Veränderungen, wie die pigment-
freien Epithelzellen. Mehrkernige, große Zellen, welche nach Auf recht
durch Verschmelzung der Epithelzellen entstehen, kommen ab und zu
vor. Diejenigen, die blasse helle große Kerne enthalten, stammen von
Epithel Zellen, solche, die von Leukozyten stammen, zeichnen sich durch
kleinere unregelmäßig gestaltete stark tingierte Kerne ans. Beide sind
auch in diesem Falle wahrscheinlich das Produkt der Teilung, nicht die
Folge der Verschmelzung mehrerer Zellen ; denn es gibt Zellen, die
kleiner sind als die oben erwähnten, aber größer, als andere geschwollene
Zellen und durch den Gehalt an länglich eingeschnürte sanduhrfÖrmige
Kerne unleugbar die begonnene Teilung zeigen. Sie stellen also Über-
gangsformen zwischen einfach geschwollenen und mehrkernigen großen
Zellen dar.
Die Verteilung von Fibrin, welches besonders in diesem Falle ge-
ring ausgebildet ist, ist genau dieselbe, wie bei anderen Fällen. Das
Hindurchziehen der Fibrinfaden durch die Poren der Alveolarwand ist
auch deutlich zu sehen, ebenso ihre Abhängigkeit vom Bindegewebe.
Was die Verbreitung der Bazillen anlangt, so liegen
sie wie bei anderen Fällen der Bazillenpneumonie, intra- und extra-
zellulär und nehmen manchmal einen Teil oder den ganzen Raum
des Alveolarlumens in Anspruch. Bei dem letzteren Falle sind sie so
reichlich, wie in einer Reinkultur. Die Alveolensepta sind in verein-
Zar pathologischen Anatomie der Kapselbazillen-Pneumonie etc. 53
• ■ -
zelten Stellen rerbreitert und mit BaziHenhanfen gefüllt. Im Binde-
gewebe am Blätgef&Be und Bronchien, anter der Pleura und in der
InterlobularEepta sind ebenfalls Haufen von Bazillen zu treffen. Die
Bronchien zeigen hier und da in ihrer Wandnng Rundzelleninfil-
b«tion, sind von Epithel entblößt und enthalten in ihrem Lumen Zellen
verechiedener Art, Bakterien und spärliche Menge von Fibrin.
Biutgefäfie: 8tnd ziemlich stark mit Blut gefüllt, zeigen stellen-
veite RandstelluDg der Leukozyten und geringen Gehalt an Fibrin-
gerinnseloL
Pleura pulmonalis verhalt sich wie bei anderen Fällen.
Fall VU. (Mann von 44 Jahren, f 30. Mai 1902.)
Krankheitsdauer unklar.
Anatomische Diagnose: Pneumonie des Unterlappens der
rechten Lunge, Odem der linken Lunge, Arteriosklerose, Fettleber,
Taenia saginata. .
Sektionsbefund der Lunge (19 Stunden nach dem Tode):
Rechte Lunge koloesal schwer und groß. Der Oberlappen lufthaltig
und weich, die Bläschen an dem Bande stark ausgedehnt; der Mittel-
lappen nur an den Rändern lufthaltig, sonst ganz atelektatiscb. Der
IJnterlappen ist ad maximum ausgedehnt, zeigt stumpfe Ränder und ist
an seinem oberen Rand mit dem Mittellappen, an seiner unteren Fläche
mit der Pleura diaphragmatica fast verwachsen. Der übrige Teil der
Oberfläche, welcher fk'ei von Adhäsion war, weist feine Auflagerungen
auf. An der konvexen Fläche des ünterlappens findet sich ein nicht
scharf abgegrenztes, handtellergroßes Gebiet, wo die Läppchenzeichnung
undeutlich ist. Die Pleura pulmonalis ist in diesem Bezirk glatt und
gespannt, die Konsistenz fast fluktuierend. Der übrige Teil des Ünter-
lappens ist gleichmäßig infiltriert. Die großen Bronchien enthalten
8chmutzig*rÖtlichen Schleim. Die Schnittfläche ist mit schleimiger, durch-
scheinender, schmutzig-rötlicher Masse bedeckt, nach Abstreichen der-
selben, graurötlich, glatt homogen, fast nigends grannliert. Die Alveolen
sind schwer abzugrensen. Größere Gebiete, welche mehrere Läppchen
umfassen, zeigen eine so gleichmäßige glatt schleimige Schnittfläche, daß
sie sehr an das Aussehen einer myxomatösen Geschwulst erinnern. Auch
in demjenigen Teil des Unterlappens, wo die Lobuli noch erkennbar be-
grenzt sind, ist die Füllung der Alveolen sehr stark; doch treten nirgends
feste Pfropfe hervor. Die Grenzen der Alveolen sind hierdurch ver-
waschen und undeutlich.
Linke Lunge ist im Vergleich zur rechten sehr klein. Der IJnter-
lappen auch weich, lufthaltig, blutreich, stark ödematös; Oberlappen
auch weich, blutreich und mehr lufthaltig, als der IJnterlappen.
Histologische Untersuchungen des erkrankten
Lungenteils:
Die stark dilatierten Alveolen enthalten das aus Zellen und Schleim
bestehende Exsudat. Fibrin ist sehr spärlich, noch spärlicher als im
Fall VI. Die bei schwacher Vergrößerung durch Hämatoxylin blau ge-
färbte homogen aussehende Schleimmasse besteht bei großer Vergrößerung
ans dicht neben- und übereinander liegenden Bazillen mit prägnanten
54 ^^' KOKAWA
Schleimkapseln, die bald schmal, bald sehr breit sind. Die Schleimmasse
ist also lediglich das Produkt der Bazillen. Viele Alveolen sind nur
mit solcher Schleimmasse resp. mit -Bazillen ausgefüllt. Die Zellen sind
meist desquamierte Epithelzellen mit wenig mehrkernigen Leukozyten
gemischt. Sie sind auch, wie in den anderen Fällen, gequollen, mehr
oder weniger Bazillen und Vakuolen enthaltend. Ihre Quellung ist aber
nicht so stark, wie bei anderen Fällen, und die Anzahl der Zellen weit
spärlicher, so daß sie niemals einen ganzen Baam der Alveolen fär sich
in Anspruch nehmen, sondern nur einen Teil desselben füllen. Der übrige
Baum der Alveolen ist mit Bazillen ausgefüllt. Die roten Blutkörper-
chen kommen in vielen Alveolarräumen nur stellenweise, in einigen Al-
veolen aber ziemlich reichlich vor, so daß man es als Hämorrhagie be-
zeichnen kann. Was die Verteilung des Fibrins anlangt, so ist das Hin-
durchtreten desselben durch die Poren der Alveolarwand, die Beziehung^
derselben zum Bindegewebe usw. auch in diesem Fall zu konstatieren.
Nicht allein die Fibrinfaden, sondern auch die Schleimmasse resp. die
Bazillen gehen sehr oft durch die Poren der Alveolenwand hindurch.
Die Alveolarwand selbst ist nur in vereinzelten Stellen verbreitert und
mit Bazillen durchsetzt, sonst ganz intakt.
Hinsichtlich der Bazillen ist noch zu erwähnen, daß sie außer in
der Schleimmasse auch reichlich in und zwischen den Zellen sich finden.
Bei dem bedeutenden Zurücktreten der zelligen Elemente kann man
sich bei diesem Fall vorstellen, daß das ganze erkrankte Lungenparen-
chym mit Bazillen und deren Produkt Schleim überschwemmt ist. Im
Bindegewebe um Blutgefäße, Bronchien, in den Interlobularsepta und
unter der Pleura pulmonalis sind auch Bazillen vereinzelt oder in Gruppen
vorhanden.
Die Blutgefäße (inkl. Kapillaren in der Alveolarwand) sind
stark mit Blut gefüllt.
Pleura pulmonalis zeigt dünne oder zottige fibrinöszellige Auf-
lagerungen.
Bronchien: Orößere zeigen in ihrer Wandung leichte Leukozyten-
infiltration und enthalten in ihrem Lumen Schleim, Lungenepithelzellen^
Leukozyten und abgestoßenes Zylinderepithel.
Ehe ich zu den Schlußfolgerungen, welche sich aus meinen
Untersuchungen ergeben, übergehe, möchte ich noch eine kurze
Übersicht über die Haupteigenschaften der beschrie-
benen Fälle folgen lassen.
1. Alter und Beruf der untersuchten Individuen:
Fall I 38 jähriger Mann; Fall II 67jährige Arbeiterin;
Fall III 34jährige Händlerin; Fall IV 77jähriger Tischler;
Fall V 58 jähriger Maurer; Fall VI 59 jähriger Former;
Fall VII 44 jähriger Arbeiter.
Der Beruf des Fall I ist unklar.
2. Die Krankheitsdauer ist nach den von Herrn Prof.
Curschmann freundlichst zur Verfügung gestellten Kranken-
Zur pathologischen Anatomie der Eapselbazülen-Pneumonie etc. 55
geschichte bei Fall II auf 9, bei Fall VI auf 5 und bei dem im
pathologischen Institut zu Marburg sezierten Fall I auf 6 Tage
anzugeben. FaU VII starb während des Transports zum Kranken-
haus, Fall in litt vor der Pneumonie seit Monaten bereits an einer
puerperalen AflFektion und Fall IV und V wurden im benommenen
resp. moribunden Zustande in der medizinischen Klinik aufgenommen,
so daß bei diesen Fällen anamnestisch eine Bestimmung der Krank-
heitsdauer unmöglich war.
3. Was den Sitz und die Ausbreitung der Pneu-
monie anbetriflft, so fand sich in:
Fall I pneumonische Infiltration des linken Oberlappens und
viele lobularpneumonische Herde im linken ünterlappen
und der ganzen rechten Lunge;
Fall n pneumonische Infiltration des rechten Oberlappens;
Fall III pneumonische Infiltration des rechten Unterlappens;
Fall IV pneumonische Infiltration des rechten Ober- und Mittel-
lappens ;
Fall V pneumonische Infiltration des rechten Ober- und Mittel-
lappens;
Fall VI pneumonische Infiltration des rechten und linken Ober-
lappens ;
Fall VII pneumonische Infiltration des rechten Unterlappens.
Die rechte Lunge ist also auch bei Bazillenpneumonie, wie bei
Diplokokkenpneumonie mehr bevorzugt, als die linke. Auffallend
ist es, daß der Oberlappen in den meisten Fällen affiziert ist
Sodann kommt der Mittellappen, während der Unterlappen am
wenigsten befallen war. Die Erkrankungen mehrerer Lappen neben-
einander war auch relativ häufig.
4. Bezüglich der Pleura pulmonalis konnte ich in allen
Fällen eine Beteiligung in dem Krankheitsprozeß konstatieren. Sie
zeigte mehr oder weniger reichliche fibrinöse Auflagerungen. Fall V
war sogar mit rechtsseitiger eitriger Pleuritis kompliziert. Das
Verhalten der Pleura ist also bei der Bazillenpneumonie ähnlich
wie bei der Diplokokkenpneumonie. Die Neigung der Pleura zur
fibrinösen Exsudation scheint indessen bei der ersten nicht so stark
wie bei der letzten zu sein.
5. Die bei Diplokokkenpneumonie in den Bronchien so häufig
vorkommenden Fibringerinnsel, die schon makroskopisch leicht als
dendritenfSrmige Zylinder zu erkennen sind, wurden in keinem
56 n. KOKAWX
Falls gefiinden. Ich konnte nur miicroskopisch im BiH^nohia&inBien
Bpärliche Fibrinmassen konstatieren.
6. Als Komplikationen anler Bronchitis und Pleu-
ritis wurden bei Fall V Perikarditis und Meningitis und
bei Fall I Ikterus gefunden; dieselben Komplikationen, die bei
Diplokokkenpneumonie auch ab und zu vorkommen.
Epikrise.
Die ersten 5 Fälle, Fall I und III ungefähr im Stadium der
roten, Fall IV im Stadium der grauroten, Fall II und V im Stadium
der graugelben oder grauen Hepatisation, stimmen darin überein,
dafi sie fibrinös-zelliges Exsudat mit mehr oder minder zähem
Schleim führen. Je jünger das Krankheitsstadium ist, um so reich-
licher ist die Schleimmasse und um so spärlicher sind die Leukozji^n.
Daher triflPt man im Fall III und I relativ viel Schleim und wenig
Leukozyten und im Fall II, IV und V umgekehrt viel Leukozyten
und wenig Schleim. Mit der entzündlichen Hyperämie verhält es
sich genau so, wie bei der Diplokokkenpneumonie. Im Beginne des
Krankheitsprozesses bis zur roten Hepatisation (Fall III und I) ist
das Lungengefäßsystem hyperämisch. Im fortgeschrittenen Stadium
(von der grauroten Hepatisation ab) nimmt der Blutreichtum immer
mehr ab (Fall IV, V und II). Von dem letzteren hängt auch die Menge
der roten Blutkörperchen in den Alveolarräumen ab, was aber bei der
Bazillenpneumonie weniger deutlich zu sehen ist, als bei der Diplo-
kokkenpneumonie. Fibrin ist bei allen Fällen, besonders bei Fall IV
und V, sehr spärlich entwickelt. Doch bewahren sie alle
in pathologisch-anatomischer Hinsicht mehr oder
weniger deutlich den Charakter der fibrinösen Pneu-
monie, indem sie außer dem schon erwähnten Fibrin
und dem Verhalten der Blutgefäße die mehr oder
minder deutliche Körnung in ihrer Schnittfläche
zeigen und meistens den ganzen oder mehrere Lungen-
lappen affi zieren. Andererseits weichen sie aber in vielen
Beziehungen von der wohlbekannten Diplokokkenpneumonie ab.
Makroskopisch zeichnen sich unsere Fälle vor allem vor der
Diplokokkenpneumonie durch die viscide BeschaflFenheit des Ex-
sudates aus, so daß Weichselbaum durch diese BeschaflFen-
heit des Lungensaftes allein auf die Anwesenheit des Kapselbazillus
schließen konnte. Sodann zeigen die Sektionsbefunde unserer
Fälle Merkmale, die bei der Diplokokkenpneumonie ebenfalls
Znr pathologischen Anatomie der Eapselbazillen-Pnenmonie etc. 57
Torkomm^ so z. B. zahlreiche lobuläre Herde neben den lobänen
bei Fall I, Erwetcfanngsherde bei Fall H and unregelmäfiige oder
nndentliclie Körnung der Schnittfläche Betrachtet man weiter das
mikroskopische Büd des infiltrierten Gewebes, so werden die
Unterschiede zwischen beiden Pneumoniearten auffallender:
1. Bote Blutkörperchen sind in erster Linie im Stadium
der roten Hepatisation (Fall I und III) im Exsudate weit weniger
anzutreffen, als im gleichen Stadium der Diplokokkenpneumonie.
Bei Fall I ist zwar die sogenannte Hämorrhagie deutlicher aus-
geprägt als bei Fall IIL Immerhin sind aber desquamierte Epithel-
sell«! im Verhältnis zu roten Blutkörperchen relativ reichlich zu
inden, so daß bei Hämatoxylineosinfärbung die Schnitte, wie bei
Fall I schon gesagt, wegen der Kemfärbung blau erscheinen, wäh*
rend sie bei der Diplokokkeapneumonie rötlich aussehen. Ich habe
bei der letzteren neben Fibrin und abgestoßenem Lungenepithel
ungeheure Mengen roter Blutkörperchen gefunden, die oft so zahl-
reich waren, daß dadurdi andere geformte Elemente beinahe ver-
deckt wurden. Aufrecht betont auch in seinem Werke „Die
Lnngenentzändungen^ ein ähnliches Verhalten der roten Blut-
k^erchen, die bei der roten Hepatisation der Diplokokkenpneu-
monie extravasieren. Die Leukozyten treten aber bekanntlich erst
hauptsächlich im folgenden Stadium, im Stadium der grauen
Hepatisation auf, welches Vertialten ich auch bei unserer Bazillen-
pnenmonie bestätigen konnte.
2. Nicht minder auffallend, wie das Verhalten der
roten Blutkörperchen, ist die spärliche Entwicklung
des Fibrins. Durch Weigert's Methode konnte ich feststellen,
daß die Mehrzahl der Alveolen der Bazillenpneumonie rein zelUges
Exsudat, nur die Minderzahl der Alveolen fibrinöses oder zellig-
fibrinöses Exsudat führt, während bei der Diplokokkenpneumonie
gerade das Gegenteil der Fall ist. Die von B e z z o 1 a und R i b b e r t
bei der Diplokokkenpneumonie gefundene Gesetzmäßigkeit in der
Anordnung des zelligen und fibrinösen Exsudates — d. i. das Auf-
treten des zelligen in Bronchiolen und Infundibula und den diesen
angrenzenden Alveolen, und das Auftreten des fibrinösen in den
von Bronchiolen etc. weiter entfernten Alveolen — konnte ich bei
unseren 5 Bazillenpneumonien nicht finden. Dagegen fand ich bei
jedem Falle, daß Fibrin in den Alveolen, welche in der Nähe des
Bronchien und Blutgefäße umgebenden Bindegewebes sowie in der
Nähe von Pleura und Interlobularsepta sich finden, mehr oder weniger
deutlich entwickelt ist, wasBezzola undEibbert bei der Diplo-
58 n. EOKAWA
kokkenpneumonie auch feststellten. Bezüglich des Entstehens des
Fibrins bei der kroupösen Pneumonie herrschen noch Meinungs-
verschiedenheiten. Die Ansichten von Beyer und Veraguth:
„Fibrin entstehe durch Umwandlung des Alveolarepithels'*, scheinen
jetzt nur noch geschichtliche Bedeutung zu haben. Hauser will
noch die Entwicklung des Fibrins im ersten Stadium (im Stadium
der blutigen Anschoppung mit dem Übergang zur grauen Hepati-
sation) der Nekrose und der nachfolgenden fibrinösen Entartung der
hyalinen Platten zuschreiben. Die Alveolarwände seien in diesem
Stadium mit einer fibrinösen Membran bedeckt. Letztere sei beim
gehärteten Präparate von der Alveolar wand mehr oder weniger
abgehoben, vielfach gefaltet, netzförmig angeordnet, den Eindruck
eines Häutchens machend. Darin sehe man femer nicht selten die
rudimentären Kerne, von welchen in der Form feiner Sternfiguren
Fibrinfäden oder Reihen von Fibrinkörnchen ausstrahlen. Im übrigen
Raum der Alveolen sei in diesem Stadium Serum oder Zellen. Diese
Befunde sollen nach Haus er Beweise der fibrinösen Entartung des
Alveolarepithels sein. Mit Recht widerlegt Aufrecht Hause r's
Ansicht, indem er auf Ribbert's Befunde von Fibringerinnsel
innerhalb der Gefäße bei der kroupösen Pneumonie hinweist Ich
habe auch bei der Untersuchung der Diplokokkenpneumonie
ziemlich häufig die Fibringerinnsel in Blutgefäßen gefunden und
Ribbert's Befunde in vollem Maße bestätigen können. Es scheint
mir indessen wahrscheinlich, daß die Fibringerinnsel in Blutgefäßen
postmortale Produkte sind. Ich habe bei den ersten Stadien
unserer Bazillenpneumonie nach Weigert Fibrin in Blutgefäßen
(auch in Kapillaren), in Bronchien, im Bronchien und Blutgefäße
umgebenden Bindegewebe und im subpleuralen und interlobulären
Bindegewebe gefunden, während in vielen Alveolen selbst noch kein
Fibrin anzutreflFen war. Diese Befunde scheinen mir auch zu be-
weisen, daß die Ansicht von Hauser über die Entstehung des
Fibrins infolge der fibrinösen Entartung der hyalinen Platten
nicht ausschließlich richtig ist.
3. Was denBefund bezüglich des Hindurchtretens
von Fibrinfäden durch die Alveolarwand betrifft, so
kann ich die Angaben von Kohn, Hauser, Ribbert, Bezzola
und Aufrecht vollkommen bestätigen. Über die Deutung des-
selben sind die Meinungen der Autoren aber noch geteilt. Während
Kohn, Hauser, Ribbert und Bezzola den Grund hierfür in
dem Vorhandensein von natürlichen Poren in der Alveolarwand
sehen, sucht Aufrecht diese Erscheinung durch das räumliche
Zur pathologischen Anatomie der Kapselbazillen-Pneamonie etc. 59
Verhältnis bei Gerinnung des Fibrins zu erklären. Er sagt: „Fibrin,
welches aus dem Blut herausgelangt, müsse vor allem in der Nach-
barschaft der Kapillaren vorhanden sein. Da die Kapillaren die
Alveolarwand durchsetzen, müsse das Fibrin überall in der Nachbar-
schaft der Kapillaren sich finden, also ebensogut in der Wand der
Alveole, wie im Lumen derselben, ja in der ersteren am reich-
lichsten, weil es im Gewebe der Alveolarwand mehr Widerstand
gegen seine Ausbreitung findet, wie im Alveolarraum. Darum sei
es dort am stärksten zu sehen."
Ich habe die Alveolarwand bei der Bazillen-, sowie bei der
Diplokokkenpneumonie genau besichtigt und neben dem Hindurch-
ziehen der Fibrinfäden oft Kontinuitätstrennungen (schmale Spalten)
in der Alveolarwand gefunden, durch welche nicht nur Fibrinfäden,
sondern auch Bakterienhaufen und Zellen von einer Alveole zur
anderen hindurchziehen. Dieser Befund spricht entschieden für die
f^xist^nz von Poren in Alveolarwänden und gegen die Ansicht
Aufrecht's. Da die erkrankten Lungen bei Bazillenpneumonie
zum Teil durch das Alter emphysematös waren, und die Alveolen noch
dazu durch das Exsudat erweitert wurden, konnte ich oft stark
erweiterte Poren wahrnehmen.
4. Ganz charakteristisch für die Bazillenpneu-
monie ist das Aussehen vieler gequollenen Epithel-
zellen. Die Epithelzellen erreichen besonders durch den Gehalt
mehrerer Vakuolen zwischen dem Netzwerk des Protoplasmas enorme
Größe, ein Verhalten, welches bei den Diplokokken- und sonstigen
Pneumonien, soweit mir bekannt, bis jetzt noch nicht beobachtet
worden ist. Viele Autoren messen dem Lungenepithel die aktive
Beteiligung an der Entzündung bei. Ich möchte auf einzelne An-
sichten, wie die von Wagner, Beyer (31), Veraguth(32) etc.,
genau einzugehen verzichten, sondern mich nur auf die wichtigsten
beschränken.
Nach Aufrecht erfahren die LuDgenepithelzellen schon im Be-
ginne der Krankheit (im Stadium der Anschoppung) eine deutliche Ver-
änderung: Sie schwellen an, trühen sich und fallen zum großen Teil der
Desquamation anheim. Sie sollen aber in weiteren Stadien (bei der roten
und grauen Hepatisation) keine weitere Veränderung erfahren.
Ich konnte bei der Diplokokken- als auch bei der Bazillenpneumonie
in jedem Stadium stark geschwollene desquamierte Zellen finden. Die
Trübung der Zellen ist bei der ersteren sehr deutlich, während sie bei
der Bazillenpnoumonie durch Vakuolenbildung nicht prägnant waren.
Doch waren bei der letzteren auch viele Epithelzellen ohne Vakuolen,
60 II- KOKAWA
aber mit etark tiogiertem getrübtem Protoplasma vorhanden. (Die Spi-
theliellen besitzen meist hellere größere Kerne als Leukozyten, lassen
sieb also leicht y<mi letzteren unterscheiden.)
Feuerstack vertritt die Ansicht, daß bei der kronpösen Pneu-
monie 2 verschiedene Arten der Epithelzellen sich gegen den Krank-
heitsprozeß verschieden verhalten. Die kernhaltigen granulierten kleineren
Zellen reagieren nach Feuerstack aktiv auf die entzündliche Hyperämie
mit Schwellung, Trübung und Teilung. Die größeren hyalinen platten
Zeilen sollen dagegen sich passiv verhalten, sie werden von ihrer Unter-
lage teils abgewiesen oder teils an der Alveolarwand erhalten. Er gibt
ferner an, daß solche platte Zellen — hyaline Platten — sowohl im
Ausstrichpräparate als im Schnittpräparate des erkrankten Lungenteils
vorhanden seien.
Ich habe bei meiner Untersuchung sowohl bei der Diplokokken- als
auch bei der Bazillenpneumonie auf das Verhalten der hyalinen Platten
geachtet, konnte aber hyaline Platten in relativ unveränderter Form, wie
Feuerstack angibt, nur in vereinzelten Stellen — meist zwischen Al-
veolarwand und Exsudat — finden. Ihre Menge ist aber zu unbedeutend,,
als daß man daraus einen Schluß ziehen dürfte.
Zu erwähnen ist noch das Verhalten der Leukozyten
bei der Bazillenpneumonie, indem viele von ihnen wie
Epithelzellen durch Aufnahme der Bazillen schwellen.
Durch Vakuolen, hervorgebracht durch die schleimige Kapsel der Bazillen,
sehen die Leukozyten- und Epithelzellen ähnlich wie Bienenzellen aus.
Die Kerne sind dabei oft an die Peripherie gedrängt, wie in Fettzellen.
Aus diesen Daten erhellt nun, daß die Bazillen-
pneumonie sich von der Diplokokkenpneumonie wesent-
lich unterscheidet. Ihr Bild ähnelt demjenigen der sog.
asthenischen Pneumonie, welche sich nach Leichtenstern (33)
durch langsame Infiltration, schlaffe Hepatisation, raschen Übergang
in graue Hepatisation, zum Teil auch größere Neigung zur eitrigen
Infiltration, zu Abszeßbildung und Gangrän auszeichnet. Histo-
logisch stimmen beide darin überein, daß beide, sowohl die Bazillen-
pneumonie als auch die asthenische Pneumonie wenig Fibrin in
ihrem Exsudate haben. Hinsichtlich der Veränderung der
zelligen Elemente besteht aber zwischen ihnen ein
großer Unterschied.
Leichtenstern berichtet uns ferner in seinen Mitteilungen
„über „infektiöse" Lungenentzündung und den heutigen Stand der
Psittakosisfrage" iiber einen Fall von Pneumonie, die im Januar
1899 in Köln als Hausepidemie eine Familie heimsuchte und in
einigen Punkten ähnliche Gewebsveränderungen wie die Bazillen-
pneumonie zeigte. Die Schnittfläche der erkrankten Lungenteile
war bei seinem Fall glatt, im Exsudate wiegen die Zellen vor;
Zur pathologischen Anatomie der Eapselbazillen-Fnenmonie etc. gl
das Fibrin tritt in vielen Alveolen sparweise, nur in vereinzelten
Alveolargruppen dentlich auf. Die AIveolai*septa sind oft strecken*
weise verbreitert nnd mit Kundzellen infiltriert. Leichtenstern
bezeichnet den Fall als zeitige oder zelUg-fibrinöse Pneumonie.
Die Verändernngen des Lungenepithels nnd der Leukozyten sind
aber nicht näher beschrieben. Die Erreger waren nach Leichten-
stern Streptokokken.
Aufrecht unterscheidet viele Formen von Pneumonien, welche
von anderen Autoren auch als billiöse, typhöse, asthenische, ende-
mische etc. bezeichnet werden oder von Tier auf Menschen äber^
tragbar sind^ von der genuinen kroupösen Pneumonie und bezeichnet
jene im Gegensatz zur letzteren „vorläufig^' zusammenfassend als
„atypische"^ weil eine ätiologische Abgrenzung der einzelnen
Formen wegen der Unbekanntheit oder Unsicherheit der Krank-
heitserreger zurzeit unmöglich sei. In bezug auf die Ätiologie
s<dcher atypischen Pneumonien bemerkt Aufrecht, daß Finkler(ä4)
unter vielen Fällen von seiner zelligen Pneumonie außer verschie-
denen Mikroorganii^nen den Bacillus pneumoniae in einem Fall
konstatiert habe. Speziell über das pathologisch-anatomische Ver-
balten der Pneumonie durch diesen Bacillus pneumoniae sagt er
aber kein Wort. Er definiert pathologisch-anatomisch
seine atypische Pneumonie wie folgt: „Der wesent-
liche Unterschied zwischen dieser Art lobärer Er-
krankung und der lobären Erkrankung bei der krou-
pösen Pneumonie besteht aber in dem Fehlen von
Fibrin im Kaume der Alveolen während des ganzen
Verlaufes der Krankheit." Der Anfang des Krankheits-
prozesses sei dabei in beiden Fällen übereinstimmend, ebenso die
Veränderung der Alveolarepithelien. Die Verbreitung und Ver-
dickung der Alveolarwände erfolge bei der atypischen rascher und
häufiger, al& bei der kroupösen. Die Hämorrhagie in Alveolen finde
sich bei der atypischen auch in vielen Stellen, aber unregelmäßig
daneben seien andere Alveolen mit Leukozyten und großem Alveolar-
epithel gefillt. Dieses ungleichmäßige Verhalten erkläre auch die
Ungleichmäßigkeit des Aussehens auf dem Durchschnitt, dürfe das
wesenüiehe Kriterium der atypischen Pneumonie sein, und mache es
möglich, vorläufig eine Reihe von Erkrankungen zusammenzufassen,
welche zweifellos in Zukunft nach Krankheitserregern auseinander
zu halten sein werden.
Wenn man die pathologisch - anatomischen Befunde unserer
Bazülenpneumonie mit der Beschreibung der atypischen Pneumonie
62 11. KOKAWA
von Aufrecht vergleicht, so kann man trotz der Übereinstimmung-
in einigen Punkten deutliche Differenzen finden. So betont er das
Fehlen des Fibrins im Räume der Alveolen, als das Hauptkriterium
der atypischen, während bei unserer Bazillenpneumonie das Fibrin
mehr oder weniger in vielen Alveolen, in einigen Alveolen sogar
reichlich vorhanden ist. Ferner sind die Alveolarsepta bei der
letzteren nur an vereinzelten Stellen verbreitet und bazillenhaltig,
während bei der atypischen Pneumonie die Verbreitung und Ver-
dickung der Alveolarsepta durch Leukozyteninfiltration relativ
häufig ist. Demnach gehört nach meiner Ansicht unsere Bazillen-
pneumonie gar nicht zur atypischen im Sinne Aufrecht's. Viel-
mehr zwingen mich die oben hervorgehobenen Unterschiede zu der
Annahme, daß die Bazillenpneumonie pathologisch - anatomisch als
eine ' besondere Form der kroupösen betrachtet werden muß.
Bei Fall VI und VII ist das Bild des erkrankten Gewebes
auffallend von demjenigen der Diplokokkenpneumonie verschieden,
während bei Fall I — V viel größere Ähnlichkeit mit derselben zu
konstatieren ist. Der Fall VII verrät schon makroskopisch durch
seine homogene nirgends gekörnte Schnittfläche etwas Ungewöhn-
liches. Der Fall VI zeigt in seiner Schnittfläche zwar deutliche
Körnung, histologisch aber ein ganz anderes Bild, als dasjenige der
Diplokokkenpneiimonie. Mikroskopisch zeichnen sich beide, besonders
Fall VII, durch den eine Reinkultur der Bazillen darstellenden
schleimigen Inhalt in den Alveolen aus. Das rührt wahrscheinlich
davon her, daß bei der Bazillenpneumonie im Beginne der Er-
krankung die Bazillen und der von ihnen produzierte Schleim die
Alveolarräume ausfüllen und andere Elemente, Fibrin und Leuko-
zyten, sich erst nachträglich hinzugesellen. Der Fall VII stellt
also das Bild eines beginnenden Stadiums und Fall VI dasjenige
eines etwas weiter fortgeschrittenen Stadiums dar. In den Fällen
I — V haben wir auch gesehen, daß der schleimige Inhalt mit dem
Fortschritt der Erkrankung abnimmt, die Leukozyten aber zu-
nehmen.
W. H. Smith teilt über einen durch Kapselbazillen hervor-
gebrachten Fall von akuter Lungenentzündung und Septikämie
folgendes mit: In den hepatisierten Lungenteilen waren die Alve-
olen ausgedehnt und hauptsächlich von Kapselbazillen gefüllt. In
einigen Alveolen scheinen sie in Reinkultur vorhanden zu sein. Er
fand sie ferner innerhalb der Leukozyten und großen Epithelzellen.
Die aus Herz, Leber, Niere, Milz und Lunge angelegten Kulturen
ergaben alle ein positives Resultat. Die Veränderung der erkrankten
Zar pathologischen Anatomie der Eapselbaziilen-Pneumonie etc. 68
Lange stimmt nach seiner Beschreibung ganz vollkommen mit
unserem Fall VI und VII überein. Daß die Virulenz der Bazillen
bei seinem Fall sehr groß war, ist daraus zu schließen, daß neben
der Lungenerkrankung nachträglich Septikämie sich einstellte.
Es ist bis jetzt ziemlich häufig darüber diskutiert
worden, ob die Krankheitserreger bei Lungenent-
zündungen vom Blut aus oder von den Bronchien in
das Gewebe gelangen. Bei der Bazillenpneumonie, sowohl bei
Fall VI und VII, als bei den anderen 5 Fällen, finden sich die
Bazillen vorwiegend in den Alveolarlumen und Infundibulis, sehr
spärlich aber im Bindegewebe um Blutgefäße und Bronchien herum,
in den interlobulären Septa und Alveolarscheidewänden und —
allerdings sehr selten — im Blutgefäß selbst; alle diese Be-
funde zwingen mich zur Annahme, daß es sich um
ärogene Infektion handelt — dafür sprechen auch die
Tierversuche — , obwohl ich die Möglichkeit einer hämatogenen
Infektion nicht ausschließen kann. Es liegen auch Angaben vor,
daß die Friedländer'schen Kapselbazillen im Sekrete der Nasen-
höhle von gesunden und katarrhalisch erkrankten Leuten vorkommen
(Phost (38) etc.). Zieht man dabei noch in Erwägung, daß diese
Bazillen in dem Nasensekret bei Ozäna (Thost, Berliner (39)
und andere) im Eiter bei Otitis media (Weich sei bäum (40) vor-
kommen können, so liegt allerdings der Gedanke nahe, daß diese
Bazillen auch dann und wann aus der Nasenhöhle einmal in die
Lungen hineingeraten und dort die Lungenentzündung hervor-
bringen können.
Zusammenfassung der Befunde bei der Bazillen-
pneumonie.
Zum Schlüsse fasse ich die Ergebnisse meiner pathologisch-
anatomischen Untersuchungen über die Bazillenpneumonie in fol-
genden Sätzen zusammen:
1. Die erkrankten Lungenteile erfahren gewöhnlich sehr be-
deutende Umfangzunahme. Die Erkrankung kann einen ganzen
Lappen der Lunge oder herdweise eine Partie eines Lungenlappens
betreften.
2. Die Schnittfläche der erkrankten Lungenteile ist meisten-
falls mehr oder weniger deutlich körnig, selten ganz glatt. Sie
zeichnet sich durch außerordentliche Schlüpfrigkeit und reichlichen
Gehalt an Schleim im Exsudat aus, und zwar um so auffallender,
je junger das Krankheitsstadium ist. Es muß allerdings bemerkt
64 ^ KOKAWA
werden^ dafi die schleimige BeschAffenbeit der Sehnittfläche niclxt
anssebließlicU der BaaüleapneuiMirie zukommt , sondern aHch m
spdterea Stadien der Diplokokkenpnevmonie nicht selten beobaehtet
wird.
3. Der KrankheitsprozeS äotert sieh histologisch einerseits in
der Veränderung des Lungenepithels, in Anschwellung, Wneherimg^,
Desquamation, teilweise Nekrose und Zerfall der Epithelzellen, an-
dererseits im Austritt von i'oteti Blotkörperehen sowie Blntflüsaig-
keit und Leukozyten.
4. Die Reihenfolge der histologischen Gewebsveränderungen
seheint bei der BaziUenpnenmonie mehr oder weniger ähnlich zu seis,
wie bei der Diplokokkenpnenmonie. Im Stadium der roten Hepati-
sation kouHnt bei der ersteren auch mehr oder weniger Hämorriiagie
vor, aber nicht so reichlich, wie bei der letzteren, so dafi man also
bei BaziUenpnenmonie außer starker Füllung der Blutgefäße die
Hämorrhagie nicht als Charakteristikum für die rote Hepatisation
ansehen kann. Das Fibrin, welches bei der Diplokokkenpnen-
monie in dem Stadium der grauen Hepatisation am meisten ausge^
bildet ist, kommt bei der Bazillenpnenmoaie auch zur Ausbil-
dung, aber sehr viel spärlicher. Die ausgewanderten Leukozyten
sind bei der Bazillenpneumonie im ganzen sehr viel größer durch
das Auftreten der bazillenhaltigen Vakuolen, als bei der Diplo-
kokkenpneumonie und machen mit den Epithelzellen in fortgeschrit-
tenen Stadien den Hauptbestandteil des EIxsudates aus.
5. Sehr charakteristisch für die BaziUenpnenmonie ist das Ver-
halten der Bazillen im erkrankten Gewebe. Im Krankheitsbeginn
machen sie mit dem Schleim und Epithelzellen den Hauptinhalt
der Alveolarräume aus. Der größte Teil der Epithelzellen (im
fortgeschrittenen Stadium auch viele der Leukozyten), erleiden
dabei charakteristische Veränderungen, namentlich sehr starke Auf-
quellung und Vakuolenbildung durch Aufnahme der Bazülen. Daß
diese Vakuolen von den schleimigen HüUen der BazUlen stammen,
ist daraus zu ersehen, daß fast in jeder Vakuole eine oder mehrere
Bazillen vorhanden sind.
6. Die Beteiligung der Broncliien und Pleura an dem Krankherts-
prozeß ist bei der Bazillenpneumonie genau dieselbe, wie bei der
Diplokokkenpneumonie. Die ersteren zeigen das BUd eines Katarrhs,
die letztere (Pleura pulmonalis) zellig-fibrinöse Auflagerungen.
Fibrinöse Gerinnsel in den Bronchien scheinen nicht vorzukommen*
7. Aus der vorangehenden Schilderung glaube ich mich dafür
entscheiden zu dürfen, daß die Bazillenpneumonie in pathologisch-
Zur pathologischen Anatomie der Eapselbazillen-Pnenmonie etc. 65
anatomiscber Hinsicht eine besondere Form der Pneamonie darstellt,
die sich von der Diplokokkenpneumonie durch eine Reihe charak-
teristischer Merkmale unterscheidet, so dafi wohl anzunehmen ist,
daß auch in dem klinischen Verhalten gewisse Verschiedenheiten
sich nachweisen lassen werden.
Anhang zum Fall V
Wie schon bei Fall V erwähnt, wurde bei demselben außer
Pneumonie eitrig-flbrinöse Leptomeningitis durch Friedländer'sche
Eapselbazillen konstatiert. Vielleicht könnte es von Interesse sein,
wenn ich hier noch einige Worte über die Veränderungen der
Meningen berichte, da die Kapselbazillen als seltene Erreger ver-
schiedener bösartiger, oft zu Allgemeininfektion führender Krank-
heiten, wie Pleuritis, Pericarditis, Endocarditis, Otitis media, Ab-
szesse, Phlegmone, Osteomyelitis etc. beschuldigt werden.
Es ist eine allbekannte Tatsache, daß Meningitiden in der
Minderzahl der Fälle von kroupöser Pneumonie als eine Komplikation
auftreten. Daß dasselbe bei einigen Fällen von Bazillenpneumonie
auch der Fall war, darüber liegen in der Literatur sichere An-
gaben vor. Außerdem sind einige Fälle von Meningitis durch
Kapselbazillen auch im Anschluß an andere Erkrankungen be-
schrieben.
Die erste sichere Angabe, daß verschiedene Krankheitsprozesse
außer Pneumonie und Pleuritis durch Bazillenpneumonie hervor-
gebracht werden können, rühjt von Weichselbaum (40) her.
Er stellte 1888 bei einer 57 jährigen Frau, bei welcher im An-
schluß an ßhinitis und Otitis media purulenta sich eine eitrige
Periostitis des Processus mastoideus, sodann eine Phlegmone des
M. sternocleidomastoideus und allgemeine Infektion entwickelten,
in verschiedenen erkrankten Organen Kapselbazillen als ausschließ-
liche Erreger fest. Die parenchymatösen Organe zeigten dabei
deutliche Veränderungen, wie akute parenchymatöse Nephritis,
fettige Degeneration des Herzens, trübe Schwellung der Leber,
akuten Milztumor etc. Die inneren Hirnhäute waren nach
Weichselbaum's Angabe nur milchig getrübt, die Seiten-
ventiikel erweitert. Babes (41) fand bei einer tuberkulösen
Meningitis neben Tuberkelbazillen Kapselbazillen. Mills (42) kon-
statierte 1892 bei einer wahrscheinlich im Anschluß an Influenza
aufgetretenen Meningitis Kapselbazillen als alleinige Mikroorganismen.
Pesina und Honl (43) fanden 1894 dieselben Mikroorganismen
neben Bacillus pyocyaneus bei einer nach Otitis media purulenta
DeutschM ArehiT f. klin. Medizin. LXXX. Bd. ^
66 n. KOKAWA
und Karies und Periostitis des Processus mastoideus hinzugekommenen
Meningitis. Dmochowski (44) stellte Kapselbazillen 1894 als
ausschließliche Erreger bei einem Pneumoniker fest, welcher nach
verschiedenen Eiterungsprozessen der Gesichtsknochen und Phleg-
mone des Gesichts und Halses durch eitrige Meningitis und Gehirn-
abszeß zugrunde ging, sowohl im Himabszefl als auch in anderen
Eiterherden. Honl (43) fand zum zweiten Male Kapselbazillen
bei einem durch eitrige Entzündungen der Meningen, der Lungen
und Nieren zugrunde gegangenen Falle als alleinige Mikro-
organismen. Chiari (45) stellte 1895 bei einem nach eitriger
Nephritis aufgetretenen pyohämischen Falle Kapselbazillen fest als
ausschließliche Erreger der Meningitis und verschiedener Ent-
zündungen anderer Organe.
Councilman, Mallory und Wright (46) fanden 1898
dieselben Mikroorganismen bei einem Fall von Cerebrospinalmenin-
gitis neben Diplococcus intracellularis ;Jassniger (48) aber dieselben
Bazillen 1902 in einem Fall derselben Krankheit ausschließlich.
Milan Sachs (47) konstatierte endlich 1902 in einem Fall,
bei welchem von einem Prostataabszeß ausgehend eine Allgemein-
infektion stattfand, Kapselbazillen sowohl im Blute, als auch in
meningitischen Herden des Hirns und Rückenmarks, in Prostata,
Nieren, Herzklappen etc.
Ich lasse hier zuerst den Sektionsbefund des Falls V folgen, und
dann die histologischen Veränderungen der Meningen. Von dem
Krankheitsverlauf ist leider nichts zu ermitteln gewesen, da der
Kranke zur medizinischen Klinik von Professor Curschmann
moribund eingeliefert wurde.
Ernst Mehnert, ein 58 jähriger Maurer.
Anatomische Diagnose: Pleuritis purulenta d extra, Pneumonia
crouposa lobi sup. et med. dext., Pericarditis purulenta, Leptomeningitis
fibrino-purulenta difPusa.
Sektionsbefund (30. August 1900):
Große, kräftig gebaute männliche Leiche; Totenstarre und Toten-
flecke an Kücken und Extremitäten sehr ausgeprägt; Fettgewebe und
Muskulatur gut entwickelt; Körperlänge 1,75 m.
Schädeldach groß, dick und symmetrisch; Scbädelkapsel nicht fest
adhärent. Die Sinus mit Kruor und Speckgerinnsel gefüllt. Die weichen
Häute besonders der Konvexität befinden sich überall im Zustande des
sulzig-eitrigen Ödems; an den hintersten Partien der Hemisphäre und
auf dem Kleinhirn mehr reineitrige Auflagerungen, die an der Basis viel
spärlicher und mißfarben dunkel grünlich- gelb werden. Die Substanz
der Hemisphäre sehr weich, durchtränkt, ziemlich stark abgeplattet.
Durchschnitte derselben zeigen bis auf eine etwas grünliche Verfärbung
Zar pathologischen Anatomie der EapselbazUlen-Fneumonie etc. 67
der grauen Substanz der Zentralganglien, keine Yeränderang. Die Seiten-
ventrikel und der vierte Ventrikel sind entschieden erweitert und mit
rötlicher trüber Flüssigkeit gefüllt.
Zwerchfellstand beiderseits an der Y. Bippe. Die rechte Pleura-
höhle enthält ca. 100 ccm, die linke ca. 30 ccm fast rein eitriger Flüssig-
keit; rechterseits leichte Yerklebungen beider Pleurablätter. Der Herz-
beutel liegt über handtellerbreit frei, seitlich ist er mit der Pleura fest
verklebt. In der Höhle des Herzbeutels ca. 50 ccm einer rein eitrigen
nicht stinkenden Flüssigkeit ; auf dem visceralen und parietalen, besonders
aber an der Umschlagstelle beider Blätter an den großen Gefäßen zarte
eitrig -fibrinöse Auflagerungen. Buchte Herzhälflbe : Muskulatur und Wan-
dung nicht verdickt, in der Höhle viel Kruorgerinnsel, Klappen intakt.
Linke Herzhälfte : Muskulatur dunkel, blutreich und nicht hypertrophisch,
im Yorhof und Yentrikel Speckhaut gerinnsei und Kruor; Aortenklappen
ein bißchen verdickt ; Mitralklappen und Koronararterien zart. (Lungen an
andeter Stelle schon erwähnt.)
Bauchorgane ohne besondere Yeränderungen.
Oroße Oefaße, besonders die Aorta in großer Ausdehnung sklerosieit.
Mikroskopischer Befund der Meningen (Tafel 11 Fig. 5).
Vier in Alkohol gehärtete Stücke aus verschiedenen Stellen der Groß-
hirnrinde mit den weichen Häuten habe ich nach denselben Methoden
untersucht, die ich bei der Pneumonie angewandt habe.
Die zarte bindegewebige Schicht der Arachnoidea ist gelockert und
verbreitert. Das Zwischengewebe von Pia und Arachnoidea ist in allen
Präparaten zu einem ungleich großmaschigen, kaum deutlich sichtbaren
Netzwerk verbreitet. Die Maschen desselben sind mit dem hauptsäch-
lich aus Fibrin und Leukozyten bestehenden Exsudate ausgefüllt. Das
letztere ist oft locker auf den Windungen, aber dichter in den Furchen
der Himsubstanz ausgebildet. Die Yerteüung des Fibrins und der
Leukozyten im Exsudate ist ungleichmäßig. An einer Stelle ist viel
Fibrin mit relativ wenig Leukozyten; an einer anderen Stelle ist eine
enorme Menge von Leukozyten mit einem zarten, spur weise entwickelten
Fibrinnetz vorhanden, während wieder an anderen Stellen Fibrin und
Leukozyten beide sehr spärlich anzutreffen sind. In der Hegel ist das
Fibrin in der Umgebung der Blutgefäße und an der Intima der Pia
gut entwickelt und stellt oft ein dichtes, feinmaschiges Netzwerk ohne
zellige Beimischung dar. Die Leukozyten sind teils ein-, teils mehr-
kemig, oft angeschwollen, vakuolisiert und bazillenhaltig. Die Yakuolen
in den Zellen sind aber nicht so deutlich wie im pneumonischen Lungen-
gewebe sichtbar, ihre Zahl in den Zellen ist auch nicht groß, sie schwankt
meist zwischen 1 — 3 und ist sehr selten noch höher. Die Kerne sind
oft mit dem B«8t von Protoplasma an die Peripherie gedrängt. Bote
Blutzellen kommen auch dann und wann im Exsudat vor, ihre Zahl ist
aber sehr spärlich, so daß sie keinen wesentlichen Bestandteil des
Exsudats bilden. Es gibt auch stellenweise Zellen, welche sich durch
große blasse Kerne und starke Yergrößernng von Leukozyten unter-
scheiden; sie sind wahrscheinlich Abkömmlinge von Endothelzellen. Die
Blutgefäße sind erweitert und mit Blut stark gefüllt. In den Yenen und
68 IL KOKAWA
in einem Teil der Arterien aind grobe , wie nadeiförmige Kry Bialle aoB-
sehende Fibrinfäden zwischen Blntzellen sichtbar, in einigen Gefäßen
findet sich eine Wandstellung der weißen Blutkörperchen. Von Bakterien
Bind nur ELapselbazillen zu treffen. Sie sind aber nicht so zahlreich,
wie im poenmonischen Gewebe, liegen innerhalb der Leukozyten und
zwischen denselben und den Fibrinfaden. In dem gelockerten Arachnoideal-
gewebe und in der Nähe der Intima und Pia sind Bazillen relativ
reichlich, oft in zahlreichen Gruppen zu finden. Sie lassen sich durch
Farbstoffe gut färben, auch sehr gut durch Gentianaviolett bei Fibrin-
färbuDg. Durch die letztere Färbung sind besonders in Blutgefößen,
sowohl in Venen als in Arterien, befindliche Bazillen neben Fibrin leicht
sichtbar. Die Kapseln der Bazillen erscheinen meist als ungefärbter heller
Hof mehr oder weniger deutlich.
Was die Hirnsubstanz selbst anbetrifft, so zeigen sich in der ober-
flächlichen Schicht, in der äußersten feinfaaerigen Schicht und in der
zellarmen Schicht einige Veränderungen. Das Gliagewebe ist daselbst
gelockert ; die Maschen der Gliafasern verbreitert. Das Protoplasma der
Ganglienzellen ist schwer färbbar und nicht scharf abgegrenzt. Die
Kerne derselben aber sind gut erhalten und gut färbbar. Die Gliazellen
scheinen meist nicht verändert zu sein. Die Kapillaren sind stark mit
Blut gefüllt. In und um kleine, von der Pia in die Hirnsubstanz ein-
tretende Blutgefäße sind stellenweise Bazillen vorhanden ; sonst si^d die
Bazillen ab und zu in der äußersten feinfaserigen Schicht zu treffen
(wahrscheinlich postmortal dorthin gelangt). Keine Leukozyten Infiltration
um die Gefäße oder in der Hirnsubstanz. Die Veränderungen der ober-
flächlichen Schicht der Hirnrinde sind also lediglich als Folgezustande
des entzündlichen Odems aufzufassen. Der epizerebrale Raum ist überall
erweitert und enthält Eiweißgermnsel, vereinzelte Leukozyten und Bazillen.
Das erkrankte Piagewebe ist also mit der Himoberfläche durch die von
der Pia in die Hirnsubstanz eintretenden Blutgefäße verbunden (wahr-
scheinlich ein postmortales Produkt).
In unserem Falle wurden der rechte obere und mittlere Lungenlappen
und die weichen Hirnhäute ohne Zweifel durch Friedländer'sche Kapsel-
bazillen affiziert, wie letztere histologisch und bakteriologisch nachgewiesen
wurden. Eitrige Pleuritis und Perikarditis wurden zwar weder histo-
logisch noch bakteriologisch untersucht. Nichtsdestoweniger glaube ich
aber dieselben der Wirkung der Kapselbazillen zuschreiben zu dürfen,
da eitrige Pleuritis erfahrungsgemäß oft an eine kroupöse Pneumonie,
eitrige Perikarditis ebenfalls sich an Pleuritis und Pneumonie anschließt.
Welche Krankheit, ob Pneumonie oder Leptomeningitis, bei unserem Falle
die primäre sei, ist klinisch bei dem unbekannten Krankheitsverlauf nicht
zu entscheiden. In pathologisch- anatomischer Hinsicht stellt die krou-
pöse Pneumonie ein ziemlich fortgeschrittenes Stadium (graue Hepatisation)
dar. Und Kapselbazillen schmarotzen bekanntlich oft im Atemwege ge-
sunder Menschen, wie in der Nasenhöhle, Kehlkopf und Trachea. Es iat
also wohl sicher anzunehmen, daß die Lunge in unserem Falle zuerst von
Bazillen affiziert, sodann Pleura und Herzbeutel per continuitatem und
conguitatem infiziert und schließlich Leptomeningitis durch dieselben
Zar pathologischen Anatomie der Eapselbaziilen-Pnenmonie etc. 69
MikroorganiBmen herbeigeführt wurde. Daß die Leptomeningitis durch
eine Infektion mittels der Biutzirkulation zustande kam , bedarf keiner
Worte.
Nachtrag.
Nach Vollendung meiner Arbeit bekam ich Gelegenheit, zwei
neue Fälle von Bazillenpneumonie zu untersuchen, worüber ich hier
kurz berichten möchte.
Fall VIII (47 jährige Maurerswitwe, f 1. August 1903).
Kzankheitsdauer unklar, da die Betreffende moribund in ganz be-
Dommenem Zustande in die Klinik von Professor Curschmann auf-
genommen wurde.
Klinische Diagnose: Pneumonia crouposa lobi sup. pulmonis sin.
Anatomische Diagnose: Pneumonia crouposa lobi
sup. pulmonis sin. (Bacillus pneumoniae Friedländer.)
Pleuritis fibrinoserosa sin. Emphysema pulmonum. Pe-
ricarditis chronica fibrosa et recens fibrinoserosa. Ar-
terioBclerosis. Atrophia renum granularis.
Sektionsbefund der Lungen (20 Stunden nach dem Tode):
Buchte Lunge in ihren oberen und unteren Partien mit der Pleura
parietalis verwachsen, in den unteren und Bandpartien gebläht. Das
Parenchym Ödematös.
Linke Lunge am TJnterlappen mit der Pleura diaphragro. leicht ver-
wachsen. Der ganze Oberlappen außerordentlich umfangreich, derb in-
filtriert; die ganze Schnittfläche glatt, homogen und von eigentümlich
graugrünlicher schleimiger Beschaffenheit; nach Abstreichen derselben
kommt aber eine graurote, deutlich kömige Schnittfläche zum Vorschein.
In frischen und gefärbten Abstrichpräparaten waren reichliche Kapsel-
bazillen nachweisbar. In den nach der Sektion sofort angelegten Agar-
fltrich- und Gelatineplattenkulturen entwickelten sich nur Bazillen, welche
bei weiterer Züchtung bei Oelatinestich- deutlich Nagelkultur, bei Agar-
strichkulturen starke Schleimbildnng zeigten. Die Bazillen ließen sich nach
Gram nicht färben und verhielten sich gegen Mäuse und Meerschweinchen
stark pathogen. Näheres hierüber werde ich gelegentlich mitteilen.
Die histologischen Untersuchungen des infiltrierten
Lungenteils ergaben dieselben Resultate, die ich in anderen Fällen,
besonders in Fall lY und Y, konstatiert habe. Die meisten Epitbelzellen
und viele mehrkemige Leukozyten waren kolossal gequollen und durch den
Einschluß mehr oder weniger reichlicher Kapselbazillen deutlich vakuolisiert.
Yiele Epithelzellen waren nekrotisiert, ließen zum Teil trotz erhaltener
Formen keine deutliche Kcmfarbung zu, und waren teilweise zerfallen. Trotz
der deutlichen Körnung der Schnittfläche des hepatisierten Lungenteils
ließ sich nach Weigert nur in relativ spärlicher Menge Fibrin darstellen,
dessen Yerteilung sich genau, wie in anderen Fällen verhielt. Im Exsudate,
das außer Fibrin aus Epithelzellen, Leukozyten und zum Teil aus der
schleimigen Masse bestand, waren die roten Blutkörperchen vereinzelt zu
finden. Blutgefäße wenig blothaltig. Bronchien, Lymphgefäße, Bazillen
und Alveolanepta verhielten sich wie in anderen Fällen.
70 n. EOKAWA
Fall IX (51jährige Fabrikarbeiterin, f 10. September 1903).
Krankheitsdauer: 4 Tage.
Klinische Diagnose: Pneumonia crouposa lobi med. et inf .
pulm. dext. Dilatatio ventriculi utriusque cordis. Delirium.
Anatomische Diagnose: Pneumonia crouposa lobi
inf. et med. pulm. dextr. (Bacillus pneumoniae Fried-
länder). Pleuritis exsudativa dextra, Bronchitis. Em-
physema pulmonum sin. Dilatatio et hypertrophia ven-
triculi dextri cordis. Hepar adiposum.
Sektionsbefund der Lungen (22 Stunden nach dem Tode):
Die rechte Pleurahöhle zirka 600 ccm sehr trüber gelblicher Flüssig-
keit enthaltend, die linke frei von der Flüssigkeit. Linke Lunge ziem-
lich voluminös, auf dem Durchschnitt ziemlich blutreich, überall luft-
haltig. Der Oberlappen etwas emphysematisch. Die Bronchien gerötet,
schleimiges Sekret enthaltend. Li der Nähe der Spitze ein zirka erbsen-
großer schwarz pigmentierter Herd (schiefrige Liduration). Die rechte
Lunge sehr umfangreich, namentlich in dem Mittel- und Unterlappen.
Der Oberlappen stark komprimiert, schlaff, fast nicht lufthaltig. Der
Mittel- und Unterlappen in mäßigem Grade hepatisiert, vollkommen luft-
leer. Die Schnittfläche ziemlich glatt, im Mittellappen braunrot, im
Unterlappen mehr gelblichgrau gefärbt, in toto mit einem gelblichroten
schmutzigen fadenziehenden Sekret bedeckt, und nach Abstreichen des
letzteren kaum Körnung zeigend. In frischen Abstrichpräparaten aus
dem Lungensaft und pleuritischen Exsudate ließen sich zahlreiche kurze
und lange Kapselbazillen erkennen.
Histologische Untersuchung:
Das pneumonische Exsudat verhielt sich im großen und ganzen wie
im Fall VIII. Die Bazillen waren nicht nach Gram'scher Methode, wohl
aber durch Methylenblau, Fuchsin usw. färbbar. Die Kapseln als un-
gefärbter oder blaugefarbter Hof leicht erkennbar. Das Fibrin ist in
diesem Fall äußerst zart und spärlich. Pleura pulm. von relativ dickem
fibrinösem Belag mit Leukozyten und Bazillen bedeckt ; die Epithelzelien
der Deckhaut zu einer kubischen Form gewuchert. Subpleurales Bindege-
webe auch mit Fibrin durchsetzt; Blutgefäße daselbst stark erweitert.
Über Bronchien und Alveolarsepta gilt dasselbe, was in vorstehenden
Fällen beschrieben wurde.
Leider hatte ich in diesem Fall nicht Gelegenheit, aus dem pneu-
monischen und pleuritischen Exsudate Kulturen anzulegen. Nichtsdesto-
weniger glaube ich aber, auch in diesem Fall Friedländer' sehe Kapsel-
bazillen als alleinige Krankheitserreger betrachten zu dürfen, aus der
Nichtfärbbarkeit nach Gram und der Form der Bazillen, vor allem aber aus
der Übereinstimmung in dem histologischen Verhalten des infiltrierten
Gewebes mit den anderen Fällen.
In der letzten Zeit machten bekanntlich zwei maßgebende Au-
toren über die kroupöse Pneumonie Veröffentlichungen, namentlich
V. Leyden in der deutschen Klinik am Eingang des zwanzigsten
Jahrhundert (II. Bd. S. 244) und A. Fränkel in seiner speziellen
Zur pathologiflchen Anatomie der Kapselbazillen-Pnenmonie etc. 71
Pathologie und Therapie der Lungenkrankheiten (die genuine
fibrinöse Pneumonie S. 241). v. Leyden mißt dem Diplokokkus
(Fränkel-Weichselbaum) allein ätiologische Bedeutung für
die kroupöse Pneumonie bei, geht aber auf die Eigenschaften des
Friedländer'scben Bazillus nicht näher ein. A. Franke 1 hebt den
Diplokokkus von dem klinischen, sowie von dem bakteriologisch-
anatomischen Standpunkt betrachtend als den alleinigen Erreger
der krouposen Pneumonie hervor. Ganz skeptisch stellt sich
Fränkel gegen die primäre lobäre Pneumonie durch den
Friedländer'scben Bazillus. Selbst eine wohl bekannte Beobachtung
W e i c h s e 1 b a u m's bei einem Pneumoniefalle, in welchem Pneumonie-
bazillen bereits am zweiten Erankheitstage als alleinige Mikro-
organismen durch Züchtung nachgewiesen wurden, läßt Fränkel
als beweiskräftig nicht ganz gelten. Er scheint das Vorhandensein
der Bazillen in solchen Fällen, wie in wenigen von ihm selbst be-
obachteten Fällen, einer sekundären Ansiedelung in bereits erkranktem
Gewebe zuzuschreiben. Freilich darf man nicht vergessen, daß
die Diplokokken ihrer leichten Vergänglichkeit wegen in dem
pneumonischen Gewebe in späteren Krankheitsstadien oft von an-
deren als Mischinfektion konkomitierenden oder sekundär ange-
siedelten Bakterien leicht überwuchert werden. Wir gestehen auch
offen, daß in einigen von unseren Fällen vor der Untersuchung bereits
über eine Woche die Pneumonie bestanden hatte (Fall I und II) und bei
Fall III, IV, V, VII und VIII die Krankheitsdauer sogar unklar war.
Der Fall VI kam jedoch am sechsten, Fall IX am fünften Krankheits-
tege zur Sektion, worauf ungesäumt Bakterienuntersuchungen ge-
macht wurden. Wir ziehen aber den Schluß, daß die Bazillen allein
primäre lobäre Lungenentzündungen verursacht haben, nicht nur
durch das ausschließliche Vorhandensein der Bazillen, sondern auch
durch die in allen Fällen nachweisbaren charakteristischen
pathologisch-anatomischen Veränderungen, die sich in vielen Punkten
von denjenigen der Diplokokkenpneumonie unterscheiden. Es gelang
uns ferner, mit aus dem Fall VIII gewonnenen Kulturen bei 3 Meer-
schweinchen durch Injektion in die Trachea und Lunge Pneumonien
zu erzeugen.
In Hinsicht des anatomischen Verhaltens bezweifelt Fränkel
auch die Angaben von Netter^) und Eppinger^), daß die
1) Netter, In C. Fltigge's „Die Mikroorganismen" 3. Aufl. II. Bd. S. 344.
Ton Kruse zitiert.
2) Eppinger, In Lubarsch-Ostertag's Ergebnissen der allgem. Pathologie
und patb. Anatomie 1898, Jahrg. III 2. Teil S. 53.
72 n. EOKAWA
BazillenpneumoDie sich durch eine besondere viscide Beschaffen-
heit des Exsudates auszeichne. Auf einem Fall von Lobär-
pneumonie basierend, bei welchem F r ä n k e 1 am achten Krankheits-
heitstage eine Abart der Friedländer'schen Bazillen allein nach-
wies und die deutlich kömige Schnittfläche der derb infiltrierten
Lunge, wie bei der gewöhnlichen Diplokokkenpneumonie fand, er-
klärt Fränkel Netter's und Eppinger's Angaben als kaum
allgemeingültig. Doch stimmt das makroskopische Verhalten unserer
Fälle mit den Angaben der letztgenannten Autoren im großen und
ganzen überein. Es wäre aber nach unserer Ansicht nicht ganz
richtig, wenn man bei der Bazillenpneumonie das Hauptgewicht
nur auf die schleimige Beschaffenheit des Exsudates legte. Wie
wir bereits erwähnt haben, treffen wir auch bei der Diplokokken-
pneumonie in späteren Stadien oft ziemlich viscides Exsudat. Macht
man die histologische Untersuchung, so werden die Unterschiede
zwischen Bazillen- und Diplokokkenpneumonie viel sicherer und auf-
fallender sein, als bei einer bloßen makroskopischen Besichtigung.
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richt über die Verhandlungen der Naturforscher-Versammlung zu Nürnberg 1893.
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Zur patholog^hen Anatomie der Eapselbazillen-Pneumonie etc. 73
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Erklärnng der Abbildangen aaf Tafel II.
Fig. 1 — 3 Zeichnungen von Frof. Marc band a. d. J. 1892 (s. Seite 42).
Fig. 1. Zwei Exsudatzellen, die eine mit großer Vakuole mit zahlreichen
Bazillen. Zeiß Via Ok. 2.
Fig. 2. Zwei Exsudatzellen mit zahlreichen Vakuolen mit kurzen Bazillen,
frisch, schwach mit Jod gefärbt; dazwischen einige zu Fäden ausgewachsene
Bazillen. Zeiß, Apochromat 2 mm. Ok. 8.
Fig. 3. &ine Anzahl Zellen des frischen Abstriches in Kochsalzlösung, mit
schwacher wässeriger Methylenblaulösung, a) Wenig veränderte Leukozyten.
b) Große einkernige Zellen (Epithelzellen) mit zahlreicben Vakuolen und Bazillen.
Zeiß, Apochromat 2 mm. Ok. 4.
Fig. 4. Teil eines Schnittes von Fall VII mit bazillenreichem Exsudat. Zeiß
DD. Ok. 2.
Fig. 5. Ein Teil des Exsudates der Meningen von Fall V mit spärlichen
Fibrinnetzen und zahlreichen Bazillen, a) Hirnsubstanz, b) Exsudat, c) Epi-
zerebraler Raum, d) Gefäße. Zeiß DD. Ok. 2.
Dcatsrhps Arrtih'f WinisrhcMpdiriii Bil.LXXX .
Fig.l. > g 2
» v*?;^»-'',**'-'
«' .^S-??^-
III.
über miütiple Arterienthrombose.
Von
Professor Dr. med. Hermann Eichhorst
in Zürich.
(Mit Tafel III.)
Vor kurzem wurde eine 41jährige Bauersfrau aus der Umgebung
von Zürich auf die medizinische Klinik aufgenommen, welche fast
3 Wochen zuvor plötzlich an Brand des linken und bald darauf
auch des rechten Beines erkrankt war. Besonders verändert er-
schien das linke Bein. In den Femoralarterien fühlte man weder
rechts noch links einen Puls. Da die Kranke außerdem Zeichen
einer Mitralstenose darbot, so nahm man als Ursache für die Bein-
veränderungen eine Embolie an, von der man es unentschieden
lassen mußte, ob sie im untersten Bauchteil der Aorta oder in
beiden Femoralarterien säße, oder ob sie vielleicht zuerst nur die
linke Femoralarterie befallen gehabt hätte, um dann als fortgesetzte
Thrombose unter Vermittlung der Bauchaorta auch noch die rechte
Femoralarterie in Mitleidenschaft zu ziehen. Die Kranke lag knapp
4 Tage auf der Klinik, hatte in Ruhelage nur wenig Schmerzen
und febrizitierte nur an 2 Tagen bis 37,8 ^ C. Am Morgen des 2. Juli
schrie die Kranke plötzlich um 6 Uhr über Schmerzen im Bauche
auf; es traten einige krampfhafte Beugungen beider Oberschenkel
auf; der Kopf sank nach hinten hinüber; es stellte sich Bewußt-
losigkeit ein und nach einer halben Stunde war die Kranke ver-
storben.
Bei der Sektion fand man die Mitralklappe an ihrem freien
Bande stark verdickt und spaltförniig verwachsen; ihre Sehnen-
fäden stark verkürzt und verdickt. Im linken Herzohr zwei rund-
liche Thromben mit glatter Oberfläche. In der Aorta abdominalis
reichliche Thrombenmasseu, die 12 cm über der Teilungsstelle be-
ginnen und sich tief in die linke, weniger tief in die rechte Femoral-
76 IIL Eichhorst
arterie fortsetzen. Außerdem aber auch Verstopfungen durch
Thromben in der Arteria messaraica superior, Arteria renalis
sinistra, Arteria lienalis, Arteria pulmonalis d extra, Arteria thy-
reoidea inferior sinistra und Carotis sinistra. Der Tod war offen-
bar sehr schnell dem thrombotischen Verschluß der Mesenterial-
arterie gefolgt. Die Sektion wurde von meinem Kollegen, Herrn
Professor Ernst, bereits in der vierten Stunde nach dem Ableben
ausgeführt, aber dennoch hatten sich bereits am Darm emphysema-
töse Veränderungen auszubilden begonnen. Mit Ausnahme der
Verstopfung der Femoralarterie hatten sich alle übrigen Arterien-
thrombosen ohne erkennbare Störungen vollzogen.
Bei der Seltenheit derartiger Vorkommnisse bedarf es wohl
kaum einer besonderen Entschuldigung, wenn ich zunächst einen
etwas ausführlicheren Auszug aus der Krankengeschichte folgea lasse.
Beobachtung 1.
Anamnese: Frau Saline W. aus V. bei Zürich, Bauerafran, 41 Jahre-
alt, verlor ihren Vater an der Auszefarong and ihre Mutter an Alters-
schwäche. Eine Schwester starb an Influenza, ein Brader am Schlage f
drei andere Qeschwister gingen in frühester Jugend an Krankheiten zu-
grunde, über die Patientin keine Angaben zu machen imstande ist; drei
weitere Geschwister leben und sind gesund.
Patientin hat als Kind an Masern gelitten und war dann bis zum
36. Lebensjahr immer gesund. Ohne nachweisbare Ursache erkrankte sie
dann an einem Anfall von Herzklopfen, der eine Viertelstunde
anhielt und mit dem Gefühl von Enge in der Brust, mit Angst und Be-
klemmung und mit Ohrensausen verbunden war. Sie fühlte sich nun
wieder B Stunden lang leidlich wohl, nur beim Treppensteigen machte
sich noch öfters Herzklopfen bemerkbar. Im Herbst 1893 stellte sich
dann aber wieder ein Herzklopfenanfall von längerer Daner ein und seit-
dem machten sich recht häufig derartige Anfälle bemerkbar. Namentlich
hatte die Kranke oft und anhaltend im Winter 1900 an Herzklopfen zu
leiden, so daß sie zum ersten Male einen Arzt deswegen zu Hate zog, der
ihr bald Linderung und dann auch vollkommene Heilung verschaffte.
Im Dezember 1902 traten wiederum Herzklopfehanfalle auf. Die
Anfalle dauerten häufig länger als eine halbe Stunde und kehrten täglich
wieder. Nach einigen Wochen freilich hörten die Beschwerden von selbst
wieder auf.
Mitte April 1903 wurde die Kranke von Schmerzen zuerst im linken
und dann im rechten Bein betroffen. Die Schmerzen saßen in der Tiefe
und ließen sich nicht genau lokalisieren. Anfangs Mai waren die Bein-
schmerzen wieder verschwunden.
Am 10. Juni 1903 trat plötzlich, „schußartig*' von neuem ein sehr
heftiger Schmerz im linken Bein ein und gleichzeitig war die Kranke
nicht imstande das Bein zu bewegen, so daß sie das Bett aufsuchen
mußte. Die Schmerzen steigerten sich am nächsten Tage beträchtlich;
Ober xnnltiple Arterienthrombose. 77
aach war es der Kranken nicht möglich, das linke Bein zu beugen oder
Bewegungen mit den Zehen oder dem linken Fuß aossuf (ihren. Fuß und
linker Unterschenkel sahen weiß aus» fühlten sich eiekalt an und hatten
jegliches Gefühl verloren. Ein hinzugezogener Arzt verordnete Ein-
reibungen mit einer Salbe, aber es trat keine Besserung im linken Bein
ein. Am 20. Juni bemerkte die Kranke eine bläulich-schwärzliche Ver-
farbong am linken Fuß und am 20. Juni traten auch am linken Unter-
schenkel Schwellung und Kötung der Haut ein. Gleichzeitig stellten sich
Schmerzen im rechten Bein ein und auch hier fühlten sich Fuß und
Unterschenkel kalt an und sahen schneeweiß aus. Die Schmerzen haben
flieh Ton Tag zu Tag gesteigert. Patientin, die verheiratet und Mutter
Ton 4 Kindern ist, ließ sich am 29. Juni in das Kantonspital auf die
medizinische Klinik aufnehmen.
Status praesens 30. Juni 1903:
Mittelgroße Frau. Knochenbau zart. Muskulatur etwas welk. Nur
geringes Fettpolster.
Wangen lebhaft gerötet und eingefallen. Patientin macht einen auf-
geregten Eindruck.
Rumpf baut fühlt sich nicht fieberhaft an ; in der Achselhöhle beträgt
die Temperatur 37,0 ^ C. Radialpuls regelmäßig, klein, leicht unter-
drackbar und beschleunigt; 128 Pulsschläge in 1 Minute. Atmung fast
rein kostal und vermehrt; in der Minute 28 Atmungszttge. Keine sub*
jektive oder objektive Atmungsnot.
Sensorium frei. Patientin klagt über anhaltende Schmerzen in beiden
Beinen, namentlich linkerseits, die sich zeitweise in fast unerträglicher
Weise steigern. Sie nimmt beständig Rückenlage ein und vermeidet
Seitenlage, weil sich in dieser die Schmerzen in den Beinen steigerten.
Thorax lang und schmal, nirgends druckempfindlich. Die Unter-
snchung der Lungen ergibt nichts Auffalliges.
Spitzenstoß im fünften linken Interkostalraum etwa 1 cm außer-
halb der linken Mammillarlinie sieht- und fühlbar; er ist leicht hebend.
Kurz vor dem Spitzenstoß fühlt man bald deutlich, bald mehr ver-
sdiwommen flüchtiges Katzenschnurren.
Die große Herzdämpfung beginnt am unteren Rande der dritten
linken Rippe und endet unten am oberen Rande der sechsten linken
Bippe. Nach rechts erreicht die Herzdämpfung knapp den rechten
Sternalrand, während sie links außen am Orte des Spitzenstoßes endet.
Bei der Auskultation des Herzens vernimmt man an der Herzspitze
neben den beiden Herztönen ein präsystolisches Geräusch,
welches bald deutlich, bald weniger deutlich zu hören ist. Der diasto-
lische Pulmonalton ist verstärkt. Die Töne über den übrigen Herz-
kli^pen rein und unverändert.
über dem Manubrium sterni keine Dämpfung. Keine ungewöhn-
liche Füllung der Halsvenen. Keine Lymphdrüsenschwellung am Halse.
An den Bancheingeweiden keine Veränderung. Bauch von
mittlerer Wölbung und nirgends druckempfindlich. Leber beginnt am
oberen Rande der siebenten Rippe und schließt unten mit dem Brust-
korbrande ab; sie ist respiratorisch um einen Interkostalraum verschieb-
lieh. Milz nicht palpabel ; auch perkutorisch nicht vergrößert. Magen
78 in. ElCHHOBST
erreicht mit seiner großen Kurvatur knapp den Nabel. Nieren- und
Blasengegend auf Druck schmerzfrei und ohne Auffälligkeit.
Zunge feucht und weißlich belegt. Lippen etwas trocken. Kein
Appetit. Durst nicht vermehrt. Kein Husten und Auswurf.
Patientin hat in den letzten 12 Stunden 600 ccm Harnes entleert.
Der Harn ist stark saturiert, klar und eiweißfrei und besitzt ein spezi-
fisches Gewicht von 1020.
Ein fester Stuhl von natürlichem Aussehen.
Kein Erbrechen. Kein Husten. Kein Auswurf.
Beide Beine in gestrekter und aneinander gezogener Haltung.
Die Zehen am linken Fuß grünlich- schwärzlich verfärbt, an einzelnen
Stellen aber hell zinnoberrot. Eine ähnliche mehr grünliche Verfärbung
auf dem Fußrücken und den beiden unteren Dritteln des linken Unter-
schenkels. Außerdem findet sich auf dem Fußrücken und auf der
Grenze vom unteren zum mittleren Drittel des Unterschenkels je eine
länglich-runde Hautstelle, die einen Längsdurchmesser von annähernd
15 und einen Querdurchmesser von ungefähr 12 cm besitzt und lebhaft
rot gefärbt, leicht nässend und von Epidermis zum Teil entblößt ist.
An den Rändern dieser beiden Hautstellen erscheint die Epidermis
gefaltet, ähnlich wie über einer geplatzten Epidermisblase. Im oberen
Drittel des linken Unterschenkels und auf dem linken Oberschenkel sieht
die Haut fast weiß aus, nur die Haut über der Kniescheibe zeigt sich
zyanotisch marmoriert.
Beim Betasten fühlt sich die Haut über Zehen, Fuß und beiden
unteren Dritteln des linken Unterschenkels eisigkalt an, erst in dem
oberen Unterschenkeldrittel ist sie etwas wärmer. Die Wärme der Haut
nimmt gegen den Oberschenkel mehr und mehr zu und erscheint auf dem
letzteren selbst unverändert.
Die Kranke fühlt über dem linken Fuß und den unteren Zwei-
dritteln des linken Unterschenkels weder Berührung mit dem Finger
noch tiefste Nadelstiche. Im oberen Drittel kommt mehr und mehr zu-
nehmende Empfindung und über dem Oberschenkel erweist sich die Haut-
empfindung kaum wesentlich herabgesetzt. Druck auf Wadenmuskulatur
und Nervenstämme nicht empfindlich.
Die Kranke kann keine Bewegungen in den Zehen, im linken
Faße, Knie und Hüftgelenk ausführen, nur eine ganz schwache Ein- und
AuswärtsroUung des ganzen linken Beines ist ihr mit großer Kraft-
anstrengung möglich.
Patellarreflex nur andeutungsweise vorhanden. Fußsohlen-
reflex läßt sich nicht hervorrufen.
Das rechte Bein, namentlich Unterschenkel, Fuß und Zehen
sehen anämisch aus und auf dem Fußrücken macht sich ein leicht grün-
lich-schwarzer Farbenton bemerkbar, ebenso an den Zehen. Füße und
Unterschenkel fühlen sich leichenkalt an, erst gegen die Kniescheibe hin
stellt sich Hautwärme ein und am rechten Oberschenkel erscheint die
Hautwärme unverändert. Die Kranke vermag die große rechte Zehe,
wenn auch mit großer Anstrengung und langsam, dorsal- und volarwärts
zu bewegen, hingegen sind Bewegungen in den anderen Zehen nur an-
deutungsweise vorhanden. Beugung im rechten Knie- und Hüftgelenk,
über mnltiple Arterienthrombose. 79
sowie Drehbewegungen des ganzen Beines sind zwar möglich, aber nur
unter sichtlich großer Anstrengung und in beschränkter Weise.
Patientin ist auf Zehen und Fü£en bis zu den Malleolen hin fast
anSsthetisch, dann nimmt die Hautempfindung mehr und mehr zu und
erscheint über dem rechten Oberschenkel ganz unverändert.
Patellarsehnenreflex vorhanden , aber träge. Fußsohlenreflex läßt
sich nicht hervorrufen.
Druck auf Muskulatur und Nervenstämme überall unempfindlich.
In beiden Femoralarteri^n kein Puls. Die linke Femoralarterie
fühlt sich derb und fest an.
Ordo:
1. Tinctur. Yalerianae aether.
Tinct. Strophanti aa 10,0.
MDS. 3 mal täglich 20 Tropfen.
2. Einhüllung beider Beine in Wundwatte, die in Sublimatlösung
getaucht und dann fast ausgedrückt ist.
Krankheitsverlauf.
Am 1. Juli 1903 trat eine Veränderung im Zustande der Kranken
nicht ein, nur kam es am Nachmittag zu geringem Erbrechen. Kein
Fieber, aber andauernd beschleunigter Puls und vermehrte Atmung. Ein
dünner Stuhl. Harn 600 ccm, rotgelb, klar, eiweißfrei; spezifisches Ge-
wicht =1012.
In der Nacht vom 1. zum 2. Juli' hatte die Kranke gut geschlafen.
Morgens um 6 Uhr schreit sie plötzlich über Schmerzen im Bauch auf;
man sieht mehrfach unwillkürliche Zuckungen und Beugungen der Ober-
schenkel gegen den Bauch zu; die Kranke sieht blaß und entstellt aus,
verliert nach wenigen Minuten das Bewußtsein und stirbt nach Ablauf
einer halben Stunde.
Über Temperatur, Puls, Atmung, Harn und Stuhl berichtet nach-
folgende Tabelle:
29.
Juni
1903.
37,6
144
36
37,4
156
28
600 ccm Harnes,
rot, spez. Gew
1020. Kein Ei-
weiß.
30.
Juni
1903.
37,2
128
28
37,0
37,5
132
140
28
32
600 ccm Harnes,
rotgelb, spezifisch.
Gew. -^ 1012.
Kein Eiweiß.
1 fester
Stuhl
1.
Juli
1903.
36,4
36,8
120
125
28
32
36,9
136
36
900 ccm Harnes,
rot, spez. Gew. -
1015. Kein Ei-
weiß.
1 dünner
Stuhl
2.
Juli
1903.
36,3
152
28
80 ni. Eichhobst
Die Sektion wurde 3 Standen nach eingetretenem Tode dureh
Herrn Professor Dr. Ernst ausgeführt und ergab folgendes:
Sehr stark aufgetriebenes Abdomen. Viele Striae auf den Bauch-
decken. Keine Ödeme.
Linker Fuß und unteres Dritteil des linken Unterschenkels grünlieh
und schwärzlich verfärbt. Die Haut glatt und verstrichen. Die Epi-
dermis stellenweise in Blasen und Fetzen abgehoben. Zehennägel biäa-
lieh durchscheinend.
Dünndarmschlingen stark mit Qas aufgetrieben und blutig verfärbt.
Das Mesenterium von gleicher Farbe. Die Darmwand ist bereits im
Bereiche des Jejunum mit Qasblasen durchsetzt. Auch längs der Blut-
und Chylusgefäße zeigen sich zahlreiche Gasblasen.
Zwerchfellstand links an der siebenten Rippe, rechts im vierten
Interkostal räum. Lungenränder frei beweglich. In der Pleurahöhle
keine Flüssigkeit und keine Adhäsionen. Lungen nur schwach retrahiert.
Der Herzbeutel enthält einige wenige Kubikzentimeter grün-
gelber, klarer Flüssigkeit. Peri- und Epikard spiegelnd und unverändert.
Herz stark verbreitert, namentlich in seiner rechten Hälfte. Rechter
Yorhof stark erweitert. Spitze vorwiegend vom linken Ventrikel gebildet.
Viel flüssiges Blut im rechten Herz, aber daneben auch klumpige Kraor-
massen und Speckhautgerinnsel. Foramen ovale geschlossen. Klappen
des rechten Herzens zart. Ziemlich stark ausgeprägte Musculi pectinati.
Muskulatur des rechten Herzens hier und da mit Fett durchwachsen^ so
daß das Fett stellenweise fast bis zum Endokard vordringt.
Linker Yorhof enthält Speckhautgerinnsel. Der Durchgang durch
das Ostium atrio-ventriculare sinistrum sehr eng; eine Andeutung von
Spaltenform vorhanden. Der Zeigefinger dringt nur mit der Kuppe in
das Mitralostium ein. Sehnenfäden der Mitralis stark verdickt, zu seh-
nigen Säulen verwachsen und verschmolzen, dabei sehr verkürzt. Der
freie Klappenrand stark verdickt, von narbig-schwieliger Beschaffenheit,
zum Teil miteinander verwachsen. Durch Neubildungs- und Schrumpfongs-
prozesse haben sich an ihm nischen formige Yertiefungen gebildet, an
denen kleine warzenartige Yerdickangen von weicher Konsistenz sitzen.
Im linken Herzohr, dessen Wand 2 mm dick ist, sitzt ein
Gerinnsel. Es ist knapp 1 cm lang und 0,5 cm breit, von länglich-
ovaler Gestalt und teils blutiger, teils gelblich-grauer Farbe. Es ist
zwischen den Trabekeln fixiert und wölbt sich in den Yorkammerraum mit
einer leicht abgeplatteten Oberfläche hinein. Seine Oberfläche ist überall
glatt und glänzend.
Der linke Yentrikel hypertrophisch und deutlich^ wenn auch
in geringerem Grade dilatiert. Wanddicke an der Spitze 9 und oben
13 mm. Papillarrauskeln verdickt.
Noduli Arantii der Aortenklappen verdickt, an einer Klappe auch
die SchließuDgälinien. Keine Betraktion der Aortenklappen.
Herzfleisch des linken Yentrikels von gutem Aussehen; keine herd-
förmigen Yeränderungen in ihm. Kranzarterien sklerotisch verändert.
Linke Lunge flaumig anzufühlen und anthrako tisch gefleckt. Sie
zeigt 3 typische Lappen. Überall Luflgehalt. Bronchien weit ; Bronchial-
schleimhaut blaß.
über mnltipie Arterienthrombose. gl
Rechte Lunge such dreilappig, aher der Hittellappen klein. Am
unteren scharfen Rande der Lunge ein keilförmiger Infarkt, dessen Höhe
4 und dessen Basis 3 cm erreicht. Der Infarkt von dunkelbraunroter
'Farbe und derher Beschaffenheit. In der aufÜhrenden Arterie ein ad-
härentes braunrotes Oerinnsel. Im übrigen hietet die Lunge die gleiche
Beschaffenheit wie die linke Lunge dar.
Die Arteria mesenteria superior wird in situ prftpariert
und zeigt sich mit grauroten, etwas derhen, nicht adhärenten Oerinnsel«
massen prall gefüllt. Üherall schon starkes Fänlnisemphysem des Darmes
und Geföhl von Knistern. Eingeweide noch warm. Diffuse Rotiftrhnng
des Darmes, die nach ohen zunimmt, während sie sich gegen das Jeju-
num und die Ileokökalklappe hin mehr und mehr verliert. Zwischen
Leher und Colon ascendmis eine Eiterflocke.
Milzvenen mit flüssigem Blut gefüllt. In der Milzarterie frische,
dunkelrote, ohtnrierende Thromben. Milz groß, hart, mit deutlichen
Trabekeln, ohne scharf abgrenzbare Infarkte, aber stellenweise diffuse in-
farziert. Milzmaße 11,5 — 7 — 7 cm.
Die Arteria renalis sinistra enthält einen obturierenden
dunkelroten Thrombus. Linke Niere groß. Nierenkapsel löst sich leicht.
Die Niere enthält eine Anzahl alter, käsig-gelber Infarkte und daneben
auch frische In&rktherde, welche auf der Nierenoberfläche ziemlich scharf
abgesetzt sind und auf dem Nierendurchschnitt eine fleckige mattgraue
Farbe zeigen, die wahrscheinlich auf Koagulationsnekrose zu beziehen ist;
also frische Infarzierung ohne Hämorrhagien.
Rechte Niere kleiner als die linke und viel reicher an alten Infarkten
mit zackig- buchtigen Rändern. Daneben kleinere frische Niereninfarkte.
Nierenrinde durch Infarktbildungen streckenweise in ihrer ganzen Dicke
destruiert.
Arteria hepatica frei von Thromben, ebenso Pfortader und
untere Hohl vene in ihrem Stammteil. Dagegen sitzt an der Teilungs-
stelle der unteren Hohlvene ein mächtiges, derbes, adhärentes Gerinnsel.
Die Leber zeigt eine leichte, flache Schnürfurche. Leberoberfläche
glatt und glänzend. Auf dem Leberdurch schnitt die azinöse Zeichnung
deutlich. Im Bereich der Schnürfurche leichte Atrophie.
Gallenblase klein. Sie enthält dickflüssige, zähe, dankelgrüne
Oalle und ist frei von Konkrementen.
Duodenum stark mit dünnen, gallig-gelben Massen erfüllt. Schleim-
haut unverändert
Magen wenig gefüllt. Schleimhaut blaßgrau und in Längsfalten
zusammengezogen, in der Pars pylorica warzig-hypertrophisch.
Das Pankreas fühlt sich härtlich an, ist grobkörnig und sonst
unverändert.
Im Dünn- und Dickdarm mäßige Mengen hellgelben Milchkotes.
Schleimhaut gequollen, im Dünndarm hämorrhagisch infarziert und mit
Luftblasen durchsetzt.
Harnblase stark mit klarem rotgelben Harn gefüllt und ohne Yer-
äaderungen.
Uterus leicht vergrößert und ziemlich hart. Die Ovarien
enthalten mehrere bis erbsengroße Zysten und Corpora fibrosa.
Deutsches Archiv f. klin. Medizin. LXXX. Bd. 6
32 ^U. Eichhorst
Im Mastdarm dicker Schleim. In der Aorta abdominalis
beginnt 7 cm über der Teilungsstelle der Bauchaorta ein mächtiges Ge-
rinnsel, welches die Aorta prall ausfüllt. Es ist von granroter Farbe,
fast dickbreiiger Konsistenz und hängt mit der Innenwand der Aorta
fest zusammen. Von der Aorta aus setzt es sich in die beiden Iliacae
communes und dann in beide Femoralarterien fort, überall von gleicher
Beschaffenheit und den Arterienraum vollkommen ausfüllend. Während
in der rechten Femoralarterie der Thrombus nur zwei Finger breit unter-
halb des Ligamentum Pourpartii hinabreicht, setzt er sich in der linken
Femoralarterie bis zum Adduktorenschlitz fort.
In der Schilddrüse zahlreiche Kalloid knoten, zum Teil blutig infar-
ziert. Arteria thyreoidea sinistr. mit Thromben ausgefüllt. In der
linken Karotis an der Teiiungsstellung ein großes, adhärentes, graurotes
Gerinnsel, welches den Gefaßraum ausfüllt und sich in die Carotis externa
und Carotis interna fortsetzt.
Schädel stark asymmetrisch, dolichocephal. Ziemlich tiefe Gefäß-
forchen. Arteria fossae Sylvü frei von Gerinnselmassen.
Gehirn von guter Konsistenz, mäßigem Blutgehalt und frei von
Herdveränderungen.
Anatomische Diagnose.
Endocarditis mitralis mit Retraktionen und Stenosenbildung und
frischen Rezidiven. Thrombus im linken Herzohr. Multiple Embolien
und Thrombosen in folgenden Arterien: lienalis, renalis sinistra, mesen-
teriaca superior, aörta abdominalis, iliaca communis beiderseits, beide
Femorales, Carotis communis sinistra bis über die Teilungsstelle in die
linke Carotis externa und Carotis interna, in der linken Thyreoidea
superior, in der rechten Pulmonararterie, Thrombose in der unteren
Hohlvene ; keilförmige alte und frische Infarkte in beiden Nieren, in der
Milz und im rechten ünterlappen der Lunge; Infarkt in dem größten
Teil des Dünndarmes; linke Lunge dreilappig; Kolloidstroma; Hyper-
trophie des linken Ventrikels bei geringer Dilatation; bedeutende Dila-
tation und Fettdurch wachsung des rechten Ventrikels.
Die Sektion förderte eine Reihe von Überraschungen zutage.
Von einem Verschluss so zahlreicher Gefäße durch Thromben hatte
man während des Lebens keine Ahnung gehabt. Die größere Zahl
dieser Gefäßverschlüsse hatte keine Störungen nach sich gezogen
und konnte daher nicht einmal im Leben vermutet werden. Der
vollkommene Verschluß der linken Nierenarterie beispielsweise hatte
nicht die allermindesten Veränderungen des Harnes nach sich ge-
zogen und sowohl Eiweiß- als auch Blutausscheidungen durch den
Harn blieben bis zum Tode aus.
Der Tod war meines Erachtens durch den plötzlichen Verschluß
der oberen Mesenterialarterie hervorgerufen worden und trat fast
shockartig ein. Trotzdem von den ersten Erscheinungen des Mesen-
über mnltiple Arterien thrombose. « g3
terialarterienverschlusses bis zum Eintritt des Todes nur eine halbe
Stunde verging, und obschon die Sektion bereits in der vierten
Stunde nach dem Tode ausgeführt wurde, hatte diese kurze Spanne
Zeit dennoch genügt, eine ausgedehnte und hochgradige blutige
Infarzierung der Wand des größten Teiles des Dünndarmes hervor-
zurufen nebst beginnender Peritonitis, und obwohl am Todestage
€ine kühle Lufttemperatur von nur 15® C. herrschte, hatte sich
bereits Fäulnisemphysem der Darmwand ausgebildet.
Was mich bei dem Sektionsbefunde ganz besonders interessierte,
war die Frage, als was waren die vielfachen arteriellen Gefäß-
verschlüsse aufzufassen? Handelte es sich da um Thromben oder
um Emboli? also um an Ort und Stelle entstandene Trombosen
oder um mit dem Blutstrom eingeschleppte P'ibrinmassen ? Daß
die in der Lungenarterie und unteren Hohlvene befindlichen Ge-
rinnungen Thrombosen sein mußten, das freilich konnte wohl keinem
ernstlichen Zweifel unterliegen.
Würde man an dem noch immer oft zu hörenden Grundsatz
festhalten, daß ein plötzliches Auftreten von Zeichen eines Gefäß-
verschlusses für dessen embolischen Ursprung spricht, dann freilich
mußte man auch bei unserer Kranken an arterielle Emboli denken,
denn soweit sich überhaupt die Gefäßverschlüsse im Leben be-
merkbar gemacht hatten, waren sie urplötzlich eingetreten. Der
Verschluß der Femoral arterien hatte einen plötzlichen Anfang ge-
nommen, und das gleiche gilt für die Mesenterialarterie.
Allein ich habe vor nicht langer Zeit Gelegenheit gehabt, in
diesem Archiv darauf hinzuweisen, daß sich auch arterielle autoch-
tbone Thrombosen genau so wie Embolien urplötzlich durch Er-
scheinungen des Gefäßverschlusses und deren Folgen bemerkbar
machen können.^) Es handelte sich dort um den plötzlichen Ver-
schluß einer Arteria poplitea bei einem an Scharlach erkrankten
Mädchen, hervorgerufen durch einen arteriellen autochthonen
Thrombus und dieser wieder die Folge einer Endarteriitis prolife-
rans, von der ich vermutete, sie sei infektiösen Ursprunges.
Von vornherein mußte die Annahme von vielfachen Embolien
bei unserer Kranken in hohem Grade zum mindesten auffällig, ich
möchte aber lieber sagen unwahrscheinlich sein. Zwar fand sich
im Herzohr des linken Vorhofes ein rundlicher Thrombus, von
welchen Embolien hätten ausgehen können, aber derselbe hatte
1) H. Eichhorst, Über Brand an Armen und Beinen nach Scharlach nnd
anderen Infektionskrankheiten. Deutsches Arch. f. klin. Medizin Bd. 70 1902.
6*
84 in. Eichhobst
eine vollkommen glatte Oberfläche, so daß eine AbbrOcklnngsstelle
an ihm nicht zu erkennen war, nnd außerdem machte er, was ans
dem Sektionsbericht vielleicht nicht deutlich genug hervorgeht,
einen weit jüngeren Eindruck als die arteriellen Thromben mit
Ausnahme desjenigen in der oberen Mesenterialarterie.
Eine zweite Quelle fui- arterielle Embolien h&tte die veränderte
Mitralklappe abgeben können, allein die massenhaften und umfang-
reichen thrombotischen Arterienverstopfungen standen denn doch
zu den mit unbewaffnetem Auge gerade wahrnehmbaren Wärzchen
am freien Elappenrande in einem sehr bedenklichen Mißverhältnis,
•und man hätte kaum anders als zu der Annahme seine Zuflucht
nehmen müssen, daß jeder Arterienverschluß nur embolischen Ur-
sprunges sein kann, der sich neben einer frischen oder rekurrieren-
den Endokarditis, wie bei unserem Kranken, entwickelt Davon
kann doch aber nie und nimmer die Bede sein. Wenn für die
nebenher bestehenden Thrombosen in der unteren Hohlvene und
in der Pulmonalarterie andere als embolische Ursachen in Frage
kommen, warum sollten nicht auch gleiche Bedingungen für die
Aorta und ihre Verzweigungen Geltung haben?
Wodurch waren nun aber diese Bedingungen gegeben? Lag
hier etwa eine Beobachtung vor, die einer alten, aber in der Neu-
zeit fast vergessenen Annahme zur Stütze hätte gereichen können,
nach der es zur Thrombenbildung in Blutgefäßen kommt, wenn das
Blut zu überreich an Fibrin ist oder eine krankhafte Neigung zu
Gerinnungen besitzt, Dinge, welche ältere Ärzte als Hyperinose im
ersteren und Inopekie (Vogel) im letzteren Falle bezeichnet haben ?
Ich weiß nicht, ob ich nicht diesem Gedankengang näher getreten
wäre, wenn ich mich auf die Untersuchung der Leichenorgane mit
unbewaffnetem Auge verlassen hätte. Glücklicherweise geschah
dies aber nicht. Seit langer Zeit bin ich gewohnt, behufs Lösung
gewisser wissenschaftlicher Fragen, auf deren Besprechung ich bei
anderer Gelegenheit einzugehen gedenke, alle Beobachtungen von
Gefäßverschluß möglichst genau mikroskopisch zu untersuchen.
Diesem Umstände habe ich es zu verdanken, daß ich bei meiner
Kranken auf ganz unvermutete Veränderungen stieß. Ich begnüge
mich damit, diese au der Femoralarterie zu schildern.
Das Gefäßrohr war möglichst hoch am Oberschenkel uneröflFnet
herausgeschnitten und 24 Stunden lang in Formol aufbewahrt
worden. Dann wurden von ihm mit einem Minotfschen Mikrotom
Gefrierschnitte hergestellt und diese mit Boraxkarmin, Löffler'schem
Methylenblau, Vesuvin, Alaunkarmin und zur Färbung der elasti-
über multiple Arterieutbrombose. 85
sehen Fasern und Kerne zuerst mit Boraxkannin und dann mit
Weigert's Fuchsinlösung gefärbt.
Dem unbewaffneten Auge hatte das Gefäßrohr, abgesehen von
dem verschließenden Thrombus, keine Veränderungen dargeboten,
um so stärker zeigten sich solche bei mikroskopischer Unter-
suchung.
Im Gebiete des Thrombus ließ vor allem die Adventitia eine
sehr reichliche Durchsetzung mit Rundzellen erkennen. Diese
waren namentlich in den inneren dichten Schichten der äußeren
Gefäßhaut angehäuft und bildeten hier einen zusammenhängenden
und rings um den Gefäßquerschnitt ohne Unterbrechung laufenden
Ring, dessen Breite zwischen 20—160 /i wechselte. Schon bei
schwacher Vergrößerung hob sich diese Veränderung scharf ab
(vgl. Abbildung 1). Die einzelnen Rundzellen waren fast durch-
gängig mehrkemig und lagen so dicht nebeneinander, daß sie an
das Aussehen und die Beschaffenheit eines Granulationsgewebes
erinnerten und von einem Gewebe zwischen sich fast nichts wahr-
nehmen ließen.
Aber auch die äußeren lockeren und gewellten Schichten der
Adventitia hatten nicht ihre gesunde Beschaffenheit bewahrt. Das
maschige Bindegewebe erschien ungewöhnlich locker und gequollen
und dabei außerordentlich reich an Zellen, die vielfach reihenartig
dicht nebeneinander lagen (vgl. Fig. 2).
Bei Benutzung einer schwachen mikroskopischen Vergrößerung
schien die Grenze zwischen dem vorhin beschriebenen Ring von
Rundzellen und der Tunica muscularis des Gefäßrohres fast überall
scharf ausgesprochen zu sein, immerhin ließ sich bei genauerem
Zusehen erkennen, daß die Muskelschicht doch nicht unverändert
geblieben war. Selbstverständlich ließen sich diese Dinge viel
genauer bei Benutzung stärkerer Vergrößerungen verfolgen.
Da sah man dann, daß Fortsetzungen von Rundzellenmassen
aus den inneren Schichten der Adventitia gewissermaßen keilförmig
in die Tunica muscularis hineingedrungen waren, die sie stellen-
weise in einzelnen übereinandergeschichtete Lagen zerspalten hatten
(vgl. Abbildung 2). Hier und da waren sogar einzelne länglich
und keilartig gestaltete Rundzellenherde bis dicht unter die Intima
der Gefäßwand vorgedrungen und bis zur unmittelbaren Berührung
der Membrana elastica gelangt. An dieser selbst aber, sowie an
dem Endothel des Gefäßrohres vennochte ich außer einer stellen-
weisen leichten Quellung keine Veränderungen wahrzunehmen.
Bakterien ließen sich weder auf Vesuvinpräparaten, noch
86 ni. Eichhobst
auf Schnitten nachweisen, welche mit Löflfler'schem Methylenblau
gefärbt waren.
Der dem Gefäßrohr anhaftende Thrombus bestand teils aus
Inseln roter, teils aus unregelmäßig verteilten farblosen Blutkörper-
ehen, enthielt hier vollkommen homogene, dort kömige Massen und
erwies sich gleichfalls frei von Bakterien.
Es konnte keinem Zweifel unterliegen, daß hier im Gebiete
des thrombotischen Arterienverschlusses eine schwere entzündliche
Erkrankung des Gefäßrohres vorlag, die hauptsächlich die inneren
Lagen der Adventitia eingenommen hatte und sich von hier in die
Muskularis bis zur Gefäßintima vorgeschoben hatte.
Was hatte diese Entzündung hervorgerufen? Offenbar lagen
dafür drei Möglichkeiten vor. Entweder handelte es sich um eine
aus der Umgebung der Arterie auf ihre Wand fortgepflanzte Ent-
zündung oder der Gefäßwand waren durch den Thrombus Ent-
zündungserreger zugetragen worden, oder es hatte sich eine selb-
ständige entzündliche Erkrankung der Gefäßwand entwickelt. Eine
von der Umgebung der Arterie fortgeleitete Entzündung muß als
in hohem Maße unwahrscheinlich bezeichnet werden. Schon klinisch
schloßen die Folgen des Gefaßverschlusses mit der Kniescheibe von
den Zehen an gerechnet ab und auch bei der Sektion ließen sich
am Oberschenkel nicht die allermindesten entzündlichen Verände-
rungen in der Nähe der Femoralarterie oder sonst irgendwo wahr-
nehmen. Auch halte ich es nicht für sehr wahrscheinlich, daß Ent-
zündungserreger auf die Arterienwand von dem Gefäßthrombus oder
vor seiner Bildung von dem Blute aus in die Arterienwand hin-
eingelangt waren. Es scheint mir dagegen der Umstand zu sprechen,
daß die Gefäßintima anatomisch fast unversehrt erschien. Man
sollte doch, meine ich, erwarten, daß unter solchen Verhältnissen
zuerst und am lebhaftesten diejenige Arterienhaut erkrankt, die
dem schädlichen Medium unmittelbar anzuliegen kommt, um so
mehr, als es bekannt ist, daß die Gefäßintima zu entzündlichen
Veränderungen in ausgesprochener Weise geneigt ist. Somit bliebe
also nur der Schluß übrig, daß die nachgewiesene Entzündung der
Adventitia und von hier aus der Muskularis durch eine unmittel-
bare Infektion der Gefaßwand zustande kam, die wohl durch nichts
anderes als durch die Vasa vasorum vermittelt wurde. Ob dabei
eine reine Toxinwirkung vorlag oder ob ursprünglich Bakterien in
den Vasa vasorum vorhanden waren, die dann im Verlaufe der
Krankheit zugrunde gingen, darüber läßt sich wohl nichts sicheres
mehr feststellen.
über multiple Arterienthrombose. 87
Ich denke mir also den Hergang in folgender Weise: unsere
Kranke litt schon seit langer Zeit an einer fibrösen Endokarditis
der Mitralis, die zu einer Verengerung des Mitralostiums geführt
hatte. Vor einigen Wochen trat dann ohne nachweisbare Ursache
ein Bückfall der Endokarditis in der anatomischen Form einer
frischen verrukösen Entzündung der Mitralklappe auf, nach unseren
heutigen Anschauungen als Folge einer bakteriellen Infektion des
Endokards. Von hier aus gelangten nun Bakterien oder deren
Toxine mit dem Blutstrom in die Vasa vasorum der Arterien und
Venen und erzeugten an einzelnen Gefäßen eine stellenweise von
der Adventitia bis zur Gefäßintima sich erstreckende Entzündung,
am stärksten in der Adventitia, demnächst in der Muskularis. Daß
unter solchen Umständen auch die Intima in ihrer Tätigkeit leidet,
kann kaum befremden und daher kein Wunder, daß sich im Be-
reiche der entzündeten Stellen der Gefäßwand Thromben abschieden
und das GefÄßrohr verschlossen. Weshalb aber gerade nur einzelne
Blutgefäße erkrankten und diese wieder nur an umschriebenen
Stellen, das freilich entzieht sich der Kenntnis, und ich w^age nicht
einmal Vermutungen darüber aufzustellen.
Im Verein mit der früher von mir in diesem Archiv beschrie-
benen Thrombose der Femoralarterie nach Scharlach ergibt sich
der Schluß, daß im Gefolge von Infektionskrankheiten Entzündungen
der Intima oder auch solche der Adventitia und Media an Arterien
auftreten und zu autochthoner Arterien thrombose führen können.
Diese Arterienthrombose bringt genau so unvermutet und plötzlich
Störungen des arteriellen Kreislaufes und deren Folgen zustande
wie arterielle Embolien. Unter Umständen tritt diese Arterien-
entzündung und Thrombose in vielen arteriellen und venösen Ge-
fößen auf.
Beobachtungen ähnlich der im Vorhergehenden eingehender
beschriebenen habe ich mehrfach gemacht. So behandelte ich im
Jahre 1898 ein 15 jähriges Dienstmädchen, w^elches mit septischen
Erscheinungen ohne erkennbaren Grund erkrankt war. Die junge
Kranke sah erdfahl aus, fieberte meist im hektischen Typus bis
40,1 ^ C und bot außer einem blasenden systolischen Geräusch über
allen Herzklappen und einer fühlbaren vergrößerten Milz keine
Veränderungen dar. Aus dem Blute ließen sich in Züchtungs-
versuchen keine Bakterien gewännen. Im weiteren Verlaufe der
Krankheit entwickelten sich in der Netzhaut Blutungen und weiße
Flecken. Längere Zeit fortgesetzte subkutane Einspritzungen von
Antistreptokokkenserum ließen den Zustand unverändert. Unter
88 in. Eichhobst
zunehmendem Kräfteverfall trat nach 12 Wochen der Tod ein.
Etwa 4 Wochen vor dem Tode stellten sich heftige Bauchschmerzen
ein, und man bekam rechts am Halse einen 5 cm langen härtlichen
Strang zu f&hlen. 8 Tage später entwickelte sich ein sehr aus-
gedehntes Netz stark geschlängelter und erweiterter Hautvenen
auf Brust und Bauch. Wiederum 8 Tage später kommt es zur
Entwicklung eines reichlich verzweigten Netzes erweiterter Haut-
gefäße über beiden Armen und nach 4 Tagen läßt sich die rechte
äußere Jugularvene als ein harter Strang durch die Haut fühlen.
Der Hämoglobingehalt des Blutes sinkt bis auf 25 %. Im Hain leichte
Eiweißmengen und einzelne körnige Zylinder.
Was ergibt nun die Sektion? Mitralklappe an ihrem freien
Rande leicht verdickt, aber sonst vollkommen glatt. Übrige Herz-
klappen zart und unverändert. Keine Thromben im Herzen. In
der Vena jugularis dextra externa ausgedehnte Thrombose bis
gegen den Unterkieferwinkel hin. Der Thrombus setzt sich noch
in die Vena anonyma dextra und in den obersten Teil der oberen
Hohlvene fort. Vollkommener Verschluß der linken Vena jugularis
interna und der Vena axillaris durch adhärente, teilweise puriform
erweichte Thromben. Ausgedehnte Thromben in den Hauptästen
der Lungenarterie für den Ober- und Unterlappen der rechte»
Lunge. In dem Hauptstamm der Milzvenen ein vollkommen da»
Gefäß verschließender Thrombus, der sich auch in die nächsten
Verzweigungen fortsetzt. Die Milz groß, von sehr weicher Be-
schaffenheit, aber sonst unverändert. Thromben in beiden Nieren-
arterien; auch in den Nierenvenen adhärente, derbe, graurote Ge-
rinnsel. Dabei die Nieren selbst ohne sichtbare Veränderungen.
Zahlreiche Thrombosen in den Mesenterial venen , namentlich in
denjenigen, welche zum Wurmfortsatz hinziehen. Der ganze Stamm
der Pfortader mit adhärenten Thromben ausgefüllt, die eine hell-
graue Farbe darbieten, zum Teil brüchige, teilweise aber breiartige
Beschaffenheit besitzen und sich auch noch bis in die Verästlungen
dritten Grades fortsetzen. In der Vena cava inferior in der Höhe
der Einmündungssteilen der Lebervenen ein derber, gelb weißer
Thrombus, welcher das Lumen des Gefäßes ganz ausfüllt und an
den Einmündungssteilen der Lebervenen glatt endet. Ein zweiter
Thrombus findet sich in der unteren Hohlvene in der Höhe der
Einmündungssteile der Nierenvenen. Der Thrombus ist von weiß-
grauer Farbe und befindet sich in Organisation. Er hat das Ge-
fäßrohr zwar nicht vollkommen verechlossen , aber so bedeutend
verengt, daß sich kaum ein mittelstarker Katheter hindurchfuhren
über multiple Arterienthrombose. g9
läfit. In beiden Venae iliacae adhärente Thromben, welche in
die Venae femorales hinabreichen und oberhalb des Pouparti'schen
Bandes endigen. Ein wenig unterhalb des Pouparti'schen Bandes
beginnt dann aber von neuem eine Thrombose in beiden Femoral-
venen, die sich bis über die obere Hälfte der Oberschenkel fort-
setzt. Der früher erwähnte Thrombus der linken Nierenarterie
setzt sich in die Bauchaorta fort, erreicht hier die Dicke eines
mittleren Katheters und dringt linkerseits ohne Unterbrechung in
die linke Arteria iliaca und in die linke Hypogastrica ein.
Zwischen der ersten und zweiten Beobachtung besteht eine
nnyerkennbare Ähnlichkeit. Beide Male bekommt man es mit viel-
fachen Thromben in den verschiedensten Venen und Arterien zu
tun, bei der ersten Kranken mit Bevorzugung der Arterien, bei
der zweiten mit einer solchen der Venen. Bei beiden Kranken
findet sich am Herzen keine Veränderung, welche darauf hindeutete,
daß es sich wenigstens in den Arterien um Embolien gehandelt
haben könnte. In beiden Beobachtungen bestanden Zeichen all-
gemeiner Sepsis, und beide Male sprach alles dafür, daß man es
mit einer lokalen infektiösen, aber multiplen Erkrankung der Ar-
terien und Venenwände zu tun gehabt habe, an die sich eine
multiple Gefäß thrombose anschloß. Leider bin ich nicht imstande
in der zweiten Beobachtung mit gleicher Sicherheit den Nachweis
einer Erkrankung der Gefäßwände an den thrombosierten Stellen
zu führen, wie in der ersten, weil ich damals noch nicht thrombo-
sierte Gefäße mit der Sorgfalt zu untersuchen pflegte, wie dies
später geschah.
Jedenfalls geht aus beiden Beobachtungen meines Erachtens
hervor, daß allgemeine Infektionen zu lokalen Schädigungen der
Gefaßwand führen, die wieder ihrerseits Thromben in den Arterien
und Venen bedingen. Die Zahl der erkrankten Gefäße kann eine
sehr bedeutende sein, so daß man sich fast wundern muß, daß trotz-
dem das Leben verhältnismäßig lange Zeit fortbestehen kann. Die
von den thrombosierten Gefäßen mit Blut versorgten Eingeweide
leiden unter Umständen überraschend wenig. Störungen eines
solchen Gefäßverschlusses treten mitunter genau so plötzlich wie
ein embolischer Gefäßverschluß ein und klinisch ist eine Unter-
scheidung kaum möglich. Bei jedem thrombotischen Gefäßverschluß
ist eine genaue mikroskopische Untersuchung der Gefäßwand not-
wendig, denn nur diese entscheidet, ob autochthone Thrombose oder
Embolie und bei Thrombose, ob eine Thrombose allein infolge
von Endarteriitis oder von Entzündung der Adventitia und Media.
90 ni. E1CHHOK8T, Über multiple Arterienthrombose.
Bisher hat man in den Arterien das Vorkommen von Embolien
als das Vorwiegende hingestellt, doch dürfte in Zukunft eine ge-
naue Untersuchung der Verhältnisse in dem oben angedeuteten
Sinne darin einen großen Wandel der Anschauungen schaffen und
sich mancher Gefäßverschluß als autochthone Thrombose heraus
stellen, den man bisher als eine Embolie gewohnheitsgemäß anzu-
sehen geneigt war.
Erklärung der Abbildnngen anf Tafel III*
Abbildung 1. Querschnitt der Femoralarterie. Boraxkarminfärbung
Zeiß' Apochromat Brennweite 16. Kompensationsokular 4. Vergrößerung 62 fach.
1. Adventitia. 2. Rundzellenherde. 3. Muskularis. 4. Intima. ö. Gefäßthrombus.
Abbildung 2. Querschnitt der Femoralarterie. Das gleiche Präparat
wie in Abbildung 1. Zeiß' Apochromat Brennweite 4. Kompensationsokular 4.
Vergrößerung 2ö0fach. 1. Adventitia. 2. Eundzellenherde. 3. Muskularis.
4. Tunica elastica. 5. Intima.
Deutsches ArchivfmiiüdteUedicin Bd. IXZX.
VerUjTOEF.CW.Vogd üil'Ayi'3
Ijlli AiislJdiuEi[ikhiTitl.LnFii;
IV.
über die differentielle Diagnose der giclitischen Tophi
der Ohrmuschel.
Von
Wilhelm Ebstein in Göttingen.
(Mit 2 Abbildungen.)
Über die differentielle Diagnose der gichtischen Tophi der
Ohrmuscheln ist mir wenig bekannt geworden. Sir DyceDuck-
worth (Die Gicht. Deutsch von Dippe, Leipzig 1894) erwähnt
die Möglichkeit der Verwechslung der Tophi der Ohrmuscheln mit
Milien und kleinen Talgcysten (1. c. Seite 63). Man darf es als
ein erfreuliches Zeichen betrachten, wenn ein klinischer Befund so
sicher ist, daß er als eindeutig angesehen werden darf. Man kann
sogar im allgemeinen sagen, daß man in der Eegel die Diagnose
eines Tophus arthriticus an der Ohrmuschel zu den Momentdiagnosen
i-echnet, man stellt dieselbe gemeinhin, ohne erst die Mithilfe des
Mikroskops in Anspruch zu nehmen. Man verzichtet sogar meisten-
teils darauf, einen solchen Tophus anzustechen, um sich davon zu
überzeugen, ob der Inhalt der kleinen Geschwulst auch den typi-
schen Uratbrei enthält. Man wird sich nun fragen dürfen, unter
welchen Umständen man sich zu der Diagnose eines solchen gich-
tischen Tophus der Ohrmuschel für berechtigt halten darf. Um
darüber ins klare zu kommen, muß man sich die Beschreibungen
ansehen, welche die einzelnen Autoren von diesen Bildungen ge-
geben haben. Bereits D. Ideler hat in dem 4. Stück des 6. Bandes
von Hufeland's Neuem Journal der praktischen Arzneikunde,
Seite 96 (Berlin 1801) auf das Vorkommen solcher Bildungen hin-
gewiesen, indem er sagt: „Ich habe auch gesehen, daß sie (die
Gichtknoten) die Hautdrüsen an der Nase, den Ohrläppchen, selbst
die Augenliderdrüsen nicht verschonten. Ideler stellt sich vor,
daß diese Knoten aus der mit der Phosphorsäure gebundenen Kalk-
erde beständen. Fauconneau-Dufresne hat in seiner im
92 IV. Ebstein
Jahre 1824 erschienenen Inauguraldissertation (zitiert nach Cru-
veilhier's Atlas d'anatomie pathologique 4. livraison pg. 4) fol-
genden Befund am linken Ohre notiert: „A l'oreüle gauche entre
le derme et le cartilage, petits grumeaux, apparents k travers la
peau". Scudamore ist in seinem Briefe an Chambers (London
1839 pg. 33) der Natur dieser Ohrtophi schon weit näher gekommen,
indem er (zitiert nach C h a r c o t , Oeuvres completes VII, Paris 1890
pg. 514) sagt, daß er tophusartige Konkretionen, welche sonst
nirgends anders existierten , an den Ohrläppchen in . der Form
kleiner Punkte gesehen habe.
R. B. Todd hat auch in seinen Clinical Lectures on certain
diseases of the urinary organs etc. (London 1857 S. 420) kleine
aus harnsaurem Natron bestehende Ablagerungen „growing beneath
the skin of the ear" beschrieben. Indes sind die Angaben über
die Tophi an den Ohrmuscheln, welche A. B. Garrod in seinem
Werke: „The Natnre and treatment-of gout" (2. edit., London 1863)
macht, der Frage wesentlich näher getreten, indem er. (1. c. pg. 63)
eine genauere Beschreibung derselben gibt; er schickt voraus, daß-
er in den letzten Jahren viele solcher „spots", indes nur selten
bei Frauen beobachtet habe. Garrod berichtet ferner, daß diese
..Spots" bisweilen einzeln, bisweilen zahlreich vorkommen, sie sind
oft kleiner als ein Stecknadelknopf, bisweilen aber sind sie so
groß oder noch etwas größer als eine kleine Erbse (splitpea). Sie
haben das Aussehen von Perlen und liegen im allgemeinen an der
Grenze des Helix. Bisweilen sind sie hart und kiesig, aber
häufiger weich und wenn man sie punktiert, so liefern sie eine
milchige Flüssigkeit. Eine weitere Untersuchung ergibt, daß sie,^
wenn sie hart werden, sich fest an den Ohrknorpel anlegen. Maa
sieht in ihrer Nachbarschaft oft erweiterte Blutgefäße, welche sich»
über dieselbe manchmal weiter hinauserstrecken. Garrod hat
einen solchen Tophus abgebildet, welcher nicht nur der einzige an-
der betreiFenden Ohrmuschel war, sondern es ließen sich bei diesem
Individuum an der Körperoberfläche weitere uratische Tophi über-
haupt nicht auffinden. — Im allgemeinen erscheint damit die Ge-
schichte der gichtischen Tophi an den Ohrmuscheln erschöpft,,
wenigstens sind mir wesentlich neue Gesichtspunkte in dieser Be-
ziehung nicht bekannt geworden. Man sieht sie ebenso wie die
anderwärts lokalisierten Tophi arthritici als ein Privilegium der
Gichtkranken an. Nachdem sie manchen Beobachtern noch weit
häufiger als Garrod selbst begegnet zu sein scheinen. — Duck-
worth (1. c.) fand sie bei einem Drittel aller Gichtkranken (49 mal
J
über die differentielle Diagnose der gichüschen Tophi der Ohrmuschel. 93
unter 150 Fällen) haben sie anf diese Weise und weil sie besonders
manchmal vor dem Auftreten typischer Gichtanfälle beobachtet
worden sind, eine nicht zu unterschätzende diagnostische Bedeutung
gewonnen.
Ich habe nun Gelegenheit gehabt im Laufe des letzten Jahres
Veränderungen der Ohrmuscheln zu sehen, welche in ihrem äußeren
Aussehen zunächst eine gewisse Ähnlichkeit mit gichtischen Tophis
der Ohrmuscheln zu haben schienen. Man dürfte um so eher in
Versuchung kommen, diese Prozesse an den Ohrmuscheln für
Symptome wahi-er Gicht zu halten, wofern sich erweisen läßt, daß
die betreffenden Individuen wirklich an Arthritis uratica leiden.
Bei genauerer Untersuchung gewahrte man indes, daß sich diese
Ohryeränderungen durch folgende Eigenschaften von den gewöhn-
lichen uratischen Tophis der Ohrmuscheln unterschieden. Erstens
saßen sie weder in der Cutis noch im Unterhautbindegewebe,
sondern in dem Knorpelgewebe selbst und zweitens konnte man
aus ihnen kein hamsäurehaltiges Material entfernen. Ich lasse
nun die drei Beobachtungen, welche diese Befunde etwas genauer
erläutern sollen, folgen:
1. Beobachtung. Karl D., 57 Jahre alt, war Yom 10. Dezember
1903 bis 14. Januar 1904 in der medizinischen Klinik in Götttngen. Er
ist ein Säufer und gibt zu täglich ca. ein halbes Liter Branntwein zu
trinken. Geschlechtliche Ansteckung wird in Abrede gestellt. Er will
früher stets gesund gewesen sein, insbesondere scheint er niemals einen
akuten Gelenkrheumatismus gehabt zu haben. Das gegenwärtige
Leiden des Patienten besteht in Schmerzen in den Gelenken. Das Leiden
hat sich allmählich entwickelt und ist allmählich schlimmer geworden.
Bei der Aufnahme in die Klinik fand sich ein ErguB nicht nur in dem
linken Kniegelenk selbst sondern vornehmlich in dem präpatellaren
Scbleimbeutel. Der Umfang des linken Kniegelenkes betrug 37,5 cm
gegen 34,5 cm des rechten Kniegelenkes. Am 19. Dezember wurde der
genannte Schleimbeutel punktiert, wobei ca. 10 ccm einer klebrigen,
weifilichen, leicht trüben Flüssigkeit entleert wurden. Harnsäure wurde
in derselben nicht konstatiert. Am 31. Dezember 1903 und am
6. Januar 1904 wurde die Punktion wiederholt, durch welche beide Male
ca. 12 ccm einer geradeso aussehenden und gleichfalls keine Harnsäure
enthaltenden Flüssigkeit erhalten wurde. — Nur an der rechten Ohr-
mnfichel, deren Bild nach einer photographischen Aufnahme in ver-
größertem Maßstabe auf der Fig. 1 wiedergegeben worden ist, gewahrt
man an dem Anthelix einige von ihrer Umgebung sich deutlich ab-
hebende Erhabenheiten, welche durch ihre weißliche Farbe sich aus-
zeichnen und halbkugelig ein wenig über die Oberfläche prominieren.
Man sieht deren viele, die zu je zweien angeordnet übereinander stehend
leicht zu erkennen sind. Die beiden höher gelegenen, etwas mehr von-
einander getrennten, sind die größeren. Sie fühlen sich hart an und sind
94 IV. Ebstein
darch «ine schmale etwas erhabene Leiste von gleichfalls weißlicher Farbe
miteinander verbunden. Die obere von diesen beiden Prominenzen hat
einen Darchmesser von ungefähr 4 mm. Die beiden nnteren, gleichfalls
halbkugelig über die Ober&ficlie faervorgewölbten Erhabenheiten haben die
Größe von etwa einem kleinen Schrotkorn. Sie sind gleichfalls hart. In
ihrer Umgebung erscheint der Knorpel etwas rauh. Die Cutis und das
Fig. 1.
subkutane Gewebe sind an der Knotenbildnng unbeteiligt. Bei der In-
zision dieser Knötchen wird keiue Flüssigkeit entleert. £s ergibt sich,
daß diese Knötchen aus solidem Gewebe bestehen. Die Ohrmuschel er*
scheint im allgemeinen, ebenso wie besonders auch an der Stelle, wo
sich diese Knötchen befinden, undurchlässig für Böntgenstrahlen. — Im
übrigeu lassen sich alte phthieische Prozesse in den obersten Partien der
Lungen des Patienten konstatieren.
2. BeobachtQDg. Der Gerichtsassessor X. aus X., 33 Jahre alt,
stellte sich mir am 2. November 1893 zum erstenmal vor. Er litt an
hartnäckiger, mit gelegentlich starken Durchfällen abwechselnder Stuhl-
verstopfung. Nachdem die letztere als die Ursache der ersteren von
mir erkannt worden war, behandelte ich den Patienten in der hiesigen
über die differeDtielle Diagnose der gichtiBchen Tophi der Ohrmuschel. 95
IMvatklinik mit großen OlUysmen nach den von mir angegebenen Grund-
Batzen.*) Der Erfolg wAr ein recht guter, jedoch wurde die Behandlung
nicht bis zu Ende durchgeführt, weil Patient durch Amtsgescbäfte
udaBt, vorzeitig die Anstalt verlieB nnd aus demselben Grunde die Be-
handlnng unter der Leitung seines Hausarztes nicht, wie er vorhatte,
eigenen Hanse ordnungsmäßig fortsetzte. Ich habe den Patienten wieder-
holt nach längeren oder kürzeren Zwischenräumen hier wiedergesehi
Im Uai 1897 waren mir bereits Veränderungen beider Ohrmusohe
aufgefallen, welche in gewisser Beziehung an die durch gichtische Tophi
bedingten erinnerten. Indes konnte ich typische Gichtherde nicht
kennen. Die kurze Zeit hinderte mich damals der Sache nSber zu
Fig. 2.
treten. "Ea war mir dies erst nach Jshren möglich, als mich der Patient,
der inzwischen als Landrichter an ein von Göttingen entfernteres Ge-
richt gekommen war, am 13. August IS03 wieder konsultierte. Die
VerändemDgen der Ohren traten noch deutlicher hervor. Ich habe die
rechte Ohrmuschel — die linke verhielt sich vollkommen gleich — photo-
graphieren lassen, wodurch eine weitläufige Beschreibung erspart wird
(Fig. 2). Es sei hier nur bemerkt, daS sich an beiden Ohrmuscheln,
deren Haut ziemlich gleichmäßig etwas zyanotii^ch gerötet war, sowohl
am Helix und Anthelix ah auch am Tragus und Antitragus eine Heihe
von mit blasser Haut bedeckten, teils stecknadelkopfgroßen, teils auch
größeren rundlichen Prominenzen fanden, welche eine oberflächliche Ähn-
lichkeit mit gichtischen Knoten hatten, wofür eie der Patient, welcher
I) Ebstein, Die chronische Stuhl Verstopfung. Stuttgart 1903.
9Ö IV. EttSTEor
sich für die Gioht leibhaft intereaeierte, Belbst hielt. Es bewog ihn da-
zu das Leiden seiner mich gleichzeitig konsnltierenden Mutter, welche
an einer chronisch rheumatischen (giehtischen) Entzündung einiger Ge-
lenke (Finger und rechtes £nie) leidet. Beim Anstechen eines dieser
kleinen Knoten, welcher mir besonders typisch erschien, entleerte sieh
lediglich ein Tröpfchen einer leicht blutig tingierten z&hen Flüssigkeit,
in welcher weder XJratnadeln noch sonst morphotische Elemente, ab-
gesehen von einigen roten Blutkörperchen, sich fluiden. Bei der Durch-
leuchtung mit Böntgenstrahlen ergab sich, daß die Ohrmuscheln dieselben
passieren ließen. Die Ohrmuscheln waren übrigens in toto ziemlich dürr
und spröde, kaum biegsam, die Haut schien etwas weniger verschieblich,
fester auf der Unterlage fixiert als gewöhnlich.
3. Beobachtmig. Dieselbe betrifft einen an typischer uratischer
Gicht leidenden Arzt Herrn Dr. med. X. aus L., welcher mich am
16. Januar 1904 wegen seines Leidens hier um Bat fragte. Der Patient,
jetzt 40 Jahre alt, berichtet, daß er im Alter von 24 Jahren (1888) den
ersten Gichtanfall überstand, welchem im Laufe der Jahre viele andere
gefolgt sind. Ich gedenke in weitere Einzelheiten der Geschichte dieses
Falles hier nicht einzutreten, wenngleich sie manches Interessante bietet.
Es sei nur bemerkt, daß bei dem Kranken gichtische Tophi überall nicht
verbanden sind. Bei der Untersuchung der rechten Ohrmuschel fiel mir
auf — der Patient hatte darauf nicht geachtet — , daß sich in derselben
einige etwa erbsengroße, von geröteter Haut überzogene, für Böntgen-
strahlen nicht durchgängige Prominenzen von knorpeliger Konsistenz
in dem Knorpel selbst fanden, während in der Tiefe der knorpellosen
Hautfalte, welche das Ohrläppchen bildet, ein etwa hirsekomgroßes Knöt-
chen von härtlicher Konsistenz, von der Umgebung sich scharf absetzend,
gefühlt wurde. Jedenfalls handelte es sich bei den ersteren nicht um
die gewöhnlichen in der Cutis oder in den subkutanen Gewebe gelegenen
Tophi der Ohrmuschel.
Diese Beobachtungen, wenngleich spärlich an Zahl, ergeben
immerhin einige Gesichtspunkte, welche mir Beachtung zu verdienen
scheinen. Ich fasse dieselben folgendermaßen zusammen: Es kommen
bei Rheumatikern, erblich gichtisch Belasteten und bei Individuen,
welche an typischer uratischer Gicht leiden gelegentlich Knötchen-
bildungen an den Ohrmuscheln vor, welche den sonst an denselben
bei der Gicht häufig vorkommenden gichtischen Veränderungen
nicht entsprechen ; denn dieselben sind nicht \^ie die gewöhnlichen
t}T)ischen Tophi der Ohrmuscheln in der Haut selbst oder in dem
l'nterhautbindegewebe lokalisiert, sondern liegen im Ohrknorpel
selbst. Diese Knötchen enthalten auch kein urathaltiges Material.
Sie scheinen überhaupt im wesentlichen von fester Beschaffenheit
zu sein und von der Konsistenz des Ohrknorpels nicht abzuweichen.
In der zweiten Beobachtung freilich ließ sich ein Tröpfchen einer
leicht blutig tingierten zähen Flüssigkeit entleeren durch den An-
über die diflfereiitielle Diagnose der gichtischen Tophi der Ohrmuschel. 97
stich eines Knötchen, indes kollabierte das Knötchen danach nicht.
Jedoch darf man hier immerhin an die Anwesenheit einer kleinen
C'vste denken. In der aus dem erwähnten Knötchen entleerten
Flüssigkeit fanden sich keine Uratnadeln und, abgesehen von einer
Reihe roter Blutkörperchen, überhaupt keine morphotischen Ele-
mente.
Ich habe nicht nötig, an dieser Stelle die ganze Geschichte
der Cysten in den Ohrmuscheln aufzurollen. Ich verweise auf die
einschlägigen otiatrischen Arbeiten von Arthur Hartmann im
XV. und XVIII. Bande der Zeitschrift für Ohrenheilkunde (Wies-
baden 1886 und 1888, Seite 156 bzw. 42), sowie auf die Arbeit von
W. von Noorden im LXIL Bande der Deutschen Zeitschrift für
Chirurgie. Was nun die Beschaffenheit solcher im Knorpel selbst
nachzuweisender Knötchenbildungen anlangt, so erwähnt Roki-
tansky (Lehrbuch der pathologischen Anatomie, 2. Band, 3. Auf-
lage, Wien 1856, Seite 191), das zuweilen zu beobachtende Vor-
kommen von Wucherungen der Knorpelsubstanz und zwar in der
Form knorriger und warzenartiger Exkreszenzen zumal an den
Oelenkknorpeln, den Luftröliren- und Bronchialringen, wie Roki-
tansky meint, angeregt durch Hyperämie und Entzündungen be-
nachbarter Gewebe. Solcher Veränderungen der Ohrknorpel wird
bei dieser Gelegenheit nicht gedacht. Indes liegt es nahe, die von
mir hier mitgeteilten Befunde in Parallele mit den Rokitansky-
schen zu stellen, welche übrigens auch von Virchow (Die krank-
haften Geschwülste, t Band, Berlin 1863, Seite 438 u. folg.) ausführ-
licher besprochen worden sind. Ob und bzw. in welchem Verhältnis
diese Knorpelveränderungen zu rheumatischen oder gichtischen
Prozessen stehen, darüber läßt sich füglich jetzt kein Urteil ab-
geben und es wird aus ihrer Anwesenheit jedenfalls eine Diagnose,
daß in diesem Falle eine uratische Gicht vorliege, nicht gemacht
werden dürfen. Daß der Sitz dieser kleinen Knötchen im Knorpel
selbst sei, zu ermitteln, wird auf keine Schwierigkeiten stoßen,
wenn, wie es z. B. an der dem Kopf zugewandten Fläche der Ohr-
muschel der Fall ist, deren Unterhautbindegewebe so locker der
Unterlage aufliegt, daß die Haut sich nicht nur verschieben, sondern
auch in kleinen Falten leicht aufheben läßt. Keinesfalls sollte
man die Diagnose der gichtischen Natur Von kleinen Ge-
schrwülstchen an der Ohrmuschel als gesichert ansehen, solange
nicht der Nachweis geliefert ist, daß sie einen uratischen In-
halt haben.
DentscheB Arohiv f. kUD. Medizin. LXXX. Bd. 7
V.
Aus der medizinischen Klinik zu Tübingen.
Die Znckerbildüng aus Glyzerin.
Von
Prof. Dr. H. Lflthje^
I. Assistenten der Klinik.
Im vorigen Bande dieses Archivs sind erneute Beweise für die
Zuckerbildung aus Eiweiß, die Pflüger bestritten hatte,
mitgeteilt worden.
Zur Frage der Zuckerbildung aus Fett resp. Glyzerin
innerhalb des tierischen Organismus nimmt Pflüger in seiner
großen Arbeit über das Glykogen ebenfalls Stellung; er bestreitet
eine solche Art der Zuckerentstehung oder hält sie wenigstens für
sehr unwahrscheinlich. In der Bekämpfung der Cremer'schen
Behauptung, daß aus Glyzerin Zucker gebildet werden könne,
meint Pflüger, daß „das Glyzerin durch Unterstützung der
diuretischen Wirkung des Phlorizins die Zuckerausscheidung ver-
mehren hilft".
Schon vor dem Erscheinen der Pflüger'schen Abhandlung
hatte ich versucht ^), den Einwand, daß die Glykosurie nach Glyzerin-
darreichung lediglich die Folge einer diuretischen Wirkung des
Glyzerins sei, mit einiger Wahrscheinlichkeit zu entkräften : es war
nämlich bei demselben Hunde, der nach Verabreichung von Glyzeriu
eine prompte Steigerung der Zuckerausscheidung zeigte, eine diu-
retisch wirkende subkutane Einspritzung von 2proz. NaCl-Lösung
hinsichtlich der Zuckerausscheidung ohne Erfolg geblieben.
Die Stellung der Kliniker zu der Frage der Zuckerbildung aus
Fett war bis vor kurzem so, daß man — abgesehen von einzelnen
Autoren — eine Zuckerbildung aus Fett leugnete. Man war zu
1) Lüthje, Zur Frage der Zuckerbildang im tierischen Organismus.
Münchener med. Wochenschr. 1902 Nr. 39.
Die Zuckerbildong ans Glyzerin. 99
dieser Anschauung gekommen, weil die überwiegende Anzahl der
Vei'suche mit Verabreichung von Neutralfetten einen erkennbaren
Einfluß auf die Größe der Zuckerausscheidung nicht gehabt hatte,
während doch die Verabreichung verschieden großer Eiweißmengen
einen entscheidenden und proportionalen Einfluß auf die Größe der
Zackerausscheidung zeigte.
Nachdem dann Crem er bei phlorizinvergifteten Tieren nach
Zafahr von Glyzerin eine prompte Vermehrung der Zuckeraus-
scheidung gefunden hatte, erfuhr die klinische Auffassung all-
mählich eine Wandlung. Ein Kätsel aber besteht immer noch: es
ist nicht ohne weiteres einzusehen, warum nach Verabreichung von
Neutralfetten, in denen doch die eine Komponente des Fetts, das
Glyzerin, vorhanden ist, jede Vermehrung der Zuckerausscheidung
ausbleibt Das ist um so weniger zu verstehen, als wir doch jetzt
eine Spaltung der Neutralfette im Darm in Glyzerin und fette
Säuren mit Sicherheit annehmen müssen.
Trotzdem haben wir meines Erachtens noch keinen Anlaß
allein auf Grund der Pf lüger 'sehen Angaben sofort die Mög-
lichkeit einer Zuckerbildung aus Fett als abgetan anzusehen.*)
Denn die Einwände Pflüger's gegen die von Crem er entdeckte
Zackerbildung aus Glyzerin vermag ich auf Grund der jetzt mit-
zuteilenden Versuche nicht als stichhaltig anzuerkennen.
Versuch I. Männlicher Hund. Anfangsgewicht 13,5 Kilo.
Am 5. August 1902 Exstirpation des Pankreas. Der Hund be-
kommt dauernd keine Nahrung. Die Ausscheidungsverhältnisse
zeigt Tab. I.
Der Hund bekommt also am 19. Hungertage 50 ccm Glyzerin
per OS und ebenso wieder am 23. Hungertage (ich sehe dabei ab von
dem 22. Tage, an welchem 100 ccm Öl per os gegeben wurden);
beide Male erfolgte eine prompte Steigerung der Zuckerausscheidung,
während die N- Ausscheidung unverändert bleibt. Die am 25.;26.
durch Kochsalzinfusion erzeugte Diurese bleibt ohne Einfluß auf
die Zuckerausscheidung.
Versuch IL Männlicher Hund. Gewicht 13 Kilo. Am 20. August
1902 morgens wird das Pankreas exstirpiert. Bekommt keine Nah-
rung, nur Wasser nach Belieben. S. Tab. IL
1) Rumpf, Pflüger's Archiv Bd. 97, 1903 S. 98.
7»
100
V. Lüthje
Tabelle I.
Datum
! • bo
H2 0 i S g D in D in N
a a
August 1902 gesoffen fS g ^U g in g 3 2
Im
s
Bemerkungen
5.;6.
6./7.
7,/8.
8./9.
9./10.
lO./ll.
11./12.
12./13.
13./14.
14,15.
15./16.
16.17.
17./18.
18./19.
19./20.
20./21.
21./22.
22./23.
2a.;24.
24./25.
25./26.
26./27.
27./28.
28./29.
250
300
400
500
210
200
300
150
210
280
310
290
220
140
180
120
150
j(.Q^l,74 17,40 9,576| 0
^^ 1,01 110,10 7,78 ; 0
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200
500
140
500
135
0,09 1 0,45
I
0,06 0,30
0,24 1,20
0,25
1,25
6,10
5,26
3,86
3,70
3,75
3,58
3,86
4,17
3,16
3,47
3,84
3,47
3,28
2,69
240
1000
11,28
2,51
^-0,18 0,90 2,77
280 + 3^. 1 41
50 myi. 800 '
100 öl ^^^
5,35 2,97
3,30
100
50 ccm
Glyzerin
200
810
1000
^55
500
0,08 0,64
1,14 11,40
2,59
2,18
0,78 3,90 2,55
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
13540 0
13380 0
Starke Reduktion.
12850 0
I
12720 0
1
12600' 0 Etwas Kot gelassen.
i
12170 0 Spur Aceton.
12010 0 '
I
11950 0 .
11620 0 Kot gelassen.
11440 0 :
Keine dentl. Drehung,
jedoch Spur Gährung.
do.
Kot gelassen.
Geringe Reduktion.
11230 0
I
11020 0
10910 0
10760 0
j
10650 0
10480 0
10310 0
10190 0 I
I I
9720 0 !
9670 0 i
i
10950 0 !
10220 0
9270 0
9190 0
das Glyzerin ein-
gegossen.
700 ccm 2% NaCl-
Lösung subkutan.
Öl per 03.
Glyzerin einge-
gossen.
Die ZuckerbildoDg aus Glyzerin.
101
In der zweiten Hälfte des Glyzerintages starb der Hund plötzlich.
Daraas erklärt sich die plötzliche Verminderung der N- Ausscheidung:
es handelt sich eben nur um eine Teilportion des Tages. Um so
beweisender ist die überaus starke Steigerung der Zuckerausscheidung.
Tabelle H.
Datum
N
D
August
1§02
■
•
D:N
Bemerkung
in g
m g
21/22.
' 12,66 1 35,40
2,8
22./28.
13,33
36,20
2,7
23.,'24.
12,94
36,70
2,8
24./'25.
12,99
37,72
2,8
25./26.
6,99
45,72
6,6
An diesem Tage 50ccm Glyzerin per os.
Versuch III. Mittelgroßer, gutgenährter Dachshund. Total-
exstirpation des Pankreas am 15. April 1903. Ich teile die voll-
ständige Tabelle des Versuchs, der 5 Wochen umfaßte, aus Gründen
der Raumersparnis hier nicht mit In den ersten 28 Tagen hungerte
der Hund vollständig mit Ausnahme des . 17. und 18. Tages, an
denen er 75 resp. 15 g Nutrose bekam. Obwohl der Hund bereits
zuckerfrei geworden war, trat an diesen beiden Nutrosetagen sofort
wieder Zucker auf, und zwar 8,5 resp. 7,0 g. (Ich habe diesen
Versuch in der Arbeit im vorigen Band nicht mehr mitgeteilt, weil
es mir unnötig erschien.) Am 29. Hungertage bekam der Hund
40 g Olivenöl intraperitoneal, ohne darauf Zucker auszuscheiden.
Dagegen erfolgte auf die Verabreichung von 20 ccm
Glyzerin per os am 31. Hungertage eine Zuckeraus-
scheidung von 6,2 g, am 33. Hungertage auf die Verab-
reichung von 40 ccm Glyzerin eine Zuckerausscheidung
von 14,0 g. Am 35. Karenztage war der Harn sofort wieder
zuckerfrei.
Versuch IV. Großer, magerer Schäferhund. Anfangsgewicht
15,200 g; hungert seit Donnerstag den 28. Januar 1904, wird am
30. Januar operiert (Totalexstirpation).^) Der Hund bekommt zu-
nächst nichts zu fressen. Der Urin wurde nicht katheterisiert, da
die Hündin bei Druck auf die Blase stets dieselbe entleerte, so daß
annähernd genaue Tagesquanten erhalten wurden. ^
Die Ausscheidungsverhältnisse zeigt Tabelle III.
1) Durch Herrn Prof. Küttner.
102
V. Lüthje
Tabelle IIL
Datum
Febr. 1904
Nahrung
& I
o
CO
0)
:c8
0) Md
SR ^^
' 0
fr-
ßemerknngen
bis 1. II.
abends
bis. 3. II.
n. ÖV, Uhr
bis 5. II.
m. 11 ühr
bis 6. IL
n. 4 Uhr
bis 7. IL
n. 5 Uhr
bis 8. IL
n. 5S Uhr
bis 9. IL
n. 5 Uhr
bis 10. IL
n. 5 Uhr
bis 11. IL
n. 4\'8 Uhr
bis 12. IL
n. 4V2 Uhr
bis 13. IL
n. VU Uhr
bis 14. IL
n. 4V2 Uhr
bis 15. IL
n. 4»/, Uhr
bis 16. IL
n. 4V2 Uhr
bis 17. IL
n. 4V2 Uhr
bis 18. IL
n. 4V« Uiir
bis 19. IL
n. 4V2 Uhr
bis 2[). IL
n. 4V2 Uhr
bis 21. IL
n. 4V2 Uhr
bis 22. n.
n. 4\', Uhr
bis 23. U.
n. 472 Uhr
bis 24. n.
n. 4V2 Uhr
I
0
0
0
0
100 g Nutrose
-[-Wasser
150 g Nutrose
+ Wasser
500 ccm Serum
500 ccm Serum
600 ccm Serum
-|- 60 ccm Glyzerin
500 ccm Serum i
-|- 80 ccm Glyzerin
500 ccm Serum
-|-100 ccm Glyzerin
600 ccm Serum
-|-100 ccm Glyzerin
8^0 ccm Serum
-|- 1 70 ccm Glyzerin
1000 ccm Serum
-|- 250 ccm Glyzerin
1000 ccm Serum
-)- 300 ccm Glyzerin
1200 ccm Serum
-1-360 ccm Glyzerin
1000 ccm Serum
-{-320 ccm Glyzerin
1200 ccm Serum
-)-270ccm Glyzerin
1200 ccm Serum
-f- 240 ccm Glyzerin
900 ccm Serum
4- lOOccm Glyzerin
I 1200 ccm Serum
|-|-240ccm Glyzerin
I 1200 ccm Serum
, -|- 240 ccm Glyzerin
680
1000
460
lOQO
520
1000
420
600
1190
2000
1460
2100
150
590
m
700"
1350
150Ö
1650
2000
2150
2300
2400
2500
3750
380(j
5180
520Ö ^^*'^
5890 '
5900 ^*^'^
16,00
5,00
1,50
0
24,00
35,70
3,50
0
6,00
39,00
41,40
57,50
89,30
20,16 0 0
9,74
7,39
0 0
0 0
3,14 0 0
I
14,56' 0 ' 0
18,11 0 0
I I
4,40 0 0
5,10 0 0
5,30' 0 0
i '
6,60; 0 0
6,00
0 , 0
6,73' 0 0
11,28- 0 I 0
i
7,85 0 0
10,56 0 0
6900 158,70 12,35 0
6050
4920,
5000 ^^^'^
4000
5800
4760
4800
104,40 10,09 0
115,20 , 9,41 ; 0
0
9,88 0 0
14,500
13,000
12,500
630O 126,00 9,89 0 0 12,300
10,90 0 , 0
t '
70,00 10,32 0 0
0
0
12,200
Anfangsgew. 15,2 kg
Aceton 0
Aceton 0
Aceton 0
Serum lU
Serum HI
Serum lU
Serum III
Serum IV
Kein Aceton
Serum IV
Serum VI
Serum VI
Serum VI
Kein Aceton
Serum VI
Kein Aceton
Kein Aceton
Kein Aceton
Die Znckerbildung aus Glyzerin. 103
Zu der Tabelle ist folgendes zu bemerken. Die Zuckeraus-
scheidung ist während der ersten Karenztage nicht sehr erheblich
und wird bereits am 7. Hungertage = 0.^) An den beiden fol-
genden Tagen erfolgte auf Zufuhr von Nutrose eine prompte, sehr
erhebliche Zuckerausscheidung. Am 9. und 10. werden je 500 ccm
körperchenfreies Kinderserum gegeben, die sehr gierig getrunken
werden.
Vom 11. Februar ab werden mit dem Rinderserum täglich
größere Mengen von Glyzerin gegeben (bis zu 360 g pro die!).
Das Glyzerin wurde mit dem Serum gemischt sehr gern genommen,
niemals zeigten sich irgendwelche schädliche Neben-
wirkungen. Die Absicht war, diese Glyzerinflitterungen so lange
fortzusetzen, bis eine Zuckerausscheidung erzielt war, die unmöglich
durch Ausschwemmung erklärt werden konnte. Die Diurese stieg
unter der Wirkung des Glyzerins außerordentlich. (Die täglichen
Urinmengen betrugen zeitweise bis zur Hälfte des Körperge-
wichtes.) -)
Die täglichen Zuckerausscheidungen sind, wie die Tabelle zeigt,
sehr erhebliche; sie schwanken in ihrer Größe ganz deutlich mit
der Größe der verabreichten Glyzerinmenge.
Insgesamt wurden bis zum 24. Februar 1904 1408,4 g
Zucker ausgeschieden.
Der Hund wog im Anfang rund 15 Kilo, dem würden bei der
Annahme eines präexistierenden Glykogengehaltes von 11 g pro
Kilo Tier entsprechen 165 gr Glykogen = 183 g Zucker
(rund), bei Annahme des maximalsten Glykogengehaltes von 40 g
pro Kilo Tier 600 g Glykogen = 664 g Zucker (nind).
Im ersten Fall würden ungedeckt bleiben
1408—183 = 1225 g Zucker, im zweiten Fall 1408-664 =
744 g Zucker.
Als Zuckerbildner kommen in Betracht das verfütterte Eiweiß
und das Glyzerin. (Die geringen Mengen des im Serum enthaltenen
Zuckers spielen keine Rolle.) Der Hund hat während der ganzen
Versuchszeit 209,8 g Stickstoff ausgeschieden. Nehme ich an, daß
1) Bei der Sektion des Hundes konnte keine Spur eines Pankreasrestes
makroskopisch entdeckt werden. Erheblichere Verwachsungen waren nicht ein-
getreten, so daß die Verhältnisse sehr übersichtlich lagen. Die mikroskopische
Untersuchung steht noch aus.
2) Inwieweit sich diese Verabreichung größerer Glyzerin mengen zu diure-
tischen Zwecken bei bestimmten Krankheitszuständen verwenden läßt, ist zur-
zeit Gegenstand der Prüfung auf unserer Klinik.
104 V. Lüthje, Die Zuckerbüdnng aus Glyzerin.
bei der Zersetzung des entsprechenden Eiweißes auf 1 g N 3 g Zucker
kommen würden, so wären durch den Eiweißumsatz gedeckt : rund
630 g Zucker. Es würden dann immer noch ungedeckt bleiben
und könnten nur aus dem Glyzerin entstanden sein
595 g Zucker (bei Annahme eines Glykogengehaltes von 11g
pro Kilo Tier) oder 114 g Zucker (bei Annahme eines prä-
existierenden Glykogengehaltes von 40 g pro Kilo Tier).
Also selbst bei den ungünstigsten Annahmen bleibt ein Zucker-
rest, der nur aus Glyzerin gebildet sein kann. Daß diese un-
günstigen Voraussetzungen bei diesem Hunde zutreffen, ist ganz
unwahrscheinlich, denn
1. war der Hund zu Anfang des Versuches schlecht genährt;
er wird also voraussichtlich nicht sehr viel Glykogen vorrätig ge-
habt haben.
2. W ird ja ein Teil des Zuckers selbst beim pankreaslosen
Hund immer noch zersetzt, in Wirklichkeit wird also die Zucker-
bildung noch größer gewesen sein. So sehen wir jedenfalls, daß
an dem Tage vor der Glyzerindarreichung nach Verfütterung von
500 ccm Serum überhaupt kein Zucker ausgeschieden wird. Wir
dürften also vielleicht den zur Ausscheidung gelangten Zucker ganz
aus dem verfütterten Glyzerin herleiten. .
Ich glaube, daß man auf Grund dieser Versuche an einer
Zuckerbildung aus Glyzerin nicht mehr zweifeln darf.
Die N-Bestimmungen des verfütterten Serums füge ich bei:
Serum III = 1,109 % N
Serum IV = 1,148 ^/o N
Serum VI = 1,105% N.
Der Hund, der zu dem letzten Versuche diente, lebte noch
eine Eeihe von Tagen weiter. Es traten aber vom 25. Februar ab
andere Versuchsbedingungen ein.
VL
Aus der I. deutschen medizinischen Klinik in Prag
(Vorstand Hofr. Prof. Pfibrani).
Über Hypoleukozytose beim Abdominaltyphus und
anderen Erkrankungen.
Von
Lndwig Käst und Carl Gütig.
(Mit 2 Kurven.)
Das Interesse der hämatologischen Arbeiten aus den letzten
Jahren, die sich mit qualitativen und quantitativen Veränderungen
der geformten Blutbestandteile befaßten, war hauptsächlich der
Vermehrung der Leukozyten im kreisenden Blute, der Hyper-
leakozytose, gewidmet. Die Frage der Hyperleukozytose, die noch
lange nicht nach allen Eichtungen beantwortet ist, hat eine un-
absehbare Literatur gezeitigt entsprechend der hohen Bedeutung,
die ihr zweifellos zukommt in dem Prozesse, durch welchen sich
der menschliche Organismus gegen geformte und ungeformte Gifte
zu schützen sucht In diesem Prozesse spielt aber auch die Hypo-
leukozytose ihre Rolle; in der Literatur dagegen ei-scheint sie nur
nebenbei in Betracht gezogen, wie wir glauben mit Unrecht Wenn
auch die Hypoleukozytose keineswegs so bedeutungsvoll erscheint,
als die ungleich häufigere Vermehrung der Leukozyten, so gebührt
ihr doch mehr Interesse vom praktischen und theoretischen Stand-
punkt. Es soll an anderem Orte der Versuch unternommen werden,
die Gesichtspunkte für den Zusammenhang der Leukopenie mit
Immunisierungsvorgängen auseinanderzusetzen, die sich auf Grund
experimenteller und pathologisch-anatomischer Ergebnisse gewinnen
lassen. Im folgenden seien vorerst die Erfahrungen mitgeteilt, die
wir am Krankenbette in bezug auf leukopeuische Zustände ge-
sammelt haben, dabei behalten wir die praktische Seite im Auge
und berücksichtigen besonders die Frage nacli der diagnostischen
Verwertbarkeit der Leukopenie beim Abdominaltyphus. Erstens
ans dem Grunde, weil uns ein außerordentlich reiches und mannig-
faltiges Material von Abdominaltyphen zur Verfügung stand und
106 VI. Käst u. Gütig
zweitens, weil der Typhus wohl die häufigste Erkrankung ist, die
mit Hypoleukozytose einhergeht, und deren Diagnose am erfolg-
reichsten sich dieses Symptomes bedienen kann.
Die meisten fieberhaften Infektionskrankheiten gehen mit Ver-
mehrung der Leukozyten einher. Nur wenige lassen eine solche
vermissen und unter diesen am häufigsten der Abdominaltyphus.
Es hat gute Weile gebraucht, ehe sich diese Erfahrung durch-
ringen konnte, ihr stand die Behauptung Virchow's im Wege,
daß bei allen Krankheiten, die mit Reizung drüsiger Elemente ein-
hergehen, demnach auch beim Typhus die Leukozyten vermehrt
seien. Viel wird auch auf Rechnung des Mißverständnisses mancher
Autoren zu setzen sein, daß die Vermehrung der Leukozyten parallel
den Schwankungen der Temperatur verlaufe.
Halla war der erste, welcher die Angaben Virchow's in
Zweifel zog. Ihm schlössen sich Tumas, Hayem, von Lim-
beck und viele andere mit bestätigenden Beobachtungen an. ^)
Allerdings diflerieren die Angaben der einzelnen Autoren nach zwei
Richtungen, das sind die Verläßlichkeit des Symptoms und die Alte-
ration desselben bei Hinzutreten einer nichttyphösen Komplikation.
Unsere Untersuchungen hatten folgenden Weg genommen. Vor-
erst hatten wir einige Fälle von sicherem Typhus systematisch und
durch längere Zeit hindurch häraatologisch untersucht, wir fanden
nicht nur eine deutliche Verminderung der Leukozyten, sondern
auch die relative Verschiebung der Leukozytenarten, wie sie in aus-
gezeichneter Weise von Türk und von Nägeli beschrieben worden
sind, zwar nicht in allen Fällen ausgeprägt, aber doch in den
Grundzügen meist deutlich erkennbar. Wir suchten dann an mög-
lichst großem Materiale die diagnostische Verwertbarkeit der Leuko-
zytenzählung zu prüfen und behielten drei Fragen besonders im
Auge, die Frühdiagnose, den Einfluß nichttyphöser
Komplikationen auf das Blutbild und die Differential-
diagnose. Im Sinne der ersteren trachteten wir unsere Fälle
möglichst frühzeitig zu untersuchen. Es wurde gewöhnlich am
Tage der Aufnahme oder an dem nächstfolgenden das Blut zum
ersten Male entnommen.-)
Bei dem Umstand, daß die Kranken, aus denen sich das
1) Genaue diesbezügliche Literatnrangaben finden sich in diesem Archiv
Bd. 67 Heft 3 u. 4.
2) Die Technik unserer Blutuntersuchungen ist die ttbliche, konform den
Ausführungen T ü r k s (Wiener klin. Wochenschr. 1902, 28 u. 29). Selbstver-
ständlich achteten wir darauf, daß unsere Untersuchsresultate nicht durch medi-
kamentöse oder anderweitige therapeutische Eingriffe getrübt wurden.
über Hypoleukozytoge etc. 107
Spitalsmaterial zusammensetzt, doch wohl in der Begel erst dann
ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen, wenn sie derselben dringend
bedürfen, ist es begreiflich, daß im Spital selten Gelegenheit ge-
boten ist, in den allerersten Tagen der Typhuserkrankung eine
Blutuntersuchung vorzunehmen. Viel größer sind die Chancen hie-
fur in der Privatpraxis; es wäre sehr erwünscht, wenn von dieser
Seite Erfahrungen nach der Richtung gesammelt würden.
Wir entDahmen Blut, zumal gegen Eade unserer Untersuchungsreihe
allen Fällen, die einigermaßen bei der ersten allgemeinen Untersuchung
typhuBverdächtig erschienen. Für unseren speziellen Zweck kam uns der
Umstand sehr zu statten, daß in den Monaten November Dezember 1902
ein außergewöhnlich starkes Aufflackern der in Frag permanenten
Endemie auftrat und an manchen Tagen bis 10 Typhusfälle zur Auf-
nahme gelangten. Unter solchen Umständen richtet sich begreiflicher-
weise der Typhusverdacht auf mehr Aufnahmefalle als unter anderen
Verhältnissen, eine Bedingung mehr^ sich über den dififerentialdiagnosti-
8chen Wert einer Untersucbungsmethode orientieren zu können.
Das Alter der Patienten, die von uns untersucht wurden,
schwankte zwischen 12 und 80 Jahren, die überwiegende Mehr-
zahl befand sich zwischen dem 19. und 24. Lebensjahr.
ünt^r 148 typhussuspekten Fällen erwiesen sich durch den
weiteren Verlauf und positive Agglutinationsbefande 103 als sichere
Typhen, in weiteren 43 lagen, wie dies aus den klinischen Erschei-
nungen und fehlender Agglutination mit Bestimmtheit hervorging,
andersartige Erkrankungen vor; in den übrig bleibenden 2 Fällen
waren durch längere Zeit große diagnostische Schwierigkeiten vor-
handen. Aus diesem Grunde sind sie weiter unten des genaueren
geschildert. Mit Nachdruck heben wir hervor, daß als sichere
Typhen an unserer Klinik seit längerer Zeit und so auch in unseren
Fällen nur diejenigen Krankheitsfälle betrachtet wurden, deren
Blutserum nicht allein Bakterien der Typhusgattung ^) agglutiniert,
sondern auch den von Z u p n i k und P o s n e r ermittelten Typhus-
charakter im Agglutinationsbefunde aufweisen; auf die Einzel-
heiten dieser Agglutinationsbefunde können wir an dieser Stelle
nicht näher eingehen und verweisen aus diesem Grunde auf die
diesbezügliche Publikation beider genannten Autoren. Von den
103 Typhen verliefen 21 letal*). 89 genasen, darunter 53 nach
leichtem, 31 nach mehr weniger schwerem Verlauf.
1) cf. Zupnik, Prager med. Wochenschrift 19(>4 Nr. 13.
2) Die hohe Ziffer für die Mortalität erklärt sich aus dem Umstände, daß
im Beginne unserer Untersuchungsreihe nur schwere FäUe hämatologisch unter-
sucht wurden.
108 VI. Kast u. Gcno
Die früheste Untersuchung konnten wir am 4. Tage nach dem
ersten Auftreten der subjektiven Symptome vornehmen an 2 Fällen^
am 5. Tage an einem Fall, zwischen 6. — 10. Tage an 39 FäJlen, 10. — 20.
Tage an 26 Fällen, 20. — 30. Tage an 14 Fällen, bei den übrigen war
keine verläßliche Angabe über Dauer der Erkrankung zu gewinnen.
Nachdem wir einige Erfahrung gesammelt hatten, schien es
uns zweckmäßig, gewisse Zahlengrenzen anzunehmen, innerhalb
w^elcher die Befunde für oder gegen Typhus zu deuten wären. Am
besten hat sich uns folgende bewährt. Wir nannten Leukozyten-
zahlen unter 7000 . . . hämatologisch positiv („häm. -|-") im Sinne
der Diagnose Typhus abdominalis. Leukozytenzahlen 7000—9000
hämatologisch zweifelhaft („häm. ?"), über 9000 hämatologisch
negativ („häm. — "). Hierbei sei gleich ausdrücklich bemerkt, daß
diese Zahlen nur bei mit Fieber einhergehenden Affek-
tionen zur Anwendung gelangen können und daß fieberlose Er-
krankungen nicht in diese Einteilung einbezogen werden dürfen.
Nach dieser Einteilung gruppiert sich unser Material in folgen-
der Weise: Unter den 53 leicht verlaufenen Fällen waren
„häm.+" 47
„häm. ?" 4
„häm. — " 2
Unter den 31 schweren Fällen waren
„häm.H-" 30
»
häm. ?" 1
,häm. — " 0
Unter den 21 letal verlaufenen Fällen w^aren
„hära.-f" 20
„häm. ?" 1
„häm. — " 0
Das bezieht sich bei sämtlichen Fällen auf die erste Unter-
suchung des Blutes, die für die Frühdiagnose wichtigste. (So bot
z. B. der tödlich verlaufene Fall, der bei der ersten Untersuchung
„häm. ?" war, bei den folgenden Untersuchungen Werte bis zu 1700
hinunter.) Es waren demnach unter 103 Fällen bei der
ersten uns möglich gewesenen Untersuchung 97 Fälle
„häm. -f ", das sind 92,4 <>/o; 6 Fälle waren „häm. ?", 2 waren
„häm. — ". Bemerkt sei, daß hier keine Rücksicht
darauf genommen ist, ob die Fälle kompliziert w^aren
oder nicht.
Wir sprechen vorläufig nur von den absoluten Leukozyten-
über Hypoleukozytose etc. 109
zahlen; daß eine eingehendere Würdigung der Details der Lenko-
zytengruppiemng einen viel wertvolleren Beitrag zur Diagnose
bieten kann, darüber weiter unten, ebenso über den Grund, daß
wir 7000 als die obere Grenze des „häm. -{-"-B^fiindes gewählt haben.
Der zweite Punkt, dem unser besonderes Interesse galt, war
der Einfluß nicht typhöser Komplikationen auf das Blutbild. Die
in der Literatur niedergelegten Beobachtungen lassen keine ein-
heitliche Auffassung zu. Die Angaben sind zu differierend. Hayem
behauptet bei komplizierten Typhen, — er berichtet über Pneumonie,
Enteritis, Angina, Bronchitis — sehr häufig deutliche Hyperleuko-
zytosen gesehen zu haben. Tumas, Bieganski, Sadler fanden
mitunter ansehnliche Hyperleukozytosen durch Komplikationen be-
dingt. Klein ist der Ansicht, daß jede Komplikation des Ab-
dominaltyphus mit Vermehrung der neutrophilen Leukozyten ein-
hergeht. Dies entspricht sicherlich nicht den Tatsachen. G r a w i t z
betont das Auftreten von Hyperleukozytosen bei pneumonischen
Infiltrationen, während Limb eck gerade bei dieser Art von
Komplikation eine Vermehrung der Leukozyten oft vermißt. Kühn
und Suckstorff schlössen sich mit ähnlichen Befunden an.
Widern ann gewann den Eindruck, daß die Neigung zur Leuko-
penie auch in manchen mit nicht typhösen Erkrankungen kompli-
zierten Fällen fortbestehe; dagegen stieß er auf eine beträchtliche
Hypoleukozytose (verbunden mit Lymphozytensturz) bei einer nach
der Entfieberung dazugetretenen peripheren Neuritis. Kölner be-
richtet über komplizierte Fälle, die teils mit, teils ohne Vermehrung
der Leukozyten einhergingen. Halla hat eine größere Zahl ver-
schiedener Komplikationen ohne Vermehrung der Leukozyten ver-
folgen, können.
Rieder beobachtete weitere Verminderung nach Dazutreten
einer Komplikation. Cabot fand erhebliche Anstiege nach Kompli-
kationen mit Perforationsperitonitis, Phlebitis, Otitis media, Glutäal-
abszeß. N ä g e 1 i führt eine Reihe von Fällen an, wo zugleich mit
der Komplikation eine Vermehrung der Leukozyten eingetreten
war, darunter Parotitis, hämorrhagische Nephritis und Gonorrhoe,
Cystitis, Otitis, stärkerem Durchfall, andererseits blieb dieselbe aus
bei Bronchitis, leichter Bronchopneumonie, Mammaabszeß, Venen-
thrombose, Osteomyelitis. Becker sah die Leukopenie Ijestehen
bleiben trotz Hinzutreten einer tödlichen Nephritis.
Aporti undRadaeli fanden mitunter Vermehrung bei Kom-
plikation, mitunter auch nicht. Ourschmann ist der xlnsicht,
daß Komplikationen, die an sich Hyperleukozytose bedingen, eine
110 VI. Käst u. Gütig
Vermehrung der Weißen bis zur normalen Zahl oder über dieselbe
hinaus auch beim Typhus zur Folge haben. Aus Neußer's
Klinik berichtet Blum über einen Fall mit lobulärer Pneumonie,
der letal verlief und 12 300 Weiße hatte. Houston sah bei einem
sehr eingehend geschilderten Fall trotz Phlebitis und eines Abszesses
die Leukozytenzahl nicht über 4900 steigen.
Es ist schwer, diese und andere in der Literatur angeführten
Beobachtungen kritisch zu sichten. Die Angaben mancher Autoren
sind zu allgemein gehalten, es wurde auch nicht immer berück-
sichtigt, ob die nötigen Garantien für das tatsächliche Bestehen
eines Abdominaltyphus gegeben waren, abgesehen davon, daß
manche Befunde älteren Datums mit Untersuchungsmethoden er-
hoben wurden, die einer strengen Kritik heute nicht mehr stand-
halten. Auch die uns wichtig erscheinende Angabe, in welchem
Stadium des Typhus die Komplikation dazugetreten war, fehlt vielfach.
Da von kompetenten Autoren sowohl über Vermehrung der
Leukozyten als auch über das Fehlen einer solchen berichtet wird,
muß angenommen werden, daß das Verhalten des Blutbildes beim
komplizierten Typhus ein wechselndes sein könnte. Inwieweit die
diagnostische Brauchbarkeit der Leukozytenzahlen dadurch beein-
trächtigt wird, muß weiteren Beobachtungen vorbehalten bleiben.
Im folgenden ein Beitrag hierzu.
Unter unseren Fällen waren 40 kompliziert.
Dabei verstehen wir unter nichttyphösen Komplikationen einerseits
physiologische Zustände : Gravidität und Status post partum, andererseits
exsudative und Eiterungsprozesse, bei denen mit aller Wahrscheinlichkeit
andere Mikroorganismen im Spiele sind als der Eberth-Gaff ky 'sehe
Bazillus. Wenigstens wurden bei allen unserer Fälle, bei
denen eine bakteriologische Untersuchung des Eiters
möglich war, von Herrn Assistenten Dr. Zupnik stets
nur Staphylococcus pyog. aur. gefunden.
Unter unseren 40 Fällen waren 25 bereits zur Zeit, als die
erste Blutuntersuchung möglich war, kompliziert, davon verliefen
6 letal. Von den 25 Fällen waren
20 „häm. +"
3 „häm. ?"
2 „häm. — ",
d. h. in 80 7o derjenigen Fälle, die von allem Anfang an eine nicht-
typhöse Komplikation aufwiesen , blieben die Leukozytenzahlen
unter 7000. In folgender Tabelle sind die erwähnten Fälle mit
ihren Details zusammengestellt.
Die in den Tabellen mit einem Kreuze bezeichneten Fälle gelangten
über Hypoleakozf tos
111
mr Sektion. Bei diesen Fällen, wo wir dank der Liebenswürdigkeit des
Herrn Hofrat Prof. Dr. Cbiari Einsicht ins SektionspiotokoU nehmen
koiu]t«n haben wir an Stalle der klinischen Diagnose stets die patho-
logisch-anatomische angeführt.
Tabe
Mannt
Weib
Weib
Weib
ötiÜ012ÜU,
itadio necroa. (Tui ..
lienia acutas. Degeoeratio paren-
chymatosa), Pneumonialob.rtextr,
Decnbitns mnltiplex.
T. a. in stadio nlcer. Bronchitis
sup^nrativa. Pneuinoaia lob. inf.
utnusque. Endometritis ichorosa.
Salpingitis sapp. bil. Decubitus -
T. a. in stadio uicerationis. Peri-
tonitis ichorosa diffusa e perfo-
ratione ulc. Pnenm. lob. inf. bil.
T. a. in stadio. necr. (Tumor 1.
ac. Deeen. parench.) Pnenmonia
lobnl. lobi inf. sin.
Cblorosig, Bronchitis diffusa.
Anaemta sec. gravis.
IcteniB gravis, Acne vulg.
Vaginilis, Oophoritis, Urethritis.
BroncliitiE diffusa.
Urethritis acuta. Malaria peracta.
Status post partum ante hebd IV.
Status post partum ante hebd IV.
T. ft. in stadio inliltr. (Tnraor
lienis acutus, Degeneratio paren-
cliymatosa) Marciditas ntep.
Status post partum ante hebd IV.
Status pust partum ante hel>d IV.
T. a. in studio necr. (Tumor
112
VI. Käst n. Gdtio
S '
c
Dauer
cC '
4>
OJ
der
lut
ten
ja
Pi
Erkran-
o
kung
^^
5
a>
h^
»J
o
ee
O
Art der Komplikation
26 jähr. Weib 9 Tage
26
n
t 10
n
3200 1300, spärlich' 0
4300 800
28
20
19
n
n
n
[11
I 9
15
n
1950J 400
4500 2000
17C0 600
0
0
0
0
0
0
Graviditas mensis VI. Angina,
Urethritis, Ulcera molia, Bron-
chitis diffusa.
T. a. in stadio necr. (Tumor 1.
ac. Degener. parenchymatosa)
Enterorrhagiae subsequente
I anaemia uuivers. eximia. Morb.
Brigthi acutus. Endocard. chron.
I Herpes labial, et genital.
i Periostitis ( Abscessus).
Periostitis (Abscessus).
T. a. in stadio ulcer. (Tumor
lienis ac. Degener. parench.)
Ulcera lab. mm.
»
ham. V
38jähr. Weib 16. 8900 1800 0 Graviditas mens. IX
26 jähr. Weib 18. 8200 800 spärlich Graviditas mens. VI
ISjähr. Mann 10. 8800 2800 0 Pneumonie
„häm. —"
Die beiden hierher gehörigen Fälle wollen wir näher ausführen.
Fall I. A. K., 34 jähriger Mann, erkrankte eine Woche vor
Spitalseintritt mit Kopfschmerzen, Hitzegefühl, Schüttelfrost, zahlreichen
Diarrhöen. Die Fieberbewegungen während des Spitalsaufenthaltes sind
aus Kurve 1 ersichtlich.
Über den Lungen diffuse ausgedehnte Rasselgeräusche, am Abdomen
ein roseola-verdächtiges Exanthem. Milz perkussorisch vergrößert. !Diazzo
I. und n. positiv, E = 0, Z = 0. Die wiederholt vorgenommene hama-
tologische Untersuchung ergab stets Hyperleukozy tosen von 10 000 bis
12 000 Leukozyten, hei denen die Vermehrung auf die neutrophilen poly-
morphkernigen zurückzuführen war. Eosinophile äußerst spärlich. Lympho-
zyten, Erythozyten normal. Jodreaktion*) negativ.
Die von Dr. Zupnik vorgenommene bakteriologische TJntersachung
wies folgendes Kesul tat auf : Das Blutserum agglutiniert in der
Verdünnung 1:40 weder Typhus noch die beiden Paratyp hu s-
arten. Weder im Blute noch im Stuhl und Harn konnten
trotz der genauesten wiederholten Untersuchungen
Typhusbazillen nachgewiesen werden. Aus diesem Grunde
1) Wir haben an einem großen Teile unserer Fälle auch die Jodreaktion
der Leukozyten geprüft, ohne aber bestimmte Anhaltspunkte für die Verwertung
dieser Reaktion gewonnen zu haben.
Übel Ujpoleukozjtoae e
wurde trotz der groBen Ähntichkett im klinüchen Bilde mit AbdomiiiBl-
tTphiiB diese Erkrankimg auBgeschlaiBeD.
Fall n. A- 8., 28jährigea Weib. Seit 14 Tagea leidet Patientin
an !Kopf-, Brustschmerzen und starkem fieber. Die Temperaturbewe-
gnngen während des Spital auf eiith altes aus Kurve 2 ersichüich.
S^l
Longe frei, Uilz perkiusorisofa vergrößert nachweiabar, keine Bo-
seola. Eiweiß schwache Trübung, Zucker 0.
TToter dem rechten BJppenbogen eine der vergrößerten Gallenblase
entsprechende Anschwellung tastbar. Die einzigen subjektiven Be-
schwerden der Patientin beziehen sich derzeit auf Schmerzen in der
G^end dieser Anschwellung. 12000^15000 Leukozyten, Vermehrung
der Nentrophllen. Das Blutserum agglutiniert in der Verdünnung 1 : 40
TyphusbazÜlen. Auf Grund genauerer Agglutinationsbefnnde wurde die
Diagnose „abortiver Typhus" gestellt. Wir stellen uns diesen Fall so
Tor, daß unmittelbar nach Ablauf eines Typhus eine mit Fieber einher-
gehende Komplikation (Cholecystitis) ein Fortdauern der typhosen Er-
krankung vortäuschte. Zugunsten dieser Annahme spricht die fast
kritische Entfieberung und die hohe Leukozytenzabl.
Dentecbu Archiv t. kUn. Uedizin. LXXX. Bd 8
114
VI. Käst u. Gctio
In den folgenden Fällen war es uns möglich in der Zeit vor
und nach dazu getretenen Komplikationen das Bliit zu unter-
suchen.
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Einige Fälle wnrden sclieinbar zweifelhaft, blieben aber tat-
sächlich positiv, da das Ansteigen der absoluten Lenkozytenzahl
auf die Lymphozyten znrückzufiihren wai-.
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Parotitis
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Diese Fälle sollen nur als Paradigmata fUr viele andere dienen,
die Tvir in späteren Stadien des Typhus untersnchten und bei denen
wir ähnliche Verhältnisse vorfanden.
Durch Znoahme der multinukleären Neutrophilen wurden negativ :
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Dainblntongen
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Das Resultat unserer Beobachtungen bei komplizierten Typhen
läfit sieh in folgendem zusammenfassen: Trotz Vorhandensein be-
ziehungsweise Dazutreten von schwerer Bronchitis, lobärer und
116 VI. Käst n. Gütig
lobulärer Pneumonie, mehr weniger schweren Dekubituseiterungen^
schwerem Ikterus, ulceröser Kolpitis, Oophoritis, Urethritis gonor-
rhoica, Angina follicularis, Periostitis, multiplen Abszessen, Cystitis,
Strumitis, Status graviditatis, Status post partum fanden wir Leuko*
zytenzahlen unter 7000. Dagegen sahen wir Hyperleukozytose
nach Hinzutreten eines Abszesses in den Bauchdecken, eines großen
periurethralen Abszesses und einer Parotitis und das in der Zeit
zwischen 41. — 46. Krankheitstage der einzelnen Fälle,
wo die Patienten schon ganz oder nahezu völlig ent-
fiebert waren. In 3 Fällen von Darmblutungen sahen wir
Vermehrung der Leukozyten, einmal bis auf 29000. Schließlich
fanden wir bei komplizierten Typhen ebenso wie bei unkomplizierten
das Ansteigen der absoluten Leukozyten zahlen gegen Ende des
Typhus bedingt durch starke Vermehrung der Lymphozyten be-
ziehungsweise bedingt durch diese und gesteigert durch eine Ver-
mehrung der Neutrophilen, letztere als Folge einer Komplikation.
Wir haben den Eindruck gewonnen, daß Komplikationen beim
Abdorainaltyphus in der Regel eine Vermehrung der Neutro-
philen zur Folge haben, daß aber dieselbe fiir gewöhnlich eine
unverhältnismäßig geringe bleibt. Ins praktische übersetzt: Die
Verwertung der Leukozytenzählung für dieDiagnose
wurde durch nichttyphöse Komplikationen in der
weitaus größeren Mehrzahl unserer Fälle, nament-
lich wenn in den ersten Stadien der Erkrankung die
Blutuntersuchung möglich war, nicht alteriert. Wir
zögern diesen Satz zu verallgemeinern, weil gegenteilige Be-
obachtungen von verläßlichen Seiten vorliegen und auch wir in
wenigen Fällen die Leukopenie vermißten, doch scheint es, als
wären die Fälle die seltenen, in denen eine Komplikation die
Leukozyten so hoch hinauf treibt, daß von einer Hyperleukoz5lx)se
gesprochen werden kann. Auf den schon von v. Limbeck betonten
Umstand, daß leichter gegen Ende des Typhus Vermehrung der
Weißen hervorgerufen würde, wollen wir hier besonders hinweisen.
Das ist von großem theoretischen Interesse, weniger aber von
praktischem, weil um diese Zeit in der Regel die Diagnose Typhus
schon gestellt oder abgelehnt sein wird.
Eine gesonderte Stellung muß den Fällen mit Darmblutungen
zugesprochen werden; posthämorrhagische Hyperleukozytosen sind
in Bezug auf die provozierenden Faktoren anders aufzufassen als
die den entzündlichen, exsudativen Prozessen folgenden „banalen
Hyperleukozytosen", das gilt im allgemeinen und auch für die
über Hypoleukozytose etc. 117
Blatnngen beim Abdominaltyphos. Nach Dannblutungen werden
in der fiegel — mitunter sehr hohe — Hyperleukozytosen be-
obachtet, wir halten deshalb eine Leukozytenzählung
für die Diagnose des Typhus unbrauchbar, wenn
kurz vorher eine stärkere Blutung vorausgegangen
war.
Wir wollen hier noch auf die niedrigen Zahlen hinweisen bei
Fällen, die letal verliefen, wobei ein- und mehrkernige an der
Verminderung partizipierten. Prognostisch läßt sich dieses Symptom
nur sehr vorsichtig verwerten, da auch bei tiefen Leukozytenzahlen
Fälle zur Genesung kamen, allerdings gewöhnlich nach schwerem
Verlauf; dagegen hat es den Anschein, als ob höhere Werte der
Weißen, durch längere Zeit konstant beobachtet, eine
günstige Prognose zuließen. Lymphozytensturz glauben
wir als ein ominöses Symptom ansprechen zu dürfen,
auch den Umstand, daß Komplikationen, die gegen
Ende des Typhus dazutreten, die Leukopenie noch
tiefer herabdrücken.
Eine prämortale Hyperleukozytose wie sie von P6e und
Litten angegeben ist, konnten wir nicht konstatieren. Wir haben
daraufhin 10 Fälle untersucht (2, 5, 6, 8, 9 Stunden ante mortem).
Nur einmal fand sich eine leichte Erhebung der Leukozyten, sonst
blieben sie auf dem leukopenischen Niveau oder sanken noch
tiefer.
IL
Wir haben bisher zu zeigen versucht, daß geringe absolute
Leukozytenwerte wesentlich zum Krankheitsbild des komplizierten
wie unkomplizierten Abdominaltyphus gehören, wir haben ferner
eine Einteilung in positiv, fraglich, und negativ zu deutende
Leukozytenwerte vorgeschlagen. Dabei hatten wir die für die
Frühdiagnose wichtige erste Blutuntersuchung im Auge, sie ge-
währt uns einen wertvollen Beitrag zur Orientierung. Leukozyten-
zahlen über 9000 sprechen umsomehr gegen die Diagnose Typhus,
je höher sie sind, je weniger Anhaltspunkte gegeben sind für das
gleichzeitige Bestehen eines Typhus und einer nichttyphösen
Komplikation und in je früherem Stadium der Befund erhoben wird.
Leukozyten über 12000 zu Beginn der in Frage ste-
henden Erkrankung lassen u. E. den Abdominaltyphus
mit größter Wahrscheinlichkeit ausschließen. Leukozyten-
werte unter 7000 sprechen für Typhus und dies umsomehr, je tiefer
sie sind. Am wertvollsten sind natürlich Leukopenien unter 5000
118 VI. Käst u. Gütiq
solche kommen recht Tiäufig vor, doch glauben wir die obere
Grenze höher ansetzen zu können und zwar aus dem Grunde, weil
die meisten fieberhaften Erkrankungen, die eventuell dem Typhus
gegenüber in Frage kommen mit mehr weniger ausgesprochener
Hyperleukozytose verlaufen. Nun sind die absoluten Zahlen nur
der Rahmen des Blutbildes, dessen Einzelheiten die Verwertung
des Befundes nach der einen oder anderen Richtung alterieren
können. Naegeli und TtLrk haben sehr eingehend die Details
der Blutbilder in den einzelnen Stadien des Typhus und für
die einzelnen Leukozytenarten geschildert. Die fortschreitende
Tendenz der Neutrophilen zur Abnahme, das Verschwinden
der Azidophilen, die leichte Abnahme der Lymphozyten, dann der
im HL Stadium beginnende Anstieg der Lymphozyten, und das
weitere Sinken der Neutrophilen bis zur Kreuzung der Kurven,
das Wiedererscheinen der Azidophilen und stetige Steigen der
Lymphozj'ten , und schließlich die Vermehrung der x4.zidophilen
und Lymphozyten über die normale Zahl, der Wiederanstieg der
Neutrophilen — wenn diese Phasen der Blutveränderung auch nicht
immer exakt in Erscheinung treten, die Tendenzen fehlen fast nie.
Diese Sammlung von Einzelsymptomen ermöglicht es, besonders
wenn einige fortlaufende Untersuchungen vorliegen, auch dort noch
höchst wertvolle Beiträge für die Diagnose zu gewinnen, wo die
absolute Zahl der Leukozyten im Zweifel läßt. Wir versagen es
uns auf die Einzelheiten einzugehen, wir bestätigen im allgemeinen
die Beobachtungen Naegeli's und verweisen auf dessen Aus-
führungen. Nur einige Punkte wollen wir herausgreifen, weil sie
für unsere Angaben von Belang sind.
Die Behauptung Naegeli's, daß im allerersten Beginn des
Typhus wahrscheinlich mäßige Hyperleukozytose bestehe, halten
wir für noch nicht genügend erwiesen. Wir sahen am 4. und
5. Krankheitstag ausgesprochene Hypoleukozytose..
übrigens ist das von wenig Belang, denn ehe die Störungen
im allgemeinen Befinden einige Intensität erlangen, sind für ge-
wöhnlich auch einige Tage bereits vergangen.
Die im späteren Verlauf des Typhus auftretende Vermehrung
der Lymphozyten bedingt eine absolute Leukozytenzahl, die nach
unserer Einteilung nicht mehr als „häm. -+-" zu bezeichnen wäre.
Es ist demnach dieser Umstand in Rücksicht zu ziehen, wenn die
erste Blutuntersuchung nach dem IL Stadium des Abdominaltyphus
vorgenommen wird. (Siehe Tabelle I.)
Nichttyphöse Komplikationen bewirken in der Regel eine Ver-
über Hypoleukozytose etc. 119
mehrnng der neutrophilen Leukozyten, nach unseren Erfahrungen
zu schließen, bleibt diese Vermehrung eine geringgradige und ver-
wischt für gewöhnlich die Leukopenie nicht. In den Fällen von
kompliziertem Typhus, wo die Leukozytenzahlen „häm. ?" oder
%.häm. — " sind, kann die detaillierte Untersuchung dahin auf^
klären, daß eine mäßige Leukopenie besteht, zu der eine gering-
gradige Vermehrung der Neutrophilen hinzugetreten ist und um-
gekehrt, wenn bei einem komplizierten typhusverdächtigen Fall
Werte über 7000 gefunden werden, so kann das noch immer für
Typhus sprechen, wenn z. B. eine starke Lymphozytenvermehrung
bereits vorhanden ist, der noch eine mäßige Vermehrung der
Neutrophilen superponiert erscheint. Andererseits kann die ein-
gehendere Blutuntersuchung, wie wir später zeigen, auch bei tiefen
Zahlen Anhaltspunkte gegen Typhus ergeben, z. B. bei Sepsis, bei
Malaria, Recurrens. Kurz, eine rationelle hämatologische Unter-
suchung, die nur bei voller Würdigung aller übrigen Unter-
suchungsresultate verwertet werden soll, bietet Gesichts-
punkt«, wie sie die einfache Bestimmung der absoluten Leukozyten-
zahl selbstverständlich nicht bieten kann. Allerdings gewinnt die
Blutnntersuchung in ihrer Verwertbarkeit, wenn sie von größerer
hämatologischer Erfahrung gestutzt wird; diese vorausgesetzt, be-
haupten wir, daß die hämatologische Untersuchung die seltenen
Ausnahmefälle abgerechnet, immer einen Anhaltspunkt für oder
gegen Typhus ergibt, für die Frühdiagnose zumindest so verläßlich
wie jedes andere Typhussymptom. Mehr als ein Symptom kann
der Blutbefund auch nicht sein. Wir müssen es aber als ungerecht
bezeichnen, wenn diesem Symptom gar keine oder nur nebenbei
eine Würdigung zugesprochen wird, aus dem Grunde, weil der
Blutbefnnd unter gewissen — unseres Erachten s seltenen Um-
ständen — für die Diagnose nicht verwertbar wird. Mit dieser
Argumentation könnte man jedes beliebige Symptom abtun. Als ein
Symptom darf der Blutbefnnd auch nicht aus dem Zusammenhang
mit dem klinischen Symptomenkomplex gerissen werden, ein Stand-
punkt, den schon N a e g e 1 i präzisiert hat. Wir gehen noch weiter
und behaupten, daß eine Krankengeschichte über
einen zwei feihaften Typhus fall nicht als klinisch voll-
ständig gelten kann, wenn sie nicht auch die Angabe
über den Blutbefund enthält. Wir sehen uns zu dieser Be-
hauptung unter anderem auch dadurch veranlaßt, daß in letzter Zeit
von englischen und anderen Autoren sehr breitspurige Auseinander-
setzungen geliefert wurden über die Schwierigkeit der Typhus-
120 VI. Kast u. Gütig
diagnose in manchen Fällen, ohne den Blutbefand anch nur zn erwähnen.
Welchen Wert dieses Symptom unter den übrigen Typhussymptomen
besitzt; haben wir aus äußeren Gründen an unserem Material nicht
näher verfolgt. Kühn und Suckstorff haben an einem größeren
Material die verschiedenen diagnostischen Hilfsmittel für den Ab-
dominaltyphus geprüft und stellen folgende Reihenfolge auf:
Widal 95 %
Hypoleukozy tose 90 ®/o
Milztumor 86,6 ^o
Diazo 75—85 X
Roseola 69 %
und in bezug auf die Brauchbarkeit der einzelnen für die Früh-
diagnose:
Hypoleukozytose
Widal
Roseola, Diazo-, Milztumor.
Die letzten drei sollen ziemlich gleichwertig sein.
Kühn fand in 927o Hypoleukozytose und sieht inihrein
Symptom, das alle übrigen Typhussymptome inklusive Widal weit
in den Schatten stellt, namentlich für die Frühdiagnose. Es sei hier
nur bemerkt, daß unter unseren 103 Fällen von sicherem Abdominal-
typhus 14 mal die Gruber- WidaFsche Reaktion noch negativ war, in
einer Zeit, wo das Blut bereits in morphologischer Hinsicht seine
charakteristischen Veränderungen angenommen hatte, in 9 von diesen
Fällen war außerdem weder Milztumor, noch Roseola vorhanden und
nur der Blutbefund wies auf den Charakter der Erkrankung hin.
Um jedem Mißverständnis vorzubeugen, betonen wir, daß wir
bei einem Vergleich von Leukozyten und Agglutinationsbefunden nur
die Frühdiagnose im Auge haben, denn die Agglutinations-
befunde sind, wie dies aus den Arbeiten dieser Klinik hervorgeht,
als Untersuchungsmittel von zweifellos höherer Dignität zu be-
trachten.
Es erübrigt, noch jene nicht in den Rahmen des Typhus fallen-
den Zustände zu erwähnen, bei denen wir Hypoleukozytosen kon-
statieren konnten, beziehungsweise solche in der Literatur an-
gegeben sind. In Betracht kommen: Inanitionszustände , Masern,
Morbus Banti, Anämie, Malaria, Tuberkulose, Meningitis tuber-
culosa, akute Miliartuberkulose, Sepsis, schwere Pneumonie.
Inanitionszustände scheinen eine geringe Verminderung
der Leukozyten zu verursachen. Luciani und v. Limbeck,
über Hypoleakozytose etc. 121
Tausk, Okintschitz berichten über tiefe Zahlen nach mehr-
tägigem Hungern. Wir haben darüber keine eigene Erfahrung,
doch gewannen wir den Eindruck, daß schlecht genährte Personen
häufig tiefhormale Leukozytenzahlen aufweisen. Es ist begreiflich,
daß das Blut als ein Gewebe, welches in einem konstanten Ver-
hältnis zum Körpergewicht steht, an regressiven Veränderungen
der übrigen Organe partizipiert Die körperliche Konstitution darf
daher bei Beurteilung des Blutbefundes nicht ganz außer acht ge-
lassen werden. Nebenbei sei hier erwähnt, daß die ursprüngliche
Annahme v. L i m b e c k ' s , die Typhusleukopenie sei eine Folge der
Inanition, der die Kranken unterliegen, sich als unhaltbar er-
wiesen hat.
Masern verlaufen nach ziemlich übereinstimmenden Angaben
von V. Limbeck und Pick, Rieder, Felsenthal, Türk u. a.
mit normalen oder leicht subnormalen (Rieder, Türk) Leuko-
zytenzahlen.
In 2 Fällen von Banti'scher Krankheit hat der eine von
uns (Käst) tiefe Hypoleukozytosen konstatiert und in der Mit-
teilung darüber auf die Befunde Senators und auf die Bedeutung
derselben für die Diagnose primärer Splenomegalien hingewiesen.
Bei schweren sekundären, namentlich aber bei den sogenannten
essentiellen (megaloblastischen) Anämien konnten wir in einer
größeren Zahl von Fällen erheblich tiefnormale Leukozytenwerte
nachweisen, besonders in einem Falle mit intravital diagnostizier-
bar gewesener Aplasie des Knochenmarks. Es stimmen diese Be-
funde mit denen der meisten Autoren überein.
In Bezug auf Malaria konnten wir bei mehreren Tertiana-
formen während des Anfalls normale und verminderte Zahlen
finden. Nach dem Anfall begegneten wir öfter leichten H3i)er-
leukozytosen.
Bei Lungentuberkulose sahen wir in der Regel normale,
bei vorgeschrittenen Phthisen mehr weniger deutliche Hyperleuko-
zytosen. Über geringgradige Abnahmen unter die Norm finden
sich nur vereinzelte Angaben vor. Halla, Reinert, Rieder,
V. Limbeck, Stein und Erbmann, Grawitz u. a. führen
normale oder leicht vermehrte Zahlen an.
Meningitis tuberculosa soll nach Türk mit Vermehrung,
nach V. Limbeck ohne eine solche verlaufen, wir haben 4 Fälle
sorgfaltig daraufhin untersucht und fanden Hyperleukozytosen.
1. Fall. 31 jähriger Mann, am 8. Krankheitstag Temp. 38,3—38,6,
13000 Weiße (1300 Lymphozyten), am 11. Tag Temp. 37,8—38,3,
122 VI. Käst n. Gütig
12 800 Weiße (2100 Lymphozyfcen). Tod am 13. Tage. Path.-anat.
Diagnose (auszugsweise) : Tuberculosis chronica pulmonum. Ulcera tuberc.
tracheae et laryngis. Meningitis basilaris tubercul.
2. Fall. 33 jähriger Mann, am 13. Krankheitstag Temp. 37,8—38,5,
10 400 Weiße (1800 Lymphozyten). Tod am 14. Tage. Path.-anat.
Diagnose: Tuberculosis chronica lobi super, pulmonis utriusque et coeci.
Meningitis basil. tuberc. Morbus Brighti chron. Amyloidosis praec.
hepatis, decubitus snperfic. regionis sacral.
3. Fall. 38 jähriges Weib, am 8. Tage. Temp. 36,5 — 37,9,
18100 Weiße (2000 Lymphozyten). Tod am 21. Tage. Path.-anat.
Diagnose: Tuberculosis obsoleta apicum pulm. Ulcus tuberc. laryngis.
Morb. Brigthi chron. Cystitis necrotisans, Ostitis tuberc. multipl. regionis
Sternalis. Meningitis basilaris tuberc.
4. Fall. 23 jähiger Manu, ca. 12 Wochen krank, 13 500 Weiße
einen Tag ante mortem. Path. - anat. Diagnose : Tuberc. chron. apic.
pulm. c. phtisi. Ulcera tuberc. laryng. trach. et intest. Tuberc.
miliaris universalis. Meningitis basilaris tuberc.
In 8 Fällen konnten wir Miliartuberkulosen auf die Leuko-
zytenzahlen untersuchen. Zweimal stießen wir auf Leukopenien,
in den übrigen Fällen waren hochnormale und vermehrte Leuko-
zytenzahlen. Aus der folgenden Tabelle sind die Details der Fälle
ersichtlich.
Ried er fand bei 2 Fällen von Miliartuberkulose normale
Zahlen, v. Limbeck hebt den umstand, daß nach seinen Erfah-
rungen bei Miliartuberkulose normale Zahlen vorkommen, als diffe-
rentialdiagnostisches Moment gegenüber der fieberhaften Bronchitis
einerseits und Abdominaltyphus andererseits hervor. Kühn sah
bei einer Miliartuberkulose 2800 Leukozyten. Nach Türk kommen
Hjrperleukozyten vor. Es scheint, daß bei Miliartuberkulosen nor-
male und vermehrte Leukozytenzahlen häufiger wären, als Leuko-
penien.
Bei foudroyant verlaufenden Infektionen, wie Pneumonien
oder Sepsis, kommen ausgesprochene Leukopenien vor, dieselben
treten entweder zu Beginn der Erkrankung auf und bleiben bis
zu dem in der Regel letalen P^nde oder sie wechseln mit Hyper-
leukozytosen ab. Halla, Bieganski, v. Jaksch, Carini u. a.
haben das Fehlen der bei kroupöser Pneumonie gewöhnlich vor-
handenen hohen Hyperleukozytose in einigen Fällen beobachtet; es
wurde diesem Sjmptom eine ungünstige prognostische Bedeutung
zugesprochen. Wir haben keine eigene Erfahrung in dieser Rich-
tung, da wir Pneumonien stets mit Hyperleukozytose verlaufen
sahen, während auf unserer Klinik Herrmann vor mehreren
über Hypoleokozytose etc.
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124 VI. Käst u. Gütig
Jahren wiederholt subnormale Zahlen beobachten konnte. Bei Sepsis
begegneten wir in der Regel mehr weniger hohen Hyperleukozy-
tosen, doch sahen wir aach sprunghaftes Emporsteigen
und Sinken der absoluten Leukozytenzahl ähnlich der
Temperaturkurve, aber nicht parallel mit ihr. Als Beispiel seien
3 Fälle angeführt.
1. Fall. 20 jähriges TVeib, erkrankte vor 5 Tagen. Am 6. Krank-
heitstag 16800 Weiße (2000 Lymphozyten) 3,6 Mill. fiote. Temp. 40,7.
Milz vergrößert, heftige Diarrhoen erbsenbreiartiger Form. Am 7. Krank-
heitstage 4000 Weiße (1600 Lymphozyten). 3,4 Mill. Bote. Temp. 40,6.
Roseolaartiges Exanthem! Am 13. Krankheitstage 8500 Weiße (1500
Lymphozyten). 3,1 Mill. Bote. Temp. 39,8. Am 14. Krankheitstage (-]-)
12 500 Weiße (1700 Lymphozyten) 3,2 Mill. Rote. Temp. 38,7. Path.
anat. Diagnose: Endometritis ischor. post abortum. Salpingitis bil. supp.
Parametritis ischorosa purulenta progrediens. Peritonitis ischorosa purul.
Abscessus metast. pulmonum. Pyohaemia.
2. Fall. 19 jähriger Mann, erkrankte vor 5 Tagen, Patient schwer
benommen am 5. Krankheitstage 4000 Weiße (1900 Lymphozyten). Temp.
40,1. 20 Stunden später 20000 (2000 Lymphozyten) bei 40,3. Diagnose:
Sinnsthrombose ausgehend von einer Otitis med. suppur.
3. Fall. 20 jähriges Weib, seit ca. 3 Wochen krank, 3500 Weiße
(900 Lymphozyten). Temp. 40,0. Am nächsten Tag 11500 (2200
Lymphozyten), 38,1. — Am folgenden Tag bei 41 <> Temp. 20000 Weiße
(1600 Lymphozyten). Path. -anat. Diagnose: Arthritis seroso-purulenta
multiplex. Endocarditis recens. ad valv. mitr. Tumor lienis acutus.
Degener. parench. Tuberc. chron. pulm. Lymphadenitis colli tbc.
m.
Diese vorübergehenden oder bleibenden Leukopenien nach In-
fektion mit hochvirulenten Mikroorganismen besitzen ein hohes
Interesse für das Verständnis der Leukozytose überhaupt. Wesent-
lich gefordert wurde das letztere durch die Versuche von Tschisto-
vich einerseits und andererseits von Goldscheider und Jakob.
Die experimentelle Einverleibung verschieden virulenter Mikro-
organismen bzw. verschiedener chemotaktisch aktiver Stoffe, die
die genannten Autoren studierten, ergaben namentlich zwei Tat-
sachen. Erstens, daß der Hyperleukozytose gewöhnlich ein leuko-
penisches Stadium vorhergehe und zweitens, daß die positiv chemo-
taktischen Stoffe beim Überschreiten einer gewissen Konzentration
nach ihrer Einverleibung nicht mehr leukozyten anziehend, sondern
abstoßend wirken. Daraus ergeben sich für das Verständnis der
Hypoleukozytosen folgende Gesichtspunkte. Wenn wir aus der
Fingerbeere oder aus dem Ohrläppchen einen Tropfen Blutes zur
l^ntersuchung entnehmen und die Zahl der Leukozyten in der
über Hypoleukozytose etc. 125
fianmeinheit bestimmeD, so haben wir damit eine Yorstellung ge-
wonnen von dem Gehalt des peripheren Blutes an weißen Blut-
körperchen.
Finden wir nun eine der Norm gegenüber verminderte Zahl
von Leukozyten, so kann das seinen Grund haben in einer un-
gleichmäßigen Verteilung der Weißen in dem Sinne, daß in den
zentralen Organen eine gesteigerte Anhäufung auf Kosten der peri-
pheren Gebiete stattgefunden hat, eine Erscheinung, die von G o 1 d -
scheider und Jakob experimentell nachgewiesen wurde; oder
darin, daß das zirkulierende Blut sowohl zentral, als auch
peripher an Leukozyten ärmer geworden ist, während das häma-
topoetische System vollkommen funktionsfähig bleibt und früher
oder später den Verlust im strömenden Blute deckt oder schließ-
lich darin, daß neben einer zentralen und peripheren Verminderung
im strömenden Blute auch eine Alteration des hämatopoetischen
Systems besteht.
Die erste Art der Leukopenie ist eine scheinbare, hervor-
gerufen durch vasomotorische Einflüsse oder durch die Wirkung
negativer Chemotaxis, sei es, daß dieselbe dem betreffenden Agens
überhaupt zukommt oder vermöge dessen zu starker Konzentration
(Tschistovich) oder vermöge der Eigenschaft der meisten (ver-
mutlich aller) positiv chemotaktischen Agentien nach P]inverieibung
vorerst eine vorübergehende negative Chemotaxis zu entfalten.
Die zweite Art von Leukopenie möchten wir eine „wirkliche"
nennen, sie kann bedingt sein durch eine Blutung oder durch Zer-
fall von Leukozyten im strömenden Blute. Für gewöhnlich wird
in diesen Fällen aus den hämatopoetischen Organen als Reserve-
depots rasch Ersatz geleistet, resp. eine vermehrte Zahl weißer
Blutkörperchen ins strömende Blut geworfen (posthämorrhagische
Hyperleukozytose).
Die dritte Art wäre als absolute Hypoleukozytose zu be-
zeichnen, sie kommt bei jenen Zuständen vor, bei welchen für den
in normalem oder erhöhtem Maße stattfindenden Leukozytenverbrauch
kein genügender Ersatz geleistet wird. Zur letzten Art wollen wir
unter anderen den Abdominaltyphus zählen, femer bestimmte Formen
schwerer Anämien und „leukopenische Splenomegalien".^)
Diese hier nur in den Umrissen^) gegebene Einteilung der Hypo-
leukozytosen erscheint uns wichtig für das Verständnis derselben,
1) 8. East, 1. c.
2) Eine genauere Schilderung der hier in Betracht kommenden Verhältnisse
nnd ihrer Beziehungen zu Immunisierungs Vorgängen wird an anderem Orte erfolgen.
126 . VI. Käst u. Gütig
denn die Leukopenie z. B. bei Sepsis öder foudroyanten Pneumonien
ist nicht identisch mit der Leukopenie beim Abdominal typhus. Im
ersten Falle ist es eine scheinbare, im letzteren eine absolute und
die Zusammensetzung des Knochenmarks verratende Leukopenie.
Daß die Verminderung der Weißen im Verlaufe des Typhus ihren
Grund in den Proliferationsverhfiltnissen der Enochenmarkszellen
findet, ist höchst wahrscheinlich. Es sprechen dafür die Befunde
N a e g e 1 i ' s und die von einem von uns (Käst) an zahlreichen Typhus-
leichen vorgenommenen Untersuchungen der hämatopöetischeu Organe
(über dieselben soll ausführlich berichtet werden). Und zwar betrifft
die Verminderung der Weißen vornehmlich die neutrophil granu-
lierten Zellen. Daraus erklärt sich auch das Ausbleiben oder
geringe Maß der Hyperleukozytose bei (nichttyphösen) Komplika-
tionen und der Reaktionen, wie sie im Sinne einer Hyperleuko-
zytose auftreten, bei gesunden Menschen nach subkutaner Injektion
von Terpentin (Bauer) und Hetol (Kühn).
Allerdings haben wir kein Mittel in der Hand, durch die
Untersuchung des peripheren Blutes beim Abdominaltyphus einen
strikten Anhaltspunkt für die zelluläre Zusammensetzung des
Knochenmarks zu gewinnen, vielleicht finden sich im Laufe weiterer
Untersuchungen Kennzeichen im Blutbild, die uns den erwünschten
Anhaltspunkt bieten, vorderhand müssen es die Einzelheiten des
Blutbildes in einer bestimmten Gruppierung sein, die es uns er-
möglichen, einen Rückschluß auf das Knochenmark, d. h. auf seine
durch die Einwirkung des Typhusbazillus bewirkte Veränderung zu
ziehen. Dem praktischen Bedürfnis kommt noch der Umstand zu
Hilfe, daß nur sehr wenige Krankheitszustände mit einer absoluten
Leukopenie verlaufen und nur wenige mit einer Leukopenie über-
haupt, dagegen die meisten fieberhaften Erkrankungen, darunter
diejenigen, die zur Verwechslung mit T^-phus abdominalis fuhren
können, in der Regel mit Hyperleukozytosen einhergehen. Der Blut-
befund gibt uns demnach einerseits ein Mittel in die Hand, den
Typhus auszuschließen, andererseits den Typhus anderen mit Leuko-
penien einhergehenden Zuständen gegenüber abzugrenzen.
Als ein sehr verläßliches Symptom gegen die An-
nahme eines Typhus fanden wir hohe Leukozytenwerte.
Zahlen über 12000 zu Beginn der Erkrankung (ohne
vorhergegangene Blutung!) lassen u. E. Typhus mit
größter Wahrscheinlichkeit ausschließen. Zahlen über
9000 sprechen mit großer Wahrscheinlichkeit gegen Typhus. Als
Beispiel für die Fälle, wo die klinische Untersuchung sehr zur
über Hypoleukozytose etc. 127
Diagnose Abdominaltyphus verleitete und nur der Blutbrfund dagegen
sprach, fühlten wir folgende Fälle an:
1. Fall. 35j&hriger Diener am pathologisch- amttomiscfaen Institut,
der Tielfach mit T^phiisleichen in Berührang kommt, erkrankt mit Fieber
und Kopfschmerzen. 8 Tage nadi Beginn seiner Erkrankung sucht er
ärztliche Hilfe. Der objektive Befund ergibt : diffuse Bronchitis, Milztumor,
Diarrhöen, Temp. 38,5, Widal positiv. Die Agglutinationsdiagnose
lautete : Typhus peractus seu incipiens (Dr. Z u p n i k). Die bämatologische
Untersuchung ergibt 13800 Leukozyten (2900 Lymphozyten) azidophile
Zellen spärlich vorhanden. Trotz des typhösen Symptomenkomplexes und
des positiven Widal konnten wir uns gegen Typhus auf Ornnd des Blut-
befundes aussprechen. Drei Tage darauf kritische Entfieberung. Nach-
träglich wurde eruiert, daß der Patient vor 25 Jahren Typhus überstanden
hatte.
2. Fall. 19jährige Patientin, zur Zeit ausgebreiteter Typhusepi-
demi eingebracht, Temp. 40,5. Milz vergrößert, Status typhosus, sonst ob-
jektiv nichts nachweisbar. Oruher-Widal'sche Keaktion negativ. Da die Er-
krankung erst 6 Tage dauert, kann dem negativen Widal keine ausschlag-
gebende Bedeutung zukommen. Blutbefund 21 000 Leukozyten entscheidet
gegen Typhus. Der weitere Verlauf erweist eine zentrale Pneumonie.
In anderen Fällen konnten wir bei nicht genügend ausge-
sprochenen Krankheitsbildern den Typhus schon bei der ersten
Blutuntersuchung ausschließen und sahen unsere Exklusion in vielen
Fällen bestätigt durch nachträglich patent gewordene Appendici-
tiden, Influenzabronchitiden, Magendarmkatarrhen etc. Gegenüber
Appendicitiden, Rotz, Pest, Anthrax internus, Milzabszeß, ulzeröser
Endokarditis, eitriger Meningitis, kryptogenetischen Eiterungen wird
fast immer die Hyperleukozytose den Ausschlag geben können.
Bezüglich der Differentialdiagnose gegenüber jenen Erkrankungen,
die ohne Vermehrung der Weißen verlaufen, wollen wir von folgender
Fragestellung ausgehen : Bei welchen Zuständen kommen Leukozyten-
werte unter 7000 vor und welche von diesen können erfahrungsgemäß
zu differentialdiagnostischen Schwierigkeiten Anlaß geben. Über die
Zustände, die mit tiefen Leukozytenwerten einhergehen, ist oben
bereits gesprochen, unter diesen sind nur einige, die hier in Betracht
kommen, denn Masern, Morbus Banti, floride Lungentuberkulose
werden in der Regel ohne Blutuntersuchung diagnostiziert werden
gegenüber einem Typhus.
Für Malaria kommen in Betracht der Nachweis von Plasmodien,
die sehr häufig auftretende basophile Punktierung der Erythrozyten,
die pathologischen Formveränderungen der Roten, die Erythroblasten,
das normale oder vermehrte Auftreten von Azidophilen, die Melanin-
einschlüsse der Leukozyten. Auch das Ansteigen der Lymphozyten
128 VI. Käst u. Gütig
mit gleichzeitiger Vennehrung der großen Uninokleären (auf etwa
12 7o) spricht nach Kogers gegen Typhus, ebenso das Auftreten
von Myelozyten. Daß diese Anhaltspunkte auch bei den schweren
Formen von Malaria, die unter dem Bilde eines Typhus verlaufen^
entscheidend verwendet werden könüen, hat B i 1 1 e t an einer großen
Zahl von derartigen Fällen konstatieren können, die er unter der
Bezeichnung „paludisme k form typhoide" beschrieben hat.
In der Differentialdiagnose zwischen Typhus und tuberkulöser
Meningitis kommt u. E. die bei dieser in der Regel auftretende
hochnormale oder vermehrte Leukozytenzahl in Betracht ; es scheint,
daß das auch bei Miliartuberkulose namentlich in den ersten
Stadien der Erkrankung der Fall ist.
Wenn Sepsis und schwere Pneumonien dem Typhus
gegenüber in Frage kommen, so sprechen g e g e n T y p h u s , wie
bereits erwähnt, zunächst die wechselnden hohenund
tiefen Leukozytenwerte, dann aber die dauernde qualitativ
andersartige Beschaffenheit des Blutes, als das Vorhandensein von
Azidophilen, das Auftreten von Jugendformen der Granulozyten^
Myelozyten oder Multinukleären mit Granulis von deutlicher baso-
philer Quote (Ehrlich, Schur und Hirschfeld) und die Jod-
reaktion der Granulozyten. Es sind das Zeichen, die beweisen, daß
es sich um keine „absolute Leukopenie" handelt.
Bei anämischen Patienten ist Vorsicht geboten in der Ver-
wertung tiefer Zahlen, da sie sowohl der Anämie, als auch einem
zu bestehender Anämie dazugetretenen Abdominaltyphus zukommen
können.
In bezug auf Paratyphus hatte Gütig Gelegenheit, auf Grund
mehrerer genau beobachteter Fälle den Beweis zu erbringen, daß
diese Erkrankung im wesentlichen eine gleiche Blutveränderung
zeigt, wie der Abdominaltyphus.
Unserem hochgeehrten Chef, Herrn Hofrat Prof. Dr. A. Pf ibram,
gestatten wir uns fiir die vielfache Förderung unserer Arbeiten und
die freundliche Überlassung des Materials unseren ergebensten Dank
auszusprechen.
Literatnrangaben.
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1903 Nr. 18.
Deutsches Archiv f. kUn. Medizin. LXXX. Bd.
VII.
Aus dem Laboratorium der medizinischen Klinik zu Bonn
(Dir. Geh.-Rat Prof. F. Schnitze).
Experimentelle Untersuchung über den Einfluß des
Alkohols auf den Hirn-Bückenmarksdruck.
Von
Privatdozent Dr. Badolf Finkelnburg,
Assistenzarzt der medizinischen Klinik.
(Mit 2 Kurven.)
Experimentelle Untersuchungen über den Einfluß bestimmter
chemischer und toxisch wirkender Substanzen auf die Sekretions-
verhältnisse des Liquor cerebrospinalis im Sinne einer Vermehrung
oder Verminderung der Sekretion liegen bisher nur ganz vereinzelt
vor. Sehen v^rir von dem Nebennierenextrakt ab, das als blutdruck-
steigerndes Mittel bei Versuchen über die Beziehungen zwischen
Blutdruckhöhe und Subarachnoidealdruck angewandt wurde, so findet
sich nur die Angabe von Jaksch(l), daß er durch Quecksilber,
Jodsalze, salicylsaure und essigsaure Salze einen Einfluß auf den
Hirndruck nicht erzielen konnte; ferner gibt Cappelletti(2) an,
daß bei Hunden Äther und Pilokarpin den Ausfluß von Cerebro-
spinalflüssigkeit beschleunigten, Atropin und Hyoscyamin verlang-
samten, während Amylnitrit keinen merkbaren Einfluß ausübte.
Wenn auch die lymphatische Natur der Cerebrospinalflüssigkeit
noch keineswegs sicher erwiesen ist, und wenn wir auch über alle
Quellen derselben noch keine sichere Kenntnis besitzen, so schien
doch die Frage der Prüfung wert, ob nicht bestimmte Substanzen
auf die Absonderung des Liquor in ähnlicher Weise eine Wirkung
auszuüben vermögen, wie die sogenannten Lymphagoga nach den
Untersuchungen von Heiden hain (11) auf den Körperlymphstrom.
Aus einer gi'ößeren in dieser Richtung unternommenen Ver-
suchsreihe teile ich im nachfolgenden das Resultat von Unter-
suchungen mit, in denen die Wirkung des Alkohols auf den Sub-
arachnoidealdruck bei Hunden geprüft wurde.
Einfluß des Alkohols auf den Hirn-Rückenmarksdruck. 131
Die Frage nach der Wirkungsweise stärkerer Alkoholgaben
auf die Sekretion des Liquor bot auch in klinischer Hinsicht ein
gewisses Interesse, da von Quincke (3), D a n a (4) u. a. die akute
und chronische Alkoholvergiftung unter den ursächlichen Momenten
der einfachen serösen Meningitis angeführt wird.
Die experimentelle Prüfung der Sekretionsverhältnisse des
Liquor ist auf zweifache Weise möglich: einmal durch Bestimmung
der Ausflußgeschwindigkeit, zweitens durch Feststellung des Sub-
arachnoidealdrucks vor und nach Darreichung eines Mittels.
Falkenheim und Naunyn(5) haben gefunden, daß unter
normalen Verhältnissen bei Hunden die Ausflußgeschwindigkeit des
Liquor nach einer gewissen Zeit (V* — % Stunden) eine konstante
wird, daß aber bei den verechiedenen Tieren die absolute Größe
der konstanten Sekretion gewaltig verschieden ist. Sie betrug das
eine Mal 1 ccm in 6 Minuten, bei einem anderen Tier 1 ccm in
40 Minuten.
Die genannten Autoren gingen bei ihren Sekretionsversuchen
in der Weise vor, daß sie bei kuraresierten Hunden nach Eröfl'nung
der Rückenmarkshöhle an der Cauda equina einen Nelatonkatheter
in den angeschlitzten Duralsack einführten; selbst bei diesen be-
quemen Versuchsbedingungen traten jedoch häufig Störungen des
Ausflusses ein, so daß die Mehrzahl der Sekretionsversuche ganz
resultatlos war.
Auch mit der einfachen Lumbalpunktion nach Quincke lassen
sich brauchbare Sekretionsresultate nicht erzielen. Da nach dem
ersten Einstich sich die Flüssigkeit sehr schnell aus der Kanüle
entleert, kommt es sehr häufig zur Verlegung und Verstopfung
der Nadel dadurch, daß mit dem Nachlaß des Druckes die Eücken-
markshäute sich enger an die Wurzeln anlegen. Die Sekretion
sistierte entweder ganz oder mußte durch Hin- und Herschieben
der Nadel wieder in Gang gebracht werden, wodurch eine regel-
mäßige einwandsfreie Messung der Ausflußgeschwindigkeit un-
möglich wurde.
Ich habe daher von dieser Methode abgesehen und versucht,
den Einfluß des Alkohols auf die Liquorsekretion aus den Druck-
änderungen des Subarachnoidealdrucks zu bestimmen.
Die Menge des Liquor cerebrospinalis und damit auch im
wesentlichen die Druckhöhe wird bestimmt durch das Verhältnis
zwischen Seki-etion und Absorption der Flüssigkeit. Jede stärkere
Sekretion fuhrt vorübergehend zu einer Druckvermehrung, da die
Abflußwege nicht derartig sind, daß momentan beliebige Mengen
132 y^^- FniKBLNBüBG
Ton Liqaor abströmeo konnten. £rst mit dem wachsenden Snb-
arachnoidealdrack steigt anch allnifthlich dk Besorption, so daß eine
yorfibergehende vermehrte Absondernng sich wieder
ausgleichen kann. Dnrch eine länger anhaltende Steigerung der
Sekretion wird es aber zu einer Dmckst«igemng in der Schädd-
Riickgratshöhle kommen, da nach den experimentellen Untersachnngen
von Falkenheim und Nannyn (5) die Resorptionsgröße der Liqaor-
flüssigkeit erst bei einem Subarachnoidealdruck von über 400—500 mm
H9O (29 — 36 Hg) so gewaltig zunimmt, daß sie auch den durch eine
stark gesteigerte Sekretion gestellten Ansprüchen genügt
L Yersuchsanordnung.
Die Versuche wurden an Hunden in der Morphium-Äther-
narkose vorgenommen. Bei leicht erhöhter Kopflage wurde unter-
halb des V. oder VI. Lendenwirbelbogens die Lumbalpunktion ge-
macht und die Kanüle mit einem in Millimeter graduierten Steigrohr
von 4 mm lichtem Durchmesser durch einen ganz kurzen Oummi-
schlauch verbunden; 100 mm des Steigrohrs fassen einschließlich
dem Verbindungsstück 1,2 ccm Flüssigkeit. Durch Verlust dieser
zur Füllung des Steigrohrs dienenden Liquormenge entsteht somit
eine nicht unerhebliche Fehlerquelle für die Bestimmung des ab-
soluten Drucks in der Schädel -Rückgratshöhle. Da es sich aber
in diesen Versuchen nicht sowohl um Feststellung der absoluten
Druckhöhen wie um den Nachweis von Druckftnderungen in-
folge veränderter Sekretionsverhältnisse des Liquor handelt, so werden
dadurch die Versuchsresultate nicht beeinträchtigt. Nachdem die
Flüssigkeit in dem Steigrohr zur Ruhe gekommen, wurden zunächst
V« — 1 Stunde lang die Druckhöhe und eventuelle Schwankungen
derselben beobachtet und von 3 zu 5 Minuten aufnotiert, um fest-
zustellen, ob nicht nachträglich noch ein erheblicherer spon-
taner Druckanstieg zustande kommt. Erst dann, wenn die
Druckhöhe, von geringen Schwankungen von 5 — 10 mm abgesehen,
längere Zeit die gleiche geblieben war bei deutlich sichtbaren re-
spiratorischen Schwankungen, erhielten die Tiere mittels der Schlund-
sonde den Alkohol eingeführt. Zur Anwendung kam Äthylalkohol
in 20—30% Verdünnung, eine Mischung von Äthyl- undAmyl-
alkohol im Verhältnis von 16:1 in gleicher Stärke; femer ge-
wöhnlicher, annähernd 40% Alkohol enthaltender Korn brannt-
wein sowie Portwein. Die pro Kilo Tier gereichte absolute
Alkoholmenge schwankte zwischen 2,3—6,8 ccm.
In der Regel verfielen die Tiere in einen tiefen, mehrere
Einflnfi des Alkohols auf den Bim^Bttckenmarksdruck. 133
Standen anhaltenden Alkoholschlaf. Sie lagen absolut rahig, so daß
durch Unruhe, Bewegungen usw. hervorgerufene Druckschwankungen
iaat ganz wegfielen. Bis zum Munterwerden der Tiere wurde alle
5 Minuten Druckhöhe, Puls und Atmung kontrolliert und aufnotiert.
In Kontrollversuchen wurde den gleichen Tieren die
gleiche Menge yon Flüssigkeit (Wasser, Kochsalzlösung, Essigwasser)
zogefohrt, wie sie zur Verdünnung des Alkohols nötig war und bis
za 2 Stunden der Liquordruck beobachtet Ferner wurde bei dem*
selben Tier die Wirkung verschiedener Alkoholarten geprüft. Als
einwandsfrei gelten nur solche Versuche, in denen während der
ganzen Dauer derselben deutliche respiratorische Schwankungen des
Subarachnoidealdnicks vorhanden waren als sicheres Zeichen guter
Kommunikation zwischen Steigrohr und Subarachnoidealraum.
Alle Versuche wurden 12— 16 Stunden nach der letzten Nahrungs-
and Flüssigkeitsaufnahme vorgenommen.
IL Versuchsergebnisse.
1. Der wenige Minuten nach der Punktion gemessene An-
fangsdruck betrug bei den in Narkose ruhig daliegenden Hunden
bei leicht erhöhter Kopflage in der Regel 100 - 120 mm Wasser,
im Maximum 135 mm, im Minimum 70 mm. Bei demselben Tier
fanden sich bei verschiedenen Versuchen Differenzen von 10 — 15 mm.
Diese Zahlen stimmen im allgemeinen überein mit der Angabe von
Falkenheim und Naunyn(5), daß die Normalhöhe des Sub-
^i| arachnoidealdrucks beim kräftigen Hund gegen 100—150 mm HgO
jj?f beträgt; freilich fanden sie bei normalem Blutdruck auch Druck-
^^ höhen von 30 und 38 mm.
rß\ 2. Bei einer Beobachtungszeit bis zu 1 Stunde zeigte die
gvj Flüssigkeitssäule im Steigrohr, abgesehen von den respiratorischen
JE . und pulsatorischen Schwankungen, nur geringe periodisch auftretende
jj» Schwankungen von 5—10 mm über den Anfangsdruck. Bisweilen
|j^ beobachtet man auch ein geringes Sinken unter den Anfangsdruck
j^ (Versuche 29, 33, 34). Durch Unruhe des Tieres bedingte stärkere
^j Steigungen der Flüssigkeitssäule glichen sich stets schnell wieder aus.
jj(- 3. Nach Einfahrung des Alkohols mittels der Schlundsonde,
jy' 1 was ohne Hebung des Kopfes vorgenommen wurde, hielt sich der
.V Liquordruck ohne Ausnahme zunächst (11 — 30 Minuten lang) auf
iBi der gleichen Höhe wie vorher. Nach durchschnittlich 15
0liri<. ^is 20 Minuten begann die Flüssigkeit in dem Steigrohr das
eine Mal langsamer, das andere Mal schneller in meist gl eich -
.^. mäßigem Tempo zu steigen.
I
t .
ei'
it-:
134 VII- FiNKELNBURO
Es betrug in den Versuchen 22, 30, 34 und 24 der Anstieg
annähernd 7« ^^ H^O ^^ der Minute, in den Versuchen 21, 32
1 mm H2O in jeder Minute. Bisweilen beobachtete mau ein vorüber-
gehendes Sistieren und selbst vorübergehende kleine Drucksenkungen
während des sonst gleichmäßigen Anstiegs, so in Versuch 25.
4. Die Dauer des Anstiegs war bei den einzelnen Tieren
eine verschieden lange, auch bei demselben Tier verschieden, je
nach der Art des gereichten Alkohols. Wie aus der Tabelle und
den Kurven ersichtlich ist, schwankte die Zeitdauer des Druck-
anstiegs zwischen 1 und 3^2 Stunden.
Nachdem der Druck eine gewisse Höhe erreicht, hielt er sich
in der Regel V2 — 1 Stunde auf dieser Höhe unter ganz geringen
Schwankungen und begann dann in langsamem Tempo wieder zu
fallen.
In Versuchen, die lange genug ausgedehnt werden konnten,
zog sich der allmähliche Druckabstieg bis zur Höhe des Anfangs-
druckes oder noch unter denselben über 1 — 1% Stunden hin. Die
Kurven auf den beiliegenden Tafeln geben von dem Verlauf einzelner
Versuche ein gutes Bild.
In der Mehrzahl der Fälle mußte wegen Unruhe der Tiere der
Versuch abgebrochen werden, bevor der Druck sich dem Anfaugs-
druck wieder genähert hatte.
5. Die absolute Größe der Drucksteigerung war beträcht-
lich verschieden bei den einzelnen Tieren und auch bei demselben
Tier je nach der Art des gereichten Alkohols. Sie betrug im
Maximum 90 mm, im Minimum 20 mm Wasser. Im Ver-
hältnis zur Höhe des Anfangsdrucks haben wir Drucksteigerungen
zwischen 16% und 72%
Vergleicht man die Mengen des p r 0 K i 1 0 Hund verabreichten
Alkohols mit den absoluten Drucksteigerungen, so findet sich kein
konstantes Verhältnis zwischen beiden:
Es wurde erreicht bei 2,3 ccm
Alkohol
pro
Kilo 35 mm
Druckanstieg,
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j?
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n 2,7 „
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Es müssen hier individuelle Verhältnisse von Einfluß sein, da
ja nach den Untersuchungen von Falkenheim und Naunyn(5)
n
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Einfluß des Alkohols auf den Him-Hückenmarksdnick. 135
bei den einzelnen Tieren schon physiologischerweise gewaltige Unter-
schiede in der Sekretionsgröße zu bestehen scheinen.
Erhebliche Unterschiede in der eiTcichten Druckvermehrung
fanden sich weiterhin bei demselben Tier je nach der Art des
Alkohols.
Derselbe Hund hatte bei
8,3 ccm Portwein =1,4 ccm Alkohol pro Kilo 85 mm Druckanstieg
Äthyl- Amylalkohol =3,3 „ „ „ „ 69 „
10 ccm Kornschnaps = 4,0 „ „ „ „ 20 „
Danach wurde dem Portwein eine ganz erheblich größere
drucksteigernde Wirkung zukommen. Doch sind hier noch weitere
Kontrolluntersuchungen dringend nötig.
6. In Kontrollversuchen, die zum Teil an denselben Hunden
vorgenommen wurden, trat bei Zufuhr von gleichen Flüssigkeits-
mengen (Wasser, Kochsalzlösung, Essigwasserj, wie sie zur Ver-
dünnung des Alkohols erforderlich gewesen waren, ein Druckanstieg
auch nach längerer, 1^2 stündiger, Beobachtungszeit nicht ein. Auch
erwiesen sich bei den in Morphium-Äthemarkose befindlichen Tieren
spätere Injektionen von Morphium oder kurze Einatmungen von
Äther als ohne wesentlichen Einfluß auf den vorhandenen Liquor-
dmck.
7. Die Puls- und Respirationsfrequenz verhielt sich während
des Alkoholschlafs in der Mehrzahl der Fälle ziemlich gleich. Die
Pulszahl schwankte meist zwischen 100 und 130 Schlägen, die
Respiration zwischen 26 und 20 Atemzügen in der Minute. Nur
in Versuch 21 mit der erheblichen Dosis von 6,8 ccm pro Kilo Tier
sank die Zahl der Pulse auf 60—70, die der Atmung auf 17 — 18.
Kurz zusammengefaßt ist das Ergebnis der Versuche folgendes:
Bei Einführung von Alkohol in den nüchternen Magen narkoti-
sierter Hunde steigt der Druck in dem mit der Schädel-Rückgrats-
höble in Verbindung stehenden Steigrohr regelmäßig ganz beträcht-
lich, hält sich längere Zeit auf einer bestimmten Höhe und sinkt
dann wieder langsam unter Umständen bis unter den Anfangsdruck.
Ich habe wegen der Raumersparnis von einer genauen Wieder-
gabe der Versuchsprotokolle abgesehen, und nur eine Anzahl der
wichtigeren Versuche tabellarisch zusammengestellt, sowie versucht,
durch einige Kurven den zeitlichen Ablauf des Druckanstiegs und
Druckabfalls anschaulicher zu machen.
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Einflnß des Alkohols auf den Him-Bückenmarksdmck. 137
UL Besprechung der Versachsergebnisse.
Wenn wir den Versuch machen, die beobachtete Dracksteige-
rang zu erkUren, so fragt es sich znnftchst, ob wir berechtigt sind,
dieselbe auf die Alkoholwirknng zarückzuführen. Die ganze
Yerlanfsweise der Versuche spricht Ar diese Annahme. Wir sahen,
wie regelmäßig kurze Zeit nach der Einverleibung des Alkohols
der langsame Druckanstieg einsetzte. Dabei blieb es sich gleich,
ob wir längere oder kfirzere Zeit nach der Lumbalpunktion ge-
wartet, bevor wir den Alkohol zuführten. In Eontrollversuchen
mit einer gleich grofien Flüssigkeitszufuhr trat dagegen niemals
(dne wesentliche Drucksteigerung ein, ebensowenig wenn wir ohne
jede Zufuhr den Liquordmck längere Zeit hindurch beobachteten. Es
ist somit aasgeschlossen, daß es sich bei unseren Drucksteigerungen
am nachträgliche spontane Druckschwank ungen oder allein
am eine Folgeerscheinung der Flfissigkeitszufuhr
handelt.
Da wir femer den Alkohol in starker Verdünnung reichten,
so daß die Magenschleimhaut nicht erheblicher gereizt wurde, so
dfirfte auch die hypothetische Annahme eines reflektorischen
Einflusses auf die Liquorsekretion auszuschalten sein.
Eine weitere Frage ist es, wie sich das Zustandekommen der
Dmcksteigerung durch den Alkohol erklären läßt. Handelt es sich
nar um eine vorübergehende Verdrängung des Liquor in das
Steigrohr, etwa durch eine hyperämische Volumszunahme des Ge-
hirns, oder beruht der Druckanstieg auf einer Vermehrung des
Liquor cerebrospinalis infolge gesteigerter Sekretion?
Es ist experimentell nachgewiesen (Mos so (6), Knoll (7),
I Falkenheim und Naunyn (5)), daß durch Erweiterung der
1 Him-Rückenmarksgef&ße der Liquor unter höherem Druck und
j andererseits durch Kontraktion der Gefäße unter geringeren Druck
j gesetzt wird. Falkenheim und Naunyn erzielten bei Hunden
j durch Erhöhung des arteriellen Blutdnicks durch Kompression der
i Aorta thoracica, durch Aussetzen der Respiration (Dyspnoe) und
I durch Strychninvergiftung sowie durch allgemeine Venenstauung
vorübergehende Steigerungen des Subarachnoidealdrucks bis zu
100 mm Wasser. Diese Druckerhöhungen waren aber niemals
dauernd infolge der sich bald geltend machenden Resorption des
Liquor cerebrospinalis. So begann z. B., wenn durch Kompression
der Aorta eine bedeutende Steigerung des Subarachnoidealdrucks
bewirkt war, letzterer nach 1 bis 2 Minuten zu sinken, auch
wenn der Blutdruck auf gleicher Höhe verblieb.
138 VII. FlNKELNBUKG
Es fuhrt demnach eine Erweiterung der Blutgefäße überhaupt
nur insoweit zu einer Erhöhung des Drucks, als nicht momentan
durch Abfluß Raum geschafft wird. Würden in jedem Augenblick
beliebig große Liquormengen resorbiert werden können, so würden
Drucksteigerungen in der Hirn-Rückenmarkshöhle überhaupt nicht
zustande kommen. Normalerweise ist aber nach den experimen-
tellen Untersuchungen die Resorption lebhaft genug, um vorüber-
gehendeErhöhungen des Subarachnoidealdrucks wie bei einer
Hyperämie bald auszugleichen.
Wenn es sich in unseren Versuchen nur um eine Verdrängung
des Liquors infolge der blutdrucksteigernden Wirkung des Alkohols
(B i n z (8 )) gehandelt hätte, so wäre ein baldiger Ausgleich durch
Resorption mit nachfolgender Drucksenkung eingetreten. Von einer
vorübergehenden Verdrängung kann somit bei der stundenlangen
Dauer der Drucksteigerung nicht die Rede sein ; alles drängt uns
zu der Annahme, daß der Alkohol eine vermehrte Liquor-
absonderung verursacht, die längere Zeit andauert und dadurch
zu einer Steigerung des Subarachnoidealdrucks führt.
Die Resorption des Alkohol aus dem Magen geschieht nach
den Untersuchungen von Dogiel (9) äußerst schnell. Bereits
l'/2 Minuten nach der Einführung konnte er im arteriellen und
venösen Blut sowie in der Lymphe des Ductus thoracicus nach-
gewiesen werden. Über die Dauer des Verbleibes im Blut liegen
Untersuchungen von Gr6hant (10) vor. Bei Darreichung von
5 ccm pro Kilo fand sich nach V« Stunde 0,4 7o> ^^^^ 1 Stunde 0,5 %>
nach 2V.> Stunden 0,6 und nach 5 Stunden noch 0,51% Alkohol
im Blut. Nach 23 Stunden ist er nach Beobachtung von Grehant
aus dem Blut verschwunden. Von besonderem Interesse im Hin-
blick auf den Beginn des Druckanstiegs in unseren Versuchen ist
die Angabe von Gr6hant(10), daß nach Darreichung von 1 ccm
pro Kilo das Maximum von Alkoliol im Blut (0,09 %) ziemlich rasch,
nämlich nach 15 Minuten erreicht wird.
Der Beginn der Drucksteigerung setzte nach unseren Beobach-
tungen regelmäßig zwischen 12—30 Minuten nach der Alkohol-
zufuhr ein und wir können uns vorstellen, daß der sekretions-
steigernde Einfluß erst einsetzt, wenn die im Blut kreisende Alkohol-
menge eine gewisse Höhe erreicht hat. Ob es sich bei der Alkohol-
wdrkung nur um eine Beschleunigung der normalen Liquorsekretion
handelt nach Art der lymphtreibenden Stoffe oder ob die vermehrte
Sekretion etwa die Folge eines toxischenReizes auf die sezer-
nierenden Teile, also vor allem die Plexus choreoidei bildet, läßt
Einfluß des Alkohols auf den Hirn-Rückenmarksdrnck. 139
<ij
sich nur durch genauere Analysen der Liquorflüssigkeit speziell
auch hinsichtlich ihres Alkoholgehaltes feststellen.
Bei aller Vorsicht, die bei Übertragung . yoji Tierversuchs-
resnltaten auf die menschlichen Verhältnisse am -Platze ist, scheint
mir doch der Versuch nicht unberechtigt, die beim Hund experi-
mentell nachgewiesene dnicksteigemde Wirkung des Alkohols für
die menschliche Pathologie zu verwerten. Die als Nachwehen
stärkerien Alkoholgenusses sich regelmäßig einstellenden nervösen
Beschwerden : der Kopf- Nackenschmerz, die Hyperästhesie der Kopf-
haut, das Schwindelgefühl, die leichte Benommenheit bieten bis-
weilen ganz das klinische Bild eines vermehrten Hirndrucks, eines
akuten Hydrocephalus. Es liegt nun der Gedanke nahe, daß
neben der toxischen Wirkung des Alkohols auf die Nervensubstanz
auch ein gesteigerter Druck der Cei-ebrospinalflussigkeit eine Rolle
mitspielt bei der Entstehung dieser cerebralen Erscheinungen. Wir
sahen in den meisten unserer Versuche, daß der Liquordruck noch
erheblich gegen den Anfangsdruck gesteigert war, wenn die
Tiere aus ihrem Alkoholrausch erwachten und anfingen munterer
zu werden.
Wir dürfen somit annehmen, daß der im Blut kreisende Alkohol
wenigstens beim Tier noch eine sekretionssteigernde Wirkung
ausübt zu einer Zeit, wo die lähmende Einwirkung des Alkohols
auf die Ganglienzellen der Gehirnrinde bereits im Abklingen be-
griflfen ist und wo klinisch die Erscheinungen des gesteigerten Hirn-
dmcks im Vordergrund des Krankheitbildes stehen.
Literatur.
1. V. Jaksch, Klinische Diag:no8tik innerer Krankheiten, 5. Aufl. S. 567.
2. Cappelletti, Zit. nach Blumenthal, Über Zerebrospinalflüssigkeit. Ergeb-
nisse der Phj[8iologie. 1. Jahrgang 1902 S. 290.
3. Quincke. Über Meningitis serosa, S. 67ö. Volkmann's Samml. klin. Vortr.
Nr. 67 1893.
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S. 273, S..294, S.267.
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8. Binz, Über den Alkohol als Arzneimittel. Sep.-Abdr. aus der Berl. klin.
Woch. Nr. 3 u. 4 1903 S. 11.
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11. Heidenhaiu, Versuche und Fragen zur Lehre von der Lymphbildung. Arch.
f. Psychologie 1891 Bd. 49.
I Hund pro Kilo 2,9 c«m Alkohol ftbaol. 48,77, SUigenng.
n Hnnd pro Kilo 10 ocm Eombranittweiii 16,6°/* Steigenug.
lU Hund pro Kilo 2,3 ccm Alkohol &bsol 50,0% Steigemng.
EtatfliS des Alkehidils m( den Hhu-Bnckenmu'kHlnick. 14|
Derselbe Hund ( pn> KUo 3." <»n» Ithyl- n. Amylalkohol lifi'U Steigerung.
Versacb 22, 34,| pro Silo 8,3 ccni Portwein *6,9»/„ Steigenmg:.
^- [ pro Kilo 10,0 ccm Eoinbratmtwein ICjC/o Steigerung.
sss^sssssssss
142 VII. FiNKLENBUBO, ElnfluG des Alkohols auf den Rückenmarksdruck.
Erklärung der Kurven.
In den Tafeln sind die Alkoholdrucksteigerungen so eingezeichnet, daß
man die in mm erfolgten Druckzu- nnd -Abnahmen in den einzelnen Minuten und
Stunden der Versuche verfolgen kann. Die Druckknrven befi^nen mit dem An-
fangsdnick, d. h. demjenigen Druck, der wenige Minuten nach dem Buhigw erden
der Flü^sigkeitssäule nach erfolgter Lumbalpunktion an dem Steigrohr abgelesen
Wurde. A4is der links befindlichen Zahlenskala kann man die jeweilige Druck-
hohe in mm Wasser ersehen. Durch X ist der Zeitpunkt der Alkoholzqfuhr markiert.
1 Tafel I enthält 3 Kurven von Versuchen (Nr. 32, 25 und 33), in denen die
pruckseukung am SchluO deutlich erkennbar w^ar.
Tafel II enthält 3 Kurven, die von demselben Hund stammet, dem in den
3 verschiedenen Versuchen Alkohol in verschiedener Form — reiner Äthyl- und
Amylalkohol, Portwein, Kornbranntw^ein — zugeführt wurde. Wegen Unruhe des
iDieres mußten hier die Versuche zu einer Zeit abgebrochen werden, wo der
Druckabfall erst begonnen hatte (Versuch Nr. 22, 25, 34).
VIII.
Aus der Nervenpoliklinik von Professor Oppenheim zu Berlin.
Zur Differentialdiagnose der extra- und intrameduUaren
Ettckenmarkstumoren.
Von
Dr. von Malais^,
Assistenzarzt der Poliklinik.
Welch fördernden Einfluß ein therapeutischer Erfolg auf einem
his dahin für therapeutisch gänzlich aussichtslos geltenden Gebiet
auf die Vertiefung und Erweiterung der Kenntnisse von einer Krank-
heit auszuüben vermag, das geht aus der Geschichte der Eücken-
markstumoren in eklatanter Weise hervor. Das klinische Interesse
für dieses Leiden war kein sehr großes, die Literatur demgemäß
nur eine spärliche, die Diagnose in vivo selten, bis der englische
Chirurg den, theoretisch allerdings schon früher erwogenen und als
durchfuhrbar bezeichneten, Schritt wagt, den Tumor im Rücken-
markskanal aufsucht und — mit glänzendem — Erfolge entfernt.
Von diesem Zeitpunkt (1887) an schwillt die Literatur über
dieses Leiden mächtig .an und im Jahre 1898 erscheint das Werk
Bruns', in welchem das Resultat dieser Erfahrungen und zahl-
reicher eigener Beobachtungen bereits in umfassender und ein-
gehender Weise niedergelegt ist, bald gefolgt von einem zweiten,
der speziell die Wirbeltumoren berücksichtigenden Jlonographie
Schlesinger's.
Heute ist die Diagnostik der Rückenmarksgeschwülste erheblich
ausgebaut und verfeinert. Bei der Vielgestaltigkeit des Leidens
aber, bedingt einerseits durch die verschiedene Natur der Tumoren,
andererseits durch die Verschiedenheit des Ausgangspunktes —
Wirbelsäule, spinale Wurzeln, Häute, Mark — , ist es nicht zu ver-
wundern, daß manches noch einer Klärung bedarf und dies nicht
nur in wissenschaftlichem, sondern vornehmlich auch in praktischem
Interesse. Zu diesen Punkten ist auch die Frage zu zählen, ob
144 Vm. Malais«
sich die Geschwulst im Marke selbst oder außerhalb desselben
etabliert hat, eine Frage, deren namentlich frühzeitige Entscheidung
an die Diagnostik besonders hohe Anforderungen stellen kann.
Die Kompliziertheit des Krankheitsbildes, welches durch eine
Geschwulst im oder am Mark verursacht wird, schließt es im vor-
hinein aus, daß ein einzelnes Symptom für die Art oder die Lokali-
sation des Tumors den strikten Nachweis liefert So weist z. B.
eine Schmerzhaftigkeit der Wirbelsäule nicht mit Bestimmtheit auf
diese als den Sitz der Erkrankung hin, ebensowenig wie initiale
Wurzelschmerzen für extramedullären Sitz garantieren. Vielmehr
kann erst eine Summe von Symptomen und namentlich die Kon-
stellation derselben die Entscheidung ermöglichen. Nichtsdesto-
weniger verdient auch das anscheinend nebensächlichste Symptom
gewürdigt zn werden, besonders zur Ermöglichung einer früh-
zeitigen Diagnose, d. h. zu einer Zeit, in welcher bei operablen
Fällen die Chancen für eine restitutio ad integrum noch möglichst
große sind, in welcher aber andererseits das Leiden noch wenig
Erscheinungen macht.
Es sei zunächst der äußeren Umstände gedacht, die eine rich-
tige Diagnose resp. Differentialdiagnose veraögem und sogar un-
möglich machen können. Zn diesen ist vor allem eine unvoll-
ständige Anamnese zu rechnen, falls der Kranke nicht von Anfang
an unter Beobachtung stand. Indolenz und geringe Intelligenz des
Kranken tragen hierzu noch wesentlich bei. Des weiteren kann
Benommenheit, die eventuell durch einen gleichzeitig bestehenden
Tumor cerebri oder Meningitis basilaris — falls Solitärtuberkel des
Rückenmarks oder tuberkulöse Granulationen etc. an demselben
vorliegen — bedingt sein kann, einer richtigen Einschätzung der
durch den Tumor des Rückenmarks verursachten Erscheinungen
erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Endlich ist es die Hysterie, die
lange Zeit auch die durch den Rückenmarkstumor bedingten Sym-
ptome auf ihr Konto zu nehmen gezwungen sein kann, wie u. a.
ein von Schnitze mitgeteilter Fall in besonders anschaulicher
Weise dartut.
Für den Sitz der Geschwulst resp. seinen Ausgangspunkt kann
u. a. seine Art Anhaltspunkte geben, insofern diese aus weiteren,
an der Körperperipherie oder an der Untersuchung zugänglichen
inneren Organen (Metastasen) erschlossen werden kann. Zunächst
das Karzinbra. von welchem feststeht, daß es am Rückenmark nur
sekundär zur Beobachtung kommt. Des weiteren wird sein Vor-
kommen im Marke selbst jetzt allgemein in Abrede gestellt, da
Zar DifferentialdiagnoBtik d. extra- n. intramedullären HUckenmarkstamoren. 14 5
die spärlichen Beobachtungen dieses Vorkommens (Scanzoni,
Chiari, Kalisko) sich als nicht ein wandsfrei erwiesen haben
{Schlesinger (100)). Der Schluß von einem Carcinoma uteri,
recti etc. auf extramedullärem Sitz des am Rückenmark vermuteten
Karzinoms ist also ein vollauf berechtigter. Daß dieser Umstand
fiir die Differentialdiagnose wertvoll sein kann, beweisen jene Fälle
von Wirbelsäulenkrebs, bei denen trotz ausgedehnter krebsiger In-
filtration der Wirbelsäule keine Anzeichen für das Ergriffensein
derselben bestehen, während die Symptome von selten des Marks,
eine in akuter oder subakuter Weise einsetzende Paraplegie für
einen Sitz im Marke selbst zu sprechen scheinen. Nonne (8) hat
in einer vor kurzem erschienenen Arbeit eine Anzahl solcher Fälle
publiziert. Klinisch: Lähmung der unteren Extremitäten, dagegen
keinerlei Wirbelsäulensymptome. Erst die Obduktion deckte weit-
gehende Destruktionen an der Columna vertebralis auf. Auch für
Sarkom kann dies zutreffen. Für diese Geschwulstart liegen die
Verhältnisse allerdings insofern anders, als sein intramedulläres
Vorkommen, wenn auch ungewöhnlich, doch durch eine Anzahl von
Beobachtungen erwiesen ist. Immerhin ist aber das intramedulläre
Vorkommen des Sarkoms ein verschwindend geringes gegenüber
dem extramedullären, — gilt doch das Sarkom als die häufigste
Geschwulstform der Häute, — so daß die Wahrscheinlichkeit, falls
Sarkom anzunehmen ist, mehr für extrameduUäi^en Sitz spricht.
Es kann davon Abstand genommen werden, die einzelnen
Tumoren, deren peripheres Vorkommen einen ähnlichen Schluß ge-
stattet, hier aufzuführen. Es erübrigt aber, die Syphilis und Tuber-
kulose zu erwähnen. Wird aus anderen syphilitischen oder tuber-
kulösen Erscheinungen, eventuell einer schweren tuberkulösen Be-
lastung, veimutet, daß der Rückenmarkstumor gleicher Natur sei,
so ist die Entscheidung, ob der Sitz intra- oder extramedullär ist,
dadurch nicht wesentlich gefördert. Sie wird namentlich dadurch
erschwert, daß auch bei intraraedullärem Sitz der infektiösen Granu-
lome die Häute fast immer in Mitleidenschaft gezogen sind. Ein
Anhaltspunkt in dieser Richtung könnte u. U. besonders wertvoll
sein, da es, wie Henneberg (11) an der Hand eines Falles be-
merkt, Fälle von Rückenmarkstuberkulose gibt, die einem chirurgi-
schen Eingiiff zugänglich sind. In diesem Fall lagen tuberkulöse
Granulationen vor, die von den Häuten ausgehend das Mark kom-
primiert, den Knochen aber intakt gelassen hatten. Ob freilich bei
dem rapiden Verlauf, der meist vorhandenen tuberkulösen All-
gemeininfektion und der toxischen Wirkung der Geschwulst auf
Deutsches Aitshiv f. klin. Medizin. LXXX. Bd. 10
146 vm. iialai6£
das Mark ein chirurgischer Eingriff viel Erfolg hätte, ist recht
zweifelhaft. Der Sektionsbericht bestätigt dies : Totale Erweichung
des Rückenmarks an der Kompressionsstelle; und dies nach nur
3 wöchentlicher Erankheitsdauer.
Eher ist der Nachweis von Echinokokken oder Cysticerken resp.
Bestandteilen derselben in peripher sitzenden Zysten, Pleuraexsudaten
u. dgl. dazu angetan, einen Hinweis zu geben, wo der Sitz dieses
unter dem Bilde eines Tumors auftretenden tierischen Parasiten
im Medullarohre ist, da das Vorkommen im Marke selbst zu den
größten Seltenheiten gehört.
Unter Umständen können auch andere Befunde, als peripher
sitzende Geschwülste für die DifFerentialdiagnose zwischen inlra-
extrameduUärem Sitz von Bedeutung sein, wenn Tumoren in Be-
tracht kommen, die ausschließlich oder doch sehr überwiegend im
Marke selbst oder außerhalb desselben aufzutreten pflegen. Hier
wäre, bei okultem, d. h. nicht palpablem Magenkarzinom, eine für
das Bestehen eines solchen sprechendes Verhalten des Magensaftes
zu nennen, u. a. Wertvoller ist eine andere Reaktion, auf die
Senator seinerzeit hinwies, und die im Nachweis von Albumosen
im Harn besteht. Werden Albumosen in gewissen Mengen ge-
funden, so sind damit etwaige Zweifel über den Ausgangspunkt
des vermuteten Tumor meduUae spinalis behoben, da dies zu dem
Schlüsse berechtigt, daß Myelom vorliegt. Das Krankheitsbild beim
Myelom kann nun durch dessen Fähigkeit, auch an der Außen-
seite der Dura kleine Knötchen zu bilden, durch seine Tendenz
zur Auftreibung der Knochen, ja zur Bildung von Knochensubstanz
ein so kompliziertes und mannigfach modifiziertes werden, daß,
namentlich bei fehlenden Knochensymptomen, ein Anhaltspunkt in
dieser Richtung sehr erwünscht sein kann. Häufig mrd die Dia-
gnose noch durch weitere Myelome an anderen Knochen unterstützt.
Erwähnt muß noch die Cystodiagnose werden, über welche
zwar noch wenig Greifbares bekannt wurde, — soweit sie za
unserem Thema Bezug hat — , von der aber doch noch einiges er-
wartet werden darf. Rindfleisch (5) hat vor einiger Zeit im
Anschluß an die Demonstration einiger Fälle von Rückemnarks-
sarkomatose die Mitteilung gemacht, daß er ein für Sarkom charakte-
ristisches Verhalten des Liquor cerebrospinalis gefunden habe. Ge-
nauerer Bericht über diesen Befund steht noch aus.
Die Radiographie kann namentlich bei Wirbeltumoren wert-
volle Aufschlüsse geben. Doch läßt dieses Verfahren auch bei,
diesen Fällen, wenn es sich, was Fuernrohr(3) neuerdings her-
Zur Differentialdiagnostik d. extra- n. intrameduUären Rückenmarkstumoren. 147
Yorhebt, um gatgenährte Personen handelt, ebenfalls bisweilen im
Stich. Bei meningealen Tumoren sind die Ergebnisse der Röntgen-
Photographie noch sehr unzuverlässige.
Wenn nun auch Anhaltspunkte für die Art des vorliegenden
Tumors für die Entscheidung des Sitzes von Wert sein können,
so darf man andererseits nicht außer acht lassen, daß trotz eines
an anderer Stelle nachgewiesenen Karzinoms, Sarkoms etc. oder
trotz ausgedehnter tuberkulöser Erkrankung noch nicht die Garantie
gegeben ist, daß der vorliegende Kückenmarkstumor gleicher Natur
ist Einige in dieser Hinsicht lehrreiche Fälle verdanken wir einer
Mitteilung N 0 n n e's. Die Autopsie eines dieser Fälle ergab neben
aszendierendem Sarkom des Rückenmarks eine Carcinoma recti mit
Metastasen in der Leber. Bei einem Falle Touche's ergab die
Sektion Psammom, nebenbei Uteruskrebs. Ein Unikum in dieser
Richtung teilt Schlesinger (98) mit: Die Obduktion deckte neben
Sarkom der Dura mater spinalis nicht nur tuberkulöse Karies der
Wirbelsäule auf, sondern auch noch einen verkalkten Cysticerkus
in der linken Parietalwindung. Einen Beleg dafür, wie wenig zu-
verlässig der Schluß ist, falls Tuberkulose in Betracht kommt,
bilden weitere FäUe Nonne's.^) In einem derselben hatte der
Autor von tuberkulösen Erscheinungen auf Karies der schmerzenden
und druckempfindlichen Wirbelsäule geschlossen. Es handelte sich
um Sarkom. Im zweiten Fall war in Ermangelung tuberkulöser
Erscheinungen und tuberkulöser Belastung Tumor angenommen
worden, während die Operation Karies der Wirbelsäule aufdeckte.
Hier sei noch einiger Komplikationen Erwähnung getan, deren
Auftreten bis zu einem gewissen Grade auch aufschließend wirken
kann bezüglich der Frage nach dem Sitze der Geschwulst. In
einer Anzahl von Fällen wurde ein Zusammentreffen von Gliosis
spinalis mit Hydrocephalus internus nachgewiesen. H e u b n e r (36)
hat den Zusammenhang so zu erklären versucht, daß eine Meningitis
spinalis, angeregt von der Gliose, vielleicht aber auch unabhängig
von ihr, sich auf die Auskleidung der Ventrikel fortpflanzt und so
den Hydrocephalus verursacht. Ähnliche Fälle haben Oppen-
heim*) und Schnitze') mitgeteilt. Auch Hof mann erwähnt
ähnliches und führt einen einschlägigen Fall Dejerin's an. Man
muß sich allerdings dabei der Tatsache erinnern, daß bei der
1) Neuro!. Zentralbl. Nr. 1, 1903.
2) Archiv für Psychiatrie Bd. XXV.
3) Archiv fttr Psychiatrie Bd. VIII.
10*
148 VIII. Mauülsä
primären multiplen Sarkomatose des Zentralnervensystems, wenn
das Gehirn mitergriffen ist, auch Hydrocephalus zur Beobachtung
gelangt- Diese Fälle sind aber durch ausgedehntes Ergriffensein
der Rückenmarkshäute usw. wohl charakterisiert und mit einer
auch undeutlich ausgeprägten Gliosos resp. intramedullären Ge-
schwülsten im allgemeinen nicht zu verwechseln. Liegt neben
Spina bifida ein Rückenmarkstumor vor, so kann mit großer Wahr-
scheinlichkeit Lipom angenommen werden, wodurch Zweifel über
den Sitz, ob intra- oder extramedullär, gleichfalls gehoben wären.
Es ließe sich noch mancherlei hier anfügen, doch soll es vermieden
werden, allzu seltene und zu komplizierte Erscheinungen weit her-
zuholen, da ein praktischer Wert für die Entscheidung über den
Sitz des Tumors daraus doch schwerlich resultieren könnte. Des-
gleichen kann über allzu indifferente — d. h. für vorliegendes
Thema — Momente, wie Alter, Geschlecht usw., weggegangen und
die Besprechung der Symptomatologie der Rückenmarkstumoren,
deren differentialdiagnostische Verwertbarkeit, angereiht werden.
Ein Symptom, welches ausschließlich den extra- oder den intra-
medullären Rückenmarkstumoren zukommt, so daß es als Stigma
für den Sitz der Geschwulst gelten könnte, gibt es nicht. Die
einzelnen Symptome sind vielmehr bei beiden Lokalisationen im
wesentlichen die gleichen und erst aus ihrer Aufeinanderfolge,
ihrer Dauer, der Zeit ihres Auftretens usw. ergeben sich wertvolle
Abweichungen je nach dem Sitze.
Das erste Symptom, mit welchem sich das Leiden einzuleiten
pflegt, ist bei extramedullärem Sitz der Geschwulst zumeist, bei
intramedullärem zuweilen, der Schmerz. Und zwar sei hier zunächst
von jenen Schmerzen die Rede, die durch Schädigung der hinteren
Wurzeln zustande kommen und demgemäß eine radikuläre, dem Ver-
breitungsgebiet einer oder mehrerer übereinander liegender Wurzeln
entsprechende Anordnung haben. Bei den Tumoren der Häute
erklärt sich das häufige Einsetzen des Leidens mit sensiblen Wurzel-
erscheinungen, bekanntlich durch die Vorliebe dieser für die hinteren
seitlichen Partien des Marks, also für das dem Eintritt der sen-
siblen Wurzeln entsprechende Gebiet. Doch ist das initiale Auf-
treten sensibler Wurzelsymptome nicht an diese Lokalisation ge-
bunden, sondern es können auch bei der selteneren Lokalisation
des Tumors gegenüber den vorderen Partien des Marks Kompression,
Knickung usw. der hinteren Wurzeln zustande kommen. Beim
Marktumor ist der Beginn mit dem genannten Symptom an die
Voraussetzung geknüpft, daß sich die Geschwulst an der Peri-
Znr Differentialdiagnostik d. extra- u. intrameduUären Rückenmarkstumoren. 149
pherie des Marks nahe dem Eintritt der sensiblen Wurzeln ent-
wickelt.
Inwiefern kann nun dieser Schmerz, der wegen seiner Ver-
breitongsart, seiner außerordentlichen Intensität, der öfters be-
obachteten Remissionen, typisch genannt werden muß, für die
Entscheidung zwischen intra- und extramedullären Sitz verwertet
werden ?
Zunächst ergibt sich, wie schon angedeutet, ein wesentlicher
Unterschied in der Häufigkeit dieses Symptoms je nach der Lokali-
sation der Geschwulst insofern, als der Beginn mit sensiblen
Wurzelsymptomen bei den extramedullären Tumoren die Regel
ist, während er bei den intramedullären nur in der Minderzahl
zutrifft. In der gesamten mir zur Verfügung stehenden Literatur
konnte ich nur ca. 5 ^|^, extramedulläre Tumoren finden, bei welchen
ein neuralgisches Vorstadium fehlte. Nach Abschluß vorliegender
Arbeit wurden in allerletzter Zeit von Schnitze (2) und von
Oppenheim (1) einige Fälle mit fehlenden initialen Wurzel-
schmerzen veröffentlicht, und es dürfte sich lohnen, der Frage
näher zu treten, unter welchen Umständen man ein neuralgisches
Stadium vermissen wird.
In einem Falle, den Boettger und Krause (39) mitteilten,
mußte die abnorme Lagerung der Geschwulst für dieses Abweichen
von der Norm verantwortlich gemacht werden. Der rundliche
Tumor war so gelagert, daß er weder mit vorderen noch mit hin-
teren Wurzeln in Berührung kam. Die Hauptbedingung für diese
Eventualität ist jedenfalls eine sehr geringe Wachstumstendenz der
Geschwulst in longitudinaler Richtung.
Im Fall Quensel (67) lagen die Verhältnisse weniger einfach,
zumal es sich um einen extraduralen Tumor, Sarkom, handelte. Die
den extraduralen Tumoren eigene Tendenz zum Längenwachstum
traf hier allerdings nicht zu, indem sich der Tumor nur auf etwa
2 Segmente erstreckte. Dagegen ist aus dem Sektionsbericht
folgendes zu entnehmen: „Entsprechend dem 7. und 8. Dorsal wirbel-
körper fand sich eine rauhe, blutreiche, wenig feste Geschwulst
von Taubeneigröße, welche der Dura hinten und seitlich auf-
saß, die 7. und 8. Wurzel umfaßte und mit letzterer beiderseits ins
Foramen intervertebrale hineinzog."
Diesem Befunde nach wäre eine Schädigung der Wurzeln, und
damit sensible Reizerscheinungen, in zweifacher Weise zu erwarten
gewesen, nämlich einmal durch die Umwucherung der Wurzeln mit
Geschwulstmassen, ferner ganz besonders durch die Kompression
150 Vin. Malaisä
auf dem Wege durch die Zwischenwirbellöcher. Nun ist es aber
eine bekannte Tatsache, auf die zuerst Couplard-Pasteur,
dann A. Westphal und Nonne aufmerksam gemacht haben, daß
eine große Widerstandsfähigkeit der spinalen Wurzeln gegenüber
der Umklammerung von Geschwulstmassen besteht. Auch Oppen-
heim hat an der Hand eines Falles von Wirbelzertrümmerung
schon auf diese Erscheinung hingewiesen und Nonne hat sie in
einer Arbeit, die 1902 erschien, von neuem zu betonen Gelegenheit
gehabt. Ganz besonders scheint uns dieses hohe Resistenzvermögen
dem Sarkom gegenüber zu bestehen. Damit erklärt sich aber noch
nicht das Ausbleiben von Wurzelsymptomen beim Durchtritt der
Tumormassen durch die Zwischenwirbellöcher, da hierbei die Kom-
pression infolge der Unnachgiebigkeit der knöchenien Unterlage
eine viel intensivere sein mußte. Es finden sich allerdings die von
Tumormassen passierten Intervertebralkanäle oft ausgehöhlt und
erweitert; ob aber die Schonung der spinalen Wurzeln von seiten
der Geschwulstmassen eine so weitgehende ist, daß eher der Knochen
usuriert, als eine Wurzel geschädigt wird, ist zum mindesten zweifel-
haft. Vielleicht spielt in dem konkreten Fall der Blutreichtum
und die dadurch bedingte geringe Konsistenz der Geschwulst eine
Rolle.
Bei einem anderen Falle (Si bei ins (76)), der ebenfalls ohne
sensible Wurzelerscheinungen, sondern gleich mit Steifigkeit und
Schwäche in einer oberen Extremität einsetzte, war, wie aus dem
Obduktionsbericht ersichtlich ist, „ein vom Periost der 1. Rippe
ausgehendes Sarkom in den Wirbelkörper eingedrungen, hatte das
1. Dorsalwurzelpaar umwuchert und das Rückenmark in dieser Höhe
komprimiert'*. Also auch hier lag wieder Sarkom vor. Lediglich
als weiterer Belag für die Widerstandsfähigkeit der Wurzeln sei
hier noch ein von S aller (34) mitgeteilter Fall angeführt. In
diesem hatten „einzelne vordere und hintere Wurzeln den Tumor
passiert, ohne eine Spur von Druckwirkung zu zeigen".
Von ganz besonderem Interesse ist ein ebenfalls gleich mit
MarksjTnptoraen einsetzender Fall, den Oppenheim und Cassirer
beobachteten, und zwar durch eine Reihe auffallender Momente:
1. lagen 2 Tumoren vor, 2. war der eine größere und tiefer ge-
legene Tumor vorne seitlich, der kleinere 2 cm höher gelagerte
hinten am Mark gelagert; 3. war eine hintere Wurzel durch die
Geschwulst hindurch zu verfolgen, während die nächsttiefere letz-
terer in ganzer Ausdehnung anlag.
Weiter unten soll näher auf diesen Fall eingegangen werden.
Zur Dififerentialdiagiiostik d. extra- n. intramedullären Eückenmarkstamoreii. 151
Vorher sei noch das Wichtigste aus der schon erwähnten Schultze-
schen Beobachtung angeführt.
Es handelte sich um einen ca, haselnußgroßen Tumor, der hinten
seitlich das Mark komprimierte. Soviel aus dem Berichte einsieht-
lieh, war primär eine hintere Wurzel nicht in Mitleidenschaft
gezogen. Ausgehend von diesem Falle hat Schnitze nun für das
Fehlen der Wurzelschmerzen die Hypothese aufgestellt, daß die
Schmerzen deshalb nicht zustande kamen, weil eine Kompression
der schmerzleitenden Bahnen die zentripetale Weiterleitung des
Schmerzreizes unterbrach. Vorausgesetzt muß hierbei werden, daß
sich der Tumor hauptsächlich in transversaler Richtung ausdehnt
und daß bis zur völligen Kompression^), die nächst untere Wurzel
nicht geschädigt wird. Dehnt sich der Tumor auf die nächsthöhere
Wurzel aus, so ist die Kompression für die Entstehung von radiku-
lären Schmerzen natürlich belanglos. Für die Oppenheim'sche
Beobachtung ist die Schnitze 'sehe Hypothese noch besser an-
wendbar. Der höher gelagerte Tumor hat seinen Sitz hinten am
Mark und verhindert durch die Kompression der Hinterstränge, daß
die durch den 2. Tumor ausgelösten sensiblen Reize zum Gehirn
gelangen. Denn daß auch bei Sitz an den vorderen Teilen des
Kückenmarksquerschnitts Wurzelschmerzen, sogar als erstes Zeichen,
auftreten können, ist bekannt. Bei der Größe des zweiten Tumors
ist eine Schädigung der sensiblen Wurzeln durch Knickung, An-
pressung an den Wirbel usw. fast unausbleiblich. Daß die den
oberen Tumor passierende hintere Wurzel keinen Schmerz auslöste,
dafür findet sich zwar keine befriedigende Erklärung, doch kann
es nach den oben erwähnten, die Widerstandsfähigkeit der spinalen
Wurzeln betreffenden Erfahrungen weiter nicht wundernehmen.
Neben dem letzterwähnten Umstand war für die Fälle mit
fehlendem neuralgischen Vorstadium in einem Falle der Umstand
zutreffend, daß der Tumor keine Wurzel schädigte, während für
zwei andere die Erscheinung durch die neue Theorie Schnitze's
eine plausible Erklärung findet.
Der geringe Prozentsatz der Fälle extramedullärer Geschwülste,
die ohne Wurzelschmerzen gleich mit Marksymptomen beginnen,
stempelt das neuralgische Vorstadium insofern zu einem sehr
schätzenswerten differentialdiagnostischen Moment, als ein neural-
gisches Vorstadium — isolierte Wurzelschmerzen — beim Mark-
1) Daß die Kompression gleich eine so vollkommene sein soll, daß nicht
einige Fasern leitnngsfähig bleiben, ist allerdings etwas zweifelhaft.
152 Vm. MALAISfi
tumor recht selten sind. Erhöht wird sein Wert aber duich eine,
für das neuralgische Vorstadium der außerhalb des Marks etablierten
Geschwülste, charakteristische Erscheinung, nämlich die meist lange
Dauer des isolierten Bestehens. Diese beträgt meist mehrere Monate,
ist aber in den einzelnen Fällen selbstredend erheblichen Schwan-
kungen unterworfen. Während die Dauer sich bei vereinzelten
Fällen nur über 4—6—8 Wochen erstreckte, sind Fälle mit jahre-
langer Dauer des neuralgischen Stadiums (als einziges Krankheits-
zeichen) keine große Seltenheit. So berichtet Schnitze über einen
Fall, in welchem es 8 Jahre anhielt, einen anderen mit 2 Va jähriger
Dauer, Oppenheim einen Fall mit ebenso langer Dauer. In einem
Falle Quant's bestand ebenfalls jahrelang isoliert ein neuralgisches
Vorstadium, in einem Falle Sachs' hielt dasselbe auch 18 Monate
an und beherrschte während dieser Zeit als einziges Symptom das
Krankheitsbild.
Demgegenüber ist, m. W., in der Literatur kein Fall bekannt,
in welchem eine unkomplizierte Markgeschwulst als erstes Symptom
über einen monatelangen Zeitraum radikuläre Wurzelschmerzen ver-
ursacht hat.
Ist dagegen ein intramedullärer Tumor durch eine ausgedehnte
Leptomeningitis kompliziert, so kann dies durch die ausgedehnten
Wurzelsymptome eine Diagnose des intramedullären Sitzes der Ge-
schwulst unmöglich machen.
Schnitze (2) teilt einen Fall von Gliom mit, in dem die
Verhältnisse so lagen. Die Diagnose in vivo konnte nicht ge-
stellt werden. Auch Hahn (28) berichtet über einen ähnlich ge-
lagerten Fall.
Was das diesbezügliche Verhalten der Wirbeltumoren angeht,
so kann bei ihnen, falls die Destruktion des Knochens anfangs
latent bleibt, ebenfalls das Leiden mit Wurzelschmerz einsetzen.
Derselbe ist dann meist sehr stark prononziert und kann, was das
Wichtigste ist, wie beim Tumor der Häute, auch über längere Zeit
isoliert bestehen.
Faßt man das Vorstehende zusammen, so gelangt man zu dem
Schlüsse, daß das monate- oder jahrelange isolierte Bestehen von
Wurzelschmerzen ein nahezu ausschließlich den Tumoren mit extra-
medullärem Sitze zukommendes Verhalten ist. Das Fehlen eines
neuralgischen Vorstadiums macht einen intramedullären Sitz wahr-
scheinlich, spricht aber nicht absolut gegen einen Tumor der Häute
(oder der Wirbelsäule).
Diese radikulären Schmerzen können nach einiger Zeit im
Zur Differentialdiagnose der extra- u. intxamednllären Eückenmarkstamoreo. 153
weiteren Verlaufe des Leidens sistieren, was mit der völligen Zer-
störung der befallenen Wurzel eintreten wird (Schnitze), insofern
natürlich — was bei starkem Längenwachstum zu befurchten ist —
die Geschwulst keine weiteren sensiblen Wurzeln in Angriff nimmt
Treten, falls letzteres nicht zutrifft, Schmerzen auf, so verdanken
diese ihre Entstehung meist der Reizung intraspinaler Fasern.
Demgemäß entbehren sie der radikulären Anordnung und treten
peripherwärts auf. Diese Schmerzen fehlen, die Gliose ausgenommen,
fast niemals im Verlaufe intramedullärer Geschwülste. Vielmehr
treten sie hierbei häufig in großer Intensität auf und erstrecken
sich oft über den ganzen Körper, so daß jede Bewegung, in manchen
Fällen selbst die leiseste Berührung, Schmerz auslösen kann. Indes
ist diese Erscheinung später auftretender Schmerzen auch bei extra-
medullären Geschwülsten keine Rarität. Immerhin scheint es aber,
daß sie nicht mit der Regelmäßigkeit beobachtet werden, ^^e beim
Marktumor, daß sie selten sehr hohe Grade erreichen, endlich, daß
sie mehr passagerer Natur sind. Man kann also dahin resümieren,
daß ein völlig schmerzloser Verlauf, falls Gliose auszuschließen, im
allgemeinen gegen Marktumor spricht. ^)
Bleibt ein nicht zu rasch wachsender Tumor auf die Vorder-
hörner beschränkt und erfolgen keine, auch sensible Partien in
Mitleidenschaft ziehende Blutungen etc., so muß man allerdings
auch einen schmerzlosen Verlauf u. a. gewärtigen. Die bei ge-
nannter Lokalisation zutage tretenden Symptome sind aber so
prägnante, daß, wenn man sich über das Vorhandensein eines
Tumors einmal im klaren ist, die Frage, ob intia- oder extra-
medullär, keine Schwierigkeiten mehr bereitet.
Beiläufig mag noch bemerkt werden, daß auch die Gliose mit
hochgradigen, anhaltenden und sehr ausgedehnten Schmerzen einher-
gehen kann. So erwähnt u. a. Kuntz einen Fall, in welchem
3 Jahre lang Schmerzen in einer oberen Extremität bestanden
hatten, die sich später auch auf die andere erstreckten.
1) DaO diese, durch Heizung intraspiualer Bahnen verursachten Schmerzen,
— gleiche Lokalisation des Tumors vt)rau8ge8etzt — in einem Falle fehlen, im
anderen vorhanden sind, ist eine üherraschende Tatsache, die m. E. in erster Linie
davon abzuhängen scheint, ob die Geschwulst sehr rasch wächst (in transversaler
Eichtung), oder sich nur langsam vergrößert, mit anderen Worten, ob die Kom-
pression eine mehr brüske oder allmähliche schonendere ist. Für diese Art
Schmerzen kann die neue Schultze'sche Theorie kaum herangezogen werden,
denn bis es zu einer vollständigen Leitungsunterbrechung der schmerzleitenden
Bahnen kommt, ist ja reichlich Zeit und auch Anlaß zur Entstehung von
Schmerzen gegeben.
154 VIII. Malaisä
Auch die Wirbelsäule ist bei den Tumoren des Rückenmarkes
oft der Sitz erheblicher Schmerzen. Obwohl der Grad derselben
nicht immer im Einklang steht mit der Beteiligung der Wirbel-
säule an dem Prozesse, so erfihrt die Differentialdiagnose doch
häufig eine Förderung durch das Symptom. Mit den Wirbelsäulen-
schmerzen seien auch gleich die objektiven Veränderungen an der
Columna vertebralis besprochen, die im Verlaufe der Rückenmarks-
geschwülste zur Beobachtung gelangen.
Bei den Schmerzen muß zunächst zwischen einer diffusen,
größere Abschnitte der Wirbelsäule betreffenden und einer zirkum-
skripten, auf einen oder zwei benachbarte Quer- resp. Darmfort-
sätze beschränkten Schmerzhaftigkeit unterschieden werden. Ein
weiterer Unterschied besteht insofern, als spontane Schmerzhaftig-
keit bestehen kann, oder der Schmerz erst durch Bewegungen,
Erschütterungen, Druck auf die Wirbel oder plötzliche Belastung usw.
verursacht wird.
Es ist das Nächstliegende, die stärksten subjektiven und ob-
jektiven Symptome von jenen Tumoren zu erwarten, die ihren
Ausgangspunkt von den Wirbelknochen nehmen. In der Tat geht
auch die Mehrzahl der Wirbeltumoren mit Schmerzen an der
Wirbelsäule, weniger oft spontan als auf direktem Druck oder bei
Bewegungen, einher. Indes findet ein Abweichen von dieser Norm
nach zweierlei Richtung statt: einmal kommt es nicht zu selten
zur Beobachtung, daß die Wirbelsäule, d. h. einzelne Wirbel, schon
einer ausgedehnten Destruktion verfallen ist, ohne daß bis zum
Ende Schmerzen auf diesen Prozeß hingewiesen hätten. Böttiger,
Nonne, Thomas u. a. haben solche Fälle mitgeteilt. Vermißt
man bei einem Tumor, bei dem Destruktion und damit Schmerz-
haftigkeit der Wirbelsäule seiner Art nach erwartet werden muß,
diese Symptome, so kann dies eine Diagnose zum mindesten ins
Wanken bringen. Diesen Fällen, bei welchen die Wirbelsäule trotz
ausgedehnter Erkrankung äußerlich intakt erscheint, stehen andere
gegenüber, bei welchen oft recht beträchtliche Wirbelsäulensymptome
bestehen, obwohl der Tumor mit dem Knochen gar nicht in direktem
Kontakte steht, geschweige denn ihn usuriert.
Hochgradige Schmerzen an der Wirbelsäule kommen bei un-
komplizierten Marktumoren nicht zur Beobachtung, Steifigkeit da-
gegen und Schmerzhaftigkeit bei Bewegungen der — namentlich
difformen — Wirbelsäule ist auch bei intramedullärem Tumor nicht
auszuschließen. In unkomplizierten Fällen, sage ich, denn ist die
Meninx mitergriffen, so können natürlich sehr heftige Wirbelsäulen-
Zar DifferentialdiagTiose der extra- n. intramednllären Rückenmarkstumoren. 155
Symptome bestehen, wie z. B. in einem Falle Schnitze' s. Aber
es ist da nicht mehr von einem intramedullären Tumor sensn stric-
tiori die Bede^ da ja nicht dieser, sondern die „extramedulläre
Komplikation" die Erscheinung hervorruft, und daß Tumoren der
Häute, namentlich extradurale, heftigen Wirbelsäulenschmerz, der
im letzteren Fall auch umschrieben auftritt, erzeugen können, ist
bekannt. Das Resum^ ist also folgendes: Eine umschriebene
Schmerzhaftigkeit der Wirbelsäule findet sich in erster Linie bei
Tumoren, die von letzterer ihren Ausgang nehmen (können hierbei
aber auch fehlen); dann aber auch bei Geschwülsten der Häute,
insbesondere extraduralen. Bei intramedullärem Sitz der Geschwulst
kommt sie indessen in ausgesprochener Weise nicht zur Beobachtung.
Bis hierher ist also der differentialdiagnostische Wert des Symptoms
nicht anzuzweifeln. Dagegen kann der diffusen Schmerzhaftigkeit
der Wirbelsäule keine differentialdiagnostische Bedeutung beigelegt
werden, insbesondere wenn Difformitäten an der Columna verte-
bralis vorliegen. Letztere haben die verschiedenartigsten Ent-
stehungsursachen. Besteht eine spitzwinklige Kyphose, so ist die
Situation damit im allgemeinen völlig geklärt: Es liegt entweder
tuberkulöse Karies oder Karzinom der Wirbelsäule vor, also jeden-
falls ein Prozeß am Knochen. Schlesinger, der in Wirbel-
tamoren wohl die größte Erfahrung hat, hat allerdings einen Fall
von spitzwinkliger Kyphose bei einem unkomplizierten meningealen
Tumor gesehen, der auf den Knochen nicht übergegriffen hatte.
Der Fall ist aber jedenfalls ein Unikum, mit dem nicht gerechnet
zu werden braucht. Runde Kyphosen, Kyphoskoliosen etc. kommen
bei extra- und intramedullärem Sitze vor, bei der Gliose, wie be-
kannt, oft in sehr hohem Grade. Des weiteren vermögen Tumoren
der Häute Wirbelsäulenverkrümmungen, namentlich seitliche, zu
provozieren. Oppenheim (21) beobachtete in zwei später operativ
behandelten Fällen extramedullärer Tumoren sich eine Skoliose
entwickeln, und zwar nach der Seite der Geschwulst. In diesen
Fällen ist die Entstehung der Verkrümmung jedenfalls auf das
Bestreben der Kranken zurückzuführen, die Wirbelsäule zu ent-
spannen, d. h. ihr die Stellung zu geben, in welcher die Schmerzen
am geringsten sind. Nach Entfernung der Geschwulst kann sich
die Skoliose, wie Oppenheim konstatierte, wenigstens zum Teil
wieder ausgleichen.
Bei Beurteilung namentlich geringerer Grade von Wirbel-
säulenverkrümmung hinsichtlich ihrer Verwertbarkeit bei schwan-
kender Diagnose des Sitzes der Geschwulst ist also jedenfalls
156 Vni. MALAISß
einige Reserve zu empfehlen. Spitzwinklige Kyphosen sprechen
absolut für einen Knochenprozeß — daran vermag auch die oben
angeführte vereinzelte Beobachtung nichts zu ändern. Lassen sich
Dislokationen von Wirbelbestandteilen nachweisen (Dorn- resp.
Querfortsätze oder Teile eines Wirbelbogens) , so sind Zweifel
über die Lokalisation der Geschwulst damit natürlich gehoben.
Bevor zur Besprechung des Krankheitsverlaufes übergegangen
wird, möge noch eine Erörterung der Frage gestattet sein, wie sich
die sensiblen und motorischen Bahnen verhalten, je nachdem sie
einer Kompression durch den Tumor ausgesetzt sind, oder direkt
durch einen solchen irritiert werden.
Zunächst ist zu konstatieren, daß die Anordnung der durch
eine Geschwulst verursachten sensiblen Ausfallserscheinungen, inso-
fern es sich um Mark Symptome handelt, eine segmentäre ist.
Selbst die Gliose, welche infolge einer gewissen Regelmäßigkeit in
der Lokalisation des Krankheitsprozesses hinsichtlich der Sensi-
bilitätsstöiTingen charakteristisch genannt werden kann, macht,
wie Schlesinger (102) hervorhebt, nur in den seltensten Fällen
eine Ausnahme. Als derartige Abnormitäten führt genannter
Autor eine gliederweise, oder, was nur in ganz vereinzelten Fällen
beobachtet wurde, eine spiralförmige Anordnung der sensiblen
Ausfallserscheinungen an. Dieses Symptom muß nun allerdings als
Monopol der Gliose anerkannt werden, ohne daß es aber bei seiner
ungeheuren Seltenheit differentialdiagnostisches Interesse bean-
spruchen könnte.
Die Begrenzung der sensiblen Symptome bietet keinerlei mar-
kante Abweichungen, je nach dem Sitz des Tumors. Die anästhe-
tische Zone kann sowohl beim Marktumor wie beim extramedullären
von einer schmalen hyperästhetischen Zone überdacht sein, die hier
wie dort aber häufig auch vermißt wird.
Ein Symptomenkomplex, welcher mehr Berücksichtigung bei
der Entscheidung des Sitzes der Geschwulst verdient, ist die
dissoziierte Empfindungslähmung, eine Erscheinung, welche bei je-
weiliger Berücksichtigung der zeitlichen Umstände ihres Auftretens
und ihrer Nebenerscheinungen die Situation oft mit einem Schlage
klärt. Sie stellt eines der Kardinalsymptome der Gliose dar, wird
aber auch nicht zu selten bei meningealen und Wirbeltumoren ^) be-
obachtet. Wie das Zustandekommen der dissoziierten Empfindungs-
lähmung bei Kompression von außen her zu erklären ist, ist eine
1) Böttiger, Thomas u. a.
Zar Differentialdiagnose der extra- n. iutramednilären Rückenmarkstumoren. 157
nicht immer leicht zu beantwortende Frage. Nimmt man an, daß
die Temperatur- und Schmerzgefühl leitenden Bahnen im Seiten-
strang nach dem Zentrum aufsteigen und erkennt die Hinterstränge
als Bahn für das Muskelgefuhl an, so ist die Möglichkeit einer
isolierten Schädigung der erstgenannten Empiindungsqualitäten
zuzugeben, wenn das Mark von hinten und seitlich komprimiert
wird. Ist aus einer Beschränkung der dissoziierten Empfindungs-
lähmung auf einen, der Segmenthöhe der Kompression entsprechenden,
Körperbezirk, auf eine Schädigung des Hinterhorns zu schließen, so
kommt einem bei der Erklärung dieser Erscheinung vielleicht die
Erfahrung zu Hilfe, daß bei Kompression von außen her zuerst
nnd am meisten die zentral gelegenen (und gegenüber liegenden)
Teile des Marks zu leiden pflegen. Indes kann man sich nicht des
Zweifels erwehren, ob hierfür lediglich mechanische und nicht viel-
mehr weit kompliziertere Momente — auf dem Gebiete der Blut-
versorgung u. s. f. — in erster Linie in Betracht kommen.
Einen gewissen Anhaltspunkt gibt auch die Lokalisation der
dissoziierten Empfindungslähmung r handelt es sich um Gliose, so
wird die dissoziierte Anästhesie — als Ausdruck der Hinterhorn-
erkrankung — meist eine homolaterale sein und in der Regel
den Arm betreifen. Ist sie dagegen das Kesultat einer Kompression,
so ist sie gewöhnlich durch Läsion der Seitenstränge bedingt und
tritt demgemäß am gekreuzten Beine auf.
Jedenfalls ist ein Überwiegen im Vorkommen der dissoziierten
Empfindungslähmung bei Sitz der Geschwulst im Marke zu kon-
statieren. Freilich kann sie hierbei auch fehlen. Einen in mannig-
facher Hinsicht ^) interessanten Fall teilten zwei französische Au-
toren^) mit, bei welchen die partielle Empfindungslähmung in un-
gewohnter, wenn man so sagen darf, „umgekehrter"* Weise zum
Ausdruck kam. Der betreffende Patient zeigte nämlich in den
oberen Extremitäten taktile Anästhesie bei erhaltenem Schmerz-
und Temperaturgefühl. Es lagen 3, in den weißen Strängen ge-
legene, Gliome vor.
Was die motorischen Bahnen betrifft, so erübrigt noch eine
kurze Besprechung der motorischen Wurzelsymptome. Der Um-
stand, daß erfahrungsgemäß erst der Ausfall von zwei oder drei
übereinander gelegenen Wurzeln deutliche Erscheinungen hervor-
zurufen vermag, bedingt es, daß motorische Wurzelsymptome, zumal
1) Auch in Hinsicht anf die Mann'sche Theorie von der Leitung des Tast-
sinnes.
2) Patoir et Raviart.
158 VIII. MlLAIBfi
Lähmungen, eher bei extramedullären, speziell extraduralen Tu-
moren vorkommen, als bei Markgeschwölsten. Namentlich die
extraduralen Geschwülste sind es, die bei ihrer Neigung zu be-
trächtlicher Längenausdehnung ausgedehnte Wurzelzerstörungen
verursachen. Beherrschen motorische Wurzelsymptome längere
Zeit das Krankheitsbild und werden in relativ kurzer Zeit eine
immer größere Zahl von vorderen Wurzeln in den Prozeß mit ein-
bezogen, so ist dies gegen intramedullären Sitz^) wohl verwert-
bar. Sensible Erscheinungen können dabei fehlen. Häufiger, weil
schon durch geringere A^nzahl lädierter Wurzeln hervorzurufen, als
Lähmungserscheinungen, sind Reizerscheinungen in den vorderen
Wurzeln. Ihr Vorkommen ist bei extramedullären Tumoren häu-
figer zu beobachten, als wenn der Tumor im Mark sich etabliert
hat, und es sprechen Muskelkrämpfe und dergleichen mehi* für
erstere Lokalisation. *) Aber auch bei Markgeschwülsten kommen
motorische Reizerscheinungen oft in recht ausgesprochener Weise
zur Beobachtung, was um so leichter erklärlich, als sie auch durch
Reizung intraspinaler Bahnen auslösbar zu sein scheinen. Roux
und Paviot (89) teilen u. a. einen Fall von Gliom mit, bei welchem
schon leiseste Berührung heftige Muskelkontrakturen verursachten,
ohne daß in der Mitteilung eine Notiz über ein eventuelles Er-
grififensein der Häute enthalten wäre.
Ahnliches gilt, was Schnitze ebenfalls hervorhebt, von den
j Spasmen, die bei extramedullären Geschwülsten sehr häufig zu
finden sind. Da jedoch für dieses Symptom ein anatomisch und
physiologisch einigermaßen abgrenzbares Gebiet im Rückenmark
verantwortlich gemacht werden kann — die Pyramiden — , so ist
I die Möglichkeit, daß eine Markgeschwulst bei entsprechender
Lokalisation auf dem Querschnitt, das gleiche, ja in sehr hohem
Grade bewirken kann, zugegeben. Diese theoretischen Erwägungen
finden ihre praktische Bestätigung durch zwei Fälle, die wir der
Mitteilung Kien bock' s (85) verdanken. Es handelt sich in
beiden um Gliose: der erste begann vier Jahre vor dem Exitus
' mit spastischen Erscheinungen in den oberen Extremitäten und
i spastischem Gang, der andere zeigte ebenfalls initial und jahrelang
I anhaltend das letztgenannte Symptom.
A\'aren Wurzelsymptome, sensible oder motorische, vorhanden
1) Die Komplikation einer Leptomeningitis wieder anageschlossen.
2) Die Seltenheit dieses Symptoms stellt freilich seinen differentialdiagnosti«
sehen Wert sehr in Frage.
Zur Differentialdia^ose der extra- n. intramedullären Rückenmarkstumoren. 159
SO reiht sich im weiteren Verlauf des Leidens bei beiden Lokali-
s&tionen ein weiterer Komplex von Erscheinungen an, die ihre
Ursache in einer Schädigung des Markes haben. Aber es tritt
auch hierbei eine gewisse Verschiedenheit hervor, je nach dem
Sitze der Geschwulst, die zwar nicht immer vorhanden oder nur
verschwommen angedeutet sind, und auch wieder nicht ausschließ-
lich dieser oder jener Lokalisation zukommen. Zunächst fällt es
auf, daß bei Tumoren außerhalb des Marks, vornehmlich den
meningealen Tumoren, wie schon die Wurzelsymptome, so auch die
ersten Marksymptome unilateral auftreten. Auch Wirbel-
tamoren können dieses Verhalten einhalten, doch ist es hier nicht
die Kegel. Beim Marktumor aber kann ein, namentlich länger
prosistierendes, unilaterales Auftreten der Marksymptome als Selten-
heit bezeichnet werden. Es ist dies auch nicht zu verwundern,
denn ein intramedullärer Tumor wird bei seinem Wachstum über
kurz oder lang die Medianlinie überschreiten, ganz abgesehen da-
von, daß sehr häufig durch Blutungen, oder aber nur durch die
entzündlichen Prozesse im Mark, welche seine Entwicklung be-
gleiten, Bezirke der anderen Rückenmarkshälfte in Mitleidenschaft
gezogen werden. Ganz anders liegen die Verhältnisse beim Tumor
der Häute. Seine Vorliebe, sich an den seitlichen Rückenmarks-
partien, speziell hinten seitlich zu etablieren, erklärt auch das
meist einseitige Auftreten der Wurzel und der Marksymptome bis
zur völligen Querschnittsunterbrechung.
Aus dieser Gepflogenheit der extramedullären Geschwülste
folgt noch eine weitere Tatsache, nämlich das weit überwiegende
Vorkommen der Brown-S6quard'schen Halbseitenläsion bei genannter
Lokalisation der Geschwulst. Fälle, in welchen die Halbseiten-
läsion durch einen Marktumor hervorgerufen war, sind nicht viele
bekannt^ außerdem aber sind sie noch dadurch charakterisiert, daß
sie meist von sehr geringer Dauer waren.
Solche Fälle wurden von Henneberg (56) und L. R. Mül-
ler (82) mitgeteilt. Im letzteren Falle lag ein Solitärtuberkel vor,
der laut Obduktionsbericht das oberste Brustmark in der Höhe des
IL Dorsalsegments in der rechten Hälfte eingenommen hatte. In
der linken Hälfte bestanden außer leichter Stauung keine Ver-
änderungen. Im Falle Henne b er g war es ein Gliasarkom, das
durch sein Beschränktbleiben auf eine Rückenmarkshälfte zur
Halbseitenläsion geführt hat.
Die Krankheitsdauer des ersten Falles betrug 5 Wochen,
während der zweite Fall innerhalb 6 Wochen zum Exitus kam.
160 VIII. Malaisä
Das einseitige Auftreten der Symptome, namentlich wenn nach
unilateralen Wurzelsymptomen die Marksymptome in gleicher
Weise auftreten, ebenso die Brown-Sequard'sche Halbseitenläsion,
wenn sie sich noch dazu über längere Zeit erhält, sind Symptome,
deren Auftreten sehr entschieden für extramedullären Sitz der
Geschwulst sprechen.
Die einzelnen Stadien, die beim extramedullären Tumor im
Krankheitsverlaufe unterscheidbar sind, wurden bereits erwähnt.
Was die zeitliche Aufeinanderfolge derselben anlangt, so läßt sich
auch in dieser Hinsicht ein gewisser, häufig wiederkehrender Typ
erkennen. Nach meist langem, isolierten Bestehen des (uailateralen)
Wurzelstadiums folgt das der (ebenfalls meist einseitigen) Mark-
kompression, welches seinerseits, wie Oppenheim hervorhebt,
meist rasch in das Stadium der völligen Querschnittsunterbrechung
übergeht. Diese einzelnen Phasen des Leidens sind in der aller-
größten Mehrzahl der Fälle lückenlos aneinander gereiht, der Ver-
lauf ist ein stetig progredienter, nicht sprunghafter , sondern es
ist in jedem Fortschritt des Krankheitsprozesses lediglich die not-
wendige Konsequenz der allmählichen Größenzunahme der Ge-
schwulst zu sehen. ^) Daraus resultiert, daß einzelne Symptome
resp. Symptomenkomplexe zeitlich an gewisse Stadien der Krank-
heit gebunden sein müssen.
Beim Marktumor ist dies nun nicht der Fall, der Verlauf ist
ein regelloserer, gerade durch das Auftreten unvorhergesehener und
überraschender Zwischenfälle charakterisierter. Natürlich ist dies
nicht in allen Fällen intramedullärer Geschwülste zu erwarten, wie
sich überhaupt kein Krankheitsbild weniger eignet, in eine starre
Form gepreßt zu werden, als das so komplizierte der Rückenmarks-
geschwülste. Wie schon aus der Möglichkeit eines neuralgischen
Vorstadiuras hervorgeht, ist auch beim Marktumor eine Unter-
scheidung einzelner Stadien zuweilen durchführbar. Aber im
weiteren Verlauf kommt die Neigung zu sprunghafter Entwicklung
doch wieder zum Durchbruch. Sowohl hierfür als auch zur Er-
klärung des Umstandes, daß bei intramedullärem Sitz jedes
Symptom initial aufzutreten vermag, muß man sich die Tatsache
vergegenwärtigen, daß bei dieser Lokalisation eben von Anfang an
das Mark der geschädigte Teil ist und daß diese Schädigung uber-
1) Ausnahmen sind die bei malignen Tnmoren nnd infektiösen Grannlomen
znweilen proakut auftretenden totalen Querschnittsunterbrechnngen, die ihre Er-
klärung z. T. in einer Toxikämie, z. T. in ohne ersichtliche Ursache auftretenden
ausgedehnten Querschnittserweichungen finden.
Zur Differentialdiagnose d. extra- n. intramednllären BUckeBmarkstnmoren. 161
dies eine radikalere sein muß, als wie bei selbst vorgeschrittener
Kompression von außen her. Infolgedessen kann ein Marktumor
auch schon nach kurzem Bestehen eine sehr extensive Wirkung
entfalten, was keineswegs mit einer kürzeren Erankheitsdauer zu-
sammenhängt. Nach den Berechnungen Schlesinger's beträgt
diese nämlich für die intramedullären Geschwülste im Mittel 17
Monate, für extra- und intradurale dagegen 13, resp. 26 Monate.
Die Ursache der bei intramedullärem Sitz häufig beobachteten
Zwischenfalle ist bekannt ; sie liegt in den mit dem Wachstum der
Geschwulst verbundenen entzündlichen Prozessen und Blutungen,
— Erscheinungen, die bei Kompression von außen ungleich seltener
sind. Am evidentesten kommen diese sekundären Prozesse natür-
lich zum Ausdruck, wenn sie, was gerade bei Marktumoren recht
hänfig, die Hals- resp. Lendenanschwellung betreffen.
Bei dieser Lokalisation kommt auch ohne Blutungen usw. der
Unterschied zwischen extra- und intramedullärem Sitz besonders
zur Geltung. Sind z. B. die Vorderhörner exklusiv betroffen, —
die graue Substanz ist ja ein Prädilaktionsort für die Entstehung
von Tumoren — so ist das Krankheitsbild ausschließlich durch eine
von Anfang an rapid fortschreitende degenerative Atrophie be-
herrscht, wie es in diesem Grade durch extramedulläre Tumoren
nicht verursacht werden kann.*)
Hier sei noch auf einzelne Symptome hingewiesen, die aus-
nahmsweise auch bei extramedullärem Sitz frühzeitig auftreten
können. Hierzu ist die Ataxie zu rechnen. Indes ist das Symptom
äußerst selten und lediglich in dem Sinne hier angeführt, daß die
gelegentliche intiale Beobachtung kein Grund ist, die Diagnose des
extramedullären Sitzes ins Wanken zu bringen. Wie Oppen-
heim (1) weiterhin in seiner Abhandlung über „den abdominalen
Symptomenkomplex" an der Hand einschlägiger Fälle nachweist,
kann unter Umständen auch eine degenerative Bauchmuskel-
lähmung das erste Krankheitszeichen extramedullärer Geschwülste
abgeben, und zwar ohne daß etwa ein langgestreckter extraduraler
Tumor eine große Zahl vorderer Wurzeln zerstört. Die Erscheinung
kann durch einen Tumor des unteren Dorsalmarks hervorgerufen,
erklärt aber nur dadurch werden, daß die Bauchmuskeln, auch
1) Durch Zerstö^ang mehrerer vorderer Wurzeln, durch eine flächenhaft
ausgedehnte extradurale Geschwulst kann event. auch ein ähnlicher Symptomen-
komplex provoziert werden. Wie aber B r u n s schon in seinem mehrfach zitierten
Werke hervorhebt, sind hierbei Störungen der elektrischen Erregbarkeit und
solche trophischer Natur lange Zeit zu vermissen.
Deotsches Arohiv f. kUn. MediKin. LXXX. Bd. 11
162 ^ni. Malais«
wenn nicht alle an ihrer Innervation beteiligten unteren Dorsal-
worzeln zerstört resp. leitungsunfähig sind, nicht in einzelnen
Muskelsegmenten sondern in toto gelähmt sind.
Noch eines weiteren Umstandes sei Erwähnung getan, der auch
manchmal dazu beitragen kann, einen Marktumor von einer 6^
schwulst der Häute oder der Wirbel zu unterscheiden. Es sind
dies Besserungen des Leidens, Stillstände, Remissionen, Schwan-
kungen u. s. f. Wie im voraus bemerkt sei, sind dies Erschei-
nungen, wie sie die Markgeschwülste nicht allzu selten aufweisen.
Remissionen beobachtet man weiterhin im neuralgischen Stadium
der extramedullären Tumoren, ja sie sind für diese Erankheits-
etappe bis zu einem gewissen Grade sogar charakteristisch. Ist
die betroffene sensible Wurzel zerstört^ so kann es eine Zeitlang
dauern, bis deutliche Marksymptome auftreten, — eine Zeit^ die
als Stillstand des Leidens imponieren kann, von einem Kundigen
aber nicht so au^efaßt werden wird.
Was das diesbezügliche Verhalten des Marktumors anlangt, so
sei dies durch die Krankengeschichte eines Patienten von Sänger (96)
— es handelte sich um Gliom — illustriert. Die Kranke zeigte im
Anschluß an ein Wochenbett Schwäche im linken Bein, Schmerzen
vom Rücken nach den Knien ausstrahlend. Im weiteren Verlauf:
Gehen und Stehen erheblich erschwert, zeitweilig Blasen-Mastdarm-
störungen, aufgehobene Sehnenreflexe an den unteren Extremitäten,
Sensibilitätsstörungen etc. Nach Verordnung von Ruhe und Sitz-
bädern war Patient nicht nur von den Schmerzen befreit, sondern
auch das Gehen war erheblich gebessert und Blase und Mastdarm
funktionierten wieder normal.
Für diesen Fall und ähnliche dürfte die Resorption einer
Blutung, die entweder ins Mark oder in die Geschwulst erfolgte,
die Ursache der Erscheinung abgeben. Ein derartiges „regressives"
Verhalten wird man bei Geschwülsten der Häute und Wii-bel nicht
zu erwarten haben. Henschen (33) berichtet allerdings über
einen Fall, der eine Ausnahme von dieser Regel zu machen
scheint
Bei seinem Kranken hatten sich im Verlauf einiger Jahre alle
Symptome einer fortschreitenden Markkompression eingestellt,
Anästhesie am linken Arm, später Parese der linken Seite, endlich
Blasen-Mastdarmstörungen und okulopupilläre Symptome. Nun be-
gannen aber die Symptome in umgekehrter Reihenfolge wieder
zu schwinden bis zur völligen Wiederherstellung des Patienten.
Spondylitis und Syphilis waren mit Bestimmtheit auszuschließen,
Znr BifFerentialdiagnose d. extra- a. intramednllären Rückenmarkstumoren. 163
dagegen fanden sich an verschiedenen Stellen der Eorperperipherie
multiple Psendoneorome.
Der ganze Verlauf zwang also zu der Annahme, daß der
zweifellos yorliegende Rückenmarktnmor infolge Kompression oder
Anämie einer repressiven Metamorphose verfallen war, was dadurch
noch an Wahrscheinlichkeit gewann, daß das Gewebe der peripheren
Geschwülste, mit denen der Rückenmarktumor seiner Natur nach
identisch angenommen werden kann, sich ebenfalls als sehr hinfällig
erwiea
Dieses Ereignis ist jedenfalls als Kuriosum zu bezeichnen, und
man wird bei der Differentialdiagnose gut tun, im allgemeinen
nicht mit der Möglichkeit eines so ausgesprochenen regressiven
Verhaltens der extramedullären Tumoren zu rechnen.
Dagegen findet man auch bei dieser Lokalisation Schwankungen
in der In- und Extensität einzelner Symptome, speziell der sensiblen
Ausfallserscheinungen. Diese, übrigens seltene, Escheinung war
n. a. auch in einem von Eskridge mitgeteilten Falle zu be-
obachten. Das Krankenjournal weist folgende Notiz auf: „Nach
oben bis zum 8. Interkostalraum ist das Tastgefühl aufgehoben,
aber fortwährend wechselnd, in einer eben noch anästhe-
tischen Zone wird wieder gefühlt." Der Autor führt dieses Symptom
auf Schwankungen in der Kompression durch umschriebenes sub-
dnrales Ödem zurück. Man wird also, abgesehen vom neuralgischen
Studium, Remissionen, Besserungen usw. im Verlauf der extra-
medullären Tumoren nicht zu erwarten haben; werden Schwan-
kungen beobachtet, so betreffen sie nicht das ganze Krankheits-
bild, sondern einzelne Symptome, anscheinend mit Vorliebe solche
auf sensiblem Gebiete.
Noch einmal sei endlich auf die hervorragende Bedeutung hin-
gewiesen, die einer jedesmaligen Berücksichtigung der zeitlichen
Verhältnisse des Auftretens der einzelnen Symptome und der be-
gleitenden Umstände für die Entscheidung der Frage nach dem
Sitze resp. Ausgangspunkte des Tumors beigelegt werden muß.
Meist kommt ihr mehr Wert zu, als dem einzelnen Symptom an
sich. So kann, um nur einige Beispiele anzuführen, eine dissozi-
ierte Empfindungslähmung bei jedem Sitz der Geschwulst auf-
treten. Ist es aber das erste Symptom, so hat es eine ausschlag-
gebende Bedeutung für die Differentialdiagnose. Ahnlich ist es
mit Knochensymptomen an der Wirbelsäule: Wie in dem betr.
Abschnitt dargelegt, sind auch diese kein ausschließlich den Wirbel-
tumoren zukommendes Symptom. Leitet sich aber das Krankheits-
11*
164 VIII. Malaisä
bild damit ein^ so ist die Wahrscheinlichkeit zum mindesten
groß, daß der Prozeß vom Wirbelknochen seinen Ausgang genommen
hat usw.
Wie aus dem Vorstehenden hervorgehen dürfte, ergeben sich
im Verlaufe in der Symptomatologie der Rückenmarkstumoren je
nach dem Sitze doch mancherlei markante Abweichungen. Wenn
trotzdem durch besondere Komplikationen wie die diffuse Sarko-
matose der Häute, multipel auftretende Geschwülste, oder extra-
medulläre Tumoren, die ins Mark hinein wuchern, der Differential-
diagnose noch unüberwindliche Schwierigkeiten bereitet werden, so
sind dies glücklicherweise jene Fälle, bei denen infolge ihrer
therapeutischen Aussichtslosigkeit an einer Frühdiagnose weniger
gelegen ist.
Zum Schlüsse sei es mir gestattet, meinem sehr verehrten
Chef, Herrn Professor Oppenheim, für die Anregung zu dieser
Arbeit und das ihr jederzeit entgegengebrachte gütige Interesse
meinen verbindlichsten Dank zu sagen.
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1) Einzelne Fälle, die mir weder im Original noch in einem die wünschens-
werten Details enthaltenden Referate zugänglich waren, sind nicht angeführt.
Bas Verzeichnis reicht bis zum Jahre 1898 zurück, da die Literatur bis zu diesem
Zeitpunkt schon bei Schlesinger und Bruns zusammengestellt ist.
J
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von Gruoe.
103. Schlesinger, H., Die Syringomyelie.
IX,
Aus der medizinischen Klinik zu Königsberg i. Pr.
(Direktor: Geh.-Eat Prof. Dr. Lichtheim.)
Über die Veränderungen der Milz bei perniziöser Anämie
nnd einigen anderen Krankheiten.
Von
Dr. 0, Kurpjuweit,
Assistenzarzt.
über das Verhalten der Milz und der Lymphdrüsen bei perni-
ziöser Anämie finden wir nur spärliche Angaben in der Literatur,
die namentlich auch wenig auf das histologische Verhalten ein-
gehen.
A. Lazarus^) schreibt darüber, die Milz kann normal groß
oder verkleinert gefunden werden. Eine Milzvergrößerung mit
schwerer Anämie ist immer einer anderen Krankheit zuzurechnen.
Die der klinischen Untersuchung zugänglichen Lymphdrüsen findet
man nicht mehr vergrößert, als auch sonst bei vielen Kranken.
Die Milz zeigt eine starke Siderosis, bei der mikroskopischen Unter-
suchung einer vergrößerten Milz findet man eine einfache Hyper-
plasie.
Nach Grawitz*) zeigt die Milz kein einheitliches und charak-
teristisches Verhalten, denn in einzelnen Fällen ist sie deutlich
vergrößert und zeigt eine Hyperplasie aller ihrer Elemente, in
anderen Fällen dagegen ist sie eher verkleinert und atrophisch.
Bei Hay em *) finden wir ähnliche Angaben. Über die Lymph-
drüsen fügt er noch hinzu, daß diese gewöhnlich normal sind, in-
dessen können sie im Mesenterium mitunter geschwollen sein.
(Eichhorst).
In der neuesten Literatur sind nur dürftige Angaben vor-
1) Ehrlich-Lazarus, Die Anämie. Nothnagel Bd.Vni II S. 133f.
2) Grawitz, Klinische Pathologie des Blutes. S. 221 1902.
3) Hayem, Du sang. S. 802.
über die YerändeTongeiL der Milz bei perniziöser Anämie etc. 169
banden. H. Hirschfeld*) hat- spärliche, neutrophile Myelozyten
in der Milz bei perniziöser Anämie gesehen, A. Wolff hat außer-
dem kernhaltige rote Blutkörperchen in ihr beobachtet. Nun wurden
an unserer Klinik bei peniiziöser Anämie in der Milz eosinophile
Myelozyten gefunden (Dr. Eindfleisch). Dieses veranlaßte uns
auch bei weiteren Fällen, eine Untersuchung der Milz auf Aus-
strichen vorzunehmen. Es sind insgesamt 3 Fälle beobachtet und
untersucht. Die Krankengeschichten und Sektionsprotokolle will
ich, da sie zum Verständnis der anatomischen Veränderungen not-
wendig sind, in aller Kürze anführen.
1. Fall: 51 jähriger Arbeiter. Aufgenommen 14. Oktober 1902,
gestorben 27. Febmar 1903, Beginn der Erkrankung 4 Monate vor der
Aufnahme mit Appetitraangel ; ab und zu Erbrechen, Diarrhöen, seit
2 Monaten Luftmangel, Anschwellung der Beine, Abmagerung und Schwäche.
Bei der Aufnahm e: Mäßige Magerkeit. Starke Blässe. Geringes
Fieber. Geringer Hydrops der Beine. Laute systolische Herzgeräusche
und Nonnensausen. Geringe Leberschwellung. Milz nicht nachweisbar
vergrößert, keine nennenswerten Lymphdrüsenschwellungen. Im Harn
viel TTrobilin, mäßig Tiel Indikan. Stuhl normal. Magen : nüchtern leer,
große Kurvatur reicht bis zum Nabel. Frobefrühstück : mikroskopisch
ohne besondere Bestandteile. Keine freie Salzsäure, Mett'scher Ver-
dauungsversuch wegen zu geringer Menge des Filtrats nicht ausführbar.
Blut: Hb 28 o/o (Fleischl). N = 1320000. W = 4600.
5=2^- P = 52,8 o/o. L = 40,0%. Mo = 4,3 V E = l,7 0/^.
Ha = 0/6% Neutrophile Myelozyten 0,9%.«)
Anisozytose und Poikilozytose, ziemlich erbebliche Polychrom atophilie,
viele punktierte Erythrozyten, keine Erythroblasten.
Kleine Augenbintergrundsblutungen.
In der Klinik: Dauernd mäßiges Fieber. Trotz Arsen progrediente
Verschlechterung der Blutbescbafienheit, Auftreten von Normoblasten und
Megaloblasten ; große Augenhintergrundsblutungen. Keine sicheren spinalen
Symptome. In letzter Zeit Delirien, Verwirrtheit mit Euphorie und
Qrößenideen.
Blut, 2 Tage vor dem Tode: Hb 12—13%. N = 560 000.
W = 6700. 5 = ^. P = 40,4 %. L = 48,6 «/, (gr. L = 3,6 o/j.
Mo = 2,6% E = 1,2 0/^. Neutrophile Myelozyten 3,6%. Keine
Mastzellen, keine eosinophilen Myelozyten. Auf einem Deckglas (dicker
Aiustrich mit Bücksicht auf die Blutverdünnung) 19 Normoblasten,
1) Berliner klin. Wochenschr. 1902 S. 701.
2) Berliner klin. Wochenschr. 1902 S. 840.
3) N = Rote Blutkörperchen. W = Weiße Blutkörperchen. P = Poly-
nnkleäre Leukozyten. L = Lymphozyten. Mo = Mononukleäre und Übergangs-
cellen. £ = Eosinophile Leukozyten. Ma = Mastzellen.
170 IX. KuBPJtrwEiT
16 Megaloblasten. Starke Foikilozytoee ; viele ICegalozyieo und Kormo-
syten mit starker Polychromatophilie. Mikrozyten und kleinste unregel-
mäßige Blutkörperchenfragmente in großer Zahl, viele punktierte (basophil
gekörnte) Erythrozyten. Ein Megaloblast mit vollendeter Mitose und
Andeutung von Zellteilung.
Tod unter dem Bilde der Erschöpfung.
Ausdrücklich hervorheben möchte ich noch, daß bei im g^anaam
6 Untersuchungen keine eosinophilen Myelozyten gefunden worden, trotss-
dem namentlich in letzter Zeit 400 — 600 Leukozyten gezählt und tariert
wurden.
Sektion (Prof. Askanazy): Protokoll im Auszuge. Gehirn und
Kückenmark und ihre Häute blaß. Herz vergrößert, eine kleine epi-
kardiale Ecchymose. Muskulatur hellbraun, kleine trübe Flecke, mikro-
skopisch keine deutliche Verfettung. Lungen blaß anämisch, von blaß-
gelbem Ödem durchtränkt. „Milz etwas vergrößert, 14^/,, 9,4 cm. Kapsel
gespannt, mit fibrösen Körnchen und Zöttchen. Palpa dunkelkirschrot,
feucht, leicht hervorquellend, schöne Follikel Zeichnung. ** Nieren: blaß,
nicht trübe, starke Schwefelammoniumreaktion. Magen, Darm ohne Be-
sonderheiten. Die Leber zeigt an der Oberfläche in der Serosa, be-
sonders des rechten Lappens, spärlicher an der XJnterfläche des linken
Lappens gelbliche und weißliche Knötchen, welche, wie der Durchschnitt
zeigt, Verdickungen in der Serosa sind. Auf dem Querschnitt Gewebe
rostbraun. Sehr starke Schwefelammoniumreaktion. „Im Mesenterium
Drüsen etwas geschwollen, fest, blaß, bis bohnengroß." An der Aorta
abdominalis kleine Verfettungsflecke. nDas Femurmark in der oberen
Hälfte ziegelrot, pulpös. In der Lamina des Ringknorpels rotes Ejiochen-
mark." Zahlreiche kleine Blutungen der Betina, links reichlicher als rechts.
Die genauere mikroskopische Untersuchung von Ausstrichen
ergab folgendes: Zur Färbung wurde Jenner, Triazid und Hämatozylin-
Eosin benutzt.
Die Hauptmasse der Milz bilden die roten Blutkörperchen und die
großen und kleinen Lymphozyten. Die roten Blutkörperchen zeigen eine
auffallende Poikilozytose. Die Lymphozyten erscheinen etwas größer xmd
geblähter als im normalen Blut.
Die granulierten Zellen treten an Zahl zurück. Man findet unter
ihnen spärliche neutrophile und eosinophile polynukle&re Leukozyten,
ferner, und das ist das wichtigste, typhische neutrophile und
eosinophile Myelozyten in geringer Zahl. Von basophil ge-
körnten Zellen wurde nur eine einzige mit großem kompaktem Kern
beobachtet. Normoblasten und Megaloblasten fanden sich in spärlicher
Menge.
Die Lymphdrüsen zeigten auf Ausstrichen sehr reichliche, große
und kleine Lymphozyten, spärliche mononukleäre Zellen, ziemlich reichlich
polynukleäre, neutrophile Leukozyten, eine Anzahl basophil gekörnter
Zellen (Mastzellen) mit rundem Kern, spärliche Normoblasten und neutro-
phile Myelozyten. Die roten Blutkörperchen waren von ungleicher Größe.
Das Knochenmark setzte sich aus reichlichen neutrophilen und
eosinophilen Myelozyten und polynukleären Zellen, zahlreichen großen
und kleinen Lymphozyten, roten Blutkörperchen, mononukleären Zellen und
über die Yerändenmgen der Milc bei perniziöser Anämie etc. 171
Normoblasten mit Kemzerfall zasammMi. Spärlich vorhanden waren nnr
Megaloblasten und Mastzellen mit mndem Kern.
Schnitte yon der Milz konnten, da kein Material znr Verfügrnng
Btandy nicht angefertigt werden.
H. Fall. 50 jähriger Besitzer. Aufgenommen 25. April 1903, ge-
storben 5. Mai 1903. Seit einem Jahr zunehmende Schwäche, Blässe
und Abmagerung. Seit 3 Monaten oft Kopfschmerzen und leichtes
Schwindelgefuhl, seit 2 Wochen schnürendes Gefühl in der unteren Brust-
region, mit Atembeschwerden beim Gehen.
Bei der Aufnahme: Hochgradige, wachsartige Blässe. Ziemlich
guter Ernährungszustand. Subfebrile Temperaturen (37,7). Geringes Ödem
der Unterschenkel. Herz etwas dilatiert, lautes systolisches Geräuseh an
allen Ostien. Milz und Leber nicht palpabel. Keine nennenswerten
Drüsenschwellungen. Im Harn etwas XJrobilin.
Blut: Hb 24%. N = 856 000. W = 3400. P = 46,8. Kl. L
= 45,6, gr. L = 1,6, Mo = 0,3, E = 1,6, Ma = 2,8, neutrophile
Myelozyten = 1,3 •/q.
Auf 200 W 1 Normoblast und 1 Megaloblast.
Mäßige Aniso- und Poikilozytose der roten Blutkörperchen, femer
in ihnen spärliche basophile Granula.
Magen: keine freie Salzsäure, keine Milchsäure. Gesamtacidität 4.
Mett' scher Verdauungsversuch negativ. Mikroskopisch: reichliche Hefe-
zellenhaufen, die ein bräunliches Pigment einschließen.
Im Stuhl zahlreiche Askariseier, spärliche Trichocephaluseier.
Augenhintergrund: beiderseits starke Blutungen. Nervensystem
obne Befund.
In der Klinik: Subfebrile Temperaturen. Rascher Verfall. Mehr-
malige Ohnmachtsanfälle. Exitus letalis.
Blutbeftmd am Tage vor dem Tode: Hb 15%- N = 397 000.
W = 1000. J = ^. P = 52, kl. L = 46,6, gr. L = 0,7,
Mo = 0,37^.
Unter 300 weißen Zellen keine Mastzelle, keine eosinophile Zelle,
dagegen ein Normoblast und ein Megaloblast. Verschiedene freie (?) Normo-
blastenkeme. Geringe Polychromatophilie. Ziemlich starke Aniso- und
Poikilozytose. Keine basophilen Granula in den Erythrozyten.
Sektion (Prof. Askanazy): Protokoll im Auszuge. Gehirn und
lEtückenmark sehr blaß, sonst ohne Besonderheiten. Herz: unter dem
ISpikard und Endokard einige kleine Blutungen. Herzmuskel blaßbraun.
IMe Lungen enthalten ein hämorrhagisches Ödem.
„Im Mesenterium zahlreiche, linsengroße Lymphdrüsen, welche eine
mehr weiße, manchmal auch eine rosarote Farbe zeigen. Die Milz ist
an der Facies diaphragmatica mit dem Zwerchfell verwachsen, fest, 12,
7, 3*/2 cm messend, auf dem Schnitt von hellroter Farbe. Die Trabeculae
außerordentlich reichlich und kräftig entwickelt."
Die Nieren blaß, auf Schwefelammoniumzusatz sich diffas schwarz
färbend.
Im Magen ein Askaris. Das die Gallenblase umgebende Gewebe ist
X12 IX. KüBPJüWBIT
stark ödematös. Die Leber ist an der Oberfläche von dunkelroter Farbe,
auf dem Schnitt von ausgesprochener brauner Farbe ohne besonders her-
Yortretende Läppchenzeiohnung. Auf Zusatz Ton Schwefelammonium
dunkelschwarze Färbung. Pankreas auf Zusatz von Schwefelammonium
eine leicht schwarzgrüne Verfärbung. Die Schilddrüse zeigt im rechten
Lappen mehrere kleine Zysten. „Das Stemum zeigt auf der Sägefläche
eine blasse Farbe.*'
Anatomische-Diagnose: Anaemia gravis sämtlicher Organe.
Hämorrhagien unter dem Epikard und Endokard. Siderosis der Leber,
Niere und des Pankreas. Beiderseitiger Pleuraerguß.
Die genauere mikroskopische Untersuchung ergab folgendes.
Milz: die Hauptmasse der Zellen macheu wie gewöhnlich die roten Blut-
körperchen aus, die eine geringe Poikolozytose zeigen. Die großen und
kleinen Lymphozyten erscheinen gebläht, der Kern ist namentlich bei
letzteren nicht pyknotisch. Typische mononukleäre Zellen sind nur ver-
einzelt zu Enden. Neutrophil gekörnte Zellen sind ziemlich zahlreich.
Die Zellen sind oft sehr groß, der Kern ist dementsprechend auch groß,
gewöhnlich rund geformt, ab und zu zeigt er auch eine kleine Ein-
buchtung (neutrophile Myelozyten). . Die übrigen Kerne sind teils py-
knotisch polynukleär, teils gebläht, im Linern sieht man dann waben- ,
artige Hohlräume. Eosinophile Zellen sind auffallend viele zu finden,
oft drei in einem Gesichtsfeld (Leitz Im. ^/^g Oc. 2). Die Zellen selbst
sind nicht verändert. Ihre Kerne aber sind sehr verschieden, man findet
kompakte, runde Kerne ähnlich den Kernen der kleinen Lymphozyten
in der Intensität der Färbung und in der Größe, ferner typische poly-
nukleäre Kerne, drittens große runde Kerne (eosinophile Myelozyten).
Normoblasten wurden nur in spärlicher Zahl beobachtet, dagegen sah
man sehr viele pyknotische, runde Kerne ohne Protoplasma, die an
Normo blastenkerne erinnerten. Dann fielen noch einige basophil gekörnte
polynukleäre Zellen (Mastzellen) auf. Mit Triazid wurde der gleiche Be-
fund, abgesehen von den basophil gekörnten Zellen, erhoben. Mit Häma-
toxylin-Eosin traten die Normoblasten deutlicher hervor. Die Kerne
zeigten hin und wieder eine Lappung oder kleine Abschnürungen und
Fortsätze.
TJm nun etwas Genaueres über die Verteilung der granulierten Zellen
in der Milz zu erfahren, versuchte ich die Schnittfärbung mit Triazid
nach Ribbert.^) Hervorheben möchte ich, daß mir die Färbung der
neutropbilen und eosinophilen Granula nur gelang, wenn ich das Material
nicht lange in Formalin konservierte, in ca. 4 "Wochen alten Gewebs-
stücken, ebenso an eingebetteten Objekten konnte ich sie nicht darstellen,
ich machte in der Regel Gefrierschnitte von ganz kleinen Gewebsstückchen,
färbte mit der unverdünnten Lösung 1 — 2 Minuten, differenzierte in
destilliertem Wasser mit 1 Tropfen Essigsäure, bis ein braun-grünlich-
roter Farbenton des Gewebsstücks übrig blieb. Die neutropbilen Granula
kamen immer nicht recht heraus, man sah nur eine bräunliche, stäubchen-
fÖrmige Granulierung in den Zellen, die eosinophilen Granula traten sehr
1) Beiträge zur Entzündung. Virchow's Archiv Bd. 150 S. 401.
über die Verändenmgen der Milz bei perniziöser Anämie etc. 173
deutlich hervor. Die Präparate ließen sich nach dem Entwässern und
Anfhellen in Bergamottöl in Zedemöl gnt aufheben.
Die Milz zeigte auch mikrochemisch eine starke Sehwefeleisenreaktion.
Bei schwacher Vergrößerung sah man im Triazidpräparat grünliche Inseln
im Gewebe ohne starke Begrenzung, die hauptsächlich um Gefaßquer-
schnitte und Bindegewebszüge herumlagen. Dazwischen liegt die bräunlich-
rötliche Pulpa. Die grünlichen Inseln werden von teils kleineren, teils
größeren Lymphozyten gebildet, sehr selten findet mau zwischen ihnen
rote Blutkörperchen und granulierte Zellen. Die Pulpa besteht haupt-
sächlich aus Lymphozyten und roten Blutkörperchen, zwischen ihnen
sieht man ganz deutlich grob granulierte Zellen mit rötlichbraunen
Granula. Die Kerne sind teils bläschenförmig rund, teils pyknotisch
rund, wie ein Kern in einem kleinen Lymphozyten, seltener ist der Kern
polynakleär gestaltet. Diese grob granulierten Zellen sind so zahlreich,
daß man in einem Gesichtsfeld oft 4 — 5 Zellen sieht (Leitz Im. ^'j^
Oc. 2). Viel seltener findet man Zellen mit deutlich hervortretenden
staubchenförmigen, braunen Granula, deren Kerne sich ebenso verhalten
wie die Kerne der grobgranulierten Zellen. Normoblasten konnte ich
im Schnitt nicht erkennen.
Die Leber zeigte auch mikrochemisch eine starke Schwefeleisen-
reaktion, die einzelnen Leberzeilen wurden fast ganz schwarz. Einige
herdförmige Bezirke färbten sich mit Hämalaun schlechter, Fett war in
ihnen nicht nachweisbar. Auf Ausstrichen sah man viel körniges, gelbes
Pigment, das teils innerhalb von Leberzellen, teils eztrazellulär lag. Die
roten Blutkörperchen zeigten eine mäßige Poikilozytose. Die poly-
nukleäreuy neutrophilen Leukozyten waren in mäßig reichlicher Zahl vor-
handen, ihre Kerne wiesen eine geringe Blähung auf. Neutrophile
Myelozyten wurden nur zwei gefunden, ferner ein Normoblast, zwei poly-
mikleäre, eosinophile Leukozyten, mäßig zahlreiche Lymphozyten. Eosino-
phile Myelozyten wurden nicht beobachtet.
Die Nieren wiesen keine mikrochemische Scbwefeleisenreaktion auf.
Ihr Parenchym war etwas trübe. Auf Ausstrichen wurden keine Be-
sonderheiten konstatiert.
Die Lymphdrüsen ausstriche bestanden größtenteils aus großen und
kleinen Lymphozyten, dann aus roten Blutkörperchen mit deutlicher
Poikilozytose. Die granulierten Zellen waren spärlicher, unter ihnen
polynukleäre neutrophile Zellen mit großem, gelapptem und geblähtem
Kern, sehr spärliche neutrophile Myelozyten, ferner vereinzelte eosino-
phile Zellen mit polynukleärem Kern, einmal mit rundem Kern. Normo-
blasten konnten nicht gefunden werden.
Das Knochenmark setzte sich aus folgenden Zellen zusammen. Sehr
viele granulierte Zellen, polynukleäre Formen und Myelozyten mit neutro-
philen Granulationen, die eosinophil granulierten hatten häufig ziemlich
pyknotische und kleine nicht bläschenförmige Kerne, neben polynukleären
und bläschenförmigen Kernformen. Die großen und kleinen Lympho-
zyten sind zahlreich, die typischen mononukleären Zellen viel spärlicher*
Normoblasten wurden sehr viele gefunden, ihre Kerne sind teilweise ge-
lappt. Die Megaloblasten treten an Zahl bedeutend zurück. Femer findet
man vereinzelte basophil gekörnte Zellen mit kompaktem Kern, spärliche
174 I^' KxntpjirwxiT
Biesensellen mit ein bis zwei Kernen and Einscldüasen von roten Blut-
körperchen. Mit Hämfttoxylin-Eosin wurde eine Kemteilnng in einem
Nbrmoblasten beobaditet. Auch trat hier wiederum die Pyknose und
Kleinheit der Kerne in einem Teil der eosinophilen Zellen deutlich hervor.
Die Kemfärbung entsprach dem Preußischblau und hielt die Mitte zwischen
dem Schwarzblau der Normoblastenkerne und dem Blaßblau der Lympho«
zytenkeme. Mit Triazid wurden die Befunde der Jennerfarbung und
Hämatoxylin-Eosinfärbung bestätigt.
III. Fall. 37 jähriger Matrose. Aufgenommen 27. Juli 1903, ge-
storben 16. August 1903. Vor 10 Jahren zum erstenmal Abgang von
Bandwurmgliedern ; zuletzt vor 5 Jahren bemerkt. Seit ca. 10 Jahren in
Intervallen von einigen Wochen kolikartige Schmerzen in der Magengegend,
selten mit geringem Erbrechen. Seit 6 Monaten zunehmende Blässe,
Schwäche und Abgeschlagenheit, häufig geringes Nasenbluten. Seit
3 Monaten bettlägerig, leichte Diarrhöen.
Bei der Aufnahme: Hochgradige wachsartige Blässe, keine Haut-
blutungen. Mäßiger Ernährungszustand. Temp. 37,6. Herzdämpfung
nicht vergrößert, kurzes systolisches Geräusch an der Spitze und über
dem Sternum, lautes Jugularvenengeräusch. Zahlreiche Betinalblutungen.
Blut; Hb 13%. N = 530000. W = 1700. ^ = . ^- .
P = 28,2%. L = 65,9%. Mo = 5%. E = 0,9%.
Auf 220 Weiße ein kernhaltiges rotes Blutkörperchen, Megaloblasten
und Normoblasten zu gleichen Teilen. Starke Aniso- und Poikilozytose,
mäßig reichliche Polychromatopbilie und basophile Körnelung.
Magen: im nüchternen Zustand ca. 20 ccm galliger Flüssigkeit, mikro-
skopisch ohne Besonderheiten. Probefrühstück : Acidität 5, keine freie Salz-
säure, Milchsäurereaktion positiv. Yerdauungsversuch mit Salzsäure negativ.
Von Seiten des Nervenzustandes keine Störungen. Im Stuhl keine Band-
wurmeier, einmal Trichomonaden gefunden. Harn ohne Besonderheiten.
In der Klinik: fortschreitender Verfall, Benommenheit, Ver-
schlechterung des Blutbefundes.
Vor dem Tode: Hb = 10%. N = 352000. W = 2800.
Y=126- ^ = 52,7%. L = 46,l%. E = 0,4 7o. Mo = 0,4%.
Myelozyten (neutrophile) = 0,4%.
Auf 100 Weiße 5 kernhaltige rote Blutkörperchen (Normoblasten
und Megaloblasten).
Kleine Hautblutungen am linken Unterschenkel, geringes Odem.
Tod in der 3. Woche.
Sektion: Dr. Lebram (Protokoll im Auszuge). Im Bereich des
oberen Dorsalmarks am rechten Vorderhorn eine kleine Blutung. Kücken-
mark und G-ehim ohne weitere wichtige Veränderungen.
Herz etwas vergrößert, Muskel blaß und schlaff, getigert. Hepati-
sation des linken Unterlappens der Lunge. Im Mesenterium linsengroße,
bräunlichrote Ljrmphdrüsen, am Cöcum haselnußgroße Drüsen. „Etwa 4 cm
vom inneren Pol der Milz entfernt eine baselnußgroße Nebenmilz. Eine
zweite Nebenmilz von etwa gleicher Größe im Bereich des Hilos der
über die Yeränderangen der Milz bei perniziöser Anämie etc. 175
Mils. MaBe der Milz 16, 8, 3^/^ cm, liemlich weich, von dunkelroter
Farbe mit deutlicher Follikel- und Trabekelzeichnnng. "
Nieren blaß, starke Schwefelammoninrnreaktion. Leber lehmig-braan-
gelb, mit guter azinöser Zeichnung, sehr intensive Schwefelammonium-
reaktion. „Auf Druck entleert sich aus der Rippe ein schmutzig-rötlicher
zäher Tropfen von Marksaft. Das Stemum zeigt auf dem Durchschnitt
ein rotes, gleichmäßiges Aussehen, die Wirbel ebenfalls. Das Femur
zeigt aaf dem Durchschnitt rotes Knochenmark.^ Pankreas fest. Auf
Schwefelammonium starke Schwarzfärbung.
Anatomische Diagnose: Anämie sämtlicher Organe. Blutungen
im Augenhintergrund. Subdurale Blutungen, desgleichen Blutungen der
weichen Hirnhäute. Subpleurale Blutungen. Eine minimale Blutung im
Bfickenmark. Siderose der Leber, der Nieren und des Pankreas. Rote
Metaplasie des Knochenmarks der Extremitätenknochen. Pneumonie im
linken IJnterlappen, im Zustande der Hepatisation.
Die mikroskopische Untersuchung ergab folgendes: Milz:
sehr viele große Lymphozyten, weniger kleine, sehr viele rote Blut-
körperchen von verschiedener Größe (Mikrozyten und Makrozyten), jedoch
keine auffallende Poikilozytose. Viele kernhaltige rote Blutkörperchen.
Megaloblasten waren nur sehr spärlich sichtbar. Gekörnte Zellen sind
nicht sehr zahlreich, unter ihnen auffallend viele eosinophile Zellen, deren
Kerne meistens polynukleär, ab und zu nur leicht eingekerbt, sehr selten
ganz rund (Myelozyten) ist. Unter den neutrophil gekörnten Zellen be-
finden sich zahlreiche mit rundem Kern (Myelozyten), ein großer Teil
bat jedoch auch polynukleäre Kerne. .Basophil gekörnte Zellen wurden
nicht gesehen, typische mononukleäre Zellen waren wenige zu finden.
Mit Hämatoxylin-Eosin wurden wieder die Normoblasten sehr deutlich,
ihre Kerne waren gelappt und zeigten Fortsätze, die Mannigfaltigkeit in
der Form der roten Blutkörperchen trat auch deutlich hervor. Mit
Triazid konnten die Befunde nur bestätigt werden.
Das Knochenmark wies außer den gewöhnlichen Bestandteilen nicht
reichlich Megaloblasten auf, deren Kerne teilweise im Zerfall begriffen
waren. Die zahllosen Normoblasten sind namentlich mit Triazid sehr
deutlich zu sehen.
Leber, Niere, Lymphdrüsen wiesen auf Ausstrichen keine Besonder-
heiten dar. In der Milz war auf dem Schnitt nichts Besonderes zu
sehen, sie gab eine starke Schwefeleisenreaktion ebenso wie die Leber
und Niere. Die Triazidfarbung von Milzschnitten gelang nicht, da das
Material zu lange in Formol gelegen hatte. Die Niere zeigte eine Trübung
des Parenchyms und beginnende interstitielle Entzünduogsprozesse.
Klinisch bieten die Fälle keine besonderen Neuheiten. Alle
klagten vor der Aufnahme über zunehmende Schwäche, Blässe und
Atemnot, zwei hatten auch Magen- und Darmsymptome, Appetit-
mangel, kolikartige Magenschmerzen, Erbrechen, Diarrhöen. Einer
gibt an, daß er bis vor 5 Jahren den Abgang von Bandwurm-
gliedern in teils längeren, teils kürzeren Ketten bemerkt hat. Aus
diesem Umstand und weil er früher rohe Fische gegessen hat,
176 IX. KURPJÜWEIT
möchte ich den Schluß ziehen, daß er einen Botriocephalus latus
gehabt hat, zumal auch dieser Bandwurm bei uns am häufigsten
ist. Indessen möchte ich es bezweifeln, daß er die Anämie aus-
gelöst hat, da mehrere Jahre seit dem Abgang der letzten Glieder
verstrichen waren, Botriocephaluseier wurden in den Stühlen nicht
gefunden.
Bei der Aufnahme zeigen alle Patienten eine hochgradige
Anämie, subfebrile Temperaturen, am Herzen laute systolische
Geräusche, Nonnensausen. Vergrößerungen der Milz und der Lymph-
drüsen wurden nicht beobachtet. Augenhintergrundsblutungen fand
man teils gleich bei der Aufnahme, teils späterhin. In Überein-
stimmung mit Schaumann und Martins^) wurden bei der
Magenuntersuchung erhebliche Störungen beobachtet. Es fehlte
überall freie Salzsäure, die Gesamtazidität betrug 4—5, in einem
Falle war eine deutliche Milchsäurereaktion vorhanden. Die Pepsin-
verdauung war, soweit es festgestellt werden konnte, gleich Null.
Mikroskopisch bot der Mageninhalt keine Besonderheiten dar. Im
Stuhl wurden bei II reichlich Askariseier und spärlich Tricho-
cephaluseier, bei III. Trichomonaben gefunden. Störungen des
Nervensystems waren nicht vorhanden.
Der Blutbefund entsprach vollkommen dem der perniziösen
Anämie. Der Hämoglobingehalt schwankte zwischen 13 (III) und
28 % (I) bei der Aufnahme und 10 (III) und 13 7« (I) kurz ante
exitum. Die Zahl der roten Blutkörperchen war erheblich ver-
mindert, sie betrug bei der Aufnahme 530000(111) bis 1320000 (I)
und nahm ab auf 352000 (III) und 560000(1). Der Hämoglobin-
gehalt war im Vergleich zu der Zahl der roten Blutkörperchen
bei II besonders hoch, während der Hämoglobinwert 24 resp. 15 7o
betrug, war die Zahl der roten Blutkörperchen 856 000 resp. 397 000,
diesem Hämoglobinwert hätten aber 1200000 resp. 750000 rote
Blutkörperchen entsprochen.
Die roten Blutkörperchen zeigten die übliche Poikilo- und
Anisozytose, ferner eine erhebliche Polychromatophilie. Bei allen
werden Normoblasten und Megaloblasten gefunden, ihre Zahl wai*
sehr erheblich bei I, wo in einem Deckglasausstrich 19 Normo-
blasten und 16 Megaloblasten gefunden wurden. Lazarus*) be-
zeichnet das gleichzeitige Auftreten dieser Elemente als eine große
Seltenheit. In einem Megaloblasten wurde eine Kernteilung be-
1) Zit. nach Lazaras, Die Anämie S. 132, Nothnagel Bd. YIIL
2) 1. c, S. 113.
über die Veränderungen der Milz bei perniziöser Anämie etc. 177
obachtet. Die Erythrozyten zeigten sehr häufig die basophile Köme-
lang (punktierte Erythrozyten).
Über die Leukozyten läßt sich in Übereinstimmung mit La-
zarus folgendes sagen. Ihre Zahl war erheblich vermindert, der
geringste Wert betrug 1000 (11), das Verhältnis der weißen zu den
roten Blutkörperchen = 1 : 397. Die Lymphozyten waren immer
relativ vermehrt bei III bis auf 65,9 7^, die polynukleären, neutro-
philen Leukozyten dementsprechend vennindert auf 28,2 \. In
diesem Falle stieg kurz ante exitum die Zahl der Leukozyten von
1700 auf 2800, dabei änderten sich auch die Prozentverhältnisse,
die Ljrmphozyten sanken auf 46,1 %, die polynukleären, neutrophilen
Leukozyten stiegen auf 52,7 ^/o- Ob diese Blutveränderung in Zu-
sammenhang mit der gegen exitum aufgetretenen Pneumonie steht,
läßt sich nicht entscheiden, die Möglichkeit muß jedenfalls zu-
gegeben werden.
Als pathologische, weiße Blutelemente zeigten sich in allen
Fällen neutrophile Myelozyten. Namentlich für Fall II möchte ich
nochmals ausdrücklich hervorheben, daß intra vitam keine eosino-
philen Myelozyten, femer kurz ante exitum überhaupt keine eosino-
philen Zellen beobachtet wurden, das erstere gilt auch für Fall I
und III
Die Kranken kamen, entsprechend der raschen Verschlechte-
rung ihres Blutbefundes, bald exitum.
Die Autopsie ergab ebenso wie die klinische Untersuchung
keine besonderen Neuigkeiten. Man fand eine hochgradige Blässe
der Organe, Siderosis der Leber, Niere, Milz, des Pankreas; kleine
Hämorrhagien unter dem Epi- und Endokard, Trübung und teil-
weise Verfettung des Myokards, eine kleine Blutung im Rücken-
mark. Die Lymphdrüsen des Mesenteriums erwiesen sich als etwas
geschwollen. Unser Hauptinteresse nimmt die Milz in Anspruch.
Sie wies makroskopisch keine Besonderheiten auf. Die Maße, die
nach Kaufmann^) 12, 8, 4 cm betragen, waren nicht sonderlich
verändert. Auf dem Schnitt war sie von dunkelroter oder hell-
roter Farbe, die Follikel und Trabekel traten deutlich hervor.
Mikroskopisch finden wir ein in den grundlegenden Arbeiten
von Ehrlich und Lazarus nicht beschriebenes Verhalten. Die
Milz wies nicht allein die im Blut vorhandenen Elemente auf,
sondern auch Zellen, die allein dem Knochenmark zukommen. AVir
konstatierten in allen 3 Fällen neben polynukleären, eosinophilen
1) Lehrbuch der speziellen, pathologischen Anatomie. S. 88 1896.
Deatschea Archiv f. küD. Medizin. LXXX. Bd. 12
178 IX. KrBPjcwEiT
Zellen typische mononukleäre, eosinophile Leukozyten (Myelozyten),
ferner neben polynukleären, neutrophilen auch typische mononukleäre,
neutrophile Leukozyten (Myelozyten). In den eosinophilen Zellen
fanden sich auch Kerne, die durch ihre Kompaktheit und intensive
Färbung an Kerne von Lymphozyten erinnerten und sowohl im
Ausstrich als auch im Schnitt dadurch direkt in die Aujafen fielen.
Bei II waren sie auch im Knochenmark vorhanden. Ob diesen Zellen
eine besondere Bedeutung zukommt, oder ob es sich nur um Kunst-
produkte handelt, das kann nicht mit Sicherheit entschieden werden.
Jedenfalls sind diese Kernformen in den eosinophilen Zellen nur
noch einmal in einer Typhusmilz beobachtet worden.
Kernhaltige rote Blutkörperchen, Normoblasten und Megalo-
blasten wurden teils mehr, teils weniger zahlreich überall gesehen.
Auffallend war noch die Poikilozytose der roten Blutkörperchen.
In den Lymphdrüsen des Mesenteriums wurden auch Mark-
elemente in 2 Fällen konstatiert.
Das Knochenmark wies neben den gewöhnlichen Elementen
spärliche Megaloblasten auf.
Welche Bedeutung ist nun diesen Befunden beizumessen?
Über das Vorkommen kernhaltiger roter Blutkörperchen in der
Milz schreibt Ehrlich*): „In der menschlichen Milz sind aber
weder in der Norm, noch bei Fällen schwerer Anämie, sondern aus-
schließlich bei leukämischen Erkrankungen kernhaltige rote Blut-
körperchen zu finden.** Sie hat demnach keine Beziehungen zur
Neubildung der roten Blutkörperchen. Betreffs der weißen Blut-
körperchen kommt er zum Schluß „daß die Bedeutung der Milz
für die Produktion der weißen Blutkörperchen keineswegs erheblich
sein kann, und daß, wenn wirklich Zellen von ihr produziert werden,
dies körnchenfreie sein müssen".
Die Angaben der normalen Histologie lauten folgendermaßen.
Ebner^j schreibt darüber: In den Maschen des Pulparetikulums
findet man 1. einkernige, kleine Ljmphzellen (Lymphozyten), diese
bilden auch die Hauptmasse des adenoiden Gewebes; ferner 2. ein-
kernige, polymorphkernige und multinukleäre Leukozyten, 3. kern-
haltige rote Blutzellen, 4. ausgebildete, rote Blutzellen, 5, große
Zellen mit roten Blutzellen oder gelbbraunen bis dunkelbraunen
Pigmentschollen oder Kömern im Innern (Phagozyten), 6. freie
Pignientschollen und Körner, 7. Eiesenzellen mit sprossenden Kernen,
8. blutplättchenähnliche Gebilde.
1) 1. c. s. 66.
2) Kölliker's Handbnch der Gewebelehre III S. 257f.
über die Veränderungen der Mik bei perniziöser Anämie etc. 179
Zahlreich sind die eigentlichen großen Leukozyten, welche im
Bereich der adenoiden Substanz nur in den Keimzentren häufig
sind. Sie sind teils uninukleär, teils multinukleär oder polymorph-
kernig und neben meist fein granulierten Formen finden sich auch
eosinophile Zellen. Diese sah er in der Milz eines Hingerichteten
in der Umgebung der arteriellen Arterienscheiden, seltener in ihnen
selbst. Riesenzellen und kernhaltige, rote Blutkörperchen finden
sich in der Milz des Erwachsenen in der Regel nicht, dagegen Zellen,
die seiner Meinung nach weder zu den Leukozyten noch zu den
Erythrozyten gehören, Zellen von 10 — 15 /u Durchmesser mit fein-
kömigem Protoplasma, das sich mit Eosin stärker als gewöhnlich
färbt, mit rundlichem, seltener schwach eingeschnürtem Kern von
4—5 fi Durchmesser. Aus dieser Beschreibung scheint hervor-
zugehen, daß er myelozytenähnliche Gebilde, wahrscheinlich mit
neutrophiler Granulation in der Milz gesehen hat Kernhaltige
rote Blutkörperchen kommen seiner Meinung nach nur in der Milz
bei jungen Tieren vor.
Um mir ein eigenes Urteil über dieses Gebiet zn erwerben,
habe ich systematisch bei einer Reihe von Leichen die Milz auf
Ausstrichen (Färbung mit Jenner, Triazid, Hämatoxylin-Eosin), bei
einem Teil auch auf Schnitten (Färbung mit Triazid) untersucht.
Darüber möchte ich nur ganz kurz berichten.
1.^) Diphtheria faucium^ Meoingitis purulenda, Empyema pleurae ein.
Jhlilz 10, 5, 1^/^ cm. Pulpa von gewöhnlicher Konsistenz, deutliche
Follikelzeichnang. Ausstrich : neben den gewöhnlichen Elementen spär-
liche nentrophile Myelozyten, mehrere Normoblasten. Rote Blutkörperchen
poikilozytotisch.
2. Typhus abdominalis.
Milz 12, 6, 2 cm. Konsistenz weich, doch prominieren viele derbere
dunkelrote Herde. Pulpa bräunlich-rot. Ausstrich : spärliche neutrophile,
einzelne eosinophile Myelozyten, deren Kerne teils gebläht, teils pyknotisch
Gymphozytenkemähnlich) sind. Spärliche Normohlasten, fragliche Megalo-
hlasteu. Viele Biesenzellen mit gelblichem, körnigem Pigment und B,esten
von roten Blutkörperchen.
3. InsufBcientia aortae.
Milz ziemlich derb, von blauroter Farbe, teilweise an der Oberfläche
von weiBen Flecken und Streifen durchsetzt, auf dem Schnitt von dunkel-
roter Farbe mit deutlicher Follikel- und Trabekelzeichnung. Maße fehlen.
Ausstrich: spärliche Normoblasten, wenig zahlreich neutrophile Myelo-
zyten, einige Mastzellen mit rundem Kern.
1) Nur bei 1 und 18 handelte es sich um jugendliche Individuen, alle übrigen
standen im mittleren oder höheren Lebensalter.
12*
180 IX- KUBPJÜWKIT
4. Aneurysma aortae.
Milz sehr fest, 15, 9, 4 cm, bläulich-rötlich, Schnitt dunkelrot, Follikel
zum Teil deutlich sichtbar. Ausstrich: sehr spärliche neutrophile und
eosinophile Myelozyten. Vereinzelte Normoblasten.
5. Nephritis chronica.
Milz klein, an der Kapsel weiße und braune Flecke. Pulpa derb,
mäßig rot. Ausstrich: sehr spärliche neutrophile Myelozyten, vereinzelte
Normoblasten.
6. Tumor cerebri.
Milz von entsprechender Größe. Kapsel etwas gespannt, mit kleinen
fibrösen Warzen. Pulpa schlaff braunrot, mit deutlicher Follikelzeichnung.
Ausstrich : spärliche neutrophile Myelozyten. Vereinzelte Mastzellen mit
rundem Kern. Keine Normoblasten.
7. Nephritis chronica, Hypertrophia et Dilatatio cordis, Erysipelas.
Milz vergrößert, derb, von kirschroter Farbe, an der Oberfläche
mehrere Narben. In der Wurzel der Milzvene ein obturierender Thrombus.
Maße fehlen. Ausstrich: mäßig reichlich neutrophile Myelozyten, ver-
einzelte Mastzellen mit rundem Kern. Zwei eosinophyle Myelozyten.
Keine Normoblasten.
8. Nephritis chronica.
Stcurke allgemeine Zyanose und Ödeme.
Blut einen Tag ante exitum : Hb 84 % . N == 4 400 000. W = 20 300 .
^ = -^. Unter 300 weißen Zellen: P = 89,0 o/^. Gr. L = 3,9%.
Kl. L = 2,5 %. Mo = 3,7 %. Ma = 0,7 %. Polychromatophilie
der roten Blutkörperchen. Zahlreiche Blutplättchen. 2 Normoblasten.
Milz 12, 6, 4 cm, von etwas vermehrter Konsistenz. Schnittfläche
dunkelrot. Trabekelzeichnung deutlich. Ausstrich: mäßig reichlich neu-
trophile Myelozyten, Mastzellen mit rundem Kern spärlich. Viele Normo-
blasten, deren Kerne Abschnürungen zeigen, die oft an amitotische
Teilungsfiguren erinnern. An einigen Stellen sind die Nörmoblastenkeme
sehr groß und ähnlich Megaloblastenkemen. Polymorphie und Poikilo-
zytose der roten Blutkörperchen.
9. Endocarditis ulcerosa, Nephritis hämorrhagica.
Milz sehr stark vergrößert, 20, 14, 4 cm. Oberfläche teils bläulich,
teils rot, zwei große, 6 cm im Durchmesser betragende fluktuierende
Partien. Neben diesen noch mehrere kleinere, sich weich anfassende
Partien mit gelblicher Oberfläche und bräunlich-roten zackigen, derben
wallartigen Kändern. Ausstrich: viele neutrophile Zellen, oft gleichsam
in kleinere Zellen zerfallen, die Kerne in ihnen teilweise pyknotisch
polynukleär oder rund, spärliche neutrophile Myelozyten, einzelne eosino-
phile Zellen, hier und da mit rundem Kern (Myelozyten). Keine Nonno-
blasten. Poikilozytose der roten Blutkörperchen.
10. Cirrhosis hepatis.
Blut : 5 Tage ante exitum : Hb 50 %. N = 1 339 000. W = 8000.
^=-g^-. P = 70 «/o. Kl. L = 22,50/0. Gr. L = 2,0%.
über die Verändemngen der Milz bei perniziöser Anämie etc. 181
Mo = 5 ^Iq. E = 0,5 *^/q. Keine Myelozyten, keine kernhaltigen roten
Blutkörperchen.
Milz vergrößert, 17, 11, 4^/^ cm. Konsistenz weich. Auf dem
Schnitt Pulpa braunrot, weich. Trabekel undeutlich. Ausstrich : seltene
neutrophile, einzelne eosinophile Myelozyten. In mehreren kleinen eosino-
philen Zellen (Größe eines kleinen Lymphozyten), polyknotische, runde
Kerne. Einzelne Normoblasten, zwei Mastzellen mit rundem Kern.
11. Amyotrophische Lateralsklerose.
Milz 11, 7, 2,4 cm. Konsistenz schlaff. Pulpa rot. Trabekel und
Follikel dicht gestellt, rötlich. Ausstrich: mäßig reichlich neutrophile
Myelozyten. Eosinophile und basophil gekörnte Zellen fehlen, ebenso
Normoblasten.
12. Aneurysma aortae abdominalis.
Milz derb, nicht vergrößert, zeigt tiefe, narbige Einziehungen. Pulpa
fest, dankelrot, mit deutlichen Follikeln. Ausstrich: vereinzelte neutro-
phile Myelozyten. Eine Mastzelle mit rundem Kern.
13. Nephritis chronica.
Milz derb vergrößert, 14, 10, 4 cm. Pulpa weich, vorquellend,
deutliche Follikelzeichnung. Ausstrich: spärliche, sehr große neutrophile
Myelozyten, einzelne eosinophile Myelozyten. Spärliche Normoblasten.
Seltene Mastzellen mit rundem Kern. Auffallende Poikilozytose der roten
Blutkörperchen.
14. Cirrhosis hepatis, Nephritis chronica.
Milz mäßig fest, von blasser Farbe, 10, G^^» ^ ^™- -^^^ ^^^
Schnitt dunkelrot, deutliche Follikel- und Trabekelzeichnung. Ausstrich :
^ärliche neutrophile Myelozyten, relativ zahlreiche eosinophile Zellen,
darunter auch Myelozyten, keine Normoblasten.
15. Stenosis mitralis.
Milz sehr derb, Trabekel deutlich sichtbar, 12^ j^^ 8^/^, 4 cm. Aus-
strich : spärliche neutrophile Myelozyten, der Kern ist teils groß, rund,
teils pyknotisch, rund. Keine Normoblasten.
16. Tuberculosis miliaris acuta, Meningitis tuberculosa.
Milz 16, 9, 5 cm. Auf der Oberfläche Knötchen. Konsistenz
ziemlich weich. Auf dem Durchschnitt zahlreiche, weiße Knötchen. Pulpa
feucht, hell und dunkelrot gefleckt, vorquellend. Ausstrich: ziemlich
viele riesenzellenähnliche Gebilde. Spärliche neutrophile Myelozyten, ganz
vereinzelte Mastzellen mit rundem Kern. Keine Normoblasten.
17. Endocarditis ulcerosa.
Milz stark vergrößert, 20, lO^j^j 4 cm. Kapsel matt, mit fibrinösen
Beschlägen. Konsistenz wenig fest.. Blaurote, prominente Herde scheinen
durch. Auf dem Querschnitt erscheint die Pulpa graurot, feucht, vor-
quellend. Die harten Herde sind kleine, frische Infarkte mit kleinen
puriformen Flecken in der Umgebung. Die zu den Infarkten führenden
Arterien sind durch Thrombusmassen verstopft. Ausstrich: außerordent-
liche Poikilozytose (Zertrümmerung) der roten Blutkörperchen. Nur
neutrophil gekörnte Zellen, sehr selten erscheint der Kern fast rund
(Myelozyten). Keine Normoblasten. Viele Kiesenzellen.
182 IX. KUBPJOWBIT
18. Perityphlitis, Peritonitis.
Blut 1 Tag ante exitum : W = 56 000. P = 87 ^j^. Gr. L = 4 %.
Mo = 6%. Neutrophile Myelozyten 3%.
Tiber das makroskopische Verhalten der Milz sind keine Angaben
vorhanden. Ausstrich : zahlreiche neutrophile Myelozyten, spärliche eosino*
philo Myelozyten und Normoblasten.
19. Typhus abdominalis.
Blut 10 Tage ante exitum: Hb 47 %. N = 3 617 000. W = 5600.
^ = 6l6- ^ = '^^'/o- Gr.L = 60/^. K1.L=130/,. Mo = 3o/^.
Unter 200 weißen Zellen keine eosinophilen und Mastzellen. 1 Normo-
blast.
Milz ziemlich weich, 15, O^/g. 3^/^ cm. Pulpa sehr quellend. Aus-
strich: starke Poikilozytose der roten Blutkörperchen. Spärliche neutro-
phile Myelozyten, vereinzelte Normoblasten. Eosinophile Zellen fehlen.
Eine Mastzelle mit rundem Kern.
20. Pneumonia crouposa.
Blut, kurz ante exitum: Hb 75%. N = 3 250000. W = 4500.
^=W P = 830/,. Gr.L = 70/^. K1.L = 6%. Mo=l%.
E = 3o/^.
Die Kerne der polynukleären Zellen sind gebläht und nehmen fast
die ganze Zelle ein.
Milz etwas vergrößert, Pulpa quellend. Ausstrich : spärliche, neutro-
phile Myelozyten, spärliche Normoblasten. Ganz vereinzelte eosinophile,
polynukleäre Zellen.
Die Untersuchung der Milz bei einer Keihe von Fällen auf Schnitten
ergab keine für uns in Betracht kommende Veränderungen.
Fassen wir diese Befunde zusammen, so kommen wir zu fol-
gendem Resultat:
Die Milz zeigt makroskopisch in der Mehrzahl deutliche Ver-
änderungen. Bei den untersuchten Fällen von Erkrankung der
Kreislaufsorgane und der Nieren ist sie entweder verkleinert oder
normal groß, ihre Konsistenz ist sehr derb, bei septischen Er-
krankungen ist sie sehr vergrößert und weich. Als nonnal möchte
ich in ihrem makroskopischen Verhalten nur die Milz bei dem
Tumor cerebri und bei der amyotrophischen Lateralsklerose be-
zeichnen.
Mikroskopisch sind neben den gewöhnlichen Elementen neutro-
phile, Leukozyten mit rundem Kern (Myelozyten) gefunden worden,
außerdem zeigen die Kerne der neutrophilen, polynukleären Leuko-
zyten neben der typischen Form auch geblähte Formen. Selbst in der
Milz beim Tumor cerebri und bei der amyotrophischen Lateralsklerose,
die weder unter dem Einfluß von entzündlichen oder Stauungs-
über die yerändening«n der Milz l)ei perniziöser Anämie etc. ]g3
Prozessen gestanden haben, werden neutrophile, Leukozyten mitrundem
Kern (Myelozyten) in spärlicher Zahl beobachtet. Die eosinophilen
Zellen und darunter auch die einkernigen (Myelozyten) sind viel
seltener, letztere werden ganz vereinzelt bei Typhus (Fall 2),
Aneurysma aortae abdominalis (12), Nephritis chronica (7 und 13,
7 war kombiniert mit Erysipel), Endocarditis und Nephritis hämor-
rhag^ica (9), Cirrhosis hepatis (14) und Perityphlitis (18) gefunden.
Normoblasten dagegen waren weit häufiger vorhanden, so bei 1, 2,
3, 4, 5, 8, 10, 13, 18, 19, 20; relativ zahlreich waren sie jedoch
nur bei einer Nephritis chronica, hier waren sie aber auch kurz
ante exitum im Blut konstatiert worden. Sehr auffallend war bei
zwei chronischen Nephritiden die enorme Poikilozytose resp. Zer-
trümmerung der roten Blutkörperchen, Veränderungen, die schon
lange aus der Arbeit Ponfick's:^) Über Hämoglobinämie und ihre
Folgen („spodogener Milztumor") bekannt sind. In gleichem Maße
sah man sie nur noch bei schweren septischen Erkrankungen. Bei
letzteren wurde in einem Falle (9) auch eine Veränderung der ver-
mehrten neutrophilen polynukleären Leukozyten beobachtet, ähnlich
der von Ehrlich^) im Inhalt von Vesikatorblasen etc. beschrie-
benen. Die neutrophilen Leukozyten waren etwa halb so groß wie
normal, der Kern polynukleär oder rund pyknotisch intensiv ge-
färbt^ für letztere Zellen hat Ehrlich*) den Namen „Pseudo-
lymphozyten" eingeführt. Ob es sich in unserm Falle um
Schrumpfungs- oder Zerfallsprozesse handelte, konnte nicht mit
Sicherheit entschieden werden, letzteres ist jedoch das Vl^ahrschein-
lichere, da die betreifende Milz große Erweichungsherde zeigte.
Außer den erwähnten Enochenmarkelemeuten wurden noch
häufig Mastzellen nüt rundem Kern gefunden.
Vergleichen wir nun unsere Befunde mit denen von Ebner,
80 kann ich ihm nur beistimmen, daß man in jeder Milz fein-
granulierte Zellen mit rundlichem Kern findet, ferner daß in der nor-
malen Milz keine Normoblasten vorkommen, denn in der Milz vom
Tumor cerebri und von der amyotrophischen Lateralsklerose werden
neutrophile Leukozyten mit rundem Kern (Myelozyten), dagegen keine
Normoblasten gefunden. Eosinophile, Leukozyten mit rundem Kern
(Myelozyten) und Normoblasten treten nur in Milzen auf, die durch
Stauung, entzündliche Prozesse und schwere Anämien verändert
1) Berl. klin. Wochenschr. 1883 S. 306 u, 389.
2) Znr Kenntnis des akuten Milztumors. Charite-Annalen 1884 S. 107.
3) Die Anämie. Nothnagel, Bd. 8 S. 52.
184 IX. KUBPJUWEIT
sind. Aus dem makroskopischen Verhalten kann man nie einen
Schluß auf das Vorhandensein dieser Knochenmarkelemente ziehen.
Meine Beobachtungen stehen nun in Gegensatz zu denen von
H. Hirsch fei d,*) der in der Milz bei Herzkrankheiten, Aorten-
aneurysmen, Apoplexien neben den gewöhnlichen Element en^
Lymphozyten und mononukleäre Zellen, nur spärliche neutrophile
und eosinophile polymorphkernige Zellen, dagegen nie Normoblasten
und Myelozyten fand. Daß er spärliche Myelozyten nicht gesehen
hat, lag vielleicht an der Insuffizienz der Kernförbung mit Triazid,
daß er Normoblasten z. B. auch bei perniziöser Anämie nicht ge-
sehen hat, bestätigt nur, daß die Veränderungen eines Organs
nicht gleichmäßig nach einem Schema erfolgen, sondern abhängen
von der Schwere der Erkrankung, z. B. der Stauungserscheinungen,
von dem Grad der Anämie und vielen anderen Momenten, die wir
nicht kennen.
Bei Infektionskrankheiten und Bleianämie sind Knochenmark-
elemente in der Milz von Engel, Dominici, Weil, H. Hirsch-
feld, *^) A. Wolff, *) bei metastatischer Knochenkarzinose von
Frese*) und von mir*) gesehen worden.
Kernhaltige rote Blutkörperchen haben schon viel früher
Bizzozero, Foä, Salvioli, Pellacani) in der Milz junger
Tiere, in der Milz von Tieren nach schweren Blutverlusten, dann
auch beim erwachsenen Menschen in einigen Fällen gefunden.
Fast alle haben, im Gegensatz zu E. Neumann und seinem
Schüler Freyer,^ welche kernhaltige, rote Blutkörperchen als
Einschw^emmung vom Knochenmark in die Milz auffassen und ihr
daher eine wesentliche Bedeutung für die Neubildung roter Blut-
körperchen absprechen, den Schluß gezogen, daß die Milz in den
erwähnten Fällen eine wichtige Eolle bei der Blutbildung spiele.
Wenn nun aber die Milz in so zahlreichen Fällen
eosinophile Leukozyten mit rundem Kern (Myelozyten),
ferner Normoblasten enthält, liegt meiner Meinung
nach vielleicht auch der Schluß nahe daß sie diese
no r mal er w^ eise enthalte, allerdings in spärlicher Zahl
und daß erst infolge entzündlicher oder toxischer Ein-
1) Berl. klin. Wochenschr. 1902 S. 701.
2) 1. c.
3) Berl. klin. Wochenschr. 1902 S. 840.
4) D. Arch. f. klin. Med. Bd. 68 S. 387.
5) D. Arch. f. klin. Med. Bd. 87 S. 553.
6) Zit. nach Ebner, 1. c. S. 274 f.
über die Veränderungen der Milz bei perniziöser Anämie etc. 185
fliisse, ferner auch infolge von StauuDgsprozessen und
schweren Anämien eine Proliferation der vorhan-
denen Elemente und vielleicht auch eine Einwande-
rung neuer Elemente auftritt. Dabei möchte ich an-
nehmen, daß die neatrophilen, einkernigen Leuko-
zyten (Myelozyten) schon normal in jeder Milz vor-
kommen und daß vielleicht die eosinophilen, einker-
nigen Zellen (Myelozyten) and die Normoblasten ein-
wandern.
Nach Ehrlich sind aber die einkernigen neutrophil und
eosinophil gekörnten Zellen (Myelozyten) und die kernhaltigen roten
Blutkörperchen Knochenmarkelemente. Aus ihrem Auftreten in
der Milz kann man den Schluß ziehen, daß die Milz Knochenmark-
(hämatopoetische) Funktionen übernommen hat, vorausgesetzt, daß
man diese Knochenmarkzellen oder auch nur eine Art von ihnen
im Blut nicht findet.
Bei den perniziösen Anämien sind im Blut neutrophile Myelo-
zyten, Normoblasten und Megaloblasten vorhanden, in der Milz
werden sie auch gefunden, außerdem aber noch relativ zahlreiche
eosinophile Myelozyten. Dieses Moment scheint mir zu beweisen,
daß auch hier die Milz eine hämatopoetische Funktion über-
nommen hat.
Was nun die übrigen Untersuchungen betrifft, so sind neutro-
phile, eosinophile Myelozyten und Normoblasten gemeinsam nur in
wenigen Milzen gefunden worden, Normoblasten und neutrophile
Myelozyten zusammen dagegen weit häufiger. Nur in fünf Fällen
ist aber eine Blutuntersuchung kurz ante exitum zum Vergleich
mit der späteren Milzuntersuchung gemacht worden, diese ergab
bei Cirrhosis hepatis (10) im Blut keine Knochenmarkelemente, in
der Milz spärliche neutrophile und eosinophile Myelozyten, einzelne
Normoblasten ; bei Nephritis chronica (8) im Blut zwei Normoblasten,
in der Milz mäßig reichliche neutrophile Myelozyten und viele
Normoblasten; bei Perityphlitis (18) im Blut 3% neutrophile
Myelozyten, in der Milz zahlreiche neutrophile und spärliche
eosinophile Myelozyten, spärliche Normoblasten; bei Typhus abdo-
minalis (19) im Blut neben 200 weißen Blutkörperchen ein Normo-
blast, in der Milz spärliche neutrophile Myelozyten und vereinzelte
Normoblasten; bei Pneumonie (20) im Blut keine Knochenmark-
elemente, in der Milz spärliche neutrophile Myelozyten und Normo-
blasten.
Aus diesen Fällen können wir wohl mit Sicherheit den Schluß
186 IX. KuBPJUwKiT, Über die Verftnd. der Milz bei pernUiöser Anämie etc.
ziehen, daß die Milz hier eine myeloide Umwandlung erfahren und
damit wahrscheinlich auch eine hämatopoetische Funktion über-
nommen hat.
Denselben Schluß können wir wohl auch in den übrigen Fällen,
bei denen eine Blutuntersuchung intra vitam nicht gemacht worden
ist, ziehen.
Da nun aber auch in der normalen Milz Enochenmarkelemente
vorkommen, muß an die Möglichkeit gedacht werden , daß sie sich
auch an der Blutbildung beteiligt. Indessen ist das untersuchte,
sicher normale Milzmaterial, d. h. welches nicht beeinflußt war
durch Entzündung, Stauung, Anämie etc., zu gering, um solche
weitgehenden Schlüsse mit Sicherheit daraus zu ziehen.
Meinem hochverehrten Chef Herrn Professor Lichtheim
sage ich hiermit meinen besten Dank für die Anregung zu dieser
Arbeit und für die freundliche Unterstützung.
I
X.
Aus der medizinischen Klinik in Tübingen.
über die Speziflzität des Fibrinfermentes nnd seiner
Vorstufen.
Von
Dr. Muraschew
auB Moskau.
Die theoretische Auffassung des Vorganges der Blutgerinnung
ist durch die Untersuchungen der letzten Zeit ganz wesentlich
gefördert worden. Die Arbeiten von Hewlett (1), Fuld(2) und
Morawitz(3) über die Entstehung des Fibrinfermentes bedeuten
insofern einen Fortschritt in der Erkenntnis dieses verwickelten
Problems, als sie geeignet scheinen einen großen Teil der Wider-
sprüche zu erklären, die bisher das Studium der Gerinnungsliteratur
erschwerten.
AlexanderSchmidt(4) lehrte, daß im zirkulierenden Plasma
eine Vorstufe des Fibrinfermentes, ein Prothrombin, gelöst vorhanden
sei, das durch zymoplastische Substanzen aktiviert und in wirk-
sames Fibrinferment übergeführt wird. Die zymoplastischen Sub-
stanzen sollten durch den extravaskulär erfolgenden Zerfall der
Leukozyten frei werden.
Demgegenüber behaupteten Pekelharing(5) und A r t h u s (6),
daß eine Vorstufe des Fibrinfermentes, ein Prothi-ombin durch die
Einwirkung von Kalksalzen in Thrombin übergehen könne, was
den Befunden von Hammarsten(7) entsprach. Das Prothrombin
sollte nicht schon im zirkulierenden Plasma gelöst sich finden,
sondern von geformten Elementen abstammen.
Morawitz(3) konnte nun zeigen, daß diese beiden einander
scheinbar widersprechenden Anschauungen nicht unvereinbar sind.
Er bewies, daß das Fibrinferment durch die Einwirkung der Thrombo-
kinase, die vielleicht zum Teil den Schmidt'schen zymoplastischen
Substanzen entspricht, auf eine Vorstufe des Fibrinfermentes, das
Thrombogen, entsteht. Dieser Vorgang der Aktivierung findet nur
188 X. MüßASCHEW
bei Anwesenheit löslicher Kalksalze statt. Der BegriflF des Pro-
thrombins im Sinne Pekelharing's umfaßt daher das Thrombogen
und die Thrombokinase, die wegen Mangel bei Kalksalzen nicht
miteinander reagieren.
Während das Thrombogen sich nur im Blute findet, kann
Thrombokinase aus allen Geweben dargestellt w^erden. Die bei der
normalen Blutgerinnung wirksame Kinase entstammt vornehmlich
den Plättchen oder Leukozyten. Im Gegensatz zu Alexander
Schmidt glaubt Morawitz(3), daß auch das Thrombogen, das
dem Schmidt 'sehen Prothrombin entspricht, sich nicht schon
gelöst im zirkulierenden Plasma vorfindet. Er ist geneigt, in den
Blutplättchen die Hauptquelle des Thrombogens zu sehen.
Das zirkulierende Blut bleibt demnach flüssig, weil es vor
allem keine Thrombokinase, wahrscheinlich auch kein Thrombogen
enthält. Es ist anzunehmen, daß sich geringe Mengen von Fibrin-
ferment schon im zirkulierenden Blute durch Austritt dieser Sub-
stanzen aus den geformten Elementen bilden, wie Schmidt (4)
und seine Schüler wahrscheinlich gemacht haben. Jedoch können
diese geringen Fermentmen'gen nicht wirken, da sie durch ein
Antithrombin unwirksam gemacht werden, das sich vermutlich
schon im zirkulierenden Blute findet. Dieses Antithrombin ist bis-
her nur im Oxalat- und Fluoridplasma nachgewiesen worden. Es
ist daher von Interesse, daß es mir gelungen ist, die Anwesenheit
desselben auch im Gansplasma sehr wahrscheinlich zu machen, das
nach Delezenne's (8) Vorschriften ohne jeden Salzzusatz ge-
wonnen wurde. Diese Tatsache ist deswegen wichtig, weil hierbei
alle Einwände wegfallen, die gegen die von Morawitz (3) ge-
wonnenen Resultate an Oxalatplasma etc. erhoben werden könnten.
Das nach Delezenne's (8) Vorschriften gewonnene reine
Gansplasma gerinnt sehr leicht auf Zusatz von etwas Gewebssaft,
obwohl der Gewebssaft kein Ferment, sondern nur Kinase enthält
Daraus schlössen Morawitz (3) und Fuld (2), daß im Gansplasma
einer der beiden Faktoren, die das Fibrinferment bilden, nämlich
das Thrombogen, schon vorhanden sei. Auffallend langsam gerinnt
dagegen Gansplasma auf Zusatz von Gansserum, das durch Schlagen
des nach Delezenne gewonnenen Gansblutes erhalten \\Tirde,
also nicht mit Gewebssaft in Berührung gekommen war, mithin
nur wenig Thrombokinase enthalten konnte. Diese durch Gans-
serum im Gansplasma erzeugten Gerinnungen schritten so langsam
fort und blieben so lange stationär, daß man an die von Arthus(9)
und Morawitz (3) beschriebene Gerinnung des Fluoridplasmas
über die Spezifizität des Fibrinfermentes und seiner Vorstufen. 189
auf geringen Serumzusatz unwillkürlich erinnert wurde. Es lag
daher nahe, zu untersuchen, ob auch hier wie im Flüoridplasma
ein Antikörper eine wesentliche Rolle spielt. In der Tat stellte
sich heraus, daß Gansserum eine Fibrinogen lösung viel schneller
zum Gerinnen bringt als das gleiche Volumen Gansplasma.
Versuch.
Fibrinogen-
lösung
GftnsDlaqma Gansserum akti-
ijanspiasma ^.^^^ ^^^ ^^^^^
Geronnen nach
D Qcm
5 ccm
10 Tropfen
10 Tropfen
1 Stunde 30 Minuten,
nach 10 St. part. Gerinnung,
nach 24 St. total geronnen.
Da mehrere Versuche dieselben Resultate gaben, war es sehr
wahrscheinlich, daß Gansplasma einen gerinnungshemmenden Körper
enthält. Diese Ansicht konnte noch weiter dadnrch gestützt werden,
daß sich zeigen ließ, daß durch Erhitzen inaktiviertes Gansplasma
die Gerinnung einer Fibrinogenlösung durch Gansserum verhindert.
Versuch.
Fibrinogen-
lösung
Gansplasma
ViSt. auf 58«
erhitzt
Gansserum akti-
viert mit CaClj
Geronnen nach
5 ccm
5 ccm
2 ccm
10 Tropfen
10 Tropfen
1 Stunde 30 Minuten
üngeronnen nach 24 Stunden.
Es scheint also, daß der Antikörper des Gansplasmas relativ
hitzebeständig ist und durch die beim Erwärmen eintretende
Koagulation des Fibrinogens in seiner Wirkung nicht nachweislich
beeinträchtigt wird.
Die Tätigkeit dieses Antikörpers macht sich am deutlichsten
bei Zusatz von Gansserum geltend, doch scheint es, daß eine weniger
ausgesprochene Hemmung auch bei Zusatz von Serum verschiedener
anderer Tiere zu beobachten ist. Es würde das auf eine Spezifität
der Thrombine in der Wirbeltien'eihe hinweisen. Allerdings sind die
Resultate hier nur mit Vorsicht zu verwerten, da, wie wir weiter
unten Gelegenheit haben werden zu zeigen, eine derartige Spezi-
fiiziät sich sonst nicht nachweisen läßt.
Wir haben diese Versuche über das Antithrombin des Gans-
plasmas hier ausführlicher wiedergegeben, weil durch die Ent-
deckung eines derartigen Körpers, wie es scheint, die Ursachen
des flüssigen Zustandes des Blutes innerhalb der Gefäße, der seit
Brücke bisher immer auf einen von der lebenden Gefäßwand aus-
190 X- MüKABCHEW
gehenden unbekannten Einfluß zurückgeführt wurde, unserem Ver-
ständnis näher gerückt wird.
Da durch die Untersuchungen von Morawitz (3), deren Resul-
tate den gleichzeitig und unabhängig davon gewonnenen Befunden
von Fuld (2) entsprechen, ein Zusammenwirken mehrerer Sub-
stanzen bei der Entstehung des Fibrinfermentes als sichergestellt
angesehen werden kann, war es notwendig zu untersuchen, ob
man imstande ist sich eine nähere Vorstellung über den zugrunde
liegenden chemischen Vorgang zu bilden, besonders im Hinblick
darauf, daß die Theorie Ehrlich 's über die komplexe Natur der
Hämolysine von Delezenne scheinbar mit Erfolg bereits auf ein
Ferment, das Trypsin, übertragen worden ist.
Einer der Wege, die zum Ziele führen konnten, war eine Unter-
suchung der Spezifizität des Fibrinfermentes und seiner Vorstufen
in der Reihe der Wirbeltiere. Auf Anregung von Herrn Professor
Krehl unternahm ich es daher, zu untersuchen, ob einerseits das
Fibrinferment als Ganzes, andererseits aber die Thrombokinase oder
das Thrombogen einiger Repräsentanten der verschiedenen Klassen
der Wirbeltiere in gleicher oder verschiedener Weise auf dieselbe
Fibrinogenlösung einwirkten.
Herr Dr. Morawitz hat mich sowohl bei der Ausfuhr ung
der Versuche, als auch bei Abfassung der Arbeit mit Rat und Tat
auf das Wirksamste unterstützt.
Was zunächst die Spezifizität des Thrombins anlangt, so sind
die Ansichten darüber in der Literatur etwas geteilt.
Während Duclaux (10) annimmt, daß die Thrombine der
verschiedenen Wirbeltiere identisch seien, liegen Angaben von
Borde t und Gengou (11) sowie Fuld (12) vor, die auf eine
relative Spezifizität der Thrombine in der Wirbeltierreihe hinweisen.
Bordet und G e n g o u glaubten eine Spezifizität durch einen immuni-
satorisch erzeugten Antikörper nachweisen zu können, während
Fuld angibt, daß Gewebssaft vom Vogel, den er damals noch als
Ferment ansah, oxalatiertes Pferdeplasma nicht zum Gerinnen bringt,
während umgekehrt Pferdeserum Vogelplasma ebenfalls nicht koagu-
liert. Seitdem wir wissen, daß die Gewebssäfte allein die Thrombo-
kinase, die nur bei Anwesenheit von Kalk wirkt, nicht aber fertiges
Thrombin enthalten, und im Vogelplasma ein relativ stark wirken-
der Antikörper vorhanden ist, kann die Beweiskraft der Versuche
Fuld 's nicht mehr als ausreichend angesehen werden. Der Anti-
körper von Bordet und Gengou ist aber vielleicht kein Anti-
thromkin, sodern eine Antikinase.
■■__
Über die Spezifizität des Fibrinfermentes und seiner Vorstufen. 191
Eine sichere Entscheidung dieser Frage erschien um so mehr
wünschenswert^ als Ijoeb(13) neuerdings gestützt auf Versuche,
die er mit Gansplasma als Indikator anstellte, wiederum die An-
sicht vertreten hat^ daß spezifische Unterschiede der Thrombine
nur zwischen Wirbeltieren und Wirbellosen bestehen, daß dagegen
die Thrombine aller Wirbeltiere vorerst als identisch angesehen
werden können, da sie sämtlich Gansplasma koagulieren.
Als Indikator des Fibrin fermentes benutzten wir in unseren
Versuchen Fibrinogenlösungen aus Rinderplasma, die in bekannter
Weise nach Hammarsten's(7) Angaben hergestellt wurden. Die
Gewinnung einer reinen Fibrinogenlösung aus Rinderplasma bietet
^nige Schwierigkeiten, die sich bei Verarbeitung von Pferdeplasma
nicht in dem Maße finden. Vor allem gelingt die Ausfällung des
Fibrinogens durch Kochsalz erst bei Zusatz von etwas Säure und
ist auch dann häufig unvollständig. In einigen Fällen gelang es
überhaupt nicht, eine flockige Ausscheidung zu erreichen; das
Fibrinogen schied sich, besonders bei der zweiten Umfällung, kolloidal
resp. als ganz feiner, homogen aussehender Niederschlag aus, der
nar durch Zentrifugieren abgetrennt werden konnte. Es gelang in
solchen Fällen nie profermentfreie Fibrinogenlösungen zu gewinnen.
Weiterhin kam als Indikator noch Gansplasma zur Verwendung.
Es wäre sehr wünschenswert gewesen, auch noch ein Plasma eines
Kaltblüters zu prüfen; leider gelang das nicht, da die zur Ver-
fügung stehenden Tiere, Frösche und Fische, zu wenig Blut lieferten.
Sonst ständen diesen Versuchen insofern keine Schwierigkeiten im
Wege, als das Blut der Kaltblüter nach Delezenne's(8) Angaben
sich ebenso verhält, wie das der Vögel, d. h. bei Vermeidung der
Berfihrung mit den Geweben nicht spontan gerinnt. Als Ferment-
losungen kamen die Sera von Repräsentanten verschiedener Klassen
der Wirbeltiere in Betracht und zwar: Rind, Hund, Kaninchen, Ratte,
Gans, Frosch, Fisch. Es wurde darauf geachtet, daß das Blut mög-
lichst ohne Berührung mit den Geweben entnommen wurde, um einen
Überschuß von Thrombokinase in den Sera zu vermeiden. Jedoch ließ
sidi das bei Fröschen und Fischen nicht vollkommen durchführen.
Das Resultat sehr zahlreicher Versuche bestand im wesent-
lidmi darin, daß gezeigt werden konnte, daß die Sera sämt-
licher untersuchter Tiere sowohl Fibrinogenlösung
als auch Gansplasma zum Gerinnen bringen.
Es würde das also im Sinne der Angaben von Loeb(13)
spreciien und eine Spezifizität der Thrombine nicht sehr wahr-
scheinlich erscheinen lassen.
192 X- MüRAKCHEW
Wir haben auch versucht durch Anstellen quantitativer Ge-
rinnungsversuche zu ermitteln, ob vielleicht eine relative Spezifizi-
tät sich nachweisen läßt, was a priori nicht unwahrscheinlich
war, da ja z. B. die Bakterienagglutinine nicht absolut, sondern
nur relativ spezifisch sind und die Agglutination in vielen Fällen
sich auch, wenn auch in schwächerem Maße, gegenüber verwandten
Bakterien geltend macht.
Unsere in dieser Richtung angestellten Versuche haben jedoch
deswegen zu keinem befriedigenden Resultat gefuhrt, weil uns zu
vergleichenden Versuchen keine geeigneten Indikatoren zur Ver-
fügung standen. Nur die Fibrinogenlösung, nicht aber das Gans-
plasma konnte als indifferenter Indikator angesehen werden, da
letzteres einen Antikörper, ferner auch Thrombogen enthält und
man nicht übersehen kann, was für Reaktionen sich nach Zusatz
von Serum in dem Gansplasma abspielen.
Auch die scheinbar relativ spezifische Wirkung des im Gans-
plasma nachgewiesenen Antikörpers, die wir oben erwähnten, darf
nur mit Vorsicht für eine Spezifizität der Thrombine ins Feld ge-
führt werden. Denn man kann bisher nicht mit Sicherheit sagen,
ob nur das mit dem Serum zugeführte Thrombin sich an der Ge-
rinnung des Gansplasmas beteiligt oder ob dabei noch andere Pro-
zesse mitspielen, z. B. eine Aktivierung des im Gansplasma vor-
handenen Thrombogen durch die im Serum sich vorfindende
Kinase oder eine Änderung des Thrombingehaltes des Serums durch
eine Verschiebung des zwischen Thrombogen und Kinase bestehen-
den Gleichgewichtszustandes.
Wir wollen daher unsere Ansicht über die Spezifizität der
Thrombine in der Wirbeltierreihe dahin präzisieren: Eine aus-
gesprochene Spezifizität besteht sicherlich nicht, ob
eine relative Spezifizität vorliegt läßt sich nicht ganz
sicher entscheiden. Jedenfalls findet sich bisher kein zwingen-
der Grund, etwas derartiges anzunehmen Gegen die Spezifizität
spricht z. B. auch der Umstand, daß das Antithrombin des Blut-
egels, soweit uns bekannt ist, in gleicher Weise gegen die Throm-
bine sämtlicher w^armblütiger Tiere wirkt.
Nebenbei sei bemerkt, daß unsere Versuche erkennen ließen,
daß der Thrombingehalt der Sera von Tieren derselben Spezies ganz
enorme Schwankungen auch unter sonst ganz gleichen Bedingungen
zeigen kann. So fand sich, daß gleiche Mengen Hundeserum, das
von verschiedenen Tieren stammte, einen ganz verschiedenen Throm-
bingehalt aufwies. Dieselbe Fibrinogenlösung wurde durch die
über die Spezifizität des Fibrinfennentes nnd seiner Vorstufen. 193
gleiche Menge Seram des ersten Tieres schon in einer, des zweiten
erst in aber 7 Standen zam Gerinnen gebracht. Äuffallenderweise
war aach die Leber des zweiten Handes scheinbar sehr arm an
Kinase, woraas vielleicht geschlossen werden darf, daß diese schon
von Alexander Schmidt beobachteten Schwankungen des Thronibin-
gehaltes des Serums in gewissen Fällen auf Mangel an Kinase
zurückgeführt werden können. Natürlich kämen noch andere Mo-
mente in Frage, besonders Verschiedenheiten in der Bildung der
inaktiven, stabilen Modifikation des Thrombins, des /^-Profermentes
(cf. Morawitz und Fuld).
Schon in den Arbeiten von Hewlett (1) and Morawitz (3)
finden sich Angaben darüber, daß jedenfalls der Thrombokinase
eine größere Spezifizität zukommt als dem Thrombin. Detailliertere
Angaben über die Spezifizität der Kinase macht L o e b (13), der
jedoch die Natnr des wirksamen Prinzips der Gewebssäfte der
Thrombokinase insofern nicht richtig beurteilt hat, als er in dem-
selben einen Körper sieht, der ganz analog wie das Fibrinferment
wirkt, was den früheren Anschauungen entspricht. L o e b bezeichnet
die wirksamen Substanzen der Gewebe als Koaguline und
schreibt ihnen im Gegensatz, zum Fibrinferment eine Spezifizität
in der Wirbeltierreihe zu. Da wir wissen, daß die Koaguline
Loebs unserer Thrombokinase entsprechen, also einen integrie*
renden Faktor bei der Entstehung des Fibrinferments bilden, war
es von Interesse zu untersuchen, ob die Thrombokinase im Gegen-
satz zum fertigen Thrombin spezifische Eigenschaften erkennen
läßt Nach Loeb's Versuchen scheint es sich dabei im wesent-
lichen um eine relative Spezifizität zu handeln, da zwar die Ge-
websextrakte derselben Tiere die Gerinnung des aus der Karotis
aasfiießenden Blutes am stärksten beschleunigen, aber auch die
Extrakte anderer Tiere, wenn auch in geringerem Maße, wirksam
sich erwiesen. Nur die Gerinnung des Froschblutes schien durch
Zusatz von Gewebssaft höherer Tiere etwas verlangsamt zu werden,
was vielleicht auf eine absolute Spezifizität schließen ließe.
Die Methodik von Loeb — Beobachtung der Gerinnungszeit
des ausfließenden Blutes mit und ohne Zusatz von Gewebssaft —
erschien uns nicht sehr geeignet die vorliegende Frage sicher zu
entscheiden. Wir machten uns vielmehr die von Morawitz er-
mittelte Tatsache zunutze, daß nämlich im Serum sich neben
fertigem Thrombin und /J-Proferment noch eine gewisse Menge
Thrombogen findet, die der Aktivierung durch Kinase bei der nor-
malen Gerinnung entgangen war. Dieses Thrombogen des Serums
Deatsches Archiv für klin. Medizin. LXXX. Bd. 13
194
X. MüRASCHEW
kann später durch Zusatz von Gewebssaft aktiviert und die große,
neu entstandene Fermentmenge durch Einwirkung des Gemisches
auf eine Fibrinogenlösung erkannt werden, z. B.
Versuch.
Fibrinogen-
lösung
Rindersernm
Gewebssaft
Geronnen
5 ccm
5 ccm
lü Tropfen
10 Tropfen
5 Tropfen
nach 10 Minnten.
nach 1 Stnnde 25 Minuten.
Daher war die Anordnung unserer Versuche derart gewählt
daß wir Serum verschiedener Tiere (Thrombogen) mit dem Gewebs-
saft, meistens Lebersaft, anderer Gattungen (Thrombokinase) kom-
binierten, und die durch die Kinase bewirkte Aktivierung des
Thrombogens (also Neubildung von Ferment) durch Zusatz von Fi-
brinogenlösung als Fermentindikator prüften. Beim Gansplasma
konnte man sich darauf beschränken einfach Gewebssaft zuzu-
setzen, da Gansplasma sowohl Thrombogen als Fibrinogen enthält.
Sehr zahlreiche, in dieser Richtung angestellte Versuche hatten
kurz gesagt das Resultat, daß im Gegensatz zum Fibrin-
ferment die Thrombokinase (oder das Thrombogen) in
der Wirbeltierreihe, wie zu erwarten war, in der
Tat eine deutlich ausgeprägte Spezifizität erkennen
läßt. In gewissen Fällen handelt es sich dabei um eine relative,
in anderen aber zweifellos um eine absolute Spezifizität.
a) Kreuzungsversuche mit den Kinasen undThrom-
bogenen verschiedener Säugetiere.
Loeb meinte innerhalb der Reihe der Säugetiere wenigstens
eine relative Spezifizität nachweisen zu können, indem z. B. Extrakt
aus Kanin chenleber die Gerinnung von Kaninchenblut stärker be-
schleunigte, als die Gewebsextrakte anderer Säugetiere. Wir haben
ein derartiges Verhalten jedenfalls nicht in allen Fällen beobachten
können. Zum Beleg mag ein Versuch mitgeteilt werden.
Versuch.
Fibrinogen
Rinderserum
Leberextrakt
5 Tropfen
Chlorkalzium
Geronnen nach
o ccm
10 Tropfen
>?
??
Kind
Ratte
Kaninchen
Hund
2 Tropfen
1 Stunde 25 Minuten
10 Minuten
10
11
26
über die Spezi&sität des Fibrinfermentes nnd seiner Vorstufen. 195
Man ersieht also daraas, daß die Kinasen von Eatte und
Eaninchen das Thrombogen des Riiiderserum ebensogut aktivieren,
wie die Kinase vom Rind. Nur die Hundekinase schien schwächer
zu wirken ; da sich die schwächere Wirkung in 3 angestellten
Versuchen gleichmäßig vorfand, ist es wohl möglich, daß man es
mit einer Andeutung einer relativen Speziflzität zu tun hat. Da-
gegen ließ sich Hundeserum durch Rindleber sehr gut aktivieren.
Jedenfalls wird man soviel sagen, daß irgendeine deutlichere
Speziflzität der Kinasen innerhalb der Klasse der Säugetiere nicht
vorliegt.
b) Kreuzungsversuche mit denKinasen derSäuge-
tiere und den Thrombogenen niederer Tiere.
Die Gewebssäfte sämtlicher Säugetiere, soweit sie bisher ge-
prüft werden konnten, sind imstande Gansplasma zum Gerinnen
zu bringen und Gansserum gegenüber einer Fibrinogenlösung zu
aktivieren, d. h. also das Thrombogen der Gans in Thrombin über-
zuführen. Doch machen sich hierbei schon Differenzen bemerkbar,
indem, wie Hewlett (1) und Morawitz (2) bereits hervorhoben,
die Kinase vom Rinde auffallend schwach auf Gansplasma wirkt.
Versuch.
Gansplasma
Leberextrakt 5 Tropfen
Geronnen
2 ccm
2
2
2
11
17
Gans
Hnnd
Kind
Kaninchen
2 Minnten
3
13
3
11
V
11
Ebenso vermag die Kinase vom Rinde nur langsam Gansserum
gegenüber einer Fibrinogenlösung zu aktivieren.
Über den Einfluß der Säugetierkinasen auf das Serum von
Fischen und Fröschen kann ich leider keinen befriedigenden Auf-
schluß geben. Zwar konnte niemals eine Aktivierung beobachtet
werden, jedoch erwiesen sich auch die Kinasen von Fisch und
Frosch dem eigenen Serum gegenüber unwirksam, ja sie hemmten
sogar, ebenso wie die Gewebssäfte der anderen Tiere, die Gerinnung
einer Fibrinogenlösung durch diese Sera. Es liegt das offenbar
daran, daß bei der Entnahme des Blutes eine sehr innige Berührung
desselben mit den Geweben nicht vermieden werden konnte und
wahrscheinlich eben schon alles Thrombogen durch Kinase in dem
Serum aktiviert war. Daher können diese Versuche nicht als be-
13*
igg X. MüBASCHBW
weiskräftig angesehen werden; jedoch scheint ans Loeb's An-
gaben, der mit Ochsenfröschen arbeitete , hervorzugehen, dafi die
Kinasen der Sängetiere in der Tat nicht im stände sind, das
Thrombogen von Fröschen zu aktivieren.
c) Kreuznngsversuche mitKinasen niederer Tiere
und den Throrabogenen der Säugetiere.
Es wurde hier die Einwirkung von Extrakten aus Gansleber,
Fisch- und Froschmuskeln sowie aus Kaviar und Froschleber auf
die Sera verschiedener Säugetiere geprüft.
In allen Fällen konnte gezeigt werden, daß das Thrombogen
der Säugetiere sich nicht durch Zusatz von Gewebssaft niederer
Tiere aktivieren läßt. Auch Gansleber erwies sich wirkungslos,
was um so bemerkenswerter ist, als umgekehrt die Kinasen der
Säugetiere das Thrombogen der Gans aktivieren.
Bei den Versuchen durch Zusatz von Gewebssaft niederer
Tiere zum Serum von Säugetieren Gerinnung einer Fibrinogen-
lösung zu erziehlen, zeigte es sich, daß der Zusatz von Gewebssaft
in vielen Fällen sogar die Gerinnung verhinderte, die sonst durch
die Anwesenheit des Serum eingetreten wäre. Ähnliches ließ sich
auch bei Zusatz von Gewebssaft zum Frosch- und Fischserum in
vielen Fällen beobachten. Man könnte geneigt sein, diese Ver-
hinderung der Gerinnung auf die Anwesenheit von Antithrombin
in den Gewebssäften zurückzuführen. Jedoch glauben wir, daß
eine derartige Annahme nicht zutreffend ist, da sich bei diesen
Versuchen stets nach ein bis mehreren Stunden ein Niederschlag
in der vorher klaren Lösung vorfand, der wahrscheinlich durch
Einwirkung des Gewebssaftes auf das Fibrinogen resp. durch
Fällung desselben entstanden war. Auch die Gewebssäfte allein,
ohne Zusatz von Serum zeigen diese Wirkung. Jedenfalls ist die-
selbe nicht als Präzipitinwirkung aufzufassen, da sie nur sehr
langsam eintritt. Es ist möglich, daß dabei bakterielle Vorgänge
eine Bolle spielen, da die Gewebssäfte sehr schnell faulen. Wir
glauben daher, daß diese schdnbar gerinnungshemmende Wirkung,
die bisweilen bei Zusatz von Gewebssaft niederer zum Serum
höherer Tiere und umgekehrt (z. B. bei Fisch und Froschserum)
beobachtet wird, nicht auf der Einwirkung von Antithix)mbinen,
sondern auf einer Veränderung des Fibrinogens beruht, die sich
geltend macht, bevor das nicht aktivierte, also nur sehr langsam
wirkende Serum Gerinnung herbeizuführen imstande ist.
Auffallend war, daß Zusatz von Gansleber zu einer Mischung
von Rinderserum und Einderleber stets zu einer merklichen Ver-
über die Spezifizität des Fibrinfermentes und seiner Vorstufen. 197
zögerung der Gerinnung führte. Vielleicht wird ein Teil des Throm-
bogens durch einen Bestandteil der Gansleber, möglicherweise die
Kinase, in einer unwirksamen Bindung festgehalten. Doch kann
das natürlich nicht mehr wie eine Vermutung sein.
d) kreuzungsversuche mit Kinasen von Kalt-
blütern und dem Thrombogen der Gans.
Es konnte hier nur die Einwirkung der Gewebssäfte von Fisch
imd Frosch auf Gansplasma und Gansserum studiert werden. Stets
erfolgte Gerinnung des Gansplasma, die Kinasen der Kaltblüter
konnten also Thrombogen vom Vogel aktivieren. Jedoch verliefen
die erzielten Gerinnungen langsamer, als die mit Gewebssäften
von Säugetieren, durchschnittlich etwa in 10—15 Minuten. Ob es
sich hier um eine relative Spezifizität handelte oder die Gewebs-
säfte der Kaltblüter an sich ärmer an Thrombokinase waren, konnte
mangels geeigneter Indikatoren nicht entschieden werden.
Die vorliegenden Untersuchungen können natürlich keinen An-
spruch auf Vollständigkeit erheben, da die Anzahl der untersuchten
Tierarten aus äußeren Gründen zu gering war. Immerhin ist es
gelungen, soviel festzustellen, daß bestimmte Anhaltspunkte für
eine Spezifizität der Thrombine innerhalb der Wirbeltierordnung
nicht beigebracht werden können, was mit den Anschauungen von
Duclaux (10) und Loeb (13) übereinstimmt. Dagegen ist ge-
zeigt worden, daß die Kinasen und Thrombogene, jedenfalls der
eine dieser Faktoren, eine zum Teil sehr deutlich ausgesprochene
spezifische Wirkung erkennen läßt.
Betrachtet man unsere Befunde vom Standpunkte der von
Ehrlich für die Wirkung der komplexen Hämolysine aufgestellten
Theorie und nimmt man z. B. an. daß die Thrombokinase dem
Ambozeptor entspricht, so wird man sich folgende Voi-stellung bilden
können: Da die Thrombine nicht spezifisch sind, kann die be-
obachtete Spezifizität nicht bedingt sein durch die Rezeptoren des
Fibrinogens oder die zytophile Gruppe des Ambozeptor (der Thrombo-
kinase), sondern durch die Komplementophile desselben resp. das
Komplement (Thrombogen). Da fernerhin die Kinasen der Säuger
auch Vogelthrombogen aktivieren können, nicht aber die Kinasen
der Vögel Säugetierthrombogen, so müßte man der Säugetierkinase
mindestens zwei komplementophile Gruppen zuschreiben. Weiterhin
konnten wir zeigen, daß die Kinasen der Kaltblüter zwar Vogel-
thrombogen, nicht aber das der Säugetiere aktivieren; daher müssen
wir demselben ebenfalls mehrere komplementophile Gruppen zu-
weisen, wenn wir annehmen, daß Vogelthrombogen von dem niederer
198 ^- MuRASCHBw, Üb. d. Spezifizität d. Fibrinferments n. seiner Vorstufen.
Tiere verschieden ist, wofür allerdings ein strikter Beweis noch
nicht geliefert werden konnte. Demnach würden also die Kinasen
von Säugetier und Kaltblüter mindestens eine gemeinsame komple-
mentophile Gruppe, nämlich die für Vogelthrombogen besitzen, über
die Vogelkinase läßt sich nur sagen, daß sie jedenfalls keine komple-
mentophile Gruppe für das Säugetierthrombogen besitzt.
Etwas anders würde sich das Verhältnis gestalten, wenn man
das Thrombogen als Ambozeptor, die Kinase als Komplement an-
sehen würde. Dann würden dem Säugetier- und Vogelambozeptor
eine gemeinsame komplementophile Gruppe zukommen, eine andere
Gruppe dem Vogel- und dem Kaltblüterambozeptor. In diesem Falle
hätten also Säugetier- und Kaltblüterambozeptor keine gemein-
same komplementophile Gruppen.
Jedenfalls zeigen diese Ausführungen, daß eine Deutung der
von uns beobachteten Erscheinungen an der Hand der Ehrlich-
schen Anschauung über die Natur der Hämolysine sehr wohl mög-
lich ist. Da jedoch sonst keine Tatsachen vorzuliegen scheinen,
die eine derartige Auffassung stützen könnten, möchten wir uns
vorerst an diese zwar präzise und klare, aber auch für diesen Fall
zu spezielle Auffassung nicht binden. Mit der Annahme einer
aktivierenden Wirkung durch eine Kinase ist zwar weniger gesagt,
aber auch nicht so viel präjudiziert.
Literatur.
1. Hewlett, Arch. f. exper. u. Pathol. Pharm. XLIX S. 319.
2. Fuld, Zentralblatt f. Physiolog. 19. Dezember 1903 Heft 19.
3. Morawitz, Deutsch. Archiv f. klin. Medizin Bd. LXXIX S. 1. Hofmeister's
Beiträge IV S. 381.
4. Alexander Schmidt, Zur Blutlehre. Leipzig 1892.
5. Pekelharing, Die Bedeutung der Kalksalze für die Blutgerinnung. Fest-
schrift f. Virchow 1891 I.
6. Arthus, La Coagulation du Sang. Scientia Nr. ö.
7. Hammarsten, Zeitschrift f. physiologische Chemie 1896/97 S. 333 Bd. 22.
8. Delezenne, Arch. de Physiol. 9 (2) 333 1897. C. R. de la Soc. Biol. 1896
S. 1281, 1897 S. 462.
9. Arthus, Journal de Physiol. et Pathol. gen. 1901 887.
10. Duclaux, Mikrobiologie t. II 1899 chap. 17 u. 39.
11. Bordet und Gengou, Annales de l'inst. Pasteur. Bd. 15 S. 129 1901.
12. Fuld, Hofmeister 's Beiträge Bd. 2 1902.
13. Loeb, The Montreal Medical Journal, July 1903. The Medical News, New
York 1. August 1903.
XL
Besprechungen.
Friedrich Müller, Allgemeine Pathologie der Ernäh-
rung. Handbuch der Ernährungstherapie und Diätetik von
E. V. Leyden. Zweite umgearbeitete Auflage.
Die in neuer Auflage vorliegende Arbeit, welche schon in ihrer ur-
sprünglichen Gestalt zu einem wirklich hochgeschätzten Leitfaden in den
einschlägigen Fragen für den Kenner sowohl, wie für die Jünger unserer
Wissenschaft geworden war, erweist sich, entsprechend der regen Pro-
duktion auf dem Gebiete der Stoffwechselpathologie, als eine erheblich
erweiterte, und, soweit es eine kritisch sorgfältig gesichtete Auswahl
neuen Stoffes gebot, auch geänderte.
Eine praktische Umgestaltung betrifft zunächst die schärfere Trennung
des physiologischen Teiles von der Erörterung pathologischer Yerbält-
nisse.
Im ersteren erhalten wir in prägnanter Darstellung einen umfassen-
den Überblick über den gegenwärtigen Stand der Physiologie der Er-
nährung. Es ist mir leider nicht möglich, hier auf alle einzelnen Kapitel
der glänzend geschriebenen Abhandlung einzugehen. Unter den vor-
wiegend neu bearbeiteten interessiert vor allem bei der Schilderung des
Schicksals der eingeführten organischen Nahrungsmittel die Darstellung
der die Eiweißsynthese betreffenden Fragen, resp. im Anschluß hieran
die Behandlung der autolytischen Vorgänge, deren Bedeutung für die
Pathologie ja gerade F. Müller selbst eindringlich hervorgehoben hat.
Hinsichtlich des Fettabbaues im Organismus teilt der Verfasser die Auf-
fassung, daß bei Mangel an Kohlehydraten in der Nahrung die Fett-
zersetzung über die Acetonkörper geht. Gegen die Annahme, daß die
Spaltung der Kohlehydrate über die Glukuronsäure erfolge, wie neuer-
dings öfter behauptet worden ist, werden ernste Bedenken vorgebracht.
Bei der Schilderung des Gesamtstoffwechsels befaßt sich Müller auch
eingehend mit der Eiweißmast, es werden hier zahlenmäßige Berech-
nungen für die Möglichkeit der Zunahme von zirkulierendem Eiweiß bei-
gebracht.
Im zweiten, pathologischen Teil hat mich am meisten die erweiterte
200 ^- Besprechnngen.
Bearbeittiog der diabetischen und gichtischen Stoffwechselstörung ge-
fesselt. Daran anschließen möchte ich die eingehende Schilderung der
Alkaptonurie und Gystinurie, worüber ja gerade die letzten Jahre klarere
Vorstellungen gebracht haben.
Das Studium auch dieser neuen Auflage bringt nicht bloß, wie ich
mit besonderem Vergnügen feststelle, dem mit dem Gegenstand Vertrauten
Anregung und Genuß, sondern wird nach wie vor bei der klaren, stets
den Kern der Frage treffenden Darstellung ein verläßlicher Wegweiser
für Alle bleiben, denen es ernst ist, sich in den vielfach komplizierten
Gegenstand einzuarbeiten. p. Kraus (Berlin).
Xll.
Aus der dermatologischen Klinik und dem physiologisch-chemischen
Institute zu Breslau.
Über den Hanttalg beim Gesnnden nnd bei einigen
Hanterl^ranknngen.
Von
Dr. P. Linser
in Breslau.
Ein gewisser Gehalt in ätherlösHchen, fettartigen Substanzen
gehört zu den wesentlichen Bestandteilen jeder normalen Epidermis.
Überall, wohin wir sehen in der Natur, in Tier- und Pflanzenreich
treffen wir dieselben auf der Oberfläche der Organismen: Bei den
Säugetieren sind es meist drüsige Gebilde, die mit einer gewissen
Regelmäßigkeit über den ganzen Körper verteilt der Haut den
nötigen Fettgehalt verleihen. Die Vögel haben dazu die Bürzel-
drüsen, von denen aus sie sich ihre Oberfläche einfetten. Bei beiden
darf man vielleicht außerdem annehmen, daß ihren epidermoidalen
Gebilden auch so ein gewisser Gehalt an ätherlöslichen Bestand-
teilen innewohnt, ohne Vermittlung besonderer Drüsenzellen, wenn
man nicht dem Stratum Malpighi überhaupt die Sekretion solcher
Stoffe zuerkennen will. Bei den niederen Tieren und im Pflanzen-
reich dagegen sind es festere, mehr wachsartige ätherlösliche Stofi*e,
welche die Oberfläche bedeckten und der Epidermis ihre Glätte,
Weichheit und ihre relative Undurchlässigkeit verleihen, deren die
Haut zu ihrem Schutze bedarf Wo die Substanzen aber krank-
hafterweise nicht genügen oder fehlen, da sehen wir an der Haut
Rauhigkeit, Brüchigkeit, Aufquellung im Wasser etc., kurz Läsionen
aller Art auftreten, die es den äußeren Schädlichkeiten ermöglichen,
sich in der Haut anzusiedeln und in das Innere der Organismen
55U gelangen, zu Organen, denen ganz andere Aufgaben in dem
Haushalte des Organismus obliegen, als die Abwehr äußerer Feinde
nnd denen gegenüber die letzteren viel leichter obsiegen können.
Deutsches Archiv f. klin. Medizin. LXXX. B.l. 14
202 XII. LiNSEB
Chemisch bestehen diese Substanzen, welche dem Schatze
der Oberfläche bei Tieren und Pflanzen dienen, aus Estern höherer
Fettsäuren und höherer Alkohole, nicht aus eigentlichen Fetten,
wie man meist für die Tiere wenigstens annimmt; denn unter
Fetten verstehen wir chemisch nur die neutralen Glyzerinester
höherer Fettsäuren. Die ätherlöslichen Substanzen der Epidermis
bestehen dagegen nur zum kleinsten Teil aus Triglyzeriden. Die
Hauptmenge ihrer Fettsäuren scheint aber an hochmolekulare Alko-
hole gebunden zu sein: Dies ist nachgewiesen für die Blätter der
Pflanzen, welche hauptsächlich die Ester des Ceryl- und Myricyl-
alkohols (Stürke^)) enthalten und für die Bürzeldrüsen der Vögel,
in denen die Ester des Octadecylalkohols (Eöhmann^) vor-
herrschen.
In den epidermoidalen Gebilden der Säugetiere und des
Menschen spielen nach Liebreich*) die Ester des Chole-
sterins die Hauptrolle. Liebreich hat seine Untersuchungen
auf eine große Reihe epidermoidaler Gebilde bei Menschen und
Tieren ausgedehnt und überall diese Ester gefunden. Seine An-
schauungen sind wohl auch die herrschenden in der Dermatologie
geworden.
Nun sind aber die Liebreich 'sehen Anschauungen nicht
etwa auf genaue chemische Analysen begründet, sondern sie stützen
sich im wesentlichen nur auf die Cholestolreaktion. Lieb-
reich's Ausgangspunkt bildete das von ihm in die Therapie ein-
geführte Lanolin. Dieses gibt die Cholestolreaktion. Aber es
besteht nicht, wie Liebreich annahm, einfach aus Cholesterin-
fetten. Cholesterin ist nur in geringer Menge im Lanolin ent-
halten. Diese Reaktion versuchte Liebreich nun an einer großen
Reihe von tierischen Hautsekreten bzw. Extrakten von epidermoi-
dalen Gebilden, überall mit positivem Erfolge. Also, schloß er, ent-
halten diese alle Cholesterinfette.
Dagegen hat nun Santi*) angekämpft, indem er für die Ex-
trakte von Fußsohleuhaut (die also kein Talgdrüsensekret ent-
hielten) nachzuweisen suchte, daß die Cholestolreaktion hier wohl
auf Cholesterin, aber nicht auf Cholesterinfette hinweise. In den
ätherlöslichen Substanzen der normalen Epidermis sei also Chole-
1) Liebig'a Anna). 223, 285.
2) Hofmeister'8 Beitr. Bd. 5 1904.
8) Vgl. u. a. Verh. d. deutsch, dermat. Ges. Bd. 4 1894 nnd Berl. klin.
Wochenschr. 1885.
4) Moiiatsh. f. prakt. Demi. Bd. 9 1889.
über den Haattalg beim Gesunden und bei einigen Hauterkranknngen. g03
Sterin, aber nicht dessen Ester vorhanden. Liebreich
wies demgegenüber mit Recht anf die Unsicherheit der Reaktion
in Estergemischen hin, auf deren Ausfall außerdem, wie Hürthle^)
zeigte, noch der Wassergehalt der Substanz von größtem Einfluß ist.
So sehen wir, daß unsere Kenntnisse tiber die chemische Zu-
sammensetzung der Hautsekrete besonders auch bei Menschen
noch der Aufklärung bedürfen. Ich habe mir es deshalb zur Auf-
gabe gemacht, hier einiges zur Klärung der Frage beizutragen und
erfreute mich dabei der regen Unterstützung meines verehrten
Chefs, Herrn Geheimrat Neißer, dem ich auch an dieser Stelle
verbindlichst danke.
Die Untersuchungen sind in dem Breslauer physiologisch-chemi-
schen Institut unter Leitung des Herrn Prof. Röhmann erfolgt,
dem ich dafür zu großem Danke verpflichtet bin. Obgleich die-
selben noch bei weitem nicht zum Abschlüsse gekommen sind,
scheinen uns die vorliegenden Resultate doch zu einer gewissen
Charakterisierung der betreflenden Substanzen und zu ihrer Ver-
gleichnng untereinander zu genügen.
Unsere Untersuchungen beziehen sich auf folgende Punkte:
1. auf die Herkunft und die Menge des Hauttalges bei
Menschen,
2. auf die Zusammensetzung desselben,
3. auf die Unterschiede zwischen den ätherlöslichen Sub-
stanzen der verschiedenen Talgdrüsensekrete bei Menschen,
4. auf die chemischen Veränderungen, welche die ätherlös-
lichen Substanzen bei einigen Hauterkrankungen erleiden.
Die in den folgenden Untersuchungen zur Anwendung ge-
brachten chemischen Methoden brauchen hier wohl nicht näher
beschrieben zu werden. Genauere Angaben darüber finden sich u. a.
in dem Bendikt-Ulz er 'sehen Lehrbuch über „die Analyse der
Fette und Wachsarten". Die Bestimmungen der bei der Verseifung
der Atherextrakte neben den Seifen entstehenden oder schon vorher
neben den Estern vorhandenen ätherlöslichen Substanzen (in folgen-
dem kurz als „nicht verseif barer Anteil" des Atherextraktes be-
zeichnet) wurden nach dem Röhmann'schen Verfahren mittels
Ausschütteln in Petroläther 2) durchgeführt.
1) Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 21 1895.
2) HofmeiBter*8 Beitr. Bd. 5 1904.
14»
204 XIT. LiNSBR
I. Die ätherloslicheii Substanzen der normalen Haut.
a) Der Hauttalg.
Unter dem Hauttalg verstehen wir die ätherlöslichen Substanzen,
die von der Körperoberfläche, aus Haaren, sowie aus dem Schweiß
beim Menschen zu gewinnen sind. Er enthält also sowohl das
Sekret der Talgdrüsen als die ätherlöslichen Bestand-
teile der mitextrahierten epithelialen Gebilde (Haare,
Schuppen etc.).
Schon über die Herkunft desselben sind erhebliche Meinungs-
verschiedenheiten vorhanden. Während man annehmen sollte, daß
von den Sekreten der Haut die Produktion des Hauttalges in
der Hauptsache wenigstens den Talgdrüsen obliegt, die Sekretion
des Schweißes dagegen, unter dem man, gestützt auf die che-
mische Untersuchung, gemeiniglich eine wässerige Lösung fast nur
von Salzen versteht, den Schweißdrüsen vorbehalten bliebe,
hat Unna*) vornehmlich die Sekretion des Hauttalges den Schweiß-
drüsen übertragen. Er stützt sich dabei, wie schon vor ihm Krause,
Köllicker und Meißner, teils auf mikroskopische Befundein
Schweißdrüsen, teils auf gewisse Fettreaktionen an dem Schweiß
von Körperstellen, die keine Talgdrüsen, nur Schweißdrüsen ent-
halten. Er spricht deswegen von einem Fett schweiß, wobei
es zweifelhaft erscheint, ob eine Mitbeteiligung der Talgdrüsen an
der Sekretion des Hauttalges von ihm überhaupt noch anerkannt
wird.
Demgegenüber glaube ich dieBelanglosigkeit der Schweiß-
drüsen für die Sekretion des Hauttalges dadurch nachweisen zu
können, daß, wie ich feststellen konnte, sich aus dem Schweiß
nur eine äußerst geringe Menge ät^herextrahierbare
Substanzen gewinnen lassen. Aus 15 1 Schweiß, die in der
Hautklinik zu Breslau von einer Eeihe von Kranken mittels Heiß-
luftbäder im Gummisack aufgefangen wurde, ließ sich nur 1,8 g
ätherextrahierbarer Substanzen, also nur etwa 0,01 **/o gewinnen.
Eine zweite Probe mit ca. 10 1 und eine dritte mit 5 1 erbrachten
ebenfalls nur je 0,5 bzw. 0,15 Atherextrakt. Selbstverständlich
waren dabei sämtliche, auch die flüchtigen Fettsäuren mitgewonnen
worden (durch Zusatz von Natr. carbon. beim Eindampfen). Die
höheren Zahlen ätherextrahierbarer Substanzen, die Kamm er er*)
1) Deutsche Mediziiialzeitnug 1898.
2) Zeitschr. f. Biol. Bd. 41 1902.
fber den Hauttalg beim Gesunden und bei einigen Hauterkranknngen. 205
bei seinen Untersuchungen bekam, (0,06—0,17 7„) sind deshalb nicht
beweisend, weil sein Untersuchungsmaterial schon erheblich ein-
gedickten Schweiß darstellt.
Bei solch geringen Mengen wird man kaum annehmen können,
daß durch die Schweißdrüsen eine irgendwie in Betracht kommende
Ausscheidung von ätherlöslichen Substanzen erfolge, während man
die so gewonnenen Extrakte ohne Zwang als eine Verunreinigung
des Schweißes beim Herabfließen über den Körper ansehen kann.
Die mikroskopischen Befunde von osmierbaren Substanzen in den
Schweißdrüsen besitzen demgegenüber natürlich keine Beweiskraft,
nm so weniger, als eine Schwärzung mit Osmium nicht ohne weiteres
auf Fette zu beziehen ist.
Die Vorstellung, daß es hauptsächlich der Schweiß sei, mit
dem die Ausscheidung des Hauttalges erfolge, beruht vielleicht mit
auf der Beobachtung, daß die Haut des schwitzenden Menschen
fettreicher erscheint. Dies läßt sich jedoch viel einfacher so er-
klären: Die Haut ist bei stärkerer Schweißsekretion infolge des
größeren Blutzustromes höher temperiert. Die von uns untersuchten
Extrakte schmelzen aber, wie wir sehen werden, meist bei einer
die Blutwärme annähernd erreichenden Temperatur 34 — 37 ®. Dazu
kommt die erhebliche Wasseraufnahmefähigkeit der Substanzen.
Daß so die anscheinende Vermehrung des Hauttalges bei der
Schweißsekretion leicht durch das Flüssig werden und die Volumen-
zunahme des Hauttalges infolge W'asseraufnahme vorgetäuscht wird,
ist ohne weiteres verständlich. Es kann deshalb keinem Zweifel
unterliegen, daß der Hauttalg nicht durch die Schweiß-
drüsen, sondern durch die Talgdrüsen sezerniert wird. Dafür
spricht auch, daß chemisch die ätherextrahierbaren Substanzen des
Schweißes mit denen der Talgdrüsen übereinstimmten.
Über die Größe der Absonderung des Hauttalges
durch die menschliche Haut bestehen Untersuchungen von Leu-
buscher'), demzufolge ein normal großer Mensch o^i. 100 g in
8 Tagen sezernieren soll. Beim Kind bis zur Pubertät ist die
Sekretion gering, ebenso fällt sie im Alter erheblich. Was den
Vergleich der einzelnen Körperregionen hinsichtlich der Menge des
abgesonderten Hauttalges anlangt, so steht hier in erster Linie das
Gesicht (Nase und Stirn); dann folgt Rücken, Brust, Bauch und
die Extremitäten. Zu ähnlichen Resultaten kam Arnozan.^) Auch
1) Verhandl. d. Kongr. f. inn. Med. 1899.
2) Annal. de Derm. 1892.
206 Xri. Leiser
er betont den stark vermehrenden Einfloß der Pubertät »nf die
Sekretion des Hanttalges.
Ich selbst habe über die Stärke der Sekretion des
Hauttalges nur einige wenige Untersuchungen angestellt: an
2 Jungen von 13—14 Jahren, sowie an 3 erwachsenen Männern.
Da mir die Gefahr der Beimengung fremden Fettes an den nicht
bedeckten Körperteilen zu groß erschien, so habe ich an sämtlichen
5 Kranken nur die Vorder und Hinterfläche des Rumpfes vom
Schlüsselbein und von der Schultergräte bis zum Kreuzbein und
Nabel in Untersuchung genommen. Die Haut wurde mittels eines
in Petroläther getauchten entfetteten Gazebausches täglich abge-
rieben, nötigenfalls, soweit sie nicht ganz trocken war, vorher mit
einem in Alkohol getränkten Gazebausch geti-ocknet. Ich konnte
so in einem Zeitraum von 3 Wochen (im Sommer) bei den beiden
Jungen nur 0,7 bzw. 0,8 g Ätherextrakt gewinnen. Von den 3 Er-
wachsenen ergaben sich folgende Zahlen : Ein blonderer mittelgroßer,
magerer Mensch, bei dem die entfettete Körperfläche etwa 0,8 qm
betrug, lieferte in 3 Wochen 1,5 g. Die beiden anderen, brünetten,
großen, wohlgenährten Leute hatten bei ca. 1 qm entfetteter
Körperfläche 2,4 bzw. 2,7 g Ätherextrakt. Es ist dies also be-
deutend weniger als Leu bu seh er für die Hauttalgsekretion der
menschlichen Haut abgegeben hat und stimmt wohl auch mehr mit
den Vorstellungen überein, die man sich im allgemeinen über die
normale Menge derselben zu machen geneigt ist.
Die chemische Untersuchung des so gewonnenen Haut-
talges wurde in der Weise fortgesetzt, daß die Gazestücke im
Soxhletapparat mit Alkohol und dann 4—6 Stunden mit Chloroform
extrahiert wurden. Beide Extrakte wurden auf dem Wasserbade
getrocknet und dann mit warmen Äther aufgenommen. Nur der
Atherextrakt wurde in der Regel genauerer chemischer Unter-
suchungen unterworfen.
Der bis zur Gewichtskonstanz im Leuchtgasstrom auf dem
Wasserbade getrocknete Atherextrakt war von goldgelber oder brauner
Farbe, ohne besonderen Geruch. Schmelzpunkt 33— 36®. Die Säurezahl
schwankte zwischen 3,4 und 7,3; die Verseif ungszahl betrug 117,3
bis 130,6. Die Jodzahl vom Gesamtätherextrakt war 54—67, die
Jodzahl der Fettsäuren 36—44. Nach der Verseif ung wurde eine
Menge von ätherlöslichen Substanzen erhalten, die etwa 40 — 45%
des Gesamtätherextraktes betrug. Dieselben bestanden zum großen
Teil aus einem weiter unten noch näher zu charakterisierenden
mm
kristallinischen Körper (,, Acetonkörper") , der in Alkohol, Äther,
Über den Hauttalg beim Gesunden und bei einigen Hauterkrankungen* 207
Chloroform leicht löslich war, nicht aber in Essigäther und be-
sonders Aceton, mit einem Schmelzpunkt von 64 — 65 ^ Cholesterin
ließ sich nur in Menge von ca. 0,1 g, d. h. etwa 1% isolieren,
daneben fand sich noch ein öliger Rückstand.
Die Atherextrakte von etwa 20 1 Schweiß ergaben eine
S&m-ezahl von 6,3; Verseif ungszahl 130; Jodzahl des Gesamtäther-
extraktes 57. Der unverseifbare Anteil enthielt auch hier nur
wenig Cholesterin. Eine Bestimmung der flüchtigen Fettsäuren
(Reichert- Meißl'sche Zahl) ergab 1,7.
Ein weiteres Material zur Untersuchung des Hauttalgs lieferten
uns Menschenhaare. Dieselben verdanke ich der freundlichen
Unterstützung eines Kollegen, der sie in einem ländlichen Bezirke
durch einen besonders instruierten Dorfbarbier hatte sammeln
lassen. Soweit man es so sagen konnte, waren die Haare nur von
„garantiert ungesalbten Köpfen" gewonnen worden. Der Äther-
extrakt von ca. '/a kg betrug 13,5 g. Schmelzpunkt 32—34^;
Säurezahl 7,9; Verseifungszahl 139,4, Die nicht verseif baren Sub-
stanzen machten ca. 45% des Gesamtätherextraktes aus. Jodzahl
des Gesamtätherextraktes 56,4, der Fettsäuren 44,3. Die nicht
verseifbaren Substanzen enthielten auch hier eine geringe Menge
Cholesterin. Außerdem war dabei wieder eine größere Menge des
bei 64—65® schmelzenden Acetonkörpers. Der Rest war wieder
eine ölige, auch in der Kälte nicht erstarrende Masse.
b) Cerumen.
Das Ohrenschmalz wird von einer Anzahl Knäueldrüsen se-
zemiert, die sich im äußeren Gehörgang, meist an Haare angelegt,
finden.
Über das Cerumen findet sich bei Berzelius^) eine Notiz,
derzufolge es sich aus Albuminaten und doppelt soviel Fetten zu-
sammensetzt.
Petrequin*) konnte darin Öl- und Stearinsäure, Kaliseifen
und Cholesterin nachweisen. Angeblich sollen beim Menschen und
Rind Kaliseifen, beim Hunde Kalkseifen und beim Pferde Magnesium-
seifen vorherrschen.
Ich selbst habe von ca. 50 Kranken das Ohrenschmalz während
eines Zeitraums von 4 Wochen 2 mal wöchentlich mit einem LöflFel
abgenommen. Die so erhaltene Menge enthielt etwa 4 g Ather-
1) Tierchemie IX p. 536.
2) Compt. rend. 1869.
208 XII. LlNSEB
extrakt. Der nach der Extraktion hinterbliebene Trockenriickstand
betrug ca. 2 g. Die Menge des vom Einzelindividuum jeweils ab-
gesonderten Cerumen ist sehr verschieden, sowohl beim Vergleich
der beiden Seiten an demselben, als bei verschiedenen Individuen.
Auch hinsichtlich der Beschaffenheit des Sekretes bestehen erheb-
liche Unterschiede, indem es bei der Mehrzahl eine zähflüssige
Konsistenz und meist goldgelbe Farbe hat, während bei anderen
das Ohrenschmalz nur in Form fettdurchtränkter, fester, mehr oder
weniger pigmentierter Epithelraassen zu gewinnen ist.
Der Extrakt war von braungelber Farbe, Schmelzpunkt 36 — 38 ® ;
Säurezahl 1,2, Vei-seifungszahl 128. Die Jodzahl des Gesamtäther-
extraktes betrug 50.3. Die Menge der Fettsäuren war etwa dop-
pelt so groß, wie die der nicht verseifbaren Substanzen. Jodzahl
der Fettsäuren 38. Unter dem nicht verseifbaren Anteil bildete
die Hauptmasse eine anscheinend mit dem Acetonkörper identische
Substanz. Cholesterin war nur in geringer Menge vorhanden. Auf-
fallend war die große Menge der im ursprünglichen Alkoholextrakt
zurückgebliebenen Seifen. Durch Zusatz von Salzsäure konnte
hieraus noch ca. 0,5 g Fettsäuren erhalten werden. Mit einem
Schmelzpunkt von 40—41® und einer Jodzahl von 31.
c) Smegma.
Das Smegma geht aus den Tyson'schen Drüsen der Glans und
des Präputiums hervor. Es sind dies eigentliche Talgdrüsen, die
aber dadurch eine besondere Stellung einnehmen, daß sie nicht an
Haaren angelegt sind.
Vom Smegma hat Lehmann^) eine Analyse mitgeteilt. Er
fand Ätherextrakt 52,8^0, Alkoholextrakt 7,4 7«. Wasserextrakt
6,1 7o, Salze 9,7 %, Albuminate 5,6 %, unlöslicher Rückstand 18,4%.
Angeblich soll auch eine Ammoniakseife darin vorkommen.
Ich selbst habe von einem einzelnen Manne das Smegma im
Verlaufe von ca. 8 Monaten in regelmäßigen Pausen abgenommeD.
Es wurde nach Möglichkeit verhindert, daß sonst wesentliche Mengen
verloren gingen. Die so erhaltene Menge dürfte daher etwa der
normalen Produktion eines Erwachsenen entsprechen. Der Ather-
extrakt war 0,6 g, bei einem Trockenrückstand von 0,2 g. Der
Schmelzpunkt des gelblich weißen Extraktes lag bei 37 ^ Ein ge-
ringer Geruch von niederen Fettsäuren war nicht zu verkennen.
Säurezahl 18,4; Verseifungszahl 142; Jodzahl der Fettsäuren 41,2.
Der nicht verseifbare Anteil enthielt nur ganz wenig Cholesterin.
1) Ber. d. fgl. sächs. Akad. der Wiss. 1869 II.
über den Hanttalg beim Gesunden und bei einigen Hauterkrankungen. 209
Ich möchte hier der Vollständigkeit halber noch aus der Lite-
ratur mitteilen, was über die chemische Zusammensetzung zweier
anderer chemischer Sekrete der menschlichen Haut, der Meibom-
schen Drüsen und der Vernix Caseosa, bekannt ist, da mir
hierüber eigene Untersuchungen nicht zu Gebote stehen.
d) Das Sekret der Talgdrüsen des Lides.
(Meibom'sche Drüsen.)
Pes^) hat darüber mikrochemische Untersuchungen angestellt
mit dem Resultat, daß sich stets Cholesterin nachweisen ließ.
Die Osmiumfärbung ergab kein tiefes Schwarz, sondern mehr einen
graugrünlichen Ton. Pes kommt zu dem Schlüsse, daß in den
Meibom'schen Drüsen neben Cholesterin verseifte Fettsäuren vor-
handen seien; die Verseifung rühre von der alkalischen Tränen-
flössigkeit her.
Die ganzen Untersuchungen beruhen auf Farbenreaktionen an
mikroskopischen Präparaten und sind deswegen, wie auch vor allem
nach ihren Resultaten sehr anfechtbar. Wenn das Sekret der
Meibom'schen Drüsen infolge einer angeblichen Verseifung wasser-
löslich wäre, so müßte ja mindestens die eine Eigenschaft des-
selben, das Überlaufen der normalen Tränenmenge über die Lid-
ränder zu verhindern, wegfallen.
e) Vernix Caseosa.
Die Vernix Caseosa besteht jedenfalls nicht bloß aus abge-
stoßenem Epithel, sondern auch aus dem Sekret von Talgdrüsen.
über dieselben liegen mehrere Untersuchungen vor. Außer
den beiden älteren von Lehmann und Bück haben wir die von
Kuppel ^), der durchschnittlich 35 7o Wasser und 15% Äther-
extrakt aus seinem Materiale erhielt. Der Atherextrakt hat einen
Schmelzpunkt von 29 — 30®. Der nicht verseif bare Anteil bestand
hauptsächlich aus Cholesterin und einer kleineren Menge Iso-
cholesterin, die er durch Schmelzpunkt und Kristallform trennen
konnte. Die Fettsäuren enthielten hauptsächlich Ölsäure und Palmitin.
Ich reihe hier die chemischen Untersuchungen der Inhalte einiger
pathologischer Gebilde, deren Ätherextrakte mit den normalen Se-
kreten aber übereinstimmt.
1) Zit n. Maly's Jahresber. 1897.
2) Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 21 1895.
210 XII. LiNSEB
t
f) Inhalt von Talgdrüsenzysten.
Unter Talgdrüsenzysten verstehen wir die intrakutan, zum
Teil auch subkutan liegenden, meist einkammerigen Talgdrüsen-
erweiterungen, deren Inhalt von dickbreiigem Sebum mit Epithelien
gebildet wird. Wir bringen hier also auch einen Teil der sonst
als Atherome bezeichneten Zysten unter, soweit diese eben nur aus
erweiterten Talgdrüsen hervorgegangen sind. Auch hier haben wir
also wohl in der Hauptsache das Sekret der Talgdrüsen, dabei
aber noch einen erheblichen Teil abgestoßener Epithelien.
Talgdrüsenzysten finden sich bei älteren, fettreichen Leuten
relativ häufig und zum Teil in ziemlicher Größe. Bei einem älteren,
an Furunkulose leidenden Manne konnte ich aus 3, zum Teil sub-
kutan liegenden Zysten des Rückens auf einmal fast 3 g Ather-
extrakt gewinnen. Derselbe war von hellgelber Farbe, Schmelz-
punkt 33—34^, ein charakteristischer Geruch felilte. Mikroskopisch:
Epithelien, Fettkörnchen, Cholesterinkristalle ; keine Mikroorga-
nismen, sowohl mikroskopisch wie kulturell. Dagegen hatte der
Inhalt einiger anderen Talgdrüsenzysten, die wir sonst fanden,
einen ausgesprochen ranzigen Geruch von Buttersäure. Mikro-
skopisch waren in diesem Sekret zahlreiche kurze Stäbchen (Flaschen-
bazillen?) sowie Kokken. Letztere erwiesen sich kulturell als
weiße Staphylokokken. Die Stäbchen wuchsen nicht.
Die Bestimmungen der flüchtigen Fettsäuren ergab eine Säure-
zahl von 10,7.
Ätherextrakt: Schmelzpunkt 35— 36 ^ Säurezahl 3,8— 18,0; Ver-
seifungszahl 126 — 142; Jodzahl des Gesamtätherextraktes 59,4; der
Fettsäuren 42,1. In dem unverseifbaren Anteil war wieder eine
Spur von Cholesterin vorhanden.
g) Inhalt von Dermoiden.
Die Wand dieser Zysten besitzt eine völlig normale Epidermis
mit allen Anhangsgebilden, Haaren, Talg- und Schweißdrüsen. Der
Inhalt besteht also sowohl aus diesen Drüsensekreten, als aus ab-
gestoßenen Epithelien, Haaren etc. Er ist demnach mit dem Haut-
talg auf eine Stufe zu stellen.
Als Material dienten uns eine Anzahl frischer Ovarialdermoide
(Embryonen), die mir in freundlicher Weise aus den Frauenkliniken
zu Breslau, Gießen, Greifswald, Leipzig, München und dem all-
gemeinen Krankenhaus Hamburg - Eppendorf überwiesen w^urden.
Von diesen Zysten wurde nur der Inhalt zur Extraktion verwandt.
über den Hanttalg beim Gesunden und bei einigen Hauterkrankungen. 211
Na<5h der wie schon geschildert mit Alkohol und Chloroform vor-
genommenen Extraktion wurden die Massen meist noch einmal ge-
trocknet und fein gepulvert einer zweiten Extraktion mit Chloro-
form unterworfen. Die Atherauszüge der Chloroform- und Alkohol-
eitrakte ergaben im ganzen nahe an 200 g.
über die Dermoide liegen aus neuerer Zeit mehrere genaue
Untersuchungen vor. Sotnitschewsky\) konnte nach der Ver-
seifung aus dem nicht verseifbaren Anteil seines Extraktes einen
kristallinischen, in Äther und Alkohol leicht löslichen Körper vom
Schmelzpunkt 63 ^ isolieren, der bei der Elementaranalyse aus 80 ^/o C
und 13,5 ^/o H bestand. Er war geneigt, diesen Körper als Cetyl-
alkohol anzusprechen. Lieblein ^), der in seiner Zyste 88%
Wasser fand, erhielt aus dem Ätherextrakt reichlich Cholesterin,
kein Isocholesterin. Außerdem aber einen bei 53—55 **/'o schmelzen-
den kristallisierten Körper, der sonst nicht weiter charakterisiert
ist. von Zeyneck^) endlich lieferte uns eine genaue Analyse
des Atherextraktes, der aus einer großen Anzahl von Dermoiden
verschiedener Herkunft gewonnen ward. Er arbeitete mit dem
bisher größten Materiale. Der Schmelzpunkt seines Extraktes war
34-39 ^ ; Erstarrungspunkt 20—25 ^ Reichert-MeißT sehe Zahl
(flüchtige Fettsäuren) 2,9; Verseifungszahl durchschnittlich 158;
Jodzahl des Gesamtätherextraktes 71,2 — 74.9. Der nicht verseif-
bare Anteil, der nur ab und zu (3 mal unter 50—60 Fällen) Cho-
lesterin in geringer Menge nachweisen ließ, bestand zum Teil
aus einem in der Kälte ausfallenden, kristallinischen Körper vom
Schmelzpunkt 69—71 ^ und einer Elementarzusammensetzung von
79,9 »/o C uhd 13,7% H. Wegen der Ähnlichkeit in der Elementar-
analyse mit dem Cetylalkohol spricht auch von Zeyneck diesen
Körper mit Wahrscheinlichkeit als Cetylalkohol an. Nach Trennung
dieses Körpers hinterblieb ein öliger Bestandteil mit der Elementar-
analyse 83,4 % C und 12,5 % H. Die Trennung dieses Teiles war
nur durch fraktionierte Destillation im Vakuum möglich, wobei
zwischen 220—225 * eine größere Menge überging mit hohem
Bromadditionsvermögen, Jodzahl 90,4. Elementarzusammensetzung :
79,49% C und 12,36 »/o H. Benzoylierung war nicht möglich.
Außerdem gingen noch zwischen 258 und 265^ eine reichliche
Menge Öl mit der Jodzahl 151,1 und der Elementarzusammen-
setzung 83,01% C, 11,38% H über.
1) Zeitschr. f. pbysiol. Chem. Bd. 4 1880.
2) Ebenda Bd. 21 1896.
3) Ebenda Bd. 23 1897.
212 XII. LiNSEB
Die Analyse der Fettsäuren ergab nur wenig niedere
(Butter-, Ameisen-, Arachninsäure). . Den Hauptbestandteil bildeten
Palmitin, dann Stearin und Myristinsäure. Glyzeiin war nur in
geringen Mengen vorhanden.
Bei unseren Untersuchungen wurde natürlich auf die der Der-
moide der größte Nachdruck gelegt, da hier das größte Material
vorhanden war, und ihr Extrakt wohl den reinsten Hauttalg
abgab, während man ja bei den meisten anderen Extrakten eine
Verunreinigung durch fremde Fette nicht absolut aussehließen
konnte. Der Extrakt übertraf die extrahierte, aus Epithelprodukten
hauptsächlich zusammengesetzte Trockensubstanz meist um das
2— 4 fache an Gewicht. Er hatte gold- bis braungelbe Farbe, meist
etwas aromatischen Geruch. Schmelzpunkt 30—36". Die Ver-
seifungszahl (von 4 verschiedenen Portionen) schwankte zwischen
112 und 149; Säurezahl zwischen 2,6 und 6,3; Jodzahl des Ge-
samtätherextraktes 62,7 - 74,2. Menge des verseif baren Anteiles
30-40%.
Aus dem nicht verseifbaren Auteil schied sich stets in der
Kälte ein kristallinischer Körper ab, der leicht löslich in kaltem
Alkohol, Peiroläther, Benzol, Toluol, Amylalkohol etc., schwer löslich
aber war in kaltem Essigäther und besonders Aceton, während er
sich darin in der Wärme leicht löste. Durch mehrfaches Um-
kristallisieren gelang es, einen weißen, homogenen, in Nadeln
kristallisierten Körper von dem konstanten Schmelzpunkt 64 — 65^
rein zu gewinnen. Derselbe gab keine Cholestolreaktion,
ließ sich nicht acetylieren und besaß eine Jodzahl von 26,5.
Aus den beim Umkristallisieren erhaltenen Mutterlaugen
wurde eine Substanz in geringerer Menge erhalten, die sich mikro-
skopisch, durch Reaktion und nach dem Schmelzpunkt 142 — 144**
als Cholesterin erwies.
Die Menge des „Acetonkörpers" betrug ca. Vs ^^^ nicht ver-
seifbaren Substanzen. Die Elementaranalyse ergab 79,32—79,5 7o C
und 13,69—14,08 «/o H. Also im Durchschnitt 79,4 % C, 13,9 % H.
Derselbe ist nicht acetylierbar und daher nicht als ein Alkohol
anzusehen. Die Annahme von v. Zeypeck und Sotnitschewsky ,
daß in Dermoiden Cetylalkohol enthalten sei, ist somit nicht
haltbar. Offenbar hatte v. Zeyneck und Sotnitschewsk v
denselben Körper in Händen wie ich ; das beweisen die Elementar-
analysen, sowie die Angaben v. Zeyneck, daß sich der Körper
nicht benzoylieren läßt. Der von Sotnitschewsky angegebene
Schmelzpunkt stimmt annähernd mit dem von mir gefundenen
über den Hauttalg beim Gesunden und bei einigen Hau terk rank nngen. 213
Überein ; der höhere von v. Zeyneck erklärt sich mit großer Wahr-
scheinlichkeit aus einer Beimengung von Cholesterin.
Nach der Isolierung des „Acetonkörpers" hinterblieb ein auch
in der Kältemischung nicht erstarrendes Ol mit hohem Bromadditions-
vermögen und einer Jodzahl von 106,5; Elementaranalyse: 12,31 7o H
80,56% C. Dasselbe begann bei dem Versuche der fraktionierten
Destillation unter einem Drucke von 40—60 mm Hg bei 172^ zu
sieden. Dabei ging etwas, wenig gefärbtes Ol über. Das Thermo-
meter stieg allmählich bis 270®; eine Fraktionierung war nicht
möglich. Die Acetylierung gelang auch bei dieser Substanz
nicht.
Die Gesamtfettsäuren, soweit sie nach Spaltung der
Seifen mit Petroläther ausgeschüttelt wurden, hatten einen Schmelz-
punkt von 39— 42<>; Säurezahl 194-199, Jodzahl 35— 39. Die ge-
naue Analyse der Fettsäuren braucht hier wohl nicht mitgeteilt zu
werden, mit Rücksicht auf die eingehenden Untersuchungen von
V. Zeyneck, denen ich nur noch hinzusetzen möchte, daß meine
Extrakte nie die Ölsäure vermissen ließen.
Hier sei nur noch kurz erwähnt, daß an den Extrakten der
Dermoide mehrfach ihre Wasseraufnahmefähigkeit geprüft
^vurde. Dieselbe war meist um 100% vom ursprünglichen Ex-
trakte.
h) Inhalt von Atheromen.
Als Atherome möchten wir hier nur die offenbar aus ver-
sprengten epithelialen Keimen hervorgegangenen Tumoren ange-
sehen wissen. Dieselben verdanke ich der Freundlichkeit der
Herren Prof. Hofmeister in Stuttgart und Prof. Kausch in
Breslau. Die sämtlichen Tumoren waren am Kopfe exzidiert; sie
bestanden im Gegensatz zu den Talgdrüsenzysten nahezu aus-
schließlich aus verhornten Massen, ohne den bei den Talgdrüsen-
zysten vorherrschenden öligen Charakter.
Der Ätherextrakt von 2,5 g (schon extrahierter) Trockensubstanz
betrug 1,5 g. Er war von hellgelber Farbe, ohne bestimmten Ge-
ruch, Schmelzpunkt 42—44^. Säurezahl 3,5; Verseifungszahl 73,7;
Jodzahl des Gesamtätherextraktes 66,2, der Fettsäuren 36,7. Die
Menge der unverseifbaren Substanzen war ca. 55 ^'/o des Ather-
extraktes. Von 0,6 g desselben ließ sich über die Hälfte als
Cholesterin durch Schmelzpunkt 142—144^, sowie mikroskopisch
charakterisieren. Eine zweite Portion ergab aus 5 g Trockensub-
stanz 2,6 g Ätherextrakt mit einer Säurezahl von 5,2 ; Verseifungs-
214 ^n. L1K8KR
zahl 85,9; Jodzahl 60,4 (Gesamtätherextrakt). Der reichliche
Cholesteringehalt, der auch von früheren Untersuchern fest-
gestellt ward, ließ sich also auch hier nachweisen. Eine Unter-
suchung der Wasseraufnahmefähigkeit ergab bei diesem
cholesterinreichen Extrakt ähnliche Resultate wie bei Dermoiden.
Die Atherome sind früher schon zu chemischen UntersnchungeD
herangezogen worden und ihre Resultate sind es, die an Stelle der
fehlenden Untersuchungen des normalen Hauttalges bisher in den
Lehrbüchern der Dermatologie aufgeführt wurden. Die älteste
Untersuchung stammt von Ness van Esenbeck (1827)^), ist in
Gran berechnet und möge des historischen Interesses wegen (auf
Prozente umgerechnet) hier Platz finden. Esenbeck fand in
seinen Atheromen:
Talg 24,2 %
Osmazom und Spuren von Ol 12,6 „
Eiweiß und Käsestoflf 24,2 „
Wasserextrakte 11,6 „
Kohlensaure Kalkerde 2,1 ,,
Phosphorsaure Kalkerde 20,0 „
Kohlensaure Talgerde 11,6 ,,
Essigsaures und salzsaures Natrium in Spuren.
Eine Analyse eines 0,3464 g schweren Atheromes von Schmidt-)
ergab :
Wasser 31,7 %
Niedere Fettsäuren 1,21 „
Höhere Fettsäuren und Cholesterin 4,12 „
Epithel und Albuminate 61,75 „
Salze 1,18 „
Wenn wir hier einen kurzen Rückblick auf unsere Resultate
werfen, so sehen wir überall eine gewisse Gleichförmigkeit und
Übereinstimmung herrschen zwischen den Sekreten mit einer Aus-
nahme, den Atheromen. Bei diesen finden wir eine auffallend
niedere Verseifungszahl, dementsprechend eine überwiegende Menge
nicht verseilbarer Substanzen im Atherextrakt und zwar haupt-
sächlich Cholesterin, von dem die anderen Extrakte nur wenig
enthalten. Woran liegt diese Verschiedenheit?
In den Atheromen ist es wesentlich das verhornte Epi-
1) VrI. Vogel. Deut. Aich. f. klin. Med. Bd. 5 1868
2) Ebendaselbst.
über den Hanttalg beim Gesmiden und bei einigen Hauterkrankuugen. 215
thel, aus dem der Extrakt stammt. Talgdrüsensekrete
konnten wir, wenigstens in unserem Materiale, nicht vermuten.
Demgegenüber besitzen nun alle die anderen Extrakte vom Haut-
talg, Dermoidinhalt etc. einen mehr oder weniger hohen Anteil
von Talgdrüsensekret neben den aus Horngebilden (Epithelschuppen,
Haaren etc.) gewonnenen Substanzen. Dies bringt natürlich auf
den Gedanken, nach Materialien zu suchen, die möglichst rein das
eine oder das andere Sekret enthalten. Da aber reines Talgdrüsen-
sekret kaum in genügender Menge zu erlangen ist, so suchten wir
diesem Mangel mit einem Materiale abzuhelfen, das wohl nur aus
Homsubstanzen ohne beigemengtes Talgdrtisensekret besteht: ßinder-
hom und Pferdehuf. Die hieraus gewonnenen ätherlöslichen Sub-
stanzen können nur die Produkte der verhornten Zellen sein, aus
denen sie extrahiert wurden.
i) Homsubstanzen.
Die Materialien wurden teils in feinem geraspelten Zustande
(Homspäne) vom Drechsler bezogen, teils von uns selbst (Hufspäne)
direkt aus frischem Pferdehuf mit der Easpel hergestellt.
Ein halbes Kilo Hornspäne lieferte ca. 3 g Atherextrakt.
Dasselbe war stark gefärbt, von fadem Geruch und schmolz bei
42—44 ®. Säurezahl 5,5 ; Verseifungszahl 89,8 ; Jodzahl des Gesamt-
ätherextraktes 56,6, der Fettsäuren 45,9. Der Ätherextrakt bestand
zu etwa 50 ®/o aus unverseifbaren Substanzen, deren Hauptbestand-
teil das Cholesterin bildete.
Von etwa 400 gPferdehufspänen erhielten wir 2 g Äther-
extrakt mit sehr dunkler Farbe. Schmelzpunkt 40 — 41; Säure-
zahl 8,4; Verseifungszahl 96,2; Jodzahl der Fettsäuren 43,0. Auch
hier ließ sich aus dem unverseifbaren Anteile eine ziemliche Menge
Cholesterin extrahieren. (S. Tab. 1 S. 216.)
Eine Zusammenstellung unserer Zahlen, wie wir sie in der
Tabelle vor uns haben, der ich zum Vergleich noch die Zahlen des
Lanolins (nach dem Benedikt-IJlzer'schen Lehrbuclie) anschließe,
zeigt uns sofort eine erhebliche Differenz zwischen den Unter-
suchungsresultaten der reinen Homsubstanzen und denen, die
mehr oder weniger Talgdrüsensekret enthalten. Hier haben
wir im nicht verseifbaren Anteil wenig Cholesterin, dagegen
reichlich andere hochmolekulare C- und H-reiche
Substanzen, die wir namentlich in den Extrakten von Der-
moiden als „Acetonkörper" und in Form des „öligen Rückstandes"
genauer charakterisieren konnten. In den Atheromen aber.
216
XII. LiNSEB
Tabelle 1.
Jodzahl Nicht verseifbaren Anteil
I
;.Si VatK % des ! _L.S . fl?
Substanz
. , Verseif ffs- . ^ i
Sanrezahl ^,/ |J|lFett.
I ' S,:5 « 'säuren
C3
.. u des
Atherex-
traktes
a>
Hauttalg
Cerumen
Smegma
Talgdrüsen-
zysten
Dermoide
Atherome
Hornspäne
Hufspäne
Lanolin
12 33—360
4 36—38
0,6 36—37
3,4—7,9 117—140
1,2 . 128
18,4 142
5 33—36 3,8—18,0 126-142
200 30-36
5 42—44
3 42—43
i 2 40—41
I — 36-42
54—67
50
59
2,6—6,3 1 112—149 63—74
3,5-5,2 73-86 60—66
5,5 90 57
8,4 i 96
0,5-4,3
98—127
10-36
36—44
31—38 35-40
41
40-45 %! + ++
42
33
9
35—39: 30—40
37 1 55
46 I 50
43 50
' 55
+ +++
-|- wenig, +-[- viel, +++ sehr viel.
sowie in den Hörn- und Hufspänen finden wir viel Chol-
esterin in dem relativ großen unverseif baren Anteil. Daraus kann
man wohl den Schluß ziehen, daß die ätherlöslichen Sub-
stanzen des Hauttalges in seiner Gesamtheit sich aus 2 Kom-
ponenten zusammensetzen, aus dem Sekrete der Talgdrüsen,
das wenig Cholesterin, aber dafür andere, ähnlich zusammen-
gesetzte Körper enthält und den cholesterinreichen äther-
löslichen Bestandteilen der Hornsubstanzen.
Mit diesem Resultat stimmen die Liebreich' sehen An-
schauungen im wesentlichen überein. Liebreich hat ja auch
seine Extrakte in der Hauptsache aus den keratinösen Substanzen
gewonnen, während er das Sekret der Talgdrüsen nicht weiter in
Betracht zog. Und doch ist dies der quantitativ weit überwiegende
Teil des Hauttalges, mit dem man jedenfalls am meisten zu rechnen
hat. Der Hauttalg in seiner Gesamtheit ist aber nicht als
Cholesterin fett zu betrachten, sondern besteht wahrscheinlich
nur zum kleinsten Teil aus solchem. Einen großen Anteil an seiner
Bildung haben die anderen Körper („Acetonkörper", „öliger Rück-
stand'*). Diese Körper ließen sich sicher in dem Sekret der Körper-
oberfläche, im p]xtrakt von Dermoiden, im Cerumen nachweisen;
wahrscheinlich sind sie aber auch im Smegma vorhanden. Die
verschiedenen Talgdrüsensekrete sind untereinander wenig ver-
schieden. Alle zeichnen sich durch niederen Schmelzpunkt
aus. sowie duixh niedere Säurezahlen, d. h. alle in ihnen
enthaltenen Fettsäuren sind esterartig gebunden. Die Verseifungs-
zahlen, die ausnahmslos unter den von Glyzeriden der
über den Hauttalg beim Gesnndea und bei einigen Hauterkrankungen. 217
Fettsäuren bedinirt^B Zalilen stehen, lassen den Schluß m, dafi
aaeh derHauttalg, wenn überhaupt (Glj'zerin) Fette darin
siad, neben diesen noch die Ester hochmolekularer Alko-
hole, z.B. Cholesterin, und anderer unversejfbarer Substanzen
enthält
Die Jodzahlen ^dlich zeigen bei den Fettsäuren den
Gehalt an Ölsäuren a^. Im Gesamtätjiei'extrakt kominen dazu
noch als jodaddierende Substanzen die oben erwähnten Körper
(^Acetonkörper", Cholesterin, „öliger Efickstand"), bei denen wir
ja ein mebr oder weniger hohes Jodabsorptionsvermögen finden.
Der Einfluß dieser Substanzen zeigt sich deutlich bei dem Ver-
gleich der Jodzahlen von den Fettsäuren und dem Gesamtäther-
eitrakt. Wäibi*end bei den gewWinlichen (Glyzerin) Fetten die Jod-
zahl der Fettsävren stets größer ist, als die der entsprechenden
Fette, sehen wir, daß hier besonders in Atheromen und Dermoiden
die Jodzahl des Gesamtätherextraktes höber ist, als die von den
^tsfHrechenden Fettsäuren.
II. Die StJierUtellcliieiii Snbstonzm bei HtuiterfcraiilcangeH.
Hatte schon die Untersuchung der normalen Sekrete sehr mit
der Schwierigkeit der Materialgewinnung zu kämpfen, so war dies
natürlich in einem noch höheren Grade der Fall bei den Haut-
erkrankungen. Leider sind ja die Erkrankungen, bei denen wir
eine abnorme S^retion von Hauttalg annehmen können, durch sehr
chroftiscben Verlauf ausgezeichnet und da ist man nie ganz sicher,
ob das eventuell zu extrahierende Sekret von den Kranken selbst
produsieit oder fremden, therapeutischen Ursprunges ist.
Ich habe mich in folgendem bemüht, nur von ganz einwands-
freien, sicher nur mit autochtonem Hautfett iisprä^nierten Kranken
den Ätherextrakt zu untersuchen. Ich glaube aber so wenigstens
für die £einheit der Extrakte einigermaßen einstehen zu könneii.
a) Ichthyosis.
Das Material stammt von einem an Ichthyosis hystrix leidenden
Geschwisterpaar, das vorher nicht behandelt war. Die Schuppen
siAd meehajBÜißch entfernt worden. Die Itenge des Ätberextraktes
betrug 1,4 g bei 5 g Trockenrückstand. Der Schmelzpunkt des
g<ddgelben, geiiiobloaen Extraktes war 43--44^; Bäurezahl ö^;
yersej&figwaJU 94; Jod;5ahl 62,2 (Gesamtätherextrakt) und 41,4
(Fettsäuraa). Der nkkt verseif bare Anteil bestand zum größliea
Teil aas Oholeeterifi, außerdesi war eine auffallend gro£e Menge
DeatscheB Archiv für klin. Medizin. LXXX. Bd. 15
218 Xn. LiNSBB
von Substanzen vorhanden, die nur in Chloroform, nicht aber in
Äther löslich waren. Dieselben hatten eine ausgesprochen harzige
Beschaffenheit Ob wir es hier mit einem neuen, abnormen Se-
kretionsprodukte zu tun haben oder nur mit einer abnormen Um-
wandlung des normalen Sekretes, ist nicht zu sagen. Wohl aber
kann man annehmen, daß die Trockenheit und damit auch die
rauhe, zerrissene Form der Hautoberfläche damit zusammenhängt.
b) Psoriasis.
Hierfür standen mir die Schuppen von 4 Kranken zur Ver-
fügung, die nach Anamnese sowie auch nach der objektiven Unter-
suchung sich jedenfalls lange Zeit nicht mit fremdem Fette etc.
behandelt hatten. Trotzdem ich wohl mehrere hundert Psoriatiker
in der Klinik hatte untersuchen können, waren mir doch nur eben
von diesen 4 Kranken die Schuppen einwandsfrei genug erschienen,
um sie zur Untersuchung verwenden zu können.
Die Menge des Ätherextraktes betrug 1,3 g bei einem Trocken-
rlickstand von ca. 27« g. Der Schmelzpunkt des ganz leicht gelb-
lichen Extraktes lag zwischen 40 und 41^. Säurezahl 4,7, Ver-
seifungszahl 81, Jodzahl des Gesamtätherextraktes 59,2. Die nicht
verseif baren Substanzen enthielten hauptsächlich auch hier Chol-
esterin.
c) Comedonen.
Das Material entstammt zahlreichen, teils wegen anderer Af-
fektionen, teils wegen Akne in unsere Behandlung gekommeneu
Kranken. Wir haben die Comedonen mit Vorliebe von der Schulter
und Nackengegend genommen, weil dort eine Verunreinigung mit
fremdem Fett weniger zu befurchten war als im Gesicht. Die
Menge des Ätherextraktes betrug bei etwas über 1 g. Trocken-
substanz 0,9 g. Schmelzpunkt des ziemlich pigmentreichen Ex-
traktes 39®; Verseifungszahl 109; Säurezahl 19,3; Jodzahl der
Fettsäuren 53,9. Der nicht verseifbare Anteil bestand zu einem
erheblichen Teil aus Cholesterin.
d) Seborrhoea sicca.
Zu diesen Untersuchungen bekam ich das Material von einem
typischen Falle des sog. seborrhoischen Ekzems (Unna). Dasselbe
betraf eine stark verwahrloste Polin, die trotz etwa 3 monatlichen
Bestehens der Erkrankung bisher noch nicht behandelt war. Be-
fallen war Schulter, Kopf und Nackengegend. Die ziemlich ver-
filzten Haare wurden im Bereiche der Erkrankung mit dem Kamme
über den Hanttalg beim Gesunden und bei einigen Hauterkrankungen. 219
von den anhaftenden Schuppen und Borken befreit. In den haar-
losen Partien kamen die schon erwähnten Gazebäuschchen mit
Petroläther zur Anwendung. So konnte eine relativ große Menge
kleiner Schüppchen und Borken gesammelt werden.
Der Ätberextrakt dieser im entfetteten Zustand ca. 2 g schweren
Massen wog Iß g. Schmelzpunkt des hellgelben, deutlich nach
niederen Fettsäuren riechenden Extraktes 36 — 38*^; Säurezahl 51,9;
Verseifnngszahl 154; Jodzahl der Fettsäuren 57,4. Auch hier ließ
sich wieder Cholesterin in mäßiger Menge nachweisen.
e) Seborrhoea oleosa.
Bei dieser Erkrankung, die ja ihren Sitz hauptsächlich im Ge-
sicht hat, war die Gefahr, fremdes Fett mitzubekommen, eine be-
sonders große. Als unbedeckter Körperteil ist das Gesicht ja bei
der Nahrungsaufnahme, wie sonst bei häufigen Berührungen mit
der Hand natürlich gern eine Niederlage für allerhand fremde Zu-
taten. Ich habe deshalb das Material hierzu ausschließlich von
einem Kollegen gewonnen, der natürlich möglichst auf die Reinheit
des Sekretes achtete. Die Erkrankung war nur gering entwickelt,
also das richtige Bild einer schweren Seborrhoea oleosa kann der
Fall uns nicht bieten. Das Gesicht wurde täglich morgens mit
einem in Petroläther getauchten Gazebäuschchen abgerieben. Das
so in einem Zeiträume von 4 Wochen gesammelte Material war
natürUch stark mit Schmutz verunreinigt.
Der Ätherextrakt wog ca. 2 g mit einem Schmelzpunkt von
32 ^ Er war von bräunlicher Farbe, deutlichem Buttersäuregeruch
nnd hatte bei einer Säurezahl von 77,6 eine Verseifnngszahl von 183
Die Jodzahl der Fettsäuren betrug 67,3. Die nur etwa 0,2 g
schweren unverseifbaren Substanzen enthielten nur Spuren von
Cholesterin. Sie waren auch in der Kälte flüssig.
Tabelle 2.
Sabstanz
£
Säure-
zahl
Ver-
seifgs-
zahl
Jodzahl
Gesamt-
Äther-
extrakte
Fett-
säuren
Nicht verseifbaren Anteil
..% des
Atherex-
traktes
Chol-
esterin
Ichthyosis
Pioriasis
Comedonen
Seborrh. sicca
Seborrh.
oleosa
1,4 440
1,3 40—41
i i 39
1,2 36—38
2 32
5,3
19,3
61,9
77,6
94
81
109
164
183
62
59
41
54
57
67
60
50
40—50
2Ü
■Hh4
+
Spur
+ wenig, -H- viel, +++ sehr viel.
15'
•220 ^^* LiKBSft
Demnach ^hen diese pathologischen Sekrete-in er-
heblichem Gegensatz zu dem normalen Hauttalg. Auch
untereinander zeigen sie erhebliche Verschiedenheiten in ihrer
chemischen ZasammensetzuBg.
Aus Ichthyosis und Psoriasis, sowie auch aus den
Oomedonen haben wir einwi cholest^rinreichen Extrakt er-
halten. Das Sekret der Talgdrüsen ist hier also gegenüber dem
der Homsubstanzen sehr zurückgetreten. Die letzteren erscheineii
ja auch bei Ichthyosis und Psoriasis sehr vermehrt. DaJB es ancb
bei den Comedonen die cholesterinreichen Substanzen des Horn-
gewebes sind, die sich besonders bemerkbar machen, ist auffallig,
weil diese doch in der Hauptsache aus dem Sdkret der Talgdrüsen
sich aufbauen sollten.
Bei Seborrhoea sicca und namentlich S. oleosa sind die
SÄurezahlen stark in die Höhe gegangen, daraus geht
hervor, daß weniger Fetts&uren gebunden (oder mehr solche vom
normalen Sekret abgespalten) sind. Gleichzeitig ist auch die Menge
des nicht verseifbaren Anteils geringer geworden.
Wenn wir bei der Erhöhung der SÄurezahlen wohl in erster
Linie an die Wirksamkeit bakterieller Zersetrongen denken
müssen, so weisen doch andererseits die Verseifungszahlen auch
auf qualitative Änderungen in der Sekretion hin. Es sind hier
mehr verseifbare Substanzen (Fettsäuren) vorhanden- das zeigt
auch die geringe Menge des unverseifbaren Anteils, wie wir dies be*
sonders bei der Seborrhoea oleosa fanden. Den Zuwachs der verseif-
baren Substanz bestreitet aber offenbar in erster Linie die Ölsäure.
Das ersieht man aus den höheren Ziffern der Jodzahlen in 4en
Fettsäuren bei Seborrhoe. Also ist es die Ölsäure resp. ihre
Glyzerinester, von denen die Sekrete der Seboniioe mehr ent-
halten, die bei dieser Erkrankung mehr sezemiert werden. AH
das weist auf eine primäre Erkrankung der Talgdrüsen
hin, unter der wir uns wohl am ehesten eine mangelnde Tätigkeit
vorstellen können, infolge deren das ihnen hauptsächlich zugeführte
Material (Ölsäure) nicht genügend verarbeitet wird.
Inwiefern weichen nun diese ehemischen Resultate von unser
bisherigen Auffassung dieser Hautkrankheiten ab?
Bezüglich der Ichthyosis bestätigt das chemische Eesultat
lur unsere bisherige Anschauung: Die dabei gewonnenen äther-
nöslichen Substanzen stimmen ziemlich überein mit denen des bäT'
malen, verhornten Epithels, abgesehen von dem „harzigen" Anteil,
der sonst, besonders in der normalen Hornschichte jedenfalls nicht
über den Hauttalg beim Gesunden und bei einigen Hauterkranknngen. 22]
in der Meoge vorhanden ist Za einer Untersachnng über die Be-
ziekimgen dieses Bestandteiles zu den normalen ätherlöslichen Sub-
stanzen des verhornten Epithels reichte leider die Menge des Ge-
wosoenen nidit. Damit fällt auch die Möglichkeit, festzustellen,
ob dieser harzige Anteil in irgend welchen ätiologischen Beziehungen
zar Ichthyosis steht Aach bei der Psoriasis treten die äther-
ISshchen Substanzen des Homgewebes in den Vordergrund. Daß
dies in so ausgesprochener Weise auf Kosten der Talgdrüsen-
prodnkte geschieht, erscheint auffallend; denn es ist bisher wenigstens
Bichts dartber bekannt, daß wir es bei der Psoriasis auch mit einer
mangelhaften, ungenügenden Sekretion der Talgdrüsen zu tun haben.
Zu einem ähnlichen Resultat führt uns auch die Analyse des Ex-
traktes aus den Comedonen. Dies ist besonders bemerkenswert,
weil man in den Comedonen eigentlich viel eher die spezifischen
Substanzen des Talgdrttsensekretes erwarten sollte. Man hatte
zwar schon bisher auf Grund der histologischen Befunde den Ein-
druck, daß die Hornsubstanzen bei den Comedonen eine gewisse
Rolle spielen. Allerdings dachte man hierbei meist an eine mecha-
nische Behinderung des Sekretausflusses aus den Talgdrüsen in-
folge der Verstopfung der Ausführungsgänge mit Hommassen. Nun
nähert sich aber auch chemisch der Extrakt der Comedonen viel
eher dem der Hornsubstanzen, als dem des normalen Talgdrüsen-
sekretes. Daraus kann man wohl nur den Schluß ziehen, daß auch
bei den Comedonen die sekretorische Tätigkeit der Talgdrüsen un-
genügend ist oder daß wenigstens ihr Sekret sehr erheblich von
dem normalen abweicht Der höhere Schmelzpunkt des cholesterin-
reichen Sekretes erklärt einigennaßen vielleicht die Stagnation.
Anders liegt es bei der Seborrhoe. Auch bei der Seborrhoea
sicca finden wir noch entsprechend der erheblichen Beichlichkeit
der Schuppenbildung Cholesterin in mäßiger Menge im Extrakt
Dazu kommt nun aber ein stärkerer Anteil von eigentlichen
(Glyzerin) Fetten, sowie eine erhebliche Menge freier
Fettsäuren. Noch viel stärker tritt dies hervor bei der Sebor-
rhoea oleosa, die neben einem reichlichen Gehalt an Triglyzeriden
einen großen Teil freier Fettsäuren enthält. Die Abweichung von
dem normalen Hauttalg nimmt hier also eine ganz andere Bichtung
als bei der Ichthyosis etc. Die ätherlöslichen Substanzen bekommen
einen großen Prozentsatz von Triglyzeriden, besonders von Ol^in.
Diese bilden aber die Hauptmenge des Körperfettes, also des
Materiales, aus dem sich vermutlich die spezifischen Hautsekrete
aufbauen und so liegt hier wohl die Erkrankung darin, daß die
222 XII. LiNSEK
(Drüsen-) Epithelzellen das ihnen gebotene Material nicht in ihr
spezifisches Sekret umwandeln, mehr oder weniger unverarbeitet
wieder ausscheiden.
Mit dem Gehalt an Triglyzeriden verringert sich aber auch
die Resistenz des Hauttalges gegen das Wachstum von Mikro-
organismen. Daß sie in dem an Triglyzeriden reicheren Sekrete
der Seborrhöe viel besser gedeihen als in dem nonnalen Hauttalg,
zeigt uns die Höhe der Säurezahlen.
Unsere Untersuchungen fuhren uns also nicht zur Annahme
einer bakteriellen Ätiologie der Seborrhoen, sondern
zu der einer primären Sekretionsanomalie der Talg-
drüsen. Der bakterielle Einfluß kommt erst sekundär in einer
Zersetzung des Sekretes zum Ausdruck.
Und nun noch einen kurzen Rückblick auf unsere Unter-
suchungen bezüglich des normalen Hauttalges! Wir haben
gesehen, daß derselbe ein neutrales, nicht den Fetten, sondern
den Wachsarten nahestehendes Produkt ist, das sich aus 2 Kom-
ponenten, aus den ätherlöslichen Substanzen des Horn-
gewebes und dem Sekret der Talgdrüsen zusammensetzt.
Das letztere wird offenbar in reichlicherer Menge ausgeschieden
und überzieht die Haut in einer mehr oder weniger dicken Schicht,
während wir die ätherlöslichen Stoffe des Horngewebes als in oder
zwischen den Hornzellen liegende Substanzen ansehen müssen, die
nur in solcher Menge produziert werden, daß sie dessen Lucken
füllen. Die ätherlöslichen Bestandteile des Horngewebes sind jeden-
falls nicht aus besonderen Drüsen hervorgegangen, sondern aus den
gewöhnlichen Epithelzellen des Stratum Malpighi. Das Platten-
epithel der Hautoberfläche in ihrer Gesamtheit, also
Stratum Malpighi wie Talgdrüsen hat demgemäß die Fähigkeit,
ätherlösliche Stoffe zu bilden. Diese haben aber keine
gleichartige chemische Zusammensetzung; Das Sekret der Talg-
drüsen differiert wesentlich von den ätherlöslichen Substanzen,
welche die Horngebilde durchtränken. Diese Verschiedenheit
beruht vor allem auf der verschiedenen Zusammensetzung des
nicht verseifbaren Anteils. Bei den Hornsubstanzen ist
es wesentlich das Cholesterin und seine Ester, während in dem
Talgdrüsensekret nur wenig Cholesterin, dafür aber
andere, C- und H-reiche Verbindungen vorhanden sind. Diese letz-
teren sind dem Cholesterin vielleicht verwandt, vielleicht nur Vor-
stufen desselben, die hier in den Talgdi'üsen sofort nach außen
über den Hanttalg beim Gesunden und bei einigen Hauterkrankungen. 223
sezerniert werden, dort aber auf dem längeren Wege durch die
Schichten des Plattenepithels mit ihren tiefgreifenden Wandlungen
vom Stratum germinat. zum Stratum com., vielleicht auch unter
Mitwirkung der Luft nach und nach in Cholesterin übergehen.
Außer dieser Verschiedenheit des nicht verseifbaren Anteils
besteht keine wesentliche Differenz zwischen den beiden Gruppen.
Beide setzen sich nach ihrem Schmelzpunkt und den Jodzahlen
in ziemlich gleicher Weise aus Gemischen höherer Fettsäuren zu-
sammen. '
Auch in ihrem biologischen Verhalten besteht eine große
Übereinstimmung. Hier ist es vor allem die große Wasser-
aufnahmefähigkeit der Extrakte, von der wir oben ja gesehen I
haben, daß sie ähnlich wie das Lanolin etwa die gleiche Gewichts- ;
menge aufzunehmen imstande sind. Dies verhindert die völlige
Austrocknung der Haut und ermöglicht doch stets eine gewisse
Wasserabgabe, ohne die Hilfe der Schweißsekretion. Wir haben i
dafür erst in letzter Zeit auch den objektiven Beweis bekommen |
durch die Untersuchungen Schwenkenbecher's*), der nach-
wies, daß stets eine gewisse Menge Wasser ohne die Schweiß-
sekretion die Haut verläßt. Vermöge dieser Eigenschaft kann die
Haut auch von außen im Bade z. B. ein gewisses Quantum Wasser
aufiiehmen, soviel zu ihrer Auflockerung und Reinigung von Vorteil
ist; aber über eine gewisse Grenze hinaus kann kein Wasser in
sie eindringen. Diese Wasseraufnahmefähigkeit des Hauttalges
wirkt wie eine Art Wasserreservoir, das den Zustrom von
Gewebsflüssigkeit aus der Papillarschicht wie den Abgang von
Wasser durch Verdampfung an der Oberfläche ausgleicht und die
Epidermis dabei stets bei einem gewissen Feuchtigkeitsgrad erhält.
Dieselbe Eigenschaft ermöglicht aber auch wahrscheinlich die os-
motischen Vorgänge, auf denen die Resorption gewisser Lösungen
durch die Haut beruht, eben infolge ihrer Aufnahmefähigkeit für
Stoffe, die in Wasser wie in Fetten löslich sind (F i 1 e h n e -)).
Eine weitere biologisch wichtige Eigenschaft des Hauttalges
ist femer seine relative ünangreifbarkeit durch Mikroorganismen.
Dieselben finden in ihm keinen Nährboden, werden von ihm viel-
leicht auch mechanisch am Eindringen in die Haut behindert.
Worauf diese ünzersetzlichkeit durch Mikroorganismen begründet
ist, die so sehr im Gegensatz steht zu dem Verhalten der Glyzerin-
fette, ist nicht ersichtlich.
1) Arch. f. klin. Med. Bd. 79 1904.
2) Berlin, klin. Wochensclir. 1898.
224 XXII. LiKSER, Lber den Hauttalg beim Gesunden etc.
Ztraa Schloß noch ein Wort zur Frage, ob sich aus iraseren
Untersuchungen neue Gesichtspunkte für die dermatologische
Therapie gewinnen lassen. Ich glaube nicht. Natürlich kann
bei den Fällen, wo wir nach unseren Untersuchungen eine Sekretions-
anomalie der Talgdrüsen etc. annehmen können, etwa durch äußere
Anwendung normalen Hanttalges nichts gebessert werden; denn
den Fehler in der Sekretion treffen wir damit ja nicht und in die
Tiefe des Epithels dringen wir auch nicht mit unseren Salben etc.,
wo dasselbe schon mit dem abnormen Hauttalg durchtränkt ist.
„Von innen heraus" aber die Hauttalgsekretion zu beeinflussen,
das halte ich vorerst, namentlich solange wir noch nicht genauer
darüber aufgeklärt sind, aus welchem Materiale er sich aufbaut,
für aussichtslos. Leider besitzen wir auch kein Mittel, auf die
Produktion des Hauttalges fördernd oder hemmend einzuwirken.
Wir wissen nur, daß dieselbe an gewissen Stellen (Gesicht) und
bei Pigmentierten stärker ist; vor allem scheint dies auch bei
Negern der Fall zu sein, die ja besonders mit dem „Fettschweiß**
behaftet sein sollen. In der stärkeren Fettnahrung derselben eine
Erklärung dafür zu suchen, geht wohl nicht an ; denn sonst müßten
wir auch bei Weißen die Hauttalgsekretion mit entsprechender
Nahrung beeinflussen können. Wärme und Belichtung können hier
auch nicht von ausschlaggebender Bedeutung sein.
Ich glaube, die Erklärung liegt viel eher in der nahen Ver-
wandtschaft unserer ätherl^slichen Substanzen mit dem Hautpigment
im Tier- und Pflanzenreich. Beide, Hauttalg und Hautpigment,
sind Produkte derselben Epithelzellen und sie hängen auch chemisch
eng zusammen, denn man kann sie in den Extrakten nicht von-
einander trennen. Dazu kommt als Drittes noch die spezifischen
Riechstoffe in Tier- und Pflanzenreich, die ebenso eng mit den son-
stigen ätherlöslichen Substanzen zusammenhängen und auch haupt-
sächlich von Talgdrüsen sezerniert werden (z. B. Moschus). Alle
drei aber, die Riechstoffe, der Hauttalg und die Hautpigmente
stehen zum Teil wenigstens in Abhängigkeit von der sexuellen
Sphäre. Dies ist ja am ausgesprochensten im Pflanzenreich; im
Tierreich sehen wir teils mehr die Hautpigmente, teils mehr Hant-
talg mit den Riechstoften hervortreten. Beim Menschen aber ist
jedenfalls festzustellen, daß bei Pigmentierten die Hauttalgsekretion
viel stärker und daß auch die P u b e r t ä t von größtem Einfluß auf
dieselbe ist.
XIII.
Aus dem Heiliggeisthospital zu Frankfurt a. M.: medizin. Abteilung
(Chefarzt Prof. Dr. Treupel).
Über ürine nnd Urinsedimente bei normalen Personen,
bei rheumatischen Erkrankungen nnd naeh der Einwir-
kung Yon Salizylpräparaten.
Von
Dr. Carl Klieneberger und Dr. Richard Oxenius.
H. L ü t h j e ^) hat durch seine Untersuchungen über die Wirkung
der Salizylpräparate auf die Hamwege die Aufmerksamkeit weiter
Kreise wachgerufen. Er stellte fest, daß „nach Gebrauch des
Salizyls in den für den Menschen üblichen Dosen regelmäßig eine
nicht unerhebliche Reizung der gesamten Harnwege, speziell aber
auch der Nieren" eintrete.
Bislang waren konstante Nebenwirkungen der Salizylpräparate
anf die Nieren und Harnwege, so daß „vor dem chronischen Ge-
brauch derselben ernst gewarnt" werden mußte, nicht bekannt.
Diese Mittel wurden in großen Dosen lange Zeit als Spezifika bei
rheumatischen Erkrankungen gegeben. Man suchte die bekannten
akuten Intoxikationen, wie Erbrechen, Ohrensausen, Delirien usw.,
durch die Art der Dosierung und die Auswahl der Präparate zu
vermeiden. Im übrigen aber glaubte man, daß die Salizylsäure und
ihre Derivate relativ harmlose Arzneisubstanzen seien.- Wie schon
Lüthje in seinen Literaturangaben berichtet, sind recht wenige
Veröffentlichungen über Reizwirkungen des Salizyls auf die Nieren
(Albuminurie, Zylindrurie) erfolgt. Wir verweisen auf die dies-
bezüglichen Angaben in der Lüthje' sehen Arbeit.*)
1) H. Lüthje, Über die Wirkung von Salasiylpräparaten auf die Harn-
wege nebßt einigen Bemerkungen über die Genese der Zylinder und Zylindroide.
Deutsches Arch. f. kliu. Med. £d. 74.
2) Anm. bei der Korrektur : Unterdessen hat Th. Brugsch eine Arbeit über
„Saüsjrltherapie und Nieren** i. d. Ther. d. Gegenw. 1904, 2 veröffentlicht. Derselbe
226 XIII. KUEiaCBBROBB Q. OxEHICS
In unserem Hospital kommen alljährlich über 120 Fälle febriler
Gelenkrheumatismen zur Behandlung. Die Therapie bestand in der
Verabreichung von Salizylpräparaten durch längere Zeit. Auch
uns war es entgangen, daß nach Salizylgebrauch „eine Nephritis
und ein desquamativer Katarrh der Hamwege" entstehe. Herr
Professor Treupel hat uns veranlaßt, diese Feststellung H. L ü t h j e's
einer genauen Nachprüfung zu unterziehen. Wir sagen Herrn Pro-
fessor Treupel auch an dieser Stelle für die Anregung und für
die Überlassung des Materials unseren Dank.
Unsere Untersuchungen ließen es bald als notwendig erscheinen,
zunächst das Verhalten des normalen Urins und der normalen ürin-
sedimente zu prüfen. Erst nach Feststellung von Nonnen konnten
wir dazu übergehen, pathologische Harne zu untersuchen und die
eventuelle Einwirkung von Arzneisubstanzen zu studieren.
Theoretisch sollte man im normalen Urin sämtliche Zellbestand-
teile der Nieren und Hamwege erwarten, soweit dieselben nicht
der Resorption in loco anheimfallen. Proliferation und Abstoßung
von Zellen sind ja vitale Vorgänge. Ferner müssen sich dem Urin
auf seinem Wege von den Nieren abwärts sämtliche Sekrete und
Exkrete der Anhangsdrüsen gelegentlich beimischen. Eine Ein-
schränkung erfahrt diese Erwägung zunächst dadurch, daß die Pro-
liferations- und Abstoßungsvorgänge in den verschiedenen Organen
verschieden sind. Sodann findet eine Zerstörung, Aufsaugung usw.
von morphotischen Bestandteilen des Urins um so leichter statt,
je weiter der Ort der Provenienz und der Urethralmündung von-
einander entfernt sind. Nun geht ja die klinische Auffassung der
Krankheitsvorgänge dahin, daß fließende Übergänge von der Norm
zum Pathologischen hinleiten. (Wir wollen an dieser Stelle schon
auf den Wechsel der Anschauungen in der Frage der Eiweiß-
ausscheidung im Urin hinweisen.) Sind diese Überlegungen richtig,
dann müssen im normalen Urin bereits Nierenepithelien und viel-
leicht auch Zj'linder nachweisbar sein. Um so schwieriger wird es
dann sein, zu entscheiden, von wo an die Krankheit der betreffenden
Organe gerechnet werden muß.
Praktisch ergeben sich große Schwierigkeiten in der sicheren
Prüfung der rein theoretisch aufgeworfenen Fragen:
Zunächst ist es kaum möglich, nur das Verhalten der Nieren
und Harnwege zu prüfen. Dem Urin mischen sich, wie bereits
hält die Nierenschädigung für eine bedingte, die durch bestimmte Darreichmigs-
verfahren vermieden werden könne. Mit Rücksicht auf den Abschluß unserer metho-
dischen Unterduchungeu erschien eine Nachprüfung Torläufig nicht angezeigt.
über TJrine und Urinsedimente bei normalen Personen etc. 227
angedeutet, Sekrete und Bestandteile der Anhangsorgane bei. Es
kommen hier bei beidenGeschlechtern die Schleimdrüsen der
Hamwege, beim Manne die Sekrete der Geschlechtsorgane in Be-
tracht. Beim Weibe wäre es durch Eatheterismus leicht möglich,
die Vagina und den übrigen Genitaltraktus auszuschalten. Diese
Forderung ist in praxi undurchführbar. Des weiteren ist zu be-
rücksichtigen, daß auf das Urogenitalsystem relativ früh Schädigungen
einwirken, welche geeignet sind, das ganze System zeitlebens zu
affizieren. Es ist eine gut fundamentierte Tatsache, daß eine
einzige Gonorrhöe für immer eine katarrhalische Beizung mindestens
der Urethra zurückläßt. Nach jeder Geburt bleiben dauernde Ver-
änderungen im Endometrium zurück. Die Folgerung, daß jede
toxische Infektion nicht ohne bleibende, wenn auch nicht nachweis-
bare Veränderungen an dem spezifischen Ausscheidungsorgane, an
der Niere, vorübergeht, ist naheliegend. V^ill man nach allen diesen
Einschränkungen ein Urinsediment untei^uchen, so sollte das Sedi-'
ment des gesamten Tagesharnes, welcher bei der Körpertemperatui\
bei der Beaktion der Entleerung und vor Bakterienzersetzung ge-
schätzt zu halten wäre, untersucht werden. Wenn dann die Sedi-
mentbestimmung einheitlich werden soll, sind gleiche Mischungs-
verhältnisse der verschiedenen Sedimentbestandteile zu verlangen.
Nun ist es ja leicht nachweisbai\ daß, selbst wenn weder das Aus-
fallen von Hamsalzen noch auftretende Bakteriengärung das Re-
sultat beeinträchtigen, durch die Zentrifuge rascher ein Sediment
erzielt wird, als beim Stehenlassen im Spitzglase. Femer bat die
diesbezügliche Untersuchung ergeben, daß automatische Zentrifugen
von größerer Tonnenzahl noch dann charakteristische Sedimente
ergeben, wenn die Handzentrifuge und gar das Sedimentieren im
Spitzglase versagen. Daraus folgt allgemein: je höher die Touren-
zahl und je länger die Dauer des Zentrifugierens, um so massiger
unter gleichen Voraussetzungen das Sediment. Die Masse des
Sedimentes bedingt neue Untersuchungsfehler. Da im Urinsediment
die verschiedenen Bestandteile in verschiedener Menge auftreten,
so können charakteristische, spezifische Bestandteile, z. B. Zylinder,
Erythrozyten, Nierenbestandteile durch massige Plattenepithelien,
Leukozyten, Bakterien, Schleim usw. verdeckt werden.
Nach diesen kritisch-theoretischen Besprechungen wenden wir
uns zu unserer Methodik und unserer Nomenklatur. Wir gehen im
allgemeinen von dem Frühurin aus. Derselbe wird in sterilisierten,
eventuell angewärmten Gefäßen aufgefangen und bleibt höchstens
2—3 Stunden stehen. Die Nubekula wird mit sterilisierten Pipetten
228 XIU. Klteneberoer n. Oxeotu»
tind Ballonsauger — vgl. die ähnliche Methodik Lüthje'» — in
den üblichen, eventuell in bttrettenartigen Zentrifugengläsern ^), die
nach jedem Gebrauch gereinigt und sterilisiert werden, zentrifngiert
Wir benutzen eine elektrische Kreiselzentrifuge mit 2000 — 3000 Um-
drehungen in der Minute und lassen 10 — 20 Minuten zentrif agieren.
Wir untersuchen 2 — 3 Präparate zunächst bei schwacher Ver-
größerung. Jeder hyaline Zylinder und jedes Zylindroid, jeder Zell-
zylinder und jeder mittelgroße granulierte Zylinder ist bei schwacher
Vergrößerung (Zeiß, Objektiv AA, Okular II) als solcher zu er-
kennen. Differentiell entscheidet dann eventuell die starke Ver-
größerung (Objektiv DD). Die Durchmusterung der Präparate er-
folgt durch parallele und senkrechte Verschiebung, sodaß konti-
nuierlich Rechtecke von geringer Höhe bzw. Breite und von der
Länge des Deckglases durchsucht werden. Die Technik und Beur-
teilung ist Sache der Erfahrung. Die Ergebnisse sind erst dann
Verwertbar, wenn eine Konstanz der üntersuchungsergebnisse bei
einem und mehreren Untersuchem resultiert, wenn also 2 ünter-
sucher z. B. in einem bestimmten Sediment dieselben Mengen-
verhältnisse der Sedimentbestandteile und die gleiche Anzahl von
Zylindern finden.
Bei unseren Untersuchungen haben wir auf die genauere Dar-
stellung von Körnchen, Fettröpfchen und Salzen — dieselben finden
sich übrigens bei unserer Art der Untersuchung seltener — im all-
gemeinen verzichtet. Nierenepithelien und Erythrozyten wurden
nur dann notiert, wenn die Erkennung eine völlig einwandsfreie
war. Bei der Feststellung von Erythrozyten wurden eventuelle
Traumen, Menstruation usw. berücksichtigt. In allen Fällen, wo
die Beurteilung der Epithelien nach ihrem Herkommen zweifelhaft
sein konnte, wurden die betreffenden Zellen als „Epithelien" be-
zeichnet.
Über die Deutung der Zylinder und Zylindroide bezüglich ihrer
Entstehung und ihres Verhaltens zueinander besteht keine Überein-
stimmung unter den Autoren. Wir haben als hyaline Zylinder
nur modellierte Gebilde mit parallelen Konturen be-
zeichnet. Dieselben sind schmal oder breit, scharf oder schwach
konturiert, an den Ecken abgerundet, abgeschrägt oder scharf
abgesetzt. Gelegentlich kommen hyaline Zylinder mit lang aus-
laufendem Ende aus den Henle'schen Schleifen zur Beobachtung.
Zu den hyalinen Zylindern haben wir alle derartigen Gtebilde ge-
1) C. Klieneberger, Eine modifizierte Bürette als Centrifagenröhrchen.
Mttnch. Med. Woch. Nr. 42 1903.
über Urine \ad ÜiissediiaQnie bei Bormakoi Personen etc. 229
redinet, einerlei, ob Granula, Zellen, Tröpfchen usw. aufgelagert
sind. Alle anderen hyalinen Gebilde mit korkzieherartigen, spira-
ligen, gewundenen Enden oder Gebilde hyaliner Beschaffenheit von
nicht paralleler Kontur bezeichnen wir als Zylindroide. Über Zell-
zylinder können kaum Mißverständisse entstehen. Als granulierte
Zylinder überhaupt werden nur total granuli^te zylindrische, meist
parallel konturierte Gebilde bezeichnet. Die kleinen granulierten
Zylinder, welche mit stark gi-amilierten großen Epithelien ver-
wechselt werden könnten, haben T^dr dementsprechend rubriziert.
Zweifelhafte, größte granuUei-te Zylinder (Inkrustierungen usw.)
haben wir entweder überhaupt nicht oder mit dem entsprechenden
Votnerk erwähnt.
Zur besseren Verständigung über die numerischen Verhältnisse
der einzebnen Sedimentbestandteile empfiehlt sich die Auszählung.
Neuerdings wenden w^ir dieselbe zur Bestimmung von Zylindern an.
Für die Zellbestandteile haben wir die Bezeichnung: zahlreich
(mindestens 12 Zellen bei starker Vergrößerung), spärlich (minde-
stens Zellen in jedem Gesichtsfelde), vereinzelt (Zellen fast in jedem
Gesichtsfelde) gewählt. Da man mit diesen Bezeichnungen nicht
angkommt, mußten verkleinernde und vergrößernde Flickworte wie :
sehr viel, wenig, mäßig usw. zu Hilfe genommen werden.
Zur Feststellung des Eiweißgehaltes kamen klinische Eiweiß-
proben u. zw. Essigsäure-Kochprobe, Essigsäure-Ferrocyankaliprobe,
Salpetersäure-Kochprobe und ev. Esbach'scbe Probe nebeneinander
und xnAer den nötigen Kautelen zur Verwendung. Es erschien
zweckmäßig, die Opaleszenz bei auffallendem Licht und dunklem
Hintergründe mitzuberücksichtigen, ev. den Urin im hell durch-
fallenden Licht auf seine Durchsichtigkeit zu prüfen. Bei jeder
Probe diente der klar filtrierte Harn als Vergleich.
Bei dieser Versuchsanordnung bekommt man positive Eiweißreak-
ti(»en, die im allgemeinen nicht beachtet zu werden pflegen. Da
68 öfters vorkam, daß die Untersuch ungen an den verschiedenen
T^en verschieden ausfielen , mußte dem über wiegenden Fazit
Eechnung getragen werden. Die Ausnahmen wurden trotzdem
notiert Es werde zudem dem Verhalten der Urinreaktion be-
ßottdere Beachtung zuteil (vgl. Tabellen).
Wir berücksichtigen in der vorliegenden Arbeit — zugrunde
gelegt, aber nur zur Hälfte verwertet sind über 3000 Einzeluaiter-
suchungen — das Verhalten des Urinsediments und des Urins bei
lormalen Personen — «oweit man im Kranfcenhause davon sprechen
kann — und bei rheumatischen Erkrankungen spez. bei Polyarthritis
XIII. Klibnbberqbb q. Oxbnios
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XIII. ElUXiniBXBGBB U. OXBNIUS
rheumatica; wir werden dabei auf das Verhalten des Urins vor,
während und nach der Salizyldarreichung eingehen. Wir behalten
uns vor, Untersuchungen pathologischer Harne, die seit längerer
Zeit bereits im Gange sind, zu gegebener Zeit zu publizieren.
Die Untersuchungen erstrecken sich auf fieberlose Personen, meist
jüngeren Alters, im ganzen 93 Fälle (26 Männer und 67 Weiber), die
sich in der Bekonvaleszene yon leichten, a febrilen Krankheiten be-
finden oder überhaupt nicht krank gewesen sind. Jeder einzelne Fall
wurde au 4 verschiedenen Tagen untersucht und das Gesamtergebnis zu-
sammengezogen, so daß z. B. ein einziger allerdings charakterifitUcher
hyaliner Zylinder, der bei 4 CJnterBafibungen gefunden wurde^ die be-
treffezule Person als poailiv in Heebnuug steht. Es aind deefaalb diece
Untersuchungen nicht ohne weiteres mit den nachfolgenden Tabeilw, die
auf einer einzigen üntersucbuBg s. T. noch unter anderen Voraus-
setzungen der Methodik beruhen, in Parallele zu stellen.
Fassen wir die Resultate kurz zusammen, ao fanden wir:
Bestandteile
Männer
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ganzen
Weiber
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Erythrozyten
Zylinder Überhaupt
Hyaline Zylinder
Granul. Zylinder
"XierenzeTlzylinder
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7X
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6X
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: 88,46
: 84,61
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: 30,76
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- 74,77
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70 X
= 19,40
4 X
— 4,47
4 X
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23 X
58,06
37,e3
89,24
75^
4,30
4^
24,73
Außerdem wurden in allen Urinen Platteuepitbelieu bei der
Frau meist zahlreich, b^ den Männern spärlich oder vereinzelt
gefunden. Ebenso wurden in allen Urinen spärliche oder ver-
einzelte Schallen und andere Epitbelien gefund««. Lenfcorften
fanden sich regelmässig: beim Manne spärlich oder vereinzelt, bei
der Frau meist mäßig zahbeich. Schleim, Schleimzylinder und
Zylindroide kamen bei beiden Geschlechtem etwa gleich viel ud
regelmäßig vor.
Bei dieser Übersicht fällt auf, daß ein ganz charakteriatischer
Unterschied in dem gewonnenen Ergebnis zwischen Männern und
Weibern besteht. Derselbe ist übrigens ohne weiteres zu erklären.
Bei Frauen ist das Sediment durch die reichliche Beimengung von
dem Genitalkanal sehr viel massiger. Oft ist das ganze PräpaiAt
so mit Vaginalepithelien, Leukozyten und Schleim Mgefnllt, daß
leicht andere, spärlich auftretende Sedimentbestandt^e, besonders
Zylinder übersehen werden müssen. Beim Manne dagegen ist das
über üiine und ürimedimeiite bei normalen Personen etc. 233
Sediment fast nie so reichlich, daß die Untersuchungsresultate durch
derartige Fehler verändert werden können. Die gleiche Erwägung
gilt des weiteren für die Erythrozyten. Wenn es auch vermieden
wurde, kurz vor oder nach den Menses da« Sediment zu unter-
suchen, so kommen doch so lange vor und nach der Menstruation
vereinzelte Erythrozyten vor, daß man diesem Befund beim Weibe
leine besondere Bedeutung beimessen kann. Beim Manne spielen
andererseits wieder Traumen leichtester Art eine Rolle; genügt
doch schon eine einzige Ejakulation, zumal wenn sie noch die Folge
Ton masturbatorischen Manipulationen ist, um vereinzelte Erythro-
zyten tagelang zum Vorschein zu bringen.
Da man die untersuchten Personen unter der berücksichtigenden
Auswahl, die wir getroffen haben, als normal bezeichnen muß, ist
es damit erwiesen, daß sich sämtliche Bestandteile der Nieren und
Hamwege, auch Zylinder, dem Urin beimischen. Unter Mitberück-
sichtigung der Opaleszenzreaktion ist im Urin bei normalen Per-
sonen mit den gewöhnlichen klinischen Methoden in 58 ®/i, der Fälle
Albumen nachweisbar.
Es ist anzunehmen, daß durch Zerfall des Zellmaterials — ab-
gesehen vom Blut und Lympheiweiß — lösliches Eiweiß in den Urin
flbergeht, das mit den angewandten Methoden nicht nachweisbar ist.
Somit wäre Eiweiß im normalen Urin stets genügend vor-
handen, um daraus das Entstehen der spärlichen Zylinder zu er-
klären. Ein Blick auf die Übersichtstabelle allein schon zeigt, wie
relativ wenig Nierenepithelien im Vergleich zu Nierenzylindern
sich feststellen lassen. Berücksichtigt man ferner, daß man häufig
aus dem Zellzylinder den gekörnten Z3'linder entstehen sieht, daß
mau die hyaline Degeneration von Plattenepithelien und anderen
Epithelien, das Zusammensintern der Schollen unter dem Mikroskop
verfolgen kann, so wäre es ebenso wahrscheinlich, daß alle Zylinder
ausNierenepithelien, diehyalinen Zylinder am meisten zentralwärts ent-
stehen. Diese letzte Theorie erklärt zugleich am besten die Modellie-
rung der hyalinen Zylinder. Immerhin aber, da, wie erwiesen, sowohl
genügend Eiweiß, wie auch Epithelien vorhandensind, läßt sich auch
durch unsere Untersuchungen kein vollkräftiger Beweis für die Entsteh-
ung der Zylinder nach der einen oder anderen Richtung hin erbringen.
II. Urinuntersaehungen von Personen mit rheumatischen
Erkrankungen.
Die folgenden Tabellen enthalten die Untersuchungen über
ürine von afebrilen und* febrilen rheumatischen Erkrankungen,
Deatocbes Archiv f. klin. Medizin. LXXX. Bd. 16
234
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über Urine und Urinsedimente bei normalen Personen etc.
235
welche zunächst einmal vor der Salizylbehandlang untersacht
wurden. Die eisten febrilen Fälle wurden noch nicht so methodisch
während der Salizylmedikation weiter untersucht; wir haben dies
entsprechend berücksichtigt. Bei allen wurde auf das Vorhanden-
sein der Salizylreaktion bei. der Aufnahme ins Krankenhaus besonders
geachtet Es wurden überhaupt — mit Ausnahme von 3 Fällen, die
einige Tage vorbehandelt waren — sonst nur solche Fälle berück-
sichtigt, bei denen früher keine Salizyltherapie statt-
gefunden hatte. 2 Fälle, welche von Anfang an durch ihren
hohen Eiweißgehalt auffielen, erwiesen sich im weiteren Verlauf
als relativ gutartige chronische Nephrititen. Der eine davon war
bereits vor V« J^br wegen chronischer Nephritis in Hospitalbehand-
lung gewesen. Diese beiden Fälle wurden daher in der Zusammen-
fassung nicht mitberücksichtigt und nur zum Schluß aufgeführt.
Die Sedimentuntersuchungen vor der Behandlung beziehen
sich auf den Aufnahmeurin. Selten konnten 2 Untersuchungen
gemacht werden, ehe Arzneimittel gereicht wurden. Die Resultate
sind daher nicht von einheitlichen Gesichtspunkten zu betrachten
und nicht so subtil wie die mit unserer präzisen Methodik ange-
stellten fortlaufenden Untersuchungen (vgl. oben). Wir vermeiden
es daher Parallelen zu ziehen.
Es erschien zweckmäßig die afebrilen von den febrilen Erkrankungen
zu trennen (s. Tab. II).
Fassen wir die Resultate kurz zusammen, so fanden wir:
1. 13 afebrile Fälle (9 Männer, 4 Weiber).
Bestandteile
9 Männer
10
4 Weiber
13 Zusammen
im
ganzen
im
ganzen
/o
im
ganzen
/o
Albnmen
Erythrozyten
Zylinder überhaupt
Hyaline Zylinder
Granul. Zylinder
Nierenzeil- bezw. Leuko-
zytenzylinder
Nierenepithelien
5X
— 55,55
4X
10
9X
2X
- 22.22
2X
— 20
4X
8X
— 88.88
1 X
= 40
9X
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= 88,88
1 X
— 40
9X
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— 11,11
1 X
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— 11,11
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2X
3X
— 33,33
1 X
— 40
4X
= 69,69
= 30,76
= 69,69
= 69,69
= 15,39-
= 15,39
= 30:76
Wie zu erwarten, läßt sich ein unterschied in dem Resultat
der Untersuchungen bei febrilen und afebrilen Fällen nachweisen.
Dieser Unterschied fällt beim Vergleiche der Übersichtstabellen
weniger auf, einmal, weil in der Tabelle 1 die überwiegende Mehr-
zahl der untersuchten Personen Männer sind, bei denen ja einzelne
16*
236
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Zylinder, Epithölien, Erythrozyten weniger leicht übersehen werden.
Sodann — und das gilt mehr weniger für alle Ubersichtstabellen —
wird in diesen Übersichten nur den qualitativen Verhältnissen
Eechnung getragnen, die absoluten Mengen der einzelnen charak-
teristischen Sedimentsbestandteile werden nicht darin registriert
2. öl febrile Fälle (26 Männer, 2d Weiber).
Bestandteile
26 Männer
IQ
im
ganzen
25 Weiber
im
ganzen
51 Znsammen
im
ganzen
Albamen
Erythrozyten
Zylinder überhaupt
Hyaline Zylinder
Granulierte Zylinder
Nierenzell- bzw. Lenko-
zytenzylinder
Wachsartige Zylinder
Nierenepithelien
24 X
— 92,30
24X
— 96,00
16 X
= 61,63
14 X
= 66,00
23 X
— 88,46
11 X
= 44,00
23 X
— 88,46
11 X
— 44,00
12 X
— 46,16
6X
— 24,00
7X
= 26,92
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=- 4,00
IX
— 3,84
OX
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13X
— 6,00
6X
— 20,00
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34 X
34 X
18 X
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1 X
18 X
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68,82
66,66
66,66
35,29
15,68
1,96
35^
Im allgemeinen gleichen unsere Befunde bei afe-
brilenFällen rheumatischer Erkrankungen den (Jrin-
befunden bei „normalen Personen". Dagegen fanden
wir in den febrilen ürinen durchweg mehr EiweiB
und quantitativ vermehrte Formbestandteile, ins-
besondere Zylinder — darunter wieder besonders granulierte
Formen — Epithelien, Erythrozyten.
Dieses Ergebnis war für uns die Veranlassung, febrile Er-
krankungen und das Verhalten des Urins bei denselben methodisch
zu bearbeiten. Wir beabsichtigen, sobald unsere noch fortlaufenden
Untersuchungen abgeschlossen sind, darüber zu berichten.
Allen diesen 64 Fällen wurden nun kürzere oder längere Zeit,
teilweise monatelang, Natrium salicyl., ganz ausnahmsweise Aspirin
gereicht. Die Einzeldosis betrug stets nur Ve — 1 &• Di^ Tages-
dosis 3-7 g, die Zwischenräume zwischen den einzelnen Dosen
1 — 3 Stunden. Die Urine dieser Personen wurden methodisch an-
fangs in kürzeren, später in längeren Zwischenräumen untersucht
und die Resultate aufgezeichnet. Da es zu weitläufig wäre, alle
unsere Einzeluntersuchungen zu veröffentlichen, greifen wir nur
3 Beispiele als typisch heraus und erwähnen, daß mit individuellen
Schwankungen auch bei den übrigen Erkrankungen ähnliche Resul-
tate erzielt wurden.
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242 Xin. Elteneberoeb n. Oxeniüs
Wir konnten demnach ebenso wie Lüthje feststellen, daß zweifel-
los selbst nach geringen Salizjldosen mit individuellen Schwankungen
dem Urinbefunde nach eine ,,Salizylnephritis" entsteht.
Andere klinische Erech einungen von Nephritis nach Salizylgebrauch
traten niemals auf. Das Sediment des Salizylharnes ist bereits nach
1 — 2 Tagen ein außerordentlich reichhaltiges. Epithelien der gesamten
Harnwege und Nieren, Leukozyten, Erythrozyten, Zylinder der ver-
schiedensten Art traten in einer großen Anzahl auf, es stellt sich öfters
beträchtliche Albuminurie ein, so daß man dem Urinbefunde nach ent-
schieden von einer Nephritis und von einem desquamativen Katarrh
der gesamten Harnwege sprechen muß. Das Sediment des Salizylharns
eignet sich übrigens ganz vorzüglich für Zell- und Zylinderstudien.
Aber diese Salizylnephritis bildet sich, wie aus unseren
Beispielen hervorgeht, zurück trotz Fortsetzung der Sali-
zylbehandlung. Die ursprünglich vorhandene oder im Verlauf
akquirierte Albuminurie verschwindet trotz fortdauernden Gebrauchs
großer, mittlerer und kleiner Salizyldosen. Schon Lüthje ist das
Mißverhältnis zwischen dem Urinsediment und der Eiweißreaktion
des Salizylharns aufgefallen. In fast allen unseren Fällen trat in
den ersten Tagen, manchmal länger eine eventuell die Aufnahme-
reaktion überwiegende Eiweißreaktion auf. Dieselbe verschwand
stets bei genügend langer Beobachtung, unbeschadet der weiteren
Verabfolgung des Mittels. Es haben einzelne Kranke monatelang
hunderte Gramm Salizyl genommen (vgl. Paradigma 3). Auch die
Zellbestandteile verschwinden allmählich, zusammen mit den granu-
lierten und Zellzylindern, zuletzt freilich verschwinden die hyalinen
Zylinder. Nach längerer Zeit also ist das Sediment des Salizylharns
selbst von dem des Anfnahmeharns fiebernder Fälle verschieden ; es
ist ein erheblich spärlicheres, als das der fieberhaften Polyarthritis vor
der Behandlung. Mit anderen A\'orten, es haben sich die Verhältnisse
hergestellt, wie sie den von uns aufgestellten Normen entsprechen.
Eine besondere Beachtung verdient noch Paradigma 2. Lüthje
hat bei seinen Untersuchungen in keinem Falle Wachszylinder nach-
weisen können. Das entspricht auch den bisher bekannten Er-
fahrungen, daß wachsartige Zylinder nur in Fällen chronischer
Nephritis aufzutreten pflegen. Aber in dieser Allgemeinheit können
wir nach obigem Befund und nach unseren laufenden Untersuchungen
doch nicht das Auftreten der Wach szvlin der einschränken.
Patientin, ein Mädchen von 18 Jahren, das mit mäßigem
Fieber und Gelenkschwellungen in das Hospital kam, deren Urin
bei der Aufnahme genau untersucht wurde, zeigt nach Salizyl-
über Urine nnd Urinsedimente b«i normalen Personen etc.
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244 XTII. Kluensbisoer u. Oxbkics, Über ürine und Urinsedimente etc.
gebrauch eine ganze Reibe von Tagen typiscbe Wachszylinder in
größerer Menge. Trotz 188 g Xatr. salicyl. in 49 Tagen ver-
schwanden sowohl die Wachs- wie die übrigen Zylinder wieder
vollständig, die Albuminurie ging zurück^ und Patientin konnte
nach 2 Monaten geheilt entlassen werden. Es ist dies allerdings
der einzige Fall unter 64 Fällen.
Wir stellen zum Schluß den letzten Befund bei Abschluß der
Salizylbehandlung der obigen 66 Fälle nochmals zusammen (s. Ta-
belle III S. 243).*)
Das Salizyl erzeugt also nach unseren Erfahrungen d e m U r i n -
befunde nach eine Nephritis, die bei Fortwirken des
schädigenden Agens ausheilt. Es tritt keine Gewöhnung
an das Salizyl ein; denn nach einigen Tagen des Aussetzens, wie
wir bei mehreren Fällen feststellen konnten, reagieren Nieren und
Harnwege genau in derselben Weise auf das Salizyl, wie ein bis-
lang von dem Mittel noch nie affizierter Organismus.
Somit gehen unsere Anschauungen zurzeit dahin, daß bei den
fieberhaften rheumatischen Erkrankungen in der
Mehrzahl der Fälle eine toxische bzw. febril toxische
„Nephritis" besteht. Diese Nephritis heilt unter
Salizylgebrauch aus. Andererseits bedingt das Sali-
zyl an sich eine charakteristische, unter fortdauern-
dem Salizylgebrauch ausheilende „Nephritis".
In jedem normalen Urin finden sich sämtliche
Elemente der Nieren und Harnwege, es bestehen
fließende Übergänge zwischen den Abstoßungsvor-
gängen der gesunden Niere und der durch entzünd-
liche Prozesse veränderten Niere.
So harmlos also jedes Epithelium, jeder Erythrozyt, jeder
Zylinder an sich sein kann, so ist er doch stets ein Bote für
eventuell krankhafte Vorgänge in den Harnwegen und Nieren oder
eine Botschaft von den Einwirkungen, denen die Niere ausgesetzt ist
1) Anm. bei der Korrektur: Entsprechend einer Anfrage möchten wir
darauf hinweisen, daß wir 2 Fälle von chronischer Nephritis und Polyarthritis
rheumat. acuta (der eine Patient war bereits früher wegen seiner Nephritis Pa-
tient der medizin. Abteilung) mit mittleren Salizyldosen behandelt haben. Die
bei der Aufnahme relativ schweren Erscheinungen (1 — 2 ^/^o Albumen, viel Sangais]
bildeten sich unter der Salizyltherapie rasch zurück; die SchluÜurinunter-
snchung bei der Entlassung entsprach trotz der Salizyldarreichung dem nach
unsern methodischen Untersuchungen zu erwartenden £ndergel>Bi8 und deckte
sich in dem erwähnten einen Falle mit dem Urinbefunde der früheren Entlassung
nach monatelanger Behandlung im Erankenhause (wobei natürlich keine Salizyl-
Präparate gegeben waren).
XIV.
Aus der medizinischen Klinik zu Tübingen.
Über die Hanttemperatur des gesnnden MenscheD.
Von
J. Dehler,
Approbiertem Arzte in Stottert.
(Mit Tafel IV.)
Die ersten maßgebenden Untersuchungen über die Haut-
temperatur des gesunden Menschen stammen von Kunkel.*) Seine
Versuche, Vielehe mit der genauen thermoelektrischen Methode an-
gestellt wurden, ei-gaben, was die absolute Höhe der Haut-
temperatur betrifft, sehr zuverlässige Resultate ; die Zahlen waren
allerdings nur an einer einzigen Versuchsperson gewonnen worden.
Seit längerer Zeit hat man der Beobachtung der Hauttemperatur
von Gesunden und Kranken lebhaftes Interesse entgegengebracht,
weil eine zuverlässige Kenntnis der Hauttemperatur manchen wert-
vollen Schluß auf das Verhalten der Wärmeregulation gestattet,
im besonderen gewisse Anhaltspunkte für die Größe der Wärme-
abgabe durch Leitung und Strahlung gibt.*)^)
Das Bestreben, die Bestimmung der Hauttemperatur auch zur
Diagnostik der inneren Krankheiten zu verwenden, führte zur
„Thermopalpation"^), als neuer physikalischer üntersuchungs-
methode, die sich indessen nicht bewährte.
Trotz einer großen Literatur über die Hauttemperatur*) fehlen
1) Kunkel, Über die Temperatur der meiiächl. Haut. Zeitschr. f. Bio-
logie 1889.
2) Rubner, Thermische Studien über die Bekleidung des Menschen. Archiv
f. Hygiene 1895.
3) Benczur n. Jonas, Über Thermopaipation. Archiv f. klin. Medizin
Bd. 46 S. 19, Bd. 48 S. d78.
4) Die Literatur über normale Hauttemperatur, die hier allein in
Betracht kommt, hat in Boye's „Beitrag zur Lehre von der normalen Haut-
246 XIV. Oehleb
jedoch bis heute noch ausgedehntere Untersuchungen an einer
größeren Anzahl von gesunden Versuchspersonen, bei denen die
Temperatur der ganzen Körperoberfläche Berücksichtigung gefanden
hätte. Um solche Durchschnittswerte zu gewinnen, ist es not-
wendig, möglichst viele, gleichmäßig über die Haut verteilte Stellen
zu messen, in derselben Weise, in der Grnnenwald') seine
Temperaturbestimmungen an der Haut von fiebernden Kranken
voniahm. Solche Messungen an Gesunden führte ich nach Auf-
forderung des Hen'u Prof. K r e h 1 aus.
Um eine große Anzahl von Menschen in beschränkter Zeit
an möglichst vielen Hautstellen messen zu können, mußte ein Ver-
fahren gewählt werden, welches relativ schnell brauchbare Resul-
tate liefern konnte, selbst wenn dieselben nicht den höchsten An-
forderungen an Genauigkeit entsprachen. Dies schien am leichtesten
mit einem Quecksilberkontaktthermometer erreichbar. Wenn also
trotz der Einwendungen, die von verschiedenen Autoren gegen die
Benutzung von Quecksilberthermometern zur Bestimmung der Haut-
temperatur geltend gemacht worden sind, von uns diese Methode
gewählt wurde, so ist das dem Umstände zuzuschreiben, daß keine
Aussicht vorhanden war, mit einem thermoelektrischen Apparat in
absehbarer Zeit eine größere Anzahl „vollständiger" Messungen der
menschlichen Körperoberfläche zu gewinnen. (Gewöhnlich maßen
wir die Temperatur an 17 verschiedenen Hautstellen.) Auch das
täglich von neuem notwendige Kalibrieren und das lang dauernde
Anwärmen hätte zu viel Zeit in Anspruch genommen. Ferner würde
die Unmöglichkeit, den Apparat in der Klinik herum zu transpor-
tieren, für unsere Untersuchungen störend gewesen sein.
Schließlich kommt hinzu, daß eine absolut genaue Messung für
unsere Beobachtungen wohl wünschenswert, aber nicht unbedingt
notwendig erscheint. Nach dem Plan der Arbeit kam es ja weniger
darauf an, die absolute Höhe der Hauttemperatur im strengsten
Sinne, als vielmehr das Verhältnis der einzelnen Hauttemperaturen
zueinander zu bestimmen, und für diese mehr relative Art der
Temperaturbestimmung ist, wenn man sich folgender Messungs-
methode bedient , das Quecksilberthermometer entschieden aus-
reichend.
teraperatur der Menschen" (Inang.-Dissert. Leipzig: 1901) eine ausführliche Be-
arbeitung gfefunden ; ich darf mich daher hier auf das Notwendigste beschränken.
1) ürtinenwald, Th., Über Hauttemperatur bei fiebernden Kranken.
Archiv f. klin. Mediz. Bd. LXXVIII S. 33:^.
Über die Hanttemperatur des gesunden Menschen. 247
Methode.
Zur Verwendung kamen Kontaktthermometer von der Firma A. Haak
in Jena mit horizontalem, schneckenförmig aufgerolltem Quecksilbergefäß^
die zur Abhaltung von Luftzug mit einer kleinen Glasglocke umgeben sind.
Die Skala war in 2 Zehntelgrade eingeteilt, ließ mithin noch 1 Zehntel-
grad durch Abschätzung sicher bestimmen. Dieses Instrument er-
wärmten wir, um eine Abkühlung der zu untersuchenden Hautstellen
beim Aufsetzen zu vermeiden, vorher auf der eigenen Handfläche an
and zwar, bis ein um wenige Grade niedrigerer Temperaturpunkt als
der zu erwartende (meist ca. 30 ^) angegeben wurde. Sodann setzten wir
es auf die zu untersuchende Hautstelle auf und führten es hier, ohne die
Zirknlationsverhältnisse der Haut zu verändern, unter langsamem^
leichtem Gleiten, ungefähr in der Ausdehnung eines kleinen Hand-
tellers, 80 lange umher bis der Quecksilberfaden, der im Anfang ge-
wöhnlich sehr rasch anstieg und sich von da ab nur noch um 2 — 3 Zehntel-
grade erhob, einen fixen Funkt erreicht hatte.
Die Messung einer Hautstelle nahm auf diese Weise nur ca. 1 Min.
in Anspruch, konnte deshalb in beliebiger Häufigkeit vorgenommen
werden. Wurde das Thermometer zur Kontrolle einmal länger aufgesetzt,
80 kamen höchstens Schwankungen des Quecksilberfadens bis zu 3 Zehntel-
graden zur Beobachtung. Mit dieser kleineu Fehlerquelle wäre also bei
Betrachtung der Resultate zu rechnen. Da aber darauf geachtet wurde
(ey. durch vorheriges Sinkenlassen des Thermometers bei Übergang von
einer meist höher temperierten Stelle auf eine niedrigere), daß das Thermo-
meter immer mit einem ein bis mehrere Grade niedrigeren Stand, als er
der betreffenden Stelle entsprach, angelegt wurde, dürften alle dadurch
gewonnenen Resultate nur im gleicheu Sinne beeinflußt sein, indem die
Hauttemperaturen um 1 — 3 Zehntelgrade zu niedrig angenommen wurden,
was fßr die vorliegenden Untersuchungen nicht viel zu bedeuten haben
dürfte.
Diese abgekürzte Messungsmethode mußte so gehandbabt
werden, weil das Abwarten der definitiven Einstellung zu viel Zeit in
Anspruch genommen und das längere Aufliegen des Thermometers ver-
änderte Außenbedingungen für die betreffende Hautstelle geschaffen hätte.
So wurde das Thermometer immer in dem empirisch gefundenen Moment
der relativen fixen Einstellung abgenommen, die im allgemeinen auffallend
deutlich markiert war, kurze Zeit nach dem anfänglichen raschen Steigen.
Die Einwände, die gegen Anwendung der thermometrischen Methode
zur Hautwärmemessung schon erhoben worden sind, laufen im wesentlichen
darauf hinaus, daß zur Erwärmung des Queckeilberbehälters ein zu großes
Wärmequantum von Seiten der Hautoberfläche nötig sei, daß notwendig
eine Abkühlung dieser die Folge sein müsse, und daß die lange Anlege-
zeit, deren das Thermometer zur fixen Einstellung bedürfe, die Wärme-
abgabe der Haut verändere. Beides sucht die abgekürzte Methode mit
gleitendem Thermometer zu vermeiden: das nötige Wärmequantum
verteilt sich auf eine Hautfläche von der Größe eines Handtellers ; durch
das Gleiten verschwindet auch die Beeinträchtigung der Wärmeabgabe
für die einzelne Hautstelle. Das Gleitenlassen hat zudem noch den
248 XIV. Obhleb
Vorteil, daß das Thermometer rascher erwärmt wird, begüostigt also auch
dadurch die abgekürzte Messungsmethode.
Bei Anwendung dieser und Kenntnis der Fehlerquellen, die sich bei
einiger Übung vermeiden lassen, erscheint das Quecksilberkontaktthermo-
meter als ein in praxi leicht verwendbares und auch genügend genaues
Instrument.
Diese Messung der Hauttemperatur, meist an 17 verschiedeneD,
zum Teil symmetrischen Hautstellen eines Menschen vorgenommen, nahm
etwa 15 — 20 Minuten in Anspruch, und könnte daher, besonders bei
fortlaufenden Messungen, genügend oft wiederholt werden, ohne wesent-
liche Inanspruchnahme der betreffenden Versuchsperson, und ohne daß
sich während diezer kurzen Zeit die Versuchsbedingungen für dieie
wesentlich geändert hätten.
Eine etwaige stärkere Abkühlung während des Messens war da-
durch ausgeschlossen, daß die Hautstellen, soweit sie nicht wie Gesicht
und Hände jederzeit der Außentemperatur schutzlos preisgegeben sind,
entweder nur für ganz kurze Zeit, eben die Zeit der Messung der be-
treffenden Hautstelle entblößt oder unter der Bettdecke gemessen wurden,
so daß nur der Skalenteil des Thermometers, seitlich von der Bett-
decke umfaßt, sichtbar und der Außentemperatur zugänglich war, während
die fuhr ende Hand unter der Bettdecke das Quecksilbergetäß gleiten ließ.
Die gewöhnlich gemessenen Hautstellen waren: die Stime in der
Mitte über der Glabella, die Wange direkt unterhalb des Jochbeins, die
Mitte des Brustbeins, die Bauchhaut in der Mitte direkt über dem Nabel,
der Oberarm auf der Höhe des Bizepswulstes, der Vorderarm in der
Mitte der Beugeseite, ferner die Mitte des Handrückens, die Mitte der
Streckseite des Oberschenkels, der Unterschenkel in der Hälfte seiner
Länge am Wadenbein und der Fußrücken auf der Höhe der Fußwölbung;
Wange und Extremitäten wurden immer doppelseitig gemessen.
Die Körpertemperatur wurde während des Versuchs, oder kurz vor
oder nachher mit Maximalthermometern meist in der Achselhöhle, bei
einer Versuchsreihe auch im Kektum bestimmt. Die Zimmertemperator
(oft als Außentemperatur im Gegensatz zur Innen -Körpertemperatur be-
zeichnet) wurde immer direkt vor oder während der Hauttemperatur-
bestimmung mit einem genau geeichten Schleuderthermometer gemessen,
das sich bequem nach Viertelgrade ablesen ließ. — Als Versuchspersonen
dienten Patienten der Klinik, von deren Krankheiten man keinen ver-
ändernden Einfluß auf die Hauttemperatur erwarten konnte.
Die Hesultate sind der leichteren Übersicht wegen in Tabellen und
Kurven angeordnet; nur ein Teil der einzelnen Resultate konnte hier
wiedergegeben werden ; meist mußte ich mich, um nicht zu ausführlich
zu werden, auf die Angabe von Durchschnittswerten beschränken.
Unsere Versuche stellten wir folgendermaßen an: Um even-
tuell vorhandene, individuelle Verschiedenheiten kennen zu lernen,
machten wir einesteils an möglichst verschiedenen Personen ein-
malige Messungen; andernteils wiederholten wir an denselben
Menschen zu verschiedenen Zeiten unsere Messungen in der Absicht,
über die Hanttemperatnr des gesunden Menschen. 249
SO eine etwaige Konstanz der Hauttemperatur bei gleichen Bedin-
gungen nachweisen zu können und um den Einfluß der in Betracht
kommenden, die Hauttemperatur ändernden Faktoren zu eruieren.
Zu diesen rechnet man die Temperatur und den Feuchtigkeits-
gehalt der Luft, die Tageszeit, Ruhe und Bewegung, Bedeckung
resp. Bekleidung, die Nahrungsaufnahme.
Die Kunkel'sche Folgerung am Ende seiner Arbeit „Die
Temperatur unserer Haut ist eine nahezu konstante",
von ihm an einer Versuchsperson erprobt, sollte zunächst an einer
größeren Anzahl Menschen geprüft werden. Zu diesem Zweck
wurde zuerst eine Versuchsanordnung gewählt, die für möglichste
UnVeränderlichkeit der Außenbedingungen die Garantie bot: nämlich
absoluter Hungerzustand, ^) absolute Bettruhe in gleichmäßig tempe-
riertem Zimmer (durchschnittlich 22 ^ C). Diese Versuche dauerten
3 Tage. Da wir zum Vergleich die Tageskurve beim hungernden
und bei reichlicher Nahrung an demselben Menschen studieren
wollten, gaben wir unseren Versuchspersonen während des ersten
Tages volle Kost Erst dann begann die 40 Stunden dauernde
Hunger Periode. Die ganze Versuchszeit über wurde, mit Ausnahme
einer 16 stündigen Ruhepause zu Beginn des Hungerzustands,
etwa 4 stündlich, im ganzen 14 mal gemessen, immer an den oben
erwähnten 17 Hautstellen, mit Berücksichtigung der Eektumtem-
peratur.
1. Die Hauttemperatur beim Nüchternen und der
Einfluß der Nalfrungszufuhr; die Tageskurve der
Hauttemperatur (s. Tafel I--III).
Die Kurven tafel I a enthält 4 Einzelkurven, welche die Durch-
schnittswerte der Hauttemperaturen an Kopf, Rumpf, Oberarm und
Oberschenkel, Vorderarm und Unterschenkel angeben. Bei näherer
Betrachtung sehen wir auf ihr ein Bündel Kurvenlinien, welche
bald parallel zu einander laufend, bald sich schneidend, im allge-
meinen zwischen 33,5 und 35,5^ C liegen. Erhebung und Abfall
wechseln miteinander ab, vielleicht in einiger Abhängigkeit von
dem, weiin auch geringen Wechsel der Zimmertemperatur. In inni-
gerer Beziehung scheint die Hauttemperatur zu den Schwankungen
der Körpertemperatur zu stehen. In ganz ähnlicher Weise wie
1) Einige Kandidaten der Medizin erboten sich zu den Versnoben, die in
der Klinik selbstverständlich unter sicherer Kontrolle ausgeführt wurden, zwei
davon, Ba und St. wurden zu gleicher Zeit untersucht; sie standen unter voll-
ständig gleichen Versuchsbedingungen.
Deutsches Archiv f. klin. Medizin. Bd. LXXX. 17
250 XIV. OSHLS»
diese ändert sie sich im Verlaufe eines Tages; nur sind die
Schwankungen der Hauttemperatur meist etwas gr&ßer. Im Stadium
der Nahrnngsentziehung, in welchem die Tagesschwankungen der
Rektumtemperatur weniger ausgeprägt sind, zeigt die Hauttempe«
ratur denselben periodischen Wechsel wie am Tage der Nahrungs-
zufuhr, an den Extremitäten sind diese Schwankungen während
der Hungerzeit sogar erheblicher als vorher. Dabei ist auch die
ganze Hauttemperatur etwas gesunken, das Verhältnis der ein-
zelnen Kurven zueinander jedoch ist ein ähnliches: Gesieht- und
Bumpftemperatur streiten sich um die höchste Stelle, bei Nahrangs-
zufohr und -Entziehung; die Extremitätentemperatnren sind nie-
driger und verlaufen innig miteinander, aber gesondert von 6e*
sieht- und Rumpftemperator.
Was läßt sich nun aus dem Verlauf der Kurven schließen?
Zunächst welchen Einfluß hat die Nahrnngsentziehung auf die
Hauttemperatur? Sie sinkt durchschnittlich wenige Zehntelgrade,
sie weist etwas größere Schwankungen auf, aber nur an den Ober-
fläehenpartien peripherer Körperteile, wie Arm und Bein, nicht an
Kopf nnd Rumpf. Mit der Dauer der Nahrnngsentziehung fällt
die Hauttemperatur immer mehr, weil einmal die Wärmeabgabe
durch Leitung nnd Strahlung proportional der verminderten
Wärmebildung sinkt, und außerdem wohl auch der Einfluß der
Außentemperatur beim Hungernden mehr zur Geltung kommt ^)
Dann die Frage : Gibt es eine Tageskurve der Hauttemperatur
und wie verhält sich diese bei Nahrungsentziehung? Die Kurve I
läßt eine Tageskurve erkennen: welche einen ähnlichen Verlauf
wie die Rektumtemperatur hat. Sie ist nachts am tiefsten und hat
anscheinend zwei Höhepunkte, Mittags und gegen Abend. Bei
Nahrungsentziehung scheint sich dieser Typus etwas zu verwischen.
Ganz bestimmte Angaben darüber lassen sich jedoch nach meinen
Versuchen nicht machen.
Nun noch die Frage nach der Konstanz der Hauttemperatur?
Die zugehörigen Kurven Ib und c, welche die Übersicht über die
Einzelresultate geben, zeigen, daß auch diese nur in geringen
Grenzen schwanken, daß die ganze Oberflächentemperatur, wenn
sich auch eine gewisse Abstufung in der Temperatur der einzelnen
Hautstellen der Extremitäten gegenüber denen des Rumpfes, also
vom Zentrum nach der Peripherie hin bemerkbar macht, im all-
1) Anders verhält es sich bei Kurventafel III; siehe deren Besprechung
S. 252.
über die Hanttempcrfttni des gesunden Menschen. 2Ö1
gemeinen etwa 2^ umfaßt (33,5—35,5). Diese Grenze wird nach
oben nur von der Wangentemperatur öberschritten, die mit der
BaQcbtemperalur hier die höchst temperierten Körperstellen bil-
des. Dann folgen Stirn und Brust in parallelem Yerlanfe; noch
etwa« tiefer li^ die Temperatur der Extremitäten. Zwischen
des 4 yerschiedenen Hantstellen der Gliedmaßen bestehen keine
erheblicheren Diflferenzen. Die Temperatur des peripheren Teils
ist nur wenig niedriger als die des zentralen. Nur im Stadium der
NahrungsentziehuDg wird die Grenze nach unten (33,5) von ihnen
iberschritten«
Betrachten wir unter diesen Oesichtspankten aach die anderen
Kurven, so muß auf der Kurve II, die unter ganz gleichen Ver-
sachsbedingungen gewonnen wurde, auffallen^ daß die ganze Haut«
temperatur etwas höher gestellt ist, daß die Schwankungen etwas
größer sind, und daß die oben genannten Verhältnisse der Einzel-
kurven zueinander sich geändert haben. In Kurve I zeigte sich
eine völlige Trennung der Extremitätentemperaturen einerseits von
den Rumpf- und Kopftemperataren andererseits. Die Temperatur
der peripheren und mehr zentralen Oberflächenpartien berührten
sich also kaum in ihrem Verlaufe. In Kurve 11 hat sich dagegen
das Verhältnis in der Weise geändert, daß die Temperatur des
Rumpfs allein in etwa ^4 ^ Abstand von derjenigen der übrigen
Hautstellen, deren Kurven vielfach verschlungen sind, die höchste
Stelle bewahrt. Die Einzelkurven IIb und c zeigen an den Ex-
tremitäten ähnliche Verhältnisse wie vorhin: Bauch und Wange
haben eine sehr hohe, die letztere eine sehr schwankende Haut-
temperatur, an Brust und Stime zeigt sich deutliche Abstufung.
Die gesamte Hauttemperatur, namentlich die von Kopf und Eurapf^
geht mit der Rektumtemperatur im Stadium der Nahrungszufuhr
parallel. Die Nahrungsentziehung übt auf die Hauttemperatur und
ihren Verlauf keinen wesentlichen Einfluß aus.
Die Hauttemperaturen der Kurve II liegen etwa zwischen 33,5
und 36,0 **; die Verhältnisse sind ähnlich denen in der vorigen Kurve,
daneben bestehen einige Unterschiede besonders im Verhalten der
Eiuzelkurven, die vielleicht durch individuelle Verschiedenheit in
der Hantbeschaffenheit und ihrer Blutversorgnng erklärt werden
können. Eine plötzliche Abkühlung des Zimmers auf 18" führt einen
steilen, in den Einzelkurven fast ganz parallelen Abstieg der Haut-
temperatur unter deutlichem Frostgefühl herbei; bei der nächst-
folgenden Messung in dem wieder erwärmten Zimmer kehrt auch
die frühere Hauttemperatur zurück.
17*
252 XIV. Oehlbb
Wieder etwas andere Verhältnisse zeigt die Kurve IQ: die
Hauttemperaturen sind bei fast der gleichen Zimmertemperatur an-
fangs etwas niedriger als in Kurve I und II, sie steigen aber dann
auffallenderweise mit der Dauer der Nahrungsentziehung. Die an*
fänglich deutliche Abstufung der Durchschnittstemperaturen in der
Reihenfolge : Rumpf, Kopf, obere und untere Extremitätenabschnitte
verliert sich, die Einzeltemperaturen nähern sich einander.
Wir haben also eine gewisse Konstanz im Verhältnis der
Einzelkurven zueinander und dadurch auch der Einzeltemperaturen,
eine gewisse Konstanz auch in der absoluten Höhe der Haut-
temperatur, bei derselben und bei verschiedenen Personen unter
gleichen Versuchsbedingungen, da sich die Hauttemperaturen fast
während der ganzen Dauer des Versuchs innerhalb derselben Grade
(33,5—35,5) bewegen.
2. DerEinfluß der Außenbedingungen, namentlich der
Lufttemperatur, auf die Hauttemperatur (s. Tab. I).
Tabelle I gibt eine Anzahl von Hauttemperaturmessungen an ver-
schiedenen normalen Personen, die z. T. nur einmal, z. T. auch öfter
an verschiedenen Tagen und bei verschiedener Außentemperatur
vorgenommen worden sind. Diese Versuchsreihe sollte, nachdem
eine gewisse Konstanz der Hauttemperatur bei Gleichbleiben der
Außenbedingungen festgestellt war, zeigen, wie sich -die Haut-
temperatur beim einzelnen und bei verschiedenen Leuten im
Krankensaale zu verschiedener Zeit verhalte, wo eine so sichere
Kontrolle über Gleichbleiben der Temperatur, des Feuchtigkeits-
gehaltes der umgebenden Luft, der Bewegung und Bedeckung der
Versuchsperson nicht ausführbar war.
Obgleich die Zimmertemperatur hier etwas mehr schwankt als
dort, zeigen die Einzelwerte doch nicht viel variablere Verhältnisse,
wenigstens nicht bei Messungen an demselben Individuum. Faßt
man diese Messungen in Kurven zusammen, ^) so zeigt sich das aufs
deutlichste: der Gang der Einzelkurven ist vielfach ein paralleler,
mithin ist das Verhältnis der Temperaturen an den einzelnen Haut-
stellen ein relativ konstantes; aber die Distanzen der Einzelkurven
sind größere, sie bewegen sich innerhalb 3 bis 4 **, die der ersten
Versuchsreihe innerhalb 2 bis 3 ® C. Die Schwankungen der Gesamt-
heit der Einzelkurven sind ansehnlichere. Am auffallendsten aber
1) Ihr Abdruck mußte Ranmmangels halber hier unterbleiben.
über die Hauttemperatur des gesnnden Menschen.
253
ist der große Wechsel und der meist sehr ausgesprochene Tiefstand
der Hauttemperatur an den unteren Extremitäten, speziell am Fuß^
rücken und am Unterschenkel.
Tabelle L
Normale Hauttemperaturtabelle
(nach der Außentemperatur geordnet).
Name
fc^ oS I ^ es
« P
p< ; ^ S«
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E
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I
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OB , O
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37,3 34,7
36,1 35,0
Vo.
11. 7. . 19,5
11.7, , 20
Ma. I
31. 7. : 21
36,7
34,7
Ke.
17,^. 22,5 36,6 ' 35,7
Ha.
10.^7. . 22,5 36,5 35,8
Ha. '
17.7. ,22,5
35,6
3bfl
34,9
ssp
33,0
35,2
34,Ö
34,1
34,7
35,1
35,2
35^
35,1
35^
35,2
34,5
34,8
3p,4
34.5 1 34,0
I
34.6 36,0,
34,1 : 34.2
35^
35,0
34,2
34,2
34,4
33,7
34,0
36,2
36,5
35,6 36,8 I
36,9
ll 7. , 23 I 37,0 , 35,4 7-^
Ke. ' 134,7
10./7. , 23 I 36,5 , 35,0 g^'^
, vorher schwüle Luft,
Ke. I
15./7. 23
35,5
35,8
Ha.
15,7. 23 |36,8
Ma. II '
1B./8. . 23
Ga. i j
18./7. 24 37,0
Ha.
36,8 I 3o,o I 3.-Q
34,7,36,0,^/7,
I
35,0 ; 35,4
i I .
jetzt durch
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33,6
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34,6
35,8
35,0
33,9
33,9
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35,3 I 35,4
34,9
34,2
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32,8
34^
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33,0
35,3
35;4
33^8
33,8
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34,5
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34,5
34,5
33,0
32,5
33^
33,7
33,3
32,5
35,0
35,0
33,7
34,0
34,1
35,'3
85,6
35,0
'34^3
134,1
34,7
34,0
32,5
33,1
33,9
33,6
33^
33,8
35,1
35,0
34,6
34,6
|34,5
34,8
34^
34,6
33,6
34,5
33^
33,7
32,7
33,0
33,6
32,4
32,8
33,0
33^
35,5
32,9
33,1
34,1
134,0
134,7
34,3
'33,2
! 32,8
33,0
32,3
31,1
|32,5
|29,3
, 29,6
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I 31,6
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34,7
134,9
35,0
I
34,1
^'^ 35;i
'3^,6
^^^ I 35:5
36,1
36.0
35,4
36.2
35,3
36,1 36,7
j35,9 36,3
35,3
18,7. 24,5 37,4 35,3 ,'- 1 35,1 ' 35,7
34,8
34^
35,0
35,2
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35,4
35,3
34,8
34,8
34,6
34,Ö
34,8
35;2
35/4
35,3
eines
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35,1
' 34,6
|34,7
.35,0
1 34,(i
, 33^
33,Ü
'34^
,34,3
Gewitters abgekühlt
34,6
,34,0
34,2
34,4
34,0
! 34,7
i 34,5
34,9
I 35,0
'34.5
34,3
34.Ö
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34;9
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34,2
34,1
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34,3
33,7
33,9
33^
34,8
34,8
34,4
34.7
34,9
I 35,2
35,0
I
,35,1
35,3
1
' 35. 1
1) Die zum Vergleich der Einzelreaultate berechneten Diirchschnittstempera-
turen stellen das Mittel dar aus 4 Durchschnittszahlen, der der Kopftempera-
turen, denen des Rumpfes, der oberen und unteren Extremitäten. Diese Art
der Berechnung erschien am zweckmäßigsten, um nicht den 12 Messungen an
den Extremitäten das Übergewicht über die 5 Messungen an Kopf und Kumpf
zu geben, sondern ihre Maße in der Bewertung bei der Durchschuittstemperatur
mindestens gleichzustellen.
254 XIV. OiHLKB
Es zeigt sich also, daß bei Zanahme der Veränderliefakeit der
äußeren Bedingungen auch die Hauttemperatur größere Seh wankangeB
aufweist, und daß mit dem Sinken der Lufttemperatur diese noch
mehr zunehmen. Besonders stark ist dies Verhalten an den peri-
pheren Körperteilen ausgeprägt.
Ein Überblick über das Verhalten der Hauttemperatur an den
einzelnen Eörperstellen, speziell ihre Veränderlichkeit, läßt sich
dadurch gewinnen, daß innerhalb der Tabelle I für jede einzelne
Eautstelle die höchste und niedrigste Temperaturangabe gesacht und
zwischen diesen die Differenz gebildet wird. Die kleinste Differenz
findet sich an der Stirn mit 1,1 ® bei einem Unterschied der Außen-
temperaturen von fast 6®. Diese r^ativ größte Konstanz der Haut-
temperatur an der Stirn ist typisch, auffallend zugleich, weil die immer
unbedeckte Stimhaut allen Temperaturveränderungen schutzlos preis-
gegeben ist, im Gegensatz zu den bedeckt getragenen Körperstellen.
Nicht die wechselnde Blutversorgung der Haut, wie sie beim einzelnen
durch die Wärmeregulation, bei verschiedenen Personen aber auch
durch lokale Hautverschiedenheit (z. B. Fettpolster) hervorgerufen
werden kann, sondern das dahinterliegende Gehirn scheint hier
als Wärmequelle der Haut zu dienen und deren Temperatur da-
durch auf einem wenig variablen TVärmeniveau zu erhalten.
Die Haut der ^Vange dagegen weist eine relativ große Diffe-
renz von 3,1 ® auf: Fettpolster und Blutversorgung sind gerade an
dieser Stelle außerordentlich verschieden. An zweiter Stelle kommt
die Haut über dem Sternum mit 2,1 ^, wieder eine Hautstelle ohne
viel Fettpolster, direkt auf dem Knochen, hinter ihr reichlich mit
Blut versorgte innere Organe. An dritter Stelle reiht sich nicht
die Nabelgegend an, deren relativ großer Temperaturwechsel (2,8 ®)
wohl im wesentlichen von einer sehr veränderlichen, fiinktioneD
beeinflußten Blutversorgung der Unterleibsorgane abhängig ist,
sondern der Oberarm mit 2,3", dann der Vorderarm mit 2,7 • und
der Handrücken mit 3,1 ^, Vorher kommen noch der Oberschenkel
mit maximaler Differenz von 2,6 ®, der Unterschenkel mit 3,1 ®, zum
Schluß der Fußrücken mit 5,6®. Man sieht, die Differenz nimmt
peripherwärts zu, ') wohl infolge des Einflusses der Außentemperatur,
der mit den ungünstiger werdenden Zirkulationsverhältnissen nach
der Peripherie hin sich mehr und mehr geltend macht. Anderer-
seits kommt bei den periphersten Körperteilen, wie Hand- und
Fußrücken, die kräftige Muskelunterlage, wie sie Oberarm und
1) Bei verschiedenen Menschen in sehr verschiedenem Grade.
über die Hauttemperatar dei (fesnnden Menschen.
255
Oberschenkel bieten, als erwärmendes Moment nicht in Betracht:
Die Temperatur dieser direkt fiber den Knochen liegenden Hant-
stellen ist fast ganz allein von der Blutflille der Hautgefäße ab-
hängig.
Der Einfluß der Bekleidung bzw. Bedeckung auf
die Hauttemperatur macht sich innerhalb der engen Grenzen der
Außentemperatur (19 bis 24 V« ^) kaum geltend: von den unbedeckten
Hantstellen zeigt die Wangenhaut die größten Temperaturunter-
schiede. Stirn- und Handrückentemperatur sind anderweitig be-
einflußt, die letztere je nach der beruflichen Tätigkeit oft ver-
schieden.
Der Einfluß der Außentemperatur wurde auf zweierlei
Art bestimmt: einmal durch tabellarische, nach der Außentemperatur
geordnete Znsammenstellung der vorhandenen Hauttemperatur-
messungen, und zweitens durch Erwärmen ^) bestimmter Versuchs-
personen innerhalb unschädlicher und nicht zu unangenehm empfun-
dener Temperaturgrenzen. Die Zusammenstellung in Tabelle II
enthält die Mittelwerte von 44 Messungen, welche immer an fünf
Hautstellen: Stirne, Brust, Bauch, Oberarm und Oberschenkel aus-
geführt wurden.
Diese für jeden einzelnen Grad berechneten Durchschnitts-
temperaturen der fünf Hautstellen geben ein anschauliches Bild
der Beziehung zwischen Haut- und Außentemperatur.
Ta
belle
II.
Außen-
temp.
in ^
Achseih.-
temp.
Stirne
Brust
Bauch
Ober-
arm
Ober-
schenkel
Zahl der
Mes-
sungen
Durch-
schnitt
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34,5
34,1
34,7
33,6
a3,7
6
34,1
18-19
36,8
34,5
34,4
34,8
HHß
33,4
10
34,1
19-20
36,8
34,5
34,3
34,9
33,5
33,1
10
84,1
20-21
36,7
3i,9
34,3
85,3
33,5
33,4
5
:4.2
21-22
36,8
35,0
35,1
34,6
34,5
34,1
9
34,6
22-23
36,8
:^5,3
35,3
35,5
34,8
34,5
16
35,1
23-24
37,0
35.3
35,6
36,1
35,1
34,7
7
85,8
24-26
37,2
35,3
35,0
36,0
35,6
34,8
2
35,4
25-26
keine Hl
lessung
28-^27
37,0
35,9
36,9
36,4
3ö,4
34,7
O
35,6
1) Die Abktthlungsversuche fttlirten zu keinem einheitlichen Ergebnis ; sie
tollen deshalb hier nicht weiter erörtert werden.
256 XIV. Obhlbb
Ein Blick auf die Tabelle II zeigt, daß die Hauttemperatar
mit der Außentemperatur steigt, allerdings nicht gleichmäßig. Bei
17—20 <^ mißt die Haut durchschnittlich 34,1 ^ — die gewöhnliche
durchschnittliche Hauttemperatur beim gesunden Menschen — . Dann
folgt bei 27 ® C. ein allmähliches Ansteigen bis 35,6, anfangs etwas
rascher, später langsamer, wohl schon durch stärker werdende
Schweißsekretion aufgehalten. Bei 10® Außentemperaturdifferenz
finden wir also 35,6 — 34,1 = 1,5® Hauttemperaturdifferenz. Von
einem konstanten Verhältnis zwischen Haut- und Außentemperatur
läßt sich demnach nicht sprechen; eine geringe Abhängigkeit der
ersteren von der letzteren schon innerhalb dieser Temperatur-
grenzen ist nicht zu verkennen. Die Temperatur aller Hautstellen
steigt mit wachsender Außentemperatur ziemlich gleichmäßig an.
Die Achselhöhlentemperatur steigt langsam mit, nicht kontinuierlich,
aber doch derart, daß im Mittel 37® einer Hauttemperatur von
35,1® entspricht, wie sie bei 23 — 24® Außentemperatur durch-
schnittlich gemessen wurde. Niedrigere Hauttemperaturgrade sind
mit niedrigerer Achselhöhlentemperatur verknüpft, . höhere nur mit
37,0 und mehr. Die Einzelresultate weichen z. T. etwas davon ah.
Daß ein gewisser Zusammenhang zwischen Hauttemperatur und
Achselhöhlentemperatur besteht, ist erwiesen.
Der andere Versuch, den Einfluß der Außentemperatur auf die
Hauttemperatur zu studieren, bestand darin, daß die Versuchs-
personen in ein Zimmer von 25® C und mittlerem Feuchtigkeits-
gehalt der Luft gebracht wurden, dessen Temperatur (mittels eines
regulierbaren Gasofens) langsam auf 35 ® gebracht wurde. Innerhalb
dieser Grade mußte zugleich auf die Schweißsekretion Rücksicht
genommen werden, deren nachweisbarer Beginn vielleicht durch
bestimmte Haut- und Zimmertemperatur grade fixiert werden konnte.
Der erste Schweiß zeigte sich gewöhnlich in der Sternalgrube (be-
sonders bei behaarter Brust) und in beiden Achselhöhlen, erst
später auf der übrigen Brust, der Stime, der Hohlhand, dem
Bauch usw. Die Durchschnittstemperaturen der Haut bei Beginn
der sichtbaren Schweißbildung lagen zwischen 34,6 und 36,6® bei
Zimmertemperatur von 30—34 ®. Irgendwelche Regelmäßigkeit ließ
sich aber nicht nachweisen, schon deshalb nicht, weil der Moment
des Schweißausbruches nicht sicher fixiert werden kann. Die ver-
schiedensten äußeren Umstände, noch mehr aber individuelle Diffe-
renzen, welche die Wärmeregulation beeinflussen, wie Ernährungs-
zustand, P^ettreichtum etc., tragen wohl dazu bei, daß der Tempe-
raturpunkt des Schweißausbruches fast in jedem Fall wieder
über die Hauttemperatur des gesunden Menschen.
257
anders gefanden wird. Lokale Verschiedenheiten der Haut lassen
einen gleichzeitigen, über den ganzen Körper verbreiteten Schweiß-
ausbrnch nicht zustande kommen, wenn nicht sehr rasch erwärmt
wird: Es schwitzt daher eine Stelle, z. B. die Stemalgrube, wäh-
rend sich der übrige Körper noch ganz trocken anfühlt. Wenn
die Haut deutlich schwitzen soll, so scheint eine Außentemperatur
von mindestens 30** notwendig zu sein. Von diesem Temperatur-
grad an steigt die Hauttemperatur kaum mehr, sondern hält sich
annähernd auf demselben Niveau unter Zunahme der Schweiß-
sekretion, wie das eine fortlaufende Messung (Tab. III), bei einer
von 25 bis 34 ® allmählich ansteigenden Zimmertemperatur veranschau-
lichen kann. Der Verlauf der einzelnen Hauttemperaturen ist dabei
ein fast paralleler, die Verhältnisse der Einzeltemperaturen sind
demnach konstante.^)
Tabelle TTI.
1
SS »ja
Sa* S
ai.s -3
Sternum
Pector.
maior
Baucb
g Oberarm
5^ Vorder-
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1 !
25 3b,b 34,0 34.2 33.5 , 34,3 33,8
1
•
11 h8.in.37,2
34,3 33,5 34,3
—
34,4
11'. .
n
26 3ß,0 35,1 '34,6 134,2 35,0 ' 33,9 34,9 , 33,5
34,2 -
34,8
11". „
n
27 ,36,1 35,3 35,0 134,3 35,1 34,6 35,4 34,3
33,6' —
35,0
12 , „
n
28 36,5 |35,6 35,3 ,34,6 35,3 35,2 35,2 34,5 |33,6 , —
35,3
1
Mittagessen: 1 Stunde Pause.
1 „p.m. 37,3
29 36,1 34,8 34,5 34,9 35,0 34,2
34,0 33,6 |34,6 ; —
34,S
12* 1
'' n n n
30 36,4 35,4 35,2 35.2 ' 34,9 34,5
35,3 34,6 '34.8 1 35,3
31 36,4 35,8 135,9 35,8 35,7 35,3
35,4 '34,9 34;0 35,5
1
Haut etwas klebri«:. Beg^inn der Schweißbildnng.
2»o 1
n n n
32 35,9
35,7 35.3 35,4 35,h
35.8 35,9 35,2 34,4 ' — ' 35,5
2»
33 36,5
35,7 35,7 ,35,4 35,9
35,9 35,8 35,0 34,5 ; — i 35,7
n n n
34 36,4 i35,8 35,8 35,5 36,0
36,0 36,0 35,2 34,2
- 1 35,7
bleibt
1
3'% ,
n
1
34 36,3
1
35,6 35.8 35,3 36,2
t
1
36,1
'36,2
35,0
34,0
1
35,6
1
Durch diese Versuche ist im ganzen eine entschiedene Ab-
hängigkeit der Hauttemperatur von der Außentemperatur nach-
zuweisen, sie steigt und fällt mit ihr. Wenn man also von einer
1) Interessant an dieser Tabelle ist außerdem, daü, während über die Zeit
<ies Mittagessens, wo sich die Versuchsperson in einem etwas kühleren Zimmer
befand, die ganze Hauttemperatur gefallen war, allein die Temperatur der Bauch-
haut angestiegen war, wohl die Folge der durch die Verdauung bedingten
Hyperämie der Bauchorgane.
258 XIV. Oehlkb
Eonstanz der Hauttemperatur sprechen will, so liegt dieselbe
weniger in der absoluten Höhe, als im Verhältnis derselben znr
Außentemperatur. Bei den Temperaturgraden, bei welchen der
Körper sichtbar zu schwitzen beginnt, steigt die Hauttemperatar
weniger steil an als bei mittlerer Zimmert emperatui*; schliefilich
bleibt sie fast konstant, je nachdem Gelegenheit zur Verdunstung
des Schweißes vorhanden ist.
Es ist interessant, hier darauf hinzuweisen, in welch innigem
Zusammenhange dies Verhalten der Hauttemperatur mit den Ver*
ander ungen der Wasserdampfabgabe der Haut steht Aas den
Untersuchungen von Schierbeck, v.Willebrand, Schwenken-
becher^) ist zu entnehmen, daß bei mittlerer Temperatur die
Wasserabgabe fast parallel der Umgebungstemperatur ansteigt. Es
übernimmt also die zunehmende Wasserbildung einen von Grad zu
Grad wachsenden Anteil an der Wärmeabgabe des Organismus.
Infolgedessen wird auch der Zuwachs der Hauttemperatur mit
jedem höheren Grade der Lufttemperatur etwas kleiner, bis mit
dem Eintritt der Insuffizienz der Wärmeabgabe durch Leitung und
Strahlung ein plötzlicher Anstieg der Schweißsekretion eintritt, der
sog. „Schweißausbruch".
In den Wärmegraden dagegen, wo der nackte Körper zu frösteln
beginnt, fällt die Hauttemperatur schneller und nicht mehr so
gleichmäßig an den verschiedenen Körperstellen. Die oben ange-
gebenen Verhältnisse werden unregelmäßiger.
Ein weiterer kleiner Versuch an 3 Personen, bestimmt, den
Einfluß der Körperruhe und Bewegung auf die Haut-
temperatur zu untersuchen, muß hier noch Erwähnung finden. Der
Einfluß, den einstündige Bettruhe auf die Hauttemperatur von Leuten
ausübt, die den Tag über außer Bett waren, läßt sich nach Tab. IV.
auf welcher die Messungen vor und nach der Ruhe aufgezeichnet
sind, dahin definieren, daß eine allgemeine Steigerung der Haut-
temperatur stattfindet, durchschnittlich um 4 bis 5 Zehntelgrade, und
zwar betrifft diese Zunahme die ganze Hautoberfläche; zentrale wie
periphere Partien der Körperoberfläche, bald diese, bald jene mehr.
Es ist wohl wahrscheinlich, daß sich die Versuchspersonen bei
Bettruhe in größerer ümgebungswärme befunden haben als in ihrer
Kleidung. Die Prüfung weiterer Einflüsse auf die Hauttemperatur
wurde nicht unternommen, einesteils weil sie, wie die Kleidung,
1) Das Nähere siehe bei Schwenke nbecher, Arch. f. klin. Med. Bd. 79
S. 29,
über die HaattempenUar des gesunden Menschen.
259
die verschiedenen Hautapplikationen etc., schon Gegenstand größerer
üntersachongen in hygienischen und physiologischen Laboratorien
gewesen waren (Rnbner'), Keller^ etc.), andererseits durch zu
ausgedehnte Versnchsanordnung den Rahmen dieser Arbeit über-
schritten hätten.
Tabelle IV.
Zeit der
Messung
•3^
i
CQ
I
PQ
s
pp
s
O
I
kl
p
t *i2
OD
0
£h.
4 h p.
5 h p.
(Bach 1 Stde.
Bettrulie;
Fr
4»»li p.
5«*h p.
(Bach 1 St4e.
Bettruhe).
Ba.
4««h p.
b^ h p.
(DMb 1 Stde.
Bettruhe)
23
22V,
22
22
22
22
37,2
37,0
36,6
35,4
3Ö.3
35,2
35,3
34,9
35,8
35,3
35,3
35,5
35,5'
35,6
35,9
35,7^
36,1
35,9
35,8
34,7
35,1
35,6
35,1
^6^135,1
35,2
36,2
36,4
35,7
36,1
34,8
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33,0
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34,7 35,4
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34,5 34,3
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34,0
34^
34,9
35.4
85,6
84,9
35,4
34,4
35,1
Während die bisherige Beschreibung der experimentell ge-
fundenen Werte für die Hauttemperatur mehr dem Verhältnis
der Einzeltemperaturen an verschiedenen Hautstellen zueinander
mit Berücksichtigung der Außentemperatur gegolten hat, muß
jetzt noch
3. die absolute Höhe der Hauttemperatur
zur Sprache kommen. In der Tabelle V*) sehen wir mit abneh-
mender Lufttemperatur einen ganz allmählichen Abfall der Haut-
temperätur, sowohl ihrer einzelnen Teile, als auch der Gesamtdurch-
schnitte; es besteht also nur eine relative Konstanz der Haut-
1) Rnbner, 1. c.
2) Keller, C, Untersuchung Über die Beeinflussung der Hauttemperatur
durch äußere Hautreize. Inaug.-Diss. Würzburg 1887/88.
3) TabeUe V gibt Durchschnittszahlen. Sie sind aus den bisher besprochenen
Messungen berechnet und in einzelne Kategorien nach der Höhe der Außentempe-
ratur eingeteilt. Die Durchschnittswerte für jede einzelne Hautstelle, sowie die
in Betracht kommende maximale und minimale Temperatur und deren Differenz
haben wir aufgezeichnet, um zugleich die Variabilität der einzelnen Hauttempe-
raturen in Beziehung zu ihrer jeweiligen Höhe zu demonstrieren.
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temperatar. Sinkt die Außen temperatnr immer tiefer heraHn?^
werden die Differenzen der Hanttemperatnr von Grad zu
immer großer. Am stärksten tritt dies herTor an der Obe
der peripheren Körperteile. Es werden also unsere frühere
gaben bestätigt.
Die absolute Höhe unserer Zahlen, wie sie die Tabelle
entspricht den KunkeTschen [Resultaten, welche sämtlicl
20^ gewonnen y zwischen 32,5 und 34,4^ C liegen. Die m
unserer Temperaturwerte sind höher infolge des Einflusses
höheren Außentemperatur.
Die KunkePsche Eonstanz, sein „Temperaturoptimum",
individuell etwas verschieden zu sein, aber nur innerhalb e
Zehntelgrade zu schwanken. Abgesehen von einigen örtlic
dingten Verschiedenheiten der Hauttemperatur, die aus anato
physiologischen Gründen leicht erklärt werden können, ist si
der Außentemperatur abhängig und liegt dementsprechend bei um
Messungen, die meist bei 20 bis 25 ^ vorgenommen wui*den, zwi
34 und 35,5 ^.
Herr Privatdozent Dr. Seh wenkenbecher hat mic
Ausführung der Arbeit freundlichst unterstützt.
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Erklärung zu Kurve I— III auf Tafel IT.
Die der Arbeit beigefügte Tafel enthält 9 Einzelkurven, Ton denei
nntereinanderstehende eiu Ganzes bilden durch in ein und denselben Vi
gewonnen sind.
Die Kurven
la, IIa, III a geben ein Übersichtsbild der ganzen Hanttemperatur.
Ib, IIb, III b enthalten die Angaben der Hanttemperatnr an verschi«
Stellen des Rumpfes, während
Ic, II c, III c die Hauttemperatur an den Extremitäten wiedergeben.
Die Kurven I b — III c sind also nur eine detaillierte Ausführung der Kt
la-IIIa.
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XV.
Aus der medizinischen Klinik in Kiel.
Die Typhosbewegong aaf der medizinischen Klinilc in
Kiel Yon 1885—1902 nebst Bemerkungen Aber die Ab-
kflhlnng dnreh Wasserkissen.
Tob
Dr. Wilhelm Pfeiffer,
ekemaligvm Assistesten der Klinik.
(Mit 2 KnrreB.)
Die vorliegende Arbeit schließt sich eng an eine 1886 er-
schienene Arbeit Goth's(l) an, welche die Typhusbewegung auf
der medizinischen Klinik in Kiel für die Jahre 1871 — 1885 zum
Gegenstand hat.
In der Zeit vom 1. Oktober 1885 bis 1. April 1902 wurden
513 unzweifelhafte Typhusfälle beobachtet, wozu sich noch 18 Fälle
gesellen, bei denen die Diagnose Typhus fraglich blieb, bei denen
wahrscheinlich Phthisis incipiens oder fieberhafte Darmkatarrhe
anderer Entstehung vorlagen oder bei denen die Ursache des Fiebers
überhaupt nicht aufzufinden war. Hier sollen nur die 513 unzweifel-
haften Fälle Berücksichtigung finden. Drei von ihnen wurden
wegen eines Rezidivs aufgenommen und können wegen der sehr
lückenhaften Anamnese und der ungenauen Angabe über die erste
Erkrankung nicht vollständig mit verwertet werden.
Zu- und Abgang.
Von den 513 Fällen, 343 männlichen und 170 weiblichen
Geschlechts, blieben 507 bis zur Heilung bzw. zum Tode in klini-
scher Behandlung, 6 wurden gebessert bzw. ungeheilt entlassen.
Der Zugang in den einzelnen Jahren und Monaten ist
wohl am besten aus folgenden Tabellen und Kurven ersichtlich,
wobei keine Trennung von männlichen und weiblichen Kranken ge-
macht wurde, da die Kurven für beide sich annähernd decken.
XV. Pfbiffbb
Tabelle I.
Jftbriicher Zugang
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,886
1887
1868 1689| 1890
1891
1892
1893
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37
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Knrre 1.
J>D. Febr. Häiz April Mai JunE Juli Aug. Sept. Ukt. Nor.
in % der Qeaamterkrankungen.
Die Kurve, welche die Belastung der einzelnen Monate zeigt
hat fast dasselbe ergeben, was in Bochendahrs(2) Generalbericht
für Schleswig-Holstein für das Jahr 1882 über deu Typhus in der
Provinz gesagt ist, „daß im August, seltener bereits im Juli eine
Epidemie anhebt, welche anfangs zunehmend im Dezember meist
schon absinkt, oft aber noch mit hohen Ziffern bis in den Januar
des folgenden Jahres fortdauert, um sodann im Frühjahr zu er-
löschen". Auch hier weist die zweite Hälfte des Jahres 69 "o
aller Erkrankungen auf Allein die 5 Monate Juli bis November
haben 60 7„.
Das Alter der Patienten ist aus Kurve 2 ersichtlich.
Am stärksten belastet ist die zweite Hälfte des zweiten und
die erste des dritten Dezenniums. 15 — 35 Jahre waren 81,5 "„
aller Erkrankten. Bei 2 Fällen konnte das Alter nicht festgestellt
werden.
Was die Beschäftigung der Kranken angeht, so war die
überwiegende Mehrzahl der männlichen Arbeiter und Handwerker, der
weiblichen Dienstboten. Die weitaus meisten Patienten stammten
Die Tjphnfibewegniig auf der meditinischen Klinik in Xiel etc. g65
aus Kiel (ca. 70 \}, doch kam aadi ein nicht nnbedeuteBder Bruch-
teil aoB d«L Bsalie^end^ Ortschaften and näher gelegenen StMten.
Direkt von Bord der Schiffe kamen 26 Männer (8 % der Männer).
Kwrre 2.
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°/g der J2)«samtsrknukuiigea.
Bei 482 Exanken liefi sich der Krankbeitsta-g beim Ein-
tritt ins Krankenhaoe genauer bestimmen. Es traten ein in der
1. £rankheit3wocbe 206,
2. „ 208,
3. „ 48,
4. „ 16,
5. u. 6. „ je 1.
Ein späterer Eintritt zuuBgnnBtra eines der beiden Geschlechter,
wie er in vielen anderen Statistiken erwähnt wird, konnte nicht
gefnndea werden.
Die dnrchschnittlidie Anfentbaltsdauer der 475 als geheilt
entlassenen Fille betrug 41 Tage und zwar wurden
bis zu 10 Tagen behandelt 3,
» r 20 „ „ 37,
30 ,
121
40 ,
. 104
50 ,
93
» » 60 ,. „ 57,
langer als 60 „ „ 60,
die kflrzeste Behandlungsdauer betrug 8, die längste 236 Tage.
Die lange Aufenthaltsdauer bei vielen Kranken wird dadurch er-
Uärt, daß es aa der hiesigen Klinik Ublidi ist, die ßekoQvaleszenz
Mcb Infektionskrankheiten oft ganz gegen den Willen der Kranken
mt^licbst lange zu überwachen.
DeuUebu Aichiv f. klln. Medizin. LXXX. Bd. 18
266 XV. Pfkiffbb
Von den 482 Kranken, bei denen sich der Erankheitstag beim
Eintritt genauer bestimmen ließ, warden entlassen in der
2. Erankheitswoche 6 (5),
3. „ . 16 (6),
4. , 42 (8),
5. . 73 (1),
6. „ 86 (1),
7. „ 65 (1),
I . 8. „ 51, •
; 9- « 54(1),
l 10. „ 29,
' später 60 (1).
I
t
Die in Klammern beigefügten Zahlen zeigen an, wie viele von
den Fällen mit Tod abgingen. Auch hier halten sich die Prozent-
zahlen zwischen männlichen und weiblichen Kranken so ziemlich
das Gleichgewicht. Es wurden entlassen als geheilt 475 Kranke
= 92,5 %, gebessert 4 = 0,8 ®/o (3 davon vor vollendeter Heilung
aber fieberfrei, 1 mit Nephritis), ungeheilt 3 = 0,6 7o (1 entfernte
sich heimlich noch fieberhaft, 1 hatte Cystitis und Pyelitis gonor-
rhoica und 1 wurde mit Senkungsabszeß zur chirurgischen Klinik
verlegt). Gestorben sind 32 = 6,2%. Von den 32 Todesfällen
betrafen 24 Männer (6,9 % der Männer) und 8 Weiber (4,7 % der
Weiber). Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer betrug 15,7 Tage
und zwar die kürzeste 3, die längste 90. Es wurden behandelt
bis zu 10 Tagen 14, 20 Tagen 14, 30 Tagen 2, 60 Tagen 1, länger
als 60 Tage 1. Der Krankheitstag ließ sich bei 25 genau fest-
stellen, danach erfolgte die Aufnahme in der 1. Woche bei 9,
2. bei 13, 3. bei 2, 5. bei 1. Das Alter ließ sich bei 30 Kranken
feststellen, es standen danach
in % der betr.
Altersklasse
im Alter von 1 — 5 1 10
n n 7?
« n
V n n
m y y
11 ?? ??
?? » »
%• ^« *•
16-20 5 3
21—25 7 4,8
26—30 4 5,2
31—35 4 11,4
36—40 2 12,5
41—45 3 18,7
46-50 3 42,8
72 1 100
Die Typhusbewegnng auf der medizinischen Klinik in Kiel etc. 267
Der Tod erfolgte in der 2. Woche bei 5, 3. bei 7, 4. bei 8,
5. bei 1, 6. bei 1, später bei 3.
Die Todesursache war Schwere der Infektion in 12 Fällen
= 37^7o *^r Todesfälle überhaupt. Der Tod wurde in 4 der
12 Fälle begünstigt durch schwere Blutungen aus der Nase (1) bzw.
Pneumonie (2) bzw. Diphtherie (1). Perforationsperitonitis war in
7 Fällen Todesursache = 21,9 %, Darmblutung in 3 = 9,4 7o, Pneu-
monie in 2 = 6,2 7u, fenier Erysipelas faciei, Diphtherie, septische
Erkrankung, multiple Eiterungen, Meningitis, Peritonitis, Delirium
tremens und Herzschwäche (Potatorium) in je 1 Fall.
Anamnestisches.
Sichere Angaben über frühere Erkrankungen an Typhus
wurden 11 mal (2,1 ®/o) gemacht und zwar von 9 Männern (2,6%
der Männer) und 2 Weibern (1,1% der Weiber). Es wurden hier
alle unbestimmten Angaben, wie Nervenfieber, gastrisches Fieber
außer acht gelassen. Notizen über die früheren Erkrankungen waren
in keinem Falle zu erhalten. Die Zeit zwischen der ersten und
zweiten Erkrankung betrug % — 15 Jahre. Angaben über Dauer
nnd Schwere der ersten Erki^ankung finden sich nur 3 mal; 2 mal
verlief die zweite Erkrankung gerade so schwer wie die erste,
Imal verlief die erste schwer, die zweite leicht. Nur einer der
11 Patienten starb in einem Rezidiv seiner zweiten Erkrankung.
Die zweite Erkrankung verlief leicht in 6, mittelschwer in 1, sehr
schwer in 4 Fällen.
Hausinfektionen kamen nur 3mal (0,58%) vor und be-
trafen 2 mal Kranke, die wegen anderweitiger Leiden die Klinik
aufgesucht hatten, und Imal eine Wärterin. Einer dieser Kranken
war ein Potator mit Demenz, bei dem durch sein ganzes Verhalten
auf der Abteilung eine Infektion nicht zn verhindern war.
Angaben, mit Typhuskranken in Berührung gekommen
zu sein oder mit Typhuskranken in demselbenHause zusammen
gewohnt zu haben, fanden sich in 73 Fällen = 14,2%.
Arbeiten mit Typhuskulturen riefen 3 mal Typhus hervor,
betrafen stets Mediziner, von denen 2 starben.
Eine Milchinfektion konnte im Jahre 1892 beobachtet
werden. Der Ausgangsfall betraf den Knecht eines Milchhändlers,
der zuerst zu Hause gepflegt wurde. Die Pflegerin erkrankte im
August gleichfalls an Typhus. Bald darauf folgten ihre beiden
Schwestern und im August und September kamen dann noch 8 Fälle
zur Beobachtung, die alle ihre Milch von dem oben erwähnten
18*
268 ^^« Pfbiffbs
Milchhändler bezogen. Insgesamt wurden damals in Kiel 96 Typhus-
fälle beobachtet, die sich alle auf die gleiche Infektionsquelle za-
rückfähren ließen. Die Epidemie, die im wesentlichen auf einige
Strafien beschränkt war, in denen die meisten Familien ihre Hilch
von demselben Lieferanten bezogen, spielte sich in 7 Wochen ab-
Der Höhepunkt mit 62 Erkrankungen in 8 Tagen fiel in die Zeit
vom 28. August bis 3. September. Im ganzen kamen damals 162
Erkrankungen vor, von denen 96 (12 dieser Patienten waren in
der Klinik) mit großer Wahrscheinlichkeit auf den Genuß mit
infizierter Milch zurückgeführt werden konnten. Da die Nach-
forschungen erst nachträglich angestellt sind, mag die Zahl der
Fälle viel größer gewesen sein. Im Brunnen des Milchlieferanten,
in dessen Familie mehrere Erkrankungen an Typhus vorgekommen
waren, wurden mit Sicherheit Typhusbazillen durch Beinkultur
nachgewiesen. ^)
Die Inkubationsdauer betrug bei den durch Infektion im
Laboratorium beobachteten Fällen im Durchschnitt 12 Tage.
Allgemeiner Erankheitsverlauf.
Ein plötzlicher Erankheitsanfang ward von 331 Pa-
tienten = 65 % angegeben, während die übrigen 180 = 35 ^U ^»^
mehr allmählichen Beginn der Krankheit angaben. Bei 2 war
der Krankheitsbeginn nicht angegeben.
Allgemeine Klagen wie schweres Krankheitsgefühl, Ab-
geschlagenheit, Gliederschmerzen, Appetitlosigkeit, Frost und Hitze
finden sich bei 443 Fällen = 86V Schüttelfrost ist 47 mal
verzeichnet (9,2 7o)» Erbrechen zu Beginn der Krankheit 71 mal
(13,8 •/o), diffuse Kopfschmerzen, seltener nur auf Stirn oder
Hinterkopf lokalisiert, wurden von 350 Kranken (68,2 %) angegeben,
Nackenschmerzen von 38.(7,4%), Nackensteifheit von 2
(0,4*^/0). Sie war bei einem dieser Fälle so ausgesprochen, daß
zuerst an eine Meningitis gedacht wurde. Kreuz-, Eucken-
und Brustschmerzen ohne Lokalbefand wurden von 28, 26 und
22 Kranken geklagt.
Die Fieberdauer ließ sich in 479 Fällen feststellen. Sie
betrug
1 Woche bei 9 Kranken = 1,9 ^o.
2 Wochen „80 „ = 16,7 „
1) Diese Angaben verdanke ich der Güte des Herrn MediEinalrat Dr. Bocken-
dahl in Kiel.
Die Typhusbewegtmg anf der medizinischen Klinik in Kiel etc. 269
3 Wochen bei 137 Kranken = 28,6 \
4 „ „ 119 „ = 24,8 „
o „ »? «4 „ == 15,4 „
o „ „ 36 „ = 7,5 „
7 21 =44
mehr als 7 „ „ 3 „ = 0,6 „
Die kürzeste beobachtete Dauer war 4, die längste 93 Tage.
Nur in einem Falle fand sich ein kritischer Temperaturabfall.
Um ein Urteil von der Schwere der Fälle zu bekommen,
sind im folgenden die durchschnittlichen Temperaturhöhen auf der
Höhe der Krankheit — die abendlichen Exazerbationen während
der Eontinua gemessen — zusammengestellt. Bei 442 Fällen war
dies möglich.
Über 41** betrug das Fieber bei keinem,
. 40,6^ „ „ „ „16= 3,8%,
„ 40^ „ „ „ „109 = 25,8,,
unter 40 ^ „ „ „ „ 297 = 70,4 „
In den ersten Tagen der Krankheit hatten 96 Patienten noch
gearbeitet. Man konnte in diesen Fällen häufig, doch durchaus
nicht immer, einen schwereren Verlauf feststellen. Besonders schwere,
lang fieberhafte Fälle befanden sich unter den von Bord der
Schiffe gebrachten Kranken. Typhus ambulatorius wurde
3 mal konstatiert.
Roseola.
Sie war vorhanden bei 366 Fällen (71 %), fraglich bei 18 (3,5 %)
und fehlte bei 129 (25%). Unter den 366 Fällen, die sichere
Roseola aufwiesen, befanden sich 351, wo sich der Krankheits-
anfang genau feststellen ließ und zwar bestand bei 74 die Roseola
schon bei der Aufnahme, bei 102 gesellten sich zu den schon bei
der Aufnahme vorhandenen Roseolen im Krankenhaus neue hinzu
und bei 175 wurde das Aufschießen der Roseolen nur hier be-
obachtet. Nur diese letzteren lassen eine genauere Besprechung
zu. Es traten die ersten Roseolen auf
in der 1. Woche 32 mal = 18,3 %,
2. „ 123 „ = 70,3 „
16 „ = 9,1 „
0 „ = 1,7 „
1 ,. = 0,5 „
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4.
n
n
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5.
M
270 XV. Pfeiffeb
Bei der Mehrzahl dieser Fälle (135) trat die Roseola nur im
Verlaufe einer Woche auf, bei 26 erstreckte sie sich auf 2 Wochen,
bei 9 auf 3, bei 5 auf 4 und mehr Wochen. Einmal wurde am
34. Tag unter erneuter Milzschwellung eine reichliche Roseola be-
obachtet, ohne daß es zu einem Rezidiv oder Nachschub gekommen
wäre. Die Roseolen traten nur 15 mal in der fieberfreien Zeit auf.
Milztumor.
Über das zweite Kardinalsymptom, den Milztumor, finde ich
Angaben in 512 Fällen. Eine Vergrößerung der Milz war in
495 Fällen (96,6%) nachweisbar und zwar war dieselbe in 250
dieser Fälle (50%) palpabel. Es fehlte der Milztumor während
des ganzen Verlaufes bei 13 Fällen (2,5%). In 4 Fällen ließ sich
wegen dauerndem starken Meteorismus über die Größe der Milz
nichts aussagen.
Stuhl.
Was die Beschaffenheit der Entleerungen während der Fieber-
dauer angeht, so ist nach den Notizen von 502 Krankengeschichten
folgendes zu sagen: es bestand Durchfall bei 218 Kranken = 43,4%,
Verstopfung bei 79 = 15,7 %, keine Abweichung vom normalen Ver-
halten bei 14 = 2,8 % ; es bestand teils Durchfall, teils Verstopfung
bei 150 = 29,9 % ; bei den noch übrig bleibenden 41 Kranken Mraren
nur geringe von der Norm abweichende Störungen der Stuhl-
entleerung nachweisbar. In der Rekonvaleszenz bestand sehr häufig
Verstopfung.
Agglutinationsprobe.
Die Widal'sche Reaktion wurde in 31 Fällen angestellt. Sie
war in 25 derselben positiv (80%). Der früheste Termin, an dem
die Probe positiv ausfiel, war der 6. Tag. Bei 5 dieser 25 Fälle
ergab die erste Agglutinationsprobe ein negatives Resultat und
erst bei einer einige Zeit später voigenommenen Probe fiel die-
selbe positiv aus. Ersteres war meist in der 2. — 3. Woche, letz-
teres in der 3.-4. Woche der Fall. Dauernd negativ war die
Agglutinationsprobe in 6 Fällen (20%). Das Serum wurde meist
aus Blut aus der Fingerkuppe oder dem Ohr gewonnen, Imal aus
einem periostitischen Herd. In 1 Falle agglutinierte Lumbalflüssig-
keit nicht, während Blutserum agglutinierte. Eine Ausnahme-
stellung nimmt ein schon von mir veröfl'entlichter Fall ein, bei dem
eine Pleuritis typhosa (3) gefunden wurde und in welchem die
Exsudatflüssigkeit 1 mal agglutinierte, während die bei einer zweiten
Die Typhnsbewegung auf der medizinischen Klinik in Kiel etc. 271
und dritten Punktion gewonnene Flüssigkeit und eben^ Fingerblut
nicht agglutinierten.
Erscheinungeii und Komplikationen Yon selten der einzelnen
Organsysteme.
1. Verdauungsorgane.
Darmblutungen wurden in 40 Fällen (7,7%) beobachtet
und zwar bei 29 Männern (8,5%) und 11 Weibern (6,5%). Bei 2
der Fälle trat die Blutung nur im Rezidiv auf. Das Alter der
Patienten, die Häufigkeit der Blutungen in den einzelnen Alters-
klassen und der Eintritt der Blutung ist aus folgenden Zusammen-
stellungen ersichtlich:
Alter
m.
w.
Sa.
in % der betr. Altersklasse
1 10
1
2
3
10
11—20
5
4
9
5 .
21—30
15
1
1«
7
31-40
3
4
7
13
41 50
4
4
18
71-80
1
—
1
100
Die Blutung trat ein in der 2. Woche 12 mal =31 <^/o, 3. 14 = 37,
4. 9 = 24, 5. 2 = 5, 6. 1 = 2,6 %. In den Jahren 1896 und
1898 wurden keine Darmblutungen beobachtet, während sie in den
anderen Jahren zwischen 1,1 % (1889) bis 22,2 % (1897) schwankten.
Die Blutstühle erfolgten bei der Hälfte der Fälle nur Imal,
bei dem Rest 2 — 11 mal, die Menge der Blutstühle betrug Spuren
bis mehrere Liter und hielt sich meist um 400—600 ccm. In
1 Falle erfolgten die Blutstühle einen Tag nach der Entfieberung,
sonst stets in der Fieberperiode. Bei '^U der Fälle bestand Durch-
fall bei dem Rest Verstopfung. 20 der Fälle waren schwere, 11
roittelschwere, 7 leichte und 2 ambulatorische Typhen. Ein milderer
Verlauf des Typhus und Aufhören des Fiebers nach der Blutung
ließ sich bei 5 Krauken feststellen. Gleichzeitiges Nasenbluten
fand sich bei 1 Patienten, einen Tag vorher Hämoptoe bei einem
Phthisiker und Hämaturie bei einem dritten Patienten. Peritoneal-
symptome boten zwei. Das Sensorium wurde bei 5 freier, bei
ebensovielen trat ein Temperaturabfall ein, der in einem Falle bis
35,4* betrug. An dem der Blutung vorhergehenden Tage oder am
Tage derselben hatten Abführmittel (Rizinusöl oder Kalomel) er-
halten 5. Von den 40 mit Darmblutungen komplizierten Fällen
272
XV. Ppäottbb
worden 26 (65%) geheilt, während 14 (35 ^o) »tarben, davon 4
lediglich an der Schwere der Blutung.
Peritonitis trat bei 13 (2,5 "/o) Kranken auf und zwar eine
Peritonitis circnmscripta 4 mal (0,78 % der Oesaint-
erkrankungen), sie betraf 2 Männer irad 2 Weiber. Der Beginn
der peritonealen Symptome fällt bei 3 Fällen in den Beginn der
dritten Woche; bei 1 Fall in die neunte. 1 der Fälle litt gleich-
zeitig an Darmblutung. Alle 4 heilten.
Peritonitis diffusa kam Imal vor. Sie war hervorgerufen
durch Dehnnngsgeschwfire info}ge starken Meteorisraos am 17. Tag
bei einem 28jährigen Arzt und endigte tödlich.
Perfora tionsperi ton iti 8 kam 8mal zur Beobachtung (1,5%)
und betraf 5 Männer (1,4 %) und 3 Weiber (1,7 7o)- I^i**' Zusammen-
stellung erläutert das Nähere.
Alter m.
w.
Sa. in % der betr. Altersklassen
11 20
21-30
31 40
41 50
2
1
1
1
1
2
3
3
1
1
1,6
1,3
1,9
4,3
Der Eintritt der Perforation ließ sich in 7 Fällen feststellen.
Sie erfolgte in der zweiten Woche 2 mal == 28,5 7o» dritten 2 = 28,5 %,
vierten 2 = 28,5% und sechsten 1 = 14,3%. In 1 Falle,
in dem die Perforation eines persistierenden Kolongeschwiires am
94. Krankheitstage erfolgte, ließ sich der Eintritt der Perforation
nicht feststellen. In 6 Fällen waren gleichzeitig oder kurz vorher
Darmblutungen aufgetreten. In keinem der Fälle war vorher ein
Abführmittel gereicht worden. Alle 8 Fälle endigten tödlich und
zwar war bei 7 die Perforationsperitonitis die alleinige Todes-
ursache. 3 überlebten die Perforation 1 Tag. Der Sitz der Darm-
geschwüre, auch ohne daß sie zur Perforation geführt hatten, ließ
sich aus den Sektionsprotokollen von 27 der 31 Todesfälle ent-
nehmen. Danach betrafen sie den Dünndarm in 12, den Dünn-
und Dickdarm in 15 Fällen.
Meteorismus war in 1 Falle vom 7. Tage an so stark, daß
Dehnungsgeschwüre entstanden, die zu Peritonitis führten.
Auf lleocökalgurren wurde 172mal geachtet, es war 118mal
vorhanden und fehlte 54 mal.
Angina zeigte sich 17 mal (3,3%) und war in der Mehrzahl
der Fälle eine katarrhalische (11), in dem Rest eine lakunäre (6).
Die Typfaasbewegnng anf der roedizmischen Klinik in Kiel etc. 27S
Stomatitis war in 5, Geschwüre an Gaumenbögen, Zunge
oder Lippen waren in 4 Fällen vorhanden.
Pharyngitis wird bei 12 Kranken erwähnt. Von den der
Mond- und Rachenh5h1e benachbarten Organen erkrankte das
Mittelohr in 14 Fällen, darunter 6 mal doppelseitig. Spontan-
perforation trat in 13 Fällen ein, nur in 1 war die Paraeentese
notwendig. Eine Otitis externa wurde 4 mal beobachtet. Eine
Parotitis entwickelte sich in 3 Fällen in der 3. bzw. 5. Woche,
sie war stets einseitig, trat nur einmal während der Fieberperiode
anf nnd mußte in diesem Falle von außen inzidiert werden.
2. Respirationsorgane.
Coryza im Beginn der Krankheit ist nur 2 mal vermerkt.
Bronchitis wurde in 79 Fällen (15,4%) nachgewiesen, bei
41 derselben handelte es sich um eine trockene.
Kroupöse, hypostatische Pneumonien und Broncho-
pneumonien wurden in 62 Fällen (12%) beobachtet und zwar
handelte es sich 10 mal (1,9 ^o) ^^ kroupöse Pneumonien, die in
der 1. bis 5. Woche, vorwiegend in der 2. (5) auftraten und von
denen 2 Fälle starben.^) Die Pneumonie betraf 6 mal den rechten
Unterlappen, 2 mal den rechten Oberlappen, je Imal den linken
Ober- bzw. Unterlappen. Der Verlauf der Krankheit war durch
diese Komplikation stets sehr verzögert, indem die durchschnitt-
liche Aufenthaltsdauer 66 Tage betrug. Hypostasen kamen in
32 (6,2%) Fällen in der Zeit der 1.— 6. Woche, die meisten (11)
in der 2. zur Beobachtung. 3 der Fälle starben.*) Auch hier
betrug die durchschnittliche Aufenthaltsdauer 66 Tage. Broncho-
pneumonien wurden in 20 Fällen (3,9%) beobachtet; einer dieser
Fälle war eine Aspirationspneumonie. Die Zeit betraf die 1. bis
6. Woche, wieder mit Bevorzugung der 2. (7). Bei der über-
wiegenden Mehrzahl der Kranken bestand ein Katarrh der Respi-
rationswege. 7 der Fälle starben. ^) Die durchschnittliche Aufent-
haltsdauer betrug 57 Tage.
Pleuritis kam 6 mal (1,2%) vor. Sie trat je Imal in der
1., 2., 3. und 4. Woche auf, 2 mal in der 7. Sie war eine sicca in 1,
exsudativa in 5 Fällen. Zur Punktion brauchte nur Imal ge-
schritten zu werden. 1 mal trat die Pleuritis nach einer Pneumonie
auf, 1 mal entwickelte sich ein Empyem, das der Patient aushustete
1) Ohne daß bei allen diese Komplikation die alleinige Todesursache ge-
wesen wäre.
274 XV. Pfkipper
und Imal schien es sich um eine Pleuritis typhosa (3) zu handeln.
Es wurden bei letzterem Falle am 12., 18. und 46. Tage Pleura-
punktionen vorgenommen mit fraglichen Typhusbazillen in dem
bei der ersten Punktion entleerten Exsudat. Alle Fälle wurden
geheilt, doch war der Krankheits verlauf ein außerordentlich protra-
hierter. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer betrug 86 Tage.
Laryngitis entwickelte sich in 8 Fällen (1,5%) in der 1.,
2. und 4. Woche (in der 2. allein 4 mal). Meist handelte es sich
um Rötung und Schwellung der Stimmbänder, in 2 Fällen ließen
sich Geschwüre an den Aryknorpeln und der Epiglottis feststellen.
1 Fall ging an Erysipelas faciei zugrunde. Die Aufenthaltsdauer
betrug 50 Tage im Durchschnitt.
Epistaxis kam 25 mal zur Beobachtung (4,9%), am häufigsten
in den ersten 3 Wochen. Bei 6 dieser Patienten zeigte sich auch
Neigung zu anderweitigen Blutungen, so litten z. B. 4 an Darm-
blutungen. In nur 1 Falle begünstigte der sehr starke Blutverlust
durch die Nase den tödlichen Ausgang.
3. Nervensystem.
Bei 252 Fällen finde ich Bemerkungen über das Sensorium.
Bei 143 fand sich eine Störung des Sensoriums von einer geringen
Benommenheit bis zu einem schweren Status typhosus. Letzterer
wurde ausgeprägt nur 7 mal gefunden. Schwere Delirien kamen
12 mal zur Beobachtung. Das Sensorium wird bei 109 Fällen als
frei angegeben. Die Störungen des Sensoriums hielten gleichen
Schritt mit der Höhe des Fiebers. Eine melancholische Ver-
stimmung entwickelte sich nur Imal (0,19%) bei einer 24 jäh-
rigen Gravida am 26. Krankheitstage und verschwand nach 4 Wochen
völlig. Bei einem anderen Patienten, der wegen psychischer Stö-
rungen aufgenommen wurde (Potatorium mit Demenz) und der auf
der Station sich mit Typhus infizierte, traten die Störungen mit
Beginn der Krankheit ganz auffallend in den Hintergrund.
Meningitische Symptome boten 3 Kranke (0,58 7o)- ^^ dem
einen der Fälle war die eitrige Meningitis nachgewiesenermaßen
durch Typhusbazillen veranlaßt (4), in dem anderen war der Hiru-
befund ein durchaus negativer und in dem dritten endlich, bei
welchem man zu Lebzeiten Miliartuberkulose vermutet hatte, fand
man keine anatomischen Veränderungen. Von sonstigen Erkran-
kungen des Nervensystems sind eine am 25. Krankheitstag auf-
getretene Fa c i a 1 i s p a r e s e mit Druckempfindlichkeit des Facialis-
stammes zu erwähnen, ferner 6 Fälle von Hyperästhesie, die
Die Typhnsbewegong auf der medizinischen Klinik in Kiel etc. 275
meist in der Rekonvaleszenz auftrat und 1 mal den ganzen Körper,
3 mal die ganze untere Extremität und 2 mal nur die Fußsohlen
betraf.
4. Zirkulationsorgane.
Venenthrombose fand sich 11 mal (2,1 ^/o) und betraf
5 Männer (1,4 %) und 6 Weiber (3,5 %). Am häufigsten war die
Vena femoralis betroffen (6), dann die Vena saphena magna (3) und
schließlich die Vena poplitea (2). In 7 Fällen war nur die linke
Extremität erkrankt, in 2 Fällen nur die rechte, in 2 beide. Das
Älter, in dem Thrombose auftrat, schwankte zwischen 17 und
43 Jahren. Das bevorzugte Alter war das 2. und 3. Dezennium.
Das Auftreten erfolgte nur Imal schon in der 3. Woche, meist in
der 4. und 5., Imal gar erst in der 9. Alle Fälle wurden geheilt.
5. Haut.
Furunkel entwickelten sich in 21 Fällen (4,l**/o). Zuweilen
waren sie außerordentlich zahlreich, meist an den dem Druck aus-
gesetzten Stellen. Die Zeit ihres Auftretens fällt vorzüglich in
die 4.— 6. Woche, fast zur Hälfte der Fälle in das fieberhafte Stadium
der Krankheit, fast zur Hälfte in die Eekonvaleszenz und dann
geringe Fiebersteigerungen hervorrufend.
Abszesse bildeten sich in 11 Fällen (2,1%) an den ver-
schiedensten Körperstellen, meist in der 4. Woche und bei 9 der
Fälle noch während der Fieberperiode.
Decubitus kam 13 mal vor (2,5%), 9 mal betraf er die Kreuz-
beingegend. Er entwickelte sich meist in der 3. und 4. Woche.
Herpes facialis würde in 20 Fällen (3,9%) beobachtet,
darunter 15 mal ein Herpes labialis. Imal folgte 4 Tage nach
Auftreten des Herpes eine Pneumonie. Der Herpes erschien je
6 mal in der 1. bzw. 2. Woche (von 15 Fällen, wo sich die Zeit
des Auftretens feststellen ließ).
Miliaria rubra und crystallina fand sich 13 mal (2,5 %)
besonders vermerkt.
Urticaria 2 mal. Bei dem einen der Fälle begann der Typhus
mit einer solchen, bei dem anderen trat sie erst in der Rekonvaleszenz
unter Fiebersteigerung auf. J]ine stärkere Hautschuppung haupt-
sächlich am Rumpf, seltener an den Extremitäten finde ich 8 mal
vei-zeichnet. Sie trat meist in der Rekonvaleszenz und von der
4. Woche ab auf; bei allen Fällen war eine mehr oder weniger
276 XV. PlfEIFFBB
reichliche Roseola vorhergegangen. Daß eine Miliaria crystallina
vorhergegangen wäre, war nicht bemerkt.
Kleinste Häroorrhagien am Rumpf und den Extremitäten
traten 3mal aaf; ein papnlöses Exanthem neben der Roseola
Imal. Stärkerer Haaraas fall, der Imal zu völliger Alopecie
führte, die in 3 Monaten völlig heilte, wurde bei 3 Frauen beob-
achtet in der 6., 14., bzw. 18. Woche.
6. Bewegungsapparat
Periostitis wurde 15 mal (2,9%) beobachtet. Sie trat nur
in 4 Fällen während der Fieberperiode auf und wurde demgemäÄ
nnr je Imal in der 2., 3. und 5, 2 mal in der 4., je Imal in der
6. und 8., je 2 mal in der 7., 9., 10. und 11. Woche beobachtet.
Sie rief, wenn sie in der Rekonvaleszenz auftrat, häufiger geringe
Fiebersteigerungen hervor. Alle Fälle gingen in Heilung über.
Am häufigsten betroffen waren die Tibia und der Kopf (je 4), dann
folgten der Fuß (3), die Wirbelsäule (2), der Humerus und die
Rippen (je 1). Inzisionen waren 4 mal nötig, Imal eine gleich-
zeitige Rippenresektion. Eiter fand sich in 3 Fällen. Die Kulturen
ergaben in 2 derselben nur Typhusbazillen, in 1 nur Staphylo-
kokken. In den beiden anderen Fällen wurde kein Eiter gefunden,
dagegen ließen sich in der Odemflüssigkeit Typhusbazillen nach-
weisen, in dem einen außerdem noch eine zweite Art Stäbchen.
Bei einem Falle wurde mit einer Spritze bis auf den periostitischen
Herd eingegangen und in der sanguinolenten Odemflüssigkeit, die
agglutinierte, auch Typhusbazillen gefunden (5, 6, 7).
7. Harn- und Geschlechtsorgane.
Nephritis kam 9 mal zur Beobachtung (1,7%) 7 Männer
und 2 Weiber. 2 der Fälle zeigten stark hämorrhagischen Urin.
In den 5 Fällen, wo mit Sicherheit das erste Auftreten von Eiweiß
im Urin festgestellt werden konnte, entwickelte sich die Nephritis
stets während der fieberhaften Periode und zwar je 2 mal in der 1.,
je Imal in der 2., 3. und 4. Woche. Von den 9 Fällen starben 4,
also 44**/o aller an Nephritis erkrankten. Fast alle Fälle, die mit
Nephritis kompliziert waren, waren schwere Typhen bis auf einen,
der nur 13 Tage fieberte und bei dem das Eiweiß bald wieder
verschwand. Von den 5 Kranken, die mit dem Leben davon kamen,
wnrden 4 völlig geheilt, 1, bei dem sich Aszites und Ödeme ent-
wickelt hatten, in der 23. Woche gebessert entlassen. Bemerkungen
über Untersuchung des Urins auf Eiweiß fanden sich bei 460 Kranken
Die Typhnsbewegong auf der medusinischen Klinik in Kiel etc. 277
aod ergaben, daß sich bei 207 (45 ^Z^) eine febrile Albuminurie
feststellen ließ, während der Urin bei 253 Kranken dauernd eiweiß-
frei war. Die 'Ehrlich'sche Diazoreaktion wurde 28mal
angestellt und fiel bei 22 Kranken positiv aus.
Katheterismus häufiger bei Frauen als bei Männern wurde
9 mal nötig. 3 mal trat die Harnverhaltung im Anschluß an eine
Darmblutung auf. Mit einer Pyelitis begann bei 1 Kranken
der Typhus. Cystitis entwickelte sich 5 mal (0,9%), stets bei
Männern und stets in der Rekonvaleszenz. Sie heilte meist schnell
und rief nur zuweilen geringe Temperatursteigerungen hervor. In
3 oder 4 Fällen wurde auf hiesiger Klinik die auffällige Beob-
achtung gemacht, daß eine vor dem Typhus erworbene Gonorrhoe
während desselben vollständig verschwand und erst mit dem Ein-
tritt der Eekonvaleszenz wieder zum Vorschein kam.
Hämaturie wurde bei 1 Kranken 1 Tag vor Eintritt einer
Darmblutung beobachtet. -
Orchitis mit gleichzeitiger Schwellung des Nebenhodens und
Samenstrangs wurde bei 1 Kranken in der 8. Woche, Prostatitis
bei einem anderen in der 6. Woche beobachtet
Als Gravidae waren 4 Frauen eingetreten; sie befanden
sich im 4. bis 7. Schwangerschaftsmonat und bei keiner wurde die
Gravidität unterbrochen. Abort wurde nicht beobachtet Die An-
gaben über Unregelmäßigkeiten der Menstruation sind zu spärlich,
um hier verwertet werden zu können.
8. Sonstige Komplikationen.
Anämie: 7 (meist Weiber).
Potatorium: 6 (wovon die Hälfte starben).
Askariden: 5 (2 mal ausgehustet, Imal bei Darmperforation
frei in der Bauchhöhle).
Lungenspitzenkatarrh: 4 (während des Typhus ent-
wickelt).
Irregularität am Herzen: 4.
Gonorrhöe: 4.
Hämorrhoiden: 3 (2 mal Vereiterung, Imal Blutung).
Diphtherie: 3 (2 mal Auftreten während des Fiebers und
tödlich endigend, Imal während der Rekonvaleszenz und Heilung).
Erysipel: 3 (2 mal während des Fiebers vom Ohr bzw. Ab-
szeß am Ellbogen ausgehend, 1 davon gestorben, Imal während
der Rekonvaleszenz von der Nase ausgehend, auf Dura und Gehirn
übergreifend und den Tod herbeiführend).
278
XV. Pfeiffer
Phthisis pulmonum: 3 (schon bei der Aufnahme vorhanden ;
kein schnelleres Fortschreiten während des Typhus bemerkbar).
Ikterus: 2 (beide Male in der zweiten tVoche. In dem
1 Fall kam es zu einer vollkommenen Gallenstauung. Der Ikterus
hielt 4 Wochen an. Im zweiten Fall fehlen genauere Angaben).
Colitis ulcerosa, Rhachitis, Conjunctivitis, Kera-
titis, Herzfehler (normaler Verlauf des Typhus), Ulcus ven-
triculi rotundum, Ulcus ventriculi mit Übergang in
Karzinom, Lupus faciei, septische Erkrankung, Ky-
phose mit Senkungsabszeß, Skorbut (die vor dem Typhus
vorhanden gewesene skorbutische Diathese trat in der Rekon-
valeszenz wieder hervor): je 1.
9. Rezidive.
Sichere Rezidive wurden in 34 Fällen (6,6 \) beobachtet und
betrafen 21 Männer (6,1% d. M.) und 13 Weiber (7,6 "/o d. A\.).
Die Mehrzahl der Erkrankten stand im 16. bis 25. Lebensjahre.
Das Alter und die Häufigkeit des Rezidivs bei den einzelnen
Altersklassen ist aus folgender Zusammenstellung zu ersehen:
Alter
Erkrankangen
davon Re-
»%
an Typhus
zidive
1 5
10
1
10
6—10
20
3
15
11 15
20
3
15
16—20
159
9
5,7
21 25
147
9
6,1
26 30
77
5
6,5
31 35
35
36-40
16
1
6,2
41-45
16
2
12,5
46—50
7
1
14,2
Die fieberhafte Zwischenzeit zwischen erster Erkrankung und
Rezidiv betrug da, wo sie sich feststellen ließ, 2 — 18 Tage oder
7,7 Tage im Durchschnitt. Der Beginn des Rezidivs lag meist in
der 3.-7. Woche, in 1 Fall aber erst in der 11. Nur in 1 Falle
fand sich ein steiler Temperaturanstieg. Die Fieberdauer betrug
1 Woche bei 4 Kranken (12,1%), 2 Wochen bei 18 (54,5 '».o),
3 Wochen bei 8 (24,2%), 4 Wochen bei 2 (6%), 5 Wochen bei 1
(3®;o). Die kürzeste beobachtete Fieberdauer war 5, die längste
32 Tage. Die Fieberdauer war im Rezidiv kürzer als bei der
ei-sten Erkrankung bei 26, länger bei 2 und ebensolang bei
2 Fällen. Das Rezidiv folgte sowohl schweren als auch leichten
Die Typhnsbewegung auf der medizinischen Klinik in Kiel etc. 279
Typhen. Dasselbe verlief leichter als die erste Erkrankung in 14,
schwerer in 4 und ebensoleicht bzw. schwer in 13 Fällen. Roseola
war bei beiden Erkrankungen vorhanden in 14 Fällen, sie fehlte
in 10, sie war bei der ersten Erkrankung vorhanden und fehlte
bei dem Rezidiv in 7 und war beim Rezidiv vorhanden und fehlte
bei der ersten Erkrankung in 1 Fall. Die Entleerungen hatten
dieselbe Beschaffenheit wie bei der ersten Erkrankung in 16 Fällen,
in 15 bestand bei der ersten Erkrankung Durchfall bei der zweiten
Verstopfung oder umgekehrt. In 16 Fällen schwoll die Milz von
neuem an, in 4 war sie während der fieberfreien Zeit überhaupt
nicht abgeschwollen. Als Ursache für das Rezidiv war in 10 Fällen
(29,4 7o) ein Diätfehler, in den anderen ein ersichtlicher Grund nicht
nachweisbar. Von den 34 Kranken starb nur 1, bei 14 stellten
sich Komplikationen ein.
10. Nachschübe.
Es wurden 7 Nachschübe (1,4 ^J festgestellt bei 1 Mann (0,3 7o)
und 6 Weibern (3,5 ®/o). Der Nachschub dauerte nur in 3 Fällen
länger als die Haupterkrankung sonst stets kürzer. Die Haupt-
erkrankung und der Nachschub verliefen meist gleich schwer. In
l Falle begann der Nachschub mit steilem Temperaturanstieg.
Bei der Haupterkrankung war in 6 Fällen Roseola vorhanden, bei
dem Nachschub nur 2 mal. Eine erneute Milzschwellung ließ sich
in 3 Fällen feststellen, auch trat in den meisten erneut Durchfall
ein. 5 der Fälle boten Komplikationen, alle 7 heilten. Eine Ur-
sache für den Nachschub war in keinem Falle auffindbar.
11. Rekonvaleszenz.
Außer den oben schon erwähnten durch Komplikationen oder
Nachkrankheiten bedingten Störungen in der Rekonvaleszenz fand
sich bei 53 Kranken Fieber, ohne daß ein Organbefund für das-
selbe erhoben werden konnte. Bei weiteren 23 Kranken mußte
bestehende Obstipation, das erste konsistentere Essen, das erste
Anfstehen, eine Aufregung oder dgl. für die Temperaturerhöhung
verantwortlich gemacht werden. Sub normale Temperaturen
Würden in der ersten Rekonvaleszenz häufig beobachtet und be-
wegten sich bei 139 Kranken unter 37", bei 12 unter 36^ (Rektal-
messung).
12. Therapie.
In der medikamentösen Therapie nimmt das Kalomel die
erste Stelle ein. Es wurde in 448 (87 "/,,) Fällen angewandt, meist
280 XV. Pfeiffer
in der Dosis von 0,3 g ein bis mehrere Male, bei Kindern ent-
sprechend weniger. Es wurde sowohl im Beginn der Erkrankung
respektive direkt bei der Aufnahme als auch im Verlaufe der
Krankheit bei drohendem Rezidive gereicht*)
Chinin wurde in 162, also fast bei V« aller Fälle gegeben.
Die Dosis schwankte zwischen 0,3 und 2 g. Es wurde ein bis
mehrere Male meist in der Deferveszenz gegeben und schien die
Entfieberung stets zu beschleunigen.
Salizylprä parate und zwar vorzugsweise das Natrium
salicylicum wurden in 47 von den 128 Fällen der Jahre 1886 — 89
zur Verhütung von Rezidiven angewandt. Die Dauer dei* Dar-
reichung schwankte zwischen 6 und 28 Tagen und betrug die
Tagesmeuge 1 '/, bis 4 g. Von 26 einwandfreien Fällen erkrankten
dennoch 3 an einem Rezidiv =^ 11 %, während die Prozentzabl der
Rezidive überhaupt nur 6,6% betrug.
Gelatine wurde in den .lahren 1899—1901 bei 7 an Darm-
blutungen erkrankten Patienten von im ganzen 10 Fällen dieser
Jahre versucht. Die Patienten erhielten 200 g 2 ^'„ (Telatinelösung
subkutan. In 5 Fällen trat eine weitere Darmblutung nicht mehr
auf, während solche in 2 Fällen erneut erfolgten (8).
Hydrotherapeutisch wurden 390 (76 \) Kranke behandelt
und zwar 78 nur mit kalten Bädern unter 20 ^ 72 nur mit kalten
Wasserkissen von 10 — 18®, 33 nur mit kalten Umschlägen von
16—18**; 52 wurden mit kalten Bädern und Wasserkissen be-
handelt, 13 mit diesen und kalten Umschlägen, 14 mit diesen
und kalten Bädern, 20 mit kalten Bädern, Wasserfassen und
kalten Umschlägen. 27 erhielten Dauerbäder von 35 - 36 ®, 81
wärmere Bäder von 20- 30 ^
Goth's Statistik (1. c.) und die meine umfassen fast den
gleichen Zeitraum und ihnen ist fast die gleiche Erankenzahl zu
Grunde gelegt, sie eignen sich daher ganz besonders zum Ver-
gleiche. Am Schlüsse der nun folgenden Vergleichung habe ich
eine Tabelle angefügt, die außer 3 älteren recht vollständigen
schon bei Goth veröffentlichten Zahlen die Ergebnisse zweier
neueren Statistiken nämlich der von Schultz (9) und der von
Berg (10) enthält. Die Arbeiten von Schultz und Berg sind
1) Quincke hat den Eindruck, als ob seit dieser ziemlich regelmäßigen
initialen Kalomeldarreichung die Häufigkeit und Intenidtftt der DorehfiÜle
während des Verlaufs im Vergleich zu früher sich wesentlich rermindert hftbe.
Die Tjphusbeweguiig auf der medizimschen Klinik in Kiel etc. 281
besonders deshalb wertvoll, weil ihnen ein enormes Material aus
Hamburg und Leipzig zugrunde gelegt ist. Verfügt doch Berg
über 1626 und Schultz gar über 3686 Fälle. In die Tabelle
sind ebenfalls Goth's und meine Zahlen eingereiht. Zahlen, die
den Statistiken von Schultz und Berg entnommen sind und
keinen Platz in der Tabelle gefunden haben, finden sich in der
folgenden Vergleichung in Klammem beigefügt.
Die Zahl der Typhusfälle in Kiel hat namentlich seit
dem Jahre 1893 erheblich abgenommen, um nur in den Jahren 1900
und 1901 wieder etwas zuzunehmen. Die Abnahme der Zahl der
Typhusfälle mit dem Jahre 1893 ergibt sich auch ganz deutlich
aus den für die Stadt Kiel und die Provinz zusammengestellten
Zahlen. Während in den Jahren 1885—1892 im Durchschnitt
170 (Kiel) und 2640 (Provinz) Fälle gemeldet wurden, kamen in
den Jahren 1893—1902 nur 40 bzw. 1020 zur Meldung, i) Um
einen Einblick zu bekommen, wie viele Typhusfälle in der Stadt
Kiel und in der Provinz überhaupt zur Beobachtung kamen und
wie viele der Kranken Aufnahme in die Klinik fanden, mögen
folgende Zahlen dienen. In den Jahren 1885 — 1902 gelangten aus
der Stadt Kiel 1783 Fälle mit 133 (= 7,5 ^'o) TodesfäUen zur amt-
lichen Meldung. Von den in Kiel und den umliegenden Ortschaften
am Typhus Erkrankten kamen im Durchschnitt 31 "/o ^^-ch der
Klinik. Die Zahlen für die aus der Provinz gemeldeten Fälle be-
tragen 30889 und 3175 (= 10,3 7o)- Von den 12 751 Erkrankungen
aus der Provinz in den Jahren 1892 — 1902 entfallen 46 ^o auf die
Städte und 54% auf das flache Land. Auch diesmal weist die
zweite Hälfte des Jahres fast ^j^ aller Erkrankungsfälle auf. Die
Mortalität beträgt in beiden Fällen fast 6%, bei Goth ist die
Sterblichkeit der Weiber, hier die der Männer etwas größer. Sie
ist unter 10 Jahren mäßig hoch, sinkt dann ab, steigt vom 15. Jahre
an wieder langsam an, um besonders um das 50. Jahr rapide an-
zusteigen. Bei Goth zeigt die Kurve große Schwankungen, er-
reicht jenseits des 60. Jahres allerdings auch hohe A\'erte. (Berg:
Die Mortalität zeigt abgesehen von der der Kinder, welche auch
koch ist, im höheren Alter eine Zunahme.) Die Todesfälle an
Perforationsperitonitis, Darmblutungen und Pneumonien waren ge-
linger, diejenigen jedoch, in denen man nur die Schwere der In-
fektion für den angünstigen Ausgang verantwortlich machen konnte,
wesentlich erhöht: 37,5% gegen 2,9% bei Goth.
1) Diese wie die folgenden Zahlen verdanke ich ebenfalls der Güte de»
Herrn Medizinalrat Dr. Bochendahl in Kiel.
Deutsche« Archiv für klin. Medizin. LXXX. Bd. 19
282
XV. PFftiyFBB
SSI
Perforations-
Peritonitis
Darmblatong Schwere der Inf.
P]ie«moiiie
Goth
Pfeiffer
Berg
Schultz
25,7
21,9
16,5
14,1
11,4
9,4
8
6,6
2,9
SV,6
37
51,4
6,2
10
15,5
Ganz wesentlich herabgegan^n ist di6 Zahl der Haus^
Infektionen, die von 5,57o »uf 0,68% gesunken ist (B. 1,5^
Seh. 0,67 %).
Schüttelfrost trat in 9,2% der Fälle anf, während er bei
Öoth nur in 3,6% vermerkt wird.
Die Pieberdaüer währte im Durchschnitt im ganzen kürzer
als sie bei Goth angegeben ist, auch die Höhe des Fiebers war
geringer. Fälle mit einer Kontinua über 41^ kamen überhaupt
nicht ZOT Beobachtung, während solche mit einer Kontinua unter
40'* 70,4% betrügen gegen 24% bei Goth.
Die Prozentzahlen der sicher vorhandenen Roseola decken
sich fast, während die der sicher fehlenden hier mehr wie doppelt
so groß sind als bei Goth (sicher vorhanden 6. 74,8, Pf. 71, B. 80,4^
Sek 71,4%; sicher fehlend G. 10,9, Pf. 25, B. 14, Seh. 14,5%).
Die Milz wird hier bei 50 % der Fälle als palpabel angegeben
gegen 14,4% bei Goth. Die übrigen Zahlen die Milz betreffend
decken sich fast; ebenso verhält es sich mit den Angaben be-
treffend Stuhlentleerungen (Milztumor vorhanden G. 93,3,
FL 96,6, Seh. 83, fehlend G. 1,6, Pf. 2,5, Seh. 13,9%).
Darmblutungen sind etwas häufiger als in den früheren
Jahren, doch starben nur 10% gegen 17,1% bei Goth (B. 3&2y
Seh. 20,9%. Häufigkeit der Darmblutungen).
Peritonitis ist fast ebensohäufig wie früher, doch fiberlebten
Kranke eine Perforation nie länger als 1 Tag gegen IV«— 6 Tage
bei Goth.
Angina im Beginn oder während des Krankheitsverlaufe»
war sehr viel seltener als früher, 3,3 % gegen 8,6 %.
Bronchitis fand sich früher in 64,9%, jetzt nur in 15,4%.
(B. bei % aller Fälle, Seh. der nur schwere Fälle notierte bei 3«o)-
Obwohl die Pneumonien in den letzten Jahren etwas häufiger
waren, boten sie dennoch eine günstigere Prognose.
Epistaxis ist häufiger als in früheren Jahren aufgetreten.
4,9 gegen 3,5 « o (B. 3,1, Seh. 1,8 %).
Venenthrombose gleich häufig, betrifft stets nur Venen
Die Tjphusbewegang auf der medifhiischexi Klinik in Kiel etc. 28$
der unteren Extremit&t, doch ist sie häufiger links wie rechts^
während sie bei Goth beiderseits gleich häufig auftrat.
Herpes, früher nur in 1,8 % der Fälle vorlmnden, tritt jetzt
in 3,9% auf (B. 0,7, Seh. 0,8%).
Daß Periostitis früher nur in 0,2% der Fälle festgestellt
wurde, während sie «ich jetzt in 2,9% verzeichnet findet, liegt
wohl daran, daß man erst seit den Veröffentlichungen aus der
hiesigen Klinik mehr auf sie achtet (B. 0,2, Seh. 0,2 "/„).
Nephritis wurde in den letzten Jahren häufiger beobachtet
als bei Goth und bot auch eine ungünstigere Prognose. (G. 0,8,
Pf. 1,7, B. 2,8, Seh. 0,9%. Mortalität: G. 20, Pf 44, B. 44,4, Seh.
50%).
Cystitis wurde bei Goth in 0,5% der Fälle gegen 0,9%
in den letzten Jahren beobachtet (B. 0,8 ^o).
Febrile Albuminurie in 45% der Fälle gegen 46,9%
bei Goth, wurde dagegen bei Schultz nur in 10,7% der Fälle
angegeben.
Bei den durch Phthise komplizierten Fällen wurde in keinem
Falle ein so schnelles Fortschreiten der Phthise gefunden, wie
Goth es angibt.
Sowohl Rezidive wie Nachschübe sind in den letzten
Jahren seltener als in den früheren. In manchen Jahren tritt
weder Rezidiv noch Nachschub auf, in anderen bis zu 25 ^/q der
jährlichen Erkrankungen. Auch hier findet sich die von Goth
sowohl als auch von Berg und Schultz konstatierte Bevorzugung
des weiblichen Geschlechts für Rezidiv und Nachschub. Eine Ab-
nahme der Rezidive mit der längeren Dauer der ersten Erkrankung,
wie sie Goth gefunden hatte, konnte nicht festgestellt werden (s.
Tab. S. 284>
Als die kalten Wasserkissen als Abkühlungsmittel von
Quincke (11) empfohlen wurden, verfügte er nur über 24 damit
behandelte Fälle von Abdominal typhus. Unter meinen 513 Typhus-
kranken wurden 157 damit behandelt und davon 72 nur mit kalten
Wasserkissen. Letztere kommen für die anzustellende Vergleichung
mit anderen liyJ riatischen Prozeduren ja kaum in Betracht, wäh-
reud alle die Fälle sich in erster Linie dazu eignen, bei denen im
Verlaufe der Erkrankung bei ein und demselben Kranken sowohl
von diesen wie von jenen Gebrauch gemacht wurde. In dieser
Hinsicht sind, wie gesagt, 85 Fälle zu verwerten, von denen ich
31 zur genaueren Vergleichung herangezogen habe. Daß die Aus-
19*
284
XV. Pfbiffeb
Y^eitil eine so yerhältnismäßig kleine ist, kann nicht auffallen, da
ja von vornherein alle Momente ausgeschlossen werden müssen,
die auch ohne die abkühlende Prozedur eine Temperaturemiedrigung
bewirkt hätten. Es sind bei den hier bearbeiteten Fällen also nur
diejenigen hydrotherapeutischen Prozeduren mit verwertet worden,
die zur Zeit des Fastigiums der Krankheit zur Anwendung ge-
langt sind.
Tabelle IL
43
U 0
0 0
1 »1 >^
76-81
OS
(3
«^
O) 0
O "^
0
S3
Kiel nach : Hamburg n. | ^^
%4
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V
0
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0$
A
• fM
^
0)
«3
o
■ O
S
w
n« oc.
OS no
nc
a>
78-8371—8585-02
0
85---8880— 93
MortÄlität
Mehrmal. Erkrankg. an Typhus
Rezidiv
Nachschub
Dekubitus
Thrombose
Darmblutung
Peritonitis
Hypo8t€isen
Lob. Pneumonie
Spitalaufenthalt in Tagen . .
10,5
2
14
2,2
3,9
1,3
4,8
3,1
1,3
5,7
48
9,8
6
1,8
2
12,5
8,7
—
4,9
1,7
2,6
3
2,4
4,7
59
0,6
2
1,1
4,3
4,6
1,2
38
38
6,2 9,4
2,1
6,6
1,4
2,6
2,1
7,7
2,6
6,2
1,9
41
\
IM
2,5
1,3
1.9
49
8,6 m
6,4 w.
2,8
14,2
1,8
1,9
1,9
4,2
^
2,8
2
}
12,7
0,05
12
3,3
0,6
5,5
2,2
8,9
Ich möchte einige kurze Bemerkungen über das Wasserkissen selbst
vorausBcbicken. Es werden an der Klinik 2 Größen der Wasserkissen
angewandt, das eine für Erwachsene ist 1 Meter lang und ^/^ Meter breit
und hat eine Kapazität von 50 Litern, das andere für Elinder bestimmte,
ist ^/^ Meter lang, ^^^ Meter breit und bat eine Kapazität von 33 Litern.
Nachdem das Kissen in leerem Zustande zwischen Matratze und Unter*
läge unter die Kranken geschoben ist, wird es aus einem etwa 1,3 Meter
über dem Fußboden stehenden wassergefüllten Eimer durch Seber-
wirkung gefüllt. Die Temperatur des eingefüllten Wassers schwankt
zwischen 10 und 18^ G. Die Temperatur des aus dem Elissen entleerten
Wassers schwankt zwischen 16 und 33^* G. Beim Wasserkissen wurde
wie bei anderen hydriatischen Prozeduren gewöhnlich 39,5 ^ im fiektum
als Indikationstemperatur für die Anwendung angenommen.
Um eine Übersicht über die Wirkungsgröße des einen oder
anderen hydrotherapeutischen Eingriffes zu haben, gilt es zunächst,
einmal die Anzahl der Temperaturgrade, um welche die Körper-
temperatur gesunken ist, dann aber auch die Zeitdauer der Wirkung
zu bestimmen. Wenn auch nach Liebermeister (12) die Be-
Die Typhnsbewegnng auf der medizinischen Klinik in Kiel etc. 285
Stimmung der Zahl der Temperaturgrade keine ganz genaue ist^
da bei demselben Individuum die Körpertemperatur zu verschie-
denen Zeiten nach der gleichen Wärmeentziehung ein verschiedenes
Verhalten zeigt, lUnd danach der Effekt ein abnorm großer, gleich
Null oder selbst ein negativer ist, so habe ich doch keinen anderen
Weg gefunden, da der von Liebermeister dazu vorgeschlagene :
Berücksichtigung derjenigen Quantität Wärme, welche durch die
einzelnen Prozeduren dem Körper entzogen wird, nicht zu benutzen
ist. Auch glaube ich, da die einzelnen hydriatischen Prozeduren
sich häufig ziemlich gleichmäßig auf 24 Stunden verteilt haben und
ich Mittelzahlen bestimmt habe, diesen Fehler ziemlich ausgeglichen
zn haben.
Vergleiche ich nun von diesem Gesichtspunkte aus die für
Wasserkissen, kalte Bäder und kalte Umschläge gefundenen Zahlen,
so finde ich, daß die temperaturerniedrigende Wirkung bei den
Wasserkissen am größten ist mit 1,9® im Durchschnitt. Die ge-
ringste Temperaturerniedrigung betrug 0,8 ^ die größte 3,8 **, es
folgen dann die kalten Bäder mit den Zahlen 1,3 « (0,4 ® bzw. 2,5 «),
schließlich die kalten Umschläge mit 0,8 ^ (0,4 « bzw. 1,2 «).
Der Temperaturabfall erfolgte bei den Wasserkissen stets viel
langsamer und die Temperaturkurve hob sich auch erst wieder
ganz allmählich, im Gegensatz zu den kalten Bädern, bei denen
tue Temperaturemiedrigung meist eine ganz plötzliche war, um
dann wieder in kürzester Zeit in die Höhe zu schnellen. Die Mitte
zwischen beiden halten die kalten Umschläge.
Die temperaturerniedrigende Wirkung der Wasserkissen über-
wog nun durchaus nicht in allen Fällen, sie zeigte sich wohl bei
*/4 aller Fälle, bei dem Best überwog jedoch die Wirkung der
Bäder, nur in einem Falle die der kalten Umschläge. Die ver-
schiedenen Individuen reagieren eben verschieden auf die einzelnen
Wärmeentziehungen und Eegeln gibt es nicht. Ich habe oft genug
beobachten können, daß manche Kranke nur auf eine der drei
hydriatischen Prozeduren reagierten und daß die anderen ganz
oder fast ganz wirkungslos blieben. Es kommt in jedem Falle auf
ein Probieren und Individualisieren heraus. Was nun die Zeit-
dauer, während welcher die Temperaturerniedrigung nach Anwen-
dung des Wasserkissens bestehen bleibt, betrifft, so finde ich aus-
nahmslos die Wirkung viel andauernder als bei Bädern oder Um-
schlägen. Die Zeit schwankt — in Stunden angegeben — zwischen
4'/3 und 17 und beträgt im Durchschnitt 8,9 Stunden. Sie über-
traf die bei Bädern und kalten Umschlägen gefundenen Zahlen
286 XV. Pfeiffer
meist um ein Beträchtliches. Sie betrug bei Bädern 2,2, bei kalten
Umschlägen 2,1 Stunden im Durchschnitt. Nach den oben ge*
machten Befanden wäre also ein Wasserkissen nur ^^4mal so oft
anzuwenden als Bäder. So kommt es, daß die Bäder 2 — 8 mal täg-
lich angewandt werden mußten und die Patienten bis zu 47 Bäder
.während des Typhus erhielten, während die Wasserkissen meist
1—2, seltener 3 mal täglich neu gefüllt werden mußteu und die
Zahl der Füllungen des Wasserkissens höchst selten über 10 — die
höchste Zahl ist 17 — während des ganzen Krankheit^verlaufes
hinausging.
Es ergeben sich die Vorzüge des Wasserkissens von selbst in
den Fällen, wo nicht genügend Personal zur Hand ist, aber auch
überall da wird man sie trotz der Bademöglichkeit anwenden, wo
von den Patienten das häufige Baden unangenehm empfunden wird,
sei es, daß sie über Schwäche oder starken Frost, der auch im Bette
nicht weichen will, klagen, sei es, daß man ihnen die Nachtruhe
durch allzu häufiges Baden nicht stören will In die Augen
springend ist der Vorzug der Wasserkissen namentlich vor Bädern,
aber auch vor den häufig gewechselten kalten Umschlägen überall
da, wo es gilt, die Patienten vor jeder stärkeren Muskelanstrengung
oder Bewegung oder dergleichen zu schützen und wo man dennoch
temperaturerniedrigend wirken will, also namentlich bei Darm-
blutungen, Peritonitis, gi'oßer Herzschwäche, Thrombose und der-
gleichen. Daß man bei Lagerung auf Wasserkissen drohendem
Dekubitus vorbeugen kann, ist ja selbstverständlich.
Meist wird auch von den Kranken das Wasserkissen angenehmer
empfunden als Bäder und Umschläge. Führt die anfangs einsetzende
intensive Wärmeentziehung zu starkem Frieren, so kann man durch
ein unter den Patienten gelegtes Wollstück diesem entgegenwirken.
Trotz aller dieser Vorzüge kann und soll aber die Wasser-
kissenbehandlung die anderen hydriatischen Prozeduren nicht etwa
ersetzen.
Der primäre Kältereiz auf die Haut mit seinen mannigfachen
Wirkungen ist bei Wasserkissen räumlich und zeitlich viel be-
schränkter als bei Bädern und Umschlägen. Das kalte Bad bleibt
für alle die Fälle übrig, wo es gilt, auf die etwas somnolenten
Kranken einen energischen Reiz auszuüben, wo es gilt, die Be-
nommenheit zu beseitigen, durch energische Anregung der Respi-
ration die Kranken zu tiefen Atemzügen zu veranlassen und so
Komplikationen vorzubeugen oder schon bestehende (wie z. B. ge-
ringe Hypostasen) zu beseitigen.
Die Typhusbewegnog auf der mediziuischen Klinik in Kiel etc. 287
Literatur.
1. Goth, Die Typhnsbeweg^nng: auf der medizinischen Klinik in Kiel in den
letzten 15 Jahren. Dissertation Leipzig 1886 und Deutsch. Arch. für klin.
Medizin 39. Bd. S. 140.
2. Bockendahl, Generalbericht für Schleswig-Holstein für das Jahr 1882,
1888 S. 58 und 59.
3. Pfeiffer, Pleuritis im Verlaufe von Typhus abdominalis. Deutsch. Archiv
ftbr klin. Medizin 74. Bd. S. 244.
4. Stühlen, Über typhöse Meningitis. Berl. klin. Wochenschr. 1894 Nr. 15.
ö. Ebermaier, Über Knochenerkrankusgen bei Tvphus. Deutsch. Archiv für
klin. Medizin 44. Bd. 1889 S. 140.
6. Quincke, Über Spondylitis typhosa. Mitteilung aus den Grenzgebieten der
Medizin und OMrargie IV. Bd. 1898.
7. Klein, Ostitis typhosa. Dissertation Kiel 18%.
8. Grunow, Anwendung subkutaner Gelatiueinjektion zur Blutstillung. Berl.
klin. Wochenschr. 1901 Nr. 32,
9. Schultz, Beitrag zur Statistik des Typhus abdominalis. Jahrbücher der
hamburgischen Staatskrankenanstalten. I. Jahrgang 1889.
10. Berg, Ein Beitrag zur Tvphusstatistik. Deutsches Archiv für klin. Medizin
54 Bd. 1895 S. 161.
11. Quincke, Ll>er Abkühlung mittels Wasserkissen. Deutsche medizin.
Wochenschr. Nr. 18 1884.
12. Liebermeister, Handbuch der Pathologie und Therapie des Fiebers. 1875.
XVI.
Aus der Universitäts-Kinderklinik Heidelberg.
(Direktor: Prof. 0. Vierordt)
Über Psendoaszites als Folgeznstand chronischer Enteritis.
Von
L. Tobler,
1. Assistenten der Klinik.
(Mit 9 Abbildungen.)
Auf die Anwesenheit freier Flüssigkeit im Peritonealsack pflegt
man zu schließen, wenn sich bei der Untersuchung des Abdomens
neben dem Symptom der Undulation eine Dämpfung der tiefst ge-
lagerten Teile findet, die bei Lagewechsel des Patienten derart
verschieblich ist, daß sich ein Dämpfungsbezirk nach jeweiliger
Hochlagerung aufhellt.
Manches andere kann das klinische Bild des Aszites vervoll-
ständigen. Bei höheren Graden von Flüssigkeitsansammlung ist
der Leib vergrößert. Die Zunahme prägt sich bei horizontaler
Rückenlage am meisten in den Flanken aus. Durch die auf den
abhängigen Partien lastende Flüssigkeitsmenge scheint das Ab-
domen in die Breite gedrückt und neigt dazu, nach der einen oder
anderen Seite überzufallen. Die Be^vegung des flüssigen Inhaltes
kann als Schwappen sichtbar werden. Die Haut ist straff, prall^
glänzend; Venenzüge zeichnen sich auf ihr ab; es können sich
selbst Striae ausbilden. Der Nabel ist verstrichen oder als nach-
giebigster Teil bläschenförmig vorgetrieben.
Durch all das kann sich der Aszites von anders bedingten
Auftreibungen des Abdomens unterscheiden. Immerhin bleiben die
Kardinalsymptome: die bei Lagewechsel verschiebliche Dämpfung
und die Undulation.^) Durch sie scheint das klinische Bild des
1) Es empfiehlt sich, wie auch Sahli hervorhebt, scharf zu unter-
scheiden zwischen den Begriffen Undulation und Fluktuation. Fluktuation
über Pseudoaszites als Folgezustand chronischer Enteritis. 289
Aszites ungemein cbarakteristisch und seine Diagnose gilt im all-
gemeinen mit Recht als einfach.
Allein vielfache Erfahrungen, insbesondere von chirurgischer
and anatomischer Seite haben längst zur Vorsicht gemahnt. Man
macht immer wieder die Erfahrung, daß auch die ausgesprochensten
Aszitessymptome vor diagnostischen Irrtümern nicht schützen.
Denn wenn einerseits, wie Friedrich Müller^) gezeigt
hat, schon ganz erhebliche Flüssigkeitsmengen sich dem klinischen
Nachweis überhaupt entziehen können, so können andererseits
aszitische Symptome auf andersartiger Grundlage nachgeahmt
werden. Um so mehr als auch echte, peritoneale Flüssigkeitsergüsse
durch asymmetrische Dämpfungsform oder eingeschränkte Beweg-
lichkeit vom typischen Schema abweichen können; dergleichen
kommt nicht nur bei Adhäsionen einzelner Darmschlingen, sondern
auch ohne solche bei starker Gasfällung und gespannten Bauch-
decken öfter vor.
Schon einfach fettreiche oder ödematöse Bauchdecken können
durch ihr Erzittern beim Beklopfen dem Ungeübten Undulation
vortäuschen. Vermehrte Schwierigkeit machen bisweilen präperi-
toneale Abszesse oder Lipome. Dämpfungen von verschiedener
Ausdehnung und mehr oder weniger starker Beweglichkeit können
durch Tumoren der Darmwand oder solche, die aus der Tiefe
kommend den Darm zur Seite schieben, bedingt sein. Oder sie
haben im Vorhandensein einer großen Menge leerer, kontrahierter *^)
oder gefüllter Darmschlingen ihren Grund.
Erhebliche diflferentialdiagnostische Schwierigkeiten machen
große, zystische Tumoren der Abdominalorgane, wie sie am
häufigsten von den weiblichen Genitalien, aber auch (wie in einem
Fall unserer Beobachtung) vom Mesenterium ausgehen. Die feinere
im engeren Sinne bedeutet die Fortleitung langsamer Druckbewegungen, wie sie
Flüssigkeitsansammlungen in allseitig abgeschlossenen Hohlräumen mit elasti-
scher Wandung abgeben. Eine ähnliche Empfindung gibt auch die normale
Luftfüllung der Därme. Unter der für Aszites charakteristischen Undulation ver-
stehen wir dagegen die Fortleitung kurzer Stoßbewegungen, die die aufgelegte
Haud als Wellenanschlag empfindet. Undulation kommt nur dann zustande, wenn
die bewegte Substanz eine gewisse Masse und Trägheit besitzt. Sie ist am
deutlichsten bei großen Flüssigkeitsmengen in nicht zu straif gespannter Um-
wandung und besonders da, wo neben der Flüssigkeit Gas im Räume vorhanden
ist. Diese drei Umstände machen das Symptom in so hohem Maße für Aszites
pathognomonisch .
1) F. Müller, Berl. klin. Wochenschr. 1895 Nr. 13 S. 278.
2) 1. c.
290 XYL ToBUB
Differentialdiafl^nostik dieser Znst&nde soll hier nicht beräcksichtigft
werden. Die kranialwärts konvexe, ongewöbnlich scharf begrenste
D&mpfuDgsfigur, Reste von Tympanie in den Seiten, schlechter
Lagewechsel geben neben der Lokaluntersnchnng der Oenltal-
organe manchen Anhaltspunkt.
Schwieriger als in allen eben erwähnten Fftllen kann die
Differentialdiagnose gegen Aszites werden bei Zuständen, über die
wir in der uns bekannt gewordenen Literatur Angaben fast voll-
ständig vermissen. Und trotzdem sind nach unserer Erfahrung
diese Fälle nicht allzu selten; wir hatten in den letzten Jahren
nicht weniger als 5 mal bei Kindern Gelegenheit, die von interner
Seite auf peritonitisches Exsudat gestellte, vom Chirurgen bestätigte
Diagnose bei der operativen Eröfifhung der Bauchhöhle als irrig
zu erkennen. Die Erscheinungen waren durch flüssigen
Darminhalt bedingt.
Die Lehrbücher der Diagnostik erörtern die differentialdia-
gnostischen Schwierigkeiten dieser Zustände nicht, ja, erwähnen
kaum ihr Vorkommen. Nur Sahli*) spricht ganz kurz von um-
schriebenen Dämpfungen durch Ausfüllung von Darmteilen
mit flüssigen oder festen Massen.
Friedrich Müller*) fand bei Perkussion gesunder Menschen
häufig Dämpfungen im unteren Teil des Abdomens. Sie waren
am häufigsten in der Regio iliaca und hypogastrica. Ihre Be-
grenzung war meist nach oben konvex. Sie erreichten öfter Nabel-
höhe, ließen aber rechts die Regio lumbalis in der Regel frei. Die
Dämpfung war meist relativ mit tympanitischem Beiklang. Sie
verschwand nicht (wie mäßiger Aszites) bei tiefem Eindringen des
Fingers und zeigte unvollkommenen Lagewechsel. Gegen Flüssig-
keit in der Bauchhöhle sprach ihr rasches Verschwinden, oft im
Laufe eines Tages. Gegen die Annahme voller Darmschlingen
macht Müller geltend, daß Dünndarmschlingen kaum je aus-
schließlich mit fest flüssigem Inhalt gefüllt sind. Das Abdomen
war in der Mehrzahl der Fälle flach, gasleer. Müller erklärt
seine Befunde durch die Annahme leerer, kontrahierter Daim-
schlingen. Kr empfiehlt öfter wiederholte Untersuchnng.
Auch den Autoren, die sich mit der Diagnose der tuberkulösen
Peritonitis beschäfti<rt haben, scheint dem unseren ähnliches Ma-
1^ Sfthli, Lehrbiuli der kliii. rntersuchungsmethoden III. Aufl. 190^
S. 2Ü7.
2. 1. c.
über Pseudoaszites als Falgezii^ftand chronischer Enteritis. 291
terial nicht vorgel^eii zu haben. Nur NothuageP) erw&hnt,
daß peritonitische Exsudate vorgetäuscht werden können, wenn
sich mit flüssigem Inhalt gefüllte, leicht * bewegliche Dünndarm-
schlingen beiderseits in die Flankengegend gesenkt haben. Docb
glaubt Nothnagel diagnostischen Irrtümern leicht entgehen zu
können, weil mit Flüssigkeit gefüllte Darmschliugen eine spezifische,
„schwappende" Empfindung geben. — Wir haben einerseits bei zu-
rückgehendem Aszites ausgesprochenes Schwappen öfter konstatiert.
Andererseits fanden wir typischen, kurzen Wellenschlag bei fehlenr
dem Aszites.
Unter diesen Umständen folgte ich mit Interesse der Anregung
meines verehrten Chefs, dem ich an dieser Stelle meinen Dank
aussprechen möchte, das einschlägige Material einer genaueren
Beobachtung und Sichtung zu unterziehen. Ich fand dabei eine
so weitgehende Übereinstimmung der untersuchten Fälle bezüglich
Ätiologie, Befund und Differentialdiagnose, daß ich glaube, das
Erankbeitsbild oder den Symptomenkomplex des
• Pseudoaszites bei gewissen Formen chronischer En-
teritis einigermaßen abgrenzen und beleuchten zu können. Es
handelt sich um Zustände, die in sehr verschiedenem Grade aus-
geprägt sein können. Am einen Ende der Reihe stehen Fälle, bei
denen diagnostische Reserve auch weiterhin am Platze sein dürfte;
am anderen solche, die nur entfernt und vorübergehend an Peri-
tonealergüsse anklingen. Gerade die letzteren sind zur Aufklärung
der ersteren geeignet.
Um uns bei den folgenden Erörterungen auf hinreichendes
Material beziehen zu können lassen wir zunächst eine Anzahl typi-
scher Krankengeschichten folgen:
1. Katharina H., Landwirtakind, Daaaberg, 7 Jahre alt, Ein-
trittstag: 8. Mai 1902.
Anamnese: Keine hereditäre Belastung; 3 Geschwister sind an
Lmigenentsündang gestorben. 1 Schwester von 11 Jahren gesund.
Patient ist 1 Jahr lang an der Brust ernährt; rasche Entwiok-
luig) Laufen mit ^j^ Jahren.
Herbst 1901: Scharlach; seither Durchfälle, „dünn wie
"Wasser", übelriechend; Kollern und Plätschern im Leib, öfter auch
Leibschmerzen.
Seit längerer Zeit Husten, Auswurf, schlechter Appetit. Patient
1) Nothnagel, Handbuch der spez. Patholog. u. Therap. Bd. 17. Tuber-
kulöse Peritonitis.
292 XVI. TOBLSB
hinkt seit dem 2. Jahr auf dem liDken Fuß; derselbe war immer ange*
Bchwollen und schmerzhaft.
Status praesens: Gut entwickelt, leidlicher £mährang8zustand.
Etwas müder Gesichtsaasdruck. SkrophulÖser Habitus, dicke Oberlippe,
breiter Nasenrücken. Haut und angrenzende Schleimhäute ohne Be-
sonderheit. Zunge feucht, rein.
Nasenatmung etwas behindert. Adenoide Vegetationen im Rachen
und Nasopharynx.
Zahlreiche Lymphdrüsen vergrößert fühlbar.
Die Knöchelgegend links außen verdickt; weiche, nicht schmerz-
hafte Geschwulst. Bewegung wenig behindert; geringes Hinken.
Puls 96, mittelvoll, regelmäßig.
Atmung frei.
Temperatur: nicht erhöht.
Herz: normale Grenzen, reine Töne.
Lungen: in normalen Grenzen verschieblich. Ein grober, scbDur-
render Rhonchus überall hörbar. Kein Hustenreiz.
Abdomen: mäßig stark vorgewölbt, gleichmäßige Konfiguration :
ziemlich weich. Keine sichtbaren Venenztige. Größter Umfang (unter-
halb des Nabels) 59 cm. Falpation nicht schmerzhaft, keine Geräusche.
Vom Nabel nach abwärts an Intensität zunehmende Dämp-«
fung. Grenze nach oben nahezu geradlinig, links etwas
höher reichend als rechts. Bei Lagewechsel ist die
Dämpfung verschieblich. Doch ist die Aufhellung links unvoll-
kommen. Im Stehen steigt die Dämpfungsgrenze an. Aus-
gesprochenes TJndulationsgefühl, besonders stark nach dem
Aufrichten.
Leber und Milz nicht vergrößert. Kein Fluor.
Per rectum fühlt man den Douglas vorgewölbt; keine Tumoren,
keine Stränge.
Stuhl: geformt.
Urin: vermehrtes Indikan.
Im weiteren Verlauf der Beobachtung blieb der physikalische Be-
fund am Abdomen durchaus unverändert. TJndulation war bald mehr,
bald weniger ausgesprochen, fehlte niemals ganz. Die Beweglichkeit der
Dämpfungszone war zeitweise stärker.
Der Stuhl war meist angehalten, geformt, lehmfarben ; 5 Tage lang
wurden Abführmittel gereicht; es erfolgten flockige dünne Entleerungen;
der objektive Befund am Abdomen blieb unbeeinflußt. Dadurch ge-
wann die Diagnose einer tuberkulösen exsudativ-adhäsiven Peritonitis an
"Wahrscheinlichkeit. Da die bisher befolgte Therapie (Diät, Einreibungen
mit Schmierseife und TJnguent. ein.) ohne jeden Einfluß blieb, wurde am
3. Juni zur Laparotomie geschritten (Hofrat Lossen). Das
Peritoneum wurde in der Linea alba in einer Ausdehnung von 5 cm
geöffnet. Es fand sich keine Spur von Erguß. Das Bauch-
fell sowie die Därme waren völlig normal, glatt, dünn.
Die Wundheiiung war komplikationslos. Es trat etwas Meteorismo»
auf. Der Bauchumfang stieg auf 63 cm.
über Pseudoaszites als Folgezustand chronischer Enteritis. 293
Am 25. Jani wurde Patient entlassen. Gewichtszunahme in der
letzten Woche 1150 g.
Später sahen wir das Kind noch zu wiederholten Malen; zuletzt im
Februar 1904: es sah gesund und blühend aus, war bei gutem Er-
nährungszustand und frei von Beschwerden. Das Abdomen noch immer
stark gewölbt; die unteren Abschnitte am stärksten ausgedehnt und etwas
resistent. Deutliche Undulation. Umfang: 56 cm. Im Liegen absolute
Pämpfung, begrenzt durch eine von der rechten Spina ant. sup. über den
Nabel nach dem linken Rippenbogen ansteigende Linie. Im Stehen stellt
sich ein annähernd horizontales lüiveau her.
Stuhl im allgemeinen fest, ab und zu starke Durchfalle.
2. Fritz D., Kaufmannskind, Dürkheim. 5^/^ Jft^fe alt. Ein«
tritt 8 tag: 14. November 1898.
Anamnese: Aus gesunder Familie. Normale Geburt und Ent-
wicklung. Früher gesund.
Seit dem 2. Lebensjahr beständig rezidivierende
Durchfälle, die ohne dauernden Erfolg diätetisch und medikamentös
(Tannalbin) behandelt wurden. Seit P/^ Jahren bemerken die Eltern
abnorme Zunahme des Leibes. Nach reichlicher, dünner Ent-
leerung ging öfter die Auftreibung etwas zurück. Letzte Durchfall-
periode im August 1898.
Status praesens: in der Entwicklung stark zurückgebliebener
Junge; welkes gelbliches Aussehen; müder Gesichtsausdruck; schlaffe
Muskulatur, geringer Fanniculus adiposus. Kein Fieber, Puls gegen 120.
Haut trocken; Knochen zeigen rhachitische Veränderungen: einzelne
Lymphdrüsen geschwollen. Zunge feucht, rein.
Zartes, akzidentelles Herzgeräusch. Lungengrenzen: vorn V. Kippe,
hinten X. Brustwirbel
Abdomen: abnorm ausgedehnt, im Stehen überhän-
gend, weich, schmerzlos. Nabelumfang 59 cm. Keine abnormen
Besistenzen. Deutliche Undulation und Fluktuation. Im
unteren Teil des Abdomens absolut gedämpfter Schall;
Grenze desselben im Liegen horizontal, d. h. nach oben
konkav. Beim Aufrichten steigt sie an bis 2 Finger breit
oberhalb Nabelhöhe. Bei rechter Seitenlage Aufhellung
links; rechts langsame und unvollkommene Yerschieb-
lichkeit.
Urin: ohne pathologischen Befund. Stuhl: dickbreiig; in den
nächsten Tagen zahlreiche, dünne Stühle; im übrigen der Befund ganz
unverändert.
Am 25. November Laparotomie (Geh. - Rat C z e r n y). 6 cm
langer Schnitt unterhalb des Nabels bis nahe an die Symphyse. Es
finden sich nur Spuren von serösem Exsudat. Nichts auf
Tuberkulose Verdächtiges. Die ödematös geschwollen aussehenden Därme
werden abgesucht, eine verdächtige Stelle zur mikroskopischen Unter-
suchung exidiert. Der etwas adhärente Blinddarm wird gelöst, der Pro-
cessus vermiformis exstirpiert. Naht. Reaktionslose Heilung.
In den folgenden Wochen mehrmals starke Durchfälle. Geringe
3Ö4 XVI. TOBLBR
Oefwiohtssiiiiahnie. Objektiver Befand anvArÜndert. Am 12. Deeember
entlassen.
Januiar 1904 berichtet der Yater» i%ä der Knabe seit der £at-
lififiuftg vollBt&ndig gebeilt »ei und «ich sehr gut entwickelt habe.
3. Elise F., Heiserskind, Walldorf, 9 Jahre alt. Eintrittstag
13. November 1900.
Anamnese: Familie des Yatere mit Toberknlose belastet. Ftt
hat 6 gesunde Geschvrister.
Geburt normal. \/^ Jahr an der Brust ernXhrK Im 1. Jahr kränk«
lieb. Laufen mit 1^/^ Jahren.
1894 Masern. Seit 1895 langsam zunehmender Leibes-
umfang, schlechter Appetit, DurohfftUo. Doch besuchte Fat.
die Schule bis Mitte Oktober. Seither etwas Husten, allgemeine Mattig*
keit. Stuhl in letzter Zeit geordnet.
Status praesens: Leidlich entwickelt , geringes Fettpolster,
dftrflige iMuskulatur.
Temperatur B6^ (Hatttabaaeß).
Puls: 138, eiemlich klein, weich.
Haut: blaß, trocken, welk. Lymphdrüsen: am Hals und in der
Axilla palpabel. Schleimhäute blaß.
Geringer Hochstand des Zwerchfells; abklingende, sfih-
feuchte, grobe Bronchitis. Hers: ohne Besonderheit.
Abdomen: Symmetrische Anftreibung der untere]^
Partie. Nabelumfang 61 cm. Peristaltische Bewegungen auf Be-
klopfen. Wenig Termehrte Resistenz, keine Drttsentumoren fühlbar;
schmerzlos.
Dämpfungbis in Nabelhöhe, die sich bei Lagewechsel
in den Seiten aufhellt. Beim Stehen der Leib voller, die
Dämpfungsgrenze ansteigend, horizontal« Deutliche
XJndulation.
Stuhl und Urin ohne Besonderheit.
Im Verlauf von 5 Wochen änderte sich der Abdominal befund kaum,
auch nicht auf Darreichung von Abführmitteln, Die Dämpfungstone
meist unvollkommen verschieblich. Stuhl meist reichlich , lehmfarbes
oder salbenartig.
Am 18. Dezember Laparotomie (Hofrat Lossen). Eröffnung
in der Linea alba im Bereich der Dämpfung. Es entleeren sich
nur einige Tropfen Flüssigkeit. Peritoneum unverändert,
keine Adhäsionen. — Naht.
In den folgenden Tagen bei sehr knapper Kost und leidlichen Ent>
leerungen, der Leib entschieden dünner. Doch besteht Dämpfung der
abhängigen Teile fort. — 1 kg Gewichtsverlust.
Am 16. Januar entlassen. Weitere Nachrichten fehlen.
4. Anna W., Schmied.skinJ, Kirchheim, 8 Jahre alt, Eintritts*
tag 18. August 1897.
Anamnese: Tuberkulose in der Familie der Mutter. Pat. war
früher immer gesund aber von jeher zart und mager.
über Psendoaszites als Folgesustand chronischer Enteritis. 295
Angeblich mit 10 Tagen Appetitbläigkeit; Dickerwerdea des Leibes.
Kaebts äohweiße» Kaia Fieber^ kein LeibBcbmerz. Starke Abmagerong.
Siatni pracsene: Ordentliob entwickelt; dttrftiger Emährangs*
snttand.
Temperatur: Remittiarendes Fieber bi» an 89,7 <>. Puls: 120--ld0.
Hant bräunlich) in Falten abhebbar. Muskulatar dürftig, multiple
Lymphdrüsenschwellungen.
Schleimhäute blaß; Zunge belegt; Rhagaden an der Nase.
Knochan nicht rhachitisch. ^ktatische Venen an Brust und Bauch.
Sichtbare Herzpulsationen im II. — IV. Interkostalraum. Grenzen:
reohtar Stemalrand, II. Interkostalraum, Mamillarlinie. 1. Ton an der
Spitze dumpf, 2. Fulmonalton akzentuiert. Geringer Hochstand des
Zwerchfelles. Langen ohne Beeonderheit
Abdomen: gleichmäßig aufgetrieben. Nabelumfang 66 cna
Kein PalpationseohmerZy keine Knoten oder Stränge fühlbar. Ver*>
mehrte Resistenz; mäßig deutliche TJndulation. B Finger
breite nach oben halbkreisförmig begrenzte Dämpfung^
die in Seitenlage vollständig verschieblich ist, imStehea
bis Nabelhöhe anwächst.
Leber und Milz nicht fühlbar. Stuhl und Urin ohne Besonderheit
Am 22. August in der linken Pleurahöhle kleines, klares Exsudat.
24. August. Laparotomie (Hofrat Lossen). 6 cm langer
Schnitt in der Linea alba dicht unterhalb des Nabels. Im Peritonea 1-
raum nirgends flüssiges Exsudat. Das Peritoneum stellen»
weise verdickt; keine Knötchen. Därme zum Teil durch fibröse Stränge
verwachsen. Einige davon werden stumpf gelöst.
8 Tage nach der Operation fand sich im Liegen keine Dämpfung.
Erat nach und nach trat dieselbe wieder auf. Am 11. Oktober wurde
Patient gebeilt entlassen.
Im Januar 1904 schreibt der Vater, daß es dem Kinde seit
jener Zeit voliständlg gut gehe.
5. Anna K., Schlosserskind, Heidelberg, 4 Jahre alt. Eintritts-
tag: 14. April 1903.
Anamnese: Von mütterlicher Seite schwer mit Tuberkulose be-
lastet; 2 gesunde Geschwister.
Normale Geburt, 5 Monate an der Brust ernährt; etwas verzögerte
Entwicklung. 1901 Keuchhusten, 1902 Masern. Seither kränk-
lieh; öfter Erbrechen und Durchfall; Abmagerung, Müdig-
keit, Husten.
Status praesens: Sehr klein, körperlich unentwickelt. Leid-
licher Emährungsaustand bei Zeichen mäßiger Abmagerung. Körper-
gewicht 9100 g. Remittierendes Fieber mit abendlichen Spitzen
bis 39 0 ; Puls 80, kräftig, regelmäßig.
Haut trocken , schlaff. Etwas anämisch. Conjunctivitis
phlyctaenulosa. Zunge rein. Rhachitische Knochenverän-
derungen.
Geringer Hochstand des Zwerchfells. Zähfeuchte Bronchitis mit
vorwiegender Lokalisation im rechten Oberlappen.
296 XVI. TOBLBB
Abdomen stark aufgetrieben, beim Liegen seitlich,
beim Stehen vorn überragend; weich, schmerzlos, un-
deutliches Undulationsgefühl, Schwappen. Horizontale,
(nach oben konkav begrenzte) Dämpfung der abhängigen
Teile bis 3 cm unterhalb Nabelhöhe; die Dämpfung ist
bei Lagewechsel ziemlich gut verschieblich, steigt im
Stehen zu Nabelhöhe an.
Stuhl geformt; Urin ohne besonderen Befund.
Bis zum 8. Mai wurde Patient in der Klinik beobachtet. Der Ab-
dominalbefund wechselte stark. Unter diätetischer Behandlung wurde
der Leib kleiner, die Dämpfung ging zurück, stieg aber oft unvermutet
wieder zur alten Höhe an.
Wiederaufnahme am 21. Oktober. Patient litt seit 3 Wochen
an Durchfall, hatte 6 — 8 dünne, stark schleimige Stühle pro Tag,
mehrmals Blutbeimengungen. Leibschmerzen, Stuhldrang.
Status praesens: Fieberlos, leichte Bronchitis. Der Abdo-
minalbefund genau wie vor 5 Monaten. Etwas unregelmäßig
begrenzte, ziemlich verschiebliche Dämpfung der ünterbauchgegend bis
in Nabelhöhe. Dieselbe bleibt trotz Abführmitteln in etwas veränderter
Form und G^röße in den nächsten Wochen bestehen ; ihr Verhalten wird
genauer auf Seite 300 dargestellt. Im Stehen wird ündulation vor-
getäuscht. Stühle dünn, schleimig, keine Tuberkelbazillen.
Es stellten sich im weiteren Verlauf schwerere Erscheinungen von
Seiten der Lungen und Fieber ein, so daß eine Lungentuberkulose an-
genommen wurde.
29. Oktober trat Ikterus auf, der nach 8 Tagen verschwand.
27. November beginnen de meningi tische Zeichen, die bald
in den Vordergrund treten.
Am 18. Dezember Exitus. (Das Sektionsergebuis auf Seite 305.)
6. Maria E.., Arbeiterskind, Wieblingen, 4 Jahre alt. Ein-
trittstag: 20. Oktober 1903.
Anamnese: Vater lungenkrank, Mutter und deren Familie
gesund.
Patient ist einziges Kind, wurde ^/^ Jahr von der Mutter gestillt,
soll sich sehr gut und rasch entwickelt haben. Seit Beginn des
2. Lebensjahres erhielt Patient gemischte Kost ohne Auswahl und soll
auffallend viel gegessen haben. Bisher keine ernstliche Erkrankung.
Seit längerer Zeit fällt Dickwerden des Bauches auf.
Vor 6 Wochen Gelbsucht. Seither ist der Leib neuerdings stark ge-
wachsen Und hart geworden. Patient soll mehrmals vorübergehend an
Durchfall gelitten haben. Öfter Leibschmerzen; Appetitlosigkeit
Vom Arzt eingewiesen mit der Diagnose: tuberkulöse Peri-
tonitis.
Status praesens: Kleines, mäßig genährtes Kind; etwas anä-
misch, fieberfrei. Puls 130, klein. Zunge dünn belegt. Keine Rha-
chitis.
Hochstand des Zwerchfells, geringe zäbfeuchte Bron-
chitis.
über Pseudoaazites als Folgezustand chronischer Enteritis. 297
Abdomen: stark, gewölbt, symmetrisch aufgetrieben.
Undeutliche Yenenzeichnnngen iu den unteren Teilen
der Bauchhaut. Bauchdecken gespannt, gleichmäßig
vermehrte Resistent, keine Tumoren fühlbar. Aus-
gesprochene ündulation. Im Liegen beginnt finger-
breit unter dem Nabel absolute Dämpfung ra^it quer
•gegen die Darmbeiuschaufel verlaufender Grenze. Bei
Lagewechsol in den Seiten langsame Aufbellung. Im
8 tehei^ steigt die Dämpfung uip B cm an. Oberhalb laute
Tympanie, die die Leber größtenteils überlagert.
Im Urin starker Indikangehalt.
Stuhl dickbreiig, grau, glänzend. Mikroskopisch mit Fettröpfchen
übersät, die beim Erwärmen deutlicher und größer werden.
Am nächsten Tag war der Abominalbefund vollkommen verändert:
der ganze Leib weich, eindrückbar, keine Ündulation, überall tympaniti-
scher Schall. Im weiteren Verlaufe der Beobachtung trat die Dämpfung
in verschiedener Gestalt und Größe immer wieder auf; sie war durch-
weg abends deutlicher als in der Frühe. Die Stühle erhielten unter
fettarmer Diät normales Aussehen ; es bestand meist Neigung zu Obstipation.
Entlassung am 8. November 1903.
7. Felix L. , Handwerkerskind, Friedrichsfeld, 2^/^ Jahre alt.
Eintrittstag: 20. Oktober 1903.
Anamnese: Aus tuberkulöser Familie. 6 gesunde Geschwister.
Patient ist 7. Kind; war bei der Geburt groß und kräftig. Erhielt
eiüige Monate lang die Mutterbrnst, dann Kuhmilch, mit 1 Jahr ge-
mischte Kost am Tisch.
Litt von jeher an Erbrechen und Durchfall. Seit Herbst
.1902 leidendes^ schlechtes Aussehen, Abmagerung. Seit 8 Wochen
wieder schwerer Darmkatarrh, der mit Medizin und Knfek^'a
Hehl behandelt wurde. Schon lange ist der Leib dick. Laufen und
Sprechen hat Patient wieder verlernt. Stuhl immer dünn, sehr häufig.
Status praesens: Schlecht entwickeltes, kachektisch und anä-
misch aussehendes Kind; malt, teilnahmlos. Fieberfrei. Puls 92, klein,
fihachitischer Knochenbau, geringe Drüsenschwellungen. Zunge dünn belegt.
Herz und Lunge normal.
Abdomen: Vergrößert, seitlich vorgewölbt, Diastase
der Kekti; Darmkonturen sichtbar; weich, keine Tumoren,
keine Ündulation. In der unteren Hälfte des Bauches eine
Dämpfungszone, die von einer Spina iliaca zur anderen
über den Nabel zieht. In den Seiten tympanitischer Beiklang;
beträchtliche Verschieblicbkeit bei Lagewechsel ; im Stehen nicht wesent-
lich ansteigend. Mil2 und Leber nicht vergrößert.
Die Dämpfung verhielt sich in den folgenden Tagen wechselnd.
Die Stuhlentleerungen waren vermehrt, meist etwas dünn, sehr
massig, anfangs glänzend, fettig, später mehrmals schleimig.
Am 9. November Entlassung; die Dämpfung war in den letzten
Tagen verschwunden, der Stuhl geformt.
Deutsches Archiv f. klin. Medizin. LXXX. Bd. 20
298 X^- ToBLsi
AUea beschriebenen Fällen gemeiasam ist ein AbdomiiialbefaDd,
der an Aszites, insbesondere an die mehr oder weniger frei beweg-
lichen, flüssigen Exsudate bei tuberkulöser Peritonitis erinnert, dem
aber, wie durch Operation und Autopsie erwiesen ist^ ein ganz
anderes anatomisches Substrat zugrunde liegt. Aber nicht bloß in
Abdominalbefand herrscht bei- den mitgeteilten Fällen Übereiostim-
mung: sie bieten auch weiterhin im klinischen Bild und — wie
später gezeigt werden soll — r in Ätiologie und Pathogenese weit-
gehende Analogien und scheiden durch solche aus den bekannten
Zuständen aus. Wir sind geneigt, ihnen den W^rt eines eigenen
Krankheitsbildes beizulegen. Wie sich dasselbe klinisch and speziell
diagnostisch umgrenzt, soll zunächst gezeigt werden.
Befallen waren vorwiegend ältere Kinder, jedenfalls Kinder
jenseits des Säuglingsalters. Der jüngste unserer Kranken war
2^2 J&hre alt, der älteste 9 Jahre. Das Durchschnittsalter ist
ca. 6 Jahre. Mädchen überwiegen in unserem Material stark.
Die Anamnese, unvollkommen und unzuverlässig wie sie bei
Kindern durchweg ist, bietet stets dasselbe, in den einigermaßen
sicheren Angaben übereinstimmende Bild: im Anschluß an kon-
tinuierliche, intermittierende und rezidivierende Durchfälle von
jnpnate- und jahrelanger Dauer beginnt eine allmähliche Volum-
zunabme des Abdomens, die schließlich beunruhigt und die bis
dahin vernachlässigten Kranken zum Arzt fuhrt Mitunter erhält
man Angaben, die auf Überfutterung als erste Schädlichkeit hin-
weisen. Meistens waren die Durchfeile gar nicht oder höchst un-
zweckmäßig mit Stopfmitteln und Mehlen behandelt worden.
Das Allgemeinbefinden der erkrankten Kinder hat durchweg
sqhwer gelitten; die meisten von ihnen sind schwächliche, elende
Wesen von mattem, abgezehrten Aussehen in dürftigem Ernährungs-
zustand, häufig extrem abgemagert. Manche von ihnen sind außer-
dem durch Ehachitis im Wachstum zurückgeblieben und deformiert
oder tragen Zeichen anderer komplizierender Krankheiten. Pakete
geschwollener Lymphdrüsen, tuberkulöse KnochenafFektionen, der
Tuberkulose verdächtige Befunde auf den Lungen weisen oft direkt
auf eine analoge Natur der Abdominalerkrankung hin. Fieber be-
steht in der Eegel nicht, ausgesprochene subjektive Beschwerden
pflegen zu fehlen oder es wird ab und zu über Leibschmerzen
geklagt.
Mit dem abgemagerten, welken Aussehen des übrigen Körpei"S
kontrastiert um so mehr das aufgetriebene, gespannte, unförmliche
Abdomen. Über ihm ist die Haut öfter gespannt, glänzend oder
über Pseüdoaszites all Tdigeznsttaid chronischer Enteritis. 299
schilfernd, der Nabel verstrichen. Veneaztige zeichnen sich auf
der blassen Haiit ab. Beim Stehen hängt der Bauch nicht selten
Tom&ber und bildet hier and da die bekannte qnere Hautfalte
fiber der SymphjTBe. Bei der Bet4istaug ist das Abdomen balloh*
artig gespannt und elastisch, das Besistenzgefühl faäafig in den
unteren Teilen V(^inehrt, besonders in anfreehter Stelinng. In
anderen Fällen aber, ja sogar bei demselben Patienten zn anderer
Zeit, ist der Abdomin albef und ein anderer: der Bauch ist nur
mäßig aufgetrieben, die Decken sind schlaff und lassen Dann-
kontaren sich abzei(Anen. Bei Bewegungen fUlt der Leib mit
schwappender Bewegung zur Seite. In diesem Zustand ist das
Abdomen ffir die Palpation weich-elastisch, in den untren Partien
bänfig von einer ganz eigentümlichen teigig*weichen Resistenz.
Bisweilen kann Plätschern wahrgenommen werden.
ündulation kann in beiden FäJlen T(»^anden sein« Wir fanden
dieses Symptom bei insAer wiederholter Untersuchuag unserer
Kranken in allen Graden der Ausprägung. Den deutlichsten,
kärzesten Wellenanschlag erhält man bei symmetrischen Dämp-
fnngen von beträchtlicher Gröfie bei gleichzeitig erheblicher Span-
nung der Bauchdecken. Letzteres ist wobl der Grund, weshalb
das Symptom auch bei im Liegen schon großen Dämpfungen beim
Aufrichten deutlicber wird. Die Ündulation kann in diesen Fällen
so absolut charakteristisch ausgesprochen sein, daß sie sich in
keiner Weise von der bei wahrem Aszites vorkommenden unter-
scheidet. Es ist ja auch gar nicht einzusehen, weshalb eine mehr
oder weniger homogene, reichliche Flüssigkeitsmenge, die nur durch
nachgiebige, membranöse Septen sozusagen getrennt ist, eine er-
zeugte Wellenbewegung nicht fortleiten sollte. Die Ündulation
kann aber auch vollständig fehlen. Zwischen diesen Extremen
liegen zahlreiche Zwischenstufen: sie kann schwach, träge, nur
eben angedeutet oder merkbar vorgetäuscht sein. Das fortgeleitete
Erzittern der schlaffen Bauchdecken und das eigentliche Schwappen
lassen sich von der wahren ündulation bei einiger Übung mit
großer Sicherheit unterscheiden. Die Fortleitung einer gesetzten
Flussigkeitswelle ist viel rascher, ihr Anschlag viel kürzer und
klopfender als das Andrängen der schwerer beweglichen Gewebs-
massen und ihres vielleicht nicht homogen flüssigen Inhaltes. Die
wahre Flüssigkeitswelle wird mit der Handfläche am deutlichsten
wahrgenommen. Die Fortleitung von Bewegungen der Bauchdecken
dagegen empfindet die dem Ausgangspunkt der Bewegung benach^
20*
300
XVI. TÖBLKB
barte Kante der Hand am deutlichsten. Man tut gut, dem Symptom
der Undolation nicht zu unbeschränkten Wert beizumessen.
Wertvolleren Aufschluß geben die Schall Verhältnisse : sie haltea
sich bei unseren Fällen von Pseudoaszites durchaus an kein Schema,
sondern wechseln nicht nur von Fall zu Fall, sondern bei ein and
demselben Patienten von Tag zu Tag und erhalten eben durch
diese Unbeständigkeit differentialdiagnostische Bedeutung. Man
findet zunächst Dämpfungen, die denen bei freiem Aszites in jeder
Hinsicht entsprechen : eine Region absolut oder stark gedämpften
Schalles beginnt in verschiedener Höhe, häufig oberhalb des Nabels
und nimmt den ganzen unteren Abschnitt des Bauches ein. Die
obere Begrenzungslinie steigt in den Seiten an und entspricht einem
horizontiJen Flüssigkeitsspiegel. Die Dämpfung ist bei Lagewechsel
verschieblich, ganz besonders pflegt sie beim Aufrichten des Patienten
vorne anzusteigen; sie senkt sich nach den tiefsten Teilen mit der
Tendenz, ein horizontales Niveau zu bilden.
In anderen Fällen ist die Begrenzung unregelmäßiger. Man
findet sie häufig nach oben konvex oder auf der einen Seite an-
steigend, auf der anderen absinkend ; oder man ^hält in den Seiten
tympanitischen Beiklang. Auch die Beweglichkeit der Dämpfungszone
kann verlangsamt oder eingeschränkt sein oder auch gänzlich fehlen.
Wir geben im folgenden die schematischen Zeichnungen der Dämp-
fungsfiguren zu verschiedenen Zeiten bei demselben Patienten wieder:
Schematische Zeichnnngen der Dämpfnngszonen zu verschiedenen Zeiten
beim Patienten Anna R. (Nr. 5).
(Perkussion im Liep^en mit leicht erhöhtem Oberkörper. Grenzen absoluter
Dämpfung bei oberflächlicher Perkussion.)
Punktierte Linien bezeichnen das Verhalten der Dämpfungsgrenze in auf-
rechter Stellung.
Fig. 1. Fig. 2. Fig. 3.
29. Sept. abends. In beiden 30. Sept. abends. In rechter 1. Okt. abends. Bei linker
Seiten leicht tympaniti- Seitenlage fast unverän- Seitenlage rechts Aufhel-
scher Beiklang. Bei rechter dert. Inng.
Seitenl. links Aufhellung.
tJher Psendoaszitefi als Folgezüstand chronsicher Enteritis.
301
Fig. 5.
Fig. 6.
5. Okt. abends. Beider- 7. Okt. morgens. Voraus- 7. Okt. abends. Keine Ver-
seitige Dämpfangen etwas gegangen mehrere reich- schieblichkeit nachweisbar,
terschieblich. Sehe dtinne Entleerungen
und 1 Hungertag. Im
Stehen geringer Anstieg.
Fig. 7.
Fig. 8.
Fig. 9.
M
/"
IJL
^- Okt. abends. Seitliche 15. Okt. abends. Undula-
Bämpfangen nicht yer- tion u. Plätschern. Beider-
schieblich. seits die Dämpfungszone
beim Umlagern aufgehellt.
24. Okt. abends.
Aus dem oben Dargestellten geht hervor, daß die Erkennung
unserer Formen von Pseudoaszites vorwiegend au dem Punkte
schwierig wird, wo es sich darum handelt, sie von chronisch-peri-
tonitischen Exsudaten, insbesondere von der Tuberkulose des Bauch-
fells abzuscheiden. Auf diese differential-diagnostische Frage soll
deshalb noch kurz eingetreten werden.
Wenn schon die ganz allmähliche Entwicklung der auffallend-
sten objektiven Veränderungen in beiden Fällen fast absolut iden-
tisch sein kann, so können doch gewisse anamnestische Daten mit
Erfolg zur Diagnose herbeigezogen werden: Fieber — und seien
302 XVI. TOBLt&
es auch nur vereinzelte abendliche Temperatarsteigernngen —
stärkei^, anhaltende Schmerzen, ununterbrochene langsame Ver-
schlimmerung des Zustandes deuten eher auf Peritonitis Md.
Wechsel der Erscheinungen, vorübergeh^der Nachlaß und schab-
weise Verschlimmerung sind bei Pseudoaszites häufigei*. Vor allem
aber hat man sidh nach weiter zurückliegenden Dorchfallsperioden
zu erkundigen. Solche pflegen der Ausbildung des Pseudoaszites
voranzugehen und neue Exazerbationen einzuleiten. Auch die Art
der Durchfälle ist in ausgeprägten Fällen verschieden : bei Peritonitis
tuberculosa wenige, einfach dünne Entleerungen, bei chronischer En-
teritis mit darauf folgendem Pseudoaszites zahlreiche, oft auffallend
reichliche Stühle mit schwereren katarrhalischen Erscheinungen.
Bei der Beurteilung des objektiven Befundes genügt die Kennt-
nis der beschriebenen Zustände um voreilige Diagnosen zu ver-
meiden. Insbesondere lege man dem Symptom der Undulation
nicht zu viel Gewicht bei. Das für zystische Tumoren von Eich-
horst ^) geltend gemachte Verhalten des Wellenschlags scheint im
selben Sinn für unsere Zustände verwertbar: im Gegensatz zum
wahren Aszites fehlt das Symptom oberhalb der Dämpfungsgrenze.
Jede Asymmetrie dieser letzteren, jede Einschränkung der Yer-
schieblichkeit macht weiterhin ein freies Exsudat unwahrscheinlich,
wenn schon auch ganz lokalisierte Adhäsionen einzelner Schlingen
sie verursachen können. Die Beweglichkeit der Dämpfung kasn
bei tuberkulöser Peritonitis beeinträchtigt sein und ist es sehr
häufig bei unseren Fällen von Pseudoaszites. Man tut gut, auch
in starker Beckenhochlagerung zu untersuchen. Die Dämpfung
über der Symphyse pflegt dabei, wenn sie auf Darmfüllung
beruht, nicht zu verschwinden, wohl weil die gefüllten Schlingen
nicht wie ein freier Erguß zwischen den Spalten der gasge-
füllten Därme versickern können. Die Abgrenzung gegen ab-
gesackte Exsudate ergibt sich nur aus dem auffallenden Wechsel
im Laufe der Beobachtung. Ein Exsudat (auch ein freies), kann
wohl innerhalb von Tagen etwas größer oder kleiner erscheinen,
besonders wenn sich seiner Kontur gefüllte Darmschlingen anlegen.
Für den Pseudoaszites ist der Wechsel der Erscheinungen patho-
gnomonisch. Man wird denselben durch vnederholte Darreichung
von Abführmitteln bei gleichzeitiger, knapper Nahrungszufuhr her-
beizuführen trachten. Regelmäßige Aufzeichnung der Grenzen ist
ein Hilfsmittel von nicht zu unterschätzender Bedeutung.
1) H. Eich hörst, Lehrbuch der Diagnostik.
über Pseudoaszites als FolgejEustahd chronischer Enteritis. 308'
Die Untersuchnng^ per rectnm wird Positives wobl nur da
leisten, wo man dui-ch palpable Tnmoren oder Stränge einen An-
halt ffir Tuberkulose gewinnt Im übrigen findet inan eben im
einen wie im anderen Fall den Douglas elastisch vorgewölbt
Das Verhalten der Entleerungen bietet ebenfalls keine wesent-
lieben Anhaltspunkt«. Da wie dort kann Indikan im Urin ver-
mehrt sein. Diarrhöen brauchen, insbesondere beim Pseudoaszites,
nicht vorhanden zu sein. Nach vorausgegangenen Durchfällen kann
ein Stadium eintreten, wo eher Neigung zu Obstipation besteht
Auffallend häufig fanden wir bei unseren Patienten graue, acho*
lische, fettglänzende, salbige Stühle; ein weiterer Beweis, wie
wenig Bedeutung diesem von Berggrün und Katz^) beschrie*
benen Symptom für die Diagnose der Peritonitis taberculosa zu*
kommt
Palpatorische und perkussorische Erscheinungen, die denen
bei Aszites gleichen, sind das auffälligste und regelmäßigste Sym*
ptom bei den beschriebenen Erankheitszuständen. Die Frage, wo-
durch dieselben bedingt sind> ist an Hand unseres Materials leicht
zu beantworten. Operations- und Obduktionsbefunde
haben festgestellt, daß freie Flüssigkeit im Bauch-
raum e fehlte. In der Mehrzahl der Fälle fand sich das Peri-
toneum überhaupt intakt Feste oder zystische Tumoren wurden
nicht gefunden. Da in allen Fällen das Abdomen an Umfang ver-
größert war, können leere Darmschlingen im Sinne MüUer's die
Dämpfungen nicht bedingt haben, ganz abgesehen davon, daß regel-
mäßige Nahrungsaufnahme stattfand. Füllung des Darmes mit festen
Massen pflegt unregelmäßige, zirkumskripte Dämpfungen zu machen
und bietet bei der Palpation tumorartige Resistenzen. Bei be-
stehenden Durchfällen ist aber an diese Ätiologie überhaupt nicht
zu denken. Schließlich weist die so häufig bestehende Undulatiou
direkt und sicher auf Flüssigkeit hin. Kein Zweifel also: Dämp-
fung und zugehörige Symptome waren in unseren
Fällen durch flüssigen Darminhalt bedingt
Damit entstehen neue Fragen. Welche Darmteile enthielten
abnorme Inhaltsmengen? Die Dämpfung fand sich durchweg über
der Symphyse nachweisbar und hier meist am intensivsten. Hier
1) Berggrün n. Katz, Wiener klin. AVochenschrift 1891 Nr. IV.
304 XVI. TOBLU
können wir uns nur Dünndarmschlingen, vorzüglich Ileumteile ge-
lagert denken. An den seitlichen Dämpfungen kann wohl Dick-
darminhalt mitgewirkt haben; ja unter abnormen Mensenterial-
verhältnissen — von denen noch die Rede sein soll — kann auch
ein gesenktes und gefülltes Colon transversum sich zu der in der
Unterbauchgegend entstandenen Dämpfung addieren. Flüssiger
Eoloninhalt muß bei den zahlreichen Fällen mit Diarrhöen sowie-
so angenommen werden
Da aber das normale Abdomen auch bei reichlicher Nahrungs-
aufnahme vorwiegend tympanitischen Schall gibt, entsteht weiter
die Frage, ob unter abnormen Verhältnissen größiBre Darmabschnitte
ganz von^äegend oder ausschließlich mit flüssigem Inhalt ^ftUt
sein können. Daß dies möglich ist, ist uns von der Cholera asiatica
her geläufig. Dort verbindet sich eine massenhafte Sekretion in
den Darm mit fast ausschließlicher Aufnahme von Flüssigkeit per
OS. Der größte Teil dieses Materials enthält zersetzbare, gasbil-
dende StoflFe in nicht nennenswerten Mengen. Mit einer derart
verminderten Gasbildung dürfen wir bei Fällen von chronischer
Enteritis nicht rechnen. Wir können bloß aus der Beschafifenheit
der Fäces vermuten, daß ein Teil der Ingesta (z. B. Fett) unvoll-
kommen — nicht bis zur Bildung gasförmiger Spaltungsprodukte
— verdaut wird. Wir können auch die Sekretion in den Darm
als vermehrt, die Resorption von Wasser vielleicht als vermindert
voraussetzen. Daß im größeren Teil des Dünndarmes Gase über-
haupt fehlen, ist jedoch ganz unwahrscheinlich. Auch die hypo-
thetische Annahme, daß die Gase den geschädigten Darm rascher
passieren als der übrige Inhalt, führt uns kaum weiter.
Die Erklärung liegt wohl weniger in dem Mengenverhältnis
der beiden Bestandteile als in ihrer räumlichen Verteilung. Damit
steht die Beobachtung im besten Einklang, daß in den mitgeteilten
Fällen oberhalb der Dämpfungsgrenze nicht nur hohe und laute
Tympanie bestand, sondern das Abdomen häufig durch den Gas-
druck prall gespannt erschien.
Wir möchten glauben, daß sich in unseren Fällen die jeweilen
mit flüssigem Inhalt gefüllten Abschnitte der Darmschlingen, ja
ganze solche Schlingen nach den tiefst gelegenen Teilen der Bauch-
höhle senkten. Vielleicht ist die im Gefolge chronischer Darm-
katarrhe leicht auftretende motorische Schwäche des Darmes, wie
sie gerade bei Kindern so häufig beobachtet wird, an dem Liegen-
bleiben größerer Inhaltsmengen in abhängigen Schlingen beteiligt
und die Fortbewegung des Darminhaltes überhaupt erschwert und
über Pseadoaszites als Folgezdstand chronischer Enteritis. 306
YerlaDgsamL Adhäsionen der Peritonealblätter^ peritonitische Stränge
können bekanntlich im selben Sinne wirksam sein iind waren es viel-
leicht in unserem Falle Nr. 4.
Man könnte somit zu der Ansicht neigen, daß es sich um eine
Stanang des Darminhaltes handelte und Stuhlentleerung — wie
beim Überlaufen eines gefüllten Gteftßes — nur in dem Maße er-
folgte, als von oben neuer Inhalt nachrückt
Wir haben versucht, dieser Frage experimentell beizukommen ;
die Resultate sind zweifelhaft geblieben; wir sind nicht geneigt,
Schlüsse daraus zu ziehen, um so mehr, als über die physiologische
Daner der Darmpassage beim Menschen wenig bekannt ist.
Den Kranken wurde zu bestimraier Zeit ein Quantum pulyerisierter
Kohle per os zugeführt und die Zeit bis zu deren Erscheinen im Stuhl
heobachtet. Das Resultat war : die Kohle erschien jeweilen schon im
1. oder 2. Stuhl nach der Verabreichung und zwar nach einer Frist
Ton 12 — 19 Stunden. Im Gegensatz zu unseren Erfahrungen bei zahl-
reichen Stoffwechselversuchen bei anderen Patienten fiel auf, daß die
Kohle über mehrere folgende Stühle verzettelt erschien.
Wesentlich für das Zustandekommen der ungewöhnlich aus-
geprägten Sedimentierung der Darmschlingen scheint uns vor allem
ein weiterer Umstand zu sein. Lange bevor wir Gelegenheit hatten,
uns durch den Augenschein davon zu überzeugen, hatten wir ver-
mutet daß die seltsame Erscheinung ihr anatomisches Substrat in
emer abnormen Mesenterialanheftung haben könnte.
Darauf wiesen schon die Analogien hin, die unsere Zustände
mit dem Bild der Enteroptose verbinden: zu Zeiten verminderter
Fällung und Spannung des Abdomens sahen wir mitunter den
tjrpischen Hängebauch, die schlaffen Bauchdecken, Atrophie der
Bauchmuskeln und Diastase der Recti gleichzeitig mit der weichen,
meteoristischen Auftreibung der Därme. Dabei fiel ein Herabsinken
der großen Unterleibsdrüsen nicht auf.
Von der Schnittwunde einer Probelaparotomie aus ließ sich
über das Verhalten des Mesenteriums kein Urteil gewinnen. Erst
bei der Autopsie des Falles Nr. 5 (das Kind starb an tuberkulöser
Meningitis) sahen wir unsere Vermutungen in unerwartetem Maße
bestätigt. Leider ließ sich über die Füllungsverhältnisse der Darm-
teile kein Urteil gewinnen ; Patient hatte seit 1 Woche kaum mehr
Nahrung zu sich genommen und beständig erbrochen. Die Dämpfung
im Abdomen war vollständig verschwunden.
Der Autopsiebefund war kurz folgender:
TaberkolÖBe Meningitis, Tuberkelknötchen verschiedener Größe auf
306 XVL ToBUDi
den Pleural ; •oflgadehot« tubericalose Zentorimg beider Lungen. Uiliire
Tuberkel ia Niere und lülz«
Im Peritonealsack keine Flüssigkeit. Keine Verwach-
sungen der Därme untereinander oder mit dem Peritoneum parietale.
Keine Tuberkelknötcben im Peritoneum, keine im großen Netz. An
einigen Stellen siebt man quergestellte (tuberkulöse) Geschwüre darefa
die Darmwand sohimmern. In der Lagerung der Dirme znn&ehst nichts
Auffallendes: .Tejunum mabr nach links oben, Ileum nach rechts unten
gelagert. Beim Vorziehen der Därme fällt sofort deren
abnorm langes Mesenterium auf. Bündel von Ileum*
schlingen lassen sieb herausheben und ohne jeden Zag
bis in die Mitte der Oberschenkel legen. Noch unverkenn-
barer wird die Abnormität der Mesenterialanheftung je-
doch durch das Verhalten des Dickdarmes: das Cöcum
läEt sieb ohne weiteres in die linke Fossa iliaca legen«
Es besitzt ein Mesenterium yon 17 cm Länge am freien
Bande gemessen. Die Flexur ist durch ein 10 cm langet
Mesenterium ebenfalls ganz abnorm beweglich. Die Länge
des Dünndarm mesenteriums von der Flexura duodeno-jejuoalis aus radiär
nach dem Darm hin gemessen beträgt an beliebig gewählten Schlingen
12, 16, 17, 18, 20, 22 cm. Das alles bei einem Kind von der Größe
eines 2 — 3jährigen.
Daß SO lose befestigte Därme in vollem Zustand nach unten
sinken, erscheint durchaus verständlich.
Auf den gewonnenen klinischen und anatomischen Grundlagen
läßt sich die Pathogenese dieser Formen von Pseudoaszites mit
großer Wahrscheinlichkeit aufbauen. Man wird sich davor zu hüteu
haben, primäre und sekundäre Zustände zu vermengen. Wir halten
folgenden Gang für den einleuchtendsten :
Bei Kindern jenseits des Säuglingsalters kommt
es durch chronische, rezidivierende Enteritiden zu
der wohlbekannten Auftreibung des Leibes, die ihre
klassische Form im rh achitisch en Trommelbauch
findet. Auch bei mehreren unserer Patienten mag Rhachitis den
Zustand mit beeinflußt haben. Wir haben Ursache, die Überfötte-
rung in einer Anzahl von Fällen als primäre Schädigung zu be-
trachten. In anderen Fällen ist wohl die beliebte Methode, jeden
Durchfall von Anbeginn an durch Stopfmittel und große Massen
von Mehl zu stillen, der Ausgangspunkt weiterer Schädlichkeiten
gewesen. Nimmt hernach die Auftreibung des Bauches
ab, so werden die Bauchdecken schlaff und es kann
zur Ausbildung eines eigentlichen Hängebauches
über Psendoaazites als Folgezustand chronischer Enteritis. 307
kommen. Die ihrer physiologischen Stütze beraubten
Därme sinken der Schwere folgend abwärts und
ziehen dabei ihr Mesenterium aus. Es ist wohl kein
bloßer Zufall, daß alle unsere Patienten beim Auftreten der Krank-
heit schon laufen konnten. Durch die aufrechte Stellung muß das
Znstandekommen einer Senkung und die Entstehung des Hänge-
bauches wesentlich gefördert werden. Überlastung des geschädigten
Darmes mit unzweckmäßiger und vor allem zu massiger Kost muß
den Circulus vitiosus schließen. In den gesenkten, atonischen
Darmschlingen bleibt flüssiger Darminhalt in abnormer Masse
liegen. So kommt es zu den beschriebenen Zuständen
schwerer, rezidivierender Verdauungsstörungen, die
den eigentümlichen physikalischen Befund des Pseudo-
aszites geben können und die gleichzeitig das All-
gemeinbefinden so schwer schädigen, daß auch hier-
durch der Verdacht auf Tuberkulose des Perito-
neums nahegelegt wird.
XVII.
Aus der medizinischen Poliklinik zu Jena.
(Direktor: Prof. Dr. Matthes.)
über die Viskosität des menschlichen Blntes bei Schwitz-
prozednren.
Von
Privatdozent Dr. Felix Lommel,
I. Assistent.
Die Einwirkung wärmestauender Verfahren, z. B. des Heiß-
luftbades, des HeiBwasserbades auf die Blutbeschaffenheit und die
Mechanik des Kreislaufs ist trotz zahlreicher Untersuchungen ^) in
vielen Punkten noch durchaus nicht geklärt. Von einzelnen Fak-
toren, deren Verhalten bei den genannten Prozeduren geprüft
wurden, seien besonders genannt der Blutdruck, ferner das spezifi-
sche Gewicht des Blutes und die Verteilung der körperlichen Ele-
mente im Blut.
Während die Angaben in der Literatur über Beeinflussung des
Blutdruckes durch Kälteeinwirkung übereinstimmen, widersprechen
sich die Angaben zuverlässiger Autoren über den Einfluß wärme-
stauender Verfahren auf das auffälligste. Um nur einige davon
zu nennen, so sah Kluge unter Quincke's Leitung in und nach
Dampf- und Heißluftbädern ein Absinken und zwar bereits vor
oder gleichzeitig mit dem Schweißausbruch; Grefberg und andere
fanden, daß der Herabsetzung des Druckes eine Steigerung voraus-
ging; endlich fanden Kumigama in der Münchener und 0. Müller
in der Leipziger Klinik daß, wenigstens bei gesundem Herzen,
stets anhaltende Blutdrucksteigerun gen die Folge von Schwitz-
prozeduren waren. Nicht minder widersprechen sich die nach
solchen Eingriffen erhobenen Befunde über die Blutzusammen-
1) Vollständige Literaturangaben s. bei Matthes, klin. Hydrotherapie,
II. Aufl. S. 38 ff.
über die Viskosität des menschlichen Blntes bei Schwitcprozeduren. 309
Setzung, wie sie durch ZäUang der Formelemente, durch Bestim-
mung des Hämoglobingehaltes und des spezifischen Gewichtes er-
hoben wurden. Die einen Autoren fanden Herabsetzungen, die
anderen Erhöhungen dieser Werte. Von zahlreichen Untersu-
chungen sei wiederum nur die letzte angeführt: Krebs und
Mayer fanden nach Schwitzen in Heißluftbädern in der Mehrzahl
der Fälle eine mäßige Leukozytose, eine Zunahme des Hämoglobin-
gehältes und des spezifischen Gewichts, in einer Minderzahl aber
das Gegenteil Wärmestauung durch heiße Wasserbäder hatte
dagegen meist eine negative Schwankung der erwähnten Faktoren
zur Folge.
Auch die zur Erklärung der Blutveränderungen aufgestellten
Theorien stehen sich noch unausgeglichen gegenüber. Die eine
(Grawitz) nimmt bekanntlich Eonzentratioüsschwankungen durch
Aufnahme oder Auspressen von Gewebsflüssigkeit bzw. Blutplasma
an, die andere (Löwy, Breitenstein u. a.) sieht in einer ge-
änderten Verteilung zwischen Plasma und Formbestandteilen den
Grund für die beobachteten Erscheinungen.
Definitive Ergebnisse konnten also die erwähnten tlnter-
sachungsmethoden nicht herbeiführen. Es erschien wünschenswert,
eine neuere Methode in den Dienst der Frage nach der Beein-
flussung des Blutes und der Kreislaufsmechanik durch Wärme-
prozeduren zu stellen, nämlich die Bestimmung der Blut Viskosität,
die durch Hirsch und Beck*) unter die klinisch brauchbaren
Methoden eingereiht wurde.
Herr Prof. Matthes veranlaßte daher Herrn Dr. Kündig
zu einschlägigen Untersuchungen, d^ren Ergebnisse Herr Kündig
in einer Dissertation ^) mitteilte. Da diese Versuche aus äußeren
Gründen nicht zahlreich genug sein konnten; habe ich sie weiter-
geführt und berichte hier über 18 Viskositätsbestimmungen, die
teils von Herrn Kündig unter meiner Mitwirkung, teils von mir
ausgeführt wurden.
Es wurden mit der Methode von Hirsch und Beck bereits
größere Reihen von Untersuchungen am menschlichen Blut ausgeführt,
wohei als Mittelwert der Reibungskonstanten 5,1 bei 38^ gefunden
1) Hirsch und Beck, Eine Methode zur Bestimmimg des inneren Rei-
bnngswiderstandes des lebenden Blntes beim Menschen, Münch. med. Wochenschr.
1900 Nr. 49, Studien zur Lehre von der Viskosität (inneren B«ibung) des lebenden
menschlichen Blutes. Deutsches Arch. f. klin. Medizin. Bd. 69, 1901.
2) Kündig, Über die Viskosität des menschlichen Blutes nach Schwitz-
prozeduren. Inaug.-Diss. Jena 1903.
310 XVn. LOMKEL
worde, wenn der Reibungskoeffizient dee Wassen bei 38 ^ gleidi 1 g»-
«etzt wird. Hinticbtlieii des Prinsips und der Te<^ik des Hixsck-
Beck' sehen Verfahrens sei auf die zitierten ausführlichen Publikatioocsi
der genannten Autoren verwiesen. Im einzelnen war die Yersucbs-
.anordnung folgende: die untersuchten Personen, gesunde junge HSimer
befanden sich unter gleichen Bedingungen. Das Bitit wurde deich Ein-
stich in die schwach gestauten oberfliohlichen Vesien der JSüenbeqge
entnommen^ ohne ▼orhergeheiid9n Hantschnitt, im Gegensatz zu Hirsch
und Beck. Da nach Untersuchungen von Burton-Opitz ^) der
Beibungskoeffizient des Blutes (ebenso wie bei anderen I^lüssigkeiten) sich
mit der Temperatur verändert und zwar abnimmt bei steigender Tempe-
ratur, 80 mußte der Einfloß der bei wärmestauenden Prozeduren stets
vorhandenen Überwärmung aus den Versuch sbedingungen aosgeeehaltet
w<6rden ; dies geschah, indem der Thennestat des Apparates während der
ersten und der zweiten Messung der Viskosität auf die Körpertempe-
ratur vor dem Bade eingestellt wurde. Verschiedene Resultate beider
Bestimmungen mußten daher direkt und ausschließlich auf tatsächliche
Blutverändemngen bezogen werden.
Bei einer kleineren Anzahl der Versudie wurde außer der Viskoii-
tat nur die Körpertemperatur beobachtet, bei den übrigen wnrde vor «od
nach dem Bad auch der Blutdruck bestimmt ^ und die roten und weißen
Blutkörperchen gezählt.
Ich lasse zunächst die V^^suchsbericbte folgen.
I. Glühlichtbäder:
1. cand. ehem. Schw.
Lichtbad, 30 Min., höchste Temp. 69*.
Vor dem Bade:
Nach dem Bade:
Körpertemperatur
37,2
38,1
Tb ermostatentemperatar
37,2
37,2
Man om eterdmck
455 mm Benzol
455 nun Benzol
Durohflußzeit für Blat
56,6 " (Kapill. 2)
67,4 " (Kapül. 4)
Durchfiußzeit für Anilin
37,5 "
45,9 "
Viskosität
5,660
5,506
z
Zur Berechnung der Viskosität dient dabei die Formel ij rj^ t
wobei Tj den Koeffizienten der inneren Reibung des Blutes, ij^ den der
Eichfiüssigkeit (Anilin) z und z^ die Ausfiaßzeiten gleicher Volumina
bezeichnen. — Bei den folgenden Versuchen ist die jedesmalige Angabe
der Thermostatentemperatur, die btete nach dem oben erwähnten Grund-
satz geregelt wurde, und des Manometerdruckes weggelassen.
1) Burton-Opitz, Vergleich der Viskosität des normalen Blutes mit der
des Oxalatbhites, des defibrinierten Blutes und des Blutserums bei verschiedener
Temperatur. Pflüger's Arch. Bd. 82 1900.
2) Mit dem Apparat nach Eiva-Eocciund dem von t. Eeckliughausen
angegebenen breiten Schlauch ; stets im Sitzen.
über die Viikodtät des iiMBieUichea Blutes bei Schwitsprozeduren. 311
2. cand. med. K.
•
Lichtbad, 25 MiB., höehsU
\ Temp. 54 ^
1
Vor dem Bade
Nach dem Bade
Korpertemperatur
37,0
37,1
Yidcotität
5,488
6,817
3. cänd. jur. K.
1
Lichtbad, 25 Min., höchste
> Temp. 69 ^
•
Vor dem Bade
Nach dem Bade
Körpertemperatur
37,4
38.4
Viskosität
o„7aa *
5,776
4. cand. phil. E.
/
Lichtbad 40 Min., höchste
Temp. 68 ^
•
Vor dem Bade
Nach dem Bade
Körpertemperatur
37,3
38,8
Viskosität
4,740
4^982
5. Dr. 6ohm.
Lichtbad, 30 Min., höchste Temp. 75 <'.
Vor dem Bade
Nach dem Bade
Körpertemperatur
36,9
38,4
Blutdruck
130 mm
140 mm
!EU>te Blutkörper
5853000
€410000
Weiße
7031
?
Viskositäi
4,21
5,27
6. cand. med. 0.
•
Lichtbad, 30 Mm., höchste
) Temp. 75<>.
■
Vor dem Bade
Nach dem Bade
Körpertemperatur
37,7
38,7
Blutdruck
140 mm
115 mm
Bote Blutkörper
4765000
3890000
Weiße „
nicht gezählt
nicht gezählt
Viskosität
4,08
5,17
7. cand. med. Kl.
Lichtbad, 30 Min., höchste
> Temp. 71 ».
Vor dem Bade
Nach dem Bade
Körpertemperatur
36,6
38,6
Blutdruck
145 mm
128 mm
Bote Blutkörper
5068000
5638000
Weiße „
4818
9262
Viskosität
4,93
5,40
8. cand. med. B.
Lichtbad, 30 Min., höchste
) Temp. 750.
Vor dem Bade
Nach dem Bade
Körpertemperatur
36,6
38,1
Blatdmck
130 mm
113 mm
Bote Blutkörper
5155000
5822000
Weiße „
6630
5360
Viskosität
3,61
4,59
312
Xyil. LoXMBIi
9. cand. med. W.
Lichtbad, 35 Min., höchste Temp. 70<'.
Körpertemperatur
Blutdruck
Bote Blutkörper
Weiße „
Viskosität
Vor dem Bade
36,7»
150 mm
5012000
11150
4,08
Nach dem Bade
38,1«
133 mm
5475000 j
9630 1
4,86
10. cand. med. 8t.
Lichtbad, 30 Min., höchste Temp. 75".
1
1
Körpertemperatur
Blutdruck
Rote Blutkörper
Weiße „
Viskosität
Vor dem Bade
36,9 0
135 mm
5221000
8870
4,12
Nach dem Bade
39,1»
100 mm
5423000
7860
3,81.
Bei den folgenden Versuchen wurden h
eiße Wasserbäder
verwendet.
•
11. Dr. med. H.
Bad von 40», 25 Min.
T körpertemperatar
Viskosität
1
Vor dem Bade
37,1 0
5,635
Nach dem Bade
39,2«
5,621
12. Dr. D.
Bad Yon 41 <", 18 Min.
Körpertemperatur
Viskosität
Vor dem Bade
37,3«
5,429
Nach dem Bade
38,4«
4,894
13. cand. med. 8.
Bad von 41, 28 Min.
Körpertemperatur
Blutdruck
Rote Blntkörper
Weiße
Viskosität
Vor dem Bade
37,3«
138 mm
5130000
8120
3,60
Nach dem Bade
38,7«
118 mm
5654000
7820
3,80
14. Dr. V. G.
Bad von 40 ^ 20 Min.
Körpertemperatur
Blutdruck
Kote Blutkörper
Weiße
Viskosität
Vor dem Bade
36.9 0
125 mm
5778000
10820
4 24
Nach dem Bade
37,9«
125 mm
5860000
11640
4.33 .
über die Viskosität des menschlichen Blutes bei Schwitzprozednren. 313
15. cand. med. L.
Bad von 40 o, 25 Min.
Vor dem Bade
Nach dem Bade
Körpertemperatur
Blutdruck
Bote Bluikörper
Weiße „
Viskosität
36,7 0
130 mm
5815000
8210
5,23
38,9 0
125mm
6508000
7590
4,94
16. cand. med. K.
Bad von 40", 30 Min.
Vor dem Bade
Nach dem Bade
Körpertemperatur
Blutdruck
Bote Blutkörper
Weiße „
Viskosität
37,0 0
140 mm
4631000
8620
3,79
38,8 0
130 mm
4962000
9560
3,96
17. cand. med. Sg.
Bad von 40 o, 30 Min.
Vor dem Bade
Nach dem Bade
Körpertemperatur
Blutdruck
Rote Blutkörper
Weiße „
Viskosität
37,50
128 mm
5850000
7000
4,40
39,2 0
140 mm
5420000
7340
4,78
18. cand. med. H.
Bad von 40 o, 25 Min.
Vor dem Bade
Nach dem Bade
Körpertemperatur
Blutdruck
Bote Blutkörper
Weiße
Viskosität '
37,2 <>
135 mm
5540000
5100
5,08
39,30
123 mm
4666000
6220
4,28.
Die beobachteten Veränderungen des Blutes, der Anschaulich-
keit wegen in Prozenten ausgerechnet, sind in folgender Tabelle
nochmals übersichtlich zusammengestellt (1—10 Gltihlichtbäder,
11-18 heiße Wasserbäder).
Für die Frage, welche Faktoi'en für die beobachteten Viskosi-
tätsänderungen in Betracht kommen, seien zunächst die hierüber
vorliegenden experimentellen Erfahrungen kurz erwähnt, die zum
Teil den Arbeiten von Hirsch und Beck entnommen, teils dort
tbersichtlich zusammengestellt sind.
DeatachoB Archiv f. klin. Medizin. LXXX. Bd.
21
314
XVII. LOKHEL
Prozentuale Änderung
der Zahl der
Kr.
ProKentuale Änderung^
Nr.
der Zahl der
der Viskosität
roten Blutkörper
der ViskosifÄt
roten Blutkörper
1
- 2,7
9
•
10
- 7,Ö
+ 3,8
2
+ 7,8
9
•
11
— 0.3
9
3
0.8
•
12
! 9,8
0
4
-
h o,l
9
13
+ 5,7
+ 10,2
5
-
- 25,2
+ 11,0
14
-h 2,1
+ »,1
6
—
- 2(i;7
- 1«,3 ro
15
5,6
— 5,2
7
- 9,5
+ 10,4
If)
+ 4.5-
+ 7.1
8
-
-27,1
+ 12,9
17
+ 8,7
- 7,5
9
H
-19,1
+ 8,4
18
13,7
— 15,7
Beim lebenden Blut entspricht zwar „einem geringeren Bpezifischen
Gewicht auch stets eine geringe innere Keibung^, jedoch nur inner-
halb weiter Grenzen; innerhalb „engerer Grenzen dürfen wir nicht er-
warten, daß spezifisches Gewicht und Viskosität sich stets in gleichem
Sinne ändern". Die Zusammensetzung des Blutes aus Flüssigkeit und
korpuskularen Elementen ist ebenfalls bedeutungsvoll; Versuche von
Burton-Opitz haben ergeben, daß das Serum und das Gesamtblut
sich hinsichtlich der Viskosität entgegengesretzt verhalten gegenüber
Temperaturänderungen, ein Gegensatz, der eine sich gegenseitig teilweise
kompensierende Veränderung der Blutkörperchen einerseits, der Blut-
flüssigkeit 'andererseits anzunehmen nötigt. Verschiedene Wechsel-
beziehungen zwischen Blutkörperchen und Plasma können dabei im Spiele
sein, morphologische und physikalisch - chemische (osmotische!) Verände-
rungen können ebenso wie Änderungen der Blutkörperchenzalil die Vis-
kosität des Blutes beeinflussen. Wenn nachgewiesen ist, daß wasser-
armes eingedicktes Blut eine größere Viskosität zeigt wie wasserreiches,
so sind doch, wie Hirsch und Beck betonen, ,, Fälle denkbar, wo die
Zahl der roten Blutkörperchen im cmm die normale nicht überschreitet
und trotzdem die Viskosität eine gesteigerte ist. Die Ursache hierfür
müßte dann zunächst im Plasma oder in einer Gestaltveränderung der
korpuskularen Elemente gesucht werden. Um diese Dinge eingehender
zu studieren, sind vor allem Reihenuntersuchungen notig, bei denen zu-
gleich ein genaues Zählen der korpuskularen Elemente stattfindet.^
In meinen Versuchen, bei denen solche Zählungen stattgefunden
haben, ist auch die Wirkungsweise der Eingriffe bis zu einem ge-
wissen Grad durchsichtig genug, um wenigstens mit großer Wahr-
scheinlichkeit die erhebliche Wasserabgabe infolge des Schwitzens
als Ursache der Viskositätszunahme anzusehen in den bedeutend
überwiegenden Fällen, in denen sie gefunden wurde. Die Ein-
dickung des Blutes durch Wasserverlust drückt sich bei der Mehr-
zahl der Versuche auch in der relativen Zunahme der roten Blut-
körper aus. Die Verminderung der letzteren in Versuch 6 möchte
über di« Viakosität des menschlichen Blntes bei Schwitzprozedüren. Sl5
Ich dftbei nicht sehr betonen, da in diesem Versuch die Bestimmung
der Blutkörper wegen nicht ganz hinreichender Assistenz vielleicht
Weniger genau gelang, während die übrigen Zählungen äaf die
Genauigkeit, die von der Methode erwartet werden kann, Anspruch
haben durften. Die nur einmal (Versuch 10) bei 10 öliihlichtbädern
beobachtete stärkere Viskositätsabnahme dürfte (ebenso wie die
geringfügigen Ausschläge der Versuche 1 und 3) am besten durch
rasche Kompensation des Wasserverlustes mittels Aufnahme von
Gewebsflüssigkeit in die Blutbahnen zu erklären sein. Dieser
normale Modus der Ausgleichung nnch blut- bzw. blutwasser-
entziehenden Prozeduren geht ja sehr prompt vor sich, wie neuer-
dings Heß\) in schönen Experimenten gezeigt hat, und mag da,
wo die Schweißbildnng keine sehr große ist, leicht zu einer Über-
kompensation führen. Die gleichzeitige geringe Vermehrung der
rot^n Blutzellen in diesem Versuch erweckt freilich Zweifel an der
ausschließlichen Geltung dieser Erklärung und weii^t darauf 'hin,
daß noch manche andersartige Einflüsse mit im Spiele sein können.
die bei einfacheren Lösungen gut erforscht, beim Blut aber der
Untersuchung nicht zugänglich sind, ^j
Bei den heißen Wasserbädern sind die Veränderungen
der Viskosität in verschiedenem Sinn erfolgt und erreichen an
Größe bei weitem nicht die bei Glühlichtbädern wahrgenommenen,
wohl infolge einer geringeren Wasserabgabe in diesen Bädern.
Die Schwankungen der Viskosität und der Blutkörperchenzahl ver-
laufen gleichsinnig mit Ausnahme des Versuches 17.
Bei der geringeren Stärke des Eingritfes hinsichtlich der
Schweißproduktion ist es verständlich, daß hier in höherem Maße
als bei den Glühlichtbädern die auch dort bemerkbare wechselnde
individuelle Regulation zur Geltung kommt.
Die hier mitgeteilten Veränderungen der Blutkonzentration und
die Verschiedenheit der Wirkung von Glühlicht- und Heißwasser-
bädern entsprechen übrigens völlig den A-on Krebs und Mayer
1) Heß, Über die Beeinflussung des Flüssigkeitsaustauschea zwischen Blut
und Geweben durch Schwankungen des Blutdruckes. Deutsches Arch. f. klin.
Medizin 79 1904.
2) Es sei nur erwähnt, daü in Lösungen die innere Reibung der Elektro-
lyte sich ergibt aus der inneren Reibung der Ionen und des nicht dissoziierten
Bestandteils, daß sie in Beziehung steht zu der Wanderungsgeschwindigkeit der
Ionen und zu deren Atomgewicht. Zusatz eines Nichtleiters vergröIJert die Vis-
kosität des VTassers, auch wenn er an und für sich eine geringere Viskosität
besitze als dieses.
21*
316 XVII. LoiocsL, Üb. d. Viskosität d. menschl. Blutes b. Schwitzprozeduren.
angestellten UntersDchungen aber das spezifische Gewicht and das
sonstige Verhalten des Blutes bei diesen Prozeduren.
Der Blutdruck war bei meinen Versuchen^ im Gegensatz
zu freilich genaueren Versuchen anderer Autoren, nach dem Bade
fast ausnahmslos vermindert, obwohl es sich nur um gesunde Per-
sonen handelte. Allerdings wurde die Messung außerhalb des Bades
vorgenommen, nachdem infolge der Blutentnahme seit Beendigung
desselben etwa 3 — 5 Minuten verstrichen waren.
Es entsteht noch die Frage, welchen Einfluß die beobachteten
Viskositätsschwankungen auf den Kreislauf ausüben können. Bei
gleichbleibender Strombahn müßte natürlich eine Viskositätsabnahme
des Blutes eine Abnahme der Ereislaufwiderstände und damit
günstigere Arbeitsbedingungen des Herzens herbeiführen; umge-
kehrt müßten so gewaltige Zunahmen der inneren Beibung, wie
hier beobachtet eine starke Erschwerung der Herzarbeit zur Folge
haben. Denn die Viskositätsabnahme, die die Temperaturerhöhung
des Organismus um 1 — 2^ mit sich bringt, ist viel zu gering, um
hier eine einigermaßen kompensierende Wirkung auszuüben (siehe
Burton-Opitz, 1. c). Eine solche scheint aber zustande zu
kommen durch veränderte Gefäßinnervation, deren Ausdruck wohl
die Verminderung des allgemeinen Blutdrucks ist und die sich
wohl vorwiegend durch eine Erweiterung der Hautgefaße vollzieht
Außerdem kommen noch Schwankungen der Gesamtblutmenge in
Betracht, die sich genauerer Beurteilung entziehen; so daß also
über den Einfluß der Viskositätsänderungen auf die Herzarbeit
keine Schlüsse gezogen werden dürfen.
XVIII.
Ans der medizinischen Klinik zu Tübingen.
Ober die Adipositas dolorosa.
Von
Dr. Schwenkenbeclier,
Privatdozent und Assistenzarzt der Klinik.
Die merkwürdige Symptomenverbindung von Fettsucht und
Schmerzhaftigkeit des allgemeinen Fettpolsters, welche durch
Der cum mit dem Namen der Adiposis dolorosa belegt wurde,
hat erst in letzter Zeit in Deutschland mehr Berücksichtigung
gefunden, obwohl bereits eine größere ausländische Literatur über
den Gegenstand vorliegt. Nur auf vier Arbeiten möchte ich hier
näher hinweisen, weil diese einen vollständigen Überblick über das
vorliegende Thema gestatten. ^)
Da das Bild der genannten Krankheit noch wenig bekannt
ist und wir in der Lage waren, in verschiedener Richtung ein-
gehendere Untersuchungen an unseren Kranken vorzunehmen, so
dürfte sich die folgende Mitteilung unserer Beobachtungen, trotz
der ausführlichen Arbeit Strübing's über diesen Gegenstand
rechtfertigen.
Die Adipositas dolorosa ergreift auffallend viel häufiger Frauen
als Männer, sie scheint das höhere Lebensalter zu bevorzugen, doch
gibt es auch eine ganze Reihe von Fällen, welche jugendliche In-
dividuen betreffen. Die Krankheit entwickelt sich meist langsam,
bisweilen im Verlauf von einigen Jahren.
In den ausgesprochenen Fällen zeigen die Patienten das Bild
einer hochgradigen, allgemeinen Fettsucht: der Hals ist dick und
1) Strübing:, Über Adiposis dolorosa. Arch. f. Dermatol. und Syphil. 1902.
Thimm, Adipositas dolorosa u. schmerzende symmetr. Lipome. Monatsh.
f. prakt. Dermatol. Bd. 36 Nr. 6.
Weiß, Über Adiposis dolorosa, Wiener klin. Wochenachr. 1903 Nr. 17.
Seil er in, L'adipose douloiuense. Th^se de Paris 1903.
318 XVIII. SCHWENKENBECHER
schwammig, die Brüste sind unförmlich groß, die Bauchdeckeu
hängen herab, die Schultern und die Hütten sind breit und massig.
Das (xesicht, die Hände und Füße bleiben mehr oder weniger von
dem starken Fettansatz verschont, l'berall da, wo Kleidungsstücke
einen stärkeren Druck auf den Körper ausüben, zeigen sich deut-
liche, tiefe Schnürfurchen: so z. B. in der Taillengegend, wo der
Rockbund den Leib umschnürt, unter den Knieen, wo die Strumpf-
bänder sitzen, oder bei eng anliegenden Stiefeln an dem unteren
Drittel des Unterschenkels. An diesen Druckstellen hat sich das
subkutane Fettpolster nicht so vermehrt, wie am übrigen Körper.
Die Zunahme des Unterhautfettes und namentlich auch seine Kon-
sistenz ist an den verschiedenen Partien des Körpei-s nicht die
gleiche. So findet man meist, daß an den Streckllächen der Ober-
arme das subkutane Gewebe eine festere Beschaffenheit angenommen
hat, besonders konstaut aber zeigen sich feste Fettmanschetten an
den Unterschenkeln. Ahnliche Fettwülste sind oft an den Bauch-
decken, am Gesäß, an den Oberschenkeln vorhanden; auch die
Brüste ändern häufig ihre Konsistenz, so daß sie sich prall wie
die Mammae von stillenden Frauen anfühlen.
Je nach dem Grade der Spannung hat man bei Betastung der
einzelnen Fettwülste eine verschiedene Empfindung. Bei sehr er-
heblicher Fettentwicklung entsteht ein Gefühl, als ob man festen
Speck oder auch zähen Teig unter den Fingerspitzen habe; bei
geringerer Feftanhäufuug im Unterhautzellgewebe hat man eine
ähnliche Empfindung wie beim Befühlen einer Varicocele (White).
Nicht nur das Unterhaut<rewebe nimmt durch die Fettanhäufuag
an Stärke zu, sondern auch die Haut selbst fühlt sich meist dicker
als in der Norm, „infiltriert**, an. Ihre Verschieblichkeit auf dem
darunter liegenden (lewebe bleibt erhalten, doch ist sie durch die
stärkere Dehnung der Haut etwas beeinträchrigt.
Der Fingerdruck hinterläßt an der Haut über den Fettwülsten
keine Delle. An den unteren Extremitäten stellen sich bisw^eilen
neben der Fettanliäufung echte Ödeme ein, welche mit den durch
die Erkrankung veränderten Zirkulationsverhältnissen im Zusammen-
hang stehen dürften.
Dafür daß bei der Adipositas dolorosa eine Alteration des
Kreislaufes bestellt, spricht auch die eigentümlich blaue Färbung,
welche die Haut im Bei'eich der Fettwülste in vielen Fällen auf-
weist. Diese blaue Hautfarbe zeigt sich bisweilen ganz diflfus, am
deutlichsten ist sie wohl stets an den Streckseiten der Extremitäten,
häufig auch am Gesäß. Das Gesicht und die sichtbaren Schleimhäute
über diß Adipoeitas dolorosa. 319
sind ebenfalls oft ausgesprochen zyanoti^h. Charcot hat bei
Hysterischen diesen Befund einige Male beschrieben, sein Oedeme
bleu ist wohl in den meisten Fällen mit der Adipositas dolorosa
identisch.
Femer muß noch erwähnt werden, daß die Stärke der Fett-
massen einem gewissen \\'ech8el unterworfen ist; von Zeit zu Zeit
and die Wülste etwas weicher, die Spannung und die Beschwerden
nehmen ab. Auch die blaue Farbe der Haut verschwindet dann
oft Es muß also sowohl fiir die Härte der Fettwülste als auch
für die bläuliche Hautfärbung, zum großen Teil der Blutgehalt ver-
antwortlich gemacht werden.
Zu den erwähnten Veränderungen treten als zweites Haupt-
symptom die Schmerzen, welche die Kranken sowohl spontan, als
auch bei Druck in ihren Fettwülsten verspüren. Diese Druck-
empfindlichkeit kann so intensiv werden, daß die Kranken z. B. bei
dem Versuch, die Haut in einer Falte aufzuheben, laut schreien.
Die Schmerzhaftigkeit geht zumeist mit dem Grade der Spannung
von Haut und Zellgewebe parallel, scheint aber auch individuell,
je nach der Empfindlichkeit der einzelnen Menschen, etwas ver-
schieden zu sein (St rü hing). Jedenfalls dürfte dem ßlutgehalt
der Fettwülste auch hierbei eine bedeutsame Rolle zukommen.
Die Schmerzen treten nicht selten schon dann ein, wenn die
,,Fettinfiltration" noch keine besonders starke ist; sie werden bis-
weilen von den Patienten in Gelenke lokalisiert, weil sie bei deren
Bewegung heftiger werden, so daß Verwechslung mit rheumatischen
und neuralgischen Prozessen sehr häufig sind.
Den genannten beiden Kardinalsymptomen: der Fettsucht und
der Schmerzhaftigkeit der Kutis und der Subkutis sind von franzö-
sischen Autoren noch zwei weitere Symptomengruppen angereiht
worden, nämlich die allgemeine Körper- und Muskelschwäche und
ferner psychische Anomalien.
In der Tat ist in allen schwereren Fällen der Krankheit die
körperliche Leistungsfähigkeit erbeblich herabt»esetzt, was nicht
bloß darauf zurückgeführt werden kann, daß die Schmerzen alle
stärkeren Bewegungen unm(')glich machen. Vielmelir findet sich
häufig eine beträchtliche Atrophie der Extrenütätenniuskulatur,
die wohl nicht nur als Folge der Inaktivität, sondern auch des
Druckes durch die Fettmassen und ZirkulationsveränderuuKen zu
erklären ist. Eine echte degenerative Atrophie liegt jedenfalls nicht
vor. Unter dem Sammelbegriif der „troubles psychiques'* haben
die französischen Ai^te ganz verschiedenartige und für das Bild
320 Xym. SCHWENKBNBECHXB
der Adipositas dolorosa recht ungleichwertige Symptome von Seiten
des Nervensystems vereinigt. So finden wir neben leichten ner-
vösen Beschwerden das Vorkommen von schweren Gehimverände-
rungen und Geisteskrankheiten erwähnt. Wenn auch unstreitig
eine Beihe von neurasthenischen und auch hysterischen Beschwerden
von dem Bilde der Krankheit nicht zu trennen sind — nannte doch
Charcot dieselbe ein hysterisches Ödem — , so gehören ernstere
Psychosen in der Eegel nicht zu ihm, Wohl aber sind Ab-
geschlagensein, Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit^
Übelsein, Erbrechen und Obstipation, Tremor und eine gewisse
Tachykardie mehr oder weniger konstant.
Ferner finden wir nicht selten bei der Adipositas dolorosa
Blutungen. Bisweilen sind nur die Menstrualblutungen profus^
oder heftiges Nasenbluten zeigt sich wiederholt, auch Magen- und
Hautblutungen sind öfter angegeben worden. Über anderweitige
Veränderungen der Blutzirkulation, wie die Zyanose des Gesichtes
und die bläuliche Hautfarbe ist schon berichtet worden. Die
Schweißsekretion ist zumeist deutlich vermindert, was — ähnlich
wie bei starken Ödemen — wohl auf der direkten Kompression
der Drüsen und deren Ausfuhrungsgänge durch die Fettanhäufung
in der Subkutis und der Haut beruht.
Andere Erscheinungen wie das Vorhandensein einer Struma,
die Veränderung in der Qualität der Reflexe, Sensibilitätsstörungen*
degenerative Muskelatrophien gehören nicht zum Krankheitsbilde»
sondern sind Symptome einer komplizierenden Erkrankung an-
derer Art.
Der Verlauf der Adipositas dolorosa ist ein sehr chronischer^
nicht selten treten längerdaueriide Perioden ein, in denen die
Kranken fast völlig beschwerdefrei sind, bis dann wieder ver-
mehrte Schmerzen und neue Bildung von harten Fettraassen für
Wochen die Arbeitsfähigkeit aufheben, ja zur Bettruhe zwingen.
In den leichteren Fällen pflegen die Fettansammlungen in der
Subkutis weniger fest zu sein, auch die Schmerzen sind ge-
ringer. Bei solchen Patienten, die dann mit der Klage von
Schmerzen in einer Schulter oder in einem Bein oder auch wegen
Magen- und Unterleibsschmerzen zum Arzte kommen, wird die
Krankheit dann häufig mit anderen Zuständen verwechselt.
Betrefi^s der Diagnosestellung möchten wir ebenso, wie dies
Strübing getan, nur solche Fälle von „schmerzender Fettanhäu-
fung" unter dem Namen „Adipositas dolorosa" vereinigen, welche mit
einer allgemeinen Fettleibigkeit verbunden sind, und bei denen die
über die Adipositas dolorosa. 321
„Fettinfiltrationen" nicht den Typus von Lipomen annehmen^
Letztere gehören vorderhand noch in das Gebiet der „schmerzen-
den Lipome", mögen sie symmetrisch oder nicht symmetrisch an-
geordnet sein. Diese scharfe Abgrenzung ist, solange nicht eine
Ätiologische Verwandtschaft zwischen beiden Prozessen sicher er-
kannt ist, im Interesse einer zuverlässigen Diagnose durchaus not--
wendig. Außerdem scheinen Übergangsformen zwischen schmer-
zenden Lipomen und der Adipositas dolorosa recht selten zu sein,
wenigstens konnten weder Strübing noch wir in je fünf beob-
achteten Fällen solche konstatieren. Deshalb ist auch die von
Ronx und Vi taut gegebene Einteilung der Adipose douloureuse
in eine Forme nodulaire, Forme diffuse localis6e und eine Forme
diffuse gen6ralis6e im allgemeinen nicht zutreffend.
Es soll damit nicht in Abrede gestellt werden, daß die be-
sprochene Krankheit mit den schmerzenden Lipomen nicht mannig-
fache Berührungspunkte hat und gewisse Ähnlichkeit im Verlauf
darbietet. Doch besteht ja dasselbe Verhältnis zwischen der ein-
fachen universellen Obesitas und den Fettgeschwülsten, die doch
beide wohl charakterisierte und im ganzen deutlich voneinander
abgrenzbare Prozesse darstellen.
Bei Erörterung der Differentialdiagnose ist zu bemerken, daß
bei der relativ wenig verbreiteten Kenntnis der Krankheit, meist
eine Fettsucht diagnostiziert wird, welche durch neuralgische,
rheumatische Erscheinungen oder durch neurasthenische und hyste-
rische Zustände kompliziert wird. Sehr häufig werden bei dem
„blühenden" Aussehen und dem guten Ernährungszustand der
Kj'anken die Beschwerden für unbedeutend und die Klagen für
sehr übertrieben angesehen, was zu einer zweckmäßigen Behand-
lung nicht beiträgt. Wenn man sich daran hält, daß in fast allen
Fällen der Adipositas dolorosa, auch dann, wenn die Kranken z. B.
nur über Schmerzen in den Bauchdecken klagen, eine druckempfind-
liche „Infiltration" von Manschettenform an den Unterschenkeln
und ein gleicher Wulst meist in der Gegend der Mm. deltoidei
nachgewiesen werden kann, so wird man in der Erkennung der
Krankheit sich selten irren. Vom Myxödem, Ödemen oder phleg-
monösen Prozessen ist eine Abgrenzung in der Regel leicht sofern
man eingehender die Patienten untersucht. Bisweilen scheint bei
Alkoholikern eine ähnliche lokalisierte Druckempfindlichkeit des
Unterhautgewebes zu bestehen, ohne daß es zur Ausbildung der
festen Fettwülste kommt. In solchen Fällen handelt es sich viel-
leicht um eine periphere Neuritis der feineren Nervenenden ohne
322 XVIII. SCHWENKENBECHEB
stärkere Beteiligung der Haoptstämme. Für diese Annahme dürfte
das Vorhandensein von Sensibilitätsstörungen sprechen, da diese
bei der gewöhnlichen Adipositas dolorosa fehlen.
Die Therapie richtet sich in erster Linie gegen die Schmerzen
der Kranken. Da im ausgesprochenen Krankheitszustand auch der
geringste Druck durch die Kleider als unerträglich empfunden
wird, so ist in solchem Falle zunächst Bettruhe erforderlich. Auf
Empfehlung Strübing's haben wir meist auch bei stärkeren Be-
schwerden sofort mit Bädern, Massage und Bewegungen begonnen
und diese Behandlung möglichst lange fortgesetzt. In einzelnen
Fällen wandten wir gleichzeitig eine Entfettungskur an. Diese
therapeutischen Maßnahmen haben uns nie im Stich gelassen.
Auch wir müssen bestätigen, daß nur langdauemde Behandlung
einen nennenswerten Erfolg erzielt, und auch nach einer über viele
Wochen ausgedehnten Behandlung kehren häufig nach einigen
Monaten alle Krankheitssymptome wieder.
Demzufolge muß die Prognose für eine dauernde Heilung als
wenig günstig bezeichnet werden. Der Tod erfolgt meist an
anderen Krankheiten oder an einer mit der Fettsucht im Zusammen-
hang stehenden Herzinsuffizienz, nachdem das Leiden mit großen
Eemissionen Jahre und Jahrzehnte gedauert hat.
Über das Wesen und die Ätiologie der Adipositas dolorosa ein
endgültiges l^rteil abzugeben, ist vorderhand nicht möglich. Beim
Versuch zur Lösung dieser Frage müssen zunächst die vorliegenden
pathologisch - anatomischen Untersuchungen herangezogen werden:
Einmal sind zu erwähnen histologische Untersuchungen, welche zu
Lebzeiten der Patienten an exzidierten Hautstücken vorgenommen
wurden. Dercum entnahm bei einer Kranken zu drei verschie-
denenen Zeiten mittels eines Troikarts Partikel des Unterhautzell-
gewebes. Er glaubte feststellen zu können, daß das subkutane Ge-
webe im Verlaufe der Krankheit allmählich folgende Veränderungen
erführe :
i^ei der ersten Untersuchung fand er nur Bindegewebe von
embryonalem Typus: ,,große spindelförmige Zellen mit großen
Kernen, keine Fettzellen". Eine zweite Punktion ergab ..wenig
reichliclies Binde«iewebe, welches Fettzellen einschloß, von denen
einige eine noch nicht vollständige Fettmetamorphose erfahren
hatten**. Bei der dritten Untersuchung wurde „netzförmiges Binde-
gewehe mit Gefäßen und Nervenelementen gefunden, welches in
seinen Lücken Fettzellen enthielt".
t'ber die Adiposität dolorosa. 323
Auf Grund dieser Untersuchungen und einiger anderer An-
gaben nimmt Seilerin folgende Entwicklung der Fettwulste an;
1. Odem und embryonales Bindegewebe.
2. Fettige Metamorphose der Zellen.
3. Sklerose durch Zunahme des Bindegewebes.
Dieser von Der cum angegebene Befund konnte von anderen
Untersuchern nicht bestätigt werden, auch dürfte seine Methode
nicht ausreichen, derartige weittragende Schlüsse zu rechtfertigen.
Andere Autoren, z. B. Strübing, konnten in ihren Präparaten
keinen vom normalen Bau des Fettgew^ebes abweichenden Befund
erheben; nur erschienen die einzelnen Fettzellen recht groß (ähn-
lich wie bei Lipomen). Auch wir können nur die zuletzt erwähnte
Angabe bestätigen. An Hautstücken, welche unseren beiden Patien-
tinnen (Krankengeschichten siehe am Schluß) mit deren Erlaubnis
aus dem Unterschenkel exzidiert wurden, zeigte sich sehr reichlich
entwickeltes subkutanes Fettgewebe von ganz normalem Aussehen
— makroskopisch und mikroskopisch. Auch die Kutis selbst war
fettreicher als in der Norm, indem das Bindegew^ebe, welches die
Hautgefäße umgibt, stark mit Fettzelleu erfüllt war. Daher lagen
fast alle Schweiß- und Talgdrüsen, auch die Haarbälge mitten in
Fettgewebe eingebettet. Der Übergang zwischen Lederhaut und sub-
kutanem Gewebe ließ sich deshalb weniger deutlich abgrenzen wie
bei der normalen Haut.
Diese abnorme Vermehrung des Fettgewebes in der Kutis
scheint für das Krankheitsbild der Adipositas dolorosa nicht ohne
Bedeutung zu sein. Vielmehr ist anzunehmen, daß diese „Fett-
infiltration" der Haut im Verein mit der bereits erwähnten Blut-
und Lymphstauung die Gewebespannung beträchtlich erhi'jht und
so durch Dehnung und Pressung der feineren Nervenenden die
Schmerzhaftigkeit der Haut veranlaßt.
Der Reichtum der Haut an Gefäßen, Nerven- und Muskel-
gewebe und elastischen Fasern wurde nicht verringert gefunden,
soweit es überhaupt möglicli ist, durch einfachen Vergleich mit
normaler Haut einen derartigen Schluß zu ziehen. Irgendwelche
entzündliche Veränderungen konnten wir nirgends konstatieren.
In der Literatur linden sich Angaben über den Befund bei
5 Sektionen. 4 Fälle wurden von Der cum veröffentlicht. Bei
seinen beiden ersten Autopsien fand sich eine Hypertrophie der
Schilddrüse mit Verkalkunfr. Eine mikroskopische Untersuchung
der verschiedenen Organe wurde nicht vorgenommen. Im 3. Fall
^Tirde eine partielle unregelmäßige Atrophie der Schilddrüse kon-
324 XVIII. SCHWEM&BNBECHEB
statiert, mit Hypertrophie derselben an anderen Stellen, ferner eine
interstitielle Entzündung der subkutanen Nerven, endlich eine De-
generation der Goirschen Stränge, (In diesem Falle scheint neben
der Adipositas dolorosa eine, wenn auch nicht typische, Tabes dor-
salis vorgelegen zu haben.)
Bei der 4. Sektion, über welche Der cum in Gemeinschaft mit
MacCarthy berichtet, konnten keine deutlichen Schilddrüsen-
Veränderungen gefunden werden, namentlich auch mikroskopisch
nicht. Dagegen fanden sich ein Adenokarzinom der Hypophysis,
Anomalien an den Hirnhäuten, Vermehrung der Zahl der Hirn-
furchen und Zusammenfließen derselben, interstitielle Neuritis in
den Nervenfasern des oberflächlichen Unterhautfettes, neugebildete
Lymphdrüsen im subkutanen Zellgewebe. Die Milz wies eine starke
Erweiterung der Bluträume auf und eine geringe Vermehrung des
interstitiellen Gewebes, außerdem bestand eine Hodenatrophie, akute
parenchymatöse Nephritis und ein Hauterysipel
Der 5. Fall der Kranklieit, bei welchem die Autopsie stattfand,
wurde von Burr beschrieben. Auch er beobachtete eine Ver-
änderung der Schilddrüsensubstanz, ähnlich dem von Der cum er-
hobenen Befunde. Ferner fanden sich interstitielle Entzündung der
subkutanen Nerven und eine Hypertrophie der Hypophyse mit Gliom-
bildung. Die Ovarien waren klein und atrophisch.
Von diesen beschriebenen Veränderungen sind nur wenige wieder-
holt beobachtet ; nur wenige haben eine gewisse Bedeutung für das
Symptomenbild der Adipositas dolorosa.
Die Schilddrüsenveränderungen sind einmal außerordentlicli
wenig charakteristisch; es handelt sich um partielle Atrophie
und Zystenbildung, sowie um gleichzeitige Vermehrung anderer
Drüsenpartien, wie wir es bei jeder Struma beobachten können.
Ferner existiert eine ganze Beihe von Krankenbeobachtungen, in
denen irgendwelche nennenswerte Schilddrüsenveränderungen, wie
z.B. eine Struma, fehlten: Strübing erwähnt bei keinem einzigen
seiner Kranken das Vorhandensein einer Struma; der positive Be-
fund in unseren Fällen hat deshalb keine große Bedeutung, weU
hierzulande der Kropf sehr verbreitet ist. Der Fall von Roux,
bei dem neben der Bildung von schmerzhaften Fettgeschwülsten
ein ausgesprochener Morbus Basedowii bestand, gehört nicht zu der
Adipositas dolorosa, sondern zu den schmerzenden Lipomen. Immer-
hin ist bei der Ähnlichkeit beider Prozesse dies Zusammentreffen
von großem Interesse, um so mehr, als auch zwei unserer Kranken
über die Adipositas dolorosa. 325
leichten Tremor und zeitweilige Tachykardie zeigten. Auch ein Fall,
den L. v. Schrötter^) beobachtete, scheint hierher zu gehören.
Die zweite Frage, welche f&r die Pathogenese der Adipositas
dolorosa in Betracht kommt, sind organische Veränderungen der ner-
vösen Apparate, des Gehirns, des Kückenmarkes, der peripheren
Nerven.
Bei 2 Sektionen wurde eine Erkrankung der Hypophyse ge-
funden, bei dem einen von De reu m beschriebenen Fall eine De-
generation der Goll'schen Stränge.
Alle diese schweren Läsionen stehen keineswegs in unmittel-
barem Zusammenhang mit der Adipositas dolorosa, da in der Mehr-
zahl der Fälle nicht der geringste Anlaß vorliegt, eine ernstere
Läsion des Nervensystems anzunehmen.
Es ist noch erforderlich, auf den dreimal erhobenen Befund
einer Entzündung der feinen Subkutannerven einzugehen. Von
vornherein ist, wie bereits erwähnt, nach dem ganzen klinischen
Bilde die Annahme einer Neuritis nicht wahrscheinlich, da wir mit
gleichzeitiger Abnahme des Fettpolsters und der Blutstauung in der
Haut auch die Schmerzhaftigkeit abnehmen sehen, und Sensibilitäts-
störungen zum Bilde der Adipositas dolorosa nicht gehören. Auch
wir haben diese Frage noch einmal eingehend untersucht : Li zahl-
reichen Schnitten, die nach der Weigert'schen Markscheidenmethode
behandelt waren, konnten wir weder in der Haut selbst noch im
Unterhautzellgewebe, weder in den Nerven noch im Perineurium und
dem umgebenden Bindegewebe, noch an irgendeiner anderen Stelle
des Präparates eine Rundzellenanhäufung konstatieren. *2)
Die von Dercum und Burr beschriebenen Kranken, in denen
post mortem die interstitielle Neuritis nachgewiesen werden konnte,
scheinen viele Jahre an der Adiposis dolorosa gelitten haben. Es ist
deshalb nicht ausgeschlossen, daß sich allmählich infolge des lang an-
haltenden Druckes entzündliche Vorgänge an den Nerven einstellen.
Einige Autoren, wie Potain, Strübing, haben darauf hin-
gewiesen, daß der Gelenkrheumatismus eine häufige anamnestische
Angabe der Patienten bildet. Da im Beginn des Leidens, das an-
scheinend sich ja sehr langsam entwickeln kann, die Beschwerden
von den Kranken häufig in die Gelenke verlegt werden und auch
von Ärzten bei der relativen Seltenheit der Erkrankung meist
1) V. Schrötter, Zum Symptomenkomplex des Morbus Basedowii. Zeitschr.
f. klin. Med. 48 1903 S. 1.
2) Bei der Untersuchung der Hautschnitte hat mich mein Kollege Dr. S ick
flebr wesentlich unterstützt.
326 XVIII. Schwenken bbchjSr
rheumatische Beschwerden diagnostiziert werden, so ist diese An-
trabe jedenfalls nicht von größerer Bedeutung.
Noch in einer anderen Richtung suchten wir das Wesen der
Adipositas dolorosa an unseren Patientinnen zu studieren: Wenn
überhaupt bestimmte Fälle von universeller Fettleibigkeit als kon*
stitutionell bedingte angesehen werden können, so gehört sicherlich
die Mehrzahl der Fälle von schmerzender Fettsucht zu ihnen. Denn
bei ihr ist die Fettanhäufung kaum die alleinige Folge der Über-
ernährung, vielmehr erscheint sie als ein Symptom einer zurzeit
noch unbekannten Krankheit.
Da wir bei unseren Kranken neben der Massagebehandlung
den Fettbestand des Körpers auch mit Hilfe einer Unterernährung
zu mindern suchten, so reichten wir von Anfang an beiden Mäd-
chen eine Kost von etwa 1200 Kalorien pro Tag. Die eine Kranke
(Sophie W.) erhielt hiermit bei (54 kg Anfangsgewicht 19 Kalo-
rien pro Tag und Kilo; die andere (Marie S.) bei 55 kg 22 Ka*
lorien. Bei dieser geringen Zufulir und mittlerer Körperbewegung
konnte nun während 4 \\^ochen keine konstante Gewichtsabnahme
erzielt werden. Vielmehr schwankte das Körpergewicht ziemlich
unregelmäßig hin und her. Deshalb isolierten wir die Mädchen
und hielten sie vierzehn Tage lang bei Bettruhe unter ständiger
Aufsicht einer Schwester, die Tag und Nacht bei ihnen und ledig-
lich zu ihrer Pflege bestimmt war. Während dieser Zeit bekamen
beide Mädchen eine Kost von höchstens 1000 Kalorien M, und zwar
erhielt Sophie W. (()3 Kilo) 1() Kalorien pro Tag und Kilo, Marie
S. (55 Kilo) 18 Kalorien. In der 14tägigen Untersuchungsperiode
nahmen nun beide Patientinnen ab, und zwar:
Sophie W\ 03,0-f)l,l kg --1,9 kg •
Marie- S. 55,0—52,9 „ ~ 2,1 „
Diese Gewichtsabnahme muß als sehr gering bezeichnet werden.
Der Energiebedarf beträgt somit bei Sophie W. etwa 18 Kalorien
pro Tag und Kilo, bei Marie S. etwa 20. Diese Zahlen sind sehr
niedrig, aber nicht so auffallend klein, wenn man bedenkt, daß
beide Patientinnen neben einem unmäßig entwickelten Fettpolster
eine äußerst spärliche Muskulatur besaßen, und daß die täglich
geleistete Arbeit sehr gering war.
Die Lösung der Frage, ob dieser Form der Fettsucht eine
verminderte Oxydationsfähigkeit der Körperzellen zugrunde liegt
1) Die Kost bestand aus: '/.> 1 Kaffee, '^ 1 Milch, 60g Weißbrot, 120g:
Braten, 2 Eiern.
über die Adipositas dolorosa. 32?
hing davon ab, ob wir imstande waren, bei beiden Mädchen eine
annähernd genaue Kenntnis ihrer Wärmeproduktion zu gewinnen.
Da wir alle komplizierteren Methoden der Stoff- und Kraftwechsel-
untersuchung vorderhand nicht ausführen konnten, so mußten wir
uns damit begnügen, eine sorgfältige Bestimmung der durcli Haut
und Lunge ausgeschiedenen M'asserraenge auszuführen.') Gibt
doch auch diese, ebenso wie die vom Körper gebildete Kohlensäure,
bei gleichmäßigen äußeren Bedingungen einen gewissen Anhalts-
punkt für die Größe der Wärmeabgabe bzw. Wärmebildung.
1. Sophie W., 18 Jahre alt, 64,2 kg, 154,5 cm, Bauchumfang 91 cm
KÖi'peroberfläche Dach Bouchard 17 000 qcm. Hemd, Düchtero.
m 1 ^- 1 -i. Bemerkung
Feuchtigkeit ®
54
51
56
59
57
61 hatte Leibschmerzeu.
Mittel: 21 g pro Stunde, B g pro Stunde und 10 Kilo
i 2 g „ ,, „ 1 qm Oberfläche.
Hautwaaser pro 24 Stunden 504 g.
Lungen Wasser t^jj^^ Relat.
pro Stunde ' Feuchti.orkeit
12 25,7 51
17 25J 51
Mittel: 15 g pro Stunde, 2,3 g pro Stunde und 10 Kilo
9 tr ^ ,^ 1 qra.
Langenwaeser pro 24 Stunden 360 g.
Haut- -}- Lungen Wasser pro Stunde 36 g, pro 24 Stunden 864 g.
2. Marie 8., 20 Jahre alt, 57,8 kg, 152,5 cm, Bauchumfang S7 cra^
Körperoberfläche nach Bouchard 16 000 qm. Hemd, nüchtern.
Hautwasser
Tpvnn
pro Stunde
xcllip
19
27,3
18
27,4
20
27,5
21
27,5
22
27,5
27
27,1
Hautwasser
Temp.
Relat.
pro Stunde
Feuchtigkeit
7
25,1
59
7
26,2
54
15
26,8
56
22
27,6
54
22
27,7
52
Mittel: 15 g pro Stunde, 2,6 g pro Stunde und 10 Kilo
^ g j^ ?» ,? 1 q»^-
Hautwasser pro 24 Stunden 3 60 g.
1) Eine Beschreibung; der Methode findet sich in diesem Archive Bd. 79
S. 56 und S. 359.
328 XVni. SCHWENKSNB£CHEB
Langenwasser
Temp.
Relat.
pro Stunde
Feuchtigkeit
10
24.5
56
13
22,6
58
14
23.1
55
Mittel: 12 g pro Stunde, 2 g pro Stunde und 10 Kilo
8 g „ „ „ l qm
288 g pro 24 Stunden.
Haut- -f Lungen wasser pro Stunde 27 g, pro 24 Stunden 648 g.
Aus diesen Versuchen ist zu entnehmen, daß die von unseren
Patientinnen abgegebenen Wassermengen an der unteren Grenze
des Normalen liegen. Einige Untersuchungen gleicher Art, welche
im vergangenen Jahre an denselben Kranken vorgenommen wurden*),
hatten eine deutlichere Herabsetzung der Hautwasserbildung er-
geben. Diese Differenz steht wohl damit im Zusammenhang, daß
im Vorjahre bei beiden Mädchen eine erheblich größere Fettent-
wicklung in der Haut und im Unterhautzellgewebe bestand als
während ihres letzten Aufenthaltes in der Klinik im Frühjahr 1904
Unsere Versuche haben also ein ähnliches Resultat ergeben
wie die von v. Noorden, Magnus- Levy u. a. an Fettleibigen
angestellten Untersuchungen des Lungengaswechsels. Was wir
hier für die Wasserdampfausscheidung fanden, konnten die genannten
Autoren für die Kohlensäureproduktion bzw. Sauerstoffaufnahme
feststellen : die betreffende Gasmenge war zwar gering, mußte je-
doch als noch normal gelten. Durch diese Experimente konnte
somit die Existenz einer „konstitutionellen Fettsucht" nicht be-
wiesen werden. Auch fernerhin ist nicht zu erwarten, daß diese
Frage mit Hilfe des Versuches ihre endgültige Lösung findet, so-
lange man außerstande ist, den Energiebedarf von Menschen sehr
verschiedener Konstitution auf ein und dieselbe Einheit zu be-
rechnen. Denn weder das Gewicht, noch die Länge, noch die
Oberfläche des menschlichen Körpers gibt einen unter allen Um-
ständen richtigen Vergleichs wert für die Wärmebildung verschie-
dener Individuen.
Krankengeschichten.
1. Sophie W., 17 jähriges Dienstmädchen von hier. Die Eltern
der Kranken sind gesund, ebenso 9 Geschwister. In der Kindheit hatte
sie Masern und Diphtherie. Im 12. Lebensjahr 1898 hat sie Magen-
schmerzen und Blutbrechen gehabt. Ihr Arzt sagte ihr, sie habe ein
l) Siehe dieses Archiv Bd. 79 S. 49.
über die Adipositas dolorosa. 329
llageDgesehwür. Im Jahre 1900 hatte 8ie einen Ausschlag an den
Armen und am Leibe. 1901 eine Halsentzündung, welche mehrere
'Wochen dauerte, im Anschluß daran eine doppelseitige eitrige Ohren-
entzündung. Im Sommer 1901 bekam „sie schmerzhaft geschwollene
Fußsohlen'', auf Massage gingen die Schwellungen zurück.
Anfang März 1902 bekam sie Schmerzen in beiden Beinen, nament-
lich in der Gegend des linken Kniegelenkes. Gleichzeitig fühlte sie sich
sehr matt und hatte häufig das Oefühl von Übelsein.
Vom 29. März 1902 suchte sie deshalb die hiesige mediziniache
Klinik auf. Die Untersuchung der Kranken ergab nichts Abnormes, auch
erwies sich im speziellen der Magen in chemischer und motorischer
Funktion normal. Die Kranke wog bei ihrer Aufnahme 55 Elilo, bei
ihrer Entlassung am 3. Mai 1902 58,2 kg. Die Magenbeschwerden
waren geringer geworden; im linken Bein bestanden noch bei stärkerer
Anstrengung geringe Schmerzen. Das Mädchen hatte im ganzen mehr
den Eindruck einer arbeitsunlustigen, energielosen Person als den einer
Kranken gemacht.
Nach ihrer Entlassung im Mai 1902 wurden die Schmerzen in den
Beinen wieder stärker, es kamen noch dazu Schmerzen in den Schultern
und der Oberbauchgegend ; sie hatte fast immer heftigen Heißhunger und
wurde am ganzen Körper sehr dick. Im September 1902 will sie inner-
halb dreier Wochen noch dicker geworden sein, so daß ihr die Kleider
ziemlich plötzlich zu enge wurden, jetzt habe sie am ganzen Körper,
überall, wo man hinfasse, Schmerzen; häufigen Brechreiz, viel Kopf-
schmerzen. Die Periode sei unregelmäßig, mache aber keine Beschwerden.
Am 31. Oktober 1902 wiederum Aufnahme.
Das 17 jährige Mädchen ist 153,5 cm groß, besitzt einen kräftigen
Knochenbau, geringe Muskulatur und ein entstellend reichliches Fett-
polster. Der Brustumfang beträgt bei Exspiration 96, der Bauchumfang
90 cm. Das Gesicht hat eine bläulich - rote, im ganzen aber gesunde
Farbe, die Lippen sind blaß - zyanotisch. Die Arme und Beine haben
auch eine bläuliche Farbe. Die stärkste Fettentwicklung befindet sich an
den Brüsten und den Bauchdecken, an den Streckseiten der Oberarme,
an den Schultern, namentlich auch an den Unterschenkeln festes, sich
wie Speck anfühlendes Fettpolster. An den Unterschenkeln bildet die
Fettschicht die Form einer Manschette. Haut hier dicker als normal.
Gesicht, Hände und Füße sind frei. Versucht man die „infiltrierte" Haut
mit den Fingern aufzuheben, so wird heftiger Schmerz geäußert. An
den Stellen, wo die Bookbänder und Strumpfbänder gesessen haben, fehlt
die Infiltration, so daß an diesen Stellen eine tiefe Furche sich befindet.
An den Brust- und Unterleibsorganen findet sich nichts Abnormes.
Die Sinnesorgane, Sensibilität, Motilität, Beflexe sind yöllig normal.
Mäßig große parenchymatöse Struma,' Herzaktion völlig regelmäßig,
kein Tremor manuum, keine sonstigen Basedow-Symptome.
Die Therapie bestand in Einschränkung der Ernährung, Massage
ond Gymnartik, Bädern.
Allmählich wurden während der Monate November und Dezember
die Fettinfiltrationen, namentlich an den Extremitäten geringer, so daß
Deatsches Archiv f. klin. Medizin. LXXX. Bd 22
330 XVin. ScHWUOOnrBKHBJl
die Kranke am 3. Janoar 1903 viader ak leidHeh acbeitsfidug- auf ilirai
'ViTanBoh enÜaBsen werden konnte;
Bei der Entlaasnng betrag das Körpergewicht der Patientin 64,3 Kik^
trotadem sie nach unserer Berechnung höehstena 1500 Kalorien pro Tag
in ihrer Kost erhielt.
2. Zur selben Zeit, 12. November 1902, bekamen wir eine zweite
Kranke in Beobachtung. ICarie 8., 19 Jahre alt, Baaerstochter. Der
Vater ist magenleidend, die Mutter an Wassersucht gestorben, 8 Ge-
schwister sind gesund. Niemand unter den Angehörigen hat ein ähn-
liches Leiden, oder einen Kropf. Als Kind hatte sie Masern, sonst wsr
sie gesund. Die Begel trat im 16. Lebensjahr ein, später blieb sie eiK
ganzee Jahr aus. Jetzt ist sie wieder regelmäßig alle 4 Wochen, doch
mit Kreuzschmerzen verbunden. Seit etwa dreiviertel Jahren (Winter 1901)
hat die Kranke viel unter Müdigkeit, Schmerzen in der linken Bauch*
Seite zu leiden gehabt. Sie ist im aUgemeinen leisitnngBUiiföhiger ge-
worden, z. B. hat sie nicht mehr so gut schwerere Lasten heben können.
Seit dem März 1902 ist der Hals dicker geworden. Im Mai schwöllen
Häade und F&ße an, gleichzeitig hat sie häafig nach dem Essen brechen
mttssea; einmal sei etwas hellroles BLnt im Erbrochenen gewesen.
Schmerzen und Hitzegeffihl bestehen im Kopf, den Schultern, Knieen^
Füßen, vermehrt wieder im Baueh, auch wurde sie hn ganzes viel dicker.
Im September 1902 war sie deshalb schon vorübergehend in Kranken*
hansbehandlong. In der Zeit, wo sie besonders di«k wurde, will sie
nur sehr wenig Appetit gehabt haben, so^ daß sie fast nichts habe essen
können.
Ihre Beschwerden bestehen zurzeit in Atemnot bei stärkeren Be-
wegungen, Herzklopfen und den schon genannten brennenden Schmerzen
in den verschiedenen Körperteilen; häufig Übelkeit und flrbrechen. Alz
sie deshalb am 12. November 1902 die Klinik aufsuchte, wurde folgender
Befund whoben: Patientin ist 153 cm groß, besitzt mittelkräftigeni
^jiochenbau, Muskulatur spärlich, Fettpolster sehr reichlich, Gre wicht
60,5 kg, Brustumfang 93 , Bauchumfang 89 cm. Das Gesicht sieht ge-
dunsen ans, Wangen, und Lippen sind zyanotisch, ebenso die Untor-
sohenkel. Brüste, Bauch, Gesäß zeigen Striae, sind außerordentlich fett^
doch weich. An den Streckseiten der Oberarme von der Schulter bis zu
ihrer Mitte je- ein dicker, harter, sehr druckempfindüoher Fettwulst; an
den Unterschenkeln über den Knöcheln zwei Manschetten, von hartsm
Fett, die am festesten und schmerzhaftesten in* der Gagend der Fibalfr
BiQd.. Hand- und Fußrücken sind beiderseits schwammig. Keine widc-
liphen Ödeme.
Am Hals befindet sich eine starke Strumai Die Vergrößerong be-
trifft hauptsächlich den mittleren und linken Lappen, die Struma reidit
bis unter das Sternum hinunter. Im Mittellappen eine harte Zyste. Die-
Atmung ist oberflächlich, 32 mal in der Minute, erschwert.. Stärkere
Llyapnoe bei geringem Druck auf die Struma.
Die Herzgrenzen sind normal, der erste Herzton ist unrein, dio
Aktion nicht ganz regelmäßig und gleichmäßig. Die Pulszahl beträgt 11^
in der Minute. Zeitweilig an den Händen fsinschlägiger Tremor.
über die A^posits^ äoldroiSt,
im üfirigeri ^fgäi) die ITüfcrfffticBüng iidrmftlen Befdrid; SeusibiUtät
img mmtih m^ Th^iäpie hefÜttEid in iSaMnäj^ des ^khteh K5rpetir
ittn. m BmÜm.
Afii 96. Jkm&ir 190B sncMe ritin die erste Ktsinibe' 8(]/|)hie \f;
v^de^ttm di<^ Klinik atit:
8 TAge lang war es ihr rh Hiinse gut ^gaitgen, darin bekani si^
i^M^ Hit^gefäbl tri der Haut, Sehrtierz^n in den Beinen, Backen^
Bauch, Brust, Oberarme, Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit.
Iiri tiefund niclits wesentliches verändert. In der Begid epigastrica
an den Unterschenkeln und iri der Schultergegend Wieder stärke Fett-
iofiltration. Sie wog 66 Kilo. Beide Kranke bekamen gleichzeitig die-
selbe Kost, welche etwa 1200 Kalorien enthielt.
Da die beiden Mädchen trotz dieser geringen Nahrungszufuhr und
täglichem Massieren, Baden, Tarnen und Arbeiten relativ wenig von
ihrem Fettpolster einbüßten, wurden sie 14 Tage lang zu Bett gelegt,,
in einem Zimmer isoliert; im selben Zimmer war Tag und Nacht eine
zuverlässige Schwester, welche lediglich zur Überwachung und Pfleflfe
dieser Ej*anken bestimmt war und die gereichten Speisen abwog. Die
beiden Mädchen wurden täglich morgens nüchtern gewogen. Sie er-
hielten pro Tag 1000 Kalorien.
Marie S. wog am 4. Febr. 1903 55,0 kg und am 19. Febr. 52,9 kg
= ~ 2,1 kg.
Sophie W. „ „ „ 63,0 „ „ „ „ 61,1 ,,
= - 1,9 kg.
Infolge dieser Entfettungskur wurden bei beiden Patientinnen die
Schmerzen geringer, so daß sie nach weiterer 14tägiger Behandlung mit
Massage und Gymnastik entlassen werden konnten.
Anfang März 1904 gelangten beide Mädchen auf unseren Wunsch
wieder zur Aufnahme in die Klinik. Beiden war es mehrere Monate
nach ihrer Entlassung im Februar 1903 zu Hause gut gegangen; sie
hatten arbeiten können, ohne größere Beschwerden zu empfinden.
Sophie W. hatte sogar einen Dienst angetreten. Nach einem weiteren
Vierteljahr hatte sie aber wieder das Krankenhaus aufsuchen müssen, da
sie heftige Schmerzen in den Bauchdecken bekommen hatte.
Bei ihrer TJntersachung (März 1904) zeigten sich Fettwülste an den
Oberarmen, mäßige Manschetten an den Unterschenkeln, dicker WuUt
in der Regio epigastrica. Öfters Tachykardie. Psoriasis am behaarten
Kopf und einzelne Fleckchen auf der Brust. Innere Organe ohne Be-
sonderheit. Körpergewicht = 62 kg. Fat. ist arbeitsfähig.
Marie S. bekam 3 Monate nach ihrer Entlassung aus der Klinik
wieder heftige Leibschmerzen und Erbrechen; auch sei sie in jener Zeit
wieder viel dicker geworden. Kopfschmerzen, Herzklopfen, Appetit-
losigkeit, Stuhlverstopfung traten dazu. Ihr Kropf wurde so groß,
daß er ihr zweitweilig starke Atemnot verursachte. Seit November 1903
hat sie zweimal einen Krampfanfall gehabt, sie will mehrere Standen
bewußtlos gewesen sein. Zuckungen in Armen und Beinen dabei. Kein
Zungenbiß, keine Verletzung.
22*
332 XVin. ScHWEKKBHBEGHEB, Über die Adipositas dolorosa.
Befand (März 1904): Große parencbymatöBe Struma. Tachykardie,
leichter Tremor. Dyspnoe infolge des Dmckes durch die Struma, die
zum Teil unter das Stemum reicht. Die Patientin ist fett, aber eigent-
liche, schmerzhafte „Fettinfiltrationen^ bestehen nicht. Die Anfalle er-
weisen sich als hysterische. Sonstige Störungen von selten des Nerven-
systems fehlen. Augenhintergrund, Beflexe, Sensibilität normal. Patientin
ist äußerst willensschwach; Stimmung dauernd trübe. Innere Organe
der Brust und des Bauches sonst ohne Besonderheit. Körpergewicht =
58 kg.
Patientin wird am 6. April 1904 zur partiellen Exstirpation des
Kropfes der chirurgischen Klinik überwiesen.
XIX.
Ans der medizinischen Klinik in Tübingen.
Einige Beobachtungen nber nattlrliche nnd kflnstlicli er-
zengte Lenkotoxine.
Von
Dr. Henry Asbury Ghristiaii
aus Boston.
Die Rolle, welche die geformten Elemente des Blutes bei der
Gerinnung spielen, ist vielfach untersucht worden. Einige Be-
ziehungen der Leukozjrten und der Blutplättchen zu dem genannten
Vorgang wurden jüngst in der medizinischen Klinik in Tubingen
studiert Da es nun wünschenswert erschien, die Leukozyten ev.
im zirkulierenden Blute schädigen zu können, ohne die anderen
Formbestandteile zu beeinträchtigen, so folgte ich einer Aufforde-
rung des Herrn Prof. Krehl, die Verwendung der Lenkotoxine für
diesen Zweck zu prüfen. Vorher war aber die Wirkungsart der
Lenkotoxine unter bestimmten Umständen zu beobachten.
Im Vergleich zu den Hämolysinen wurden die Lenkotoxine nur
wenig studiert. Über das Vorkommen natürlicher Lenkotoxine
konnte ich ^ogar nur eine einzige Angabe finden: Noguchi be-
obachtete*) eine Schädigung der Leukozyten von Krebsen durch
das Serum mehrerer Poikilothermen.
Mehr bekannt ist über künstlich erzeugte Lenkotoxine.
Metschniko ff lehrte*) uns das Serum eines Tieres leukolytisch
machen für die Zellen einer anderen Spezies durch Vorbehandlung
mit dessen Milz oder Lymphdrüsen. Die Beaktion war spezifisch
in, dem Sinne, daß lediglich die Leukozyten derjenigen Tierart,
deren Organe zur Vorbehandlung benutzt waren, beeinflußt wurden.
Auf Metschnikoff's Mitteilung folgten dann die Beobachtungen
von Besredka, Delezenne, Punk, Gladin, Ricketts,
1) Noguchi, Univ. of Pennsylvania, Med. Bull. XV 1902 S. 295.
2)Met8chnikoff, Annales de Tlnstitut Pasteur T. 13. 1899 S. 760.
334 XIX. Christian
Bierry und Flexner, fiber die alle Sachs in seinem zusammen-
fassenden Referat ^Die Zytotoxine des Blutserums^ berichtet hat.^)
Neißer und Wechsberg benutzten*) die Beeinträchtigung der
Reduktionskraft gegenüber Farbstoffen als Maßstab fär den Grad
der Schädigung, welche ein Serum bei Leukozyten erzeugt. Jüngst
hat dann noch Bunting') die Beobachtungen Flexner's fort-
gesetzt und die Einwirkung von Lympho- und Myelotoxinen auf
die im Kreislauf befindlichen Leukozyten der Gans studiert.
Bei allen Bßpbf^chtungeß üf^ef Häini)lyse gibt fiie Auflösung
des Farb^tofs ipi Seru^ ein ßmefip^liclie^ m^d leioh( napl^w^
bares Zeichen für die Schädigung der Erythrozyten. Die Ein-
wirkung von Serum auf die Leukozyten zu beurteilen ist viel
schwieriger. In der Regel hat pnan nach degenerativen Verände-
rungen ihrer Gestalt gesucht.
Wir sind zu der ursprünglich yon van derVelde, sowie von
Neisser und Wechsberg benutzten^) Methode die amöboiden
Bewegungen der Leukozj^en zu untersuchen zurückgekehrt, weil
wir glaubten damit eine empfindlichere Reaktion zu gewinnen. Auf
dem geheizten Objekttisch sind die polynukleären Zellen beweglich,
wobi auch die mononukleären. Wir haben bei unseren Beobachtungen
zwischen beiden Zellformen nicht unterschieden« der Ausdruck
„Leukozyt^ bezieht sich also bei uns auf beide.
Wir benutzten den yon der Firma 0. Eeiß her^stellten heizbaren
Ql^ekttifich. Mischungen von frischem Blut und Serum wurden ia dünner
Schiebt unter ßchf^t« vor Yerdunstung mit d^r .3 mm Apocbromäi-
immersion und ^i^pmpenaationspkulii^ 4 bsobuch^t. Die Her^^llf^ig dar
Serumyerdünnung erfolgte annäherz^d gena^i duf cl^ QpnuUsung e^i^er Plaün-
Öse von bestimmter Qröße. Bei einiger Übui)g vergeht nuf sehr kurze
Eeit zwischen der Gewinnung des zu untersuchenden Blutes und der
Herstellung des Bräpasats auf dem geheizten Objekitisoh. Für jeden
YersHcl) wm:4ep Kontrollppäpi^ni^te jfm ^Qverdünntfim Blpt des gleichen
Tieres hergestellt ; ferner auch Präparate mit dem gleiphe^ V^düni)uiig9-
grad, aber n^it indifferenten^ Serum. Stets wurden dip !^^ontrqlIpriiparate
unter genau den gleicbep Bedingungen wie die ßigentlichen ^räparat^
angefertigt, und nie wurde ein Urteil abgegeben, wenn nicht diese KontroU-
pcäparate eine lebhafte Bewegung der Leukozyten leigten.
Wie wir glauben, gibt dies Verfahren ejne recht empfindliche
Reaktion aqf etwaige toxische Eigenschaften eines Serumt^ ?^§it-
1^ Sachs, Biocfieniisches Zei^tr^blatt 1 1903. S. 5?8, 6^3, 6^, 693.
2) Neißer und Wechsberg, Müncheuer med. Wochenschr. 1900 S. 1261.
3) Bvnting, Univ. of Pennsylvania Me4. BuU. XYI 19Q3 S. m
4) Neisser und Wechsberg, Zeitschr. f. Hygiene 36 S. i\27.
Einige Beobachtimgen über natürli<Ae fmd kttustlich erzeng^te Lenkotozine. S85
"Über LeukozjrteR ond mgt "bereits geringe örade der Scb&dignng
derselben an.
Bekanntlich sind natfirliche Hämolysine recht häufig. Wir
legten nns nnn zuerst die Frage vor, ob dieselben irgendwelche
Beziehung zu nattrüch vorkommenden Leukotoxinen haben, um
dies zu erfahren, brachten wir auf dem geheizten Objekttisch eine
Eeihe von Blutarten mit Serumproben zusammen, welche fSr das
betreffende Blut hämolytisch wirken.
Beiapieh
KanincheDblut 1' Öse
HoDdeaemm '5' Ösen] 1 St. 10'
l 1 St. 30*
r 5'
Xanincbenblat 1 Oae
Hondeaeram 10 Ösen
/ 2! B** Leukozyten bewegl. Erythrozyten gelöst
j 20' 25"
10'
40'
1 St. 30'
Kontrolle:
Eaninchenblut 1 Öse
Kaninchenseram 5 öaen
r 10' 15"
1 St. 15'
1 St. 30'
ff
.91
tf
fi
if
if
I»
t9
9f
« i
Ehrytbrozyt.
99
ff
Das Ergebnis aller unserer Beobachtungen ist in Tabelle ^
zusammengefaßt. .
Tabelle 2.
*
Senim
Blut
Leukotoxie
1 . >
Serum
Blut
Leukotoxie
£ani]ichen
Ratte-
0
Gans
Mensch
0
m
Menach
0
Frosch
Kaninchen
0
R
Meerschwein-
0
n
Ratte
. 0
chen
H
Mensch
0
Ratte
Kaninchen
0
*t
Meerschwein-
0
Hund '
Kaninohen,
0
##
chen
-
n
Ratte
0
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Salamander*)
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T)
Mensch
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Salamander
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Ratte
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j»
Mensch
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Menich
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it
Meerschwein-
0 •
n
Hnnd
•;+ . .
chen
Ganp
Kaninchen
0
n
Frosch*)
0
n
Ratte
0
•
Unter den von uns . untersuchten . Sera losen einzelne die
Erythrozyten der Blutarfen, mit welchen sie zusammengebracht
worden, auf, andere nicht. Das einzige Beispiel für ein natür-
*) Beohachtnngen hei Zimmertemperatur.
336 XIX. Chbistiav
liches Leukotoxin fanden wir im Huhnseram gegenüber den weißen
Blntzellen des Hnndes. Wir haben dies natürlich genan ver-
folgt nnd haben z. B. wiederholt Hnhnsernm mit anderen Arten
von Lenko^ten zusammengebracht: nie fanden wir, daß andei-e
Blntzellen als die des Hundes geschädigt wurden.
Daraus geht die relativ große Seltenheit der natürlichen Leukor
toxine hervor: zwischen Hämolysinen und Lenkotoxinen scheint
keine direkte Beziehung zu bestehen.^)
Zum Studium der künstlich erzeugten Leukotoxine behandelten
wir Kaninchen intraperitoneal mit einer Emulsion von Rattenmilz
in 0,9 proz. Kochsalzlösung. Jedes Kaninchen eit*hielt V« Milz. Da-
durch wurde das Kaninchenserum für die Leukozyten der Ratte
toxisch, wie folgendes Beispiel zeigt:
Tabelle 3.
Rattenblut 1 Ose /
Kaninchensenm A 4 ÖsenV *' ^^' ^'^'^7*^'' unbeweglich
**
Rattenblnt 1 Ose / 5' Leakovyten beweglich
Normales Kaninohensemm 4 ÖsenX 1 St. 30' „
Während zweier Monate erhielten Kaninchen je 8 solcher In-
jektionen in unregelmäßigen Zeiträumen. Ihr Serum hob dann in
der Verdünnung 1:1 die Beweglichkeit der Rattenleukozyten sofort
auf. In diesen und selbst in stärkeren Lösungen zeigten die ge-
lähmten weißen Blutzellen selbst nach 20 stündigem Aufenthalt
keine Spur einer Auflösung; sie erschienen höchstens ein wenig
gequollen und etwas weniger granuliert als im Anfang.
Diese leukotoxischen Kaninchensera waren gleichzeitig, wie
eingehende quantitative Versuche erwiesen, in hohem Grade hämo-
lysierend geworden.
Das gleiche Ergebnis bezüglich der Leukozyten und Erythro-
zyten erzielten wir mit dem Serum von Ratten, welche mit Kaniuchen-
milz behandelt wurden.
Da die Milz doch wahrscheinlich in irgendwelcher Beziehung
zum Blutleben steht, könnte man vermuten, daß die durch Milz-
iqjektion erzeugten Veränderungen in diesem Sinne spezifisch sind^
daß dieselben lediglich nach Injektion von hämatopoetischen Organen
entstehen. Wir haben deswegen Kaninchen auch mit Injektionen
von Lebersubstanz behandelt, indem wir ihnen etwa die gleiche
1) Vgl. die Angabeii von Neisser und Wechsberg, I. c. über Lenko-
zidin und Hämolysin der Staphylokokken.
£inige Beobachtangen über natttriiche und künstlich erzengte Lenkotoxine. 337
Menge davon gaben,, wie bei den vorhergenannten Einspritzungen
Milz verabreicht worden war. Das so gewonnene Sei*am zeigte
die gleichen leukotoxischen und hämolytischen Eigenschaften. Irgend-
welche sichtbare quantitative Unterschiede zwischen diesen beiden
Arten von Sera haben wir nicht auffinden können. Auch das durch
Einspritzung von Nierenemulsion gewonnene Serum wirkte genau
in der gleichen Weise und Sttrke.
Um dem Einwand zu begegnen, daß das mit den Organen ein-
gespritzte Blut die Entstehung der Leukotoxine zur Folge habe,
haben wir noch die Nieren entbluteter Ratten von der Arterie aus
mit 0,9proz» Kochsalzlösung so lange durchgespült, bis das ganze
Organ blaßgrau aussah, so daß es sicher kein Blut mehr enthielt
Wir wählten zu diesem Versuche Nieren, weil bei diesen das Frei-
sein von Blut am leichtesten zu erreichen ist. Mit einer halben
solchen Niere in Emulsion wurden dann Kaninchen behandelt und
zwar erhielt jedes Tier 4 solche Injektionen innerhalb von 6 Wochen.
4 Tage nach der letzten Injektion wurden die Tiere getötet und
entblutet. Das Serum derselben war dann ebenfalls leukotoxisch
wie das der oben erwähnten Tiere. Ebenso wirkte es hämolytisch.
Nach Abschluß dieser Beobachtungen veröffentlichte P e a r c e *)
eine Arbeit über Nephrotoxine. Er stellte nephrotoxisches Serum
her genau in der gleichen Weise wie wir. Dieses Serum war
gleichzeitig hämolytisch und Pearce beschreibt dies als einen
Beweis dafür, daß ein in dieser Weise entblutetes und gewaschenes
.Organ die Produktion von zytotoxischem Serum hervorruft. Ahn-
liche Ergebnisse erzielte er durch Einspritzung von gewaschener
Leber.
Diese Beobachtungen stimmen gut ttberein mit denjenigen von
Moxter*) und v. .Dungern*): die Injektion von blutfreien Zellen
(Spermatozoen, Flimmerepithelien) führte zur Entstehung eines
Serums, welches toxisch für die genannten Zellen und zugleich
hämolytisch war.
Kaninchen, welche mit gewaschenen roten Blutkörperchen
oder mit zellfreiem Blutserum der Ratte in genau der gleichen
Weise wie oben erwähnt behandelt waren, bekamen kein leuko-
toxisches Serum.
1) Pearce, üniversity of Pennsylvania Med. Bull. XVI 1903 S. 217.
2) Moxter, Deutsche med. Wochenscbr. 1900 S. 61.
3) V. Düngern, Mtinchener med. Wochenscbr. 1899 S. 1228.
338 ^KI^' CHBISTIAfr
Beispiel:
lUitejiblot 1 Öse
1(V .Lidvkoeytcp beweglich
18'
KftDiacb9a8erom O 5 0«en i t oi "
1 öt „
1 St. 20' „
KaoinchMi C ist mit sellfreiem BlntMiniii der Bette beheodelt
5^ Leukozyten beweglich
20'
Betteoblat I Öse
Knoincbenserum J) 5 Ösen
1 St. 15'
Kaninehen D ist mit gewaschenen roten Blatk9rperchen der Batte
behandelt.
Es ist also erwiesen, daff lenkotoxisches Serum durch die Id-
jektlon von Milz, Leber oder Niere erzeugt werden kann. Keines-
falls hängt dies zusammen mit der Einspritzung von Blut oder
Blutkörperchen, sondem die Zellen der Organe selbst sind das
Maßgebende für die Bildung der Leukotoxine. Mit anderen Worten:
leukotoxisches Serum ist nicht in dem Sinne spezifisch, daß es nnr
mit Hilfe der Zellen des Blutes oder der blutbildenden Organe erzeugt
werden kann. Sondern es vermag auch zu entstehen durch die
Einwirkung von Zellen gänzlich anderer Art und Funktion, sowie
völlig anderen Ursprungs. Eine Spezifität würde nur in dem Ehr-
lich'sehen Sinne gemeinsamer Atomgruppen vorstellbar sein.
Bezüglich des Verhaltens gegen Leukozyten anderer Herkunft
als von der Spezies, mit deren Organen die Behandlung vorgenommen
worden war, ist es bei den Leukotoxinen gerade wie bei den Hämo-
lysinen: sie wirken, nur gegen die weißen Blutzellen der ganz be-
stimmten zur Vorbehandlung benutzten Tierart.
Das steht in voUkonimener Übereinstimmung mit den Erfah-
rungen von Metschnikoff^) und Besredka*). Indessen einzelne
Ausnahmen fanden diese Forscher ebenso wie wir. Z. B. sahen wir
das Serum eines für Rinderblut leukotoxisch gemachten Meerschwein-
chens auch giftig gegen die weißen Blutzellen des Kaninchens wirken.
Pieser Punkt ist völlig analog den Beziehungen der Hämolyse.
Auch an den Leukotoxinen also erweisen sich wieder die von Ehr-
lieh und Morgenrotb betonten Beziehungen als richtig. Zellen,
die sich morphologisch und funktionell so außerordentlich nahe
stehen wie die Leukozyten verschiedener Säugetierspezies, sind in
dieser chemischen Beziehung, eben gewissen Toxinen gegenüber,
1) Metschnikoff, Annales Paateur 13 1899 S. 760.
2) Besredka, Annales Pasteur 14 1900 S. 390.
Eini^ Beobacbtongen über natürlicbe und künstlicb erzengte Lenkotoxine. 339
viel weiter voneinander entfernt als von Zellen der Epithelgrappe,
welche funktionell nnd genetisch nicht das geringste mit ihnen
zu tnn haben, die aber von einer bestimmten Tierart stammen.
Die Vorstellungen der Ehrlich'schen Theorie wüi'den, wie
bekannt, gerade auch diese Erscheinungen erklären.
Die Lenkotoxine werden ebenso wie die Hämolysine durch
halbstündige Erwärmung auf 55 ^ verstört Ebenso leiden sie, wenn
sie längere Zeit aufbewahrt werden, man mn£ also mit frischem
Serum arbeitei^ Dfß Möglichkeit eifies weiteren Irrtums liegt
darin, daß Bakterien, welche in einem aufbewahrten Serum wachsen,
LeukotoKine eraseHgefi. Die bakteriell, speziell die durch den Staphy-
lococcus aureus erzeugten Lenkotoxine sind von Van de Velde^),
BaiP) und anderen studiert wordep, Sie werden auch durch die
Mikroorganismen der gewöhnlic)ieu Fäulnis erzeugt und sind natflr-
lich sehr leicht imstande Versuche wie die meinigen zu stören.
Natürliehe und erworbiene Hämolysine kommen also vor ohne
4afi das betreffende Serum zugleich leukotoxisch ist. Dagegen
kpnnten wir nie ein leukotoxisches Serum beobachten, welches nicht
nugleieh hämolytisch gewesen wäre. Das ist sehr hinderlich f&r
die Ausführung des anfangs angeführten Gedankens: jedes leukor
toxische Serum, welches wir flir das Studium der Gerinnung ver^
wenden wollten, wflrde gleichzeitig Hämolyse hervorrufen.
X) Yan 4e Vel4e, L^i cellale 10 S. 403.
2) Bail, Archiv f. Hygiene 30, 1897 ß. 248.
XX.
Aus der medizin. Klinik in Ttibingen.
Über die gerinnnngshemmende Wirknng des Eobragifte&
Von
Dr. F. MorawitZy
Ässistensarzt der Klinik.
In einer früheren Mitteilang (1) haben wir zu zeigen yersncht,
daß die Entstehung des Fibrinfermentes ein komplizierterer Vor^
gang ist, als man früher anzunehmen geneigt war. Es hatte sich
herausgestellt, daß das Fibrinferment nicht, wie man bisher meint^
aus einem einheitlichen Proferment unter Einwirkung von Kalksalzen
entsteht söndei-n daß zwei verschiedene und voneinander wohl zn
trennende Substanzen dem Begriff des Profermentes im Sinne von
Arthus(2) und Pekelharing(3) entsprechen; diese Substanzen
können nur unt^r Einwirkung von Kalziumionen miteinander rea-
gieren und das aktive Thrombin bilden. Für die unwirksamen
Vorstufen des Fibrinfermentes haben wir vorläufig die Bezeichnung
Thrombogen und Thrombokinase vorgeschlagen, indem wir an-
nehmen, daß das erstere wenigstens zum Teil dem Proferment,
letzteres wahrscheinlich teilweise den zymoplastischen Substanzen
Alexander Schmidt's(4) entspricht.
Seitdem eine Trennung der beiden Vorstufen des Fibrinfer-
mentes mit Sicherheit durchgeführt worden ist, kann man mit
mehr Aussicht auf Erfolg als bisher daran gehen den Mechanis-
mus zu untersuchen, welcher die Wirkung verschiedener gerin-
nungshemmender Agentien bedingt.
Bereits bei Gelegenheit der Besprechung der Antifibrinfermente,
die im Blutegelextrakt und in dem durch Peptoninjektionen er-
haltenen ungerinnbaren Blute sich finden, wurde ausführlicher er-
örtert, daß man es in diesen Fällen mit Körpern zu tun hat, die
ihre Wirkung gegen das fertige Fibrinferment und vielleicht das
Thrombogen, nicht aber gegen die Thrombokinase richten (5). Auf
über die gerinnnngBbemmende Wirkung des Kobragiftes. 341-
aüderiBm Wege sind Fnld und Spiro (6) ebenfalls zu der An-
schauung gelangt, daß ein Neutralisationsverhältnis zwischen diesen
Antikörpern und dem Zytozym (= Thrombokinase) nicht besteht.
Nun kennt man jedoch noch eine große Reihe anderer Sub*
stanzen, die ebenfalls die Gerinnung des Blutes in spezifischer
Weise hemmen oder verhindern; es war zu erwarten, daß der
Mechanismus der Hemmung nicht in allen Fällen der gleiche sein
würde. Ein Anfang: in der Untersuchung verschiedener Plas-
mata nach dieser Richtung ist kfirzlich auf unserer Klinik von
Boggs (7) gemacht worden. Er stellte nämlich fest, daß das
durch Injektion von Gewebssaft, also Kinase, erhaltene unge-
rinnbare Blut sicher kein Antithrombin, vielleicht aber eine
Antikinase enthält, oder daß die Reaktion zwischen dem Throm-
hogen und der Kinase behindert ist. Häufig beobachtet man nach
Injektion von Gewebssaft, besonders wenn größere Mengen in An-
wendung kommen, intravaskuläre Thrombosen, während das übrige
Blut ungerinnbar ist, wie man das bereits durch die Versuche von
Wooldridge(8), Wright(9) und Groth(lO) wußte.
Im Anschluß an diese Beobachtungen erschien es wünschenswert
die Ursachen der gerinnungshemmenden Wirkung des Schlangen-
giftes auf das Blut zu untersuchen, da in der Literatur einige
Beobachtungen vorlagen, die auf ziemlich weitgehende Analogien
zwischen der Wirkung der Gewebssäfte und der Schlangengifte auf
die Blutgerinnung hinwiesen.
Daß das Blut von Tieren, die durch Schlangenbiß zugrunde ge-
gangen waren, zuweilen ungerinnbar ist, scheint eine sehr alte
Erfahrung zu sein, auf die bereits Fontana (11) hinweist. Da-
gegen sind systematische Untersuchungen über die Ursachen dieses
Phänomens erst in recht geringer Zahl angestellt worden. Brai-
nard(12) und Weir-Mitchell(13) bestätigten die Beobachtung
von Fontana(ll) und machten darauf aufmerksam, daß eine Ge-
rinnungshemmung nach Injektion von Schlangengift nur dann zu
beobachten ist, wenn das Gift Gelegenheit hat sich ausgiebig mit
dem Blute zu mischen, während sich bei Tieren, die unmittelbar
nach der Injektion gestorben sind, intravaskuläre Thrombosen
finden. Halford(14) fand nach Injektion des Giftes mehrerer
australischer Schlangen Gerinnungshemmung.
Ausführlicher haben sich mit dem Problem Heidenschild (15),
Martin (16), und Stephens und Myers(17) beschäftigt.
Heidenschild (15j, der unter Alexander Schmidt
arbeitete, glaubte die Ungerinnbarkeit des Blutes nach Injektion
942 ^^^ Mcmiirv»»
iet Gifte Yon Naja und Crertaltts gemalt der' Theorie 8(chmidt's
dadurch erklftren zu kiyimen, daß Rtfter EiowirkuBg dei» Giftes iää
Protoplasma der Lenkozytes seine Spaltbarkeit verliert^ wfthrend
das Blutplasma selbst noch (fkhig ist ans normalefn Protoplasma
Fibrmferment abzuspalten, da Zusatz normaler Leukozyten datf
durch Schlangengiftinjektionen uvgerinnbar gewordene Blutplasma
schnell koaguliert Diese Aiföfuhrungen scheint Alexander
Schmidt späterhin, nachdem er seine Theorie der BIutgerinnuD^
weiter ausgebaut hatte, nicht inehr für ausreichend gehalten tU
haben, da er am Schluß seiner letzten zusammenfassenden Dar-
stellung des GerinnungsTorganges die Vermutung ausspricht^ däft
das Schlangengift nach Art des von ihm gefundenen gerinnungs^-
hemmenden Zytoglobin wirken möchte. Schmidt war jedocM
nicht mehr in der Lage hierüber weitere Untersuchungen anz«-
stellen.
Die ausführlichste Studie (iber den Einfluß von Schlang^fngift
auf die Blutgerinnung stammt yon Martin (16). Er untersuchte
das Gift der australischen Gattung Pseudechis porphyracens und
fand dabei eine sehr merkwürdige und bis in die Einzelheiten
gehende Analogie mit der Wirkung der Gewebssäfte (Wool-
dridge's Gewebsfibrinogen). Die Wirkungen, die Martin durch
Injektion dieses Giftes erzielte, ähneln durchaus denen, die Wool*
dridge, Boggs etc. nach Injektion von Thrombokinase in die
Blutbahn beobachtet hatten. Es fand sich also zunächst eine posi-
tive Phase der Gerinnung, die häu^g zu ausgedehnten Thrombosen
führte, dann folgte eine negative, in der das Blut ungerinnbar war^
jedoch auf Zusatz von Fibrinferment, Gewebssaft, Verdünnen mit
Wasser, Durchleiten von CO^ und zuweilen auf Zusatz von Chlor-
kalzium noch gerann. In vitro hatte das Gift einen etwas ver-
zögernden Einfluß auf die Gerinnung und es bildeten sich nur
lockere Gerinnsel, während Weir-Mitchell und Eeichert(18)
durch Auffangen von Blut in einer starken Lösung von Klapper*
Schlangengift die Gerinnung vollständig aufheben konnten. Mar-
tin glaubt nicht, daß das Gift durch einen G^ehalt an Gewebs-
fibrinogen oder Nukleoalbumin (= Thrombokinase) diese Wirkungen
hervorruft, sondern spricht die Vermutung aus, daß vielleicht durch
die Hämolyse, welche unter der Einwirkung des Giftes stattfindet,
Nukleoalbumin aus den Blutzellen in Freiheit gesetzt wird. Daher
also die große Ähnlichkeit mit den Erscheinungen nach Injektia»
von Gewebssaft.
Endlich haben Stephens und Myers(17) auch der extra-
über die gerinnimgsliemmeBdd Wirkiiiig des Eobragiftes. 343
väsknlSren Wirkung des Eobragiftes- auf die Blatgeriimung ihrer
Avftaierkaaakeit zugewandt Sie fanden^ daA Eobragift in vitro
die G^innHug de» Bltttes verhindern und da& diese Hemnrairg
dwch vorherige Misehnng des Giftes mit Calmette'sehem Gift-
imBumsenm aufgehoben werden kann.
Da die neizere Anscbaanng über die Entstehung des Fibrin*
fermentes dureh das Zusammenwirken mehrerer Faktoren eine
weitergehende Aufklärung der gerinnungshemmenden Wirkung des
Schlangengiftes in Aussieht stellte^ unternahm ich es zu unter*
siiehen, wie man sich den Mechanismus der Wirkung des Schlangen«*
giftes vorzQStellen hat^ reiq>. ob das Schlangengift auf das Fibri*
nogen, das Fibrinferment oder nur auf die eine oder andere Vor*
stufe desselben wirkt, femer ob di& gerinnungshemmende Wirkung
des Schlangengiftes eine direkte ist, oder ob sie eine vitale Eeak-
tieii des Organismus erfordei^t.
Durch das freundliche Entgegenkommen von Herrn Geheimrat
Ehrlich und Herrn Professor Calmette war ich in der Lage
ober eine größere Menge Kobragift zu disponieren. Beiden Herren
sei an dieser Stelle bestens gedankt.
Lb folgenden sollen unsere Erfahrungen über die gerinnungs-
hemmende Wirkung des Kobragiftes kurz dargelegt werden. Man
wird sich dabei erinnern müssen, daß die Wirkung der Gifte ver-
schiedener Schlangen auf die Blatgerinnung nicht gleich intensiv^
vielleicht auch in ihrem Prinzip verschieden ist, wodurch sich viel--
leicht manche Widersprüche erklären.
A. Einfluß von Kobragift auf die Gerinnbarkeit des
Blutes bei intravenöser Injektion.
Es wurden im ganzen 8 Versuche, 6 an Kaninchen und 2 an
Hunden, angestellt, die im wesentlichen die gleichen Resultate
gaben.
. Zur Verwendung kam eine 1 % Lösung von Kobragift iu
physiologischer Kochsalzlösung.
Die Kaninchen erhielten pro Kilo 0,01, die Hunde 0,0075 g
Öift
Die Tiere starben entweder unmittelbar oder wenige Minuten
nach der Injektion des Giftes an Atemlähmung.
Das aus der Karotis entleerte oder aus der Vena cava nach,
dem Tode mittels Aspiration gewonnene Blut war in allen Fällen
ungeiinnbar, falls man so lange gewartet hatte, daß eine gleich-
njäßigje Verteilung des Giftes im Kreislauf angenommen werden
344 XX. MoBAwrrz
konnte. Unmittelbar nach der Injektion war das aus der Karotis
eines Hundes entleerte Blut noch gerinnbar, zeigte aber keine be-
schleunigte Gerinnung, also keine positive Phase, wie man sie
nach Injektion von Gewebssaft sehen kann, was mit den Angaben
von Heidenschild(15) übereinstimmt, der eine positive Phase
nur in wenigen Fällen nachweisen konnte. Thrombosen, wie
Martin (16) sie nach Injektion des Giftes von Pseudechis häufig
sah, wurden nie gefunden. Auch Ragotzi(19) konnte nach In-
jektion von Kobragift nur kleinste Thrombosen in den Lungen-
gefäßen mit Hilfe der Fil ebne' sehen Selbstfärbemethode nach-
weisen, während Vollmer (20) die Thrombosen vermißte.
Das entleerte Blut zeigte bei Hund und Kaninchen insofern
eine wesentliche Differenz, als im Hundeblut sich schon im Kreis-
laufe eine außerordentlich intensive Hämoljnse geltend machte.
Demgemäß war das zentrifugierte Hundepiasma tief dunkelrot ge-
färbt, während beim Kaninchen die Hämolyse nur geringfügig
war. In einigen Fällen war das Plasma kaum spurenweise rot
gefärbt. Diese Beobachtung, die mit den Versuchen von
K y e s (21) über die Hämolyse durch Kobragift gut übereinstimmt,
zeigt jedenfalls, daß die Hämolyse nicht etwa die Ursache der
Ungerinnbarkeit ist und maa also nicht annehmen kann, daß durch
Zerstörung geformter Elemente gerinnungshemmende Substanzen
in das Plasma übergetreten seien. Er würde das auch nicht mit
der Erfahrung übereinstimmen, daß Gifte, die geformte Elemente
zerstören, zu ein^ Verkürzung, nicht aber zu einer Verlängerung
der Gerinnungszeit führen.
Auffallend war, daß das aus der Vena cava in die Bauchhöhle
entleerte Blut im Gegensatz zu dem direkt aus den Gefäßen ent-
nommenen schnell, aber locker gerann. Wir hatten Gelegenheit
etwas Ähnliches schon früher zu beobachten. Das in die Bauch-
höhle entleerte Blut gerinnt stets ganz außerordentlich schnell, wie
man es sonst nur beim Vogel oder bei Zusatz von Gewebssaft, also
von Thrombokinase, beobachtet. Trotzdem enthält die Bauchhöhle
keine nachweisbare Menge von Thrombokinase; denn Gansplasma,
das vorsichtig in die Bauchhöhle eines eben gestorbenen Hundes
gebracht wird, bleibt längere Zeit flüssig, obwohl es durch Ge-
webssaft vom Hunde sehr schnell zur Gerinnung gebracht wird.
Man wird daher annehmen müssen, daß von den Endothelien der
Bauchhöhle oder der Gewebsflüssigkeit ein uns noch unbekannter
spezifischer Einfluß ausgeht, der entweder die Abgabe des Fibrin-
fermentes und seiner Vorstufen resp. die Entstehung desselben
über die gerinnnngfsliflmiiieiide Wirkung des Kobragiftes. 346
eder seine Wirkiing auf das Fibrinogen begünstigt. Man hat An-
ludtBininkte dafnr, daß das Zusammenwirken des Thrombogens, der
Tbrombokinase und der Kalksalze eines mechanischen oder chemi-*
sehen Anstoßes bedarf. So haben Bordet und Gengou(22) ge-
gesteigt^ daß YoUkommen zellenfreies Plasma, das durch Zentri-
Aigieren in paraffinierten Röhren gewonnen wurde, beim Ausgießen
in ein Beagensglas in Berähmng mit den Glaswänden sehr schnell
gerinnt, während es im paraffinierten Gefäß lange Zeit flüssig
bleiben kann. Femer haben wir nachweisen können, daß die
Hauptursache der Ungerinnbarkeit des Peptonplasmas darauf be^
ruht, daß das Zusammenwirken der Fermentbildner, die im Pepton*
piasma sich vorfinden, aus noch unbekannten Gründen behindert
ist Nun konnten wir aber 2 mal sehen, daß bei einer schwachen
Peptonyergiftung das in die Bauchhöhle entleerte Blut schnefl
koagulierte, während das aus dem Gefäß entnommene Blut über
24 Stunden flüssig blieb. Daher ist es wahrscheinlich, daß die Wir**
kung der Endothelien der Bauch- und Brusthöhle resp. der Ge--
websflüssigkeit sich in dem Sinne geltend macht, daß es die Ent-
stehung des Fibrinfermentes aus seinen Vorstufen begünstigt.
Daß die Peritonealhöhle nicht etwa Kinase enthält, kann man
schon daraus ersehen, daß Aszitesflüssigkeiten, die nach der Punk^
tion mehrere Tage vollkommen flüssig blieben, auf Zusatz von Ki-
nase, wie wir gesehen haben, sehr häufig in kurzer Zeit (etwa
V) Stunde) gerinnen. Sie enthalten also Thrombogen, wenn auch
nicht in sehr bedeutender Menge, und Fibrinogen sowie Kalksalze.
Zur spontanen Gerinnung fehlt also nur die Kinase. Dagegen ist
es auffallend und mit unserer bisherigen Kenntnis von der Wir-
kung der Endothelien nicht recht in Einklang zu bringen, daß zu-
weilen entzündliche pleuritische Exsudate, die außerhalb des Körpers
ziemlich schnell Gerinnsel bilden, also sowohl Trombogen als Ki-
nase enthalten, innerhalb der Pleurahöhle flüssig bleiben.
Übrigens gibt es auch Ergüsse, die trotz Anwesenheit von
Fibrinogen nicht schon auf Zusatz von Kinase, sondern erst unter
Einwirkung von Fibrinferment gerinnen. Es fehlt ihnen also auch
das Thrombogen und gerade darin liegt u. E. ein wichtiger Hin-
weis darauf^ daß auch das Thrombogen nicht schon im zirkulie-
renden Plasma gelöst sich findet
Die Untersuchung des durch Injektion von Schlangengift ge^
wonnenen ungerinnbaren Plasmas führte nicht zu ganz eindeutigen
Resultaten, obwohl im wesentlichen die Beobachtungen von Mar-
tin (16) und Heidenschild (15) bestätigt werden konnten.
Deatsches Archiv f. klin. Medizin. LXXX. Bd. 28
346 XX. MORAWITZ
Bas Eobragiftblnt gerann in manchen Fällen spontan. Doch
^aren die Gerinnungen meistens nur partiell und sehr locker.
Einige Male konnte man eine beginnende Gerinnung an der Ob^r-
€äche der Flüssigkeit beobachten, während die tieferen Schichten
dttssig blieben. Auch das abgeschleuderte Plasma gerann bis-
weilen noch nach ein oder mehreren Tagen.
Das Kobragiftplasroa zeigt in mancher Beziehung Analogieen
mit dem Peptonplasma.
Es gerinnt wie dieses regelmäßig auf Znsatz von Gewebssaft
also Kinase, jedoch nicht immer gleich schnell und im ganzen
nicht so prompt wie Peptonplasma. Auf Zusatz geringer Mengen
von Gewebssaft erfolgen zuweilen sogar nur sehr träge fortschrei-
tende, oft sogar partielle Gerinnungen. Durch reichlichen Zusatz
ließ sich aber in allen Fällen ziemlich schnelle Gerinnung erzielen.
Durch diesen Versuch wird jedenfalls dargetan, daß das Kobragift-
plasma Thrombogen und Fibrinogen enthält, die Gerinnungshem-
mung also nicht durch Mangel dieser beiden Faktoren bedingt ist
Ferner gerinnt das Kobragiftplasma konstant auf Zusatz von
Serum, also Fibrinferment. Hier waren die Resultate insofern nicht
ganz eindeutig, als man zuweilen eine deutliche Verzögerang der
Gerinnung gegenüber der einer Fibrinogenlösung bei Anstellung
quantitativer Gerinnungsversuche konstatieren konnte. Jedoch war
sie keineswegs immer deutlich nachzuweisen, jedenfalls würde das
Antithrombin, dem man diese Hemmung zuschreiben müßte, nicht
im entferntesten hinreichen um die langsame Wirkung geringer
Mengen zugesetzten Gewebssaftes zu erklären. In dieser Hin-
sicht entspricht also das' Kobragiftplasma nicht dem Peptonplasma,
das ein sehr wirksames Antithrombin enthält, während die zu-
weilen beobachtete gerinnungsverzögernde Wirkung im Kobragift-
plasma vielleicht auf das normalerweise im zirkulierenden Blute
beobachtete Antithrombin bezogen werden könnte.
In anderer Hinsicht näherte sich das Giftplasma wieder dem
Peptonplasma: in einigen Fällen gerann es nämlich bei Neutra-
lisation mit verdünnter Essigsäure und beim Verdünnen mit destil-
liertem Wasser. Jedoch trat diese Erscheinung, die schon von
Martin beobachtet worden ist, ebenfalls nicht in jedem Falle auf.
Auch erfolgten die Gerinnungen langsamer als im Peptonplasma
und die auf diese Weise zum Gerinnen gebrachten Plasmata koa-
gulierten auch langsam spontan, während in einigen Fällen (Hunde-
plasma) eine Gerionung weder nach Wasserzusatz noch nach Neu-
tralisation mit Essigsäure zu beobachten war.
über die gerinoungshemmende Wirkung des Kobragiftes. 347
Durch Zusatz Von Ohlorkalziuin konnte keine Gerinnung mk*
gelöst werden.
Faßt man' ^ie hier mitgeteilten Resultate der Untersuchung
4es Giftplasmäs kurz zusammen, so ergibt sich, daß man auf diesem
Wege zu einer vollständig klaren Vorstellung über die Wirkung
des Kobragiftes nicht kommen kann. Denn einerseits besitzt dieses
Plasma gewisse Ähnlichkeiten mit dem Peptonplasma, andererseits
wieder unterscheidet es sich von demselben durch die Abwesenheit
eines Antithrombin in größeren Mengen und durch die nicht ganz
konstanten Resultate, die man mit einigen von den Mitteln erhält, die
Peptonplasma stets in kürziBSter Zeit koagulieren. Voni Gansplasma
wiederum unterscheidet es sich dadurch, daß es unter Umständen
aas sich heraus zum Gerinnen gebracht werden kann ohne Zu-
satz von Kinase oder Ferment, femer durch die langsamere resp.
schwächere Wirkung der Gewebssäfte.
Am meisten Ähnlichkeit schien es noch mit dem Plasma zu
haben, das Boggs durch Injektion von Gewebssaft, also Kinase
erhalten und als „Kinaseplasma'^ bezeichnet hatte. Auch dieseis
Plasma gerann auf Zusatz geringer Mengen Serum leicht, während
es durch Gewebssaft viel schwerer koaguliert wurde, also gerade
umgekehrt wie Peptonplasma.
Daher lag die Möglichkeit vor, daß die Ungerinnbarkeit des
Plasmas auch bei Injektion von Kobragift von einer vitalen Re-
aktion des Organismus abhängig wäre, wie es ja auch Martin für
die Wirkung des Giftes von Pseudechis vermutet. Daß Kobragift
auch in vitro die Gerinnung verhindern kann, war durch die Unter-
suchungen von Stephens und My er s (17) erwiesen. Es fragte
sich also nur darum, ob außerdem noch eine vitale Reaktion des
Organismus bei Injektion des Giftes mitspielt und durch was für
einen Mechanismus sich die gerinnungshemmende Wirkung und die
Eigentümlichkeiten des Giftplasmas erklären lassen.
Darüber konnten künstliche Gerinnungsversuche Aufschluß
geben.
B. Die Wirkung des Kobragiftes auf die Gerinnung
des Blutes in vitro.
Nach den Angaben der Literatur, besonders den Untersuchungen
von Stephens und Myers (17) war anzunehmen, daß das Kobra-
gift auch in vitro die Gerinnung mehr oder weniger verzögert oder
vollständig hemmt.
Das ist in . der Tat der Fall. Das Kobragift verhindert die
23*
8i8 U.
Gerim^inii; des anMfeSendea Blntes aowokl beim HMde als beim
Kaninchen.
Ifithia enthiH also das Kobragift sdbsi ein geriimangs-
hemmendes PrinxiiK Zum ZostandekomsH^ii der Ongeiiiuibarkeit des
Bfait^ bei £in Ahrnag des Giftes in die Zirkulation ist eine vitale Be>
aktion des Organismnl Qberfaanpt nidit erforderUdt Man kann die»
Bekasptnng dorcb mehrere ErvSgvngtn stfttsen. Dean erstens ist
fie Konzentration des Giftes, die hinreicht, nm das Blnt in vivo
nnd vitro am Gerinneü zu veririndem, annftberd dieselbe, wie fyl*
gende Bechnang zeigt : je 10 ocm Kaninebenblnt wurden in 1, Q^
0,25 com nnd 2 Tropfen einer Iproi. Ltenng von Kobragift aaf«
geüsngen. Sämtliche Proben blieben fliBsig, aar bei der lotsten
zeigte sich in einem Falle eine kleine Gerinnnng. Der Prozent?
gehalt an Kobragift beträgt demnach in diesen Proben 0,001, 0,0005»
0,00025 nnd 0,0001 ®/o. Injizieren wir aber einem Kaninchen ytm
etwa 2000 g 0,02 g Gift, so wird, wenn man die Blntmenge des
Kaninchens anf 200 ccm schätat, die Konsentration des Giftes in
dem Blut etwa ebenfalls 0,0001 % 3ift betragen, also eine Mengen
die auch in vitro hinreicht, um die Gerinnung 2m veriiindem.
Weiterhin können wir unsere Ansicht, daß keine vitalen Be«
aktionen die Ungerinnbarkeit des Blutes nach GiftiQJektionen be*
dingen, dnrch folgende Beobachtung weiter begrfindea: das in Gift-
lösung aufgefangene Blut verhält sich allen Beagentien gegenüber
ähnlich, wie das durch intravitale Iiyektion gewonnene, d. h. es gOr
rinnt auf Zusatz von 6e webssaf t und Fibrinfennent, bei geringen Giflr»
kimzentrationen auch auf Verdünnung mit Wasser etc. Jedoch läßt
sich bei Vergleich der Plasmata mit einem verschiedenen Gehalt an
Kobragift schon ohne weiteres feststellen, daß die dnrch Kinase
bewirkten Gerinnungen in den Proben mit stärkerer Giftkonsea«
tration nur sehr langsam verlaufen und zuweilen partiell sind. Es
deutet das darauf hin, die Ursache der Gerinnungshemomng in
einer Wirkung des Schlangengiftes zu suchen, die sich vornehmlich
gegen die Kinase richtet. Künstliche Gerinnungsversuche gaben
über die Wirkung des Schlangengiftes weiteren und, wie mir scheint^
hinreichenden Aufschluß.
Zunächst konnte man sich bei Hinzufügen von Kobragift zu
fermenthaltigem Serum und Vergleich der ferroentativen Wirkung
dieses und eines Normalsenims gegenüber einer Fibrinogenlösang
leicht davon überzeugen, daß das Gift in den Konzentrationen, in
welchen es die Gerinnung vollkommen hindert, keinen wesentiichem
£inflttß auf die Wirkung des fertigen Fermentes bat, was übrigens
über die gerinniingskettiMttdi Wirlcniig des Eobragiftes.
999
l&ns den Verefadieti iDit flem dnit^h I*j«l^tkm gewoBttensn Plasii«
und SeiHm bereits gescblossen werden konnte» Also wirkt. däi
^hlangengift dtireb Behindemng ' der fintstehungv nioht aber' dei-
'Wirknngr des Fermentes. ' •
Die nächste Frage war nnn, ob die Wirknng. ie(o ianfzafassen
ist daA ScblAngengift etwa die Sekretion der Kinase seitens der
geformten Elemente aufhebt oder Ob es die Reaktion* zwischen
Kinase nnd Thrombogen hindert
£s lie£ sieh zeigen^ daß letzteres der Fall ist Das SchlangQo-
gift vermag, wenn es in genfigender Konzentration mit ^ase ge-
mischt wird, den aktivierenden Einfluß derselben auf das Thrombogen
später zugesetzten Serums zu paralysieren. Auch durch Zusatz
reiehlicher Mengen von Chlorkalzium läßt sich diese Wirkung nicht
ausschalten, was dafür spricht, daß eine Bindung der Kalksalze
durch das Schlangengift keine Rolle spielt Läßt man dagegen
das Schlangengift auf eine Mischung von Serum und Kinase ein-
.wirken, wo also eine Aktivierung des Thrombogens bereits . statt-
j^efunden hat, so hat der Zusatz des Schlangengiftes keine oder nur
«ine sehr geringe Wirkung, was mit der Tatsache übereinstiipmt,
daß Schlangengift die Wirkung des fertigen, im Serum enthaltenen
Thrombins nicht wesentlich behindert
Zu diesen Versuchen wurde eine durch Eindampfen von Thymus-
eztrakt im Vakuum in Farm eines Pulvers gewonnene Kinase ver-
wendet, die nach 2 Monaten scheinbar nichts von ihrer Wirksamkeit
eingebaßt hatte.
Versuch.
Fibrinogenlösung aus Rinderplasma. Temperatur 85®. Iproz.
•Giftlösung.
Kinase
Gift
Seram
Fibrinogen
Geronnen
5 Tropfen
_
10 Tropfen
5 com
7 Minuten
5 Tropfen
2 Tropfen
n
71
2 Stunden
—
ff
n
ca. 2 Standen
o Tropfen +
2 Tropfen
19
20 Minuten
10 Tropfen
Semm
Nachdem durch diese Vensuche festgestellt worden war, daß
das Schlangengift gegen die Kinase wirkt resp. die Aktivierung
des Thrombogens durch die Kinase verhindert, lag es nahe, zu
untersuchen, ob die Wirkung durch einen im Schlangengift ent-
haltenen Antikörper, also eine Antikinase, bedingt sein könne, odier
350
3X' MoiULWira!.
I "'f'.
ob sich keine quantitatiten Beziebungen zwiselieii der Menge des
fichlangengiftea nnd der zogeseteten Kinase ermitteln lassen. Solche
Beziehungen lassen sich jln der Tat; finden, W9ß man schon nach
dem Ausfall der Versuche mit dem ung^rinnbaren Schlangengift*
plasma und tler Kinase vorausaetzen konnte. Mw kaiin also durch
reichliche Mengen Kinase, die hemmende iWirkuug des Schlangen)-
giftes mehr öder weniger überwinden. .'
f -
V-ersuch.
Kinftse
M*«ft*<
Fibrino^;^
Geronnen
.5 Tropfen
10 Tropfen
15 Tropfen
20 Tropfen
5 Tropfen
2 Tropfen
10 Tropfen
5 ccm
n
I»
n
I»
f»
TT
n
»
ca. 2 Stunden
*/4 Stunde
20 Minnten
8 Minnten
Diese Versuche zeigen, daß man allerdings durch Zusatz reich-
licher Mengen von Gewebssaft die hemmende Wirkung des Schlangen-
giftes bis zu einem gewissen Grade aufheben kann, daß aber trotz-
dem einfache quantitative Beziehungen zwischen der Kinase und
dem Schlangengift sich vorerst noch nicht mit absoluter Sicherheit
feststellen lassen. Denn sonst müßte, da 15 Tropfen Kinase durch
Schlangengift noch nicht völlig neutralisiert sind, die aktivierende
Wirkung . von 20 Tropfen -|- 2 Tropfen Gift mindestens ebenso stark
sein, als die von 5 Tropfen Kinase ohne Gift. Wenn also ein quan-
titativ wirkender Antikörper gegen die Thrombokinase im Schlangen-
gift sich vorfindet, was ja natürlich sehr wohl möglich, sogar sehr
wahrscheinlich ist, so spielen, wie es scheint^ wohl noch andere
Momente mit, die die Einwirkung der Kinase auf das Thrombogen
hemmen und die sich bisher nicht völlig übersehen lassen.
Interessant ist, daß das Calmette'sche Immunsemm auch
die Wirkung des Schlangengiftes auf die Kinase mehr oder weniger
aufhebt, wenn man das neutralisierte Gift der Kinase zusetzt und
dann Serum hinzufügt. Ebenso verhindert eine Mischung von
Schlangenimmunserum und Gift nicht die Gerinnung des Blutes, das
darin aufgefangen wird, was den Erfahrungen von Stephens
und Myers(17) entspricht. Normales Serum und auch Diptherie-
heilserum hat diese Wirkung nicht.
Dagegen erwies sich das Calmette'sche Serum unwirksam,
wenn es erst nach Mischen der Kinase mit dem Gift zugesetzt
wurde. Offenbar war die Kinase durch das Gift bereits verändert
über die gerinnangshemmende' Wirkung des Eobragiftes. 35X
worden, resp. die Wirkung des Giftes auf die Kinase war durch
Zusatz von Antitoxin nicht mehr rückgängig zu machen.
Übrigens konnte man auch bei Zusatz einer Mischung von
Gift und antitoxischem Serum zur Kinase niemals so schnelle Akti«
yiernng des Normalserums beobachten wie ohne Zusatz. Das anti-r
toxische Serum beeinflußt die Fermentwirkung nicht und scheint
nur die Aktivierung des Thrombogens durch die Kinase etwas zu
hemmen.
Die Hemmung der Aktivierung des Thrombogens durch Kinase
tritt auch ein, wenn man das Gift dem Serum zusetzt und dann
Kinase hinzufügt Die Reaktion zwischen Gift und Kinase muß
also entweder schneller ablaufen, als die zwischen Kinase und
Thrombogen, oder aber das Gift hindert in noch unbekannter Weise,
ohne gegen die Kinase im Sinne eines Antikörpers zu wirken, die
Aktivierung des Thrombogens. Denn zwischen Thrombogen uad
Gift lassen sich keine quantitativen Beziehungen nachweisen, wie
zwischen Gift und Kinase. Im Gegensatz zum Blutegelplasma kann
man also das Giftplasma stets durch reichliche Zufuhr von Kinase zum
Gerinnen bringen was durch die verschiedenen Angriflfspunkte d^r
Antikörper erklärt wird. '
C. Zusammenfassung.
Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, daß in dem
Kohragift eine wirksame Substanz vorhanden ist, die man vielleicht
als Antikinase bezeichnen kann. Dieser Körper hat keine Wirkung
auf das fertige Fibrinferment, er hemmt aber die Entstehung des-
selben dadurch, daß er in vivo wie in vitro die Wirkung der Ki-
nase neutralisiert Durch reichlichen Zusatz von Thrombokinase
kann diese Hemmung überwunden werden, woraus mit einer ge-
wissen Reserve auf quantitative Beziehungen zwischen der Kinase
und dem wirksamen Körper des Schlangengiftes geschlossen werden
kann. Eine vitale Reaktion des Organismus ist zum Zustande-
kommen der Ungerinnbarkeit des Blutes bei Injektion von
Schlangengift in den Kreislauf nicht erforderlich. Im Gegensatz
zum Pepton wirkt also das Schlangengift direkt. Daher erscheint
es nicht ganz verständlich, wenn einige Autoren wie Heiden-
schild(15), wenn auch nur in vereinzelten Fällen, eine positive
und dann erst eine negative Phase d§r Gerinnung beobachtet haben
wollen. Jedenfalls ist es nicht angängig die erstere wie bei Injek-
tion von Gewebssaft als direkte, die letztere als indirekte Wirkung —
durch Reaktion des lebenden Organismus ausgelöst — anzusehen.
362
XZ. M6M«m
i
Art der geriniiiiiigi-
heiDDeiideii Körper
Art der T^knng
1
NwitraliwrtaoBS* Chsnnsd»
yeikiltniB | Bigendiaften
.1. Antikörper des
Blntegelextrak-
tes s= HinidiB.
■
. Antithxombin.
Nentralisiert qvan-
tiUtiv Rbrm-
ferment, wirkt
nicht fegen die
Kinase.
Ist hitsebestSa-
dig, durch Alkohol
ftUhar, wasseriOi-
lieh, dialysiert nickk
2. Antikörper des
PeptonpUsmas
; (Back demfielben
Prinzip BoUen
auch wirken:
. Xrebsmuskeliaft,
Aalseram).
Antithrombin.
Neutralisiert wahr-
scheinlich quanti-
taÜT Fibrinferment,
wirkt nicht gtgea^
die Kinase.
In Lösung nicht
hitzebestftndi^,
wohl aber im
trockenen Zustande.
Dial jsiert nidit
3. Antik<b^r des
, normalen (airkulie-
renden) Blutes.
Antithrombin.
Neutnlinert ge-
ringe Mengen
Fibrinferment.
1 Nicht kitsebestin-
dig, dialysiert nidit»
ziemlict labil, ftlh
wahrseheinlieli mit
den Globulinen aniL
4. Antikörper, der
durch Antolyse
entsteht (Conrad!).
Antithrombin (wahr-
scheinlich).
Unbekannt
Hitzebestandig,
durch Alkohol flül-
bar, dialysiert
ö. Salzsanres
. Histon ans der
Thymusdrüse
(Lilienfeld).
?
Soll durch Nuklein
neutralisiert
werden.
•
B. Antikörper von
Bordetn. Gengou.
Warscheinlich
Antikinase.
Neutralisiert wahr-
scheinlich qnanti-
taÜT Thrombo-
kinase.
Nicht hitzebestin-
dig, nickt dialjjsier-
bar.
7. Cytoglobin
von AI. Schmidt
Antikinase.
! Neutralisiert wahr-
scheinl. quantitativ
Tkrombokinase, da-
gegen nicht Fibxin-
ferment
Nicht hiuebestfin-
dig, dialysiert
durch AJkohol
koaguliert, wasser-
löslich.'
8. Antikörper des
Kobragiftee.
Antikinase.
Neutralisiert Kinase,
dagegen nicht Fi-
briäerment. Wird
durch Schlangen-
immunsemm neu-
tralisiert.
Unbekannt
9. Antikörper, er-
zengt durch Tn-
_ jektion von Kinase
(Gewebssaft) Boggs.
Wahrscheinlich
Antikinase.
Neutral. Kinase,
nicht Fibrinferraent
Unbekannt.
über die gerinnungsheaioittide Wirkang des Eobragiftes.
369
Spesifizität
Wirkmi^ in yitro
nnd in yiro.
Imnramtftt
Dm aaiiiferiimWe
Platma gerinnt
Das nngerianbare
Plasma enth<:
1. Thrombofi^n,
2. ThromboEinase.
Wirkt sckeinbar nn- Wirkt in yitTo nnd
roezifi^h gegen die
librinÜBmiente alter
Tiere.
in viTQ gleich.
In yivo Inmvnnitit
beobachtet
Anf Znsatz von Fibrin-
ferment stets, znweilen
anf Znsatz Ton Kinase
(schwaehes Eztraktplas-
ma). Bei Abkühfnng
kein Nnkleoprotddnieder-
scmag.
Thrombogen -^
Thrombokinase?
Genauere Angaben Entsteht dnrch eine
fehlen, jeden&lls ritale Reaktion des
keise* ansgetprodiene Organismns (Leber)
Spezmzität.
nach Injektion von
Pepton. Immunität
8^ ansgesprochen.
Unbekannt.
Anf Znsatz von Fibrin-
ferment in genügender
Menge, sehr schnell anf
Znsatz von Gewebssaft,
destill. Wasser, Nentra-
lisation, Ca-Znsats. Bei
Abkühlnng Nukleoproteid-
niederschlag.
Thromborai -f*
Thiombokinase -f-
Findet -sich wahr-
scheinlich im zir*
kulirenden Plasma,
in titro geprüft
Im Oxalat-Flnorid- nnd
Qansplasma nachge-
wiesen.
Unbekannt.
In vitro gerinnungs-
hemmend, efzenfft
in Tivo eine positive
Phase der Gerin-
nnng.
' Unbekannt
Wirkt in vitro nnd
, vivo gerinnungs-
hemmend.
Anf Znsatz von Nuklein,
nicht anf Znsatz von
Thrombin. Nicht mit
Wasser, Essigsäure, COi,
CaCl,. Beim Abkühlen Nu-
kleoproteidniederschlag.
Ai»ges]ffochene Spe-
ziüzität
In vitro geprüft.
Immnnisatorisch
dnrch Injektion
eines fremden Se-
mois erzengt.
Im Gansplasma bewirkt
ein anf 68 <* erhitztes
Normalsemm Gerinnung,
ein Immunserum nicht
Unbekannt
In vitro stark wirk-
sam, in vivo geringe
VerziSgening der
Gerinnung.
Gerinnt anf Zusatz von
Fibrinferment und zymo-
plastischen Substanzen.
Nicht Iraner unter
sucht, jedenfalls nicht
ausgesprochen.
Wirkt in vitro nnd
vivo gleich.
Gerinnt auf Zusatz von
Fibrinferment, Kinase,
znweilen mit destill.
Wasser, CaClg, Essig-
säure.
Thrombogen +
Thrombokinase
wahrscheinlich.
Unbekannt, die
Kinasen sind relativ
sp^nfiflch. (Loeby
Äuraschew.)
Durch Injektimi | Gerinnt anf Zusatz von
von Gewebssaft er- Ferment schnell, schlechter
zeufi^t, entsteht
durch eine vitale
Reaktion des Or-
ganismus.
auf Zusatz von Kinase.
Gerinnt zusammen mit
Peptonplasma.
Tb rombogen +
Thrombokinase?
354 XX. Mo&AwiTz ' ". ■
Was die Befunde von Martin (16)" anlangt, der zuerst sehr
ausgesprochene positive Phasen mit umfangreichen Thrombosen,
dann erst eine negative Phase gesehen hat, so mag daran erinnert
werden, daß M. mit dem Oift- des Pseudechis, wir mit dem der
Kobra gearbeitet haben. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die ein-
zelnen Giftarten sich ganz verschieden verhalten. Generelle Schloß
folgerungen sind also nicht möglich. Vielleicht fehlt diese ^Anti-
kinase^ dem Gifte des Pseudechis vollständig, was ja nicht auf-
fallend wäre, wenn man daran denkt, daß auch die übrigen, bis-
her bekannten giftigen Prinzipien, das Neurotoxin, Hämolysin,
Hämorrhagin etc. sich bei verschiedenen Spezies in ganz wecbseh-
der Menge finden und der eine oder andere der Körper ganz zu-
rücktreten kann. Ob das gerinnungshemmende Prinzip des Kobra-
giftes mit irgend einem der bisher daraus isolierten Toxine identisch
ist, oder einen eigenen Körper darstellt, wäre noch zu entscheiden.
Jedenfalls ist letzteres wahrscheinlicher.
Die Vermutung, daß das Schlangengift nach Art de« Zyto-
globins die Gerinnung verhindert, wie Alexander Schmidt
meinte, ist durch die vorstehenden Untersuchungen wenigstens für
das Kobragift vollauf bestätigt worden. Denn auch das Zyto-
globin wirkt nach Schmidt gegen die zymoplastischen Substanzen
(Thrombokinase), nicht aber oder nur in sehr geringem Grade
gegen das fertige Fibrinferment. Das Zytoglöbin ist also eben-
falls eine Antikinase.
Durch die Tiennung des alten Profermentbegriffes in das
Thrombogen und die Thrombokinase ist der Mechanismus der ge-
rinnungshemmenden Wirkung des Blutegelextraktes, des Peptons
und des Kobragiftes aufgeklärt worden, soweit es bisher möglich
war. Wir behalten uns vor auch die anderen gerinnungshemmen-
den Agentien, wie Aalserum, Krebssaft etc. nach dieser Richtung
hin zu untersuchen. Die Tabelle auf Seite 352 und 353 soll die
Art der gerinnungshemmenden Wirkung verschiedener Körper teils
nach eigenen Untersuchungen, teils nach den Angaben der Lite*
ratur wiedergeben.
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(
' r
VrotropiB bei Scharlach bdt Yerh&tiuig Ton Nephritis.
Dr. Battersack^
Hdilbroim.
Die Scharlachnephritis tritt in ca. 10—20% der Scharladi-
erkrankungen als gefürchtete Komplikation auf. Gegen 20 7o ^^
Scharlachnepbritiden enden letal, ein nicht nnerheblicher Teil fahrt
zu chronischen Nierenleiden. Die Scharlachnephritis tritt in zwei
Formen auf: a) als akute Nephritis im Fieberstadium, als deren
leichteste Form die früher sogenannte febrile Albuminurie (1) an-
zusehen ist, b) als Spätwirkung der Infektion, meist zwischen dem
12.— 19. Krankheitstage.
Bei wenigen Krankheiten pflegt dem Arzte die bisherige
Ohnmacht pharmakologisch-therapeutischen Könnens so zum Be-
wußtsein zn kommen, wie bei der Nephritis überhaupt-, speziell bei
der Scharlachnephritis. Eine Mitteilung von Widowitz (2) aus
dem Jahre 1903 veranlaßte mich, bei Gelegenheit der hiesigen
Scharlachepidemie 1903/1904 die prophylaktische Darreichung von
Urotropin systematisch zu versuchen und die Fälle besonders genau
zu kontrollieren. — Widowitz gibt an, daß er in den Jahren 1900
bis 1903 in 102 Fällen von Scharlach beim Beginn der Erkran-
kung, sowie in der 3. Woche je 3 Tage Urotropin in Dosen
von 3 X täglich je 0,05—0,5 nach dem jeweiligen Alter der Er-
krankten verabreicht, und seit Einführung dieser Behandlung nicht
ein einziges Mal Nephritis beobachtet, sogar in 2 nicht vorbehan-
delten Fällen frisch einsetzender Nierenreizung (Albuminurie und
Hämoglobinurie) günstigen Einfluß von dieser Behandlung gesehen
habe. — W a t e f f (3) fordert ebenfalls zur Nachprüfung auf.
Das Urotropin^), von Nicolai er (4) 1894 in die Therapie
Anmerkung: Urotropin (Schering) Synonyma: Hexamethylentetramin,
Eormin (Merck), Aminoform. Die zitronensanren Verbindungen des Mittels: Neu-
üiotaropin bei Schariach snr TeAfttäng Yon Nephritis. 357
eia^eftUirty kat sMtber die lun&iigrfiickBte Verwendung gefimdeiL.
Seine Desinfektionskraft haben wir in der Praxis bei der Cystiti^
PjrBliiiS) Bakterinrie alltäglich zn beobachten Gelegenheit. Im Labo-
ratoriim sehen wir dieselbe in der angleich langsameren Zersetzung
deg Urotropinhams. Bei instmmentellen Eingriffen in die Urogenitale
^vt^e, mir Prophylaxe der Typhnsyerschleppnng und der Typhus^
eystitis ist diese Desinfektionskraft empfohlen und mit Erfolg yersncht
worden. Fragen wir uns zunächst: Ist das Urotropin ein uui-
schädliches Mittel? In der Literatur, wie bei eigener reich^^
lieber Erfahrung habe ich niemals üble Nebenwirkungen beobachteik
können, wenn die üblichen Dosen (Erwachsene 2— Smal täglich
jo 0,5) verabreicht wurden. Bei (ironischen Krankheiten, bei jahre-
laager Verabreichung hat es niemals einen Schaden gestiftet und
eme Dame im Alter von 75 Jahren, die ich nun sdt Anfang 190O
tu chron. Pyelitis calcnlosa mit Urotropin behandle, hat in dieser
Zeit 700 g verbraucht: Patientin ist bei der Darreichung des
Mittds wohlauf, sobald längere Zeit ausgesetzt wird, tritt eine
Zersetzung des Urins mit ihren Konsequenzen ein. Schon Nico*^
laier bat betont, daß das Bestehen von Nierenaffektion keine Kontra*
indikation ftr die Anwendung des Urotropins sei (p. 33). — So-
erscheint es berechtigt, das Urotropin auch bei einer anderen Gruppe
von Krankheiten zu versuchen, die wir als Infektionskrankheiten zu
bezeichnen gewohnt sind, um die infektiöse nephritische Komplika-
tion dieser Krankheiten zu bekämpfen, resp. zu verhindern.
Ist es an sich schon schwierig, die Wirkung eines Arznei*
mittels auf den Verlauf einer bestehenden Krankheit einwandsfrei
m beweisen, um wie viel mehr ist dies der Fall bei prophylak-
tischer Therapie. Jeweiliger Charakter der Epidemie, Kranken-
piege, soziale Verhältnisse, Diätetik, anderweitige Komplikationen
werden immer Imponderabilien bleiben — und erst große Zahlen,
aus vielerlei Orten, Zeiten und Epidemien können die Frage der
Wirksamkeit endgültig entscheiden. Berechtigt ist der Ver-
sach aber dann, wenn die Unschädlichkeit des Mittels
außer Frage gestellt ist: in diesem Sinne sollen auch meine
AusfahruDgen einen kleinen Beitrag liefern.
Die HeÜbronner Scharlachepidemie begann August 1903 und
dauerte bis April 1904: gestorben sind in 9 Monaten bei einer
Bevölkerung von ca. 40000 Seelen 42 Scharlachkranke. Über die
Urotropin (Schering) und Hehnitol (Bayer) besitzen 40,7^0 «nd 42,5^0 üro-
tropingehalt Billige Darreichungsform für sämtliche Präparate sind die Ori-
^alUbletten k 0,5.
368 ' XXI. BüTTEBSACK " .' ' *
Zahl der Erkrankungeix ist bei dem leidigen Fehlen einer Anzeigt
pflicht in Württemberg nichts Genaueres bekannt. Schätzangs-
•weise wird man bei durchschnittlich 10% Mortalität 400—500 Er-
krankungen annehmen dürfen. Dör Charakter der Epidemie war
kein leichter. Schwerere Nephritisfälle wurden vielfach beobachtet,
ebenso wie die übrigen bekannten Komplikationen. Meine Er*
fahrungen beziehen sich auf 10 Fälle, die unter Uro-»
tropinbehandlung ohne Nephritis yerlaufeiisiad: ich
greife unter diesen 3 Fälle heraus, wo durch vorausgegangene Krank-
heiten, und durch Komplikation die Bedingungen für eiüe Nephritis
gegeben schienen (siehe Kurven).
Kleinere Hamtrübungen bei den üblichen Eiweißproben (Koch-
probe, Ferrocyankaliprobe) pflegen wir noch nicht als Nephritis bei
Scharlach zu bezeichnen, obwohl wir wissen, daß die weitere Ent-
wicklung schwerer Nephritis aus solchen unbedeutenden Anfängen
keineswegs selten ist. Auch im folgenden bezeichne ich solche
vorübergehende oder kurz anhaltende Albuminurien nur als Nieren-
reizung. Mikroskopisch findet man freilich im geschlenderten Urin
auch hier in kleinster Menge hyaline und granulierte Cylinder,
Leukocyten, Epithel der Hamwege, in einzelnen Fällen auch ein-
zelne Erythrocyten. Treten diese Formbestandteile in größerer
Menge auf, so ist auch die Albuminurie eine stärkere — und wir
haben schwerere Zerstörungen der Nierensubstanz — die eigent-
liche Nephritis scarlatinosa — anzunehmen. Von diesen Formen
habe ich keine beobachten können unter der Urotropinbehandlung.
I. Fall. Gertrud Kr., 8 Jahre alt. Mai 1903 bis September
1903 nach einer Diphtherie mit -Senimeinspritzung leichte Nephri-
tis bis zu 0,25 ^/q Albumin. Das Mädchen war 8 Wocben geheilt, d. h.
frei von Albuminurie, als die Scharlachinfektion (25. Nov. 1903) ein-
setzte. Leichterer Fall. . Unter Verabreichung von 1,0 Helmitol pro
die 14 Tage lang blieb der TJrin vollständig eiweißfrei. Am 15. Tage
Reduzierung des Mittels auf 0,5. Nach einigen Tagen leichte albaminose
Trübung des Harns ohne Niederschlag. Unter Steigerung des Urotropins
verschwindet der Albumingehalt komplett im Laufe von Wochen. Voll-
ständige Genesung.
II. Fall. Eise B., 4 Jahre alt. 4. Dezember 1903: Diphtherie,
Seruminjektion, glatter Verlauf, keine Nierenreizung (1,0 Helmitol pro die).
1. Januar 1904. Scharlach — schweres Pieberstadium (s. Kurve 1).
Vom li — 10. Krankheitstag 1,0 Helmitol pra die.
Vom 11. — 16. Tage wurde mit Rücksicht auf das Wohlbefinden
mit der Helmitoldosis ausgesetzt und täglich 0,1 Urotropin (zu geringe
Dosis !) gereicht. Am 17. Krankheitstage: Nephritische Eeizong.
Urotropin bei Scharlach zur Yeritütmig von NephritiB. 359
Iieicht«ste Haruträbnng durch ^-Itmmin. Uikroiikopiaob : sehr spärliche byalia«
und epitheliale Cyliuder, reichliche Nierenepithelien, eiazelne Lenkocyten,
keine Eiythrocyten. Verschwinden der Nierenreizung tinter Steigernng
860 X^^ BunnsACK
der TJrotropinclotiB äaf 3X0,1 pro die im Laufe von 1 Woche. Kern*
pleite Heiiiiog.
ni. Fall. Hedwig Y., IO7, Jahre alt. Anfangs leichter Schar-
lach . Am 17. Krankheitatage: Rheumatismus et Bndocarditis scar«
latinosa mit schweren Anf&llen von Atemnot, Hersschmerz, LeibachmerMn^
hlntig^n Stuhlgängen. — Am Harzen : Yerhreitenmg der Dlmpfung, syito-
lischea Gerfinsch. Veratftrkang des II. Pnlmoualtona. Pulse von 140^ — 160.
Verordnung: 1.— 10. Tag Kelmitol 1,0 pro die. 11. — 19. Tsg
TTrotropin 0,5 pro die. 20. — 21. Tag aoagiesetst mit ürotropin das ans
22. Tage wieder gegeben wird.
Urin frei auch in den alarmierenden Tagen ! Da die Schmenen Opiqm
(in einer Nacht 10 Tropfen ohne Erfolg) und die Gliederschmersen Aspina
verlangen, wird mit Ürotropin ausgesetat. — Nach 2 Tagen leichte Niersa«
reizung. — (Albumindse Trübung, hyaline und epitheliale Oylinder in
sehr geringer Menge, Leukocyten, Erythrocyten, Epithelien). — Vom
19. — 28. Tage Aspirin 2 bis 3 X täglich 0,3 (vgl. Brugsoh, Salixjl-
therapie und Nieren. Therapie der Gegenwart 1 904 Nr. 2).
unter Wiederaufnahme der ürotropinbehandlung: Langsames &•
rückgehen der Nierenreisung. Nach nochmaligem Aussetien Wieder-
beginn der Nierenreisung (25.-28. März). Nochmalige Wiederaufnahm»
des ürotropin. — QeneBung-(s. Kuve 2).
Wir haben also hier 3 SeharlachfäUe, wo unter Verabreichung^
von Helmitol und Ürotropin 15 und 16 und 19 Tage lad?
keinerlei Nierenreizung aufgetreten ist. Mit Beduzieruiig^
(I u. II) und Aussetzen des Mittels (Fall III) tritt eine minimide
Nierenreizung ein, bei allen 3 Kindern ohne äußere Einfl&sse^
(sie waren bettlägerig) ohne Diätverändemng, wie ich annehme, als
Spätinfektion. Sämtliche 3 Fälle heilten unter Steigerung der
Dosis rasch vollständig aus. Bei Fall I war eine 4 monatlicli^
Albuminurie post diphtheriam vorausgegangen. Bei Fall III blieben
die Nieren trotz einer sehr schweren Komplikation von lOtägiger
Dauer im Allgemeinen funktionstüchtig. Die Form der Nieren*
reizung war bei allen 3 Fällen dieselbe: Plötzlicher Eiweißgehalt^
der aber nur Hamtrübang ohne meßbares Sediment im Esbafsh
hervorrief. Mikroskopisch im geschleuderten hellen gelben ürih:
Wenige hyaline und epitheliale Cylinder, Epithelien der oberen
Harnwege, Leukocyten, einmal auch Erythrocyten (Fall HI). Das
spez. Gewicht war nie mehr als 1015—17, keinerlei Ödeme, keine
Harnbeschwerden. Normale Hammengen.
Anfügen will ich noch, daß mit dem Auftreten von Eiweiße
stets strengste Nierendiät (14) in der üblichen Form angeordnet
und durchgeführt wurde.
■
Wir wissen nun zwar, daß bei Scharlach „während der ganzen
XJrotropin bei Scharlach zur Verhütung von Nephritis. 361
3. Woche man nicht selten kleinere oder größere Mengen von Ei-
weiß findet" (He noch 7), die sehr rasch spontan wieder ver-
schwinden können: immerhin erscheint aber die Unschädlich-
keit der ürotropindarreichung anch für den Skeptiker hier he^
wiesen. Das Zusammentrefi'en von Aussetzen des Urotropins und Ein*
treten resp. Wiedereintreten der Albuminurie könnte sogar im Sinne
einer direkten Wirksamkeit verwertet werden.
Über die Art der Verabreichung noch einige Worte:
Das leicht lösliche Urotropin kann in jeder nicht zu warmen
Flüssigkeit genommen werden : ich ließ es meist in einer Abkochung
von Semen rosae mit Milch lauwarm in 3 Abteilungen, oder in
Zuckerwasser geben, das limonadenartig schmeckende Helmitol wird
besonders während der Fieberperiode gerne genommen.
In einer Hinsicht harmoniere ich nach meinen Beobachtungen
nicht vollständig mit Widowitz: Ich habe den Eindruck, daß^
eine nur mehrtägige Darreichung nicht immer genügen dürfte, und
rate zu länger dauernder. Dies erscheint mir auch theoretisch
leicht erklärlich. Die Elimination des wirksamen Stoffes aus dem
Körper ist eine sehr rasche bei der ürotropindarreichung, die
Wirkungsdauer also keine anhaltende, -sondern eine temporäre
(J. F. Müller (6), Brück (13)). Es sind also Einzeldosen ca. 3 mal
täglich auf längere Zeit zu empfehlen.
Soweit die Beobachtungen! Gehen wir nun über zu einem
Erklärungsversuch der Urotropinwirkung.
Ist in praxi wie im Versuch die bakterientötende und hemmende
Wirkung des Urotropins sichergestellt, so gehen die Anschauungen
über die Art der chemischen Veränderungen, welche das Urotropin
beim Passieren derHamwege erleidet, etwas auseinander. Nicolaier,
Suter, Brück u. a. glauben gezeigt zu haben, daß ein Teil des
Urotropins in Formaldehyd abgespalten wird. Im Blut selbst kann
bei interner Verabreichung Formaldehyd nicht gefunden werden,
ebensowenig läßt sich eine antiseptische Wirkung des betreffen-
den Blutserums feststellen (Brück). Dagegen gelingt es meist
(nicht immer) im Harn Formaldehyd chemisch nachzuweisen. Aber
auch die Forscher, denen der Formaldehyd nach weis nicht gelungen
ist, kommen zu dem Resultate, „daß irgend ein baktericider Körper
in der Niere frei werde, oder eine neue Verbindung gebildet werde".
Wir wissen sicher, daß eine Temperatur von 37 ® C und mehr, daß
saure Lösung die Abspaltung von Formaldehyd aus Urotropin
begünstigt: wir können die baktericide Wirkung im Nierenbecken
konstatieren. So sind wir wohl auch berechtigt, als Ort der
Deutsches Archiv f. kUn. Medizin. LXXX. Bd. 24
368 ^^- BüTTBBSACK
Spaltung die Niere selbst, die Glomenili, die Harnkanälehen an-
zusehen. Die pathologische Anatomie lehrt ans, daß die Nephritis
scarlatinosa „geradezu als Prototyp der infektiösen Nephritis über-
haupt" (Heubner), „als infektiöse Glomerulonephritis'' zu be-
trachten ist. Halten wir nun fest, daß die Urotroinnwirkang in
den Nieren selbst im Momente der Hambereitnung durch partieDe
Abspaltung eines baktericiden Körpers (wahrscheinlich Formaldehyd)
einsetzt und zwar gerade an den Stellen, wo der infektiöse Scharlach-
prozeß seinen Anfang zu nehmen pflegt, nämlich in den Glomemlis-
und Harnkanälehen, so kommen wir auch auf theoretischem Wege
zu einer sehr plausiblen Erklärung der Urotropin Wirkung : daß das
Spaltungsprodukt des ürotropins (Formaldehyd) gewissermaßen in
statunascendimit dem Krankheitserreger oder ICrankheitsstoff (Bak-
terien) (Toxinen) zusammentriift und ihn unschädlich macht Daß wir
ausgedehnte Zerstörungen in den Nieren, wie sie durch ToUendete Ent-
zündungsherde geschaffen werden, mit Urotropin nicht werden heilen
können, ist a priori klar. Die Kunst wird bleiben, durch individuali-
sierende Dosierung des Mittels prophylaktisch der Nephritis yorza-
beugen und die ersten Reizerscheinungen durch dreiste Dosen zu fiber-
winden. Inwieweit dies auch bei anderen Infektionskrankheiten
möglich ist, kann erst die Zukunft lehren. Erinnert sei an die
Versuche von Behring (11), der einerseits die Grenze der Un-
schädlichkeit des Formaldehyds fdr den Tierkörper bestimmt hat,
andererseits dessen enorme Desinfektionskraft und sein günstiges
Verhalten zu gewissen Antikörpern betont.
Ich fasse zum Schlüsse meine Ausführungen zusammen:
Die Darreichung von Urotropinpräparaten bei Scharlach zur
Verhütung resp. Bekämpfung der Nephritis in geeigneter Dosis und
Dauer (0,05 bis 0,5 3 mal täglich, die zitronensauren Verbindungen
in doppelter Dosis) ist unbedenklich in jedem Stadium, selbst bei
frischen Nierenreizungen. Wenn das Urotropin nicht während der
ganzen Krankheitsperiode gegeben werden will, so muß es unter
peinlichster Harnkontrolle sofort mit dem spurweisen Erscheinen
von Eiweiß verabreicht werden. Auf den sonstigen Verlauf des Schar-
lachs hat dieses renal wirkende Mittel keinen Einfluß.
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tropins und .de« Neu-Urotronins. Inaugurilldlsä^ttfttibli Breslau 1^^:.
14. L. Weil, Über Diät bei Nierenkrankheiten. WUrttemb. mediz. Sorresp.-
blatt 1904 Kr. 1 nnd Sehatof, Erkrankungeü der Nieren.
24*
XXII.
Aus dem städt. Luisenhospital zu Dortmund
(Abteilung: Sanitätsrat Dr. Ger st ein).
Ein seltener fall von Pfortaderthrombose mit hämor-
rhagischer Infarzierung nnd Nekrotisiemng der Leber
(zugleich ein Beitrag zn den Veränderungen der Leber
nach Pfortaderthrombose).
Von
Dr. F. Steinhaus,
Stadtarzt- Assistent.
(Mit 6 Abbildungen.)
Nach den zahlreichen in der Literatur niedergelegten klini-
schen Beobachtungen und pathologisch-anatomischen Untersuchungs-
resultaten erscheint heute wohl der akute thrombotische Verschluß
des Pfortaderstammes als ein umschriebenes und bekanntes Krank-
heitsbild, so daß es sich mit Fug nach der Meinung Saxer's er-
übrigt, neue Fälle den bisher beschriebenen noch anzureihen. Die
akute Thrombose des Pfortaderstammes dokumentiert sich klinisch
in sehr heftigen Leibschmerzen und in schweren, kopiösen Stauungs-
blutungen aus den Organen, die für das Wurzelgebiet des Gefäßes
in Betracht kommen. War der akute Verschluß der Pfortader ein
totaler, so tritt sehr bald infolge Verblutung der Tod ein, war er
dagegen ein partieller, so kann sich das Bild der Pfortaderstauung
entwickeln mit der Trias ihrer Symptome: Aszites, Milztumor, perio-
dische Blutungen, und zwar infolge Kanalisierung ^) des Thrombus
oder infolge allmählicher Entwicklung eines Kollateralkreislaufes^
Momente, die durch die Behinderung der Zirkulation im Pfortader-
kreislaufe zu einer Stauung des Blutes mit ihren Folgeerscheinungen
führen.
1) Als Beispiel für dieselbe der Fall von Kö brich (4) (s. Literaturver-
zeichnis).
Ein seltener Fall von Pfortaderthrombose etc. 365
Beide Formen des akuten thrombotischen Verschlusses der
Pfortader sind in letzter Zeit durch die vorliegenden genaueren
Untersuchungen der klinischen Diagnose entschieden häufiger zu-
gänglich geworden.
Gemäß den Untersuchungen von Borrmann(l) handelt es sich
ätiologisch in diesen Fällen fast stets um eine Erkrankung der
Wand der Pfortader, die sich allerdings mit anderen Krankheits-
zuständen in der Leber resp. in der Umgebung des Stammes der
Pfortader kombinieren kann, mithin entweder primär oder sekundär
auftritt.
Die wichtigste Rolle bei den besonderen für diese Gefäß-
erkrankung in Betracht kommenden Momenten spielt wohl die
Syphilis und zwar sowohl die interstitielle, wie auch die gummöse
Form derselben in der Leber neben der Phlebitis syphilitica, die
als selbständige Erkrankung sich finden und die Pfortaderthrombose
sekundär im Gefolge haben oder sich mit einer der anderen Formen
von Lebersyphilis kombinieren kann. Dahin gehören die Fälle von
Jastrowitz, Bülau, Löwenfeld, Diego Cocco, Botkin
und die beiden Fälle Borrmann's.
Dann kommen chronische peritonitische Prozesse tuberkulöser
oder anderweitiger Natur in Betracht, die durch die Entwicklung
narbig sich retrahierender Bindegewebsztige das Lumen der Pfort-
ader verlegen (Fälle von Achard, Frerichs (2)).
Fernerhin gesellt sich dazu eine Kompression der Pfortader
durch Tutnoren, Drüsen und Gallensteine (Fälle von Gen drin,
Bouillard, Axel Key).
Bei dem Reste der von Borrraann verwerteten Fälle fand-
sich mit Ausnahme von zweien (Oppolzer, Pippow) eine aus-
gesprochene atheromatöse Erkrankung der Wand der Pfortader mit
Intimawucherung und zum Teil hochgradiger Verkalkung ohne
nachweisbare Ätiologie für diese Gefäßerkrankung als primärer
Krankheitsprozeß (Fälle von Gintrac, ßalfour and Steward,
Raikem, Morchad, Osler, Leyden, Alexander).
Unabhängig von Lebererkrankungen und sonstigen Verände-
rungen in der Umgebung der Pfortader kann diese primäre sklero-
tische und atheromatöse Erkrankung der V. portae zu einer Throm-
bose führen. Borrmann erblickt die Ätiologie dieser Gefäß-
erkrankung in höherem Alter, erhöhtem Blutdruck in den Gefäßen,
in Intoxikationen (Alkohol) und Infektionen (Lues).
Diese eben skizzierte Anschauung Borrmann's bestätigte
366 TV^- Steüvtavs
B u d a y (2), der über 2 Fftlle von Pfprt^dertjirombose berichtete, die
dwch primäre Sklerose der V^ijeiiwaTid hervorgerufen waren.
Sai(er(3) dan^egeu bestreitet die Dichtigkeit der Anschaumir
Borrmann's an Hand einer eigenen Beobachtung -^ eiue einzi^^
dastehende totale Tb^ouibose 4ei§ gesamten Pfortadergebietes^ die
er ätiologisch allerdings nicht zu erklären vermochte — , da die
Ätiologie der Pfortaderthrombose pur |n yerbältnismftßig wenigep
Fällen Yollkommen klar und keiner der Fälle Borrmann's ge-
eignet sei, dessen Anschauung wahrscbeinliQb zu ntachen, daß 4i^
Sklerose der Pfortader primär die Ursache der Thrombose dieses
Gefftßes aev
Epi scheint dauftch a|9Q noch ein Zwiespalt darüber zu berrscbeiv
ob Aie primäre Sklerose re^p, Atberon^atose der Pfortader» weuQ
sie aU^in aU krankhafter Prozeß vorhanden ist, eine Thrombose
der Gefäße ipi Gefolge bf^ben ^anq^ Andererseits ist aber wolil
vollkommene Einigkeit darin erzielt, daß die unkomplizierte akute
Tl^*on^hose des Pfortaderstammes keinerlei bedeutungsvolle
Veränderungen in derLeb^r setzt, weil die noch erhaltene
Zufuhr arteriellen Blutes durch die Art. hepatioa für dio Ernähi*uiig
des Organs voUkomnien ausreicht,
Borrmann äußert sich dabist daß dann, wenn die Pfortaderr
tbrombose L^berveränderungen macht, diese difnse sein müssen^
daß die Verlegung kleinerer Äste ohne Nachteil für das Parenchym
bleibt und ^ie ev, gesetzte Störung durch Kollateralbahnen aus-
geglichen wird. In Saxer's Fall von konipletter Thrombose des
gesamten Pfortadergebietes war die Leber ohne irgendwie nennens-
werte pathologische Veränderungen. Da die Leber hier keine in
Betracht kommende Menge von Pfortaderblut erhalten hat, so bleibt
nur die Abnahme, daß die Leber für ihre Ernährung wie für ihre
Funktion ausschließlich von der Arterie aus mit Blut gespeist
wurde. „Eine bestimnate charakteristische Veränderung der Leber^
welche durch den Verschluß des Pfortaderstammes allein bedingt
ist, ist uns demnach nicht bekannt". Diesem Falle Sa^er's ähnelt
der von Berendes (5) bearbeitete vollkommen. Buday fand bei
dena einen seiner Fälle keine Veränderungen an der Leber außer
hochgi'adiger brauner Atrophie. Bei dem zweiten Falle war die
Jfapsel verdickt, die Oberfläche durch Einziehungen höckrig ge-
staltet. Die naikroskopische Untersuchung ergab eine entzündliche
Wucherung des Bindegewebes in den oberflächlichen Teilen des
Parenchyms,. die man wohl in Ablehnung an die Anschauung von
Ein seltener Fall Ton Pfortaderthrombose etc. 367
Borrmann als einen selbständiges, von der Pfortaderthrombose
unabhängigen Prozeß auffassen kann.
Anders dagegen wie bei der bisher besprochenen Form von
unkomplizierter akuter Thrombose des Pfortaderstammes verhält
sich die Leber in deiyenigen Fällen, bei denen, ohne daß eine Er-
krankung der Wand der Pfoi*tader vorliegt, durch embolische Ver-»
schleppung thrombotischen Materials aus den Wurzeln der Pfort-
ader oder durch lokale Thrombose in der Leber bei den verschieden-
artigsten Erankheitsbildem eine Verlegung des Lumens von Pfort-
aderästen in der Leber zustande kommt mit einem charakteristischen
Folgeznstand f&r die Leber, den man nach dem Vorgehen Zahn's
als „atrophischen roten Infarkt^ bezeichnet.
Nach den bisher über diesen Gegenstand vorliegenden ana~
tomischen Untersuchungen scheint es fiir das Zustandekommen
dieser Leberverändemng ein unumgängliches Postulat zu sein, daß
eine Abschwächung der arteriellen Blutzufuhr zur
Leber mit einer Zirkulationsstörung im venösen
Körperkreislaufe kombiniert in Wirkung tritt.
Die Leber wies in den beschriebenen Fällen mit nur geringen
Abweichungen die gleichen Veränderungen auf. Man findet in dem
Organe hell- bis dunkelbraunrote Herde von wechselnder Größe
zerstreut vor. Diese Herde haben eine bisweilen rechteckige, zu-
meist aber keilförmige Gestalt. Ihre Begi*enzung gegen das um-
gebende Gewebe Ist eine ganz scharfe. Da ihre Oberfläche aber
eingesunken ist, so unterscheiden sie sich in diesem Punkte sehr
wesentlich von den hämorrhagischen Infarkten der Lunge, mit
denen sie sonst sehr große Ähnlichkeit haben. Mikroskopisch sind
im Bereiche dieser Herde die Kapillaren namentlich im Zentrum
der Azini außerordentlich dilatiert und prall mit roten Blutkörper-
chen gefüllt. Blutaustritte ins Gewebe sind entweder gar nicht
oder nur in ganz unbedeutendem Umfange vorhanden. Die Leber-
zellen im Zentrum der Azini sind hochgradig atrophisch und in
ihrem Verbände gelockert, während sie in der Peripherie meistens
gnt erhalten und in Reihen angeordnet sind. Die zu den so be-
schaffenen Herden führenden Pfortaderäste sind stets thrombosiert.
Es handelt sich demnach um multiple cyanoüsche Herde, um-
schriebene Stauungsherde, die durch embolische Verstopfung der
zuführenden Pfortaderäste mit nachfolgender Thrombosierung nach
primärer Thrombose in dem Wurzelgebiete der Pfortader- oder
durch autochthon in der Leber entstandene Thrombose verursacht
werden.
368 XXn, Steikhaüs
Die Zahl der Fälle von „atrophischer roter Infarktbildang" in
der Leber nach Pfortaderverschluß, die nun in der Literatur be-
schrieben sind, ist nicht sehr groß. Es gehört zu diesem Krank-
heitsbilde der Fall von Cohnheim und Litten (6), die eine Pfort-
aderthrombose bei einem Diabetiker beobachteten mit Muskatnaß-
leber als Folge der Verlegung der Pfortaderäste ohne pathologische
Veränderungen an den Leberzellen.
In die gleiche Kategorie von Leberveränderungen nach Pfort-
aderthrombose gehören wohl diejenigen, die Wagner (7) beobachtete
bei einem Falle, der mit Aszites kompliziert war. Er bietet nur
gegenüber allen den anderen die Besonderheit, daß eine primäre
Erkrankung der Wand der Pfortader, eine Pylephle-
bitis, vorlag. Nach der Beschreibung waren aber die inter-
lobulären Pfortaderästchen, wie Wagner ausdrücklich
hervorhebt, vollkommen frei von Veränderungen ge-
blieben; ihre Wand war ohne Besonderheiten, ihr Lumen leer.
Aus den späteren Betrachtungen wird hervorgehen, daß dies von
größter Bedeutung hinsichtlich der Folgen der Pfortaderthrombose
für die Leber war.
Drei weitere Fälle „von atrophischem roten Infarkt" beschreibt
dann Köhler (8). In dem einen seiner Fälle handelte es sich um
eine Pfortaderthrombose nach Rektumexstirpation. Auch bei dem
zweiten lag ein primärer maligner Tumor der Abdominalhöhle vor,
während bei dem dritten die Pfortaderthrombose in Abhängigkeit
von einem primären Milzabszeß mit Thrombose der V. lienalis ge-
setzt werden mußte. •'
Köhler vergleicht die Bedingungen für die Entstehung der
„atrophischen roten Infarkte" der Leber mit denen bei der Bildung
der hämorrhagischen Infarkte in der Lunge. In beiden Organen
geht der Verschluß des funktionellen Gefäßes spurlos vorüber bei
sonst normalen Zirkulationsverhältnissen. Gesellt sich aber eine
Stauung im venösen Kreislaufe hinzu, bei der allerdings
auch der Blutdruck in der Arterie herabgesetzt sein
muß, dann führt diese Stauung zu einer Gewebsveränderung in
beiden Organen, die mit einer rückläufigen Blutströmung in den
abführenden Venen beginnt Der Ausgang dieser ist bei asep-
tischem Verlaufe des Prozesses der gleiche in Lunge und Leber;
es kommt zu einer Wucherung des Bindegewebes, das später einen
narbigen Charakter annehmen kann.
In einem auf der Näturforseherversammlung zu Braunschweig
(1897) gehaltenen Vortrage erwähnte Zahn (9) Beobachtungen an
Ein seltener Fftll von Pfortaderthrombose etc. 369
menschlichen Lebern nach blander Embolie der Pfortader. Die
Beschreibung der in solchen Lebern nachweisbaren herdförmigen
Yeränderungen deckt sich völlig mit der von Wagner und Köhler
gelieferten. Zahn hatte in Anlehnung an die VeriSüche von Cohn-
heim und Litten, die nacK » kfünstlicher Pfortaderthrombose keine
Yeränderungen in der Lebör^- fanden, dann Versuche an Hunden
angestellt undinäch fruhestens'S' Tagen die gleichen herdförmigen
Veränderungen bei den Tieren in der Leber nachweisen können;
Diese expei*ifflenyil- erzeugten wie auch beim Menschen beobach-
teten fteSförmig^n Herde sind aber keine eigentlichen In-
farkt*f]* da-tein^ Gewebsnekrose eingetreten ist, sondern es sind
nach ZiÄft^n*s' Ansicht nur einfache atrophische Herde mit Kapillar-
erweiterunjg; er führte darum für siegle Bezeichnung „atrophi-
sche rote Infarkte" ein.
Eine gi'ößere Reihe von Pfortaderthrombosen mit diesen infarkt-
ähnlichen Herden beobachtete -weiterhin Chiari(lO) und gelangt
auf (irund der anatomischen Untersuchung dieser Fälle zu fast
den gleiöüen ßedultaten wie Köhler, Er trennt seine Fälle (17 im
ganzen) nach, dem Gesicht^spunkte, ob die Thrombose der Pfortader-
äste in der Xeber durch Ebbolie nach voraufgegangener Throm-
bose der Pfortaderwurieln hervorgerufen^ war oder ob sie lokal
in den Leberverzweigungen der Pfortader ihren Ursprung hfatte/
In der ersten Gruppe, die 15 Fälle, demnach die bei weitem größere
Zahl, umfaßt, scheidet er solche Fälle (7), bei denen die Thrombose
in den Pfortaderwurzeln spontan und primär ohne operativen Ein-
griff am Organismus eingetreten war, von anderen (8), bei denen
die Thrombose der Wurzeln auf den Einfluß schwerer Operationen
mit größerer oder geringerer Sicherheit zurückgeführt werden
konnte. Die Ätiologie für die in autopsia nachweisbare Thrombose
der Pfortaderwurzeln war eine sehr variierende. Bei den 2 Fällen
von lokal in den Leberästen entstandener Thrombose mußte für
diese das metastatische Wachstum von Karzinommassen in den
Gefäßen verantwortlich gemacht werden.
Chiari betrachtet diese infarktähnlichen Herde ihrer Genese
nach „als den mechanischen Effekt der Verstopfung von größeren
Ästen der Vena portae" und befindet sich hier in Übereinstimmung
mit Orth (4), der in ihnen eine herd weise zirkumskripte Stauungs-
atrophie erblickt.
Gleichwie Köhler hält auch Chiari es für eine wesentliche
und unerläßliche Vorbedingung für das Zustandekommen dieser
Herde, daß auch im großen Kreislaufe erhebliche Zirku-
370 XXIL Steivhaüb
latiönsstörungen gleichzeitig zur Geltung koramen^
herbeigeführt durch eine Beeinträchtigung der ar-
teriellen Blntzufuhr oder durch eine Stauung im
venösen Kreislaufe. Für seine Fälle macht er die Annahme,
d^ß eine Abschwächung der arteriellen Blutzufuhr sich mit der
Pfortaderthrombose kombiniert hat, da es sich teils um marantische
Kranke handelte, teils um Individuen, die unter dem Einflüsse einer
schweren Infektionskrankheit standen.
Hinsichtlich des Ausgangs der erwähnten Herde neigt Chiari
der Meinung za, daß sich nach längerem Bestände der Stauungs-
berde eine Stauungsinduration, also Bindegewebswucherung ent-
wickeln könne, wobei es nicht auszuschließen sei, daß bei Besserung
der arteriellen Blutversorgung und Behebung der venösen Stauung
eine restitutio ad integrum eintreten könne.
Als ein wesentlicher Befund bei den bisher beschriebenen
Fällen muß nun die Tatsache hingestellt werden, daß die inter-
lobulären kleinsten Aste der V. portarum nicht verlegt waren, da
natürlich ihr thrombotischer Verschluß durch Beeinträchtigung der
inneren Pfortaderwurzeln Untergang der Leberzellen durch Ne-
krose im Gefolge haben muß (cf. den Fall Wagner's).
Damit ist mir der Übergang gegeben zu einer weiteren Form
von Leberveränderungen nach Pfortaderthrombose, die größtes In-
teresse beansprucht, und zwar zu der anämisch-nekro tischen
Infarzierung, die sich mit echten Hämorrhagien in das
Lebergewebe vergesellschaften kann.
Als Beispiel für diese Veränderungen in der Leber führt zu-
nächst Chiari in der erwähnten Arbeit zwei Beobachtungen an.
fis handelte sich bei beiden um embolische Thrombosierung
der kleinsten, interlobulären Aste der V. portarum nach
primärer Thrombose der Vv. meseraicae bei Lungen- und Darm-
tuberkulose und der Vv. gastricae nach einer Besectio pylori. In
dem ersten Falle fanden sich bis erbsengroße, gelbe, in dem zweiten
Falle bis welschnußgroße, verschieden gestaltete, scharf begrenzte,
weißliche, mit leukozytärer Infiltrationszone umgebene Herde, die
mikroskopisch sich als Nekrosen des Lebergewebes erwiesen.
Weiterhin müssen hier die Leberveränderungen Berücksichti-
gung finden, wie sie bei puerperaler Eklampsie zur Beobachtung
kommen und von Schmorl, Prutz, Chiari, Pels-Leusden
u» a., letzthin in sehr ausfuhrlicher Weise von Selma Figowski (12),
die sich besonders mit der Histogenese derselben beschäftigt, be-
schrieben worden sind, kleinere und größere Blutungen in das
Ein seltener Fa]l von Pfortfuierthrombose etc. 37t
liCbergewebe mit Ablagerung von Fibrin, event anämische Nekrose
kleinerer oder größerer Gewebsbezirke i\ach Thrombose der
kleineren und kleinsten Pfortader- und Arterienäst^.
Die peueren Untersuchungen (Schmorl, Figowski) legen
es nahe, ^n eine primäre embolische Thrombosierung der kleinsten
Arterienästchen- uqd Kapillaren, vielleicht durch Deziduazellen,.
analog der embolischen Verschleppung dieser Zellen in die Lunge
etc., zu denken, da die Thrombosierung nicht gleichmäßig durch
die ganze Leber geht. Figowski nimmt nun an, daß diese
primäre Verstopfung der kleinsten Arterienästchen und auch der
Kapillaren iq der Peripherie der Leberläppchen Hämorrhagien er-
zengt, daß sie weiterhin die Ernährung der Pfortaderäste beein-
trächtigt, so daß diese erkranken. Ihre Erkrankung kommt darin
zum Ausdruck, daß die Wand hyalin wird, daß die Kerne ihre
Färbbarkeit verlieren, daß das Endothel von seinem Mutterboden
abgehoben wird. Die Folge dieser Veränderungen sind natürlich
Gerinnungsprozesse im Pfortadergebiet,
Diese Thrombosen führen, wenn sie in den interazinösen Ästchen
zur Ausbildung kommen, infolge völliger Abschneidung jeder Blut-
zufuhr zu anämischen Nekrosen. Die gleichen Veränderungen
finden sich, allerdings in weniger hohem Grade, in der Arterien-
wand.
Diese Erkrankung der Gefäße ist aber rein sekun-
därer Natur, als eine Folge der Thrombosen zu be*
trachten, da in den gesund gebliebenen Partien
Pfortad^r wi^ Leberarterie vollkommen normales
Aussehen bieten. „Eine präformierte Erkrankung der
Gefäßwände müssen wii* hier vollständig ausschließen, da wir j^
verfolgen konnten, wie sich die Alteration der Geßlßwände unter
dem Einflüsse des krankhaften Prozesses allmählich ausgebildet
hatte."
Ungefllbr d^r gleichen Anschauung leiht Kattone (13) Aus-
druck an der Hand der Beschreibung zweier Fälle von hämon'hagi-
§cher Infarzierung der Leber mit Nekrose des Gewebes. Das pri-
märe Leiden, welches in dem ersten Falle vorlag, war eine Mitral-
stenose; der Exitus erfolgte an puerperaler Septikämie. Der
PfortJitderast, der zu dem hämorrhagischen Infarkte führte, war
throiubosiert. Rat tone nimmt einen embolischen Verschluß der
Art. hepaticf^ oder eine Arteriitis infektiöser Natur an, um die Be-
dingungen f^r die: Entstehung des hämorrhagischen Infarkts der
Jjeber anf Grund seiner Experimente erfüllt zu sehen, di^ ihm
372 XXII. Steinhaus
den Beweis lieferten, daß man derartige Herde erzeugen kann
nach Unterbindung der Art. hepatica und Thrombosierung der
Pfortader.
In einem zweiten Falle gelang Bat tone der interessante Nach-
weis einer gleichzeitigen Erkrankung der Art. hepatica und der
V. portarum. Die Art hepatica zeigte eine Intimawucherung bis
zum bindegewebigen Verschluß des Gefäßes; die V. portarum war
thrombosiert. Die Folgen für die Leber traten in zwei hämorrhagisch-
nekrotischen Herden zutage.
Rattone verwendet nun beide Fälle für seine Anschauung,
daß nur bei einem gleichzeitigen Verschlusse der Art. hepatica
und der V. portarum in dem betreffenden Gewebsbezirke hämor-
rhagische Infarkte auftreten, die lokale Nekrosen bedingen. Ua
diese Bedingung so selten eintritt, so erklärt sich auch die Spär-
lichkeit entsprechender anatomischer Befunde beim Menschen.
Zu der gleichen Auffassung führte 0 s 1 e r (14) eine ähnliche
Beobachtung bei Leberzirrhose. In der Leber fanden sich rot-
braune bis blaßbraune Herde. Mikroskopisch handelte es sich um
Hämorrhagien mit Nekrose der Leberzellen. Die betreffenden Aste
der V. portarum waren thrombosiert. Hinsichtlich der Art hepa-
tica neigt Osler der Meinung zu, daß durch den zirrhotischen
Prozeß ihre Aste zur Obliteration gekommen waren.
Während also nach den Untersuchungen Von Ofth, Zahn,
Köhler und C h i a r i bei dem sog. atrophischen roten Infarkte der
Leber eine Störung im venösen Kreislaufe des Körpers
sich einstellen muß mit Beeinträchtigung der arteriellen
Blutzufuhr zurLeber, die ei-st die Bildung der Stauungshepde
nach Pfortaderthrombose ermöglichen, gehört zum Zustandekonini«»
eines hämorrhagisch-anämischen Infarktes in der Leber unbeditigt
eine direkte Verlegung des Kreislaufes in der Art.
hepatica hinzu.
Diese Verlegung kann nun herbeigeführt sein durch eine Er-
krankung der Wand der Arterie oder sie kann auch dann zustande
kommen, wenn nur die kleinsten interlobulären Aste der Pfortader
verlegt sind. Nach den Untersuchungen von Cohnheim und
Litten bleibt nämlich bei Verlegung der kleinsten interlobulären
Pfortaderästchen die Ernährung des Lebergewebes aus, weil die
arterielle Blutzufuhr durch den Verschluß der „inneren Pfortader-
wurzeln" abgeschnitten ist Es kommt daher der thrombotische
Verschluß der interlobulären Ästchen einer direkten Verlegung des
arteriellen Blutkreislaufes gleich. Mithin sind auch seine Folge-
Ein seltener Fall Ton Pf(^t9|derthrombo8e etc. 373
erscheinungen an , der Leber ähi^c^fe denen bei thrombotischem Ver-
schluß der Art. het)atica, nämlicfar Nekrose und ev. Hämorrha^e.
Diese Anschanutig* teilen auch O't^Yi und Chiari.
Die Throffiboseti der kleinsten interlobulären Verzweigungen
der V. portaruni bei puerperaler Üklampsie sind nun unabhängig
von einer primären erheblichereuj »d. h. anatomisch sich dokumen-
tierenden Erkrankung der Pfortadeit Osler und Rat tone er-
wähnen bei ihren Fällen von einer 'öolchen Erkrankung, soweit
nach den Reiferaten zu urteilen ist, nichts; bei Chiari's Fällen,
die auf embolischer Thrombosierung beruhten, war sie natürlich
nicht vorhanden. j .
Um so größeres Interesse mußte daher bei der sehr gmngen
Zahl der hier in Betracht kommenden Publikationen ein Fall er-
wecken, der im August 1903 auf der äußeren Station des städt.
Luisenhospitals in Dortmund zur Beobachtung kam und nach
mehr als einer Richtung hin höchst bemerkenswert war bei dem
seltenen Befunde, der sich erheben ließ. Herr Sanitätsrat Dr. Ger-
stein, dem ich zu großem Danke dafür verpflichtet bin, überließ
mir gütigst die Bearbeitung des Falles.
Der zw^eite Teil dieser Ausführungen umfaßt demgemäß eine
detaillierte Schilderung meiner Beobachtung.
Die Krankengeschichte des Falles ist folgende:
Am 19. August 1903 wurde der chirurgischen Station der 28 Jahre
alte Fuhrmann A. W. überliefert mit der anamnestischen Angabe, daß
der Patient am gleichen Tage morgens V^^ Uhr einen Hufschlag von
seinem Pferde gegen die rechte Bauchseite erhalten habe. Patient klagt
bei der Untersuchung über eine starke Schmerzhaftigkeit des gesamten
Abdomens. Puls klein. Therapie : Kampfermorphiuminjektion. Patient
macht den Eindruck, als ob er unter der Wirkung eines Shocks stände.
Abends Puls von besserer Beschaffenheit. Spontane Harnentleerung,
Im Harn kein Blut, kein Eiweiß, kein Zucker.
20. August. Harn muß durch Katheter entleert werden.
21. August. Harn wird spontan gelassen; er enthält eine Spur
Albumen.
27. August. An der rechten Bauchseite ist eine Dämpfung nach«
weiflbar und starke Schmerzhaftigkeit vorhanden. Seit 2 Tagen zuneh-
mender Ikterus der Konjunktiven und der Haut. Häufiges Erbrechen.
Puls kaum zu fühlen. Morphium, Kampfer. 10 "^ Uhr abends Exitus
letalis.
Die Anamnese und der zwei Tage ante mortem aufgetretene Ikterus
wiesen bei dem Mangel von Zeichen einer inneren Blutung auf eine
Affektion der Leber hin. Die klinische Diagnose blieb völlig in sus-
penso.
Weitere anamnestische Erhebungen, die ich nun anstellte, führten
374 XXII. Steinhaus
JEU keinem irgendwie verwertbaren Ergebniese. Nach den Angaben der
Mütter ist der -Patient stets gesund gewesen. AVegen einer Narbe aa
■einem Finger war er vom Militärdienste be&eit gewesen. Seinem Arbeit
geber War er durch eine starke Blässe des Gesichts stets aofgefalleo; er
hatte aber nach Ausweis der Bücher sich innerhalb der letzten 5 Jahre
•niemals krank gemeldet.
Sektionsprotokoll. Die Leiche ist die eines kräftig gebauten
Mannes. Der Ernährungssustand ist ein mittlerer. Die Haut hat ein
gelblich bis gelbliohgrünes Koloriti
Die Sektion der Schädel^ und Brusthöhle deckt keine patho-
logischen Abweichungen auf. Alle Organe zeigen gewöhnliches Yor-
tialten ; nur im Hilus der rechten Lunge liegt eine verkalkte und Zt T.
noch käsige Lymphdrüse.
Nach Eröffnung der Bauchhöhle liegt das große Netz in ziem-
licher Ausdehnung vor« In ihm' sieht man eine Anzahl kleiner Bla*
tüngen von flächenhafter Ausbreitung und länglicher Gestaltung. In der
Bauchhöhle keine freie Flüssigkeit, kein Blut. Nach dem Zurfiok-
echlagen des großen Netzes tritt das Konvolnt der Dünndarmschlingen
hervor. Die Serosa ist glatt, glänzend, feucht.
Die Milz ist von gewöhnlicher Größe; die !Rapsel ist nicht ver-
•dickt. Pulpa etwas weich, braunrot. Trabekel deutlich; Follikel mobt
sichtbar.
Linke Nebenniere ohne Veränderungen. Desgleichen zeigt die
linke Niere keine makroskopisch nachweisbaren Abweichungen.
Die rechte Nebenniere ist größer als die linke. Auf dem
Durchschnitt ist sie von einem gi*oßen, in der Peripherie braunroten,
scbarfrandigen , aber unregelmäßig begrenzten Herd durchsetzt, der
namentlich die Marksubstanz einnimmt, aber auch Ausläufer in die Binde
schickt. Im Zentrum ist der Herd deutlich gelb gefärbt. Die zugehö-
rige rechte Y. suprarenalis ist thrombosiert durch einen teils gelbgraa
bis rötlichen, teils grauen, also gemischten Thrombus.
Die rechte Niere verhält sich wie die linke.
Die Leber ist groß, namentlich der rechte Lappen unverhältnis-
mäßig voluminöser als der linke. Die Oberfläche ist glatt^ glänzend,
feucht. Ausgesprochene narbige Einziehungen oder Yerdickungen der
Kapsel sind nicht vorhanden. Ebensowenig sind Yerletzungen nach-
weisbar.
Auf dem Darchschnitt bietet sich nun ein eigenartiges und kompli-
ziertes Bild dar, das sich durch einen seltnen Farbenreichtum auszeichnet.
Der größere Teil des rechten Lappens ist von einem intensiv gelb ge-
färbten Herde eingenommen,, der nicht bis an die Kapsel reicht, etwa
^/g cm von derselben entfernt bleibt, der sich gegen das umgebende Ge-
webe scharf begrenzt mit einzelnen tiefen, buchtigen Einschnitten absetzt.
Daneben finden sich in dem Lappen zerstreut noch sehr zahlreiche,
kleine, gelbe Herdchen, auf der Schnittfläche zwisohen Stecknadelkopf-
und Erbsengröße schwankend, vor. Zwischen diesen kleinen Herdoben
liegen Dun zerstreut tiefrote Herde von ganz unregelmäßiger Gestaltung,
bald mehr rund, bald mehr länglich, bald mit mehr stumpfen, bald mit
mehr spitzen, vielgestaltigen Ausläufern versehen. Die Herde stellen
Sin seltener Fall vm Pfort&denhromboM etc. 375
offnibar HibnoiTliagien dar. Bei genanerem Zaeehea erkennt man, daß
m rieh snmeiBt am Ffortsderiate groppieren, zuweilen allerdings auf der
sngelegten ScbnittflSche keine direkte Beziehung sa diesen GefÜSen er-
kränen laasen. Die grOfieren FförtaderSete nicht nnr, sondern aach die
kleineren and kleinsten, soweit man sie mit bloßem Ange verfolgen kann,
lind nnn vollstilnclig thrombosiert, and zwar die grSSeren mit zumeist
roten, getehicht«ten ThrombnsmasBen, die mittleren und kleinen mit
mehr graugelbHchen oder granrStlicben Thromben. Die Äste der Art.
imd Vena bepslica sind frei nnd zeigen ein deutliches Lumen ; die Ar-
tcrienqnerschnitte erscheinen aber etwas starrwondig, ihr Lnmen klafft.
Anch die kleineren Pfortaderttste scheinen in ihrer Wand verdickt zu
sein, da ihre Querschnitte als breiter, grauer Saum sich am das throm-
botische Material ziehen. In dem nicht iafarzierten Gewebe sieht man
Stellen, die grQuKchgelb (gallig?) geßrht sind. Dazn kommt dann noch
das Kolorit des scheinbar gesunden Gewebes, in dem die Azini in der
Peripherie eine graugethe, im Zentnim eine rötlicbbraune Farbe haben.
Fig. 1.
A- Cngelthrombos an der Abzweiganeia teile des rechten und linkt
astes der Leber.
Es wurde nun die Pfortader vom Hilus der Leber aus verfolgt.
Der Stamm erwies sich frei von Thrombose. Dagegen zeigte
£e Wand fleckige, streifige, weißliche Yerfärbung und Yerdickang der
Intima des GefSßes. An der Teilungsstelle des Stammes in den rechten
<md linken Ast stieß man auf einen der Wand adharenten, deutlich ge-
schichteten, in seinen Schichten abwechselnd grau und rot gefärbten,
kngelig in das Lumen teils des Stammes, teils des rechten Astes der
Aortader hineinragenden Thrombus, der den Querschnitt des rechten
Astes nicht ganz verlegte (s. Fig. 1). Ln Anschluß an diesen Throm-
bos setzte eich eine frische Thrombose in die größeren Pfortaderäste fort
In dem linken Lappen finden sich nur kleine Nekroseherde ab>
376 XXII. STSUfBAUS
wechselnd mit kleiDeren Blotangen, in ihrer Gestaltung Tollkommen
identisch mit denen, die im rechten Lappen gefunden wnrden. Erst die
kleineren und kleinsten noch ehen sichtbaren Pfortaderäste waren hier
thrombosiert, mit grau- oder . gelbrötlichen Gerinnungsmassen erfüllt; die
größeren Aste waren frei.
Das Pankreas ist in reichlich entwickeltes Fettgewebe eingehüllt
In dem Fettgewebe liegen zerstreut kleine, zackig begrenzte,- weiße Herd-
chen, die etwas trübe und verwaschen aufsehen. Sie durchsetzen du
peripankreatische Fettgewebe in großer Zahl und finden sich auch auf einem
Querschnitt durch das Pankreas innerhalb des Organs im interstitiellen
Gewebe. Die Läppchenzeichnung i^t gut erhalten, das interstitielle Ge-
webe scheint nicht vermehrt zu sein.
Die übrigen Organe der Abdominalhöhle, in Sonderheit
der Darm, weisen keine Abweichung von der Norm auf. Die liesen*
terialgefäße sind makroskopisch ohne Veränderungen.
Die Sektion hatte also interessante Veränderungen an verschiedenen
Organen nachweisen lassen: eine traumatische Fettgewebe-
nekrose des Pankreas, eine hämorrhagisch-anämische
Infarzierung der rechten Nebenniere mit Thrombose der
entsprechenden V. sup rarenalis, und vor allem eine
gleichartige Infarzierung der Leber mit Thrombose der
Pfortaden Nach de^m makroskopischen Verhalten ließ
sich ferner schon bei der Sektion die Vermutung auf-
stellen, daß die Pfortader und vielleicht auch die Art
hepatica von einem Erkrankungsprozesse befallen seien.
Weitere Aufschlüsse über das Krankbeitsbi^ mußten demnach von
dem Ausfalle der mikroskopischen Untersuchung erwartet
werden.
Von verschiedenen Stellen der Leber wurden Präparate angefertigt
und in der üblichen Weise nach Fixierung in Z e n k e r ' scher Flüssigkeit
nach van Gieson gefärbt.
In den Schnitten, aus dem makroskopisch gesunden Gewebe dicht
unterhalb der Glisson 'sehen Kapsel war diese nicht verdickt; sie
enthält aber in verschieden großen Abständen Herdchen kleinzelliger
Infiltration. Das die Gefäße führende perilobuläre- Gewebe ist nur mäßig
verbreitert, zellig infiltriert. An zwei Stellen finden sich kjeinei zirkuni'
skripte Blutungen in das Gewebe.
Bei starker Vergrößerung erweisen sich die Zellen des Randgebietes
gut erhalten, mit intensiv .gefärbten, reichlich Chromatin enthaltenden
Kernen. Sichere Wucherungserscheinungen ließen sich an den Zellen
nicht nachweisen; es fiel nur auf, daß in einzelnen Zellbalken 4 — 6 Kerne
dicht gedrängt nebeneinander lagen, die sich tiefer blau geiärbt hatten
als die übrigen und auch kleiner waren. Es bleibe aber dahingefitellt,
ob diese Billder aus einer Vermehrung der Kerne gedeutet werden
können.
In einem Bezirke, der sich gelbgrün gefärbt hat, sind die Leber-
zellen erfüllt mit feinsten grünlichen Gallepigmentkörnchen. Die Kerne
sind sehr blaß tingiert, oft sieht man nur einen blaugefärbten King,
der den Rest des des Chromatins beraubten Kernes darstellt.
Ein wlteDer Fi^ ▼«& FforUdcrÜirombose etc.
877
Die beiden «rwSlinteii Blotnogen lind aa klein, dkB ein« jede von
ilmen bei 340fuhsr VergrSflerDng (ZeiB Obj. E, OK. 3) gerade ein
Gesichtsfeld aoBfailt. Dieses wird nar von dichtgedrängten roten BInt-
kSrpercben eingenommen, von Iiebersellen iet in dem Bereiche der Blu-
toDgen nicht« an eefaen. In dem Migrensenden Lebergewebe rind die
K«pillaren itcrk erweitert und mit roten BlntkSrperoban «ngefllllt.
Anf du To'hKltMi der OefÜSe rei weiter unten eingeguigan.
Fig. 2.
Bttt TOB Lebergewebe mit verbreiterlem, lellreichen und infiltriertem peripor-
talen Gewebe: a. Leberzellbalken ; b. in Zellbalken eindringendes periportales
Gewebe; c. kleinzellige herdweise Infiltration; d. zellreiches Bindegewebe; e. Ast
der Art. hepatica; t. obtnrierter Pfortadeiaat; g. Gallengäuge.
Eine weitere Schnittreihe fertigte ich an aus dem bämorrhagisch-
anämiachen Bezirke. Zahlreiche Präparate setzen sich, schon mit bloSem
Ange erkenntlich, ans zwei gesonderten Abschnitten zusammen. Der
eine Teil wird eingenommen von einem gelb gefärbten Gewebe ohne jede
Zeichnung. Du Lebergewebe iet hier vollkommen nekrotiaiert. Die in
ihren UmrisBen erhalten gebliebenen I^ellbalken sind ohne Kerne. Das
Gewebe sieht ganz feinkörnig am ; die azinöse Zeichnung ist in ihm völlig
Tarloren gegangen. Daran g;renzt ein Bezirk, in dem nnr schmale 8aame
Bskrotiachen Glewebes sichtbar wird, die zwischen sich teils größere, teils
kleinere Hohlränme (Kapillaren?) fassen, so daß der Bezirk netzartig ans-
■ieht In den erwähnten Bohlräamen sieht nun vereinzelte rote Blu^
Dentacbea Archiv f. ii
Ü5
378 SXn. STKnraiDB
kfirperch«D, in anderen teilt körnig, teila krieUllinisch anage&llenes, gelU
braanes Pigment (OsUe?). Die in dem Besirke gelegenen Pfortaderqner-
and •längtBchDitte sind thromboüert.
Hit einer blan tingierten Bandzoae, die ans dichtgedrängten mono-
nnkleären LymphoBTten, Ton denen viele bereits körnig serfallen Bind,
sich EDsammenaetzt, grenit sich der beschriebene Bezirk gegen einen
aoleben mit gelbgrüner Färbnog ab. Das Lebergewebe ist ebenfalls
nekrotisiert. Die stark erweiterten Kapillaren zwischen den völlig ketn-
und stmkturlflsen Zellbalken sind mit dichtgedrängten roten Blntkörper-
cben erfüllt, die stelteDweise in Herden angehäuft liegen, demnach als
Blntnngen in das Oewebe imponieren. Lebergewebe ist im Bereiche
dieser Blattingen nicht mehr zu erkennen, dagegen lagern in diesen
Herden zahlreiche groBe Bindegewebssetlen mit gnt tingierten Eemen,
die da, wo sie dichter liegen, parallel zn feinen, eben sichtbaren, na^
Tftu Qieson rot gefärbten BiDdegewebsfibrillen verlaufen, die wobt als
Anadruck dafOr xa gelten hftben, daS ein Ersatz durch Bind^webe
eintreten wird.
Fig. 3.
a. Oewncherte Gallengttnge; b. zellig infittriertea nsd gewuehertes interstitielle
Oewebe; c. Ast der Art. hepatica.
Das periportale Gewebe ist stark vermehrt, in ganz breiten Zügen
angeordnet, die eine intensive kleinzellige Infiltration aufweisen (Fig. S),
ähnlich der, die man bei Zirrhose zn beobachten pflegt. Die Infiltration
ist bedingt darcb großzellige, mononukleäre Lymphosjten nnd polf-
nukleäre Leukozyten. Außerdem finden sich in dem Bindegewebe zahl-
reiche großkemige Fibroblasten.
Des weiteren ließ sich eine erbebliche Wucherung von Oallengingen
im periportalen Gewebe feststellen (s. Fig. 3). In einem Bindegewebs*
luge ließen sich bis zu 60 Querschnitte zählen. Die gewucfaerten Gallen-
gänge haben ein teils einschichtiges, teils mehrschichtiges Epithel. Die
Wucherung dokumentiert sich noch dadurch, daß an einzelnen Gängen
Ein seltener Fall Ton Pfortaderthrombose etc. 37^
Mitosen in yersohiedenen Stadien, Monastern und Blastem, nachgewiesen
werben konnten. Außerdem sieht man Zellen mit zwei Kernen. Di»
Pfbrtaderäste sind auch in diesem . Bezirke thrombosiert , sowohl die
größeren wie auch die kleineren vollkommen organisiert.
Die Präparate enthalten an ihrem Rande den Querschnitt eine»
größeren Pfortaderastes. Um das Oefaß herum ist ein Streifen von
Lebergewebe stehen geblieben. Die Blutkapillaren sind in diesem Ge-
biete stark erweitert, aber leer. Die Leberzellbalken sind teils von ge-
wöhnlicher Breite, teils aber deutlich verschmälert. Ihr Protoplasma
ist erfällt mit kleinsten Gallepigmentkömchen. Die Kerne sind z. T.
gat erhalten mit deutlichem Chromatingerüst, z. T. aber in ihrer Struktur
verändert, zackig gestaltet, wenig tingiert, auch kömig zerfallen. Von
dem verbreiterten und entzündlich infiltrierten interstitiellen Gewebe aus
ziehen feine Bindegewebsfasern, denen große Fibroblasten anlagern^
zwischen die Zellbalken hinein.
Schnitte aus den übrigen Partien der Leber zeigen im wesentlichen
die gleichen Veränderungen. In einigen tritt die Verbreiterung und
Wucherung des interstitiellen Gewebes mit seiner entzündlichen Infiltration
noch mehr hervor. Diese Wucherung erreicht dann eine solche Aus-
dehnung, daß gleich wie bei der Zirrhose kleinere und größere Inseln
von Lebergewebe ganz unregelmäßig abgegrenzt werden, in die dann das
Bindegewebe noch mit feinen Ausläufern eindringt.
Die Blutungen, die man in diesen Präparaten ändet, weichen von
den früher beschriebenen dadurch ab, daß Fibrin innerhalb ihres Be-
reiches zur Ausscheidung gelangt ist; sie erreichen gewöhnlich eine
solche Ausdehnung, daß ihre Beziehung zu bestimmten Abschnitten des
AzinuB, wie sie bei der kapillären Hyperämie, die zu dem atrophischen
roten Infarkt führt, hervortritt und auch bei den Blutungen, die bei
puerperaler Eklampsie sich zeigen, in sehr exakter Weise von Selma
Figowski beschrieben wird, nicht mehr feststellen läßt.
Zum Schlüsse der Darstellung des mikroskopischen Befundes an der
Leber möchte ich im Zusammenhang die Veränderungen an den Gefäßen
einer Betrachtung unterwerfen.
Die Pfortader zeigt an ihrem Stamm mikroskopisch eine erhebliche
Verdickung der Intima, die nicht gleichmäßig den ganzen Gefaßquer-
schnitt befallen hat, sondern entsprechend dem makroskopischen Befunde
fleckig auftritt. Die Veränderungen sind unzweifelhaft chronischer Art,
da es sich um Wucherung von Intimagewebe handelt, das nicht mehr
entzündlich infiltriert, aber noch sehr zellreich ist. Die so gewucherte
Intima springt in das Lumen hinein wulstig vor und zeigt an verschie-
denen Stellen eine gewellte Begrenzung.
Die größeren Pfortaderäste sind erfüllt von Thrombusmassen, die
teils nur aus Fibrin, roten und weißen Blutkörperchen aufgebaut sind,
teils aber schon im Beginne der Organisation stehen. Die mittleren
Aste verhalten sich verschieden ; manche sind mit den gleichen frischeren
Thromben ausgefüllt, manche aber sind vollkommen in ihrem Lumen mit
Bindegewebe ausgefüllt (s. Fig. 4 u. 5). Die Bindegewebsfibrillen sind
gegen die Wandung hin breit, gegen die Mitte des Gefäßes hin laufen
sie in ganz feinen Fäserchen aus. In dem Netzwerk der Fasern lagern
25*
380 XXn. Stuhudb
ishlniahe groBe monönnkteKre LjnnphoETt«!! mit Kemeo, die ein deut-
liches KemgerÜBt »nfweisen, kleine mononnkleiTe LymphoiyteD mit diffoi
gefärbten Kernen in geringer Zahl und großkernige, je nftch dtit Schnitt-
richtoDg längsgeitaltete „oder mnde Fibrobluten. Die kleineren and
kleinsten interlobnlären Aatchen sind in der beschriebenen Weise doioh-
Teg Töllig obtnriert.
Fig. 4.
YQIlig obtarierter PfortaderaBt (schwache TergrCßenrng). a. Eleiniellige Infil-
tration der AdTentitia; b. rote Blntköipercben ; c. Räte von Fibrin; i. teil-
reiches Bindegewebe, du Lnmen obtnrierend.
Völlig obtorierter Ptortaderaat (starke Vergrtüernng). a. Adventitia, durehBetit
Ton mononnkleftren Lj'inpbozjten ; b. inngee, sehr letlreicbes Bindegewebe, du
Lumen des OefjUleB duKhaetiend.
Die Lebervenen äste sind ohne jede Veränderung. Dagegen ließen
■ich an der Art. bepatica Abweichungen feststellen (h. Fig. 6). Die
Mascularia des Stsmmes zeigt eine ziemlich beträchtliche TerdickuDg;
die HuBkelfaaern sehen gequollen aua. An einigen Stellen der Zirknm-
ferenz dee Querschnittes findet sich eine häufe benfdrmige Ansammlttng
von Lymphozyten. Intima und Adventitia sind intakt. Die mittlem
und kleineren a.ste sind von einer eigentUmlichen Yerfindernug befaUen,
die sich anf die Media beschränkt. Diese ist erheblich verbreitert. B«
staj'ker Vergroflemng (s. Fig. 6} sieht sie ganz homogen ans. Ten
Ein seltener Fall von Pfortaderthrombose etc. 381
Muskel- und BindegewebifaserB üt niohta mehr la sehen. In dem homo-
genen Gewebe liegen vereiDKelte ovalgestaltete, btiüoheniSrmige Kerne,
dia gaiut bl&B tingiert sind nnd kein KemgerUat mehr haben. Nor
einige wenige Kerne aeigen ein gnt ausgebildetes Chromatingerüat. Fär-
bnngen auf Hyalin und Amyloid gaben keine der bekannten Reaktionen,
10 daß mir die Deutung der sehr ins Ange springenden Veränderung
rein anatomisch nicht möglich wurde. Das Lnmen der so verinderten
GeGLfie ist sehr verengt,
Fig. 6.
- r ^
ist der Art. hepatica (starke Ver^llemag). a. Adventitia; b. hyalin nnd
homi^fen aussehende Media mit wem^n, lam Teil stark abgeblaBten Kernen d ;
c. abgestoBene Intimazellen ; e. Intima,
Ich glaube annehmen zu dürfen, daS diese 'Wandverinderung eine
Folge der erheblichen ZirkulBtionsetörungen in der Art. hepaüca ist, in-
* sofern als die Muskelsellen dem sehr gesteigerten Blutdrücke gegenüber
(s. u.) inanffinient geworden sind und schließlich degenerierten, und sehe
mich so veranlaßt, zur Erktfimng der in der Leber gefundenen Yer*
inderongen nach dem Vorgänge von Bat tone eine Beeinträchtigung
sowohl des Ffortaderkreialaufs wie der arteriellen Blutzufuhr als Ur-
sache für die Erkrankung der Leber hinzustellen, wenngleich auch die
völlige Obturation der interlobulären PfortaderSste zu einer Erklärung
der Leberherde ausreichen würde.
Der mikroskopische Befund an dem Pankreas läßt sioh mit
wenigen Worten znr Darstellung bringen. Das Fettgeirebe innerhalb
der Pankreaasabetanz wie auch im peripankreati sehen Gewebe ist typisch
nekrotisiert. An der Peripherie jeder Nekrose findet sich eine Blutung
in das Qewebe, die auch noch in das interstitielle Oewebe übergreift.
Dsran schließt sich eine Zone leukozytärer Infiltration aus polymorph-
kernigen Leukosyten gebildet. An einigen Stellen des Organs ist aooh
882 XXn. STEnrBAUs
das sp^zifisehe Oewebe von einer Nekrose befallen; die Struktur der
Azini ist verloren gegangen; das Int^rstitium ,zeig^ an diesen Stellen
herdförmige kleinzellige Infiltration. Zahlreiche Aste der V. pancreatica
fiind durch Thrombusmassen yerlegt. Die Thromben setzen sich ans
roten Blutkörperchen zusammen, die die Maschen eines dichtverfilzten
Fibrinnetzes ausfüllen. Oft sieht man beginnende Organisation, indem
spindelförmige Zellen gegen den Thrombus hin vordringen. An den
Arterien ist die Media ziemlich verdickt und sehr zellreich, die Intima
kleidet die Innenwand des Gefa^s in Form eines breiten homogenen
Saumes aus.
Die rechte Nebenniere bietet folgendes mikroskopische Bild.
Die Kapsel ist stark zellig infiltriert, indem um die Gefäße herum
Lymphozyten häufchenformig angeordnet liegen. In der Binde sind die
Drüsenzellen völlig zugrunde gegangen. Die ZMrischenräume zwischen
den Trabekeln sind ausgefüllt nut roten Blutkörperchen. An verschie-
denen Stellen sind größere Hämorrhagien zustande gekommen, in deren
Bereiche nur rote Blutkörperchen zu erkennen sind. Die Bindegewebs-
balken selbst sind dicht erfüllt mit Leukozyten, die reihenförmig im Ge-
webe lagern. Die Marksubstanz ist vollkommen nekrotisiert ; sie stellt
eine ganz strukturlose Masse dar. Die Aste der Y. suprarenalis sind
thrombosiert, ihr Lumen ist durch Fibrin und rote Blutkörperchen aus-
gefüllt. Die Organisation ist in diesen Gefäßen schon weiter vor-
geschritten als im Pankreas, insofern als deutliche, aber feine Binde-
gewebsfasern, denen spindelförmige Zellen angelagert sind, das Lumen
der Gefäße durchziehen.
Die Blutungen im großen Netz sind subperitoneal fiächenhaft
ausgebreitet und setzen sich aus Fibrin und roten Blutkörperchen zu-
sammen, die die Maschen des Fibrinnetzes ausfüllen.
Leider ist es versäumt worden, Stücke aus dem Verlaufe der
größeren Pfortaderwurzeln zu entnehmen, so daß ich über das mikro-
skopische Verhalten dieser Gefäße, die nach dem Ausfall der Unter-
suchung des Pfortaderstammes, der Leberverzweigungen und der Neben-
nierenvenen vermutlich pathologische Veränderungen aufgewiesen haben
würden, nichts auszusagen vermag.
Der Ikterus, der in den letzten Tagen des Lebens zur ESntwicklnng
kam, erklärt sich wohl ungezwungen aus den erheblichen Zirkulations-
störungen in der Leber und der dadurch bewirkten schweren Schädigung
der Funktion der Leberzellen sowie aus der Behinderung des Abflusses
der produzierten Galle.
Es fragt sich nun, welches Urteil man sich über die Patho-
genese des vorliegenden komplizierten Krankheitsbildes kon-
struieren kann.
Zunächst könnte der ganze Prozeß lediglich auf die Wirkung
des Traumas zurückgeführt werden. Die mikroskopische Unter-
suchung hat indes ergeben, daß eine ältere, vielleicht selbständige
Erkrankung der Pfortader, eine Endophlebitis vorliegt, deren Ätio-
logie völlig unaufgeklärt bleiben muß. Diese Pylephlebitis ist nicht
Ein seltener Fall von Pfortaderthrombose etc. 383
^ffas, sondern mehr fleckig aufgetreten, ähnlich wie dies Wagner
bei seinem Falle beschrieben hat Vielleicht sind dann lokale
Thrombosen, namentlich der interlobulären, aber auch etwas größerer
Äste eingetreten, die im Laufe der Zeit zu einer vollkommenen
bindegewebigen Obturation dieser Gefäße geführt haben. Im An-
schlüsse daran sind größere und kleinere Nekrosen des Leber-
gewebes zustande gekommen, weil die „inneren Pfortader wurzeln"
Terlegt wurden und damit die arterielle Blutzufuhr abgeschnitten
war. Die Folge der letzteren Störung waren dann Hämorrhagien.
Man müßte dazu die Annahme machen, daß die Wände der
Art. hepatica unter der Steigerung des arteriellen Blutdrucks in-
folge der Verlegung der kleinsten interlobulären Pfortaderästchen
zunächst eine Veränderung erlitten und damit för den Durchtritt
von Blut allmählich vorbereitet wurden oder daß die kleineren
Ästchen und Kapillaren rissen. Als ein reparatorischer Vorgang
hat sich dann die erhebliche Vermehrung des interstitiellen Gewebes
mit einer beim Menschen sehr ungewöhnlichen Wucherung von
Oallengängen, wie man sie nicht einmal bei subakuter gelber
Atrophie zu sehen bekommt, eingestellt.
Die Veränderungen an den Ästen der Art. hepatica möchte ich
^amit erklären, daß infolge der sicherlich vorhandenen Druck-
steigerung in dem Gefäße sich eine Hypertrophie der Muskularis
ausgebildet hat, daß an den kleineren Ästen aber bald ein Unter-
gang der Gewebselemente eingetreten ist, der in der hyalinen,
homogenen und strukturlosen Beschaffenheit der Media seinen Aus-
druck findet.
Bis dahin haben wir es nach dem Bilde, da^ ich mir von der
Pathogenese des Falles entworfen habe, wohl mit einem selbständigen
Erkrankungsprozesse zu tun. Jetzt setzte das Trauma ein, das
eine Nekrose des peripankreatischen und pankreatischen Fett-
gewebes mit Thrombose der V. paucreatica hervorrief und wohl
auch eine Thrombose der rechten V. suprarenalis mit Blutung
und Nekrose der rechten Nebenniere erzeugte. Vielleicht ist von
einer dieser Thrombosen aus ein Embolus in den Stamm der Pfort-
ader gefahren, wo er sich an der Abzweigungsstelle des rechten
und linken Astes festsetzte, vielleicht auch ist an dieser Stelle in-
folge der Erkrankung der Intima eine autochthone, lokale Throm-
bose mit appositionellem Wachstum, das aus dem Bau des Eugel-
thrombus geschlossen werden kann, eingetreten, sicher scheint mir
zu sein, daß von diesem Thrombus aus sich eine frische Thrombose
in den größeren und mittleren Ästen der Pfortader entwickelte,
384 XXn. Stkivhaub
die zahlreiche frische Blatungen in das Lebergewebe im Gefolge
hatte.
Ich glaube, daß man genötigt ist, diese zeitliche Trennung fSr
die Erklärung der pathologischen Veränderungen yorzunehmeo, da
die enorme Wucherung der Gallengäuge und des interstitiellen
Gewebes bis zum Bilde einer Zirrhose sowie die vollkommene Ob-
literation der kleineren und interlobulären Pfortaderäste wohl nicht
mit dem Alter der frischeren Thrombosen das nach dem mikro*
skopischen Verhalten der größeren Pfortaderäste und nach der
Anamnese auf 9 Tage zu bemessen ist, in Einklang gebracht
werden kann.
Erfahrungen über die zeitliche Dauer bis zur EntwickluDg so
hochgradiger interstitieller Entzündung und Gallengangswucherang
fehlen mir. Herr Prof. Ribbert (Göttingen) teilte mir in einer
Zuschrift mit, daß er an Hand angestellter Tierexperimente der-
artige Veränderungen in der Leber schon nach 9 Tagen gesehen
habe. Trifft dies zu, dann müßte man den von mir beschriebenen
Veränderungen eine etwas andere Deutung in bezug auf ihre Genese
zukommen lassen, die von der vorigen dahin abwiche, daß die ge-
samten Thrombosen, sowohl die bereits vollkommen organieierten
wie auch die frischeren im wesentlichen aus Fibrin aufgebauten,
auf das Trauma bei einer bestehenden chronischen Endophlebitis
der Pfortader zurückzufuhren wären.
Lassen sich aber damit die beobachteten Veränderungen an
den Ästen der Art. hepatica in Übereinstimmung bringen? Gerade
mit Rücksicht auf diese Veränderung des arteriellen Gefäßes und
das so gänzlich verschiedene Verhalten der einzelnen Thrombosen
innerhalb der Pfortaderäste möchte ich mich mehr für die zuerst
gegebene Darstellung der Genese des ganzen Erankheitsprozesses
entscheiden.
Der Tod des Patienten ist durch die direkte Wirkung des
Traumas nach nur 9tägigem Krankenlager eingetreten. Das gibt
mir Veranlassung, der Bedeutung des Traumas in diesem Falle
einige Worte zu widmen.
Was nun zunächst die Veränderungen am Pankreas anlangt
so steht heute wohl unumstößlich fest, daß ein Trauma imstande
ist, eine Fettgewebsnekrose im Pankreas zu erzeugen, sei es mit
Verletzung des Organs, sei es ohne sichtbare Verletzung. Unsere
Kenntnisse über die traumatische Entstehung der Pankreasnekrose
sind gerade in der jüngsten Zeit durch einige Arbeiten bereichert
worden.
£iii seltener Fall von Pfortaderthrombose etc. 3g5
So berichtete Simmonds (15) 1898, 1900 und 1901 aber 4 Fälle
von reiner traumatischer Fettgewebsnekrose des Pankreas.
M. B. Schmidt (16) beobachtete und beschrieb weiterhin einen
Fall nach Kontusion des Abdomens durch die Puffer von Eisenbahn*
wagen mit zahlreichen Rissen im Pankreas.
Die letzte Arbeit stammt aus der Feder von Roosen-
R a n g e (17), der die Fälle von Simmonds ausführlicher be-
schreibt und die ganze Literatur über diesen Gegenstand berührt^
so daß die Fälle von Körte, Wagner, Seiberg, v. Hanse-
mann, Fester und Fitz, Rolleston, Warren und Glaeser
Erwähnung finden. Der Fall Seiberg* s ist insofern mit dem
von mir beobachteten identisch, als das Trauma durch einen Pferde-
hufschlag bedingt war.
Nach diesen klinischen Beobachtungen und den experimentellen
Erfahrungen von Katz und Winkler, Hildebrand, Williams,
Körte, wird man zu der Annahme hingedrängt, daß die primäre
Bedeutung in dem ganzen Krankheitsprozesse den Gewebsalterationen
des Pankreas zukommt, die entweder auf Erkrankungen des Pankreas
oder auf Verletzungen des Organs beruhen, die dann aber erst
sekundär die Nekrotisierung des Gewebes im Gefolge haben. Dieser
Ansicht, der namentlich Simmonds Ausdruck gegeben hat, möchte
ich mich auch f&r meinen Fall anschließen und demzufolge die An-
nahme machen, daß zunächst das Trauma eine Zerstörung von
Pankreasgewebe bewirkt hat, daß sekundär erst die Fettgewebs-
nekrose aufgetreten ist, nachdem eine Störung im Abfluß des
Sekretes zur Geltung gekommen ist. Diese Verletzungen können
zwar in meinem Falle nur supponiert werden und können auch
nur in mikroskopischen Gewebsläsionen bestanden haben, da sich
der Nachweis gröberer Verletzungen nicht erbringen ließ. Immer-
hin wäre es denkbar, die erwähnten Nekrosen des Drüsengewebes
als den Effekt des Traumas zu betrachten.
Des weiteren kann ich mich nur der Ansicht von Simmonds
anschließen, daß der Nachweis einer traumatischen Genese der
Fettgewebsnekrose des Pankreas von größter praktischer Bedeutung
ist hinsichtlich des Entschädigungsanspruches der Hinterbliebenen
derartig Verletzter. Bei meinem Falle war das Trauma als ein
Betriebsunfall zu betrachten, da der Patient in Ausübung seines
Dienstes von seinem Pferde einen Hufschlag erhalten hatte. Das
Gutachten müßte sich demnach im Anschluß an den in autopsia
erhobenen Befund für einen direkten Zusammenhang zwischen Trauma
386 XXII. Steüthaüs
lind Tod aussprechen, so daß die Berufs^enossensctaaft regreßpflichtig
gemacht werden könnte.
Wie steht es nun um die Bedeutung des Traumas in der Ätio-
logie der Pfortäderthrombose ? Die Auslese- an Fällen von Pfort-
aderthrombose, die auf ein Trauma mit ursächlicher Bedeutung fQr
den Erankheitsprozeß zurückgeführt werden können, ist in der Lite-
ratur eine äußerst spärliche. Mit der in Rede stehenden Frage
beschäftigt sich zunächst die Dissertation von Wilke (18): „Pfort-
aderthrombose und Trauma". In seinem Falle hatte der Patient
nach einem höheren Sprunge Erscheinungen von Magen- und Darm-
blutung geboten und war auch unter den gleichen klinischen Sym-
ptomen etwa ^4 Jahre später zugrunde gegangen. Bei der Autopsie
war die Leber ohne besondere Veränderungen. Die Wand der
Pfortader, die thrombosiert war, zeigte in der Media Spalte und
Bisse Yon bald geringerer, bald größerer Ausdehnung. Außerdem
war die Media zellig infiltriert. Wilke erklärt diese Einrisse
durch den Zug des gefüllten Magens ev. auch des Querkolons an
der Pfortader bei dem eifolgten Sprunge und glaubt damit den
traumatischen Ursprung der Thrombose bewiesen zu haben. Er
zitiert dann noch die in der Literatur niedergelegten Fälle von
Lambron (beschrieben von Frerichs) und von v. Jan, bei
denen Fremdkörper die V. meseraica durchbohrt, die Wand in Ent-
zündungszustand versetzt und damit die Thrombose verursacht
hatten, und rechnet auch den von Frerichs mitgeteilten Fall
von Pfortaderthrombose nach mehrfachen Kontusionen des Abdomens
zu den Thrombosen traumatischen Ursprungs.
Zu der gleichen Frage hat dann Ponfick(19) 1902 auf der
Naturforscherversammlung zu Karlsbad Stellung genommen und
den Befund an 2 Fällen mitgefeilt, bei denen sich im Anschluß an
ein Trauma eine Pfortaderthrombose entwickelt hatte.
Diesen 6 Fällen gesellt sich nun der von mir beschriebene
Fall hinzu, da nach meinen Darlegungen aus dem Sektionsbefande,
aus der Anamnese und der mikroskopischen Untersuchung die
Schlußfolgerung gezogen werden muß, daß auf die Einwirkung des
Hufschlages mit Sicherheit die frischen, höchstens 9 Tage alten
Thrombosen in der V. suprarenalis dextra, in der V. pancreatica
und in den größeren Leberverzweigungen zurückzufuhren sind Im
Gegensatze zu Ponfick mußte ich allerdings die Annahme von
dem vorherigen Bestehen einer vielleicht selbständigen Erkrankung
der Pfortaderwand machen, um zu einer befriedigenden Erklärung
Ein seltener Fall von Pfortaderthrombose etc. 387
der Veränderungen an den Gefäßen und an der Leber zu ge-
langen.
Es steht somit beute außer allem Zweifel, daß auch in der
Ätiologie der Pfortaderthrombose, um mit P o n f i c k zu sprechen,
das „Trauma eine größere Bolle zu spielen scheint, als man bisher
angenommen hat^, und sicherlich würden weit mehr Fälle zur
Beobachtung gelangen, wenn regelmäßig Obduktionen gemacht
würden, deren Bedeutung auch im ökonomischen Interesse der
größeren Verletzungen zum Opfer gefallenen Patienten auf das
klarste der beschriebene Fall beweist, der ohne die Sektion voll-
kommen in Dunkel gehüllt geblieben wäre.
Wenn ich nunmehr zu der Hauptfrage zurückkehre, deren Be-
antwortung den wesentlichen Gegenstand vorliegender Arbeit bildet,
der Frage nach den Leberveränderungen im Gefolge von Pfortader-
thrombose, so läßt sich das Besultat der Erörterung in folgende
Sätze kleiden, die den derzeitigen Stand der Wissenschaft präzi-
sieren :
L Eine große Zahl von Pfortaderthrombosen erzeugt keine Ver-
änderungen in der Leber, weil die Zirkulation des Blutes un-
gestört vor sich gehen kann, so daß das Lebergewebe in seiner
Funktion keinerlei Beeinträchtigungen erleidet.
a) Diese Thrombosen können abhängig sein von einer Er-
krankung der Pfortaderwand im Sinne der Anschauung
von Borrmann.
b) Sie können aber auch eintreten, ohne daß eine anatomisch
nachweisbare Erkrankung der Pfortader vorliegt.
n. Bildet sich nach einer aütochthonen oder embolischen Thrombo-
sierung der Pfortader eine Zirkulationsstörung im venösen
Körperkreislaufe, speziell im venösen Kreislaufe der Leber
aus unter gleichzeitiger Abschwächung der arteriellen Blut-
zufuhr, so kommen die sog. „atrophischen roten Infarkte^' (Zahn)
zustande,
in. Erstreckt sich die Thrombose bis in die interlobulären Äste
der Pfortader, so kommt es zu Nekrose und Hämon^hagie in
der Leber infolge totaler Verlegung der arteriellen Blutzufuhr.
Dabei können die Äste der Art. hepatica unverändert sein
oder aber bedeutsame pathologische Abweichungen aufweisen.
Das Ergebnis vorliegender Arbeit läßt sich dahin zusammen-
fassen:
L Der Fall ist als eine gemischt autochthone und trau-
matische Pfortaderthrombose mit konsekutiven
388 XXn. STBDmAus, Ein seltener Fall yon Pfortaderthrombose etc.
Yeränderangen in der Leber aofznfasseiiy die sich in
Form von selten so ausgedehnten Nekrosen und echten
hämorrhagischen Infarkten darstellen.
II. Diese Leber Veränderungen sind als dieFolge der totalen
bindegewebigen Obturation der interlobnlären
Pfortaderäste zu betrachten.
IIL Die Pfortader ist von einer wahrscheinlich primären,
fleckweise auftretenden Endophlebitis befallen.
Diese hat vor der Einwirkung des Traumas bereits weit-
gehende Veränderungen an den kleineren und kleinsten Pfort-
aderästen hervorgerufen und Nekrosen im Lebergewebe da-
durch bewirkt, da ausgedehnte zirrhotiscbe Prozesse
und eine über das gewöhnlich beobachtete Maß hinausgehende
Wucherung von Gallengängen auf ein höheres Alter
des ganzen Prozesses hinzuweisen scheinen.
IV. Das Trauma (Hufschlag gegen das Epigastrium und die
Regio hypochondriaca dextra) hat eine akuteFettgewebs-
nekrose im Pankreas, eine frische Thrombose der
r. y. suprarenalis mit Hämorrhagie und Nekrose
der Nebenniere sowie eine frische Thrombose der
größeren Pfortaderäste erzeugt
V. Der Fall liefert einen neuen Beweis von der ätiologischen
Bedeutung des Traumas für die akute Fettgewebs-
nekrose des Pankreas sowohl wie auch für die
Thrombose der Pfortader.
Literatur.
1. Borrmann, Dieses Archiv Bd. 59.
2. Buday, Zentralblatt für pathol. Anatomie XIV. Bd. Nr. 5 1903.
3. Saxer, Zentralblatt für pathol. Anatomie XIII. Bd. Nr. 16 1902.
4. Kö brich, Inaug.-Dissert. Kiel 1903.
5. Berendes, Inang.-Dissert. Kiel 1903.
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7. Wagner, Dieses Archiv Bd. 34.
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9. Zahn, Verhandl. der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte, Bnon-
schweig 1897.
10. Chiari, Zeitschrift für Heilkunde Bd. XIX.
11. Orth, Lehrbuch der allgem. Pathologie und pathol. Anatomie, Berlin 190L
12. Selma Figowski, Inaug.-Dissert. Zürich 19Ü0.
13. Rat tone, ref. Köhler (s. oben).
14. Osler, ref. Chiari (s. oben).
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16. M. B. Schmidt, Münch. med. Wochenschrift 1900.
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18. Wilke, Inaug.-Dissert. Kiel 1903.
19. Po n f i ck , Verhandl. der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte, Karls-
bad 1902.
xxin.
Ans der medizinischen E[Iinik Tübingen.
Prof. Dr. KrehL
Über Herkunft nnd Wirkungsweise der Hftmagglntinine.
Von
Dr. Eonrad Sick,
Assistenzarzt der Klinik.
Das Stndiom der natfirlichen Schatzstoffe, die jedem Organis-
mus nach seiner Arteigentümlichkeit zukommen, ist hinter den
Forschnngen über künstliche Immunität wesentlich zurückgeblieben.
Jedenfalls sind nnsere Kenntnisse anf diesem Gebiete nicht derart,
daß sie die Tatsachen der natürlichen Resistenz gegen krank-
machende Einflüsse bei den verschiedenen Tierspezies unserem Ver-
ständnis vollständig erschließen. Trifft man ja doch nicht selten
ein umgekehrtes Verhältnis zwischen bakteriolytischer Kraft eines
Blutserums und der Empfänglichkeit des untersuchten Tieres füi*
die betreffende Bakterienart. Nur wenig ist bekannt über Än-
derungen in der Konstitution und in der Wirkungsweise der na-
türlichen Schutzstoffe bei pathologischen Zuständen, in denen Pro-
duktion von Bakterien-Antikörpern, also infektiöse Prozesse, aus-
geschlossen werden können.
In den Rahmen einer Reihe von Untersuchungen über physio-
logische Eigenschaften und pathologische Veränderungen des Blutes
und seiner Bestandteile, die in unserer Klinik in Angriff genommen
wurden, fügten sich Versuche ein, die über die Entstehung und
die Eigenschaften jener natürlichen Schutzstoffe Aufschluß geben
sollten. Während die normalen Hämolysine in neuerer Zeit sehr
viel häufiger Gegenstand von Untersuchungen geworden sind, haben
die Hämagglutinine nicht so eingehende Beachtung gefunden, und
sie besitzen doch nach Ansicht der Mehrzahl der Autoren gegen-
über den Hämolysinen eine weitgehende Selbständigkeit oder sind
sogar völlig von ihnen abzutrennen. Im Verlauf der Unter-
390 xxm. SiGK
suchuDgen wurden allerdings die viel kräftiger wirkenden immuni-
satorisch erzeugten Agglutinine zu Hilfe genommen.
Um eine sichere Grundlage der Methodik zu bekommen, mußten
wir einerseits die Werte der natürlichen agglutinieren-
den Substanzen in den Eörperflussigkeiten bestimmen, andere^
seits die verschiedenen morphologischen Bestandteile des
Blutes auf ihre Agglutinierbarkeit prüfen.
Zar Methode nur soviel: Von den za agglntiDierenden Erythro-
zyten, die 2 mal gewaschen waren, wnrden 5 % AnfBchwemmuDgen ia
0,9 ^Iq NaCl- Lösung hergestellt. Beobachtet wnfde die Agglutination im
hängenden Tropfen, nachdem 1 Normalöse der Blutaufschwemmong mit
Serum oder Serumverdünnung gut gemischt war.
Die Sera der Warmblüter besitzen im allgemeinen einen ge-
ringen Agglutinationstitre gegenüber den Blutkörperchen anderer
Spezies. Schwankungen dieser Agglutinationswerte, nicht nur inner-
halb einer Tierart, sondern auch bei einem und demselben In-
dividuum zu yerschiedenen Zeiten erschweren bei solchen Ver-
suchen das quantitative Arbeiten beträchtlich. Man ist gezwungen,
möglichst lange ein einziges Serum zu gleichartigen Versuchen zu
benützen, das sich bei Zusatz von 0,5 7o Karbolsäure genügend
lange hält, ohne daß die Wirksamkeit wesentlich abnimmt.
Bei vergleichenden Versuchen über die Wirkung eines Serums
auf verschiedene Blutkörperchenarten kann man sich bald davon
überzeugen, daß nähere Beziehungen zwischen den nor-
malen Hämolysinen und Hämagglutininen nicht ange-
nommen werden können. Es löst z. B.
Kaninchen,
Pferd,
Hammel,
Eind,
Mensch,
Schwein,
Gans.^)
Hingegen bringt das Serum desselben Hundes, das Rindererythro^
zyten prompt hämolysiert, diese Erythrozyten nicht zur Agglu-
tination oder braucht dies nicht jedenfalls zu tun. Oder umge-
kehrt: Menschliches Blutserum, das Blutkörperchen vom Hunde
stark agglutiniert, braucht diese nicht aufzulösen. Der Auflösung
Hundeserum die Körperchen von
1) Vgl. auch Gürber, Zur Kenntnis der Chemie und Physiologie des Blut-
serums. Festschrift für Fick 1899.
über Herkunft und Wirkungsweise der Hämagglutinine. 39t
Yon Erythrozyten durch immnnisatorisch erzengte Hämolysine
scheint aber konstant Agglutination vorauszugehen, eine Beobachr
tuDg, die von Baumgarten^) veranlaßte, die Identität beider
Körper anzunehmen. Demgegenüber ist es in jüngster Zeit
Sachs ^) gelungen, mit Hilfe von Kälteeinwirkung Agglutinine und
Ambozeptoren yoUständig zu trennen. Damit ist natürlich di^
Möglichkeit eines näheren Zusammenhanges dieser beiden Körper
noch nicht ausgeschlossen. Möglicherweise besitzen beide gemein^
schaftliche Gruppen, oder das Agglutinin selbst bzw. seine Vor*
stufe ist in dem Aufbau des Ambozeptorkomplexes beteiligt.
Die Hämolyse durch Galle, welche ja auf zahlreiche
Bakterienarten agglutinierend wirkt, sahen wir nie kombiniert mit
Agglutination auftreten. Allerdings ist die Einwirkung der Galle
auf die roten Blutscheiben vermöge ihrer chemischen Konstitution
wesentlich verschieden von dem Vorgang der Lösung jener durcb
Blutserum.
Während bei den Immunsera Agglutination in einer Verdünn
nnng 1 : 1000 bis 1 : 2000 keine Seltenheit ist, bekommt man bei
den wirksameren der normalen Sera Reaktion noch in einer Ver*
dunnung 1 : 20 ; ausnahmsweise 1 : 80 bis 1 : 160. Geringe Diffe-
renzen in ihrer agglutinierenden, sowie besonders in der hämoly-
tischen Wirkung zeigen venöse und arterielle Sera desselben Tieres.
Gewöhnlich besitzt das Serum des venösen Blutes stärkere Wir-
kung. J. Hamburger') hat die analoge Beobachtung hinsichtlich
des Verhaltens des venösen und des arteriellen Blutes bei der Bakte-
rizidie dadurch erklärt, daß das venöse Serum durch seinen größeren
Gehalt an „diffusiblem" Alkali (Alkali in lockerer Salzbindung im
Gegensatz zu den Alkalialbuminaten) an bakterizider Kraft gewinne.
Ganz konstant waren jedoch diese Differenzen nicht, vielleicht daß
chemische Veränderungen des Blutes je nach der Sauerstoffaufhahme
durch die Lungen und dem jeweiligen Zustand der Verdauung die
auseinandergehenden Resultate erklären könnten.
Eingehende Untersuchung des Blutplasmas auf seine agglu*
tinierenden Eigenschaften sollte die Frage, ob die Agglutinine Pro*^
dukte der Zellveränderung bei der Gerinnung darstellen oder im
zirkulierenden Plasma gelöst sind, ihrer Entscheidung näher bringen.
Schwierig ist es, ein Plasma herzustellen, das dem intravasalen
1) BerUner klin. Wochenschr. 1901, Festschrift für Jaff e 1901, Verhandle
4er deutschen pathoL. Gesellschaft 1902.
2) Münch. med. Wochenschr. IJKU Nr. 7.
3) Virch. Arch. Bd. 156.
392 XXm. SicK
möglichst gleicbkommt.^) Als HaSstab fBr diese Eigenschaft kaim
man wohl mit Recht chemische Kriterien zn Hilfe nehmen, nilmlich
das Fehlen des Thrombins nnd seiner Vorstafen. Ein Plasma,
welches frei ist von Oerinnnngsferment oder dessen Vorstufen, wird
dem zirknlierenden Plasma am nächsten kommen. Die gewöhn-
lichen Methoden, Blutplasma zn gewinnen, erweisen sich als un-
genügend f&r unsere Zwecke, insofern man dabei unverändertes
Blutplasma nicht erhält. Wird Blut direkt aus der Arterie in
Oxalat-, Fluorit- und Metaphosphatsalzen von bestimmten Konzen-
trationen oder im Extrakt von Blutegelköpfen aufgefangen, so wird
es ungerinnbar durch Ausfällung der zur Fermentbildnng not-
wendigen Kalksalze bzw. infolge AntikOrperwirkung. Daß der
Salzzusatz für das Zustandekommen der Agglutination belanglos
ist, war leicht festzustellen. Andererseits jedoch entsprach das
mit diesen Methoden gewonnene Plasma den obengenannten An-
forderungen nicht vollständig. Erst die Anwendung von paraf-
iinierten Kanülen nnd Zentrifugenröhren nach Gengou, in die
das Blut ohne jeden Zusatz aus dem Gefäß einströmte, ermög-
licht die Gewinnung von chemisch ganz unverändertem Plasma
Dr. Morawitz stellte mir von ihm auf Fermentfreiheit geprüftes
Plasma zur Verfugung. Die Agglutinationskraft dieses
Plasmas verhielt sich quantitativ ebenso wie das
Serum desselben Tieres.
Durch Hewlett-) ist dieselbe Übereinstimmung in der Wir-
kungsweise von Plasma und Serum, was die Bakterizidie und Hämo-
lyse anlangt, nachgewiesen worden in Übereinstimmung mit den An-
gaben von G r u b e r *), während Gengou*) dem Plasma eine wesent-
lich geringere bakterizide Wirkung zuschreiben zu müssen glaubte
als dem Serum. Auf indirektem Wege glaubt Ascoli*) die hämo-
lytische Wirkung des Blutplasmas nachgewiesen zu haben.
Damit war die Entstehung der Agglutinine durch Verände-
Hingen der zelligen Elemente des Blutes nach dem Austritt ans
dem Gefäße sehr unwahrscheinlich geworden. Im nämlichen Sinne
war die Beobachtung zu verwerten, daß Verreibungen von Leuko-
1) Vgl. hierüber die eingehenden Untersuchungen Ton Morawit«, Arch.
fdr kliu. Med. 79. Bd. und Löwit und Schwarz, Zeitschr. f. HeUkunde 1903
Bd. 24 Heft Vm.
2) Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. Bd. 49 S. 307.
3) Mttnchn. med. Wochenschrift 1901 Nr. 46—49.
4) Annal. de Tinst. Pasteur 1901.
5) Deutsche med. Wochenschr. 1902 Nr. 41.
über Herkunft und Wirkungsweise der Hämagglutinine. 393
zyten, Blutplättchen, Stromata der Erythrozyten mit 0,9 ^/o Koch-
salzlösung keine agglutinierende Wirkung hatten.
Eine Beteiligung der Gefäßwandzellen an der Produktion der
Agglutinine ist ebenso schwierig auszuschließen, als der Nachweis
einer solchen Beteiligung derselben unsicher bleiben müßte. Jeden-
falls ist nach all dem, was wir von der physiologischen Bedeutung
dieses Gewebes wissen, eine solche Rolle nicht wahrscheinlich.
Wir haben dann noch untersucht, ob die Agglutination der roten
Blntscheiben anders verläuft, wenn das Hämoglobin aus ihm ent-
fernt ist. Das ist nicht der Fall: die Stromata der Erythrozyten
wurden agglutiniert wie vor der Auslaugung.
DerNachweis der Agglutination im zirkulierenden
Plasma selbst, in der Gefäßbahn, stößt auf erhebliche Schwierig-
keiten. Führt man inaktives Serum, das die Zellen der anderen
Tierart in vitro agglutiniert, in die venöse Blutbahn dieses Tieres in
genügender Menge ein, so müßten die ziemlich fest zusammenhängen-
den Zellhaufen im Kapillarkreislauf hängen bleiben und sich so
der Beobachtung im arteriellen Blut entziehen. Versuche mit Durch-
blutung von Warmblütern (Hunden) mit defibriniertem steril aufge-
fangenem Blut derselben Tierart (Isoagglutination) und sodann auch
mit defibriniertem Schweineblut, das vom Hundeplasma agglutiniert
wird, ergaben kein sicheres Resultat insofern, als Häufchenbildung
zwar beobachtet wurde, aber nicht in der Menge und Ausdeh-
nung, daß Agglutination in größerem Maßstab angenommen werden
konnte.
Um etwaige Agglutination innerhalb der Blutbahn in Gestalt
von Zirkulationsstörungen, Embolien von Blutkörperchenhaufen im
Kapillargebiet direkt beobachten zu können, haben war kurari-
sierten Fröschen bestimmte Mengen inaktiven Serums vom Hund
in die Blutbahn eingeführt.
Die Versuchsanordnung war folgende :
Injektion von 1 ccm Hundeserura, das Froschblutkörperchen bis zu
einer Verdünnung 1 : 20 agglutinierte, in die Brustvene oder, was sich
als sicherer und einfacher erwies, in die Herzkammer von der Herz-
spitze aus. Letztere wurde dann in toto mit einer feinen Klemme ab-
geklemmt, ohne daß eine wesentliche Schädigung der Herztätigkeit be-
merkbar war.
Weiterhin wurde künstlich hydrämisch gemachten Fröschen (Ent-
ziehung von Blut unter gleichzeitiger Einführung von 0,6 % Koch-
salzlösung). Hundeserum eingespritzt, um bei der nunmehr geringeren
Konzentration der roten Zellen im Blut Haufenbildung leichter beobachten
zu können. Als Kontrolltiere dienten Frösche, denen 1 ccm 0,6 % Koch-
Deutsches Archiv f. klin. Medizin. LXXX. Bd. 26
394 XXIU. SicK
Salzlösung in die Blutbahn gespritzt worden war. Endlicb wnrde Tieren
schon vorher in vitro agglutiniertes Blut in die Gkfaßbahnen eingefOhii
Bei den Fröschen, die nur inaktives Hundeserum injiziert be-
kommen hatten, äußerte sich die Beimischung des fremden Serums
in einer rasch eintretenden Zirkulationsstörung, hauptsächlich Stase
in den größeren Venen, die nach 10 — 15 Minuten wieder normaler
Zirkulation Platz machte. Eigentliche Haufenbildung konnte man
nicht erkennen. Die Zirkulationsstörung fehlte oder war viel ge-
ringer und von kürzerer Dauer bei der Injektion von 0,6 % Kochsalz-
lösung.
Ganz anders war das Bild bei den hydrämisch gemachten Tieren.
Nachdem die Hydrämie soweit fortgeschritten war, daß die Erythro-
zyten in den größeren Gefäßen nur noch im Wandstrom fort-
getrieben wurden, führte die Injektion von 1 ccm Hnndeserum zu
exquisiten Agglutinationserscheinungen : Im Eapillargebiet der
Schwimmhaut und in den präkapillaren Gefäßen traten Haufen
von Froschblutkörperchen auf, die an den Verzweigungen sitzen
blieben, dann ruckweise wieder ein Stück weiter fortgeschwemmt
wurden; es war das Bild der Arterienembolie. Ähnliche Folgen
hatte die Injektion des schon agglutinierten Blutes in die GefaS-
bahn. War damit ein Beweis für die Möglichkeit einer intravasalen
Agglutination erbracht, so bedurfte es noch einer Variation des
Versuches, um den Nachweis der Präexistenz der im Plasma ge-
lösten Agglutinine zu erbringen. Da Kaninchenblutkörperchen von
Froschserum in vitro agglutiniert werden, w^urde Fröschen von
Serum befreite Kaninchenerythrozyt^n in die Gefäßbahn nach der
oben beschriebenen Methode eingeführt und der Effekt an den
Mesenterialgefäßen beobachtet. Auch auf diesem Wege gelangt
man zu positivem Resultat: Kurz nach der Injektion treten in den
größeren Blutgefäßen Haufen von kernlosen Erj'throzyten auf, die
stoßweise von dem Blutstrom weitergeschleudert werden. Es ist
daher das Vorhandensein der agglutinierenden Substanz im Plasma
höchst wahrscheinlich, viel wahrscheinlicher jedenfalls, als daß sie
durch den Reiz der fremden Eindringlinge erst erzeugt werden
sollte. Abgewiesen ist damit auch die Anschauung, daß die Agglu-
tinine durch x4.bsterben gewisser Zellarten, der weißen Blutzellen
(Metschnikoff, 1. c), entstehen könnten. Landois^) hat solche
Embolien post mortem bei ähnlich vorbehandelten Tieren schon
1) Die Traiisf iisiou des Blutes 1875. S. 160 und 279 ff.
über Herkunft und Wirkungsweise der Hämagglutinine. 395
gesehen, während des Lebens hat er sie in der Gefäßbahn nicht
nachzuweisen vermocht.
Eine Einwirkung der natürlichen Agglutinine auf andere Blut-
bestandteile als Erythrozyten, nämlich Leukozyten und Blutplättchen,
konnten wir nicht nachweisen.
Die Bildungsstätte der verschiedenen Antikörper ist schon
mehrfach Gegenstand von Untersuchungen gewesen. In erster
Linie haben sich die Autoren mit der Herkunft der künstlich er-
zengten antitoxischen und bakteriziden Stoffe beschäftigt. Haupt-
sächlich kommen für uns in Betracht die Arbeiten von Pfeiffer
und Marx^), Wassermann*), Metschnikoff*), Klein*)
Deutsch*); letzterer untersuchte speziell die Agglutinine der
Bakterien. Neben den zelligen Bestandteilen des Blutes sind
a priori die hämatopoetischen und lymphoiden Organe als wahr-
scheinliche Pi'oduzenten jener Antikörper anzusprechen. In der
Tat konnten Pfeiffer und Marx, Wassermann, Metschni-
koff, Klein im Verlauf der Immunisierung die Bildung der
Schutzstoffe in den hämatopoetischen Organen begründen, während
es Deutsch nicht gelang, in den Organen größere Mengen von
Bakterienagglutininen nachzuweisen.
Anders die natürlichen Antikörper: Sie sind jederzeit, abge-
sehen von den erwähnten individuellen Schwankungen, im Blute
zu finden, bei jüngeren Tieren deutlich schwächer als bei aus-
gewachsenen, sie bilden sich nicht in einer kurzen Frist als Re-
aktion gegen die EinführuDg fremder Zellen. So konnte es nicht
befremden, daß die Preßsäfte (gewonnen mittels einer Buchner'schen
Presse bei 300 Atmosphären Druck), sowie Extrakte zerriebener,
möglichst vollständig von Blut befreiter Organe ganz wirkungslos
blieben. Untersucht wurden mit dieser Methode Milz, Lymph-
drüsen, Leber, Lunge, Nieren, Muskel, Gehirn, Knochenmark und zwar
von Tieren (Katze und Hund), deren kräftige Agglutinations-
wirkiing gegenüber Kaninchenblutkörperchen vorher titriert worden
war. Das Fehlen der normalen Agglutinine in den Körperzellen
spricht übrigens noch keineswegs dagegen, daß solche dort ge-
bildet werden können. Es wäre immer noch die Annahme mög-
1) Zeitschr. f. Hygiene Bd. 27 1898.
2) Berlin, klin. Wochenschrift 1898. — Deutsche med. Wochenschrift 1899,
— Volkmann's Vorträge Nr. 331 1902.
3) Immunität bei Infektionskrankheiten 1902.
4) Wien. klin. Wochenschr. 1901.
5) Zentralbl. f. Bakteriologie Bd. 28 1900.
26*
396 XXIII. SicK
lieh, daß die neugebildeten Antikörper außerordentlich rasch in
das zirkulierende Blut abgegeben werden.
Die geringe Agglutinationskraft der normalen Sera konnte es
jedoch mit sich bringen, daß ihr Nachweis in Organen mißlang,
deren Zellen in Wirklichkeit doch eine genetische Bedeutung für
die Agglutinine haben. Deshalb dehnten wir diese Untersuchungen
auch auf die immunisatorisch erzeugten Agglutinine aus. Die Vor-
behandlung von Kaninchen geschah in der Weise, daß gleiche
Mengen von Hundeplasma, Hundeserum und serumfreien Hundeblut-
körperchen den Tieren intraperitoneal beigebracht wurden. Die
höchsten Agglutinationswerte lieferten, wie zu erwarten, die mit
Erythrozyten immunisierten Tiere. Das Immunserum dieser Kanin-
chen agglutinierte Hundeköi-perchen bis zu einer Verdünnung 1 : 1200.
Nach Feststellung des Agglutinationstitre wurden die blutfrei
gemachten Organe auf ihren Gehalt an Agglutininen untersucht,
soweit diese in die Preßsäfte und in die Extrakte zerriebener
Organe übergegangen waren. Dabei erwies sich, daß alle oben
genannten untersuchten Organe deutlich agglutinie-
rendeSubstanzenenthielten und zwar in einer Konzentration,
die nicht durch die minimalen zurückgebliebenen Blutreste erklärt
werden konnte. Die hämatopoetischen Organe unterschieden sich
nie von den anderen durch höhere Agglutinations werte. Auch wenn
in Anlehnung an die Versuche von Pfeiffer und Marx über die
Bildungsstätte der Bakteriolysine die in Betracht kommenden Organe
in der Periode des Steigens der Agglutinationswerte geprüft wurden,
reichten die gefundenen W^erte an die des Serums lange nicht hin.
Zur Veranschaulichung dieser Tatsache möge eine Vei*suchs-
reihe dienen:
Es wurden bei Kaninchen mittleren Körpergewichts (1800 — 2200 g)
intraperitoneal Injektionen von je 20 ccm defibrinierten Hundeblutes vor-
genommen, die Tiere in bestimmten Zeitabständen entblutet^ die Gefäße
mit 5 1 0,9 ^!q Kochsalzlösung durchgespült und der Agglutinationswert
des Blutserums sowie der Organextrakte gegenüber gewaschenen in isoto-
nischer Kochsalzlösung aufgeschwemmten (5 — 10%) Hundeblutkörperchen
bestimmt. Die Organextrakte wurden durch Zerreiben der zerkleinerten
Organe mit Kieseiguhr gewonnen, zu der zerriebenen Masse wurde die-
selbe (lewichts menge 0,9 ^^ ^, Kochsalzlösung zugesetzt und die ungelösten
Bestandteile nach 12 stündigem Verweilen im Eisschrank abzentrifugiert.
Die Agtriutinationswerte des Milzextraktes in nachfolgender
Tabelle sind wohl zum größten Teil durch Reste von Blutplasma
verursacht, da die Milz infolge ihrer komplizierten Zirkulations-
verhältnisse trotz sorgfältigster Durchspülung nie auch nur an-
über Herkunft und Wirkungsweise der Hämagglutinine.
397
nähernd vollständig von Blut befreit werden kann. Für uns wichtig
ist ja nur die Tatsache, daß die Organextrakte in jeder Phase der
Immunisierung an Wirksamkeit hinter dem Blutserum zurückbleiben.
Es ist dies eine Erscheinung, die analog ist dem Verhalten der
lymphatischen Organe bei der Produktion der Bakterienagglutinine :
Gengou^) und Deutsch (1. c.) fanden im Verlauf der Immuni-
sierung von Tieren mit Milzbrandbazillen bzw. mit Bact. typhi nie in
jenen stärkere Agglutinationswerte als im Blutserum, van Emden*)
und Metschnikoff (1. c.) haben sich allerdings im entgegen-
gesetzten Sinne ausgesprochen.
Bezeichnung
des Tieres
Entblutet
nach
Agglutination
Serum
MUz-
extrakt
Leber-
extrakt
Bemerkungen
Kaninchen V 1 2 X 24 Stunden
Kaninchen I ! 3 X 24 „
Kaninchen IV (3X24)+12„
Kaninchen H , 4 X 24 „
Kaninchen IH | 5 X 24 „
I
0
0
0
0
1:1
0
0
0
0
1:64
1:80
1:16
1:20
0
0
Injiziertes Handeblut
noch nicht vollständig
resorbiert.
\ Lymphdrüsen und
> Nierenextrakt eben-
I falls Agglutination 0.
um für die Untersuchungstechnik der Agglutinationskraft der
Körperzellen bei hoch immunisierten Tieren ein Beispiel zu geben,
will ich das Versuchsprotokoll eines (von 4) mit Hundeerythrozyten
vorbehandelten Kaninchens kurz anführen:
Graues männliches KauiDchen (2300 g) erhält innerhalb 3 Wochen
52 ccm gewaschene Hundeblutkörperchen intraperitoneal injiziert. 28. Januar
1904 Entblutung; Durchspülung mit 4^2 1 0,9% Kochsalzlösung. Das
Serum agglutiniert Hundekörperchen 1 : 640, 0,2 % Natriumoxalatplasma
1 : 640.
Organe ')
Agglutinationswerte
Preßsaft 300 Atmosph.
Organextrakt
1:3 0,9% Kochsalzlösung
Leber
Niere
Milz -4- Lymphdrüsen
Muskel
Lunge
Gehini
Knochenmark
1:20
1:20
1:10
1:15
1:20
1:20
1:20
1:10
1:10
1) Annal. de l'inst. Pasteur 1899.
2) Zeitschr. f. Hyg. u. Inf.-Krankheiten Bd. 30 1899.
3) Nur die größeren Organe könnten zur Gewinnung von Preßsäften ver-
wendet werden, bei den kleineren mußten die Extrakte genügen.
398 XXIII. SicK
Das Seram eines mit derselben Menge Handeseram vorbehan-
delten, fast gleich großen Kaninchens hatte einen um die Hälfte
geringeren Agglutinationswert. Die Galle des erstgenannten Tieres
löste Hundekörperchen bis zu einer Verdünnung 1 : 320. Bis zur
Verdünnung 1 : 80 geschah dies momentan, stets ohne eine Spar
von vorausgegangener Agglutination. Wichtig im Blick auf die
Spezifität der Antikörperbildung ist die öfters gemachte Erfahrung,
daß bei diesen und ähnlichen Versuchen das hochwertige Kaninchen-
immunserum auch auf Erythrozyten anderer Spezies einwirken kann;
so fanden sich bei mit Hundeblut vorbehandelten Kaninehen im Blut-
serum nicht unbeträchtliche Agglutinationswerte gegen Menschen-
erythrozyt€n (bis 1 : 20), ähnlich wirkte das Serum von mit Menschen-
blut präparierten Tieren auf die Erythrozyten anderer Tiere.
Die immunisatorisch erzeugten Agglutinine waren
demnach in ungefähr gleichen Mengen an jedes Protoplasma
des immunisierten Organismus gebunden, während im
Blutplasma ein Multiplum von ihnen kreiste.
Nach der Ehrlich'schen Terminologie besitzen also die Körper-
zellen eine für die zur Immunisierung verwendeten Blutzellen
passende ßezeptorengruppe, die Hauptmenge solcher Rezeptoren ist
jedoch in das Blutplasma abgestoßen.
Ein weiteres Eigebnis hatte die Verwendung solch hochwertiger
Immunsera insofern, als es mit ihnen gelang, Blutplättchen
und Leukozytenaufschwemmungen in einwandsfreier
Weise zu agglutinieren. Von Agglutination der Blutplättchen
zu sprechen, scheint bei der Klebrigkeit dieser, meist schon vorher
in Haufen zusammenliegender Gebilde gewagt zu sein. Wenn man
aber eine Aufschwemmung von Plättchen in 0,9 ^/q Kochsalzlösung
oder einem indifferenten Serum, in dem sie eine zusammenhängende
Wolke zu bilden scheinen, vergleicht mit dem Bild agglutinierter
Plättchen, so kann man sich des Eindrucks eines spezifischen Vor-
ganges nicht entziehen. Das rasche, oft blitzartige Eintreten des
Phänomens, seine Ähnlichkeit mit dem Vorgang der Erythroz>i;en-
agfrlutination wird gleichfalls diese Anschauung stützen.
Die Agglutination der weißen Blutkörperchen ist sehr wenig
intensiv und verläuft langsam, aber bei kräftig wirkenden Sera
ganz deutlich. Die geringe Reaktion dieser Zellen auf agglutinie-
rende Stoffe ist nicht ohne weiteres verständlich. Die größere Vis-
kosität im Vergleich zu den Erythrozyten kann zur Erklärung
nicht genügen, da ja dieses Moment bei den Plättchen erst recht
zur Geltung kommen müßte, während diese doch viel prompter
Ober Herkunft und Wirkungsweise der Hämagglntinine. 399
reagiei*en. Möglicherweise könnte ein Antikörper ihnen eigentüm-
lich sein und die Wirkung der Agglutinine beeinträchtigen. Doch
waren Leukozytenextrakte nach Zusatz zu agglutinierendem Serum
nicht imstande, die Agglutination merklich hintanzuhalten. Be-
kannt ist Agglutination von Leukozyten durch leukotoxische Sera
(Metschnikoff, 1. c). Die Sachlage ist aber dabei insofern anders,
als zur Immunisierung der Versuchstiere Leukozytensaft verwendet
wurde und demnach ein auf weiße Blutkörperchen spezifisch wir-
kendes Serum zu erwarten w^ar.
Die Blutplättchen sind vermöge ihres dem Plasma fast gleich-
kommenden spezifischen Gewichtes leicht rein zu erhalten: Wenn
Dach kurzem Zentrifugieren Erythrozyten und Leukozyten abge-
schleudert sind, ist noch ein Teil der Plättchen im Plasma suspen-
diert Diese können durch Abgießen des Plasmas und längeres
Zentrifugieren der abgegossenen Flüssigkeit als dünner Nieder-
schlag rein gewonnen werden. Wesentlich schwieriger ist die
Gewinnung reiner Leukozyten. Aus dem Blut erhält man sie nur
ganz spärlich (durch Abschleudern von Serum) oder in größerer
Menge aus dem Plasma, aber untrennbar mit Plättchen vermischt.
Nur aus den nach Buchner' s Vorschrift^) erzeugten Aleuronat-
empyemen gelang es, die Leukozyten relativ rein und unverändert
zu bekommen; wenigstens waren sie auf dem geheizten Objekttisch
noch lange beweglich, x^llerdings sind sie den Leukozyten des
Plasmas vielleicht nicht völlig gleichwertig. Diese Bewegung
wurde durch die Agglutination rasch beseitigt.
Zur Gewinnung leukozytenreicher Pleuraexsudate wurden bei mittel-
großen Hunden lojektionen von 5 — 10 ccm einer sterilen 5^^^ Auf-
scbwemmuDg von Aleuronatmehl mit 0,9 ^:q KochsalzlösuDg in jede
Brusthöhle ausgeführt. Nach 2 X 24 Stunden wurde das Tier getötet.
Die Exsudate bestanden in einer milchig getrübten, eine Spur rötlich
gefärbten Flüssigkeit, die wenig oder keine Neigung zur spontanen Ge-
rinnung zeigten, je nachdem wenig oder gar kein Fibrinogen in ihnen
nachzuweisen war. Von den Zellbestandteilen überwogen neben einer
nicht unbeträchtlichen Anzahl von roten Blutkörperchen bei weitem die
Leukozyten und zwar waren die Lymphozyten (große und kleine Formen)
und die fragmentiertkernigen Zellen 6o ziemlich in gleicher Anzahl ver-
treten. Eosinophile Zellen waren selten, ziemlich häufig dagegen große
mononukleäre oft in gequollenem Zustand. Blutplättchen fehlten, Endo-
thelien zeigten sich nur in ganz geringer Anzahl. Beim Hinzufügen des
agglutinierenden Serums zu der Aufschwemmung der abzentrifugierten
Leukozyten sah man gewöhnlich die spärlich vorhandenen Erythrozyten
rasch zusammensintern, während die Leukozyten erst in einiger Zeit
1) Münch. med. Wochenschr. 1894 Xr. 25.
400 XXIII. SicK
träge folgten. Die LympHozyten erhielten sich am längsten unagglati-
niert in der Flüssigkeit.
Es wurde oben erwähnt, daß die Spezifität der immunisatorisch
erzeugten Agglutinine, wie schon früher bekannt, keine absolute
zu sein braucht. Die im normalen Serum vorhandenen Agglutinine
haben sicher die Fähigkeit, mit verschiedenen Blutkörperchenarten
in Eeaktion zu treten, ohne daß das Agglutinieren einer Blut-
körperchenart die Wirksamkeit des betreffenden Serums einer
anderen gegenüber merklich beeinträchtigen könnte (Malkoff^j,
Landsteiner und Sturli^)). Die Erlich'sche Schule spricht
daher von einer Vielheit der Agglutinine in den normalen Sera.
Dem entspricht auch, wie man sich leicht überzeugen kann, die
Tatsache, daß Blutkörperchen das Agglutinin eines Serums noch
zu sättigen imstande sind, nachdem sie sich bereits mit dem Agglu-
tinin eines anderen Serums beladen haben. Es können demnach
gewissermaßen dieselben Blutkörperchen mehrmals durch verschie-
dene Sera agglutiniert werden (Landsteiner und Sturli, 1. c\
was durch Verwendung von Agglutininen, deren agglutinophore
Gruppe durch Einwirkung von Säuren oder Basen unwirksam ge-
worden war, ohne Schädigung der Bindungsfähigkeit = Agglutinoiden
(Eisenberg und Volk'), Wassermann*)) in eleganter Weise
gezeigt werden kann.
Es ist bisher der überzeugende Nachweis noch nicht gelungen,
daß die Agglutinine als komplexe Körper betrachtet werden müßten.
Eine diesbezügliche Mitteilung von B a i 1 *) betreffend den zusammen-
gesetzten Bau der Typhusagglutinine, die er durch Erhitzung auf 75 ^
in einen spezifischen hitzebeständigen Anteil (Agglutinophor) und einen
nicht hitzebeständigen, nicht spezifischen Faktor (Hemiagglutinin)
trennen zu können glaubte, erscheint uns nicht beweiskräftig zu sein, da
die Komplettierung seines Agglutinophors nicht einwandsfrei gelang.
Die Erscheinungen lassen sich durch Agglutinoidbildung genügend
erklären. Der Beweis des zusammengesetzten Baues der Agglu-
tinine und der agglutinablen Substanz, wie er von Joos*) ange-
nommen w^orden ist, erscheint insofern nicht zmngend, als die
Resultate der Vei-suche dieses Autors durch verschiedenes Absorp-
1) Deutsche med. Wochenschrift 1900.
2) Wiener klin. Wochenschrift 1902 Nr. 2.
3) Wien. klin. Wochenschrift 1901.
4) Volkmann'sche Vorträge 331,
ö) Arch. f. Hygiene Bd. 42 1902.
6j Zentralbl. f. Bakteriol. u. Parasitenk. Bd. 33 S. 762 1903.
über Herkunft und Wirkungsweise der Hämagglutinine. 401
tionsvermö^en der reagierenden Körper bei wechselnden Tempera-
turen erklärt werden können. Auch unsere Versuclie, Agglutinine,
die noch bindungsfähig waren, aber keine haufenbildende Kraft
mehr besaßen, zu komplettieren, schlugen fehl. Es dürfte somit
voreret die Anschauung Ehrliches von einem nicht trennbaren Ag-
glutinin unverändeit zu Recht bestehen.
Im Verlauf dieser Untersuchungen hatte ich Gelegenheit, das
Blut verschiedener Kranker auf seine agglutinierenden Eigenschaften
zu untersuchen. Es ist bekannt, daß Veränderungen der hämo-
lytischen und agglutinierenden Körper bei verschiedenen Krankheits-
zaständen, besonders bei Infektionskrankheiten auftreten. Ähnliches
gilt von schweren Schädigungen des Stoffwechsels, so von der Urämie.
Bei letzterer Affektion sind bestimmte Änderungen der hämolyti-
schen Wirkung des Blutserums mehrfach beschrieben worden, ohne
daß bis jetzt eine einheitliche Richtung in diesen Veränderungen
erkannt werden konnte. Bei den Infektionskrankheiten sind die
Iso- und Autoagglutinine von einer Reihe von Autoren, zuerst von
Maragliano') beschrieben worden. Derartige Körper kommen
übrigens, wie man nicht vergessen darf, bei Gesunden ebenfalls vor,
wenn auch anerkanntermaßen weniger häufig, als bei schweren Allge-
meinerkraukungen. Iso- und Autoagglutinine konnten wir mehrfach
beim Typhus, sodann bei Sepsis und akuter Miliartuberkulose nach-
weisen ; bei letzterem Fall war bemerkenswert, daß die Autoagglu-
tinine zu einer Zeit auftraten, als das Blut der Kranken, in sterilem
Reagensglas aufgefangen, ganz ungeronnen blieb.
Nicht beachtet scheint es aber bisher zu sein, daß die agglu-
tinierbare Substanz, d.h. also die Reaktionsfähigkeit
der roten Blutkörperchen Veränderungen erleiden
kann. Bei einem Fall von Urämie ließ sich dies leicht bestimmen :
Das von einem neurasthenischen Patienten gewonnene Serum (von
demselben Aderlaß!) agglutinierte Erythrozyten, die während des
urämischen Anfalls gewonnen worden waren, während in der anfalls-
freien Zeit dieses nämliche Serum die Blutkörperchen gar nicht
oder nur ganz wenig beeinflußte. Bestätigt sich diese am näm-
lichen Individuum zweimal gemachte Beobachtung, so wird man
bei derartigen Untersuchungen mit der agglutinablen Substanz als
neuem variablen Faktor rechnen müssen.
Die Frage nach dem Wesen der Agglutination, nach
1) Berl. klin. Wochenschr. 1892 Nr. 31 S. 765.
402 XXIII. SicK
ihrem Mechanismus, ist vorerst nur zum Teil gelöst. Die sog. Geld-
roUenbildung der Erythrozyten, die eine gewisse Ähnlichkeit mit
der Agglutination voi-tänscht, kommt, wie man sich leicht überzeugen
kann, nur durch Zusatz von Serum derselben Spezies zu den gewasche-
nen und in 0,9 "o Kochsalzlösung aufgeschwemmten Erythrozyten
zustande und wird als ein rein physikalischer Vorgang angesehen.
Anders bei der Agglutination. Die Grub e r 'sehe ^) Anschauung
(Klebrigwerden der Bakterien bzw. Blutzellen) erklärt wohl kaum
das ganze Phänomen. Wenn Pal tauf*) die Agglutination als
Teilerscheinung einer Präzipitinreaktion auffassen will, so läßt sich
dagegen einwenden, daß Agglutination in Lösungen eintritt, die
sicher keine Präzipitinreaktion geben.
Am meisten befriedigt immer noch die Erklärung Bordet's*),
der 2 Phasen des Agglutinationsprozesses unterscheidet: die erete
spezifische, bestehend in der Bindung des Agglutinins an die agglu-
tinierbare Substanz und die zweite, ein physikalischer Prozeß, der
auch künstlich nachgeahmt werden kann, die eigentliche Häufchen-
bildung. Daß hier ein phj^sikalischer Vorgang mit in Betracht
kommt, leuchtet sehr ein, wenn man oft genug beobachten kann,
wie bei leiser Erschütterung die Häufchenbildung blitzartig auftritt,
wie das Anschießen von Kristallen aus der Mutterlauge. Bordet
konnte durch Zusatz von Salzen zu einer Aufschwemmung fein
verteilten Tones in destilliertem Wasser eine Art Agglutination
auslösen. In neuester Zeit haben Neißer und Friedemann*)
Untersuchungen über die Ausflockung von unorganisierten Suspen-
sionen durch Salze bzw. Kolloide veröffentlicht, welche die physi-
kalischen Vorgänge bei der Agglutination verständlicher zu machen
sehr geeignet sind.
Den gesamten Prozeß stellt Bordet in eine Linie mit Ge-
rinnungsvorgängen und gewiß mit Recht. Bei der Beobachtung
der Agglutination im hängenden Tropfen konnten wir oftmals
2 Typen desselben unterscheiden: Bei stärkerer Konzentration
des agglutinierenden Serums die Häufchenbildung, wie wir sie
für gewöhnlich sehen, bei schwächerer Konzentration eine Art
von Agglutination, die sehr an Gerinnungsprozesse erinnerte.
In der gleichmäßigen Schicht von Blutkörperchen bildeten sich
plötzlich Lücken, zwischen denen scheinbar zusammenhängende
1) 3Iünch. med. Wocheiischr. 1896.
2) Wiener klin. Wochenschr. 1901.
3) Le Meoanisme de l'agglutination. Annal. de Tlnst. Past. 1897.
4) Manch, med. Wochenschr. 1904 Xr. 11,
über Herkunft und Wirkungsweiße der Hämagglutinine. 403
Züge von jenen Blutkörperchen stehen geblieben waren, so
daß das Ganze den Anblick eines Netzwerkes bot. Das Auf-
fallendste war aber: wenn man die Flüssigkeit, in der die Blut-
körperchen suspendiert waren, in Bewegung setzte, so bewegte sich
das Netz als ganzes, wie wenn eine Kontinuität bestünde. Die
Färbung eines solchen — wenn man so sagen will — Netzes ge-
lang mir nicht, dagegen hat Löwit^) bei Bakterienagglutination
eine homogene Zwischensubstanz färberisch darstellen können. Ihr
kausaler Zusammenhang mit dem Agglutinationsphänomen wird
jedoch noch nicht als erwiesen angesehen werden können.
über die chemische Natur der Agglutinine stehen sich
verschiedene Anschauungen gegenüber. Ob die von Pick*) durch
Aussalzung zusammen mit dem Euglobulin gefällten Bakterienkoagu-
line mit den eigentlichen Agglutininen engere Beziehungen haben,
steht dahin, da mit ihnen durch Tierversuch keine spezifischen Anti-
körper erzeugt werden konnten. Die Untersuchungen von Fuhr-
mann*) über Präzipitine und Lysine beweisen unseres Erachtens
nur, daß die genannten Körper mit den Euglobulinen und Pseudo-
globulinen ausfallen, über ihre chemische Konstitution lassen sie
kein Urteil zu. Eine der jüngsten Arbeiten auf diesem Gebiet
von Qu in an ^) bezweifelt einen näheren Zusammenhang der den
Agglutininen nahe stehenden Hämolysine mit den verschiedenen
EiweüSkörpern des Blutserums. Der Autor betrachtet die Hämo-
lysine als kolloidale, chemisch nicht näher charakterisierbare Körper
von enzymähnlicher Wirkung.
1) Zentralbl. f, Bakteriol. Bd. 34 Heft 2 ii. 3 1903.
2) Hofmeisters Beiträge Bd. I 1902.
3) Hofmeister's Beiträge Bd. III. 1903.
4) Hofmeisters Beiträge Bd. V Heft 3 1904.
XXV.
Besprechungen.
1.
S. Baruch (New York), Hydrotherapie. Ihre physiologiscbe Be-
gründung und praktische Anwendung. Autorisierte deutsche Aus-
gabe von W. Lewin (Berlin). Berlin 1904. A. Hirschwald.
B. hat seine über Jahrzehnte reichende Erfahrung auf dem Gebiete
der Hydrotherapie in einem Lehrbuch zusammengefaßt, welches namentr
lieh den in der allgemeinen Praxis stehenden Ärzten gewidmet ist.
Die physiologische Einleitung des Buches ist ausführlich und ein-
gehend behandelt; wegen der Wiedergabe zu vieler Einzelheiten verliert
sie bisweilen an Klarheit und Einfachheit. Der zweite Teil, welcher die
praktische Seite der Hydrotherapie in allen Details und an der Hand
zahlreicher guter Abbildungen gibt, bringt alles Wichtige und Notwen-
dige in leicht faßlicher Darstellung. Am Schluß seines Werkes weist
der Autor darauf hin, wie dringend wünschenswert der Unterricht in der
Hydrotherapie auf unseren Universitäten sei, damit diese wertvolle Heil-
methode nicht in den Händen von unberufenen Laien verbleibe, durch
welche sie häufig mißbraucht wird.
Die von W. L e w i n in fließender Diktion durchgeführte Übersetzung
macht das Werk zu einem guten deutschen Lehr buche.
Schwenkenbe eher -Tübingen.
2.
Franz Penzoldt, Lehrbuch der klinischen Arzneibehand-
lung. Sechste Auflage. Jena, Gustav Fischer. 1904.
„Dieses Lehrbuch der Arzneibehandlung legt, unter der not-
wendigen Berücksichtigung der Wirkungsweise der Arzneimittel, das
Hauptgewicht auf die therapeutische Verwendbarkeit, wie sie
uns die Beobachtung am Krankenbett lehrt. Es ist mein Bestreben ge-
wesen, durch kritische Verwertung eigener und fremder praktischer Er-
fahrungen eine Sichtung der Arzueimittel nach ihrer tatsächlichen thera-
peutischen Zuverlässigkeit vorzunehmen.*' So stellte sich der Verfasser
die Aufgabe und er hat sie in ganz vorzüglicher Weise gelöst. Bas
lehren schon die rasch sich wiederholenden Auflagen; solche sind not-
wendig, wenn das Buch auf der Höhe bleiben soll. Welche mühsame
Arbeit es kostete, die Spreu — dafür sorgte die Industrie — von den
wenigen Weizenkörnem zu sondern, kann jeder ermessen, der einen auch
nur flüchtigen Blick auf die Heklameseiten unserer Fachzeitschriften
wirft. Penzoldt verdient warmen Dank dafür, daß er sich dieser
Arbeit unterzogen hat — aber auch Hocküles scheute nicht vor ähn-
lichem zurück. Ich, dem dies Buch ein ständiger Begleiter ist, möchte
es jedem Arzt dringend empfehlen. Th. Jürgens en-Tubingen.
XXV. ßesprechuugen. 405
3.
Heinz, Handbuch der experimentellen Pathologie und
Pharmakologie. £rster Band. Erste Hälfte. Verlag von
Gustav Fischer. Jena 1904.
Das in seinem ersten Bande vorliegende Werk gibt Zeugnis ab für
die erfolgreichen Bestrebungen der letzten Dezennien pharmakologische
und toxikologische Beobachtungen auf ihre pathologisch-anatomischen und
physiologischen Grundlagen zurückzuführen.
Da der Verfasser sowohl mit den pharmakologischen, als mit den
pathologischen Untersuchungsmethoden aus eigener Erfahrung vertraut
ist, scheint es besonders geeignet die schwierige Aufgabe zu lösen, dem
Praktiker und dem experimentellen Forscher die Haupttatsachen der
experimentellen Pathologie und Pharmakologie zugänglich zu machen.
Wir glauben, daß ihm diese Aufgabe gelungen ist.
Besonders hervorzuheben ist in dem vorliegenden Bande das Ka-
pitel „Physikalische Chemie der Zelle^, worin eine klare und leicht faß-
liche Darstellung der Grundtatsachen der physikalischen Chemie gegeben
wird, die auf unsere Anschauung von der Kesorption etc. so ungemein
befruchtend gewirkt hat. Ferner mag auf das Kapitel „Blut" hin-
gewiesen werden, in dem der Verfasser über zahlreiche eigene Beobach-
tungen berichten kann.
Die notwendige Trennung der einzelnen Kapitel in einen allgemeinen
und speziellen Teil hat einige Wiederholungen nicht vermeiden lassen.
Vielleicht würde es sich auch empfehlen einige von den sehr umfang-
reichen Tabellen, soweit sie leicht zugänglichen Originalarbeiten ent-
nommen sind, in einer folgenden Auflage fortzulassen.
Jedem Kapitel sind Angaben über die Methodik sowie ein Literatur-
verzeichnis beigefügt, das eine leichte Orientierung ermöglicht.
Die Ausstattung des Werkes durch die Verlagsbuchhandlung, be-
sonders die Wiedergabe der Abbildungen, die nach eigenen Zeichnungen
des Verfassers hergestelt sind, ist rückhaltlos anzuerkennen.
Dr. Morawitz (Tübingen).
4.
F. Biegel, Die Erkrankungen des Magens. I. Teil. 2. ver-
mehrte und neubearbeitete Auflage. Erschienen bei Alfred
Holder, Wien 1903. Preis M. 9,60.
Seit dem Erscheinen der 1. Auflage dieser bedeutsamen Mono-
graphie sind kaum sechs Jahre verflossen, eine für ein so umfassendes
und speziell gehaltenes Werk sehr kurze Zeit. Es finden sich in dieser
neuen Auflage eine Reihe von Ergänzungen, die den neueren Forschungs-
ergebnissen Rechnung tragen (Magenphotographie, Röntgendurchleuchtung
des Magens, proteosynthetisches Ferment, fettsp altende s Ferment u. a.).
Der Umfang des I. Teiles ist aber dadurch kaum gewachsen, weil an
anderen Stellen einige Kürzungen vorgenommen sind. Auf den wissen-
schaftlichen und praktischen Wert dieses Buches ist in den verschieden-
sten Kritiken in so anerkennender Weise hingewiesen, daß man kaum
etwas Besseres hinzufügen kann. Liithie.
406 XXV. Besprechungen.
5.
James Mackenzie, Die Lehre vom Puls. Aus dem Englisch«!!
übersetzt von A. Deutsch. Verlag von J. Alt, Frankfurt a. M.
Wir haben in Deutschland eine Beihe von ausgezeichneten Mono-
graphien über den Puls; sie sind aber fast alle aus physiologischen In-
stituten hervorgegangen. Das vorliegende Buch dagegen umfaßt die
Beobachtungen einer mehrere Dezennien umfassenden praktisch • änt-
lichen Tätigkeit, die auf der Basis der gründlichsten physiologischen Vor-
bildung entstanden sind. Man kann ohne Rückhalt mit dem Übersetzer
sagen, daß wir dem Verfasser zum aufrichtigsten Dank verpflichtet sind
für die Freude, die das Studium dieses Buches dem Lesenden gewahrt.
Für den Kliniker ist das Werk außerordentlich anregend und belehrend;
zugleich gibt es jedem, der literarisch tätig ist, ein prächtiges Beispiel
vornehmer wissenschaftlicher Denkart und Schreibweise. Im I. Teil
werden der Arterienpols und die sichtbaren Herzbewegungen behandelt,
im II. Teil der Venen- und Leberpuls, im III. der Venen- und Lebe^
puls bei unregelmäßiger Herztätigkeit. Genauer auf den Inhalt einzn-
gehen, ist hier unmöglich. Es muß das Buch jedem, der dem behandelten
Gegenstande Interesse entgegenbringt, auf das Wärmste empfohlen werden.
Die Übersetzung ist sehr gut und mit großer Liebe ausgeführt : der
Druck und die Ausstattung des Buches sind so gut, wie man es sonst
nur bei englischen medizinischen Büchern gewohnt ist. Lüthje.
6.
K. F. Wenckebach, Die Arythmie als Ausdruck be-
stimmter Funktionssjbörungendes Herzens. Leipzig,
Verlag von W. Engelmann.
Dem „Begründer der neuen Herzlehre", T. W. Engelmann ist
dies Buch vom Verfasser gewidmet. „Die verschiedenen Formen der
Herzarythmie werden nach ihrer Genese in physiologisch zusammen-
gehörige Typen eingeteilt und die seit langem in der Klinik aufgestellten
Formen mit den physiologischen Typen verglichen." Die Analyse
gründet sich dabei auf die moderne, namentlich von Engelmann aus-
gearbeitete Theorie der myogcnen Herzlehre. Ein Teil dieser Anschau-
ungen sind bereits bekannt geworden durch die W ecke bac haschen
Veröffentlichungen in der Zeitschrift für klinische Medizin, sowie aus
den Arbeiten anderer Autoren (z. B. Muskens in Geneeskundige Bladen,
Vierde Beeks, No. IV. 1897). Das Buch gliedert sich in drei Ab-
schnitte: I. Die Lehre von der myogenen Herztätigkeit; 11. Physio-
logische Typen von Herzarythmie; HE. Klinische Typen von Herz-
arythmie. Das vorzügliche Werk wird sicher die bisher übliche Art.
der klinischen Beurteilung der Pulsanomalien wesentlich ändern. Des-
gleichen wird auch die Beurteilung der pharmakodynamischen Wirkung
verschiedener Drogen eine wesentlich andere werden. Lüthje.
7.
H. Oppenheim, Die syphilitischen Erkankungen des Ge-
hirns. IL durchgesehene Auflage. Wien 1903. Verlag Al-
fred Holder.
XXV. Besprechnngeo. Berichtigungen. 407
Die neue Auflage enthält gegenüber der vor sechs Jahren erschie-
nenen ersten Auflage keine wesentlichen Änderungen. Den günstigen
Kritiken, die die umfassende Monographie bisher erfahren hat, ist etwas
Neues kaum hinzuzufügen. Lüthje.
8.
Otfried Foerster, Die Mitbewegungen bei Gesunden,
Nerven- und Gr eiste skr anken. Jena. G. Fischer. 1903.
Verfasser, dem wir schon sehr interessante Beobachtungen über
Physiologie und Pathologie der Koordination verdanken, gibt hier eine
klinische Beschreibung der bei Gesunden und Kranken auftretenden
Mitbewegungen sowie eine Darlegung, wie man sich die Entstehung
dieser Mitbewegungen, welche teils zweckmäßig teils unzweckmäßig sind,
denken kann. Krehl.
Berichtigungen.
Zum „Einfluß der BhodaDverbindaugen auf den
Stoffwechsel".
Von
Dr. Arthnr Mayer (Freiburg i. B.).
1.
In meiner Arbeit „Tiber den Einfluß der Rhodanverbin düngen auf
den Stoffwechsel" (dieses Archiv Nr. 79 Heft 3/4) sind leider sinn-
entstellende Druckfehler in der Korrektur übersehen worden.
Auf 8. 197 muß es heißen:
8 Atome J entsprechen 1 Mol. Rhodanid und 1 cm - Jodlösung
= 0,0012156 g K8CN.
Ferner muß es ebenda heißen:
„Dann setzt man Bicarbonat hinzu, und läßt eine bestimmte Menge
einer ^/^^ Normal Jodlösung hinzuflößen, die sich mit Rhodansilber im
Sinne obiger Gleichung umsetzt.^
Dafür sollte Abschnitt b u. 4 auf 8. 197 weggelassen werden.
Zur Herstellung der Stärkelösung empfiehlt es sich rein lösliche
Ozonstärke zu verwenden. S. 198: Der Zusatz von Jodkali ist nötig,
um das Chlorsilber in Jodsilber überzuführen.
CNS CNS J
8. 199. Muß es statt CNS = 67, 6 J, —:— = J, ' =--,
6 uü lü
== lOOO ccm Jodlösung. 8. 202, Zeile 17 nicht vom Rhodanalkali,
sondern als Rhodanalkali, und 8. 203, Zeile 1 statt Eiweißbildung
Rhodanbildung und Zeile 9 unterschwefligsaurem Natron heißen.
Der scheinbare Gegensatz, daß bei der zweiten Berechnung (S. 199)
ein Molekül Rhodanid = 6 J und nicht wie bei der ersten Gleichung
(S. 197) r= 8 J entspricht, ist daraus zu erklären, daß bei der An-
408 Berichtigungen.
Säuerung der Titrationsprobe mit HCl zwei Atome des ursprünglichen
gebundenen J wieder in Freiheit gesetzt werden:
JCN + HJ := HCN + J^.
Zu der angegebenen jodometriscben Methode des Rhodannachweises
sei noch hinzugefügt, daß der Silberniederschlag bei physiologischen
Harnen frei von Harnsäure ist, also eine Fehlerquelle, welche auf die
Absorption des Jods durch Harnsäure entstehen könnte, nicht vorhanden
ist. Auch in hamsäurereichen Hamen liegen die Verhältnisse ebenso.
Allerdings hatte ich keine Gelegenheit, Harn von Patienten, die an harn-
saurer Diathese litten, zu untersuchen. Sobald ein geeigneter Fall znr
Verfügung steht, soll das jedoch im Laboratorium der medizinischen
Klinik nachgeholt werden. Die Lösuugs Verhältnisse der Harnsäure
scheinen in diesem Falle besonderen Bedingungen zu unterliegen, und
es ist vielleicht nicht ausgeschlossen, daß in einem derartigen Harn
mechanisch kleine Mengen Harnsäure vom Silbemitrat mitgerissen werden.
Nach den Untersuchungen von M a r u n g ^) scheinen außer der Harn-
säure und dem Hhodan auch noch andere i'odabsorbierende Substanzen im
Harn vorhanden zu sein. Es spricht aber nichts dafür, daß diese Be-
standteile in salpetersaurer Lösung vom Silbemitrat mitgefallt oder
mechanisch niedergerissen werden.
Aber selbst wenn in besonderen Fällen Harnsäure oder andere jod-
absorbierende Körper im Niederschlag vorhanden sein sollten, würde das
kaum allzusehr in Betracht kommen. Denn ich habe mich überzeugt,
daß in dem vom Silbemiederschlag filtrierten Harn eine zugesetzte den
natürlichen Verhältnissen entsprechende E,hodanmenge wieder nach-
gewiesen werden kann, und zwar nur mit einem Fehler von höchstens
11/ 0/
^ /2 0'
Aus der Analyse pathologischer Harne geht auch hervor, daß das
Rhodan bei Krankheitsbildern vermehrt ist, bei denen die Hamsäure-
ausscheidung normal oder gar verringert ist. Würde man mit der von
mir angewandten Methode nennenswerte Mengen von Harnsäure mit-
bestimmen, so würde diese Divergenz nicht zustande kommen können.
2.
Kurpjuweit, IJber Veränderungen der Milz bei perni-
ziöser Anämie. LXXX. Bd.
Auf S. 184 soll es heißen: Wenn nun aber die Milz in so zahl-
reichen Fällen neutrophile und eosinophile Leukozyten mit rundem Kern
(Myelozyten), ferner Normoblasten enthält, liegt, meiner Meinung nach,
vielleicht auch der Schluß nahe, daß sie diese normalerweise enthalte,
allerdings in spärlicher Zahl und daß erst infolge entzündlicher oder
toxischer Einflüsse, ferner auch infolge von Stauungsprozessen und
schweren Anämien eine Proliferation der vorhandenen Elemente und
vielleicht auch eine Einwanderung neuer Elemente auftritt.
1) Marung, Über das Verhalten des Jod zum Hani. Inaug.-Diss. Ko-
stock 1900.
XXV.
über Bestimmnng der Bilanz Yon Säuren nnd Basen in
tierischen Flfissigkeiten.
Von
F. Moritz.
I. Mitteilung.
Über Aciditätsbestimmung in Fl&ssigkeiten, welche
neben Phosphorsäare Salze alkalischer Erden ent*
halten.
Das Problem einer einwandsfreien Acidimetrie von Flüssig*
keiten der benannten Art^ zu denen bekanntlich alle tierischen
Flüssigkeiten, besonders auch der Magensaft and der Harn
gehören, kann bisher noch nicht als gelöst gelten. Es sind hier
zwei Schwierigkeiten zu überwinden, deren eine in einem beson-
deren Verhalten der Phosphorsäare als solcher bei der Acidimetrie
gelegen ist, während die andere aaf der Gegenwart von Salzen
alkalischer Erden bei gleichzeitiger Anwesenheit von Phosphor-
säare beruht.
Die dreibasische Phosphorsäare zeigt in ihi-en verschiedenen
S&ttigungsstofen bekanntlich ein verschiedenes Verhalten gegen
die bei der Acidimetrie üblichen Indikatoren. So reagiert primäres
Phosphat ') gegen Lackmas saaer, sekundäres und tertiäres Phosphat
aber alkalisch. Ein neutral gegen Lackmus reagierendes Phosphat
gibt es nicht. Bei einem gewissen Mischungsverhältnis von pri-
märem und sekundärem Phosphat entsteht gegenüber Lackmus eine
1) Für die drei Sättigungsstufen der Phosphorsäure NaHjPO*, Na^HPO*^
Na9P04 sind verschiedene Ausdrücke gebräuchlich : Mouophospfaat, Diphosphat, Tri-
phosphat, oder zweifach saures, einfach saures, neutrales Phosphat, oder ein drittel^
zweidrittel, ganz gesättigtes Phosphat, oder einbasisches, zweibasisches, drei-
basisches Phosphat, oder primäres, sekundäres, tertiäres Phosphat. Ich wähle im
folgenden immer die letzteren Ausdrücke.
Dentaches Archiv für klin. Medizin. LXXX. Bd. 27
410 XXV. Mobitz
sog. amphotere Reaktion, d. h. rotes Lackmaspapier wird eben bläulich,
blaues eben rötlich gefärbt. Nach Lieblein*) tritt die amphotere
Reaktion ein, wenn 65 ^,'q des primären Salzes in das sekundäre über-
geführt sind. Bis zu diesem in chemischem Sinne willkürlichen
Punkte könnte man Phosphorsäure mit Lackmus wohl titrieren,
nicht aber bis zu einer bestimmten chemisch scharf charakteri-
sierten Sättigungsstufe. Lackmus ist als Indikator für Titration
von Phosphorsäure daher schon lange als unbrauchbar erkannt
Besser als Lackmus lassen sich einige andere Farbstoffe
verwenden, und unter ihnen wohl am besten Phenolphthalein.
Dieser durch Alkalien sich rot färbende, in neutralen und sauren
Lösungen aber farblose Körper zeichnet sich durch eine ganz be-
sondere Empfindlichkeit gegen Säuren aus, während er gegen Basen
weniger empfindlich ist. In einer Lösung von primärem Phosphat
ist Phenolphthalein farblos, in einer Lösung von sekundärem Phos-
phat rosa gefärbt. Ist aber neben dem sekundären Phosphat nur
wenig primäres vorhanden, so überwiegt dessen Einfluß und die
Lösung ist farblos. Titriert man also Lösungen eines primären
Alkaliphosphates, z. B. KH2PO4 (das im Handel rein zu haben ist),
unter Zusatz von Phenolphthalein mit Natronlauge, so ergibt sich,
daß man fast die ganze zur Überführung des primären in sekun-
däres Phosphat nötige Alkalimenge zusetzen muß bis der Um-
schlag aus farblos, in rosa erfolgt. Immerhin erreicht man aber
hier nur Annäherungs- und keine genauen Werte.
Der Umschlag erfolgt, wenn ca. 92 \ des primären Salzes in
sekundäres umgewandelt, also noch ca. 8 % primäres Phosphat vor-
handen sind.
1. 5,97 ccm — primärer Phosphatlösung ^ gebrauchen 5,57 --
NaOH, i, e. 92,6 ^/^ des theoretisch zu erwartenden sekandären Phos-
phats sind bis zum Umschlag gebildet.
3n n
2. 4,95 ccm — primäres Phosphat gebrauchen 4,60 — NaOH =
93 \ sekundäres Phosphat.
3. 10,0 ccm - primäres Phosphat gebrauchen 9,1 — NaOH ==
91 ^i'q sekundäres Phosphat.
1) Lieb l ei u, Über die Bestimmung der Acidität im Harn. Zeitschr. f.
physiol. Chem. Bd. 20 S. 179.
2) Die Abmessungen der Flüssigkeiten geschahen in Normalbüretten mit
Erdmanu\schem Schwimmer, so daß Hundertel Kubikcentimeter noch abschätzbar
waren.
tber Bestimmung der Bilanz Ton Sänren n. Basen in tierischen Flüssigkeiten. '411
« • • • • • , •
4. 5,0 ccm - - primäres Phosphat gebrauchen 4,6 -NaOH==92®/Q
aekandares Phosphat.
Diese Ungenauigkeit, welche der Phosphorsäuretitrierung auch
bei Yerwendang von Phenolphthalein als Indikator anhaftet, ist ge-
eignet, den Wert der Acidimetrie von Phosphorsäure enthaltenden
Flüssigkeiten wesentlich zu beeinträchtigen.
Es liefe sich in reinen Phosphorsäurelösungen allerdings dier
Fehler rechnerisch korrigieren, indem man zu der verbrauchten
Alkalimenge noch 8% zuschlüge. Dies wird aber selbstver-
ständlich unmöglich, sowie neben der Phosphorsäure noch mit der
Gegenwart anderer Säuren gerechnet werden muß, da alsdann der
auf die Phosphorsäure entfallende Anteil des Alkaliverbrauches
zunächst unbekannt ist. Um auch hier zum Ziele zu kommen,
müßte noch eine eigene Phosphorsäurebestimmung in der Flüssig-
keit vorgenommen werden. Wenn man neben der gesamten Phenol-
phthaleinacidität noch die Menge der Phosphorsäure kennt, so kann
man die obige Korrektur anbringen. Man muß nur dabei die
chemisch allerdings begründete Voraussetzung machen, daß bei
einer Gesamtacidität der Flüssigkeit, die größer ist als die Menge
eines Äquivalentes der vorhandenen Phosphorsäure, letztere nur
in Form primären Phosphates und nicht etwa zum Teil als sekun-
däres Salz vorhanden sein könne und daß zweitens bei einer Ge-
samtacidität der Flüssigkeit, die kleiner ist, als ein Äquivalent
der vorhandenen Phosphorsäure, irgendeine freie Säure nicht zu-
gegen sondern die Gesamtacidität nur durch primäres Phosphat
bedingt sei.^) Denn andernfalls würde man hier wie dort an-
nehmen müssen, daß sekundäres Phosphat, ein gewissermaßen alka-
lisches Salz, neben freier Säure vorhanden sei.
Es gelingt aber, wie ich gefunden habe, auf sehr ein-
fache Weise einen Fehler überhaupt zu vermeiden und die Titra-
tion der Phosphorsäure als sekundäres Salz vollständig zu machen.
Es ist nur nötig, zu der zu titrierenden Lösung ein gleiches
Volum konzentrierter (möglichst mit kohlensäurefreiem — aus-
gekochtem oder von Natronlauge abdestilliertem — Wasser bereiteter)
.Kochsalzlösung zu versetzen. Bei solchem Vorgehen erfolgt der Um-
- schlag des Phenolphthaleins nicht schon, wenn noch 8% der Phos-
phorsäure als primäres Salz vorhanden sind, sondern erst, nach-
1) S. Lieblein, a. a. 0. S. 75.
21*
412 XXV. MoBiTx
dem die ganze Phosphorsänre in das sekundäre Salz verwandelt
ist nnd eben tertiäres Salz sich zu bilden beginnt^)
Wir haben also in dem Znsatz konzentrierter EochsalzlQsangp
ein Mittel, um mit Phenolphthalein als Indikator die Phosphor-
säure genau zu zwei Dritteln abzusättigen.')
5. 5,0 ccm — KH^PO^ gebraucht mit KoobsaUilösting 5,0 — NaOH,
ohne Kochsalilösong 4,6 — NaOH.
Bn s
6. 4,95 com ^r NaH^PO^ gebraucht mit KochBalslöeang 4,95 y^
NaOH, ohne NaCi 4,60.
7. 5,97 ccm ^ NaH^PO^ mit NaCl = 5,93 °- NaOH, ohne NaO
5,53 y^ NaOH.
8. 8,25 com ^ NaH^PO^ mit NaCl = 8,35 ~ NaOH, ohne NaQ
7,7 A KaOH.
9. 17,3 ccm j^ NaHjjPO^ mit NaCl= 17,4 -"^ NaOH.
10. 18,7 ccm ^ NaHjPO^ mit NaCl = 18,4 ^ NaOH, ohne NaQ
= 17,1 NaOH.
11. 18,95 ccm Ig NaHgPO^ mit NaCl = 18,98 ^ NaOH.
Die angeführten Beispiele zeigen, daß das Verfahren genau
ist. Die Fehler, wo solche Oberhaupt auftreten, sind unbedeutend
und liegen in der Fehlerbreite der Titriermethodik als solcher.
Man kann nun aber unter bestimmten Voraussetzungen in der
Titrierung der Phosphorsäure noch weiter kommen. Man kann
die eben geschilderte Methode mit einer zweiten kombinieren, um.
die Phosphorsäure als solche neben anderen anorganischen Säuren
direkt acidimetrisch zu bestimmen. Man benutzt zu diesem Zwecke
einen Indikator, der weniger säure* als alkaliempfindlich ist nnd
1) Diese Verhältnisse sind wie alle übrigen nnten noch zn besprechendeD^
bei Konzentrationen erprobt, die sich von den in tierischen Flfissigkeiten, insbeson-
dere im Harn nnd Magensaft tatsächlich vorkommenden nicht m weit entfernen.
2) Diese Wirkung der konzentrierten Kochsalzlösung anf Phosphorsänre nnd
ebenso die gleich noch smr Sprache kommende anf Ammoniaksalze nnd auf Ksr>
bonate, scheint anf Verändernngen zn bemhen, die die Salzlösung in dem Dissozit-^
tionsznstand der in Betracht kommenden Körper verursacht
über Bestimmimg der Büans Ton S&aren u. Baten in tieriscben Flüssigkeiten. 413
umschlägt, sowie alle vorhandene Phosphorsäure zu primärem Salz
umgewandelt und etwa vorhandene sonstige starke anorganische
Säuren, z. B. Salzsäure oder Schwefelsäure, zu Neutralsalz geworden
sind. Der fftr unsere Zwecke hierfür geeignetste Farbstoflf ist
Methylorange, welches mit freien anorganischen Säuren rot gefärbt
ist und mit kurzer Durchwanderung einer Orangefärbung absolut
scharf in reines Gelb umschlägt, sowie die Phosphorsäure ganz zu
primärem Phosphat geworden ist und Salzsäure oder Schwefel-
saare völlig abgesättigt sind. In einem Gemisch von Salzsäure oder
Schwefelsäure und Phosphorsäure titriert man mit Methylorange
also die Salzsäure oder Schwefelsäure als NaCl resp. Na2S04, die
Pbosphorsäure aber als NaH^PO^. Fühii; man nun von diesem
Paukte aus die Titrierung mit Phenolphthalein in der oben be-
schriebenen Art weiter, so braucht man nun ein Plus von Alkali,
am die Phosphorsäure von der Methylorangegrenze zwischen
primärem und sekundärem Phosphat bis zur Phenolphthalein-
grenze zwischen sekundärem und tertiärem Phosphat zu bringen.
Dieser Mehrverbrauch an Alkali zwischen der Methylorange- und
der Phenolphthaleintitration stellt daher, falls er in ccm :r^
Lösung ausgedrückt wird, ohne weiteres ein Ma£ für die vorhan-
dene Phosphorsäure dar. Je 1,0 ccm jtt NaOH entspricht dabei
3n
1,0 ccm :rjr PfO«, da nur ein Drittel der gesamten Valenzen der
Phosphorsäure von dem Alkali in Anspruch genommen werden.
12. Mischung von 3,0 com — HCl und 2,0 ccm — KH^PO^
n
Methylorange ^ NaOH = 3,0 ccm
Phenolphthal. ~ NaOH = 4,98 ccm
Besultat: 3,0 ccm — anorgan. Säure^ 1,98 ccm — P^O^.
13. Mischung von 6,0 ccm — HCl und 3,5 ccm ' KH^PO^
Methylorange -- NaOH = 6,02 ccm
Phenolphthal. ^- NaOH = 9,50 ccm
3n
Resultat: 6,02 ccm freie anorgan. Säure, 3,48 ccm — P9O5.
414 XXV. Moritz
14. MUcliuiig von 4,0 com — - HCl und 1,6 ccm -^7: KBLPO,
10 10
Methylorange — NaOH = 4,03 ccm
n
Phenolphthal. — NaOH = 5,50 ccm
Besnltat: 4,03 ccm — freie anorgan. S&ure, 1,47 ccm — P^O^.
fi 3n
15. Mischung von 3,1 ccm — HCl und 2,15 ccm — KHjPO^
n
Methyloraoge - NaOH = 3,11 ccm
Phenolphthal. -^ NaOH = 5,28 ccm
Resultat: 3,11 ccm — freie anorgan. Säure, 2,17 —- Pf05.
Noch beweisender als die angeführten Beispiele sind für die
Exaktheit des Verfahrens solche Versuche, in denen freie Phosphor-
säure zunächst mit Methylorange als Indikator austitriert und dann
mit Phenolphthalein unter Zusatz von Kochsalzlösung weitertitriert
wird. Wenn mit dem ersten Verfahren genau eine und mit dem
zweiten zwei Valenzen der Phosphorsäure anstitriert werden, so
muß der Alkaliverbrauch bei der Phenolphthaleintitrierung gerade
doppelt so groß als der bei der Methylorangetitrierung sein. Bei
solchen Versuchen ist man ganz unabhängig von Fehlem, die bei
der Herstellung der Phosphatlösungen sowie der Titrierlauge ge-
macht sein können.
Es wird eine verdünnte wässerige Phosphorsäure unbekannter Kon-
zentration benutit, von der eine nach Gutdünken abgegossene Menge zum
Versuch verwendet wird.
16. Methylorange -^ NaOH = 8,25
Phenolphthal. ^ NaOH =16,60
(soll = 16,50).
17. Methylorange °- NaOH =17,3
Phenolphthal. ^- NaOH = 34,7
(soll = 34,6).
über Bestimmting der Bilanz von Säuren u. Basen in tierischen Flüssigkeiten. 415
18. Methylorange ~ NaOH=18,7
Phenolphthal. ^ NaOH = 37,l
(soll = 37,4).
19. Methylorange ^ NaOH=:5,97
Phenolphthal. -^ NaOH= 11,90
(8011=11,94).
20. Methylorange -^ NaOH= 18,95
Phenolphthal. -^ NaOH = 37,88
(soll = 37,90).
21. Methylorange
10 NaOH = 9,2
Phenolphthal. ^ NaOH = 18,4
(soll =18,4).
Die angeführten Beispiele zeigen, daß der Versuch der obeA
gemachten Voraossetzung entspricht.
Es wurde übrigens auch das Resultat der acidimetrischen
Phosphorsäurebestimmung mit dem Resultat der Urantitrierung in
einer Reihe von Fällen verglichen.
3n
22. 10,0 ccm -|-^ EHgPO^ gebrauchen in einem Versuche genau
10,0 -— - NaOH bei Phenolphthaleintitration.
10
Dieselbe Phosphatlösung erfordert für 10 com 14,15 ccm Uran«
lösong vom Titer 1 ccm = 0,005 P^O^. Theoretisch enthalten 10 ccm
3n
— KHjPO^ 0,071 g PjO^; die Urantitrierung ergab 14,15X0,005
= 0,07075 g P2O5. Die Phosphatlösung war also genau hergestellt und
bedurfte eines genau gleichen Volumens —j- Alkalilösung zur PhenoL*
phthaleinneutralisation .
23. 10 ccm Harn werden mit geringem Überschuß von Soda ver«
ascht. Die Asche wird mit kleinem Überschuß von Salzsäure zur Lösung
gebracht, vorhandene Kohlensäure weggekocht. Kombinierte Titration
der Aschelösnng. Alkaliüberschuß der Phenolphthaleintitrierung über die
Methylorangetitrierung= 2,1 ccm --- NaOH = 0,0149 g PgOg. In einer
gleichen Portion von Aschelösung ergibt Urantitrierung 0,015 g P^Og.
416 XXV. MosiTs
24. AschelöBUDg von 10 ccm eines anderen Harnes. Alkaliuberschoß
<der Phenolphthalein- über die Methy]orangetitrierung = 3,28 -— - NaOH
= 0,0233 g PgOj. TJrantitriemng in gleicher Aschelösung =^ 0,0235 g PjOr.
Allerdings sind eine Eeibe von Bedingungen nötig, um mit
der beschriebenen kombinierten Titration gute Resultate der Phos-
phorsäurebestimmung zu erzielen.^)
1. Die Flüssigkeil muß farblos sein, andernfalls wird der Methyl-
orangeumschlag aus Orange in Reingelb undeutlich. Auch dann
empfiehlt es sich noch, ein dem Titriergefäß gleiches Gefäß (am
besten kleine Erlenmayer-Kolben) mit gleicher Menge Wasser und
Methylorange als Eolorimeter zu benutzen, auf dessen Farbe die
zu titrierende Flüssigkeit zu bringen ist. Die kombinierte Titrie-
rung der Phosphorsäure läßt sich also nicht im Magensaft oder
Harn, sondern nur in farblosen Aschelösungen tierischer Flüssig-
keiten vornehmen.
2. Die kombinierte Phosphorsäuretitrierung setzt das Fehlen
Yon organischen Säuren sowie von Kohlensäure und von Cyan-
wasserstoff in der Lösung voraus. Bei solchen schwächeren Säuren
erfolgt der Methylorangenmschlag lange schon ehe eine völlige
chemische Absättigung der Säuren erfolgt ist, wie denn z. B. Cyan-
kali, Natriumbikarbonat und essigsaures Natron auch auf Lackmns-
farbstoff alkalisch reagieren. Da Phenolphthalein nun die Titration
dieser schwachen Säuren erheblich weiter fuhrt als Methylorange,
so entsteht bei ihrer Anwesenheit ebenso wie bei der Phosphor-
säure eine Differenz im Alkaliverbrauch zwischen beiden Titrie-
rungen. Dies muß aber verhütet werden, da ja die Titrations-
differenz nur auf Phosphorsäure bezogen werden soll. Es sind also
organische Säuren durch Veraschen zu zerstören, CO^ und HCN,
die beide sich beim Veraschen tierischer Flüssigkeiten bilden können,
sind durch Auskochen der mit HCl oder H^SO« angesäuerten Asche-
lösung zu entfernen.
3. Die kombiniert zu titrierende Flüssigkeit darf keine Kalk-
oder Barytsalze enthalten.
Damit kommen wir zu der oben schon namhaft gemachten
zweiten Schwierigkeit, die sich der Phosphorsäuretitrierung in tieri-
schen Flüssigkeiten überhaupt entgegeiistellt.
Bei Gegenwart von Kalk- oder Barytsalzen wird bei der Phenol-
1) Die hier beschriebene kombinierte Titriemng der Phosphorsfinre wurde
ausgearbeitet, weil sie bei der in einer folgenden Mitteilung darznsteUenden
Aschenanalyse von Magensaft oder Harn mit YorteU Verwendung finden kann.
über Bestimmung der Bil&nz von Stlnreii n. Basen in tierischen Flüssigkeiten. 417
phthaleintitrierang der Pbospborsaure mehr Alkali, als zur Bildung
des sekundären Phosphates nötig wäre, verbraucht. Praktisch
kommen f&r tierische Flüssigkeiten nur die Kalksalze in Betracht.
Die Beaktion wUte verlaufen:
NaHaPO^ + NaOH = Na^HPO^ + 2 H^O.
Bei Gegenwart von Kalksalz verläuft sie aber zum Teil folgender-
maßen:
NaH^PO^ + CaCla + 2 NaOH = NaCaPO^ + 2 NaCl + 2 H^O.
Es bildet sich also unter Verbrauch von zwei statt einem
Uolektil Natronlauge tertiäres kalkhaltiges Salz, das unlöslich aus-
fällt. Da diese Bildung tertiärer Phosphate in ihrer Menge im
ganzen zwar von der Menge des vorhandenen Kalksalzes abhängig
ist, keineswegs aber hier einfache gesetzmäßige Beziehungen be-
stehen, so macht die Gegenwart von Kalksalzen die Phosphorsäure-
ütrierung gänzlich unzuverlässig. Die Flüssigkeit wird durch
Kalksalze scheinbar saurer. Es ist dies aber nur der Fall, sofern
die Titrierung auf sekundäres Phosphat abzielt, also Phenolphthalein
als Indikator fungiert. Wird die Pbospborsaure nur als primäres
Salz mit Methylorange als Indikator austitriert, so findet keine
Störung durch Kalk- (oder Baryt-)salz statt. Solange nur primäres
Phosphat in der Lösung ist, ist eben keine Möglichkeit zur Bildung
müöslicher sekundärer oder tertiärer Kalkphosphate gegeben, welche
einen Mehrverbrauch von Alkali bedingen würden.
Die f&r die Phenolphthaleintitrierung der Phosphorsäure aus
der Gegenwart von Kalksalzen resultierende Behinderung hat dazu
geführt, daß man das Bemühen um eine Bestimmung der Äcidität
des Harnes mit Farbstoffen überhaupt für ein vergebliches hielt. ^)
Dem ist aber nicht so. Es gibt vielmehr auch hier wieder ein
sehr einfaches Mittel, um die Kalksalze zu entfernen, ohne die
Gesamtacidität der Flüssigkeit zu ändern. Man braucht nur der
Flüssigkeit etwas Natriumoxalatlösung zuzusetzen. Dieses gegen
Phenolphthalein neutral reagierende Salz fällt den Kalk als Oxalat
aus der Lösung aus und läßt an Stelle der Kalksalze entsprechende
Natriumsalze in der Lösung zurück, die unschädlich sind.
Na^CgO^ + CaCl^ = CaC^O, + 2 NaCl.
Folgende Beispiele bringen die Belege für die geschilderten
Verhältnisse.
1) S. z. B. Lieb] ein, a. a. 0. S. 8ö.
418 XXV. Mobitz
P h en ol ph tha 1 ein titrie rang.
25. 1,0 I? KH,PO, = 1,0^ NaOH
1,0^ KH^PO^ + etwas CaClj =1,4 NaOH, i. e. Mehr-
verbrauch ron 40 % Alkali.
1,0 — KH2P0^ + etwas CaCl, + Na-Oxalat titriert Y^NaOfl
= 1,0, i. e. richtiger Wert.
26. 2,0 ^ HCl + 2,0 ^ KH,PO, = 4,0 ^ N.OH
2,0 ~ HCl + 2,0 ^ KH,PO, + etwu CaCl, = 4,45 ^
NaOH, i. e. Mehrverbrauch von 1 1 ^/^ Alkali.
2,0 -°- HCl + 2,0 j|- XH, PO^ + etwas CaCl, + Na-Oxalat:
^ NaOH = 3,95, i. e. richtiger Wert (soll 4,0).
.27. 2,55 com ^ HCl + 3,0 com ^ KH^PO^ + 3,0 ccm ^ CaCl,
Alkaliwert theoretisch :^ 5,55 - NaOH
Alkali wert unter Zusatz von NaCl und Na-Oxalat titriert =:
5,51 -—- NaOH, i. e. richtig.
28. 3,0 ^ HCl + 2,0 ^ KH,PO, + 3,0 ~ CaCl,
Akaliwert theoretisch = 5,0 — - Na
Alkaliwert unter Zusatz von NaCl und Oxalat titriert = 4,98.
29. 3,0 ^ HCl + 1,0 -°- Müchsäare + 1,2 -^ KH,PO^+2,0^
NH^Cl + 0,8 ^ CaCl,
Alkali wert theoretisch = 5,2 -. NaOH
Alkaliwert mit NaCl und Oxalat titriert = 6,1 ^ NaOH.
Ebenso wie Kalk und Baryt bildet bekanntlich anch Magnesia
unlösliche Phosphate und es muß a priori möglich erscheinen, daß
ebenso wie Salze der beiden ersteren, auch Magnesiasalze die
Phosphorsäure titrierung hinderten. Tatsächlich ist dies jedoch nicht
der Fall. Magnesiasalze haben keinen störenden Einfluß auf die
Phenolphthaleintitration.
über BestimmaDg der Bilanz von Säuren n. Basen in tierischen Flüssigkeiten. 419
30. 10,53 -^ KHjPO^ -f- ^2 Tropfen starker Magnesiumsulfatlösung
Alkali wert theoretisch = 10,53 -— r- NaOH
Alkali wert unter Znsatz von NaCl titriert =10,5 -^Fr NaOH.
Zosatz noch weiterer reichlicher Menge von Magnesiumsulfaltlösung
bewirkt kein Zurückgehen des Farbenumsohlages. Dagegen entfärbt
etwas CaCl^ sofort.
3n
31. 10,5 — KH2P0^+ etwas CaCl^ + 12 Tropf, starker MgSO^-Lös.
Alkaliwert theoretisch 3= 10,5^ NaOH
Alkali wert unter Zusatz von NaOl und Oxalat titriert =
10,5 T7^ NaOH, i. e. richtiffer Wert.
3n
32. 5,35 ^KHgPO^ + etwas CaCI
10
2
Alkaliwert theoretisch = 5,35 — NaOH
Titriert ohne Oxalat = 6,5 — NaOH also Mehrverbrauch von
28% Alkali.
3n
5,35 KHjPO^ -f- 1,0 ccm starke MgSO^-Lösung
Titriert unt. Zusatz von NaCl = 5,4 — NaOH, i. e. richtiger Wert.
Kalksalz stört also sehr^ Magnesiasalz stört nicht.
5,35 -^ KHgPO^ + etwas CaCl, + 1,0 ccm MgSO^- Lösung
mit Zusatz von NaCl und Oxalat titriert = 5,4— NaOH, i. e.
richtiger Wert.
Es Wäre nnn noch denkbar, daß Magnesiasalze bei Gegenwart
von Ammoniaksalzen die Phosphorsäaretitrierung störten, indem
etwa phosphorsimre Ammoniakmagnesia ausfiele. Daß dem aber
nicht so ist, lehrt folgender Versuch.
33. 4,9 i^ KHjPO^ + 5,8 ^ NH^Cl + 10 Tropfen starke Magne-
BiumsulfaÜösung titriert = 4,9 — NaOH, i, e. richtiger Wert.
Nach den angeführten Versuchen kann kein Zweifel bestehen^
daß auch für den Harn das geschilderte Vorgehen zu bra^chbaren
acidimetrischen Resultaten führen muß. Es läßt sich denn auch
420 XXV. MoRiTs
leicht dei* Nachweis führen, daß anter den beschriebenen Bedingungen
ein Zusatz von Kalk- oder Magnesiasalz zu Harn das Titrieiresultat
nicht ändert, sowie daß zugesetztes primäres Phosphat quantitativ
aufgefunden wird.
34. 10 ccm Harn gebraueben bei Phenolpfathaleintttrierung unter
Zusatz von NaCl und Oxalat 1,55 -^ NaOH.
10 ccm des gleichen Harns mit CaCl^ und MgSO^ versetzt ge-
braueben unter Zusatz von NaCl und Oxalat 1,50 — -- NaOH. Es werden
3"n n
dann 4,9 ccm -r-^ KH^FO^ zugesetzt. Nun sind noch weitere 4,9 ccm
10 — *--*— o ' 10
NaOH nötig, um wieder zu neutralisieren.
Es ist indessen noch zu überlegen, ob nicht, wenn auch Kalk-
und Magnesiasalze unschädlich sind, andere im Harn vorkommende
Körper die Phenol phthaleintitrierung zu beeinträchtigen vermögen.
Harnstoff stört nicht, er verhält sich trotz seiner beiden Amido-
gruppen überhaupt nicht wie ein Alkali gegen Phenolphthalein.
35. 10,0 -^ KH^PO^ titriert = 10,0 -^ NaOH. 10,0 -^
KHjPO^ + 10,0 com 4 % Harnstofflösung titriert = 9,98 -^ NaOH.
Dagegen ist es bekannt, daß Ammoniaksalze, mit denen man
ja im Harn immer zu rechnen hat, die Phenolphthaleintitrierung
beeinflussen können. Es ist bei Gegenwart von Ammoniaksalzen
mehr fixes Alkali nötig, um mit Phenolphthalein den Farbenum-
schlag zu erzielen, als ohne solche.
Bei größeren Mengen von Ammoniaksalzen ist dieser Ein-
fluß quantitativ nicht zu vernachlässigen, wie folgende Versuche
zeigen.
36. 5 ccm NH^Ci-Lösung (5 o/J = ca. 60 com ^ NH^Q ge-
10
brauchen 0,75 -r-r- NaOH bis zum Farbumschlag.
n
37. 15 ccm — - HCl -\- 13 ccm -— NH3 bedürfen theoretisch noch
2,0 — - NaOH bis zur Neutralisation. Tatsächlich gebraucht 2,3 ccm
^NaOH.
über Bestimmaiig der Bilanz yon Säuren n. Basen in tierischen Flüssigkeiten. 421
88. 6,0 ^ HCl titriert = 6,0 ^ NaOH. Als zu der titrierten
liSsong nun 6 Tropfen einer Ammoniumoxalatldsnng zugesetzt werden,
geht der Farbumschlag znr&ck und es sind noch 0,97 -r-r- NaOH nötig,
nm wieder zu neutralisieren. Nun 2 Tropfen 8afmiakl5sung, worauf noch
weiter 0^4 -rrr- NaOH nötig sind, um Neutralität. herzustellen.
Dabei ist es ein weiterer Nachteil, daß bei Gegenwart von
Anunoniaksalz der Umschlag des Phenolphthalein in ein wesentlich
matteres Sosa erfolgt, als es ohne das der Fall ist.
Es gibt nun aber zwei Wege, nm die störende Einwirkung^
von Ajnmoniaksalzen, wenigstens solcher Mengen derselben, wie
sie im Harn vorkommen können, fast völlig zn eliminieren.
Man kann erstens den Einfluß der Ammoniaksalze dnrch starke
Abkühlung der Flüssigkeit sehr einschränken, wie man ihn anderer-
seits dnrch Erwärmung noch erheblich steigern kann. Dazu wird
in al^ekflhlter Flüssigkeit auch der Farbumschlag viel stärker.
39. 3,0 -^- NCi + 3,0 j^ NH^Cl in 20 H^O gelöst.
Titriert = 3,08 — - NaOH (eben eine Spur Rosaförbung). Dieselbe
Mischung unter 0® in Kältemischung abgekühlt bei Zusatz von 3,0 -r^
NaOH schon deutlicher Farbumschlag.
Ebenso aber kann man den Einfluß der Ammoniaksalze anf
Phenolphthalein auch dnrch Zusatz von konzentrierter Kochsalz-
lösung zu der zu titrierenden Flüssigkeit vermindern. Die kon-
zentrierte Kochsalzlösung wirkt also nicht nur auf die Phosphor-
säuretitrierung, sondern auch auf die Störung durch NH^-Salze
korrigierend ein. Besonders stark wirkt aber eine Kombination
beider Manipulationen, Abkühlung und Zusatz von Kochsalzlösung
zugleich, ein. Dnrch diese Kombination kann es zu einer Über-
kompensation des Ammoniakeinflusses kommen, so daß etwas zu
kleine Alkaliwerte bei der Titrierung verbraucht werden.
40. Eine Mischung von 15,0-^ NCI und 13,0 -^ NH,, theore-
tisch mit 2,0 — - NaOH neutral, gebraucht tatsächlich zur Neutralisation
2,3 -~ NaOH.
Jl22 ' XXV. Moritz
Zusatz r YQu 30 ccm konzentrierter Kochsalzlösung bewirkt , daß
2,1 -—- NaOH zur Nentralisation ausreichen. Zusatz von 30 ccm kon-
• • j ü
zentrierter Kochsalzlösung und gleichzeitige Abkühlung unter 0 ® bewirken,
daß nur 1,9 - - NaOH zur Neutralisation nötig sind.
Die Kombination: Znsatz von Kochsalzlösung und Abküblung
deprimiert bei Phenolphthaleintitrierung übrigens auch ohne die
Oegenwail von Ammoniaksalzen etwas das Alkalibedurfnis von
anorganischen Säuren (weniger oder nicht von organischen Säuren),
während von Kochsalzlösung allein ein solcher Einfluß nicht nach-
weisbar ist.
Aus den angeführten und mannigfachen anderen hier nicht
mitgeteilten Versuchen ergibt sich, daß ein Kochsalzzusatz, der
schon wegen der Phosphorsäuretitrierung nötig ist, bei der Be-
-stimmung der Harnacidität ausreichend ist, um auch einen etwaigen
-störenden Einfluß von Ammoniaksalzen auszugleichen. Es genügt
hier der Kochsalzzusatz um so mehr, als der Einfluß von Ammoniak-
salzen organischer Säuren auf die Phenolphthaleintitrierung
wesentlich geringer ist, als der von anorganischen Säuren, oder
ganz fehlt. Im Harn aber liat man es in erster Linie mit organi-
schen Ammoniaksalzen zu tun.
41. 15,75^- MUchsäure 4-13,05 -^ N Hg, theoretisch mit 2,70
Na neutral. Tatsächlich auch gebraucht 2,7 -— - NaOH.
42. 15,75 -— - Milchsäure -[- ISjO NH^, theoretisch neutral mit
•5,75 -^ NaOH, titriert unter Kochsalzzusatz = 2,80 ^ NaOH.
Einer Bemerkung bedarf noch das Verhalten des Phenolphtha-
leins zur Kohlensäure.
Im Harn pflegt eine sehr geringe Menge Kohlensäure physi-
kalisch gebunden zu sein. Dagegen können unter Umständen, z. B.
nach Einnahme von kohlensauren Salzen, recht erhebliche Mengen
von Kohlensäure als saures Karbonat im Harn auftreten. Versetzt
man eine verdünnnte z. B. ^^ Lösung von doppeltkohlensaurem Na-
tron mit Phenolphthalein, so zeigt sich geringe Rosafärbung. Die-
selbe verschwindet aber, sowie man konzentrierte Kochsalzlösung
zusetzt. In Gegenwart von Kochsalz reagiert also eine verdünnte
über Bestimmnng der Bilanz von Säuren u. Basen in tierischen Flüssigkeiten. 423
Lösung von NaHCOg auf Phenolphthalein neutral. Fügt man
1—2 Tropfen ^75 NaOH hinzu, so erfolgt alsbald der Umschlag zur
alkalischen Reaktion. Primäres Karbonat verhält sich ih dieser
Hinsicht also wie sekundäres Phosphat. Kohlensäure wird bei
Anwesenheit von Kochsalz bis an die Grenze zwischen primärem
und sekundärem, Phosphorsäure bis an die Grenze zwischen sekun-
därem und tertiärem Salz austitriert.
43. 10 ccm einer 1 proz. Lösung von NaHCOj (= etwas stärker
als -Tjr) gibt mit Phenolphthalein Rosafarbung. Zusatz von 10 ccm konz.
NaCl-Lösung entfärbt. Es braucht dann einige Tropfen -jp- NaOH, um
wieder Rosafarbung zu bewirken.
44. 10,1 ccm Yq NagCOg + 10 ccm NaCl-Lösung mit Phenol-
phthalein stark rot. Es sind 5,2 ccm — HCl nötig, um zu entfärben.
Die Entfärbung tritt also fast genau nach völliger Umwandlung der
Na^COg in NaHCOg ein. Theoretisch waren hierfür nötig gewesen
5,05 ^ HCl.
Die Empfindlichkeit des Phenolphthalein für CO^ macht übrigens,
wenn man ganz genau arbeiten will, gewisse Vorsichtsmaßregeln
nötig. Besonders muß man sich bewußt sein, daß man mit größeren
Mengen von Wasser, sofern dieses nicht ausgekocht oder noch
besser von Lauge abdestilliert und unter Verschluß gehalten war,
JKohlensäuremengen in die Analyse hineinbringen kann, die immer-
hin einige Zehntel ccm ^ä Lauge beanspruchen können.
Es sollen noch einige von vielen Versuchen angeführt werden,
die die Brauchbarkeit unseres Titrierverfahrens für komplizierter
zusammengesetzte Flüssigkeiten erweisen.
45. Mischung von 3,92 -— - KHjP04 und 7,03 -— Essigsäure,
die außerdem noch 1,0 -— - Bhodanammon, 0,4 g HarnstofiP, 0,1 g Trauben-
«ucker, 0,2 g NaCl, 0,05 g K^SO^, 0,02 g CaClg enthält. Der theore-
tische Säure wert dieser Mischung = 10,95 — - NaOH (aus primärem
Phosphat und Essigsäure sich zusammensetzend). Tatsächlich titriert
= 10,90 ^ NaOH.
424 XXV. Mojorz
46. MiBchnng von 2,8 -^^ milchsaareB Natrooi 0,17 -^p^Na^HPO^,
— milchsaareB Natron. 0,17
0,85 NaHjPO^, außerdem je 0,1 g Traubenzucker, NaCl und K,SO^
enthaltend. Theoretischer Säurewert = 0,85 — - NaOH (das primfire
Phosphat), titriert = 0,88 -^ NaOH.
47. Mischung von 1,0 -^ NaHCOj, 1,6 -^ Na^HPO^, 1,1 -^
Natriumoxalat, 0,3 g Harnstoff, je 0,2 g NaCl, K^SO^, Traubenzucker.
Theoretisch neutral. Bei Titration mit 0,1 --- NaOH schon alkalisch.
^ HCl, 1,0 -^ Milchsäure, 3,0 ^
5,0 -^NH^CI, 3,0-^CaClj. Theoretischer Säurewert = 6,0 ^- NaOH
Titriert = 5,94 ~ NaOH.
usw.
48. Mischung von 2,0 -^ HCl, 1 ,0 ^^ Milchsäure, 3,0 ^^ KH^PO^,
Für den Magensaft nnd Harn gestaltet sich das Vorgehen im
einzelnen folgendermaßen: Man titriert zweckmäßig in kleinen
ca. 150 ccm fassenden Erlenmayer-Kölbchen. Verwendet werden je
10 ccm Flüssigkeit, zu denen ca. 4 ccm etwa -^ Natriamoxalat-
lösnng und 15 ccm konzentrierter Kochsalzlösung gesetzt werden.
(Titriert man größere Flüssigkeitsmengen, so muß auch mehr
Kochsalzlösung zugesetzt werden. Es genügt ein der zu titrie-
renden Flüssigkeit gleiches Volum.) Nach dem Zusatz des Oxalats
wartet man zunächst einige Zeit, bis die Kalkfallung erfolgt ist
Sie geht sehr rasch, fast augenblicklich vor sich. Erst nach voll-
endeter Kalkf&llung setzt man die Kochsalzlösung zu. Man richtet
zwei derartige Proben in zwei gleichen Kölbchen her und benutzt
die eine zum Farbenvergleich. Der Umschlag wird auf diese Weise
auch bei dunklen Hamen und Magensäften deutlich.
Ein besonderes Verfahren ist beim Harne noch für den Fall
nötig, daß ein Phosphatniederschlag besteht Diesen mit ^ Säure
aufzulösen und den Säurezusatz vom Titrierresultat in Abzug zu
bringen, ist nur dann zulässig, wenn der Harn kein Karbonat ent-
hält. Andernfalls würde CO^ beim Ansäuern aus dem Harn ab-
dunsten und die Harnacidität zu gering ausfallen.
über BestimmiUDg der BUhdz von Säpren u. Basen in tierischen Flüssigkeiten. 426
Hat man mit Karbonat im Harn zu rechnen, so muß der Nieder-
schlag von einer bestimmten Menge des gut umgerfihii:en Harnes
anf dem Filter gesammelt, ausgewaschen, in :r^-8äure gelöst und
titriert werden. Daß dabei exakte Besultate erhalten werden,
zeigt folgender Versuch:
3 n
49. 3,55 ccm — NsjPO^ werden mit Überschuß von CaCl, geMt,
BO daß in dem Niederschlag alle Phosphorsäure als tertiäres Phosphat
•enthalten sein muß.
Der abfiltrierte und ausgewaschene Niederschlag wird in ein Kölbchen
gespült und mit Methylorange als Indikator mit — r- HCl titriert. Es
sind 7,1 — — HCl nötig, bis Methylorange in Kot umschlägt. Der Nieder-
schlag enthielt also 7,1 — - für Methylorange nachweisbares Alkali. Nun
Zusatz von Oxalat und Kochsalz zu der mit Methylorange titrierten
Flüssigkeit und Titrieren derselben mit — NaOH mit Phenolphthalein
als Indikator. Es sind nötig 3,53 - - NaOH bis zum Umschlag. Mithin
waren 3,53 — - primäres Phosphat in der Lösung. Der Niederschlag
setzte sich also zusammen aus 10,63 -j^ Alkali (7,1 -j^- Alkali durch
Methylorangetitrierung nachgewiesen und 3,53 im primären Phosphat) und
3n
ans 3,53 — - Phosphorsäure, i. e. der Phosphatniederschlag bestand aus
Töllig gesättigtem, d. i. tertiärem Phosphat.
Ein Drittel der in diesem Niederschlage enthaltenen Alkalimenge,
diejenige Alkalimenge nämlich, die über die sekundäre Sättigungs-
stafe des Phosphats hinaus vorhanden war, hätte von dem Aciditäts-
wert der zugehörigen Hammenge in Abzug gebracht werden müssen.
Die bisher zu genauer Bestimmung der Harnacidität wohl am
meisten in Geltung gewesene Methode ist die von Lieblein. ^)
Dieser Autor faßt ausschließlich die Menge des primären Phosphates
als den zutreffenden Ausdruck der Harnacidität auf. Ich teile die An-
sicht Liebleins, daß man für die Harnacidität in erster Linie das pri*
märe Phosphat verantwortlich machen darf, aber selbstverständlich
nur insoweit als die Menge des primären Phosphates hierzu ausreicht.
Mit einer Methode die sich auf die Bestimmung des primären Phos-
1) Lieblein, a. a. 0.
Dentsehes Arohir f. klio. Medizin. LXXX Bd. 28
426 XXV. Moritz, Üb. Bestimmiuig d. Bil. v. Sänren ü. Basen in tierisch. Flüssigk.
phates beschränkt, kann man natürlich auf Fälle, wo aber das primäre
Phosphat hinaus noch sauere Verbindungen im Harn vorhanden sind,
nicht aufmerksam werden. Solche Fälle kommen aber tatsächlich vor.
50. Gesamter Tagesham eines Diabetikers mit Acidosis. Acidität
n
in 10 ccm Harn = 2,6 --- NaOH, Acidität des in 10 ccm Harn vor-
handenen primären Phosphats =1,7 — r- NaOH. Es sind demnach über
das primäre Phosphat hinaus noch saure Verbindungen im Alkaliwerte
von 0,9 ccm -:r^ NaOH in 10 ccm Harn enthalten.
10 I
51. Stark saurer Morgenharn eines Gesunden. Acidität in 10 ccm |
= 5,6 ccm — — NaOH. Alkali wert des vorhandenen primären Phosphats
= 4,8, mithin 0,8 ccm --- saure Verbindungen über das primäre Phos-
phat hinaus.
Die Methode von Lieb lein hat daher keine allgemeine Ver-
wendbarkeit.
Eine Reihe anderer Methoden, so die von Freund und
Töpfer^) und die vonNaegeli') sind teils prinzipiell unrichtig,
teils wegen der Undeutlichkeit des Farbenumschlags der ange-
wendeten Indikatoren im Harn unbrauchbar. Vorschläge für die
Entfernung des Kalkes durch Oxalsäure bei Bestimmung der Harn-
acidität, sind schon von Lepinois*) gemacht worden. Doch ist
seine Methode unnötig umständlich und entbehrt der Korrektur
der Phosphorsäuretitrierung.
Die vielfachen Versuche, welche gemacht wurden, die Phosphate
durch Auslällung aus dem mit bestimmter Menge von Alkali
alkalisch gemachten Harn mittels BaCl^ zu entfernen und dann
die Harnacidität durch Zurücktitrieren mit Säure zu bestimmen,*)
führen zu unsicheren Resultaten*), da die Zusammensetzung der aus-
fallenden Barj'umphosphatverbindungen eine wechselnde ist und
daher auch wechselnde Alkalimengen beansprucht.
1) Zeitschr. f. phya. Chem. Bd. 19 S. 84.
2) Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 30 S. 313.
3) Compt. rend. soc. biolog. Bd. 50 S. 251—253, cit. nach Maly's Jahresbericht
für Tier-Chemie Bd. 28 S. 278.
4) M a 1 y's Methode, s. Nenbauer-Happert, Analyse des Harns, 9. Aufl.
S. 452. E. V o i t , Die Aciditätsbestimmung in tierischen Flüssigkeiten. Sitzungs-
berichte der Gesellsch. f. Morphol. u. Physiol. in München Bd. 5 1898 S. 1 M. A.
5) S. d. Ausführungen von Lieblein, a. a. 0. mit dessen Beobachtungen
sich die meinen decken.
XXVI.
Über die Wirkung der photodynamischen (fluorescierenden)
Stoffe anf Protozoen nnd Enzyme.
Von
H. T. Tappeiner and A. Jodlbauer.
Bei einer auf Veranlassung des einen von uns (T.) unter-
nommenen Untersuchung über die Giftigkeit des salzsauren Acridins
CjgHgN für Infusorien (Paramäcien) erhielt Herr 0. Raab als er
zur Auffindung der unteren Grenze der Giftigkeit schritt und eine
Lösung von 1 : 20 000 untersuchte , ganz verschieden ausfallende
Resultate. Bald waren die Paramäcien in einer Stunde tot und
zerfallen, bald lebten sie über einen halben Tag. Die zu jener
Zeit (Winter 1897/98) sehr ungleichen Licht Verhältnisse (Wechsel
von sehr trüben und hellen Tagen) legten schließlich den Gedanken
nahe, es möchte ein Einfluß des Lichtes bei diesen sonst ganz un-
erklärlichen Versuchsergebnissen im Spiele sein. In der Tat brachte
ein entsprechend eingerichteter Versuch sofort unzweifelhafte Ge-
wißheit: „Paramäcien mit Acridinlösung 1:20000 versetzt starben
im Sonnenlicht in 6 Minuten, im zerstreuten Tageslicht in 60 Mi-
nuten, ganz im Dunkeln gehalten, waren sie nach 60000 Minuten
noch am Leben."
Da verschiedene Kontrollversuche, insbesondere Ausschaltung
der Wärmewirkung der strahlenden Energie durch Vorlage von
gesättigter Kupfersulfatlösung, an diesem Ergebnisse nichts wesent-
liches änderten, so hatte man in ihm eine „Lichtwirkung" vor sich,
wie sie in dieser Weise in der Biologie noch nicht beobachtet
worden war.
Diese neue Lichtwirkung soll in der Folge, um sie mit einem
Namen zu fixieren, als photodynamische Wirkung bezeichnet werden.
Acridin ist durch eine hervorragende optische Eigenschaft aus-
gezeichnet, die der Fluorescenz, d. i. die Fähigkeit einen Teil der
absorbierten Strahlen als Licht anderer Brechbarkeit wieder aus-
28*
428 XXVI. Tappeikeb n. Jodlbaübb
zugeben. Dies gab Anlaß noch einige andere fluorescierende Körper:
Phosphin, Eosin, Chinolinrot, Harmalin und Chinin zu untersuchen,
mit dem Ergebnisse, daß auch sie diese „Lichtwirkung" zeigten,
wogegen Kontrollversuche mit mehreren nichtfluorescierenden Stoffen
negatives Kesultat ergaben.
Nachdem die Untersuchung mit Lichtfiltem und die Unter-
suchung in prismatisch zerlegtem Lichte ergeben hatte, daß die
photodynamische Wirkung nur bei Zutritt von Strahlen bestimmter
Wellenlänge auftritt, wurde es schließlich als sehr w^ahrscheinlich
bezeichnet, daß die Erscheinung mit der Erregung von Fluorescenz
im Zusammenhange stehe. ^)
Im Winter 1900 verfolgte Richard Jacobson auf Veran-
lassung des einen von uns (T) die Frage, ob die bei Paramäcien
nachgewiesene Wirkung fluorescierender Stoffe auch bei Zellen
höherer Tiere vorhanden sei, und fand dies für das Flimmerepithel
des Frosches bestätigt.^)
1903 folgte die Entdeckung, daß auch Enzyme und Toxine
durch fluorescierende Substanzen in ganz analoger Weise beeinflußt
werden *) ; gleichzeitig ergaben therapeutische Versuche sehr auf-
fallende und viel versprechende Wirkungen bei carcinomatösen,
tuberkulösen und luetischen Affektionen.^) Alle diese Beobachtungen
forderten dazu auf, die photodynamische Wirkung auf dieser er-
weiterten Grundlage einer umfassenden Untersuchung zu unter-
ziehen. Die folgenden Abschnitte enthalten den ersten Teil der
dabei gewonnenen Ergebnisse.
I. Abschnitt. Wirkung auf Protozoen.
A. Ter suche an Faramaecium caudatum.
Die Versuche dieses Abschnittes wurden hauptsächlich mit
Faramaecium caudatum ausgeführt. Es ist dies eine große, noch
mit freiem Auge eben sichtbare Infusorienart (Ciliatae), welche
vermöge ihres Wimperkleides und der langen Schwanzcilien sich
äußerst rasch bewegt. Sie läßt sich in Fflanzenaufgüssen oder
1) H. V. T a p p e i n e T , Münchener med. Wochenschr. Nr. 1 1900; 0. Baab,
Zeitschr. f. Biologie Bd. 39 u. 44.
2) Zeitschr. f. Biologie Bd. 41 S. 444.
3) H. y. Tapp ein er, Über die Wirknng flnorescierender Snbstansen auf
Fermente und Toxine. Ber. d. D. ehem. Gesellsch. Bd. XXXVI (1903) S. 3035.
4) H. y. Tappeiner u. A. Jesionek, Münch. med. Wochenschr. 1903
Nr. 47.
über die Wirkung der photodynamischeu (fluoresciereDden) Stoffe etc. 429
dergleichen leicht in größter Zahl und angenäherter Reinkultur
züchten.
Die Untersuchungen geschahen größtenteils im hängenden
Tropfen in feuchter Kammer von bekannter einfacher Kon-
struktion. Auf einem Objektträger ist ein Glasring von ca. 10mm
Höhe und 20 mm Durchmesser aufgekittet, auf dessen oberen ab-
geschliffenen und eingefetteten Rande ein Deckglas aufgelegt wurde,
auf dessen Unterseite sich eine Mischung von zwei gleich großen
Tropfen Paramäcienkultur und Versuchslösung befand. In be-
sonderen Fällen, zumal in solchen, wo die angewandten Strahlen
direkt, ohne zwischenliegende Glasschicht, zutreten sollten, wurde
die Untersuchung in Uhrschälchen vorgenommen. 2 ccm Ver-
suchslösung wurden dann mit 2 — 3 Tropfen der Kultur versetzt.
Es wurden nur an Paramäcien reiche Kulturen verwendet, so daß
in einem Tropfen mindestens ein gutes Dutzend, im Uhrglase ent-
sprechend mehr enthalten waren. Die Beobachtung der Tierchen
geschah unter dem Mikroskope bei schwacher Vergrößerung. Nor-
mal sieht man die Paramäcien fast ununterbrochen geradlinig hin-
nnd herschießen. Wenn die Versuchslösung zu wirken anfangt^
werden diese Bewegungen langsam und hören schließlich auf. Die
Tiere machen dann noch eine Zeitlang Bewegungen in loco (rollende
Bewegung), werden dann flaschenförmig aufgetrieben, wobei auch
die Flimmerbewegung zum Stillstande kommt, körnige Massen be-
ginnen aus ihrem Leibe auszutreten und schließlich zerfallen sie
gänzlich.
Als Zeit des Todeseintrittes wurde der Beginn des Zerfalles
notiert. Bei Lebzeiten oder während des Absterbens eingetretene
Färbungen der Paramäcien durch die Versuchssubstanz wurden
notiert.*) Die hauptsächlich verwendete Lichtquelle war zer-
streutes Tageslicht und zwar, da die Mehrzahl der Versuche
in die Herbst- und Wintermonate fiel, solches von sehr mäßiger
Intensität. Ein Schutz gegen die Wärmewirkung der
strahlenden Energie, gegen welche die Paramäcien sehr
1) Färbungen intra vitam wurden nur bei dem kleineren Teile der
photodynamisch wirksamen Stoffe beobachtet, auch wenn sie intensive Farbstoffe
waren. In den anderen Fällen scheint entweder das Eindringen äußerst ge-
ringer, dem Auge nicht mehr wahrnehmbarer Mengen zur Wirkung schon aus-
zureichen, oder die photodynamische Wirkung findet nur au der Oberfläche der
Zelle statt. Eine mikroskopische Untersuchnng auf eventuelle Verschiedenheiten
bezüglich der histologischen Veränderungen, welche die Paramäcien durch die
photodynamischen Substanzen im Dunkeln und im Hellen erfahren, dürfte sich
in diesen und anderen Fragen als lohnend erweisen.
430 XXVI. Tappeznbb a. Jodlbaukr
empfindlich sind, ist dann unnötig. An hellen Tagen des Frühjahrs
und Sommers ist ein solcher hingegen absolut erforderlich. Bei
Versuchssubstanzen, welche ihre Absorption im brechbarerem Teile
des sichtbaren Spektrums oder im Ultravioletten besitzen, wurde
eine 4,5 cm dicke Schicht von konzentrierter Kupfersulfatlösung
vorgelegt, welche bekanntlich die infraroten Strahlen völlig und
die sichtbaren Strahlen bis etwas über D V2E absorbiert. Bei
Substanzen, welche weniger brechbare Strahlen absorbieren, ist
eine angesäuerte 7proz. Lösung von schwefelsaurem Eisenoxydul
in 5,4 cm dicker Schichte am Platze, welche nur die infraroten
Strahlen, diese aber bis auf 1,2 7o der gesamten Strahlung absor-
biert.^)
Die Versuche wurden in den Vormittagsstunden angesetzt.
War der Tod der Paramäcien nicht bis zum Abend, also nach ca.
9 Stunden Belichtung eingetreten, so wurde am nächsten Tage
weiter exponiert und als Stunde des eingetretenen Todes dann die
ganze Zeit von Beginn des Versuches, die Nachtstunden also ein-
gerechnet, bezeichnet. Die so erhaltenen Todeszeiten haben natur-
lich nur relativen Wert. Einmal war das zerstreute Tageslicht
je nach der Witterung ein wechselndes. Photometrische Messung
hätte keinen Wert gehabt, da das Licht ja oft am selben Tage
ein fortwährend wechselndes war. Außerdem ist hervorzuheben,
daß die Paramäcien, wenn sie lange Zeit kultiviert werden, sich
weniger resistenzfähig zeigen. Sehr lange fortgetriebene Inzucht
ist nicht zulässig; die Kulturen wurden daher von Zeit zu Zeit
mit frischem Materiale aus dem zoologischen Institute erneuert.
Für den vorliegenden Zweck — eine Übersicht über die photo-
dynamischen Substanzen und eine Schätzung der Intensität ihrer
Wirkung zu erlangen — war das Verfahren völlig genügend, um
so mehr als da, wo es auf den Vergleich in einer Gruppe von
Substanzen ankam, die Versuche am selben Tage und an derselben
Generation von Paramäcien angestellt wurden.
Dem Tageslichte von mäßiger Helligkeit ungefähr gleich ist
das Licht einer Oberlicht -Reflektorlampe System Hrabowski von
Siemens & Halske in Abstand von Vj^ Meter, falls die stärkere
Wärme Wirkung durch Vorlage von Kupfersulfatlösung ausgeglichen
wird.
Sonnenlicht und elektrisches Kohlenbogenlicht
einer offenen Lampe von 25 Ampere und 60 Volt wurden nur
1) R. Zsigmondy, Wied. Ann. 49, 533.
über die WirkiiDg der photodynamiscfaen (flnorescier enden) Stoffe etc. 431
ausnahmsweise bei besonderen namhaft gemachten Anlässen ver-
wendet. Schutz gegen die Wärmewirkung der strahlenden Energie
durch Kupfersulfatvorlage ist hier unerläßlich, ganz besonders beim
Kohlenbogenlicht Wird dieser angewendet, so vertragen Para-
mäcien das elektrische Licht mehrere Stunden ohne wesentliche
Schädigung. Bei Versuchen mit gewissen photodynamischen Sub-
stanzen (Eosin) steht das Bogenlicht dem Sonnenlicht nach, weil
es eben im Verhältnis zu den hier hauptsächlich in Betracht
kommenden grünen Strahlen zu viel infrarote, rote und ultraviolette
Strahlen aussendet. In noch stärkerem Grade als für Paramäcien
tritt diese Inferiorität des Kohlenlichtes bei Enzj^men (Invertin)
hervor.
Die Untersuchung erstreckt sich auf nahezu sämtliche
wichtigeren flüorescierenden Stoffe, soweit deren Lös-
lichkeit und sonstigen Eigenschaften es zuließen. Die basischen
Stoffe wurden als Chloride, die sauren als Natronsalze untersucht.*)
Die Ergebnisse sind in den folgenden Belegen niedergelegt.
Sie sind mit durchlaufenden Nummern versehen, um spätere Hin-
weise zu erleichtern. In Einteilung nach chemischen Gruppen, Kon-
stitutionsformeln und Angaben über die fluorophore Atomgruppe,
sind wir im ersten Teile Eich. Meyer ^) gefolgt, dem auch
Th. Hewitt*) sich angeschlossen hat. Die Untersuchungen er-
gaben folgendes:
Sehr starke photodynamische Wirkung (noch in
millonenfacher Verdünnung), zeigten : die Gruppe des Acridins, des
Phenoxazins und Thiazins, sowie das Phenylchinaldin.
Starke, zum Teil sehr starke Wirkung: die Gruppe
des Fluorescei'ns und Xanthons, worüber näheres in Abschnitt HI
enthalten ist, die Gruppe des Anthracens, das Harmalin.
Mäßig starke Wirkung: die Derivate des Phenazins,
{Phenazin selbst sehr stark), die Chinolinfarbstoffe, das Hydrastinin.
Schwache Wirkung: die Naphtalinderivate und Chininsalze.
1] £ine große Anzahl dieser Stoffe verdanken wir den frenndlicfaen Za-
sendnngen der Herren Prof. Bernthsen, 0. Fischer, Kehrmann, Bich.
Meyer nnd G. Schultz, sowie der Badischen Anilin- und Sodafabrik, der
Farbwerke vorm. Fr. Bayer u. Co., vorm. Meister Lucius u. Brüning, Böhringer
n. Söhne, L. Casella n. Co. und L. Durand, Huguenin u. Co.
2) Über die Beziehung zwischen Konstitution und Fluorescenz einiger Sub-
stanzen. Zeitschr. f. physik. Chem. 24, S. 468.
3) Über einige Beziehungen zwischen Fluorescenz und chem. Konstitution,
Zeitschr. für physik. Chemie 34, S. 1.
432
XXVI. Tapfsixbr n. Jodlbauer
Keine deutliche, resp. äußerst schwache \¥irkang
im zerstreuten Tageslichte hatten: Flnorindindisnlfosäure und
Aesculin.
Auch das Verhalten aller dieser Substanzen im
Dunkeln, d. h. ihre Giftigkeit, in Beziehung zur che-
mischen Konstitution zeigt manches Interessante, worauf in
den Belegen hingewiesen ist.
I. Substanzen mit selektiver Absorption im sichtbaren Teile
des Spektrums (Farbstoffe).
Gruppe des Fluorescelns.
CeH* . CO
I (/
C/
0
Fluorescein.
Die flaorophore Atomgruppe ist der zwischen den zwei Benzol*
kernen gelagerte Pyronring.
Sämtliche Stoffe warden als Natronsalze untersucht.
1. Fluoresce'in.
Farbe der Lösung: gelbgrün; Fluorescenz: grün, sehr stark. Ab-
sorption: In Lösung 1 : 100000 von Mittelgrün (13,7)^) — ins VioletL
Versuch 1. Heller Wintertag.
Konzentration
Hell
Dunkel
1:250
tot nach 40 Min.
lebend nach 24 St.
1:500
„ n 2V. St.
n
1 : 1000
w « ß n
n
1 : 4000
lebend „ 24 „
n
Versuch
2. Mittelheller Frühlingstag
^, Eisenoxydulvorlage.
Konzentration
Hell
Dunkel
1 : 250
tot nach 20 Min.
tot nach 30 Min.
1:500
n „ 1 St.
»
1:700
rt n '- n
. lebend nach 24 St.
1 : 1000
n » 2 „
»1
1 : 2000
n n ^ n
w
1 : 4000
Q
1i
1 : 8000
lebend „ 24 „
n
1) Ablesungen an der Skala eines Krüß'scfaen Apparates^ wobei 0 = 10,0,
E = 12,85, b = 13,35, F = 15,48 ist.
über die Wirkung der photodynamischen (flaorescierenden) Stoffe etc. 433
2. Dichlor fluoresce 'in.
Im Phtalsäurerest substituiert.
Farbe der Lösung: bräunlich grün. Fluorescenz: grün mit etwas
gelb, sehr stark. Absorption in Lösung 1 : 100 000 : Von der Linie b
(13,2) — ins Violett.
Mittelheller Frühlingstag; Eisenoxydnlvorlage.
Konzentration
Hell
Dunkel
1:500
tot nach 20 Min.
tot nach 30 Min.
:700
:1000
„ » IV» st-
n n 2 St.
lebend „ 24 „
:2000
:5000
: 20 000
: 30 000
: 35 000
n n * 19 n
r> n ^ n
7i n ' n
lebend „ 24 „
n V Tt
n n n
n n n
n n n
n n n
: 40000
» „ 24 „
n n n
3. Dibromfluorescein.
In den Besorcinresten substituiert.
Farbe der Lösung: rötlich- gelbgrün. Fluorescenz: grün mit etwas
gelb, stark. Absorption in Lösung 1 : 100000: Von E — Anfang
violett.
Mittelheller Frühlingstag; Eisenoxydulvorlage.
Konzentration
Hell
Dunkel
:600
tot nach ^/^ St.
tot nach ^/^ St.
700
» » »
i> » 12 „
:1000
» » »
lebend „ 24 „
: 20 000
» 7» 3 St.
n » »
: 30 000
4
» n »
: 40 000
7
n ry n
: 50000
» » 10 „
n n rt
: 60 000
lebend „ 24 „
71 ft n
4. Dijodfluorescein.
In den Besorcinresten substituiert
Farbe der Lösung : gelbbräunlich. Fluorescenz : moosgrün. Absorp*
tion in Lösung 1 : 100000: von Anfang grün (12,7) — Ende grün.
Konzentration
Hell
Dunkel
«
:1500
: 2000 .
: 50 000
: 100000
: 160000
tot nach wenigen Min.
tot nach 5 St.
» » 24 „
lebend „ 24 „
tot nach 24 St.
lebend „ 24 „
n n 48 „
n n 48 „
. n 48 „
434
XXVI. Tappunbb a. Jodlbaitbb
5. Tetrachlorfluorescein.
Im Phtalsäurereat eubstitniert.
Farbe der Lösung: grün mit etwas braun. Fluorescenz: grün,
kräftig. Absorption in Lösung 1: 100000 :^on An&ng grün (12,7) bis
ins Violett.
1. Veraach. Trüber
Tag.
Konzentration
HeU
Dunkel
1 :500
tot nach
V« St.
tot nach 1 St.
1 :800
1 : 1000
1V2 „
4 „
die Hälfte tot nach 24 St.,
alles tot nach 48 St.
1 : 2000
n n
6 „
alles lebend nach 48 SL
1 : 3000
1 : 4000
1 : 6000
24
die Hälfte lebend nacb 24 St. '
n n n ??
n r n n
n « 1» w
2. Versu
Loh.
Mittelhell
er Frühlingstag. Eisenoxydulvorlage.
Konzentration
Hell
Dunkel
1:500
tot nach
20 Min.
tot nach 30 Min.
:700
: 1000
V, St.
1V2 „
»/* n r, 24 St.
lebend nach 24. St.
:2000
:5000
: 20 000
; 30 000
: 35 000
n r
w n
lebend „
1V2 „
24 „
n n y*
n n v
n n n
n n n
?> » »
6. Tetrabromfluorescein (Eosin).
In den Resorcinresten substituiert.
Farbe der Lösung: rotgelb. Fluorescenz: grün, mäßig stark. Ab-
sorption in Lösung 1 : 100000: von Anfising grün (12,5) bis ins Violett
1. Versuch.
Trüber
Tag.
Konzentration
Hell
Dunkel
1:500
tot
nach
V4 St.
ebenso
1 : 1000
»?
n
1 «
noch lebend, aber größtenteils
nur mehr rollend nach 24 St
1 : 2000
»5
y?
1 „
lebend nach 24 St.
1 : 6000
1 : 20 000
1 : 40 000
n
IV4 r,
3 „
4 „
r> n n
» r y?
n n n
über die Wirkung der photodynamischen (flnorescierenden) Stoffe etc. 435
2. Versuch. Mittelheller Frühlingstag. Eisenoxydulvorlage.
Konzentration
HeU
Dunkel
500
tot nach
1/
/4
St.
ebenso
:700
n r>
V.
n
. tot nach 10 St.
:1000
w >'
1
n
lebend „ 24 „
: 20 000
: 30 000
- 50 000
60000
lebend ^,
2
3
7
24
n 48 „
» w »
n r) fi
ft n r>
7. Tetrajodfluoresce i'n (Erythrosin).
In den Resorciuresten substituiert.
Farbe der Lösung: rosarot. Absorption in Lösung 1 : 100 000:
Yon 12,2 — 14,2. Fluorescenz: moosgrün, nur mit Linse im Sonnenlichte
sehr deutlich.
Konzentration !
1
1
1
1
1
1
1
1
2000
2200
4000
6000
60000
80 000
160000
320000
Hell
tot in wenigen Min.
n
n
n
tot nach
n
lebend
n
n
24
48
St.
Dunkel
tot nach 6 St.
lebend nach 24 St.
die Hälfte tot nach 48 St.
alles lebend
»
n
n
n
n
n
n
n
n
8. Dichlortetrabromfluoresce'in.
Chlor im Phtalsänrerest, Brom in den Besorcinresten substituiert.
Farbe der Lösung: gelbrot. Fluorescenz: gelbgrün. Absorption in
Losung 1 : 100000: von Mitte gelb (11,8) bis Mitte grün (13,7).
Trüber Tag.
Konzentration
Hell
Dunkel
1 : 2000
tot sofort nach dem Ansetzen
tot nach 20 Min.
4000
» n n r r
lebend
nach 48 St.
: 100000
tot nach 2 St.
V
r n
^
: 200 000
n n *^ V
•n
n rt
: 300 000
n n " »
r
n n
: 400 000
7
,,
V n
: 600 000
lebend „ 24 ,,
n
V w
9. Dichlortetrajodfluorescein.
Chlor im Phtalsänrerest, Jod in den Besorcinresten substituiert.
Farbe der Lösung: dunkelrot. Fluorescenz: moosgrün mit Linse in
iSonnenlicht. Absorption in Lösung 1:100000: von Mitte gelb (11,3)
bis Anfang grün (13,0).
436
XXVI. TaPPEINBB Q. JoDIiBAUSR
Trüber Tag.
Konzentration
HeU
Dunkel
1:12 000
tot alsbald nach d. Ansetzen
alles tot nach 24 St.
1 : 20 000
n n r n n
die Hälfte tot nach 24 Si
1 : 30 000
n n n n n
alles lebend nach 24 St.
1 : 200 000
tot nach V^ 8t.
n V n n
1 : 400 000
1 : 800 000
1 : 1 600 000
1 : 2 000 000
« n ^ U rt
2
die Hälfte tot nach 7 St.
» n w j?
»1 « w r
n n rj n
n n Tf n
1 : 3 000 000
alles lebend nach 24 St.
r* n r) n
10. Tetrachlortetrajodfluorescein.
Chlor im Phtalsänrerest, Jod in den Besorcinresten sabstitniert
Farbe der Lösung: bläulichrot. Fluorescenz: mit Linse in Sonnen-
licht goldgrün. Absorption in Lösung 1:100000: von Mitte gelb (11,3)
bis Anfang grün (12,8).
Trüber Tag.
Konzentration
1
1
1
1
1
1
1
1
1
1
1
1
1
1
20000
30000
40000
60000
200 000
400 000
800 000
1 600 000
2 000 000
3 200 000
4 000 000
6 000 000
8 000 000
10000000
Hell
tot sofort nach dem Ansetzen
n
n
n
n
7?
n
tot nach
n
n
n
n
rt
?•
•77
lebend
n
7?
77
77
77
77
77
7?
V, St.
77
77
77
1
2
3
4
4Va
5
15
24
77
7?
7?
77
n
77
77
77
n
Dunkel
tot nach ^/^ St.
7> 7? 16 „
die Hälfte tot nach 24 St.
alles lebend nach 48 St.
77
77
77
77
77
77
77
»7
?•
7?
77
77
77
7?
77
77
77
7*
77
77
7?
77
7?
71
77
7?
77
7?
77
77
77
77
77
77
77
77
77
77
Die Fluoresceinsubstitutionsprodukte besitzen alle starke Photo-
d y n a m i e I eine Zusammenstellung der Intensität derselben ist im 3. Ab-
schnitt enthalten. Bei den rot gefärbten StofiPen sieht man, daß der
FarbstofiP etwas in die lebenden Paramäcien eindringt, indem sich die-
selben rosa färben. Ln Momente des Absterbens nimmt das Eindringen
des Farbstoffes sehr rasch zu.
11. Tetrabrom fluoresceinäthylester.
Farbe der Losung: gelbrötlich. Absorption in Lösung von 1 : 100000:
12,6 — 14,5. Fluorescenz: grün.
über die Wirkimfif der photodynamischen (flnoreflcierenden) Stoffe etc. 437
Konzentration
Trüber
Hell
Ta^.
Dunkel
: 26 000
: 100000
; 200 000
; 400 000
: 600 000
tot nach 20 Min.
. . 2V, St.
„ „ 5 St.
tot nach 40 Min.
die Hälfte tot nach 24 St.
alles lebend nach 24 u. 48 St.
w » r? n
n 7? n n
12. Dichlortetrabromfluoresceinäthylester.
Farbe der Lösung : rosa. Absorption in Lösung von 1 : 100 000 :
Yon 12,8 — 14,8. Fluorescenz: goldgelb.
Trüber Tag.
Hell
tot nach 4 Min.
Konzentration
1
1
1
1
1
1
26 000
100000
200 000
400 000
1 000 000
1 500 000
n
n
10
4V,
St,
Dunkel
tot nach 10 Min.
45
n „ 2 St.
alles lebend nach 48 St.
n
n
Die Fluoresceinester haben starke Lichtwirkung.
13. Tetraäthyl-Bhodamin.
Die beiden Hydroxyle der Eesorcinreste sind durch die Gruppe N(C2H5)g
ersetzt; basischer Farbstoff, als Chlorid untersucht.
Farbe der Lösung: rotgelb. Absorption in Verdünnung von 1 : 50000 :
im Anfang von grün (12,1 bis 14,2). Fluorescenz: gelb.
Konzentration
1
1
1
1
2000
4000
5000
10 000
Hell
tot nach 8 Min.
« » V« st-
n „IV« st-
lebend nach 24 St.
Dunkel
tot in 10 Min.
„ „ 3 St.
lebend nach 24 St.
>5
n
rt
Konzentration
1 : 2000
1 : 5000
1:10000
1 : 20 000
14. Tetraäthyl-Rhodaminäthylester.
Basischer Farbstoff, als Chlorid untersucht.
Heller Tag.
Hell Dunkel
tot sofort
tot nach 10 Min.
1
1
1
1
1
30000
60000
70000
100000
160000
»
n
25
n
tot nach 2 Std.
lebend nach 6 St.
24 «
w
>?
ebenso
tot nach 1
St.
W » ■*'
„ „ 2
„ « 4
lebend nach !
V, St.
n
24 St.
n
n
n
n
«
»
n
>j
n
Die Khodamine haben mäßige photodynamische Wirkung.
438
XXVI. Tappbineb n. Jodlbaübb
Gruppe des Anthracen.
CH
CH
Anthracen.
Die fluorophore Funktion wird dem zwiflchen den zwei Benzolkernen
gelagerten Ringe zugeschrieben.
Die zur Untersuchung gelangten Anthracenderivate sind zwar seihst
keine Farbstoffe, sondern nur Stammsubstanzen von solchen, sollen aber
wegen der nahen chemischen Beziehung zur Fluoresce'ingruppe hier an-
gereiht werden.
15. Anthracen-a-monosulf osaures Kali.^)
Schön kristallisiertes, in Wasser sehr schwer lösliches Salz. Flno-
rescenz lebhaft blauviolett.
Trüber Tag.
Konzentration
1:10 000
1:20 000
1 : 40 000
Hell
tot nach 5 St.
Dunkel
lebend nach 48 St
1
1
1
1
16. a- Anthracendisulfosaures Natron.
Gelbliche Lösung; fluores eiert schwach blauviolett.
Trüber Tag.
Hell
tot nach 2 St.
m ..Um
Konzentration
2000
4000
8000
16 000
n
1 : 32 000
die Hälfte
alle yt
alle lebend
7
6
48
48
n
Dunkel
lebend nach 48 St.
17. /?- Anthracendisulfosaures Natron.
Gelbliche Lösung; fluoresciert stärker als vorige.
Heller Tag.
Konzentration
Hell
Dunkel
1 : 2000
1 : 8000
1:16 000
die Hälfte tot nach 4 St.
alle „ „ 7 „
die Hälfte „ ^ 7 ,
alle „ „ 48 „
alle lebend „ 48 „
lebend nach 48 St.
ff
ff
1) Robert £. Schmidt, Ber. d. D. ehem. Gesellsch. 37 S. 66.
über die Wirkung der photodynamischeu (flnorescierenden) Stoffe etc. 439
Entsprechend der stärkeren Fluorescenzhelligkeit ist die Lichtwirkong
schwacher.
18. Dichloranthracendisalf osaures Natron.
Die gelbliche Lösung flaoresciert bei Verdiinnung lebhaft violett.
Heller Tag.
Konzentration
Hell
Dankel
:75
sofort tot
alle lebend nach 48 St.
:200
tot nach 10 Min.
j?
:1000
. . 15 n
n
:5000
n « 25 „
»
20000
n n 45 „
ff
40000
» » 1 St.
n
: 100000
1 1/
«
200 000
n « 12 n
ff
400000
n » 16 »
ff
1 000 000
. . 26 „
ff
: 2 000 000
die Hälfte tot nach 26 St.
ff
Die photo dynamische Wirkung dieser Substanz
sehr große.
Grnppe des Acridins.
CH
ist
eine
Acridin ist ein Anthracen, in dessen mittlerem Kohlenstoffringe eine
CH-Gruppe durch ein Stickstoffatom ersetzt ist. Dieser mittlere Bing
ist ohne Zweifel auch der Fluorophor.
19. Salzsaures Acridin.
Die gelbe Lösung fluoresciert blau.
Acridin und sein Derivat Metbylphosphin wurden bereits von 0. Baab
untersucht. Es folgen hier noch einige Werte zum Vergleiche ''der am
selben Tage angestellten Versuche mit den folgenden beiden Derivaten;
sie sind unter Eisenoxydulvorlage angestellt.
Heller Tag.
Konzentration
1:2000000
i
1:5000000 I
1:10000000;
Hell
tot nach 3 St.
ff
ff
4
9
ff
ff
Dunkel
lebend nach 48 St., noch in
Konzentration von 1:30000
440
XXYI. TaPPEINSB tt. JODLBAUEB
20. Salzsaures Chrysanilin.
Aus dem Phosphin des Handels 3 mal umkristallisiert.
Die gelben Lösungen fluorescieren grün.
Konzentration
1 : 2 000 000
1 : 5 000 000
1:10000 000
1 : 20 000 000
Hell
tot nach 5 St.
V4«
alle lebend
die Hälfte tot
n
n
9
9
9
36
Dunkel
lebend nach 48 St., noch in
Konzentration t. 1:750000
21. Salzsaures Benzoflavin.
Dem vorigen isomer.
Die gelbe Lösung fluoresciert grün, stärker als vorige.
Konzentration
1 : 1 000 000
1:2500 000
1 : 5 000 000
1:10 000 000
Hell
tot nach
1
St.
9
» .
n
4
7i
n
n
9
n
»
>'
%/
»
Dunkel
lebend nach 48 St., noch in
Konzentration v. 1:150000
Die Licht Wirkung aller Acridinderivate ist eine außerordent-
lich hohe.
Grnppe des Phenazins (Azine).
N
Phenazin.
Von dieser Base leiten sich mehrere wichtige schon fluoreseierende
FarbstoffTamilien ab.
22. Phenazinchlorid.
Das in Wasser mit schwach grünlichgelber Farbe sohwer lösUche
Salz zeigt mit Linse in Sonnelicht sehr schwache grünblaue Muorescens.
Konzentration
Hell
Dunkel
1:100000
tot nach
%
St.
Die Hallte tot nach % St.;
alle nach 24 St.
1 : 200 000
«
n
1
ff
Die Hälfte tot nach 24 St. ;
ebenso nach 48 St.
1 : 400 000
w
Yl
2
ff
Alle lebend nach 48 St
1 : 800 000
ff
r
5
ff
ff
1 : 1 600 000
ff
n
7
ff
ff
1:2400000
ff
n
8
ff
ff
über die Wirkung der photodynamischen (fiapresCi^renden) Stoffe etc. 441
23. Diamidophenazin Chlorid.
Die mäßig geibrote Lösang fluoresciert mit Linse im Sonnenlicht
sehr deuiGch feurig rot. Absorption: ßcbmaler Streifen im Bot.
Sehr heller Tag. Eisenoxydnlvorlage.
Dunkel
bereits in Kodz* van: i
1 : 2000 lebend nach 24 St.
Konzentration
Hell
1:40000
tot nach ^/^ St. . .
1:120000
» « ' •■■ »• ■
1 : 200 000
n «2 f,
1:400000
- » 3 n
24. Dimethyldiamidotoluphenazinchlorid (Toluylenrot^
Neutralrot).
Die sehr lichtempfindliche karmoisinrote Lösung zeigt mit Linse, im
Sonnenlicht schwach orangegelbe Fluorescenz. Absorption in Lösung von
1:20 000: von Ende gelb (12,5) bis ins Ultraviolette.
Konzentration
Hell
Dunkel
: 20 000
tot nach wenigen Min.
tot nach 1 St,
: 40 000
n
1» 1» " n
: 90 000
n
lebend nach 24 St
: 200 000
tot nach Vft St.
n ■ "
: 400 000
n n ^ n
n
: 800 000
n n 3 „
n
: 1 200 000
» n 36 „
1 600 000
lebend nach 36 ^
25. Phenosafraninchlorid.
Die rote Lösung zeigt mit Linse im Sonnenlicht deutlich grünlich-
goldgelbe Fiuorescenz. Absorption in Lösung von 1 : 100 000: von Ende
gelb (12) bis zum Violetten.
Konzentration
1 : 5000
1:10000
1:15000
1 : 200 000
1 : 400 000
1 : 800 000
1 : 1 000 000
Kell
tot nach 3 St.
9
lebend n. 9 St. ; tot n. 36 St.
lebend nach 36 St.
Dunkel
tot nach 3 St.
lebend
n
9
24
26. Tolusafranin (Safranin T des Handels) (Merck).
Die rote Lösung des Chlorids zeigt mit Linse im Sonnenlicht gelbrote
Fiuorescenz. Absorption: schwacher Doppelstreif bei 12,8 und 14,5
(Form an ek).
DeiiUches Archiv f . klin. Medizin. LXXX. Bd. 29
4tt
XXVI. TAPPBOriB '«. JoiHAt.Tns
Konzentration
Hell
Dunkel
10000
tot naeh ^ St.
40000
—
lebend nach 48 St
: 200 000
tot nach 3 St.
n
: 400 000
n » ö n
»
: 800 000
lebend n. 9 6t ; tot n. 36 St.
91
: 1000 000
lebend nach 36 St.
n
27. Rosindulinchlorid.
Die rote Lösnng zeigt direkt wahrnehmbare gelbe Fluoresoenz. Ab-
sorption in Lösung von 1 : 25 000 : von Anfang grün (12,0) bis ins
Violette.
Dünkel
ebenso
n
trage sich bewegend n. 3 St.
tot nach 5 St
lebend nach 24 St
Konzentration
Hell
1:40000
1 : 1^0000
1:»0000
1 : 400 000
tot nach 5 Hin.
1 : 800 000
1:1600000
1:2400000
die Hälfte tot n. 7 St.;
alle nach 18 St
die Hälfte tot n. 8 St. ;
Die träge sich bewegenden Tiere sind deutlich rosa gefärbt
28. Phenylrosindalintrisulfosamres Natron (Asokarmin).
Die rosa Lösung zeigt mit Linse itt Sonnenlicht sehr schwachen,
grünlichgelben Kegel. Absorption in Lösung von 1 : 25 000 : von An-
fang grün (12,0) bis ins Violette.
Konzentration
Hell
Dunkel
1 : 2000
1 : 20 000
1 : 40 000
1
tot nach 5 St
lebend nach 48 St.
lebend nach 24 St
Färbung der Tiere nicht deutlich zu bemerken.
29. Hägdalarot (L. Durand, Huguenin & Co.).
Die roten Lösungen des in Wasser schwer lösliphen Chlorids haben
gelbrote Fluorescenz. Absorption in Lösung von 1 : 25 000 : yoa £ an
bis Ende von Grün (16,0).
Konzentration
Hell
1 : 50 000
1:100000
1 : 150 000
1:200000
Die lebenden Tiere sind rosa gefärbt.
tot nach ^/^ St.
■ IV
*/ 8
lebend « 48
Dunkel
tot nach 4 St.
Vft tot nach 24 St;
lebend nach 24 St.
ebenso
über die Wirkung der pfaotodynamiflchen (flnorescierenden) Stoffe etc. 445
30. Salzsanre« Naphtylrot.
(Magdalagrappa)
Die rosa gefärbte Lösung zeigt direkt gelbe Flnoreftoens. Absorption
in Losung von 1 : 25 000: im Grün (12,8—15,8).
Konzentration
1:40000
1:100000
1 : 200 000
Hell
tot nach ^/^ St.
2
91
n
1:400000
1 : 800 000
Die lebenden Tiere sind rosa gefärbt.
n ft ^
lebend nach 48
Dunkel
tot nach ^/, St.
die Hälfte tot nach 9 St.,
alle nach 48 St.
lebend nach 48 St.
31. Aposafranin.
Die rote Lösung des Chlorida zeigt mit Linse im Sonnenlicht
schwache, aber deutliche rosarote Flnorescenz. Absorption in Lösung
1:10000: von
i D
— ins Violette.
Konzentration
Hell
Dunkel
1:20000
tot nach 2 St.
ebenso
l:d0000
» rt ^ n
'/^ toi imeh 9 St.
1:60000
w §
n u Iß w
1 : 80 000
/ 4 » fi ^ n
ebenso • 24 „
alle lebend „ 24 „
1:100000
alle lebend „ 48 „
n
32. Fluorindindisulfosaures Natron.
Die neutrale violette Lösung hat sehr starke braunrote Flnorescenz.
Absorption in Lösung von 1:25000: 4 Streifen, 1. Von Anfang Rot
— Mitte Hot (8,5), 2. von D bis Mitte von Gelb (11,1), 3. im Anfang
von Grün (12,1 — 13,2), 4. sehr schwach im Ende von Grün (14,6 bis
15,8).
Konzentration
1:200
Hell Dunkel
alle lebend nach 48 St. ebenso
Die Tiere zeigen keine Färbung.
Von den sonst durchgehends starke Lichtwirkung be-
aitsenden Phenazinen macht dieser letzte eine auffallende Aus-
nahme, indem er wenigstens im zerstreuten Tageslichte keiae deutliche
Photodynamie aufweist.
Gmppe des Pbenoxazins (Oxazine).
NH
0
Phenoxazin.
29*
444
XXVI. TaI*P£IM£J^ Q, JODLBAUKft
Die Stammsabstan^ selbst wurde, weil iii Wasser za schwer löslich^
nicht untersucht, hingegen mehrere als Farbstoffe sehr bekannte saare
und basische Derivate.
33. Nilblau A.
Die blaue Lösung des Chlorids zeigt mit Linse im Sonnenlicht
einen schwachen rubinroten Kegel. Absorption: Hauptstreif 8,2, Neben-
streif 9,9 [Formtoek].
«
Eisenoxydnlvorlage, sehr heller Tag.
Konzentration
Hell
-
Dunkel
1 : 200 000
1 : 600 000
1 : 2 000 000
1 : 4 000 000
1 : 8 000 000
tot nach
n n
'/, St.
1 n
2 „
3 n
4 „
tot nach 1 St.
1) » 3 „
» „ 24 ,
lebend „ 24 „
n
34. Resorufin.
Dasselbe löst sich in Alkali mit rosaroter Farbe und direkt wahr-
nehmbarer starker feurigroter Fluorescenz. Absorption in Lösung von
1 : 100000 von D— b, Hauptstreifen bei D.
Konzentration
Hell
Dunkel
1 : 2000
_
lebend nach 24 8t.
1 : 200 000
tot nach 4 St.
V
1 : 800 000 •
» n 5 n
»
1 : 1 000 000
die übrigen lebend n. 24 St.
n
1 : 1 400 000
ebenso
n
1 : 1 800 000
alle lebend nach 48 St.
♦»
Färbung der Tiere nicht wahrzunehmen.
35. Fluorescierendes Blau.
Ammoniaksalz des Tetrabromresornfins.
Braunrote Paste, welche in Wasser mit rotvioletter Farbe und
grüner Fluorescenz löslich ist. Absorption: 2 Streifen, 1. im Ende von
Rot bei 9,2—9,9, 2. nach D von 10,2—10,7.
Dunkel
tot nach 4 St.
alle lobend nach 48 St.
Konzentration
Kell
1:200
•
1 : 2000
tot nach 1 St.
1 : 20 000
w n ^ »
1:30000
V r " »»
1 : 40 000
'In
alle „ 36 „
n
Die Phenoxazine haben s t a r k e , teilweise sehr starke Licht-
wirkung.
über die Wirkung der photodyBamischeB (flaorescierenden) Stoffe etc. 445
Gruppe des ThiodiphenylaiDins (Thiazine).
NH
' . T
Thiodiphenyhimin.
36. Methylenblau,
Dieses in Wasser mit blaner Farbe lödiche Chlorid zeigt mit Linse
im Sonnenlicht rote Fluorescenz. Absorption in Lösung J : 20 000 :
das ganze Bot und den Anfang toü Gelb — 11,0 auslöschend. In
it&rkerer Verdünnung 2 Streifen: 1. bei 7,5, 2. .bei 9,3.
Eisenoxydulyorlage, sehr heller Tag.
Konzentration
Hell
Dunkel
: 60 000
: 180 000
: 350 000
: 800 000
: 1 600 000
tot nach 1 St.
n. j» 2 „
n ■ r, n n
37. Thionol.
tot nach l^g
« . 15
, « 24
lebend „ 24
*
n
n
Die violette Lösung in Alkalien zeigt mit Linse in Sonnenlicht
feurig braunrote Fluorescenz. Absorption in Verdünnung 1:100000:
Hanptstreifen bei D (9,2 — 10,2) und schwächerer Streifen von 10,7
bis 11,9.
Eisenoxydulyorlage, sehr heiler Tag.
Hell Dunkel
Konzentration
1
1
1
1
1
200 000
600000
1 200000
3 000 000
4 000 000
tot nach V« St.
V
2V
tot nach 24 St.
lebend nach 24 St.
38. Dehydrothiotoluidiüsulfosaures Natron.
• ■ • ■ ■
Ist Stammsubstanz der Farbstoffe Thioflavin (grüne Fluorescenz) und
Primulin (blaue Fluorescenz);. ihre gelbliche Lösung fluoresciert schön
blau. Dehydrothiotoluidin erzeugt nach Mitteilung des Herrn Prof.
G. S c h ü 1 1 z bei Vieleii Personen . (Laboranten) Hautausschläge.
446
XXYL Tappidob il Jodlbaüsb
Konzentration
l : 20 000
1:40000
1:100000
1:150000
1 : 200 000
MittelheUer Tag.
Hen Dunkel
tot nach l^g St. j alles lebend nach 24 St.
n
V
n
2V,
4
7
fi
n
die Hälfte tot nach 9 St.
n
n
I»
IXe Derivate des Thiodiphenylamina haben größtenteils starke
Lichtwirknng.
ChiBoIlnfarbfltdire (KtsdeDBierte Chinoline).
39. ChiBoliiirot.
Chemisch reines Pri¶t. Die rote Lösung zeigt starke feurigroto
iluorescenz und ist lichtempfindlich. Absorption: Hauptstreif 12 J,
Nebenstreif 15^0 [Form&nek].
Konzentration
HeU
Dunkel
1:200000
tot nach 4 St.
sehr lebhaft ntfoh 4 St.,
1:300000
» » s „
[II. tot , 22 ,
It n » 4o „
alle lebend ,| 24 ^
1 : 400 000
. V.0
« . 24 „ .
,»»
40. Ghinolinblau (Cyanin). AbscNrption bei 8,55 [Formänek].
1. Präparat von TrookapplatUnfabrik vorm. O. Perutz.
Trüber Tag.
Konzentration
1:24000
1 : 60 000
1:100000
1:150000
1:200000
HeU;
SQ&Mrt tot
tot nach 10 Hin.
blaugeförbti aber noch leb-
haft n. V, St., tot n. 1 Si.
tot nach 2 7, St.
alle lebend nach 24 St.
Dunkel
ebenso
Konzentration
2. Präparat von E. Merck (eis purissimum bezeichnet).
Di^el
1
1
l
1
1
1
100000
150 000
200000
250000
300000
400000
1:500000
HeU
tot nach V« St.
n
w
n
n
2
4
die Hälfte tot nach 30 St.,
alle nach 36 8t.
lebend nach 48 St.
tot nach V, St.
n
ff
2
6
5
die Hälfte tot nach 24 St.,
. aUe. Bach 42 St. .
lebend nach 48 St.
über die Wirknng 4» j^hotodyMunuch«!! (flnoreacierenden) Stoffe etc. 447
Dieser K&rper aeigt in einer! Terdünntan gerade Booh blau erschei»
nenden Löanng im Bogenlicht oder Sonnenlicht ontArsnoht eine aohwache,
kupferrote Flnorescensi die nur zam Teile auf diffuser Beflexion an
feinsten nngdöst gebliebenen Teilchen beruht. Außerdem zeigt er im
Eisenfnnkenlicht eine Fluorescens ifn breohbaxtai Teile von 440 — 350 fift
(nach H. Lehmann). Die Lösungen sind sehr liehtempfihdlioh und
zwar bleichen sie um so rascher ab, je yerdünnter sie sind, gleichzeitig
geht die Fluorescenz zurück. Durch dieses optische Verhalten sind die
PacamicienTersuche erklärbar. Die LSeongen mitÜerar Yerdürmung haben
eine merkbare, wenn auch nicht große photodynamische Wirkung, weil
sie flnoresoieren und infolge der laagBamereD Zersetzung diese Eigen-
Schaft bis zum Tode der Param&oien bewahren» Die sehr yerdftnnten
Losungen, die sich rascher zersetzen, zeigen keine photodynamische Wir-
kung, weil ihre Fluorescenz zu früh erlischt.
n. Substanzen mit Absorption im violett resp. ultraviolett.
Ni^hthalingroppe.
Sämtliche Körper wurden als Natronsalze untersucht.
41. a-Naphtoltrisulfosäure. I. 3. 6. 8.
Fluorescenz: schwach grünlichgelb.
Mäßig heller Sommertag (Eisenoxydulvorlage).
Konzentration
1:100
1 : 400
1 : 1000
Hell
flsst sofort tot; Zerfall nach
5 Min.
tot nach 4 St.
7
Dunkel
ebenso; ZerfioU n. 20 Min.
lebend nach ä8 St.
Zusatz von 0,9 7o Natriumkarbonat erhöht die FLuoresoenz; die
Photodynamie hingegen nicht merklich.
42. /}-Naphtoltrisulfos8ure. 2. 3. 6. 8.
Fluorescenz: grünlichgelb.
Mäßig heller Sommertag (Eisenoxydul vorläge).
Konzentration
1:100
1:200
1:500
HeU
tot nach 6 St.
7
lebend „ 36 ^
Dunkel
ebenso
lebend nach 36 St.
Nach Zusatz von 0,2% Soda, welcher die Fluorescenz erhöht:
1:200
1:500
alles tot nach 6 St.
n 24 „
die Hälfte tot nach 6 St.
alle lebend nach 24 St.
448
XXVI. TaPFBIWCB B. JOMiBAITBB
'48« .2. 5. ABiidonaph.tol'*7-iiiouosalfo8ftare.
Flaor^oetiz: violett.
KonzeiitFatioa
1 : 200
1:400
1 : 1000
Hell .
■
tot nach 4 St.
Dunkel
n
■«/ •
alle „
7 '
«24 ^
/;
In den abgestorbetien Param&cien sind dib Kerne intensir gefl^rbt:
44. a-Naphtylamind'iaulfos&ure. S.
FlnoreBcenz: gesättigt (frün.
Wolkenloser Sommertag (Eisenoxydnlvorlage).
Konsentration
1:200
1:400
1 : 1000
1 : 2000
Hell
tot nach 4 St.
lebend \ 48 „
Dankel
lebend nach 48 St.
45. /f-Naphtilamindisnlfösänre 0»
Finorescenz : schön blau.
Konzentration Hell Dunkel
1 : 200 tot nach 5 Hin. ebenso
1:500 „ „ 10 „
l : 1000 die Hälfte tot nach 94 St. alle lebend nach 24 St.
•
Die bedeutend größere Giftigkeit der /f-Säure ist be-
merkenswert.
46. Naphtionsänre.
Fluorescenz: scliön blau.
Heller Tag.
Konzentration
Hell
Dunkel
:200
tot nach 3 St.
alles lebend nach 48 St.
:400
800
ilOOO
.1500
:2000
•
V ff ^ n
7
Q
n
p
•
*
47. Naphtsultan 2. 4. disulfosäure.
Fluorescen
Lz: grün.
Heller Tag.
Konzentration
Hell 'n -■ * Dunkel
1 : 100
tot nach 12 St. ' ' lebend nach 48 St;
1
:1000
» n 36 n
it
Ober die Wirkung der p&otodynamiBchen (fluorescierenden) Stoffe etc. 449
Die photo dynamische Wirkuir.g dör Naplitalinderivate ist
schwach, einige. lasB^ii, wenigstens im zerstreoiben Tageslicht Tpn n^ig'er
Helligkeit gar keine Wirkung erkennen* ' * : *
48. Tetraamidoatilbencfalortir/
Konzentration
1
1
1
1
1
1
5000
10000
20000
40 000
80000
1 20 000
Hell
' . sofort tot
tot nach 1 St.
4
» w " n
die Hälfte tot nach 9 St.
alle lebend nach 24 St»
Dunkel
ebenso
r
' r
r r)
'. r
Die Substanz, die ich Herrn Dr. Espales verdanke,' fluoresciert
lebhaft violettblau und ist erheblich giftig. Es ist daher wobl anzunehmen,
daß sie^ in die Paramäcien eindringt. Dennoch zeigt sie keine Photo-
dynamie. Die Ursache ist zum guten Teile die Zersetzung der Lösung
im Lichte zu braunen, viel weniger - giftigen ^;id nicht mehr fluprescieren-
den Stoffen. Dieselbe vollzieht sich um so rascher, je verdjönnter di«
Lösung. Eine 5 Tage dem Tageslichte exponiert gewesene Xiösung 1 ; 30 QOO
zeigte sich bereits nicht mehr giftig. Infolge dieser raschen Zersetzoirg
^esp. Entgiftung der Lösungen mittlerer und scfawsKsher' Konzentration
im Liebte kann die allenfaller vorhandene photodynamische^irkung völlig
kompensiert worden sein; ^
• - " •
49. 2^-Phenylchinaldin-Ghlorid.
Schön blau flnorescierender Körper.
Konzentration
Hell
Dunkel
: 10000
tot nach 1 St.
ebenso
: 30000
lebend nach 48 St.
: 100 000
tot nach 4 St.
•
. 500 000
Yl » >1
» 1
1000000
9
—
. 2 500 000
die Hälfte tot nach 9 St.
: 6 000 000
V^ tot nach 9' St. '
.
Die Substanz hat sehr starke Lichtwirkung. Sie wurde von
0. Kaab (a. a. 0.) nicht erkannt, weil er nur stark konzentrierte, noch
zu giftige Lösungen untersuchte.
Konzentration
1 : 60 000
1 : 80 000
1 : 100 OOÖ
50. ChininBulfat. / . .
Hell I Dunkel
tot nach 1 St. ebenso
„ „ 3 „ 18 Tiere tot nach 3 St.^
2 lebend, aber nur me^r
rollend
18 Tiere tot, 3 lebend nach alle lebend nach 8 St.
8 St.
450
XXyi. Tappbdieb vl Jodlbaubb
1:80000
1:100000
Chimnsolfftfc -(- 0,5 Pros. NatriaBichlorid.
alles tot nach 8 St: '/^ tot nach 3 St.
4 tot, 6 lebend nach 8 8t | alle labend nach 8 St.
51a. Gbininbisnlfat.
51b. Chininbi8ulfat + 0,5%
Natriumacetat.
Beide Varanehe im Hellen, znm Vergleich der Wirkongsändening
dnrch den SalzSeasats.
1 : 60000
1:80000
1 : 100000
tot nacb IV« 8t.
^/j tot und bereits stark
serfallen nach 8 8t.
8
/j tot nach 1% St.
% n » 3 „
'/^ tot aber bedeutend weniger ser-
fallen nach '8 8t.
Die photodynamisehe Wiirknng der Ohininsalse ist
sehr seh wach;' dnrehZnsatB tob Kochsalz oder essigsanrem
Natron, wodorch die Flnorescens znrüdkgeht, wird sie noch weiter
Termindert
^ Bei den CbininbisnlfatTersitehen *in Yerdünnong yon 1 : 100 000 ohne
Aeetaiznsats Varen die nach 8 Stunden noch Übrigen lebenden Paramicien
iünrericennbar wehiger gesehidigt, als in den Proben mit Acetat, dafür
ab^ 'waren in diesen die toten weniger aerfaüen. Dies erklärt sich wohl
darauf, dafi die toten, stark - zerfallenen Individuen das Chinin ganz ab-
sorbt^ri hatteh, so daß die noch lebenden geschützt blieben. Baf&r
spricht auch die Beobachtung, daß die Chinin Wirkung bei dem Rest der
lebenden auch in den nächsten 12 Stunden keine Fortschritte mehr machte.
53. Hydrastininchlorid.
Fluoreaoenz : blau.
Konzentration
Hell
1:8000
f
j
1:16 000
1 : 200 000
tot nach 6 St.
1 : 400 000
die Hälfte tot nach 5 St.
1 : 600 000
% tot nach 24 St.,
1 : 800 000
alle tot nach 36 St.
laoooeoo
alle lebend nach 48 St.
Dunkel
tot nach 24 8t.
lebend nach 24 St.
IHe Substanz hat starke Licht wir kuugp.
I
n
53. Harmalinchlorid.
Fluorescenz: indigoblau. Die Zahlen sind der U. Mitteilung von
0. Kaab entnommen.
Dunkel
ebenso
tot nach 48 3iiii.
tot nach mehr^^n Stunden
Die photodynamische Wirkung ist gut ausgebildet.
Konzentration
Hell
1:20000.
1:40000
1 : 60 000
tot nach 20 Min.
n . 1 St.
über die Wirkung der photodynamischen (flnoresciereuden) Stoffe etc. 451
.54. Aesculin.
Fluorescenz: bläalich. Wolkenloser Sommertag. fiisenoxydulvorlage»
Konzentration
Hell
Dunkel
1:500
1 : 750
1 :1000
yif^ + nach 48 St.
^/o -f nach 48 „
lebend nach 48 St.
lebend nach 48 St.
r
n
n
Die Substanz zeigt eine Spur von Lichtwirkung.
B. Yersueke an anderen Protoxoen.
Dieselben hatten den Zweck sich darnber zu orientieren , ob
aach anderen Klassen zugehörige Protozoen auf photodynamische
Substanzen reagieren, wie das zu der Klasse der Ciliaten gehörende
Paramaecium caudatnm. Versuchsobjekte waren die Rhizopode
Amoeba proteus und eine im Mangfallquellwasser von Professor
Emmerich aufgefundene ztichtbare Flagellate, welche von Dof-
1 e i n als Bodo saltans oder dieser, sehr nahe stehende Form be-
stimmt wurde. -Die Untersuchung geschah in analoger Weise wie
bei Paramaecium caudatum und ergab, daß auch diese Tiere in
analoger Weise durch die photodynamischen Sub-
Stanzen in ihren Bewegungen sistiert, getötet und
zum Zerfall gebracht werden, weit ftüher im Hellen
als im Dunkeln.
Bei Amoeba proteus sieht man alsbald, wie die Pseudo-
podien Stück für Stück langsam eingezogen und neue Fortsätze
nicht mehr ausgesandt werden. Im nunmehr kugeligen Gebilde
ist zunächst noch Kömchenströmung wahrzunehmen, später hört
auch diese auf Die schon vorher bemerkbare Tingierung durch
den einwirkenden Farbstoff wird nun sehr deutlich und schließlich
sieht man das Tier zu Detritus zerfallen. Wenn 4ie photo-
dynamische Substanz in sehr großer Verdünnung zugebracht war,
sind die Tierchen am Schlüsse iter ersten -Exposition "woM «i fert-
satzlosen Kugeln zusammengezogen (in einzelnen Fällen vielleicht
auch encystiert), am nächsten Morgen aber findet man sie wieder
Pseudopodien ausstreckend und bewirkt dann erst die zweite Ex-
position ihren Tod und Zerfall.
Bei Bodo saltans bemerkt inan wie die eigentümlichen
sprungweisen Bewegungen sich alsbald massigen, dann vollkommen
aufhören und das kleine Gebilde schließlich durch Auflösung völlig
aus dem Gesichtsfelde verschwindet.
452
XXVI. TaPPBINER 11. JODLBAÜBR
« 1
• 1
A
moebft Proteus.
Heller Tag.
• ,
Snbstan2
Koiizen-
1 trati^u
Hell
Dankel
•
-
Eosin
1:2000 bew
esn
anfifslos n. 2 St., zer-
tot nach 22 St.
1
• I fallend n. 4'/, Sl , . .
„ 1 : 20,000 beweguiigpBlos n. 3 St., zer- ' " lebend nach 48 St
I fallend n. 24 St.
Tolasafranin 1 : 50,000 bewegnngslos n. 1 St., zer- znr Kngel zusammengezogen.
. fal^d n. 24 St jedoch noch Kdrnchenstromnng
und einzelne Pseudopodien
* 1 . zeigend. nach 24 St.
^ ,1:80,000 bewegungslos n. VL St^ lebh. Pseudopodienbewegung
{ zerfallend 1i. 24 Std. ' na;ch 24 St.
„ l:200,000lbewegnng8los n. 2 St, zer-. dö.
. . . fallend u. 24 St.
Ohinolinrot 1:20,000 bewegungslos n. 2 St., anch'Psendojybdienbewegnn^ nach
>nach48St.war.keiuePs(eudo-! 12 St, tot nach 24 St
.podien mehr zu beobachten.
: 40,000 bewegungslos n. 3 St., auch lebh. Pseudopodienbewegung
nach 48 St war. keine Pseudo-i nach 24 Std.
!podien mehr zn beobachten
: 5000 bewegungslos n. 1 St, auch gute Pseudopodienbewegung
nach 48 St. war. keine Pseudo- nach 1 2 St ; kugelig mit ein-
i podien mehr zu. beobachten zelnen Fortsätzen nach 24 St
: 10,000 noch Pseudopodien n. 24 St' lebh. Pseudopodienbewegung
. ; 1 nach 24 St.
Chininsulfat 1 : 1000 . 10 StOck kup^eli^, ohne alle mit Pseudopodien-
Fortsätze, zirei mit Pseudo- bewegung nach 24 St
podienbewegung nach 24 St.
1
Dicbloran- 1
thracendisul-
fosaures
Natron ' 1
- -
«
Bodo saltans.
J . .
Trüber Tag.
•
. .Bosin '
,1:1000
tot nach V« St.
T>
1:5000
n n ^ n
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•1 : 10.000
n r ^ »
n
1 : 20,000
« n . *• r
♦I
1:40,000
7
Pheno-
1 : 50,000
tot nach 1 St
saf ranin '
«
n
1 : 200,000
4
n
ll:4a),0ii0
4
«
11:600,000
n n ^ r» . .
Dichloran-
1:400'J
tot nach 1 St.
tbracendisul
• * - •
-
fosaures
1 0
" '
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'l:40,0a)
7 t
• X r • * »
n
1 : 1<X),000
ri r 3 „
r>
1 1 : 200,000
n n . " n .
alle lebend nach 24 St.
Tiele- lebend nach 6 St
-einzeln nach 24 St.
. alle lebend nach 24 St.
alle lebhaft "nach 24 Si,
r
r
über die Wirkimg der photodynamischen (fliiorescierenden) Stoffe etc. 453
. II. AbsGhiiitt. Wirkung auf Enzyme, insbesondere auf fnvertin.
Die in neuerer Zeit wieder in den Vordergrund tretende Aufr
fassungy daß die Lebenserscheinungen in der Zelle wenigstens zum
Teil eine Funktion enzymartig wirkender StoflFe sind, gaben die
Veranlassung, das Verhalten der „lichtwirkenden Stoffe" zu En-
zymen in den Kreis der Untersuchung zu ziehen. Es ergab
sich in der Tat, daß viele photoolynamische^ Stoffe auf Diastase,
Invertin, Papayin und Trypsin eine ähnliche Wirkung ausüben,
wie auf Infusorien.') Wir haben in der Folge zunächst das Invertin
einer umfassenden Untersuchung unterzogen und alle bei Para-
mäcien untersuchten Stoffe auch an ihm geprüft. Ausschlaggebend
für diese Wahl war in erster Linie die bequeme Bestimmungs-
methode. Das Invertin hat bekanntlich die Eigenschaft den die
Polarisationsebene rechtsdrehenden Rohrzucker in die rechtsdrehende
d-Glukose und die linksdrehende d-Fruktose zu spalten. Da nun
die Fruktose stärker nach links dreht, als die Glykose nach rechts,
so geht die Rechtsdrehung mit fortschreitender Spaltung des Rohr'
Zuckers fortwährend zurück und schlägt schließlich auf die linke
Seite über. Eine Rohrzuckerlösung von 5'7o in einem Dezimeter-
rohr z. B. gibt eine Drehung von -\- 3*^ 18'; nach vollständiger
Invertierung, welche indes auch bei sehr lange fortgesetzten Ver-
suchen bekanntlich nie ganz erreicht wird, eine solche von — 0^ 52 *.
Der Verlauf des Fermentationsprozesses kann daher sehr bequem
und scharf durch das Saccharimeter nach Aufkochung und Ent-
färbung der Lösung durch eben ausreichenden Zusatz von Tier-
kohle verfolgt werden.-) Das Invertin war von E. Merck be-
zogen, seine Lösung oder genau bezeichnet, seine durch anhaltendes
Schütteln erhaltene feine Aufschwemmung von 0,05 — 0,1 auf 100
1) Vorläufige MitteiluDgen über die B erstgeuannten £iiZ3'me sind ent-
halten in den Dissertationen von Stark, Tillmetz und Rehm, München 1903.
2] Hierzu diente ein Halbschattenapparat nach Laurent von Schmidt und
Haensch. Der Unirechnnng der abgelesenen Drehung in g resp. ^/q des ge-
bildeten Invertzuckers wurden die Bestimmungen von Lippmann zugrunde
gelegt. Hiernach ist «d des Invertzuckers bei 20° = — 21,4 oder 1 g Invert-
zucker in 100 com Wasser gelöst, gibt in einem Dezimeterrohr eine Drehung
von — 0,214. Da femer « d der Saccharose = + 66,6 oder 1 g Saccharose iu
100 ccm Wasser gelöst in einem Dezimeterrohr eine Drehung von + 0,665 gibt^
80 wird durch die Entstehung . von lg Invertzucker aus lg Saccharose die
Drehung um 0,879 verschoben. Die Differenz zwischen der Drehung vor dem
Invertierungsprozesse und der bei den einzelnen Versuchen abgelesenen Drehung
durch 0,879 dividiert, muß also den Invertzuckergehalt geben.
454 'XXVI. Tappeihbb n. Jodlbauer
Wasser wurde jedesmal frisch bereitet. Sie hält sich bei Zimmer-
temperatnr 3—4 Tage ohne wesentliche Abnahme der Wirksam-
keit; meist wurde zur Konservierung Toluol zugesetzt
Die Versuche kamen nach zwei Anordnungen zur Ausführung.
Sei Anordnung I wurde 0,05 Invertin in lOccm Wasser aufge-
schwemmt, zun&chst mit 90 com 5^/o RohrzuckerlOsung vermischt
und in dünner Schichte in zwei Reihen von Flaschen oder Erlen-
meyer'schen Kolben gleicher Form und Größe verteilt, von denen
die einen durchsichtig, die anderen undurchsichtig resp. entsprechend
verdeckt waren. Je ein Paar dieser GIftser bekam einen Zusatz
der zu prüfenden Substanz. Im durchsichtigen Glas war deren
eventuelle photodynamische Wirkung, im undurchsichtigen die
eventuelle chemische Einwirkung (hemmende oder befördernde) auf
die Invertierung festzustellen. Zur Eruierung des Lichteinüusses
allein war ein Paar solcher Gläser ohne Zusatz mit Sacdiarose-
Invertinlösung gefüllt. Sämtliche Paare von Gläsern wurden ah
«iner hellen Stelle des Laboratoriums unter sonst gleichen Be-
dingungen (insbesonders Temperatur) dem ringsum einwirkenden,
zerstreuten Tageslichte ausgesetzt.') Nach 6 oder 8 Stunden er-
folgte die erste Entnahme von Proben zur Bestimmung der In-
vertierungsgröße. Nach der folgenden Nacht und einer weiteren
Exposition im ganzen also nach 22 Stunden, die zweite Entnahme.
Bei der zweiten Anordnung wurde zunächst die Invertinlösung von
0,1 ^/o ohne Zuckerzusatz in die zwei Reihen von durchsichtigen
und undurchsichtigen Gläsern verteilt und zu jedem Paare ein
Zusatz der zu prüfenden Substanz gemacht und beide Reihen dann
dem zerstreuten Tageslichte exponiert. Von Zeit zu Zeit wurden
Proben entnommen, mit 10 % Rohrzuckerlösung vermischt 15 Stun-
den im Dunkeln stehen gelassen und die Invertierungsgröfte polari-
metrisch bestimmt. Die Proben aus den durchsichtigen Gläsern
1) S. Schmidt-Nielsen (Hofmdster's Beitrfige zvn ehem. Phjfdol. und
Pathol. 5, S. 357) findet diese Versachsanordnnng mit dem Fehler behaftet, daß
die Gefäße nicht mit planparallelen Wänden verschieden nnd ans Glas bestanden
liätten, infolgedessen ihnen für lichtbiologische Fragen nur geringe Bedentiuig
beigemessen werden könne. Diese Vorwürfe sind ind«8 völlig nnbegründet. Da
•die Versuche in zerstreutem Tageslichte gemacht worden, ist sowohl die Fona
der Gefäße, vorausgesetzt, daß sie in den zusammenhängenden Versuchen die
gleiche ist, von keiner wesentlichen Bedeutung, als auch die Verwendung von
Glas zulässig, da jener Teil der minderbrechbaren ultravioletten Strahlen, der
von der Atmosphäre nicht absorbiert wird, bekanntlich auch dftnnwandiges Glas
2U durchdringen vermag.
über die Wirkung der i^otodynamiflchen (fliiM^acierenden) Stoffe etc. 455
ergaben den Einfloß der in PrflAing stehenden Substanz im Hellen
die Proben ans den dnnkeln Gläsern den Einfluß im Dunkeln. Ein
weiteres Paar von Gläsern nur mit Invertinlösung gef&Ut und
sonst analog behandelt, diente zur Feststellung des Lichteinflusses
allein.
Die nach beiden Methoden erhaltenen Resultate sind in den
folgenden Tabellen niedergelegt. Dieselben zeigen folgendes:
1. Auf Invertin photodynamisch wirksam erwiesen
sich folgende Gruppen von Substanzen: Die Fluore-
seeine (mit Ausnahme des Fluoresceins selbst und der gechlorten
Verbindungen) die Gruppe des Anthracens, die Gruppe
des Thiazins und die Chinolinfarbstoffe. Unwirksam
hingegen sind die Derivate des Phenazins (mit Ausnahme des
Phenazins selbst und des Phenosafranins) , der Phenoiazine, die
Naphtalingruppe, die Alkaloide Phenylchinaldin, Chinin, Harmaün
und Hydrastinin und das Glykosid Aesculin. Diese im Vergleiche
zur Wirkung bei Paramäcien große Einschränkung beim Invertin
ist sehr auffallend und sicherlich bei einer später auszubildenden
Erklärung der photodynamischen Wirkung von großer Bedeutung.
Vorerst kann darauf nicht eingegangen werden, da die in Arbeit
befindliche Untersuchung anderer Enzyme, speziell des Trypsins
abgewartet werden muß. Es sei daher nur vorläufig bemerkt, daß
bei diesem Enzyme eine Einschränkung wenigstens in diesem Um-
fange nicht vorhanden zu sein scheint.
2. Der Einfluß der genannten photodynamischen Substanzen
auf Invertin nach Anordnung I untersucht, ist regelmäßig geringer,
als nach Anordnung n. Es greifen somit die photodyna-
mischen Substanzen das in Wasser aufgeschwemmte
„ruhende^ Enzym viel stärker an resp. schädigen das-
selbe bis zur fast vollständigen Aufhebung seiner
Wirkung viel leichter als das mit Zuckerlösung ver-
setzte tätige. Dasselbe gilt für den Einfluß des
Lichtes allein. Derselbe war nicht bemerkbar beim tätigen
Enzjrme in Übereinstimmung mit den Untersuchungen von 0. Emm er-
lin g^); deutlich merkbar jedoch beim untätigen Enzym, in dem
die Wirkung des Invertins aus dem durchsichtigen Glase in ex-
tremen Fällen bis zu 25' bei der Invertierung zurückbleiben kann.
Infolgedessen ist die Bestimmung des Vorhandenseins photodyna-
mischer Wirkung bei Anordnung II nicht so scharf wie nach An-
1) Ber. der Deutsch, ehem. Gesellsch. 1901, 3811.
456
XXVL Tappeiker n. Jodlbaüeb
Ordnung I, denn erst Drehungsanterscfaiede von mehr als SO'
zwischen den Portionen ans hellem und dunklem Glase sind be-
weisend.
3. Zur Entfaltung der photodynamischen Wirkung
genügen sehr kleine Mengen. Bei dem besonders daraufhin
untersuchten Eosin und Erythrosin ist sie noch in millionenfacher
Verdünnung zu erkennen (s. Tabelle III).
4. Die Verminderung resp, die nahezu völlige Auf-
hebung der Wirksamkeit, welche das Invertin durch
die photodynamischen Substanzen erfährt, ist eine
anhaltende. Invertin, das durch Eosin + 12stöndiger Licht-
exposition so weit geschädigt war, daß beim folgenden Invertieruugs-
versuch nur mehr 11 7o Invertzucker gebildet wurden, erlangte
auch nach ötägigem Stehen im Dunkeln seine Wirksamkeit nicht
wieder, während Invertin ohne Zusatz gleich lang exponiert und
Invertin + Eosin von Anfang an im Dunkeln gehalten dieselbe
nahezu unverändert behalten hatten (§. Tabelle IV).
5. Der Einfluß der untersuchten fluorescierenden
Substanzen auf das Invertin im Dunkeln ist verschieden.
Ohne wesentlichen Einfluß ist z. B. die Fluoresce'ingruppe, hemmend
wirken z. B. salzsaures Dimethylphosphin, Phenosafranin , Apo-
gafranin, Safranin T, befördernd z. B. salzsaures Acridin, Dichlor-
anthracendisulfosäure.
Tabelle I.
Substanzen mit selektiver Absorption im sichtbaren
Teile des Spektrums (Farbstoffe).
Anordnung I.
Gruppe des Flaoresce'in. Natrousalze. (Trüber Wintertag.)
Ohne Zusatz
Fluorescein 0,05%
Dich lorfluorescein
Tetrachlorfluorescein
Dibromfluorescein
Dauer der
Expo-
sition in
Stunden
inkl. der
Nachtzeit
Drehung
hell dunkel
Gebildeter
Inrertzucker
in g (in %)
heU 'dunkel
Be-
merkungen
8
22
8
22
8
22
8
22
8
22
+ P10'
— (y^ 10*
1+ l^O'
I— 0« 8'
+ 1° 05'
j+ü«
4- 1^ 22'
+ P 10'
— 0« 10'
+ 1«4'
— 00 09'
+ POÖ'
— 0«
10 25'
--00 5' ;+00 8'
-- 10 20' 1+10 05'
— 00 06';— 00 12'
2,1(50)
3,6(86)
2,3(55)
3,6(86)
2,2(52)
3,4(81)
1,9(45)
3,3(79)
1,9(45
3,5(83)
'2,1(50}
3,6(86)
2,2(53)
3,6(86)
2,2(52)
3,4(81)
1,8(43)
3,3(79)
2,2(52)
3,7(88)
ÜW die Wiiknng: der pbotadynimiMihen (lhiorefci«renden) Stoffe etc. 457
DiiDer der
Expo-
■iboB in
SuiDdeD
inkl. der
Nachtzeit
n«i.™„. Gebildeter
MI donkel "> 8: <«> "o)
hell dunkel
Bemerkang:en
Tetrabromflnoiescein
Dijodflnoresceln
Tetiajodflnoresceln
Diehlortetrabromflnoresc.
DichlortetrajodilnorMcefn
8
22
8
22
8
22
8
22
8
22
8
22
4-l*80'Ul''0' 1
-0»06' — 0"20' i 1
■f l»25'4-l*[to l -,■>
-0»03' — O«!» sgi,
-l'iO'+l'OS 1 oO'
.o«oa' — o»aoi jssi
■ V22-+l»l(y\ 1 oft
-o»oö' — ons ee
-O»01'U0''2O 1 891
■flMS'+l-O u4 3 50
■f cor — 0*19'3,-liÖli3.HiJl
Hdler 6oHB»(ag.
Ohne Znsat2
Eoein
Eiythronii
B ■+l''18'-t-I''19',2 (44)'a (44)1
22 — 0»44' — 0» 44''4,3(9G) 4,^(96)
6 i+ l'>fil':+ 1'20''1,7(3Ö ,1,9 42),
22 !-j-0»28' — 0"40'.2.9(&l)'4.1(9iy
6 :+ 2» 16' + 1" 19' ,0,9 120;; 1,9 (42)1
22 ,-i-l»20',-0»44'!l,9(42)|4,2(94)!
Grappe des AnthracenB.
Ohne Zosats
»ares Satron 0,05 ■»/,
I. Versnch
8
22
8
22
+ 1<'25
— 0»05
+ i«a5'
-0«05'
+ I" 15'
-0«25'
1,6(38)'
8,5(83)1
1,8(43)2,0(48)
3.51831,3.9193),
+ l''28'.4-l<'08'1.7(41i|2,l(5ü)
— OOOS'I— 00 20',3,6(86),3,8l9Il
Gruppe des Acridina.
Dlme ZoaaU
Acridin 0,05 •/„
Sduanres Dimethjlphos-
phin 0,05
ä
22
6
22
6
22
4-l«3Ö'i+l"3ü'
-0<'30'|-0»32',
+ l»01'|+l°15'l
- 0" 30' - 0" 30''
4-l"30'M-l»31'|
öebUdeter Tovert-
zncker ist nicht be-
rechnet, weil kein
Unterschied «wiscli.
Hell 0. Dunkel.
Ohne Znutz
Phenada in CIH ?elOBtdnnn
neutralisiert 0,001"/.
Diamidopbenazincblorid
0,001 \
Pbenosatranincblorid
0,01"/,
Areliiv f. klin. Hedizi
1+ l'S.V
■2»11'-
-2« 12'
- 0" 27' -
-eil'
-2»0' -
rl'öö'
-cir-
r0"12'
-2'B5'-
■ 2"Ö0'
h2''5ü'^H
r2«50'
LXXX. B
XXYI. Tappbikbb n. Jodlsaubb
PbettosafraniDcblorid
0,001 •/,
SatTMiinT 0,001%
BMindnlinchlorid 0.001"/,,
Salzs. Naphtjlrot 0,001»/»
AposafranincUorid 0,001
Stunden
inkl. der
NachtEeit
Drehnni^
hell dnnkel
Gebildeter
lüTertzncker
in e (in '/»)
beU danbel
2*5' -j-
O'ao'iX
2<»I2'I
2«10',
+ 0»26''
Vbb-
0«I8'
2<'10'.
0«27'
--li>40';4-
O'Ol'
0«21'i
2« 13'
0»22'
S'lO'l
0»24'
1»65';
0»18'|
2''W
0»28'|
l°3ö'
0»0*'|
Gruppe der Thiaiine.
nppe der ChinolinfarbBtoffe.
Ohne Zusatz
6
+ 0<'32
-|-0''36'2si
7 j,7(65)
22
— 0*29
■> -1,0(95
Mit 0,0075 •/„ Chinolinrot
e
4-1" 12
+ 10 06' 2.1 J
s l:2(ö2
1 H,5(83'
Ohne Znaati
8
+ l'lffi
,-' J,3(55'
22
— 0»20
- 0» 21' 3.S ■
1 ::.8(9i:
Mit 0,002»/, Cyanin
8
-|-1''20
-t-i^ao-i;!
.-. 1,9(46
H:i.6(&H)
Anordnnng IL
I FUoreacein (Na
Fluoresceln 0,05 »o
Dichlorfluorescein 0,05 ",'o
Dibromfluorescein 0,Ü5*/o
Te t rabromflii oresce'i D
0,05 »/o
Dijodfluoresceiu 0,0ö"o
3 H
-0»65' +
6 -
-0*67'-
33
- 1''26'-
6 1-
-0»67'-
33 1-
-1140',-
3 -
-I^'IO'H
6 -
-1''22'!-
33 ■-
-rsö''-
3 :-
- 1» lO' -
6
33
-IMO',-
3 ,-
-1"5Ö',-
6 -
- 2" lO'i-
3 -
- 2» m--
6
r3'>02',-
3
- '2° 35' -
« H
- 2' 50' 4
■ 1
0»45
O^Si 2
1»27
0»52
l'ä
0»5«
1"15
10 27
CöO
l'lö
1 3o
0 oC
0"4o
CöO-
0»51
0»4o
0*47
D e AbnabiDC to
\\ knnenadidinu
In gen EipositiOB
Uärt a h iuer
in allen folgen
% erauchM »u
Zei^etmng des
1 nnentes beim
1 ngeren leben.
0 \[b « fiOji
OS 17|2 9 62\
0 ill|2y|b2)
Ober die WirkmiK der photodynanuBchen (ftnoresderendea) Stoffe etc. 459
Daaer dei
Expo-
sition in
TeH^'odflnoresceiQ 0,00%
Dtchlortetrabromflnores-
cein 0,05»/,
Dicbl ortetra jodflnorescela
0,06 •/„
Tetnchlortetrajodflnores-
Mln 0,0ö«',
0«45'|0^ (6) 12,9162)
0» 53- ,0,1 (2) 2,8(60)
0«58'0,3(ti) ,2,7(57)
0»67'0,3 (6) 2,7(57)
■l'O' U,l (2)!2,6(6ö)
■00 60'0,1 12) 13,8(60)
O^öö-Ua (6) '2,7(57)
■1''0' |0,1 (2) [2,6(56>
Grnpp
des Anthracen.
intlmcen a ■ moDOBolfo-
uum EftU 0,01 %
Mores N»tron 0,05%
ö H
57 -
9 -
57 -
6? 1:
■Ö*3Ö';--(y20'3,2(Ö)^i:M(7ai
-2M5'-i-2<'0' il,2(a; 1„->(H2)'
-l'O- +0"S5'2,6(5.->-t.3,l(Öi)
-2» 56'- -2»05'O,4(B)|l,4(:Wi
-l»32',--0»15'2,0(43i|3,6[7ö)|
• 3' 10';4-1»48' 0,15(3 |l,7(36)|
Gruppe des
Acrid
ns.
Ohne Zusatz
3ä
-hl-Sö'
+ r?^-
Saiiianrea Äcridin 0,05 %
33
- O'Oä'
— 0«04'
DisBoziert in der
taut daher etwas
aoB, beftirdert den
InTertiernnzsproieß
33
+ 2<»50'
+ 2''50'
Uenmt sebr stark
0,05%
bell nnd dnnkeU
le).
Pbenaiin in wenige t'lE ,
gelöst, elwaa sauer rea-
gierend 0,06%
Axocarmin 0,05%
Salis. Diamidophenaziu
0,06%
Ohne Znsatz
Tolnilenrot 0,01
0,01 %
0,01 %
Obne Znsatz
Pbenosaphranin 0,01 "L
0,005%
+ 0"30'|-|-
O'IO'.— 0''32'!3,677)
£« 45' + 0« 34- 0,6(13)
l'iO'H
hl"11
20 10'.-
■'?f>V?.
1" 15'i-
■ l"l|-
■ IMS
1M5''.
-l^'O'
l«2ä-:-
-i«av
0°ö3'-
.i)»4ö
l»5ö''-
-PftÖ
1«35"-
-10 25
1(6813,3(70)
l,5(32i Saixsanrea Pbenazin
4,4^94) befordert im Dun-
" ' "" kein den Tnvertie-
mugsprozeß.
3;i(
H-aoC '+2''0' 1,5 132) 1.5(32)
4-3<'10- + 3°16'0,2(4) 10,1(2)
-fa^O- 1+200' 0,3(6) 1,5(32)
Hemmt scbon in
0,01% sebr stark
ancb im Dnnkelu
den Invertiemngs-
XXVL Tafphku n. JoDiAAtm
Dftoer der
Expo-
ntioft in
Snuden
iokl. der
Kachtzeit
Ohne Znmtc
Apoaatratun 0,006%
Bouüdnlin 0,006"/.
Naphtjlrot 0,005%
Ohne Zosatc
Phenylfinormdin mit
gelOat
kdl dmkel *" K "" *'•
-1»46'
i-2«20'
-l'ÖO'
-PK'
4-1» 42'
2» 18'
+ ]»46'
+ 1«&5'
1«&0'
-i-i»i5'
+ 1*35'
1"30-
4-1» 36'
+ 1»56'
-i-I'Oß'
+ 1«37'
+ 1« 12'
+ 1M2'
lohne TidnolniMli.
Verliert Mine
nnoreseeau bd Ib-
Tertiozngmbe. bt-
fSrdert (wohl in-
folge der SSnren).
Olnie TdIooI.
Grnppe
des Phe
DOXkl
in.
Ohne ZuaalE
33
■f l»26'
hl'O-
Ohne Toiuol.
33
33
-0»20'-
-0*20'
-1*0'
0,026 ■/.
Nilblw 0,01%
33
■floiS'
I-10 46'
Ohne ZuMtB
9
-0°30'
-0<»21'3,-J;(58)'3..1r7(iV
67
-2" 15'
-2»0' 2:: 11)) ■>(;.. 10;
Methylenblau 0,05%
9
-2"0ä'-
-1« 56' 1,1 . Willi ;l4i M. vertniudcrt in
67
-2*'55'-
-2<i56'C.-l ^ij (Uli)) l0,Oä% den I]lTe^
Ohne Zumts
33
- 1»55'.-
-l»55''lt; :U. l,6(;Mltierunifspnw«Uwd»
Ifcöiylenblm 0,08%
33
-2o45'|-
-a-O' Ot: l3,l,5(;-)2; ira Dunkeln. In
0,01»/:
67
-3n8'-
-PlO-j iiK) 2,4(51)1 O.Oö". Löamur
0,001%
67
- 3« 18' -
-loU'i ,,(!, 2,4iön dringt en wem«
Ohne Znsatz
9
-0»30'-
-0"2r.3,L'i-.8,S,3(7i)l Licht ein. Ver-
67
+ 2«15'-
-2<'0' 2.;; m ifi^bö) dünntpre Lr.>uni:fn
zeigen die photodr-
namische Wirktag.
ThlonolO.OOÖ'omitNaOH
9
-O»12'-0«32'|4,0(8ö)4,4(94)
Der Verench Btt*>
gelöst; dann nentrati-
67
+ 2«35' + l»32''0,8(n)|a,O{43
fiert
verUef in dendtoi
1
Weise.
Chin
olinfar
bstoffe.
Ohne Zusatz
13
■f l'Sö'H
hl^ÖÖ' 1,6(34)
1,6(34)
Hemmt anchOnntel
33
- 2" 40' 0.3(6)
3,7(15*
Stark den Inver-
Ohne Zusatz
33
-0«53'-
-00 45' 2,8(00)
2,9(62)
tiernnge)irozelL Ei
Chinolinrot 0,005%
-2'10'i-
-l''.30'iM28)
2.1(46;
wird dadurch m
Chinolinrot 0,0025%
33
-1«55'-
■ 1° W 1,6(31]
2,4(ftll
loher Eonzentratian
Ohne Znsatz
33
- 1" 25',-
die Lichtwirknn«
i-'TWun 0,0075%
Ohne Zusatz
33
-2<'32'-
.20 30-1
9
■1"0' ;-
rl^a' 1
33
■ O'ib'
C janin OflOb\
9
-2«30'-
■ l->bT
33
■l-2«10'j^
über die Wirkung 4ur flM>tod7B«aiaebe& (fluoreackrenden) Stoffe etc. 461
Tabelle IL
Sabstanzen mit Absorption im Violett
resp. Ultraviolett.
Anordnoiig L
Dauer der
Expo-
sition in
Stunden
inkl. der
Nachtzeit
Drehung
hetl
dunkel
Bemerkungen
Ohne ZmatB
/^-Naphtoldisulfosäure 0,06%
Amidonaphtolmonosulfos&ure
0,05%
Natrinmnaphtionat 0,05%
yaphtsultan 0,05%
Ohne Zusatz
Chininnm sulforicum 0,05%
Salzsaures Harmalin 0,05%
Ohne Zusatz
Aesculin 0,05%
8
22
8
22
8
22
8
22
8
22
8
22
8
22
8
22
6
22
6
22
1+
+ 10 30'!+
4-10 28' +
— 0« 12' —
+ P30'-|-
-0®05' —
+ V 10' +
-00 08' —
-f-2^0* •
-|-0«12'--
4- 2«38'--
+2O20'--
4-l»30'--
-00 30' —
+ 1^0' ;+
- 00 30' —
10 35'
0"05'
l^W
00 06'
10 28'
00 12'
10 30'
00 06'
10 10*
00 08'
20 13'
10 12'
2*0*
00 15'
20 35'
20 18'
10 30'
00 32'
0^59'
00 32'
Bel5rdert den Prozefi
im Hellen o. Dunkeln.
Befördert den In-
vertierungsprozeß im
Hellen und Dunkeln.
Anordnung II.
Ohne Zusatz
^-Naphtoltrisulfosaures
Natron 0,05 o/o
Ohne Zusatz
Amidonaphtohnonosulfosäure
0,050,0
/^-Naphtylamindisulfosäure
Natriumnaphtionat. Ofiö%
Naphtsultan 0,05 oL
/-Phenylchinaklin \^0b\
Salzsaures Harmalin 0,05 o/^
Ohne Zusatz
Chininnm sulfurie. 0,05 o/^
„ hisulfuric
Salzsaures Hydrastinin 0,05 o/^
9
57
9
57
33
33
33
33
57
33
33
33
33
33
00 30"
20 15'
00 34'
20 01'
10 31'
00 50'
00 21'
2«0'
00 33'
20 03'
10 12'
PO'
+ 00 10',+ 00 10'
+ 10 31'!+
+ 10 30'+
— 00 12' —
— 00 24'i—
+ 20 55' +
— Pöö'
— 00 25';
--00 25'
--10 40'
10 17'
10 20'
00 22'
00 32'
20 48'
10 55'
00 25'
00 25'
10 40'
Fördert den In-
vertierungsprozeO im
Hell und Dunkel.
Diflsoziert in der Fer-
mentl. u. föllt z. T. i^us.
Hemmt auch im
Dunkeln sehr den In-
yertierungsprozefi.
Fördert im Hellen und
Dunkeln den
Inrertierungsprozeß.
462
XXVI. Tappbinbb n. Joolbauer
Tabelle HL
Wirkung aaf das Invertin mit Abnahme des
Zusatzes der photodynamischen Sabstanz.
Tetrabromflaorescein.
(Nach Anordnung I.)
Dauer der
Expo-
sition in
j Stunden
I inkl. der
Nachtzeit
Drehung
heU
dunkel
Ohne Zusatz
I
Mit
100 000
200000
400000
600000
700000
800000
900000
1000000
22
n
n
»
»
r
n
n
n
0»22'
--0«22'
O^SO*
— 0»26'
ܻ12'
— 0*28'
0^00*
— 0»28'
0»02'
0*28'
0*03'
— ©•28'
0«>02'
— Q922'
0»08'
— 0»22'
O^IO*
— 0*23'
Tetrajodfluoresceln.
(Nach Anordnung II.)
Ohne Zusatz
Mit 1:100000
1:500000
1:1000000
57
»
I»
+ PoO'
--3*30'
--2« 50'
--2«or
+ 1*29'
+ vor
+ m2*
+ 1«02'
Tabelle IV.
Versuche bezüglich des Anhaltens der Wirkung.
12 St. belichtete und nicht belichtete Eosin-InTertinlösung wurden ins Dunkle
(Eisschrank) gebracht und 5 Tage hindurch die invertierende Kraft der Lösungen
bestimmt. (Nach Anordnung U.)
Drehung
Oleich nach |
der Belichtung
Nach Stehen im Dunkeln nach Tag
L ~ I 2 i 3
Ohne Znsatz
0,0250/0 Eosin hell
„ dunkel
-f-0"20'
+ 205O'
+ 0«06'
+ 0*22'.
+ 2»5l'i
+ 0«06',
U«16'| + 0«25' -fO«32'
2« 50* 4- 2*56' 4- 2*51'
0» 10* 4- 0® lÖ' + 0® 14'
(ff»
2« 55*
(fU*
III. Abschnitt. Analyse der Erscheinung.
Die hierüber angfestellten Untersuchnngfen haben vorläufig zu
folgenden Sätzen geführt.
1.
Wirknng beruht auf Absorption bestimmter
Strahlen, denn sie bleibt aus, wenn die Strahlen, welche die
photodynamische Substanz absorbiert, vorher abfiltriert werden,
über die Wirkung der photodyn&mischen (flnorescierenden) Stoffe etc. 463
kommt hingegen in nahezu verminderter Stärke, wenn diese Strahlen
zugelassen, alle anderen abgebalten werden.
Zorn ersten Teile dieses Satzes fahren Versuche mit
Strahlenfiltern bestehend aus einer Lösung der ver-
wendeten photodynamischen Substanz. Bereits von
0. Kaab') wurde gezeigt, dafi die Licht Wirkung einer Acridin-
lösung 1:20000 auf Paramäcien durch Vorlage einer Acridin-
I5sung in 4,5 cm dicker Schicht und in der Konzentration von
1 : öOO nicht mehr zu stände kommt Dasselbe gilt fdr Eosin mit
Vorlage von Eosinlösung von 0,05 %. Die hierzu nötige Schichten-
dicke der Vorlage bei verschiedenen Lichtquellen veranschaulicht
folgender Versuch, wobei je drei Tropfen Paramäcienkultur ge-
mischt mit 2 ccm einer Eosinlösung 1 : 1200 in Uhrgläsern zur
Verwendung kamen.
Dicke der yorfire-
Art der Lichtquelle
legten 0,05 •/o Eosin-' Offenes Bogenlicht
lösung in mm • von 25 Ampere,
* I 60 Volt
Zerstreutes Tages-
licht
Sonne (Winter)
6
12
18
Paramäcien
tot nach 2 Standen
n
n
rt
n
4V.
9
n
n
alle Paramäcien
normal lebendig
tot nach 27, Std.
Sterbend nach 9 Std.
(nur m^r rollende
Bewegungen)
etoiBO
tot nach 2 Stunden
n
3
7
n
n
Bewegungen der
Paramäcien träge.
Paramäcien in Eosinlösung 1 : 1200, nur durch Vorlage einer 5 cm
dicken Schicht konz. Kupfersulfatlösung geschützt gegen die strahlende
Wärme, werden durch Zutritt dieser 3 Lichtarten in 1 — 1^/^ Stunden
getöteti "wogegen Paramäcienkultur ohne Eosinzusatz, bei Anwendung
der Kupfervorlage durch solche Beleuchtungen yon . 9 Stunden Dauer
nicht merkbar af&ziert werden.
Der Versuch zeigt, daß bereits die Dicke von 18mm einer
0,05% Eosinlösung genügt, um die Paramäcien von der
photodynamischen Wirkung einer Eosinlösung von 1 : 1200 bei Zu-
tritt von elektrischen Kohlenbogenlicht von 25 Ampfere oder zer-
streutem Tageslicht von 9 Stunden Dauer vollständig zu schützen.
Nur bei Anwendung von Sonnenlicht ist der Schutz noch kein
vollständiger. Analog ist die Wirkung bei Enzymen. Die photo-
dynamische Wirkung einer Lösung von 0,05 7o Eosin oder Magdalarot
1) Münchener med. Wochenschr. 1900, S. 1 und Zeitschr. f. Biol. Bd. 39,
S. 537.
464 XXVI. TAPPBrNBB n. Jo]>lbaüsb
des Handels (Grübler), eiB Gemenge von Dijodflnoresceiii und
Tetrabromdichlorfluorescein, auf Diastase und Invertin wird dnreb
Vorlage einer 0,05 proe. Lösung von Eosin resp. „Magdalarot" in
b — 10 cm Dicke yoUstandig aufgehoben.
Den zweiten Teil obigen Satzes beweisen Versuche mit
Strahlenfiltern, die nur jene Strahlen durchlassen,
welche die verwendete photodynaraisehe Substanz
absorbiert. Bereits von 0. Raab wurde geftmden, dafi die
Wirkung' einer Acridinlösnng nicht wesentlich vermindert wird,
wenn das zutretende Licht eine Lösung von schweSrisanrem Chmin
passiert hatte, die ultravioletten Strahlen also auBgescI^iItet und
die äußeren violetten abgeschwächt worden waren.
In welcher Weise die photodynamische Wirkung von Eosin
und Chinolinrot, deren verdünnte Lösungen im wesentlichen nm*
grüne Strahlen zwischen Wellenlänge 540 und 486 absorbieren,
durch Licht, das Strahlenfilter verschieetener Art passiert beein-
flußt wird, zeigt die Tabelle auf f(dgender Seite.
1/16 Pftrsmäeten bCTsnden ncn im nängcndeii Tr Optra oder rat Uiir*
gkM, der Eintritt d«8 Todes iit in Standen angegeben.
Von Strahlenfiltern wurde verwendet: Wasser in 3 cm Scbichten-
dioke, das einen Teil der infraroten Strahlen absorbiert, konzentrierte
KnpfersulfatlösuDg in 9 cm Dicke, welche die infraroten, roten, orange-
roten und gelben Strahlen (bis ungefähr zur Wellenlänge 550 fjifi) ab-
sorbiert; konzentrierte PSkrinsäurelösung ron 1 em Dicke, wMche von
Blau (477 fifi) an bis in das äußerste TTItraviolett absorbiert^}; eine
Mischung von 1 Teil einer gesättigten Lösung von Kupfersulfat -f~ Pikrin-
säure mit 2 Teilen konzentrierter KnpfersulfatlösBng in 3 cm Dicke,
welche nur grüne Strahlen (vollkommen von 560 — 490 fifi) durchlaßt. Kon-
troli versuche ergaben, daß Paramäcien im Dunkeln in Ghinolinrotlösnng
I : 100 000 5 Stunden, in Eosinlösung 1200 24 Stunden am Leben blieben.
Die Tabelle zeigte daß der Tod der Paramärien bei jenen
Vorlagen am frühesten eintritt, welche nur einen Teil der schäd-
lichen „Wärmestrahlen'' abzuhalten vermögen (Wasser und Pikrin-
sänre). Bei den anderen Vorlagen erfolgt er später und zwar
macht es keinen oder keinen wesentlichen Unterschied, ob dieselben
nur grüne Strahlen oder auch andere sichtbare resp. nltraviolette
Strahlen hindurch lassen.
Daß für die Wirksamkeit einer Eosinlösung die grünen Strahlen
das maßgebendste sind, wurde überdies von 0. Raab auch durch
die Untersnchung in prismatisch zerlegtem Lichte erwiesen«*)
1) V. Hü bei, Die Dreifarbenphotographie. Halle 19(^ S.1S9.
2) a. a. 0,, S. 538.
über die Wirkung der photodyBamigchen (flnofescierenden) Stoffe etc. 465
Art des Strahlenfilters, Tod der Paramäcien
\ und der
in Stunden
Art der Lichtquelle
Konz,
Kupfer-
Snbstans
Ohne
Sdürn
Wasser
3 cm
Kupfer-
sulfat
Sem
Pikrin-
säure
1 cm
suiiai-f-
Pikrin-
sänre
3 cm
Zerstreutes Tageslicht.
Chinoünrot
1:100000
ist. iv^st.
1
2 St.
2 St.
2V«St.
»
Eosin
1:1200
ist 1 „
IVt n
VI,.
IV.,
Sonnenlicht (Winter).
Chinolinrot
1:100000
-^
1 n
2 „
1 „
2 „
n
Eosin
—
1 -
1 „
1 „
1 r
1:1200
1
1
»
Eosin
- ;iV«.
2 „
IV« „
2V. „
1:6000
n
Eosin
- 2 „
2V2 „
2 „
av«.
1:10000
*■
2.
Die Erscbeinang ist indes kein einfacher Absorption s -
yorgang. Zahlreiche Farbstoffe, welche sich durch Absorption
in verschiedenen Teilen des Spektrums auszeichnen, haben keine
photodynamische Wirkung weder auf Paramäcien noch auf Enzyme,
wie die folgenden Versuche dartun.
A. Yersuche an Paramäcien.
Das Eindringen der Substanz konnte meist durch die Giftigkeit oder
znm Teil auch direkt durch die Färbung konstatiert werden.
55. Nitrosofarbstoff: Naphtolgrttn B.
Absorptian: Im Bot und Anfang Gelb ( — 10,4) und toh b, bis ins
IJltraTiolett.
Konzentration
1:200
Hell
lebend naob 24 St.
Dunkel
ebenso
Paramäcienfarbung nicht bemerkbar.
56. Nltrofarbstoff: Pikrinsäure.
Absorption: Blau bis ins ultraviolett.
Hell !
Konzentration
1 : 2000
5000
; 10000
; 20 000
: 40 000
sofort tot
tot nach 5 St.
n n 10 „
n >» 24 „ .
alles lebend nach 24 St.
Dunkel
ebenso
tot nach 12 St.
ebenso
466
XXVL TAPPmiBB n. Jodisauxb
Asofarbstoffe.
57. Yictoriariolett 4 BS.
Absorption in Konzentration 1 : 30 000 Ende ron Bot bis Anfanjr
von Grün (9,2 — 12,5). In Konzentration ron 1:200 sind Paramacien
nach 48 St. in Hell nnd Dunkel normal, nicht gefärbt.
58. Azob ordeanx [By].
Absorption in Lösung 1 : 5000 von D-F.
Konzentration
1:500
1:600
1 : 800
1 : 1000
Hell
tot nach 5 St.
lebend
24
24
n
rt
Dunkel
ebenso
tot nach 48 St
ebenso
59. Azofuchsin S. [By] Absorption in Lösung ron 1 : 1000 von D-&.
Konzentration
1 : 500
1:600
1 : 1000
Hell
tot nach 5 St.
8
lebend
n
24
n
n
Dunkel
ebenso
1»
60. Benzopurpurin 4 B (By].
In Konzentration 1 : 20 000 schwache Absorption im Ende von Grün»
Konzentration
1 : 4000
1:10000
1 : 20 000
Hell
tot nach 3 St.
Dunkel
ebenso
rollend nach 1 St., tot nach . rollend nach 2 St., tot nach
18 St.
lebend nach 48 St.
17 St.
ebenso
Die Paramacien zeigen sich bei allen Verdünnungen gefärbt.
61. Azoblau [B y].
Absorption: geringe zwischen 8,5 — 9, intensivere zwischen 10 bis
13,3.
In Konzentration von 1 : 2000 nach 24 Stunden in Hell und Dankel
lebend, nicht ge&bt. Der Farbstoff scheint nach dem Zusätze der Para-
macien teilweise auszufallen.
62. Diamingrün O.
Absorption im Koten bei 8.
Konzentration
1 : 2000
1 : 3000
Hell
tot nach 4 Min.
lebend nach 24 St.
Dunkel
ebenso
über die Wirkung der photodynamischen (flaorescierenden) Stoffe etc. 467
63. Diphenylmethanfarbstoff: Aaramin.
Hellgelbe LösuDg. Absorption: Im Blauen.
Trüber Tag.
Konzentration
1 : 100 000
1 : 800 000
1 : 1 200 000
1 : 2 000 000
Hell
sofort tot
tot nach 1
St.
n . 10
n
. n 24
r>
Dunkel
ebenso
Triphenylmethanfarbstoffe.
64. Methylyiolett, Gemenge von Penta- und Hexamethyl
pararosanilin.
Absorption von Mitte Rot bis Anfang Gelb.
Konzentration
1:160000
1 : 320 000
1 : 500 000
1 : 700 000
1:1200000
Hell
tot nach Vj^
4
48
St.
n
n
n
1»
n
1/
\
Dunkel
tot nach 2 St
4
8
24
»
alles lebend « 48
n
n
65. Krystallviolett, salzsaures Hexamethylpararosanilin.
Konzentration
1 : 500 000
1 : 700 000
1:1000000
1 : 1 500 000
Hell
tot nach 8 St.
« 8V3
V.
2 ri
1»
9
9
Dunkel
^/, tot nach 24 St.
alles lebend nach 24 St.
»7
Beide Körper scheinen nach diesen Versuchen eine schwache, aber
unverkennbare „Lichtwirkung*' zu besitzen, obgleich sie nicht fluores-
cieren. An diesen Ergebnissen änderte sich auch nichts, als reinstes
salzsaures Hexamethylpararosanilin (von 0. Fischer, Erlangen freundlichst
überlassen) zur Verwendung kam. Die „Lichtwirkung** ist indes nur
eine scheinbare. Die Körper besitzen starke Absorption im gelben bis
orangeroten Teil des Spektrums und außerdem noch ausgedehnte Ab-
sorption im infraroten.^) Es war daher möglich, daß es sich nur um
eine Umsetzung der absorbierten strahlenden Energie in Wärme gehan-
delt habe. Wenn diese Vermutung richtig war, mußte der Unterschied
in der Wirkung zwischen Hell und Dunkel aufhören oder wenigstens
sehr abgeschwächt werden, wenn der Versuch unter Vorlage einer 5,4 cm
dicken Schicht von 7proz. saurer Lösung von schwefelsaurem Eisen«
oxydul erfolgte, welche die sichtbaren Strahlen ungeschwächt durchläßt,
die infraroten aber bis auf 1,2 ^/^ dergesamten Strahlung absorbiert.^)
1) Nach Hans Lehmann, Die ultraroten Spektren der Alkalien. Freiburg
1900.
2) R. Zsigmondy, Wied. Ann. 40, 533.
468
XXYL TATtmanK u. Jomaa.dsb
65
a. K
ry«
tsU
vic
)te
tt
läaenoxydoWtNriage.
Hell
Dunkel
tot nach
4 8t.
tot nach
4 St
«
» 4'/,
II
1
ji
n 4
1'
v, »
n S
^^4
n
V,
»
r>
3 »
alles „
11
5
n
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13
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8
11
'/.
n
»
8 ,
% »
n
24,
M
*U
n
«
24 ,
alle lebend „
48
»
ebenso
Konzentration
1 : 600 000
1 : 700 000
1 : 800 000
1 : 900 000
1 : 1 000 000
1 : 1 200 000
1 : 1 400 000
Die Unterschiede im Dunkeln in diesem Versuche und den beiden
früheren, erklären sich daraus, daß dieser Versuch in einer spateres
Zeit mit einer anderen Generation von Paramäcieo, die gegen die (rift-
Wirkung des Krystallvioletts als solche empfindlicher war, angestellt
wurde. Das Hauptresultat des Versuches, daß die Wirkung zwischen
Hell und Dunkel durch die Eisenvorlage so gut wie aufgehoben ist,
wird dadurch nicht beeinflußt. Wie bedeutend die Umsetzung ron strah-
lender Energie in Wärmeenergie durch eine Krystallviolettlösung ist,
zeigt nebenbei auch folgender einfacher Versuch. Eine der Sonne (März)
ausgesetzte Lösung von 1 : 1000 erwärmte sich in 4 Stunden Ton 18"
auf 37^, eine Lösung von 1 : 10000 an einem anderen Tage in 3 Stan-
den von 19 ^ auf 37 *^, während Wasser unter gleichen umständen das
erstemal nar die Temperatur ron 33,3 ^, das zweitemal eine solche von
33,2 ^ erreichte. Daß die scheinbare Lichtwirkung des Methyl- und Krystall-
violetts in der Tat nur in diesen besonderen Verhältnissen liegt, er-
gaben auch die Versuche mit anderen Körpern dieser Gruppe, in denen
allen kein Unterschied zwischen Hell und Dunkel auftrat.
66. Salzsaures Pararosanilin (Parafuchsin).
Absorption in Konzentration 1 : 50 000 im Ghrim (Ton 10,5 — blau).
In Konzentration 1 : 200 000 von 11,2—13,3.
Heller Tag.
Dunkel
ebenso
V
w
1»
67. Salzsaures Bosanilin (Fuchsin).
Absorption in Konzentration 1:200000 von 11,2 — 13,3.
Trüber Tag.
Konzentration
Hell
1 : 40 000
1 : 80 000
1:160 000
1 : 320 000
tot nach 2 St.
JI » ^ «
alle lebend „ 9 „
Konzentration \ Hell
1 : 1000 |tot sofort nach d. Ansetzen
1:16 000
Dunkel
desgl.
über die Wirkung der i^iotodynaiiiiBchen (flnoresderenden) Stoffe etc. 46 9
HeU
DfDikel
tot nach 2 8t.
tot nach 3 9fc.
lebend „ 48 „
V 4
/2 » n ^ r»
desgl.
«
n
Kcrtizflotratioii
1 : 20 000
1 : 40 000
1 : 50 000
1 : 60 000
68. !PararoBol8äare (Aorin) in neutraler Lösung.
Absorption in Konzentration 1 : 100000: Ende Gelb und Anfang
Grün, 11,7—13,5.
Trüber Tag.
Hell Dunkel
tot nach ^/^ St. ebenso
n n ■*• w
n » * Jl
alle lebend « 9 «
Konzentration
1
1
1
1
1
20000
40000
80 000
160000
320 000
^/^ tot nach 9 St.
ebenso
69. Eosolsäure in neutraler Lösung.
Absorption in Konsentration 1 : 100000 wie Aurin.
Heller Tag.
HeU
tot nach '/^ St.
»11 1 »I
/4 n " «' ••
Konzentration
1 : 40 000
1 : 80 000
1:160000
1 : 320 000
Dunkel
ebenso
»
alle lebend
^2 tot nach 9 St
ebenso
Konzentration
HeU
1 : 2C00
sofort tot
1 : 200 000
tot nach 3 St.
1:400000
n n ^ V
1:800000
V«
If fi ^ n
alle
» , 24 ,
1:1600000
rt
1 : 2 500 000
alle lebend nach 24
70. Malachitgrün.
Absorption: von 8,2 — 10,7 mit größter Litensität bei 9.
Dunkel
ebenso
»
1»
• n
Die bedeutend größere Giftigkeit des Malachitgrüns, es war die
Zinkverbindung, gegenüber seinen ehem. Verwandten ist bemerkenswert»
71. IndigodiBnlfosanres Natron (Indi^okarmin).
Absorption in Konzentration 1 : 100000 von 8,4 — 10.
Eisenoxydul vor läge.
Dunkel
ebenso
tot nach 24 St.
ebenso
tot nach 18 St.
Konzentration
Hell
1:500
1:1000
1:5000
1:20000
tot nach ^/^ St.
n r 1^ »
. . 24 „
470
XXYL Tappeikbb u. Jodlbaubb
Die Yenuche fielen auch bei Wiederholung sehr ungleich aus, bald
waren die hellen bald die dunkeln voraus.
72. Hämatozylln, Farbstoff des Blanholzes.
Konzentration
1 : 2000
1:10000
1 : 20 000
Heller Tag.
Hell
tot nach */^ St.
n
4
9
Dunkel
ebenso
n
n
Die Lösung wird auf Paramäcienzusatz rot
Invertierungsversuche.
Anordnung I.
Azofarbstoffe und Triphenylmethanfarbstoffe.
Dauer der _ ,
Exposition Drehung
in Stunden
1
1
inklusive • , „ ' , , ,
der Nachtzeit! ^^^ dunkel
1
Ohne Zusatz
6
1
4- 00 30' : + 00 33'
22
00 29' , 00 30' !
Azofuchsin 0,05 ^/^
6 + 0« 32'
-1-00 34'
22 ; — 0» 36'
— 00 38'
Salzsaures Rosanilin 0,05%
6 + 2« 08'
- 20 13'
22
+ 10 43'
-10 40'
Ohne Zusatz
6 +10 0' iH
-00 57'
22 a>30'
00 29'
Azobordeaux 0,05%
6
+ 10 02'
-t- 10 03'
22 — 0« 30'
— 00 29' ;
Ilristallviolett 0,05 »/o
8
h 20 28'
f- 20 28'
a
22
-2*25'
-
h 20 25'
0,002%
8
-10 25' H
- 10 25'
22 00 05'
— 00 06' ,
Anordnung II.
1 1
Ohne Zusatz
as 4- 10 31'
+ 10 12'
Naphtolgrtiu B 0,025 %
33 00 05'
1
00 04'
Befördert den Proaeß
auch im Hellen.
Tiktoriaviolett 0,01 %
33 H
h 10 30'
_
h 10 11'
Azobordeaux 0,05%
33
-10 0'
-00 38'
Azofuchsin 0,0o%
33 H
h 10 09'
- 0« 39'
0,01 %
33
-10 09'
-00 51'
Benzopurpurin 0,05 \
33
- 10 52'
- 10 47'
Azoblau 0,05%
33
-10 20'
- 10 42'
„ 0,01 0/0
33 1 -
-00 58' H
-10 0'
Diamingrün 0,01%
1 33
-PO'
- 10 Ol'
Auramiu 0,05%
33
- 10 49'
-10 28'
.Säurefnchsin 0,05%
33
- 00 45'
-00 30'
Ohne Toluolzusatt
Malachitgrün 0,02%
33
- 10 32'
- 10 Ol'
Ohne Zusatz
33 1-
- 00 53'
- 00 45'
Ohne Toluolzusatz-
Kristall violett 0,01%
33
- 10 15'
- 10 25'
n
Ohne Zusatz
57
- 10 58'
- 10 42'
Indigotine 0,05%
57 ^
- 10 20' i -1
-10 21'
Befördert im HeUen
u. Dunkelnd. Prozeß.
über die Wirkung der photodynamiBchen (flaorescierenden) Stoffe etc. 471
3.
Die Erscheinmig wurde bisher ausnahmslos nur an Sub-
stanzen beobachtet, welche anch die Eigenschaft zu
flnorescieren besitzen. Da die Untersuchung sich über eine
sehr große Anzahl von iluorescierenden (63) und nicht fluorescieren-
den Substanzen (32) erstreckt, ist die Wahrscheinlichkeit, daß die
photodynamische Wirkung mit Fluorescenz im Zusammenhange
steht, eine große. Immerhin muß aber hervorgehoben werden, daß
so lange dieser Satz rein auf Erfahrung beruht, und seine Be-
gründung durch die theoretische Analyse der Erscheinung nicht
gefunden hat, die Möglichkeit besteht, daß noch photodynamische
Substanzen gefunden werden, welche nicht gleichzeitig die Eigen-
schaft zu flnorescieren besitzen. Wenn nun die Erscheinung wirk-
lich mit Fluorescenz im Zusammenhange steht, so ist die erste
Frage, istdas ausgesandte Fluorescenzlicht das Wirk-
same?
Zur Beantwortung dieser Frage unternommene spezielle Ver-
suche haben ergeben, daß dies nicht der Fall ist. Setzt man Glas-
rohrchen mit Paramäcienkultur oder einer Enzymlösung gefftllt in
ein enges Gefäß, in welchem sich eine fluorescierende Flüssigkeit
befindet, dem Lichte aus, so daß das Röhrchen von allen Seiten
von Fluorescenzlicht bestrahlt wird, so bemerkt man an den Para-
mäcien oder dem Enzyme keine Veränderung, selbst bei stunden-
oder tagelanger Exposition. Man kann diesen Versuchen einwenden,
daß vielleicht im Fluorescenzlichte etwas enthalten ist, das Glas
nicht zu passieren vermag und daß gerade dies das für Paramäcien
und Enzyme schädliche darstellt. Um auch diesem Einwände zu
begegnen, wurde folgende allerdings nur für Paramäcien ausführ-
bare Versuchsanordnung getroffen. Man füllt die auf dem Objekt-
träger aufgekittete feuchte Kammer mit einer fluorescierenden
Flüssigkeit bis zum Rande. Auf den gebildeten konkaven Meniskus
kann man nun das Deckglas, an dessen unteren Seite ein Tropfen
Paramäcienkultur hängt, so aufsetzen, daß ein Zwischenraum mit
freiem Auge nicht mehr wahrzunehmen ist, die Luftschichte, welche
die konkave Oberfläche der fluorescierenden Flüssigkeit von der
konvexen des Tropfens trennt, also nur minimal ist. Man kann
nun dieses Präparat intensivem zerstreuten Tages- oder Sonnenlicht
von oben und durch Spiegelvorrichtung von unten stundenlang aus-
setzen, ohne die geringste Veränderung an den Paramäcien mit
dem Mikroskope wahrnehmen zu können. Die Versuche wurden
472
XXVL Tapfbuiai «. Jomaiübl
mehlfach mit Eosin, Erythrosin, Ghinolinrot , Dichloranthracen-
disulfosaurem Natron and anderen flaorescierenden Substanzen
aosgef&hrt.
4.
Fär die Tateache, daß nieht das ansgesaffidte Flnoreseefuliebt,
sondern die vom fluoreszierenden Sto£f absorbierte strahlende
Energie das maßgebende ist, spricht femer folgende wichtige fie*
obachtung: In einer Gruppe chemisch verwandter fluores-
cierender Stoffe ist in der fiegel die photodyna-
mische Wirkung um so größer, je geringer die Fluo-
rescenzheiligkeit, vorausgesetzt daß diese Größe nicht unter
ein gewisses Minimum sinkt, weldies praktisdi in der Begel etm
dahin bezeichnet werden kann, daß die Substanz mit kleiner linse
in Sonnenlicht nntersacht, keinen deutlich (farbig) diferenzierten
Lichtkegel mehr gibt. Am schönsten zeigt sich dies in d^
Fluoresceinreihe. Die Fluorescenzhelligkeit nimmt ab, die
photodjnamische Wirkung für Paramäden und Invertin zu in
folgender Reihenfolge:
Giftigkeit fQr Schädigung des
Fluorescenz-
Paramttcien im zer-1 Invertin in Pros.
Substanz
strenten Ta^^es- i (Versuche nach
heUigkeit
licht, jene im
Dunkeln — 1 ge-
II. Anordnung,
bei 3 St.
setzt
Expositionszeit)
Fluorescem
sehr Btark
11
0
TetrachlorflQorescelfn
stark
35
10
Tetrabrorafluorescem
mäßig
60
57
TetrajodflnoresceYn
sehr schwach
80
g9
DkhlortetrabromflaoreBoein
nur mit Linse
im Sonnenlicht
bemerkbar
loO
89
DicblortetrajodflnoresceTn
n
100
96
Tetrachlortetrajodfluores-
n
170
89
ceYn
Sobald aber die Fluorescenz völlig erloschen ist (genaner he*
zeichnet, unter das oben bezeichnete Minimum gesunken ist), hört
auch die Photodynamie auf, so im Tetranitrofluorescein, im Hydro*
chinonphtalein, das sich vom Fluorescein nur durch die Stellung der
Hydroxylgruppen unterscheidet und im Phenolphtalein, in welchem
der Pyronring (die fluorophore Gruppe) gesprengt ist, zugleich ein
neuer Beleg dafür, daß die Erscheinung wirklich mit Fluorescenz
zusammenhängt.
über die Wirkung der photod}iiamischen (fluorescierenden) Stoffe etc. 473
0
FlnoresceYn. Hydrochinonphtalein. Phenolphtalein.
Analoge Verhältnisse ergab die Xanthongruppe, deren
Glieder je nach der Stellung der Hydroxyle sich optisch sehr ver-
schieden verhalten. In der folgenden Zusammenstellung *), die sich
nur auf Paramäcien bezieht, da die Wirkung auf Enzyme nicht
untersucht wurde, erkennt man, daß die photodynamische Wirkung
zunimmt, mit Abnahme der Fluorescenz und aufhört, mit dem
völligen Erlöschen derselben. Interessant ist auch die je nach der
Stellung der Hydroxyle sehr verschiedene Giftigkeit der Dioxy-
xanthone, wenn man z. B. die Konzentrationen vergleicht, welche
im Dunkeln nach 24 Stunden zum Tode fuhren.
CO
CO
OH
0 0 0
1 - Oxyxanthon. 2 - Oxyxan thon. 1 ,3 - Dioxyxan thon.
Alkalische Lösung gelblich, Alkalische Lösung gelb, sehr Alkalische Lösung gelblich,
keine Fluorescenz, keine schwach ^rüne Fluorescenz, ohne Fluorescenz und ohne
Photodynamie. sehr deutliche Photodynamie. Photodynamie. Letale Kon-
zentration 1:20,000.
CO OH
CO
OH
0 0 0
1,6 - Dioxyxanthon. 1,7 - Dioxyxanthon. 3,6 - Dioxyxanthon.
Alkalilösung gelblich, violette Alkalilösuug grünlich gelb, Alkalilösung schwach gelb,
Fluorescenz, schwache Photo- ohne Fluorescenz und ohne starke violette Fluorescenz.
dynamie. Letale Konzen- Photodynamie. Letale Kon- Sehr deutliche Photodynamie,
tration: 1:80000. zentration: 1:150000. indes schwächer als 2-Oxy-
xanthon. Letale Konzen-
tration : 1 : 2000.
1) Nach R. Meyer, Z. f. physik. Ch. 24, 493, über einige Beziehung zwischen Fluores-
cenz und ehem. Konstitution geordnet. Sie ist nicht vollständig, da der Autor, dessen Güte
wir diese Präparate verdanken, uns nicht mehr alle Glieder zur Verfügung stellen konnte.
Deatflcbes Archiv f. klin. Medizin. LXXX. Bd. 31
474
XXVI. Tappbinsb n. Jodlbausb
KonzentratioQ
1
1
1
1
1
200
400
800
1200
1500
Paramäcien.
73. Tetranitrofluorescein.
Trüber Tag.
Hell
t
tot nach 20 Min.
w V ß St,
alles lebend nach 48 8t.
Dunkel
ebenso
die Hälfte tot nach 48 St.
ebenso
Konzentration
1 : 60 000
1:80000
1 : 100000
74. Hydroohinonphtaleln.
Heller Tag.
Hell
tot nach 25 Min.
» „ 3 /^ St.
lebend nach 8 St.
Dunkel
ebenso
75. Phenolphtale'in.
In der doppelten Menge Natriumkarbonat gelöst.
Konzentration
1
1
1
1
30 000
50 000
80000
100000
Hell
tot nach 45 Min.
1 St.
8»/„ 8t.
?'
n
n
Trüber Tag.
Dunkel
ebenso
n
n
Die bedeutend größere Giftigkeit des Hydroehinon-
phtale'ins und noch mehr des Phenolphtalelns gegenüber
dem Tetranitrofluorescein und den meisten anderen
Fluoresce'inen ist bemerkenswert.
76. 1 -Oxyxanthon.
Vom sehr schwerlöslichen Natronsalz konnte nur eine Lösung von
1 : 200 000 hergestellt werden, bie zeigte sich ungiftig im Hellen und
Dunkeln.
Konzentration
1:2000
•20000
: 40 000
: 60 000
: 80 000
: 100000
1:150 000
77. 2-Oxyxanihon.
HeU
tot nach V. 8t,
; 4
T« W ■*"
3
4
7
rt
n
n
V
n
die Hälfte tot nach 7 St.,
% nach 24 St.
alle lebend nach 24 St.
Dunkel
ebenso
tot nach 2 St
alle lebend nach 84 SL
über die Wirknog der photodyaamiscben (fluoreecierenden) Stoffe etc. 475
KonzentratioQ
1
1
1
1
2000
6000
10000
20000
1:40000
KoBzeutratioD
1
1
1
1
1
5K)00
20000
40000
80000
150000
Konzentration
1
1
1
1
1
l
1
500
1000
2000
3000
5000
7000
9000
Konzestratioii
1
1
l
1
1
1
2000
20 000
80000
100000
150000
200000
78. 1,3-Diozyxanthon.
Hell
tot nach Vo S^*
15
18
24
n
n
n
Dunkel
ebenso
lebend nach 24 St.
79. 1^6-Dioxyxanthon.
Hell I
♦7
Dunkel
tot nach ^/^ St.
n
1^/
^ /2
16
16
n
ebenso
tot nach 4 St.
die Hälfte tot nach 16 St.
tot nach 24 St.
die Hälfte tot nach 24 St. i alle lebend nach 24 St.
80. 3,6 -Dioxyxanthon.
Hell I
tot nach 2 St.
5
6
9
17
lebend nach 24 St.
n
n
n
n
n
»
n
Dankel
tot nach 5 St.
9
lebend nach 24 St.
n
81. 1,7-Dioxyxanthon.
HeU
tot nach ^/^ St.
n
n
n
/4
1/
4
15
32
n
Dunkel
ebenso
tot nach ^'^ St.
5
n
ebenso
j>
lebend nach 24 St.
J7
Invertin.
Dauer der
ExpO" I
sitioQ in
Stunden
InkL der '
Nachtzeit i
Drehung
heU
dunkel
Bemerkung
Ohne Zusatz
Tetranitrofluoresceio Na 0,05 <>/o
Ohne Znsatz
Tetranitrofluorescein Na 0,05 '/o
8
22
8
22
33
83
+ V 10''+ 1« 10'
— o«>icy
+ V 15
--0<»02
— 0^ 10'
+ 1* 15'
— 0<>0:^
I
;)
Nach Anordnung I.
-- l«32'|-f P32' \Nach Anordnung H.
-- lö50'l+ l«40'l/0hne Toluolaisatz.
31*
476 XXVI. Tappeineb u. Jodlbaueb
o.
Bei ein und derselben Substanz nimmt die photo-
dynamische Wirkung zu resp. ab, im selben Sinne wie
die Fluorescenz, wenigstens nach den bisherigen Erfahrungen;
so nimmt die Fluorescenz der /J-Naphtoltrisulfosäure auf
Zusatz von etwas Soda erheblich zu, ebenso die photodjua-
mische Wirkung (Beleg Nr. 42). Umgekehrt wirkt Kochsalz
oder Natriumacetat bei Chininsulfat und Bisulfat.^)
Die Flnrescenz geht hierdurch bekanntlich sehr stark zurück und
auch die photodynamische Wirkung nimmt ab. Die Unterschiede
sind allerdings nicht sehr bedeutend, weil die Lichtwirkung der
Chininsalze überhaupt eine schwache ist. Beleg Nr. 50. Weitere
Untersuchungen in dieser Richtung sind in Aussicht genommen.
6.
Chemische Zersetzung der photodynamischenSub-
stanz. Erhöhung ihrer Giftigkeit. Sensibilisierung.
Nach dem Vorausgegangenen muß die photodynamische Wirkung
mit einer eigenartigen Umsetzung eines Teiles der absorbierten
strahlenden Energie, die nicht wieder als Fluorescenzlicht znm
Vorschein kommt, im Zusammenhange stehen.
Eine nähere Erklärung der Erscheinung aber ist vorerst nicht
zu geben, um so mehr, als auch die physikalische Seite der Fluores-
cenzerscheinung theoretisch noch ganz unvollkommen analysiert ist^
Man kann derzeit nur einige Richtungen bezeichnen, nach denen
sie nicht gemacht werden darf.
1. Das nächst liegendste ist die Annahme, daß ein Teil dieser
Energie zu einer chemischen Zersetzung der photodynamischen
Substanz geführt habe und auf diese die im Lichte erhöhte, resp.
überhaupt erst auftretende Wirkung auf Zellen, Enzyme und Toxine
zurückzuführen sei. Nun sind in der Tat nicht wenige der ver-
wendeten Farbstoffe lichtunächt, d. h. sie bleichen ab, offenbar in-
folge chemischer Umwandlung. Diese Lichtempfindlichkeit ist indes
doch bei den meisten nicht so groß, daß sie bei der verwendeten
schwachen Lichtquelle (zerstreutes Tageslicht) während der Dauer
der Versuche in Betracht käme. Andererseits zeigen auch viele
Körper Photodynamie, welche keine Farbstoffe sind und von denen
eine Zersetzung im Lichte nicht bekannt ist. überhaupt wäre es
doch sehr merkwürdig, daß bei allen diesen photodynamischen
1) £. Buckingham, Zeitschr. f. physikal. Chem. 14, 129.
über die Wirkung der photodynamischen (fluorescierenden) Stoflfe etc. 477
Substanzen der verschiedensten chemischen Konstitution so leicht
chemische Umwandlung durch Lichtwirkung einträte und daß dann
gerade immer Zellen, Enzyme und Toxine schädigende Zersetzungs-
produkte auftreten sollten. Der z. T. schon in der ersten Mit-
teilung (1900) angeführte stringente Beweis, daß derartige chemische
Vorgänge bei der photodynamischen Wirkung nicht im Spiele sind,
ist der folgende: Lösungen vom Fluorescein, Eosin, Erythrosin,
Acridin, Phosphin, Chinolinrot, Dichloranthracendisulfosäure etc.
längere Zeit dem Lichte ausgesetzt und einige Zeit nachher erst
im Dunkeln mit Paramäcien oder Enzymen zusammengebracht, ver-
halten sich nicht anders als im Dunkeln bereitete.
Wenn daraus der Schluß gezogen wird, daß die photodyna-
raische Wirkung nicht auf einer chemischen Zersetzung der photo-
dynamischen Substanz durch das Licht beruhen könne, so ist da-
durch natürlich nicht ausgeschlossen, daß Veränderungen ganz
anderer Art, die im Dunkeln alsbald wieder rückgängig werden,
bzw. verschwinden, vielleicht eine Rolle spielen.
Eine Erklärung der photodynamischen Wirkung von fluorescierenden
Körpern durch ihre chemische Umwandlung in giftige Substanzen, glaubte
Ledoux-Lebard') aus den Ergebnissen zweier hübsch erdachten Ver-
suchsreihen, die er mit Eosin an Paramäcien anstellte, entnehmen zu
dürfen. In der ersten setzte er im Dunkelzimmer Paramäcien einerseits
einer vorher längere Zeit hindurch belichteten, andererseits einer nicht
belichteten Eosini ösung zu und beobachtete, daß in der vorher belich-
teten Eosinlösung die Tiere früher zugrunde gingen, als in der nicht
belichteten.
Als wir die Ledoux- Lebard 'sehen Versuche in sehr großem
Umfange nachmachten, indem wir im Dunkeln frisch bereitete Lösungen
zur Hälfte dem Lichte (Sonne) aussetzten, zur anderen Hälfte im Dunkeln
beließen und dann nach Verlauf einiger Stunden im Dankelzimmer beiden
Lösungen, nachdem sie auf gleiche Temperatur gebracht waren, Para-
mäcien zusetzten, sahen wir, daß den Untersuchungen von Ledoux-
Lebard, was die Fluoresce'ingruppe anlangt, eine gewisse Dichtigkeit
nicht abzusprechen ist. Allerdings sind die Unterschiede viel weniger
scharf, als sieLedoux-Lebard angibt, und sehr oft mit Zahlen kaum
ansdrückbar. Am deutlichsten erscheinen sie gleich beim Zusatz der
Paramäcien, indem die Tiere in den vorher belichteten Lösungen nach
kurzer Zeit Boll Bewegungen zeigen, die aber später wiederum ver-
schwinden, so daß dann kein wahrnehmbarer Unterschied zwischen den
beiden Präparaten besteht. Diese anfangliche Schädigung der Tiere
bringt es aber mit sich, daß schließlich der Tod der Tiere in der vorher
belichteten Lösung früher eintritt, als der in der nicht belichteten. So
1) Annal. de l'Institnt Pasteur 1902 Bd. 16 p. 387, Action de la lumiöre snr
la toxicit^ de Teosine.
478 XXVI. Tappeinxr v. Joi>lbauxb
Bind in UbnchlUcheD, di« mit je 2 ccm £osmlösiuig Ton der KoDBen-
tration 1 : 500, die teils vorher belichtet war (a-Schiüchen), teils nicht
belichtet war (b-Schälchen), und 0.2 ccm Faramäcienkultar beschickt
waren, die Tiere in a nach 24 Stunden alle tot, die Tiere in b nur zur
Hälfte. Die Erscheinung fehlt dagegen gänzlich bei Chinolinrot, Dichlo-
raathracendisulfbsäure, Ohininam sulfuricum und Phenosafraninchlorid.
Wird die belichtete Eosinlösung einige Stunden im Dunkeln stehen
gelassen und erst dann der Znsatz von Paramäcien gemacht, so tritt sie
ebenfaUa nicht mehr auf. Ebenso verschwindet sie bei der Abdampfong
der belichteten Lösung und Wiederauflösung mit Wasser, wie Ledoux-
Lebard gezeigt hat.
Es sei bei Anstellung derartiger Paramäcien versuche nochmals be-
sonders darauf aufmerksam gemacht, daß die belichteten Lösungen vor
dem Zusätze der Tiere genau auf die gleiche Temperatur der nicht be-
lichteten zu bringen sind, zumal da bei der Belichtung Eosinlösungen
sich höher temperieren als Wasser: Eosinlösung 1 : 1000 zeigte im
Sonnenlichte (Januarsonne) nach 3 Stunden eine Temperatur von 26,4^0.
die entsprechend gestellte Wassermenge eine solche von 24,2^ C.
Wird diese Maßnahme nicht eingehalten, so ist die intensivere
Wirkung der belichteten Lösung z. T. auf die höhere Temperatur zoräck-
zuführen und dieser Umstand könnte die Ursache sein für die größere
Differenz in der Wirkung belichteter und nicht belichteter Lösungen bei
Ledoux-Lebard.
In der zweiten Versuchsreihe setzte Ledoux-Lebard im Dunkel-
zimmer vorher belichteten Lösungen derselben Konzentration eine ver-
schieden großd Anzahl von Paramäcien zu und beobachtete, daß die
Paramäcien in den Schälchen, in denen viele dieser Tierchen enthalten
waren, länger am Leben blieben, als in denen, die wenig enthielten.
Auch diese Angabe konnten wir im wesentlichen bestätigen:
8 Uhrschälchen werden mit je 2 ccm einer Eosinlösung 1 : 500 be-
schickt. Dann je zweien 0,1 ccm Paramäcienkultur -f" ^>^ ^^^™ Brunnen-
wasser (Gläschen 1 a und 1 b), je zweien 0,3 ccm Paramäcienkaltur
-|- 0,7 ccm Brunnenwasser (Gläschen 2 a und 2 b), je zweien 0,5 ccm
Paramäcienkultur -[" ^f^ ^^™ Brannenwasser (Gläschen 3 a und 3 b),
endlich je zweien 0,8 ccm Paramäcienkultur -\- 0,2 ccm Brunnenwasser
(Gläschen 4 a und 4 b) zugegeben. Die a-Gläschen werden in zerstreutes
Tageslicht, die b-Gläschen ins Dunkle gestellt.
Schälchen ' a
1
2
3
nach Vj^ St.
1^
Vjo + nacli 24 St.
^/ 4- 24
/20
V.
t%
24 „
24 ,
Ledoux-Lebard schloß daraus, daß sich im ersteren Fall das
gebildete Gift auf viele Tiere verteilt und dadurch auf das Einsei*
iudividuum nicht die tödliche Giftmenge getroffen habe, während im
letzteren Falle das nur auf wenig Individuen verteilte Gift för den Tod
über die Wirkung der photodynamischea (fluorescierenden) Stoffe etc. 479
der Tiere avareichte. Gregen diese Annahme von Ledoax*Lebard
€prioht schon der Umstand, daß das gleiche auch im Hellen auftritt ,
daB also auch im Hellen in den Lösungen, die viele Paramäcien ent-
halten, die Tiere langer leben als in denen, die wenige enthalten. Dies
lieBe sich aber nicht erklären mit den Anschauungen Ledoux-Lebard's,
woDach eich immer neue Oiftmengen in den Lösungen wahrend der Be-
iicbtung bilden nach dem AafEehren des Giftes durch die Tiere. Der
obige Versuch findet seine Erklärung vielmehr darin, daß die Tiere nicht
alle zu gleicher Zeit sterben, sondern daß die schwächeren Tiere rascher
zugrunde gehen. Nun nehmen die lebenden Tiere nur sehr wenig Eosin
in ihr Inneres auf; im Momente des Absterbens aber färben sie sich
sehr intensiv, wodurch die Konaentration der Lösung natürlich etwas
abnimmt. Diese Konzentrationsabminderung aber ist genügend, die
widerstandsfähigereQ Tiere länger am Leben zu erhalten als in der an-
fänglich konzentrierten Lösung. Diese Anhäufung des Farbstoffes in den
Paramäcien beim Absterben ist mikroskopisch leicht zu sehen.
Endlich spricht gegen die Auffassung von Ledoux-Lebard der
negative Ausfall dee von uns unternommenen Versuches, eine belichtete
Eosinlösung im Dunkeln durch Paramäcienzusatz zu entgiften: S Uhr-
schälchen, von denen jedes mit 2 ccm einer Eosinlösung 1 : 1000 be-
schickt wurde und außerdem das eine mit 0^2 ccm Paramäcienkultur,
das andere mit 0,2 ccm Brunnenwasser, standen so lange dem Lichte
ausgesetzt, bis die Paramäcien in dem einen Schälchen tot waren. Dann
wurden beide Lösungen ins Dunkle gebiacht, centrifugiert und von jeder
Lösung 1 ocm abgehoben und mit 0,1 ccm Paramäcienkultur versetzt.
Nach der Auffassung Ledoux-Lebard's müßte in der Lösung, die
anfänglich schon die Paramäcien enthielt, weniger Qift vorhanden sein,
da die Paramäcien das Qift aufgezehrt hätten. Der Versuch fiel aber
so aus, daß die Tiere im Dunkeln in den beiden Lösungen zu gleicher
Zeit augrunde gingen.
Alles zusammen ist die Ledoux-Lebard'sche Ansicht vom
Entstehen eines Oiftes durch chemische Umwandlung des fluorescierenden
Stoffes nicht haltbar.
Dessen ungeachtet aber ist es möglich, daß in seinen Versuchen
die ersten Ansätze zu einer Erklärung der photodyna-
mischen Wirkung auf ohemi sehen Wege enthalten sind,
bei welcher der Sauerstoff eine wichtige Rolle zu spielen
scheint. Er sagt hierüber „Le contact de la Solution avec Tair pur
une large surface favorise Tapparition du pouvoir toxique. Celuici est
faible lorsque la Solution est contenue dans un tube ferm^, effil6 et
rempli de liquide jusque dans Peffilure. Le vide incomplet obtenu ä
Taide de la trompe diminue dgalement la production de substance toxique,
sous Tinfluence de la lumidre."
Ledoux« Lebard scheint dabei nur an die Bildung eines toxischen
Ümwandlungsproduktes der photodynamischen Substanz durch Oxydation
zu denken. Da diese nun nach unseren Erfahrungen wenig wahrschein-
lich ist, muß an eine Beteiligung des Sauerstoffes in ganz anderer Weise
gedacht werden, deren experimentelle Prüfung den Inhalt einer folgenden
Mitteilung bilden soll.
480 XXVI. Tappeinbr u. Jodlbauer
2. Solange die photodjmainische Erscheinnng nur für Para-
maecien und nur für wenige fluorescierende Substanzen bekannt
war, konnte man weiter an die Möglichkeit denken, daß ein Teil
der absorbierten Energie zur Erhöhung der Giftigkeit der photo-
dynamischen Substanz als solcher verwendet werde. Nachdem aber
erkannt wurde, daß diese Erscheinung auch auf Enzyme und Toxine
in offenbar ursächlich ganz analoger Weise sich erstreckt, ist dieser
Erklärungsmöglichkeit keine Bedeutung mehr beizulegen, denn der
Versuch einer Erklärung muß umfassender Natur sein, d. 1l auch
auf diese letzteren Wirkungen sich ei*strecken, und auf diese ist
die Annahme einer Erhöhung der Giftigkeit im toxikologischen
Sinne doch wohl nicht anwendbar. Überdies haben sich im Fort-
gang der Untersuchungen mehrere Tatsachen ergeben, welche mit
Entschiedenheit dafür sprechen, daß diese Erklärung auch nur auf
Paramäcien resp. Zellen angewendet nicht zulässig ist. Dieselben
sind folgende:
a) Das lebhaft fluorescierende Aesculin ist selbst in Konzentrationen
von 1 : 500 für Paramäcien im Dunkeln yöllig ungriftig und zeigte in
0. Kaab's Versuchen auch im durch Kupfersulfat gesiebten Sonnen-
lichte keine photodynamische Wirkung. Daraus wurde der Schluß ge«
zogen, daß ein fluorescierender Körper nur dann eine Lichtwirkung be-
sitze, wenn er auch im Dunkeln giftig sei.
• Bei Wiederholung dieser Versuche durch uns ergab sich, daß die
Beobachtungen 0. Baab's nicht absolut zutre£fend sind, indem der
Körper eine Spur von photodynamischer Wirkung erkennen läßt, immer-
oin eine auffallend geringe (Beleg Nr. 54). Ganz analog verhält sich
das sehr schön fluorescierende Natronsalz der Fluorin dindisulfo«
säure. Es ist selbst in Konzentration von 0,5 ^q auf Paramäcien im
Dunkeln ohne Wirkung und zeigt auch keine deutlich bemerkbare im
Lichte, wenigstens nicht im zerstreuten Tageslichte (Beleg Nr. 32). Die
Lösung ist nun durch intensive blaue Farbe ausgezeichnet. Trotzdem
ist in den Paramäcien, wenn sie aus der Lösung durch Abcentrifugieren
isoliert und mehrmals mit physiologischer Kochsalzlösung gewaschen
wurden, so daß die sie umgebende Flüssigkeit farblos ist, keine Spar
von Blaufärbung zu erkennen. Der Farbstoff dringt also nicht in die
Paramäcien ein, so daß vielleicht allein schon durch diesen Umstand die
Unwirksamkeit des Körpers bedingt sein kann. Möglicherweise verhält
es sich so auch beim Aesculin, über dessen osmotisches Verhalten zu
Zellen sich wegen der Farbloeigkeit seiner Lösung direkt nichts aussagen
läßt. Wahrscheinlicher aber ist es, daß die Unwirksamkeit der Fluor-
indindisulfosäure und des Aesculins einen allgemeineren Omnd hat. Denn
diese Körper wirken, nach den bisher angestellten Untersuchungen, auch
nicht auf Enzyme und Toxine. Hier kann das Nichteindringen wohl
kaum eine Kolle spielen. Der Grund dürfte daher optischer Natur sein.
über die Wirknng der photodynamischen (flnoresciereuden) Stoffe etc. 481
Vielleicht gibt eine Untersuchung über das Verhältnis von Absorption
zum Fluorescenz vermögen Aufschluß.
b) Man könnte erwarten, daß, wenn das fluoresclerende Aesculin
deshalb nicht wirkt, weil es auch im Dunkeln so gut wie ungiftig ist,
daß es dann doch wenigstens imstande sei, die Wirkung einer nicht
photodynamischen, d. h. im Dankein und Hellen gleich giftigen Substanz
bei Zutritt des Lichtes zu erhöhen. Der mit Morphin und Strychnin
unter Zusatz von Aesculin an Paramäcien unternommene Versuch hat
diese Erwartang nicht bestätigt. Die Kesultate waren im Hellen und
Dunkeln vollkommen gleich.
Morphinchlorid -|- 0,2 ®/^ Aesculin.
Konzentration
des Morphins
Hell
Dunkel
1:100
die Hälfte tot nach 2 St.,
alle nach 24 St.
ebenso
1:200
die Hälfte tot nach 24 St.
»
1:300
alle lebend nach 24 St.
»
1:400
»
n
1:500
»
n
Konzentration
des Strycfanins
Sti7chninnitrat + 0,2 X
Hell
Aesculin.
Dunkel
1 : 4000
alles tot nach 1^^ St.
ebenso
. 1 : 6000
die Hälfte tot nach 5 St.,
alle tot nach 5Vo St.
alle nach 12 St.
1 : 8000
alles noch lebend, aufgequollen
u. nur mehr rollend n. 12 St.,
vollkommen tot n. 24 St.
ebenso
1:10000
alle tot nach 24 St.
n
1 : 20 000
1
»
c) Wenn die photodynamische Wirkung in einer Steigerung der
Giftigkeit bestände, möchte man femer wohl auch erwarten, daß diese
Steigerung bei allen Substanzen eine annähernd gleichmäßige sei. In
Wirklichkeit finden sich aber die größten Verschiedenheiten. Bald ist
die Wirksamkeit im Hellen gegenüber dem Dunkeln um das Doppelte,
bald um das 100-, ja 1000 fache gesteigert.
d) In dem schön violettblau fluorescierenden Natronsalz der Dichlor-
anthracendisulfosäure wurde eine Substanz gefunden, welche für
Paramäcien im Dunkeln ganz ungiftig ist, im Lichte aber sehr stark photo-
dynamisch wirkt. Im Dunkeln nämlich leben Paramäcien unverändert
48 Stunden lang in Konzentrationen von 1 : 75, also in Lösungen von
1,33 ®/y. Der Körper wirkt also nicht einmal so stark, wie eine an-
organische Salzlösung. Paramäcien ertragen von Kochsalz eine Lösung
von 0,30 7o ini Dunkeln und von 0,29 % im Hellen, d. h. sie leben in
dieser Lösung über 24 Stunden. Für Natriumkarbonat, wasserfrei be-
rechnet, sind die entsprechenden Zahlen 0,15 ^'^ und 0,14 7^. Die Zahlen
482 XXVI. Tapfbikba u. Jodlbaues
sind im Hellen etwas kleiaer als im Dankeln, trotsdem sie im en(tereii
Falle unter Eisenoxydul vorläge gewonnen wurden, so daß es den Anscfaein
gewinnt, als ob hier eine Andeutung von Photodynamie vorläge. Der
Unterschied erklärt rieh aber in genügender Weise dadurch, daß in diesen
eben noch für gewisse Zeit ertragbaren Salzwirkungen sich im Hellen
eine weitere Schädlichkeit, nämlich der Einfluß der „strahlenden Wänie"
hin£ugesellt, welche nur bezüglich des infraroten Teiles durch die ge-
wählte Vorlage ausgeschaltet wurde. Trotzdem nun also das dicfaior-
anthracendisulfosaure Natron nicht einmal die gewöhnliche Salzwirkang
zeigt, wirkt es im Hellen noch in ungemein großer Verdünnung. Eine
solche von 1 : 1000000 z. B. tötet noch nach 24 Stunden (Beleg Nr. 18),
womit dargetan ist, daß ein Körper im Dunkeln nicht giftig zu sein
braucht, um im Hellen starke photodynamische Wirkung zu besitzen.
3. Beruht die photodynamisclie Wirkung auf Sen-
sibilisierung? Die gewöhnlichen photographischen Bromsilber-
gelatineplatten sind bekanntlich nur für die starker brechbaren
Strahlen des Spektrums (Blau, Violett, und ultraviolett) empfindlich.
Erst bei sehr langer Belichtung kommen auch die links von der
Frauenhofer'schen Linie F befindlichen gelbgrünen, gelben und
roten Strahlen zur Wirkung. Nach den mit Prismenspektogi-aph
angestellten Messungen von Hans Lehmann wird bei SKirstreutem
Tageslicht die volle Wirkung bei Expositionsdauer von 10 Sekunden
erreicht von ultraviolett bis F; bei Exposition von 10 Minuten
reichte die Schwärzung bis zur Linie D; bei 20 Minuten bis
zur Linie C. H. W. VogeP) machte nun 1873 die Entdeckung,
daß bei Gegenwart gewisser Farbstoffe Bromsilber auch für die
weniger brechbaren Strahlen empfindlich ist und zwar für das-
jenige Licht, welches der zugefugte Farbstoff absorbiert Er
bezeichnete diese auch heute noch nicht völlig aufgeklärte Er-
scheinung als Sensibilisierung und nannte die hierfür tauglichen
Stoffe Sensibilisatoren, Seitdem spielen dieselben in der Photo-
graphie (Herstellung von orthochromatischen und pancfaromatischen
Platten) eine wichtige Rolle.
Auf die Möglichkeit eines Zusammenhanges zwischen dieser
optischen Sensibilisierung und der photodynamischen Wirkung
wurde bereits in der ersten Mitteilung (Münchener med. Wochen-
schrift 1900 Nr. 1) in bestimmter Weise hingewiesen. Nach Be-
sprechung der biologischen Bedeutung der neuen Lichtwirknng
wird mit folgendem Satze geschlossen: „Umgekehrt können sich
vielleicht durch Einverleibung resp. Auftragung von gewissen
fluorescierenden Stoften bei Einwirkung des Lichtes auch thera-
1) Photographische Mitteilungen 9, S. 236.
über die Wirkung der pbotodjaamischen (fluorescierenden) Stoffe etc. 483
peutisch verwendbare Wirkaog^n einstellen, so daß dann solche
Stoffe z. B. in der Dermatologie eine ähnliche Wirkung finden
worden, wie es in der Photographie empirisch schon seit ca.
10 Jahi-en mit dem Eosin und anderen fluorescierenden Farbstoffen
als „Sensibilisatoren" der Fall ist.**^)
Die Frage, ob die photodynamische Wirkung der fluoreszieren-
den Substanzen und die Sensibilisierung identische Vorgänge sind,
kann an den älteren Sensibilisatoren nicht entschieden werden,
weil diese eben sämtlich fluorescieren. Verschiedene neuere, dar-
unter die derzeit besten, besitzen glücklicherweise diese Eigen-
schaft nicht oder genauer gesagt, die Fluorescenz ist, wenn vor-
handen, so minimal, daß sie sich mit Linse im Sonnenlicht nicht
erkennen läßt.
Die mit diesen Sensibilisatoren an Paramäcien und Enzymen
(Invertin) vorgenommene Untersuchung mußte daher die Frage zur
Entscheidung bringen.
Versuche an Paramäcien.
Methylviolett, Fuchsin.
Sie haben keine erkennbare photodynamische Wirkung, Beleg Nr. 64
bia 67.
82. Alizarinbiau S.
Dioxyanthrachinonchinolin-Natriambisulfit.
Die braunen Lösungen werden nach dem Zusatz der Paramäcien
infolge der alkalischen Reaktionen derselben blau.
Trüber Tag.
Konzentration
Hell
Dunkel
1:10000
tot nach 10 Min.
ebenso
1 : 20 000
die Hälfte tot nach 8 St.
r
1:30000
's fi r " n
w
1) Die wörtliche Citiemng dieses Satzes ist notwendig, weil von G. Dreyer
1903 in der Dermatologischen Zeitschrift Bd. 10, S. 578 eine Mitteilung erschien
unter dem Titel : Lichtbehandlung nach Sensibilisierung, in welcher den zeitlich
mehrere Jahre vorausgegangenen Arbeiten des Münchener pharmakologischen
Institutes über dieses Gebiet keine Erwähnung getan wird, so daß es dadurch
den Anschein gewinnt, als ob die Mitteilung G. Dreyer's neu and originen
wäre. Da dieser Versuch, die Entdeckung anderer sich selbst zuzuweisen, von
A . N e i ß e r und L. Halberstädter (Breslau), Deutsche med. Wochenschr. 1904
Nr. 8, Münchener med. Wochenschr. Nr. 14, eine Unterstützung erfahr, mußte
zur Wahrung der Priorität dagegen eingeschritten werden und wurde in den-
selben Wochenschriften S. 579 i-esp. 714 auseinandergesetzt, daß die Arbeit
G. Dreyer's weder bezüglich der aufgefundenen Tatsachen noch bezüglich
der Erklärung Neues von gmndlegender Bedeutung enthalte.
484
XXVI. Tappeiner q. Jodlbaüeb
83 — 85. Diazosch warZy Glycinrot, Nigrosin.
Trüber Tag.
In LöBUDgen 1 : 1000 waren die Paramäcien im Hellen und Drin-
keln lebend nach 24 St., ein Eindringen des Farbstoffes war nicht zu
konstatieren.
86. Äthylrot (Miethe).
1. Versuch. Trüber Tag.
Konzentration
Hell
Dunkel
1 : 6000
sofort tot
ebenso
1 : 30 000
tot nach 5 Min.
n
1 : 60 000
rot gefärbt,
, rollend
n.
1 St.
n
tot nach 2 St.
1:100000
n
„ 3
n
r
1:180000
alle lebend nach
24
St.
n
2.
Versuch.
Heller
Tag.
Konzentration
Hell
Dunkel
1:100 000
tot nach 1
St.
tot nach 1*/^
St
1:150000
n
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1 : 200 000
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1 : 250 000
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St.
alle lebend „
48 „
In vert in versuche.
Anordnung I.
I Dauer der i
Exposition Hell
lin Stunden
Dunkel
Bemerkungen
Ohne Znsatz
Diazoschwarz 0,01%
Nicrosin 0,01 %
Äthylrot 0,02%
Ohne Zusatz
Krystallviolett 0,05%
0,002%
8
22
8
22
8
22
8
22
6
22
8
22
8
22
:+ 1« 25'
'— 0« 08'
!+ 10 25'
— O^O'
!+ P 12'
— 0° 08'
'+ 20 10'
+ 00 50'
1+00 30'
— 00 29'
+ 20 28'
+ 20 25'
+ 10 25'
— 00 05'
+ 10 25'
— 00 08'
+ 10 20'!
!— 00 02'
+ 10 10'
— 00 08'
--20 10' Hemmt im Hellen wie im
--00 50'. Dunkeln.
00 33'|
00 30'!
20 28' Hemmt in dieser Konzen-
— - 20 25' tration im Hellen und
+ 10 25'
— 00 06';
Dunkeln.
über die Wirkung der photodynamischsn (fluorescierenden) Stoffe etc. 485
Anordnung II.
I Dauer der , |
I Exposition i Hell Dunkel
I in Stunden! '
Bemerkungen
Ohne Zusatz
Alizarinblau S bisulfit.
0,00ö%
Diazoschwarz 0,005%
Glycinrot 0.005%
Nigrosin 0,005%
Ohne Zusatz
Äthylrot 0,005%
Ohne Zusatz
Äthylrot 0,0050,0
33
33
33
33
33
57
57
9
33
9
33
+ 0« 53' + 0» 45'
— a> lOV— 00 12'
Ohne Toluol.
+ 00 10'
--00 10'
--10 15'
--l'»40'
n
+ 0» 45' + 00 25' lohne Toluol. Zur Klärung
I bei der Polarisation ziem-
lich yiel Kohle nOtig.
+ 00 10'
00
+ 10 10',
+ 1" 20' 'Hemmt im Hellen wie im
I Dunkeln.
+ 10 0' + 10 02' Ohne Toluol.
+ 00 45' +0^45',
4- 1^30'!+ 00 58'
+ P 42'+ 10 23'
Das Ergebnis dieser Versuche ist folgendes: Auf Paramäcien
hatten Methylviolett, Fuchsin, Alizarinblau, Diazoschwarz, Glycin-
rot, Nigrosin und Athylrot gar keine photodynamische Wirkung.
Das gleiche ist für das Invertin der Fall. Da die untersuchten
Substanzen zu den derzeit besten Sensibilisatoren gehören, müßte
auch ihre photodynamische Wirkung eine hervorragend starke sein.
Da dies nun ganz und gar nicht der Fall ist, läßt die aufgeworfene
Frage nach dem derzeitigen Stande der Untersuchungen nur eine
Beantwortung zu : Sensibilisierung und photodynamische
Wirkung sind keine identischen Vorgänge. Die
Eigenschaft der Sensibilisierung und photodyna-
mischen Wirkung vereint, besitzen nur jene Stoffe,
welche nicht bloß absorbieren, sondern auch fluores-
cieren.
Der Beweis, daß die photodynamische Wirkung mit optischer
Sensibilisierung nichts zu tun hat, kann auch in umgekehrter
Weise erbracht werden, durch den Nachweis, daß eine her-
vorragend starke photodynamisch wirksame Sub-
stanz keine sensibilisierende Wirkung hat. Eine solche
ist das Natronsalz der Dichloranthracendisulfosäure. Ihre Prüfung
als Sensibilisator wurde auf Veranlassung des einen von uns (T.)
von Dr. Hans Lehmann vorgenommen.
Hochempfindliche Bromsilbergelatineplatten wurden in üblicher
Weise mit dem Salze in Konzentration von 0,008% und 0,016%
gebadet. Die Lösungen des Salzes zeigen in diesen Konzentrationen
486 XXVI. TaPPEIN£B «. Joi>LBAUXB
starke Absorption von 255— 275 /ti//. Bei Exposition im Eisenfunken-
licbt resp. Kohlenbogenlicht in der Dauer von 1 resp. 3, 6, 24,
60 Sekunden, zeigte sich nun an dieser Stelle keine Spur von
stärkerer Schwärzung, ein Beweis, dafi die Substanz nicht sen-
sibilisiert.
Gegen den Gebrauch der Bezeichnung Sensibilisierung^ welche
manchen zur Annahme verleitet hat, als ob damit etwas erklärt
sei, spricht auch noch ein allgemeiner Grund. Die Physiker be-
zeichnen nach dem Vorgange von H. W. Vogel mit Sensibilisierung
die gesteigerte Empfindlichkeit der photographiscben Platte.
Im Falle der Verwendung des Eosins z. B. die Steigerung der
Wirksamkeit der grünen Strahlen derart, daß sie sich nun jener
der brechbaren nähert. Wenn nun, um mit diesem Beispiele fort-
zufahren, die biologische Wirkung des Eosins im Lichte auch niur
in einer Steigerung der Wirksamkeit der grünen Strahlen be-
stünde, müßten diese auch für sich allein Paramäcien und Fermente
bei langer und intensiver Einwirkung zu vernichten imstande sein.
Das ist aber keineswegs der Fall. Paramäcienkultnren durch
Glaswolle filtriert, also klar, in 0,8 cm dicker Schichte zeigten sich
unter Kupfersulfat - Pikrinsäurefiltern von früher erwähnter An-
ordnung oder einem Doppelfilter aus 1 cm dicker einprozentiger
Chininbisulfatlösung und 3 cm konz. Eupfersulfatlösung, welche die
grünen resp. gelbgrfinen bis violetten Strahlen durchlassen, 14 Tage
lang bei offenem Fenster täglich 5 Stunden der intensiven Mittags-
sonne ausgesetzt, nicht merkbar geschädigt. Dasselbe ist bei
Invertinlösungen für die Dauer von 5 Tagen der Fall, solange
dieselben sich eben auch im Dunkeln ohne stärkere Abnahme
ihrer Wirksamkeit konservieren lassen. Ein Zusatz von Eosin
1:10000 resp. 1:100000 aber genügt, um sämtliche Tiere
in 15 resp. 30 Minuten zu töten. Ähnliches leistet eine Eosin-
lösung 1 : 2000 bei Invertin. Bei dieser Sachlage kann von einer
bloßen Steigerung der Lichtwirkung, also von einer Sensibilisiening
in der von den Physikern gebrauchten Bedeutung des Wortes nicht
mehr die Rede sein. Es ist off'enbar eine ganz neue Wir-
kung, welche beim Znsatz des Eosins bzw. anderer analoger
Stofife zur Geltung kommt. Ist die photodynamische Substanz un-
giftig, so tritt eine Schädigung der Organismen und Gewebszellen
erst im Lichte auf; ist sie giftig, so addiert sich die photodyna-
mische Wirkung zur Giftwirkung. Der Vorschlag des einen von
uns (T.), diese Stoffe mit einem Namen zu bezeichnen : photodynami-
sche d. h. im Lichte resp. bei Bestrahlung wirkend, ist daher dnreh-
über die Wirkung der photodynamischen (fluorescierenden) Stoife etc. 487
aus gerechtfertigt. Er präjudiziert nichts und kann fallen gelassen
werden, wenn der weitere Verlauf der Untersuchung die unzweifel-
hafte Berechtigung gibt, von Fluorescenzwirkung resp. Fluorescenz-
therapie zu sprechen.
Sehließlich sei noch, um auch diese Seite der „Radiologie" zu
berühren, an die ziemlich vergessene Untersuchung von Bence
Jones „on the existence in the textures of animals of a fluorescent
substance closely resembling quinine" erinnert, ^) wonach es nicht
unmöglich erscheint, daß ein Teil der Wirkung des Sonnen-
und Bogenlichtes eine photodynamische ist.
1) Medical Times and Gazette 1866.
XXVIL
Über die Wirkung photodynamischer (flnorescierender)
Substanzen anf Paramäcien nnd Enzyme bei Röntgen- und
Badinmbestrahlnng.
Von
A. Jodlbaner.
Diese Arbeit wurde auf Veranlassung Prof. v. Tapp einer 's
in der Absicht unternommen, zu erfahren, ob photodynamische
Substanzen bei Zutritt von Radium- und Röntgenstrahlen auf
Paramäcienkulturen und Enzymlösungen eine ähnliche Wirkung
ausüben wie bei Bestrahlung mit gewöhnlichem Tageslicht.
1. y ersuche mit BontgenstraUen.
Dieselben wurden in einem Kabinett für medizinische Röntgen-
photographie mit Verwendung mehrerer großen Röhren angestellt
Die Entfernung der Objekte von der Röhre betrug 10 cm. Das
Versuchsobjekt, das stets in einer nach oben offenen Glasschale
aufgestellt war, befand sich zur Abhaltung der gewöhnlichen Licht-
strahlen unter einer Kapsel photogi-aphischen. Papiers, während das
Kontrollpräparat unter einer Bleikapsel war. Je 30 Sekunden lang
wurde bestrahlt, dann eine Pause gemacht von 2\^ Minuten, und
so fort bis zu 8 Stunden. Während der Pausen wurden die Papier-
und Bleikapsel zur Vermeidung von schädlichen Temperatursteige-
rungen abgehoben. Das Zimmer war dabei vollkommen dunkel
Paramäcien.
Zuerst wurde der Einfluß der Röntgenstrahlen als solcher auf Para-
mäcien festgestellt:
Eine Paramäcienkultur in Uhrscbälchen zeigte nach 8 stündiger Be-
strahlung keine Veränderung. Die Tierchen bewegten sich lebhaft, ganz
so wie* im Kontrollschälchen. Auch nach 3 Wocben war in beiden
Scbälcben kein Unterschied wahrzunehmen.
In ganz analoger Weise verhielten sich die mit fiOsin versetiten
über die Wirkung' photodynamificher (fluorescierender) Substanzen etc. 489
Paramäclenkttltareii. Die nach 8 stündiger Bestrahlung im Dunkeln auf-
bewahrten Paramäcien mit Eosin 1 : 1200 gingen am 4. Tage gleichzeitig
mit der nicht bestrahlten und ebenfalls im Dunkeln aufbewahrten Kultur
an der Giftwirkang des Eosins zugrunde. In den ührgläsem mit Eosin-
zQsatz 1 : 5000 waren die hestrahlte und die Kontrollkultur noch nach
10 Tagen am Lehen.
Invertin.
10 ccm einer Invertinaufsohwemmung von 1,2 ^j^ wurden nach
8 ständiger Bestrahlung mit Wasser auf 100 ccm ergänzt und mit eben-
soTiel IO^Iq Bohrzuckerlösung versetzt. 12 Stunden bei Zimmertempe-
ratur stehen gelassen. Die anfängliche Drehung von -j- 3^ 18' war nach
Ablauf dieser Zeit auf -|- 0 ^ 58 ' zurückgegangen, ehensoviel wie im
Kontrollversuche, dessen Drehung nach derselben Zeit -{- 0 ^ 59 ' betmg.
Die Wirksamkeit des Invertins war also durch die Röntgenbestrahlung
nicht verändert worden. Die gleiche Invertinaufsohwemmung gerade so
lange bestrahlt und eine ebensolche nicht bestrahlt, ergaben nach Zucker-r
zasatz und 12 stündiger Invertierung auch keine Drehungsdifferenz.
Ebenso war die Invertierung einer 4,5 \ Rohrzuckerlösung, ver-
setzt mit 0,06 Invertin, bei Gegenwart von 0,05 Eosin durch 6 stündige
Bestrahlung nicht gehemmt worden. Die Drehung betrug nach diesen
6 Stunden -\- 2 weiteren Stunden Stehens im Dunkeln -|- 0,08 '. Die-
jenige der im Dunkeln unter Bleikapsel gerade solange gehaltenen Kon-
trollprobe ebensoviel.
2. Yersuehe mit Badlnm.
Hierzu diente ein Präparat von Radiumbromid von Prof.
Giesel in Braunschweig im Gewichte von ca. 0,05, das uns von
Herrn Prof. Walk hoff freundlichst zur Verfügung gestellt wurde
und mit welchem Walkhoff bekanntlich als erster die Wirkungen
auf tierisches Gewebe entdeckte. Alle Versuche geschahen im
Dankelzimmer.
Paramäcien.
1. Versuche im offenen Ührschälchen gefüllt mit 2 ccm einer Eo-
sinlösung 1 : 1000 -[- 3 Tropfen Paramäcienkultur. Die Hadiumkapsel
befand sich 3 cm über dem Flüssigkeitsspiegel. Die Bestrahlung dauerte
ununterbrochen 24 Stunden. Unmittelbar hernach war keine Einwirkung
zu erkennen und bei weiterer Aufbewahrung des vor Verdunstung ge-
schützten Präparates im Dunkeln trat das Absterben der Paramäcien
erst nach 3 Tagen ein, und zwar als Giftwirkung der Eosinlösung, da
die Tiere im uuhestrahlten andauernd im Dunkeln gehaltenen Kontroll-
nbrgläechen, zur selben Zeit starben.
2. In zwei analog hebandelten XThi^läschen, mit Eosinlösung I :.5000
-f- i^ Tropfen Paramäcienkultur beschickt, von denen eines 24 Stunden lang
bestrahlt und beide dann im Dunkeln unter geeigneten Kulturbedingungen
fortgehalten wurden, waren nach 20 Tagen lebende Paramäcien enthalten, im
bestrahlten nicht weniger als im Kontrollglase. In einem Ührschälchen
Deotsches Archiv f. klin. Mediain. LXXX. Bd. 32
490 XXyn. JODLBAUIEB
ohne EosinzusatKy ebensolange bestrahlt, fanden sich nach SO Tagen
natürlich auch reichlich lebende Paramacien.
3. Paramacien im hängenden Tropfen in fenchter Kammer in Eosin-
lösung 1 : 1000 wurden 48 Stunden lang bestrahlt. Die Kapsel lag un-
mittelbar auf dem Deckglas^. Die Tierchen waren nach dieser Zeit von
unveränderter Lebhaftigkeit ihrer Bewegungen und gingen erst nach
5 Tagen zugrunde, zur selben Zeit, wie die nicht bestrahlten im Kon-
trollversuch.
Invertin.
1. Eine Invertinlösung von 0,12^/^ und eine ebensolche mit Zusatz
von 0,05 ^Iq Eosin wurde 36 Stunden lang in offenen Schalen bestrahlt,
sodann mit gleichen Teilen einer Rohrzuckerlösung von 10^/^ yersetst;
nach 15 Stunden laogem Stehen bei Zimmertemperatur wurde der Prozeß
abgebrochen und die Drehung bestimmt. Sie betrug in der bestrahlten
Lösung ohne Eosinzusatz -j* ^ ^ ^"^S ^ ^^^ bestrahlten Lösung mit Eo-
sin Zusatz -j- 0 ^ 56 ', in einer nicht bestrahlten, im Übrigen analog be-
handelten Kontroilösung ohne Eosin -\- V* 20', mit Eosin -f O^' 52'.
Eine Wirkung auf das Invertin durch das Eadium ist somit nicht zu
erkennen. Das Zurückbleiben der bestrahlten Probe ohne Eosinzusatz
erklärt sich aus der Förderung, welche das Eosin im Dunkeln auf den
Intervierungsprozeß ausübte.
2. Eioe Lösung von 4,6 % Bohrzucker mit 0,06 % Invertin und
0,05 Eosin wurde 9 Stunden lang bestrahlt und sodann analysiert. Das
gleiche geschah mit eiuer im Dunkeln gehaltenen nicht bestrahlten eben-
solchen Lösung und einer ebenso behandelten RohrzuckerinvertinlösuDg
ohne Eosmzusatz. Die Drehungen waren -f-0® 29', -f 0" 27', -j-O® 56'.
Also wiederum kein Einfluß der Bestrahlung.
Diastase.
Eine Diastaselösung von 0,1 ^/^ und eine ebensolche mit Zusatz von
0,05% Eosin wurden 12 Stunden lang bestrahlt, sodann je 10 Teile
derselben mit 90 Teilen Stärkelösuhg von 1 % versetzt. Das gleiche
geschah mit einer unbestrahlt gebliebenen Diastaseeosinlösung analogen
Prozentgehaltes. In allen dreien wurde sodann der Fortschritt der
Stärkeumwandlung mittels Jodjod kaliumtüpfelprobe verfolgt: Die Zeiten,
in denen das Erythro dextrin auftrat und das Amylodextrin verschwand,
waren in allen drei Proben die gleichen. Letzteres war nach 5 Stunden
eingetreten.
Das Ergebnis der Versuche ist, daß weder Röntgen- noch
Radiumstrahlen einen Einfluß auf Paramacien und Enzyme er-
kennen ließen. Die Paramacien hatten unmittelbar nach der Be-
strahlung die Lebhaftigkeit ihrer Bewegungen bewahrt und ver-
hielten sich während der nächsten Wochen ebenso wie die Kontroll-,
tiere. Die Wirksamkeit des Invertins und der Diastase hatte
ebenfalls keine Einbuße erlitten.') Ob eine solche etwa erst
1) Für Trypsin ist dies bereits von J. Dauysz (Compt. rend. 137, 1296)
über die Wirkung photodynamischer (flnorescier ender) Substanzen etc. 491
längere Zeit nach der Bestrahlung sich einstellt, wurde wegen der
leichten Zersetzlichkeit dieser Enzyme nicht verfolgt. Es ist dies
nicht sehr wahrscheinlich, da es sich hier ja nicht um Einwirkung
auf Zellen, sondern auf „gelöste" Versuchsobjekte handelt.
Ob bei den Bestrahlungen eine fluorescierende Substanz (Eosin)
zugegen war oder nicht, machte keinen Unterschied. Derartige
Substanzen in Lösung werden eben von diesen Strahlenarten nicht
erregt, wie man sich leicht überzeugen konnte und auch den
Physikern schon bekannt ist. Ob bei sehr langer Behandlung mit
Röntgen- oder Eadiumstrahlen resp. Verwendung eines neueren
Radiumspräparates ohne Glimmerbedeckung nicht doch ein EflFekt
zu erlangen wäre, bleibt dahingestellt. Die Versuche i§ind lediglich
als orientierende zu betrachten. Nachdem sich ergeben hatte, daß
eine Wirkung, welche jen^r der photodynamischen Substanzen im
Lichte entspräche, bei ungefähr gleichlanger Einwirkungsdauer
nicht zu erkennen ist, wurden sie abgebrochen, da der Zweck
ihrer Vornahme erreicht war.
nach 14 stündiger Radiumbestrahlung gefunden worden. Der Autor fand sogar
etwas Zunahme der Wirksamkeit. Weitere Literaturangaben würden den kleinen
Bahmen dieser Arbeit überschreiten.
32*
xxvin.
Aus der medizinischen Klinik in Greifswald.
Direktor: Prof. Dr. Moritz.
Untersuchungen über das „Binden der Glieder" (ansge-
dehnte Bier'sche Stauung) und die sog. vAutotransfnsion''
(ausgedehnte Esmarch'sche Blutleere) mit besonderer Be-
rAcksichtigung des Blutdrucks in den freien Geftß-
proYinzen.
Von
Dr. med. W. Plaskada,
YolonUirassistent der Klinik.
(Mit 15 Karyen.)
Ein bereits dem Hippokrates bekanntes, von den alten Ärzten
viel angewandtes Blutstillungsmittel ist das Binden oder die Ligatur
der Glieder. Die Technik besteht darin, daß man an den Ober*
schenkein und Oberarmen möglichst hoch oder in der Mitte der
Glieder elastische Gummibinden oder Tücher so fest umlegt. da&
der venöse Eückfluß des Blutes gehemmt wird, ohne daß der arte-
rielle Zufluß im wesentlichen leidet. Man läßt gewöhnlich die
Binden Va— 1 Stunde liegen und bindet entweder alle vier Extre-
mitäten oder abwechselnd die Arme oder Beine ab. Die Lösung
der Binden geschieht allmählich. Es wird auf diese Weise in den
Gliedern eine venöse Stauung ganz wie die Bier'sche Stauung
hervorgebracht, deren Technik genau dieselbe ist. Man kann ver-
muten, — dies hat bereits Virchow getan ^) — daß hierbei der
Blutdruck sinkt. Denn wenn in den Gliedern sich das Blut an-
staut, so erhält zunächst das rechte Herz und damit der Lungen-
kreislauf und weiterhin der große Kreislauf weniger Blut als vor-
her. Ceteris paribus muß aber, eine verminderte Füllung des Ge-
fäßsystems mit einer Verminderung des Blutdrucks einhergehen.
1) S. Virchow's Haudbach der spez. Patbol. n. Therapie. Erlangen 1854
Bd. I p. 164.
Untersuchungen ttber das „Binden der Glieder*' etc. 493
Dies ist eine Wirkung, die bei Langenblntungen, gegen di^
das Binden hauptsächlich angewandt wurde, erwünscht sein muß,
da hierbei gtlnstigere Bedingungen für eine Thrombusbildung ent-
stehen.
Die heutigen Ärzte wenden das Verfahren nur wenig an.
Einzelne Kliniker jedoch wie v. Dusch undLiebermeister be-
richten über günstige Erfolge bei schwerer Hämoptoe. Auch Ger-
hardt wandte das Binden vielfach an.
Das umgekehrte Verfahren ist die Esmarch'sche künstliche
Blutleere. Dabei wird aus den Extremitäten herausgedrängtes
Blut dem Kreislauf des Rumpfes zugeführt Das Mittel spielt
heute unter dem Namen der Autotransfusion in der Geburtshilfe
zur Hebung der Circulation nach schweren Blutungen eine ge-
wisse EoUe. Eingeführt ist es in die Therapie durch den Geburts-
helfer P. Müller.') Die neueren Autoren wie Ahlfeld, Runge,
Olshausen, Veit erwähnen es in ihren Lehrbüchern, mahnen
jedoch zur Vorsicht, da Gangrän der Glieder, sowie Lungenembolien
mehrfach danach beobachtet wurden.
Der Rumpfkreislauf erhält mehr Blut, wenn man an den Ex-
tremitäten eine künstliche Blutleere bewirkt. Dies müßte also
wieder ceteris paribus eine Erhöhung des Blutdrucks zur Folge
haben analog der bei ausgedehnter Stauung angenommenen Er-
niedrigung desselben.
Auf Anregung des Herrn Prof. Dr. Moritz habe ich über
das Binden der Glieder (ausgedehnte Bier'sche Stauung) sowie
über die sog. Autotransfusion (ausgedehnte Esmarch'sche Blut-
leere) experimentelle Untersuchungen angestellt, die folgende Fragen
beantworten sollten.
1. Wie groß sind die Blutmengen, die man durch beide Ver-
fahren dem Kreislauf entziehen oder zuführen kann?
2. V7ie verhält sich dabei der Blutdruck in den freien Gefäß-
provinzen ?
Bevor ich auf die Versuche eingehe, halte ich es nicht für uninter-
essant die geschichtliche Seite beider Verfahren etwas zu beleuchten, da
sich hieraus manche Gesichtspunkte ergeben.
Die alten Arzte von Hippokrates ab wandten das Binden der Glieder
Tielfach an bei verschiedenen Blutungen , - besonders bei Lungen- und
Nasenbluten. Weiter ausgebildet wurde das Verfahren durch Chry-
sippns und Erasistratus ^ Galenus wandte ebenfalls das Mittel
1) S. Wiener med. Presse 1874 Nr. 8.
2) Zeitgenossen des Aristoteles.
494 XXVIII. PLA8KÜDA
viel an. Er und seine Nachfolger rechneten es wie das Schröpfen nDd
den Aderlaß unter die sog. Revulsivmittel.^)
Das Binden findet sich in der Folgezeit bei allen medizinischen
Klassikern erwähnt und wurde zu allen Zeiten mehr oder weniger als
Blutstillungsmittel angewandt, bis es im 19. Jahrhundert allmählich außer
Gebrauch kam. Anfang der 80er Jahre wurde das Verfahren von Seiz^)
experimentell geprüft und dann wieder empfohlen, ohne aber in der
Praxis Eingang zu finden. In seiner Dissertation findet sich auch eine
kurze geschichtliche Darstellung über die Ligatur, auf die ich hiermit
hinweisen möchte. Berichtigen möchte ich jedoch die Behauptung von
Seil, daß im 17. und 18. Jahrhundert die Methode nicht mehr geübt
worden sei. Das ist nicht der Fall. Sehr klare Vorschriften hierüber
finden sich z. B. bei Boerhave. Er schreibt dem Binden der Glieder
bei Blutungen verschiedener Art großen Nutzen zu. Er gibt die Vor-
schrift, die Binden abwechselnd an den Schenkeln und Oberarmen anzu-
legen und nach ca. ^', Stunde allmählich zu lösen, um ein Absterben
der betreffenden Teile zu verhindern. Er hält') da9 Verfahren für sehr
empfehlenswert, das sich leicht und bequem ausführen lasse. Mau müsse
aber ja den richtigen Grad der Zusammenschnürung abpassen und die
Binden dürften nur so fest liegen, daß sie die oberflächlichen Venea
komprimierten. Denn wJBnn die Binden zu fest lägen, so träte leicht
das Gegenteil ein, indem die Arterien gedrückt und verhindert würden,
sich SU entleeren, wodurch die Blutung stärker würde. Den Nutzen
sieht er hauptsächlich in der Verminderung der Schnelligkeit des Blut-
stroms. Die an den abgebundenen Gliedmaßen entstehenden Verände-
rungen bestehen in Erweiterung und Anschwellung der Venen. Schließ-
lich wird das ganze Glied dicker infolge der angestauten Flüssigkeit.
Et erhoben sich indessen auch Stimmen, die das Verfahren weniger
billigten. Oullen^) z. B. halt den Gebrauch desselben für unsicher
und mahnt ebenso wie Boerhave zur Vorsicht. Nach ihm wird das
Mittel von den Ärzten des 18. Jahrhunderts nicht mehr so häufig an-
gewandt. Er meint, wenn es auch gelänge den richtigen Grad der Zu-
sammenschnürung hervorzubringen, so sei die Wirkung doch nnr Iran.
Außerdem könne die Blutung vermehrt werden, wenn die Ligaturen zu
1) Über die Theorie der Derivation und Revulsion s. Plascuda,
alte Behandlungsmethoden in moderner Beleuchtung. Diss. Grei&wald 190B.
2) S. Seiz, Zur Therapie der Lungenblutung. Diss. Heidelberg 1888.
3) S. vanSwieten, Commentaria in Boerhaves aphorismos de oognoscendis
et cnrandis morbis. Lejden 1741 — ^72 Bd. II p. 307 ff.
Quantum autem usum habeat lenis venarum in artubns compressio. ad
minuendam velocitatem sanguinis per vasa moti, docent haemorrbagiae, qme
pulcherrime talibns ligaturis compesci solent ; dum sie retinetur in artubus mm^naa
satis sansruinis moles^ atque ita minor pressio sit in soluta vasa, quae tone 9«^at
contrahi; et po$tea, sensim solutis bis ligaturis, non tarn facile per contrftcca
iam hiantium vasorum orificia sanguis exit .... Imo et totun membmi. si
diutius duret haec compressio mole angebitnr ob accumulata hie liquida.
4) S. Cullen, Anfangsgründe der prakt Arzneykunst. Ldpsig 1789 B4 II
p. ÄK) § 8l>3.
üntennchnngen über das „Binden der Glieder "^ etc. 495
fest seien nnd die Arterien komprimierten. Rnst^) ist zwar der An-
sicht, daß das Binden hilfreich sein könne, fordert aher ebenfalls zur
Vorsicht auf. Die Technik des Bindens scheint fast durchweg so gehand-
habt worden zu sein, daß entweder abwechselnd die Mitte der Oberarme
oder der Oberschenkel oder alle 4 Extremitäten zugleich zusammen-
geschnürt wurden. Manche Arzte banden freilich auch die Glieder an
mehreren Stellen ab. Als eine Verkehrung der Methode ^ muß die
Vorschrift des alten Chirurgen Fabricius Hildanus. angesehen werden,
der die Finger band, oder von B o u d e 1 e t , der die Testikel abzubinden
empfahl.
Im 19. Jahrhundert wird das Binden nur mehr wenig gebraucht,
findet jedoch fast in den meisten Sammelwerken der Pathologie und
Therapie seine Erwähnung.
C anstatt^) ist ein Anhänger desselben. Bei ihm findet sich die
Bemerkung, daß dadurch der Blutzufluß zu den inneren Organen so ge-
hemmt werden könnte, daß bald Ohnmacht auftrete und die Blutung
stände. Vir c ho w^) erwähnt ebenfalls das Binden. Er ist der Meinung,
daß man dadurch imstande sei den Blutdruck zu erniedrigen, indem die
£ltttmasse verkleinert würde. IJm auch einige neuere Autoren anzuführen
so ist nach der Ansicht von Cornet^) und Liebermeister^) die
Ligatur dadurch wirksam, daß die Lungen blutarmer werden. Das Re-
sultat soll identisch sein, mit dem Aderlaß, der auch früher häufig
gegen Lungenblutungen gebraucht wurde. Liebermeister erklärt
wiederholt günstige Erfolge von der Stauung gesehen zu haben. Auch
Eichhorst'') kennt den Oebrauoh des Bindens. Er meint analog den
genannten Autoren, daß der venöse Zufluß des Blutes zum Herzen ge-
hindert werde und demzufolge der Druck zumal im Puimonalarterien-
system sinke, wodurch günstigere Bedingungen für eine Thrombusbildung
an der Stelle der Blutung zustande kämen. Im allgemeinen aber wird
das Binden der Olieder von den heutigen ^rzten nur selten angewandt.
Eine viel kürzere Oeschichte als die Aufstauung des Blutes in den
Extremitäten, hat die Verdrängung desselben, die künstliche Blutleere.
P. Müller^) war der erste, der die Esmarch'sche Blutleere zur Be-
lebung der Anämie des Gehirns bei schweren Blutungen während der
Geburt anzuwenden empfahl. Er sagt: „Sollte man nicht imstande sein
bei einer akut Anämischen, wenn in allen vier Extremitäten die Blut-
leere künstlich hergestellt wird, dem Herzen eine solche Quantität Blut
1) S. Bust, Handb. d. prakt. Chirurgie. Berlin 1830—36 Bd. VIII p. 28ff.
2) Cit. nach S e i z , 1. c. p. 19.
3) Siehe spezielle Pathologie u. Therapie von Canstatt 1843 Bd. I. p. 136.
4) Siehe Virchow's Handbuch 1. c. Bd. I p. 154.
5) Siehe Nothnagel, Spezielle Pathol. u. Therapie Bd. XIV, Tuberkulose
von Cor n et p. 564.
6) Siehe Ebstein u. Schwalbe, Handbuch der prakt. Medizin, Lungen-
tuberkulose V. Liebermeister p. 390.
7) Siehe Eichhorst, Handbuch der spez. Pathol. u. Therapie 1895 Bd. I
p. 430.
8) Siehe Wiener mediz. Presse 1874 Nr. 8.
496 XXVin. Plaskitda
zuzuführen y daß der beginnenden Lähmung Einhalt getan werden könnte ?**
Nußbaum^) tritt sehr fiir das Yer£üiren ein. Er gibt außerdem die
Vorschrift, auch das im Abdomen befindliche Blut durch Massage heraus-
zudrängen und dann den Bauch mit einem Steine oder schweren Buche
zu belasten. Er nennt diese kombinierte Methode Autotransfusion und
gibt an in einer Beihe schwerer Blutungen dadurch den Scheintod rasch
beseitigt und das Bewußtsein wieder wachgerufen zu haben. Er will
davon größere Erfolge gesehen haben wie nach der Transfusion. In
der Geburtshilfe wird die Eamarch'sche Blutleere häufig angewandt. Um
einige neuere Autoren anzuführen, so räamt Ahlfeld^) dem Yerfieihren
unter den die akute Anämie bekämpfenden Mitteln einen Platz ein.
B. u n g e ^) und Olshausen-Yeit^) erwähnen die Autotransfusion
ebenfalls. Beide Autoren äußern jedoch schwerwiegende Bedenken. Ein-
mal sei bei zu fester Einwicklung das Verfahren schmerzhaft Außerdem
könnte, wenn die Binden zu lange lägen, sich Gangfrän einstellen. Femer
könnten sich Thrombosen bilden und eventuell zu Lungenembolie Ver-
anlassung geben. Todesfalle durch Lungenembolie sind nach Hnnge
danach schon beobachtet. Ein weiteres Bedenken ist von Bradley^)
ausgesprochen worden. Er ist der Ansicht, die Überfüllung des Ereis-
laufes bei bereits geschwächten Patienten, die außerdem ein geschwächtes
Herz hätten, könne schädlich sein.
Zur Bestimmung der Blntmengen, die in den Extremitäten
durch Abbinden zurückgehalten oder aus ihnen durch Einwicklung
entfernt werden können, führte ich Versuche aus, die auf dem
Prinzip der Wasserverdrängung beruhen. Dies ist, wie ich nach-
träglich sehe, bereits von Gröbenschütz*) bei einem einzelnen
Versuche durchgeführt worden. Er hat den Oberarm eines kräf-
tigen jungen Mannes bis 3 cm unterhalb der Condylen mit einer
elastischen Binde eingewickelt und dann in ein bis zum Rande
gefülltes Wassergefäß stecken lassen. Er berechnet die Differenz
des übergelaufenen Wassers, nachdem er zuerst den Arm unein-
gewickelt hatte hineinstecken lassen, auf 120 ccm.
Die Versuchsanordnung bei meinen Versuchen war folgende.
Ich bediente mich eines 80 cm hohen Blechkastens, der durch
eiserne Bänder verstärkt war, so daß er sich unter dem Wasser-
druck nicht ausbuchtete. Derselbe hatte in seinem unteren Teile
einen Querschnitt annähernd von der Form eines länglichen Recht-
1) Siehe Therapeut. Monatshefte 1887.
2) Siehe Ahlfeld, Lehrb. d. Geburtshilfe 1898 p. 453.
3) Siehe Runge, Lehrbuch der Geburtshilfe, Berlin 1901 p. 496.
4) Siehe Olshausen-Veit, Lehrb. der Geburtshilfe 12. A. p. 776.
5) Siehe British Medical Journal 1874 Mai p. 577.
6) Siehe Gröbeuschütz, Über Esmarch's künstliche Blutleere. Dis3.
Berlin 1874 Nr. 12.
Untersachnngeu über das „Binden der Glieder" etc. 497
eckes, so daß der Fuß gut in denselben hineinpaßte. Oben besaß
der Kasten einen runden Aufsatz, der sich der Form des Ober-
schenkels anpaßte und im Umfang nur wenig größer als ein solcher
war. Auf diese Weise wurde erreicht, daß schon relativ kleine
Volumverdrängungen in dem Kasten große Niveaudifferenzen der
Flüssigkeit am oberen Teile verursachten. Die Extremitäten, deren
Volumszu- oder -abnähme gemessen werden sollte, wurden vor An-
legung der Binden bis zu einer bestimmten, an der Extremität an-
gebrachten Marke in den mit Wasser von 32—34® C gefüllten
Kasten hineingesteckt. Es wurde dabei ein gewisses Quantum
Wasser aus dem Kasten verdrängt. Nun wurde der Kasten mit
der restierenden Wassermenge gewogen. Alsdann wurde je nach-
dem die Stauungsbinde an der Extremität angelegt und bis zur
Erzielung einer genügenden Stauung liegen gelassen, oder es wurde
die Extremität mit einer langen Gummibinde von der Peripherie
nach dem Centrum hin eingeschnürt Hierauf wurde die Extremität
wiederum bis zu derselben Stelle in den Kasten hineingesteckt.
War nun durch Stauung die Extremität voluminöser geworden, so
floß abermals Wasser aus dem Kasten heraus. Hatte sie durch
künstliche Blutleere an Volumen eingebüßt, so mußte Wasser zu-
gefullt werden, bis der Wasserspiegel wieder mit dem oberen Rande
des Kastens abschnitt. Die Füllungsdifferenz des Kastens wurde
durch abermalige Wägung bestimmt. Selbstverständlich mußte
in dem Falle der künstlichen Blutleere das Volumen der zum
Einwickeln benutzten Binde eigens bestimmt und in Rechnung
gebracht werden. Die Versuche wurden sehr vorsichtig angestellt,
um Fehler möglichst zu vermeiden. Es wurde darauf gesehen,
daß die Versuchspersonen ihre Glieder im Wasser absolut ruhig
hielten. Andernfalls wird leicht zu viel Wasser aus dem Gefäß
herausgeschwemmt. Auch wurden die Glieder gehörig abtropfen
gelassen. Die nicht vermeidbaren Fehler schätze ich pro Versuch
auf ca. +20—30 ccm. Sie kommen für das Gesamtresultat nicht
in Betracht.
Es wurden folgende Versuche angestellt.
A. Stauung der Glieder.
a) Versuche am Bein.
Versuoh I. Mrdd, 22 Jahre, mittelgroß, muskulös. Stauung unter
dem Troohanter ^/^ Stunde lang. Volumszunahme 230 ccm.
Versuch 11. Mann, 30 Jahre, 165 cm groß, mittelmäßige Muskulatur.
Stauung unter dem Trochanter 25 Minaten lang. Dabei Zunahme des
498 XXVm. PLA8KÜDA
Ümfangs am Unt'TBchenkel um 1,5, am Oberschenkel um 1 cm. Volams*
zanahme 260 ccm.
Versuch UI. Mann, 180 cm groB, muskulös, 40 Jahre alt. Stauung^
unter dem Trochanter 30 Minuten lang. Das Bein sehr kräftig gestaut,
blaurot, vorspringende Venen am Fußrücken. Umfang am Unterschenkel
um 3 cm vergrößert. Volnmszunahme 425 ccm.
b) Versuche am Arm.
Versuch IV. Mann, 17 Jahre, Stauung oberhalb der Mitte de»
Oberarms 30 Minuten lang. Umfangszunahme am Oberarm 2 cm, am
Unterarm 1 cm, Volaroszunahme 177 cm.
Versuch V. Mann (derselbe wie in Versuch II). Stauung oberhalb
der Mitte des Oberarms 25 Minuten lang. Umfangszanahme am Oberarm
2 cm, am Unterarm 1,5 cm, Volumszunahme 240 ccm.
Versuch VI. Mann, 170 cm groß, muskulös, Stauung am Oberarm
15 Minuten lang. Umfangszunahme Oberarm 1 cm, Unterarin 1,5 cm,
Volumszunahme 160 ccm.
B. Künstliche Blutleere.
a) Versuche am Bein.
Versuch VII. Mann, 28 Jahre. Volumsabnahme des Beines 482 ccm.
Versuch VIII. Mann (derselbe wie in Versuch VI). Volumsabnahme
des Beines 345 ccm.
b) Versuche am Arm.
Versuch IX. Mann (derselbe wie in Versuch II und V), Volums-
abnähme des Arms 240 ccm.
Versuch X. Manu (derselbe wie iu Versuch VII). Volumsabnahme
des Arms 192 ccm.
Die mitgeteilten Versuche zeigen, daß es immerhin ziemlich
bedeutende Flüssigkeitsmengen sind, die sich auf die angegebene
Weise in den Extremitäten aufstauen oder aus ihnen verdrängen
lassen. Bei einem kräftigen Manne dürften dieselben bei Heran-
ziehung aller 4 Extremitäten ^/^ — * 4 I betragen. In der Haupt-
sache wird es sich dabei um Blut handeln, wenn natürlich auch
eine gewisse Beteiligung von Lymphflüssigkeit anzunehmen ist
Wie groß letztere sei, entzieht sich der Feststellung.
War somit ein nicht unbedeutender Einfluß sowohl der Stauung
als der künstlichen Blutleere der Extremitäten auf die Blutvertei-
lung im Körper zahlenmäßig festgestellt, so war nunmehr zu unter-
suchen, ob und welche Einwirkung diese veränderte Blutverteilung
auf den Blutdruck in den freien üefäßprovinzen habe.
In dieser Richtung liegen noch kaum Angaben in der Literatur
Untersnchnng^en über das „Binden der Glieder" etc. 499
yor. Seiz^) suchte den Einfluß des Bindens der Glieder auf
den Blutdruck durch Kontrolle der Herztöne zu ermitteln. Er nahm
an, daß Aufstauen des Blutes in den Extremitäten zunächst zu
verminderter Füllung des Lungenkreislaufes und damit zu Ab-
Schwächung des 2. Pulmonaltones führen würde. Eine solche Ab-
schwächung glaubte er nun tatsächlich in seinen Versuchen zu
finden. Er schloß hieraus auf eine Erniedrigung des Druckes auch
im großen Kreislauf, zumal er bei seinen Pulskurven während der
Stauung auch die Eückstoßelevation stärker werden sah.
Bier*) maß bei einem mittelkräftigen Manne, dem er an
beiden Oberschenkeln eine ziemlich erhebliche Stauung anlegte^
yor und nach dieser den Blutdruck am Arme mit dem Riva-Rocci-
schen Apparat. Der Druck war beide Male gleich. In Selbst-
versuchen mit Stauung an beiden Oberschenkeln fand B i e r ^) Ver-
tiefung der Atmung, Beschleunigung des Pulses, ferner Gefühl des
Blutmangels im Kopfe, Unvermögen zu denken, Blutdruck bestim-
mungen wurden nicht gemacht. Buttermann ^) wies nach, daß
nach Aderlaß stets eine Blutdrucksenkung und zwar proportional
der Größe desselben auftritt. Nach Blutentziehungen von durch-
schnittlich 200 ccm Blut sank der Druck um ca. 18 mm Queck-
silber und blieb manchmal noch längere Zeit danach niedrig.
Ich habe zunächst die Angabe von Seiz nachgeprüft, wobei
die Auskultation der Herztöne auch von Herrn Prof. Moritz aus-
geführt wurde. Wir haben ein deutliches Resultat im Sinne von
Seiz nicht erhalten, vielmehr den Eindruck bekommen, daß hin-
sichtlich kleiner Unterschiede die Schätzung der Intensität der
Herztöne mit bloßem Ohre eine sehr unsichere Sache sei.
Versuch XI. L., Mann, 27 Jahre, Herz und Lungen ohne abnormen
Befand. Yor dem Yersach die zweiten Töne an der Basis beiderseits
etwa gleich stark. Starke Stauung an allen 4 Extremitäten. Auskultation
3 Minuten, 13 Minuten und 23 Minuten nach Anlegen der Binden. Kein
Unterschied in der Stärke der zweiten Töne. Nach Abnahme der Binden
derselbe Befund. Puls während der Stauung auf 100 gestiegen, fallt
nach derselben wieder auf 71 ab.
Versuch XII. Seh., Mann, 30 Jahre, Herz und Lungen gesund.
Die zweiten Töne an der Herzbasis ziemlich laut, gleich stark. Ziemlich
kräftige Stauung an allen 4 Extremitäten. 2, 9, 12, 19 Minuten nach
1) Dissert. 1. c.
2) Mitteilungen aus dem Grenzgeb. der inn. Med. u. Chirurg. 1900 Bd. VII
p. 343.
3) Hyperämie als Heilmittel, Leipzig 1903 S. 66.
4) Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 1902.
500 XXVni. Plaskuda
Anlegen der Binden keine Änderung im Ausknltationsbefond. Wibrend
der Staunng Ansteigen des Pulses bis 104.
Versuch XIII. G., 27 Jahre, Ekzem, sonst gesund. Zweite Töne
an der Herzbasis annähernd gleich stark. Kr&ftige Stauung an 4 Ex-
tremitäten. Unmittelbar danach kein Unten cbied in der Stärke der Töne.
6 Minuten und ebenso 24 Minuten nach der Stauuug zweiter Fulmonalton
vieUeicht etwas schwächer geworden als der zweite Aortenton. Während
der Stauung Ansteigen des Pulses von 60 auf 92.
Ein objektiver Maßstab zur Beurteilung der Wirkung des
Bindens der Glieder oder der kflnstlichen Blutleere auf den Blut-
druck kann nur durch direkte Druckmessungen gewonnen werden.
Es wurde zu diesen der Apparat von Riva-Rocci verwendet,
und zwar, da es nur auf Vergleichswerte ankam, mit der ursprüng-
lichen schmäleren, nicht mit der breiten von Recklinghansen
angegebenen Manschette. Mit letzterer bekommt man bekanntlich
etwas niedrigere absolute Druckwert«, die dem wahren Innendrucke
der Arterie sehr angenähert sind. Bei dem großen Einflüsse, den
psychische Erregungen auf Steigerung des Blutdruckes haben,
mußte mit großer Vorsicht vorgegangen werden. Es wurden, mit
wenigen besonders verzeichneten Ausnahmen, nur möglichst ruhige,
besonnene Leute mit geringfügigen AflFektionen ausgewählt. Die-
selben wurden an die Manipulationen mit dem Blutdruckapparat
meist erst Tage oder Stunden vorher zu gewöhnen gesucht. Die
Versuche wurden in ruhigem Räume möglichst allein vorgenommen.
Die Stauung war durchweg eine mittelstarke bis starke. An den
Beinen ist es nicht ganz leicht, den richtigen Grad der Stauung
zu erzielen, da die Kontrolle des Pulses hier schwierig ist Die
Binden müssen ziemlich fest angelegt werden. An den Armen ist
die Stauung leichter vorzunehmen. Der Radialpuls muß immer
deutlich zu fühlen bleiben. Über den Grad der Stauung kann man
durch Umfangsmessungen der Extremitäten ein Urteil gewinnen.
Umfangszunahmen um 1 — 2 cm sind bei guter Stauung an Armen
wie Beinen das gewöhnliche. Einmal wurde am Unterschenkel
3 cm Zunahme festgestellt. Die verwendeten Gummibinden waren
ca. 6 cm breit und wurden möglichst hoch am Oberarm resp. Ober-
schenkel angelegt. Wichtig für ein reines Resultat ist, daß die
Binden keine wesentlichen unangenehmen Empfindungen verur-
sachen. Anderenfalls können hierdurch Druck steigeiningen hervor-
gerufen werden.
In den meisten Versuchen wurde die Stauung an beiden Beinen
und einem Arm angelegt. Ein Arm mußte zur Druckmessung frei
bleiben.
Untenachnngeii ütwr das „Binden der Glieder" etc. 50t
Anf den Kurven der folgenden Yersache bedeoteu die Äbscissea-
zahlen die Versnchszeit in Minoten, die Zahlen der Ordinate fSr
die Druckkurve Millimeter Quecksilber, für die Kurve des Pulses
die Frequenz in einer Minute.
Yerauch XIV. Binden der Fufigelenke ohne Stnuung.
Kurve 1.
- Blatdrack in mm Hg
■ Pülafrequenz in der Min,
. Binden beider FuUgelenke
. Binden eines Armes.
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YerBachsperson Ton Versuch XVII. Feste UmHchuünuig bloß der
Fnfigelenke, dann aoch des rechten Oberarms, am festzustellen, ob das
Binden sJs lolobes, unabhängig von der Stauung, einen £tnfiuß habe.
Weder Blutdruck noch Puls werden beeinflußt.
Versuch XV. Stauung an einem Arm.
Kurve 2.
0 10 «) so 40
Knabe, 15 Jahre, RekonyaleaceDt Ton Ischias. Stauung am linken
Oberarm. Kein deutlicher Einflaß auf den Blutdruck.
Yersucb XVL Stauung an beiden Beinen.
Kurve 3.
Blntdrnck in mm Hg
Pulsfrequenz in der M
a. Anlegenj^^^B^jj^^j,
b. Lasen )
XXVIII. Plabkdda
Knabe, 14 Jahre, Nasenleideo, sonst geBond, SUranug nicht sehr kräftig,
^eiu Bicherer EinfluB auf den Blatdmck, Steigerung der FnUfrequeoz.
Yerench XVII. Stitoang an beiden Beinen.
Earve 4.
Blntdruck in mm Hg
PnlafreqDeDS in der Min.
«, Anlegen^ j^^ ^.^^J
b. LQsen / - .
Mann, 20 Jahre, pieuritiache Schwarte, sonst gesand, kräftige Stauung
an beiden Oberschenkeln. Blutdruck kaum beeinflußt, Pulsfrequenz inJUiig
gesteigert.
Versuch XVI]I. Stauung &a beiden Armen und Beinen.
Pulafrequeoz in der Min.
Ifaun, 17 Jahre, RekouvaleGoent Ton akuter BroncUlis, tonst genind.
KrSftige Stauung an allen 4 Extremitäten. Der Versuch zeigt, daB im
Verlauf der Stauung die Pulsfrequenz erheblich ansteigt und nach iwta
Aufhebung alsbald wieder absinkt.
Versuch XIX. Stauung an beiden Beinen und einem Arm.
Kurve 6.
— Blutdruck in mm Hg
.. PnIsfreqneDS in d«!
Hin.
B. Anlegen der Binden
b. SUrkeres Anziehen
der Binden.
c. Usen der Bindeu
X. Eine Binde drückt.
wird gelockert
UntennchangeD Qber da» „BindeD der Glieder" etc..
603
HanD, abgelaufener G ei enkrheomati Brnos. Anfangs keio EinänB des
Bindeus aaf Blutdmok und FalHfrequenS. £r»t nach Veratärken der
Stanang tritt ein aolcfaer heivor. Eine vorttbergeliende Steigerung des
Blutdruckes bei x ist wahrscheiDlioh auf scfamerzbaften Druck einer Binde
zn beziehen.
Yeraach XX. Stauung au beiden Beinen und einem Arm.
Kurve 7.
. Blutdruck ii
- Pulsfrequenz
Jahre, postdiphtherische Lähmung. Nach kurzer ani^ng-
licher Steigerung sinkt der Blutdruck väbrend- der Stauung ab, die
Pulsfrequenz steigt.
Versach XXI. Staunng an beiden Beinen und einem Arm.
. Blutdruck iu mm Hg
Pulsfrequenz in der Hin.
XXTUL PI.A8XV&A
Mann, 20 Jafara, Ekzem, sonat geBond. TJotcir dem EinflaB der
StAaimg Absinken des Blutdracka, Steigerung der Palsfrequeni.
Veraach XXH. Staun
m. CoUapB.
Kurve 9.
lg an beiden Beinen und
BiDtdmck in mm Hg
..: Palgfregaenz in der Hin.
b': tär] ■^ """"•
Kräftiger Vann, 38 Jahre, Lumbago, earttt gesund. Während der
Stauung Sinken des Drucken, Steigerung der Fulsfreqnenz. Ca. 30 Hinnten
nach Beginn der Stauung Zeichen eines Collapeea, Übelkeit, Brecb-
ueigung, starker SchweiBausbmch, Blässe des Qesichtes, Pols klein und
weich. FlötzlJcbes stärkeres Absinken des Blatdruckes. Nach Lösen der
Binden rasche Etholnng.
Versuch XXIIL Stauung an beiden Beinen und einem
Arm. Collapa (s. Kurve 10).
Mann, 26 Jahre, kräftig, völlig gesund. Der Blutdruck wnrde vor
Beginn der Stauung 1 Stunde lang gemessen. Anfangs 170, fiel er hä
ruhigem Liegen des Mannes bis auf 158. Nach Beginn der Stauung
während 25 Minuten geringes Absinken des Druckes unt«r inSßiger
Steigerung der Palafrequeoz. Dann plötzliches AbstQrsen des Blatr
druckes um über 50 mm Hg und Emporschnellen der Fulsfrequenz um
über 40 Schläge. Dabei Übelkeit, Schwiadelgemhl, aufTallende Blässe des
Gesichts, Schweißausbrach. Noch während des Collapses sinkt der Puls
wieder stark ab. Nach Lösen der Binden rasches Wiederansteigen des
Druckes auf höhere als die Anfangswerte.
UnterauchnDgeo Qber das „Binden der Glieder" etc.
Blutdruck io mm Hg;
PnlstreqnenK in der Min,
Verfluch XXIV.
beiden Beinen
nächst an eine
Arm, dann
90
— r Blutdruck in mm Hg
a. Anlegen der Binde am Arm
b. Anlegen der Binden au den
Beinen.
Hann, 24 Jahre, sehr nervös, leicbt erregbar. Der vor der Stanung,
offenbar infolge Erregung, bocb ansteigende Druck sinkt während der
Stkoang etwas, aber nicht bis zur Norm ab.
Versuch XXV. Stauung an beiden Beinen und einem
Arm bei einem Kranken mit Hämoptoe (s. Kurve 13).
Apotheker, 27 Jabre, Hämoptoe an mehreren Tagen hintereinander.
Die Stauung hat keine deutliche Minderung des Druckes zur Folge, Auch
kliniacb kein Erfolg. Patient ist sehr ner»8a. Hierauf sind die starken
Druckschwankungen wohl zu beziehen.
DantMlies Arcbiv f. klin. Ucdizin. LXXX. Bd. 33
' Xxvnt. Plaskcda ■
• Blutdruck io nun Hg
Pn1*freqneDs in der Min.
Die vorstehend beschriebenen Versuche lehren uns, daß es
tatsächlich durch eine genügend kräftige und ausgedehnte Stanan^
gelingt, den Blutdruck um etwa 20 mm, d. i. um ca. 14 % herab-
snseteen. Die Stauung muß hiercu aber an drei Gliedern, besser
wobl noch an vieren, angelegt werden. Abbinden nur einer oder
zweier Extremitäten hat eine ungenügeode Wirkung. Daß der
blutdruckmindemde Einfluß rein mechanisch, darcfa geringere Füllung;
der ft-eien Gefäßprovinzen, zu erklären ist, ist nicht v&llig sieber.
Es ließe sich auch vorstellen, daS von deo unter erMhtem Drucke
stehenden Gefößen der gestauten ExtremiULt^ aas eine reflek-
torische depressorische Wirkung auf die freien GefllSproviuzen aus-
geübt würde. Vielleicht kombinieren sich beide Faktoren. Durchaas
den Eindruck einer Nervenwirkung machte das zweimal beobachtete
plötzliche rapide Absinken des Blutdrucks, das mit den Erschei-
nungen des OoUapses einherging (Vers. XXII und XXIII). Diese
Dicht sicher vermeidbare Komplikation des Abbindens der Glieder,
die ein recht bedrohliches Ausseben annehmen kann, sfitigt dazu,
die Stauung fortwährend zn fiberwachen. Ein weiteres Moment.
das eine sichere Dosierung des Verfahrens erschwert, ist eine ab-
norme psychische Erregbarkeit des Kranken (Versuch XXIV und
XXV). Sie kann die drackmindemdeWiitung der Stauung paraly-
sieren oder JE ihr Gegenteil verkehren. Auch schmerzhafte Empfin-
dungen durch die Binden können Drucksteigerungen herbeifahren.
Im ganzen möchten wir ans nach unseren Versuchen aber doch
dahin äußern, daß die vorsichtige Anwendung des Bindens der
Untersuchungen tber das „Bmden der Glieder'' etc.
507
Glieder in Fällen von Blutungen einer rationellen Basis nicht
entbehrt.
Eine regelmäßige Begleiterscheinung einer wirksamen Stauung
ist eine Beschleunigung des Pulses um 20—25 Schläge. Man wird
dieselbe geradezu als Maßstab für eine genügende Wirkung der
Stauung benutzen können.
Es erübrigt nun noch^ über die Versuche zu berichten, in
denen wir den Einfluß künstlicher Blutleere der Extremitäten auf
den Blutdruck untersuchten.
•
Versuch XXVI. Künstliche Blutleere beider Beine.
Kurve 13.
Blutdruck in mm Hg
a. Einwicklung des Unken Beines
b.
rechten
n
0 10 80 30
Knab«, 16 Jahre» gesund. Der Druck steigt während der Blutleere
in mäßigem Grade an.
Versuch XXVII. Künstliche Blutleere in heiden Beinen
ond einem Arm.
Kurve 14.
Blutdruck in mm Hg
- Pulsfrequenz in der Min.
Zwischen a. und b. Einwickeln der
Extremitäten. Bei c. Beginn schmerz-
hafter Empfindungen durch die Bindai.
Bei der Abnahme der Binden.
oioioaoM&oeoTo
Knahe, 15 Jahre, gesund. Der Blutdruck steigt, während die
Binden liegen, nicht unerheblich an. Es fällt die Hauptsteigerung aller-
^gs mit schmerzhaften Empfindungen durch die Binden zusammen. Nach
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508 xxvm. Pi^KUD*
Losen der Binden tritt eine reaktive Hyperlmie der Extremititen nntir
«nfänglicher weiterer Drackiteigernng ein.
Yereach XXYUI. Künstliche Blutleere in beiden Beinen
und einem Arm.
-^ BlutdrDck in mm Ug
. PnLsfreqneDZ in der Hin.
&. Be^nn der Einwicklnii);
b. Beginn von Par&sthesien
c. Läsen der Binden.
Uann, 20 Jahre, plearitisobe Schwarte, sonst gesund. Die Ein-
Wicklung der ExtreinitSten ohne Einfluß auf den Blutdruck bis aur die
letiiten Üinuten, wo Paräathesien auftreten. Hier geringe Drucksteigerang.
Nach Lösen der Binden reaktive Hyperämie mit weiterer Steigerung d«
Druckes.
Aus diesen Versuchen geht hervor, daß bei ausgedehnter künst-
licher Blutleere der ExtreniitÄten eine Drucksteigernng in den
freien Gefäßprovinzen anftreten kann, deren mechanische Entstehuojf
dnrcli Blutverdrängung allerdings nicht sicher ist. Wahrscheinlich
beteiligen sieh an der Druckerhdhung reflektorische nervöse Ein-
Aüsse, die auf Seizung ensibler Nerven durch den Bindendruck and
die Blutleere zurQckzuführen sind.
Immerhin kanu die Tatsache der Druckerhöhung, gleichgültig:
wie sie entbtehl. für die therapeutische Berechtigung der „Auto-
transfusion" bei Blutverlusten herangezogen werden. Aber auch
wenn eine solche Druckerhöhung sich nicht fände, wurde doch nach
Blutverlusten von der von uns zahlenmäßig festgestellten starken Ver-
drängung von Blut aus den Extremitäten in die Gefäßgebiete des
Rumpfes und Kopfes theoretisch ein Nutzen ei-wartet werden können.
Die von mehreren Seiten gegen die Autotransfusion erhobenen Be-
denken wurden oben erwähnt. Sie scheinen uns nicht einwandsfreL
Doch liegt ihre Diskussion im einzelnen nicht im Plane dieser
Mitteilung.
üntersuchangen über das „Binden der Glieder*' etc. 509
Zum Schlüsse fasse ich die gewonnenen Resultate nochmals
kurz zusammen.
1. Durch Abbindnng oder Einwicklung der Extremitäten mittels
Gummibinden lassen sich dem Kreislauf des Rumpfes und Kopfes
ziemlich erhebliche Blutmengen entziehen resp. zufuhren. Sie be-
tragen bei Einbeziehung aller Extremitäten '^U—^U 1-
2. Starke Stauung an 3 Extremitäten (mehr wohl noch an 4)
setzt den Blutdruck um ca. 20 mm Hg (= ca. 14 ^o) herab. Bei
„nervösen" Personen ist diese Wirkung unsicher. Gelegentlich
kommt es aber auch unter plötzlichem, noch weit stärkerem Druck-
abfall zu coUapsartigen Zuständen. Dieselben gehen auf Lösen
der Binden allerdings rasch vorüber.
3. Bei künstlicher Blutleere mehrerer Extremitäten kommt es
zu Blutdrucksteigerungen, die indessen mehr auf nervösen als
mechanischen Einflüssen zu beruhen scheinen.
xxrx.
Aus der medizinischen Klinik in Greifswald.
(Direktor: Prof. Moritz.)
Über TheocinTergiftang.
Von
Eduard AlUrd,
Assiatenzarzt der Klinik.
Nachdem D r e s e r auf der Naturforscherversammlung in Karls-
bad seine Untersuchungen über die Theocindiurese mitgeteilt hatte,
fand das Mittel rasch Eingang in die Therapie. Die Veröffent-
lichungen von Minkowski (1), Meinertz(2), Schlesinger {3\
Heß(4),Döring(5), Kramer(e), Stein(7), Streit(8), Stroß (9),
Eattner(lO) die und letzten von Sigel (11), sowie von Alk an und
Arnheim(]2) rühmen sämtlich das Theocin als ein Mittel, das
auch in Fällen, in denen auf andere Weise Diurese nicht mehr oder
nur ungenügend zu erzielen war, in der Regel noch eine über Er-'
warten gute Wirkung ausübte. Diese zahlreichen Berichte geben
zugleich ein Bild von der wachsenden Verbreitung des neuen Mittels.
An unangenehmen Nebenwirkungen sahen alle Autoren Übelkeit
und Erbrechen. Störungen von Seiten des Nerven-
systems beobachteten Schlesinger und Stroß in je zwei
Fällen, auf die wir noch zurückkommen müssen.
Auch auf unserer Klinik ist das Theocin in den letzten Monaten
mehrfach angewandt worden und zwar mit demselben günstigen
Effekt auf die Diurese, wie er in den genannten Veröffentlichungen
hervorgehoben wurde. Der Zweck dieser Mitteilung ist es daher
nicht, die unbestrittene Wirksamkeit des Theocins wiederum zu
konstatieren. Wohl aber glauben wir über zwei jüngst beobachtete
Fälle berichten zu müssen, die das Theocin als ein gelegentlich
recht gefährliches Mittel erscheinen lassen.
I. Fall. Kutscher M., 52 Jahre. Seit 1892 Beschwerden seitens
des Herzens, etwas Atemnot und Herzklopfen, die sich mit den Jahren
über Theoeinvergriftimg. 51 1
st^igert^p. Mai 1901 zum ersten Uale Odem der Beine und Aecites;
jBr wu]*de vom 26. Juni bis 30. Juli und 28. September bis 10. De-
zember 1901 in der hiesigen Klinik behf^ndelt und gebessert entlassen.
Am 14. Dezeml;^er 1903 erneute^ Aufnahme :• Hochgradige Dyspnoe;
starke CyanQse, Großer Ascites, Odem der Beine, des Scrotums und
der Lendengegend.; Herzdämpfung von der rechten FarastemalUnie ; bia
ein Querfinger außerhalb der linken Mamillarlinie. Spitzenstoß V« Inter»
costalraum von Mamillarlinie bis vordere Axillarlinie fühlbar. An Spitae
und Mitralis sausendes systolisches Geräusch» über Aorta und Pulmonalis
erste Töne nicht h5rbar, zweite Töne aooentuiert. Bronohit, oatarrh«
Duroblalle. Im Urin Eiweiß und spärliche granulierte Cylinder«
Unter Behandlung mit Kampfer, später Digitalis wechselte in den
nächsten Tagen der Zustand des Fat. zwischen Zeiten erträglicheren Be«
findens und Stunden, in denen er bei elendestem Puls stark dyspnoisoh,
sehr unruhig und zeitweise benommen war. Am 16. Dezember wurde
der Ascites punktiert. In den folgenden Tagen floß aus der offen ge«
lassenen Punktionsöffnung noch reichlich Ascitesfiüssigkeit nach. Am
19. Dezember bekam Pat., von dort ausgehend, ein leichtes Erysipel,
da« bis zum 23. Dezember zur Heilung kam. Bei Behandlung mit Digi-
talis, Coffein, zuweilen Kampfer leidliches Allgemeinbefinden, geringer
Rückgang der Ödeme; die Diärese stieg auf 900 — 900 ccm täglich.
Puls wurde regelmäßiger und gleichmäßiger. Am 14. Dezember hatte
Pat. 0,3 g Theocin bekommen ; es wurde ihm danach übel; deshalb
wurde das Mittel ausgesetzt. Am 29. Dezember abermals 0,3 g Theocin;
wiederum Übelkeit, weswegen der Pat. eine weitere Dosis nicht er*
hielt, Urinmenge am 29. Dezember 1000 ccm. Am 30. bekam Pat,
der sich vorher in dem erträglichen Zustande der letzten Tage befunden
hatte, nachmittags plötzlich epilepti forme Krämpfe. Dabei
waren die Bulbi nach links gewendet, vor dem Munde stand
Schaum; Pat. bewußtlos. Die epileptiformen Krämpfe dauerten
etwa 5 Minuten; 10 Minuten später Exitus. Die Sektion ergab: Skle«
rose der Coronararterien, die zum teilweisen Verschluß derselben geführt
hatte. Fibröse Entartung der Herzmuskulatur. Sehr starke Dilatation
des linken Ventrikels. Stauungslungen mit hämorrhagischen Infarkten«
Beiderseitige Pleuraverwachsungen. Stauungsleber, -milz und -nieren.
Blutungen in der Magenschleimhaut. Die Gehimsektion
unterblieb.
II. Fall. Arbeiter W., 59 Jahre. Seit 3 Jahren Klagen über
Luftmangel und Herzklopfen. War deshalb wiederholt in der hiesigen
Klinik. Vorletzte Aufnahme am 1. September 1903 mit ausgesprochenen
Erscheinungen der Herzinsufficienz. Am 24. September wesentlich ge-
bessert entlassen. Am 29. Dezember 1903 erneute Aufnahme« Starke
Dy^nöe. Ödeme der unteren Extremitäten, Ascites. Puls kaum fühl-
bar, unregelmäßig. Im Urin Eiweiß und reichliche hyaline, spärliche
granulierte Cylinder. Urinmenge soll in den letzten Tagen sehr gering
gewesen sein. Bekommt sofort Injektion von Kampfer, ferner Digitalis
und 3 X ^7^ S Theocin. Die Urinmenge bis 30. morgens 900 com.
Allgemeinbefinden besser. Am 30. Dezember 3 X ^»^ 9 Theocin. Im
512 XXIX. Allabd
Laufe dieses. Tages war die ürinmenge sehr reichlich, die nm folgenden
Morgen gemessene Menge betrug 2o00 ccro. Die Öderoe der Beine
verschwanden zusehends, so daß abends nur noch mafiige Schwellung der
Knöchelgegend bestand; dabei die Herzaktion kräftiger, das Allgemein-
befinden gut. In der Nacht zum 31. Dezember bekam Fat. plötzlich
epilepti forme Krämpfe, zunächst der linken K^rperhälfte, später
auch der rechten. Die Bulbi waren bald nach links bald nach
rechts gewendet. Die Pupillen mittel weit, ohne Reaktion. Schaum
vor dem Munde. Cheyne-Stokes'sches Atmen. Puls nicht fühlbar. Fat.
bewußtlos. Nach 2 Stunden Nachlassen der Krämpfe. Pat. blieb
bewußtlos, Atmung und Puls wie vorher. Nach Aderlaß und subcutaner
Infusion physiologischer Kochsalzlösung vorübergehende Besserung des
Pulses, geringere Cyanose. Am 31. Dezember vormittags 11 Vs ^^
lixitus.
Sektionsbefund : Hypertrophie und Erweiterung des rechten und
hauptsächlich des linken Ventrikels. Lungenemphysem. Atelektase des
rechten und linken Unterlappens. Infarkt in der rechten Lunge. Flfisaig-
keitsänsammlung in der Brust- und Bauchhöhle und im Herzbeutel.
Ödem der unteren Extremitäten. Herdweise Entzündung des Nieren-
parenchyms. Fettinfiltration der Leber und interstitielle Entzündung.
Schleimhautgeschwüre mit Blutungen in der Magen-
schleimhaut. Htmödem.
Der unter deu geschilderten Krampferscheinungen bald nach-
einander erfolgte Tod dieser beiden Patienten war um so auffal-
lender, als sowohl das erträglichere Allgemeinbefinden derselben^
wie die Zeichen objektiver Besserung einen solchen Ausgang zur
Zeit nicht vermuten ließen. Daß beide Patienten anf die Dauer
nicht zu retten waren, darüber dürfte ein Zweifel nicht bestehen.
Besonders bei dem ersten war auf alle Falle ein baldiges Ende
vorauszusehen. Wenn wir also in diesem Falle kein großes Ge-
wicht darauf legen wollen, daß die Situation bis kurz vor dem
Tode im ganzen sich gebessert hatte, so scheint uns aber doch das
Auftreten der Krämpfe sehr auffällig, da für dieselben im son-
stigen Krankheitsbilde eine genügende Erklärung fehlte.
In dem zweiten Fall dagegen war die subjektive und objektive
Besserung unter der angewandten Therapie geradezu auffallend
gewesen. Am Abend vor dem Exitus war bei reichlicher Diurese
die Herzaktion kräftiger, das Allgemeinbefinden gut, die Dyspnoe
vei-schwunden, ebenso die Ödeme der Beine bis auf eine geringe
Schwellung der Knöchelgegend zurückgegangen. Danach war an
einen nahen Tod des Patienten nicht zu denken. Und auch hier
dann wieder die auffälligen Erscheinungen epileptiformer Elrämpfe
und Bewußtlosigkeit, die zum Tode überleiteten. Die ja zunächst
liegende Annahme eines urämischen Anfalles wurde durch die
über Theocin Vergiftung. 513
Sektion nicht gestützt. Wir hatten eine vorgeschrittene Nephritis
mit weitgehender Zerstörung funktionellen Gewebes erwartet und
waren eretaunt, nur bei mikroskopischer Untersuchung eine herd-
weise parenchymatöse und mäßig interstitielle Entzündung zu
finden. Makroskopisch waren an den Nieren die geringen Ver-
änderungen kaum zu erkennen. Nun hat Bartels*) zwar urämi-
sche Erscheinungen auftreten sehen, wenn künstlich, mittels
Schwitz- oder Abfuhrkuren eine plötzliche Resorption hydropi-
scher Ergüsse herbeigeführt wurde. Er teilt einen solchen Fall
mit^ bei dem noch während des Schwitzens nach einem heißen
Bade die urämischen Krämpfe ausbrachen. Der Kranke überstand
dieselben, war am folgenden Tage abgeschwollen und hatte eine
reichliche Diurese.
Auch in unserem Falle war die starke Abschwellung der
Beine während des 30. Dezember sehr auffallend. Aber sie ging
alsbald Hand in Hand mit einer ganz außergewöhnlichen Harn-
absonderung, die doch entgiftend wirken mußte, während in der
Beobachtung von Bartels die Krämpfe sich einstellten, ehe es
noch zu einer Steigerung der Diurese gekommen war. In unserem
ersten Falle vollends war von einer raschen Resorption hydropischer
Ergüsse überhaupt nicht die Rede. Angesichts dieser Sachlage und
unter Berücksichtigung aller begleitenden Umstände mußten wir zu
dem Schlüsse kommen, daß das Theocin die Krämpfe verursacht habe.
Noch zu Lebzeiten des zweiten Patienten war uns diese Vermutung im
Hinblick auf die von Schlesinger^) veröffentlichten Fälle gekommen.
Ein Kranker Schlesinger's mit universellem Hydrops (Vitium
cordis ohne Erkrankung der Nieren) bekam am 2. Tage der Darreichung
von Theocin (5 X ^>^ g P''o die) allgemeine Konvulsionen vom Charakter
der epileptischen mit Bewußtseinsverlust von mehreren Minuten Dauer.
Am nächsten Tage (bei Fortgebrauch des Theocins) Wiederholung des
gleichen Anfalls. Nach Aussetzen des Theocins bis zu dem mehrere
Wochen später erfolgenden Exitus kein neuer Anfall. Fast zur selben
Zeit beobachtete Schlesinger bei einer Kranken mit Vitium cordis
ohne Erkrankung der Nieren nach Gebrauch von 5 X ^»^ g Theocin
einen ganz analogen Anfall; auch hier kein neuer Anfall nachdem das
Mittel ausgesetzt war. Diurese in beiden Fällen an den Tagen mit Kon-
vulsionen eine ziemlich hohe (über 3 resp. 2 1). Zwei ähnliche Fälle
sind auch von Stroß^) beschrieben. Ein Kranker mit Coronarsklerose
und stenokardischen Anfällen wurde am vierten Tage der Theocindar*
1) Ziemßen's Handbuch 9. Bd I.Teil S. 122 f.
2) Therap. d. Gegenwart 1903. März.
3) Wien. klin. Rundschau 1903, Ref. Therap. Mon. 1903. Juli.
514 XXIXv AhUAMD
rtichung- Yon epUeptiformea Ko^yal8ionell befalleo. Bei dem xweiten
Kranken mit Coronarsklerose und Aorteninsnf&cienx kam es am sechsteu
Tage nach dem Theocingebranch und nachdem das Mittel schon zwei
Tage ansgesetst war, unter Cheyne-Stockes'schem Atmen zu epilepti-
formen Kr&mp/en. Der Verf. läfit ea zweifelhaft, ob das Theocin die
Ursache derselben gewesen i^eu
Während nun in den Fällen von Schlesing^er und Stroft
die Vergrftnngen günstig abliefen, endeten unsere beiden Fälle
tödlich, obwohl die gegebenen Dosen keineswegs hohe, sondern
durchaus die üblichen waren. Im ersten Falle wurden nur 0,6 g
und zwar je 0,8 g in Abstand von 14 Tagen, im zweiten 1,5 g in
2 Tagen gegeben.
Die Sektion ergab keinen Beftind, den man speziell für das
Auftreten der Krämpfe hätte verantwortlich machen können.
In unserem zweiten Falle, der die Krampferscheinungen am
ausgesprochensten gezeigt hatte — im ersten Falle unterblieb
leider die Gehimsektion — fand sich nur das bekanntlich un-
charakteristische Hirnödem.
Dagegen lieferte die Obduktion in unseren beiden Fällen einen
bemerkenswerten Befund an der Magenschleimhaut, der eine Er-
klärung für die appetitstörende und brechenerregende Wirkung des
Theocins liefern zu können scheint, von der die Autoren fast
übereinstimmend berichten. In unserem Fall M. fanden sich in
der Magenschleimhaut zahlreiche punktförmige Blutungen. Im
Falle W. wies die Magenschleimhaut überall hämorrhagische Flecken
auf. Über die ganze Schleimhaut verteilt fanden sich außerdem
kleine oberflächliche Geschwürchen vor, die etwa Linsengröße und
eine unregelmäßige Form hatten und von einem meist hochroten
Inflltrationshof umgeben waren. Im Darm fanden sich dagegen
keine Geschwüre, was, nebenbei gesagt, gegen eine urämische Pro-
venienz der Magenerosionen anzuführen ist, falls man an eine solche
denken wollte.
Da eine sonstige Erklärung für diese Veränderungen in der
Magenschleimhaut fehlte, so mußte sich die P>age nach einem Zu-
sammenbang derselben mit d^m verabreichten Theocin aufdrängen.
Wir schritten daher zu einer experimentellen Untersuchung übw
derartige Nebenwirkungen des Mittels, zunächst an Hunden, später
an Kaninchen und Katzen. Über deren Ergebnisse soll in folgendem
kurz berichtet werden. -
Versuch I. Hund. 19,8 kg Gewicht, Bekommt Theocin, teilweise
in Wasser gelöst, per Sohlundsonde in den Magen.
über Theocinv^giftung. 515
7. Februar 1904. Dosis von 2 g auf einmal. Bald nach Eingabe
Brechreiz; wird durch Hochhalten des Kopfes zunächst am Erbrechen
gehindert. Nach wenigen Stunden Erbrechen. Frißt am Abend wieder,
9. Februar 1904. 5 g. Wiederholtes Erbrechen; Yerweigert die
Nahrang; macht einen matten kranken Eindruck.
11. Februar 1904. 5 g um 8 TJhr morgens. Erbricht wiederholt;
frißt nicht ; ist teilnahmslos. Wird nachmittags tot im Stall gefanden.-
Der nach rechts gedrehte Kopf, nach links gedrehte Körper, die starr
ausgestreckten Beine, der Opisthotonus lassen vorausgegangene Krämpfe
als wahrscheinlich annehmen.
Die gegebene Dosis betrug 10 g in 5 Tagen, im ganzen ca. 0,5 g
pro kg Korpergewicht.
Sektionsergebnis: Starke Hyperämie der inneren Organe. Tnibe
Schwellung der Herzmuskulatur. Subendokardiale Blutungen. Zahl-
reiche Blutungen und hämorrhagische Erosionen der
Magenschleimhaut«
Versuch 11. Hund. 19,2 kg Gewicht. Theocin per Schlundsonde,
15. Februar 1904. 1,5 g. Brechreiz.
16. Februar 1904. 2 g. Öfteres Erbrechen schleimiger Massen.
Frißt nicht mehr.
17. Februar 1904. 2 g. Erbrechen. Fängt nach einiger Zeit an,
beim Grehen zu taumeln. Nach 3 Stunden Lanfkrämpfe, im Anschluß
dai'an tonische Krämpfe der Beine, Opisthotonus, konjugierte Deviation
der Augen nach links; Schaum vor dem Maul. Nach 15 Minuten
Exitus.
. Die gegebene Dosis betrug 5,5 g in 3 Tagen, also ca. 0,29 g pro kg
Körpergewicht.
Sektionsergebnis : Hochgradige Hyperämie der inneren Organe. Sub<«
endokardiale Blutungen. Trübe Schwellung der Herzmuskulatur. Zahl«
reiche Blutungen und hämorrhagische Erosionen der
Magenschleimhaut. Auffallende Trockenheit der Skelettmuskulatur.
Gehirn ohne Befund.
Versuch III. Hund. 18,5 kg Gewicht. Theocin per Schlundsonde.
21. Februar 1904. 2 g Theocin. Erbrechen.
23. Februar 1904. 1 g Theocin. Keine Symptome.
24. Februar 1903. 2 g. Anscheinend heftige Bauchsehmerzen.'
Der Hund wird sich oft klagend flach mit dem Bauch auf den Boden
und bleibt dann mit weit ausgestreckten Beinen lange liegen. Erbrechen.
25. — 29. Februar. Täglich 1 g. Jedesmal Erbrechen. Schmerz*
anfalle, wie am 24. Februar.
1. März. 2 g. Dieselben Symptome; dazu heftiges Zittern, Schreck-'
haftigkeit.
2. März. 2 g. Anfänglich wie vorher. Dann taumelnder Gang.
Starkes Zittern. Fällt oft zu Boden. Schließlich Krampfanfalle, Streck-
krämpfe in den Beinen, Opisthotonus, Schaum vor dem Maul. Exitus.
Die Dosis war hier 14 g in 11 Tagen, also ca. 0,76 g pro kg
Körpergewicht. Leider konnte bei diesem Tier das frühzeitige Erbrechen
nicht verhindert werden.
516 XXIX. AiXARD
Sektionsergebnis: Starke Hyperämie der inneren Organe. Fleckige
Degeneration der HerzmnBkolatar. Subendokardiale Blatnngen. Trübe
Scbwelinng der Nierenrinde.- Im Magen mäßig zahlreiche Scbleim-
hautblntangen; nur eine Erosion.
Die auffallend starke Hyperämie der inneren Oi^ane, sowie
die Veränderangen der Herzmusknlator in allen Fällen nnd das
Aussehen der Kierenrinde bei dem letzten Hunde veranlaßt« mich,
bei den folgenden Versuchen, die an Kaninchen angestellt wurden,
diesen Organen mehr Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Versnch lY. Kaninchen. . 2030 g Gewicht. Bekommt Theocin
per Sonde in den Magen.
6.-^8. März. 0,5 g täglich. Keine besonderen Symptome.
' 9. März. Morgens tot im Käfig gefunden.
Theocindosis 1,5 g in 3 Tagen, also ca. 0,75 g pro kg Körpergewicht.
Sektionsergehnis : Starke Hyperämie der Organe. "Sabendokardiale
Blutungen. Im Magen keine Blutungen. Die mikroskopische Unter-
suchung ergibt trübe Schwellung und Zerfall der Herzmuskelfasern.
Starke Degeneration des Nierenparenchyms, besonders der Epithelien der
gewundenen Harnkanälchen, geringere der geraden.
Versuch Y. Kaninchen. 2350 g Gewicht. Theocin subcutan.
6. März 0,1 g. 7. und 8. März, 10. und 11. März, 15., 18., 19.,
20., 22. und 23. März je 0,2 g. Das Tier zeigt bis zum 23. keine
besonderen Symptome, frißt auch wie gewöhnlich.
Am 23. März zeigt es 4 Stunden nach der Injektion eine erhöhte
Beflexerregbarkeit. Es sitzt unbeweglich da, erschrickt jedoch beim ge-
ringsten Geräusch, bekommt beim Betasten Zuckungen in den Beinen.
Schließlich Streckkrämpfe in den Beinen mit Opisthotonus. Liegt beim
Nachlassen derselben unbeweglich auf dem Boden. Auf den Bücken
gelegt, versucht es, sich umzuwälzen. Dabei erneuter Krampfanfall.
Nach 3 Minuten Exitus. Die Dosis betrug 2,1 g in 17 Tagen, also
pro kg Körpergewicht ca. 0,89 g.
Sektionsergebnis: Die gleiche Hyperämie der inneren Organe. Sub-
endokardiale Blutungen. Blutungen und Erosionen der Magen-
schleimhaut. Trübe Schwellung der Herzmuskulatur. In den Nieren
fand aich mikroskopisch bei hochgradiger Hyperämie der Nierenrinde,
besonders der Glomeruli, starke kömige Trübung und Zerfall der Epi-
thelien der gewundenen, weniger der geraden Hamkanälchen. Außer-
dem trübe Schwellung der Magenschleimhaut.
Versuch IV. Kaninchen. 1700 g Gewicht. Bekommt Diuretin
in den Magen^ um die Wirkung dieses Mittels mit der des Theocins zn
vergleichen.
3. und .4. März, 6.-^8. März, 10., 11. uiid 13. Mära zu 0.5 g
Diuretin = ca. 2,0 g pro kg Körpergewicht.
Das Tier wurde am Tage nach der letzten Dosis tot aufgefunden.
über Theocin Vergiftung. 517
£s hatte während der Behandlung keine auffallenden Symptome gezeigt^
abgesehen von. einer ganz extremen Abmagerung. Es wog tot nur noch
1100 g. Bei der Sektion wurde makroskopisch nichts Abnormes ge-
funden.
Versuch VII. Katze. 1000 g Gewicht. Theocin in den Magen.
18. März 0,1 g, 19. und 20. März 0,2 g. 22. März 0,3 g.
Das Tier zeigt am Abend des 22. nur auffallendes Zittern in dem
ausgestreckten Schwanz. Sonst keine Symptome. Wird am 23. März
morgens tot aufgefunden. Der Kopf ist zur Seite gedreht; das Maul
mit Schaum bedeckt.
Die Dosis betrug 0,8 g in 5 Tagen = 0,8 pro kg. Körpergewicht. '
Sektion : Hyperämie der inneren Organe. Mäßige trübe Schwellung
der Herzmuskelfasern. Mäßige trübe Schwellung der Harnkanälchen-
epithelien. Trübe Schwellung der Magenschleimhaut; in dieser eine
Blutung. An einzelnen Stellen starker Zerfall der Leberzellen.
Versuch VIII. Katze. 1500 g. Bekommt Theocin subcutan.
Am 19. und 20. März je 0,1 g, am 22. und 23. März je 0,2 g,
am 25. März 0,3 g. Bis dahin sind Krankheitserscheinungen bei dem
Tier nicht beobachtet worden. Eine halbe Stunde nach der letzten
Dosis Erbrechen. Dann Zittern und beschleunigte Atmung. Nach
2 Stunden erhöhte Beflexerregbarkeit, zuckt zusammen beim Betasteni
bei Geräuschen. Nach 2^/^ Stunden erster Krampfanfall Yom Charakter
der vorher beschriebenen. Nach kurzer Pause zweiter Anfall. Im dritten
Anfall, der 20 Minuten dauerte, Exitus.
Die Dosis war in diesem Falle 0,9 in 7 Tagen, also 0,6 g pro kg
Körpergewicht.
Sektion : Wiederum Hyperämie der inneren Organe. Blutungen im
Magen und Endokard fanden sich nicht. Trübe Schwellung der Herz-
muskulatur, ebensolche der Magenschleimhaut. In den Nieren keine
deutlichen Veränderungen. In der lieber geringer Icterus.
Es sind also alle Tiere und, soweit beobachtet, mit den gleichen
Erscheinungen, nämlich unter Krämpfen, durch die Verabreichung
von Theocin zugrunde gegangen.
Bis zum Eintritt des Todes betrug die den Tieren im ganzen
verabreichte Theocinmenge pro kg des Körpergewichts bei den
Hunden 0,76 g, 0,29 g, 0,50 g, bei den Kaninchen 0,89 g, 0,75 g,
bei deü Katzen 0,80 g, 0,6 g. Von Diuretin wurde einem Kanin-
chen 2,0 g pro kg Körpergewicht gegeben, bis es zugrunde ging.
Über die wirklich zur Resorption gekommenen Theocinmengen
können obige Zahlen allerdings bei den Hunden nichts Genaues
besagen, da diese regelmäßig erbrachen. Die Hunde bekamen das
Theocin per Schlundsonde in den Magen, so daß dem Erbrechen
eine direkte Reizung der Magenschleimhaut zugrunde liegen kann.
^18 XXIX. Allahd
Indessen zeigt Versuch VIII an der Katze, daß es auch bei
subcutaner Applikation von Theocin gelegentlich zu Erbrechen
kommt.
Sehr bemerkenswert ist die starke Schädigung der Magen-
schleimhaut bei der Mehrzahl der Tiere, die ein vollkommenes
Analogon zu unseren Befunden beim Menschen bildet. Alle drei
Hunde, ein Kaninchen und eine Katze zeigten Blutungen, zum Teil
mit Erosionen in der Magenschleimhaut. Versuch V am Kaninchen
ergibt, daß diese Schleimhautschädigung kein« direkte zu sein
braucht, sondern auch vom Blute aus nach subcutaner Applikation
des Theocins auftreten kann.
Bemerkenswert sind femer die Veränderungen, die das Theocin
in Form trüber Schwellung an den verschiedensten Organen hervor-
rufen kann. In keinem Falle fehlte eine derartige Schädigung an
der Herzmuskulatur, nur in einem Fall (Versuch IV) an der Magen-
schleimhaut. Zu den Schleimhautblutungen im Magen stehen in
Parallele subendokardiale Blutungen am Hei*zen, die sich bei allen
Hunden und Kaninchen fanden. Bd den meisten Tieren, besonders
den Hunden und Kaninchen fand sich auch trübe Schwellung und
zum Teil starker Zerfall der Epithelien der Harnkanälchen. Die
geringsten Veränderungen wiesen von den untei-suchten Tierarten
die Katzen auf. Nur diese aber sind von Dreser zu der Prüfung
des Theocins verwendet worden.
Wie wenig quantitative toxikologische Prüfungen von Arznei-
mitteln an Tieren eine durchgehende Übertragung auf den Menschen
gestatten, geht aus unseren Beobachtungen aufe deutlichste hervor.
Die letale Theocindosis betrug pro kg Körpergewicht — in ver*
teilten Gaben — bei den Tieren fast durchgehends über 0,5 g, was
beim Menschen einer Gesamtdosis von mindestens 25 g entsprechen
würde (Annahme von nur 50 kg Körpergewicht). Dagegen sahen
wir beim Menschen, im ersten Falle bei einer Gesamtdosis von
0,6 g, d. i. von höchstens 0,012 g und im zweiten Falle von 1,5 g.
d. i. 0,03 g pro kg Körpergewicht, die allarmierenden toxischen
Symptome auftreten. Denn daß die am Menschen von uns beob-
achteten oben geschilderten Erscheinungen auf Theocinwirkung zu
beziehen seien, darüber kann unseres Eracht^ens bei dem weit-
gehenden Parallelismus charakteristischer Erscheinungen amMenschen
und am Tier — hier wie dort Krampferscheinungen, hier wie dort
Blutungen und Erosionen der Magenschleimhaut — ein Zweifel
nicht bestehen. Es muß daher auch mindestens als wahrscheinlich
erscheinen, daß die parenchjmatösen Veränderungen, die das Theo-
über Theocin Vergiftung. 619
ein bei den Tieren an den verschiedenen Organen hervorruft sich
ebenfalls beim Menschen einstellen können.
Es liegt aber in der Natur der Fälle, bei denen das Theocin
verordnet zu werden pflegt, daß solche Veränderungen, vor allem
an Herz und Nieren, in der Regel auf das Grundleiden werden be-
zogen werden, wegen dessen das Mittel eben zur Anwendung kam.
Wir haben nach den gemachten Erfahrungen die weitere
therapeutische Anwendung des Theocins nicht mehr für zulässig
erachtet.
Literatur.
1. Minkowski, Theirap. d. Gegenwart, Not. 1902. 2. Meinertz, Therap.
Mon.. Febr. 1903. 3. Schlesinger, Therap. d. Gegenw., März 1903. 4. Heli,
Therap. Mon., 1903. 5. Döring, Münch. m. Woch. 1903 Nr. 9. 6. Kramer,
Münch. med. Woch. 1903 Nr. 13. 7. Stein, Prag. med. Woch. 1903 Nr. 16,
8. Streit, Heilkunde, April 1903. 9. Stroß, Wien. klin. Rundschau 1903 Nr. 20.
10. Kattner, Dissert. Wtirzburg 1908. 11. Sieel, Berl. klin. Woch. 1904.
12. Alk an u. Arn heim, Therap. Mon., Jan. 1904.
XXX.
Aus der Königl. med. Univ.-Klinik iii Greifswald.
(Direktor: Prof. Dr. Moritz.)
Über Faßlähmong, speziell Peronensiahmang,
bei Bübenarbeitern.
Von
Dr. med. Werner Schultz,
Assistenzarzt der Klinik.
Im Sommer 1902 und 1903 kamen in unserer Klinik drei Fälle
von Lähmung resp. Parese im Gebiet der Nn. peroneus und tibialis
zur Beobachtung, welche ßiibenarbeiter betrafen. Die Kranken-
geschichten sind kurz folgende:
I. Wilhelm J., Schoitter (i. E. Peldarbeiter), 17 Jahre alt. Auf-
genommen am 12. Juli 1902.
Patient gibt an, seit 4 Wochen auf dem JRübenfelde in knieender
Stellung zu arbeiten. Sehr bald stellten sich Beschwerden in den Beinen
ein. Beim Erheben aus der knieenden Stellung fühlte er zunächst im
linken Bein „Eingeechlafensein" und Sensationen, als ob sich Würmer
darin bewegten und Nadeln prickelten. Die Bewegungen der Zehen und
des Fußgelenkes waren gehemmt. Hierauf traten dieselben Beschwerden
auch im rechten Bein auf so daß die Arbeit auf eine Woche ausgesetzt
werden mußte. Da die krankhaften Symptome etwas zurückgingen,
Wiederaufnahme der Arbeit. Unter zunehmender Oehstörung hat er
sich dann noch 14 Tage hingeschleppt, um seit 2 Tagen Yöllig arbeits-
unfähig zu sein.
Status praesens: Mittlerer Kräfte- und Ernährnngszastand.
Von leichter HJitralinsufficienz abgesehen an den inneren Organen nichts
pathologisches. Dagegen ist der Gang „hahnentrittartig**. Die moto-
rische Störung ist am ausgesprochensten links, doch ist auch die rechte
Seite beteiligt. In der Ruhelage hängt die Fußspitze nach abwärts und
kann nur wenig dorsalwärts, aber auch, wenn passiv gehoben, nur
schwach plantarwärts bewegt werden. Objektive sensible Störungen sind
au den Beinen nicht nachzuweisen. Die Patellarreflexe sind beiderseits
vorhanden.
Diagnose: Doppelseitige Parese im Tibialis- und Peroneusgebiet,
besonders in letzterem, vorwiegend links.
über Fnßlähmniigj speziell Peroneaslähmnng, bei KUbenarbeiteni. 521
Patient wnrde nach 2^/^ Wochen gebessert entlassen. Die Beweg-
lichkeit der Füße hatte sich wieder eingestellti wenn aach die Kraft
noch gering war.
II. Stanislawa M., Schnitterin, 15 Jahre alt. Aufgenomnien am
17. Juli 1902.
Die Erkrankung hat sich vor 14 Tagen beim „E^üben verziehen*'
eingestellt. Schon am 2. Tage der für die Patientin ungewohnten Be-
schäftigung bemerkte sie den Beginn einer Gehstörung.
Status praesens: Stanislawa AI. ist ein schwächliches Mädchen
von zierlichem Körperbau. Die Untersuchung der inneren Organe er-
gibt keine wesentlichen pathologischen Veränderungen. Der Gang ist
auffallend: die Oberschenkel werden abnorm hoch gehoben, während die
Fußspitzen nach unten hängen und die Zehen sowie der äußere Fußrand
fast am Boden schleifen. Bei Eückenlage hängen die Füße nach ab-
wärts. Die Dorsalflexion der Füße ist beiderseits unmöglich, die Plan-
tarflezion rechts unmöglich, links schwach ausführbar. Dagegen sind die
Zehen dorsal- wie plantarwärts beweglich, jedoch rechts schwächer als
links. Objektive Sensibilitätsstörungen bestehen nicht. Bei faradischer
Reizung der Nn. peronei beiderseits am Fibulaköpfchen hebt sich der
äußere Fußrand. Die Beweglichkeit der Beine im Knie ist beiderseits
gut. Die Patellarreflexe sind beiderseits vorhanden, jedoch ist der
rechte schwächer als der linke.
Diagnose: Doppelseitige Tibialis- und Peroneuslähmung, rechts
starker als links.
m. Begine B., Arbeiterfrau, 32 Jahre alt. Aufgenommen am
12. Juli 1903.
Den Beginn der Erkrankung datiert die Patientin 4 Wochen zurück,
nachdem sie 2 — 3 Tage auf dem Bübenfelde in knieender Stellung ge-
arbeitet hatte. Zunächst bemerkte sie eine „Steifigkeit'* in den Beinen,
das Aufstehen wurde ihr schwer, sie mußte sich helfen lassen. Gleich-
zeitig stellte sich das Gefühl von Ameisenlaufen in den Füßen ein, wäh-
rend die Empfindung für Berührung schlecht wurde. Beim Gehen über
unebenen Boden neigte der rechte Fuß zum Umkippen. Alle diese Be-
schwerden bestanden doppelseitig, nur wurde die linke Seite etwas
später und weniger intensiv alteriert. Die Patientin arbeitete noch 3 bis
4 Tage weiter, dann wurde die Fortsetzung der Arbeit unmöglich und
ärztliche Hilfe mußte in Anspruch genommen werden.
Für Potatorium, Lues und Tuberkulose bestehen bei der B. anam-
nestisch, sowie nach der objektiven Untersuchung keine Anhaltspunkte.
Status praesens: Patientin ist von mittelgroßer Statur, kräf-
tigem Knochenbau, gut entwickeltem Fettpolster und kräftiger Musku-
latur. Gesicht und Hände sind wettergebräunt. Die Untersuchung der
inneren Organe ergibt im wesentlichen normale Verhältnisse. Am Herzen
bestehen die Zeichen einer leichten Mitralinsufficienz. Eine Atrophie
der Unterschenkel besteht beiderseits nicht. Am Gange fallt das mangel-
hafte Heben der Fußspitzen auf. Bei Horizontallage der Patientin be-
finden sich beide Füße in Equinovarusstellung. Die Dorsalflexion ge-
schieht beiderseits mit verminderter Kraft, die Plantarflexion geht besser
Deutsches Archiv f. klin. Medizin. LXXX. Bd. 34
522 XXX. Schultz
von Btatteiii jedoch macht es der Patientin Schwierigkeit sich längere
Zeit auf den Zehenspitzen sa halten. Auf den Faßrücken besteht in
dem Bezirke des N. peroneus saperf. Hypästhesie.
Faradische Erregbarkeit des
N. peron. rechts bei 5'/^ cm (normal bei ca. 11,5 cm)
links bei 7 cm Rollenabstand.
N. tib. rechts bei 6 cm (normal bei ca. 11 cm),
links bei 7 cm Bollenabstand.
Galvanische Erregbarkeit des
M. tib. ant. rechts AnSZ KSZ, träge Znckung,
MinimalzuckuDgen bei 4 resp. 5 MA,
links AnSZ ; KSZ, träge Zuckung,
Minimalzuckungen bei 5 resp. 6 MA.
M. extens. digg. rechts AnSZ = KSZ, träge Zuckung,
Minimalzuckung bei 4 MA,
links AnSZ / KSZ, träge Zuckung,
MinimalzuckuDgen bei 4,5 resp. 6 MA,
träge Zuckung.
M. gastrocnem. medial, rechts KSZ / AnSZ, ' spurweise träge,
Minimalzuckung KSZ bei 3,5 MA,
links KSZ , AnSZ, spurweise träge,
Minimaizuckung KSZ bei 3 MA.
Diagnose: Doppelseitige Lähmung im Gebiet des N. peroneus und
tibialis.
Im Verlaufe der Beobachtung verschwanden die Sensibilitätsstörungen
in S^A^ Wochen. Zur Zeit der Entlassung, nach S'/j Wochen, war die
Gehfäbigkeit, insbesondere die Dorsalreflexion der Füße gebessert, jedoch
noch keineswegs normal, so daß ein weiterer über Wochen hinaus sich
ziehender Krankheits verlauf wahrscheinlich war.
Die mitgeteilten Fälle bieten an sich keinerlei besonderes In-
teresse dar. Es sind Lähmungen im Gebiete der ünterschenkel-
nerven von der bekannten Symptomatologie. Wenn wir trotzdem
die Aufmerksamkeit auf sie lenken möchten, so geschieht es, weil
sie ausgesprochene Berufskrankheiten darstellen, welche für alle
die Bezirke, in denen Rübenbau getrieben wird, ein nicht uner-
hebliches praktisches Interesse beanspruchen.
Die Arbeit des „Rüben Verziehens" besteht darin, daß die Leute
auf den Knieen hockend über die Erde hinrutschen und rechts und
links die schwächeren und zu dicht stehenden Pflanzen heraus-
reißen um den stärkeren Luft zu machen. Die Arbeitszeit ist ge-
legentlich eine sehr lange. So gab die Kranke Fall III an, vor-
mittags von 5 — 12 und nachmittags von 1 — 8 Uhr gearbeitet zu
haben. Es erscheint verständlich, daß bei dem stundenlangen
Knieen und Hinrutschen über den Boden Schädigungen der Unter-
schenkelnerven werden eintreten können, hauptsächlich wohl, in-
über FüßlähmüDg, speziell Peroneuslähmung, bei Rübenarbeitem. 523
dem eine Knickung und Kompression der Nn. tibiales und peronei
in oder oberhalb der Kniekehle resp. eine Störung der Cirkulation
in denselben erfolgt.
Solche Schädigungen können sich, wie wir es ja auch sonst
bei mechanischen Insulten an Nerven beobachten, bei Nichtbeach-
tung der ersten Wamungssignale — Parästhesien und vorüber-
gehende Paresen — bis zu vollkommener Leitungsunterbrechung
und damit zu motorischen und eventuell sensiblen Lähmungen
steigern. Zu der mechanischen Schädigung wird sich gelegentlich
auch noch eine respiratorische gesellen können, da die Erde in
der Frühe oft feucht und kalt ist, während die Arbeitenden er-
hitzt sind und zu schwitzen pflegen. Besonders für solche Fälle
würde der letztere in der Ätiologie der Neuritiden ja Bürgerrecht
genießende Faktor in Betracht zu ziehen sein, in denen neuritische
Erscheinungen über das Gebiet der Unterschenkelnerven hinaus
sich finden.
Für die vorzugsweise Schädigung die gerade der N. peroneus bei
der Rübenarbeiterlähmung erfährt, lassen sich übrigens neben den
soeben angeführten auch noch andere Erklärungen heranziehen.
Rein quantitativ wäre es möglich, daß der im Vergleich mit dem
N. tibialis faserärmere Nerv schon eine gleich intensive Schädi-
gung stärker würde hervortreten lassen.
Dazu kommt aber noch, daß der N. peroneus, wie D. Ger-
hardt (1) experimentell gezeigt hat, ein spezifisch leicht verletz-
licher Nerv zu sein scheint. Gerhardt legte „nur langsam
schädigend einwirkende in Terpentin getauchte Wollfäden" an den
bloßgelegten N. ischiadicus des Versuchstieres an. Dabei „trat
die Entartungsreaktion zum Teil allein, zum Teil viel früher im
Peroneusgebiet ein und befiel hier wiederum am stärksten die
Mm. peronei". Mit diesem Ergebnis stimmt auch die klinische Er-
fahrung von der besonderen Häufigkeit der Peroneuslähmung bei
Polyneuritiden, z. B. bei Alkoholneuritis, überein.
Peroneuslähmungen bei Arbeitern, die in knieender Stellung
arbeiteten, sind wiederholt beschrieben worden, so bei KartoflFel-
arbeitern von Zenker (2) und Roth (3) einem Pflasterer von
0 1 1 (4) einem Tischler von R e m a k (5), der auch Steinsetzer .an-
führt, einem Asphaltarbeiter und einem Leitungsröhrenanleger von
Bernhardt (6), einem Dienstmädchen von Krön (7) und einer
Torfsetzerin von Frankenstein (8).
Auch über analoge Fälle bei Rüben arbeitern finde ich schon
Publikationen, und zwar eine von Hoff mann (9) und eine von
34*
524 XXX. Schultz
Seif f er (10), von denen der erstere drei Fälle aus Baden, der
letztere sechs Fälle aus der Provinz Sachsen mitteilt. Ihnen
schließen sich nun die von uns namhaft gemachten Fälle ans
Pommern an. Es mußte von vornherein wahrscheinlich erscheinen,
daß eine Atfektion die so evident durch eine Berufsschädlichkeit
verursacht ist, der zur Zeit des „Rübenverziehens" Tausende von
Arbeitern unterliegen, nicht selten sein kann.
So erzählte denn auch die Patientin Fall III, daß gleichzeitige
mit ihr noch zwei andere Arbeiterinnen im Alter von 15 nnd
17 Jahren Gehstörungen bekommen hätten, zunächst jedoch die
Arbeit fortsetzen konnten. Daß an den Kliniken solche Fälle
trotzdem nur relativ selten beobachtet zu werden scheinen, wird
an der gewöhnlich verhältnismäßigen Gutartigkeit der Lähniung^
liegen, derzufolge die Fälle nicht an Kliniken zur Aufnahme kommen.
Daß sie aber in der Praxis recht häufig sein müssen, geht aus einer
wertvollen Mitteilung hervor, die wir von einem beschäftigten Arzte
der Umgegend, Herrn Sanitätsrat Schlentzka in Anklam erhalten
haben. Für die freundliche Auskunft und die Erlaubnis, sie an
dieser Stelle zu benutzen, danken wir dem Herrn Kollegen auf das
verbindlichste.
Dr. Schlentzka schreibt: „Die nervösen Störungen (gemeint
sind Beinlähmungen der oben genannten Art) habe ich seit etwa
8 — 10 Jahren, jedes Jahr Anfang Juni, also zu der Zeit beobachtet,
in welcher die Zuckerrüben verzogen werden. Ich habe alljährlich
5—6 Fälle, in diesem Jahre (1903) aber 12 Fälle behandelt. Die
Kranken waren stets Schnittermädchen ') im Alter von 16—29
Jahren, in diesem Jahre auch ein Schnitterbursche von 17 Jahren.
Die S3'niptome waren bei allen Patienten die gleichen. Sie be-
standen in Parästhesien des Unterschenkels und Fußes, meist Un-
empfindlichkeit der vorderen Fläche des Unterschenkels und des
Fußrückens und Schmerzgefühl in der Wade. Die am meisten in
die Augen springende Erscheinung aber war stets die Lähmung
der für die Dorsalflexion des Fußes bestimmten Muskeln. Die
Kranken schleiften beim Gehen, da ihnen der Fuß schlaff im Fuß-
gelenk nach unten hing, mit der Fußspitze schurrend über den
Fußboden oder aber, wenn sie die Beine hochhoben, klappten sie,
als wenn sie Pantofl*eln anhätten, mit der Fußsohle laut auf den
1) Die meist polnischen Arbeiter, welche zu den Feld- und Erutearbeiten
alljährlich für einige Monate herangezogen werden, bezeichnet man hierzulande
kurzweg als „Schnitter''.
über Fußlähmung, speziell Peroneuslähmung, bei Rübenarbeitem. 525
Boden. Diese Erscheinungen kommen einseitig, ebensowohl aber
auch doppelseitig vor.**
Herr Dr. Schien tzka erwähnt ferner, daß die Lähmung sich
in seinen Fällen unter Elektrisieren und dem Gebrauche von lokalen
Fichtennadelbädern in der Regel in 8—14 Tagen zurückgebildet
hätten, daß einmal aber auch bei einer jungen Schnitterin, bei der
die Lähmung bereits 8 Wochen bestand, sich eine Besserung wäh-
rend seiner Beobachtung nicht erzielen ließ. Ebenso berichtet
Sei ff er (1. c.) über solche mittelschwere und schwere Fälle und
auch in unserem 3. Falle war die Besserung in einer Zeit von
ö'/a Wochen noch keineswegs eine völlige.
Zum Rübenverziehen werden, wie uns ebenfalls Herr Dr.
Schlentzka mitteilt, auf den größeren pommerschen Gütern fast
ausschließlich russische oder polnische „Schnitterinnen" verwendet,
während die männlichen Arbeiter andere Beschäftigungen erhalten.
Daher das Überwiegen des weiblichen Geschlechts bei der Er-
krankung. Diese Arbeiterinnen haben auf den ausgedehnten Rüben-
feldern (100 — 200 Morgen bei größeren Gütern) längere Zeit. Tag
für Tag in der oben angegebenen Stellung zu arbeiten, während
in der Stadt den „Ackerbürgern*' für die weniger ausgedehnten
Ländereien Schulkinder zur Verfügung gestellt werden. Auch
Sei ff er erwähnt, daß in der Provinz Sachsen die Schulkinder zu
emev gewissen Zeit des Sommers „ Rüben verziehferien" bekämen.
Fassen wir alles zusammen, die Ausdehnung des Rübenbaues in
Deutschland, die gleichlautenden Veröffentlichungen von Hoff-
mann, Seiffer und uns, sowie die Aufschlüsse, die wir über die
Häufigkeit der Rübenarbeiterlähmung in der Praxis allein schon
von einem Arzte erhalten konnten, so glauben wir nicht fehl
zu gehen, w-enn wir diese Beschäftigungslähmung als eine der
häufigsten überhaupt bezeichnen, wenn es nicht geradezu die
häufigste ist.
Prophylaktisch ließe sich wahrscheinlich manches erreichen,
wenn die Arbeiter angewiesen würden, die ersten Symptome, näm-
lich stärkere und dauerndere Parästhesien alsbald anzugeben, da-
mit sie für einige Zeit geschont oder zu anderer Arbeit verwendet
würden. Ist es erst zu der Lähmung gekommen, so ist die Arbeits-
kraft gewöhnlich für Wochen und länger brachgelegt.
Literaturverzeichnis.
1. Gerhardt, Neurolog. Centralbl. 1895 Nr. 13. Sitzuugsber. der XX. Wauder-
versamml. der südwestdeutschen Neurologen und Irrenärzte.
526 XXX. Schultz, Üb. Faßlähmnng, spez. Peroneuslähmung', bei RübenArbeitern.
2. Zenker, Mitteilungen ttber eine bisher nicht beschriebene Beschäftignngs-
neurose. Berliner klin. Woschenschr. 1883 Nr. 41.
3. Roth, Berliner klin. Wochenschr. 1883 S. 715.
4. Ott, Philadelph. med. times 188ö Nr. 447 (cit nach Seiffer).
5. Eemak, Sitzungsbericht der Gesellschaft für Psrchiatrie und Nervenkrank-
heiten zu Berlin. Nenrolofi^ Centralblatt 1888 Nr. 2. — Derselbe
Nothnagel, Spec. Pathol. und Therapie 3 1900.
6. Bernhardt, wie 5 erstes Oitat. XI, — Derselbe, Die Erkrankungen
peripherer Nerven II. Aufl. Wien 19u2.
7. Krön, Sitzungsbericht des Vereins fttr innere Medizin zu Berlin. Berl. klin.
Wochenschr. 1897 Nr. 26.
8. Frankenstein, Über Arbeitsparesen an den unteren Extremitäten. Inang.-
Diss. Berlin 1897.
9. Hoff mann, Kasuistische Mitteilungen aus der Heidelberger medizin. Klinik
Deutsche Zeitschr. für Nervenheilkunde Bd. 9 Heft 3 u. 4.
10. Seiffer, Beitrag zur Ätiologie der Peroneuslähmung. Berl. klin. Wochen-
schr. 1897 Nr. 51.
XXXI.
(Aus dem pathologisch-anatomischen Institut des Stadtkranken-
hauses zu Dresden-Friedrichstadt. Obermedizinalrat Prof.
Dr. Schmorl.)
Überblick über die Lehre von den Ösophagusdivertikeln
mit besonderer Berücksichtigung der klinischen Bedeutung
der Traktionsdivertikel.
Von
Dr. med. Georg Riebold,
Hilfsarzt am Stadtkrankenhaus Johannstadt, ehemal. ext. Hilfsarzt am pathologischen Institut.
Die Ösophagusdivertikel sind neuerdings sowohl im
Hinblick auf ihre pathologisch-anatomische, wie ihre klinische Be-
deutung, eingehenden Forschungen*) unterzogen worden, durch
welche erwiesen wurde, daß die vielfach angefochtene, alte Zenk er-
sehe Divertikellehre in ihren Grundzügen noch bis auf den heutigen
Tag zu Recht besteht, wenn sie auch in manchen Punkten be-
richtigt und vervollständigt werden mußte.
Es erscheint als eine dankbare Aufgabe, die Ergebnisse aller
jener Untersuchungen kurz zusammenzufassen, und damit einen
Überblick über den jetzigen Stand der Divertikellehre zu geben.
Zenker^) kannte nur Pulsions- und Traktionsdiver-
1) Brosch, Zur Lehre von den Ösophagusdivertikeln. Deutsches Archiv
f. klin. Med. 1900, Bd. 67. — Hausmann, Zur Anatomie und Pathogenese der
Div. der vord. Ösophagus wand. Virch. Archiv 1902, Bd. 168. — Fischer,
über Sondierun^sverletzungen und Div. d. Ösophagus. Deutsch. Archiv f. klin.
Med. 1903, Bd. 78. — Kraus, Die Erkrankungen der Mundhöhle und der
Speiseröhre. Nothnagel's spez. Pathol. u. Ther. 1902, Bd. XVI, 1. Teil, H. Abt.
Riebold, Ein Beitrag zur Lehre von den Ösophagusdivertikeln. Virch. Arch.
1903, Bd. 173. — Rosenthal, Die Pulsionsdivertikel des Schlundes, Mono-
graphie, Leipzig 1902. — Starck, Die Divertikel der Speiseröhe, Monographie,
Leipzig 1900.
2) Zenker und v. Ziemssen, Krankheiten der Speiseröhre. Ziemssen^s
Handbuch der spez. Pathol. u. Ther. Bd. VII, 1. Hälfte.
528 XXXI. BiBBOLD
tikel. Jetzt muß man als eine weitere selbständige Gruppe die
Traktionspulsionsdivertikel festhalten, bei deren Ent-
stehung die beiden ganz verschiedenen ätiologischen Momente —
Traktion und Pulsion — vereint wirksam sind, die sonst bei der
Entstehung der Divertikel nur allein in Betracht kommen.
Unter Pulsionsdivertikeln versteht man umschriebeDe
halbkuglige oder sackförmige Ausbuchtungen der Speiseröhrenwand,
die durch einen Druck von innen entstehen.
Nach der Zenker 'sehen Lehre sitzen sie ausschließlich im
untersten Teil des Pharjiix, an der Stelle, wo er in den Oesophagus
übergeht, und zwar regelmäßig in der hinteren Wand. In den
letzten Jahren hat man hingegen gefunden, daß typische Pulsions-
divertikel auch an anderen Stellen vorkommen. Man unterscheidet
demnach jetzt zweckmäßigerweise neben den Zenker' sehen,
pharyngo-ösophagealen Pulsionsdivertikeln, die wegen
des konstanten Sitzes an der Grenze von Schlund und Speiseröhre
von Rosenthal kurz und treffend als Grenzdivertikel be-
zeichnet werden, höher gelegene — pharyngeale und tiefer ge-
legene — ösophageale Pulsionsdivertikel.
Die pharyngealen Pulsionsdivertikel sind enorm
selten; in der Literatur finden sich nur vier sichere Fälle (Klose
und Paul, Wheeler, Heusinger, Bartelt cf Rosenthal
1. c). Sie werden auf Entwicklungsstörungen im Bereich der
Kiemenfurchen zurückgeführt, die darin gegeben sind, daß die
inneren Schlundfurcheu zum Teil offen bleiben, und nachträglich
durch Innendruck vergrößert werden. Sie sind demnach in Ana-
logie zu setzen mit den branchiogenen Cystentumoren und den
Halsfistelu. Wir werden sie nur an den Stellen erwarten dürfen,
wo innere Fistelöffnungen vorkommen, nämlich im Gegensatz zu
den Grenzdivertikeln nur in der seitlichen Pharynx wand, und
nie unterhalb des recessus piriformis, der nach His den bleibenden
Rest der untersten Schlundfurche darstellt.
Die seitlichen Pharynxdivertikel machen nicht die schweren
Erscheinungen, wie die Grenzdivertikel. Stärkere Schluckbeschwer-
den sind nicht beobachtet worden. Man hat Anschwellungen am
Hals, Stimmbandlähmung durch Druck des Divertikels auf den
Nervus laryngeus superior, die durch Entspannung des Divertikel-
sacks gehoben war, starke Atemnot bei bestimmten Körperlagen,
Foetor ex ore und ähnliche Symptome beschrieben.
Die Diagnose ist leicht zu stellen, da die Mündung des Sacks
zu sehen oder zu fühlen ist. Die Therapie würde sich auf regel-
Überblick über die Lehre von den Ösophagusdivertikeln etc. 529
mäßige Entleerung des Divertikelsacks und Ausspülung mit ad-
stringierenden Mitteln beschränken, um die Beschwerden, die von
der Zersetzung des Divertikelin halts herrühren, zu mildern. In
einem Falle wurde durch operative Behandlung eine völlige Heilung
erzielt Die Prognose scheint ziemlich günstig zu sein.
Weit wichtiger und häufiger sind die pharyngo-ösopha-
gealen oder Zenker'schen oder Grenzdivertikel, von denen
mehr denn 100 Fälle beschrieben worden sind. Sie kommen nur
bei älteren Leuten vor, kaum je vor dem 30. Lebensjahre. Unter
79 Fällen, in denen das Geschlecht angegeben ist, befinden sich
60 Männer und nur 19 Frauen, es überwiegt also das männliche
Geschlecht bedeutend (Starck 1. c). Die Grenzdivertikel sitzen,
wie gesagt, stets in der Hinterwand der Speiseröhre, etwa dem
unteren Teil der Ringknorpelplatte gegenüber; sie erreichen eine
beträchtliche Größe, die Größe einer Mannesfaust oder eines Kinds-
kopfes.
Durch die neuesten Untersuchungen ist die Zenker 'sehe
Lehre, nach der die Divertikel ein erworbenes Leiden dar-
stellen und auf rein mechanischem Wege entstehen, bestätigt worden.
Ein Pulsionsdivertikel kann sich nur dann ausbilden, wenn
1. eine umschriebene Stelle der Schlundwand von Natur
schwach, oder durch andere Momente geschwächt ist,
und wenn
2. ein Innendruck vorhanden ist, der jene schwache Stelle
vorbuchtet.
Eine von Natur schwache Stelle findet sich in der hinteren
Schlundwand im Bereich der unteren Querfasern des Musculus
constrictor pharyngis inf., hier fehlt die äußere Längsmuskelschicht
oft völlig und hier sitzen regelmäßig die Grenzdivertikel. Diese
physiologische, angeborene Schwäche der hinteren Schlundwand,
die für die Entstehung der Pulsionsdivertikel wahrscheinlich das
Hanptmoment abgibt, ist bei den verschiedenen Individuen sehr
wechselnd. Ist sie sehr hochgradig, so begreift man, daß die Oso-
phaguswaud gerade hier, wo sie der stützenden Längsmuskulatur
entbehrt, einem Innendruck nachgeben wird. So finden sich auch
schon normalerweise bei gesunden Individuen beutehörmige Aus-
buchtungen der hinteren Eachenwand, die vielleicht als Vorstufen
der Divertikelbildung anzusehen sind (Rosenthal 1. c).
Die Schwächung der hinteren Pharynxwand kann auch durch
ein Trauma erworben sein. Zenker schrieb diesem Umstand die
Hauptrolle zu; er glaubte, daß durch Einklemmung von Fremd-
530 XXXI. RiBBOLD
körpern im Schlund die Muskulatur auseinandergedrängt würde,
oder daß dabei einzelne Muskelfasern zerrissen, oder daß durch
eine Verbrennung oder Verätzung die Muskulatur geschädigt, und
dadurch in ihrer Widerstandsfähigkeit herabgesetzt werden könnte,
oder daß durch ein Trauma von außen kleine Risse in der Musku-
laris entstünden. Wenn man bedenkt, daß die hintere Rachenwand
traumatischen Insulten ganz besonders ausgesetzt ist, einmal weil
sie von Natur schwach ist und dann, weil bei einer Stauung oder
einer Einklemmung von Fremdkörpern ein Ausweichen nach Yom
unmöglich ist, weil die vordere Wand an die Ringknorpelplatte ge-
heftet und durch dieselbe gestützt ist, so darf man dem Trauma
eine gewisse Bedeutung nicht absprechen, wenn es auch sicherlich
nicht die wesentliche Rolle spielt, die ihm Zenker zuschrieb. Nur
14 mal wird in der Anamnese der Divertikelkranken ein Trauma
angegeben, das wahrscheinlich in ursächlichem Zusammenhang mit
der Entwicklung der Divertikel stand.
Endlich kann die hintere Rachenwand vielleicht auch noch in-
folge von nervösen Störungen nachgiebig werden. Man hat Grenz-
divertikel nach akuten Infektionskrankheiten, namentlich nach
Typhus, beobachtet und hierbei an lokale Paresen der Schlundmus-
kulatur gedacht Auf ähnliche Weise wurde die Entstehung eines
Grenzdivertikels gedeutet, bei dem man als Ursache der lokalen Parese
einen poliomyelitischen Herd im obersten Halsmark fand (Kraus, I.e.)
Für den Fall, daß eine lokale Schwäche der hinteren Schlund-
wand vorhanden ist, wird wahrscheinlich schon ein physiologische
Grenzen nicht überschreitender Innendruck genügen, jene schwache
Stelle im Laufe der Zeit divertikelartig vorzubuchten.
Tatsächlich findet man in vielen Fällen kein Moment, das eine
Erhöhung des Innen drucks hätte verständlich machen können.
Als pulsierende Kraft kommt neben dem Schlingakt wahrschein-
lich auch der hohe Druck der Exspirationsluft beim Niesen , Husten«
Blasen von Blasinstrumenten, artikuliertem Sprechen in Frage.
Soweit der Beruf angegeben ist, fanden sich (nach Rosenthal)
Divertikel 6 mal bei Geistlichen, 4 mal bei Offizieren, 3 mal bei
Beamten, je 2 mal bei Oboebläsern, Lehrern und Kaufleuten, Imal
bei einem Arzt — also auffallend oft bei Leuten, deren Beruf ein
häufiges, lautes Sprechen erfordert.
Wichtiger als der Exspirationsdruck ist aber jedenfalls der
Druck, der beim Schlingakt ausgeübt wird, weil hierbei wieder
speziell die hintere Rachenwand betroffen wird, gegen welche die
vom Zungengrund mit ziemlicher Kraft herabgepreßten Bissen zu-
Überblick über die Lehre von den Ösophagusdivertikeln etc. 531
nächst anprallen. Besonders groß wird dieser Druck beim raschen,
hastigen Schlingen sein, und dann, wenn die Bissen durch Größe
und Konsistenz zum Schlingen ungeeignet sind.
Organische und funktionelle Schlinghindernisse können die
Divertikelbildung begünstigen, weil sie zu einer Stauung von Speise-
teilen fuhren können, und damit sowohl eine Disposition für Ver-
letzungen schaffen, als auch ganz besonders eine vorübergehende
Druckerhöhung bedingen. Immerhin ist aber auch hierbei erstes
Erfordernis umschriebene Schwäche der Muskulatur, denn sonst
kommt es nicht zu einer lokalen Vorbuchtung. sondern zu einer
gleichmäßigen Dilatation oberhalb der schwer passierbaren Stelle.
Ein Schlinghindernis, das bis zu einem gewissen Grade als
physiologisch anzusehen ist, und das nur in seiner Größe sehr
variieren kann, ist darin gegeben, daß sich am Übergang des
Pharynx zum Ösophagus eine enge Stelle findet. Der Durchmesser
der Speiseröhre beträgt hier, ebenso wie in Bifurkationshöhe und
am unteren Ende nur 12 — 14 mm, während er in den Zwischen-
strecken 22 mm erreicht. Jene physiologisch enge Stelle am Beginn
des Ösophagus ist außerdem noch dadurch ausgezeichnet, daß sie
die geringste Ausdehnungsfähigkeit besitzt, wodurch die Passage
größerer Bissen noch ganz besonders erschwert werden kann.
Als weitere, die Divertikelbildung begünstigende Schling-
hindemisse werden folgende angeführt: Ätzstrikturen, Reflexkrampf
der Osophagusmuskulatur, ausgesprochene ßingfaltenbildung der
Speiseröhrenschleimhaut; ferner Kompression des Ösophagus von
außen durch Strumen, durch Drüsenschwellungen am Hals, durch
überaus enge und hohe Halsbinden und Kragen, durch Verknöche-
rung der Kehlkopfknorpel. Namentlich auf das letztere Moment
ist großes Gewicht gelegt worden ; man hat dadurch die Häufigkeit
der Divertikel bei Männern erklären wollen, weil bei ihnen die
Verknöcherung der Kehlkopfknorpel viel früher eintritt, als bei
Frauen.
Die Entstehung der Grenzdivertikel hat man sich, um noch
einmal kurz zusammenzufassen, folgendermaßen vorzustellen:
Die von Natur schwache oder durch traumatische oder nervöse
Einflüsse geschwächte hintere Pharynxwand wird durch den Innen-
druck beim Schlingakt, der durch Schlinghindernisse noch vermehrt
werden kann, oder auch durch den Exspirationsdruck zunächst in
geringem Grade ausgebuchtet. Entweder werden nun hierbei die
Muskelbündel des Muse, constrict. phar. inf. auseinandergedrängt,
und die Bedingung für die Entstehung eines Schleimhautbruchs
532 XXXI. RiBBOLD
ist geschaffen, oder das vorprebuclitete hintere Pharynxende bildet
sich im ganzen zu einer Tasche um, ehe die auseinandergedrängten
Muskelfaserbündel die Schleimhaut zwischen sich durchtreten lassen.
Im ersteren Falle entsteht eine reine Schleirahauthemie, im letz-
teren ein Diverti)vel mit Muskelfasern in der Wand. Die weitere
Vergrößerung des Divertikelsacks geschieht nicht nur durch Pulsion.
sondern auch dadurch, daß das Gewicht hineingeratener Speisen
einen Zug auf die umgebende Wand ausübt. So stellen die Grenz-
divertikel erworbene, allmählich sich ausbildende Anomalien dar,
die sich auf Grund einer angeborenen Disposition entwickeln können.
Es ist verständlich, daß jene disponierende physiologische Schwäche
der hinteren Pharynxwand familiär besonders hochgradig ent-
wickelt sein kann, und so darf es nicht wundernehmen, daß zwei-
mal Grenzdivertikel bei Mutter und Sohn beobachtet wurden
(Rosenthal, 1. c.i.
Alle jene Theorien, die kongenital angelegte Gruben zur Er-
klärung der Grenzdivertikel annehmen, werden einmal durch das
ausschließliche Vorkommen der Grenzdivertikel bei älteren Leuten
widerlegt, und dann durch die Überlegung, daß an der Hint^rwand
des PhaiTux, dort, wo die Grenzdivertikel sitzen, die Entstehung
kongenitaler Gruben entwicklungsgeschichtlich undenkbar ist. Denn
die inneren Kiemenfurchen, die man herangezogen bat, münden in
der seitlichen Pharynxwand und höher als die Divertikel. Die
Abschnürungen im Gebiet des embryonalen Verdauungsrohrs, durch
die jene hypothetischen Gruben auf irgend eine Weise entstehen
sollten, betreffen ausschließlich dessen Vorderwand. Die Rachen-
taschen verschiedener Säugetiere endlich, denen die atavistische
Theorie Alb recht 's die Grenzdivertikel an die Seite stellen
wollte, liegen viel höher als diese.
Die anatomischen Verhältnisse der Pnlsionsdivertikel
sind einfache. Der Divertikelsack besteht meist nur aus der
zwischen den Muskelfasern hindurchgetretenen Schleimhaut, die
reich an elastischen Fasern ist, und der fascienartig verdickten
äußeren BindegewTbsschicht. Ein vollständiger Muskelüberzug
fehlt stets, während an einem Teil des Divertikelsacks sich gelegent-
lich Muskelfasern finden. Die Schleimhaut ist oft verdünnt, weist
entzündliche Prozesse, flache Geschwüre, Narben auf, oder sie ist
hypertrophisch. Infolge der dauernden chemischen und mechani-
schen Reize kann es zu chronischen Entzündungsvorgängen kommen,
die zu einer starken, warzenartigen Entwicklung der Papillen und
zur Wucherung der obersten Epithelschichten führen. Interessanter-
Überblick über die Lehre von den Ösophagusdivertikeln etc. 533
weise sind 2 Fälle beobachtet — der eine davon im hiesigen patho-
logischen Institute — , bei denen sich ein primäres Carcinom im
Divertikelsack entwickelt hatte (Pitt 1896, Hüttner 1900, cf.
Kosenthai, 1. c).
Der Verlauf der Krankheit ist ein außerordentlich lang-
wieriger und erstreckt sich meist auf Jahrzehnte. Die ersten
Symptome, die die Grenzdivertikel machen, bestehen in ßeiz-
erscheinungen , Trockenheit und Kratzen im Hals, Reizhusten,
Räuspern, Würgen, bisweilen Erbrechen, Salivation, Schleimspucken.
Sodann kommt es zu ganz leichten dysphagischen Störungen und
weiterhin zu wirklichen Stenosenerscheinungen, die anfangs nur ein
Druckgefühl im Hals beim Schlucken von festen Bissen verursachen,
bis dann gelegentlich einmal ein Bissen wirklich stecken bleibt,
der unter Würgen wieder nach oben oder durch energische Schluck-
bewegungen nach unten gedrängt wird. Das Steckenbleiben wieder-
holt sich erst in großen Zwischenräumen, später häufiger. Immer
stellen sich vorübergehend Besserungen ein. Oft bestehen die
Schluckbeschwerden nur bei den ersten Bissen, oft nur, nachdem
die ersten Bissen glatt geschluckt worden sind. Am Ende tritt
eine undurchdringliche Stenose auf, die die Ernährung vom Munde
aus unmöglich macht. Die Stenosenerscheinungen erklären sich
durch Zug und Druck des Divertikelsacks. Durch den Zug wird
die direkte Fortsetzung der Pharynxachse in die Osophagusachse
unterbrochen, so daß die Speisen anstatt in den Ösophagus, in das
Divertikel geraten. Durch den Zug wird weiterhin die Otfnung
des Ösophagus in die Länge gezogen, angespannt und schlitzartig
verschlossen. Durch Druck kann der gefüllte Divertikelsack von
außen den Ösophagus vollständig komprimieren. Ein wichtiges
Symptom der Grenzdivertikel ist die Regurgitation, die Entleerung
der in das Divertikel gelangten Massen, die oft willkürlich, oft
ganz plötzlich, unerwartet, oft während des Essens, oft später er-
folgt. Die regurgitierten Massen sind unverdaut, reichlich mit
Schleim durchsetzt, sie riechen übel, faulig, enthalten niemals Salz-
säure, aber öfters Milchsäure und verzuckerte Stärke.
Bei erheblicher Größe des Divertikelsacks tritt derselbe aus
seiner eingezwängten Lage zwischen Ösophagus und Wirbelsäule
heraus, um in den seitlichen Halspartien als Halsgeschwulst sichtbar
zu werden, die je nach dem Füllungszustand des Divertikels wächst
oder abnimmt.
Sehr charakteristisch sind die beim Essen und in der Ruhe
534 XXXI. RiEBOLD
auftretenden Hals^eräasche, die bei gleichzeitiger Anwesenheit von
Speisestoffen und von Luft im Divertikel entstehen.
Manchmal besteben heftige Schmerzen, oft fehlen sie gänzlich.
Eines der lästigsten Symptome ist der Foetor ex ore, der von den
fauligen Zersetzungen der stagnierenden Speisereste herrührt.
Weitere Symptome erklären sich durch Druckwirkungen des
Divertikels auf benachbarte Organe; so kam es zu Respirations-
störungen, Herzklopfen, Kongestionen nach dem Kopfe, diffusen
Brustschmerzen, Neuralgien, Heiserkeit kommen.
Zur Sicherstellung der Diagnose bedient man sich nament-
lich der Sondenuntersuchung. Charakteristisch ist ein Wechsel in
der Sondierbarkeit, indem man mit dicken Sonden bald bis in den
Magen gelangt, bald auf der Divertikelschwelle hängen bleibt oder
ins Divertikel gerät.
Unter Umständen kann man neben der Sonde im Divertikel
noch eine zweite in den Ösophagus einfuhren. Oft ist die Sondie-
rung sehr schwer und gelingt nur bei bestimmten Haltungen der
Kranken oder nur mit der am unteren Ende gekrümmten Leube-
schen Divertikelsonde. Immer ist Vorsicht am Platze; es sind
zwei Fälle bekannt geworden, in denen nach einer Perforation beim
Sondieren eine Mediastinalphlegmone entstand, während ein Spontan-
durchbruch eines Grenzdivertikels bisher niemals beobachtet wurde.
Laryngoskopie und Ösophagoskopie hatten bisher wesentliche dia-
gnostische Erfolge nicht aufzuweisen, wohl aber hat man mit Hilfe
der Röntgendurchleuchtung die Diagnose stützen können, nachdem
man den Divertikelsack mit einer Aufschwemmung von salpeter-
saurem Wismut gefüllt hatte.
Die Therapie des internen Arztes ist ziemlich machtlos und
genügt im allgemeinen nur der Indicatio symptoniatica. Durch Son-
dieren sucht man Stenosen zu beseitigen, den Weg, den die Speisen
nehmen sollen, offen zu halten und Nahrung einzuführen.
Weiterhin sorgt man für regelmäßige Entleerung des Diver-
tikelsacks und Ausspülung mit desinfizierenden Flüssigkeiten.
In beginnenden Fällen hat man mit Erfolg versucht, durch
den elektrischen Strom die Pharynxmuskulatur zu kräftigen, um
dadurch der hinteren Schlundwand eine festere Stütze zu geben,
oder mit der Sonde die Divertikelschwelle nach unten abzudrängen,
um dadurch die Entstehung der Sackform des Divertikels hint-
anzuhalten.
Eine wirkliche Heilung der Grenzdivertikel ist nur auf opera-
tivem Wege möglich, und zwar durch Exstirpation des Divertikel-
Überblick über die Lehre von den Ösophagusdivertikeln etc. 535
sacks. Dieselbe wurde 1884 von Niehaus zum ersten Male ge-
macht. Neuerdings ist die Operationstechnik sehr vervollkommnet
worden. Unter 15 bisher operierten Fällen trat 11 mal Heilung
ein. Vielfach wird empfohlen, vor der Divertikeloperation eine
Gastrostomie zu machen, die auch schon früher gelegentlich als
Palliativoperation ausgeführt wurde. In einem derartigen Falle
ging sogar bei 2 jähriger Ernährung durch die Magenfistel das
Divertikel zurück, wodurch bewiesen wird, daß das Wachstum der
Divertikel im wesentlichen durch die Pulsion beim Schlingakt be-
einflußt wird.
Die Prognose, die bisher eine absolut ungünstige war inso-
fern, als die Zenker 'sehen Divertikel ein progressives Leiden mit
schließlichem tödlichen Ausgang darstellen, ist durch die Möglich-
keit einer operativen Behandlung wesentlich gebessert worden.
Früher erlag ^^4 aller Divertikelkranken dem Hungertod, andere
gingen an Aspirationspneumonien oder Lungengangrän zugrunde^
heute vermag man u. U. durch eine zwar nicht ungefährliche Ope-
ration eine völlige Heilung zu erzielen.
Die ösophagealen Pulsionsdivertikel sind seit etwa
20 Jahren näher bekannt, haben aber erst in der allerletzten Zeit
die gebührende Beachtung gefunden. Sie gleichen in ihrer Form
den Zenker'schen Divertikeln und sind bis zu Mannsfaust g r ö ß e
beschrieben worden; sie scheinen sich aber im allgemeinen nicht
so rasch zu vergrößern wie jene. Die meisten der bis jetzt be-
kannten Fälle hatten nur Kirsch- oder Pflaumengröße. Es handelt
sich zumeist um reine Schleimhauthemien, die nur aus der zwischen
der zurückweichenden Muskulatur hindurchgetretenen Schleimhaut
und einem Bindegewebsüberzug bestehen. Die Schleimhaut kann
dieselben Veränderungen aufweisen wie in den Grenzdivertikeln.
Auch hier wurde einmal Carcinomentwicklung beobachtet (Edgreen,
cf. Starck, 1. c).
Die Divertikel sitzen in der überwiegenden Mehrzahl der
Fälle in der vorderen Speiseröhrenwand, und zwar zumeist über
den beiden schon oben erwähnten physiologischen Engen, deren
eine sich in Bifurkationshöhe oder in der Gegend der Bronchus-
kreuzung mit der Speiseröhre, deren andere sich am unteren Speise-
röhrenende, an der Durchtrittsstelle durch das Zwerchfell, findet.
Man hat hiemach sogar epibronchiale (Brosch, 1. c.) und
epiphrenale (Rosenthal, I.e.) Pulsionsdivertikel unterschieden.
Sie kommen aber auch an allen anderen Stellen, auch in der Seiten-
wand der Speiseröhre vor. Über die Häufigkeit derselben läßt
536 XXXI. RlXBOLD
sich zurzeit etwas Bestimmtes noch nicht sagen; wahrscheinlich
sind sie lange nicht so selten, wie nach der Spärlichkeit der bis-
herigen Veröffentlichungen anzunehmen ist. Nach den Sektions-
befunden im hiesigen pathologischen Institute sind sie noch häufiger,
als die Grenzdivertikel. Alter und Geschlecht scheinen bei
der Entstehung der ösophagealen Pulsionsdivertikel keine Rolle zu
spielen. Ihre Ätiologie ist noch nicht sichergestellt : wahrschein-
lich handelt es sich gar nicht um eine einheitliche Erkrankung.
Sie kommen sicherlich auf ähnliche Weise wie die Zenker'schen
Divertikel zustande. Wie bei jenen, müßte man auch hier als
erstes Moment eine Schwächung der Osophagusmuskulatur an um-
schriebener Stelle verlangen.
Unter gewissen Umständen kann ein Traktionsdivertikel eine
derartige, umschriebene, widerstandslose Stelle der Speiseröhren wand
bilden. Da nun die Traktionsdivertikel sehr oft in der Vorderwand
der Speiseröhre sitzen, wo auch die Pulsionsdivertikel bei weitem
am häufigsten beobachtet worden sind, hat man vermutet, daß alle
Pulsionsdivertikel aus Traktionsdivertikeln entstünden. Dies ist
sicherlich nicht richtig; vielmehr muß man nach anderen Gründen
suchen, die gerade in der vorderen Speiseröhren wand das Vor-
kommen muskelschwacher Stellen verständlich machen können. Die
Entwicklungsgeschichte bietet uns hier einen Fingerzeig.
Die Differenzierung des Respirations- vom Digestionstraktus
geht in der Weise vor sich, daß sich von den Seitenwänden des
embryonalen Darmrohres aus zwei Längsleisten entgegen wachsen,
die sich in der Medianlinie vereinigen (His). In sehr seltenen
Fällen kommt diese Vereinigung nicht vollständig zustande; es
bleibt eine Osophago-Trachealfistel.
Es ist nun nicht unwahrscheinlich, daß häufiger, als dieser
vollständige Defekt, eine mangelhafte Ausbildung der Speiserohren-
wand vorkommt, wobei die Muskulatur an umschriebener Stelle nnr
unvollkommen oder gar nicht angelegt wird. Tatsächlich sind
muskelschwache Stellen in der vorderen Wand der Speiseröhre
gelegentlich beobachtet worden (Brosch, 1. c), die sich am zwang-
losesten durch jene kongenitale Entwicklungsstörung deuten lassen.
Leider fehlen über diesen Punkt noch genauere Untersuchungen,
so daß vorläufig die recht einleuchtende Theorie, nach der die
Pulsionsdivertikel der vorderen Speiseröhrenwand in erster Linie
auf eine kongenital bedingte Schwäche der Muskulatur zurück-
geführt werden, nur mangelhaft gestützt ist Zur Erklärung jener
Divertikel aber, die nicht in der vorderen Speiseröhren wand sitzen.
Lberblick über die Lehre von den Ösophagusdivertikeln etc. 537
muß man eine erworbene Schwäche der Muskulatur annehmen.
Diese kann durch ein Trauma an jeder beliebigen Stelle der Speise-
röhre, am ehesten oberhalb der physiologischen Engen, zustande
kommen ; auch eine allseitige Dilatation kann durch Lückenbildung
in den Muskelhäuten umschriebene, muskelschwache Stellen zur
Folge haben.
Als pulsierende Kraft, durch die jene angeborenen oder er-
worbenen muskelschwachen Stellen vorgebuchtet werden, kann bei
den ösophagealen Pulsionsdivertikeln nur der Schlingakt in Betracht
kommen, der begreiflicherweise im Verlauf der Speiseröhre nicht
so wirksam sein kann wie am oberen Teil, wo die Bissen direkt
gegen die hintere Wand angedrängt werden. Hierin ist wahr-
scheinlich der Grund dafür zu suchen, daß die ösophagealen Pul-
sionsdivertikel nicht so sehr zur Vergrößerung: neigen.
Häufig finden sich Momente, die das Abwärtsgleiten der Bissen
erschweren, und die dadurch au einer bestimmten Stelle zu einer
Erhöhung des Innendrucks führen können. Die Divertikel sitzen,
wie gesagt, auffallend oft oberhalb physiologischer Stenosen, ent-
weder in der Gegend der Bronchuskreuzung mit der Speiseröhre,
wo vielleicht auch noch der Druck des linken Bronchus auf die
vordere Speiseröhrenwand als ein die Passage erschwerendes Moment
mit in Frage kommt, oder am unteren Osophagusende. In ähnlicher
Weise können erworbene Striktureo, ein Cardiaspasmus oder eine
Kompression des Ösophagus von außen, z. B. durch anthrakotische
Drüsenpakete oder durch Mediastinaltumoren, ein Schlinghindernis
abgeben. Alle diese Schlinghindernisse führen aber für gewöhnlich
nur zur gleichmäßigen Dilatation der Speiseröhre; zur Divertikel-
bildung ist als erste und wesentlichste Bedingung die umschriebene
Schwäche der Muskulatur erforderlich.
Die klinischen Erscheinungen, die die ösophagealen Pul-
sionsdivertikel machen, ähneln denen der Grenzdivertikel. Im Beginn
kommt es zu einem ganz unbestimmten, nicht streng lokalisierten
Druckgefühl in der Brust. Die ersten Schluckbeschwerden äußern
sich darin, daß die Speisen langsamer rutschen als früher, daß sie oft
erst durch mehrmaliges Schlucken oder durch Nachtrinken von Wasser
weiterbefordert werden. Später kommt es ebenfalls zu undurchgän-
gigen Stenosen. Die Schmerzen, die im unteren Brustabschnitt oder
zwischen den Schulterblättern empfunden werden, treten auch schon
im Beginn der Krankheit viel mehr in den Vordergi-und, als bei
den Zenker'schen Divertikeln. Durch Druck des gefüllten Diver-
tikelsacks auf die Nachbarorgane entsteht Atemnot Hustenreiz
Deatsches Archiv f. klin. Medizin. LXXX. Bd. 35
538 XXXI. BiXBOLD
und Herzklopfen. Die Entleerung des Divertikels macht öfter eher
den Eindruck eines wirklichen Erbrechens. Manchmal erfolgt anch
einige Zeit nach dem Essen eine vom Patienten empfundene all-
mähliche Entleerung des Divertikels nach dem Magen. Bei Sonden-
Untersuchung ist ebenfalls der Wechsel in der Sondierbarkeit charak-
teristisch. Mit Hilfe der Divertikelsonde und komplizierterer Metho-
den, die sich namentlich auf die Untersuchung mit 2 Sonden gründen,
ist es bereits geglückt, am Lebenden die sehr schwierige Diagnose
bis in alle Einzelheiten hinsichtlich des Sitzes, der Größe, des Volum-
gehalts des Divertikels zu stellen (Eelling u. a., cf. Starck, 1. c).
Es ist jedenfalls geraten, daß man bei unbestimmten mediastinalen
Erscheinungen und bei einem tiefsitzenden Schlinghindernis die
Möglichkeit eines ösophagealen Pulsionsdiverükels mit in Frage
zieht.
Prognostisch scheinen die Verhältnisse günstiger zu liegen, als
bei den Zenker'schen Divertikeln, schon deshalb, weil die öso-
phagealen Divertikel nicht so sehr zur Vergrößerung neigen.
Therapeutisch kommt für den internen Arzt wiederum neben
einer systematischen Sondenbehandlung regelmäßige Entleerung und
Ausspülung des Divertikels in Betracht.
Die Traktionsdivertikel sind umschriebene, meist trichter-
förmige Ausziehungen der Osophaguswand, die dui*ch einen Zug
von außen entstehen. Sie sind sehr häufig; im hiesigen pathologi-
schen Institute werden bei den Sektionen von Erwachsenen in etwa
3,5^0 d^i* Fälle Traktionsdivertikel gefiinden. Meist findet sich in
einer Speiseröhre nur ein Divertikel, oft aber auch mehrere; es
sind deren bis zu 9 beobachtet worden.
Durch die an Serienschnitten vorgenommene mikroskopische
Untersuchung von etwa 40 Traktionsdivertikeln (Hausmann, Lc,
Kiebold, 1. c.) wurde die Eichtigkeit der Zenker'schen Lehre
vollauf bestätigt gefunden. Nach Zenker entstehen die Traktions-
divertikel dadurch, daß chronisch-indurative, mediastinale Ent-
zündungsvorgänge, die meist von den Bronchialdrüsen ausgehen,
nach dem Ösophagus fortgeleitet werden. Dabei kommt es zu einer
Verlötung der Drüse mit der Speiseröhre, und bei einem Fort-
schreiten der Entzündun^svorgänge auf die Osophaguswand gehen
im Bereich der Entzündungsherde die spezifischen Muskelelemente
in mehr oder weniger hohem Grade zugrunde und werden durch
Bindegewebe ersetzt. Im Laufe der Zeit stellen sich Schrumpfungs-
vorgäntje ein, wodurch die durch das eingewucherte Bindegewebe
fixierte Osophaguswand angezogen wird. Je nach der Intensität
Überblick über die Lehre yon den Ösopbagnsdivertikeln etc. 539
und dem Alter der Entzündusgsvorgänge ist die nach außen ge-
zerrte Muskulatur entweder noch auf dem Divertikelgrund teil-
weise erhalten oder sie ist auf eine Strecke bin vöUig zerstört und
völlig unterbrochen.
Das Übergreifen der Entzündungsvorgänge von den Bronchial-
drüsen auf die Ösophaguswand hat man sich in der Weise vorzu-
stellen, daß Entzundungserreger, die jederzeit aus den benachbarten
Teilen in die Drüsen eingeschwemmt werden können, auf dem
Wege der Lymphbahnen weiterhin verschleppt werden. Da aber
der Hauptlymphstrom im Mediastinum normalerweise nach den
Bronchialdrüsen hin gerichtet ist, so wäre den Entzündungserregern
keine Möglichkeit gegeben, entgegen der Stromesrichtung von den
Bronchialdrüsen aus in die benachbarten Teile zu gelangen, wenn
nicht der Lymphstrom dahin abgelenkt würde. Diese Ablenkung
kann nur dann erfolgen, wenn die Hauptabfluß wege der Drüsen
oder ihre eigenen Lymphbahnen vollständig verlegt werden. Eine
derartige ausgedehnte Verlegung von Lymphbahnen kommt be-
greiilicherweise am ehesten bei chronischen, indurativen Schrump-
fungsvorgängen im gesamten Mediastinum zustande, wie sie nament-
lich bei der Anthrakose und Chalikose beobachtet werden, viel
seltener durch einfach entzündliche Schwellung einzelner Bronchial-
drüsen. Deshalb findet man Traktionsdivertikel weitaus am häu-
figsten bei den chronischen Drüsenerkrankungen des späteren Alters.
Es bleibt noch zu beweisen, daß die geforderte Umkehr des Lymph-
stroms wirklich vorkommt. Der Beweis wird durch die Beobach-
tung erbracht, daß bei jeder stärkeren Anthrakose der Kohlenstaub,
der aus den Lungen abgeführt und zunächst in den Bronchial-
drüsen abgelagert wird, dann, wenn dieselben unwegsam geworden
sind, entgegen der ursprünglichen Stromesrichtung nach allen Teilen
gebracht werden kann, deren Lymphgebiet mit den Bronchialdrusen
in direktem oder anastomatischen Zusammenhang steht.
So findet man sehr häufig Kohlenstaubablagerungen in der
Wand der Trachea, der Bronchien, der Pulmonalgefäße, der Speise-
röhre, in den Lymphdrüsen des vorderen und hinteren Mediastinums,
in den Lymphdrüsen der Bauchhöhle, selbst in der Wand des Magens.
Im hiesigen Institut wurden 2 Fälle beobachtet, in denen der
Kohlenstaub sogar die vordere Brustwand durchsetzt und sich in
der Haut neben dem Stemum, äußerlich sichtbar, abgelagert hatte.^)
1) Riebold, Zur Kenntnis der Anthrakose der bronch. Lymphdrüsen und
der Haut. Dissert. Leipzig 1903.
35*
540 XXXI. RiEBOLD
Meistens wird angenommen, daß der Kohlenstaub als solcher an
den Orten der Ablagerung entzündliche Veränderungen hervorriefe.
Dies ist sicherlich nicht ganz richtig; vielmehr stellen die ver-
schiedenen Staubarten, namentlich der Kohlenstaub, einen ziemlich
indiiFerenten Fremdkörper dar und rufen in ihrer Umgebung bis-
weilen gar keine oder doch nur ganz unerhebliche Texturverände-
rungen hervor. Erst dann kommt es zu entzündlichen Verände-
rungen, wenn, wie schon hervorgehoben, wirkliche Entzündungs-
erreger verschleppt werden, seien es Bakterien oder die von
denselben produzierten giftigen Substanzen oder chemische Unrein-
lichkeiten, die dem Staub anhaften können, z. B. Teersubstanzen
am Kohlenstaub. Zweifellos schafft aber die Staubablagerung eine
Disposition zur Entstehung von Entztindungsvorgängen, so daß man
immerhin für die meisten Fälle — nach unseren Erfahrungen in etwa
60 % — als erste Ursache der Divertikelbildung die Anthrakose resp.
('halikose und Siderose der Bronchialdrüsen anerkennen muß.
Als Entzündungserreger kommen ziemlich häufig Tuberkel-
bazillen in Frage; man findet dann, und zwar in 20-— 25% der
Fälle, als Ursache der entzündlichen Schrumpf ungs Vorgänge im
Mediastinum eine chronische Tuberkulose kombiniert mit Anthra-
kose. Recht häufig läßt sich in der Umgebung der Divertikel
eine frische Tuberkulose nachweisen, die als eine sekundäre Ver-
änderung aufzufassen ist und die mit der Entwicklung des Diver-
tikels nichts zu tun hat.
Eine einfache, chronische Tuberkulose wurde nur in 10 ^^^ der
Fälle als Ureache der Divertikelbildung gefunden.
Sehr selten greifen aus den erörterten Gründen die akuteren
Erweichungs- und Eiterungsvorgänge der Bronchialdrüsen auf die
Speiseröhren wand über, und führen damit zur Entstehung von
Divertikeln. Der Verlauf ist dann entweder der, daß sie nach
Zerstörung der Muskulatur vor der epidermisartigen Schleimhaut
Halt machen, die bei der nachfolgenden Resorption und Schrumpfung
divertikelartig mit angezogen wird, oder der, daß sie ins Ösophagus-
lumen durchbrechen, wobei nach Entleerung des erweichten Inhalts
durch Schrumpfung der Absceßwand Heilung unter Divertikel-
bildung erfolgen kann. Wir selbst beobachteten nur einen der-
artigen Fall, in dem die Divertikelspitze bis in die narbige Drüse
hineinragte. Freilich blieb hier die Möglichkeit, daß die Perforation
der erweichten, anthrakotischen Drüse, die nach dem anatomischen
Bilde stattgefunden haben mußte, in ein schon bestehendes Diver-
tikel erfolgt war, und nicht primär die Divertikelbildung ver-
Überblick über die Lehre von den Ösophagnsdivertikeln etc. 541
ursacht hatte. Wahrscheinlich gehören hierher die seltenen Fälle,
in denen bei Kindern ein Traktionsdivertikel gefunden wurde.
Dann sind es meist die tuberkulösen Drüseneiterungen, die aus-
nahmsweise einmal auf die Speiseröhrenwand übergreifen.
Ferner können in etwa 5— 10 % der Fälle Traktionsdivertikel
noch dadurch entstehen, daß Entzündungsprozesse von anderen, dem
Ösophagus benachbarten Organen auf ihn übergreifen. So ist ein
Fall bekannt (Chiari, cf Starck 1. c), in dem eine Schilddrüsen-
entzündung eine Divertikelbildung im Gefolge hatte. In zwei bis-
her einzig dastehenden Fällen wurde nachgewiesen, daß sich eine
chronische Pleuritis auf dem Wege des Musculus pleurooesophageus
nach der Speiseröhre fortgepflanzt, und zur Divertikelbildung ge-
führt hatte (Biebold I.e.). In ähnlicher Weise können auch rein
mediastinale Schrumpfungsprozesse, z. B. im Anschluß an Wirbel-
caries in Frage kommen.
Endlich können Divertikel, in deren Umgebung keine schrumpfen-
den Drüsen nachweisbar sind, in sehr seltenen Fällen noch durch
Schrumpfungsvorgänge in der Osophaguswand selbst zustande
kommen.
So fanden wir einmal, daß umschriebene tuberkulöse muskuläre
Entzündungsherde und Abscesse vernarbt waren, daß die Mus-
kulatur im Bereich der Narbe eingesunken war, und die Schleim-
haut divertikel artig mit angezogen worden war. In ähnlicher
Weise können von kleinen Schleimhautverletzungen ausgehende,
lokale Entzündungsprozesse der Speiseröhre, die sich in die Tiefe
fortpflanzen, und u. U. sogar eine Verbindung mit benachbarten
Teilen (Trachea) herbeiführen, bei Rückgang der Entzündung durch
Schrumpfung des Narbengewebes ein Divertikel bedingen (Fischer
I c), oder es kann ein Divertikel dadurch entstehen, daß muskuläre
Abscesse sich nach dem Ösophagus entleeren, die Wand der Absceß-
höhle schrumpft und das Epithel sich vom Rande her regneriert.')
Ribbert^) erkennt die Zenker'sche Lehre nicht an, sondern
"will die Traktionsdivertikel in ihrer weitaus größten Zahl aus
Entwicklungsstörungen ableiten, die darin bestehen sollen, daß bei
der Differenzierung des Respirations- vom Digestionstraktus die
Speiseröhrenwand an umschriebener Stelle nur bindegewebig an-
1) Wenn hingegen in einem solchen Falle die Absceßhöhle in daaernder
Eommnnikation mit der Speiseröhre bleibt, und eine Epithelauskleidung fehlt,
hat man es mit einem sogenannten Pseudodivertikel zu tun.
2) Ribbert, Zur Kenntnis der Traktionsdivertikel des Ösophagus. Virch.
Arch. Bd. 167 19D2.
542 XXXI. RuBOLD
gelegt wird, und daß von dieser bindegewebigen Partie aus ein
Bindegewebszog nach der Trachea verläuft, sich an ihr festsetzt
nnd die Ösophaguswand an umschriebener Stelle auszieht. Wenn
auch diese Theorie aus gleich zu erörternden Gründen im vollen
Umfange unhaltbar ist, so muß doch zugegeben werden, daß sie in
ganz außerordentlich seltenen Fällen zur Erklärung von Diver-
tikeln, für die sich die Zenker'sche Lehre nicht verwerten läßt
herangezogen werden muß. Man vermißt in diesen Fällen jegliche
Entzündungserscheinungen, und findet entweder Reste eines Korn-
munikationskanals zwischen Trachea und Ösophagus, oder, wie in
einem hier beobachteten Falle, trichterförmige Offnungen von Trachea
und Ösophagus her, welche durch lockeres Bindegewebe verbunden
sind. Die Analogie dieser Bildungen mit den ebenfalls sehr seltenen
Ösophago-Trachealfisteln ist nicht von der Hand zu weisen.
Eine ganze Reihe von Beobachtungen lassen sich in keiner
Weise mit der Ribbert'schen Theorie vereinigen, während sie die
Richtigkeit der Zenker'schen Lehre" geradezu beweisen.
Zunächst sei erwähnt, daß bisher noch niemals ein Traktions-
divertikel bei einem Neugeborenen gefunden wurde, was man doch
bei einer kongenitalen Anlage der so häufigen Bildung erwarten
müßte, und daß überhaupt Traktionsdivertikel bei jugendlichen
Individuen zu den größten Seltenheiten gehören.
Im hiesigen pathologischen Institute wurde in den letzten
Jahren bei über 400 Sektionen von Neugeborenen und Kindern
unter 15 Jahren nicht ein einziges Mal ein Divertikel nachgewiesen.
Die Divertikel sind in ausgesprochener Weise eine Krankheit
des höheren Alters.
29 Fälle von Traktionsdivertikeln , die aus dem letzten Jahre
stammen, verteilen sich nach dem Lebensalter folgendermaßen:
das 3. Jahrzehnt betraf 1 Fall,
« 4.
n
betrafen 3 Fälle,
„ 5.
»
7*
7 „
„ 6.
>?
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„ 7.
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n
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„ 8.
w
n
4 „
und das 9.
t«
betraf
1 Fall.
Da die Divertikel in vielen Fällen durch berufliche Schädigung
zustande kommen, insofern als ganz besonders oft Kohlenarbeiter,
Steinmetzen und Schlosser davon befallen werden, ist es verständ-
lich, daß bei Männern häufiger Divertikel zur Beobachtung kommen*
Überblick über die Lehre von den OBophagnsdivertikeln etc. 543
als bei Frauen. So wurden unter jenen 29 Fällen 17 mal Divertikel
bei Männern und nur 12 mal bei Frauen gefunden. Ein ganz ähnliches
Verhältnis findet sich auch in anderen Statistiken (Starck 1. c).
Hinsichtlich des Vorkommens der Traktionsdivertikel ist weiter-
hin zu erwähnen, daß es sehr wahrscheinlich, aber noch nicht er-
wiesen ist, daß sie in tabrikreichen Städten und an Orten, wo
Kohlenbergbau getrieben wird, häufiger sind, als in staub- und
rußfreien Gegenden. Die große Häufigkeit derselben in Dresden
erklärt sich wahrscheinlich durch die benachbarten, ausgedehnten
Kohlenbergwerke und Sandsteinbrüche.
Die anatomischen Verhältnisse, die die Traktions-
divertikel darbieten, machen es durchaus wahrscheinlich, daß sie
im Sinne der Zenker'schen Lehre entstehen, und ein ganz all-
mählich sich entwickelndes, erworbenes Leiden darstellen. Meist
findet man eine schwielig indurierte, anthrakotische Lymphdrüse,
an die der Divertikelgrund herangezogen ist; die Muskulatur ist
bis zu einem gewissen Grade stets von dem entzündlichen Prozeß
mitbefallen. Entweder ist sie am Divertikelgrund — wenn auch
stark reduziert — noch erhalten, oder sie ist, und dies ist der
häufigere Befand, völlig unterbrochen. Stets biegen die Muskel-
strnmpfe dann nach außen ab und enden aufgefasert, zugespitzt,
atrophisch im schrumpfenden Gewebe. Die Schleimhaut ist ent-
weder glatt oder strahlenartig gefaltet und gewulstet, oft schwärz-
lich pigmentiert, oft narbig, oder frisch ulzeriert, oder unterminiert.
Die Traktionsdivertikel sitzen begreiflicherweise meist dort,
wo die Bronchialdrüsen dem Ösophagus anliegen, nämlich in der
vorderen oder seitlichen Wand der Speiseröhre, in Höhe der Bifur-
kation. Sie kommen aber auch an allen anderen Stellen vor, und
zwar auch in der hinteren Ösophagus wand, während Divertikel,
die im Ribbert'schen Sinne auf eine mangelhafte Vereinigung der
bei der Differenzierung der Luftwege sich entgegen wachsenden
Leisten zurückgeführt werden sollen, naturgemäß ausschließlich
in der vorderen Osophaguswand liegen müßten.
Für die Richtigkeit der Zenker'schen Lehre spricht endlich
noch der Umstand, daß man an allen Teilen des Mediastinums,
denen Lymphdrüsen anliegen, in Trachea, Bronchien, Pulmonal-
gefäßen, Pleura und Pericard Traktionsdivertikel gefunden hat,
die denen der Speiseröhre vollkommen gleichen. Kürzlich wurde
hier sogar im Magen ein typisches Traktionsdivertikel gefunden,
dessen Grund auf einer schwielig indurierten, anthrakotischen
Lymphdrüse filiert war.
544 XXXI. RiEBOLo
Die Traktionsdivertikel werden in ihrer klinischen Be-
deutung vielfach unterschätzt. Gerade in der letzten Zeit wurden
im hiesigen pathologischen Institute auffallend oft Traktionsdiver-
tikel als die Ursache schwerer, intra vitam meist völlig unklarer
Erkrankungen gefunden, so daß es gerechtfertigt erscheint, an der
Hand des hiesigen Materials und früherer Beobachtungen auf die
Folgeerscheinungen der Traktionsdivertikel näher einzugehen.
Die Hauptgefahr der Traktionsdivertikel liegt darin, daß Ent-
zünduDgs Vorgänge, die sich, wie die narbigen und anderweitigen
Veränderungen der Schleimhaut im Divertikel beweisen, sehr häufig
auf dem Divertikelgrund abspielen und die durch daselbst stagnie-
rende und sich zersetzende Speisereste hervorgerufen und unter-
halten werden, sich weiter in die Tiefe fortpflanzen.*)
Die Folgen davon sind phlegmonöse Entzündungen der Öso-
phaguswaud, eitrige Phlegmonen des Mediastinums und u. U. eitrige
Entzündungen benachbarter Teile, deren Lymphgebiet mit dem
des Mediastinums in innigen Zusammenhang steht, besonders der
Pleura und des Pericards, ferner Thrombophlebitis usw.
In anderen Fällen handelt es sich nicht um ein allmähliches,
langsames Fortschreiten der Eiterungs Vorgänge , sondern um oft
multiple Perforationen.
Die mediastinale Eiterung bricht in die Pleura oder ins
Pericard durch; die Phlegmone der Speiseröhrenwand perforiert
wieder rückwärts in den Ösophagus, so daß die Schleimhaut in der
Umgebung des Divertikels siebartig durchlöchert erscheint. Die
ulcerativen Vorgänge am Divertikelgrund führen zu einem voll-
ständigen Durchbruch nach dem Mediastinum mit folgender jauchig-
gangränöser Mediastinitis.
1) Die lalle, in deuen die Eiterungsvorgänge vom Divertikelgrund aus ohne
eigentliche Perforation auf die Umgebung fortschreiten, lassen sich kaum anders
erklären. Für die Richtigkeit dieser schon von Zenker vertretenen Anschauung
sprechen Befunde von Speiseresten auf dem Grund ulcerierter Divertikel. (Roki-
tansky fand in einem Jaucheherd, der mit einem perforierten Divertikel kom-
munizierte, ein Euochenstückchen, Kitter ein Samenkorn, Marx (Münch. med.
Woch. 1904, Nr. 19) ebenfalls Knochenstückchen. In einem weiteren, bisher in der
Literatur nicht beachteten Fall fand Wille in einem trichterförmigen Divertikel
ein Knorpelstück mit anhaftenden, fetzigen Massen (Ärztl. Bericht über die Irren-
abteiluug des Bürgerspitals in Basel 1882). Daß derartige Befunde nur sehr selten
erhoben worden, erklärt sich sehr einfach dadurch, daß zu einem Zeitpunkt, wo
die Sektion gemacht wird, die Zerstörungsvorgänge in der Umgebung des Diver-
tikels meist schon so hochgradige sind, daß etwaige Speisereste in der großen
Eiter- und Jauchehöhle längst zugrunde gegangen sind, wenn es sich nicht zu-
fällig um widerstandsfähigere Teile, wie Knochen usw. handelte.
Überblick über die Lehre von den Ösophagusdivertikeln etc. 545
einer mit jauchigen Massen erfüllten Zerfallshöhle, einer verjauchten
Lymphdrüse.
War die Drüse am Divertikelgrund mit anderen Drüsen ver-
wachsen, so kann es nach der Perforation zur Vereiterung und
Verjauchung ganzer Drüsenpakete kommen. Die Drüsen am Diver-
tikelgrund , die zumeist auch noch mit anderen Organen im Mediasti-
num verlötet sind, perforieren nach der Erweichung häufig noch nach
anderen Teilen, und schaffen dadurch abnorme Kommunikationen.
Am häufigsten ist die gleichzeitige Perforation einer erweichten
Drüse in ein Ösophagusdivertikel und in die Trachea resp. einen
Bronchus, wobei häufiger der linke befallen wird. Sie verläuft
nicht unter allen umständen ungünstig. Wir fanden dreimal der-
artige Kommunikationen der Speiseröhre mit den Lufwegen, die
keinerlei nachteilige Folgen nach sich gezogen hatten. In diesen
Fällen waren die Ösophagusdivertikel sehr steil nach oben gerichtet,
so daß sich auf dem Grund nicht so leicht Fäulnis- undZersetzungs-
vorgänge etablieren konnten, wie in den nach untengerichteten
Divertikeln, in denen Speisereste viel eher stagnieren können.
Viel häufiger, und zwar liegen aus den letzten Jahren zwölf
derartige Beobachtungen aus dem hiesigen Institute vor, kommt
es aber durch Aspiration von infektiösem Material aus dem Ösophagus
zu einer schweren Bronchitis oder zu Aspirationspneumonien, die in
Abscedierung übergehen oder zur Lungengangrän führen können.
Fünfmal fanden wir eine durch erweichte Drüsen vermittelte
Kommunikation zwischen Ösophagusdivertikel und Pulmonalgefäßen.
Der Exitus war in diesen Fällen unter dem Bilde einer ganz pro-
fusen Hämoptyse erfolgt.
Wenn die Drüse am Divertikelgrund durch pleuritische Schwielen
an die Lunge gelötet ist, kann es bei Erweichungsvorgängen zur
Perforation ins Lungengewebe kommen. So sind in der Literatur
Fälle niedergelegt, in denen die Kommunikation eines Ösophagus-
divertikels mit bronchiektatischen und phthisischen Kavernen be-
schrieben wird.
In einem bisher einzig dastehenden Falle, der erst kürzlich
zur Sektion kam und einen 44jährigen Steinmetz betraf, war die
erweichte Drrse am Divertikelgrund mit dem parietalen Blatt der
linken Pleura erwachsen und sowohl in den Ösophagus, wie in die
Pleurahöhle durchgebrochen. Man gelangte vom Divertikelgrund
Im letzteren Falle gelangt man vom Divertikelgrund aus
entweder direkt ins Mediastinum, oder häufiger durch Veimittlung
546 XXXI. BoBOLD
mit der Sonde durch eine Zerfallshöhle direkt in die linke Pleura^
die mit einem eitrig-jauchigen Exsudat erfüllt war. Die betreffende
Drüse war außerdem noch nach einem Lungengefäß perforiert; die
Perforationsöffnung war aber so klein, daß eine tödliche Blutung
nicht stattgefunden hatte. Endlich fand sich noch eine ausgedehnte
mediastinale Phlegmone und als eigentliche Todesursache eine serös-
eitrige Perikarditis.
In einem ähnlich komplizierten Falle mit ebenfalls dreifacher
Perforation war eine erweichte Drüse nach einem Ösophagusdiver-
tikel, nach der Trachea und einer Lungenvene durchgebrochen.
In allen diesen Fällen von Drfisenperforation kann man, wie
noch besonders hervorgehoben sei, nicht entscheiden, ob die Per-
foration wirklich durch Zersetzungsvorgänge im Divertikel und nach-
trägliclie Abscedierung der Umgebung und der Drüse herbeigeführt
wurde, oder ob nicht die betreffende Lymphdrüse primär vereiterte
und nach der Speiseröhre durchbrach. Beide Fälle kommen sicher vor.
Die Traktionsdivertikel verlaufen für gewöhnlich völlig
symptomlos. Ganz besonders sei noch betont, daß, abgesehen von
einem einzigen Falle (Tiedemann, cf. Kraus, 1. c), niemals
Schluckbeschwerden beobachtet worden sind.
p]rst dann, wenn sich ulcerative Vorgänge oder sonstige sekun-
däre Veränderungen in ihnen abspielen, treten sie klinisch hervor.
('ber die Erscheinungen, unter denen die Perforation eines
Traktionsdivertikels verläuft, ist bisher noch gar nichts bekannt;
die Diagnose ist, soweit mir bekannt, noch nicht gestellt worden.
Um so wünschenswerter erscheint es bei der geschilderten
relativen Häufigkeit *) der Krankheit, auch das klinische Bild mög-
lichst abzugrenzen, wenn es sich dabei auch begreiflicherweise nur
um einen ersten Versuch handeln kann.
Nach den wenigen Fällen*), die in den hiesigen Kranken-
häusern längere Zeit klinisch beobachtet worden sind, kündigt sich
der Beginn der Krankheit bei vorher ganz gesunden Personen regel-
mäßig durch ein leichtes, ganz unbestimmtes Unwohlsein und leichte
Temperaturstei^erungen an, wahrscheinlich als Ausdruck der be-
ginnenden ulcerativeu Prozesse im Divertikel und in seiner Una-
ofebung. Nach wenigen Tagen tritt höheres Fieber auf, das einen
ganz verschiedenen Typus annehmen kann, wie überhaupt der
l^i Die Krankengeschichten wurden mir von den betr. Herren in
wUrdiiTster Weise ülierlassen.
2- reiforation eines Traktionsdivertikels warde hier in etwa ' , der Fill«
beobachtet. \^Nach Starck nur in 10%.)
Überblick über die Lehre von den Ösophagusdivertikeln etc. 547
weitere Krankheitsverlauf ein verschiedener ist, je nach der Art
und Weise, in der sich die Entzündungsvorgftnge fortpflanzen.
In 'dem häufigsten Falle einer Perforation nach der Trachea
oder einem Bronchus, geht die Temperatur schnell in die Höhe, es
tritt ein starker Husten mit nicht charakteristischem Auswurf auf
und gewöhnlich stellen sich sehr bald heftige Brustschmerzen ein^
die namentlich beim Husten unerträglich werden. Bei der Unter-
suchung der Lungen findet man dann diffuse bronchitische Geräusche
oder die Erscheinungen eines pleuro-pneumonischen Herdes, nämlich
an einer kleinen umschriebenen Stelle oder auch in einem größeren
Bezirk, der Schallverkürzung geben kann, feuchte Rasselgeräusche^
pleuritisches Reiben und hauchendes oder bronchiales Atmen. Alle
Erscheinungen können nach einigen Tagen zurückgehen, bis sie
wieder in derselben Weise mit einem neuen Anstieg der Temperatur
auftreten. Jetzt findet man an einer ganz anderen Stelle eine
Aspii'ationspneumonie. Dieser Verlauf in Etappen scheint charak-
teristisch zu sein und ei'klärt sich daraus, daß die Perforations-
öflfhung nach der Trachea zu Beginn meist winzig klein ist und
sich vorübergehend verschließen kann. Erst wenn sie größer ge-
worden ist, kommt es zur Aspiration größerer Massen und damit
zu noch stürmischeren Erscheinungen ; das Fieber bleibt kontinuier-
lich hoch und nimmt u. ü. einen remittierenden Charakter an, die
Kranken verfallen, werden stark dyspnoisch, der Husten verstärkt
sich immer mehr, es treten multiple größere pneumonische Herde
auf, die schließlich in Abscedierung oder Gangrän übergehen und
dann das entsprechende charakteristische Sputum liefern.
Wenn in wechselnder Weise beide Lungen befallen werden,
muß man annehmen, daß die Perforation nach der Trachea, wenn
immer nur dieselbe Lunge erkrankt, ist es wahrscheinlich, daß die
Perforation nach dem entsprechenden Bronchus erfolgt ist.
Neben allen den geschilderten Erscheinungen, oder unabhängig
von ihnen, kann sich dann weiteriiin «ine serös-eitrige oder jauchige
Pleuritis oder Perikarditis entwickeln. Die fortschreitende mediasti-
nale Eiterung kann einen dumpfen Schmerz in der Brust verur-
sachen. Ein Durchbruch nach einem Gefäß führt meist unter einer
Hämoptyse rasch zum Exitus.
Es ist selbstverständlich, daß alle die geschilderten Erschei-
nungen in ganz wechselnder Weise auftreten und alle möglichen
anderen Krankheiten vortäuschen können.
In einem im Friedrichstädter Krankenhaus beobachteten Falle
trat der ganze Symptomenkomplex am 3. Tag nach einem 4 Tage
548 XXXI. KlEBOLD
anhaltenden starken Erbrechen bei Koprostase ein. Es ist sehr
einleuchtend, daß sich gerade beim Erbrechen Speisereste in dem
nach oben gerichteten Divertikel fangen konnten.
Die Krankheit erstreckt sich meist nur auf wenige Wochen,
kann aber u. U. auch einen mehr chronischen Verlauf annehmen.
Bei allen unklaren Fällen, die Erscheinungen der oben er-
wähnten Art darbieten, sollte man wenigstens die Möglichkeit eines
perforierten Traktionsdivertikels mit ins Auge fassen, zumal die
Therapie nicht aussichtslos ist. Alter und Beruf der Kranken
können u. U. die Diagnose stützen.
In einem Falle ^), der im Stadtkrankenhaus Johannstadt be-
handelt wurde, glaubten wir die Diagnose mit großer Wahrschein-
lichkeit stellen zu können.
Es handelte sich um einen 44 jährigen Barbier, der genau in
der oben angegebenen Weise erkrankte und bei dem wiederholt
neue Aspirationspneumonien in beiden Lungen auftraten, regelmäßig
mit einem neuen Anstieg der Temperatur. Er bot ein Symptom
dar, welches wir für unsere Diagnose verwerten zu dürfen glaubten,
nämlich eine ganz umschriebene, sehr starke Klopfempfindlichkeit
des Sternums, in der Gegend der Bifurkation, wo die Perforation zu
suchen war. Wir führten dieselbe auf eine umschriebene Mediasti-
nitis in der Umgebung der Perforationsstelle zurück. In weiter fort-
geschrittenen Fällen könnte man an der erwähnten Stelle viel-
leicht auch eine Schallverkürzung nachweisen, um die Diagnose
zu stützen, könnte man versuchen, eine Farblösung schlucken zu
lassen, um die Farbe unter Umständen im Sputum aufzufinden.
Die Perforation eines Traktionsdivertikels gibt, wie schon
oben hervorgehoben wurde, keineswegs eine unbedingt ungünstige
Prognose.
Man kann sich bei den Sektionen gelegentlich davon über-
zeugen, daß kleine Perforationsöffnungen glatt abheilen können.
Um die Abheilung zu beschleunigen und zu befordern, müßte
man die Speiseröhre ruhig stellen und ein weiteres Hineingeraten
von Speiseteilchen ins Divertikel verhüten.
Beiden Forderungen genügt eine therapeutische Maß-
nahme, die Herr Obermedizinalrat Dr. Schmaltz in dem oben
erwähnten Falle anwenden ließ, nämlich eine durch mehrere Wochen
fortgesetzte, systematische Sondenernährung.
1) Herrn Obermediziiialrat Dr. Schmaltz sei fllr die Überlassung des
Falles zur Veröffentlichung auch noch an dieser Stelle vielmals gedankt.
Überblick über die Lehre yon den Ösophagnsdivertikeln etc. 549
In unserem Falle, in dem die geschilderten schweren Er-
scheinungen 5 Wochen lang bestanden hatten, fiel am 3. Tage der
Sondenernährung das Fieber zur Norm ab und nach weiteren
8 Tagen waren alle krankhaften Erscheinungen, einschließlich der
Klopfempfindlichkeit des Sternums, fast völlig zurückgegangen. Der
Kranke wurde geheilt entlassen. Abgesehen von der Sonden-
emährung wurde für möglichste Reinhaltung der Luft- und Speise-
wege gesorgt, indem Patient angewiesen wurde, Terpentinölinhala-
tionen vorzunehmen und wiederholt den Mund zu spülen.
Gegenüber der Perforationsgefahr der Divertikel treten die
anderen Veränderungen, die sich in ihnen abspielen können, mehr
in den Hintergrund.
Es ist durch mehrere Sektionsbefunde sicher erwiesen, daß
sich in den Traktionsdivertikeln ein Carcinom entwickeln kann.
Sowohl die dauernden mechanischen und chemischen Reize kann
man als ein die Carcinombildung begünstigendes Moment anführen,
wie die häufigen Narbenbildungen in den Divertikeln, wenn man
an die Carcinome denkt, die aus alten Ulcusnarben entstehen. Wie
viele von den Osophaguskrebsen auf ein Traktionsdivertikel zurück-
zuführen sind, läßt sich natürlich nicht sagen, da sie fast stets in
einem fortgeschrittenen Stadium zur Sektion kommen. Immerhin ist
es auffallend, daß sie so häufig im mittleren Drittel der Speiseröhre
ihren Sitz haben, wo auch die Traktionsdivertikel zumeist ange-
troffen werden.
Drittens können die Traktionsdivertikel noch dadurch ver-
hängnisvoll werden, daß sie in Pulsionsdivertikel übergehen.
Man hat es dann mit den schon mehrfach erwähnten Traktions-
Pulsionsdivertikeln zu tun. Ihre Form ist eine ungemein
verschiedene. Es kommen alle Übergänge vor von den Fällen, in
denen nur ein Teil der Wand des ursprünglichen Traktionsdiver-
tikels vorgebuchtet ist, bis zu den Fällen, in denen das Traktions-
divertikel in toto in ein Pulsionsdivertikel umgewandelt wurde.
Dafür, daß ursprünglich eine Traktion im Spiele war, sprechen
immer Residuen von Entzündungsprozessen in der Umgebung, nament-
lich der Befund von Kohle in der Divertikelwand, Fixationen an
benachbarten Organen und der Nachweis anderer echter Traktions-
divertikel in derselben Speiseröhre, endlich u. U. auch die Form
des Divertikels. Wenn z. B. die Ausbuchtung des Divertikels nach
oben zu stärker ist, als nach unten zu, so läßt sich dieser Befund
mit einer reinen Pulsionswirkung nicht ohne weiteres in Zusammen-
hang bringen.
550 XXXI. RixBOLD, Überblick ttber die Lehre von den ÖsophagraBdivertikeln etc.
Der Sitz der Traktionspulsiousdivertikel fällt mit dem der
Traktionsdivertikel zusammen, ebenso die Ätiologie und Patho-
genese. Letztere ist aber mit der Ausbildung des Traktions-
divertikels noch nicht abgeschlossen; dasselbe w^ird vielmehr durch
Innendruck nachträglich noch vergrößert.
Es scheint im allgemeinen ein seltenes Ereignis zu sein,
daß die Traktionsdivertikel durch Pulsion vergrößert werden, wahr-
scheinlich deshalb, weil sie so oft durch benachbartes, schwieliges
Gewebe gestützt werden. Nur jene Traktionsdivertikel, in deren
Umgebung sich eine stärkere Narbenentwicklung nicht findet und
bei denen die Muskulatur stark ausgezogen und dadurch beträcht-
lich verdünnt wird, schaffen umschriebene, muskelschwache Stellen
der Speiseröhrenwand und bieten damit, wie oben näher ausgeführt
wurde, dem Innendrnck beim Schlingakt einen Angriffspunkt dar.
Die klinische Bedeutung der Traktions-Pulsionsdivertikel deckt
sich mit der der ösophagealen Pulsionsdivertikel.
Zum Schluß ist es mir ein Bedürfnis, meinem hochverehrten
früheren Chef, Herrn Obermedizinalrat Professor Dr. Schmorl.
dem ich die Anregung zu dieser Arbeit verdanke, für die Über-
lassung des Materials und für die freundliche Unterstützung bei
der Bearbeitung desselben, meinen verbindlichsten Dank ausza-
sprechen.
Nachtrag bei der Korrektur:
Kürzlich demonstrierte Dr. Geipel in der Gesellschaft f ür Xatur- und Hril-
knnde zu Dresden einen bisher einzisr dastehenden Fall (Beferat erscheint deat-
näohst in der Münch. Med. Woch.V der beweist, dafi die perforierten TrmktiiMiL«-
divertikel des Ösophagus nicht nur lokale, auf ihre Umgebung beschrinkte. t-. r-
uebiulieh auf dem Lvmphweg sich ausbreitende Krankheitsprozesse xnr FrUr-^
haben, sondern u U. auch zu einer Allgemeininfektion des Organismus anf buu-
togeuera Wege führen, und ausgesprochen septische Krankheiten bedingen k^^tata-
Es handelte sich um einen 54 jahrieen Zimmermann, der seit etwa 14 Tir*a.
tiher unbestimmte Krankheitserscheinungen geklagt hatte i'FrGstebu Sckwitno.
Appetitlosigkeit . bei der Einlieferung ins Johannstädter Krankenhaas aber Wtk-*
das typischf Bild der Cerebrospinalmeningitis darbot und nnter ZimahKe dur
meniniritisihen Er<oheinnngfn schon am 3. Tag nach der Einliefening mm Eiins
kam. Bei der Sektion fand sich eine eitrige Cerebrospinalmeningitis. teiȣ il-
ilrren walii>« luinli«her Ausgangspunkt eine aus einem erweiterten Br«:ii»*aiyLl-
drü*5enpaket lier>\'ri:rHcr,\nirene AbsceLhöhle. in die man Ton einem pert-Tt-fraa.
Traktionsdivertikel des Ösophagus aus erlangte. Ein großer septischer Milinai.'r
wies auf die Aili:en*.tininfekti«-n des Kvrptrs hin.
xxxn.
Aus der medizinischen Universitätsklinik zu Leipzig.
Über Bronchitis fibrinosa.
Von
Dr. Gustav Liebermeister,
Assistenzarzt der Klinik.
Die fibrinöse Bronchitis ist eine recht seltene Krank-
heit. In der Sammlung der hiesigen medizinischen Klinik befinden
sich die ausgehusteten Bronchialgerinnsel von 12 Fällen von Bron-
chitis fibrinosa. Ich habe diese Präparate im Anschluß an einen
auf meiner Station beobachteten Fall untersucht.
Es sei ein Auszug aus der Krankengeschichte des jüngst in
der Klinik beobachteten Falles vorangestellt.
1. Fall. Ludwig Sch.y verheirateter Arbeiter, 45 Jahre alt, in die
medizinische Klinik aufgenommen am 27. April 1903.
Aus der Vorgeschichte des Patienten ist folgendes bekannt:
In der Familie sind Lungenleiden nicht vorgekommen. Patient selbst
war bisher immer gesund. Die jetzige Krankheit begann Ende Dezember
1902. Im Januar 1903 erkrankte Patient akut unter Temperaturanstieg
bis 40 ^ ; dabei begann er typische Bronchialgerinnsel auszuhusten. Nach
4 Wochen halten die bedrohlichen Erscheinungen abgenommen, jedoch
bekam Patient immer noch von Zeit zu Zeit Anfalle von starkem Husten,
worauf im Auswurf die weißlichen Gerinnsel sich fiinden. Atemnot war
bei den Anfallen nicht vorhanden, auch wurden die Gerinnsel ohne
Schmerzen und ohne größere Anstrengung ausgehustet. In der letzten
Zeit vor der Aufnahme will Seh. stark an Gewicht abgenommen haben.
Seit 7 Jahren arbeitet er in einer Buchdruckerei als Sortierer von
Lettern. Es soll in dem Arbeitsraume für gute Lüftung und Ventilation
gesorgt sein.
Befund bei der Aufnahme: Kleiner schmächtiger Mann von
blasser Gesichtsfarbe, in etwas reduziertem Ernährungszustand. Körper-
temperatur nicht erhöht. Körpergewicht 52,5 kg. Die Nase zeigt nor-
malen Befund. Pharynxschleimhaut ganz leicht gerötet, Zunge etwas
belegt. Die Haut des Rückens und der Brust ist überempfindlich und
sehr reizbar, so daß auf leichtes Bestreichen mit dem Stiel des Perkussions-
hammers starke lokale Hyperämie entsteht.
552 XXXII. LlBBBBMSlSTER
Thorax mäßig gut gewölbt, wird bei der Atmung beiderseits
Bym metrisch, aber nur oberflächlich bewegt. Untere Lungengrenzen
stehen beiderseits tief, sind in- und exspiratorisch nur wenig verschieb-
li cb. Nirgends über den Lungen Schallabschwächung. Überall rein vesiku-
läres Atmungsgeräusch ohne Nebengeräusche. Herzbefund normal. An
allen übrigen Organen nichts Abnormes.
Das Sputum wird nach zahlreichen Hustenstößen ohne Atem-
not und ohne Anstrengung herausgefordert. Die Menge ist gering.
Das Sputum reagiert neutral, ist schleimig, mit vielen Luftblasen unter-
mengt, nirgends blutig gefärbt. Beim Ausbreiten in Wasser finden sich
2 ca. 5 cm lange Gerinnsel mit dichotomischer Teilung, Ausgüsse
der kleineren und kleinsten Bronchien darstellend.
Verordnung: Natr. jodat. 3 mal täglich 1 g.
Über den Verlauf der Krankheit seien die folgenden Angaben
aus der KraDkengeschichte angeführt :
5. Mai 1903. Zustand unverändert. Täglich werden 2 bis 3 Ge-
rinnsel von 5 — 8 cm Länge ausgehustet.
10. Mai 1903. Im Traube'schen Raum und links hinten unten ge-
ringes Exsudat; in der Höhe der linken 3. Rippe fühl- und hörbares
pleuritisches Reiben. Patient fühlt das Reiben selbst, ohne dabei
Schmerzen zu empfinden.
lö. Mai 1903. Exsudat im Traube'schen Raum verschwunden,
links hinten unten noch 3 Querfinger hoch nachweisbar. Oberhalb des
Exsudates hört man noch weiches Reiben. Rechts hinten unten Knister-
rasseln und weiches Reiben, keine Dämpfung. Seit 4 Tagen werden
keine Gerinnsel ausgehustet, dagegen mäßige Mengen zähen schleimig-
eitrigen Auswurfs. Patient zeigt sich psychisch leicht erregbar, bekommt
aus Anlaß der klinischen Vorstellung eine Pulsfrequenz von 130 ohne
wesentliche Temperatursteigerung. Am Herzen ist nichts Abnormes nach-
weisbar.
4. Juni 1903. In den letzten Tagen traten wieder Gerinnsel auf,
die zum Teil mit einer ganz dünnen, sanguinolenten Schleimschicht be-
setzt sind. Das Exsudat und das Reibegeräusch sind verschwunden.
10. Juli 1903. Im Traube*schen Raum ist wieder ein Exsudat
nachweisbar.
10. August 1903. Links hinten unten noch Dämpfung mit ab-
geschwächtem Atmungsgeräusch. Oberhalb deutliches Reiben. Patient
verläßt auf eigenen dringenden Wunsch das Krankenhaus. Während des
ganzen Krankenbau saufenthalt es hatte Patient meist normale Tempe-
raturen; hier und da traten geringe abendliche Steigerungen auf, ein-
mal bis auf 37,9^ (Achselhöhle). Die Pulsfrequenz war eine sehr
schwankende, zwischen 64 und 130 Schläge in der Minute. Auch die
Atmungsfrequenz war, besonders im Anfang des Krankenhausauf-
enthaltes, eine sehr wechselnde, im Minimum 16, im Maximum 36 Atem-
züge. Das Körpergewicht bei der Entlassung betrug 56,8 kg.
Am 25. Oktober 1903 kam Patient zu einer Nachuntersuchung
in die Klinik. Er hatte 5 Wochen gearbeitet, fühlte sich sehr wohl,
sah auch sehr gut aus. Gerinnsel hat er in der letzten Zeit nicht wieder
ausgehustet. Der Lungenbefund war folgender: Rechts hinten, abwärts
über Bronchitis übniioea. 5S3t)
vom Angulats scapulae weiches samtartiges Keiben, desgleichen links vorn
im 5. Interkostalraum. Die linke hintere untere Lungengrenze steht
2 Querfinger höher als die rechte, ist nicht verschieblich. Im Tr^ube-
schen Baum kein Exsudat. Links vorn vereinzelte trockene feinblasige
Basselgetäusche. Beide Lungenspitzen sind frei. Symptome von Herz-*
hypertrophie und von Arteriosklerose fehlen.
Bei weiteren Nachuntersuchungen — die letzte fand im Februar
1904 statt - — zeigte sich ein ganz allmähliches Zurückgehen der lokalen
Erscheinungen. Das subjektive Befinden des Patienten ist ein sehr gutes.-
Gerinnsel hustet er selten aus, etwa alle 3 Wochen eins; sie werden
ohne jede Anstrengung herausgefordert.
Alle ausgehusteten Gerinnsel lassen aus ihrer Form und aus der
Art ihrer Verzweigung erkennen, daß sie aus einem und demselben^
Bronchus stammen. Sie sind 5 — 8 cm lang, bis zu 5 mm dick, die
feiosteB Verzweigungen sind mit bloßem Auge eben noch zu erkennen.
Die Gerinnsel stellen Ausgüsse der mittleren, kleineren und kleinsten
Bronchien dar, sind dicho tomisch verzweigt Sie sind wenig kompakt,
von glasig durchsichtigem Aussehen, von grauweißer Farbe, und mit
perlschnurartig aneinandergereihten Luftblasen von Stecknadelspitze- bis-
Stecknadelkopfgröße durchsetzt. In Wasser ausgebreitet schwimmen die
Gerinnsel infolge ihres Luftgehaltes.
Bei mikroskopischer Betrachtung der frischen Ge-
rinnsel erkennt man, daß sie aus parallel zu Bändern angeordneten^
stiork lichtbrechenden Fibrillen bestehen, an denen Leukocyten in mäßiger
Zähl häägen; Bronchialepithelien sind in dem Auswurf nur in mäßiger
Menge vorhanden. An den letzten feinsten Enden der Gerinnsel sind
die Fibrillen vielfach wirbelartig umeinander herumgeschlungren ; teilweise
laufen aie in Cursehmann'sche Spiralen aus. Diese sind mäßig
häufig, immer nur am Ende der feinsten Gerinnsel zu finden. Oharcot-
Leyden'sche Kristalle waren nie zu finden, ebenso nie eosino-
phile Zellen.
Bei der bakteriologischen Untersuchung des Sputums
fehlten Taberkelbazillen stets. In den Gerinnseln finden sich Kokken
in kleinen länglichen Haufen. Die Gerinnsel wurden in 10 mal gewech-
selter steriler Flüssigkeit ausgewaschen und dann auf Agarplatten ver-
arbeitet: es ist Staphylococcns pyogenes albus in Beinkultur
gewachsen.
Das makroskopische Verhalten der Gerinnsel, ihr glasig-durch-
scheinendes Aussehen, ihr wenig kompaktes Gefüge, ihre große
Elastizität, hatten den Gedanken nahe gelegt, daß es sich vielleicht
um reine Mucinge rinnsei handle, wie solche in neuerer Zeit
öfter beschrieben worden sind. Ich habe daher Herrn Professor
Siegfried gebeten, die Gerinnsel chemisch auf ihren etwaigen
Gehalt an Fibrin zu prüfen. Es ist ihm gelungen, Flocken von
Fibrin darin nachzuweisen. Herr Prof. Siegfried war so
liebenswürdig, mir über die von ihm vorgenommene Untersuchung
die folgenden Angaben zu machen:
Deatsctaes Archiv f. klin. Medizin. LXXX. fid. 36
554 XXXII. LiBBKBMEISTSB
,,Die mit Wasser gewaschenen Flocken lösten sich nicht in
0,1 proz. Natronlauge binnen 6 Stunden , sondern quollen in dieser
nur auf. Sie quollen typisch in 0,2 proz. Salssäure , ohne sich in
24 Stunden zu lösen. Als zu den so bei 38® gequollenen Flocken
eine geringe Menge einer wirksamen Pepsinlösung gegeben wurde,
lösten sie sich in wenigen Minuten auf.
Nach diesem Verhalten sind die mit verdünnter Natronlauge
behandelten Flocken als aus Fibrin bestehend anzusehen."
Zum Zweck der mikroskopischen Untersuchung gefärbter Prä-
parate wurden Stücke der Gerinnsel nach Formalinfixierung, AV'ässerung
und Härtung in aufisteigendem Alkohol in Paraffin eingebettet und dar-
aus Schnitte von 5 f,i Dicke hergestellt. Es wurde gefärbt mit Häma-
toxylineosin, mit Mucikarmin nach P. Mayer (Grübler), mit
Thionin, ferner nach der Weigert'schen und nach der Kecke 1-
schen Fibrinfärbemethode. Die Färbung mit Thionin gelang am besten
nach der von P. Mayer und Zimmermann angegebenen Modifikation
der Hoyer' sehen Färbemethode: es wurden die auf den Objektträger
aufgeklebten Schnitte ohne Entfernung des Paraffin in dünner Thionin-
lösung ca. 5 Minuten gefärbt, abgetrocknet, in Xylol vom Paraffin be-
freit und in Canadabalsam eingebettet. Die auf diese Art ge&rbten
Schnitte haben bis 3 Monate nach der Färbung die Farbe und auch die
Metachromasie fast ausnahmslos sehr schön festgehalten, sind aber im
Laufe von weiteren 2 Monaten erheblich abgeblaßt. Die Metachromasie
war am besten zu sehen bei künstlichem Licht, das nicht zu wenig rote
Strahlen enthielt. Fast ebensogut ist sie hervorgetreten in Mikrophoto-
grammen, weil die metachromatisch rot gefärbten Partien als dunkel, die
blau gefärbten als hell aaf die photographische Platte wirken.
Die mikroskopische Untersuchung zeigte ein Gerüst von ziemlich
homogenen, leicht gewellten Balken, teils von geringer, teils von größerer
Dicke: überall zwischen den sich durchkreuzenden Lamellen finden sich
größere und kleinere Hohlräume, so daß man eio, teilweise sehr weit-
maschiges Netz vor sich hat. In diesem Balkennetz sieht man verstreute
einzelne Zellen mit annähernd rundem Kern, an einzelnen Stellen sind
diese in etwas größerer Zahl vorhanden. Eosinophile Zellen finden sich
nicht. Bei der Weigert' sehen Fibrinfarbemethode ist das Balkennets
ziemlich gleichmäßig violett, nach der Ko ekel 'sehen braungrau bis
blauschwarz gefärbt. Nirgends heben sich nach diesen beiden Methoden
einzelne Fasern besonders stark hervor. Bei den mit Mucikarmin
gefärbten Präparaten hat sich alles leuchtend rosarot gefärbt, die fibril-
läre Struktur der Balken tritt dabei deutlich hervor. Sehr übersieht-
liehe Bilder geben die mit Thionin gefärbten Schnitte. Sie zeigen
ein von verschieden dicken Balken gebildetes Netz. Die Balken sind im
allgemeinen blau gefärbt, zeigen aber überall kleinere und größere, sich
sehr distinkt abhebende rote Einschlüsse, teils in Form von kleineren
oder größeren Platten, teils als sehr feine Fasern. Auch die rot ge-
färbten Platten lassen sich bei stärkerer Vergrößerung in sehr feine
Fibrillen, die sich durchkreuzen, auflösen. Die metachromatischen Par*
über Bronchitis fibrinosa. 555
tien finden sich durch das ganze Präparat verstreut, sowohl peripher als
auch zentral gelagert. Die Zellkerne hahen sich hlauviolett gefärbt.
Wir haben es also hier zu tun mit einem Fall von idiopathischer
chronischer fibrinöser Bronchitis. Für die Ätiologie dieses Falles
kommen als disponierende Momente in Betracht die Beschäftigung
des Patienten mit Blei in wahrscheinlich ziemlich staubiger Luft
und die schwächliche Konstitution des Kranken. Ob dem aus den
Gerinnseln in Eeinkultur gezüchteten Staphylococcus pyogenes albus
in ätiologischer Beziehung sehr großer Wert beizulegen ist, wie dies
z. B. Sokolo wski(43) tut, halte ich bei der übiquität dieses Coccus
für recht fraglich. Eine tuberkulöse Affektion ist so gut wie aus-
geschlossen.
Bemerkenswert ist bei diesem Fall, daß, entgegen der Eegel,
die Gerinnsel ohne besondere Anstrengung und ohne Atemnot
expektoriert wurden, wie'dies für einzelne Fälle schon E i e g e 1 (36),
Kußmaul (28) u. a. ^) erwähnt haben.
Die Gegenwart Curschmann'scher Spiralen, die bei
Bronchitis fibrinosa bis jetzt nur von wenig Autoren*) gesehen
worden sind, ist uns ein Zeichen dafür, daß der mit Schleim- und
Fibrinausscheidung verbundene Prozeß sich bis in die Bronchiolen
erstreckt hat (vgl. Curschmann 1. c).
Zur Bildung des so häufig die Bronchitis fibrinosa kompli-
zierenden Asthma (vgl. Possei t) ist es in diesem Fall nicht ge-
kommen.
Die von einer größeren Anzahl von Forschern'*) bei Bronchitis
fibrinosa beobachteten Charcot-Ley deutschen Kristalle
fehlten in diesem Falle stets, ebenso die eosinophilen Zellen.*)
Es war nun von Interesse, zu sehen, wie sich andere Fälle
von Bronchitis fibrinosa verhielten, und so habe ich im Anschluß
an den oben beschriebenen Fall die zahlreichen Gerinnsel, welche
in der Sammlung der Leipziger medizinischen Klinik vorhanden
1) Adsersen (1), Chvostek (6), Eisenlohr (11), Hoffmann (23),
Zenker (47), Reiuke (35), Sklarek (42), s. Literaturverzeichnis.
2) Escherich (12), Model (30), Ortuer (31), Riegel (36), Soko-
lo wski (43), Vierordt(46).
3) Charcot (5), Curschmann (7), Escherich (12), Fräntzel (13),
Friedreich (14), Fritzsche (15), P. Koch (26), R. Koch (27), Model (30),
Pichini (32), Pramberger (34), Riegel (36), Schittenhelm (37), Soko-
lowski(43), Strauß (45), Vierordt (46), Zenker (47).
4) Vgl.Fritz8che(15), Ortner (31), Ad.Schmidt 38), Sokolowski(43).
36*
556 xxxn. L1XBSBMBI8TBB
sind, genauer untersuch t.^) Gegenstand der Untersucliun^ urareiv
den oben beschriebenen Fall mit eingerechnet^ zwölf FftUe von Bron-
chitis fibrinosa und ein in der Agone von einem schwer
Herzleidenden ausgehusteter Abguß der großen Bronchien.
Zum Vergleich wurden noch untersucht vier Präparate von diph-
therischen Bronchialausgüssen und zwei Fälle von Ente-
ritis pseudomembranacea. Eine chemische Unter-
suchung war bei den zum Teil aus älterer Zeit stammenden
Alkoholpräparaten nicht möglich, und so war ich auf das Ergebnis
der Färbemethoden allein angewiesen. Die Krankengeschichten
teile ich, soweit sie mir zugänglich waren, in kurzem Auszug mit.
Die Technik bei Anfertigung der Schnitte und bei der Färbung
war die gleiche wie bei dem ersten Fall.
2. Fall. Karl Cl., 65 Jahre alt, in die medizioische Klinik auf-
genommen am 17. Febmar 1902.
Aus der Anamnese sei angeführt, daß ein Sohn des Patienten
lungenleidend ist. Die übrige Familie ist gesund. Die jetzige Erkran-
kung besteht seit ungefähr 18 Jahren: Kunatmigkeit, Husten und eigen-
tümlicher weißer^ faden artiger Aaswurf. Cl. bekommt hier und da An-
falle von stärkerer Atemnot, so daß er im Bett aufrecht sitzen muß.
Kach dem Aushusten größerer Partien fühlt er sich erleichtert. Fieber,
Nachtschweiße, Gewichtsabnahme, Bluthusten sind nicht vorhanden ge-
wesen. Patient war bis vor 3 Jahren Tuchmacher und ist dabei der
Einatmung von viel Staub ausgesetzt gewesen. Jetzt arbeitet er als
Bauarbeiter im Freien.
Befund bei der Aufnahme: Kleiner, leidlich genährter Patient
von gesundem Aussehen.
Thorax breit, tief, mit stark vorspringendem Angulua Ludovici,
stumpfem epigastrischem Winkel. Atmung ausgiebig und gleichmäßig.
Lungenspitzen beiderseits gleich hoch, untere Lnngenränder auf beiden
Seiten gleich hoch stehend, mäßig verschieblich, tjberall sonorer Schall.
Atmungsgeräusch vesikulär, zum Teil mit verlängertem Exspirium und
diffus verbreiteten trockenen Rasselgeräuschen.
Am Herzen normale Verhältnisse. Puls von guter Spannung and
Füllung. Arterienrohr rigide. Abdomen, abgesehen von rechtsseitigem
Leistenbruch, ohne Besonderheiten.
Der Auswurf ist schleimig-eiterig mit zum Teil bis zu BEandteller
großen Fibrinausgüssen des Bronohialbaumes. Keine eosinophilen
Zellen, keine Spiralen.
Patient wurde am 27. März 1903 bei gutem subjektivem Befinden
entlassen, nachdem er in der letzten Zeit nur noch sehr wenige Gk«
rinnsei ausgehustet hatte. Die Temperatur war im allgemeinen nicht
1) Meinem hochverehrten Chef, Herrn Geheimerat Onrschmann, spreche
ich für die Cberlassung des Materials und fftr das wohlwollende Interesse, das er
meiner Arbeit entgegengebracht hat, meinen verbindlichsten Dank aus.
über Bronchitis fibrinosä. 5Ö7
-erhöht. An einselDen Tagen kamen Steigerangen bis 37,5 ^ yor, ]>ie
Atmungsfreqnenz war im Durcbaohnitb SQ, der Fnls swisöben 60
und 100 schwankend.
Die in der Sammlung aufbewahrten Gerinnsel sind je oa. 5 cm
lang, bis ^u 2— -3 nun dick, von grünlichwei£er Farbe; sie aind sub-
aianzarm, im Innern größtenteils hohi» etwas plattgedrückt.
Die gefärbten Schnitte zeigen ein dem ersten Falle sehr
ähnliches Bild. Man sieht längliche gewellte Bänder, welche Hohlräume
umschließen. Der Zellgehalt ist ein sehr geringer. Bei der Weigert-
aehen Fibrin farbemethode hat sich das ganze Präparat gleichmäßig ge-
färbt ; nach der K o o k e 1 ' sehen Methode erhält man graublaue, nicht
sehr distinkt gefärbte wellige Bänder. Mit Mucikarmin hat sich das
l^anze Präparat schwach rosa gefärbt; einzelne Faserzüge hebea sich,
.leuchtend rosarot gefärbt, hervor. Bei Thioninfärbung erhält man
blau gefärbte wellige Züge von feinfaseriger Struktur; mäßig zahlreiche
Fasern haben sich sehr distinkt metachromatisch violettrot gefärbt.
Fall 8. Ein an schwerer ulceroser Lungenphthise leidender
'Patient hustet P/2 Jahre vor dem Tode einige Bronchialgerinnsel aus.
Bei der Sektion findet sich neben Lungen-, Kehlkopf- und Darmtuber-
kulose noch Amyloid der Idilz und der Nieren, jedoch nichts, was auf
Bronchitis fibrinosä deutet.
Die in Alkohol aufbewahrten Gerinnsel sind 7 cm lang, bis 4 mm
dick, von grünlich grauer Farbe, größtenteils hohl. Sie endigen in
feinsten, eben noch sichtbaren Fäserchen.
Die gefärbten Schnitte zeigen ein aartaa, sehr aellarmes
Balkengerüst mit wenig Lücken. Bei Thioninfärbung ist das
Balkengerüst blau und enthält mäßig zahlreiohe metachromatische Fasern;
mit Mucikarmin hat sich das ganze Präparat schwach rosa gefärbt.
Fall 4. Die Gerinnsel stammen . von einem Fall aus der Privat-
praxis des Herrn Geheimrat Ourschmann vom Anfang des Jahres
1903. Der Patient hat im Anschluß an Influenza große Mengen von
Gerinnseln ausgehustet.
Die Gerinnsel sind kompakter tind derber als die vorhergehenden,
ihre Oberfläche ist rauh. Die Gerinnsel hatten in frischem Zustand
• nicht die Durchsichtigkeit und Helligkeit, auch nicht den Luftgehalt der
von dem ersten Fall stammenden Ausgüsse. Ihre Farbe war gelblioh-
weiß. Ihre Form läßt sehr deutlich erkennen, daß sie alle dem gleichen
Bronchus entstammen. Ihre Länge beträgt bis zu 10 cm, ihre größte
Dicke 5 mm ; die kleinsten Endverzweigungen sind eben noch mit bloßem
Auge zu erkennen.
An den gefärbten Schnitten sieht man eine ziemlich homo-
gene, leicht wellig gestreifte Grundsubstanz mit mäßig zahlreiohen ein-
gelagerten Zellen; eosinophile Zellen fehlen. Die Substanabrücken sind
breit, die Lücken klein. Bei Weigert' scher Fibrinfilrbung finden
sich an einer Stelle am Rande des Präparates zahlreiohe in Haufen an-
- geordnete Kokken. Bei Anwendung der Immersion läßt sich die homo-
gene Substanz in ein Netz von feinsten Fibrillen auflösen. Bei Thio-
ninfärbung ist die größere Masse der Grundsubstanz blau gefärbt;
558 XXXII. Ll£BERMEI8TJra
an mehreren Stellen jedoch durchziehen feinste, metachromatisch yioleti-
rot gefärbte, distinkte Fasern das Bild. Mit Mucikarmin hat sich
das ganze Präparat sehr blaß rosa gefärbt, mehrere Faserzüge zeigen
stärkere Färbung.
Fall 5. Sammlung8praparat,„ Bronchitis fibrinosa*' bezeichnet.
Über den Krankheitsverlauf ist nichts zu eruieren gewesen.
Die Präparate stellen makroskopisch ziemlich derbe, bräunlich-
rosa gefärbte Gerinnsel von bis zu 10 cm Länge dar. Zum Teil sind
die Gerinnsel etwas platt gedrückt.
Die gefärbten Schnitte lassen teils mäßig breite Bänder, teils
feine, verflochtene Netze mit großen Zwischenräumen erkennen. Der
Zellgehalt ist gering. Eosinophile Zellen sind nicht vorhanden.
Bei Weigert' scher Fibrinfarbung sieht man in den feinen Bändern
massenhaft in Haufen angeordnete Kokken und Stäbchen. Bei starker
Vergrößerung zeigt sich, daß die breiten Bänder sich aus feinen Fi-
brillen zusammensetzen. Bei Th ion in färbung ist alles blau, nirgends
Metachromasie. Die Zellkerne erscheinen hellviolett. Auch bei dieser
Färbung sind Massen von Kokken zu finden. Die K o c k e T sehe Fibrin-
färbung und die Mucikarmin färbung geben dieselben Resultate wie
bei den früheren Präparaten.
Fall 6. Sammlungspräparat, makroskopisch bis zu 6 cm
lange, teilweise etwas plattgedrückte Gerinnsel von grauweißlicher Farbe.
Die Dicke schwankt zwischen 4 mm und eben noch erkennbaren feinsten
Fäden.
Im allgemeinen ist der mikroskopische Befund der gleiche wie
bei Fall 5, nur ist der Zellgehalt ein etwas größerer, und bei Thionin-
färbung finden sich geringe rosa violette Einsprengungen in das blau
gefärbte Balkennetz. Bakterien lassen sich nicht nachweisen.
Fall 7. Sammlungspräparat: Gelbrosa gefärbte, bis 5 cm
lange, mäßig konsistente, bis zu 4 mm dicke Gerinnsel mit feinsten Ver-
ästelungen.
Bei mikroskopischer Betrachtung ist zu erkennen, daß die
Schnitte nach allen Methoden sich recht schlecht gefärbt haben, wohl
infolge zu großen Alters. Das Bild gleicht dem der beiden vorher-
gehenden Präparate. Bakterien sind nicht nachweisbar. Bei Thionin-
färbung fehlt die Metachromasie.
Fall 8. Sammlungspräparat, grauweiße, bis zu 4 cm lange
Gerinnsel von geringerer Konsistenz als die vorhergehenden.
Die Schnitte färben sich schlecht. Zellkerne fehlen. Bei Th io-
nin färbung ist keine Metacbromasie vorhanden.
Fall 9. Sammlungspräparat, 10 om langes Bronchialgerinnsel,
dessen größte Dicke 8 mm beträgt. Es stellt Ausgüsse eines großen
und vieler mittlerer Bronchien dar. Das Gerinnsel ist etwas plattgedrückt,
ziemlich kompakt, von grauer Farbe.
Die mäßig gut gefärbten Präparate verhalten sich wie bei den vor-
hergehenden Fällen. Bei Thioninfärbung fehlt die Metachromasie.
Bakterien Bind nicht nachzuweisen.
über Bronchitis fibrinosa. 559
Fall 10. Sammlungspräparat, 5 cm langes, ziemlich kom-
paktes weißes, verästeltes Gerinnsel mit kreisrundem Querschnitfc.
Mikroskopisch erkennt man ein mäßig zell reiches feines Fasernetz
mit kleinen Lücken. An einzelnen Stellen finden sich stärkere Zell-
anbäofongen. Bei Thioninfärbung ist keine Metachromasie vor-
handen.
Fall 11. Sammlungspräparat, anscheinend ziemlich alt:
Hanhes, ziemlich kompaktes ca. 5 cm langes, plattgedrücktes Gerinnsel,
dessen größte Dicke 5 mm beträgt. Die feinsten Ausläufer sind eben
noch mit unbewafifhetem Auge zu erkennen.
Die geförbten Präparate sind den vorigen sehr ähnlich. Der Zell-
gehalt ist ein geringerer. Die Thioninfärbung ergibt keine Meta-
chrom asie.
Fall 12. Sammlungspräparat. Es ist ein dem vorigen ähn-
liches ca. 8 cm langes, etwas weniger kompaktes Gerinnsel.
Die gefärbten Schnitte stellen ein ziemlich weitmaschiges, wenig
zellhaltiges Netz mit großen Lücken dar. Mucikarmin ergibt gute
Rosafarbung. Bei Thioninfärbung erhält man blaue Bänder mit
vielen metachromatisch rotgefärbten Streifen.
Fall 18. Es handelt sich um 2 große Bronchialgerinusel,
welche kurz vor dem Tode von einem an Goronarsklerose leidenden
Patienten ausgehustet wurden. Herr Geheimrat Gurschmann war so
gütig, mir die folgenden Angaben über diesen in der Privatpraxis beob-
achteten Fall zu überlassen: Herr K., Mann von ca. 60 Jahren, leidet
seit seiner Jugend an einer Coxitis mit leicht eiternder Fistel. Von je
her war Patient körperlich zart und schwächlich; dabei war er von
hervorragender geistiger Leistungsfähigkeit, so daß er lange Jahre ein
großes Amt führen konnte. Ein Jahr vor dem Tode tritt im Anschluß
an allerschwerste fortgesetzte psychische Alterationen der erste Anfall
von Angina pectoris auf. In den letzten 3 Monaten des Lebens kamen
schwere und leichte Anfälle abwechselnd vor. Sie gingen einher mit
den charakteristischen in den linken Arm ausstrahlenden Schmerzen in
der Herzgegend, starkem Gppressionsgefühl, ganz kleinem, aussetzendem
Puls. In den letzten Wochen traten Ödeme der Beine ein. Über den
Lungen fand sich mäßige Bronchitis, im Sputum bei einmaliger Unter-
suchung keine Herzfehlerzellen. Am Herzen ließ sich geringe Dila-
tation des linken Ventrikels nachweisen, während der rechte Ventrikel
anscheinend nicht vergrößert und erweitert war. Die Herztöne waren
leise, rein. An den Nieren waren keine Veränderungen nachzuweisen,
im Urin kein Eiweiß.
Am Tage vor dem Tode und am Todestag erfolgte nach heftigen
Dyspnoeanfällen die Expektoration von je einem Gerinnsel.
Die beiden Gerinnsel sind je 1 5 cm lang, bis zu 1 ^/^ cm dick,
die feinsten Verzweigungen haben die Dicke mittlerer Bronchien. Ihre
Form läßt erkennen, daß sie aus einem uud demselben Bronchus stammen.
An den gefärbten Schnitten erkennt man ein Netz von Bändern
mit größeren und kleineren Lücken. Der Zellgehalt ist ein geringer.
560 XXXIL LiXBuaiiTBB
-StelleBweise sind die Gerinnsel kompakter nnd weisen nur kleine Lücken
auf. Bei den nach der KockeTBchen Methode gefiSrbten Scbmtte&
:zeigt sich ein feines, violettgrauBchwan gefärbtes Fsserwerk, welches
eine homogene, schwach graubraune Gnmdsabstani anschließt. Bei
-Thioninf&rbnng findet sich eine ganze Menge Ton Fasern und
Faser Systemen, die roetachromatisch rot und rotvioUet gefärbt, ans dem
.übrigen blau gefärbten Balkennetz hervorleuchten. Alle metachroma-
tischen Partien zeigen feinen fibrillären Bau. Mit Mucikarmia hat
sich das ganze Präparat schwach rosa gefärbt. ISine bedeutende Zahl
von Fasern — entsprechend den mit TlMonin metachromatisch gefärbten
-: — sind leuchtend rosa und heben sich aus dem matter gefärbten Be&t
'stark heraus.
Es zeigt sich somit daß diese Gerinnsel, ebenso wie die in der
Literatar beschriebenen, bei Zirkulationsstörungen*) und
die nach Thoracocentese^) ausgehusteten Bronchialausgüsse
sich nicht wesentlich von den bei echter Bronchitis fibrinosa aus-
gehusteten Gerinnseln unterscheiden.
Zum Vergleich mit diesen Fällen von fibrinöser Bnmchitis habe ich
4 Präparate von absteigender Diphtherie nach den gleichen Me-
thoden untersucht. Es handelte sich teils um bandwurmähnliche platte
unverzweigte, teils um membranöse, verzweigte Gerinnsel Ton gelbweißer
^arbe und derber, fast lederartiger Konsistenz. Vor allem anderen fiel
an den gefärbten Präparaten im Gegensatz zu den oben beschrie-
benen Gerinnseln der viel größere Gehalt an Zellen auf. Diese sind
in ein feinfaseriges Netz eingebettet, das nach der Ko ekel 'sehen Me-
thode sich viel distinkter dunkelschwarzblau als die Gerinnsel von Bron-
chitis fibrinosa, mit Thionin dunkelblau, nach der Weigert 'sehen
Fibrinfärbemethode violettblau färbt. An einzelnen Stellen der Präparate
ist der Zellgehalt etwas geringer, so daß hier ein der Bronchitis fibrinosa
etwas ähnlicheres Bild entsteht. Bei Thioninfärbung vermissen wir
die Metacbromasie. Nur an einem Präparat fanden sich ganz vereinxelt
rotviolette Fasern. Mucikannin gibt bei langer Einwirkung ganz schwache
diffuse Färbung.
Endlich hatte ich Gelegenheit, die mit den Fäces entleerten Mem-
branen von zwei an Enteritis pseudomembranacea leidenden
Kranken zu untersuchen. Das eine stammt aus der Sammlung der
medizinischen Klinik. Es stellt makroskopisch einen wurmartigen,
teilweise verzweigten Fetzen dar.
Mikroskopisch läßt es keine Zellen erkennen, sondern eine
ziemlich homogene Grundsubstanz, die in sehr verschwommenen Netzen
und Bändern gruppiert erscheint, so daß das mikroskopische Bild am
ehesten an feine Wolkengebilde erinnert. Es finden sich in den Präpa-
l)Vgl.Bernoulli(2),Degen(8),Eichhor8t(10),Grandy(17),Habel(18)
Hints(21), Ortner (31), Schittenhelm (37), Stark (43).
2) Hampeln (19) Magenau (29), Ortner fdl), Scriba(41).
über Bronchitis fibrinosa. 561
•mtexk TTnmengen von Bakterien, gro£e Hauflbn von kleinen, etwad plampen
Stäbchen (Bacterium' coli?).
Das andere Präparat stammt von einem Mann, der an einem
.awischen Blase und Darm gelegenen Absceß litt pnd wurmartige Ge-
rinnsel im Stuhl entleerte. Die Untersuchung der frischen Gerinnsel er-
gab, daß es sich vielfach um einen kompakteren Kern mit einem sub-
'stanzarmen schleimigen Mantel handelte. In den späteren Zeiten des in
Heilmig durch Perforation des Absceeses in den Darm ausgehenden
Falles fand ich viele rein schleimige, snlzige Gerinnsel im Stuhl. Das
mikroskopische Bild der Gerinnsel war das gleiche wie im vorhergehen-
den Fall.
Es bat sich demnach aus der Untersuchung dieses größeren
Materials folgendes ergeben:
Die von einem schwer Herzkranken (Fall 13) in der Agone
ausgehusteten Gerinnsel unterscheiden sich nur dui'ch ihre enorme
Dicke von den bei echter Bronchitis fibrinosa ausgehusteten
Ausg^nssen. Im histologischen Bau und im chemischen Verhalten
besteht bei Anwendung obiger Methoden vollkommene Über-
einstimmung. Wir werden diesen Fall im folgenden bei der
echten Bronchitis fibrinosa mitzählen.
Streng zu trennen ist die idiopathische Bronchitis
fibrinosa von der absteigenden Diphtherie und von den
Fällen, in denen unter Freibleiben des Larynx bei Anwesenheit
des Löfflerschen Bazillus sich Tracheal- und Bronchialgerinnsel
hilden. Diese Ti*ennung ist nicht bloß bezüglich der Ätiologie
der Fälle notwendig, sondern auch bezüglich der Morphologie
der dabei produzierten Gerinnsel. Bei der echten Bronchitis
fibrinosa haben wir Gerinnsel von wabigem Bau, die das
BronchiaUumen mehr oder weniger vollständig ausfüllen und meist
einen mäßigen Luftgehalt aufweisen. Mikroskopisch finden wir ein
stark mit Hohlräumen durchsetztes Balkengerüst mit
sehr geringem Zellgehalt. Das Balkengerüst besteht in der
Mehrzahl der Fälle aus einem Gemenge von Fibrin und Schleim,
vielleicht in einer Reihe von Fällen auch aus reinem Fibrin (s. u.).
Bei der absteigenden Diphtherie werden dem diphthe-
rischen Tonsillen- und Larynxbelag analoge Gebilde in die Bronchien
ausgeschieden: dasBesultat sind derbe handschuhfingerähnliche oder,
bei tieferem Sitz, baumförmig verästelte zylindrische Membranen,
die sich von der Schleimhaut nur mit vielfachen Epithel verlosten
abheben lassen. Sie bestehen aus einem dichten, kompakten,
feinfaserigen Fibrinnetz, in das Unmengen von Zellen
eingeschlossen sind.
562 XXXn. LlEBERMElSTEB
Wir kommen nun zur Beantwortung der Frage, ob die Ge-
rinnsel, die sich bei der Bronchitis fibrinosa bilden, aus
Fibrin oder aus Schleim bestehen.
Ein großer Teil der in den letzten 12 Jahren über Bronchitis
fibrinosa veröffentlichten Arbeiten beschäftigt sich mit der Frage,
ob die produzierten Gerinnsel wirklich aus Fibrin und nicht vielmehr
aus Schleim bestehen. Nachdem vor über 100 Jahren Maclanrin')
die Gerinnsel für eingedickten Schleim erklärt, und nachdem
L. Championnifere(4) 1876 die gleiche Ansicht ausgesprochen
hat, ist 1892 von Neelsen-Beschorner (3) für einen Fall der
Beweis erbracht worden, daß die Gerinnsel aus Mucin bestehen.
Beschorner zog daraus, daß die Essigsäure keine auihellende
Wirkung hatte, und aus dem negativen Ausfall der Weigert-
schen Fibrinfarbung den Schluß, daß Fibrin in dem Gerinnsel so
gut wie ganz fehle.
Daß die Weigert 'sehe Methode hier und da, ohne daß man
eine Ursache dafür findet, versagen kann, ist bekannt. Nach den
Erfahrungen von Schmorl, A. Schmidt (38) u. a. färbt sich nach
der Methode neben dem Fibrin auch Schleim. Nach dem Ev-
gebnis meiner Untersuchungen möchte ich mich dahin aussprechen,
daß das Fibrin um so leichter bei der Differenzierung ent-
färbt wird, je mehr es eng mit Schleim gemengt ist. Daher
kommen die verschiedenen Ergebnisse bei der We ig er t- Methode:
bei kurzer Difi^erenzierung erhalten wir positive Färbung, bei
längerer DilSferenzierung negative. Eine derartige Auffassung stimmt
sehr gut mit der Beobachtung von Pos seit (33), „daß mitunter
am gleichen Präparat mit Weigert'scher Färbung Fibrinreaktion
deutlich auftritt, andererseits jedoch stellenweise morphologisch
ganz gleich aussehende Stellen diese vermissen lassen" (1. c. S. 5
des Sep.-Abdr.).
Der Umstand, daß die Essigsäure nicht aufhellend gewirkt
hat, schließt die Anwesenheit von Fibrin neben Schleim ebenfalls nicht
aus. Man denke sich ein inniges Gemisch von Fibrin und
Schleim mit Essigsäure versetzt, so wird in demselben Maße, in
dem Fibrin gelöst wird, Mucin ausgefällt werden und wir erhalten
unter Umständen gar keine sichtbare Reaktion.
Beschorner wollte den bei seinem Fall erhobenen Befund
verallgemeinern. Er hat Anhänger und Gegner gefunden. Für
seine Anschauung sprechen sich mehr oder weniger bedingt aus
Klein (25), Sokolowski(43) (Fall 3), Grandy(17), Habel(18),
1} Cit bei Dixon(9).
über Bronchitis fibrinosa. 563
Hochhaus (22), Schwarzkopf (40). Die Ansicht, daß die Ge-
rinnsel aus Fibrin bestehen, vertreten Herzog (20), Jakob-
sehn (24), Hin ts (21), R. Schmidt (39), Strauß (45), Schitten-
heim (37). Die Resultate wurden teils auf Grund chemischer Unter-
suchung gewonnen, teils mit Färbemethoden, besonders mit der
Weigert'schen Fibrinfarbung. Vielfach wurde ein negativer
Ausfall dieser letzteren Färbung als beweisend dafür angesehen^
daß Fibrin in den Gerinnseln fehle. Auf der anderen Seite zog
man aus dem positiven Ausfall der Weigei-t-Färbung den Schluß^
daß die Gerinnsel aus Fibrin und nicht aus Schleim bestehen. Ganz
allmählich vollzieht sich in der Literatur der letzten Jahre ein
Umschwung: die Fragestellung verschiebt sich und es heißt nicht
mehr „Fibrin oder Schleim ?•*, sondern „wieviel Fibrin und wieviel
Schleim?". So kommt Fr. A. Hoff mann (23), ohne die Anwesen-
heit von Schleim in den Gerinnseln in Abrede zu stellen, zu dem
Schluß: „Der charakteristische Bestandteil in allen ist doch das
Fibrin-* (1. c. S. 138). Pos seit (33) hat bei seinem Fall die An-
wesenheit von Schleim und Fibrin nachgewiesen (1. c. S. 17 des
Sep.-Abdr.).
Was hat sich nun aus unseren Untersuchungen für diese Frage
ergeben ?
Bei Fall 1 wurde auf chemischem Wege (s. o.) Fibrin
sicher nachgewiesen. Zur Entscheidung, ob im Innern der Gerinnsel
sich auch Mucin finde, eignet sich die chemische Analyse nichts
weil es wohl kaum gelingt, die Gerinnsel von dem äußerlich an-
haftenden, aus den oberen Luftwegen und dem Rachen stammenden
Schleim zu befreien, ohne daß auch der etwa im Innern der Ge-
rinnsel befindliche Schleim mitentfernt wird. Zur Entscheidung
dieser Frage müssen wir die farbanalytischen Methoden
an den mikroskopischen Schnitten zu Hilfe nehmen. Die Thionin-
färbung hat vorwiegende Blaufärbung ergeben mit zahlreichen,
sehr distinkt rot gefärbten, größeren und kleineren Einsprengungen.
Mit der Mucikarminfärbung war in allen Teilen der Gerinnsel
Schleim nachweisbar. Das Verhalten der Schnitte läßt vermuten,
daß es sich bei den Gerinnseln dieses Falles um eine enge Ver-
mischung von Fibrin mit Schleim handelt. Auf diese Weise erklärt
sich auch gut das eigentümliche makroskopische Verhalten der
Gerinnsel
Von unseren — im ganzen 13 — Fällen ließ sich Fibrin in
allen Fällen farbanalytisch nachweisen.
Mit der Thioninmethode wurden für Schleim positive
564 XXXm. LiKBXRMEISTXB
Bilder erzielt in 7 von 13 Fällen (FaU 1, 2, 3, 4, 6, 12, 13). In
diesen Präparaten hoben sich von der blangefirbten Hauptmasse
der Schnitte die metachromatisch violettrotgefiLrbten SchleimfiLden
sehr deutlich ab. Ob die Gerinnsel der 6 anderen Fälle (&, 7. 8
9, 10, 11), bei denen die Thioninreaktion negativ war, gar kein«
Schleim enthalten, oder ob dieser vorhanden ist^ sich aber ans
irgend einem Grunde — zu geringe Menge, zu großes Alter der
Präparate, zu enge Vermischung von Schleim mit Fibrin u. a. — nicht
metachromatisch gefärbt hat, das wage ich nicht zu entscheiden.
Die Mucikarminfärbung ergab ähnliche Resultate wie die
Thioninfärbung. Schwache, oft nur eben erkennbare ßosafärbung
war nach langer Färbung in allen Präpainiten vorhanden« gute
Färbung, zum Teil auf einzelne Faserzüge und -Systeme beschränkt,
erhielt ich in 5 Fällen, die alle auch die Thioninreaktion gegeben
hatten (Fall 1, 2, 4, 12, 13). Im allgemeinen scheinen hauptsäch-
lich die weniger kompakten Gerinnsel deutlich nachweisbaren Schleim
zu enthalten.
Curschmann'sche Spiralen konnte ich nur bei Fall 1 nach-
weisen, in allen übrigen Fällen fehlten sie.
Charcot-Leyden'sche Kristalle und die von Fr. Müller (16)
bei Asthma im Sputum nachgewiesenen eosinophilen Zellen fehlten
in allen Fällen.
Zur Frage der Ätiologie können die hier beschriebenen
Fälle wenig beitragen, da zu einer Reihe von Fällen mir die
Krankengeschichten nicht zugänglich waren. Die Bakterienbefnnde,
die in einigen Fällen erhoben wurden, sind, wie zu erwarten war,
nicht eindeutig: Kokken in Haufen bei Fall 1 (Staphylococcns
pyogenes albus), Fall 4 und 5. Bei Fall 5 finden sich neben
Kokken noch feine Stäbchen. Bei den übrigen Fällen ist es nicht
gelungen, Mikroorganismen nachzuweisen.
Bei Fall 3 kam die Bronchitis fibrinosa vorübergehend zu einer
chronisch-ulcerösen Lungenphthise hinzu, in Fall 4 schloß sie
sich an Influenza an. Bei Fall 1 und 2 hat die lange dauernde
Einatmung von Staub wohl für die Entstehung der Krank-
heit begünstigend gewirkt. Bei Fall 13 ist die Koronarsklerose
als disponierendes Moment zu erwähnen.
Für eine Kombination von Asthma bronchiale und Bronchitis
fibrinosa, wie sie in einer Reihe von Fällen beobachtet worden
ist (vgl. Possei t 1. c), haben wir bei allen unseren Fällen weder
im klinischen Verlauf, so weit er bekannt ist, noch im Sputum-
befond Anhaltspunkte gefunden.
über Bronchitis fibrinosa. 565
In allen unseren Präparaten hat sich der Zellgehalt der
Gerinnsel als ein geringer oder sehr mäßiger erwiesen. Sehr ge-
ring war er im Himptstamm der Gerinnsel. In den feinsten Yer*
zweigungen war er etwas reichlicher. In der Hauptsache waren
es einkernige Zellen mit annähernd rundem Kern. An den älteren
Präparaten waren vielfach bloß die Zellkerne zu sehen.
Die Ergebnisse seien in iliren wichtigsten Punkten nochmals
kurz zusammengefaßt:
1. Die Gerinnsel bei Bronchitis fibrinosa verhalten sich makro-
skopisch und besonders histologisch ganz verschieden von den bei
absteigender Diphtherie gebildeten Membranen (s. o.) Die bei
schwerer Koronarsklerose kurz vor dem Tode ausgehusteten Bron-
chialabgüsse sind weder makroskopisch noch mikroskopisch von den
bei fibrinöser Bronchitis gebildeten Gerinnseln zu unterscheiden.
2. Curschmann'sche Spiralen sind bei Bronchitis fibrinosa
eine Seltenheit. Ich habe sie unter 13 Fällen bei einem Fall ge-
funden, dessen Gerinnsel aus Schleim und Fibrin bestanden.
Ch ar CO t-Ley deutsche Kristalle und eosinophile Zellen konnte
ich in keinem Falle in den Gerinnseln nachweisen.
3. Zur Entscheidung der Frage nach der chemischen Natur
der Gerinnsel ist die sicherste üntersuchungsmethode die chemische
Analyse der frischen Gerinnsel. Wo die chemische Untersuchung
nicht möglich ist, erzielt man durch die verschiedenen Färbe-
methoden noch brauchbare Resultate, zum Nachweis von Schleim
in erster Linie durch die Thioninmethode, dann durch die Muci-
karminfärbung. Zum Nachweis des Fibrin ist am ehesten brauch-
bar die KockeVsche Methode. Die Weigert'sche Fibrinfärbung ist
bei Anwesenheit von Schleim neben Fibrin nur mit Vorsicht zu
verwerten. Bei beiden Methoden scheint sich das Fibrin, wenn
es mit Mucin gemengt ist, bei der Differenzierung leichter zu ent-
färben als das reine Fibrin.
4. Als wesentlicher Bestandteil der bei Bronchitis fibrinosa
gebildeten Gerinnsel hat sich in allen Fällen Fibrin nachweisen
lassen. In 7 von 13 Fällen ist auch der Nachweis von Schleim
gelungen. Ob in den übrigen 6 Fällen auch Schleim vorhanden
war, läßt sich mit den bis heute bekannten Methoden nicht sicher
entscheiden,
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XXXIII.
Die Typlmserkrankiingen unter den deutschen Truppen
in Tientsin im Herbst und Winter 19001901.
Von
Stabsarzt Dr, Otto Wendel,
früher beim Feldlazareth Nr. 5 Ostasiat. Expeditionskorps.
Vereinzelte Erkrankungen an Typhus kamen in Tientsin bald
nach der Landung unserer Truppen schon in der 1. Hälfte des
September vor. Dieselben wurden im damaligen Etappenlazarett
behandelt Genaue Daten über Beginn und Zahl dieser Erkran-
kungen liegen mir nicht vor. Bei der Übernahme des Etappen-
lazaretts durch das Feldlazarett I am 15. September 1900 betrug
der Bestand 5 Typhuskranke. Im ganzen wurden bis 15. April
1901 behandelt: 244 Typhuskranke. Die Zugänge verteilen sich
auf die einzelnen Monate folgendermaßen: Bestand um 2. Hälfte
des September 13, Oktober 76, November 53, Dezember 58, Januar
18, Februar 13, März 10, 1. Hälfte Aprü 3. Nach MitteUungen
hiesiger europäischer Ärzte ist in Tientsin der Herbst die Zeit
des Typhus.
Die große Zahl der Typhuserkrankungen in Tientsin erklärt
sich dadurch, daß die Truppenteile auf ihrem Durchmarsche in
Tientsin fast durchweg eine Zeitlang untergebracht waren bzw.
biwakierten und bei ihrem Weitermarsch ihre Kranken dort zu-
zurückließen. Fernerw urden wenigstens anfangs von einigen
Etappen die Kranken nach Tientsin abgeführt.
Auffallend ist, daß von Offizieren, Sanitätsoffizieren und oberen
Beamten nur je einer erkrankte.
Vom unteren Sanitätspersonal erkrankten 13. 12 derselben
waren mit der Pflege von Typhuskranken im Lazarett beschäftigt
und erkrankten im Lazarett. Der 13. erkrankte im Anschluß an
eine Blinddarmentzündung. Über Zeit und Ort der Infektion im
letzten Fall ist nichts Genaues bekannt.
568 XXXm. Wendel
Vom 2. November ab wurden sämtliche Typhuskranke in
Tientsin in das Garnisonlazarett II als besonderes Typhuslazarett
aufgenommen. Es wurden 2 Typhusstationen mit 1 Beobachtungs-
zimmer eingerichtet. Die beiden Hauptlazarette Tientsins waren
in den 2 Gebäuden der chinesischen Universität eingerichtet: es
sind 2 im Süden der europäischen Konzessionen Tientsins gelegene,
2 stöckige, aus Ziegelsteinen gebaute Häuser, mit hohen hellen
Zimmern vei'schiedener Größe. Beide Gebäude sind von einer
Mauer umgeben, so daß ein großer Hof entsteht, in welchem im
Laufe des Wintere eine Anzahl Döcker'scher Baracken auf-
geschlagen wurden. Zwecks Verwendung als Lazarett waren in
den beiden Gebäuden allerdings Umbauten notwendig.
Der Typhus ist in China eine endemische Krankheit. Gegen
die Ausrottung desselben geschieht von chinesischer Seite natürlich
nichts, weil das Verständnis dafür vollständig fehlt. Der Chinese
düngt sehr fleißig seine Felder und benutzt dazu die Fäces von
Gesunden und Kranken ohne Unterschied. Dadurch findet eine
beständige Infizierung des Bodens, der Gewächse und der zahl-
reichen Wasserkanäle statt, welche letztere alle untereinander und
mit dem Peiho kommunizieren. Das Land in und am Tientsin
herum ist Schwemmland des Peiho, der Boden besteht aus Lehm,
Brunnen sind nur in ganz beschränkter Zahl vorhanden, gröfiten-
teils liefern sie nur wenig und stark salzhaltiges Wass^, so dafi
es nicht zu gebrauchen ist. Verschiedene Bohr- und Grabversache
ergaben kein besseres Resultat Quellen gibt es nur in den w^t
entfernten Bergen. In den europäischen Konzessionen besteht eine
Wasserleitung mit Sandfiltern, welche das Wasser aas dem Peiho
entnimmt. Im allgemeinen gebraucht man dieses Wasser. Da aber
viele Truppenquartiere weit von der Wasserleitung entfernt in der
C'hinesenstadt selbst waren, so mußte das Wasser in Fässern anf
große Entfernungen gefahren werden. Zudem konnte nach den
Erfahrungen der hier wohnenden Europäer dasselbe nur abgekocht
gebraucht werden. Man war vielfach auch auf das Wasser in dea
Wasserkanälen und -tümpeln angewiesen, dasselbe wurde mit
Alaun geklärt und dann gekocht. Die Vorschriften über Abkochen
des Wassers wurden bei den Truppenteilen streng durchgefohrtw
Nur ausnahmsweise gaben einige Kranke zu, unabg^kochtes Wasser,
Wasser mit Eisstückchen getrunken oder ihre Eftgeschin*e mit on-
abgekochtem Wasser gespült zu haben. Natürlich läßt sich bei
diesen eigenartigen Boden- und Wasserverhältnissen und bei der
starken Infizierung des Bodens eine Ansteckung nicht vermeiden.
Die Typhnserkrankungen nnter den deutschen Truppen in Tientsin etc. 569
Besonders groß waren die Gefahren auf Dschunkentransporten und
Expeditionen. Letztere brachten häufig eine Zunahme der Neu-
erkrankungen.
Von sämtlichen Typhuskranken litt früher noch keiner an
Typhus. Einige hatten kurz vorher andere Erkrankungen, so ist
besonders ein Fall erwähnenswert.
Dieser war am 25. Oktober wegen Verstauchung des linken Fuß-
gelenkes in das Lazarett aufgenommen worden, am 2. Dezember er-
krankte er unter hohem Fieber im Lazarett mit Schwellung und
Schmerzen mehrerer Oelenke, 2 Wochen nach Beginn des Fiebers trat
Milzschwellung auf, dabei immer noch Schwellung der Gelenke, ferner
Bronchitis mit bronchopneumonischen Herden. Verdacht auf Typhus.
Widal positiv, 4 Wochen nach Beginn der fieberhaften Erkrankung Exi-
tus. Sektion ergab frische Typhusgescbwüre. Es bestanden also hier
Typhus und Gelenkrheumatismus, wenn nicht von Anfang an, so doch
späterhin nebeneinander. Wann der Typhus einsetzte, läßt sich aus der
Temperaturkurve nicht sicher feststellen. Zur Zeit als die Milzschwel-
lung festgestellt wurde, etwa 12 — 14 Tage nach Beginn des Gelenkrheu-
matismup, zeigt die Kurve ein staffeiförmiges Ansteigen.
Ein 2. Kranker hatte ebenfalls Gelenkrheumatismus und er-
krankte, nachdem er einige Tage fieberfrei war, im Lazarett an
Typhus 5 Wochen nach seiner Aufnahme. Ein Kranker litt vor-
her an Ikterus (Fieber begann 10 Tage nach Lazarettaufnahme),
einer an Malaria.
Ungefähr 8 Kranke litten vorher an sicher nachgewiesener
Ruhr, während eine große Anzahl vor der Aufnahme ins Lazarett
Durchfall und Blut im Stuhl gehabt haben will. Bei 2 weiteren
Kranken waren die Ruhrsymptome noch nicht zurückgegangen,
als das typhöse Fieber begann. Der eine derselben wurde am
10. Oktober in das Lazarett aufgenommen mit Ruhr, am 24. Ok-
tober begann Fieber, bei dem anderen Aufnahme am 12. Oktober,
Fieber begann am 15. Oktober.
Zum Schluß sind noch 2 Fälle zu erwähnen, welche bei der
Lazarettaufnahme Ruhr und Typhus gleichzeitig hatten. Die
Krankengeschichte derselben ist kurz folgende:
1. Albert W., seit 7. Oktober Durchfall mit Blut, 30—40 Ent-
leerungen. Lazarettaufnahme 10. Oktober, Temperatur 38,7 ^, die näch-
sten Tage ansteigend, 14. Oktober Benommenheit, Miizgegend druck-
empfindlich, 16. Oktober Stuhl noch dünn, ohne Blut, Milz fühlbar.
18. Oktober Roseolen. 21. Oktober wieder frischrotes Blut im Stuhl.
In der Folgezeit keine Ruhrstühle mehr. Infolge Lungenkomplikation
langdauernder Fieberlauf. Am 3. Dezember Recidiv. Eitrige Bronchitia
und Bronchopneumonie. 16. Dezember Exitus. Sektion ergab: Im
Deutsches Archiv f. klin. Medizin. LXXX. Bd. 37
570 XXXUL WxvDBL
unteren Dickdarm flaehe Rnbrgeschwüre mit gereinigtem Gnmde, da-
neben Narben mit schi^riger Yerfarbang, im Dünndarm oberhalb der
Klappe Schwellung der Peyer'schen Plaques mit gereinigten Geschwüren.
2. Curt 0., Kanonier, seit 23. November im Lazarett wegen Go-
norrhöe, erkrankt 28. Dezember mit Fieber und blutigen, etwa 20 Stühlen.
1. Januar Blut geschwunden, trat in der Folgezeit nicht m«hr auf.
Temperatur ansteigend. 6. Januar 40,0^. IB. Januar rrrhtfmritigrs
pleuritisches Exsudat, 22. Januar Boseolen. Milz bisher wegen Meteo-
rismus nicht zu fühlen. Temperatur fortgesetzt gesteigert. 28. Januar
Exitus. Sektion ergab: abgeheilte Kuhr und zahlreiche typhose Ge-
schwüre.
Bei einem 3. Patienten wurden bei der Sektion im untersten Tale
des Dickdarmes Euhrgeschwüre , oberhalb der Bauhinrschen Klappe
Typhusgeschwüre gefunden.
Komplikation betreffs Influenza siehe weiter unten.
Über die Dauer der Inkubation ist im allgemeinen nichts
Sicheres bekannt, da eine bestimmte Infektion fast nie angegeben
werden konnte. Über den Verlauf der Erkrankungen selbst will
ich nur einige Besonderheiten mitteilen.
Der Temperaturverlauf zeigte im Vergleich mit den Beobach-
tungen in Deutschland keine wesentlichen Unterschiede. Erwähnen
will ich nur, daß in manchen Fällen der Fieberrerlauf während
der ganzen Zeit stark remittierend oder sogar intermittierend war
mit täglichen Temperaturdiflferenzen bis zu 3,3 und 3,5 ®. Einzelne
schwere Fälle zeigten auffallend lange Dauer der Ck>ntinua. Die
Ursache davon war vielfach die Erkrankung selbst und nicht
Komplikationen; man sah nämlich bei mehreren Sektionen solcher
Fälle neben alten Typhusgeschwüreu ganz frische Geschwüre oder
frische Schwellung der Peyer'schen Plaques. Einige dieser Fälle,
welche zum Exitus kamen, sind wegen der Symptome, welche sie
mehrere Tage vor dem Tode oder auch während der ganzen Krank-
heit zeigten, besonders bemerkenswert. Sie boten das Bfld schwerer
Intoxikation: Temperatur fortgesetzt hoch, Puls beschleunigt, 130
bis 150 oder mehr, flatternd, Zahl der Atemzuge 60 und darüber,
Gesicht und Hände cyanotisch, Extremitäten, Nase kalt, Zunge
trocken, starker Fötor exore, große Unruhe, Delirien, Spasmen
oder Muskelzuckungen etc. Man hatte den Eindruck einer
schweren Sepsis. Verschiedene Fälle mit diesem Symptomen-
komplex verliefen sehr rasch und führten in wenigen Tagen unter
schwerem Herzkollaps, gegen den alle Mittel erfolglos waren, zam
Exitus. Darunter waren besonders Potatoren.
Nach der Entfieberung war die Temperatur in der £egel sub-
normal und betrug 36,0^ und wenige Zehntel darüber (immer in
Die Typhaserkranknngen unter den deutschen Trappen in Tientsin etc. 571
der Achselhöhle gemessen). Erreichte die Temperatur mehrmals
37,0^ oder überstieg sie diese aach nur um einige Zehntelgrade,
fio konnte dies stets als Zeichen gelten, daß irgend etwas nicht in
Ordnung sei. Denn nicht selten stieg im Laufe der Tage die
Temperatur höher, einige Male kam es zu ausgesprochenem Eecidiv.
Als Grand dieser geringen Steigerung der Temperatur in der
Bekonvalescenz mußte man meistens gleichzeitig bestehende Ob-
stipation annehmen. Wurde diese gehoben, so ging die Tempera-
tur wieder unter 37,0^ herunter.
Mehrmals haben wir auch beobachtet, daß mitten in stets
fießerfrei verlaufener Bekonvalescenz die Temperatur ohne weitere
Symptome plötzlich in die Höhe ging (40,3®, 39,6* usw.), um am
anderen Tage wieder zur Norm herunterzugehen. Über den Puls
möchte ich nur erwähnen, daß er häufig langsamer war, als der
Höbe des Fiebers entsprach. Dikrotie desselben war fast die
Begel.
Roseolen beobachteten wir fast immer. In einigen Fällen
traten sie auch an Armen und Oberschenkeln auf. Nach Abblassen
der Roseolen traten am Bauche 3 mal dichtgedrängte, stecknadel-
)i:opfgroße mit wasserklarer Flüssigkeit gefüllte Bläschen auf, welche
nach einigen Tagen eintrockneten und kleienförmig abschilferten
(Miliaria).
Über Milzschwellung will ich nur ei-wähnen, daß wir sie öfters,
noch längere Zeit nach der Entfieberung (bis zu 31 Tagen nach
derselben) beobachteten. Es war dies besonders bei ausgesproche-
nen Potatoren der Fall. Bei diesen war die Milzschwellung häufig
auffallend groß und erreichte nicht selten beinahe den Nabel. Es
ist dies vielleicht kein zufälliges Zusammentreffen.
Schwellung der Leber war nicht selten, Ikterus haben wir
nie beobachtet.
An sonstigen Störungen von selten des Verdauungsapparates
will ich nur erwähnen Ulcerationen im Munde in 2 Fällen, femer
Entzündung der Parotis mit Übergang in Eiterung in 1 Fall.
Letzterer starb an Amyloid infolge lange dauernder Eitei*u^.
Charakteristische Typhusstühle sahen wir selten, der Stuhl
hfttte meistens ein braunes bis schwarzbraunes Aussehen.
Perforation des Darmes ist nie eingetreten, jedoch war einige
Male das Abdomen spontan und bei Berührung so schmerzhaft,
4aß naan an peritonitische Reizung infolge drohender Perforation
denken mußte. Zu Darmblutung kam es 4 mal. Ein Kranker
atarb mi Verblutung. Ein Kranker hatte im Anschluß an ein
37*
572 XXXni. Wkmdbl
2. Recidiv 11 Tage lang frischrotes Blut und Schleim im Stuhl,
so daß der Gedanke an Ruhr sehr nahe lag. An ausgesprochener
Ruhr in der Rekonvalescenz erkrankten 2 Patienten, der eine der«*
selben litt vor seiner Erkrankung an Typhus wochenlang an Ruhr.
Einige Male kam es vor, daß bei Rekonvalescenten mit Verstop-
fung geringe frischrote Blntspuren oberflächlich den Fäces an^
hafteten; Hämorrhoiden bestanden dabei nicht Einen leichten
Anfall von Appendicitis mit Temperatursteigerung beobachteten
wir einmal in der Rekonvalescenz.
Erkrankungen der Lungen bestehend in einfachem Katarrh
bis zu ausgesprochener lobulärer und kroupöser Pneumonie waren
häufig Ursache verzögerter Entfieberung.
Bestehende Heiserkeit fand in 4 Fällen ihre Erklärung in
Ulcerationen im Larynx. Bei einem Kranken, welcher sehr lange
heiser war und bei welchem anfangs nur leichter Larynxkatarrh
nachzuweisen war, entstand eine vollständige Lähmung der linken
Kehlkopfhälfte.
Akute Lungentuberkulose war bei einem Kranken die Todes-
ursache.
Dieser wurde am 10. Krankheitstage in das Lazarett aufgenommen
mit der Diagnose Typhus. Die Krankheitserscheinungen waren anfangs
nicht sehr schwer und die Temperaturkurve zeigte vom 14. Krankheits-
tage an ein langsames, allerdings etwas unregelmäßiges staffeiförmiges
Absteigen. Am 22. Tage morgens 36,5 ^. Von da an ging die Tempe-
ratur wieder in die Höhe und verlief die nächsten Wochen meistens
stark remittierend, einige Male auch intermittierend mit hohen abend»
liehen Steigerungen ; keine Erscheinungen von seiteu des Darmes, sub-
jektiv anfangs keine Beschwerden, spater starker Keizhusten. XJber den
Lungen Rasselgeräusche und Knistern, keine Dämpfung. Untersuchung des
schleimig eitrigen Sputums auf Tuberkelbazillen negativ. Am 55. Krank-
heitstage Exitus. Sektion ergab : abgeheilte Typhusgeschwüre mit starker
PigmentieruDg, beiderseits akute tuberkulöse Feribronchitis.
Bei 2 weiteren Patienten, welche in der Kekonvalescenz durch lang-
same Erholung auffielen, fand sich Infiltration und Tieferstehen je einer
Lungenspitze. Bei einem derselben dürfte es sich wohl um eine ältere
Erkrankung handeln, bei dem anderen traten in der Rekonvalescenz unter
Temperatnrsteigerung akute Erscheinungen auf: Exsudat, Geräusche über
der Spitze derselben Seite, Auswurf. Tuberkelbazillen wurden nicht ge-
funden. Diese Symptome gingen wieder zurück. Jedoch blieb Schall-
abschwächung über der erkrankten Spitze in beiden Fällen bestehen.
Von Seiten des Zirkulationsapparates sind während des Fieber-
stadiums Störungen selten vorgekommen. Vergrößerung des Herzens^
besonders nach rechts, Arythmie des Pulses zeigte ein Kranker
schon am 6. Krankheitstage und zwar bestanden die £i*seheinangen
Die Typhaserkranknngen unter den deutschen Trappen in Tientsin etc. 573
ohne subjektive Beschwerden während des ganzen Fieberverlaufes.
Man war geneigt, das ganze für eine ältere Erkrankung zu halten,
jedoch ergab die Anamnese keinen Anhaltspunkt dafür, femer
verschwand in der Rekonvalescenz die Arythmie des Pulses voll-
ständig und die Vergrößerung des Herzens war einige Wochen
nach der Entlassung, während welcher Zeit Patient unter stän-
diger ärztlicher Eontrolle war, ebenfalls fast gänzlich zurück-
gegangen.
Um so häufiger waren die Erkrankungen des Zirkulations-
apparates in der Rekonvalescenz und gerade durch diese waren
weitaus die meisten Störungen der Rekonvalescenz bedingt. Die
Kranken klagten vielfach bald, nachdem sie aufstehen durften,
über Atembeschwerden, Herzklopfen, Schmerzen in den Beinen;
es bestanden Ödeme um die Knöchel, am Fußrücken und Unter-
schenkel. Der Puls war dabei beschleunigt und zwar teilweise
schon in der Ruhe, zuweilen unregelmäßig. Am Herzen konnte ich
bei diesen Kranken nichts Besonderes nachweisen, glaube aber
doch, daß die Erscheinungen auf einer Erkrankung des Herz-
fleisches beruhen, wie sie bei den Typhussektionen häufiger Be-
fund war. Albuminurie bestand dabei nicht. Auf Bettruhe
schwanden die Symptome wieder.
Im Genesungsheim Tientsin allerdings wurde unter den 138
Tjrphusrekonvalescenten, welche nicht bloß von Tientsin, sondern
^ch von den übrigen Garnisonorten, insbesondere Peking über-
wiesen wurden, in der Spätrekonvalescenz und häufig im Anschluß
an leichte Übungen, die zwecks langsamer Wiederherstellung bzw.
Prüfung der Dienstfähigkeit vorgenommen wurden, mehrmals Herz-
erweiterungen beobachtet und zwar im ganzen etwa 13 mal. Nur
bei einem trat vollständige Wiederherstellung ein.
Venenthrombose beobachteten wir 6 mal, 3 mal der Vena curalis,
2 mal der Vena saphena. Alle 3 waren Rekonvalescenten.
Bei schweren Typhusf&llen traten in der Rekonvalescenz mehr-
mals skorbutähnliche Erkrankungen auf. Es dürfte dies wohl bei
ca. 20 Patienten der Fall gewesen sein. Zahlreiche Purpur afiecken
besonders an unteren Extremitäten, Hämorrhagien unter die Haut
und in die Muskulatur der Unterschenkel, zeitweise auch Ober-
schenkel, so daß dieselben sich bretthart anfühlten und spontan,
sowie bei Berührung heftig schmerzten, Schwellung des Zahn-
fleisches und Blutungen in dasselbe, zuweilen Schwellung und
Schmerzhaftigkeit der Fußgelenke. Diese Blutungen traten nicht
selten bei demselben Kranken mehrmals auf und zwar meistens im
574 XXXni. Wbhdbl
Anschluß an den jedesmalig^en ersten Yersnch aufzustehen.
Fälle zeigten dabei Steigerang der Temperatur. Diese skorbut*
ähnlichen Erscheinungen zogen sich in einzelnen Fällen wochenlang
hin. Sie traten jedoch nicht bloß im Anschluß an Typhus, sondern
auch bei anderen Erkrankungen, bei denen flüssige Diät gegeben
wurde, auf.
Da in China der Gebrauch der Milch im allgemeinen unbekannt
ist, so waren wir in der Fieberperiode, in der wir nur flössige
Nahrung gaben, in der Hauptsache auf kondensierte Milch ange-
wiesen. Möglicherweise sind diese Erkranktingen auf die durch
die Kondensierung bedingte Verminderung des Nährwertes der
Milch zunickzufuhren.
Daß die Ernährung im allgemeinen eine gute war, sieht man
daran, daß einige Typhusrekonvalescenten innerhalb von 3 Wochen
eine Gewichtszunahme bis zu 25 englische Pfund zeigten.
Störungen von selten des Nervensystems, die wir in geringem
Grade häufig beobachteten, traten in einem Fall so in den Vorder«
grund, daß sie das ganze Krankheitsbild beherrschten. Erst die
Sektion ergab Diagnose: Typhus mit Hyperämie des Gehirns. Es
bestanden starke Delirien, große Unruhe, Spasmen in allen Ektremi«
täten, Parese der rechten Gesichtshälfte, Hyperalgesie, Schiefhidten
des Kopfes, starke Schmerzhaftigkeit der Halswirbelsäule, träge
Reaktion der Pupillen, Incontinentia urinae et alvi.
Atrophie der Muskulatur des linken Beines zeigte ein Kranker,
jedoch ohne jegliche Bewegungsstörung. Die eigentliche Ursache
ist unbekannt.
Unter den Erkrankungen des Gehörapparates will ich nur ^*
wähnen: eitriger Mittelohrkatarrh in 6 Fällen und dauernde Schwer-
hörigkeit mit aufgehobener Knochenleitung in 1 Fall (ohne nach*
weisbare Erkrankung des Trommelfells).
Bei einem Kranken trat an der vorderen Tibiafläche cirknm*
Skripte Periostitis 12 Tage nach Entfieberung ein. Heilung ohne
Abscedierung.
Albuminurie haben wir für einige Tage nur 2 mal beobachtet.
Vorübergehend hatten einige wenige bettlägerige Kranke Blasen«*
beschwerden, bestehend in Urinretention oder in Harndrang. Der
Urin war dabei klar, reagierte sauer und zeigte auch sonst nichts
Besonderes.
Ein Kranker, welcher in Peking in Behandlang war nnd als B«-
koBTalescent in das Genesangsheim hier gebracht wurde, erkrankte hief,
nachdem er etwas mehr als 2 Monate fieberfrei war, mit akuter Sehwdk
Die Typhaserkranknngen uuter den deutsehen Truppen in Tientsin etc. 575
Inng des linken Hodens bei geringer Steigerang der Temperatur. Die
Sehwellnng ging in Eiterang über, es stieß sich nach Incision viel nekro-
tisches Gewebe ab; jetzt fühlt man in linker Hodensackhäifte einen
haselnnßgroßen mit dem Samenstrang in Zusammenhang stehenden
weichen Körper, welcher der Best des Hodens sein kann. Im Eiter
wurden Typhusbazillen gefunden, welche durch Blutserum eines Typhus-
kranken agglutiniert warden.
Differentialdiagnostisch machten verschiedene Fälle große
Schwierigkeiten, weil gleichzeitig neben der Typhusepidemie ver-
schiedene Influenzafälle und zahlreiche Ruhrerkrankungen vor-
kamen. Daß dabei auch Irrtümer in der Diagnose vorkamen, ist
erklärlich. Zwischen Typhus und Influenza konnten Zweifel im
allgemeinen nur einige Tage lang bestehen; Temperaturverlauf
und bestimmtere Symptome entschieden bald die Diagnose. Einige
Male kann es sich auch um eine Mischinfektion gehandelt haben,
da ausgesprochenen Influenzasymptomen mit zahlreichen Influenza-
bazillen im Sputum sichere Zeichen von Typhus folgten.
Anders, weitaus schwieriger und zugleich bezüglich der Be-
handlung wichtiger, lag die Sache bei Typhus und Ruhr mit Kom-
plikationen. Ich habe auf Typhusstation 11 2 Fälle von Ruhr
beobachtet, von denen der eine mit Leberabsceß, der andere mit
Müznekrose und Pleuritis kompliziert war. Bei beiden war intra
vitam die Diagnose Typhus gestellt w^orden und erst die Sektion
ergab die richtige Diagnose. Ich will die Fälle in Kürze mitteilen.
1. Patient am 14. November 1900 in das Lazarett aufgenommen
will schon längere Zeit an Durchfall leiden, 14 Tage vor seiner Lazarett-
aufnahme will er Blat im Stuhl gehabt haben. Er kam in das Lazarett
mit hohem Fieber, die Milzdämpfung war vergrößert, auf Calomel er-
folgte 3 mal dünner Stuhl. 2 Tage nach der Aufnahme deutliche Ro-
seolen. Milz fühlbar. Über den Lungen starker Katarrh. Diagnose
Typhus. Über der rechten Lunge entwickelte sich hinten unten eine
schmale Dämpfung mit einzelnen pleuritischen Geräuschen, Leberdämp-
fung nach unten kaum vergrößert. Der Stuhl enthielt mit Ausnahme
des 22. November, an welchem Tage etwas Blut darin war, nichts Be-
sonderes. Am 26. November trat mehrmals starke Blutung aus dem
Darm ein, so daß Patient schwer kollabierte. Patient erholte sich wieder.
Die Stühle waren in nächsten Tagen sehr häufig dünn, enthielten zu-
weilen Schleim, aber kein Blut. Die Temperatur fortgesetzt hoch. Am
30. November Exitus. Widafsche Reaktion war nicht gemacht worden,
weil die Diagnose Typhus sicher schien Schmale Dämpfung über den
Lungen, pleuritische Reibegeräusche, Schwellung der Leber beobachteten
wir öfters bei Typhus. Sektion ergab Ruhr und 2 große Abscesse der
Leber, von denen der eine das Zwerchfell und die Lunge etwas in die
Höhe drängte und eine lokale Pleuritis hervorrief, femer ein Milzinfarkt^
welcher vielleicht die Ursache der Milzschwellung war.
576 XXXin. Wendel
2. Patient erkrankte am 29. September mit Fieber. Bei der Laza-
rettanfnahme am 2. Oktober bestanden über den Lungen katarrhalische
Erscheinungen bei hohem Fieber. Am 3. Oktober waren am Abdomen
Roseolen zu sehen, Leib aufgetrieben, Stuhl dünn. Diagnose: Typhus.
Die Roseolen wurden sehr zabbreich, am 14. Oktober war die Müe
deutlich zu fühlen. Allmählich entwickelte sich auf der linken Thorax-
Seite ein Exsudat, Temperatur fortgesetzt hoch mit häufigen Korgen-
remissionen. Anfangs November ging die Temperatur herunter, der Er-
guß schwand fast vollständig. Mitte November setzte plötzlich wieder
hohes Fieber ein, Patient klagte über Schmerzen im Abdomen, dasselbe
war auf Druck sehr schmerzhaft und zeigte ziemlich starken Ergu£.
Leberdämpfung sehr schmal. Der Q-edanke an die Perforation eines
Typhusgeschwürs lag sehr nahe. Diese Erscheinungen gingen wieder
zurück. Ende November plötzlicher Erguß über den ganzen linken
Pleuraraum. Probepunktion ergibt Empyem. Sofortige Kippenresektion.
Da der Verdacht vorlag, daß etwa ein subph renischer Absceß durch-
gebrochen sei, wird bei der Operation das Zwerchfell soweit wie mög-
lich abgetastet, aber keine Kommunikation nach unten gefunden. Gleich-
zeitig treten Zweifel auf, ob überhaupt Typhus vorliege, Widal'sche
Reaktion fiel negativ aus. Es wurde nun die Diagnose Typhus fallen
gelassen, aber eine bestimmte Diagnose zu stellen war nicht möglich.
Der Stuhl war während der ganzen Erkrankung teils dünn, teils geformt,
letzteres häufiger. Am 3. Dezember enthielt er geringe Beimengung
frischroten Blutes und etwas Schleim, am 4. Dezember noch etwas
Schleim, sonst aber nie etwas Besonderes. Am 6. Dezember erfolgte
Exitus. Die Sektion ergab Ruhr, Nekrose der Milz (sie bildete einen
großen jauchigen Eiterherd) und fortgeleitete Pleuritis.
In diagnostisch zweifelhaften Fällen haben wir die Widarsche
Untersuchung gemacht. Nach Lage der hiesigen Verhältnisse war
es nicht möglich, sie prinzipiell durchzuführen. Bei den Kranken,
welche zum Exitus kamen, wurde der positive bzw. negative Aus-
fall der Reaktion stets durch die Sektion bestätigt. Bei einigen
leichteren Fällen mit atypischem Fieberverlauf, bei denen auf Grund
der übrigen Symptome die Diagnose Typhus gestellt wurde, war
die Reaktion negativ. Bei vielen Fällen trat die Reaktion erst
sehr spät ein. Einmal war sie am 9. Krankheitstage bei schon
absteigender Temperaturkurve negativ, und erst am 19. Tage, an
welchem ein Recidiv einsetzte, positiv. Ahnlich bei 2 anderen
Fällen, wo sie erst am 24. bzw. 36. Krankheitstage positiv war.
Bei beiden war schon Entfieberung eingetreten, es betrugen aller-
dings die Abendt^mperaturen tagelang noch etwas über 37,0 ^ Bei
2 Kranken mit Recidiv war nach der ersten Erkrankung Widal
negativ und erst am 15. Tage des Recidivs bzw. 5 Tage nach ab-
gelaufenem Recidiv positiv. Daß tatsächlich auch die erste Er-
krankung schon Typhus war, wurde in einem der beiden Fälle
Die Typhuserkrankimjfen unter den deutschen Truppen in Tientsin etc. 577
durch die Sektion bestätigt. Durch dieses Späteintreten der Reak-
tion verliert dieselbe bedeutend an praktischem Werte. Im all-
gemeinen war sie aber für uns doch in verschiedenen zweifelhaften
Fällen ein wichtiges diagnostisches Hilfsmittel insofern, als nach
unseren Erfahrungen hier der positive Ausfall die Diagnose sicher-
stellte.
Leider war bei der Eigenart der Verhältnisse, unter denen wir
arbeiteten, und bei der großen Zahl der Kranken keine Zeit zu
ausgedehnteren wissenschaftlichen Untersuchungen.
Nachschübe und Kecidive haben wir im ganzen 36, also 14,34 %,
beobachtet Die Zeit ihres Auftretens war sehr verschieden, 8 mal
direkt im Anschluß an die erste Erkrankung (also eigentlicher
Nachschub), 4 mal nach 4 Tagen, 7 Becidive nach 6—10, 10 nach
11—15, 2 nach 20—30 Tagen, 1 nach 2, 2 nach 2Vs Monaten (beim
letzten unbekannt). Für die Beurteilung dieser Spätrecidive und
für ihre Auffassung als Recidiv und nicht als Neuerkrankung, ist
der schon erwähnte Fall mit der Hodenvereiterung sehr wichtig,
weil er zeigt, daß 2 Monate nach Entfieberung noch Typhusbazillen
im Körper sein können. Ein 2. Recidiv trat einmal auf und zwar
6 Tage nach Entfieberung vom 1. Recidiv. Ein Kranker hatte
3 Recidive (diese sind unter der obigen Zahl schon mitgerechnet).
Eine bestimmte Ursache des Recidivs kann in keinem Falle an-
gegeben werden. Einzelne Kranke hatten bei Eintritt desselben
noch dieselbe Diät wie während des Fieberstadiums. Jedoch zeigte
in den meisten Fällen der Krankheitsverlauf vor Eintreten des
Recidivs Besonderheiten, welche man meiner Meinung nach als
Warnungszeichen beachten muß. So war mehrmals kurz vor voll-
ständiger Entfieberung die Temperaturkurve plötzlich noch in die
Höhe gestiegen, einmal sogar auf 40,1 ®, ferner war öfters nach
vollständiger Entfieberung die Temperatur nicht dauernd subnormal
geblieben, sondern stieg um wenige Zehntelgrade über 37,0®, auch
konnte man einige Male nach Entfieberung noch Milzschwellung
und Roseolen nachweisen. Auch Verstopfung ist eines dieser
Symptome. Das Recidiv setzte 3 mal mit Schüttelfrost ein, meistens
bestand atypisches Fieber, nur selten war Temperatur typisch an-
steigend, ebenso selten ausgesprochene Continua. Das Recidiv
dauerte 6 — 25 Tage, Roseolen und Milzschwellung waren bei mehr
als der Hälfte der Rückfälle nachzuweisen. Die meisten Recidive
verliefen sehr günstig. Die Kranken hatten vielfach das beste
subjektive Wohlbefinden und keinerlei Krankheitsgefühl, selbst
nicht bei höchsten Temperaturen. Von selten des Darmes bestanden
578 XXXm. Wkfdel
häufig ^ar keine Erscheinangen, zttweilen Verstopfung. 2 mal war
das Recidiv mit Pneumonie, Imal mit Darmblutung kompliziert
Gestorben sind an Hecidiv 4 Kranke. Eines derselben ist besonders
erwähnenswert: Patient wurde am 16. Dezember in das Lazarett
aufgenommen, am 17. Dezember (7. Erankheitstag) plötzlich Exitvs.
Sektion ergab neben frischen Geschwüren abgeheilte, vernarbte
Typhusgeschwüre. Während seiner ersten Erkrankung war Patient
nicht in ärztlicher Behandlung, er hatte dielbe ambulant durch-
gemacht. Über die Zeit ist nichts bekannt.
Gestorben sind im ganzen 36, also 14%. Der Tod erfolgte
(es sind nur die Fälle gerechnet, bei denen sich die Krankheits-
tage bestimmen ließen) in der 1. Woche nie, in der 2. und 3. je
10 mal, in der 4. 5 mal, in der 5. 2 mal, in der 8. Imal, in der 19.
Imal, 4 mal im Recidiv. Die Typhuserkrankung an sich war Todes-
ursache in ungefähr % der Fälle, 1 Kranker starb an akuter
Lungentuberkulose, 1 an Amyloid nach chronischer Eiterung der
Parotis, 1 an Verblutung, 3 an Kachexie (2 davon in Verbindung^
mit eitriger Bronchitis und Bi*onchopneuraonie, der 3. mit skorbut-
ähnlichen Erscheinungen), 1 an pleuritischem Exsudat, 3 an kroa-
pöser Pneumonie. Bi-ouchopneumonische Herde fanden sich fast
durchweg bei den Sektionen, dieselben beeinflußten nicht selten in
ungünstiger Weise den Verlauf Am Herzfleisch bestanden häufig
degenerative Prozesse.
Am Darm konnte man die Typhui^eschwüre in den verschie-
densten Stadien beobachten ; man sah zuweilen an derselben Leiche
bei Fällen mit stark protrahiertem Verlauf oder bei Recidiven
neben schon vernarbten, frische Geschwüre. Die (beschwüre hörten
nach unten meistens ganz scharf mit der Bauhini'schen Klappe auf,
ausnahmsweise waren sie auch auf den oberen Teil des Dickdarms
übergegangen. Einigemal sah man sie auch in Processus vermi-
formis. In einigen Fällen mit kurzem, aber schwerem Verlauf war
die Erkrankung des Darmes eine sehr beschränkte und erstreckte
sich nur auf die nächste Umgebung der Bauhini'schen Elappe.
Auffallend ist, daß in einem Falle, welcher schon seit 1^2 Monaten
fieberfrei war, im Dünndarm sich noch nicht geheilte Geschwüre
befanden; bei einem anderen Kranken, welcher am 22. Krankheits*
tage starb, wurde nur Schwellung der Peyer'schen Plaques, aber
keine Geschwüre gefunden. Über das gleichzeige Bestehen von
Ruhr- und Typhusgeschwtiren habe ich oben schon berichtet.
Dreimal bestanden Infarkte der Milz und einmal der Lunge.
Bei einem der Milzinfarkte hatte sich ein etwa walnußgroßer para-
Die Typhuserkrankangeu unter den deutschen Truppen in Tientsin etc. 579
lienaler Absceß gebildet und im Anschluß daran Eiterung zwischen
die Muskulatur der Bauchdecken. Der Absceß war bei der Probe-
punktion nicht gefunden worden. Die Erkrankung des Larynx habe
ich schon oben erwähnt.
Die verhältnismäßig hohe Mortalität möchte ich darauf zurück-
führen, daß wir, wie es in jedem Kriege der Fall sein wird und
bei den eigenartigen chinesischen Verhältnissen nicht anders mög-
lich war, viele Kranke erst nach längerem Kranksein bzw. nach
längerem Transport auf Landwegen in Lazarettbehandlung bekamen.
Wir haben stets beobachtet, daß die Erkrankungen um so leichter
verliefen, je früher sie in Behandlung kamen.
Die Behandlung war die in Deutschland allgemein übliche.
Neben Excitantien, die wir frühe anwandten, gaben wir Vollbäder
von 30—32^ C, wenn die Temperatur 39,0 und darüber betrug.
Bei einigen Fällen mit schweren toxischen Symptomen wurden
tagelang Kochsalzinfusionen bis zu 1 1 täglich gemacht. Es gelang
allerdings nicht, einen dieser Patienten am Leben zu erhalten,
jedoch schwanden bei solchen Kranken im Anschluß an diese In-
fusionen die schweren Erscheinungen: Cyanose ging zurück. Puls
und Atmung wurden ruhiger, die Extremitäten wurden wieder
warm.
Wie schon erwähnt, gaben wir während des Fieberstadiums
nur flüssige Nahrung, feste, bestehend in Reis, erst dann, wenn die
Kranken 14 Tage lang fieberfrei waren.
Wie viele der Kranken wirklich dienstfähig geworden bzw.
geblieben sind, ist mir nicht bekannt, da nach der Entlassung aus
dem Lazarett zur Truppe noch mehrere wegen Störungen von selten
des Herzens, Darmes etc. dienstunbrauchbar wurden.
XXXIV.
Fänlnisbakterien als Erreger chronischer Yerdannngs«
stdrimgen.
Von
Dr. Schütz,
Wiesbaden.
Die Frage, welche Bedeutung den Bakterien für die Er-
regung und Unterhaltung chronischer Verdauungs-
störungen zukommt, ist bisher meines Wissens fast unbeachtet
geblieben.
In seiner Monographie über die Mikroorganismen der Fäces
bringt Straßburger (1) nicht eine einzige positive Mitteilung
in dieser Hinsicht. Die wenigen von ihm zusammengestellten
Literaturangaben gelten vielmehr nur akuten Darmst^rungen
und auch bei diesen scheint der ursächliche Zusammenhang, w^elcher
zwischen den aufgefundenen Bakterien und den jeweiligen Krank-
heitserscheinungen bestehen soll, durchaus nicht immer zweifelsfrei.
Die Hauptschwierigkeit, auf die wir bei solchen Untersuch-
ungen stoßen, betrifft eben die Frage: ob eine Bakterienart, die
normalerweise im Darm nicht heimisch ist, in einem gegebenen
Krankheitsfalle aber massenhaft auftritt — ob sie für diesen Fall
den Krankheitserreger darstellt, oder ob ihr Wachstum ein se-
kundäres ist.
Relativ einfach liegen die Verhältnisse bei akuten bakteri-
ellen Darmstörungen, z. B. bei einer fauligen Diarrhöe, an der ein
sonst Darmgesunder erkrankt. Hier erscheint die Auffassung der
Darmaffektion als einer bakteriellen von vornherein gegeben.
Und doch ist schon bei akuten Fällen ein Irrtum möglich,
wie eine Beobachtung beweist, die ich bei meinen Versuchen über
gastrointestinale Desinfektion (2) gemacht habe: die Met-
schnikoffvibrionen, die ich Hunden eingab, machten eine der Cholera-
infektion ähnliche schwere Entzündung der Dünndarmschleimhaut,
Fäulnisbakterien als Erreger chronischer VerdaiiTiiigsstöningen. 581
gingen aber selbst im Dünndarm zugrunde. Die dem Eingriff
folgenden Stühle enthielten also nicht den Krankheitserreger, da-
gegen in großen Mengen gleichgültige Saprophyten, verschiedene
Proteusarten, Heubazillen u. a. mehr, die im normalen Hundekot
fehlen, in dem durch Metschnikoff veränderten Darminhalt indes
vorübergehend günstige Wachstumsbedingungen gefunden hatten.
Noch schwieriger gestaltet sich die Frage nach Ursache und
Folge bei chronischen Verdauungsstörungen.
Der von mir mitgeteilte Fall von Hefenwucherung bei einer
Kranken mit chronisch dyspeptischen Diarrhöen (3) zeigt, daß auch
das massenhafteste Auftreten einer wilden Bakterienart nicht ohne
weiteres dazu berechtigt, diese für eine Darmstörung verantwort-
lich zu machen.
Vielmehr kann ein krankhaft veränderter Darminhalt als ab-
norm zusammengesetzter Nährboden „wilde" Keime zur Entwick-
lung bringen, während die obligaten Darmbakterien eine Hemmung
ihres Wachstums erfahren können und zurücktreten. Diese Mög-
lichkeit betonen auch Straßburger und Tissier(4).
Um also zu dem Schlüsse eines kausalen Zusammenhangs
zwischen Bakterien und Verdauungsstörung zu gelangen, dazu be-
darf es einer genauen Analyse des ganzen Falles.
Ich möchte mir nun gestatten, in Kürze über einen Fall zu
berichten, bei dem ich glaube nachweisen zu können, daß bak-
terielle Verhältnisse einen wesentlichen ursäch-
lichen Anteil an einer eigenartigen chronischen
Verdauungs- und Ernährungsstörung haben.
Es handelt sich um ein 13 jähriges Mädchen, das ich im
Kerbst vorigen Jahres einige Zeit in Behandlung hatte. Schon im
1. Halbjahr nach der Q-eburt waren Unregelmäßigkeiten der Verdauung
bemerkt worden, abwechselnd Neigung zu Obstipation und zu Diarrhöen.
Während der ersten Lebensjahre traten häufige kurze Perioden von
Diarrhöen auf, die meist nur ein bis mehrere Tage anhielten. Die
Stühle, bis 6 und 7 an Zahl, waren breiig, auch wässerig und enthielten
häufig Schleim. In den diarrhöefreien Zeiten, die bis zu einem Viertel-
jahr dauerten, und während welcher gelegentlich Neigung zu Obstipation
bestand, fiel stets die große Kotmenge auf, häufig erfolgten täglich
2 — 3 reichliche gebundene Stühle. In den letzten Jahren wurden die
Diarrhöen etwas seltener, es kamen Pausen bis zu '/^ Jahr vor, immer
aber waren die Entleerungen auffallend kopiös. Der Kot soll
oft graue Farbe gehabt und manchmal so leicht, scheinbar lufthaltig ge-
wesen sein, daß die Kotzylinder auf dem Wasser schwammen. Der Leib'
war schon vom 1. Lebensjahr ab aufgetrieben, es traten oft reichliche
Blähungen und Kolikschmerzen auf. Magenbeschwerden bestanden nicht,
582 XXXIV. Schütz
d«r Appetit war gut. Das Kind erkrankt« im 1. Jahr an Ehaehiiis and
lernte erst im 3. laufen.
In seiner körperlichen Entwicklang war dasselbe so zurückgeblieben,
daß es mit seinen 12 Jahren den Eindruck eines kümmerlich entwickelten
5 — 6jährigen Kindes machte, das Körpergewicht betrug 48 Pfund.
Geistig war die Kleine ganz normal, sogar auffallend klug, dabei nervös
und körperlich wenig leistungsfähig. Außer einer leichten Vergrößenuig
von Leber und Milz war nur der geringe Hämoglobingehalt von 30 bis
35 ^'/q bemerkenswert.
Während der ersten 15 Tage meiner Beobachtung erfolgte sa
13 Tagen je ein gebundener Stuhl, meist so kopiös, daß man die
Menge auch für einen Erwachsenen als sehr reiehlichi öfter als auffailjg
reichlich bezeichnet hätte. Die Stühle machten dabei den Eindmck
großer Trockenheit und hatten z. T. einen eigentümlich trockenen wie
seidenartigen Glanz, wie ich ihn sonst noch nie beobachtet habe. Die
Farbe war meist braun, manchmal grau, die Reaktion alkalisch; Schleim
enthielten die Stühle, die ich in toto durchsiebte^), an 6 von diesen
13 Tagen überhaupt nicht, an 7 Tagen nur in Gestalt vereinaelter kleiner
Flöckchen, die indes ungemein reich an Darmepithelien waren.
Die Menge der Stühle fiel mir um so mehr auf, als das Kind
während der ganzen Zeit kein Gemüse, überhaupt keine schlacken*
reiche Kost erhielt. Ich erwartete daher, reichliche Nahrungsbestandteüe
zu finden und war überrascht, als ich bei fast täglicher mikroskopischer
Untersuchung so gut wie niemals irgendwelche Reste fand,
weder Kohlehydrate, noch Fett, noch Muskelfaserui nicht die kleinsten
Muskelschollen, die man doch sonst — abgesehen vielleicht von HCl-
Hypersekretion des Magens — niemals vermißt. Vielmehr zeigte das
Mikroskop nur Detritus und Bakterien, ungeheure Bakterienmengen, so
da^ viele Stellen der Präparate wie Bakterienkolonien aussahen. Die
Stühle bestanden, dem mikroskopischen Bild nach» abgesehen von dem
feinen Detritus und zum allergrößten Teil lediglich ans Bakterien, und
dieser gleichmäßigen, ganz scblackenfreien Zusammensetzung entsprach
ihre völlig homogene Konsistenz. Am 4. und 6. Tsge waren die jeweils
einmaligen, besonders reichlichen Stühle acholisch und breiig, am 7. Tage
enthielt der Stuhl kleine wie Schleimflödcchen aussehende, dagegen ziem-
lich konsistente Fetzen, die man mit der Pinzette leicht isolieren konnte,
und die nach der mikroskopischen Untersuchung und Färbung mit Jodr
jodkaliumlösung ausschließlich aus Butyricusbakterien bestanden.
An den beiden folgenden Tagen wurden täglich 3 '—4 dfinne Stühle ent-
leert, es bestand starke Flatulenz, und am 2. dieser beid^ Tagje wnrde
reichlich fein- bis mittelflockiger, an Darmepithelien sehr reiobsr Schleim
ausgeschieden. Nahrungsbestandteile enthielten iMieh difsse SiüUa
nicht. Es handelte sich also um eine akute Diarrhöe mit sekundärer
Reizung der Darmschleimhant, möglicherweise veranlaßt dwnsh eine Ent-
wicklung von Butyricus, den ich suvor bei dieser Krank«a i^Lemals ge*
funden hatte. Am Tage darauf erfolgte schon wiedv «nr eiin HMi mit
1) Nicht in dem Boas'schen Apparat, der feinen Schleim auch hei schwachem
Wasserstrom durchläßt.
Fäulnisbakterien als Erreger chromseher Verdauungsstörungen. 5g3
Aur Tereinzelten kleinen Schleimflöckcbeni die Beizung — Diarrhöe und
Darmkatarrh — war wieder ausgeglichen.
Fünf Tage später, während welcher die Verdauung sich wieder
«benso verhalten hatte, wie vor diesem Zwischenfall, gab ich dem Elinde
rohen Schinken zu essen, um so einen Einblick in die Mageu-
▼ erdauung zu gewinnen. Denn auf die Anwendung des Uagen-
schlauchs mußte ich dem schwächlichen und reizbaren Kinde gegenüber
yerzichten. Bekanntlich beweist der Befund rohen Bindegewebes, das
nach Genuß von Schinken im Stuhle oft ungemein massig auftritt, eine
Störung der Magenverdauung, da rohes Bindegewebe normalerweise zwar
im Magen, aber nicht im Darm verdaut wird.
Am anderen Morgen setzte eine schwere Verdauungsstö-
rung ein, es erfolgten z. T. gebundene oder breiige — und zwar teil-
weise acholische - — z. T. wässerige Stühle, täglich nur 2 mal, jedoch
äußerst reichlich — von dem kleinen Kinde oft mehr, wie ein halbes
Nachtgeschirr. — Gleich in den ersten Stühlen fielen sehr zahlreiche
faden- und gerinnsel artige Gebilde auf, von weißlich-gelblicher
Farbe, die ich mit bloßem Auge für Fleisch- oder Bindegewebsreste
hielt. Zu meiner großen TJberraschnng erwiesen sich dieselben unter
dem Mikroskop als lediglich aus ganz ungeheuren Bakterien-
mengen bestehend. Einige der Partikel hatten ein schleimiges Substrat,
die meisten ließen sich auf dem Deckglas genau so verreiben, wie eine
Bakterienkolonie. Und zwar fanden sich auffällig lange Stückchen, z. T.
ma Fäden ausgewachsen, daneben Trommelschlägelformen, Kokken in
Haufen und kurzen Ketten, kurze und dicke, plumpe Stäbchen, koli-
artige Stäbchen, Sproßpilze mit Sporen, keine Hefe, Butyricns nur ein-
mal, am 18. Tage der akuten Darmstömng. Die Hauptmasse bildeten
die auffallig langen Stäbchen und die kurzen plumpen. Erstere, ebenso
die Trommel Schlägel, wuchsen nicht auf den üblichen Nährböden, letztere
enrieeen sich als z. T. verflüssigende, z. T. nicht verflüssi-
gende, fluorescierende Fäulnisbakterien, ferner wuchsen
Proteus, Strepto-, Staphylokokken u. a. mehr.
Das mikroskopische Bild der Bakterienpartikel war höchst eigen-
artig: die enormen Bakterienrasen sahen aus, wie das Klatschpräparat
einer riesenhaften Oberflächenkultur.
Alle untersuchten Partikel enthielten — und zwar noch am 11. Tage
der akuten Verdauungsstörung — zahlreiche gut erhaltene rote Blut-
körperchen, makroskopisch war Blut nicht zu sehen.
Schleim enthielten die Entleerungen auch während dieser Periode
entweder gar keinen, oder nur in Spuren, oder in etwas größerer,
immerhin aber als sehr gering zu bezeichnender Menge. Derselbe war
iteßerst reich an Epithelien, die in manchen Flöckchen so dicht wie
Eiterzellen lagen, so daß die Flocken ganz weiß und undurchaichtig aus-
sahen.
Am 2. Tage nach der Schinkenprobe wurden reichlich Muskel-
fasern ausgeschieden, nur mikroskopisch erkennbar, worauf die Fleisch -
nahrung ausgesetzt wurde. Erst am 4. Tage begann eine sehr
Fieichliche Ausscheidung von Fett, merkwürdig reichlich^ naoh-
dem ich die Fettzufohr möglichst beschränkt hatte, und zwar in Fonn
584 XXXIV. Schutz
massenhafter schöner Nadeln und zahlreicher makroskopisch sichtbarer
kleiner Stippchen.
Diese Fettaasscheidung fand sich noch am 18. Tage der akuten
Yerdauungsstörung, an dem uns die kleine Patientin verließ. Dagegen
enthielten die Stühle niemals irgendwelche Kohlehydratreste.
Die Reaktion der Stühle war alkalisch bis neutral, der Geruch
äußerst faulig, manchmal geradezu aashaft.
Die Diarrhöen dauerten nur 5 Tage, die Behandlung war wesentlich
diätetisch, bestand in einer Beschränkung der Nahrung, um das Bakterien-
wachstum herabzusetzen.
Das Allgemeinbefinden hatte sich sofort am 1. Tage nach der
Schinkengabe verschlechtert, es trat allgemeines Unbehagen ein, Appetit-
losigkeit, Mattigkeit, der Leib wurde aufgebläht, es gingen sehr reich-
liche ungemein stinkende Blähungen ab.
Als das Kind uns am 18. Tage nach Eintritt der akuten Störang^
verließ, hatte es eich völlig erholt und die Stühle hatten ihre anfangliche
Beschafifenheit wieder angenommen bis auf die auch jetzt noch beob-
achtete Ausscheidung von Fett und von Bakterienhäutchen.
Versuchen wir jetzt eine Epikrise dieses Falles, so ist das
wesentliche der akuten Verdauungsstörung in der abundant^n
Entwicklung wilder Fäulnisbakterien zu suchen. Die
Beurteilung des kausalen Zusammenhanges wird durch die ununter-
brochene Beobachtung vor dem Diarrhöeanfall und während des-
selben gesichert. In den 2 Wochen vor demselben war stets eine
höchst auffällige Vermehrung des Bakteriengehaltes der Fäces zu
konstatieren. Dieser erfuhr plötzlich eine weitere hochgradige
Steigerung, so daß ganze Bakterienkolonien in Form kleiner Fetzen
und Häute ausgeschieden wurden, es gelang, gerade die Bakterien,
welche die Hauptmasse in den Stühlen ausmachten, z. T. zu züchten
und als Fäulnisbakterien zu identificieren, — und zugleich mit der
Steigerung der Darmfäulnis setzten exquisit faulige Diarrhöen ein.
Die Sekretion und Resorption im Dünndarm war zu-
nächst ungestört, erst am 2. Tage wurden Muskelfasern, erst vom
4. ab Fett ausgeschieden.
Der Schleimabgang war ein minimaler, so daß die Diarrhöe
keineswegs als katarrhalisch aufgefaßt werden kann.
Die Darmstörung war also zunächst eine rein bakterielle^
die Diarrhöen eine Folge des Reizes, den die abnormen Fäulnis-
produkte auf die Darmperistaltik ausübten. Dazu kam sekundär
eine Störung der Dünndarmverdauung und zwar nur
zweier Komponenten derselben, der Fleisch- und Fettverdauung,
während die Kohlehydratverdauung die ganze Zeit intakt ge-
blieben sein muß, denn sonst wäre, zumal es sich ja vorwiegend
Fäalnisbakterien als Erreger chronischer Yerdaaungsstörnngen. 585
um Eiweißfaulms handelte, ebenso gut Stärke, als Fett und Muskel-
fasern ausgeschieden worden. Daß dies nicht der Fall war, be-
weist zugleich, daß die Ausscheidung der Nahrungsbestandteile
nicht einfach der Effekt der gesteigerten Dünndarmperistaltik
war, sondern daß wir es mit einer ganz spezifischen Alte-
ration der Sekretion und Resorption im Dünndarm zu
tun haben.
Beachtenswert erscheint angesichts einer solch stürmischen
Verdauungsstörung der geringe Schleimgehalt der Fäces.
Derselbe bestätigt meine sonstigen Beobachtungen, daß nämlich
die Schleimhaut verschiedener Därme auf Reize seitens eines pa-
thologischen Darminhalts ungemein verschieden reagiert. In dem
einen Falle folgt auf eine einmalige Gabe eines sog. milden Laxans
ein akuter Katarrh, andererseits habe ich gesehen, daß bei schweren
dyspeptischen Diarrhöen, die 20 Jahre bestanden, die Schleimpro-
duktion innerhalb 8 Tagen aufhörte, nachdem die Diarrhöen be-
seitigt waren, ja bei einem Patienten, der seit 15 Jahren an
Diarrhöen litt, fand ich während 3 Wochen auch in den diarrhoi-
schen Stühlen nicht ein einziges Mal Schleim.
In einem gewissen Gegensatz zu dem geringen Schleimgehalt
steht der Befund zahlreicher roter Blutkörperchen, die durch
beinahe 2 Wochen nachzuweisen waren.
Um nun eine befriedigende Antwort zu finden auf die Frage,
was die plötzliche Steigerung der Darmfäulnis in unserem Falle
veranlaßt hat, möchte ich an die Angaben verschiedener Autoren
erinnern. Escherich (6), Tissier(7j, Rodella (8), Stras-
burger(l) kamen zu dem Ergebnis, — erstere für den Säugling,
Strasburger auch für den Erwachsenen — daß die Darmflora
in empfindlichster Weise von den chemischen Verschiedenheiten
des Nährsubstrates, des Darminhaltes, abhängig sei, daß ihre Zu-
sammensetzung auf das feinste auf jeden Wechsel ihrer Lebens-
bedingungen reagiere.
A. Schmidt (8) betont in erster Linie die Bedeutung, die
unverdautes rohes Bindegewebe als Schlupfwinkel und
Brutstätte der Fäulnisbakterien während seiner Passage durch den
Darmkanal gewinnt. Ich bin nach meinen Beobachtungen zur
gleichen Ansicht gekommen, und glaube, daß auch in dem vor-
liegenden Falle die akute Steigerung der Darmfäulnis durch das
unverdaute Bindegewebe des rohen Schinkens verursacht wurde.
Man braucht nur öfter Stuhluntei-suchungen auszuführen und man
ist immer wieder erstaunt, welche Unmassen von Bindegewebe,
Deutsches Archiv f. klin. Medizin. LXXX. Bd. 38
586 XXXIY. ScBüTi
samt eingeschlossenem Fett nebst Maskalatar, nach Oenuft rohen
Schinkens in den Stühlen auftreten.
Wenn so die Auffassung der akuten Verdauungsstörung ge-
sichert erscheint, — wie ist der merkwürdige Fall über-
haupt zu beurteilen? Bieten die von mii* gemachten Beob-
achtungen eine Erklärung für die chronische Yerdauungs- und
Ernährungsstörung, an der das Mädchen zeitlebens gelitten bat
und noch leidet?
In dieser Beziehung verweise ich noclunals auf den enormen
Bakteriengehalt der kopiösen gebundenen Stühle, wie er wäh-
rend der ersten 14 Tage beobachtet wurde.
Die Bakterien müssen die Hauptmasse der Trockensubstanz
gebildet haben. Ich erinnere daran, daß Strasburger (9) den
Bakteriengehalt des normalen Kots bei leicht resorbierbarer Kost
auf Vs d^r Trockensubstanz berechnet.
Femer ist zu beachten, daß die abnorme und abnorm ge-
steigerte Darmföulnis — die Ausscheidung der Bakterienfetzen —
sowie die schwere Störung der Dünndarmverdauung nach beinahe
3 Wochen, als das Kind meine Anstalt verließ, noch bestand, nach-
dem die Diarrhöen längst aufgehört und die Stühle ihre frühere
Beschaffenheit im übrigen wieder angenommen hatten. Von einer
akuten bakteriellen Störung war damals keine Rede mehr, viel-
mehr finden wir in diesem Stadium den Übergang von
der Exacerbation zum chronischen Zustand, wie wir
ihn während der 14 Tage vor der akuten Störung kennen gelernt
haben.
Die Frage, wie lange schon diese Steigerung der Darmfäulnis
bestanden haben mag, ist natürlich nicht zu beantworten, znmid
eine genaue Stuhluntersuchung früher nie statt^eiiinden hat. Tat-
sache ist jedoch, daß die Verdauungsstörung des Kindes von jeher
den gleichen Charakter batta Das wesentliche an derselben waren
die massigen gebundenen Stühle; periodisch traten ebenso
reichliche Diarrhöen ein, jedoch waren diese von vornherein relativ
selten, hatten Pausen bis zu ^'4, in der letzten Zeit bis zu ^/, Jalu%
und sie erfolgten jedesmal in kurzen Perioden von ein bis höchstens
mehreren Tagen, so daß man also unmöglich die schwere
chronische Ernährungsstörung des Kindes durch
chronische Diarrhöen erklären kann. Besonders wichtig
erscheint eine spontane Angabe der Mutter des Kindes. Als ich
sie am 1. Tage der diarrhöischen Stühle bei der Abendvisite sah^
empfing sie mich mit der Frage, ob ich schon die vielen Wurm-
F&iünisbakterien als Erreger chronifcher Verdauangsstöningen. 587
eben gesehen hätte, die im Stnhl heramschwämmen ; solche
beobachte sie schon alle die Jahre. Wir stellten fest, daß
die Frau die Bakterienpartikelchen meinte.
Ärztlicherseits war bisher immer eine ungenügende Verdauung
angenommen, die große Quantität der Stühle durch den Abgang
überreichlicher Nahrungsreste erklärt worden. Diese Annahme ist
unrichtig, denn Nahrungsbestandteile wurden während der 14 Tage
vor der akuten Störung in den kopiösen gebundenen Stühlen über*
haupt nicht ausgeschieden. Dieser Umstand ist jedenfalls der
Tätigkeit der Bakterien zuzuschreiben, da ja andernfalls eine be-
sonders gute Verdauung vorausgesetzt werden müßte.
Damit kommen wir zu der Frage, ob und inwieweit die
beobachtete Änderung und enorme Steigerung des
Bakterienwachstums auch für die chronische Er-
nährungsstörung des Kindes verantwortlich zu
machen ist.
Abgesehen von den obligaten Darmbakterien handelt es
sich, wie wir sahen, um eine ganze Anzahl wilder Keime. Von
einigen der auch hier beobachteten, wie Strepto-, Staphylo-
kokken, Proteus, wurde verschiedentlich angegeben, daß sie
vom Darm aus pathogene Eigenschaften gezeigt hätten; und in
unserem Falle beweisen die zahlreichen kapillären Blutungen, daß
d«n Bakterien ein Eindringen in das Innere des Körpers mög-
lich war.
Wie weit solche Verhältnisse das Allgemeinbefinden und den
Kräftezustand des Kindes beeinflußt haben, entzieht sich der Beur-
teilung; dagegen muß die gewaltige Steigerung des Bakterien-
wachstums, wie ich sie durch 5 Wochen beobachtet habe, und wie
sie aller Wahrscheinlichkeit nach seit Jahren besteht, die Ent-
wicklung des Kindes erheblich beeinträchtigt haben, einmal infolge
des Verlustes an Eiweiß, das zum Körperaufbau solcher
Bakterienmassen erforderlich ist, dann infolge der Umsetzungs-
prozesse, insbesondere Gärung und Fäulnis, die dem Nähr-
boden ja weit mehr Material entziehen, als der Aufbau der Bak-
terienleiber selbst. Dazu kommt der schädigende Einfluß auf die
Dünndarm funktion, der nach der akuten Steigerung der
Darmfäulnis beiläufig 3 Wochen zu beobachten war und der eine
mangelhafte Ausnutzung der Stofl'e bedingte, welche die Bakterien
nicht selbst verbrauchten. (Auch Strasburger weist auf diese
Momente hin bei der Besprechung der Frage, auf welche Weise
obligate und wilde Darmbakterien den Körper schädigen können.)
38*
588 XXXIY. Schutz, Fäulnisbakterien als Erreger chronischer VerdaaangsstSr.
Und schließlich sind angesichts des Hämoglobingehaltes von 30 bis
35 7o die zahlreichen Blutaustritte zu erwähnen, die 11 Tage zn
beobachten waren.
Wie ist aber ein solch enormem Bakterienwachstum im Darme
auf die Dauer möglich? Der gesunde Darm regelt seine bak-
teriellen Verhältnisse durch Verdauung und Besorption, durch die
er den Bakterien den Nährboden beschränkt, und durch die nor-
male Peristaltik, die einem Überhandnehmen derselben gleichfalls
vorbeugt Außerdem besitzt der Dünndarm baktericide Ein-
richtungen von großer Wirkung, wie meine Metschnikoffversuche
ergeben haben. Der vorliegende Fall zeigt, welche Bedeutung das
Versagen dieser Vorrichtungen für den Darm haben kann,
der ohne sie einem schrankenlosen Bakterienwachstum geradezu
hilflos preisgegeben ist.
Die Prognose dieses Falles ist natürlich sehr zweifelhaft,
wenn auch die Diarrhöen in den letzten Jahren viel seltener ge-
worden sind.
Das Hauptmittel, das wir gegen die Vermehrung der Bakterien
haben, eine schlackenarme und leicht resorbierbare Kost, ist dem
Kinde gegenüber zeitlebens mehr oder weniger in Anwendung ge-
kommen. Und einem derartigen Bakterienwachstum mit antisep-
tischen Mitteln Abbruch zu tun, wird uns natürlich nicht beifallen.
Wichtig ist jedenfalls, den Charakter etwaiger Steige-
rungen des Prozesses festzustellen — ob es sich um Gärungs-
oder Fäulnisvorgänge handelt — : wir würden in ersterem Falle
eiweiß-, im letzteren mehlreiche Kost geben.
Literaturangaben.
1. Schmidt u. Strasburger, Die Fäces des Menschen. 4. Abschnitt:
Die Mikroorganismen der Fäces. — 2. Archiv f. Verdanungskrankh. 1901. —
3. Volkmann, Klinische Vorträffe 1901 Nr. 318. — 4. Cit nach Strasburger.
5., 6., 7. desgl. — 8. A. Schmidt, Funktionsprüfung der Fäces.
XXXV.
Cheyne-Stokes'sches Atmen beim Coma diabeticnm und
Knßmanl's großes Atmen bei der Urämie.
Von
Wilhelm Ebstein (Göttingen).
In seiner klassischen, in dem 14. Bande dieses Archivs — 1874 —
Seite Iff. abgedruckten Arbeit : Zur Lehre von demDiabetes
mellitus. Über ein| eigentümliche Todesart der Dia-
betischen usw. schildert Kußmaul eine eigentümliche, einem
comatösen Zustande vorausgehende and ihn dann begleitende
Dyspnoe, bei welcher die Atmung in ihren beiden Bewegungs-
phasen größer (tiefer) und gleichzeitig häufiger wird. Bei dieser
großen Atmung beobachtete Kußmaul eine große Eegelmäßigkeit,
sie setzte nicht aus und machte keine großen Frequenzschwankungen.
Bei tieferer Betäubung trennte eine längere Pause das Exspirium
von dem Inspirium. Betreflfs der Ursache dieser großen Atmung
kommt Kußmaul zu folgenden allgemeinen Schlußfolgerungen.
Er betont zunächst, daß diese Dyspnoe die Folge einer direkten
centralen Erregung und nicht das Produkt einer reflektorischen
Erregung der Atmungscentren von den Vagis oder den Laryngeis
sei. Sie läßt sich nach Kuß maul weder aus einer Sauerstoff-
verarmung der Atmungscentra und auch nicht aus einer über-
mäßigen Anhäufung von Kohlensäure im Blute herleiten, sondern
diese Dyspnoe muß in einer Intoxikation anderer Art ihren Grund
haben, die mit chemischen Störungen des organischen Haushaltes
beim Diabetes in Verbindung steht. Über die Natur dieses toxi-
schen Agens vermag Kuß maul „nichts Sicheres zu sagen''. Diese
Beobachtungen KußmauTs haben insofern weiterhin dadurch eine
Erweiterung erfahren, als wir heut wissen, daß diese Dyspnoe nicht
stets dem Eintritt des Coma diabeticum vorausgeht, sondern daß
sie oft genug erst während des comatösen Zustandes auftritt Diese
590 XXXV. Ebstein
Yeränderang der Atmnng ist in prognostischer Beziehung nicht
ohne Interesse, wie eine Beobachtung lehrt, welche ich in meiner Be-
arbeitung des Diabetes mellitus in meinem und Schwalbe's
Handbuch der praktischen Medizin III, 2, Stuttgart 1901, S. 694,
mitgeteilt habe. Meine Vorhersage, daß die verhältnismäßig sich
noch vollkommen wohl befindende Patientin, welche ihre häuslichen
Geschäfte gut besorgen konnte, vielleicht schon binnen der nächsten
48 Stunden zugrunde gehen würde, ist leider bei ihr buchstäblich
in Erfüllung gegangen. In solchen Fällen gibt das Auftreten der
tiefen Atmungen den ersten und einzigen Fingerzeig für die
drohende Gefahr. K. Grube (Arch. f. exper. Pathologie und Phar-
makologie XLIV, 8. 350) hat, im Gegensatz zu Kußmaul, wie
manche andere Beobachter, den Beginn der typischen Atmungen
schon einige Zeit vor dem Einsetzen des Comas nur für ein bisweilen
auftretendes Vorkommnis erklärt. Grube erzählt, daß eine Dame,
welche aufgeregt in seiner Nachmittagssprechstunde mit typischer
Atmung erschien, am nächsten Morgen zwischen 5 und 6 Uhr
comatös wurde. Es war von vornherein anzunehmen, daß die Ver-
änderung des Atmuugstypus, wie sie von Euflmaul bei Diabe-
tischen zuerst geschildert worden ist, kein der Zuckerkrankheit
allein zukommendes Symptom sei und L. Herzog hat in
seiner lesenswerten Arbeit (Diagnostische Schwierigkeiten zwischen
dem Coma der Zuckerkranken und anderen comaartigen Zuständen.
Berliner Klinik Heft 132, Berlin 1899), die comaartigen Zustände
mit (charakteristischer) Dyspnoe (1. c. S. 24) auf Grund der ein-
schlägigen Literatur abgehandelt. Soweit ich es übersehe, hat man
als die für das Coma dyspnoeicum diabeticum typischeAtmungs-
form, welche übrigens auch bei einer ganzen Reihe anderer Krank-
heitszustände vorkommt, diejenige angesehen, welche von Kuß*
maul treffend als eine in ihren beiden Bewegungsphasen größere
(tiefere) und gleichzeitig häufigere charakterisiert worden ist. Daß
diese Atmungsform bei dem terminalen Coma der Zuckerkranken
die häufigste ist, mag zugegeben werden, daß sie aber die einzige
ist, steht mit meinen klinischen Erfahrungen im Widerspruch, wie
aus folgender Kasuistik sich ergeben dürfte.
I. Der 45^.^ jährige OberleatnaDt und Gatsbesitzer D. aus M. kon*
sultierte mich am 28. November 1902 wegen LungensohwindBUcht and
Zuckerkrankheit. Derselbe, seit 12 Jahren Landwirt und vorher un-
gefähr 14 Jahre aktiver Soldat, gibt an, weder hereditär belastet nooh
auch jemals sexuell infiziert oder dem Alkoholgenuß ergeben gewesen zu
sein. Bis zu seinem 38. Jahre will der Patient bis auf gelegentliche
geringfügige Bronchitiden stets gesund gewesen zu sein. Seine gegen*
Cheyne-Stokes'sches Atmen beim Coma diabeticam etc. 591
wfirtige Erkrankung bringt er mit einer am 25. Augast 1895 nach dem
Genuß von sauer eingekochtem Aal akut einsetzenden Erkrankung,
welche als „Fisobyergütung" bezeichnet wurde, in Zusammenhang. loh
sah den Patienten am 25. September desselben Jahres auf den Wunsch
seines BAUsarztes und mit demselben in seiner Heimat in Westfalen. Ich
habe damals einen ,, Unterleibstyphus^ diagnostiziert. Als der Patient
nach dessen glücklichem Ablauf und anscheinend völlig genesen zum
xweiten Male das Bett verließ, erkrankte er aufs neue akut und zwar
sehr schwer an einer mit heftigen Magen- und Darmerscheiaungen ver-
gesellschafteten Lungenentzündung. Den Darmausleerungen soll viel
Schleim heigemischt gewesen und es sollen im Verlauf der Krankheit
reichliche Hautblutungen aufgetreten sein. Der Patient genas zwar auch
Yon dieser Krankheit, jedoch erreichte er sein früheres Körpergewicht
von 175 Pfund nie mehr wieder. Über 140 Pfund ist er danach nicht
mehr gekommen. Als der Kranke sich mir im November 1902 hier
vorstellte, ersah ich aus dem Begleitschreiben seines jetzigen Hausarztes,
daß er im Januar 1901 , in welchem er den Patienten in Behandlung
bekam, einen beiderseitigen Lungenspitzenkatarrh und Diabetes mellitus
(6 ^/^ Zucker) festgestellt habe. Ein mehrwöchiger Aufenthalt in Nizza
im Winter 1902 (Januar bis März) brachte keinen Nutzen» im Gegenteil
hat sich der Zustand des Patienten je länger je mehr verschlechtert.
Obgleich sich der Zuckergehalt des Harns bei der Einhaltong einer
entsprechenden Diät auf 0,5 ^/q ermäßigte, wurde .das' Allgemeinbefinden
immer schlimmer.
Li diesem Zustande sah ich den Patienten am 28. November 1902,
welcher von da ab bis zu seinem am 10. April 1903 erfolgenden Tode
von mir in meiner Privatklinik behandelt wurde. Der blasse, magere,
aehr lang aufgeschossene Patient bot schon in seinem äußeren Habitus
das Bild eines vorgeschrittenen Phthisikers. Die Untersuchung ergab
ausgesprochene Lifiltrationserscheinungen und wahrscheinlich mit Höhlen-
bildung in der linken oberen Lungenpartie, auch die rechte Lunge war
im oberen Teile krank, indes weniger hochgradig. Der Husten war und
blieb stets mäßig, auch der Auswurf war geringfügig, geballt, schleimig-
eitrig. Bereits bei der ersten Untersuchung desselben am 28. November
1902 wurden in demselben reichliche Tuberkelbazillen gefunden. Am
20. und 21. Dezember trat eine geringfügige Hämoptoe auf. Mehrfach
machten sich bei dem Kranken pleuritische Symptome (Schmerzen und
Beiben in der linken Brusthälfte) bemerkbar. Der Appetit war sehr
launisch, indes wenn er auch nicht gut war, wurde doch im allgemeinen
aus „Pflichtbewußtsein^ befriedigend gegessen. Das Körpergewicht,
welches bei der Aufnahme 121,8 Pfund betragen hatte, sank zunächst
etwas und blieb bis zum 17. Januar 1903 auf 120 — 120,8 Pfand stehend,
dann aber hob es sich, ohne daß wassersüchtige Anschwellungen auf-
traten, allmählich bis Anfang März bis auf 128,4 Pfund, wobei der
Patient sich im allgemeinen wohl fühlte. Nachher sank dessen Gewicht
wieder ein wenig, betrug aber Ende März, wo die letzte Körperwägung
vorgenommen wurde, immerhin noch 126,4 Pfund.
Der Stuhlgang war immer angehalten, wurde aber durch große 01-
kljsmen (300 gr) in Ordnung gehalten.
592 XXXV. Ebsteiv
Es handelte sich bei unserem Patienten nm einen Diabetes
deeipiens, d. h. Polyurie fehlte während der ganzen Zeit der Be-
obachtong. Im allgemeinen worden in 24 Stunden 1500 ccm Harn ent-
leert. Selten erreichte das tägliche Hamqnantnm 2 Liter oder ein wenig
darüber. Die tägliche Zuokermenge schwankte zwischen 17 bis 147 g.
Vom £nde Februar bis zum Tode des Patienten überstieg die tägliche
Zuckermenge gewöhnlich 100 g. Im Monat Dezember war die tägliche
Zuckerausscheidung am kleinsten. Entsprechend der täglichen Ham-
und der in ihm ausgeschiedenen Zuckermenge schwankte natürlich das
spezifische Gewicht des TJrins zwischen 1020 — 1040. Aceton oder
Acetessigsäure oder beide — weit häufiger wurde die letztere Termißt
— waren mit Ausnahme der Zeit vom 32. Dezember bis zum 4. Februar
1903, in welcher sie gänzlich fehlten, täglich in höherem oder geringerem
Grade mittels der bekannten Beaktionen nachweisbar. Ein Einfluß der
ausgeschiedenen Zuckermenge auf die Stärke dieser Reaktionen war nicht
erweislich. Eiweiß war in Spuren als leichte Opalescenz oder als leichte
Trübung bei der Anwendung der Ferrocyankalinmessigsäureprobe in dem
Harn nachweislich und zwar ging die Menge der Zuckerausscheidnng
mit der Stärke der Albuminurie nicht Hand in Hand. Hamcylinder
wurde niemals gefunden. Jedoch muß bemerkt werden, daß in den
letzten 24 Stunden des Lebens, in denen alle Ausleerungen unvrillkürlich
waren, auch der Harn nicht aufgefangen und demgemäß auch nicht unter-
sucht werden koünte.
Gelegentlich waren starke nächtliche Schweiße vorhanden, welche
den Kranken sehr belästigten. Der Temperaturverlauf war atypisch mit
größeren (bis 3,5^ betragenden) und kleineren, manchmal nur 0,1 be-
tragenden Tagesschwankungen. Die maximale Temperatur betrug 38,9,
die minimale 35,4. In der Hegel erreichte die Abendtemperatur 38,0
nicht, während die Morgentemperatur zwischen 35,0 bis 36,0 schwankte.
Nur in den letzten anderthalb Wochen bewegte sich die Temperatur mit
geringen Tagesschwankungen um 38,0 herum. Die Pulsfrequenz schwankte
in der Regel der Temperatur entsprechend. Sie betrug im allgemeinen
gegen 100 Schläge in der Minute. Die Zahl der Atmungen war in der
Kühe normal, auch deren Typus war, abgesehen von den bald zu er-
wähnenden terminalen Veränderungen ein normaler. Patient war stets
außer Bett. Sein subjektives Befinden besserte sich während des Aufent-
haltes in der Privatklinik langsam und stetig. Von Mitte März 1903
machte der Kranke bereits ernstlich Pläne nach Hause zu reisen, und
sich persönlich auf seinem Gute umzusehen und die Aussaat selber zu
leiten. Dann wollte er nach Italien zu seiner volligen Erholung reisen.
Als sein Bruder unserem Patienten gelegentlich seines Besuches am
29. März den Vorschlag machte, daß er ihm einiges von seinem Wirt-
schaft sbetrieb abzunehmen bereit sei, erregte ihn das so sehr, daß der
Bruder bald davon abstand. Vom 4. April an wurde ein vollständiger
Wechsel in dem Wesen des Kranken wahrgenommen. Der bisher so
liebenswürdige Patient wurde nörgelig, krittlig, besorgte aber alle Vor-
bereitungen zu seiner auf den 8. April festgesetzten Abreise persönlich
und ordnete alles an, was für seine Ankunft in seinem Hanse und in
seiner Wirtschaft geschehen solle. Am 7. April war der Kranke zeit-
Cheyne-Stokes^sches Atmen beim Coma diabeticnm etc. 593
weise verwirrt, daldete aber nicht, daß der von ihm seither sehr bevor-
zugte Krankenwärter seinen Koffer packte, er wollte alles selbst besorgen.
Am 8. April machte sich bei ihm eine große Schlafneigong bemerkbar,
der Kranke war im übrigen gänzlich verwirrt, indes blieb sein Sinn un*
entwegt auf die Abreise gerichtet. Beim Frühstück schlief er ein, trotz-
dem befahl er dem Krankenwärter, ihm beim Ankleiden zu helfen und
blieb, nachdem dies geschehen, inmitten seines Oepackes, immer wieder
einschlummernd, mit der Uhr in der Hand sitzen, bis ich ihm bei der
Morgenvisite erklärte, daß er in diesem Zustande die Heimreise nicht
antreten könne. Er fügte sich ohne weiteres und verschob seine Abreise
auf den näohsten Tag. Er blieb aber in einem lebhaften Erregungs-
zustande. In diesem Zustande wurde er Nachmittag 4^/^ Uhr, im Schlaf-
rock auf dem Sofa bei einem Glase Biere sitzend, gefunden. Er hatte
es sich ohne Erlaubnis des Arztes und der Krankenschwestern holen
lassen und soll davon im Laufe des Tages anderthalb Flaschen verzehrt
haben. Als ihm vom Arzte vorgestellt wurde, daß er doch am besten
im Bett aufgehoben sei, ließ sich der Kranke bereitwillig von ihm zum
Bette führen, entkleidete sich selbst und legte sich nieder. Kaum lag
er, so fielen ihm die Augen zu und es trat ein ganz ausgesprochenes
Gheyne-Stokes'sches Atmen ein. Ab und zu schlug er die Augen
noch auf. Um 7^3 Uhr abends war der Patient durch kräftiges An-
rufen nicht mehr zum Erwachen zu bringen. Die Pupillen reagierten.
Der Kranke hatte Kot und Urin unter sich gelassen. Das Gheyne-
Stokes'sche Atmen hielt bis zum nächsten Tage (10. Apri]) früh 4 Uhr
an. Die Atmungspausen waren verschieden lang, daß man während
derselben bequem bis 20 zählen konnte. Es stellte sich dann ein müh-
sames mit Trachealrasseln verbundenes Atmen ein, wie es beim Lungen-
ödem beobachtet wird, an welchem am 10. April früh 10 Uhr der Tod
erfolgte.
Die Leichenöffnung durfte nicht gemacht werden.
Es handelte sich bei diesem Kranken um einen Fall von
Diabetes mellitus, welcher mit Lungenschwindsucht kompliziert war.
Der Patient ist, wie so häufig, am Coma diabeticnm zugrunde ge-
gangen, welches auf einen vorausgehenden und mehrere Tage an-
haltenden Erregungszustand folgte. Vor der vollen Entwicklung
der Bewußtlosigkeit setzte Cheyne-Stokes'sches Atmen ein,
welches nahezu 12 Stunden dauerte und sodann gleichzeitig mit
dem Eintritt von Lungenödem, welches nach 6 Stunden zum Tode
führte, durch ein mühsames, mit Trachealrasseln verbundenes Atmen
ersetzt wurde. Daß das Cheyne-Stokes'sche Atmen ebenso wie
das Coma bei unserem Patienten nicht durch die Schwindsucht,
sondern durch den Diabetes vermittelt worden ist, braucht wohl
nicht weitläufiger begründet zu werden. Das Cheyne-Stokes'sche
Atmen war bei unserem Patienten ein vollkommen reines und nicht
durch den von Kußmaul geschilderten Atmungstypus kompliziert.
594 XXXV. Ebstbik
In diesem Falle war die Diagnose des Cheyne-Stokes'scben AtDde&s
eine sehr einfache, wie in allen Fällen, bei denen das AtmMi sich
geräuschvoll vollzieht. Verlaufen die Atembewegangen gei-äuschlos,
dann wird man von dem vorhandenen Atmungstypna, bzw\ daß
Cheyne-Stokes'sches Atmen besteht, sich nur dann überzeugen
können, wenn man durch die direkte Besichtigung des entblößten
Brustkastens die Art der Atmung direkt in Augenschein nehmen
kann. Dies war in der nächsten sowie in einigen danach folgenden
Beobachtungen der Fall, Bei ihnen war reines Cheyne-Stokes'sches
Atmen teils nur vorübergehend vorhanden, teils wechselte dasselbe
mit dem großen Atmen KußmauTs oder mit unregelmäßigem
Atmen.
IL K. R. ein 42 jähriger Steinhauer aus Heinade, aufgenommen am
30. April 1904 befindet sich in schlechtem Ernährungszustand. JSr hat
eine Körpergröße von 1,73 cm und wiegt HO Pfd. Außerordentlich
schwerer Diabetes, die tägliche Zuckerausscheidung betragt 500 — 600 g,
sehr starke Acetonurie und Diaceturie. Die tägliche N*Ausscheidang
im Harne betrug ca. 30 g, die NH^ -Ausscheidung über 3 g. Das Sen-
sorium war voiübergebend am 1. Mai ganz leicht benommen, die PupiUen
reagierten immer prompt auf Lichteinfall. Bei der klinischen Vorstellung
am 2. Mai beobachtete man an dem entblößten Thorax des Patienten
den Cheyne-Stokes'schen Atemtypus. Obwohl die Atmung sehr tief war,
waren die Exkursionen des Thorax nicht sehr bedeutend. Die Atmungs-
pausen waren kurz. In den nächsten Tagen verlor sich der Cheyne-
Stokes'sche Typus wieder, doch war die Atmung noch sehr ungleich tief.
III. W. . . ., 32jähriger Ziegelarbeiter aus R. in die medi'z. Klinik
aufgenommen am 10. Januar 1903, dort gestorben am 22. Januar 1903.
Der Zuckergehalt schwankte zwischen 161 — 439 g pro die. Der Zucker-
gehalt nahm vom 12. Januar bis zum Tode ziemlich konstant an Menge
ab. Am 22. Januar früh S^/^ ^hr wurde der Patient ziemlich plötzlich
bewußtlos, nachdem er sich am Abend vorher schon nicht wohl gefdhlt
hatte. Die Atmung war um 11 Uhr vormittags tief und geräuschvoll
und zeigte gelegentlich einen wenn auch nicht immer reinen Cheyne-
Stokes'scben Atmungstypus. Später verschwand dieses Phänomen, kehrte
bis zu dem am Nachmittag desselben Tages im Coma erfolgenden Tode in
der gleichen Weise ab und zu wieder. Der Patellarreflex war erloschen,
der Pupillarreflex blieb bis einige Stunden vor dem Tode erhalten.
Anatomische Diagnose (Obduzent: G-eheirorat O r t h).
Hochgradige Atrophie des Pankreas. (Gewicht 35g,
Dimensionen 20 : 2,4 : 1,6 cm, mikroskopisch: einfache Atrophie, Langer-
hansische Inseln gut ausgebildet, aber geringer an Zahl.)
Hochgradige Hyperämie des Gehirns und der Häute.
Verfettung der Nieren rinde. Hämorrhagische Erosionen
und ausgedehnte Schleimhautblutungen am Magenfundas.
Akute Erweichung des Magens und mäßige NiederschlSge
Chejne-Stokes'sches Atmen beim Coma diabeticum etc. 595
▼ on 2Tatr. biGarbonionm in demselbeii. — Allgemeine
Atrophie, insbesondere braune Atrophie der. Leber. Atrophie der
Nebennieren. Kleinheit des Gangl. coeliacum. Aceton-
gernch nach Eröffnung der Leiche.
IV. Karl P., 40 jähriger Schuhmacher aus P. wurde wegen Dia-
betes mellitus in die Göttinger medizinische Klinik am 16. Februar
1904 aufgenommen und starb daselbst am 6. März 1904. Die Körper-
länge betrag 1,65 cm, das Körpergewicht 111 '/g Pfund. Die ersten Krank-
heitserscheinungen waren etwa ^/^ Jahr bevor der Tod im diabetischen
Coma erfolgte bemerkt worden. In den letzten drei Lebenstagen war
bei benommenem Sensorium die Atmung auffallend tief und laut hörbar.
Ihre Zahl betrug nur etwa 1 2 in der Minute. Damit wechselten Perioden
zunächst oberflächlicher dann immer mehr sich vertiefender Atemzüge
nach Art des Cheyne-Stokes'schen Atraungstypus ziemlich regelmäßig
ab. Die Pupillen waren sehr weit, fast reaktionslos, die Patellarreflexe
fehlten. Der Puls war fadenförmig 126 in der Minute.
Die von Herrn Kollegen Bibbert ausgeführte Sektion ergab als
einzigen krankhaften Befund eine Atrophie der Bauchspeichel-
drüse. Im Sektionsprotokoll ist betreffs der BeschaffeDheit des Pan-
kreas folgendes angegeben. Das Pankreas ist lang und sehr dünn. Es
mißt in der Länge 22 cm, ist 2,5 cm breit und hat eine Dicke von 0,75 cm.
Auf der Schnittfläche sieht man keinerlei makroskopische Veränderungen.
Die sehr sorgsam ausgeführte mikroskopische Untersuchung ließ gleich-
falls keine anderweitigen krankhaften Veränderungen außer der bereits
mit bloßem Auge sichtbaren Atrophie erkennen. Es handelte sich also
in dem vorliegenden wie in dem vorhergehenden Falle um eine lediglich
kachektische Atrophie der Bauchspeicheldrüse. Von degenerativen oder
entzündlichen Prozessen, wie wir den letzteren z. B. bei der genuinen
Granularatrophie begegnen, war hier keine Spur vorhanden.
V. M., ein 22 jähriger Fabrikarbeiter aus Lengfeld wurde wegen
Zuckerkrankheit und beginnender Lungenschwindsucht am 2. Januar 1903
in die Oöttinger medizinische Klinik aufgenommen wurde, aus der am
17. Februar 1903 wieder erst geheilt entlassen wurde. Der Zucker-
gehalt des Harns schwankte zwischen 192 bis 638 g pro die. Der Harn
enthielt Aceton und Acetessigsäure ; Albuminurie fehlte. Der Diabetes
war ein schwerer. Der Kranke hatte Neigung zu comatösen Zuständen.
Am 12. Februar gegen Abend warde der Patient leicht somnolent, nach-
dem er sich schon während des Tages nicht wohl gefühlt hatte. Die
Atmung zeigte nicht immer den gleichen Typus, manchmal waren die
einzelnen Atemzüge, deren man 16 in der Minute zählte, vertieft, manch-
mal aeigte die Atmung den Cheyne*8tokes'schen Typus. Die Zucker-
menge am 12. Februar betrug 638 g, am folgenden Tage, an welchem
der Kranke wieder bei freierem Sensorium war, betrug dieselbe nur 278 g.
Als der Kranke aus der Klinik auf sein Verlangen entlassen wurde, war
sein Sensorium vollkommen frei und seine Atmung durchaus regelmäßig.
Ganz denselben Atmungstypus, wie wir ihn beim diabetischen
Coma vorstehend geschildert haben, habe ich gelegentlich auch bei
596 XXXV. Ebstein
der Urämie beobachtet. Es seien ein paar Beispiele hier an-
geführt :
VI. B. E. aus B.y eia 21 jähriger Schneider, wnrde am 2. November
1903 in die mediziniBche Klinik in Göttingen aufgenommen. Die Diagnose
wurde auf chronische yorzugsweise interstitielle Nephritis gestellt. Bereita
am 4. November verfiel der Patient gegen 5 Uhr nachmittags in Coma.
Während dieses urämischen Gomas schwankte bei einer Pulsfrequenz von
ca. 116 in der Minute die Zahl der Atemzüge in der gleichen Zeit-
einheit zwischen 36 ^48. Die Atemzüge waren tief, geräuBchvoll, gleich-
mäßig, kein Cheyne-Stokes'scher Typus. Dieser Zustand dauerte bis
gegen den Morgen des folgenden Tages (5. November), an welchem der
Tod erfolgte. Die klinische Diagnose lautete abgesehen von der auf
chrom. vornehmlich interstitielle Nephritis : Urämie. Pneumonische Herde
und Hypertroph, ventric. sin.
Die von Herrn Kollegen Ribbert ausgeführte Leichenöffnung er-
gab folgende Sektionsdiagnose : Hochgradige Schrumpfniere beiderseits,
Hypertrophie des linken Ventrikels, Pneumonie beider ünterlappen, ge-
schwollene Leisten- und Lymphdrüsen.
VII. A. O. aus Eschwege, ein 18 jähriger Barbier, wurde am
12. März 1904 in die Oöttinger medizinische Klinik aufgenommen, in
welcher er bereits am 18. desselben Monats verstorben ist. Die Diagnose
wurde auf Granularatrophie der Nieren gestellt. Seit 4 Jahren bestand
bereits Nephritis. In der Klinik wurden 7 ^/^q Eiweiß im Harn kon-
statiert, der Urin zeigte ein reichliches Sediment mit dem entsprechenden
mikroskopischen Befunde. Die vorhandenen Ödeme fingen unter gleich-
zeitigem Ansteigen der Urinmenge an zu schwinden. Gleichzeitig setzte
großes, tiefes, laut hörbares Atmen ein, keine Atmungspausen, keine
periodenweisen Vertiefungen wie bei dem Cbeyne-Stokes'schen Atmen.
Dabei leichte Cyanose und verschleiertes Sensorium, Kopfschmerz. Zwei
Tage später akute Urämie, welche in 24 Stunden letal verlief.
Die von Herrn Kollegen Ribbert ausgeführte Leichenöffnung er-
gab folgende Sektionsdiagnose : Hochgradige Granularatrophie der Nieren,
Hypertrophie des Ventrikels, Dilatation des rechten Ventrikeb. Hoch-
gradiges Lungenödem.
Wenn demnach Kußmanl angibt, daß — neben einigen
anderen, hier nicht weiter auszuführenden geringfügigeren diffe-
rentialdiagnostischen Momenten — das wichtigste Unterscheidungs-
merkmal zwischen Coma uraemicum und diabeticum darin liegt,
daß sich das letztere durch eine Dyspnoe bei freien Luftwegen
einleitet, welche durch große in- und exspiratorische Atembewegnngen
ausgezeichnet ist, so sehen wir aus den hier mitgeteilten Beobach-
tungen, daß diese Regel nach meinen eigenen Erfahrungen nicht
gerade selten durchbrochen wird.
Wir haben aus den hier mitgeteilten Beobachtungen (I — ^V)
soviel ersehen, daß beim diabetischen Coma sowohl die tiefen Kuß-
Cheyne-Stokes'sches Atmen beim Coma diabeticum etc. 597
maurschen Atmungen, als auch der Cheyne-Stokes'sche
Atmangstypus vorkommen und daß beide bei demselben Kranken
miteinander abwechselnd auftreten können, und in Beobachtung VI
und VII haben wir Belege dafür beigebracht, daß beim urämischen
Coma nicht nur das Cheyne-Stokes'sche Atmen vorkommt, sondern
daß manchmal die großen KußmauT sehen Atmungen, ohne daß
eine Andeutung von Cheyne-Stokes'schem Atmen vorhanden ist,
allein bestehen können. In Fällen von Cheyne-Stokes'schem Atmen,
ebenso wie bei den Atmungen Kußmaul's braucht der betr. Atmungs-
typus nicht bis zum Tode anzuhalten. Dies gilt, wie die Beobach-
tung I lehi't, von dem Cheyne-Stokes'schen Atmen beim Coma dia-
beticum, aber auch von dem beim Coma uraemicum auftretenden.
Herr Kollege E. in G. berichtet mir über einen Patienten, Herrn H.,
44 Jahre alt, welchen wir am 8. April 1904 gemeinsam untersucht
hatten, und bei welchem eine chronische Nephritis und eine Beti-
nitis albuminurica festgestellt worden war, folgendes : „Der Kranke
ist am 22. April 1904 urämisch gestorben. Es bestand bei dem
Patienten in der letzten Zeit Cheyne-Stokes'sches Atmen. Das Coma
war in den letzten Lebenstagen ein sehr tiefes. Ungefähr 18 Stunden
vor dem Tode trat Fieber auf, wahrscheinlich bedingt durch eine
links hinten unten lokalisierte Lungenaffektion. Während dieses
fieberhaften Stadiums war die Atmung sehr beschleunigt und ober-
flächlich". In Fällen aber, in welchen das Cheyne-Stokes'sche
Atmen überwunden wird und die Kranken wieder in ein mehr
oder weniger leidliches Wohlbefinden gelangen, kann das Aufhören
des Cheyne-Stokes'schen Atmens sich anscheinend auch in ver-
schiedener Weise vollziehen. Ich gedenke hier eines in meiner
Klinik beobachteten Falles, welchen Fr. Mann in seiner Inaugural-
dissertation (Über einen Fall von Cheyne-Stokes'schem Atmen mit
günstigem Ausgange. Göttingen 1893) beschrieben hat. Der beti*.
Kranke, K. S. aus F., ein 42 jähriger Töpfer, wegen chronischer
Nephritis in die Göttinger medizinische Klinik aufgenommen, zeigte
daselbst in der Zeit vom 12.— 15. November 1891 die Symptome
eines sehr ausgesprochenen Cheyne-Stokes'schen Atmens. Hierzu
mag noch folgendes bemerkt werden: Die Pupillen des sehr un-
ruhigen Kranken waren mittelweit, die linke reagierte nicht auf
Lichteinfall. Sie zeigte eine Andeutung von Iriskolobom ^nach
unten; es fehlten nämlich daselbst die vorderen Schichten, das
Pigmeutblatt war ziemlich blotliegend. W^ährend der Atempausen
waren die Arterien der Netzhaut fadendünn, nur in der Papille zu
sehen. Bei dem Wiedereintreten der Atmung füllten sie sich.
598 XXXV. Ebstiix
Nachdem am 15. November das Cheyne-Stokes'scbe Atmen auf*
gehört hatte, wurde der Atmungstypos nicht sofort normal, sondern
es bestand unregelmäßiges Atmen, die einzelnen Atemzüge, deren
Zahl im Mittel 24 betrug, waren durch unregelmS^ige, rerschieden
lange Pausen voneinander getrennt. Erst am 23. November 1891
war die Unregelmäßigkeit der Atmung beseitigt und die Atmung
war wieder regelmäßig geworden.
Aus diesen Tatsachen läßt sich zwanglos ableiten, daß zwischen
dem Cheyne-Stokes'schen Atmen, dem KußmauFschen großen Atmen
und dem unregelmäßigen Atmen, wie wir sie bei den unter ver-
schiedenen Umständen vorkommenden comatosen Zuständen, so z. B.
bei dem urämischen sowie dem diabetischen Coma teils als Vor-
läufer, teils als Begleiterscheinungen derselben auftreten sehen,
gewisse Bindeglieder existieren m&ssen. Beständen sie nicht, würden
wir nicht imstande sein, uns das Nebeneinandervorkommen dieser
Atmuugstypen und daß der eine in den anderen übergehen kann,
zu erklären. Die experimentelle Pathologie im allgemeinen und
speziell die experimentelle Toxikologie und Pharmakologie, sowie
nicht weniger die Physiologie haben es sich angelegen sein lassen,
Erklärungen über das Zustandekommen dieser modifizierten Atem-
bewegungen zu geben. Mein pharmakologischer Kollege, Herr
Jakobj, hat mit liebenswürdiger Bereitwilligkeit mir eine aus-
führliche Darstellung über die Arzneikörper und Gifte geliefert,
aus welcher sich ergibt, daß das Oheyne-Stokes'sche Atmungs-
phänomen gelegentlich im Verlauf von Vergiftungen mit den ver-
schiedensten Giften beobachtet wird. Es würde zu weit führen,
an dieser Stelle diese spezielle Seite der Frage ausführlicher auf-
zurollen. Hoffentlich veröffentlicht Herr Kollege Jakobj seine
einschlägigen Studien. Ich begnüge mich, im Literaturverzeichnis
die von Herrn Kollegen Jakobj mitgeteilten Literaturangaben
anzuführen. Betrachten wir die Sache von einem allgemeineren
Gesichtspunkte, so dürfen wir das Gheyne-Stokes'sche Atmen dem
periodischen Atmen Mosso's zuzählen. A. Mosso^) hat diese
Atroungsform genau studiert und hat ihr seine besondere Aufmerk-
samkeit zugewendet. Er unterscheidet zwei Formen derselben
nämlich erstens das remittierende Atmen, bei welchem auch
während der Pause noch eine Andeutung von schwachen Atem-
1) A. Mosso, La respirazione periodica e la respirazione snperflua o di
lusso. Atti deir Anad. d. Cincei S. 4 ; Memorie, classe di scienze fis. matemat.
Vol. I 1885, sowie du Bois - Reymond's Archiv 1878 S. 451 (Cheyne-Stokes^sches
Atmeu bei normalem Schlaf).
Cheyne-Stokes'sches Atmen beim Coma diabeticum etc. 509
bewe^nngen vorhanden ist und zweitens das intermittierende Atmen,
bei welchem die Panse der Atmnng eine vollkommene ist. Daß
diese beiden Formen ineinander tibergehen können, ergibt sich, wie
schon bemerkt wurde, aus den vorher angeführten kasuistischen
Mitteilungen. Mosso betrachtet auch unter physiologischen Ver-
hältnissen das intermittierende Atmen als eine gar nicht sehr
seltene Erscheinung; es tritt besonders während des Schlafes bei
Kindern und bei älteren Leuten auf. Mosso sieht überhaupt die
periodische Atmung als eine physiologische Erscheinung an. Er
beobachtete, daß bei vollständiger Euhe und besonders bei tiefem
Schlafe nicht nur beim Menschen, sondern auch bei Tieren die
Atembewegungen keineswegs immer gleich- und regelmäßig sind.
Periodisch treten Gruppen von Inspirationen auf, welche allmählich
ihren Umfang und ihre Tiefe vermehren und vermindem. Um die
Natur und die Ursachen dieser periodischen Atmung zu ermitteln,
stellte Mosso Tierversuche an Hunden, Kaninchen und Tauben an
und dabei stellte sich heraus, daß nicht alle Individuen in gleicher
Weise eine Disposition für diese periodischen Atmungen haben.
Dasselbe gilt auch vom Menschen. Hunde zeigten bei den Mosso-
sehen Versuchen nicht selten die intermittierende Atmung, wenn
ihnen intraperitoneal oder besser intravenös Chloralhydrat injiziert
wurde. Ferner fand Mosso, daß Inhalationen von Sauerstoff eben-
sowenig wie die künstliche Atmung die Perioden und die Inter-
mittenzen der Atmung zu beeinflussen vermögen. Der Blutkreislauf
hat einen großen Einfluß auf das Zustandekommen der periodischen
Atmung. Was das Auftreten derselben unter pathologischen Ver-
bältnissen betrifft, so ist Mosso überzeugt, und man darf ihm
nach meinen eigenen Erfahrungen darin beistimmen, daß man bei
gehöriger Achtsamkeit bei sehr vielen Krankheiten die periodische
Atmung wahrnehmen wird. Die periodische Atmung wird schwer-
lich von einem Arzte übersehen werden, wenn sie geräuschvoll sich
vollzieht. Sie wird aber nach meinen Erfahrungen auch von gut
geübten Beobachtern leicht übersehen, wenn sie geräuschlos sich
vollzieht. Es empflehlt sich bei allen benommenen und comatösen
Kranken, sich an deren entblößtem Thorax den Atmungstypus an-
zusehen. Mosso erklärt sich das Zustandekommen der periodischen
Atmung in der Weise, daß die Centren eine Neigung zur Ruhe
haben.
Luciani betont in seinem Lehrbuch der Physiologie gleich-
falls, daß die periodische Atmung keine lediglich pathologische
Erscheinung sei, sondern daß sie auch unter physiologischen Um-
600 XXXV. Ebsteik
ständen auftreten könne. Lnciani widmet dem Gegenstände eine
ausführliche Besprechung und kommt zu dem Schlüsse, daß die
periodische Atmung einen direkten Ausdruck der inneren auto-
matischen und reflektorischen Erregbarkeit der Atmungscentren
bildet; bei der Atempause sei eine Herabsetzung der Erregbarkeit
vorhanden, welche sich bei den wiederkehrenden Atembewegungen
wieder steigert. Diese Erregbarkeitsschwankungen können durch
verschiedene Momente veranlaßt werden, gewöhnlich ti*eten sie auf,
wenn die Atmungscentren im Begriff sind, langsam zu sterben.
Während das Cheyne-Stokes'sche Atmen die Physiologen lebhaft
interessiert hat, ist das von Kuß maul beschriebene große Atmen
— soweit ich die Sache übersehe — von dieser Seite nicht be-
sonders beachtet worden, wohl aber wurde beobachtet, daß unter
verschiedenen Bedingungen auf experimentellem Wege eine Ver-
langsamung bzw. eine Vertiefung der Atembewegungen stattfindet,
so z. B. nach der Durchschneidung der beiden Nn. vagi, bei der
Narkose, nach der Abtragung der höher gelegenen Nervencentren.
Es darf nun aber mit vollem Becht behauptet werden, daß in allen
diesen Fällen eine Herabsetzung der reflektorischen wie der auto-
matischen Tätigkeit vorhanden ist, so daß sowohl die Cheyne-
Stokes'sche Atmung als auch die KußmauFsche große Atmung zum
mindesten unter sehr verwandten Zuständen des Nervensystems
Zustandekommen können. Warum nun in dem einen Falle häufiger
der eine, in dem anderen Falle häufiger der andere Atmungstypus
vorkommt, so z. B. bei dem Goma diabeticum der Eußmaursche, bei
dem Coma uraemicum der Cheyne-Stokes'sche Typus, warum sich
gelegentlich beide Atmungstypen miteinander kombinieren oder
alternieren, das sind Fragen, deren definitive Beantwortung zurzeit
nicht wohl möglich ist. Indes lehrt das direkte Altemieren beider,
daß ihre Entstehungsbedingungen eine große Verwandtschaft zeigen
müssen. Das Vorkommen von veränderten Atmungstypen unter
physiologischen Verhältnissen belehrt uns, daß auch bei ihnen zumal
unter den bereits erwähnten Bedingungen die Erregbarkeit der
Atmungscentren Schwankungen unterliegt, welche unter pathologi-
schen Verhältnissen eine wesentliche Steigerung erfahren, wodurch
erfahrungsgemäß für das betr. Individuum große Gefahren erwachsen.
Abgesehen von der im Text erwähnten Literatur seien fol-
gende einschlägige Arbeiten angeführt:
Blasinsn. Schweitzer, Elektrotropismns n. verwandte Erscheinungen. Pfiäger's
Arch. Bd. 53, 1893. (Bei galvanischer Durchströmong bei Fischen.)
Cheyne-Stokes'scheB Atmen beim Coma diabeticum etc. 601
Bordoni, Sol tipo respiratorio di Cheyne-Stokes. Siena 1886.
Braun, Zeitschrift f. med. Beamte 19C2 Nr. 18 (Chejne-Stokes'sches Atmen bei
Seh wef elkohlenstoff V ergif tnn g) .
C ohn , Über die Bedeutung des negativen Thoraxdrucke«. Pflüger'a Archiv Bd. 37
1885 p. 218. (Nach Scnließnng eines künstl. Pneumothorax.)
Falk, Einfluß des Alters auf die Wirkunc: des Strychnins. Pflüger's Archiv
Bd. 34 1884 p 552. Vergleich mit Strjchninatmung.
Filehne, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. Bd. X p. 442 ff. Bd. XI p. 45 ff.
Berl. klin. Wochenschr. 189ö. (Chejne-ätokes'sches Atmen bei Morphin.)
Filehne u. Eiouka, Über die Blutgase normaler und morphinisierter usw.
Pflü^er's Arch. Bd. 62 1896 p. 238. (Cheyne-Stokes'sches Atmen bei Morphium-
Vergiftung.)
Heidenhai, Arch. f. ges. Physiologie 1876 Bd. IV p. 554. (Cheyne-Stokes'sches
Atmen bei Chloralhydrat.)
Jacoby, Cheyne-Stokes'sches Atmen infolge Ver^fiftnng mit dem Toxin des
Fliegenschwammes (in dessen wissensch. Aufzeichnungen).
£rehl, Pathologische Physiologie p. 212. (Bei Blausäureversiftung.)
Kunkel, Lehrbneh d. Toxikologie 1899 — 1901. (Cheyne-Stokes'sches Atmen bei
Atropin p. 709. bei Cocain u. Blausäure p. 504, Chlorsaures Kali p. 301.)
Lew in, Nebenwirkungen usw. 1893. (Cheyne-Stokes'sches Atmen bei Cocain
S. 263, Salicylsäure 8. ö02, Chloralhydrat S. 167, Antipyrin und Exalgin
S. 548.)
Marchand , . Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmak. XXIII p. 295. (Cheyne-Stokes^sches
Atmen bei chlorsaurem Kali .)
Murri, Suir origine pathologica de respiratoria. Eivista clinica 1885. ,
Bumpf , Unters. Über d. V^rmeregulation. Pflüger's Arch. Bd. 33, 1884. (Be-
zu^ auf Filehne's Theorie).
Sherrington,Noteon Cheyne-Stokes breathing in the frag. Journal of Physiology .
Vol. XII 1891.
Smisnow, Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1884 Nr. 37 p. 641. (Cheyne-Stokes-
sches Atmen bei Schwefel Wasserstoff Vergiftung.)
Szymonowicz, Die Funktion der Nebenniere. Pflttger's Arch. Bd. 64 1896
(Cheyne-Stokes'sches Atmen nach Nebennierenextraktinjektion.)
Trzebicky, Wiener med. Wochenschr. 1891 Nr. 38. (Cheyne-Stokes'sches Atmen
bei Cocainvergiftung.)
Unverricht, Wiener med. W^ochenschr. 1892. (Cheyne-Stokes'sches Atmen bei
Morphium u. Hyoscyamin.)
Weckerling, Deutsches Arch. f. klin. Med. 1877 p. 319. (Cheyne-Stokes'schea
Atmen bei Salicylsäurevergiftung.)
W einrieb, Berl. klin. Wochenschr. 1896 Nr. 12. (Cheyne-Stokes'sches Atmen
bei Cocain.)
Dentschea Archiv f. klin. Medizin. LXXX. Bd. 39
XXXVI.
Bemerkungen zu der Arbeit der Herren y. K^tly und y. Torday,
^Über die Verwertung des kryoskopischen Verfahrens bei der
Beurteilung der Resorption chronischer Brnstfellexsudat« ete«"^
in Nr. 5 und 6 des 79. Bandes des Arch. f. kl. Med.
Von
Dr. med. D. Rothschild,
Bad Soden am Taunus.
Bei Durchsicht der Budapester Arbeit über die Exsudatresorption
fiel mir eine ungewöhnliche Übereinstimmung der wichtigsten ^Schluß-
folgerungen^ mit meinen eigenen im Aprilheft 1903 der Therapie der
Gegenwart publiziertet! Untersuchungen über den gleichen Gegenstand
auf. Zu meinem Erstaunen fand ich jedoch nicht nur die gleichen Ke-
Hultate, sondern auch den Urtext meiner zitierten Arbeit absatzweise,
wortgetreu in der Budapester Arbeit wieder, dergestalt, daß gar kein
Zweifel darüber besteben kann, daß meine eigenen Ausführungen mit
ganz nebensächlichen, scheinbaren Abweichungen Grundlage und Inhalt
der BudapeHter Abhandlung bilden. Höchstens im Satzbau haben sich
die ungarischen Autoren die Mühe genommen, etwas von dem Sodener
Muster abzuweichen. Wie unwesentlich diese Abweichungen sind, mag
aus einer Gegenüberstellung einiger Teile des Originals und der Pester
Kopie hervorgehen:
Urtext
Therapie der Gegenwart 1903.
.... Es kommt häufig vor, daß
lang bestandene, auch große Pleura-
ergüsse nach einer vielleicht zu
diagnostischen Zwecken gemachten
Probepunktion rasch und vollstän-
dig verschwinden. Ich rechne zu
den einer exakten Erklärung noch
harrenden Punkten zweitens die
immer wieder beobachtete Erschei-
nung, daß pleuritische Exsudate
nach vollständiger oder nach mög-
lichst vollständiger Entleerung durch
Budapester „Arbeit''
5. u. 6. Heft 79. Bd. Arch. f. kl. Med.
.... Wir sehen, daß einzelne Ex-
sudate nach der aus diagnostischem
Zwecke vorgenommenen Probepunk-
tion resorbiert werden.
Andere vermehren sich dagegen
von neuem trotz der wiederholt
vorgenommenen Punktion , ohne
Bemerkunfi^n zu der Arbeit der Herren t. K6tly und v. Torday etc. 603
Punktion oder Thoracocentese sich in
ganz kurzer Zeit, oft schon nach
wenigen Stunden wieder ansammeln,
ohne daß Fieber oder sonstige Er-
scheinungen auf ein Fortbestehen
des ursprünglich vorhandenen Ent-
zündungsprozesses hindeuten.
Drittens möchte ich darauf hin«
weisen, daß abgekapselte Exsudate,
...... oft monatelang unverän-
dert umhergetragen werden, ohne
die geringste Tendenz zur Auf-
saugung, bis sie schließlich ganz
bestimmten, und in ihrer Bedeutung
Hm Schlüsse dieser Arbeit zu wür-
digenden therapeutischen Eingriffen
weichen, viertens erinnere ich an
Vorgänge, wie sie von Litten
beobachtet sind, . . . , daß nämlich
zwischen Exsudathöhe und Fieber-
höhe absolut kein kongruentes Ver-
halten besteht, vielmehr sehr häufig
trotz fallenden Fiebers .... die
Exsudate unbekümmert ansteigen
oder umgekehrt trotz bestehenden
Fiebers sich resorbieren.
daß wir den Grnnd dafür angeben
könnten.
Abgekapselte Exsudate können
monatelang bestehen, ohne die ge-
ringste Neigung zur Resorption, bis
sie aus irgendeinem Grunde resor-
biert werden.
I
Auffallend und unaufgeklärt ist
auch die Tatsache, daß zwischen
dem Fortschreiten des Exsudats
und dem Fieber kein kongruentes
Verhältnis besteht; das Exsudat
kann ohne Fieber wachsen und kann
trotz des Fiebers resorbiert werden.
Nachdem die Herren die vier Punkte . welche mir unaufgeklärt
schienen und mich zur Anstellung meiner Untersuchungen s. Zt. ver-
anlaßt hatten, abgeschrieben haben, suchen sie nun durch etwas Durch-
einanderwerfen der einzelnen Sätze und Schlußfolgerungen über die
Resorptionsvorgänge bei Pleuraexsudaten den Eindruck selbständiger
Arbeit zu erwecken, dem Leser beider Arbeiten wird die absolute Iden-
tität jedoch ohne weiteres einleuchten. Jeder citierte Versuch ist glatt
übernommen, irgendein selbständig angestellter fehlt vollkommen. Von
Naivität zeugt es jedoch, wenn die Herren mir in der Erklärung, warum
nach Herstellung osmotischen Gleichgewichts zwischen Exsudat und Blut,
demnach ein Flüssigkeitsstrom vom Exsudat nach dem Blute unterhalten
wird, in folgender Weise beipflichten:
Urtext:
Wenn auch nicht bestritten werden
kann , daß bei einer Entzündung
der Pleura Wandungen die Lymph-
gefäße und Stomata zum größten
Teile verödet oder doch wenigstens
durch Fibrinauflagerung und an-
dere Entzündungsprodukte verstopft,
mit einem Wort für den Durch-
gang und die Wegschaffung von
I
Pester ..Arbeit".
.... Da nun bei der Entzün-
dung des Brustfelles die bei der
Resorption eine wichtige Rolle spie-
lenden Lymphwege und Stomata
teilweise zugrunde gehen, teilweise
durch Endzündungsprodukte ver-
stopft werden und so ihrer physio-
logischen Bestimmung nicht ent-
sprechen können, so kann die zu*
39*
604
XXXYL JLOTHlOHlIiD
FlÜBBigkeit unbranebbar gamaebt
sind, so köDote man immer noch
gegen die ÄDDabme, daß in soleben
Fällen osmotiscbe Vorgänge in aller-
erster Linie der Wegscbafiiing der
Exsudate dienen , einwenden, daß
nacb Herstellung des osmotiscben
Gleicbgewicbts zwischen Exsudat
und Blut eigentlich kein osmotisches
GefElle mehr existiert, das als Trieb-
feder für die Wanderung des Ex-
sudats aus dem Pleuraräume in die
Capillaren angesprochen werden
könnte.
IJm zu einer richtigen Erklärung
dieser Vorgänge zu gelangen, muß
ich auf die Arbeit von Roth und
Strauß ans der 8 e n a t o raschen
Klinik aufmerksam machen. Roth
hat gezeigt, daß die lebende Ca-
pillarwand für EiweißstofPe schwerer
durchgängig ist, als für Salae und
daß die Ausgleichungsprozesse durch
eine Membran in dem Falle, wenn
ein Unterschied der gesamten mole-
kularen KoDcentration der beiden
Flüssigkeitsschichten besteht, immer
nur von der minder koncentrierten
zur hoher koncentrierten verlaufen,
unabhängig von der partiären Zu-
sammensetzung der Flüssigkeiten.
In dem Falle jedoch , wenn die
molekulare Gesamtkonoentration auf
beiden Seiten gleich ist, richtet sich
die FlüssigkeitsbeweguDg nach der
Seite, wo ein Überschuß an solchen
Molekülen vorhanden ist, für welche
sich die Gapillarwand im Vergleich
zu andern schwerer permeabel zeigt.
Als solches Molekül ist im Organis-
mus im wesentlichen das Eiweiß zu
nennen. Senator hat in seiner
Abhandlung über die Transudation
und Exsudation darauf hingewiesen,
daß die Exsudate trotz ihres von
^/^ p. M. und noch weniger bis zu
20 p. M. und darüber schwanken-
den Eiweißgehaltes .... stets einen
geringeren Eiweißgehalt aufweisen
weilen vorkommende Resorption ovr
ans der Osmose erklärt werden.
Gkgen die Bedeutung der Osmose
könnte man einwenden, daß, nach-
dem das osmotische Gleicbge wicht
zwiBoben dem Blnte und der Flüssig-
keit zustande gekommen ist, es kein
solches bewegendes Agens mehr gibt,
welches die Ursache der Auswan-
derung der Exsudation der Capil-
laren bilden könnte.
Warum die Flüssigkeit in solchen
Fällen trotsdem in die Capillaren
überfließt, das erläuterten Roth
und Strauß auf richtige Weise,
indem sie erwiesen haben, daß die
lebende capilläre Scheidewand für
Eiweißsnbstanzen schwerer durch-
gängig ist als für Sidze, und daß
die Flüssigkeiten, wenn in ihrer
molekularen Koncentration ein Un-
terschied besteht, sich durch die
Membran in der Weise ausgleichen,
daß die Strömung von der Flüssig-
keit geringerer Koncentration zu
der höherer Koncentration vor sich
geht, ohne Rücksicht auf die par-
tielle Zusammensetzung der Flüssig-
keiten. Wenn aber die molekulare
Konzentration beider Lösungen eine
gleiche ist, da wird die Strömung
der Flüssigkeit in der Richtung er-
folgen, wo diejenigen Muleculae im
Überfluß sind, für welche die capil-
läre Wand im Vergleiche zu der
andern schwerer durchgängig ist.
Solche Moleculae besitzt das Ei-
weiß des Blutes, für weldie die ca-
pilläre Wand weniger durchgängig
ist, als für das Eiweiß des Exsu-
dats. Der Eiweißgehalt des Exsu-
dats ist geringer als der des Blut-
serums. Senator hat erwiesen, daß
die Exsudate trotz ihres hohen Ei-
weißgehaltes weniger Eiweiß ent-
halten, als das Blutserum, dessen
Bemerkungen zu der Arbeit der Harren v. Ketly nnd y. Torday etc. 605
wXb das Blutserum, dessen Eiweiß«-
fehalt nach Hammarstea 8,5 %
beträgt. Der Eiweißgehalt ist ja,
wie D res e r gezeigt hat, von außer-
ordentlich geringfügigem Einfliuae
auf die molekulare Koncentratton
des Blutes, denn nach Ausfüllung
der gesamten Eiwelßvievge steigt
der GefrierpuAkt des Blutes nur um
0,01^ C. Trotzdem werden wir mit
Böth annehmen, daß nach Her-
stellung des osmotischen Gleich»
gewichte durch osmotischen Wasser-
ansgleioh der höhere Eiweißgehalt
des Blutes genügt, um einen dauern-
den Wasserstrom aus einem Exsu-
dat nach den Blutcapillaren zu
unterhalten und dadurch zu einer
Besorption des Exsudats zu führen.
Man könnte schließlich noch ein-
wenden, daß vielleicht die in den
Exsudaten vorhandenen Eiweißmole-
küle geringere Größe hätten als die
im Blute vorhandenen und dadurch
diesen ein erheblicherer Einfluß auf
den Gefrierpunkt zukomme als jenen.
Demgegenüber muß darauf hinge-
wiesen werden, daß, wie Senator
schon mit größtem Nachdruck be-
tont hat, die Eiweißkörper der Ex-
sudate dieselben sind, wie die des
Blutplasmas und daß Blum mit
Hilfe seiner Bestimmung der Jod-
zahl der Eiweißkörper ebenfalls zu
dem Schlüsse gekommen ist, daß
die in den Exsudaten befindliehen
Eiweißmoleküle sich nicht von den
im Blutserum vorhandenen unter-
scheiden.
Ich kann hiernach wohl füglich auf weitere Proben von der großen
Ähnlichkeit der ungarischen Arbeit mit der meinigen verzichten, muß
nur meinem Befremden darüber Ausdruck geben, daß die Herren die
meiner Arbeit entnommenen Schlußfolgerungen als ihre eigenen bezeichnen.
Abgesehen von den Versuchen über analoge Untersuchungen mit Peri-
tonealexsudaten , bei welchen überdies nichts herausgekommen ist, sind
sämtliche Behauptungen in allen ihren Teilen meiner Arbeit entnommen.
Der irreführende Versuch es so hinzustellen, als ob ich die Er-
kenntnis der Bedeutung des kryoskopischen Verhaltens der Fleura-
Siweißg^alt nach Hammarsten
6,5 ^Iq beträgt Obzwar durch D r e-
ser erwiesen wurde, daß der Ei-
weißgehalt des Blutes auf dessen
molekulare Koneentration nur ge-
ringen Einfluß hat, denn nach Ent*
fernung säwtliohen Eiweißes steigt
der Gefrierpunkt um 0,01 ® O ,
müssen wir mit Böth doch an-
nehmen, daß, nachdem dun^ Flüssig-
keitsausgleichung osmotisches Gleich-
gewicht entstand, der größere Ei-
weißgehalt des Blutes den Grund
dazu bietet, daß die Strömung von
der Flüssigkeit zu den Capillaren
vor sich gehe und auf diese Weise
die Besorption des Exsudats zu-
stande komme. Angeführt könnte
werden , daß die Eiweißmoleküle
der Exsudate nicht die glei<^e
Größe haben, wie diejenigen des
Blutes und deswegen die ersteren
nicht denselben Einfluß auf den
Gefrierpunkt ausüben, als die Blut-
moleküle. Das Gegenteil dieser Auf-
fassung würde die Ansicht Sena-
tor's lehren, welcher betont, daß
das Eiweiß des Exsudats und das
des Blutserums dasselbe ist, zu
welchem Kesukat auch Blum mit
Hilfe der Jodbestimmung gekom-
men ist.
i
606 XXXVr. Rothschild, Bemerkungen etc.
exsudate nur zu dem Zwecke der Erklärung gewisser diätetischer oder
balneologischer therapeutischer Einwirkungen auf die Resorption gemacht
hätte, ist hinfällig.
Ich habe bereits klar gezeigt, daß Ezsndate, die eine geringere
molekulare Koncentration besitzen, als das Blut, ohne weiteres resorbiert
werden; ich habe weiterhin darauf hingewiesen, daß nur bei normaler
Nierentätigkeit dieser Schluß gesogen werden darf. Ich habe ferner be-
tont, daß wir da, wo die Probepunktion ein molekular höher koncen-
triertes Exsudat als das Blut ergibt, unbedingt punktieren müssen, da
eine Spontanresorption nur dann zu erwarten ist, wenn keine Ver-
wachsungen der Verdünnung des Exsudats auf die molekulare Blut-
koncentration hinderlich sind. Und ich habe schließlich nur für die
Fälle, die zeitweilige Erhöhung des osmotischen Blutdrucks auf den
Druck der Exsudate als resorptionsbeförderndes Mittel empfohlen , in
welchen die Funktion nicht gelingt.
Ich habe übrigens seit Veröffentlichung meiner Arbeit die Unter-
suchungen fortgesetzt und werde die Ergebnisse in Kürze veröffentlichen.
Die Arbeit der Herren v. K6tly und v. Torday ist somit ein
Referat meiner im April 1903 in der Therapie der Q-egenwart veröffent-
lichten Arbeit.
XXXVII.
Erwideraiig zu den obigen Bemerkungen Herrn Bothsehild's.
Von
Dr. L. V. K6tly,
Universitätsadjunkt der II. internen Klinik in Budapest.
Auf Herrn Rothschild 's BemerküDgen wollen wir nur in Kürze
folgendes erwidern:
Die im ersten Abschnitte seiner Bemerkungen von seiner und unserer
Arbeit zum Vergleiche gegenübergestellten Sätze enthalten durchwegs
pathologische Erfahrungstatsachen, welche wir nicht nur in Herrn Koth-
8 c h i l d ^s Arbeit; sondern in jedem Lehrbuche finden, und welche so ein-
fach sind, daß es schwer wäre sie mit anderen Worten als die oben ge-
schriebenen auszudrücken. Nachdem wir daher annehmen müssen, daß
diese Sätze nicht Herrn Rothschild 's Eigentum sind, liegt kein Grund
vor wegen dieser Übereinstimmung beider Arbeiten von Plagium zu
sprechen.
Daß wir nicht von selbständiger Idee ausgingen , sondern Herrn
Rothschild 's Arbeit benutzten, ist doch in unserer Arbeit ausdrück-
lich und unzweideutig ausgesprochen. Daß aber unsere Versuche aus
seiner Arbeit glatt übernommen seien, können wir nicht zugeben. Aus
unserer Klinik mit dem Namen ihres Direktors Hofrat Dr. Karl v. Ketly
erschienen jährlich mehrere Arbeiten in den vornehmsten deutschen Blättern
und sie werden gerne citiert; ich will hier nur die von uns beiden in
diesem Archiv 1903, 77. Bd. erschienene Arbeit: „Inwiefern ist die
Cytodiagnostik bei der Beurteilung der Brust- und Bauchhöhlenflüssig-
keiten zu verwerten?^ erwähnen. Übrigens kann sich Herr Rothschild
die Mühe nehmen und sich persönlich die Krankengeschichten, welche
im ungarischen Original artikel ^) in voller Zahl veröffentlicht sind , auf
der Klinik vorlegen lassen. In der deutschen Übersetzung vor der Ab-
handlung, wurden die Krankengeschichten auf Verlangen der Redaktion
verkürzt, und die deutsch veröffentlichten Krankengeschichten wurden
vom Herrn Redakteur ausgewählt.
Daß wir in der Einleitung unserer Arbeit, welche er seiner Ab-
handlung gegenüberstellt und welche die Literatur des Themas behandelt,
unter den vielen Namen den seinigen ausgelassen haben, geschah sicher
nicht mit Willen. Der Ideengang dieses Teiles unserer Einleitung ist
1) Orvosi Hetilap 1903.
60g XXXVII. KAtlTj Erwid. zu den olrigai Bemerkaagea Herrn Botschild's.
wohl eines Teiles Rothschild 's Arbeit sehr ähnlich, was aber sehr
natürlich scheint, wenn wir in unserer Arbeit weiter lesend folgendes
treffen ,,aiifgemnntert dnrch die erfolgreichen Untersuchungen Roth-
schild 's, forschten wir danach . . . **
Wir wollten daher Herrn Rothschild 's ünterBUchnngen mä
unserem Materiale nachprüfen, zu welchem Zwecke wir 15 Fälle in diesem
Sinne untersuchten; die Selbständigkeit unserer Versuche zu bezweifeln hat
Herr Rothschild kein Recht, und wenn er es auch weiterhin tut, so
kann dies nur als UiBverständnis aufgefaßt werden. Herr Rothschild
sagt weiter n . . . die Herren, die die meiner Arbeit entnommenen Schluß-
fblgerangen als ihre eigenen bezeichnen . . . ^ Diese seine Bemerkung
entspricht nicht den Tatsachen, denn wir haben ja, wie schon gezeigt,
seine Untersuchungen nachgeprüft und haben mit unseren Untersuchungen
dasselbe Resultat erreicht wie er, wir mußten daher, was übrigens für
ihn nur schm«iehelhaft sein kann, seine Schlußfolgerungen bestärken.
Außerdem haben wir aber auch Neues gebracht von den Bauchflüssig-
keiten, mit welchen er, wie er es eingesteht, sich nidit befiißte. Seine
Bemerkung, daß wir mit diesen Versuchen kein poekives Resultat er-
reichten, ist nicht richtig, weil doch in der Wissenai^aft auch ein negatives
Resultat ein Resultat iat^ da diese Verhältnisse bisher noch niemand
studiert hat. Wenn Herr Rothschild sich die Hübe genommen hätte,
unsere Arbeit etwas aufmerksamer durchzulesen, so hätte er sehen
müssen, daß bei den tuberkulösen Bauchexsudaten ja doch etwas Positivea
auch herauBgekommen ist. Herr Rothschild hat, wie es seheint, seine
Arbeit mit therapeutischem Zwecke gemacht^ wae aucb der Titel zeigt:
ffZxa Nachbehandlung pleuritiscber Exsudate.^ Es scheint Herrn Rothr-
schild wehe zu tun, daß wir diesen seinen Schlußfolgerungen nicht bet-
stimmen, sondern zur therapeutischen Verfabrung dieses Leidens nur
die einfache Punktion anraten.
Ich war zwar bemüht, hiermit die ziemlich breitgefaßten Angrtffi»
Herrn Rothschild 's in Kürze zu beantworten, ich hoffe dennoch, daE
dies keinen Grund geben wird, daß er diese Erwiderung als einfachea
Referat seiner „Bemerkungen^^ erklären wird, wie er es unserer Arbeit
in den letzten Satz seines Angriffes zumutet. Diese Behauptung
klingt um so eigentümlicher, da doch unsere Arbeit umfangreicher ist
als seine, und sein Name doch in unserer Einleitung erwähnt und in
dem Literaturverzeichnisse unter Nr. 8 eingereiht ist; was wir nicbt ga-
tan hätten, wenn wir seine Ideen als die unserigen kundgeben wollten«
Herrn Rothschild erklären wir nochmals feierlich, daß wir znm.
Ausgangspunkt unserer Arbeit seine Abhandlung benützten.
Mit dieser Diskussion ist die Angelegenheit für die Redaktion dea
Archivs erledigt.
xxxviri.
Besprechungen.
1.
Schwalbe, Julius, Prof. Dr. (Berlin), Grundriß der praktischen
Medizin mit Einschluß der Gynäkologie (bearbeitet
von Dr. A. Czempin) und der Haut- und Geschlechts-
krankheiten (bearbeitet von Dr. M. Joseph). Dritte ver-
mehrte Auflage. Stuttgart, Verlag von Ferdinand Enke. 1904.
Das Bach ist für Studierende und Arzte bearbeitet und mit 65 in
den Text gedruckten Abbildungen versehen , welche da trefflich ein-
springen, wo es sich darum handelt, Dinge, welche sich schlecht be-
Echreiben lassen, mühelos dem Verständnis rasch zu erschließen. Wenn
ein solches Buch wie das Schwalb e'sche zum dritten Male aufgelegt wird,
so hat es seine Feuerprobe bestanden und verdient einige Worte in
diesem den Interessen der medizinischen Wissenschaft und der Praxis
gewidmeten Archive. Das Schwalb ersehe Buch bt frei von aller Phrase,
es ist überaus inhaltreich und der Stoff ist geschickt und übersichtlich
angeordnet. Das Buch bewährt sich als Nachschlagebuch für den an-
gehenden Arzt beim klinischen Unterricht und beim Selbststudium. Für
den Arzt aber ist das Buch ein zuverlässiger bündiger Führer. Es ist
von einem Manne geschrieben und wiederholt gründlich durchgearbeitet,
welcher aus eigener Erfahrung und durch fleissiges Studium weiß, was
seinen Fachgenossen not tut. Deshalb ist einer verständigen Bearbeitung
der Therapie auch ein breiter Kaum gewidmet. Die Beigabe der wich-
tigen Kapitel über die Haut- und Geschlechts- sowie über die Frauen-
krankheiten von fachmännischer Seite wird jeder mit Freude begrüßen.
Daß ein bei Herrn Enke erschienenes Buch an Zweckmäßigkeit und Ge-
diegenheit der Ausstattung nichts zu wünschen läßt, wird keinen über-
raschen, welcher den guten Geschmack und den praktischen Sinn dieses
Verlegers kennt. W. Ebstein (Göttingen).
2.
J. Arneth, Die neutrophilen weißen Blutkörperchen bei Infektions-
krankheiten. G. Fischer, Jena 1904.
Verfasser hat es unternommen, das morphologische Verhalten der
verschiedenen Leukocytengattungen bei den Infektionskrankheiten im ein-
zelnen zu verfolgen. Er teilt seine Resultate an den neutrophilen (poly-
morphkernigen) Leukocyten mit. Die Methodik, die ihm eine Analyse
610 XXXVIII. BesprechuDgen. Berichtigungen.
der neutrophilen Zellen gestattet, beruht neben der Bestimmung ihrer
Größen verhältniüse (Messung an Ausstrichtrockenpräparaten) hauptsächlich
auf Differenzierung derselben nach der Konfiguration ihrer Kerne. Auf
diesem Wege kommt A. zu einer Einteilung in 5 Klassen von der ein-
fachsten (ursprünglichsten) Kernform bis zur fortgeschrittenen Fragmen-
tation.
Gegenüber einem so gewonnenem beim Gesunden konstanten „nen-
trophilem Blutbild^ findet A. bei den meisten Infektionskrankheiten eine
Verschiebung dieses Blutbildes in dem Sinne, daß die einfacheren, jugend-
lichen Kemformen vorwiegen, während die btark fragpnentierten fast ver-
schwinden. Diese Änderung hat nichts mit der Schwere der Infektions-
krankheit zu tun und ist ganz unabhängig von der absoluten Leukocyten-
menge des Blutes. Bei Hyper-, Normo-, Hy pol eukocy tose sind demnach je
3 Unterabteilungen zu unterscheiden gemäß Erhaltung oder Störung des
aeutrophilen Blutbildes, l8ohyper(leuko)cyto8e, AniBohyper(leako)ey1ose etc.
Die Anschauungen von positiver und negativer Chemotaxis sieht A. als
unvereinbar mit seinen Befunden au. Die vermehrte Vernichtung der
ädteren Leukocytenformen wird im Sinne. Metschnikoffs als Abwehr-
maßregel des Organismus gegenüber der Infektion gedeutet; aus ihren
Zerfallsprodukten bilden sich die Schutzstaffe. gick (Tübingen).
Berichtigungen.
Zar Arbeit von Klieneberger u. Oxenius, Über Urine und Uriasedimente
bei normalen Personen, bei rheumatischen Erkrankungen und nach der Einwir-
kung von SaUcylpräparaten im 8(K Band 3»/4. Hefl«
Es muli heißen:
S. 232: grannl. Zylinder . . .
Zusammen
im ganzen %
19 X 20,43
S. 235: 4 Weiber
im
0/«
ganzen
/o
4X
= 100
2X = öO
IX
— 25
IX
= 25
1 X i 25
1 X
= 25
1 X
= 25
]
Dr. Klieneberger.
In demselben Heft Seite 404 Zeile 3 von unten in der Besprechung Nr. 2
ist zu lesen statt „Hocktiles" — „Herkules".
Lippert d Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S.
I 4
B 9- 190^^
[JAN 2 6 1906
^fß^J^6